Theologia Viatorum: Band 3 1951 [Reprint 2020 ed.]
 9783110833997, 9783110031584

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THEOLOGIA VIATORUM III J ahrbuch der

Kirchlichen

Hochschule

Berlin

1951

Herausgegeben im Auftrage

des

Dozentenkollegiums von

D. H e i n r i c h V o g e l Professor

WALTER DE G R U Y T E R & CO. / BERLIN vormals G . J. G ö s c h e n ' s c h e Verlagshandlung - J. G u t l e n t a g , Verlagsb u c h h a n d l u n g - G e o r g R e i m e r - Karl J. T r ü b n e r - Veit & C o m p .

A r c h . - N r . 32 1 8 5 1 S a t z : Walter de G r u y t e r A C o . , Berlin W 35 D r u c k : T h o r m a n n «i Goetsch, Berlin S W 61

Dem Kurator

der Kirchlichen

ihrem verdienstvollen Herrn Geh. Reg.-Rat

Hochschule,

Förderer,

REINHOLD

QUA

ATZ

zu seinem 75. Geburlstag als ein Zeichen unserer Verehrung barkeit.

und

Dank-

Das Dozentenkollegium Kirchlichen

Hochschule

der Berlin.

Vorwort Es ist über ein Dutzend Jahre her, daß ich das erste Jahrbuch der Kirchlichen Hochschule herauszugeben hatte, die damals noch in einer unbeschreiblichen Notgestalt existierte und als eine in den „ K a t a komben" lebende Gemeinschaft, von Lokal zu Lokal flüchtend, ihre Verhaftung an die Theologie viatorum eben mit dieser ihrer Existenzweise zu unterstreichen hatte. Wer das atemberaubende Tempo des Wachstums dieser Hochschule in den Jahren nach 1945, wie es unter Gottes unbegreiflicher Gnade durch die vitale Notwendigkeit unserer Arbeit für die Kirche des Ostens vornehmlich hervorgetrieben wurde, mitarbeitend erlebte, wird sich nicht genug über den Weg der Hochschule von jenem Damals zu dem Heute hin verwundern können. Gerade wir, die wir als Lehrende, oder besser gesagt, als mit unseren Studenten Studierende das Werk der Hochschule zu verantworten hatten und haben, waren immer von neuem von dem Mißverhältnis zwischen einer dauernd wachsenden Aufgabe und unseren Kräften bedrängt. Was uns bei der Stange hielt, und jedenfalls keine Rückzugsmöglichkeit ließ, war immer wieder die unabweisbare Erkenntnis jener vitalen Notwendigkeit dieses Werkes für die Gemeinden, die auf ihre Prediger warten. Die Zurüstung der künftigen Prediger des Evangeliums für die Gemeinden, die die Predigt des Wortes Gottes noch nötiger brauchen als Freiheit, Recht und Existenzmöglichkeit, das, und nichts anderes war und ist unsere eigentliche Aufgabe! Dieser Aufgabe, die in der Gemeinschaft von Dozenten und Studenten als einer Gemeinschaft von Schülern der Heiligen Schrift angegangen sein will, ist das Forschen und Lehren innerhalb der Kirchlichen Hochschule zugeordnet. Eine von dieser Aufgabe gelöste, sich als Selbstzweck verstehende Forschung und Lehre kennen wir darum nicht, weil die Wahrheit, um deren Erforschung es geht, der Herr der Aufgabe, des der ganzen Kirche gegebenen Auftrages ist. Das besagt keineswegs eine falsche Bindung der Forschung und Lehre an Wunsch und Willen der Kirche bzw. ihrer Leitung. Es besagt nicht eine „Klerikalisierung", der ja gerade im Blick auf den Herrn des Auftrages zu widerstehen ist, der selbst die Wahrheit ist, um die es in der Kirche und denn auch in der Kirchlichen Hochschule geht. Wir dürfen wohl mit Dankbarkeit aussprechen, daß die Kirchliche Hochschule bei den Leitungen der VII

Kirchen des Ostens, die sie in Mitverantwortung tragen, volles Verständnis für das findet, was man, recht verstanden, die „Autonomie" der Hochschule nennen könnte — dafür also, daß sie die ihr als einer Forschungs- und Lehrstätte gewordene Aufgabe sich nur von dem Herrenrecht der Wahrheit her gegeben sein läßt, um deren Verkündigung es in der Kirche geht. Es sind nur einige bescheidene Zeugnisse unseres gemeinsamen Forschens und Lehrens, die in diesem neuen Jahrbuch unserer Kirchlichen Hochschule allen denen angeboten werden, die an unserer Arbeit Anteil nehmen. Wenn das Jahrbuch auch dazu helfen könnte, diesen oder jenen auf unsere Sache hinzuweisen, vielleicht auch hier und da ein irriges Vorurteil zu entkräften, so würde es uns nur eine Freude sein und uns in der Bereitschaft finden, vergangene Mißverständnisse vergangen sein zu lassen. Wir sind ja wahrlich nicht am Ziel, sondern nach wie vor auf dem Wege und wissen nicht, auf welche Weise wir die Theologia viatorum von neuem werden zu „exerzieren" haben. E i n e s wünschten wir wohl: Daß die Zurüstung zum Dienst am Worte Gottes sich an den künftigen Predigern des Evangeliums sonderlich in den Gemeinden der Kirche des Ostens bewähren möge! D. H e i n r i c h Vogel

VIII

Inhaltsverzeichnis Sehe

H i l d e b r e c h t H o m m e l , Festvorlesung, gehalten anläßlich der Immatrikulationsfeier der Kirchlichen Hochschule Berlin, 4. November 1950 . . .

1

E r w i n R e i ? n e r , Philosophie als Frage

31

H e i n r i c h V o g e l , Kerygma und Mythos

47

M a r t i n S c h m i d t , Speners Pia Desideria

70

K a r l K u p i s c h , Wilhelm Heinrich Riehl (1823—1897)

113

G e r h a r d t G i e s e , Glaube und Erziehung

130

W a l t e r D e l i u s , Der Plan einer Kirchlichen Hochschule im Jahre 1895 . 143 M a r t i n F i s c h e r , Vom Leben unserer Hochschule heute

166

Bericht über die Entwicklung der Kirchlichen Hochschule Berlin im Jahre 195°

179

IX

F E S T V O R L E S U N G gehalten anläßlich der

Immatrikulationsfeier der Kirchlichen Hochschule Berlin 4. November 1950 Von

Hildebrecht Hommel i. S t u d i u m g e n e r a l e u n d U n i v e r s i t a s Verehrte Gäste, werte Brüder, liebe Kommilitonen! Der Umstand, daß zur Abhaltung der Festvorlesung beim feierlichen Immatrikulationsakt der Kirchlichen Hochschule, einer theologischen Alma Mater also, der Leiter ihres Studium Universale, ein Nichttheologe, abgeordnet ist, bedarf, so scheint mir, einer Begründung. Vielleicht nicht so sehr denen gegenüber, die von dem vor zwei Jahren ins Leben getretenen Studium Universale fast schon als von einer Selbstverständlichkeit Kenntnis genommen haben, sei es nun als Freunde der Berliner Kirchlichen Hochschule oder als ihre seit Semestern immatrikulierten Studenten, vielleicht gar als erfolgreiche Absolventen des Colloquiums zum Abschluß des Philosophischen Jahres. Ist ja doch auch seither alljährlich von Sinn und Zweck unseres Studium Universale vor einer breiteren Öffentlichkeit Zeugnis abgelegt worden1). Zudem enthält in jedem Semester das Vorlesungsverzeichnis der Kirchlichen Hochschule eine knappe Zusammenfassung alles Wissenswerten über den Zweck und die Organisation des Studium Universale wie über den Sinn des ihm eingegliederten Philosophischen Jahres, die zwei philosophisch-theologischen Grundsemester, wie sie jeder Anfänger des Theologiestudiums auf der Kirchlichen Hochschule abzuleisten und durch ein Colloquium zu beenden gehalten ist. Aber gerade die heute Der Wortlaut des Vortrags ist im wesentlichen unverändert gelassen. Zugefügt sind die Anmerkungen und im zweiten Teil die Erörterungen über das griechische Estherbuch und Josephus. ') Zeichen der Zeit. Jg. 1948, S. 43Öf. — Gymnasium. Vjschr. f. humanistische Bildung. Jg. 56. 1949, S. gof. — Theolog. Literaturztg. 1950, Sp. i84ff. 1 Kirch], Jahrbuch 1951

1

neu eintretenden und zur Immatrikulation schreitenden Studienanfänger wenn sie so sind, wie wir sie uns wünschen, daß es sie nämlich mit Macht dazu drängt, sich zu dem nach ernster Selbstprüfung freudig gewählten schweren Beruf des Pfarrers zu bereiten, und die sich darum mit schöner jugendlicher Begeisterung mitten hineinstürzen möchten in das lockende Studium der evangelischen Theologie, gerade sie werden beim Gewahrwerden dessen, was nun ihrer hier wartet, sich mit einiger Ernüchterung fragen: wozu dies retardierende Moment, das den in heutiger Zeit besonders hier im Osten so schweren Entschluß der getroffenen Berufswahl eher wankend zu machen als zu befestigen geeignet sein möchte? Gewiß, wer heute — wie der Großteil unserer Studenten — kaum das Lateinische hinlänglich beherrscht, vom Griechischen und Hebräischen, den Ursprachen der beiden Testamente, so gut wie keine Ahnung besitzt, der sieht es wohl gerne ein, daß er sich mit den Scheiden der alten Sprachen wird umgürten müssen, in denen nach Luthers Wort das Messer des Geistes der Heiligen Schrift steckt 1 ). Und die Sprachausbildung, die in der ach so kurzen Zeit von zwei bis drei Semestern in den jungen Theologen das Fundament zum wissenschaftlichen Verständnis des Bibelwortes legen soll, sie war ja bisher unserem Studium Universale eingegliedert. Aber wenn der Student nun hört, daß mit der Neugründung eines Sprachenkonviktes durch die Berlin-Brandenburgische Kirchenleitung, das am i . Oktober im Ostsektor der Stadt eröffnet wurde, dieser wichtige Bestandteil der theologischen Grundausbildung aus der Hochschule und dem Studium Universale herausgenommen und v o r das eigentliche Studium verlegt wurde, daß man also doch wohl diesen früher weithin durch die höhere Schule gebotenen fundamentalen Sprachunterricht gar nicht als zum "Wesen des Studium Universale gehörig betrachtet, dann fragt er sich, was bleibt denn noch übrig, das dieser das Theologiestudium verzögernden Einrichtung solches Gewicht gibt; hat man da nicht eine eitle Fassade aufgebaut, die etwa dem Studium an der Kirchlichen Hochschule ein universitätsmäßiges Gesicht leihen soll, das man lieber ausschließlich durch die Gründlichkeit, den E m s t und die Tiefe der an ihr gelehrten Theologie einprägsam gemacht sähe? Darauf wäre wohl zu antworten: allerdings will die Kirchliche Hochschule mit dem ihrem Haus eingefügten Atrium des Studium Universale ') M. L u t h e r , An die Ratsherrn aller Stände deutsches Lands, daß sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen 1524. W. A. 15, 38. E. A. 2z, 183. Luthers Werke in Auswahl (O. C l e m e n ) 2, 451. . . . Ia wo wyrs versehen / das wyr (da Gott für sey) die sprachen faren lassen / so werden wir nicht alleyn das Euangelion verlieren / sondern wird auch endlich dahyn geratten / das wir wider lateinisch noch deutsch recht reden oder schreyben künden.

2

an die allen Hochschulen gestellte Aufgabe erinnern, nämlich daß man die Universitas, die die meisten anderen hohen Schulen Deutschlands in ihrem Namen tragen, nicht zum bloßen Schein werden lasse oder ganz aufgebe. Aber indem die Kirchliche Hochschule damit als Mahnerin auftritt, muß gerade sie vor allen anderen auf der Hut sein, hier eben n i c h t eine bloße Fassade aufzurichten, hinter der sich kein echter Inhalt verbirgt. Zwei wichtige Aufgaben bleiben in der Tat nach der Ausgliederung der Sprachkurse übrig, mit denen das Studium Universale Sinn und Bedeutung seines Namens zu rechtfertigen meint. Zunächst und zuvörderst will es dem angehenden Studenten die ihm von der Schule nicht mehr in nötigem Maß und Umfang gebotene allgemeine Bildung vermitteln, die ihn zu fruchtbarem Fachstudium reif macht; und zum andern sucht es, auch nach Abschluß des Philosophischen Jahres der wissenschaftlich-theologischen Berufsausbildung eine universale Ausrichtung zu geben, damit sie nicht im Spezialistentum versinke — eine Gefahr, vor der ja auch die Theologie nicht von vornherein gefeit ist 1 ). Das heißt also: das Studium Universale hat erstens etwas zu leisten, was die höhere Schule früher einmal geleistet hat, aber heute (und nicht erst heute) nicht mehr leisten kann oder gar nicht mehr zu leisten als ihre Aufgabe betrachtet: eben den künftigen jungen Akademiker mit einer allgemeinen Bildung auszustatten. Und es soll zweitens die Aufgabe erfüllen, die einmal den Universitäten schon ihrem Namen nach als selbstverständlich gestellt schien, aber allmählich in den Hintergrund getreten ist oder ganz verloren ging: die Teilhabe an einer universitas. Daraus versteht sich leicht, daß der erste der beiden Aufgabenbereiche der Hochschule und ihrem Studium Universale zwar aus der Not der Zeit als unabweisbare Forderung gestellt ist und daß sie diesem wahrhaft not-wendigen Anliegen dienen muß, wo und solange die höhere Schule ihm nicht mehr gerecht wird, sei es, daß ihre Leistungen aus welchem Grund auch immer abgesunken sind, sei es, daß eine überstürzte Schulreform ihr schlechthin die Möglichkeit benimmt, das Ziel einer einigermaßen abgeschlossenen Allgemeinbildung, kurz einer echten und wirklichen Hochschul-,,Reife" zu verwirklichen, auch wo sie ehrlich danach streben möchte. Aber dem Wesen der Hochschule als einer auf solidem, breitem Fundament aufbauenden wirklich hohen (und nicht nur höheren) Schule ist diese Aufgabe doch im Grunde fremd. Freilich sind hier und besonders an unserer Hochschule, wo der studentische Nachwuchs in allererster Linie aus dem deutschen Osten kommt, ja ') Hierzu und zum Folgenden vgl. schon H. H o m m e l , „ G y m n a s i u m " 56. 1949, S. g2i. — Th LZ 1950, Sp.i85f. In beiden Aufsätzen auch weitere Literatur.

1

3

kommen soll, die Aussichten nach menschlichem Ermessen schwach, daß bald ein Wandel eintritt, und die höhere Schule wieder das ganz zu leisten instandgesetzt wird, was ihres Amtes wäre. Doch dürfen auch wir das Ziel nicht aus dem Auge lassen, daß die Schule eines Tages ihre Abiturienten wieder mit einer einigermaßen abgeschlossenen Allgemeinbildung auf die Hochschule entlassen muß, soll das Gefüge des in seiner Qualität einst hoch geachteten und weitberühmten deutschen Bildungswesens nicht ernstlich und endgültig bedroht sein. Einer der Wege dahin wäre in der Wiedererrichtung der im Dritten Reich aus militärischen Gründen beseitigten Oberprima zu erblicken, wie sie in einer Anzahl deutscher Länder jetzt seit Jahren wieder besteht. Wenn eine solche Oberprima ihr Telos wirklich erfüllt, dann könnte jener erste nur notgedrungen übernommene Aufgabenbereich des Studium Universale damit entfallen und dürfte der höheren Schule zurückgegeben werden, der er ihrem Wesen nach gehört. Anders steht es mit dem zweiten Hauptanliegen. Hier ruhen die eigentlichen, dauernden und nicht ablösbaren Aufgaben des Studium Universale, durch die es in einem über den Tag hinaus weisenden Sinne gerechtfertigt wird 1 ). Denn hier handelt es sich um das entschlossene Wiederaufgreifen einer Aufgabe, die mit Recht zum innersten Wesen der Hochschule als universitas gehört. Nicht nur an der Kirchlichen Hochschule Berlin hat man das begriffen, wenngleich unsere Alma Mater den Ruhm für sich beanspruchen darf, als erste deutsche Hochschule im Frühsommer 1948 mit einer umfassenden für alle Studenten verbindlichen Einrichtung jenen in der Luft liegenden Plan verwirklicht zu haben, für den man sonst gemeinhin den Namen „Studium Generale" zu gebrauchen sich gewöhnt hat. Nur die Universität Tübingen hat schon v o r h e r — im Februar 1948 — mit der Eröffnung ihres „Collegium Leibnizianum" einem ähnlichen Anliegen zu dienen versucht. Aber die Beschränkung auf zwei Vorsemester und der kleine Kreis von nur 40 bis 50 Teilnehmern bei erheblichen dem Studenten aufgebürdeten Kosten gibt doch notwendig diesem Institut einen propädeutischen und die übrige Universität nur aus der Ferne mit teilnehmen lassenden Charakter und dient dem Ziel der Universitas damit nur von weitem und allenfalls anregungsweise. Wegweisend vorangegangen waren mit dem Streben nach einer geistigen Mitte nicht von ungefähr die Technischen Hochschulen in ihren den Geisteswissenschaften gewidmeten sogenannten „Allgemeinen Abteilungen", aus denen sich da und dort Studia Generalia entwickelt haben, wie etwa die „Humanistische Fakultät" unserer Berliner Technischen Universität. ' ) In ähnlichem Sinn auch W . B r a n d t in: Wort und Dienst. Jhrbch. d. Theol. Schule Bethel. N. F., 1. Bd. 1950, S. 164.

4

Das auf Betreiben der Britischen Militärregierung v o m Studienausschuß für Hochschulreform E n d e 1948 vorgelegte „ G u t a c h t e n z u r Hochschulreform" h a t dann die E i n f ü h r u n g eines „ S t u d i u m Generale" an sämtlichen deutschen Universitäten gefordert. A b e r nur wenige Hochschulen, wie z. B . wohl nicht v o n ungefähr die junge Gründung der Universität Mainz, neuerdings auch Freiburg, haben von der Anregung Gebrauch gemacht, z. T . offensichtlich aus dem Bestreben, jenes vorhin besprochene Versagen der höheren Schule in der Vermittlung einer soliden allgemeinen Bildung nach K r ä f t e n auszugleichen. D a s viel wichtigere Anliegen einer Durchdringung der gesamten Hochschule vom ersten bis z u m letzten Semester mit dem Geist der Universitas scheint demgegenüber allgemach wieder in Vergessenheit zu geraten, und man fährt weiterhin fröhlich auf den alten Spezialgleisen dem eng gesteckten Berufsziel, allenfalls der fachwissenschaftlichen B e tätigung, oder gar nur d e m Brotberuf entgegen 1 ). W o man dennoch, was da und dort nicht zu verkennen ist, von der echten Sehnsucht nach sinnvoller Ausschau über die Fachgrenzen hinaus, nach Kommunikation zwischen Disziplinen und F a k u l t ä t e n , kurz nach einer neuen Universitas ergriffen ist, d a tragen diese Bestrebungen oft einen recht zufälligen, orts- und situationsgebundenen Charakter und entbehren der planmäßigen Zusammenfassung und zielvoll lebendigen Organisation. U m so mehr m a g es sich lohnen, v o n unserem nun seit zwei Jahren praktisch durchgeführten Versuch eines S t u d i u m Universale ausgehend dem tieferen Sinn des Anliegens nachzuspüren, wie er uns bei der Gründung der neuen Einrichtung v o r A u g e n stand. Neben dem mit dem Philosophischen Jahr angestrebten Ziel der nachholenden Vermittlung einer wissenschaftlich fundierten Allgemeinbildung „betont und pflegt das Studium Universale den über das kirchliche H a u p t anliegen der Hochschule hinausweisenden universellen Charakter des gesamten theologischen Studiums. E s will damit vor allem auch die höheren Semester auf ihrem W e g durch das Studium begleiten, ihnen •das theologische Rüstzeug schärfen helfen und sie nach ihrer Veranlagung und Neigung in den philosophischen, soziologischen, historischen und philologischen Disziplinen methodisch und sachlich einen festeren S t a n d gewinnen lassen." So e t w a lesen Sie es in unserem Vorlesungsverzeichnis. D a ß dabei die naturwissenschaftlichen Disziplinen fehlen, ist keineswegs in der Sache begründet, sondern bedeutet einen schmerzlichen Verzicht, den auszugleichen uns bisher nur die nötigen Mittel fehlten. Alles in allem spüren Sie aus diesem Programm wohl das ehrliche Bestreben, einer lebendigen Universitas der wissenschaftlichen Einzelfächer an J) Vgl. a. Eduard S p r a n g e r in der Tagespresse; Bericht darüber im „Sonntagsblatt" Hamburg. Jg. 1950, Nr. 37 vom 10. Sept., S. 8.

3

unserer Hochschule den Entfaltungsraum und das Gewicht zu sichern, die ihr nach unseren einleitenden Feststellungen zukommen. D a ß ein dieser wichtigen Aufgabe gewidmetes Institut, so sehr es der ganzen Hochschule zu dienen hat, doch seiner eigenen Körperlichkeit, seines Hauses, seiner Bibliothek und ihrer gesicherten Vermehrung und Betreuung bedarf, ist eine Selbstverständlichkeit, deren schrittweiser Verwirklichung dankbar gedacht werden soll. Aber wir wollen uns heute in dieser Stunde der Besinnung mit solchen mehr

vordergründigen

Bemerkungen,

die

das

Wesen

der

Saclic

mehr

ahnen lassen, als daß sie es schon enthielten, nicht zufriedengeben, vielmehr versuchen, dem eigentlichen Sinn der von uns so leidenschaftlich erstrebten Universitas auf die Spur zu kommen. Wenn ich als Philologe dies mit den Mitteln meiner mir zur Verfügung stehenden Wissenschaft versuche und damit den mir beim Bemühen ums Ganze allein möglich und erlaubt scheinenden Weg vom Besonderen zum Allgemeinen beschreite, werden Sie es mir nicht verdenken. Immer wenn wir heute von universeller oder universaler Bildung reden, sind wir infolge einer fatalen Bedeutungsverschiebung, die sich diese Worte im Laufe der Zeit haben gefallen lassen müssen, nur allzu leicht geneigt, an eine Bildung zu denken, die mehr in die Breite geht als in die Tiefe, sich mehr auf den weiten Umkreis „enkyklopädischen" Wissens bezieht als auf das Zentrum der Bildung in ihrer Gesamtheit 1 ). Aber der Begriff „universitas" mahnt uns zur Befragung des ursprünglichen lateinischen Wortsinns. Das Substantiv ist abgeleitet von dem uns seit der Frühzeit der lateinischen Literatur, also seit Plautus, und daneben auch inschriftlich begegnenden Eigenschaftswort ,,universus". Wörtlich heißt das nun ganz und gar nicht etwa ,,in die Weite strebend", sondern vielmehr „der Einheit zugewandt, auf einen Punkt gewendet 2 ) — universus = ad unurn versus — , auf die Gesamtheit, auf die Ganzheit bezogen". So sagt Plautus 3 ) gregem univorsum avortere, „die g a n z e Herde auf e i n m a l wegtreiben", und wenn Livius 4 ) von einer universae rei dimicatio spricht, so meint er „den Kampf, der ums Ganze geht", ebenso wie Cicero mit dem Versprechen de re universa tractare5), „von dem einheitlichen Gesamtkomplex einer Angelegenheit handeln" will. Im Begriff des „Universum", des „Weltalls" haben auch wir noch den Ursinn des Wortes erhalten, das die Gesamtheit der Welt, nicht ihre einzelnen Teile *) A u c h die vortreffliche U n t e r s u c h u n g v o n P a u l S i m o n , D i e Idee der mittelalterlichen U n i v e r s i t ä t und ihre Geschichte.

1932,

S. 5 f . , 8 f. 19 ist v o n

diesem

Mißverständnis nicht frei. *) A . W a l d e , s)

«) L i v i u s V I I 5)

6

Lat. etymolog. Wörterbuch

Plaut., Trinummus

sigio,

S. 852.

134.

11, vgl. X X V I I

12.

U n d ähnliche W e n d u n g e n , Cicero passim. V g l . a. T a c i t u s ,

Germ. 5, 1. 6, 3.

bezeichnet. So heißt in universum bei Livius 1 ) soviel wie ,,im ganzen genommen" oder „überhaupt", und auch im Plural meint das Wort die Ganzheit, die Cicero dem Einzelnen gegenüberstellt, wenn er sagt natura universa atque otntiia continens, „die Natur, die das All im ganzen wie in allen einzelnen Teilen umfaßt", wobei omnia geradezu als vereinzelnder Gegenbegriff zu universa erscheint 2 ). Wenn die mittelalterlichen Theologen um die Universalia streiten, so reden sie von den Allgemeinbegriffen, sei es, daß sie ihnen objektive oder subjektive Realität zubilligen. Daneben hat das Mittelalter, wie es scheint, dem Wort noch einen weiteren neuen Sinn beigelegt, auf den wir hören müssen, da wir j a einer Schöpfung des Mittelalters, der Universität, das Leitbild der Universitas verdanken. Mindestens unbewußt und implicite ist nämlich die alte kirchlich bestimmte Universität wie Paris, Bologna, Oxford oder Cambridge nicht nur eine sich selbst verwaltende „universitas magistrorum et scholarium", also eine ganzheitsbezogene Lebensgemeinschaft, oder wie man es später interpretierte, eine „universitas litterarum", eine einheitlich ausgerichtete Zusammenfassung der vier Fakultäten Theologie, Jurisprudenz, Medizin und Philosophie, sondern es steckt darin immer zugleich auch die Bezogenheit auf eine verbindliche Mitte, aus der das Ganze lebt, eine Mitte, die nicht ohne weiteres identisch ist mit diesem Ganzen, sondern gleichsam höher ist als die in und aus dem Ganzen wirkende Vernunft 3 ). Für das Mittelalter bestand diese Mitte in der Hierarchie der Kirche. Der Verlust der Mitte durch die Emanzipation der Universitäten wie des Geisteslebens überhaupt aus der kirchlichen Bevormundung und durch den Ubergang in die Obhut des Staates, der selber keine echte geistige Mitte mehr besitzt oder gar darstellt, dieser Verlust bezeichnet die mit der Neuzeit anhebende Krise der Universität 4 ). Von hier aus betrachtet wird der i) L i v . I X

29.

*) Cicero, D e natura d e o r u m X 39. 3)

Mindestens soweit die eine der beiden H a u p t e n t w i c k l u n g s l i n i e n der

alterlichen

Bildung,

die

platonisch-augustinische,

gegenüber

der

mittel-

anderen,

Spezialisierung drängenden, nämlich der aristotelisch-boethianischen,

auf

sich durch-

g e s e t z t hat. Darüber h a t nach anderen P. S i m o n a. O., S. g f f . 1 9 f f . aufschlußreich gehandelt. N u r d u r f t e er S. 10f. nicht sagen, erst A u g u s t i n habe, P i a t o n u m d e u t e n d , die W i s s e n s c h a f t e n z u m absoluten

völlig

Sein als ihrer ideellen E i n h e i t in

B e z i e h u n g gesetzt und sie a u s ihrem Verhältnis z u m A b s o l u t e n abgeleitet (De civ. dei V I I I 4. I I 7. X I 25. E p . 3 ; 118, 3 ; 137, 5). D a g e g e n spricht, wie mir scheint, u n z w e i d e u t i g eine Stelle wie P i a t o n , S t a a t V I 21, 5 1 1 B/C (zur Interpretation vgl. W . J a e g e r , Paideia I I I 1947, S. 13!., vgl. 8. 376f.). E n t s c h e i d e n d bleibt natürlich bei A u g u s t i n , daß er das a b s o l u t e Sein mit dem christlichen G o t t identifiziert hat (Simon, 4)

S. 11).

V g l . dazu auch S i m o n ,

S. 22f. 30ff., ferner die vortrefflichen A u s f ü h r u n g e n

v o n L u d w i g C u r t i u s , D e u t s c h e und antike W e l t . Lebenserinnerungen 1950, S. 3 2 4 !

7

ganz besondere Sinn sichtbar, den das durch die Errichtung eines Studium Universale abgelegte Bekenntnis gerade unserer Kirchlichen Hochschule zur Universitas in sich schließt. Sie glaubt einer solchen Mitte teilhaftig zu sein1). Aber es ist nicht etwa, wie der Name Kirchliche Hochschule den Femerstehenden vermuten lassen könnte, die Kirche selber — denn die Kirche ist für uns ja kein absoluter Eigenwert —, sondern diese Mitte wird erfahren und bezeichnet durch das Wissen und das Zeugnis davon, daß die Kirche eine Kirche Jesu Christi ist. Aber selbst wenn wir uns aus diesem Heiligsten wieder in den Vordergrund philologischer Betrachtungen begeben, so muß uns der Begriff Universitas und Studium Universale jetzt, wo wir den Ursinn des Wortes freigelegt haben, doch ständig mahnen, im Universalen unserer Bestrebungen das Ganzheitsbezogene, Zentripetale zu erkennen, nicht das im vielen Einzelnen sich Verlierende und nur nach der Weite, nach der Kreisperipherie einer allgemeinen Bildung Strebende. Und zwar so verstanden, daß wir mit dem Studium Universale das allen in ihm gepflegten Disziplinen G e m e i n s a m e , das Umfassende, Umgreifende zu erkennen suchen, die ihnen allen gemeinsame Wissenschaftlichkeit, die dann freilich ihren letzten und tiefsten Sinn durch jenes Metaphysische erhält, von dem wir sprachen. Für das Allgemeine, das die verschiedenen wissenschaftlichen Bestrebungen zu einer Ganzheit zusammenschloß, gebrauchte man im Mittelalter den Namen Studium generale und wählte damit eine Bezeichnung, die das dem Genus Eignende, Gattungsmäßige, allen Spezies Gemeinsame, dem Speziellen der Spezialwissenschaft — sie umgreifend — gegenüberstellte. Erst später kam dafür die Bezeichnung Universitas auf2). Der Gründer des ältesten Studium generale auf deutschem Boden, einer hohen Schule der Dominikaner, war der von Paris kommende Schwabe Albertus Magnus, der 1248 in Köln sein Studium generale errichtete. Da er, der alle Wissenschaften umfassende Geist, zudem den Ehrennamen eines Doctor universalis erhielt, darf er gewissermaßen als der Vater des Studium generale wie der Universitas in Deutschland gelten. Man bedient sich heute gemeinhin der ersten der beiden Benennungen, „Studium generale", für das Mittel, der Universität wieder ein einigendes Band zu schaffen. Bei uns hat mit glücklichem Griff Fritz Dehn der Bezeichnung „Studium Universale" zum Durchbruch verholfen, womit schon im Namen der Einrichtung besser als in der landläufigen Formulierung das Streben nach der Wiedergewinnung der verlorenen „universitas" zum Ausdruck kommt. l ) Übereinstimmung in den Grundgedanken: Philipp K r ä m e r , Programmrede der Paul Gerhardt-Schule Laubach (Oberhessen) 1950. ') Zum Einzelnen vgl. a. Friedrich P a u l s e n ; Geschichte des gelehrten Unterrichts . . . »I 1919, S. 2 8 f f „ 33ff.

8

Erinnern wir uns nochmals an den Wortsinn, der sowohl dem Begriff des Studium generale wie des Studium Universale legitimerweise zukommt, an die Konzeption des Gattungsbezogenen wie des der Einheit und Ganzheit Zugewandten, so wollen wir uns doch nicht vermessen, damit die für beide Bezeichnungen eingebürgerte Übersetzung des „allgemeinen Studiums" aus der Welt zu schaffen. Aber wünschenswert wäre doch eine Besinnung darauf, daß das „Studium generale" sowohl wie das „Studium universale" auf ein Allgemeines tendiert, das ein a l l e n den verschiedenen „Spezial"-Studien G e m e i n s a m e s , sie Verbindendes ist, so daß wir den damit gerechtfertigten Begriff des „ A l l g e m e i n e n " vielleicht besser „ a l l g e m e i n " 1 ) betonen sollten als „allgemein". Mit anderen Worten: wie sich die Vokabel „universalis" nach unserer vorhin gemachten Beobachtung allmählich eine Verwässerung ihres Begriffs hat gefallen lassen müssen, so hat auch das deutsche Wort „ a l l g e m e i n " eine Degeneration erfahren, die sich da und dort durch eine irreführende Betonung zu manifestieren scheint (zu der freilich Akzentgesetze der deutschen Sprache und ihrer Mundarten das Ihre beigetragen haben mögen). Denn zweifellos ist die Akzentuierung allgemein die ursprüngliche und sinngemäße, wie man ja auch insgemein sagt und nicht i n s gemein, oder a l l m ä c h t i g allweise a l l g ü t i g und nicht allmächtig a l l weise allgütig. Ja, wir könnten mit dieser feinen Unterscheidung noch weiter gehen, indem wir feststellen, daß unserem Studium Universale in seiner ephemeren nachholenden Funktion, wie sie in der Einrichtung des Philosophischen Jahres zum Ausdruck kommt, eine allgemeinbildende Aufgabe erwächst, während es mit seinem eigentlichen und bleibenden, dem ganzen Studium dienenden Zweck einer wissenschaftlichen A l l g e m e i n bildung dient. Denn die Allgemeinbildung der höheren Schule vermittelt, so sehr sie wissenschaftlich fundiert sein muß, noch keine eigentlich wissenschaftliche Erziehung und Ausbildung; das „Studium Universale", im strengsten Wortsinn genommen, zielt dagegen auf die „universitas" echter wissenschaftlicher Geisteshaltung. In dem einen mag nach jenem antiken Sprichwort*) noch das multa gelten, im anderen hat nur das mtdtum seine Berechtigung und seinen Platz. Freilich müssen wir dem Jünger der Wissenschaft dabei einprägen, daß er erst über gewisse Teile in ernster methodischer Kleinarbeit wird verfügen lernen müssen, wenn er sie zum Ganzen schließen — ad unutn ') So auch als richtig empfohlen von Fr. L. K. W e i g a n d - Herrn. H i r t , Dts. Wrtrbch. 5 1909, Sp. 41 f., wo übrigens darauf hingewiesen wird, daß sich im Mittelhochdeutschen nur das Adverb .algemeine' belegt finde, während das Adjektiv erst von der Mitte des 16. Jhdts. ab gebräuchlich sei. *) Plinius, Epist. V I I 9,16 aiunt enim multum legtndum esse, non multa.

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vettere — , auf eine Mitte beziehen will 1 ). Und da wir durch das ungeheure Anwachsen des Stoffes in allen Einzeldisziplinen und durch die Verfeinerung ihrer Methoden heute nicht mehr wie der große Albertus sie alle auch nur in den Grundlagen zu beherrschen uns vermessen können, so empfehlen wir dem Studenten der Theologie, daß er sich neben seinem erwählten Hauptfach in e i n e m der vom Studium Universale unserer Hochschule angebotenen Wissenschaftszweige umsehe und in ihm heimisch zu werden suche, je nach dem und wohin ihm eigene Neigung oder die während des Philosophischen Jahres mit den einzelnen Fächern gehabten Begegnungen den Weg weisen. Wir alle stehen günstigstenfalls in e i n e m wissenschaftlichen Fach auf wirklich festem Boden. Aber wir haben uns zumeist in anderen Wissenschaften umgesehen, uns ernsthaft um ihre Erkenntnisse bemüht und mit ihren Methoden gearbeitet, so daß wir hoffen dürfen, von da aus einen Blick für das Ganze der Wissenschaft und für ihre wirkliche Mitte zu erhalten. Je älter wir werden, desto mehr werden wir uns freilich mit der Arbeit auf einem, unserem eigensten Gebiet bescheiden, in der Hoffnung, den einmal gewonnenen Blick auf das Ganze, Umfassende nicht mehr zu verlieren. So wird es mir wohl als dem Festvortragenden unserer heutigen akademischen Feier auch nicht verdacht werden, wenn ich nach dem Blick auf das Studium generale und universale zum Schluß wieder nach dem speciale und singulare meines Faches zurücklenke und in der von der Zeit gebotenen Kürze und Skizzenhaftigkeit ein Einzelproblem der Philologie vor Ihnen zu entwickeln versuche, das freilich den Blick aufs A l l g e m e i n e und Universale und auf die Mitte unserer gemeinsamen Wissenschaften, der Philologie und der Theologie, freigibt. 2. T a c i t u s u n d d i e C h r i s t e n Der römische Historiker Tacitus lebte von der Mitte der 50 er Jahre des 1. nachchristlichen Jahrhunderts bis gegen das Jahr 120, also in einer Spätzeit, da der Glaube an die Grundwerte der römischen Lebenshaltung wie virtus, dignitas, constantia, mos maiorum, religio und pietas — Mannestugend, Geltung von Rang und Würde, Beharrlichkeit, Vätertradition und Sitte, religiöse Bindung — , um nur einiges zu nennen, ins Wanken geraten war; gleichzeitig war aber auch die Staatsform der aristokratischen res publica, die jahrhundertelang die Verwirklichung dieses Glaubens zu verbürgen schien, nach schweren Kämpfen abgelöst durch eine weithin nur noch in der Fiktion an jenen Überlieferungen *) Vgl. S i m o n a. a. O. S. 29, der sich auf Schellings Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums beruft. Dort wird freilich der uns bedenklich icheinende umgekehrte Weg vom Ganzen der Wissenschaft zum Einzelfach empfohlen.

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festhaltende Monarchie, das römische Kaisertum. Dieses hatte sich, z. T. von orientalischen Vorstellungen angeregt, mit dem Wachsen des Reiches und der kaiserlichen Macht unvermerkt seine eigenen Wertsymbole geschaffen wie den Gottkaiserkult1), die einzige Religionsübung, die dem großen römischen Reich in allen seinen Gliedern, Zungen und Anschauungen gemeinsam war2). Dazu war schon seit den letzten Jahrhunderten der Republik griechische Religion, Philosophie, Lebensanschauung und Bildung eingeströmt und hatte das Weltbild des Römers unendlich bereichert und zu eigenen Schöpfungen angeregt, aber auch entscheidend gestört und seiner Geschlossenheit beraubt. Sittlich haltlose und dem Cäsarenwahn zuneigende Herrscher wie Nero und Domitian machten den Verfall in besonders eindringlicher und spürbarer Weise deutlich, und gerade ihre Regierungszeit 54—68 und 81—96 war es, die mit der Kindheit und ersten Manneszeitdes Tacitus zusammenfiel und seine Lebensanschauungen entscheidend prägen half. So ward er, der als hoher römischer Staatsbeamter politische Interessen mit einem ausgeprägten moralischen Gewissen und mit einer bildgestaltenden Kraft ohnegleichen verband, von dem Augenblick an, wo mit dem Tode Domitians wieder dem freien Wort Raum gegeben war, zum Künder altrömischer Virtus, und zwar nach der ihm eigenen Gabe auf dem Felde der Geschichtsschreibung"). Da Tacitus die Wiederverwirklichung des Virtusideals als einzige Rettung sah, aber illusionslos genug war, um zu wissen, daß sich das Rad der Geschichte nicht mehr würde zurückdrehen lassen, so gewann sein Werk und seine Persönlichkeit einen tragischen Aspekt. Tacitus geriet in eine Art „intellektueller Verzweiflung", und sein „dämonisches Bildnertum" 4 ) trieb ihn dazu, sich in seinem Werk mehr und mehr den düstersten Zeiten der voraufliegenden Jahrzehnte des römischen Imperiums zuzuwenden, die glücklichen Zeitläufte unter den freundlicheren Herrschern seiner eigenen reiferen Mannesjahre •) G. H e r z o g - H a u s e r , Artikel „Kaiserkult" in P a u l y - W i s s o w a s RealEncyclopädie der class. Altertumswiss. (RE), Suppl.-Bd. IV. 1924, Sp. 806 — 853. O. W e i n r e i c h , Senecas Apocolocyntosis . . . 1923, S. 4 3 f f . Zu weiteren kaiserzeitlichen Symbolen vgl. bes. A . A l f ö l d i , Insignien und Tracht der römischen Kaiser. Römische Mitteilungen 50. 1935, S. 1 — 1 7 1 . Derselbe, Die Geburt der kaiserlichen Bildsymbolik. Museum Helveticum 7 . 1 9 5 0 , S. 1 ff. H. H o m m e l , Horaz . . . 1950, S. ö^fi. (S. 70 weitere Literatur). *) M. D i b e l i u s . Sitzber. d. Heidelberger Akad. d. Wiss. Ph.-hist. Kl. J g . 1941/42, 2 (1942), S. 5 1 . 3 ) Friedrich K l i n g n e r , Tacitus (Die Antike 8. 1 9 3 2 , S. 1 5 1 ff. = Klingner, Römische Geisteswelt 1943, S. 3ioff.). H. H o m m e l , Die Bildkunst des Tacitus (Hosius-Festschrift: Studien zu Tacitus 1936, S. i i ö f f ). E . K o r n e m a n n , T a citus 1946. ' ) Formulierungen von F . K l i n g n e r (a. O. S. 164. 167) und E d . F r a e n k e l (Neue Jahrb. f. Wissenschaft und Jugendbildung 8. 1932, S. 233).

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gleichsam auszusparen oder doch zu ignorieren. So kam es, daß er die Virtus mehr und mehr am Gegenbilde der Verworfenheit zur Darstellung brachte oder gar dem Laster sein Hauptaugenmerk zuwandte1). In den Dienst dieser schwarz malenden Kunst stellte Tacitus — besonders im Spät werk der „Annalen" — sein hohes Vermögen faszinierender Erzählungsgabe, die sich ihren eigenen mit sparsamsten Mitteln arbeitenden Stil der Kürze und Prägnanz, des Verschweigens, Andeutens und Ahnenlassens schuf und so mit eigenwilliger, stets origineller Ausdrucksfähigkeit gerade den anspruchsvollen Leser in seinen Bann zu ziehen, aber auch mit ungeheurer suggestiver Kraft zu leiten und zu lenken wußte8). Wenn der Abendländer heute auf das Werk des Tacitus zurückblickt, wird er gewahr, daß dem römischen Historiker des sich zum Sterben rüstenden Altertums gerade die neuen starken geschichtlichen Kräfte nicht verborgen blieben, die einer sich von Grund auf sich verändernden Welt für die folgenden Jahrtausende ihr besonderes Gepräge geben sollten, das Germanentum und das Christentum. Mit seiner „Germania" hat der Römer, gleichviel aus welchen Antrieben, seinen Landsleuten das Sittengemälde eines jungen, starken, unverbrauchten Volkes vor Augen gestellt, dessen das Imperium bedrohender und gefährdender Macht er sich wohl bewußt war3). Weniger prophetisch hat er sich gegenüber dem jungen Christentum verhalten, ja weder hat der Historiker die künftige weltumfassende Bedeutung der jungen Bewegung erkannt, noch hat sich der Aristokrat zu einer auch nur irgendwie positiven Wertung der proletarischen Sekte verstehen können, geschweige denn, daß es ihm gegeben gewesen wäre, sich von der Uberzeitlichkeit ihrer Erscheinung ansprechen zu lassen. Aber er hat dem Phänomen immerhin einen gedrängten Abschnitt seiner Geschichtserzählung gewidmet. Was uns das kurze Christenkapitel, das 44. des 15. Annalenbuches, bietet, ist in der Tat bedeutsam genug, zumal es sich um eines der frühesten von den wenigen Profanzeugnissen dieser ersten Zeit der Christengemeinde handelt4). Obwohl über diese Ausführungen des Tacitus unendlich viel geschrieben ist — allein der Zeitraum der letzten 8 Jahre umfaßt sechs gewichtige Spezialabhandlungen5) —, scheint die Inter») F. K l i n g n e r a. O., S. 159ff. H. H o m m e l a. O., S. i36ff. ') H. H o m m e l a. O., S. 1 1 9 mit weiterer Literatur. J . V o g t , Tacitus und die Unparteilichkeit des Historikers (Hosius-Festschr., S. i f f . , bes. S. 13ff.). ') Neuere Literatur bei H. F u c h s , Mus. Helvet. 4. 1947, S. 151 f. *) Die übrigen Nachrichten sind zuletzt besprochen von M. D i b e l i u s , Rom und die Christen im ersten Jahrhundert. Heidelberg 1942 (a. d. o. S. 1 1 , Anm. 2 a. O.). 54 S. ') Genauer Nachweis bei H. F u c h s , Tacitus über die Christen. Vigiliae Christianae. Vol. 4. 1950, S. 66,. Die ausländische Literatur ist mir großenteils nicht zugänglich. Ich verlasse mich auf das sorgfältige Referat von Fuchs.

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pretation doch noch nicht abgeschlossen, und so mag es sich auch von dieser Seite her lohnen, den Bericht des Römers ins Auge zu fassen. Der Zusammenhang, in dem das Kapitel steht, ist folgender: In der Nacht vom 18. auf den 19. Juli des Jahres 64, am Vorabend des Jahrestages des Gallierbrandes, als Tacitus etwa 10 Jahre alt war, brach in Rom eine verheerende Feuersbrunst aus, die zunächst 6 Tage, dann noch einmal 3 Tage lang wütete und von den vierzehn Stadtbezirken drei fast völlig einäscherte und nur drei ganz verschont ließ. Tacitus (Ann. XV38) läßt es offen, ob das Feuer forte an dolo principis „aus ungeklärter Ursache oder durch heimtückische Veranstaltung des Kaisers" entstanden war — wenn dies letzte zutraf, dann wohl deshalb, damit Nero Gelegenheit fände, seine anspruchsvollen Baupläne auszuführen. Tacitus hat wohl kaum die Schuld des Kaisers für erwiesen gehalten, weiß sie aber in feindseliger Tendenz mit raffinierter Kunst seinen Lesern zu suggerieren. Die Volksmeinung jedenfalls hatte sich damals alsbald gegen Nero gewendet, der daraufhin alles tat, um den Verdacht von sich abzulenken. So wandte er hohe Kosten und alle Energie auf, um in Kürze die zerstörten Stadtteile solider und schöner wieder erstehen zu lassen, und suchte durch Befragung der sibyllinischen Bücher die Mittel zu ergründen, mit denen man die offenbar erzürnten Götter wieder gnädig stimmen könnte. Dies letzte berichtet der Anfang unseres Kapitels. Den Rest von § 2—5 gebe ich in kritisch bearbeitetem Text und in deutscher Übersetzung, mit dem Bemühen, die bisher gesicherten Ergebnisse auch der neuesten Forschung zu berücksichtigen. Wo ich darüber hinaus zu kommen meine, davon soll anschließend Rechenschaft abgelegt werden. So lautet der etwa 50 Jahre nach der neronischen Christenverfolgung abgefaßte Bericht des Tacitus: Tacitus, Annales X V 44, 2—5 sec. cod. Medic. 68 II fol. 38 v col. b: 2. sed non ope humana, non largitionibus principis aut deum placamentis decedebat infamia, quin iussum incendium crederetur. ergo abolendo rumori Nero subdidit reos et quaesitissimis poenis affecit, quos per flagitia invisos vulgus Chrestianos1) appellabat. 3. auctor nominis eius Christus Tiberio imperitante per procuratorem Pontium Pilatum supplicio affectus erat, repressaque in praesens exitiabilis superstitio rursum erumpebat non modo per Iudaeam, originem eius mali, sed per urbem etiam, quo cuncta undique atrocia aut pudenda confluunt celebranturque. ') christianos ex chrestianos correctum littera t pro e in rasura posita M.

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4. igitur — primum correpti, qui fatebantur, deinde indicio eorum multitudo ingens — haud proinde in crimine incendii quam odio humani generis conutcti 1 ) sunt, et pereuntibus addita ludibria, ut ferarum tergis contecti laniatu canum interirent aut crucibus affixi [aut flamma usti2) atque] 3 ), ubi defecisset dies, in usu4) nocturni luminis urerentur. 5. hortos suos ei spectaculo Nero obtulerat et circense ludicrum edebat, habitu anrigae permixtns plebi vel rwmrulo 5 ) insistens. nnde quamquam adversus sontes et novissima exempla meritos miseratio oriebatur, tamquam non utilitate publica, sed in saevitiam unius absumerentur. Tacitus, Annalen X V 44, 2 - 5 2. Aber durch keine menschliche Maßnahme, weder durch das Geld, das es sich der Kaiser kosten ließ, noch durch die Veranstaltungen zur Beschwichtigung der Götter, wollte das böse Gerücht verstummen, das dem Glauben Nahrung gab, der Brand sei auf Befehl gelegt worden. Folglich schob Nero, um das Gerede aus der Welt zu schaffen, als mutmaßlich Schuldige vor und belegte mit ganz ausgesuchten Strafen diejenigen, die man, wiewohl sie sich durch Verbrechen verdächtig gemacht hatten, gemeinhin Chrestianer zu benennen pflegte. 3. Der (wahre) Veranlasser dieses Namens, Christus, war unter der Regierung des Kaisers Tiberius durch den Procurator Pontius Pilatus hingerichtet worden. Dadurch für den Augenblick unterdrückt, brach der verhängnisvolle Aberglaube allmählich wieder auf und zwar nicht nur über das Land Judäa hin, das Ursprungsgebiet dieser Seuche, sondern auch allenthalben in Rom, wo ja von überallher alle Scheußlichkeit und Gemeinheit zusammenzuströmen und Anhängerschaft zu finden pflegt. 4. So wurden sie denn ergriffen — zuerst nur die, die (sich zu der Bewegung) bekannten, dann auf ihre Anzeige hin eine Unmenge (weiterer Anhänger) — und man überführte sie nicht so sehr des Verbrechens der Brandstifung als der schlechthin gemeinschaftsfeindlichen Gesinnung. Und zu ihrem Ende wurde das entehrende Schauspiel gefügt, daß sie mit den Fellen wilder Tiere angetan von Hunden zerrissen den Tod leiden mußten, oder ans Kreuz geschlagen nach Einbruch der Dunkelheit als Kandelaber abgebrannt wurden. ') *) 3) *) 6)

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coniuncti M. flammandi M, flamma usti S u l p i c i u s S e v e r u s I I 29, 3. Ad hunc loctim vide infra p. 29, adn. 4. usu M. curriculo A g r i c o l a , circulo M.

5. Seinen eigenen Park hatte Nero für diese Schaustellung zur Verfügung gestellt und veranstaltete zugleich ein Zirkusspiel, wobei er als Wagenlenker gekleidet sich unter den Pöbel mischte oder selbst einen Rennwagen bestieg. Daher kam es, daß sich gegenüber den Verbrechern, die doch strengste exemplarische Bestrafung verdienten, das Mitleid regte, gleich als büßten sie nicht im öffentlichen Interesse, sondern fielen dem Wüten eines Einzelnen zum Opfer. Es wird aufgefallen sein, daß Tacitus als Vulgärbezeichnung für die Christen die merkwürdige Denomination Chrestianer angibt oder wie wir sagen würden Chresten, während er selber versichert, ihr auctor habe Christus geheißen. In der Tat hat die einzige Handschrift mit selbständigem Wert, die wir für diese Partie der Annalen besitzen und von der alle anderen Codices abhängen, der im I i . Jahrhundert im Kloster Montecassino geschriebene, nachmals in Rom und nun seit langem in Florenz aufbewahrte sogenannte Laurentianus 68, 2, ursprünglich an der ersten Stelle die Lesart chrestianos geboten, die vom gleichen Schreiber oder bald nach ihm in chrtstianos geändert wurde, während im folgenden Satze die Lesung Christus eindeutig ist. Diesen längst vermuteten Sachverhalt hat jetzt eine neue, genaue Nachprüfung der Handschrift bestätigt, worüber der in Basel wirkende deutsche Philologe Harald Fuchs im Jg. 1950 der holländischen Zeitschrift „Vigiliae Christianae" ausführlich berichtet1). Derselbe Gelehrte hat es, wie mir scheint, zur Sicherheit erhoben, daß Tacitus von der Vulgärbezeichnung chrestiani sein eigenes besseres, vielleicht während seiner Statthalterschaft in Asien erworbenes Wissen um die richtige Namensform Christi „auch in der stilistischen Gestaltung seiner Aussage" deutlich abhebt2). Aber hier, glaube ich, kann eine scharfe Interpretation, die den Feinheiten taciteischer Stilkunst volle Beachtung schenkt, noch einen Schritt weiter kommen: Wenn einmal der Tenor der Stelle erkannt ist, dann wird man die wie so oft mit knappen, kaum angedeuteten Antithesen arbeitende Ausdrucksweise des Tacitus so übersetzen müssen, wie wir es getan: . . . quos per flagitia invisos vulgus Chrestianos appdlabat. auctor nominis eius Christus. . . die man, wiewohl sie sich durch Verbrechen verdächtig gemacht hatten, gemeinhin Chrestianer zu benennen pflegte. Der (wahre) Veranlasser dieses Namens, Christus,. . .". Denn der besonders gefärbte, hier adversative Sinn eines Particips wie die antithetische Anknüpfung eines neuen Satzes ohne besondere Partikel wird in Tacitus' mit äußerster Sparsamkeit arbeitender Dar1) S. 6 5 - 9 3 , hier S. 6gi. *) F u c h s a. O., S. 72ff., ähnlich schon M. D i b e l i u s a. O., S. 32 2 .

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stellungskunst auch sonst vielfach dem Spürsinn des aufmerksamen, j a oft nur des in die Zusammenhänge eingeweihten Lesers überlassen 1 ). Daß aber Tacitus Grund hatte, angesichts der notorischen Verbrechen, durch die sich die Christen verdächtig gemacht haben sollen, gerade den Namen chrestiani als befremdend, vielleicht gar als komisch oder lächerlich hinzustellen und dann aufklärend und belehrend sein besseres Wissen um die richtige Namensform folgen zu lassen, dies alles erklärt sich, wenn man nicht übersieht, daß die Bezeichnung Chrestiani für den des Griechischen auch nur einigermaßen Kundigen dasselbe wie etwa unser Wort „Biedermänner" bedeuten mußte. Bei der verkehrten Benennung mag man zunächst sehr wohl an einen Gründer der Sekte namens Chrestos gedacht haben, denn das war ein so gewöhnlicher Name wie sein Gegenstück, der Frauenname Chreste. Auch war nach Sueton (Claudius 25, 4) unter der Regierung von Neros Vorgänger in Rom ein jüdischer Aufrührer dieses Namens hervorgetreten, wenn nicht gar hier schon eine Verwechslung mit Christus vorliegt 1 ). Aber Chrestos war wie unser „Biedermann" eben zugleich ein redender Name, der entsprechende Assoziationen hervorrufen mußte, vollends da, wo er zum Gattungsnamen einer Gemeinde wurde. Das Mißverständnis, durch das aus Chrtstiani Chrestiani werden konnte, erklärt sich leicht und lag außerordentlich nahe. Der Name Xpicnctvoi, Christusanhänger, ist nach Acta 11, 26 in der hellenisierten Stadt Antiocheia in Syrien in den 40er Jahren aufgekommen. Damals war aber in der griechisch sprechenden Welt bereits eine mehrere Vokale betreffende Ausspracheverschiebung oder besser -Vereinfachung im Gange, der sogenannte Itazismus, wonach u. a. das lange T) und der Diphtong 01 mehr und mehr wie 1 bzw. v gesprochen wurden, also daß Xpitmcxvoi und Xpr|crnavol sich in der Rede nicht wesentlich unterschieden, indem beide sich wie „Christiani" anhörten. Bei Übertragung des Gehörten in die Schrift konnte es daher leicht geschehen, daß XpiOTiavoi als Xpr)cmavoi erschien und sich in dieser falschen Form auch im Lateinischen durchsetzte, um so mehr als man sich wie gesagt darunter etwas vorstellen konnte 3 ), während der Xpicrr6$, die Über 1 ) S t o l z - S c h m a l z ( - H o f m a n n ) , Lateinische G r a m m a t i k '1928, S. 846. D r a e g e r , Über S y n t a x und Stil des Tacitus s i 8 7 4 , S. 53. H. H o m m e l , A r c h i v f ü r Religionswissenschaft 37. 1940, S. 146f. (zu Germ. 9, 1). Die erste der beiden Erscheinungen übrigens auch schon bei Homer, Ilias 1, 11 f. XpuCTTjv f|TiuacrEV ) *) ') *) ') •) ') 8) »)

WA WA WA WA WA WA WA WA WA

6. 6, 6. 6. 6, 6, 6, 6, 6.

469, 5. 410,25; 413,1. 407, 7; 410, 28; 4 1 1 , 3, 19. 416, 7; 434, 9. 413. 7. 408, 31. 414, 5. 408, 8. 410, 3.

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Spener gegen den Cäsaropapismus. Aber darin erschöpft sich der Unterschied nicht: Luther ist über Spener hinaus am eigentlichen Werk der Obrigkeit interessiert, an der Durchsetzung des Rechtes — Spener stellt die Frage nach dem Recht nicht, sondern — in der Ausdrucksweise Luthers — nur die nach dem „christlichen Recht" der Bergpredigt, auf sein Recht zu verzichten oder im paulinischen Sinne zu haben, als hätte man nicht. Es sind Sätze, die Luther gegen die Bauern mit Nachdruck verfocht 1 ). Spener teilt nicht Luthers Lehre von den beiden Reichen2). Weil diese Lehre ihre Wurzeln in dem tiefen Mißtrauen gegen die menschliche Natur, dogmatisch gesprochen, in der Lehre von der Erbsünde hat 3 ), verbietet sich für Luther der Perfektionismus, auch in der eingeschränkten Fassung Speners. Folgerichtig ist es dem Pietismus im Gegensatz zur reformatorischen Betonung der Erbsünde um die konkrete Einzelsünde zu tun. Damit hängt ein letzter Unterschied zusammen: die apokalyptische Geschichtsanschauung, daß Gott mit dem Satan kämpft, gibt dem Papst, der sich die Nachfolge des herrschenden Christus anmaßt, den Platz des Antichrists 4 ). Die Institutionen der Kirche, die auf den falschen Dogmen ruhen, sind zu Waffen des Teufels geworden. Die spiritualistische Kritik Hoburgs ist unter diesem Blickwinkel in ihrer Unerbittlichkeit eine Fortsetzung Luthers. Weil dieser Kampf die Geschichte bestimmt, darum vermag Luther nicht, wie Spener, die Erfüllung von Gottes Verheißung auf ihrem Boden zu erwarten. Darum kann er auch nicht das Urchristentum als geschichtliche Möglichkeit für die Zukunft auswerten, er betrachtet das Neue Testament dogmatisch als Gottes Wort. Er rechnet aus dem Mißtrauen gegen die Geschichte durchaus damit, daß alle seine Vorschläge in den Wind geredet sind. Spener dagegen bereitet der Geschichtsfreudigkeit, der Historisierung den Weg. Er dient — trotz seiner Beibehaltung der apokalyptischen Nomenklatur für Babel — der Enteschatologisierung der christlichen Hoffnung und der Reduktion des Evangeliums auf christliche Ethik. ») W A 18, 3 1 4 , 1 . *) P D 28, 25, 32, 11: vgl. zuletzt Gustaf T ö r n v a l l , Geistliches und weltliches Regiment bei Luther 1947. Die gegenwärtige Kritik an dieser Lehre geht letztlich auf den Pietismus zurück und wird stark von pietistischen Motiven gespeist. ®) Darum ist sie auch Bestandteil der lutherischen Bekenntnisschriften geworden, vor allem CA X V I , X X V I I I , 8 ff., Apol. X I I , 120 (23) X V I , 2 f f „ X X I . 36, Gr. Kat. 171, 180. *) W A 6, 414, 19; 434, 15.

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Wilhelm Heinrich Riehl 1823—1897 Von

Karl Kupisch Zu den Bachfeiern des Jahres 1850, die noch ganz unter dem Nachhall der eben zusammengebrochenen Revolution standen, schrieb Riehl in einem Aufsatz: „Man scheint den hundertjährigen Todestag dieses einsamen Geistes doch gar still und vereinsamt begehen zu wollen — welch ein Gegensatz zu dem hundertjährigen Geburtsfeste Goethes, wie wir es vor einem Jahr fast um dieselbe Zeit so über Erwarten allgemein und glänzend begingen — vielleicht wird der 28. Juli erst nach weiteren hundert Jahren ein Feiertag der Nation 1 )!" — Man kann diese Worte heute, im ausklingenden Bachjahr 1950 und im Blick auf unsere deutsche Wirklichkeit, nicht ohne Bewegung lesen, und nachdenklich müssen auch die ihnen folgenden Sätze stimmen, wenn es heißt: „die Leute tun nicht gern Buße und lassen sich ihre Sünden nicht gern ins Gewissen reden, und ein Erinnerungstag an Bach ist für das heutige Künstlergeschlecht doch immer ein Bußtag". Vernimmt man aber nach dieser solennen Einleitung, was denn der Verfasser selber zum würdigen Begehen eines solchen Bußtages beizusteuern habe, so kann man sich allerdings eines aufhorchenden Erstaunens nicht ganz erwehren. Wohl sei es, wie er sagt, in der gegenwärtigen Epoche ein höchst wichtiges Thema, die musikalische Stellung Bachs zu unseren neuesten Musikzuständen zu erörtern, „allein die Erscheinung Bachs bietet auch eine sozialpolitische Seite dar, und da es schwer zu entscheiden ist, ob der wundersame Mann als sozialer C h a r a k t e r größer gewesen oder als Künstler, so wird es nicht unwürdig sein, . . . diese deutsche Kernnatur auch einmal vom S t a n d p u n k t des P o l i t i k e r s zu beleuchten". Das sind nun für unsere argwöhnisch gewordenen Ohren wenig Vertrauen erweckende Ausdrücke, und der durch das ungleichmäßige Klima dies• ähriger Bachfeiern hindurchgegangene Zeitgenosse fühlt sich von zwiespältigen Empfindungen berührt. Und so erfährt man in diesem Aufsatz l

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) Musikalische Charakterköpfe, 1. Bd., 8. A. 1899, S. 59. Klrchl. Jahrbuch 1951

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eigentlich auch wenig von Bachs Musik 1 ), der Thomaskantor wird vielmehr als der stolze Repräsentant „jenes echten ungefälschten Bürgertums" dargestellt, wie es, sich selber treu, „in die Verderbnis des 18. Jahrhunderts hineinragt und das soziale Gleichgewicht herstellt gegenüber der Entsittlichung der vornehmen Welt, der Verflachung des wissenschaftlichen, der Verzopfung des künstlerischen Lebens". Der Aufsatz hat eine polemische Spitze gegen das musikalische „junge Deutschland" jener Zeit, das sich ähnlich wie das literarische, in Paris mit Meyerbeer an der Spitze begeistere und in seinem noblen Vagabundieren der Auffassung huldige, daß die Emanzipation von dem heimatlichen Boden und den Banden der Familie zur Künstlergenialität gehöre. Wie hebt sich von diesem Treiben der „alte bürgerliche Kantor im Kreise seiner zehn musizierenden Söhne" ab, „getragen von der Sitte seines Standes und der geschichtlichen Überlieferung seiner Kunst"! Riehl weist warnend auf Friedemann Bach hin, der sich von der Beschränktheit der Kantorverhältnisse „emanzipierte", statt Talent und Tatkraft zusammenzuraffen, beides zerfahren und in Schaum aufgehen ließ und somit das „rechte Urbild eines modern-genialen Kunstproletariers" geworden sei. Das sei eben die ungeheure Kluft zwischen der modernen Künstlertätigkeit und dem Schaffensdrange des alten Bach, „daß unsere Künstler, mit dem Apostel Paulus zu reden, ,dem Geschöpfe mehr dienen als dem Schöpfer', während es bei Bach umgekehrt war. Er war ein Künstler ohne Publikum, der nur seinem Gott zu Ehren sang und sich zur eigenen Lust. Ein echter Fürst des Geistes." Wir haben mit diesen knappen Auszügen nur gerade einen Zipfel von Riehls Art der Kulturgeschichtsschreibung festgehalten, aber er enthält schon die wesentlichen Züge seines Denkens. Auch als Musikhistoriker hat Riehl stets die soziale Bedeutung der Musik (wir würden heute sagen ihren gesellschaftlichen Untergrund) betont und als politisch denkender Mensch einen eigenen Konservativismus vertreten. Es war seine Absicht zu zeigen, daß die Musik, als die größte künstlerische Leistung während der letzten drei Jahrhunderte, „kein geringes Bruchstück unserer gesamten Kultur" sei und „in ihrem organischen Zusammenhange gefaßt werden müsse mit der übrigen Kunstgeschichte, der Literaturgeschichte und der gesamten Kulturgeschichte". So war alles, was er in seinen zahlreichen musikhistorischen Skizzen zusammengetragen hat dem großen Lebensziel eingeordnet, eine deutsche Volkskunde auszubilden oder, wie er es sagte, der Naturgeschichte des Volkes nachzugehen. Von hier aus muß man auch seine Würdigung Bachs verstehen. Ihm, dem die Kirche ') Der Aufsatz trägt in der genannten Sammlung die Überschrift: „Die Musik und das deutsche Bürgertum", ihm ist ein zweiter beigefügt: „Die Musik und die gebildete Gesellschaft", beide tragen den gemeinsamen Obertitel: „Bach und Mendelssohn aus dem sozialen Gesichtspunkte".

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„die einzige höhere Kunstschule des gemeinen Mannes" war, ging das Herz auf, als seit der Mitte des 19. Jahrhunderts Sebastian Bach wieder neu erstand, und es ist ergreifend zu sehen, wie er Bachs Werke, „diese merkwürdigen Denkmale deutschen Tiefsinnes", „fleißig und mit wahrer Erbauung" studiert, wie er aus den Fugen, Toccaten und Suiten, aus der großen Instrumentalmusik und aus dem eben ans Licht tretenden Schatz der Kantaten, mit sicherer Hand das heraushebt, was ihn der N a t i o n gewinnen könnte. „Weder in der süßlichen Spielerei des italienischen Opemschwindels, noch in der Sentimentalität der romantischen Schule oder in der Frivolität der j imgdeutschen vermochten wir ein rechtes Herz zu fassen für ihn; jetzt vermögen wir's", heißt es in einem Aufsatz über Bachs Klavierwerke 1 ). Man hat geglaubt, „von einer Art Bach-Orthodoxie" bei ihm reden zu können8). Aber das wird man doch nur mit großer Einschränkung sagen dürfen. Denn es ist nun keineswegs zu verkennen: in seinem Bach-Verständnis bewegt er sich in der für die Zeit der Spätromantik charakteristischen Weise, er fragt nicht nach der letzten innerlichsten Zuordnung von Bachs Gesamtschaffen, er begreift ihn zunächst vorwiegend ästhetisch, und in der Deutung des „kirchlichen Gepräges" findet er eine starke Stütze in dem „neuen Aufschwung des protestantischen Geistes . . . der sich nicht bloß aufs Dogma und den Kultus beschränkt, sondern alle Seiten unseres Daseins umsponnen hat" 3 ). So ist es denn auch vornehmlich der Bach, der für die von ihm geliebte Hausmusik fruchtbar gemacht werden kann: „Eine protestantische geistliche Klaviermusik für das Haus hat bis jetzt keiner so durchschlagend und in Fülle geschrieben außer unserem Bach 4 "). Es ist das gute Bürgertum, „der oberste Träger der berechtigten sozialen Bewegung und der sozialen Reform" 5 ), dem er Bach nahebringen will. l ) Musikalische Charakterköpfe, 2. Bd. 7. A . 1899, S. 87; vgl. auch: Unsere musikalische Erziehung, Briefe an einen Staatsmann, 3. Brief: Die Kirche als Kunstschule, in: Kulturstudien aus drei Jahrhunderten, 5. A. 1896, S. 392. ! ) Eberhard G o t h e i n , W . H . R i e h l , in: Preuß. Jahrb., 1898, Heft 1, S. 19. *) Musik. Charakterköpfe, 2. Bd. a. a. O. S. 100 — „ B a c h schlieOt eine ganze Schar späterer Entwicklungen prophetisch in sich", heißt es in demselben Aufsatz (S. 94). — Seinem Freunde Moritz v. Schwind waren Bachs Kantaten zu „hugenottisch" (Kulturgesch. Charakterköpfe, a. a. O. S. 55); R i e h l selber hätte wohl, mit Abstand, der Auffassung seines 10 Jahre jüngeren, ebenfalls in Biebrich geborenen Landsmanns Wilhelm D i l t h e y zugestimmt, wenn dieser sagt: „Die unausmeßbare Größe der Musik von Bach (und Händel) ist . . . bestimmt durch ihr inneres Verhältnis zu dem Geiste der Reformation, zu der protestantischen Religiosität . . . Sie löste die Darstellung der christlichen Seelenverfassung aus jeder Einschränkung durch die Bestimmtheit der religiösen Begriffe und erhob sie so zu einer überzeitlichen Religion" (Ges. Schriften, 3. Bd. S. So). 4 ) Musik. Charakterköpfe, a. a. O. S. 102. *) Die bürgerliche Gesellschaft, 9. A . 1897, S. 199.

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Dabei ist ihm Bach nur eine der bewahrenden musikalischen Grundkräfte. Viel näher hat ihm zweifellos Haydn gestanden, während er vor Beethovens starker Individualität immer etwas scheu zurückwich. Dieses musikalische Credo seiner Jugendzeit hat ihn denn wohl auch bis ins hohe Alter begleitet: „Mozart können wir nicht begreifen, Beethoven müssen wir staunend bewundern, Haydn aber müssen wir lieben" 1 ). So hat er sich um seiner höheren Lebensaufgabe willen auch in seiner musikhistorischen Produktion immer für das eingesetzt, was der musikpflegenden deutschen Familie dienen könnte und unerbittlich den konzertierenden Virtuosen seiner Tage, der fremden, besonders der slavischen Musik, den Kampf angesagt. Eine Zeitlang hat wohl auch Richard Wagner geglaubt, in Riehl einen ihm Gleichgesinnten zu haben. Aber tatsächlich trennte beide eine Welt voneinander. Riehl hat Wagners Musikdrama nicht geradezu abgelehnt, aber er verwahrte sich gegen den „Kunstdiktator", der nichts anderes neben sich gelten lassen wollte. Darüber hinaus waren es jedoch tiefer begründete Gegensätze2). Er berührte sich darin mit Jacob Burckhardt, der Wagners Opern mit bissigem Spott verfolgte, wenn auch seiner ganzen Art nach aus anderen Motiven als sie Riehl für seine Zurückhaltung bestimmten. Mit dieser Gegnerschaft, die auch sonst in seinen Schriften wiederholt angedeutet ist, hängt es zusammen, daß Friedrich Nietzsche in seiner ersten Unzeitgemäßen Betrachtung über „David Strauß, der Bekenner und der Schriftsteller" an etlichen Stellen etwas malitiös von „Riehlscher Hausmusik" spricht, die er in Parallele setzt zu der Art wie Strauß dem mit dem „alten" Glauben nicht mehr recht zufriedenen Bourgeois als christlichen Feiertagsersatz u. a. die Erbauung durch Werke von Haydn, Mozart und Beethoven empfiehlt'). Daß Riehls Musikauffassung auch !) Vgl. Friedrich M e t z , Wilhelm Heinrich R i e h l , in: Die großen Deutschen, 4. Bd. 1936, S. 14; ferner den Artikel „ H a y d n " von R i e h l in der A . D . B . 11. Bd., 1880, S. 123 — 143. >) Kulturgesch. Charakterköpfe, a . a . O . S. 362 ff. — Als Schwind seine bekannten Fresken für die Wiener Oper malte und hierfür u. a. Szenen aus den Opern Mozarts und des damals sehr volkstümlichen Dittersdorf verwandte, von Wagner aber nichts brachte, bemerkt R i e h l beifällig, daß Schwind „kein Herz gewinnen konnte für eine musikalische Dramatik, die über lauter dröhnendem Pathos und lodernder Leidenschaft jede Spur deutscher Gemütlichkeit und deutschvolksmäßigen Humors verloren hat" (a. a. O. S. 59/60). s) Zu der Schrift gegen Strauß ist Nietzsche bekanntlich von Wagner angeregt worden. Strauß hatte in einem Gedicht den Rücktritt des Wagner verhaßten Münchener Generalmusikdirektors Franz Lachner beklagt, der zusammen mit anderen (zu denen auch Riehl gehörte) Wagners Plan zur Errichtung einer in seinem Sinne zu führenden Opernschule zu Fall gebracht hatte. Wagners Auftreten in München wuchs sich damals, zusammen mit Angriffen auf sein privates Leben, zu einem großen Skandal aus, so daß er München verlassen mußte, dank

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von der des Verfassers der „Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik" (der nach dem Bruch mit Wagner zu Bizets „Carmen" flüchtete) himmelweit geschieden war, bedarf keines besonderen Nachweises, wie andererseits eine Nachbarschaft zu Strauß natürlich in keinem Sinne besteht. Mag sein, daß seiner Neigung für die Hausmusik, ob sie auf einem gräflichen Schloß oder in einem Bürgerhaus erklingt, ein romantisch-idyllischer Zug anhaftete, aber hinter seiner Auffassung, daß durch das „Musikmachen" gerade der Dilettanten die ideale Kunst unserer klassischen Periode lebensfrisch und vor akademischer Versteifung bewahrt bliebe, stand ein sittlicher Ernst, der auch den bezaubernden Bildern und Bildchen seiner historischen Erzählerkunst abzuspüren ist. Denn: ob er von den großen klassischen Meistern oder von den halbvergessenen, minder glänzenden Charakteren spricht, ob er in heiterer oder auch nachdenklicher Weise vom Volkslied, vom Choral, der Motette und der Oper plaudert, über „geistliche Gassenmusik", „Novelle und Sonate", „Geige und Klavier" oder gar über Militärmusik meditiert, neben der immer anmutigen sprachlichen Klarheit und der gedanklichen Originalität ist es die ganz unvermutet, oft nur in einer flüchtigen Wortwendung aufblitzende G e w i ß h e i t , d a ß K u n s t und Leben einer heimlichen, g ö t t l i c h e n W e l t o r d n u n g angehören, die den aufmerksamen Leser besinnlich stimmt. So könnte man, allein von den musikgeschichtlichen Skizzen ausgehend, einen Weg finden zu den Gelenken seiner historischen Welt- und Lebensauffassung, die das Ganze seiner wissenschaftlichen Arbeit verbanden. Unsere Studie strebt diesem Ziel zu; gleichwohl müssen wir jedoch unseren Blick auch und vornehmlich auf den Kulturhistoriker und Sozialpolitiker richten, um von diesem breiteren Felde seiner Arbeit her, den Polarstern zu suchen, an dem sich sein Denken letztlich orientierte. *

Wenn für Riehls Freude an der Musik frühe Jugenderinnerungen, Eindrücke aus Elternhaus und Schule, bestimmend gewesen sind, so gilt das auch für die Art, wie er historisch sehen und urteilen lernte. Es war noch „die gute, alte Zeit", die seine Anfänge umgab, freilich nicht mehr der G u n s t K ö n i g L u d w i g s II. f ü r einige Zeit sein L a g e r aber in Triebschen a u f schlagen konnte, w o ihn Nietzsche persönlich kennenlernte.

Seinen Groll gegen

die Münchener Widersacher erfuhr u. a. a u c h Riehl, dessen „ N e u e s N o v e l l e n b u c h " er mit einer gehässigen Zensur versah (vgl. R . W a g n e r s G e s a m m e l t e Schriften und Dichtungen, B d . 8, S. 205). D a s G e d i c h t v o n S t r a u ß g a b ihm schließlich noch vor Erscheinen

des „ A l t e n

und des neuen

Glaubens",

Anlaß,

Nietzsche auf

den

Verfasser zu hetzen. D e r erste finanzielle Mißerfolg der B a y r e u t h e r Festspielhausgründung t a t dann das Übrige, u m in S t r a u ß den T y p u s jenes philiströsen B ü r g e r tums zu geißeln, das f ü r die K u n s t des B a y r e u t h e r Meisters kein Verständnis h ä t t e .

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in ihrer reinen, ungebrochenen Erscheinung, sondern, unter den Nachwirkungen der napoleonischen Epoche, schon leise berührt von den andringenden neuen Strömungen. Dem Sohn des Biebricher Schloßverwalters trat die Kulturwelt des ancien régime, das die nassauische Dynastie trotz aller Verfassungseinrichtungen darstellte, in jener liebenswürdig heiteren Atmosphäre entgegen, die den Besucher ehemaliger kleinstaatlicher Residenzen wohl auch heute noch gefangen nimmt und die er oft für das Wesentliche zu halten geneigt ist. Der Vater, der bei dein regierenden Herzog in hoher Gunst stand und als ein gebildeter Mann galt, vermittelte dem Sohn die ersten Kunsterlebnisse. Er durfte ihn auf seinen Dienstreisen nach den Schlössern der Umgebung begleiten, um historische Kunstgegenstände, Gemälde und Dekorationsstücke für die Residenz zu sammeln; zu Hause bildeten die abendlichen Streichquartette und Kammermusikveranstaltungen des Schloßverwalters, der selber als ein tüchtiger Cellospieler in der Hofkapelle mitwirkte, Höhepunkte dieser ästhetischen Erziehung. Wurden ihm so schon Auge und Ohr geöffnet für den Zusammenhang von Geschichte und Kunst, so führte ihn die Hand des ganz anders gearteten mütterlichen Großvaters in die stille und einfache Welt des bäuerlichen Lebens und — in die dörfliche Kirche. Der Vater war Freimaurer und Kosmopolit und sah in der Loge seine Kirche, der Großvater ruhte ganz in der patriarchalischen Ordnung des vergangenen Jahrhunderts und in der praktischen Frömmigkeit eines milden Pietismus, berührt von einem Hauch populären, gläubigen Rationalismus. Er nannte sich mit Betonung einen Lutheraner. Mit der 1817 in Nassau eingeführten Union konnte er sich nicht abfinden, und wenn er Sonntags, wie er es regelmäßig tat, zur Kirche ging, dann war es nicht die nahe Schloßkapelle, deren Gemeinde ihm zu vornehm und deren Prediger zu glatt und höfisch war, sondern die dörfliche Pfarrkirche, wo er inmitten der bäuerlichen Patriarchen saß und einen Geistlichen alter Art predigen hörte, „der zwar Bibel und Gebetbuch nur noch mit zitternden Händen halten konnte und mit schwacher Stimme sprach, aber in Kraft des Wortes und Geistes" 1 ). Riehl erzählt, daß er es allein dem Großvater verdanke, daß er vor seiner Konfirmation überhaupt in eine Kirche gekommen sei. So waren es zwei geistige Welten, die ihr Samenkorn in ihn senkten; stärker und nachhaltiger wirkte jedoch das Erbe des Großvaters, während ihm die Natur des unruhigen und niemals mit sich recht zufriedenen Vaters ferner blieb. Was er in jenen Jugendjahren des Wanderns, Schwärmens und Träumens lernte, war, die Welt von der Landschaft her, mit ihren naturhaften und historischen Ordnungen als göttliche Prinzipien zu begreifen. Bezeichnend hierfür, wie er als Schüler des im streng humanistischen Geiste ') Religiöse Studien eines Weltkindes, 4. A. 1S96, S. 403.

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geführten Weilburger Gymnasiums den Entschluß faßte, angeregt durch den Unterricht über die Geographie Homers, eine Landkarte seiner heimatlichen Odysseusfahrten zu entwerfen und nun genau so wie sein Lehrer das Land der Lotophagen und Lästrygonen, die Insel der Sirenen und der Phäaken beschrieben hatte, die Landschaft des Taunus mit seinen Gewässern, Dörfern und Burgen, Felsen und Wäldern, Bürgern und Bauern aus der eigenen Anschauung zu beschreiben, ein Vorentwurf seines späteren Buches „Land und Leute". Mit diesen früh sich bildenden Anschauungen und Überzeugungen hängt es zusammen, daß er, gegen den Willen des widerstrebenden Vaters, für seine Zukunft nur den einen Wunsch hatte, Dorfpfarrer zu werden, nicht aus eigentlicher Neigung zur Theologie, sondern weil er glaubte, allein in dem Beruf des Seelsorgers „unter schlichten, treuen, von der Kultur noch wenig, von der Kritik noch gar nicht berührten Menschen" leben zu können und unter ihnen überall, „im Amte wie außer dem Amte, als Helfer und Berater zu erscheinen, teilnehmend in Freud und Leid; an Bildung ihnen überlegen, aber gleich vor Gott im Glauben, Lieben und Hoffen". Daneben brach auch etwas vom väterlichen Erbe durch: er meinte als Dorfpfarrer ein f r e i e r Mann zu sein, allein Gott, seinem Gewissen und der Gemeinde und keiner höheren geistlichen Behörde — „wenigstens damals in Nassau"(!) — verantwortlich und trotz des knappen Gehalts doch über einen großen Reichtum verfügen zu können — über viel freie Zeit, Muße für künstlerische Neigungen, für poetische Lektüre, Schriftstellerei und — Musizieren. Fehle es auch im Dorfe an Oper und Konzerten, so könnte er doch ungestört Klavier und Orgel spielen und — selige Hoffnung — mit Beihilfe des Lehrers und benachbarter Amtsbrüder regelmäßig Streichquartette zusammenbringen1). Mit diesen, im Herzen wohlverwahrten Wünschen hat er denn tatsächlich von 1839—1842 in Marburg, Gießen und Tübingen mit Eifer und Erfolg Theologie studiert und auch ein gutes Examen gemacht. Als einziger Kandidat des Predigerseminars in Herborn, um dessentwillen man nicht einen Stab geistlicher Herren ein Jahr lang in Tätigkeit setzen wollte, ging er auf Veranlassung der Regierung und mit einem ansehnlichen Stipendium ausgerüstet nach Bonn, um vornehmlich an homiletischen Übungen teilzunehmen. Hier sollte aber nun die Entscheidung über seinen künftigen Lebensweg fallen. Hatte er bis jetzt wirklich Theologie „und einiges andere nebenher" studiert, so studierte er jetzt „einiges andere und daneben auch Theologie". Er geriet in Dahlmanns Kolleg über „Politik", wo ihm die Erkenntnis aufging, daß „der Staat das organisierte Volk" sei und die Staatskunst „aus dem Volksgeist erwachsen und in der steten Erforschung des Volkslebens >) a. a. O. S. 391 ff.

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gegründet sein müsse". Ihm dämmerten die Umrisse seiner „sozialen Politik". Noch mehr packte ihn jedoch der alte Ernst Moritz Arndt, den Burckhardt ein Jahr zuvor gehört und kühl abgelehnt hatte 1 ), der Riehl jedoch „entscheidende Anregungen für seine Zukunft" zu geben vermochte. Unter dem Katheder des alten Freiheitspredigers, der „nicht im akademischen Togastil" sprach, sondern ganz so, wie er seine „zündenden volkstümlichen Schriften geschrieben hatte", ergriff ihn „die Sehnsucht, die ganze deutsche Nation zu erforschen und nach dem Leben zu malen", ans der unmittelbaren Anschauung heraus.

Auch die Kunst begann wieder stärker bei ihm anzuklopfen. Der Anblick der rheinischen Kirchenbauten ließ ihn den Zusammenhang von Kunst- und Kulturgeschichte, von Volksstudium und Kunststudium ahnen. Und wenn er sich nach einer Opernaufführung fragte, ob er als Landpfarrer wohl noch den Fidelio hören könnte, so kündete sich darin schon eine Unsicherheit an, nachdem durch mancherlei Begegnungen die früheren idealen Vorstellungen vom künstlerischen Phäakenleben des Dorfpastors schon erheblich gedämpft waren. Dazu kam, daß ihm in dem preußischen Bonn in Männern wie Nitzsch und Sack die von Berlin geförderte theologische Repristination bedenklich nahegerückt war; er hörte, daß die jungen Pfarrer künftig auf die symbolischen Bücher verpflichtet werden sollten, von denen „unsere alten Pfarrer nicht viel wußten"; und wäre das für ihn auch noch kein Grund zum Verzicht auf den geistlichen Beruf gewesen2) — er meinte vielleicht orthodoxer als die meisten seiner künftigen Amtsbrüder in Nassau zu sein — so fühlte er, ohne mit seinem Glauben in Konflikt zu kommen, daß er zum geistlichen Beruf doch nicht recht tauge, „nicht weil ich zu oppositionell, sondern weil ich zu friedfertig war". So lag diesem Abbiegen kein Glaubenskampf zugrunde, es war auch kein Bruch mit dem Bisherigen, er wollte ins Weite streben, in und mit ') „Arndt ist als Gelehrter sehr unbedeutend; ich möchte wissen, was der gute Mann die letzten 21 Jahre über getan hat", schrieb B u r c k h a r d t an einen seiner Freunde; vgl. Briefe und Gedichte an die Brüder Schauenburg, 1923, S. 7. — Andererseits hat Burckhardt mit Gottfried Kinkel eine herzliche Freundschaft geschlossen, während Riehl von Kinkels Vorlesung über Kirchengeschichte nur den Eindruck mitnahm, „wie trocken und tot auch ein hochbegabter, geistvoller und formgewandter Lehrer wird, wenn er mit dem Herzen nicht bei der Sache ist" (a. a. O. S. 450). *) Uber seine Stel lung zum Glaubensbekenntnis vgl. Relig. Studien, a. a. O. S. 456ff. — Sie ist im Wesentlichen wiedergegeben in den Worten: „Das Glaubensbekenntnis gibt die Grundlage des Glaubens in knappster, altertümlicher, nur aus dem Geiste einer längst vergangenen Zeit voll verständlichen Sprache, und überläßt die Ausdeutung — der Kirche, den Theologen und einem jeden, der sich seinen Glauben selbst erringen will. Und nur der selbsterrungene Glaube hat wahren Wert" (S- 459)-

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der Welt leben, beseelt von dem „Drang nach persönlicher Freiheit", die ihm der Pfarrerberuf nicht mehr zu geben schien — vielleicht „kindische Dinge", wie er selber sagt, aber ihm doch emst, weil eben „Tieferes dahinter steckte". Und dieses „Tiefere" war nun fraglos auch eine „Theologie", die nicht nur in dem religiösen Bekenntnisbuch des Greises, sondern schließlich in allen seinen kulturgeschichtlichen Schriften zu spüren ist. *

E s ist nicht g a n z leicht, Riehls Stellung innerhalb der deutschen Geschichtswissenschaft des ig. Jahrhunderts zu kennzeichnen. Schon sein äußerer Werdegang, der ihn von der Theologie zur Journalistik und von dort, durch die Gunst seines königlichen Freundes Maximilian von Bayern, auf den Münchener Lehrstuhl für Kulturgeschichte und Statistik der staatswissenschaftlichen Fakultät geführt hat, unterschied ihn von den Lebenswegen der meisten seiner gelehrten Zunftgenossen. Die deutsche Geschichtsschreibung ist schon sehr früh wesentlich Gelehrtenhistorie geworden, darin bestand ihre Größe, aber auch ihre Schwäche, die von der immer mit verächtlichem Seitenblick bedachten „populärwissenschaftlichen Literatur" nicht ausgeglichen werden konnte. Riehls Werke sind sämtlich aus journalistischen, nicht für Fachleute allein bestimmten Gelegenheitsarbeiten zusammengewachsen. Er sagte selbst einmal; er sei „ v o m Leben zum Schreiben, vom Aufsatz zum Buch und durch das Buch zur Universität" gekommen, und auch als Professor hat er den „Wanderer und Journalisten niemals verleugnet" 1 ). Seine Künstlernatur gab seinem Stil die Prägung und verschaffte seinen Schriften die weite Resonanz. Von dem bis heute beklagten „ProfessorenDeutsch" ist bei ihm nirgends etwas zu spüren, wie auch nichts von der papiernen Fracht mühseliger archivalischer Forschungen; seine vierbändige „Naturgeschichte des Volkes" war, wie er es selber ausdrückte, auf „Quellenstudien aus dem Leben" gegründet, und was er von einem in seinen „Musikalischen Charakterköpfen" gezeichneten Kapellmeister (Karl Ludwig Drobisch in Augsburg) sagt, könnte vielleicht auch auf ihn zutreffen: „ J e n e süße Qual des Suchens und Ringens, wie sie uns aus Beethovens Bleistiftskizzen und Konzepten so aufregend wie anregend entgegentritt, war ihm fremd. E r war zu fertig, darum fehlte ihm die Vollendung, die nur jener findet, der nicht fertig wird" 2 ). Wir berühren hier Eigenart und Grenze seiner Schaffensart, und oft hat man ihm diese zum Vorwurf gemacht und gemeint, daß er auch als Gelehrter „einen gewissen Bodensatz von Dilettantismus nie über-

l) s)

Vorwort zu „Land und Leute", 9. A., 1894, S. X. a. a. O. Bd. II, S. 285.

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wunden" habe 1 ), oder man hat hinsichtlich seiner Stoffauswahl und Darstellungsweise über die „lavendelduftende Idyllenwelt" gespottet2). Aber gerade in dieser Eigentümlichkeit seiner wissenschaftlichen Methode — und um eine solche handelt es sich auch bei ihm — unterschied er sich auch von Jacob Burckhardt und Gustav Freytag, neben denen er gewöhnlich als Kulturhistoriker genannt wird. Von Burckhardt trennte ihn vor allem dessen historische Grundansicht und der europäische Horizont, der Burckhardts Studien bestimmte, und von Freytag unterschied ihn wesentlich sein konservatives Kulturgefühl, das ihn gegen das fortschrittsgläubige, großstädtische Leben des modernen Bürgertums heftig reagieren ließ. Auch er hatte durch das Jahr 1848 seine entscheidenden politischen Anstöße erhalten, aber das Erlebnis der auf 1848 folgenden Reaktion empfand er nicht wie Gustav Freytag nur als Druck des alten Polizei- und Obrigkeitsstaates, sondern als „eine Reaktion aus dem Volke, eine gesellschaftliche Reaktion, die nichts Verlebtes wieder auffrischen, sondern Lebendiges, aber Vergessenes und Zurückgedrängtes wieder zu Recht bringen will". Die „Aufregung und Unruhe des Jahres 1848, wie nicht minder ein Zug des darauf folgenden tiefen Bedürfnisses nach Ordnung, Ruhe und Rückkehr zu altgewohnten, festen Formen, und ebenso oft der Zorn über die vormärzliche bürokratische Schulmeistere! wie über den wüsten Taumel des Revolutionsjahres"3) hatten ihn seiner wissenschaftlichen Lebensaufgabe zugeführt. Aber wenn die ebenfalls aus dem Erlebnis der Krisenjahre um die Jahrhundertmitte aufgestiegene Generation der sogenannten „politischen" Historiker und Publizisten sich dem großen Thema der nationalstaatlichen Zukunft zuwandte, so ging sein Bestreben dahin, „den Zusammenhang von Land und Volk als Fundament aller sozialen und politischen Entwicklung, als Ausgangspunkt aller sozialen Forschung nachzuweisen"4). Er knüpfte hier überaus selbständig an einen der Ahnherrn des Historismus an, den er selber „den größten deutschen sozialpolitischen Journalisten des 18. Jahrhunderts" genannt hat. Justus Moser, der Osnabrücker advocatus patriae, Verfasser einer Osnabrückischen Geschichte und der ') Vgl. Richard M. M e y e r , Die deutsche Literatur des 19. u. 20. Jahrh., 7. A., 1923, S. 295. — ..Man mag ihn als Völkerpsychologen rühmen. Allein es bleibt dabei, daß ihm die Sicherheit der wissenschaftlichen Methode nicht zur Verfügung" stand", sagt G. v. B e l o w (Die deutsche Geschichtschreibung von den Befreiungskriegen bis zu unseren Tagen, 2. A., 1924, S. 68). *) So etwa Hans Joachim M o s e r , Geschichte der deutschen Musik, Bd. II, 2 1924, S. 152. ®) Vorwort z. 8. Auflage von „Die bürgerliche Gesellschaft", abgedruckt in der 9. Aufl., 1897. S. V I I I . 4 ) Land und Leute. 9. A „ 1894, S. VIII.

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Patriotischen Phantasien, die den jungen Goethe schon entzückt hatten 1 ), galt ihm als „der ärgste Widersacher einer abstrakt naturrechtlichen Politik, durchweg Historiker und Staatsmann . . . wußte er die naturgeschichtliche Eigenart des Volkes klar und rein herauszuschauen . . ," 2 ). Daneben waren es Ansichten der romantischen Rechtsschule, die auf ihn gewirkt haben, während in seiner Betonung der ständischen Gliederung der Gesellschaft auch starke Einflüsse des Berner Patriziers Karl Ludwig v. Haller nachweisbar sind. Aber er folgte diesen Vorbildern nicht doktrinär, sondern wußte seine Betrachtungen durchaus auf eine originale Höhe zu heben. Auch er hatte ein p o l i t i s c h e s Ziel vor Augen, aber er ging eben doch von anderen historischen Prämissen aus, als seine Fachgenossen. Das soziale Gefüge des deutschen Volkslebens in seinen Ständen und landschaftlichen wie kulturellen Besonderheiten festzuhalten, in seinen Wandlungen zu betrachten und zu deuten, wurde sein Anliegen. Eberhard Gothein hat ihn den „Fußwanderer im Bereich der Wissenschaft" genannt 3 ), was freilich nicht ausschloß, daß er den Ertrag seiner Wanderungen und Beobachtungen, bevor er ihn niederschrieb, auch durch weite Quellenstudien vertiefte, dabei aber doch immer Eigenes zu bieten wußte. Er hat die größeren seiner Schriften zusammengefaßt zu einer „Naturgeschichte des Volkes a l s G r u n d l a g e e i n e r d e u t s c h e n S o z i a l p o l i t i k " 4 ) . Das Wort Naturgeschichte besaß bei ihm jedoch noch nichts von Gesetzlichkeit naturwissenschaftlicher Methodik — er hat „unter Naturgeschichte wohl mehr die Arbeit des fröhlich in Wald und Feld sammelnden Botanikers als die des experimentierenden und rechnenden Chemikers im Auge gehabt" 5 ) — , und noch weiter war sein Verständnis von Sozialpolitik von den Auffassungen der modernen soziologischen Prinzipienlehre entfernt. Der „spitzigen Scholastik der modernen Nationalökonomie" gegenüber, die das Gesellschaftsleben nur als Arbeitsleben begreife, wollte er seine Stimme „für die gleiche Berücksichtigung des idealen Momentes, der Sitte und der Gesittung" erheben4). Man hat schon damals Riehls Ansichten als konservativ (nicht in einem Parteisinne) bezeichnet. In einer Zeit, die von den mächtigen ') V g l . das K a p i t e l über Möser bei Friedrich M e i n e c k e , Historismus, 2)

i . A.,

D i e E n t s t e h u n g des

1946, S. 3 2 5 f f .

L a n d und L e u t e , a. a. O . S. 12.

») a. a. O . S. 1. *) Z u diesem W e r k gehören: 1. L a n d und L e u t e , 1 8 5 3 ; 2. D i e bürgerliche sellschaft, 1 8 5 1 ; 3. D i e Familie, 1 8 5 5 ; 4. W a n d e r b u c h , 1869. —

Ge-

D i e Reihenfolge,

die den angegebenen Erscheinungsjahren der ersten A u f l a g e n n i c h t entspricht, ist v o n R i e h l bei den späteren B e a r b e i t u n g e n festgelegt ») G o t h e i n ,

worden.

a. a. O . S. 2.

•) Die bürgerliche G e s e l l s c h a f t , a. a. O.

S. X I .

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nationalliberalen Strömungen fortbewegt wurde, die auch die Zukunftsfragen des deutschen Volkes vornehmlich unter dem Aspekt der großen staatspolitischen Geschehnisse behandelte, mußte er wie ein romantischer Nachzügler wirken. So ist denn etwa Heinrich v. T r e i t s c h k e mit ihm scharf ins Gericht gegangen, hat ihm Dilettantismus, Irrtum und vor allem Mangel an Verständnis für die Rolle des Staates vorgeworfen1). Man wird gerecht sein müssen. Ohne sich Treitschkes bissigen Spott oder gar dessen Heroisierung der staatlichen Macht zu eigen machen zu wollen, wird man doch sagen müssen, daß in der Beurteilung des staatlichen Wesens und der Idealisierung „der vier großen S", Stamm, Sprache, Sitte, Siedlung, die große Schwäche von Riehls historischen Ansichten liegt. Seine Vorliebe für die Mächte des Beharrens, Bauern und Aristokraten, hat ihn oft das kritische Augenmaß verlieren lassen, vor allem hat man den Eindruck eines Versagens, wenn er von Zustandsschilderungen zu allgemeinen Begriffen emporsteigt. Den größeren Widerhall haben deshalb auch mehr die Schriften gefunden, die ohne politische Zielrichtung, allein kulturund musikhistorische Stoffe zum Gegenstand hatten und in denen er seine hohe Kunst der Miniaturzeichnung beweisen konnte 2 ). Dennoch 1 ) Schon als Bonner Student riet er einem Freunde nach der Lektüre der „bürgerlichen Gesellschaft", die „einen Überfluß an Blödsinn" enthielte, alle Seelenstärke zusammenzunehmen, „um nicht bei der Lektüre außer sich zu geraten" (Briefe, i. Bd., S. 2 1 5 u. 232). In seiner Habilitationsschrift „ D i e Gesellschaftswissenschaften" von 1859 hat er dann erneut gegen Riehl Stellung genommen („es war hohe Zeit, daß ihm endlich auf die Finger geklopft wurde", schrieb er bei der Ubersendung des Buches an seinen früheren Rektor der Dresdener Kreuzschule, Julius K l e e , Briefe, 2. Bd., S. 15). — Auch Riehls spätere Veröffentlichungen hat er kritisch zerzaust; vgl. Histor. u. politische Aufsätze, 4. Bd. S. 252 u. 627. — Von Ranke, der mit Riehl u. a. dem gelehrten Symposion König Maximilians v. Bayern angehört hat, liegen Äußerungen leider nicht vor, während Riehl von Ranke u. a. in seiner prächtigen Studie über den König sehr anerkennend gesprochen hat; vgl. Kulturgesch. Charakterköpfe, a. a. O. S. 180. *) Dazu gehören, neben den schon wiederholt genannten „Kulturstudien", den „Kulturgeschichtlichen und musikalischen Charakterköpfen", die beiden Aufsatzsammlungen der „Freien Vorträge", die kulturgeographischen Schilderungen in „Land und Leute", dem „Wanderbuch" und die auf Veranlassung König Maximilians verfaßte Studie „Die Pfälzer"; im weiteren Sinne dürfen dazu gerechnet werden die in 7 Bänden vorliegenden Novellen, in denen der talentierte Skizzist mit dem Kulturhistoriker einen Bund eingegangen ist. Jeremias Gotthelf ist sein großes Vorbild gewesen, ohne daß er je danach getrachtet hätte, den großen Schilderer des Bauerntums, das in Riehls Novellen kaum auftaucht, erreichen zu wollen; ästhetisch hat er fraglos viel von den Münchener Freunden Paul Heyse und limanuel Geibel gelernt; in der leicht romantisierenden Tongebung erinnert manches an den von ihm verehrten Viktor v. Scheffel. In allem ist er aber doch seinen eigenen Weg gegangen und der Bahnbrecher der kulturhistorischen Novelle geworden.

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waren es nach dem ersten Weltkriege aber gerade die sozialpolitischen Schriften, die eine überraschende Wiederbelebung erfuhren. Ähnlich wie bei dem gleichfalls nahezu vergessenen Jacob Burckhardt entdeckte man auch bei Riehl eine Aktualität der Problemsicht im tieferen Wahrheitssinne. Mochte seine konservative Theorie der sozialen Gruppenbildungen auch methodisch manche Mängel zeigen, was er über die beiden Mächte der Bewegung, Bürgertum und Proletariat, vor allem über die Entwicklung des letzteren, zu sagen gewußt hatte, erschien unter den Erlebnissen der Gegenwart in einer neuen Beleuchtung. Wenn Jacob Burckhardt das Heraufkommen der sozialistischen Erben des modernen Machtstaates und seiner Gesellschaftsformen unter dem Aspekt des europäischen Bildungsmenschen sah, den vor diesen „terribles simplificateurs" ein tiefes Grauen packte, so urteilte Riehl wohl aus einem wesentlich engeren Horizont. Der ehemalige Großdeutsche und leidenschaftliche Antipreuße der fünfziger Jahre hatte den Weg der nationalpolitischen Entwicklung aus der Perspektive des „dritten Deutschland" 1 ) verfolgt, und wenn er schließlich auch zu einer positiven Würdigung der von Bismarck herbeigeführten Entscheidungen gekommen ist, so hat er doch nie den Blick verloren für die nivellierenden Wirkungen des bürokratischen Großstaates, der zwischen die organischgewachsenen Stände, künstliche unechte schiebt, wie etwa den Militäroder Beamtenstand. Er sah in dem Aufstieg des Bürgertums eine normale historische Entwicklung, aber er wollte festhalten an dem Unterschied zwischen politischer und sozialer Gemeinde, bürgerlicher und Staatsgesellschaft. „Die bürgerliche Gesellschaft ist das Volk unter dem Gesichtspunkt seines Gemeinlebens in Arbeit und Besitz und in der hieraus entstehenden Gesittung. Die Staatsgesellschaft dagegen ist das Volk unter dem Gesichtspunkt seines Rechtsbewußtseins und Rechtswillens und des ganzen auf Grund dieser Rechtsgemeinschaft entwickelten Gesittungslebens." Beide Formen müssen in einem Volke aufeinander abgestimmt sein. Ja, er sieht darin geradezu die Aufgabe des Staates, solche echten Ständebildungen, wo sie neu, aus organisch-historischer Notwendigkeit ins Leben treten, zu fördern. Und hier meldet sich seine Sorge im Blick auf die Entstehung des modernen Proletariats. Riehl hat nie die von einer gewissen Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung her verständliche Entstehung eines vierten Standes bekämpft. Er sah auch in der Bildung eines „Arbeiterstandes" keine Gefahr für die bestehende Gesellschaft. Aber er faßte den modernen Begriff des Proletariats viel weiter. Zu ihm zählte er die Deklassierten aller Stände, ') So hat H. v. S r b i k ein Kapitel seines Werkes „Deutsche Einheit, Idee und Wirklichkeit vom Heiligen Reich bis Königgrätz" (III. Bd., 7. Buch, Kap. 3) überschrieben und hier auch auf Riehl hingewiesen (S. 169, 173, 174).

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die heruntergekommenen Adligen und gesunkenen Bürger, verkrachten Akademiker und intellektuellen Proletarier, von denen schon im Kommunistischen Manifest die Rede ist und die sich in den letzten Phasen der alten Gesellschaftsformen als Manager der Revolutionen an die Spitze der Massen setzen. Riehl konnte noch nicht voraussehen, welche Möglichkeiten an diktatorischer Macht der moderne Funktionärstaat entfalten kann, aber es finden sich bei ihm schon so treffende und zum Teil auch prophetische Bemerkungen, die gerade dadurch ihr besonderes Gewicht haben, daß sie nicht, wie die Burckliardts, von einem Skeptiker und Kulturpessimisten stammen. Denn es ist seine Überzeugung, daß „der vierte Stand ebenso gut sein historisches Recht hat, als irgendein anderer Stand". Die Gefahr bestehe z. Z. darin, daß er ,,nur ein schwankendes Gebilde ist". Man müßte, so meint er, „den vierten Stand bekämpfen und auflösen — durch den Arbeiter". Denn gerade in den gediegenen Arbeitern „liegt ein Recht zur selbständigen sozialen Existenz". „Der Arbeiter hat eine Zukunft, ein Recht als Gesellschaftsgruppe, er bildet nur noch keinen Stand . . . er deutet erst einen künftigen, idealen vierten Stand vor; der gegenwärtige vierte Stand dagegen hat neben ihm nur ein Recht der Existenz wie Mephisto neben Faust." Das heißt: er sieht die größten Gefahren für den kommenden Arbeiterstand von außen, eben von den Deklassierten, den gesunkenen Aristokraten und Bürgern, den proletarischen Künstlern, Literaten, Journalisten, Pastoren(l). Diese können mit den Arbeitern nicht wahrhaft Hand in Hand gehen; „nur die Stunde des Kampfes gegen die historische Gesellschaft macht sie jezuweilen zu Verbündeten". Es ist die von diesen Elementen verkündigte Barberei der Gleichheit, die den einzelnen zum „Namenlosen" und zum „Dünger der Weltgeschichte" macht, und es ist Riehls Hoffnung, daß diese Namenlosen, „je mehr die alten Stände sich wieder festigen", sich selber aufringen werden zu der höchsten Menschenwürde eines „Namhaften" 1 ). Die Grenze von Riehls Ansichten über die Möglichkeiten der Entwicklung eines vierten Standes wird freilich auch hier deutlich, er übersieht nicht die Fülle der Faktoren, die die Entwicklung der modernen Gesellschaft mitbestimmt haben, und mit dem Ruf „Selbst ist der Mann!", weiß in einem übervölkerten Staatswesen gerade der sozial und wirtschaftlich Machtlose nichts anzufangen. Aber wie immer man Riehls konservative Standespolitik beurteilen mag, daß er nicht bei den äußeren, materiellen Ursachen stehen blieb, sondern mit Nachdruck auf die inneren geistig-seelischen Voraussetzungen der sozial-revolutionären Wandlungen und den demagogischen Gebrauch von ethischen Parolen durch

') Die bürgerliche Gesellschaft, a. a. O. S. 297, 287, 394. 12(5

die dekadente Intelligenz hingewiesen hat, ist sein Verdienst 1 ). Mit Zustimmung hat er V i l m a r zitiert, der wiederholt ausgesprochen hat, wie in unserer sinkenden Gesellschaft, in den Familien, in unseren Herzen der Zerfall der Gesinnung und Gesittung lebe: „ehe wir die Franzosen, ehe wir unseren Landsmann Weitling und seine Helfershelfer strafen und richten, wollen wir uns selbst richten und strafen", heißt es in einer seiner Schulreden 2 ). Aber Vilmars politisches Denken und Urteilen wurzelte in einem gläubigen Luthertum, das in der Bibel die Offenbarung Gottes in seinem Sohne Jesus Christus sah. In dieser Unbedingtheit eines christlichen Erlösungsglaubens, vermochte ihm Riehl nicht zu folgen 3 ). Und doch haben wir gerade bei Riehl ein Recht nach dem religiösen Hintergrunde seiner historischen und sozialpolitischen Anschauungen zu fragen. Nicht nur sein Werdegang und das religiöse Altersbekenntnis, sondern seine gesamte literarische Tätigkeit ist voller Bezugnahmen auf christliche Werte, so daß man mit dem allgemein gebrauchten und heute so vieldeutig schillernden Ausdruck konservativ zu keiner klaren Wesensbestimmung kommt. In seinem Konservativismus hatte er zu seiner Zeit fraglos viele Geistesverwandte, die seine Ansichten begrüßten und aus seinen sozialpolitischen Schriften dankbar schöpften 4 ). Andererseits ist er gerade durch den warmen christlichen Ton, mit dem sich in seinen Büchern die konservative Gesinnung verband, auch in positiv christlichen Kreisen zu einem beliebten Schriftsteller geworden 5 ). Aber dürfen wir uns damit begnügen? l ) Vgl. hierzu auch seine Arbeit „Zur inneren Geschichte des Sozialismus", in: Räumers Hist. Taschenbuch, hrsg. v. W. H. R i e h l , 5. Folge, 10. Jahrg., S. 263ff. *) V i l m a r , Schulreden über Fragen d. Zeit, 3. A., 1886. — Zitiert bei Riehl, Die bürgerliche Gesellschaft, a. a. O. S. 390. *) Johann Hinrich W i c h e r n , der bei der Lektüre der ersten Fassung von Riehls Abhandlung über den vierten Stand sich, wie er in seinem Tagebuch notiert, an viele eigene Gedanken erinnert fühlte und mit R. auch darin übereinstimmte, daß „weder Theologie noch erbauliche Mittel und Mittelchen dem kranken Volkskörper allein aufhelfen könnten", bedauerte doch, daß Riehl „sich über die Aufgabe, welche das Christentum, das gewiß nicht mit der Institution der Kirche an allen Punkten zusammenfällt, aber als Reich Gottes Staat und Kirche und damit das ganze Leben durchdringen soll und muß, im Volksleben hat, nicht klar ist". Er wollte deshalb „dem vortrefflichen Manne" schreiben, um ihm „darüber noch Klarheit zu verschaffen, damit wir zusammengehen können", (Wichern, Briefe und Tagebuchblätter, II. Bd., 1901, S. I77ff.) — Der gegenwärtige Quellenstand läßt leider nicht erkennen, welchen Verlauf der Briefwechsel genommen hat. 4) Der liberal-fortschrittlich gesinnte L u j o B r e n t a n o , der Riehl in München als Kollegen kennen lernte, meinte, daß damals „in Deutschland noch die sozialpolitische Stimmung herrschte, die von einer Gleichberechtigung des Arbeiters beim Abschluß des Arbeitsvertrages . . . nichts wissen wollte". (Mein Leben im Kampf um die soziale Entwicklung Deutschlands, 1931, S. 205). ') R i e h l hat selber einmal von seinen Ansichten gesagt, daß „jene oberste sitt-

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Die Analyse des Historismus hat deutlich gemacht, daß es sich hier um eine der größten säkularen Geistesbewegungen unserer Kulturepoche handelt. Aus den verschiedensten Quellströmen gespeist und von immer neuen Antrieben weitergeführt, ist er zu einem wesentlichen Teil doch eine Emanzipation von echten christlichen Überzeugungen gewesen. Diese sind bei dem Durchbruch der spezifisch historischen Weltansicht nicht gänzlich erloschen, aber sie haben in dem Maße, wie immanente Erkenntnisprinzipien sich beherrschend geltend machten, an unmittelbarer W i r k u n g s k r a f t verloren. In der W e n d u n g gegen

den

Rationalismus der Auklärung waren sich die deutschen Bahnbrecher des Historismus einig, aber das Bild, das sich dem geistesgeschichtlichen Beobachter bietet, ist so vielfarbig getönt, daß es mit einer Formel nicht erklärt werden kann. Man hat darin den ungeheuren Reichtum, aber auch die in einen Relativismus und Skeptizismus mündende Schwäche der historischen Welterkenntnis gesehen. Wenn wir oben auf die Schwierigkeit hinwiesen, Riehls Platz in dieser weitflächigen historischen Ideenbewegung zu bestimmen, so kann doch kein Zweifel darüber bestehen, daß er mit seinem ganzen geistig-seelischen Sein dazu gehört. Er ist, was die Wahl seiner Forschungsgegenstände angeht, wenig betretene Seitenwege gewandert, die ihn, anders als die den großen politischen Fragen zugewandten Historiker, ganz unversehens in Kirchen und Kapellen, zu frommen Brauchtum und vor allem zur geistlichen Musik führten. Das liebevolle Verständnis, das in allen diesen Begegnungen bei ihm zutage trat, bewies wohl die mit eigenen Überzeugungen übereinstimmende Achtung vor den Mächten der Tradition, griff aber nirgends zu den Wurzeln hinab. Auch da, wo er kritisch den Verfall der Sitten bekämpfte, blieb er doch auf der Ebene rein immanenter Erklärungen. Wenn man Riehl einen Romantiker genannt hat, so war er es im Sinne der „guten, alten Zeit", der von allen gesellschaftlichen Stürmen noch unberührten, ehrenfesten, zufriedenen und genügsamen kleinstaatlichen Welt des 18. Jahrhunderts. Hier war die Heimat seiner konservativen Anschauungen, hier aber auch die Heimat seines religiösen Denkens. Der milde Protestantismus jenes Zeitalters und seiner braven Ständewelt, von einem praktischen Rationalismus schon leise durchweht, aber doch zugleich empfänglich für die Ordnungen christliche Tendenz der Selbstbeschneidung des Individuums wie der Gesellschaftsgruppen zugleich eine christliche sei" (Die bürgerl. Ges., a. a. O. S. 36). — In den Jahren nach dem ersten Weltkriege hat in christlichen Kreisen namentlich Franz S p e m a n n in seinen Schriften auf Riehl hingewiesen (vgl. Zur Philosophie der Geschichte,

1923,

S. 1 1 ;

Idealismus und Christentum, 2. A., 1924, S. 4 7 ;

Von

Heinrich W . Riehl bis Oswald Spengler, 1926). Daß Sp. übrigens die Reihenfolge von Riehls Vornamen durchweg umkehrt, sei bei dieser Gelegenheit nur angemerkt.

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liehen Lebens, wenn sie nur die Tiefen des Gemüts berühren, bewegte den Grund seiner Seele. Dem theologischen Streit um „Glaubenswahrheiten" wie der philosophischen Spekulation abhold, sah er „in allen Erscheinungen des Menschenlebens auch die bewußt und unbewußt treibende K r a f t der Religion". Gott und Welt erschienen ihm unlösbar verbunden, und die schroffe Scheidung des Geistlichen und Weltlichen sah er für bedenklich an. Er empfand wesentlich als Künstler, als Musiker. Und hier brachen denn auch stärker die romantischen Züge durch. Ob er seine Leser vor Bachs Orgel führt oder von den zwei Grundformen der protestantischen Kirchenmusik, dem Choral und der Motette, spricht, immer ist es einem, .als höre man aus der Ferne den silbernen K l a n g eines Waldhorns. Die „hohen Offenbarungen der K u n s t " deuchten ihm allesamt „gottinnig" und miteinander verwoben. „Die Bekenntnisse trennen die Menschen", sagt er an einer anderen Stelle; und wer ihm ins Herz blicken will, lese in seinem religiösen Bekenntnisbuch das Kapitel über „die Predigt". In demselben Buch, in dem sich übrigens kein Wort über das Gebet findet, hat er auch seine Ansichten von der evangelischen Lehre ausgesprochen. Diese enthalte alle Grundwahrheiten des Christentums, doch so, „ d a ß sie der weiteren Ausführung, Anwendung und Erläuterung einen unabsehbaren (!) Spielraum lasse". Der Christus des Evangeliums, so fährt er fort, „offenbare sich fort und fort aufs neue als Christus in der Weltgeschichte. Die wechselnden Bilder Christi in den Perioden der Kunst erklären sich erst durch Bilder Christi im denkenden Geiste und im gläubigen Gemüte der Nationen und Generationen(!) . . . alle diese Bilder sind zuletzt doch nur ein Gleichnis dessen, was uns zu schauen nicht vergönnt ist. I n d i e s e m B i l d u n d G l e i c h n i s aber e n t h ü l l t sich uns z u g l e i c h die k ä m p f e n d e und a r b e i t e n d e M e n s c h h e i t , die sich ihren C h r i s t u s frei erringen, die ihn, den E i n z i g e n , u n e n d l i c h v i e l g e s t a l t i g e n , je n a c h G e i s t u n d K r a f t , in sich s e l b s t e r l e b e n s o l l " 1 ) . Dieses Credo hat mit Vilmars Bekenntnissen in der Tat nichts mehr gemein, es ist erwachsen auf dem Boden eines bereits völlig historisierten und psychologisierten Verständnisses der göttlichen Offenbarung. Ein solcher Glaube kann aber nun auch letztlich nicht triumphieren über die revolutionären Sturmtiefs der Geschichte; was ihm als Höchstes verbleibt ist die resignierende Zuversicht: „ A m Anfang aller Dinge steht ein Rätsel und am Ende aller Dinge ein Geheimnis; uns Menschen, in die dämmernde Mitte gestellt, bleibt nichts übrig, als frohgemut zu leben und zu schaffen in dem festen Glauben, daß Gottes Weisheit Anfang und Ende zum besten Ziele verbinden werde" 2 ). ') Religiöse Studien, a. a. O. S. 127 u. 131. Freie Vorträge, 2. Bd., 1885, S. 194.

J)

9 Kirch!. Jahrbuch 1951

129

Glaube und Erziehung Ein Beitrag zur Frage der pädagogischen Autonomie Von

Gerhardt Giese

Es gehört mit zu den bemerkenswertesten und beglückendsten Anzeichen für den tiefgreifenden Wandel in der Kirche und in der geistigen Lage der Gegenwart, daß es in den letzten 15 Jahren zu einer neuen und fruchtbaren Begegnung zwischen Männern der Kirche und der Schule, zwischen Pfarrern und Lehrern und damit zwischen Theologie und Pädagogik gekommen ist. Das beginnt genau in dem Augenblick, als die seit langem in der deutschen Schulgeschichte sich vollziehende Verstaatlichung und damit Hand in Hand gehende Verweltlichung des Bildungswesens ihren Höhepunkt erreicht und aus der ursprünglich in der Reformation wurzelnden christlichen Schule die politisierte Weltanschauungsschule des totalen Staates wird. Damit stehen wir nach hundert Jahren vor einer eigenartigen Wandlung. 1848 forderten die fortschrittlichen Führer und neugegründeten Standesvereine der Lehrer die „Emanzipation" der Schule von der Kirche, die „Staatsschule" im Gegensatz zur „Kirchenschule", um sich von allen theologischen Bindungen zu befreien1). Der schulpolitische Führer und Vorkämpfer der Volksschullehrerschaft in den Jahren vor und nach 1848, F. A. Diesterweg, der so wesentlich bis zum heutigen Tage das geistige und politische Profil dieses Standes geprägt hat, wirft mit aller Entschiedenheit die Frage auf „Kirchenlehre oder Pädagogik?" und erklärt eindeutig: „So lange die Pädagogik von der Kirchenlehre beherrscht und tyrannisiert wird, solange ist an ihre Selbständigkeit nicht zu denken und natürlich auch nicht an die Selbständigkeit der Schule und die Unabhängigkeit der Lehrer von den Geistlichen" 2 ). Und fast 100 Jahre später erleben wir, wie in den Jahren des Kirchenkampfes alte Lehrer, die ein Leben lang diesen pädagogischen und schul') V g l . über die schulpolitischen K ä m p f e des Jahres 1848, A p p e n s , Die p ä d a gogischen B e w e g u n g e n d. Jahres 1948, Elberfeld s)

130

F. A. W. D i e s t e r w e g ,

1914.

Pädagogisches Jahrbuch f. 1852, S. 81.

politischen Idealen eines Diesterweg und des deutschen Lehrervereins treu gedient hatten, sich in tiefer Enttäuschung und Ernüchterung der Bekennenden Kirche zuwenden, und heute sehen wir in der ganzen katechetischen Arbeit und an den kirchlichen Privatschulen Berlins Pädagogen, Lehrer und Schulhelfer im Dienst der Kirche wirken, weil ihnen allein noch in der Kirche eine Erziehung verbürgt scheint, die gerade durch ihre Bindung an die „Kirchenlehre" d. h. an das Evangelium von Jesus Christus, frei macht von den gottlosen Ansprüchen einer dämonisch politisierten und haßerfüllten Welt. Freilich, vom Standpunkt einer „Autonomie der Pädagogik", wie Diesterweg und die führenden Pädagogen des 19. Jahrhunderts sie vertreten haben und die Anhänger einer „autonomen" Pädagogik sie auch heute noch vertreten, begingen und begehen all jene Lehrer und Schulmänner, die nun im Auftrage und im Rahmen der Kirche zu erziehen suchen, Verrat an den Kindern und ihrem Recht auf freie Entwicklung ihres Wesens, sündigen gegen das innerste Gesetz aller Erziehung, den werdenden Menschen von Innen her wachsen zu lassen und ihn nicht vorzeitig festzulegen auf ein „Dogma". Darin besteht nach dieser Auffassung der unüberbrückbare Gegensatz zwischen Theologen und Pädagogen, wie Diesterweg mit äußerster Schärfe formuliert hat: „Der Kirchenlehrer will „Gläubige" bilden, der Pädagoge — Menschen. Der Kirchenlehrer sieht das Heil in der Anneihme eines Bekenntnisses. Der Pädagoge huldigt dem System des für alle Menschen in der gleichen Art geltenden Humanismus" 1 ). Eine moderne problemgeschichtliche Studie über „Die Autonomie der Pädagogik" setzt sich bezeichnenderweise als Motto ein Wort des englischen Philosophen Bertrand Russell: „Der ideale Lehrer sollte seine Kinder mehr als sein Vaterland oder seine Kirche lieben" 2 ). All diese Lehrer, die heute im Dienst und Auftrag der Kirche Kinder und junge Menschen unterweisen und erziehen, sind demnach keine „idealen Lehrer", sie lieben anscheinend ihre Kirche mehr als ihre Kinder, sie sind Beauftragte der Kirche, statt einer „eigenen Idee" zu dienen, „der körperlich-geistigen Entwicklung der Kinder"; der Lehrer soll, so hat der leidenschaftliche Vorkämpfer einer pädagogischen Autonomie in unseren Tagen, H. Nohl, im Zusammenhang mit den Kämpfen um das Reichsschulgesetz in den Jahren vor 1933 immer wieder betont, „zur Religion" erziehen, „aber nicht zur Konfession. Wir nennen das die Neutralität der Pädagogik" 3 ). *) Pädagogisches Jahrbuch 1852, S. 1 2 3 (These 146). ) G. G e i ß l e r , Die Autonomie der Pädagogik, Göttinger Studien zur Pädagogik. Langensalza 1929, S. 5. ®) H. N o h l , Der Reichsschulgesetzentwurf. Die Erziehung, I I I . Jahrg. 1928, S. 47. 2

9*

131

Das ist somit die ernste Frage, vor der wir mit unserm Thema stehen und auf die wir mit unserm „Beitrag zur Frage der pädagogischen Autonomie" eine Antwort zu geben versuchen wollen: Schließen sich „Erziehung" und „Glaube" gegenseitig aus oder wie verhalten sie sich zueinander ? Ist alle echte Erziehung wirklich, wie man behauptet hat, „im richtig verstandenen Sinne immer bekenntnislos, insofern in ihr nicht das Bekenntnis des Erziehers und der ihn tragenden geistigen objektiven Mächte den Ausschlag gibt, sondern die geistige Individualität des K i n d e s ? " 1 ) Oder kann man vielleicht umgekehrt sagen, daß jede Erziehung einen Glauben in sich schließt und es somit keine Erziehung ohne Glauben gibt? Das ist also unsere Frage: W a s b e d e u t e t d e r G l a u b e f ü r die E r z i e h u n g ? Ist er ihre tiefste Quelle und stärkste K r a f t oder hebt der Glaube jede Erziehung auf, weil er sie in ihrem innersten Wesen zerstört ? I. E s hängt mit der ganzen unseligen schulgeschichtlichen Entwicklung vor allem im 19. Jahrhundert zusammen, daß im Begriff der „ p ä d a g o g i s c h e n A u t o n o m i e " von vornherein ein antitheologischer und antikirchlicher Sinn lag. Von der Kirche sollte sich die Schule „emanzipieren", die Lehrerschaft ihre Freiheit erkämpfen von der für sie unwürdigen „geistlichen Schulaufsicht" und die Pädagogik als Wissenschaft ihre Autonomie erringen gegenüber der Theologie. Historisch gesehen, steht diese pädagogische und schulpolitische Bewegung innerhalb des gesamten Vorgangs der Säkularisation, wie sie sich von der Reformation und vor allem der Renaissance her entwickelt hat. Die moderne Pädagogik und die schulpolitischen Ideale der Lehrerschaft sind nur zu verstehen aus dieser mehr oder minder bewußten Kampfstellung gegen Kirche und Theologie. Der Ausdruck „Autonomie der Pädagogik" findet sich nach den gründlichen Untersuchungen von Georg Geißler 2 ) anscheinend zum ersten Male in einem heute vergessenen Buch von K . A. I. Lattmann „über die Frage der Konzentration in den allgemeinen Schulen, namentlich im Gymnasium" aus dem Jahre 1860. Dort behandelt Lattmann in einem besonderen Artikel „die selbständige Macht der Pädagogik" 3 ), in der er die allmähliche Loslösung der Erziehung und ihrer Theorie von der Kirche und der Theologie darstellt. Prüfen wir, ohne die historische Entwicklung hier darlegen zu können, was mit „pädagogischer Autonomie" gemeint ist, so können wir 3 Anliegen und ebenso viele Bedeutungen von „Autonomie" unterscheiden. G. G e i ß l e r a. a. O. S. 1 1 3 . ») Ebenda S. 68 ff. s ) L a t t m a n n a. a. O. S. 245ff.

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Es geht dabei erstens um die P ä d a g o g i k als s e l b s t ä n d i g e Wissens c h a f t mit ihren „einheimischen Begriffen" 1 ) und ihrem eigenen Gegenstandsbereich. Das ist heute so selbstverständliche Tatsache geworden, daß wir auf diese Frage hier nicht weiter eingehen wollen. Es ist aber damit zweitens gemeint, was die schulpolitische Bewegung um 1848 mit der „Emanzipation" der Schule von der Kirche und mit ,,Selbständigkeit der Schule" forderte. Das führte schon damals hier und da zu dem Gedanken der „freien Schule", wobei auch die Freiheit von der Kirche gemeint war. Auch die Idee einer „Schulsynode" tauchte auf, wie sie 1931 in Zürich Wirklichkeit war 2 ). Damit bekommt die „pädagogische Autonomie" einen juristisch organisatorischen Sinn und läßt nach einer gewissen S e l b s t v e r w a l t u n g des B i l d u n g s w e s e n s innerhalb des Staates verlangen. Eine evangelische Pädagogik hat allen Grund, diesen Gedanken sehr gründlich zu durchdenken, und es ist kein Zufall, daß gerade von evangelischen Pädagogen hier bereits beachtliche Vorarbeiten geleistet worden sind. Vor allem wäre hier hinzuweisen auf die Schulverfassungslehre von F. W. D ö r p f e l d mit ihrem „Fundamentstück" der weltanschaulich einheitlichen Schulgemeinde als den „auf das Elternrecht und die Gewissensfreiheit gegründeten Verband zur gemeinsamen Erziehung der Kinder" 3 ). Neuerdings hat der evangelische Pädagoge Wilhelm F ä r b e r in leidenschaftlichem Protest gegen den allmächtigen Staat in seinem durch seine geschichtlichen Ausführungen und grundsätzlichen Erwägungen in gleicher Weise reichen Buch „Die Schule in Volk und Staat" eine Schulordnung gefordert, die davon ausgeht, daß die Schule von allen Lebensmächten abhängig ist, nicht nur vom Staat. Sein Ziel ist die Entwicklung der Schule zu einer „Selbstverwaltungsangelegenheit der in ihr gemeinsam wirkenden geistigen und sozialen Kräfte unter der Aufsicht des Staates und unter seinem Schutz" 4 ). Unter den führenden Erziehungswissenschaftlern hat Eduard S p r a n g e r wiederholt, besonders in seiner Akademieabhandlung über „die wissenschaftlichen Grundlagen der Schulverfassungslehre und Schulpolitik", den Gedanken vertreten, „daß die Schule der Zukunft. . . eine größere Freiheit im Staate . . . genießen muß, als sie die Vertreter der Staatsschul') H e r b a r t , Allgemeine Pädagogik, hrsg. von W i l l m a n n u. Th. F r i t s c h , Pädagogische Schriften, 3. A . , I 9 i 3 f f . , Bd. I, S. 235. l ) E d . S p r a n g e r , Der Zusammenhang von Politik u. Pädagogik in der Neuzeit, Die deutsche Schule, Bd. X I X , 1 9 1 5 , S. 690ff. u. 7 4 8 f f . ') F . \V. D ö r p f e l d , Das Fundamentstück einer gerechten, gesunden, freien und friedlichen Schulverfassung. Ges. Sehr. V I I , 1897, S. 349. 4 ) W . F ä r b e r , Die Schule in Staat u. Volk o. J . , S. 199 u. 73. S. meine Anzeige in der „Deutschen Literaturzeitung", J g . 1 9 3 1 , Sp. n 6 7 f f .

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idee im allgemeinen fordern" 1 ). Da der moderne Staat weltanschaulich neutral bleiben muß, weil er bei der Fülle gegensätzlicher Standpunkte innerhalb der Volksgemeinschaft keine geistige Einheit mehr darstellt, sondern nur als coincidentia oppositorum möglich ist, muß der Staat als Erziehungsträger den verschiedenen Überzeugungen Raum lassen. Schon 1920 auf der Reichsschulkonferenz hatte Spranger bis ins einzelne gehende klare Thesen über eine Selbstverwaltung des Bildungswesens vorgelegt, die heute einen fruchtbaren Ausgangspunkt boten zu neuem Durchdenken dieser inzwischen nach all unsern leidvollen Erfahrungen sehr viel brennender gewordenen Fragen 8 ). Denn jetzt haben wir nach 1933 ein staatliches Schulmonopol erlebt und erleben es vielfach noch heute, so daß die Allmacht des Staates über die Erziehung der Jugend im umgekehrten Verhältnis steht zu dem Vertrauen, das der Staat bei den Eltern genießt. Erstmalig haben die Nationalsozialisten durch ein totales Erziehungs- und Schulmonopol die unter dem Decknamen der „Entkonfessionalisierung" völlig verweltlichte Schule zum gefügigen Instrument ihrer Weltanschauung gemacht. Damit ist vor der ganzen Welt mit aller Deutlichkeit sichtbar geworden, was Schule und Lehrerschaft nun durch die Befreiung von der Kirche, durch die restlose Verstaatlichung und Verweltlichung gewonnen haben. Sie haben lediglich den Herren gewechselt, nur daß der neue Herr, der allmächtige Staat, sich als grausamer, herrschsüchtiger, launischer Despot erweist. Wo ist heute die „freie Schule", von der einst der deutsche Lehrer träumte ? Die restlose Verstaatlichung und Verweltlichung haben Schule und Lehrer nur immer unfreier gemacht als Werkzeuge politischer Ideologien. 1848 forderte man die „freie Schule", um sich von kirchlichen und theologischen Bindungen zu befreien. Heute erhebt die evangelische Pädagogik die Forderung nach der staatsfreien evangelischen Schule, wie sie in den Berliner kirchlichen Privatschulen Wirklichkeit geworden ist, und verlangt eine Selbstverwaltung des Bildungswesens, wie sie in sehr eigenartiger juristischer Form die Berliner Kirchliche Hochschule darstellt. „Freie Schule" und Selbstverwaltung des Bildungswesens, das heißt heute: Freiheit vom Staat und der Politisierung durch die Parteien oder gar durch eine totale Partei. Die Erfahrung hat uns gezeigt, daß der moderne Staat den dämonischen Drang zur Totalität in sich trägt und daß fast alle Parteien zu totalitären Methoden neigen, und wir wissen, daß nur wenige Menschen die Zivilcourage aufbringen, sich Gesinnungsdruck nicht zu fügen. Wo aber keine Freiheit ist, da ist auch keine Erziehung. ') Berlin 1938, S. 39. *) Die Reichsschulkonferenz, Amtlicher Bericht, Leipzig 1920, S. 261. 134

Deshalb ist um der Erziehung willen eine Entpolitisierung und dazu eine Selbstverwaltung des Bildungswesens eine unbedingte Notwendigkeit. Dem hat auch neuerdings Bischof D. 0 . D i b e l i u s in seiner Schrift „Grenzen des Staates" mit aller Entschiedenheit und Klarheit Ausdruck gegeben: „Gewissensfreiheit und Toleranz sind leere Worte, wenn sie nicht auch für die Schulerziehung gelten. Dies alles aber setzt voraus, daß die ganze Verwaltung des Schulwesens von Grund auf umgestaltet wird. Es muß endlich begriffen werden, daß es eine Ungeheuerlichkeit ist, wenn in Ländern mit tiefgreifenden weltanschaulichen Gegensätzen die jeweils herrschende politische Partei darüber bestimmt, in welchem Geist Kinder erzogen werden sollen, und daß Parlamente, die unter ganz anderen Gesichtspunkten gewählt worden sind, Schulgesetze machen. Es ist die Elternschaft, die den wesentlichen Teil der Verantwortung für das Schulwesen übernehmen muß.. . So würde der Erziehung der heranwachsenden Generation die Freiheit und die Würde wiedergegeben, die ihr das Machtstreben des Staates genommen hat. Und das ist eine der Grundvoraussetzungen, wenn der Absturz der Menschheit in neue Barbarei noch einmal aufgehalten werden soll1). Ihren eigentlichen Sinn und ihre innere Rechtfertigung hat diese Freiheit der Schule und Selbstverwaltung des Bildungswesens allerdings erst in dem, was nun drittens und vor allem mit „pädagogischer Autonomie" gemeint ist: Es ist das, was oben in den Worten von Dibelius die „ F r e i h e i t u n d die W ü r d e " der E r z i e h u n g genannt wird, die innere sittliche Unabhängigkeit des Erziehers von äußeren irdischen Gewalten und erziehungsfremden Mächten und das Recht des jungen Geschlechts auf die Wahrung seiner Eigenwüchsigkeit und die Echtheit seiner Wesensbildung. In dieser inneren Freiheit liegt das eigentlich Wesensbestimmende und Kennzeichnende des menschlichen Tuns, das wir „Erziehen" nennen, und an dieser Stelle liegt die besondere ethische Verantwortung des Erziehers. Wie das besondere Ethos des Gelehrten in der Unbedingtheit und Unbestechlichkeit seines Strebens nach objektiver Wahrheitserkenntnis liegt, das Ethos des Richters in seiner nur an das Recht gebundenen „Unabhängigkeit", das des Pfarrers in der an Wort und Bekenntnis stets zu überprüfenden Reinheit seiner Lehre, so liegt das eigentümliche und unaufgebbare Ethos des Erziehers in seiner Gewissens- und Lehrfreiheit und in der Verantwortung für die von allem Gewissensdruck und geistigem Zwang freie Entfaltung und Führung der ihm anvertrauten Kinder. *) O. D i b e l i u s , Grenzen des Staates, Berlin-Spandau, 1949, S. 97f.

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II. Diese „pädagogische Autonomie" im ethischen Sinne liegt begründet in der Eigenart und dem W e s e n d e r E r z i e h u n g . Auch wenn es in der modernen Erziehungswissenschaft üblich geworden ist, in einem sehr erweiterten Sinne unter „Erziehung" den Inbegriff aller menschenformenden und -bildenden Wirkungen zu verstehen, die von einer Gemeinschaft auf ihre Glieder ausgehen, so daß man hier von „funktionaler Erziehung" sprechen kann, so ist doch Erziehung im eigentlichen Sinne ein ganz individueller Vorgang, wo sich Mensch und Mensch „von Angesicht zu Angesicht, von H e i z zu H e r z " g e g e n ü b e r s t e h e n . D a s i s t j a d i e

große Wahrheit P e s t a l o z z i s , mit der er als der große Erzieher und Menschenfreund den Kern des pädagogischen Problems getroffen hat, daß alle Erziehung „ewig die Sache des Individuums" ist, daß es darauf ankommt, „in einem besonderen Falle ein einzelnes Kind seiner bestimmten Lage gemäß zu erziehen" 1 ). Unter allen möglichen menschlichen Beziehungen ist Erziehen im Unterschied zu unserm Handeln an Dingen, Pflanzen und Tieren eine Ich-Du-Beziehung. Der Erzieher steht nicht wie etwa der Techniker einer Sache gegenüber, die er auf Grund erkannter Gesetzlichkeiten behandelt, sondern er wirkt auf lebendige, selbständige Menschen, von denen jeder seine nur ihm eigentümliche, letzthin geheimnisvolle, unerforschliche Individualität hat. Das kennzeichnet die pädagogische Situation, daß sich hier jeweils zwei Menschen mit der Ganzheit ihres Wesens gegenüberstehen und wechselseitig aufeinander wirken. Deshalb achtet jeder wirkliche Erzieher das Kind oder den jungen Menschen als selbständiges Wesen, das er in seiner Eigenart zu verstehen und auf dem Wege zu sich selbst zu führen versucht. Und der Erzieher erfährt dabei immer von neuem die Wahrheit des Hebbel-Wortes: „Kinder sind Rätsel von Gott und schwerer als alle zu lösen, aber der Liebe gelingts, wenn sie sich selber bezwingt". Deshalb gibt es keine echte Erziehung ohne Liebe, weil nur aus Liebe möglich ist, worauf es der Erziehung allein ankommt, diesem Kinde hier und jetzt um seiner selbst willen zu dienen. Niemals ist für einen Erzieher ein Kind wie eine Sache, die man „behandeln" kann, ein „ O b j e k t " bloß psychologischer Betrachtung oder ein Mittel für einen höheren, von außen gesetzten Zweck. Trotz aller Überlegenheit an Alter, Wissen und Lebenserfahrung ist das Kind für den wirklichen Erzieher, wie Th. L i t t kürzlich treffend formuliert hat, „von vornherein die potentielle 'Person', die zur 'Freiheit', zur 'Persönlichkeit', zur selbstverantwortlichen Gestaltung des eigenen Daseins emporzuentwickeln, das eigentliche Geschäft der Erziehung ausmacht". Und weil Erziehung eine Ich-Du-Beziehung ist, sich in der pädagogischen Si') Pestalozzis W e r k e , Seyfiarthausgabe V I , S. 179.

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tuation zwei lebendige Menschen gegenüberstehen, ist dieser Vorgang stets eine Wechselwirkung, wird auch der Erzieher „über sich selbst hinausgeführt und seelisch ausgeweitet" 1 ). Erst in diesem gekennzeichneten „pädagogischen Bezug", diesem „Urphänomen" der Erziehung als durch und durch personaler Relation ergibt sich die berechtigte Forderung nach „Freiheit" der Erziehung, wie sie als „pädagogische Autonomie" im ethischen Sinne auch Eduard S p r a n g e r in seiner schon genannten Akademieabhandlung gedeutet hat. „Wenn Erziehung bis an diesen Kern der persönlichen Wesensformung vordringen soll, so ist damit ihr Eigengesetz ausgesprochen: sie erfolgt durch sittlich selbständige Personen und hat die Entfaltung sittlich selbständiger Personen zum Eigenziel. Ihr eigentümlicher Sinn ist also verletzt, wo nur von außen aufgenötigt und angebildet, wo dressiert wird statt gebildet, gezüchtet statt erzogen, wo der Gesinnungsdruck statt der Gesinnungsechtheit herrscht" 8 ). Daraus ergibt sich aus dem Eigengesetz der Erziehung heraus als unbedingt anzuerkennde Tatsache: Nur da kann ein Lehrer erziehen, wo er aus eigener Erkenntnis und innerer Überzeugung lehren kann; nur dann kann Gesinnung auf Gesinnung wirken, wenn sie frei bekannt und nicht aufgezwungen wird, und nur wer selbst gläubig ist, kann in einem andern (wenn Gott es durch seinen Heiligen Geist schenkt) Glauben wecken. Alles andere ist Schulung, Propaganda, Drill, Gewissenszwang, aber keine Erziehung. Das mag am Beispiel der politischen Erziehung verdeutlicht werden: Gewiß hat die Schule eine politische Erziehungsaufgabe: sie soll verantwortungsbewußte Staatsbürger bilden, die mit Wissen und Wollen ihrem Volk und Land dienen. Aber in einer politisierten Weltanschauungsschule mit Parteifunktionären, die unter Gewissenszwang stehen und ihren Schülern ein parteipolitisches Dogma einbläuen müssen, kann es Freiheit der Lehre und des Gewissens nicht geben, also auch keine Erziehung. III. Damit stehen wir vor der Frage, von der wir ausgingen und die wir in der Auseinandersetzung mit dem Problem der „pädagogischen Autonomie" klären wollten: W a s b e d e u t e t d e r G l a u b e f ü r d i e E r z i e h u n g ? Schließt nicht auch jeder religiöse Glaube jede Erziehung aus? Muß nicht Erziehung, wenn sie dem Werdenden um seiner selbst willen dienen und ihn zur Freiheit und eigenen Entscheidung führen will, glaubens- und bekenntnislos sein, weil aller Glaube zu einem Dogma „bekehren" will? ') Th. L i t t , Die B e d e u t u n g der pädagogischen Theorie für die Ausbildung des Lehrers, pädagogik i. Jg. 1946, H. 4, S. 24. J) Ed. S p r a n g e r , Akademieabhandlung, S. 34.

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Darauf ist zunächst zu erwidern, daß es tatsächlich keine Erziehung ohne Glauben gibt. Ganz gleich, ob wir an die funktionale oder an die persönliche Erziehung denken, immer schließt die Erziehung einen bestimmten Glauben mit ein, bewußt oder unbewußt. In jeder Erziehung, die als Funktion der Gesellschaft wie die Lebensluft die heranwachsende Generation beeinflußt und sie durch alle von ihr ausgehenden Einflüsse wie Sitte, wirtschaftliche und soziale Verhältnisse, kulturelle Strömungen, Politik und öffentliche Meinung, kurz durch den in mannigfachen Erscheinungen sich äußernden „Zeitgeist" der Gemeinschaft in einer A r t Assimilationsvorgang eingegliedert, wirken immer

auch

die in der Gesellschaft überlieferten und in der Gegenwart lebendigen weltanschaulichen und religiösen Uberzeugungen mit. Hiervon kann sich die funktionale Erziehung gar nicht emanzipieren. Auch eine völlig säkularisierte Zeit überträgt in der Erziehung ihre eigene religiöse Gleichgültigkeit und ihren Unglauben auf die Jugend und ist damit nicht „glaubenslos". Und noch weniger ist persönliche Erziehung ohne einen Glauben denkbar. Jeder Vater und jede Mutter, ebenso wie jeder Lehrer, jeder Erzieher überhaupt ist in seinem erzieherischen Handeln bewußt oder unbewußt geleitet von bestimmten weltanschaulichen oder religiösen Überzeugungen, die sich auch im praktischen Verhalten geltend machen. Ob und wie ein Erzieher straft, wie weit er seine Autorität betont und seinen Kindern Freiheit läßt, was ihm als Ziel vorschwebt und welche Bildungsstoffe er aus dem überlieferten Kulturgut als wertvoll auswählt, das alles hängt ab von dem Glauben und dem damit unlöslich verbundenen Menschenbild, von denen er in all seinem Tun bestimmt wird. Eine wirklich glaubenslose und allen möglichen religiösen und weltanschaulichen Standpunkten gegenüber neutrale Erziehung wäre färb- und kraftlos und damit zur Unfruchtbarkeit verdammt. „Erziehung, die in den Kern der Persönlichkeit hineinwirkt, muß auf eindeutige Glaubensgrundlagen bezogen sein" 1 ). Es gibt also k e i n e E r z i e h u n g ohne G l a u b e n . Was wir als sittliche Freiheit des erzieherischen Handelns und der jugendlichen Eigenwüchsigkeit aus dem Wesen der Erziehung heraus anerkannt haben, muß nicht unvereinbar sein mit dem den Erzieher erfüllenden und tragenden Glauben. Vielmehr ist diese echte erzieherische Freiheit möglicherweise erst vom Glauben her zu begründen und erfährt von hier aus ihren tiefsten und eigentlichen Sinn. Es kommt nun allerdings ganz darauf an, was das für ein Glaube ist, aus dem heraus ein Erzieher handelt, und es wird sich zeigen, daß und weshalb heute in einer kirchlichen evangelischen Schule diese Freiheit des erzieherischen Amtes l ) W. F l i t n e r , Die abendländischen Vorbilder und das Ziel der Erziehung, Godesberg 1947, S. 40.

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und das Eigenrecht des Kindes besser gewahrt wird als in der angeblich neutralen öffentlichen Schule mit ihren parteipolitischen Abhängigkeiten, ganz zu schweigen von der politischen Schule des totalen Staates. Wenn wir hier von „Erziehung und Glauben" sprechen, so meinen wir nicht irgend einen Glauben im Sinne einer menschlichen Weltanschauung, sondern den e v a n g e l i s c h e n G l a u b e n , von dem die Heilige Schrift redet und den uns Gott durch sein Wort hindurch mit seinem Heiligen Geist schenkt, den Glauben an Jesus Christus. Was b e d e u t e t d i e s e r e v a n g e l i s c h e G l a u b e f ü r die E r z i e h u n g ? Es ist für das Verhältnis von Erziehung und Glaube kennzeichnend, was von pädagogischer Seite meist mißverstanden wird, daß in biblischer Sicht christlicher Glaube nicht ein „Dogma " ist, dem nun die Erziehung unterworfen, mit dem sie gleichsam gefesselt wird. Evangelischer Glaube ist nicht unsere theoretische Anerkennung eines Dogmas, sondern die persönliche Begegnung mit Jesus Christus, der in den Herzen der Gläubigen wohnt (Eph. 3, 17) und in seiner Gemeinde lebendig ist. Das „Dogma" als das Bekenntnis der Kirche ist stets nur ein menschlich unzulänglicher Versuch, diesem Glauben in dem Kampf mit Irrlehren und menschlichen Ideen der jeweiligen Zeit von Evangelium her unmißverständlich Ausdruck zu geben. Evangelischer Glaube ist ebensowenig ein Fürwahrhalten des in der Bibel geschriebenen Buchstabens, denn auch das wäre ja nur unsere menschliche intellektuelle Leistung, sondern „es kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Gottes" (Rom. 10, 17). Nicht „wir" glauben also aus eigener Vernunft und Kraft an die in der Bibel geschriebenen Worte, sondern Jesus Christus, das eine Wort Gottes, von dem die Heilige Schrift zeugt, wirkt durch den Heiligen Geist in uns den Glauben, macht uns dadurch zu seinen Knechten, die ihm in seinem Reich dienen, und befreit uns von der Sünde und den gottlosen Bindungen dieser Welt. Glaube und Erziehung stehen also nicht auf einer Ebene, als ob die Erziehung zum Glauben führen könnte oder der Glaube für die Erziehung eine Art lehrgesetzliche Verpflichtung oder ein Programm wäre. Unser Glaube ist Jesus Christus. Das heißt also auch für die Erziehung: „Einen andern Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus" (1. Kor. 3, 1). Damit wird deutlich: Erziehung kann nur das Bauwerk sein, das auf diesem Grund gebaut wird, oder, in einem andern Bild, die Frucht, die dieser Baum trägt. Auch die Erziehung gehört zu den Früchten des Geistes, und der Glaube muß, wenn er stark und lebendig ist, auch in der Erziehung fruchtbar werden. Auch hier gilt das Wort des Jakobus: „Der Glaube, wenn er nicht Werke hat, ist er tot an ihm selber" (Jak. 2, 17). Die Arbeit des evangelischen Erziehers geschieht also „aus Glauben", „der 139

durch die Liebe tätig ist" (Gal. 5, 6). Und wenn wir sahen, daß Erziehung ganz wesentlich Liebe ist, daß sich in der pädagogischen Situation stets lebendige Menschen von Angesicht zu Angesicht, von Herz zu Herz gegenüberstehen, in Liebe und Vertrauen aneinander gebunden sind, dann wird jetzt deutlich, was das für eine „ L i e b e " ist, die aus dem Glauben fließt. Was wir einleitend als Frage aufwarfen, dürfen wir jetzt als begründete Antwort geben: D e r G l a u b e i s t f ü r d i e E r z i e h u n g i h r e t i e f s t e Quelle und e i g e n t l i c h treibende K r a f t , ja sogar ihr Urs p r u n g . Die pädagogische Liebe des christlichcn Erziehers ist die andere,

dem Kinde zugewandte Seite seines Glaubens. In der Liebe, mit der ein christlicher Erzieher ein Kind erzieht, wird die Liebe Gottes wirksam, mit der Er uns in Christo seine Gnade schenkt. So wird der Erzieher in seiner helfenden Liebe dem Kind ein Christ, wie Christus uns geworden ist 1 ). Deshalb hat man mit Recht gesagt, daß das Gleichnis vom barmherzigen Samariter „ d a s Sinnbild auch der erzieherischen Liebe sei" 2 ). Dem Kind in seiner Hilflosigkeit ist der Erzieher „der Nächste" und tut an ihm den Dienst der barmherzigen Liebe, den Christus als unser „barmherziger Samariter" an uns getan hat. Nur weil Jesus Christus selbst unser Nächster ist und in Ihm diese Liebe erschienen ist, weil er uns zuerst geliebt hat, können wir Ihn lieben und in dieser Liebe uns untereinander lieben (1. Joh. 4, 9ff.). Wenn wir hingehen und wir, wie dem Schriftgelehrten in dem Gespräch im Anschluß an das Gleichnis vom barmherzigen Samariter von Jesus aufgetragen wird, „desgleichen" tun, so können wir das nicht als moralisches Handeln aus eigener Kraft, auch nicht im Nachstreben nach dem für uns ewig unerreichbaren Vorbild, sondern nur in der „Nachfolge", die aber auch nicht Sache unserer Anstrengung ist, in die er uns vielmehr hineinzieht. Was hier gemeint ist, hat Dietrich B o n h o e f f e r in seiner uns als kostbares Vermächtnis nachgelassenen „ E t h i k " im Anschluß an Gal. 4, 19 so ausgedrückt, „daß die Gestalt Jesus Christi von sich aus so auf uns einwirkt, daß sie unsere Gestalt nach ihrer eigenen prägt" 3 ). Wie alles sittliche Handeln des Christen nur aus Glauben geschehen kann, das damit Gottes eigenes Tun ist, das durch uns als seine „ L a r v e n " hindurch geschieht, so ist auch das Handeln des christlichen Erziehers ein solches Sichtbarwerden des Glaubens. Lebendiger Glaube ist niemals bloße Innerlichkeit, er ist immer Gestaltwerdung Christi in dieser Welt. „Wenn unser Glaube real ist, so ') V g l . meine S c h r i f t : Evangelische Erziehung, Christenlehre und kirchliche Verkündigung, Berlin 1949, S. 21 ff. 2 ) H . S t o c k , Autonomie der Pädagogik und christlicher Glaube, Der Evangel. Erzieher, Juni 1949, S. 7. s ) D . B o n h o e f f e r , E t h i k , München 1949, S. 24.

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muß das in unser Leben eingreifen" 1 ). Ein solches Realwerden des Glaubens als ein Eingriff in unser Leben ist auch das Handeln des christlichen Erziehers. Und da das innerste Wesen aller Erziehung die Liebe ist, so ist die Triebkraft und der Ursprung aller christlichen Erziehung der Glaube, „der durch die Liebe tätig ist" (Gal. 5, 6). Es ist das Unterscheidende dieser Agape von allem menschlichen Eros, daß diese Liebe „immer Gott selbst" ist. „Liebe ist immer Offenbarung Gottes in Jesus Christus. . . Er ist die Liebe Gottes und keine andere — weil es keine andere, ihr gegenüber selbständige bzw. freie Liebe gibt —, mit der der Mensch Gott und die Nächsten liebt" 2 ). Das gilt in vollem Umfang auch von der Liebe des christlichen Erziehers zu seinen Kindern. Was das praktisch für die Erziehung bedeutet, wird ganz offensichtlich in einem Brief, den J . H. Wichern an eine Mitarbeiterin schreibt: „Sie schenken aus Liebe zum Heilande den Ihnen anbefohlenen Kindern sich selbst mit allen ihren Kräften und geben sich den Kindern, ich möchte sagen, zu leibeigen, eigentlich aber nicht den Kindern, sondern dem Herrn, dem ewigen Freunde und Retter der Kinder. Nur in dieser Liebe getane Arbeit hat den erwarteten und verheißenden Segen". 3 ) Es zeigt sich aber gerade bei Wiehern, wie nun in dieser Liebe zu Christus, in der die Liebe zu den Kindern unlöslich mit eingeschlossen ist, das begründet ist, was der „pädagogischen Autonomie" so am Herzen liegt und was wir die berechtigte Sorge um die Eigenwüchsigkeit der Jugend genannt haben: denn diese Liebe lehrt zugleich, so ist Wiehern überzeugt, „das Leben und die Bedürfnisse des Kindes bis in das spielende Leben der Kinder hinein am tiefsten und unbefangensten aus dem inneren Kindesleben heraus verstehen" 4 ). Vielleicht ist es überhaupt erst seit Jesus Christus möglich, das Kind in seiner Art und in seiner Geschöpflichkeit ganz ernst zu nehmen, weil auf ihm in ganz besonderer Weise der Segen des Herrn liegt und das Kind dem Reiche Gottes und damit Christus näher steht als der Erwachsene. Wie Jesus sich gesandt weiß zu den Verlorenen, zu den Sündern und Zöllnern, zu den Kranken, Lahmen, Tauben und Blinden, so auch zu den Kindern. Wie Jesus in der großen Abschiedsrede vom Endgericht über die Hungrigen und Durstigen, über die Nackten, Kranken und Gefangenen sagen kann: „Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan" (Mtth. 25,40), so sagt er an anderer Stelle von den Kindern: „Und wer ein solches Kind aufnimmt in meinem Namen, der nimmt mich auf. Wer aber ') ) •) *) J

K. B a r t h , Dogmatik im Grundriß, Berlin 1948, S. 33. D. B o n h o e f f e r , Ethik, S. 156/57. Zit. bei Oldenburg, J . H. W i c h e r n I, S. 464. Wicherns Schriften, III, 915.

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ärgert dieser Geringsten einen, die an mich glauben, dem wäre es besser, daß ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er ersäuft würde im Meer, da es am tiefsten ist" (Mtth. i8, 5, 6). Diese Worte des Herrn sind für jeden christlichen Erzieher von ungeheurem Gewicht und binden ihn verantwortlich durch den Glauben an Christus in Liebe an die Kinder. Was er einem Kinde antut, tut er Christus an, mit jedem Kinde, das er in Christi Namen aufnimmt, nimmt er Christus auf. Daraus ergibt sich, wie töricht es ist, zu sagen: der ideale Lehrer müsse seine Kinder mehr lieben als seine Kirche. Was heißt „seine Küche lieben?"

K i r c h c im wahren Sinne ist j a nicht d i e menschliche I n s l i -

tution mit ihren Pastoren und Beamten, die Körperschaft des öffentlichen Rechts oder gar die „Religionsgesellschaft"; dies menschlichallzumenschliche Gebilde dürfte allerdings ein Erzieher nicht mehr lieben als seine Kinder. Aber die Kirche, an die wir glauben und die wir lieben auch noch in ihrer Knechtsgestalt der zersplitterten und irrenden, verweltlichten und sündhaften Kirche hier und heute, ist die „Gemeinschaft der Heiligen", die Gemeinde als der Leib, dessen Haupt der Herr Christus ist, und wir können diesen Christus nur glauben und Ihn lieben, indem wir Ihn in seiner Gemeinde als gegenwärtig glauben, suchen, finden und lieben. Und wie sollte man nun Christus und seine Kirche lieben können, ohne die Kinder zu lieben, die er so gesegnet und uns anvertraut hat? Der wirkliche christliche Erzieher kann nicht anders, als mit Christus und d. h. mit seiner Kirche auch seine Kinder lieben; denn auch diese Kinder sind durch die Taufe Glieder am Leibe Christi, und eine Liebe, die Frucht des Glaubens ist, die also Christus selbst ist, umfaßt zugleich die Kinder und die Kirche. Hier wird deutlich: Der Glaube überwindet den Gegensatz von Autonomie und Heteronomie der Erziehung in ihrer C h r i s t o n o m i e 1 ) . In diese Christonomie ist die pädagogische Autonomie „aufgehoben" in jenem dreifachen Sinne, wie Hegel mit seinem dialektischen Denken dies Wort gern gebraucht hat: die pädagogische Autonomie als eine absolute Bindungslosigkeit und Neutralität der Erziehung ist beseitigt; sie ist in ihrem echten ethischen Anliegen bewahrt als Recht des Erziehers auf Gesinnungs- und Gewissensfreiheit und als Schutz der kindlichen Eigenwüchsigkeit, und sie ist schließlich erhöht und dadurch erst eigentlich begründet als „herrliche Freiheit der Kinder Gottes" (Rom. 8, 21). „Wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit" (2. Kor. 3, 17). ') Vgl. D. B o n h o e f f e r , Ethik, S. 231, Anm. 5. V g l . zu der Frage der pädagogischen Autonomie neuerdings O. H a m m e l s b e c k , Evangelische Lehre v o n der Erziehung, Miinchcn 1950, vor allem S. 75 ff.

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Der Plan einer Kirchlichen Hochschule im Jahre 1895 (Beitrag zur Geschichte der Kirchlichen Hochschulen) Von

Walter Delius „Wer weiß, wie viele Jahre friedlicher Arbeit uns noch vergönnt sind, an christlichem Leben in unserem Volk zu retten, was noch zu retten ist, neu zu begründen, was neu begründet werden kann ? Denn daß der Entscheidungskampf immer näher kommt, weiß jeder. Ich meine die Entscheidung darüber, ob unser Volk ein christliches bleiben oder in den Sumpf versinken soll, in den die sozialdemokratische Bearbeitung der Massen es hinabziehen will." Diese Beurteilung der Lage, die E. Sülze in der Neujahrsbetrachtung der Protestantischen Kirchenzeitung zu Beginn des Jahres 1895 zum Ausdruck bringt 1 ), war in der Evangelischen Kirche von den Positiven bis zu den Liberalen einhellig. Andererseits aber kommt in den Ausführungen eine gewisse Ratlosigkeit zum Ausdruck. Der Vormarsch der Sozialdemokratie war deutlich. Gleichzeitig hatte die materialistische Weltanschauung in- und außerhalb der Sozialdemokratie breiteste Volkskreise erfaßt. Die Massen der Arbeiterschaft zogen schon lange an den Kirchen vorüber. Das Selbstgefühl der sozialistischen Partei war sichtbar gestiegen; denn das bismarcksche Sozialistengesetz war am 1. Oktober 1890 nicht wieder erneuert worden, und die Partei im Erfurter Programm von 1891 neu formiert hatte im Wahlkampf zum Reichstag im Jahre 1893 Erfolge davongetragen. Die Spannung und Auseinandersetzung zwischen der Sozialdemokratie und den konservativen Kreisen hatte in den letzten Monaten des Jahres 1894 einen Höhepunkt erreicht, als Kaiser Wilhelm I I . in einer Rede in Königsberg der Sozialdemokratie den Kampf ansagte. In ihr bezeichnete er unter anderem den Umsturz und die Religion als die Stätten, wo der Kampf ausgekämpft werden muß. Auf politischem Boden fand die Rede ihre Auswirkung in der Umsturzvorlage, die am 6. Dezember 1894 im Reichstag eingebracht wurde. In ihr wurden nicht nur die strafbaren Handlungen, sondern auch der Protest. Kirchen-Zeitung Jahrg. 42, Nr. 1, Sp. i f . (1895).

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Anreiz zu ihnen, ferner die Beschimpfung der Monarchie, der Religion, des Eigentums usw. unter Strafe gestellt. Die kirchenpolitischen Parteien schalteten sich aus Sorge um den Bestand des Staates und der Kirche ein und nahmen die Parole auf: Kampf für die Religion, Sitte und Ordnung, Kampf gegen den Umsturz, Unordnung und Unglaube. Allerdings mißbilligten gewichtige Vertreter der Liberalen die Ausweitung der Umsturzvorlage, daß auch die Anreizung zu den genannten strafbaren Handlungen geahndet werden sollte. Kennzeichnend für die kirchliche Lage war, daß trotz der Einigkeit in der Bekämpfung der Sozialdemokratie

innerhalb

dos

kirchlichen

Bereiches

heftigste

Aus-

einandersetzungen darüber an der Tagesordnung waren, welche kirchliche Gruppe an der Entkirchlichung der Massen schuld sei. Positive und Liberale schoben sich gegenseitig die Verantwortung zu. Der Liberalismus nahm gegen die Orthodoxie weithin die Argumente für sich in Anspruch, die in den vorangegangenen Jahren A. Ritsehl geltend gemacht hatte. Nach Ritsehl ist die Unkirchlichkeit nur der Schatten, welchen die kirchliche Orthodoxie hinter sich werfe 1 ). Für den Abfall der sozialdemokratischen Massen von der Kirche machte er den Pietismus des 19. Jahrhunderts verantwortlich 2 ). Er nennt den Pietismus geradezu die Zersetzung des evangelischen Kirchenwesens, weil er ganze Klassen der Kirche entfremdet habe3). Von orthodoxer Seite wurde daher der Theologie Ritschis, der kritischen Theologie und dem kirchlichen Liberalismus vorgeworfen, daß sie der Sozialdemokratie Vorschub leisten. Tatsächlich bediente sich die Sozialdemokratie gegen die Kirche und das Christentum der Argumente der modernen kritischen Theologie. An diesem Mißbrauch wissenschaftlicher Erkenntnisse war zu einem guten Teil der Liberalismus schuld. Ohne daß dies den beteiligten kirchlichen Kreisen deutlich wurde, wurde in diesen Auseinandersetzungen die ganze Problematik des „Christlichen Staates" und der „Volkskirche", wie man sie verstand, sichtbar. Orthodoxe und Liberale meinten, zumindest die „Volkskirche" retten zu können, die einen durch Abwehr der kritischen Theologie, die anderen durch weitgehenden Gebrauch derselben in der Verkündigung und in Vorträgen. Ritschis Verständnis des Christentums als die große und unvermeidliche Ermöglichung bzw. Verwirklichung eines praktischen Lebensideals 4 ) erschien hierbei vielen Theologen als eine wichtige Hilfe. Trotz aller zum Teil überspitzten Polemik zwischen diesen kirchlichen Gruppen, glaubte Sülze •) A . ) A. auf die 3 ) O. 4 ) K. Zürich, 2

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R i t s c h i . Rechtfertigung u. Versöhnung. I I I 1 , S. 3 4 5 (1874). R i t s e h l , Schleiermachers Reden über die Religion und ihre Nachwirkungen ev. Kirche Deutschlands, S. 78 (1874). R i t s e h l , A . Ritschis Leben II, S. 466 (1892/96). B a r t h , Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert. Zollikon, 1947, S. 599.

in seiner Neujahrsbetrachtung feststellen zu können, „die Not der Zeit und der Druck der nahenden Gefahr zwingt zu einer gewissen Milde, zur Rückkehr vom Dogma zur Religion". Aber der Silberstreif, den Sülze zu Beginn des Jahres 1895 zu sehen meinte, erwies sich als Gewitterwolke über der evangelischen Kirche Altpreußens. Sie hatte sich in den letzten Monaten des Jahres 1894 über Bonn aufgetürmt und zog nun ostwärts, wo sie sich entlud. In Bonn hatte vom 16.—18. Oktober ein theologischer Ferienkurs stattgefunden, an dem 1 1 2 Pfarrer aus Rheinland und Westfalen teilgenommen hatten. Die Professoren Gräfe und Meinhold hatten Vorträge im Sinn der kritischen Theologie gehalten. Gräfes Thema lautete: „Die neuesten Forschungen über die urchristliche Abendmahlslehre 1 ). Meinhold sprach über: „Die Anfänge der israelitischen Religion und Geschichte" 2 ). Am Reformationsfest 1894 erschien in dem Blatt „Licht und Leben"") „aus Liebe zu unserer evangelischen Landeskirche" ein Aufsatz des Herausgebers mit der Überschrift: „Professor und Pastor", oder „Erkläre mir Graf Oerindur, diesen Zwiespalt der Natur". Auf Grund des Berichtes eines Teilnehmers an dem Ferienkursus wurden in dem Wochenblatt Ausführungen gemacht, die nicht immer den Vorträgen gerecht wurden, deren Absicht jedoch war, ein grelles Licht auf die moderne Theologie an den Hochschulen zu werfen. Von dieser Theologie wurde gesagt, daß sie nicht mehr baut, sondern von Grund auf zerstört. In dieser Richtung sah der Bericht in Meinholds Vortrag die Ablehnung der Geschichtlichkeit der Patriarchen, die Behauptung, daß die religiösen Anfänge des Volkes Israel im Totemismus und Fetischismus liegen, die Darstellung Jahves als israelitischen Nationalgott u. a. Der Verfasser des Berichtes glaubte in dem Vortrag ein Bild der Offenbarung entwickelt, das der neutestamentlichen Auffassung über das Alte Testament, und zwar den Worten Jesu und seiner Apostel aufs schärfste widerspreche, also eine völlige Beseitigung der Autorität der Schrift sei. Die geradetagende Generalsynode müsse im Interesse der Vorbildung der jungen Theologen zu dem Vortrag Meinholds Stellung nehmen. Prof. Gräfe berichtete in seinem Vortrag über die neuesten Forschungen Harnacks, Zahns, Jülichers und Spittas über die urchristliche Abendmahlsfeier. In den wesentlichen Punkten mit Spitta übereinstimmend, erklärte Gräfe, Jesus habe mit den Einsetzungsworten keine bleibende Institution stiften wollen. Darin sah der Bericht in „Licht 2

) Zeitschrift f. Theol. u. Kirche V, 2, 1895. *) J. M e i n h o l d , Wider den Kleinglauben. Freiburg/Leipzig 1895. *) Licht u. Leben, Ev. Wochenblatt, Herausgeber Pf. E . D a m m a n - E s s e n , Nr. 44 v. 3. ir. 1894. 10

Kirchl. Jahrbuch 1951

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und Leben" und mit ihm alle positiven kirchlichen Kreise eine Zerstörung der Grundlage des Abendmahles. Die Kirche, so heißt es in „Licht und Leben" müsse hier Wandel schaffen, da sonst ihre letzte Stunde geschlagen habe. Die gläubigen Gemeindeglieder sollten nicht aufhören zu protestieren, bis die Kirche Professoren habe, die unbeschadet aller Wissenschaft auf dem Bekenntnis der Kirche stehen. In viel schärferen Worten äußerten sich der „Reichsbote" und die „Kreuzzeitung". Der „Reichsbote" 1 ) hatte die Überschrift „Der Kampf gegen den Umsturz". In dem Kampf des Staates und der Kirche gegen die

S o z i a l d e m o k r a t i e g e b e es e i n e „ T h e o l o g i e

des Umsturzes"

für

die

Kirche und das Christentum, die „viel aggressiver und schlimmer als die Sozialdemokratie für den Staat ist". Die Kreuzzeitung 1 ) ging in ihrem Artikel noch einen Schritt weiter, wenn sie die Überschrift wählte „Theologische Professoren als Vorkämpfer der Sozialdemokratie" und die Behauptung aufstellte, „die liberalen theologischen Professoren sind die wissenschaftlichen Vorkämpfer der Sozialdemokratie, während sie doch Diener der Kirche sein sollten. Das rheinische Konsistorium wird aufgerufen, sein Augenmerk auf die Bonner Ferienkurse zu richten. Tatsächlich hat das Amtsblatt des Konsistoriums in Koblenz den nächsten Ferienkurs in Bonn nicht bekanntgegeben. Die Kreuzzeitung forderte schließlich den Ev. Oberkirchenrat und den Kultusminister auf einzugreifen. Dem Oberkirchenrat wurde gesagt, er solle seiner Pflicht eingedenk sein, „die zukünftigen Diener der Kirche von dem verderblichen Gift, welches ungläubige Dozenten in die ihnen anvertrauten Seelen träufeln, zu schützen". Der Kultusminister sollte „pflichtvergessene Professoren an ihre Pflicht erinnern". In der kirchlichen Presse wurden Zustimmungs- und Gegenerklärungen für und wider die beiden Bonner Professoren abgegeben. Auf die weiteren Einzelheiten kann hier nicht eingegangen werden3). Entscheidend waren die Folgen. Das Problem: Theologische Fakultäten und Kirche, oder weiter gefaßt: Theologische Wissenschaft und Bekenntnis, das seit Harnacks Berufung nach Berlin und dem ApostoliJ)

Nr. 264 v. 9. 11. 1894; Nr. 267 v. 18. 11. 1894.

*) Nr. 53g v. 16. 11. 1894. *) Aktenstücke zu dem Bonner Ferienkursus. Deutsche E v . Kirchenz. ( D E K Z . ) 9 (1895), Nr. i, 8, 12. S. 4ff., 76ff., 117. Für und wider die Bonner Professoren. D E K Z . 9. S. 83ff., 91 ff. J. M e i n h o l d , Wider den Kleinglauben, S. V - X X I V . Fr. S i e f f e r t , Die Professorenanträge auf der Generalsynode u. der Bonner theologische Ferienkursus, Dtsch. E v . Bl., 1895, Heft 2. C. v. O r e l l i , Die Anfänge der israelischen Religion u. Geschichte. Allg. E v . Luth. Kirchenz. 28 (1895), S. 2 i 7 f f . , 241 ff-, 268ff., 289ff., 3 i 6 f f . C. v. O r e l l i , Wider unberechtigte Machtansprüche der alttestamentlichen Kritik, D E K . 9 Nr. 31 S. 284ff. C. v. O r e l l i , Wider unberechtigte Machtansprüche heutiger Kritiker. Düsseldorf 1895.

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kumsstreit die Gemüter bewegte, war zum erstenmal zum allgemeinen Ansturm gegen fast alle preußischen Fakultäten geworden. Dabei muß die ganze Problemstellung auf dem Hintergrund der politischen Situation, der Gefahr eines Umsturzes durch die Sozialdemokratie und der angeblichen wissenschaftlichen Hilfestellung durch die moderne kritische Theologie, gesehen werden. In der Generalsynode ist der ganze Fragenkomplex nur in den Sitzungen der Fraktionen behandelt worden. Fr. von Bodelschwingh war von seiner Fraktion, der Positiven Union, beauftragt worden, in der Kommission für Unterrichtswesen die Mitwirkimg der Kirche bei Besetzung theologischer Lehrstühle in der Richtung zu fordern, daß auch die Kirche wie die Fakultäten ein Vorschlagsrecht haben sollten. Nach einem Gespräch mit dem Kultusminister Bosse erkannte Bodelschwingh die Aussichtslosigkeit seines Vorschlages. Die Positive Union bereitete daher für das Plenum einen Antrag vor, der Ev. Oberkirchenrat solle beim Minister dahin wirken, daß an jeder theologischen Fakultät für eine genügende Vertretung des kirchlichen Bekenntnisses gesorgt werde. Der Antrag kam in der Generalsynode des Jahres 1894 nicht mehr zur Verhandlung. Kirchliche Kreise machten nun der Positiven Union den Vorwurf, daß sie in der Frage des Bonner Ferienkursus wie in der Frage des Apostolikums geschwiegen habe 1 ). Auf Eingaben rheinischer und westfälischer Presbyterien erteilte der Präsident des Oberkirchenrates Barkhausen nach Beratung mit dem Ge'neralsynodalvorstand unter dem 8. März 1895 eine Antwort. In vorsichtig abwägender Form gemäß der mittelparteilichen Haltung des Oberkirchenrates wird mit Bedauern von der theologischen Forschung gesprochen, die den Unterschied der Hypothese und den erwiesener Wahrheit insbesondere an solchen Punkten nicht erkennbar macht, wo es sich um die Substanz des christlichen Glaubens und der Sakramente handelt. Als Beruhigung soll es empfunden werden, daß die Forschungen der verschiedenen Gelehrten sich vielfach widersprechen und keine allgemeine theologisch wissenschaftliche Anerkennung finden. Andererseits entspricht es nicht der Haltung der evangelischen Kirche, solcher Forschung mit äußeren Mitteln zu begegnen. Sie könne nur in wissenschaftlicher Auseinandersetzung überwunden werden. Schließlich muß die Kirche erwarten, „daß die theologischen Universitätslehrer sich in ihrem Gewissen gebunden halten, ihre wissenschaftliche Lehrtätigkeit unter die Autorität des Wortes Gottes zu stellen und auf das Bekenntnis der Kirche, welcher sie angehören und der ihre Arbeit dienen soll, gebührende Rücksicht zu nehmen". Der Oberkirchenrat will dahinwirken, daß es an solchen Lehrern nicht fehlt. Er hat an entscheidender

*) Ev. Oberkirchenrat (EOK.) Präsidialia II. Abt. Nr. 37. 10»

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Stelle dementsprechende Schritte unternommen 1 ). Diesem Schreiben war eine Umfrage der Bonner theologischen Fakultät an alle Preußischen Fakultäten vorausgegangen, in der ihnen zwei Fragen vorgelegt wurden: i . ob die Verbalinspiration bei dem gegenwärtigen Stand der Forschung noch aufrechterhalten werden könne, 2. ob die Vorträge der Professoren Gräfe und Meinhold die notwendige Rücksicht auf das kirchliche Bekenntnis und die kirchliche Ordnung vermissen lassen. Nach der Allg. E v . Luth. Kirchenzeitung 2 ) hat nur eine Fakultät zustimmend geantwortet. Andere Fakultäten haben ein einheitliches Gutachten nicht zustandegebracht. Berlin hat überhaupt nicht geantwortet. Greifswald hat eine scharfe Verurteilung der beiden Vorträge zum Ausdruck gebracht, was eine gereizte Antwort der Bonner Fakultät zur Folge hatte. Kurz zuvor, ehe das Zirkularschreiben des E v . Oberkirchenrates ausging, hatte Bodelschwingh seine Rede, die er in der Kommission für Unterrichtswesen in der Generalsynode vorbereitet hatte, auf einer Pastoralkonferenz in Bielefeld gehalten. Sie erschien in der „Westdeutschen Zeitung" 3 ). In seinem Vortrag ging Bodelschwingh davon aus, daß eine große Zahl junger Theologen durch pietätlose Bibelkritik in ihrem Glauben erschüttert sei. Besonders machte er die Ritschlsche Theologie verantwortlich, die er eine von Gott zugelassene Zuchtrute nannte. Weiter sagte er, daß die moderne wissenschaftliche Theologie an den Universitäten zu geistlichem Hochmut erziehe. Eine solche Theologie könne nur durch geistliche Waffen überwunden werden. E r verlange daher keine von oben kommandierte exklusive Erziehungsstätte der Orthodoxie, aber auch keine stummen Hunde. Daher erhebe er rückhaltlose Anklage gegen die Verderber der theologischen Jugend, wobei er besonders an Harnack dachte. Die Ritschlsche Theologie sei viel gefährlicher als der „alte gutmütige Rationalismus". Er stellt daher im Namen der Positiven Union die Forderung auf, daß die Kirche Einfluß auf die Besetzung der theologischen Lehrstühle bekomme. Darüber hinaus sei es ein unhaltbarer Zustand, daß die Kirche sich ihre Diener allein vom Staat ausbilden lasse. Als er im Gespräch mit Staatsminister Dr. Bosse sich über die Zustände an den preußischen Fakultäten beklagte, habe ihm dieser gesagt: „ S o schaffen Sie sich doch Seminarien, wie die katholische Kirche sie hat." Bodelschwingh aber betonte in seinem Vortrag, daß er nicht Seminare möchte, sondern eine kirchlich theologische Hochschule, die ganz wie das Gymnasium zu *) Aktenstücke zu dem Bonner Ferienkursus D E K Z . 9, Nr. 12. S. 1 1 7 , EOK. 263 II. P. G e n n r i c h u. E. v. d. G o l t z , Hermann von der Goltz, Göttingen 1935. S. i 3 3 f . ') Nr. 55. ') Nr. 55.

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Gütersloh durch kirchliche Persönlichkeiten in erster Linie GeneralSuperintendenten geschaffen werde. Als Ort schlägt er Münster, oder noch besser Herford vor. Für Herford spricht die Tatsache, daß zu Beginn der Reformation mehrere Anstalten, die zuerst lutherisch wurden, sich in der Stadt befinden. Es waren die Häuser „der Brüder des gemeinschaftlichen Lebens " , der Augustiner und das sogenannte „Nauische Kolleg" für 12 Studenten. Herford sei schließlich auch darum geeignet, weil ihm die zweifelhaften Vorteile der Großstadt fehlen, andererseits sei es Mittelpunkt der Posaunenfeste und der frommen Bauern des Ravensberger Landes. Auf dieser Hochschule könne sich ein enges Band zwischen Lehrern und Schülern knüpfen. Die preußische Landeskirche sei imstande, die Mittel zur Besoldung von 3 bis 4 Dozenten aufzubringen. Ihre Bestätigung solle durch den König erfolgen. Ferner möge sich wie in Basel in jeder Provinz ein freier kirchlicher Verein bilden, der eine oder mehrere freie kirchliche Professuren an der Provinzuniversität unterhält. Schließlich empfiehlt Bodelschwingh die Gründung eines Konviktes wie in Tübingen, an dem tüchtige gläubige Repetenten wirken. Weitere Ausführungen zu seinem Plan einer Kirchlichen Hochschule machte Bodelschwingh in der N. Westfälischen Volkszeitung1). Dort weist er darauf hin, daß er kein Seminar, sondern eine Kirchliche Hochschule wünsche. Er bringt zum Ausdruck, daß man nach seiner Meinung das, was man Katholiken, Juden und Heiden zugestehe, ihre Lehrer ohne den Staat auszubilden, auch der Ev. Kirche gönnen müsse. Da für die 1,2 Millionen Evangelischen Westfalens keine theologische Bildungsanstalt2) vorhanden ist, erweist sich eine Kirchliche Hochschule als nötig. Für das Studium an ihr genügen 3 bis 4 Semester von den 7—8 Semestern des Gesamtstudiums. Von selbst verstehe es sich, daß bei der Theologenausbildung an der Kirchlichen Hochschule in wissenschaftlicher Beziehung alle Gerechtigkeit erfüllt werde. Es handle sich also nicht um „eine der Landeskirche feindliche und sich von ihr trennende, sondern vielmehr ihr sehr freundliche und ihre tiefen Wunden" heilende Sache. Schließlich übersandte Bodelschwingh seinen Plan den Mitgliedern der Generalssynode. In ihm spricht er nicht von einer Kirchlichen Hochschule, sondern von einem Seminar. So entscheidend die Ausführungen für die Geschichte der Kirchlichen Hochschulen waren, neu war der Gedanke nicht. Soweit ich sehe, ist er im 19. Jahrhundert zum erstenmal unter dem Eindruck der Revolution von 1848 und dem durch sie gestellten Problem der Trennung von Kirche und Staat von dem Halleschen Privatdozenten der juristischen Fakultät H. Hellmar in einer Schrift geäußert worden*). Allg. E v . Lutli. Kirchenz. 28, Nr. 15, S. 3 5 5 f . ) Die theologische Fakultät Münster ist erst 1 9 1 4 eingerichtet worden. s ) H. H e l l m a r , Die Zukunft der ev. Kirche. Halle 1848, S. 27. s

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Hellmar geht dabei von der Möglichkeit aus, daß bei einer solchen Trennung die theologischen Fakultäten mit „lauter Kindern des alten Bundes" oder, was noch schlimmer sei mit Verkündem „des neuen Evangeliums unserer Tage" besetzt werden. E r erinnert angesichts dieser Gefahr für die Kirche an die Hugenottenkirche, die sich im Edikt von Nantes das Recht, eigene Hochschulen (Montauban, Saumur, Montpellier, Sedan) zu gründen, gesichert habe. Dasselbe wird die evangelische Kirche in Deutschland tun müssen, wenn sie vom Staate getrennt und das landeskirchliche Regiment zu Ende ist. Es werden evangelische Fakultäten sein, „die ebensowenig der Wissenschaft als der Kirchen-

lehre fremd sind". Die Beziehung auf die Praxis wird noch entschiedener als bei den staatlichen Fakultäten sein. Die kirchlichen Fakultäten sollen in Universitätsstädten neben vielleicht einer „theosophischen Fakultät" sein. Die Frage wird allerdings sein, ob die evangelische Kirche die Kraft habe, die materiellen Opfer für ihre Fakultät aufzubringen. Hellmar hofft, daß eine neue Kraft Gottes über die Kirche ausgegossen werde. Aber nicht nur Hellmar, sondern bemerkenswerterweise auch Harnack hat, wie er an Rade schreibt (1895), „schon längst vor Bodelschwingh" in Privatgesprächen die Gründung einer freien Fakultät gewünscht. „Ich muß das Experiment der freien Fakultät", so schrieb Harnack, nachdem Bodelschwingh seinen Plan entwickelt hatte, „aus verschiedenen Gründen dringend wünschen, obgleich ich seine Gefahren nicht übersehe. Jetzt kann die Kirche immerfort behaupten, nur einige leichtfertige ungläubige Professoren trügen Kritik und Streit in die Kirche; wenn sie selbst die Fakultäten zu besetzen haben wird, wird sie langsam lernen, daß es die Entwicklung und ihre Lehre selbst ist, die sich bewegt und alten Kleidern entwächst1). Die Ausführungen Harnacks zeigen, daß er über die Gründung einer freien kirchlich-theologischen Fakultät anders denkt als Hellmar und Bodelschwingh. Tatsächlich lehnt er sie ab, wie er dies besonders in einem Brief an Troeltsch (29. 4. 1914) 2 ) und in seinem Wort über die Wichtigkeit3) der theologischen Fakultäten deutlich werden läßt. An Bodelschwinghs Plan ist bemerkenswert, daß er von vornherein die Gründung einer Hochschule bzw. Fakultät nicht aber ein oder zweier kirchlicher Lehrstühle, wie es in Basel der Fall war, in Aussicht genommen hatte. Die Wahl des Ortes war dabei wichtig. Kirchliche Hochschulen sollen in lebendigen Gemeinden gelegen sein. Auch das hat Bodelschwingh richtig gesehen, daß nicht das ganze theologische Studium auf einer Kirchlichen Hochschule absolviert werden soll. 1 ) Agnes Zahn-Harnack, Ad. v. Harnack, eine Biographie 1936, S. 308ff. ») ib. S. 436f. ») S. 496f.

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Bodelschwingh mußte nun seine Gedanken gegen verschiedene Angriffe verteidigen. Daß er noch keinen fest umrissenen Plan hatte, sondern wesentlich eine Diskussionsgrundlage schaffen wollte, zeigt u. a. die verschiedene Bezeichnung des geplanten Institutes: kirchlichtheologische Hochschule, kirchliche Hochschule, freie kirchliche Schule, freie ev. theologische Fakultät, freie theologisch-kirchliche Fakultät, Seminar. Aber Bodelschwingh ging es dabei nicht um den Namen, sondern um die Sache. Nachdem die Presse Bodelschwinghs Plan veröffentlicht hatte, übersandte Bodelschwingh seinen Vortrag am 25. März 1895 dem Präsidenten des Ev. Oberkirchenrates Barkhausen. In seinem Anschreiben, das er bereits am 8. März verfaßt hatte, betonte Bodelschwingh, daß er mit dem Gedanken einer Kirchlichen Hochschule nicht auf eine staatsfreie Kirche losgehe. Im übrigen glaubt er, daß er mit dem Gedanken einer Kirchlichen Hochschule auch die staatlichen Hochschulen ,,wieder in die rechte Bahnen lenken und ihnen ihre Pflicht der Kirche gegenüber zum Bewußtsein" bringen könne. Entscheidend sei, daß die Semester auf der Kirchlichen Hochschule angerechnet werden. In einer Nachschrift vom 25. März weist Bodelschwingh darauf hin, daß nach der Meinung des Unterstaatssekretärs im Kultusministeriums Althoff gegen ein bescheidenes Seminar, wie sie die katholische Kirche hat, staatlicherseits keine Bedenken vorliegen. Althoff schlug ein größeres landeskirchliches Konvikt in Göttingen vor, für dessen Verwirklichung jedoch nach Bodelschwinghs Meinung keine Mittel vorhanden waren. Im übrigen meinte Bodelschwingh, daß die Seminare ihren Zweck nicht erfüllen, da sie rein wissenschaftlich aufgezogen waren und auf ihnen der Ritschlianismus herrsche1). Bereits nach einer Woche (30. 9. 95) antwortete Barkhausen. Die von Bodelschwingh wiedergegebene staatliche Auffassimg treffe nach seinen Erkundungen an maßgeblichen Stellen nicht zu. Auch die im Vortrag erwähnte Stellungnahme des Kultusministers beruhe, „wie ich zu konstatieren ermächtigt bin auf Mißverständnis." Im übrigen hält er Bodelschwinghs Plan „im Interesse der evangelischen Landeskirche für hochbedenklich und verhängnisvoll". Er fühle sich verpflichtet, ihm mit allen Mitteln entgegenzutreten. Die Behauptung Bodelschwinghs gegen die Predigerseminare weist er zurück und ermächtigt Bodelschwingh, diesen Brief in vollem Umfang zu veröffentlichen, falls er Gebrauch davon machen will2). Es ist bemerkenswert, daß Barkhausen diesen Brief nicht im Namen des Kollegiums geschrieben hat. Er ließ ihn außerdem in der Korrespondenz des Ministers von Koller veröffentlichen, um damit die Veröffentlichung als eine offiziöse zu charakteri') Beilage I. ») EOK. Präsidialia II Abt. Nr. 37, abgedruckt in der D E K Z . Nr. 17, S. 157.

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sieren 1 ). Wie scharf die Ablehnung des Bodelschwinghschen Planes seitens des Oberkirchenrates war, zeigen die weiteren Schritte des Präsidenten Barkhausen. Gleichzeitig mit dem Brief an Bodelschwingh ging ein Schreiben Barkhausens an den Konsistorialpräsidenten von Westhoven in Münster, der an den Oberkirchenrat einen Bericht über die freie theologische Fakultät gemacht hatte. Barkhausen teilte mit, daß Bodelschwingh inzwischen seinen Vortrag dahin geändert habe, daß er von einer freien kirchlich theologischen Fakultät spreche. Offenbar waren in dem Bericht Westhovens die Bedenken geäußert worden, daß Bodelschwingh mit seiner freien thcologischcn Fakultät auf eine von

der offiziellen Kirche freie Fakultät hinsteuere. Ferner übersandte Barkhausen sein Schreiben an Bodelschwingh allen Konsistorien und dem Kultusminister. In dem Begleitschreiben an die Präsidenten der Konsistorien schreibt Barkhausen „ I c h würde es auf das Lebhafteste bedauern, wenn der Pastor von Bodelschwingh mit seiner unbesonnenen Agitation, welche hier auch in den Kreisen seiner näheren Freunde durchaus abfällig beurteilt wird, fortfahren und die evangelische Landeskirche in Konflikte führen würde, deren Tragweite sich gar nicht voraussehen l ä ß t " . Er möge den Mitgliedern der Konsistorien vertraulich Kenntnis geben und mitwirken, daß der evangelischen Kirche weitere schwere Beunruhigung erspart werde 2 ). In seinem Schreiben an den Minister der geistlichen Angelegenheiten führte Barkhausen aus, es sei ihm nicht zweifelhaft, daß der Minister bemüht sein werde, an den theologischen Fakultäten insbesondere Bonn wissenschaftlich tüchtige, an den Bekenntnissen der Kirche treu festhaltende Lehrer anzustellen. Wie wichtig Barkhausen die Angelegenheit nahm, zeigt die Tatsache, daß er auch an den Chef des Geh. Zivilkabinets Wirkl. Geh. Rat Dr. von Lucanus am 8. April schrieb. E r teilte in dem Brief mit, daß er vom Kultusminister die „beruhigende Mitteilung" erhalten habe, daß die Behauptung Bodelschwinghs über die Stellung des Ministers zu seinem Plan nicht der Wahrheit entspreche. Er gibt dann seiner Besorgnis Ausdruck, daß man den Plan Bodelschwinghs auf der Landeskirchlichen Versammlung am 8. Mai in Berlin zum Gegenstand der Beratung machen werde, da auch Bodelschwinghs Name unter dem Aufruf zu dieser Versammlung steht. Er befürchtet, daß daraus eine größere kirchenpolitische Agitation gemacht werde. Barkhausen bittet daher Lucanus dem Kaiser Bericht zu erstatten. Bereits am 16. April schreibt Barkhausen, der inzwischen noch keine Antwort von Lucanus erhalten hat, erneut an denselben, um mitzuteilen, daß Bodelschwingh seinen gedruckten Vortrag an die Mitglieder der Generalsynode geschickt habe. Berliner Korrespondenz Nr. 87 (1895). •) Präsidialia II. A b t . Nr. 37. D E K Z . Nr. 17, S. 157.

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Bodelschwingh habe in dem Begleitschreiben geäußert, daß nach seinen Informationen von oben her seinem Plan keine entscheidenden Schwierigkeiten in den Weg gelegt werden. Daher habe er sich entschließen müssen sein Schreiben an Bodelschwingh vom 30. 3. 95 offiziös in die Öffentlichkeit zu bringen. Dieser Brief hatte sich mit der Antwort des Lucanus vom 13.4. gekreuzt, in der dieser Barkhausen mitteilte, daß er dem Kaiser Vortrag gehalten habe. Der Kaiser billige die Auffassung Barkhausens. Bodelschwingh antwortete am 13. 4. auf den Brief Barkhausens vom 30. 3. In der Frage der Seminare könne er noch nicht antworten. Bezüglich der freien theologischen Fakultät wolle er kein Treiber sein. Für die geistliche Leitung habe er den Berliner Generalsuperintendenten Braun 1 ) und für die Mitarbeit Pastor Kuhlo in Aussicht genommen. Beide sollen die Dozenten berufen. „Wie schön würde damit der Feierabend dieser beiden treuen Männer noch ausgefüllt sein, und welch' sicherer Hafen für manchen schiffbrüchigen oder dem Schiffbruch nahen jungen Theologen würde eine solche Stätte werden können zum Heil der ganzen Kirche". Gleichzeitig übersandte er dem Präsidenten ein Büchlein über den Lebensgang seiner heimgegangenen Frau 2 ). Barkhausen dankte Bodelschwingh am 16. 4. für das Büchlein und nahm dann in scharfen Worten zu dem Verhalten Bodelschwinghs Stellung. Wenn Bodelschwingh geschrieben habe, er wolle kein Treiber sein, so sei es Agitation, wenn er unter Übergehen der kirchlichen Behörde seinen Vortrag in einer politischen Zeitschrift veröffentliche. Ein solches Projekt sei Sache der Kirchengesetzgebung. Außerdem verhandle er wieder unter Übergehen der kirchlichen Behörde mit staatlichen Instanzen und rede von ihrer vermeintlichen Zustimmung zu seinem Plan. Über den Kopf der kirchlichen Behörde hinweg habe er seinen Vortrag an die Mitglieder der Generalsynode gesandt. E r warne daher Bodelschwingh vor Fortsetzung dieses Treibens und glaubt sich dabei auch in Übereinstimmung mit dem Hofprediger Kögel, dem Schwager Bodelschwinghs. Das Vorgehen Bodelschwinghs führe zur Beunruhigung und Wirrwarr in der Landeskirche. Auch Generalsuperintendent Braun habe ihm gestern versichert, daß er mit Bodelschwinghs „Absichten durchaus nicht einverstanden sei". Die Zustimmung von grauen Häuptern bedinge nicht, daß dieselben sich der Tragweite der Sache bewußt sind. Schließlich bittet er Bodelschwingh, das offne Wort so aufzunehmen, wie es gemeint ist, entsprungen aus der schweren Sorge des vor Gott und dem Inhaber der Kirchenregierung für den Frieden in der Landeskirche in erster Linie verantwortlichen Leiters des Kirchen') G. M e r z , Bodelschwinghs Anteil an der Theologie seiner Zeit. Jahrb. der Theologischen Schule Bethel, 9 (198), S. 52 Anm. 16. ») B e i l a g e ! ! .

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regimentes. Bodelschwingh antwortete in einem ausführlichen Brief am 30. Mai 1 ). In der Sache der freien Fakultät trat er den Rückzug an, wenn er schreibt, daß er sich in seinem Vortrag der Tragweite der Angelegenheit nicht bewußt war. Bezüglich seiner Angriffe auf die Predigerseminare weist er auf Soest und Hofgeismar hin. Er schildert dann seine Verhandlungen mit dem Unterstaatssekretär von Weihrauch im Kultusministerium über die „freie kirchliche Schule". Im übrigen bittet er Barkhausen in dieser Sache den Rat Gamaliels zu befolgen. In den weiteren Ausführungen seines Schreibens beschäftigt er sich init Angelegenheiten Bethels. D a b e i w i l d ein charakteristischer

Zug Bodelschwinghs, seine Bescheidenheit, deutlich, wenn er alle Verdienste um Bethel seinen Mitarbeitern zuschreibt. Die ablehnende Haltung des Ev. Kirchenrates ist wesentlich durch den geistlichen Vizepräsidenten H. v. d. Goltz bestimmt gewesen. In dem Plan Bodelschwinghs sah er eine kirchenpolitische Aktion zugunsten seines Gegners Stöcker. Stöcker lehnte den landeskirchlichen Summepiskopat ab, während v. d. Goltz in der Linie Bismarckscher Kirchenpolitik für den Summepiskopat des Königs eintrat. Die verwickelte kirchenpolitische Situation wird hier dadurch deutlich, daß Bodelschwingh kein Parteigänger Stöckers, sondern Kögels war, d. h. daß Kögel und Bodelschwingh kirchenpolitische Gegner v. d. Goltz waren. In der Frage des Summepiskopats gingen sie jedoch mit v. d. Goltz konform. Bodelschwingh hatte außerdem gegenüber allen Mißdeutungen festgestellt, daß sein Plan nicht eine Trennung von Kirche und Staat einleiten solle. V. d. Goltz aber meinte, daß Bodelschwinghs Vorgehen das Problem der Freiheit der Kirche vom Staat an einer gefährlichen Stelle aufgerollt habe. Von dieser Sicht her sind die scharfen Zurechtweisungen Bodelschwinghs in den Ausführungen Barkhausens zu verstehen. Daß dabei eine Persönlichkeit wie Bodelschwingh an den Instanzenweg der Bürokratie gebunden werden soll, beleuchtet lediglich die staatskirchliche Bindung des Oberkirchenrates. In der Öffentlichkeit wurde Bodelschwinghs Vorschlag besonders in der westfälischen Presse besprochen. Naturgemäß wurde er in der kirchlichen Presse und in kirchlichen Kreisen eingehend diskutiert. Auf der liberalen Seite fand er ganz im Sinn Harnacks Zustimmung. In den Bodelschwingh nahestehenden Kreisen zeigte sich Zustimmung, aber auch Bedenken und glatte Ablehnung wurden laut. Bei ihnen stand staatskirchliches Denken im Hintergrund. Bezeichnend war die Haltung der rheinischwestfälischen Vereinigung der Freunde des kirchlichen Bekenntnisses, die keine Zustimmung zu Bodelschwinghs Plan geben konnte. In dem ihr nahestehenden „Kirchlichen Monatsblatt" wurde darauf hingewiesen, >) Beilage III.

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daß mit einer freien Fakultät im Ravensburger Lande den kirchlichen Nöten nicht gesteuert werde. Entscheidend sei, daß an den preußischen Fakultäten die bekenntnistreue Richtung ihr gutes Recht bekomme 1 ). In einem Aufsatz der Deutschen Ev. Kirchenzeitung „Die freie theologische in Herford" 2 ) setzte sich der Verfasser — wohl Adolf Stöcker — mit der Antwort des Präsidenten Barkhausen an Bodelschwingh vom 30. 3. 95 auseinander. Er kritisierte, daß der Präsident in einer so wichtigen Angelegenheit selbständig handle und nicht nach der Gepflogenheit im Auftrag des Kollegiums redet. Auch der Inhalt seines Schreibens könne nicht die Gemüter beruhigen. Barkhausen nenne die Gedanken Bodelschwinghs „hochbedenklich und verhängnisvoll", aber er sage kein Wort darüber, „daß die Verwüstung des Bekenntnisstandes unserer Kirche durch ihre staatlich angestellten Lehrern viel bedenklicher und verhängnisvoller ist". Zu dem Plan Bodelschwinghs selbst erklärte der Verfasser, daß er keine Abhilfe für die vorhandene Not sei. Es sei aussichtslos, daß ein freier Bildungsgang der Theologen in der Generalsynode und Parlament eine gesetzliche Anerkennung finden werde. Auch die Beschaffung der Mittel sei schwierig. Vor allem aber werde durch eine freie theologische Fakultät die Unterrichtsverwaltung auf ihrem verhängnisvollem Weg bestärkt. In den Synoden müsse entscheidender ein unermüdlicher Kampf gegen die Irrlehre auf Kathedern geführt werden. Außerdem fordert der Verfasser, daß die Kirche sich eine wirksame Beteiligung bei der Besetzung der theologischen Lehrstühle erkämpfe. Mit diesem Aufsatz war der Seitenweg Bodelschwinghs zum Hauptweg zurückgeführt worden: zur Frage theologische Wissenschaft und Bekenntnis bzw. Fakultäten und Kirche. Dabei hat sich Bodelschwingh in der Hauptfrage durchaus als „Treiber" erwiesen. Die Frage theologische Fakultät und Kirche kam auf der Landeskirchlichen Versammlung am 8. Mai in Berlin zur Verhandlung. Von verschiedenen Seiten waren zu dieser Frage Thesen aufgestellt worden8). In ihnen wurde die Besetzung der theologischen Lehrstühle unter Mitwirkung der Kirche gefordert. Der Plan Bodelschwinghs wurde abgelehnt. In einer Resolution wurde gefordert, daß die Kirche geeigneten Pfarrern den Auftrag geben solle, gemäß der akademischen Ordnung in die Fakultäten einzutreten. Ihre Besoldung solle von der Kirche aus sichergestellt werden. Außerdem solle an allen Fakultäten Theologenkonvikte eingerichtet werden. Bemerkenswert war bei dieser Versammlung, daß unter den 1200 Teilnehmern die Greifswalder Fakultät fast vollzählig mit Cremer, v. Nathusius, Haußleiter, Schultze erschienen war. *) Protest. Kirchenzeitung 42 Nr. 13, Sp. 309. ») Allg. Ev. Luth. Kirchenz. 28, Nr. 16, S. 380. *) Protest Kirchenz. 42 Nr. 20 S. 467ft. D E K Z . 9, Nr. 4, 20, S. 190ff.

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Schlatter und Strack von der Berliner Fakultät waren da, Kahler von Halle war durch Krankheit am Kommen verhindert. Schlatter und Strack wurden wegen ihrer Anwesenheit in der nationalliberalen Presse heftig angegriffen 1 ). Einen umfangreichen Bericht der Versammlung brachte die Allg. E v . Lutherische Kirchenzeitung 2 ). Auch die Lutherische Konferenz der Provinz Brandenburg in Freienwalde am 17. 9. 95 beschäftigte sich in einem Referat mit dem Vorschlag Bodelschwinghs. Nach Befürwortung durch den Referenten wurde das für und wieder erörtert und schließlich die Weiterbearbeitung der Angelegenheit einer Kommission übergeben 3 ). Bodelschwingh erlebte auf der Landeskirchlichen Versammlung in Berlin die Ablehnung seines Planes. Nachdem er dort bereits in der Aussprache das Wort genommen hatte, erklärte er in der Kreuzzeitung, daß sein Gedanke einer freien theologischen Fakultät noch nicht zur Diskussion in einer so großen Versammlung reif sei. Dabei betonte er, daß er die staatlichen Fakultäten nicht für überflüssig halte. Um die Zustimmung zweier kompetenter Persönlichkeiten zu seinem Plan zu beweisen, fügt er seinen Ausführungen je einen Brief des Basler Alttestamentlers C. von Orelli und des früheren preußischen Kultusministers Graf von Zedlitz bei. Ihre Stellungnahme gehe mit seinem Anliegen konform. Eine Pflanzstätte und Erziehungsstätte künftiger Universitätslehrer ist der eigentlich treibende Gedanke gewesen. Bei einer freien Fakultät sei das Augenmerk demgemäß nicht zuerst auf die Studenten, sondern auf die Dozenten zu richten. Sie sollen nicht gleich auf Lebenszeit berufen werden, sondern es solle die Möglichkeit bestehen, daß sie wieder ins Pfarramt gehen, wenn sie für den akademischen Beruf nicht taugen. Darum bedarf dieses Werk auch keiner so großen materiellen Sicherheit. „Eine notwendige Bedingung auch für dieses Werk zu seinem fröhlichen Gedeihen — ist Armut —. Wir wollen ja an dasselbe Männer des Glaubens berufen, — die nach keinen irdischen Sicherheiten fragen." Die freie theologische Fakultät solle „keine Hochburg exklusiver lutherischer Orthodoxie" sein, sondern auch reformierte Mitarbeiter sind willkommen. Aber es sollen keine halbierten Leute sein, sondern Männer wahrhaft göttlichen Sinnes und göttlicher Ausrüstung, voll lebendiger Gotteserkenntnis und feuriger Liebe zu Gott und dem Sohn Gottes — frei von aller Menschenfurcht. Trotzdem sein Gedanke auf viele Widerstände gestoßen sei, sei er frohgemut im Vertrauen auf Gott, dem er auch dies Werk anvertraue 4 ). *) Nationalzeitung v. 16. 5. 1895. l ) Nr. 22 — 27 (1895). *) Protestant. Kirchenz. 42 Nr. 41 Sp. 982 ff. *) Allg. Ev. Luth. Kirchenz. 28, Nr. 24, Sp. 562 ff. Gekürzt Prot. Kirchenz. 42, Nr. 23, Sp. 549ff.

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Unzweifelhaft hat Bodelschwingh in allen Ausführungen über seinen Plan wichtige Grundsätze aufgestellt, die immer wieder von den Kirchlichen Hochschulen beherzigt werden sollten. Sein Gottvertrauen ist in der Gegenwart besonders notwendig. Aber auch die rein taktische Haltung Bodelschwinghs ist beachtenswert. G. Merz weist darauf hin, daß Bodelschwingh es bei der Frage der freien Fakultät hielt, wie er es auch sonst tat. „Gedanken, die er für richtig hielt, trug er beim ersten Versuch zögernd vor und war bestrebt, womöglich andere sie ausführen zu lassen". Als er im Jahre 1904 die Theologische Schule in Bethel gründete, kümmerte er sich nicht um seine Gegner. Seine Rede bei der Gründung begann mit dem Satz: „Wir haben nicht mehr zu fragen, ob die Theologische Schule gegründet wird; denn das steht fest. Wir haben nur noch zu fragen, wie sie gegründet wird 1 ). Die Auseinandersetzung um die freie theologische Fakultät hat das Problem theologische Wissenschaft und Bekenntnis, wie auch theologische Fakultät und Kirche sichtbar werden lassen. Die Theologie der letzten Jahrzehnte und der Kirchenkampf haben hier zu neuen Erkenntnissen geführt. In der Gegenwart liegen dazu verschiedene Äußerungen vor 4 ). Auch das Verhältnis Theologische Fakultäten und Kirchliche Hochschulen hat weithin eine Klärung erfahren. Geblieben ist das Problem Theologische Fakultät und Kirche. Es ist letzthin eine Frage des Verhältnisses von Staat und Kirche, aber auch eine Frage des Problemkreises Theologie und Kirche. Soweit die Frage der Vorbildung zum kirchlichen Dienst berührt wird, haben die Kirchenleitungen eine Regelung getroffen. Beilage 1.

Praesidialia II. Abt., Nr. 37

B o d e l s c h w i n g h an den P r ä s i d e n t e n d. EOK. B a r k h a u s e n Euer Exzellenz

Bethel b. Bielefeld, 9. März 1895

erlaube ich mir ehrerbietigst einliegenden auf der Pastoralkonferenz zu Bielefeld gehaltenen Vortrag zu überreichen. Derselbe war nicht zum Druck bestimmt, aber nachdem ich nun von allen Seiten hier interpelliert werde, und man die Sache schon mißversteht, als ob ich mit dem Gedanken einer Kirchlichen Hochschule schon etwa auf eine freie Kirche losgehe, habe ich mich verpflichtet gehalten, in dieser Form die Sache richtig zu stellen. Ich bin für meine Person a

G. Merz, Jahrb. d. Theol. Schule Bethel 9 (1938), S. 53. ') Theol. Literaturzeitung 72 (1947), Nr. 3, Sp. 157ff., 75 (1950) Nr. 6, Sp. 321 ff. Zeichen der Zeit, 1950, Heft 10, S. 381.

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überzeugt — und viele theilen die Überzeugung mit mir, — daß der hier vorgeschlagene Weg der sicherste und der leichteste, auch unsere staatlichen Hochschulen wieder in die rechten Bahnen zu lenken und ihnen ihre Pflicht der Kirche gegenüber zum Bewußtsein zu bringen. — Die meisten Professoren kümmern sich jetzt um die Kirche und ihre berechtigten Forderungen garnicht! — Es kommt ja natürlich alles darauf an, wie Se Exzellenz der Herr Kultusminister und der Oberkirchenrath sich dazustellen, ob man eine solche höhere Kirchenschule in gleicher Linie, wie das Gymnasium zu Gütersloh für die Abgangsprüfung der Abiturienten, f ü r die Theologiestudenten gelten lassen w i r d und ihnen die hier ver-

brachten Semester anrechnen.

Ich bin überzeugt, daß ein freundliches Eingehen des Staates auf diese Bitte die noch immer hochgehenden Wellen beschwichtigen und ein sicheres Mittel sein wird, eine Trennung von Kirche und Staat, die ich für beide Theile für ein Unglück halte, dauernd kräftig zurückdämme! Ehrerbietigst Euer Exzellenz gehorsamster F. Bodelschwingh d- 25-3-95 Der schon am 9. März geschriebene Brief ist liegen geblieben, weil der Abdruck aus der Zeitung mit zu vielen Druckfehlern behaftet war und ich noch einen neuen Abzug machen lassen mußte. Inzwischen habe ich Fühlung genommen auf dem Kultusministerium und habe dort von Herrn Unterstaatssekretär gehört, daß staatliche Bedenken gegen ein solches bescheidenes Seminar, wie die römische Kirche deren mehrere hat, wohl nicht vorliegen würden. Eine Dispensation für eine Anzahl Semester, die dann nicht auf der Universität zugebracht werden müssen, würde nach seiner Ansicht leicht zu erreichen sein. — Herr Geheimrat Althoff schlug ein landeskirchliches theologisches Konvikt in größerem Stil in Göttingen vor, allein für ein solches würden die Mittel nicht zusammen zu bringen sein, dessen bin ich sicher. Unsere Seminare für Kandidaten der Theologen erfüllen, soweit meine Augen sehen, ihren Zweck nicht, sie sind zu rein wissenschaftlich und der Ritschelianismus herrscht auf ihnen allen in mehr oder weniger unbeschränkter Macht, wenn auch die Leiter es nicht wollen! D. 0 . 158

Beilage 2

Bielefeld, 13. 4. 95

Mein hochverehrter Herr Präsident! Ein einliegendes Büchelchen bitte ich als s p ä t e s aber herzliches Dankeszeichen anzunehmen für die Worte liebreicher Theilnahme, die Sie mir nach dem Heimgange meiner Frau zugehen ließen. Verfasserin ist Frau Oberst von Zacha geb. Loewenfeld, meiner Frau treuste Freundin von ihrer Kindheit bis zum Grabe. Auf Ihr gütiges Schreiben das kirchl. Seminar betreffend, könnte ich noch nicht antworten. Das Gedränge der letzten Wochen war zu groß. Ich möchte heute nur dies sagen: Es ist meine feste Absicht in dieser Sache, kein Treiber zu sein, sondern sie ganz Gotteshand zu übergeben. Ist der Gedanke aus Gott, so wird er ja Fortgang haben und auch sein Gegner mit ihm zufrieden machen. Bemerken will ich nur, daß ich mich vorher der v o l l e n Zustimmung meines treuesten Berliner Freundes des Generalsuperintendenten Braun versichert hatte. Es war meine Bitte zu Gott, diesen trefflichen Mann, dessen Kräfte der Berliner Unruhe nicht mehr gewachsen, an die Spitze der Sache zu stellen, wenigstens für die geistliche Seite. Pastor Kuhlo sein und mein väterlicher Freund, sollte ihn begleiten und ihm als Rathgeber zur Seite stehen. Beide sollten die Dozenten in erster Linie berufen und allen Lehrern, wie Schülern Seelsorger und väterliche Freunde sein. — Wie schön würde damit der Feierabend dieser beiden treuen Männer noch auszufüllen sein und welch sicherer Hafen für manchen schiffbrüchigen oder dem Schiffbruch nahen jungen Theologen würde eine solche Stätte werden können zum Heil der ganzen Kirche. N i c h t von jungen Heißspornen, sondern von grauen Häuptern und nüchtern, streng landeskirchlich gesinnten Leuten bekomme ich warme Worte der Zustimmung wie denn auch der ganze Gedanke in ernstester Zeit, wie ich so sagen soll, dicht vor die Thore Jerusalems zur Welt geboren ist. — Über die Kandidaten Seminare werde ich nächstens nähere Mitteilung machen. Es liegen hier wirklich schwere Mißverständnisse vor, an denen aber die Leute nicht die Schuld tragen, sondern die Universitäten. Übrigens stimme ich der Hauptsache nach mit meinem lieben Schwager Kögel überein: die rechten Lehrer der Kirche müssen von Oben erbeten werden. In ehrerbietiger Verehrung Ihr Bodelschwingh

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Beilage 3 Seehospiz Amrum Mein

30. 5. 95

hochverehrter Herr Präsident!

Ihren Brief vom 26. *) April habe ich leider noch nicht beantwortet. Ich hatte die Hoffnung, mich Ihnen gegenüber persönlich eingehend aussprechen zu können. Dies ist nur leider bei meinem Besuch in Berlin nicht gelungen, und so sehe ich mich genötigt, doch zur Feder zu greifen, um Ihnen Rechenschaft zu geben und einige schmerzliche Mißverständnisse wegzuräumen. Es hat Sie betrübt, daß ich über die oberste Kirchenbehörde hinweg direct mit den staatlichen Behörden verhandelt habe. — Die Sache liegt nun tatsächlich doch anders. Ich bin während der Generalsynode allerdings zum Kultusminister gegangen, um über unser Kandidatenkonvict mit ihm zu reden. Dies war wenigstens meine erste Veranlassung, diese Stiftung, welche wir ja Ihrer Liebe verdanken, während sie noch Unterstaatssecretär waren, hat ja nun einen sehr lieblichen Fortgang gehabt. Es sind selten unter 15 Candidaten der Theologie bei uns und ich bin genötigt gewesen, da es mir an Zeit gebrach, mich derselben gründlich anzunehmen, unseren Vorstand zu bitten, zur Leitung des Convictes einen eigenen Geistlichen zu berufen. In dieser Sache ist ja nur in der That das Kultusministerium meine oberste kirchliche Behörde. Die drei neuen Provinzen, welche statutarisch unseren Anstalten angeschlossen sind, und von denen der Minister wünscht, daß wir die Candidaten vornehmlich nehmen möchten, unterstehen überdies speziell seiner Oberaufsicht. Bei dieser Gelegenheit kamen wir zum Schluß auch auf die brennende Frage: Die Beteiligung der Kirche bei Besetzung der Theologischen Fakultäten, und hier ließ der Herr Minister das Wort von den bischöflichen Seminaren fallen, doch habe ich darüber garnicht mit ihm weiter verhandelt, sondern ich habe den Gedanken einer ähnlichen Stiftung für unsere Kirche zu schaffen zuerst mit Herrn Generalsuperintendent Braun besprochen, und ich bin gerade von ihm in dem Vorsatz bestärkt worden, diesem Gedanken Ausdruck zu geben. — Wenn derselbe nur jetzt nachträglich sagen läßt, er habe bei dieser freien kirchlichen Schule nur an die Zeit nach dem Triennium gedacht, so widerspricht das meiner Auffassung n i c h t , wenn ich auch die Hoffnung hege, daß die Sache auch der Zeit v o r dem Triennium dienen könnte, und in einigen Fällen auch w ä h r e n d desselben. Jedenfalls war ich mir seiner *) Muß wohl 16. 4. heißen.

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wannen Zustimmung sicher, wenn er auch meiner Bitte nicht entsprach, daß ich seinen Namen öffentlich nennen dürfe. — Mein Pietätsverhältnis meiner obersten Kirchenbehörde gegenüber irgendwie zu verletzen, bin ich mir keinen Augenblick bewußt gewesen, dagegen bin ich mir bewußt, daß keinerlei Voreiligkeit noch irgendwelcher Eigenwille, sondern große Gewissensnoth namentlich der uns so ernstlich auferlegte Eid mich gedrungen hat, jene Rede nieder zu schreiben. Wir sind doch verpflichtet worden vor Gottes Angesicht, Zeit und Kraft während der Generalsynode den großen Fragen zu widmen, die uns vorgelegt waren und dazu gehörte doch die b r e n n e n d s t e von allen die Frage wegen der theologischen Professuren. Ich bin auch ohne mein Zutun durch meine näheren Freunde, namentlich dem Superintendenten Volkening speziell um dieser Frage willen in die Unterrichtskommission hineingedrängt worden. Da können Sie es mir gar nicht verdenken, wenn man bei seiner Heimkehr nicht gerne angesehen sein will als Jemand, der seine Schuldigkeit Gott und der Kirche gegenüber nicht gethan hat. Haben doch eine ganze Menge von Personen, namentlich Pastoren, in dieser bewegten Zeit Vorschläge aller Art gemacht, wie der Noth in dieser brennenden Frage abzuhelfen sei, warum soll ich es nicht auch thun? Allerdings habe ich die Tragweite der Sache nicht ganz übersehen als ich in einer Synodalkonferenz meine n i c h t gehaltene Rede verlas. — Die überall umgetragenen falschen Gerüchte zwangen mich zur Klärung meines Gedankens auch gerade den Synodalmitgliedern gegenüber, und dieselben Einstellungen, die auch jetzt wieder bei der landeskirchlichen Versammlung ans Licht traten haben mich jetzt gezwungen, noch einmal an die Öffentlichkeit zu treten, wozu ich von mir aus nicht die geringste Lust verspürte. Ganz besonders bin ich aber genötigt worden, noch einmal öffentlich hervorzutreten, um die Leiter unserer verschiedenen Predigerseminare, welche durch die Veröffentlichung Ihres offiziellen Briefes an mich gekränkt waren, zufrieden zu stellen. Speziell hat mein lieber Schwager Kögel eine Veröffentlichung von mir gefordert. Er hat ja auch zu meinem tiefen Schmerz besonders unter dieser Sache leiden müssen, da leider ein mir unbekannter Verfasser infolge Ihrer Veröffentlichung das Domstift in einer westphälischen Zeitung noch besonders angegriffen hatte. Es hatte sich so gefügt, daß in der Stunde als ich jene Worte über die Predigerseminare meiner Zuschrift an Sie beifügte, mir soeben über das Soester-Seminar durch einen mir persönlich nahestehenden Candidaten, der diesem Seminar angehörte, mitgeteilt war, daß seine Collegen gegenwärtig ziemlich alle der Ritschlschen Schule angehörten, wie dies übrigens auch allgemein in Westphalen bekannt ist und ebenso hatte gerade ein hervorragendes Glied des Berliner Seminars unser Convikt besucht, und hier offen 11

Kirch!. Jahrbuch 1951

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erzählt, daß nachdem mein Sohn und noch ein anderes Mitglied samt ihm das Convikt verlassen, die Ritschlsche Schule auch dort in ihren leitenden Persönlichkeiten zur Alleinherrschaft gelangt sei. Ob dies zu beweisen, ist eine andere Frage. ( E i g e n h ä n d i g e R a n d b e m e r k u n g . ) Bitte herzlich dies meinem an dieser Sache so völlig unschuldigen Schwager Kögel nicht noch einmal zu sagen. Ich habe ihm alles geschrieben und gesagt, wie der so sehr schmerzl. Zeitungsartikel entstanden. Landrath Backhaus in Hofgeismar klagte in ähnlicher Weise, beson-

ders in Bezug auf den Mangel an praktischer Ausbildung über das

Seminar in Hofgeismar, dessen Zöglinge ja meistenteils über dies der Marburger Universität und darum auch dieser theologischen Richtung angehören. Die Vorsteher dieser Seminare P. P. Nottebohm und Klingener sind mir ebenso wie mein Schwager liebe Freunde, die ich ebenso wie letzteren in ihrer theologischen Stellung für völlig correct halte und deren große Hingabe und eisernen Fleiß in ihrer Arbeit ich bewundere. Gerade diesen war ich nicht nur privater, sondern auch öffentlicher Rechtfertigung schuldig. Ich wäre sehr dankbar gewesen, wenn Sie private Rückfrage bei mir genommen hätten, so würde ich namentlich meinem armen Schwager diesen großen Schmerz erspart haben. Als ich Anfang März in Angelegenheiten unserer Verpflegungs-StationsSache in Berlin war, besuchte ich mit Herrn Landrath Beckhaus aus Hofgeismar alle Minister, so weit sie zu finden waren, um sie zu bewegen, dem neuen Gesetzentwurf zuzustimmen. Lediglich aus diesem Grunde kam ich mit genannten Herren auch zum Herrn Unterstaatssecretär v. Weihrauch. Nachdem wir dieses Anliegen zu Ende gebracht, fing derselbe ohne irgend welche Veranlassung meinerseits von der freien kirchlichen Schule zu reden an und sprach sich, nachdem er die Sachlage überschaut, daß dieselbe lediglich der Landeskirche dienen und Mithilfe leisten wolle bekenntnistreue Dozenten für die Universitäten heranzubilden, überaus wohlwollend über dieses Project aus. J a , er ging viel weiter als meine ursprünglichen Hoffnungen waren. Er sprach seine Uberzeugung aus, daß staatlicherseits diesem Unternehmen nicht nur keinerlei Schwierigkeiten entgegen gesetzt werden könnten, sondern daß auch der Herr Minister Dispensationen für die Zeit während des Trienniums nicht werden versagen können. Auf das Urtheil eines so bewährten Dieners der Kirche und erfahrenen Juristen an entscheidender Stelle, konnte ich wohl wagen, meine Hoffnung auszusprechen, daß von Seiten des Staates dem Projecte entscheidende Hindernisse nicht bereitet würden. Daß seitens der Kirchenleitung solche Schwierigkeiten entstehen könnten, lag in der That ganz außerhalb meiner Befürchtungen. Ich schreibe dies nur, damit Sie sehen, daß ich auch in 162

dieser Sache nicht pietätlos gehandelt habe. Die Äußerung des Unterstaatssecretärs im Kultusministerium sind mir ganz ungesucht in den Schoß gefallen. Daß der Herr Minister eine entschieden andere Stellung dazu einnimmt als sein Unterstaatssecretär, ist mir nachträglich bekannt geworden, doch habe ich gute Zuversicht, daß er seine Absicht ändern wird, sobald er ganz klar sieht, wie die Sache gemeint ist, und dasselbe hoffe ich eben so fröhlich von Ihnen! Ich bin in der Sache selbst wirklich kein Treiber gewesen und treibe auch jetzt nicht, wie Sie aus dem Schluß meiner Veröffentlichung ersehen. Es sind verschiedene andere Freunde, welche nach jener Conferenz den Gedanken aufgegriffen haben und weiter verfolgen. Es sind dies Männer von der größten Nüchternheit, Weisheit und Lebenserfahrung, denen das Wohl der Landeskirche am Herzen liegt, und die gerade durch diese kirchliche Mitarbeit verhüten möchten, daß gefährliche Spaltungen entstehen, wie solche in der That, wenigstens im Westen drohen. Ich bitte Sie herzlich, hochverehrter Herr Präsident, diese Darlegung freundlich aufzunehmen, im übrigen aber den Rath Gamaliels zu dem Ihrigen zu machen. Sie kommen dann nicht in Gefahr, ein Werk aufzuhalten, das möglicherweise von Gott ist, und dem er möglicherweise bereits Seinen Segen zugedacht hat. Außer unserem General-Superintendenten Nebe (der in einem früheren etwas neutral gehaltenen Briefe mir bereits als einen passenderen Ort als Herford, Höxter mit seinem schönen Klostergebäude genannt), ist auch nicht eine einzige Stimme von irgendwelcher Bedeutung, die sich gegen den Gedanken ausgesprochen hat. Prinzipiell selbst mein Schwager Kögel nicht. Er hatte nur den Mangel einer ausreichenden Bibliothek außerhalb einer Universität zu bedenken gegeben und außerdem die Überlastung meiner eigenen Person. Im letzten Stück hatte Gott bereits gesorgt und andere Hände für die Sache geschenkt. In Bezug auf letzteren Punkt ist es mir Bedürfnis, Ihnen auch noch Rechenschaft zu geben, da j a unsere Anstalt als einheitliche Kirchengemeinde unter Aufsicht des Oberkirchenrathes steht. Sie haben sich bei Ihrem neulichen Besuch in Witten Pastor Gräber gegenüber sehr besorgt über die Zukunft unserer Anstalt ausgesprochen, als ob deren Bestand von meiner Person abhängig wäre und so auf einem sehr ungesunden Boden stände. Das ist Gottlob doch garnicht der Fall. Zuerst muß ich den vielfach bestehenden Irrthum abweisen, als ob ich etwa ein allezeit Mehrer unseres kleinen Reiches sei. Es liegt mir im Gegentheil alles daran, daß unsere Sachen nicht zu groß werden. Ich habe einen großen Theil meiner Zeit daran gewendet, und wende sie täglich daran, unsere Arbeit auf andere tragende Schultern zu schieben. ii«

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Durch unausgesetzte Mühe ist es gelungen, daß statt einer Anstalt für Epileptische, die vor 25 Jahren bestand, nur 15 geworden sind. Das gleiche ist mit den Arbeiter-Colonnen geschehen, wo nun 27 Schultern mittragen helfen. Vor 10 Jahren konnten wir uns der nicht epileptischen Blöden Westphalens gar nicht mehr erwehren. Wir hatten über 100 solcher in unserer Anstalt. Wir haben selbst zunächst auf unsere Corporationsrechte hin einen Hof im Wesergebirge erworben und jetzt hat der Wittekindshof für blöde Westphalen eigene Corporationsrechte und wir haben alle Blöden dahin abgegeben und auch alle Leitung und

Verantwortung.

Ebenso ist es in der Diakonissensache. Wir haben uns nicht nur für die Gründung der neuen umliegenden Diakonissenhäuser Witten, Sobernhaim, Arolsen, Oldenburg lebhaft bemüht, sondern haben auch für dieselben bedeutende Opfer gebracht, indem wir ihnen die leitenden und erziehenden Schwestern gestellt haben und noch stellen und sehr viele junge Schwestern für diese jungen Anstalten bei uns vorbilden. Alles immer wieder mit dem Verlangen, unsere eigene Arbeit auf ein gesundes Maß zurückzubringen. Auch gegen die immer wieder uns zugemutete Arbeit, den Mittelpunkt der Ostafrikanischen Mission nach Bielefeld zu verlegen, wehre ich mich mit vollster Entschlossenheit, wir bleiben, will's Gott, bei der bescheidenen Aufgabe stehen, nur die Arbeiter für dies Arbeitsfeld auszurüsten. Was nun die Organisation unseres Werkes anbelangt, so ist dieselbe wirklich von Jahr zu Jahr immer fester und geordneter geworden. Unsere Statuten haben durch eine sehr sorgfältige Umarbeitung eine einheitliche Gestalt gewonnen. Unsere materiellen Verhältnisse sind immer günstiger geworden, immer reifere und zuverlässigere Persönlichkeiten hat uns Gott für die wichtigeren Stellungen in der Verwaltung geschenkt, und ich kann meinerseits wirklich jeden Augenblick getrost die Augeu zuthun. soweit es die Sorge um den Bestand dieses Liebeswerkes angeht, das ich weder ins Leben gerufen habe noch auch für dessen Aufbau und Erhaltung irgend wie mehr geleistet als eine ganze Anzahl treubewährter Mitarbeiter, die nur den Vortheil haben, mehr in der Stille arbeiten zu dürfen, während mir in meiner Berufung die Vertretung nach außen zugefallen ist. Ich würde Ihnen sehr dankbar sein, hochverehrter Herr Präsident, wenn Sie wieder einmal, wie in alten Tagen zu uns kämen und sich eingehend bei uns umsehen, oder aber einen Commissarius schickten, der Ihnen über alles gründliche Beruhigung verschaffte. Es kann mir wirklich nicht gleichgültig sein, wie Ihr Herz zu unserer Sache steht und wie Sie über uns denken.

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(Eigenhändig) Schließlich bitte ich um Verzeihung, daß ich zum Besten Ihrer Augen die Feder eines Pfleglings unserer Anstalt benutzt habe, der hier Baldegast ist — und auch dafür, daß ich nicht gleiches mit gleichem vergolten, und Sie nicht mit „Exzellenz" angeredet habe. Es thut mir wehe, daß ich auch in Ihrem Privatbrief mit einmal „Hochwürden" geworden bin. Es ist mir nicht das geringste bewußt, wodurch Ihre mir langjährig bewiesene wohltuende Freundschaft und Ihr feierüches Vertrauen verscherzt hätte. Vergeben Sie, hochverehrter Herr Präsident, diese ausführliche Aussprache und antworten Sie mir — ich bitte herzlich darum — nicht schriftlich darauf. Ich möchte Ihre Zeit Ihnen nicht rauben und will mir die Antwort bei nächster Anwesenheit in Berlin, wenn Sie es gestatten — mündlich holen. Mit dem sehnlichen Wunsche — wie in alten Tagen gemeinsam mit Ihnen und eines Sinnes am Bau unserer Kirche und an der Ausfüllung ihrer Mauerlücken arbeiten zu dürfen, bleibe ich in ehrbietigen Zutrauen Ihr geringer Mitarbeiter Bodelschwingh

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Vom Leben unserer Hochschule heute Von Marlin Fischer

Eine Momentaufnahme mitten in einem ständigen Bemühen um die Kirchliche Hochschule ist geplant und aufgegeben. Beim ersten Nachdenken schon wird man dessen inne, wie vielschichtig dieses Leben an unserer Hochschule ist. Jede deutende Zusammenschau ist fragwürdig. Gewiß ist nur, daß ein täglich waches Leben mit der Hochschule gefordert ist. Ihr geistliches Gesicht kann schnell verfallen. Dies ist möglicherweise für Außenstehende (und sie kann es auch mitten in der Hochschule geben) kaum merklich, und kann sich doch „prinzipiell", also in unvermerkten Anfängen schon vollzogen haben. Gleichzeitig wird die Hochschule von Tag zu Tag erneuert, über Schuld und Verfall erhalten durch Gott, durch Wahrheit, durch selbstlosen Dienst durch den erhaltenden „produktiven Mißbrauch", den Gott noch mit schuldhaften Entscheidungen treiben kann, um zu verwandeln in eine Gestalt des Lebens, was eine Gestalt verirrter Entscheidungen sein könnte. . . Es ist ja nicht leicht, Menschen beisammen zu halten mit der ungewohnten Aufgabe, im Ganzen zu denken. Spezielle Prinzipien, sich rühmende unkritische Gewißheiten auf den verschiedensten Gebieten, fremde ebenso ungeprüfte Herrschaften von kirchlichen oder ideologischen Ansprüchen, Ehr- und Prestigegesichtspunkte und was dergleichen „unbestreitbare" Positionen mehr sind, können wie zerreißende, quälende, gefährdende Gewalten wirken. Die Träger verschiedener Gaben, die immer in sich das Ganze darzustellen suchen oder aber auch ihre Stimme resigniert verstummen lassen, weil sie zum Erstellen eines Ganzen keine zuversichtliche Geduld haben, gilt es beisammenzuhalten und mit ihren verschiedenen Gaben für ein Ganzes fruchtbar werden zu lassen. Können Spezialisten ein Ganzes liebbehalten? Können sie es auch dann, wenn sie „ R e c h t " haben ? Wer verzichtet zu früh auf seine Stimme? Wer kann hören? Wer kann für den anderen mitdenken, j a mitbeten (ohne Mitbeten für den anderen würden die Verhältnisse ja gottlos und sind es eben deshalb in Kirche und Welt so oft) ? Dieses „ I m Ganzen denken" müßte dabei auch das leibhafte Ganze (hier nun also:) der Kirchlichen Hochschule im Auge haben. Und das 166

leibhafte Ganze meint wirklich etwas mehr als das lamentierend beklagte, leidige Band der finanziellen Notwendigkeiten. Gut, daß uns humanistisch zur Verachtung der Materie verdorbenen Akademikern diese letzte Bindung an ein Stück irdischer Verantwortung bleibt. Man müßte sie freilich nicht auf den Kurator allein abtasten. Der mühselige Kampf um die Erhaltung der Lebenskosten aller Dozenten und Angestellten gehört mit zum Leben der Hochschule, auch wenn er für vieler Ohren unhörbar vor sich geht. Der Auseinanderfall von Kuratorium und Dozentenkollegium und ihr Tagen zu verschiedenen Zeiten liegt nach der Tradition der Universitäten nahe, ist aber nicht immer gut. In Wirklichkeit ist die Aufgabe und Tatsache der leibhaftigen Gestalt einer Hochschule viel durchgreifender, vielfältiger und schwieriger. Es geht in einer Hochschule überall, insonderheit bei ihren Studenten um leibhaftige Menschen, nicht nur um ihre (zu garantierenden) intellektuellen Fortschritte, sondern um ihren ganzen Weg und ihr ganzes Wesen. Was sie werden, wie sie miteinander leben, welche Lebensentscheidungen sie fällen, in welche Verbindung sie zueinander kommen, welche Ordnungen sie sich schaffen und geduldig bejahen, welches Wort sie ausmacht, wenn sie reden, welche Lebensformen sie gestalten, welche Hilfsmittel sie beherrschen lernen — von der Wissenschaft der Spezialisten bis zur Technik der Lebensgestaltung —, wie sich ihre Lebensbedürfnisse alle Tage regeln, welches ihr Anteil am kirchlichen und politischen Bereich ist — wie sie also hier fruchtbar oder schuldig werden, das und vieles andere will ja in leibhaftiger vor Gott und Menschen verantwortlicher Einheit (bei aller Vielfalt) entschieden werden. Individualismus (also gefährliche Schwäche? Impotenz? Hochmut? Mangel an Verantwortung?) und Spezialistentum (also gewissenhafte Kleinarbeit ? falsche Einengung ? Besessenheit durch Diktat von Methoden und Ideologien ?) gefährden seit alters die akademischen Gemeinschaften. Ist dies auch in einer Kirchlichen Hochschule Gefahr? Was ist Wort und Wesen unserer Kirchlichen Hochschule? Wenn sie im Raum der Kirche zu Worte gerufen wird — was ist ihr Wort? Wen unter ihren Mitarbeitern ruft die Kirche ? Wen ruft die Öffentlichkeit ? Wer läßt sich rufen ? Auf welchen gemeinsamen biblischen Erkenntnissen, auf welcher Gemeinsamkeit an Wort und Sakrament beruht ihr Wort, ihr tägliches Forschen und Lehren ? Wie wird die Gemeinsamkeit unter dem (gemeinsam-einsam) gehörten Wort verwirklicht ? Wie wird die vorgegebene Einheit des Herrn und des Glaubens sinnfällig unter den vielfältigen Gesichtspunkten, Urteilen, Vorurteilen der vielen Mitarbeiter? Wer hat Autorität im Kreis? Ist es begründete Autorität? Hält die Begründung Stich vor Gott und den Brüdern angesichts der nach dem Dienst fragenden Größen Kirche und Welt (Volk) ? 167

Wenn das Wort Bekenntnis nicht im Sinne eines verantwortungsmüden Symbollegalismus klangarm geworden wäre, müßte man fragen: welches Bekenntnis gestaltet die Arbeit, also welches die Positionen des Bösen, der Lüge, der Lästerung und der Versuchung angreifende Bekenntnis gestaltet die Arbeit — vom Studium Universale bis zur Praktischen Theologie, von der Morgenandacht bis zum SemesterSchlußfest ? Wie wird dieses Bekenntnis von dem Herrn der Wahrheit von Tag zu Tage erneuert ? Wie bleibt es dasselbe Bekenntnis der Väter, die der leibhaftigen Kirche des Herrn zu ihren Zeiten den Dienst des B e k e n n e n s t a t e n ? In welchem Bekenntnis integriert sich die Hochschulc ?

Sollte man den Versuch machen, dieses Bekenntnis heute — in einer Momentaufnahme eben — zu definieren ? Es wird ja von Gott im Himmel, und von dem Versucher, der nur noch kurze Zeit hat, definiert gesehen, erkannt und gebraucht — wie wir selber es so klar definiert nicht sehen und erkennen können! In diesen Fragen wird deutlich, wie wenig eine Momentaufnahme möglich ist. Vielleicht ist es Momentaufnahme genug, zu bekennen, daß wir von diesen Fragen und Nöten umgetrieben sind; Momentaufnahme über den Werdenden (den Studenten) und den Dienenden (den Dozenten und ihren mancherlei Helfern). Aber wer ist hier nicht im Werden ? Die Gefahr, aus dem Werden zu fallen, droht dabei wahrlich nicht nur den in irgendeiner Sekurität ermüdenden und sich verkrustenden Alten. Sie droht ja oft genug schon den Studenten. Das lebendige Wort allein erhält wirklich im Werden. Denn mit Werden ist hier nicht das biologische Werden — leiblich und geistig — gemeint, sondern das Verwandeln, mit dem Gott Fleisch und Blut für sich in Anspruch nimmt bis in die Winkel unseres Denkens hinein. Das fällige biologische Werden einer studentischen Jugend ist fesselnd und hoffnungsvoll genug. Man müßte ein seltsam langweiliger Geist sein, wenn es einen nicht immer wieder in ein bißchen Chiliasmus für die neuen Möglichkeiten der Kirche und der Welt brächte. Aber das eigentliche Werden hat mit den Wundern zu tun, von denen eine Kirchliche Hochschule lebt oder an deren Mangel sie auf alle Fälle — mag der Bestand an Lehrern, Begabungen, Mitteln und Möglichkeiten so groß sein wie immer — stirbt. So wie die Kirchliche Hochschule Berlin jetzt dasteht, ist sie ein äußerst spannungsreiches Ganzes. Außerdem haben die äußeren Verhältnisse dafür gesorgt, daß sie nicht zur Ruhe kommen konnte. Eigentlich war von Semester zu Semester ungewiß, ob überhaupt weitergearbeitet werden könnte. Dazu kam der Anfang aus einem Nichts und das stürmische Wachstum, das sie heute an die vierte Stelle unter den theologischen Lehranstalten Deutschlands gebracht hat, was die Zahl ihrer Stu denten anbetrifft. Das schwerblütige Werden neuer 168

kirchlicher Verhältnisse und die theologisch ganz uneinheitliche Lage haben sich widergespiegelt in der Kirchlichen Hochschule. Auch sie hat zu keinen Uniformen verhelfen können und auch nicht verhelfen wollen. Aber sie steht in einem lebendigen theologischen Kampf. Er findet seine Gestalt in den oft vielstündigen theologischen Lehrgesprächen ihrer Dozenten, aber doch auch in einem spannungsreichen und doch nahverbundenen Bestehen theologischer Versuche. Zwingende Aufgaben stellt die politische Situation mit den ständigen Deutungen und Mißdeutungen, die dem Versuch der Kirche, den entrechteten Menschen unter dem geschmähten Angesicht Christi zu erkennen und ihm zu dienen, widerfahren. Die politische Lage unterstreicht noch einmal besonders die Aufgabe der Hochschule, den Gemeinden Prediger des Wortes Gottes auszubilden und zuzuführen. Die ständige Ausrichtung auf das Amt an Menschen, denen das Wort Gottes als das rechtfertigende und rettende Wort zu bezeugen ist, hat hier eine unüberhörbare Dringlichkeit. Diesen Tatbestand zu erkennen, zwingt dabei, die Wahrheitsverpflichtung wissenschaftlicher Theologie um so ernster zu nehmen. Hinzu kommen die alten Nöte innerhalb der Kirchen und ihrer theologischen Traditionen. Nur langsam läßt das Mißtrauen gegen die Berliner Theologie mit ihren mutmaßlichen Hintermännern und Ansprüchen nach. Alle Einladung, sich an der theologischen Arbeit (mit derselben ungeschützten Hingabe an wirkliche Sachfragen) zu beteiligen, hat nicht den erwünschten Erfolg gehabt. Bücher der Dozenten könnten mit dem Unrecht voreiliger Plakatierungen längst aufgeräumt haben. Aber wer liest Bücher in der Hitze des konfessionellen Gefechts um Positionen ? Wem geht es um die Wahrheit ? Und um die Brüder? Und um das demütige Ausharren in der Schwachheit unserer Erkenntnis, über der doch alle Verheißung Gottes stehen könnte? Da sich diese Kämpfe immer auch finanziell auswirken, sind sie besonders bitter. Aber die Hochschule hat für richtig gehalten, unbekümmert „die Aufgabe des Tages" anzuerkennen. Sie hatte nie Gelegenheit in ihren Anfängen, ein wohlvorbereitetes personelles oder theologisches Programm zu entwickeln und zu verwirklichen. Sie hat das Notwendige leisten müssen. Sie hat nach den vorhandenen, nicht nach den wünschenswerten Kräften Ausschau halten müssen. Sie hat beginnen, nicht erst zuwarten müssen. Sie hat von Tag zu Tage das Fällige tun müssen. Die Studenten waren da mit sehr handgreiflichen Nöten, die meist Sofortforderungen bedeuteten. Geld war nicht da und mußte eben beschafft werden, und zwar immer neben der laufenden Arbeit. Der zähe Kampf um die bloße Existenz der Hochschule ging immer neben der täglichen Arbeit einher. Er durfte der täglichen Arbeit weder die Intensität noch den Frieden Gottes nehmen. Zu einer das Ganze durchtragenden Verkündigung — mindestens an die Studenten 169

gerichtet — mußte man sich geradezu hinflüchten. Die Wochenschlußandachten mit den kurzen Berichten zu allen fälligen Problemen der Kirche und der Hochschule haben manches verraten von unserer Not und mußten beitragen, eine leibhaftige, in eigenem Verständnis mitgehende Verantwortung der Studenten aufzurufen und der Hochschule sozusagen als inneres Gerüst zu erhalten. Das gottesdienstliche Leben mit den Angestellten in den Ferien hatte oft gleichsam etwas Priesterliches im Blick auf Leben und Gefahren, Werden und Planen der Studenten in ihren Ferien. Die Nachricht von einer Verhaftung etwa rüttelte auf, die Nachricht von einer Geldspende ließ danken, die N a c h r i c h t von

Synodalentscheidungen und dem Einsatz der Dozenten in diesen Kämpfen hielt in Atem, Erwerbungen in Hochschule und Bücherei, Ausgestaltungen in Räumen und Versammlungen bewegten das Mitbedenken, alle Entscheidungen, Verirrungen, Krankheit und Tod — das alles ist bis in diese täglichen Zusammenkünfte hinein mitgeteiltes Schicksal für alle Teilnehmer geworden. Kein Wunder, daß die Hochschule dadurch nach den verschiedensten Richtungen hin überfordert und angefordert wurde. Welchen theologischen Weg geht ihr? Wie klärt ihr unter euch die Fragen um Bultmann ? Was redet Ihr in Richtung Ost oder West ? Welche Studienreform betreibt und wünscht ihr bei euch und an den Fakultäten? Was ist euer Beitrag in Sachen der Una saneta, des Evangelischen Bundes — bis in alle Bereiche wissenschaftlicher und kirchlicher Einzelarbeiten ? Wie ersetzt ihr fehlende Schulbildung der Studenten? Wie treibt ihr den Sprachenunterricht ? Wie bestellt ihr die Kanzeln ? Was tut ihr für die Laien ? Wie dient ihr den Studentengemeinden ? Wie kann man eure Mitarbeit an Zeitschriften und Sammelwerken intensiver gestalten ? Was habt ihr zu den Fragen, die der Ökumene gestellt sind, zu sagen ? Was sagt ihr zum Kirchentag ? Welches Thema stellt ihr ihm ? Welche Mitarbeiter ? Welche Tagungen und Konferenzen veranstaltet ihr ? Wie bringt ihr Menschen unter in euren Ferien ? Wie löst ihr die soziale Frage in euren Häusern, für eure Studenten und Dozenten ? Wie schafft ihr Medikamente für die, die nun einmal bei Euch anklopfen ? Was tut ihr für die „Ehemaligen" ? Viele wohlbegründete, viele törichte Anforderungen sind gestellt. Andererseits drängten sich die Mitarbeiter herbei. Um der Studenten willen haben wir meist — abgesagt. Wir durften den Tisch nicht noch reicher decken. Im übrigen fehlte das Geld. Nicht selten lag den Bewerbern aber nur an der Mitarbeit, nicht am Geld. Schon früher ist zusammenfassend gesagt: selten sind Gebäude, Hilfsmittel und Menschen so strapaziert worden wie in dieser kleinen Hochschule. Bis der SvD. („Student vom Dienst") um 23 Uhr die Hochschule schließt, wird gearbeitet, ge„tagt", debattiert, musiziert, gespielt.

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Mitten in dem ländlichen Siedlungsgebiet Zehlendorfs steht da die Hochschule als das höchste Haus der Umgebung mit ihren erleuchteten Fensterreihen. Sie zieht seltsam an. Sie hält seltsam fest. Mitten in allen Zerreißproben unter diesem Dach herrscht doch gleichzeitig Zucht und Stille. Daß die Studenten sich hier wie in allen Konvikten ihr Abendgebet gemeinsam halten, geht nicht auf Pläne der Hochschulleitung zurück. Sie hätte vor einem Zuviel geistlicher Übung gewarnt. Aber die Studenten stemmen sich sozusagen selbst in die Gurte, die über der Gemeinschaft dieser Arbeit liegen. Unsichtbar sind dabei die Gemeinden anwesend, um deren Leben es geht. Man darf mitten in allen anfechtungsreichen Gegenfragen sagen: hier richtet sich das Gesicht ständig dem wartenden Anspruch der Menschen im Osten zu. Darin hat die Hochschule ganz am Schicksal Berlins teil. Und dies nicht nur in dem Sinn, daß die vierfach besetzte Stadt wie ein weltpolitisches Exerzierfeld gefordert ist, sondern viel mehr noch, daß hier für ein großes Ganzes ständig gedacht, gearbeitet und gebetet wird. Diese innere Anspannung gibt der Hochschule eine ganz eigenartige, wohl auch einzigartige Spannung. Der Blick ist im bisherigen Gang unserer Überlegungen nicht zufällig immer wieder auf die Studenten selbst gefallen. Wenn man von einer Kirchlichen Hochschule redet, muß man hier mehr als anderswo von ihnen reden. Sie sind weniger als irgendwo nur Objekte der lehrenden Arbeit, auch nicht nur aufrückend in die wissenschaftliche Mitarbeit. Sie sind angefordert zu einem Mittragen und Mitprägen des Ganzen und nehmen diese Aufgabe mit einer Zucht und gehorsamen Hingabe wahr, die das fast ungetrübte, ständig mit uns gehende, Glück unserer ganzen Arbeit bedeutet. Hier — mehr als bei den Älteren — wird etwas von der leibhaftigen Gemeinschaft des Dienstes Wirklichkeit, für das man in immer neuen Formen Ausdruck und Lebensformen sucht und findet. Da ordnet man sich in Ämtern, die oft viel Hingabe fordern, in denen es nicht selten ein schmerzhaftes Reifen und Gehorchenlernen gegenüber den eigenen Erkenntnissen geben muß. Hier gibt es Kämpfe um den Weg, um das rechte Wort in den Andachten, gegen den Ehrgeiz, gegen falsche Sicherheiten im frommen, im politischen, im gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Leben. Hier gibt es Studenten, die einen nahezu unersetzlichen Dienst leisten. Es sind oft die, die auch im wissenschaftlichen Arbeiten gleichzeitig einen besonderen Rang beanspruchen dürfen. Und wie eine Probe auf die Echtheit der jedes Semester neugewordenen Gemeinschaft steht am Ende jedes Semesters das Schlußfest mit Humor und Tanz. Bei den dürftigen äußeren Mitteln in unzulänglichen Räumen beglückt und erfreut die Teilnehmer eine immer neue Erfindungsgabe der Studenten, die solches Fest vorbereiten. Den Grund zu dieser Bewährungsprobe legen Vorgänge geistlicher und 171

geistiger Art, die sich aus einem — man entschuldige die vollen Ausdrücke, sie wollen der traditionellen Unterschätzung dieser Vorgänge entgegentreten — ständigen Ringen um den Weg ergeben. Man hat den Eindruck, in jedem Semester sozusagen Brust an Brust um den Geist des Ganzen ringen zu müssen. Gibt man einen Augenblick nach, verfällt die Sache geistlich und charakterlich. Dazu einen tragenden Kreis von Studenten aufzurufen, ist nun semesterlang gelungen. Und es wird nicht unwichtig sein, daß fast jeder Theologiestudent unseres Teiles von Deutschland durch diese von den Studenten ständig mitgeformte Gemeinschaft hindurchgegangen ist. Die wenigsten werden ahnen, wie

wichtig diese Vorgänge sind. Aber sie stehen unter ihrem Segen, einschließlich der Dozentenschaft. Den Dozenten mögen Arbeitszucht und „guter Geist" auffallen. Aber das ist nur ein Stück eines größeren Ganzen, zu dem sie ständig ihren Betrag leisten und von dem sie selbst getragen sind. Neben dem eigentlichen, dem wissenschaftlichen, theologischen und seelsorgerlichen Dienst der Dozenten besteht ein besonders schöner Beitrag darin, daß jeder Dozent seine Studentengruppe als Vertrauensdozent hat, für deren Glieder er eine persönliche Verantwortung zu tragen sucht. Hier geschieht in mancherlei Formen ein wichtiger Dienst. Praktisch sind von Studenten eine Fülle großer und kleiner Aufgaben zu erledigen. Das umständliche Währungsverfahren liegt in Händen von Studenten. Ehrenamtlich kann diesen Aufwand an Kraft und Zeit nur auf sich nehmen, wer es in der eben beschriebenen Zucht tut. Das Beieinanderleben in überbelegten Räumen stellt stündlich Aufgaben, die gelöst werden müssen, wenn die Arbeit erträglich bleiben soll. Die Ausgabe der Verpflegung (Schulspeisung) verlangt Studenten, die zufassen. Schuhbesohlen durch Studenten und Postbesorgen, Gefängnisbesuch und Krankenhaussingen, Hauskonzert und Spielfahrt, Mitarbeit in Presse oder Junger Gemeinde, Geldverdienen mit Plakatkleben und Transportarbeiten — das ergibt eine Fülle von Aufgaben und Diensten. In den Kleinkreisen legt sich Interesse und geistiges Leben in der Studentenschaft selbst aus. Dabei tritt ein ,,erweckter" Enthusiasmus sehr zurück. Eher hat das Leben etwas von einer grimmigen Nüchternheit, mit der das Notwendige und Fälüge erledigt wird, damit das Eigenthehe und Geforderte geschehen kann. Und mitten hinein kann ganz ursprüngliche, jugendliche Freude, Humor und Lachen zeigen, daß Lebenstüchtigkeit nicht Humorlosigkeit zu bedeuten braucht. Und die Einrede, ob hier nicht die praktischkirchlichen und die organisatorischen Aufgaben viel zu sehr in den Vordergrund treten, trifft in der Regel nicht das Richtige. Es ist zuzugeben, daß die „akademische", verspielte oder rart-pour-l'art-besessene Haltung fehlt. Sie kann auch kaum aufkommen angesichts des Lebensernstes, 172

der diese Studentengeneration prägt. Man kennt auch nicht nur,das akademische Leben. Wann je hätten so viele junge Theologen vor ihrem Studium nicht nur Dienst als Soldaten sondern die verschiedensten weltlichen Berufe erlernen und ausüben müssen! Viele haben nach dem Kriege zunächst „beim Bauern gearbeitet"— wie es stereotyp in vielen Lebensläufen heißt. Sie mußten sich oder gar die ganze Familie erhalten helfen, als sie von ihrem vorzeitigen militärischen Einsatz zurückkehrten. Und dann sind viele zunächst Maurer, Schuster, Tischler, Bäcker, Kaufleute, Bergarbeiter, Krankenpfleger und Arbeiter mit den verschiedensten Verrichtungen geworden. Das gegenseitige Verständnis dieser lebenserfahrenen Älteren und der Jüngsten, die das alles so nicht mehr erlebt haben, wird voraussichtlich eine der schwersten Aufgaben der nächsten Semester sein. Schon jetzt zeichnen sich notvolle Mißverständnisse zwischen den „Offizieren" — wie man falsch, aber charakteristisch die Studierenden von über 23 Jahren zusammenfassend nennt — und den salopperen, freiheitssüchtigen und bindungsscheuen Jüngeren ab. Diese jüngste Generation zu demselben Maß bescheidener, treuer Mitarbeit heranzuziehen, wird nicht leicht werden. Andererseits sind sie offener, ungeprägter und erwartungsvoller. Sie versprechen allen Demagogen schnellere Erfolge. Werden sie verstehen, daß eine Hochschule die ersehnte Demagogie und den erwünschten Enthusiasmus nicht aufbringen darf und kann? Ein ständiges, meist unbefriedigendes Gespräch geht in der Hochschule vor sich über das Frauenstudium. Nicht wenige Studentinnen haben schon zu Haus den ersten Widerstand gegen ihr Studium erfahren und sind äußerst empfindlich, wenn sie auch an der Hochschule Abweisung und unzureichendes Verständnis finden oder vermuten. Unritterliches Verhalten der Studenten erhöht das Unbehagen. Andererseits sind es gerade Studenten, die den ganzen Problemkreis aufmerksam mitbedenken. Neue Pfarrvikarinnenordnungen werden hoffentlich den Studentinnen ihren Studiengang erleichtern, weil ein erkennbarer Auftrag sichtbar wird. Daneben ist unerläßlich, daß die Vorbildung der Vikarin von Amts wegen durchdacht und verwirklicht wird. Wer wird dies tun ? Etwa 60 ehemalige Studenten der Kirchlichen Hochschule werden inzwischen in Vikariate hinübergegangen sein. Fast allzu unvermerkt, da die Examina meist nicht in der Hochschule gehalten werden. Wenn von diesen Ehemaligen Kunde zu uns dringt, ist es häufig Nachricht von Überforderung sofort nach dem Examen. Vier große Kirchdörfer mit 4 Kirchen, allem Unterricht und allen Amtshandlungen, heißt es hier; eine ganze Kleinstadt allein zu besorgen, heißt es dort. Kein Wunder, daß die Scheu, sich in diese Verantwortung binden zu lassen wächst. Durch Kirchenleitungen wird bekannt, daß besonders von den 173

Fakultäten her eine verdächtig große Zahl des Nachwuchses zu promovieren plant. Oft aus dem Empfinden heraus, auf diese Art in den vertrauteren Bezirken wissenschaftlicher Arbeit noch reifen zu dürfen, ehe man die überfordernde Arbeit im Vikariat beginnt. Hier werden die Predigerseminare mit ihrem Dienst einsetzen müssen. Sie müssen die Furcht vor dem Amt nehmen. Die Kirchliche Hochschule hat in Erkenntnis dieser Lage viel getan, um die Freudigkeit zum Amt durch Kenntnis der Verhältnisse zu nähren. So ist z. B. in die Aufgaben von Großstadt- und Landpfarramt eingeführt worden. Die Hochschule kann sich E x p e r i m e n t e leisten und h a t gute Erfahrungen

gemacht.

Sie hat die Aufgabe, Pfarrer zu erziehen, nicht nur humanistisch gelehrte Dokumentenforscher. So wird allererst wissenschaftliche Arbeit in ihrem hintergründigen Lebensernst erkennbar, während sie andernfalls zur Flucht vor unserer Wirklichkeit mißbraucht werden könnte. Man macht das theologische Studium nicht ärmer, wenn man seine historische und exegetische, seine dogmatische und philosophische Arbeit mit dem Dienst an den Gemeinden zusammendenkt und verbindet. Dies mag nicht gleichmäßig in jedes Dozenten Art und Auftrag liegen, — im Ganzen der Hochschule ist es jedoch unerläßlich. Jedes Stück des durchforschten Neuen Testaments entstammt ja dem Lebensvorgang, mit dem wir unsere wissenschaftliche Arbeit verbinden möchten. Die Volksmissionsfahrten und andere Formen von praktischem Einsatz verführen gelegentlich zu verfrühtem pastoralen Dienst. Recht verstanden öffnen sie aber den Blick für die Welt der Menschen, um derentwillen Christus gestorben ist. Und dieses Leben mit der Kirche im Dienst erinnert daran, daß jedes Theologiestudium der (wie die Betheler Brüder sagen) „Klärung, Festigung und Vertiefung des persönlichen Glaubens" dienen soll. Emster als die fehlende Verbindung zu den anderen Fakultäten einer Universität wiegt vielleicht der fehlende Kontakt zu anderen Ausbildungszweigen der Kirche, besonders zu dem der Diakonie. Der Spleen, daß jeder, der auf sich hält, Akademiker werden will, führt jeder Hochschule prächtige Menschen zu, die nicht an eine wissenschaftliche Lehrstätte gehören und sich dort Glanz und Kraft ihres Lebens verderben, weil ihre Gaben in andere Richtung weisen. Muß es sein, daß — um einen charakteristischen Einzelfall zu erwähnen —, ein derartig begabter Mann zur Heilsarmee geht, weil er gern dienen, gehorchen, praktisch zufassen will ? Nicht selten hört man von Studierenden dieser Art entweder: ich will dennoch ein Vollstudium oder — auf die Diakonenlaufbahn verwiesen — : ich will nicht ein halber Pastor werden, sondern „etwas Praktisches". Werden unsere Diakonen halbe Pastoren? Und wo bleiben die Träger der Gaben, die im Gefolge unserer humanistischen Überschätzung der Wissenschaft keinen Raum finden unter den not174

wendigen Diensten der Kirche ? Wie kann man im übrigen den Unfug abstellen, daß die Anforderungen an die „praktische" Ausbildung der Theologen aus ihnen Kompendien aller Charismen, die in der Gemeinde leben, machen möchten? Ein Ausbilden nach Gaben ist als Aufgabe von der Kirche bisher nicht einmal gesichtet. Uber den Studiengang herrscht humanistische Tradition. Wer dafür nicht taugt, fällt in der Regel — ich darf es einmal übertrieben sagen — für Tätigkeit in der Kirche aus. Der wichtige Gedanke von Georg Merz, daß es Lehrstätten geben sollte, die eine Art universitas ecclesiae im Sinne der Einbeziehung aller wichtigen kirchlichen Dienstformen darstellte, ist nirgends wirklich bejaht. Die Einlagerung der Kirchlichen Hochschule in das Spandauer Johannisstift, wie es 1945 unser erster Plan war, ist nicht mehr durchführbar wegen des Umfanges der Hochschule. Dieser Schritt hätte für das Johannisstift große Umstellung mit sich gebracht, hätte aber in der Symbiose mit den dortigen Ausbildungsstätten wesentliche Förderung bedeutet im Sinne der bezeichneten Probleme. Nunmehr tritt zu unserer Theologenausbildung hinzu die besondere Weiterbildung der Katecheten für die Oberklassen in einem einjährigen Studium, das auf der üblichen Katechetenausbildung aufbauen soll. Es ist wichtig genug, daß die beiden Aufträge unterschieden und doch miteinander verbunden werden. Aber für das Ganze notwendiger kirchlicher Dienste ist es nur ein kleiner Schritt auf einem gefahrvollen und schweren, gleichzeitig notwendigen und verheißungsvollen Wege. Einstweilen würden Dozenten und Studenten gleichermaßen befremdet sein von der unakademischen Zumutung, ihren eigenen wissenschaftlichen Ausbildungsgang in Kontakt zu halten mit dem ganz anderslaufenden Ausbildungsgang anderer kirchlicher Dienste. Freilich kommt das Verständnis für die Lebenskämpfe der Kirche, in denen sie steht und die auf sie warten, einer solchen praktischen Besinnung entgegen. Aber gerade da erhebt sich eine oft gestellte Frage, der wir zum Schluß nachgehen wollen: Ist diese Frontnähe kirchlichen Lebens schuld an der oft behaupteten theologischen Problemlosigkeit der theologischen Jugend heute? Tatsächlich treten Züge einer echten theologischen Leidenschaft unter unseren Studenten zurück. Darüber wird auch an den Fakultäten geklagt. Die Klage scheint allgemein. Und doch müßte man vorsichtig sein mit diesem Urteil. Es ist sehr wohl möglich, daß die nachrückende Generation, die sich auf einen schweren kirchlichen Alltag rüstet, ihre andersgeartete Fragestellung erst entfalten muß. Sie weiß vielleicht nur noch nicht die eigene Parole. Hinzu kommt, daß die Mängel der ordentlichen Vorbildung stark empfunden werden. So arbeiten die Besten mit einer Art Ingrimm, um zunächst die Wissenslücken zu füllen. Sie halten mit ihrem Urteil zurück. E s wäre zuviel gesagt, wenn man ihnen deshalb 175

Flucht vor gewagter Entscheidung nachsagen wollte. Ernster erscheint eine Art Flucht aus der jüngsten Geschichte. Angesichts der billigen nachträglichen Ächtung des Dritten Reiches ist man in der Regel nicht bereit, sich an dem ständigen Begraben der Toten (?) zu beteiligen. Man entzieht sich dabei leider auch der notwendigen Revision der Vergangenheit und kümmert sich nicht um die jüngste Geschichte des eigenen Volkes und der Kirche. Man lernt also nicht aus den Fehlern der Väter. J a , wenn es Großväter wären! Dadurch öffnet sich eine Kluft zu dem, was die letzte und nun jetzt in die Mitverantwortung in der

Kirchc einrückende

Generation

bedeutet.

Nur

wer —

dem

Schein nach — bedingungslos ihre Fragen mitfragt und ihre Nöte mitzubestehen versucht, hat wirklich Herz und Ohr dieser Studenten. So hören unsere Studenten viele entscheidende theologische Erkenntnisse gleichsam auf Vorbehalt und eignen sich lieber den Stoff an als die Entscheidungen. Aber sollte sich darin nicht eben die oben vermißte und nun neu werdende eigene theologische Leidenschaft ankündigen ? Und ein letztes: weil man der Gefahr nahe ist, weil man eine Zeit ruhiger ungefährdeter Arbeit noch gar nicht kennen gelernt hat und weil man aus der kämpfenden Kirche und ihren beargwöhnten jungen Gemeinden kommt, stellt man an die theologische Arbeit der Lehrer harte Fragen. Man wagt sie oft nicht auszusprechen, aber man hat sie auf dem Herzen. Man traut wohl kaum einem der Lehrer genug zu für die Situation, die man vor Augen hat. Es ist erstaunlich, wie unzerstört diese letzte Generation aus unsagbaren Nöten hervorgegangen ist. Die Lebensläufe lesen sich wie Kunde aus finsteren Urväterzeiten — wann wären je so ungesicherte Schicksale bestanden worden: Flucht, Hunger, Kälte, Tod, Waffen in den Händen von Knaben, Entwurzelung der Familien, Entehrung der Schule, j a Entehrung einer ganzen Welt, Zusammenbruch aller eingeprägten idealistischen Deutungen einer brutalen Wirklichkeit, Fehlen fast aller sittlichen Autoritäten ? Zwar haben die wenigen echten Autoritäten, etwa die Eltern (seltsam, wie oft sich hohe Anerkennung der Eltern in den Lebensläufen finden kann) oder vor allem Gestalten der Kirche, einen hohen Rang. Aber Widersinn und Not spiegeln sich dann gerade in dem Schicksal der geachteten Menschen. Man empfindet das Unrecht, das dem stellungslosen, dem verschleppten, gefangenen, bedrückten Vater geschehen ist. Man empfindet den Widersinn, der die Mutter in die Fabrik und den Vater in die Küche verdammt. Man weiß — gleichsam früh gealtert —, was es bedeutet, wenn die Kirche trotz anerkannter Verdienste von neuem verleumdet wird. So hat man hart werden müssen und verstattet sich vieles nicht, was früheren Generationen selbstverständlich war.

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Und man hat doch Lust am Leben und weiß um das Recht zur Freude. So sucht man nach Leistung und beargwöhnt sich selbst als unfähig, wenn es an Erfolgen mangelt. Man weiß um die Gefährdung der sittlichen Zucht. Auf dem speziellen Gebiet sexueller Ethik ist sie rundum erschüttert. Der Neubau, der hier nötig ist, muß von Fundamenten her neu geschaffen werden, die den Vätern noch selbstverständlich waren. Neben schwächlichen und unehrenhaften Entscheidungen steht bei der größeren Zahl ein Kampf um Zucht, der Respekt abnötigen kann. Man kann eben nichts als unerschüttert und unbedroht voraussetzen. So ist man von allen Seiten gefordert. Kein Wunder, daß man in den ersten Jahren nach dem Kriege mit dem vielbelachten „tierischen Ernst" arbeitete. Längst hat sich der erste Krampf gelockert. Die Jüngsten helfen dazu. Aber der Blick auf die kommenden kirchlichen Nöte macht nach wie vor das Studium zu einer frühen Bewährungsprobe. Man wünscht „KZ-reife Theologie". Sie muß für die gefürchteten und erahnten Abgründe ausreichen. Man bejaht soviel „täglichen Gottesdienst" trotz aller spürbaren Mängel der eigenen Gestaltungsversuche, weil man nicht nur theoretisch sondern praktisch fromm sein will: für Leben und für Sterben. Im Grunde möchte man am liebsten unter dem theologischen Lehrstoff wählen: was gibt genug her für die geforderte Bewährung ? Und das führt nicht selten zu Kurzschlüssen in der Beschränkung auf das vermeintlich Ausreichende und Notwendige. Mindestens verlangt man für das Dargebotene Arbeitszucht und ist mit dem Urteil über die Darbietungen der Lehrer nicht nachsichtig. Man kann allgemein sagen, daß diejenigen Dozenten die beliebtesten sind, die sich selbst und ihren Hörern am meisten zumuten. Dürfen wir, wenn dies Bild stimmt, wirklich klagen über das Fehlen theologischer Leidenschaft ? oder — anders gewendet —• über das Uberwiegen praktisch-kirchlicher und voreiliger Geschäftigkeit? Man wird diesen Jungen freilich keine Theologie mehr ohne Kirche anbieten können. Alle Forderungen auf „Kirchliche Theologie" rennen bei ihnen offene Türen ein. Insofern ist auch eine „Kirchliche Hochschule" kein „Programm" mehr. Sie ist ganz nüchtern eine Lehrstätte, die man braucht. Man erwartet hier eine rechte Theologie, eine Theologie, die auch an einer Universität reichen müßte. Man meint keine Flucht aus der Universität, wenn man eine Kirchliche Hochschule aufsucht. Möglicherweise ist das Nachdenken über das Wesen einer Universität an unserer Hochschule intensiver als irgendwo an Universitäten, wie denn das im Studium Universale Gebotene praktisch für die Studierenden viel mehr ins Gewicht fällt als für die meisten Studierenden mitten in einer Universität. Es ist ein offenes Geheimnis, daß dort von der Universitas sshr wenig wirksam wird. Es ist paradox, aber Tatsache, daß an unserer Kirchlichen Hochschule das Mitbedenken der Arbeitsthemen des Studium 12 Klrchl. Jahrbuch 1951

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Universale das Studium jedes einzelnen tiefer prägt als wir es für das Gros der Studenten an den Universitäten beobachten können. So ist von der Sache her das Studium für die Universität geöffnet. Und wer in sie hinüberwechselt, wird dessen inne. Dies beweisen zahlreiche Briefe ehemaliger Studenten. So erfahren es auch die in der Arbeit verbundenen Dozenten selbst. Vielleicht ist unter ihnen keiner, der das Gemeinte nicht gern an einer Universität erprobte. Aber es ist gleichzeitig keiner, der nicht das Experiment einer Kirchlichen Hochschule von Herzen bejahte, wohl wissend, daß die Kirchliche Hochschule in ihrem ganzen Ansatz (wie ich es im Jahrbuch der Hochschule von 1948/49, S. l 6 f f . ausgeführt habe) dem

ursprünglichen Ansatz der Universität näher ist als die säkularisierte Universität in ihrer „Grundlagenkrise". Es wäre sinnlos, daraus einen Ruhm zu machen. Es wäre dies um so sinnloser angesichts vieler stark empfundenen Mängel in den gegenwärtig möglichen und wirklichen Leistungen. Aber es soll das fröhliche und gute Gewissen zu einem Auftrag beschreiben, den wir uns von Gott gegeben wissen.

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Bericht über die Entwicklung der Kirchlichen Hochschule Berlin im Jahre 1950 Während in Westdeutschland neben 9 Theologischen Fakultäten die 4 Kirchlichen Hochschulen Bethel, Wuppertal, Neuendettelsau und Hamburg bestehen, ist die Kirchliche Hochschule Berlin neben 6 Theologischen Fakultäten in Berlin und in der DDR die einzige Lehrstätte dieser Art im Osten. Acht Landeskirchen des Ostens leistet die Kirchliche Hochschule Berlin einen bedeutsamen Dienst für die Heranbildung des künftigen Pfarrernachwuchses. Über 1000 Studenten sind in den letzten 5 Jahren durch die Kirchliche Hochschule Berlin hindurchgegangen. Etwa 60 ehemalige Studierende der Kirchlichen Hochschule haben im Jahre 1950 die erste theologische Prüfung abgelegt. So wird die Arbeit der Kirchlichen Hochschule Berlin bereits allenthalben wirksam. Nach den Theologischen Fakultäten in Tübingen, Göttingen und Heidelberg ist die Kirchliche Hochschule Berlin heute die viertgrößte theologische Lehrstätte Deutschlands geworden. Diese Entwicklung ergab sich aus den besonderen Verhältnissen des deutschen Osteins. Trotz mehrmaliger Bewerbung konnten die Studenten an den Ostuniversitäten keine Zulassung erhalten. Anfangs lagen die Gründe in einem viel zu niedrigen numerus clausus. So mußte zunächst die Kirchliche Hochschule Berlin solchen abgelehnten Bewerbern helfen und alle Studenten ohne Studienplatz aufnehmen. Die Kirchliche Hochschule hat, um die Theologischen Fakultäten in ihrer Arbeit zu unterstützen, jeden ihrer Bewerber zunächst den Theologischen Fakultäten zugewiesen. Dadurch sind die Ziffern auch an den Fakultäten so gestiegen, daß die 6 Fakultäten insgesamt heute etwa 860 Studenten der Theologie haben dürften. Daneben hatte die Kirchliche Hochschule allein im Sommer-Semester 1950 424 Studierende. Da die Universitäten der DDR nur im Herbst immatrikulieren, werden alle etwaigen verspäteten Studienanfänger und außerdem wahrscheinlich alle von den Westfakultäten in die DDR zurückkehrenden Studenten im Sommer 1951 nur an der Kirchlichen Hochschule ankommen können. Also wird die Zahl im Sommer 1951 noch einmal zunehmen. Damit hat die Kirche eine erhebliche Verantwortung auf sich genommen. Erstmalig in ihrer 12*

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Geschichte ist sie gewillt und — angesichts des Pfarrermangels und der herrschenden Studienschwierigkeiten gezwungen —, mit großen Opfern eine so große theologische Lehranstalt zu unterhalten. Bei dem gegenwärtigen Stand der Schulbildung muß sie außerden im Studium Universale für die Ergänzung der Allgemeinbildung sorgen, wenn das geistige Niveau des Pfarrerstandes erhalten bleiben soll. Allen Studierenden ist an der Kirchlichen Hochschule Berlin deshalb aufgelegt, in einem sogenannten „Philosophischen J a h r " neben Theologie und Sprachen überwiegend nicht-theologische Fächer zu belegen. Dieses ,,Philosophische J a h r " wird mit einem Colloquium abgeschlossen. D a -

nach teilt die Hochschule den Kirchenleitungen mit, in welchen Fällen sie einer Weiterführung des Studiums widerrät. Einen großen Umfang nimmt das Studium der alten Sprachen ein. Man kann dies am besten anschaulich machen, wenn man berichtet, daß im Jahre 1950 mehr als 200 Examina allein in der hebräischen Sprache durchgeführt worden sind. Die Überlastung mit diesen, besonders was Latein und Griechisch angeht, eigentlich der Schule zustehende Aufgaben, hat zur Errichtung von Sprachenkonvikten als Vorbereitungsstätte des theologischen Studiums geführt. Seither werden diejenigen Studenten, denen mehr als eine alte Sprache (oft sind es 3) fehlt, diesen Sprachenkonvikten zugewiesen, die sich alle größeren Kirchen inzwischen geschaffen haben. Ohne diese neuerrichteten Sprachenkonvikte wäre die Kirchliche Hochschule noch mehr als bisher von Studenten überflutet. Das Sprachenkonvikt, das sich die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg im Ostsektor von Berlin geschaffen hat, steht, unter großen Aufbaunöten leidend, im ersten Arbeitssemester mit einer Zahl von 26 Studierenden. Neben dem Studium der Theologie führt die Kirchliche Hochschule Berlin zur Ausbildung von Religionslehrem an höheren Schulen ab Sommersemester 1951 ein Aufbaustudium für Katecheten, die die B-Prüfung bereits bestanden haben, durch. Bisher überwogen an der Kirchlichen Hochschule die Anfangssemester. Durch Errichtung der Sprachenkonvikte und durch den W S 1948/49: 1. Semester 2. ,, 345 6 78. darüber

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"3 85 8t 45 19 7 6 4 2

W S 1950/51: 85 54 96 53 41 15 32 20 23

Studienabschluß vieler älterer Semester aus allen Landeskirchen hat sich das Bild verschoben zugunsten einer gesunden Mischung, in der die mittleren Semester bisher am meisten zurücktreten. Wir setzen zum Vergleich für die Gliederung nach Semesterzahl das Wintersemester 1948/49 neben das Wintersemester 1950/51. Die Hochschule arbeitet in möglichst enger Zusammenarbeit mit den Theologischen Fakultäten. Mehrere Dozenten der HumboldtUniversität sind gleichzeitig Dozenten der Kirchlichen Hochschule, ökumenische Besuche haben die Hochschule mit weiten Kreisen der Kirchen und Universitäten der Welt verbunden. Wegen der besonderen Bedeutung von Berlin sind Besuche häufig. Gastvorlesungen und Vorträge sind in großer Zahl an der Kirchlichen Hochschule gehalten worden: a) G a s t v o r l e s u n g e n : Professor D. Dr. Helmut T h i e licke, Tübingen

Die Stellung der katholischen und evangelischen Theologie zum Naturrecht vom 8. 5. bis 19. 5. 1950 Prof. D. Ernst W o l f , Göttingen Die theologischen Voraussetzungen und der Vollzug des Erlösungsgeschehens. — Ein Abriß der Symbolik des römischen Katholizismus vom 1 1 . 5. bis 13 5- 195° Prof. Dr. N.-H. S ö e , Kopenhagen Grundprobleme der Ethik vom 16. 6. bis 27. 6. 1950 Prof. D. Waither Z i m m e r l i , Zürich Tritojesaja vom 6. 7. bis 2. 8. 1950 b) V o r t r ä g e Missionsdirektor Prof. D. Siegfried Knak Propst Ernst R h e i n Prof. Dr. Hendrick K r a e m e r , Bossey Dr. med. Hans M a r c h Prof. Lic. Günther B o r n k a m , Heidelberg Dr. Rudolf S t ö w e s a n d Prof. Dr. Wilhelm S c h u ß l e r Dr. phil. Karl K u p i s c h

Krisis in der deutschen Missionswissenschaft am 6. 1. 1950 Meine Begegnung mit Palästina, Lichtbildervortrag am 19. 1. 1950 Worin besteht die Krisis der Mission am 30. 1. 1950 Aus dem Randgebiet der Medizin und Theologie am 30. 1. 1950 Kerygma und Mythos und Kerygma und Sophia am 31. 1. 1950 Neues zum Problem des Naumburger Meisters am 8. 2. 1950 Deutschland, Christenheit, Europa am 10. 2. 1950 Jürgen Wullenweber am 22. 2. 1950 181

Prof. D. Dr. Otto E i ß f e l d t . Halle Prof. Dr. Heinrich V o g e l

Prof. Hans P. E h r e n b e r g , Bielefeld Prof. Lic. theol. Friedrich S m e n d Prof. Dr. Carl W e i c k e r t , Präs. d. deutsch. Archäologischen Institutes

Dr. Siegfried M o h r e n z , Dozent, Leipzig Mrs. H. E p s t e i n , Hoover Stanford University/Calif. Prof. Dr. phil. Hildebrecht H o m m e l Vizepräsident Dr. B e n n Douglas S t e e r e (Quäker vom Internationalen Versöhnungsbund) Dr. Hildegard S c h a e d e r (Kirchliches Außenamt Frankfurt/Main) Prof. Lic. Oskar T h u l i n , Wittenberg

Textkritik und Archäologie am 24 2. 1950 Die Menschenrechte als theologisches Problem (Immatrikulationsfeier) am 6. 4. 1950 Hiob als Existenzialist am 8. 6. 1950 J . S. Bach in Köthen am 14. 6. 1950 Die religiöse Bedeutung der griechischen K u n s t a m n . 6. 1 9 5 0

Entstehung und Wesen der Buchreligion am 12. 7. 1950 Laienarbeit in der protestantischen Kirche Amerikas am 26. 7. 1950 Tacitus und die Christen (Immatrikulationsfeier) am 4. 1 1 . 1950 Die Bedeutung des Rechts für das Leben der Kirche am 9. 1 1 . 1950 Vorstellungskraft und Frieden am 13. 1 1 . 1950 Lage der Kirchen ia der Sowjetunion am 20. 1 1 . 1950 Die Christusbotschaft der Katakomben am 14. 12. 1950

Das erste Jahrbuch der Kirchlichen Hochschule aus der Zeit des Kirchenkampfes „Theologia Viatorum" ist in zwei neuen Jahrbüchern fortgesetzt worden, die in der wissenschaftlichen Welt Beachtung gefunden haben. Das Jahrbuch 1950 wurde als Festschrift dem Ehrenpräsidenten der Kirchlichen Hochschule Berlin, Bischof D. Dr. Dibelius, zu dessen 70. Geburtstag gewidmet. Neben einer Würdigung der Person und Arbeit dieses hochgeschätzten Freundes unserer Arbeit durch Präses Kurt Scharf enthält dieses Jahrbuch 1 3 bedeutsame Beiträge von Professoren und Dozenten der Hochschule. Dabei tritt die Frage der Ökumene besonders in den Vordergrund. Aus der Zahl der in den letzten Jahren erschienenen Arbeiten der Dozenten nennen wir die wichtigeren: D. Heinrich V o g e l Dr. Erwin R e i s n e r

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Christologie, I. Bd., Kaiser-Verlag, München, 480 S. Der Dämon und sein Bild, Suhrkamp-Verlag, Berlin, 300 S. Das Buch mit den 7 Siegeln, Göttingen, Vandenhoeck und Ruprecht 1949, 201 S.

Dr. Reinhold Quaatz Lic. O. A. D i l s c h n e i d e r Lic. Friedrich Smend

Dr. Fritz Dehn D. Martin A l b e r t z

Verlorene Gemeinschaft, Verlag Haus und Schule, Berlin, 420 S. Gegenwart Christi, 2 Bände, Verlag Bertelsmann, Güterloh, 300 und 340 S. Johann Sebastian Bach: Bach bei seinem Namen gerufen, Bärenreiter-Verlag, Kassel/Basel, 36 S. Kirchenkantaten, 6 Lieferungen, Christlicher ZeitSchriftenverlag Berlin Der Mensch an der Grenze, Verlag Haus und Schule 1948, 402 S. Die Botschaft des Neuen Testamentes, WichernVerlag Berlin, 1946, 250 S.

Die Schriftreihe „Der Anfang" konnte aus finanziellen Gründen trotz vorhandener Manuskripte einstweilen nicht fortgeführt werden. Folgenden hauptamtlichen Dozenten der Kirchlichen Hochschule ist im Jahre 1950 die Amtsbezeichnung „Professor des kirchlichen Lehramtes" verliehen worden: D. Siegfried K n a k (Missionswirtschaft) Lic. theol. Harald K r u s k a (Syst. Theologie u. Theologiegeschichte) Es handelt sich dabei nicht um eine Titelverleihung, sondern um eine Bezeichnung, die das Wesen des Lehramtes der Kirche kennzeichnet. Der öffentlich-rechtliche Gebrauch des Titels Professor ist dabei von der zuständigen Behörde anerkannt. Leider ist die Frage, wie die entstehenden finanziellen Lasten gemeinsam getragen werden können, nicht zur Zufriedenheit geregelt. Die finanzielle Lage der ganzen Arbeit war, ist und bleibt völlig unsicher. Sicher ist nur allen beteiligten Kirchen, daß die Arbeit weitergehen muß. Die Kirchen und Gemeinden haben allen Grund zu unauslöschlichen Dank an diejenigen Freunde in der E K D und besonders aus der Ökumene, die mit ihren Opfern die Arbeit der Hochschule ermöglicht haben. Ein weiteres Wachstum der Studentenziffer liegt nicht in den Absichten der Kirchlichen Hochschule. Aber das weitere Anwachsen ist — nach Menschenermessen — nicht zu vermeiden, wenn nicht der Abfluß an die Universitäten der DDR in vollen Umfang ermöglicht wird. Der Übergang an westdeutsche Universitäten wird immer seltener. Dies hat nicht nur Gründe finanzieller Art. Vielmehr widerraten einige Kirchenleitungen der DDR einem Weststudium. Sie befürchten, dadurch dringend notwendigen Nachwuchs zu verlieren und gestatten 183

deshalb sogar in Einzelfällen ein Vollstudium an der Kirchlichen Hochschule Berlin. Die damit unaufhaltsame Überfüllung der Kirchlichen Hochschule macht freilich dann außerordentliche Hilfsmaßnahmen dieser Kirchen und ihrer Patenkirchen zur Pflicht. Das studentische Leben wird von der Studentenvertretung verantwortlich mitgestaltet. Die Studentenschaft prägt die Hochschulgemeinschaft in Studium und Gottesdienst, Geselligkeit und Sport dadurch mit, daß sie geeignete Ordnungen erprobt. Mit ihrer weitgehenden Selbstverwaltung und ihrer sozialen Hilfsbereitschaft, mit ihrem Arbeitsdienst für die Hochschule und ihrem öffentlichen Einsatzwillen, bereitet sie sich vor auf die Verantwortung, die auf sie wartet. Morgens und abends trifft man sich zur Andacht und Gebet, sonst zu Wochenschlußandacht und Hochschulgottesdienst, aber auch zu einer Reihe von geselligen Veranstaltungen zusammen. Angesichts der Fülle von Studenten sind die vorhandenen Räume völlig unzureichend, obwohl alle möglichen Erweiterungen und Verbesserungen durchgeführt sind. Ständig müssen 4—6 Vorlesungen nebeneinander laufen, damit kein Kolleg so stark werden kann, daß der größte Raum die Hörer nicht fassen würde. Für größere Vorträge und gemeinsame Veranstaltungen fehlt jeder geeignete Raum. Im Sommer hört man ein stark besuchtes Kolleg, indem man sich außerhalb der überfüllten Baracke vor den Fenstern im Garten Stuhlreihen aufstellt. Im Winter wirkt sich die Uberfüllung der Hörsäle gesundheitsschädlich aus. Der Zustand ist unhaltbar. Deshalb ist der Bau eines Hörsaalgebäudes jetzt die vordringlichste Aufgabe. Baupläne liegen bereits vor. Ein Raum für geselliges Beisammensein fehlte bisher völlig. Es gab nur überfüllte Arbeitsräume, die besonders im Winter den Studierenden ohne heizbare Unterkünfte als Aufenthalts- und Arbeitsgelegenheit dienen müssen. In diesem Jahr ist es gelungen, einen schönen Gemeinschaftsraum im Dachgeschoß des Hauptstudiengebäudes zu schaffen. Die Hochschule legt großen Wert auf Studentenkonvikte. Dabei wäre wünschenswert, daß ein Dozent oder Assistent mit seiner Familie mitten unter den Studierenden wohnte und so eine enge Gemeinschaft des Lebens und der Arbeit entstehen könnte. Bisher sind 5 solcher Konvikte geschaffen worden, in denen 70 Studenten Platz finden. Die übrigen Studenten wohnen in meist teuren Privatzimmern der näheren und weiteren Umgebung. Durch den Bau eines Studentenwohnheimes könnten für die Studenten erhebliche Verbilligungen erreicht werden. Ob ein Student einmal geeignet sein wird, in einer Gemeinde als Pfarrer zu arbeiten, erweist sich an seiner Fähigkeit, sich einer Lebensgemeinschaft einzuordnen. 184

82% der Studierenden entstammen den Gemeinden in der DDR, alle Studenten aber wollen, wenn irgend möglich, in die Gemeinden der DDR gehen, um deren Pfarrermangel sie wissen. Den Heimatkirchen sind sie verbunden durch Besuche, die ihre Kirchenleitungen ihnen abstatten, und durch gemeinsame Volksmissionsfahrten, die sie in großen Scharen während der Ferien unternehmen. Die Hochschule ist zu einem vielbesuchten. Konferenzort geworden (Laientag, Evangelische Studiengemeinschaft, Studentenpfarrer, Vertrauensstudenten der Studentengemeinden,. Arbeitsgemeinschaften, Akademietagungen usw.). Große Aufwendungen sind für die Bibliothek der Hochschule gemacht worden. Sie hat jetzt etwa 20000 Bände. Angesichts des katastrophalen Büchermangels wird die Bibliothek so stark benutzt, wie es gewiß selten Bibliotheken ergangen ist. In zwei Räumen steht eine Präsenzbibliothek zur Verfügung. Ebenso hat das Studium Universale zwei Arbeitsräume mit Präsenzbücherei. Ein neuer Magazinraum und ein neugeschaffener großer Lagerraum für Zugänge sowie ein neuer Entleihraum brachten den überfüllten Räumen Entlastung. Bei dem beschriebenen stürmischen Aufbau einer der größten Lehrstätten, die die Kirche heute hat; müßte in der Stille ein hohes Maß wissenschaftlicher Arbeit bewältigt werden. Von dieser läßt sich nicht statistisch berichten. Viele Dozenten hatten in den Kriegsjahren den Anschluß an die Forschung verloren und haben diesen neu erarbeiten müssen. Die langsam einströmende Literatur der letzten Jahre mußte aufgearbeitet werden. Auf vielen Dozenten lag eine mehrfache Beanspruchung kirchlicher, kirchenpolitischer, wissenschaftlicher und pädagogischer Art. In den letzten Jahren sind die wissenschaftlichen und pädagogischen Verpflichtungen für die meisten Mitarbeiter in den Vordergrund gerückt. Folgende wissenschaftliche Lehrgespräche der Dozenten haben stattgefunden: Pfarrer Lic. D i l s c h n e i d e r

Die Leibgestalt der Kirche am 1 1 . 1. 1950

Prof. D. Heinrich V o g e l

Barths Anthropologie (Dogmatil III).

Neue Wege der theologischen Ausbildung, besonders in der Ausgestaltung des praktisch-theologischen Studiums, der Kirchenkunde und verschiedener Hilfswissenschaften kirchlicher Praxis wurden erprobt. Wissenschaftliche Vorlesungsreihen für die Öffentlichkeit sind mehrfach gehalten worden. Die Musik wurde gepflegt. Ein lebendiger Austauch machte die Kirchliche Hochschule zu einer Zentrale geistigen und kirchlichen Lebens. Um Geist und Weg der Arbeit ist ein ständig wachsamer Kampf notwendig, wenn die Hochschule wirklich einen Dienst durchführen will, der dem Willen Gottes in unserem leidenden Lande dient. 185

Statistische

Angaben

I. V e r t e i l u n g auf L a n d e s k i r c h e n : Berlin Brandenburg Sachsen, Provinz Sachsen, Land Thüringen Mecklenburg Schlesien Pommern Anhalt Missionsstudenten aus dem Westen Freikirchen Ausländer

SS

1950:

1. Semester 2.



345

1950/51:

87 (,8)*)

81

68

77 «3 17

95 93

10

18

10

10

2

3

20

6

6

8



6

6

7

It 2

424

419

•) Aus dem Ostsektor 8 1 % stammen aus Ostberlin und der DDR. II.

W S

8 7 (20) •)

Semesterverteilung: SS 1950: W S 1950/51: 8 5 (20*) 54 (14) *) 98 (13) 54 (M) 6 2 ( 9)

9 6 (12)

9 0 (11)

6.

2 2 ( 5)

7-

17 ( 2)

53 41 15 32

8.

1 8 ( 2)

2 0 ( 1)

9

II ( 2)

15 ( 1) 7 ( 1) 1 (-)

10. II.

•) Davon weiblich

46(12)



6(-) -

( - )

424 (70)

4'9

( ( ( (

8) 5) 2> 3)

(67)

III. Altersstatistik: SS 1950: W S 1950/51: 17 Jahre 1 (-)*) »(-)*) 18 — 21 Jahre 2 2 2 (41) 2 1 5 (43) I 0 8 (16) 1 2 2 (20) 22 — 25 .. 26 — 29 57 ( 5) 54 ( 8) 21 ( 1) 2 3 ( 1) 30-34 35 und darüber 1 0 ( 1) 8 ( 1) •) Davon weiblich

186

424

(70)

4 1 9 (67)

D u r c h s c h n i t t s a l t e r im W i n t e r s e m e s t e r 1930/51: 22,8 Jahre Verheiratete Studierende der Kirchlichen Hochschule Verheiratete mit 1 Kind Verheiratete mit 2 Kindern Verheiratete mit 3 Kindern Verheiratete mit 6 Kindern Geschiedene Studierende

SS 1950: 25 it 1 2 t z

WS 1950/51: 23 10 1 3 1 1

187

Hauptstudiengebäude und Kanzlei: Berlin-Zehlendorf, Heimat 27, Fernruf: 847567/68 Bankkonto: Berliner Bank AG., Dep.-Kasse 39, Bln.-Zehlendorf, Konto-Nr. 1940 Berliner Stadtkontor, Kurstraße, K o n t o - N r . 1/181092 Postscheckkonto:

Berlin

212100

Berlin-West 15205 Sprechstunden aller Verwaltungsstellen: täglich (außer Sonnabend) 9 — 1 2 Uhr Studiengebäude des Studium Universale Berlin-Zehlendorf, Albertinenstraße 15/16, Fernruf: 847567/68 Schniewind-Haus Berlin-Zehlendorf, Leuchtenburgstraße 40, Fernruf: 847567/68 Hochschulbibliothek ökumenisches

Seminar

A r c h i v f ü r die G e s c h i c h t e d e s

Kirchenkampfes

Studentenheime: Berlin-Zehlendorf, Leuchtenburgstraße 35 Berlin-Zehlendorf, Leuchtenburgstraße 40 (Schniewind-Konvikt) Berlin-Zehlendorf, Albertinenstraße 15/16 Studentinnenheim: Berlin-Zehlendorf, Laehrstraße 22 A Evangelische Studiengemeinschaft Institut für Seelsorgekunde Rektor: (ab 1. 4. 1951) Prof. Dr. theol. Martin Schmidt

Kurator: Geh. Regierungsrat Dr. Quaatz

Ephorus: Prof. D. Martin Fischer

Geschäftsführer: Reg. Baurat a. D. W. Natzschka

Theologia Viatoruni Jahrbuch der Kirchlichen Hochschule Berlin 1948/49. Herausgegeben im Auftrag des Dozentenkollegiums von Dr. Erwin R e i s n e r Oktav. 1949 VII. 215 Seiten. Gebunden DM 12.50 1950. Herausgegeben im Auftrag des Dozentenkollegiums von Prof. Lic. Dr. Walter D e 1 i u s Oktav. IV. 247 Seiten. 1950. Gebunden DM 12.—

Das Jahrburh der Kirchlichen Hochschule Berlin bietet einen interessanten Einblick in die Kleinarbeit einer Hochschule, die aus der illegalen Existenz im Dritten Reich aufgetaucht ist zu neuer Arbeit. Der Kampf um den Rang und Bestand einer Hochschule macht den Atem heiß. Trotzdem sind die Probleme nicht nur „aktuell", sondern ausgesprochen gelehrte Einzelforschungen stehen neben übergreifenden Themen. Die Hochschule pflegt nicht nur Theologie, sondern geht in einem Studium Universale den theologisch relevanten Fragen nichttheologischer Disziplinen nach und gewinnt ihnen wichtige Beobachtungen ab. So hören wir von Ranke und Rilke, von Walthers Spruch auf dem Magdeburger Hoftag 1199. Weiter finden wir Arbeiten über Justus Jonas und Erasmus oder über Wesley. Vogels und Reisners systematisch-theologische Aufsätze bieten Ausschnitte aus zusammenhängendem Denken. Der Soziologe arbeitet neben dem Altphilologen. Der Ephorus berichtet über Sinn und Auftrag der Kirchlichen Hochschule. Alles in allem ein reichhaltiges Dokument wissenschaftlicher Arbeit.

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Agnes von Zahn-Harnack

Adolf von Harnack Zweite, verbesserte Auflage Oktav. Mit einer Abbildung. VIII, 453 Seiten. 1951. Ganzleinen DM 16.80 „Dieses bedeutende Buch einer bedeutenden Tochter über ihren bedeutenden Vater — zuerst vor 15 Jahren in der vom Geiste entferntesten deutschen Geschichtsepoche herausgebracht — begrüßt man bei seinem Wiedererscheinen mit Dank und Freude. Diese Biographie Adolf von Harnacks ist ein kostbares Geschenk für jeden, der sich dem geistigen Menschen und seiner Welt verbunden fühlt. Das Bild eines deutschen Gelehrten, der auf Grund seiner Lebensleistung höchste akademische und staatliche Ehren empfing, ersteht von neuem mit seinen inneren und äußeren Kämpfen und Erfolgen. Der viel umstrittene, zu neuen Betrachtungen und Einsichten weisende Theologe und Kirchenhistoriker, der gelehrte Generaldirektor der Preußischen Bibliothek, der kluge und warmherzige Leiter des Evangelisch-Sozialen Kongresses und der hochverdiente Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften jedenfalls ist eine Erscheinung jener Zeit gewesen, deren Spuren auch in unseren Tagen nicht vergangen sind. Aus dem ungemein farbigen Bild mit seinem Stück Zeitgeschichte heben sich zahlreiche Details heraus, die den Menschen und Gelehrten Adolf von Harnack, seine großen und kleinen Zeitgenossen, seine berühmten Freunde und seine hochgebildete Familie lebendig erstehen lassen. Die Grabinschrift auf dem alten Matthäikirchhof in Berlin, das alte Kirchengebet: Veni creator spiritus — komm, Schöpfer Geist — ist das große Leitwort gewesen, unter dem Adolf von Harnack sein Leben und Werk geführt hat. Das Buch von Agnes von Zahn-Harnack ist der Größe der Aufgabe, ein solches Leben und Werk der Nachwelt zu übermitteln, in jeder Hinsicht gewachsen." dpa

Adolf v o n

Harnack

Ausgewählte Reden und Aufsätze Oktav. VIII, 212 Seiten. 1951. Ganzleinen DM 12.80

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Kirchenbuch für Evangelische Gemeinden Band I: Die Gottesdienste: Erhebet eure Herzen! Von Ulrich A 11 m a n n und Ernst K ö l l n 5., durchgesehene Aullage. Oktav. XX, 336 Seiten. 1948. Gebunden DM 9.— Band II: Die Handlungen: Wir sind des Herrn! Von Ulrich A 1 1 m a n n 3., durchgesehene Auflage. Oktav. IX, 192 Seiten. 1948. Gebunden DM 4.80

Katechismusunterricht nach Luthers Kleinem und Großem Katechismus 1.—5. Hauptstück von Erwin W i s s m a n n 2., verbesserte Auflage. Mit 4 Abbildungen. VIII, 186 Seiten. 1947. DM 5.—

Die Predigt Tiefenpsychologische Grundlagen und Grundfragen von O. H a e n d l e r 2., erweiterte Auflage. XV, 328 Seiten. 1949. Gebunden DM12.50 Ein anregender Versuch, die Ergebnisse der modernen Tiefenpsychologie für die heutige Predigt fruchtbar zu machen.

Homiletik Theologie und Technik der Predigt von L. F e n d t VIII, 108 Seiten. 1949. Gebunden DM 5.— (Sammlung Töpelmarm. Reihe II: Hilfsbücher zum theologischen Studium Band 4) Ein Lehrbuch für den Studenten und angehenden Prediger. Die Hauptabsicht des Verfassers ist, die Glaubenstheologie als die rechte Heimat der Homiletik sichtbar werden zu lassen.

Einführung in das Neue Testament Bibelkunde des Neuen Testaments, Geschichte und Religion des Urchristentums Von Rudolf K n o p f , Hans L i e t z m a n n und Heinrich W e i n 1 5. Auflage. 1949. XVI, 444 Seiten. Halbleinen DM 12.— (Sammlung Töpelmann. Reihe I: Die Theologie im Abriß. Band 2.) „ . . . Es gibt über die Sprache und den Text des N.T. in dieser Kürze und Übersichtlichkeit nichts, was sich Lietzmanns Ausführungen an die Seite stellen läßt . . . " (Pastoralblätter, 1935, Nr. 2) VERLAG

ALFRED

TOPELMANN

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Das Werden der Kirche Eine Geschichte der Kirche auf deutschem Boden Von H e r m a n n S c h u s t e r Mit Beiträgen v. H. F r e i h e r r v. C a m p e n h a u s e n u. Herrn. D ö r r i e s Zweite, verbesserte Auflage Oktav. XIX, 569 Seiten. 1950. Ganzleinen DM 18.— „Es ist mir eine ganz große Freude, dies Werk des Meisters der Religionspädagogik anzuzeigen . . . Das beste für seine Kirchengeschichte mag sein, daß sie mich so fesselte, daß ich sie sozusagen in einem Zuge durchlas. So vortrefflich, so anschaulich und interessant ist sie geschrieben und so gründlich, d a ß auch d e r W i s s e n s c h a f t l e r i m m e r w i e d e r a u f h o r c h t u n d d i e s u n d d a s d a z u

lernt . . . Dies Buch ist in klassisch zu nennendem guten Stil geschrieben und nicht mit trockener Gelehrsamkeit, sondern aus prophetischem Geiste und so lebendig, daß die großen Ereignisse und Persönlichkeiten Leben gewinnen." Prof. D. W. Bülck in „Freies Christentum"

Jesus Von Martin D i b e 1 i u s 2. Auflage Neudrude. 141 Seiten. 1949. DM 2.40 (Sammlung Göschen, B a n d 1130) „Bei den Fragen nach dem Reich Gottes und seinen Zeichen und dem Selbstverständnis Jesu scheidet Dibelius sehr glücklich zwischen der eigenen Verkündung des Herrn und dem, was seine Zeit hinzugetan oder umgedeutet hat, glücklicher als manche bisherigen Forscher. Unter den zahlreichen modernen Jesusbüchern ist dies eins der bedeutendsten." Die Höhere Schule, Kiel

Paulus Von Martin D i b e l i u s Nach des Verfassers Tode herausgegeben und zu Ende g e f ü h r t von E. W. K ü m m e l 152 Seiten. 1950. DM 2.40 (Sammlung Göschen, Band 1160) „Dies Bändchen macht in seiner Geschlossenheit und Fülle einen vortrefflichen Eindruck. Wohl kaum ein Problem der Umwelt, des Werkes und der Person, aber auch der Theologie des Apostels wird übergangen, so daß das abgerundete Bild dieses Mannes in knappen und scharfen Zügen entsteht Wer eine kurze aber umfassende Einführung in Paulus sucht, er sei Schulmann oder Student, wird mit Gewinn nach dieser Neuerscheinung greifen." Kirchenblatt f ü r die reformierte Schweiz, Heft 4/51

Worte der Profeten I n n e u e r Übertragung u n d mit Erläuterungen von J o h a n n e s H e m p e 1 Oktav. 324 Seiten. 1949. Halbleinen D M 9.80 „Zuletzt möchte ich Hempels Profetenübersetzung und -erläuterung als unmittelbar zu verwendende Vereinshilfe empfehlen . . . als unmittelbare Grundlage f ü r Besprechungen mit Jugend, Männern und Frauen, ist das Buch wohl gut zu gebrauchen . . . " Monatsschrift f ü r Pastoraltheologie, Nr. 12/1949 V E R L A G

ALFREjD

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