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German Pages 346 [352] Year 1967
T H E O L O G I A VIATORUM X
THEOLOGIA
VIATORUM X
JAHRBUCH DER KIRCHLICHEN
HOCHSCHULE
BERLIN
196 5/66
HERAUSGEGEBEN IM A U F T R A G
DES
DOZENTENKOLLEGIUMS VO N
P R O F E S S O R DR. U L R I C H
WILCKENS
REKTOR
WALTER
DE
GRUYTER
& CO.
/
BERLIN
VORMALS G. J. GÖSCHEN'SCHF. VERLAGSHANDLU N G • J. GUTTENTAG, VERLAGSBUCHHANDLUNG • GEORG REIMER • KARL J. TRÜ BN E R • VEIT & COMP19 66
A r c h i v - N r . 32 18 66 1 Alle Rechte, i n s b e s o n d e r e d a s der Ü b e r s e t z u n g in f r e m d e S p r a c h e n , v o r b e h a l t e n O h n e ausdrückliche G e n e h m i g u n g des V e r l a g e s ist es auch nicht g e s t a t t e t , dieses B u d i o d e r T e i l e d a r a u s auf p h o t o m c c h a n i s c h e m Wege ( P h o t o k o p i e , M i k r o k o p i e ) zu v e r v i e l f ä l t i g e n (c) 1966 by W a l t e r de G r u y t e r & C o . , B e r l i n 30 P r i n t e d in G e r m a n y S a t z u n d D r u c k : T h o r m a n n & G o e t s d i , B e r l i n 44
I N H A L T S V E R Z E I C H N I S
JOACHIM G Ü N T H E R : G e d e n k e n
für Erwin
Reisner
1
ULRICH WILCKENS: Fritz D e h n , d e m 75jährigen, entbietet das K o l l e g i u m
der
Kirchlichen Hochschule Glückwunsch und G r u ß
11
MARTIN FISCHER: J a h r e s b e r i c h t ü b e r das R e k t o r a t s j a h r 1 9 6 3 / 6 4
12
W A L T E R D R E S S : B e r i c h t des scheidenden R e k t o r s ( A m t s j a h r 1 9 6 4 / 6 5 )
26
WALTER DELIUS: D i e theologischen vom
Jahre
F a k u l t ä t e n als P r o b l e m der
Revolution
1918
34
O T T O DILSCHNEIDER: D a s vergessene E v a n g e l i u m v o m R e i c h e G o t t e s
55
W A L T E R D R E S S : S i m u l — Z u r S t r u k t u r des l u t h e r i s c h e n D e n k e n s
74
MARTIN FISCHER: M a r t i n K ä h l e r zur B i b e l f r a g e
86
RICHARD HENTSCHKE: E r w ä g u n g e n JÜRGEN HEYDRICH: gebiet
Theologie
Versuch
einer
zur israelitischen Rechtsgeschichte dezimalen
Klassifikation
für
das
....
I
134
KARL KUPISCH: O s w a l d Spengler FRIEDEMANN
MERKEL:
108
Fach-
Die
Predigt
170 weisheitlicher
Texte
als
homiletisches
Problem
196
DIETHELM MICHEL: Z u r E i g e n a r t T r i t o j e s a j a s
213
HANS-PETER MÜLLER: P r o p h e t i e u n d A p o k a l y p t i k bei J o e l
231
R U D O L F S T Ö W E S A N D : D i e G r ü n d u n g des N a u m b u r g e r U r d o m e s
253
HEINRICH VOGEL: D a s E t h o s der Wissenschaft
unter theologischem
Aspekt
WILHELM WEISCHEDEL: P a u l T i l l i c h z u m Gedächtnis ULRICH WILCKENS: Jesusüberlieferung und C h r i s t u s k e r y g m a — urchristlicher
Überlieferungsgeschidite
278 295
Zwei
Wege 310
G E D E N K E N FÜR ERWIN V O N JOACHIM
REISNER
GÜNTHER
A m 12. J u n i , nicht ganz ein Vierteljahr nach seinem 7 6 . Geburtstag ist in Westberlin (Lichterfelde) der emeritierte P r o f e s s o r der Philosophie an der Kirchlichen Hochschule E r w i n R e i s n e r
„nach
kurzem schwerem Leiden", wie es in der Todesanzeige hieß, gestorben. Ein T o d , der Freunden und Bekannten t r o t z jahrelangen K r ä n k e i n s von E r w i n Reisner unerwartet, beinahe bestürzend gek o m m e n ist. D i e äußere Ursache mag in Reisners D a r m l e i d e n gelegen haben, das ihm manches J a h r seines Alters durch Schmerzen getrübt hatte, ohne daß ein medizinisch klarer physischer A n l a ß d a f ü r gefunden werden konnte. Zuletzt hatten sich die Beschwerden aber soweit gelegt, daß Rciinci iii Gesprächen und in Gesellschaft wieder der alte zu sein schien. Eine innere Blutung hat seinem Leben plötzlich das Ende gesetzt. W i r haben ihn am 2 1 . J u n i auf dem Lichterfelder P a r k f r i e d h o f begraben. Berlin und die philosophische Literatur der G e g e n w a r t
sind
um einen bemerkenswerten Geist ärmer geworden. Es wird noch einigen Abstandes der Zeit und manches Wiederholungsaktes der Lektüre bedürfen, um recht ans Licht zu bringen, was es mit E r w i n Reisner als D e n k e r , Schriftsteller, Philosophen, T h e o l o g e n und M y thendeuter auf sich gehabt hat. In den letzten J a h r e n , zumal nach der Emeritierung, war es ziemlich still um ihn und sein W e r k geworden. Z w a r brachte er immer wieder ein und das andere neue Budi heraus sogar in Zeiten der K r a n k h e i t und anderer
persönlicher
Misere. Es mangelte aber an der rechten R e s o n a n z bei den Lesern. D i e Probleme, die Reisners Bücher erörterten, die Lösungen, die sie anboten, schienen in ihrer spekulativen Entrücktheit zu wenig mehr dem zu entsprechen, was dringlich, gegenwartsnah, aktuell ist. D a s gilt in gewisser Weise für sein ganzes W e r k . I m m e r h i n w a r dessen Stunde bald nach dem Krieg, als „Der D ä m o n und sein B i l d " , R e i s -
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Joachim
Günther
ners bekanntestes Buch bei S u h r k a m p herauskam, f ü r R u h m und E r f o l g günstiger. Jenes Buch w a r über seinen allgemeingültigen Gehalt hinaus ein authentischer Ausdruck damaliger E r f a h r u n g e n . Es konnte als eine der wesentlichen philosophisch-theologischen A n t worten auf die Versuchungen und P r o v o k a t i o n e n der v o r a u f g e g a n genen dunklen Epoche e m p f u n d e n werden. D a r ü b e r soll nachher noch ein Wort gesagt werden. Zuerst ein p a a r D a t e n des äußeren Lebens. E r w i n Reisner wurde a m 19. M ä r z 1890 in Wien geboren. Seine Sterne schienen zunächst einen andern Lebensweg f ü r ihn vorzubereiten: K a d e t t e n k o r p s , Artillerieschule, Berufsoffizier. Als ein solcher hat Reisner den ersten Weltkrieg mitgemacht und es bis zum H a u p t m a n n gebracht. D e r junge Reisner m a g ein charmanter und eleganter Offizier, Gesellschaftsmensch, auch T ä n z e r gewesen sein, jene faszinierende Mischung von S o l d a t und Bildungsmensch, die im alten Österreich öfter als in Preußen-Deutschland vorgekommen ist und dort wohl auch ein wenig gezüchtet wurde. D i e P r ä g u n g aus jener Zeit hat sich bis ins Physiognomische, in H a l t u n g , Gestik, Manieren und Sprache ausgewirkt und ist auch im Alter immer noch deutlich s p ü r b a r geblieben. Gleichwohl setzte mit dem E n d e des Krieges zunächst große Unsicherheit und U n r u h e in Reisners beruflich jäh abgebrochener Entwicklung ein. Er siedelte nach Siebenbürgen über u n d versuchte sich dort in allerlei Betätigungen, die v o m J o u r n a l i s m u s bis zur Anzeigenacquisition, v o m Buchhalter bis zum Bibliothekar reichten und die schwankende wirtschaftliche G r u n d l a g e f ü r ein Leben intensiver privater Forschung, Denkarbeit und Gelehrsamkeit zu bereiten suchten. Im nominelläußerlichen Sinn hat Reisner j a nie studiert, nicht einmal das d a für nötige A b i t u r gemacht. I m J a h r e 1931 gestattete jedoch das Preußische Unterrichtsministerium durch einen eigenen E r l a ß dem 41jährigen Privatgelehrten und österreichischen H a u p t m a n n a. D . auf G r u n d dreier v o r a u f g e g a n g e n e r Buchpublikationen in M a r burg an der L a h n bei Erich F r a n k mit einer Arbeit über „ K e n n e n , Erkennen, A n e r k e n n e n " z u m D r . phil. zu promovieren. E s geschah s u m m a cum laude und w u r d e der erste Schritt, aus dem einstigen O f f i z i e r und K a v a l i e r einen Bürger der Gelehrtenrepublik zu machen. Zugleich w u r d e es Reisners erste lose B i n d u n g an Deutsch-
G e d e n k e n f ü r Erwin Reisner
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land und Preußen. Er blieb noch bis 1935 in Siebenbürgen, siedelte dann nach Wien zurück, wo er bis zu Hitlers Einzug 1938 als Sekretär beim internationalen Missionsrat tätig war. Die N a z i h e r r schaft ließ es ihm dann aus mehrfachem G r u n d ratsam erscheinen, Wien, es gab dort nur „deutsche Christen", wenn m a n der evangelischen Kirche angehörte, zu verlassen und über Berlin Beziehungen zur „Bekennenden Kirche" aufzunehmen. Diese ordinierte ihn nach insgeheim durchgeführtem Examen und beschäftigte ihn in Potsdam als Hilfsgeistlichen, zugleich arbeitete er in Grübers A m t für die rassisch Verfolgten. Mit Kriegsende und der G r ü n d u n g der Kirchlichen Hochschule in Berlin wurde Reisner deren erster Dozent f ü r Philosophie, war aber zugleich noch an der Sophienkirche bis 1948 als P f a r r e r tätig. Aus der Dozentur ist später die erste Professur f ü r Philosophie an dieser Hochschule hervorgegangen, die Reisner bis zu seiner Emeritierung innegehabt hat. Themen und Titel einiger vor dem Krieg herausgekommener Publikationen lauten: „Die Gesdiichte als Sündenfall und Weg zum Gericht" (erschienen bei Oldenburg 1929), „Die Kirche des Kreuzes und das deutsche Schicksal" (erschienen bei Christian Kaiser 1934), ein Kommentar „Der Brief an die H e b r ä e r " (ebenfalls bei Christian Kaiser 1938). Nach dem Kriege kamen heraus: bei Suhrk a m p 1947 „Der Dämon und sein Bild", ein K o m m e n t a r zur Johannes-Apokalypse „Das Buch mit den sieben Siegeln" bei Vandenhoeck u n d Ruprecht 1947, „Vom Ursinn der Geschlechter" (Lettner Verlag 1954), „Krankheit und Gesundung" (Lettner-Verlag 1956), „Der begegnungslose Mensch" (Lettner-Verlag 1964) und als letztes Werk „Die Juden und das deutsche Reich" (Eugen Rentsch Verlag, Zürich 1966). Reisners Image als Schriftsteller, Essayist und Denker w u r d e jedoch fast ebenso sehr wie durch seine Bücher und die Lehrtätigkeit an der Hochschule durch freie Publikationen in Zeitschriften geprägt. Wer die Literatur und Publizistik, darunter im besonderen die philosophische Essayistik der vergangenen zehn, f ü n f z e h n J a h r e durchmustert, w i r d seinem N a m e n und seinen Arbeiten in Merkur, Neue Deutsche Hefte, Eckart begegnen. Diese Beziehung zu Literatur* und Kulturzeitschriften hängt mit der besonderen N a t u r seiner Gabe zusammen. Der Lebensgang hat schon hinreichend deutlich
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Joachim
Günther
gemacht, daß es sich im Falle seiner Professur nicht um die übliche akademische Ochsentour gehandelt hat. D a s läßt sich noch grundsätzlicher formulieren: f ü r Wissenschaft und wissenschaftliche Philosophie und Theologie zählt Reisners Werk relativ wenig. E r war im Sinne eines Wortes von Rosenstock-Huessy ein „unreiner Denk e r " , den Theologen zuviel Philosoph, den Philosophen zuviel Theologe und beiden z u s a m m e n zu sehr Schriftsteller, als daß man ihn und seine Arbeiten dem System der Wissenschaften einigermaßen plausibel einordnen könnte. Diese Grenzen hat er jedoch nach oben, nicht nach unten überschritten ins Künstlerisch-Literarische ebenso wie in einem spekulativen philosophischen Alleingang seines Denkens. Was hat es mit Reisners Philosophie auf sich? Wie ließe sich ihre T h e m a t i k und ihre Thetik am knappesten formulieren? Im Hintergrund und am Beginn steht eine Prämisse. Reisner philosophiert nicht im freien R a u m der unendlichen Frage, sondern auf der Basis einer Erweckung und E r f a h r u n g in der Dimension von G l a u b e und O f f e n b a r u n g . Philosophie ist für ihn Hilfswissenschaft des G l a u bens, wenn schon nicht im scholastischen Sinn ancilla Theologiae. Zu einer solchen besteht eine feine Differenz, die vielleicht entfernt mit Reisners Konfessionswechsel in jungen J a h r e n z u s a m m e n h ä n g t . Als Österreicher w a r er zuerst K a t h o l i k und ist auch katholisch getauft und erzogen worden. D e r Konfessionswechsel selbst soll keine allzu gravierenden G r ü n d e gehabt haben. E r hat seinen Sinn aber nachträglich in einer langen wissenschaftlichen und publizistischen Entwicklung bekommen. Dennoch sind gewisse „katholische" Z ü g e in Reisners Verhältnis zu Wissenschaft und Philosophie bis zuletzt w i r k s a m geblieben. D a ß er f ü r sein D e n k e n die E s s a i f o r m , eine moderne A b w a n d l u n g des mittelalterlichen T r a k t a t s , wählte und zu beispielhafter H ö h e brachte, hat etwas mit diesen U r s p r ü n g e n zu tun. Ein Gleiches gilt f ü r seinen tiefen K o n s e r v a t i s m u s , die N e i gung zu metaphysischen H y p o s t a s i e r u n g e n , die seinem D e n k e n bis zuletzt eigen w a r . Reisner h a t im R a h m e n einer fast ins O n t o l o gische fixierten Zwei-Sphären-Vorstellung gedacht: H i e r die gefallene, dort die heile, die erlöste Welt; hier der Mensch von Zeit und Geschichte, dort der Mensch der Begegnung mit G o t t , die ihn außerhalb von Zeit und Geschichte stellt. W a s er über Mythen und
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Gedenken für Erwin Reisner
D ä m o n e n in seinem farbigsten W e r k , „ D e r D ä m o n und sein B i l d " zu sagen hat, muß aus diesem Z w e i - W e l t e n - S c h e m a
verstanden
werden. E r geht nicht empirisch als Mythenforscher oder als T i e fenpsychologe an den historischen und den verdeckten gegenwärtigen B e s t a n d mythischer Vorstellungen und Denkweisen heran, sondern benutzt die Ergebnisse beider Disziplinen, um seinerseits dem M y t h u s jene negativen Sinngehalte zu entlocken, die dieser, als W e l t der G ö t t e r und D ä m o n e n , von jeher für den Offenbarungsglauben gehabt hat, mit denen er diesem zu frontaler konfessioneller P o l e mik diente. M y t h u s - P o l e m i k blieb aber insofern früher immer eine unsichere Sache, als von hinten und unten mythische P r o j e k t i o n e n in den Zusammenhang des Glaubens immer wieder hineingedrungen sind. Nicht nur die Geschichte, K u l t u r - und Religionsgeschichte des Altertums, des fernen Ostens, des fernen Westens oder die der N a t u r v ö l k e r ist durchweg vom „Dämon und seinem B i l d e " zeichnet, auch die des abendländischen Christentums h a t
ge-
genug
Einschläge dieser unreinen Art. Hinzu k o m m t die uferlose nachchristliche Mythenbildung und Dämonisierung in der Wissenschaft und den Sozialreligionen
unserer Tage. Diesen
ganzen
Komplex,
faktischen
der
der
fast
der
Geschichte
riesigen
Menschheit
kongruent ist, ruft Reisner in die Schranken. D a s geschieht jedoch nicht auf den Wegen einer direkten, rational-verstandenen klärung, also nicht durch das, was sich seit B u l t m a n n logisierung nennt — die verdeckten D ä m o n i e n von und
Aufklärung
Reisners
sind
gerade
ein
sehr
wesentliches
Philosophie der Entdämonisierung
—,
Auf-
EntmythoRationalität Thema
sondern
in
es ge-
schieht über die Entdeckung der Person, ihre Befreiung in der h ö renden und vernehmenden Beziehung zum O f f e n b a r u n g s w o r t G o t tes in Christo. V o r diesem W o r t wird alles andere Menschentun und Menschendenken in unendlichen Abstufungen, die v o m „aristokratischen Satanismus" des Buddhisten bis zum Animismus und Totemismus der Primitiven reichen, dämonistisch, darunter auch die E s k a p a d e n des sogenannten freien Gedankens, der freien Wissenschaft und Geschichtsphilosophie. W i r referieren hier in großen, zusammenfassenden Zügen, was in Reisners Schriften, ob sie nun die M y t h e n k u n d e oder die F r a gen von K r a n k h e i t und Gesundheit oder das M y s t e r i u m der G e -
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Joachim
Günther
schlechtsliebe oder die Kritik der historischen Vernunft zum engeren Thema haben, innerhalb seines allgemeinen Schemas der beiden Welten u n d Seinsweisen mit subtilen Details an Fakten und begrifflicher Differenzierung ausgeführt ist. Sein entschiedener metaphysischer Konservatismus hat ihm den Sinn f ü r große Probleme und letzte Dinge in einer heute fast schon anachronistisch erscheinenden Weise erhalten, wenn ihn umgekehrt auch zuweilen die Versuchung angekommen ist, dem abstrakten Denken zuviel zuzutrauen. Die Schrift „Der Dämon und sein Bild" setzt die kleine erlesene Reihe spekulativer Mythenforschungen und Mythendeutungen fort, f ü r die die N a m e n Schelling, Creuzer, Bachofen zu nennen w ä ren, unterscheidet sich von solchen Vorgängern jedoch durch ihren fest abgestützten theologischen Hintergrund, der die Methode dieser Mythenauslegung bestimmt. Obwohl auch Reisner „Entmythologisierung" betreibt, verfolgt er eine solche Tendenz jedoch in entgegengesetzter Richtung wie Bultmann und dessen Schule. Nicht A u f h e bung oder existentielle Reduktion von Mythos und D ä m o n , sondern Ausweitung der Kategorie des Dämonischen auf das gesamte „natürliche" Denken und Tun des Menschen. Reisner kann von dieser Sicht her Mythen lesen, nicht nur interpretieren, sie sind ihm kein rationales, sondern allenfalls ein existentielles Ärgernis, kein Gegenstand des Eliminierens, der in seiner ursprünglichen biblischen oder außerbiblischen Gestalt „erledigt" ist, sondern eine Frage an die menschliche Freiheit und Erlösung. Mythen müssen durchschaut u n d durchleuchtet, danach vom Glauben her in seinen Vorstellungshorizont einbezogen oder von ihm ausgeschlossen werden. „Der normale Abendländer sieht keine Dämonen, er kennt sie nicht aus E r f a h r u n g , sondern nur vom Hörensagen, aus den überlieferten Berichten vergangener Geschlechter und fremder Völker", heißt es in der Einleitung zu dem Dämonbuch Reisners, das danach diese Blindheit f ü r das Dämonische als ihrerseits dämonisch erweist. Inzwischen sind wir etwas scheuer mit der Kategorie des D ä m o n i schen geworden. Reisners Untersuchung verrät an dieser Terminologie indirekt ihre geschichtliche Stunde und deren sprachlichen Ausdruck. Das m a g sich heute einschränkend auswirken, da wissenschaftlich mit dem Begriff des Dämonischen so wenig wie mit G o t t und Teufel zu arbeiten ist. Das bedeutet jedoch nicht, d a ß in einer
G e d e n k e n f ü r E r w i n Reisner
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spekulativen Gesamtschau des menschlichen Daseins — und um eine solche geht es bei Reisner allein — diese ietzten Begriffe zu entbehren sind. Als Reisner 1947 — im gleichen Jahr, in dem auch „Der D ä m o n u n d sein Bild" erschien — seinen K o m m e n t a r zur Johannesapokalypse unter dem Titel „Das Buch mit den sieben Siegeln" veröffentlichte, machte sich in dem bald darauf einsetzenden Streit über die Wissenschaftlichkeit und Legitimität spekulativer Deutungsmethoden im Hinblick auf ein Buch wie die Johannesapokalypse die U n terschiedlichkeit seiner diesbezüglichen Forschung u n d Interpretation neutestamentlicher Schriften zur wissenschaftlichen neutestamentlichen Forschung und Exegese kenntlich. Es gibt da kaum eine Brücke. Der Neutestamentier wird allemal pneumatische, von spekulativem Geist getragene Deutungen, wie Reisner sie gegeben hat, als unkontrollierbar und demnach unwissenschaftlich verwerfen, er wird ihnen gegenüber aber auch die A r m u t und Enge seiner Methoden indirekt herauskehren, f ü r die ein Buch wie die Johannesapokalypse eben doch, trotz aller philologischen und religionsgeschichtlichen Detailerforschung das Buch mit den sieben Siegeln bleiben wird. Anders ausgedrückt: es ist nicht einzusehen, w a r u m nicht Geist so hochspekulativer und pneumatischer Art, wie er in dem letzten biblischen Buch inkorporiert ist, seinerseits spekulativ und pneumatisch angegangen werden könnte, auch wenn die Ergebnisse unkontrollierbar bleiben. Im schlechten Sinn spekulativ, also p h a n tastisch, obskur, willkürlich sind sie bei Reisner bestimmt nicht. Der Leser und gerade der relativ unvorbereitete, aber auch der, der praktisch im Dienst der Kirche mit diesem Buch umgeht, wird Reisners K o m m e n t a r auch heute noch und wer weiß bis in welche Zukunft hinein mit einem Gewinn lesen, der weit über den der meisten Wissenschaft hinausgeht. Es gilt hier ähnlich wie gegenüber dem späten Schelling, schon vorher gegenüber J a k o b Böhme oder F r a n z von Baader, einen Dogmatismus der Wissenschaftlichkeit in seine Grenzen zu verweisen, wenn der geniale Außenseiter ihn überspringt. Reisner hat zu keinem älteren Philosophen eine so nahe Beziehung wie zu Schelling, insbesondere zum späten Schelling gehabt, dem Schelling der Philosophie der Mythologie. D a r i n liegt über
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Joachim
Günther
alles Inhaltliche hinaus Verwandtschaft des Denktypus, schließlich sogar, mutatis mutandis, auch ein wenig des menschlichen Schicksals. Auch der späte Schelling blieb ja außerhalb einer historischen Stunde, die nur dem frühen Schelling beschieden war — die durch Hegel gebrochenen Bahnen waren nicht mehr rückgängig zu machen. Dennoch ist uns in den seitdem verflossenen hundertfünfzig Jahren gerade der späte Schelling immer interessanter und wichtiger geworden. Das mag, wiederum mit vielen Vorbehalten und Einschränkungen, auch für Reisners stille Denkarbeit und ihre möglichen Nachwirkungen gelten. Es wäre vieles zu sagen über seine Metaphysik der Erotik, einbefaßt in dem Buch „Vom Ursinn der Geschlechter", das vielleicht überhaupt zum ersten Mal die Geschlechtsliebe deutlich vom Partner, von der Dualität menschlichen Seins her erfaßt, also einerseits über die psychologische und psychoanalytische Ebene hinausbringt, andererseits doch nicht in einer rein begrifflich-metaphysischen Erörterung nach dem Muster des platonischen Eros oder der einseitig-männlich orientierten Metaphysik der Geschlechtsliebe Schopenhauers stecken bleibt. Es wäre weiterhin Reisners Arbeit über Gesundheit und Krankheit zu gedenken. Der kranke Mensch ist ja für ihn der besonders sprechende Ausdruck des gefallenen Lebens, der Unwirklichkeit dieses Lebens gewesen, was sich bis zu so „harten" Äußerungen steigern konnte wie der, daß es auf medizinische Lebensverlängerung im Grunde doch nicht ankäme, weil hier nur unwahres, unwirkliches, scheinhaftes Leben verlängert werde. Vielleicht das unerschlossenste, in jedem Fall das für Reisner selbst am wichtigsten gewesene, von ihm als eine Art Hauptwerk angesehene und dementsprechend lange im Innern herumgetragene Buch war aber die Untersuchung „Der begegnungslose Mensch", die er im Untertitel „Eine Kritik der historischen Vernunft" genannt hat. In diesem Werk wird „Sein und Zeit", die existentielle Grundthematik, verhandelt und zwar im Aspekt der historischen Vernunft. Der Terminus stammt bekanntlich von Dilthey. Später hat der katholische Philosoph Alois Dempf ihn aufgegriffen. Reisner differenziert den Ausdruck im Eingang seines Buches dergestalt gegen seine beiden Vorläufer, daß der Begriff bei ihm mit dem, was Dempf darunter versteht, nichts, mit dem, was Dilthey darunter
Gedenken für Erwin Reisner
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verstand, nur am Rande zu tun hat. Bei Dempf wird die jeweilige kontingent innergeschichtliche Vernunft analysiert, bei Dilthey geht es im Ansatz zwar um eine Analyse der Geschichte konstituierenden Kategorien, in der Praxis biegen seine Untersuchungen aber bald ins Geistesgeschichtliche, ins Historische im engeren Sinn, ab. Reisner fragt beiden gegenüber im analogen Sinn zu Kant nach den Strukturen, die unser geschichtliches Wirklichkeitsverständnis ermöglichen: „Wie sind historische Urteile möglich?" Eine Fragestellung, bei der es nicht ausbleiben kann, daß die Erörterung des Problems der Zeit ihren Kern ausmacht. Auch Kant hat die Frage der Zeit in seine Vernunftkritik einbezogen, aber nur die „unendliche" physikalische Außenzeit. Die Innenzeit, das eigentliche Problem der Zeit für den Menschen, das solche Fragen wie Unumkehrbarkeit, Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, Vergänglichkeit, Dauer, Veränderlichkeit, überhaupt Sein und Zeit aktiviert, ist von Kant beiseite gelassen worden, obwohl schon Leibniz, Suarez, später Fichte, neuerdings Weininger, Spengler, Heidegger, Berdjajew, Hedwig Conrad-Martius die Zeitanalyse auch in dieser Richtung in Gang gesetzt haben. Man wird auch Reisners Schrift in diesen Zusammenhang einzuordnen haben. Augustins berühmtes Wort, daß er wisse, was die Zeit ist, wenn er darüber nicht zu reden brauche, daß er es nicht wisse, wenn er sprechen solle, ist inzwischen nicht mehr der Weisheit letzter Schluß über das Wesen der Zeit. Reisner bringt in seiner Schrift eine ganze Reihe neuer oder neu zugespitzter Begriffsbestimmungen der Zeit, die im Vorfeld des Problems beginnen mit einer Unterscheidung von „konstituieren" und „phaenomenalisieren". Unter dem ersten ist das begriff liehe Fixieren, unter dem zweiten das Objektivieren von Wirklichkeiten zu verstehen. Der Grad der Objektivierung ist beim Phaenomenalisieren höher, zugleich die Entzeitlichung, die Verwandlung ins Außenzeitliche, Physikalische und „Tote". Geschichte, wie wir sie verstehen, ist in diesem Sinne die Phaenomenalisierung des Vergangenen. Die Kritik an der historischen Vernunft besteht daher im Aufweis der Differenzen, die zwischen der Innenzeit des gelebten Lebens und den ins Außenzeitliche gewendeten Faktizitäten der erforschten und beschriebenen Geschichte bestehen. „Das Vergangene kommt, d e n R ü k ken zu mir, in der Geschichte zurück, getötet, objektiviert. Die Hi-
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Joachim
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storiker sind die Konquistadoren der Zeit, sie zertreten das Gefundene unter ihren Füßen. Vergangenheit haben heißt auch Vergangenheit sein, ich bin das Allervergangenste. Vergehen bedeutet nicht nur die Gegenwart verlieren, sondern zunehmend auch die Kontinuität mit der Gegenwart. Geschichte ist ontologisch verstanden ein regelloses Trümmerfeld (Hegel). Der die Vergangenheit auf ihr Vergangensein festlegende Historiker wird zum homme passe". Soweit einige Sätze aus dem Buch. Diese Fundamentalkritik am Geschäft des Historikers ist sub specie aeternitatis, ähnlich wie Reisners Mythus- und Dämonkritik, zu verstehen. Er spielt keine abstrakte Gegenwärtigkeit, keine mythologische „ewige Gegenwart" gegen die Zwänge unseres Geschichtsdenkens aus. Seine Kritik bestimmt nur ohne philosophische Positivität die Grenzen des historischen Denkens. Erst im Schlußkapitel des Werks weitet sich der Horizont im Sinne eines eschatologischen Zeitbewußtseins. Das kleine Werk enthält „schweres Wasser" der Spekulation, mit dem die Fachforschung der Historiker kaum etwas wird anfangen können, das aber die philosophische Durchdringung der „letzten Dinge" — und die sind ja nichts anderes als die Fragen nach Sein und Zeit — ohne die sonst üblichen Reste vorantreibt. Vielleicht daß sich an dieses Werk am besten und leichtesten das anschließen könnte, was im Ganzen für Reisner von künftigen Tagen und Jahren zu erhoffen ist: neue Lektüre, neues Rezipieren und Bedenken der von ihm aufgeworfenen Fragen und der für sie angebotenen Lösungen. Daß unausgelebtes Leben und denn also auch Zukunft in seinem Werk steckt, dürfte g«wiß sein.
F R I T Z D E H N , DEM 7 5 J Ä H R I G E N , ENTBIETET DAS K O L L E G I U M DER K I R C H L I C H E N
HOCHSCHULE
G L Ü C K W U N S C H UND G R U S S .
Hochverehrter und lieber Freund! Sie gehören zur Kirchlichen Hochschule Berlin nicht nur als einer ihrer Professoren, sondern als einer der Männer, die mit ihren Aufgaben und ihrem Leben innerlichst verwachsen sind. Es liegt im Wesen dieser Hochschule, in ihrer Arbeit über die Grenzen der theologischen Wissenschaft hinauszugehen und in ihre Tätigkeit in Forschung und Lehre andere Gebiete der Geisteswissenschaften einzubeziehen. Dabei war es für den Lehrkörper und die Studentenschaft ein großes Geschenk, Sie, verehrter Freund, als Literaturwissenschaftler zu gewinnen. In Ihrem Werk über Rainer Maria Rilke und den sich daran anschließenden Studien haben Sie bleibende Muster kongenial einfühlender Deutung geschaffen. Dies war Ihnen möglich, weil Sie die Methode strenger Wissenschaft mit der echten Gabe des Dichters in sich vereinigen, der um das Wesen der Grenze weiß. Nicht zufällig trägt eines Ihrer Bücher daher den Titel „Der Mensch an der Grenze". Ihre Wirkung hat im In- und Ausland die verdiente Würdigung erfahren und Sie in enge Verbindung mit führenden Geistern der Gegenwart gebracht. Wir gedenken dabei der nahen Freundschaft, die Sie mit Max Picard bis zu dessen Lebensende verband. Das Problem des Todes hat Sie immer beschäftigt. Davon legen Ihre Vorlesungen und Ihre literarischen Arbeiten ein ebenso beredtes Zeugnis ab wie Ihre Dichtung „Das Gespräch vom Tode". Für Ihr gesamtes Wirken, das die wiedererstandene Kirchliche Hochschule wesentlich mitgeprägt hat, dankt Ihnen das Kollegium an dem Tage, an dem Sie Ihr 75. Lebensjahr vollenden, und spricht Ihnen zugleich die herzlichsten Wünsche aus. In aufrichtiger Verehrung im Namen des Kollegiums der Kirchlichen Hochschule Berlin, den 23. Juli 1966 Ulrich W i l c k e n s
JAHRESBERICHT Ü B E R D A S R E K T O R A T S J A H R 1963/64 erstattet am 11. November 1964 Durch MARTIN
FISCHER
Hochansehnliche Versammlung! Zur Feier der Rektoratsübergabe und der Semestereröffnung heiße ich Sie herzlich willkommen. Es ist mir eine Freude, unsere Gäste begrüßen zu dürfen. Ich begrüße die trotz der eben tagenden Synode anwesenden Vertreter der Kirchenleitung und der kirchlichen Behörden. Ich begrüße den Herrn Senator für Wissenschaft und Kunst und seine Mitarbeiter, die Vertreter der staatlichen und städtischen Verwaltung, ich begrüße die Vertreter der Berliner Hochschulen, die sich für diesen Morgen frei gemacht haben, ich begrüße die Mitglieder unseres Kuratoriums, und ich begrüße unter unseren Gästen insbesondere mit großer Freude Herrn Missionsdirektor Brennecke, den Ehrendoktor unserer Hochschule, der nach jahrelanger Trennung erstmalig wieder aus Ostberlin zu uns hat kommen können, und den Generalsekretär des Oekumenischen Rates der Kirchen, Herrn Professor D r . Visser't Hooft und grüße alle mit den Gästen versammelten Glieder des Kollegiums, Dozenten und Assistenten, die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen unserer Hochschule, die Kommilitonen und Kommilitoninnen. Lassen Sie uns, ehe wir uns einen Uberblick über die Arbeit im vergangenen J a h r verschaffen, eines Mannes gedenken, der durch den Tod abgerufen und für die Ewigkeit vollendet ist. Am 13. Juni 1964 ist das Mitglied unseres Kuratoriums, Herr Generalsuperintendent D . Immanuel Pack, von schwerem Leiden durch den Tod erlöst. Er hat in den Jahren der Kraft nicht nur der Kirche in BerlinBrandenburg, sondern auch unserer Hochschule durch treuen und sehr bestimmten R a t gedient. Er hat, als er an seinen Stuhl gebunden, schon seiner Sprache nicht mehr mächtig war — daran erinnert durch die an seinem Garten vorbei in die Kollegs eilenden Studen-
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ten —, das A m t der Fürbitte verwaltet. Wir befehlen ihn und uns der G n a d e Gottes, deren Prediger und Diener er mitten unter uns gewesen ist. Sie haben sich zu Ehren des Entschlafenen von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen. Im Kreis der an der Kirchlichen Hochschule Lehrenden und in mancherlei Ämtern dienenden Helfer sind in dem hinter uns liegenden Rektoratsjahr folgende Veränderungen vorgegangen. Als Professor Dr. Rendtorff den vorigen Tätigkeitsbericht erstattete, hatte er schon eine Professur in Heidelberg übernommen. Auf den durch seinen Abgang frei gewordenen Lehrstuhl w a r der Dozent D r . Rudolf Smend aus Bonn berufen worden, und auf den neu geschaffenen Lehrstuhl für Praktische Theologie der P f a r r e r Ernst Lange aus Spandau. Als wir im N o v e m b e r vorigen Jahres die Arbeit begannen, wurden bei Gelegenheit der Rektoratsübergabe und Semestereröffnung beide zu Professoren des Kirchlichen Lehramtes ernannt und nach ihrer Verpflichtung in ihr Amt eingef ü h r t . Die Berechtigung, den Professortitel öffentlich zu führen, w u r d e ihnen durch Verfügung des H e r r n Senators f ü r Wissenschaft und Kunst zuerkannt. Ausgeschieden ist aus dem Lehrkörper unserer Hochschule H e r r Professor D r . Fritz Maaß, der seine Lehrtätigkeit an der Kirchlichen Hochschule seit 1948 im Lehrgebiet des Alten Testaments wahrgenommen hat. Er w a r im J a h r 1961/62 Rektor unserer Hochschule und ist nach dem Ubergang seines Nachfolgers in die Heidelberger Professur bis zuletzt noch einmal P r o r e k t o r unserer Hochschule gewesen. Wir schulden ihm f ü r die Leitung der Hochschule, f ü r Forschung und Lehre und für die, seiner besonderen Gabe entsprechende, unermüdliche Bemühung um die Studenten großen D a n k . Professor M a a ß hat den Ruf auf einen Lehrstuhl in Kiel angenommen und hat dort seine Tätigkeit bereits begonnen. Nach mehrjähriger Tätigkeit im Hebräisch-Unterricht u n d alttestamentlichen Proseminar ist der an der Kirchlichen Hochschule p r o m o vierte D r . Lothar Perlitt in eine Assistentenstelle nach Mainz übergewechselt. D r . Dieter Vetter, der Kurse f ü r Lehramtskandidaten u n d zur Vertiefung der hebräischen Kenntnisse gehalten hat, hat eine Stellung als Oberstudienrat in Mannheim übernommen. W i r d a n k e n diesen beiden jüngeren Mitarbeitern f ü r gewissenhafte und
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erfolgreiche Arbeit. Ebenso dem Assistenten Martin Lehmann, der Repetitorien im Neuen Testament gehalten hat und jetzt in ein Berliner Pfarramt übergegangen ist, — wie denn in der Reihe der Assistenten und Hilfsassistenten mehrfach Wechsel zu beobachten war. Der Hochschule ist von ihrem Kuratorium für jeden Lehrstuhlinhaber ein Assistent bewilligt worden. Sie strebt aber den weiteren Ausbau des akademischen Mittelbaus in den verschiedenen Funktionen an. In der Bibliothek sind im Berichtsjahr Herr Pastor Malchin und die Diplom-Bibliothekarinnen Frau Regine Holst und Fräulein Ellen Koth neu in die Arbeit eingetreten. Auf den durch den Abgang von Professor Maaß verwaisten Lehrstuhl für Altes Testament ist Herr Professor D. Otto Ploeger, Bonn, berufen worden. Wegen der Verpflichtungen durch die besondere Lage der Bonner Fakultät hat Professor Ploeger eine bindende Zusage, die von ihm ernsthaft erwogene Berufung an unsere Hochschule anzunehmen, noch nicht geben können. Wir danken dem Dozenten für Altes Testament in Kiel bzw. Göttingen, Herrn Dr. Henning Graf Reventlow, daß er trotz der Reiseschwierigkeiten zwischen Kiel, Göttingen und Berlin die Vertretung auf dem vakanten Lehrstuhl für das Winter-Semester 64/65 übernommen hat. Dazu haben wir an Stelle von D r . Perlitt für den Hebräisch-Kurs Herrn Dr. Hans-Peter Müller gewonnen. Wir wünschen beiden gedeihliche Arbeit. D a für diesen Winter Herr Professor Dr. Wilckens ein Freisemester erbeten und erhalten hat, wird Herr Oberkonsistorialrat Dr. Förster dankenswerterweise mit einer Vorlesung über Gleichnisse Jesu die Lücke im Lehrgebiet des Neuen Testaments schließen helfen. Auch ihm sei Freude an erfolgreicher Tätigkeit beschieden. Herr Professor D r . Kelletat konnte wegen einer Amerikareise seinen Lehrauftrag für Literaturwissenschaft nicht wahrnehmen. Er wurde vertreten durch Herrn Professor Dr. Wilhelm von der Pädagogischen Hochschule Berlin, dem wir für freundliche Aushilfe im Sommersemester unseren D a n k aussprechen möchten. Prof. Kelletat hat inzwischen seine Lehrtätigkeit mit einer Vorlesung über den jungen Goethe wieder aufgenommen.
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Das Dozentenkollegium hat dem verdienten Leiter des ökumenischen Seminars, H e r r n Professor D r . Winterhager, Sitz u n d Stimme im Kollegium verliehen. Durch den Dienst des ökumenischen Seminars ist unsere Hochschule in einzigartiger Weise mit der theologischen und kirchlichen Arbeit verschiedenster Kirchen der Weltchristenheit verbunden. Bei Gelegenheit der E h r e n p r o m o tion des freikirchlichen Superintendenten D r . Eckstein durch eine amerikanische Hochschule, die in unseren Räumen vorgenommen wurde, ist d a n k b a r und ganz in unserem Sinne zum Ausdruck gekommen, d a ß sich die Kirchliche Hochschule auch f ü r die deutschen Freikirchen o f f e n hält. Die Dozenten der Kirchlichen Hochschule haben in mehreren Fällen L e h r a u f t r ä g e in anderen Hochschulen dieser Stadt wahrgenommen. Besonderen D a n k schulden Kirche und Hochschule unserem Kollegen, P r o f . D. Vogel, der noch immer die doppelte und dreifache Bürde trägt, als Professor der Dogmatik an der H u m boldtuniversität und an der eigenen Hochschule, sowie am Sprachenkonvikt in Ostberlin zu lesen. So stellt er mit schier u n z u m u t barem K r a f t a u f w a n d eine Brücke dar, die die beiden Teile unserer Kirche verbindet. W ä h r e n d im letzten Jahresbericht darüber zu klagen w a r , d a ß keine ordentliche Promotion zum D r . der Theologie hatte durchgeführt werden können, haben im vergangenen Berichtsjahr drei Promovenden den Doktortitel erworben. Es sind dies: der Berliner Vikar Eberhard Scherer (cum laude), der F r a n k f u r t e r P f a r r e r Roman Rössler (summa cum laude), u n d der Hilfsassistent K a r l Wilhelm N e u b a u e r (cum laude). Darüber hinaus steht zu hoffen, d a ß in diesem J a h r mehrere Promotionen, die schon anstehen, zum Abschluß gebracht werden können. Nach der Durchschneidung unserer Stadt durch den Mauerbau 1961 hat die Hochschule mehrere Promovenden aus dem anderen Teil unseres Vaterlandes nicht bis zum Abschluß der Arbeit bringen können. Diese Arbeiten sind aber zum Teil an den Fakultäten der D D R f o r t g e f ü h r t u n d z u m Abschluß gebracht w o r d e n . Im Berichtsjahr hat die Kirchliche Hochschule zwei den Weg und das Verständnis der Kirchlichen Hochschule bezeichnende Ehrenpromotionen vorgenommen. Am 13. N o v e m b e r 1963 h a t sie
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den Generalsekretär des Oekumenischen Rates der Kirchen, Herrn Professor Dr. Visser't Hooft, zum 25. Jubiläum seines Generalsekretariats die Rechte und Privilegien eines D. der Theologie ehrenhalber verliehen. Zu unserer großen Freude ist es nach manchen Ansätzen, die nicht zum Ziel führten, heute möglich geworden, daß der von der Hochschule zu ehrende Gast unter uns sein kann, um die Ehrenurkunde durch den jetzt amtierenden Rektor persönlich in Empfang zu nehmen. Das Wirken des Jubilars ist gewiß nicht selten gewürdigt worden, und es bestand auch kein Mangel an akademischen Ehrungen aus aller Welt. Aber es schien uns ein unmöglicher Gedanke, daß nicht auch aus dem Raum unseres Vaterlandes, seiner Kirche und seiner akademischen Theologie, deutliche Zeichen dankbarer Anerkennung dem so ungewöhnlich verdienten Herold der ökumenischen Bewegung zukommen sollten. So hat der frühere Kurator der Kirchlichen Hochschule, Herr Kirchenrat Dr. Berg, mit Mitarbeitern unserer Hochschule und ökumenischen Freunden den Dokumentarband „Stimmen aus der Ökumene" zusammengestellt, den der Vorsitzende des Rates der E K D und Vorsitzende unseres Kuratoriums, Herr Präses D. Scharf, dem Jubilar überreichen konnte. Da tritt in 130 Beiträgen aus aller Welt an den Tag, was D. Visser't Hooft den Kirchen der Welt bedeutet hat, wieviele Zeugen des Evangeliums er zu Boten und Dienern der Einheit in der ökumenischen Bewegung hat berufen können. Deutschland hat durch schwere Jahrzehnte an ihm einen treuen und kritischen Begleiter gehabt. D. Visser't H o o f t hat der deutschen akademischen Jugend im Christlichen Studentenweltbund gedient, er hat auf Studentenkonferenzen und Kirchentagen, auch wenn sie während des Kirchenkampfes vom Verbot bedroht waren, selbst das Wort ergriffen. Als die Kirche in Deutschland als ein Glied der Kirche Christi litt, hat er immer wieder die ganze Ökumene aufgerufen, den Weg der kämpfenden Kirche mit Aufmerksamkeit und Fürsorge zu begleiten. An der theologischen Arbeit in Deutschland hat er lebhaften Anteil genommen. Er war dabei, als das Stuttgarter Schuldbekenntnis gesprochen wurde und die entstellte Kirche Deutschlands zurückkehren konnte in die brüderlich gewährte und dann so schnell wachsende Mitarbeit im ökumenischen Rat und seinen vielerlei Arbeitsgremien. D. Visser't Hooft hat unsere Hoch-
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schule nach 1945 mehrfach besucht und sich als Freund und Förderer erwiesen. Ihm lag am Versuch unserer Hochschule, das Erbe der Bekennenden Kirche in einer reformatorisch bestimmten Theologie fruchtbar zu erhalten. Er hat auch die Verpflichtung unserer Hochschule verstanden und gestützt, dem Zusammenhalt der Kirche und ihrer theologischen Arbeit in Ost und West nach K r ä f t e n zu dienen und so ökumenische Zusammengehörigkeit im deutschen R a u m durch gegenseitige Rücksichtnahme und Verpflichtung w a h r z u n e h men. Der Weg unserer Hochschule ist ohnehin ohne die H i l f e der uns ökumenisch verbundenen Kirchen nicht zu denken. Es kam deshalb gerade unserer Hochschule zu, — stellvertretend f ü r die akademischen Lehrstätten unseres Vaterlandes — den vielgeehrten Architekten des ökumenischen Rates auch in Deutschland mit der Verleihung eines Doktors der Theologie zu ehren. Die zweite Ehrenpromotion im Berichtsjahr galt bei Gelegenheit seines Aufenthaltes in Berlin, zu dem der Senat von Berlin eingeladen hatte, dem N e g e r p f a r r e r aus den Vereinigten Staaten, D r . Martin Luther King. Er ist aus Liebe zu Jesus Christus zum mutigen und selbstlosen Führer im K a m p f e um das Recht und die Freiheit unterdrückter Menschen geworden. Er hat seine Brüder beständig angehalten, sich vom H a ß freizuhalten und ihr Vertrauen nicht auf Gewalt zu setzen. Er hat ein leuchtendes Beispiel christlicher V e r a n t w o r t u n g f ü r die Gesellschaft gegeben u n d die Frage der Bedeutung der christlichen Liebe für das politische Leben und das Verhältnis von Liebe und Gewalt mit Ernst und in gelehrter Weise durchdacht und d a m i t der Teilnahme der Christen am politischen Leben neue Wege gewiesen. Die Kirchliche Hochschule, die selbst in schmerzlichen K ä m p f e n während des 3. Reiches und nach dem Kriege in einem zweigeteilten Volk hat lernen müssen, was die öffentliche Bezeugung der Liebe und der Gebote Gottes fordert, was also die Bewährung von Glauben und Theologie im K a m p f f ü r die rassisch Deklassierten bedeutet, hat sich genötigt gesehen, dieses Mannes öffentlich in D a n k und Ehrerbietung zu gedenken, und hat ihm, des zum Zeichen, die W ü r d e eines D o k t o r s der Theologie ehrenhalber verliehen. Die Nachricht, d a ß wenige Wochen nach der Ubergabe unserer U r k u n d e am 13. September M a r t i n Luther King
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der Friedensnobelpreis dieses Jahres zuerkannt wurde, hat uns mit Freude und Genugtuung erfüllt. Weniger einmütig hat das Kollegium der Hochschule immer wieder die Frage ihres Status und ihrer rechtlichen Gestalt erörtert. Verhandlungen des dafür zuständigen Kurators mit den zuständigen staatlichen Stellen, die die stärkere rechtliche Fundierung der Hochschule zum Ziel haben sollten, sind, nicht zuletzt durch den Wechsel im Amt des zuständigen Senators, nicht so schnell und fruchtbar begonnen und fortgeführt worden, wie wir gehofft hatten. In einem Brief vom 9. Februar 1964, den Präses D. Scharf als Vorsitzender des Kuratoriums an den damals amtierenden Senator für Wissenschaft und Kunst, Dr. Arndt, richtete, heißt es: „Das Kuratorium der Kirchlichen Hochschule, dem neben Vertretern des Dozentenkollegiums Beauftragte von 4 westdeutschen und 4 mitteldeutschen Landeskirchen angehörten, ist einmütig der Ansicht, daß 1. die Selbständigkeit der Kirchlichen Hochschule nicht aufgegeben werden darf, 2. ein Nebeneinander von Kirchlicher Hochschule und einer Theologischen Fakultät an der FU nicht wünschenswert ist." Nach eingehender Begründung und mit Hinweis auf das der Kirchlichen Hochschule 1958 verliehene Promotionsrecht sind dann die Bitten folgendermaßen formuliert: „Wir bitten den Senat um die Bestätigung, daß die Kirchliche Hochschule in Berlin die Funktionen einer theologischen Fakultät im Bereich von Westberlin w a h r nimmt. W i r bitten in Ausführung dieser Bestätigung um die zusätzliche Erklärung, daß der Kirchlichen Hochschule nicht nur das ihr zugesprochene Promotionsrecht, sondern auch das Habilitationsrecht zusteht, und daß dementsprechend die Bestimmungen über das Triennium auch dann als erfüllt anzusehen sind, wenn ein Student an der Kirchlichen Hochschule studiert." — Das Schreiben von Präses Scharf ist dann von dem Amtsnachfolger von Senator Dr. Arndt, von dem Herrn Senator Professor Dr. Stein am 15. J u n i 1964 beantwortet worden mit Hinweis auf die auszuhandelnden Einzelfragen. Darauf trat ein aus Vertretern des Dozentenkollegiums, des Kuratoriums und der Kirchenleitung gebildeter Ausschuß zusammen, um in einem Memorandum die Grundlagen für die weiteren Verhandlungen zu erarbeiten. Der vorläufige Abschluß der Arbeit dieses Ausschusses vom 26. August 1964 soll die Grundlage
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der weiteren Arbeit bei den verschiedenen, mit dem Fortgang der Verhandlungen betrauten Instanzen sein. Es wird sich nun zeigen, ob die verschiedenen Interessen und die verpflichtenden Gesichtsp u n k t e der verschiedenen Kontrahenten zu allgemeiner Zufriedenheit aufeinander abgestimmt werden können. Die gewiß gewichtige Frage des Trienniums hat insofern nicht mehr die alte Bedeutung, als der heutige Student in der Regel nicht wie f r ü h e r acht, sondern mindestens zehn Semester studiert, sod a ß neben 6 Universitätssemestern ohne weiteres 4 Berliner Semester möglich wären, falls nicht schon vorher eine Kirchliche Hochschule besucht wurde. Die Anwendung des Trienniums auf die Kirchliche Hochschule ist freilich auch insofern überholt, als die Hochschule längst praktisch die Funktionen einer Theologischen Fakultät w a h r n i m m t , und als Lehrkörper und Studentenschaft in wachsender Arbeitsgemeinschaft mit den Universitäten und Hochschulen unserer Stadt leben. D a ß die Kirchliche Hochschule sich dabei nicht n u r der Freien Universität, sondern auch der wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft mit der Technischen Universität und den anderen wissenschaftlichen Hochschulen verbunden sehen möchte, könnte einem theologisch sehr begründeten Verständnis von den Funktionen einer Theologischen Fakultät im Kreis aller Wissenschaften f ü r die besonderen Verhältnisse dieser Stadt mit ihren verschiedenen Hochschulen entgegenkommen. Aber auch dies bedarf im einzelnen der begonnenen und f o r t z u f ü h r e n d e n Verhandlungen. Im F r ü h j a h r 1964 ist der seit langem angekündigte Bau des Hörsaalgebäudes der Kirchlichen Hochschule begonnen worden. A m 18. M ä r z 1964 hat H e r r Präses D. Scharf den Grundstein gelegt. Die in den Grundstein eingelassene U r k u n d e bekundet noch einmal den A u f t r a g , dem sich die Kirchliche Hochschule verpflichtet weiß. Die Verhandlungen f ü r die Erteilung der Baulizenz hatten sich lange hingezogen. Als diese vorlag, h a t t e n sich Wünsche u n d Bedürfnisse der Hochschule schon in mancher Hinsicht verändert, sodaß der ursprüngliche Entwurf des Kollegiums u n d der darauf abgestellte Bauplan der Architekten auf Wunsch neu beraten w e r d e n mußte. Dies geschah unter der Leitung von Professor D . D r . Friedrich Smend mit dem Ziel, die veränderten Bedürfnisse f ü r die Innenausgestaltung des Baus anzumelden, soweit dies im
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Rahmen der Baulizenz möglich sein würde. Die Architekten, Herr Kirchenbau rat Streckebach und Herr von Waldhausen, haben die veränderten Wünsche mit freundlichem Verständnis aufgenommen. Den schnellen Fortschritt des Baus dankt die Hochschule vor allem ihrem Kurator, Herrn Rechtsanwalt Vogel, und seinen Helfern mit der ganzen Arbeitsgemeinschaft derer, die wir nun T a g für Tag am Werk sehen. Inzwischen ist der Bau, wie Sie auf dem Wege zu unserer Feier gesehen haben, kräftig vorangekommen, sodaß, wenn uns nicht-des Tages Last und Hitze drückte und wenn nicht die Sorge um den Weg der Hochschule oft die unbeschwerte Freude trübte, uns alle schon jetzt ein festlicher Dank erfüllen könnte. Des Tages Last und Hitze — es ist hier nicht möglich, die gewohnte und regelmäßige Arbeit einer Hochschule so ausführlich zu schildern, wie sie es verdiente. Vieles, was in der einsamen Arbeit des einzelnen, wissenschaftlich bemühten Forschers und Lehrers und des lernenden Kommilitonen geschieht, bleibt ohnehin verborgene Voraussetzung aller nach außen sichtbaren Erfolge. Auch ein Überblick über das neuere Schrifttum der Dozenten, über die durch Glieder des Kollegiums herausgegebenen wissenschaftlichen Zeitschriften und Schriftenreihen, über die Tätigkeiten auf wissenschaftlichen Kongressen und Synoden kann hier nicht gegeben werden. Das Vorlesungsverzeichnis über die beiden vergangenen Semester zeigte rund 140 angebotene Vorlesungen, Seminare, Übungen und Kurse, und ich wüßte nicht, daß eine angekündigte Vorlesung aus Mangel an Beteiligung hätte unterbleiben müssen. Die Zahl unserer Studierenden ist im Berichtsjahr weiter angewachsen. Von 299 im Sommer-Semester 1963 auf 327 im Sommer-Semester 1964, wozu etwa 70 Neben- und Gasthörer von anderen Hochschulen hinzugerechnet werden müssen. Von den im Sommer immatrikulierten 327 Studierenden stammten 166 aus der Bundesrepublik, 141 aus Westberlin. 20 Kommilitonen waren aus verschiedenen Kirchen der Welt zu uns gekommen. Neuerdings scheint eine Verminderung ten. Dabei soll nicht verschwiegen werden, Zahl von 14 Studierenden, die das ganze im Laufe dieser Ferien aufgegeben haben, gibt. Jede theologische Arbeitsgemeinschaft
des Zugangs einzutredaß die ungewöhnliche Studium der Theologie zu Besorgnissen Anlaß muß den Studierenden
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die scharf an Kirche und Theologie gestellten Fragen zumuten und zieht d a m i t den jungen Theologen nicht selten in Zerreißproben, ohne deren Bestehen freilich später ein zureichender Dienst a m W o r t der W a h r h e i t in den Gemeinden schwerlich möglich sein dürfte. Die Kirchliche Hochschule hat früher, d a m i t kein einzelner Student in seiner Bemühung einsam und unberaten bliebe, die ganze Studentenschaft in eng verbundene, um Dozenten versammelte G r u p p e n a u f g e t e i l t . Auch in einer sich akademisch verstehenden A r beitsgemeinschaft w i r d es an der v i t a communis nicht fehlen dürfen, die die Studierenden in Gottesdienst und Arbeit begleitet und ihre Krisen bestehen h i l f t . Neben den genannten Gruppen, die belebt werden könnten, den geselligen Veranstaltungen in den W o h n u n g e n der Dozenten, und neben den in die Studiengemeinschaft e i n f ü h renden B e m ü h u n g e n der Studentenvertretung hat hier die E v a n g e lische Studentengemeinde mit ihren Gottesdiensten u n d Bibelkreisen, ihren M o r g e n a n d a c h t e n und Freizeiten eine große Bedeutung. Bei dieser Gelegenheit soll auch der Bemühung der Studenten gedacht w e r d e n . Besonders möchte ich die Studentenzeitschrift der Kirchlichen Hochschule hervorheben, die durch das besondere V e r dienst von H a r t m u t K i e ß l i n g entstanden ist; dazu die erfolgreiche Arbeit der K u r r e n d e und des Instrumentalkreises, die mit ihrer geistlichen A b e n d m u s i k am 2. 2. 1964 unter der Leitung von K l a u s Danzeglocke eine überzeugende Leistung geboten haben. U n d endlich die erfolgreiche Vorbereitung und Durchführung einer Israelreise durch unsere Deutsch-Israelische Studiengruppe. Aus der großen Zahl der Gastvorlesungen und V o r t r ä g e im vergangenen J a h r sollen die wichtigsten genannt werden. Ich gebe dabei neben den N a m e n der Gäste auch die Themen b e k a n n t , weil sie Einblick g e w ä h r e n in die Verbindungen, in denen unsere Hochschule lebt, und in die Arbeitsgebiete, die sich verpflichtend angeboten haben. (Im November 1963): Prof. E d u a r d Schweizer — Zürich: „Die theologische Leistung des M a r k u s , ein B e i t r a g zur Frage nach dem historischen Jesus." Prof. H a n s C o n z e l m a n n — Göttingen: „Probleme der heutigen Paulus-Forschung."
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(Im Dezember 1963): Prof. Otto Michel — Tübingen: „Die gegenwärtige wissenschaftliche Problematik zum Hebräerbrief" und „Der Sinn von Joh. 1, 15 und seine Bedeutung für den Prolog des 4. Evangeliums." (Im Januar 1964): Prof. Gerhard von R a d — Heidelberg: „Weltverständnis und Glaube im alten Israel." Prof. Ferdinand Friedensburg — Berlin: „Der Zusammenbruch der Weimarer Republik als Verschulden der Deutschen selbst." (Im Februar 1964): Prof. Willi Marxsen — Münster: „Die Auferstehung Jesu als historisches und theologisches Problem." (Im Mai 1964): Prof. Kornelis Heiko Miskotte — Holland: „Alttestamentliche Grundworte." Prof. E. Asirvatham — Indien: „Meeting of the East and West." Prof. Rudolf Bohren — Wuppertal: „Vom Text zur Predigt. Erwägungen zum Problem der Meditation." (Im Juni 1964): Prof. Milic Lochman — Prag: „Theologische Akzente der Böhmischen Brüder. Zur Kirchlichen Existenz in der sozialistischen Gesellschaft." Dozent Gerhard Krause — Hamburg: „Die Musik in der Genesis." Prof. Gottfried Locher — Bern: „Calvins Lehre vom Heiligen Geist und das hermeneutische Problem." Prof. Vilmos Vajta — Genf: „Die Neuordnung des Gottesdienstes im 2. Vatikanischen Konzil in evangelischer Sicht." Dozent Dieter Rössler — Göttingen: „Amtshandlungen". (Im Juli 1964): Prof. Ito K y o t o — J a p a n sprach über sein religiös-soziales Arbeitsgebiet. Unter allen diesen Gastvorlesungen ist besonders hervorzuheben die fast das ganze Sommer-Semester umfassende Lehrtätigkeit von Prof. Dr. Pierre Prigent, damals Dozent an der freien theologischen Fakultät — Paris, jetzt Professor in Straßburg, über das Thema: „Liturgische Elemente der Apokalypse des Johannes". Professor
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Prigent hat außer seiner Bemühung um die Lehre die Verbindung zur Protestantischen Kirche Frankreichs vertieft. Weiter ist der außerordentlich gewichtige Dienst zu nennen, den uns Herr Professor Dr. Leo Zander von der Hochschule für Orthodoxe Theologie in Paris fast ein ganzes Semester lang im Sommer dieses Jahres in Vorlesungen und Übungen geleistet hat. Nach langen, vergeblichen Bemühungen, die in Deutschland immer wieder vernachlässigte Kenntnis der Orthodoxie zu fördern, ist es durch die Lehrtätigkeit von Professor Zander erstmalig gelungen, gründliche Arbeit zu tun. In lebendiger und zu weiterer Arbeit einladender Weise hat der in ökumenischer Arbeit bewährte Gelehrte unter uns gewirkt, und die Hochschule steht vor der Aufgabe, in dieser besonderen ökumenischen Verpflichtung den Beginn der Arbeit fortzuführen. In ähnlicher Weise verpflichtend schien uns, den 30jährigen Gedenktag der Barmer Synode im Mai 1934 durch eine öffentliche Vortragsreihe zu begehen. Dies geschah durch drei Vorträge, die vom 2 8 . — 3 0 . Mai in der Taufkapelle der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche gehalten wurden. Professor Kupisch schilderte den Weg nach Barmen, Professor Vogel die theologische Grundfrage der Erklärung von Barmen und der Ratsvorsitzende Präses Scharf schloß die Vortragsreihe mit einem seither viel umstrittenen Ausblick: Die Bedeutung der Barmer theologischen Erklärung für die E K D . Damit hat die vergessene und oft schon verleugnete theologische Erklärung von Barmen mit den von ihr gestellten Fragen möglicherweise etwas von ihrer alten Sprengkraft gezeigt, die sich auch bei veränderter Lage der Kirche und ihrer Fragestellungen auswirken könnte. Die Bibliothek der Kirchlichen Hochschule, verbunden mit den Präsenzbibliotheken der theologischen Seminare, ist weiter gewachsen und ist heute schon die größte evangelisch-theologische Fachbibliothek Deutschlands. Sie bietet in ihren Arbeitsräumen ungewöhnlich gute Arbeitsmöglichkeiten. Die Frage, ob die Kirchliche Hochschule zu den ihr eigenen Instituten ein neues religionspädagogisches Institut aufbauen sollte, konnte noch nicht zureichend geklärt werden. Audi der großzügig geplante Ausbau des religionssoziologischen Seminars mußte einstweilen zurückgestellt werden. Hier wird zur Zeit die Auswertung einer von Juni 1963 bis März
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1964 vorgenommenen P f a r r e r b e f r a g u n g von Professor D r . Goldschmidt und seinen H e l f e r n vorgenommen. Die ehemaligen Studierenden der Kirchlichen Hochschule haben sich seit Jahren als „Theologischer K o n v e n t " zusammengeschlossen und sind durch ihren Konventspräses, den Berichterstatter, der Hochschule fest verbunden. Leider ist der Konvent, der im Augenblick ca. 1200 Glieder zählt, noch nicht durch einen Sitz im K u r a torium vertreten. Der K o n v e n t hat auch im Berichtsjahr seine wissenschaftliche Frühjahrstagung abgehalten mit dem T h e m a : „Schrift und Tradition in der katholischen Theologie." Die traditionelle Sommerkonferenz mit fast 150 Teilnehmern w u r d e im August durchgeführt unter dem Arbeitsthema: „Wie reden wir von Gott?" Die H a u p t r e f e r a t e wurden von Professor H . G. Fritzsche — Berlin, Professor H . Braun — Mainz und Professor Gloege — Bonn gehalten. Daneben standen kirchliche Lageberichte von Präses Figur und Oberkonsistorialrat Ringhandt, standen Bibelarbeiten und Predigt. Der theologische K o n v e n t ist gerade in seinen Neuzugängen ein Erweis d a f ü r , wie nachhaltig ein Studium an der Kirchlichen Hochschule in Berlin gewirkt hat und noch heute wirkt. Dies liegt nicht nur an der politisch wachen Stadt — unsere amerikanischen Kommilitonen haben die wache Anteilnahme ihrer deutschen Freunde beim Tode von Präsident Kennedy d a n k b a r e m p f u n d e n —, sondern vor allem an der theologischen Bemühung in Forschung und Lehre und an der in der Sache aller Theologie begründeten Teilnahme an den Lebensbewegungen unserer Kirche. Die Hochschule hat sich, wie ihre Berufungen der letzten J a h r e gezeigt haben, den theologischen und kirchlichen Spannungen nicht entzogen. Das Buch, mit dem Professor Gollwitzer, um nur ein Werk aus dem Kreis unseres Kollegiums f ü r das Berichtsjahr zu nennen, in das Gespräch eingegriffen hat: „Die Existenz Gottes im Bekenntnis des Glaubens", ist im theologischen K o n v e n t und in breiter Öffentlichkeit d a n k b a r aufgenommen worden. Die Kirchliche Hochschule findet in der Öffentlichkeit unserer Stadt freundliche Anerkennung und Förderung. D e r Rektor h a t t e Gelegenheit, die Kirchliche Hochschule bei dem E m p f a n g , den der H e r r Bundespräsident dem deutschen Wissenschaftsrat, oder, den der H e r r Regierende Bürgermeister der deutschen R e k t o r e n k o n f e -
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renz gab, und bei ähnlichen Gelegenheiten zu vertreten. Vielen staatlichen und kirchlichen Persönlichkeiten habe ich freundliche H i l f e zu danken, dazu Kollegen und Kommilitonen, Mitarbeitern u n d Angestellten, vor allem aber dem mit entschlossenem Einsatz f ü r die Hochschule bemühten K u r a t o r u n d dem bis in hundert kleine tägliche Mühen hinein unermüdlichen Ephorus, H e r r n Professor Kruska. Das Kollegium hat f ü r das Amtsjahr 1964/65 H e r r n Professor lic. Walter D r e ß zum Rektor gewählt. Ich übergebe ihm das A m t mit dem herzlichen Wunsch, daß ihm, zu N u t z und Frommen theologischer Forschung und Lehre, erfolgreiche Arbeit f ü r die Kirchliche Hochschule vergönnt sein möge.
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am Mittwoch, 10. November 1965 Hochansehnliche Versammlung! Verehrte und liebe Gäste! Kollegen und Kommilitonen! Ich begrüße Sie alle herzlich, insbesondere die Vertreter staatlicher, kirchlicher und städtischer Behörden, und nenne Herrn Senator Prof. Dr. Stein, Herrn Senatsdirektor Ingensand, ferner die Leiterin der Hochschulabteilung in der Senatsverwaltung für Wissenschaft und Kunst und ihre Kollegen, Seine Magnifizenz den Herrn Rektor der Pädagogischen Hochschule Prof. Dr. Michaelis, Herrn Dr. Bock, den Repräsentanten des Lutherischen Weltbundes in Berlin. Es läßt sich, auch und gerade in dieser Stunde, nicht verschweigen, das quo usque tandem, das viele von uns auf dem Weg zu dieser Feier wieder neu bewegt haben wird: wie lange noch haben wir auf die Fertigstellung des neuen Verwaltungs- und Hörsaalgebäudes zu warten? D a ß wir dieses Semester drüben in dem neuen Haus würden eröffnen und also damit auch die Übergabe und Einweihung des neuen Hauses würden verbinden können, war uns noch Ende September männlich-bündig versprochen worden. Ich habe niemals daran geglaubt — Architekten gehören offensichtlich professionell — ich will nicht gerade sagen: zu dem uns Theologen gut bekannten, wenn auch nicht immer rechtzeitig erkannten genus der falschen Propheten, aber jedenfalls in die Familie der an sich liebenswürdigen unentwegten Optimisten, die uns normalen Sterblichen mit unserer angeborenen Neigung zu Skepsis und Zurückhaltung in Äußerungen und Urteilen doch manchmal N o t machen und Qualen bereiten. Heute also muß ich Sie noch einmal an dem alten gewohnten Ort empfangen. Es ist uns — wie soll ich sagen: verheißen, ver-
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sprochen, in Aussicht gestellt worden, daß das neue Haus bis zum Ende des Jahres (eigentlich w a r ein früherer Termin genannt worden, aber ich will ihn erst gar nicht erwähnen) bezugsfertig sein soll, so daß der Einzug im Januar nach den Weihnachtsferien würde erfolgen können, eine Mitteilung, die ich mit all der hier gebotenen Vorsicht und Behutsamkeit weitergebe. W i r wären in große Schwierigkeiten gekommen, wenn nicht die Stadtsynode, die das alte Hauptgebäude erworben hat, und die Gemeinde, der es zugedacht ist, gleich uns viel Geduld und Willigkeit zum Warten aufgebracht hätten. W i r befinden uns also hier in einer sozusagen adventlichen Situation. Daß Prof. Rudolf Smend an die Evangelisch-Theologische Fakultät in Münster berufen wurde, haben wir vor einem halben J a h r mitteilen müssen. W i r freuen uns, ihn in unserer Mitte gehabt zu haben. Mit dem Beginn des Sommersemesters 1965 konnten wir Prof. Richard Hentschke und Prof. Diethelm Michel als neue Dozenten begrüßen. Damit waren, wie w i r nicht ohne Befriedigung feststellen durften, die beiden vakanten Lehrstühle für Altes Testament schon im vorletzten Semester wieder besetzt. Leider hat sich Prof. Ernst Lange entschlossen, seine Tätigkeit an unserer Hochschule mit dem Sommersemester 1965 zu beenden. Wir hatten seine Entscheidung zu respektieren. Wurde seine Berufung seinerzeit hier und da als ein Experiment betrachtet, dann darf ich heute wohl feststellen, daß wir der Meinung sind, es sei ein im wesentlichen gelungenes Experiment gewesen. W i r bedauern sein Scheiden aus unserem Kreise aufrichtig, wünschen ihm baldige völlige Genesung und wissen uns ihm weiterhin herzlich und dankbar verbunden. Seine Arbeit haben wir mit wachsender Spannung und Erwartung beobachtet und seinen Rat im Kollegium immer aufmerksam und nachdenklich entgegengenommen. Seine Aufgaben als Studentenpfarrer hat Pastor Graf zu Lynar übernommen, der von der Kirchenleitung als Provinzialpfarrer für die Berliner Studentengemeinden berufen worden ist und dessen Tätigkeit in diesem weiten Rahmen sich noch wird konkretisieren müssen. Als Nachfolger von Prof. Lange habe ich heute Herrn Prof. Friedemann Merkel aus Baden, zuletzt in Bad Kreuznach, zu verpflichten. W i r begrüßen Sie in unserer Mitte und hoffen, daß Sie sich
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unter uns wohlfühlen und fruchtbare Anregungen für Wissenschaft und Leben in Hochschule und Kirche geben und empfangen möchten. D a ß Schwester Johanna Ogger uns nach langjähriger Tätigkeit als Hausmutter verlassen hat — sie war seit Oktober 1956 bei uns —, darf nicht unerwähnt bleiben. Sie war uns in ihrer urwüchsigen schwäbischen Art ans Herz gewachsen — und auch wenn sie unverdrossen werkelnd und manchmal über Arten und Unarten der Hausgenossen verdrossen das H a u p t schüttelnd, unmutig ihre sehr klare Meinung sagte, auch wenn sie manchmal den Speisezettel nach süddeutschem Geschmack zusammenstellte und damit nicht immer norddeutschen Gelüsten entsprach, in ihrem Verantwortungsbewußtsein und ihrer treuen Fürsorge blieb sie uns immer vertraut und liebenswert. An ihre Stelle trat als Wirtschaftsleiterin Fräulein Margret Meyer, der wir für ihr Regiment in Küche und Keller Befriedigung und Anerkennung wünschen. Wenn ich nun in Verehrung und Dankbarkeit den Namen Paul Tillichs nenne, dann, weil — ganz abgesehen von der unermeßlichen Bedeutung seiner Leistung auf dem weiten Feld der Geisteswissenschaften — auch die Kirchliche Hochschule Berlin sich besonders seines aufmerksamen Interesses, seines Rates und seiner Mitarbeit erfreuen durfte: Er hat nach dem Kriege verschiedene Male Gastvorlesungen bei uns gehalten, sich von unseren Problemen erzählen lassen und sie mit uns durchdacht. Wenn er auch gewiß kein Fachtheologe im beschränkten Sinn des Wortes war, so hat er doch immer wieder sein Wort als Theologe, ja als Prediger gesagt und auch damit Theologie und Kirche an ihre unaufgebbaren Aufgaben und Pflichten für die Gesamtheit der Wissenschaften, für das Ganze des Lebens erinnern wollen. Die Kirchliche Hochschule Berlin will seiner gedenken mit einer Vorlesung über seine Religionsphilosophie, die uns Prof. Weischedel für Samstag, den 20. November zugesagt hat. Möge damit einmal wieder die Arbeitsgemeinschaft bekundet werden, die tatsächlich Freie Universität und Kirchliche Hochschule miteinander verbindet und die unserem verehrten Gast, wie wir wissen, so sehr am Herzen liegt. Arbeitsgemeinschaft je und dann, an einzelnen Punkten und auf Grund persönlicher Beziehungen, wie sie in diesem Semester auch
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darin zum Ausdruck kommt, daß Prof. D r . Michael Landmann und Privatdozent Dr. Michael Theunissen sich bereitgefunden haben, philosophische Vorlesungen an der Kirchlichen Hochschule zu halten und damit die Philosophie in einigen ihrer heute für Theologen beziehungsreichsten Fragestellungen zu „vertreten" — in doppeltem Sinn dieses Wortes. Beiden Herren gilt unser aufrichtiger Dank. Arbeitsgemeinschaft nicht nur je und dann, nicht nur mehr oder weniger zufällig, sondern begründet, bestätigt und bestärkt durch eine organisatorische Eingliederung theologischer Interessen in die Freie Universität, — so haben es sich viele von uns, vor allem auch die Studierenden, gewünscht. Ich komme damit auf die Status-Frage zu sprechen, für manche ein noli me tangere; indessen wäre es ebenso feige wie unwahrhaftig, wenn in dieser Stunde nicht berichtet würde, daß sie uns im vergangenen Jahr mehr und leidenschaftlicher bewegt hat als alle anderen Fragen. U n d in der Tat, wir konnten nicht umhin, sie zu erörtern. Auch unsere Hochschule muß immer noch gründlicher, umfassender, nachhaltiger instand gesetzt werden, die ihr gestellten Aufgaben, heute und hier gestellten Aufgaben, zu erfüllen. D a z u bedarf es zunächst neuer bewußter und energischer Förderung des Unter- und Mittelbaues, d. h. um die wissenschaftliche Tätigkeit der Lehrstuhlinhaber fruchtbarer zu gestalten, müssen wir über genügend Assistentenstellen verfügen können, und dem wissenschaftlichen Nachwuchs, der sich immer zahlreicher meldet, muß auch bei uns die Möglichkeit zur Habilitation, zu einer auch von den Universitätsfakultäten anerkannten Habilitation, geboten werden. Dieses Problem ließe sich auf verschiedene Weise lösen. Es lag uns daran, die verschiedenen Wege, die hier gegangen werden konnten, mit ihren Vorzügen und Nachteilen ernsthaft zu durchdenken. Bei solchem Vorhaben kann auch das Dozentenkollegium einer Kirchlichen Hochschule — von der Studentenschaft ganz abgesehen — sich heute selbst kirchlich ehrwürdigen Autoritäten gegenüber nicht mehr einfach und schlicht an die alte Maxime halten: „Gehorsam ist des Christen Schmuck." U n d ich meine, es sei kein schlechtes Zeichen für den unter uns lebendigen Geist des Willens zur Mitverantwortung, daß wir uns nicht beschieden haben mit der valentinianischen Ergebenheit: „Mögen täten wir schon
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wollen, aber d ü r f e n haben wir uns nicht getraut" — wobei zu bemerken ist, d a ß es sich hier nicht um das W o r t eines alten urchristlichen Gnostikers, sondern um altbayerische Weisheit handelt. K u r z und gut: wir werden nur weiterkommen, wenn alle am Schicksal der Hochschule beteiligten Instanzen zusammenwirken und das heißt: sich mit ihren Ideen, Vorschlägen, Überlegungen und Bedenken freimütig äußern können. D a ß wir in der angegebenen Richtung weiterkommen und nicht einfach auf dem Wege stehen bleiben, m u ß unser aller Wunsch sein u n d bleibt unsere Sorge. In einigen Hinsichten ist die Hochschule auch im vergangenen J a h r gefördert worden. Wir verdanken es dem H e r r n Senator f ü r Wissenschaft und Kunst und seinen Mitarbeitern, d a ß er, als die Kultusministerkonferenz eine „ R a h m e n o r d n u n g f ü r die Erlangung des Magistertitels" beschlossen hat, seinerseits auch die Kirchliche Hochschule Berlin berücksichtigte. Die Hochschule konnte d a r a u f hin eine „ O r d n u n g f ü r die M a g i s t e r p r ü f u n g (akademische Abschlußp r ü f u n g ) der Kirchlichen Hochschule Berlin" beschließen, die am 13. Mai 1965 durch den Senator f ü r Wissenschaft und Kunst bestätigt wurde und damit in K r a f t trat. Sie wurde nach Zustimmung des Kuratoriums am 26. Juli 1965 veröffentlicht. Es bleibt nun abzuwarten, ob der Magistergrad, der nicht nur, aber vor allem ausländischen Studierenden als Zeugnis des Studienabschlusses willkommen sein könnte, Interessenten finden wird. Des weiteren ist z w a r noch nicht eine neue Assistenten-Ordnung, wohl aber eine Assistenten-Besoldungsordnung zustande gekommen, die f ü r die verschiedenen G r u p p e n „wissenschaftlicher Hilfspersonen", wie die treffliche, unübertreffliche offizielle Bezeichnung lautet, ähnliche Vergütungen vorsieht, wie sie an der Freien Universität üblich sind. H i e r ist die Initiative des H e r r n K u r a t o r s am Werke gewesen, die wir nun freilich noch f ü r weitere U n t e r nehmungen, die Verabschiedung neuer Satzungen, die Errichtung von Dozenturen, die Förderung der Bibliothek in Anspruch nehmen müssen. Das Rigorosum haben im letzten J a h r bestanden die H e r r e n H e r m a n n K u h l o w aus Berlin, Friedrich W o l f g a n g Sticht aus N ü r n berg und Wilhelm Pressel aus Württemberg. H e r r n Sticht u n d H e r r n K u h l o w können wir in dieser Stunde im Anschluß an den
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Bericht die U r k u n d e überreichen und ihnen d a m i t feierlich die Berechtigung zusprechen, sich f o r t a n D o k t o r der Theologie zu nennen. Ich vermisse in diesem Zusammenhang immer noch den D o k t o r eid der D o k t o r a n d e n bzw. Doktorierten, wie er etwa an der theologischen Fakultät der H u m b o l d t - U n i v e r s i t ä t üblich ist. H e r r n Prof. D r . Hildebrecht Hommel, O r d i n a r i u s emeritus f ü r klassische Philologie in Tübingen, vor Jahren an unserer Hochschule tätig und verdienstvoller Initiator des Studium Universale, wurde um die Jahreswende die W ü r d e eines Ehrendoktors angetragen. Er hat sie zu unserer Freude angenommen und die niemals abgerissene Verbindung mit einer Gastvorlesung über ihn im Blick auf das N e u e Testament immer besonders interessierende Probleme bestätigt. Die Zahl der Studenten betrug im Wintersemester 1964/65 281, im Sommersemester 1965 319 voll Immatrikulierte, dazu kamen 63 Gast- und Nebenhörer. Das Studentenwohnheim w u r d e im Sommer einer durchgreifenden Renovierung unterzogen. Mit der besonderen Problematik solcher Einrichtungen und ihrer Bewohner will ich mich hier nicht befassen. Sie unterscheidet sich bei uns kaum von der ähnlich gelagerten in den meist viel größeren Wohnheimen der Universitäten. D a ß Gebäude, Zimmer und Inventar einer oft erstaunlich raschen A b n u t z u n g unterliegen, ist ein allgemein bekanntes Phänomen. Auch die gelegentlich ventilierte Frage, ob Studenten der Theologie in dieser Beziehung noch weniger H e m m u n g e n haben als Studierende anderer Fakultäten und mit weitaus weniger Zurückhaltung ans Werk der Einrichtung und Benutzung der ihnen zur V e r f ü g u n g gestellten Räume und Einrichtungen gehen, mag auf sich beruhen. Doch soll e r w ä h n t werden die Überlegung, ob nicht auch im Blick auf eine geplante Erweiterung des Wohnheims die verheirateten Studierenden — es sind freilich bei uns nicht sehr viele — besonders berücksichtigt werden sollten, was freilich wiederum nicht einfach als eine Ermunterung zu frühzeitiger Eheschließung mißverstanden werden d ü r f t e . D e r Studentenschaft, insbesondere ihren Organen, dem Asta u n d dem Präsidium des Konvents, habe ich f ü r gute und, wie ich hoffe, auch fruchtbare Zusammenarbeit zu danken. Auch an unserer Hoch-
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schule wurde nach dem Muster der Freien Universität ein Konvent gebildet. Da die Vollversammlungen der Studentenschaft so ziemlich genau das Gegenteil von dem waren, was sie eigentlich sein sollten, nämlich statt eines Maximum der Studierenden nur ein Minimum auf die Beine brachten, sollten im Konvent als einer Art Ausschuß der Gesamtstudentenschaft mit den Aufgaben der Legislative und der Kontrolle des Asta diejenigen Kommilitonen zusammengefaßt werden, die bereit waren, aktiv und verantwortungsfreudig die den Vertretern und Ämtern der Studentenschaft an der Hochschule zufallenden und zustehenden Funktionen und Dienste zu übernehmen. Gewiß können wir die Verhältnisse an unserer Hochschule mit ihrer relativ kleinen Studentenzahl nicht mit den Verhältnissen an den großen Universitäten vergleichen. 15 000 Studenten lassen sich schlechterdings nicht in einer Vollversammlung zusammenfassen. 300 sollten ihre Rechte in einem coetus selbst wahrnehmen können. Aber es bleibt die Frage, ob es, wenn sie das nicht tun, nur an der Bereitschaft fehlt, um des Ganzen willen notwendige Pflichten auf sich zu nehmen, oder ob bei vielen nicht auch mitspielt und wesentlich mitspielt verständliche und nicht unberechtigte Abneigung gegen spielerische und in sich leerlaufende Imitation parlamentarischer Methoden, von denen hier nur gesagt werden könnte: so viel wie notwendig und — so wenig wie möglich. Wie dem auch sei: der Konvent befindet sich noch im Stadium der Erprobung. Das braucht seine Zeit, zumal die ihn bildenden und leitenden Kommilitonen immer wieder wechseln und mit jedem Wechsel die Versuche begreiflicherweise von neuem beginnen. An dem guten, ja besten Willen aller Beteiligten ist nicht zu zweifeln. Man sollte aber nicht aufhören, grundsätzlich das Verantwortungsbewußtsein aller Studierenden für Arbeit und Gestaltung der Hochschule immer erneut anzurufen. Die mir als Rektor zugemessene Zeit ist nun in jeder Beziehung abgelaufen. In Kiel sangen die Handwerker früher, wie wir einer Festschrift dieses Jahres entnehmen können: Un ne Universität is in Kiel De Pedell, de heet Biel Un de Rektor wesselt äff Mal wär't Faids, mal wär't Pfaff.
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Man könnte auch sagen, das einzig Bleibende an einer lebendigen, sich mehr und mehr fruchtbar entfaltenden Hochschule, an der die Lehrer zugleich Forscher sind, ist der Wechsel der Rektoren. In diesem Sinne übergebe ich nunmehr das Amt des Rektors mit der Feierlichkeit, die uns zu Gebote steht — es kann sich hier nur um innere Würde handeln — dankbar, fröhlich und hoffnungsvoll meinem Nachfolger. Vivat Academia, vivant — aber den Vers darauf müssen Sie sich selbst machen — : ich bescheide mich mit dem: vivat Academia, crescat, floreat.
DIE T H E O L O G I S C H E N F A K U L T Ä T E N ALS PROBLEM DER R E V O L U T I O N VOM J A H R E 1918 V o n W A L T E R DELIUS
Durch die Revolution vom 9. November 1918 wurde die enge Verbindung von Staat und Kirche infrage gestellt. Bereits am 13. November proklamierte die vorläufige preußische Staatsregierung die Trennung von Kirche und Staat und erfüllte damit eine alte liberale demokratisdhe Forderung 1 . Das Berliner Zentrumsblatt „Germania" gab am 19. November das Gerücht wieder, die preußische Staatsregierung wolle am 1. April 1919 die Trennung durch einen Federstrich vollziehen 2 . Der Ev. Oberkirchenrat (EOK), der inzwischen gebildete Vertrauensrat und der Vorstand der Generalsynode protestierten gegen dieses Vorhaben am 30. November bei der preußischen Regierung. Sie führten aus, eine Änderung der gegenwärtigen Verhältnisse sollte nicht ohne den Versuch einer „vorgängigen" Verständigung zwischen den Organen des Staates und der Kirche unternommen werden. Das preußische Kultusministerium unter dem Minister Hänisch gab eine beruhigende Erklärung des Inhaltes, daß es sich bei dieser Frage nicht um eine preußische, sondern gesamtdeutsche Angelegenheit handele. Es müsse die Frage bis zum Zusammentritt der Nationalversammlung in der Schwebe bleiben 3 . Im Zusammenhang mit dem durch die Revolution gestellten Problem der Trennung von Kirche und Staat wurde auch die Frage nach dem Bestand der Theologischen Fakultäten akut. Es sah so aus, als ob gewisse Unterströmungen, welche die Theologischen Fakultäten als nicht mit dem Charakter der Universität als Stätte reiner und strenger Wissenschaft vereinbar sah, Oberwasser be1 2 3
Christi. Welt 48/49. 1918. S. 460. Christi. Welt 50/51. 1918. S. 484. Wartburg 49/50. 1918. S. 240/41.
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kommen sollten. Diese Kreise sahen in dem Wirken der Theologischen Fakultäten eine innere Gebundenheit an die Lehre der Kirche, welche ihren Ausdruck in gewissen Glaubensvoraussetzungen finde. N u n war tatsächlich in der Vergangenheit bei der Besetzung theologischer Lehrstühle der K a m p f theologischer und kirchenpolitischer Richtungen sichtbar geworden. Theologisch liberale Dozenten waren angefeindet oder bei Berufungen übergangen worden. Ein weiteres Argument gegen die Theologischen Fakultäten war die Zustimmung des E O K bei Besetzungen von Lehrstühlen. Man sah ferner die Dogmatik als theologische Disziplin als kirchlich gebundene Pseudowissenschaft an. Man wies ferner darauf hin, daß die praktische Theologie den kirchlichen Bedürfnissen diene und mehr Technik als Wissenschaft sei. Beide Disziplinen aber widersprächen dem Wissenschaftscharakter der Universität. Der Schriftsteller Fritz Mauthner (1849—1926), bekannt geworden durch seine „Kritik der Sprache" (3 Bde. 1906—1913) und durch sein Buch „Der Atheismus und seine Geschichte im Abendlande" (4 Bde. 1920—1923), rügte am 25. Dezember 1918 im „Berliner Tageblatt" die Gleichberechtigung einer Theologischen Fakultät mit den „irdischen" Fakultäten. Er erklärte es für eine „bewußte und grobe Lüge, als würde in der Theologischen Fakultät eine Wissenschaft gelehrt wie andere Wissenschaften, als wäre die Theologie (abgesehen von ihren geschichtlichen Fächern) in der Gesamtheit der Wissenschaften immer noch zu dulden". Gegenüber solchen Strömungen erklärten der „Werbeausschuß" des Vertrauensrates beim E O K und der Generalsynodal vorstand: „Wir halten die Theologischen Fakultäten für einen wesentlichen und notwendigen Bestandteil der alle Geisteswissenschaften umfassenden Hochschule" 4 . Die Wahlen zur Nationalversammlung am 24. Januar 1919 machten für die Kirche die Frage der Trennung von Kirche und Staat und innerhalb derselben das Problem der Theologischen Fakultäten dringend. Von Seiten der Kirche und einiger Universitäten hielt man es für dringend geboten, mit Kundgebungen an die Öffentlichkeit zu treten, ehe die Verhandlungen über diese Fragen 4
Wartburg 1. 1919. S. 5.
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in der Nationalversammlung und in den Landtagen der einzelnen Länder in Gang gekommen waren. So äußerten sich neben kirchlichen Behörden und Verbänden die Universitäten von Heidelberg, Marburg und Berlin durch Beschluß der Medizinischen, Juristischen und Philosophischen Fakultäten, in Tübingen durch Senatsbeschluß für die Erhaltung der Theologischen Fakultäten an den Universitäten 5 . Demgegenüber ging die Theologische Fakultät in Bonn in einer Erklärung über die Frage der Trennung von Kirche und Staat auf ihr eignes Problem nicht ein6. Der Deutsche Protestantenverein hatte bereits am 27. November 1918 die Erhaltung der Theologischen Fakultäten gefordert, und wenn dies nicht durchzusetzen sei, solle die Kirche am O r t der Universität theologische Vorlesungen einrichten. Es müsse an der akademischen und theologischen Vorbildung der Pfarrer festgehalten werden 7 . Der EOK hielt es in dieser Situation für erforderlich, über diese Frage ein Gutachten von Professor Adolf v. Harnack anzufordern 8 . Es traf im Februar 1919 beim EOK ein. Das Gutachten sieht vier mögliche Folgen der Trennung von Kirche und Staat für die Theologischen Fakultäten. 1. Weiterbestehen derselben ohne Lehrstühle für Dogmatik und Praktische Theologie und mit Errichtung einer religionsgeschichtlichen Professur. 2. Umwandlung der Theologischen Fakultät in eine religionsgeschichtliche Fakultät und Besetzung der Lehrstühle ohne konfessionelle Bindung der Lehrstuhlinhaber. 3. Aufhebung der Theologischen Fakultäten und Begründung von Lehrstühlen für christliche Religionsgeschichte bei den Philosophischen Fakultäten. 4. Aufhebung der Theologischen Fakultäten ohne Errichtung religionsgeschichtlicher Lehrstühle in den Philosophischen Fakultäten. In einem zweiten Absatz behandelt dann das Gutachten die Rechtslage der Kirche bei Aufhebung bzw. durchgreifender Veränderung der Theologischen Fakultäten. Die Kirche müsse, sobald staatliche Pläne in der einen oder anderen Richtung bekannt würden, den Staat darauf hinweisen, daß die Theologischen Fakultäten 5 9 7 8
Wartburg 5/6. 1919. S. 387. Christi. Welt 4. 1919. S. 6. Reformierte Kirdienzeitung &. 1919. S. 488/89. Deutsches Protestantenbl. 51. 1918. S. 596. Anhang.
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dem modernen Begriff der Wissenschaft entsprechen, u n d der Staat müsse im eignen Interesse f ü r ihre Beibehaltung eintreten. Wenn der Staat solche Vorstellungen überhören sollte, d a n n müsse die Kirche Rechtsansprüche erheben und finanzielle Forderungen geltend machen. D e r Staat solle zu den Kosten beitragen, die der Kirche durch N e u o r d n u n g der Ausbildung ihrer P f a r r e r erwachsen. In einem dritten Teil behandelt das Gutachten die Voraussetzungen der wissenschaftlichen Ausbildung der P f a r r e r . H a r n a c k stellt drei Forderungen auf: 1. Zulassung zum Theologiestudium nur bei Nachweis des Abiturs eines Vollgymnasiums. 2. Theologiestudium in dem heute gültigen Rahmen und U m f a n g einer Theologischen Fakultät. 3. Das ganze Studium, mindestens aber ein Semester, an einer Universität verbringen. Die wissenschaftliche Ausbildung des P f a r r e r s ist nötig im Hinblick auf die allgemeine Bildung der Zeit. Die besonderen Erfordernisse der Gegenwart verlangen beim Theologiestudium eine Verstärkung der systematisch-theologischen, philosophischen und soziologischen Studien und eine grundlegende pädagogische Ausbildung bereits w ä h r e n d des Studiums. U m eine Uberforderung des Studenten zu vermeiden, macht H a r n a c k in der Beilage II seines Gutachtens den Vorschlag, auf die Erlernung der hebräischen Sprache zu verzichten und sie nur von denen zu fordern, welche die wissenschaftliche L a u f b a h n einschlagen wollen. Die Vorlesungen auf dem G r u n d des Urtextes sollen bleiben. Aber sonst solle man den griechischen Septuagintatext lesen. Er und das Neue Testament sind die Grundlage der alten Kirche gewesen. H a r n a c k erklärt, daß nach seiner 44jährigen E r f a h r u n g f ü r den weitaus größten Teil der Theologen das Studium des hebräischen Alten Testaments wertlos sei. Die im Studium a u f g e w a n d t e Zeit entspricht nicht dem N u t z e n . Bei Fortfall der Theologischen Fakultäten sollen kirchliche Fakultäten an Universitätsorten eingerichtet werden, d a m i t der Student an allen Darbietungen der Universität teilnehmen k a n n . H a r n a c k glaubt die G e f a h r zu sehen, d a ß die theologische Ausbildung auf die seminaristische Stufe herabsinkt, wenn die Theologischen Fakultäten nicht mehr im Rahmen der Universitäten bestehen. H a r n a c k schließt sich damit der erwähnten Forderung des Protestantenvereins an.
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Das Gutachten nimmt dann zu den vier aufgestellten Möglichkeiten Stellung, die sich bei einer Trennung von Kirche und Staat ergeben. Für den ersten Fall, daß den Theol. Fakultäten die Lehrstühle für Systematik und Praktische Theologie genommen werden, schlägt es vor, daß die Fakultäten für diese Disziplinen Privatdozenten zulassen, die dann von der Kirche finanziell sicher gestellt werden müßten. Wenn im zweiten Fall die Theol. Fakultäten ohne Rücksicht auf die Zugehörigkeit der Lehrstuhlinhaber zur evangelischen Kirche umgewandelt und Dozenten für Systematik und Praktische Theologie nicht zugelassen werden, dann muß die Kirche eigne Fakultäten gründen. Die Aufhebung der Theol. Fakultät (dritter Fall) und die Gründung von Professuren für christliche Religionsgeschichte in den Philosophischen Fakultäten könnte nur dann erträglich sein, wenn drei Professuren für A.T., N . T . und Kirchengeschichte mit ev. Männern besetzt werden. Im dritten und vierten Fall bleibe der Kirche nichts anderes übrig, als kirchliche Fakultäten zu gründen. Die Hauptschwierigkeiten sieht Harnack nicht auf finanziellem Gebiet, auch nicht in der Zahl und Auswahl der Universitätsstädte, — die damalige Zahl von zehn Fakultäten in Preußen sieht er zu hoch an — , sondern in der Erhaltung der Wissenschaftlichkeit der kirchlichen Fakultät. Demgemäß empfiehlt er bei Berufungen, daß alle kirchlichen Fakultäten ihr Urteil über den zu Berufenden abgeben und außerdem ein Kollegium „hervorragender ev. Gelehrter kirchlichen Sinnes aus den verschiedenen Universitäts-Fakultäten mit Sitz und Stimme" gebildet wird. In der Beilage I zählt das Gutachten die verschiedenen Arten von Theologischen Fakultäten und theologischen Ausbildungsanstalten in außerdeutschen Ländern auf und gibt entsprechende Auskunftspersonen an. D a das Gutachten die obligatorische Kenntnis des Hebräischen der Theologiestudenten zugunsten der Erweiterung der Studienfächer beseitigen wollte, forderte der E O K den Alttestamentier Prof. G r a f v. Baudissin, Berlin, zu einer Äußerung auf. Dieser befürwortet die Beibehaltung des Hebräischen und sieht im Septuagintatext keinen vollen Ersatz. E r muß jedoch Harnack bezüglich der z. T . schlechten Hebräisch-Kenntnisse der Theologie Studieren-
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den zustimmen. Bei dem 2. theologischen Examen solle jedoch kein hebräischer Text mehr vorgelegt werden. Beide Gutachten wurden am 26. März 1919 dem engeren Ausschuß des Vertrauensrates übermittelt. Der Geistliche Vizepräsident des E O K D . Burghart fügte Vorschläge für die theologischen Prüfungen bei den einzelnen Konsistorien bei. Gleichzeitig mit seinem Gutachten veröffentlichte Harnack im Märzheft (1919) der „Preußischen Jahrbücher" einen Aufsatz: „Die Bedeutung der Theologischen Fakultäten" 9 . Hier untersucht er die vom Liberalismus stammende Forderung, die Theologischen Fakultäten abzuschaffen. Er zeigt ihre Bedeutung und damit ihr Existenzrecht. Als Objekte ihrer wissenschaftlich-theologischen Forschung sieht er die Bibel, die katholische Kirche, den evangelischen Glauben und Frömmigkeit an. Er stellt dann die Frage, ob dies eben nicht Aufgaben der Religionsgeschichte sind. Es folgen dann hier Gedanken, wie sie Harnack im Gutachten zum Ausdruck gebracht hat. Am Schluß weist er darauf hin, daß die Theologie bei den drei genannten Objekten letzten Endes mit der Religion zu tun hat. Zu unserem Thema haben sich außerdem in dieser Zeit der Neutestamentler Adolf Deissmann, Berlin, und der Kirchengeschichtler Hans v. Schubert, Heidelberg, geäußert. Deissmann schrieb am 25. Dezember 1918 im „Berliner Tageblatt" (Nr. 658) einen Artikel: „Die Zukunft der Theologischen Fakultäten" 1 0 . Gegenüber dem Einwand, daß die Theol. Fakultäten noch zu eng mit der Kirche verbunden seien, führt er drei Arten dieser Verbindung an. Die erste sei vom demokratischen Standpunkt wünschenswert, die zweite sieht er als veraltet an und die dritte könne ohne Schaden für beide Teile gelöst werden. Es handelt sich dabei um folgende Tatsachen: 1. die Fakultäten sind auf den kirchlichen Synoden vertreten; 2. in einigen Fakultätsstatuten stehen noch Bekenntnisformeln, die von dem Berufenen abzuleisten sind und 3. geht es um die Übung, daß das Kultusministerium bei der Besetzung von theologischen Lehrstühlen den E O K befragt, ob Einwendungen gegen Bekenntnis und Lehre des zu Berufenden vor9 10
Ad. v. Harnack, Erforschtes u. Erlebtes. Giessen 1923. S. 199—217. Fr. Thimme u. E. Rolffs, Revolution u. Kirche. Berlin 1919. S. 352—64.
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liegen. Deissmann ist der Meinung, daß die Erkenntnis vom wissenschaftlichen Charakter der Theologischen Fakultäten bei den liberal-demokratischen Parteien sich mehr und mehr durchsetzt. Ein „Abschieben" der wissenschaftlichen Fächer der Theologie in die Philosophische Fakultät erscheint angesichts der „unnatürlichen Ausdehnung" dieser Fakultät nicht ratsam. Es gebe eben nur die eine Lösung: Erhaltung der Theol. Fakultät als Staatsfakultät. Der Staat müsse im Interesse 1. der von der Fakultät betriebenen Wissenschaft, deren Fächer noch zu erweitern wären, 2. der Volksbildungsarbeit und 3. der „geistigen Weltpolitik" (ökumenische Arbeit) an den staatlichen Theologischen Fakultäten festhalten. H . v. Schubert reichte der Badischen Staatsregierung ein Gutachten ein: „Die Trennung der Kirche vom Staat und die Frage der theologischen Fakultät" 1 1 . In vier Punkten äußerte er sich zum Thema: 1. die Verbindung von Staat und Kirche hat aufgehört, 2. das neue Verhältnis ist aus dem Wesen des Staates und der Kirche neu zu begründen, es gehe nicht um Trennung, sondern um gegenseitige Förderung, 3. die staatliche finanzielle Unterstützung der Kirche, der Religionsunterricht in den Schulen ist beizubehalten und 4. die Theologische Fakultät muß an der Universität bleiben. N u r auf diesen Punkt soll näher eingegangen werden. Auch Schubert wendet sich gegen das Argument, die Theol. Fakultät passe nicht in den Rahmen der Universität als Stätte reiner und strenger Wissenschaft. In ihrem Wirken werden eine innere Gebundenheit an die Kirchenlehre und bei dieser wieder gewisse Glaubensvoraussetzungen angenommen. Schubert muß eine gewisse Berechtigung dieses Einwandes zugeben. Es sei dabei auf die eingangs hier gemachten Ausführungen hingewiesen. Mit beachtlichen Beweismitteln tritt er für die Erhaltung der Lehrstühle für Dogmatik und Praktische Theologie an der Theologischen Fakultät ein. Der Lehrstuhl der Dogmatik umfasse eine Reihe Fächer historischer und philosophischer Art wie: Dogmengeschichte, Geschichte der neueren Theologie, vergleichende Konfessionskunde, Religionsphilosophie, Ethik, allgemeine Religionsgeschichte. Bereits Schleiermacher habe in seiner Glaubenslehre die Dogmatik als historische 11
Christi. Welt 5. 1919. S. 66 ff.
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Disziplin, d. h. als systematische Darstellung des letzten Stadiums der historischen Entwicklung, angesehen 12 . Bezüglich der Ablehnung der Praktischen Theologie als Wissenschaft weist Schubert darauf hin, d a ß auch die klinische Medizin die praktische Anwendung der Wissenschaft am Menschen zum Ziel hat. Fichte wollte in seiner Denkschrift zur G r ü n d u n g der Berliner Universität (1807) auch Jurisprudenz und Medizin, beide als Hinleitung zur Praxis, von der Universität verweisen und nur die Philosophische Fakultät beibehalten 1 3 . Das Gutachten b e f ü r w o r t e t staatliche Fakultäten. Sollte jedoch die Dogmatik und Praktische Theologie aus der Theol. Fakultät entfernt werden, d a n n müsse die Kirche in Predigerseminaren Lehrstühle f ü r diese Disziplinen einrichten. D e r Ausfall beider Fächer solle aber d a n n in der Fakultät zur Errichtung eines Lehrstuhles der Religionsgeschichte führen. Es w ü r d e d a n n der „streng wissenschaftliche C h a r a k t e r der Fakultät durch eine solche schärfere Erfassung und zugleich breitere Fundamentierung der Aufgaben deutlicher als bisher zutage treten". Schubert meint, m a n könnte erwägen, die Theol. Fakultät in Religionswissenschaftliche umzubenennen. Schließlich behandelt Schubert den Gedanken, eine verkleinerte Fakultät der Philosophischen Fakultät anzuschließen. Es bestehe in einem solchen Fall die G e f a h r , daß im L a u f e der Zeit sich der C h a r a k t e r der Theologischen Fakultät wandelt, so d a ß f ü r das AT. ein Jude, f ü r die Kirchengeschichte ein Katholik u n d f ü r die Religionsgeschichte ein Buddhist berufen werde. So gibt die Diskussion über die Theologischen F a k u l t ä t e n ein Bild der durch die Revolution 1918 ausgelösten Probleme. Zugleich ist diese ein Beitrag zur Theologiegeschichte der ersten beiden J a h r zehnte unseres Jahrhunderts.
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Der Christliche Glaube. Sämtl. Werke 111,1. 118 ff. Nachgel. Werke III, 277. Geh. Staats-Arch. Rep. 9 2 Hardenberg K 30.
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ANHANG [Archiv der EKU. Gen. II No 31 Bd. 1.]
Die Trennung von Kirche und Staat, die Ausbildung der zukünftigen Pfarrer und die Theologischen Fakultäten. ( W i r k l . Geh. R a t von Harnack) Die Trennung von Kirche und Staat stellt die bisherige Ausbildung der zukünftigen Pfarrer in Frage, weil sie die Existenz bez. die bisherige Verfassung der evangelisch-theologischen Fakultäten bedroht. Dies kann in sehr verschiedener Weise geschehen, nötigt aber in jedem Fall die Kirche zu einer Neuordnung in Bezug auf die Ausbildung der Geistlichen. Voraussichtlich werden die Machthaber die evangelischen und die katholischen Theologischen Fakultäten gleichmäßig behandeln um der „Parität" willen, obgleich die Stellung beider in rechtlicher Hinsicht und in ihrem Verhältnis zur Wissenschaft eine verschiedene ist. Jedenfalls aber werden die M a ß regeln, welche die evangelische Kirche zu treffen hat, andere sein müssen als die, welche die katholische Kirche voraussichtlich w ä h len wird. Zu dem, was den Evangelisch-Theologischen Fakultäten eventuell bevorsteht, gibt es in den außerdeutschen Evangelischen Kirchen bereits Analogien, die studiert werden müssen (s. Beilage I). I. Die verschiedenen möglichen Folgen der Trennung von Kirche und Staat für die Theologischen Fakultäten. 1) Der Staat läßt die Fakultäten z w a r bestehen, duldet auch ausdrücklich oder stillschweigend, daß ihre Mitglieder ausschließlich Evangelische sind, nimmt den Fakultäten aber die Professuren
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für systematische oder praktische Theologie und ergänzt sie durch religionsgeschichtliche Professuren. 2) Der Staat wandelt die Theologischen Fakultäten in religionsgeschichtliche Fakultäten um und besetzt sie mit Gelehrten, ohne sich um die Konfession derselben zu bekümmern. 3) Der Staat hebt die Theologischen Fakultäten auf und begründet eine oder mehrere Professuren für christliche Religionsgeschichte in den philosophischen Fakultäten. 4) Der Staat hebt die Theologischen Fakultäten auf und verzichtet auch in den philosophischen Fakultäten auf die Begründung von Professuren für die christliche Religion. Neben diesen vier Hauptmöglichkeiten lassen sich schon — namentlich in Ansehung ihrer Durchführung — gewisse Mischformen denken, die aber hier außer Betracht bleiben können.
Plänen
II. Die Rechtslage der Kirche gegenüber den der Aufhebung bez. der durchgreifenden V er Änderungen der theologischen Fakultäten.
Es bedarf keines ausdrücklichen Nachweises, daß bei der Gründung und Konsolidierung der deutschen Reformationskirchen, die sich unter Einziehung des Kirchengutes vollzog, der Staat stillschweigend die Verpflichtung übernommen hat, für die Ausbildung der Pfarrer Sorge zu tragen, d. h. die Theologischen Fakultäten als wesentliche Teile der Universitäten zu erhalten. Ob ein Rechtsanspruch, der die Erhaltung in dieser Form für alle Zeiten sichert, durchführbar ist, erscheint allerdings fraglich, da die Universitäten seit der Reformationszeit ihren Charakter wesentlich verändert haben, reine, wenn auch mit gewissen Privilegien ausgestattete Staatsanstalten geworden sind und da auch der Begriff der Wissenschaft sich gewandelt hat. Der Anspruch der evangelisch-theologischen Fakultäten zu verbleiben, wird daher von der Kirche besser durch den Nachweis verteidigt werden, daß eben diese Fakultäten dem modernen Begriff der Wissenschaft entsprechen, daß ihr Objekt bedeutend genug ist, um den Mittelpunkt einer Fakultät zu bilden und daß sowohl die Universität als auch der Staat selbst im
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eigenen Interesse für ihre Erhaltung eintreten müssen. Die evangelische Kirche würde ihre Pflicht verletzen, wenn sie nicht, sobald die Existenz der Theologischen Fakultäten bedroht erscheint, in diesem Sinne bei dem Staat, bez. den Machthabern, Vorstellungen erheben würde. Sollten aber diese Vorstellungen überhört werden, so hat sie sofort und mit allem Nachdruck als Rechtsanspruch die Forderung geltend zu machen, daß der Staat zu den Kosten beizutragen habe, die ihr aus einer Neuregelung der Ausbildung ihres Pfarrerstandes erwachsen; denn darüber kann kein Zweifel bestehen, daß die Landeskirche noch immer die Kirche ist, die im 16. Jahrhundert reformiert worden ist und die der Staat um ihre finanzielle Selbständigkeit gebracht hat unter der Willensabsicht, wie überhaupt für die äußere Lage der Kirche, so auch für die Ausbildung ihrer Pfarrer seinerseits die Sorge zu übernehmen. Wendet man aber ein, daß heute die Unterhaltung der Universitäten, also auch der Theologischen Fakultäten, fast vollständig aus den Steuern und nicht aus eigenem Vermögen der Universitäten aufgebracht wird, so ist dieser Einwurf nicht stichhaltig; denn er verstößt sowohl gegen die geschichtliche Rechtslage als auch gegen Aequum et Justum, der Kirche eine große Ausgabe aufzunötigen, die bisher der Staat pflichtmäßig getragen hat. Von diesem hat daher die Kirche die ihr hier erwachsenden Kosten in der Hauptsache zu fordern, bez. in gütlichen Verhandlungen mit ihm das zu erreichen, was sie gegebenenfalls an Mitteln für die Ausbildung ihrer zukünftigen Pfarrer an den Fakultäten wesentlich nötig hat.
III. Was verlangt die Ausbildung zukünftigen Pfarrer in wissenschaftlicher
der Hinsicht?
In Bezug auf die Ausbildung der zukünftigen Pfarrer in wissenschaftlicher Hinsicht sind drei Hauptforderungen zu erheben: 1) daß sie, wie bisher, zum Studium der Theologie nur zugelassen werden, wenn sie ein Vollgymnasium absolviert und sich auch die Kenntnisse des Lateinischen und Griechischen angeeignet haben, die für das theologische Studium unerläßlich sind, 2) daß sie den vollen Kursus der Theologie, wesentlich in dem
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heute gültigen Rahmen und U m f a n g , aber unter Berücksichtigung der besonderen Erfordernisse der Lage bei einer theologischen Fakultät durchmachen, 3) d a ß sie womöglich w ä h r e n d der ganzen Zeit, mindestens aber ein Semester, an einer Universität studieren. Ad 1) Es ist kaum zu bezweifeln, d a ß an die Kirche Pläne herantreten werden, die Forderung in Bezug auf die Vorbildung der Geistlichen herabzusetzen, und zwar schon in Bezug auf die Forderung der gymnasialen Vorbildung. Gibt es doch in einer evangelischen Landeskirche, der siebenbürgischen, bereits Geistliche zweiter Klasse, die die gymnasiale Vorbildung nicht besitzen. O b sich diese Einrichtung dort aus zwingenden Gründen notwendig gemacht und wie sie sich — in rein ländlichen Kirchspielen — b e w ä h r t hat, darüber steht mir ein Urteil nicht zu; gewiß ist aber, d a ß sie bei uns der Kirche zu großem Schaden gereichen würde; denn nicht nur die Einheitlichkeit des Pfarrerstandes ist ein hohes Gut, sondern es ist auch in unseren Verhältnissen unerläßlich, d a ß der P f a r r e r , auch auf dem Lande, in der allgemeinen Bildung hinter dem A r z t und dem Richter nicht zurücksteht. Wird dem schon jetzt vorgeworfen, d a ß er die moderne Wissenschaft nicht kenne und hinter dem geistigen Fortschritt der Zeit zurückbleibe, so w ü r d e ihn dieser Vorwurf nicht ohne G r u n d treffen, wenn er keine volle akademische Ausbildung genossen hätte. Die deutsche evangelische Kirche ist nun einmal, d a n k ihrer Entstehung und Entwicklung, darauf angewiesen, sich mit ihrem Pfarrerstande auf der H ö h e der intellektuellen Entwicklung zu halten, und sie kann sie nicht preisgeben, ohne in eine schwere Krise zu geraten. An sich w ä r e das nicht notwendig, ja es bezeichnet eine gewisse Verengung; denn das Evangelium k a n n , wie seine Geschichte zeigt, und die Kirchen noch heute in zahlreichen Einzelfällen beweisen, seine vollen K r ä f t e in der W o r t verkündigung entfalten, ohne von der Wissenschaft getragen zu sein; aber m a n vermag nicht willkürlich geschichtliche Ergebnisse u n d Zustände umzugestalten. Das freilich fordert diese „Verengung" heute u n d in Zukunft mehr als jemals von der evangelischen Kirche Deutschlands, d a ß sie darauf bedacht bleibt, neben dem eigentlichen P f a r r e r s t a n d sich freie Diener am Wort, männliche
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und weibliche, zu schaffen, die im Verein mit jenen arbeiten. Hier elastischer zu werden und zugleich mannigfaltiger und doch bestimmte kirchliche Formen für einen freien kirchlichen Dienst am Wort zu schaffen, ist eine bedeutende Aufgabe der Kirche der Gegenwart und Zukunft. Ad 2) Die besonderen Erfordernisse der Lage verlangen innerhalb der theologischen Studiensemester (1) eine Verstärkung der systematisch-theologischen, philosophischen und soziologischen Studien, um den großen Fragen der Gegenwart gerecht zu werden, und (2) die Grundlegung für eine pädagogische Ausbildung — sie darf nicht erst auf eine spätere Zeit verschoben werden —, da der Pfarrer mehr als bisher vor der Verpflichtung stehen wird, Religionsunterricht zu erteilen. Wie diesen vermehrten Anforderungen im Rahmen der akademischen Studienzeit entsprochen werden kann, bez. welche Veränderungen in der bisherigen Ausbildung und im Studienplan nötig sind, darüber die Beilage II. Ad 3) Wenn sich die Dinge so entwickeln, daß die Theologischen Fakultäten fortfallen, so muß die Neuordnung des Unterrichtes, welche die Kirche trifft, so geartet sein, daß der evangelische Theologe womöglich die ganze Studienzeit in einer Universitätsstadt zubringen kann, um als immatrikulierter Student an allen Darbietungen der Universität teilzunehmen. Läßt sich das nicht durchweg erreichen, d. h. lassen sich nicht sämtliche kirchliche Fakultäten in Universitätsstädte verlegen — ein Fall, der einstweilen als sehr unwahrscheinlich bezeichnet werden darf —, so müssen die zukünftigen Pfarrer doch mindestens die Hälfte ihrer Studienzeit (man muß fortab 8 Semester als die normale Studienzeit betrachten) an solchen theologischen kirchlichen Fakultäten zubringen, die in Universitätsstädten liegen; denn es ist schlechterdings notwendig, daß der theologische Student die Luft der Universitäten atmet und in den Austausch mit anderen Fakultätsstudierenden tritt. Die Gefahr, daß die theologische Ausbildung auf die Stufe einer seminaristischen herabsinkt, wenn die theologischen Fakultäten nicht mehr im Rahmen der Universitäten stehen, ist drohend und groß genug; um ihr zu begegnen, müssen alle Mittel aufgeboten werden, und dazu gehört auch die Anordnung, daß jeder Theologie Studierende akademischer Bürger gewesen ist. Leitender Grundsatz
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f ü r die Auswahl der Orte, an denen kirchliche theologische Fakultäten errichtet werden, m u ß also sein: „Die Fakultät gehört in eine Universitätsstadt". Den Anträgen, die gewiß kommen werden, umgekehrt die Gelegenheit der Trennung zu benützen, um die Fakultäten auch örtlich von den Universitäten zu scheiden, damit so die Gefahren beschworen werden, welche die Universitätsstädte bringen, solchen Anträgen ist im Interesse der Theologischen Wissenschaft, die in der Isolierung verkümmern müßte, und im Interesse der Studierenden, die zu einer Kaste würden, ein energischer Widerstand entgegenzusetzen. Gewiß bieten die Universitätsstädte Gefahren, aber solche bietet das Leben überhaupt; sie müssen und werden wie bisher von der großen Mehrzahl der Theologie Studierenden überwunden werden; denn durch Flucht entgeht man ihnen nicht.
verschiedenen
IV. Wie hat sich die Kirche zu den vier Möglichkeiten der Trennung von Kirche und in Hinsicht der Fakultäten zu stellen?
Staat
1) Bleiben die Theologischen Fakultäten als solche innerhalb des Organismus der Universitäten bestehen, aber ohne die systematische und praktische Professur (so in H o l l a n d ) , so ist d a f ü r Sorge zu tragen, d a ß die Fakultäten Privatdozenten f ü r die beiden Fächer zulassen, die von der Kirche finanziell sichergestellt werden. Stellen sich die Fakultäten freundlich zu ihnen und arbeiten H a n d in H a n d mit ihnen, so ist zwar ein nicht wünschenswerter, aber erträglicher Zustand erreicht. Es ist nicht wahrscheinlich, d a ß die Fakultäten die Zulassung verweigern werden oder müssen; denn durch letzteres w ä r e ihre Freiheit in unerträglicher Weise eingeschränkt; d a ß sie aber von sich aus Dozenten f ü r systematische und praktische Theologie die A u f n a h m e versagen werden, vermag ich mir nicht vorzustellen. Müssen sie doch aus der Geschichte wissen, d a ß in der systematischen Professur (sachlich u n d in Ansehung des Unterrichts) ihre Aufgabe und ihr Einfluß gipfeln u n d d a ß auch die praktische Professur als Geschichte und Theorie des Kultus, des kirchlichen Unterrichts und der inneren u n d äußeren Mission ein wesentliches Element ihrer Aufgabe bildet. Werden diese
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Fächer wirklich als Bestandteile der staatlichen Fakultäten ausgeschieden, so bin ich gewiß, daß dies nur unter energischem und bis zum letzten Punkt durchgeführten Widerstand der Fakultäten geschehen wird; wie sollten sie sich denn dagegen sträuben, Dozenten für diese Fächer zuzulassen? Sollte aber jemals im Laufe der Entwicklung, nachdem die Fakultäten um jene Professuren gebracht sind, doch eine kirchenfeindliche Strömung die Herrschaft in ihnen gewinnen, so würde damit die Lage eintreten, die im folgenden Abschnitt (unter 2) zu behandeln ist. 2) Wenn der Staat die Theologischen Fakultäten umwandelt und sie mit Gelehrten besetzt, ohne sich um deren Konfession zu kümmern, wie er es schon in Bezug auf das Kirchenrecht (wenn auch nicht durchweg) tut, so kann das Ergebnis sehr verschieden ausfallen und somit muß auch das Verhalten der Kirche ein verschiedenes sein. Es kann bei diesem Zustande geschehen, daß die exegetischen und die kirchen-historischen Professuren so glücklich besetzt sind, daß die Kirche die Vorlesungen anzuerkennen vermag, zumal wenn auch die Möglichkeit offen bleibt, daß sich Dozenten für die systematische und praktische Theologie habilitieren. In diesem Falle wirkt die Neuordnung nicht anders als die sub (1) betrachtete und verlangt daher auch keine anderen kirchlichen Maßregeln. Es kann aber auch das Entgegengesetzte eintreten, daß die gebotenen Vorlesungen ungenügend sind und daß Dozenten für die systematische und praktische Theologie nicht zugelassen werden. In diesem Falle muß die Kirche zur Begründung einer eignen Fakultät außerhalb des Rahmens der Universität schreiten. Unerquickliche, weil unsichere Verhältnisse werden sich hier ergeben, wenn die eine staatliche Fakultät genügt, und die andere nicht, oder wenn die eine heute genügt und morgen nicht mehr. Unvermeidlich werden diese schlimmen Verhältnisse sein, bis sich eine Art Beharrungszustand einstellen wird, und es wird viel Umsicht und Weisheit bedürfen, um ihnen gerecht zu werden. Ich zweifle aber nicht, daß die Notwendigkeit, eigne Fakultäten zu gründen, sich schon bei dieser vom Staate beliebten Lösung der Theologischen Fakultäten-Frage für die Kirche sehr bald ergeben wird. 3) Hebt der Staat die Theologischen Fakultäten ganz auf und begründet er eine oder mehrere Professuren für christliche Reli-
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gionsgeschichte in den Philosophischen Fakultäten, so ließe sich ein für die Kirche erträglicher Zustand noch immer denken, wenn der Staat drei solcher Professuren (für A.T., N . T . und Kirchengeschichte) errichtet, sie mit evangelischen Männern besetzt und dazu die Möglichkeit gewährt wird, sich bei den Philosophischen Fakultäten unter dem Titel „Religionsgeschichte" zu habilitieren und systematische und praktische Theologie zu lesen. Allein in W a h r heit wäre dieser Zustand wahrscheinlich unerträglich, weil er sich jeden Augenblick ändern kann und weil er der Bedeutung und Würde der christlichen Theologie nicht entspricht. Die Aufhebung der Theologischen Fakultäten wird somit die Kirche wahrscheinlich sofort nötigen, die Gründung eigener Fakultäten neben den Universitäten ins Auge zu fassen, es sei denn, daß ein förmliches, ihre Interessen wahrendes und sicherndes Abkommen mit dem Staate hier getroffen wird; aber auch dann ist die Lösung nicht empfehlenswert, weil im Rahmen der Philosophischen Fakultät kirchlich abgestempelte Professoren, sei es auch mit dem leichtesten Stempel, nicht erträglich sind. 4) Hebt der Staat die Theologischen Fakultäten auf und verzichtet auch in den Philosophischen Fakultäten auf die Begründung von Professuren für die christliche Religion, so ist eine klare Lage geschaffen: die Kirche muß zur Begründung von kirchlichen Theologischen Fakultäten schreiten.
V. Kirchlich begründete
Theologische
Fakultäten.
Die Hauptschwierigkeit, kirchlich begründete Theologische Fakultäten ins Leben zu rufen, liegt nicht in der Finanzfrage: Das muß sich finden, und man darf dazu hoffen (s. sub II), d a ß der Staat einen pflichtmäßigen bedeutenden Beitrag spendet. Die Hauptschwierigkeit liegt auch nicht in der Frage der Zahl und der Auswahl der Universitätsstädte: so gewiß es ein schwerer Schade f ü r jede Provinz ist, die eine theologische Fakultät verliert, so gewiß ist die Zahl von zehn Fakultäten in Preußen zu groß und muß daher vermindert werden; aber ein gewisser Ersatz durch Predigerseminare kann sofort ins Auge gefaßt werden. Die Hauptschwierig-
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keit liegt darin, den rein-wissenschaftlichen Charakter der kirchlichen Fakultäten sicherzustellen und zu behaupten. Bisher leistete der Staat der Kirche diesen unschätzbaren Dienst, und doch hat selbst er ihn nicht rein durchzuführen vermocht! Wie wird es in Zukunft sein? Wer wird die Verantwortung dafür tragen, daß die theologische Wissenschaft in den kirchlichen Fakultäten ihr rein wissenschaftliches inneres und äußeres Gepräge bewahrt und der Wissenschaft ebenbürtig bleibt, wie sie auf den Universitäten zum Ausdrude kommt? Die kirchliche Oberleitung für sich, ob sie nun konsistorial oder synodal oder gemischt zusammengesetzt ist, vermag das nicht; denn man kann von ihr nicht Unmögliches fordern. Das Problem, eine Kirche solle in den Fakultäten die reine Wissenschaft hüten und verteidigen, erscheint daher unlösbar, und doch muß im Interesse der evangelischen Kirche eine annähernde Lösung gefunden werden. Den einzelnen Fakultäten die Berufungen ausschließlich anheimzugeben, empfiehlt sich nicht; denn sie sind nicht vor Cliquen- und Parteiwesen geschützt, aber eine bedeutende Sicherung wäre es schon, wenn bei jeder Vakanz alle Fakultäten ein Urteil abzugeben hätten — da es in Preußen schwerlich mehr als ca. 50 Professoren in den sechs Fakultäten geben wird, ist jährlich nur mit 2—3 Vakanzen zu rechnen —, und über den Fakultäten müßte für Berufungsfragen ein Kollegium stehen, in welchem hervorragende evangelische Gelehrte kirchlichen Sinnes aus verschiedenen Fakultäten Sitz und Stimme hätten. Auch so kann die reine Wissenschaftlichkeit und Freiheit nicht garantiert werden; denn letztlich kann diese Garantie nur aus der sicheren und freudigen Einsicht der evangelischen Kirche erwachsen, daß die wissenschaftliche Freiheit ihr bester Bundesgenosse ist und daß selbst ein schwerer Mißgriff bei einer Berufung minder gefährlich und daher leichter zu ertragen ist als eine Antastung der wissenschaftlichen Freiheit; denn diese erzeugt Mißtrauen, böse Gewissen und Heuchelei; die Wahrheit aber und Freiheit besitzen die Heilmittel gegen den Mißbrauch in sich selber. — Privatdozenten müßten an den kirchlichen Theologischen Fakultäten ebenso zugelassen werden, wie an den Universitäten, und die Studierenden müßten gleichzeitig an beiden Bildungsstätten immatrikuliert sein. Sollte der unwahrscheinliche Fall sich verwirklichen, daß eine Theologische
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F a k u l t ä t außerhalb einer Universitätsstadt steht, so k a n n kein evangelischer Theologe an dieser Fakultät allein studieren; er m u ß vielmehr mindestens vier Semester an einer anderen Fakultät studieren, die sich in einer Universitätsstadt befindet (s. oben 111,3).
Beilage
I.
Wenn die Evangelische Landeskirche Preußens in die Lage versetzt wird, ihrerseits Theologische Fakultäten begründen zu müssen oder zu neu verfaßten staatlichen Theologischen Fakultäten Stellung zu nehmen, so muß sie vorher die Zustände und E r f a h r u n g e n lernen, die in anderen Ländern gemacht worden sind. Folgendes k o m m t hier in Betracht: 1) Die Evangelisch-Theologische Fakultät in Wien, die z w a r eine Staatsanstalt ist, aber neben der Wiener Universität steht. Die beste Auskunft wird Professor Loesche, Wien, erteilen können. 2) Die Evangelisch-Theologischen Fakultäten in H o l l a n d , die ebenfalls Staatsanstalten sind, aber innerhalb der Universitäten stehen; sie haben keinen konfessionellen C h a r a k t e r und entbehren die Professuren f ü r systematische und praktische Theologie. Die beste Auskunft wird Professor Windisch, Leiden, erteilen können. 3) Die freien Evangelisch-Theologischen Fakultäten in Genf, Lausanne u n d Neuchätel: sie stehen als kirchliche Schöpfungen neben den staatlichen Theologischen F a k u l t ä t e n an den betreffenden O r t e n u n d gehören nicht zur Universität, w ä h r e n d jene integrierende Teile der Universitäten sind. Auskunft wird Professor Koehler, Zürich, erteilen können oder Professor W e n d l a n d , Basel. 4) Die französischen Evangelischen Theologischen kirchlichen Fakultäten in Paris und Montauban. Auskunft wird Professor Lüttge, Berlin, geben können. 5) Das Union-Seminar in N e w Y o r k ; seine Stellung ist besonders interessant, weil es zwar eine ganz selbständige, kirchliche Theologische F a k u l t ä t ist, aber zur Columbia-Universität in N e w Y o r k ein so nahes Verhältnis hat, d a ß es geradezu als die Theologische F a k u l t ä t dieser Universität gelten k a n n , die selbst eine Theologische F a k u l t ä t nicht besitzt. Uber dieses Seminar, welches
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ich persönlich kennengelernt habe, werden mehrere deutsche Theologen Auskunft geben können. Empfehlenswert wäre es, wenn schon jetzt ein Theologe beauftragt würde, die Verhältnisse an diesen Fakultäten unter Hinzuziehung der genannten Persönlichkeiten sich zu vergegenwärtigen und in einer Denkschrift das zusammenzustellen, was für die deutschen Verhältnisse von Interesse ist. Für eine solche Aufgabe ist Prof. Mulert, Kiel, besonders geeignet und vorbereitet. Beilage
II.
Das theologische Studium stellt besonders hohe Anforderungen an die Studierenden, da es philologische, historische und systematische Kenntnisse von ihnen verlangt. Es scheint auch hier nichts abgezogen werden zu können, vielmehr fordern die neuen Zeitverhältnisse gebieterisch in einigen Fächern Steigerung. Die Apologetik im vulgären Sinn des Wortes ist zwar mit Recht aus den Vorlesungskatalogen so gut wie verschwunden; aber, wie die Aufgabe bleibt, so soll sie nur in anderer und vertiefter Weise durchgeführt werden. Hierzu gehören religionsgeschichtliche, religionsphilosophische und soziologisch-geschichtliche Studien, die nicht mehr außer acht gelassen werden können, wenn die theologische Durchbildung nicht hinter der Zeit und hinter den Aufgaben, welche der Theologie im Leben der Gegenwart gestellt sind, zurückbleiben soll. M. E. muß der Theologie Studierende vom ersten Semester an neben den philologischen und historischen Studien auch schon philosophische einleitender Art betreiben, um sich auf die systematischen historischen Fächer vorzubereiten. Insbesondere aber vermag der zukünftige Pfarrer keine selbständige Stellung in den Lebensfragen der Religion zu nehmen, die heute sämtlich durch ein Ineinandergreifen von Religion, Philosophie und Soziologie bezeichnet sind, wenn ihm nicht eine gründliche Einsicht in diese Zusammenhänge und Verbindungen geboten wird. „Kirchengeschichte", „Systematische Theologie" und noch die „Praktische Theologie" haben in den letzten zwei Jahrzehnten allmählich ein ganz anderes Gesicht bekommen; sich mit diesem vertraut zu machen, ist schwieriger als früher; denn seine Züge sind tiefere und
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mannigfaltigere, und die Technik der wissenschaftlichen Zusammenfassung hat noch nicht die Stufe erreicht, die die ältere Methodik besaß. Aber auch die Pädagogik muß von dem zukünftigen Pfarrer gefordert werden mit besonderer Beziehung auf den Religionsunterricht in sachlicher und methodischer Hinsicht. Es geht nicht mehr an, daß der Religionsunterricht erteilende Pfarrer dem geschulten Lehrer als Dilettant gegenübersteht, während doch in der Zeit, die heraufzieht, jeder Pfarrer in die Lage kommen wird, nicht nur, wie bisher, den Konfirmandenunterricht, sondern den Religionsunterricht überhaupt auf den verschiedenen Stufen zu erteilen. Schon auf der Universität selbst muß die wissenschaftliche Grundlegung für die Aufgaben der Pädagogik gelegt werden; später findet sich keine Zeit mehr dafür. Sind somit die Anforderungen an das theologische Studium zu erhöhen, so erhebt sich die bange Frage, ob die für dieses Studium angesetzte Zeit — auch wenn acht Semester festgestellt werden — für die Bewältigung so großer Aufgaben ausreicht. Ich bezweifle es ernstlich; denn man darf nicht auf die guten Köpfe sehen, sondern muß sich an die mittleren halten. Dann aber muß man doch daran denken, das theologische Studium an irgend einer Stelle zu entlasten, und ich glaube, daß dies auch angängig ist: man streiche das Hebräische und lasse das Alte Testament griechisch lesen, die Vorlesungen auf Grund des Originaltextes sollen natürlich bleiben, aber fakultativ werden. Ich höre einen entrüsteten Widerspruch; aber er schreckt mich nicht. Das Alte Testament der christlichen Kirche ist niemals der ÜberOriginaltext gewesen, sondern immer nur die griechische setzung, und das Neue Testament selbst fußt stärker auf dieser Übersetzung als auf dem Originaltext. Was wir an exegetischen Werken aus dem christlichen Altertum in Bezug auf das A.T. besitzen, ist durchweg an das griechische A.T. angeschlossen. Wer sich mit diesem vertraut macht, macht sich mit der altkirchlichen Bibel vertraut. Unzweifelhaft freilich: der, welcher den Originaltext nicht zu lesen vermag, erleidet eine schwere Einbuße — die schwerste dadurch, daß die Worte Jesu an der hebräischen Bibel orientiert sind —, und er kann wissenschaftlich nur in sehr beding-
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ter Weise an der Erschließung des A . T . teilnehmen; aber kann es heute unser Durchschnittspfarrer mit den hebräischen Kenntnissen, die er sich erworben hat? Niemand wird diese Frage zu bejahen wagen! Die Möglichkeit aber soll durchaus bestehen bleiben, daß gute hebräische Kenntnisse erworben werden, und ich vermute, daß die Zahl derer, die mit solchen die Universität verlassen werden, nicht geringer sein wird als bisher; denn wer nun freiwillig die Sprache studieren wird, wird sie auch gründlich studieren. Andererseits kann man, auch wenn man die griechische Übersetzung vor sich hat, denen, die des Hebräisch unkundig sind, an den wichtigen und entscheidenden Stellen Sinn und Bedeutung des hebräischen Stichwortes klarmachen, ja, man kann ihnen auch den Geist des Hebräischen bis zu einem gewissen Grade nahe bringen. Oder bedeutet der deutsche Homer und der deutsche Shakespeare nichts? Aber hier handelt es sich nicht um das deutsche Alte Testament, sondern um das griechische, das in seinen jüngsten Teilen in hellenistischer Luft entstanden ist, und das als Ganzes die Bibel war, die Paulus seinen Gemeinden gebracht hat! Nach meiner 44jährigen Erfahrung ist für den weitaus größten Teil der Theologen das Studium des hebräischen Alten Testamentes tatsächlich so gut wie wertlos; nach eben dieser Erfahrung aber opfert der mittlere Student — gerade der, der ein längeres hingebendes Studium der anderen theologischen Fächer besonders dringend nötig hätte — mindestens ein Drittel seiner unvollkommen ausgenützten Studienzeit der Erwerbung dürftiger hebräischer Kenntnisse. Diese Tatsachen, an denen schwerlich etwas geändert werden kann, lassen m. E. nur den Schluß zu: Fiat amputatio! Das Hebräische muß als obligatorisches Fach fallen, dann gewinnt man Raum zur Erwerbung notwendigerer und bleibender Kenntnisse — einen Raum, den man nicht mehr entbehren kann, soll das Studium seine Zwecke erfüllen. Ich habe mich entschieden ausgedrückt; denn eine neue gewaltige Forderung darf man nicht zaghaft begründen. Aber ich verkenne nicht, daß die Frage der umsichtigen Erwägung bedarf; zu einer solchen den Anstoß zu geben, ist mir Gewissenspflicht; schon lange hat sie midi bewegt; aber die Größe der neuen Aufgaben, denen wir entgegengehen, läßt mich nun nicht mehr schweigen.
D A S VERGESSENE E V A N G E L I U M V O M R E I C H E GOTTES Vorbesinnung für eine
Sozialethik
V O N O T T O DILSCHNEIDER
Das Zentrum der Verkündigung Jesu ist vom Anfang bis zum Ende nach den einhelligen Zeugnissen der Evangelien die Botschaft vom Kommen des Reiches Gottes. Diese Erkenntnis stellt einen unbestrittenen Tatbestand der evangelischen Theologie seit Jahrhunderten fest. Darum erübrigt es sich, dafür Schriftbeweise oder Stimmen der evangelischen Theologie anzuführen. Ganz abgesehen davon, daß eine solche Beweisführung Bücher für sich füllen würde. Wie das Thema einer Fuge bestimmend ist für die Durchführung der gesamten Komposition, so steht am Anfang der Evangelien dieses Thema: Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen! Alles, was darauf folgt, die gesamte Verkündigung Jesu mit der Fülle der Himmelreichsgleichnisse, ist die Durchführung und Ausarbeitung dieses einen Grund-Themas vom Kommen des Reiches Gottes und zugleich der Anruf an alle, die es hören: Trachtet vielmehr zuerst nach diesem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, dann w i r d euch alles andere obendrein gegeben werden. (Mt. 6,33.) Von dieser Hoffnung des nahenden Gottesreiches ist die Christenheit erfüllt, wenn sie im Vaterunser gemeinsam betet „Dein Reich komme" und dann gleichsam als abschließende Bestätigung aller Bitten hinzufügt „Denn Dein ist das Reich". Es ist an der Zeit, daß dieses Zentrum der evangelischen Botschaft in Kirche und Theologie wieder erkannt w i r d und zur Sprache kommt, denn es ist uns verloren gegangen oder durch Verlagerung auf andere Themen verdeckt worden. Uns ist keine theologische Darstellung oder Dogmatik aus den letzten Jahrzehnten bekannt, die von diesem zentralen Gedanken getragen oder angelei-
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Otto
A.
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tet worden ist 1 . Ganz im Gegenteil sogar ist auf der Tagung des Lutherischen Weltbundes in Helsinki 1963 die Glaubensrechtfertigung als Zentrum der Botschaft nach jahrhundertlanger Praxis noch einmal bestätigt worden 2 . Dazu wird noch einiges gesagt werden müssen. Und wenn man einen Blick in die Existenztheologie der Bultmannschule wirft, so bestätigt sich dieser Verlust und diese Verlagerung in besonderer Weise. Gehörte es doch seit jeher zum Selbstverständnis der evangelischen Kirche und ihrer Theologie, um das Zentrum der Botschaft gelagert zu sein. Wie also war es möglich, daß dann diese Botschaft Jesu vom Kommen des Reiches Gottes ins Hintertreffen geriet? Dieser ungewöhnliche Tatbestand zwingt uns dazu, den Gründen nachzugehen, die dieses Ergebnis gezeitigt haben. Wer den Gründen dieser Entwicklung nachgehen will, muß sich an drei Namen orientieren, die das abendländische reformatorische Christentum geprägt haben, an Paulus, Augustin und Luther. Fast die ganze westeuropäische Theologie reformatorischen U r sprungs und ihre Ausstrahlungen nach England und Amerika trägt den Stempel paulinischen Denkens. Im Osten ist die Entwicklung, vom johanneischen Schrifttum ausgehend, anders verlaufen. Darum ist es eine Kardinalfrage, wie wir diesen ersten Theologen der U r gemeinde verstehen und beurteilen. Das paulinische Schrifttum des Neuen Testamentes ist eine vielschichtige Größe, die uns viele Fragen nach Urheberschaft und Gesamtkonzeption aufgibt. Gerade aber die Paulusforschung hat vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart große Fortschritte gemacht und uns sehr wichtige Aufschlüsse und Einsichten erbracht. Wir sind heute in der Lage, von einem Frühpaulinismus und einem Spätpaulinismus zu sprechen, insofern wir an die ersten und letzten Briefe denken. Mit dieser Bezeichnung sind nicht die zeitlichen Abstände gemeint, in der diese Briefe entstanden, denn diese mögen sogar sehr kurz sein. Vielmehr ist damit an die Ausreifung und Ausformung paulinischen Denkens schlechthin gedacht. Wer auch
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G. Gloege in R G G 3. Aufl. Bd. V Spalte 9 2 4 / 2 5 . H a n n s Lilje, L a g e und Aufgabe der luther. Kirche, in: Luther. Monatshefte, Juli 1 9 6 3 S. 2 9 5 f.
Das vergessene Evangelium vom Reiche Gottes
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der Verfasser dieser Briefe sein mag, so sind wir doch heute in der Lage, das f r ü h - und spätpaulinische Schrifttum als eine theologische Gesamtkonzeption bedeutenden Ausmaßes zu verstehen. Zwei G r u n d g e d a n k e n sind für diesen Gesamt-Paulinismus tragend geworden. Erstens: Der Paulinismus steht und fällt mit dem Bekenntnis, d a ß der Jesus von N a z a r e t h der H e r r , der Kyrios Christos ist. Mit diesem Bekenntnis, dem das Damaskuserlebnis zugrunde liegt, wird die Kontinuität zwischen dem historischen Jesus und dem urgemeindlichen Christus begründet und hergestellt und z w a r durch die Berufung auf das Zeugnis des Heiligen Geistes (I. Kor. 12,3). Leider müht sich unsere Theologie, offensichtlich an solcher GeistVergessenheit leidend, mit der Frage ab, wie es wohl zu diesem Bekenntnis kommen konnte. Man redet von K e r y g m a und kerygmatischer Theologie, ohne bemerkt zu haben, d a ß solch Kerygma nach einhelligem Textzeugnis eine Funktion des Heiligen Geistes ist, der die Brücke zwischen dem historischen Jesus und dem Kyrios Christos schlägt (Acta 1,8). Zweitens: Der Paulinismus bekundet die Berufung zum Reiche Gottes. Den Thessalonichern wird gesagt, d a ß G o t t sie zu seinem Reich und seiner Herrlichkeit berufen hat (I. Thess. 2,12). Die Galater werden von den Werken des Fleisches gewarnt, weil, wer derartiges tut, das Reich Gottes nicht erben wird (Gal. 5,21). Nicht in Worten, sondern in Kraft zeigt sich das Reich Gottes. Das wird den Korinthern zugerufen (I. Kor. 4,20). Nach Rom schreibt Paulus, daß das Reich Gottes nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit, Friede und Freudigkeit im Besitz des Heiligen Geistes sei (Rom. 14,17). Paulus ist davon erfüllt, daß er und alle seine H e l f e r Mitarbeiter f ü r das Reich Gottes sind (Kol. 4,11). An allen diesen Stellen erscheint also die Berufung auf das Reich Gottes als der größere, umfassendere Rahmen, in dem sich die paulinische Missionstätigkeit abspielt. Dies wird dadurch unterstrichen, d a ß Paulus heilsgeschichtlich denkt, auch wenn ein solcher Weg in der heutigen Theologie bestritten oder gar zu einem Tabu erklärt wird. Paulus redet vom alten und vom neuen Aon, vom adamitischen A o n und vom Aon, der mit dem Kommen Christi anbrach, dem Aon des Lebens. Was ist denn dieser neue Aon Christi und des Lebens anderes als
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O t t o A. D i l s c h n e i d e r
der Anbruch des Gottes-Reiches? Paulus ist um das Schicksal seines eigenen Volkes besorgt und entwirft uns jene heilsgeschichtliche Darstellung vom Weg des jüdischen Volkes in den großen Kapiteln Rom. 9—11, die man die paulinische Theodizee genannt hat. Dabei zielt sein Anliegen dahin darzutun, daß auch das jüdische Volk einst am Reiche Gottes teilhaben wird. — Von diesen beiden Grundgedanken, dem Bekenntnis zum Kyrios Christos und dem Berufungsbewußtsein zum Reiche Gottes, die im Grunde zusammengehören, weil sich ja im Christus der Anbruch des neuen Äon als des Gottesreiches bekundet, ist die paulinische Verkündigung getragen. Dieser theologische Grundakkord bestimmte den Weg seiner missionarischen Wirksamkeit. Und es darf niemals übersehen werden, daß die missionarische Aufgabe die Sprache der paulinischen Theologie geprägt und bestimmt hat. Gerade bei Paulus ist es wichtig, die Frage nach dem „Sitz im Leben" seiner theologisch-missionarischen Wirksamkeit zu stellen. Und dieser „Sitz im Leben" wird eindeutig bestimmt durch die beiden Missionsfronten, an die Paulus gewiesen war. Das war die Mission der jüdischen Diaspora einerseits und der hellenistischen Welt andererseits. Und seine Briefe sind Gelegenheitsschriften dieser Tätigkeit, sind Missionsdokumente darüber, wie er sich mit diesem Auftrag auseinandergesetzt hat. Wie er selber sagt, ist er dabei den Juden ein Jude und den Griechen ein Grieche geworden. Denn nur so war es ihm möglich, diese Botschaft vom Kyrios Christos, vom Kommen des Reiches Gottes an den Missionsfronten hörbar zu machen und zu entfalten. Unbestreitbar kommt dabei dem Judentum, das in den großen Zentren des Mittelmeeres angesiedelt war, schon darum eine besondere Bedeutung zu, weil es als das Volk der Erwählung mit dieser Botschaft besonders verbunden war. Diesem Judentum hat Paulus seine Botschaft von Jesus Christus, dem Repräsentanten des Gottesreiches an jener Stelle nahegebracht, an der die unerfüllte Heilserwartung seines Volkes offenstand: Jesus Christus ist des Gesetzes Erfüllung, wer an ihn glaubt, der ist gerecht (Rom. 10,4). Damit kommt jenes bedeutsame Thema von der Rechtfertigung allein aus Glauben im Bereich des Römerbriefes, aber auch die Thematik um Gesetz und Evangelium, wie sie im Galaterbrief er-
Das vergessene Evangelium v o m Reiche Gottes
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scheint, zur E n t f a l t u n g . Das alles ist aber nicht von den tragenden G r u n d a k k o r d e n des Bekenntnisses zu Jesus als dem Christus, als dem Bringer der Gottesherrschaft zu trennen. Vielmehr stellt diese Rechtfertigungs-Verkündigung jenen Aspekt der Reich-GottesBotschaft d a r , der sich auf die Heilserwartung des Judentums bezog. Was wir im Römerbrief lesen, ist die Botschaft vom Reiche Gottes in der Sprache des Judentums. D a r u m steht hier zu lesen, d a ß dieses Reich Gottes in Gerechtigkeit, Friede und Freudigkeit besteht R o m . 14,17. Der Judenmissionar Paulus ist zugleich auch Heidenmissionar. D a r u m f o r m t er aus denselben G r u n d a k k o r d e n seine Verkündigung f ü r die hellenistische Heidenwelt. Diese Welt, der das Gesetzesdenken des Judentums fremd war (I. Kor. 9,21), die ihm also keine Anknüpfungsmöglichkeiten vom Gesetz her bot, sprach er in besonderer Weise an. Diese Welt war den Mächten und Gewalten des Kosmos, w a r dem Tode verfallen. Hier k o m m t es zu einer E n t f a l tung der Botschaft, die gerade diesen Bedrohungen und Anfechtungen entsprach. Das können wir im Epheserbrief (6,12/13) und im Kolosserbrief (1,14/17) beobachten. Paulus trifft die Erlösungserw a r t u n g dieser Heidenwelt mit der Verkündigung, d a ß Jesus der Christus der H e r r über alle Throne, Mächte, H e r r s c h a f t e n und Gewalten, d a ß er der H e r r des ganzen Kosmos ist. U n d auch das ist ein missionarischer Aspekt jenes Bekenntnisses zum Kyrios Christos als dem Bringer der Gottesherrschaft. Wenn angesichts dieses Gesamtbildes v o m Paulinismus gesagt wird, die Glaubensrechtfertigung sei das Zentrum der evangelischen Botschaft, dann bedeutet das eine Schwerpunktverlagerung zum Nachteil des Ganzen und muß zu einer V e r k ü r z u n g der Botschaft führen 3 . Im Zeitalter der Reformation verfügte man eben nicht über jene Erkenntnisse der Textforschung, wie sie uns heute vorliegen. G a n z abgesehen davon, daß sich auch Paulus selber als Missionar u n d Gelegenheitsschriftsteller keine Gedanken darüber gemacht hat, zu welchem theologischen Gesamtergebnis seine Wirk3
In diesem Zusammenhang sei an die Rektoratsrede v o n Prof. Dr. Ulrich Wilckens über „Die Bedeutung der Chronologie der paulinischen Briefe für das Verständnis der Theologie des Paulus" — N o v . 1965 — hingewiesen.
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samkeit führen mußte. Erst der Textforschung blieb es vorbehalten, diese Zusammenhänge ans Licht zu bringen. Das Allerwichtigste am Paulinismus ist diese Einsicht in sein Gesamtgefüge, in das sich die einzelnen Verkündigungsaspekte einordnen. Dieses Gesamtgefüge ergibt folgendes Bild: Im Bekenntnis zum Kyrios Christos und seinem K o m m e n als dem Anbruch de? neuen Äon, dem Offenbarwerden des Reiches Gottes, ist die Botschaft der Glaubensrechtfertigung an das J u d e n t u m und die Botschaft der Christusherrschaft über die Weltmächte an das Heidentum begründet. Gelingt es uns, diesen Gesamtblick, diese Integration der Botschaft im Auge zu behalten, d a n n können wir nicht sagen, d a ß Paulus von der Botschaft Jesu als dem Wegbereiter des Gottesreiches abgewichen sei. Er hat vielmehr diese Botschaft auf die Heils- und Erlösungse- Wartung des J u d e n t u m s und Heidentums seiner Zeit ausgelegt. Erst spätere Generationen, denen diese Gesamtansicht noch nicht erschlossen w a r , haben Teilaspekte aus diesem Gesamtgefüge herausgelöst, etwa die Rechtfertigungsverkündigung des Apostels, und diese dann zum Zentrum der Botschaft erhoben. Das m u ß t e allerdings zu folgenschweren Schwerpunktsverlagerungen u n d Verkürzungen führen. D a m i t greifen wir die eingangs schon berührte Frage auf, wie es dazu kommen konnte, d a ß das Z e n t r u m des Evangeliums, die Botschaft vom K o m m e n des Reiches Gottes, ins H i n t e r t r e f f e n geriet. D e r Paulinismus des Neuen Testamentes d ü r f t e d a f ü r nicht verantwortlich sein. Das haben wir darzutun versucht. Wie aber ist die spätere Entwicklung verlaufen, wie steht es um die beiden großen Gestalten, die das abendländische Christentum geprägt haben, um Augustin und Luther? Augustin u n d Luther sind immer wieder zusammen gesehen worden. U n d das auch zu Recht, denn diese beiden großen Gestalten haben viel Gemeinsames aufzuweisen. Beider Leben fallen in die Wende von Zeitaltern. Augustin (354/430) erlebte den Untergang Roms im J a h r e 410 und d a m i t das offenkundig gewordene Ende der Antike, bzw. den Anbruch des Frühmittelalters. Luther (1483/1546) erlebt die Entdeckung der westlichen H e m i sphäre der E r d e durch Kolumbus u n d die Ablösung des geozentrischen Weltbildes durch Kopernikus. Neue Welten tun sich auf, das Mittelalter ist zu Ende, die Neuzeit bricht an. Menschen an
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solchen Zeitenwenden stehen unter besonderen Zeichen und Bestimmungen, wie es Conrad Ferdinand Meyer von Luther sagte: Sein Geist ist zweier Zeiten Schlachtgebiet, was wunderts mich, d a ß er D ä m o n e n sieht. Augustin und Luther sind Menschen eines ähnlichen Lebensschicksals bei aller Unterschiedlichkeit ihrer persönlichen Entwicklung. Beide waren Suchende und Findende, Irrende und Zweifelnde. Menschen, die erst zu ihrer eigensten Berufung fanden, als ihnen letzte, gültige A n t w o r t auf ihre Fragen wurde. Bei Augustin vollzog sich das alles mehr nach innen gerichtet, kontemplativ, besinnlich, bei Luther nach außen, k ä m p f e n d und ringend. Durch die Glaubensüberzeugungen, die sie gewannen, wurden sie f ü r ganze Zeitalter wegweisend und prägend. Augustin und Luther sind Menschen eines geistesgeschichtlichen Kraftfeldes, das, obwohl tausend J a h r e dazwischen liegen, ihre Grundeinstellung zur Welt nach denselben Ideen geformt hat. Bei Augustin ist es der antike Humanismus, der den Menschen in den Mittelpunkt des Lebens rückt. Bei Luther ist es die Wiedergeburt dieses Humanismus in Gestalt der abendländischen Renaissance, die dem Menschen das Selbstbewußtsein verleiht, die gestaltende K r a f t der Geschichte zu sein. Und ohne diese mcnschenformenden K r ä f t e wären beide Gestalten überhaupt niemals möglich gewesen. Augustin und Luther, so unterschiedlich ihre Lebenswege verliefen, sie beide kommen an eine Lebenswende in der Begegnung mit der christlichen Botschaft. Beide haben in den entscheidenden Stunden eine Berührung mit Paulus. Augustin mit Römer 13,13 und Luther mit Römer 1,16/17. Die geistesgeschichtlichen K r ä f t e und ähnlichen zeitgeschichtlichen Umstände wirken sich auf ihre Glaubensentscheidungen aus. Sie gewinnen einen prägenden Einfluß, der über Jahrtausende, bzw. über Jahrhunderte hinweg zu wirken beginnt. Die zentrale Lebensfrage Augustins lautet: Wie erlange ich ein glückseliges Leben? Diese Frage hatte schon Cicero allgemeinverbindlich f ü r den Menschen der Antike gestellt 4 , indem er d a r a u f 4
Cicero in seinem D i a l o g Hortensius.
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hingewiesen hat, daß ,Glückselig-sein-wollen' ein allgemein menschliches Ziel sei. Für Augustin w a r es die Lebensfrage schlechthin, der er eine besondere Schrift widmete 5 . Die Antwort, die er darauf gab, erscheint bei ihm in vielen Variationen, und doch ist es immer dieselbe A n t w o r t und dieselbe Begründung. „Das ist also die volle Sättigung der Seelen, das ist das selige Leben, gläubig und vollkommen zu erkennen, von wem du in die Wahrheit eingeführt wirst, welche Wahrheit du genießest, wodurch du verbunden wirst mit dem höchsten Maße." So lesen wir es in der eben erwähnten Schrift 6 . Vielleicht schöner aber d a n n in den Confessionen, wo er sagt: „Wenn ich Dich mein G o t t suche, suche ich seliges Leben", und „Mein H e r z ist unruhig, bis es ruht in Dir 7 ." Luthers Glaubensfrage hieß: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? D a m i t sprach er das Erlösungsbedürfnis des mittelalterlichen Menschen schlechthin aus 8 . Wir kennen alle die A n t w o r t , zu der Luther g e f ü h r t worden ist: Wir werden ohne unser Verdienst gerecht allein aus Gottes Gnade, die uns in Jesus Christus offenbar ist. Dieses Thema der Rechtfertigung allein aus Glauben erfüllt fortan auf Schritt und Tritt das gesamte Werk Martin Luthers, und er sagt: „Von diesem Artikel (der Rechtfertigung aus Glauben) kann man nichts weichen oder nachgeben, es falle H i m m e l und Erden oder was nicht bleiben will 9 ." Bezeichnend ist auch, wie diese beiden großen christlichen Denker von diesen ihren Grundeinsichten her einen theologisch schlüssigen Weg finden, um das Wesen der Kirche zu beschreiben. Im Schoß der Kirche fand Augustin nach langen I r r f a h r t e n eine geistliche H e i m a t . H i e r f a n d er jenen Gottesstaat, „die geordnetste und einträchtigste Gemeinschaft des Gottesgenießens und des wechselseitigen Genießens Gottes 1 0 ." Die Kirche also als die Gemeinschaft derer, die in G o t t Erfüllung eines glückseligen Lebens gefunden h a ben. Luther k o m m t zu der Erkenntnis, daß die Kirche die Ge5 6 7 8 9 10
Augustin, De beata vita. Desgl. K a p i t e l I V . A u g u s t i n , C o n f e s s i o n e n K a p . X , 2 0 u n d 1,1. W i l l y A n d r e a s , D e u t s c h l a n d v o r der R e f o r m a t i o n , 6. Aufl. 1959. M. L u t h e r , Schmalkaldische A r t i k e l 1537, A r t . II. A u g u s t i n , D e c i v i t a t e Dei, 19,13.
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meinschaft derer ist, denen in W o r t und S a k r a m e n t die Rechtfertigung aus G l a u b e n verkündigt und dargeboten wird. Also beide, Augustin und Luther, stellen die G l a u b e n s f r a g e von ihrem Seelenheil her. Der eine fragt nach dem glückseligen Leben, der andere nach dem gnädigen Gott. Beide stellen uns das Wesen der Kirche von diesem ihrem Erlösungsbedürfnis her vor. D e r Eine als die Gemeinschaft derer, die in G o t t E r f ü l l u n g eines glückseligen Lebens fanden, der andere als die Gemeinschaft der durch Wort u n d S a k r a m e n t von G o t t Gerechtfertigten. E i n e entscheidende F r a g e muß jetzt gestellt werden. W a s hat dieser Glaubensstil und die von ihm g e p r ä g t e Theologie mit der evangelischen Botschaft v o m K o m m e n des Reiches Gottes zu tun? Wie k a n n das alles in Beziehung auf die oben vorgetragenen Gesamtkonzeptionen des Paulinismus gebracht werden, die ja ebenf a l l s im Bekenntnis zu Jesus Christus als dem Bringer des Gottesreiches wurzeln? K u r z u m : Wo ist hier die Reichsgottes-Botschaft als tragendes Zentrum des Evangeliums geblieben? M a n weise diese wichtige F r a g e nicht mit dem Hinweis zurück, daß das j a alles mitgemeint sei und darinstecke. So einfach wird man sich der hier gestellten F r a g e nicht entziehen können. M a n soll nicht Dinge in eine T h e o l o g i e hineinverlegen und hineininterpretieren wollen, die dem g a n z e n D u k t u s und Kompositionsstil derselben nicht entsprechen. D i e hier gestellte F r a g e ist nicht mit dem H i n w e i s zu erledigen oder abzutun, daß Augustin und Luther auch v o m Reiche Gottes reden. Luther insbesondere hat sogar sehr Zutreffendes und Eindrückliches darüber zu sagen, wenn wir etwa seinen Großen K a t e chismus aufschlagen und in seiner E r k l ä r u n g zum zweiten Artikel u n d zur zweiten Bitte des Vaterunsers darüber nachlesen. Nicht d a m i t ist es getan, daß das Reich-Gottes-Thema im Gesamtbereich einer Theologie erscheint und wie sollte das in einem so u m f a n g reichen theol. Schrifttum Luthers auch anders d e n k b a r sein, sondern d a r u m geht es, daß diese Reich-Gottes-Verkündigung die G r u n d lage und Ausgangsstellung des ganzen theologischen Denkweges ist. D a s aber kann man weder für Augustin noch f ü r Luther in A n spruch nehmen. U n d m a n soll es auch nachträglich nicht tun, sondern die g a n z andersartige Geschlossenheit dieser
theologischen
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Konzeptionen stehen und gelten lassen und zu verstehen versuchen, wie es zu diesen Stilformen kam. Erinnern wir uns noch einmal, daß Augustin und Luther in zwei eng verwandten geistigen Kraftfeldern lebten. Der eine im Bereich des antiken Humanismus, der andere in der Geisteswelt der Renaissance. In dieser geistigen U m w e l t wurden sie zu menschlichen Persönlichkeiten geprägt, das bedeutet: zur Selbstverantwortung und zur geistigen Mündigkeit angeleitet. In und aus solcher G r u n d h a l t u n g zum Leben stellten sie die zentralen Glaubensfragen, die ihre eigensten und persönlichsten Lebensfragen waren. Gewiß sprachen sie damit auch stellvertretend das Generationserlebnis ihrer Zeiten aus: Wie erlange ich ein glückseliges Leben? Wie entrinne ich dem Zorne Gottes und bekomme einen gnädigen Gott? Beide, Augustin und Luther, waren ausgeprägte Ich-Menschen, Persönlichkeiten, die sich selber zum Einsatz der Sache machten, um die es ihnen ging. Bezeichnend d a f ü r ist die Tatsache, d a ß Augustin diesen Ich-Ansatz des Denkens, das Cartesianische Cogito ergo sum über ein Jahrtausend vor Descartes vorweggenommen hat 1 1 . U n d typisch d a f ü r ist die Formulierung der Schlußworte Luthers in seiner Rede auf dem Reichstag zu Worms: „Wenn ich nicht durch Schriftzeugnisse oder helle G r ü n d e werde überwunden werden . . . so bin ich überwunden durch die von mir angeführten Schriften und mein Gewissen ist gefangen in Gottes Worten. . . . Ich kann nicht anders, hier stehe ich, G o t t helfe mir! Amen!" Das alles hat noch nichts mit Individualismus oder Heilsindividualismus u n d gewiß auch noch nichts mit existentiellem Denken oder gar mit Existenztheologie zu tun. Es ist lediglich der Ausdruck d a f ü r , d a ß hier der abendländisch mündige Mensch sich mit seinen Lebensfragen der biblisdien Botschaft konfrontiert, um hier A n t w o r t zu erlangen. N i e m a n d wird die Berechtigung solchen Bemühens bezweifeln. U n d wer w ä r e nicht überrascht, daß dabei gerade das nicht eintrat, was man erwarten k o n n t e : D a ß der Mensch G o t t in den Griff bekam. Das G r o ß e bei Augustin u n d Luther ist, daß sie beide in solchem Jakobskampf unterlagen und damit ihren abendländischen 11
Augustin, De civitate Dei XI,27 — De vera religione 39,73 — Soliloquia 11,1,1 — De trinitate X,10,14 — De libero arbitrio 11,3,7.
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H u m a n i s m u s , in der der Mensch das M a ß der D i n g e ist, preisgaben. Für dieses Selbstopfer empfingen sie die E r f ü l l u n g ihres Heilsverlangens, das glückselige Leben, den gnädigen G o t t . G e w i ß eine große, erlösende Glaubensgewißheit, aber doch eben nach dem Maße dessen gemessen, was sie gesucht und erbetet hatten. In diesem Meßbereich aber fiel die Botschaft v o m K o m m e n des Reiches Gottes aus. D a m i t w a r das Schicksal der abendländischen Theologie besiegelt. D a s G e s a m t g e f ü g e des E v a n g e l i u m s , seine Integration w a r in Frage gestellt, und was verblieb, w a r ein Teilstück der Botschaft. Gewiß ein unbestreitbar echtes Stück der Botschaft, aber eben nur ein Teil des G a n z e n . H i e r allerdings trifft die Meinung Walter N i g g s z u : „ M i t unvermeidlicher N o t w e n d i g k e i t ergab sich die überraschende Konsequenz, daß von nun an die Erlösung ohne das Reich möglich wurde, eine für Jesus selbst schlechterdings unvorstellbare Anschauung. D i e Erlösung steht neben dem Reich und bildet nicht mehr eine Einheit mit ihm . . . Seltsam bleibt, daß bis zum heutigen T a g e sich nur wenige Christen über die Bedeutung dieses gewaltigen V o r g a n g e s Rechenschaft zu geben versuchen, einen V o r g a n g , der dem Christentum ein v o l l k o m m e n anderes Aussehen g a b 1 2 . " Stiefkinder sind oft Leidenskinder und haben vielfache Schicksale zu erdulden. Sie können mißbraucht werden und aus der A r t schlagen. Mitunter erwecken sie auch Mitleid und finden Menschen, die sich ihrer annehmen. Vielfach werden sie als Hindernisse, Störenfriede e m p f u n d e n und davongeschickt. Alle drei Schicksale hat das S t i e f k i n d der Theologie, die Botschaft v o m K o m m e n des Reiches Gottes, in den vergangenen Jahrhunderten reichlich erfahren, und noch dauert dieses Geschick an. Christliche und politische Schwärmerbewegungen haben es mißbraucht und entstellt. Viele Gottesreichfreunde und Heilsgeschichtler haben es in der Stille a u f genommen und gepflegt. Der Neuliberalismus der Existenztheologie unserer T a g e h a t es schließlich aus dem H a u s e der Theologie ver12
W a l t e r N i g g , D a s e w i g e Reich, 1944, S . 6 0 . — N i g g ist a l l e r d i n g s d e r A u f f a s s u n g , d a ß dieses E r g e b n i s schon bei P a u l u s a n z u t r e f f e n ist u n d dieses Z i t a t b e z i e h t sich a u f diese seine M e i n u n g . W i r a b e r f ü g e n es hier erst ein, w e i l , w i e w i r z e i g t e n , bei P a u l u s d i e I n t e g r a t i o n zwischen R e i c h G o t t e s - B o t s c h a f t u n d E r l ö s u n g v o n J u d e n t u m u n d H e i d e n t u m g e w a h r t ist.
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wiesen. Mag es nun sehen, wo es bleibt. Aber das Stiefkind ist für alle, die ihr Neues Testament noch unbehinderten Blickes zu lesen vermögen, da. Es pocht an die Türen von Kirche und Theologie und begehrt als legitimes Kind eingelassen zu werden und in den Besitz seines rechtmäßigen Platzes und Erbes zu kommen. Lassen wir uns das, was hier nach drei Richtungen hin beschrieben wurde, kurz vergegenwärtigen. Es ist geschichtlich bekannt, wie sich das Verhältnis zwischen Martin Luther und Thomas M ü n t z e r zur erbittertsten Gegnerschaft auswuchs. Müntzer schalt auf den „neuen Papst", auf den „Bruder Sanftleben und Vater Leisetritt", auf das „geistlose Fleisch aus Wittenberg". Luther blieb die A n t w o r t nicht schuldig: „Wer den Müntzer gesehen hat, der mag sagen, er habe den Teufel leibhaftig gesehen in seinem höchsten Grimm 1 3 ." J a h r h u n d e r t e lang hat dieses Luther-Urteil die rechtgläubige Theologie beherrscht. Thomas M ü n t z e r w a r der ketzerische Schrecken, der das Werk der Reformation beschattet und entstellt hatte. Bezeichnenderweise w a r es zunächst nicht die Kirchengeschichte, sondern die gesellschaftskritische Geschichtsschreibung des 19. J a h r hunderts, die einen grundsätzlichen Wandel in der Beurteilung Müntzers herbeiführte. Es sind die Arbeiten von W. Zimmermann und Friedrich Engels, die das echte soziale Anliegen Müntzers und sein V o r k ä m p f e r t u m f ü r eine Gesellschaftsreform ans Licht brachten 14 . So w u r d e schon im Laufe des 19. Jahrhunderts der Boden d a f ü r vorbereitet, daß ein Chr. B l u m h a r d t zu dem f ü r alle bisherige Kirchengeschichte ungewöhnlichsten Urteil kommen konnte, in Thomas Müntzer „einen der edelsten Menschen" zu erblicken 15 . N u n haben wir keine Kirchengeschichte zu treiben, sondern Theologie. Nachdem das Gletschereis der Verdammnis über den Theologen Thomas Müntzer abgeschmolzen ist, vermögen Iwir heute unbefangenen Blickes das Geröllfeld zu sehen, das ans Licht
13 14
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Luther, E. A. 53,306. Wilhelm Zimmermann, Allgemeine Geschichte des großen Bauernkrieges Bd. I—III, 1840—1843. Friedrichs Engels, Der deutsche Bauernkrieg, Dietz-Verlag Berlin 1951. Chr. Blumhardt, Ihr Menschen seid Gottes, 1928, S. 391.
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kam. W o also liegen die zentralen Gegensätze zwischen Luther und Müntzer? D a r ü b e r ist vielfach gerade in jüngster Zeit nachgedacht worden. Interessanterweise nimmt das Schicksal Thomas Müntzers gerade in der Gesamtentwicklung des marxistischen Philosophen Ernst Bloch eine führende Stellung ein. Es f ü h r t eine Linie von seinem Müntzer-Buch 1921 bis hin zum H a u p t w e r k „Das Prinzip H o f f nung". Bloch sagt von seinem Müntzer-Buch: „Seine revolutionäre R o m a n t i k findet M a ß und Bestimmung in dem Buch „Das Prinzip Hoffnung" 1 6 . H a t aber Bloch wirklich die treibenden Motive in der Auseinandersetzung zwischen Luther und Müntzer richtig gesehen und erkannt? Diese Frage m u ß verneint werden. Das Bild, das uns Bloch „Über Luthers Glauben" entwirft, beginnt mit dem bezeichnenden Satz: „ . . . es entschwand Jesus Christus in den tatenlosen, menschlich unverpflichtenden irrealen G r u n d bloßer Rechtfertigung 1 7 ." Bloch erkennt zutreffend die Verlagerung des Botschaftszentrums in die Rechtfertigungstheologie, aber er verkennt die starke Aktivität Luthers. Bloch schließt, d a ß das G n a d e n b e w u ß t sein die eigene Aktivität bei Luther gehemmt habe: „ . . . die Gnade, die ethische Freiheit in Gott entbehrt gänzlich des Willens, sogar noch des Gnadenwillens, ist völlig untätiges, übertätiges Wunder des Sprungs . . . 18 ." Demgegenüber erscheint nun Thomas Müntzer als der vorwärtsdrängende tätige Mensch, als der Aktivist. Bloch glaubt also in einer A r t Gnaden-Defaitismus den Widerstand Luthers gegen M ü n t z e r zu erblicken. Das alles aber p a ß t nicht in das Gesamtbild der Persönlichkeit Luthers, des Kämpfers f ü r die reformatorische Sache, des Sängers des Liedes von der festen Burg. D a s Glaubensbekenntnis Luthers auf dem Reichstag zu Worms 1521 und der letzte Appell Müntzers an seine Bauern zum Angriff bei Frankenhausen 1525 stehen sich in nichts an Kampfesbereitschaft und persönlichem Einsatz f ü r die Sache nach. Tiefer ist der russische Historiker M. M. Smirin in die Motivschichten dieser Auseinandersetzung zwischen Luther und M ü n t z e r 16 17 18
E m s t Bloch, Thomas Müntzer, 1962, Nachbemerkung nach S. 241. Ernst Biodi desgl. S. 157. Ernst Bloch desgl. S. 163.
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eingedrungen, wenn er auf das Erbe der deutschen Mystik und auf den Einfluß Taulers auf Luther hinweist 19 . Von Tauler hat Luther die Unterscheidung zwischen dem inneren und äußeren Menschen übernommen und diese in seine Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen" eingearbeitet 20 . Der innere Mensch ist als Christ ein Herr über alle Dinge und allein Gott Untertan, der äußere Mensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und Jedermann Untertan. Dieses „aller Dinge und Jedermann Untertan" schließt die Tatsache ein, daß diese Welt, diese Gesellschaft und ihre Ordnungen ihre eigenen, natürlichen Gesetze und Rechte haben, die der Christ zu respektieren hat als gottgegebene Tatsachen. Das aber bedeutet die Freigabe der Welt an ihre Eigengesetzlichkeiten. Natürlich erscheint hier im Hintergrund bereits die Zwei-Reiche-Lehre Luthers, auf die Smirin in seiner Darstellung jedenfalls nicht ausführlich zu reden kommt. Demgegenüber weist Smirin nach, daß Müntzers Konzeption von vornherein auf die Einheit von Glaube und Welt gerichtet war: „Müntzer dagegen verwarf die Idee von den beiden Ordnungen, die Idee des besonderen, vom christlichen unterschiedlichen natürlichen Rechts' und sagte, die ganze reale Welt müsse als Arena und Verkörperung der Vollkommenheit dienen: es könne keine besondere weltliche Ordnung geben, die als Basis für einen rein geistigen Evangelismus dienen würde 2 1 ." Für diese Gesamtkonzeption zitiert Smirin Müntzer an mehreren Stellen. So etwa: „Im Ganzen liegt die Quelle für das bessere Verständnis der Kreatur, denn wenn das Geschöpf sich im Ganzen erkennt, ist seine Erkenntnis ebenso löblich wie die Erkenntnis Gottes 2 2 ." Zweifelsohne hat Smirin hier einen zutreffenden theologischen Gegensatz herausgearbeitet. Er leuchtet etwa an einer Stelle auf, wo sich Luther mit den zwölf Artikeln der aufrührerischen Bauernschaft auseinandersetzt und sagt: „Es soll kein Leibeigener sein, weil uns Christus alle befreit hat. Was ist das? Das heißt christliche Freiheit ganz fleischM. M. Smirin, Die Volksreformation des Thomas Müntzer und der große Bauernkrieg, aus dem Russ. übersetzt D i e t z - V e r l a g 1952. 2 0 Smirin wie oben S. 2 3 1 . 2 1 Smirin wie oben S. 320. " Smirin wie oben S. 72. 19
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lieh machen 23 ." D a m i t meinte er, daß christliche Freiheit zum inneren Menschen, nicht aber eine Beziehung zum äußeren Menschen in der Gesellschaft habe. Dem mußte Müntzer widersprechen, weil es ihm um die Christusherrschaft über alle Bereiche der Kreatur ging. Thomas Müntzer offenbart hier einen umgreifenderen theologischen Ansatz, den Smirin zusammenfassend so formuliert: „Das G r u n d legende seiner T a k t i k besteht darin, d a ß er sich die Verwirklichung des höchsten Zieles — die Errichtung des Reiches Gottes auf Erden — als Resultat des K a m p f e s . . . vorstellt 2 4 ." M a n kann den Gegensatz zwischen Luther und Müntzer auf die ganz andersartige Struktur ihrer Ausgangsstellungen zurückführen. Luthers Glaubensweg geht vom Ich aus und ist auf dieses Ich gerichtet: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Müntzers Denken ist auf das „ W i r " gerichtet und bringt sofort die Gemeinschaft, die Gesellschaft ins Spiel. Das „Ich" wird in das „Wir" der Reichs-Gottes-Botschaft hineingenommen. Müntzer vollzieht also die Integration, in der das persönliche Heil mit der Erlösung der Gesellschaft unlöslich verbunden ist. Überhöhen wir diese Gegensätze um sie zu verdeutlichen, so denkt der Eine den Erlösungsweg vom „Ich" her, der andere vom „Wir" aus. Beide Wege aber gehören zusammen. Die Klammer, die sie zusammenhält, ist die Botschaft vom Reiche Gottes. In der T a t w a r dem Stiefkind der Theologie, dem Reiche Gottes, in dieser Auseinandersetzung eine höchst dramatische Rolle zugewiesen worden. Aber Thomas Müntzer, der A u t o r dieser Rolle hatte sowohl das praktisch-strategische als auch das theologische Augenmaß f ü r den Einsatz dieser Rolle verloren. Die Botschaft vom Kommen des Reiches Gottes läßt sich einer Gesellschaft nicht mit Feuer und Schwert aufzwingen. Christliche Mission hat nichts mit mohammedanischen Eroberungskriegen zu tun. U n d Gottes Reich ist immer zugleich ein gegenwärtiges als auch z u k ü n f t i g kommendes Reich. Es widersteht allen menschlichen Versuchen, die Gegenwart zugunsten des Kommenden und Vollendeten zu überspringen. ,ä
14
M. Luther, Ermahnung zum Frieden auf die zwölf Artikel der Bauernschaft in Schwaben 1525, Auf den dritten Artikel, W A 18,279. Smirin wie oben S. 318.
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Andererseits ist die Frage zu stellen, ob der Preis, den späterhin in der Gefolgschaft Luthers das Luthertum zu zahlen hatte, nicht doch jene Privatisierung der christlichen Existenz und die Preisgabe der Welt an ihre Eigengesetzlichkeiten ist, wie wir es heute erleidend feststellen müssen 25 . Wenn man dies angesichts der „Morphologie des Luthertums" 2 6 sagt, die uns einstmals Werner Eiert vorlegte und in der er gerade die Einwirkung des Luthertums auf das kulturelle und gesellschaftliche Leben dargetan hat, so mag es sich sicherlich bei dieser Verinnerlichung und Individualisierung um eine Fehlentwicklung des Luthertums gehandelt haben. D a ß diese aber in der lutherischen theologischen Konzeption angelegt war, wird man nicht bestreiten können. Was wir bisher ausführten, stellt eine Vorbesinnung f ü r die Grundlegung einer evangelischen Sozialethik dar. Denn diese ist nicht einfach eine quantitative Stofferweiterung der überkommenen theologischen Ethik unter Einbezug unserer heutigen gesellschaftlichen Verhältnisse, obwohl man immer wieder beobachten kann, d a ß das etwa das geläufige Verständnis dieses Gebietes ist. Man treibt Individualethik, wie m a n zu sagenpflegt, u n d g e h t d a n n stofferweiternd zur Sozialethik über, ganz abgesehen davon, daß schon die Bezeichnung Individualethik ein höchst unzulängliches Unternehmen ist. Indem wir hier einmal ganz grundsätzlich auf den tragenden A k k o r d der evangelischen Botschaft vom Kommen des Reiches Gottes hingewiesen haben, sehen wir von hier aus die Rolle und Aufgabe des Christen in dieser Welt als den ihm zugewiesenen A u f t r a g an, am ersten nach diesem Reiche Gottes zu trachten, wie es in den Evangelien zu lesen steht. Dieser A u f t r a g gilt dem C h r i sten, ob er in der Gemeinde oder in der Welt lebt, wenn wir das einmal nach den uns noch so gebräuchlichen Vorstellungen sagen wollen. Denn Gemeinde und Welt sind heute Bereiche geworden, die sich überschneiden und aufeinander Einfluß nehmen, wie ich bereits einmal dargetan habe, als ich in meiner Arbeit „Christus P a n t o 15
Siehe zu dieser Darstellung noch: Walter N i g g , Das ewige Reich, 1944, S. 234 folg. und: D a s Budi der Ketzer, 1949, S. 351 f. Günther Franz, Quellen zur Geschichte des Bauernkrieges, 1963, Carl Hinrichs, Luther und Müntzer, 1952. *• W. Eiert, Morphologie des Luthertums, I. Aufl. 1931.
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k r a t o r " den E n t w u r f eines heutigen Kirchenverständnisses trug 2 7 .
71 vor-
Angesichts dieser L a g e der D i n g e aber sind wir auch heute noch nicht über jenes Spannungsfeld hinausgekommen, das sich mit den beiden N a m e n eines M a r t i n Luther und T h o m a s Müntzer a u f zeigen läßt. Wir werden uns erneut mit ihren K o n z e p t i o n e n auseinander zu setzen haben. D e n n beide verdienen in gleicher Weise beachtet, aber auch berichtigt zu werden. Sowohl an Luther als an Müntzer muß die F r a g e gestellt werden, ob sie nicht beide die Botschaft v o m K o m m e n des Reiches Gottes einesteils verkürzt anderenteils zur religiösen U t o p i e überhöht und somit f ü r den A n satz einer evangelischen Sozialethik f r a g w ü r d i g gemacht haben. Diese F r a g e richtet sich konkret bei Luther an seine Lehre von den beiden Reichen, dieses heute so heiß umstrittene Lehrstück des R e f o r m a t o r s . Es ist bekannt, daß Luther diese Lehre sowohl gegen die katholische Auslegung der B e r g p r e d i g t und die d a m i t verbundene ständische Gesellschaftsordnung des Mittelalters einerseits als auch gegen den gesellschafts-utopischen Versuch eines T h o m a s Müntzer andererseits entwickelt hat. Was m a n auch immer in heftiger Fehde gegen diese Lehre Luthers vorbrachte, so ist der zentrale Mangel dieser Lehre nicht in ihr selber, sondern in deren Voraussetzungen zu suchen. Bei alledem d a r f niemals übersehen werden, daß dieses so umstrittene Lehrstück ein K o r r e k t i v und eine Absicherung gegen alle Reichs-Gottes-Utopien von d a m a l s und heute darstellt. Aber die V e r k ü r z u n g dieses Lehrstücks ist in der heilsindividualistischen G r u n d k o n z e p t i o n der lutherischen Theologie zu suchen, die sich auf diese Zwei-Reiche-Lehre ausgewirkt hat. Es ist dieser heilsindividualistische A n s a t z , der C h r i s t e n s t a n d und B ü r g e r s t a n d , der Kirche und Welt in zwei getrennten Ebenen sah, die sich dann im L a u f e der Geschichte mehr und mehr auseinanderentwickelt haben. — D i e Reichsgottesbotschaft aber umgreift beide Bereiche und von ihrem Blickpunkt her muß diese Entwicklung als ein A b w e g v o m E v a n g e l i u m angesehen werden.
" O t t o Dilschneider, Christus P a n t o k r a t o r , 1962, S. 98 folg.
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Otto
A.
Dilschneider
Indem wir das so sagen, treten aber sofort die Gefahrenzonen und Probleme a u f , die sich an der K o n z e p t i o n eines T h o m a s Müntzer aufweisen lassen, nämlich an einer Verwechslung von Gottesreich und Weltreich. „ D i e Kirche erinnert an Gottes Reich. D a s bedeutet aber nicht, d a ß sie es dem S t a a t e zumutet, allmählich zum Reiche Gottes zu w e r d e n " , hat einmal K a r l Barth geschrieben 2 8 . Dieser S a t z stellt eine K o r r e k t u r an der theologischen K o n z e p t i o n eines T h o m a s M ü n t z e r d a r . E r braucht aber noch keinesfalls eine Preisgabe der gesellschaftspolitischen Ideen dieses Mannes zu bedeuten. Alles k ä m e d a r a u f an, w a s man unter diesem „Erinnern an das Reich G o t t e s " verstehen will und d a r f , und wie m a n dies in unserer heutigen säkularen, pluralistischen Gesellschaft als ein Geschehen kirchlicher V e r k ü n d i g u n g praktizieren will. Angesichts dieser F r a g e d a r f unsere A u f m e r k s a m k e i t auf eine neue Begriffsbildung gelenkt werden, die jüngst ins Gespräch gekommen ist. Es ist das W o r t von der „Politischen D i a k o n i e " . D i e ser Begriff wäre wohl geeignet, in der Grundlegung einer Sozialethik zum T r a g e n zu kommen, wenn man ihn von jenem Mißbrauch freihält, dem er bereits in letzter Zeit anheim gefallen ist. D e r Begriff w ä r e geeignet d a s zu umschreiben, was mit der Ausrichtung der Botschaft v o m Reiche Gottes in unserer heutigen Gesellschaft in Kirche und S t a a t zugleich gemeint ist. Diese Wortverbindung „Politische D i a k o n i e " verführt zu Gedankenverbindungen, wie wir sie in anderen Bereichen antreffen: Politische V e r bände, politisches Theater, politische Wissenschaften, politische Versammlungen und dergleichen mehr. Mit alledem hat das Wort von der politischen D i a k o n i e d a r u m nichts zu tun, weil sein Inhalt von dem her bestimmt w i r d , w a s D i a k o n i e bedeutet. D i e V e r k ü n d i g u n g der Kirche geschieht, auch wenn m a n es hier und da noch nicht zugestehen will, in Wort und in T a t 2 9 . U n d die D i a k o n i e ist das dem W o r t e ebenbürtige Tatzeugnis der Kirche. D i a k o n i e ist die tätige F o r m , in der das Reich Gottes in mannigfaltiger Weise in dieser Welt in Erscheinung tritt. Sei es in der G e stalt der Nächstenliebe in der Gemeinde, sei es in Gestalt einer 28 29
K a r l Barth, Christengemeinde und Bürgergemeinde, 1946, S. 19. O . Dilschneider, Christus P a n t o k r a t o r , 1962, S. 123 folg.
Das vergessene E v a n g e l i u m v o m Reidie G o t t e s
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christlichen — nicht naturrechtlichen — Gerechtigkeit in der Gesellschaft. Aber keine Liebe ohne Gerechtigkeit und keine Gerechtigkeit, die nicht aus der Nächstenliebe genährt wird. Von hierher gesehen ist politische Diakonie nicht Politik, sondern sie ist Diakonie in Staat und Gesellschaft. Das zu entfalten ist ein weites und großes Feld, das sich dem Sozialethiker heute a u f t u t und das er im ganzen U m f a n g zu bestellen hat.
— SIMUL — ZUR STRUKTUR DES L U T H E R I S C H E N
DENKENS*
V o n WALTER DRESS
Die Lucher-Renaissance, in der wir Älteren, als wir unser Studium begannen, bereichert und beglückt groß geworden sind und der ohne Zweifel auch der junge Barth einiges verdankte, ist seit langem vergangen. Sie brachte, nachdem die Zentenarfeier von 1917 noch in altem, patriotischem Stil gefeiert worden war, wesentlich neue, eigentlich theologische Erkenntnisse vornehmlich auf Grund der fleißigen, entschlossenen und beharrlichen Durcharbeitung der neu erschlossenen Texte der ersten Vorlesungen des jungen Luther, des vor- oder frühreformatorischen, des noch oder eben schon gerade nicht mehr katholischen. Die feurige Leidenschaft seines Theologisierens übertrug sich in einer Reihe von Anstößen auf die evangelische Theologie, die nach dem ersten Weltkrieg auf dem Wege zu einem neuen Selbstverständnis war. Die Beschäftigung mit Luther, mit einem bis dahin noch weithin unbekannten, mit dem jungen Exegeten Luther, wirkte sich unter anderem auch darin aus, daß ein traditioneller, gepflegter, aber müder Biblizismus aus seiner dämmernden Ruhe gerissen wurde und die eigentümliche Problematik von evangelischem Schriftverständnis und Schriftgebrauch wieder entdeckt wurde. Was an der Luther-Renaissance Mode war, ist längst verrauscht. Aber neue Moden haben auch manches von dem in den Hintergrund treten lassen, was man sich als Erkenntnis und Impuls lebendig erhalten wünschte. Unser Anliegen in dieser Stunde gilt nicht etwa einer Bestandsaufnahme — das wäre wahrscheinlich recht uninteressant —. Vielmehr sollte einmal wieder darauf hingewiesen werden, daß Luther aus seinen Bemühungen um rechte Schriftausle* Rede, gehalten beim Antritt des Rektorats am 11. November 1964.
Simul
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gung auch ein Denken entwickelt hat, das besonders geeignet erscheint, den Schriftinhalt zur Sprache und den aus der Schrift sich ergebenden christlichen Glauben zur Darstellung zu bringen. Dieses Luther eigentümliche Denken findet in seiner Struktur den prägnantesten Ausdruck in dem Begriff simul — zugleich. Das ist an sich bekannt; von dem simul wird an unzähligen Stellen in der kaum übersehbaren Luther-Literatur geredet. Aber es schien mir doch geboten, einmal in einer nur diesem Problem gewidmeten Untersuchung auf die charakteristische Färbung und zentrale Bedeutung der Zugleich-Formel hinzuweisen, und durchaus erwünscht, das an diesem Ort und in dieser Stunde zu tun. Wir werden der in Frage stehenden Sache sachgemäß am ehesten nahekommen, indem wir einige bezeichnende Aussagen Luthers interpretieren und versuchen, im Anschluß daran die wichtigsten Folgerungen zu ziehen. Luther hat seine Lehre vom Zugleich entfaltet und damit auf die eigenartige Struktur christlich-biblischen Denkens hingewiesen behandelnden vor allem in den das 7. Kapitel des Römerbriefes Abschnitten seiner Vorlesung von 1515/16 und seines Buches „Wider Latomus" von 1521. Diese Abschnitte hat Rudolf Hermann deshalb auch vor allem seinen bedeutenden und noch immer maßgebenden Untersuchungen über „Luthers These — Gerecht und Sünder zugleich — " zu Grunde gelegt, — 1930 veröffentlicht, wurden sie ein Menschenalter später unverändert wieder aufgelegt — , wie er denn nicht müde wurde, auf das theologische Gewicht jener kaum bekannten und wenig beachteten Confutatio gegen Latomus immer erneut hinzuweisen. Auch die Ubersetzung, die Robert Frick 1953 erscheinen ließ, wird an dem bisherigen Schicksal dieser Lutherschrift wenig geändert haben. Allein schon in der ersten Psalmenvorlesung von 1513—15 begegnet uns das Zugleich in entscheidenden Aussagen als charakteristischer Begriff und zwar in Interpretation des christologischen Dogmas der Alten Kirche wie in tropologischer Deutung der Psalmtexte. In Psalm 4 Vers 4, jenem von Luther so besonders geliebten Wort, heißt es, daß der Herr seine Heiligen wunderbar führe: „Et scitote, quia mirificavit dominus Sanctum suum: dominus exaudiet me, cum clamavero ad eum" — Luther liest hier mit dem maso-
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retischen Text Sanctus im Singular — und er versteht die mirificatio magna, von der hier die Rede ist, das ganz Außerordentliche, über alle Maßen Wunderbare — Luther sagt: „Wunderliche", und in diesem Worte kommt wohl dem bei uns so eingebürgerten „Wunderbar" gegenüber verfremdend das Absonderliche, Außergewöhnliche, Befremdliche des göttlichen Geschehens gut zum Ausdruck — als von Christus gesagt: Das ist das großartig Einzigartige, quod idem sit deus et homo — : daß ein und derselbe (idem steht hier für simul; wir dürfen es hinzusetzen, also) daß ein und derselbe — zugleich — Gott und Mensch ist, nämlich mortuus et vivus, tot und lebendig, mortalis et immortalis, sterblich und unsterblich, des Todes nicht teilhaftig. Deshalb irrten jene Juden, die Christus blasphemisch nur ut nudum hominem, für einen bloßen Menschen halten wollten, non mirificatum, nicht für einen, an dem jenes große Wunder, Wunderliche, Verwunderliche geschehen, zu beobachten und anzuerkennen ist. Und nun kommt, man könnte sagen: merkwürdigerweise, und doch sehr bezeichnend und wichtig, eine ganz allgemeine Feststellung: wer nämlich im Blick auf einen anderen nicht mehr wahrnimmt (sentit), als er an ihm sehen kann, dem erscheint niemand mirabilis, wunderbar. Hier kommt des jungen Luther theologische Erkenntnislehre ins Spiel. Sentire, wahrnehmen, bedeutet u. U. mehr als videre, sehen. Es handelt sich aber um ein sentire, ein Wahrnehmen, und nicht einfach nur um glauben im Sinn eines baren Hinnehmens oder Annehmens. Und wenn das, was wahrzunehmen ist und wahrgenommen werden kann, in den Bereich des Wunderbaren gehört und mirabilis, mirificare, mirificatio die allein hier angebrachten Begriffe sind, dann ist doch sogleich darauf aufmerksam zu machen, daß Luther nicht davon redet, daß etwas wunderbar erscheint, sondern von jemandem, der als mirabilis wahrgenommen werden muß, von einem homo, einer menschlichen Gestalt, die als mirificatus zu begreifen ist. Mit anderen Worten: das Außerordentliche ist an einer Person wahrzunehmen, wenn man nur bereit ist, über die Augen hinaus auch andere Organe in Wirksamkeit treten zu lassen. Von dieser Person nun, die zugleich Gott und Mensch ist, tot und lebendig, sterblich und dem Tode nicht unterworfen, kann ge-
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sagt werden: fere omnis contradictio hic conciliatur in Christo — so gut wie jeder Widerspruch — oder: jeder Gegensatz — wird so vereinigt in Christus. Das könnte dem Sinne nach erinnern an jene großartige Lehre von der dvay.ECpcdauocug im Epheserbrief (1,10), der Zusammenfassung und Zusammenbringung aller Dinge unter dem einen Haupt, der xecpaXr), dem caput, Christus; übrigens findet sich in den entsprechenden Sätzen im Kolosserbrief (1,20) das Wort reconciliare, so daß, obwohl Luther nicht darauf hinweist, wohl ein Zusammenhang bestehen könnte. Denn das conciliari, das Zusammengebrachtwerden der Gegensätze, ist doch wohl auch als ein reconciliare, ein Versöhnen, ein Ausgleich zu verstehen. Meinen wir nun, zu der Vermutung berechtigt zu sein, daß Luther hier spätpaulinische und altkirchliche irenäische Gedanken von der die Gegensätze versöhnenden x£q)aXr)-Bedeutung Christi aufnimmt und fortspinnt, dann könnte diese unsere Annahme sachlich stützen die Tatsache, daß so wie, besonders im Kolosserbrief, Christus, der Anfang und der Erstgeborene, der in allen Dingen selbst den primatus hat, als der versöhnend und pazifierend (pacificans) urbildlich Weg und Geschick der Menschen Bestimmende aufgewiesen wird, so Luther, zwar nicht ebenso, aber doch sehr ähnlich aus dem alten christologischen Dogma tropologisch die Folgerungen für die Soteriologie zieht. Aber, wie dem auch sei — wir stehen hier offenbar am Quellort des simul-Denkens. Die alte Lehre von der unio hypostatica der beiden Naturen Christi wird charakteristischerweise in dieser Formel aufgenommen: quod idem sit deus et homo oder, wie es dann später heißt: Christum esse simul Deum et hominem subtiliter describit (W 4, 248,20). An anderer Stelle führt Luther diesen Gedanken weiter. In Psalm 68 (69) Vers 6 ist von einer maledictio, einem Fluch die Rede. Dieser Fluch kann nicht die ganze Person absorbere, also verschlingen, sondern wurde selbst verschlungen, weil der, dem der Fluch galt, Christus, Gott war und als Gott keinem Fluch zu unterliegen vermochte; nur sein Fleisch wurde davon betroffen. Und daher ist er simul maledictus et benedictus, zugleich verflucht und gesegnet, zugleich lebend und tot, zugleich leidend und sich
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freuend, so daß er omnia mala, alles Übel und alles Böse, in sich absorbierte und alles Gute aus sich conferret = entrichtete oder darbrachte (W 3, 426, 29 ff.). Wieder, in anderen Wendungen, der Gedanke, der an die altchristliche Anschauung von der recapitulatio erinnert, und ein und derselbe Christus, der die ganze Geschichte der Menschheit in und durch sich rekapituliert, als der zugleich leidende und triumphierende in der lebendigen Einheit seiner Person unter dem simul erfaßt. In der Vorlesung über den Römerbrief gibt das 7. Kapitel Luther Veranlassung, dem Geheimnis des menschlichen Selbstbewußtseins oder sagen wir schon beSser im Sinne Luthers, eigentlich des christlichen Selbstbewußtseins nachzugehen. Ich, — ich, — ich, heißt es hier in jedem Satz: ich erkannte die Sünde nicht; ich lebte ohne Gesetz; ich starb; ich bin fleischlich. Ich weiß nicht, was ich tue; denn ich tue nicht, was ich will; sondern, was ich hasse, das tue ich . . . usw. usw. Das alles wird im Lateinischen noch deutlicher, wenn hier das persönliche Pronomen neben das Verbum tritt. Und schließlich: Infelix ego homo . . .! Was ist es um dieses unglückselige Ich, das will und h a ß t und tut und dann doch wieder, es selbst, sagen kann: Non ego operor illud = nicht ich tue das, sondern die Sünde, die in mir wohnt? Quia eadem persona est spiritus et caro, sagt Luther. Ein und dieselbe Person ist Geist und Fleisch. Darum, was er im Fleische tut, kann vom ganzen Menschen gesagt werden: totus facere dicitur. U n d dennoch, weil er Widerstand leistet, kann auch wieder mit Recht gesagt werden: totus non ... nicht der ganze Mensch, sondern nur ein Teil wird hier tätig. Beides ist wahr: quod ipse et non ipse operatur — er selbst und nicht er selbst handelt hier (W 56, 343). Noch einmal wird der Gedanke aufgenommen und nun entschieden weitergeführt: m a n muß sich merken, daß die Aussagen sich teils auf den spiritualis homo oder den spiritus, teils auf den homo carnalis oder die caro beziehen. Aber weil — und nun kommt der entscheidende Schluß — aus Fleisch und Geist idem unus homo constat totalis, ein und derselbe Mensch als Ganzes besteht, deshalb hat der Apostel dem totus homo, dem ganzen Menschen die sich widersprechenden Aussagen zugeschrieben, die aus seinen sich widersprechenden Teilen herzuleiten sind. U n d nun fällt Luther d a f ü r
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Simul
der Ausdruck communio einer Gemeinschaft Mensch geistig und
Idiomatum
ein: so nämlich k o m m t es zu
der Eigenschaften, fleischlich
indem
ein und
derselbe
ist, gerecht und Sünder, gut und
schlecht. D e r Begriff aber communio oder communicatio idiomatum ist im Zusammenhang der E n t f a l t u n g des christologischen
Dogmas
entwickelt worden: Die unio hypostatica, die Einheit beider N a t u ren in der Person
des Gottmenschen
führt mit
Notwendigkeit
— nach lutherischer Lehre, die Calvinisten haben später anders gedacht — zu einer Gemeinschaft und einer Mitteilung der Eigenschaften. So ist nach Luther ein und dieselbe Person Christi infolge der communio
idiomatum
zugleich tot und lebendig,
zugleich
leidend, dem zeitlichen Leiden unterworfen, und selig im ewigen Leben, zugleich handelnd und ruhend, indem freilich keiner der Naturen das proprium, das Eigentümliche der anderen zukommt, sondern, wie bekannt ist, sie sich contrariissime, gründlichst, unterscheiden. D a m i t ist der Bogen geschlagen von der Christologie zur Anthropologie und wieder zurück: ein und dasselbe eigenartige und einzigartige Phänomen hier wie dort. D i e mirificatio, das ErstaunlichWunderbare, das an Gestalt und Person Christi
wahrzunehmen
war, die Zusammenbringung aller Gegensätze (jeder contradictio), die nur mit dem Begriff simul angedeutet und wiedergegeben werden konnte, alles das findet sich entsprechend auch bei dem M e n schen; hier heißt es: contraria, das sind die verschiedenen, die gegensätzlichen, die sich im Widerspruch miteinander befindenden Teile Geist und Fleisch, die dem ganzen Menschen zuerkannt
werden
können und müssen. Daher kann der Apostel schreiben ( W 56, 3 4 7 , 1 ) : Igitur Ego ipse mente servio legi Dei, C a r n e autem legi peccati (7, 2 5 ) =
daher
diene ich, ich, ein und derselbe, mit dem Geist dem Gesetz Gottes, mit dem Fleisch aber dem Gesetz der Sünde. Das ist omnium expressissimum, wie Luther aufgeregt und dankbar zugleich vermerkt. Deutlicher kann man nicht sagen, worum es ihm geht: unus et idem homo simul servit legi Dei et legi peccati, simul Justus est et peccat! D a haben wir alles beisammen: ein und derselbe Mensch dient zugleich dem Gesetz Gottes und dem Gesetz der Sünde; er
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ist zugleich gerecht und sündigt. Ausrufungszeichen! Denn er sagt nicht etwa: mein Geist dient dem Gesetz Gottes; und nicht: mein Fleisch dem Gesetz der Sünde. Sondern er sagt: ego, ich, totus homo, persona eadem, servio utranque servitutem. Ich, der ganze Mensch, ein und dieselbe Person, diene in zwiefachem Dienst. So sind auch die Heiligen zugleich, während sie Gerechte sind, Sünder; Gerechte, weil sie an Christus glauben, dessen Gerechtigkeit sie deckt und ihnen angerechnet wird, Sünder aber, weil sie das Gesetz nicht erfüllen und nicht ohne Konkupiszenz sind. Ich breche ab und versuche, einige wesentliche Gesichtspunkte, die sich uns bisher ergeben haben, zu fixieren. Wenn wir Sinn und Tragweite der lutherischen Simul-Formel erwägen, geht es uns nicht um ein Prinzip, wie es einst Franz Hildebrand verstand, als er über „Est, das lutherische Prinzip" schrieb und von dem lutherischen Verständnis der Einsetzungsworte des Abendmahls aus „Hoc est corpus meum" die Intention lutherischer Theologie zu deuten unternahm. Wir meinen die Struktur lutherischen Denkens. Es gibt eine Anzahl verschiedener Denk-Strukturen, und es ist eine nicht unwichtige Frage, welche dieser Strukturen besonders geeignet ist, das Eigentümliche christlichen Glaubens auszusprechen und erfaßbar zu machen. Gewöhnlich denkt man, wenn von dem simul die Rede ist, an Luthers bekannte Formel simul justus et peccator, gerecht und Sünder zugleich, d. h. an die Rechtfertigungslehre, und versteht das simul als einen eigenartigen Versuch, dies mit der Rechtfertigung gegebene eigentümliche Geschehen in dialektischer Zuspitzung zum Ausdruck zu bringen. Tatsächlich aber bezeichnet der Begriff simul eine Struktur des Denkens, die für die ganze Theologie Luthers charakteristisch ist. Diese Struktur des Denkens gewinnt Luther, indem er Gestalt und Wesen Jesu Christi wahrnimmt. Sie ist der lutherische Ausdruck für die Formel von Cbalcedon, die besagte, daß die beiden Naturen Christi, die göttliche und die menschliche, unvermischt und unverändert, ungetrennt und ungeschieden, vollkommener Gott und vollkommener Mensch, ein und derselbe Herr Jesus Christus in einer Person miteinander vereinigt sind. Idem deus et homo, wie Luther sagt, oder eben: esse simul Deum et hominem.
Simul
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Allein indem Luther das nun interpretiert: zugleich verflucht und gesegnet, d. h. unter dem Fluch, weil und soweit er caro ist, aciy; nach Joh. 1,14, Fleisch, und nicht unter dem Fluch, quia deus, zugleich lebendig und tot, zugleich leidend und fröhlich triumphierend, vollzieht er mit dieser Interpretation, wenn ich recht sehe, eine bemerkenswerte und folgenreiche Um- oder Weiterdeutung des überlieferten cbristologischen Dogmas. Es scheint offensichtlich: sein eigentliches Interesse gilt nicht, nicht mehr, einer spekulativen Betrachtung des metaphysischen Problems der zwei Naturen, wieweit diese auch immer soteriologisch begründet sein mag, sondern er möchte erfassen, was der tota persona, was diesem Jesus Christus als einer lebendigen Person widerfahren ist und was infolgedessen von dieser einen lebendigen Person des Gottmenschen Jesus Christus für Wirkungen ausgegangen sind und ausgehen. Gewiß, kann — und muß — man schon die dogmatische Fixierung einer unio hypostatica und einer communio oder communicatio idiomatum als einen — ungemein scharfsinnigen — Versuch betrachten, ein Phänomen zu verstehen, das den Bereich der rational erfaßbaren Dinge überschreitet und das mit Hilfe dieser Deduktionen auch keineswegs dieses seines meta-physischen Charakters entkleidet, sondern vielmehr gerade als ein meta-physicum, als ein — nun sagen wir es schon in der Sprache der Religion: als ein Wunder bestätigt werden soll; — daß es Luther bei seinen Beschreibungen und Umschreibungen des Phänomens, das ihm zu schaffen machte, nämlich bei der Feststellung dessen, was der einen lebendigen Person Jesu Christi widerfuhr und was diese eine lebendige Person Jesu Christi erwirkt hat, — daß es Luther dabei nicht weniger um die Fixierung eines als solchen nicht erklärbaren, sondern nur anzuerkennenden Wunders ging, hat er offen ausgesprochen: mirificatio magna! Wir werden lieber von dem Geheimnis sprechen, das mit der Gestalt, der Person Jesu Christi gegeben ist. Was hier anzuerkennen und festzustellen ist, hat Luther mit dem Begriff simul zusammengefaßt und zur Darstellung gebracht. Die Abwendung von den spekulativen Problemen kommt bei Luther gerade in diesem Zusammenhang sehr schön zum Ausdruck. Was heißt Gott sein, so fragt er sich im Blick auf die Gestalt Jesu Christi. Und er antwortet, indem er nicht Seinsbezüge namhaft
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macht, sondern — freilich im Anschluß an einen biblischen Text — sehr schlicht und sehr verständlich und sehr tiefsinnig feststellt: (W 4, 248, 24) Wer sich erbarmt und gut ist (wie Christus), ist Gott = Igitur qui miseretur et bonus est, Deus est. Dennoch ist er, Christus, simul, zugleich, Mensch. Andere Menschen, Nur-Menschen, sind arm und können nicht commodare, d. h. einen Gefallen tun, Gutes erweisen, d. h. sie sind miseri und können nicht misereri, wie es in einem so genau nicht wiederzugebenden Wortspiel heißt: selbst elend, erbärmlich, können sie sich nicht erbarmen. Sie sind ungerecht, böse, voller Dunkelheit. Aber Gott ist reich, und so ist auch Christus, obwohl er simul homo ist, im Unterschied von allen anderen Menschen, weil er Gott ist, reich; er kann sich erbarmen, er ist gut, gerecht, barmherzig, Licht wie Gott. Hier wird überaus deutlich, was Luther im Auge hat, wenn er von Gott und Gottheit oder Gottsein Jesu Christi redet, jedenfalls keine Substanzmetaphysik, keine Seinsstrukturen; mag man im übrigen von soteriologischem Verständnis, von Heilsbezüglichkeit oder wie immer reden: Gottsein heißt reich sein im Gegensatz zur Armut des Menschen. Und der Reichtum Gottes erweist sich in seiner Fähigkeit und Bereitschaft zu helfen. Weil er helfen kann und will, ist Christus nicht nur Mensch, sondern zugleich Gott, reich und voller Güte wie Gott. Wir gehen einen Schritt weiter. Was Lucher an der Gestalt Christi aufgegangen ist, die in dem Geheimnis seiner Person begründete, nur in dem durch das simul von Gottsein und Menschsein wiederzugebende Einzigartigkeit seines Geschickes in Passion, Sterben und Auferstehen, das überträgt Luther mit Hilfe der tropologischen Exegese auf den Menschen, der Christ wird, und der, wenn und soweit er Christ wird, dem Bilde Christi gleichförmig und nachgeformt werden muß. Das christologische simul maledictus et benedictus erscheint nun anthropologisch als simul peccator et justus und wird damit zur dichtesten Konzentration der Rechtfertigungslehre. Die Beschäftigung mit dem Römerbrief, insbesondere mit dem siebenten Kapitel, führt Luther schon in der nächsten Vorlesung auf anthropologischsoteriologische Probleme, während er ja die Psalmen wesentlich christologisch verstanden hat. Allein schon in der Psalmen-Vorle-
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sung findet sich die entschlossene Bereitschaft, tropologisch Konsequenzen aus den christologischen Erkenntnissen zu ziehen. „Deine Gedanken sind so sehr tief" hat Luther später Psalm 92, Vers 6 b übersetzt (W 4, 82, 14), und so ungefähr sagen wir heute auch. Nimis p r o f u n d e steht im Text der Vulgata, also: nicht nur p r o f u n d , sondern überaus, über alle Maßen, ja man könnte durchaus wiedergeben: allzu sehr p r o f u n d . Allzusehr, als daß es menschlichen Maßen und Begriffen entsprechen könnte: quia dat sub contrariis — denn Gott gibt im Zeichen des Gegenteils. Die heute gängige Feststellung, daß „Gott anders" sei, die wie eine Neu-Entdeckung gefeiert wird, ist nur ein ungewöhnlich blasser Ausdruck für eine Erkenntnis, die der christlichen Theologie seit ihren Anfängen fast immer gegenwärtig war, die sie oft in überraschend eindeutigen Aussagen formuliert hat und für die Luther eine gültige Formel in dem simul fand, das durch den immer durch den Gegensatz sich vollziehenden Willen Gottes bedingt ist. Die nämlich sichtbarlich gedemütigt, niedergestürzt = heimgesucht = preisgegeben, alles Haltes beraubt, getötet werden, werden maxime simul intus — innerlich überaus, ganz und gar, im höchsten Grade zugleich erhoben, getröstet, auf- und angenommen, lebendig gemacht. U n d die äußerlich erhoben, geehrt, stark gemacht und lebendig werden, erscheinen elendiglich, innerlich gestürzt, verachtet, schwach und tot — des Haltes beraubt. Wer kann das begreifen, er werde denn im Geist durch den Glauben belehrt? Oder: die Weisheit des Heiligen Geistes lehre ihn? So verfährt Gott. U n d nun wendet sich der Blick vom Psalter ins Neue Testament, in die Theologie des Paulus, von der Christologie zur Anthropologie und Theo-anthropologie der Kreuzestheologie und Rechtfertigungslehre: so hat es Gott gefallen, durch die Torheit des Kreuzes die Glaubenden zu retten und durch die Weisheit des Heils die Ungläubigen zu verdammen (nach 1. Cor. 1.21). Das ist der Weg Gottes, ein Weg per contrarium. Dieser Weg beginnt, so könnte man sagen, mit dem ersten Wort, das Gott, der Schöpfer, zu seinen Geschöpfen spricht. Er endet nicht mit dem Sündenfall, sondern wird unbegreiflicherweise fortgesetzt: Der Heilige beläßt und schenkt den Sündern sein Wort. Er kommt zur
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höchsten Verwirklichung in der I n k a r n a t i o n , und hier k a n n nun das Zugleich im Sinne des alten christologischen D o g m a s noch k o n zentriert u n d geschärft w e r d e n : Christus, simul Deus et homo, ist der h o m o deificatus. D a s ist nicht monophysitisch zu verstehen. Seine w a h r e Menschheit w i r d in die G o t t h e i t a u f g e n o m m e n . D a s simul w i r d dabei nicht angetastet. E r ist u n d bleibt der Eine, Lebendige in einer Person. Sein W e r k k a n n m a n w i e d e r u m , das simul justus et peccator der Rechtfertigung zu höchster Verdichtung steigernd, d a m i t kennzeichnen, d a ß hier durch ihn gratia seu d o n u m Dei i m p e c c a t i f i c a t u m werde, d. h. die G n a d e als G a b e Gottes w e r d e versündet, in die Sünde ganz a u f g e n o m m e n und eingesenkt — um dabei doch ganz G n a d e zu bleiben — , andererseits w e r d e eben d a m i t zugleich peccatum g r a t i f i c a t u m , die Sünde eingegnadet, v e r g n a d e t , ohne doch dabei u n d darin, d a ß sie um Christi willen nicht angerechnet, sondern vergeben w i r d , ihren C h a r a k t e r als S ü n d e zu verlieren. D e r Mensch, dieser Mensch, von dem wir reden, der glaubt, der sich an diesen Christus hält, ist und bleibt gerecht und Sünder zugleich (W 8, 126, 30 f.). N u r mit H i l f e dieser S t r u k t u r des Denkens, die ich n u r in einigen wesentlichen Zügen kennzeichnen k o n n t e , k o m m t m a n dem eigentümlichen P h ä n o m e n nahe, das nach christlicher E r k e n n t n i s Rechtfertigung oder sagen wir verständlicher: Glauben u n d Gemeinschaft mit G o t t bedeutet. U n d n u n k ö n n t e m a n das simul als charakteristischen Ausdruck lutherischen D e n k e n s in allen wesentlichen Bereichen seiner Theologie nachweisen, auch da, w o Luther den Begriff selbst nicht braucht. Die v i e l v e r h a n d e l t e Frage, wie Buße u n d Glaube sich zueinander v e r h a l t e n , ob rechte Buße der Weg z u m G l a u b e n sei oder vielmehr erst der wirklich G l a u b e n d e echter Sündenerkenntnis fähig sei, steht f ü r L u t h e r , der bald so, b a l d so a n t w o r t e n k a n n , ebenso unter dem Zugleich wie das alte P r o b l e m des Verhältnisses von Rechtfertigung u n d Heiligung, von Gesetz u n d E v a n g e l i u m . G o t t ist gerecht u n d b a r m h e r z i g zugleich: der deus incarnatus ist der deus absconditus u n d umgekehrt. U n d der Zirkel, der sich, wie H o l l sagte, beim Schriftverständnis nach lutherischer Anschauung ergibt, d a ß ich den Geist n u r e m p f a n g e n k a n n durch das ä u ß e r e W o r t der Schrift, andererseits aber dieses W o r t als W o r t des leben-
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digen Gottes nur verstehen kann, wenn ich den Geist schon habe, begreift sich im Grunde nicht nach ähnlichen Vorgängen beim kongenialen Verstehen überhaupt, sondern als eine Auswirkung und A n w e n d u n g des Zugleich, in dem der Christ sich und seine Existenz, sein Leben und sein Erkennen in dieser Welt vor Gott zu erfassen hat. D a ß dieses Denken sich formt an dem Geheimnis des Glaubens, das Christus in Person und Tun, in Erleiden und Wirken bedeutet, und daß es immer wieder zu diesem Christus hinführt, dürfte deutlich geworden sein.
M A R T I N KAHLER ZUR BIBELFRAGE Vorlesung, gehalten anläßlich der Übernahme des Rektorats am 13. 11. 1963 V o n MARTIN
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Solange es prophetische und christliche Verkündigung gibt, ist die Frage: Wie kriege ich einen gnädigen Gott? in Bewegung geblieben. Über dieser Frage haben die Reformatoren die Bibel entdeckt, und durch die Entdeckung der Bibel sind sie Träger einer Predigtbewegung geworden, die mit hoher Zuversicht die biblische Botschaft zur Kenntnis nahm und ausrichtete. Das Zutrauen zur Bibel ist aber seither durch schwere Proben hindurchgegangen. Die Bibelfrage ist zu einer N o t f r a g e geworden. Die Bibel ist unter einem Wust von Literatur begraben. Die von ihr wachgehaltene Frage: Wie kriege ich einen gnädigen Gott? ist sehr anderen Fragestellungen gewichen. Ihre hohe Verbindlichkeit ist ersetzt durch die Frage, wie denn das religiöse Leben des Menschen zu Frucht und Ehren kommen könnte, welche religiösen Anlagen vorausgesetzt werden könnten und welcher Pflege sie bedürften, wie störendes Schuldbewußtsein aufgehoben werden könnte, wie es von den sündigen Bindungen zur Erlösung des Menschen kommen könnte, von der materialistischen V e r h a f t u n g zur idealistischen, angeblich christlichen Existenz. Durch eine allgemeine Gotteslehre verschiedenster Prägung wurde ausgeschlossen, daß Glauben u n d Heil auf eine geschichtliche Entscheidung Gottes selbst zurückgehen könnten. D a ß durch ein geschichtliches Eingreifen Gottes G r u n d und A n l a ß f ü r Rettung gegeben sein sollte, schien schlechterdings unerreichbar. Das alte biblische Verständnis vom Strafleiden Jesu in der Botschaft vom Kreuz schien mythologisches Interpretament, ausgelöst freilich durch den der Historie angehörenden Jesus, an dessen E n t scheidungsruf zum Glauben sich wohl eine explizierende Christo-
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logie anschließen konnte und mußte. Aber die Explikation machte deutlich, wieviele — bis in den Gottesgedanken hinein — m y t h o logische Voraussetzungen die christliche Theologie mit sich f ü h r t . U n d ist nicht schließlich das Reden von G o t t selbst mythologischer Ausdruck einer Grundbefindlichkeit des Menschen, sodaß eine Theologie ohne jede Metaphysik und ohne die dem modernen Menschen unmögliche Vorgabe eines Glaubens an einen gegenständlich verstandenen G o t t versucht werden müßte? Wie ließe sich dann aber Bibel lesen, und wie ließen sich ihre verschlüsselten C h i f f r e n verstehen? Wie kann sie selbst ihre Botschaft vom Frieden mit G o t t ausrichten, wie kann, wo nur gnoseologisch gedacht wird, ihre Botschaft von der Versöhnung Gottes zur Sprache kommen und damit das Geschick des Menschen? Oder ist in der Theologie nur vom Menschen die Rede, von seinem Selbstverständnis und seinem Bedarf? Man wird in all diesen Fragen die uns heute zugemuteten N ö t e anerkennen müssen. Es hilft nichts, die Fragen zu verbieten, die Zweifel zu beschwichtigen. Es könnte aber helfen, die Bibel zur Kenntnis zu nehmen. Ernst Käsemann hat in Montreal vertreten, d a ß es streng historisch-kritische Arbeit sei, die das Evangelium von der Rechtfertigung des Gottlosen als die Zentralaussage der Bibel und als die zentrale Botschaft der Kirche erweise, möglich mache und gebiete. Es gibt Bekenner genug, die der Bibel eine unverwüstliche K r a f t gerade zu dieser Aussage nachsagen. Zu ihnen gehört Martin Kähler. Im J a h r 1835, in dem er geboren wurde, erschien das seine Zeit erregende Buch von D a v i d Friedrich Strauß: „Das Leben Jesu". Strauß w a r Hegelianer 1 . Die Hegeische Geschichtskonstruktion, die eine kontingente O f f e n b a r u n g Gottes eigentlich ausschloß, hatte Ferdinand Christian Baur heuristisch ungewöhnlich aufschlußreiche Gesichtspunkte gegeben f ü r die Erforschung der frühen Kirchengeschichte und der Bibel selbst. M a r t i n Kähler f a n d in Richard Rothe w ä h r e n d seiner Heidelberger Studentenjahre einen frommen Lehrer 2 , der in seiner Spekulation das Erbe Schleiermachers mit Hegelscher Philosophie ver1
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Kählers Verständnis Hegels in: Geschichte der protestantischen Dogmatik im 19. Jahrhundert, München 1962 (Th. B 16), S. 95 ff. Über Rothe: Kähler, Theologe und Christ, Berlin 1926, S. 89 ff. und in: Geschichte der protestantischen Dogmatik . . . a. a. O . S. 103 ff.
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band. Kahler hat sich in mühsamem K a m p f von diesem Erbe getrennt. Hilfreich war ihm dazu sein Hallenser Lehrer August Tholuck. Er ist für ihn in seinen tiefen persönlichen Krisen der Vermittler des Evangeliums vom Sünderheiland geworden, hat ihn damit von der Religion des Idealismus befreit und hat ihn in der Schrift lesen gelehrt. Kahler hat in seiner Biographie, einer der schönsten Biographien des 19. Jahrhunderts, mit unauslöschlicher Dankbarkeit diesen Dienst, den ihm Tholuck geleistet hat, beschrieben, ohne dabei die Grenzen Tholucks zu verkennen 3 . Er hätte Barths Kennzeichnung Tholucks als „Briefträger" ohne die Kraft zureichender theologischer Konzeption vermutlich angenommen 4 . Das Mittel seiner eigenen Verwandlung und seiner inmitten vieler Anfechtung wachsenden Gewißheit wurde ihm die Heilige Schrift. Die Bibelfrage war ihm Lebensfrage. 5 s ist mit Recht gefragt worden, ob der vieldeutige und immer wiederkehrende Begriff „Leben", den er mit dem Philosophen Dilthey teilt, für einen theologischen Denker leisten könne, was er leisten sollte 5 . Man hat entschuldigend darauf hingewiesen, daß die theologische Leistung dieses Mannes noch weniger als bei jedem anderen getrennt werden könne von der Führung, die seinem eigenen Leben widerfuhr. Das hat freilich nicht bedeutet — und man hätte dies nie behaupten sollen — , daß er mit sich selbst oder seiner Erfahrung argumentiert hätte wie mit einem selbständig ins Gewicht fallenden Argument. Wohl aber hat sich an ihm die geschichtlich gegebene Botschaft der Bibel gegen alle schlüssig erscheinenden Theorien in ihrer Wahrheit erwiesen und ihm das hohe Zutrauen erweckt, daß diese Kraft des göttlichen Ausweises der Heiligen Schrift ihr durch Verheißung Gottes eigen sei und eigen bleibe. Neben dem Lebensausweis des Lebendigen über der Heiligen Schrift erschien ihm vieles an prätentiöser
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Theologe und Christ, a. a. O . S. 1 2 0 ff. und: Geschichte . . . a. a. O . S. 1 2 9 ff. K . Barth, Die protestantische Theologie im 19. J a h r h u n d e r t , Zürich 1947, S. 4 6 8 . Ernst Kahler hat in seiner Einleitung zu M. Kählers Geschichte der protestantischen D o g m a t i k im 19. J a h r h u n d e r t richtig vermerkt, daß T h o ludi in Kählers vielfachen Äußerungen über ihn „in bemerkenswert nüchterner Wertung seiner systematischen Bedeutung in der Geschichte der D o g matik stark zurücktritt", a. a. O . S. 10. D a z u J . Wirsching, G o t t in der Geschichte, München 1963, S. 88 ff. besonders Anm. 1 0 0
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Einrede n u r als nichtige Theorie. Er h a t f ü r A u f t r a g und Freiheit der Wissenschaft gekämpft 8 und gleichzeitig denen abschätzig w i d e r sprochen, die im N a m e n des Gespenstes Wissenschaft 7 das biblische C h r i s t e n t u m totsagten. Der Ertrag seiner Lebenserfahrung ist eine Erkenntnis, f ü r die er jenseits seiner selbst Gott in Christus einstehen w u ß t e . Scharf geschliffene Formeln und ein B e r g w e r k von Erkenntnis sind das Ergebnis anfechtungsreicher E r w ä g u n g e n . Weil er w e d e r dem hochgespannten nationalen und wissenschaftlichen Fortschrittsglauben seiner Zeit noch der äußeren Machtstellung der Kirche traute 8 , hat er in einem tiefen Krisenbewußtsein nach dem g e f r a g t , w a s Bestand hatte, und hat in dieser Frage Grundlagen gefunden, die ihn zu einem theologischen Klassiker gemacht haben. Johannes Wirsching hat in seinem eben erschienenen Buch „Gott in der Geschichte, Studien zur theologischen und systematischen Stellung der Theologie M a r t i n K ä h l e r s " mit Recht d a r a u f hingewiesen, wie sehr überschwengliche D a n k b a r k e i t und panegyrische W e r t u n g Kählers der unvoreingenommenen und kritischen Kenntnisnahme seines Lebenswerkes im Wege gestanden haben 9 . Die überschwengliche D a n k b a r k e i t ist freilich leicht zu e r k l ä r e n , w e n n m a n sieht, w i e K ä h l e r im Schatten der zeitweise fast a l l g e w a l t i g e n Ritschl'schen Schule sich nur m ü h s a m Gehör schaffen konnte, w i e er, leichtfertig verachtet und m i ß v e r s t a n d e n , einsam seines Weges gehen mußte 1 0 . Als er erst mit 44 J a h r e n ordentlicher Professor in H a l l e w u r d e , f r a g t e ihn ein inzwischen längst vergessener Ordinarius, ob er sich dem w o h l gewachsen fühle. Als er 1912 starb, hätte vermutlich niem a n d e r w a r t e t , d a ß 50 J a h r e nach seinem Tode seine Vorlesung über die Geschichte der protestantischen D o g m a t i k im 19. J a h r -
• D a z u K ä h l e r , Die evangelische Kirche und die theologischen Fakultäten, in: Die Universitäten und das öffentliche Leben, Erlangen 1 8 9 1 , S. 9 9 ff. 7 Theologe und Christ, a. a. O. S. 350 8 Dies belegt seine 1 8 7 2 anonym erschienene Schrift: Die starken Wurzeln unserer K r a f t , Betrachtungen über die Gründung des deutschen Kaiserreiches und seine erste Krise, G o t h a 1 8 7 2 , bes. S. 2 0 4 — 2 3 3 . Vgl. auch Theologe und Christ a. a. O. S. 254 ff. • J . Wirsching, G o t t in der Geschichte, a. a. O. S. 28 f. A l s typisches Beispiel d a f ü r kann gelten: F. Spemann, Theologische Bekenntnisse, Berlin 1 9 2 9 , passim. 1 0 Theologe und Christ, a. a. O. S. 2 5 1 , 2 5 7 f., 2 6 2 .
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hundert veröffentlicht werden würde. U n d die nächsten Jahre werden uns Veröffentlichungen seiner Briefe und vielleicht Veröffentlichung weiterer Vorlesungen bringen u n d hoffentlich auch wirkliche Wiederentdeckung der vorliegenden Werke, von denen er selbst bescheiden meinte, sie seien nur Gelegenheitsarbeiten gewesen 11 . Man müßte sich dann freilich nicht nur auf seine berühmt gewordene Schrift: „Der sogenannte historische Jesus und der geschichtliche biblische Christus" von 1892 beschränken. Diese ist im Unterschied zu seinen sonstigen Schriften wirklich beachtet worden, hat frühzeitig eine theologische Debatte ausgelöst, und theologische H a l b b i l d u n g ist deshalb in der Regel auf Kenntnis dieser Gelegenheitsarbeit beschränkt. Die A u s f ü h r u n g und Erweiterung, die er seiner Schrift in der 2. Auflage hat widerfahren lassen, hat freilich gezeigt, wie beziehungsreich diese Schrift im Ganzen seiner theologischen Arbeit steht. Isoliert man sie aber, so nährt man den V o r w u r f , Kähler sei — besonders angesichts der Flut der psychologisierenden Leben-Jesu-Forschung seiner Zeit — überwiegend apologetisch zu verstehen ohne ernstzunehmende eigene theologische Position. Mir sind seine Gesprächspartner immer sehr viel mehr als Apologeten vorgekommen, im vollen Rückzug auf das philosophisch und historisch Koordinierbare, aus dem N a t u r h a f t - M a t e r i ellen auf das Religiös-Sittliche eines idealistisch verstandenen kulturellen Uberbaus und in der G r ü n d u n g und Reduktion der Theologie auf Ethik. Kählers jetzt aus seinem Nachlaß veröffentlichte Theologiegeschichte des 19. J a h r h u n d e r t s wird überdies manche gängigen Fehlurteile richtig stellen und ihn als kritisch gebildeten und informierten Theologen erkennen lassen. Wirschings Buch ist über die Anhängerschaft Kählers hinaus ein neuer umfassender Versuch kritischer Würdigung. Wir widmen uns heute im besonderen seinem Nachdenken über die Bibelfrage. Sie durchzieht alle seine Schriften, aber er hat auch in den Dogmatischen Zeitfragen 1907 einen ersten Band herausgegeben, in dem er verschiedene ältere Aufsätze zur Bibelfrage 11
Theologe und Christ, a. a. O. S. 348. Dazu M. Fischer, Martin Kähler als theologischer Schriftsteller, Vorrede zur Neuauflage von M. Kähler, Wiedergeboren durch die Auferstehung Jesu Christi, Neukirchen 1960.
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zusammengefaßt vorlegte 1 2 . Ich hebe bei der Darstellung seiner Position einige H a u p t p u n k t e hervor und halte mich, soweit wie irgend möglich, an seinen eigenen Sprachgebrauch. D a b e i ist unschwer zu erkennen, zu welchen modernen Fragestellungen K ä h l e r s Äußerungen in Beziehung stehen bzw. in Beziehung gesetzt werden könnten, ohne daß dies hier im Einzelnen aufgewiesen werden kann. Es muß aber heraustreten, welche Beziehung die beiden Schwerpunkte in der Lehrbildung Kählers, die Lehre von der Versöhnung und seine Beiträge zur Bibelfrage, haben und welche Bedeutung ihnen für Theologie und Praxis der Kirche z u k o m m t . K ä h l e r hatte Heilsgewißheit gefunden durch angespanntes H ö ren auf die Heilige Schrift, „die U r k u n d e f ü r den V o l l z u g der kirchengründenden Predigt 1 3 ." In ihr f a n d er Christus, „die Selbstoffenbarung des unsichtbaren lebendigen G o t t e s " , und Christus selbst steht ihm für die Bibel ein. Selten ist seit der R e f o r m a t i o n die Bibel so geliebt, so durchforscht, so gepriesen worden. Deshalb lohnt es sich, mitten im Beziehungsreichtum seines mit systematischer K r a f t versuchten theologischen Systems der B i b e l f r a g e im besonderen nachzugehn. K ä h l e r hat den Dogmatiker als A n w a l t des Laien verstanden 1 4 . D a s hatte zur Folge, daß er sich den mit der Bibel gegebenen und den von der Bibel aufgegebenen Fragen gestellt hat wie wenige seiner Zeitgenossen 1 5 . Es ist charakteristisch, daß er den historischkritisch arbeitenden und den konservativen Verfechtern traditioneller Auslegung gleichermaßen verdächtig w a r in der historischen Skepsis, die ihn angeblich bestimmte. D a ß ihn diese historische Skepsis, wie m a n es zu nennen wagte, der Bibel nicht entfremdet hat, sondern die Eigenart ihrer Aussagen erst hat erkennen lassen, ist in seiner Bedeutung erst spät erkannt worden. E r konnte den Evangelien weder Eignung noch Absicht zugestehen, Stoff f ü r eine zureichende Biographie Jesu oder auch für eine B e u r k u n d u n g der
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M . K ä h l e r , Z u r B i b e l f r a g e , w i r d hier zitiert nach d e m N e u d r u c k G ü t e r s l o h , 1937 Z u r B i b e l f r a g e , a. a. O . S. 23 Z u r B i b e l f r a g e , a. a. O . S. 117 u. ö. V g l . besonders, D e r sogenannte historische J e s u s u n d der geschichtliche, biblische C h r i s t u s , München 1953 ( T h B 2)
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Offenbarung abzugeben 16 . Es macht die Eigenart der Schrift aus, daß sie die Predigt von dem Erhöhten bietet, die freilich nicht von dem geschichtlichen Jesus ablöst, sondern die gerade Gottes geschichtliche Entscheidung in ihm und durch ihn zur Sprache bringt. Wissenschaftliche Arbeit an der Bibel sah er gerade diese Gestalt biblischer Rede erweisen und fürchtete sie deshalb nicht 17 . Damit die aktuelle Bedeutsamkeit schnell hervortritt, empfiehlt es sich, mit einem Vortrag seines bedeutendsten Schülers, Julius Schniewind, einzusetzen. Er liegt bisher nur hektographiert vor und entstammt einem Studentenkurs, auf dem Schniewind zu berichten hatte über „die wissenschaftliche Arbeit am Neuen Testament und die kirchliche Praxis." Schniewind hatte, wie schon sein Lehrer Kahler, die schwere Anklage im Ohr: wissenschaftliche A r beit am Neuen Testament gefährdet den Glauben und macht zur Arbeit der Kirche unfähig — und die Antwort von Seiten der Wissenschaft: sie sei durch die Macht der Wahrheit verpflichtet zu forschen, einerlei, ob das Ergebnis Freude oder Schmerz bedeute. Und nun berichtet Schniewind: „Die Not begann, sobald die ernsthafte historische Erforschung des Neuen Testaments einsetzte. Seit dem Aufkommen der Baur'schen Schule und noch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts schienen die Einleitungsfragen von ausschlaggebender Wichtigkeit. Noch das ganze Lebenswerk von Theodor Zahn ist ihnen gewidmet. Wäre es nicht überaus wichtig nachzuweisen, daß wenigstens zwei unserer Evangelien unmittelbar von Aposteln stammen? Wäre es, wenn dies Ergebnis nicht zu halten ist, nicht von größter Wichtigkeit, durch Quellenscheidung oder formgeschichtliche Arbeit auszumachen, welche Herrenworte nun echt sind oder nicht? Wieviele echt sind oder wie wenige? Nun macht die Fragestellung weder vor dem Vaterunser, noch vor den Worten am Kreuz, noch vor der Uberlieferung der Abendmahlsworte halt. Sie kann auch nicht halt machen, denn die Frage liegt einfach in der Verschiedenheit unserer Uberlieferung vor aller Augen 1 8 ." " Der sog. historische Jesus . . . a. a. O. S. 15 ff. " Zur Bibelfrage S. 43 Vgl. dazu jetzt J. Schniewind, Zur Erneuerung des Christenstandes, (hrsg. von H . - J . Kraus und O. Michel) Göttingen 1 9 6 4 , besonders S. 42 ff.
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Schniewind hat, genauso wie sein Lehrer Kähler, diesen kritischen und durch wissenschaftliche Bemühungen vermittelten Erkenntnissen standgehalten. Er hat gemeint, d a ß auch die Praxis der Kirche diesen Erkenntnissen standhalten könne und müsse. Er hat die reformatorische Unterscheidung zwischen der uns nicht erlaubten securitas und der uns angebotenen certitudo des Glaubens als den entscheidenden Beitrag zur Lösung des Streites zwischen Wissenschaft und Praxis zur Geltung gebracht. Er hat damit nicht nur Geschichte und Geschichtlichkeit der Bibel festgehalten und in ihrer relativierenden Bedeutung bejaht, sondern die Frage nach dem Verhältnis der Geschichte zu Gott und seinem W o r t als Schüler der Reformation verschärft. H a t t e David Friedrich Strauß apodiktisch erklärt, d a ß die Idee es nicht liebe, sich in ein Individuum, also in Jesus Christus, vollkommen auszuschütten, und hatte man unter dem Gesichtspunkt, daß geschichtliche Erscheinungen nach A n a logie und Korrelation eingeordnet verstanden werden müßten, zeitlose Wahrheiten und zeitliche Einkleidungen unterscheiden wollen, so schärft Schniewind ein: daß Gottes ewiges W o r t in unsere Vergänglichkeit eingegangen ist, d . h . : „In unser Unrecht, in unsere Lüge hinein k o m m t die Wahrheit des Evangeliums, in unsere Sünde hinein der Zuspruch des Evangeliums, in unsere Relativität hinein, in unsere sarx der ewige logos Gottes, vere passus und vere resurrexit. Daraus aber folgt: das Wort Gottes ist wirklich in unsere Relativität hineingekommen, und von da aus n i m m t es teil an der Relativität alles Irdischen und Geschichtlichen. Von da aus besitzen wir nie eine securitas, ebensowenig wie im Glauben selbst, sowenig über das, woran wir glauben und woraus unser Glaube stammt." Dagegen habe Theodor Zahn noch zuletzt 1928 den Wunsch seines Lebens so formuliert: „Wolle G o t t unsere theologische Jugend vor Lehrern bewahren, welche die f ü r die kirchliche Wissenschaft wichtigsten Fragen in der Schwebe hängen lassen." Dazu Schniewind: „aber vielleicht ist das gerade Gottes Wille, d a ß diese Fragen nicht mit Sicherheit zu lösen sind. Z a h n meint den U r s p r u n g der Evangelien sichergestellt zu haben. Wieviele Forscher teilen seine Meinung? Wieviel Prozent an Forschern müssen übereinstimmen, damit eine Sicherstellung gegeben ist? Aber ist nicht alles wissenschaftliche Fragen an sich nur ein Rechnen mit W a h r -
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scheinlichkeiten und Relativitäten? . . . Es ist nicht möglich, etwa durch eine Additionsmethode den ursprünglichen W o r t l a u t der Abendmahlsworte oder des Vaterunsers auszumachen. Es soll o f f e n bar nach Gottes Willen gar nicht so sein. So gewiß die certitudo des Glaubens in jeder Form der Abendmahlsüberlieferung oder der Uberlieferung des Taufbefehls, der Seligpreisung das W o r t Gottes vernimmt, das Jesus heißt, der Gekreuzigte und Auferstandene, — so wenig heißt das: securitas über den W o r t l a u t dessen, was Jesus an einem näher zu bestimmenden Tage in einer näher zu bestimmenden Situation wortwörtlich gesprochen hat." Schniewind wehrt sich also dagegen, gefährdende Erkenntnisse zu verschweigen. Er sagt: „Es könnte sein, d a ß uns die Dinge des Neuen Testaments erst einmal in ihrer Fremdheit erscheinen müssen, damit sie uns in ihrer Größe offenbar werden." Die Beispiele, die Schniewind bringt, sind gewiß aus der f o r t geschrittenen Arbeit genommen und finden sich so noch nicht bei Kähler, aber in der Sache hat Kähler vor denselben Fragen gestanden, und es läßt sich zeigen, daß er, weil er diesen Fragen standgehalten hat, nicht verloren, sondern gewonnen hat, was die Heilige Schrift vermitteln möchte. Aber die Verwurzelung in der reformatorischen Fragestellung geht noch tiefer. Sie liegt in der Grundentscheidung, die über Kähler gefallen ist in seinem Verständnis von der Versöhnung. Hier ist er von seinen Kritikern unendlich weit getrennt. Zu dieser Trennung hat ihm die Heilige Schrift selbst verholfen, und die Entscheidung ist in seinem Verständnis von der Versöhnung gefallen. D a m i t scheint ein dogmatisches Vorurteil sein Verhältnis zur Schrift zu bestimmen. So haben es denn auch seine Zeitgenossen in der Regel verstanden. Die Frage ist nur, ob dieses Vorurteil nicht das Vorurteil der Bibel und das Urteil Gottes selber ist, und ob eine Schriftauslegung, die die Versöhnung mit G o t t ihrer Sache und Sprache nach nicht als die entscheidende Botschaft der Bibel stehen läßt, der Bibel überhaupt gerecht werden kann; ob sie nicht vielmehr auf anderen dogmatischen Prämissen ruht, die dann auch die verschiedenen Urteile zur Bibelfrage erbringen. In seinem Buch „Zur Lehre von der Versöhnung" setzt K ä h l e r mit einem aufschlußreichen Kapitel ein über das W o r t Versöhnung
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im Sprachgebrauch der kirchlichen Lehre 1 9 . D a b e i tritt der Gegner hervor, dessen Christologie er für unbiblisch hält und den er in seinen Zeitgenossen nachwirken weiß, A b a e l a r d . D a b e i hat m a n den Eindruck, daß er mit diesem N a m e n neben den deutlich in seinen F u ß t a p f e n gehenden Theologen auch ungenannte Zeitgenossen vor Augen stellt. Der Gegensatz spitzt sich d a r a u f zu, ob die Botschaft des N e u e n Testaments im wesentlichen auf einen V o r g a n g im Menschen hinzielt, wenn sie von Versöhnung redet, oder ob sie von einem in Christus und durch Christus versöhnten G o t t spricht, ob sie real v o m Zorn Gottes und vom reatus poenae redet, der Versöhnung mit G o t t nötig macht, oder ob sie eine Botschaft von der allgemein und zeitlos gültigen Liebe Gottes bringt, die den Sünder lehrt, sich dieser Liebe Gottes statt der nichtigen Sünde zu überlassen, ob die Bibel einen verlorenen Menschen als gerettet bezeichnet durch Gottes eigene Entscheidung in Christus, oder ob Jesu Bedeutung darin aufgeht, daß er als Beispiel des Glaubens in die K r ä f t i g k e i t seines eigenen Gottesbewußtseins hineinzieht und damit der Selbstverwirklichung des Menschen dient. K a h l e r formuliert: „ W a s dünket euch um Christus, wes Sohn ist er — ist eine ablehnende Streitfrage, an die selbstgewissen Theoretiker gerichtet." E r hört statt dessen in der Mitte der Bibel die andere F r a g e : „ B e d ü r f e n wir eines Versöhners und haben wir ihn 2 0 ?" U n d er beantwortet sie mit folgendem S a t z : „Alle biblischen, alle dogmatischen, alle ethischen Studien haben mich auf die F r a g e nach der Versöhnung durch Christus geführt, wie dieselbe die unabtrennbare andere Seite, nämlich die G r u n d l a g e der Rechtfertigung durch den G l a u b e n ist. H ä l t man diese Zusammengehörigkeit fest, kennt m a n mit den R e f o r m a t o r e n keine Rechtfertigung, die nicht Aneignung der Versöhnung am K r e u z wäre, dann ergibt sich die Einsicht, d a ß diese beiden Dogmen, ja, recht verstanden, daß das D o g m a von der Versöhnung der tragende G r u n d aller anderen D o g m e n ist 2 1 ." Schuld ist „nicht bloß Schuldbewußtsein" 2 2 . Jesu
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K a h l e r , Zur Lehre 1898) im N e u d r u c k Zur Lehre von der Ebd. Zur Lehre von der
von der Versöhnung, (Dogmatische Zeitfragen, B a n d I I * Gütersloh 1937, S. 1—38 Versöhnung, a. a. O. S. 41 Versöhnung, a. a. O . S. 394, vgl. 334 ff., 369 u. ö.
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S t r a f l e i d e n „verbürgt dem Sünder die U n w a n d e l b a r k e i t der vergebenden G n a d e " 2 3 . „ D e r rechtfertigende Glaube ist nicht das E r g e b nis selbständiger Entwicklung des religiösen Bewußtseins, sondern selbsttätige Aneignung der G n a d e Gottes, welche die V e r k ü n d i g u n g des Evangeliums ihm anbietet 2 4 ." Ein berichtigtes Bewußtsein des Menschen reicht also nicht, um durch Predigt ein V e r h ä l t n i s zu G o t t zu eröffnen, sondern nach K ä h l e r ist der „ W e n d e p u n k t die im T o d e Christi als dem K n o t e n sich zusammenfassende Versöhnung der W e l t mit G o t t , d. h. die geschichtlich vollzogene Umgestaltung des Verhältnisses, in welchem das ganze Menschengeschlecht zu G o t t steht. D a s W o r t v o m K r e u z aber ist die verbürgte K u n d e d a v o n . Es predigt: versöhnt
mit
G o t t bist du als G l i e d des Geschlechtes, darum kannst du als einzelner und sollst gerechtfertigt werden, indem du dich
versöhnen
lässest. Beides ein T u n Gottes, das in das Bewußtsein fallen m u ß und soll, aber nicht in das B e w u ß t w e r d e n a u f g e h t 2 5 . " Es gilt: „ W i r sind dem liebenden G o t t seinen Z o r t w e r t 2 6 . " U n d nun geht K ä h l e r den W e n d u n g e n dieser Botschaft von der justificatio impii im W o r t v o m K r e u z nach, e r k e n n t sie als die M i t t e der paulinischen und reformatorischen Botschaft, zeigt die Mißverständnisse auf, die er schon bei Melanchthon einsetzen sieht und schließt den Abschnitt m i t dem B e k e n n t n i s : „ D a m i t meine ich, für das innerste H e i l i g tum des christlichen Glaubens, der K i r c h e aller J a h r h u n d e r t e — damit weiß ich, für das innerste H e i l i g t u m des eigenen Lebens zu streiten 2 7 ." K ä h l e r h a t dann in einem unerhört reichen
Erkenntnisgang
das Schriftzeugnis von der V e r s ö h n u n g e n t f a l t e t . D a tritt an den T a g , d a ß nach biblischem Zeugnis der doppelte Lebensausgang Jesu in K r e u z und Auferstehung den Zugang zur E r k e n n t n i s von Jesu W o r t und W e r k allererst eröffnet. D a wird herausgearbeitet, d a ß dagegen die Verlegung alles Entscheidenden nur in das B e w u ß t s e i n des Menschen die von K ä h l e r b e a r g w ö h n t e V e r ä n d e r u n g der A r t
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a. a. O. S. 437 a. a. O. S. 46 a. a. O. S. 53 M. Kähler, Angewandte Dogmen, Leipzig 1908 2 , S. 37 Zur Lehre von der Versöhnung, a. a. O . S. 62
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anzeigt, „wie man über die eigene Stellung zu G o t t denkt 2 8 ." Gegen den Christus, der „nur Wert eines Symboles" 2 9 hat, setzt er den wirklichen biblischen Christus zum G r u n d und A n l a ß des Glaubens und versteht die Gerechtigkeit des Menschen als ein synthetisches, nicht als ein analytisches Urteil 3 0 . Er gewinnt diese Erkenntnis nicht durch Behauptung eines in sich geschlossenen dogmatischen Systems — so wäre sie ihm nur Gesetz —, sondern meint erweisen zu können: „Die einmütige Absicht Gottes und seines Sohnes geht auf die Vermittlung der Sündenvergebung 3 1 ." So gibt „die Bibel dem Glauben seinen Inhalt und zwar der Art, daß sie ihn weckt 32 ." In diesem Zusammenhang gibt er sehr kritische Erwägungen über die uns bis heute belastende V o r o r d n u n g des Begriffes Offenbarung vor den Begriff Versöhnung und Versöhner. Mit dem Begriff O f f e n b a r u n g ist allzuleicht das bloße Evidentwerden eines vorher vorhandenen, aber bisher verborgenen Sachverhaltes zu verstehen 33 , also ein bloß kognitiver Vorgang, d. h. „nur eine eindrückliche Ankündigung der Nachsicht des gnädigen Gottes mit unseren sittlichen Gebrechen, die f ü r ihn ganz selbstverständlich ist" 34 . Die Kreuzigung wäre dann f ü r die Schuldigen G r u n d , die selbstverständliche Vergebungsbereitschaft Gottes in Anspruch zu nehmen, das Kreuz hätte aber keine bleibende Bedeutung f ü r das Verhältnis Gottes zur ganzen Menschheit. D a n n bestünde die Bedeutung der Offenbarung darin, einen Irrtum über die Stellung Gottes zu uns zu berichtigen. Das Heilswerk wäre dann nur „Mittel f ü r das richtige Wissen um G o t t und seinen Willen" 3 5 . Der Inhalt der Geschichte w ä r e dann, diesen endlich aufgedeckten Sachverhalt, G o t t und Menschen zu Nutze, wirksam zu machen. D a z u K ä h l e r : „Nach der Schrift aber w i d e r f ä h r t die Geschichte G o t t nicht, sondern er setzt u n d beherrscht dieselbe 36 ." Man darf deshalb in keiner Weise durch 28
a. a. O. Ebd. 30 a. a. O. 31 a. a. O. 32 a. a. O. 33 a. a. O. 34 a. a. O. 35 Ebd. » a. a. O.
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S. 338 S. 343 S. 53 S. 361 S. 364 S. 365
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einen geschichtlichen Akt von unten her die Versöhnung Gottes erbracht sehen, sondern die Versöhnung ist das Werk des versöhnenden Gottes selbst. Es geschieht in Christus, wird zugeeignet durch die Rechtfertigung, in der Gott selbst in das Kindesverhältnis einsetzt. „Es ist also ein Vorgang in der Geschichte gemeint, der etwas in dem Verhältnisse Gottes zur ganzen Menschheit geändert hat. Ausgeschlossen soll dadurch die Vorstellung sein, daß man durch diesen Vorgang lediglich eine neue Anschauung über Gottes allzeit gleiche Stellung zur Menschheit gewinne 37 ." „Die unbegreifliche Gnade Gottes hat ihn sich selbst zum Mittel für uns machen lassen 38 ." Es geht Kähler also um nicht weniger als um Gesetz und Evangelium Gottes, um die Gottheit Gottes und um die Rechtfertigung des Sünders, der vor Gott sein Leben verwirkt hat. Die biblischen Texte sind der Interpretation fähig und bedürftig. Aber sie müssen sich selbst aussprechen können, sie müssen lesbar sein, freilich nicht als Urkunden, die jenseits von der Rechtfertigung des Gottlosen nur Gnosis über Gott und die Welt und damit religiöse Anstöße vermitteln, so als wäre damit Gott und Menschen Genüge geschehen, sondern als Urkunden einer Predigt, die die geschichtlich wirksame, von Gott schuldbedingt trennende Feindschaft durch Zuspruch der Vergebung im Namen Gottes aufhebt, einer Predigt, der die Kirche also ihre Existenz dankt, einer Predigt, die die Mission in Bewegung gebracht hat, einer Predigt, der die Bibel entsprossen ist und der diese fortwirkend dienen möchte. Kähler meint es als Ertrag jeder aufmerksamen und wissenschaftlich unvoreingenommenen Kenntnisnahme der Heiligen Schrift erarbeiten zu können, daß so von Gott, daß so vom Menschen und so von dem Geschehen in Jesus Christus gesprochen wird und daß jede anderweitige dogmatische Vorentscheidung über den Menschen an dem einmütigen Zeugnis der Heiligen Schrift scheitert. Deshalb fürchtet er die historisch-kritische Arbeit an der Bibel nicht, erkennt vielmehr „Recht und Pflicht wissenschaftlicher Arbeit an der Bibel" 3 9 , zumal „mit dem wachsen" 38 38
a. a. O. S. 369 a. a. O. S. 371 Zur Bibelfrage, a. a. O . S. 376
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den Abstand" 4 0 von der Zeit Jesu rückhaltlos an und steht zu der Freigabe geschichtlicher Auslegung durch die Reformatoren 4 1 . Kahler erkennt und bedauert die ungesunde „Gereiztheit" 4 2 des Gesprächs um die Bibel. Er selbst hält das Werden der historisch-kritischen Arbeit an der Heiligen Schrift für eine Fügung Gottes für die Kirche 43 . Das heißt nicht, daß er jeder kritischen Operation vorbehaltlos zustimmte. „Ich habe mir immer vorbehalten, Kritik an der zersetzenden und umgestaltenden Kritik zu üben, denn sie hat mir bei ihrer Neigung, in Vermutungen zu schwelgen, nie Vertrauen abgewonnen 44 . Er lehnt es aber ab, eine Schriftlehre zu bieten, die sozusagen bei verschlossener Schrift ihre Autorität im voraus behaupten und sichern will. Nur der behält Zuversicht zur Bibel, der sie liest. So kommt es zur „Selbstbeglaubigung des den Heilsglauben weckenden Wortes 4 5 ." Ihm wird, um Schniewinds Hinweis aufzunehmen, certitudo zuteil in ihrer Sache, keine der Geschichtlichkeit entreißende securitas in der Form ihrer Aussagen. Kähler möchte gewinnen, „dabei dem Wahn Abschied zu geben, als sei es des Glaubens Recht, zu der Offenbarung selbst noch eine weitere Offenbarung über ihren Offenbarungswert zu fordern 4 8 ." Er sah sich immer von neuem vor die Frage gestellt: „Können diese Erzeugnisse von unsicherem Ursprünge das Ansehen beanspruchen, zuverlässige und maßgebende Wiedergabe der Offenbarung zu sein 47 ?" Oder: „Wie kann dieser unsichere Rest des kritischen Subtraktionsexempels der Gegenstand für den Glauben aller Christen sein 48 ?" Damit ist „die Frage nach der maßgebenden Würde der Bibel und die Frage nach der Glaubwürdigkeit ihres Christusbildes" 49 gestellt. Noch von seinem Lehrer Tholuck berichtet er, daß dieser es gesprächsweise für einen schwer zu überwindenden a. a. O. a. a. O. 42 a. a. O. 4 3 a. a. O. 44 a. a. O. 4 5 a. a. O. *' a. a. O. 47 a. a. O. 4 8 a. a. O. » Ebd. 40 41
S. 390 S. 394 S. 14 S. 43 S. 10 S. 350 S. 351 S. 4 S. 6
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Schlag f ü r das Christentum gehalten habe, wenn sich erwiese, d a ß das 4. E v a n g e l i u m nicht von dem Zebedaiden Johannes stammen könne. U b e r Tholuck hinaus sei er selbst zu der Erkenntnis getrieben, „ d a ß meine christliche Uberzeugung keinen ursächlichen Zusammenhang mit der ,Echtheit' der Evangelien haben dürfe 5 0 ." W a s ihm die Vermittlungstheologen zeigten oder der Biblizismus Stiers, reichte als A n t w o r t auf die gestellten Fragen nicht aus. Im Unterschied zur alten Inspirationslehre erkannte er mit H a m a n n „die u n v e r k e n n b a r e volle Natürlichkeit nach der A r t menschlichen Schrifttumes und seiner Geschicke" 51 . Er sah andererseits eine Überlieferung vor sich, „welche die Macht in sich hat, von ihrer göttlichen Verbürgtheit zu überführen" 5 2 . Diese Überführung aber erschien ihm nicht gesichert durch urkundlich beglaubigte Offenbarung Gottes, sondern gegeben „als K e r y g m a , als Ausrichtung des göttlichen A u f t r a g e s an seine H e r o l d e und Abgesandten" 5 3 . Er e r k a n n t e die D o p p e l s a m m l u n g , die die Bibel bietet, als „ U r k u n d e f ü r den V o l l z u g der kirchengründenden Predigt" 5 4 , — diese Bezeichnung begegnet i m m e r wieder. Sie w i l l abwehren, in der Schrift U r k u n d e n der Offenbarung zu finden oder auch U r k u n d e n für eine wissenschaftlich hergestellte Biographie Jesu 5 5 . Die biblischen S a m m l u n g e n sind v i e l m e h r „Abdruck, Vollzug und Mittel der kirchengründenden Predigt" 5 0 . Erforschung dieser U r k u n d e n aber w i r d erbringen, zu verstehen, w a s mit d a m a l i g e r Predigt und in d a m a l i g e m Unterricht als Grund des Glaubens ausgesagt w u r d e . H i e r ist die Forschung nicht nur freigegeben, sondern geradezu erwünscht, „geschichtliche Forschung w i r d ihre Ausschreitungen, w o sie eingetreten sind, selbst widerlegen und in ihrem Unrecht a u f -
50
a. a. O. S. 9 A n m . 2
51
a. a. O. S. 13
52
a. a. O. S. 21
53
a. a. O. S. 28
"
a. a. O. S. 23
55
Dies neben dem W e r k zur Bibelfrage z. B. S. 25 das Ergebnis der A u f s a t z sammlung: Der sogenannte historische Jesus und der geschichtliche, biblische Christus, in 3 A u f l . mit einem V o r w o r t neu herausgegeben von E. W o l f , München 1 9 6 1 (in ThB Bd. 2) a. a. O. S. 26
M
Martin Kähler zur Bibclfrage
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zeigen. 5 '" „ F o r d e r t m a n nicht mehr die U n f e h l b a r k e i t unsrer b i b lischen Berichte, d a n n w i r d sich ihre vergleichbar erstaunliche Z u verlässigkeit neu herausstellen; selbst — soweit d a s d e n k b a r ist — die Zuverlässigkeit der Sage 58 ." K ä h l e r scheut nicht den Begriff der Sage, sowenig w i e ihn K a r l B a r t h scheut 5 9 . E r sieht die Vielfalt der F o r m e n , in der v o n der G e schichte G o t t e s mit den Menschen berichtet w i r d , u n d t r a u t auf die „lebensschaffende u n d bestimmende S e l b s t b e k u n d u n g des lebendigen G o t t e s durch die menschliche Rede in allen ihren d e n k b a r e n G e s t a l t e n " 6 0 . E r l ä ß t der Bibel ihre geschichtlich gegebene G e s t a l t u n d v e r n i m m t zugleich in ihr Gottes eigenes W o r t , seinen „übergeschichtlichen" A n s p r u c h . Mit dem umstrittenen S t i c h w o r t : Ü b e r geschichte will er dem Ausdruck geben, d a ß w i r an der H e i l i g e n Schrift G o t t e s W o r t an uns besitzen, „nicht nur die menschliche Ü b e r l i e f e r u n g v o n dereinst laut gewordenem G o t t e s w o r t e " 6 1 . D a r u m ist sie i h m in ihrer entscheidenden Aussage — so wie f ü r L u t h e r vor i h m — allgemeinverständlich" 2 . I h r Leser b e d a r f nicht der k l e r i k a l e n o d e r wissenschaftlichen B e v o r m u n d u n g . K ä h l e r k a n n die geschriebene Gestalt des Wortes Gottes nicht v o n der P r e d i g t u n d d e m U n t e r r i c h t trennen, die der Mission u n d d e m W e r d e n des G l a u b e n s dienen. So ist ihm — wie die viva v o x evangelii — auch die geschriebene K u r z g e s t a l t alter homiletischer u n d katechetischer B e m ü h u n g Heilsmittel 6 3 . Der N o t w e n d i g k e i t , f ü r die sogenannte V e r b a l i n s p i r a t i o n zu k ä m p f e n , f ü h l t er sich ü b e r h o b e n , d e n n er v e r n i m m t ein E v a n g e l i u m , dem die V e r h e i ß u n g gehört, d a ß m a n u n t e r seiner Bezeugung der G e g e n w a r t G o t t e s i n n e w e r d e n soll 64 . „ D a s aber ist der W e r t der Schrift, d a ß sie nicht n u r v o n T a t e n 57
a. a. O. S. 37 a. a. O. S. 58 58 K. Barth in K D III, 1, S. 88 ff. 60 Kähler, Zur Bibelfrage a. a. O. S. 36 " a. a. O. S. 51 62 a. a. O. S. 62: „Es muß dabei bleiben, daß jeder Christ mit seiner Bibel ohne Vormund umgehen könne und in solchem Verkehre zu seinem Ziele komme. Wollte sich eine gelehrte Zunft die Vormundschaft beilegen, so wäre das gleichviel, wie wenn das ein Klerus tut." Vgl. dazu auch „Wissenschaft der Christi. Lehre", Leipzig 1905, 3. Aufl., § 450—455 63 a. a. O . S. 32, 88 ff. 269 u. ö. 64 vgl. S. 24 ff., 193, 206 u. ö. 58
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G o t t e s erzählt, sondern d a ß sie deren W e r t und Bedeutung für uns dartut. D a r u m ist sie im wesentlichen Prophetie, P r e d i g t 6 5 . " Natürlich geht diese E r k e n n t n i s v o m Wesen der Heiligen Schrift ihren W e g in engster Bindung an das christologische Verständnis, das den Doketismus abwehrt, wie hier im einzelnen nicht dargelegt werden k a n n . Wenige Hinweise müssen genügen. So erklärt er, „Jesus weicht in geschichtlichen und literargeschichtlichen Punkten nirgends nachweislich von den in seiner Zeit verbreiteten Meinungen ab . . . E r hat sich also zu dieser Uberlieferung nicht urteilend und sichtend verhalten . . . Dagegen n i m m t er, sofern es sich um G l a u ben und Gesetz G o t t e s handelt, in Bestätigung und Sichtung unbedingt maßgebliches U r t e i l in Anspruch 6 6 ."
„Seine
Unfehlbarkeit,
mit der er den V a t e r offenbart, stammt ihm ja nicht aus seiner . . . W e l t k e n n t n i s ; vielmehr sein unfehlbares Urteil über die Dinge der W e l t . . . fließt ihm aus seiner v o l l k o m m e n e n Bekanntschaft
mit
seinem G o t t und V a t e r 6 7 . " Dieses Jesusbild entnimmt er den D o k u menten, die Zeugnis geben von der kirchengründenden Missionspredigt. „ D e r wirkliche Christus ist der gepredigte C h r i s t u s " 6 8 und Jesus ist selbst " d e r U r h e b e r dieses B i l d e s " 6 9 . D i e Bibel bringt ihm kein Lehrgesetz. Sie bietet mehr. E r weiß sich im Verständnis der Bibel mit L u t h e r eins: „Luther h a t kein solches Lehrgesetz in ihr gesehen; sonst h ä t t e er, der Freiheit v o m Gesetze froh, sie nicht so geliebt wie sonst nichts auf E r d e n 7 0 . " „ D i e Bibel bürgt selbst für sich und braucht keine Verbürgung in unseren Meinungen, sondern lediglich einen offenen Sinn für das, was ihr K e r n und Stern, ihr eigentlicher I n h a l t von Gotteswegen ist; d a ß sie nämlich den H e i land treibet, u n m i t t e l b a r und m i t t e l b a r " 7 1 . So verstanden
wird
freilich die Bibel nicht nur Summe von U r k u n d e n für Stufen der Religionsgeschichte, „über die w i r längst hinaus sind" 7 2 , sondern
Zur Lehre von der Versöhnung, a. a. O. S. 49 Zur Bibelfrage a. a. O. S. 150 6 7 a. a. O. S. 148 , 8 Der sog. historische Jesus . . . a. a. O. S. 44 •• a. a. O. S. 68 7 0 Zur Bibelfrage a. a. O. S. 27 7 1 a. a. O. S. 79 7 ! a. a. O. S. 83 85
66
Martin Kahler zur B i b e l f r a g e
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sie ist und bleibt K u n d e von der bekennenden Predigt des Glaubens, daß G o t t in Christus bleibenden Grund zum Glauben gegeben hat. So ist ihm die Bibel „der Kirchen Buch" 7 3 . Es ist auch f ü r den praktischen Theologen höchst reizvoll, es ist aber auch für die exegetische Arbeit höchst folgenreich, das Werden und die Gestalt der Bibel mit dem in der Kirche vor sich gehenden Dienst a m E v a n g e lium verstanden zu sehen. Kahler ist darin ein ernstzunehmender Theologe, daß er die Entstehung der Bibel aus der Missionsverkündigung verstand und dem missionarischen Zeugnis zutreiben sah. Längst, ehe die formgeschichtliche Forschung die F r a g e nach dem Sitz im Leben für die einzelnen Gattungen der biblischen Literatur fruchtbar gemacht hat, hat Kähler dieser Erkenntnis B a h n gebrochen. „ I m Neuen Testamente hat sich die erste Missionsarbeit ihr D e n k m a l gesetzt und sich selbst abgezeichnet. D i e apostolischen Briefe sind Mittel seelsorgerischer Kirchenleitung; die Apostelgeschichte schildert die erste Mission; die Evangelien sind im Dienst der Evangelisation verfaßt, denn sie sind keineswegs Biographien Jesu von N a z a r e t h , sondern Zeugnisse von dem Messias der J u d e n , der zum H e i l a n d geworden ist. In beiden Teilen haben wir also Mittel der Evangelisation vor uns, und eben diese Mittel sind zugleich ihre U r k u n d e n 7 4 . " Die Bibel ist die feste geschichtliche Größe, „durch welche Christus auf die Geschichte f o r t w i r k t ; denn alle Verkündigung des Evangeliums stammt mittelbar oder unmittelbar aus ihr" 7 5 . Kein V i k a r Christi erhält in der Kirche den Verkehr mit Gott in Christus, wohl aber die Bibel. Sie tut es, weil und sofern Gott selber das Zeugnis von Christus gültig und überzeugend macht. D i e genaueste philologische und historische Arbeit — und es läßt sich zeigen, daß wir diese mit der Akribie ihrer Methoden der exegetischen Bemühung um die Bibel danken — erbringt eben dies, daß Texte sagen dürfen, was sie sagen wollten. E s sind dies Texte, denen vermöge ihres unverkürzten Inhalts die Verheißung gehört, daß G o t t sich durch sie gegenwärtig machen will. So dient
75 74 75
a. a. O . S. 367 a. a. O . S. 185 a. a. O . S. 195
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die Bibel dazu, „die Predigt frisch und rein zu erhalten" 7 ®. „ D i e Bibel ist Schrift gewordener Dienst am Worte 7 7 ." „ D e r Schrift gewordene Dienst a m Worte reinigt und k r ä f t i g t den mündlich geübten 7 8 ." Hierhin gehört Schlatters S a t z : „ O h n e die Bibel wird der evangelische P f a r r e r zum Schwätzer und der katholische zum Zauberer." U n d K a h l e r : D i e Bibel ist „ F u n d g r u b e und Erneuerungsborn für die P r e d i g t " 7 9 . „ S o weist sich dir die Kirche an der Bibel aus, indem sie dich in der Bibel zurechtweist 8 0 ." Dabei widerstreitet K a h l e r der Anschauung, als sei die Bibel des einzelnen Christen Buch und nicht vielmehr zuerst und wesentlich das Buch der Kirche. Der einzelne Christ ist für sein Reifen „ a u f die geduldige E i n f ü g u n g in das Wachstum des ganzen Leibes Christi gewiesen, welches sich durch die von ihm verliehenen Dienste vollzieht" 8 1 . „ D e r Schrift gewordene Dienst am Wort ist für seine weitere Ausrichtung überliefert" 8 2 , hatten wir gesehen. So brachte die Kirche jedem bekehrten V o l k e die Bibel in seiner Sprache. K a h l e r war der G e f ä h r t e seines Freundes Cremer bei dessen J a h r z e h n t e währender Arbeit am biblisch-theologischen Wörterbuch zum N e u e n Testament und hat dem Sprach- und Übersetzungsproblem viel A u f m e r k s a m k e i t gewidmet. D a geht es um die Indienstnahme und charakteristische V e r w a n d l u n g der Sprachen, in denen Gottes Wort zur Sprache k o m m t . Er beobachtet das Ubersetzen der biblischen Lesungen, die Entstehung der Lektionare und schließlich die Ubersetzung der Bibel. 8 3 D i e Geschichte der Bibel zu beobachten, gehörte f ü r K ä h l e r zum Studium der Theologie. „ D i e unsäglich mühevollen Versuche, wildgewachsene Sprachen erst zu verstehen, dann zu stammeln, endlich zu sprechen, den gewonnenen Ausdruck dann in L a u t e aufzulösen und in Schrift auszudrücken, um ihn endlich f ü r die Ubersetzung eines E v a n g e l i u m s zu verwenden — diese K u n s t haben unsere Missionare zuerst und wohl auch zumeist 78 77 78 78 80 81 82 83
a. a. O. a. a. O. a. a. O. a. a. O. a. a. O. Ebd. a. a. O. a. a. O.
S. S. S. S. S.
215 373 274 26 87
S. 373 cf. auch 375 S. 219—435
Martin Kählcr zur Bibelfrage
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nicht bei Sprachforschern gelernt, sondern die Menschenliebe hat sie diese Kunst erwerben lassen, und sie hat hier und da dann ein schlummerndes Talent oder auch Genie erweckt. Nicht Berechnung, sondern Menschenliebe hat dazu getrieben, solche Arbeit auch f ü r unverkennbar absterbende Stämme oder Sprachen zu übernehmen. Die Liebe zur Menschheit geht hier einen andern Weg als die Kultureroberung; und zwar den entgegengesetzten. W ä h r e n d diese dahin zielt, der Bequemlichkeit des Verkehres eine einzige gleiche Kultursprache unter Verdrängung der Volkssprachen, sei es durch eine weitverbreitete eines herrschenden Volkes, sei es durch eine erst zu erfindende Gemeinsprache in Dienst zu stellen, strebt die Liebe Christi dahin, jeder gewachsenen Menschenart das neue große Gut des Gotteswortes auch in ihrer Sprache voll zu eigen zu geben 84 ." Es ist also Gottes Liebe zu Menschen, die zu übersetzen und zu interpretieren gebietet. Wer Bibel übersetzt, ermöglicht Menschenherzen das erhörliche Gebet. Es geht also um das Artikulieren einer Sprache des Glaubens in jedem Dialekt. Dem widerspricht nicht, was wir in einem letzten Abschnitt hören über die Bibel als Buch der Menschheit. Ist die Bibel die Kunde von dem über der Welt lautgewordenen und in die Geschichte wirksam eingegangenen Gotteswort, und ist sie „der Kirchen Buch", so ist sie nicht nur Bestandteil vergangener nachwirkender Geschichte, sondern hat selbst Teil an der Geschichte, die mit ihrer H i l f e vorangetrieben wird. Es geht Kahler um die weltumfassende Sendung des geschriebenen Wortes: „Dieses Buch gehört der Menschheit 85 ." „Was überliefert ist, das hat gewirkt 8 6 ." Der Siegeszug der Bibel durch die Menschheit ist f ü r ihn nicht ein geistesgeschichtlich interessantes Phänomen, obwohl es auch als solches aufregend genug ist, sondern ist ihm um der in der Bibel lautwerdenden Kunde willen selbst zum Verständnis aufgegeben. Die Bibel wird nach dem Willen Gottes das Buch der Menschheit. „Der Bibel d a n k t die Menschheit das Bewußtsein darum, eine Menschheit zu sein 87 ." D a geht es um G o t t über A d a m , um G o t t im zweiten 84 85 86 87
a. a. a. a.
a. a. a. a.
O. O. O. O.
S. S. S. S.
224 f. 220 355 234
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Adam und um das Ziel, das Gott sich in Jesus mit der ganzen Menschheit gesetzt hat. Die Bibel hat „ein dem Universalismus zugewendetes Antlitz" 8 8 . „Über dem Wiedererzählen der biblisdien Geschichte ist der Christenheit und ihr zuerst der Gedanke einer We/igeschichte aufgegangen" 8 9 . Die Bibel selbst treibt in den Universalismus hinein. Sie wird in aller Welt verstanden, „weil sie das jedermann verständliche Buch von der Menschheit ist" 9 0 . U m der Liebe Gottes willen ist das Buch getragen „von einer Zuversicht zum Menschen und zur Menschheit" 91 . Sie lehrt den Menschen ungeschminkt erkennen und kennt doch „keine Menschenverachtung" 92 . „ A m Lichte der Selbstoffenbarung Gottes entzündet sich das Menschheitsbewußtsein und in ihrer Beleuchtung die glaubensvolle Erkenntnis einer Weltgeschichte" 93 . „So lehrt die Bibel die Menschen und in ihnen die Menschheit sich selbst erkennen" und ist darin „das zweckmäßigste Erziehungsbuch der Menschheit" 94 . „Nicht der Ubermensch, der öde Superlativ selbstischen Wesens, sondern der Menschensohn, der zu nichts anderem gekommen ist, als um zu dienen, zeigt in dem wahren Menschen zugleich die ganze Menschheit" 95 . Hier geht es nicht um die Großen der Weltgeschichte allein, nicht nur um das Vitale und Hoffnungsvolle, hier wird Völkerselbstsucht, die Kähler als heidnisches Unkraut 9 6 bezeichnet, gebrochen. „ N i e hat ein unbefangener Sinn aus diesem Buch Rassenstolz und Rassenhaß oder Partikularismus gelernt" 8 7 . Die Bibel wird in den Völkern Volksbuch, lehrt aber die Völker, um des einen Gottes willen der Einheit der Menschheit entgegenzugehen. Kähler fürchtet nicht das wachsende Völkerchaos, vor dem Chamberlain warnte, und er schätzt nicht Einheit durch Vora. a. 90 a. 91 a. 92 a. 93 a. 94 a. 95 a. »• a. 97 a. 88
89
a. O. a. O. a. O. a. O. a. O. a. O. a. O. a. O. a. O. a. O.
S. 220 S. 235 S. 233 S. 247 S. 248 S. 250 S. 253 S. 255 vgl. auch 236 S. 254 S. 234
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herrschaft eines Volkes oder einer Weltanschauung als Rettung vor dem C h a o s ein, vielmehr ist „dieses C h a o s die äußere Erscheinung der werdenden Einheit oder deren V o r f r u c h t " 9 8 und „ w i r leben auf einem Boden, der mit Völkerleichen fruchtbar gemacht ist", — so w a g t K a h l e r 1872 mitten in den von einem ewigen Deutschland träumenden Nachkriegstaumel hinein zu s a g e n " . „ E s bahnt sich echt heidnischer national-trunkener H a ß gegen das Universale im Christentum a n " , — prophezeit er 1876 und schildert mit unbestechlichem Blick V o r g ä n g e im „ N a r r e n h a u s der Geschichte" 1 0 0 , die auf kommende V e r f o l g u n g deuten. Seine Voraussicht hat sich während des 3. Reiches erfüllt. Weil G o t t selbst die Predigt als v i v a v o x evangelii ins Leben gerufen hat und am Leben erhält, bleibt die Bibel als U r k u n d e der Mission, die die Welt als Gottes Eigentum glaubt und bekennt, mit dem G a n g der Gesdiichte Gottes verbunden. S o w i r d sie „ d a s Buch der werdenden Menschheit" 1 0 1 . Seither ist der Versuch, der werdenden Einheit des Menschengeschlechtes und der wirklichen Einheit des Leibes Christi in einer ökumenischen Bewegung gerecht zu werden, gewachsen. Gleichzeitig ist der prozentuale Anteil der Christenheit an der Weltbevölkerung gesunken, und sind wohl auch die missionarische Gewißheit und das gehorsame Zeugnis der Kirche tief gefährdet. G r u n d genug, das Buch zu studieren, das mitten in den Wirren der Geschichte um Gottes willen sich als das Buch der werdenden Menschheit erweisen will. Ich schließe mit dem Wort Bengels, das K a h l e r besonders geliebt h a t : verbum stat, homo socors praeterfluit.
98 09 100 101
a. a. O. S. 234 Anm. 1 M. Kahler, Der Lebendige, Berlin 1937, S. 106 a. a. O. S. 103 Zur Bibelfrage a. a. O . S. 230
ERWÄGUNGEN ZUR ISRAELITISCHEN RECHTSGESCHICHTE1 V o n RICHARD
HENTSCHKE
Der Weg der rechtsgeschichtlichen Forschung im Bereich des A T wurde durch A. Alt's 1934 veröffentlichte Arbeit „Die U r sprünge des israelitischen Rechts" l a in neue Bahnen gelenkt. Die Erforschung der israelitischen Rechtsgeschichte ist von ihr nachhaltig beeinflußt worden. Deshalb muß heute jede rechtsgeschichtliche Untersuchung, auch wenn sie sich nur mit einigen Einzelfragen befaßt, von der durch Alt geschaffenen Ausgangsposition ausgehen und sich von ihr ihren Standort innerhalb der rechtsgeschichtlichen Forschung zuweisen lassen. D a die allgemeine Kenntnis der Ergebnisse Alts weit über den Kreis der Fachwelt im engeren Sinn hinausgelangt ist, kann ich mich bei der Skizzierung seiner Grundposition auf das Allernotwendigste beschränken. Vereinfachend gesagt entdeckte A l t mit H i l f e der formgeschichtlichen Methode Gunkels innerhalb der alttestamentlichen Gesetze zwei grundverschiedene Rechtsarten, die sowohl hinsichtlich ihrer Herkunft als auch hinsichtlich ihrer ursprünglichen Funktion, ihres Sitzes im Leben, streng auseinanderzuhalten sind: 1. Das sogenannte kasuistische Recht, das unpersönlich-referierend, d. h. in 3. Pers. sg. oder plur., einen Rechtsfall darstellt und die sich aus ihm ergebenden Rechtsfolgen nennt. Der beschreibende Teil, der Vordersatz oder die sogenannte Protasis, besteht aus einem durch die Bedingungspartikel "'S = „gesetzt den Fall, daß . . . " oder DK = „ w e n n . . . " eingeleiteten Konditionalsatz. 1
In verkürzter F o r m am 11. 5. 6 6 Hochschule Berlin gehalten. Berichte über die Verhandlungen schaften zu Leipzig. Phil.-hist. K l . Geschichte des Volkes Israel I, 1953,
als Antrittsvorlesung an der Kirchlichen der Sächsischen Akademie der Wissen86. Bd., 1934 = Kleine Schriften zur S. 2 7 8 — 3 3 2 , danach im Folgenden zitiert.
Z u r israelitischen R e d i t s g e s c h i d i t e
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Der die Rechtsfolgen nennende Teil, der Nachsatz oder die sogenannte Apodosis, besteht meistens aus einem Verbalsatz. Wegen der formalen und weithin auch inhaltlichen Übereinstimmung zwischen dem kasuistischen Recht des A T und den altorientalischen Gesetzen, die fast ausnahmslos in der soeben beschriebenen Weise konstruiert sind, postulierte Alt die Abhängigkeit des kasuistischen Rechts Israels von dem altorientalischen. Als Vermittler vermutete er die Kanaanäer, obwohl wir ihre Reditstradition nicht kennen. Der heutige Stand der rechtsgeschichtlichen Forschung gibt m. W. keinen Anlaß, von dieser Sicht der Dinge abzugehen. N u r hinter die Bezeichnung „kasuistisch" möchte ich ein Fragezeichen setzen, denn sie ist insofern etwas irreführend, als auch das gleich noch zu besprechende apodiktische Recht zumeist einzelne Rechtsfälle behandelt und deshalb eigentlich auch kasuistisch ist, obwohl es keine konditionale Stilisierung aufweist. N u r die sehr weit und allgemein gefaßten Sätze des Dekalogs bilden eine Ausnahme. Sie könnte man insofern als nichtkasuistisch bezeichnen, als sie in der T a t so etwas wie allgemeine Normen darstellen. Doch ist der Dekalog eben wegen seiner Allgemeinheit und Weite als ein verhältnismäßig junger Ableger des apodiktischen Rechts zu beurteilen. N u r der Dekalog, nicht aber das apodiktische Recht überhaupt, hebt sich von der Kasuistik des konditional stilisierten Rechts deutlich ab. Deshalb scheint mir die Benennung „konditional" besser der charakteristischen Eigenart des von Alt als kasuistisch bezeichneten Rechtsstils zu entsprechen. In diesem Sinn wird in den folgenden Ausführungen die Bezeichnung „konditional" für diese Rechtsart verwendet. 2. D i e andere von Alt entdeckte Rechtsart kennt keine konditionalen Vordersätze. Sie ist nicht auf einen Ausgleich der gegenseitigen Interessen der Rechtspartner bedacht, sondern richtet im Namen Jahwes absolute Verbote, viel seltener auch Gebote auf. Solche absoluten Ver- und Gebote sind oft metrisch geformt und meistens zu mehrgliedrigen Reihen zusammengefaßt. Wegen ihres absoluten Charakters enthalten die apodiktischen Rechtssätze entweder überhaupt keine Angaben von Rechtsfolgen und Strafbestimmungen, dann fassen sie eine Übertretung des Gebots gar nicht
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Hentschke
ins Auge, oder sie verhängen die äußerste Strafe der Tötung, Verfluchung oder Verbannung. Die dahinter stehende Auffassung ist die, daß sich der Übertreter der apodiktischen Bestimmungen außerhalb der Gemeinschaft des Jahwevolkes begeben hat und aus ihr unter allen Umständen ausgeschieden werden muß, um ihre Integrität nicht noch weiter zu gefährden. Kurzum, das apodiktische Recht ist im Gegensatz zum konditionalen „volksgebunden israelitisch und gottgebunden jahwistisch"2. Die These Alts von dem Dualismus der beiden Rechtsarten hat sich lange Zeit einer ziemlich allgemeinen Zustimmung erfreut 3 . Sie ist leider auch in einer weithin unsachgemäßen Weise theologisch ausgewertet worden. Erst seit etwa der Mitte der fünfziger Jahre begann sich hinsichtlich der Beurteilung des apodiktischen Rechts ein Umschwung anzubahnen. Man wurde auf außerisraelitische Parallelen aufmerksam, die eine isolierte Betrachtung des apodiktischen Rechts Israels nicht mehr zulassen 4 . Alt a. a. O. S. 323. Zu den schon bald nach der Veröffentlichung des genannten Aufsatzes von Alt angemeldeten Bedenken s. G. Fohrer: Das sogenannte apodiktisch formulierte Recht und der Dekalog, K e r y g m a und Dogma 11. J g . H . 1, 1965, S. 50 Anm. 4. Der dort gebotenen Zusammenstellung der älteren Gegenstimmen ist m. W . nur noch I. R a p a p o r t : The Origins of Hebrew L a w , P E Q 73, 1941, S. 158—167 hinzuzufügen. ' Die wichtigsten Veröffentlichungen zur Frage der Eigenart und Herkunft des apodiktischen Rechts: H . Schmökel: Biblische „Du-sollst"-Gebote und ihr historischer Ort, Zeitschr. der S a v i g n y - S t i f t u n g für Rechtsgeschichte 36, 1950, S. 365—90; G. E,. M e n d e n h a l l : Recht und Bund in Israel und dem Alten Vorderen Orient, Theol. Studien H . 64, 1960 (geht zurück auf den A u f s a t z M.'s: Ancient Oriental and Biblical L a w , The Biblical Archaeologist 17, 1954, S. 22—46, 4 9 — 7 6 ) ; G. H e i n e m a n n : Untersuchungen zum apodiktischen Recht, Theol. Diss. H a m b u r g 1958; K. B a l t z e r : Das Bundesformular, 1960; E. H a m mershaimb: On the Ethics of O T prophets, V T Suppl. 7, 1960, S. 75—101; F. Ch. Fensham: The Possibility of the Presence of Casuistic Legal M a t e r i a l at the M a k i n g oft he C o v e n a n t at Sinai, P E Q 93, 1961, S. 143—146; St. G e v i r t z : West-Semitic Curses and the Problem of the Origins of Hebrew L a w , V T 11, 1961, S. 137—158; W . B e y e r l i n : H e r k u n f t und Geschichte der ältesten Sinaitraditionen, 1961; E. Gerstenberger: Wesen und Herkunft des sogenannten apodiktischen Rechts im A T , Ev.-theol. Diss. Bonn 1961; R . K i l i a n : A p o d i k tisches und kasuistisches Recht im Licht ägyptischer Analogien, Bibl. Zeitschr. N F 7, 1963, S. 185—202.
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Außerdem wird es immer deutlicher, d a ß die von Alt als apodiktisch klassifizierte Rechtsgattung gar keine einheitliche Größe darstellt, sondern zumindest in zwei Gattungen differenziert werden m u ß 5 : D a sind erstens die als direkte Anrede, d. h, in 2 Pers. sg. oder plur. stilisierten Sätze und Satzreihen, wie sie uns z. B. im Dekalog Ex. 20 begegnen. Die so formulierten Sätze des alttestamentlichen Rechts und die dazu beigebrachten Parallelen aus dem altorientalischen Vertragsrecht, vor allem aus den hethitischen und neuerdings auch aus den phönikischen und aramäischen Staatsverträgen und Inschriften, stehen heute im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Diskussion. Es scheint sich dabei eine neue Bestimmung ihrer Eigenart und Funktion abzuzeichnen, etwa in dem Sinn, d a ß die als direkte Anrede formulierten Bestimmungen eigentlich gar keine Rechtssätze sind, sondern Lebens- und Verhaltensregeln, die dem Recht sachlich vorausgehen, indem sie seine Verletzung verhindern wollen 6 . Diesen Bereich wollen wir hier außer Betracht lassen und uns auf den zweiten T y p der von Alt als apodiktisch klassifizierten Rechtssätze konzentrieren, die sogenannten P a r t i zipial- und Relativsatzformulierungen. Diesen beiden Satzarten gemeinsam ist die Gliederung in Protasis und Apodosis. Sie stehen in dieser Beziehung den konditionalen Rechtsbestimmungen näher als den absoluten Ver- und Geboten. Auch die unpersönlichreferierende Stilisierung in 3. Pers. rückt sie in die N ä h e des konditional formulierten Rechts. D a m i t ist aber zunächst nur sichergestellt, d a ß es sich um wirkliches Recht im eigentlichen Sinne des Wortes handelt, das den Bedürfnissen der praktischen Rechtsprechung Rechnung trägt. D e r syntaktische Unterschied zum konditionalen Rechtssatz besteht darin, daß die Protasis viel straffer und kürzer gestaltet ist 7 . Sie k a n n durch ein Partizipium, das die 5
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So H . Gese: Beobachtungen zum Stil alttestamentlicher Rechtssätze, ThLZ 85, 1960, Sp. 147—150 sowie E. Gerstenberger a. a. O. S. 3 3 — 3 5 (s. Anm. 4) und G. Fohrer a. a. O. S. 51 f. und 72 f. (s. Anm. 3). So Fohrer a. a. O. S. 52, vgl. den v o n K. Koch: Tempeleinlaßliturgien und Dekaloge, Studien zur Theologie der alttestamentlichen Überlieferungen (von Rad-Festschrift), 1961, S. 49 Anm. 10 geäußerten Zweifel an dem Rechtscharakter des apodiktischen Rechts dieser Art. D a m i t ist aber noch nicht gesagt, daß sich diese Form aus der kasuistischen (so Gese a. a. O . Sp. 148) oder umgekehrt (so Gerstenberger a. a. O . S. 33—
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H a u p t p e r s o n oder den H a u p t g e g e n s t a n d des Rechtssatzes nennt, eingeleitet werden, dann spricht man v o m partizipialen Rechtssatz oder k u r z v o m Partizipialsatz. Als klassisches Beispiel sei hier E x . 21, 12 zitiert: nöT" nia nöl t r s „Wer einen M a n n schlägt (eigentlich: ein Schlagender . . . ) , so daß er stirbt, soll unbedingt getötet w e r d e n . " Solche Sätze sind zum Teil rhythmisch gebunden. Sie wurden wahrscheinlich in thematisch zusammenhängenden Reihen überliefert. D i e bekanntesten Beispiele d a f ü r findet m a n in der Reihe der todeswürdigen Verbrechen: E x . 2 1 , 1 2 . 1 5 — 1 7 ; 2 2 , 1 8 — 1 9 und in der A u f z ä h l u n g der fluchwürdigen Verbrechen: D t . 27, 1 5 — 2 6 (vv. 15 und 26 sind anders formuliert). E s gibt aber im A T auch Einzelsätze dieser A r t , z. B . : E x . 3 1 , 1 5 ; L e v . 24,16.18.21®. D i e sogenannten Relativsatzkonstruktionen unterscheiden sich d a v o n nur dadurch, daß der V o r d e r s a t z nicht durch ein Partizipium, sondern durch ein eine Person oder Sache bezeichnendes N o men eröffnet wird. Diese meist sehr allgemeine Bezeichnung wird durch einen nachfolgenden R e l a t i v s a t z , einen Gen. oder eine A p p o s i tion näher bestimmt: Sftjß), "itfx E^K t^N "ltfx tt^K-^s Auch diese S ä t z e treten zuweilen in Reihen auf, z. B. L e v . 20, 2 . 9 — 2 1 . 2 7 , oft aber auch einzeln 9 . 35 und S. 133 Anm. 16) entwickelt hat. Die Frage nach den Entstehungsbedingungen und dem gegenseitigen Verhältnis beider Formulierungen muß erst geklärt werden. 8
Ex 22, 17.20 f. und 27 sind in 2. Pers. stilisiert und gehören daher nicht zu diesem Bereich, vgl. Alt a. a. O . S. 316 Anm. 2. Einige Einzelsätze in partizipialer Formulierung enthält audi die Priestersdirift: Ex 29, 37 b; 30, 14 f., 29 b; Lev. 2, 3.10; 6, 9; 7, 17; 24, 16.18.21, s. audi K . K o d i : Die Priesterschrift von E x . 25 bis Lev. 16, F R L A N T 71, 1959, S. 98.
» Ob man Sätze wie Lev. 7, 21; 21, 9; 22, 11—14; 24, 15 b. 17.19 als kasuistisch bezeichnen kann, so Fohrer a. a. O. Anm. 65, ist mir fraglich. Die Voranstellung des persönlichen Subjekts mit nachfolgendem Relativsatz entspricht vielmehr der apodiktischen Relativsatzformulierung ©"'ij). Dagegen spricht allerdings die Verwendung von "O = »wenn" statt des in solchen Satzkonstruktionen üblicheren Relativpronomen, vgl. Fohrer a. a. O. S. 72 f. und die dort genannte Literatur, bes. Anm. 68. Weitere Einzelsätze dieser A r t : Lev. 6, 11.16.19—23; 7, 6—10.15. 19 f. 25. 27.33; 17, 3 f. 8 f. 10.13.15; 21, 10— 15 a. 17 b—23 a; 22, 23, 3—7. 10; 27, 28—30.32; Num. 19, 20 a; 35, 30; Dtn. 15, 2.
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D a ß diese beiden G r u p p e n von Rechtssätzen aufs engste verw a n d t sind und eigentlich nur zwei Varianten der gleichen syntaktischen Konstruktion darstellen, ist offensichtlich. Das w i r d auch durch das Vorkommen beider Formulierungen innerhalb einer thematisch zusammenhängenden Reihe nahegelegt, z . B . : D t . 27, 15 26. N u r in Bezug auf diese beiden G r u p p e n von Gesetzesformulierungen soll im Folgenden der Ausdruck „apodiktisches Recht" verwendet werden. Diese Rechtssätze belegen im Nachsatz die untersagten H a n d l u n g e n oft entweder mit der Todesstrafe oder mit dem Fluch 10 . Wahrscheinlich ist nicht nur der Fluch, sondern auch die Todesstrafe als göttliche Sanktion gemeint, denn die hier behandelten Vergehen berühren häufig die sakrale Sphäre, die in besonderer Weise dem Schutz Jahwes unterstellt ist. T r o t z dieses sakralen Charakters handelt es sich hierbei doch um ein Recht im eigentlichen Sinn, das auch vom menschlichen Richter gehandhabt werden kann. Die Verhängung göttlicher Sanktionen, wie z. B. des Fluches, schloß ja den menschlichcn Strafvollzug gewiß nicht aus, sondern ein. Sicher nicht zufällig werden Verbrechen, die ihrer N a tur nach im Verborgenen zu geschehen pflegen und deshalb der menschlichen Rechtsprechung weithin entzogen bleiben, in einer besonderen Reihe genannt und mit dem Fluch belegt (Dt. 27). D a r aus ist zu schließen, d a ß man die gleichen Verbrechen, sofern sie bekannt wurden, gerichtlich verfolgt und geahndet hat. Diese schon längst gemachte Feststellung des Rechtscharakters der hier in Betracht kommenden apodiktischen Bestimmungen wird, m. E. zu Unrecht, immer wieder bestritten und damit auch ihre Vergleichbarkeit mit den ähnlich stilisierten altorientalischen Gesetzen 11 .
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Aber auch andere Rechtsfolgebestimmungen kommen vor, z. B.: Ex. 29, 37 b; Lev. 6, 1 9 — 2 3 ; 7, 6 — 1 0 . 3 3 ; 17, 15 b; 21, 21 ff. 22, 6 f.; 24, 18 f. 21 a; D t . 15, 2. Ausführlich wird diese Frage v o n H . Graf R e v e n t l o w : Kultisches Recht im AT, Z T h K 60, 1963, 2 8 7 — 2 9 7 diskutiert. D o r t auch weitere Literatur. R. erkennt den Zusammenhang des apodiktischen Rechts mit der Rechtsprechung an, verbindet es aber mit einem bes. sakralen Prozeß, in dem ursprünglich nur göttliche Sanktionen, d. h. Segen oder Fluch, T o d oder Leben ausgesprochen wurden. Die menschliche Strafvollstreckung betrachtet er dagegen als Folge späterer Entwicklung (a. a. O. S. 291). Diese Frage kann hier außer
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Wie dem auch sei, unbestreitbar ist jedenfalls die Tatsache, daß es in fast allen uns bekannten Rechtsbüchern und Königsedikten des Alten Orients Rechtssätze gibt, die analog zu den hier behandelten apodiktischen Bestimmungen des A T konstruiert sind. Allerdings kommen sie in den altorientalischen Rechtsbüchern ziemlich selten vor, nur die aus dem 7.16. Jh. stammenden neubabylonischen Gesetze sind durchgehend so stilisiert. Alt hat diese Parallelen nicht berücksichtigt. Seither ist auf sie zwar gelegentlich hingewiesen worden, aber die Vergleichsmöglichkeiten sind m. E. noch nicht voll ausgeschöpft12. M. W. ist eine, B e t r a c h t bleiben. F ü r unseren Z u s a m m e n h a n g wichtig ist nur das Festhalten am Rechtscharakter der apodiktischen B e s t i m m u n g e n . A l l e r d i n g s bezieht R . auch die in 2. Pers. stilisierten V e r - u n d G e b o t e darin ein (a. a. O . S. 2 8 9 ) , wie mir scheint zu U n r e c h t , denn die gegen G e r s t e n b e r g e r (s. A n m . 4) vorgebrachten E i n w ä n d e R.'s überzeugen nicht. D a ß die Lebens- u n d V e r h a l t e n s a n w e i s u n gen im J a h w e k u l t b e k a n n t g e g e b e n und t r a d i e r t w u r d e n , beweist nicht ihren Rechtscharakter, sondern eher ihre A u f n a h m e und W e i t e r b i l d u n g innerhalb der priesterlichen Belehrung ( T o r a ) . D i e U n b e d i n g t h e i t des Gebots, bzw. die V e r h ä n g u n g der schwersten S t r a f e n konstituieren noch nicht die Gleichartigkeit der betreffenden B e s t i m m u n g e n . Sie erlauben auch nicht den Rückschluß a u f einen gemeinsamen Sitz im L e b e n . A n der v o n G e r s t e n b e r g e r a. a. O . S. 34 f. und neulich auch von F o h r e r a. a. O . S. 7 2 f. geforderten U n t e r scheidung zwischen den in 2. P e r s . formulierten L e b e n s - und V e r h a l t e n s regeln und den in 3 . Pers. stilisierten apodiktischen Rechtssätzen ist also festzuhalten. D a f ü r spricht auch der U m s t a n d , d a ß die persönliche Anrede nur in altorientalischen S t a a t s v e r t r ä g e n , nicht aber in Gesetzestexten v o r k o m m t . In den S t a a t s v e r t r ä g e n w i r d e n t w e d e r eine K r i s e n s i t u a t i o n ins Auge g e f a ß t , in der der G r o ß k ö n i g keine Möglichkeit hat, irgendwelche S t r a f m a ß nahmen gegen den u n b o t m ä ß i g e n V a s a l l e n durchzuführen, oder es handelt sich um heimliche R ä n k e gegen den G r o ß k ö n i g . D e s h a l b beschränkt er sich w e i t hin a u f die A n d r o h u n g göttlicher S a n k t i o n e n (Fluch) und versucht das G e f ü h l der persönlichen V e r b u n d e n h e i t beim V a s a l l e n zu wecken und zu stärken. D i e V e r t r a g s t e x t e stehen also v o n der vorausgesetzten S i t u a t i o n und von der F o r m her gesehen der P a r ä n e s e wesentlich n ä h e r als dem Recht. Analoges trifft auch f ü r die v o n G e v i r t z (s. A n m . 4 ) beigebrachten P a r a l l e l e n aus den westsemitischen G r a b - und D e n k m a l s i n s c h r i f t e n zu. Ähnlich schon V . K o r o s e k : Hethitische S t a a t s v e r t r ä g e . E i n B e i t r a g zu ihrer juristischen W e r t u n g , 1931 S. 3 2 f., 9 1 , 9 7 f. 12
Z . B . I. R a p a p o r t a. a. O . (s. A n m . 3 ) und G e r s t e n b e r g e r a. a. O . S . 137 A n m . 5 8 . Doch ist seine A u f s t e l l u n g u n v o l l s t ä n d i g . Als apodiktisch in dem o b e n genannten S i n n sind f o l g e n d e G e s e t z e zu b e t r a c h t e n : G e s e t z von E s n u n n a (zitiert nach A . G o e t z e : T h e L a w s o f E s h n u n n a , A A S O R X X X I , 1 9 5 6 ) § 12, 13, 15, 16, 19, 51 und 5 2 . K o d e x H a m m u r a b i (nach G . R . D r i v e r and J . C . M i l e s : T h e B a b y l o n i a n L a w s
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wie mir scheint, sehr wichtige altbabylonische Rechtsquelle ganz unberücksichtigt geblieben: das Edikt des Königs Ammi-saduqa von Babylon. Er regierte etwa von 1646—1624. Dieses Edikt ist 1958 von Fritz Rudolf Kraus in der Reihe „Studia et documenta II O x f o r d 1960) § 36, 38 f. (zwei zusammenhängende Paragraphen), 40 und 187. Mittelassyrische Gesetze (nach G. R. Driver and J. C. Miles: The Assyrian Laws, O x f o r d 1935) § 40, 57—59 und Tafel F § 2 (Zeile 9—14). Der leider nur bruchstückhaft erhaltene Epilog enthält eine Unterweisung des Königs (an seine Beamten?), die aus zwei anscheinend parallel laufenden Abschnitten besteht, von denen der eine apodiktisch (Tafel K, 2. Abschnitt), der andere konditional (Tafel L, 1. Abschnitt) formuliert ist. Das aus der 2. H ä l f t e des 18. Jh. stammende Landrecht vonSusa(Driver/Miles: The Babylonian Laws II, S. 316 f.) scheint überwiegend apodiktisch formuliert zu sein. N u r Zeilen 11—13 sind konditional. Allerdings gestattet der schlechte Erhaltungszustand keine sichere Stilanalyse. Hethitisches Gesetz (nach J. Friedrich: Die Hethitischen Gesetze, Leiden 1959) Tafel I § 48, 50, 51, 52, 54 und 56. Besonders interessant ist § 55. D o r t wird die Situation einer konkreten Rechtsentscheidung des Königs besdirieben. Bestimmte Lehensleute bringen eine Beschwerde vor, der König erhebt sich und gibt ihnen eine Rechtsentscheidung in Befehlsform (2. Pers. plur.). Hier ist also ausnahmsweise ein mündlich gefällter Rechtsspruch unverändert in den Gesetzestext aufgenommen worden, ohne die sonst übliche Umstilisierung. So wird man sich die königliche Rechtsentscheidung auch in Mesopotamic-n vorstellen müssen. F.. von Schüler: Hethitische Königserlässe als Quellen der Rechtsfindung und ihr Verhältnis zum kodifizierten Recht. Festschr. f. J. Friedrich 1959, S. 435—472 macht darauf aufmerksam, daß auch in den hethitischen Königserlässen apodiktische Formulierungen vorhanden sind, in den älteren häufiger als in denen aus der Zeit des Neuen Reiches, s. S. 467 Anm. 55, S. 469 Anm. 70 und Text Col. I I I 5.14.15 (Übergang von 3. zur 2. Person) S. 450 sowie Kommentar dazu S. 453. Die H o f - und Haremserlasse der assyrischen Könige (nach E. Weidner A f O 17, 1955/56, S. 257—293) sind teils apodiktisch, teils konditional stilisiert. Apodiktisch ist die Einleitung (a. a. O. S. 257), ferner die Satzungen 5 (? beschädigt), 6 (mit konditionaler Ergänzung, Zeile 42), 7, 8 (mit konditionaler Ergänzung am Schluß) und 20 (Zeile 97 f. mit nachfolgender Sonderbestimmung im konditionalen Stil) — a. a. O. S. 274—-276, 286. Die genannten Gesetzesparagraphen sind meistens analog den alttestamentlichen Relativsatzkonstruktionen stilisiert. Sie beginnen mit awllum sa oder mit einem anderen N o m e n und einem nachfolgenden Relativsatz, seltener mit der Relativpärtikel sa oder mit einem Nomen ohne Näherbestimmung. Durch diese Stilisierung heben sie sich deutlich von der üblichen konditionalen Form der altorientalischen Gesetze ab. Sie behandeln durchweg Fragen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens von öffentlich-rechtlidier Bedeutung, haben also auch inhaltlich einen gewissen Grundzug gemeinsam. Die apodik-
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ad iura orientis antiqui pertinentia" veröffentlicht und kommentiert worden. Allerdings geht K r a u s auf einen Vergleich mit den Stilformen der alttestamentlichen Gesetze nicht ein. Der Text des Edikts liegt in zwei Exemplaren vor, die aber beide unvollständig sind. Eine größere Anzahl von Paragraphen und ein zu vermutender Prolog sind verlorengegangen. Immerhin sind noch 20 Paragraphen größtenteils vollständig erhalten und lesbar. Der Inhalt des Edikts betrifft einen einmaligen Abgaben- und Schuldenerlaß für bestimmte Bevölkerungsgruppen und verschiedene Gebiete des Reiches. D a s Edikt „enthält in erster Linie positive und negative Verhaltensvorschriften für verschiedene Menschengruppen des Königreiches Babylon, in zweiter Linie Strafandrohungen für bestimmte Handlungen derselben" 1 3 . Zur inhaltlichen Charakterisierung des Edikts und der altbabylonischen Abgaben- und Schuldenerlasse überhaupt sei nur noch folgendes gesagt: Im Gegensatz zu den im alttestamentlichen und jüdischen Recht bekannten 14 , in regelmäßigen Zeitabständen wiederholten Schuldenerlassen handelt es sich in Altmesopotamien um eine zwar nicht regelmäßige, aber doch sehr häufige Erscheinung des Rechtslebens 15 . Kraus hat für die altbabylonische Zeit, d . h . für das 19. bis 16. Jh. v. Chr., mindestens 30 solcher Erlaßakte nachgewiesen 10 . Die zahlreichen Erwähnungen der königlichen Abgaben- und Schuldenerlasse sind über den gesamten genannten Zeitraum und über tischen Gesetze befassen sich mit Einbruch — Gesetz von ESnunna § 12 und 13; Veruntreuungsdelikten eines H i r t e n — mittelassyrisdie Gesetze T a f e l F § 2 ; Schuldrecht — Esnunna § 19; Vermögens- und Erbrecht an Immobilien — Landrecht von S u s a und K o d e x H a m m u r a b i § 36, 3 8 — 4 0 ; Geschäfts-, Rechtsfähigkeit und Bewegungsfreiheit v o n freien und unfreien Personen — Esnunna § 15, 16, 51, 52 und hethitisdies Gesetz T a f e l I § 4 8 ; Adoptionsrecht — K o d e x H a m m u r a b i § 187; Fronpflichten verschiedener S t ä n d e — K o d e x H a m m u r a b i § 40 und hethitisdies Gesetz § 48, 50, 52, 55, 56; K l e i d e r o r d n u n g für Frauen — mittelassyrisches Gesetz § 4 0 ; V o l l z u g körperlicher S t r a f e n an verheirateten Frauen — mittelassyrisches Gesetz § 57—59. 13
K r a u s a. a. O . S. 243. S t r a f a n d r o h u n g e n enthalten nur § 4, 5 und 20.
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Vgl. D t . 15, 1 — 1 8 ; L e v . 25 und Mischnatraktat „Schebiit" (vom S a b b a t j a h r ) , Textübersetzung und E r k l ä r u n g von D . Correns, hrsg. von K . H . R e n g s t o r f / L . R o s t 1960.
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K r a u s a. a. O . S. 239.
»• a. a. O . S. 239, Belege S. 194—235.
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das ganze Gebiet Mesopotamiens verstreut. D i e Belege f ü r die E r laßakte stammen aus Rechtsurkunden und Briefen und bezeugen durch ihre Häufigkeit die tiefgehende W i r k u n g , die die Schuldenerlasse auf das Rechtsleben Altmesopotamiens ausübten — im Gegensatz zu den großen Rechtskodifikationen, wie z. B. dem Kodex H a m m u r a b i , deren W i r k u n g auf die Rechtspraxis gleich N u l l gewesen zu sein scheint. O b w o h l wir also nur ein Exemplar dieser G a t t u n g im W o r t l a u t kennen, gibt es keinen Zweifel daran, d a ß wir die Abgaben- und Schuldenerlasse „infolge ihrer Frequenz als einen charakteristischen Zug des öffentlichen Lebens jener Zeit" 1 7 ansehen müssen. Der Stil des Edikts ist z w a r ziemlich uneinheitlich, doch lassen sich seine Paragraphen, wenn m a n von syntaktischen Einzelheiten absieht, nach stilistischen Merkmalen in zwei G r u p p e n einteilen: 1. 5 P a r a g r a p h e n (3, 5, 9, 18 f.) stimmen mit dem üblichen Rechtsstil der altorientalischen Gesetzbücher überein, d. h. sie beginnen mit einem durch die Bedingungspartikel „wenn" (summa) eingeleiteten Konditionalsatz, also genauso wie die durch "'S oder DNt eingeleiteten konditionalen Rechtssätze des A T . 2. 12 der 20 noch lesbaren Paragraphen beginnen jeweils mit einem vorangestellten Substantiv, das eine Person (§ 6, 10, 13—17, 20) oder Sache ( § 1 1 f.) bezeichnet und damit zugleich den H a u p t gegenstand der rechtlichen Bestimmung angibt 1 8 . Dieses vorangestellte N o m e n , manchmal sind es auch mehrere, k a n n durch einen Relativsatz näher bestimmt werden. Zwei P a r a g r a p h e n beginnen unmittelbar mit einem Relativsatz, der durch „wer" (sa, § 2, 7) eingeleitet ist 19 . Doch sind das nur unbedeutende V a r i a n t e n derselben Stilform. Die stilistische Ähnlichkeit mit apodiktischen Rechtssätzen des A T , d. h. mit den Partizipial- u n d Relativsatzkonstruktionen, ist unverkennbar. Übrigens w e r d e n auch sie gelegentlich in ähnlicher Weise syntaktisch variiert. Allerdings sind die entsprechenden Sätze des Edikts meistens nicht so straff u n d k n a p p formuliert wie die vorgeführten typischen Beispiele des apo17
a. a. O. S. 239. D i e restlichen 3 Paragraphen (1, 4, 8) sind am A n f a n g stark beschädigt. " a. a. O. S. 182 f.
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diktischen Rechts des A T . Ihnen fehlt auch jede Spur der metrischen Gestaltung. Doch läßt sich auch im A T eine ähnliche Auflösung und Zerdehnung der apodiktischen Rechtssätze beobachten, z. B.: Ex. 3 1 , 1 5 und weithin auch Lev. 20, 2.9—21 (s. auch A n m . 8 und 9). Das alles beeinträchtigt also nicht die grundsätzliche Gleichartigkeit und damit auch die Vergleichbarkeit der apodiktischen Rechtssätze des Edikts mit denen des AT. M a n könnte daraus nur den Schluß ziehen, d a ß die apodiktischen Sätze des Edikts aufs Ganze gesehen in einer stärker desintegrierten Form überliefert sind als die des AT. N u n drängt sich uns die Frage auf, ob wir im Bereich des altbabylonischen Rechts noch den Ursachen des m e r k w ü r d i g e n N e b e n einanders von apodiktischen und konditionalen Rechtssätzen auf die Spur kommen können, denn von da aus könnte vielleicht ein neues Licht auf den entsprechenden Sachverhalt im alttestamentlichen Recht fallen. U m diese Frage zu klären, müssen wir uns die formale und sachliche Gliederung des Edikts etwas genauer ansehen. D e r Herausgeber des Edikts, Kraus, zeigt 20 , d a ß 4 der 5 k o n ditional stilisierten, also mit wenn (summa) beginnenden P a r a g r a phen (3, 5, 9, 19) nicht selbständig sind, sondern syntaktisch u n d sachlich zu dem jeweils voraufgehenden P a r a g r a p h e n gehören. Sie behandeln Grenz- und Ausnahmefälle, zu den im jeweils voraufgehenden P a r a g r a p h e n behandelten Rechtsfragen. Dagegen sind mit Ausnahme von P a r a g r a p h 18 alle selbständigen P a r a g r a p h e n apodiktisch 21 . D e r P a r a g r a p h 18 ist selbständig und dennoch konditional stilisiert, doch stimmt er im Inhalt und W o r t l a u t so weitgehend mit dem P a r a g r a p h e n 117 des Kodex H a m m u r a b i überein, d a ß m a n mit der A n n a h m e seiner literarischen Abhängigkeit von diesem Kodex kaum fehlgehen wird 2 2 . H i e r bediente sich der Verfasser des Edikts einer vorgegebenen Formulierung und wich anscheinend deshalb von seiner Regel ab, die selbständigen P a r a graphen apodiktisch abzufassen. 20 21 22
a. a. O. S. 183—186. a. a. O. S. 183. So a. a. O. S. 183 und ausführliche Begründung S. 83—88.
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K a n n somit diese Regel, daß alle selbständigen Paragraphen apodiktisch stilisiert sind, alle konditional stilisierten dagegen unselbständig sind, als für das Edikt gültig betrachtet werden, dann erhebt sich die Frage, ob sich mit diesen beiden Stilarten auch verschiedene Inhalte verbinden, ob wir es also mit zwei Gruppen von Rechtssätzen verschiedener Herkunft und Funktion zu tun haben. Das scheint mir in der T a t der Fall zu sein. Diese These muß durch eine Analyse des Inhalts und Bestimmung der Gattung des ganzen Edikts verdeutlicht und erhärtet werden. Kraus 2 3 charakterisiert das Edikt als ein wohlerwogenes Ganzes, das eine Sammlung von gebietenden und verbietenden Verhaltensvorschriften sozialrechtlichen Inhalts darstellt. Sie sind darauf aus, „gewisse vorwiegend wirtschaftliche Mißstände meist vorübergehend zu beseitigen oder zu lindern". „Den Kern der einmaligen . . . Maßnahmen bildet der Erlaß öffentlicher Abgaben und Annulierung privater Schulden, der erste auf Staatskosten, die zweite auf Kosten des privaten Kapitals" 2 4 . Diesem sozialen Zweck dienen ausschließlich die apodiktischen Bestimmungen und als einzige scheinbare Ausnahme der konditionale, aber selbständige Paragraph 18. Alle konditionalen und zugleich unselbständigen Paragraphen dagegen wahren an gewissen Punkten eigentlich nur die normalen rechtlichen und sozialen Verhältnisse, die von der Ausnahmeregelung des Edikts nicht betroffen werden sollen. D a ß der Verfasser des Edikts zwischen den als Ausnahmeregelung gedachten Erlaßbestimmungen einerseits und den sie einschränkenden konditionalen Paragraphen andererseits bewußt und grundsätzlich unterscheidet, das läßt sich nicht allein aus dem Inhalt und der unterschiedlichen Stilisierung indirekt erschließen, sondern geht aus der Verwendung einer bestimmten Formel eindeutig hervor. Diese Formel lautet: „Weil der König gerechte Ordnung dem Lande geschaffen hat" 2 5 . Mit Hilfe dieser Formel sind nur die wichtigsten Paragraphen, die den Abgaben- und Schuldenerlaß positiv anordnen, versehen 23 24 25
a. a . O . S . 189 f. a . a . O . S. 190. a . a. O . S . 1 8 3 — 1 8 6 .
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(§ 1 — Anfang fehlt, 2, 10, 12, 13, 14, 17, 18). Die so herausgehobenen Paragraphen sind sämtlich apodiktisch, wieder mit der scheinbaren Ausnahme von Paragraph 18. Sie dienen alle dem sozialen Hauptzweck des Edikts. Aufschlußreich scheint mir ferner zu sein, daß die apodiktische Stilisierung nicht auf die einmaligen Ausnahmebestimmungen des Edikts beschränkt ist, die nur eine augenblickliche und einmalige soziale Erleichterung schaffen, sondern auch in solchen Paragraphen angewandt wird, die eine dauernde Schutzmaßnahme für die sozial schwachen Schichten anordnen. Dazu gehört z. B. die Bestrafung bestimmter geschäftlicher Machenschaften der Schankwirtin und des Kaufmanns mit dem Tode (§ 16), die Androhung der Todesstrafe gegenüber höheren Beamten, die kleine Lehensträger wie Soldaten und Fischer zu privaten Lohndiensten pressen (§ 20), der Erlaß der Schuldenforderungen der Schankwirtin (§ 15), die Ermäßigung der Dienstleistungen und Abgaben kleiner Lehensträger (§17), vielleicht auch § 8 (beschädigt) — Erleichterungen für Geschäftstransaktionen bestimmter Kaufleute mit dem „Palast". Für die Anwendung der beiden Stilarten der gesetzlichen Formulierung innerhalb des Edikts ergibt sich also ein recht klares Bild: Alle Paragraphen, in denen das soziale Hauptanliegen des Edikts zum Ausdruck kommt, sind apodiktisch stilisiert, ganz gleich, ob es sich um einmalige Ausnahmeregelungen oder um Dauerbestimmungen handelt. Alle Paragraphen, die die Wirkung des Erlasses räumlich und inhaltlich einschränken und damit sagen, daß in diesem oder jenem Punkt alles beim Alten bleiben soll, sind konditional stilisiert und nicht selbständig 26 . Die konditionale Form und die soeben beschriebene inhaltliche Eigenart der unselbständigen Paragraphen legen die Vermutung nahe, daß sie erst nachträglich, d. h. bei der genauen juristischen Ausarbeitung und schriftlichen Fixierung des Edikts von den Juristen des Königs eingefügt wurden. Diese bedienten sich dabei natürlich der ihnen vertrauten Gesetzesformulierung, und diese war, wie die altorientalischen Rechtsbücher eindeutig zeigen, eben kon2
« a. a. O. S. 184.
Zur israelitischen Rechtsgeschichte
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ditional 2 7 . Trifft diese V e r m u t u n g zu, dann bleibt noch die F r a g e zu beantworten, w a r u m der auch ohne die konditional stilisierten P a r a g r a p h e n sinnvolle K e r n des E d i k t s apodiktisch formuliert ist und d a m i t so a u f f ä l l i g von dem im Alten Orient allgemein üblichen konditionalen Gesetzesstil abweicht. W a r u m w u r d e er nicht von den J u r i s t e n entsprechend formuliert? D i e A n t w o r t auf diese F r a g e können wir den vorhin erwähnten zahlreichen altbabylonischen Briefen und Rechtsurkunden entnehmen, die sich auf die wiederholten A b g a b e n - und Schuldenerlasse beziehen und berufen. Aus ihnen lassen sich nämlich Rückschlüsse auf das Verhältnis zwischen dem E r l a ß a k t und der schriftlichen Fixierung des E d i k t s ziehen. Ich zitiere eine in dieser Beziehung besonders aufschlußreiche Stelle des Briefes des K ö n i g s Samsu-iluna ( 1 7 4 9 — 1 7 1 2 v. Chr.), des Nachfolgers H a m m u r a b i s , in der von K r a u s dargebotenen Ü b e r s e t z u n g : „ . . . habe ich mich soeben auf den Thron meiner D y n a s t i e gesetzt. A u ß e r d e m , um den Staatspächter zu kräftigen, habe ich die Rückstände . . . der Lehensbauern (und) Hirten (?) erlassen. D i e Schuldurkunde des Soldaten, Fischers und Untertanen habe ich zerbrochen, gerechte O r d n u n g im L a n d e geschaffen. Im L a n d e . . . soll gegen die Familie des Soldaten, Fischers und Untertanen niemand mit Z w a n g s m a ß n a h m e n vorgehen 2 8 ." Im d a r a u f f o l g e n d e n T e x t des Briefes werden der Adressat, anscheinend ein höherer Würdenträger, und die „Ältesten des L a n d e s " nach B a b y l o n zum K ö n i g beordert, wahrscheinlich um genauere Anweisungen hinsichtlich des bereits angeordneten A b g a b e n und Schuldenerlasses v o m K ö n i g entgegen zu nehmen 2 9 . Für den V o r g a n g des Schuldenerlasses und die Entstehung des schriftlichen E d i k t s ergibt sich aus diesem Brief und aus anderen ähnlichen T e x ten folgendes B i l d : 1. D i e öffentliche A n k ü n d i g u n g des königlichen Beschlusses, einen E r l a ß gewisser öffentlicher A b g a b e n und p r i v a t e r Schulden 27
28 29
Eine ähnliche Vermutung spricht G . Heinemann a. a. O . S. 3 3 — 4 2 (s. A n m . 4) hinsichtlich der konditionalen Bestimmungen der hethitischen S t a a t s v e r t r ä g e in akkadischer Fassung aus. K r a u s a. a. O . S. 226 f. a. a. O . S. 244 f.
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durchzuführen. D a r a u f beziehen sich die Ausdrücke: „Rückstände erlassen, Schuldurkunden zerbrochen". Damit ist die „gerechte Ordnung im Lande geschaffen", die das Edikt so betont immer wieder erwähnt. Diese höchstwahrscheinlich mündliche Ankündigung muß bereits die Grundzüge und Hauptlinien der Erlaßmaßnahmen öffentlich bekanntgegeben und rechtlich inkraftgesetzt haben, denn die plötzliche überraschende Wirkung war für den Erlaß konstitutiv. Alle Bewegungen des Geschäfts- und Rechtslebens müssen in den vom Erlaß betroffenen Bereichen sofort zum Stillstand gebracht werden, sonst bliebe der Erlaß wirkungslos. Diesem ersten Stadium der mündlichen Proklamation durch den König könnte der apodiktische Kern des vorliegenden Edikts zugrunde gelegen haben. Freilich wohl nur in einer einfacheren und kürzeren Vorform, denn einige apodiktische Sätze der jetzt vorliegenden Endfassung des Edikts scheinen für die mündliche Proklamation syntaktisch zu kompliziert und schwerfällig zu sein. Vielleicht bestand der mündlich bekanntgegebene Kern des Edikts aus lauter so kurzen apodiktischen Sätzen wie Paragraph 11: „Die Rückstände eines ,Trägers', welcher dem Eintreiber zum Eintreiben übergeben ist — es ist erlassen, wird nicht eingetrieben." Ähnlich kurz und übersichtlich sind Paragraph 1 (Anfang weggebrochen), 2, 6, 11 —17 und 20. Hier kommt auch die Formel „weil der König gerechte Ordnung dem Lande geschaffen hat" besonders häufig vor. Die mündlich proklamierte Vorform des Edikts scheint aus einer planvoll angelegten Reihe von apodiktischen Rechtssätzen bestanden zu haben, denn deutliche Spuren einer teils sachlich bedingten, teils stichwortartigen Anordnung sind im Edikt unverkennbar 3 0 . Allerdings ist diese Anordnung durch Textverluste zum Teil verwischt. 2. D a s nächste Stadium des Erlaßvorgangs, nämlich die genaue juristische Festlegung der Einzelheiten und die schriftliche Fixierung, ist gegenüber dem mündlich proklamierten Erlaßakt sekundär und von ganz untergeordneter Bedeutung. D e m schriftlichen Edikt kommt höchstens die Funktion von Ausführungsbestimmun30
a . a . O . S. 186—193.
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gen zu. Vielleicht w a r es nur als ein Rundschreiben f ü r den internen Gebrauch der Behörden gedacht 31 . Mit diesem zweiten Stadium des E r l a ß Vorgangs k ö n n t e die Einfügung der konditional stilisierten, einschränkenden U n t e r p a r a g r a phen sowie die Erweiterung und syntaktische Zerdehnung einiger apodiktischer Bestimmungen zusammenhängen, z. B. P a r a g r a p h 7, 8?, 10. D a ß dabei nicht alle P a r a g r a p h e n des Edikts im üblichen Konditionalstil der juristischen Gesetzessprache v e r f a ß t bzw. umstilisiert w u r d e n , erklärt sich unschwer mit der naheliegenden Annahme, d a ß die königlichen Beamten an den apodiktischen W o r t laut der mündlichen P r o k l a m a t i o n des Königs weithin gebunden waren und ihn nicht von G r u n d auf umgestalten durften. N u r hier und da, in den neu hinzugefügten einschränkenden Zusatzbestimmungen bedienten sie sich der ihnen geläufigen Gesetzesformulierung. Die Bindung an den W o r t l a u t der mündlichen Rechtsproklamation des Königs erklärt nicht nur die so auffällige Häufigkeit der apodiktischen Formulierung innerhalb des Edikts, sondern auch die ebenso auffällige Seltenheit ihres Vorkommens innerhalb der altorientalischen Rechtsbücher. Diese Rechtsbücher stellen ja nach der Meinung maßgeblicher Kenner der altorientalischen Rechtsgeschichte wie Paul Koschaker, Benno Landsberger u. a. keine staatlich erlassenen Gesetzesbücher dar, sondern Privatarbeiten von Rechtsgelehrten. Sie w u r d e n hauptsächlich zu Ausbildungszwecken u n d als Handbücher f ü r die Juristen hergestellt, natürlich auch mit der Absicht, die Rechtsprechung zu vereinheitlichen und so eine größere Rechtssicherheit zu schaffen. In dieser nichtoffiziellen juristischen Fachliteratur hat sich natürlich auch die entsprechende Fachsprache viel ungehemmter durchsetzen und entfalten können als in einem amtlichen Königsedikt. Vielleicht sind die vereinzelten apodiktischen Gesetze ü b e r h a u p t erst nachträglich aus anderen Quellen in die inoffiziellen Reditssammlungen übernommen worden. Zusammenfassend können wir also feststellen: 1. Die apodiktische Stilisierung der meisten P a r a g r a p h e n des 51
So Kraus a. a. O . S. 2 4 4 — 2 4 7 .
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Edikts des Königs Ammi-saduqa hängt mit dem mündlichen Proklamationsakt des Abgaben- und Schuldenerlasses zusammen. 2. Die Häufigkeit solcher Erlaßakte im altbabylonischen Rechtsleben läßt es als wahrscheinlich erscheinen, daß sich der König Ammi-saduqa, genauso wie andere altmesopotamische Könige, bei der mündlichen Bekanntgabe des Erlasses einer im öffentlichen Leben auch sonst üblichen Stilform bedient hat. Dabei wäre vor allem an die öffentliche Bekanntgabe von allerlei rechtlichen Willenserklärungen von Amtsträgern und Privatpersonen zu denken, wie z. B.: Die Ausrufung von amtlich festgesetzten Zins-, Lohn- und Preistarifen, die gelegentlich sogar in die Rechtsbücher aufgenommen wurden, so z. B. im Gesetz von Esnunna § 1—11 und im hethitischen Gesetz Tafel II § 63—70 3 2 . Die öffentliche Bekanntgabe von vermögensrechtlichen Verträgen, die später durch öffentliche Ausstellung schriftlicher Urkunden ersetzt wurde, ein Rechtsbrauch, der sowohl in Babylonien als auch in Israel praktiziert wurde, vgl. Jer. 32, 6—15 — Ackerkauf. Zu denken wäre schließlich auch an die Aussetzung von Finderbelohnungen für abhandengekommenes Gut u. ä. m. 32
Die oben genannten Preis- und Lohntarife sind folgendermaßen konstruiert: Im Gesetz von Esnunna § 1—2 „1 Kor Gerste (ist) 1 Schekel Silber (wert)" — 1 kür se' um a-na 1 siqil kaspim. Oder „2 Sea Gerste (sind) der Lohn eines Erntearbeiters" — 2 sät se' um idi essedim, so z.B. § 7 , 8, 11. Ähnlich in den hethitischen Gesetzen: „Der Preis eines Pflugrindes (ist) 12 Schekel Silber." — SA G U D . A P I N . LAL (12) G I N K U . BABBAR, so Tafel II § 63—70. Das ist die Form, in der Preise auf dem M a r k t ausgerufen zu werden pflegen. Diese Preis- und Lohntarife des Gesetzes von Esnunna und teilweise auch die der hethitischen Gesetze stammen also unmittelbar aus dem Alltagsleben. Davon unterscheiden sich deutlich die in konditionalen Gesetzesstil gekleideten Preis- und Lohnangaben des Kodex H a m m u r a b i § L—T, 215—240, 257 f., 261, 268—77. Als Beispiel sei zitiert § 257: „Wenn jemand einen Landarbeiter mietet, gibt er ihm 8 Gur Getreide im J a h r " — sum-ma a-wilum Ü R U i-gur 8-SE-GUR i-na M U - l - K A M i-na-ad-di-iS-sum. Audi in den hethitischen Gesetzen ist diese Formulierung vorhanden, Tafel II § 39—46, 62, z. B. § 40 „Wenn jemand ein Pflugrind mietet, (gibt er) f ü r 1 Monat 1 Schekel (Silber) — tak-ku G U D . A P I N . LAL ku-iä-ki (ku-us-sa-ni-iz-zi; A. N A ITU. 1. K A M 1 G I N . G I N (KU. BABBAR . . .).
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Erst jetzt, nachdem wir die Wurzel des apodiktischen Rechtsstils im altbabylonischen Rechtsleben freigelegt haben, können wir einen Vergleich mit den Entstehungsbedingungen u n d der Geschichte der entsprechenden Gattung in Israel durchführen. Ein unmittelbarer Vergleich der vorliegenden F o r m des Edikts mit den entsprechend stilisierten Rechtssammlungen des A T , etwa dem Bundesbuch, käme ja über die Feststellung der grundsätzlich gleichartigen konditional-apodiktischen Mischform nicht hinaus. Er könnte somit zur Erhellung ihres Zustandekommens nichts wesentliches beitragen. Ein solcher unmittelbarer Vergleich der ihrem ursprünglichen Sitz im Leben bereits entfremdeten u n d zur schriftlichen Liter a t u r gewordenen Spätformen wäre auch aus anderen, vor allem historischen und kulturgeschichtlichen G r ü n d e n f r a g w ü r d i g . Für die Vermutung einer literarischen Abhängigkeit der ältesten alttestamentlichen Gesetze von den altbabylonischen Edikten sind keine Anhaltspunkte vorhanden. Die Berechtigung des hier durchzuführenden Vergleichs kann nur mit der Analogie der Ursprungssituation der G a t t u n g der apodiktischen Rechtsproklamation legitim begründet werden, denn nur m dieser unter einfachen kulturellen Verhältnissen überall entstehenden Situation der öffentlichen Bekanntgabe von rechtlichen Willensäußerungen waren in Altmesopotamien wie in Israel annähernd die gleichen kulturgeschichtlichen und soziologischen Voraussetzungen gegeben. Solche Situation, wie wir sie für die altbabylonische Zeit a u f grund des Erlaßedikts erschlossen haben, spiegelt sich des öfteren in der erzählenden, seltener auch in der gesetzlichen Literatur des A T . Dabei wird die Verankerung der apodiktischen Form in der soeben geschilderten Situation deutlich sichtbar. In alten Erzählungen: 1 Sam. 30, 23—25 fällt D a v i d eine E n t scheidung über die unter seinen Soldaten umstrittene Frage nach der gerechten Beuteverteilung zwischen den unmittelbar an der Schlacht Beteiligten und den Troßhütern. Er p r ä g t dabei einen apodiktischen Rechtsspruch: „Wie der Anteil dessen, der in den K a m p f zieht, so auch der Anteil dessen, der beim T r o ß bleibt, zugleich sollen sie teilen." (v. 24 b D^sn- 1 ?» p^n?^ nianVaa T v n pVn? V^H! TV?!)- I m nächsten Vers stellt der Erzähler fest, d a ß dieser Spruch Davids „zur Satzung" ( b) u n d „zum Rechtsbrauch"
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( ü B ^ a V l ) in Israel wurde. H i e r können wir sogar den gleichen Überg a n g von einer einmaligen Ausnahmeregelung zu einer gesetzlichen D a u e r b e s t i m m u n g beobachten, dem wir bereits im altbabylonischen E d i k t begegnet sind (vgl. auch die ähnliche Regelung, aber unter rituellem Gesichtspunkt, N u m . 31, 25 ff.). In der d o p p e l t überlieferten kurzen N o t i z J o s . 15, 16 = R i . 1, 12 w i r d berichtet, daß K a l e b öffentlich b e k a n n t g i b t : „ W e r K i r j a t Sepher schlägt und es einnimmt, dem gebe ich meine Tochter Achsa zur F r a u . " (iV , rinji r m V l " i p o - n n p - n N n?'' "WS ). Ähnlich lautet in 1 S a m . 17, 25 b die Bekanntgabe S a u l s : „ D e r M a n n , der ihn schlägt, den wird der K ö n i g sehr reich machen und ihm seine Tochter geben . . . " C ? n s IBS? rj*?an u")®?: las: rwn). H i e r und in den folgenden Texten handelt es sich um einmalige, rechtlich bindende Willenserklärungen, eine A r t Preisaussetzung. 1 S a m . 1 8 , 2 5 — die Gefolgsleute S a u l s geben D a v i d den von Saul gewünschten Brautpreis für seine Tochter b e k a n n t :
„Keinen
Gefallen hat der K ö n i g an einem Brautpreis, außer an hundert Vorhäuten D^ ?? 1
der Philister . . . "
( rri1?-;» nijaa ^ i n b a rjba 1 ? y a n - y x
)• R i . 10, 18 — die Gileaditer sagen: „Wer ist der M a n n ,
der den K a m p f gegen die Ammoniter a u f n i m m t . E r soll zum H a u p t werden über alle Bewohner Gileads." ( r n a DnVnV Vir HPNSTKn tfíí'V? iT.ri?
). Genauso wie Ri. 10, 18 sind auch die Sätze stilisiert,
mit denen die Beamten (D , "5piy) die Freistellung bestimmter Personen v o m heiligen K r i e g bekanntgeben, D t . 20, 5 — 8 . H i e r handelt es sich, ähnlich wie in 1 S a m . 30, 2 3 — 2 5 , um Ausnahmebestimmungen und zugleich um f ü r die D a u e r gedachte Gesetze. D r o h e n d verbietenden C h a r a k t e r h a t der Warnspruch Sauls, den er z u s a m m e n mit den Teilen seiner zerstückelten R i n d e r in ganz Israel herumschickt, 1 S a m . 11, 7: „ W e r nicht hinter Saul auszieht, dessen Rindern wird man ebenso t u n . " ( " H n s X2F l y x ntor n s VlXff) Apodiktisch ist auch die Verfluchungsformel, mit der Saul seinem Heer ein Enthaltungsgelübde auferlegt, 1 S a m . 14, 2 4 : „Verflucht der M a n n , der etwas essen wird bis zum A b e n d . " a n y r n v an!? V d ^ - " ) ? ^
ttTNn
). Zu dieser G r u p p e der warnend
verbietenden apodiktischen Rechtsverlautbarungen
gehört
auch
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der gegen den Verweigerer der Leviratsehe gerichtete Spruch, D t . 2 5 , 9 b : „So soll man dem Mann tun, der das Haus seines Bruders 1 1 1 1 nicht b a u t . " (\r n.xT r v a.. - n x. .nin" s ) Allerdings° ist . . . . . -N ? -IEN®" ... - . «' ?Tnfcjr VT" n oTT die F o r m durch die Voranstellung des V e r b u m s syntaktisch variiert.
Auch noch in jungen erzählenden T e x t e n wird der Z u s a m m e n hang zwischen der apodiktischen R e c h t s f o r m und der Situation der mündlichen B e k a n n t g a b e rechtlicher V e r l a u t b a r u n g e n g e w a h r t : Laut N e h . 5, 1 — 1 7 führt N e h e m i a in J e r u s a l e m und J u d a eine ä h n liche M a ß n a h m e
durch, wie wir sie aus dem
altbabylonischen
Rechtsleben kennen — einen einmaligen Schuldenerlaß. D a z u ruft er die V e r m ö g e n d e n J u d a s zusammen und verpflichtet sie auf der Stelle durch einen förmlichen A k t der Selbstverfluchung. E i n e die symbolische H a n d l u n g des Ausschütteins des O b e r g e w a n d e s
be-
gleitende Fluchformel ist wieder apodiktisch, aber durch die V o r anstellung des Zeitwortes abgewandelt. Sie lautet (v. 1 3 a ) :
„So
schüttele G o t t jedermann, der dieses W o r t nicht h ä l t , aus seinem Haus und aus seinem Besitz, so soll er ausgeschüttelt und leer sein." (rwn - m r r n ^ D , p.;-s l ? "itfs
tf-wn-Vs-ns
DTiVK.n - i » r n s s ) . D e r apo-
diktische C h a r a k t e r der Verpflichtungsformel, die der K ö n i g Zedekia und die Bürger Jerusalems anläßlich ihres Bundesschlusses sprechen, ist weniger deutlich erkennbar, weil diese F o r m e l eng mit der E r z ä h l u n g verwoben ist, J e r . 3 4 , 9 ( =
1 0 ) : „ . . . freizulassen ein
jeder seinen Sklaven und seine Sklavin . . . , damit in J u d a nicht mehr
ein
Bruder
dem
anderen
diene."
(B^NI n a s T g t & K nVtP1?
o r ? 9 n . . . i n n s » - n * < ) . Eindeutig apodiktisch ist der Stil der königlichen P r o k l a m a t i o n e n , D a n . 5, 7 : „Jeder, der diese Schrift lesen k a n n und mir ihre Deutung kundgibt, soll mit P u r p u r bekleidet
werden."
( tfaV K i i n « -uirT m t f s i n n nana n - i p - 7 tfJK-Vs ).7 D a n . 6, 8 . 1 3 : V - : * TT: : • - • - : • T : TT: "I :• • TV: T ' 1
, v
„Jeder, der etwas von einem G o t t oder Menschen erbittet . . . , soll in die Löwengrube geworfen werden." ( n ^ N - V s - ] » 1S73 n»a , ."" , ' : [- l ?3 Nrnnx ai 1 ?
Esra 6, 1 1 : „Jeder, der diesen E r l a ß über-
tritt, ein B a l k e n soll aus seinem Haus gerissen und er gepfählt daran gehängt "'ü/'S
werden."
(
Plir? - ]!? 5?x no?n? n n x a j n ?
"H
tf^rbs
Tp.V )• Esther 6, 9 b: „So geschieht dem M a n n , dem der
K ö n i g E h r e erweisen möchte." ( n p / a f ö n •qVan "itfN B^X1? n»»2 D i e Entstehung apodiktischer Rechtssätze aus einmaligen Entschei-
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Hentschke
düngen von konkreten Rechtsfällen ist im A T nicht allein für den profanen (1 Sam. 30, 23—25), sondern auch für den sakralen Bereich belegt. Jos. 7, 15 wird im Rahmen einer Gottesrede, die sich zunächst mit dem Bannfrevel Achans befaßt, folgender apodiktischer Rechtssatz von allgemeiner Geltung mitgeteilt: „Wer mit dem Banngut angetroffen wird, mit Feuer soll man ihn und alles, was ihm gehört, verbrennen." ( "Vs-nXI in« tfN3 T^fer D"m3 "TS^n )• Ähnlich ist die in Lev. 24, 16, N u m . 15, 35 und Num. 36, 7 vorausgesetzte Lage, in der apodiktische Rechtssätze proklamiert werden: Lev. 24, 16: „Wer den N a m e n Jahwes verflucht, soll unbedingt getötet werden." ( nöV rri» niiT-Q?* 3pi1). Num. 15, 35: „Unbedingt soll der Mann getötet werden . . . " (IT'Xn nDV niö). Num. 36, 7: „Nicht soll übergehen der Erbbesitz der Israeliten von Stamm zu Stamm, sondern am Erbbesitz des Stammes seiner Väter soll jeder von den Israeliten hängen." (VlOtP rn 1 ? nVni 3Ön «Vi Vio®'' 113 i p a T TToi? nea nVnn ETK ^ n e a - b x noaa). Zusammenfassend können wir nun feststellen: Durch eine ganz stattliche Reihe von erzählenden und gesetzlichen Texten des AT, deren Entstehungszeit sich von der frühen Königszeit bis Daniel erstreckt, wurde bestätigt, was wir aufgrund der altbabylonischen Rechtsquellen, vor allem aufgrund des Erlaßedikts des Königs Ammi-saduqa, über die Situation der mündlichen Bekanntgabe rechtlicher Willenserklärungen ermitteln konnten. 1. Es gab im altbabylonischen wie im israelitischen Rechtsleben eine oft wiederkehrende typische Situation, in der ein König, Heerführer, wohl auch ein Priester, oder eine andere Amtsperson, aber auch ein Privatmann rechtliche Willenserklärungen vor der Öffentlichkeit abgab. 2. Zu dieser Situation gehört eine bestimmte Form des Rechtssatzes oder Rechtsspruches. Die syntaktische Konstruktion solcher mündlichen Rechtsverlautbarungen ist zwar nicht ganz einheitlich, aber doch konstant genug, um eine typische, ziemlich fest stehende Form erkennen zu lassen. Konstant ist vor allem die Stilisierung in der 3. Pers. sg. oder plur. Sie hängt mit dem Öffentlichkeitscharakter solcher Rechtserklärungen zusammen. Der Redner wendet sich an ein breites Publikum, unter dem sich die Personen be-
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finden, die er zu etwas a u f f o r d e r n oder verpflichten will. Dagegen spielt das anwesende Publikum in seiner Gesamtheit nur die Rolle des Zeugen. Letztlich geht diese Form der öffentlichen Rechtsproklamation wohl auf den indirekten Befehlssatz zurück, der an unbekannte oder abwesende Personen gerichtet ist. 3. Die Form dieser öffentlichen Rechtsverlautbarung unterscheidet sich jedenfalls sehr deutlich von dem konditionalen Gesetzesstil. Sie unterscheidet sich von ihm vor allem durch das Fehlen des konditionalen Vordersatzes und durch das geringe Interesse an der ausdrücklichen und exakten Strafbestimmung, die in der öffentlichen Rechtserklärung oft gar nicht enthalten ist. Das liegt in der N a t u r der Sache, denn die f ü r die breite Öffentlichkeit bestimmte Rechtsverlautbarung ist in erster Linie an einer positiven Regelung bestimmter Rechtsverhältnisse interessiert und nicht an einer Bestrafung des Rechtsbrechers. Sie ist eben f ü r den Laien bestimmt, dem sie rechtliche Verhaltensanweisungen gibt, und nicht f ü r den Richter, dem es vor allem auf die Rechtsfolgen im Fall der Z e r r ü t t u n g der bestehenden Rechtsverhältnisse a n k o m m t . Diese Form ist wegen ihrer Verankerung in der Situation der mündlichen Bekanntgabe von rechtlichen Willenserklärungen als volkstümlich zu bezeichnen und wegen ihres anordnenden C h a r a k t e r s als apodiktisch. Für die Beurteilung der H e r k u n f t und der Eigenart der sogenannten Partizipial- und Relativsatzkonstruktionen, von denen wir hier ausgegangen sind, scheinen sich mir folgende Konsequenzen zu ergeben: 1. Ihre Form besagt nichts über ihre historische H e r k u n f t , etwa aus der nomadischen Vorzeit Israels. Sie hängt vielmehr mit einer bestimmten Situation des Rechtslebens zusammen, die unter den gleichen kulturellen Bedingungen jederzeit und überall aktuell w a r oder werden konnte, in Altmesopotamien genausogut wie in Israel. Die bekannten rechtshistorischen Folgerungen Alts sind also m. E. nicht mehr h a l t b a r . Der von Alt allerdings richtig erkannte D u a lismus der beiden Rechtsformen, der konditionalen und der apodiktischen, ist rein funktionsmäßig, d. h. durch die Situation ihrer V e r w e n d u n g bedingt. Diese Form ist nicht an bestimmte Rechtsstoffe gebunden.
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2. Diese Form bietet auch keinen Hinweis auf kultische H e r kunft und Verankerung der betreffenden Gesetze, denn die mündliche Bekanntgabe rechtlicher Entscheidungen konnte natürlich im kultischen wie im bürgerlichen R a u m geschehen. D a r ü b e r k a n n man nur im konkreten Fall vom Inhalt her entschieden. Da einige alttestamentliche Texte wie Jos. 7, 15; D t . 20, 5—8; Lev. 24, 16; N u m . 15, 35 und 36, 7 eindeutig zeigen, d a ß der volkstümlich-apodiktische Rechtsspruch nicht nur im p r o f a n e n , sondern auch im kultischen Rechtsleben verwendet wurde, k a n n m a n mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit annehmen, d a ß er hier zu dem weiteren Bereich der Tora, d. h. der kultrechtlichen Belehrung des Laien durch den Priester, gehörte. In diese Richtung weisen die ebenso stilisierten A u f z ä h l u n g e n der H a u p t f o r d e r u n g e n Jahwes in Ps. 15, 2.5 b; 24, 4 a; Jes. 33, 14 f. (Partizipialformulierungen), Mi. 6, 8 b (Infinitive, vgl. auch Hos. 4, 2 und Jer. 7, 9) und Ez. 18, 5—9 (uneinheitlich). Diese von K. Koch in der von Rad-Festschrift (Studien zur Theologie der alttestamentlichen Uberlieferungen 1961, S. 50 Anm. 14) ausgesprochene V e r m u t u n g w ä r e damit bestätigt. Die priesterliche Tora hätte dann u. a. auch eine im bürgerlichen Rechtsleben übliche G a t t u n g aufgenommen. 3. Bei der Behandlung der neu zu untersuchenden Frage nach dem Verhältnis des volkstümlich-apodiktischen Rechtsspruches zu den als direkte Anrede stilisierten Verhaltens- und Lebensregeln, von denen hier zu A n f a n g k u r z die Rede w a r , ist meines Erachtens folgendes zu beachten. I m ersten Fall handelt es sich um wirkliches Recht, sowohl dem I n h a l t als auch der Form nach. Auch wenn in den betreffenden Rechtssprüchen oft keine ausdrückliche Angabe der Rechtsfolgen im Fall der Nichtbeachtung enthalten ist, so implizieren diese Rechtssprüche doch immer ganz unmittelbare Rechtsfolgen positiver wie negativer A r t . D a s ist bei den in direkter A n redeform stilisierten Lebensregeln weithin nicht der Fall. Außerdem deutet die unpersönliche Stilisierung des volkstümlich-apodiktischen Rechtsspruches darauf hin, d a ß hier nicht ein schon bestehendes Gemeinschaftsverhältnis vorausgesetzt wird, auf das hin der Einzelne bzw. das Kollektivum angesprochen werden kann. Das geschieht vermittels der persönlichen Anrede in den Lebensund Verhaltensregeln. D e r volkstümlich-apodiktische Rechtsspruch
Zur israelitischen Rechtsgeschichte
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hingegen w e n d e t sich an einen potentiellen Rechtspartner, der erst unter den im Rechtsspruch genannten Voraussetzungen zu einem bestimmten H a n d e l n verpflichtet wird, oder anders gesagt, er w i l l nicht eine bereits bestehende Rechtssitte schützen und erhalten, sondern neues, positives Recht setzen. 4. Das V e r h ä l t n i s z u m konditionalen Rechtsstil k a n n nicht mit H . Gese 33 so bestimmt werden, d a ß die P a r t i z i p i a l - und R e l a t i v s a t z k o n s t r u k t i o n als eine v e r h ä l t n i s m ä ß i g späte, j e d e n f a l l s formgeschichtlich gesehen sekundäre, v e r k ü r z e n d e N a c h a h m u n g der k o n d i t i o n a l e n S a t z p e r i o d e beurteilt w i r d . Dagegen spricht schon die vielfach zu beobachtende Tendenz der Formgeschichte zu einer allmählichen Zerdehnung, nicht aber zur K o m p r i m i e r u n g der Gattungen. Dagegen spricht aber noch entschiedener die gleichzeitige V e r w e n d u n g des apodiktischen und des konditionalen Rechtsstils in altbabylonischer Zeit. Die Ausbildung und V e r w e n d u n g der beiden Rechtsformen ist also nicht das Ergebnis einer formgeschichtlichen E n t w i c k l u n g , sondern hängt mit ihren verschiedenartigen Funktionen im Rechtsleben zusammen. W ä h r e n d die mündliche Bek a n n t g a b e von rechtlichen Sachverhalten n a t u r g e m ä ß die a p o d i k tische Spruchform bevorzugt, weil sie zum Ausrufen besser geeignet ist (der M a n n , der . . . ! J e d e r m a n n . . . ! ) , bedient sich die streng juristische Rechtskodifikation mit Vorliebe der konditionalen Satzperiode, vermutlich, weil diese die Möglichkeit bot, die Beschreibung des Rechtsfalles durch den Vordersatz von der A n g a b e der Rechtsfolgen im N a c h s a t z deutlicher abzugrenzen. A u ß e r d e m erleichterte die k o n d i t i o n a l e S a t z k o n s t r u k t i o n die zur Subsummierung
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a. a. O. Sp. 148 (s. A n m . 5). Dieser Einwand ist aus anderen G r ü n d e n schon von Gerstenberger a. a. O. S. 1 3 3 A n m . 16 gegen Gese erhoben worden. Die v o n Gerstenberger a. a. O. S. 34 aufgestellte Hypothese über eine formgeschichtliche Entwicklung v o m einfachen Partizipialsatz über R e l a t i v s a t z k o n struktion bis zum Konditionalsatzgefüge stützt sich auf die grundsätzlich w o h l richtige Annahme, daß die einfachen, der gesprochenen Rede gemäßen Formen älter sind als die rein literarischen Stilformen. Jedoch ist das A u f kommen des konditionalen Rechtsstils f ü r uns historisch nicht greifbar, denn bereits im altmesopotamischen Recht tritt er fertig ausgebildet in Erscheinung. Er hat den apodiktischen Stil niemals völlig verdrängt, selbst nicht aus dem kodifizierten Recht. Zur U m f o r m u n g der Lebensregeln und konditionalen Gesetze in apodiktische Rechtssätze s. Fohrer a. a. O. S. 7 2 f.
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mehrerer gleichartiger Fälle in einer Satzperiode. Allerdings darf m a n diesen Unterschied zwischen der apodiktischen und konditionalen F o r m nicht überschätzen, denn auch die apodiktische R e l a t i v s a t z k o n s t r u k t i o n bietet ähnliche Möglichkeiten zur Unterbringung mehrerer Fälle in einer Protasis. Diese Möglichkeit wird im 7./6. J h . in den neubabylonischen Gesetzen und den etwa gleichzeitigen Gesetzen der Priesterschrift reichlich wahrgenommen. Es scheint also eine allmähliche Angleichung der beiden Rechtsformen stattgefunden zu haben. Letztlich wird es sich bei der konditionalen Stilisierung um eine im intern juristischen Sprachgebrauch herausgebildete und verfestigte stilistische Gewohnheit handeln, vielleicht nur um sich v o m volkstümlichen Sprachgebrauch zu unterscheiden. Jedenfalls stellt die fast durchgehend konditionale Stilisierung der altorientalischen Rechtsbücher das Ergebnis einer rein literarischen vereinheitlichenden Überarbeitung älteren Gewohnheitsrechts dar, dessen Formen sicher vielfältiger waren. V o n daher gesehen liegt es nahe, das Nebeneinander der apodiktischen und konditionalen Rechtsform im A T auf eine ähnliche literarisch-juristische Ü b e r a r beitung zurückzuführen. Jedoch kann dieser Frage hier nicht weiter nachgegangen werden. Ich möchte meine E r w ä g u n g e n zur israelitischen Rechtsgeschichte mit einer W a r n u n g vor einer kurzschlüssigen theologischen Auswertung der rechtsgeschichtlichen Ergebnisse und H y p o t h e s e n Alts schließen. D i e von ihm getroffene H e r k u n f t s b e s t i m m u n g aus dem israelitischen K u l t u s und möglicherweise aus der nomadischen V o r zeit Israels w a r rein historisch gemeint. D i e Bezeichnung des a p o diktischen Rechts als „genuin-israelitisch" oder „ v o l k s g e b u n d e n israelitisch und gottgebunden jahwistisch" bedeutete f ü r A l t nicht mehr, als daß das israelitische Recht von der Eigenart des israelitischen V o l k s t u m s , w o z u natürlich auch die B i n d u n g an J a h w e gehörte, aufs stärkste geprägt, ja, von ihm hervorgebracht war 3 4 . E s bedeutet ein arges Mißverständnis, wenn m a n dieses rein historisch gemeinte Urteil im offenbarungspositivistischen Sinn interpretiert, so als hätte m a n es beim apodiktischen Recht mit dem U r g e -
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Näheres darüber s. Gerstenberger a. a. O. S. 23—28.
Z u r israelitischen
Rechtsgesdiidite
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stein der O f f e n b a r u n g , mit Gottesrecht schlechthin zu tun. D i e rechtsgeschichtliche Forschung seit Alt zeigt immer deutlicher, daß es sich bei dem von ihm als apodiktisch bezeichneten Recht um keine einheitliche G r ö ß e handelt. Infolgedessen kann für sie heute keine einheitliche H e r k u n f t mehr postuliert werden.
VERSUCH EINER DEZIMALEN KLASSIFIKATION FÜR DAS FACHGEBIET THEOLOGIE I V o n JÜRGEN HEYDRICH
Was ist eine dezimale K l a s s i f i k a t i o n ? U m auf diese F r a g e eine A n t w o r t zu finden, w i r d zunächst auf die international verbreitete „ D e z i m a l - K l a s s i f i k a t i o n " 1 hinzuweisen sein. Dieser eindrückliche Versuch, das Gesamtgebiet der Wissenschaften in ein allgemein verständliches, aber auch möglichst allgemein benutztes System zu bringen, hat seinen Niederschlag im deutschen Sprachbereich in den v o m Deutschen Normenausschuß herausgegebenen Ausgaben der D K gefunden 2 . Diese K l a s s i f i k a t i o n ist für Bibliotheken, Forschungseinrichtungen, Dokumentationsdienste, sowie das wissenschaftliche Verlagswesen bestimmt, aber auch für den einzelnen Wissenschaftler, dem an einer Rationalisierung seiner Arbeit gelegen ist. Sie stellt den bisher umfassendsten Versuch eines fein gegliederten Systems von Zahlen dar, indem sie alle v o r k o m m e n d e n termini technici jedes Fachgebietes geordnet a u f f ü h r e n will. Die Idee der D K ist darin zu suchen, d a ß ihr Benutzer an jedem beliebigen O r t , in jeder beliebigen Sprache Bücher und D o k u m e n t e in gleicher Weise und an gleicher Stelle finden und wiederfinden k a n n . D a s G r u n d p r i n z i p der D K , d a m i t auch jeder dezimalen K l a s s i fikation, läßt sich aus ihrer Namensbezeichnung ableiten. D a s Eigentümliche einer D e z i m a l z a h l in der M a t h e m a t i k besteht darin, daß ihr Wert nur u m weniger als eins wächst, selbst, wenn die A n z a h l der Dezimalstellen beliebig vergrößert wird. Ein Beispiel:
1 2
abgekürzt D K Dezimalklassifikation. Deutsche Ges.-Ausg. Bearb. vom Deutschen Normenausschuß. 3. internationale Ausg. d. Dezimal-Klassifikation. L f g . 1—10. — Berlin, K ö l n : Beuth-Vertrieb 1934—1953. Dezimal-Klassifikation. Deutsche Kurzausgabe. Bearb. vom Deutschen N o r menausschuß. 3. vollst. Überarb. A u f l . — Berlin, K ö l n : Beuth-Vertrieb 1955.
Versuch einer dezimalen Klassifikation für T h e o l o g i e I
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Die Zahl 111 ist mehr als zehn mal so groß wie die Zahl 11; die Dezimalzahl 0,111 hingegen ist nur um 1/100 größer als die Dezimalzahl 0,11. Eine 3. Dezimale 0,001 ist also lediglich eine geringwertige Ausweitung der 2. Dezimale 0,01, sowie der 1. Dezimale 0,1. Die 1. und 2. Dezimale determieren also die 3. und alle folgenden Dezimalen dergestalt, d a ß sich die Wertigkeit des Ganzen im R a h m e n der 1., nachher der folgenden Dezimalen hält. Es ist aber unmöglich, den C h a r a k t e r der 1. Dezimale, nachher der folgenden, entscheidend dadurch zu verändern, d a ß m a n weitere Ziffern an das Ende der gesamten Dezimalzahl a n f ü g t . Was bedeutet das f ü r eine dezimale Klassifikation? Bei der Schaffung einer Systematik, die zur O r d n u n g und Auswertung von Büchern einer Bibliothek angelegt wird, ist bei der Benutzung solcher Dezimalzahlen eine außergewöhnliche Flexibilität der Systematik gegeben. Die V e r w e n d u n g von Dezimalzahlen stellt sicher, d a ß zu jeder Zeit, an jeder beliebigen Stelle der Systematik Erweiterungen vorgenommen werden können, die das G a n z e nicht angreifen, aber der sich fortschreitend differenzierenden Terminologie a n g e p a ß t werden können. D a die ersten Dezimalen alle übrigen in ihrem maßgeblichen Wert determinieren, k a n n die Anzahl dieser übrigen, determinierten Dezimalen in der Theorie beliebig groß angesetzt werden. Wiederum ein Beispiel: Die D K hat f ü r das Fachgebiet Religion und Theologie eine 1. Dezimale, nämlich die Ziffer 2 vorgesehen. Die theologische H a u p t a b t e i l u n g „22 Bibel" ist ihrerseits nur eine Untergruppe der H a u p t a b t e i l u n g 2. D e r Stellenwert von 2 wird durch den Zusatz der 2. Dezimale grundsätzlich nicht verändert. Wiederum bringt die Gruppenbezeichnung der D K „221 Altes Testament" nur eine weitere Differenzierung der Hauptabteilungen 2 bzw. 22, nicht aber eine V e r ä n d e r u n g des Wertes derselben 3 . Nach diesen einführenden Überlegungen zu einer dezimalen s
D i e vor D e z i m a l z a h l e n gesetzte Ziffer „0," w i r d hier selbstverständlich fortgelassen, sie sollte aber stets in Gedanken mitgelesen werden. Daraus folgt, d a ß die oben genannten D e z i m a l z a h l e n 22 nicht „zweiundzwanzig", sondern „zwei zwei", sowie 221 nicht „zweihunderteinundzwanzig", sondern „zwei z w e i eins" zu lesen sind.
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Klassifikation wenden wir uns der Frage einer Benutzbarkeit der D K f ü r die Zwecke der evangelischen Theologie zu 4 . Aus dem bisher Gesagten ist deutlich geworden, d a ß es begrüßt werden müßte, wenn die international gebräuchliche D K auch in deutschen evangelisch-theologischen Bibliothekssystemen Berücksichtigung fände. Dies erscheint aber nur möglich, wenn die D K zumindest bis zu ihrer 3. Dezimale keine theologischen Anstände darbietet. Zunächst m u ß darauf hingewiesen werden, d a ß ein solches Ordnungssystem nicht mit einem philosophischen System der Wissenschaften gleichgesetzt werden kann. Die Form einer solchen Systematik folgt vielmehr aus ihrer Zweckbestimmung. Sie wird geschaffen, damit ihr Benutzer sich so schnell u n d so sicher wie möglich auf rationelle Weise Auskunft holen k a n n , welche Titel von Büchern und Dokumenten zu einer wissenschaftlichen Spezialfrage in der betreffenden Bibliothek, einem Dokumentationsdienst, oder einer entsprechend wissenschaftlichen Sammlung vorhanden sind. D a r a u s folgt nicht, daß die Terminologie des betreffenden Fachgebietes f ü r diese Systematik nicht v e r w a n d t werden soll; die Sprache der Wissenschaft ist vielmehr Bestandteil der Systematik. Bereits vorhandene Begriffe müssen in die Systematik eingebaut, neu geprägte Termini alsbald aufgenommen und eingeordnet werden. In der A r t und Weise dieser O r d n u n g findet sich der grundsätzliche Unterschied zwischen einem philosophisch entwickelten System der betreffenden Wissenschaft und einer Systematik, die dieselbe Wissenschaft f ü r ihre ganz bestimmten und begrenzten Zwecke klassifiziert und damit erschließt 5 . Vielleicht k a n n m a n eine solche Klassifikation pragmatisch nennen. Sie ist nur von ihrem Zwecke, der Praxis, her zu verstehen. Für unser Beispiel ergibt sich daraus, d a ß weder f ü r die H a u p t a b t e i l u n g 2 der D K , noch f ü r eine andere 4
Als Informationsschrift über die D K , insbesondere auch über ihr System v o n Hilfszeichen und Anhängezahlen wird auf Fill, Karl: Einführung in das Wesen der Dezimal-Klassifikation. 2. erg. A u f l . — Berlin, Köln, Frankfurt ( M > : Beuth-Vertrieb 1960 hingewiesen. 5 Zu dieser Frage: Fuchs, Wilhelm: Zur Theorie und Praxis des Realkatalogs. — G ö t t i n g e n : Häntzsdiel 1941 — [ 4 6 ] . (Hainbergschriften. 9.)
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Klassifikation zum Fachgebiet Theologie verlangt werden d a r f , d a ß dieselbe eine Enzyklopädie der Theologie 6 darstellt. Das würde auch k a u m zweckmäßig sein, da die tatsächlich vorhandenen Bücher und D o k u m e n t e einer solchen Gliederung nur mit Zwang zu unterwerfen wären. Dennoch m u ß verlangt werden, d a ß zumindest die Hauptdisziplinen der Theologie und ihre gebräuchlichen Fachausdrücke in der richtigen N o m e n k l a t u r v e r w a n d t werden. Leider gilt das — zumindest aus der Sicht der evangelischen Theologie heraus — bei der H a u p t a b t e i l u n g 2 der D K nicht einmal f ü r deren 2. Dezimale. Als Beispiele nenne ich folgende: Die Gruppe 2 der D K beginnt mit 21 Natürliche Theologie. Auch unter Berücksichtigung des bisher Gesagten k a n n es für eine evangelisch-theologische Klassifikation k a u m möglich sein, eine O r d n u n g des Fachgebietes mit der Natürlichen Theologie zu beginnen und diese dadurch zur Grundlage des Ganzen zu machen. Einige weitere Hauptabteilungen der D K lauten 23 Dogmatik 24 Praktische Theologie 25 Pastoraltheologie 26 Christliche Kirche. In diesen G r u p p e n finden wir verstreut die evangelisch-theologischen Hauptdisziplinen der Systematischen und Praktischen Theologie. Während sich die Dogmatik bei D K 23 anfindet, wird die Ethik unter „ D K 24 Praktische Theologie", neben solchen G r u p pen, wie „ D K 242 Erbauungsschriften" und „ D K 246 Christliche Kunst und Symbolik" eingeordnet. Die letzteren sind auch nach evangelischem Verständnis G r u p p e n der Praktischen Theologie 7 .
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Gemeint ist eine theologische Enzyklopädie, d. h. ein systematisch- theologisches Gerüst, wie es in Schleiermachers Enzyklopädie zu finden ist: Schleiermacher, Friedrich: Kurze Darstellung des theologischen Studiums. Krit. Ausg. von Heinrich Scholz. — Leipzig: D e i c h e n 1935. D i e Bezeichnung „Symbolik" bei D K 246 meint religiöse Symbole im landläufigen Sinne, nicht aber den theologischen Begriff der Symbolik, den man heute vielerorts durch den Begriff der Konfessionskunde ersetzt findet. A n völlig anderer Stelle, nämlich unter „ D K 264 Gottesdienst" soll man, wie es in einer Verweisung bei D K 246.6 heißt, die „Symbolik bestimmter Zeremonien oder Gegenstände" suchen.
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Die christliche Ethik hingegen — weitgehend identisch mit „ D K 241 Moraltheologie" — stellen wir entweder mit Karl Barth zur Systematischen Theologie oder aber behandeln sie selbständig. Keinesfalls aber können wir sie zur Praktischen Theologie rechnen. Die einzelnen Teilgebiete der Praktischen Theologie betrachten wir als eng zusammengehörig. Daher ist es für uns wohl nicht möglich, die Homiletik und Poimenik als D K 2 5 1 / 2 5 2 und D K 253 in einer anderen Hauptabteilung als praktisch-theologische Gruppen unterzubringen, die bei D K 24 stehen. Die Liturgik schließlich findet sich unter D K 264, also wiederum in einer anderen Hauptabteilung. Diese Beispiele aus D K 2 bieten bedauerlicherweise nur einen kleinen Teil der Anstände, die man als evangelischer Theologe gegenüber der D K erheben muß. Nur wenige der 3. Dezimalen sind ohne weiteres zu übernehmen, viele nur unter erheblichen V e r änderungen, ein nicht geringer Teil aber ganz und gar nicht, wie das Beispiel der Praktischen Theologie gezeigt hat. Dies Dilemma hat dazu geführt, daß bis heute keine deutsche Bibliothek mit größeren evangelisch-theologischen Buchbeständen für diese die D K übernommen hat. Das liegt keineswegs nur daran, daß die Bibliotheken ihre Systematik oftmals schon vor langer Zeit angelegt haben und jetzt nicht mehr ohne weiteres verändern können. Die Bibliothek der Kirchlichen Hochschule Berlin wurde erst nach Ende des zweiten Weltkrieges gegründet. Deshalb bestand hier die Möglichkeit, eine Systematik einzurichten, ohne dabei auf bereits vorhandene Buchbestände Rücksicht nehmen zu müssen. Nachdem im ersten Jahrzehnt der Bibliothek eine weitmaschig angelegte, standortgebundene 8 Systematik entwickelt worden war, stellte es sich vor einigen Jahren mit dem Einzug der Bibliothek
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U n t e r „standortgebunden" versteht man eine Aufstellung von Büchern und Dokumenten in genau der gleichen Reihenfolge und O r d n u n g der Systematik; die Aufstellung nach einem beliebigen Prinzip — z. B . nach dem F o r m a t oder nach dem sog. numerus currens, d. h. nach der Reihenfolge des Bucheinganges — nennt m a n „standortfrei". In der standortfreien Systematik kann die A n z a h l der für einen Titel gegebenen Systemstellen beliebig g r o ß sein, was einen erheblichen Vorteil darstellt.
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in ihr neues Gebäude und der Schaffung von zur Bibliothek gehörigen Seminarbibliotheken heraus", daß eine Standortbindung der Systematik nicht mehr möglich war. Die bisherige Systematik konnte Literatur zu neuen Fragen innerhalb der Theologie nur noch provisorisch aufnehmen, andererseits war sie in einigen Gruppen zu fein gegliedert. So ergab sich die Möglichkeit und Notwendigkeit eines nochmaligen Neuanfanges. Für den älteren Buchbestand blieb der bisherige Systematische K a t a l o g als Standortkatalog bestehen. Seine Zettel werden aber im L a u f e der Zeit in den neuen Systematischen Benutzerkatalog mit H i l f e der xerografischen Vervielfältigung von Katalogkarten eingefügt. Es wurde eine standortfreie 8 dezimale Klassifikation entwickelt 10 , nachdem es sich herausgestellt hatte, daß die D K für die Zwecke einer größeren evangelisch-theologischen Fachbibliothek 11 nicht verwendbar war. Einer dezimalen Klassifikation wurde anstelle einer landläufigen Bibliotheks-Systematik wegen der oben geschilderten grundsätzlichen Vorzüge einer solchen Klassifikation der Vorzug gegeben. Diese Klassifikation erhebt nicht den Anspruch, für eine Universalbibliothek ohne weiteres benutzbar zu sein. Deshalb wurden der größte Teil der zur Verfügung stehenden 1. Dezimalen für die theologischen Hauptdisziplinen verwandt und nur wenige Hauptabteilungen für alles übrige vorgesehen 12 . » Dazu: Heydridi, Jürgen: Ein zukunftweisender Bibliotheksbau. In: Festschrift für Friedrich Smend zum 70. Geburtstag. — Berlin: Merseburger (1963), S. 66— 68. 4 S. Abb. 10 Hierzu bereits in meinem Aufsatz im letzten Band des Jahrbuches: Heydrich, Jürgen: Ein neuer Bibliothekstyp. In: Theologia Viatorum. 9. — Berlin: de Gruyter 1964, S. 93, Anm. 6. Folgende Herren beteiligten sich bisher liebenswürdigerweise für ihr Fachgebiet an einer kritischen Durchsicht des von mir vorgelegten Entwurfes: Die Professoren Friedridi Smend (Allgemeine Hinweise), Fritz Maass, Rolf Rendtorff (AT), Günther Härder, Ulrich Wildkens ( N T ) , Walter Delius, Walter Dress, K a r l Kupisdi (Kirchengeschichte). 11 Seit Erscheinen des letzten Jahrbuches hat sich die Bibliothek auf ca. 115 000 Bände vergrößert. 1 2 Soll der vorliegende Versuch als Teil einer allgemeinen Klassifikation verwandt werden, kann das durdi Vorschaltung einer weiteren Dezimale geschehen.
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Danach werden die H a u p t a b t e i l u n g e n folgendermaßen bezeichnet: 1 Allgemeine Abteilung 19 Bibliothekswissenschaft 2 Allgemeine Theologie 29 Bibel im G a n z e n 3 Altes Testament 4 Neues Testament 5 Kirchengeschichte 57 Regionale Kirchengeschichte 59 Das J u d e n t u m in Geschichte und Gegenwart 6 Systematische Theologie 7 Praktische Theologie 77 O e k u m e n i k 78 Missionswissenschaft 79 Kirchenrecht 8 Geisteswissenschaften 9 Sozialwissenschaften. Naturwissenschaften Es fällt auf, daß einige Hauptabteilungen bereits aus zwei Dezimalen bestehen. H i e r handelt es sich um Disziplinen, die mehr oder weniger Teil des benachbarten Faches sind. So nimmt 29 die Literatur zur Bibel im Ganzen auf. Dazu gehören Titel, die zum Beispiel als populäre Einführungen genauso gut Teil von „2 Allgemeine Theologie", wie der unmittelbar darauf folgenden Hauptabteilungen „3 Altes Testament 4 Neues Testament" sind. Die H a u p t a b t e i l u n g „59 D a s J u d e n t u m in Geschichte und Gegenw a r t " ist völlig selbständig. Dennoch wird durch die Determinante 5 darauf hingewiesen, d a ß die Geschichte des Judentums nicht ohne Berücksichtigung der Geschichte der christlichen Kirche (5) verstanden werden k a n n . Wie bereits im letzten Jahrbuch angekündigt, wird im folgenden der erste Teil eines Versuches einer dezimalen Klassifikation f ü r das Fachgebiet Theologie vorgelegt. Zunächst werden die H a u p t abteilungen 1—59 veröffentlicht. Später sollen 6 — 9 folgen. Als dritter Teil ist die Veröffentlichung eines Schlagwortregisters geplant. Eine derartige Klassifikation ist auf die D a u e r nicht brauchbar ohne die Schaffung eines Registers, das die gesamte Klassifi-
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kation in ein A l p h a b e t der Schlagworte ordnet und darüber hinaus eine möglichst große A n z a h l weiterer Schlagworte des betreifenden Fachgebietes enthält. D a s Register wird also mit neu klassifizierten Titeln, die neue Schlagworte bringen, wachsen und grundsätzlich nie „ f e r t i g " werden. E i n solcher Wegweiser in die K l a s s i fikation ist gleichzeitig ihr K o r r e k t i v . Ohne ihn bilden sich schnell sogenannte „ N e s t e r " , geheime Untergruppen, die m a n an falscher Stelle einklassifiziert hat. D i e vorgelegte Klassifikation soll hier nicht im einzelnen k o m mentiert werden. D e r Fachmann wird ihre Schwächen und möglichen V o r z ü g e auch ohnedies erkennen. Ein Benutzer der K l a s s i fikation wird bei ihrem Gebrauch seine E r f a h r u n g e n machen. E s sei lediglich ein Hinweis d a r a u f gestattet, d a ß weitgehend parallel klassifiziert worden ist. Entsprechende Begriffe stehen also in parallelen G r u p p e n an entsprechender Stelle. Als Beispiel wird auf die Schlüsselform der letzten D e z i m a l e bei allen historischen G r u p p e n hingewiesen. So bedeutet die E n d z i f f e r 5 d o r t immer „Einzelne Persönlichkeiten", ergänzt bei B e d a r f durch den Z u s a t z „ u n d Richtungen". Auch bei abgegrenzten Sonderkapiteln w i r d die E n d z i f f e r durch die Gruppenbezeichnung determiniert, ohne daß der C h a r a k t e r als F ü n f e r g r u p p e verändert wird. Beispielsweise heißt es: 5445 Einzelne Persönlichkeiten und Richtungen, nämlich zur Kirchengeschichte (5) des 19. J a h r h u n d e r t s (544), aber 5515 Einzelne Konzilien 5535 Einzelne K r e u z z ü g e 5 9 5 4 2 5 Einzelne Dichter, nämlich aus dem J u d e n t u m (59). Alle historischen G r u p p e n der Endziffer 5 sind in sich gleichmäßig geordnet. D a s ergibt sich aus der jeweils z u g e f ü g t e n E r l ä u terung (Texte und Untersuchungen nach dem A l p h a b e t der Persönlichkeiten). D i e Flexibilität der dezimalen Klassifikation ermöglicht es, bei den historischen G r u p p e n mit der E n d z i f f e r 5 im B e d a r f s f a l l e mit H i l f e eines immanenten Schlüssels weiter zu gliedern. D a s wird erst dann nötig sein, wenn sich zu einzelnen Persönlichkeiten oder
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Richtungen unverhältnismäßig viel Literatur angesammelt hat. Ein solcher immanenter Schlüssel wird also nur bei Bedarf in Anwendung gebracht und lediglich bei sehr bekannten Persönlichkeiten von vornherein benutzt werden. Beispiel: 54345 Melanchthon 1, nämlich Bibliographien zu Philipp Melanchthon. Dieser immanente Schlüssel wird am Ende der nun folgenden Klassifikation abgedruckt. 1 ALLGEMEINE ABTEILUNG 11 Allgemeine Grundlagen der Wissenschaft 111 Wissenschaft und Kenntnisse im allgemeinen. Organisation der geistigen Arbeit 112 Wissenschaftskunde 12 Allgemeine Enzyklopädien Konversationslexika 13 Biographische Nachschlagewerke 14 Periodika und Serien 141 Jahrbücher 142 Zeitschriften 143 Zeitungen 144 Serien 15 Sammelwerke 151 Festschriften (nach dem Alphabet der Gefeierten) 152 Gesammelte Schriften (nach dem Alphabet der Verfasser) 153 Sammelwerke 17 Wissensdiaft und Hochschulwesen 171 Allgemeine Darstellungen 172 Verwaltung 173 Lehrkörper 174 Studenten 175 Prüfungen 176 Hochschulreform 177 Wissenschaftsförderung 178 Einzelne Hochschulen (nach dem Alphabet der Orte) 1781 Hochschulführer 1782 Darstellungen 1783 Hochschulschriften 17831 Dissertationen und Habilitationsschriften 17832 Sonstige Hochschulschriften
Versuch einer dezimalen Klassifikation f ü r Theologie I 179 Einzelfragen IS Wissenschaftliche Körperschaften 181 Allgemeine Darstellungen 182 Ständige Körperschaften 1821 Akademien (nach dem Alphabet der Orte) 18211 Darstellungen 18212 Akademieschriften 1822 Max-Planck-Gesellschaft (Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft) 1823 Vereine (nach dem Alphabet der Vereine) 1824 Andere Körperschaften (nach dem Alphabet der Körperschaften) 1829 Schulen als wissenschaftliche Körperschaften 18291 Schulprogramme (nach dem Alphabet der Orte) 183 Kongresse 189 Einzelfragen 19 BIBLIOTHEKSWISSENSCHAFT 191 Allgemeines 1911 Theorie und Geschichte der Bibliographie 1912 Bibliographien 19121 Bibliographien zur Bibliothekswissenschaft 19122 Bibliographien der Bibliographien 19123 Personalbibliographien (nach dem Alphabet der Personen) 19124 Nationalbibliographien und regionale Bibliographien (nach dem Alphabet der Länder) 19125 Inkunabelbibliographien 19126 Bibliographien bibliophiler Schriften 19127 Bibliographien anonymer und pseudonymer Schriften 19129 Bibliographien verbotener Schriften 1913 Lexikalische Nachschlagewerke 1914 Handbücher 1915 Jahrbücher und Adreßbücher 1916 Zeitschriften 1917 Serien 1918 Sammelwerke 19181 Festschriften (nach dem Alphabet der Gefeierten) 19182 Sammelwerke (in chronologischer Reihenfolge) 192 Schrift und Budi 1921 Einführende Darstellungen 1922 Die Schrift und ihre Entwicklung 19221 Gesamtdarstellungen 19223 Allgemeine Handschriftenkunde 19225 Papyruskunde 19229 Einzelfragen (in chronologischer Reihenfolge) 1923 Geschichte des Buches 19231 Gesamtdarstellungen
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Heydrich
19232 Das geschriebene Buch 19233 Buchmalerei 19234 Einbandkunde 19235 Inkunabeln und Drucke des 16. Jahrhunderts 19236 Inkunabelkunde 19237 Budikunde der Neuzeit 19238 Buchillustration 19239 Bibliophilie 1924 Geschichte des Buchhandels und des Verlagswesens 193 Bibliotheksgeschidite 1931 Gesamtdarstellungen 1932 Altertum und Mittelalter 1933 Neuzeit 1934 Gegenwart 19341 Gesamtdarstellungen 19342 Deutschland 19343 Ausland 1936 Bibliotheken an einzelnen Orten (nach dem Alphabet der Orte) 194 Bibliotheksverwaltungslehre 1941 Der Bibliothekar und sein Beruf 1942 Gesamtdarstellungen 1943 Bibliotheksordnungen (nadi dem Alphabet der Orte) 1944 Erwerbung 1945 Katalogwesen 19451 Kataloge öffentlicher und privater Bibliotheken 19452 Theorie und Praxis der Katalogisierung 19453 Alphabetische Katalogisierung 19454 Sachkatalogisierung 19455 Dezimalklassifikation 19456 Gesamtkataloge 19457 Zentralkatalogisierung und Zentralkataloge 19458 Dokumentation 1946 Benutzung 19461 Benutzungsführer 19462 Theorie und Praxis der Benutzung 19463 Ausleihe 19464 Lesesaal 19465 Magazin 19466 Information 1947 Spezialbibliotheken 19471 Allgemeine Darstellungen 19472 Universalbibliothek und Spezialbibliothek 19479 Einzelfragen 1948 Bibliotheksredit 1949 Bibliotheksbau 198 Büdiereiwesen
Versuch einer d e z i m a l e n Klassifikation f ü r T h e o l o g i e I 2 ALLGEMEINE
THEOLOGIE
21 B i b l i o g r a p h i e n 22 Enzyklopädisches 221 Lexikalische N a c h s c h l a g e w e r k e 222 E n z y k l o p ä d i e der Theologie. E i n f ü h r u n g e n in das theologische S t u d i u m 223 D a r s t e l l u n g e n der christlichen Religion 23 T h e o l o g i s c h e s H o c h s c h u l w e s e n 24 Zeitschriften für d i e g e s a m t e T h e o l o g i e u n d Kirche 241 Kirchliche A m t s b l ä t t e r 242 Kirchliche Zeitschriften u n d J a h r b ü c h e r 243 Zeitschriften f ü r die gesamte Theologie 25 Serien 26 S a m m e l w e r k e 261 Festschriften (nach d e m A l p h a b e t der G e f e i e r t e n ) 262 G e s a m m e l t e Schriften (nach d e m A l p h a b e t der Verfasser) 263 S a m m e l w e r k e 29 B I B E L IM G A N Z E N 291 B i b e l n 2911 P o l y g l o t t e n 2912 U b e r s e t z u n g e n der Bibel in alte Sprachen (nach d e m A l p h a b e t der Sprachen) 2913 Ü b e r s e t z u n g e n der Bibel in lebende Sprachen 29131 ausländische (nach d e m A l p h a b e t der Sprachen) 29132 deutsche v o r L u t h e r 29133 v o n L u t h e r u n d im Anschluß an ihn 29134 a n d e r e deutsche Bibelübersetzungen (nach d e m A l p h a b e t der O b e r s e t z e r ) 2 9 3 Sprachliche H i l f s m i t t e l 2933 K o n k o r d a n z e n 294 A l l g e m e i n e s 2941 B i b l i o g r a p h i e n 2942 Zeitschriften 2943 Serien 2944 S a m m e l w e r k e 295 E i n f ü h r u n g in die Bibel 2951 B i b e l k u n d e 2952 B i b e l l e x i k a 2953 E i n f ü h r e n d e Schriften 296 E i n l e i t u n g in d i e B i b e l 2961 E i n l e i t u n g e n 2963 T e x t k r i t i k 2965 K a n o n f r a g e n 2968 E i n z e l f r a g e n
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Heydrich
298 Kommentare zur gesamten Bibel 2981 Kommentarreihen 2982 Auslegungen
299 Untersudiungen zur gesamten Bibel 2991 Theologische Untersudiungen 2993 Einzelfragen 2995 Populäre Werke zur Bibel in Vergangenheit und Gegenwart (Biblische Geographie s. 377!) (Biblische Archäologie s. 378!) (Biblische Kulturgeschichte s. 379!) 2997 Hermeneutik 2998 Auslegungs- und Wissenschaftsgeschichte
3 ALTES TESTAMENT 31 Texte 311 Einzelne Handschriften 312 Ausgaben 3121 Ausgaben des gesamten A T 3123 Ausgaben mehrerer Schriften des A T 3124 Ausgaben einzelner Schriften des A T (in der Reihenfolge des biblischen Kanons) 313 Apokryphes Schrifttum (hier nur Schriften, die Persönlichkeiten des A T zugeschrieben sind! Alles übrige s. 373!) 3131 Sammlungen 3135 Einzelne apokryphe Schriften (nach dem Alphabet der Schriften)
32 Ubersetzungen 321 Ubersetzungen des A T in alte Sprachen (nach dem Alphabet der Sprachen) 322 Ubersetzungen des A T in lebende Sprachen 3222 ausländische (nach dem Alphabet der Sprachen) 3223 deutsche 32231 von Luther und im Anschluß an ihn 32232 andere deutsche Ubersetzungen (nach dem Alphabet der Ubersetzer) 323 Apokryphes Schrifttum (hier nur Schriften, die Persönlichkeiten des A T zugeschrieben sind! Alles übrige s. 374!) 3231 Sammlungen 3235 Einzelne apokryphe Schriften (nach dem Alphabet der Schriften)
33 Sprachliche Hilfsmittel (hier nur sprachliche Hilfsmittel zum A T und zu Schriften, die Persönlichkeiten des A T zugeschrieben sind! Alles übrige s. 375!) 331 Grammatiken 332 Wörterbücher 3321 Wörterbücher zum gesamten A T
Versuch einer dezimalen Klassifikation f ü r Theologie I
147
3323 Wörterbücher zu mehreren Schriften des A T 3324 Wörterbücher zu einzelnen Schriften des A T 333 Konkordanzen 34 Allgemeines 341 Bibliographien 342 Zeitschriften 343 Serien 344 Sammelwerke 35 Einfühlung in das AT 351 Bibelkunde des AT 353 Einführende Schriften 36 Einleitung in das AT 361 Einleitungen 363 Textkritik (hier ausschließlich textkritische Untersuchungen! Untersuchungen einzelnen oder mehreren Schriften des A T s. sonst 393!) 3631 Im allgemeinen 3632 Zu einzelnen Schriften 368 Sprachliche Untersuchungen und Einzelfragen (hier ausschließlich Einleitungsfragen und sprachliche Untersuchungen! Untersuchungen zu einzelnen oder mehreren Schriften des A T s. sonst 393!) 37 Israel und Alter Orient 371 Geschichte Israels 3711 Gesamtdarstellungen 3715 Einzelfragen 373 Texte des Alten Orients 3731 Mari 3732 Amarna 3733 Ras Schamra 3734 Elephantine 3735 Qumran 3736 Ägypten 3737 Palästina und Syrien 3738 Arabien und Zweistromland 3739 Kleinasien und Westen 374 Übersetzungen von Texten des Alten Orients 3741 Mari 3742 Amarna 3743 Ras Schamra 3744 Elephantine 3745 Qumran 3746 Ägypten 3747 Palästina und Syrien 3748 Zweistromland 3749 Kleinasien und Westen 375 Sprachliche Hilfsmittel zu Texten des Alten Orients 3751 Grammatiken
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376
377 378 379
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3752 Wörterbücher 3753 Konkordanzen Untersuchungen zum Alten Orient 3761 Gesamtdarstellungen und allgemeine Untersuchungen 3765 Untersuchungen zu Texten des Alten Orients 37651 M a r i 37652 A m a r n a 37653 Ras Schamra 37654 Elephantine 37655 Qumran 37656 Ä g y p t e n 37657 Palästina und Syrien 37658 Zweistromland 37659 Kleinasien und Westen 3769 Einzelfragen Biblische Geographie Biblische Archäologie Biblische Kulturgeschichte
38 Kommentare zum A T 381 Kommentarreihen 382 Kommentare zu mehreren Schriften des A T 3821 Kommentare zu den geschichtlichen Büchern 3822 Kommentare zum Pentateuch 3824 Kommentare zu den „Lehrbüchern" 3826 Kommentare zu den prophetischen Büchern 3827 Kommentare zum Dodekapropheton 383 Kommentare zu einzelnen Schriften des A T (in der Reihenfolge des biblischen Kanons) 384 Kommentare zu dem apokryphen Schrifttum (hier nur Schriften, die Persönlichkeiten des A T zugeschrieben sind! Alles übrige s. 376!) 385 Populäre Auslegungen des A T 3851 Auslegungsreihen 3852 Auslegungen zu mehreren Schriften des A T 3853 Auslegungen zu einzelnen Schriften des A T (in der Reihenfolge des biblischen Kanons) 3854 Auslegungen zu dem apokryphen Schrifttum (hier nur Schriften, die Persönlichkeiten des AT zugeschrieben sind! Alles übrige s. 376!) 39 Theologie des A T und Einzeluntersuchungen 391 Theologie und Religionsgeschichte des gesamten A T 3911 Theologien des A T 393 Einzeluntersuchungen 3931 Begriffsuntersuchungen 3932 Untersuchungen zu einzelnen Themen 39321 Gott 39322 Mensch 39323 Kult
Versuch einer dezimalen Klassifikation für Theologie I
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39324 Recht 39325 Prophetie 39326 Dichtung 39327 Weisheit 39328 Apokalyptik 3933 Einzelne biblische Gestalten (in alphabetischer Reihenfolge) 3935 Untersuchungen zu mehreren Schriften des AT 3937 Untersuchungen zu einzelnen Schriften des A T (in der Reihenfolge des biblischen Kanons) 3938 Untersuchungen zu dem apokryphen Schrifttum (hier nur Schriften, die Persönlichkeiten des A T zugeschrieben sind! Alles übrige s. 376!) 39381 Allgemeines 39385 Untersuchungen zu einzelnen apokryphen Schriften (nach dem Alphabet der Schriften) 3939 Einzelfragen 397 Hermeneutik 398 Auslegungs- und Wissenschaftsgeschichte 4 NEUES TESTAMENT 41 Texte 411 Einzelne Handschriften 412 Ausgaben 4121 Ausgaben des gesamten N T 4122 Synopsen 4123 Ausgaben mehrerer Schriften des N T 4124 Ausgaben einzelner Schriften des N T (in der Reihenfolge des biblischen Kanons) 413 Außer- und Nachkanonisches (hier nur Schriften, die Persönlichkeiten des N T zugeschrieben sind! Alles übrige s. 541 !) 4131 Sammlungen 4135 Einzelne apokryphe Schriften (nach dem Alphabet der Schriften) 42 Ubersetzungen (nach dem Alphabet der Sprachen) 421 Übersetzungen des N T in alte Sprachen 422 Ubersetzungen des N T in lebende Sprachen 4221 ausländische 4222 deutsche 42221 von Luther und im Anschluß an ihn 42222 andere deutsche Übersetzungen (nach dem Alphabet der Übersetzer) 423 Außer- und Nachkanonisches (hier nur Schriften, die Persönlichkeiten des N T zugeschrieben sind! Alles übrige s. 541!) 4231 Sammlungen
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4235 Einzelne apokryphe Schriften (nadi dem Alphabet der Schriften) 43 Sprachliche Hilfsmittel 431 Grammatiken 432 Wörterbücher 4321 Wörterbücher zum gesamten N T 4323 Wörterbücher zu mehreren Schriften des N T 4324 Wörterbücher zu einzelnen Schriften des N T 433 Konkordanzen 44 Allgemeines 441 Bibliographien 442 Zeitschriften 443 Serien 444 Sammelwerke 45 Einführung in das N T 451 Bibelkunde des N T 453 Einführende Schriften 46 Einleitung in das N T 461 Einleitungen 463 Textkritik (hier ausschließlich textkritische Untersuchungen! Untersuchungen zu einzelnen oder mehreren Schriften des N T s. sonst 493!) 4631 Im allgemeinen 4632 Zu einzelnen Schriften 468 Sprachliche Untersuchungen und Einzelfragen (hier ausschließlich Einleitungsfragen und sprachliche Untersuchungen! Untersuchungen zu einzelnen oder mehreren Schriften des N T s. sonst 493!) 47 Umwelt 471 Gesamtdarstellungen 472 Judentum 474 Hellenismus 476 Gnosis 478 Einzelne Persönlichkeiten (nach dem Alphabet der Persönlichkeiten) 479 Einzelfragen 48 Kommentare zum N T 481 Kommentarreihen 482 Kommentare zu mehreren Schriften des N T 4821 Kommentare zu den Evangelien 4822 Kommentare zu den Synoptikern 4823 Kommentare zu den lukanischen Schriften 4824 Kommentare zu den johanneischen Schriften 4825 Kommentare zu den Paulusbriefen 4827 Kommentare zu den Pastoralbriefen 4828 Kommentare zu den katholischen Briefen 483 Kommentare zu einzelnen Schriften des N T (in der Reihenfolge des biblischen Kanons)
Versuch einer dezimalen Klassifikation für Theologie I
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484 Kommentare zu dem apokryphen Schrifttum (hier nur Schriften, die Persönlichkeiten des N T zugeschrieben sind! Alles übrige s. 541!) 485 Populäre Auslegungen des N T 4851 Auslegungsreihen 4852 Auslegungen zu mehreren Schriften des N T 4853 Auslegungen zu einzelnen Schriften des N T (in der Reihenfolge des biblischen Kanons) 4854 Auslegungen zu dem apokryphen Schrifttum (hier nur Schriften, die Persönlichkeiten des N T zugeschrieben sind! Alles übrige s. 541!) 49 Monographien 491 Theologie des gesamten N T 4911 Theologien des N T 4912 Einzelne Themen zur Theologie des N T 49121 Gotteslehre im N T 49122 Christologie des N T 49123 Pneumatologie (Kirchenlehre) im N T 49124 Sakramente im N T 49125 Soteriologie und Ethik im N T 49126 Eschatologie im N T 49128 Begriffsuntersuchungen 492 Urchristentum 4921 Geschichte des Urchristentums 4922 Einzelne Themen zur Geschichte des Urchristentums 49221 Palästinensisches Christentum 49222 Hellenistisches Christentum 49223 Einzelne Gemeinden (in alphabetischer Reihenfolge) 49225 Einzelne Persönlichkeiten des Urchristentums 49228 Einzelfragen 493 Einzeluntersuchungen 4931 Jesus 49311 Allgemeine Untersuchungen 49312 Taten Jesu 49313 Reden Jesu 49314 Gleichnisse Jesu 49315 Einzelnes aus Leben und Lehre Jesu 49316 Leiden, Tod und Auferstehung Jesu 4932 Evangelien 49321 Allgemeine Untersuchungen 49322 Synoptiker 49323 Mc 49324 Mt 49325 Das lukanische Geschiditswerk 49326 Lc 49327 Act 4933 Johannes 49331 Corpus Johanneum
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Jürgen
Heydrich
49332 49333 4934 Paulus 49341 49342 49345
Johannesevangelium Johannesbriefe und Deuteropaulinen Allgemeine Untersuchungen zu Paulus Die Lehre des Paulus Einzelne Paulusbriefe (in der Reihenfolge des biblisdien Kanons) 49346 Sonstiges zu Paulus 49348 Pastoralbriefe 4935 Katholische Briefe (Johannesbriefe s. 49333!) 49351 Untersuchungen zu den katholischen Briefen 49352 Hebräerbrief 49353 Jakobusbrief 49354 1. Petrusbrief 49355 Judasbrief und 2. Petrusbrief 4936 Apc 4938 Außer- und Nachkanonisches (hier nur Schriften, die Persönlichkeiten des N T zugeschrieben sind! Alles übrige s. 541!) 49381 Allgemeines 49383 Einzelne apokryphe Schriften (nach dem Alphabet der Schriften) 4939 Einzelfragen 497 Hermeneutik 498 Auslegungs- und Wissenschaftsgeschichte
5 KIRCHENGESCHICHTE 51 Allgemeines 511 512 513 514 515
Bibliographien Lexikalische Nachschlagewerke Zeitschriften Serien Sammelwerke 5151 Festschriften (nach dem Alphabet der Gefeierten) 5152 Gesammelte Schriften (nach dem Alphabet der Verfasser) 5153 Sammelwerke 516 Atlanten 518 Gegenstand und Methode der Kirchengeschichtsschreibung 519 Geschichte der Kirchengeschichtsschreibung
52 Allgemeine Textausgaben zur Kirdiengeschichte 53 Allgemeine Kirchengeschichte 531 Gesamtdarstellungen 533 Zeittafeln 537 Einzelfragen zur allgemeinen
Kirchengesdiichte
54 Allgemeine Kir&engeschidite einzelner Epochen
Versuch einer dezimalen Klassifikation f ü r T h e o l o g i e I 541 Alte 5411 5412 5413
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Kirche Allgemeine Textausgaben u n d Serien Ausgaben der Schriften mehrerer Persönlichkeiten Allgemeine Untersuchungen und Serien
5 4 1 4 Untersuchungen zu größeren Zeiträumen und mehreren Persönlichkeiten 5 4 1 5 Einzelne Persönlichkeiten und Richtungen, sowie a n o n y m e E i n z e l t e x t e ( T e x t e und Untersuchungen nach dem A l p h a b e t der P e r s ö n lichkeiten und T e x t e ) 5 4 1 6 Untersuchungen zu E i n z e l f r a g e n und zu einzelnen Ereignissen (Urchristentum s. 4 9 2 ! ) (Konzilien s. 5 5 1 ! ) ( P a p s t t u m s. 5 5 2 ! ) ( S t a a t und Kirche s. 5 5 4 ! ) (Mönchtum s. 5 5 5 ! ) (Heilige s. 5 5 6 ! ) ( F r ö m m i g k e i t s. 5 5 7 ! ) 542
Mittelalter 5 4 2 1 Allgemeine Textausgaben und Serien 5 4 2 2 Ausgaben der Schriften mehrerer Persönlichkeiten 5 4 2 3 Allgemeine Untersuchungen und Serien 5 4 2 4 Untersuchungen zu größeren Zeiträumen und mehreren Persönlichkeiten 5 4 2 5 Einzelne Persönlichkeiten und Richtungen ( T e x t e und Untersuchungen nach dem A l p h a b e t der Persönlichkeiten) 5 4 2 6 Untersuchungen zu E i n z e l f r a g e n und zu einzelnen Ereignissen ( K o n z i l i e n s. 5 5 1 ! ) ( P a p s t t u m s. 5 5 2 ! ) ( K r e u z z ü g e s. 5 5 3 ! ) ( S t a a t und Kirche s. 5 5 4 ! ) (Mönchtum s. 5 5 5 ! ) ( H e i l i g e s. 5 5 6 ! ) ( M y s t i k und F r ö m m i g k e i t s. 5 5 7 ! ) (Scholastik s. 5 5 8 ! )
543
Neuzeit 5 4 3 1 Insgesamt 5 4 3 1 1 Allgemeine T e x t a u s g a b e n und S e r i e n 5 4 3 1 2 Ausgaben der Schriften mehrerer Persönlichkeiten (Lutheraner usw. s. 5 4 3 3 ! ) 5 4 3 1 3 Allgemeine Untersuchungen u n d Serien 5 4 3 1 4 Untersuchungen zu größeren Z e i t r ä u m e n und mehreren Persönlichkeiten (Lutheraner usw. s. 5 4 3 3 ! ) 5 4 3 1 6 Untersuchungen zu E i n z e l f r a g e n (Konzilien s. 5 5 1 ! ) ( P a p s t t u m s. 5 5 2 ! ) ( S t a a t und Kirche s. 5 5 4 ! ) (Mönchtum s. 5 5 5 ! )
Jürgen
Heydrich
(Heilige s. 556!) (Mystik und Frömmigkeit s. 557!) 5432 Konfessionskunde (Symbolik) (ökumenik s. 77!) 54321 Allgemeine Textausgaben und Serien 54323 Allgemeine Untersuchungen und Serien 54326 Einzelfragen zur Konfessionskunde insgesamt 5433 Insbesondere 54331 Römisch-katholische Kirche 543311 Texte 543312 Bekenntnisschriften 543314 Untersuchungen 54332 Orthodoxe Kirchen 543321 Texte 543322 Bekenntnissdiriften 543324 Untersuchungen 54333 Evangelische Kirche im Allgemeinen 543331 Texte 543332 Bekenntnisschriften 543333 Geschichte der evangelischen Theologie 543334 Untersuchungen 54334 Lutherische Kirchen 543341 Texte 543342 Bekenntnissdiriften 543344 Untersuchungen 54335 Reformierte Kirchen 543351 Texte 543352 Bekenntnisschriften 543354 Untersuchungen 54336 Unierte evangelische Kirchen 543361 Texte 543362 Bekenntnissdiriften 543364 Untersuchungen 54337 Anglikanische Kirche 543371 Texte 543372 Bekenntnissdiriften 543374 Untersuchungen 54338 Weitere Kirchen (nach dem Alphabet der Kirchen) 543381 Texte 543382 Bekenntnissdiriften 543384 Untersuchungen 54339 Sekten und Gemeinschaften (nach dem Alphabet der Sekten) 543391 Texte 543392 Bekenntnissdiriften 543394 Untersuchungen 5434 Reformation 54341 Allgemeine Textausgaben und Serien
Versuch einer dezimalen Klassifikation f ü r Theologie I
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54343 Allgemeine Untersuchungen und Serien 54345 Einzelne Persönlichkeiten und Richtungen (Texte und Untersuchungen nach dem Alphabet der Persönlichkeiten) (Lutheraner usw. s. 5433!) 54346 Untersuchungen zu Einzelfragen und zu einzelnen Ereignissen (Konziliens. 551!) (Papsttum s. 552!) (Staat und Kirche s. 554!) (Mystik und Frömmigkeit s. 557!) Gegenreformation 54351 Allgemeine Textausgaben und Serien 54352 Ausgaben der Schriften mehrerer Persönlichkeiten 54353 Allgemeine Untersuchungen und Serien 54354 Untersuchungen zu mehreren Persönlichkeiten 54355 Einzelne Persönlichkeiten und Richtungen (Texte und Untersuchungen nach dem Alphabet der Persönlichkeiten) 54356 Untersuchungen zu Einzelfragen und zu einzelnen Ereignissen Orthodoxie 54361 Allgemeine Textausgaben und Serien 54362 Ausgaben und Schriften mehrerer Persönlichkeiten 54363 Allgemeine Untersuchungen und Serien 54364 Untersuchungen zu mehreren Persönlichkeiten 54365 Einzelne Persönlichkeiten und Richtungen (Texte und Untersuchungen nach dem Alphabet der Persönlichkeiten) 54366 Untersuchungen zu Einzelfragen und zu einzelnen Ereignissen Pietismus 54371 Allgemeine Textausgaben und Serien 54372 Ausgaben der Schriften mehrerer Persönlichkeiten 54373 Allgemeine Untersuchungen und Serien 54374 Untersuchungen zu mehreren Persönlichkeiten 54375 Einzelne Persönlichkeiten und Richtungen (Texte und Untersuchungen nach dem Alphabet der Persönlichkeiten) 54376 Untersuchungen zu Einzelfragen und zu einzelnen Ereignissen Aufklärung 54381 Allgemeine Textausgaben und Serien 54382 Ausgaben der Schriften mehrerer Persönlichkeiten 54383 Allgemeine Untersuchungen u n d Serien 54384 Untersuchungen zu mehreren Persönlichkeiten 54385 Einzelne Persönlichkeiten und Richtungen (Texte und Untersuchungen nach dem Alphabet der Persönlichkeiten)
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54386 Untersuchungen zu Einzelfragen und zu einzelnen Ereignissen 5439 Erweckungsbewegung 54391 Allgemeine Textausgaben und Serien 54392 Ausgaben der Schriften mehrerer Persönlichkeiten 54393 Allgemeine Untersuchungen und Serien 54394 Untersuchungen zu mehreren Persönlichkeiten 54395 Einzelne Persönlichkeiten und Richtungen (Texte und Untersuchungen nach dem Alphabet der Persönlichkeiten) 54396 Untersuchungen zu Einzelfragen und zu einzelnen Ereignissen 544 19. J a h r h u n d e r t 5441 Allgemeine Textausgaben und Serien 5442 Ausgaben der Schriften mehrerer Persönlichkeiten 5443 Allgemeine Untersuchungen und Serien 5444 Untersuchungen zu mehreren Persönlichkeiten 5445 Einzelne Persönlichkeiten und Richtungen (Texte und Untersuchungen nach dem Alphabet der Persönlichkeiten) 5446 Untersuchungen zu Einzelfragen und zu einzelnen Ereignissen 545 20. J a h r h u n d e r t 5451 Allgemeine Textausgaben und Serien 5452 Ausgaben der Schriften mehrerer Persönlichkeiten 5453 Allgemeine Untersuchungen und Serien 5454 Untersuchungen zu mehreren Persönlichkeiten 5455 Einzelne Persönlichkeiten und Richtungen (Texte und Untersuchungen nach dem Alphabet der Persönlichkeiten) 5456 Untersuchungen zu Einzelfragen 5457 Bis zum 1. Weltkrieg 54571 Allgemeine Textausgaben und Serien 54572 Ausgaben der Schriften mehrerer Persönlichkeiten 54573 Allgemeine Untersuchungen und Serien 54574 Untersuchungen zu mehreren Persönlichkeiten 54575 Einzelne Persönlichkeiten und Richtungen (Texte und Untersuchungen nach dem Alphabet der Persönlichkeiten) 54576 Untersuchungen zu Einzelfragen und zu einzelnen Ereignissen 5458 Vom 1. bis zum 2. Weltkrieg (Kirchenkampf in Deutschland 1933—1945 s. 5755!) 54581 Allgemeine Textausgaben und Serien 54582 Ausgaben der Schriften mehrerer Persönlichkeiten 54583 Allgemeine Untersuchungen und Serien 54584 Untersuchungen zu mehreren Persönlichkeiten 54585 Einzelne Persönlichkeiten und Richtungen (Texte und Untersuchungen nach dem Alphabet der Persönlichkeiten)
Versuch einer dezimalen Klassifikation f ü r Theologie I
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54586 Untersuchungen zu Einzelfragen und zu einzelnen Ereignissen 5459 Seit 1945 (Staat und Kirche s. 554!) 54591 Allgemeine Textausgaben und Serien 54592 Ausgaben der Schriften mehrerer Persönlichkeiten 54593 Allgemeine Untersuchungen und Serien 54594 Untersuchungen zu mehreren Persönlichkeiten 54595 Einzelne Persönlichkeiten und Richtungen (Texte und Untersuchungen nach dem Alphabet der Persönlichkeiten) 54596 Untersuchungen zu Einzelfragen und zu einzelnen Ereignissen 55 Sonderkapitel der Kirchengeschidite 551 Konzilien 5511 Allgemeine Textausgaben und Serien 5512 Ausgaben von Texten mehrerer Konzilien 5513 Allgemeine Untersuchungen und Serien 5514 Untersuchungen zu mehreren Konzilien 5515 Einzelne Konzilien (Texte und Untersuchungen in chronologischer Reihenfolge der Konzilien) 5516 Untersuchungen zu Einzelfragen und zu einzelnen Ereignissen 552 Papsttum 5521 Allgemeine Textausgaben und Serien 5523 Allgemeine Untersuchungen und Serien 5524 Untersuchungen zu mehreren Päpsten 5525 Einzelne Päpste (Texte und Untersuchungen in chronologischer Reihenfolge der Päpste) 5526 Untersuchungen zu Einzelfragen und zu einzelnen Ereignissen 553 Kreuzzüge 5531 Allgemeine Textausgaben und Serien 5533 Allgemeine Untersuchungen und Serien 5534 Untersuchungen zu mehreren Kreuzzügen 5535 Einzelne Kreuzzüge (Texte und Untersuchungen in chronologischer Reihenfolge der Kreuzzüge) 5536 Untersuchungen zu Einzelfragen und zu einzelnen Ereignissen 554 Staat und Kirche 5541 Allgemeine Textausgaben und Serien 5542 Ausgaben von Texten größerer Zeiträume und mehrerer Persönlichkeiten 5543 Allgemeine Untersuchungen und Serien 5544 Untersuchungen zu größeren Zeiträumen und mehreren Persönlichkeiten 5545 Einzelne Persönlichkeiten in ihrer Stellung zu Staat und Kirche (nach dem Alphabet der Persönlichkeiten)
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Jürgen
Heydrich
5546 Untersuchungen zu Einzelfragen und zu einzelnen Ereignissen (Kirchenkampf in Deutschland 1933—1945 s. 575!) 555 Monastische Bewegungen 5551 Allgemeine Textausgaben und Serien 5552 Ausgaben von Texten mehrerer Orden und Gemeinschaften 5553 Allgemeine Untersuchungen und Serien 5554 Untersuchungen zu mehreren Orden und Gemeinschaften 5555 Einzelne Orden, Gemeinschaften, Klöster und Mönche (Texte und Untersuchungen in alphabetischer Reihenfolge) 55551 Einzelne Orden und Gemeinschaften 55553 Einzelne Klöster 55555 Einzelne Mönche und Nonnen 5556 Untersuchungen zu Einzelfragen und zu einzelnen Ereignissen 556 Hagiographie (Heilige, ohne biblische Gestalten — mit Ausnahme der Maria —, ohne Päpste und Ordensleute) 5561 Allgemeine Textausgaben und Serien 5562 Ausgaben von Texten größerer Zeiträume und mehrerer Heiliger 5563 Allgemeine Untersuchungen und Serien 5564 Untersuchungen zu größeren Zeiträumen und mehreren Heiligen 5565 Einzelne Heilige (Texte und Untersuchungen in alphabetischer Reihenfolge) 55651 Männer 55652 Frauen 5566 Untersuchungen zu Einzelfragen und zu einzelnen Ereignissen 557 Mystik und Frömmigkeit 5571 Allgemeine Textausgaben und Serien 5572 Ausgaben von Texten größerer Zeiträume und mehrerer Persönlichkeiten 5573 Allgemeine Untersuchungen und Serien 5574 Untersuchungen zu größeren Zeiträumen und mehreren Persönlichkeiten 5575 Einzelne Persönlichkeiten und Richtungen (Texte und Untersuchungen in alphabetischer Reihenfolge der Persönlichkeiten) 5576 Untersuchungen zu Einzelfragen und zu einzelnen Ereignissen 558 Scholastik 5581 Allgemeine Textausgaben und Serien 5583 Allgemeine Untersuchungen und Serien 5585 Untersuchungen zu Einzelfragen 5586 Frühscholastik 55861 Allgemeine Textausgaben und Serien 55862 Ausgaben der Schriften mehrerer Persönlichkeiten 55863 Allgemeine Untersuchungen und Serien 55864 Untersuchungen zu mehreren Persönlichkeiten 55865 Einzelne Persönlichkeiten und Richtungen (Texte und Untersuchungen in alphabetischer Reihenfolge der Persönlichkeiten)
Versuch einer dezimalen Klassifikation für Theologie I
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55866 Untersuchungen zu Einzelfragen und zu einzelnen Ereignissen 5587 Hochscholastik 55871 Allgemeine Textausgaben und Serien 55872 Ausgaben der Schriften mehrerer Persönlichkeiten 55873 Allgemeine Untersuchungen und Serien 55874 Untersuchungen zu mehreren Persönlichkeiten 55875 Einzelne Persönlichkeiten und Richtungen (Texte und Untersuchungen in alphabetischer Reihenfolge der Persönlichkeiten) 55876 Untersuchungen zu Einzelfragen und zu einzelnen Ereignissen 5588 Spätscholastik 55881 Allgemeine Textausgaben und Serien 55882 Ausgaben der Schriften mehrerer Persönlichkeiten 55883 Allgemeine Untersuchungen und Serien 55884 Untersuchungen zu mehreren Persönlichkeiten 55885 Einzelne Persönlichkeiten und Richtungen (Texte und Untersuchungen in alphabetischer Reihenfolge der Persönlichkeiten) 55886 Untersuchungen zu Einzelfragen und zu einzelnen Ereignissen 5589 Neuscliolastik 55891 Allgemeine Textausgaben und Serien 55892 Ausgaben der Schriften mehrerer Persönlichkeiten 55893 Allgemeine Untersuchungen und Serien 55894 Untersuchungen zu mehreren Persönlichkeiten 55895 Einzelne Persönlichkeiten und Richtungen (Texte und Untersuchungen in alphabetischer Reihenfolge der Persönlichkeiten) 55896 Untersuchungen zu Einzelfragen und zu einzelnen Ereignissen 56 Dogmengeschichte (Konfessionskunde s. 5432!) (Theologiegeschichte s. 5433!) (Dogmatik s. 63!) 561 Allgemeine Untersuchungen 562 Gesamtdarstellungen 563 Untersuchungen zu Einzelfragen 57 REGIONALE K I R C H E N G E S C H I C H T E 571 Allgemeines 5718 Gegenstand und Methode der regionalen Kirchengesdiidite 574 Regionale Kirchengeschichte im Einzelnen Allgemeiner Schlüssel (Endzahl) f ü r 574: / 1 Textausgaben und Serien / 3 Allgemeine Untersuchungen und Serien
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Jürgen
Heydrich
/ 4 Untersuchungen zu größeren Zeiträumen und mehreren Persönlichkeiten / 6 Untersuchungen zu E i n z e l f r a g e n und zu einzelnen Ereignissen (Einzelne Persönlichkeiten s. 5 4 — 5 5 ! ) 5741 E u r o p a 57411 Allgemeines 57414 Regionen (nach dem A l p h a b e t der Regionen) 57418 O r t e (mit Regionen, die nach Orten genannt sind; nach dem A l p h a b e t der Orte) 5742 A m e r i k a 57421 Allgemeines 57424 Regionen (nach dem A l p h a b e t der Regionen) 57428 O r t e (mit Regionen, die nach Orten genannt sind; nach dem A l p h a b e t der O r t e ) 5743 Asien 57431 Allgemeines 57434 Regionen (nach dem A l p h a b e t der Regionen) 57438 O r t e (mit Regionen, die nach Orten genannt sind; nach dem Alphabet der Orte) 5744 A f r i k a 57441 Allgemeines 57444 Regionen (nach dem A l p h a b e t der Regionen) 57448 O r t e (mit Regionen, die nach Orten genannt sind; nach dem A l p h a b e t der Orte) 5745 Australien 57451 Allgemeines 57454 Regionen (nach dem A l p h a b e t der Regionen) 57458 O r t e (mit Regionen, die nach Orten genannt sind; nach dem A l p h a b e t der O r t e )
575—579 Sonderkapitel der regionalen Kirchengesdiichte 575 Kirdienkampf in Deutschland 1933—1945
5751 Allgemeines 57511 Allgemeine T e x t a u s g a b e n und Serien 57513 Allgemeine Untersuchungen und Serien 57516 T e x t e und Untersuchungen zu Einzelfragen 5752 Bekennende Kirche 57521 Allgemeine T e x t a u s g a b e n und Serien 57522 Ausgaben der Schriften mehrerer Persönlichkeiten 57523 Allgemeine Untersuchungen und Serien
Versuch einer dezimalen Klassifikation f ü r Theologie I 57524 Untersuchungen zu mehreren Persönlichkeiten 57525 Einzelne Persönlichkeiten und Richtungen (Texte und Untersuchungen nach dem Alphabet der Persönlichkeiten) 57526 Untersuchungen zu Einzelfragen und zu einzelnen Ereignissen 5753 Die Legalen 57531 Allgemeine Textausgaben und Serien 57532 Ausgaben der Schriften mehrerer Persönlichkeiten 57533 Allgemeine Untersuchungen und Serien 57534 Untersuchungen zu mehreren Persönlichkeiten 57535 Einzelne Persönlichkeiten und Richtungen (Texte und Untersuchungen nach dem Alphabet der Persönlichkeiten) 57536 Untersuchungen zu Einzelfragen und zu einzelnen Ereignissen 5754 Kirche unter nationalsozialistischem Einfluß 57541 Allgemeine Textausgaben und Serien 57542 Ausgaben der Schriften mehrerer Persönlichkeiten 57543 Allgemeine Untersuchungen und Serien 57544 Untersuchungen zu mehreren Persönlichkeiten 57545 Einzelne Persönlichkeiten und Richtungen (Texte und Untersuchungen nach dem Alphabet der Persönlichkeiten) 57546 Untersuchungen zu Einzelfragen und zu einzelnen Ereignissen 5755 Katholische Kirche 57551 Allgemeine Textausgaben und Serien 57552 Ausgaben der Schriften mehrerer Persönlichkeiten 57553 Allgemeine Untersuchungen und Serien 57554 Untersuchungen zu mehreren Persönlichkeiten 57555 Einzelne Persönlichkeiten und Richtungen (Texte und Untersuchungen nach dem Alphabet der Persönlichkeiten) 57556 Untersuchungen zu Einzelfragen und zu einzelnen Ereignissen
59 DAS JUDENTUM IN GESCHICHTE UND GEGENWART (Altes Israel s. 3!) (Israel als Umwelt Jesu s. 47!) 591 Allgemeines 5911 5912 5913 5914 5915
Bibliographien Lexikalische Nachschlagewerke Zeitschriften Serien Sammelwerke 59151 Festschriften (nach dem Alphabet der Gefeierten)
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Jürgen
Heydrich
59152 Gesammelte Schriften (nach dem Alphabet der Verfasser) 59153 Sammelwerke 5916 Allgemeine Untersuchungen 5918 Gegenstand und Methode der Wissenschaft des Judentums 5919 Geschichte der Wissenschaft des Judentums 592 S p r a d i e (Texte, Übersetzungen und Kommentare s. 594!) 5921 Grammatiken 5922 Wörterbücher 5923 Konkordanzen 5926 Sprachliche Untersuchungen im Allgemeinen 59261 Hebräisch 59263 Ivrith insbesondere 59266 Aramäisch 59268 Jiddisch 593 Religion und Philosophie des J u d e n t u m s (Einzelne Epochen s. 5942—5946!) 594 Allgemeine Geschichte des J u d e n t u m s (Gesellschaft s. 5951!) (Wirtschaft s. 5952!) (Wissenschaft s. 5953!) (Kunst s. 5954!) (Messianismus und Zionismus s. 5956!) (Verfolgungsgeschichte s. 5958!) (Kirche und Judentum s. 5959!) 5941 Allgemeines 5942 Frühjudentum 59421 Allgemeine Textausgaben 59422 Ausgaben der Schriften mehrerer Persönlichkeiten 59423 Allgemeine Untersuchungen 59424 Untersuchungen zu mehreren Persönlichkeiten 59425 Einzelne Persönlichkeiten und Richtungen (Texte und Untersuchungen nach dem Alphabet der Persönlichkeiten) (Masoreten s. 368!) 59426 Untersuchungen zu Einzelfragen und zu einzelnen Ereignissen 59427 Hellenistisches Judentum 594271 Allgemeine Textausgaben 594272 Ausgaben der Schriften mehrerer Persönlichkeiten 594273 Allgemeine Untersuchungen 594274 Untersuchungen zu mehreren Persönlichkeiten 594275 Einzelne Persönlichkeiten und Richtungen (Texte und Untersuchungen nach dem Alphabet der Persönlichkeiten) 594276 Untersuchungen zu Einzelfragen und zu einzelnen Ereignissen
Versuch einer dezimalen Klassifikation f ü r T h e o l o g i e I
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59428 Talmudische Literatur 594281 Allgemeines 594282 Misna 5942821 5942822 5942823 5942824 5942826
Allgemeine T e x t a u s g a b e n Ausgaben mehrerer Schriften Allgemeine Untersuchungen Untersuchungen zu mehreren Schriften Untersuchungen zu Einzelfragen und zu einzelnen Ereignissen
594283 T o s e f t a 5942831 5942832 5942833 5942834 5942835
Allgemeine T e x t a u s g a b e n Ausgaben mehrerer Schriften Allgemeine Untersuchungen Untersuchungen zu mehreren Schriften Einzelne Schriften (Texte und Untersuchungen in der Reihenfolge des K a n o n s ) 5942836 Untersuchungen zu E i n z e l f r a g e n und zu einzelnen Ereignissen
594284 Palästinensischer T a l m u d 5942841 Allgemeine T e x t a u s g a b e n 5942842 Ausgaben mehrerer Schriften 5942843 Allgemeine Untersuchungen 5942844 Untersuchungen zu mehreren Schriften 5942845 Einzelne Schriften (Texte und Untersuchungen in der Reihenfolge des K a n o n s ) 5942846 Untersuchungen zu E i n z e l f r a g e n und zu einzelnen Ereignissen 594285 Babylonischer T a l m u d 5942851 Allgemeine T e x t a u s g a b e n 5942852 Ausgaben mehrerer Schriften 5942853 Allgemeine Untersuchungen 5942854 Untersuchungen zu mehreren Schriften 5942855 Einzelne Schriften (Texte und Untersuchungen in der Reihenfolge des K a n o n s ) 5942856 Untersuchungen zu Einzelfragen und zu einzelnen Ereignissen 594286 Außerkanonische T r a k t a t e , dem babylonischen T a l m u d beigegeben 5942861 Allgemeine T e x t a u s g a b e n 5942862 Ausgaben mehrerer Schriften 5942863 Allgemeine Untersuchungen 5942864 Untersuchungen zu mehreren Schriften 5942865 Einzelne Schriften (Texte und Untersuchungen in traditioneller Reihenfolge)
Jürgen
Heydrich
5942866 Untersuchungen zu Einzelfragen und zu einzelnen Ereignissen 594287 Die anderen kleinen T r a k t a t e 5942871 Allgemeine Textausgaben 5942872 Ausgaben mehrerer Schriften 5942873 Allgemeine Untersuchungen 5942874 Untersuchungen zu mehreren Schriften 5942875 Einzelne Schriften (Texte und Untersuchungen in traditioneller Reihenfolge) 5942876 Untersuchungen zu Einzelfragen und zu einzelnen Ereignissen 594288 Middot 5942881 Allgemeine Textausgaben 5942882 Ausgaben mehrerer Schriften 5942883 Allgemeine Untersuchungen 5942884 Untersuchungen zu mehreren Schriften 5942885 Einzelne Schriften (Texte und Untersuchungen in traditioneller Reihenfolge) 5942886 Untersuchungen zu Einzelfragen und zu einzelnen Ereignissen 594289 Untersuchungen zu Einzelfragen und zu einzelnen Ereignissen 59429 MidraSische Literatur 594291 Allgemeine Textausgaben 594292 Ausgaben mehrerer Schriften 594293 Allgemeine Untersuchungen 594294 Untersuchungen zu mehreren Schriften 594295 Einzelne Schriften (Texte und Untersuchungen nach dem hebräischen Alphabet der Schriften) 594296 Untersuchungen zu Einzelfragen und zu einzelnen Ereignissen 5944 Neuere Zeit 59441 Allgemeine Textausgaben 59442 Ausgaben der Schriften mehrerer Persönlichkeiten 59443 Allgemeine Untersuchungen 59444 Untersuchungen zu mehreren Persönlichkeiten 59445 Einzelne Persönlichkeiten und Richtungen (Texte und Untersuchungen nach dem Alphabet der Persönlichkeiten) 59446 Untersuchungen zu Einzelfragen und zu einzelnen Ereignissen 59447 Mystik 594471 Allgemeine Textausgaben 594472 Ausgaben der Schriften mehrerer Persönlichkeiten 594473 Allgemeine Untersuchungen 594474 Untersuchungen zu mehreren Persönlichkeiten
Versuch einer dezimalen Klassifikation f ü r Theologie 1
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594475 Einzelne Persönlichkeiten und Schriften (Texte und Untersuchungen in alphabetischer Reihenfolge) 594476 Untersuchungen zu Einzelfragen und zu einzelnen Ereignissen 594477 Kabbala 5944771 Allgemeine Textausgaben 5944772 Ausgaben der Schriften mehrerer Persönlichkeiten 5944773 Allgemeine Untersuchungen 5944774 Untersuchungen zu mehreren Persönlichkeiten 5944775 Einzelne Persönlichkeiten und Schriften (Texte und Untersuchungen in alphabetischer Reihenfolge) 5944776 Untersuchungen zu Einzelfragen und zu einzelnen Ereignissen 594478 Chassidismus 5944781 Allgemeine Textausgaben 5944782 Ausgaben der Schriften mehrerer Persönlichkeiten 5944783 Allgemeine Untersuchungen 5944784 Untersuchungen zu mehreren Persönlichkeiten 5944785 Einzelne Persönlichkeiten und Schriften (Texte und Untersuchungen in alphabetischer Reihenfolge) 5944786 Untersuchungen zu Einzelfragen und zu einzelnen Ereignissen 59448 Jüdische A u f k l ä r u n g 594481 Allgemeine Textausgaben 594482 Ausgaben der Schriften mehrerer Persönlichkeiten 594483 Allgemeine Untersuchungen 594484 Untersuchungen zu mehreren Persönlichkeiten 594485 Einzelne Persönlichkeiten und Richtungen (Texte und Untersuchungen nach dem Alphabet der Persönlichkeiten) 594486 Untersuchungen zu Einzelfragen und zu einzelnen Ereignissen 5946 Neueste Zeit 59461 Allgemeine Textausgaben 59462 Ausgaben der Schriften mehrerer Persönlichkeiten 59463 Allgemeine Untersuchungen 59464 Untersuchungen zu mehreren Persönlichkeiten 59465 Einzelne Persönlichkeiten und Richtungen (Texte und Untersuchungen nach dem Alphabet der Persönlichkeiten) 59466 Untersuchungen zu Einzelfragen
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Jürgen
Heydrich
59467 Bis 1933 594671 Allgemeine Textausgaben 594672 Ausgaben der Schriften mehrerer Persönlichkeiten 594673 Allgemeine Untersuchungen 594674 Untersuchungen zu mehreren Persönlichkeiten 594675 Einzelne Persönlichkeiten und Richtungen (Texte und Untersuchungen nach dem Alphabet der Persönlichkeiten) 594676 Untersuchungen zu Einzelfragen und zu einzelnen Ereignissen 59468 Von 1933—1945 594681 Allgemeine Textausgaben 594682 Ausgaben der Schriften mehrerer Persönlichkeiten 594683 Allgemeine Untersuchungen 594684 Untersuchungen zu mehreren Persönlichkeiten 594685 Einzelne Persönlichkeiten und Richtungen (Texte und Untersuchungen nach dem Alphabet der Persönlichkeiten) 594686 Untersuchungen zu Einzelfragen und zu einzelnen Ereignissen 59469 Seit 1945 594691 Allgemeine Textausgaben 594692 Ausgaben der Schriften mehrerer Persönlichkeiten 594693 Allgemeine Untersuchungen 594694 Untersuchungen zu mehreren Persönlichkeiten 594695 Einzelne Persönlichkeiten und Richtungen (Texte und Untersuchungen nach dem Alphabet der Persönlichkeiten) 594696 Untersuchungen zu Einzelfragen und zu einzelnen Ereignissen 595 Sonderkapitel der Geschichte des Judentums 5951 Gesellschaft 5952 Wirtschaft 5953 Wissenschaft 5954 Kunst 59541 Allgemeines 59542 Dichtung 595421 Allgemeine Textausgaben 595422 Ausgaben der Schriften mehrerer Dichter 595423 Allgemeine Untersuchungen 595424 Untersuchungen zu mehreren Dichtern 595425 Einzelne Dichter (Texte und Untersuchungen nach dem Alphabet der Dichter) 595426 Untersuchungen zu Einzelfragen und zu einzelnen Ereignissen 59543 Musik 595431 Allgemeine Ausgaben 595432 Ausgaben mehrerer Musiker
V e r s u c h einer d e z i m a l e n K l a s s i f i k a t i o n f ü r T h e o l o g i e I
167
595433 Allgemeine Untersuchungen 595434 Untersuchungen zu mehreren Musikern 595435 Einzelne Musiker ( A u s g a b e n u n d U n t e r s u c h u n g e n nach d e m A l p h a b e t der M u s i k e r ) 595436 Untersuchungen zu E i n z e l f r a g e n u n d zu einzelnen Ereignissen 59544 Bildende Kunst 595443 Allgemeine Untersuchungen 595444 Untersuchungen zu mehreren Künstlern 595445 Untersuchungen zu einzelnen K ü n s t l e r n (nach d e m A l p h a b e t d e r K ü n s t l e r ) 595446 Untersuchungen zu E i n z e l f r a g e n u n d zu einzelnen Ereignissen 59546 Darstellende Kunst 595463 Allgemeine Untersuchungen 595464 Untersuchungen zu mehreren Künstlern 595465 Untersuchungen zu einzelnen K ü n s t l e r n (nach d e m A l p h a b e t d e r K ü n s t l e r ) 5 9 5 4 6 6 U n t e r s u c h u n g e n zu E i n z e l f r a g e n u n d z u e i n z e l n e n Ereignissen 5956 Messianismus und Zionismus 59561 Allgemeine Textausgaben 5 9 5 6 2 A u s g a b e n der S c h r i f t e n m e h r e r e r P e r s ö n l i c h k e i t e n 59563 Allgemeine Untersuchungen 59564 Untersuchungen zu mehreren Persönlichkeiten 59565 Einzelne Persönlichkeiten und Richtungen ( T e x t e u n d U n t e r s u c h u n g e n nach d e m A l p h a b e t d e r Persönlichkeiten) 59566 Untersuchungen zu Einzelfragen und zu einzelnen Ereignissen 5958
Verfolgungsgeschichte 59581 Allgemeine Textausgaben 59582 Ausgaben der Schriften mehrerer Persönlichkeiten 59583 Allgemeine Untersuchungen 59584 Untersuchungen zu mehreren Persönlichkeiten 59585 Einzelne Persönlichkeiten u n d Richtungen ( T e x t e u n d U n t e r s u c h u n g e n nach d e m A l p h a b e t der Persönlichkeiten) 59586 Untersuchungen zu E i n z e l f r a g e n und zu einzelnen Ereignissen (einzelne R e g i o n e n u n d O r t e s. 5 9 7 ! ) 59587 Antike 5 9 5 8 8 Christliche P e r i o d e 59589 Gegenwart
5959 Kirche 59591 59592 59593
und Judentum Allgemeine Textausgaben A u s g a b e n der S c h r i f t e n m e h r e r e r P e r s ö n l i c h k e i t e n Allgemeine Untersuchungen
168
Jürgen
Heydrich
59594 Untersuchungen zu mehreren Persönlichkeiten 59595 Einzelne Persönlichkeiten und Richtungen (Texte und Untersuchungen nach dem Alphabet der Persönlichkeiten) 59596 Untersudiungen zu Einzelfragen und zu einzelnen Ereignissen 59597 Alte Kirche 59598 Mittelalter 59599 Neuzeit
597 Regionale Gesdiidite des Judentums 5971 Europa 59711 Allgemeines 59714 Regionen (nach dem Alphabet der Regionen) 59718 O r t e (mit Regionen, die nach Orten genannt sind; nach dem Alphabet der Orte) 5972 Amerika 59721 Allgemeines 59724 Regionen (nach dem Alphabet der Regionen) 59728 O r t e (mit Regionen, die nach O r t e n genannt sind; nach dem Alphabet der Orte) 5973 Asien 59731 Allgemeines 59734 Regionen (nach dem Alphabet der Regionen) 59738 O r t e (mit Regionen, die nach Orten genannt sind; nach dem Alphabet der Orte) 5974 A f r i k a 59741 Allgemeines 59744 Regionen (nach dem Alphabet der Regionen) 59748 O r t e (mit Regionen, die nach Orten genannt sind; nach dem Alphabet der Orte) 5975 Australien 59751 Allgemeines 59754 Regionen (nach dem Alphabet der Regionen) 59758 O r t e (mit Regionen, die nach Orten genannt sind; nach dem Alphabet der Orte) 5976 Staat Israel 59761 Allgemeines 59762 Insbesondere
Versuch einer dezimalen Klassifikation f ü r T h e o l o g i e I
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597621 Geschichte 597622 Religion 597623 Gesellschaft 597624 W i r t s c h a f t 597626 Wissenschaft 597628 K u n s t 59763 Reisebeschreibungen 59764 Regionen (nach dem A l p h a b e t der Regionen) 59768 O r t e (mit Regionen, die nach O r t e n g e n a n n t s i n d ; nach d e m A l p h a b e t d e r O r t e )
Immanenter Schlüssel für die Endzahl 5 Einzelne Persönlichkeiten Bibliographien G e s a m m e l t e Schriften A l l g e m e i n e U n t e r s u c h u n g e n u n d Serien E i n z e l n e Schriften mit den d a z u g e h ö r i g e n U n t e r s u c h u n g e n (in alphabetischer R e i h e n f o l g e der Schriften) Leben Lehre U n t e r s u c h u n g e n zu E i n z e l f r a g e n u n d zu einzelnen Ereignissen
wird zitiert: 1 2 3 4 5
6 7
OSWALD Von
SPENGLER
KARL
KUPISCH
I. Anders als nach 1945 waren die Jahre, die dem Weltkrieg 1 9 1 4 — 1 9 1 8 folgten, von einer großen geistigen Bewegung und Erregung gekennzeichnet. Als wäre ein Staudamm jäh gebrochen und hätte lange zurückgehaltene Energien in Freiheit gesetzt, so strömten Ideen, Gestalten, Probleme und Themen in einem wilden Gewoge dahin, die in einer Reihe sensationeller Buchveröfientlichungen die Aufmerksamkeit auf sich zogen 1 . Die Spitze hielt Oswald Spenglers 2bändiges Werk „Der Untergang des Abendlandes". Es rief eine Flut von Literatur hervor, die für sich wieder eine kleine Bibliothek bildete 2 . Der Welterfolg dieses Buches war umso erstaunlicher als es sich nicht um eine populäre, unterhaltende Produktion handelte, sondern um ein überaus anspruchsvolles Werk, das nichts Geringeres sein wollte als der „Versuch einer Morphologie der Weltgeschichte". Man mochte sich damals schon fragen, ob alle Leser in der Lage wären, dem mit einem erdrückenden Wissen ausgefüllten Kurvenbild dieser welthistorischen Perspektiven verstehend zu folgen, oder ob es mehr die Musikalität der Sprache oder gar die hämmernden Imperative waren, die über alles Begreifen hinaus faszinierten. Der Verfasser schien auf allen Gebieten des kulturgeschichtlichen Lebens zuhause zu sein. Von Fachgelehrten war das Urteil zu hören: „Was er über mein Gebiet sagt, ist alles Unsinn. Aber das übrige ist sehr geistreich" 3 . Andererseits 1
2
3
Vgl. Ernst Troeltsch, Die Revolution in der Wissenschaft, in: Ges. Schriften, IV, 6 5 3 — 6 7 7 Der Untergang des Abendlandes, Bd. I ( 1 9 1 8 ) 1 9 2 3 3 ; Bd. II, 1923 — Manfred Schröter, Der Streit um Spengler, 1922, jetzt (bearbeitet) in: Metaphysik des Untergangs, 1949 Friedrich Meinecke, IV, 181
Über Spenglers Geschichtsbetrachtung (1923), in: Werke,
O s w a l d Spengler
171
gab es nicht wenige Gelehrte, die Spenglers Geschichtsbild f ü r eine der großartigsten K o n z e p t i o n e n hielten 4 , f ü r die S c h ö p f u n g eines genialen Einzelgängers. N i e m a n d h a t t e vor Erscheinen des Buches etwas von Spengler g e w u ß t . Er h a t t e sich nicht in der Z u n f t der akademischen Elite seinen W e g gebahnt. Aus einem a n o n y m e n D u n k e l t r a t sein N a m e plötzlich ans Licht. E r h a t auch in den wenig m e h r als f ü n f z e h n J a h r e n seines literarischen R u h m e s kein a k a d e misches L e h r a m t bekleidet, w o es ihm angeboten w u r d e , abgelehnt 5 . A u ß e r h a l b aller O r g a n i s a t i o n s f o r m e n des m o d e r n e n Geisteslebens f ü h r t e er die Existenz eines freien Schriftstellers, eines P r i v a t g e l e h r t e n — eine Berufssparte, die bei den Angehörigen der privilegierten Wissenschaftskorporationen, jedenfalls in Deutschl a n d , kein sonderliches Ansehen genießt. Die äußeren Lebensdaten Spenglers bis zum Erscheinen des 1. Bandes des „ U n t e r g a n g s " sind rasch aufgezählt 6 . E r k a m aus kleinbürgerlichen Verhältnissen. D e r V a t e r w a r mittlerer P o s t b e a m t e r in B l a n k e n b u r g a / H a r z , w o Spengler als 2. K i n d seiner Eltern 1880 geboren wurde. Von mütterlicher Seite scheint das künstlerische Bluterbe auf ihn übergegangen zu sein. D e r G r o ß v a t e r w a r K o n z e r t m e i s t e r an den H o f t h e a t e r n in Braunschweig u n d H a n n o ver, die Schwester der M u t t e r eine in den europäischen H a u p t städten einst gefeierte Solotänzerin. In Halle, w o h i n die Eltern übergesiedelt waren, besuchte Spengler das G y m n a s i u m der Franckeschen Stiftungen. Er h a t dort neben einer gediegenen humanistischen Bildung die ersten Eindrücke des preußischen Pietismus erhalten, von denen einiges in seiner Schrift „ P r e u ß e n t u m u n d Sozialismus" widerklingt. Erinnert hat er sich später oft des Geschichtsunterrichts bei dem bekannten Schulpädagogen Friedrich Neubauer. N a c h Erlangung des Reifezeugnisses studierte er von 1 8 9 9 — 1 9 0 3 in Halle, München u n d Berlin M a t h e m a t i k u n d N a t u r w i s s e n schaften. Bei dem ersten Anlauf zur P r o m o t i o n (1902) fiel er,
4
5
6
G e o r g Simmel: die b e d e u t e n d s t e Geschichtsphilosophie seit H e g e l , vgl. Spengler, Briefe (Br.) 1963, 114; ähnlich p o s i t i v G e o r g Misch, M i t h e r a u s g e b e r der Schriften Diltheys, ebd. 109 f. V o n G ö t t i n g e n (1918) u n d Leipzig (1933) ergingen an i h n R u f e auf A n r e g u n g von Misch u n d H a n s Freyer Spenglerheft der P r J , 1923, 129 ff.
172
Karl
Kupisch
der gar kein Examensmensch war, durch das Rigorosum, bestand die Doktorprüfung aber ein J a h r später bei dem Philosophen Alois Riehl mit einer Dissertation über Heraklit1. Glänzend brachte er das Staatsexamen in den Fächern Mathematik, Zoologie, Botanik, Chemie, Physik und Mineralogie hinter sich. Es folgten J a h r e des Schuldienstes in Saarbrücken, Düsseldorf und Hamburg, wo er sich 1911 zunächst auf ein J a h r beurlauben ließ, um dann aber ganz die Oberlehrer-Laufbahn aufzugeben. Poetische Arbeiten, denen er sich zunächst zuwandte, kamen zu keinem ihn befriedigenden Ziel 8 . D a lenkte die Agadirkrise von 1911 seine Aufmerksamkeit auf die politische Weltgeschichte. J e mehr er sich darin vertiefte, umso deutlicher traten ihm die universalen Zusammenhänge der Kultur- und Völkerwelt vor Augen. In dem Schaufenster einer Buchhandlung in München sah er die mehrbändige „Geschichte des Untergangs der antiken Welt" von O t t o Seeck. Sie regte ihn an zu dem Titel seines Buches, dessen Konzeption in seinem Inneren schon feststand. Als 1914 der Krieg ausbrach, war das Manuskript im Entwurf fertig, 1917 war es druckreif. Lange mußte er sich um einen Verleger bemühen, bis er schließlich bei dem Wiener Wilhelm Braumüller, dem Verlag von Otto Weininger Aufnahme fand. Das Buch erschien noch im Sommer 1918. Im Laufe von sechs Monaten war die Auflage von 1500 Stück verkauft. Eine breitere Wirkung fand das Buch jedoch erst, als es der Münchener Verlag C. H . Beck übernahm. 1923 erschien dort die 3. bearbeitete Auflage, sowie der abschließende 2. Band. II. Spengler wollte im 1. Bande seines Werkes — es ist der grundlegende — eine Metaphysik der Geschichte geben, freilich in einem ganz anderen Sinne als das Wort bisher in der Philosophie verstanden wurde. Der Ausdruck ist bei ihm verschlungen mit einer H e r a k l i t . Eine Studie über den energetischen Gedanken seiner Philosophie, in: Reden und Aufsätze ( 1 9 3 7 ) 1 9 5 1 4 , 1 — 4 7 8 Eine Skizze „Der Sieger" ( 1 9 1 0 ) , in: Reden u. Aufs., 4 8 — 6 2 ' O t t o Weininger ( 1 8 8 0 — 1 9 0 3 ) stand stark unter den Nachwirkungen der Schopenhauerschen Philosophie, Vf. u. a. des antisemitischen Buches „ G e schlecht und C h a r a k t e r " ( 1 9 0 3 ) , „Taschenbuch" ( 1 9 1 9 ) 7
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A n z a h l von Begriffen, die sämtlich das empirische Erscheinungsbild der Geschichte in seiner „Gestalt u n d Wirklichkeit" enthüllen wollen. Bedenkt m a n , d a ß das Buch bereits vor dem Ausbruch des Weltkrieges k o n z i p i e r t w a r u n d Spengler noch im F r ü h j a h r 1918 mit einem ü b e r w ä l t i g e n d e n Sieg der deutschen W a f f e n rechnete, so ist die Kennzeichnung, d a ß das Buch auf die pessimistische U n t e r g a n g s s t i m m u n g der politischen u n d militärischen K a t a s t r o p h e berechnet w a r , nicht am Platze. D a ß es nach 1918, schon wegen seines bestürzenden Titels, von einer K o n j u n k t u r getragen w u r d e , ist nicht zu leugnen. Aber das lag nicht in der Absicht des A u t o r s . Spenglers W e r k w a r Ausdruck einer Krise umfassenderen C h a rakters, die mit dem Zusammenbruch der alten historischen Gew a l t e n n u r in das Licht der öffentlichen Diskussion getreten ist: der Krise des Historismus, Spengler hat sie in ihrer eigentlichen T i e f e nicht einmal e r f a ß t . E r w a r nur ihr T r o u b a d o r . D e r universale O d e m , der die großen Plangeister der Goethezeit e r f ü l l t und in R a n k e s m o n u m e n t a l e r Geschichtsschreibung eine originale Verdichtung e r f a h r e n hatte, w a r seit der M i t t e des 19. J a h r h u n d e r t s zum Erlöschen gekommen. G e w i ß s t a n d auch die Reihe der sog. „politischen H i s t o r i k e r " , also D r o y s e n , H ä u ß e r , Sybel u n d Treitschke, noch auf dem Boden einer g r o ß e n K u l t u r tradition, deren Geist auch in dem von ihnen v e r k ü n d e t e n preußisch-deutschen N a t i o n a l s t a a t wirksam bleiben sollte. A b e r ihr weltanschauliches C r e d o , selbst w o es, wie etwa bei D r o y s e n , noch b e w u ß t in humanistisch-christlichen H u m u s hinabreichte, w u r d e gesättigt von einem i m m a n e n t e n Lebensgefühl. Die seit 1880 beginnende Neuorientierung an R a n k e bedeutete keine Rückkehr zu dessen theologisch-philosophischem Denkbild. Es handelte sich allein u m eine W e n d u n g zum Ideal einer universalen „objektiven" Geschichtsbetrachtung unter Verneinung aller z w e c k h a f t e n politischen oder religiös-weltanschaulichen Tendenzen. Wie sehr auch diese R a n k e - E p i g o n e n , die bis 1914 und noch d a r ü b e r hinaus die deutsche Geschichtsschreibung beherrschten, nationalpolitischen M a c h t v o r stellungen v e r h a f t e t w a r e n , bedarf keiner Erläuterung 1 0 . N a t i o n a l 10
Vgl. Ludwig Dehio, Ranke und der deutsche Imperialismus, in: Deutschland und die Weltpolitik im 20. Jahrhundert, 1961, 3 3 — 6 2 ; H a n s - H e i n z Krill, D i e Ranke-Renaissance-Max Lenz und Erich Mareks, 1962
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liberale und kulturprotestantische Elemente waren zu einem historischen Reichspatriotismus verschmolzen. Je verfeinerter die Methoden wurden und je raffinierter die Forschung mit den Mitteln einer historischen Verstehenspsychologie in die verborgensten Spalten von Individualität und komplexen Daseinsformen einzudringen suchte, umso mehr näherte sie sich einem letztlich wertfreien Positivismus. Zugleich vollzog die Geschichte als Wissenschaft damit den Schritt aus dem Ganzen des Lebenszusammenhanges. Das Zeitalter des Historismus gewann die Züge einer sozialen Exklusivität. N u r eine schmale, akademische Bildungsaristokratie konnte den anspruchsvollen literarischen Produktionen mit Sachkenntnis folgen. Das breitere, an der Geschichte interessierte Publikum blieb auf patriotische Erbauungslektüre angewiesen oder griff zum historischen Roman. Der Typus der historischen „Belletristik" war noch nicht ausgebildet. Man muß von hier die große Wirkung verstehen, die das 1890 anonym erschienene kulturpolitische Buch „Rembrandt ah Erzieher" ausübte und noch mehr die neun Jahre später veröffentlichten „Grundlagen des 19. Jahrhunderts" von Houston Stewart Chamberlain, die bald auch in einer wohlfeilen Volksausgabe erschienen und in allen Lehrerund Schulbibliotheken A u f n a h m e fanden 1 1 . Kurzfristiger und begrenzter war der Ruhm eines wissenschaftlichen Außenseiters wie Karl Lamprecht, dessen 12bändige „Deutsche Geschichte" dem zornigen Anathema der Zunft verfiel und einen hektischen Methodenstreit hervorrief, der mit dem Sieg der auf Ranke sich berufenden Fachgenossen endete. Aber wie immer das Urteil über diese Bücher lauten mag, ihr Erfolg bewies, gleich wie man ihn taxiert, daß im Bildungsleben des Volkes Fragen offen waren, die ihm die akademische Führungselite der Universitäten nicht zu beantworten vermochte. Das mußte besonders schwerwiegend sein für das Feld der historisch-politischen Bildung, in einem Volke, das ohnehin daran gewöhnt war, alles „von oben" zu empfangen. Nietzsches Frage nach dem „ N u t z e n und Nachteil der Historie für das Leben", sein Sturmlauf gegen die Arbeit des kritischen und " Vgl. K a r l Kupisch, Bürgerliche F r ö m m i g k e i t im Wilhelminischen Zeitalter, in: Durch den Z a u n der Geschichte, 1964, 2 8 2 — 3 0 0
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philologischen H i s t o r i k e r s , gegen das metaphysische u n d das n a t u ralistische, das positivistische, traditionalistische u n d antiquarische Geschichtsbild w a r e n ein W e t t e r l e u c h t e n , das um die J a h r h u n d e r t w e n d e erst v o n wenigen der reizsamen N a t u r e n w a h r g e n o m m e n w u r d e . In der akademischen Forschung ü b e r h a u p t nicht. A b e r unter d e n K ü n s t l e r n , den D i c h t e r n u n d auch etlichen P h i l o s o p h e n beg a n n m a n e t w a s zu ahnen, v o m A n b r u c h einer g r o ß e n Krise, in der sich die Welt als Geschichte befinde. Schon D i l t h e y , der die P h ä n o m e n e der historischen Welt bis in ihre letzten s u b j e k t i v e n u n d m e taphysischen T i e f e n v e r f o l g t h a t t e , v e r n a h m in seinen s p ä t e r e n J a h r e n e t w a s v o n dem d u m p f e n G r o l l e n sozialer G e w a l t e n , die e i n m a l eine E r s c h ü t t e r u n g v o n K u l t u r u n d Gesellschaft h e r b e i f ü h ren w e r d e n , wie sie die W e l t seit den T a g e n der u n t e r g e h e n d e n A n t i k e nicht m e h r erlebt h a t . M a n f ü h l t sich u n w i l l k ü r l i c h an die d ü s t e r e n P r o p h e z e i u n g e n eines J a c o b Burckhardt e r i n n e r t o d e r an jenen S a t z v o n Friedrich Engels nach Abschluß der französischrussischen A l l i a n z im J a h r e 1894: „ D a s jetzige System in Deutschl a n d ü b e r l e b t einen K r i e g keinesfalls 1 2 ". D i l t h e y , der eigentliche B e g r ü n d e r der dynamischen L e b e n s p h i losophie, ist im selben J a h r e gestorben, in dem Spengler seine Vision v o m U n t e r g a n g des A b e n d l a n d e s e m p f i n g . A b e r was sich in den f o l g e n d e n drei J a h r e n der I n k u b a t i o n in ihm zur Ü b e r z e u g u n g befestigte, w a r nicht das a p o k a l y p t i s c h e Schreckensbild einer Menschh e i t s k a t a s t r o p h e , s o n d e r n das gigantische P a n o r a m a eines weltgeschichtlichen Schicksals, dem n i e m a n d e n t r i n n e n , das m a n n u r bej a h e n k a n n . D a s J a h r h u n d e r t der W e l t k r i e g e u n d der W e l t r e v o l u t i o n e n w i r d die Schwelle, über die die a b e n d l ä n d i s c h e Menschheit in ihr letztes L e b e n s a l t e r t r i t t , in die Epoche des C ä s a r i s m u s . M i t diesem „ U n t e r g a n g " e r f ü l l t sich ihr D a s e i n , gelangt ihre w e l t h i s t o rische E x i s t e n z z u r V o l l e n d u n g . D e n n alle K u l t u r e n d u r c h l a u f e n nach Spengler, w i e die L e b e w e sen der organischen Welt, gleiche Stadien der E n t w i c k l u n g . Sie h a ben ihren F r ü h l i n g , ihren S o m m e r , ihren H e r b s t u n d i h r e n W i n t e r . D e r G e b u r t aus einem geschichtslosen, mythischen D u n k e l f o l g t " G u s t a v Mayer, Friedrich Engels, 1934 II, 509 ff.; cf. Kupisch, D a s h u n d e r t des Sozialismus u n d die Kirche, 1958, 112
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die Kindheit und die Zeit der werdenden Reife bis zur Mittagshöhe, dann setzt der Abstieg ein, das allmähliche Altern bis zum Greisentum und Lebensausgang. In allen Lebensphasen gibt es vergleichbare Erscheinungsformen, die wie ein unabänderliches Naturgesetz den Lebensrhytmus der Kulturen bestimmen. Spengler unterschied acht Hochkulturen, fünf davon unterzog er einer näheren
„ver-
gleichenden" Betrachtung: die chinesische, die indische, die ägyptische, die antike, die arabische (magische) und die abendländische (faustische). J e d e K u l t u r hat eine Laufzeit von etwa 1 0 0 0 J a h r e n , jede ist schicksalsbestimmt geprägt von einem individuellen Seelentum. einer ihr zugehörigen Raumstruktur und Deutung der Tiefe. Dieses „ U r s y m b o l " ist entscheidend für ihren Lebensweg und spiegelt sich wieder in den großen schöpferischen Leistungen. D i e Kulturzyklentheorie w a r keine Neuentdeckung Spenglers. Auch der Organismusgedanke und das Problem des Kulturzerfalls waren lange vor ihm bekannt. Aber mit Hinweisen auf „ V o r l ä u fer Spenglers" wird man seine Theorie kaum entwerten können 1 3 . In ihr laufen sehr verschiedene Gedankenfäden zu einer allerdings sehr apodiktisch vertretenen Grundthese zusammen, die immerhin als die originale Erkenntnis eines „genialen D i l e t t a n t e n "
gelten
kann. Spengler selber hat für seine geistige Herkunft auf
Goethe
und Nietzsche
verwiesen, man d a r f Schopenhauer
hinzufügen.
Was Spengler mit Goethe gemein hat, ist freilich nicht mehr als eine V o k a b e l : U r p h ä n o m e n . Alles andere, was er von dessen „Philosophie" d a n k b a r gelernt haben will, wird sehr willkürlich angewandt und ist mehr ersetzt durch Begriffe wie Landschaft, Seele, Symbol, Leben, Dasein, Wachsein, T a k t , die den kritischen Leser, dem es mehr um sachliche K l a r h e i t als um intuitives H i n n e h men geht, oft einer sinnlosen Abnutzung seiner Aufnahmefähigkeit aussetzen. V o n Goethes gütig-bescheidener Weltweisheit, die auch vor dem Geheimnis der U r p h ä n o m e n e sich in Ehrfurcht zurückhielt, hat Spengler nichts an sich. Seine Philosophie erhob den Anspruch, den Schleier von allen Verborgenheiten der Weltgeschichte hinweg13
Vgl. E d u a r d Spranger, Die Kulturzyklentheorie und das Problem des K u l t u r verfalls, in: K u l t u r f r a g e n der G e g e n w a r t , 1953, 1 1 — 4 1 ; H a n s - J o a c h i m Scboeps, Vorläufer Spenglers. Studien zum Geschichtspessimismus im 19. J a h r h u n d e r t , 1 9 5 5 2 (Beiheft I der Z R G G )
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zuziehen, nicht, um zu zeigen, „wie es gewesen ist", sondern um Geschichte „vorauszubestimmen". Diese „neue Philosophie, die Philosophie der Z u k u n f t " , die einzige die aus dem metaphysisch erschöpften Boden des Abendlandes noch hervorgehen kann, ist eine Morphologie der Weltgeschichte, „die alle Gestalten und Bewegungen der Welt in ihrer tiefsten und letzten Bedeutung noch einmal, aber in einer ganz anderen Ordnung, nicht zum Gesamtbilde alles Erkennens, sondern zu einem Bilde des Lebens, nicht des Gewordenen, sondern des Werdens z u s a m m e n f a ß t " . Es gilt, so sagt Spengler, den Schritt, den Kopernikus in bezug auf die N a t u r tat, auch in bezug auf die Geschichte zu tun, der uns befreit von der perspektivischen Schranke, vom kausalmechanischen Verstehen. Wer die Welt als Geschichte betrachtet, weiß um die metaphysisch empfundene Flucht alles Irdischen: Vergänglichkeit. Entstehen und Vergehen sind die Formen des Wirklichen. Nichts hat D a u e r , nichts hat „Ewigkeit". Es gibt aufblühende und alternde Kulturen, Lebewesen höchsten Ranges, die in einer erhabenen Zwecklosigkeit aufwachsen wie die Blumen auf dem Felde und — verwelken. Diese Morphologie der Weltgeschichte wird notwendig zu einer universellen Symbolik, ihre metaphysisch-ethische Signatur ist die Skepsis. „Wir sind Skeptiker allen kausal erklärenden Denkweisen gegenüber. Wir lassen die Dinge reden und bescheiden uns damit, das in ihnen waltende Schicksal zu fühlen und in seinen Gestaltungen zu schauen, dessen E r g r ü n d u n g nicht im Bereich menschlichen Verstehens liegt. Das äußerste, was wir erreichen können, ist die A u f f i n d u n g ursachenloser, zweckloser, rein seiender Formen, die dem wechselnden Bilde der N a t u r zugrunde liegen". Dieser „Skeptizismus faustischen Stils" unterschied Spengler auch von seinem Lehrer, Nietzsche, den er wegen seines eschatologischen Optimismus vom kommenden Übermenschen noch in einer romantisch-europäischen Befangenheit sah 14 . Gleichwohl hat er N i e t z sches Ahnung von der H e r a u f k u n f t des Nihilismus in seinen großartigen Untergangsvisionen den weltgeschichtlichen R a h m e n gegeben. 14
I, 6; II, 35; I, 473 f.; cf. Nietzsche und sein Jahrhundert, in: Reden u. Aufs. 110—124, dazu die Kritik von Harry Graf Kessler, Tagebücher, 1961, 545 f.
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Der Untergang einer Kultur, das ist ihr Ubergang in die Altersphase der „Zivilisation". Das Abendland steht seit 1800 unter diesem Zeichen. An keiner Stelle seines Werkes wird Spenglers Sprache und Bildkraft plastischer, zugleich anstachelnder und mitreißender, als wenn er davon spricht. Er ist dann bei dem eigentlichen Thema seines Buches. Diese Partien waren es, die die Leser am meisten fesselten, wo sie ergriffen zustimmten, selbst wenn sie von seiner Philosophie wenig verstanden. Namentlich in christlichkonservativen Kreisen haben diese packenden Untergangsvisionen großen Eindruck gemacht, weil man meinte, sie in Parallele setzen zu können zu eigenen apokalyptischen Vorstellungen 15 . Das war fraglos ein Mißverständnis. Denn Spengler sah sich keineswegs in der Rolle eines prophetischen Apokalyptikers, der einen grandiosen Weltuntergang als Weltgericht beschwören wollte. In seinen düsteren Schilderungen war nichts von der Karamasow-Stimmung Dostojewskis, wie sie etwa in H e r m a n n Hesses Broschüre „Blick ins Chaos" geschildert wird. Spengler bleibt der kühle Diagnostiker, der die Schlüssel zu den Geheimnissen der Weltgeschichte besitzt und der den Auflösungsprozeß Schritt für Schritt verfolgt und vorausberechnet, so wie ein erfahrener Arzt eine unheilbare K r a n k heit beobachtet, deren Verlauf er bis zum letzten Stadium im voraus kennt. Das sind die unverkennbaren Symptome jeder sinkenden Zeit: Zerfall der gewachsenen staatlichen Formen, Ubergang zu Demokratie und Sozialismus, mit der Endphase im Cäsarismus, Imperialismus, Weltkriege, Weltrevolutionen; Auflösung der Gesellschaft zum Massendasein, Verarmung der bäuerlichen Kultur, Aufstieg der Weltstädte zu einem geschichtslosen Dasein; Konformismus der Gesinnung in Presse und Parteiendiktatur, U m f o r m u n g der 15
Beispiele dieser Art von christlicher Zustimmung bieten u. a. die ebenso phantasievollen wie dilettantischen Schriften von Franz Spemann, Zur Philosophie der Geschichte, 1923, und Von Heinridi W. Riehl bis Oswald Spengler, 1926; zum Schicksalsgedanken: Karl Heim, Die religiöse Bedeutung des Schicksalsgedanken bei Oswald Sp.; ders., Der Schicksalsgedanke als Ausdruck f ü r das Suchen der Zeit, beide in: Glaube und Leben. Ges. Aufs. u. Vorträge, 1926, 348—403
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Geisteswissenschaften zur Soziologie und Technik, Absterben der Musik, Literatur und Schönen Künste zur Persiflage. „Die exakte Wissenschaft geht der Selbstvernichtung durch Verfeinerung ihrer Fragestellungen und Methoden entgegen . . . Man verzichtet auf Beweise, man will glauben, nicht zergliedern . . . Einst durfte man nicht wagen, frei zu denken, jetzt kann man es nicht mehr. Man will nur noch denken, was man wollen soll, und eben das empfindet man als seine Freiheit". Die Einebnung der Gehirne kennzeichnet „das geistige Leben". Die kahle Geschichtslosigkeit des Fellachen wird das Los der Übrigbleibenden. „Der Mensch wird wieder Pflanze, an der Scholle haftend, dumpf und dauernd . . . Mitten im Lande liegen die alten Weltstädte, leere Gehäuse einer erloschenen Seele, in die sich geschichtslose Menschheit langsam einnistet. Man lebt von der Hand in den Mund, mit einem kleinen, sparsamen Glück und duldet. Massen werden zertreten in den Kämpfen der Eroberer um Macht und Beute dieser Welt, aber die Überlebenden füllen mit primitiver Fruchtbarkeit die Lücken und dulden weiter". Aber während dieses Schauspiel eines latenten Sterbens seinen Lauf nimmt, vollzieht sich in der Tiefe eine merkwürdige „Erweckung", unbemerkt von dem allgemeinen Atheismus, dem auch Kirche und Theologie längst ihren Tribut gezollt haben, ein Beten „mit jener mächtigen Frömmigkeit der zweiten Religiosität, die alle Zweifel für immer überwunden hat. Da, in den Seelen, ist der Weltfriede Wirklichkeit geworden, der Friede Gottes . . . Er hat jene Tiefe im Ertragen von Leid geweckt, welche der historische Mensch in dem Jahrtausend seiner Entfaltung nicht kernten lernt. Erst mit dem Ende der großen Geschichte tritt das heilige, stille Wachsein wieder hervor. Es ist ein Schauspiel, das in seiner Zwecklosigkeit erhaben ist, zwecklos und erhaben wie der Gang der Gestirne, die Drehung der Erde, der Wechsel von Land und Meer, von Eis und Urwäldern auf ihr. Man mag es bewundern oder beweinen — aber es ist da" 1 6 . Diese zweite Religiosität ist das Gegenstück zum Cäsarismus, mit dem alle Geschichte endet. Eine Eschatologie ohne Telos. 16
I, 5 4 4 ; II, 5 4 3 , 3 8 0 f.
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III. Zur Frage der Religion, genauer: des Christentums, hat sich Spengler eingehend im 2. Bande seines Werkes geäußert, der als ein Kommentar des ersten bezeichnet werden kann. Die philosophische Grundlegung wird hier unter „welthistorischen Perspektiven" an ausgewählten Themen erläutert: Ursprung und Landschaft, Städte und Völker, der Staat, die Wirtschaft. In der Mitte steht aber das große Kapitel über die Religion, von Spengler selber als das Herzstück bezeichnet: „Der Aufbau der Gesamtgeschichte in unserem Weltbilde hängt . . . ganz davon ab, ob man ihre innere Form erkennt" 1 7 . Nicht ohne polemische Seitenhiebe auf die traditionelle Forschung, die, in Fachgebiete zerfallen, den Blick für große Zusammenhänge verloren hat, entwirft Spengler ein Bild der Entstehung von „Christentum" und „Kirche", das der faszinierenden Großartigkeit nicht ermangelt und in einer Reihe von Einzelbemerkungen und Charakterisierungen von einer blendenden Gedankenfülle ist. Allein die Art, wie er vom Auftreten Jesu spricht, hinterläßt bei dem nichttheologischen Leser tiefe Eindrücke. Sieht man jedoch einmal von allen Einzelurteilen ab, so ist auffallender und überraschender, wie Spengler das Christentum, das doch innerhalb der abendländischen Geistesgeschichte die entscheidende Kraft bildete, in seiner weltgeschichtlichen Morphologie eigentlich übersieht. D a es für ihn originär weder zur antiken noch zur abendländischen Kultur gehört und nach seiner Zyklentheorie Entwicklungsübergänge von einem zum anderen Seelentum auch nicht möglich sind, verwendet er einen ganz neuen Begriff, den der Pseudomorphose. Zu ihrer Erklärung bedient er sich eines Bildes aus der Kristallographie und Mineralogie. Wenn in einer Gesteinsschicht Kristalle eines Minerals eingeschlossen sind, entstehen mitunter Spalten und Risse, durch die Wasser hinabsickert, das die Kristalle auswäscht. Durch vulkanische Ereignisse dringen glühend-flüssige Massen in diese Hohlräume, die nun ebenfalls kristallisieren, aber sich den gegebenen Formen anpassen müssen, obwohl ihre innere Struktur dem äußeren Bau widerspricht. Solche Gesteinsbildungen in „gefälschten" Formhülsen sind Pseudomorphosen. 17
II, 228
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Derselbe V o r g a n g ist nach Spengler auch in der
geschichtlichen
W e l t möglich, wenn nämlich eine fremde alte K u l t u r so mächtig über dem L a n d e liegt, daß „eine junge, die hier zu H a u s e ist, nicht zu A t e m k o m m t und nicht nur zu keiner Bildung reiner, eigener Ausdrucksformen, sondern nicht einmal zur vollen E n t f a l t u n g ihres Selbstbewußtseins gelangt. Alles, was aus der T i e f e eines früheren Seelentums emporsteigt, wird in die H o h l f o r m des fremden Lebens ergossen" 1 8 . D a s sei der F a l l bei der sog. Arabischen (magischen) K u l t u r , der auch das frühe C h r i s t e n t u m zugehört. W e r bei Spengler an Überraschungen gewöhnt ist und auch gern davon absieht, dem Geschichtsphilosophen
historische
Einzelirr-
tümer seiner intuitiven K o m b i n a t o r i k vorzuhalten, w i r d bei diesem grundlegenden und von ihm selbst als „neue E n t d e c k u n g " bezeichneten T h e m a doch mit v e r s t ä r k t e m E r n s t fragen müssen, inwieweit die hier mit der gewohnten und keinen Widerspruch duldenden thetischen Strenge aufgestellten H y p o t h e s e n dem Gerichtsstand der Tatsachen standhalten. M e h r als an den anderen Stellen seines W e r k e s schreitet Spengler mit souveräner Verachtung über H i s t o r i k e r und Philologen hinweg, denen es in allen ihren Leistungen an dem „physiognomischen T i e f b l i c k " mangelte und die, erdrückt von ihren papiernen Quellen, den entscheidenden
Schritt
vom ptolemäischen zum kopernikanischcn Aspekt nicht zu tun vermochten. D e r unkritische Leser ist zunächst auch wieder
beein-
druckt von den kühnen G e d a n k e n - V i a d u k t e n , die sich über die W e i t e n der Geschichte spannen. Natürlich ist die traditionelle A u f fassung v o m Entwicklungsgang der Geschichte von der S p ä t a n t i k e zur europäisch-abendländischen K u l t u r ein I r r t u m . N a c h der K u l t u r z y k l e n t h e o r i e ist sie auch nicht möglich, weil jede K u l t u r ihren eigenen, in sich geschlossenen V e r l a u f nimmt. D i e A n t i k e b e f a n d sich schon seit 2 0 0 v. C h r . im Zustande der zunehmenden V e r g r e i sung, w a r „ Z i v i l i s a t i o n " . In ihre verkrusteten Schalen drang aber die erwachende orientalische, „magische" K u l t u r — Spengler nennt sie sehr summarisch die „arabische" — sie k a n n sich nicht selbständig entwickeln, sondern bleibt eingeklemmt in dem F o r m e n g e f ä n g nis einer sterbenden W e l t . U n t e r der M a s k e der S p ä t a n t i k e lebt 13
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die „magische Seele", deren Weltbild „die Höhle" ist. Die Landschaft zwischen Euphrat und Nil, Kairo und Bagdad ist ihre Heimat, ihre Phänomene sind der Isis- und Mithrasglaube, der Neuplatonismus, die Gnosis, das frühe Christentum, dem schließlich der Islam folgt. Ihrer aller Schicksal erfüllte sich im Raum der Mittelmeerländer. U m das Jahr 1000 ist alles erloschen, das magische Weltgefühl weicht einer neuen, der „faustischen" Kul ; tur, der eigentlich abendländischen. Das Christentum der Kirchenväter wird abgelöst durch das „Christentum" der Kreuzzüge mit einer eigenen Symbolik, die in den mittelalterlichen Domen und Kathedralen ihren höchsten Ausdruck findet. Aber es kommt hier nicht zur „Geburt eines Mythus großen Stils". Die Renaissance vermag wohl die Täuschung vom griechisch-hellenistischen Ursprung des Christentums hervorzurufen. Aber im Grunde geht auch das zweite Zeitalter des Christentums mit dem Jahre 1500 zu Ende. Die Reformation hat keine eigene geschichtliche Bedeutung. Luther schließt nur die Reihe der „Reformpäpste" ab. Luther, Calvin und Loyola werden auf einer Linie gesehen. Aber während Reformation und Gegenreformation sich in einem fruchtlosen Ringen befinden, fallen in Kanada, an der Gangesmündung, am Mississippi Entscheidungen zwischen Frankreich, Spanien, England und den Niederlanden, in denen überall diese beiden großen Organisatoren der Spätreligion des Abendlandes — Calvin und Loyola — sich gegenüberstanden. „Die geistige Gestaltungskraft der Spätzeit begann nicht mit, sondern nach der Reformation". Die faustische Kultur, die in der Gotik zu ihrer Höhe aufgestiegen war, tritt in das letzte Stadium ihres Lebenskampfes: die mechanische Weltauffassung steigt auf ihren Gipfel. Das Schicksalhafte wird als Evolution, Entwicklung, Fortschritt mechanisiert . . . Monismus, Darwinismus, Positivismus erheben sich zu einer Zweckmäßigkeitsmoral, die dem amerikanischen Geschäftsmann und englischen Politiker ebenso einleuchtet wie den deutschen Fortschrittsphilister, und die im letzten Grunde nichts ist als eine intellektuelle Karikatur der Rechtfertigung durch den Glauben. Das Stadium der abendländischen Zivilisation ist damit erreicht. Aber inmitten ihres Absterbens und Uberganges in den geschichtslosen Zustand unter der Herrschaft eines gestaltlosen Cäsarismus erwacht in der Tiefe die schon ge-
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n a n n t e „ z w e i t e R e l i g i o s i t ä t " , die R ü c k k e h r der D u l d e n d e n Zertretenen zum Mythus.
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Selbst w e n n m a n bei der B e u r t e i l u n g des C h r i s t e n t u m s alle Theologie, die S p e n g l e r f ü r „idiotisch" 1 9 h ä l t , beiseite l ä ß t u n d allein das geschichtliche Erscheinungsbild sich v o r A u g e n h ä l t , so g l a u b t m a n bei Spengler in einen Vexierspiegel zu blicken. E x i s t e n z u n d B e d e u t u n g der christlichen Kirche, B i b e l t r a d i t i o n , C h r i s t u s d o g m a , S a k r a m e n t u n d P r e d i g t v e r s c h w i n d e n in einem W o l k e n m e e r m o r p h o l o g i s c h e r D e u t u n g e n . G a n z u n v e r s t ä n d l i c h bleibt, wie er v o n R e f o r m a t i o n , Pietismus, Kirchenlied u n d K i r c h e n m u s i k gleichsam m i t a b g e w a n d t e m Gesicht n u r flüchtige N o t i z n i m m t . W a s er von der E n t s t e h u n g u n d F r ü h e n t w i c k l u n g des C h r i s t e n t u m s schreibt, gleicht einem phantastischen Schienengewirr eines nicht b e t r i e b s f ä h i g e n R a n g i e r b a h n h o f s , dessen S i g n a l a n l a g e n falsch m o n t i e r t sind. Eine bis ins einzelne gehende K r i t i k w ü r d e eine A b h a n d l u n g f ü r sich beanspruchen 2 0 . F r a g t m a n nach d e m geistig-seelischen H i n t e r g r u n d dieser A u f fassung, so ist d a r a u f folgendes zu sagen; Spengler b e w e g t sich mit seinen Aussagen über das C h r i s t e n t u m völlig in der Gefolgschaft Nietzsches 2 1 . A b e r w ä h r e n d der T h ü r i n g e r P a s t o r e n s o h n seinen K a m p f gegen das C h r i s t e n t u m noch mit einem sich steigernden 19 20
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U r f r a g e n - F r a g m e n t e aus dem N a c h l a ß , 1965, 76 Vgl. H a n s v. Soden, O s w a l d Spenglers M o r p h o l o g i e der Weltgeschichte u n d die Tatsachen der Kirchengeschichte; ders., D i e Geschichte der christlichen K i r c h e bei O s w a l d Spengler, beide in: U r c h r i s t e n t u m u n d Geschichte. Ges. A u f s . u. V o r t r ä g e , 1956, II, 1 — 5 5 ; E r n s t Troeltsch, IV, 6 7 7 — 6 9 0 . D e r Leipziger A l t t e s t a m e n t l e r u n d O r i e n t a l i s t A l f r e d Jeremias (1864—1933) w a r — ähnlich wie der A l t h i s t o r i k e r E d u a r d Meyer ( 1 8 5 5 — 1 9 3 0 ) — so beeindruckt von Sp., d a ß er im W i n t e r s e m e s t e r 1924/25 eine V o r l e s u n g über „Spenglers magische K u l t u r u n d der Alte O r i e n t " hielt u n d Sp., mit d e m er in K o r r e s p o n d e n z s t a n d , wissen ließ, wie sehr er in dessen „ g r o ß e n G e d a n k e n " lebe, vgl. Br. (passim). D i e W i r k u n g e n v o n Spenglers Begriff der „magischen" K u l t u r im Blick auf das C h r i s t e n t u m sind auch bei E d . Spranger, D i e Magie der Seele, 1947, zu spüren. Wesentliches v e r d a n k t Spengler d e m O r i e n t a l i s t e n H u g o Winckler, dessen A n s c h a u u n g e n sich auch w e i t h i n A . J e r e m i a s angeschlossen hatte, vgl. dessen Buch „ D a s A T im Lichte des A l t e n O r i e n t s " (1905) 1916 3 Vgl. Ernst Benz, Nietzsches Ideen zur Geschichte des C h r i s t e n t u m s u n d der Kirche, 1956; f e r n e r : K a r l Jaspers, Nietzsche u. d. C h r i s t e n t u m , 1948; H a n s Leisegang, Deutsche N i e t z s c h e - L i t e r a t u r ( T h L Z , 1950, 4 5 7 — 4 6 8 ) .
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Wutgeschrei führte, liegt f ü r Spengler — wie f ü r den modernen Freidenker — die Zeit des zelotischen Atheismus längst hinter ihm. Mit dem Kunstgriff der Pseudomorphose hat er die geschichtliche Bedeutung des Christentums ohnehin neutralisiert. D e r rationale Eifer heutiger Theologen gehört f ü r ihn zu den Niedergangserscheinungen der Zivilisation. Sie sind absolut unwichtige, in einem Rückzugsgefecht befindliche H a n d w e r k e r einer von ihnen selbst mit Skepsis betrachteten Ideologie. Allein in der Gestalt des Jesus von N a z a r e t h w a r diese einmal eine bewegende Kraft. Aber doch nur auf dem Boden des magischen Weltgefühls. In der Szene Jesus und Pilatus stießen „die Welt der Tatsachen und die der W a h r heit unvermittelt und unversöhnlich" aufeinander, der im Bilde seiner apokalyptischen Welt lebende Messias und der auf die W a h r heitsfrage sich achselzuckend abwendende Realist. „Was ist W a h r heit?" — das einzige W o r t im Neuen Testament, das Rasse hat, wie Spengler sagt. In dieser Frage des römischen P r o k u r a t o r s „liegt der ganze Sinn der Geschichte" 22 . Diese oft zitierte Charakterisierung ist im G r u n d e die schneidende Absage an die geschichtliche Bedeutung der Person Jesu und des Urchristentums. Sie legt aber zugleich den p r i m ä r politischen Sinn von Spenglers Geschichtsphilosophie bloß.
IV. M a n hat Spenglers politische Schriften oft als einen Seitenzweig seiner geschichtsphilosophischen Arbeiten angesehen. Seine eigenen mehrfachen Hinweise, daß er ein großes W e r k über „metaphysische Fragen" vorbereite, schien dieser Ansicht recht zu geben. T r o t z d e m steht außer Zweifel, d a ß Spenglers „wissenschaftliche" Arbeiten in einem unmittelbaren Zusammenhang mit seiner politischen P u b lizistik standen, ja, d a ß sie einander bedingen. Er w a r nicht politischer Schriftsteller im Nebenberuf. Sein philosophisches H a u p t w e r k stand im Dienste einer politischen Mission. Sein eigener Hinweis auf den U r s p r u n g desselben — die Marokkokrise von 1911 — u n d der im V o r w o r t zur 1. Auflage des 1. Bandes ausgesprochene 22
II, 262
O s w a l d Spengler
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Wunsch, d a ß sein Buch „ n e b e n d e n militärischen Leistungen D e u t s c h l a n d s nicht g a n z u n w ü r d i g d a s t e h e n m ö g e " , unterstreichen die politische T e n d e n z . Seine B r i e f e aus d e n K r i e g s j a h r e n zeigen das in einem noch v e r s t ä r k t e n M a ß e . E r w a r ein g l ü h e n d e r N a tionalist u n d I m p e r i a l i s t . A b e r die A r t , wie er an d e n Sieg der d e u t schen W a f f e n glaubte, als schon bescheidenere D e n k e r als dieser die J a h r t a u s e n d e durchleuchtende H e l l s e h e r längst e r k a n n t e n , d a ß alles v e r l o r e n w a r , zeigt, wie a r m in W i r k l i c h k e i t auch sein politisches E r k e n n t n i s - u n d U r t e i l s v e r m ö g e n w a r . E r w a r politischer Ideologe v o m Schlage der w i l d e s t e n Alldeutschen. E i n m i ß v e r g n ü g t e r O b e r lehrer, auch v o n physisch schwacher u n d bedenklicher G e s u n d h e i t 2 3 , h a t t e er sich in eine Idee v e r k r a l l t , die er m i t der F a s z i n a t i o n seiner Sprachmagie zu einer von S u m p f l i c h t e r g l a n z u n d Basiliskenhauch 2 ' 4 e r f ü l l t e n U n t e r g a n g s p r o p h e t i e entwickelte. „ W e r h e u t e e t w a s Bleibendes machen w i l l " , schrieb er 1913, „ m u ß eine Idee in sich f ü h l e n , die noch gar nicht z u m allgemeinen B e w u ß t s e i n gelangt ist" 2 3 . I m H i n b l i c k auf den Krieg, schrieb er im O k t o b e r 1914, „bin ich durchaus O p t i m i s t . W i r w e r d e n siegen, u n d z w a r so, d a ß die g r ö ß t e n O p f e r reichlich w i e d e r g u t g e m a c h t w e r d e n . Allein der Besitz von Belgien, das sicherlich deutsch bleibt, ist ein u n g e h e u r e r G e w i n n . . . Auch w a s w i r noch brauchen, ein a f r i k a n i s c h e s Kolonialreich, w e r den w i r b e k o m m e n . D i e L a n d u n g in E n g l a n d ist technisch m ö g lich u n d liegt im P l a n e unseres G e n e r a l s t a b s ( ! ) . Ich n e h m e an, d a ß sie A n f a n g N o v e m b e r e r f o l g t " 2 6 . Zugleich w u ß t e er, d a ß dieser
23
24
25 29
Sp. ist 1914 wegen „ N e r v e n s c h w ä c h e " „nicht v o r die i n n e r e Pflicht gestellt w o r d e n , als Freiwilliger m i t z u g e h e n " , Br. 31. E r scheint aber, als m a n ihn bei einer N a c h u n t e r s u c h u n g als n u r f ü r leichte B ü r o d i e n s t e tauglich b e f a n d , mit seinem Los nicht u n z u f r i e d e n gewesen zu sein. F ü r das persönlich auszuü b e n d e S o l d a t e n t u m besaß Sp. gar keine N e i g u n g . 1917 h a t t e sich seine älteste Schwester, die sich als K'omponistin u n d M u s i k v i r t u o s i n nicht durchsetzen k o n n t e , in einem A n f a l l v o n geistiger U m n a c h t u n g das Leben gen o m m e n (Br. 66). E r selber litt zeitlebens an K o p f s c h m e r z e n , Schlaflosigkeit u n d K r e i s l a u f b e s c h w e r d e n , 1927 e r l i t t er einen ersten Schlaganfall, der ihn längere Zeit a r b e i t s u n f ä h i g machte. Seinem d a u e r n d e n H e r z l e i d e n ist er 1936 erlegen. So E r n s t Stein in einer Rezension der B r i e f e u n d der N e u a u s g a b e des „ U n t e r g a n g s " ( „ D i e Z e i t " , 4. 10. 1963) Br. 25 Br. 29
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Krieg einen ungeheuren Wandel zur Folge haben wird. Mit der inneren Kultur, den die Goethezeit entwickelt hat, wird es endgültig zu Ende sein. „In dem Deutschland, das durch technische Intelligenz, Geld und den Blick f ü r Tatsachen seine Weltstellung befestigt hat, wird ein vollkommener, seelenloser Amerikanismus zur H e r r schaft gelangen, der Kunst, Adel, Kirche, Weltanschauung zu einem Materialismus auflöst, wie er nur im Rom der ersten Kaiserzeit schon einmal v o r h a n d e n war" 2 7 . Aber ihm w a r dieser mit einem deutschen Waffensieg erkaufte zivilisatorische Umbruch keineswegs schmerzlich. Gehörte er doch zum Schicksal dieser Spätzeit, in der sich nur ein cäsarischer Wille behaupten kann. „Ich lehre . . . den Imperialismus . . . als das typische Symbol des Ausgangs. Für die prachtvoll klaren, hochintellektuellen Formen eines Schnelldampfers, eines Stahlwerkes, einer Präzisionsmaschine . . . gebe ich den ganzen Stilplunder des heutigen Kunstgewerbes samt Malerei und Architektur hin" 2 8 . U n d in seiner apologetischen Skizze „Pessimismus?" hieß es zum Schluß: „Die Ideale soll man in Scherben schlagen; je lauter es klirrt, desto besser. H ä r t e , römische H ä r t e ist es, was jetzt in der Welt b e g i n n t . . . Kunst ja, aber in Beton und Stahl, Dichtung ja, aber von Männern mit eisernen N e r v e n und unerbittlichem Tiefblick" 2 9 . U n d so annektierte er in seinen Briefen munter weiter; denn „Deutschland hat eine Mission, die der Roms ähnlich ist . . .". Die Römer haben die Welt gar nicht erobert. Sie haben nur okkupiert, was politisch tot war. So träumte er in den Monaten, wo er selber „ z ä h n e k l a p p e r n d " versuchte, seine W o h n u n g zu erwärmen und seine Freunde um „Butter, Wurst, Käse, vielleicht ein p a a r Eier und schönen H o n i g " anbettelte, und der Vorstoß der deutschen Armeen steckengeblieben w a r , von einer „ A b d a n k u n g der romanischen N a t i o n e n " , von der „ G r ü n d u n g einer mitteleuropäischen Arbeitsgemeinschaft . . . von Brüssel bis Konstantinopel" und einem „faktischen deutschen P r o t e k t o r a t über den Kontinent (bis zum U r a l ) " . „Wir werden dann eine unvergleichliche Zeit er-
« ebd. 28 I, 48, 58 R e d e n u n d A u f s . 78 f.
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leben" 30 . M a n kann über soviel N a i v i t ä t in einer Zeit, wo die Menschen in Berlin und Wien (und München!) vor H u n g e r zusammenbrachen, in R u ß l a n d der Bolschewismus sich etablierte und die Amerikaner unangefochten ihre L a n d u n g in Westeuropa begannen, nur ergriffen staunen. Der Zusammenbruch von 1918 w a r f ü r Spengler eine tiefe Enttäuschung, veranlaßte natürlich keine Korrektur seiner Konzeption. Die epochale Bedeutung der bolschewistischen Revolution hat er genau so wenig erkannt wie die Militärs und Politiker der kaiserlichen Zeit. Für ihn lag der Kommunismus in der Konsequenz des allgemeinen staatlichen und gesellschaftlichen Niedergangs. R u ß l a n d war f ü r ihn Asien, beherrscht z. Z. von einer westlich infizierten Räuberbande. So trägt es ein Doppelantlitz. Das „eigentliche" R u ß l a n d hat mit der europäischen K u l t u r nichts zu tun. Es hat ein anderes Seelentum. Nicht Tolstoi, sondern Dostojewski entspricht ihm. Die H o r d e der Sowjets wird einmal abgewirtschaftet haben; d a n n wird das alte, heute in der Tiefe schlummernde Bauerntum aufwachen, und es wird d a n n hier, in der Landschaf!: des heiligen Mütterchen R u ß l a n d eine neue Kulturentwicklung anheben 3 1 . Es versteht sich, d a ß die konservativ-reaktionären Bewunderer Spenglers und D o stojewski-Enthusiasten diese D e u t u n g gern hörten, vor allem die Abweisung Rußlands nach Asien und den in der Gesetzlichkeit der Kultur-Seelenlehre beschlossenen Zusammenbruch des Bolschewismus. Die politische Entwicklung R u ß l a n d s hat diese Lehre, samt dem schönen T r a u m vom auf sein Erwachen aus dem kulturellen Dornröschenschlaf wartenden Bauerntum, längst widerlegt. Nicht anders verhält es sich mit den Zukunftsvisionen Spenglers über England und Amerika 3 2 . Sein politischer Blick war auch vornehmlich auf Deutschland gerichtet. Wenn er von der faustischen K u l t u r sprach, meinte er nicht die germanisch-europäische Völkerwelt — die Romanen schieden f ü r ihn ü b e r h a u p t aus — sondern die Deutschen, „das jüngste Volk der Weltgeschichte". Mit der Schrift „ P r e u ß e n t u m u n d Sozialismus" (1919) eröffnete er den publizisti30
31 32
Br. 51 f., 66, 69, 97 — Die Nähe zu Friedrich Naumanns ist unverkennbar. II, 232 ff., Politische Sdiriften, 1932, 107—126 Pol. Sehr. 159—186
„Mitteleuropa" (1915)
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sehen Kampf gegen die Weimarer Republik wie die Demokratie überhaupt. Sie hat zahllose Bewunderer gefunden, weniger aus sachlicher Einsicht in die Richtigkeit der Behauptungen als wegen der glänzenden polemischen Formulierungen, die immer mit einem Körnlein historischer Wahrheit versehen waren. Die schneidende Verachtung, mit der er die Weimarer Demokratie bedachte und ihre Vertreter summarisch als Verräter brandmarkte, wirkte auf die konservativen Mißvergnügten der Revolutionszeit stimulierend. Die Schrift w a r entstanden unter dem Eindruck des Münchener Linksputsches und Ausrufung einer bayerischen Räterepublik nach der Ermordung Kurt Eisners, w a r aber eine Generalabrechnung mit der Revolution des 9. November und den demokratischen Ideen des neuwerdenden Staates. Grundgedanke der Schrift war, dem demokratischen (marxistischen) Sozialismus den preußischen entgegenzustellen, dessen Begründer, wie Spengler schon im UntergangsBuch gesagt hatte, Friedrich Wilhelm I. gewesen ist 33 . Was er zum Thema Marxismus sagte, den er zum Händlertyp der Engländer in Parallele stellte, w a r barer Unsinn und demagogisches Feuerwerk. Niemand hat darauf kritisch reagiert. Die soziale Mission Preußens, die mit einer wortreichen Brillianz entwickelt wurde, riß Zahllose mit. Ihre Einseitigkeit wurde völlig übersehen. Spengler hat diese Schrift, wie auch alle späteren, mit reichen Hinweisen auf den „Untergang" versehen, was wiederum beweist, wie sehr er sein Hauptwerk als den philosophischen Hintergrund seiner politischen Agitation verstanden wissen wollte. So hat er denn auch in den unruhigen Jahren 1922/23 direkt in die Politik eingegriffen, indem er mit einer großen Zahl von Männern der Rechtsopposition — 33
Über die sozialpolitische Bedeutung Friedrich Wilhelms I. hatte Gustav Schmoller (1838—1917) in seinen bahnbrechenden Forschungen und Studien das Entscheidende gesagt. Sp. nennt ihn nicht. Spenglers forcierter „preußischer Sozialismus" hat aber stärker auf die Zeitgenossen gewirkt, als die gehaltvollen Arbeiten des Berliner Gelehrten. Zu spüren ist davon etwas in Jochen Kleppers Roman „Der Vater", auf wissenschaftlicher Ebene hat audi Carl Hinrichs zumindest Anregungen von Sp. empfangen, wenn man in seiner unvollendet gebliebenen Biographie des Soldatenkönigs (1941) das glänzende Kapitel über den halleschen Pietismus liest, in dem auch er den preuß. (pietistischen) Sozialismus in einen Gegensatz zu dem englisch-puritanischen und individualistischen Wirtsdiaftsdenken stellt.
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F r e i k o r p s f ü h r e r n , Offizieren, P o l i t i k e r n und I n d u s t r i e k a p i t ä n e n — in u n m i t t e l b a r e Verbindung trat. H ö h e p u n k t dieser z. T .
kon-
spirativen Verhandlungen war der geplante Anschlag der b a y e r i schen Rechtsregierung unter dem Ministerpräsidenten K a h r a u f die Reichsregierung, der durch das Dazwischentreten H i t l e r s und der Komödie
des „Marsches
zur F e l d h e r r n h a l l e "
zu einem
fatalen
E n d e k a m 3 4 . V e r b i t t e r t zog sich Spengler von der a k t i v e n politischen B e t ä t i g u n g zurück, beschränkte sich auf das Schreiben und gelegentliche R e d e n in seriösen, geschlossenen Kreisen der H o c h finanz
und
Schwerindustrie.
Unter
dem
Eindruck
putsches und des Münchener Hochverratsprozesses
des
Hitler-
veröffentlichte
er seine im A p r i l 1 9 2 4 vor dem Hochschulring deutscher A r t in W ü r z b u r g gehaltene R e d e über die „Politischen Pflichten der deutschen J u g e n d " . Sie blieb in der J u g e n d ziemlich unbeachtet 3 5 , w i r k t e aber in anderen Kreisen durch die ironisierende B e h a n d l u n g der völkischen Bewegung. Diese arbeite nur für F r a n k r e i c h , wie die Schillschen Offiziere einst sich für E n g l a n d o p f e r t e n . Es k o m m e nicht a u f Begeisterung an, sondern auf Wissen, K ö n n e n , nicht auf O r g a n i s a t i o n , Agitation, P r o g r a m m e und Gefühlsausbrüche, sondern auf die Beherrschung von Tatsachen. W a s er selber dann zur B e w ä l t i g u n g der Sachprobleme beitrug, bewegte sich
wiederum
ganz im R a h m e n seiner bekannten weltpolitischen K o n z e p t i o n e n . D a s neue Ansteigen der N S D A P imponierte ihm gar nicht. Als er im O k t o b e r 1 9 3 2 seine gesammelten „Politischen Schriften" herausgab, stellte er zynisch fest, daß er in Deutschland keinen F ü h r e r sehe. I h m ginge es um Tatsachen; daß diese sehr ernst gemeint sind, sei unser Schicksal, nicht seine A r t , es zu sehen. E r schreibe
34
Br. 2 5 0 — 2 9 2 ; interessant sind die Br., die Sp. an seinen Verehrer, den damals noch volksparteilichen Reichstagsabgeordneten Geh. R a t Reinhold Quaatz richtete, den er um „Hilfe aus dem N o r d e n " anging, da „ K a h r in seinem K a m p f völlig erschöpft" sei. Q u a a t z rechnete damals auf ein Zusammenspiel von Stresemann und Seeckt für „die Errichtung einer nationalen R e g i e r u n g " . Spenglers Beteiligung an solchen Plänen, wie sie damals zwischen Berlin und München gepflogen wurden, war wohl auch nur „ b e r a t e n d e r " N a t u r , immerhin bat ihn Q u a a t z , mit einer möglichen Überwachung des Telefons etc. zu redinen. Als Stresemann und Seeckt sich jedodi allen solchen Plänen versagten, vollzog Q u a a t z seinen Übergang in das L a g e r Hugenbergs.
35
Vgl. H a n s Hartmann,
Oswald Spengler und Deutschlands Jugend,
1925
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f ü r S t a a t s m ä n n e r u n d nicht f ü r P a r t e i f ü h r e r u n d S c h w ä r m e r f ü r ein D r i t t e s Reich. Solche Bemerkungen m u ß t e n natürlich in den Kreisen u m H i t l e r viel Ärger erregen. Vergeblich h a t ihn auch Goebbels f ü r seine P r o p a g a n d a gewinnen wollen, u n d eine U n t e r r e d u n g mit H i t l e r in B a y r e u t h verlief g a n z unerfreulich. Noch mehr erregte Spengler den Z o r n der Parteigrößen als er 1933 seine letzte Schrift „ J a h r e der Entscheidung", Teil I, veröffentlichte, die an dem Sieg des N a t i o n a l s o z i a l i s m u s fast verächtlich vorbeiging, o b w o h l er „die n a t i o n a l e U m w ä l z u n g " begrüßte. D a s Buch, das noch einmal die weltpolitische Situation unter g r o ß e n P e r s p e k t i v e n u m r i ß , h a t unter den k o n s e r v a t i v e n M i ß v e r g n ü g t e n des „ D r i t t e n Reiches" einen S t u r m der Begeisterung ausgelöst. Es ist auch nicht zu leugnen, d a ß das riesige Freskogemälde v o n der weißen u n d der f a r b i gen W e l t r e v o l u t i o n Szenen enthielt von g r ö ß t e r Ü b e r z e u g u n g s k r a f t . W e r sich von der W o r t m u s i k , die gerade in dieser Schrift wie ein gewaltiges Furioso a u f b r a u s t , mitreißen ließ, k o n n t e freilich leicht an Gehörschärfe f ü r die an den entscheidenden Stellen doch fehlerh a f t e I n s t r u m e n t a t i o n verlieren. „ H a t er nicht Recht gehabt?", so ist nach 1945 oft g e f r a g t w o r d e n . Aber ist das die tiefste Frage nach der Wahrheit eines geschichtsphilosophischen Werkes dieser A r t ?
V. Nicht mit dem Nachweis der „Abhängigkeit von , V o r l ä u f e r n ' " k a n n die K r i t i k an Spengler einsetzen. N a t ü r l i c h s t a n d auch er mit seiner Geschichtsmetaphysik und M o r p h o l o g i e in einer T r a d i t i o n von D e n k e r n , die sich weit z u r ü c k f ü h r e n läßt. Aber Spenglers A n satz lag gar nicht in der Geschichte. Auch nicht in der Philosophie. Wie f r e m d ihm diese w a r , zeigt heute mit u n z w e i d e u t i g e r K l a r h e i t der aus dem N a c h l a ß veröffentlichte B a n d „ U r f r a g e n " (1965), der die Vorstudien zu seinem seit 1918 immer wieder angekündigten „metaphysischen Buch" enthalten soll. Selbst w e n n m a n das A p h o ristische u n d im einzelnen auch U n a u s g e f ü h r t e der G e d a n k e n berücksichtigt, ist nach diesem von seinen V e r e h r e r n gesammelten Wortschutt über den „philosophischen D e n k e r " kein W o r t m e h r zu verlieren. Ein Vergleich m i t dem uns ebenfalls n u r bruchstückhaft
Oswald Spengler
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überkommenen „Willen zur Macht" Nietzsches verbietet sich von selbst. Spengler k a m von der Mathematik und den Naturwissenschaften her. O f t genug ist bei der Charakterisierung von Spenglers Kulturmorphologie von dem biologischen G r u n d g e d a n k e n seiner Anschauungen gesprochen worden. Die starre Gesetzlichkeit in der Entwicklung der Kulturen nach dem R h y t h m u s des pflanzlichen Lebens, die Unterscheidung von Dasein und Wachsein, entstammte naturwissenschaftlichem Denken. Er haßte Darwin, dessen „Entstehung der A r t e n " er als „Nachbilder der Entwicklung Englands selbst" verächtlich abtat. Aber er hat — wie die Alldeutschen seiner Zeit — einen abgeleiteten und vitalistisch gesteigerten Darwinismus in seine politische Konzeption übernommen: die Selektionstheorie, verschmolzen mit einem eigenwilligen Rassegedanken, den Determinismus mit dem Glauben an die Zwangsläufigkeit und Schicksalhaftigkeit des geschichtlichen Lebens. Auf diesem Boden entstand seine erbarmungslose Anthropologie: der Mensch als Raubtier. „ N u r der feierliche Ernst idealistischer Philosophen und anderer Theologen" besitze nicht den Mut, das anzuerkennen. Aber „das Raubtier ist die höchste Form des freibeweglichen Lebens . . . Es gibt dem Typus Mensch einen hohen Rang, daß er ein Raubtier i s t . . . All die Tugendbolde und Sozialethiker, die darüber hinaus sein oder gelangen wollen, sind nur Raubtiere mit ausgebrochenen Zähnen" 3 6 . Mit diesem metaphysischen und politisch-ethischen Weltanschauungsgerüst ist Spengler an die Geschichte herangeAuch die treten. Er hat sie nicht bewältigt, sondern vergewaltigt. geistige Demagogie bedarf der Anleihen bei der Wahrheit. U n d das ist keine Frage: Spengler w a r ein genialer Kompositeur, der seinem Instrument einen Klangzauber entlocken konnte, der geheime Seelenstimmungen seiner Leser in Schwingungen versetzte. M a n mußte ihm zuhören. M a n merkte nicht, wie er die Geschichte kommandierte und seinem Publikum mit herrischer Dirigentenpose seine Interpretation als die allein gültige a u f z w a n g . Wie Offenbarungen nahmen hochgebildete Menschen Formulierungen hin, die nichts als blühender Unsinn waren. So etwa, wenn er von 36
Der Mensch u. d. Technik, 1931, 14 f. — Jahre der Entscheidung, 1933, 14
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der „Merowingerzeit der Chinesen" oder vom glänzenden H o f der „staufischen Ritterschaft" im Sassanidenreich erzählt, Diokletian „den K a l i f a t des römischen Reiches vollenden" läßt, Augustin zum „letzten großen Denker der früharabischen Scholastik" erhebt, dessen Lehre von Gregor I. „ins Faustische" umgedeutet wurde, oder Bismarck zum letzten Staatsmann „spanischen Stiles" erklärt. Die Reihe könnte beliebig fortgesetzt werden. Aber, so verteidigt sich Spengler: die „Geschichte der Wahrheiten und der Tatsachen stehen sich unvereinbar gegenüber". Alles kommt eben auf den „physiognomischen Tiefblick", auf das Verständnis der „Symbole" an. Aber was nützt alles Bemühen um „Tiefblick" und Symbolverständnis, wenn der allein auf seinen K o p f angewiesene Leser auf einen Satz wie diesen stößt: „Die reine Mathematik des Pythagoras und Piaton steht zu den Naturansichten des Demokrit und Aristoteles in gar keiner Beziehung" 3 7 ? — Man könnte das alles heute mit einem Lachen abtun. Aber das Thema „Spengler" hat doch einen sehr ernsten Hintergrund. Spengler war ein Fanatiker seiner Mission, ein Monomane der Idee, die er in seiner Münchener Junggesellenwohnung ausgegrübelt hatte. Er selber ein kontaktarmer, menschenverachtender, ebenso ängstlicher wie hochmütiger Revolutionär der Einsamkeit, ein aesthetischer Pyromane, der sich an den in seinem Gehirn entwickelten Brandkatastrophen entzückte. Der Mann, bei dem jedes dritte Wort „Tatsachen" hieß, war selber alles andere als ein Tatmensch, krank an Leib und Seele, aber zugleich besessen von dem Gedanken, allein die Geheimnisse der Zeit zu kennen. Das Richtige seiner Erkenntnisse sollte sich nicht darin erweisen, daß sie „wahr", sondern ob sie die für unsere Zeit einzig möglichen sind. An diesem Punkte begann der Wahn dieses intellektuellen Eremiten gefährlich zu werden. Es ist leider richtig: das hyänenhafte Prophetentum dieses Defaitisten der Humanität 3 8 hat entscheidend dazu beigetragen, das politische Res37 38
II, 369 So Thomas Mann, der zuerst und am klarsten zu „Spenglers Lehren" Nein sagte, Vgl. Altes und Neues — Kleine Prosa aus fünf Jahrzehnten, 1953, 142— 151; Nachklänge nodi in seinem Roman „Doktor Faustus". Vgl. auch Theodor Heuß, Profile-Nadizeidinungen aus der Geschichte, 1964, 287—293; Ernst Niekisch, Europäische Bilanz, 1951, ders., Das Reich der niederen Dämonen, 1953 (passim); Golo Mann (Der Tagesspiegel, 29. 5. 1955)
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sentiment des gebildeten konservativen Bürgertums aufzureizen, so daß es keinen moralischen Widerstand mehr besaß, als die Mächte der verführerischen Gewalt ihren E r n t e t a g abhielten. D a bei spielt es gar keine Rolle, daß Spengler sich hochmütig lächelnd über den Begeisterungstaumel in seine Studierstube zurückzog 3 9 . Er hatte sein Werk getan: er war der begabteste intellektuelle Schrittmacher der sog. „neukonservativen Revolution", die den Boden der jungen D e m o k r a t i e unterhöhlt hat 4 0 . Aber mehr noch: Spenglers „Untergang" w a r auch das erschütternde literarische D o k u m e n t des Zusammenbruchs der geschichtlichen Bildung. Die Geschichte als Hieroglyphe Gottes, das war gewiß schon ein in der Spätzeit Rankes zerronnener T r a u m . Die Geschichtsschreibung w u r d e immer mehr eine Sache gelehrter Fachleute und verschwand in einem akademischen Ghetto, ohne Fenster zu der sich wandelnden sozialen Umwelt. In dieser Situation w a r Nietzsches großer Angriff das erste, seiner Zeit weit voraushallende Signal des kommenden Wetterumschlags. Der Weg w u r d e frei f ü r ein geistreich funkelndes Dilettantentum von philosophierenden Künstlern und Schriftstellern. Die Geschichte w u r d e zu einer expressionistischen Schaubühne prophetischer T i e f e n d r a m a t i k . Spengler w a r einer der genialsten Regisseure dieser Kunst. Aber er hat die Geschichte nicht zu Ehren gebracht, sondern als Peitschenstil benutzt, so wie er die Politik als Kesselpauke behandelte. Der Verfall der Gesellschaft nach 1918 wurde der Resonanzboden seiner Cäsaren-Apokalyptik. Selber ein Zerquälter, aber von einer immer wieder blendenden Intelligenz, war er ein M a n n ohne ethisches En39
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Jahrelang hatte Sp. den Deutschen einen Cäsar gewünscht. Als der Diktator schließlich da war, ekelte er ihn an, obwohl er hätte wissen müssen, daß die seit 1918 in ihrer konservativen Ordnungsliebe gestörten Deutschen, wenn sie mit dem Cäsargedanken schon spielen, eben nur einen A d o l f Hitler zuwege bringen. Spenglers eigenes Cäsarbild war ein reines romantischintellektuelles Schreibtischprodukt. „ N i e m a n d konnte die nationale U m w ä l z u n g dieses Jahres mehr herbeisehnen als ich. Ich habe die schmutzige Revolution v o n 1918 v o m ersten Tage an gehaßt . . . Alles, was ich seitdem über Politik schrieb, war gegen die Mächte gerichtet, die sich auf dem Berg unseres Elends und Unglücks mit H i l f e unserer Feinde verschanzt hatten . . . Jede Zeile sollte zu ihrem Sturz beitragen und ich hoffe, daß das der Fall gewesen ist", Jahre d. Entscheidung, V I I
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gagement. Christentum, Humanismus, Menschlichkeit waren ihm nur leere Worthülsen. Was ihn allein trug, war ein ebenso raffinierter wie ruchloser Aesthetizismus. Die Fachleute haben ihn f ü r ihr Gebiet meist abgelehnt, darüber hinaus jedoch die Leistung als Ganzes respektvoll bewundert, die Kunst, Zusammenhänge aufzudecken, sogar rühmend anerk a n n t . W o r a n mag das gelegen haben? W a r es der innere Zweifel an der Sicherheit des eigenen Gehäuses oder vielleicht auch ein Stück heimlicher, politischer Freude an dem unerbittlichen Kritiker der Gegenwart 4 1 ? D a ß hier ein radikaler Abbau der geistigen G r u n d lagen alles höheren Kulturlebens propagiert wurde, ist k a u m ausgesprochen worden. D e r Historismus ist auf dem Boden der abendländischen Christenheit entstanden. Ihn nur negativ — als eine das Leben relativierende Abfallserscheinung — zu werten, gehört zu den Hilflosigkeiten einer wieder zum Dogmatismus drängenden Generation. Seine Ächtung, auch und gerade durch Theologen, hat verhängnisvolle Folgen gehabt 4 2 . M a n begegnet ihnen heute allenthalben. Der Historiker, aber auch der Philosoph und der Theologe, sind keine Propheten. D e r Satz: „Der Wind weht, wo er will, und du hörst sein Sausen; aber du weißt nicht, woher er kommt, und wohin er geht", gilt f ü r sie alle. Das ist die Grenze, die jeder Wis41
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So hat der Göttinger Historiker S. A. Kahler (1885—1963) noch nach 1945 bei der Lektüre der „Jahre" den „Scharfblick" Spenglers bewundert, und Ed. Spranger (1882—1963) fühlte sich 1948 bei der wiederholten Lektüre von Band II des „Untergangs", „in dem unerhört geistreiche Sachen stehen . . . sehr gefördert" (Meinecke, VI, 465, 614). Eine positive Würdigung Spenglers findet sich auch in der Neuausgabe der „Großen Deutschen" (1957, IV, 4 4 0 — 448) von H a n s Freyer. Friedrich Meinecke, der schon 1923 Spenglers Geschichtsbetrachtung scharf kritisiert hatte (IV, a. a. O.), bezeichnete Spenglers Gedankengebäude 1937 als einen „Raubbau, hergestellt aus einigen Werkstücken edlerer Kultur" (VI, 175) Unter den Theologen hat Friedrich Gogarten am grimmigsten seine Verdammungsurteile gegen den Historismus geschleudert (ZZ, VIII, 1924, 6 — 2 5 ; vgl. auch „Illusionen", 1926; „Ich glaube an den dreieinigen Gott", 1926; Politische Ethik", 1932); 1920 rief er den älteren Zunftgenossen zu: „Heute sehen wir Eure Welt zugrunde gehen . . . Man kann uns nicht mehr täuschen . . . D a r u m ist ein Jubel in uns über das Spenglersche Buch" (Joh. Rathje, D i e Welt des freien Protestantismus, 1952, 277)
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senschaft gesetzt ist. Wer mehr wissen will, kommt um das nicht herum, was Jesus in jenem Nachtgespräch dem Nikodemus offenbarte. Und Nikodemus war ein Theologe. Der Historismus hat sich mit seiner Abkehr von allem angeblich offenbarten Wissen zu der Selbstbescheidung bekannt, daß niemand die Zeichen tun kann, die nur einem vorbehalten sind. Darin besteht die Freiheit der Wissenschaft von allen Vormündern. Das kantische Sapere aude! schließt in sich die Ehrfurcht vor dem gewordenen Leben. Dieses in den erfahrbaren Grenzen zu erkennen, gehört zu den Gewissenspflichten des Forschers. Will er jedoch den Schritt vom Wissen zum Glauben tun, dann — „nehme er sein Gesangbuch und gehe in die Kirche", riet selbst Oswald Spengler 43 .
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DIE PREDIGT WEISHEITLICHER TEXTE ALS HOMILETISCHES PROBLEM1 Von FRIEDEMANN MERKEL
I. D a ß „Sorge im Herzen niederdrückt, aber ein freundliches Wort aufmuntert", ist eine Weisheit, die aus der E r f a h r u n g gewonnen ist und deren Wahrheit sich tausendfach erwiesen hat. Oder der Spruch: „Eine schöne Frau ohne Schicklichkeit ist wie ein goldener Ring im Rüssel eines Schweines" hat seine Richtigkeit in vielen Einzelfällen längst gezeigt. Wie kommen solche Sprüche zustande? Sie sind aus der Empirie gewonnen. Der Mensch beobachtet seine Umwelt und seine Mitmenschen, er sammelt Erkenntnisse und belauscht die N a t u r in ihren Erscheinungen und Ereignissen. Der Mensch geht den Dingen auf den Grund und erkennt Regelmäßigkeiten und Gesetzmäßigkeiten. Er merkt, daß in allem, was ihm begegnet, nicht bloßer Zufall, sondern eine geheime Ordnung waltet. Freilich, ein Einzelner kann dies alles nicht selbst erfahren, keines Menschen Erfahrung ist so tief und das Spektrum seiner Erkenntnis so breit, daß einer allein solche Wahrnehmungen machen kann. Erfahrung lebt in Tradition. Eine ihrer Formen ist der Weisheitsspruch, in dem das Erkannte bündig ausgesprochen wird und damit seine sanktionierende Gültigkeit erhält. Mit der Formel, mit der Regel, mit dem Spruch kann das Leben in seinen Undurchsichtigkeiten durchsichtig gemacht und in seinen Paradoxien erkannt werden. Weisheitssprüche zeigen, wo man Schaden erlitten hat und wo man Schaden erleiden kann, wo m a n versagt hat und wo man versagen 1
Antrittsvorlesung an der Kirchlichen Hochschule in Berlin am 10. F e b r u a r 1966
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k a n n , w o Gerechtigkeit und Billigkeit a u f s Spiel gesetzt w i r d , was gut oder doch besser, was böse u n d deshalb tunlichst zu meiden ist. Wie a n d e r e Völker so h a t auch Israel einen reichen E r f a h r u n g s schatz, den es in Einzelsprüchen f o r m u l i e r t u n d in Spruchsammlungen t r a d i e r t hat. So sind im Alten Testament zahlreiche weisheitliche Sentenzen überliefert. Die g r ö ß t e S a m m l u n g , die — wie die neuere Exegese übereinstimmend erweist — aus neun Sammlungsk o m p l e x e n besteht, ist das Proverbienbuch 2 . Auf die u m f a n g reichste u n d w o h l auch älteste Einheit, P r o v e r b i e n 10—22, 16, w e r d e ich mich im folgenden im Wesentlichen beschränken. Die Sprüche, durchgehend in rhythmischer u n d parallelistisch geordneter F o r m gestaltet, stehen ohne inneren Z u s a m m e n h a n g nebeneinander. So z . B . : „Es ist besser, ein Gericht mit Liebe als ein gemästeter Ochse m i t H a ß " und „Ein zorniger M a n n richtet H a d e r an, ein geduldiger stillt den Z a n k " ( P r o v . 15, 17 + 18). Auf diese Weise w e r d e n die einzelnen Bereiche des Lebens abgeschritten: Ehe, F a milie, K i n d e r e r z i e h u n g , die Welt der A r b e i t u n d des Berufs. D i e Lebensbezüge w e r d e n in ihrer Tiefe belauscht: M a n e r k e n n t , wie gefährlich die menschliche Zunge ist, wie leeres u n d böses Geschwätz die zwischenmenschliche A t m o s p h ä r e v e r g i f t e t , d a ß „ H o c h m u t v o r dem Fall k o m m t " (16, 18) u n d d a ß auf „ Ü b e r m u t Schande f o l g t " ( 1 1 , 2 ) . Alle Lebensbereiche w e r d e n d u r c h d r u n g e n und durchdacht. Dies geschieht freilich nicht innerhalb eines philosophischen Systems. Die Systematisierung des Lebens geht der Weisheit völlig ab. Sie d e n k t nicht in den K a t e g o r i e n eines allgemeingültigen Prinzips, ihr D e n k e n ist vielmehr empirisch-sentenzhaft, nicht abstrakt-begrifflich. Deshalb k ö n n e n sich Weisheitssprüche widersprechen. Dieser Widerspruch sagt ja nicht, d a ß die eine Sent e n z falsch u n d die andere richtig ist, oder d a ß beide falsch sind, s o n d e r n beide h a b e n ihre Richtigkeit erwiesen, sie sprechen n u r aus dem Blickwinkel verschiedenartiger E r f a h r u n g . W e r nach diesen Erkenntnissen lebt, der ist k l u g u n d weise; 1
Vgl. hierzu den zuletzt erschienenen Kommentar zu Prov. von Berend Gemser ( H A T , Erste Reihe, 16, 1963), dort weitere Literatur; ferner die Studie v o n Hartmut Gese, Lehre und Wirklichkeit in der alten Weisheit, 1958; sowie besonders Gerhard von Rad, Theologie des Alten Testaments I, 1957, S. 415—439.
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wer sich ihnen verschließt, ist ein N a r r . So sind zahlreiche Sprüche auf dem Gegensatz: Der Kluge — der N a r r aufgebaut: „Ein kluger M a n n trägt seine Klugheit nicht offen zur Schau, aber des N a r r e n H e r z schreit seine N a r r h e i t offen hinaus" (12, 35). Allerdings ist f ü r andere Sentenzen auch ein anderes Gegensatzpaar kennzeichnend: D e r Fromme, der Gerechte steht dem Gottlosen, dem Frevler gegenüber. D a m i t ist das Selbstverständnis der alttestamentlichen Weisheit weiter enthüllt: Gerechtigkeit und Frömmigkeit sind keine geistlichen Überhöhungen der Klugheit und Weisheit, ebenso wenig wie die Gottlosigkeit die D u m m h e i t ins Theologische verlängert. Vielmehr wird damit die E r f a h r u n g ausgedrückt, d a ß der Mensch ohne das göttliche Wohlgefallen nicht recht, nicht geklärt, nicht weise leben kann. Für die ältere Weisheit steht der Glaube nicht in jenem Gebiet, wo Verstand und E r f a h rung kapitulieren müssen. D a n n , wenn der Mensch einsieht, daß er selbst an die Grenze seiner Möglichkeiten gekommen ist, spricht er dies aus in der Erkenntnis: „Des Menschen H e r z erdenkt sich seinen Weg, aber der H e r r allein lenkt die Schritte." (16, 9) Der Glaube an Gottes Walten, an seine Allmacht und Größe steht nicht am Ende, nicht über den E r f a h r u n g e n und über allem Denken, sondern am A n f a n g . Die jüngere Weisheit (Kap. 1—9) spricht dies auf ihre Weise aus: „Die Furcht des H e r r n ist der A n f a n g der Weisheit" (1,7). Will m a n sehen, wie der Weise lebt, so betrachte man das Bild, das in 1. Sam. 16, 18 von David gezeichnet ist: Er ist ein freier Mann, rechtsfähig, kultfähig, wehrfähig. Er weiß zu reden und seine Worte zu setzen, er ist wohlgestaltet, ein gut aussehender M a n n . Z u s a m m e n g e f a ß t : Er ist weise. Das Wichtigste aber ist, d a ß J a h w e mit ihm ist. Vollends wird die Gestalt des Weisen an der Person des Salomo sichtbar. Die Proverbien als Ganzes geben sich ja als „Sprüche Salomos, des Sohnes D a v i d , des Königs von Israel" (1, 1). Die Uberschrift über den fünften Teil (Kap. 25—29) deklariert die Sentenzen als „Sprüche Salomos, welche die Männer des Hiskia, des Königs von J u d a , gesammelt haben". Von Salomo, als dessen Buch sich auch der „Prediger" gibt, wird berichtet, daß er „3000 Sprüche und 1005 Lieder gedichtet" hat (1.
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Kön. 5, 12). So wird man annehmen können, daß in Israel die Spruchweisheit nicht ohne Einfluß des Jerusalemer H o f e s tradiert wurde. Ja, Salomo wird zum Inbegriff des Weisen überhaupt. Als er von J a h w e im T r a u m eine Bitte frei bekommt, wünscht er sich nicht ein langes Leben, nicht Reichtum noch den Sieg über seine Feinde. Er bittet vielmehr um ein „verständiges H e r z , dein Volk zu regieren und zu unterscheiden, was gut und böse ist" (1. Kön. 3, 9). Am Leben und an den hervorragenden Taten des Salomos zeigt sich in aller Deutlichkeit, was Weisheit ist: Sie ist die Tiefe der Einsicht in die Welt- und Sachzusammenhänge, es ist die Einsicht in das Wesen der Dinge, aus der das Vermögen entspringt zu regieren, zu raten und Recht zu sprechen. Dies alles ist nicht einfach eine menschliche Qualität, sondern der Weise weiß dies als Gabe Gottes. Weil Salomo so von Gott ausgezeichnet ist, übertrifft er alle Weisen zu seiner Zeit; es wird sogar — bezeichnenderweise, wenn man die Abhängigkeit eines ganzen Stückes der Proverbien von ägyptischen Vorbildern kennt — ausdrücklich dazugefügt, daß er auch die Weisen Ägyptens in seiner Weisheit übertrifft. (1. Kön. 5 , 9 — 1 4 ) . G a n z besonders wird das Bild des Weisen in den Josefsgeschichten entworfen 3 . Josef ist H e r r über seine Affekte, wie seine H a l tung den Verführungskünsten der Frau des P o t i p h a r gegenüber beweist. Er bleibt gelassen auch als ungerecht Verurteilter, er bew ä h r t sich als kluger Ratgeber den Schicksalsgenossen und dem König gegenüber. Er ist weitsichtig, wie seine Ernährungspolitik in Ägypten zeigt. Vor allem aber ist er gottesfürchtig. Als die Brüder nach dem Tod ihres Vaters zu ihm kommen, ist er großmütig: „Ihr gedachtet es böse zu machen — buchstäblich h a b t ihr mir eine Grube gegraben, in die ihr selbst hineinfallen solltet — G o t t aber hat alles zum Guten gewendet." (Gen. 50, 20) So lebt der Weise und meistert das Leben. Wieder einmal hat es sich erwiesen, d a ß der Gerechte und Fromme auch zugleich der Weise ist. Überblickt man Wesen und Struktur der alttestamentlichen Weisheit, so m u ß man mit Walter Zimmerli nach „ O r t und Grenzen ' Hierzu Gerhard von Rad, Josephsgeschichte und ältere Chokma, Supplements to Vetus Testamentum, Vol. I, 1953, S. 120—127, zit. nach: Gesammelte Studien zum Alten Testament, 1958, S. 272—280.
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der Weisheit im Rahmen der alttestamentlichen Theologie" f r a gen 4 . Es ist doch aufs höchste erstaunlich, d a ß in der alttestamentlichen Weisheit „jede Beziehung zur Geschichte Jahwes mit Israel" fehlt 5 . Ausgerechnet Israel, das ein solches Verhältnis zu der von G o t t gesetzten und gelenkten Geschichte hat, redet so „ geschiehtslos". Ausgerechnet Israel, das sich in seinem Selbstverständnis mit keinem Volke der Erde vergleichen läßt, scheut sich nicht, seine E r fahrungen in dieser Weise selbst in Ü b e r n a h m e außerisraelitischer Weisheit auszusprechen. Wie nämlich die Forschung seit H u g o G r e ß m a n n erkannt hat 6 , sind etwa P r o v . 22, 17—24, 22 in deutlicher Abhängigkeit zu den sentenzartigen Instruktionen des A m e n emope (9./10. Jhdt.) in Ä g y p t e n entstanden, wie überhaupt die kanonische Weisheitsliteratur ihre Vorbilder außerhalb Israels hat. Nirgends wird der Versuch unternommen, weisheitliches D e n k e n und H a n d e l n an die Geschichte des von G o t t erwählten Volkes zu k n ü p f e n . Wenn vom Volk die Rede ist, so ist damit eine soziologische, nicht aber eine theologische G r ö ß e angesprochen. Z w a r ist Weisheit nicht ohne Voraussetzungen. Es ist aber zu fragen, welcher A r t diese sind. M a n w i r d nicht fehlgehen, wenn man mit Walter Zimmerli diese im Bereich der Schöpfungstheologie sucht 7 . N u r w o man erkennt, daß Gott der Schöpfer und Erhalter der Welt ist, wird m a n weisheitliche Aussagen recht verstehen. Wer O r d n u n g e n findet, m u ß nach ihrem Urheber und G a r a n t e n fragen. Gott ist der G a r a n t der O r d n u n g . Er sorgt in seinem weisen Plan d a f ü r , d a ß alles in O r d n u n g bleibt u n d d a ß alles in gute O r d n u n g k o m m t . Weisheitliches Denken in Israel ist „zu wissen, daß auf dem G r u n d der Dinge eine O r d n u n g waltet, die still und oft k a u m merklich auf einen Ausgleich hin w i r k t . M a n m u ß auf ihn w a r t e n können und man m u ß ihn auch sehen können" 8 . G o t t schafft, d a ß die Bäume nicht in den H i m m e l wachsen. Er sorgt d a f ü r , daß nicht „homo
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Walter Zimmerli, Ort und Grenzen der Weisheit im Rahmen der alttestamentlichen Theologie, in: Gottes Offenbarung. Gesammelte Aufsätze, 1963, S. 300—315. ebd. S. 301. Altorientalische Texte, hrsg. von Hugo Greßmann, 1926 2 , S. 38 a. a. O., S. 302. Gerhard von Rad, Theologie des Alten Testaments I, S. 426.
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homini lupus" zum Gesetz der Welt wird und bewirkt, daß sich die hinter den Ordnungen waltende Gerechtigkeit durchsetzt. Dieser Glaube wird innerhalb der Weisheit nicht „verkündigt", Gott als Garant der Ordnung wird nicht dekretiert. Weisheit proklamiert keine Heilsgeschichte, sie ist in diesem Sinn unkerygmatisch. Auch wird nicht wie im apodiktischen Gottesrecht Gottes Wille autoritativ kundgemacht. Weisheit zwingt nicht zur Entscheidung, sie ruft vielmehr zum Nachdenken auf. Freilich liegt auch im Erfahrungsbereich die Skepsis des Kohelet 9 und der Zweifel des Hiob 1 0 , die beide die Weisheit grundsätzlich in Frage stellen. Die theologischen Einwände beider sind zu hören, aber das heißt ja nicht, daß durch sie die Weisheit ungültig und grundsätzlich überholt wäre. Der Weise in Israel ist in seinem Leben eingeordnet in ein Grundverhältnis: Er steht zur Bundes Verpflichtung, kennt die Gebote und lebt nach ihnen. Er nimmt am Kultus teil. Er vermag aber Sätze zu sprechen, die die Weisheitslehrer seiner Umwelt, in Kanaan und Ägypten, genau so sprechen können, die sich anhören wie kluge Aphorismen atheistischer Aufklärer. In ihrer Grundvoraussetzung sind sie in Israel keineswegs gottlos, vielmehr erhalten sie dadurch ihr theologisches Gewicht. Diese Grundvoraussetzung ist ausgesprochen in dem Satz: Die Furcht Jahwes ist die Voraussetzung der Weisheit. In dieser Weise durchdringt der Glaube an Gottes Walten die ganze Existenz des Menschen in all ihren Bezügen. Weisheitslehren sind keine Dogmen, an denen sich Heil und Unheil entscheidet, Weisheit, aus der Erfahrung genommen, muß nicht geglaubt, ihr muß nicht gehorcht werden. Sie wendet sich an die Einsicht, sie bietet ihre Erfahrungen an, sie will geprüft, angewendet und getan sein. Sie will Hilfe zur Bewältigung des Alltagslebens sein. Weisheit will lehren, den Tag recht zu leben, die Umwelt recht zu sehen und die Probleme, die es im Zusammenleben von Menschen immer gibt, zu meistern. Weisheit ist Lebenshilfe. Dazu ist sie überliefert, dazu wird sie gelehrt, und dazu steht sie im Kanon des Alten Testaments.
• ebd. S. 451 ff. ebd. S. 4 0 5 ff.
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II. Im Neuen Testament, besonders bei den Synoptikern, in Sonderheit aber in der Bergpredigt, werden zahlreiche Logien als Herrenworte tradiert, die ihrer Form nach Weisheitssprüche sind. Wie es auch mit der Echtheit dieser Sentenzen im einzelnen stehen mag 11 , läßt sich doch festhalten, daß Jesus sich in seiner Verkündigung auch des Weisheitsspruches bediente. Die einfache, unmittelbar ansprechende, aus der Erfahrung gewonnene und auf Erfahrung und Verstehen zielende, auf alle Überhöhung verzichtende Art gehört zur Predigt Jesu: „Die Stadt, die auf dem Berg liegt, kann nicht verborgen bleiben" (Matt. 5, 14). „Niemand unter euch kann seiner Lebenslänge nur eine Elle zusetzen, und wenn er sich noch so sorgt" (Matth. 6, 27). „Niemand kann zwei Herren dienen, entweder wird er den einen hassen und den anderen lieben, oder er wird sich zu dem einen halten und den anderen verachten." (Matth. 6, 24). Was Jesus damit sagt, ist jedermann einsichtig, es bedarf zum Verständnis keines Beweises aus „dem vorgegebenen Autoritätsbereich der Schrift und der als maßgeblich geltenden Auslegung der Väter" 1 2 , noch muß er dies mit dem Hinweis auf die Heilsgeschichte begründen. Alles liegt vielmehr offen auf der Hand. Wenn Jesus sich der Weisheitslehre bedient, fordert er zum Nachdenken darüber auf, was jeder erkennen und jeder erfahren kann. Zugleich übt
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Die Echtheit der Jesuslogien ist umstritten. Z w a r räumt Rudolf Bultmann ein, daß Jesus „gelegentlich ein volkstümliches Sprichwort aufgenommen und auch g e ä n d e r t " und wohl auch „einen profanen Maschal selbst geprägt" hat (Rudolf Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition, 1 9 5 7 3 , S. 1 0 5 ) . Viel stärker zieht er allerdings in Betracht, d a ß die Gemeinde umlaufendes Spruchg u t j e s u s in den M u n d gelegt.es also erst durch die Überlieferung zu Jesuslogien gemacht hat. Bultmann hält gerade die Parallelität zur Weisheitsliteratur für ein Zeichen der Unechtheit der Jesuslogien (a. a. O . S. 105). Hingegen sei ihre Echtheit umso eher anzunehmen, „je individueller ihr Gehalt ist, je charakteristischer für Jesus als den Prediger der Buße und der kommenden Gottesherrschaft, als den F o r d e r e r der W a h r h a f t i g k e i t " (a. a. O . S. 106). Das Kriterium der Echtheit ist danach die Frage, ob die Sprüche „charakteristisch für eine neue und individuelle Frömmigkeit, die über das J u d e n t u m hinauswächst" (a. a. O., S. 108), sind. M a n wird demgegenüber sagen können, daß die Spruchweisheit gerade auch in der Destruktion wesentlicher Momente der Apokalyptik durchaus ihren P l a t z in der Verkündung Jesu hat. Günther Bornkamm, Jesus von N a z a r e t h , Urban-Bücher 19, 1956, S. 97 f.
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damit Jesus sachlich Kritik an der damaligen gängigen Theologie der A p o k a l y p t i k . Z w a r gehört auch sie zur Predigt Jesu, was schon der Begriff des „Reiches Gottes" zeigt. Aber darin besteht das Entscheidende der eschatologischen Verkündigung Jesu: Sie ist die Ansage der kommenden Gottesherrschaft, aber gerade darin der Durchstoß zu einer ursprünglichen, unmittelbaren und unverstellten Wirklichkeit, die den Menschen ins H e u t e ruft und ihn nicht in das Ubermorgen entfliehen läßt. D e r Rekurs auf die Weisheit hat also in der Beschreibung der Wirklichkeit einen zentralen P l a t z in der Verkündigung Jesu. So wird etwa die Perikope M a t t h . 7, 7 ff. (Luk. 11, 9 ff.) zu verstehen sein 13 : „Bittet, so wird euch gegeben, suchet, so werdet ihr finden, klopfet an, so wird euch a u f g e t a n " . Hier wird in der Rede Jesu nicht nur formal ein Weisheitsspruch übernommen, sondern durch ihn wird sachlich eine Erfahrungsweisheit ausgesprochen: Bitten macht sich bezahlt. In den tausendfachen Bezügen des Lebens hat m a n dies erfahren, durch vielfache Krisen ist es erhärtet, daß wo man bittet, gegeben w i r d ; d a ß man findet, wo man sucht; daß aufgetan wird, wo angeklopft wird. Diese allgemeine E r f a h rung schließt freilich das andere nicht aus, d a ß man auch das Gegenteil erfährt, daß man um einen Fisch bittet und eine Schlangc e m p f ä n g t ; daß man ein Ei begehrt u n d einen Skorpion erhält; d a ß man ein Brot erbittet und einen Stein bekommt. D a r i n zeigt sich — auch das ist E r f a h r u n g — die Lust des Menschen zu zerstören. Aber trotz dieser schlechten E r f a h r u n g e n hört der Mensch nicht auf zu bitten. O h n e das Vertrauen, das aus jeder Bitte spricht, k a n n m a n nicht leben. Uberlegen wir uns nur, wie oft m a n an einem Tag „bitte" sagt und auch ganz selbstverständlich das Gewünschte bek o m m t . Hier spricht sich eine elementare Lebensweisheit aus, mit der m a n das Leben verstehen und meistern kann. Indem sich der Mensch immer wieder bittend und damit vertrauend an den anderen wendet, zieht er aus der E r f a h r u n g , d a ß bitten Erfolg hat, die Konsequenz, praktiziert Weisheit u n d erkennt sie so als Wirklich13
V g l . hierzu die Predigtmeditation zu Lukas 11, 5—13, die ich in Gemeinschaft mit Dieter Georgi in den „Göttinger Predigtmeditationen" 1962/63, S. 2 0 1 — 2 0 6 , vorgelegt habe.
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keit an. Ü b e r die Hintergründe wird nicht ausdrücklich reflektiert, das widerspräche der Weisheit. Aber es ist klar, daß es im Selbstverständnis der biblischen Weisheit G o t t ist, der als Schöpfer und Erhalter der W e l t ein solches vertrauensvolles Miteinander
der
Menschen immer wieder ermöglicht. Es sind seine Gaben, die freilich nicht von selbst funktionieren, sondern zur aktiven Teilnahme, zum Praktizieren auffordern. M i t diesem einen Beispiel soll gezeigt werden, daß Jesus in seiner Predigt sich nicht nur gelegentlich eines gnomischen Spruches quasi als reines Stilelement bedient hat. Vielmehr sollte erwiesen werden, daß in der Verkündigung
Jesu sich sachliche Beziehungen
zur Weisheit und ihrem D e n k e n erkennen lassen. Offenbar k o n n t e darin die Botschaft Jesu ihren sachgerechten Ausdruck finden, i n dem sie in den ihr gemäßen Formen zum Vertrauen an die alles durchwaltende und alles erhaltende Herrschaft Gottes aufrief und so ein Stück W e l t in ihrem Alltag zu bewältigen half. Noch ein kurzer Blick auf die Briefliteratur. Audi Paulus k a n n sich gelegentlich weisheitlicher Sentenzen bedienen, die er seiner Paränese dienstbar macht. D o r t , wo es um die Konsequenzen der Rechtfertigung geht, kann der Apostel die Existenz des neuen M e n schen in den Kategorien der alten Weisheit beschreiben. Das l ä ß t sich z. B . an R o m . 12 zeigen, wo der Apostel eine Reihe weisheitlicher Sprüche zitiert, wie etwa P r o v . 25, 2 1 — 2 2 ( L X X ) : „ W e n n dein Feind hungert, speise ihn; wenn er dürstet, tränke ihn, wenn du das tust, dann wirst du feurige Kohlen auf sein H a u p t samm e l n " . O d e r wenn Paulus für die K o l l e k t e an die Gemeinde in J e rusalem eintritt 1 4 , dann tut er dies in 2. K o r . 9, 6 mit dem Z i t a t aus der Weisheit: „ W e r kärglich sät, wird kärglich ernten, und w e r auf Segen hin sät, der wird auch auf Segen hin ernten". D a b e i gibt Paulus ganz in der A r t der jüdischen Weisheit zur Überlegung A n l a ß : W i e die Saat, so die E r n t e . Es liegt im Bereich der Vernunft, großzügig und nicht knausrig Barmherzigkeit zu üben. D i e alte jüdische Weisheit drückt das in ihrer Weise aus: „Mancher gibt viel, und wird doch reicher; mancher kargt über Gebühr, und wird doch
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Dieter Georgi, Die Geschichte der Kollekte des Paulus für Jerusalem, Theologische Forschung 38, 1965, S. 68 f.
P r e d i g t weisheitlicher T e x t e
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ärmer." (Prov. 11, 24). Genau diese Überlegung stellt Paulus in seiner Bitte um Unterstützung der Gemeinde in Jerusalem an, indem er dazu noch eine weitere, ebenfalls weisheitliche Begründung gibt: „Einen heiteren Geber hat Gott lieb". Heiterkeit im Geben ist ein Zeichen des Weisen, dem Gott seine Liebe nicht versagt. Diese und ähnliche Aussagen bleiben im R a h m e n weisheitlicher, vernünftiger Argumentation, die allerdings dem Gesamten der Theologie des Paulus dienstbar ist. Der Brief des Neuen Testaments, der sowohl formal als auch inhaltlich der alttestamentlichen Weisheit am nächsten steht, ist der Jakobusbrief. Schon seine Thematik ist hierfür bezeichnend: „Wer ist weise und verständig unter euch, er zeige an gutem Wandel seine Werke in Sanftmut und Weisheit" (3, 13). Der Weise besteht die Anfechtung (1, 2—12); er weiß, woher die Versuchung k o m m t (1, 13—18). Er ist nicht nur Hörer, sondern Täter des Wortes (1, 19—27). Er macht keine sozialen Unterschiede (2, 1—13), er hält seine Zunge in Zucht und befleißigt sich eines gerechten Urteils über den andern (3, 1 —12). Er erkennt, daß U n f r i e d e aus den eigenen Begierden k o m m t (4, 1 —10), und weiß, d a ß „Gott den Hochmütigen widersteht, den Demütigen aber G n a d e gibt" (4, 6, Z i t a t P r o v . 3, 34). D e r Weise, der Pläne schmiedet, weiß, d a ß er das Morgen nicht kennt (4, 13—17): „Rühme dich nicht des morgigen Tages, denn du weißt nicht, was der Tag hervorbringt" (Prov. 27, 1) usw. Auch hier zeigt sich, wie Weisheit zur konkreten Ansprache wird. Es sind Anweisungen zur Bewältigung des Lebens in seinen alltäglichen Erscheinungen. Weisheit ist die christliche Kunst, das Leben zu steuern. Z w a r sind im Neuen Testament die Formen strenger, die Adhortative zwingender geworden. Es wird weniger erwogen als an den Willen appelliert. T r o t z d e m ist die weisheitliche S t r u k t u r in Form und C h a r a k t e r auch im Neuen Testament unübersehbar erhalten geblieben. III. I m folgenden ist nun zu fragen, was dies alles f ü r die Predigt bedeutet; welche Aufgaben wir also haben, wenn wir Texte weisheitlichen Charakters zu predigen haben. Dabei ist vorausgesetzt,
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d a ß die Frage nach der Form u n d der Struktur eines Textes für die Predigt nicht irrelevant ist. W e n n historisch-kritische Forschung als Vorarbeit zur Predigt einen Sinn haben soll, so k a n n man an der Frage nach dem inneren Selbstverständnis eines Textes und der Form, die dies zum Ausdruck bringt, nicht vorübergehen. Zunächst einmal m u ß festgestellt werden, daß in den eingeführten Perikopenreihen nur ganz wenige Texte aus der alttestamentlichen Weisheitsliteratur zur Predigt vorgeschlagen sind 15 . Dieser Tatbestand scheint mir bezeichnend d a f ü r zu sein, d a ß man aus offenkundig grundsätzlichen Erwägungen der Meinung ist, d a ß sich weisheitliches Schrifttum zur Predigt nicht oder doch nur sehr schwer eignet. Anders ist das Bild des N e u e n Testaments, wo zahlreiche Sentenzen in den einzelnen Perikopen verstreut und mitunter in theologisch bearbeiteter Form zu finden sind. Was heißt es also, d a ß es im K a n o n beider Testamente Texte gibt, die keine kerygmatische Aussage enthalten, die in ihrem Selbstverständnis nicht vor die Entscheidung stellen wollen, die nicht Heilsgeschehen proklamieren und keine Heilsgeschichte beschreiben? Was heißt es, d a ß in ihnen über alltägliche Dinge und Sachzusammenhänge argumentiert wird, daß E r f a h r u n g e n gesammelt, dargestellt und bündig ausgesprochen werden? Was heißt es f ü r die Predigt, d a ß durch sie nicht „bekehrt", sondern in eigentümlicher Weise „belehrt" und zum Nachdenken aufgefordert werden will? 15
Nach der „Ordnung der Predigttexte", wie sie zunächst von der Lutherischen Liturgischen Konferenz 1958 vorgelegt und v o n den meisten deutschen Landeskirchen angenommen wurde, sind aus den Proverbien lediglich vier Texte verzeichnet, die alle als sog. Marginaltexte erscheinen, d. h. buchstäblich „am Rande stehen". Faktisch werden sie sehr selten oder nie gepredigt. Hier werden vorgeschlagen Prov. 3, 1—7, 11—12 (zum Neujahrstag); 9, 1—6, 10, 13, 18 (2. Sonntag nach Trinitatis); 16, 1—9 (17. Sonntag nach Trinitatis) und Prov. 30, 4 — 9 zum Erntedankfest. Textvorschläge aus Kohelet fehlen ganz, aus H i o b werden nur z w e i Texte, der „Prolog im H i m m e l (1, 1—21) und ein Stück aus der ersten Gottesrede (38, 1—11 und 42, 1—2) ebenfalls nur als Marginaltexte vorgezeichnet. Andere Texte der alttestamentlichen Spruchweisheit fehlen fast gänzlich. Lediglich der Text Jer. 17, 5—14 (8. Sonntag nach Trinitatis) weist wenigstens z. T. weisheitliche Strukturen auf. Zum Glück ist wenigstens eine Perikope aus der Josephsgeschichte (Gen. 50, 15—22) für den 4. Sonntag nach Trinitatis in Reihe III vorgesehen.
Predigt wcishcitlidier
Texte
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Hierauf wird man antworten können: 1. Man kann bei solchen Texten nicht nach dem „Kerygma" fragen. Das lehrt die kritische Exegese, daß man Texte mit Erfolg nur danach befragen kann, worauf sie A n t w o r t zu geben vermögen. Kerygmatische Aussagen in weisheitlichen Texten zu suchen, hieße die Texte überfordern, oder aber man hat ihre Form nicht recht bestimmt. Dabei ist es zunächst nicht entscheidend, daß man — geht man den weisheitlichen Aussagen ganz auf den G r u n d — nicht weit im „Hintergrund" kerygmatische Voraussetzungen finden kann, etwa die, daß Gott conservator und gubernator der Welt ist. Aber über diese Grundlagen wird im Einzeltext nicht reflektiert, das wird hier nicht ausgesprochen und soll deshalb auch nicht verkündigt werden und zur Sprache kommen, sondern steht eben nur unausgesprochen und unreflektiert „hinter" den einzelnen weisheitlichen Sprüchen. Dem wird man auch in der Predigt Rechnung zu tragen haben. 2. Danach gibt es eine legitime christliche Predigt, die nicht das Kerygma selbst, die Heilsgeschichte und das Heilsgeschehen zum Inhalt hat, die vielmehr die Aufgabe hat, die Strukturen des menschlichen Zusammenlebens zu erhellen und darzustellen. Sie legt Lebensbezüge frei, erteilt Ratschläge, schärft das Urteil, stellt Erwägungen an und erfüllt so die Aufgabe, Anweisung und H i l f e zur Bewältigung des Lebens zu sein. 3. Diese Bewältigung des Lebens geschieht in der weisheitlichen Predigt nicht dadurch, daß das Leben einfach als Frucht des Geistes deklariert wird. Auch wird nicht kurzschlüssig an den Willen des Menschen zu sittlichem Wandel appelliert. Weisheit dekretiert nicht: Du sollst. Deshalb besteht hier auch kaum die Gefahr des Moralisierens. Die Weisheitspredigt wendet sich an die Einsicht, an die Erfahrung, an das vernünftige, geschärfte Urteil. Sie legt dar, was gut oder doch besser ist; sie zeigt, was schädlich oder verderblich wirken kann. Sie lernt aus den Erfahrungen der Geschichte und aus den Einzelschicksalen und wendet diese Erfahrungen auf die konkrete Situation an. Der bündig formulierte Spruch kommt der Predigt hierbei zu Hilfe. 4. D a m i t wird diese Predigt nicht übergeschichtlich. Z w a r haben Weisheitssprüche einen allgemeingültigen, generalisierenden
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Charakter. Trotzdem haben sie ihren bestimmten geschichtlichen Ort. Gerade weil Weisheit so sehr von Erfahrung abhängig ist, ist sie eminent geschichtlich, auch dann, wenn in ihr häufig allgemein menschliche Bezüge angesprochen werden, die (nicht zuletzt wegen ihrer „gebundenen Form") den Eindruck erwecken, als seien sie zeitlose Sentenzen. Wenn Weisheitssprüche gepredigt werden sollen, so müssen diese jeweils neu geprüft, ihre Brauchbarkeit erfragt, unsere Erfahrungen an ihnen gemessen, unter Umständen korrigiert und neu gesagt werden. Die Predigt weisheitlicher Texte ist der hermeneutischen Frage nicht enthoben. Sie kann allerdings in manchen Stücken leichter beantwortet werden, weil ihre Bezüge im allgemeinen einsichtiger sind und leichter verstanden werden, weil sie von vielen erfahren werden können. Die Predigt weisheitlicher Texte hat es mitunter einfacher, weil die Lebensbereiche und Lebensbezüge des biblischen Textes mit den unseren identisch oder wirklich parallel sind, sodaß eine Identität oder Parallelität zwischen der Situation der damaligen mit der der heutigen Gemeinde nicht künstlich hergestellt werden muß. 5. Es muß betont werden, daß die Kirche niemals nur weisheitliche Texte predigen kann. Erst das Kerygma von der Treue Gottes, wie sie in Jesus Christus offenbar wird, macht die Verkündigung des Evangeliums unverwechselbar zur christlichen Botschaft. Das kann die Weisheit nicht leisten. Das darf aber nicht bedeuten, daß die weisheitlichen Texte keinen Platz in der christlichen Kirche und ihrer Predigt hätten. Solange so zahlreich und mannigfachWeisheitsliteraturBestandteil des alttestamentlichen und neutestamentlichen Kanons ist, wird man legitimerweise auch einer weisheitlichen Predigt das Recht nicht bestreiten können, Predigt der christlichen, vom Evangelium lebenden Gemeinde zu sein, auch dann, wenn ihre Aussagen von der Person Christi und seinem Werk entfernter sind als in anderen Texten. Man kann nicht nur weisheitlich predigen, weil man die Weisheit ohne ihre Voraussetzungen in der Botschaft und im Glauben an die unwandelbare Treue Gottes zur Welt überhaupt nicht sachgemäß verstehen kann. Zum anderen wehrt eine Predigt der Weisheit der vielverbreiteten Meinung, als ob es im christlichen Glauben „nur" um das ewige Heil, um das Jenseits ginge, das fern der realen Welt sich verwirklicht. Es geht
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im christlichen Glauben und der Verkündigung eben nicht nur um die Deklaration der Rechtfertigung, wie viele evangelische Predigten heute vermuten lassen, sondern auch um Hilfe f ü r die Meisterung des Lebens — auf Grund des geschehenen Heils und der geschenkten Gnade. 6. Der der Sache angemessene Stil weisheitlicher Predigt ist nicht die Deklamation, die Deklaration und die Proklamation, sondern die Argumentation und Induktion. Wenn unsere Predigten textgemäß sein sollen — worüber man freilich in Theorie und noch mehr in der Praxis andere Auffassungen beobachten kann — dann muß das heißen, daß jeweils der besondere Inhalt in der besonderen Form des jeweiligen Predigttextes zur Sprache gebracht werden muß. Dies ist nicht nur eine theologische, sondern auch eine praktisch-homiletische Frage. Den Texten weisheitlicher Struktur ist eine besondere A r t und Weise des Denkens und Sprechens eigen, die erkannt und in der Praxis der Predigt fruchtbar gemacht werden muß. Die Gemeinde soll zur Überlegung angeregt und zur Einsicht gebracht werden, sie soll mit guten Gründen überzeugt werden, was jetzt im konkreten Alltag zu tun gut oder schädlich ist. 7. Es entspricht nicht der Art dieser Texte, wenn ihre Eigenart in der Predigt dadurch verändert wird, daß sie „kerygmatisch aufgeladen" werden. Es ist nicht nötig, daß das hinter den Texten stehende Selbstverständnis der Weisheit jedesmal neu freigelegt und dargelegt wird und so die eigentlichen weisheitlichen Aussagen nach Gewicht und U m f a n g an den R a n d drängt. Es geschieht dadurch nur allzu leicht, daß das, um was es eigentlich geht, nunmehr nur als ein Anhängsel an die Entfaltung des hinter dem Weisheitssatz stehenden Vorverständnisses erscheint. Dies würde dem Text und seiner Eigenart um einer dogmatischen Predigttheorie wegen widersprechen. Es ist stets zu beachten, daß die Gemeinde niemals nur Predigten weisheitlichen Charakters hört. Sie steht — wie der Prediger — in einer Predigttradition, die es durchaus zuläßt und ermöglicht, auch dem Zentrum der Schrift entfernter liegende Texte richtig zu verstehen. So wenig, wie nicht jede Predigt Gesetz und Evangelium (oder je nach dem theologischen Standort Evangelium u n d Gesetz) fein proportioniert verkündigen kann, weil eben die Texte nicht so ausgewogen sind, so wenig kann zum Maßstab der
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„richtigen" Predigt Anzahl und Intensität sog. kerygmatischer Aussagen gemacht werden. Es kann sich auch nicht d a r u m handeln, daß der Prediger sein theologisches Gewissen dadurch salviert, daß er an eine weisheitliche Predigt noch eine zentrale christologische Aussage anhängt, um die „Richtigkeit" seiner Predigt und ihre „Christlichkeit" zu erweisen. Diese Verbindung braucht keinesfalls hergestellt zu werden. Weisheitliche Predigten weisen auf die Fülle und Mannigfaltigkeit biblischer Texte hin und bringen dadurch Fülle und Weite der biblischen Botschaft zum Ausdruck. Die Beachtung der Eigentümlichkeit dieser Texte bewahrt vor Einseitigkeit und Eintönigkeit, Gefahren, die wir sehen und denen wir sachgerecht begegnen sollten. Das ganze Evangelium in seiner ganzen E n t f a l t u n g ist nicht durch die Predigt nur „zentraler" Texte gewährleistet. M a n wird vielmehr gerade dadurch das Evangelium unverkürzt zu Gehör bringen, daß man zeigt, wie es den ganzen Menschen betrifft und in alle Lebensbezüge reicht. M a n muß sich nur einmal überlegen, was man tut, wenn man die gottesdienstliche Versammlung stets mit „liebe Gemeinde" anredet. Ist es richtig, daß diese jedesmal gleichsam an den N u l l p u n k t gebracht und dann Schritt f ü r Schritt zum Heil geführt wird? Man kann auch in einer Predigt die Kenntnis und die A n n a h m e wichtiger Heilsereignisse voraussetzen. Schließlich kennt die Gemeinde ihren Katechismus. 8. Es könnte sein, d a ß manche trotz ihrer grundsätzlichen Zustimmung zur Weisheitspredigt Bedenken äußern, weil diese A r t der Predigt allzuleicht in ein liberales oder aufgeklärtes Fahrwasser geraten könnte. N i e m a n d wird diese Gefahren verkennen. Aber auch die sog. kerygmatische Predigt ist gegen diese Gefahren nicht gefeit. Die P r o k l a m a t i o n und Deklamation von „richtigen" Glaubenswahrheiten gewährleistet noch keine „rechte" Predigt, so wenig eine Predigt weisheitlicher A r t ein Verrat am Evangelium ist. Die Geschichte der Predigt zeigt, wie durchaus gut orthodoxe Prediger über weisheitliche Texte gepredigt haben 1 6 .
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So hat etwa Valerius Herberger sonntäglich fortlaufend sogar über die apogryphen Schriften Jesu Sirach gepredigt: „Erklärung des H a u s - und Zuchtbuches Jesu Sirach, a l l w o in 97 Predigten der Text deutlich erklärt, v o n neuem herausgegeben von Joh. Simon Budika, H o f 1739".
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Es m u ß e r k a n n t w e r d e n , d a ß das Leben des C h r i s t e n nicht n u r aus schweren, theologisch b e f r a c h t e t e n F r a g e n nach d e m ewigen Heil u n d nach der Erlösung besteht. Vielmehr f r a g t der erlöste Mensch, u n d die V e r k ü n d i g u n g der Kirche h a t u m der Liebe C h r i sti willen d a r a u f A n t w o r t zu geben, w a s die E r l ö s u n g f ü r seine alltäglichen Beziehungen zu seiner U m w e l t , z u r Gesellschaft, in der er lebt, f ü r sein eigenes V e r h a l t e n sich selbst u n d a n d e r e n gegenüber b e d e u t e t . H i e r ist auch an die politische Predigt im w e i t e n Sinn zu denken. Schließlich geht es gerade in diesem Bereich nicht i m m e r um Dinge, durch die der einzelne C h r i s t u n d die G e m e i n d e v o r die E n t scheidung gestellt sind u n d w o v o m E v a n g e l i u m her ein s t a t u s confessionis p r o k l a m i e r t w e r d e n m u ß . V i e l m e h r b e d a r f es g e r a d e in diesem Bereich des guten Ratschlages, der g e m e i n s a m e n Ü b e r l e g u n g , des ehrlichen E r w ä g e n s v o n Für u n d W i d e r . H i e r d u r c h soll der H ö r e r zu einem überlegten T u n u n d zu einem b e d a c h t e n Leben bef ä h i g t u n d ihm H i l f e s t e l l u n g zur M e i s t e r u n g k o n k r e t e r Lebensf r a g e n gegeben w e r d e n . 9. W a r f r ü h e r die Weisheit in der Sippe u n d v o r allem a m H o f b e h e i m a t e t , so w i r d sie heute i n n e r h a l b der K l e i n f a m i l i e n u r selten e r l e r n t w e r d e n k ö n n e n . W e r k o m m t d e n n h e u t e d a z u , die W e l t , in der er w o h n t , zu belauschen, die P h ä n o m e n e zu vergleichen, Gleiches herauszustellen u n d E r f a h r u n g e n b ü n d i g zu f o r m u l i e r e n . Z w a r macht jeder seine E r f a h r u n g e n , aber es gelingt nicht oft, in dieser k u r z l e b i g e n u n d k u r z a t m i g e n Zeit diese als allgemeine E r f a h r u n g e n zu erkennen, sie zu sammeln u n d gültig auszusprechen. D a b e i b e d a r f aber auch, vielleicht sogar in besonders dringlicher Weise, eine differenzierte u n d vielschichtige m o b i l e Gesellschaft der Weisheit. Auch u n t e r g e ä n d e r t e n sozialen V o r a u s s e t z u n g e n m u ß „weise" gelebt w e r d e n k ö n n e n , d e n n n u r d a w i r d ein w i r k liches, geklärtes Leben g e f ü h r t . Dieses V e r l a n g e n h a t kein G e r i n g e r e r als B e r t o l t Brecht in sein e m V e r m ä c h t n i s „ A n die N a c h g e b o r e n e n " gültig ausgesprochen 1 7 : „ W i r k l i c h , ich lebe in finsteren Zeiten.
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Z i t i e r t n a c h : Brecht,
Ein Lesebuch f ü r unsre Zeit, 1964, S. 80 ff.
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Ich w ä r e gerne auch weise. In den alten Büchern steht, was weise ist: Sich aus dem Streit der Welt halten und die kurze Zeit ohne Furcht verbringen. Auch ohne G e w a l t a u s k o m m e n Böses mit G u t e m vergelten Seine Wünsche nicht erfüllen, sondern vergessen gilt f ü r weise. — Alles das k a n n ich nicht: Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!
Ihr aber, wenn es soweit sein wird, daß der Mensch dem Menschen ein H e l f e r ist Gedenkt unsrer mit Nachsicht." W a r u m sollte eine christliche Gemeinde, die weiß, „ d a ß es soweit ist", die G o t t als Schöpfer, Erlöser und Erhalter kennt, der Welt den Dienst nicht tun wollen, den sie ihr leisten k a n n : Zu erkennen, w a s Weisheit ist und zu zeigen, wie m a n weise lebt.
ZUR EIGENART
TRITOJESAJAS1
VON D I E T H E L M
MICHEL
1892 vertrat B . D u h m in seinem J e s a j a k o m m e n t a r die These, die Kapitel Jes 5 6 — 6 6 stammten nicht von Deuterojesaja, sondern von einem späteren, nach der Rückführung in Jerusalem wirkenden Propheten, den er Tritojesaja nannte. Diese Trennung hat sich schnell durchgesetzt und wird heute kaum noch angezweifelt; die Unterschiede zwischen Jes 4 0 — 5 5 und 5 6 — 6 6 sind in Stil und Inhalt so groß, daß man kaum einen einheitlichen Verfasser annehmen kann 2 . Umstritten ist dagegen die Meinung Duhms, der Block 5 6 — 6 6 habe einen einheitlichen Verfasser. Elliger 3 hat diese Ansicht durch eine Stiluntersuchung zu stützen versucht; wahrscheinlich aber überschätzt er die stilistischen Argumente. A u d i eine G r u p p e von Menschen kann ja einen einheitlichen Sprachgebrauch haben. Außerdem können, was Elliger gar nicht bedenkt, die Stileigentümlichkelten 1
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3
Diesem A u f s a t z liegt meine im November 1964 in Heidelberg gehaltene H a bilitationsvorlesung zugrunde, die für den Druck neu bearbeitet und erweitert wurde. Benutzte K o m m e n t a r e : A. Knobel, Der Prophet J e s a j a , 1861 3 ; F. Delitzsch, Biblischer Commentar über den Propheten Jesaja, B C I I I / l , 1889 4 ; K . Marti, D a s Buch J e s a j a , K H C X , 1900; C . von Orelli, Der Prophet J e s a j a , S Z 4/1, 1904 3 ; B . D u h m , D a s Buch Jesaja, H K I I I / l , 1922 1 ; K . B u d d e , D a s Buch J e s a j a K a p . 40—66, in H S A T Bd. I, 1922 4 , S. 6 5 3 — 7 2 0 ; M. Haller, D a s Judentum, S A T 2/3, 1925 2 ; E. König, D a s Budi J e s a j a , 1926; P. Volz, J e s a j a II, K A T I X , 1932; G. Fohrer, D a s Buch J e s a j a , 3. Bd., Zürcher Bibelkommentare, 1964; J . Muilenburg, The Book of Isaiah Chapters 40—66, in: IB V S. 381—773. — Der Kommentar von C . Westermann ( A T D 19) erschien nach Abschluß des Manuskripts und konnte nicht mehr berücksichtigt werden. Vgl. G . Fohrer, Neuere Literatur zur alttestamentlichen Prophetie, T h R 20 (1952) S. 230. Neuerdings will M. H a r a n , The Literary Structure and Chronological Framework of the Prophecies in Is. X L — X L V I I I ( V T S u p p l I X , 1963, S. 127—155), in J e s 49—66 Deuterojesaja nach der Rückkehr aus dem Exil finden (vgl. S. 150). Es bleibt abzuwarten, ob diese mir unwahrscheinliche These Anhänger finden wird. K . Elliger, Die Einheit des Tritojesaja, B W A N T 3/9, 1928; vgl. dazu auch H . Odeberg, Trito-Isaiah, U U A Teologi 1, 1931.
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von Texten auch durch die in ihnen zu W o r t kommenden Traditionen geprägt sein. So nimmt denn heute die Mehrzahl der Forscher verschiedene Verfasser an 4 . Wir brauchen f ü r unsere Fragestellung dieses Problem hier nicht zu diskutieren; wenn im folgenden von Tritojesaja die Rede ist, soll damit nur der Verfasser des jeweils behandelten Stückes im Gegensatz zu Deuterojesaja gemeint sein. Zimmerli hat die Diskussion dadurch weitergebracht, daß er ausführlich untersucht hat, wie Tritojesaja Texte aus Deuterojesaja aufnimmt und verändert 5 . Er hat gezeigt, daß die Veränderungen in der Regel dadurch zu erklären sind, daß bei Deuterojesaja konkret gemeinte Äußerungen, die in einer bestimmten Situation gesagt worden sind, aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gelöst und zu „konventionelleren Aussagen der frommen Rede", zu „Formel(n) der religiösen Sprache" werden 6 . D u h m hatte schon ähnliche Beobachtungen gemacht. Da f ü r ihn wirkliche Propheten schöpferische Persönlichkeiten waren, konnte er Tritojesaja nur als einen Epigonen ansehen, als „ein schwerflüssiges, mühsam arbeitendes Talent, ein(en) Prophet(en) am Schreibtisch" 7 . Wenn Zimmerli, offenbar im Blick auf solche und ähnliche Äußerungen Duhms, fragt: „Genügt es, bei Tritojesaja abschätzig einen Mangel an Originalität zu konstatieren, der ihn eben von den Formeln des Meisters nicht loskommen läßt?" 8 , so f ü h r t er bereits mit dieser Frage entscheidend über die herkömmlichen, von D u h m beeinflußten Meinungen hinaus. Er beantwortet seine Frage selber: „In der Prägung der tritojesajanischen Verkündigung verrät sich die innere Bindung an die Behauptung, die Grundlage auch der deuterojesajanischen Verkündigung ist: ,Das Wort unseres Gottes besteht f ü r immer' (40, 8, dazu vgl. 55, 10 f.). Im Glauben an die innere Treue Jahwes, der sein einmal gesprochenes W o r t voll einlösen wird, ruht letzten Endes die Eigenart der Sprache Tritojesajas." 9 Aber diese 1
Vgl. G. Fohrer, T h R 2 0 (1952), S. 2 4 t . W. Zimmerli, Zur Sprache Tritojesajas, Schweizerische Theologische U m schau 20 (1950), S. 110—122 = Gottes Offenbarung, T h B 19, 1963, S. 217 bis 233. 6 Gottes Offenbarung S. 223 und 225. 7 B. D u h m , Israels Propheten, 1922 2 , S. 361 f. s Gottes Offenbarung S. 233. * Ebenda.
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Zur Eigenart T r i t o j e s a j a s
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seine A n t w o r t bedarf einer Ergänzung. Sie impliziert ja ein Traditionsverständnis, das kaum noch prophetisch genannt werden kann. A n diesem Punkte wollen die folgenden Darlegungen einsetzen und durch Analyse einiger Texte der Eigenart Tritojesajas näherzukommen suchen. 62, 1 — 5 1) U m Zions w i l l e n w i l l ich nicht schweigen, u m J e r u s a l e m s w i l l e n nicht r u h i g sein, bis d a s h e r a u s t r i t t w i e L i c h t g l a n z seine G e r e c h t i g k e i t u n d seine H i l f e w i e eine Fackel, d i e b r e n n t . 2 ) D a n n sehen also V ö l k e r deine G e r e c h t i g k e i t u n d a l l e K ö n i g e d e i n e Ehre, u n d m a n w i r d dich m i t einem neuen N a m e n nennen, den J a h w e s M u n d bezeichnen w i r d . 3) D a n n w i r s t du eine E h r e n k r o n e sein in J a h w e s H a n d , ein k ö n i g l i c h e r T u r b a n in der H a n d d e i n e s G o t t e s . 4) N i c h t w i r s t du w e i t e r h i n g e n a n n t : „ V e r l a s s e n e " , noch w i r d dein L a n d w e i t e r h i n g e n a n n t : „ V e r w ü s t e t e s " , s o n d e r n dich w i r d m a n n e n n e n : „ M e i n e Lust ( i s t ) a n i h r " und dein L a n d : „Vermählte". D e n n Lust hat J a h w e an dir, u n d dein L a n d w i r d v e r m ä h l t w e r d e n . 5) D e n n , w i e ' ein J ü n g l i n g eine J u n g f r a u h e i r a t e t , , w i r d ' dich dein . E r b a u e r ' h e i r a t e n 1 0 , u n d m i t der F r e u d e eines B r ä u t i g a m s ü b e r eine B r a u t w i r d sich dein Gott ü b e r dich f r e u e n .
Das Problem des Textes ist, wer hier redet. Ä l t e r e K o m m e n t a t o ren, z. B. Delitzsch, Orelli und König, wollen in dem „ich" von v. 1 J a h w e sehen. Hauptargument ist dabei, daß das V e r b ntfn „schweigen" Jes 42, 1 4 ; 57, 1 1 ; 64, 11 und 65, 6 auf J a h w e bezogen w i r d . Neuerdings aber herrscht unter den K o m m e n t a t o r e n Einmütigkeit, daß hier der Prophet rede, so z. B. Knobel, Duhm, Marti, Budde, Volz, Fohrer, Mowinckel 1 1 und Elliger 1 2 . Für sie besteht das entscheidende Argument darin, daß von v. 2 an J a h w e in der dritten Person genannt wird. Lediglich Haller meint: „Ob der Prophet spricht oder Gott selber, w i r d nicht ganz klar" 1 3 . Lies mit 1 Q J e s a VlS?33 und ferner - p ] 3 1 I 7 ! n \ " S. M o w i n c k e l , D e r metrische A u f b a u v o n J e s 62, 1 — 1 2 u n d d i e n e u e n sog „ K u r z v e r s e " , Z A W 65 ( 1 9 5 3 ) , S. 1 6 7 — 1 8 7 , v g l . S. 169. 12 E l l i g e r , E i n h e i t S. 26. 1 3 H a l l e r , S A T 2/3 S. 143. 10
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D a ß 42, 14; 57, 11; 64, 11 und 65, 6 das Verb ntfn auf Jahwe bezogen wird, ist deshalb nicht unbedingt ein zwingendes Argument, weil es 62, 6 eindeutig auf Menschen angewandt wird. Immerhin aber findet sich bei Deutero- und Tritojesaja überwiegend die Beziehung auf Jahwe. Sachlich interessant und weiterführend scheint mir aber die Beobachtung, daß es 64, 11 in der abschließenden Bitte eines Volksklageliedes heißt: „Willst du darüber an dich halten, willst du schweigen und uns zum Ü b e r m a ß beugen?". Zu dieser Bitte sind noch Ps 28, 1; 35, 22; 39, 13; 83, 2 und 109, 1 hinzuzunehmen, wo in Klageliedern das bedeutungsverwandte Verb i h n in der Bitte „schweige nicht!" verwendet wird. Von diesen Stellen her legt sich m. E. die Vermutung nahe, v. 1 sei als göttliche A n t w o r t auf eine Klage, also als ein Heilsorakel, zu verstehen. Zumindest wird man nicht bestreiten können, d a ß dieses Verständnis des Verses möglich ist. Für diese Deutung spricht wohl auch v. 1 b, den man sich eher im Munde Jahwes als eines Propheten vorstellen kann. Wie aber läßt sich dann erklären, daß in v. 2—5 von J a h w e in der dritten Person geredet wird? — Von den Kommentatoren ist bisher nicht gebührend gewürdigt worden, daß in v. 1 von Zion in der dritten Person, in v. 2 — 5 dagegen in der zweiten geredet wird. Wenn wirklich in v. 1 J a h w e redet, hätten wir also schon zwei Personenverschiebungen : v. 1: J a h w e in der ersten Person, Zion in der dritten, v. 2—5: J a h w e in der dritten Person, Zion in der zweiten. D a n n aber kann der Text kaum noch als eine einheitliche Rede angesehen werden, dann müssen wir zwischen v. 1 und v. 2 einen Trennungsstrich ziehen. N u n bestehen aber auch zweifellos Verbindungen: der Wendung v. I b a „bis d a ß heraustritt wie Lichtglanz seine Gerechtigkeit" entspricht deutlich 2aa „dann also sehen Völker deine Gerechtigkeit". Hier wird von einem anderen Sprecher — also nicht von Jahwe! — die Wendung v. I b a wieder aufgenommen und weiter ausgeführt. Die folgenden Sätze „ . . . und alle Könige deine Ehre, und m a n wird dich mit einem neuen N a m e n nennen, den Jahwes M u n d bezeichnen wird. D a n n wirst du eine Ehrenkrone sein in Jahwes H a n d , ein königlicher T u r b a n in der H a n d deines Gottes" lassen sich ungezwungen als E n t f a l t u n g der Aussage aus v. 1 verstehen: in allen
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geht es darum, daß die Gerechtigkeit Zions sichtbar wird. Die Verse 4—5 andrerseits können gut als eine E n t f a l t u n g von v. l b ß „und seine H i l f e wie eine Fackel, die brennt" verstanden werden; in ihnen geht es weniger um die durch die Gerechtigkeit hervorgerufene Ehrenstellung als vielmehr um die Hilfe, die Zion zuteil wird. Auf Grund dieser Hilfe wird Zion nicht mehr „Verlassene" und sein Land nicht mehr „Verwüstetes" genannt werden können. Der Abschnitt 62, 1—5 läßt sich also gut als Einheit verstehen, wenn m a n v. 1 als Zitierung eines überlieferten Textes deutet, v. 2—5 als predigthafte Auslegung dieses Textes, als Aktualisierung. Woher das Zitat v. 1 stammt, läßt sich nicht mehr ausmachen; man könnte an uns unbekannte Texte Deuterojesajas denken, der ja das Heilsorakel als Gattung kennt, man könnte aber auch einfach an ein kultisches Formular denken. Ehe wir nun versuchen, diese Deutung durch eine Analyse ähnlich gebauter Texte zu stützen, sollen einige Erwägungen über deren Konsequenzen eingeschaltet werden. Ganz deutlich stellt sich in dem so verstandenen Text die Frage nach der Tradition und ihrer Bedeutung. Freilich wissen wir heute zur Genüge, daß die Propheten nicht die großen Neuerer waren, die man vor fünfzig Jahren in ihnen sehen wollte. Vor allem von Rad 1 4 hat gezeigt, daß sie häufig überlieferte Gedanken, Vorstellungen und Formulierungen aufnehmen 1 5 . Die Frage ist aber dann, worin bei aller A u f n a h m e von Traditionen das genuin Prophetische zu suchen ist. Von R a d sieht es in der „Eschatologisierung des Gesdiichtsdenkens": das Typische der Prophetie liegt nach ihm darin, daß sie „alles f ü r die Existenz Israels Entscheidende, Leben und Tod, von einem kommenden Gottesgeschehen erwartet" 1 6 . Ähnliches meint Wolff, wenn er sagt: „Tradition bleibt gar nicht Tradition; sie erscheint im prophetischen Wort als A k t des gegenwärtigen, ja des kommenden Gottes, einerseits so, daß sie Israel im kommenden 14
15 14
G. v o n Rad, Theologie des Alten Testaments, Bd. II, 1960, passim; vgl. auch die v o n G. Fohrer, Tradition und Interpretation im Alten Testament, Z A W 73 (1961), S. 25 f. Anm. 59 genannten Arbeiten, ferner R. Rendtorff, Tradition und Prophetie, Theologia Viatorum VIII, 1962, S. 2 1 6 — 2 2 6 . Vgl. auch G. Fohrer, Z A W 73 (1961), S. 24 f. A. a. O . S. 125 ff., besonders S. 131.
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Gericht unentschuldbar macht, andererseits so, daß der kommende H e r r als der alte Heilsgott Israels erkennbar wird 1 7 ." Blicken wir noch einmal auf unseren Text. Wenn wir in ihm die Ankündigung eines neuen Gottesgeschehens haben, dann in v. 1! Was Tritojesaja in v. 2—5 hinzufügt, ist eine Auslegung dieses Zitats, die selber nichts Neues bringt. D a m i t ist dann aber, wenn die eben zitierte Bestimmung der prophetischen Eigenart zutrifft, der Bereich des Prophetischen verlassen. Die Eigenart Tritojesajas besteht dann darin, d a ß er nichts Neues bringen will, sondern das alte „Neue" entfaltet, es auf die Gegenwart appliziert. Das aber ist nicht mehr Prophetie, sondern schriftgelehrte Auslegung. Genau wie 62, 1—5 sind die folgenden Verse 62, 6—7 gebaut: 6) Auf Den Ihr, 7) U n d und
deine M a u e r n , J e r u s a l e m , h a b e ich Wächter bestellt. ganzen T a g u n d die g a n z e N a c h t sollen sie nicht schweigen. die ihr J a h w e erinnert, h a b t keine R u h e ! gebt ihm keine R u h e , bis d a ß er a u f r i c h t e bis er J e r u s a l e m mache z u m Lobpreis auf E r d e n .
D a ß in v. 6a ein Zitat aus einer Jahwerede vorliegt, in v. 6b7 dagegen eine Ermahnung des „Propheten", haben bereits Delitzsch, König, D u h m , Elliger und Haller erkannt; daß Volz und Fohrer diese Einsicht wieder aufgegeben haben, hat ihren Auslegungen nicht zu größerer Klarheit verholfen. Auf Einzelheiten unseres Textes brauchen wir hier nicht einzugehen; wir können offenlassen, ob mit den Wächtern vielleicht Propheten gemeint sind oder ob sich in den mazkirim vielleicht ein höfisches Amt spiegelt. Für uns ist entscheidend, daß das Jahwewort v. 6a von Tritojesaja wieder predigthaft ausgelegt wird. Möglicherweise sind auch die folgenden Verse als Zitat mit Auslegungen zu verstehen: 62, 8—9: 8) J a h w e schwor bei seiner Rechten, bei seinem starken A r m : G e w i ß nicht gebe ich noch l ä n g e r dein K o r n als Speise deinen Feinden, noch sollen F r e m d l i n g e deinen M o s t trinken, u m den du dich a b m ü h t e s t . 9) F ü r w a h r : diejenigen, die es e r n t e n , sie sollen es essen, u n d dabei J a h w e preisen, u n d die, die ihn (sc. den Most) einsammeln, sollen ihn t r i n k e n in ,seinen' heiligen V o r h ö f e n . 17
H . W . W o l f f , H a u p t p r o b l e m e alttestamentlicher P r o p h e t i e , E v T h 15 (1955) S. 4 4 6 — 4 6 8 = G e s a m m e l t e Studien z u m A l t e n T e s t a m e n t , T h B 22, 1964, S. 2 0 6 — 2 3 1 , S. 459 b z w . 221.
Zur Eigenart Tritojesajas
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V. 8 ist durch die Einleitung als Jahwerede gekennzeichnet. Dem entspricht, daß von J a h w e in der ersten und von Zion in der zweiten Person die Rede ist. In v. 9 wird nun die Anrede verlassen, statt der 2. sing. fem. finden wir jetzt die 3. plur. M a n gewinnt den Eindruck, d a ß in v. 9 das Fazit aus v. 8 gezogen, also ausgelegt wird. Diesem Verständnis entspricht, daß in v. 9a J a h w e in der dritten Person genannt wird. Leider steht aber nun in v. 9b ^ I p n n s n a „in meinen Vorhöfen". Man könnte von daher die eben gebotene Auslegung anzweifeln und die N e n n u n g von J a h w e in der dritten Person als formelhaften Gebrauch erklären. Immerhin aber bleibt, daß die Anrede durch die dritte Person ersetzt wird. U n d da wir aus Q u m r a n wissen, daß , und 1 in manchen Handschriften praktisch nicht zu unterscheiden sind, scheint es mir einleuchtender, hier 1Enp zu lesen; die falsche Auflösung eines doppeldeutigen VI wäre dann durch einen Schreiber erfolgt, der nicht mehr wußte, daß v. 9 keine Fortsetzung der Jahwerede aus v. 8 sein sollte. Sicherlich ist es mißlich, an einem f ü r eine neue Auslegung wichtigen Punkte eine Textänderung vorzuschlagen. Immerhin aber ist sie graphisch naheliegend, außerdem ist zu bedenken, daß ohne sie der Text unzweifelhaft eine gewisse Spannung birgt, mit ihr er sich dagegen glatt wie die beiden vor ihm stehenden Einheiten verstehen läßt. Doch wie immer man diese K o n j e k t u r beurteilen mag — auf jeden Fall aber scheinen mir die beiden zuerst behandelten Texte eindeutig zu sein; wir finden in ihnen eine bisher noch nicht genügend beachtete Gattung: bekanntes J a h w e w o r t und Auslegung durch Tritojesaja. Eine Parallele hierzu scheint nun auf den ersten Blick in der von Wolff herausgearbeiteten 1 8 und von Westermann 1 9 aufgenommenen und weitergeführten Unterscheidung von „Gerichts- oder Heilsankündigung" und „Begründung" vorzuliegen. Denn die Gerichts- oder Heilsankündigung besteht auch aus einem J a h w e w o r t , die Begründung aus einem dazugehörigen Prophetenwort. D o r t aber 18
H . W. Wolff, D i e Begründungen der prophetischen H e i l s - und Unheilssprüche, Z A W 5 2 (1934), S. 1 — 2 2 = Gesammelte Studien, S. 9 — 3 5 . C . Westermann, Grundformen prophetischer Rede, 1960.
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bringt — zumindest im Regelfall — das Jahwewort etwas Neues, das prophetische dagegen sucht dieses Neue aus der Situation heraus zu begründen. Bei den behandelten Texten aus Tritojesaja dagegen Sellien das Jahwewort nicht Neues, sondern Zitat aus einem Traditionsgut zu sein; die Worte Tritojesajas wollen dieses Jahwewort nicht begründen, sondern auslegen. Sie bieten gegenüber dem Jahwewort gar nichts inhaltlich Verschiedenes. Dann aber können wir, das sei noch einmal betont, dieses Handhaben, dieses Auslegen der zuhandenen Überlieferung nicht mehr dem Bereich der Prophetie zuweisen, sondern müssen hier beginnende Schriftgelehrsamkeit sehen. Dies wird vollends deutlich an 56, 1—7. 1) S o spricht J a h w e : Bewahret Recht und tut Rechttat, denn nahe ist meine H i l f e zu kommen, und meine Redittat, sidi zu enthüllen. 2) Glücklich der Mann, der dieses tut, der Mensch, der daran festhält, indem er den S a b b a t h bewahrt, ihn nicht zu entweihen, indem er seine H a n d bewahrt, kein Böses zu tun.
V. 1 ist durch die Botenformel als Jahwerede gekennzeichnet. Inhaltlich liegt ein Mahnspruch vor, der sicherlich in v. l a nichts Neues bringt; die Wendung „mispat und sedaqa tun" gehört zu den geläufigsten des Alten Testaments. In v. l b dagegen „denn nahe ist meine Hilfe zu kommen, und meine Rechttat, sich zu enthüllen" nimmt Tritojesaja wohl ein Wort Deuterojesajas auf, der 46, 12 gesagt hat: „Nahegebracht habe ich meine Rechttat". Bei Deuterojesaja ist dieses Wort ganz situationsbezogen und meint konkret die nahe bevorstehende Heilstat der Rückführung. Tritojesaja dagegen hat aus der konkreten Ankündigung eine allgemeine Wesensaussage gemacht: Gottes Hilfe ist immer nahe am Kommen und seine Rechttat immer nahe am Offenbarwerden — so muß man doch wohl die Nominalsätze verstehen. Wenn Tritojesaja hier wirklich überlieferte Elemente zusammenstellt, erhebt sich die Frage, was dann die Einleitung „so spricht J a h w e " bedeuten solle. Sie soll dann wohl kaum das Folgende als eine tatsächliche Audition kennzeichnen 20 . Die Wendung braucht 20
Vgl. z. B. Elliger, Einheit S. 6 ; Führer S. 186: „ O r a k e l " .
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aber deshalb nicht „nur Formel" zu sein und „zur captatio benevolentiae" zu dienen 21 . Man wird vielmehr damit rechnen müssen, daß Tritojesaja auch ohne ein Wortereignis eine von ihm vorgenommene Zusammenstellung von überlieferten Jahweworten durch die Botenformel einleiten konnte, weil f ü r ihn J a h w e eben in dieser Tradition sprach. 213 In v. 2 haben wir einen Segensspruch, der dem Formelschatz der Weisheit entnommen ist. Haller und Elliger 22 haben erkannt, daß in v. 2 das Gotteswort aus v. 1 nicht f o r t g e f ü h r t wird, d a ß vielmehr ein eigenes Wort des Propheten vorliegt. Fohrer scheint ähnliches zu meinen, wenn er v. 2 einen „Heilsspruch" nennt, „dessen Ausführung wieder die einleitende Mahnung erläutert" 2 3 . Mir scheint diese Einsicht unbezweifelbar; neben inhaltlichen Argumenten, die gleich erörtert werden sollen, ist zunächst wieder auf eine Personverschiebung hinzuweisen: in v. 1 werden Menschen in der 2. plur. angeredet, in v. 2 finden wir die 3. sing. Inhaltlich bedeutet v. 2 eine Erläuterung dessen, was in v. 1 durch das Verhältnis von Imperativ und Begründungssatz angedeutet wird. Weil Gottes Hilfe und Heilstat nahe zu kommen sind, soll man Recht bewahren und Rechttat tun — das könnte bedeuten, daß Jahwes Hilfe und Heilstat auf jeden Fall als ein gewaltiges, unaufhaltsames Ereignis kommen werden und man sich durch sein Tun darauf vorbereiten soll, das könnte aber auch bedeuten, d a ß sie im alltäglichen Leben für den Menschen kommen, der Recht bewahrt und Rechttat tut und daß deshalb zu diesem Tun aufgefordert wird. In v. 2 wird nun die zweite Verständnismöglichkeit als die richtige hingestellt. „Glücklich der Mann" entspricht dabei der Wendung v. l b „nahe ist meine Hilfe zu kommen und meine Heilstat sich zu offenbaren", eben darin liegt für den Menschen seine Glückseligkeit. „Der solches tut" und „der daran festhält" entspricht dem Imperativ „Bewahret Recht und tut Rechttat". In der Weisheit bezieht sich ein 'HtfN-Spruch immer auf das gute Ergehen eines Menschen im Alltag; deshalb ist anzunehmen, daß die in v. 1 genannte H i l f e 21 2ia 22 25
Haller, S A T 2/3 S. 132. Vgl. z. B. auch Sach 8. Elliger, Einheit S. 7. Kommentar S. 186.
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und Heilstat Gottes durch v. 2 als alltägliches Wohlergehen gedeutet werden sollen. Wir werden diese Vermutung in v. 3 — 7 bestätigt finden. Wir können also sagen: Vers 2a ist eine Auslegung von v. 1, die die in dem Begründungssatz von v. 1 liegende Doppeldeutigkeit dahingehend auflöst, daß das Heil für den nahe ist, der dem göttlichen Gebot von v. 1 nachkommt. Die auslegungsmäßige Präzisierung geht aber noch weiter. Die A u f f o r d e r u n g „Bewahret Recht und tut Rechttat" ist umfassend und demgemäß allgemein und unscharf. Ebenso allgemein sind in der Auslegung „der dieses tut" und „der daran festhält". Durch das angereihte P r ä d i k a t i v u m „indem er den Sabbath bewahrt, ihn nicht zu entweihen" wird nun auch hier präzisiert. In allen K o m m e n t a r e n wird d a r a u f hingewiesen, daß die Erwähnung des Sabbaths die nachexilische Zeit voraussetze, weil im Exil das H a l t e n des Sabbaths zum status confessionis geworden sei. Wir braudien deshalb solche E r örterungen nicht zu wiederholen. Wichtig für unsere Fragestellung ist, daß die allgemeine A u f f o r d e r u n g aus v. l a , die in v. 2a ebenso allgemein umschrieben wird, in v. 2ba mittels des für die damalige Zeit entscheidenden Gebotes erläutert und präzisiert wird — wieder eine Auslegung. D a m i t aber ist das Konkretisierungsbedürfnis dann freilich erschöpft; die Weiterführung in 2bß „indem er seine H a n d hütet, kein Böses zu tun" ist wieder ebenso allgemein wie v. l a und 2a. Z u s a m m e n f a s s e n d läßt sich also sagen: In v. 1 werden aus der Tradition stammende J a h w e w o r t e zitiert, wobei v. l a eine ganz allgemein gehaltene Mahnung aufnimmt, v. l b wohl A b w a n d l u n g eines deuterojesajanischen Wortes ist. D a s abgewandelte deuterojesajanische Wort dient zur Begründung der allgemeinen A u f f o r d e rung. Dabei ist die Verbindung von A u f f o r d e r u n g und Begründung nicht eindeutig. Es könnte gemeint sein, daß Gottes Heilstat als ein besonderes Geschichtsereignis unabhängig v o m T u n der Menschen kommen wird — es könnte aber auch gemeint sein, daß Gottes H i l f e und Heilstat ohne große äußere Ereignisse zu den Menschen kommen, die die Gebote halten. — In v. 2 wird ein Segensspruch benutzt, um dieses Verhältnis eindeutig im Sinne der zweiten Möglichkeit zu bestimmen. Weiterhin wird die allgemeine Formulierung
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„bewahret Recht und tut Rechttat" präzisiert durch den Hinweis auf das zur damaligen Zeit wichtigste Gebot, auf das H a l t e n des Sabbaths. Theologisch bedeutet nun diese Auslegung: Entscheidend d a f ü r , ob das Heil Gottes zu einem Menschen kommen wird, ist vor allem, ob er die Gebote, und besonders das Sabbathgebot, hält. Der Text wird in seiner Eigenart erst dann deutlich, wenn man sich klarmacht, was hier n i c h t gesagt wird: es wird nichts gesagt von Zugehörigkeit zum Volk Israel, es wird nichts gesagt von irgendwelchen kultischen Reinheits- und Vollkommenheitsvorstellungen. Entscheidender Punkt ist allein das H a l t e n der Gesetze, besonders des Sabbathgebotes. Diese Auslegung der alten Aufforderung, mispat und sedaqa zu tun, ist eine Antwort auf die Strukturveränderungen, die die Gemeinde der Rückkehrer erfahren hatte. Zusammen mit den Israeliten waren ja Proselyten zurückgekehrt. Ferner gab es Israeliten, die in Babylon ein hohes H o f a m t innegehabt hatten und deshalb verschnitten worden waren. Nach den alten Kultvorschriften wären solche Fremdlinge und Eunuchen nicht kultfähig gewesen. Wenn aber jetzt die entscheidende Bedingung für das Kommen des Heils Gottes zu einem Menschen allein im Halten der Gebote, speziell des Sabbathgebotes, gesehen wurde, konnten auch diese früher ausgeschlossenen Menschengruppen in die Gemeinde aufgenommen werden. D a ß mit diesen Erwägungen nicht mehr aus v. 1—2 herausgelesen wird, als tatsächlich in ihnen steht, zeigt die Fortsetzung v. 3 — 7 : 3) Nicht sage der Fremdling, der sich Jahwe angeschlossen hat: G e w i ß w i l l Jahwe midi abtrennen von seinem V o l k ! U n d nicht sage der Verschnittene: Fürwahr, ich bin ein abgestorbener Baum. 4) D e n n so spricht Jahwe: D e n Verschnittenen, die meine Sabbathe halten und also erwählen, woran ich Gefallen habe — Halter meines Bundes (sind sie damit) — 5) denen gebe ich in meinem Haus und in meinen Mauern ein D e n k m a l und einen besseren Namen, als (ihn) Söhne und Töchter (geben können), einen ewigen N a m e n gebe ich ihnen, der nicht ausgetilgt werden kann. 6) U n d die Fremdlinge, die sich Jahwe anschließen, ihm zu dienen und um den N a m e n Jahwes zu lieben und ihm zu Knechten zu sein,
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alle, die den Sabbath halten, ihn nicht zu entweihen — Halter meines Bundes (sind sie damit) — 7) sie bringe ich zu meinem heiligen Berg und gebe ihnen Freude in meinem Bethause; ihre Brand- und Schlachtopfer sind zu Wohlgefallen auf meinem Altar. Denn mein H a u s wird Bethaus genannt werden für alle Völker.
Während die alten Kommentatoren durchweg v. 1—8 als eine Einheit ansehen, wollen Elliger und Volz zwischen v. 2 und v. 3 einen Trennungsstrich ziehen. Elliger hält den Abschnitt v. 3 — 7 f ü r das Werk eines Redaktors, Volz will in v. 3—8 einen Brief des Propheten sehen, in v. 1—2 möglicherweise „redaktionelle K l a m mern" 2 4 . Auch D u h m und Marti sehen v. 1—8 als uneinheitlich an, versuchen aber, durch Streichungen in v. 3—8 diesen Abschnitt v. 1—2 anzugleichen. Man kann wohl kaum wie die älteren Kommentatoren v. 1—8 unkompliziert als eine Einheit ansehen, dazu birgt der Text zu viele Spannungen. In v. 1 findet sich eine allgemeine pluralische Anrede, in v. 2 eine allgemeine Feststellung in der 3. sg., in v. 3—7 dagegen spezielle Stellungnahmen zu den Problemen der Fremden und Verschnittenen. Andererseits scheint mir aber auch Elligers Radikalkur, v. 3—8 als Werk eines Redaktors anzusehen, nicht sachgemäß zu sein. Denn wenn in v. 3—8 von den Fremden und Verschnittenen geredet wird, die Jahwes Sabbathe halten, dann liegt hier doch wohl mehr vor als eine bloße Stichwortanreihung. Ich habe oben zu zeigen versucht, daß die Intention der Auslegung, die das alte Gebot v. l a in v. 2 erfährt, genau auf die Situation von v. 3—7 zielt; wenn das stimmen sollte, kann man den Text nicht auseinanderreißen. D a n n muß man vielmehr in v. 3—8 die praktische Anwendung der Auslegung sehen, die das alte Gebot v. l a in v. 2 erhält. Die theologische These „Glücklich, und z w a r glücklich durch das Kommen der H i l f e und Heilstat Gottes, ist der Mann, der die Gebote, speziell das Sabbathgebot, hält" wird hier als gültig auch f ü r die nach den alten Kultsatzungen ausgeschlossenen Fremdlinge und Verschnittenen behauptet. Interessant ist dabei, daß die Verschnittenen klagen, sie hätten keine Nachkommen. Offenbar hat die alte Kultsatzung D t 23, 2, der kultisch-rituelle Maßstäbe zugrundelagen 2 5 , eine Vergeistigung 21 25
Vgl. Elliger, Einheit S. 125; V o l z K A T S. 203 f. Vgl. z. B. G. v o n Rad, D a s fünfte B u A Mose, A T D 8, 1964, S. 104 f.
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erfahren. Sie wird jetzt so gedeutet, daß die Verschnittenen deshalb vom H e i l J a h w e s ausgeschlossen sind, weil sie am Heilsgut des K i n dersegens keinen Anteil mehr haben können und folglich ihr N a m e zugrundegeht. Gegen diesen E i n w a n d wird angeführt, daß das H e i l ihnen doch zuteil wird, da sie ein D e n k m a l im T e m p e l aufstellen und sich dadurch einen besseren N a m e n , als ihn Söhne und Töchter bieten, verschaffen können. Jahwes H i l f e und Heilstat werden also ganz innerweltlich verstanden. — D a ß J a h w e die Fremdlinge, die seinen S a b b a t h halten, zu seinem heiligen Berg bringt, ist dann auch nicht eschatologisch gemeint 2 6 . Im Übrigen spricht auch die Aussage, daß ihre B r a n d - und Schlachtopfer zu Wohlgefallen sein werden, gegen eine eschatologische Deutung, wie V o l z bemerkt. — v. 7b „denn mein H a u s soll Bethaus genannt werden für alle V ö l k e r " klingt wie ein Z i t a t , ist aber nicht verifizierbar. Zusammenfassend läßt sich sagen: 5 6 , 1 — 7 scheint eine Einheit zu sein, die aus drei Elementen besteht: v. 1: überliefertes J a h w e w o r t , v. 2 : Auslegung dieses Wortes, v. 3 — 7 : situationsbezogcne Anwendung dieser Auslegung. D a s mittlere Glied fand sich in den eingangs behandelten T e x t e n nicht, w a r dort auch nicht nötig, weil diese T e x t e in sich k l a r waren, während 5 6 , 1 zwei Verständnismöglichkeiten birgt. Gegen diese Deutung von 56, 1 — 7 scheint zu sprechen, d a ß dann in v. 4 eine predigthafte Auslegung Tritojesajas durch ko Jahwe
'amar
eingeführt würde. Aber R . R e n d t o r f f hat j a darauf hingewie-
sen, d a ß es B o t e n f o r m e l n gibt, „die vom Überbringer selbst in freier Interpretation seines Auftrags hinzugefügt w e r d e n " 2 7 , und in v. 1 verwendet T r i t o j e s a j a ja die Botenformel auch nicht in ihrem ursprünglichen Sinn, sondern führt mit ihr überlieferte F o r m e l n ein. G a n z deutlich aber zeigt eine Abwandlung der B o t e n f o r m e l , das in einen S a t z eingeschobene 'amar Jahwe,
d a ß T r i t o j e s a j a nicht unbe-
dingt das Ergehen eines Wortes von J a h w e her meint, wenn er sagt, J a h w e rede (vgl. 57, 1 9 . 2 1 ; 6 5 , 7 . 2 5 ; 6 6 , 9 . 2 0 . 2 1 . 2 3 ) . " 27
Vgl. V o l z K A T S. 2 0 3 und 2 0 6 . R . Rendtorff, Botenformel und Botenspruch, Z A W 74 ( 1 9 6 2 ) , S. 1 6 5 — 1 7 7 ; S. 169. Vgl. auch oben S. 9 ; ferner H . Wildberger, J a h w e w o r t und prophetische R e d e bei J e r e m í a , Zürich 1942, S. 102 ff; C . Westermann, G r u n d f o r m e n S. 6 7 .
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Jes 58 D a ß die Verse 13—14 ein späterer Zusatz sind, w i r d heute fast allgemein angenommen (z. B. Duhm, M a r t i , H a l l e r , Fohrer, Elliger) 2 8 . N u n ist aber zu beachten, d a ß v. 3b—4 inhaltlich deutlich v. 13—14 entsprechen: in beiden Abschnitten geht es darum, d a ß m a n an dem heiligen Tage nicht sein Geschäft treiben soll, in v. 3b—4 am Fasttage, in v. 13—14 am Sabbath. A u ß e r d e m aber p a ß t v . 3b—4 nicht zu v. 5 ff.: in v. 5 ff. w i r d das Fasten prinzipiell abgelehnt und an seiner Stelle soziales H a n d e l n gefordert; in v. 3b—4 w i r d bemängelt, d a ß man am Fastentage sein Geschäft treibt — die Meinung ist offensichtlich, d a ß man ohne dieses V e r h a l t e n so fasten könne, d a ß in der H ö h e die Stimme der Fastenden gehört w i r d . Deshalb scheint mir v. 3b—4 ebenfalls ein späterer Einschub zu sein, wahrscheinlich von derselben H a n d , die v. 13—14 eingefügt hat. Ohne v. 3b—4 besteht die A n t w o r t auf die Frage von v. 3a „ W a r u m fasten w i r und du siehst es nicht, kasteien w i r uns und du nimmst es nicht zur Kenntnis?" in der Gegenfrage v. 5 „Sieht so ein Fasten aus, das ich akzeptiere . . .", die dann in v. 6 dadurch beantwortet w i r d , d a ß als das gottgefällige Fasten das soziale H a n d e l n angesehen w i r d . 1) R u f e aus voller Kehle, halte nicht zurück, wie eine Posaune erhebe deine Stimme und künde meinem V o l k ihr Vergehen, dem Hause J a k o b ihre Sünden. 2) Z w a r suchen sie midi tagtäglich und lieben Kenntnis meiner Wege; wie ein V o l k , das Gerechtigkeit übt und das Recht seines Gottes nicht v e r l ä ß t , so fragen sie mich nach gerechten Geriditen und haben sie G e f a l l e n am Nahen G o t t e s : 3) W a r u m fasten w i r und du siehst es nicht, kasteien w i r uns und du nimmst es nicht zur Kenntnis? Siehe, an eurem Fasttage findet ihr ein Geschäft und treibt all eure Arbeiter an. 4) Siehe, zu H a d e r und Zwist fastet ihr, zum Schlagen mit ruchloser Faust. Ihr fastet nicht so, daß man in der Höhe eure Stimme hören könnte. 5) Sieht so ein Fasten aus, das idi liebe: ein Tag, da der Mensch sich kasteit?
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Muilenburg allerdings schreibt S. 6 8 5 "There is no contradiction between vss. 1 — 1 2 and vss. 1 3 — 1 4 of our poem."
Z u r Eigenart T r i t o j e s a j a s
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Beugen gleich der Binse das H a u p t , in Sack u n d Asche sich b e t t e n : Willst d u das ein Fasten nennen, einen T a g des W o h l g e f a l l e n s f ü r J a h w e ? 6) Ist nicht das ein Fasten, das ich liebe: ungerechte Fesseln ö f f n e n , B a n d e des Jochs loslassen, Gebrochene frei entlassen, d a ß d u jedes Joch zerbrichst; 7) nicht, d a ß du dem H u n g r i g e n 'dein Brot' brichst u n d Obdachlosigkeit ins H a u s bringst? W e n n du einen nackt siehst u n d ihn kleidest u n d dich v o r deinem Fleisch nicht verbirgst, 8) d a n n w i r d hervorbrechen wie M o r g e n r o t dein Licht u n d deine H e i l u n g w i r d eilends sprossen, u n d deine Gerechtigkeit geht vor dir her u n d die Herrlichkeit J a h w e s schließt den Zug. 9) D a n n wirst du r u f e n u n d J a h w e w i r d a n t w o r t e n , wirst d u schreien u n d er w i r d sprechen: hier bin ich. W e n n d u e n t f e r n s t aus deiner M i t t e das Joch, das Fingerausstrecken u n d U n h e i l r e d e n , 10) u n d spendest d e m H u n g r i g e n dein Brot u n d die gebeugte Seele sättigst, d a n n w i r d a u f s t r a h l e n im Finstern dein Licht u n d deine D u n k e l h e i t wie der M i t t a g , 11) u n d leiten w i r d dich J a h w e beständig u n d sättigen in D ü r r e n deine Seele, u n d deine K r a f t w i r d er ' v e r j ü n g e n ' u n d d u wirst sein wie ein bewässerter G a r t e n u n d wie ein Q u e l l o r t von Wassern, dessen Wasser nicht trügen. 12) U n d bauen w e r d e n Leute von dir deine u r a l t e n T r ü m m e r , ewige G r ü n d u n g e n wirst du errichten u n d w i r s t heißen R i s s e v e r m a u r e r , W i e d e r h e r s t e l l e r der P f a d e z u m W o h n e n . 13) W e n n du z u r ü c k h ä l t s t v o m S a b b a t h deinen F u ß , zu t u n dein Geschäft an meinem heiligen Tage, u n d nennst den S a b b a t h eine W o n n e , u n d 'den N e u m o n d ' J a h w e s eine Lust u n d ihn ehrst, nicht zu t u n deine Wege, nicht zu finden dein Geschäft u n d zu schwätzen, 14) d a n n wirst d u deine Lust an J a h w e h a b e n , w e r d e ich dich f a h r e n lassen ü b e r die H ö h e n der E r d e u n d dich essen lassen das E r b e deines V a t e r s J a k o b , d e n n der M u n d J a h w e s h a t ' s geredet.
Nun hat bereits Elliger klar erkannt, daß auch die Verse 6—12 keineswegs einheitlich sind, sondern daß hier zwei parallele Gedankengänge vorliegen: „Dann wird v. 9 b — I I a dieser Gang noch
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Diethelm
Michel
einmal durchlaufen, aber wohlgemerkt abgekürzt und auch hier und da abgewandelt" 29 . Es ist aufschlußreich, v. 6—9a und v. 9b—12 zu vergleichen: Ist nicht das ein Fasten, das ich liebe: ungerechte Fesseln öffnen, Bande des Jochs loslassen, Gebrochene frei entlassen, d a ß du jedes Joch zerbrichst; 7) nicht, daß du dem Hungrigen dein Brot brichst und Obdachlosigkeit ins H a u s bringst? Wenn du einen nackt siehst und ihn kleidest, und dich vor deinem Fleisch nicht verbirgst, 8a) dann wird hervorbrechen wie Morgenrot dein Licht und deine Heilung wird eilends sprossen, 8b) und deine Gerechtigkeit geht vor dir her und die Herrlichkeit Jahwes schließt den Zug. 9a) D a n n wirst du rufen und Jahwe wird antworten, wirst du schreien und er wird sagen: hier bin ich.
6)
9b) Wenn du entfernst aus deiner Mitte das Joch, das Fingerausstrecken und Unheilreden,
10a) und spendest dem Hungrigen dein Brot und die gebeugte Seele sättigst,
10b) so wird aufstrahlen im Finstern dein Licht und deine Dunkelheit wie der Mittag, I I a ) und leiten wird dich J a h w e beständig und sättigen in Dürren deine Seele, I I b ) und deine K r a f t wird er v e r jüngen', und du wirst sein wie ein bewässerter Garten, wie ein Quellort von Wassern, dessen Wasser nicht trügen. 12)
U n d bauen werden Leute von dir deine uralten Trümmer, ewige Gründungen wirst du errichten und wirst heißen: Rissevermaurer, Wiederhersteller der P f a d e zum Wohnen.
Die Verse 9b—10a entsprechen ziemlich genau v. 6—7. V. 10b dagegen bringt gegenüber v. 8a einen bezeichnenden Unterschied. „Heilung" in v. 8a bezieht sich doch wohl konkret auf die Notlage, die in der Klage v. 3a vorausgesetzt ist: ebenso dürfte dann auch das „Hervorbrechen des Lichts wie Morgenrot" das Ende der Notlage meinen. In v. 10b ist das Konkretum „Heilung" durch die allgemeine Wendung „deine Dunkelheit wie der Mittag" ersetzt, entsprechend muß man wohl „so wird aufstrahlen im Finstern dein Licht" ebenfalls als grundsätzliche Aussage verstehen. Der Abschnitt v. 9b—12 scheint also die Tendenz zu haben, aus den Wendungen " Elliger, Einheit S. 14; vgl. auch schon Marti, K A T .
Zur Eigenart Tritojesajas
229
von v. 6—9a grundsätzliche Aussagen zu erheben. — Diese Vermutung wird durch einen Vergleich von v. 8b mit v. I I a zur Gewißheit. In v. 8b wird, wie Zimmerli ausführlich dargelegt hat 30 , Jes 52, 12b „denn Jahwe geht vor euch her, und eure Nachhut ist der Gott Israels" zitiert. Das „Bild des wandernden Gottesvolkes" klingt zwar in 58, 8b noch an, ist aber „jetzt in einem übertragenen, bildlichen Sinne zu verstehen", es ist „religiös geheiligte Vokabel geworden". Diese Entwicklung ist in 58, I I a folgerichtig weitergeführt: in der Formulierung „und leiten wird dich J a h w e beständig und sättigen in Dürren deine Seele" sind die Anklänge an die Rückwanderung weggelassen, es geht jetzt ganz allgemein um Jahwes Leitung in den Nöten des Lebens. — Die Wiedergabe von v. 9a in v. 1 l b zeigt dasselbe Phänomen: v. 9a ist A n t w o r t auf die Klage von v. 3a, v. I I b dagegen bringt eine grundsätzliche Aussage. V. 12 dagegen zieht aus dieser eine Folgerung f ü r die neue historische Situation: „ U n d bauen werden Leute von dir deine uralten Trümmer, ewige Gründungen wirst du errichten und wirst heißen: Rissevermaurer, Wiederhersteller der P f a d e zum Wohnen". Es scheint mir nach alledem deutlich zu sein, daß f ü r v. 6—9a und v. 9b—12 nicht derselbe Verfasser anzunehmen ist. V. 9b—12 ist eine Auslegung von v. 6—9a, die geradezu als Midrasch bezeichnet werden kann 3 1 . In Jes 58 sind also drei Schichten greifbar: v. 1—3a.5—9 die prophetische Antwort auf ein Volksklagelied; v. 9b—12 eine midraschartige Auslegung, die zu grundsätzlicheren Aussagen vorzustoßen bemüht ist; v. 3b—4.13—14 eine weitere H i n z u f ü g u n g , die die grundsätzliche Ablehnung des Fastens in eine bedingte abändert. G. Fohrer hat darauf hingewiesen, daß von den Propheten „Traditionen nicht nur aufgenommen, sondern gleichzeitig auch neu interpretiert werden, und daß sogar neue Einsichten, die u n a b h ä n gig von der oder gegen die Tradition gewonnen worden sind, mittels uminterpretierter traditioneller Vorstellungen ausgedrückt werden 32 ." D a m i t dürfte im großen und ganzen das Verhältnis der Pro»u Gottes Offenbarung S. 219 ff. Vgl. H . L. Strack, Einleitung in den Talmud, 1908 4 , S. 8 und 5; E. Groß, Art. Midrasch in R G G 3 IV, Sp. 940 f. «* G. Fohrer, Z A W 7 3 (1961) S. 24 f.
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Diethelm
Michel
pheten zu ihren Traditionen treffend beschrieben worden sein 33 . D a n n aber ist deutlich, daß Tritojesaja kaum Prophet genannt werden darf. Für ihn ist die Tradition, wenigstens zum Teil, so fest geronnen, daß sie nicht uminterpretiert, sondern nur interpretiert werden kann. Wenn man nun Tritojesaja, wie seit D u h m fast allgemein üblich ist, an den Propheten, besonders an Deuterojesaja mißt, m u ß er als stümperhafter, beschränkter Epigone erscheinen. D a m i t aber wird man ihm einfach nicht gerecht; man m u ß sehen, daß mit ihm eine neue Epoche anbricht: die schriftgelehrte Auslegung, die die Tradition als feste, unveränderliche Größe ansieht. Es bleibt die Aufgabe, die Art der Auslegung Tritojesajas näher zu beschreiben. Dazu ist aber die Grundlage der bisher behandelten Texte zu schmal, zumal sich m. E. zeigen läßt, daß in den Kapiteln 60, 61, 65 und 66 ähnliche Erscheinungen aufweisbar sind wie in den behandelten Texten. Die Analyse dieser Texte sowie die grundsätzliche Behandlung der Auslegungsmethode Tritojesajas sollen, da sie den Rahmen dieses Aufsatzes sprengen würden, an einem anderen O r t geboten werden. U m Mißverständnissen vorzubeugen, soll aber jetzt schon gesagt werden, daß Auslegung bei Tritojesaja natürlich nicht historisch-kritische Auslegung in unserem Sinne meint, sondern daß wie in Q u m r a n auch bei ihm „nicht der Zusammenhang des Textes, sondern der Zusammenhang der Auslegung, d. h. der eigenen Gedanken des Auslegers den Sinn des Textes bestimmt" 3 4 .
« Doch vgl. auch F. Hesse, Arnos 5, 4—6, 14 f., Z A W 6 8 (1956), S. 1—17. K. Elliger, Studien zum Habakuk-Kommentar vom Toten Meer, BHTh 15, 1953, S. 142.
S4
P R O P H E T I E U N D A P O K A L Y P T I K BEI J O E L V o n HANS-PETER
MÜLLER
D i e Worte Deuterojesajas sind jüngst von C . Westermann mit der F r a g e untersucht worden, ob die Sprache des Propheten „einen v o r w a l t e n d literarischen oder einen v o r w a l t e n d
vor-literarischen
C h a r a k t e r " hat, d. h. „ o b seine Sprache in der denkenden K o n z e p tion eines Schriftstellers geprägt ist oder eine dem Wirken des Propheten vorgegebene w a r " . G i l t das letztere, so ist d a s Prophetenbuch aus R e d e v o r g ä n g e n entstanden, „die eine bestimmte, erkennbare Funktion in einer Gemeinschaft haben und in denen die Worte oder Wortgebilde schon geprägt wurden, bevor sie dann nachträglich eine schriftliche Fassung b e k a m e n " 1 . D i e Berechtigung dieser Fragestellung für Worte aus der Spätgeschichte der Prophetie wird m a n auch dann nicht bestreiten wollen, wenn zugestanden werden muß, daß auch eine „in der denkenden K o n z e p t i o n eines Schriftstellers g e p r ä g t e " Sprache auf eine soziale Funktion ausgerichtet ist, freilich auf eine andere, mittelbare. N o c h ergiebiger allerdings wird die Problemstellung f ü r einen K o m p l e x sein, der noch eindeutiger als Deuterojesaja den A u s g a n g der Prophetie bezeichnet, nämlich f ü r das Joelbuch 2 . U n d dabei beschränkt sich ihre Fruchtbarkeit nicht auf den literarhistorischen Arbeitsbereich. Insofern nämlich zwischen dem Propheten und der Gemeinschaft, der seine Worte gelten, die Wirklichkeit zur E r ö r t e r u n g steht, in der P r o p h e t und
1
2
Sprache und Struktur der Prophetie Dtjes's, in: Forschung am A T , München 1964, 92 f. Unter den neueren Arbeiten zu J o e l ist besonders H.-W. Wolff ( D o d e k a p r o pheton/Joel, BK. 14, 5, Neukirchen 1963) von der formgeschichtlichen Fragestellung bestimmt. Ihm ist unsere Untersuchung darum auch in Anlehnung und Auseinandersetzung in starkem Maße verpflichtet. Auch die Ubersetzung ist meist von Wolff übernommen.
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Hans-Peter
Müller
Volk miteinander leben, ist mit der Funktion seiner Worte bereits über die A r t entschieden, wie diese Wirklichkeit in ihnen in Erscheinung tritt, m. a. W., die Frage nach dem „Sitz im Leben" ist nicht zu trennen von der Frage nach der Struktur des in den betreffenden Formen zur Sprache kommenden Wirklichkeitsverständnisses, über die durch die Wahl der G a t t u n g schon eine Entscheidung gefallen ist. Formgeschichte zielt dann nicht nur auf eine Geschichte der Gesellschaft und ihrer Institutionen, sondern auf „Problemgeschichte" im weitesten Sinne, auf die Geschichte nämlich, die die Wirklichkeit im Verstehen ihrer allgemeinen Strukturen seitens des prophetischen Individuums und der ihm zugeordneten Gesellschaft durchläuft, wobei Wirklichkeitsverständnis nicht von Selbstverständnis zu trennen ist. Diese Strukturen interessieren uns in dieser Arbeit p r i m ä r im Hinblick auf ihren eschatologischen Charakter.
I. 1. Die erste Einheit u m f a ß t J o 1, 2—4 3 . Eine gemeinschaftsbezogene Funktion läßt sich nur an einzelnen Sprachelementen, nicht aber am Strukturganzen erkennen. So findet sich in V 2 a eine A u f f o r d e r u n g zum H ö r e n an die „Ältesten" bzw. an „alle Landesbewohner" 4 , die auch in der Frage 2 b angeredet sind. Der tragende Imperativ aber findet sich erst in V 3, der ein Geschehen zu überliefern a u f f o r d e r t , dessen relative Unvergleichlichkeit 2 b hervorhebt. N u n ist solcherlei A u f f o r d e r u n g von Seiten deuteronomischer u n d deuteronomistischer Prädikanten zwar oft ergangen; eigenartig aber ist immerhin die Erwähnung der dritten und vierten Generation 5 . Eine solche A u f f o r d e r u n g an einen Hörerkreis zu richten, ist nicht sinnvoll; mündliche Aufforderungen pflegen das im Augenblick Fällige zu bewegen. Passend dagegen wäre der weisheit3
4
5
D i e in älteren Kommentaren übliche Abteilung 2 f. 4 — 1 0 übersieht den N e u ansatz mit dem Imperativ in V 5. D i e gelegentlich vorgeschlagene Ubersetzung „Erdbewohner" ist, wie alles Folgende zeigt, weder hier noch 1, 14 und 2, 1 sachgemäß. Vgl. Wolff, a. a. O., 30
Prophetie und A p o k a l y p t i k bei Joel
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liehe G e d a n k e an eine Traditionskette über mehrere Generationen 6 in einer literarischen Einleitung zu einem eine D e n k w ü r d i g k e i t festhaltenden Buche, das anders als die mündliche Uberlieferung gleichsam mühelos dem Vergessen trotzt. Welche diese D e n k w ü r d i g k e i t ist, sagt V 4, der d a m i t auf den Inhalt von c a p p . 1 f. vorgreift. D a n n w ä r e 1, 2 — 4 literarische Einleitung zu 1, 5 — 2 , 27. Dementsprechend kehren in 1, 2 — 4 in a u f f ä l l i g e r Weise Worte und Wendungen aus 1, 5 — 2 , 27 wieder: D i e „ Ä l t e s t e n " von 1 , 2 a stammen aus 1 , 1 4 und 2, 16; an der erstgenannten Stelle stehen sie wie 1 , 2 a zusammen mit den „ L a n d e s b e w o h n e r n " , die außerdem noch 2, 1 erscheinen. Die Frage 1 , 2 b nimmt die Aussage von 2, 2bß auf und ermäßigt sie zugleich: spricht 2, 2bß von etwas absolut Einmaligem (T^TI aViSin"]»...), so meint 1, 2b nur etwas seit langem Unerhörtes ( D ^ r o K , D , 3 . . . n? , !? , , 3...). 1, 4 schließlich ist offensichtlich von 2, 25 abhängig. — Inwiefern aber kann eine Heuschreckenp l a g e bis in die vierte Generation überlieferungswürdig sein? Eine erste A n t w o r t gibt 2, 18: auf die Bußäußerungen seines Volkes ist der E i f e r J a h w e s für sein L a n d erwacht, so daß er das Übel von ihm wendete 7 . Freilich wäre nun sofort zu fragen, ob 1, 2 — 4 nicht auch zu c a p p 3 f. in Beziehung steht. D a g e g e n scheint zunächst zu sprechen, daß c a p p 3 f. von keinem gegenwärtigen Geschehen handeln. U n d doch stehen die künftigen Ereignisse, von denen hier die Rede ist, mit der Heuschreckenplage von c a p p 1 f. in einem Zusammenh a n g : sie geschehen nach 3, 1 „ d a n a c h " , wie dann auch die V o r g ä n g e von c a p 4 nach 4, 1 „in jenen T a g e n und in jener Z e i t " erfolgen. Worin die Bedeutung der Heuschreckenplage f ü r das auf sie folgende Geschehen besteht, wird die weitere Untersuchung zeigen. J e t z t bleibt lediglich festzustellen, daß 1, 2 — 4 im weiteren Sinne als Einleitung f ü r das ganze Buch fungiert. 2. G a n z anders f ä l l t das Urteil über den Gemeinschaftsbezug der Sprache von 1, 5 — 2 , 27 aus. 6
7
Z u m weisheitlichen C h a r a k t e r dieses G e d a n k e n s vgl. Wolff, a. a. O., der weiter auf H . - J . K r a u s : Psalmen, B K 15, Neukirchen 1961, 542, verweist. D i e imperfecta consecutiva von 2, 18 nach 0 in einfache imperfecta mit w a w c o p u l a t i v u m umzusetzen (so nach dem V o r g a n g von K . B u d d e und E. Sellin T h . H . Robinson: Die Zwölf Kleinen Propheten, H A T I, 14, Tübingen 1954, 62), besteht dodi wohl kein A n l a ß ; vgl. Wolff, a. a. O., 67.
234
Hans-Peter
Müller
1 , 5 — 1 4 ist ein strophischer „Aufruf zur Volksklage" 8 . Die Bauelemente der Gattung hat H.-W. Wolff 9 wie folgt bestimmt: (1) imperativische Anweisungen (5.8.1 laa.13a.14) werden mit (2) Anreden im Vokativ (5.11aa.l3a 1 0 ) und (3) Begründungssätzen verbunden, die den Anlaß zur Klage bezeichnen (6 f. 9 f. 11 aß— 12.13b). Den Aufruf zu erlassen, war ursprünglich wohl Amt der Ältesten (1 Kön 2 1 , 9 ) ; hier tritt der Prophet an ihre Stelle, und die Ältesten zählen selbst zu den Versammelten 14. Die Gattung ruft zu einer kultischen Begehung, bei der nach Ausweis unseres Belegs die Klage ertönt und die Priester in Trauergewändern die Nacht verbringen; das Ganze hat den Charakter eines öffentlichen Fastens mit allgemeiner Arbeitsruhe 11 . Die vorliterarische Art der Form ist mit Händen zu greifen 12 . 3. Dies gilt auch von der Klage 1, 15—20, mit der die Gemeinde auf die Aufforderung des Propheten antwortet. Cap 1 stellt also eine „prophetische Liturgie" dar. Der Prophet bringt im Amt des Fürbitters auch die Anliegen der Gemeinde vor Gott, und gibt damit dem von ihm selbst geforderten Gehorsam Gestalt 13 . Darin wirkt die vorexilische Kultprophetie nach. 8
Robinson (a. a. O., 59) will 1, 4—10 (vgl. Anm. 3) von 11—14 trennen, „da hier eher von einer Dürre, als von einem Heuschreckenschwarm die Rede ist" — schwerlich zu Recht; denn Heuschreckeneinfälle werden oft durch T r o k kenheit verursacht, so daß beides f ü r die E r f a h r u n g der palästinensischen Bevölkerung zusammenfallen mußte (so nach dem Vorgang von J. Wellhausen u. a. Sellin: Das Zwölfprophetenbuch, K A T 12, Leipzig 1929, 153 zu 1, 12). • Der Aufruf zur Volksklage, Z A W 76, 1964, 48 ff.; ähnlich vorher W. Baumgartner: Jo 1 und 2; B Z A W 34, 1920, 11. 10 In V 8 scheint die Anrede nach ausgefallen zu sein (so Wolff: D o d e k a propheton, 21.34). Das s i n g u l ä r e ^ . S , f ü r das L X X Jipó; |¿£ ( = 11 12
13
hat, ist
freilich seinerseits problematisch. Zu rTISS? Vgl. Wolff, a. a. O., 31. „Die Strophenbildung, die in Jer 49, 3; Jes 23, 1—14 und Jo 1, 5—14 verschiedene Adressaten anruft, ist aus dem Sitz im Leben der Gattung zu verstehen . . . Der A u f r u f e r kann nicht gleichzeitig alle Gruppen erreichen, die zur Klagefeier aufgeboten werden sollen" (Wolff: Der A u f r u f , 54). D a ß sich die Form „von ihrem ursprünglichen Sitz im Leben gelöst" hätte, „indem sie kunstvoll ausgestaltet w u r d e " (so Wolff: Dodekapropheton, 9), scheint mir ein übertriebenes Urteil; vgl. Wolff, daselbst S. 26/7. Vgl. A. Weiser: Das Buch der zwölf Kleinen Propheten, A T D 24, Göttingen 1956, 110/1.
Prophetic unJ Apokalyptik bei Joel
235
Di"!? 15 ist wohl ein üblicher dem A u f r u f zur Volksklage entsprechender Klageruf; das zeigt die ganz ähnliche Wortfolge Hes 30, 2 Di»!? nn iV'V'D14, ZU der noch Jer 30, 7 zu vergleichen ist 15 . Offenbar soll die Formel mit magischer Macht den Unglückstag abwehren, als der hier (wie Am 5, 18—20 u. ö.) der „Tag Jahwes" erscheint 16 . In 1, 16—20 finden sich Notschilderungen, wie wir sie aus den Klagen des Psalters kennen. Anders aber als sonst in den Klagen des Volkes wird die N o t nicht von Feinden, sondern von N a t u r ereignissen verursacht: das nachexilische Israel erlebte ja kaum noch politische Geschichte. D a ß sich die Anrede an J a h w e erst mit V 19 durchsetzt 17 , während in Vv 15 f. von J a h w e in 3. Person die Rede ist, charakterisiert die beginnende Formauflösung: an die Stelle des Anrufs an Gott tritt das Selbstgespräch der Klagenden. Vv 19a.20a vertreten die „Bitte um Gottes Z u w e n d u n g " ; sie zu erflehen, ist Funktion der Klage, die damit über die magische Intention von V 15 hinauswächst. Die 1. Person des Singular in V 19a weist auf das Ich des fürbittenden Propheten, w ä h r e n d wir hinter der 1. Person des Plural in V 16a die von ihm vertretene Gemeinde zu erkennen haben 18 , ohne an einen liturgischen Rollenwechsel denken zu müssen. 4. 2, 1 —11 ist ein großer Aufruf zur Volksklage, der 1, 5—14 entspricht. D a ß mit dem Aufruf zum Alarmbefehl 2, l a a faktisch ein A u f r u f zur Volksklage gemeint ist, zeigt doch wohl die Parallele 2, 15 eindeutig 19 . Der Schofar, ursprünglich ein Kriegsinstrument, m iV'V'n Hes 30, 2 wird allerdings von L X X und Arab nicht bezeugt. Doch kann eine etwaige Glossierung hier in Kenntnis der geläufigen Form geschehen sein. 15
Sofern mit M T KiHH DlTI V i l lT ' S "'lH zu lesen ist. Von dem vielfach aufgenommenen Vorschlag B. Duhms, die auf den Jahwetag bezogenen Stellen 1, 15; 2, laßb. 2aa (10a) I I b zu streichen, kommt man heute mit Recht ab. D a ß sich die Verse tatsächlich nicht aus dem Zusammenhang lösen lassen, hat Wolff (a. a. O., 25 f. 45 f.) eindrücklich gezeigt. 17 Nach Robinson (a. a. O., 61) beginnt das Klagelied erst mit V 19, obwohl er schon in 16—18 das Volk reden hört. 18 An die Gemeinde ist die Frage von V 16 schwerlich gerichtet, wenn es sich in 16 ff. um Klageliedfragmente handelt (gegen Wolff, a. a. O., 40). " Wolff (a. a. O., 45.50) will nur einen Alarmbefehl finden, wie er bei Feindgefahr geschieht.
16
Hans-Peter
236 ist hier
wie so oft liturgisch
das L ä r m e n
Müller
verwendet 2 0 .
Liturgisch
ist
auch
zu dem
laß
auf-
„auf meinem heiligen B e r g e " 2 1 ,
fordert. So ist es denn wohl auch das Einfachste, in 2, l b — 1 1 die
Schilderung
einer
bereits
anbrechenden
Not
zu
sehen,
wie wir sie aus der Begründung zum A u f r u f zur Volksklage kennen 2 2 , und die Beschreibung der Heuschrecken wörtlich, nicht figurativ zu nehmen 2 3 . Mit den Heuschrecken k o m m t der „ T a g J a h w e s " , der wieder wie in 1, 15 2 4 einen Unglückstag für Israel darstellt. J a , 20
21
V g l . Sellin, a. a. O . , 158. "V fpr
ist wohl so sehr f o r m e l h a f t e r Ausdruck, d a ß auf die scheinbare 1. P e r -
son der Gottesrede kein Gewicht gelegt zu werden braucht (vgl. W o l f f , a.a.O., 5 0 ) . 22
W o l f f (a. a. O . , 5 f. 48 f.) meint nach dem V o r g a n g von H . G r e ß m a n n , d a ß 2, 1 — 1 7 im Gegensatz zu 1, 4 — 2 0 nicht „eine eingetretene W i r t s c h a f t s k a t a s t r o p h e " , sondern eine „ k o m m e n d e endgültige K a t a s t r o p h e J e r u s a l e m s " vor Augen h a t ; „eine eingetroffene, außergewöhnliche N o t J e r u s a l e m s ( K a p . 1) w i r d als Vorzeichen (1, 15) d a f ü r v e r k ü n d i g t , d a ß die von der P r o p h e t i e angedrohte und von J o e l neu formulierte esdiatologische Verheerung Jerusalems nahe b e v o r s t e h t " . Dagegen scheint mir der Z u s a m m e n h a n g zu sprechen, in den der S a m m l e r 2, 1 — 1 1 doch wohl zu Recht gestellt h a t : das ! " i r i ? ~ B ) } des B u ß rufs 2 , 1 2 und vor allem die Sätze der „ H e i l s a n k ü n d i g u n g e n " 14 V T Ü S "VKIPni n a n a und 2 5
22
24
na-jxn
n p
av^rrri^
Q?1?
passen zu einer
bereits eintretenden K a t a s t r o p h e besser. Freilich ist die K a t a s t r o p h e noch nicht in dem M a ß e Wirklichkeit geworden, d a ß eine W e n d u n g gar nichts mehr zu retten vermöchte. Wenigstens kann J a h w e noch „die J a h r e e r s e t z e n " . N a c h W o l f f (a. a. O . , 5 f. 4 8 f.), der darin u. a. E . O . A. M e r x folgt, „nennt 2, 1 — 1 7 nie mehr die Heuschrecken, sondern e r w a r t e t im A l a r m r u f ein vernichtendes, nie dagewesenes F e i n d h e e r " . D a b e i „nimmt K a p . 2 in starkem M a ß e T r a d i t i o n s e l e m e n t e der Feinddarstellungen in den J a h w e t a g p r o p h e t i e n auf . . . Allerdings werden diese E l e m e n t e verdeutlicht durch Züge, die durch den Heuschreckeneinfall angeregt s i n d " . D a g e g e n scheint mir sowohl die Anspielung a u f E x 10, 14 in 2, 2 b zu sprechen, die ihre P o i n t e verliert, wenn nicht an wirkliche Heuschrecken gedacht ist, als auch die Tatsache, d a ß menschliche F e i n d e auch in den folgenden „ H e i l s a n k ü n d i g u n g e n " 2, 1 4 . 1 9 . 2 5 — 2 7 (3, 15) keine R o l l e spielen (zu 2, 17 vgl. A n m . 2 6 ) , ganz zu schweigen von einer A b f o l g e von Heuschreckenplage und F e i n d e i n f a l l , wie sie W o l f f voraussetzt. V o r allem aber weist die Bezeichnung der Heuschrecken als V i l ä n "'V'n 2 , 2 5 auf i V n 2, 11 zurück, so d a ß eben auch in 2, 11 nur an wirkliche H e u schrecken gedacht sein k a n n . Z u d e m passen 2, 3 b . 5 a ß . 8 b . 9 besser auf H e u schrecken als auf K r i e g e r . — U m g e k e h r t ist zu u r t e i l e n : die Heuschrecken werden — besonders in 1, 6 ; 2, 4 — 8 . 1 1 . 2 0 . 2 5 — als Kriegsheer dargestellt, weil die kriegerische T o p i k des J a h w e t a g e s dazu die Veranlassung gab. D i e F r a g e , wie sich 1, 5 — 2 0 zeitlich zu 2, 1 — 2 7 v e r h ä l t , w i r d am besten mit dem H i n w e i s auf den p h a s e n h a f t e n C h a r a k t e r v o n Heuschreckenplagen bea n t w o r t e t , den v o r allem 1, 4 b e t o n t . A u f einen langen Z e i t r a u m der Plage weist auch 2, 25.
Prophetic und Apokalyptik bei Joel
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vor dem „Heer" der Insekten zieht der epiphane J a h w e selbst aus 25 und läßt dabei seine Stimme erschallen wie einst vor den siegreichen Kriegern Israels (V 11). D a ß solche kriegerische Epiphanie nun gegen Jerusalem gerichtet ist (V 9), hat schon in unheilsprophetischen Ausprägungen der Zionstradition seine Parallele, etwa Jes 28, 21; 29, 1—4. Dabei ruft das Kommen Jahwes auch kosmische Erschütterungen hervor, die Himmel und Erde sowie die Gestirne umfassen (V 10). Denn der „Tag Jahwes" ist in seinen Wirkungen unbegrenzbar und daher auch unüberbietbar. Dementsprechend wird in 2bß — in bewußtem Gegenüber zu Ex 10, 14 — die schlechthinnige Einmaligkeit der Heuschreckenplage bezeichnet. Was die Furcht des Volkes erregte, bekommt so erst seine unauslotbare Tiefe. Als dann diese eschatologische Wertung des Geschehens von der weiterlaufenden Geschichte überholt wurde, m u ß t e 2bß ermäßigt werden; dies geschieht, wie gesagt, in 1,3, und z w a r aus der Perspektive dessen, der auf das Ereignis zurücksieht. Ein paralleler Aufruf zur Volksklage findet sich noch in 2, 15— 17. Die imperativischen Anweisungen mit den entsprechenden Anreden sind hier so stark ins K r a u t geschossen, daß die Begründung verdrängt wurde. D a f ü r erfahren wir ausgiebig, welche Verrichtungen zur Volksklage gehören. Die in V 17 zitierte Klage u m f a ß t die „Bitte um Gottes Zuwendung" ( „ H a b Mitleid, J a h w e , mit deinem Volk"), die „Bitte um Rettung", die hier sichtlich das aus den Psalmen geläufige Modell der politischen Auseinandersetzung vor Augen hat („Übergib nicht dein Eigentum der Schande, d a ß die Völker nicht über sie spotten" 2 0 ), sowie ein von derselben An25
2, 3 spricht v o n Epiphaniebegleiterscheinungen wie Feuer und Lohe, 2, 6.10 v o n einschlägigen Epiphaniereaktionserscheinungen.
T'löV
2, 3 bezieht sich
z w a r zunächst auf den 2, 2 b a erwähnten DV erinnert aber andrerseits in der Verbindung mit V ^ n X I an die ähnlichen auf Jahwes Epiphanie bezogenen Verbindungen V S ^ D I •TOD1? Ps 50, 3; 97, 3 bzw. r V n 1 ? deutlicher auf J a h w e bezogen ist das VJSJJ
H a b 3, 5. Noch
2, 6 und das VJDV 2, 10, das,
wäre bei dem S u f f i x an die Heuschrecken gedacht, mit den auf sie bezogenen pluralischenVerbformen in 5a.9 kontrastieren würde. Vgl. E. Kutsch: H e u schreckenplage und T a g Jahwes in Jo 1 und 2, T h Z 18, 1962, 81 ff.; W o l f f , a. a. O., 46.52 ff. 29
ist von VtfD I „Spottverse sagen" abzuleiten; so setzt es 19 b voraus.
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schauung geprägtes „Motiv, das G o t t zum Eingreifen bewegen soll" ( „ W a r u m soll man sagen unter den Völkern: ,Wo ist ihr Gott?' "). Von hieraus wird die weitreichende Funktion des ganzen zwischen Gott, P r o p h e t und Volk gespannten Geschehens einsichtig: die Klage streckt sich nach der Z u w e n d u n g Gottes und der daraus folgenden Rettung aus; entsprechend dient der A u f r u f zur Klage dazu, die in seiner Begründung gekennzeichnete N o t durch die U m k e h r des Volkes und das dadurch ermöglichte gnädige Eingreifen Gottes zu wenden. Insofern G o t t hinter der N o t wie hinter dem A u f r u f steht, spielt sich im H i n t e r g r u n d beider ein K a m p f Gottes gegen G o t t um sein Volk ab. Die Existenz Israels vollzieht sich im Widerspruch des „offenbaren Gottes" gegen den „verborgenen G o t t " , u n d zwar als die in der prophetischen Anrede erschlossene Möglichkeit des R u f s an jenen gegen diesen. Diese Perspektive verdichtet sich in der prophetischen M a h n u n g 2, 12—14. Zuerst geschieht wieder der A u f r u f zur Volksklage 2 7 ; über das Kultische hinaus f o r d e r t V 13a die persönliche Glaubensentscheidung. Die A u f f o r d e r u n g e n in 12—13a werden durch eine „Heilsankündigung" begründet 14, die ihrerseits durch eine doxologisch formulierte „Heilszusage" 2 8 13b gestützt wird. Hier nun k o m m t die H o f f n u n g , in der sowohl der A u f r u f zur Volksklage, als auch die Klage selber geschieht, deutlich zum Ausdruck: „Vielleicht kehrt er um, daß es ihm leid tut und er einen Segen hinter sich zurückläßt" 2 9 . Dabei redet der Prophet z w a r nicht als Bote im
27
Trotz der Verwendung von in 12 und 13 werden keine bestimmten Verfehlungen genannt, von denen sich Israel abwenden soll. Dafür, „daß die Jerusalemer Kultgemeinde . . . vielleicht schon auf die Toraerfüllung zu pochen beginnt", so daß der Prophet das Volk zu mahnen hätte, „nicht im funktionierenden Gottesdienst Jerusalems das Ende der Wege Gottes (zu) sehen, sondern unter dem ergangenen prophetischen Wort auf den (zu) warten, der sich unbestreitbar als der Herr der Völkerwelt erweisen will" (so Wolff, a. a. O., 58.62), finde ich im Text keinen Anhalt. Vielmehr scheint an die Stelle des Erschreckens über einzelne konkrete Verfehlungen bzw. Fehlhaltungen das Bewußtsein einer allgemeinen Sündhaftigkeit zu treten; vgl. M. Haller: Das Judentum, S A T II, 3, Göttingen 1914, 207.
28
Zu „Heislankündigung" und „Heilszusage" vgl. Westermann, a . a . O . , 117. Von Westermann habe ich auch die Terminologie zu den Klagepsalmen übernommen. 2, 14bß ist als Glosse nach 1, 13 verdächtig.
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Namen Gottes; wohl aber beruft er sich auf ein ergangenes J a h w e wort: „Doch auch jetzt noch gilt Jahwes Spruch . . ." 12aa 30 . Die in seinem eschatologischen Charakter begründete Endgültigkeit des Jahwetages besteht gleichsam nur in seinem Daß, d. h. in der R a d i kalität des unausweichlichen Andringens der Z u k u n f t Gottes, auf der der Ruf in die Gegenwart des Gottesvolkes, in den ihm noch einmal gewährten Kairos beruht 3 1 . Das Was des Jahwetages dagegen bleibt im Kampf Gottes gegen Gott noch unentschieden, um dem f ü r seine Zukunft verantwortlichen, in diesen K a m p f mit seiner Existenz einbezogenen Volk noch einmal R a u m zu geben. Freilich eröffnet sich dieser Raum nicht für irgendeine eigene „äußerste" Möglichkeit des Menschen; die Unheilsankündigung läßt diese gerade als Unmöglichkeit erfahren. Vielmehr soll dieser R a u m durch den an Gott gerichteten Ruf der Klage und die U m k e h r der H e r z e n erfüllt werden. Mit solcher Entscheidung würde das Was der Z u k u n f t determiniert und der Kampf Gottes gegen G o t t beendigt. Israel w ü r d e sich als Gottesvolk wiedergewinnen, indem es sich im Bekenntnis der Schuld gerade als solches preisgibt. Gott aber erweist seine Treue in der bis zur Selbstverleugnung ausgedehnten Bereitschaft zum Gespräch. Dieses Gespräch in letzter Stunde noch einmal zu eröffnen, ist die prophetische Mission; das P r o p h e t e n w o r t selbst ist die alles entscheidende Gabe des barmherzigen Gottes und insofern gerade als Unheilsankündigung und Anklage der schärfste Widerspruch zum „Gesetz". 5. Das „Vielleicht" der H o f f n u n g von V 14 hat sich erfüllt. „Jahwe ereiferte sich f ü r sein Land und e m p f a n d Mitleid mit
S1
Diese U b e r s e t z u n g v e r m e i d e t den A n s t o ß , d a ß neben ein G o t t e s w o r t 12 ein P r o p h e t e n w o r t 13 f. t r ä t e ; vgl. Wolff, a. a. O., 44.57. Weil „das abschließende W o r t die im Zuge kultischer M a ß n a h m e n e m p f a n g e n e R e s t i t u t i o n s z u s a g e J a h w e s behält, wie sie in 2, 19 f. v e r k ü n d e t w i r d " , möchte O . Plöger ( T h e o k r a t i e u n d Eschatologie, W M A N T 2, N e u k i r c h e n 1959, 121) die „ehemals eschatologisch v e r s t a n d e n e Aussagen ü b e r den T a g J a h w e s " als „in enteschatologisierter F o r m " a u f g e n o m m e n verstehen, w o d u r c h m. E. der E r n s t der R a d i k a l i t ä t , wie er aus 1, 5—14, besonders aber aus 2, 1—11 spricht, u n n ö t i g e r m ä ß i g t w i r d . D e n n dieser Ernst ist u n a b h ä n g i g d a v o n , ob die Bed r o h u n g nachher durch „prophetische I n t e r v e n t i o n " o d e r durch „die K u l t g e m e i n d e selbst mit H i l f e der üblichen kultisch-rituellen M a ß n a h m e n " a b g e w e n d e t w i r d . Auch zu den letzteren w i r d die Möglichkeit ja erst durch eine solche prophetische A n r e d e eröffnet, die eben diese R a d i k a l i t ä t z u r Sprache b r i n g t .
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seinem V o l k " 2, 18. Der Prophet darf im Ich der Gottesrede zwei uneingeschränkte „Heilsankündigungen" aussprechen 2, 19 f. 2 5 — 27. Dabei setzt 2, 18 voraus, daß die Ankündigungen eingetroffen sind; sonst hätte die Heuschreckenplage im Spiegel der in 1, 5 — 2 , 1 7 . 1 9 — 2 7 festgehaltenen prophetischen Verkündigung kaum zu einer Denkwürdigkeit werden können, die nach 1, 2 — 4 späteren Generationen zu überliefern wäre. Wie entsprechend schon in der Klage 1, 1 5 — 2 0 treten in der „Heilsankündigung" an die Stelle der aus der älteren Prophetie geläufigen politisch-geschichtlichen Motive die naturhaften: die „Heilsankündigung" wird zur Segensankündigung. Die Völker sind nur noch Forum der Schande Israels 19b. Naturereignisse werden damit vergeschichtlicht: die Heuschrecken gelten nicht nur allgemein als ein Heer Jahwes 1, 6; 2, 4 — 8 . 1 1 , sondern nun auch speziell als der sagenhafte „Feind aus dem N o r d e n " 2, 20, den Jahwe in der älteren Prophetie gelegentlich gegen Jerusalem heraufführen sollte, um ihn dann dort zu vernichten bzw. zu vertreiben (z. B. Hes 38 f.) 3 2 . D a ß Jahwe den Schaden ersetzen will, den „sein großes Heer" hervorgerufen hat 25b, weist darauf hin, daß der K a m p f Gottes gegen Gott entschieden ist. Nun betrifft die Endgültigkeit der göttlichen Setzung auch das Was der Zukunft: „Nicht mehr übergebe ich euch der Schande unter den Völkern" 19b; „mein Volk soll nie mehr zuschanden werden" 27b. Das Heil, das der unheilvoll heraufziehende Jahwetag auf die Umkehr des Volkes hin schließlich entbarg, kann also niemals wieder rückgängig gemacht werden. 6. Auf die Heilsankündigung des Propheten antwortet die Gemeinde mit zwei antezipierenden Lobliedern 2, 21 f. 23 f. 3 3 ; sie
32
D a ß die Heuschrecken aus dem Osten oder Süden zu kommen pflegen, ist gegen die Identifikation des ""JiDS mit ihnen m. E . kein Argument (gegen Wolff, a. a. O . , 73 f . ) ; die Verwendung mythisch-sagenhafter M o t i v e geschieht nicht nach Maßgabe der r a t i o ! Vgl. H . G r e ß m a n n : D e r Ursprung der israelitischjüdischen Eschatologie, Göttingen 1 9 0 5 , 9 3 .
33
Antezipierende Loblieder finden sidi schon bei Jes (9, 2 — 6 ) , v o r allem bei Dtjes (42, 1 0 — 1 3 ; 44, 2 3 ; 45, 1 5 — 1 7 a ; 48, 2 0 f ; 49, 1 3 ; 52, 9 f.) und in sekundären Stücken des Jesajabudies (12, 1 f. 3 — 6 ; 25, 1 — 5 . 9 ; 26, 1 — 6 ; 27, 2), ferner D t 32, 4 3 ; Jes 6 1 , 1 0 ; J e r 31, 7 ; 51, 1 0 ; Zeph 3, 14 f. Vgl. H . - G u n k e l J . Begrich; Einleitung in die Psalmen, H k A T E r g . - b . 2, Göttingen 1933, 8 0 . 3 2 9 . 3 4 4 ; Westermann, a. a. O . , 1 5 7 ff.
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sind gegenüber 2, 19 f. 25—27 vor allem d a r a n kenntlich, d a ß sie von G o t t in 3. Person sprechen 34 . G o t t w i r d f ü r das Angekündigte gelobt, als wäre es bereits eingetreten. Weil der G r u n d des Lobens wiederum das H a n d e l n Gottes in der N a t u r ist, richten sich entsprechende Aufforderungen an das „Ackerland" und die „Tiere des Feldes" 21 f. Das Heil erscheint dabei als Herstellung der ^RT?, als Restitution des Zustandes „wie f r ü h e r " 23. 7. Fassen wir nun die an capp 1 f. gewonnenen Ergebnisse zusammen, so zeigt sich, daß abgesehen von 2, 18 nur 1, 2—4 literarischen C h a r a k t e r trägt. Die Worte 1, 5—2, 17.19—27 vertreten durchweg eine vorliterarische Sprache; hinter ihr wird die Institution eines öffentlichen Fastens sichtbar, das aus A n l a ß umfassender Kalamitäten je und je ausgerufen werden kann. Im A u f r u f zur Klage und in der Klage selbst ringen P r o p h e t und Volk um eine Entscheidung über die von G o t t her unausweichlich andringende Zukunft. D a r a n wird deutlich, wie mit den Funktionen, die das Reden des Propheten in der ihm zugeordneten Gemeinschaft ausfüllt, über das Wirklichkeitsverständnis entschieden wird, das zwischen beiden zur Sprache kommt. Abschließendes läßt sich darüber freilich erst im Blick auf capp 3 f. sagen.
II. 1. Innerhalb von 3, 1—5 setzt sich 3, 1 f. durch seinen Inhalt vom Folgenden ab. In Form des Jahwewortes in Anrede an Israel wird die Ausschüttung des Gottesgeistes „über alles Fleisch" angekündigt. Wichtig f ü r die Beurteilung des Stücks ist die Entscheidung über 3, lact: Wenn statt nicht Perfekt mit waw-consecutivum steht, so braucht daraus noch nicht geschlossen zu werden, d a ß die Wendung erst „nachträglich von einem R e d a k tor als Bindeglied mit dem Vorangegangenen hinzugefügt" worden sei35. Sätze wie Sach 14, 7b.8 zeigen, d a ß hinter ^v1} durchaus auch 34
35
D a s „Fürchte dich nicht!" 21 kennzeichnet freilich das Heilsorakel, worin aber nur der Einfluß der Gattung zu sehen ist, die das Loblied hervorruft (gegen Wolff, a. a. O., 68). Gegen Robinson, a. a. O., 65/6.
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I m p e r f e k t stehen k a n n . G e h ö r t aber p ^ T T i X ITHl zum ursprünglichen T e x t , so setzt 3, 1 f. die Sammlung von capp 1 f. als vorangehendes literarisches Ganzes voraus —
bezieht sich dann auf die
dort zur Sprache gebrachte Heuschreckenplage — und ist selbst schon von literarischer Struktur 3 6 . 3, 1 f. meint dann ein auf die H e u schreckenplage folgendes Ereignis im Zuge einer eschatologischen Ereignisabfolge. D i e Ankündigung begegnet dabei — im Gegensatz zu 2, 1 4 . 1 9 f. 2 5 — 2 7 — keinem Lebensinteresse des V o l k e s im Sinne des unmittelbaren Gedeihens oder Verderbens. V i e l m e h r soll offenbar nur ein T o p o s des eschatogischen D o g m a s , wie er sich auch Hes 3 6 , 2 6 f . ; 3 9 , 2 8 f.; Sach 12, 9 f . ; 1 Q H 7, 6 f. findet, geltend gemacht werden. Literarischer A r t sind denn auch die folgenden Stücke. 3, 3 f. ist im ersten Teil wieder J a h w e w o r t , während 4 b in der Wendung mrp Dr wieder von J a h w e in 3. Person spricht. I m U n t e r schied zu 3, 1 f. aber fehlt die A n r e d e an Israel; ja, die geschilderten Ereignisse haben auf Israel nicht einmal Bezug. H i e r nach einer bestimmten gemeinschaftsbezogenen Funktion eines hinter dem W o r t stehenden Redevorgangs zu fragen, heißt die Frage verneinen.
—
Wiederum hat der Spruch eine eschatologische Ereignisabfolge im Auge: während 2, 1.11 (1, 15) von der alles vernichtenden N ä h e des mit einem Male hereinbrechenden J a h w e t a g e s bewegt waren, kennt 3, 3 f. Vorgänge, die „bevor der T a g J a h w e s k o m m t . . ." erfolgen. D i e kosmischen Erschütterungen, die 2, 10 mit dem K o m m e n J a h w e s verband, haben sich als etwas Vor-läufiges von ihm als dem eigentlichen Endereignis gelöst, o b w o h l die „Rauchsäulen" von 3b zu den bekannten Epiphaniebegleiterscheinungen von E x 19, 18 ( C a n t 3, 6) 36
Wolff (a. a. O . , 6 5 / 6 ) Wolff (a. a. O., 6 4 ff.) möchte freilich 3, 1 — 5 mit 2, 1 9 — 2 7 zusammennehmen. Aber abgesehen davon, d a ß 2, 2 7 b durchaus nicht über das in 2, 2 5 — 2 7 Angekündigte hinaus in die Zukunft weist, sondern im Gegenteil das ewige Wirksambleiben des d o r t Angekündigten ins Auge faßt, ist zu betonen, daß die Segensankündigungen 2, 19 f. 2 5 — 2 7 mit der Verheißung des Geistes 3, 1 f. sachlich in keiner Weise im Zusammenhang stehen, von dem Folgenden (3, 3 — 5 ) ganz zu schweigen. In Jes 44, 2 — 5 ist die Situation eine andere: hier wird die Ausgießung des Geistes als Fruchtbarkeit wirksam, so d a ß ' ( i n d u r c h , I 9 " 1 3 e x p l i z i e r t werden kann ( V 3 ) ; J o 3, 1 f. dagegen macht sich der Geist nur in prophetisch-seherischen Fähigkeiten geltend. Auf das V ö l k e r heer, das Wolff in 2, 1 — 1 1 findet, w i r d zudem auch in 3, 1 — 5 nicht angespielt.
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gehören. Nach der Enttäuschung darüber, d a ß die heilvolle Wendung der Heuschreckenplage doch kein endgültiges Heil aus sich entließ, rückt der J a h w e t a g nun in die Ferne. In 3, 5 fehlen die Anrede an Israel und die Ich-Rede Jahwes. Das Wort ist ein eschatologischer Lehrsatz, der sich seinerseits auf einen Ausspruch Jahwes (Ob 17?) beruft. Die Gefahr, vor der „das Verschonen" auf dem Zion schützt, ist offenbar die in 3, 3 f. bezeichnete Weltkatastrophe. Während sich der J a h w e t a g von 2, 1 — 11 bei aller kosmischen Ausweitung gegen Jerusalem richtet, wird hier der Kosmos als solcher schon zum O b j e k t der ihn vorbereitenden Erscheinungen; Zion-Jerusalem, d. h. nach der Interpretation von 3, 5 „jeder, der den N a m e n Jahwes anruft", ist vom Unheil von vornherein ausgenommen. Soll 2, 3b(3 ausdrücklich korrigiert werden 3 7 ? 2. 4, 1—3 bezeichnet ein weiteres Ereignis der eschatologischen Geschehensfolge: J a h w e versammelt die Völker zum Gericht ins Tal Josaphat. Das Stück ist durch ein begründendes ^ und eine eschatologische Zeitangabe mit dem Vorhergehenden verbunden. Der Temporalsatz „wenn ich das Geschick von J u d a und Jerusalem wende" deckt allerdings das Vorhergehende nicht; er ist offenbar eine vorgeprägte Formel (vgl. Hes 39, 25; zum ersten Teil der Zeitangabe Jer 3 3 , 1 5 ; 5 0 , 4 . 2 0 ; zu beiden Teilen Zeph 3 , 2 0 ) . Wieder liegt eine literarische V e r k n ü p f u n g vor, die von vornherein zum Text gehört. Der lehrhafte C h a r a k t e r des Wortes wird durch die Ichrede Jahwes nur unvollkommen verdeckt. D a ß nicht in die konkrete Situation einer angeredeten Gemeinschaft hineingesprochen wird, zeigt sich daran, d a ß statt von einem bestimmten einzelnen Feind von „allen Völkern", statt von einem konkreten O r t der Auseinandersetzung von dem apokalyptischen „Tal Josaphat" und statt von einem K a m p f von einer Gerichtssitzung die Rede ist 38 .
" 2, 3 b ß w i r d allerdings oft als Glosse v e r d ä c h t i g t . D a ß in c a p 4 ebenso wie in c a p 3 „die Kennzeichen eigentlicher E r h ö r u n g s sprüche" fehlen, w i l l Wolff (a. a. O., 88) d a m i t e r k l ä r e n , d a ß „die Sprüche . . . in das breit ausgebaute W o r t des göttlichen Selbsterweises h i n e i n g e h ö r e n , dessen erste E r k e n n t n i s a u s s a g e in 2, 27 die Brücke v o n den V e r h e i ß u n g e n f ü r die G e g e n w a r t zu denen f ü r die Z u k u n f t b i l d e t e " . Vgl. dagegen Anni. 36 zu 2, 2 7 b.
3S
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So ist auch die Schuld, deren die Völker angeklagt werden, kein die Gemüter bewegendes Unrecht der unmittelbaren Gegenwart, sondern die lange zurückliegende 39 , aber immer noch nicht bewältigte Schmach des Exils 2b.3 4 0 . Geschichte wird nur noch als das Andauern einer vor Zeiten eingetretenen Erschütterung jener idealen Ordnung erfahren, nach der Gottes erwähltes Volk auch in seinem äußeren Ergehen als Eigentum Jahwes in Erscheinung tritt, wobei das Exil bezeichnenderweise nicht mehr als Gericht Gottes über ein undankbares Israel, sondern nur noch als Rechtsverletzung seitens der Völker gewertet wird. Solcher Störung der Ordnung macht das Angekündigte ein Ende, indem es in universalem Ausmaß und somit eschatologischer Endgültigkeit die Völker in ihre Schranken weist. Dementsprechend werden sie zwar von J a h w e versammelt, aber sind nicht mehr wie Heuschrecken von capp 1 f. „sein Heer". Die Sprache trägt nicht mehr einen prophetischen Anruf, sondern tendiert auf ein eschatologisches Dogma, dessen Anliegen letztlich die Theodizee ist. Dazu wird die aus prophetischer Tradition übernommene Zionsüberlieferung lediglich ausgeschlachtet. 3. Die den Zusammenhang störenden prosaischen Sätze 4, 4 — 8 werden allgemein als Nachtrag angesehen 41 . Ihre Funktion ist es offenbar, die allgemein gehaltenen Aussagen von 4, 1—3 und 9 — 1 4 im Sinne der älteren Prophetie wieder auf eine konkrete Situation zu beziehen. An die Stelle „aller Völker" treten darum „Tyrus, Sidon und alle Philistergaue", statt der Feststellung „großer Bosheit", mit der 4, 13 das umfassende Gericht begründet, findet sich konkrete Anklage wegen eines in der Gegenwart des Verfassers
39
In bezug auf die Ansetzung des Joelbuches in die spätere nachexilische Zeit sind die Forscher heute einig, wenn audi die genaue Datierung strittig bleibt.
40
Weiser (a. a. O., 1 2 3 ) erwägt, zu V 3 an die Bedrückung der jüdischen G e meinde durch A r t a x e r x e s I I I zu denken; Robinson (a. a. O., 6 7 ) will auch V2
von daher verstehen. Doch zeigt die Parallele in J e r 5 0 , 1 7 ,
d a ß sich
1~HS wohl doch eher auf die Deportationen v o n ( 7 3 3 , 7 2 1 ) 5 9 7 und 5 8 6 bezieht, wozu auch i p V n ' ' S ' 1 8 - n i t l p a ß t (vgl. 2 K ö n
17, 2 4 ; T h r 5, 2). Die
fortlaufende Konstruktion macht es unwahrscheinlich, d a ß V 3 von etwas anderem als V 2 spricht. Die Parallele zu
H ? V 3 in O b 11 läßt an die
U n t a t e n E d o m s an Jerusalem nach 5 8 6 denken (vgl. Wolff, a. a. O . , 9 2 ) . 41
Vgl. Wolff, a. a. O., 89 f.
Prophétie und A p o k a l y p t i k bei Joel
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geschehenen 42 Unrechts der Betroffenen 5 f., wobei Israel w i e so oft in den Völkersprüchen das O p f e r des geschehenen Unrechts ist. So w i r d denn auch kein allgemeines Völkergericht a n g e k ü n d i g t , sondern ein konkretes, der U n t a t entsprechendes H a n d e l n J a h w e s gegen die Schuldigen 7 f. K a m die kleine J a h w e g e m e i n d e — wenn auch nur noch leidend — w i e d e r e i n m a l d a z u , politische Geschichte zu erleben, konnte das ungeschichtliche Reden von 4, 1—3.9—14 nicht mehr genügen. 4. 4, 9 — 1 2 ist eine A u f f o r d e r u n g , die schon 4, 1—3 ins Auge gefaßten Völker zum K a m p f a u f z u r u f e n ; dieser A u f r u f soll natürlich ironisch sein, denn die Sache der V ö l k e r ist von vornherein aussichtslos. N u n k o m m e n z w a r ironische Anreden an den a b w e senden Feind auch in vorliterarischen Prophetensprüchen vor (z. B. Jes B, 9 f.; J e r 46, 3 f. 9 ) ; hier aber w i r d zum A u f r u f a u f g e f o r d e r t : „Ruft dies aus unter den V ö l k e r n . . ." 9 a a . A n wen sich die A u f forderung richtet, darf m a n nicht f r a g e n . Die manierierte literarische A r t , die sich d a r i n äußert, zeigt sich ebenso in der a n t i q u a rischen W e n d u n g „Rüstet den heiligen K r i e g ! " 9aß 4 3 . Auch an die ins Gegenteil w e n d e n d e Zitierung von Jes 2, 4 ( M i 4, 3) in V 10a w ä r e zu erinnern. In V 12 geht das W o r t w i e d e r unbemerkt in die Gottesrede über. A l l das w ä r e in der vorliterarischen Sprache der älteren Prophetie nicht möglich 4 4 . 4, 13 ist A n r e d e an Israel — eine A u f f o r d e r u n g zum K a m p f , die sich des Bildes der Ernte bedient ( v g l . Jes 9, 2; 17, 5; M i 4, 13 u. ö.) und dabei nicht ironisch an die zu Besiegenden ergeht, sondern an die Siegeshelfer Gottes 4 5 . Die B e g r ü n d u n g f ü r das an den V ö l k e r n vollzogene Gericht in V 13bß ist fern aller K o n k r e t i o n ; das Vgl. W o l f f , a. a. O., 93 f. A n ein lange zurückliegendes Unrecht wollen Sellin und Weiser (a. a. O., 124) denken; doch sollte man die Erwähnung der Ionier als Empfänger der S k l a v e n w a r e in V 6 doch nicht bagatellisieren. *3 A u f das Verständnis von V 11 b müssen w i r verzichten. H Zur Entfremdung der Ankündigung von der konkreten Geschichte vgl. Haller, a. a. O., 2 1 3 : „Es liegt etwas Wildes, Barbarisches in diesem Drängen des Propheten, der gewiß in den friedlichsten Zeiten und Verhältnissen lebte, auf den Völkerkrieg, der Juda, J u d a allein, Heil bringen sollte." 4 5 Zur A u f f o r d e r u n g zum K a m p f an das als siegreich vorgesehene Israel vgl. R. Bach: Die A u f f o r d e r u n g zur Flucht und zum K a m p f im alttestamentlichen Prophetenspruch, W M A N T 9, Neukirchen 1962. 42
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Gericht ergeht über das So-Sein der Menschheit, die ihre „Bosheit" in einer kontinuierlichen E n t f a l t u n g ad pejorem wie eine Ernte reifen läßt. Bekanntlich ist gerade dieser Gedanke in der A p o k a l y p t i k fruchtbar geworden (Dan 2 , 3 1 — 3 5 ; 7 , 2 — 8 ; 8 , 2 3 ; 9 , 2 4 ; 1 Hen 83,7) 4 e . Israel freilich ist hier wie in 3,5 von Schuld und Gericht ausgenommen; der Gedanke, d a ß J a h w e sich gegen das Gottesvolk wendet, kommt nicht mehr auf. Der Kampf Gottes gegen Gott ist in der vergangenen Geschichte trotz aller Erniedrigungen des Gottesvolkes f ü r Israel entschieden worden. Seine Existenz steht nicht mehr im Widerspruch. U n d so ergeht an es auch kein wirklicher Entscheidungsruf mehr. Die Imperative sind nur noch literarische Floskeln. Die Z u k u n f t ist determiniert; der Mensch befindet sich nicht mehr im R a u m einer risikoerfüllten Freiheit: die Trennung der Menschheit in Israel und Nicht-Israel steht fest. Gott k ä m p f t nur noch gegen die ihm und seinem Volk feindliche Welt, um sein und seines Volkes Recht herzustellen. Seine Treue bewährt sich nicht mehr in der Bereitschaft zum Gespräch, sondern in der Durchführung seines längst festliegenden Weltplans. Der gewollt änigmatische V 14 greift mit dem „Tal des Strafgerichts" auf das „Tal Josaphat" von Vv 2 und 12 zurück. Der Wechsel des Ausdrucks hat wohl nur stilistische Bedeutung und weist damit auf den das ganze Kapitel bestimmenden literarischen Zusammenhang. D e r in den Einheiten 4, 1—3.9—12.13 bezeichnete Ablauf soll als das Endereignis, als der „Tag Jahwes" ausgewiesen werden. Der Aufbruch „aller Völker" steht dabei f a k :6
Vgl. K . K o c h : Spätisraelitisches Geschichtsdenken am Beispiel des Buches D a n i e l , H i s t Z 193, 1961, 1 ff., der die irrige Ansicht M. N o t h s ( D a s Geschichtsv e r s t ä n d n i s der alttestamentlichen A p o k a l y p t i k , in: Ges S t u d z A T , München 1957, 248 ff.), „ d a ß die g a n z e Weltgeschichte immer das K o m m e n der G o t t e s herrschaft zu e r w a r t e n h a t " (265), bereits (19') a b w e h r t . A b e r ebensowenig k a n n mit J . M o l t m a n n : (Theologie der H o f f n u n g , München 1964, 123 f.) d a v o n die R e d e sein, d a ß „die u n i v e r s a l g e w o r d e n e Geschichtshoffnung" in der A p o k a l y p t i k den K o s m o s in B e w e g u n g versetzt, so d a ß es geradezu zu einer „ U m k e h r des g a n z e n K o s m o s " k ä m e , in der „das Sein geschichtlich w i r d u n d der Kosmos sich ö f f n e t z u m a p o k a l y p t i s c h e n P r o z e ß " . Im G e g e n t e i l : der K o s m o s w i r d in seiner Heillosigkeit g e r a d e z u fixiert; z u m Ziel k o m m t er durch das E i n g r e i f e n G o t t e s , das eine K o n t i n u i t ä t zwischen den Ä o n e n , wie sie w o h l M o l t m a n n t r o t z aller Absicherungen gegen ein allzu ungebrochenes E v o lutionsschema vorschwebt, g e r a d e r a d i k a l ausschließt.
P r o p h e t i e u n d A p o k a l y p t i k bei Joel
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tisch außerhalb der konkreten Geschichte, auch wenn er als am Ende der Zeitlinie liegend gedacht wird. D a m i t ist die N a h e r w a r t u n g ausgeschlossen: das a i l ß 14 antezipiert wie der ganze Abschnitt 9—14 einen fernen Zeitpunkt. Die E r f a h r u n g der „Parusieverzögerung" hat zur Konzeption eines eschatologischen Heilsablaufs geführt, an dessen Ende der 4, 1—3.9—14 beschriebene Jahwetag steht. Seine Endgültigkeit besteht nun freilich in der Unüberbietbarkeit und Unwiderruflichkeit seines Heils Inhalts, also in dem Was der Zukunft, das von vornherein festliegt, so daß spätere Apokalyptiker die Heilsgüter des kommenden Äon jetzt schon im Himmel bereitstehend finden konnten. D a n n wird in der Gegenwart nicht mehr über die Zukunft entschieden; ja, das „Wissen" um den kommenden Geschehensablauf hebt den „Wissenden" über alle N o t der beschränkten Gegenwart hinweg und entnimmt ihn der geschichtlichen Verantwortung. 5.4, 15—17 unterscheidet sich dadurch, daß das Stück „aus Wendungen verschiedener H e r k u n f t zusammengeflickt ist" 47 , nur gradweise von den vorangehenden Worten der capp 3 f. Auffällig sind nur die häufigen Bezüge auf capp 1 f: zu 4, 15 vgl. 2, 10b (3, 4); zu 4, 16aß vgl. 2, 10a; zu 4, 17 vgl. 2, 27. Die A u f n a h m e von Zionsmotiven verbindet das Stück außerdem mit 3, 5 gegen deren U m kehrung in 2, 9. Äußere Flickarbeit soll die Diskontinuität der beiden Buchteile und der dahinter stehenden Erwartungen überspielen. Der Eindruck, „disjected members" vor sich zu haben, wird auch nicht dadurch verflüchtigt, d a ß in 16aa ein apokalyptisch a u f g e f a ß tes Prophetenzitat (Am 1 , 2 ; Jer 25, 30), in 17b(3 Reminiszenzen an den Gedanken von Jes 52, 1 f.; N a h 2, 1; Sach 14, 21 und in 16b eine Anspielung auf den ebenfalls apokalyptisch a u f g e f a ß t e n Ps 46, 2 hinzukommen. In 17a geht das W o r t unmotiviert in Gottesrede über. Was 4, 15—17 sagen will, liegt auf der H a n d : die E r w a r tungen der älteren Propheten u n d vor allem die enttäuschten H o f f nungen, die J o 2, 14.19 f. 25—27 weckte, werden alle bei dem in ferner Zeit kommenden J a h w e t a g in E r f ü l l u n g gehen. Dabei verrät das Interesse am Ausgleich verschiedener überkommener Traditionen den dogmatischen Systemwillen des Verfassers. Dem Bewußt47
So Robinson, a. a. O., 68.
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sein der Fremdheit des Gottesvolkes in der Welt entspricht die hier wie in 3, 5 zur Sprache kommende Ankündigung der Weltvernichtung als eines besonderen Aktes, bei dem nur das Gottesvolk gerettet wird. 6. Ein Zeichen gewollter Komposition ist schließlich die am Ende des ganzen Buches stehende eindrucksvolle Segensverheißung 4, 18—20.21b 4 8 , die im apokalyptischen Geiste die Segensverheißungen 2, 19 f. 25—27 aufnimmt 4 9 . Die konkreten Bezüge in V 19 sind scheinbar: Ä g y p t e n wird wegen der „Gewalttat" bestraft, von der das Exodusbuch erzählt, Edom wegen der Übergriffe vom J a h r e 5 8 6 50 . Im Ganzen meint 4, 18—21 den mit dem Jahwetag einsetzenden unaufhörlichen Heilszustand. 7. Zusammenfassend läßt sich zu capp 3 f. sagen, d a ß der K o m plex nicht nur 1, 5—2, 27 als literarisches Ganzes voraussetzt, sondern selbst wie 1, 2—4 als literarisch zu beurteilen ist. Die Einheiten von c a p p 3 f. haben wohl nie f ü r sich bestanden; sie sind nicht in einzelnen Begegnungen zwischen Prophet und Volk zum ersten Male laut geworden. Der f ü r ihre Entstehung „entscheidende Vorgang ist das Niederschreiben einer Konzeption, die ihre Gestalt aus dem Geist des Mannes bekam, der diese Kapitel schrieb, und z w a r im Vorgang des Niederschreibens selbst" 51 . Die Reihenfolge der Einheiten entspricht der Reihenfolge der in ihnen zur Sprache kommenden eschatologischen Ereignisse 52 . Wie ist dann das Verhältnis von capp 1 f und 3 f zu beurteilen? 1, 2—4 zeigt zusammen mit ID"'"^« rpni in 3, 1, daß die Heuschreckenplage hinter 1, 5—2, 27, nachdem sich die an sie geknüpften eschatologischen Erwartungen nicht erfüllt hatten, als ein in seiner Mirabilität einsichtiger erster Vorbote eines nunmehr erhofften 48 49
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21a ist nach dem einmütigen Urteil der Kommentatoren zu streichen. Wolff (a. a. O., 90) will 18—21 als Nachtrag ansehen, räumt aber ein, daß er von Joel stammen kann. Vgl. Weiser, a. a. O., 127; Wolff, a. a. O., 101. So eine weitere Definition des Charakteristikums literarischer Sprache bei Westermann, a. a. O., 92. Gegen den Versuch Plögers ( a . a . O . , 122 ff.), cap 3 als „Einschaltung", als „ein Stüde sui generis" zu verstehen, lassen sich m. E. die ersten drei der v o n Wolff (a. a. O., 70 f.) beigebrachten Argumente geltend machen.
Prophetie und A p o k a l y p t i k bei Joel
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Jahwetages, wie ihn c a p p 3 f. im Auge haben, gewertet worden ist 53 . D a ß dabei mit einer Uberlieferung durch mehrere Generationen gerechnet wird 1, 3, zeigt noch einmal, d a ß die N a h e r w a r t u n g zurückgetreten ist. Die Sammlung der P r o p h e t e n w o r t e in 1,5—2, 27 ist dann unter einem ihnen selbst f r e m d e n Vorzeichen erfolgt; 1, 2—4 und capp 3 f. sind der gleichzeitig mit dieser Sammlung geschriebene interpretierende Rahmen, der den durch den Verlauf der Geschichte letztlich nicht bestätigten P r o p h e t e n w o r t e n 1, 5—2, 27 einen neuen, apokalyptischen Sinn geben soll 54 . O b die Sammlung und die Interpretation durch den Propheten selber 55 oder durch einen Redaktor 5 0 erfolgt ist, tut nichts zur Sache. U n d e n k b a r wäre das erste m. E. angesichts der großen thematischen Geschlossenheit des Buches nicht. In dem Propheten hätte sich dann — unter der allgemeinen Traditionslockerung der nachexilischen Zeit und vor allem durch die Enttäuschung über die erfahrene „Parusieverzögerung" — eine Sinnesänderung vollzogen, die den letzten Vertreter der Prophetie alten Typs, welcher wie Arnos (5, 18—20; 6, 2) die N ä h e des unheilvollen Jahwetages und das „Vielleicht" der göttlichen G n a d e (5, 15; vgl. Zeph 2, 3) verkündete, in radikaler Wendung zum A p o k a l y p t i k e r werden ließ 57 . W a r der O r t seines prophetischen Redens noch die Volksgemeinschaft im 5n
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57
Ähnlich wird schon A m 4, 6 ff.; 7, 1 ff. auf Vorboten eines kommenden endgültigen Gerichtes zurückgesehen. Schon A. Jepsen (Kleine Beiträge zum Zwölfprophetenbuch, Z A W 56, 1938, 85 ff.) hat 1, 2 — 4 zu den von ihm ausgesonderten apokalyptischen Worten des Joelbuches gezählt. So Weiser, a. a. O., 105/6, und J. Bourke: Le Jour de Jahvé dans Joël, RB 66, 1959, 5 ff. 191 ff. Eine entsprechende Vermutung hat schon Sellin (a. a. O., 146/7) erwogen. In irgendeiner Weise an der Einheit des Verfassers des Joelbuches wollten auch W. W. Cannon („The D a y of the Lord" in Joel, C h Q R 53, 1926, 32 ff.), H . J. Kritzinger (Die profesie van Joël, 1935), G. M. Rinaldi (Il libro di Joele tradotto e annotato, 1938, 11 f.) und Th. C h a r y (Les Prophètes et le Culte à partir de l'Exile, Paris 1955, 190—4) festhalten. Hinter den beiden Teilen des Joelbuches vermuten zwei Verfasser u. a. B. D u h m (Israels Propheten, 1916) sowie nach dem differenzierenden Vorschlag v o n Jepsen (a. a. O.) auch O. Eißfeldt (Einleitung in das A T , Tübingen 1964, 531). Robinson (a. a. O., 56) will audi noch für capp 3 f. mehrere Verfasser annehmen. Eine ähnliche Sinnesänderung glaubt W. Zimmerli (Ezechiel, BK 13, 12, 1965, 945 f.) bei H e s im Blick auf die capp 38 f. feststellen zu können.
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alten Sinne, die — unter der Bedrohung durch eine Heuschreckenplage — die Nötigung verspürt, ihre geschichtliche Existenz zu verantworten, so findet sein apokalyptisches Reden in einer Gruppe Raum, die in denkbar großem Abschluß von den Herausforderungen der sie umgebenden Welt auf ihr Heil wartet. Darin spiegelt sich der Wandel wider, der dem nachexilischen Judentum als ganzem aufgegeben war; dort hat die Existenzweise als Volksgemeinschaft lange mit der Existenzweise als religiöser Gemeinde gerungen, bis die letztere, wenn auch nie endgültig, den Sieg davongetragen hat. Die apokalyptischen Sekten, die sich innerhalb des nachexilischen Judentums bildeten, haben diese letztere Existenzweise nur besonders konsequent ausgeprägt. Auf diesem Hintergrund würde eine prophetische Sinnesänderung der oben gekennzeichneten Art verständlich. Der Epigone einer überkommenen Sprache hätte sich unter dem Eindruck ihrer Ohnmacht einer neuen Funktion und damit auch einem neuen Wirklichkeitsverständnis erschlossen, das in seiner Umwelt schon zu einiger Virulenz gekommen sein muß. Die grundsätzlich eklektische Haltung hätte er bei dieser Sinnesänderung durchgehalten. 8. Wodurch wäre dieses Wirklichkeitsverständnis gekennzeichnet? Das literarische Wort der Apokalyptik vermag einen im Kampf Gottes gegen Gott sich öffnenden Raum menschlicher Freiheit, die über die von Gott her unausweichlich andringende Zukunft zu entscheiden wagt, als solches nicht zu bezeichnen. Sein Anliegen ist nicht das Wachrufen des Gottesvolkes in die Existenz zwischen Gott und Gott, sondern die Theodizee. An die Stelle des Raums der Freiheit zur Entscheidung tritt der archimedische Punkt eines geschichtsüberlegenen Wissens, das im antezipierenden Genuß des Kommenden die innere Emigration aus der Gegenwart vollzieht. Das ethische Interesse des Apokalyptikers liegt eben nicht bei der Verantwortung für die Volksgemeinschaft, sondern bei der Selbstbewahrung von Einzelnen innerhalb einer begrenzten Gruppe derer, „die den Namen Jahwes anrufen". Seine Grundkategorie ist die einer der Geschichte aufgelegten Ordnung, die der Fromme einsieht, um sich der Willkür des Kontingenten zu entziehen. Die Grundfunktion seines Wortes ist darum auch nicht die Anrede, sondern die Aussage, die nur noch literarisch gelegentlich das Gewand
Prophetie und Apokalyptik bei Joel
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der Anrede trägt. Jo 1, 5—2, 27 erschließt Wirklichkeit als die dem Gottesvolk geschenkte existentielle Möglichkeit im gegenwärtigen Augenblick; Jo 1, 2—4; 3 f. dagegen stellt Wirklichkeit als ein vom einzelnen zu überblickendes Universum dar, das von einer „futurisch" verstandenen Zukunft her trotz aller Dissonanzen letztlich geordnet ist. 9. Wäre dann Jo 1,2—4; 3 f. gegenüber 1 , 5 — 2 , 2 7 als ein Zeugnis des „Abfalls" des Propheten von dem ihm ursprünglich eigenen Wirklichkeitsverständnisses zu bewerten, das ja das der Prophetie überhaupt ist und von daher wohl doch auch als das des „Kanons im Kanon des Alten Testaments" anzusehen ist? Haben wir also die Apokalyptik als ganze als ein Abirren von dem schmalen Wege zu beurteilen, auf den das biblische Reden von der Wirklichkeit gestellt ist? Oder besteht trotz des bisher Gesagten die Möglichkeit, das hermeneutische Prinzip zur Interpretation von 1, 2—4; 3 f. aus 1, 5—2, 27 zu entnehmen? Ist apokalyptisches Reden nicht doch in irgendeiner Weise noch Erbe prophetischer Sprache? Tatsächlich kann doch für den einzelnen gerade die als Universum überblickte Wirklichkeit im je gegenwärtigen Augenblick Existenzmöglichkeiten eröffnen, zu der Gott über den einzelnen auch das Gottesvolk ruft. Universales Geschichtsbild und gegenwärtiges Situationsbewußtsein können einander tragen 58 . Die Einsicht in eine „Ordnung" der Geschichte würde dann auf Anrede zielen, die vor der von Gott her entgegenkommenden Zukunft auf gegenwärtige Verwirklichung der Existenz als Gottesvolk, bzw. als Glied desselben drängt. Die Multiplizität apokalyptischer Aussagen hätte dann in solcher Anrede ihre Identität. Der archimedische Punkt geschichtsüberlegenen Wissens wäre so kein anderer als das jeweilige Jetzt und Hier, in dem der Mensch in die Verantwortung für die erstreckte Zeit verwiesen wird. Darin würde ernst genommen, daß das Uberschauen der Geschichte selbst in der Geschichte geschieht. Die „Theodizee" würde dann gerade darin bestehen, den Menschen in seine Situation zu bringen: das Ganze der gottgelenkten Geschichte, in dem die Dissonanzen der Einzelereignisse ausgeglichen
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Vgl. zu der Formulierung K. Jaspers: Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, München 1963, 333.
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scheinen, würde zum Raum, in dem sich der vom Wort Getroffene z w a r noch zwischen den Dissonanten befindet, so aber, daß die ihm damit zugemutete Existenz im Widerspruch unter ein letztes Heilsangebot gerichtet ist. H a t die A p o k a l y p t i k sich so verstanden? Die immer wieder aufbrechende Naherwartung ist ein Zeichen dafür, daß der prophetische Geist in ihr nicht erloschen ist. Z. B. im Danielbuch ist der Aufruf zu einem Widerstand, in dem sich das Gottesvolk in äußerster Bedrohung seitens der heidnischen Umwelt als Gottesvolk bewähren soll, ganz „aus der gegenwärtigen Stunde heraus" begründet, „in der die Weltuhr fast abgelaufen ist" 59 . Historisch wird eine von der oben bezeichneten Frage geleitete Beurteilung der A p o k a l y p t i k als ganzer vielleicht überhaupt nicht möglich sein. Jedenfalls erlaubt uns aber der Geschichtszusammenhang, in dem die A p o k a l y p t i k mit der Prophetie trotz allem steht, sie in ihren ausgezeichneten Äußerungen „prophetisch" zu interpretieren, zumal evangelisches Schriftverständnis im Vertrauen auf die Kontinuität der biblischen Verkündigungsgeschichte bei den Propheten den „Kanon im Kanon des Alten Testaments" sucht, der in einem weiteren und tieferen Sinne, als die Formel es selber hergibt, mit dem identisch ist, „was Christum treibet".
«• Koch, a. a. O., 22.
DIE G R Ü N D U N G DES N A U M B U R G E R U R D O M E S an H a n d des literarischen Befundes untersucht V O N R U D O L F STÖWESAND
Der Naumburger Dom ist so, wie er sich jetzt inmitten des heutigen Stadtgebietes imposant und imponierend mit seinen vier Türmen dem Auge des Beschauers bietet, zu Beginn des 13. Jahrhunderts unter Bischof Engelhard begonnen worden, der das wuchtige Kernstück der großen Anlage, das basilikale dreischiffige Langhaus, noch in spätromanischen Formen errichten ließ, hat etwa fünfzig Jahre danach — um und nach 1250 — als eins der ersten Beispiele echter Gotik im damaligen deutschen Osten den Westchor erhalten, desgleichen wiederum etwa fünfzig Jahre danach den diesem nachgeahmten Ostchor und ist mit dem Um- und Aufbau seiner beiden Westtürme erst kurz vor dem Beginn unseres, des 20. Jahrhunderts fertig geworden. Doch nicht er und sein Werden soll der Gegenstand dieser Betrachtung sein, sondern der noch ältere Bau, der vor ihm da war: die Entstehung und Gründung des Urdomes soll an H a n d des literarischen Befundes untersucht werden. Drei Quellen stehen uns dabei zur Verfügung: Mitteilungen und Hinweise der Merseburger Bischofschronik, des annalista Saxo und des Naumburger Bischofs Dietrich in seiner Urkunde vom Jahre 1249.
1. Die Merseburger Bischofschronik:
der Text
Die Merseburger Bischofs- oder Bistumschronik, Chronica episcoporum ecclesiae Merseburgensis (MG SS 10, 157—212), nicht zu verwechseln mit dem 1012 bis 1018 verfaßten Chronicon Thiet-
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Rudolf
Stöwesand
mari Merseburgensis episcopi, ein Bericht, wie ihr Name sagt, über die Merseburger Bischöfe und die Ereignisse ihrer Zeit, der mit der Gründung des Bistums im Jahre 968 beginnt und, wie sich aus ihm herauslesen läßt, in seinem ersten Teile erst um 1136 aufgrund schriftlicher und mündlicher Uberlieferungen niedergeschrieben worden ist, erzählt (S. 178) Folgendes: „Dithmaro anno dominicae incarnationis 1008 ordinato et in Kalendis Decembris defuncto anno praescripti numeri 1018 successit Bruno quovis honore dignus. De quo Brunone, quia nil plus scriptum videmus, pauca dicemus, ne multa loquentes lingua nostra falsa divulgare iudicemur. Inter nostrates tarnen hoc de hoc divulgatur et a senioribus verum esse confirmatur, quod ecclesiae suae multum dempserit, dum honorem suum ampliare studuerit. Dicitur enim, quod quidam Eyke, avus domini Milonis de Ammesleve, marchiones supra memoratos Ekkehardum et Hermannum sic offenderit, ut se nunquam a longe potentiori persona sic inhonoratos fuisse dicerent. Poterat enim hoc ferisse. N a m hae urbs tunc erat potentissima regis terrore, episcopi strenui patrocinatione, moenium munimine, fortium virorum agmine. Haec erat ei asilum, episcopi auxilium. Sed cum hii potentes tantas iniurias nec ulcisci nec digna talione referre potuissent, episcopum aggrediuntur, ab inimici sui defensione precum pulsatione, bonorum suorum datione interpellant. Promittebat enim Ekkehardus ecclesiae suae abbatiam in Jena tunc confirmatam, Hermannus praeposituram in Nuemburg noviter fundatam. Quibus respondisse fertur: Absit a me, ne cum detrimento meorum honorum posteris meis faciam commodum bonorum. Absit, ut mei militis commendandam audaciam per mei avaritiam marcescere faciam. Responsum quidem a secularibus commendandum, sed spiritualibus nequaquam Semper imitandum. Praefati talibus repudiati responsis donationes suas ad maiorem cumulant honorem." Hier steht, daß Hermann und Ekkehard, von denen wir aus der zeitgenössischen Literatur wissen, daß sie Brüder waren und nacheinander Markgrafen von Meißen, Hermann 1009 bis 1032, Ekkehard 1032 bis 1046, dem Merseburger Bischof (1018 bis 1036) Bruno für die Auslieferung eines seiner Mannen namens Eike, von dem sie sich beleidigt fühlten, Güter zum Geschenk angeboten hätten und zwar Hermann praeposituram in Nuemburg noviter
Die Gründung des Naumburger Urdomes
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fundatam und Ekkehard ecclesiae suae abbatiam in Jena tunc confirmatam, Bischof Bruno sei aber darauf nicht eingegangen. a) D i e
Propstei-Hypothese
1) Ihre Aufstellung durch Lepsius In der hier erwähnten „neu fundierten Propstei in Naumburg" hat nun Karl Peter Lepsius, der verdienstvolle Inaugurator der modernen Naumburgforschung, den Urdom zu erkennen geglaubt. Zum Verständnis seiner Meinung sei daran erinnert, daß Naumburg nicht primär, sondern sekundär Bischofssitz geworden ist dadurch, daß das 967/8 von Otto dem Großen in Zeitz begründete Bistum sechzig Jahre später, weil es dort im heidnischen und aufsässigen Slawenlande zu verkümmern und einzugehen drohte, von Konrad II. 1028 hinter die durch Festungen gesicherte Saale in den Schutz der Naumburg zurückverlegt worden war. Die Frage, um die es nun geht, ist diese: Wie stand es damals in Naumburg mit einer Kirche? War schon eine da, so daß sie der Bischof bei seiner Ubersiedlung als seine Amtskirche in Anspruch nehmen konnte, oder mußte erst eine für ihn errichtet werden? Lepsius schreibt 1846 in seiner Geschichte der Naumburger Bischöfe1, daß „diejenige Kirche zu Naumburg, welche durch die Verlegung zur bischöflichen Kathedrale erhoben wurde, schon vorher existierte . . . Zu vermuten ist jedoch, daß, als die Verlegung des Hochstifts von Zeitz nach Naumburg in Anregung kam, der Bau jener neu fundierten Kirche noch nicht vollendet gewesen, derselbe auch nicht weiter verfolgt, vielmehr ein von Grund aus neuer Bau nach einem bedeutend erweiterten Plane, der Würde und den Bedürfnissen einer bischöflichen Kathedrale entsprechend, unternommen wurde." Das ist eine merkwürdige Inkongruenz: einerseits sei der Urdom schon vor der Errichtung des Bistums in Naumburg dort vorhanden gewesen, andererseits aber erst nach der Errichtung neu erbaut worden. Lepsius scheint die Unsicherheit seiner Konzeption selbst emp1
Karl Peter Lepsius, Geschichte der Bischöfe des Hochstifts Naumburg vor der Reformation, Bd. 1, Naumburg 1846, S. 16. Das Werk ist leider nach dem ersten Bande, der bis 1304 führt, steckengeblieben und hat bis heute keinen Fortsetzer und Neubearbeiter gefunden.
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funden zu haben, macht er doch ausdrücklich darauf aufmerksam, daß die Geschichte der Anfänge des Dombaues noch keineswegs endgültig geklärt sei2. 2) Die Anhänger von Lepsius Die Späteren suchen auf ihre Art mit der Hypothese von Lepsius und ihrer Inkongruenz fertig zu werden. Ich nenne sie. Breßlau ließ 1879 in seiner Geschichte Konrads II. 3 die Frage, ob ein Umbau oder Neubau der Propsteikirche erfolgt sei, einfach offen. Schmarsow verstand 18924 Lepsius dahin: „In unmittelbarer Nähe eines älteren Kirchleins erwuchs der Neubau einer Bischofskirche." Hauck gedenkt zwar 18966 der praepositura in Naumburg noviter fundata, nimmt aber zum Kirchengebäude keine Stellung. Der Naumburger Lokalhistoriker Borkowsky schrieb 1897°: „Der bescheidene Bau des alten Propsteikirchleins genügte den erhöhten Anforderungen nicht mehr und machte einer umfangreicheren Kirchenanlage Platz", und 1928 in seinem zweiten Naumburgbuche7: „Auch ein Kirchlein war da, vielleicht dort, wo heute der Dom steht." Das Jahr zuvor 1927 hatte der Schmarsow-Schüler Giesau gemeint 8 : „Schon vorher hatte bei der Neuen Burg (d. i. Naumburg) wahrscheinlich eine mit einem Kollegiatstift verbundene Propsteikirche bestanden, welche nun zur Kirche des Bischofssitzes erhoben wurde." Lepsius a. a. O. S. 140 A. 48. * Harry Breßlau, Jahrbücher des dt. Reichs unter Konrad II., Bd. 1, Leipzig 1879, S. 262. 4 August Schmarsow, Die Bildwerke des Naumburger Domes, Magdeburg 1892, S. 4. Es ist das Epoche machende Werk, in dem der Leipziger Kunsthistoriker nach Lepsius den ersten Schritt zur Wiederentdeckung des Naumburger Meisters getan hat. 5 Albert Hauck, Kirchengeschidite Deutschlands, Bd. 3, zuerst erschienen Leipzig 1896, S. 554 A . 3 . • Ernst Borkowsky, Die Gesdiichte der Stadt Naumburg. Stuttgart 1897, S. 26. 7 Borkowsky, Naumburg an der Saale 1028 bis 1928, Jena 1928, S. 31. 8 Hermann Giesau, Der Dom zu Naumburg, Burg bei Magdeburg 1927 (Deutsche Bauten Bd. 9), S. 7. 2
Die Gründung des Naumburger Urdomes
Pinder ist in seinen öffentlichungen über den des Naumburger Domes seine Kompetenzen nicht
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zahlreichen seit 1924 erschienenen VerNaumburger Meister auf die Entstehung nie eingegangen, gewiß in dem Gefühl, überschreiten zu wollen.
b) D i e E r g ä n z u n g d e r H y p o t h e s e v o n durch Lüttich
Lepsius
Eine besondere Stellung nimmt Lüttich ein um der erstaunlichen Genauigkeit willen, mit der er die Hypothese von Lepsius aufgefüllt und ergänzt hat. Er hat seine Meinung zuerst 1898 und dann noch zweimal 1902 und 1904 mit fast immer denselben Worten vorgetragen 9 . „Die Merseburger Bischofschronik", heißt es bei ihm, „berichtet unmittelbar vor einer das Jahr 1021 angehenden Notiz: Um den Beistand des Bischofs Bruno von Merseburg gegen einen ihrer Feinde zu gewinnen, versprechen Markgraf Ekkard II. die bestätigte Abtei in (Groß)Jena und Markgraf Hermann die Propstei in Naumburg, zu der neuerdings der Grund gelegt ist (praeposituram in Nuemburg noviter fundatam), der bischöflichen Kirche zu Merseburg zu unterwerfen. Die Merseburger Chronik bemerkt hierzu, daß die abgewiesenen Markgrafen den Gegenstand der beabsichtigten Schenkung mit größerer Ehre krönen (donationes suas ad maiorem cumulant honorem). Die Chronik sagt mit diesen Worten, daß die Propsteikirche zur Bischofskirche geworden sei." 4) Die Anhänger von Lüttich Als erster übernahm der Kunsthistoriker Bergner 10 die Deduktion von Lüttich. „Die Grundlegung des älteren Domes", schreibt er 1903, „muß vor 1021 fallen. Denn die Notiz der Merseburger 9
10
Selmar Lüttich, Professor am Naumburger Domgymnasium, hat sich dreimal „Zur Baugeschichte des Naumburger Doms" geäußert und zwar 1898, 1902 und 1904 jeweils in den wissenschaftlichen Beilagen zu den Jahresberichten des Gymnasiums und in jeder dieser Abhandlungen seine oben zitierte Überzeugung fast immer gleichlautend geäußert 1898 S. 18; 1902 S. 5; 1904 S. 4. Heinrich Bergner, Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Stadt Naumburg, Halle (Saale) 1903 (Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Sachsen, Heft 24), S. 21.
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Bischofschronik zu diesem Jahre, daß die von Markgraf Hermann neuerdings gegründete Propstei später zu größeren Ehren gelangt sei, kann nur dahin verstanden werden, daß sie nach der Ubertragung des bischöflichen Stuhles von Zeitz nach Naumburg 1028 zur Kathedrale erhoben wurde." Aber auch die Vertreter der reinen Historie folgten Lüttich. Im Naumburger Urkundenbuch Nr. 24 heißt es 1925 1 1 : „1021 ist bei Verhandlungen zwischen den Markgrafen Eckehard II. und Hermann und dem Bischof Bruno von Merseburg in der Merseburger Bistumschronik von einer in Naumburg neu gegründeten Propstei die Rede . . . Daß diese Propstei darauf die Grundlage des Naumburger Bischofssitzes wurde, deutet die Chronik an." So ist dies der heutige Tatbestand: die von Lepsius stammende Hypothese, wonach eine Propsteikirche in Naumburg der Urdom gewesen sei, hat sich in der ihr von Lüttich gegebenen Ausprägung wie zu einem Dogma verfestigt und gilt wie ein unerschütterlicher Glaubenssatz bis heute. Ist er wirklich so unerschütterlich? Trifft er wirklich die historische Wahrheit? Prüfen wir nach. b)
Die
U n h a l t b a r k e i t der P r o p s t e i - H y p o t h e s e 1) Der Irrtum der Jahreszahl 1021
Ein erster Irrtum Lüttichs ist seine Angabe, daß das Angebot der Brüder im Jahre 1021 erfolgt sei. Er war darauf gekommen, weil die Bischofschronik unmittelbar an die Erzählung von dem Angebot der Brüder den Bericht von der am 15. Oktober 1021 erfolgten Weihe des von Thietmar begonnenen Merseburger Domes mit den Worten huius in temporibus anschließt. Deshalb müsse auch das Angebot der Brüder in diesem Jahre 1021 abgegeben und nach Bergner die Propstei in Naumburg vor diesem Zeitpunkt gegründet worden sein. Dabei dürfte doch wohl klar sein, daß mit den Worten huius in temporibus das Ange-
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Urkundenbuch des Hochstifts Naumburg, Teil 1 (967—1207), Magdeburg 1925, S. 19. Teil 2 ist nicht erschienen.
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bot keineswegs auf ein bestimmtes J a h r festgelegt werden soll. Im Gegenteil: gerade dieser Ausdruck ist der unbestimmteste und vageste überhaupt, der nichts anderes besagen will und kann als ganz allgemein: Zu der Zeit, da Bruno Bischof war, und daß die Geschichte von dem Angebot und seiner Ablehnung lose und nicht chronologisch fest in die Bischofszeit Brunos eingehängt ist. 2) Der Irrtum in der Übersetzung Ein zweiter Irrtum Lüttichs liegt in seiner Ubersetzung des Schlußsatzes, wo es von den Brüdern heißt: repudiati donationes suas ad maiorem cumulant honorem. Hier wird die Tatsache als bekannt vorausgesetzt, daß die Verlegung des Bischofssitzes aus Zeitz nach N a u m b u r g dem Kaiser Konrad II. dadurch ermöglicht worden war, daß die Brüder die Naumburg dem Bistum Zeitz als Geschenk überlassen hatten 12 . Lüttich übersetzt nun, daß die von Bischof Bruno mit ihrem Angebot Abgewiesenen „den Gegenstand der beabsichtigten Schenkung mit größerer Ehre krönen", und setzt hinzu: „Die Chronik sagt mit diesen Worten, daß die Propsteikirche zur Bischofskirche geworden sei." Wieso? Von dem „Gegenstand der beabsichtigten Schenkung" steht nichts in dem lateinischen Satze, das ist eine durch nichts berechtigte Eintragung Lüttichs. Außerdem hat es sich ja um zwei Gegenstände gehandelt, nicht nur um die Naumburger Propstei, sondern auch um die Großjenaer Abtei. Wo bleibt diese? Sie kann doch zu dem Naumburger D o m unter gar keinen Umständen in Beziehung gebracht werden. Diese donationes können also gar nicht gemeint sein, zumal sie gar keine geworden sind, weil sie nicht realisiert wurden. Zugestanden: der Satz in seiner echt lateinischen Kompression und Ballung läßt sich im Deutschen schwer wiedergeben. Er heißt wörtlich: „ D i e Abgewiesenen häufen ihre Schenkungen zu größerer Ehre", ohne Ballung: Sie schenken derart haufenweise, nämlich später an das Bistum Zeitz mit der ganzen Naumburg, daß ihre früheren Angebote an das Bistum Merseburg dahinter zurück12
Die Naumburg war Hermanns Besitz; da er kinderlos war, hatte Ekkehard als sein Erbe ein Mitbestimmungsrecht.
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bleiben und nun entweder sie, die Spender, oder auch ihre ja nun wirklich realisierten Schenkungen der Naumburg mit ihrem reichen Zubehör 13 zu größerer Ehre gekommen sind. Ich übersetzte demgemäß: „Die Abgewiesenen haben später gehäufter geschenkt zu größerer Ehre." Der Sinn des Satzes ist also — ich wiederhole — ganz klar dieser, daß das, was sie später gehäuft taten, ehrenvoller für sie wie für ihre Schenkung war als das, was sie früher in bescheidenerer Form mit ihren Klöstern vorgehabt hatten — daß das, was sie später gehäuft mit der Schenkung der Naumburg mit ihrem gesamten reichen Zubehör wirklich taten, ehrenvoller war als das, was sie vordem mit ihrem Angebot einfacher noch kaum existierender Klostergründungen (noviter fundata die eine, tunc confirmata die andere) vorgehabt hatten. 3) Die historische Unzuverlässigkeit der Erzählung Wie recht wir damit haben, wird eine kritische Durchleuchtung der Erzählung bestätigen. Zunächst ist festzustellen, daß die Erzählung selber gar kein authentisch exakter historischer Bericht sein will, sondern eine Anekdote ist, die sich im Munde der Leute erhalten hat. Ferner ist ihr Kern gar nicht das Angebot der Brüder und seine Detaillierung, sondern das Verhalten des Bischofs. Zu charakterisieren, was er für ein Mann war, daß er seine eigene Ehre, die Treue seinem Dienstmann gegenüber höher stellte als die Vermehrung des Besitzes des ihm anvertrauten Bistums, daß er seinen Mann nicht verriet selbst um den Preis eines ansehnlichen Gewinnes für das Bistum, darauf kommt es an, das trägt ihm von dem Berichterstatter ein halbes Lob und einen ganzen Tadel ein. Denn der Chronist ist selber Geistlicher und mißt nicht mit weltlichen Maßstäben, sondern hat vor allem den Vorteil des Bistums im Auge. Weiter ist die Anekdote nicht zu der Zeit, als sich die Geschichte zutrug, niedergeschrieben worden, sondern erst etwa hundert Jahre 13
Das reiche Zubehör gibt die Verlegungsurkunde von 1028 (Naumburg. Urkundenb. Nr. 24) dadurch an, daß es in ihr heißt, daß eundem locum (Naumburg) cum omnibus pertinentiis . . omnibusque rebus et possessionibus, quas modo habere videtur et que in antea acquisierit, dem Bistum Zeitz geschenkt wird.
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später und zudem aus der mündlichen Tradition geschöpft. Darin steckt ein Plus und ein Minus zugleich. So sicher der Kern der Geschichte, das Verhalten des Bischofs, richtig wieder und weiter gegeben sein wird, denn es hat so imponiert, daß es Generationen hindurch lebendig geblieben ist, so zweifelsohne werden plastische und drastische Ausschmückungen angebracht worden sein. D a ß die Brüder Angebote gemacht haben werden, hat gewiß zum Kern der Erzählung gehört. Worin sie aber bestanden haben, das werden sich die Leute nach den Tatbeständen ihrer Zeit vorgestellt haben. N u n gab es in der T a t zu der Zeit des Chronisten, also um 1136 in Naumburg zwei Klöster, von denen das eine, das Georgenkloster, der Regel Benedikts gehorchte, also eine Abtei, das andere, das Moritzkloster, ein Augustinerchorherrenstift, also eine Propstei war. D a es nun der Mentalität mittelalterlicher Erzähler entspricht, daß sie das, was sie zu ihrer Zeit um sich sehen, ganz naiv, sofern sie nicht von einer eingetretenen Veränderung wissen und sie ausdrücklich mitteilen, als schon in der Vergangenheit vorhanden ansehen, so könnte der Merseburger Chronist doch wohl nur gemeint haben, wenn er überhaupt an Konkreta gedacht hat, daß Hermann das Moritzkloster Bischof Bruno als Geschenk angeboten habe. D a s aber war unmöglich, denn das Moritzkloster ist, wie der kenntnisreiche Lepsius 1 4 an H a n d zweier Papsturkunden 1 5 nachgewiesen hat, erst 1119 durch die Einweisung von Kanonikern des Augustinerordens zu einer Propstei geworden und war vorher — ein Nonnenkloster. Zur Zeit Hermanns gab es also gar keine Propstei in Naumburg, sondern, wenn überhaupt schon ein Kloster, nur erst das Georgenkloster, das als ein noviter fundatum hätte bezeichnet werden können. Es war aber eine Abtei und lag zudem nicht in der Naumburg, sondern extra muros draußen im freien Gelände 1 8 . M
15
Lepsius, Kleine Schriften, 3 Bde in 1 Bd. Magdeburg 1854/55. Obiges Bd. 1, S. 58 ff. Zuletzt abgedruckt im Naumb. Urkundenb. N r . 120 und 140. Die Anfänge des Georgenklosters sind in völliges Dunkel gehüllt. Was der Naumburger Pfarrer Joh. Martin Schamelius darüber in seiner „Beschreibung von dem Benedictiner-Kloster zu St. Georgen vor der Stadt Naumburg an der Saale", Naumburg 1728 schreibt, ist unbrauchbar. Vgl. auch zu dem Problem Breßlau Bd. 1, S. 264 f. A. 4 und Hauck Bd. 3, S. 555 A. 4.
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K a u m weniger stichhaltig ist das von der Abtei zu Großjena Gesagte. Die unscheinbaren Schwesterdörfer Großjena und Kleinjena liegen auf dem linken und rechten Ufer der Unstrut einander gegenüber unweit ihrer Mündung in die Saale, etwa eine Stunde Fußwegs von Naumburg entfernt; der unhohe Hausberg bei Großjena bewahrt in seinem Namen noch die Erinnerung an das feste Haus, das er trug, die Stammburg der Ekkehardiner, auf der Hermanns Bruder Ekkehard saß, ehe er ihm 1032 als Markgraf von Meißen nachfolgte. Aber nirgends in allen Jahrhunderten seitdem findet sich auch nur eine Andeutung davon, daß bei Großjena ein Kloster gestanden habe. Was ergibt sich aus dem allen? Der Eike-Bericht ist eine reine Anekdote, die erst hundert Jahre nach dem Ereignis, dem sie gilt, aufgrund lediglich mündlicher Oberlieferung aufgezeichnet worden ist. N u r vom Hörensagen kannte der Chronist die Geschichte aus dem Munde alter Leute. Mündliche Uberlieferung setzt im Laufe der Jahrzehnte Ausschmükkungen an, die jenseits der historischen Wahrheit liegen. Als Quelle kann er deshalb nicht genutzt werden. D a s geht schon daraus hervor, daß der Erzähler Ekkehard, den jüngeren Bruder, dem älteren Hermann voranstellt, was historisch falsch ist: Zuerst war Hermann Markgraf von Meißen und dann erst kürzere Zeit Ekkehard. Die historischen Verhältnisse vor über hundert Jahren waren dem Chronisten also fremd. Echt ist sicher der Kern, daß Bischof Bruno sich nicht bestechen ließ durch Güter, die ihm als Schenkungen in Aussicht gestellt waren. Ausschmückung aber wird sein, daß es sich dabei um Klöster gehandelt habe: ein Bischof wird sich nach landläufiger Vorstellung am leichtesten durch Klöster gewinnen lassen. Stutzig macht auch, daß in schriftstellerisch wirksamem Wechsel einerseits eine Propstei und andererseits eine Abtei genannt wird. Stutzig macht ferner die Angabe, daß diese Präsente funkelnagelneue Objekte sind: die Propstei ist gerade frisch gegründet und die Abtei eben erst bestätigt. D a s sieht ganz so aus, als stünden sie nur erst auf dem Papier und als habe der Erzähler, der ja zu seiner Zeit solche Klöster weder in N a u m b u r g noch in Großjena vor Augen hatte, sich auf diese
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Weise aus der Affaire gezogen: weil Bischof Bruno die Angebote abwies, wurden die in Aussicht genommenen Neugründungen gar nicht erst realisiert. Da also die Erzählung in der Merseburger Bischofschronik nicht den historischen Wahrheitsgehalt besitzt, der ihr beigelegt worden ist, hat sich, wie ich meine, das Vorhandensein einer Propsteikirche in Naumburg weit eher als eine Fiktion denn als eine Realität erwiesen und die Lepsius-Lüttich-Hypothese damit in Nichts aufgelöst. 2. Der annalista
Saxo
Es gibt aber noch handfestere Beweise dagegen. Wir entnehmen sie einer Schilderung des annalista Saxo. Weil er dabei Sätze übernimmt, die vordem Thietmar von Merseburg in seiner Chronik niedergeschrieben hat, sei es mir gestattet, sie vorweg zu zitieren. a) D e r
Thietmar-Text
als
Vorbemerkung
Thietmar, der alle die Menschen, von denen er hier erzählt, persönlich gekannt hat, teilt mit, nachdem er breit und ausführlich die Ermordung Ekkehards d. Ä., des großen Markgrafen von Meißen, am 30. April 1002 zu Pöhlde am Westrand des Harzes geschildert hat 17 : „Huius fama diu mox propagata domnam Suonehildam venire fecit obviam filiique eius laeticiam turbavit Herim a n n i . . . Accepta nece parentis improvisa cum matre celeriter occurrit patrisque corpus ingenti luctu suseipiens in urbe, quae Genium dicitur, sepeliri fecit. Peracto autem tricesimo die domna Suonehildis ad Misni proficiscitur cum filiis." b) D e r
Saxo-Text
Der annalista Saxo läßt sich zu dem gleichen Ereignis folgendermaßen vernehmen: „Accepta morte patris improvisa cum matre occurrit patrisque corpus ingenti luctu suseipiens in sua urbe nomine 17
Von dem Thietmari Merseburg, episcopi Chronicon ist unentbehrlich die von Rob. Holtzmann hg. Ausgabe MG SS nova series IX, Berlin 1955, bequemer die lat. und dt. Ausgabe von Werner Trillmich, Frh. vom Stein-GedächtnisAusg. IX, Berlin 1957. Obiges V, 8.
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Gena . . . in loco, ubi Sala et Unstrud confluunt, sepeliri fecit. Sed post plures annos inde translatus est cum multis aliis de eadem progenie in civitatem Nuenburch non procul a priori loco in descensu fluminis Sale. Quam urbem devotio succedentium haeredum cum omni hereditate sua ad servicium dei eiusque genetricis et sancti Petri aliorumque sanctorum tradiderunt carnali posteritate deficiente. E x quo tempore episcopalis sedes, qui fuit in urbe Cicensi, translata est in eandem urbem." Zwar hat der Ungenannte, dem man den Namen annalista Saxo beigelegt hat, seine große Kompilation erst um 1160 zusammengestellt; da er aber beste Unterlagen nutzt wie hier die Chronik Thietmars und sich zumal sippenkundlich außerordentlich gut auskennt, ist sein Werk eine historische Quelle ersten Ranges 18 , und wir haben nicht den geringsten Anlaß, seinen Bericht zu bezweifeln. c)
Folgerungen
Einem Vergleich der Berichte des Thietmar und des Annalisten, zumal der jener Thietmar-Stelle gegenüber instruktiv ergänzten Mitteilung des Annalisten läßt sich unschwer ein Fünffaches entnehmen. 1. Die Naumburg existierte im J a h r e 1002 noch nicht, sonst hätte Hermann den toten Vater ja gleich dort zu Grabe bringen können. 2. Ihr Bau muß aber sofort nach 1002 oder noch im Laufe des Jahres 1002 begonnen worden sein, da sie post plures annos bereits vorhanden war. 3. Der Erbauer und Besitzer der Naumburg war Hermann, er konnte j a die Umbettung nur in eine Burg veranlassen und durchführen, die ihm gehörte. 4. Hermann war damit zugleich auch der Erbauer einer Burgkirche, da natürlich nur die Gruft einer Kirche einen würdigen Bestattungsort darstellt. 18
Schmeidler nennt das Werk, das von 741 bis 1139 reicht, „eine mit unendlichem Fleiß ausgearbeitete deutsche Geschichte." Die Ausgabe in den MG SS 6, S. 542—777, macht die benutzten Quellen durch Petitdruck kenntlich. Obiges da S. 648.
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5. Die neue Burg war geräumiger und repräsentabler als die alte von Großjena, sonst hätte Hermann ja die Särge seiner Vorfahren an ihrem alten Platz belassen können 19 . d) D i e
historische
Situation
im J a h r e
1002
Zu diesen Erkenntnissen stimmen genau die Nachrichten aus der Zeitgeschichte. In Meißen w a r nach dem gewaltsamen Tode Ekkehards der Streit um seine Hinterlassenschaft ausgebrochen und alles drunter und drüber gegangen. Von Osten hatte sich Boleslaw von Polen, den die Deutschen Herzog nannten, der Mark bemächtigt, und Herr der Burg oberhalb der Elbe war Gunzelin geworden, der Bruder des Ermordeten, nachdem er sie durch Verrat und Rebellion mit einem Handstreich in seinen Besitz gebracht und den jungen Hermann, der sich solcher Heimtücke des Oheims nicht versehen konnte, mitsamt der Mutter und den Geschwistern schmählich vertrieben hatte. In Merseburg auf dem Hoftag, den der neu gewählte König Heinrich II. dorthin für Ende Juni anberaumt hatte, um die Huldigung der Sachsen entgegen zu nehmen, war dann die Entscheidung gefallen: der König hatte Burg und Mark Meißen Gunzelin zu Lehen gegeben, Boleslaw und Hermann waren leer ausgegangen. 10
Die Meinung, daß Ekkehard d. Ä. in das Georgenkloster überführt worden sei, beruht auf Mißverständnissen. Schon Leibniz in seinen Annales Brunswicenses war es selbstverständlich, daß er in der Kirche innerhalb der Burg bestattet wurde und nicht in der Kirche jenes Klosters, das nach Schameis Bericht vor der Stadt lag (vgl. A. 16). Zudem wird das Georgenkloster damals noch gar nicht bestanden haben. Wenn, wie man vorgeschlagen hat (Hauck 3, S. 555 A. 4), Hermann und Ekkehard den Bau veranlaßt hätten, könnte das erst in ihren späteren Jahren geschehen sein; Hermann kann den zweiten Schritt gar nicht vor dem ersten getan, nicht erst draußen im freien Gelände das Kloster und dann erst die Burg an dem Ufer der Saale gebaut haben. Ich hoffe in einer künftigen Abhandlung mich noch genauer hierzu äußern zu können. Und um auch ein Weiteres gleich hier anzuschließen: für die von Lepsius stammende und oft von ihm wiederholte Hypothese, die ihm bis heute ohne jede Überprüfung in ermüdender Monotonie immer wieder nachgesprochen worden ist, daß nämlich Ekkehard d. Ä. die Naumburg erbaut habe, gibt es auch nicht den Schatten eines Beleges. Sie beweist nur, wie leicht sich die Sage an eine große Persönlichkeit, wie sie Ekkehard zweifellos war, ansetzt und wie stark die Autorität von Lepsius nachwirkt, der in der Tat der modernen Naumburg-Forschung die Wege gewiesen, sidi selbst aber nie für infallibel gehalten hat.
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In ihrer Enttäuschung hatten sie zueinander gefunden; Boleslaw bot Hermann die H a n d seiner Tochter Regelindis an, und Hermann war einverstanden 20 . e) D i e M o t i v e H e r m a n n s
zum Bau der
Naumburg
Das war die Situation, in die sich Hermann im Frühsommer 1002 gestellt sah, sie war wie keine andere dazu angetan, in ihm den Plan zum Bau einer neuen Burg entstehen und reifen und zur Tat werden zu lassen. Er brauchte nämlich gerade jetzt eine neue Burg. Denn gerade jetzt ballten sich Erfordernisse und Motive aller Art bei ihm und in ihm zusammen und drängten ihn zu raschem Handeln. Großjena, die alte Stammburg seiner Sippe, auf die er sich mit den Seinen zurückgeworfen sah, war zu eng für die große Familie, die aus drei Brüdern, drei Schwestern 21 und der Mutter bestand; 20
21
Boleslaw hoffte natürlich den jungen Mann auf diese Weise vor den Wagen seiner ehrgeizigen Politik zu spannen, was ihm freilich nicht gelang, da Hermann in den drei schweren Polenkriegen Heinrichs I I . (1103—05, 1 0 0 7 — 13, 1015—18) immer eisern gegen Boleslaw stand und standhielt. Von den drei Brüdern war nur Gunther nicht zu Hause, sondern in Lüttich, wo er in der berühmten Schule Bischof Notkers (972—1008) zum Geistlichen erzogen wurde; von 1009 bis 1023 deutscher Kanzler Heinrichs II., seit 1024 Erzbischof von Salzburg, starb er dort am 1. 11. 1025. D a ß auch Eilward, Bischof von Meißen 1016—1023, ein Sohn des großen Ekkehard gewesen sei, ist zuerst irrtümlich von Holtzmann in seiner Thietmar-Ausg. 1935 geäußert und von Trillmich in der neuen Thietmar-Ausg. 1957 nachgesprochen worden. Ekkehard d. J . , gb. etwa 994, 1002 noch ein Knabe, wurde nach dem Tode der Mutter am 26. 11. 1014 Herr von Großjena, wie sich die Merseburger Bischofschronik richtig erinnert. Einzelheiten, auch über die Altersreihenfolge der Geschwister in meiner noch vorzulegenden Untersuchung über Hermann. Von den drei Töchtern folgte Ludgard, die älteste, im Januar 1003 dem Markgrafen der Nordmark Werner von Walbeck in die Ehe und Oda, die jüngste, 1018 dem oben genannten Boleslaw als vierte Frau. Mathilde schenkte ihrem Gatten Dietrich von Wettin sechs Söhne und eine Tochter; von ihren Söhnen wurde Timo der Stammvater aller Wettiner bis heute, Konrad erhielt eine Stifterstatue im Naumburger Dom, ebenso ihre Schwiegertochter Berta, die Gattin ihres Sohnes Gero, und gleichfalls erhielten je eine Statue ihre Enkel, die Berta- und Gerosöhne Wilhelm von Camburg und Dietrich von Brehna und dessen Frau Gerburg. Vgl. Stöwesand, Die Wettiner und Schwarzburger im Gesamt der Naumburger Stifter in d. Vierteljahresschrift D E R H E R O L D , n. F. Bd. 6, Berlin 1966, S. 285 ff.
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zumal er jetzt heiraten und einen eigenen Hausstand und eine eigene Familie begründen wollte, bedurfte er auch eines eigenen Wohnsitzes. Und dieser Wohnsitz mußte Platz bieten für die Gefolgen und das Gesinde, mußte weiträumig, repräsentativ und repräsentabel sein. Eine einfache Wiederholung oder Nachahmung von G r o ß jena genügte keinesfalls. Hermann war ja der Sohn jenes Mächtigen, der bei O t t o I I I . das Meiste gegolten und nach des Kaisers frühem Tode selbst nach der Krone gegriffen hatte, als ihn die Mörder in den Tod stießen; er war der Erbe der großen väterlichen Reichtümer. Er konnte und mußte und wollte repräsentieren, mußte um der eigenen Geltung willen ein schlechthin unübersehbares Denkmal seiner Macht errichten, mußte offen vor aller Welt dartun, was er als Sproß eines der ersten Geschlechter des Reiches vermochte, als Sohn des großen Ekkehard wie auch als Enkel Hermann Billungs, nach dem er seinen Namen trug. Repräsentabel mußte sein neuer Wohnsitz auch um der Herzogstochter willen sein, die er in Kürze heimzuführen gedachte, und um ihres Vaters Boleslaw willen, durch dessen immensen Reichtum 2 2 Hermanns eigene beträchtliche Finanzkraft herausgefordert und zu entsprechend hoher Leistung mobilisiert wurde. G r o ß und stark mußte die neue Burg aber auch um Gunzelins willen sein. Denn eine Burg ist weit mehr als ein Wohnsitz, sie ist in der Hauptsache ein militärisches Instrument. Und eines solchen, einer neuen und starken Waffe bedurfte Hermann nie nötiger als gerade jetzt als Gegengewicht gegen Gunzelin. Dieser gefährliche Mann, dessen Heimtücke ihn bereits um Meißen gebracht hatte, besaß auch an der Saale zwei Burgen, die eine unweit von Pforta bei Almrich 2 3 , wo sie die dort durch den Fluß führende Furt kon22
23
K a r l und Mathilde Uhlirz, Jahrbücher des D t . Reiches unter O t t o II. und O t t o III., B d . 2, Berlin 1954, S. 3 2 0 und 5 5 2 f. Bei T h i e t m a r ist sie namenlos, er nennt sie V I 53 nur castellum q u o d d a m i u x t a Salam situm (vgl. A . 2 5 ) . Lepsius (Kleine Schriften. Bd. 2, S. 1 1 5 ff.) suchte sie westlich von N a u m b u r g bei dem D o r f e Altenburg, das auf dem Wege nach Schulpforta zu liegt, heute mit N a u m b u r g zusammengewachsen ist und im Volksmund Almrich genannt wird, eine Bezeichnung, die ich aufgreife, um Verwechslungen mit den vielen anderen O r t e n , die Altenburg heißen, vorzubeugen. Die A n n a h m e von Lepsius trifft m . E . zu, weil die H ö h e ober-
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trollierte, die andere nördlich davon bei Keuschberg24 südlich von Merseburg. Auf diese Weise sah sich Hermann in Großjena von zwei Seiten feindlich umklammert, so daß er gar nicht anders konnte: wollte er verhindern, daß ihm der unberechenbare Oheim an der Saale das gleiche Schicksal bereitete wie an der Elbe, wollte er der ständigen Bedrohung gewachsen sein und, wenn möglich, überlegen werden, dann mußte er die Zange, in der er steckte, aufbrechen, und das tat er, als er nördlich von Almrich die Naumburg als ein Trutz-Gunzelin errichtete und so in einem Akt der Notwehr Großjena verstärkte, damit auch er zwei Burgen an der Saale hätte; und er sprengte schließlich die Zange für immer, als er im Jahre 1009 von hier aus, da freilich auf das höchste durch neue Heimtücken Gunzelins gereizt, kurzer H a n d zur Selbsthilfe greifend, die Almrichburg mit seinen Mannen umstellte, sie trotz der Mauer und der Besatzung, mit der sie Gunzelin vorsorglich hatte schützen wollen, mit Ekkehard, seinem jüngeren Bruder, erstürmte, verbrannte und dem Erdboden gleich machte 25 .
t(
25
halb von dem jetzigen Almrich-Altenburg, von der man übrigens den reizvollsten Blick über das liebliche Saaletat hat, noch heute den N a m e n Burgscheitel trägt. Ich halte den N a m e n Altenburg auch für jene Zeit für um so zutreffender, als wir dann mit der Neuenburg-Naumburg eine echte Antithese zu ihr wie zur alten Burg von Großjena hätten. U n d war Gunzelins Burg nur als alte Burg im Gegensatz zu der neuen Hermanns zu bezeichnen, hatte Thietmar recht, sie nur castellum quoddam zu nennen. Zum Sprachlichen: Wie aus „(zur) alten Burg" Altenburg geworden ist, so ist aus „(zuo der) nuwen (oder niuwen) bürg" hier nicht Neuenburg, sondern N a u m b u r g geworden. Die von Lepsius aus D K II 156 vom Jahre 1030 geschöpfte Vermutung, daß sie den N a m e n Steinburg getragen habe, ist umstritten (vgl. N a u m b . Urkundenb. I S. 22 oben) und unwahrscheinlich. Gunzelin wird in Thietm. V 9 in einer geistvollen Konjektur Cukesburgiens genannt. Cuskiburg (in D O I I I 132 v. J. 993) oder Cuiscesburg (in D H I I 250 v. J. 1012) ist Keuschberg an der Saale, heute in Bad Dürrenberg aufgegangen südlich von Merseburg. Gunzelin hieße so der Keuschberger, was nur bedeuten kann, d a ß er den Burgward Keuschberg besessen habe. Vgl. H o l t z m a n n , Beiträge zur Gesdi. des Markgr. Gunzelin von Meißen, zuerst in Sachsen und Anhalt 8, Magdeburg 1932, S. 108 ff., dann in H o l t z m a n n , Aufsätze zur Gesch. v. Mitteldeutschland, Darmstadt, 1962, S. 127 ff. Obiges da S. 138 ff. Die Beziehung statt auf Keuschberg auf Kuckenberg bei Querfurt, die H o l t z m a n n nach längerem H i n und H e r vorschlägt, ist als weniger zutreffend abzulehnen. Thietm. VI 53: Interea Herimannus comes et Guncelinus marchio invicem certantes inusitato in his regionibus more conflixere. N a m q u e Guncelinus
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D i e G r ü n d u n g des N a u m b u r g e r U r d o m e s
f) H e r m a n n
der
Erbauer
der N a u m b u r g
als
urbs
Gunzelins Burg wird von Thietmar castellum genannt. Ein castellum oder Castrum (castra) war der Wehrbau der älteren Zeit, nicht viel mehr als ein Fort; Militärstationen dieser Art waren mehrfach an der immer unruhigen Slawengrenze im Osten angelegt worden; so haben wir uns neben Gunzelins Burgen auch Großjena vorzustellen. Hermanns Neubau aber war kein einfaches castellum mehr, sondern eine urbs. Diese Wehranlage der späteren Zeit bestand aus einem Vielerlei von Gebäuden, wie sie für militärische Zwecke und für die des Wohnens nötig waren, aus Mannschaftsunterkünften und Stallungen, Lagerhäusern und Scheunen, Werkstätten und Arsenalen, dem Palas als der Kommandantur und dem Wohnhaus des Burgherrn und seiner Familie, der Kemenate als dem Frauen- und Gästehaus u. a., alle sinnvoll um einen freien Platz in der Mitte angeordnet, alle ringsum an die Mauer angelehnt, fürwahr eine Stadt im Kleinen. Aber es ist nicht die Vielzahl der Gebäude, dem dieser weiträumige Burgtyp die Bezeichnung urbs verdankt, sondern die Mauer, der feste und starke Bering, der alle Baulichkeiten umläuft und umschließt, wie man es bei der großen urbs jenseits der Alpen gesehen hatte, dem mauerumgürteten Rom, so daß man von dorther die lateinische Bezeichnung übernahm. Urbs heißt deshalb damals immer nur Burg und Festung und niemals Stadt. Die Stadt, der nicht durch eine Mauer geschützte offene Wohnbezirk der Zivilbevölkerung heißt civitas, und es liegt auf der H a n d , daß eine Siedlung von cives sich ganz von selbst an eine urbs, eine Garnison S t r e l a m civitatem a militibus H e r i m a n n i custoditam e x p u g n a r e temptans et nil proficiens, Rocholenzi urbem i u x t a M i l d a m flumen positam et non bene p r o v i s a m incendio consumere precepit. Insuper quicquid incommoditatis predicto comiti . . . facere potuit, id nullatenus distulit. H e r i m a n n u s et Ekkih a r d u s confratres castellum q u o d d a m iuxta S a l a m situm, q u o d Guncelinus unice sibi dilectum muris et presidio f i r m a v i t bonisque innumerabilibus replevit, ex improviso manu v a l i d a circumdantes e x p u g n a n t et divisa omni congerie radicitus illud deieciunt ac incendio consumunt. Gunzelin, der sich auch sonst gegen das Reich und das Recht vergangen hatte, w u r d e vom K ö n i g abgesetzt und in Gefangenschaft gegeben, und H e r m a n n erhielt im H e r b s t 1009 die M a r k seines Vaters.
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R i ß von Naumburg. Das von dem Bering umzogene Gebiet westlich um I, B und den D o m ist die urbs, die von Hermann gegründete Burg oder Festung. B gibt die Stelle des alten Palas an, wo um 1900 das Oberlandesgericht erbaut worden ist. D e r Urdom, die Burgkirche, war kleiner und ohne Anbauten. Das O v a l im Osten um den M a r k t herum ist die ursprünglich offene civitas. I I und I I I sind die extra muros (außerhalb des Beringes) liegenden späteren Gründungen des Georgen- und Moritzklosters, I V und V die noch später herangewachsenen Siedlungen Amtsvorstadt und Ratsvorstadt. Noch weiter westlich die hier nidit mit eingezeichnete Saale.
Die G r ü n d u n g des N a u m b u r g e r Urdomes
270 a
R i ß von Meißen. Die Felsenhöhe der urbs ist durch die Zahlen 1 bis 12 gekennzeichnet. Der U r d o m an der Stelle von 1 stand vermutlich frei. Bei 2 w a r die Residenz des M a r k g r a f e n , heute Albrechtsburg, bei 4 der Sitz des Bischofs. 3 heißt heute noch Kornhaus. Was südlich von 4 bis 12 liegt, ist die unterhalb der H ö h e gelegene offene civitas, ihrer Lage wegen auch suburbs genannt.
Die Gründung des N a u m b u r g e r U r d o m e s
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ansetzt, da der Soldat auf die Dauer nicht ohne den Händler usw. auskommen kann 2 6 . W a r eine civitas unterhalb einer höher gelegenen urbs entstanden, hieß sie auch suburbs wie z. B. in Meißen. D a ß Meißen, in dem Hermann groß geworden war und das er als seine nun verlorene Heimat betrauerte, das Modell war, dem er die Naumburg nachbauen ließ, läßt ein Vergleich der Grundrisse der beiden Burgen unschwer erkennen. Beide sind auf einem Hochplateau angelegt, beide an dem steilen Abfall zu einem Flusse hin, dort zur Elbe, hier zur Saale, den sie so als natürlichen Schutz nutzen, beide umläuft der Bering, in beiden lehnen sich die Gebäude innerhalb der Mauer an diese, und in beiden steht in der Mitte die Kirche der Burg. Damit sind wir nunmehr bei unserem eigentlichen Thema. g) H e r m a n n
auch
der E r b a u e r
der
Burgkirche
Es war selbstverständlich, daß die urbs zu ihren vielen weltlichen Zwecken dienenden Gebäuden auch das für die geistliche Zurüstung erhielt und enthielt. Seine Stätte war im allgemeinen der freie Platz in der Mitte der gesamten Anlage; hier an der überall sichtbaren und doch geschütztesten Stelle errichtete man das Gotteshaus. So ist es auch in Naumburg geschehen, während es in Meißen mehr zum R a n d hin gestellt war, was an dem felsigen Untergrund gelegen haben mag. Das Gotteshaus in den Bering hineinzunehmen war der Baustil der Grenzlande im Osten, wo kaum ein Slawe Christ, doch seine Feindschaft groß und tödlich war. In Brandenburg z. B., das schon 928 von Heinrich I. erobert und dessen Bistum 948 von O t t o dem Großen gegründet worden war, wurde 9 8 0 Bischof Dodilo von
26
Weil mit der Zeit die civitas in die urbs hineinwachsen kann oder die urbs um sie herum, indem man auch die civitas mit einer M a u e r umschließt, v e r wischt sich allmählich der Unterschied zwischen urbs und civitas im Sprachgebrauch, so d a ß beide Ausdrücke fast wie S y n o n y m a v o r k o m m e n . Sie sind es aber nicht. Wenn eine urbs auch eine civitas genannt werden kann, so ist doch nicht jede civitas ohne weiteres auch ein urbs und nicht jede urbs auch eine c i v i t a s ; urbs ist immer Festung, w ä h r e n d aus dem W o r t civitas allein der eventuelle Festungs- oder Burgcharakter des so bezeichneten Ortes nicht erkennbar wird.
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seinen Diösezanen erdrosselt und drei Jahre später noch sein Leichnam aus der Gruft im Dom herausgerissen, beraubt, geschändet und sein Nachfolger verjagt; das war 983, als die ganze Ostgrenze, weil Otto II. ihre tapferen Hüter in Süditalien verbluten ließ, in Bewegung geriet und die Sturmflut der Aufständischen bis an die Tore von Magdeburg flutete. Dann forderten die Polenkriege Heinrichs II. und Konrads II. neue Opfer, und noch 1028 begründete die päpstliche Urkunde die Verlegung des Bistums Zeitz nach N a u m burg damit, daß man es in diesen festen Platz (in locum munitum) deshalb versetze (transmutare), weil er weit genug von der Plünderung durch den gewohnten Feind entfernt sei (ab hoste solito depredari remotum) 27 . Die Plünderung von Zeitz war also üblich, man mußte immer damit rechnen, man war daran gewöhnt. Die Verlegung machte endlich dem unerträglichen Zustand ein Ende, in Naumburg war der Bischof sicher. h) D i e B u r g k i r c h e
ist der
Urdom
Als die urbs Bischofssitz wurde, wurde die Kirche der urbs zur Kirche des Bischofs, zum Dom. So ist der Urdom die Burgkirche. Erinnern wir uns hier noch einmal der Lepsius-Hypothese, wonach eine Propsteikirche der Urdom gewesen sei: wann und wie sollte Hermann Zeit und in seiner Burg Platz gefunden haben für den Bau einer Propstei! Was er brauchte in seiner Burg, war eine Kirche für seine Mannen und kein Kloster. Und wenn wir einen Blick auf den Grundriß werfen, wo sollte sie denn in der Burg gestanden haben? D a war nur Platz für eine Burgkirche, sie ist ein organischer Bestandteil der Burg. Als später Klöster gegründet wurden, errichtete man sie, wie gleichfalls die K a r t e zeigt, extra muros, in dem freien Gelände außerhalb des Berings. Man vergleiche ferner den Grundriß der urbs Naumburg mit den Grundrissen der urbes Meißen und Bamberg. In die Burg Meißen, die 928 von Heinrich I. auf einer steilen Höhe an der Elbe begründet war, war 968 ein Bischof eingezogen und so die Burgkirche D o m geworden. 27
Naumb. Urkundenb. N r . 24.
Die Gründung des Naumburgcr Urdomes
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Bild 1
Bild 2
Riß von Bamberg Bild 1 zeigt das alte Castrum, das zur urbs erweitert wurde, in die dann, wie das in seinen Maßen gegen 1 vergrößerte Bild 2 zeigt, die Burgkirche, der spätere Dom, oberhalb der Porta minor hineingestellt wurde.
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Rudolf
Stöwesand
In der urbs Bamberg, dem ausgebauten alten Castrum auf einem steil gegen die Regnitz abfallenden Sandsteinmassiv, begann Heinrich II. unmittelbar nach seinem Regierungsantritt, wie Thietmar berichtet, also spätestens 1003 und nicht erst 1004, wie immer zu lesen, eine Kirche zu bauen, worauf zu achten H e r m a n n besonderen Anlaß hatte. D o r t baute der neu gewählte König, und er, Hermann, war der Sohn des ermordeten Kronprätendenten. Was der König an der Regnitz vermochte, vermochte Hermann als der Sohn des Mannes, der fast die Königswürde erreicht hätte, an der Saale auch. Auch die Bamberger Burgkirche wurde 1007 mit der Gründung des Bistums Dom. Nach dem Vorbild von Meißen und im Wettbewerb mit Bamberg entstand der Naumburger Dom in seiner Urgestalt seit etwa 1003/4 als Burgkirche.
3. Die Naumburger a) D i e p r i m i
Urkunde von 1249
fundatores
im
Text
Ein letzter Beweis f ü r die Richtigkeit des Vorgetragenen läßt sich dem bekannten Aufruf des Naumburger Bischofs Dietrich vom Jahre 1249 entnehmen. Hier bittet Dietrich die Gläubigen um Stiftungen zur Weiterführung des von seinem Vorgänger Engelhard begonnenen großen N e u baues, der heute noch steht. Als Vorbilder, denen im Spenden nachzueifern sei, gibt Dietrich elf erste Stifter, primi fundatores, des älteren Baues namentlich an, wobei er mit H e r m a n n und Regelindis beginnt, denen er sofort Ekkehard und U t a folgen läßt. Es w a r nun nicht so, daß diese „ersten Stifter" sich zusammengesetzt und in einer round table conference die Gründung eines Gotteshauses beschlossen hätten; sie verteilen sich vielmehr auf drei Generationen 2 8 . Das heißt, das von Bischof Dietrich gebrauchte lateinische W o r t fundatores hat die gleiche schwebende Bedeutung i8
Der Nachweis in Stöwesand, Die Wettiner und Sdiwarzburger im Gesarat der Naumburger Stifter, das Problem der Identifizierung und seine Lösung. In DER HEROLD, n. F. Bd. 6, Berlin 1966, S. 285 ff.
Die Gründung des Naumburger Urdomes
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wie das deutsche Wort Stifter: es sind damit sowohl diejenigen gemeint, die das fundamentum des Baues gelegt, als auch Spätere, die den fundus des Domes verstärkt haben. b) R e g e l i n d i s
Mitstifterin
des
Urdomes
Damit erfährt das, was sich uns im Vorangegangenen erschlossen hat, die Tatsache nämlich, daß Hermann mit der Gründung der Naumburg und ihrer Kirche auch der Gründer des Urdomes geworden ist, eine interessante Ergänzung dahin, daß ihm beim Bau der Burgkirche seine junge Frau geholfen hat. Das braucht keineswegs nur eine ideelle Hilfe durch Gebete, religiöse Übungen u. ä., das wird durchaus auch eine materielle gewesen sein. Wie bereits gesagt, verfügte Boleslaw über beträchtliche Reichtümer; er wird seine Tochter nicht ohne entsprechende Ausstattung gelassen haben, wie er sie ihr und sich und dem Schwiegersohn schuldig zu sein glaubte, den er ja für seine Politik gewinnen wollte 26 . Von Emnildis, Regelindens Mutter, berichtet Thietmar, daß sie sehr fromm gewesen sei; daß eine fromme Mutter ihre Kinder auch fromm erzogen hat, ist logisch. Es wird für die junge Frau sicherlich ein religiöses Bedürfnis gewesen sein, in der Naumburg, die, wenn auch noch im Ausbau begriffen, bereits ihr Wohnsitz geworden war, mit dem Gatten zusammen die neu zu errichtende Burgkirche zu stiften. Und als fundatrix ist sie denn auch bei ihrem Abscheiden in die Naumburger Totenliste eingetragen worden 30 . c) D i e Z e i t d e r G r ü n d u n g d e s
Urdomes
Das paßt zu den von uns erhobenen historischen Tatsachen ebenso wie zu der Formung der Statuen der beiden Urstifter im Dom. Als Hermann 1038 starb, nachdem er sein Markgrafenamt bereits 1032 niedergelegt und in die Hände seines Bruders Ekkehard gegeben hatte, war er ein müder alter Mann, der auf die sechzig ging. Dargestellt aber ist er als junger Mann, wie auch 2
» Vgl. A. 20. Stöwesand, Regelindis, eine weitere naumburger Untersuchung in Theologia Viatorum IX, Jb. d. Kirchl. Hochschule Berlin 1963, S. 191 f.
30
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Stöwesand
Regelindis jung, ja als die allerjüngste in diesem Kreise dargestellt worden ist. Das ist nicht von ungefähr, das ist natürlich absichtlich so geschehen. Das soll und k a n n nur bedeuten, d a ß der Initiator der Statuen, der historisch nicht nur interessierte, sondern auch versierte Bischof Dietrich, durch seinen Bildhauer die Tatsache festgehalten wissen wollte, d a ß die G r ü n d u n g des Urdomes von seinen Begründern im jugendlichen Alter geschehen ist. M a n k a n n es ungefähr berechnen. H e r m a n n s Mutter Swanhild, die Tochter H e r m a n n Billungs, hatte ihren ersten Gatten, den M a r k grafen Thietmar von Serimunt, 979 durch den T o d verloren. Wenn dann Swanhilds Eheschließung mit Ekkehard 980 und die Geburt des ersten Kindes Ludgard 981 erfolgt wäre, könnte H e r m a n n 982 geboren sein, so d a ß er beim Tode des Vaters in dem Schicksalsjahre 1002 ein Jüngling von zwanzig Jahren w a r , den freilich die H ä r t e des Lebens und die eigene T a t k r a f t erstaunlich rasch zum Manne reifen ließen. Regelindis w a r noch jünger. Als zweite Tochter Boleslaws aus seiner dritten Ehe wird sie 988 geboren sein; sie wäre demnach bei ihrer Eheschließung etwa 1003 erst 15 Jahre alt gewesen 31 . U n d da sie allem Anschein nach vor 1007, vielleicht schon eher ihr junges Leben geendet hat 3 2 , k o m m t f ü r die Grundlegung und den Baubeginn der Burgkirche alias des Urdomes nur die Zeit 1003/4 in Betracht.
Ergebnis
D a m i t p a ß t alles aus den drei Quellenschriften Erhobene n a h t und fugenlos aneinander. Eine Propstei in N a u m b u r g hat es zu Beginn des 11. J a h r h u n derts ebenso wenig gegeben wie eine Abtei in Großjena. Ihre E r w ä h nung findet sich in einer Erzählung, die sich selber nicht als ein historischer Bericht, sondern als eine dem on dit entstammende Anekdote gibt, in der Propstei u n d Abtei nichts als P r o d u k t e der ausschmük31 52
Stöwesand, Regelindis S. 187 f. Ebenda S. 188 ff.
Die G r ü n d u n g des Naumburger Urdomes
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kenden Phantasie des Erzählers sind, reine Verzierungen wie etwa gelbe Messingknöpfe an einer Jacke, die nur hübsch aussehen, aber nicht f ü r bare Goldmünzen gehalten sein wollen. Das ist der negative literarische Befund. D e r positive ist eindeutig klar. Noch 1002 oder 1003 begann der etwa zwanzigjährige Ekkehardiner H e r m a n n auf einem Hochplateau an der Saale südöstlich der U n s t r u t m ü n d u n g den Bau einer stattlichen urbs, schlicht nur (zur) niuwen Burg geheißen, (zur) Neuen Burg, woraus N a u m b u r g geworden ist, zum Unterschied von seiner alten Burg in Großjena sowie der Altenburg seines Oheims Gunzelin. Die Burgkirche, die organischer Bestandteil jeder urbs ist, begründete er 1003/4 gemeinschaftlich mit Regelindis, seiner mädchenjungen Frau, der frommen Tochter des reichen Boleslaw von Polen. Als etwa 1028 der Bischofssitz aus dem immer feindlichen Plünderungen ausgesetzten Zeitz in die feste N a u m b u r g verlegt wurde, w u r d e die Burgkirche Dom. D e r U r d o m bestand also schon, ehe er als bischöfliche Amtskirche beansprucht wurde, als die Burgkirche der N a u m b u r g , seine G r ü n d e r sind H e r m a n n und die Polin Regelindis. D a auch H e r m a n n s Bruder Ekkehard mit seiner Frau U t a zusammen bevorzugt in dem Aufruf von 1249 gleich hinter H e r m a n n und Regelindis primi fundatores genannt und da ihre Statuen auch im D o m bevorzugt und gleichberechtigt mit denen H e r m a n n s und der Regelindis aufgestellt worden sind, wird das zu bedeuten haben, d a ß E k k e h a r d nach H e r m a n n s A b d a n k u n g 1032 mit U t a zusammen das Bauvorhaben erweitert hat und E k k e h a r d u n d U t a auf diese Weise, nachdem die Burgkirche schon D o m war, zum zweiten dem ersten gleich berechtigten Stifterpaar des Urdomes geworden sind.
DAS ETHOS DER WISSENSCHAFT UNTER THEOLOGISCHEM ASPEKT V o n HEINRICH VOGEL
Festvorlesung vor der theologischen Fakultät der Humboldt-Universität am 28. Januar 1966 zur Erinnerung an den Tag der Wiedereröffnung der Universität im Januar 1946 unter dem Namen Humboldt-Universität Günter
Jacob
in Freundschaft zu seinem 60.
zugeeignet Geburtstag
Hochansehnliche Versammlung, meine Damen und Herren! Es war ein unbeschreibliches Trümmerfeld, innerhalb dessen sich der neue Lebenswille gerade auch in der Wiedereröffnung der Berliner Universität manifestierte. Noch ist mir unvergeßbar die Erinnerung an einen der zur Spree hinaus liegenden Räume dieses Domes (das gegenwärtige Assistentenzimmer), in dem ich damals meine in der Entstehung begriffene Christologie vortrug. Meine Studenten, die aus Hunger und Kälte kamen, hielten in dem Raum, durch dessen Fensterritzen obendrein der donnernde Lärm von Steinzertrümmerungsmaschinen drang, mit mir gemeinsam durch. Wir versuchten einfach, trotz allem „bei der Sache" zu bleiben, und die Verheißung, die über der N o t jener Anfänge leuchtete, ließ uns alle äußeren Beschwernisse als sekundär zurücktreten. Gerade die heimliche Chance, von der damals alle, die für ein neues Geschlecht zu neuen Ufern strebten, getragen wurden, war es, die uns, ebenso wie jene Arbeiter in den Trümmern, unter dem uns gewordenen Auftrag ans Werk gehen ließ. Die dankbare Erinnerung, in der wir heute auf die durch zwanzig J a h r e hindurch der theologischen Fakultät innerhalb
D a s Ethos der Wissenschaft
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der H u m b o l d t - U n i v e r s i t ä t geschenkten Möglichkeiten blikken, w i r d nur dann dem f ü r viele schon historisch gewordenen großen Impuls jener notvollen Tage gerecht werden, wenn wir einem neuen Impuls folgend, den A n f a n g , zu dem wir gerufen sind, ja nicht hinter uns, sondern vor uns sehen. Lassen Sie mich d a r u m , der Unterschiede wohl eingedenk, zu A n f a n g den großartigen Satz Wilhelm von H u m b o l d t s zitieren, den wir in jener Denkschrift „Uber die innere und äußere Organisation der wissenschaftlichen Anstalten in Berlin" lesen, in der er die Prinzipien f ü r die inmitten der damaligen staatlichen T r ü m m e r zu errichtende Universität entfaltet: Alles, sagt er, beruhe bei der inneren O r g a n i sation der höheren wissenschaftlichen Anstalten d a r a u f , „das Prinzip zu erhalten, die Wissenschaft als etwas noch nicht ganz Gefundenes und nie ganz Aufzufindendes zu betrachten und unablässig sie als solche zu suchen." Wenn sich in dem nüchternen Enthusiasmus dieses Satzes das idealistische Verständnis der Wissenschaft nicht nur bei einem H u m boldt, sondern auch einem Schleiermacher, Fichte und wie sie alle heißen, ausspricht, so haben wir, auch wenn wir die Theologie als Wissenschaft nicht unter dem Wilhelm von H u m b o l d t zutiefst treibenden faustischen Geist verstehen können, doch allen Anlaß, den Wahrheitsstachel des Prinzips zu bedenken, mit dem f ü r ihn und seine Mitstreiter eben das Ethos der Wissenschaft stand und fiel. H ö r e n wir, was nicht überhört werden darf und doch in einem zweckbestimmten, pragmatisch in Anspruch genommenen Wissenschaftsbetrieb gar zu oft vergessen w u r d e und mißachtet w i r d : „Sobald man a u f h ö r t , eigentlich Wissenschaft zu suchen, oder sich einbildet, sie braucht nicht aus der Tiefe des Geistes heraus geschaffen, sondern könne durch Sammeln extensiv aneinandergereiht werden, so ist alles unwiederbringlich u n d auf ewig verloren; verloren f ü r die Wissenschaft, die, wenn dies lange fortgesetzt wird, dergestalt entflieht, d a ß sie selbst die Sprache wie eine leere Hülse zurückläßt, und verloren f ü r den Staat. Denn nur die Wissenschaft, die aus dem Inneren stammt u n d ins Innere gepflanzt werden kann, bildet auch den C h a r a k t e r um, und dem Staat ist es ebenso wenig als der Menschheit u m Wissen und Reden, sondern um C h a r a k t e r und H a n d e l n zu t u n . "
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Was uns dem Inzitament dieser programmatischen Deklaration standhalten läßt, ist nicht so sehr das von den Denkern und Dichtern jener großen Epoche geprägte Menschenbild, das einem Wilhelm von H u m b o l d t in der Gestalt Goethes vor Augen stand, jenes Zeitbild der sich universal öffnenden, sich total durchdringen lassenden und gerade so im Zentrum ihres wahren Selbst sich bildenden und gebildeten Persönlichkeit. Wir wissen uns vielmehr gerufen, uns selbst der Frage nach dem Ethos der Wissenschaft zu stellen, so aber, daß wir in dieser Stunde als Glieder der Universität nicht zuerst nach der Theologie als Wissenschaft fragen, sondern nach dem Ethos der Wissenschaft unter dem Aspekt der Wahrheit, nach der wir in der Theologie fragen dürfen und sollen. Die Krisis, in die gerade die Theologie als Wissenschaft dabei zuerst und zutiefst gerät, möge uns davor bewahren, den theologischen „Aspekt" mit einem pharisäischen Standpunkt theologischer Besserwisserei auch nur einen Augenblick zu verwechseln. Nein, in jener Kommunikation, die durch die Solidarität aller nach Wahrheit fragenden, um die Erkenntnis der Wahrheit ringenden Menschen bestimmt ist, fragen wir mit ihnen nach dem Ethos der Wissenschaft. W o aber sollen wir einsetzen, ohne uns dem Vorwurf eigenwählerischer Willkür und ihrer petitio principii auszusetzen?! Möge es nicht als historische Umgehung der sich hier sofort meldenden tiefen Aporie unseres Geistes verstanden werden, wenn ich mit einem Wort des, nun freilich gerade auch f ü r einen Wilhelm von H u m b o l d t wie f ü r die gesamte abendländische Geistesgeschichte so geschichtsmächtigen Piaton beginne. D a sagt Sokrates zu seinem Gesprächspartner: „|xdXa yäg tpdooöcpou toüto tö jtctftog, tö •dau|xct^eiv. oii ya.Q lih).r\ cxo/j) cpiloao^ta; ainr\. Hören wir das zunächst in der Übersetzung Schleiermachers: . . . „Dies ist der Zustand eines gar sehr die Weisheit liebenden Mannes, das Erstaunen; ja, es gibt keinen anderen A n f a n g der Philosophie als diesen." . . . Die Aussage, d a ß das taumazein, das Pathos des Philosophierenden und damit in eins die Arche der Philosophie sei, steht in einem bemerkenswerten Zusammenhang. Sokrates sieht sich nämlich mit Theaitetos vor den Widerstreit der Aussagen über das Sein und über das Werden gestellt, wie sie dann im Blick auf Permenides und H e r a k l i t bedacht werden. In der tie-
D a s E t h o s d e r Wissenschaft
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fen Aporie des Denkens, das an diesem Widerspruch scheitert, wird Theaitet von dem Erstaunen erschüttert, das ihn geradezu wie an einem Abgrund schwindlig werden läßt. Das Pathos bezeichnet dann nicht eigentlich den „Zustand" (wie Schleiermacher übersetzt), eher schon die Zuständlichkeit des von diesem Widerspruch getroffenen und betroffenen Denkens. Wenn wir im Abhorchen des etymologischen Wortsinnes in der Leidenschaft das Erlittene, das Widerfahrende bedenken, so sei „Pathos" hier mit „Betroffensein" wiedergegeben. Also: „so recht eigentlich (mala gär) das Erstaunen ist das Betroffensein dessen, der die Philosophie liebt, und dieses Erstaunen ist einzig und allein der Ursprung der Philosophie." Ohne dem platonischen Sinngehalt des Satzes, insbesondere auch jenem Fortgang des die Aporie und das Fragen offen haltenden Dialoges nachgehen zu können, fragen wir — soll ich sagen, noch mit — oder muß ich sagen, : ohne Piaton? — : ist der Ursprung des menschlichen Fragens nach Wahrheit an der Stelle zu suchen, wo der Mensch, befremdlich und erschreckend genug, auf den Widerspruch in der Wirklichkeit außer ihm und gar in ihm selber stößt? Wartet hinter diesem Erstaunen etwa schon der Zweifel, mit dem der abendländische Geist dann die Philosophie, besser gesagt, das Philosophieren so recht eigentlich beginnen ließ! Die wahrhaft abgründige Frage geht in eins mit der Frage nach dem Ursprung des Fragens überhaupt, ob er nämlich im Zweifel oder im Staunen, versteht sich: in einem noch nicht vom Zweifel gestochenen Staunen zu suchen wäre. Noch aber müssen wir dem gar zu schnell zu unabsehbaren Horizonten vorwärts drängenden Gedanken Einhalt gebieten, um uns, ehe wir in unserm Fragen fortfahren, noch über die in Gebrauch genommenen Begriffe nähere Rechenschaft zu geben. Durch den großen Piaton ließen wir uns, die wir nach dem Ethos der Wissenschaft fragen wollen, das griechische Wort „Philosophia" gegeben sein, in dem sich gerade das platonische Verständnis der Wissenschaft, und zwar im Zeichen des gnostischen Eros meldet. Nun, wir haben die griechischen Bezeichnungen der „Episteme", der „Techne" und doch auch der „Historia" mit im Gehör. Wir werden nicht ignorieren dürfen, daß „Wissenschaft" — sofern der moderne Begriff hier überhaupt schon statthaft ist — doch auch vordergrün-
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dig dem Bereich von Verständnis und Wissen, Kenntnissen und Erkenntnissen sowie der von der Vernunft gehandhabten Methode und „Technik" zugehörig erscheint, ohne gleich den Charakter von „Grund-Forschung" anzunehmen. J a , wir werden uns eben hierdurch zu einem neuen Vorstoß in unserm Fragen getrieben sein lassen, so freilich, daß es in seine ursprüngliche Radikalität unausweichlich zurückgenommen werden wird. Wenn wir nämlich gleichsam versuchsweise bei dem Satz vom Erstaunen als der Betroffenheit des nach der Wahrheit fragenden Geistes einsetzten und hier die Wurzel der Wissenschaft zu erspüren suchten, so lassen Sie uns zunächst in der Gegenbewegung der Frage standhalten, ob nicht eine gewisse Bedürftigkeit dem Menschen, der sich in einer ihm übermächtigen Wirklichkeit vorfindet, den Versuch, was sage ich, tausend Versuche abnötigte, der Bedrohung standzuhalten, der Wirklichkeit Herr zu werden. Es geht uns dabei nicht so sehr um die Frage der primitivsten oder fortgeschrittenen Methoden der handwerksmäßigen (technischen) Bewältigung der Wirklichkeit, sondern um das Prinzip, in dem wir den Ursprung wissenschaftlichen Fragens und Denkens und im Zusammenhang damit denn Pathos und Ethos der Wissenschaft zu suchen hätten. Auch hier handelt es sich um eine Befragung der Wirklichkeit, aber nicht so sehr in der Frage nach dem Grund von allem Seienden, sondern in der Erwartung ihrer Brauchbarkeit für den, der sie als Mittel in seinen Dienst nehmen möchte. Wenn sich in jener ersten Fragestellung das Pathos auf das Betroffensein-von konzentrierte, so jetzt auf ein Angewiesensein-auf, nämlich des Wirkenwollenden auf die wirkende Wirklichkeit, durch die er doch zum Wirken zu kommen sucht. Wir werden den Gegensatz der beiden Fragestellungen, der uns unvermeidlich von der Geschichte idealistischen und materialistischen Denkens bis in unsere Gegenwart hinein überschattet ist, ja nicht vorschnell an eine so oder so gefällte dogmatische Vorentscheidung ausliefern dürfen. Sie könnten ja beide wenigstens wider einander ihr relatives Recht geltend machen, jener, der es mit dem Ergründen-wollen, und dieser, der es mit dem Benutzen-wollen der Wirklichkeit hält. Nicht nur der Erstere, sondern auch der andere könnte sich ja an eine sich dem Geist immer neu stellende, immer wieder im Zeichen eines „Voraus" Zukunft erschließende Aufgabe
Das Ethos der Wissenschaft
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gerufen wissen. Entscheidend d ü r f t e freilich sein, d a ß das Fragen, in dem das wissenschaftliche Denken sein Lebenselement hat, sich durch nichts und niemand zu einem Stillstand nötigen läßt, der seine Abtötung bedeuten müßte. Noch aber gilt es, ehe wir im engsten Zusammenhang mit der Frage nach dem Pathos uns die nach dem Ethos der Wissenschaft gestellt sein lassen, noch einmal auf den G r u n d in jener Radikalität zurückzufragen, die uns denn bereits zu der Frage nach dem Ethos durchstoßen lassen wird. Ein die ganze Fragestellung in beiderlei Gestalt gleichsam unterwanderndes Geheimnis meldet sich nämlich in dem Augenblick, wo wir nach der Möglichkeit des Fragenkönnens überhaupt fragen. Ist nicht der Mensch in der T a t das einzige Wesen, das fragen kann, wenn es denn im Fragen nicht nur um eine sinnlich bestimmte Attitüde im Verhältnis zur Wirklichkeit geht, sondern um den Versuch der Ratio, eine der Wirklichkeit inhaerente und sie durchwaltende Rationalität zu erkennen? H a t nicht eben darum Augustin recht, wenn er, der H i m m e l und Erde und das eigene Selbst Befragende, von den Tieren sagt: „sed interrogare nequeunt", aber zu fragen vermögen sie nicht (Confessiones X ) ! Worin liegt die Ermöglichung des Fragens nun aber? Das lediglich auf die Erkenntnis rationaler, gesetzmäßiger Wirklichkeitsstrukturen gerichtete Forschen möchte sich vielleicht mit dem Postulat einer vorgegebenen ontischen K o n g r u e n z zwischen dem fragenden Subjekt und der befragten Wirklichkeit begnügen, zumal in der Tat, ohne die A n n a h m e eines solchen ontischen Einverständnisses weder die Erkenntnis noch ihre A n w e n d u n g denkbar zu sein scheint. Die Abgründigkeit der Frage nach dem Fragenkönnen bricht aber doch erst da in ihrer Tiefendimension auf, wo der Mensch sich nicht nur als das Wesen verstehen darf, das fragen kann, sondern das fragen muß! Jawohl, der Mensch k a n n nicht nur fragen, sondern er muß in dem Sinne fragen, d a ß er nicht aufhören kann zu fragen. Er kann, selbst wenn er zu solch einem geistigen Selbstmord willig wäre, das Fragen weder niederschlagen noch seine unstillbare Glut löschen. Nicht nur in den Rätseln der N a t u r und auch nicht erst in den ihm unerträglichen Widersprüchen der Geschichte, sondern in seinem widersprüchlichen Selbst erwächst ihm die Nötigung, durch alle Aspekte hindurch zu fragen, u n d sich durch keine sein Fragen
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beendende Antwort beruhigen zu lassen. Sein Fragen durchbrennt alle Böden des Wißbaren, wie es über alle Stufen des Erreichbaren hinausgeht. Nach dem Grund alles dessen, was ist, fragend, ja, nach dem Grund seiner selbst, will es lieber zu Grunde gehen als etwa davon ablassen, allem auf den Grund gehen zu wollen. Es wird schier irre an sich selber, wenn in der Frage „warum ist, was ist", sich unentrinnbar die Frage meldet „warum nicht nichts ist". Bei dem Versuch, auch nur auf den Grund der Möglichkeit zu dem „Ich bin" durchzudringen, wird es schwindlig in der schon mitgestellten Frage: warum ich nicht nicht bin, — wenn anders es doch eine Zeit gab, in der ich, der so Fragende, noch nicht im Dasein war, und eine Zeit kommen wird, in der ich nicht mehr im Dasein, nicht mehr hiesig sein werde. Aber wie nun?! Hat der letzte Vorstoß unsres Fragens sich doch unmerklich der negativen, der durch den Widerspruch bestimmten Interpretation des Staunens überantwortet? Sollte dem gegenüber vielleicht die künstlerische Antwort, die der erstaunende Mensch gestaltend auf das Gestaltgeheimnis der Wirklichkeit zu geben versucht, sich in einem tieferen Recht darstellen als der gigantische Kampf der Ratio mit der zutiefst widerstehenden Rationalität der Wirklichkeit? Oder ist doch über dem Erkenntnisringen des Geistes mit der erkennbaren und auf ihre Erkenntnis gleichsam wartenden Wirklichkeit eine Verheißung, die es uns verbietet, das letzte Wort etwa den nihilistischen Aspekt unendlich periodischer Brüche und Widersprüche behalten zu lassen? Hier mag denn für unseren Versuch die Stelle erreicht sein, wo wir uns der Frage nach dem Ethos der Wissenschaft zu stellen haben. Die schon längst wartende Frage nach dem „theologischen Aspekt" muß dabei immer noch zurückgestellt werden, schon damit wir nicht dem selbstgefälligen Wahn verfallen, als ob erst unter „theologischem Aspekt", versteht sich: in unserm theologischen Verständnis, vom Ethos der Wissenschaft zu reden wäre. Es könnte ja sein, daß gerade unter der Wahrheit, um die es in der Theologie geht, die Wissenschaft in ihrem Pathos und Ethos eine Freiheit haben darf, die eben nicht von Gnaden unseres theologischen Verständnisses ist. Wir werden demgemäß zunächst fortzufahren haben in
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unserem, freilich in jeder Hinsicht torsohaften Versuch, den in der Wissenschaft wirkenden Erkenntnistrieb verstehen zu wollen. In der Frage nach dem Pathos w a r die nach dem Ethos schon zur Stelle, insofern gerade jenes Betroffensein-von dem Geheimnis der das Erstaunen wirkenden Wirklichkeit ein Verhaftet-sein-an so etwas wie den Anspruch dieser Wirklichkeit in sich beschließt. Wenn das Pathos eine aus dem ständig neuen Getroffensein gewirkte Zuständlichkeit bezeichnet, so das Ethos eine damit in eins gehende H a l t u n g , die in ihrem Verhaftetsein an den Wahrheitsanspruch unter dem Vorzeichen der Verantwortung steht. W e n n wir Ethos, notbehelfsweise, im ontologischen Sinne mit dem „ V e r h a f t e t sein-an" wiederzugeben suchen, so ist d a m i t eben das Verantwortlich-sein des die Wirklichkeit nach ihrer Wahrheit befragenden Menschen vor dem Wahrheitsanspruch gemeint. Wie weit die W a h r heit sich dem die Wirklichkeit befragenden, untersuchenden, bei ihr anfragenden und anklopfenden Geist zu erkennen gibt, ist hier nicht die erste und entscheidende Frage. Entscheidend ist aber, d a ß die nach einer begründeten Erkenntnis und in diesem Sinne nach „Wissen" fragende Vernunft bereit ist, zu vernehmen und sich der vernehmbar werdenden W a h r h e i t zu stellen. Die Würde des Fragendürfens und die Not des Fragen-müssens, — sind sie nicht beide zutiefst und zuletzt mit der Verhaftung an den Wahrheitsanspruch gegeben, der sich mit einer unabweisbaren Eindringlichkeit, ja, einer gebietenden Macht meldet. Fragen u n d „im-Fragen-bleiben", das bezeichnet eben nicht nur eine seltsame Attitüde des Geistes oder gar eine eigensinnig sich durchhaltende Leidenschaft, sondern ein Verhafte tsein an das, was dazu nötigt, alles, was ist, auch die Wirklichkeit des Fragenden selbst im begründeten Gesamtzusammenhang auf den alles begründenden G r u n d hin zu befragen. M a n mag sich nicht genug darüber verwundern, d a ß es mit dem Wesen, das sich selbst als Mensch zu verstehen sucht, so bestellt ist. Wenn wir es aber nicht lassen können, uns der Frage nach dem begründeten Zusammenhang, dem wir selbst angehören, zu stellen, so ist eben mit diesem Gestelltwerden u n d Sich-stellen-lassen das Ethos unseres Verhaftetseins an den Wahrheitsanspruch zur Stelle. So verstanden bezeichnet das Ethos den Mut des Fragens u n d seine Demut in einem, das, was Heidegger vom Fragen als von der „Frömmigkeit
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des Denkens" reden ließ. In diesem Mut, der nicht zum vornherein als U b e r m u t diskreditiert werden darf, läßt sich das Fragen zu immer neuen U f e r n rufen und ist nicht bereit, irgendwelche sich ihm anbietende oder ihm angebotene Gestade als den festen Boden seiner Beruhigung zu akzeptieren. Das Ethos dieses Fragens ist aber bestimmt durch die bedingungslose Bereitschafl, Wahrheit, sofern anzuu n d soweit sie sich uns zu erkennen gibt, in ihrem Wahrsein erkennen. Das Ethos der Wissenschaft steht und fällt damit, das Herrenrecht der Wahrheit unter allen Umständen zu respektieren. Dieses Ethos leidet nicht die Indienstnahme f ü r wahrheitsfremde Zwecke. D a m i t ist gemeint, f ü r irgendeinen Zweck, der nicht in und mit der W a h r h e i t selber gesetzt wäre. Gewiß darf der die Wirklichkeit Befragende auch damit rechnen, daß sich ihm ebenso sinnvolle wie zweckvolle Wahrheitszusammenhänge erschließen. In dem Augenblick aber, w o ein von der Ratio postulierter, dem Fragen nach der Wahrheit vorgeschriebener Zweck die Oberherrschaft oder gar die Alleinherrschaft übernehmen soll, ist jenes Herrenrecht der gesuchten Wahrheit verleugnet und die Wissenschaft in G r u n d und Boden verdorben. Wir müssen das noch schärfer konturieren: es soll nicht geleugnet werden, daß der die immanente Wirklichkeit befragenden Ratio sich Wahrheiten erschließen, die eine jede in ihrer Wahrheitsaussage ihr relatives Recht und eigentümliches Gewicht haben! Ist es aber nicht f ü r das Ethos des wissenschaftlichen Denkens unerträglich, d a ß eine Wahrheit, welche es auch sei, jenes „Herrenrecht" beanspruchte, dem alle Wahrheiten bzw. Wahrheitserkenntnisse unterzuordnen wären?! In jenem berühmten Gleichnis des K o n f u t s e weisen die Speichen des Rades auf die frei bleibende Achsenmitte, ohne deren H o h l r a u m das R a d nicht mehr funktionieren, ja so recht eigentlich kein R a d mehr sein kann. D a m i t wäre noch nicht gesagt, d a ß die W a h r h e i t selbst das Vakuum wäre. Wir werden uns in aller gebotenen Radikalität des Fragens, auf das die Bereitschaft zur Ehrfurcht vor der Wahrheit je von neuem zurückgeworfen wird, doch nicht einfach zu der scheinbar unvermeidlichen Konsequenz drängen lassen, die das N i h i l als die Relationsmitte des Fragens statuierte, u n d die denn bestenfalls den „gnostischen Eros" unter einem radikalen, alles in der Schwebe haltenden „Als-ob" verstünde. Die Sicht
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des Abgründigen und seine Dogmatisierung — das ist doch Zweierlei! Ja, selbst das Fallen in den Abgrund brauchte noch nicht eo ipso das Verfallensein an den Abgrund zu besagen! Dabei werden wir nicht etwa nur an den leidenschaftlichen, vieltausendfältigen Protest zu denken haben, der sich im Namen angewandter, zum Wohl des Menschen und der menschlichen Gemeinschaft anwendbarer Wissenschaft gegen eine solche alles in den Grund bohrende Fragestellung erhebt; sondern eben das Ethos der Wissenschaft, nach dem wir fragen, wird uns warnen, selbst wenn wir in unserem Selbst-, Welt- und Wahrheits-Verständnis den letzten Grundfür diese Warnung nicht zur rationalen Evidenz zu bringen vermöchten. Fast könnte ich versucht sein, an dieser Stelle aufzuhören, um die Frage nach dem theologischen Aspekt gänzlich dem mitdenkenden Hörer des Gedankengangs zu überlassen. Vielleicht wird er ohnedies bei sich selbst die Diagnose auf ein krypto-theologisches Vorzeichen des Ganzen gestellt haben. Das wäre aber noch nicht einmal so beunruhigend wie die Gefahr, in der Zuwendung zu der Frage nach dem theologischen Aspekt einem alles verfälschenden, nur allzu naheliegenden Schema zu verfallen, so nämlich, als ob wir in dem Bisherigen recht und schlecht redlich gefragt hätten, nunmehr aber die theologischen Antworten auf alle Fragen zu erwarten hätten. Wenn denn das Fragen insgeheim schon auf diese Antworten abgestellt und abgezielt worden wäre, so möchte sich schließlich ja alles in dem beruhigenden Zirkel eines Systems schließen. Die geheime Sympathie würde dabei freilich dem Fragenden gelten, für dessen radikales Fragen eben eine solche Versöhnung im System unglaubwürdig ist und bleibt. Nun denn, in dem Bewußtsein, daß es schwerlich eine Möglichkeit geben wird, den theologischen Aspekt der Möglichkeit eines solchen katastrophalen Mißverständnisses zu entrücken, werden wir die Fragestellung doch nicht unterlassen dürfen, wenn anders es in ihr zuletzt nicht um unseren theologischen Aspekt geht, sondern um den „Aspekt", dessen subjectum adspiciens der logos theou selber ist. Nach dem von daher auf uns fallenden Licht haben wir zu fragen, und zwar nicht zuerst auf uns als Theologen oder die Theologie als Wissenschaft, sondern, wie das Thema es forderte, auf das
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Ethos der Wissenschaft. Die Probe aufs Exempel m ü ß t e d a n n die sein, d a ß die Krisis, in der die N o t unseres Forschens u n d Fragens unter der Verheißung aufbricht, zu allererst die Theologie selbst trifft, und z w a r gerade in ihrem Verhältnis zur Wahrheit. Setzen wir denn hier bei der Wahrheitsfrage selber ein. Es will nicht nur als ein Grundaxiom, sondern als die vom Menschen selbst nicht gesetzte und setzbare Voraussetzung verstanden werden, wenn die W a h r h e i t des logos theou nicht als eine Aussage über G o t t u n d seine W a h r h e i t verstanden werden will und d a r f . Gerade das menschgewordene W o r t Gottes in seiner Selbstauslieferung an den Fluch des WahrheitsWiderspruchs, gerade die in der Auferstehung des Gekreuzigten aufleuchtende Versöhnung und U b e r w i n d u n g dieses Widerspruchs wird in demselben Augenblick in ihrer sich selbst begründenden und manifestierenden Wahrheit v e r k a n n t und verleugnet, w o wir diese Wahrheit den Wahrheitsaspekten unserer Interpretationen ausgeliefert sein lassen. Nicht eine alle Objektivierungen der Wahrheit verbietende Erkenntnistheorie ist es, die uns die Wahrheit in ihrer ontischen Priorität respektieren läßt, sondern das Herrengeheimnis der Wahrheit selbst. In personaler Begegnung, im Zeichen des ego eimi! — manifestiert sie sich und erweist sie in der Selbsthingabe ihre Übermacht. So w a h r sie in der Selbstauslieferung an die Niederlage ihren Sieg gewinnt, so w a h r sie einen zum Tode Verurteilten freispricht, einen Gottlosen rechtfertigt, kann keine Rede davon sein, d a ß sie sich von unserm Objektivismus oder auch Subjektivismus in H a f t nehmen ließe. So w a h r sie uns in dem ihr wesenseigenen Namen — dem von keinem Denken und keiner Sehnsucht ableitbaren oder beweisbaren des Christus Jesus begegnet, so w a h r will sie ihr Geheimnis w a h ren, in ihrer Majestät respektiert sein, das alles theologische Fragen und Denken, die gesamte Theologie als Wissenschaft in die Krisis gibt, in den Schmelzofen, dem gerade auch das Selbstverständnis der Theologie als Wissenschaft nicht entnommen ist. Aber nicht d a r u m soll es jetzt gehen, d a ß gerade alle unsere theologischen Aussagen als wissenschaftliche Aussagen in jenem Schmelzofen vergehen, sondern um das Licht, das auf jene anderen, was sage ich, auf den nach Erkenntnis der W a h r h e i t tausendfältig fragenden Menschen u n d denn sogar auch auf uns als wissenschaftlich Fra-
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gende von dem Licht der Epiphanie des logos theou her fällt. Es wird nicht das Licht einer Sanktionierung des Vorfindlichen, nicht das der Bestätigung und Rechtfertigung irgend eines Selbstverständnisses sein. Die eminent kritische K r a f t dieses Lichtes wird die Chance gerade da aufleuchten lassen, w o die D ä m o n i e und Versuchung aufgedeckt wird, so aber doch, d a ß wir nicht von der Dämonie, sondern von der Chance, nicht von der Sünde, sondern von der G n a d e her, nicht von der Finsternis, sondern vom Licht her zu denken uns gerufen wissen. Im Zentrum unseres Fragens nach dem Ethos der Wissenschaft stand die Forderung, das Herrenrecht der Wahrheit, nach der wir fragen, unbedingt zu respektieren. Dabei ging es um Wahrheiten, sofern sie sich uns zu erkennen geben, letztlich aber um die W a h r heit, die an den H o r i z o n t des radikalen Fragens als ein letztes Postulat und zu gleicher Zeit alles bestimmendes Axiom gerückt wird. Gerade wenn wir uns hüten werden, die W a h r h e i t des logos theou mit einer der Wahrheiten als O b j e k t e unserer Erkenntnis gleichzusetzen oder sie mit jenem Postulat u n d Axiom zu verwechseln, fällt von der Epiphanie der W a h r h e i t Gottes das Licht einer fremden und hohen Verheißung auf den nach Wahrheit, wo nur immer und wie nur immer fragenden Geist. Nicht etwa einfach in der Bestätigung unseres Selbstverständnisses in Bezug auf das Verhältnis, das wir zu den Wahrheiten oder denn zu der W a h r h e i t haben! Gerade im Licht jenes in der personalen Begegnung uns unverfügbar bleibenden Geheimnisses der W a h r h e i t wird es uns ja nicht nur unmöglich gemacht, eine der Wahrheiten zu verabsolutieren und zu vergötzen, sondern wird jede Selbstherrlichkeit im Verhältnis zur W a h r h e i t in die Krisis gegeben. H a n d e l t e es sich nur um das Verhältnis zu dieser oder jener, etwa zu einer mathematischen oder physikalischen Wahrheit, so möchte das nicht nur als Radikalisierung, sondern als eine tiefe V e r w i r r u n g zwischen der Beziehung zu einer der vielen Wahrheiten u n d zu der einen, uns in unserer ganzen Existenz begründenden und total bestimmenden W a h r h e i t zurückgewiesen werden. Wenn aber eben der existierende Mensch in der Frage nach den Wahrheiten zuletzt doch u n e n t r i n n b a r der Frage nach der W a h r h e i t verfällt, so ist es sein Wahrheitsverhältnis selbst, das in Frage steht. Die letzte Entscheidung f ä l l t da, w o er als ein
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Gefragter, von der Wahrheit selbst in Frage gestellter in ein Fragen gebracht wird, dessen Vorzeichen nicht seine Autonomie sein wird. Auch seine Wahrhaftigkeit, so wahr er sie im Verhältnis zu jeglicher Wahrheit nicht ungestraft wird beugen und verleugnen dürfen, wird doch nicht das erste und letzte Wort sein, das vielmehr allein bei der Wahrheit selbst ist und bleibt. Wenn das in bezug auf das Verhältnis des nach der Wahrheit fragenden Menschen zu der alles begründenden und ermöglichenden, in Gericht und Gnade absoluten Wahrheit gilt, so fällt doch eben von ihrer Gnade her das Licht auf jede Respektierung von Wahrheit, auch von relativer Wahrheit, wie sie sich in der Befragung der immanenten Wirklichkeit dem forschenden und untersuchenden Geist erschließt. Im Lichte jenes qualitativ einzigartigen Herrengeheimnisses der Wahrheit, der die schöpferische Majestät des Pantokrator wesenseigen ist, leuchtet das Ethos des wissenschaftlichen Fragens auf, wo nur immer das Herrenrecht einer, sei es denn relativen Wahrheit, respektiert wird. Kein Verstehender wird das dahin mißdeuten können, als ob es sich um die Theologisierung bzw. Verchristlichung von Wahrheitserkenntnissen handelte, wie sie in der Befragung immanenter Wirklichkeit erreichbar wurden oder noch werden. Wir reden wahrlich nicht von einer christlichen Atomphysik oder Medizin! Im Gegenteil werden wir das Ethos der Wissenschaft unter theologischem Aspekt im Zeichen einer Befreiung zu jener echten Weltlichkeit sichten, die mit der Erkenntnis der Kreatürlichkeit der Welt und des erkennenden Geistes gegeben ist. Wenn anders der logos theou, dessen Wahrheitsgeheimnis wir im christologischen Zentrum angingen, der Schöpfer und Erhalter aller Dinge ist, wenn anders die Schöpfung alles dessen, was ist, durch das Schöpferwort eo ipso die allein aus der freien Güte des Schöpfers zu verstehende Schöpfung aus nichts ist, dann wird im Hörer dieses Wortes die gesamte Wirklichkeit, gerade auch die seiner selbst, entmythologisiert, entdämonisiert, entgöttert. So gerade wird die kreatürliche Vernunft befreit zur forschenden Befragung aller kreatürlichen Wirklichkeit. Aber indem sie eine Entdeckungsreise von unabsehbarer Reichweite antreten und so recht eigentlich eine Herrschaft von Gottes Gnaden in der Dienstbarmachung kreatürlicher Wirklichkeit zu ungeahnten Ufern vorantreiben darf, bleibt der Mensch doch selbst Kreatur.
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Im Lichte jener alles begründenden, erfüllenden und regierenden Wahrheit kann der so privilegierte und so erhöhte Mensch doch nicht das Mysterium creatoris an sich reißen. Er wird auf der ganzen Linie seiner Entdeckungen und Eroberungen von der dämonischen Einflüsterung des eritis sicut deus begleitet sein. Das Ethos der Wissenschaft in ihrer Erkenntnisleidenschaft wird immer von jener Selbstvergötzung bedroht sein, die den Glauben an die Wissenschaft an die Stelle des Glaubens an Gott in seiner allein schöpferischen, richtenden und rettenden Wahrheit rückt. In dem allen haben wir aber gerade unter theologischem Aspekt nicht von dieser Versuchung, nicht von dieser dämonischen Pervertierung, nicht von der Sünde her, sondern vielmehr von der Verheißung und der durch sie dem kreatürlichen Wahrheitsstreben eröffneten Chance her zu denken. So ist denn, recht verstanden, das Ethos der Wissenschaft in seiner Würde, so recht als einer Würde von Gottes Gnaden zu respektieren. Noch aber gilt es, bei aller Beschränkung auf einen torsohaften Versuch, eine letzte Beleuchtung der Frage nach dem Ethos der Wissenschaft, nämlich unter dem, was man ihren e s c h a t o l o g i s c h e n Aspekt nennen könnte. In dem eschatologischen Aspekt, dessen zukünftiges Geheimnis im Einklang mit dem Ursprung aller Dinge das letzte Wort haben wird, meldet sich jetzt schon die Frage nach der Grenze. Lassen Sie mich das, worum es hier in einer alles, was Mensch heißt, besonders bedrängenden Aktualität geht, in der Erinnerung an ein Gespräch anzeigen, und zwar mit einem Avantgardisten der Forschung im technischen Zeitalter der Welt, wie es Robert Oppenheimer ja wohl sein dürfte. Es war in den Tagen der Weltkirchenkonferenz von Evanston, als mein Freund Stratenwerth, damals Vizepräsident des kirchlichen Außenamts der evangelischen Kirche Deutschlands, und ich uns an den zu jener Zeit noch verfemten und geächteten Atomphysiker mit der Bitte um ein Gespräch wandten. Im ersten Teil ging es um die Frage der atomaren Bedrohung der Menschheit, in deren Erkenntnis wir uns einig waren, sodann aber um die von uns für das Gespräch schon schriftlich angemeldete Frage: gibt es ethische Grenzen der Forschung? Wohlverstanden: es ging nicht um die Frage der faktischen Grenzen, mit denen, wo nur immer sie liegen, das menschliche Forschen zu
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rechnen hat, sondern um die Frage nach einem ethischen Veto, das uns da H a l t gebietet, wo die ontische Grenze noch nicht erreicht zu sein scheint. Oppenheimer fragte uns gleich zu Beginn dieses Gesprächsgangs: „Meinen Sie Grenzen der Erkenntnis, der Methode oder der Anwendung?" Er fügte hinzu, eine der reinen Erkenntnis gesetzte ethische Grenze vermöchte er nicht zu erkennen. Als ich ihn freilich fragte, ob nicht durch die Majestät des verborgenen Gottes auch der reinen Erkenntnis eine ethische Grenze gesetzt würde, stimmte er sofort und ohne eine weitere Erörterung dieses Geheimnisses zu. Einig waren wir uns dann gerade in der für die wissenschaftliche Befragung der Wirklichkeit so entscheidenden Bejahung einer ethischen Grenze in der Methodik des Forschens, um von der in der Anwendung zu respektierenden ethischen Grenze gar nicht erst reden zu müssen. Dabei bleibt mir in der Erinnerung an jenes Gespräch unvergeßlich, wie Oppenheimer die Gefährdung der Menschheit nicht nur im Blick auf ihren möglichen Untergang durch die Massenvernichtungsmittel sichtetete, sondern gerade, was die Menschlichkeit des Menschen betrifft, im Blick auf moderne Psychologie und ihre Möglichkeiten. — J a , das ist die Frage! Ist dem forschenden Geiste, dem eine Tendenz des Vorstoßens in das Unbegrenzte inne zu wohnen scheint, gerade durch das Ethos der Wissenschaft eine Grenze gesetzt, deren Überschreitung ebenso schuldhaft wie zerstörerisch sein würde?! Dabei handelt es sich nicht etwa um die mit den Weltraumausflügen gewagten Uberschreitungen der durch unseren irdischen Lebensraum bestimmten Existenzgrenze, sondern vielmehr um jene Manipulierungen des Menschen, die ihn in seiner leiblich-seelischen Konstitution zu verändern, umzugestalten oder gar umzuschaffen versuchen. Die Frage nach dem homunculus technicus, in der sich Neugier und Grauen, Aberglauben und Zynismus ein gespenstisches Stelldichein geben, mag uns hier lediglich als Schlaglicht in der konkreten Konturierung unserer Frage nach der Grenze dienen. Denn auch wer aus letzten Gründen an die Möglichkeit jenes Homunculus des 20. oder 21. Jahrhunderts nicht glaubt, wird sich doch der Erkenntnis nicht entziehen können, daß der Wissenschaft, und zwar nicht nur in der Atomphysik, sondern etwa in der Biochemie heute schon Dinge möglich sind, deren Realisierung unverantwortbar wäre.
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Im Lichte der Wahrheit, die Mensch wurde, u n d eben damit dem Menschen Z u k u n f t eröffnete, werden wir ja nach der Wahrheit nicht fragen und mit ihr nicht umgehen können in einer letzten Abstraktion vom Menschen. Gerade in der Ehrfurcht vor dem Mysterium creatoris werden wir das Mysterium creaturae zu respektieren haben. Leidet das Ethos der Wissenschaft, das wir im Blick auf ihren Ursprung und ihre Bestimmung zu bejahen haben, die A u f o p f e r u n g des Menschen und gar der Menschheit auf dem A l t a r einer sich selbst verabsolutierenden Wahrheitsforschung in der Realisierung der sich ihr erschließenden Möglichkeiten? Wären solche O p f e r nicht w a h r h a f t Götzenopfer, und w ü r d e nicht eine solche Verleugnung und Mißachtung ihres Ethos die Wissenschaft in einen Moloch verwandeln, der seine eigenen Kinder frißt?! Die Menschheit wird entweder lernen, auf die Realisierung gewisser sich ihr wissenschaftlich erschließender Möglichkeiten zu verzichten, oder sie wird untergehen. Gerade in der Verleugnung der durch das Ethos der Wissenschaft gesetzten Grenze w ü r d e sie sich denn selbst der unabsehbaren Möglichkeiten menschlicher Lebensförderung berauben, nach denen ihre N o t schreit. Gerade im Blick auf die Chance, die sich in der Bejahung des Ethos der Wissenschaft eröffnet, wird die mit diesem Ethos gesetzte Grenze zu respektieren sein. Wir sprachen von dem „eschatologischen" Aspekt und bedachten ihn zunächst in der Frage nach jener Grenze, zu deren Respektierung wir gerade um einer z u k ü n f t i g e n Chance willen heute schon gerufen sind: Dabei mag der Blick sich zunächst auf das richten, was wir innerhalb der Zeit, dieser unserer Welt- und Existenzzeit, als „Zukunft" sichten oder erhoffen. Das w ä r e an sich noch nicht der eschatologische Aspekt, den wir letztlich meinten. Die Zukunft, die nicht in diese unsere vergehende Zeit verschlungen wäre, könnte ja nur durch die zu uns kommende, sich selbst zur Evidenz bringende W a h r h e i t h e r a u f g e f ü h r t werden, deren Z u k u n f t also schlechterdings durch ihr „Zu-uns-kommen" bestimmt wäre. D e r letzte Hinweis k a n n denn nur auf den gehen, der als der schon zu uns Gekommene, er, derselbe und kein anderer, der zu uns Kommende ist. Wenn wir dem Licht seiner Wahrheits-Epiphanie entgegen schreiten, dann, ja d a n n ist in W a h r h e i t unser Ringen um Erkenntnis von Wahrheit,
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deren Gestalt doch mit dieser Welt u n d ihrer Zeit vergeht, unter Verheißung. Liebe Kommilitonen! W i r begannen mit dem Prinzip Wilhelm von Humboldts, „die Wissenschaft als etwas noch nicht ganz Gefundenes u n d nie ganz A u f z u f i n d e n d e s zu betrachten und unablässig sie als solche zu suchen". M a n kann diesen Satz im Sinne H u m b o l d t s humanistisch-faustisch verstehen. Man kann ihn aber auch unter dem christologisch-eschatologischem Aspekt hören. D a mit lassen Sie mich schließen!
PAUL T I L L I C H ZUM G E D Ä C H T N I S V o n WILHELM WEISCHEDEL
Rede anläßlich der Gedenkfeier in der Kirchlichen Hochschule am 20. November 1965
Berlin,
Wenn es gilt, eines bedeutenden Mannes zu gedenken, mag es wohl verstattet sein, mit einer persönlichen Erinnerung zu beginnen. Meine erste Begegnung mit Paul Tillich reicht weit zurück, bis in mein erstes Studiensemester. Es war in jenem unvergeßlichen Marburg der Zwanziger Jahre. Der schon anerkannte Nicolai Hartmann und der noch unbekannte Martin Heidegger lehrten Philosophie. Der ehrwürdige Rudolf Otto und der junge Rudolf Bultmann wirkten als Theologen. In dieser von geistiger Lebendigkeit und erregter Auseinandersetzung erfüllten Atmosphäre hatte der fünfunddreißigjährige Tillich einen Lehrstuhl für Systematische Theologie inne. In jenem meinem ersten Semester hielt er ein Kolleg über Religionsphilosophie. Schon dieses Thema als solches war bedeutungsvoll. Denn in ihm koinzidierten die beiden großen Mächte des damaligen Marburger Geistes: die Philosophie — die Vorlesung hieß ja ReYigionsphilosophie —, die Theologie — es ging ja um üe/jgi'owiphilosophie.
Die Synthese und die
Grenze
Allein schon diese Tatsache mußte dem jungen Studenten etwas von der Eigenart des Denkens Tillichs aufschließen: daß in seinem Mittelpunkt die Vereinigung steht, daß es ein Denken der Synthese ist. Dieser Eindruck verstärkte sich im Laufe des Kollegs. Der unbefangene Hörer konnte zunächst vermuten, in einer Vorlesung über Religionsphilosophie werde von der Religion und von nichts ande-
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rem die Rede sein. In der Tat sprach Tillich über die Religion und über die Religionen. Aber mit gleicher Intensität war von anderen Bezirken des Geistes die Rede: von den bildenden Künsten und von der Dichtung, von den allgemeinen geistigen Tendenzen der Zeit, ja sogar von deren politischen Strömungen. Das wirkte zunächst befremdlich. Aber allmählich begriff man, daß eben in dieser Weite das Charakteristische und zugleich das Gewagte des synthetischen Denkens Tillichs besteht. Dieses erschöpft sich nicht darin, hier und da das eine und das andere miteinander zu verbinden. Es greift ins Ganze aus, in der Absicht, alles Wirkliche im Felde des Geistes in umfassender Vereinigung zu erfassen. Doch eben in solchem Mut zur gefährdenden Ausbreitung bewährt sich die Intensität einer Synthese, jener bedeutenden Einsicht Hegels gemäß, die er in der Vorrede zu seiner „Phänomenologie des Geistes" ausspricht: „Die Kraft des Geistes ist nur so groß als ihre Äußerung, ihre Tiefe nur so tief, als er in seiner Auslegung sich auszubreiten und sich zu verlieren getraut." Der Gefahr, sich zu verlieren, könnte der Wille zur Synthese freilich auch dadurch entgehen, daß er die Unterschiede allzu rasch nivellierte, daß er die schroffe Widersprüchlichkeit des Daseins, das spröde Widerstreben der Wirklichkeit gegen die Einheit, übersähe. Tillichs Synthese ist von anderer Art. Sie erwächst aus der harten Erfahrung der Gegensätzlichkeit in allem Wirklichen und aus dem Mut, den Widerstreit auszustehen. Darum auch kann sie sich nur in einer äußersten Anstrengung des Gedankens verwirklichen; man spürt das noch deutlich hinter aller scheinbaren Mühelosigkeit, hinter allem Glanz und allem Zauber der Formulierungen Tillichs. Weil er aber die Antithesen der Wirklichkeit nicht vorschnell überspringt, sondern ihre Spannung aushält, darum ist seine Synthese keine Vereinigung, die, einmal gelungen, dauernden Bestand hätte; sie wäre dann nur ein totes Gerippe, aus dem der Geist des Lebens entflohen wäre. Tillichs Synthese ist vielmehr der Gegenstand stets erneuter Bemühung: immer wieder versucht, immer wieder nur unzulänglich erreicht, aber immer wieder neu in Angriff genommen. In diesem Sinne schreibt er selber: „Nur der Weg der Synthese ist wahrhaftig; er ist gefordert, auch wenn er wieder und wieder mißlingt."
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Daß Tillich die Gegensätzlichkeit in allem Wirklichen und die Schwere der Aufgabe, sie zur Einheit zusammenzuzwingen, so intensiv erfährt wie kaum ein anderer Denker nach Fichte, Schelling und Hegel, das drückt sich in der Bedeutung aus, die für ihn der Begriff der Grenze besitzt. Als er im Jahre 1940, schon seit geraumer Zeit aus Deutschland vertrieben, an das Union Theological Seminary in New York berufen wird, eröffnet er seine Antrittsvorlesung mit den Sätzen: „Der ungewöhnliche Name für den Lehrstuhl, den ich vertrete, ist philosophische Theologie'. Für mich paßt diese Bezeichnung besser als jede andere, da die Grenzlinie zwischen Philosophie und Theologie das Zentrum meines Denkens und Arbeitens ist." Aber es ist nicht nur diese bestimmte Grenze, auf der Tillich sich ansiedelt; in allen Bereichen des Daseins weiß er sich unter das „Schicksal der Grenze" gestellt. So kann er sagen: der „Begriff der Grenze" ist „Symbol für meine ganze persönliche und geistige Entwicklung". In der Tat trifft nichts das Denken Tillichs genauer als dieser Begriff; Tillich ist in einem exemplarischen Sinne der Denker auf der Grenze. Eben hier erwachsen ihm auch seine wesentlichen Einsichten. Daher kann er in einer den Ursprung seines Denkens gültig formulierenden Selbstauslegung schreiben: „Die Grenze ist der eigentlich fruchtbare Ort der Erkenntnis." Nun liegt im Wesen der Grenze eine eigentümliche Dialektik. Die Grenze ist einerseits die Linie, an der die Begrenzten sich voneinander absondern. Zugleich aber ist sie der Ort, an dem sie sich berühren und so ihr Zusammengehören bekunden. Dementsprechend kann ein Denker die Grenze entweder mehr als das Trennende oder mehr als das Verbindende verstehen. Kein Zweifel: für Tillich ist, seinem leidenschaftlichen Willen zur Synthese gemäß, nicht der Gegensatz, sondern die Vereinigung das Entscheidende. Er ist überzeugt, daß in der geistigen Wirklichkeit, bei aller offenkundigen Widersprüchlichkeit, dennoch alles mit allem im Einklang steht, in einer Harmonie, die freilich zumeist verborgen ist. Auf der Grenze stehen, heißt daher für Tillich: in allem Schmerz der Zerrissenheit zuletzt die Versöhnung suchen. Es w i r d immer denkwürdig bleiben, daß in der Zeit der Neubesinnung auf die Fundamente des Glaubens, wie sie in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg innerhalb des Protestantismus stattfindet.
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ein Denker der Synthese neben den beiden anderen auf scharfe Grenzziehung bedachten Großen der protestantischen Theologie sich zu Wort meldet. D a ist auf der einen Seite K a r l Barth, der in seinem aufrührenden Kommentar zum Römerbrief und in Schriften voll zorniger Polemik die Grenze als Abgrenzung verteidigt, überzeugt von der Distanz zwischen G o t t und der Welt, in der alles noch so wesentliche Endliche ins Unwesenhafte versinkt. D a ist neben ihm, damals eng mit ihm verbunden, Rudolf Bultmann, der in der Redlichkeit, in der er sich darum müht, der Wissenschaft vom Neuen Testament zu ihrem Recht zu verhelfen, doch den Glauben aufs strengste von aller Wissenschaft absondert. Und eben in dieser Zeit des durch Kierkegaard inaugurierten Entweder-Oder betont Paul Tillich aufs eindringlichste jene andere Funktion der Grenze: daß sie der O r t der Berührung ist, die verbindende Mitte des sich scheinbar Ausschließenden und Befehdenden. Das Unbedingte
und die endliche
Wirklichkeit
Was aber ist nun diese Mitte, in der die zerrissene Wirklichkeit zu ihrer Einheit gelangt? Tillich findet sie, indem er nicht bei der oberflächlichen Erscheinung der Phänomene verweilt, sondern sich bemüht, in deren Grund hinabzudringen. Hier nun stößt er auf das Religiöse als den tieferen Punkt der Vereinigung. Er deutet es als das Unbedingte; denn „Religion ist Richtung auf das U n bedingte". Entscheidend aber ist nun, daß dieses Unbedingte auf keine Weise als vom Bedingten abgesondert gedacht werden darf. Mit aller Leidenschaft wendet sich Tillich dagegen, die Religion als einen besonderen, heiligen Bezirk auszugrenzen und den anderen, den profanen Bereichen entgegenzusetzen. Das Religiöse durchdringt vielmehr alle Regionen des Daseins und ist so die von der Tiefe her verbindende Mitte des Wirklichen. Es ist das Unbedingte, auf dem alles Bedingte ruht; es ist der absolute Sinngrund in allem endlichen Sinnhaften. Aus diesem seinem religionsphilosophischen Grundgedanken erwächst die für Tillich charakteristische Sicht auf die geistige Wirklichkeit. Wissenschaft wie Kunst, Dichtung wie Philosophie, Rechtssphäre wie Gemeinschaft der Liebe, ethische Gesinnung wie poli-
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tische Haltung — sie alle lassen in ihrer wesenhaften Intention ein Unbedingtes aufleuchten; denn „in jedem Endlichen ist ein Element gegenwärtig, das das Endliche transzendiert". Die Einsicht in die Selbsttranszendenz des Endlichen bedeutet für Tillich zugleich die Erfahrung der Anwesenheit Gottes in der Wirklichkeit. Denn wenn die Religionsphilosophie vom Unbedingten redet, dann meint sie Gott. „Wo der Geist sich so auf die Welt und ihren Inhalt richtet, daß er das Moment der Unbedingtheit, das in allem enthalten ist, ins Bewußtsein erhebt, da ist er auf Gott gerichtet." Tillich wagt also die Behauptung: die gesuchte Synthese der in die Endlichkeiten zerrissenen Welt ist Gott. Er ist der verborgene Grund und die verborgene Einheit aller Wirklichkeit. Gott erscheint „als das wahrhaft Wirkliche in allem, das Wirklichkeit beansprucht". Dieser Gedanke ermöglicht es Tillich, die Theologie aus dem Getto ihrer in sich selbst kreisenden Problematik herauszuführen und in fruchtbarster Weise mit den wesentlichen Zeiterscheinungen in Beziehung zu setzen: mit den neuen Erkenntnissen in Psychologie und Soziologie, mit der heraufziehenden Technik, mit der modernen Kunst; diese zeigt ja — vor allem im Expressionismus, dem sich Tillich besonders nahe weiß — in eindrucksvoller Deutlichkeit eben jene Transparenz, in der das Unbedingte zur Erscheinung kommt. Darüber hinaus gewinnt Tillich von der Idee des Unbedingten her ein eindringliches Verständnis für die Aufgabe einer grundsätzlichen Besinnung auf die tieferen Wurzeln des Sozialismus. Denn in dessen Versuch, das Reich der Freiheit heraufzuführen, erblickt Tillich die Forderung des Unbedingten in besonderer Gegenwärtigkeit. Daher arbeitet er gegenüber den Verhärtungen im dogmatischen Marxismus das prophetische Element des Sozialismus heraus und wird so zum denkmächtigsten Wortführer jener geistigen Bewegung der Zwanziger Jahre, die sich als religiösen Sozialismus bezeichnet. Wenn Tillich so die Wirklichkeit als die Stätte des Erscheinens des Unbedingten, als den O r t der Präsenz Gottes versteht, dann könnte es den Anschein haben, als erblicke er allen endlichen Geist in einer glücklichen und ungestörten Harmonie mit dem Unendlichen. In der Tat könnten manche Formulierungen Tillichs in dieser
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Richtung gedeutet werden; so, wenn er sagt: „Die Kultur ist Ausdrucksform der Religion, und die Religion ist Inhalt der Kultur." Aber Tillich ist zu nahe an der Wirklichkeit, als daß er über dem großartigen Gedanken der Synthese des Bedingten im Unbedingten den Blick für die Widerspenstigkeit des Endlichen gegen das Unendliche verlöre. Er spricht es — in der Auseinandersetzung mit dem Idealismus Hegelscher Prägung und in Anlehnung an Schelling, Kierkegaard und Marx — selber aus, „daß die Wirklichkeit nicht nur die Erscheinung des Wesens ist, sondern auch der Widerspruch zu ihm". D a s Unbedingte ist nicht selbstverständlich im Bedingten anwesend, sondern muß sich ständig gegen dessen eigenwillige Tendenzen durchsetzen. Es verwirklicht sich nur als „Durchbruch des Ewigen in die ,in sich ruhende Endlichkeit' der Zeit". Aus dieser seiner Einsicht in den Streit des Unbedingten mit dem Bedingten erwachsen Tillich die ihm eigentümlichen Prinzipien der Geschichtsbetrachtung, insbesondere der Auslegung der Religionsgeschichte. In dieser waltet eine dreifache Tendenz: einmal „die selbstsichere Autonomie", die „die Bindungen einer Kultur an ihren letzten Grund und ihr letztes Ziel zerschneidet"; sodann, ihr entgegengesetzt, die „Heteronomie" als „der Versuch einer Religion, autonomes kulturelles Schöpfertum von außen her zu beherrschen"; schließlich, diese beiden zugleich negierend und überhöhend, die „Theonomie" als „eine Kultur, in welcher der letzte Sinn der Existenz durch alle endlichen Formen des Denkens und Handelns durchscheint". Autonomie, Heteronomie und Theonomie sind für Tillich keine schematischen Deutungskategorien, sondern dynamische Prinzipien des wirklichen Seins, die in der Geschichte in ständigem K a m p f miteinander stehen. Eben dies gibt der Geschichtsbetrachtung Tillichs ihre Lebendigkeit. Insbesondere die Theonomie ist für ihn kein zu irgendeiner Zeit vollkommen verwirklichter und von da an dauerhafter Zustand. Sie kann zwar je und dann, im gelingenden Augenblick, in der erfüllten Zeit, im Kairos — wie Tillich in fruchtbarer Aufnahme eines neu testamentlichen Begriffs sagt — Wirklichkeit werden. Aber dann wird sie erneut in die Auseinandersetzung mit den ihr widerstreitenden Prinzipien der Heteronomie und der Autonomie verstrickt.
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Angesichts dieser wechselvollen Geschichte ergreift Tillich mit aller Intensität die Aufgabe, in seiner Gegenwart der theonomen Geisteshaltung zum Durchbruch zu verhelfen. In deren Heraufführung erblickt er die eigentliche Sendung dessen, was er „das protestantische Prinzip" nennt. Dieses deckt sich keineswegs mit den geschichtlichen Gestaltungen des Protestantismus. Zum einen ist es in diesen zumeist nur unvollkommen realisiert. Zum andern reicht es in seinen möglichen Formen weit über den Bereich der protestantischen Kirchen hinaus. Das protestantische Prinzip ist der immer wieder in entscheidenden Augenblicken der Geschichte aufbrechende Wille, um der Theonomie willen die Selbstsicherheit der Autonomie und die Selbstgerechtigkeit der Heteronomie zu durchstoßen. Aus dem gleichen Grundgedanken erwächst auch die vorhin erwähnte Zuwendung Tillichs zum religiösen Sozialismus. Dessen Intention deutet er tiefsinnig als den „Ansatz zu einer neuen Theonomie". Er erblickt im „Geist des Kapitalismus" „das stärkste Symbol der in sich ruhenden Endlichkeit". Demgegenüber sieht er das Wesen des religiösen Sozialismus in einem Ringen „um das Neue, das für unsere Zeit vom Ewigen her gefordert ist". In all dem ist Tillich, wie man es vielleicht formulieren darf, der Partisan des Unbedingten, wo immer dieses in die sich in sich selber verschließende Endlichkeit einbrechen will. U m dieses seines Auftrages willen läßt er sich, mag er auch ständig nach der Synthese Ausschau halten, auf keine schwächlichen Kompromisse ein. Hier erhält die Kategorie der Entscheidung bestimmende Bedeutung für ihn. Hier bezieht er eindeutig und tapfer Stellung, selbst wenn ihn dies — wie es im Jahre 1933 tatsächlich geschieht — Lehramt und Heimat kostet.
Der philosophische
Theologe
Das bisher Dargestellte zeigt Tillich vornehmlich als Religionsphilosophen. Damit reiht er sich in die große Geschichte der Religionsphilosophie ein, wie sie in der Antike von den Vorsokratikern bis Plotin anfänglich entwickelt wird, wie sie bei Origenes und Augustinus sowie in der Scholastik und Mystik des Mittelalters
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ihre christlich bestimmte Gestalt erhält, wie sie in der Neuzeit, bei Descartes, bei Spinoza, bei Leibniz, bei Kant, sich fortsetzt und wie sie schließlich in Fichte, Schelling und Hegel ihre letzte großartige Gestalt findet. In der T a t bringt der Gedanke Gottes als des in allem Bedingten anwesenden Unbedingten Tillich in unmittelbare N ä h e zum Deutschen Idealismus; in seiner Selbstauslegung bekennt er, dieser philosophischen Bewegung, insbesondere wie sie sich in Schelling darstellt, zutiefst verpflichtet zu sein. Man würde jedoch der Weite des Denkens Tillichs nicht gerecht, wollte man ihn lediglich als den Denker des Unbedingten verstehen. Er selber begreift sich nicht nur als Religionsphilosophen, sondern auch und vorzüglich als christlichen Theologen. D a v o n zeugt das umfangreiche Werk mit dem Titel „Systematische Theologie". Hier wird in weitgespanntem Bogen des Gedankens, in kritischer und produktiver Aufnahme der Tradition sowie in eigenständiger Denkweise und Sprache der Gehalt der christlichen Lehre entfaltet. Die Hauptthemen sind: Vernunft und Offenbarung, Sein und Gott, die Existenz und der Christus, Leben und Geist, Geschichte und Reich Gottes. Umspannt so die „Systematische Theologie" das Ganze der christlichen Dogmatik, so kapselt sie sich doch nicht in die innertheologische Problematik ein. Ihre eigentümliche Lebendigkeit erhält sie daraus, daß sie, nicht anders als die Religionsphilosophie Tillichs, durchgängig auf die allgemeinen Probleme der Gegenwart Bezug nimmt. Programmatisch heißt es zu Beginn des Buches: „Theologie steht in der Spannung zwischen zwei Polen: der ewigen Wahrheit ihres Fundamentes und der Zeitsituation, in der diese Wahrheit aufgenommen werden soll." Es ist nicht meines Amtes, den spezifisch theologischen Gehalt dieses großangelegten Werkes darzustellen oder von den Anregungen zu sprechen, die die protestantische Theologie daraus gewonnen hat und noch weiterhin gewinnen kann. Aber ein Problem, das das ganze Buch durchzieht, verdient es, besonders hervorgehoben zu werden: die Frage nach dem Verhältnis von Philosophie und Theologie. D a ß man mit der Betonung dieser Problematik die Intentionen Tillichs nicht verfehlt, zeigt seine eingangs zitierte Selbstaussage: daß „die Grenzlinie zwischen Philosophie und Theologie" das „Zentrum" seines „Denkens und Arbeitens" sei. Wenn man also
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von dem Theologen Tillich spricht, dann redet man zu Recht von ihm als dem philosophischen Theologen.
Tillich als Philosoph Es gehört zur Größe Tillichs, daß er die Philosophie nicht so betrachtet, wie dies weithin in der protestantischen Theologie geschieht: als ein bloßes Mittel, die christlichen Wahrheiten begrifflich zu formulieren: nicht ohne Bedeutung, aber im Letzten doch für den Glauben entbehrlich. Tillich nimmt die Philosophie ernst. Er sieht in ihr die ebenbürtige Partnerin der Theologie und des Glaubens. Mehr noch: sie ist ihm nicht nur ein wichtiges Phänomen, das in seiner Beziehung zur Theologie zu untersuchen ist. Wenn Tillich von der Philosophie spricht, ist er — wie in allem, was er sagt — zuinnerst beteiligt. Er redet nicht nur über Philosophie, sondern er philosophiert selber. E r ist — auf der Grenze zwischen Philosophie und Theologie — nicht nur Theologe, sondern ebensosehr Philosoph, und zwar ein Philosoph von hohem Rang. Das kommt schon darin zum Ausdruck, daß Tillich die philosophische Problematik da aufgreift, wo sie ihre Mitte hat: in der Frage nach dem Sein. Philosophie ist für ihn Ontologie. Hier berührt er sich mit seinem großen philosophischen Zeitgenossen, mit Heidegger. Den Satz Tillichs: das „Wort ,ist' verbirgt das Rätsel aller Rätsel", könnte ebensogut Heidegger gesagt haben. Beide Denker stimmen auch darin überein, daß sie die Ontologie nicht als eine formale Seinswissenschaft auffassen, sondern nach dem lebendigen Ursprung der Seinsfrage im Dasein des Menschen suchen. Für Heidegger erwächst die Frage nach dem Sein aus der Grunderfahrung der Angst, in der die Möglichkeit des Nichts auftaucht. Tillichs Denken geht einen ähnlichen Weg. Auch für ihn entspringt das Philosophieren aus einer bestimmten Erfahrung, die er den „Schock des möglichen Nichtseins" nennt. Dieser widerfährt dem Menschen, wenn er in der Angst entdeckt, daß er dem Nichtsein in der Gestalt von „Schicksal" und „Tod", von „Leere" und „Sinnlosigkeit", von „Schuld" und „Verdammung" ausgeliefert ist, und wenn er schließlich in der „Verzweiflung . . . das Nichtsein . . .
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als absolut siegreich" erfährt. Dergestalt in der Begegnung mit dem Nichts wurzelnd, ist die Seinsfrage für Tillich nicht ein Problem des bloßen Denkens, sondern eine Frage der Existenz. Denn „der Sinn des Seins" ist für den Menschen „das, was ihn im tiefsten Grunde angeht"; das „Sein ist ein unendliches Anliegen" für den Philosophen, „da seine eigentliche Existenz in dieser Frage beschlossen liegt". Die geschilderte Grunderfahrung könnte zu einer Philosophie des Nichts führen, wie sie Nietzsche entworfen hat. D a ß dies bei Tillich nicht geschieht, liegt daran, daß er, über die Erfahrung des Nichtseins hinaus, eine zweite Grunderfahrung heranzieht. Gerade in jener Verzweiflung, in der das Nichts absolut siegreich zu sein scheint, kann dem Menschen das Sein begegnen, das mächtiger ist als das Nichts. Von daher wird der Begriff der „Macht des Seins" zur ontologischen Grundkategorie Tillichs. Und auch hier wieder berührt er sich — unbeschadet aller Unterschiede in dem, was jeweils mit dem Ausdruck „Sein" gemeint ist — mit Heidegger, wenn dieser das Nichts als den Schleier des Seins bezeichnet. Freilich: ebensowenig wie Heidegger seinen Gedanken des Seins, das den Menschen in Anspruch nimmt, auf dem Wege der philosophischen Reflexion begründen kann, ebensowenig gelingt dies Tillich im Hinblick auf seine Idee der Macht des Seins. Das, was er „die ontologische Priorität des Seins über das Nichtsein" nennt, gehört vielmehr zu den nicht mehr diskutierten Grundvoraussetzungen seines Denkens. Uber allen Zweifel und über alle Verzweiflung hinaus erhebt sich siegreich die Zuversicht in den endlichen Sieg des Seins. Das aber kann man nicht beweisen, sondern nur immer wieder erfahren. U n d diese Erfahrung ist zuletzt eine Sache des Glaubens. Daher kann Tillidi sagen: es gibt „ein letztes Vertrauen in die Madit des Seins"; „zum Philosophieren . . . gehört . . . Glaube als Ergriffensein von dem, was uns unbedingt angeht"; „Glaube ist die Erfahrung der Macht des Seins-selbst". Das W o r t „Glauben" hat in diesem Zusammenhang noch nicht ohne weiteres den vollen Sinn, den ihm die christliche Selbstauslegung beimißt. Gleichwohl bringt Tillich den Glauben an die Madit des Seins in Zusammenhang mit dem Gedanken Gottes. H i e r allerdings trennt sich sein Weg von dem Heideggers. Während dieser es
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aufs schärfste abweist, irgendwelche theologischen Elemente in sein Andenken an das Sein aufzunehmen, identifiziert Tillich die im Glauben erfahrene Macht des Seins mit Gott. Denn „Gott ist die Antwort auf die Frage, die im Sein beschlossen liegt"; „Gott" ist „das Sein-Selbst". Das aber besagt: das Philosophieren Tillichs mündet zuletzt in eine Philosophische Theologie.
Der Gott der Offenbarung
und der Gott der
Philosophie
Diese Philosophische Theologie Tillichs ist freilich in einem betonten Sinne philosophische Theologie. Die Macht des Seins über das Nichtsein ist der Gott der Philosophen. Diesem gegenüber aber erhebt sich das harte Verdikt, das Pascal in seinem „Mémorial" ausgesprochen hat: „Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs, nicht der Philosophen und Gelehrten." Auch Tillich, und gerade er als christlicher Theologe, muß daher an den Punkt stoßen, an dem die Frage dringlich wird, ob denn der Gott der Philosophen mit dem Gott der biblischen Religion vereinbar ist. Die Problematik erwächst daraus, daß der Gott der christlichen Botschaft „in unserer Begegnung mit ihm" „ganz personhaft" ist, während den Gott der Philosophen „der nicht-persönliche Begriff ,Sein' " kennzeichnet. Wie aber kann der „Personalismus" der „biblischen Religion" mit dem „Impersonalismus der Ontologie" vereinigt werden? Tillich stellt angesichts dessen selber die Frage: ist das nicht „das Ende aller Versuche, eine Synthese zwischen Ontologie und biblischer Religion herzustellen"? Tillich versucht gleichwohl, beides miteinander zu verbinden. Das geschieht durch eine Besinnung auf die Bedeutung des Personalismus der biblischen Religion. Das „Wort persönlicher Gott' . . . bedeutet nicht, daß Gott eine Person ist. Es bedeutet, daß Gott der Grund alles Personhaften ist"; „das Sein Gottes ist überpersönlich", aber „nicht .unpersönlich' ". In diesem transzendierenden Begriff der Überpersönlichkeit erblickt Tillich die Möglichkeit, den unpersönlichen Gott der Philosophischen Theologie mit dem persönlichen Gott der Offenbarung zusammenzuschließen. Von da aus kann er — in ausdrücklicher Antithese zu jenem Satz Pascals — sagen: „Der
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Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs und der Gott der Philosophen ist der gleiche Gott. E r ist Person und die Negation seiner selbst als Person." Der kühne Gedanke der Uberpersönlichkeit Gottes gehört zum Tiefsten, was Tillich gedacht hat. E r führt in die N ä h e der negativen Theologie Plotins, des Dionysios Areopagita und der mittelalterlichen Mystik. Aber Tillich spricht davon nicht in einer einfachen Übernahme traditioneller Gedanken. Wiederum geht er von der lebendigen Erfahrung aus: von der Erfahrung der Sinnlosigkeit, wie sie in der Angst gegenwärtig wird. Sie kann zum radikalen Z w e i f e l werden: zum Zweifel an Gott. Aber dieser radikale Zweifel ist nicht das Letzte. Über ihn hinaus reicht der „absolute Glaube", den Tillich als den „ M u t " beschreibt, „der den radikalen Zweifel, den Z w e i f e l über Gott, in sich hineinnimmt". Doch woran glaubt dieser absolute Glaube? Sein Gegenstand ist nicht das, was Tillich den „Gott des traditionellen Theismus" nennt, also nicht der persönliche Gott der Offenbarung. Dieser „verschwindet . . . im Abgrund der Sinnlosigkeit". Der Gott, von dem Tillich sagt, er erscheine, „wenn Gott in der Angst des Zweifels verschwunden ist", ist der „Gott jenseits Gottes", der „Gott über G o t t " . In ihm findet Tillidi die höchste Synthese, in der sich philosophische und biblische Theologie vereinigen. Die Frage ist freilich, ob Tillich damit nicht doch die Grenze nach der einen, der philosophischen Seite hin überschreitet. Denn jener überpersönliche „Gott über G o t t " ist doch offenbar kein anderer als der Gott der Philosophen, zumal ihn Tillich mit der „Macht des Seins" identifiziert, zu der die Ontologie in ihrer höchsten Vollendung gelangen kann. So hat es den Anschein, als verharre Tillich, der Denker auf der Grenze, schließlich doch nicht auf der Grenze, sondern siedele sich in einem der aneinander angrenzenden Bereiche, im Gebiet der Philosophie, an.
Philosophieren und Glauben A u f f ä l l i g ist, daß Tillich in anderen Gedankenzusammenhängen ebenfalls die Grenze zwischen Philosophie und Theologie zu über-
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schreiten scheint, nun freilich nach der entgegengesetzten, der offenbarungstheologischen Seite hin. Das geschieht an dem Punkte, an dem bedeutsam wird, daß zur christlichen Botschaft nicht nur der Gedanke der Persönlichkeit Gottes, sondern auch und vorzüglich die Idee der Menschwerdung gehört. Damit stellt sich die Frage, ob es überhaupt möglich ist, „Ontologie und biblische Religion zu verbinden, wenn die Ontologie die zentrale Aussage der biblischen Religion, daß Jesus der Christus ist, nicht annehmen könnte". Doch auch vor der Aufgabe, diese schwierigste aller philosophischtheologischen Synthesen zu versuchen, weicht Tillich nicht zurück. Das Verbindungsglied ist für ihn der Begriff des Logos. E r behauptet, daß „derselbe logos, der die Philosophen . . . belehrt, auch . . . die christlichen Theologen belehrt". In allem, was ist, ist für Tillich — nicht anders als für Hegel — der Logos, die absolute Vernunft, wirksam. Und eben dieser „Logos des Seins" ist mit dem „inkarnierten Logos" „ein und derselbe Logos". Diese Identifikation ermöglicht es Tillich, die philosophische Idee des Seins mit dem christlichen Gedanken der Menschwerdung zu verbinden und zu sagen: die „Ontologie ist imstande, die christologische Frage in sich aufzunehmen". Dem genaueren Zusehen zeigt sich jedoch, daß in dieser Synthese das eine der beiden miteinander vereinigten Glieder den Vorrang besitzt. Tillich redet von der Offenbarung des Logos in Jesus Christus als von „der letztgültigen Offenbarung". Das aber kann nicht die Aussage der Philosophie, nicht einmal der Philosophischen Theologie sein. Tillich selber bezeichnet daher die Behauptung, „daß Jesus als der Christus der konkrete O r t ist, an dem der Logos sichtbar w i r d " , ausdrücklich als „eine Glaubensaussage, die nur von dem gemacht werden kann, der durch den Christus . . . ergriffen ist". Demgemäß wird auch die These, „daß, wo immer der Logos am W e r k ist, er mit der christlichen Botschaft übereinstimmt", nicht als eine Sache philosophischer Einsicht, sondern als „der christliche Anspruch" bezeichnet. Das aber heißt doch offenbar, daß der Theologie der Offenbarung der Vorrang vor der Philosophie eingeräumt wird. D a s wird in der T a t von Tillich ausdrücklich behauptet. E r sieht Philosophie und Theologie im Verhältnis der „Korrelation" zueinander. Aber dabei
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wird dem Philosophieren das antwortlose Fragen, der Theologie dagegen die letztlich nicht mehr infrage gestellte Antwort zugewiesen. So kann Tillich schreiben: „Die Philosophie kann nicht durch Philosophie die letzten . . . Fragen beantworten." Im gleichen Sinne erblickt er die Aufgabe der Philosophischen Theologie darin, daß in ihr „die Philosophie die . . . Probleme liefern und die Theologie die Antworten geben muß", und zwar aus „der Substanz der christlichen Botschaft". Zuletzt also gilt, daß nicht nur die Theologie der Offenbarung, sondern auch und gerade „die philosophische Theologie . . . auf dem kerygma basiert". Besagt das aber nicht, daß Tillich, der Denker auf der Grenze, wiederum die Grenze überschreitet: nun freilich nicht, wie vorhin, nach der Seite der Philosophie, sondern nach der Seite der Theologie des Glaubens? Ist er nicht, wo er Philosophische Theologie betreibt, im Grunde eben doch philosophierender Theologe?
Der Denker
auf der
Grenze
Man würde der Bedeutung Tillichs nicht gerecht, wenn man nicht auch von den Aporien spräche, in die sein kühner Versuch einer Synthese auf der Grenze zuletzt gerät. N u r wer nichts von den ungeheuren Schwierigkeiten der philosophisch-theologischen Problematik weiß, könnte vermuten, Tillich habe gleichsam in einem Handstreich die Fragen lösen können, um die sich Philosophie und Theologie seit nunmehr fast 2000 Jahren mühen. Aber noch ein Weiteres kann gesagt werden. D a ß Tillich in beiden Richtungen die Grenze überschreitet, zeigt paradoxerweise, daß er wahrhaft auf der Grenze steht. Denn auf der Grenze stehen heißt nicht: in der starren Abgrenzung verharren. Es besagt: die Grenze immer wieder überschreiten, um das Getrennte in die Einheit hereinzuholen. Das aber setzt voraus, daß, wer auf der Grenze steht, in allem Ernste je in das eine und das andere der angrenzenden Gebiete vorstößt, daß er versucht, im vollen Sinne Philosoph und im vollen Sinne Theologe zu sein, und doch zugleich über dem einen das andere nicht zu vergessen. Das ist Tillich gelungen. Wenn er also das eine Mal im Gedanken des Gottes über Gott dem philosophischen Denken Macht
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über den Glauben an den persönlichen Gott gibt, und wenn er das andere Mal die Offenbarung in Jesus Christus zum Herrn über die Philosophie macht, dann heißt das nicht, daß er das eine um des andern willen aufgegeben hätte. Es besagt vielmehr, daß er die Dialektik des Denkens und Existierens auf der Grenze in allen ihren Konsequenzen ausgehalten hat. In dieser Mühsal hat Tillich freilich das Unzulängliche aller Philosophie und aller Theologie, solange sie Philosophie und Theologie des Menschen sind, an sich selber erfahren. Darum auch beendet er 1936 den Rückblick auf sein bis dahin vollbrachtes Lebenswerk mit den Worten: „auch unsere Mitte (ist) nur Grenze und unser Vollendetes nur Bruchstück". Doch eben darin liegt die Größe dieses so leidenschaftlich um Vereinigung bemühten Denkers, daß er begriffen hat: es war trotz allem „meine Pflicht, auf der Grenze zu bleiben". In diesem sein Dasein bestimmenden Denken auf der Grenze hat Paul Tillich sich selber verzehrt, jenem tiefen Worte Hegels gemäß: „Seine Grenze wissen, heißt sich aufzuopfern wissen."
JESUSÜBERLIEFERUNG UND CHRISTUSKERYGMA — ZWEI WEGE U R C H R I S T L I C H E R ÜBERLIEFERUNGSGESCHICHTE V o n ULRICH
WILCKENS
Wer in die augenblickliche Situation der neutestamentlichen Forschung Einblick gewinnt, gerät auf der einen Seite alsbald in eine Fülle von Detailstudien, die kaum noch von einem einzelnen Forscher allesamt vorangetrieben und darum auch nur noch schwer einzeln zureichend beurteilt werden können. Auf der anderen Seite aber gehört es von jeher zur neutestamentlichen Disziplin, daß unter systematisch-theologischem Gesichtspunkt ständig das Ganze des Neuen Testamentes zusammenfassend im Blick und zur Diskussion steht. Das bedeutet für den Neutestamentier als Historiker des Urchristentums, daß er sich faktisch ständig genötigt erfährt, der Versuchung aller modernen historischen Wissenschaft, dem Detail den Vorrang zu geben, zu widerstehen und eine Gesamtdarstellung der Geschichte des Urchristentums zu entwerfen, in der nach Möglichkeit alle Detailaspekte sachgerecht berücksichtigt, aber die Detailhinsicht in eine Hinsicht auf das Ganze aufzuheben ist. Das mag eine Not sein, — aber diese historische Not ist doch, recht bedacht, zugleich auch eine historische Tugend. Denn nicht nur die Theologie im Ganzen bedarf einer zusammenhängenden „Theologie des Neuen Testamentes", sondern auch die historische Arbeit überhaupt und als solche eines sie leitenden ganzheitlichen Aspektes, ohne dessen Wagnis kein geschichtliches Detail wirklich zureichend als es selbst erkannt und beschrieben werden kann. — Der folgende Versuch ist in dieser doppelten Weise aus solcher Nötigung zu einem Gesamtentwurf entstanden und nimmt so zugleich in vielfacher Weise auch die daraus entstehende Not auf sich, die gerade auf unserem Gebiet so empfindlich zu spüren ist, da unsere Quellen zur Beantwortung vieler wichtiger Fragen, die sie uns selbst im Blick auf eine
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zusammenhängende Beschreibung der Geschichte des Urchristentums aufgeben, nur allzu wenig sicheren Anhalt bieten, und also vielfach Hypothesen notwendig machen, wo man lieber mit klaren Belegen arbeiten würde. 1. Blickt man also auf das Neue Testament als ganzes, so sieht man sich einem merkwürdigen Tatbestand konfrontiert, dessen Erklärung seit langem eines unserer gravierenden Probleme ist: Die Masse der EvangelienstofTe fehlt in den Briefen des Paulus und — um es gleich hinzuzufügen — in ähnlicher Weise auch in den anderen Zeugnissen des hellenistisch-christlichen Missionsraumes der paulinischen und nachpaulinischen Zeit. Genauer gesagt: Nahezu völlig fehlen zunächst die Jesus-erzählungen unserer Evangelien. Von der Herrenmahltradition bei Paulus 1. Kor. 11, 23 abgesehen, findet sich erst im 2. Petr. ein Zitat aus der Verklärungsgeschichte in ihrer matthäischen Fassung (2. Petr. 1, 17 f. vgl. Matth. 17, 5). In 1. Tim. 6, 13 wird auf das „gute Bekenntnis" Jesu vor Pontius Pilatus, in Heb. 5, 7 vielleicht auf eine Erzählung ähnlich der synoptischen Gethsemaneperikope angespielt. Das ist alles. — Nicht wesentlich anders steht es sodann auf den ersten Blick mit der Anführung von Jesus Worten. Bei Paulus gibt es nur 3 Stellen, an denen er sich auf einen \6yoq Kuqiou beruft: 1. Kor. 7, 10 das Verbot der Ehescheidung, das wir sowohl im Markusstoff wie in der Logienquelle finden; 1. Kor. 9, 14 ein Wort über die Unterhaltungspflicht der Missionare, das eine Parallele in der Spruchquelle hat. Und die dritte Stelle 1. Thess. 4, 15 f., in der es um die Parusie geht, ist bekanntlich ohne genaue synoptische Parallele. In außerpaulinischen Texten kommt noch die Stelle in der Abschiedsrede des Paulus in Milet Apg. 20, 35 in Betracht, w o ebenfalls ein nicht synoptisch belegbares Wort des Kuqio? Tr|ao-ü; angeführt wird: „Geben ist seliger als Nehmen". U n d hier ist nun interessant und f ü r unser Problem besonders signifikant, daß dieses Wort als griechisches Sprichwort nachzuweisen ist 1 . Darüber hinaus mag man noch er1
Vgl. Hans Conzelmann, Die Apostelgeschichte. H N T 7 (1963) 119.
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wähnen, daß der Hebräerbrief (2, 3)2 einen Stoffbereich von JesusÜberlieferung zu kennen scheint; aber der Verfasser weist hier nur ganz pauschal auf eine Traditionskontinutiät von der Lehre des Kyrios zur nachösterlichen Uberlieferung hin, sagt aber nicht, welcherart Stoffe er mit der Lehre des Herrn im Auge hat, und zitiert im übrigen in seiner ganzen Predigtabhandlung an keiner einzigen Stelle auch nur ein Wort Jesu. — Das ist, auf den ganzen zweiten Teil des neutestamentlichen Kanons gesehen, alles: Ein in der Tat auffallender Tatbestand. Doch dieser erste Augenschein trügt. Genauer besehen, ist der Tatbestand differenzierter. Zwar zitiert Paulus nur an den drei vereinzelten eben genannten Stellen ausdrücklich Worte des Kyrios; aber darüber hinaus finden sich nun doch noch einige weitere Stellen, an denen Paulus im Zusammenhang paränetischer Abschnitte seinen Gemeinden Weisungen gibt, die mehr oder weniger wörtlich mit Jesuslogien übereinstimmen, die wir aus der synoptischen Tradition kennen. Das hier in Frage kommende Material ist oft zusammengestellt worden, zuletzt in einem interessanten Aufsatz von John Pairman Brown 3 . Gewiß dürfen nicht alle von ihm angeführten „Anspielungen auf Herrenworte" im Sinne einer wirklichen traditionsgeschichtlichen Beziehung ausgewertet werden; in vielen Fällen handelt es sich um bloße Anklänge, und man darf hier nicht den Fehler begehen, das Gras wachsen zu hören. Aber es bleibt doch eine nicht ganz geringe Anzahl von übereinstimmenden Worten, bei denen eine traditionsgesdiichtliche Beziehung zweifellos anzunehmen ist. Ich greife ein Beispiel heraus. Rom. 12, 14 heißt es: „Segnet, die eudi fluchen; segnet, und flucht nicht!" Dieses Wort ist, für sich genommen, eine Variante zu dem Jesuswort aus der Spruchquelle, das Luk. 6, 28 und Matth. 5, 44 in verschiedener Weise bezeugt ist. In der Lukasfassung ist es viergliedrig: „Liebt eure Feinde, tut wohl denen, die euch hassen; segnet, die euch fluchen, betet für die, die euch bedrohen." Matthäus bietet eine zweigliedrige Fassung, in der das erste und letzte Glied der Lukasreihe zusammengezogen ist: 2 5
Ahnlich Ignatius (Magn. 7, 1 cf. 13, 1). Synoptic Parallels in the Epistles and Form-History, N T S 10 (1962/63) 27 ff.
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„Liebt eure Feinde, betet für eure Verfolger." Das ist sehr wahrscheinlich sekundär. Zweifellos sekundär ist die Fassung bei Paulus: das verrät sich an dem Zusatz „Segnet, und flucht nicht!", mit dem die Weisung zur Feindesliebe paränetisch expliziert wird. Daß im übrigen die Vokabeln des überlieferten Spruches vertauscht werden, ist ein typisches Anzeichen dafür, daß er in mündlicher Gemeindeüberlieferung gebraucht und von dorther von Paulus zitiert worden ist. Ganz Ähnliches nämlich zeigt sich in einer weiteren Fassung desselben Logions, die sich in Did. 1, 3 findet; dort lautet der Spruch: „Segnet, die euch fluchen, und betet für eure Feinde, fastet aber für eure Verfolger." Hier liegt eine Variante von Luk. 6, 28 zugrunde, wird aber zugleich durch ein drittes Glied ergänzt, in dem der Sinn des Spruches stärker in das gemeindliche Leben hineingestellt wird: Fasten sollen die Christen für ihre Verfolger! Noch einen Schritt weiter auf diesem Wege praktischer Verkirchlichung des zugrundeliegenden Logions zeigt eine Stelle im Polycarpbrief an die Philipper 12, 2 f. Hier wird eine Anweisung zur Fürbitte gegeben: „pro regibus et potestatibus et principibus atque pro persequentibus et odientibus vos et pro inimicis crucis". Das heißt: Die Regel, für die Obrigkeiten Fürbitte zu tun, wird hier unmittelbar verquickt mit der Weisung des Jesuswortes, für die Verfolger und Bedränger zu bitten. Neben sie treten außerdem die Ketzer, die „Feinde des Kreuzes": sie hat die Erfahrung der Kirche kennengelernt, aber gerade auch sie sollen in den Geltungsradius des Herrenwortes einbezogen werden: Die Kirche kennt in ihrer Liebe keine Ausnahmen. So bringt sie die Weisung Jesu an ihrem geschichtlichen Ort zur Geltung. Der Spruch von der Feindesliebe ist übrigens nicht ganz isoliert überliefert: Schon bei Paulus Rom. 12 steht er vielmehr zusammen mit einem anderen Spruch, der sich wiederum als Variante von Jesuslogien aus der Spruchquelle erweist: „Vergeltet niemandem Böses mit Bösem!" (Rom. 12, 17; vgl. ähnlich 1. Thess. 5, 15). Das ist die negative Fassung der in Q positiv formulierten Logien. In Q steht die ganze Spruchreihe unter diesem Thema: und so dürfte das Vorkommen zweier Worte bei Paulus im selben Kontext Rom. 12 nicht zufällig sein. Vielmehr besteht Grund zu der Annahme, daß diese ganze Logienreihe aus der Spruchquelle in den größeren
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Zusammenhang paränetischer Tradition Eingang gefunden hat. Die Annahme wird bestätigt durch eine Stelle aus dem 1. Petr., wo es 3, 8 f. heißt: „Vergeltet nicht Böses mit Bösem und Schmähung mit Schmähung — vielmehr im Gegenteil: Segnet!" Hier sind also beide Logien deutlich zusammengezogen: das Verbot der Wiedervergeltung und das Gebot der Feindesliebe. Die beiden hier vorgeführten Einzelbeispiele zeigen, daß traditionsgeschichtliche Verbindungen zwischen der synoptischen Wortüberlieferung und der paränetischen Tradition des paulinischen Missionsgebietes breiter vorhanden sind, als es auf den ersten Blick sichtbar wird. Wir müssen also jedenfalls sagen: Ein Teil von Jesu Verkündigung bzw. Lehre ist der Sache nach in die kirchliche Überlieferung der hellenistisch-christlichen Missionsgemeinden eingegangen und hat dort wesentlich die Bildung eines spezifisch christlichen Ethos bestimmt. Um so mehr muß nun aber auffallen, daß der Charakter dieser sittlichen Weisungen als Lehre Jesu im Umkreis der Uberlieferung der paulinischen Gemeinden weitgehend verblaßt ist: denn die eben zitierten Worte sind ja in Rom. 12 als ¿//gemein-christliche Weisungen und nicht als Jesusworte angeführt, und stehen in einem Zusammenhang einer Fülle von entsprechenden Weisungen, die selbst nicht auf Jesusworte zurückgehen. Das unterscheidet die Herrenworte bei Paulus von den Jesusworten der Spruchquelle: Dort werden ausnahmslos alle überlieferten Worte der Lehre bzw. Verkündigung als Worte Jesu vorgestellt, — während die Paränese bei Paulus im allgemeinen unter der Autorität, sei es des erhöhten Kyrios, sei es des vom Kyrios Paulus übertragenen Apostolates, sei es auch des ihm verliehenen Geistes steht. Für Paulus fallen diese Instanzen zusammen. So sehr er in 1. Kor. 7 hinsichtlich des Verbotes der Ehescheidung die absolute Autorität des Herrenwortes selbst zur Geltung bringt, so kräftig betont er nun doch auch im selben Zusammenhang, daß seine eigenen Weisungen die gleiche Kraft und Geltung zu beanspruchen hätten: öoxtö öe xdycb jtv£ti|j.a •deoü Exeiv (7, 40). Das gilt für Paulus ganz grundsätzlich: Der gesamte Wandel der Christen steht unter der Direktion des Geistes: „Wenn wir im Geist leben, so laßt uns auch dem Geist folgen" (Gl. 5, 25). Denn alles, wasChristen tun und sagen, ist „Frucht des Geistes"
Jesusüberlieferung und C h r i s t u s k e r y g m a
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(Gl. 5, 22 f.). Das ist kein original-paulinischesTheologumenon, sondern die geltende Meinung der Überlieferung der Missionsgemeinden: Der Wandel als ,Heiligung' ist geistliches Wirken, ayLaö(iÖ5 3Tvei)|.iaT05, wie die Formel im Präskript des 1. Petrusbriefes lautet. Für Paulus ist die Weisung zu solchem geistlichen Wandel aber zugleich Weisung des Kyrios selbst, wie er ganz pauschal den gesamten paränetischen Abschnitt des 1. Thessalonicherbriefes überschreiben kann: „Im übrigen, Brüder, bitten und ermahnen wir euch ev xxigup 'Irjaoii, daß ihr so wandelt, wie ihr von uns die Lehre übernommen habt, wie ihr zu wandeln und Gott zu Gefallen zu sein habt, und daß ihr darin immer mehr Fortschritte macht. Ihr wißt ja, welche Weisungen wir euch gegeben haben 8ia -roxi y.upioti 'Ir|aoii. Denn dies ist der Wille Gottes: Eure Heiligung . . . " ( l . T h e s s . 4, 1 f.). 8ia Toü y.DQiou 'Irjaoii ist eine bei Paulus häufiger gebrauchte Formel, mit der die Vollmacht und Kraft der Paränese als die Vollmacht und Kraft Christi zur Geltung gebracht wird: Und es ist, hält man all diese Stellen zusammen, recht deutlich, daß Paulus hier den erhöhten und nicht den vorösterlichen Jesus im Auge hat. Gleichwohl zeigt die vorhin zitierte Stelle 1. K o r . 7, 10 immerhin, daß Paulus nicht nur einige wenige ursprüngliche Jesusworte im Rahmen seiner kirchlichen Uberlieferung kennt, sondern mit der Unterscheidung der direkten Autorität des Kyrios selbst von der übertragenen Autorität des Apostels einen Gesichtspunkt in seiner Sprache übernommen hat, der dem Gefüge seines eigenen Denkens eigentlich nicht recht entspricht: Dieser Gesichtspunkt stammt deutlich aus dem Vorstellungsrahmen der synoptischen Jesus-Uberlieferung: Hier ist es bestimmende Regel, daß in der nachösterlichen Gemeinde geltende Lehrworte einzig Worte Jesu sind! Das heißt nun aber traditionsgeschichtlich: 1. K o r . 7, 10 ist ein vereinzelter Hinweis darauf, daß in früher vorpaulinischer Zeit einige Jesusworte in die Uberlieferung der hellenisch-christlichen Missionsgemeinden Eingang gefunden haben müssen — und mit ihnen der der Jesus-Überlieferung eigene Autoritätsaspekt, unter dem ein Lehrwort dadurch legitimiert wird, daß es als Wort Jesu gekennzeichnet wird. Ich wiederhole: Das ist nicht der Aspekt des Paulus und der Überlieferung seines Umkreises. Dort ist er vielmehr lediglich vereinzelt mit übernommen, aufs ganze gesehen aber in den dort gel-
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tenden A s p e k t der A u t o r i t ä t des erhöhten K y r i o s und der von ihm verliehenen apostolischen A m t s vollmacht überführt w o r d e n . L e d i g lich Spuren des Ü b e r n o m m e n e n zeigen sich an g a n z wenigen Stellen. Zu ihnen gehört z. B. H e b r . 2, 3, w o der Verfasser noch ein B e w u ß t sein d a v o n zeigt, d a ß die kirchliche Uberlieferung ursprünglich auf die Lehre Jesu selbst zurückgehe. E r spricht dort von dem „ H e i l , das a m A n f a n g von dem H e r r n selbst zu Wort gekommen und von seinen H ö r e r n fest-verbürgt bis zu uns gelangt ist." Es m u ß nun betont w e r d e n : D a s Fehlen der A u t o r i t ä t des vorösterlichen Jesus als des entscheidenden Lehrers aller Christen in dem A u s s a g e n z u s a m m e n h a n g der Paulusbriefe ist nicht eine K o n s e quenz aus einem individuellen theologischen Urteil des Paulus, wie B u l t m a n n den Sachverhalt interpretiert hat 4 . Wie immer m a n den in der T a t harten S a t z des Paulus in 2. K o r . 5, 16 zu verstehen h a t : „selbst wenn wir Christus nach dem Fleisch gekannt hätten, so kennen wir ihn doch jetzt nicht m e h r " , — so könnte man doch höchstens sagen, d a ß es sich hier um eine theologisch durchreflektierte These handelt, mit der die bestehende Uberlieferungssituation seiner Gemeinden dem C h a r a k t e r und Anspruch der Jesus-Uberlieferung gegenüber zur Geltung gebracht wird 5 , — nicht aber, d a ß sein theologisches Urteil umgekehrt die Überlieferungssituation allererst kritisch geschaffen habe. Freilich ist es zu pauschal und d a r u m falsch, wenn W. Schmithals 6 meint, die Verhältnisse seien im gesamten hellenistisch-christlichen Überlieferungsbereich bis in die Mitte des 2. J a h r h u n d e r t s grundsätzlich denen zur Zeit des Paulus gleich geblieben; erst die schriftlichen Evangelien, die in gesonderten judenchristlichen G e meinden entstanden seien und erst später in hellenistisch-christliches Uberlieferungsgebiet E i n g a n g gefunden hätten, hätten die L a g e verändert. Besonnener ist in dieser Hinsicht H e l m u t Köster in 4
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V g l . b e s o n d e r s : Exegetische P r o b l e m e des 2. K o r i n t h e r b r i e f e s , N e u d r u c k 1963, 12 ff. V g l . auch H . C o n z e l m a n n , J e s u s v o n N a z a r e t h u n d der G l a u b e an den A u f e r s t a n d e n e n , i n : D e r historische J e s u s u n d der k e r y g m a t i s c h e C h r i s t u s (hrsg. v. H . R i s t o w u. K . M a t t h i a e ) , B e r l i n 1960, 188 ff. bes. 189. S o z u l e t z t E . K ä s e m a n n , D i e L e g i t i m i t ä t des A p o s t e l s , D a r m s t a d t 1956, 32 f . ; a n d e r s D . G e o r g i , D i e G e g n e r des P a u l u s im 2. K o r i n t h e r b r i e f , N e u k i r c h e n 1964, 2 5 4 ff.; 2 8 2 ff. P a u l u s u n d der historische J e s u s , Z N W 53 ( 1 9 6 2 ) 145 ff. bes. 156 ff.
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seiner 1957 erschienenen Monographie „Synoptische Überlieferung bei den apostolischen Vätern" vorgegangen. Köster hat gezeigt, daß in der T a t ein Einfluß der schriftlichen Evangelien erst von der frühen Mitte des 2. Jahrh. an nachweisbar ist, während in der Zeit davor offenbar aus mündlicher Uberlieferung geschöpft ist, was sich in den Apostolischen Vätern an Zitationen von Jesus-Worten findet. Untersucht man nun jedoch diese Stellen unter unserer traditionsgeschichtlichen Fragestellung, so fällt im Vergleich zu Paulus dies auf: Zwar ist die Art des Umgangs mit synoptischen Herrenworten im großen und ganzen die, die wir bei Paulus finden: Auch die Apostolischen Väter führen sie oft nicht ausdrücklich als Worte Jesu an, sondern behandeln sie als allgemein-christliche Weisungen. Aber 1) finden sich hier nun doch auch eine Reihe von ausdrücklich genannten /eswsworten, und 2) ist festzustellen, daß sich die Anzahl der angeführten Jesusworte gegenüber Paulus zusehends vermehrt. H a n d in H a n d damit geht eine Entwicklung in der rangmäßigen Einordnung von Herrenworten: Sie treten nämlich zusehends neben Schriftzitate, haben also entsprechend normative Bedeutung wie das Alte Testament; und entsprechend tritt der Gesichtspunkt mehr und mehr hervor, daß, was der Kyrios gesagt hat, von besonderer Autorität in der Kirche sei. Das heißt: Mit dem Ende des ersten und dem Anfang des zweiten Jahrhunderts läßt sich eine Entwicklung erkennen, daß im hellenistisch-christlichen Überlieferungsbereich Stoffe der Jesus-Uberlieferung in immer größerer Zahl verwendet werden und deren Uberlieferungsgesichtspunkt: die Autoritätsbedeutung dieser Worte als Lehre Jesu, immer mehr im Bewußtsein der hellenistisch-christlichen Uberlieferungsträger an Bedeutung gewinnt. Dadurch wird die rasche breite Rezeption der schriftlichen Evangelien in der Kirche der 2. H ä l f t e des 2. Jahrh. vorbereitet. Die Bildung der schriftlichen Evangelien selbst freilich ist gleichwohl ein Markstein in der urchristlichen Traditionsgeschichte gewesen. Schon das Markusevangelium ist als ein durchaus eigenwilliger Entwurf aufzufassen, der darauf abzielte, die verschiedenen Stoffe der Jesus-Überlieferung unter den bestimmenden Horizont des Missionskerygmas zusammenzufassen: Sprach dieses — wie die paulinischen Briefe durchweg zeigen — zentral vom Tode und von der Auferweckung Jesu, so hat der Markusevangelist die Passions-
Ulrich
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Wilckens
und Ostergeschichte zum zentralen Skopos seines Buches gemacht, das somit als ganzes „Evangelium" im strengen Sinn sein will. Der
Begriff
eiiayyeXiov
ist
ja
im
Uberlieferungsbereich
der
Missionsgemeinden terminus technicus der Missionsverkündung als ganzer, die K u n d e von T o d und Auferstehung Jesu gewesen (vgl. besonders 1. K o r . 15, 1 ff.). Dieser Begriff wird nun zur Überschrift über ein Buch, das von Jesu Geschichte handelt. D i e Stoffe dieses Buches stammen weithin nicht aus missionskerygmatischem Ü b e r lieferungsbereich: Aber das Schema der Stoffanordnung, die K o n zeption des redaktionellen Rahmens, in den die ortsfremden Stoffe durch den zweiten Evangelisten eingeführt worden sind, entspricht dem Schema der kerygmatischen Tradition. Zugleich bedeutete nun aber die Entstehung und Verbreitung dieser neuen Evangelienbücher im Überlieferungsbereich der hellenistisch-christlichen
Missionsge-
meinden, daß hier eine Fülle von neuen Stoffen bekannt wird: jetzt erhält der gestorbene, auferstandene, erhöhte Kyrios gleichsam das Gesicht des vorösterlichen Jesus der Jesus-Uberlieferung. D e r vorösterliche XQICTTO;,
Jesus
wird
so
zum
normativen
Bilde
des
Y.VQ IO;
der im hellenistisch-christlichen Glauben ursprünglich nur
als der Erhöhte, als der auferstandene Gekreuzigte vor Augen gestanden hatte. U n d so dürften das Markusevangelium und seine verschiedenen literarischen Nachfolger in der T a t schon in ihrer Entstehungszeit, der zweiten H ä l f t e des ersten Jahrhunderts, nicht unwesentlich dazu beigetragen haben, d a ß sich von nun an zwei bis dahin unterschiedene urchristliche Uberlieferungsbereiche miteinander verfilzt haben: Jesus-Überlieferung und Christus-Predigt (um sie jetzt und im folgenden mit diesen Schlagworten unseres Themas abgekürzt zu bezeichnen). Freilich, es w a r nicht einfach die literarische T a t des Markusevangelisten, die diese Entwicklung einleitete, und nicht allein die literarische Wirkung dieses Buches, das die Entwicklung vorantrieb. Dagegen spricht schon, daß, soweit wir sehen können, die Wirkungsgeschichte des zweiten Evangeliums merkwürdig gering gewesen zu sein scheint. D a s Matthäusevangelium hat im zweiten Jahrhundert den eindeutigen V o r r a n g in der kirchlichen Uberlieferung. — Vielmehr, der literarische
Wirkungsbereich der Evangelien ist als Teil
einer umfassenden iiberlieferungsgeschichtlichen
Entwicklung zu be-
Jesusüberlieferung und Christuskerygma
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greifen, die als ganze zu jener werdenden Verschmelzung der beiden verschiedenen Überlieferungskomplexe geführt hat. U n d so müssen wir nach dem Ursprung dieses Gesamtvorganges eines kräftigen Vordringens der bis dahin isoliert gebliebenen JesusUberlieferung im hellenistisch-christlichen R a u m der Missionsgemeinde fragen: Wie ist dieser Vorgang als solcher zu erklären? N u n , die Entstehung des Markusevangeliums fällt wahrscheinlich in die Zeit um 70 n. Chr. Die vom zweiten Evangelisten übernommene A p o k a l y p s e M a r k . 13 setzt die Wirren des jüdischen Krieges als unmittelbaren H o r i z o n t voraus. U n d man wird so nicht fehlgehen, die Entstehung des Markusevangeliums mit dem Geschehen dieser J a h r e in Verbindung zu bringen. N u n hat Marxsen 7 in dieser Hinsicht zugleich auf jene altkirchliche überlieferte Nachricht hingewiesen, nach der die Jerusalemer Urgemeinde noch vor dem katastrophalen Ende der S t a d t in das ostjordanische Pella ausgezogen sei. Darin dürfte doch wohl die Erinnerung bewahrt sein, daß die Urgemeinde in den Wirren des jüdischen Krieges nicht mit zugrundegegangen ist, sondern sich nach N o r d e n hin gerettet hat. D a s heißt aber, wir haben zu dieser Zeit jedenfalls damit zu rechnen, daß in den R a u m der syrischen heidenchristlichen Missionägemeinden hinein nun das palästinische Judentum mitsamt seinen ihm eigenen Traditionen eingewirkt hat. Ist es dann aber nicht recht naheliegend, zwischen dem Zuzug ehemals palästinischer judenchristlicher Schichten im syrischen hellenistisch-christlichen S t a m m l a n d einerseits und dem von dieser Zeit an zu konstatierenden Einwirken der JesusÜberlieferung auf die missionskerygmatischen Uberlieferungen des hellenistischen Christentums andererseits einen ursächlichen Zusammenhang anzunehmen? Unsere Vermutung soll von daher so lauten: Es ist nichts anderes als die Uberlieferung der palästinischen Judenchristen gewesen, die v o r deren Abwanderung nach N o r d e n eigenständig als / « » « Ü b e r l i e f e r u n g konturiert war, die dann aber in den dort vorgefundenen Traditionsrahmen der durchaus anders konturierten missionskerygmatischen Traditionen des Christuskerygmas Eingang gefunden und sich in der Folgezeit mehr und mehr allgemeinchristliche Geltung verschafft hat. 7
Der Evangelist Markus (Göttingen 2 1959) 75 f. (freilich zu Mk 16, 7).
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Ich betone: Gänzlich ohne Berührung und Austausch sind beide Uberlieferungsbereiche in den ersten Jahrzehnten zwischen den Jahren 30 und 70 n. Chr. gewiß nicht gewesen. Nicht nur die wenigen Herrenworte sprechen dagegen, die sich bei Paulus ja immerhin finden, sondern auch einfach die Tatsache, daß es ständige Kontakte zwischen Palästina und Syrien gegeben hat, in deren Zusammenhang ein vereinzelter Austausch von Überlieferungen jedenfalls nicht auszuschließen ist. Vor allem aber findet sich innerhalb der synoptischen Uberlieferung einiges stark hellenistisch geprägte Gut, dessen Entstehung im Umkreis der rein juden-christlichen Urgemeinde schwerer denkbar ist als im Bereich der hellenistisch-christlichen Missionsgemeinden. So gibt es zweifellos eine Vorgeschichte synoptischer Jesusüberlieferung in diesem außerpalästinischen Raum längst vor dem Ende des palästinischen Judentums. Und davon legt nicht zuletzt auch die griechische Sprachgestalt sowie der weitgehende LXX-Gebrauch im synoptischen Gut ein beredtes Zeugnis ab. Im Blick darauf mag man die Vermutung erwägen, daß es in Syrien und Kleinasien vielleicht judenchristliche Kreise gegeben haben könnte, deren Überlieferungsbestand bereits vor dem Jahre 70 durch Jesustradition bestimmt gewesen ist. Der besondere Traditionscharakter des johanneischen Schrifttums z. B. ließe sich vielleicht am besten erklären, wenn man seinen Verfasser in einer solchen Gemeinde beheimatet sein läßt, deren Uberlieferungsgut ursprünglich aus Palästina stammt, aber in seiner gesonderten Traditionsgeschichte eine charakteristisch geprägte Weiterentwicklung erfahren hat. Wie immer man so auf verschiedenen Wegen eine relativ frühe außerpalästinische Traditionsgeschichte synoptischen Uberlieferungsgutes annehmen mag, — so bleibt doch die Beobachtung der verschiedenen Struktur dieser Stoffe von denen der hellenistischchristlichen Missionsgemeinden vollauf bestehen: Jene sind durchweg am Bilde des vorösterlichen Jesus, diese an dem des erhöhten Christus maßgeblich orientiert.
2. Mit dieser These sind wir nun an den Punkt gelangt, an dem wir zunächst die synoptischen Stoffe der Jesus-Uberlieferung ganz
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f ü r sich auf ihre Struktur und ihre eigene Uberlieferungsgeschichte hin in den Blick zu fassen haben. Formulieren wir unsere Arbeitshypothese nochmals präzis: Die Überlieferung der W o r t e und Taten Jesu sowie seines Endgeschicks in Jerusalem, wie sie uns in dem redaktionellen Rahmen der synoptischen Evangelien vorliegt, gehört ursprünglich einem durchaus eigenen Überlieferungsbereich zu, der von demjenigen der hellenistisch-christlichen Missionstradition als eigenständiger, in sich relativ geschlossener Uberlieferungsbereich zu unterscheiden ist. Träger dieser Jesus-Überlieferung ist ursprünglich und wesentlich die Jerusalemer Urgemeinde gewesen. Das m u ß nun im Folgenden etwas näher erläutert werden. Wir tun das, indem wir zunächst den synoptischen Stoffbestand als ganzen ins Auge fassen. D a ß die Stoffe der synoptischen Evangelien in ihrem älteren Bestand auf judenchristliche Traditionsträger zurückzuführen sind, ist ja zunächst unbestritten. U n t e r formgeschichtlichem Gesichtsp u n k t empfiehlt es sich, diesen Grundbestand der Jesus-Uberlieferung in folgende Stoffgruppen einzuteilen: 1. die zusammenhängende Erzählung über die Passions- und Auferstehungsgeschichte Jesu; sie hat allen anderen Stoffen der Jesus-Uberlieferung gegenüber deutlich eine Eigengestalt — schon in ihrem C h a r a k t e r als zusammenhängende Erzählung — und hat auch ihre durchaus eigene Traditionsgeschichte gehabt, die sich durch Analyse der Texte erheben läßt. Eine 2. Stoffgruppe bilden die umfangreichen und im einzelnen verschiedenartig geformten Stoffe der Logienüberlieferung, zu denen hier auch die Gleichnisse hinzu genommen werden können. Es handelt sich hier durchweg um Einzelgut, das teilweise auch lange Zeit noch einzeln überliefert, teilweise aber auch zu Spruchreihen zusammengeordnet worden ist. Einen in der Überlieferung selbst mittradierten einheitlichen Gesamtrahmen hat es offenbar nicht gegeben; der in den Evangelien vorliegende ist nachweislich sekundär und gehört z u m spätesten Stadium der Traditionsgeschichte. In der Spruchquelle zeigt sich z w a r eine unter erkennbaren Sachgesichtspunkten anordnende Komposition 8 ; aber diese ist, f o r m 8
D a z u vgl. besonders H . E. Tödt, D e r Menschensohn in der synoptischen Überlieferung (Gütersloh 1959) 224 ff.
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geschichtlich geurteilt, so locker und der Rahmen der Stoffanordnung so wenig geschlossen, d a ß sich hier unter traditionsgeschichtlichem Aspekt keine klaren Abgrenzungen ziehen lassen. D a ß z. B . die Himmelreichsgleichnisse zum Teil und die großen Gleichniserzählungen des lukanischen Sonderguts ganz in Q fehlen, obwohl sie zweifellos keineswegs etwa jünger sind, viele von ihnen sogar auf Jesus selbst zurückgehen, d a r f kaum als Anzeichen dafür gewertet werden, d a ß der Sitz im Leben für die Überlieferung
der Gleichnisse
etwa ein anderer sei als der, der sich in der Komposition der Spruchquelle anzeigt. Vielmehr wird man, über den Stoffrahmen
der
Spruchquelle hinausgehend, hinsichtlich der ganzen,
in der Form
recht verschiedenartigen
gemeinsamen
Spruchüberlieferung einen
Sitz im Leben anzunehmen haben. Darüber wird gleich noch zu sprechen sein. 3. kommen hier noch die Jesuserzählungen hinzu. Sie sind wiederum im einzelnen verschiedenartig; und hier muß die verschiedene Form traditionsgeschichtlich-kritisch gewertet werden. Denn es läßt sich eine Gruppe herausheben, die als solche das älteste Stadium von Jesuserzählungen überhaupt repräsentiert: nämlich diejenigen E r zählungen, die ihre F o r m durch die Orientierung auf ein W o r t Jesu empfangen haben. Es handelt sich im wesentlichen um die Stücke, die Dibelius als Paradigmen und Bultmann als Apophthegmata beschrieben hat. H i e r wird überall ein Tun Jesu erzählt, das auf ein W o r t gleichsam zuläuft. Das W o r t ist zwar — jedenfalls in vielen Fällen — nicht als solches abhebbar, sondern fest mit der betreffenden Erzählung verbunden: aber das Uberlieferungsstück als solches hat in dem Jesuswort seine Spitze; das, was erzählt
wird, wird
wesentlich in Hinordnung auf dies Wort Jesu erzählt. Ich möchte sie darum „Logien-Erzählungen" nennen. D i e für sie charakteristische organische Verbindung von Geschehen und W o r t fehlt dagegen in der großen Masse der reinen W u n dergeschichten und Legenden. Deren Form ist dadurch geprägt, d a ß der Erzähler ganz auf das H a n d e l n Jesu als solches und darin auf seine Macht bzw. überhaupt auf sein „Wesen" schauen lassen will. Das W o r t Jesu — etwa das Heilungswort oder der exorzistische A n r u f , aber auch die Aufforderung zum Glauben — ist hier ganz
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Teil des erzählten Vorganges als solchen und hat keinerlei Eigenbedeutung. Von der verschiedenen Form läßt sich auf ein verschiedenes überlieferungsgeschichtliches Alter zurückschließen: Die Logien-Erzählungen sind die ältesten Einheiten der Jesuserzählungen. Ihre Form zeigt ganz deutlich die Nähe zur Logienüberlieferung, so daß sich das Urteil sehr nahe legt, daß diese Logienerzählungen auch am selben „Sitz im Leben" tradiert worden sind wie die Logien. Die übrigen Jesuserzählungen haben sich in ihrer Form im wesentlichen erst sekundär aus den Logienerzählungen heraus gebildet. Ihre Orientierung am Tun und am Wesen der Person Jesu zeigt, daß in der Ausbildung dieser Formen ein bestimmtes christologisches Interesse führend beteiligt ist. Bornkamm 9 bezeichnet einen Teil von ihnen sehr zutreffend als „Christusgeschichten". Eine Untersuchung der hier formbildenden Christologie zeigt im übrigen vielfach spezifisch hellenistisches Gepräge: Jesus erscheint in seinem Tun in der Weise eines \)eio? &vr|p. Das bedeutet traditionsgeschichtlich, daß wir uns hier zumindest im Ubergang palästinischer Jesus-Uberlieferung in hellenistische Atmosphäre befinden. Demnach haben wir es, rein formgeschichtlich gesehen, im Blick auf den älteren Bestand palästinisch-christlicher Jesus-Uberlieferung mit nur zwei verschiedenen Stoffbereichen zu tun: der Passions- und Ostergeschichte einerseits und der Logienüberlieferung andererseits, dem die Logien-Erzählungen zuzurechnen sind. Dieser Unterschied weist sehr wahrscheinlich auf einen verschiedenen „Sitz im Leben", nicht aber auf verschiedene Traditionsträger. Es ist — so möchte ich im Gegensatz zu W . Schmithals 10 behaupten — ein und dieselbe Gemeinde, die an zwei unterschiedenen Lebensorten ihre von daher jeweils geprägten Uberlieferungen pflegt. Versuchen wir den „Sitz im Leben" zu bestimmen, zunächst für die Logienüberlieferung. Die Logienüberlieferung ist durchweg und deutlich erkennbar an einem ganz bestimmten Jesusbilde orientiert: an dem Bilde des vorösterlichen Jesus als Prediger und Lehrer. Das gilt gerade auch
» R G G II3 752. P a u l u s und Jakobus (Göttingen 1 9 6 3 ) , 9 7 f.
10
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f ü r diejenigen Überlieferungsstücke, deren nachösterliche Entstehung wahrscheinlich ist. Ja, dies ist sogar f ü r die Formgeschichte der gesamten Logienüberlieferung überaus charakteristisch: die nachösterliche Tradition bleibt in ihrer Form durch die vorösterliche Situation geprägt. Die nachösterliche Tradition der Jesusworte ist in ihrem C h a r a k t e r Weiterverkündigung der Verkündigung Jesu. Will man d a r u m den „Sitz im Leben" der nachösterlichen JesusÜberlieferung in seiner Eigenart verstehen, so muß man eine Frage stellen, die merkwürdigerweise noch kaum unter formgeschichtlichem Gesichtspunkt gestellt worden ist: nämlich die Frage nach dem „Sitz im Leben" •yorösterlicher Jesus-Überlieferung. W a r doch ausweislich der Formung der nachösterlichen Tradition deren „Sitz im Leben" ganz und gar an diesem vorösterlichen „Sitz im Leben" orientiert! Es ist das Verdienst von H e i n z Schürmann, diese Frage unter streng formgeschichtlichem Aspekt, soweit ich sehe, bisher als einziger gestellt, und damit unserer Disziplin auf eine neue und außerordentlich wichtige Aufgabe hingewiesen zu haben 11 . Es ist sicherlich ganz falsch, f ü r die vorösterliche Zeit mit keinerlei Tradition, sondern lediglich mit „lebendiger Erinnerung" der Jünger oder ähnlichem zu rechnen. Nein, die bloße T a t sache der breiten nachösterlichen Tradition in ihrem / o r m c h a r a k t e r als ^orösterliche /e5«s-Uberlieferung setzt die Tatsache vorösterlicher Tradition voraus. Die Frage ist im Augenblick viel zu neu und bedarf darum eines detaillierten Durchprüfens und Erwägens, als daß sie hier zusammenfassend weiter verfolgt werden kann. Aber der Hinweis auf ihr Recht reicht f ü r unseren Zusammenhang aus, um zu der These zu gelangen: Der nachösterliche „Sitz im Leben" der Logienüberliefe11
H. Schürmann, D i e vorösterlidien Anfänge der Logientradition. Versuch eines formgeschichtlichen Zugangs zum Leben Jesu, in: Der historische Jesus und der kerygmatische Christus, a. a. O. (Anm. 4), 342—370. Vgl. dazu E. Jüngel, Paulus und Jesus (Tübingen 2 1964) 297 ff. V o n Schürmanns formgeschichtlich orientiertem Vorstoß ist die Darstellung jüdischen Traditionsdenkens als Maßstab urchristlicher Überlieferung zu unterscheiden, die B. Gerhardsson in seinem bedeutenden Buch ,Memory and Manuskript' ( A S N U Z Z , 1961) vorgelegt hat. D a dieses aber nicht form- und überlieferungsgeschichtlich angelegt ist, ist ihm auch die eigentliche Problemstellung fremd, von der Schürmann sich leiten läßt, und die auch vorliegender Skizze zugrundeliegt.
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rung ist durch eine darin festgehaltene Kontinuität mit dem „Sitz im Leben" vorösterlicher Jesustradition bestimmt. Von daher sind die Formmerkmale dieser Überlieferung zu verstehen. Das wichtigste: In der Oberlieferung der wac^österlichen Traditionsträger spricht weiterhin der forösterliche Jesus. Das gilt, wie immer gerade auch christologische Aspekte spezifisch nachösterlichen Charakters das Überlieferte verändert haben! Ja, nur um so deutlicher tritt die Eigenart dieser Überlieferung hervor: Die Traditionsträger überliefern auch dort, wo sie über die ihnen überkommenen Jesusworte hinaus neue, eigene Lehre prägen, nicht allgemein christliche Lehrsätze, sondern sie überliefern durchweg Worte Jesu. Dies sagt z. B. das Wort Matth. 23, 8 in seinem ursprünglichen Sinn: „Ihr aber laßt euch nicht Rabbi nennen — denn ein einziger ist euer Lehrer, ihr aber seid alle Brüder." Dies Wort steht im Rahmen antipharisäischer Polemik, und es gibt meines Erachtens gar keine Berechtigung dafür, es in seinem ursprünglichen Sinn anders zu verstehen 12 . Hier spricht — und zwar höchst profiliert — das Selbstverständnis der palästinisch-christlichen Jesus-Überlieferung: In der christlichen Gemeinde gilt nicht nur einzig die Lehre Jesu, sondern darin auch einzig Jesus als Lehrer. Kein Tradierender — und habe er in der Gemeinde eine auch noch so geehrte Position — kann sich deshalb selbst als Lehrer ausgeben. Darin unterscheidet sich diese Gemeinde von ihrer jüdischen Umwelt: dort lehren in den Lehrhäusern viele Lehrer; die Lehre wird sogar vielfach unter dem Namen eines bestimmten Lehrers tradiert 13 . So ist es nicht unter den Jesus-Jüngern. Sie haben nur diesen Einen als ihren Lehrer, Jesus. Das wirft zugleich ein Licht auf den „Sitz im Leben" dieser Tradition: er unterscheidet sich wesentlich von Schule und Synagoge der jüdischen Umwelt, jedoch nur in diesem bestimmten Sinn: daß der Lehrbetrieb
12
18
Anders z. B. E. Käsemann, Die Anfänge christlicher Theologie, ZThK 57 (1960) 162—185, bes. 164 f., der in Matth. 2 3 , 8 — 1 0 eine Polemik pneumatischer Enthusiasten „gegen eine sich eben in der "Weise eines christlichen Rabbinates bildende Gemeindeordnung" sieht. Ähnlich vorher besonders E. Haenchen, Matthäus 23, ebd. 48 (1951) 38—63, bes. 43 f. Richtig dagegen z. B. F. Hahn, Christologische Hoheitstitel (Göttingen 1963) 78 f. Dazu vgl. grundlegend W. Bacher, Tradition und Tradenten in den Schulen Palästinas und Babyloniens (Nachdruck 1966, Berlin) 25 ff., 47 ff.
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hier exklusiv auf den einen Lehrer, Jesus, konzentriert ist: „ W o zwei oder drei versammelt sind in meinem N a m e n , da bin ich mitten unter ihnen" (Matth. 18, 2 0 ) . Es gibt hier also nicht eine Mehrheit von Lehrern, denen die respektvolle Anrede ,Rabbi' zukommt,
und
(vgl. Matth.
keine
pirqe
abot
als
autoritative
Überlieferung
5, 21 f.). Die Jesusjünger einschließlich
aller
ihrer
Lehrer sind im Verhältnis zueinander nichts als Brüder; und z w a r Brüder, insofern sie Jünger
Jesu sind. Das Verhältnis zwischen
Lehrern und H ö r e r n im jüdischen Lehrhaus ist hier abgelöst durch das Verhältnis der Jünger zu Jesus, dem Lehrer. V o n daher darf man denn wohl sagen: der „Sitz im Leben" für die gesamte Logienüberlieferung war der Lehrbetrieb in der in dieser Weise durch die Grundbeziehung zu Jesus veränderten, christlichen Synagoge. D i e palästinischen Christen hatten ihren Lehrbetrieb — darin ganz wie man ihn in der jüdischen U m w e l t gewohnt war — , aber einen Lehrbetrieb ganz eigener Art. Wie ist es dazu gekommen? Diese Frage kann jetzt nur so gestellt werden: Was ermächtigte die Jünger Jesu als i w ö s t e r l i c h e Traditionsträger, auch nach dem T o d e ihres einen Lehrers gleichwohl ein Institut auszubilden und zu pflegen, das sich in seiner Eigenart so charakteristisch von den Schulinstituten der jüdischen U m gebung, der sie j a doch selbst entstammten, unterschied? Die A n t wort kann nur lauten: die E r f a h r u n g der Auferstehung
Jesu hat
diese Konsequenz gehabt. D i e E r f a h r u n g der Auferstehung Jesu bedeutete für seine J ü n g e r die Erkenntnis, d a ß G o t t Jesus, ihren vorösterlichen Einen Lehrer, durch seine Entrückung in den Bereich des nahen Endgeschehens endzeitlich-gültig bestätigt habe 1 4 . D a r i n war impliziert, d a ß also auch seine Lehre,
wie sie vor Ostern tradiert
worden war, eben diese eschatologische Autorität empfangen hatte. U n d also war darin gleichfalls mitgesetzt, daß nun auch das verhältnis
Jünger-
zu diesem Jesus als dem Einen Meister neu konstituiert
— und also nun von ihnen selbst neu zu gestalten war. Dies erklärt
11
Vgl. dazu U. Wilckens, Der Ursprung der Überlieferung der Erscheinungen des Auferstandenen, in: Dogma und Denkstrukturen (hrsg. W. Joest und W. Pannenberg, Göttingen 1963) 5 6 — 9 5 ; sowie ders.: Die Überlieferungsgeschichte der Auferstehung Jesu, in: Die Bedeutung der Auferstehungsbotschaft für den Glauben an Jesus Christus (hrsg. W . Kreck, Gütersloh 1966), 40—63.
Jesusüberlieferung und Christuskerygma
schließlich auch den Traditionsprozeß,
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der nun einsetzte: Man tra-
dierte nicht nur, was man von der vorösterlichen Zeit her besaß, weiter, sondern man hat nach deren Vorbild und M a ß nun auch neue Traditionsstücke geschaffen. Wie immer berechtigt es in Einzelfällen ist, die Geisterfahrung prophetischer Inspiration für diese Neubildungen verantwortlich zu machen 1 5 , — so gab es doch für die Formung aller neugebildeten Überlieferungen vom „Sitz im Leben" her ein Formgesetz, dem durchweg Genüge getan worden ist: Es konnte keine Lehre im Kreise von Jesusjüngern formuliert und tradiert werden, es sei denn, daß sie als Lehre des Einen Lehrers formuliert und tradiert wurde. W i r müssen jetzt noch einen kurzen Blick auf den 2. Traditionsbereich der Jesus-Überlieferung, die Passions- und Ostergeschichte werfen. Sie hat in ihrer Form kein irgendwie geartetes Analogon im Traditionsbereich des rabbinischen Schulbetriebes. Entsprechend unterscheidet sie sich in ihrer F o r m auch von der Logienüberlieferung — und muß so auch einen anderen „Sitz im Leben" gehabt haben als diese. N u n ist ihre F o r m dadurch geprägt, daß sie ein —
auch in der vermutlichen U r f o r m — längerer, zusammenhän-
gender, in sich geschlossener Bericht über die Geschehnisse von der Verhaftung Jesu bis zur Auffindung des leeren Grabes ist 1 0 . Dieser Formcharakter blieb auch dort bewahrt, wo sich in seiner traditionsgeschichtlichen Entwicklung später manches Einzelgut an ihn ankristallisierte: Dieses ist in den zusammenhängenden
Erzählungs-
faden sorgsam eingefügt worden. So wird dieser immer länger, aber seine Einheit und seinen Zusammenhang hat er dadurch nicht verloren. Wozu konnte man eine solche F o r m ausgebildet und
15
18
Dazu vgl. besonders E. Käsemann, Sätze heiligen Rechtes im Neuen Testament, N T S 1 (1954/55) 248 ff., jetzt in: Exegetische Versuche und Besinnungen II (Göttingen 1964) 69 ff., besonders 78 ff.; ferner ders., Die Anfänge christlicher Theologie, ZThK 57 (1960) 162 ff., abgedruckt in: Exegetische Versuche und Besinnungen II a. a. O. 82 ff.; ders. Zum Thema der urchristlichen Apokalyptik, ZThK 59 (1962) 257 ff., abgedruckt a. a. O. 105 ff. Diese These, daß der Passionsberidit schon in einem vormarkinischen Stadium der Traditionsgeschichte mit der Perikope vom leeren Grabe Jesu geschlossen hat, kann im Rahmen dieses Vortrages nicht begründet werden. Ich hoffe eine ausführliche Begründung in nicht allzu ferner Zeit in größerem Rahmen vorlegen zu können.
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Ulrich
Wilckens
ständig traditionell gepflegt haben? N u n , antworten wir zuerst negativ: nicht — wie die Logien Jesu — zur Lehre; lehrhaften C h a r a k t e r hat die Passions- und Ostergeschichte gar nicht. Hier wird erzählt u n d will erzählt werden. Das läßt sich vor allem an dem Gebrauch der alttestamentlichen Zitate und Anspielungen erkennen, die — jedenfalls im frühen Stadium der Traditionsgeschichte des Passionsberichtes — keinerlei lehrhafte Funktion, etwa im Sinne eines Schriftbeweises, haben, sondern unmittelbar Elemente der Erzählung selbst sind 17 . Indem erzählt wird, wird zugleich ein Hörerkreis vorausgesetzt, der dem ganzen Erzählungszusammenhang ohne Lehrgespräch in einem f o r t zuhört: Also — so möchte ich demgemäß die Form im Blick auf ihren „Sitz im Leben" interpretieren — haben wir es mit so etwas wie einer Kultlegende zu tun, die rezitiert wird 1 8 . In dieser Uberlieferung f ü h r t sich die Gemeinde dasjenige Geschehen um Jesus vor Augen, auf das hin sie sich selbst zu ihrer eigenen Konstituierung als Fortsetzung der Jüngerschaft zu Jesus ermächtigt erfahren hat. Ein Analogon dazu ist etwa die Funktion, die in alt-israelitischer Überlieferung einmal
17
ls
Dazu vgl. M. Dibelius, Die Formgeschichte des Evangeliums (Tübingen 3 1959) 187 ff. sowie besonders: Herodes und Pilatus, in: Botschaft und Geschichte I (Tübingen 1953) 278 ff., wo „die Entwicklung, die von der Tatsachen-Produktion durch christliche Betrachtung der ,Schrift' über die Verwendung im Kultus zur literarischen Verarbeitung f ü h r t " (ebd. 223) an der Perikope Luk 23, 6 ff. paradigmatisch aufgezeigt wird. Freilich muß der Unterschied zwischen eingeführten und nicht eingeführten Zitaten im Zusammenhang der Passionsgeschichte unter formgeschichtlichem Gesichtspunkt stärker beachtet werden: In der alten Uberlieferung hat der Gebrauch des Alten Testaments nicht den C h a r a k t e r eines „Weissagungsbeweises" (so R. Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition, Göttingen 3 1957, 303 f.), sondern den einer kultischen Erzählung aus dem Alten Testament. Dieser von G. Bertram 1922 aus stark religionspsychologischer Fragestellung zur Diskussion gestellte Aspekt ist streng formgeschichtlich zuerst von G. Schille, Das Leiden des H e r r n , ZThK 52 (1955) 161—205 aufgegriffen worden. Wenn auch seine Aufstellungen im einzelnen der Kritik nicht standhalten, so ist seiner leitenden Fragestellung alles Recht zuzubilligen: „notwendig wäre . . . die Frage, welches Bedürfnis die Gemeinde zur Abfassung des ältesten (historischen?) Berichtes gedrängt hat" (S. 162). Auch die These, daß der Bericht (jedenfalls in seinem vorliterarischem Traditionsstadium) gottesdienstliche Funktion gehabt hat, ist einer noch ausstehenden Diskussion wert. Schille d ü r f t e im allgemeinen recht haben.
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die kultische Erzählung von der H e r a u s f ü h r u n g aus Ägypten gehabt hat. — Zur Verlesung der Passions- und Ostergeschichte kam man also zum H ö r e n zusammen: vielleicht tat man das vom Ursprung an bei einem Mahl, das man in der festgehaltenen Erinnerung an Jesu Abschiedsmahl in Jerusalem hielt; die M a h l - T h e m a t i k ist ja doch wohl f r ü h e r im Rahmen der Passionserzählung verankert als die markinische Perikope von der Einsetzung des Abendmahls; das zeigt besonders auch die Analyse der Lukas- und Johannespassion. Für unsere Fragestellung ergibt sich zweierlei: erstens, d a ß die Passions- u n d Ostergeschichte von ihrem U r s p r u n g an den C h a r a k ter kultischer Rezitation hat und darin im Blick auf ihren „Sitz im Leben" unterschieden ist von der gesamten anderen Jesus-Uberlieferung, deren Rahmen das Lehrgespräch ist; und zweitens also, daß die m a r k a n t e n Unterschiede zwischen der Logientradition und dem Passionsbericht formgeschichtlich erklärbar sind: Die Traditionsträger müssen dann nidit voneinander verschiedene Gemeinden 1 9 , es k a n n vielmehr durchaus ein und dieselbe G r u p p e sein: die Jerusalemer Urgemeinde als die nachösterliche neukonstituierte Jüngergemeinde Jesu, die an zwei verschiedenen Lebensbereichen (Sitzen im Leben) verschieden geformte Überlieferungen ausgebildet hat. Von daher wird nun im Blick auf den ganzen Komplex der alten palästinischen Jesus-Uberlieferung sichtbar, wie schlechthin konstitutiv an diesem Traditionsort der Jerusalemer Urgemeinde der C h a r a k t e r der gesamten Uberlieferung als /es«5-Uberlieferung gewesen ist. Die Beziehung zu Jesus, dem Lehrer und von G o t t aus Passion und Tod erhöhten, endzeitlich legitimierten Heilsmittler, ist hier nirgendwo zu eliminieren. U n d das gilt gerade im Blick auf die Lehre Jesu: von ihr ist der ganze Alltag des Lebens der Urgemeinde durchweg bestimmt. In diesem R a h m e n der Uberlieferungssituation der Urgemeinde ist es also undenkbar, d a ß sich die Überlieferung über T o d und Auferstehung Jesu von der Überlieferung der Worte Jesu isolierte und als solche zum K e r n eines Überlieferungskomplexes werden könnte, in dessen R a h m e n die Orientierung gelten19
So W . Schmithals, a. a. O. (Anm. 10).
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der christlicher Lehre nicht mehr am Bilde des vorösterlichen Jesus als des einen Lehrers orientiert wäre!
3. Eben darin aber unterscheidet sich nun die Struktur der missionskerygmatischen Überlieferung, die wir gleichzeitig mit der palästinisch-judenchristlichen Jesus-Uberlieferung, aber getrennt von dieser, im hellenistisch-christlichen Bereich der Missionsgebiete finden. Von Jesus, so haben wir gesehen, verlautet hier zentral nur, was in der Predigt über sein Endgeschick gesagt w i r d : gestorben, begraben, auferweckt in die Funktion des endzeitlichen Heilsmittlers (1 K o r . 15, 1 ff.) Einzelne Sprüche Jesu, die in diesem Überlieferungsbereich ursprünglich mit übernommen worden sind, gehen unter u n d sogar weithin auf in den Charakter allgemeiner Paränese. Die C h r i sten in diesem Uberlieferungsbereich glauben an Jesus als den a u f erweckten, einen Kyrios, nicht als an den einen Lehrer. Der ganze in der Urgemeinde zentrale Komplex von Jesus-Überlieferung ist, auf die S t r u k t u r dieser hellenistisch-christlichen Missionsüberlieferung gesehen, ohne Bedeutung geblieben. Darin unterscheidet sich diese, wie wir jetzt nach dem Blick auf den C h a r a k t e r der urgemeindlichen Jesus-Uberlieferung sagen müssen, durchaus wesentlich von der S t r u k t u r der palästinisch-christlichen Überlieferung. Will m a n nun das Verhältnis zwischen diesen beiden urchristlichen Uberlieferungsbereichen traditionsgeschichtlich klären, so m u ß der Blick sich auf die Anfangsgeschichte der hellenistisch-christlichen Missionsüberlieferung richten. Wie läßt sich diese erkennen? U n d wie ist darin das Verhalten zur urgemeindlichen Jesus-Überlieferung zu bestimmen? Die A n t w o r t auf diese Fragen ist außerordentlich schwierig. Denn die Anfangsgeschichte des hellenistischen U r christentums entzieht sich unserem historischen Einblick in besonders hartnäckiger Weise. Auf kaum einem anderen Gebiet der urchristlichen Geschichte m u ß d a r u m mit mehr Vermutungen und K o m b i nationen gearbeitet werden als auf diesem. Einen gewissen A n h a l t bekommen wir zunächst durch die Biographie des Paulus. Seine Bekehrung fällt in sehr f r ü h e Zeit; mit
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ihrer Datierung darf m a n nicht über die Mitte des 4. Jahrzehnts hinausgehen. Die ersten christlichen Traditionen hat er jedenfalls bereits hier in Damaskus e m p f a n g e n ; und ein p a a r J a h r e später hat er als führender Missionar der antiochenischen Gemeinde zweifellos diejenigen Traditionen in seiner Missionsarbeit zur G r u n d lage gehabt, die dort in Geltung standen. Natürlich ist von A n f a n g an seine Predigt selbst so stark von seiner Persönlichkeit geprägt gewesen, wie dies in seinen Briefen offenkundig ist. In dieser besonderen P r ä g u n g bildeten die Elemente der gemeinen hellenistischchristlichen Missionstradition überall in den paulinischen Gemeinden den Kern der sich dort ausbildenden Grundüberlieferung. Spätestens also um das J a h r 40, wahrscheinlich aber schon um das J a h r 35, gab es den G r u n d b e s t a n d jener missionskerygmatischen Überlieferung, deren Ursprünge wir erkennen wollen. D a ß Paulus damals zugleich die Jesus-Überlieferung der Urgemeinde mit übernommen, ja auch nur gründlicher kennengelernt habe, ist höchst unwahrscheinlich. Der Tatbestand der paulinischen Texte erfordert, wie gesagt, die Annahme, d a ß Paulus diese, von wenigen Einzellogien abgesehen, nicht gekannt hat, weil sie im Überlieferungsbestand des hellenistischen Christentums, als dessen Repräsentant er zu gelten hat, in der oben beschriebenen Weise keinen O r t hatte. Einen weiteren Schritt zurück gelangt m a n durch eine kritische Auswertung der Apostelgeschichte, die in ihrem 2. Teil von Kapitel 6 an a u f g r u n d antiochenischer Uberlieferungen konzipiert ist. Diese besagen, d a ß die antiochenische Gemeinde sich wie einige andere Gemeinden auf den Kreis um Stephanus zurückführte, der in der Anfangszeit der Jerusalemer Urgemeinde zum Glauben an Jesus bekehrt worden ist. Diese Uberlieferung ist meines Erachtens durchaus vertrauenswürdig 2 0 . Es ist d a n n aber auch nur konsequent, die erste und f ü r die Folgeentwicklung des hellenistischen Christentums grundlegende Traditionsbildung hier im Stephanuskreis anzusetzen, — in Jerusalem also, am O r t der Urgemeinde als Trägerin der Jesus-Uberlieferung! Das verschärft unser traditionsgeschichtliches Problem freilich erheblich: D e n n wie ist es denkbar — so m u ß n u n gefragt werden —, d a ß in Jerusalem Leute Christen werden 20
Anders W . Schmithals, a. a. O . (Anm. 10) 9 ff.
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konnten, ohne die Jesustradition der Urgemeinde kennen zu lernen? Wenn Stephanus und die Seinen durch Angehörige der Urgemeinde zum Glauben an Jesus gekommen sind, — wie ist es dann zu erklären, daß sie eine Tradition ausgebildet haben, die das Zentrum deren Alltagslebens, die Lehre Jesu, vermissen ließ und von daher eine gegenüber der urgemeindlichen Tradition so wesentlich veränderte Gestalt hatte? Vielleicht läßt sich dieses Rätsel bis zu einem gewissen Grade aufklären. Aus Act. 6 erfahren wir, daß der Stephanuskreis im Unterschied zu den Angehörigen der Urgemeinde als 'EXXriviatai bezeichnet worden ist. Die Diskussion um diese Bezeichnungen 'EA.XT|vicrrai und 'Eßpaioi hat ergeben, daß in erster Linie ein Unterschied der Sprache und damit verbunden zugleich ein Unterschied der Lebenshaltung im Ganzen gemeint ist 21 . Die „Hellenisten" sind griechisch-sprechende Juden, die aus der Diaspora stammen und von dorther in mancher Beziehung griechische Kultur angenommen haben, mehr als man in denjenigen jüdischen Kreisen des palästinischen Stammlandes, aus denen die Angehörigen der Urgemeinde stammten, nämlich den sogenannten apokalyptischen K r e i sen, im eigenen Leben gewohnt war. Zudem kann man mit Ernst Haenchen 22 aus Act 6, 9, wo von Diskussionen des Stephanus mit Angehörigen einer diasporajüdischen Synagoge in Jerusalem die Rede ist, mit einiger Sicherheit schließen, daß die Stephanusleute selbst aus dieser Synagoge stammten und nach ihrem Christwerden alles daransetzten, die Ihrigen für diesen Glauben zu gewinnen. Diese haben scharf reagiert: Stephanus selbst erlitt in einer A r t spontaner Lynchjustiz den Märtyrertod, die übrigen seiner Gruppe flohen aus Jerusalem und begründeten an verschiedenen Orten der Diaspora — darunter in Antiochien — den Kern eigener christlicher Gemeinden, die sehr rasch wuchsen, da — wie die Apostelgeschichte mehrfach vertrauenswürdig berichtet — dies frühe hellenistische Christentum sehr intensiv Mission getrieben hat. Von da-
21
22
Dazu vgl. besonders M. Simon, St. Stephen and the Hellenists in the Primitiv Church (London, N e w Y o r k , Toronto 1958), 1 ff. E. Haenchen: Die Apostelgeschichte (Meyer I I I 1 4 Göttingen 1965) 219 f.; vgl. auch die N o t i z zu Act 6, 9 bei H. Conzelmann, a. a. O. (Anm. 1) 45.
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her erklärt sich auch der kerygmatische Charakter ihrer Überlieferung im ganzen. Hat man diese Ursprungsgeschichte des hellenistischen Christentums vor Augen, so ist f ü r unsere Problemstellung Folgendes zu beachten: 1) Die Jerusalemer „Hellenisten" sind eine gesonderte Gruppe von Christen gewesen, die allesamt keinerlei biographischen Anhalt an Jesus und so auch keinerlei persönliche Beziehung zu der Tradition über den vorösterlichen Jesus gehabt haben. Hier war zuerst in der Kirchengeschichte eine ganze Gruppe von Christen, die durch die Kunde von Jesu Auferstehung als solche allererst zum Glauben an Jesus gebracht worden sind ( im Sinne von Rom 10: f) itiau; t | axorji; gaxiv). 2) Die Zeit der Stephanusleute in Jerusalem nach ihrer Bekehrung ist sehr kurz bemessen gewesen, damit aber auch der Kontakt mit der Urgemeinde. 3) Dieser Kontakt ist zudem nicht spannungsfrei gewesen. Act 6, 1 f. ist von einem Streit zwischen beiden Seiten die Rede, den Lukas auf die Frage der Witwenversorgung bezieht; aber das dient Lukas zur Zeichnung seines Bildes von den Stephanusleuten als „Diakone", während sie in Wirklichkeit, wie aus den von ihm bearbeiteten Überlieferungen eindeutig hervorgeht, Evangelisten waren. Welches der Anlaß der überlieferten Spannungen gewesen ist, läßt sich nicht mehr sicher erkennen. Vielleicht darf man aus der Anklageerhebung gegen Stephanus Act 6, 11 (vgl. 21,21) vermuten, daß die Stellung der Hellenisten zur Tora der Stein des Anstoßes war 23 . 4) Die Hellenisten waren jedenfalls durch ihre griechische Sprache von den Gliedern der aramäisch sprechenden Urgemeinde unterschieden. 5) Ihre ganze Intensität war darauf gerichtet, in ihrer diasporajüdischen Heimatsynagoge für ihren Glauben zu werben. Dies alles deutet auf eine gewisse Besonderung dieser Leute von der Urgemeinde hin, die sich vielleicht durch die Annahme erklärt, " So z. B. E. Haenchen, a. a. O. (Anm. 22) 221. Als radikale Antinomisten sieht sie W. Schmithals, a. a. O. (Anm. 10) 15 ff.
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d a ß die Stephanusleute sich nach ihrer Bekehrung nicht im vollen Ausmaß dem urgemeindlichen Gemeindeleben angeschlossen haben, sondern vielmehr von vornherein einen relativ eigenen Kreis gebildet haben, vor allem, weil es ihnen um die Missionierung ihrer ehemaligen Synagogenbrüder ging. Wenn m a n das annehmen dürfte, dann fände auch der besondere C h a r a k t e r der in ihrem Kreis ausgebildeten Überlieferung im U n terschied zu dem der urgemeindlichen Uberlieferung eine zureichende Erklärung. Die Botschaft, auf die hin die Hellenisten Christen geworden waren, w a r die von der Auferstehung Jesu und seiner Einsetzung in die endgeschichtliche Funktion des Heilsmittlers. D a v o n lebte ja die Urgemeinde; das w a r also jedenfalls das Erste und Grundlegende, das f ü r jeden Neuhinzugekommenen bei der ersten Begegnung mit den Jesusjüngern die Urgemeinde auszeichnete: N u n hatte diese Botschaft von der Auferweckung Jesu freilich im Leben der Urgemeinde selbst ihren Sinn und ihre wesentliche Bedeutung im zentralen Blick auf die Uberlieferung der Lehre Jesu. Doch von der Lehre Jesu konnte man nur erfahren, wenn man sich dem alltäglichen Leben der Urgemeinde mit ihrem eigenen Lehrbetrieb anschloß. In dem Maße jedoch, in dem die H e l lenisten als gesonderte G r u p p e dem täglichen Leben der Urgemeinde mit ihrem Lehrbetrieb fernblieben, blieb die Botschaft von der A u f erweckung Jesu in ihrem Kreise relativ isoliert. So würde sich der besondere C h a r a k t e r der hellenistisch-christlichen Uberlieferung, die in diesem Kreise um Stephanus ihre erste, grundlegende Gestalt angenommen hat (vgl. Act 8, 35; 11, 20), von den besonderen geschichtlichen U m s t ä n d e n her erklären, unter denen diese ersten hellenistischen Christen zum Glauben an Jesus gekommen sind und in der kurzen Zeit bis zu ihrer Vertreibung aus Jerusalem f ü r ihn gewirkt haben. Freilich ist hinzuzufügen: Gänzlich ohne Kontakt mit der U r gemeinde sind die Hellenisten natürlich nicht geblieben. Dem entspricht, d a ß in geringem U m f a n g auch Jesusworte und mit ihnen das Wissen um die Lehre Jesu u n d ihre einzigartige Autorität in ihre Überlieferung übergegangen ist. Doch hat diese im Zusammenhang ihrer missionskerygmatisch orientierten Uberlieferung einen anderen O r t u n d so auch eine andere Bedeutung erhalten: Als ganze
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w a r diese Ü b e r l i e f e r u n g v o n v o r n h e r e i n durch die isolierte Botschaft v o n der A u f e r w e c k u n g u n d endzeitlichen Heilsmittlerschaft Jesu charakterisiert, die im G l a u b e n a n z u n e h m e n w a r . Die W o r t e Jesu h a t t e n in diesem R a h m e n d o r t einen O r t , w o die z u m G l a u b e n G e k o m m e n e n zu heiligem L e b e n s w a n d e l e r m a h n t u n d mit den G e m e i n d e o r d n u n g e n v e r t r a u t gemacht w u r d e n . W o m a n in diesem Z u s a m m e n h a n g ein „ W o r t des H e r r n " k a n n t e , h a t m a n es mit hervorgehobener A u t o r i t ä t z u r G e l t u n g gebracht, wie P a u l u s 1. K o r . 7 deutlich e r k e n n e n l ä ß t . — A b e r da hier die U b e r l i e f e r u n g im ganzen nicht wie in der U r g e m e i n d e / « » « - Ü b e r l i e f e r u n g w a r , sondern v o m C h r i s t u s k e r y g m a her ihre O r i e n t i e r u n g h a t t e , die Gemeinde sich d e m g e m ä ß als J ü n g e r g e m e i n d e des Auferstandenen, Erhöhten w u ß t e , dessen P r ä s e n z sie im Geist e r f u h r , u n d alles christliche Leben so u n t e r der D i r e k t i o n des von oben her w i r k e n d e n Geistes stand, orientierte sich von daher die Paränese u n d in ihrem R a h m e n die überlieferten Jesusworte am beherrschenden Christusk e r y g m a u n d k o n n t e n so zusehends ihren besonderen C h a r a k t e r der Orientierung am vorösterlichen Jesus verlieren. D a v o n u n a b h ä n g i g h a t andererseits die U r g e m e i n d e ihre Jesust r a d i t i o n b e w a h r t u n d weitergebildet, bis sie sie nach dem Verlust ihrer Eigenständigkeit a m V o r o r t Jerusalem als ihre Mitgift in die hellenistisch-christliche Ü b e r l i e f e r u n g , der die geschichtliche Z u k u n f t gehören sollte, als zentrales u n d entscheidendes E r b e mit einbrachte. I m Blick auf die urchristliche Uberlieferungsgeschichte im ganzen ergeben sich v o n hier aus zwei Einsichten: 1. R u d o l f B u l t m a n n h a t m e h r f a c h b e t o n t , zwischen der V e r k ü n d i g u n g des historischen Jesus u n d dem C h r i s t u s k e r y g m a der nachösterlichen G e m e i n d e bestehe ein Bruch: „ D e r Christus des K e r y g m a s h a t den historischen Jesus sozusagen v e r d r ä n g t 2 4 . " D a s Interesse, das in dieser These seinen besonders m a r k a n t e n Ausdruck findet, ist freilich nicht eigentlich historischer A r t . D e n n ohne eine „historische K o n t i n u i t ä t zwischen dem W i r k e n u n d dem K e r y g m a " im Sinne einer „Kausalität d e r historischen V o r g ä n g e " leugnen zu wollen, erscheint es ihm doch als ein sachlicher M a n g e l , d a ß sich die neuere Diskussion u m das
" D a s Verhältnis der urchristlidien Christusbotschaft zum historischen Jesus. S H A 1960, 3. A b h a n d l u n g (Heidelberg 1960) 17.
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die gegenwärtige Beziehung der Glaubenden zu ihrem himmlischen Herrn bestimmt war und eines Rekurses auf die Lehre Jesu nicht notwendig bedurfte. Aber diese Verschiedenheit des Ortes der Osterverkündigung im jeweiligen Ganzen der Uberlieferung hat doch nirgendwo zu einem Bewußtsein grundsätzlicher, dem Charakter des Glaubens entsprechender Diskontinuität zum vorösterlichen Jesus geführt 28 . Die auch bei Paulus selbst vereinzelte Stelle 2. Kor 5, 16 darf mit dem Gewicht einer solchen These nicht belastet werden. Blickt man darüber hinaus nicht auf das verschiedene Selbstverständnis der urchristlichen Überlieferungsträger jeweils für sich, sondern auf die urchristliche Überlieferungsgeschichte als ganze, so zeigt sich das Ostergeschehen, statt als Grenze, vielmehr als entscheidende Mitte, die die verschiedenen Traditionen miteinander verklammert. Über der verschiedenen Funktion, die es einerseits in der urgemeindlichen Jesusüberlieferung und andererseits im hellenistischen Christuskerygma hat, darf man ja doch die Tatsache nicht übersehen, daß die Auferstehung Jesu als solche von allen Seiten als die entscheidende Basis des Christentums beansprucht worden ist. Darin hat es in urchristlicher Zeit keinerlei Kontroversen zwischen den verschiedenen christlichen Gruppen gegeben. Die faktische Einigkeit in diesem Kernpunkt, der von allen Seiten jeweils als entscheidend angesehen worden ist, ist zweifellos die Voraussetzung dafür gewesen, daß die verschiedenen Gruppen im Verlauf der Geschichte des Urchristentums nicht auseinandergefallen, sondern zu einer einheitlichen Größe, der Kirche, zusammengewachsen sind. In der Urgemeinde galt die Auferstehung Jesu als seine endzeitliche Bestätigung, durch die zugleich die Wahrheit seiner Lehre, der Verkündigung des Heiles für seine Jünger, erwiesen war. Wenn nun die hellenistischen Missionare dasselbe Geschehen der Auferstehung Jesu als Grund der endzeitlichen Heilsteilhabe der Glaubenden verkündigten, so war darin ursprünglich vorausgesetzt, was die Jüngergemeinde Jesu von seinem Wirken, Lehren und Geschick 26
Einzig in den Abschiedsreden des Johannesevangeliums spiegeln sich R e f l e xionen, die F r a g e n in dieser Richtung gelten.
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überlieferte. U n d wie immer die hellenistische Christologie dazu neigte, die Gestalt des erhöhten Christus exklusiv als himmlischen Heilsmittler in den Blick zu fassen, so blieb doch ihr Kriterium, d a ß dieser himmlische Heilsmittler kein anderer als Jesus war. In diesem Sinne hat Paulus gnostisierenden Tendenzen seiner korinthischen Gemeinden gegenüber darauf gedrungen, d a ß der Christus, an den sie glauben, der gekreuzigte Christus sei 27 . Eine entsprechende Intention läßt sich auch in der späteren Osterüberlieferung erkennen, die den Auferstandenen in seiner Erscheinung als Jesus selbst zu erweisen sucht (Luk 24, 36 ff.; Joh 20, 24 ff.); ebenso besonders auch in dem Verdikt des 1. Johannesbriefes über jeden Christen, der nicht bekenne, „ d a ß Christus in das Fleisch gekommen ist" (1. Joh 4, 2 f.). In solcher innerchristlichen Polemik und Apologetik zeigt sich so etwas wie ein W i r k s a m w e r d e n der besonderen christologischen Voraussetzung, die — zumeist unausdrücklich — auch in den verschiedenen Gestalten hellenistischen Christentums von dessen Ursprung her enthalten w a r : d a ß nämlich der himmlische Retter der Endzeit die unverwechselbaren Züge Jesu von N a z a r e t h trage. Die urgemeindliche Verkündigung der Auferstehung Jesu hat dies beides grundlegend verklammert, indem sie in dem Prediger und Lehrer aus N a z a r e t h den himmlischen Menschensohn und im himmlischen Menschensohn den galiläischen Prediger und Lehrer zu sehen lehrte. Indem die „Hellenisten" um Stephanus, die Väter des hellenistischen Missionschristentums, auf diese K u n d e hin zu Jüngern Jesu geworden sind u n d sie zur alleinigen Basis ihrer Glaubensüberlieferungen gemacht haben, haben sie mit dieser Klammer zugleich grundsätzlich auch das V e r k l a m m e r t e implizit mitübernommen. Die Frage nach der „Einheit des Wirkens und der Verk ü n d i g u n g j e s u mit d e m K e r y g m a " 2 8 richtet sich also überlieferungsgeschichtlich sachgemäß auf die Auferstehung Jesu als die entscheidende Mitte der urchristlichen Uberlieferungsgeschichte.
27
28
Vgl. dazu U. Wilckens, Weisheit und Torheit (Tübingen 1959), besonders 214 ff. R. Bultmann, a. a. O. (Anm. 24) 17.
Theologische Bibliothek Töpelmann Herausgegeben von K. Aland,
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