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German Pages 268 Year 1995
Jfieatron
Studien zur Geschichte und Theorie der dramatischen Künste
Herausgegeben von Hans-Peter Bayerdörfer, Dieter Borchmeyer und Andreas Höfele
Band 13
Christopher Β. Balme
Theater im postkolonialen Zeitalter Studien zum Theatersynkretismus im englischsprachigen Raum
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1995
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Balme, Christopher: Theater im postkolonialen Zeitalter : Studien zum Theatersynkretismus im englischsprachigen Raum / Christopher B. Balme. - Tübingen : Niemeyer, 1995 (Theatron ; Bd. 13) NE: GT ISBN 3-484-66013-9
ISSN 0934-6252
© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1995 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Satz: ScreenArt GmbH & Co. KG, Wannweil. Druck: Allgäuer Zeitungsverlag, Kempten. Einband: Heinr. Koch, Tübingen.
Vorwort
Die vorliegende Studie ist die gekürzte und überarbeitete Fassung meiner Habilitationsschrift, die im Sommersemester 1993 bei der philosophischen Fakultät für Geschichts- und Kunstwissenschaften der Ludwig-Maximilians-Universität, München, vorgelegt wurde. Auf meine Zeit am Institut für Englische Philologie der Universität Würzburg, w o ich auf Anregung von Prof. Habicht Seminare zu Dramatik und Theater der Commonwealth-Länder durchführte, gehen Idee und Genese dieser Untersuchung zurück. A m Institut für Theaterwissenschaft der Universität München konnte ich diese Arbeit fortsetzen. Ohne die Kooperation von Wissenschaftlern aus verschiedenen Ländern wäre diese Untersuchung sicherlich nicht zustandegekommen. A n der University of the West Indies, Mona, Jamaika, hat mich Mervyn Morris mit großer Gastfreundschaft empfangen und meinen Forschungsaufenthalt dort optimiert. Ähnliche Hilfe gewährten mir Bruce Bennett und Dennis Haskell an der University of Western Australia, Perth. Von zwei Aufenthalten am Department of Theatre and Film der Victoria University, Wellington, Neuseeland, konnte ich profitieren: Mein besonderer Dank gilt Phil Mann, David Carnegie und Vincent O'Sullivan. A n der University of Hawaii, Manoa, konnte ich von Prof. James Brandons immensem Wissen und von der exzellenten Sammlung der dortigen Universitätsbibliothek profitieren. Meine Forschung in Kanada wäre ohne die Hilfe von Jennifer Preston, Managerin der Native Earth Performing Arts, sicherlich nicht so gewinnbringend verlaufen. Eine Reihe von Dramatikern und Regisseuren haben wichtige Gedanken beigetragen. Erwähnen möchte ich Andrew Ross und Richard Walley, Australien; John Broughton, Roma Potiki und Hone l i w h a r e , Neuseeland; Tomson Highway, Kanada; Malcolm Purkey, Südafrika. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat diese Arbeit in Form von Reisebeihilfe, Habilitationsstipendium und Druckkostenzuschuß großzügig unterstützt. Den Herausgebern der Theatron-Reihe, Hans-Peter Bayerdôrfeç Dieter Borchmeyer und Andreas Höfele möchte ich nicht nur für die Aufnahme dieses Bandes in ihre Reihe danken, sondern auch dafûç daß jeder von ihnen auf verschiedene Art und Weise meine Arbeit in Deutschland ermöglicht hat. Schließlich möchte ich Frau Nara Heemann danken, die das Register erstellte und die Druckfahnen sorgfältig kontrollierte. Verbleibende Fehler sind aber selbstverständlich dem Verfasser anzulasten. Gewidmet ist dieses Buch meiner Familie. München, im Juni 1995
Christopher Balme
V
Inhalt
I.
II.
Methodik und Definitionen ι. Problemstellung 2. Theater und Cultural Performance 3. Theater und Kultursemiotik: Zum Begriff des Kulturtextes
ι 6 11
Zum Begriff des Synkretismus
16
4. Synkretismus im Diskurs der Wissenschaften a) Religionswissenschaft b) Kulturanthropologie c) Literaturtheorie d) Theaterwissenschaft j. Überlegungen zu einer Typologie des Theatersynkretismus
16 18 23 26 29 31
III. Zur Genese und Theorie des synkretischen Theaters
IV.
VI.
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6. Die Theatertheorie H. I. E. Dhlomos 7. Theoriebildung in postkolonialer Zeit a) Nigeria b) Karibik c) Das Theater der Vierten Welt
37 46 46 51 61
Theater und Ritual
71
8. Zur Abgrenzung von Theater und Ritual 9. Ritual als Rahmenhandlung: Dramaturgie der Liminalität a) Ritus interruptus: Die Ritualdramaturgie Wole Soyinkas b) Besessenheit und Ritualtheater in der Karibik 10. Ritualisierungsstrategien des Maori-Theaters V.
ι
72 76 . . . . 78 88 105
Theatersprache im Dialog der Kulturen
112
1 1 . Übersetzungsstrategien 12. Multilingualität auf der Bühne 13. Oralität und nondialogische Modi
114 126 138
Körperzeichen und der Körper als Text
155
14. Le corps sauvage 15. Der maskierte Körper
157 171 VII
16. Der Körper zwischen Enkulturation und Akkulturation 17. Der tanzende Körper: Zur Dramaturgie des Tanzes VII. Raumkonzeptionen
183 192 204
18. Zur Dekolonisierung des Theaterraums
204
19. Raumdramaturgie und Szenographie
221
VIII. Schlußbemerkung
236
IX.
Literatur ι. Quellen 2. Sekundärliteratur
241 241 243
X.
Register
255
VIII
I.
Methodik und Definitionen
ι.
Problemstellung
In der vorliegenden Studie soll eine in vielen Ländern der Welt zu beobachtende Theaterform näher untersucht werden, die mit dem Terminus synkretisches Theater< bezeichnet werden kann. Mit diesem Begriff läßt sich ein spezifisches Produkt postkolonialer Kulturen fassen, das besonders seit den fünfziger Jahren dieses Jahrhunderts an Bedeutung gewonnen hat. Gemeint sind diejenigen von einheimischen Künstlern geschaffenen Theaterformen, die aus der Interaktion zwischen der >westlichen< - d.h. überwiegend europäischen - Theatertradition und indigenen Darstellungsformen resultieren. Analog zu den vielen synkretistischen 1 Religionen, die sich im Zeitalter des Kolonialismus herausbildeten, knüpft theatraler Synkretismus an die Kolonialerfahrung an und geht aus ihr hervor. Bekanntlich führte Kolonialismus zu weitreichenden kulturellen Veränderungen in den betroffenen Ländern, Veränderungen, die sich sowohl in der Zerstörung als auch in der Schaffung neuer kultureller Ausdrucksformen manifestierten. Als eine solche Folgeerscheinung ist auch das synkretische Theater zu verstehen. Es entstand mehr oder weniger überall dort, wo sich die europäischen Kolonialmächte für längere Zeit etabliert hatten und die dortigen Kulturen nachhaltig beeinflussen konnten. In der Forschung wurde synkretisches Theater als theaterstilistisches Mischphänomen schon mehrfach konstatiert. So haben verschiedene Forscher bereits darauf hingewiesen, daß etwa die Stücke des nigerianischen Literaturnobelpreisträgers Wole Soyinka oder die Aufführungen aus den südafrikanischen Townships eine neuartige Mischung von theatralen und kulturellen Elementen aufweisen und daß ihre besondere Wirkung darauf zurückzuführen ist. 2 Wo es erste Ansätze zu einer theaterwissenschaftlichen Beschäftigung mit diesen Texten gibt, handelt es sich freilich um geographisch eng begrenzte Studien, die ihre Ergeb1
Terminologisch w i r d in dieser U n t e r s u c h u n g zwischen >synkretisch< und >synkretistisch< unterschieden. In G r i m m s Deutsches Wörterbuch dagegen findet man beide F o r m e n verzeichnet, ohne daß semantisch oder konnotativ differenziert w i r d , vgl. Bd. 20, S. 1425. >Synkretistisch< ist im Deutschen die üblichere A d j e k t i v f o r m , der die ältere Religionswissenschaft die pejorative K o n n o t a t i o n v o n >Religionsmischerei< aufgeprägt hat. D a h e r wird in b e z u g auf das Theater das eher wertfreie >synkretisch< als A d j e k t i v f o r m verwendet.
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So spricht Wiveca Sotto v o n Soyinkas »syncretic w o r k material« in ihrer Studie über The Bacchae of Euripides, (1985:103); vgl. auch den A u f s a t z v o n P. J. Conradie, »SynI
nisse über die abgesteckten kulturellen Grenzen hinaus nicht zu verallgemeinern oder in einen internationalen Zusammenhang zu stellen versuchen. Die Tatsache jedoch, daß Erscheinungsformen des synkretischen Theaters in verschiedenen postkolonialen Gesellschaften und Kulturen entstanden und entstehen, macht deutlich, daß eine vergleichende, über länder- bzw. autorenbezogene Studien hinausgehende Forschungsphase notwendig ist. Die besondere theaterästhetische Beschaffenheit dieser Stücke, die Frage nach den in ihnen verwendeten theatralen Kommunikationsmitteln und vor allem die Frage nach der Signifikanz der indigenen Darstellungsformen in diesem Kommunikationsprozeß verdienen es, in einer systematischen Untersuchung beleuchtet zu werden. Bei aller dem Verfasser durchaus bewußten Gefahr der Verallgemeinerung, die derartigen interkulturellen Vergleichen inhärent ist, will diese Untersuchung zeigen, daß zwischen den zu untersuchenden Autoren, Regisseuren und Theaterreformansätzen genügend Gemeinsamkeiten bestehen, um eine solche Vorgehensweise zu rechtfertigen. Obwohl synkretisches Theater, wie hier definiert, in postkolonialen Gesellschaften weit verbreitet ist, beschränkt sich diese Studie auf eine Auswahl ehemaliger britischer Kolonien, in denen Experimente mit Theatersynkretismus besonders auffallend sind. Diese Begrenzung erklärt sich aus dem Bestreben, interdisziplinäre Bezugspunkte zwischen der Theaterwissenschaft auf der einen und einem relativ neuen Teilgebiet der Anglistik, den >Neuen Englischsprachigen LiteraturenNeuen Englischsprachigen Literaturen nähergebracht werden. Diese Festlegung der geographischen Parameter auf die anglophonen Länder hat zur Folge, daß im Hinblick auf die koloniale Erfahrung von einem relativ homogenen Kulturbegriff ausgegangen werden kann. Denn die politischen Institutionen und kulturellen Einrichtungen des britischen >Mutterlandes< wurden cretism in Wole Soyinka's play >The Bacchae of Euripides< « (1990); vgl. auch Colin Taylor über Soyinkas Dramatik: »Soyinka has adopted a syncretic style«, (1988:36). In einer Studie zu der Theater- und Musikkultur der schwarzen südafrikanischen Townships gebraucht der Musikethnologe David Copian (1985) den kulturanthropologischen Synkretismus-Begriff als Bezeichnung für neue kulturelle Ausdrucksformen; Temple Hauptfleisch (1987) bezeichnet Township-Theater als indigen-hybrides Theater; diese Arbeiten werden im Kapitel 4Theater der Vierten Welt< Rechnung getragen werden (vgl. Kap. 7c).4 4 Auf eine Berücksichtigung der synkretischen Theaterexperimente auf dem indischen Subkontinent wird verzichtet. Zum einen handelt es sich vorwiegend um Aufführungen und Texte in indigenen Sprachen. Zum anderen ist die dortige anglophone Dramatik überwiegend euroamerikanischen Formkonventionen verpflichtet und weist kaum synkretische Merkmale auf. Einen besonderen Status genießen jedoch die englischsprachigen Fassungen der Dramen Rabindranath Tagores und in der jüngeren Zeit Girish Kar-
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2) Historische Dimension. Neben der systematischen Untersuchung formaler Strategien des synkretischen Theaters gilt es, diese Theaterform in ihrer historischen Entwicklung zumindest ansatzweise zu beleuchten. Hier wird vor allem die Theorie und Programmatik im Mittelpunkt stehen. Der Terminus >postkolonial< bezeichnet einen Zeitraum, dessen Grenzen zumindest für den hier relevanten Kontext nicht präzise festzulegen sind. Es ist vielmehr von einem Kontinuum auszugehen, das die koloniale und postkoloniale Phase gleichermaßen umschließt.' Zwar beginnen die theatersynkretischen Experimente schwerpunktmäßig mit der Entlassung der Kolonien in die Unabhängigkeit in den sechziger Jahren, die kritische künstlerische Auseinandersetzung mit dem Kolonialerbe setzt allerdings bereits während der Kolonialherrschaft ein. Erst in den fünfziger und sechziger Jahren aber internationalisierte sich die Diskussion. 3) Prägende Theaterkünstler. In dieser Studie sollen sowohl einzelne Dramatiker als auch Theatergruppen berücksichtigt werden. Das zeitgenössische synkretische Theater ist ohne Wole Soyinka in seiner Rolle als Dramatiker und als Essayist kaum denkbar. Eine ähnliche Schlüsselrolle kommt in der Karibik dem Dichter, Dramatiker und Theaterleiter Derek Walcott aus St. Lucia zu. Zu diesen beiden Leitfiguren gesellen sich andere Wortführer und Praktiker eines synkretischen Theaters: J. P. Clark und Ola Rotimi in Nigeria sowie Errol Hill und Dennis Scott in der Karibik. Dagegen ist das Township-Theater aus Südafrika nur bedingt an einzelnen Autoren festzumachen. Es bezieht ihre besondere Wirkungskraft aus einer relativ homogenen Theaterästhetik, die vor allem in ihren gemeinsamen Strukturen, Produktions- und Rezeptionsbedingungen interessant ist und weniger in ihren individuellen Ausprägungen. Dasselbe gilt für die junge Maori-Theaterbewegung in Neuseeland. Die Besonderheiten auch dieses Theaters sind nicht in erster Linie an dem Wirken von deren Protagonisten festzumachen. Wichtiger ist vielmehr das allen Autoren gemeinsame Anknüpfen an spezielle Elemente der heute wieder sehr lebendigen Maori-Kultur. Dagegen sind die Theaterbewegungen der Ureinwohner Australiens und Kanadas eng gebunden an die national und international beachteten Leistungen einzelner Dramatiker wie Jack Davis in Australien und Tomson Highway in Kanada. Aufgrund ihrer Leitfunktionen und der breiten Rezeption ihrer Stücke wird diesen beiden Figuren besondere Aufmerksamkeit zuteil. 4) Sprache. Allen hier untersuchten Werken ist gemeinsam, daß sie in englischer Sprache aufgeführt werden. Rein formal gesehen gibt es synkretisches Theater
nads. In beiden Fällen übertragen die Autoren selbst ihre auf Bengali bzw. Kannada verfassten Werke, die synkretische Züge vorweisen, ins Englische. Zum Theatersynkretismus in Indien vgl. die Ausführungen in Kap. 5. 5
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Z u diesem Verständnis des Begriffes »postkolonial« vgl. die Definition in Ashcroft et al.: »We use the term >post-colonialTheater< gemeint ist. >Theater< ist hier zu verstehen als ein explanandum oder definiendum, das sich im Verlauf des fraglichen Zeitraums - etwa von 1950 bis heute - sukzessive verändert und neu konstituiert. Für den Anfang dieses Zeitraumes läßt sich >Theater< in der Regel mit dem dramatischen Text gleichsetzen. Denn in den zur Diskussion stehenden Ländern ging es zunächst darum, sich von den kulturellen Einflüssen der Kolonialtradition zu lösen und an deren Stelle eine eigene >dramatische< Literatur zu setzen. Erst allmählich wurde >Theater< auch als Organisationsform verstanden. Das koloniale Erbe wurde damit zunehmend in Frage gestellt. Im Zuge der Dekolonisierung entspann sich dann in einer Reihe von Ländern eine Diskussion um die Etablierung eines professionellen Theaters; der Nationaltheatergedanke faßte Fuß. Auch theaterarchitektonische Probleme wurden im Zusammenhang mit solchen organisatorisch-ökonomischen Überlegungen erörtert. Geäußert wurde vor allem Kritik an der europäischen Proszeniumsbühne. Überlegungen dieser Art führten zusammen mit einer Rückbesinnung auf indigene Darstellungsformen zu grundlegenden Fragen einer kulturspezifischen theatralen Raumsemantik. Schließlich wurde Theater auch als Begegnungsort und -ereignis von Schaffenden und Rezipierenden problematisiert. Dieser Aspekt ist für das methodische Verfahren der vorliegenden Untersuchung insofern von besonderer Bedeutung, als sich das Publikum des synkretischen Theaters, je nach Aufführungskontext, in der Regel durch ein hohes Maß an kultureller Heterogenität auszeichnet. Eine Analyse theatraler Produktion, die per definitionem mit disparaten kulturellen Kodes und Zeichen arbeitet, muß diese besondere Rezeptionssituation im Blick behalten. Zur genauen Bestimmung dessen, was wir hier synkretisches Theater nennen, wird die Analyse ausgewählter Theatertexte den größten Raum einnehmen. Die Bezeichnung >Theatertext< wird mit Bedacht verwendet, weil er die anvisierte methodische Vorgehensweise präziser reflektiert als die Termini >Drama< oder >TheaterstückTheatertext< die »Transkription einer gedachten Theateraufführung«.? Das Hauptaugenmerk wird damit auf die nicht-literarischen, d. h. die im Text implizit oder explizit enthaltenen szenischen Zeichen gerichtet. Für unsere Untersuchung heißt das kon?
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So die Definition von Andreas Höfele (1991:20). Höfele referiert ausführlich über die inzwischen recht komplex gewordene theaterwissenschaftliche Verhältnisbestimmung von Drama, Theater und Aufführung. E r macht deutlich, daß die Gattungsbezeichnung >Drama< nach wie vor von normativ-literarischen Leitvorstellungen bestimmt wird, die den theatralen Aspekten des dramatischen Textes ungenügend Rechnung tragen. Zwischen verschiedenen Forschungspositionen schlichtend gelangt Höfele zu der Formulierung, um die dem dramatischen Text innewohnende Theaterbezogenheit zu charakterisieren: das Drama sei »als auf2ufiihrende[r] Text f...] als ein im Hinblick auf seine Inszenierung konzipiertes Artefakt« zu betrachten. (Ib.: S. 1 1 )
kret, daß unter anderem die Didaskalien 1 0 eine exponiertere Stellung einnehmen werden, als bei der literaturwissenschaftlich orientierten Dramenanalyse. 1 1 Alle hier zur Diskussion stehenden Theatertexte enthalten ausführliche didaskalische Anweisungen, in denen das indigene Kulturmaterial erläutert und glossiert wird. Dieses Charakteristikum ist so auffallend, daß man von einem Theatertext sub specie syncretiae sprechen kann. Dieses Textmaterial geht über rein beschreibende Regieanweisungen hinaus. E s umfaßt Glossare, Vokabeln, Vorworte sowie kurze Erläuterungen zum ethnologisch relevanten Material und trägt somit - zumindest für den Leser sichtbar - dem Problem der kulturellen Fremdheit dieser Theatertexte R e c h n u n g . " Eine kritische Reflexion dessen, was unter dem Epitheton >westlichem< bzw. >europäischem< Theater zu verstehen ist, gehört ebenfalls zu den Vorüberlegungen dieser Untersuchung. Bei einer Beschäftigung mit einem Phänomen wie dem synkretischen Theater ist es wichtig, solche Begriffe auf ihren veränderten diskursiven Horizont hin zu überprüfen. So weist der Kulturanthropologe James Clifford darauf hin, daß der englische Begriff >Western< und damit auch die westliche Kulturproduktion in letzter Konsequenz eine Machtstruktur benennt, die keineswegs nur euroamerikanischer Provenienz ist, sondern gleichermaßen von Tokio, Moskau oder Peking ausgehe. 1 ' Trotzdem findet sich seitens postkolonialer Intellektueller, Regisseure oder Dramatiker kaum eine Kritik am westlich tradierten Theatermodell, die sich nicht solcher dichotomisierenden Verallgemeine-
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Der Terminus Didaskalien wird hier bewußt verwendet, weil er keineswegs nur ein Fremdwort für Bühnenanweisungen ist. Didaskalien umfassen »alles, was im geschrieben Text steht und nicht unbedingt von den Figuren gesagt werden muß,« Anne Ubersfeld, L'École du spectateur, (Paris, 1 9 8 1 : 1 1 ) ; zitiert hier nach: Lazarowicz/Balme (ed.) (1991:395). Für eine präzise Taxonomie vgl. Michael Issacharoff (1981b). A n dieser Stelle sei auf die neuere theatersemiotische Forschung zum Status der Regieanweisungen hingewiesen. Hier wird relativ einheitlich die hierarchisierende Unterscheidung Roman Ingardens in Haupt- und Nebentext revidiert. Vor allem in Hinblick auf die Inszenierungsanalyse spricht etwa Hans-Thies Lehmann von einem »Untersuchungsgegenstand eigner Art«, (1989:32). Elaine Ashton und George Savona, referieren ausführlich den heutigen Forschungsstand zu diesem Problem, (1992:124); vgl. auch Michael Issacharoff (1988:139). Die vom Schriftsteller besorgte Selbstglossierung wird in der postkolonialen Literaturtheorie als »an ethnography of the writer's own culture« bezeichnet und gilt als eines der markanten Merkmale dieser neuen Literaturen, wo aufgrund der transkulturellen Kommunikationssituation der Schriftsteller als erster Exeget fungiert: »The post-colonial writer, whose gaze is turned in two directions, stands already in that position which will come to be occupied by an interpretation, for he/she is not the object of an interpretation, but the first interpreter. Editorial intrusions, such as the footnote, the glossary, and the explanatory preface, where these are made by the author, are a good example of this.« (Ashcroft et al. 1989:61) »When we speak today of the West, we are usually referring to a force - technological, economic, political - no longer radiating in any simple way from a discrete geographical or cultural center, [...] disseminated in a diversity of forms from multiple centers - now including Japan, Australia, the Soviet Union, and China - and is articulated in a variety of >microsociological< contexts.« Clifford (1988:272). 7
rangen wie afrikanisch/westlich< usw. bedient. Das heißt: A u c h diese Studie wird nicht umhin können, in einem gewissen Maße mit solchen Oppositionen zu operieren. Diese Schlußfolgerung ergibt sich aber weniger aus der eurozentristischen Vision des Verfassers als vielmehr aus der Notwendigkeit, die Arbeit und Reformstrategien der fraglichen Theatermacher und Dramatiker als Gegenbild und im Unterschied zur überlieferten kolonialen Tradition zu betrachten. Das koloniale Erbe wird von den Kunstschaffenden als unzureichend und unangemessen erachtet, um als Vehikel sowohl f ü r die neue noch zu schaffende Theatersprache als auch f ü r die zu kommunizierende Botschaft zu funktionieren. Egal wie es benannt wird, das koloniale Erbe und seine kulturellen Formen bilden immer die notwendige Folie, auf deren Basis die eigene Arbeit und Programmatik definiert wird. Dies gilt auch wenn dies nur eine vorübergehende heuristische Funktion hat. Das heißt, daß Formulierungen wie >westliches< bzw. >europäisches< Theater, wenn sie von nichteuropäischen Theaterkünstlern verwendet werden, als eine A r t >Diskursformation< fungieren, die ein komplexes Gebilde ästhetischer und ideologischer Komponenten umfaßt. Häufig wird >westliches Theater< mit den realistischen Dramen- und Bühnenkonventionen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts gleichgesetzt, was natürlich aus theatergeschichtlicher Sicht eine Vereinfachung der in dieser Zeit tatsächlich entstandenen Theaterformen darstellt. Nichtsdestoweniger spielte die Tradierung der realistischen Dramenpoetik und die mit ihr verbundene Proszeniumsbühne eine nicht zu überschätzende Rolle in der Herausbildung einer kolonialen Theaterkultur. Daß diese wiederum in den Augen von Künstlern und Zuschauern mit den übergeordneten kolonialen Machtstrakturen assoziiert wurden, ergab sich fast zwangsläufig aus dem Prozeß der Dekolonisierung. Mit einigen Vorbehalten können wir der folgenden v o m südafrikanischen Theaterwissenschaftler Temple Hauptfleisch getroffenen Feststellung zustimmen: The basic tenets of the theatre of Realism and Naturalism have dominated the work done in Europe and America during this century, despite the critical success (and significant influence) of >non-realistic< forms and movements. The bulk of the commercially and otherwise successful theatre still remains inseparably linked to the tradition of Ibsen, Chekhov, Shaw, O'Neill, Miller, Rattigan, Osborne and their heirs, even if in somewhat adapted form (as with the later Pinter, Albee, Stoppard, Shepard and so on). (198973) 14 Wenn also in dieser Untersuchung von >westlichem< oder >europäischem< Theater, ohne weitere Präzisierung die Rede ist, so ist diese realistische Theaterästhetik mit ihrer ideologischen Situierung im kolonialen Kunstdiskurs gemeint. Notwendig ist außerdem eine Abgrenzung des hier verwendeten Theaterbegriffs gegenüber anderen performativen kulturellen Ausdrucksformen. Diese Differenzierung gehört inzwischen zu den ideologisch schwierigsten Fragen des
'4 Die Verbindung zwischen Bühnenrealismus und Kolonialismus im südafrikanischen Kontext versucht Martin Orkin (1991) in seiner von der Diskurstheorie Foucaults beeinflußten Untersuchung aufzuzeigen. 8
interkulturellen theaterwissenschaftlichen Diskurses. Die Diskussion um den Begriff Theater in postkolonialen Gesellschaften hat inzwischen, analog zu dem von Edward Said definierten Orientalismus-Begriff, den Status einer »strategic formation« erhalten, wobei unter einer »strategic formation« folgendes zu verstehen ist: [A] way of analyzing the relationship between texts and the way in which groups of texts, types of texts, even textual genres, acquire mass, density, and referential power among themselves and thereafter in the culture at large. (Said 1978:20)
Gemäß dieser Definition wäre dann Theater Teil eines hegemonialen Diskurses, der von den Kolonialherren eingeführt, bestimmt und erläutert wurde. Meist im Zusammenhang mit Bildungsinstitutionen erhielt das Theater eine relativ präsize kulturell legitimierte Begriffs- und Statusbestimmung. Es darf nicht unterschätzt werden, welchen Einfluß der westlich definierte Theaterbegriff auf die Herausbildung eines synkretischen Theaters ausübte. Eine eingehende Analyse dieser Frage, und die Auseindersetzung damit in verschiedenen Ländern, wird im Teil III unternommen. Vorgreifend läßt sich aber feststellen, daß bis in die sechziger Jahre hinein auch indigene Wissenschaftler und Theatermacher das diskursive Gebilde >Theater< als etwas a priori westlich Definiertes weitgehend unangetastet ließen. Unser herkömmlicher Theaterbegriff ist keineswegs ohne weiteres auf den interkulturellen Kontext übertragbar, vielmehr handelt es sich dabei, wie bereits angedeutet, um ein geschlossenes ideologisch und kulturell belegtes Diskursfeld. Es bezeichnet eine Kunstform, die beinah ausnahmslos westlich überliefert und daher im postkolonialen Kontext Gegenstand der Reflexion ist. Daraus folgt, daß traditionelle indigene Darstellungsformen wie etwa egungun-Maskentänze, Xhosa ntsomi, eine australische corroboree, oder die Begrüßungsriten eines Maori hui, die in synkretische Theatertexte Eingang finden und dabei semiotisch neu strukturiert werden, nicht gleichzusetzen sind mit >Theater< in dem Sinne, wie er in dieser Untersuchung verwendet wird. Zwar wurden diese Darstellungsformen in der wissenschaftlichen Literatur hinsichtlich ihrer ursprünglichen Funktion häufig zum Theater gezählt. Diese terminologische Erweiterung kennzeichnet jedoch eine eher analoge bzw. an Metaphorik grenzende Verwendung des Theaterbegriffs, wie sie in einigen soziologischen und anthropologischen Diskursen zu finden ist und dort jeweils ein breites Spektrum an nonästhetischen soziokulturellen Verhaltensweisen und Handlungen umfassen will. Diese Theater-Analogie hat sich vor allem in der Lehre der >social interaction« etabliert, dessen bekannteste Vertreter Kenneth Burke und Erving Goffman sind. 1 ' Goffmans Hauptwerke, in denen er das Theaterparadigma explizit einsetzt, sind: The Presentation of Self in Everyday Life (1959) (Der Titel der deutschen Ubersetzung, Wir alle spielen Theater (1967), bedient sich noch deutlicher einer Theatermetaphorik); Interaction Ritual: Essays on Face-to-Face Behavior (1967) und Frame Analysis: An Essay on the Organisation of Experience (1974) (Dt. Rahmenanalyse (1977). Vgl. auch Kenneth Burkes Beitrag >Dramatism< in The Encyclopedia of Social Sciences, New York: Free Press 1968. Eine Anwendung für die theaterwissenschaftliche Diskussion
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Eine zweite, zum Teil vom sozialen Interaktionismus beeinflußte, aber stark ethnographisch ausgerichtete Richtung innerhalb der Theaterforschung kann unter dem Begriff cultural performance gefaßt werden.' 6 Zu dieser Schule gehören unter anderem Richard Schechner, Victor T u r n e r , u n d neuerdings auch Joachim Fiebach.' 8 Diesen Forschern geht es hauptsächlich darum, eurozentristische Termini abzuschaffen und die als künstlich empfundenen Schranken zwischen den Disziplinen abzubauen, um jene gemeinsamen performativen Strukturen freizulegen, die so unterschiedliche Ausdrucksformen wie Theater, Tanz, Sportveranstaltungen, Rituale, politische Veranstaltungen, und Hochzeiten verbinden. Richard Schechner bedient sich hierbei vornehmlich einer sozialwissenschaftlichen Methodologie und klammert bewußt ästhetische Fragestellungen aus. Bereits Anfang der siebziger Jahre schrieb er lakonisch und apodiktisch: »I reject aesthetics.« (1973^11) Dieser interdisziplinäre Ansatz, in dem sich Ethnographie, Soziologie, und Theaterwissenschaft gegenseitig befruchten sollen, hat zwar eine Reihe neuer Forschungsperspektiven eröffnet. Jedoch trägt ein so breit gefaßter Begriff wie cultural performance wenig zum Verständnis des synkretischen Theaters bei, da es sich bei letzterem primär um ein ästhetisches Phänomen handelt, das sich auch in einem vorwiegend ästhetisch definierten Rahmen abspielt. Das heißt nicht, daß in der Theaterpraxis nicht gelegentlich versucht wird, diesen ästhetisch abgesteckten Rahmen zu erweitern oder sogar zu sprengen. Dies geschieht sowohl programmatisch wie auch praktisch unter dem Einfluß theaterfremder Ausdrucksformen. Die bekanntesten Beispiele dafür, die es auch vielfach
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unternimmt Uri Rapp, Handeln und Zuschauen: Untersuchungen über den theatersoziologischen Aspekt in der menschlichen Interaktion, Darmstadt: Neuwied 1973. Der Begriff stammt von dem Ethnologen Milton Singer, der ihn in seinen Untersuchungen zur indischen Kultur einführte, um einen dem Selbstverständnis der Inder entsprechenden Terminus für besondere kulturelle Ereignisse zu finden: »These particular instances of cultural organisation, e.g. weddings, temple festivals, recitations, plays, dances, musical concerts, etc., I have called cultural performances< [...] Indians, and perhaps all peoples, think of their culture as encapsulated in such discrete performances.« (i959:xiif.) Für eine begriffsgeschichtliche Diskussion vgl. MacAloon (ed.) (1984), bes. die Einleitung »Cultural Performances, Cultural Theory« . Der Ethnologe Victor Turner gehört zu den frühesten Vertretern der »cultural performance«-Theorie. In seiner 1957 erschienenen Untersuchung über das NdembuVolk Zambias, Schism and Continuity, führte Turner den Begriff des »social drama« ein, den er ausdrücklich dem Theater entlehnte, um ihn als Beschreibungskategorie für gesellschaftliche Konflikt- und Krisensituationen zu verwenden. Auf Turners Arbeit wird im Kap. 9 näher eingegangen. Vgl. Fiebachs Ansatz in Die Toten als die Macht der Lebenden: Zur Geschichte und Theorie von Theater in Afrika, (Berlin, 1986), der in mancher Hinsicht den Prinzipien der »cultural performance« verpflichtet ist. In der Einleitung heißt es: »Dieses Buch geht davon aus, daß eine solche scharf ausschließende Unterscheidung zwischen »Theater« und den Erscheinungen allgemeiner Kommunikation, in denen Rollenzeigen und Selbstdarstellungen wesentlich sind, nicht gerechtfertigt ist.« (1986:12) Vgl. auch Kap. II. ι »Zu einer Theorie von Theater,« S. 147-176. Vgl. auch Fiebach (1990), wo er explizit den Begriff der >cultural performance< in die interkulturelle Theaterforschung einzuführen versucht.
im Westen gegeben hat, sind Experimente mit Ritualtheater. Rituale gehören zu denjenigen indigenen cultural performances, die von ihrer äußeren Struktur her einer Theateraufführung am nächsten kommen und daher ein geeignetes Paradigma liefern. Dieser Frage wird im Teil IV ausführlicher nachgegangen. Die Theatertexte, mit denen wir uns befassen, können innerhalb eines bestimmten Aufführungskontextes als cultural performances bezeichnet werden, genauso wie eine öffentliche Feier oder eine Sportveranstaltung diese Funktion haben können. Dieser Funktion gilt aber nicht das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Untersuchung. Wir wollen im Gegensatz zu Richard Schechner ästhetische Fragestellungen keineswegs außer acht lassen, sondern sie im Gegenteil in den Mittelpunkt der Betrachtung stellen. Bei der synkretischen Vermischung von westlicher Theaterästhetik und indigenen Darstellungsformen handelt es sich um semiotische Prozesse, die sich unter Berücksichtigung der kulturspezifischen Funktionen dieser beiden Zeichensysteme als hermeneutisch analysierbar erweisen.
3.
Theater und Kultursemiotik: Zum Begriff des Kulturtextes
Überlegungen zu einer Semiotik des synkretischen Theaters müssen in eine umfassende Theorie des kulturellen Wandels eingebettet werden. Seitens einer semiotisch orientierten Theatertheorie zeigt sich seit einigen Jahren zunehmend die Bereitschaft, sich mit ebensolchen Problemen der Interkulturalität, wie sie im synkretischen Theater manifest werden, zu beschäftigen und Erklärungsmodelle bereitzustellen. Patrice Pavis weist wiederholt auf die Notwendigkeit hin, die Ergebnisse der Kultursemiotik für ein interkulturelles Theatermodell fruchtbar zu machen, um zugleich die Theatersemiotik aus einer theoretischen Sackgasse hinauszuführen: il ne suffit plus, en effet, de décrire les rapports des textes ou des codes, de saisir leur fonctionnement interne; il faut surtout saisir leur inscription dans les contextes et les cultures, notamment pour comprendre une frange importante de la pratique contemporaine, celle du théâtre interculturel. (1991:768)
Signifikant ist hier die Forderung, daß eine interkulturelle Theatertheorie neuen Erscheinungsformen der Theaterpraxis Rechnung tragen müsse. Aus diesem Grund deutet Pavis an anderer Stelle die Schwierigkeit an, eine Theorie von einer quasi noch in den Kinderschuhen steckenden Theaterpraxis induktiv abzuleiten. (1992:183)" Mit den Erkenntnissen der sowjetischen Moskauer und Tartuer Schule, die vor allem mit der Arbeit vön Jurij Lotman in Verbindung steht, wurde zum ersten '' 20
Zu dieser Entwicklung im euroamerikanischen Raum vgl. Christopher Innes (1981) und Manfred Brauneck (1982), bes. Kap. 5, »Theater der Erfahrung - Freies Theater«. Wie komplex diese Faktoren in der Tat sind, zeigt Pavis in seinem Stundenglas-Modell interkulturellen Transfers; vgl. bes. Kap. 1 >Toward a Theory of Culture and Mise en scèneThesen< (1973) niedergelegte Begrifflichkeit hat eine auf verschiedenen Gebieten fruchtbare Forschungsrichtung initiiert. 21 Von zentraler Bedeutung ist in diesem Zusammenhang der Begriff des Kulturtextes. Es handelt sich hier um ein Konzept, das definitorisch genügend Flexibilität aufweist, um sprachlichen, ikonographischen und performativen kulturellen Erscheinungsformen Rechnung zu tragen. Nach der Definition der Thesen (3.1.0) 22 wird der Begriff Kulturtext »auf jeden Träger einer einheitlichen (>Text-Textsorten< bzw. Bedeutungsträgern zu tun. Während die normative europäische Dramenpoetik, die die Frühzeit des postkolonialen Theaters maßgeblich beeinflußt hat, noch sehr klare logozentrische Vorstellungen aufweist, kann eine Untersuchung des synkretischen Theaters, in dem das Zusammenwirken verschiedenener kultureller Ausdrucksformen zentral ist, terminologisch und hermeneutisch von der Verwendung des Kulturtextbegriffs profitieren. Im Rahmen einer möglichst neutralen kulturellen Wertehierarchie werden Lieder, Tänze, Maskenspiele, mündlich tradierte Geschichten usw. allesamt als Kulturtexte angesehen, die sich in ihren dramaturgischen und aufführungsbezogenen Funktionen untersuchen lassen. Ein weiterer Vorteil des Kulturtextbegriffes für die Analyse des interkulturellen Theaters liegt darin, daß er zur Differenzierung zwischen Theatersynkretismus und Formen des Theaterexotismus dienen kann. Letzterei; der sich bekanntlich bis zu den Anfängen des neuzeitlichen Theaters zurückverfolgen läßt, weist ebenfalls kulturelle Vermischungstendenzen auf. Auch hier werden kulturfremde Elemente der westlichen Theaterform einverleibt. Oberflächlich gesehen scheint es auf der Ebene äußerlicher Formelemente Parallelen zu geben. Der entscheidende Unterschied besteht jedoch darin, daß beim Theaterexotismus, sei es in Form 13
der barocken Festkultui; des aufklärerischen Idealismus oder des Orientalismus des 19. Jahrhunderts, die autochthone Textualität der entliehenen Elemente ohne Interesse sind.2"· Die ursprüngliche Semantik der Kostüme, Masken, Tänze oder Lieder wird ignoriert und in einem westlichen ästhetischen und ideologischen Rahmen einer radikalen Umkodierung unterworfen. Theatersynkretismus verfolgt genau den umgekehrten Ansatz. Weil die betreffenden Dramatiker und Regisseure indigenen Kulturen entstammen, respektieren sie die Semantik der verwendeten Kulturtexte. Auch im synkretischen Theater sind Kulturtexte per definitionem einem Prozeß der Umkodierung unterworfen. Jedoch besteht in diesem Fall ein kreatives Spannungsverhältnis zwischen den von diesen Texten erzeugten Bedeutungen im ursprünglichen performativen Kontext und deren neuer Funktion im Rahmen einer synkretischen Dramaturgie. Auf den einfachsten Nenner gebracht läßt sich feststellen, daß beim Theaterexotismus die fremden Elemente nicht mehr als Kultur-Texte instrumentalisiert und wahrgenommen, sondern bestenfalls als naive Folkloristik rezipiert werden. Im Gegensatz erhalten im synkretischen Theater die verwendeten Darstellungsformen ihre Integrität als bedeutungstragende Texte. Obwohl einige Kulturtexte wie etwa Lieder oder Tänze auch für den Außenstehenden leicht als indigen-traditionelles Kulturmaterial erkennbar sind, manifestieren sich andere indigene Kulturtexte auf subtilere Art und Weise. Dem nichtindigenen Zuschauer ist häufig nicht bewußt, daß er es mit einem indigenen Kulturtext zu tun hat. Diese Polysemie indigen-kultureller Zeichen und Texte läßt sich häufig schwer definieren, weil die Präsenz indigener Kodes und Zeichen keinesfalls auf einen einfachen Katalog >traditioneller< Kulturtexte reduziert werden kann. Vor allem in der Urbanen Großstadtkultui; wo immer neue Verbindungen zwischen traditioneller und importierter Musik, zwischen indigenem und amerikanischem Tanz sowie neue linguistische Formen im Entstehen sind, erhält die Bedeutung des Traditionellen und des Autochthonen völlig neue semantische Dimensionen, die unter Umständen mit den Kulturtexten der vorkolonialen Zeit wenig gemeinsam haben. Für den cultural user sind sie aber deshalb nicht weniger authentisch.2' Die Polysemie der indigenen Kultur manifestiert sich auch in Elementen wie Tonfall, Akzent oder Körperzeichen. Gerade diese Zeichen können auf der Bühne wie unter einem Vergrößerungsglas intensiviert hervortreten. Mit dem Kulturtextbegriff ist ihnen jedoch nur bedingt beizukommen. Angesichts solcher Definitionsprobleme wird klar, daß das herkömmliche monokulturelle theatersemiotische Kommunikationsmodell einiger Korrekturen bedarf. Denn gerade in dem ästhetisch-kulturellen Vermischungscharakter, der herkömmliche
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Zum Problem des Theaterexotismus, auf das in der vorliegenden Studie nicht eingegangen werden, vgl. Kreidt (1987) und Savarese (1992). z 5 Zur Problematik des Begriffes >Tradition< vgl. die Definition David Coplans im Kontext der darstellenden Künste Südafrikas. Unter »traditional« versteht Copian »forms with no perceptible Western influence, or on occasion, forms perceived [Hervorhbg. C. B.] by Africans as entirely indigenous and African in origin.« (1985:270)
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Gattungs- und Formbegriffe in Frage stellt, liegt ja das hervorstechende Merkmal des synkretischen Theaters. In einer späteren Arbeit von Lotman und Uspensky wird deutlich gemacht, daß solche ästhetisch->kreolisierten< Vermischungsphänomene das besondere Interesse der Kultursemiotik verdienen: Central topics for the semiotician to study are the characteristic features of the separate languages [gemeint sind hier verschiedene Zeichensysteme], their functional interdependence, the creolization [Hervorhb. C. B.] and reordering of particular languages under the influence of other structures ( 19841x1). Was Lotman und Uspensky hier >creolization< nennen, beschreibt den Synkretisierungsprozeß, wie er in nahezu allen vom Kolonialismus beeinflußten Kulturen zu beobachten ist. Im Kontext dieser Untersuchung wäre die europäische Kunstform >Theater< eine »other structure«, in die andere Zeichensysteme und Kulturtexte integriert und neu organisiert werden. Ein zentrales Interesse wird daher sein, die besonderen Probleme dieses Integrationsprozesses aufzuzeigen und deren Konsequenzen f ü r die Kunstform Theater zu analysieren. Die spezielle Problematik des synkretischen Theaters liegt dabei in der Einbindung und Umkodierung theateranaloger Kulturtexte. Z u berücksichtigen ist ferner, daß die in der Entwicklung der Theatersemiotik früh postulierte semiotische Mobilität als ästhetisches Kennzeichen des Theaters, vermittels derer jedes Zeichen umgedeutet und neu funktionalisiert werden kann, 2 6 nicht unbedingt kulturübergreifend ist. So wird zu zeigen sein, daß eine fundamentale Problematik des synkretischen Theaters im Spannungsverhältnis zwischen der Rigidität und semiotischer Immobilität mancher Kulturtexte einerseits und deren Funktionalisierung und Flexibilisierung im Zeichensystem Theater andererseits besteht. Wie Dramatiker und Theatermacher mit den Möglichkeiten dieses Spannungverhältnisses umgehen, ist Thema der vorliegenden Untersuchung.
26
Auf diese Besonderheit wies schon die Prager Schule hin: vgl. die Arbeiten von Petr Bogatyrev in Matejka & Titunik (1976); und ausführlich Fischer-Lichte (i983a:i82f.). IS
II. Z u m Begriff des Synkretismus
4.
Synkretismus im Diskurs der Wissenschaften With expanded communication and intercultural influence, people interpret others, and themselves, in a bewildering diversity of idioms - a global condition of what Mikhail Bakhtin called >heteroglossiaAlterität< bzw. >Superiorität< als Abgrenzungskategorien von anderen Ländern und Kulturen theoretisch begründet werden konnten. 1 In der zu jener Zeit vorherrschenden grundsätzlich statischen Weltanschauung, die das Wesen des Kolonialismus in seinen paternalistischen wie in seinen aggressiv-exploitierenden Erscheinungsformen gleichermaßen umfaßt, wurden Begriffe wie >Vermischung< oder >Austausch< mit Verwässerung, Verlust ethnisch-kultureller Identität und kulturellem Verfall gleichgesetzt. »Inventive syncretism« impliziert demgegenüber eine Sicht des kulturellen Wandels, die dynamisch ist und eine grundsätzliche Offenheit der Kultur sowie einen kreativen Umgang mit disparaten, heterogenen kulturellen Produkten voraussetzt. Synkretismus kann daher als eines der produktiveren Resultate der ansonsten destruktiven Prozesse, die die Mechanismen der Kolonialisierung und des kulturellen Imperialismus mit sich brachten, uminterpretiert werden.
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16
Zum Verhältnis von Kulturanthropologie und Imperialismus bzw. europäischem N a tionalismus gibt es inzwischen eine Reihe von Studien, vgl. Diamond (1974), Asad (1973) und Leclerc (1972).
Abweichend von Clifford, der Synkretisierungsprozesse als zeitgenössische conditio humana verabsolutiert, soll der Begriff bei der vorliegenden Untersuchung in einen historisch und geographisch präzis bestimmten Rahmen gestellt werden. Bei aller Verwirrung und Anwendungsvielfalt, die dem Begriff bislang noch anhaftet, 2 soll Synkretismus hier nicht einfach als Synonym für Vermischung jeglicher Art verwendet und damit abgewertet werden. Auch ist er abzugrenzen von verwandten Begriffen, mit denen Synkretismus häufig undifferenziert in einem Atemzug genannt wird: Eklektizismus: Als pejorativer Ausdruck für das unterschiedslose Sammeln und Kombinieren von Ideen und Kunstrichtungen verfügt Eklektizismus über keine ideen- oder wissenschaftsgeschichtliche Tradition und ist daher kein wissenschaftlicher Begriff. Hybridität: Dieser aus der Biologie stammende Begriff wird vor allem in der postkolonialen Literaturtheorie verwendet, um kulturelle Mischphänomene zwischen kolonialen und indigenen Kulturen auszudrücken. Allerdings ist diese Metaphernwahl aus der Tier- und Pflanzenzüchtung angesichts der Nähe zum >Bastard< und zur >Bastardisierung< eher unglücklich. Kreolisierung: Ist ursprünglich ein sprachwissenschaftlicher Terminus und bezeichnet eine besondere Art sprachlicher V e r m i s c h u n g . 3 Inzwischen erfreut sich aber der Begriff einer weiten Verbreitung in der Kultursemiotik und Ethnographie sowie in der Literaturwissenschaft als Bezeichnung für jede Art von kultureller Vermischung. In diesem Verwendungszusammenhang werden Hybridität und Kreolisierung weitgehend synonym verwendet. Fusion: Diesem wertneutralen, der Physik entlehnten Begriff begegnet man vor allem im Zusammenhang mit fernöstlichen Theaterformen als approximative Umschreibung für das, was hier als synkretisches Theater verstanden wird. Es bezeichnet die Verbindung von einer traditionellen asiatischen Theaterform mit der westlichen Theaterästhetik. Der Unterschied zum Theatersynkretismus besteht darin, daß es sich deutlich um die Verschmelzung zweier Theaterformen und nicht um die Integration von theateranalogen Kulturtexten handelt. Beim Theatersynkretismus bleibt das Endprodukt erkennbar als Theater im westlichen Sinne. Im Falle von Theater-Fusion ist die Dominante häufig die traditionelle
2
Der Grand Dictionnaire Encyclopédique Larousse verzeichnet drei wichtige Anwendungsgebiete: ι. anthropologisch: die Synthese zweier oder mehrerer kultureller Merkmale (»traits«) unterschiedlichen Ursprungs, um neue kulturelle Formen hervorzubringen; 2. sprachwissenschaftlich: funktionell verschiedene linguistische Entitäten stellen eine identische Form dar; z. B. Kasus-Synkretismus beim Ablativ, der seine Funktion eigentlich vom Lokativ übernommen hat; y. psychogenetisch: ein Entwicklungsstadium kindlicher Wahrnehmungsmuster bis zum 8. oder. 9. Lebensjahr, währenddessen heterogene Eindrücke und Elemente gesammelt werden. Bd. 10, (Paris: Larousse 1985), S· 9954· 3 Kreole-Sprachen sind z. B. in der Karibik weit verbreitet. Die Soziolinguistik bezeichnet eine Mischsprache als eine Kreole-Sprache, wenn sie bereits zur Muttersprache einer Bevölkerungsgruppe geworden ist. !7
asiatische Theaterformen, die je nach Gestaltungsabsicht geringfügig oder in beträchtlichem Maße mit westlichen Theaterelementen vermischt wird. 4 Bei Hybridität und Fusion handelt es sich um Anleihen aus wissenschaftlichen Anwendungsbereichen, die mit den Kultur- und Kunstwissenschaften keinerlei Berührung haben. A u s diesem G r u n d sind die mit diesen Termini bezeichneten Vermischungsprozesse in der Theaterwissenschaft nur als metaphorische U m schreibung zu gebrauchen. Eine tiefergehende Applikation und Übernahme von mit diesen Begriffen implizierten Methoden findet nicht statt. Anders verhält es sich mit dem Synkretismusbegriff. Ein Uberblick über die Etymologie und Begriffsgeschichte soll zeigen, daß der Terminus im Bereich der Religionswissenschaft und der Ethnologie durchaus klare begriffliche Konturen hat, und daß aufgrund dieser Präzisierung wiederum eine weitergehende Applikation auf dem Gebiet der interkulturellen Theaterforschung ins Auge gefaßt werden kann. Eine kurze Begriffsgeschichte soll gleichzeitig den Bedeutungswandel des Wortes aufzeigen, der zum Verständnis und zur Bewertung des synkretischen Theaters von entscheidender Bedeutung ist.
a) Religionswissenschaft Die Etymologie des Begriffes >Synkretismus< ist unklar. Geprägt wurde er wahrscheinlich von Plutarch, der das Wort σ ν γ κ ρ η τ ι σ μ ο ξ verwendet, was eine »Allianz der Kreter« bedeutet.' D e r Begriff taucht in den Schriften des Erasmus von Rotterdam wieder auf, vor allem in seinem Corpus reformatorum,
in dem er die
Humanisten aller Lager und Richtungen aufruft, ihre internen Zwiste und Streitigkeiten aufzugeben, um sich gegen die drohende Gefahr antihumanistischer Strömungen zu verbünden. In der Nachfolge von Erasmus verschob sich die Bedeutung im 16. und 17. Jahrhundert: Anstatt Einigung und Harmonie bezeichnete das Wort die Verschmelzung philosophischer und religiöser Doktrinen und erhielt dabei die pejorative Konnotation von doktrinärer Konfusion. 6 Diese pejorative Assoziation blieb dem Begriff bis ins 19. Jahrhundert hinein erhalten, als er von der entstehenden Disziplin der Religionsgeschichte aufgegriffen wurde, 4 Beispiele von Theater-Fusion in der vorliegenden Definition sind zahlreich. Sie finden sich vor allem in Indien und Japan, aber auch in Korea und China. Fallstudien finden sich in Fischer-Lichte et al. (1990), und in Barfoot/Bordewijk (1993); vgl. auch die Ausführungen in Kap. 5. ' Vgl. Plutarch, De fraterno amore XIX: »denn, obwohl die Kreter häufig in Zwietracht und Streit miteinander lagen, so versöhnten und vereinigten sie sich doch wieder, wenn ein fremder Feind sie angriff. Dies nannten sie σνγκρητισμοξ «; zitiert nach: Carsten Colpe (19753:15). 6 Ein Synkretist wäre demzufolge ein Theologe, der etwa eine neuplatonistische und eine aristotelische Position zu vereinbaren versuchte; vgl. Encyclopaedia of Religion and Ethics: »The term has been applied to those who, [...] refused to allow their love of Plato to be identified with any depreciation of Aristotle.« Bd. 12, S. 15 5. Vgl. auch den Artikel »Syncretisme« in der Encyclopaedia Universalis, Paris 1985, in dem derselbe Bedeutungswandel dokumentiert wird, Bd. 17, S. 539. 18
um diverse Erscheinungsformen religiöser Vermischung - allen voran die der hellenistischen Zeit, als griechische und römische Glaubenssysteme verschmolzen zu beschreiben. Der Erstbeleg in diesem religionsgeschichtlichen Zusammenhang läßt sich mit dem Jahr 1853 datieren.7 Im Anschluß daran wurde der Terminus von Religionshistorikern mal bewußt, mal unbewußt in einem pejorativen Sinne verwendet, um >unreine< religiöse Vermischungsphänomene bzw. >Religionsmischerei< zu beschreiben und sie als »charakterlose verläugnung des väterlichen glaubens« zu denunzieren. 8 Nach dieser Auffassung waren synkretistische Religionen Ausdruck eines Zustandes der Dekadenz, weil sie unfähig waren, »dans le rigueur de leurs formes constitutives« zu existieren.9 Bei solchen Definitionen sind sozialdarwinistische Anklänge unüberhörbar, demzufolge auch die G e schichte der Religionen einen evolutionären Uberlebenskampf starker und schwächerer Kulturen darstelle. Weitgehend frei von solchen abwertenden Konnotationen ist die Definition des Religionshistorikers James Moffatt aus dem Jahr 1921, die den religionsgeschichtlichen, im Hinblick auf die Spätantike geprägten Verwendungszusammenhang kurz und bündig wiedergibt, ohne allerdings religiöse Phänomene der Gegenwart einbeziehen zu wollen: >syncretism< denotes generally an unconscious, wide-spread tendency, due to or fostered by some re-adjustment of political relationships or by some clash of civilizations. There is a blending of religious ideas or practices, by means of which either one set adopts more or less thoroughly the principles of another or both are amalgamated in a more cosmopolitan and less polytheistic shape.10 Erst durch die Etablierung der vergleichenden und der phänomenologisch ausgerichteten Religionswissenschaft in den zwanziger und dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts wurde der Begriff Synkretismus erweitert, weitgehend entideologisiert, 11 und auch auf Gegenwartsphänomene wie etwa nativistische und messianische Bewegungen angewendet. So wurden zum Beispiel Synkretismus und Mis7
Vgl. Carsten Colpe: »The first application of the term to a situation in the history of religions probably occurred in an anonymous review (of an edition of Minucius Felix) that appeared in Fraser's Magazine for Town and Country (London, 1853, vol.47, p. 294).« (1987:218). 8 So der Religionshistoriker Hermann Usener in seinem Werk Götternamen (1896); dazu Carsten Colpe: »Usener regarded the phenomenon of syncretism as an unprincipled abandonment of the faith of the Fathers, even though it was at the same time a necessary transitional stage in the history of religions.« (1987:219). Grimms Deutsches Wörterbuch zitiert Usener als Beleg für die Bedeutung »Religionsmischerei«: »der Synkretismus, der uns als charakterlose verläugnung des väterlichen glaubens leicht widerlich anmutet, ist eine wichtige durchgangsstufe der religionsgeschichte.« Bd. 20, Neudruck, München: dtv 1984, S. 1425. ? Encyclopaedia Universalis, Paris 1985, Bd. 17, S. 539. 10 James Moffatt, »Syncretism«, Encyclopaedia of Religions and Ethics 12, Edinburgh 1921, S. 156. Moffat beschränkt sich auf synkretistische Erscheinungsformen in der Antike und in der Frühzeit des Christentums, die er als rein geschichtliches Phänomen untersucht. Von synkretistischen Kulten oder Religionen in der Neuen Welt ist keine Rede. 11 Diese Wandlung in der Begriffsgeschichte dokumentiert Kurt Rudolph (1979). i?
sion als verschiedene und zentral-dynamische Formen religiösen Kontaktes verglichen und kontrastiert. Im Gegensatz zur Mission, die in ihrem bekehrenden Eifer andere Glaubenssysteme häufig abzuwerten versuche, basiere Synkretismus auf gegenseitigem Respekt und einem reziproken Austausch von Werten und Glaubensformen. 1 2 A u c h bei der historischen und systematischen Religionswissenschaft zeigt sich seit Ende der sechziger Jahre ein zunehmendes Interesse am SynkretismusPhänomen. In mehreren Symposien wurde auf die terminologische Ungenauigkeit des Begriffes hingewiesen. Dies hat inzwischen dazu beigetragen, die Synkretismus-Forschung zu einem wichtigen Teilbereich der Religionswissenschaft zu machen. Die bisher produktivsten Versuche, ein theoretisch begründetes Synkretismus-Modell zu erstellen, das sowohl f ü r die systematische wie für die historische Religionswissenschaft anwendbar ist, stammen von den Religionswissenschaftlern Carsten Colpe und Ulrich Berner. Ein »vorläufiges synkretistisches Strukturgesetz« erläutert Carsten C o l p e ( i 9 7 j a : i 9 ) , in dem er typologisch zwischen den »Graden der Intensität« von synkretischen Verbindungen unterscheidet. Als mögliche Grade gebe es Symbiose, Akkulturation und Identifikation. F ü r die Theaterforschung ist allerdings nur die Akkulturation relevant. 1 * Darunter versteht C o l p e das Aufeinandertreffen von westlicher Zivilisation und Stammeskulturen in den Ländern der Dritten Welt, » w o die Integration kultureller Elemente seitens der Stammesangehörigen aus den verschiedensten Gründen nachweislich bewußt vonstatten geht.« (Ib.:2o) Colpes Definition dieses Phänomens kennzeichnet genau die soziokulturelle Situation der postkolonialen Gesellschaften, aus der synkretische Theaterformen hervorgegangen sind. Seine zweite Typologie oder Klassifikation befaßt sich mit der Frage der Beziehungen ursprünglich getrennter Komponenten untereinander in ihrer neuen synkretistischen Konfiguration. Hier gibt es wieder drei Grundtypen: 12
So lautet die These von R. Pettazoni, »Sincretismo e conversione«, Saggi di storia delle religioni e mitologia, Rom, 1946, S. 143-151. Der Begründer der Religionsphänomenologie, G. van der Leeuw, argumentiert, daß Missionstätigkeit und die damit verbundene Ausbreitung einer Religion zwangsläufig zum Synkretismus führten, Phänomenologie der Religion, Tübingen, 1933, S. 579^ Rudolph (1979) referiert ausführlich über van der Leeuws Thesen. Vgl. den bereits zitierten Aufsatz von Carsten Colpe (1975 a). Von Ulrich Berner liegen die folgenden Arbeiten vor: >Heuristisches Modell der Synkretismus-Forschung< (1978) sowie seine Habilitationsschrift (1982), die einen detaillierten Forschungsbericht und eine Diskussion der in den verschiedenen Synkretismus-Symposien referierten Thesen enthält. •4 Symbiose sei ein unbewußter Prozeß, in dem sich »Prozesse unter Beteiligung denkender Personen nicht mehr erkennen läßt.« (19753:19) Diese Form des Synkretismus siedelt Colpe im ethnischen Bereich an, wo in einem bestimmten sozioökonomischen System (etwa Pflanzerkulturen) religiöse Ausdrucksformen einer anderen Wirtschaftsform (etwa Jägerkulturen) vorkommen können. Identifikation sei ein theologischer Begriff und bezeichne die vollständige Übernahme eines Konzepts, z.B. »wo es darum geht, die alte Wahrheit eines Mose oder Piaton theologisch als die neue oder mindestens als Typ der neuen zu sichern.« (Ib.:2o)
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Im ersten wird das Überlagernde beherrschend [...], aber das Ältere lebt weiter und kann sich zu Zeiten in einer revivalistischen Reaktion sogar gegen das Neue wieder durchsetzen. 1 ' [...] Im zweiten Typ bleibt das Substrat von Anfang an beherrschend. [...] Im dritten Typ kommt es zwischen den Komponenten - das brauchen nicht nur zwei zu sein, schon gar nicht nur eine überlagernde und eine überlagerte - zum Gleichgewicht. (Ib.:2if.)
Die Anwendung von Colpes »Strukturgesetz« auf das Theater kann nur partiell und analog erfolgen. Nach diesen Typologien wäre das synkretische Theater als produktiv-kreative Reaktion gegen einen umfassenden Prozeß akkulturativer Uberlagerung zu verstehen. Es ist Produkt dieses Überlagerungsprozesses, weil die westlich tradierte Kunst- und Produktionsform Theater übernommen wird. Zugleich läßt es sich als kreative Reaktion interpretieren, weil das Alte, also die überlagerte Kultur, durch die Integration von indigenen Kulturtexten teilweise erhalten bleibt und so das Neue immer wieder in Frage stellt bzw. kritisch reflektiert. 16 Ulrich Berners Ausgangspunkt ist Niklas Luhmanns Systemtheorie. E r betrachtet Synkretismus als »eine der möglichen Reaktionen auf eine [...] Situation der Verunsicherung durch Begegnung verschiedener Systeme«. Synkretismus sei demnach eine Reaktion, die das Ziel verfolge, diese Verunsicherung aufzuheben. Die Grenzen der Systeme werden aufgehoben, was schließlich zur Aufhebung des Konkurrenz-Charakters zwischen den Systemen führe. (Berner 1978:12) Begriffe wie >Verunsicherung< oder die Vorstellung von konkurrierenden Systemen lassen sich auch auf Situationen kulturellen Kontaktes wie zum Beispiel auf Kolonialismus und Missionierung anwenden. Zwar zeigt Berner kein Interesse an solchen Phänomenen der Gegenwart bzw. der jüngeren Vergangenheit, sondern exemplifiziert sein Modell anhand eines Beispiels aus der Frühzeit des Christentums. 1 ? Der große Ertrag von Berners Untersuchungen besteht für unseren Zusammenhang aber darin, daß synkretistische Prozesse nicht als ein Einzelphänomen aufgefaßt werden. Berner subsumiert unter Synkretismus eine Vielzahl möglicher Vermischungs- und Fusionsprozesse, die sich sowohl auf System- wie auf Elementebene abspielen können. Ferner zeigt er auf, daß nicht jede Vermischung auch gleich dem Synkretismus zuzurechnen ist, sondern daß es eine Reihe von analogen Prozessen gibt, zwischen denen es zu unterscheiden gilt. So differenziert Berner etwa deutlich zwischen Synkretismus und Synthese in der Religionsgeschichte. Synkretismus bedeutet nach dieser Definition auf Systemebene nur •5
Ein Beispiel dafür seien die »durch christliche Mission ausgelösten paganisierten messianischen Bewegungen«, die allenthalben in der Neuen Welt zu finden sind. (Colpe
197 J * : " ) Z u m Problem der Akkulturation als kreativ-intellektuelle Reaktion auf Kolonialisierung vgl. James W. Fernandez, »Fang representations under acculturation«, in: Philip D . Curtin, (ed.) (1972). Dort heißt es: »the Bwiwi cult tried quite consciously to syncretize and harmonize the cultures in contact, to find a satisfactory explanatory network [...] for the anomalies produced by that contact.« S. 43. "7 Berner (1982) analysiert synkretistische Elemente im Werk des griechischen Theologen Orígenes (185-253 n.Chr.). 16
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die Aufhebung des >Konkurrenzverhältnisses< zwischen den Systemen, damit Austausch überhaupt möglich wird. Synthese dagegen »bezeichnet einen irreversiblen und schöpferischen Prozeß, in dem im Zuge der Auseinandersetzung verschiedener Systeme in einem derselben neue Elemente entstehen.« (i978:97) l S Als Folge von Berners Systematisierungsversuchen wird deutlich, daß Synkretismus, auch im Bereich der Religionswissenschaft, w o der Begriff am längsten etabliert ist, nach wie vor eine große Bandbreite an Phänomenen bezeichnet. Daher kommt Carsten Colpe in seiner Auseinandersetzung mit dem Problem zu der Schlußfolgerung, daß eine präzise Definition ohne einen spezifischen Kontext nicht möglich sei. A m Ende seiner übersichtlichen Schematisierung verschiedener Anwendungsmöglichkeiten des Synkretismus-Begriffs, die zum Teil an Berners systemtheoretischen Katalog anknüpft, hebt Colpe die von ihm immer wieder betonte, grundsätzlich positive Wertung des Begriffes, der vor allem Toleranz und intellektuelle Aktivität voraussetzt, hervor. Allerdings muß diese Auffassung im Zusammenhang mit dem Hinweis auf eine »latente kritische Tendenz« gesehen werden, die in der despektierlichen Anwendung des Synkretismus-Begriffes stekke und die nicht nur in der Theologie, sondern in den gesamten Geisteswissenschaften weitverbreitet sei. Diese pejorative Sicht des Phänomens sei auf einen »Aristokratismus des Geistes« zurückzuführen: Für ihn ist Synkretismus Zersetzung, Entartung, Verfall, ja man kann sagen, daß für solche Aristokraten der Wissenschaft der Synkretismus-Begriff [...] nur als Kategorie geschichtlichen Unrechts verwendbar ist. [...] Dieser Aristokratismus ist romantisch und hat wohl in der Romantik seine historische Wurzel. (19753:29)
Colpe unternimmt hier für sein Fach eine ideologische Befragung des Begriffes und des wissenschaftlichen Umgangs mit ihm, die über enge disziplinbezogene Grenzen hinausreicht. Sie geht einher mit der Forderung nach einem Uberdenken eurozentrististischer geisteswissenschaftlicher Prämissen. Die Abwertung von Mischphänomenen jeglicher Art, aber vor allem solcher im kulturell-ästhetischen Bereich, nehmen in der westlichen Welt bis in die jüngste Zeit hinein eine exponierte Stellung ein. In einem 1987 erschienenen Aufsatz münzt Colpe diese Kritik ex negativo in eine fast programmatische Aufwertung des Begriffes um: A tolerant attitude to all that is of value in the world is thus a basic condition for the rise of any syncretism, as well as a basic virtue of the human being w h o is shaped by syncretism and in turn supports it. In addition, however, an enormous intellectual power is required in order to cement all the elements together into a new type of tradition and, further, to maintain the combination of the erudite and the popular. 1 ?
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Berners hoch kompliziertes »System« ist hier nur schematisch umrissen und als Ansatz vorgestellt; für eine weiterführende Bewertung vgl. Rudolphs Kritik an Berner: »durch die verwirrende Vielfalt (manches hat gar nichts mit Synkretismus zu tun!) und wenig aufeinander abgestimmten Sprachebenen (»System« und »Element« stehen sich völlig unverbunden gegenüber) wird das Messer der historischen Heuristik in diesem Falle wieder stumpf.« (1979:205) Colpe, (1987:226^. Ähnlich urteilt der Historiker Philip D. Curtin über das, was er »the vast maze of religious syncretism« in Africa nennt: »It may well be that religious
Zu den von Colpe hervorgehobenen Merkmalen wie Toleranz und geistige Flexibilität, die er in der Entstehung von Religions-Synkretismus beobachtet, kommt ein Aspekt hinzu, der für die vorliegende Untersuchung von Bedeutung ist. Denn in denjenigen Kulturen, in denen Synkretismen in großer Zahl entstanden sind vor allem in Afrika und in der Karibik - besteht eine enge Verbindung zwischen Religionsausübung und performance culture·, sie lassen sich kaum voneinander trennen. Die Darstellungsformen, die in diesen Formen der Religionsausübung zur Anwendung kommen - Tanz, Gesang, Maskierung usw. - bilden die kulturtextliche Grundlage für den Theatersynkretismus. So besteht auf formaler Ebene zumindest ein enger Konnex zwischen religiösem und theatralem Synkretismus. b) Kulturanthropologie Reinterpretation marks all aspects of cultural change. It is the process by which old meanings are ascribed to new elements or by which new values change the cultural significance of old forms. It operates internally, from generation to generation, no less than in integrating a borrowed element into a receiving culture. Syncretism is one form of reinterpretation. (Herskovits 1956:553.)
Diese im Jahre 1956 veröffentlichte Beobachtung des amerikanischen Kulturanthropologen Melville J. Herskovits markiert einen wichtigen Punkt in der zu dieser Zeit einsetzenden methodologischen Neubestimmung seiner Disziplin. Das Interesse der Ethnologie hatte sich bis dahin vornehmlich auf solche Kulturen konzentriert, die von zivilisatorischen Eingriffen weitgehend >unberührt< waren. Die umfangreichen Untersuchungen der funktionalistischen Anthropologie von etwa Bronislaw Malinowski und E. Evans-Pritchard waren darauf bedacht, vermeintlich statische soziale Systeme in all ihrer Komplexität aufzuzeigen. Die genannten Autoren legten daher nach den Worten des Ethnologen Clifford Geertz Wert auf »systems in balance, on social homeostasis, and on timeless structural pictures.« (1973:143) Herskovits, der extensive Feldforschung in Haiti betrieben hatte, stellte eine solche homöostatische, funktionalistische Systembildung in Frage, weil sie als Erklärungsmodell für die Wandlungsprozesse in einer ausgeprägt synkretistischen Gesellschaft wie Haiti inadäquat war. Die von Herskovits zitierten Beispiele für synkretistische Reinterpretation stammen fast ausschließlich aus dem Bereich religiöser Kultpraktiken der Neuen Welt: vodoun in Haiti, candomblé in Brasilien, und shango in Trinidad. Der Eingang des Begriffes Synkretismus in die ethnologische Fachterminologie geht also einher mit einer methodologischen Umorientierung. Synkretismus setzt immer kulturelle Wandlungsprozesse voraus, und das heißt, daß eine diachronische Sicht, wenn sie nicht dominiert, so doch in die Überlegungen einbezogen werden muß. Diese Kombination von Synchronie und Diachronie hat zur Folge, daß synkretistischen Phänomenen weder mit dem herkömmlichen Funkthought will be the most significant area of cross-cultural intellectual history.« (1972:234). 2
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tionalismus noch mit der strukturalen Anthropologie des Claude Lévi-Strauss beizukommen ist. Als Alternative postuliert der bereits zitierte Ethnologe und Theoretiker Geertz eine Art hermeneutische Semiotik. Dabei handelt es sich um eine Methodologie, die sich auch als analytisches Instrumentarium für synkretistische Prozesse eignet.20 In einer Studie über Ritual und gesellschaftlichen Wandel in Java demonstriert Geertz, wie ein bereits bestehendes, intaktes synkretistisches Glaubenssystem durch den Einfluß von westlichen Ideen, islamischem Fundamentalismus und anderen ideologischen Elementen destabilisiert wurde. In seiner Fallstudie schildert Geertz eine Situation, in der »balanced syncretism« die Grundlage für kulturelle Homogeneität liefert, diese aber durch rapiden gesellschaftlichen und ideologischen Wandel unterminiert wird. Wichtig ist hier zum einen die positive Wertung, die Geertz dem Begriff Synkretismus beimißt er verwendet ihn in Verbindung mit Ausdrücken wie >balanced< und >homogeneity< (die contradictio in adjecto ist intendiert). Zum anderen ist die Feststellung wichtig, daß eine funktionierende synkretistische Gesellschaft sowohl der Ausgangs- wie der Endpunkt von Umwälzungen sein kann. Als positiv wertet Geertz dabei die Tatsache, daß sich die Mitglieder dieser Gemeinschaft mit den diversen, ihrer Gesellschaft zugrundeliegenden religiöskulturellen Elementen auseinandersetzten.21 In Analogie zu der beschriebenen Fallstudie darf man wohl verallgemeinern, daß Kulturen, die sich Wandlungs- und Akkulturationsprozessen unterworfen sind, bewußt oder unbewußt ständig mit Fragen der kulturellen Reinterpretation konfrontiert sind. Als Reaktion auf neue kulturelle und technologische Einflüsse entwickelt sich eine kontinuierliche Infragestellung und Neubewertung eigener kultureller Praktiken. In deren Verlauf werden die von Geertz als »webs of significance« bezeichneten Regeln des sozialen Lebens neu ausgelegt bzw. umdefiniert. Wichtig ist aber, daß aus der Sicht des Interpreten bzw. Beobachters diese Umdeutungsprozesse nicht sozialdarwinistisch als >Verlust< bzw. >Niederlage< betrachtet werden, sondern daß die oft daraus resultierenden Synkretismen, um mit Colpe zu sprechen, als bemerkenswerte intellektuelle Leistung zu werten sind.22 20
A n die Stelle globalisierender, funktionalistischer bzw. semiologischer Systeme muß nach Geertz eine Mikroperspektive, die von ihm so benannte »thick description« treten: »The aim is to draw large conclusions from small, but densely textured facts; to support broad assertions about the role of culture in the construction of collective life by engaging them exactly with complex specifics.« (1973:28)
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Vgl. Geertz (1973) Kap. 6: »Ritual and Social Change: A Javanese Example«, S. i47f. Geertz schildert die anläßlich einer Beerdigung auftretende Krise, als keiner mehr genau wußte, welcher Ritus und von wem ausgeführt werden sollte. Diese Krisis führte zu einer intensiven Religionsdebatte unter den Teilnehmern und zur Reflexion über die ihrem Glaubenssystem zugrundeliegenden Prinzipien. Es ist auffallend, daß sich die symbolische bzw. semiotische (im Gegensatz zur semiologisch ausgerichteten) Kulturanthropologie in besonderem Maße für synkretistische Phänomene interessiert, geht es hier doch um sinnfällige Beispiele einer Uminterpretation von Symbolen und Zeichen und um die bewußte Verschiebung von Bedeutungen innerhalb eines bestehenden kulturellen Kodes. Vgl. hierzu den Aufsatz von André
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Das tiefgreifende Umdenken, das sich gegenwärtig innerhalb der Ethnologie vollzieht, ist als notwendige Reaktion auf demographische und kulturelle Veränderungen zu verstehen. Insbesondere die großen multikulturellen Zentren in der Dritten Welt bringen ständig neue kulturelle Ausdrucksformen hervor, denen die Ethnographie in Methodologie und Praxis Rechnung tragen muß. In einem Versuch, diese neuen kulturellen Entwicklungen zu beschreiben, verwenden Anthropologen wie James Clifford und Ulf Hannerz >syncretism< und >creolization< als synonyme Begriffe. Hannerz (1987) zum Beispiel verweist darauf, daß multikulturelle urbane Zentren in Ländern der Dritten Welt in einem weltweiten kulturellen Austausch begriffen sind. Er bezeichnet diesen Austausch als »an intercontinental traffic in meaning.« In Großstädten wie Rio de Janeiro oder Lagos, in denen heterogene Ethnien und Kulturen aufeinandertreffen, hätten sich neue >kreolisierte< kulturelle Ausdrucksformen herausgebildet. Diese verbreiteten sich dann in Form von Musik, Büchern, Mode oder Theater über die ganze Welt. James Clifford dagegen verbindet den Begriff des Synkretismus mit postculturalism, einem Konzept, das die Vorstellung von festgeformten, homogenen kulturellen Identitäten in Frage stellt: In a world with t o o many voices speaking all at once, a world where syncretism and parodie invention are becoming the rule, not the exception, an urban, multinational world of institutional intransigence - where American clothes made in Korea are w o r n by y o u n g people in Russia, where everyone's >roots< are in some degree cut - in such a world it becomes increasingly difficult to attach h u m a n identity and meaning to a coherent >culture< or >languagepostculturalism< in der Diskussion zur Postmoderne häufig auf, die polypen- oder schwammartig alle neueren kulturellen und ästhetischen Erscheinungsformen f ü r sich zu reklamieren sucht. Auf diese Debatte gehe ich nicht ein, verweise aber auf die Untersuchung von Schulte (1993), bes. Kap. 4.2.
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lungsprozesses, in dem sich neue Formen der kulturellen Interaktion zwischen ethnischen Gruppen herausgebildet haben. Wie dieser kurze Überblick bereits andeutet, hat der Begriff Synkretismus eine grundlegende Bedeutungsverschiebung erfahren. Während der Terminus von den Religionshistorikern des 19. Jahrhunderts noch in der Konnotation von Unreinheit und Hybridität verwendet wurde, steht er im heutigen ethnologischen Diskurs für Toleranz, Reinterpretation und Erfindungsreichtum. Deutlich wird hier ein fundamentaler Paradigmenwechsel im westlichen Denken über andere Kulturen. Die im 19. Jahrhundert noch verbreitete pejorative Verwendung des Begriffes ist als Konsequenz des sich herausbildenden Bewußtseins nationaler Identität und nationaler Unterschiede sowohl innerhalb Europas als auch in Abgrenzung von außereuropäischen Kulturen zu sehen. Seit dem Zweiten Weltkrieg ist dagegen im Zuge der Dekolonisation eine Zunahme von synkretischen Ausdrucksformen zu beobachten, die von Forschern wie Hannerz und Clifford konstatiert wird. Das nunmehr unter positiven Vorzeichen sich entfaltende Interesse der Forschung am Synkretismus reflektiert auch einen Wandel im Denken über Kultur an sich bzw. einen Wandel in der Art und Weise, wie andere Kulturen wahrgenommen werden. Die Vorstellung von kultureller Homogenität, wie sie sich noch in der Ethnographie der Vorkriegszeit findet, wird nun endgültig als ein Konstrukt betrachtet, das selten mit der Wirklichkeit übereinstimmte.2^ c) Literaturtheorie Die Literaturtheorie kennt keine systematische Auseinandersetzung mit dem Synkretismus-Begriff, die den wissenschaftlichen Diskursen der Religionswissenschaft oder der Kulturanthropologie vergleichbar wäre. Wenn der Begriff fiel, dann fast ausschließlich in dem pejorativen Sinne einer chaotisch-eklektizistischen Stilvermischung. Erst mit der Rezeption der Literaturtheorie Mikhail Bachtins und der von ihm eingeführten Begrifflichkeit der >HybridisierungPolyphonie< und >Heteroglossierubrizierbare< Element unter diesen Schriftstellern läßt sich häufig nur ex negativo in ihrer Ausgrenzung aus den jeweiligen weißen host societies, in denen sie aufgewachsen sind, beschreiben. Im Lichte solcher Biographien, von denen es eine wachsende Zahl gibt, ist es kein Wunder, daß Theoriemodelle, die sich einer Terminologie wie >syncreticityhybridity< oder >creolization< bedienen, in der postkolonialen Literaturtheorie zunehmend an Bedeutung gewinnen.
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»The paradox of cultural heterogeneity, or cross-cultural capacity, lies in the evolutionary thrust it restores to orders of the imagination, the ceaseless dialogue it inserts between hardened conventions.« Wilson Harris, The Womb of Space: The CrossCulturalImagination, Westport: Greenwood, 1983, p. xviii. Zitiert nach: (Ashcroft et al. 1989:152.). Zum Begriff der »creolization« vgl. Brathwaite ( 1977); vgl. auch Huggan (1989): »Hence the relevance of Brathwaite's revisionist term creolization, which ultimately implies neither a perpetuation of >white< (ex-colonial) values or a recuperation of >black< (indigenous) values within the postcolonial society but an interculturative process within which a series of intermediary postures are struck up that elude or actively work against the binary structures (white/black), (master/slave) which inform colonial discourse but which have also survived in modified or transposed forms in the aftermath of the colonial era.« (1989:31).
Einen neueren Versuch, den Kultureklektizismus der postkolonialen Literaturen auf theoretischer Ebene zu beschreiben, unternimmt Bernd Schulte (1993) in seiner Dissertation über die »Dynamik des Interkulturellen« in diesen Literaturen. Auch wenn er zwischen verwandten Termini wie Hybridisierung, Synkretismus oder Eklektizismus keine genaue Differenzierung vornimmt, so ist seine Wertung dieses Phänomens als Manifestationen kulturellen Wandels dem Ansatz der vorliegenden Untersuchung vergleichbar. Schulte wehrt sich gegen pejorativhierarchisierende Definitionen dieser Begriffe. Das der Interkulturalität postkolonialer Gesellschaften zugrundeliegende Kulturverständnis hat, so Schulte, die Akzeptanz von Eklektizismus und Synkretismus zur Folge, und zwar: »a) als eigenständige und >kanonisierte< kulturstiftende Mechanismen, b) als legitime Mittel einer neuen, den postkolonialen o.ä. >interkulturellen< Bedingungen entsprechenden kulturwissenschaftlichen Methodologie.« (1993:39^) Die Arbeit von Schulte macht deutlich, daß die literaturwissenschaftliche Beschäftigung mit den postkolonialen Literaturen nun in eine komparatistisch-theoretische Forschungsphase eingetreten ist.3°
d) Theaterwissenschaft Eine explizite Anwendung des Synkretismus-Begriffes auf das Theater, Drama oder die darstellenden Künste ist ein relativ neues Phänomen. Häufig wird der Begriff lediglich als Epitheton verwendet, um eine polykulturelle Spielästhetik zu bezeichnen. Richard Schechner etwa findet in den rituellen Tanzdarstellungen der Yaqui-Indianer »a syncretic mixture of Catholic, Hispanic and Yaqui precontact elements.«(i98:3)3I Hier verwendet Schechner den Terminus kulturanthropologisch als Beispiel für bewußte oder unbewußte cultural redefinition.)1 Eine konkrete Applikation im Sinne einer theater- und kulturästhetischen Dramaturgie - und daher auch im Sinne der vorliegenden Untersuchung - findet sich in einem kurzen Artikel von Colin Taylor über Wole Soyinka: In his visionary projection of this [Yoruba] society, Soyinka has adopted a syncretic style — fusing the disparate elements of Yoruba song and dance, proverbs and mythology, elements from an ancient tradition of mask and folk-operatic drama, interaction with an anthropomorphic pantheon of gods - in the service of a central controlling viewpoint, aimed at shedding light on the dynamics of a society in transition. (1988:36) 3° Vgl. die Bemerkungen im Kap. ι der vorliegenden Untersuchung, v.a. Anmerkung 3. 31 In diesem Herausgeber-Kommentar versucht Schechner, Verbindungen zwischen Interkulturalität und Postmodernität herzustellen. Allerdings ist sein Synkretismus-Begriff so weit gefaßt, daß er synkretistische Praktiken, »the making of new cultural stuff« zur »norm of human activity« erhebt. (Ib.) 32 In diesem Sinne verwendet Christopher Kamiongera Synkretismus in seinem Aufsatz, »Malipenga: An Example of Syncretic Drama from Malawi«, Research in African Literatures 17 (1986), 197-210. Es handelt sich um eine Gattung des Tanzdramas, das traditionelle Tanzformen mit der Parodierung militärischer Aufmärsche und Zeremonien verbindet. Diese Tänze werden im Rahmen fünf bis sechsstündiger Dorffeste aufgeführt. 29
Taylor spricht hier einige zentrale Charakteristiken des synkretischen Theaters an: Die Einbeziehung und Vermischung disparater Kulturtexte sowie die Anknüpfung an rituelle und mythische Ausdrucksformen, um einer im Wandel begriffenen postkolonialen Gesellschaft eine neue Theatersprache zu geben. Allerdings führt er diesen Gedanken nicht weiter aus, da es ihm vor allem darum geht, die Soyinka-Rezeption in Nordamerika zu aufzuzeigen. Die bisher fundiertesten Versuche, den Synkretismus-Begriff auf Theater und die darstellenden Künste anzuwenden, entstammen zwei Untersuchungen, die sich mit der Musik- und Theaterkultur der schwarzen südafrikanischen Townships befassen. In seiner Studie In Township Tonight!: South Africa's Black City Music and Theatre (1985) appliziert der Ethnomusikologe David Copian den kulturanthropologischen Synkretismus-Begriff auf ästhetische Produkte. Synkretismus definiert er als »the acculturative blending of performance materials and practices from two or more cultural traditions, producing qualitatively new forms« (1985^11). Seiner Untersuchung legt Copian das Konzept einer performance culture zugrunde, das sowohl Musik, Tanz, und Drama als auch deren Aufführungskontexte und -anlässe umfaßt. Copian dokumentiert mit großer Akribie, wie im Laufe der letzten hundert Jahre viele disparate Elemente in dieser neuen performance culture ihren Niederschlag fanden. Die notwendige soziokulturelle Voraussetzung zur Herausbildung der neuen Ausdrucksformen lieferte, so Copian, die Urbanisierung und als Folge davon das Zusammenkommen verschiedener Ethnien. Im Zuge dieser Entwicklung begann eine Vielzahl westlicher Einflüsse wie Bildung, Kirche und Massenmedien auf die indigenen Kulturen einzuwirken. Die Offenheit der Township-Künstler und -musiker gegenüber Einflüssen, die vor allem seit den sechziger Jahren in Form von schwarzamerikanischen Ausdrucksformen verstärkt auf sie einzuwirken begannen, ist für Copian weder als sklavische Nachäffung amerikanischer Kultur zu deuten, noch stelle sie eine Ablehnung des »subjugated but precious African heritage« dar. Mit seinem Synkretismus-Begriff der kreativen Rekombination von ästhetischem und kulturellem Material verteidigt Copian die Township-Kultur und ihre Produktionsweise gegen die Kritik am Verfall südafrikanischer Kunst: It is rather the result of a creative syncretism in w h i c h innovative performers c o m b i n e materials f r o m cultures in contact into qualitatively n e w f o r m s in response to changing conditions, needs, self-images, and aspirations. (Ib.:236f.)
Indem Copian den Synkretismus-Begriff in Verbindung mit der Formulierung »innovative performers« bringt, hebt er die Bedeutung individuell-schöpferischer Künstler im Synkretismusprozeß hervor. Er führt den Begriff damit aus dem rein humanwissenschaftlichen Bereich übergeordneter Strukturen heraus und siedelt ihn im Bereich der Ästhetik an. In einem 1987 veröffentlichten Artikel über südafrikanisches Theater schlägt der aus diesem Land stammende Theaterwissenschaftler Temple Hauptfleisch für die heterogene südafrikanische Performance-Kultur einen detaillierten Katalog von sechs Kategorien vor. Zunächst unterscheidet er zwischen >indigen-traditio30
nellen< und >indigen-zeitgenössischen< Formen und zählt zu letzteren z.B. Ausdrucksformen wie gumboot dances, Beerdigungsfeiern, Gottesdienste. Des weiteren führt er drei verschiedene Kategorien westlichen Theaters 33 ein, da er die bislang übliche einfache Trennung zwischen afrikanisch und westlich kritisiert. Schließlich postuliert er als Kategorie das >indigen-hybride< Theater, das Elemente der fünf anderen Kategorien inkorporiert und in etwa den von Copian definierten Formen der syncretic performance entspricht.^ In den zeitgenössischen indigen-gemeinschaftlichen Formen wie Kirchen- und Beerdigungefeiern mit ihren Verbindungen zu politischen Protestaktionen identifiziert Hauptfleisch einen Prozeß der »hybridization«.35 Um solche >hybriden< Performance-Formen geht es bei Hauptfleischs Überlegungen freilich nur am Rande. Im Mittelpunkt seines Interesses steht dagegen die sechste Kategorie, die dem indigen-hybriden Theater-als-Drama gewidmet ist. Dieser Kategorie ist das inzwischen international bekannte Township-Theatre zuzurechnen, in dem »all the varied strands of convention, tradition and experimentation somehow seem to get tied together in a hybrid form of performance which is uniquely South African.« (Ib.:i84) Mag das Endprodukt auch einzigartig südafrikanisch sein, wichtiger noch für postkoloniale Gesellschaften ist der hier angesprochene theaterästhetische Schaffensprozeß, in dem verschiedene Elemente »somehow get tied together.« Vor allem der in den Worten Hauptfleischs anklingenden Frage nach dem dramaturgisch-inszenatorischen >Wie< des synkretischen Theaters gilt das Hauptaugenmerk der vorliegenden Untersuchung.
5.
Überlegungen zu einer Typologie des Theatersynkretismus
Aus den vorhergehenden Ausführungen geht deutlich hervor, daß eine systematische Terminologie und Typologie der unter dem Begriff Synkretismus zu subsumierenden Erscheinungsformen bisher nur in der Religionswissenschaft erarbeitet wurde. Obwohl synkretistische Phänomene auch im Diskurs der Kultur33 Diese Formen sind: »Imported Western: (Serious formal plays, comedy, pantomime, opera, ballet etc.) [...] Indigenous, Western (Mainstream writing in Western format); [...] Indigenous, »alternative« Western (Experimental, non-mainstream improvisational performances based on Brechtian and Grotowski models; community theatre following Boal and others.« S. 177. Wenn Hauptfleisch »theatre« schreibt, meint er eigentlich den von Richard Schechner definierten Performance-Begriff, der Initiationszeremonien, »gumboot dances«, Beerdigungsfeiern sowie die ganze Bandbreite importierter westlicher Theaterformen wie Schauspieltheater, Ballett, Oper usw. umfaßt. Vgl. S. 175. 3' »The primary factor in all this is the process of hybridization, the mingling and borrowing which created something not quite African, not quite Western, but somewhere in the middle. Church services utilizing African dance and music, traditional communal dancing utilizing American jazz music and Western clothing. And part of the hybridization lies in the radically redefined sociocultural functions of these new forms, which at times forcefully dictates not only the form but also the content of the performance.« (1987:181)
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anthropologie inzwischen zunehmend Aufmerksamkeit erfahren, und der Begriff dort gleichfalls positiv konnotiert ist, existiert in dieser Disziplin noch keine vergleichbare systematisierte Theoriebildung. Dasselbe gilt für die postkoloniale Literaturwissenschaft, die zwar Begriffe wie >Hybridität< bzw. >Synkretizität< als literaturtheoretische Desiderata postuliert (Ashcroft et al.), aber bislang kaum über das Stadium der Vorüberlegungen hinausgekommen ist. In der interkulturell ausgerichteten Theaterforschung gibt es wie etwa bei Copian und Hauptfleisch vereinzelte Ansätze zu einem Synkretismus- bzw. Hybriditäts-Begriff. Allerdings werden solche Überlegungen in einen breiten Performance-Begriff eingebettet, so daß der spezifisch ästhetisch-theatrale Aspekt der Stücke und Aufführungen nicht gebührend berücksichtigt werden kann. Was dieses Konzept der performance angeht, so wurde bereits in Kapitel ζ deutlich gemacht, daß die vorliegende Untersuchung auf keinen Fall der anthropologischen Performance-Theorie Schechnerscher Prägung das Wort reden will, in der jegliche Manifestation theatralen Verhaltens, sei es in Form eines Theaterstücks oder in Form von rituellen Tänzen, Hochzeiten, Beerdigungen usw., unter den allumfassenden Begriff der cultural performance gefaßt werden. Demgegenüber soll im folgenden in Analogie zum Synkretismus-Modell der Religionswissenschaft eine erste Typologie vorgeschlagen werden. Dabei gilt es zu berücksichtigen, daß die zu untersuchenden Theaterformen primär zum Bereich der Ästhetik gehören. Das bedeutet, daß sie zwar in Abhängigkeit von breiteren kulturellen Wandlungsprozessen gedeutet werden. Dabei soll aber der Tatsache Rechnung getragen werden, daß Theater von Individuen bzw. Gruppen von Individuen ganz bewußt gesteuert wird. Eine einfache Übernahme und Applikation des religionswissenschaftlichen Modells ist deshalb nicht möglich. Dennoch lassen sich einige nützliche Parallelen zwischen den von der Religionswissenschaft festgestellten Synkretisierungsprozessen und denen im Bereich der Kunstform Theater beobachten, was nicht zuletzt daran liegt, daß die jeder Theaterform innewohnende Dialektik zwischen Kultur und Ästhetik beim synkretischen Theater besonders deutlich zu Tage tritt. Eine erste Standortbestimmung für unsere Typologie kann die von Carsten Colpe vorgeschlagene Klassifikation liefern ( 197 5 a: 1 Theater< auf Kulturen, die kein vergleichbares System kannten, wie dies beispielsweise in Afrika der Fall war, oder die von den Europäern eingeführte neue Theaterform überlagerte die bereits vorhandenen, wie dies etwa in Indien geschah, wo analoge Kunstformen bereits vor der Einflußnahme der Europäer vorhanden waren. In beiden Fällen wurde das neue kulturästhetische System übernommen und, analog zur Christianisierung etwa in Afrika,36 mit indigenen >Elementen< oder Kulturtexten vermischt. Zu dieser ersten Kategorie gehören neben den europhonen Theaterformen auch einige neuentstandene lokalsprachliche Theaterformen. Hier sind die des Yoruba Travelling Theatre in Nigeria37 oder das in Bombay im 19. Jahrhundert entstandene Parsi-Theater zu nennen.38 In beiden Fällen ist die Spielstruktur erkennbar europäischer Provenienz; viele Spielelemente aber entstammen der indigenen Kultur. Diese Elemente treten so stark in Erscheinung, daß man von einer neuen, synkretischen Theaterform sprechen muß. Der zugrundeliegende schwer quantifizierbare Beeinflussungsmechanismus muß letzten Endes darüber entscheiden, ob die Entstehung von Theatersynkretismus zu konstatieren ist oder nicht. Wichtig dabei ist die Einschränkung, daß nicht jedes von einem Afrikaner oder Inder geschriebene Theaterstück gleich ein Beispiel des Theatersynkretismus darstellt. Denn in den fraglichen Ländern bestand eine rege Dramenproduktion fort, die formal von westlichen Vorbildern kaum zu unterscheiden ist. Entscheidend ist vielmehr die programmatische Absicht (egal ob theoretisch formuliert oder nicht), das importierte theaterästhetische System durch die Einbeziehung indigener Kulturtexte und Spielelemente so zu verändern, daß das indigene Zeichenmaterial in mindestens einem Zeichensystem als Dominante fungiert, die theaterästhetische Ausgangsbasis selbst aber nicht gesprengt wird. 36
Colpe meint hier die sogenannten independent churches, die zwar erkennbar christlich sind, aber eine ganze Reihe afrikanischer Elemente in den Gottesdienst aufgenommen haben; vgl. hierzu Colpe (1975b). 37 Die alternative Bezeichnung ist Yoruba Folk Opera. Zur Kontroverse bezüglich der Bezeichnung und anderer Fragen vgl. Oyekan Owomoyela, »Yoruba Folk Opera; A Cross-Cultural Flowering«, in Rutherford (1992), 160-180. Der Entstehungszusammenhang dieser populären Theaterform in den vierziger Jahren ist von Ebun Clark in ihrer Herbert Ogunde-Biographie, Herbert Ogunde: The making of Nigerian Theatre., (Oxford 1979), dokumentiert worden; vgl. auch Biodun Jeyifo, The Popular Yoruba Travelling Theatre, (Lagos: Nigeria Magazine 1984); und Karin Barbers Aufführungsanalyse eines Theaterstücks: »Radical Conservatism in Yoruba Popular Plays«, in Breitinger (1986), 5-32. '8
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden in den verschiedenen Regionen Indiens europäisch beeinflußte Theaterformen, die mehr als bloße Replikate des britischen Vorbildes waren. Die in Bombay ansässigen Parsen, ein Kaufmannstand persischen Ursprungs, erkannten das kommerzielle Potential des Theaters. Sie errichteten Theaterhäuser und führten ihre Stücke in der Sprache Gujarati auf. Das Parsi-Theater war in formaler Hinsicht ausgesprochen eklektisch und seine Dramaturgie schreckte vor keinen Anleihen zurück. Die Stücke dramatisierten mit Hilfe von Lied- und Tanzeinlagen Legenden, Sagen sowie Begebenheiten aus der indischen Geschichte; die Aufführungspraxis zeichnete sich durch aufwendige Ausstattung und grelle Schockwirkung aus.
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Zur zweiten von Colpe definierten Kategorie, in der das Substrat dominant bleibt, gehört eine ganze Reihe von Theaterformen, die zwar durch die Aufnahme von Fremdelementen modifiziert wurden, deren grundlegendes theatersemiotisches System dabei aber intakt blieb. Dazu zählen Gattungen wie etwa das traditionelle apidán oder alarinjo-Theater der Yoruba, das bereits in vorkolonialer Zeit als Theaterform existierte und bis heute weiterbesteht.39 Darüber hinaus gibt es eine Reihe von außereuropäischen Theaterformen, die zwar unter dem Einfluß des westlichen Theaters Veränderungen erfuhren, dabei aber strukturell weitgehend unverändert blieben: Die klassischen japanischen Theaterformen, die Peking-Oper sowie indische Tanztheater-Genres wie kathakali und yagsagäna gehören zu dieser Gruppe. Für diese Traditionsstränge kann nicht von Theatersynkretismus gesprochen werden, sondern es handelt sich dort um eine vorsichtige und vor allem graduelle Rezeption fremder Einflüsse.'*0 Die meisten zur zweiten Kategorie gehörenden Theaterformen können erst dann einer Form des interkulturellen Theaters zugerechnet werden, wenn sie in so umfangreichem Maße Fremdelemente aufgenommen haben, daß dabei etwas formal Neues, also eine dritte Kategorie entstanden ist. Wenn dahinter eine erkennbare ästhetisch-programmatische Absicht steht, so kann man von dem Begriff der Fusion sprechen. Wie eingangs erläutert, handelt es sich hier um den in Indien und Japan, Korea und China weit verbreiteten Versuch, eine traditionelle Theaterform wie Kabuki oder Nö, kathakali oder Kyôgen, mit der westlichen Theaterästhetik zu verbinden. Beispiele dafür finden sich auch bereits in den sechziger und siebziger Jahren in der Dritten Welt, wo bestehende Theaterformen politisch umfunktioniert wurden. Der indische Regisseur Habib Tanvir beispielsweise, der innerhalb der Konventionen der traditionellen Theaterform nacha arbeitet, verfolgt damit nach eigener Aussage Brechtsche Zielsetzungen. Von den ländlichen Zuschauern werden seine Theaterproduktionen aber nach wie vor als nacha-Theater rezipiert. Dasselbe gilt für den bengalischen Regisseur und Dramatiker Utpal Dutt, der das jätra-Theater in ähnlicher Weise umfunktionierte/1 Die vorliegende Untersuchung befaßt sich - wie gesagt - ausschließlich mit Theaterformen der ersten Kategorie. Von zentralem Interesse dabei ist die Frage, wie sich die Einwirkung fremder Kulturtexte in der Kunstform Theater niederschlägt. Diese Wirkungsästhetik läßt sich nur schwer als Gesamtwirkung analyDer Fremdeinfluß beim apidán-Theater ist sicherlich bemerkbar, vor allem in bezug auf die Verwendung ikonographischen Materials in der Kostümierung, dominiert aber nicht. Hier kann man nur bedingt vom Theatersynkretismus sprechen; vgl. Götrick (1984). 4° Zu yagsagäna schreibt Kenneth Rea: »the temptation to modernize was great, and gradually elements inspired by other drama forms and the cinema began to creep into Yakshagana performances.« »Theatre in India: the Old and the New, Part II.« Theatre Quarterly 8:31 (1978), 45-60, S. 47. 41 Zu Tanvir vgl. Vasudha Dalmia-Lüderitz, »To be more Brechtian is to be more Indian«, in: Fischer-Lichte etal. (1990:221-235); und Kenneth Reas Ausführungen zu Utpal Dutt, Bardal Sircar und Habib Tanvir unter dem Stichwort »Theatre of SynthesisPrimitivismus< zu befreien und gleichzeitig die kulturspezifische Privilegierung der oralen Kultur in den Dienst der modernen Technik zu stellen. Eine detaillierte philologische Untersuchung zur oralen Kultur der Bantu unternimmt Dhlomo in dem Essay »Nature and variety of tribal drama« (1939). Es geht ihm dabei darum, Vorformen einer dramatischen Struktur nachzuweisen: »I submit that the tribal literary forms whose nature and construction have baffled many investigators, are in reality mutilated and
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So schreibt Joachim Fiebach in bezug auf die Forschung des Musikethnologen J . M. Chernoff: »Musik sei deshalb strukturiert wie ein Gespräch, nach dem InteraktionsPrinzip.« (1986:16-7) 1979. Eine Dialogstruktur in afrikanischen Tanz- und Gesangsformen konstatiert auch R. F. Thompson (1974). •7 Auch in Hinblick auf die Diskussion über Ritual versus Unterhaltung antizipierte Dhlomo die heutige Diskussion. So wehrt sich Richard Schechner (1973) gegen eine grundlegende strukturelle Unterscheidung der beiden Funktionen und postuliert statt dessen ein Verflechtungsverhältnis von Ritual und Unterhaltung, das jeweils von der Zuschauerhaltung und vom performativen Kontext bestimmt wird. Joachim Fiebach (1986:157-58) findet Schechners Interpretation in bezug auf afrikanisches Theater bestätigt. Auch Fiebach kritisiert die Auffassung, Ritual sei nur instrumental. (Ib.: 3 7 1 ) 42
distorted remains of primitive tribal, dramatic pieces.« (1977:23) Seine methodische Vorgehensweise lehnt sich an eine Richtung in der Bibel-Exegese an, die in der Geschichte Hiobs oder dem Buch Salomon literarisch-dramatische Genres herauszuarbeiteten versucht. In Analogie dazu identifiziert er bei den traditionellen Darstellungsformen der Bantu eine Reihe von »dramatischen« Formen. So löst er die Lobgesänge, izibongo, in verteilte Rollen auf, obwohl die schriftliche Uberlieferung solche Rollen nicht vorsieht. Mit psychologisierendem Spürsinn findet Dhlomo verschiedene »Stimmen« oder Figuren im Gedicht verborgen, die vermutlich, so argumentiert er, vom Sänger gestisch-stimmlich verkörpert und ausdifferenziert wurden. Von großer Signifikanz für Dhlomo ist die Tatsache, daß das Genre der Lobgesänge keine ritualistisch-utilitaristische Funktion erfüllte. Dies ist für ihn ein Merkmal eines höheren Entwicklungsstadiums auf dem Wege zu genuinem Drama.18 Auch Kinderliedern der Bantu-Tradition, denen häufig eine einfache Dialogstruktur zugrunde liegt, versteht Dhlomo als »creations of dramatic poets anxious and struggling to discover a form of dramatic expression« (1977:26). Sie sind für ihn eine Entwicklungsstufe auf demselben Wege. Derselben Strukturierungsprozedur unterzieht Dhlomo auch die Tänze der Zulu, die ingoma. Ziel dabei ist es, einen dramatischen Ablauf, handelnde Figuren und einen Chor herauszuarbeiten. Diese Tänze haben nach Dhlomos Auffassung die Form von »rhythmic, choral-dramatic dances« (Ib.:28) und sind Ausdruck einer intakten Gemeinschaft: The harmonic sense was so highly developed that it was enough for one individual to compose the melody of a tune and then introduce it to his companions, who would instantly learn the given melody, compose parts to it, sing the whole choral song there and then, and dance to it rhythmically. (Ib.:28)
Auch hier fahndet Dhlomo wieder nach den kulturellen >Tiefenstrukturenaromatic< hours, because the tribal actor appreciated the efficacy of fragrant and stimulating herbs which were used to arouse certain emotions and moods.« 8. Nach Dhlomos Auffassung ist die totemistische Denkweise des Afrikaners für die Gedankenwelt des traditionellen Theaters von zentraler Bedeutung, weil der Glaube an die Interdependenz aller Wesen, Menschen wie Tiere, die philosophische Tätigkeit des »tribal man« aktiviert habe. Dieser Glaube könne daher nicht als Aberglaube abgetan werden. 9. Eben diese Denkweise habe zu den Rätseln in der afrikanischen Kultur beigetragen, z.B. den Geheimgesellschaften und dem Okkultismus, die mythopoetisches Material für den afrikanischen Dichter lieferten: »No wonder tribal Africans were such spontaneous, prolific poets. And who shall say whether this power does not lie dormant but ready in the soul of the African today.« (1977:32-34)
Dhlomo merkt hier parenthetisch an, daß die Situation der Rassendiskriminierung und Unterdrückung anno 1939 das schauspielerische Talent des Afrikaners noch mehr fördere, weil er ständig verschiedene Rollen spielen müsse. Dieses Thema wird 1973 von Athol Fugard, John Kani und Winston Ntshona in Sizwe Bansi is Dead theatralisch umgesetzt. Dhlomo weist auch bereits auf die in afrikanischen Kirchen vorherrschende Theatralik hin, ein Thema, das südafrikanische Theaterwissenschaftler erst in den letzten Jahren wiederentdeckt haben; hierzu vgl. Hauptfleisch (1987:181) und Kap.4d dieser Untersuchung. 44
Es wird deutlich, daß Dhlomos Auffassungen einer Theaterauffassung nahestehen, die man heute mit dem Begriff der Performance-Theorie bzw. cultural performance faß t. 20 Inwiefern Dhlomo sein Programm in eigenen Stücken in die Tat umsetzte, wird noch zu zeigen sein. Vorab läßt sich aber feststellen, daß dem hier zusammengefaßten Katalog von theatralen Zeichen, Spielpraktiken und Denkweisen in seiner Heterogeneität nur mit dem Begriff des Kulturtextes beizukommen ist. Zur gleichen Zeit erweitert Dhlomo die Parameter dafür, welche Kunstmittel für das Theater überhaupt legitim sind, und umreißt somit bereits die Strategie des späteren postkolonialen Theatersynkretismus. Zum Verständnis von Dhlomos Intentionen soll kurz noch seine politische Zielrichtung angesprochen werden. In Schriften, die in Zusammenhang mit der Gründung einer »African Dramatic Movement« 21 entstanden, tritt er dafür ein, daß das Drama einen Beitrag zur Frauenemanzipation und zur Harmonisierung der Rassenbeziehungen leistet. Drama und Theater werden in Dienst einer Erziehung der Massen gestellt. Forderungen wie diese entsprechen in etwa vergleichbaren Reformprogrammen in Großbritannien und den USA aus jener Zeit, die ein sozialengagiertes Theater als Gegenbewegung zum vorherrschenden Unterhaltungsbetrieb postulierten. 22 Auch in diesem Punkt geht es Dhlomo nicht einfach darum, für seine Leser den Anschluß an internationale Strömungen zu finden, sondern um die Integration einer kulturspezifisch afrikanischen Ausdrucksund Wahrnehmungsweise. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Indienstnahme des Dramas als Vehikel für ein afrozentriertes Geschichtsbild. Von der europäischen Geschichtsschreibung verteufelte Zulu-Führer wie Shaka, Dingane, Cetshwayo usw. sollten im Drama rehabilitiert und als tragische Figuren von historischer Bedeutung geehrt werden.23 20
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Z u Performance-Theorie und »Cultural Performance« vgl. Kap. 2 »Theater und Cultural Performance«. Bereits im Jahre 1932 wurde eine Bantu Dramatic Society und die eher sozialistisch ausgerichteten Bantu People's Players gegründet. Es handelte sich um Laiengruppen, bei denen weiße Einflußnahme eine wichtige Rolle spielte. Vgl. Orkin (1991:24) >New Theatre< ist ein gängiger, wenn auch nicht besonders vielsagender Terminus für diese linksorientierte Sammelbewegung, die Ende der zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre entstand. Dazu gehörten z.B. in den U S A das N e w Playwrights' Theatre um John Dos Passos und das G r o u p Theatre von Harold Clurman, Lee Strasberg und Clifford Odets; in England wäre in diesem Zusammenhang das 1936 gegründete Unity Theatre zu nennen. So arbeitete ein Mitbegründer des >Unity Theatres der Belgier André van Gyseghem, in den dreißiger Jahren mit den Bantu People's Players zusammen. Auf diese Zusammenarbeit macht Orkin (1991:24) aufmerksam, stellt aber die Verbindung zum »Unity Theatre< nicht her. In dem Aufsatz »Why Study Tribal Dramatic Forms« (1939) heißt es: »The African has suddenly become proud and intensely interested in the careers of these national heroes and heroines. Today the new African refuses to accept these men and women as savages, murderers, and impostors of the schoolroom and the textbook.« (Dhlomo 1977:42) Die Mehrzahl von Dhlomos Dramen haben die Leben solcher afrikanischer Helden zum Thema.
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Wie vorausschauend und richtungsweisend die Überlegungen Dhlomos sind, zeigt sich besonders deutlich im Vergleich mit der Theatertheorie Wole Soyinkas, in der sich erst dreißig Jahre später eine ähnliche Systematisierung finden läßt. Auch wo Dhlomo auf die mythopoetische Komplexität der afrikanischen Denkweise hinweist und diese als Grundlage für eine neue afrikanische Theaterform postuliert, stimmt er in seiner Auffassung weitgehend mit Soyinkas zum selben Zweck angestellten Analyse der eigenen Yoruba-Kultur überein. Von diesem und anderen Ansätzen wird im nächsten Kapitel ausführlicher die Rede sein.
7.
Theoriebildung in postkolonialer Zeit
a) Nigeria Die sechziger Jahre in Nigeria, also die ersten Jahre der Unabhängigkeit, sahen eine sich intensivierende Auseinandersetzung seitens nigerianischer Intellektueller und Dramatiker mit der eigenen Theatertradition. Die in jener Zeit entstandene Forschung verbindet Ethnographie mit Theaterwissenschaft und bildet die Grundlage für eine vor Ort erarbeitete Theorie und Praxis des synkretischen Theaters. Betrachtet man diesen vehementen Neuansatz genauer, dann deutet sich an, daß das Bewußtsein für eine nicht mehr dem realistischen Literaturtheater verhaftete Theaterästhetik offenbar erst durch eine intensive Beschäftigung mit der Theatralität der eigenen Kultur entsteht. Die im folgenden näher untersuchten Arbeiten versuchen zu vermitteln zwischen europäisch tradierten Diskursen einerseits und einem immer stärker werdenden afrozentrierten Blick andererseits, der die theatralen Ausdrucksformen der jeweils eigenen Kultur mit anderen Maßstäben messen will. An zwei Aspekten läßt sich dieser Prozeß der Vermittlung festmachen: Ausgehend von Aristoteles wird das Verhältnis zwischen Ritual und Theater entwicklungsgeschichtlich bestimmt und die Definition des Dramas handlungs- und konfliktorientiert festgelegt. Diese Diskussion weist zudem zwei gegensätzliche Facetten auf: eine konfirmatorische und eine opponierende. In einem konfirmatorischen Diskurs werden die traditionellen afrikanischen Darstellungs- und Theaterformen uminterpretiert, um sie in ein Erklärungsparadigma mit strukturellen Parallelen zur europäischen Wissenschaftstradition einzuordnen. Dabei rekurrieren die afrikanischen Theoretiker auf die sich an Aristoteles entzündende Debatte über den Ursprung des Theaters im Ritual bzw. auf den Ursprung des mittelalterlichen Theaters im christlichen Ritus. Zu den Vertretern dieser Theoriedebatte gehören der Theaterwissenschaftler J. A. Adedeji sowie die Dramatiker Ola Rotimi und J. P. Clark. Alle drei analysieren traditionelle Tanzfeste, Riten und Darstellungsformen im Rahmen eines dem Denken James Frazers verpflichteten Evolutionsmodells westlicher Provenienz, das das Theater als Endpunkt eines sich ausdifferenzierenden Entwicklungsprozesses von Ritual zur dramatischen Kunst betrachtet. Adedeji, zum Beispiel, sieht in den Kultfesten der Yoruba Parallelen zum griechischen Theater. Diese Feste, so 46
Adedeji, »yielded evidences of their theatrogenic character like those of ancient Greece.« (1966:88) Die Pramatiker Ola Rotimi und J. P. Clark sind Exponenten des synkretischen Theaters. Ihre wissenschaftlichen Aufsätze stehen daher implizit oder explizit in Verbindung mit ihrer dramaturgischen Praxis und können als versteckte Programmatik gelesen werden. Rotimi bezieht sich in seinem Essay »Traditional Nigerian Drama« (1971c) explizit auf Frazers The Golden Bough. Zur Erklärung der Säkularisierung des traditionellen Theaters der Yoruba entwikkelt er ein Evolutionsmodell, das einem inzwischen veralteten Forschungsansatz zum mittelalterlichen englischen Drama verpflichtet ist: »the way was now set for the ritual to move out from confined conclaves, from sacred groves and from hallowed shrines, and meet the masses on the king's special forecourt« (19710:39). Auf James Frazer geht auch J. P. Clark2"· zurück, wenn er in seinem Aufsatz »Aspects of Nigerian Drama« (1966) behauptet: we believe that as the roots of European drama go back to the Egyptian Osiris and the Greek Dionysus so are the origins of Nigerian drama likely to be found in the early religious and magical ceremonies and festivals of the people of this country. (1973:2ο) 2 !
Alle drei identifizieren deutliche Affinitäten zwischen indigenen afrikanischen Tanz- und Musikformen einerseits und den stark musikalisch und tänzerisch ausgerichteten Ausdrucksformen der Frühphase der griechischen Tragödie andererseits. Parallelen zu Yoruba Kultfesten, in denen Mythen in theatraler Form zur Aufführung gelangen bzw. in denen der Mythos durch die Darsteller verkörpert wird, 26 bietet vor allem die offensichtliche Kontiguität von Festen mit Ritualcharakter und dem Aufführungsrahmen des attischen Theaters als Teil der Dionysien. Die genannten Aufsätze enthalten aber nicht ausschließlich konfirmatorische Aussagen über die Verbindung zwischen europäischen und afrikanischen Theaterformen. Es finden sich darin zugleich Elemente eines Gegendiskurses, d.h. Argumente, mit deren Hilfe der okzidentale Theaterbegriff in Frage gestellt wird. So untersucht etwa J. A. Adedeji (1966) die Haltung des Zuschauers bei rituellen 2
4 J[ohn] P[epper] Clark (1935) schreibt mittlerweile unter dem Namen J. P. Clark Bekederemo. Clark war von 1966 bis 1985 Professor of African Literatures an der Universität Lagos, Nigeria. Seine Hauptwerke sind Song of a Goat, The Masquerade, The Raft, abgedruckt in Three Plays (Oxford Univ. Press 1964), Ozidi (Oxford Univ. Press 1966) und The Bikoroa Plays (Oxford Univ. Press 1985). 2 s Erstdruck in: Nigeria Magazine 89 (June 1966), 118-126; zitiert wird nach dem Abdruck in: African Writers on African Writing, ed. G.D. Killam. (London: Heinemann 1973), 19-32. Seine Betrachtung traditioneller Theater-und Darstellungsformen steht der Semiotik nahe, insofern als er nicht auf aristotelisch-dramaturgische Kategorien zurückgreift, sondern mit Dominanzverhältnissen von theatralen Mitteln argumentiert: »the ascendant elements [im traditionellen Theater] are those of music, dance, ritual and mime, that of speech being subdued to a minimum.« (1973:26) Aufgrund dieses anders strukturierten Dominantenverhältnisses bestehe keine Notwendigkeit, eine vermeintlich aristotelisch-dramatische Struktur zu identifizieren. 16 Die Suche nach Parallelen zwischen Yoruba und griechischem Theater wird nicht nur von afrikanischen Wissenschaftlern betrieben, vgl. z.B. Robert Plant Armstrong (1976). 47
Tanzfesten. Sie sei gekennzeichnet durch eine Doppelperspektive, die dem westlichen Theater fremd ist. Der Zuschauer sei bei einer rituellen Zeremonie sowohl Teilnehmer als auch Beobachter, der das Geschehen ästhetisch rezipiere. Um diese Doppelperspektive geht es Adedeji auch in einer zwei Jahre später veröffentlichten Arbeit über das Unterhaltungstheater der Yoruba, apidán. Dank der Beziehung zu den eg«wg»«-Geheimgesellschaften und den maskierten Tänzern habe diese Theaterform ihre religiös-rituelle Bindung nie ganz verloren. Daher sei die Zuschauerhaltung in diesem Fall nie ganz eindeutig als ausschließlich ästhetisch zu bezeichnen. In seinen Aufsätzen versucht Adedeji die im westlichen theaterwissenschaftlichen Diskurs fest verankerte Dichotomie von Theater und Ritual zu relativieren. Dabei gerät sogar die weithin akzeptierte Unterscheidung zwischen ästhetisch ausgerichteten Zuschauern und rituell motivierten Teilnehmern ins Wanken.27 Auch Wole Soyinka kommt in seinem Aufsatz »The Fourth Stage« nicht ohne zahlreiche Verweise und Anspielungen auf griechische Mythologie aus.28 In dieser äußerst einflußreichen Arbeit unternimmt Soyinka den Versuch, die traditionellen Darstellungsformen der Yoruba in eine europäische Diskurstradition zu stellen und dabei zugleich eine eigenständige mythopoetische Ästhetik zu schaffen. Wenngleich sich Soyinka keineswegs des Stilduktus des wissenschaftlichen Aufsatzes bedient, zeugt »The Fourth Stage« von beträchtlicher Forschungsarbeit und einer intensiven Beschäftigung mit der Yoruba-Kultur. Allerdings kann die von Soyinka unternommene Exegese der Schöpfungsmythen der Yoruba aus heutiger Sicht nicht als ethnologisch-exakt bezeichnet werden. Was seine Intention angeht, so ist Soyinkas Essay als künstlerisches Manifest zu lesen, in vielerlei Hinsicht Nietzsches Schrift Die Geburt der Tragödie vergleichbar, der Soyinka viel verdankt. Wie Die Geburt der Tragödie artikuliert Soyinka ein künstlerisches Programm, das auf einer sehr persönlichen Mythosinterpretation beruht.2?
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Eine erste diskursanalytische Kritik der theatertheoretischen und -historiographischen Forschung zum afrikanischen Theater stammt von Biodun Jeyifo (1990). Er identifiziert drei separate wissenschaftliche Diskurse: eine von europäischen Wissenschaftlern bestimmte Frühphase; einen afrozentristischen Gegendiskurs, dem er unter anderem Adedeji und Soyinka zurechnet, und einen neueren interkulturell ausgerichteten Diskurs mit einem Schwerpunkt auf ideologischen und sozialen Funktionen des Theaters. 28 Der Aufsatz erschien zuerst in der Festschrift The Morality of Art: Essays Presented to G. Wilson Knight by his Colleagues and Friends, ed. D.W.Jefferson, London, Routledge & Paul, 1969. Er wurde mit geringfügigen Änderungen als Anhang in Soyinkas Aufsatzsammlung, Myth, Literature and the African World, (Cambridge: Cambridge Univ. Press 1976), wiederabgedruckt. Zitiert wird nach dieser überarbeiteten Fassung. 2 9 Seiner ganzen Argumentationslinie liegt das durch Nietzsche berühmt gewordene dyadische Modell des Apollonischen und Dionysischen zugrunde, das er mit äquivalenten Gottheiten aus der Yoruba-Kosmologie umfunktioniert. Vor allem dieser Aspekt des Essays - Soyinkas Mythosverständnis und seine Nietzsche-Lektüre - ist in der literaturwissenschaftlich orientierten Soyinkaforschung bereits ausführlich untersucht worden und bedarf hier keiner weiteren Kommentierung. Katrak (1986) liefert eine ausführliche Analyse zu >The Fourth Stage*, ebenfalls Sotto (1985) und Davis (1981). 48
In seiner Neuintepretation der Yoruba-Mythen bedient sich Soyinka häufig einer Theatermetaphorik, um die Geschichten der verschiedenen Götter Ogun, Obatala and Shango zu beschreiben. Ogun bezeichnet er als »the first actor« (1976:145), außerdem ist die Rede von »Shango's drama« (1976:144) und von Obatalas »>Passion< play.« Dabei versteht Soyinka die den Yoruba-Schöpfungsmythen inhärente Dramatik - thematisch dominieren Kämpfe und Niederlagen der Götter - nicht nur als Drama im metaphorischen Sinne, sondern er versteht sie zugleich ganz wörtlich als reale Darbietungen, z. B. in Form von Tanzfesten der Verehrer einzelner Gottheiten. Es ist Soyinkas Intention, den von ihm substantiell umdefinierten europäischen Terminus »Tragödie« auf die afrikanische Tradition rituell bedingter Theatralität anzuwenden. Die in der folgenden Passage vorliegende Tragödiendefinition Soyinkas verrät Anklänge an Nietzsches Geburt der Tragödie. Aber noch wichtiger ist, daß diese Passage so etwas wie die ersten Ansätze zu einer Darstellungspoetik der Yoruba, die er im Laufe des Essays ausführt, enthält: Tragedy, in Yoruba traditional drama, is the anguish of this severance, the fragmentation of essence from self. Its music is the stricken cry of man's blind soul as he flounders in the void and crashes through a deep abyss of aspirituality and cosmic rejection. Tragic music is an echo from that void; the celebrant speaks, sings and dances in authentic archetypal images from within the abyss. All understand and respond, for it is the language of the world. [Hervorhbg. C.B.] (1976:145)
Die drei hervorgehobenen Textstellen weisen auf die zentralen performativen Kodes des traditionellen Yoruba-Theaters hin. Zunächst läßt sich eine deutliche Dominanz des musikalischen Kodes feststellen, außerdem eine Kombination von sprachlichen, musikalischen und kinästhetischen Kodes im Spiel des Darstellers, der gleichzeitig Zelebrant ist. Die Haltung des Publikums ist, da es sich um den Vollzug einer Ritualhandlung handelt, zugleich eine rezeptive und partizipatorische. Die semiotische Funktion der Dominante Musik im Yoruba-Theater läßt sich allerdings nach Soyinkas Ansicht mit dem europäischen Musikverständnis weder vergleichen noch analysieren. Der Unterschied bestehe darin, daß im ästhetischen und kulturellen System der Yoruba Musik von Sprache und Poesie nicht zu trennen ist. Soyinka spricht in diesem Zusammenhang von »the primal simultaneity of artforms in a culture of total awareness and phenomenal involvement.« (1976:147) Sprache sei demnach eine »cohesive dimension« (Ib.) von Musik und Tanz als Ausdruck des Mythos und darüber hinaus Teil einer Gesamtheit von musikalischen, verbalen, kinästhetischen und visuellen Kodes, die sich gegenseitig ergänzen und komplementieren: »the movement of words was the very passage of music and the dance of images.« (Ib.) Von zentraler Bedeutung ist die Transformation der Sprache in der Yoruba-»Tragödie«. Sprache verliert dabei ihre denotative Korrespondenz von Signifikant und Signifikat der Alltagssemantik und wird zu dem, was Soyinka »a secret (masonic) correspondence with the symbolism of tragedy« (1976:148) nennt. An die Stelle der Alltagssemantik tritt ein neues semiotisches System, »a masonic union of sign and melody« (Ib.), das zwar die wahre tragische Musik konstituiert und kommuni49
ziert, aber nur spirituell und emotional, nicht rational verständlich sei. Es handelt sich mit anderen Worten hier um eine hieratische und esoterische Sprache, die im Kontext der Aufführung eine kommunikative Funktion erhält. Der Darsteller als Sprachrohr dieser esoterischen Sprache ist ein »possessed lyricist«, durch den die Götter kommunizieren und der als Vertreter der Gemeinschaft das »numinous area of transition« (1976:149) betritt. Dieser numinose Bereich wird durch die Masken der Darsteller ikonisch repräsentiert. Mit Hilfe dieser Masken, die groteske und komische Elemente miteinander verbinden, gelingt es ihren Trägern, sich den dargestellten numinosen Kräften zu entziehen: »The tragic mask [...] functions from the same source as its music - from the archetypal essences whose language derives [...] from the numinous territory of transition.« (1976:155) Vergegenwärtigt man sich dieses elaborierte, im Ritualleben der Yoruba verankerte semiotische System, so stellt sich die Frage, wie sich dieses System umkodieren und auf andere Aufführungssituationen übertragen läßt. Dieses Problem greift Soyinka in »The ritual archetype«, dem ersten Essay in Myth, Literature and the African World auf. Zur Diskussion steht die Frage, wie eine in der Überlieferung an einen heiligen Ort gebundene Aufführung, »a historic spot in the drama of a people's origin«, aus seinem ursprünglichen Kontext herausgenommen werden kann, um sie in einem gänzlich anderen Rahmen, nämlich »the fenced arena at a Festival of Arts« (1976:5), inszenieren zu lassen: The essential problem is that the emotive progression which leads to a communal ecstasy or catharsis has been destroyed in the process of restaging. So this leads us intentionally to the perennial question of whether ritual can be called drama, at what moment a religious or mythic celebration can be considered transformed into drama, and whether the ultimate test of these questions does not lie in their capacity to transfer from habitual to alien environments. (1976:5^)
In dieser Passage befaßt sich Soyinka mit einem der zentralen theoretischen und ästhetischen Problemen des synkretischen Theaters. Es handelt sich nicht nur um die Frage von folkloristischen Darbietungen, sondern hier geht es zugleich um die Entwurzelung von Kulturtexten mit einem klar demarkierten Funktionsradius, ihre Umkodierung und Umfunktionierung in einen dramatischen Text. Während bei diesem Prozeß die externe Struktur der Kulturtexte, repräsentiert durch Lieder, Tänze, Kostüme, Masken usw., mehr oder weniger unverändert bleiben, ändert sich der Aufführungskontext von Grund auf. Aufschlußreich für die vorliegende Studie ist, neben der Problematik von Theater und Ritual, auch Soyinkas Beschäftigung mit Synkretismus als Fundament afrikanischer Denkweise. So bezeichnet Soyinka etwa die Yoruba-Gottheit Obatala als den »syncretic successor« des Orisanla. Ein solcher Prozeß des mythisch-religiösen Synkretismus, bei dem zwei ursprünglich verschiedene Götter allmählich fusionieren und schließlich eine Einheit bilden, reflektiere eine fundamentale Eigenschaft der afrikanischen Weltanschauung: »a harmonious will which accommodates every alien material or abstract phenomenon within its infinitely stressed spirituality.« (1976:146) Der Begriff der accommodation im Sinne synkretischer Vermischung und Absorbierung fremder Elemente findet sich wiederholt in den in 50
Myth, Literature and the African World, gesammelten Aufsätzen. So postuliert Soyinka in dem Essay »Ideology and social vision (2)« die befreiende Kraft von authentischen, der afrikanischen Wirklichkeit entstammenden Bildern für den modernen afrikanischen Schriftsteller. Er hebt vor allem diejenigen Bilder hervor, die der Symbolik und den Werten afrikanischer Mythologie verpflichtet sind: They [die Bilder C . B . ] are familiar and closest to hand; they are not governed by rigid orthodoxies such as obtain in Islamic- and Christian-orientated matrices of symbols; a natural syncretism and the continuing process of this activity is the reality of African metaphysical systems; the protean nature of the symbols of African metaphysics, whether expressed in the idiom of deities, nature events, matter or artifacts, are an obvious boon to the full f l o w of the imagination. ( 1 9 7 6 : 1 2 1 ^ )
Auffallend ist hier die Gegenüberstellung von »rigid orthodoxies«, die Soyinka mit den christlichen und islamischen Religionssystemen assoziert, und dem der afrikanischen Weltanschauung inhärenten »natural syncretism«. Auch im Bereich der Ästhetik könne man das Bestreben ausmachen, den vermeintlich stark normativen, puristisch ausgerichteten »rigid orthodoxies« der europäischen Poetiken eine afrikanische Poetik des Synkretismus gegenüberzustellen. Soyinka zielt damit gleichermaßen auf den religiös-philosophischen Bereich und auf seine künstlerische Aktivität, allen voran seine Theaterarbeit, ab. Seine positive Wertung von Synkretisierungsprozessen als konstituierende und integrale Komponenten der afrikanischen Weltanschauung läßt sich als Versuch verstehen, der eigenen synkretischen Dramaturgie ein philosophisches Fundament zu geben. Soyinkas Gegensatzpaar ist auch in der Forschung aufgegriffen worden. In einem Aufsatz nimmt Joel Adedeji auf eben diesen Begriff des »natural syncretism« Bezug, um die von Soyinka geschaffene Theaterform zu charakterisieren, die Modernes mit traditionell afrikanischen Elementen verbindet: »a new theatre culture [produced] within the matrix of the traditional.«( 1987:123) Daß es sich bei diesem Synkretismusbegriff auch um Fragen handelt, die für die Theorie und Praxis eines synkretischen Theaters von grundsätzlicher Natur sind, sollen die folgenden Ausführungen zur Theorie des synkretischen Theaters in der anglophonen Karibik zeigen. b) Karibik Mehr oder weniger parallel zu Entwicklungen in Nigeria entstand in den fünfziger und sechziger Jahren in der anglophonen Karibik signifikante praktische wie programmatische Theateraktivität. Mit der Erlangung politischer Unabhängigkeit für die verschiedenen Inseln ging die Forderung nach einem indigenen karibischen Theater, das weitgehend frei von kolonialen Einflüssen sein sollte, einher. Obwohl sich die Idee einer Föderation der Inselstaaten Britisch-Westindiens bald als nicht praktikabel erwies, blieb die Idee eines karibischen Nationaltheaters bzw. die eines karibischen Dramas als kulturell verbindende Kraft bis in die siebziger Jahre hinein lebendig.*0 Alle Autoren, die die Schaffung eines 5° Für eine theater- und dramengeschichtliche Darstellung dieser Periode vgl. die Untersuchung des Nigerianers Kole Omotoso (1982).
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indigenen karibischen Theaters in ihren Theaterstücken und Manifesten propagierten, hatten sich als gemeinsames Ziel gesetzt, dieses Theatermodell auf der Grundlage der ausgeprägten performativen Volkskultur zu kreieren. Alle wollten zurückgreifen auf die Musik-, Tanz-, und Erzählformen, die in den verschiedenen Karneval-Traditionen ihren spektakulärsten Niederschlag finden, aber keineswegs nur darin zu suchen sind. Bereits in den fünfziger Jahren wurden die indigenen Sprachen der Karibik, d.h. die verschiedenen Kreolesprachen und patois, für die Bühne entdeckt. Einige Dramatiker wendeten sich zunehmend vom Englischen als Bühnensprache ab. Erst in den sechziger Jahren allerdings begannen Dramatiker darüber hinaus, die realistische Dramaturgie des well made play in Frage zu stellen, um sich somit der Integrierung anderer Darstellungsformen, vor allem der der Volkskultur, zu öffnen. Rückblickend lassen sich in der Herausbildung eines indigenen bzw. synkretischen karibischen Theaters zwei Hauptstränge feststellen. Der erste und am weitesten verbreitete Strang läßt sich als »Theatre of Exuberance« bzw. als Theater des Karnevals bezeichnen. In diesem Theatermodell sollte die farbenfrohe, zelebratorische Ästhetik des Karnevals mit seinen bunt kostümierten Maskeraden die Grundlage für Theater und Dramatik bilden: eine Art karnevaleskes Gesamtkunstwerk sollte geschaffen werden. Der wichtigste Wortführer dieses Programms ist der aus Trinidad stammende Theaterwissenschaftler und Dramatiker Errol Hill. Seit den fünfziger Jahren propagierte Hill eine durch das Karnevalsfest inspirierte Theaterform und Dramatik. Neben seiner Lehrtätigkeit in zahlreichen Vorträgen und Workshops versuchte sich Hill auch als Dramatiker, jedoch ohne nachhaltigen Erfolg. Lediglich seine in Calypso-Versen geschriebene Musikkomödie Man Better Man hat sich auf der Bühne behaupten können.' 1 Hills eigentliches Verdienst ist in seiner Wirkung als Programmatiker und Historiograph des karibischen Theaters zu suchen, wobei er häufig diese beiden Tätigkeiten miteinander verband. So zum Beispiel in seinem 1974 veröffentlichten Aufsatz, »The Emergence of a National Drama in the West Indies«, der mit einem sieben Punkte umfassenden Manifest für ein Nationaltheater schließt.'2 Ein Grundpfeiler dieses Manifests ist die Forderung, Ausdrucksformen der Volkskultur aufzugreifen und sie den Erfordernissen einer modernen indigenen Dramatik anzupassen. Bezugnehmend auf die eigene Theaterarbeit in den fünfziger Jahren schreibt Hill: 31
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Man Better Man entstand 1956 und wurde 19 5 7 in einer Prosafassung in Jamaika uraufgeführt. Die Calypso-Fassung wurde 1965 im Rahmen des Commonwealth Arts Festival in London sowie 1969 von der Negro Ensemble Company in New York aufgeführt. Der Text ist in der von Hill herausgegebenen Anthologie Plays for Today, (London: Longman 1985) abgedruckt. Die Forderung nach einem Nationaltheater erhält in einem postkolonialen Kontext eine interessante ideologische Dimension, handelt es sich dabei um die Übernahme eines kontrovers geführten westlichen Diskurses. Zu den ideologischen Aspekten der euroamerikanischen Nationaltheaterdebatte vgl. Kruger (1992).
H e [Hill] urged theatre artists to seek inspiration from the indigenous theatre of the folk, not as curiosities but as the fibre from which a national drama is fashioned: the carnival and calypso, John Canoe and dead-wake ceremonies, Shango and Pocomania, Tea Meetings, La Rose and Vieux Croix festivals, the Hosein and other Indian customs, native music and rhythms, dialect as a serious medium of expression. (1974:34)
Hill formuliert hier offensichtlich ein Programm für ein synkretisches Theater. Zusätzlich interessant ist die Tatsache, daß die erwähnten Formen der Volkskultur selbst synkretistische Züge aufweisen. Was Hills Bemühungen auf dem Gebiet der Volkskultur betrifft, so propagierte er seit den fünfziger Jahren in erster Linie den Karneval als Reformmodell. In seinem Hauptwerk The Trinidad Carnival: Mandate for a National Theatre (1972) faßt er sein Konzept zusammen. Den Hauptteil des Buches bildet ein geschichtlicher Abriß dieses für die Karibik so wichtigen Phänomens von den Ursprüngen im 18. Jahrhundert bis in die sechziger Jahre dieses Jahrhunderts. Die letzten beiden Kapitel widmet Hill dann seinem zentralen Anliegen, der Adaptation der karnevalesken Theatralität karibischer Prägung für ein zu schaffendes Nationaltheater. Ein wichtiges Problem bei dieser Adaptation liegt, so Hill, in der besonderen Ästhetik des Karnevals: Wegen seines ausgeprägten Ausstellungscharakters fehlten dem Karneval Merkmale, die das Gefühl und den Verstand ansprechen und dem »legitimate theatre« inhärent seien: »Essential to any art product, these qualities may be identified as order, coherence, and stillness, or silence.« (1972:104) Da Ziel des Karnevals die Umkehrung der Ordnung sei, müsse man sich fragen, ob sich die Wirkungsästhetik des Kunsttheaters mit der des Karnevals überhaupt vertrage. Zwar habe es in der Nachkriegszeit verschiedene Versuche gegeben, die Dimanche-Gras-Show durch thematisch zusammenhängende Varieté-Darbietungen, in die bestehende Unterhaltungsformen wie Calypso und Tänze integriert wurden, zu theatralisieren, aber diese Experimente könne man nicht als Ersatz für ein genuines Nationaltheater betrachten. Trotz dieser Probleme, die grundsätzlich wirkungsästhetischer Art sind, bleibt Hill überzeugt, daß der Karneval ein Formenreservoire für ein indigenes Kunsttheater bereithalte: »Yet the art theatre, if it is to be indigenous, if it is to be a national theatre, must take cognizance of the materials of the carnival and the forms in which they are expressed.« (1972:1 i j ) Hill schließt sein Buch mit einem Plädoyer für ein karibisches Nationaltheater auf der Grundlage der Karnevalskultur. Im folgenden sollen die für unser Thema relevanten Punkte des umfangreicheren Katalogs kurz skizziert werden. Dem Karneval entleihen kann das Theater bzw. mit diesem gemeinsam hat es nach Hill: ι. Rhythmus: Rhythmische Sensibilität sei als sprachliches und bewegungsästhetisches Element charakteristisch sowohl für den Karneval als auch für die afroamerikanische Kultur. 2. Präsentation der Texte: Metrische und polyrhythmische Sprechmuster, wie sie die Lieder und sprachlichen Darbietungen des Karnevals auszeichnen, soll auch für das Theater maßgebend werden. 53
3. Tanz, Gesang, Musik: Hill unterstreicht die Untrennbarkeit von Sprache, Gesang, Tanz und Musik und die Vermittlung und Orchestrierung dieser Ausdrucksformen in einem kohärenten Ganzen. Er will den Einlagecharakter der Gesangs- und Tanznummern des amerikanischen Musicals überwinden, damit die nondialogischen Formen auch handlungsbestimmend sein können. 4. Darsteller: Sie müssen nach Hill gleichermaßen Schauspieler, Tänzer und Musiker sein und somit die importierte Fragmentierung der Theatergattungen überwinden. 5. Sprache: Von zentraler Bedeutung ist die Entwicklung einer poetisch-metaphernreichen Theatersprache auf der Grundlage lokaler Dialekte und Kreolesprachen. Hill verweist hier auf J . M . Synge. 6. Masken und Maskeraden: Die Metaphorik der Sprache soll in der visuellen Symbolik der im Karneval allgegenwärtigen Masken und Maskeraden ihre Entsprechung finden. (1972:115-118) Errol Hills Katalog faßt die Ergebnisse eines Jahrzehntes reger Auseinandersetzungen unter einer ganzen Reihe von karibischen Künstlern und Intellektuellen zusammen. Wichtigste Einzelpersönlichkeit als Theoretiker und Praktiker eines Theatersynkretismus karibischer Prägung ist der Dichter, Dramatiker und Theaterleiter Derek Walcott. Walcott wurde 1930 auf der kleinen Insel St. Lucia geboren. Bereits in den fünfziger Jahren versuchte er sich als Verfasser von Geschichtsund Versdramen, die meistens über ihre Erstaufführung im Laientheater nicht hinauskamen.Im Jahre 1959 gründete er in Port of Spain, der Hauptstadt von Trinidad und Tobago, den Trinidad Theatre Workshop. Ziel dieser experimentellen Theatergruppe war es, einen autochthonen karibischen Theaterstil zu entwikkeln. Sieben Jahre lang erarbeitete Walcott mit Improvisationen und ohne Aufführungszwang eine neue Theatersprache. Erst 1966 wurden die ersten Arbeiten öffentlich gezeigt: Edward Albees The Zoo Story und Walcotts 1954 uraufgeführter Einakter The Sea at Dauphin. Zwischen 1966 und 1970 folgte eine Periode intensiver Aktivität. Inszeniert wurden Stücke wie Soyinkas The Road, Genets Die Neger, karibische Stücke und natürlich Walcotts eigene Dramen. Einen internationalen Ruf erlangte die Gruppe mit Walcotts 1967 in Kanada unter seiner Regie uraufgeführtem Drama Dream on Monkey Mountain, das 1971 in New 53 Über diese ersten Gehversuche auf dramatischem Boden schreibt Walcott rückblickend: »At twenty-seven I had written and rejected a great number of plays, most of them too tortured and strange in their stage poetry to work, and the two or three successfulseeming ones had moved out of poetry into the prose of the people, >The Sea at Dauphin< particularly.« »Derek's most West Indian play: Ti-Jean and his brothers«. In: Sunday Guardian Magazine (Trinidad), 21.6.1970, S. 7. Zwei Dramen, die ein breiteres Publikum fanden, waren das Versdrama Henri Christophe: A Chronicle (UA 1950), das 1952 in London aufgeführt wurde, sowie das 1958 in Trinidad anläßlich der Eröffnung des ersten föderativen Parlaments aufgeführte Epic Drama Drums and Colours. Zu diesem Werk vgl. den Aufsatz von Tejumola Olaniyan (1992). 54
York in einer Inszenierung der Negro Ensemble Company einen Broadway-Erfolg erzielte. In Zusammenarbeit mit dem Hair-Komponisten Galt MacDermot versuchte Walcott, ein neuartiges karibisches Musiktheater zu schaffen. Aus dieser Kooperation entstanden The Joker of Seville,34 eine Bearbeitung von Tirso de Molinas El Burlador de Sevilla, und O Babylon!, ein Stück über die Rasta-Bewegung in Jamaika.3 s Bis 1976 leitete Walcott als Regisseur und Hausdramatiker die Truppe, bis er, enttäuscht über das Ausbleiben staatlicher Subventionen, die Leitung schließlich aufgab.36 Walcotts programmatische Schriften zum Theater umfassen den Zeitraum von 1964 bis 1976. Die dort formulierten Ideen versuchte er in seiner theaterpraktischen Tätigkeit als Dramatiker und Theaterleiter umzusetzen. Walcott propagierte seine Ideen in Feuilletons, Theaterkritiken, Interviews, Vorträgen und in Vorworten zu seinen publizierten Dramen. Der Versuch einer Synthese dieser weit verstreuten Veröffentlichungen muß diesen verschiedenen Diskursformen Rechnung tragen.'7 Mit Ausnahme eines langen einleitenden Erfahrungsberichtes mit dem Titel »What the Twilight Saw: An Overture«, der seinem Dramenband Dream on Monkey Mountain and other Plays vorangestellt ist, gibt es von Walcott selbst keinen Versuch, seine Ideen systematisch zusammenzufassen. Walcotts Theatertheorie muß zunächst im Lichte des kulturkritischen Diskurses zu Kunst, Literatur und Kultur der Karibik gesehen werden. Die karibischen Kreole-Gesellschaften, in denen britische, afrikanische, indische, spanische, französische, portugiesische und chinesische Einflüsse präsent sind, bieten das Exemplum schlechthin für kulturelle Amalgamierungsprozesse. Allerdings differieren die Bewertungen dieses Zustands, in dem Synkretismen jegliche Form kultureller Aktivität beeinflussen, erheblich. In der für uns fraglichen Zeit der ausgehenden fünfziger und sechziger Jahre lassen sich drei innerkaribische kulturkritische Diskurse feststellen. Der aus Trinidad stammende, aber in London lebende Schriftsteller V. S. Naipaul prägte den Begriff der Mimic Men, um die Uraufgeführt am 28. November 1974 vom Trinidad Theatre Workshop, Port of Spain, Trinidad. Veröffentlicht in: Walcott (1978). 5 s Uraufführung am 19. März 1976 durch das Trinidad Theatre Workshop, Port of Spain, Trinidad. Veröffentlicht in: Walcott (1978). i6
E r verlagerte seine Aktivitäten zunehmend in die U S A , w o er an der Universität Boston eine Professur für Creative Writing annahm. Seit Ende der siebziger Jahre lebt Walcott abwechselnd in Boston und in Trinidad. Seine Stücke dieser Periode, obwohl sie sich thematisch mit der Karibik befassen, unterscheiden sich formal kaum von dem Theaterrealismus amerikanischer Prägung und weisen wenige Formelemente des Theatersynkretismus auf. Z u Walcotts Theateraktivitäten seit seiner Übersiedlung nach Boston vgl. Interview in Walcott (1988).
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Bibliographisch erfaßt sind diese Schriften nur partiell. Eine gute Auswahl enthält R o bert Hamners Walcott Monographie (1981); zuverlässig ist die Bibliographie von Irma E. Goldstraw: Derek Walcott: An Annotated Bibliography of his Works, ( N e w York: Garland 1984); besonders gut erfaßt sind die Zeitungsbeiträge in Victor Questels leider schwer zugänglicher unveröffentlichter Dissertation: »Derek Walcott: Contradiction and Resolution. Paradox, Inconsistency, Ambivalence and their Resolution in Derek Walcott's Writing 1 9 4 6 - 1 9 7 6 « . P h . D . Univ. of the West Indies (Augustan) 1979.
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angeblich fehlende Originalität der karibischen Kultur und seiner Menschen zu beschreiben. Seine harsche Kritik an der »borrowed culture« der karibischen Inseln wurde vor allem durch Naipauls 1962 veröffentlichten Reisebericht The Middle Passage bekannt.38 Demnach sei die karibische Kultur im Grunde imitativ und könne den großen Kunsterrungenschaften der Alten Welt nichts entgegenhalten. Als radikale Gegenposition zu Naipaul und zu der auf die Alte Welt fixierten Kolonialideologie bildete sich in den sechziger Jahren im Zuge der Black Consciousness-Bewegung in den USA auch in der Karibik eine afrozentrierte Kulturauffassung heraus, die sich in erster Linie auf die Relikte afrikanischer Kultur konzentrierte.In diesen konkurrierenden und sich vehement bekriegenden Diskursen nimmt Walcott die Position des Schlichters ein. Am deutlichsten wird diese Verhandlungsposition in seinem Aufsatz »Meanings« (1970 b). Er könne nicht behaupten, so Walcott, durch die Kolonialerfahrung eine Demütigung erfahren zu haben: Die Rezeption kolonialer Bildungswerte, vor allem die Lektüre von Vergil und Horaz, von Shakespeare und Milton, machten sogar die Stärke des westindischen Bewußtseins aus, für das »a fusion of formalism with exuberance« kennzeichnend sei. »It's probably the greatest bequest the Empire made.« (1970^51) Das Schlüsselwort ist hier fusion, was bei Walcott eine gleichwertige Verbindung von europäischen Kulturwerten und Elementen der folkTradition bedeutet und vor allem im Hinblick auf den Schauspielstil seiner Theatertruppe wichtig ist: But in the best actors in the company you can see this astounding fusion ignite their style, this combination of classic discipline inherited through the language with a strength of physical expression that comes from the folk music. (Ib.)
Auch in der literaturwissenschaftlichen Forschung sind Begriffe wie fusion und verschiedene verwandte Formulierungen als Stilmerkmal Walcotts sowohl was seine theoretischen Schriften als auch was seine dramatischen Figuren betrifft, als zentral herausgestellt worden.*0 Der Theaterkritiker Lloyd Coke etwa bezeichnet Walcott als »a fusionist, and the company [das Trinidad Theatre Workshop] has been molded by his Creoleness, his hybrid vigour.« (1971:121) Robert Hamner spricht in einem durchaus positiven Sinne von Walcotts »Theatre of Assimilation«: Assimilation denotes not only taking something in and thoroughly comprehending it; the term signifies also the incorporation and conversion processes that occur as foreign matter is absorbed and adapted. Fusion takes place and new energy is released. (1979:87)
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Dort heißt es: »Living in a borrowed culture, the West Indian, more than most, needs writers to tell him w h o he is.« (1962:68). 3? Diese Gegen-Asthetik dokumentiert der Historiker und Lyriker Edward Kamau Brathwaite in seinem Aufsatz »The Love-Axe: Developing a Caribbean Aesthetic«
(1976).
4o So z.B. in der Studie von Diana Lyn (1980). Lyn versteht »mulatto« als die kreative Schizophrenie des karibischen Künstlers, die sich in allen Werken Walcotts wiederfindet.
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Der hier definierte Begriff der »Assimilation« deckt sich in nahezu allen wesentlichen Punkten mit der in der vorliegenden Arbeit gebrauchten Definition des Synkretismus, bezeichnen sie doch beide einen Prozeß der kreativen Rekombination diverser Zeichen und Zeichensysteme, um neue Formen hervorzubringen. Wie bei Hill spielt auch bei Walcott der Karneval als Element karibischer Volkskultur im Rahmen seiner Überlegungen zum Theater eine wesentliche Rolle. Anhand von Äußerungen zum Karneval zeigt sich der Stellenwert der indigenen Darstellungsformen in Walcotts Theaterauffassung am deutlichsten. Walcott geht es um Theatralitätsphänomene und deren Funktionalisierung im Kunsttheater. In einem frühen Artikel über den Karneval in Trinidad analysiert er die Theatralität dieses Volkfestes und kommt dabei zu dem Schluß, daß sie sich zu den klassischen Kunstprinzipien konsequent antithetisch verhalte. Als klassische Prinzipien, die er in Berufung auf Goethe, Shelley, die chinesische Kunst und T. S. Eliot feststellt, bezeichnet er Stille, Distanz und Zeitlosigkeit: These Greek classic principles are the antithesis of Carnival. The essential law of Carnival is movement. Restlessness. It is outward, directionless. Its dictum is, keep going, and it does this for three days. (19643:4)
Obwohl Walcott zur Zeit der Entstehung dieses Artikels zunehmende Ästhetisierungstendenzen und eine Neigung zu größerer visueller Formalität und Strukturierung zu beobachten glaubte, könne dies das dem Karneval eigentümliche Prinzip der Anarchie nicht überwinden. Karneval sei an der Grenze zu einer ganzen Reihe von Kunstphänomenen situiert, ohne sich jedoch mit diesen voll zu decken, was Walcott das »great almost« des Karnevals nennt: All these elements combine to make the curious force of Carnival its great almostness, its near-poetry from the calypso, its near-orchestra from the steelband, its near-theatre from its bands, its near-sculpture from its craftsmen. It will remain always as close as that, but no one should look on Carnival as art. It is an expression of a people with a fantastic, original genius for the theatrical who may never produce great theatre. (19643:4)
Vor allem der letzte Satz zeigt, daß Walcott um eine klare Differenzierung zwischen Theatralität, die der Karneval aufweist auf der einen Seite, und der Kunstform Theater auf der anderen Seite bemüht ist. Walcott will auf Errol Hills, wie er sie sieht, zu einfachen Forderungen nach einem karibischen Kunsttheater des Karnevals antworten. Wie bereits erläutert, propagierte Hill seit den fünfziger Jahren ein solches Reformtheater als eigenständiges karibisches Nationaltheater. Walcott und Hill verwickelten sich Mitte der sechziger Jahre in eine Debatte über genau dieses Problem.*1 Will Hill bestimmte Elemente des Karnevals und der Volkstradition relativ unverändert übernehmen, so weist Walcott immer wieder auf die ästhetischen Probleme hin, die die Integration bestehender Kulturtexte in die Kunstform Theater mit sich bringt. 41
Vgl. z.B. Walcotts Kritik an Hills Calypso-Stück Man Better Man in seiner Rezension »Grande Tonight; Brosdwsy Next«, Trinidad Guardian 27.1.65, S. 5; und Hills Antwort in derselben Zeitung, »Is >Man Better Man< Mr. Walcott?«, 3.2.1965, S. 5. 57
In den ausgehenden sechziger Jahren erfuhren indigene Ausdrucksformen, allen voran die des Karnevals, dann schließlich eine bis zur Idealisierung tendierende Aufwertung seitens karibischer Intellektueller. Gegen diese Uberwertung und kritiklose Propagierung des Karnevals als die eigentliche karibische Theaterform wehrt sich Walcott vehement, bedeutete diese Neubestimmung der Form doch eine Vernachlässigung seiner Bemühungen um ein Kunsttheater. In dem Essay »What the Twilight Saw: An Overture« kommt diese Frustration gegenüber Intellektuellen, die das von Walcott hochgeschätzte abendländische Kulturerbe zugunsten einer Verabsolutierung populärer Kunstformen ablehnen, deutlich zum Ausdruck: Duty had defined itself to him [Walcott] - to transform the theatrical into theatre, to qualify the subtlety between a gift and a curse, but this was a society fed on an hysterical hallucination, that believed only the elaborate frenzy now controlled by the State. But Carnival was as meaningless as the art of the actor confined to mimicry. And now the intellectuals, courting and fearing the mass, found values in it they had formerly despised. They apotheosised the folk form, insisting that calypsos were poems. (i9 7 o:3 4 f.)
In dieser Passage klingen mehrere wichtige Gedanken an. Zum einen verfolgt Walcott weiterhin sein Programm, die in den verschiedenen karibischen Gesellschaften vorhandenen Theatralitätsphänomene für sein Kunsttheater zu funktionalisieren (»to transform the theatrical into theatre«). Zum anderen muß er beobachten, wie kulturpolitische Entwicklungen - die staatliche Unterstützung und Förderung des Karnevals und anderer devisenbringender Manifestationen einer Tourismus->Kultur< sowie eine undifferenzierte, teils marxistisch, teils afrozentristisch orientierte intellektuelle Glorifizierung der Volkskultur - zu einer zunehmenden Marginalisierung seiner Bemühungen beitrugen. Die von Walcott hier festgestellte Bedeutungslosigkeit des Karnevals muß also in dem biographischen Zusammenhang wachsender Verzweiflung angesichts mangelnder staatlicher Unterstützung für seine inzwischen international renommierte Theatertruppe gesehen werden. Zum Thema Karneval kehrt er vier Jahre später in einem längeren Aufsatz »The Caribbean: Culture or Mimicry« (1974) erneut zurück. In diesem kulturphilosophischen Essay knüpft er an frühere Anmerkungen zur Ästhetik des Karnevals an und entwickelt in aller Deutlichkeit eine Kulturtheorie des Synkretismus, ohne allerdings diesen Terminus zu gebrauchen. Ausgangspunkt ist wiederum V. S. Naipaul, insbesondere dessen 1969 erschienener Roman The Mimic Men und die darin artikulierte Kritik an dem imitativen Gestus (»mimicry«) der karibischen Gesellschaften. Im Rahmen der allgemeinen Fragestellung der im Vergleich mit der Alten Welt vermeintlich mangelnden Originalität der karibischen Kultur postuliert Walcott die künstlerische Arbeitsweise des Karnevals als eine kreative Umformung bereits vorhandenen Materials in qualitativ neue Formen. Daher wird der pejorative Begriff »Carnival mentality« als Bezeichnung für die schnelle Obsoleszenz der Karnevalskunst umgewertet und als Manifestation eines besonderen Formwillens interpretiert: »this is not the builtin obsolescence of S»
manufacture but of art, because in Carnival the creative energy is strictly related to its own season.« (1974:9) Die Karnevalskunst hätte ihre eigenen produktiven und rezeptiven Gesetzmäßigkeiten, die keine Artefakte für die Ewigkeit hervorbringen, sondern im Jahresrhythmus immer wieder aufs neue ein von Produzenten und Rezipienten gemeinsam getragenes Repertoire an Ausdrucksformen schaffen: An entire population of craftsmen and spectators compel themselves to this regeneration of perpetually making it new, and by that rhythm create a backlog of music, design, song, popular poetry which is as strictly observed as the rhythm of cane harvest and cane burning, of both industry and religion. (1974:10)
Allerdings handelt es sich bei dieser Aufwertung des Karnevals um eine Betrachtung des Phänomens im funktionalen Kontext einer »cultural performance«. Walcott weist in einem 1976 erschienenen Artikel erneut darauf hin, daß die immer noch stark propagierte Idee eines Karnevaltheaters nur auf einer indirekten Korrelation der beiden Kunstformen basieren könne, weil die besondere Wirkungsästhetik des Karnevals weder im Theater noch im Kino zu reduplizieren sei. (1976:7) Walcotts recht ambivalente Haltung gegenüber dem Karneval als potentiellem Formrepertoire für ein indigenes Theater karibischer Prägung wird erst verständlich, wenn man seine konkreten Äußerungen zu einem künftigen Theaterstil näher betrachtet. Walcott ist zwar Befürworter eines Theatersynkretismus, in den die Ausdrucksformen der Volkskultur - die afrikanisch beeinflußten Tanz- und Musikformen der Besessenheitskulte, das Liedgut der Calypso, und die Erzählkunst der oralen Tradition - einzubinden sind, doch will er keineswegs diese Kulturtexte unvermittelt und unfiltriert in Rohform übernehmen. Er betont immer wieder, daß das neue karibische Theater die »exuberance« der populären Formen zu bändigen und zu disziplinieren habe. Daher ist es vielleicht nicht verwunderlich, daß Walcott bereits in seinen frühesten Äußerungen auf die Theaterästhetik des japanischen Theaters verweist. Die Formprinzipien des Kabuki- und des Nö-Theaters lernte er zunächst über seine Beschäftigung mit den Theaterschriften Brechts kennen. In seinem Artikel »The Kabuki... Something to give to our theatre« (1964b) hebt er einen antinaturalistischen Stilkatalog hervor: Tanztheater statt Literaturtheater; die Verwendung eines Erzählers und eines Chors; die musikalische Begleitung; der Gebrauch von Masken bzw. maskenähnlicher Schminke, sowie eine Bühne ohne Kulissen. Es ist vor allem die bei Kabuki ausgeprägt gestische, zur Formalität des Tanzes stilisierte Theatersprache mit ihrer implizierten Zurückdrängung des Dialogischen, die Walcott als fruchtbares Analogon für das karibische Theater betrachtet. Das darstellungsästhetische Verbindungselement zwischen Kabuki und der Tanzsprache der karibischen Volkskultur findet er in der Technik der mie, der stilisierten eingefrorenen Pose des Kabuki, die Walcott »arrested gesture« nennt: »The bongo has its moment of arrest that is as dramatic though not as long held as the >mie< of the Kabuki actor.« (1964^14) Shango und kalenda seien karibische Tanzformen mit solchen Mo59
menten, die sich als mie herauslösen ließen und die auch vom Publikum erkennbar wären: It is pointless to freeze these dances into shapes that are alien, since one does not want a Black Kabuki theatre [...] but the choreographer and playwright w h o extract these essentials from the dance will find that the starting points of a West Indian theatre are there. (Ib.)
Im Kabuki-Theater sieht Walcott ein Modell für eine Dominantenverschiebung zugunsten kinästhetischer Kommunikation, - »less speech and more gesture« - , weil die Zukunft des karibischen Theaters in einer tänzerisch-gestischen, auch von »village audiences« zu begreifenden Formensprache liege. Walcotts Kabuki-Artikel führt vor Augen, in welchem Maße die Übernahme indigener Darstellungsformen einer Adaptation und weiterer Ästhetisierung dieser Ausdrucksformen bedarf. An anderer Stelle spricht er von der Notwendigkeit, aus Gründen theatraler Kommunizierbarkeit, das »folk idiom« (1979:303) zu verwässern. Gemeint ist hier in erster Linie die Sprache, d.h. die Dialekte und Kreolen der Inseln. Neben bewegungsästhetischen Fragen bilden seine Überlegungen zur Sprache den anderen wichtigen Grundpfeiler der Walcottschen Theaterauffassung. Er beruft sich immer wieder auf die Tradition afrikanischer Oralität, in der der Erzähler zugleich Darsteller ist, der seine Kunst für eine intakte »tribalistische« Gesellschaftsform ausübt. Diese Darstellungsform einer ausgeprägt theatralen Erzählkunst sei in seiner Kindheit noch lebendig gewesen und bilde eine der Grundlagen eines seiner populärsten Stücke, Ti-Jean and, his Brothers, das er als »my most West Indian play« (1970a) bezeichnet. Walcott nennt eine Vielzahl offensichtlicher Einflüsse wie Lorca, Brecht und das NöTheater,42 aber auf einer tieferen Ebene seien andere kulturelle Einflüsse spürbar, wie zum Beispiel eine afrikanisch beeinflußte Erzählkultur und lokale Rituale: Other Saint Lucian rituals came out too, branching from the simple roots of the folktale such as our Christmas black mass dances of Papa Diable and his imps, the Bolom, or Foetus, and the melodies which they used. (1970a)
Diese Aufzählung läßt sich nicht allein auf das Stück selbst beziehen. Darüber hinaus verweist sie auf einen für das karibische Theater gültigen theatralen Stilkatalog. Denn dieselben Elemente werden in Walcotts programmatisch ausgerichteten Schriften (1964 b; 1967; 1970 b; 1970 c) auch genannt. Sein theatre of fusion beruht auf der Vorstellung, daß durch die Vermischung scheinbar konträrer Elemente - die Sprachkunst der westlichen Dichtungstradition mit der Volkspoesie des Dorfes, die rigide Körperstilisierung des Kabuki mit der improvisatorischen Tanzrhythmen des shango und hongo, die kollektive Kreativität des Karnevals mit der Disziplin des individuellen Theaterkünstlers - ausreichend
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Walcott schreibt: »there was Lorca behind it, particularly in the swift but self-arresting meter, and Brecht in its distancing of characters, and through Brecht the N o h Theatre with its use of masks, musicians and the mimetic indications of scenery.« (Walcott 1970 a)
kreative Energie freigesetzt werden könne, um qualitativ neue Theaterformen hervorzubringen. c) Das Theater der Vierten Welt: Kanada, Australien, Neuseeland Synkretische Experimente finden sich nicht nur in den Arbeiten indigener Dramatiker, die in den ehemaligen Eroberungskolonien des British Empire leben und somit einer dominant außereuropäischen Kultur angehören. Auch in den Siedlerskolonien wurden synkretische Theaterexperimente hervorgebracht, und zwar hier von Theaterkünstlern, die zu den Ureinwohnern dieser Länder zählen. Im Unterschied zu den Eroberungskolonien in Afrika und der Karibik handelt es sich bei den Theaterbewegungen der Ureinwohner Neuseelands, Australiens und Kanadas insofern um eine besondere Situation, als die Maoris, Aborigines und Indianer in diesen Ländern heute als Minoritäten leben. Ihre Kulturen sind inzwischen weitgehend in der dominanten europäischen Kultur aufgegangen. Die Kolonialerfahrung dieser Völker hat einen eigenen Verlauf genommen und dauert in mancher Hinsicht bis in die Gegenwart an. Theater von Ureinwohnern wird unter ganz besonderen soziokulturellen Bedingungen produziert. Diese zeigen sich zunächst hinsichtlich der Sprachbeherrschung und dem Erwerb von Bildung im westlichen Sinne. So weist der Cree-Indianer Tomson Highway darauf hin, daß er der ersten Generation kanadischer Indianer angehört, die im Englischen eine hohe Kompetenz aufweist und den Weg durch die Bildungsinstitutionen seines Landes geschafft hat. Beides sind Voraussetzungen dafür, daß indigene Künstler Zugang zu dem von der KolonialKultur bestimmten Kunstbetrieb fanden: This generation is fluent in the English language for one thing. Even more important, it is armed with university degrees and diplomas. We now have chiefs with degrees in the arts and in the sciences, we have Indian lawyers, we have Indian businessmen and businesswomen who can negotiate the complexities of the modern corporation and of free enterprise, and we have artists - writers not least among them - who are just now beginning to make their presence felt in the national and international arena. (York i99o:viif.)
Die Situation der Maoris und Aborigines ist der hier geschilderten vergleichbar. Auch sie begannen erst in den sechziger Jahren, sich in der Staatssprache Englisch und in künstlerischen Formen zu äußern, die bis dahin der Siedlerkultur vorbehalten waren. So veröffentlichte Hone Tuwhare im Jahre 1958 als erster Maori einen Gedichtband in englischer Sprache. Der Grund dafür, daß den neuseeländischen Ureinwohnern literarische Ausdruckformen wie Gedichte und auch Dramen bis dahin fremd waren, liegt nicht zuletzt in der völlig unterschiedlichen Bildungstradition begründet. Zwar gab es bereits seit der Jahrhundertwende eine Bildungselite unter den Maori,43 doch setzten die Maori bei ihrem Bildungs43 Als Beispiele wären die Politiker und Intellektuellen der um 1900 gegründeten Young Maori Party zu nennen, die aus einer Elite-Schule für Maori hervorgingen: »Its leaders 61
begriff lange Zeit eigene Prioritäten. Ähnlich wie die Entwicklung bei den Indianern Kanadas, die zunächst im Medium der Malerei damit begannen, die indigene Kunst aus dem ursprünglich rituellen Rahmen zu lösen und für den Kunstbetrieb zu produzieren, ist die Entwicklung bei den Aborigines. So unterschiedlich einige der Rahmenbedingungen in Neuseeland, Australien und Kanada sind, weisen die indigenen Theaterbewegungen dort doch wenigstens zwei wichtige Gemeinsamkeiten auf: Sie sind vor relativ kurzer Zeit, nämlich erst in den letzten zwanzig Jahren, entstanden, und müssen sich jeweils gegen eine mächtige kulturelle Hegemonie der europäischen Einwanderer, der sogenannten »settler societies«, behauptend Da in den fraglichen Ländern neben den Ureinwohnern andere nationale Minoritäten leben, erlaubt der Begriff der »Vierten Welt« gegenüber dem Terminus »Minoritätenliteraturen« (vgl. Kreutzer 1991:437) eine weitere Präzisierung und geographisch-historische Differenzierung der postkolonialen Welt. Geprägt wurde dieser Begriff zunächst im Rahmen politischer und soziologischer Diskussionen zur Lage der Minderheitenkulturen in der Ersten Welt.4' Besonders in der kunstethnologischen Diskussion hat er sich rasch eingebürgert.*6 So erarbeitet etwa der Kunstethnologe Nelson Graburn (1976) auf der Grundlage des Begriffes der Vierten Welt ein klassifikatorisches Schema zur Beschreibung ästhetisch-kultureller Veränderungsprozesse im Bereich der bildenden Künste und des Kunsthandwerks. Er unterscheidet sieben Formen des künstlerischen Wandels. Die Abstufungen reichen von der völligen Assimilation, über verschiedene Formen der Synthese bis hin zum Aussterben der indigenen Ausdrucksform. Nach Graburns Differenzierung wären die neuen Theaterbewegungen in Neuseeland, Australien und Kanada entweder den »Reintegrated Arts« oder den »Assimilated Arts« zuzuordnen. Bei der ersten Gruppe handelt es sich um die Aufnahme von Themen und Techniken der Kolonialkultur durch die indigenen Künstler zur Produktion von neuen Synthesen. Bei der zweiten Gruppe treten dagegen indigene Künstler durch die Übernahme westlicher Formen in unmittelbare Konkurrenz mit den westlichen Künstlern in ihrem Lande. Das synkretische Theater der Vierten Welt weist Merkmale beider Kategorien auf. Graburns Demarkationslinie zwischen diesen beiden Kategorien erweist sich were better educated than most Europeans and equally at home in Maori or European society.« Keith Sinclair (1980:194). 44 Dazu schreibt Eberhard Kreutzer in seinem Uberblick über die Commonwealth-Literatur: »Daß solche Minoritätenliteraturen oft mehr Gemeinsamkeiten untereinander oder mit anderen Dritte-Welt-Ländern haben als mit der jeweiligen >Hauptströmung< der einheimischen Literatur, verdeutlicht das komplexe Ausmaß des gesamten Differenzierungsprozesses anglophoner Literatur.« (1990:39$). 45 Zentral ist hier die Publikation von George Manuel und M. Poslums, The Fourth World: An Indian Reality, (New York: Free Press 1974). Vgl. auch die Berichte über Minderheitenfragen in: Ben Whitaker (ed.) The Fourth World: Eight reports from the Minority Rights Group. (London: Sedgwick & Jackson 1972). 6 4 Vgl. Nelson Η. H. Graburn, (ed.) (1976). Für einen detaillierten Forschungsbericht zum Begriff ders. (1981).
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mithin bei der Übertragung auf das Theater als zu rigide. Zum einen ist das synthesierende Element unübersehbar. So ist etwa die Produktion von Theater ohne die Übernahme einer fremden Technologie nicht möglich. Jedoch wird diese Technologie je nach Dramatiker und Theatergruppe mit unterschiedlicher Akzentuierung mit indigenen Darstellungsformen »synthetisiert« bzw. synkretisiert. Zum anderen gibt es durchaus das Bestreben, auf dem Theater-Markt zu konkurrieren, ohne sich dabei völlig den Rezeptionsbedingungen und Erwartungen eines westlichen Publikums anpassen zu wollen. Die der hier untersuchten Richtung angehörenden Theaterkünstler arbeiten ausnahmslos in Großstädten und bieten ihre Produktionen als Teil des Theater-Warenangebotes dieser Städte an. Es gibt mehrere Gründe, die Theaterbewegungen dieser drei Länder und ihr theaterkulturelles Selbstverständnis unter dem Oberbegriff Theater der Vierten Welt zusammenzufassen. Zunächst ist bei den fraglichen Künstlern die Vorstellung festzustellen, daß sie über eine vergleichbare geschichtliche Kolonialerfahrung verfügen und daß darüber hinaus auch ihre gegenwärtige Lage Parallelitäten aufweist. Dies belegt eine Aussage des Aborigine-Schriftstellers Colin Johnson, der sich inzwischen Mudrooroo Narogin nennt: Australian Aboriginal literature is a literature of the Fourth World, that is, of the indigenous minorities submerged in a surrounding majority and governed by them. It must and does deal with the problems inherent in this position and it must be compared to similar literatures, for example the American Indian, for the correspondences and contradictions to be seen. (1983:28)
Johnsons explizite Verwendung des Begriffes der Vierten Welt belegt, daß die Gemeinsamkeiten im Bewußtsein der Künstler bereits verankert sind. Eine solche Gemeinsamkeit besteht etwa hinsichtlich der zum Teil bis ins 19. Jahrhundert zurückreichenden und heute noch lebendigen Tradition folkloristischer Darbietungen für westliche Zuschauer.*? Bei den Liedern, Tänzen und musikalischen Darbietungen handelt es sich meist um dekontextualiserte Kulturtexte, die ihrem ursprünglichen Zusammenhang im Rahmen einer cultural performance entnommen und wahllos segmentiert zusammengestückelt werden. Solche Darbietungen sind häufig über das Ursprungsland hinaus einem breiten internationalen Publikum vertraut. Indianische Regentänze, die Kriegstänze der Maori (haka) und die didjiridoo-Musik der Aborigines sind im breiteren Bewußtsein zum Signum für die jeweilige Kultur geworden. Um den Seh- und Hörgewohnheiten des westlichen Zuschauers konform zu sein, wurden diese Darbietungen erheblich modifiziert und mit westlichen Zusätzen denaturiert.
Der Bereich folkloristischer Darstellungen ist zugleich weit verbreitet und weitgehend unerforscht. Es handelt sich um die theatrale Analogie zu den von Graburn analysierten bildenden Künsten. Sie ließe sich wohl im Kontext eines sich zwischen Kunst und Kitsch erstreckenden Kontinuums untersuchen, doch würde dies den Rahmen dieser Untersuchung sprengen.
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Eine weitere Rechtfertigung für die Zusammenfassung der synkretischen Theaterkultur in Neuseeland, Australien und Kanada ist die Tatsache, daß die theatergeschichtliche Entwicklung dieser Länder Parallelen aufweist. Vor allem ist die mehr oder minder zeitgleiche Entstehung von Theatergruppen und das Hervortreten bedeutender Dramatiker in den siebziger Jahren auffallend. 48 Das Theater wird in diesen Jahren zunächst als agitatorische Waffe entdeckt. Es wird instrumentalisiert für den politischen Kampf um größere Autonomie, Landrechte usw. Dies schlug sich in der Form der Theaterstücke nieder. Entweder wurde versucht, mit den identifikatorischen Mitteln des Bühnenrealismus das Gewissen des weißen Publikums anzusprechen; oder man suchte eine direkte Konfrontation in der Form der Agitprop-Revuen, in denen es hauptsächlich um den Transport einer unmißverständlichen politischen Botschaft ging. Ein dritter Weg, nämlich eine Rückbesinnung auf indigene Darstellungsmittel als Grundlage für eine neue Theaterform, die weder dem Naturalismus noch dem Agitprop-Theater verhaftet war, wurde erst Ende der siebziger Jahre in Kanada beschritten. Das bereits im Jahre 1969 vorgetragene Plädoyer des amerikanischen Indianers Lloyd Kiva N e w hatte daher zu seiner Zeit prophetischen Charakter: We believe that an exciting American Indian theatre can be evolved out of the framework of Indian traditions. We think this evolution must come from the most sensitive approaches imaginable in order not to misuse or cheapen the original nature of Indian forms, most of which are closely tied to religion. [...] [Young Indian people] must be led to examine Indian culture for that which is theatrical, and then find ways to interpret these unique aspects for contemporary audiences in true theatre settings. [...] [Ojne must acknowledge the fact that no pure traditional form of Indian theatre presently exists - one must be created. N e w ethnic cultural forms must result from the forces and ideas within the ethnic group itself. 1 "
Diese Worte enthalten in nuce die wesentlichen Punkte des synkretischen Theaterprogramms: Hervorgehoben werden die theatralen Elemente der eigenen Kultur. Zugleich wird darauf hingewiesen, daß diese Kulturtexte eng mit der Religion zusammenhängen und daher einer umsichtigen und sensiblen Adaptation bedürfen. Schließlich besteht die Einsicht, daß ein solches Theater für Indianer eine neue Kulturform konstituieren wird, die nicht von außen oktroyiert oder kritik-
48 Zu den Anfängen des Aborigine-Theaters Australiens vgl. den Aufsatz von Gerry Bostock, »Black Theatre«, in D a v i s & Hodge (1985), sowie die Aufsätze von Gillian Oxford (1977), und von George Whaley (1977). Der Aufsatz von Bernhard Scheller (1987) akzentuiert zuungunsten der Gesamtdarstellung den unbedeutenden Dramatiker Bahumir Wongar. Zur Geschichte der Maori-Theaterbewegung Neuseelands vgl. Anmerkung 57. Zum Theater der kanadischen Indianer vgl. Prestons Artikel über die Theatergruppe Native Earth Performing Arts (1992) sowie Peters (1993). Vgl. auch die Sondernummern über >Native Theatre< in Canadian Theatre Review 68 (Fall 1991) und in Theatrum: The Theatre Magazine 19 (1990) sowie die Aufsatzsammlung von Brask und Morgan (1992). Zitiert nach Hanay Geiogamah (1991:12). Lloyd Kiva N e w war Mitbegründer des renommierten Institute of American Indian Arts, Santa Fe, N e w Mexico, das maßgeblich zur Verbreitung und Popularisierung indianischer Malerei beitrug.
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los übernommen werden soll, sondern aus einem innerkulturellen Schaffensprozeß resultieren muß. Was Lloyd Kiva New hier programmatisch umreißt, wird erst ein Jahrzehnt später in die Tat umgesetzt. Elemente seines Programmes finden sich in den Äußerungen von Dramatikern und Regisseuren in Neuseeland, Australien und Kanada wieder. Die Grundlage für jede Form von Theatersynkretismus bildet die Existenz autochthoner theateranaloger Kulturtexte, die sich in die westliche Dramenform integrieren lassen. Uber solche verfügen die Kulturen der australischen Ureinwohner, der neuseeländischen Maoris und der kanadischen Indianer (relevant sind hier in erster Linie die Objibwa und Cree) allesamt. Bei aller Unterschiedlichkeit der kulturellen Praktiken besteht doch zwischen Ureinwohnern und den sie unentwegt untersuchenden Ethnographen ein ungewöhnliches Einvernehmen in der Einschätzung der inhärenten Theatralität dieser Kulturtexte. In bezug auf die Indianer Kanadas spricht Edward Buller von »traditional Native theatre in Canada« (1981:3) und meint damit die zeremoniellen und rituellen Darstellungen und Heilverfahren, die theatrale Elemente wie Nachahmung, Rollenspiel sowie Tanz, Maskierung und Gesang aufweisen. Terminologische Unterscheidungen zwischen >Theater< und culturalperformance werden in dieser Studie allerdings nicht getroffen. Einer ähnlich undifferenzierten Begrifflichkeit bedient sich Jennifer Preston in ihrer knappen Charakterisierung vorkolonialer Darstellungsformen der kanadischen Indianer: Native drama flourished in this country long before the Europeans arrived and many of Canada's indigenous cultures had very complex and elaborate cultural performances. These were primarily religious dramas that used masks, props, lighting, and smoke effects. (1992:136)'°
Gemeint sind hier in erster Linie die unter den nordamerikanischen Indianern verbreiteten schamanistischen Heilverfahren wie das Ritual des »shaking tent«' 1 oder vorgetäuschte chirurgische »Eingriffen' 2 Von den Dramatikern werden weniger diese spektakulär-performativen Darstellungen aufgegriffen, als die orale Tradition. Dies hängt nicht zuletzt wohl mit der von Lloyd Kiva New artikulierter Mahnung zusammen, den religiösen Cha-
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Preston weist auch darauf hin, daß im ausgehenden 19. Jahrhundert viele solche »performances« gesetztlich verboten und erst 1951 wieder zugelassen wurden. »Shaking tent«-Rituale werden von Schamanen zur Lösung verschiedener Probleme veranstaltet. Die Betroffenen versammeln sich am Zelt, in dem der Schamane mit gebundenen Händen seinen Schutzgeist invoziert. Diese Invokation führt dazu, daß das Zelt scheinbar ohne menschliche Einwirkung ungestüm geschüttelt wird. Vgl. hierzu Buller (i?8i:jf·)· Eine bekannte Schilderung solcher Taschenspielertricks der indianischen Schamanen liefert Claude Lévi-Strauss, »Der Zauberer und seine Magie«, Strukturale Anthropologie I, Frankfurt/M: Suhrkamp 1967, S. 192-200; vgl. hierzu auch Buller: »Considerable rehearsal was required to execute a successful performance, and the Shaman had to also be an expert in staging, lighting, the use of props, timing, and slight of hand.« (1981:7)
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rakter traditioneller Darstellungen zu respektieren. Eine kohärente Vision eines synkretischen Theaters entwirft seit Mitte der achtziger Jahre der renommierteste indianische Dramatiker, Regisseur und Theaterleiter Kanadas, Tomson Highway, in Artikeln und in zahlreichen Interviews, s 3 Für ihn führt der Weg zu einem »Native Theatre« über indianische Mythologie und die orale Tradition als diejenige Kulturform, mit der die Mythologie transportiert wurde und die sich zugleich besonders für die Bühne eignet: W h y the stage? For rae, the reason is that this oral tradition translates most easily and most effectively into a three dimensional medium. In a sense, it's like taking the >stage< that lives inside the mind, the imagination, and transposing it - using words, actors, lights, sound - onto the stage in theatre. For me, it is really a matter of taking a mythology as extraordinary and as powerful as the human imagination itself and reworking it to fit, snugly and comfortably, the medium of the stage. (1987:29)
Was den Prozeß der Einverleibung und Verwandlung traditioneller indianischer Kulturtexte angeht, so zieht Highway eine Parallele zwischen Theaterkünstlern und der ersten Generation indianischer Maler, die Anfang der sechziger Jahre damit begannen, die Mythologie der Indianer in ein nonsakrales Medium zu übertragen. Ohne die spirituelle Bedeutung in Frage stellen zu wollen, nimmt auch er als Theaterkünstler sich das Recht, diese Mythologie in theatrale Form zu gießen. In den Stücken Highways, die allgemein als richtungsweisender Neuansatz gelten,äußert sich Theatersynkretismus in der Vermischung von Kulturelementen der indianischen Mythologie mit einer Dramaturgie, die einem breiten multikulturellen Publikum zugänglich ist. Dabei weisen Highways Stücke einen hohen Grad an Asthetisierung auf, die mit der direkten Übernahme von Ritualen oder Zeremonien nichts gemein hat. Eine vergleichbare Situation wie in Kanada trifft man im Falle des AborigineTheaters in Australien an. Auch hier findet sich ethnographische Begeisterung für die Theatralität der traditionellen Kultur, und auch in diesem Fall verhalten sich die Dramatiker eher zurückhaltend hinsichtlich der Ausbeutung dieses Reservoires. Eine umfangreiche ethnographische Literatur befaßt sich mit den Ritualen '3
Die Grundzüge von Highways Programm finden sich in seinem Artikel »On Native Mythology« (1987). Von 1986 bis 1992 leitete Highway das in Toronto ansässige und am längsten etablierte Indianer-Theater »Native Earth Performing Arts« (ΝΕΡΑ). Bereits der Name verweist auf ein Theaterkonzept, das seit der Gründung im Jahre 1982 die Bedeutung der darstellenden Künste in ihrer Gesamtheit für die indianische Kultur betonte. Während der Schwerpunkt heute auf die Förderung von Dramen und Dramatikern liegt, standen die Anfänge des Theaters im Zeichen kollektiver Produktionen mit dem Akzent auf Musik, Tanz und Masken. Mit der Aufführung von Highways Erfolgsstück The Rez Sisters im Jahre 1986 wurde erstmals ein sogenanntes »straight play« gezeigt. Von ihrer Struktur und Organisation her unterscheidet sich Ν Ε Ρ Α kaum von den zahlreichen anderen um ihre Existenz kämpfenden Privattheatern in Toronto, s* Vgl. Diane Debendam (1988). In bezug auf The Rez Sisters spricht sie von »[a]n extraordinary break with all previous portrayals of native people, including the tentative new perspectives being developed by native playwrights,« S. 152. Der Kritiker Denis Johnston bezeichnet Highway als »the most important new Canadian playwright to emerge in the latter half of the 1980s.« (1990:254).
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und säkularen Zeremonien der Aborigines, genannt corroborées. Termini wie dramatic, theatrical usw. tauchen in diesen Studien häufig auf. In dem von Ronald und Catherine Berndt verfaßten Standardwerk zur traditionellen Aborigine-Kultur wird der Bereich Kunst und ästhetische Ausdrucksformen in vier Kategorien untergliedert: »poetry-song; oral literature; dramatic performance; and visual art such as painting and carving.« (1988:367) Unter dem Begriff dramatic performance subsummieren die Autoren drei verschiedene Darstellungsformen, deren gemeinsames Merkmal reenactment ist. Bei der Gruppe poetry-song handelt es sich um Mythen, die mit den Mitteln Tanz, Gesang und Körperbemalung bzw. -dekoration nachgespielt werden. Die rituelle Funktion steht hier im Mittelpunkt. Tänze und Lieder werden aber auch losgelöst von einem Darstellungsrahmen um ihrer selbst willen aufgeführt: »it is the dance and the rhythm which count and not the explanation of it.« (1988:387) Solche Fälle bilden die zweite Gruppe, oral literature. In der dritten Kategorie, dramatic performance, werden neue Tänze und Lieder zusammengefaßt, die zum Zwecke öffentlicher Unterhaltung Alltagserfahrungen verarbeiten. Dabei werden häufig die Erfahrungen mit der Welt der Weißen parodistisch-satirisch einbezogen. In solchen Darstellungen sei eine starke Tendenz zur mimetischen Abbildung bzw. zum ausgeprägten Rollenspiel erkennbar." Der Aborigine-Dramatiker Jack Davis weist in seiner Autobiographie darauf hin, daß er bereits Anfang der siebziger Jahre ein noch zu schaffendes AborigineTheater als eine synkretische Theaterform verstanden habe. Zu jener Zeit entdeckte Davis, der bis dahin in erster Linie als politischer Aktivist bekannt war, das Theater als Medium zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung mit den Mitteln der traditionellen Kultur: »Theatre offers an opportunity to use all the talents of speech and body-movement present in Aboriginal oral literature and dance since time began.« (Chesson 1988:191) Ahnlich urteilt die Aborigine-Dramatikerin und Schauspielerin Justine Saunders in ihrem Vorwort zur 1989 veröffentlichten ersten Dramenanthologie von Aborigine-Autoren: Aboriginal culture contains all the dramatic elements that Western theatre demands, but since the coming of the white man two hundred years ago, that part of our heritage has been under attack and the tribal w a y has been eroded. Under the pressure of European culture and arts, merely to be heard w e have had to adopt or adapt European art forms. (1989^11)
Die Liste solcher allgemeinen Feststellungen zur Theatralität der traditionellen Kultur ließe sich beliebig fortsetzen. Allerdings fehlt unter den Aborigine-Dra"
Berndt & Berndt schildern eine traditionelle Aufführung, in der eine Konfliktsituation zwischen Aborigines und Polizisten dargestellt wurde: »In one scene a policeman, a >man with chainswitnesses< for a court case. The actors here were men, representing attractive young women all roped (>chainedbagman< or >swaggieinszeniertNegativerfahrung< zur Folge: »Expecting to take up a position in a well-framed realm, he finds that no particular frame is immediately applicable, or the frame that he thought was applicable no longer seems to be. [...] He loses command over the formulation of viable response. He flounders.« (1974:378^)
Auf diese besondere Strategie wird im Zusammenhang mit dem Maori-Theater in Neuseeland im Kapitel 10 näher eingegangen, •s Vgl. A. van Gennep, Ubergangsriten, aus dem Französischen von K. Schomburg und S. Schomburg-Scherff, (Frankfurt/M.: Syndikat 1986). Van Genneps einflußreiche Untersuchung Rites de passage erschien erstmals 1908.
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grundsätzliche Phasen unterteilen: Trennungs-, Umwandlungs-, und Wiederherstellungs- bzw. Angliederungsriten, wobei sich der Schwerpunkt je nach Ritualtyp erheblich verlagern kann. Von besonderem Interesse für die rituelle Dramaturgie des synkretischen Theaters sind die Umwandlungs- bzw. Schwellenriten. Sie werden auch als liminale Phase bezeichnet. Während dieser Phase des Rituals wird der Novize in einen Schwebe- bzw. Zwischenzustand der Liminalität versetzt, um eine Verbindung zur Sakralsphäre herbeizuführen. Liminalität kommt vom Lateinischen limen, was soviel wie Schwelle oder Grenze bedeutet, und benennt vor allem die in Pubertätsriten häufig beobachteten Praktiken, bei denen die Initianden aus der Gemeinschaft herausgenommen und durch Unterricht und Proben auf ihre Aufnahme in der Erwachsenenwelt vorbereitet werden. Den Begriff der Liminalität hat Victor Turner in Anknüpfung an van Gennep aufgegriffen und für eine Anwendung auf das Theater erweitert. In seinem Aufsatz »Liminality and the Performative Genres«16 unterscheidet Turner zwischen zwei Typen von Liminalitätsformen: ι. Individualriten, die Transitionen von gesellschaftlicher Invisibilität zur Visibilität markieren und bewirken. Hier sei die Liminalität durch Verstecken und Geheimhalten der Novizen gekennzeichnet. 2. Gemeinschaftsriten, die den Durchgang durch kulturell definierte Zeitetappen bewirken. Das bekannteste abendländische Beispiel wäre der Karneval. Hier werde die Liminalität öffentlich gefeiert. (1987:101) Obwohl diese beiden Übergangsriten räumlich gesehen vollkommen gegensätzlich sind, haben sie nach Turner wichtige Merkmale gemeinsam. In einem räumlich abgesonderten Ort wird der Novize häufig äußerlich verwandelt, verkleidet, maskiert. Ebenso ist die Tendenz zur Maskierung und Verstellung in öffentlichen Gemeinschaftsriten sowohl bei den Teilnehmern als auch bei den verwendeten öffentlichen Plätzen zu beobachten. Nach Turner versetzt die Dekorierung und Verwandlung von öffentlichem Raum die Alltagsräume in einen Als-Ob-Modus.'7 Leben und Handeln im Als-Ob-Modus bedeute zudem, daß alle herkömmlichen Wertesysteme, Raum-Zeit-Vorstellungen und Verhaltensweisen außer Kraft gesetzt werden. Aus der Struktur einer Gesellschaft oder Gemeinschaft werde ihre Anti-Struktur.18 Erst durch die Herstellung einer Anti-Struktur
16
Erstdruck in MacAloon (1984); wiederabgedruckt unter dem Titel >Rokujo's Jealousy: Liminality and the Performative Genress in Turner (1987), S. 99-122; zitiert wird nach dem Neudruck. •7 »The village greens or squares of the city are not abandoned but rather ritually transformed. It is as though everything is switched into the subjunctive mood for a privileged period of time - the time, for example, of Mardi-Gras or the CarnivalCarême.« Turner (1987:102) 18 Vgl. Victor Turner, The Ritual Process: Structure and Antistructure, (Chicago: Aldine 1970). 77
geschehe in einer Gemeinschaft eine tiefgehende Auseinandersetzung mit der eigenen Symbol- und Geisteswelt. In dieser Zeit werden die Geschichten aus der Mythologie erzählt, gesungen, inszeniert, und Möglichkeiten soziokultureller Innovation ausprobiert: »In liminality, new w a y s of acting, new combinations of symbols, are tried out, to be discarded or accepted.« (1982:85) Prozesse wie die hier angesprochene Neubesetzung von Symbolen rücken Turners Liminalitätsbegriff in die N ä h e des Synkretismus. Liminalität kann als eine der Vorbedingungen und Vorbereitungsphasen, die die Entstehung von Synkretismen besonders begünstigen. Indem Turner seinen Liminalitätsbegriff auf alle performativen Genres a n w e n d e t , u n t e r m i n i e r t Turner selbst die begriffliche Schärfe dieses so wichtigen ritualtheoretischen
Begriffs.
In den folgenden Bemerkungen zum Ritualdrama in synkretischen Theatertexten soll Liminalität demgegenüber in ihrem ursprünglichen Funktionszusammenhang als besonderer Teil eines rituellen Abfolgeschemas betrachtet werden. Dabei wird zu zeigen sein, wie die Dramatiker den antistrukturellen Freiraum, der durch Liminalität entsteht, dramaturgisch ausnutzen, u m die relativ rigide Raum-Zeit-Struktur des realistischen Dramas aufzubrechen. Sichtbar werden soll zudem, daß der durch Liminalität entstehende Bruch im Ablaufschema eines Rituals mit der Auflösung des aristotelischen Handlungsmodells korrespondiert.
a) Ritus interruptus: Die Ritualdramaturgie Wole Soyinkas In Wole Soyinkas theoretischen Ausführungen zu den traditionellen Ritualfesten der Yoruba, besonders zu den Festen zu Ehren des Gottes Ogun, lassen sich frappierende Parallelen zur Liminalitätstheorie feststellen. So schildert er in den A u f sätzen »The Fourth Stage« und »Morality and Aesthetics of the Ritual Archetype« (Soyinka 1976), wie in diesen Festen die Trennung der Götter von Menschen und die Reisen der Götter zu den Menschen dargestellt wird. Hintergrund dazu ist die in der Metaphysik der Yoruba herrschende Vorstellung von drei koexistierenden Realitätsbereichen: die Welt der Ungeborenen, die der Lebenden und die der Toten. Z u diesen drei Bereichen gehört ein vierter Zwischenbereich, den Soyinka »the fourth stage« bzw. »space« oder »the chthonic realm« nennt. In der Yoruba-Mythologie führte Ogun die anderen Götter auf ihrer Reise zur Wiedervereinigung mit den Menschen durch diesen vierten Bereich. Soyinka bezeichAuch die nach ihm benannten Schule, die Literatur- und Theaterwissenschaftler sowie Historiker umfaßt, arbeitet interdisziplinär. Einen guten Uberblick über die von Turner beeinflußte Literatur- und Theaterforschung gibt Bachmann-Medick (1988). In den Geschichtswissenschaften spielt weniger der Liminalitätsbegriff als Turners Schema des »social drama« die zentrale Rolle. Zur Erläuterung dieses Schemas könnte man auf jede beliebige Schrift von Turner verweisen, vgl. aber bes. Turner (1974) Dramas, Fields, and Metaphors: Symbolic Action in Human Society, (Ithaca: Cornell Univ. Press), S. 37-42. Zu Turners Einfluß in der Ethnohistoriographie vgl. Wilfried Nippel, >Sozialanthropologie und Alte Geschichtes Historische Methode, ed. Christian Meier und Jörg Rüsen. (München: dtv. 1988), S. 300-318.
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net diesen Vorgang als Übergangsritus: »It was Ogun who led them, his was the first rite of passage through the chthonic realm.« (1976:27) Der Bereich selbst sei gekennzeichnet durch Chaos, Formlosigkeit, er sei ein dunkles Kontinuum, in dem Menschen oder Götter für ihre Aufnahme in den nächsten Bereich neu konstituiert werden. Es sei also ein Bereich der Transition und Transformation. Diesen Merkmalen des »fourth stage« - Formlosigkeit, Desintegration, Transition, Rekonstitution für eine weitere Existenz - entsprechen die bereits erörterten Elemente der Liminalität. Der Zusammenhang zeigt sich noch deutlicher in Soyinkas Charakterisierung des an einem Ogunfest teilnehmenden rituellen Darstellers. Der Zustand der Besessenheit, der durch diese Teilnahme eintritt, weist eine deutliche Verbindung zu der Liminalitätserfahrung auf: The actor in ritual drama [...] prepares mentally and physically for his disintegration and re-assembly within the universal womb of origin, experiences the transitional yet inchoate matrix of death and being. Such an actor in the role of the protagonist becomes the unresisting mouthpiece of the god, uttering sounds which he barely comprehends but which are reflections of the awesome glimpse of that transitional gulf. (1976:30)
Soyinka beschreibt hier einen Zustand der Antistruktur, die nach Ablauf des Rituals zur Struktur und Ordnung zurückkehrt. Im dramatischen Werk Wole Soyinkas findet sich ein breites Spektrum von Techniken und Strategien zur Integrierung von Ritualelementen aus der YorubaKultur. Ein besonderes Strukturmerkmal jener Dramen, in denen Rituale eine zentrale Rolle spielen, ist der vorzeitige Abbruch der Ritualhandlung. Das durch Tradition festgelegte rituelle Geschehen wird darin nicht vorschriftsgemäß zu Ende geführt. Damit bleiben die das Ritual ausübenden Figuren im Zustand der Liminalität, der Antistruktur stecken. Dieses Strukturmerkmal liefert dem Autor die Möglichkeit, den durch die Liminalitätserfahrung verursachten psychischen Abgrund, 20 wie Soyinka den Zustand nennt, auf der Bühne zu explorieren. Wenn die theatralen Ausdrucksmittel der traditionellen Ritualdarstellungen voll »orchestriert« werden - um mit Turner zu sprechen - , dann zielt die Aussage nicht auf eine bloße Abbildung des Rituals ab. Vermittels dieses Ausdrucksmittels übt der Autor vielmehr Kritik an einer sozialen Gemeinschaft, deren alte Traditionen nicht mehr voll intakt sind. Für die Fragestellung des synkretischen Theaters sind jene Dramen, in denen das Ritual abgebrochen wird und in dieser Abgebrochenheit Ausdruck einer Zeit des Übergangs ist, von besonderem Interesse. Bereits in dem für die nigerianische Unabhängigsfeier im Jahre i960 geschriebenen Stück Dance of the Forests sind Ritualelemente formbestimmend.21 In diesem 20
21
»Tragic feeling in Yoruba drama stems from the sympathetic knowledge of the protagonists foray into this psychic abyss of the re-creative energies.« (1976:30!.) Neuere Forschung verweist auf die strukturelle Bedeutung von Ritual in diesem Drama. So analysiert Deidre L. Badejo die strukturellen Parallelen zwischen dem egungun-Fest und The Dance of the Forests: »By suggesting the egungun festival and reversing its conclusion, Soyinka enhances his appraisal of the historical process. Thus the ancestors, in the cultural sense, become dysfunctional.« Badejo (1987: 205f.)
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Werk liefert ein Yoruba egungun-Fest
sowohl den dramaturgischen Rahmen als
auch eine Vielzahl an einzelnen performativen Ausdrucksformen. A u s diesem Grund stellt das Stück für Soyinka eine wichtige Innovation dar, 22 und signalisiert zugleich für ihn wie auch für andere afrikanische Dramatiker die Abkehr von den Formkonventionen einer europäischen Dramaturgie. A Dance of the Forests wirft eine Reihe von theoretischen und dramaturgischen Fragen auf, die für eine Beurteilung der Ritualisierungsstrategien im synkretischen Theater zentral bleiben. Diese Fragen betreffen den bereits angesprochen Komplex der kulturell-ästhetischen Transposition. In einem Interview, in dem er über die Interdependenz von Schreiben und Inszenieren spricht, erläutert Soyinka dazu: In a play like A Dance of the Forests, for instance, I tried to use a lot of the rites, a number of religious rites and - there's one of exorcism, for instance, which I tried to use to interpret a theme which is quite completely remote from the source of its particular idiom. (Duerden & Pieterse 1972:170) Die zentrale Frage, wie man »religious rites« und »rites of exorcism« ihrem ursprünglichen Funktionszusammenhang entreißt, um sie in einen theaterästhetischen Rahmen zu integrieren, ist ein Problem, das Soyinkas praktische Dramaturgie wie seine theoretische Reflexion maßgeblich bestimmt. Das Problem der rituellen Transposition, obwohl nicht die ausschließliche formale Strategie seiner Dramatik, 2 3 liegt zum Beispiel dem Hörspiel Camwood
on the Leaves, den Thea-
terstücken The Strong Breed, The Road, The Bacchae of Euripides, Death and the King's Horseman
sowie einer Anzahl von theoretischen Essays zugrunde.
Die wichtigste indigene Quelle für Soyinkas synkretisches Ritualtheater ist das Darstellungsrepertoire der egungun-Tänzer.24
Dieser maskierte Tänzer, der
ästhetisch als eine »whirling display of line and colour« wahrgenommen wird und 11
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Seine bisherigen Stücke The Swamp Dwellers (1958), The Lion and the /eroe/(19 59), The Invention (1959) und The Trials of Brother Jero ( 1960) waren von ihrer Dramaturgie her westlichen Formkonventionen verpflichtet. Ritualisierung ist zwar eine wichtige Strategie, bildet aber keineswegs den Schlüssel zu seiner Theaterauffassung. Sein Umgang mit theatralen Ausdrucksformen ist vielseitig, kennt keine geographischen Grenzen und läßt sich daher nicht auf einen einzigen gemeinsamen Nenner beschränken. So ist Ritualisierung bei seinen Komödien, Politsatiren und Sketchen sowie bei einem Stück wie Madmen and Specialists von geringer Bedeutung. Zum egungun gibt es bereits einen beträchtlichen Korpus an ethnographischer Literatur. Vgl. bes. die Sondernummer von African Arts 11:3 (1978). In seiner Einleitung zu dieser Ausgabe definiert John Drewal egungun im weitesten Sinne als »any masquerade or masked figure. At the basis of this definition is the belief in the presence of same supernatural force.« Er unterscheidet weiter egungun als eine separate, den O y o Yoruba zugeschriebene Tradition »associated with the honoring of ancestors.« Drewal (1978:18) Dieses ist das Gebiet, aus dem Soyinka selbst stammt, und bezeichnet die Tradition, mit der er vertraut ist. Für Typologien und regionale Varianten der verschiedenen egungun-Kulte vgl. Angelina Pollak-Eltz, »Der Egungunkult der Yoruba in Afrika und in Amerika«, Zeitschrift für Ethnologie 95:2 (1970), 275-293; und Chief Oludare Olajubu and J. R. O. Ojo, »Some aspects of O y o Yoruba Masquerades«, Africa 47:3 (1977), 253-275.
zugleich eine direkte Verbindung zur metaphysischen Welt der Ahnen darstellt, ist eine Art Ikone in der Theaterästhetik Soyinkas.25 Trotz der weitgehenden Christianisierung der Yoruba existieren die eg»»g»»-Kulte bis in die Gegenwart weiter und treten sowohl als Unterhalter als auch in einer ernsteren kultischen Funktion auf. Doch vergegenwärtigen diese theatralischen Maskenspiele, in denen sich Komik und Tragik, Gewalt und Unterhaltung abwechseln, eine Einstellung zum Sakralen, die dem Christentum gänzlich fremd ist. Die Vorstellung, daß die egungun-Tänzer die Toten wirklich verkörpern und nicht nur darstellen, verleiht ihrem »Spiel« eine kommunikative Funktion, die dem westlichen Theater fehlt und eher Vorstellung von der Realpräsenz Gottes in christlichen Gottesdiensten gleichkommt. Der ghanaische Dramatiker und Theatertheoretiker Joe de Graft sieht in dem maskiert-kostümierten egungun-Tänzer nicht nur eine religiöse Inkarnation, sondern auch ein Element der Als-ob-Ebene, also der Fiktionalität des Theaters. Dieses Element manifestiert sich in der Bereitschaft des Betrachters »to enter into the mode of make-believe. [...] We are here quite close to the art of drama and the spirit of secular theatre.«(1976:8) Diese Simultaneität von zwei scheinbar gegensätzlichen Wahrnehmungsmodi hat besonders unter westlichen Beobachtern für Verwirrung gesorgt und sie zu der vereinfachten Annahme verleitet, es handele sich um eine Verstellung mit dem Ziel der Übervorteilung »einfacher« Leute. Daß der Wirkungskomplex der egungun für Darsteller und Zuschauer wesentlich komplizierter ist, stellt Ulli Beier klar: In reality, however, every pagan is fully aware that there is a human being under the mask. [...] But it is believed that the spirit of the deceased may be involved to enter into the masquerader during the dance. [...] One might say that it is not really Sango the god who enters the body of the priest from the outside, but rather that possession is a state of mind in which all conscious control is relaxed and psychic forces are set free which enable the priest to identify himself so completely with the idea of Sango, that he actually becomes a living impersonation of that idea. (1956:383^)
Auch in dem hier angesprochenen schwer faßbaren psychischen Grenzbereich von Fiktion, Glaube und Selbstaufgabe könnte man von einer liminalen Erfahrung sprechen. Da ikonographische und kinästhetische Zeichen die Dominanten in der Darstellungsweise von eg»ng««-Maskentänzern bilden, ist es bemerkenswert, daß es Soyinka in seinem frühen Hörspiel Camwood on the Leaves (i960) gelingt, eben diese Darstellungsweise in akustische Zeichen umzusetzen: »What I tried to do in 2
s Neben der vielseitigen Gottheit Ogun, die Soyinka explizit als symbolische Verkörperung seiner Ästhetik anführt, ist der egungun-Tänzer eine immer wiederkehrende Figur und Metapher in seinem Schaffen. In seiner Autobiographie, Aké: The Years of Childhood, beschreibt Soyinka die Angst, die ihn, trotz seiner streng christlichen Erziehung, beim Auftreten der Maskentänzer in seiner Stadt befiel. Indem er in der autobiographischen Rekapitulation die Heiligen der bunten Kirchenfenster mit den bunt kostümierten Tänzern in den Augen des Kindes verschmelzt, umreißt er einen Akt des mentalen Synkretismus (1981:31-32). Für das Kind waren die Tänzer Boten einer heiligen TotenWelt, die neben der christlichen Welt existierte. 81
this play was to utilize the idiom of the masquerades in auditory terms and I think it worked.« (Duerden & Pieterse, 1972:171) Die eg»«g«w-Maskeraden finden approximative Entsprechungen in der fließenden Dramaturgie des Hörspiels, die Rückblenden, Zeitverschiebungen und Szenenwechsel vorsieht. Die Wiedergabe all dieser Formelemente wird mit akustischen Zeichen und Hörkonventionen bewerkstelligt. Bereits im Titel klingt die Beziehung zum egungun-Y^At an, da aus dem Camwood-Baum eine Farbe gewonnen wird, die zur Färbung der bunten Kostüme der Tänzer benutzt wird. Der Kult selbst ist im Stück allgegenwärtig. Die Hauptfigur, der Teenager Isola, hat das Mädchen Morounke geschwängert und wird dafür von seinem Vater, dem Reverend Erinjobi, streng bestraft. Für den Vater ist egungun lediglich ein Aberglaube bzw. heidnisches Brauchtum: »I knew you were damned the moment you began to follow the masqueraders. My own son ... an egungun! You made me the laughing stock of the parish.« (1984:122) Obwohl in Camwood on the Leaves kein Ritus im engeren Sinne ausgeführt wird, bildet der Hauptschauplatz der Handlung einen liminalen Ort: Isola und Morounke haben sich in einen Ort am Fluß, der Assoziationen zum Kultort der eg«ng«w-Geheimgesellschaften herstellen soll, zurückgezogen, und dort erlebt Isola in Form von Rückblenden die Träume und Visionen, die den Handlungsablauf ausmachen. Die wichtigste Parallelität zwischen einer eg«»g«w-Maskerade und den Konventionen des Hörspiels besteht aber in Vorstellungen von Simultaneität und in der Bedeutung akustischer Zeichen. Wie bereits erwähnt, verkörpert der egungun-Tinzer im Vokabular der christlichen Kosmologie die Gleichzeitigkeit von Diesseits und Jenseits: Der maskierte Tänzer ist Darsteller und Ahne zugleich. Der Darsteller ist in seiner Rolle vor allem durch die visuellen Zeichen ästhetisch wahrnehmbar, der tote Ahne macht sich jedoch akustisch durch Lieder und durch stimmliche Geräusche bemerkbar, die die Stimme des Ahnen wiedergeben sollen. In Camwood ort the Leaves werden die Lieder und Geräusche des egungun als akustische Verbindungen eingesetzt, um Rückblenden, Traumsequenzen und räumliche Wechsel anzudeuten. Die Technik hat die hördramaturgische Funktion, Isolas zunehmende psychische Verwirrung darzustellen. Durch den Druck zweier Glaubens- und Wertesysteme gerät er in eine innere Zerrissenheit, die ihn schließlich so weit treibt, daß er seinen Vater mit einer Python, einem in der Yoruba-Mythologie gefürchteten Tier, verwechselt und tötet. In Soyinkas nächstem im Jahre 1964 veröffentlichten Ritualdrama The Strong Breed wird ein liminaler Zustand durch ein unterbrochenes Ritual tatsächlich hergestellt.26 Ähnlich wie Camwood on the Leaves hat dieses Stück eine komplexe Zeitstruktur, die zwischen Gegenwart und Vergangenheit oszilliert und sich somit einer Dramaturgie der Parallelitäten bedient. War bei Camwood on the Leaves die Ritualkultur durch die Verwendung von Zeichen aus dem egungun-Kult genau spezifiert, so begnügt sich Soyinka bei The Strong Breed 16
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Dieses Stück entstand kurz nach A Dance of the Forests, das Manuskript ging verloren und wurde 1964 veröffentlicht. Die Uraufführung fand erst 1966 in Ibadan statt.
mit vagen Hinweisen auf zwei Neujahrsriten, die nicht genauer bestimmbar sind. 27 Das Stück dramatisiert das Schicksal des >Fremden< Eman, der sich als Lehrer in einem D o r f niedergelassen hat. Als dort am Jahresende für die Durchführung des Neujahrsritus eine Art Sündenbock, »carrier« genannt, ausgewählt, rituell präpariert und unter den Flüchen und Schlägen der Bewohner aus dem D o r f vertrieben werden soll, um somit die Dorfbewohner zu reinigen, protestiert Eman dagegen, daß ein Dorfidiot auserkoren wird, und bietet sich selbst als Ersatz an. Während der Vorbereitung auf das Ritual versucht Eman jedoch zu fliehen, und auf der Flucht erlebt er Momente seiner Vergangenheit wieder: E r vergegenwärtigt sich das vergleichbare Ritual seiner Heimat, in dem seine Familie, das starke Geschlecht des Titels, jedes Jahr das Böse des Dorfes symbolisch in den Fluß trägt. Das Stück endet mit dem Tod der Hauptfigur: Eman kommt in einer Falle um, die ihm vom Dorfältesten und den Dorfbewohnern gestellt wird. Unabhängig davon, ob man Emans Tod als Gewinn oder als Verlust für die Gemeinschaft deutet, spielt die Darstellung des Rituals als Kulturphänomen eine zentrale Rolle. Bemerkenswert ist die Tatsache, daß Soyinka in diesem Stück auf die performativen Aspekte von Ritualdarstellungen gänzlich verzichtet: E r bringt weder Gesänge noch Tänze, die sonst für die meisten afrikanischen Riten die dominanten Darstellungsmodi sind, auf die Bühne. Es fehlen auch identifizierbare Kulturtexte, die auf eine bestimmte Ethnie schließen ließen. Handlungstragend sind stattdessen in diesem Stück die Dialoge: Die handlungsbestimmenden Ritualisierungsmomente werden mit nur wenigen akustischen und visuellen Zeichen angedeutet. So wird etwa Emans Flucht während der Vorbereitung zu dem Reinigungsritus durch visuelle Mittel angedeutet, die der Autor in den Didaskalien genau spezifiziert: The alert hunted look is still in his eyes which are ringed in a reddish colour. The rest of his body has been whitened with a floury substance. He is naked down to the waste, wears a baggy pair of trousers, calf-length, and around both feet are bangles. (1973:131) Die Parallelität zu dem auf Menschenopfer verzichtenden Ritual in Emans eigenem Dorf, in dem Emans Vater die Rolle des »carrier« auf würdevolle Weise spielt, wird durch äquivalente visuelle Zeichen hergestellt: An old man, short and vigorous looking is seated on a stool. He is also wearing calflength baggy trousers, white. On his head, a white cap. An attendant is engaged in rubbing his body with oil. Round his eyes, two white rings have already been marked. (1973:132) In diesem Ritus trägt Emans Vater jedes Jahr ein kleines B o o t in Form einer Kopfbedeckung zum Fluß, um somit in einem symbolischen Akt die Sünden des Dorfes wegtragen zu lassen. Liegen zwischen beiden Riten auf visueller und auf inten27
James Gibbs (1986:72) meint, daß das eine Ritual aus der Delta-Region Nigerias stammt und verweist auf Parallelen zwischen dem Ritual in Emans Heimatdorf und einem tatsächlichen Neujahrritus, den Robin Horton beschreibt: »New Year in the Delta: A Traditional and a Modern Festival«, Nigeria Magazine 67 (i960), 256-297.
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tionaler Ebene Parallelen vor, so divergieren sie doch in der Ausführung und im Ritualverständnis grundsätzlich. Ist in Emans Heimatdorf das Ritual ein symbolischer Akt, der durch das Tragen und Freisetzen des Bootes dargestellt wird, so muß in Jagunas Dorf ein Mensch tatsächlich leiden, indem er geprügelt und vertrieben oder schlimmstenfalls sogar getötet wird. Wichtig für Soyinkas Konzept ist, daß die Ritualtradition in beiden Fällen gebrochen wird: Eman bricht seine Initiation ab und führt das seinem Geschlecht anvertraute Ritual nicht mehr fort. Bei dem Ritual im Dorf hat Eman während der Vorbereitungsphase die Flucht ergriffen, befindet sich also in einem liminalen Zustand, in dem er seine Vergangenheit noch einmal durchlebt. Schließlich impliziert auch seine Ermordung, daß die vorgesehenen Angliederungsriten nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurden, was, so indiziert es die niedergeschlagene Stimmung der Schlußszene, einen schwerwiegenden Bruch mit der Tradition und somit eine Destabilisierung der Dorfgemeinschaft zur Folge hat. Während die traditionellen Darstellungsmittel des Rituals in The Strong Breed so gut wie keine Rolle spielen, sind sie in Soyinkas 1965 uraufgeführtem Theaterstück The Road um so zentraler. Auch in diesem Stück geht es um Verstöße gegen Ritualordnungen mit verheerenden Folgen. Allerdings ist ein traditionelles Kulturgefüge nicht mehr bzw. nur noch bruchstückhaft präsent. In The Road vermischt und verbindet Soyinka programmatisch das Traditionelle mit dem Neuen. Diese Vermischung als ein Nebeneinander von traditionellen Kulturvorstellungen und westlich beeinflußtem Leben durchzieht das Stück inhaltlich und formal wie ein roter Faden. Hier wird Synkretismus als Normalzustand der nigerianischen Gesellschaft gezeigt: der Gott des Eisens, Ogun, aus der traditionellen Yoruba-Mythologie ist nun auch Schutzgott der LKW- und Taxifahrer, die die wichtigsten Figuren des Stückes sind. Soyinka läßt krasse kulturelle Gegensätze wie Christentum und Yoruba-Kultreligion, das Nebeneinander von drei Sprachen oder die Vermischung von Fortschrittsglaube und Ogunverehrung aufeinanderprallen. Das Ritual des Agewo-Kultes, das auf entscheidende Weise Handlungsablauf und Aussagestruktur des Werkes bestimmt, erhält eine rahmendramaturgische Funktion. In einer Vorbemerkung »For the Producer« erläutert Soyinka die Bedeutung dieses Kultes, indem er auf das dem Dramentext vorangestellte Gedicht »Alagemo« verweist und eine eigene Definition bietet: »Agemo is simply, a religious cult of flesh dissolution.« (1973:149) Dramatisches Ausdrucksmittel dieses Kultes ist ein Tanz, bei dem sich der Tänzer, versteckt hinter um ihn gewickelte Matten, immer schneller im Kreise dreht, bis er von den Zuschauern unbemerkt aus den Matten herausschlüpft, die dann zusammenfallen.28 Für 28
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Soyinka erläutert seine Verwendung des Agemo-Tanzes in einem Interview mit Ketu Katrak: »Some agemo are just like any other egungun masquerade. There are some others w h o dance within mats rolled around their bodies. The human being, the form is there [inside the mats]. After a while this form dances, dances into a terrific whirl and then it just collapses. There is absolutely nothing inside the mat. So I used it [agemo] to symbolise the passage of flesh into nothingness. It is actually a kind of illusion but it's done in the open, in the courtyard, and suddenly one sees that there is nothing, just a
Soyinka fungiert dieser Tanz als visuell-theatrale Metapher für das Übergangsstadium zwischen Leben und Tod: »The dance is the movement of transition; it is used in the play as a visual suspension of death.« (1973:149) Dieser transitionale Zustand zwischen Leben und Tod entspricht auch einem der Prinzipien der Liminalität, die Turner eine Kondition der »Betwixt-and-Between« nennt.2? In einem solchen Zustand befinde sich, Soyinkas Erläuterung für den Regisseur zufolge, der stumme Murano, der von einem Lastkraftwagen überfahren wurde: Murano, the mute, is a dramatic embodiment of this suspension. He functions as an arrest of time, or death, since it was in his >agemo< phase that the lorry knocked him down. Agemo, the mere phase, includes the passage of transition from the human to the divine essence (as in the festival of Ogun in this play). (1973:149)
Diese Erklärung des Autors verdeutlicht, daß wesentliche Teile der Handlung den Gesetzen der Liminalität und der Anti-Struktur unterworfen sind. Seit seinem Unfall ist Murano stumm. Durch eine später inszenierte Rückblende erfährt man, daß Murano während eines von den LKW-Fahrern abgehaltenen Tanzfestes zu Ehren Oguns von dem Fahrer Kotonu überfahren wurde. Aus Angst vor der Rache der erzürnten Fahrer habe Kotonu das blutbefleckte egungun-Kostüm angezogen und bis zur Besessenheit und Erschöpfung getanzt. Er sei dann mit dem totgeglaubten Murano zur Raststätte zurückgefahren, wo deren Besitzer, der Professor, Murano geheilt und ihn als Diener beschäftigt habe. Seit diesem Vorfall weigert sich der Fahrer Kotonu, seinem Beruf nachzugehen, und erscheint wie gelähmt. Die Kotonu charakterisierende Regieanweisung lautet: »Most of the time he is half-asleep, indifferent to what goes on around him.« (1973:167) Dieser psychische, durch seine Begegnung mit der Ahnenwelt im Tanz und im Kostüm des egungun verursachte Zustand weist in mehrfacher Hinsicht Züge der für Liminalität charakteristischen Zwischenexistenz auf. 30 Für den Professor repräsentiert Murano die Verkörperung der zentralen metaphysischen Frage, mit der er sich unentwegt beschäftigt: der Bedeutung des Todes bzw. dessen Aufhebung. In der Person des durch den Unfall in einem liminalen Zustand zwischen Leben und Tod >eingefrorenen< Murano konkretisiert sich die Aufschiebung des sonst Unvermeidbaren. Dazu erklärt der Professor, der sich von Murano jeden Tag in einem symbolischen, an die heilige Kommunion erinnernden Akt Palmenwein servieren läßt:
fold of mats collapsed. What had body shape, before, has become fibre. So I used agemo in that sense as illusion.« In: Katrak (1986:68). Vgl. auch Oyin Ogunba, »The Agemo Cult«, Nigeria Magazine 86 (1965), 176-186. 29 Vgl. Victor Turner, >Betwixt and Between: The Liminal Period in Rites de Passages J. Helms (ed.) Proceedings of the American Ethnological Society for 1964, (Seattle: Univ. of Washington, 1964), 4-20. Wiederabgedruckt in: Turner, Forest of Symbols: Aspects of Ndembu Ritual, (Ithaca: Cornell Univ. Press 1967). 3° So urteilt D. S. Izevbaye, der dieses Zwischenstadium bei Kotonu als »a state of limbo« bezeichnet, das durch seine Besessenheit durch den Gott Ogun verursacht wurde: >Language and Meaning in Soyinka's The Roadno, no« superstition which I told them would impede the development of Maori theatre. N o w that they've jumped that small hurdle, I'm pleased. But it didn't encourage me to go on with writing plays in the 1970s.« Brief an Christopher Balme vom 6. Mai 1985. Auch heute ist diese Szene unter Maoris sehr umstritten. Sogar der naturwissenschaftlich gebildete Maori-Dramatiker John Broughton kann die Verwendung eines Sargs auf der Bühne, zumal wenn diese Bühne ein Versammlungshaus darstellen soll, nicht akzeptieren. Persönliche Mitteilung an den Verfasser vom 22. März 1991.
zum tabuisierten Gegenstand verhindert, daß der Sarg ikonisiert, fiktionalisiert und dadurch profanisiert wird. Berücksichtigt man zudem, daß der Zuschauer einer solchen Inszenierung aller Wahrscheinlichkeit nach beim Betreten des Theaters mit dem zeremoniellen Protokoll des marae begrüßt worden ist, dann wird verständlich, warum sich der Maori-Zuschauer in einem für ihn labilen semiotischen Raum befindet. In einem solchen Raum ist es leicht möglich, daß die westliche Theatersemiose in eine Maori-spezifische »umkippt«. Die Spannung zwischen dem Ritualstatus der hui und marae einerseits und dem ästhetischen Zeichensystem Theater andererseits bildet die Grundlage der besonderen Wirkungskraft des 1988 entstandenen und uraufgeführten Kurzdramas Te Hokinga Mai von John Broughton.7 6 Es spielt an einem Tag im Jahre 1970; der Hauptschauplatz ist die marae der Familie Matthews, die während des noch andauerenden Vietnam-Kriegs einen Sohn verloren hat. An diesem Tag kommt Martin, ein junger Mann, zu Besuch, um der Familie über den Tod ihres Sohnes John-Junior, mit dem er befreundet war, zu berichten. Obwohl Martin kein Maori, sondern pakeha, also »Weißer« ist, wird er zum Empfang mit dem vollen marae-Protokoll geehrt: Ein anderer Sohn der Familie vollzieht vor dem Gast das traditionelle Herausforderungsritual Te Wero; die Frauen folgen mit einem Begrüßungsgesang (Te Karanga); der Vater beschließt den Begrüßungsteil der Zeremonie mit einem Tanz (Te Powhiri Haka). Nachdem sich alle hingesetzt haben, hält der Vater zunächst auf Maori und dann auf englisch eine Rede (Te Whaikorero). Der Rede folgt ein Trauerlied (waiata). Der Gast Martin antwortet mit einigen Sätzen auf Maori, die er von John-Junior gelernt hat, und setzt dann seine whaikorero auf englisch fort. Die Erzählungen Martins über die gemeinsamen Erlebnisse der beiden jungen Männer werden als Rückblende auf der Bühne dargestellt. Diese Rückblende bekommt jedoch dadurch, daß sie in das maraeZeremoniell eingebettet wird, dessen fünf zentrale K u l t u r t e x t e 7 7 von Broughton mit voller Textwiedergabe in der Maori-Sprache dargeboten werden, einen besonderen Status. Während Martin über seine Freundschaft mit dem verstorbenen John-Junior spricht, tritt dieser plötzlich leibhaftig auf: (J-J walks onto the marae from the right side of the Meeting House. MARTIN does not bat an eyelid, but the family are aghast.) KUINI: Aue! Junior. H U Í A : M u m , O h M u m . It's J - J .
JOHN: YOU were right Mother, J-J is with us. KUINI: (She sobs quitely loudly) (Broughton 1990:28^) 76
Forschung zu diesem Werk gibt es, abgesehen von Theaterkritiken, nicht. Eine erste Einführung liefert Glaap (1991). 77 In einer Vorbemerkung weist Broughton auf den besonderen Status dieser Kulturtexte hin und gewährt den Schauspielern eine gewisse Freiheit, diese Teile seines Textes mit stammeseigenen Liedern und Reden zu ersetzten: »The play contains some very sacred and traditional aspects of Maori. The actors taking these roles do not necessarily have to keep to the actual script for these parts. The actors should feel quite free to use their own karanga, tauparapara [Rezitation] and whaikorero, especially pertaining to the area where the play is being performed.« (1990:12) 109
Dieser einfache, unter Umständen sogar sentimental anmutende Kunstgriff erhält zusätzliche Prägnanz im Zusammenhang mit der Rhetorik der whaikorero, in der den Toten eine besondere Ehre erwiesen bzw. der Vorrang vor den Lebenden eingeräumt wird. Martins Erzählung über seine Freundschaft mit dem Verstorbenen entspricht daher im weitesten Sinne den Gepflogenheiten dieses Kulturtextes. Broughton erweitert nur die Parameter der whaikorero, indem er einen Toten in der Erinnerung der Familie und Freunde auftreten läßt. Martin beschließt seine Rede mit einem Gesang ( w a i a t a ) und rundet somit das Ritual ab. Das Stück endet mit einem bei den Maori berühmten »action song«, dem Klagegesang für die während des ersten Weltkriegs gefallenen Maori-Soldaten, »E pari ra«. Obwohl sich die thematische Ausrichtung des Kurzdramas - gegenseitige kulturelle Verständigung - unschwer entschlüsseln läßt, und obwohl die Gefühlsbetontheit der Sterbeszene in die verbrauchte Sentimentalität unzähliger Kriegsfilme umzuschlagen droht, wird die Emotionalität des Stückes durch den rituellen Rahmen aufgefangen und transformiert. Es gelingt dem Autor, die potentiell verkitschte Sentimentalität des »Kameradentodes« durch die Authentizität ritueller Kulturtexte wie karanga, whaikorero und waiata in eine neue Art von emotionaler Erfahrung zu verwandeln. Diese übt auf beide Kulturen eine starke Wirkung aus. So schreibt die Maori-Kritikerin Reina Whaitiri anläßlich einer Neuinszenierung: The waiata in »Te Hokinga Mai« were as familiar as they were stirring and those old enough would have remembered »E Pari Ra« as the song written to farewell the 28th Maori Battalion when they left for that other war. The story moved from the present to the past, from the dead to the living, with casual candour and the mainly Maori audience had no trouble following the spatial and temporal changes. The Maori concept of the spiral of life and death and the oneness of the past, present and future was represented here and the waiata, the rituals, the aroha, the whanau were so referenced that they would immediately be recognized by every Maori und many Pakeha present/ 8
Die Kritikerin spricht einen weiteren Fragenkomplex an, der über die Aufnahme dieses Stückes hinaus die synkretische Form des Maori-Theaters insgesamt im interkulturellen Kontext betrifft. Daß eine Maori-Aufführung immer auf zwei kulturellen Ebenen stattfindet, versteht sich von selbst. Schon das Wort maraeTheater macht deutlich, daß zwei disparate kulturelle Kodes hier eine Art Zwangsehe eingehen. Der traditionelle Maori-Besucher hat zwei Möglichkeiten: Er kann entweder den Einsatz von traditionellen Elementen seiner Kultur wie etwa der Begrüßungsformeln powhiri und karanga im Theater-Kontext rundweg ablehnen, oder er wird durch deren Einsatz überhaupt erst bewogen, einer Aufführung beizuwohnen. Der nicht-Maori Zuschauer hat gegenüber dem Einsatz dieser dem herkömmlichen Theater fremden Kulturtexte theoretisch dieselben Entscheidungsmöglichkeiten: entweder Ablehnung aus Traditionsbewußtsein oder Akzeptanz des Neuen. Auch die Begegnung mit der Maori-Kultur bereits 78 Reina Whaitiri, »Te Hokinga Mai (The Return Home)«, in: Stage and Radio Record 3 (Summer 1991), S. 3. Die Kritik bezieht sich auf eine Inszenierung von Rangi Chadwick vom Oktober 1991 in Freemans Bay, Auckland.
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im Foyer und außerhalb des sanktionierten fiktionalen Rahmens der Bühne kann für beide Kulturen durchaus befremdlich wirken. Dennoch deuten die mehrheitlichen Reaktionen darauf hin, daß es sich um die Herausbildung eines neuen theatralen Kodes in statu nascerteli handelt. Im Maori-Theater wird eine synkretische Vermischung von Kulturtexten praktiziert, die beide Kulturen zur Umorientierung zwingen. In einem gewissen Sinne wird das Theater damit zur Experimentierstätte im Brechtschen Sinne: Die interkulturelle Annäherung und Kommunikation, die in der neuseeländischen Gesellschaft dringend notwendig ist, wird auf der Bühne experimentell vorweggenommen.
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V. Theatersprache im Dialog der Kulturen
[W]hen we borrow an alien language to sculpt or paint in, we must begin by co-opting the entire properties in our matrix of thought and expression. We must press such a language, stretch it, impact and compact, fragment and reassemble it with no apology, as required to bear the burden of experiencing and of experiences, be such experiences formulated or not in the conceptual idioms of that language. (Wole Soyinka, Art, Dialogue and Outrage, 1988:107)
Von allen theatralen Zeichensystemen ist Sprache das scheinbar stabilste: Die schriftliche Fixierung des Dramentextes ermöglicht eine Notationsform, die im Vergleich zu anderen Zeichensystemen einen hohen Entwicklungsgrad aufweist. Aber die Sprache im allgemeinen, und die Theatersprache insbesondere, ist einer ganzen Reihe von Beeinflussungsfaktoren unterworfen, die aus der vordergründigen Stabilität ein recht labiles Zeichensystem macht. Im Akt der theatralen Äußerung verliert der auf der gedruckten Seite relativ stabil aussehende Dramentext seinen festen Boden und akkumuliert Zeichenmaterial. Dieses manifestiert sich in Form von Akzent, Tonfall und dialektaler Färbung einerseits und durch sprachunterstützende nichtsprachliche Zeichen wie Gestik andererseits. Bekanntlich signalisiert Sprache auch kulturelle, ethnische und nationale Zugehörigkeit: Bereits die leisesten Mißtöne im Dialekt, in der Aussprache oder im Register können auf die Rezeption eines Theaterstückes bzw. einer Aufführung einen entscheidenden Einfluß ausüben. Die Reaktionen, die etwa die Einführung von Dialekt oder von Sprachvarianten auf die Bühne begleitet haben,1 verweisen darauf, daß die Sprache als Theaterkonvention im Verkehr nicht nur zwischen den Bühnenfiguren, sondern ebenso zwischen Bühne und Zuschauerraum verschiedene Signalfunktionen erfüllt. Im Kontext des synkretischen Theaters kommen zu diesen Strukturmerkmalen der Theatersprache wichtige kulturelle Komponenten hinzu. In den postkolonialen Ländern wird die kulturelle Positionsbestimmung der Sprache auf der Bühne noch komplexer, da postkolonial-synkretisches Theater ausnahmslos in einem bi- bzw. multilingualen Kontext realisiert wird. Dies gilt auch für die Staaten der Karibik, wo man es neben den europhonen Sprachen mit einer Anzahl von separaten linguistischen Entitäten, den sogenannten patois und Kreolesprachen, zu tun hat.2 1
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So ζ. B. bei der Uraufführung von J. M. Synges Playboy of the Western World 1907; oder bei John Osbornes Look Back in Anger im Jahre 1956. Die Sprachsituation in der Karibik wird aufgrund des sogenannten creole continuum als polyglossic bzw. als polydialectal bezeichnet. Dieser Theorie liegt die Auffassung zugrunde, daß es sich bei den Kreolesprachen nicht um diskrete Dialekte oder Sprachen,
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Bei dem Thema Theatersprache darf ein Hinweis auf die mit der Verwendung der europhonen Sprachen verbundene ideologische Problematik nicht fehlen. Hier wird eine der zentralen Theaterdebatten berührt, die Dramatiker und Regisseure in postkolonialen Gesellschaften bis in die heutige Zeit hinein beschäftigt. Die Wahl der Kolonialsprache als Theatersprache ist durch eine Reihe von sozialen und politischen Problemen vorbelastet. Deshalb ist speziell in A f r i k a eine lebhafte Diskussion über die Frage der Kolonialsprachen als adäquates und legitimes literarisches bzw. dramatisches Ausdrucksmittel entbrannt. Die Heftigkeit und ideologische Virulenz dieser Diskussion erklären sich aus den Gegebenheiten, die den Beginn des europhonen Dramas in A f r i k a prägten. Die ersten afrikanischen D r a matiker, die sich der europhonen Sprachen im Drama bedienten, waren Mitglieder einer Bildungselite. Ihre Theaterexperimente hatten eben diese Elite als Zielpublikum. Damit setzten sie sich aber dem Vorwurf aus, am Volk vorbeizuschreiben. Der vielleicht bekannteste Wortführer dieser ideologisch begründeten Kritik und Befürworter einer sich der indigenen Sprachen bedienenden afrikanischen Literatur ist der kenianische Schriftsteller N g u g i w a Thiong'o. N a c h großem Erfolg in den sechziger Jahren als Romancier und Dramatiker englischer Sprache vollzog N g u g i Ende der siebziger Jahre einen Bruch mit dieser Sprache als literarisches Ausdrucksmittel und wandte sich seiner Muttersprache Gtküyit zu. Signifikant ist, daß dieser Bruch im Zusammenhang mit seiner zunehmenden politischen Radikalisierung stattfand, die auch seine praktische Theaterarbeit maßgeblich beeinflußt hat. In seinem Essay »The Language of African Theatre« (Ngugi 1986) weist er auf die Widersprüchlichkeit seiner in englischer Sprache geschriebenen Dramen hin, in denen die Sprache als Theaterzeichen und als Konvention fungiere: where everybody speaks impeccable English, although it is understood that the characters are actually speaking in an African language. [...] There are other contradictions too: these characters speak English but when it comes to singing they quite happily and naturally fall back into their languages. (1986:43) Daß N g u g i seiner Theatersprache die kommunikative Unmittelbarkeit einer monolinguistischen Situation verleihen will, ist verständlich. Damit aber reduziert er die Sprache auf eine naturalistische Abbildlichkeit und unterschätzt die Zeichenhaftigkeit der Theatersprache mit ihren Möglichkeiten der Kodewechsel, Multilingualität und Übersetzbarkeit. A u s diesem G r u n d und wegen dieses Potentials lehnt der anglophone Yoruba-Dramatiker Ola Rotimi die Sprachdebatte als zeitverschwenderisches Ablenkungsmanöver ab: The real issue should not be why an African writer resorts to perpetuating the colonial tongue. Rather, for the debate to be worthwhile, it should bear on how the writer uses that tongue to express the conditions and yearnings of his linguistically diverse peoples.3 sondern um sich überlappende Sprechweisen handelt, die sich an einem Sprachkontinuum entlang bewegen: vgl. Ashcroft et al. (1989:44-47). 3 Ola Rotimi, »The Trials of African Literature«, unveröffentlicher Vortrag gehalten am 4. Mai 1978 an der University of Benin, Nigeria; zitiert nach: Martin Banham, »Ola Rotimi: >Humanity as my TribesmanDie Aufgabe des Übersetzersweaker< in relation to Western languages (and today, especially to English), they are more likely to submit to forcible transformation in the translation processes than the other way around. The reason for this is, first, that in their political economic relations with Third World countries, Western nations have the greater ability to manipulate the latter. And, second, Western languages produce and deploy desired knowledge more readily than Third World languages do. (1986:1 5 7 f.) " 5
he darin, in den europhonen Sprachen nach sprachlichen Äquivalenzen für die Besonderheiten der indigenen Sprachen zu suchen. Dabei dürfe die Suche aber nicht auf einer, wie er sagt, >horizontalen< soziolinguistischen Ebene (»dialect and stress«) stattfinden, sondern auf der vertikalen Ebene »of what the schoolmasters call style and register [...] this is a matter of rhetoric, the artistic use and conscious exploitation of language for purposes of persuasion and pleasure.« (1973 [1966]: 31) Selbst wenn Clark nicht das Wort >Übersetzer< benutzt, sondern sich lieber als »letter-writer for my characters« (Ib.) bezeichnet, liegt seiner Methode nichtsdestoweniger ein Ubersetzungsvorgang zugrunde. Neben der Übertragung rein sprachlicher Strukturen verweist er auf die Bedeutung kultureller Umgangsformen, denen ebenfalls Rechnung getragen werden müsse. Als Beispiel zitiert Clark aus seinem Stück The Song of the Goat, das unter den Ij, einer südnigerianischen Ethnie, spielt. Er rechtfertigt eine gewisse Umständlichkeit im Dialog mit dem Hinweis auf die Bedeutung von indirekten Umgangsformen bei wichtigen Angelegenheiten bei den Ij. Interessant ist hier, daß Clark es selbst für notwendig hält, seine Abweichungen von den Normkonventionen des realistischen englischen Dramas zu rechtfertigen. Was dieser afrikanische Autor in seiner Terminologie und im Hinblick auf seine dramaturgische Praxis erläutert, entspricht in etwa einer Vorstufe dessen, was heute in der Forschung Relexifizierung genannt wird. Der Begriff wurde eingeführt, um einen im postkolonialen Kontext weitverbreiteten sprachlichen Prozeß zu bezeichnen: die Verwendung von europhonem Vokabular in Verbindung mit indigenen Sprachstrukturen und -rhythmen. Diese sprachwissenschaftliche Definition von Loreto Todd wurde von Chantal Zabus adaptiert, um eine stilistische Indigenisierungsstrategie im westafrikanischen Roman zu beschreiben.? Nach Zabus ist Relexifizierung als literarische Methode zu verstehen, mit deren Hilfe der Autor versucht, einem bestimmten künstlerischen Problem postkolonialer bzw. westafrikanischer Literatur gerecht zu werden, nämlich der Übertragung afrikanischer Konzepte, Denkmuster und Sprachmerkmale in eine europhone Sprache: »Relexification is thus an essentially literary, world-creating, diachronic practice which differs from inadvertent calquing8 in its ideological intention to simulate the linguistic peculiarities of the repressed palimpsestic original.« (i99o:io6f.) Für Zabus ist im künstlerischen Prozeß der Relexifizierung vor allem die Funktion der Ideologie von Bedeutung. Die Verfasserin sieht in dieser Strategie den Ausdruck einer subversiven Intention, die kolonialistische Machtstrukturen durch die »Verballhornung« der europhonen Sprachen zu dekonstruieren:? »On the strategic level, relexification 7 Vgl. Loreto Todd, »The English Language in West Africa«, in: English as a World Language, ed. R.W. Bailey & M.Görlach, (Ann Arbor 1982), S.303, Anm.22, zitiert nach: Chantal Zabus (1991:101). 8 Der sprachwissenschaftliche Terminus calquing (frz. calquer = durchpausen) bezeichnet die Interferenz der Muttersprache in der Zielsprache. Dies äußert sich häufig in der Verwendung von Leihwörtern. ? Zabus verwendet den Begriff der Dekonstruktion durchaus im Sinne poststrukturalistischer Literaturkritik, aber mit dem wichtigen Zusatz, daß sie Dekolonisierung auch als
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seeks to subvert the linguistically codified, to decolonize the language of early, colonial literature and to affirm a revised, non-atavistic orality via the imposed medium.« (1991:107) Relexifizierung ist aber auch ein impliziter Übersetzungsvorgang, der sich von einer normalen Ubersetzung vor allem dadurch unterscheidet, daß er in ein und demselben Text bzw. ein und demselben auf der Bühne dargestellten Vorgang von einer Sprache zur anderen wechselt. Noch signifikanter ist die Tatsache, daß ein und dasselbe Subjekt, nämlich der eine Autor, tätig ist; daher ist es schwierig festzustellen, ob in der Tat »übersetzt« wurde. 10 Zwar exemplifiziert Zabus ihre Theorie der Relexifizierung ausschließlich anhand von Beispielen westafrikanischer Prosa, doch liegt die Annahme nahe, daß diese Indigenisierungsstrategie auch im synkretischen Drama von Bedeutung ist. Allerdings ist der Prozeß in den beiden Gattungen keineswegs identisch. Denn im Theater schließt das Ubersetzen aus der Ausgangs- in die Zielsprache neben der Übertragung linguistischer Zeichen auch die Enkodierung von szenischen und kulturell bedingten Körperzeichen ein." Daß Sprach- und Körperrhythmus auf der Bühne sich gegenseitig bedingen, wird jeder Schauspieler bestätigen können. Somit muß eine Untersuchung zur Relexifizierung als dramaturgischer Prozeß solcher nonverbalen Beeinflussung des Zieltextes Rechnung tragen. Ein frühes Beispiel der dramatischen Relexifizierung findet sich in dem ersten Theaterstück, The Dilemma of a Ghost (1964), der ghanaischen Schriftstellerin Ama Ata Aidoo. Zwar ist dieses Werk den Konventionen des Theaterrealismus verhaftet und weist formal kaum synkretische Elemente auf, doch wird darin Sprache auf recht komplexe Weise behandelt. In einer Untersuchung dieses
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Prozeß der Dekonstruktion begreift: »If understood not in terms of destruction but as meaning >to undoto analyse< a given order of priorities in language, deconstruction becomes an interesting way of reading and writing West African texts, and of elucidating the motivation or justification for such linguistic experimentation and the indigenization of language-as-system.« (1991:10) Zur Frage, ob der afrikanische Schriftsteller aus seiner Mutter- in die Zielsprache bewußt übersetzt, zitiert Zabus Chinua Achebe: »If it were such a simple, mechanical process, I would agree that it was [a] pointless, [...] eccentric pursuit.« (Zabus 1991:106) Den bisher vielversprechendsten Ansatz zum Problem interkultureller Bühnenübersetzung hat Patrice Pavis (1987b) vorgelegt. Um die Verflechtung von Sprache und Gestik begrifflich noch präziser zu fassen, führt Pavis den Terminus des Sprachkörpers (verbo-corps) ein. Mit diesem Begriff soll jede die Verlautbarung auf der Bühne begleitende Verbindung von gesprochenem Text und gestischem Spiel charakterisiert werden. Übersetzung des Spiels (mise en jeu) der Ausgangskultur ins Spiel einer Zielkultur bedeutet nicht nur den Transfer von sprachlichen Zeichen, sondern auch des Sprachkörpers von einem System in ein anderes. Es ist vor allem Pavis' Verdienst, daß er mit diesem zugegebenermaßen etwas unklar konturierten Begriff die Diskussion zur theatralen Ubersetzung auf den Mittelpunkt des Theaters, den Schauspieler, zurückführt. Denn nur vermittels der Materialität des schauspielerischen Körpers wird die Ubersetzung hör- und sehbar. Jede Ubersetzung ist in den Körper und das Gestenspiel des Schauspielers eingeschrieben, und ohne Berücksichtung dieser schwer zu analysierenden Vermittlungsinstanz ist dem Problem der Theaterübersetzung schwer beizukommen.
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Stückes stellt Dapo Adelugba sechs verschiedene Sprachebenen fest. Neben soziolinguistischen Kategorien wie »American English« oder »educated African English« und bekannten Dramenkonventionen wie stilisierte Verspräche des Prologs gebe es Transkriptionen aus einer afrikanischen Sprache, wahrscheinlich Fanti, ins Englische, wo die Figuren aller Wahrscheinlichkeit nach als Fanti-Sprecher kenntlich gemacht werden. 12 Neben diesen sechs diskreten Sprachebenen existieren Adelugba zufolge >Transskriptionen< zwischen ihnen. Außerdem findet sich code-switching, für das die Autorin besondere Konventionen entwickelt habe. Obwohl die Präsenz afrikanischer Sprachen hinter dem englischen Text spürbar und durch den Einsatz von bestimmten, konventionellen Zeichen gekennzeichnet ist, somit also eine Vorstufe zur Relexifizierung nach der Definition von Zabus erreicht ist, bleibt zweifelhaft, ob es sich bei den in The Dilemma of a Ghost verwendeten Sprachstrategien um die subversive, sprachkritische Dimension handelt, die Zabus für Relexifizierung in Reinform reklamiert. Wie dem auch sei, Adelugba, der ein ausgezeichneter Kenner des afrikanischen Dramas und Theaters ist, kann dem 1965 erschienenen Stück immerhin noch zehn Jahre nach seiner Erstveröffentlichung zukunftsweisende Tendenzen attestieren: »The six levels here identified certainly recommend themselves for future efforts in dramatic writing, not only in Ghana but indeed in all other African countries which share this heritage.« (1976:80) Auch der kanadische Dramatiker und Cree-Indianer Tomson Highway legt den Charakteren seiner Stücke Transkriptionen aus der Cree-Sprache in den Mund. Dabei bezeichnet er sein dramaturgisches Verfahren als Übersetzung aus seiner Muttersprache ins Englische, und dies, obwohl er manchmal keine Niederschrift einer Cree-Fassung angefertigt hat, die Ubersetzung also nur als mentaler Prozeß stattfindet: M y characters speak in Cree, because I write about my home community where the people speak Cree. The older generation, my parents for example, and my older brothers and sisters, my aunts and uncles, dont speak any English at all. So, when I write about them, and I write mostly about them, I have a picture of my cousins, my aunts and uncles, in my head. So my characters talk in Cree. A n d sometimes whole sections of the first draft will come out in Cree. So what I do, because I am a musician as well, I treat the language as music. I experiment with a form of English writing that attempts to capture the rhythm and the humour of the Cree language. Humour is very much at the centre of the Cree language.'3
Das Palimpsest der Cree-Sprache ist im Sprachrhythmus und Sprechtempo bemerkbar, was Schauspieler wie Zuschauer vor besondere Aufgaben stellt. Highway betont, daß er bei den Proben darauf achtet, daß sich die Schauspieler diesen 12
»Although >transcribed< into English by a dexterous dramatist, there is every reason to believe that these speeches are made by characters w h o speak a Ghanaian language, probably Fanti, and Aidoo (like Synge vis-à-vis the Gaelic speaking characters - as opposed to his English-speaking characters - in his anglo-Irish plays) wants us to believe so.« Dapo Adelugba (1976:72^) •3 Interview mit dem Verfasser am 16.4.1991; abgedruckt in Balme (1993 b). 118
für die Cree-Sprache typischen Sprachrhythmus aneignen. Dies ist deshalb nötig, weil die Schauspieler aus verschiedenen indianischen Sprachgruppen stammen und nicht alle der Cree-Sprache mächtig sind. Auch die Sprachgestaltung der einzelnen Figuren, bei er sich durch Assoziationen mit konkreten Personen aus seinem Familienkreis inspirieren läßt, weist Elemente eines kulturspezifischen Palimpsestes auf. Zum Zweck einer adäquaten Realisierung auf der Bühne werden Charakteristika lebender Personen, wie körperliche Beschaffenheit, Sprachmerkmale usw., in den Text eingeschrieben. Highways Relexifizierungsstrategie läßt sich anhand von Textpassagen exemplizieren, in denen die Figuren zwischen Cree und Englisch wechseln, wobei sich der dominante Sprechrhythmus der Cree-Sprache auf das Englische überträgt. Das folgende Beispiel stammt aus The Rez Sisters (1988). Dieses Stück handelt von sieben Frauen, die auf dem fiktionalen Reservat Wasaychigan Hill, leben. Gelangweilt und angeödet vom tristen Reservatsleben beschließen sie, mit Hilfe von fundraising activities genügend Geld aufzutreiben, um am größten BingoSpiel der Welt in Toronto teilzunehmen. Ihre Aktivitäten werden von der mythologischen Nanabush-Figur begleitet und häufig konterkariert. Auf der sprachlichen Ebene ist auffällig, daß diejenigen Figuren, die mit der mythologischen Welt des Nanabush kommunizieren können, Cree sprechen. Die krebskranke Frau Marie-Adele wehrt sich gegen die Trickster-Figur Nanabush, die sich ihr in Form einer Möwe nähert: NANABUSH: As-tum. [Come] MARIE-ADELE: Neee. Moo-tha ni-gus-kee-tan tu-pi-mi-tha-an. Moo-tha oo-ta-ta-gwuna n'tay-yan. Chees-kwa. Pause. Ma-ti poo-ni-mee-see i-goo-ta wee-chi-gi-seagull bird come shit on my fence one more time and you and anybody else look like you cook like stew on my stove. Awus! 1 4
Ein solcher Wechsel von einer Sprache in die andere geschieht hier offensichtlich unter emotionalem Druck mitten im Satz. Die Übersetzung der Cree-Passage in englischer Sprache ist zwar lexikalisch vollkommen verständlich, ihr Satzbau gleicht sich jedoch weitgehend der >holophrastischen< Syntax der Cree-Sprache an.15 Indem Highway die Interpunktion wegläßt und zwei Konjunktionen aneinanderreiht, was im Englischen weder mit einem >guten< Stil noch mit einem natürlichen Sprechrhythmus vereinbar ist, erreicht er eine Äquivalenz für das, was er den lustigen Rhythmus der Cree-Sprache nennt: »You laugh all the time when
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Highway übersetzt den Cree-Text wie folgt: »MARIE-ADELE: Neee. I can't fly away. I have no wings. Yet. PAUSE. Will you stop shitting all over the place you stinking seagull bird.« (Highway 1988:19) Cree gehört zu der Sprachfamilie der Algonquian-Sprachen, für die die Sprachwissenschaft die Bezeichnungen >Polysynthese< oder >Holophrastik< geprägt hat. Gemeint ist damit die hohe Komplexität des Wortes bzw. des Verbes, das durch die Bildung von Präfix- bzw. Suffixketten eine syntaktische Funktion erhält; vgl. hierzu: Michael K. Foster, »Canada's First Languages«, Language and Society 7 (1982), 7-16; und ders.: »Native People, Languages«, in: The Canadian Encyclopedia, (Edmonton: Hurtig 1988), S. 1453-1455.
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you speak it. In spite of the violence on the reserve, the rhythm of the language is funny. It must have something to do with the Trickster being at the centre of it.« 16 Der holophrastische Satzbau der Cree-Sprache wird in Highways bisher erfolgreichstem Stück Dry Lips Oughta Move to Kapuskasing extensiv eingesetzt. In diesem vom Autor als àie flip-side zu AmRez Sisters bezeichneten Werk treten die mit den »Rez Sisters« verwandten Männer des Reservats auf. Im Mittelpunkt der formal wie thematisch äußerst komplexen Handlung steht der Entschluß der Frauen, sich der Männer-Domäne des Eishockeys zu bemächtigen. Auf sprachlicher Ebene werden auch in diesem Werk häufig längere Reden verschiedener Figuren fast ohne jede Interpunktion gesprochen. \iènn in solchen Passagen die fremd anmutenden, zum Teil witzig-grotesken Namen der Cree-Figuren zu langen Ketten aneinandergereiht werden, ist dies in einem englischen Text zwar verständlich, läßt jedoch zugleich den Eindruck aufkommen, es handele sich hier um eine Fremdsprache. Wird, wie im folgenden Beispiel, einer Textpassage außerdem noch den Sprachduktus eines Eishockey-Kommentars untergelegt, dann sind in ein und demselben Sprechakt drei verschiedene Sprachkomplexe ineinander verflochten: BIG JOEY: [...] Number thirty-seven Big Bum Pegahmagabow, defense-woman for the Wasy Wailerettes, stops the puck and passes it to number eleven Black Lady Halked, also defense-woman for the Wasy Wailerettes, but Gazelle Nataways, Captain of the Wasy Wailerettes, soogi body check meethew her own team-mate Black Lady Halked woops! She falls ladies igwa gentlemen, Black Lady Halked hits the boards and Black Lady Halked is singing the blues, ladies igwa gentlemen, Black Lady Halked sings the blues. (Highway 1989: 74)
Anhand dieser beiden Beispiele wird deutlich, daß die Strategie der Relexifizierung dem indigenen Dramatiker weitergehende Möglichkeiten eröffnet als die bloße Entscheidung zwischen den Alternativen indigen/europhon. \fergegenwärtigt man sich zusätzlich die theatrale Verlautbarungssituation, in der materielle Zeichen wie Akzent, Tonfall und physische Präsenz eines indigenen Darstellers zur Verstärkung der indigenen Sprachpräsenz unter oder hinter dem anglophonen Text beitragen, so gewinnt Relexifizierung auf der Bühne gegenüber den von Zabus für den Roman referierten Möglichkeiten noch zusätzlich an subversiver Sprengkraft. Die Verflechtung von Sprache und Körper greift der Cree-Schauspieler und Dramatiker Billy Merasty in einem ausführlichen Interview (Mojica 1991) auf. Merasty, der mit Highway entfernt verwandt ist, gehört zu den wenigen indigenen Berufsschauspielern in Kanada, die ihre Muttersprache vollkommen fließend beherrschen. Merasty erläutert die von ihm empfundene, sprachlich bedingte Trennung in seiner Psyche: »Cree, it's more organic, more instinctual and real for me, whereas English is more cerebral.« (Ib.¡39) Er bestätigt die von Tomson Highway konstatierte inhärente Komik der Cree-Sprache und äußert 16
Ray Conologue, »Mixing spirits, bingo and genius«, The Globe and Mail (Toronto), 21.il.1987, S.C5.
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sich darüber hinaus zu den der Sprache eigenen poetischen Möglichkeiten.^ Daß Sprachenwechsel auch körperliche Veränderungen bewirken können - »Even my body language changes when I speak Cree and so does the pitch of my voice, it gets lower.« (Ib:4o) - , so Merasty, hat zumindest implizit Konsequenzen für das Spiel mit Sprache auf der Bühne, sei es in Form von Relexifizierung oder Übersetzung.' 8 Manifestiert sich Relexifizierung vorwiegend auf der Ebene des Sprachrhyhmus, der Grammatik und des Vokabulars, so läßt sich eine damit verwandte Ubersetzungsstrategie beobachten, die die Übertragung komplexerer Diskurselemente wie etwa Sprichwörter und Redensarten einschließt. So verwies etwa J. P. Clark in dem bereits zitierten Aufsatz »Aspects of Nigerian drama« (1966) auf das Werk von Chinua Achebe als Beispiel für »a faithful reproduction of the speech habits of one people into another language [···] proceeding by the technique of the proverb.« (1973:31) Inzwischen gibt es eine umfangreiche literaturwissenschaftliche Forschung zum Gebrauch von Sprichwörtern und anderen indigenen epigrammatischen Sprachformen in der europhonen afrikanischen Romanliteratur. Was die dramatische Literatur angeht, in der ähnliche Strategien zu beobachten sind, sieht die Forschungslage weniger günstig aus. Dies ist umso merkwürdiger, betrachtet man die Parallelen zwischen den im Roman und im Drama verwendeten Indigenisierungsstrategien. Zabus faßt ihre Ausführungen zu diesem Komplex unter dem Begriff »ethno-text« zusammen: The Nigerian Igbo-informed novel of English expression is made of discursive elements ranging from rules of address, riddles, praise-names and dirges to the use of proverbs. These constitute the ethno-text which is grafted onto the English-language narrative, in an attempt to recapture traditional speech and atmosphere. (1991:133)
Ersetzt man die Worte »novel« und »narrative« durch Drama und Handlung, und »Igbo« durch »Yoruba«, so läßt sich diese Definition unverändert auf die anglophone Dramatik Wole Soyinkas und Ola Rotimis anwenden. Was Zabus mit dem "7 Merasty erläutert die assoziative und »weltabbildende« Ausdruckskraft der Sprache am folgenden Beispiel: »Let's say eewasagameepatat. Just that word, eewasagameepatat. Someone running along the shore. For someone from the English perspective, someone running along the shore, is just someone running along the shore. But in Cree itS more or less the world of the environment where you see not only this person running along the shore, but you see the land, and you see the lake and the sky The world is automatically presented by just saying that in Cree.« (1991:40) 18 Merasty beschreibt, wie er in der zweiten Inszenierung von Dry Lips in Toronto nach Absprache mit Highway die sprachliche Dimension seiner Figur Creature Nataways, die im Stück sonst nur Englisch spricht, veränderte und dieser Figur die Cree-Sprache »verlieh.« (Ib.:4i) Die Verbindung von sprachlicher Euphonie und Bühnenwirkung betont auch Floyd Flavel, Regisseur und Nachfolger Highways als Leiter von Ν Ε Ρ Α : »The sound of our native languages on stage is a totally different experience of theatrical sound from English. The voice gets immediately more rooted in the body it is richer and more musical, and a whole different mood is evoked.« (Flavel 1993:9) "9 Vgl. hierzu Zabus ( 1 9 9 1 : 1 3 3 - 1 4 7 ) und die von ihr zitierte Literatur.
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Terminus »ethno-text« meint, entspricht in mancher Hinsicht dem in der vorliegenden Untersuchung definierten Begriff des Kulturtextes. Solche Ethnotexte lassen sich weiter differenzieren, und auch die für die Igbo-Ethnie geprägten Charakteristika, wie etwa rituell gebundene Gebets- und Grußformeln, Anredeformen, Invektiven und andere kulturgebundene Formen, sind auf die iäbruba anwendbar. Sprachliche Kulturtexte wie Sprichwörter und Orakelsprüche sind auch in Ola Rotimis Ödipus-Bearbeitung, The Gods are Not to Blame (1971), ein dominantes theatrales Element. Sie haben dort mehrere Funktionen: Während auf der Bühne die mit den Ausführungen der Sprachformeln verbundenen rituell-perfoF mativen Akte aufgeführt werden, schafft die Verflechtung mit der antiken Vorlage zugleich eine Art szenischer Intertextualität. Rotimis Stück läßt sich als theatrale Umsetzung seiner wissenschaftlichen Beschäftigung mit Yoruba-Darstellungsformen deuten. In einer Reihe von Aufsätzen zieht Rotimi Parallelen zwischen dem griechischen Theater und den Ritualen und dem Festtheater der Yoruba.20 Darüber hinaus verbindet er in seinem Stück eine enge Anlehnung an traditionelle Hofkultur mit ihren genau festgelegten traditionellen Musikeinlagen, Tänzen und Ritualen mit einer modernen Dramaturgie, in der Rückblenden und technische Mittel wie voice-overs zum Einsatz kommen. Im Prolog, der vor einem Ogun-Schrein spielt, wird die Vorgeschichte dargestellt. Anläßlich der Geburt eines Königssohnes wird traditionsgemäß ein Ifa-Priester (Yoruba Orakelpriester) gebeten, das Weissagungsritual durchzuführen: Er prophezeit \&termord und Blutschande, woraufhin das neugeborene Kind zum Tode verurteilt wird. Der Prolog wird in Versen und Sprichwörtern vorgetragen, was eine antikisierende Wirkung hat und zugleich den Anschein erweckt, als handele es sich um eine Übersetzung aus dem Yoruba, in dem Sprichwörter eine zentrale Rolle spielen. Auch die chiffrierten, auf den tragischen Ausgang des Stückes hinweisenden Rätsel, entstammen - wenngleich an griechische Orakelsprüche erinnernd - nicht der griechischen Mythologie, sondern der Kultpraxis des Orakelpriesters.21 Da die Sprichwörter in diesem Stück so zahlreich sind, unterzieht Rotimi dieses Stilmittel schließlich sogar einer selbstreflexiven Ironisierung: ODEWALE: What is the matter, fellow, aren't you a Yoruba man? Must proverbs be explained to you after they are said? (Rotimi, 1971:32).
Ahnlich ironisch heißt es in einem anderen Stück Rotimis, dem historischen Drama Kurunmi·. »Your Ifa Oracle jargon kills me.« (197^:73) Dieses Zitat bezieht sich auf eine Weissagungsszene, in der ein »witch-doctor« die »divination beads« wirft, um Handlungsstrategien abzuleiten. In dieser Szene nähern sich der enigmatische Sprachduktus der Sprichwörter und die bei diesem ritualisierten Weissagungsakt gewöhnlich gebrauchte Sprache formal einander an:
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Vgl. hierzu die Ausführungen zu Rotimis Theatertheorie in Kap. 7a. Zur Praxis des Kult-Priesters, vgl. Beier (1991:42) .
Aruku, Aruku,/ Aruku-gb'oku-roja-mata;/ the corpse that was carried to the market/ did not sell. / It was thrown into the bush;/ the same was brought back home/ covered in a shroud/ and called >egungun< [...]. (Rotimi, 1 9 7 ^ : 7 1 )
Da es sich bei der //¿-Divination um festgelegte, auswendig gelernte Texte handelt, die durch die Konfiguration der hingeworfenen Palmnüsse bestimmt werden, kann man davon ausgehen, daß Rotimi einen genuinen Kulturtext in übersetzter Form in sein Stück aufgenommen hat. In beiden angesprochenen frühen Stücken Rotimis sind die Sprichwörter und Orakelsprüche klar als Kulturtexte erkennbar. Aufgrund ihrer strukturellen Korrespondenz zu einer vergleichbaren Form in der griechischen Kultur erfüllen sie die Funktion der Vermittlung zwischen zwei Kulturwelten. Einen Schritt weiter geht Wole Soyinka in dem Drama Death and the King's Horseman (1975). Hier erreicht die Transliteration von Sprichwörtern eine Komplexität, die über Rotimis Versuche hinausreicht und an die Grenzen des Semantisierbaren in einer europhonen Sprache stößt. Da sich der gebildete Yoruba in der Alltagssprache einer metaphernreichen, mit Wortspielen ausgeschmückten Ausdrucksweise bedient, die nur durch den Bezugsrahmen eines allgemein bekannten Reservoirs an Sprichwörtern verständlich ist, kann Soyinkas Transliteration und Adaptation von Sprichwörtern im Stück zunächst als Bemühen um eine ethnische Sprachauthentizität betrachtet werden. Allerdings setzt er dieses Diskurselement in Death and the King's Horseman so massiv ein, daß es über die für die Herstellung von sprachlichem Lokalkolorit notwendige Menge deutlich hinausgeht. Was die Sprache der Yoruba-Figuren (Elesin, Praise-singer, Iyaloja) angeht, bilden Sprichwörter sogar eine Dominante: »There is hardly a dramatic moment in the dialogue between Yoruba characters which is not expressed by a proverb taken from Yoruba idiom« (1984:86), stellt David Richards in seiner Untersuchung zum Gebrauch von Sprichwörtern in Death and the King's Horseman fest. Diese Dominantenbildung in den Szenen, in denen die Yoruba-Kultur vorherrscht (Szene 1: Markt und Hochzeit; Szene 3: Trance-Tanz und ritueller Selbstmord), sprengt die im Literaturtheater herkömmliche Dialogstruktur bzw. schafft einen neuartigen sprachdramaturgischen Kode. Dieser Kode enthält zwar dialogische Elemente, entspricht aber keinesfalls dem herkömmlichen Begriff des Dialogischen im Drama. Dem mit der Yoruba-Kultur nicht vertrauten Zuschauer bereitet der von den Yoruba-Figuren gebrauchte Kode erhebliche Probleme, weil diese versähnliche dramatische Sprache überwiegend auf dem außertextuellen Referenzsystem der Yoruba-Sprache und Weltanschauung basiert. Dadurch wird die >geschlossene< Welt des dialogischen Dramas wiederholt aufgebrochen, weil sich die Sprache aus einem dem Drama externen Bezugssystem speist.22 Zwar läßt sich diese übersetzte Verssprache, in der von Elefanten, Jägern, Büffeln und Buschratten die Rede ist, auf der metrischen und lexikalischen Ebene durchaus rezipie22
Z u m Begriff der Geschlossenheit des dialogischen Dramas vgl. Peter Szondis Definition des neuzeitlichen Dramas in seiner Schrift Theorie des modernen Dramas (1956), vor allem Kap. I, »Das Drama«. 123
ren, die Metaphern und Tropen aber entstammen einer Kulturwelt, die der englischen Dichtersprache fremd ist. Erschwerend hinzu kommt, daß die Kunstform des Sprichwortes bei den Yoruba wie bei anderen Kulturen von ihrer Lakonie lebt. Diese Lakonie äußert sich oft darin, daß die Deutung des Sprichwortes nicht immer eindeutig aus dem >Text< hervorgeht. Sie wird vielmehr in Form eines zumeist mündlich überlieferten Kommentars vorausgesetzt. Bei der Ubersetzung geht dieser kulturell tradierte Kommentar meistens verloren bzw. kann nur auf Kosten der sprachlichen Eleganz des Sprichwortes in den Text integriert werden. Ein weiteres Problem hängt mit dem eigentlichen Äußerungsakt zusammen. Oft wird im mündlichen Ausdruck nur ein Teil des Sprichwortes gesagt und die Vervollkommnung des gemeinten Gedankenganges vom Zuhörer erwartet. Diese Technik des Anzitierens wird in der mündlichen Tradition der Yoruba-Dichtung, deren Dichtkunst zum großen Teil auf bekannte Sprichwörter und Orakelsprüche des //«-Orakels anspielt, häufig verwendet.*' Da Soyinka weder versucht, für die Yoruba-Sprichwörter Entsprechungen im englischen Sprichwortschatz zu finden, noch sie kommentierend zu erläutern, ist von einer bewußten Relexifizierungsstrategie auszugehen. Man hat es also mit »Ethno-texten« im Sinne von Zabus zu tun und nicht mit einer Übertragung. Die englische Sprache wird durch das Eindringen der afrikanischen Sprachwelt verändert, wobei die Spuren des darunter liegenden Palimpsests im englischen Oberflächentext bis zur Unkenntlichkeit verwischt werden. Allerdings geht es Soyinka nicht um eine subversive Dekonstruktion der englischen Kolonialsprache, sondern um die Vermittlung eines Weltbildes, das sich in einer dichten, metaphernreichen Sprache äußert. Ein Beispiel aus Death and the King's Horseman kann dies verdeutlichen. In der dritten Szene bereitet sich Elesin auf seinen rituellen Selbstmord vor: It promises well; just then I felt my spirit's eagerness. The kite makes for wide spaces and the wind creeps up behind its tail; can the kite say less than - thank you, the quicker the better? (1986:181)
Elesin bedient sich hier eines bekannten Sprichwortes über den Habicht, der unerwarteterweise vom Wind begünstigt sein Ziel schneller erreichen kann und sich dieser Hilfe nicht entgegenstellt.2"* Im Kontext der Handlung wird dieses Sprich2
3 In diesem Zusammenhang weist Ulli Beier auf die Übersetzungsprobleme bei der Übertragung von Yoruba-Dichtung in andere, vor allem europäische Sprachen hin: »Yoruba is a learned language, and as such, full of allusions which remain meaningless to the reader who was brought up outside the culture.« Beier gibt das folgende Beispiel für eine Übersetzung, die man kommentierend vervollständigen muß: »Often the translation must complete such phrases if the reader is not to be left completely puzzled. The refrain >the worm is dancing< in a song about the thunder god Shango implies the proverb: >the worm is dancing, but that is merely the way it walks< which in turn implies the meaning: you think Shango is angry with yo», but in fact he is just a quick-tempered person ...« (1970:16). 2 4 Nach Richards liegt dieser Passage das Sprichwort »Àwòdi to'o nre Ibarà, fûfù ta á n'ídi pá, o ni' Içé kúkú yá,« zugrunde. Richards beruft sich auf die von Oloye J. O. Ajibola 124
wort zum Gleichnis für Elesins geistig-seelische Bereitschaft, die Reise zu seinen Ahnen anzutreten. Ohne Kenntnis des Originals ist diese Metapher kaum auf Anhieb zu verstehen. Die Dialoge der Yoruba-Figuren im Stück enthalten Dutzende solcher Vergleiche und Metaphern. Sie verleihen ihnen eine gewisse Sprachauthentizität und berühren gleichzeitig den Kerngedanken der YorubaWeltanschauung. Uber die geschilderten Semantisierungsprobleme darf nicht vergessen werden, daß die hier eingesetzte sprachdramaturgische Strategie nur ein Teilsystem unter anderen szenischen Zeichensystemen bildet, die alle gemeinsam zum Gesamteindruck einer intakten afrikanischen Welt beitragen. Allerdings relativiert sich der szenisch vermittelte Eindruck eines organisch funktionierenden Kultursystems im Verlauf der Handlung. In dem Maße, wie die Yoruba-Welt durch das abgebrochene Ritual brüchig wird, verliert auch Elesins Sprache an Kohärenz und Kohäsion. War er in der ersten und dritten Szene ein Meister der Sprichwörter, so erscheint er dieser Sprachbeherrschung in der letzten beraubt. Gegenüber Iyaloja und dem Praise-singer fühlt er sich veranlaßt, sich für dieses Versagen zu entschuldigen: It is when the alien hand pollutes the source of will, when a stranger force of violence shatters the mind's calm resolution, this is when a man is made to commit the awful treachery of relief, commit in his thought the unspeakable blasphemy of seeing the hands of the gods in this alien rupture of his world. (1984:21 if.)
Auffallend ist die Bildersprache. Elesin bedient sich am Ende des Stückes einer abstrakten, diskursiven Sprache, die in ihren Tropen keine besondere ethnische Verankerung mehr aufweist. 2 ' Das Sprichwort als Ethno-text erweitert die Möglichkeiten der Relexifizierung, weil hierdurch nicht nur auf lexikalischer oder rhythmischer Ebene die Präsenz einer zweiten, fremden Sprache fühlbar ist, sondern überdies die Präsenz eines kulturellen Bezugsystems vermittelt wird. Der Synkretismus äußert sich in der Inkorporierung eines Teilbereichs des indigenen kulturellen Systems, nämlich der Lexik und Grammatik, in die englische Sprache. Die Koexistenz zweier semiotischer Systeme, die als Voraussetzung jeder Art von Synkretismus konstatiert wurde (vgl. Kap. 5), ist somit gewährleistet. In Death and the King's Horseman erhält dieser Zeichenprozeß zudem die von Zabus konstatierte ideologische Komponente, weil der thematischen und formalen Ausrichtung des Stückes eine implizite, wenn nicht gar eine explizite, Konstrastierung zweier
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edierte Sammlung und Übertragung von Yoruba-Sprichwörtern, Owe Yoruba, (Ibadan 1971). Ajibola übersetzt das Sprichwort: »The hawk wishing to go to Ibara, is blown by the wind in that direction and he says, >Now is my chance*«. Richards (1984:97) Richards hierzu: »Elesin no longer controls his world through proverbial language, since he has lost the right to utter the linguistic summations of >the Yoruba mind< which proverbs express.« (1984:95) Die These Soyinkas, daß die Bewußtseinsveränderung der Yoruba unter dem Einfluß der Kolonialisierung im Gebrauch der Sprichwörter festgestellt werden kann, ist die Leitfrage, die der Untersuchung Wolfgang Benders Kolonialismus: Bewußtsein und Literatur in Afrika (1980) zugrunde liegt. Bender beschäftigt sich in erster Linie mit Dokumenten der Oralliteratur. 125
Kulturen zugrunde liegt.26 Der Begriff der Relexifizierung erlaubt eine differenzierte Sicht der interkulturellen Bühnenübersetzung als Respons auf den in nahezu allen postkolonialen Gesellschaften existierenden Zustand der Bi- bzw. Multilingualität. In dem relexifizierten Theatertext vernimmt der Zuschauer nicht nur die Rhythmen und Sprachkonventionen der indigenen Muttersprache, darüber hinaus macht sich die indigene Kulturwelt vermittels der materiellen Zeichenhaftigkeit des Darstellers, seiner Stimme, seines Akzentes und Tonfalles bemerkbar.
12. Multilingualität auf der Bühne Die Ausführungen zur Ubersetzung demonstrierten einige Strategien, mit deren Hilfe andere Sprachkulturen dem nicht-indigenen Zuschauer vermittelt werden können. Eine andere Tendenz, die sich im postkolonialen Drama zunehmend beobachten läßt, ist der Versuch, den Zustand der Bi- bzw. Multilingualität auf der Bühne explizit vorzuführen. Während man in der Vergangenheit versucht hatte, das Nebeneinander mehrerer Sprachen durch herkömmliche Konventionen zu überdecken, wird dieses Nebeneinander nun als Bereicherung der sprachdramaturgischen Ausdrucksmittel betrachtet. Entsprechend unserer Definition des synkretischen Theaters als Integration und Umkodierung von Kulturtexten in das westliche Theatersystem ist die Verwendung von indigenen Sprachen in Verbindung mit bzw. neben der europhonen Sprache ein der Umfunktionierung von Ritualen, Tänzen, Liedern usw. vergleichbarer theatersemiotischer Prozeß. Das Verständlichmachen fremdsprachlicher Zeichen auf der Bühne ist daher, analog zu den anderen Umkodierungsprozessen indigener Kulturtexte, in erster Linie ein Semantisierungsvorgang. Zugleich aber handelt es sich um einen ideologischen Prozeß, denn, wie bereits festgestellt wurde, ist Sprachgebrauch in einer postkolonialen Situation in Machtstrukturen eingebettet, oder er reflektiert sie z u m i n d e s t . 2 ? In den folgenden Beispielen aus Nigeria, Südafrika, Kanada und Neuseeland soll untersucht werden, wie das dort herrschende soziolinguistische >Faktum< der Bi- bzw. Multilingualität unterschiedlichen Um- und Dekodierungsstrategien unterworfen wird. Bi- oder Multilingualität bedeutet auch, daß die noneurophonen Sprachen und Dialekte dort auftreten, wo eine Semantisierung mithilfe von sprachlicher Kontextualisierung oder szenisch-gestischer Verdoppelung nicht möglich ist. Die Komplexität der mehrsprachigen Situation 16
Gemeint ist hier Soyinkas Hinweis darauf, daß es sich bei Death and the King's Horseman nicht um einen »clash of cultures« handele. Auch wenn es sich nicht um einen »clash« handelt, so ist doch eine Kontrastierung unvermeidlich. 2 7 Dabei muß man zwischen einer kolonialen und postkolonialen Situation unterscheiden; vgl. hierzu Ashcroft et al.: »the discussion of postcolonial writing [...] is largely a discussion of the process by which the language, with its power, and the writing, with its signification of authority, has been wrested from the dominant European culture.« (i 9 8 9 :/f.) 126
wird mal in einzelnen Sätzen eingeführt, was im südafrikanischen TownshipTheater gebräuchlich ist, mal in ganzen Szenen, wie z.B. im Maori-Theater. Die in postkolonialen Texten aller Gattungen häufig zu beobachtende Verwendung einzelner nichtübersetzter Wörter oder Redensarten gilt in diesem Zusammenhang nicht als Bi- oder Multilingualität, obwohl diese ebenfalls ein Merkmal postkolonialer Texte darstellt, das einer getrennten Würdigung bedarf.28 Die Aufführung von Wole Soyinkas The Road, am 15. September 1965 im Rahmen des ersten Commonwealth Arts Festival in London machte auf Anhieb den Londoner Kritikern und Kritikerinnen deutlich, daß sich eine >neue Stimme< oder >Sprache< nicht nur im übertragenen Sinne erhoben hatte. Zwar ist das Stück weitgehend in englischer Sprache verfaßt, und bei der Lektüre stellen sich keine allzu großen sprachlichen Probleme ein, aber die Reaktion der Kritiker verdeutlicht, daß dieses in Akzent und Intonation des Westafrikaners vorgetragene Stück mit dem am Queen's English der britischen Theatertradition geschulten Ohr nur schwer zu rezipieren ist. Zieht man darüber hinaus die zahlreichen in Pidgin geschriebenen Textpassagen und den gelegentlichen Gebrauch von Yoruba hinzu, so ist die Verwirrung seitens der britischen Kritiker verständlich: »The Road, in performance, is tough work for local hearing.« (Penelope Gilliat, The Observer,
16. September, 1965)
»It's a disadvantage for English audiences that some of this poetry's obscure in idiom and imagery - you need a sharp ear and a smattering of West African mythology.« (Ronald Bryden, The New Statesman, 24. September, 1965) »The music of pidgin speech and Yoruba exclamation, difficult for a non-Nigerian ear to catch, must reflect both the earthiness and the transfiguration.« (»Keep off the Road«, The Times Literary Supplement, 10. Juni 1965) »Although few of the players came from Nigeria they reproduced the Nigerian intonation so successfully that it was difficult enough to get the literal meaning of their speeches, far less the finer points of Mr Soyinka's language. [...] we cannot blame the Nigerian actors because our unfamiliarity with the tonality of Nigerian English lost us many of their lines.« (»Dramatic Curtain-Raiser«, The Times Educational Supplement, 24. September, 1965)
Auffallend bei den zitierten Kritikerstimmen, die selbstverständlich nur eine repräsentative Auswahl darstellen, ist, daß sie das Stück zwar als englischsprachiges Werk rezipieren, diesen Sprachgebrauch jedoch im Hinblick auf die Verständlichkeit problematisieren. Daß es sich in Wirklichkeit um drei verschiedene Sprachen 28
Allerdings ist diese Praxis allenthalben in synkretischen Theatertexten zu finden und hat die wichtige Funktion, auf eine in der europhonen Zielkultur nicht nachvollziehbare kulturelle Differenz hinzuweisen und dieser dominanten Kultur eine nicht zu versprachlichende Erfahrungswelt vorzuführen. Vgl hierzu auch Ashcroft et al.: »They [untranslated words] signify a certain cultural experience which they cannot hope to reproduce but whose difference is validated by the new situation. In this sense they are directly métonymie of that cultural difference which is imputed by the linguistic variation.« (1989:53)
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handelt - Englisch, Pidgin und Yoruba - scheint nur der Kritiker des Times Literary Supplement gehört zu haben. Der performative Aspekt des Sprachgebrauchs, insbesondere die ausgeprägte nigerianische Intonation, macht ein differenziertes Verständnis der beiden zentralen Sprachebenen, Englisch und Pidgin, für Zuschauer außerhalb Nigerias unmöglich. Was das verwendete Pidgin angeht, so divergiert es in bezug auf Grammatik und Lexik so erheblich vom Standardenglisch, daß einige Sprachwissenschaftler von einer distinktiven Sprache sprechen.2? Berücksichtigt man zudem Performanzkriterien wie Intonation und Akzent, dann ist Pidgin von einem anglophonen Zuschauer kaum noch zu verstehen. Aus diesem Grund kann The Road durchaus als bi- oder, wegen der eingestreuten Yoruba-Passagen, als multilinguales Stück aufgefaßt werden. Dieses Beispiel interkultureller Theaterrezeption weist jenseits aller Wertung auf die Schwierigkeiten hin, die synkretische Theatertexte einem nicht einheimischen anglophonen Publikum bereiten können. Es ist klar, daß sich die sprachlichen Differenzmerkmale etwa bei einer Aufführung in Lagos oder Ibadan anders strukturieren als in London, weil auf eine Rezeptionssituation hin gespielt werden kann, in der die Kode- und Sprachenwechsel nachvollziehbar sind. Die sprachdramaturgischen Strategien wirken mit den anderen Zeichensystemen des Textes zusammen, um einerseits die formale theatrale Synkretizität des Textes und andererseits die kulturelle Vermischung der in ihm versammelten »Ubergangsgesellschaft« darzustellen. Durch die Verwendung von Pidgin und Yoruba werden markante Facetten der Vermischung konkurrierender semiotischer Sphären deutlich. Die Kodewechsel und Sprachverschiebungen sind jedoch oft so subtil, daß sie sich zum Teil auf der gedruckten Seite kaum wiedergeben lassen. David Moody, der The Road als das charakteristische Beispiel eines postkolonialen Dramas ansieht, hebt in diesem Stück besonders den multilingualen Aspekt hervor: I want to suggest that [...] Soyinka, like other post-colonial writers in English, are [sic] producing at the margins of the inter-cultural space; that his plays speak with a language which is neither Yoruba nor English, but which, to use Homi Bhabha's term, is a >hybrid< tongue. This >hybrid< tongue is difficult, knotty, many-textured; it speaks not just with two discourses, but with many. (1989:99)
Nach dieser Deutung sind die häufigen Kode- und Sprachenwechsel im Stück nicht allein Ausdruck psychologisierender Figurencharakterisierung und soziolinguistischer Widerspiegelung zwischenmenschlicher Machtkämpfe. Auf einer abstrakten Ebene sind sie als metonymische Umschreibung einer Gesellschaft im Übergang zu betrachten. Der postkoloniale Zustand der »Hybridität«, in dem sich sowohl westliche Diskurse als auch die Polyethnizität Nigerias manifestieren, wird im sprachlichen Zeichensystem der Multilingualität reflektiert. 2
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Dazu David Decamp über Pidgin und Kreolesprachen: »These are genuine languages in their own right, not just macaronic blends or interlingual corruptions of standard languages.« »Introduction: The Study of Pidgin and Creole Languages«, in: H y m e s (1971:15).
Das polyethnische und polylinguale Staatsgebilde Nigerias bildet auch den Hintergrund der beiden jüngsten Stücke von Ola Rotimi: //( 1983) und Hopes of the Living Dead (1988)3°. In diesen Werken wird Mehrsprachigkeit auf eine Art und Weise thematisiert, die einen neuen Lösungsversuch der theatralen Multilingualität darstellt. Diese neue Strategie äußert sich als ein explizites Zeigen und Demonstrieren von Ubersetzungsvorgängen auf der Bühne. In dem Stück I f , das auf dem Hinterhof eines Appartementblocks einen Querschnitt der eher verarmten nigerianischen Urbanen Gesellschaft vorführt, werden vier verschiedene Sprachebenen verwendet: Neben dem Standardenglischen gibt es Varietäten des Englischen, Pidgin und indigene Sprachen. Der Hinterhof bildet die räumliche Sphäre, in der sich diese verschiedenen Sprachkodes treffen und miteinander interagieren. In der folgenden Szene werden drei dieser Sprachebenen, nämlich Englisch, Pidgin und die indigene Sprache Kalahari, nebeneinandergestellt. Der Kalahari sprechende Fischer beklagt sich gegenüber dem Rechtsanwalt Banji über die Verschmutzung der Flüsse durch die Ölindustrie. Da der Standardenglisch sprechende Rechtsanwalt die Lokalsprache des Fischers nicht versteht, wird hier die Funktion einer Figur als Dolmetscher dramaturgisch motiviert. Diese Aufgabe übernimmt Mama Rosa, die Kalahari versteht und selbst Pidgin spricht: MAMA ROSA: (Introducing Fisherman) Dis na my broder wey I go bail now-now for Police Station, sah. Dem catch am for fishing-port say e no pay tax. Monday na court. Broder, I no know anybody for dis country. I beg make you helep me. BANJI: I see. What really happened? MAMA ROSA: (to Fisherman in Kalahari language) Mioku, duko o pirii. Ye goyegoye duko o pirii. [meaning: Now tell him. Tell him everything] FISHERMAN: Duko o pirii, yeri njibaboo. M A M A ROSA: H e s a y h i m b e f i s h e r m a n .
FISHERMAN: Tari I da so njibaboo. MAMA ROSA: Him papa na fisherman. FISHERMAN: Ida so tari njibaboo. MAMA ROSA: Him papa-papa fisherman. FISHERMAN: Torn me anie wamina dumo doki yee. MAMA ROSA: N o river be dem life. FISHERMAN: Mioku torume dikibujiri ofori bara ke fi korotee. MAMA ROSA: NOW di river done spoil finish. (1983:25^)
Durch ihre Übersetzungen erhellt Mama Rosa für den Rechtsanwalt auf der Bühne, vor allem aber auch für die Mehrzahl der Zuschauer, jene sonst verschlossen bleibenden Worte. Mit dieser Ubersetzungsstrategie wird Multilingualität auf überzeugende Art durchsichtig gemacht. Rotimi betreibt in dieser Szene einen Sprachnaturalismus ohne Konventionen wie Relexifizierung oder die artifiziellpoetische Sprache, die etwa J. P. Clark in The Raft den Fischern in den Mund legt. Er erstrebt eine Authentizität von Figuren und Situation, die er in früheren mythisch-historischen Dramen mit konventionalisierten Mitteln erreichte. Den Gründen für diesen Wandel kann hier nicht nachgegangen werden, aber sicherlich 3°
1988 ist das Veröffentlichungsdatum des Textes, die Uraufführung fand bereits 1985 statt.
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läßt sich bei Rotimi ein stärkeres politisches Engagement als Folge der ethnischen Auseinandersetzungen in Nigeria feststellen, was sich in einer Hinwendung zu einer größeren, eben dieses Problem widerspiegelnden sprachlichen Authentizität zeigt. Eine Fortsetzung der bei If angedeuteten Sprachexperimente mit Ubersetzungsstrategien findet sich in dem 1985 uraufgeführten Stück Hopes of the Living Dead. Grundlage der Handlung bildet eine historische Begebenheit, und zwar der Kampf des Leprakranken Ikoli Harcourt Whyte für die Neuerrichtung einer von den Behörden in den zwanziger Jahren aufgelöste Leprasiedlung in Port Harcourt. Der Theaterwissenschaftler Martin Banham sieht den Gegenwartsbezug des Stoffes vor allem in der Problematisierung der sprach-kulturellen Vielfalt: The vulnerability amongst the patients that the authorities hoped diversity in their backgrounds and languages. The unity that demanded meant surmounting the ignorance and prejudice created The parallel with the political unity of present-day Nigeria is clear.
to exploit was the Harcourt Whyte by these divisions. (Banham 1990:75)
Nach Rotimis eigenen Angaben werden in seinem Stück mehr als fünfzehn verschiedene Sprachen verwendet. Zwischen diesen Sprachen wird nicht nur übersetzend vermittelt, der Vermittlungsakt selbst, der sich auf der Bühne live abspielt, wird zum integralen Bestandteil der politischen Aussagestruktur des Stükkes, wonach sprachliche Diversität nicht automatisch politische Einheit und Zusammenarbeit ausschließen muß. Gegen diesen Hintergrund wird Rotimis bereits zitierte Einstellung zur Sprachdebatte verständlicher. Für diesen afrikanischen Autor stellt sich nicht in erster Linie die Frage, ob ein Schriftsteller die Kolonialsprache gebrauchen soll, die Frage muß vielmehr lauten: Wie verdeutlicht er vermittels dieser Sprache die komplexe Ethnizität eines Vielvölkerstaates: To ignore the fact of linguistic heterogeneity is to be hypocritical, because it is the very multi-linguality of the peoples - or to put it more bluntly - it is the very ethnic promiscuity in the land that, in the first place, necessitated the adoption of that foreign tongue to serve as a neutral base for communication among a reasonable cross-section of the people. The incongruity of a foreign language in an African work can further be >tempered< by a sensitive intermingling of the foreign language with some indigenous linguistic representations. This is most feasible in the genre of drama, and recent experiments by this writer along this line have received encouraging response from audiences, (zitiert nach Banham 1990:75^)
Die Verwendung der Kolonialsprache hat also nach Auffassung Rotimis in einem sprachlich heterogenen Land wie Nigeria auch Vorteile für die gegenseitige Verständigung. Dieser Vorteil setzt ideologische Vorbehalte besonders dann außer Kraft, wenn gleichzeitig lokale Sprachen eine Aufwertung zur Bühnensprache erfahren. Multilingualität ist für Rotimi ethnisches Faktum und Politikum zugleich und ihre künstlerisch-literarische Vermittlung erfolgt am wirkungsvollsten im Theater. Die von ihm eingesetzten theatralen Strategien - zum einen Ubersetzungsketten, bei denen kurze Botschaften aus der englischen Sprache nacheinander in verschiedene indigene Sprachen live übermittelt werden, zum anderen 130
längere Sequenzen in ethnischen Sprachen, die auf der Bühne in ganzem Umfang ins Englische übertragen werden - verlangen vom Publikum Neugier und Geduld zugleich. In einem polyethnischen Staat stellen derartige Strategien einen Akt von soziopolitischer Bedeutung dar, erhält das Theater doch eine Laboratoriumsfunktion im Brechtschen Sinn als »experimentelle Vorschau-Bühne« 31 für eine bessere Gesellschaft. Rotimi geht davon aus, daß sein Theaterpublikum sich in einer vergleichbaren Situation wie die Bühnenfiguren befindet, die auf Vermittlung und Ubersetzung anderer angewiesen sind oder wo das Verständnis oft nur bruchstückhaft ist. Bezeichnenderweise betrachtet er diese Rezeptionssituation und die zu ihr führende Dramaturgie keineswegs als spezifisch nigerianisches Problem. Es handelt sich vielmehr um Strukturen, die über Nigeria hinaus für zahlreiche afrikanische Staaten mit einer vergleichbaren linguistischen Situation relevant sind und sich auf diese übertragen lassen. Im Vorwort zu Hopes of the Living Dead schreibt er: Although specific languages are given to the characters in this play, the producer/ director is not bound by these allocations. Any character may be assigned any language, depending on the linguistic varieties which the actors on hand represent. What is important is for the languages spoken to reflect the cultural spread and the linguistic diversity of the nation where it is being produced. (i988:vi)
Mit diesem >Angebot< stellt Rotimi seinen Text in einen breiten postkolonialen Rezeptionskontext. Die in Hopes of the Living Dead scheinbar akribisch-naturalistisch abgebildeten Sprachelemente der multilingualen »Lepragesellschaft« werden somit zu allgemeinen Signifikanten, deren Signifikate für eine strukturell vergleichbare Situation relativ arbiträr festgelegt werden können. Wichtig ist nur, daß die besonderen Zeichenprozesse einer >promisken< linguistischen Vielfalt in ihren Vermittlungen und Bedeutungsverschiebungen sichtbar und in ihrer Fragmentarität vom Publikum nachvollzogen werden. In einem unlängst erschienenen Artikel über Multilingualität und Theater in Südafrika skizziert der südafrikanische Theaterwissenschaftler Temple Hauptfleisch die Distribution von Sprachen in Südafrika. Dabei erläutert er, wie sich das soziolinguistische Phänomen der Mehrsprachigkeit innerhalb des Township-Theaters in einem neuen System von Sprachkonventionen konstituiert: »a new poetry of the theatre stage, in a language born of the polyglot environment in and around our cities.« (1989:77) Für die Dramatiker, die auf bis zu elf in Südafrika formell akzeptierte Sprachen zurückgreifen können, stelle diese Sprachvielfalt ein enormes Reservoir dar. Dazu komme in den Großstädten noch eine Reihe von weiteren Sprachen, wie etwa ßaaitaal, das ein Gemisch aus verschiedenen Lokalsprachen darstellt und als lingua franca fungiert (1989:78). Für die vorliegende Die Formulierung stammt von Ernst Bloch, »Die Schaubühne als paradigmatische Anstalt betrachtet«, Das Prinzip Hoffnung, E.B. Gesamtausgabe Bd. 5, (Frankfurt/M: Suhrkamp 1959), S. 48 5. Bloch bezieht sich ausdrücklich auf Brechts Theatertheorie und -praxis.
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Untersuchung ist vor allem die Frage von Interesse, in welchem dramaturgischen bzw. Aufführungskontext andere Sprachen neben dem Englischen gebraucht werden. Interessanterweise ist das Spiel mit der Mehrsprachigkeit keineswegs nur schwarzen Theatermachern vorbehalten. Bereits Ende der siebziger Jahre erkannte der Leiter des Johannesburger Market Theatre, Barney Simon, daß das von ihm programmatisch erläuterte und teilweise auch praktisch umgesetzte Modell eines gemischtrassischen Theaters mitten im Apartheidstaat auch der Polyglottie des Staates Rechnung tragen müsse. Aus der Tatsache, daß die unter seiner Leitung entstandenen Stücke von den Darstellern improvisatorisch entwickelt wurden, ergab sich eine zumindest partielle Widerspiegelung der südafrikanischen Sprachenvielfalt auf der Bühne. Allerdings kamen Simons Experimente mit der Multilingualität über das Stadium eines durch Konventionen geregelten >Theaterzeichens< kaum hinaus.'2 Denn das überwiegend weiße Publikum des Market Theatre setzte dem Einsatz der Mehrsprachigkeit enge Grenzen. Immerhin wurden die weißen Zuschauer durch diese Dramaturgie vor die Aufgabe gestellt, die afrikanischen Sprachelemente durch Kontextualisierung oder mit Hilfe anderer Zeichensysteme, wie etwa der Gestik, zu semiotisieren. Bei den Stücken des schwarzen Township-Theaters, die zum Teil auch im Market Theatre zur Aufführung kommen, wird Mehrsprachigkeit differenzierter eingesetzt. Schließlich sehen die sprachlichen Machtverhältnisse in den Townships ganz anders aus als im weißen Johannesburg. In den Townships sind die Rezipienten an einen multilingualen Alltag gewöhnt. Ein innovatives Charakteristikum des Township-Theaters besteht darin, daß Multilingualität nicht bloß in einer einzigen Funktion auf der Bühne eingesetzt wird. Zunächst kommt ihr eine mimetische Funktion zu, indem sie das sozio-linguistische Faktum der Townships zur Darstellung bringt. Außerdem wird in den Aufführungen deutlich, daß sich der Einsatz von Mehrsprachigkeit auf der Bühne als Ausdrucksmittel von Komik eignet. Besonders die afrikanischen Sprachen werden als Kode zur Evozierung von Komik im alltäglichen Sinne verwendet. Sie funktionieren als esoterisches Geheimsystem, zu dem nur Eingeweihte, das heißt in der Regel schwarze Afrikaner, Zugang haben. Damit ist die dritte und besonders wichtige Funktion der Multilingualität angesprochen: die Verwendung der Mehrsprachigkeit als dramaturgischer Strategie zur Ausgrenzung bzw. Einbeziehung verschiedener ethni'2
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Vgl. die Untersuchung von Anne Fuchs (1990): »Barney Simon's solution appears to be the best adapted to the particular circumstances: a minimum token use of African languages which would not hinder communication with a white audience but at the same time entail a certain effort on their part and so constitute a theatrical >signthe different cultures< he attempted to juxtapose on stage.« (1990:70^)
scher Gruppen innerhalb des Publikums. Dieser Kunstgriff basiert auf der Annahme, daß solche Eingeweihten bei einer Aufführung als Publikum zugegen sind und entsprechend reagieren. Seine Wirkung hängt daher in hohem Maße vom Aufführungskontext und der sprachlichen Umgebung ab. Anders ausgedrückt ist diese Strategie nur dann sinnvoll, wenn eine ausreichende Zahl von Zuschauern die auf der Bühne gesprochenen Sprachen verstehen und die häufigen Wechsel von einer Sprache zur anderen nachvollziehen können. Durch den Einsatz der Mehrsprachigkeit werden Aussagen über die sprachliche Konstituierung der Machtverhältnisse in der südafrikanischen Gesellschaft gemacht. Und schließlich wird über den Stellenwert von Sprache in einer kolonialen Situation grundsätzlich reflektiert. Eine häufig wiederkehrende Situation in den Theatertexten des TownshipTheaters zeigt die mehrsprachigen schwarzen Figuren in einer Situation der Überlegenheit gegenüber weißen Figuren, die nur eine oder höchsten zwei europäische, jedoch keine afrikanischen Sprachen sprechen. Der Gebrauch der Sprache als Unterdrückungsmechanismus durch die in der Regel weißen Vertreter der Staatsmacht wird auf anschauliche Weise in der zweiten Szene von Mbongeni Ngemas Stück Asinamali! (1986) vor Augen geführt, in der ein junger Zulu namens Bheki wegen einer Reihe von angeblichen Straftaten verurteilt wird. In der Gerichtsszene ist eine trilinguale Situation dargestellt: der Richter spricht Afrikaans; seine Worte werden durch einen Gerichtsdolmetscher ins Englische übersetzt; da der Angeklagte keine dieser beiden Sprachen ausreichend gut versteht, müssen die richterlichen Worte für ihn durch einen Gerichtsdiener ins Zulu übersetzt werden. Dieser wiederum übersetzt die Worte des Richters und die Antworten des Angeklagten nur selektiv. Durch diese Fragmentarisierung entstehen bei den Übersetzungen unzählige Bedeutungsverschiebungen und -änderungen mit fatalen Folgen für den Angeklagten. Dieser zappelt schließlich wie ein Fisch im Netz, umgarnt von juristischen Verfahren, die für ihn allein schon aufgrund der Sprachproblematik nicht durchschaubar sind. In der Aufführung des Stückes wird die sprachliche Konfusion dadurch potenziert, daß das Tempo des Dialogs im Verlauf des Gerichtsverfahrens konstant zunimmt, bis am Ende wahrhaft babylonische Verhältnisse herrschen. Während in diesem Beispiel das gegenseitige Nichtverstehen als Instrument der Unterdrückung eingesetzt wird, finden sich in anderen Stücken des Township-Theaters häufig Situationen, in denen Mehrsprachigkeit einen Freiraum schafft. Im Schutz dieses Freiraumes können Vergeltungsschläge verübt und satirische Attacken gegen die weiße Gesellschaft lanciert werden. Bestimmte Bemerkungen sind offensichtlich nicht für weiße Ohren intendiert. Wenn zum Beispiel schwarze Figuren Witze über Mitglieder anderer Stämme machen, tun sie dies gewöhnlich in einer afrikanischen Sprache. In Percy Mtwas Stück Bopha! (1986) vertreibt sich der Zulu Naledi die Zeit, in dem er verächtliche Verse über Nachbarstämme vor sich hin summt: »I'd rather be like Xhosas and Pondons/ and carry shit-buckets on my shoulders.«(1986:23 5) Während wir zum besseren Verständnis die englische Fassung wiedergeben, wird dieses Lied bei einer Auffüh-
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rung normalerweise auf Zulu gesungen. Eine ähnliche Bemerkung macht Zulu Boy in Woza Albert!: »Yabhodla ingane yenZule ukuba okungu -MSuthu ngabe kudala kuzinyele. [There burps the son of a Zulu; if it was a Sotho he would be shitting.]« (1986:37) Für Aussagen explizit sexuellen Inhalts und Humors werden ebenfalls afrikanische Sprachen bevorzugt. Auf diese Weise bleiben sie dem schwarzafrikanischen Publikum vorbehalten. Zwar enthalten die Stücke auch Flüche in Form von Kraftausdrücken in der Burensprache Afrikaans, elaborierte sexuelle Metaphern und Beschreibungen dagegen erscheinen in den afrikanischen Sprachen. Eine zentrale Rolle spielen Fragen der Multilingualität in den letzten beiden Produktionen der südafrikanischen Theatergruppe Junction Avenue Theatre Co. Diese semi-professionelle Gruppe mit Sitz in Johannesburg nimmt aufgrund ihrer Organisations- und Produktionsstruktur einen schwer zu definierenden Platz im Mittelbereich zwischen weißem und schwarzem Theater ein. Die gemischtrassische Schauspieltruppe erarbeitet alle Theaterstücke kollektiv. Ihr bisher erfolgreichstes Werk, Sophiatown! (1986), schildert das Leben in dem gleichnamigen gemischten Stadtteil Johannesburgs. In den fünfziger Jahren war das Zusammenleben der Menschen verschiedener Rassen dort symptomatisch für die neue sich ausdifferenziende südafrikanische urbane Kultur und wurde wahrscheinlich gerade deshalb im Zuge der Apartheidpolitik zerstört. Die Multilingualität dieses Werkes - neben Englisch werden Afrikaans, die »Gangster«-Sprache Tsotsitaal sowie mehrere indigene afrikanische Sprachen gesprochen und gesungen - dient in erster Linie dazu, einen Sprachrealismus mit weitgehendem Verzicht auf Ubersetzungskonventionen zu indizieren. So spielt sich zum Beispiel eine ganze Szene (Act 1, Scene 4) in Form einer Unterrichtsstunde weitgehend in Tsotsitaal ab. Temple Hauptfleisch bewertet diese dramaturgische Praxis im Kontext des südafrikanischen Theaters als konsequente Weiterentwicklung: »Simply by admitting the possibility of a multilingual conversational convention, the >mirroring< of reality is, at this level at least, far more >real< than in most previous plays.« (1989:83) Mit Ausnahme der Tsotsitaal-Szene werden die >fremdsprachlichen< Elemente allerdings entweder auf einer solchen quantitativen Ebene gehalten, daß die monolinguale Rezeption nicht ernsthaft gefährdet ist, oder sie werden in Form von Konventionen eingestreut, die wie die Lieder ohnehin musikalisch und nicht sprachlich-semantisch rezipiert werden. Völlig anders verhält sich die Sprachproblematik in Junction Avenues bislang letztem Werk Tooth & Nail ( 1989). Dieses Stück signalisiert eine Neuorientierung in der Theaterkonzeption der Gruppe. Stand bislang das Interesse an der Aufarbeitung der »hidden history« Südafrikas im Mittelpunkt, die mit relativ traditionellen Mitteln einer narrativ-epischen Dramaturgie erzählt wurde, so ist der Einfluß Tadeusz Kantors und anderer »avantgardistischer« Theaterrichtungen bei Tooth & Nail unübersehbar. Die narrative Handlungsstruktur wird zugunsten einer Bilderfolge von zwischen 70 und 100 »Fragmenten« geopfert, in denen zehn Figuren das erleben, was Malcolm Purkey, Leiter der Gruppe, als »living in the 134
interregnum« bezeichnet,33 also die Fragmentarisierung der südafrikanischen Wirklichkeit zwischen Apartheid und Post-Apartheid. Multilingualität als Faktum gesellschaftlicher Realität in Südafrika wird in diesem Stück durch die Figur des »Interpreter« hervorgehoben. Diese Ubersetzerfigur vermittelt übertragend und manchmal verzerrend zwischen den Sprachen und Kulturen. Malcolm Purkey erläutert inwiefern diesem Spiel mit Sprache, ein ernstes sprachpolitisches Problem zugrunde liegt: It is a game of when which part of the audience hears what. What do they say? Is the translation accurate? Is it a commentary? [...] So all of that makes sense to audiences in different ways. And then you can play games where you send out messages in one language so the other group can't understand and so on.
Wie bei Rotimi werden Übersetzung und Multilingualität hier ostentativ eingesetzt, um auf Diskrepanzen, Mißverständnisse und auf den fundamentalen Zustand einer partiellen Semiotisierung und Semantisierung von Sprachen in multikulturellen Gesellschaften hinzuweisen. Auch das junge Maori-Theater in Neuseeland wird zum Teil von einer Sprachdebatte bestimmt, die die soziokulturelle Situation der Maori-Sprache im Land reflektiert. Zwar ist Maori nach wie vor die Sprache, die bei allen wichtigen zeremoniellen Anlässen gebraucht wird, doch von der Mehrheit der jungen Maori in den Städten wird sie nicht mehr beherrscht. Die Nichtbeherrschung der Sprache kommt einem stillschweigenden Ausschluß aus allen formalisierten Diskussionen, die im Rahmen der marae-Versammlungen stattfinden, gleich. Bei der sich heute abzeichnenden Renaissance der Maorikultur, zu der die Theaterbewegung einen nicht unwesentlichen Beitrag leistet, spielt daher die Sprachproblematik eine zentrale Rolle. Daß die Maori-Sprache in einem der Kulturtradition verpflichteten MaoriTheater einen wichtigen Platz einimmt, läßt sich bereits anhand des ersten Theaterstückes aus der Feder eines Maori-Autors, Harry Danseys Te Raukura: The feathers of the Albatross (1974)35, zeigen. Das Stück, das sich mit dem Leben des 33 Malcolm Purkey, >Fighting Tooth and NaikUnveröffentlichtes Referat, gehalten im Rahmen der Tagung »Theatre and Politics in South Africa«, 13.12.1989, Bad Boll. Für eine ausführliche Analyse dieses Werkes, vgl. Gabriele Große Perdekamp, »Junction Avenue Theatre Company mit Tooth and Nail: Kontrapunkt-Montage als theatrale Momentaufnahme des südafrikanischen Interregnums«, Magister-Arbeit, Universität München 1992. 34 Interview mit Malcolm Purkey, in: Große Perdekamp (199211:22). In diesem Interview weist Purkey auf die politischen Sprachprobleme hin: »we are in a very complex situation, with a very complex multilingual political situation. Like many countries we are faced with the dilemma of: Which will be the language of post-Apartheid South Africa? How do we run our processes? [...] if you go to any trade union meeting they will speak in English, then in Zulu, then in Tswana, then in Sotho. So translation is very fundamental to our lives. Mistranslation, misunderstanding, language gaps, language problems are fundamental to South African dilemmas.« (Ib.) 3'
Te Raukura war eine Auftragsarbeit für die Auckland Festival Society. Die Urauffüh-
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Maori-Propheten Te Ua Haumene beschäftigt, dem 1862 der Engel Gabriel erschienen sein soll, woraufhin er die Hau Hau-Religion begründete^6 ist quasi ex nihilo, ohne Rückgriff auf eine bis dahin nicht existente Dramentradition in der Maori-Kultur entstanden. Dansey ging es, wie er im Vorwort zum Stück schildert, vor allem darum, seinem Werk historische und kulturelle Authentizität zu verleihen. Neben der Integrierung authentischer Lieder, Tänze, Gebete und Gesänge wollte er einen Weg finden, die Maori-Sprache einzubeziehen, ohne ein maori-unkundiges Publikum zu befremden. Um dieses Problem zu lösen, erfindet Dansey eine eigene dramatische Sprachkonvention. Er läßt die Dialoge der Maorifiguren in Maori beginnen und führt sie dann in Englisch weiter. Dieses Englisch trage aber auch, so Dansey, Spuren der Maori-Sprache: It might be of interest to note that many parts of the play were written first in Maori and then recast in English. Thus here and there I like to think that something of the feel of the Maori situation has remained like an echo among the English words. I would ask myself the question: >How would people say this?< And I found this best answered by letting them say it in Maori first. Though I was tempted to leave whole sequences in Maori untranslated, this might have appeared pretentious and was resisted. Nevertheless not all have been translated. I do not think these untranslated passages interfere with understanding the play as a whole. It means a sharper definition here and there, a bonus as it were for those who understand Maori. One effect of this in the Auckland Festival production was that the Maori actors, once the Maori sentences began flowing from their lips, could seldom resist the temptation of carrying on in Maori - departures from the script which were to me occasions of sheer delight. (Dansey I974:xi)
Danseys Erläuterungen verweisen auf einige allgemeine, und nicht nur für das Maori-Theater relevante, Aspekte des Komplexes Sprache und Bilingualität im Theatersynkretismus. Signifikant ist erstens, daß die Niederschrift der MaoriDialoge zunächst in dieser Sprache erfolgte, mit dem Ergebnis, daß die Ubersetzung in die Zielsprache relexifizierte Spuren (»echos«) der Ausgangssprache in sich trägt. Lassen sich diese Spuren auf der gedruckten Seite auch schlecht wiedergeben, so sind dennoch feine Nuancen erkennbar. Zweitens impliziert die Konvention der Bilingualität in den Repliken zwar eine Konzession an pakeba (weiße) Zuschauer, doch wurde diese Konvention in der Aufführungssituation von den Maori-Darstellern unterlaufen, indem sie den englischsprachigen Text gewissermaßen aus dem Stegreif ins Maori rückübersetzten. Drittens schafft die im Text angedeutete bzw. in der Aufführung extensiv praktizierte Bilingualität eine gespaltene Rezeptionssituation, die die bilingualen (Maori-)Zuschauer favorisiert (»a bonus as it were for those who understood Maori«) und für die Zuschauer ohne Maori-Kenntnisse eine Ausgrenzungsdynamik herbeiführt. Da wir diesen
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rung fand im Jahre 1972 am Mercury Theatre, Auckland, unter der Regie von John S. Thompson statt. Hau Hau war eine synkretistische Religion, wie es im ausgehenden 19. Jahrhundert in den Kolonien viele gab. Vgl. Keith Sinclairs lakonische Beschreibung: »Te Ua founded a new faith, compounded of a little Old Testament morality and Christian doctrine and some primitive Maori religion. He invoked the Holy trinity, but revived cannibalism.« (1980:140).
Strategien (ob bewußt oder unbewußt eingesetzt, ist hier nicht die Frage) bereits in anderen Ländern begegnet sind, Harry Dansey jedoch ohne Kenntnis anderer postkolonialer Theatertraditionen arbeitete, deutet einiges darauf hin, daß solche sprachdramaturgischen Strategien tiefenstrukturelle Wurzeln in der postkolonialen Situation haben. Eine radikalere Form der Bilingualität praktiziert Hone Tuwhare in seinem 1977 entstandenen und bereits im Kontext des Ritualtheaters besprochenen Theaterstück In the Wilderness without a Hat. Nachdem kulturinterne Konflikte in diesem Werk thematisiert werden, liegt es nahe, daß die Maori-Sprache extensiv eingesetzt wird. Um deren komplexen Gebrauch in Tuwhares Stück beschreiben zu können, ist die folgende Systematisierung hilfreich, die aufgrund ihrer wiederholten Verwendung in Maori-Stücken inzwischen typologischen Charakter bekommen hat. Grundsätzlich lassen sich bei dem Gebrauch von Maori vier Bereiche herauslösen. Maori wird gesprochen: -
von mythologischen Figuren, bei zeremoniellen und rituellen Anlässen (marae und hui), zur soziolinguistischen Rollentypisierung (»eiders« kuia, usw.), bei Liedern und Tanzdarstellungen.
Tuwhare setzt alle vier Bereiche ein. Zunächst sprechen in seinem Stück die mythologischen Ahnenfiguren ausschließlich Maori. Außerdem wird gemäß den Gepflogenheiten auch der heutigen Maori-Kultur bei dem im dritten Akt dargestellten Beerdigungsritual {tangí) nur Maori gesprochen. Des weiteren sprechen bestimmte Figuren auch im Alltag Maori, was zum Teil alters- und zum Teil geographisch bedingt ist, da das Stück im Norden der Nordinsel Neuseelands spielt, wo auch im Alltag häufig noch Maori gesprochen wird. Dagegen sprechen die aus der Südinsel kommenden Gäste, auch während der tangi, kein Maori, was im Stück kommentiert und von Tuwhare besonders hervorgehoben wird. Schließlich werden alle Lieder, sowohl traditionelle waiata als auch moderne populäre Melodien, auf Maori gesungen. Im Jahre 1977, als das Stück entstand, war sich Tuwhare der Probleme, die eine solche dramaturgische Strategie mit sich bringen würde, durchaus bewußt. Daher schlägt er vor, bei Aufführungen des Stückes nach längeren Maori-Passagen Ubersetzungen über Lautsprecher einzusetzen: »A P.A. system will [...] carry the voices (male and female) of >Interpreters< who must cue in precisely at the end of spoken words in Maori. Their voices must be flat, discreet, confidential.« (Tuwhare 1991:59) Dieser ungewöhnliche Vorschlag hat für eine bikulturelle Theatersituation mehrere Implikationen. Erstens weist er darauf hin, daß der Gebrauch der Maori-Sprache bestimmten Kulturbereichen vorbehalten ist, in denen Ubersetzung nicht üblich ist. Das Theater gehörte im Jahre 1977 offensichtlich nicht zu diesem Bereich. Im damaligen Theater waren alle sprachlichen Zeichen, mit Ausnahme der Lieder, die Tuwhare bezeichnenderweise nicht übersetzen läßt, wie selbstverständlich einer Vereinheitlichung durch die europhone Sprache unterworfen. Somit verlangte das kulturelle Ambiente des Stückes also den extensiven Gebrauch einer als nicht theatergerecht empfundenen 137
Sprache. Daß Tuwhare zur Lösung dieses Problems die nicht sehr praktikable und daher bei den zahlreichen Aufführungen des Stückes bislang nie verwirklichte Idee der »technischen« Übersetzung brachte, unterstreicht nur, wie weit die beiden Bereiche Maori-Kultur und westliche Theaterkultur zu jener Zeit noch auseinanderlagen. Der Grund ist darin zu sehen, daß in der Zeit zwischen 1977 und 1985 die Renaissance der Maori-Kultur begonnen hatte, zu der die MaoriTheaterbewegung einen maßgeblichen Beitrag leistete. Im Zuge dieser Entwicklung fand eine Annäherung der beiden Kulturräume statt: Die Maori entdeckten das Theater als Bereich, in dem ihre Kulturtexte, und damit auch ihre Sprache, eine Legitimation und Darstellungsmöglichkeit fanden; die weißen Neuseeländer auf der anderen Seite mußten eine Erweiterung der Verwendungsmöglichkeiten der Maori-Sprache im Theater hinnehmen.
1 3 . Oralität und nondialogische M o d i »Wie kommt es,« fragt Antonin Artaud in seinem Essay »Die Metaphysik und die Inszenierung«, »daß das abendländische Theater das Theater nur unter dem Aspekt des dialogisierten Theaters sieht?« (1969:39) Artauds Angriff gegen das logozentrische Theater und sein Plädoyer für eine neue Theatersprache im übertragenen Sinne entzündet sich am vermeintlichen Grundpfeiler der westlichen Theaterästhetik, dem auf Dialog aufgebauten psychologisierenden Dramenmodell. Wissenschaftliche Rückendeckung erhält Artaud von Peter Szondi, der den Dialog zum ausschließlichen Vermittlungsmodus der europäischen Dramentradition der Neuzeit erklärt: »Die Alleinherrschaft des Dialogs, das heißt der zwischenmenschlichen Aussprache im Drama, spiegelt die Tatsache, daß es nur aus der Wiedergabe des zwischenmenschlichen Bezuges besteht, daß es nur kennt, was in dieser Sphäre aufleuchtet.« (1978 [i9j6]:i7) Sämtliche von Szondi beobachteten »Krisen« des modernen Dramas problematisieren formal oder inhaltlich dieses Strukturmerkmal. Auch die semiotische Dramentheorie mit ihrem systematischen Ansatz will und kann an diesem Grundpfeiler nicht ernsthaft rütteln. So stellt Manfred Pfister fest: »Figurenrede, und vor allem die dialogische Figurenrede, ist [...] die sprachliche Grundform dramatischer Texte. [...] Der Dialog [...] ist im Drama der grundlegende Darstellungsmodus.« (1977:23^) Sowohl Szondi als auch Pfister relativieren im Laufe ihrer Untersuchungen ihre apodiktischen Feststellungen zwar,37 dennoch bleibt der Dialog, auch wenn er im Drama selbst 37
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Fraglich ist, ob die von Szondi konstatierte geschlossene, dem Primat des Absolut-Dialogischen gehorchende Dramenwelt dramen- und theatergeschichtlich in dieser Reinform von der Renaissance bis zum ausgehenden 19. Jahrhundert intakt blieb. Szondi geht es aber darum, eine normative Folie zu entwerfen, damit die verschiedenen von ihm postulierten »Rettungs- und Lösungsversuche« des modernen Dramas als Widerspiegelung der sozialen Entfremdungsprozesse überhaupt Konturen gewinnen können. Manfred Pfister relativiert die Absolutsetzung des dramatischen Dialogs als Beispiel einer »normativen Poetik des Dialogs« und verfolgt ein »deskriptives« Verfahren, in dem Dialog nur eine Form der Informationsvergabe im Drama ist. ( 1 9 7 7 : 1 9 6 )
problematisiert und thematisiert wird, die sprachliche Dominante der Theatergattung Drama, und jede Abweichung von dieser Norm - sei es durch Episierungstendenzen, durch Sprachkritik wie etwa bei Horváth oder Pinter, oder durch die Enthüllung der Sinnlosigkeit dialogischer Kommunikation bei Ionesco und Beckett - , bestätigt nur diese dominante Stellung. Im Kontext postkolonialer Theaterexperimente und der Auseinandersetzung indigener Dramatiker mit der westlichen Dramenform stellte sich die Verabsolutierung des Dialogs als Herausforderung und als Provokation dar. Jeder Versuch, die westliche Dramenästhetik synkretisierend zu infiltrieren, mußte sich mit dem Dialog als Dominante auseinandersetzen. Dies zeigt sich in der Theatertheorie H. I. E. Dhlomos, der versucht, in traditionellen Darstellungsformen »dialogische« Momente zu entdecken. Ähnliche Versuche finden sich in der Theatertheorie nigerianischer Theoretiker wie Ola Rotimi und J. A. Adedeji, die bei ihren Untersuchungen zu afrikanischen Theatralitätsphänomenen auch nach dialogischen Strukturen fahnden. In synkretischen Theatertexten sind drei Abweichungsmodi von dieser gattungskonstituierenden Norm festzustellen, wobei allerdings der Dialog in nur wenigen der hier untersuchten Texten als »grundlegende[r] Darstellungsmodus« ernsthaft gefährdet ist. Die wichtigste dieser Abweichungen stellt die Oralität dar. In nahezu allen vor-schriftlichen Kulturen erfüllten Formen des Geschichtenerzählens und der rhetorischen Redekunst viele der Funktionen des Theaters. Als zweiter nondialogischer Modus sind verschiedene Formen lyrisch-musikalischer Gesänge oder Versformen, die in orale Darbietungen integriert sind, zu nennen. Hier bedienen sich Autoren der Formalität des Gesanges bzw. der Lyrik, um analoge Strukturmerkmale indigener Kulturtexte wiederzugeben. Eine dritte Abweichung von dialogischen Strukturen findet man in der gelegentlichen Verwendung paralinguistischer Zeichen,38 die sich in Form von bewußten und erkennbar kulturspezifischen Vokalisierungen äußern. Von Interesse sind solche paralinguistischen Zeichen bzw. Vokalisierungen, die aufgrund ihrer kulturspezifischen Semantisierung als bedeutungstragend betrachtet werden können. Sie sind im Theatertext niedergeschrieben und transportieren eine kulturspezifische Aussage. Die Erzählung wird durch paralinguistische Zeichen interpunktiert und kommentiert. Indigene Erzähltraditionen verfügen über eine zumeist intakt überlieferte Darstellungsästhetik, die sich weitgehend auf das Theater übertragen läßt. Oralität und orale Literatur stellen also neben dem mit nichtschriftlichen Völkern assozi'8
Paralinguistische Zeichen umfassen eine große Bandbreite an Phänomenen wie Stimmqualität, Intonation, Stimmgeräusche, Vokalreflexe (Niesen, Gähnen, Husten usw.) sowie bewußte Vokalisierungen wie Lachen, Weinen, Hauchen. Zur Relevanz dieser Sprachmerkmale für die Theatersemiotik vgl. Fischer-Lichte Vor allem hebt Fischer-Lichte die »Interkorrelationsverhältnisse« zwischen paralinguistischen, linguistischen und kinesischen Zeichen hervor, die die Bedeutungserzeugung durch paralinguistische Zeichen potenzieren (19833:47). Grundlegende Ausführungen zu paralinguistischen Merkmalen finden sich auch bei Elam (1980:78-83).
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ierten Tanz- und Liedgut einen wichtigen Komplex an Kulturtexten dar, die sich in das westliche Theatersystem integrieren lassen.3? O b orale Darstellungen in wesentlichen Punkten dramatisch-theatrale Elemente im westlichen Sinne der Rollenverkörperung a u f w e i s e n , i s t für das synkretische Theater von geringer Bedeutung. Bei der Integration von Oralität geht es im Theatersynkretismus vorrangig um eine Anknüpfung an existierende kulturelle Praktiken, die sich theatralisieren lassen und dabei einen zusätzlichen ästhetischen Transformationsprozeß durchlaufen.41 Auf die Signifikanz darstellungsästhetischer Elemente in der Darbietung von Erzählungen weist Harold Scheub in seiner Studie über die Erzählform ntsomi des südafrikanischen Xhosa-Stammes hin: The >language< of this artistic performance involves much more, then, than the word. It includes the relationship with the audience, the nuance of the hand, the movement of a hip, the subtlety of the face, the range and variety of human sounds, the rhythmic use of language; it includes physical touch, a sudden and fleeting bit of mime, a dancing-inplace. [- - •] It involves the blending of gesture and word, of dance (body movements) and song, so that they become so closely interwoven that it is impossible to speak of one without treating the other. (1975:14) 4 1 "
Neben der traditionellen ethnographischen Beschäftigung mit Oralität als wichtigster Uberlieferungsform von Mythen hat Albert Lords Studie zum homerischen Epos der Oralitätsforschung wichtige Forschungsimpulse gegeben. Albert B. Lord, The Singer of Tales, (Cambridge, Mass.: Harvard Univ. Press i960). Lord argumentiert, daß die homerischen Epen Produkt eines oralen Schaffensprozesses waren. Dies zeige sich vor allem aufgrund der verwendeten »formulaic technique« der homerischen Verse. Diese textexegetische Feststellung untermauert Lord mit Ergebnissen ethnographischer Forschung zu der oralen Dichtung Jugoslawiens, wo er in den dreißiger und fünfziger Jahren Feldforschungen durchführte. Hier konnte er die poetologischen und performativen Prinzipien einer noch lebenden oralen Dichtungstradition untersuchen. Grundlage dieser nachweislich improvisatorischen Kompositionstechnik bildeten festgelegte »Formeln«, d. h. stereotypisierte Verstrukturen und Themata. Unabhängig von seiner Bedeutung für die Homerforschung wurden diese Erkenntnisse grundlegend für die sich entwickelnde Oralitätsforschung. Zur literaturwissenschaftlichen Oralitätsforschung und zur Wirkung von Lords Thesen vgl. auch Walter Ong, Orality and Literacy: The Technologizing of the Word, (London: Methuen 1982).
4° Dramatisch-theatrale Aspekte afrikanischer Oralität behandelt Ruth Finnegan in ihrer grundlegenden Studie über die orale Literaturtradition Afrikas nur in geringem Maße; Oral Literature in Africa, (London: Clarendon Press 1970), vgl. bes. das Schlußkapitel. Finnegans Definitionsschema beruht hauptsächlich auf dem Begriff der Rollenverkörperung, die ihren Untersuchungen zufolge bei der oralen Literatur kaum festzustellen sei. •t1 Auf das Bindeglied zwischen traditioneller Funktion der Oralität und ihrer Integration in die westliche Theaterform verweist H. I. E. Dhlomo. Bereits in den dreißiger Jahren hat Dhlomo die orale Tradition der izibongi der Zulu als theatrale Form identifiziert und analysiert. Neben der von ihm festgestellten >dramatischen< Grundstruktur dieser Erzählungen sei die Darbietungsweise in hohem Maße theatralisch gewesen, was auf eine Funktionalisierung in einem künftigen afrikanischen Theater hindeute; vgl. auch die Ausführungen zu Dhlomos Theatertheorie in Kap. 6. 42 Zur besonderen Bedeutung von Körperbewegung in den oralen Darstellungen der Xhosa, vgl. Scheubs Aufsatz, »Body and Image in Oral Narrative Performance«, New Literary History 8:3 (1977), 345-367.
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Was Scheub hier schildert, ist die Wechselwirkung aller wichtigen theatralen Kodes und Zeichen, die nicht technologischer Natur sind. Die Erzählung bzw. Darbietung eines «iiowi-Märchens entspricht eher einer Aufführung, in der die Gesamtheit sprachlicher, gestischer, musikalischer und proxemischer Zeichen eine Einheit bildet und auf eine bestimmte Rezeptionssituation hin gerichtet ist. Das heißt, neben den hier enthaltenen darstellerischen Kodes korrespondiert auch der performative Kontext zu einer Theateraufführung im westlichen Sinne. Vor allem der Funktion der Lieder und Gesänge·*' in diesen oral performances mißt Scheub eine zentrale Bedeutung bei. Uber die sprachlichen und gestischen Kodes hinausgehend erfülle der musikalische Kode von Liedern und Gesängen eine quasi strukturelle Funktion: Musik schaffe eine besondere Ausdrucksebene von emotionaler Intensität, der mit sprachlichen Mitteln nicht beizukommen sei. Daß in synkretischen Texten mit starkem Oralitätscharakter Gesänge oder lyrische Einlagen eine analoge strukturelle Funktion erfüllen können, soll im vorliegenden Kapitel demonstriert werden. Im Hinblick auf die Darstellungen von Emotionen und Handlungen in den Gesängen und Liedern unterstreicht Scheub, daß der musikalische Kode zum theatralen Charakter der ntsomi beiträgt und das epischberichtende Element abschwächt. Im folgenden soll die Analyse von Oralität in synkretischen Theatertexten nach darstellungsbezogenen Kriterien erfolgen. Zu untersuchen ist also, wie indigene Themata durch den Einsatz von Oralitätselementen vorgestellt und gleichzeitig indigene Kulturzeichen formal zum Ausdruck gebracht werden. Es geht also um aufführungsbezogene Elemente und weniger um Handlungsanalysen. Daß traditionelle Oralitätsformen in der heutigen schwarzen Township-Kultur Südafrikas noch lebendig sind und sich daher in den dort entstandenen Theaterstücken niederschlagen, wird immer wieder betont. So verweist David Copian (1985) in seiner Studie über die performance culture der südafrikanischen Townships auf die synkretische Vermischung traditioneller Darstellungsformen mit den neuen ästhetischen Konventionen der Urbanen Kultur. Dieser Analyse zufolge werden traditionelle orale Formen wie die «isorm-Märchen oder Zulu izibongi nur noch mittelbar im Urbanen Kontext eingesetzt. Das mit diesen Erzählformen verbundene und von Scheub ausführlich geschilderte rhetorische Potential bleibt nach wie vor erhalten und schlägt sich in der Township-Ästhetik nieder. Auch der südafrikanische Regisseur Mark F l e i s h m a n ( 1 9 8 9 ) 4 4 bezeichnete die Oralität als primären Darstellungs- und Vermittlungsmodus im Township Theater. Darüber hinaus spiele sie als Arbeitsmethode für die Erarbeitung von 43 Zur Funktion der Lieder und Gesänge schreibt Scheub: »Their most potent use is at the height of crises, when the artist seems to have no recourse but to express herself in song. Spoken words alone do not sufficiently communicate the feelings the artist is attempting to project. [...] Songs and chants recapitulate action, precipitate crises, and reveal extreme emotions [...] [They] reveal rather than state emotions and actions.« (1975:50-54) 44 Mark Fleishman, »Workshop Theatre as Oppositional Form«. Unveröffentlichtes Referat, gehalten im Rahmen der Tagung »Theatre and Politics in South Africa«, Bad Boll, 13.12.1989.
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Stücken in einer Workshop-Situation eine unverzichtbare Rolle. WorkshopTheater sei wesentlich eine orale Theaterform und daher der Hegemonie literarischer Formen entgegengesetzt. Das Workshop-Theater als Arbeitsform des Township-Theaters sei daher eine Art Vermittlungsinstanz zwischen oralen und schriftlichen Kulturen. Ähnlich urteilt Keyan Tomaselli in seiner Untersuchung zur Semiotik des alternativen Theaters in Südafrika, womit in erster Linie politisch engagiertes, schwarzes Theater gemeint ist: »committed theatre grows, expands and is nurtured by the very fact that it is, by and large, oral in tradition, construction and rendition.« (1981:18)+^ Die Formulierung »oral in construction« bezieht sich auf die improvisatorische Erarbeitung von Textvorlagen im Township-Theater. Die Bedeutung der Improvisation im Entstehungsprozeß des Township-Theaters ist ein Verbindungselement zwischen avantgardistischen Theatertechniken der GrotowskiSchule, in Südafrika vor allem durch die Theaterarbeit Athol Fugards vertreten, und dem per definitionem improvisatorischen Spielmodus oraler Darstellungen, die in einigen südafrikanischen Ethnien wie den Zulu und Xhosa eine wichtige Darstellungsform sind. Im zeitgenössischen Township-Theater spielt der Erzählmodus eine zentrale Rolle, gelegentlich hält er sich sogar die Waage mit dialogischen Strukturen. Prägend für die Entwicklung des Township-Theaters der achtziger Jahre war die Anfang der siebziger Jahre von Athol Fugard, John Kani und Winston Ntshona improvisatorisch erarbeitete Workshop-Produktion Sizwe Bansi is Dead.*6 Ein Monolog, in dem John Kani in der Maske verschiedener Rollen seinen Arbeitsalltag und seinen Weg zum selbständigen Fotografen beschreibt, konstitutiert die erste Hälfte des Stücks. Dabei imitiert er Akzente und Gestik dieser Figuren, singt afrikanische Lieder und bedient sich eines ausgeprägt pantomimischen Darstellungsstils. Die sprachliche und gestische Partitur, die im veröffentlichten Text festgehalten ist, entstand primär aus John Kanis Improvisationen, die dann in einem zweiten Probenstadium konkretisiert wurden, wie Fugard ausführt: »we then applied ourselves to disciplining and structuring it so that the gesture, word, or event was capable of controlled repetition.« (Fugard et al. i974:xii) Weisen Fugards theatertheoretische Äußerungen auch eine Tendenz zur Universalisierung auf - als Bezugspunkte nennt er den griechischen Mythos und Grotowski - , so verraten doch die mit Kani und Ntshona kollektiv erarbeiteten Werke eine Verwurzelung in den kulturspezifischen Erfahrungen der schwarzen Schauspieler.47 Diese Referentialität zielt nicht allein inhaltlich auf das in den
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Allerdings wehrt sich Tomaselli zurecht gegen einfache terminologische Unterscheidungen in >schwarzweißAfrikaans< usw., was die ideologischen Dualismen der südafrikanischen Apartheid-Gesellschaft nur perpetuiere und der über Rassenschranken hinweg kooperativen Theaterpraxis nicht gerecht werde. (1981:15) Sizwe Bansi is Dead wurde am 8. Oktober 1972 am Theater »The Space« in Kapstadt uraufgeführt. Veröffentlichung in: Athol Fugard/John Kani/Winston Ntshona, Statements: Three Plays, (Oxford: Univ. Press, 1974). Zur Kritik an dieser Zusammenarbeit vgl. Robert Kavanagh (Mshengu): »Kani und
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Statement-Stücken explizit thematisierte politische Erfahrungsfeld des Apartheidstaates ab, die schwer zu beschreibende Anknüpfung zeigt sich vor allem auf formaler Ebene in einer Darstellungs- und Spielweise, die eben nur den schwarzen Südafrikanern eigen ist. Daß ein schwarzes Publikum auf Kanis halbstündigen Monolog besonders differenziert regierte, bestätigt Fugard anläßlich einer Aufführung in dem Township New Brighton: »Wie kein Publikum zuvor erkannten sie die Nuancen dessen, wovon John redete, und konnten jede örtliche Anspielung begreifen und feiern.«*8 Mehrere europäische und afrikanische Darstellungstraditionen treffen sich in dem wohl bekanntesten Township-Stück Woza Albert! und bilden einem Gattungskomplex, der sich nicht ohne weiteres entwirren läßt. Temple Hauptfleisch konstatiert: Woza Albert! employs the commedia dell'arte style as frame, but emphasizes the narrative element in a way reminiscent of ntsomi usage - but utilizing two narrators and thus setting up dramatic interchanges in something like vaudeville fashion. (1987:185)49
Spuren des zu den oralen Darstellungsformen zählenden indigenen Kulturtextes ntsomi sind zwar deutlich feststellbar, jedoch in einer für das synkretische Theater charakterischen Form: Die generischen Grenzen zwischen Commedia dell'arte, ntsomi und Vaudeville verwischen so sehr, daß die individuellen Komponenten sich nicht mehr sauber herauslösen lassen. Dabei gibt es durchaus einzelne Segmente, die sich der einen oder anderen kulturellen Provenienz zuordnen lassen. Ein Beispiel für die Verwendung der typisch afrikanischen Form der oral performance findet sich in Szene 13 von 'Woza Albert!, in der ein alter Zulu von dem Massaker an dem Burenführer Piet Retief durch den Zulu-Häuptling Dingane*° erzählt. Neben den inhaltlichen Aspekten - die Darstellung eines historischen Ereignisses aus der Perspektive eines Zulu und die Gleichsetzung der buriNtshona's real knowledge and masterful depiction of the life of black people in the Eastern Cape is weakened by their acceptance of Fugard's interpretation of it.« (1982:176) 48 Athol Fugard, »Sizwe Bansi is Dead«, in: A Night at the Theatre, ed. Ronald Harwood, (London: Methuen 1983), 26-32; zitiert hier nach der deutschen Ubersetzung: »Sizwe Bansi ist tot«, Sinn und Form Heft 2 (1983), S. 450-453; hier S.452. 49 Vgl. z.B. den Artikel von Anne Fuchs zu dem Township-Theaterstück Woza Albert!: »Re-creation: one aspect of oral tradition and the theatre in South Africa«, Commonwealth 9:2 (Spring 1987), 32-40. Fuchs argumentiert, daß die Handlungsstruktur des Stückes auf die Struktur von »folk-tales« der Zulu zurückzuführen sei. Diese These gilt auch für Mbongeni Ngemas Stück Asinamalü, das wie Woza Albert! episodisch ist und gleichfalls auf eine dramatische Struktur verzichtet. Das ganze Stück ist auf einer Erzählstruktur aufgebaut, in der Narrativik und Oralität zentral sind. Unübersehbar ist zugleich eine Dominanz gestischer und proxemischer Zeichen, die das Spiel und den Erzählduktus als kulturspezifisch-afrikanisch auszeichnen. 5° Am 6. Februar 1838 wurde der Treckführer Piet Retief mitsamt seiner Gefolgschaft von Dingane ermordet, als sie im Zulu-Hauptquartier über eine Verbesserung der Beziehungen zwischen Buren und Zulus verhandelten; vgl. Jörg Fisch, Geschichte Südafrikas, (München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1990), S. 134. M}
sehen Apartheid-Politik mit dem von den Buren nicht gerade verehrten ZuluFührer Dingane - sind es vor allem die für afrikanische Oralität charakteristische Verwendung von gestischen und kinästhetischen Zeichen sowie die Interpunktion des Erzählaktes durch Gesang, die diese Erzählung zu einem Beispiel kulturauthentischer oral performance
machen. Zur Analyse der Parallelität von
Sprache, Gestik und Kinästhetik wird diese Szene im folgenden in vollem Wortlaut wiedergegeben. Dabei sind dem gedruckten Text Hinweise auf die den Erzählvorgang begleitenden gestischen Zeichen gegenübergestellt.'1 TEXT
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SCENE THIRTEEN Lights up on Mbongeni entering as a fragile, toothless old man. He sits throughout the following action. He settles on the boxes, attempts to thread a needle. His hands tremble but he perseveres. He succeeds on the third, laborious attempt and begins to sew a button on his coat.
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10 MBONGENI ( h u m m i n g ) · .
Bamqalokandaba bayimpi Heya we-bayimpi izwelonke Ngonyama ye zizwe Ohlab'izitha
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UNdaba bamgwazizwe lonke okazulu Amambuka nkosi 20
Mbongeni becomes aware of the invisible interpreter. Laughs kncfwlingly. Grundlage ist eine Fernsehaufzeichnung des Stückes. Es handelt sich um den von der B B C hergestellten Dokumentarfilm Woza Albert!. Dieser Film enthält neben kompletten Szenen auch Mitschnitte aus Theateraufführungen des Stückes, sowie Interviews mit den Darstellern und Autoren Percy Mtwa und Mbongeni Ngema. Zudem gibt es dokumentarische Sequenzen, in denen die echten Vorbilder für einige der im Stück vorkommenden Figuren vorgestellt werden. Dazu gehört der alte Zulu, der die Geschichte von Piet Retief erzählt. Die zitierte Szene gehört zu mehreren, in denen Schwarze aus verschiedenen Lebensbereichen von einem unsichtbaren Fernsehinterviewer befragt werden, was wohl passieren würde, wenn Jesus Christus (Morena) heute nach Südafrika kommen würde.
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MBONGENI {speaking): Eh? What would happen to Morena if he comes to South Africa? What would happen to Morena is what happened to Piet Retief! Do you know Piet Retief? The big leader of the white men long ago 1 , the leader of the Afrikaners! Ja! He visited Dingane, the great King of the Zulus! When Piet Retief came to Dingane, Dingane was sitting in his camp with all his men. And he thought, >Hey these white men with their guns are wizards. They are dangerous !< But he welcomed2 them with a big smile. He said, he said, >Hello. Just leave your guns outside? and come inside and eat meat and drink beer.< Eeeeeii! That is what will happen to Morena today! The Prime Minister will say, just leave your angels outside and the power of your father outside and come inside·* and enjoy the fruits of apartheid. And then, what will happen to Morena is what happened to Piet Retief when when he got inside.' Dingane was sitting with all his men in his camp, when Piet Retief came inside. All the Zulus were singing and dancing ... Bamqalokandaba bayimpi .... (Repeats snatches of the—song)—And—aH—the—time Dingane's men were singing and dancing,—(Proudly)—they were waiting for the signal from their king. And Dingane just stood up ... Ile spit on the ground. l i e hit his—beshu—and—he—shouted, 'Bulalan'abathakathi.—KiH—the· wizards! Kill the wizards! Kill the wizards!—And—Dingane's—men
Näht weiter 1 Andeuten einer Distanz mit der Hand
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Herbeibitten mit den Armen, dann Arme majestätisch über der Brust verschränken 3 Abwechselnd wegschickende und einladende Handbewegungen
* Locken mit dem Zeigefinger
5 Steht auf; weitausgestreckte Arme; Zusammenklatschen der Hände; stoßende Bewegung mit Fäusten; gestisches Durchschneiden der Kehle
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tame with all their spears. (Mimes throat-slitting, throwing of bodies*) Suka! That is what will happen to Morena here in South Africa. Morena here? (Disgusted) Eeii! Suka! 6 (1986:17^.
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* Diese Textpassage wurde in der Fernsehfassung weggelassen 6
Abgang mit drohendem Zeigefinger
Aus einer Alltagssituation entwickelt sich die Erzählung einer historischen Begebenheit, die sich aufgrund der Verflechtung verschiedener Zeichensysteme Sprache, Gesang, Gestik - auf der Bühne in ein verbales Kunstwerk verwandelt. Dell Hymes hat diesen Vorgang treffend als »breakthrough into performance« bezeichnet (Hymes 1 9 8 1 p 2 Aus jeder Alltagssituation kann sich eine solche oral performance ergeben, ohne daß ein formaler Anlaß notwendig wäre. Wichtig für ihre Konstituierung sind vielmehr bestimmte verbale, musikalische oder gestische Indikatoren, die darauf hinweisen, daß ein performativer Erzählmodus gewählt wird. Bei unserem Beispiel findet der Ubergang durch den Tempuswechsel vom Präsens in die Vergangenheitsform in Zeile 24 statt: An dieser Stelle beginnt der alte Mann auch eine vom vorausgehenden Teil abgesetzte gestische Sprache zu benutzen. Bis zu diesem Punkt war seine Gestik auf konkrete Vorgänge, nämlich das Einfädeln einer Nadel und das Nähen gerichtet, sobald er aber mit dem eigentlichen Erzählakt beginnt, bricht er diese Aktion ab und verwendet fortan emblematische bzw. indexikalische Handzeichen, die bestimmte Sequenzen seiner Geschichte unterstreichen bzw. nonverbal ersetzen. Vollkommen sprachersetzend wird die Gestik bei Zeile 4of., wo die Darstellung des Massakers ausschließlich mit Hilfe gestischer Zeichen angedeutet wird. " Den darstellerischen Aspekt der oralen Tradition, derer sich der alte Mann bedient, indiziert auch die Tatsache, daß er an diesem Punkt aufsteht, um die Aktionen kinästhetisch auszuagieren. Oralität als Darstellungsform spielt auch im synkretischen Theater der Karibik eine zentrale Rolle. Eloquenz und eine theatrale Erzählweise gehören sicherlich zu den »Relikten« afrikanischer Kultur, die sich über den »middle passage« (den Weg der Sklaven von Afrika in die Neue Welt) hinüberretten konnten und in der s2
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Analoge Situationen analysiert Hymes bei den Erzählungen der Indianer der N o r d west-Pazifik-Küste. In dem Kapitel »Breakthrough into performance« versucht et, Kriterien auszuarbeiten, die eine Differenzierung zwischen Sprachverhalten im Alltag und dem, was er »performance in füll« nennt, zuläßt (1981:84). In einem ausführlich analysierten Beispiel bezeichnet er den Kodewechsel von der englischen zur indigenen Sprache als Zeichen für »the breakthrough into full performance.« (1981:90) Bei allen seinen Untersuchungen beschränkt sich Hymes jedoch auf linguistische Zeichen und berücksichtigt andere Zeichensysteme nicht. Die Divergenz zwischen dem gedruckten Text und der Aufführung im Fernsehfilm ist hier auffällig, obwohl auch bei der Druckfassung die Schilderung des eigentlichen Massakers der gestischen Sprache überlassen ist.
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Neuen Welt heimisch wurden. Der Ethnograph und \folkskundler Roger D. Abrahams hat das Phänomen der Oralität als performance sowohl unter den Schwarzen in den USA als auch in der Karibik eingehend untersucht. Abrahams konstatiert in der afro-karibischen oralen Kultur eine Tiefenstruktur, nicht nur in bezug auf den Inhalt der Erzählungen, sondern auch was die ästhetische Organisation der den Erzählvorgang begleitenden Darstellungen betrifft. Zur besseren Orientierung des Publikums seien solche Darstellungen hoch konventionalisiert, und diese Konventionen bestimmten Form, Inhalt und die Beziehungen zwischen Darstellern und Zuschauern: Folklore is constructed of conventional materials, and these conventions organize performance in the areas of form, content, imagined roles and role-relationships, and in relationships between participants in the aesthetic transaction. Because the performance is public and unrecorded, the audience must have a constant sense of orientation; that is, they must be aware at all times at what stage they are in the performance. H
Vergegenwärtigt man sich, daß diese Organisation in ihrer kontraktualen Struktur Analogien mit dem contrât théâtral zuläßt, dann ist es nicht verwunderlich, daß Dramatiker auf solche kulturell festgelegten Strukturen zurückgreifen und sie in ihre Dramaturgie einbeziehen. Das Adaptationspotential der oralen Volkskultur und die ihr innewohnende Theatralität fielen dem Dramatiker und Regisseur Derek Walcott bereits in den fünfziger Jahren auf. In Interviews und Aufsätzen wies Walcott mehrfach darauf hin, daß Mündlichkeit ein wichtiger Bestandteil karibischer Volkskultur und seiner persönlichen Erfahrungswelt sei. Walcott betrachtet den Erzähler in vorschriftlichen Kulturen als einen »narrator as performer«. Diese Funktion sei aufgrund von Armut, Isolation und Analphabetismus in der Karibik bis in die heutige Zeit lebendig. Mündlichkeit stehe in dieser Kultur in enger Verbindung mit den perkussiven Rhythmen der afrikanischen Trommel, der natürlichsten Begleitung der menschlichen Stimme: If one begins to develop a theatre in which the drum provides the basic sound, other things will develop around it, such as the use of choral responses and dance. If we add to this the fact that the story-teller dominates all of these, then one is getting nearer to the origins of possibly oral theatre, but certainly African theatre. Oral theatre may be
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Roger D . Abrahams (1970:164). Abrahams prägte den Begriff »men-of-words«, um diese Darstellungen verbaler Schicklichkeit als Merkmal afro-amerikanischer Kultur zu bezeichnen. E r verweist auch auf den afrikanischen Ursprung des Phänomens: vgl. (1970:179) und die dort angegebene weiterführende Literatur. O b w o h l Abrahams unentwegt von »performance« spricht, relativiert er in einer späteren Untersuchung (1983) die Theater-Analogie bzw. das, was er die dramatistische Metapher nennt: »They [»story-telling« und »speech-making«] are performances to be sure, and they do approach theatre - even great theatre - at certain points. But the personae taken by the men-of-words in each case differ from those of stage characters, and the qualities of these enactments differ precisely because they are not theatrical but engage the audience in an entirely different manner.« (i98j:xxxi)
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Greek, or Japanese, or West Indian, depending on the shape percussion takes. (Walcott 1979*97)" Walcotts Adaptierung der mündlichen Tradition seiner Heimat, der Insel St. Lucia, schlägt sich am deutlichsten in dem märchenhaften Stück Ti-Jean and his Brothers (1957) nieder. Es ist sein erster synkretischer Theatertext, der nach Walcotts Einschätzung maßgeblich von der afro-karibischen oralen Tradition »the African art of the story-teller« (1970a:/) - beeinflußt wurde. Dieser Einfluß zeigt sich in der dreiteiligen Struktur des Werkes, die laut Walcott der triadischen Grundstruktur der Märchenform verpflichtet sei. Neben solchen strukturellen Analogien - die Handlung von Ti-Jean basiert auf einer Rahmenhandlung, in der sich Tiere aus dem Wald versammeln und eines davon, der Frosch, eine Geschichte über die Menschen erzählt - arbeitet Walcott mit anderen, eher performativen Kunstgriffen der Oralität. So beginnt der die eigentliche Handlung einführende Prolog mit dem in der mündlichen Erzählkultur der Karibik vereinbarten verbalen Zeichen, dem Crick-crack. U m aristophanisch-ironische Bezüge zum Chor der griechischen Komödie herzustellen, wandelt Walcott das
Crick-crack-Zei-
chen' 6 leicht ab: FROG: Greek-croak, Greek-croak. CRICKET: Greek-croak, Greek-croak. [The others join] FROG: [sneezing] Aeschylus me! All that rain and no moon tonight. CRICKET: The moon always there even fighting the rain. Creek-crak, but moon always there And Ti-Jean in the moon just like the story. (1970:85) Diese ersten Worte des Stückes signalisieren, daß eine folk-tale erzählt wird, genauer gesagt handelt es sich um die Untergattung der Anansi-Geschichte, bei der in der Regel eine Trickster-Figur im Mittelpunkt steht.' 7 Indem er auf eine bestehende Kulturform anspielt, knüpft Walcott an eine dem karibischen Publikum "
In einem anderen, im selben Jahr entstandenen Interview mit Edward Hirsch betont Walcott, daß diese orale Tradition in der Karibik noch lebendig sei und seine Anknüpfung daran keineswegs als Anachronismus oder als literarisierender Wiederbelebungsversuch zu werten sei, sondern eine Formalisierung und Strukturierung bereits vorhandener Elemente für das Theater darstelle: »I was lucky to be born as a poet in a tradition that uses poetry as demonstration, as theatre [...] I am someone who is simply coming out of a tradition and trying to formalize that tradition in terms of the necessity for structure in theatre.« (i979a:286) s6 Dieses Zeichen, das den Anfang einer Geschichte signalisiert, wird durch ein konventionalisiertes Gegenzeichen erwidert. Der Ausruf »Crick-Crack« dient vor allem dazu, bei einer Menschenmenge die Aufmerksamkeit auf den Erzähler zu lenken; vgl. Roger Abrahams: »Commonly, then, the one who began the song leaps up and proclaims >Crick-crack!Rockland come!crick-crack< a number of times before the response occurs« (1983:169). '7 Zu den im ganzen afro-karibischen Kulturraum verbreiteten Anansi-Geschichten vgl. Abrahams: »Like trickster figures everywhere, Nansi is clever with words and with transforming and bewitching performances in general. Although he is small and childlike, he manages to trick those larger and supposedly wiser.« (1983:170) 148
wohl bekannte thematische Erzählgattung an. Zugleich läßt er mit einem einzelnen verbalen Zeichen einen ganzen performativen Kontext entstehen. Das mit der Konvention vertraute Publikum erwartet neben der Darbietung einer Geschichte über Schlauheit und Raffinesse auch Musik und Tanz.' 8 Trotz ihres witzig-klugen Inhalts liegt solchen Geschichten ein ernster Ton zugrunde. Zum einen geht es im Inhalt meistens um Leben und Tod. In Ti-Jean etwa fordert der Teufel die drei Brüder Gros-Jean, Mi-Jean und Ti-Jean heraus: Wer dem Teufel zu einem menschlichen Gefühl verhelfen kann, wird mit Reichtum und Frieden belohnt; wer dabei versagt, muß sterben. Zum anderen rührt der ernste Grundton von dem Erzählkontext her: recht häufig werden diese Volksmärchen während Beerdigungsfeiern wie Nine-Night-Zeremonien zur Unterhaltung der Toten erzählt. Das Sujet Leben und Tod findet sich im Aufführungskontext wieder. Die Verbindung zum Ubernatürlichen wird durch verbale Formeln hergestellt, deren »Zauberkraft sprachlich bedingt ist und durch die Art und Weise ihrer performativen Ausführung wirksam wird. Als dramaturgischer Ubergangsmodus zwischen den verschiedenen Realitätsebenen fungieren vor allem Lieder. In Ti-Jean ist es der kreolische Sprechgesang der Teufel, der einen solchen Übergang signalisiert: Bai Diable-là manger un'ti mamaille, U n , deux, trois 'ti mamaille! Bai Diable-là manger un'ti mamaille, U n , deux, trois 'ti mamaille! ( 1 9 7 0 : 1 3 1 )
Bei den zitierten Versen handelt es sich um einen authentischen Kulturtext aus den Neujahrs-Maskeraden auf Walcotts Heimatinsel St.Lucia.59 Lieder wie diese gehören zum festen Bestandteil der Aufführungsstruktur der karibischen Oralkultur, und normalerweise werden dabei die Zuschauer vom Erzähler aufgefordert, mitzusingen. 60 Die Funktion der Oralität bei Ti-Jean umfaßt also verschiedene Bereiche. Zum einen werden kulturspezifisch erkennbare Texte und Zeichen mit Signalfunktion verwendet, um beim Publikum eine bestimmte Erwartungshaltung zu erwecken. Zum anderen bilden die Konventionen der Oralität eine dramaturgische Rahmenstruktur, in der Figuren aus der afro-karibischen Mythologie lebendig werden können. Die Funktion der Oralität erschöpft sich in diesem Stück nicht im Einlagecharakter, wie bei Woza Albert!, sondern sie bestimmt Inhalt, Aufbau und Darstellungsweise des Werkes. s8
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Auf die Verbindung von Musik, Tanz und Oralität in der Karibik weist Abrahams hin, vgl. (198 j : i 6 8 f . ) Daß diese drei Elemente normalerweise zusammen auftreten, geht aus Walcotts Bemerkungen hervor, vor allem (1979:297). N a c h Rawle Gibbons wird diese Maskerade >Bwa Bwa< genannt; das Lied markiert das Erscheinen und Verschwinden von Teufeln. (1979:207) A u f die >afrikanischen< Ursprünge dieser Erzähl- und ihrer damit verbundenen Gesangstradition weist Walcott in einem Zeitungsartikel hin: »What was there too, but was too deep to be acknowledged was the African art of the story-teller, a tradition which survived in my childhood through the figure of a magical, child enchanting aunt, [...] and those skin-prickling chants whose words may change, but whose mode goes as far back and even past the tribal memory.« (1970a)
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Im Aborigine-Theater von Jack Davis gehört die Anknüpfung an die Traditionen mündlicher Darstellungen zu den zentralen Synkretizitätsmerkmalen seiner Stücke. Das Erzählen von Geschichten erfüllt in seinen Stücken zwei Hauptzwecke. Erstens vermitteln sie eine Aborigine-Sicht der Kolonialgeschichte, eine alternative Historiographie, die in der mündlichen Uberlieferung lebendig geblieben ist. Zweitens setzt Davis die Performanz des Erzählvorgangs in Beziehung zu Darstellungskodes; sie sind also Teil der Darstellungsästhetik der Aborigines, sei es in einem eher traditionellen, oder in einem Urbanen Kontext. Die Bedeutung der Mündlichkeit in der vorkolonialen Aborigine-Kultur war schon immer an spezifische darstellerische Kodes gekoppelt. Ethnologen sprechen im Zusammenhang mit den Mündlichkeitsformen traditioneller AborigineKultur von »dramatic art« (Berndt & Berndt 1988:390), in der zwischen Erzähler und Zuhörern eine theateranaloge Kommunikationssituation etabliert werde, die zwischen den beiden Parteien einen Austausch von starker Unmittelbarkeit ermögliche: And in doing so he [der Geschichtenerzähler] has at his command all the local repertoire of gestures, hand and body movements, facial expressions, changes in tone, supplemented perhaps by embellishments of his own. [...] The actual words he uses are only a skeleton, a framework upon which the narrative itself is built up and comes to life. (Berndt & Berndt 1988:390)
Signifikant bei dieser Beschreibung ist die Unterscheidung zwischen einem überlieferten Darstellungskode (»local repertoire«) und dem Variationspotential des individuellen Künstlers (»embellishments of his own«). Oralität ist eine hoch konventionalisierte Kulturform, die sich aufgrund dieser Kodifizierbarkeit und Konventionalität in eine andere Kunstform wie das Theater integrieren läßt und dort als indigenes Zeichenmaterial erkennbar ist. Dabei muß die mündliche Tradition der Aborigines in verschiedene Kategorien ausdifferenziert werden. Neben den sakralen Uberlieferungen und Mythen aus der »Traumzeit« gibt es einen reichen Schatz an »profanen« Geschichten. Allerdings unterscheiden sich diese beiden Erzähltypen weniger inhaltlich als darstellungsästhetisch: Ein Stoff kann sowohl eine sakrale als auch eine profane Existenz haben. Die sakrale >Fassung< wird gesungen und getanzt, die profane Version dagegen in Prosa erzählt. Was den Schatz an profanen Begebenheiten angeht, so haben sie meist die Begegnungen und Konflikte zwischen Aborigines und Europäern zum Thema und bilden die Grundlage für die alternative Historiographie< der Aborigines. Ereignisse, die in der Geschichtsschreibung der Australier europäischer Herkunft nicht oder höchstens als Fußnoten vorkommen, werden bei den Aborigines als zentrale Momente der Geschichte ihres Volkes tradiert.6'
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Vgl. hierzu Muecke (1983). Muecke zitiert Beispiele solcher Geschichten, die nicht übersetzt, sondern in Aboriginal English wiedergegeben werden und konkrete Ereignisse thematisieren. (Vgl. S. 97ft.)
Eine eindrucksvolle Demonstration von Oralität als Darstellungsform und als Beispiel alternativer Historiographie findet sich in Jack Davis' historischem Stationendrama No Sugar (1986), das während der Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre spielt und die Internierung der Aborigines in dem berüchtigten Moore River Settlement zum Thema hat. Die enttribalisierten Aborigines S ü d w e s t - A u straliens, die vor allem dorthin deportiert wurden, kamen dort zum ersten Mal mit noch traditionell lebenden Aborigines aus dem N o r d e n des Landes zusammen. Den kulturellen Austausch zwischen beiden Gruppen zeigt Davis anhand eines corroboree-Festes,
in dem traditionelle Tänze aufgeführt, Körperbemalung
erklärt und traditionelle Geschichten erzählt werden. Bei einer dieser Geschichten, in der Billy, ein Aborigine aus dem Norden, über ein Massaker an seinem Stamm berichtet, kommt die Darstellungsästhetik der Oralität voll zum A u s druck und soll daher hier näher untersucht werden.
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[He [Billy] sits in silence. They watch him intently. JOE puts wood on the fire. He speaks slowly.] BILLY: Kuliyah1. [Miming pulling a trigger, grunting] Gudeeahb bin kill'em. Finish kill'em. Big mob, 1926, kill'em big mob my country. [Long pause] SAM: Nietjukc? BILLY: I bin stop Liveringa station and my brother, he bin run from Oombulgarri.'' [Holding up four fingers] That many days. Night time too. He bin tell me 'bout them gudeeah. They bin two, three stockman gudeeah. Bin stop along that place, Juada Station, and this one gudeeah Midja George, he was ridin' and he come to this river and he see these two old womans, koories, there in the water hole. He says, what you doin' here? They say they gettin' gugja.e [He mimes pulling lily roots and eating] Midja George say, where the mans? They over by that tree sleepin', and Midja George, he get off his horse, and he bin belt that old man with the stockwhip. He bin flog 'em, flog 'em, till that gudeeah, he get tired. Then he break the bottle glass spear, and he break the chuhel spear. [He grunts and mimes this] And that old man, he was bleedin', bleedin' from the eyes, and he get up and he pick up that one chuhel spear, and he spear that one Midja George. [He demonstrates violently] And that gudeeah, he get on his horse, he go little bit way and he fall of... finish ... dead. JIMMY: Serve the bastard right. BILLY: NO, no, no bad for my mob. Real bad. That old man and his two koories, they do this next day. [He indicates running away] Two gudeeah come looking for Midja George. They bin find him dead. [Silence] [Holding up a hand] a
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Ja· Europäer, Weißer Warum? Ich wohnte damals an der Liveringa Station und mein Bruder ist von Oombulgarri weggelaufen. Wurzeln von Seerosen
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Must be that many day. Big mob gudeeah. Big mob polijmans, and big mob from stations, and shoot 'em everybody mens, koories, little yumbahf [He grunts and mimes pulling a trigger] They chuck 'em on big fire, chuck 'em in river. [They sit in silence, mesmerized and shocked by BILLY'S gruesome story.] (Davis 1986:67-68.) f
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Diese scheinbar einfache Narrative enthält mehrere Diskurse, deren Provenienz von einer typisch synkretistischen Kulturvermischung zeugt. Diese Synkretizität zeigt sich in mehreren Zeichensystemen. Schon die von Billy verwendete Sprache setzt ihn von den anderen Aborigines ab. Der aus der Kimberley-Region stammende Aborigine Billy erzählt in Aboriginal English, einer Sprachvariante des Englischen, das von den meisten Aborigines verstanden, aber nicht notwendigerweise gesprochen wird. Nach Stephen Muecke handelt es sich bei dieser >Abweichung< von der Standardsprache um einen >subversiven Kode< unter den zahlreichen Sprachkodes in Australien.62 Billys Sprache bildet demzufolge einen eigenständigen Kode, der bereits Bestandteil der Aborigine-Kultur ist und nicht nur als schlechter Abklatsch weißer Kultur aufzufassen ist. Muecke weist auch auf die Existenz einer mündlichen Erzähltradition in dieser Sprache hin, die sogenannten »Kimberley stories«, denen Billys Geschichte vermutlich zuzuordnen ist. Schwer bestimmbar ist der Status des historischen Diskurses. Einerseits handelt es sich um eine wahre Begebenheit, andererseits spielt die Unterscheidung Tatsachen versus Fiktion, historisch versus ahistorisch, in der traditionellen Aborigine-Erzählkultur keine Rolle. Differenziert wird dort lediglich zwischen Geschichten aus der Traumzeit und denjenigen, die nicht zu dieser Kategorie gehören.6} Billys Bericht basiert auf der Erzählung seines Bruders und wäre im epistemologischen Rahmen der traditionellen Erzählkultur daher als >wahr< einzustufen. Zudem ist sie >fiktionalfiction.< Stories are either true (trustori) or of the dreaming. And to say they are true means to say that you were there, or you knew someone who was who gave you the story. [...] Just as the Broome Aborigines do not recognise a generic category >fictionhistoryofficial< sources, and so on.« (1983:95) I?*
form Theater dargestellt wird. Davis ist bemüht, die Historizität der erzählten Begebenheit6'· im westlichen Sinne zu belegen und zugleich die kulturelle Authentizität der Erzählweise darzustellen.6' Die Erzählung ist somit in drei Diskursen situiert. Die kulturelle Authentizität zeigt sich vor allem anhand der akribisch festgehaltenen gestischen und paralinguistischen Partitur der Darstellung. So spezifiziert Davis mehrmals das paralinguistische Zeichen »grunts« in Verbindung mit der pantomimischen Ausführung von entscheidenden Aktionen. Dieses paralinguistische Zeichen dient offenbar dazu, besondere pantomimische Aktionen zu verstärken, die ohnehin die sprachlichen Zeichen reduplizieren. Andere pantomimische Zeichen reduplizieren nicht, sondern ersetzen oder begleiten sprachliche Beschreibungen. Diese sprachbegleitende Gestik besteht hauptsächlich aus Illustratoren, die eine Darstellungsfunktion erfüllen. Nach der Klassifikation von Ekman und Friesens66 wären die meisten gestischen Zeichen als Kinetographen zu bezeichnen, d. h. als Bewegungen, die eine körperliche Aktion abbilden. Diese Kinetographen enthalten auch zum Teil piktographische, also abbildende, Elemente. Hierzu gehören die Zeichen des Abdrückens (Zeile 4, 45), das Pflücken und Essen von Seerosenwurzeln (Zeile 19), die Aktionen des Brechens eines Speers und des Stechens (Zeile 26,30). Emblematische Bewegungen sind kulturell kodifizierte Gesten, die verbale Aussagen illustrieren, wiederholen oder ersetzen. Dazu gehört zum Beispiel das Indizieren einer Zahl (Zeile 10, 41) oder das Wegrennen (Zeile 37). Unabhängig davon, wie man diese Gestik klassifiziert, verweist schon die Menge der Gesten auf ihre wichtige darstellerische Funktion. Anhand dieser präzisen szenischen Partitur lassen sich zumindest einige Grundelemente der Darstellungskodes der oralen Tradition rekonstruieren. In Materialien zu dem Stück weist Davis auf seine Quelle für Billys Geschichte hin: »Billy's account of the massacre of his people in the Kimberley region is adapted from a report of such a massacre by Daniel Evans, taken down verbatim by the novelist Randolph Stow and quoted in full in his book To the Islands, Picador, 1983.« (Davis 1986:117) 6 s Daß Davis selbst durchaus in historischen Kategorien denkt und schreibt, ist evident. Robert Hodge präsentiert in seinem Vorwort zu Barungin eine recht differenzierte Sicht der Historizität bei Jack Davis. Hodge konzediert, daß das abendländische Geschichtsmodell von Linearität und Kausalität der traditionellen Denkweise der Aborigines fremd sei. Für Jack Davis und andere Aborigines aber sei die Geschichte nur deshalb fremd, weil sie die koloniale Geschichte aus der Sicht der Aborigines verzerre. In der oralen Tradition finde sich eine alternative Historiographie: »Linear history is not alien to Aboriginals: on the contrary, oral traditions of many Aboriginal families have tenaciously preserved records that challenge the received versions that have been taught in school text books.« »The Artist as Hunter«, in: Davis (i988:xiiif.) 66
Vgl. Paul Ekman und Wallace V. Friesen (1972) >HandbewegungenRollentyp< des Besessenen und auf den Handlungsablauf des Ritus erlaubt. Der besessene Körper, seine Motorik und physiologischen Veränderungen, die nachweislich immer wiederkehrenden Mustern folgen, bilden einen Kulturtext, der >gelesen< werden kann. U m der Textualität des Körpers analytisch beizukommen, wurden in der Forschung unterschiedliche Begriffe eingeführt. So liest man verschiedentlich von »Körpertext«,3 »Körperbild« 4 oder von »Körperzeichen«. Allen drei Begriffen, 1
Fischer-Lichte (1983a) unterscheidet zwischen der »Tätigkeit des Schauspielers als Zeichen« (sprachliche und kinesische Zeichen) und der »Erscheinung des Schauspielers als Zeichen« (Maske, Frisur, Kostüm). 2 Gemeint sind hier die Schematisierungen nach Kode- bzw. Zeichentypen etwa von Kowzan, Elam (1980) und Fischer-Lichte (1983a). i So verwendet Erika Fischer-Lichte (1983c) den Terminus >Körpertext< in Anlehnung an eine Untersuchung von Günther Lohr, Körpertext: Historische Semiotik der komischen Praxis, (Opladen: Westdeutscher Verlag 1987) (Diss. Frankfurt/M. 1979), obwohl es ansonsten kaum Verbindungen zwischen den beiden Ansätzen gibt. Fischer-Lichte befaßt sich mit der ambivalenten Semiotik des schauspielerischen Körpers, der sich im Zusammenspiel von natürlichen und kulturellen Zeichen und in Verbindung mit einem schauspielerischen Kode als >Körpertext< konstituiert. (19833:29) Lohrs Begriff ist vor allem durch seinen methodischen Ansatz begrenzt, der in einer kaum überschaubaren Weise Kritische Theorie, Poststrukturalismus, Kulturanthropologie und Semiotik verbindet, woraus sich kein heuristisch brauchbarer Begriff des Körpertextes ableiten läßt. 4 Diesen Terminus verwendet etwa Gabriele Brandstetter in ihren Studien zur Tanzästhetik der Jahrhundertwende. Ein »Körperbild« ist nach Brandstetter Produkt einer Wechselbeziehung zwischen allgemeinen mentalitätsgeschichtlichen Prozessen und der 1
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die gleichermaßen auf die Bedeutung des Körpers hinweisen wollen, liegt ein scheinbarer Widerspruch zugrunde. Die >Natürlichkeit< bzw. die nonsemiotische Materialität des menschlichen Körpers scheint im diametralen Gegensatz zur komplexen Semiotik des Textbegriffes zu stehen. Die beiden Begriffe >Körper< und >Text< scheinen sogar entgegengesetzte Pole des semiotischen Kontinuums zu repräsentieren: Während der Körper durch seine Materialität und folglich durch einen niedrigen Grad an Zeichenhaftigkeit gekennzeichnet ist, ist der Text ein komplexes kulturelles Produkt, das nur aus Zeichen besteht. Entkräftet wird dieser Widerspruch durch den anthropologischen Zug des Menschen, aus der Natürlichkeit seines Körpers ein kulturelles Produkt machen zu wollen. Dieser Hang zur körperlichen Textproduktion reicht von den in zahlreichen vorschriftlichen Kulturen dokumentierten Praktiken der Einnarbung (scarification) und Tätowierung des Körpers bis zur Alltagskostümierung des Körpers als Mode in fortgeschrittenem Kulturen. In beiden Fällen handelt es sich um Texte, die Rückschlüsse auf eine Reihe von gesellschaftlichen Indikatoren wie Status, Familienzugehörigkeit usw. zulassen. Eine wissenschaftliche Beschäftigung mit der Körperlichkeit als Zeichensystem hat in den letzten drei Jahrzehnten' zunehmend an Bedeutung und an interdisziplinärer Ausrichtung gewonnen. Neben der bekannten sozialwissenschaftlichen und psychotherapeutischen Beschäftigung mit der Körpersprache sowie der Methodik der Bewegungsanalyse in Verbindung mit der Tanznotation6 entstand in jüngerer Zeit als Ergebnis der Foucault-Rezeption die Konzeption des >ideologisierten< Körpers. Der Körper sei, so der amerikanische PerformanceTheoretiker Philip Auslander, Treffpunkt von Machtdiskursen im Foucaultschen Sinne: [Qjuestions of who or what is speaking through the body and in what language, of what discourses are inscribed on/in the body, are clearly questions of power relations of the sort excavated by Michel Foucault. (1988:9)
Daß diese Methode, den Körper zu analysieren, für postkoloniale Theaterformen Relevanz hat, ist evident. Allerdings ist die Rhetorik, die solche diskursanalytischen Ansätze begleitet, häufig von zweifelhaftem wissenschaftlichem Ertrag. Das Bemühen, Unterdrückungshierarchien, sei es geschlechtsspezifischer oder ethnischer Art, herauszuarbeiten, birgt die Gefahr in sich, in vereinfachende Dichotomien zu verfallen, die den komplexen Situationen postkolonialer Gesellschaften ungenügend Rechnung tragen/Wendet man jedoch die Diskurstheorie speziellen Bewegungs-Asthetik der Tanzkunst: »Tanz und Literatur I: Körperbilder der Jahrhundertwende«, Ballettjournal (Oktober 1992), S. 13. s Von allen Aspekten der Körperlichkeit hatte bis zu diesem Zeitpunkt nur die Gestik oder »Gebärdensprache« eine lange wissenschaftliche Tradition, die im Zusammenhang mit der Rhetoriklehre bis in die Antike zurückreicht. 6 Einen nützlichen Abriß über die interdisziplinären Kooperationsversuche dieser drei Bereiche gibt Ann Daly: »Movement Analysis: Piecing Together the Puzzle«, The Drama Review 32:4 (Winter 1988) (T120), 40-52. ^ Diese vor allem von der feministischen Literatur-, Theater- und Tanztheorie entwickelte 156
ohne ihren ideologischen Ballast an, so ergeben sich theoretisch interessante Perspektiven für die Analyse des Körpers in einem performativen Kontext. So etwa wenn Auslander von einer Doppelkodierung des darstellerischen Körpers (performing body) spricht: Der Körper wird durch den Kode einer bestimmten Aufführung, aber auch durch prädeterminierte, bereits wirksame gesellschaftliche Diskurse definiert.8 Ziel einer Körperlektüre wäre es demnach, das Zusammenspiel dieser beiden >Enkodierungen< zu studieren. Als dritte Dimension müßte Auslanders >Doppelkodierung< der Kode der Darstellungstradition hinzugefügt werden, denn jeder Darsteller-Körper ist in seiner Bewegungsästhetik in irgendeiner Weise auch einem solchen Kode unterworfen. Obwohl sich die meisten theoretischen Überlegungen zur Körpertextualität auf den bewegten Körper beziehen, gibt es einen wichtigen Bereich der Körpersemiotik, der weniger den bewegten Körper als das Erscheinungsbild des Körpers betrifft. Im Kontext des Theatersynkretismus läßt sich dieser Bereich wiederum in eine Semiotik des natürlichen Körpers einerseits und eine des maskierten Körpers andererseits unterteilen. Im ersten Fall kann der Körper aufgrund seiner materiellen Erscheinung unwillkürlich Zeichencharakter haben. Im Fall der Maskierung besteht dagegen eine offensichtliche Intention zur zeichenhaft-symbolischen Veränderung. Hinzu kommt der schwer semiotisierbare Bereich, der mit der >Ausstrahlung< eines Darstellers zusammenhängt. Es geht also um die komplexe Textualität des Körpers auf der Bühne und deren Wechselbeziehung zum Theatertext.
14 .Le
corps
sauvage
Der Körper als materielle Präsenz verfügt über semiotische Möglichkeiten, die seit jeher vom Theater bewußt eingesetzt werden. Diese umfassen physische Gegebenheiten wie Geschlecht, Größe und Ethnizität. Vor allem die letztere ist Sicht betrachtet den Körper als Ort machtspezifischer Diskurse im Sinne von Unterdrückungsmechanismen. Als Beispiel für diese Vorgehensweise sei der Aufsatz von Helen Gilbert zum Tanz im zeitgenössischen australischen Drama »The Dance as Text in Contemporary Australian Drama: Movement and Resistance Politics«, ARIEL 23:1 (1992) angeführt: »An examination of the performative rather than rhetorical aspects of drama allows us to foreground non-verbal signifiers such as dance as sites of cultural negotiation, and, therefore as potential loci of resistance to hegemonic orders which, in Australia, have been historically constituted within and by imperial and patriarchal discourses.« S. 133. Diesem diskursanalytischen Ansatz liegt ein recht einfaches, aber nicht explizit ausgeführtes Wertesystem zugrunde: der Tanz und damit der Körper als nonverbaler Signifikant sei in dreifacher Weise >positivwilder Körper< enthält in diesem Zusammenhang eine Vielzahl von Assoziationen, die nicht alle pejorativer Natur sind. Pejorativ sind für indigene Theaterkünstler selbstverständlich die visuellen Kodes folkloristischer Darbietungen. Denn die presentationelle Form des folkloristischen Körpers spielt häufig bewußt auf Vorstellungen des >Edlen Wilden< an. Der Körper des Darstellers wird im Prozeß der Folklorisierung in einem Zustand vorgeführt, der vermeintlich von der Berührung mit westlichen Zeichen unkontaminiert und damit zeitlos ist.? Vor allem in der Vierten Welt waren Folklore und touristische Darbietungen über Jahrzehnte die einzige theatrale Ausdrucksform indigener Darsteller, und dieses touristische >Gesicht< prägte entsprechend die Rezeptionshaltung des nichtindigenen Publikums. Daher verwundert es nicht, daß indigene Dramatiker mit dieser Erfahrung im Hintergrund gezielt mit der visuellen Semiotik des Körpers arbeiten.
discourses (e.g. science, medicine, hygiene, law etc.). The study of the body in performance would thus become the study of the interplay of these encodings.« (Auslander:i988:2i) ? Ansätze zu einer Semiotik der Folklorisierung im Kontext europäischer Feste liefert Marianne Mesnil, »The masked festival: Disguise or affirmation?«, Cultures 3:2 (1976), 11-29: Folklorisierung bedeutet, daß bestimmte Kulturtexte, besonders im Hinblick auf die Darstellung von Figuren, in einem historischen Entwicklungszustand eingefroren werden: Mesnil spricht von »fossilization« (1976:27). 158
Im folgenden sollen drei Strategien der visuellen Körpersemiotik herausgearbeitet werden. Sie lassen sich als effacement, Semantisierung, und Mythisierung benennen. Effacement, im doppelten Sinne des Auslöschens und Unwichtigmachens, bezeichnet einen Prozeß, in dem die visuelle Körperlichkeit einen möglichst abstrakten Grad an Referentialität erhält. Semantisierung ist der gegenteilige Prozeß. Im Zusammenhang mit Körperbemalung etwa werden Aspekte einer traditionellen Körpersemiotik semantisiert und für das Theaterpublikum expliziert. Mythisierung schließlich bezieht sich auf die häufige Verwendung mythischer Figuren in synkretischen Theaterstücken. Die Fragestellung befaßt sich bei der Mythisierung mit der äußeren Erscheinung dieser Figuren, wobei es recht unterschiedliche Lösungsversuche gibt. Die Strategie des effacement läßt sich vor allem im südafrikanischen TownshipTheater beobachten. In dieser Theaterform hat sich ein Kode herausgebildet, der Neutralität und Wandelbarkeit des Körpers zum obersten Gebot erhebt. Das Aussehen der beiden Schauspieler Mbongeni Ngema und Percy Mtwa in Woza Albert! hat diesen Kode maßgeblich geprägt: nackter Oberkörper, graue Drillichhosen und Wollsocken, Turnschuhe. Das Szenenphoto (Abb. 6) aus Peter Brooks Pariser Inszenierung von Woza Albert! bezeugt, daß sich die von Ngema und Mtwa festgelegte Konvention etabliert hat. Dieses Grundgerüst mit seinen bewußt-intendierten Assoziationen zu Grotowskis >armem< Theater findet sich in leicht abgewandelter Form in anderen Township-Stücken wie Asinamali! und Bopba! wieder. Obwohl diese Minimalisierung der Körperzeichen weniger die Zeichen spezifischer Ethnizität der Darsteller in den Vordergrund stellt, sondern in erster Linie den Schauspieler-Körper als flexibles und wandelbares Zeichen betont, bleibt die ethnische Zeichenhaftigkeit allein schon wegen der ApartheidThematik der Stücke im Bewußtsein. Abgesehen von der theaterpraktischen Notwendigkeit dieser Kleidung, die schnelle Rollenwechel ermöglicht, kann sie auch als ein Gegendiskurs zur folkloristischen Präsentation des afrikanischen Körpers aufgefaßt werden. Südafrika verfügt über eine besonders lange und zweifelhafte Tradition folkloristischer Theatertruppen, die in erster Linie für ein ausländisches Publikum das Bild tanzender, singender, trommelnder und fröhlich zelebrierender Afrikaner bieten. Neben den regelmäßigen Auftritten vor Touristen im Inland wurden immer wieder große Truppen auf internationale Tourneen geschickt. Daß barbusige Frauen zum Darstellungsrepertoire solcher Truppen gehörten, entsprach den kulturell undifferenzierten Vorstellungen der Organisatoren und weniger den kulturellen Gepflogenheiten der Ethnien, die dargestellt werden sollten.10 10
Zur Kritik dieser >Theaterform< vgl. Akerman (1977-78). Akerman legt dar, daß »Black Musicals« wie Ipi Tombi in ihrer Idealisierung traditioneller Kultur die Apartheid-Ideologie reflektieren. Gleichzeitig sei diese Kultur häufig nichts anderes als eine Projektion der weißen Regisseure und Choreographen: »Ipi Tombi has been a great favourite among white theatre lovers in South Africa. It offers them a glimpse of naked black breasts - presumably passed by the censor because it is >tribal tradition< and not sexually titillating to a white audience - and a view of the black man in his >placewilde< Körper bewußt stilisiert. Obwohl der Tänzer bei der Uraufführung dennoch als >echter< Aborigine erkennbar war, signalisiert die Kostümierung eine Annäherung an die Konventionen des Bühnentanzes und eine Entfernung von den Assoziationen mit Folklore. Der >wilde< Körper wird ästhetisiert. Diese Lösung signalisiert aber auch, daß die ethnische Materialität der Körperzeichen an Bedeutung verliert. In Anbetracht dieser Ästhetisierung wäre ein nicht-indigener Darsteller in dieser Rolle durchaus denkbar. Ob dies allerdings im Sinne der Aborigine-Theaterbewegung wäre, die auf der Darstellung solcher Rollen durch indigene Darsteller großen Wert legt, muß als fraglich gelten. Auch im neuseeländischen Maori-Theater versuchen Dramatiker den mythischen Bereich figürlich darzustellen. So mischt sich in Rore Hapipis frühem Gerichtsdrama über Landstreitigkeiten zwischen Maori und Pakeha, Death of the Land (UA 1976), ein mythisches Wesen, Rongo, begleitet von grellen Lichteffekten und einer unheimlichen Geräuschkulisse, in das Geschehen ein. Der Autor bezeichnet die Figur als »supernatural and omnipotent being. He is the manifestation of the conscience and consciousness of the Maori voices whose thoughts would otherwise be unsaid.« (Hapipi 1991:16) Zwar ist die Figur vom Autor nicht spezifiziert, doch ist Rongo bzw. Rongomatane, wie er in der Maori-Mythologie auch genannt wird, als der Friedensgott einem identifizierbaren mythischen Bereich zuzuordnen. Die Auftritte Rongos hatten in Hapipis Stück möglicherweise Vorbildfunktion für Hone Tuwhares ein Jahr später entstandenes Theaterstück In the Wilder-
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Die Uraufführung fand im März 1988 im Rahmen des Adelaide Fringe-Festivals statt. Regie führte die Autorin.
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Abb. io: Eva Johnson: Muirás. Steven Page als Mimi. Adelaide Fringe Festival. Foto: Di Barrett
ness without a Hat. Auch hier mischen sich mythische Figuren in die Handlung ein, ebenfalls begleitet von Licht- und Geräuscheffekten. Allerdings ist semiotische Funktion und szenische Realisierung hier ungleich komplexer. Nachdem diese Figuren zunächst als Holzschnitzereien zu sehen waren, verwandeln sie sich von bloßen ikonographischen Zeichen in lebende Charaktere. Da sie zunächst im Kontext eines Versammlungshauses als Bestandteil der Wanddekoration auftauchen, sind sie semiotisch gesehen in ihrem angestammten kulturellen System situiert. Und wenn sie das Geschehen im Versammlungshaus kommentieren bzw. im dritten Akt direkt beeinflussen, entspricht dies der im Maori-Glaubenssystem verankerten Vorstellung von der Unmittelbarkeit der Ahnen, mit denen sich die Lebenden in geschnitzter Form umgeben. Als das Beerdigungsritual zu keinem Abschluß gelangt und die Zeremonie stattdessen in Streitigkeiten festzufahren droht, greifen die Ahnen sowie eine nicht näher bezeichnete Statue eines MaoriKriegers in das Geschehen ein. Diese Aktion markiert den Endpunkt einer prozessualen Wiederannäherung der Ahnen an die Lebenswelt. Die Figuren vollziehen eine Wandlung von der Statik der geschnitzten Holzdekorationen, die zwar reden, sich aber kaum bewegen können, zur physischen Proxemik ihres Eingreifens in die Kampfhandlungen der Familienmitglieder. Als Kostümierung für diesen Auftritt spezifiziert Tuwhare »skin-tight masks and hair-wigs« (1991:57). Mit 167
diesen Mitteln werden die materiellen Körperzeichen verborgen und eine approximative Entsprechung zur formalen Gestaltung der Holzfiguren hergestellt. Die bewußte Gestaltung der visuellen Erscheinung von mythologischen Figuren als eine der eingangs genannten drei Strategien der Körpersemiotik spielen auch bei Stücken der indianischen Theaterbewegung Kanadas eine wichtige Rolle. Tomson H i g h w a y betont in seinem Aufsatz »On Native M y t h o l o g y « die enormen visuellen Gestaltungsmöglichkeiten dieser Figuren f ü r eine szenische U m setzung: Indian mythology is filled with the most extraordinary events, beings and creatures. These lend themselves so well to visual interpretation, to exciting stage and visual creation. [...] Not only are the visuals powerful, the symbolism underlying these extraordinary stories is as basic and as direct as air. (1987:30) Im Werk Tomson H i g h w a y s nimmt die im Mythos verwurzelte Trickster-Figur, die bei den Ojibwa Nanabush und bei den Cree Weesagechak heißt, eine Schlüsselstellung ein. Besonderes Kennzeichen dieser Figur ist ihre Wandlungsfähigkeit. J e nach Kontext und Bedarf kann sie verschiedene tierische und menschliche Formen annehmen. Außerdem läßt sich Nanabush weder einem spezifischen Geschlecht noch einem festgelegten Schema von G u t und Böse zuordnen. 1 ? Diese drei Charakteristika bilden f ü r H i g h w a y die traditionelle kulturelle Grundlage, auf der er seine visuelle und dramatische Gestaltung der Figur entfaltet. A u f g r u n d der besagten Transformationsmöglichkeiten des Wesens besteht keine festgelegte ikonographische Tradition, an die sich Dramatiker, die sich dieser Figur bedienen, anlehnen bzw. gegen die sie reagieren müssen. Auffallend in H i g h w a y s Stücken ist das Fehlen jeglicher folkloristischer Annäherung an die Figur. Bei der U r a u f führung der Rez Sisters (1988) wurde Nanabush von einem in Jeans und T-Shirt gekleideten Tänzer dargestellt. Ihre physische Präsenz können nur zwei der C h a raktere auf der Bühne wahrnehmen. Z w a r ist die Konzeption Nanabush-als-Tänzer ein Kunstgriff H i g h w a y s , aber dieser erscheint insofern konsequent, als die Figur so der dialogischen Realitätsebene enthoben ist. D e r kinästhetische Aspekt ist hier allerdings von sekundärer Bedeutung, da H i g h w a y zum Tanzstil lapidar spezifiziert: »a male dancer - modern, ballet, or traditional.« (i988:xi) 2 ° Gemäß seiner Wandlungsfähigkeit zeigt sich Nanabush mal als M ö w e , mal als Nachtfalke und schließlich als Conférencier eines Bingospiels. Durch diesen Rollenwechsel
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Zur ethnographischen Literatur über dieses Wesen vgl. vor allem die Kommentare von Jennifer Brown/Robert Brightman, »The Orders of the Dreamed«: George Nelson on Cree and Northern Ojibwa Religion and Myth 1823, (Winnipeg: Univ. of Manitoba Press 1988); Richard J. Preston, Cree Narrative: Expressing the personal meanings of events, (Ottawa: National Museum of Man 1975) (Canadian Ethnology Service Paper Nr. 30). In Interviews äußerte sich Highway wiederholt zu der Figur. Darin hob er die drei obengenannten Charakteristika immer wieder hervor. Es geht ihm in erster Linie um eine Aktualisierung der Figur für ein modernes Publikum. Bei der Erstinszenierung übernahm Highways Bruder René diese Rolle und kombinierte traditionelle Tanzstile der Cree und Ojibwa mit modernem Tanz.
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tritt die Komponente der Irrealität in den Vordergrund. Dieser Aspekt der Figur, der im westlichen Denken dem Bereich des Phantastischen oder Märchenhaften zuzuordnen wäre, und dort nur in bestimmten Theatergattungen eine Existenzberechtigung hätte, erhält im synkretischen Drama eine besondere Akzentuierung. Bewußt vermischt Highway das Irreale des Nanabush mit einer ansonsten realistischen Darstellung des Alltagsleben von sieben Frauen in einem Reservat. Die Intervention der Nanabush-Figur in deren Leben läßt sich in Analogie zu Strukturmerkmalen der traditionellen indianischen Erzähltraditionen deuten, in der es fließende Grenzen zwischen der fernen mythologischen und gegenwärtigen Welt heutiger Menschen gibt. Nanabush kann in beiden Welten auftreten.21 Die Vermengung der mythologischen mit der Alltagswelt kommt besonders eindringlich in dem Wunsch der Figur Pelajia zum Ausdruck, die die Rückkehr von Nanabush mit der recht profanen Forderung nach geteerten Straßen in Beziehung setzt: »and Nanabush will come back to us because he will have paved roads to dance on.« (1988:59) Auch in Highways bisher erfolgreichstem Drama Dry Lips Oughta Move to Kapuskasing (1989) macht Nanabush spektakuläre Metamorphosen durch. In diesem Werk treten die mit den »Rez Sisters« verwandten Männer des Reservats auf. Nun tritt Nanabush in verschiedenen weiblichen Gestalten auf. Um diese Verwandlung zu erklären, fügt Highway dem veröffentlichen Text eine Anmerkung über Nanabush bei. Darin betont er die Verbindung zwischen den in indianischen Sprachen fehlenden Geschlechtsbezeichnungen, die er »the male-femaleneuter hierarchy« nennt, und der Zwitterhaftigkeit des Tricksters. Indirekt rechtfertigt er damit den >GeschlechtswechselWiederauferstehung< der von ihm im vorhergehenden Monat verhafteten Egungun und als Racheakt seitens des Kultes gegen Pilkings auffassen muß. Die Masken indizieren für ihn in diesem Moment die Gegenwart zweier Mitglieder der Geheimgesellschaften. Daß sich darunter sein Vorgesetzter mit Gattin verbirgt, ist ihm nicht klar. Die schematisierten Vorstellungen der Europäer im Hinblick auf afrikanische Religiosität arbeitet der Autor heraus, indem er Pilkings irritiert darüber, daß ein Moslem wie Amusa am Aberglauben seiner Vorfahren festhält, sagen läßt: »Come on Amusa, you don't believe in all that nonsense do you ? I thought you were a good Moslem.« (1984:164) Im Kontext afrikanischer Religiosität bedeutete jedoch Bekehrung zu einem anderen Glauben keineswegs die automatische Negierung indigener Religionsformen, sondern oft die Koexistenz oder Synkretisierung von Glaubenssystemen. Amusa bringt zunächst die Kultmaskierung mit dem Kult selbst in Verbindung. Er demonstriert damit, daß er, Moslem oder nicht, mit den Implikationen des Kostüms vertraut ist: »It is not good for man like you to touch that cloth.« (1984:164) Und seine Weigerung, in Gegenwart des Egungun über den bevorstehenden rituellen Selbstmord Bericht zu erstatten, ist aus der Sicht der traditionellen Yoruba-Kultur folgerichtig, denn der rituelle Selbstmord und die Egungun-Gesellschaft gehören zum selben kulturellen System: Sir, it is a matter of death. H o w can man talk against death to person in uniform of death. Is like talking against government to person in uniform of police. (1984:164^)
Der Hausdiener, Joseph, ist Christ und liest das Kostüm etwas anders. Er sagt zu Pilkings: »it has no power« (1984:167), denn Pilkings sei ein »white man. And a good Christian. Black man juju can't touch master.« (1984:168) Die unterschiedlichen Reaktionen der beiden Männer sind auf die unterschiedlichen Bekehrungsprozesse, die Islam und Christentum auf die Yoruba ausübten, zurückzuführen. Wurde die Koexistenz von indigenen Kultpraktiken im Zuge der Islamisierung häufig toleriert, so tendierten die christlichen Kirchen in ihrem missionarischen Eifer eher dazu, traditionelle Glaubensformen aktiv zu bekämpfen und daher eine Situation gegenseitiger Ausgrenzung zu schaffen. 35 Zur Religionsfrage vgl. Mazrui (1988), Kap. 7, »Africa at Prayer: N e w Gods«: »Islam has appeared to be more accommodating to the wider culture of Africa, more ready to compromise with African ancestral customs and usages.« S. 1 4 1 . Zum Vergleich von Christentum und Islam bei den Yoruba vgl. S. 137.
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Aufgrund der unterschiedlichen kulturellen Kodes der Betrachter Pilkings, Amusa und Joseph ist das Egtmgun-Kostüm Träger widersprüchlicher Botschaften. Die Rezeptionssituation der Theaterzuschauer wird durch die Rezeptionsakte der Figuren im Stück vermittelt, reflektiert und kommentiert. Im fiktionalen Rahmen des Stückes ist die ikonische Funktion für alle Charaktere intakt. Jedoch sind die von diesem Ikon bewirkten Vorstellungen bei den Betrachtern im Stück (seine darstellerische Funktion) disparat. Diese unterschiedliche Referentialität eines und desselben Zeichens unterstreicht die These Umberto Ecos, daß Ikone häufig nur auf der Basis kulturell definierter und konventionalisierter Information verständlich sind.36 Ein Ähnlichkeitsverhältnis zwischen einem Zeichen und seinem Objekt ist keineswegs universell inhärent, sondern in hohem Maße kulturspezifisch. Für Zuschauer ohne Kenntnisse der Yoruba-Kultur läßt sich der Auftritt der Pilkings in Egungun-Maskierung zunächst auf kein erkennbares Modell zurückführen. Ihre Semiose der Situation bleibt ohne klare Referenz, bis sie im Laufe der Szene zusätzliche Informationen erhalten. Bis zu diesem Punkt bleibt das Kostüm ein Bühnenzeichen, das nur durch interne Kodierung der Szenenhandlung semiotisierbar wird. Es ist ein Index für etwas nicht näher Definierbar-Fremdes und verfügt daher kaum über einen textuellen Aussagecharakter. Im Kultursystem der Yoruba verfügt das Kostüm dagegen über eine genau umrissene indexikalische Funktion. Dort ist es als Index und keineswegs nur als Symbol oder Metapher für göttliche Kräfte zu verstehen. Für einen Yoruba besteht eine klare Kontiguität zwischen dem Kostüm und seiner Verkörperung übernatürlicher Kräfte. Dies wird deutlich durch die Reaktion Amusas, für den das Kostüm kein Symbol gefährlicher überirdischer Kräfte ist, sondern indiziert, daß diese Kräfte durch die Vermittlung der Geheimgesellschaft unmittelbar präsent sind. Amusas verängstigte Reaktion, Josephs Gleichgültigkeit und die Überheblichkeit der Pilkings verdeutlichen die Bandbreite emotiver Wirkungen, die das Maskenkostüm auf Betrachter mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund ausüben kann. Dieses Beispiel macht deutlich, wie schwierig es ist, bei solchen Kulturtexten eine einzige dominante semiotische Funktion festzulegen. Vielmehr unterliegt die Semiose einem ständigen Wandel, der vom kulturellen Wissenstand des jeweiligen Betrachters und vom Kontext der Verwendung abhängt. 36
Umberto Eco wehrt sich entschieden gegen das, was er »naive Vorstellungen« der Ikonizität nennt. (1987:255) Ähnlichkeiten und Analogien zwischen Objekt und Ikon seien allein auf kodifizierte Erwartungssysteme und nicht auf natürlich wahrnehmbare Faktoren zurückzuführen. So sei etwa das Erkennen ikonographischer Ähnlichkeit vor allem kulturbedingt und müsse gelernt werden, da auch die Ikonizität in hohem Maße einem Kodewandel bzw. einem Wandel der Konventionen unterworfen sei, so daß ein Verstehen immer wieder neu erworben werden müsse. Daraus folgert Eco, daß ein ikonisches Zeichen aufgrund seiner Komplexität und Situationsabhängigkeit tatsächlich ein Text sei, denn sein verbales Äquivalent könne kein einzelnes Wort sein, es müsse vielmehr entweder ein Satz, oder gar eine ganze Geschichte sein. (1987:286) Daraus läßt sich schließen, daß ikonographische Zeichen wie z. B. Kostüme, Masken und Körperbemalung aufgrund ihrer Komplexität bzw. aufgrund von kulturbedingten Konventionen als Texte bzw. als Kulturtexte >gelesen< werden müssen.
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Daß Masken und maskenähnliche Kostümierungen in einem rituellen Kontext in vielen Kulturen nicht nur etwas symbolisch darstellen, sondern ein Wesen tatsächlich verkörpern, weist auf einen Transformationsprozeß hin, der auf einer metaphorischen Ebene für das Theater vielfältige Anwendungsmöglichkeiten bietet. Im karibischen Theater läßt sich eine Tendenz beobachten, mit den Möglichkeiten der Kultmaske und mit der zeremoniellen Maske zu experimentieren. Das auffälligste Beispiel einer lebendigen Tradition der säkularen zeremoniellen Maske bietet die karibische Karnevalskultur. In seinen Überlegungen zum Karneval artikuliert Errol Hill die programmatische Absicht, die visuellen Elemente der Karnevalsmasken in einen Theaterrahmen einzubinden: Verbal metaphor will be matched by visual symbol. The mask, an ancient theatrical device, which has largely disappeared from the modern theatre, is still a powerful symbol in countries with traditional religious and ritual practices. In Trinidad, through the carnival, masks and masquerades have acquired an urban sophistication that extends their meaning and utility in the theatre. (1972:116)
Hill steht stellvertretend für eine im karibischen Theater weit verbreitete Tendenz, auf das theatrale Potential von Masken und deren Bedeutung im Karneval zu verweisen, ohne daß dem konkrete Versuche in Theaterstücken folgen. Dieses Gefälle zwischen Programmatik und Realisierung erklärt sich aus der rigiden Semiotik der Karnevalsmasken selbst. Da sie streng typisiert sind, ist deren darstellerische Funktion in einem Theaterstück limitiert: Karnevalsmasken indizieren zunächst Karnevalsmasken. Das von Hill angedeutete theatrale Potential von Kultmasken ließe sich im karibischen Kontext, wo Masken kaum eine rituelle Grundlage haben, nur schwer realisierend7 Obwohl die Affinität zur westafrikanischen Maskentradition häufig heraufbeschworen wird, sind deren Relikte im Karneval nur in säkularisierter Form wiederzufinden. Dennoch hat es Versuche gegeben, die karnevaleske und kultische Maskentradition aufzugreifen. So knüpft Sylvia Wynter in ihrem Stück Maskarade38 an die jamaikanische Maskeradentradition Jonkunnu an.39 Diese Tradition ist in der heutigen Zeit Er37 Er erwarte nicht, schreibt Hill, daß jede Inszenierung des karibischen Nationaltheaters ein Stück mit Masken verwenden werde, aber die Theatralität dieses Mittels sei zu potent, um vernachlässigt zu werden. Wie sich die Bedeutung der Karnevalsmasken genau erweitert hat, abgesehen von einer lokalen Typisierung, und wie diese >potente< Maskenästhetik zu verstehen sei, führt Hill allerdings nicht aus. Das Stück wurde zunächst im Dezember 1973 als Fernsehspiel von der Jamaica Broadcasting Corporation ausgestrahlt. Die Bühnenerstaufführung fand 1979 im Creative Arts Centre der University of the West Indies, Mona, statt. Seitder wurde das Stück in verschiedenen Bühnenbearbeitungen inszeniert. Eine Bühnenfassung erschien in: Plays for Schools, ed. Jeanne Wilson, (Kingston: Jamaica Publishing House 1979). Zitiert wird nach der Druckfassung, w Eine wissenschaftliche Grundlage für dieses Werk legt die Autorin in dem bereits zitierten Artikel, »Jonkonnu in Jamaica« (Wynter 1970) gelegt. Darin erforscht die Verfasserin die Anfänge des Jonkunnu im Jamaika des 18. Jahrhunderts, als die Akkulturation von afrikanischen Riten, englischen Moriskentänzen und französischen Karnevalsbräuchen diese jamaikanische Maskeradenform hervorbrachte. Dabei schenkt Wynter der Bedeutung afrikanischer Maskentraditionen ihre besondere Aufmerksamkeit. Sie 178
gebnis einer Wiederbelebung, ihr Höhepunkt liegt im frühen 19. Jahrhundert. Wynter greift in ihrem Stück auf die Konvention des Spiels im Spiel zurück, um die Maskenfiguren wieder aufleben zu lassen. Die Rahmenhandlung spielt in der Gegenwart, die Haupthandlung findet jedoch im Jahr 1841 statt, als in Kingston die /oM&Hwwa-Maskeraden verboten wurden. Die Verbindung der beiden Zeitebenen gelingt Wynter durch einen interessanten Kunstgriff. In der Rahmenhandlung tritt ein alter Marionettenspieler zusammen mit seinem Lehrling auf, die die Maskeradenform des Jonkunnu mit Marionetten aufführen. Auf einer erhobenen Hinterbühne wird die Erzählung der Ereignisse im Jahr 1841 gleichzeitig mit echten Schauspielern, Musikern und Maskentänzern ausagiert. Die echten Maskentänzer und Darsteller werden so zu einer vergrößerten Projektion des Marionettenspiels.40 In der Haupthandlung entwirft Wynter ein fiktives Eifersuchtsdrama, das mit dem Tod zweier Jonkunnu-Spieler endet. Dieser Streit führt zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Jonkunnu-Truppen, was schließlich Anlaß zum Verbot aller Truppen in Kingston gibt. Das Eifersuchtsdrama entspinnt sich, als ein älterer Jonkunnu-Darsteller, der um eine junge Darstellerin wirbt und dabei von seiner Frau und vom Freund der jungen Dame argwöhnisch beobachtet wird. Dieser Konflikt mündet in Handgreiflichkeiten im Rahmen des Spiels im Spiel. Das Stück lebt weniger von einer komplexen Handlungsführung als von der spektakulären Kostümierung und den tänzerisch-musikalischen Einlagen, in denen diese maskierten Figuren zur vollen ästhetischen Geltung kommen. Als dramaturgisches Mittel haben die Masken in erster Linie eine Verstellungsfunktion: Die sich streitenden Parteien und die Zuschauer stellen Vermutungen an, wer hinter welcher Maske steckt. Daneben verweisen die Masken in ihrer indexikalischen Funktion auf die volkstümliche Tradition des Jonkunnu. Somit vermischt Wynter geschickt zwei Maskentraditionen: die Verstellungsdramaturgie des Spiels im Spiel mit der Maskenästhetik der indigenen Darstellungsform Jonkunweist darauf hin, daß sich der Begriff >Maske< auf das Kostüm als Ganzes bezieht und von großer religiöser Signifikanz ist. Maskierung stelle eine Verbindung zum Ubernatürlichen dar und sei von ihrer Verwendung im Tanz nicht zu trennen. (Wynter 1970:3 5Í.) Durch diese Argumentation versucht Wynter für die karnevaleske Maskierung des Jonkunnu eine Verbindung zur Kultmaske Westafrikas, insbesondere zu den £g«ng«n-Maskeraden herzustellen. So stelle etwa die Figur des Pitchie-Patchie, der ein bunt geschecktes Kostüm trägt, ikonographisch gesehen eine Mischung aus Harlekin und einem Egungun-Tänzer dar. Wynters Artikel hat zu einem Wiedererwachen des Forschungsintresses an Jonkunnu geführt; vgl. vor allem die Arbeiten von Judith Bettelheim: »The Jonkunnu Festival«, Jamaica Journal 10:2/3/4 (1976); The Afro-Jamaican Jonkunnu Festival (New Haven: Yale Univ. Press 1979); vgl. auch ihren vorzüglich illustrierten Beitrag zu Jonkunnu in Caribbean Festival Arts, ed. John Nunley, (Seattle/ London: Univ. of Washington Press 1988). 4° Die Verbindung von Marionetten und Masken und deren Verwendung im Volkstheater ist ein Forschungsgebiet, auf das die Prager Theatersemiotik bereits in ihrer Anfangsphase aufmerksam machte; vgl. hierzu die Sondernummer von Semiotica 47:1/4 (1983); vor allem die Beiträge von Petr Bogatyrev und den einleitenden Aufsatz von Frank Proschan, »The semiotic study of puppets, masks, and performing objects«, S. 3-44.
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nu, die ihre Wirkung im Zusammenspiel mit Musik und Tanz entfaltet. Auf diese Weise bilden die verschiedenen Ausdrucksformen einer indigenen Darstellungsform - Masken, Tanz, Musik - die Grundlage für einen Theatertext, der als synkretisch bezeichnet werden kann. Die Vorstellung, daß Masken im karibischen Theater mehr als nur eine Theaterkonvention sind, findet man auch in den Äußerungen Derek Walcotts: A mask is not, as it is in metropolitan theatre, a device: it is a totem. In my own experience, I have always been aware of the power of the mask, or mask-like make-up. In contemporary Carnival, masks have been forbidden, but they used to be an essential part of Carnival. The words >play masks< really mean >to play with a masknatürlichen< Zeichensprache mit Systemcharakter ist die der nordamerikanischen Plains-Indianer; vgl. hierzu, Thomas A. Sebeok, »Aboriginal Sign >languages< from a Semiotic Point of View«, The Sign and its Masters, (Austin: Texas Univ. Press, 1979), 128-167. Beispiele künstlicher Zeichensprachen sind die verschiedenen Gehörlosen-Zeichensprachen sowie die Zeichensprachen einiger Mönchsorden; einen Uberblick gibt Nöth (1985:280-89). 60 Indem er den Vergleich mit einer geschriebenen Sprache zieht, bezeichnet Kendon die einzelnen gestischen Zeichen als »a gestural rendition of the semantic units the words in the language refer to.« (1986:24) Zum Kontext dieser Zeichensprache erläutert er: »Among these people it is the custom for a women, when bereaved of spouse or child, to remain silent for a long period as a mark of mourning - in many cases several months, in traditional times for as long as a year or more. There is no other restriction on their communication, however, and as a result a complex sign language has been developed which makes it possible for those who know it to engage fully in conversation.« (Ib.). 186
eindeutig semantisierbar ist. Dies liegt an seinem emblematischen Charakter.61 Das Zeichen ist Bestandteil eines zeichensprachlichen Vokabulars. An anderen Stellen wird die Zeichensprache durch sprachliche Zeichen begleitet und somit kontextualisiert. Gelegentlich tritt Zeichensprache in Davis' Stücken in Verbindung mit Aborigine-Ausdrücken auf, so daß man von einer Verdoppelung der indigenen Zeichen sprechen kann: »ELI: [miming handcuffs] I thought you was woonana [hinter Gittern, C.B.].« (The Dreamers, 1982:78) Häufig ist die Funktion der Zeichensprache eine deiktische, bei der das gestische Zeichen das Gemeinte in Verbindung mit Demonstrativpronomina emblematisch illustriert: WORRU: Who's 'ome? DOLLY: Oh, just our lot, they all sitting around like that. [DOLLY indicates they are broke, by making a árele with her thumb and index finger.] (The Dreamers 1982:81)
Dieses Beispiel stellt eine Verbindung von indigenen und aus der westlichen Kultur übernommenen Kodes dar. Während das Ersetzen des sprachlichen Zeichens »broke« durch eine Geste - mit Zeigefinger und Daumen wird ein Kreis angedeutet - als kulturspezifisch indigen zu bezeichnen ist, entstammt die ikonische Abbildung einer Null dem westlichen Schriftsystem. Gestische Zeichen sind bei Davis häufig Embleme, die westliche Begriffe und Sachen abbilden. Immer wieder wird der Komplex Polizei-Verhaftung-Gefängnis gestisch indiziert. In einer Regieanweisung zu No Sugar beschreibt Davis, wie dieser Zeichenkomplex gebildet und angewendet wird. Der Autor gibt die gestischen Zeichen für Handschellen und Gefängnis hier genau vor. Da sich der Aborigine Jimmy nicht mit einem Stammesgenossen, sondern einem Weißen über die seinem Volk auferlegten Beschränkungen unterhält, sind seine gestisch plastischen Erläuterungen situativ angemessen: JIMMY: YOU allowed to walk down the street after sundown? Eh? FRANK: Yeah, don't see why not. JIMMY: Well I'm not. None of us are; you know we're not allowed in town, not allowed to go down the soak, not allowed to march ... ? [He mimes handcuffs and gaol by first putting his wrists together and then placing a hand downwards over his forehead with the fingers spread over his eyes.] Manatj grab us like that. Bastards ... FRANK: Who? JIMMY: Politjmans. (1986:28!.)
Franks Nachfrage soll verdeutlichen, daß weder Jimmys Zeichensprache noch seine Bezeichnung für den Polizisten für seinen weißen Gesprächspartner verständlich sind. Daß es sich bei den hier verwendeten gestischen Zeichen für die Verhaftung keineswegs um eine Erfindung von Jack Davis handelt, belegt Ken6
'
Unter »Emblem« soll eine Kategorie von gestischen Zeichen verstanden werden, die kulturspezifisch gelernt, sprachunabhängig kodifizierbar ist und über eine fest umrissene Semantik verfügt. Der Begriff wurde von David Efron in seiner bahnbrechenden Studie zur kulturvergleichenden Gestik, Gesture, Race and Culture (1941), Neudruck: (Den Haag: Mouton 1972), eingeführt. Efrons Gestentypologie wurde von Paul Ekman und Wallace Friesen (1979) weiterentwickelt: vgl. auch die Ausführungen zur Oralität im Kap. 13. 187
dons Beobachtung, der dieses Zeichen genauso bei in Reservaten lebenden Aborigines gefunden hat, die über ihre Erfahrung mit dem weißen Justizsystem sprechen.62 Die Aborigine-Zeichensprache wird im Theater nicht nur in Form von vereinzelten Zeichen eingesetzt, sondern auch als eigenständiges, sprachanaloges Kommunikationmittel. Dies läßt sich anhand von Bob Mazas 1988 uraufgeführtem Drama The Keepers demonstrieren, das im Südaustralien des 19. Jahrhunderts spielt. Im Mittelpunkt der Handlung steht die Beziehung zwischen Mirnat, einer Aborigine-Frau, und Elisabeth Campbell, der Frau eines schottischen Missionars. Die Annäherung der beiden Frauen äußert sich im gegenseitigen Erlernen ihrer jeweiligen Sprachen, wobei der Schottin die Zeichensprache des BoandikStammes leichter fällt als dessen gesprochene Sprache. Daß mit dieser Zeichensprache auch komplexe Nachrichten kommuniziert werden können, wird deutlich, als Elisabeth Mirnat zu erklären versucht, wohin ihr Ehemann James gefahren ist: [She [ELISABETH] attempts to explain in very poor Boandik, but at last reverts to the easier Boandik hand and sign language, translating to herself in English: JAMES has gone by boat to send some stores to sheep farms on the coast.] (1991:185^)
Eine ähnliche Szene spielt sich zwischen den beiden Ehemännern James und Koonawar ab (1989:192). Auch hier wird die Botschaft von einer Figur simultan ins Englische übersetzt. Dies geschieht in erster Linie für das Theaterpublikum, denn es versteht sich, daß diese Zeichensprache zu komplex ist, um ohne solche Konventionen von einem nicht indigenen Publikum verstanden zu werden. Dabei macht die Ubersetzung gerade auf diese Komplexität aufmerksam. Uber die Funktion als Kommunikationsmittel hinaus erhält die Zeichensprache hier eine weitere Funktion. Die Zeichenfunktion steht metonymisch für einige größere Komplexe: Der Signifikant >Zeichensprache< verfügt über mehrere Referenten. Zum einen deutet sie auf das durch die Kolonialisierung zerstörte kulturelle System des Aborigine-Stammes hin: Der Verlust der Zeichensprache, die das Publikum ohne Ubersetzungshilfe nicht versteht, ist dabei nur ein Bestandteil dieses Systems. Zum anderen läßt sich die angedeutete Bevorzugung eines nonverbalen Kommunikationsmittels als interkulturelles Verständigungsmittel und als Diskurs verstehen, der gegen eine im westlichen Wertesystem verankerte Privilegierung linguistischer Sprachen gerichtet ist. Vermutlich ist es das Anliegen des Autors, einem breiteren Kreis zu demonstrieren, wie komplex Aborigine-Zeichensprachen waren und noch sind, was bislang nur einem ethnolinguistischen Fachpublikum bekannt war. Obwohl Zeichensprache in den Dramen von Jack Davis und Bob Maza nur gelegentlich eingesetzt wird, ist sie neben Liedern, Tänzen, Oralität und Körperbema61
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Kendon beobachtete ein vergleichbares Zeichen bei den traditionell lebenden Warlbiri. Das Zeichen für einen Polizisten oder die Polizei waren gekreuzte Arme, die Handschellen pantomimisch abbild'eten (1988:108).
lung als eines der Mittel zu betrachten, das Aborigine-Dramatiker zur Synkretisierung mit der westlichen Dramenform verwenden. Wichtig ist dabei, daß eine Zeichensprache auf die Bedeutung des Körpers als semiotischen Instruments hinweist. Unabhängig von der linguistischen Sprache erhält der Körper in synkretischen Dramen ein Ausdrucksvokabular, das im westlichen Sprechtheater ungenützt ist. Der Körper als Instrument ist auch ein geeignetes Stichwort zur Charakterisierung der Bewegungsästhetik beim südafrikanischen Township-Theater. Jeder, der einer Aufführung dieser Theaterform beigewohnt hat, kann die Signifikanz von nonverbalen Darstellungsmitteln, allen voran von Körperzeichen, bezeugen. Zuweilen entsteht der Eindruck, als stelle die Körpersprache der Schauspieler ein noch wichtigeres Kommunikationsmittel dar als der gesprochene Text. Einer der Begründer dieser Theaterform und Mitschöpfer von Woza Albert!, Percy Mtwa, hat in Anspielung auf Jerzy Grotowskis Konzept eines >armen< Theaters auf die Bedeutung des Körpers des Darstellers hingewiesen: You are using your body as the only instrument you have, and that body which you have can be anything, can bea piece of sculpture, it can sing, it can be a song, it can be movement, can be sound, can be anything, that body. So that is what he meant by poor theatre. 63
Mtwa artikuliert hier, wie der Körper des Schauspielers zum dominanten Zeichenvehikel der Aufführung wird. Beim Township-Theater kann man durchaus von einer Dominantenverschiebung zugunsten kinesischer Kodes sprechen. Diese umfassen Zeichensprache, Pantomime, Tanz und stilisierte, zur Skulptur tendierende Körperbilder. Auffällig ist vor allem, daß die Ubergänge zwischen diesen verschiedenen körperlichen Ausdrucksmodi äußerst fließend und die Kategorien oft schwer zu differenzieren sind. Obwohl der Hinweis auf Grotowski Aufschlüsse über die Rezeptionsprozesse mancher schwarzsüdafrikanischer Theaterkünstler gibt und eine grobe theaterstilistische Einordnung ermöglicht, bleiben die Parallelen mit Grotowskis Theaterarbeit der sechziger Jahre oberflächlicher Natur. Denn die Körperzeichen, die man bei einer Township-Aufführung findet, entstammen der enkulturierten Körpersprache der schwarzen Kultur in den Townships. Mit den weltanschaulichen Komponenten des Grotowskischen Theaters der sechziger Jahre haben sie dagegen wenig g e m e i n . 63
Percy Mtwa, »I've been an entertainer throughout my life«, Interview mit Percy Mtwa, Matatu: Zeitschrift für afrikanische Kultur und Gesellschaft 3/4 (1988), 160-175; hier S. 170. Im selben Interview erklärt Mtwa, daß er und Mbongeni Ngema durch ihre Lektüre der Grotowski-Schrift dazu inspiriert wurden, ihr ursprünglich für sieben bis acht Schauspieler konzipiertes Stück auf zwei zu reduzieren.
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Gemeint ist damit das zentrale Theaterkonzept Grotowskis, der im Schauspieler ein Instrument zur Verwirklichung einer religiösspirituellen Theateridee sah. In seiner Schrift Das arme Theater heißt es: »Der Schauspieler verwirklicht sich in einer totalen Hingabe. Es handelt sich um eine Technik der >TranceDurchleuchtung< aufscheinen« (1970:14). 189
Abb. 12: Percy Mtwa: Bopha!. ι. Szene: »Graduation Ceremony«. Foto: Christopher Balme
Bei unseren Ausführungen über die Körperzeichen haben wir darauf hingewiesen, daß die einfache Kostümierung der Township-Schauspieler auf der ikonographischen Ebene als Gegendiskurs zur Folklorisierung des schwarzen Körpers zu verstehen ist. Ebenfalls als Gegendiskurs ist der Körper auf der kinästhetischen Ebene zu werten, wie Martin Orkin in bezug auf Woza Albert! feststellt: »their bodies become signifiers in performance of energy, wit, and intelligence, skill, the capacity for humour and humanity - all that is denied in prevailing discourse« (i 991 :ii6). Auf der Grundlage von Fotos, die eine Aufführung von Percy Mtwas Bopha! dokumentieren, soll nun versucht werden, diese Signifikantenpraxis präziser zu charakterisieren. Dabei sollen zugleich für das Township-Theater drei Kategorien von kinesisch-gestischen Kodes herausgestellt werden. Bopha! beginnt mit einem Tanz bzw. mit einer Mischung aus Tanz, Gesang und rhythmisiert-choreographierten Bewegungen, wobei der Gesang ohne musikalische Begleitung ist, also am Körper selbst produziert wird. Dieser Komplex von Tanz-Gesang-rhythmischer Bewegung konstituiert eines der wichtigsten Identifikationsmerkmale für die Synkretizität dieser Theaterform. Hier vor allem zeigt sich der Einfluß traditionell-afrikanischer Darstellungsformen bzw. der Präeminenz rhythmischer Ausdrucksformen im Alltagsleben der Townships. Anlaß dieser Darbietung ist die Abschlußprüfungsfeier in einer Polizieakademie: Stage lights fade up as they [die Schauspieler] begin their police display routines. The physical training display is followed by the police drill. [...] The routines are transformed into a dance and towards the end of the dance a black sergeant comes forward. (Mtwa 1986:230)
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Abb. 13: BophaL 1. Szene: Nationalhymne. »Die Stem van Suid Afrika«. Foto: Christopher Β alme
Die hier abgebildete Szene zeigt, wie die bei der Polizeiausbildung praktizierten Abläufe der Körperertüchtigung mühelos in einen Zulu-Tanz hinübergleiten. Diese Bewegungsmontage von Drillroutinen und Tanz funktioniert zunächst als Unterhaltungseinlage. Gleichzeitig aber verweist sie auf die familiäre und soziale Konfliktlage, in der sich der schwarze Polizist im Apartheid-Staat befindet. Ein vergleichbar komplexer Umgang mit Bewegungskonventionen findet sich in Woza Albert!. Hier wird die an Gefangenen vollzogene Leibesvisitation in Form eines Tanzes dargestellt: » B O T H (doing >Towsa< dance, revealing empty orifices and armpits)« (1986:6). Die Übergänge zwischen enkulturierter Alltagskinesik und der formalisierten, akkulturierten Tanzbewegungen des 7bwid-Tanzes sind hier ebenfalls fließend. Zur Beschreibung dieses kinästhetischen Ausdrucksmittels ist am ehesten der Begriff eines Bewegungskontinuums angebracht. Als zweite Kategorie kinesisch-gestischer Kodes finden in Bopha! pantomimische Konventionen Anwendung. Das Foto (Abb. 13) zeigt, wie die drei Schauspieler pantomimisch eine Polizeikapelle darstellen, die die südafrikanische N a tionalhymne spielt. Auch zu dieser Kategorie findet sich eine Parallele in Woza Albert!, wo Percy Mtwa und Mbongeni Ngema pantomimisch und musikalisch eine Jazzband darstellen: The actors enter and take their positions quickly, simply. Mbongeni sits [...] Percy squats between his legs. A s they create their totem, the house-lights dim to blackout. O n the first note of their music, overhead lights come on, sculpting them. They become an 191
instrumental jazz band, using only their bodies and mouths - double bass, saxophone, flute, drums, bongos, trumpet etc. (Mtwa et al. 1986:3)
In diesem Beispiel wird der Körper wortwörtlich zum Instrument. Ihre Vorbilder holt sich diese Form der Pantomime nicht aus der bekannten europäischen Theatergattung, dramaturgisch verarbeitet werden vielmehr Alltagserfahrungen, die Mtwa als Jugendlicher in den Townships machte. In einem Interview beschreibt er die >Gründung< einer Rockband ohne Instrumente an seiner Schule: And then, somebody - just during that moment - started playing a song that was popular at that time - it was called Mr. Bull, it was very popular. And then he started miming it, playing the bass guitar with his lips and his voice and then another person started coming in with the drums, miming them as well and then, all of a sudden, there we were, miming this song and what came out was something very beautiful. (1988:160)
Armes Theater, wie es sich im realen Leben findet, hat also prägendem Einfluß auf die Zeichenproduktion im Township-Theater. Ungeachtet der Tatsache, daß diese Mittel auf kulturelle Praktiken der Township-Kultur zurückgehen, wirken sie auf ein Publikum außerhalb Südafrikas nicht fremdartig. Eine dritte Bewegungskategorie lehnt sich an die Bildersprache der Massenmedien an und ist daher keineswegs als >traditionell< oder >indigen< zu bezeichnen. In dem abgebildeten Beispiel aus Bopha!, einer Szene, in der es zu einem Zusammenstoß der Trauergäste eines Beerdigungszuges mit der Polizei kommt, imitiert die Aktion auf der Bühne kinematisch-fotografische Techniken. Um die Zeitlupen- bzw. freeze-frame-Technik des Films anzudeuten, wird die Bewegung auf der Bühne verlangsamt (vgl. Abb. 14). Stilisierte Bewegungen wie diese dienen dazu, eindrucksvolle, medienähnliche Bilder zu schaffen. Dazu kommentiert Percy Mtwa: »These images that I present there on that stage, it is like a photographer -pah!- and it is there.« (1988:174) Das Beispiel illustriert die produktive Rezeption der Kodes der Massenmedien durch die Township-Theatermacher: Szenen, wie die Darstellung des Massakers an Trauergästen, gehören zu jenen Alltagserfahrungen der Township-Bewohner, über die in der Massenmedien in der ganzen Welt berichtet wird. Diese Form der Berichterstattung wirkt auf die Bühnentechniken zurück. Die Massenmedien als Generatoren und Distributionsmechanismen von Zeichen und Symbolen sind ein wichtiger Einflußfaktor besonders für neuere Beispiele des synkretischen Theaters. Ihre Kodes finden auch in der Theaterästhetik eines >armen< Theaters ihren Niederschlag. Die Massenmedien transportieren nicht nur Sprach- und Musikgewohnheiten, sondern schreiben sich auch in bewegungsästhetische Darstellungsformen ein.
17. Der tanzende Körper: Zur Dramaturgie des Tanzes Im westlichen Theater versteht man unter akkulturativen körperlichen Darstellungstechniken die einer strengen Ausbildung unterworfenen Formen des Tanztheaters oder das pantomimische Theater. Beide Theatergattungen führen ein Ei192
Abb. 14: Bopha!. Balme
13. Szene: Straßendemonstration und Polizeiangriff. Foto: Christopher
genleben, entweder wie im Falle des Balletts, des Tanztheaters und des pantomimischen Theaters als autonome Theaterform, oder als klar abgetrennter Bestandteil einer Aufführung, wie im Falle der Tanz- und Balletteinlagen von Opern, Operetten und des amerikanischen Musicals. Während sich im abendländischen Theater diese Ausdifferenzierung als entwicklungsgeschichtlich zweckmäßig erwiesen hat, kann man für das synkretische Theater eine gegenteilige Tendenz feststellen. Dies zeigt die Auswahl der hier besprochenen Beispiele. Wenngleich sie eindeutig dem Sprechtheater zuzurechnen sind, fehlen in kaum einem Text Erscheinungsformen des Tanzes in unterschiedlichen szenischen und dramaturgischen Funktionen. Im auffälligen Gegensatz zu den Gattungsnormen des abendländischen Dramas des 19. und 20. Jahrhunderts, weist das synkretische Theater als gattungstypisches Merkmal vielgestaltige Tanzformen in verschiedenen Funktionen auf. 6 '
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"> Wenn Tanz in einem Drama dieser Epoche vorkommt, verdient er als Ausnahmeerscheinung besondere Aufmerksamkeit. Zwar gibt es aus epochengeschichtlicher Sicht Perioden, in denen solche Integrationsversuche häufiger auftreten, doch lassen sich derartige Experimente im euroamerikanischen Drama an einigen wenigen Namen festmachen. Neben Strindberg, Wilde und Yeats konzentriert sich die überschaubare Forschung zum Komplex Tanz im Drama der Moderne auf Hofmannsthal, dessen Interesse an Tanz im Drama und Tänzerinnen bekannt ist sowie auf den englischen Dramatiker John Arden, aufgrund von dessen Hauptwerk Sergeant Musgrave's Dance (1958).
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In synkretischen Theatertexten ist der Tanz dagegen ein so markantes und allgegenwärtiges Merkmal, daß umfassende Analysen der in diesen Texten vorkommenden Tanzstile und ihrer kulturellen Wurzeln im Rahmen der vorliegenden Untersuchung kaum zu leisten sind. Der Grund für die zahlreichen Beispiele tänzerischer Ausdrucksformen erklärt sich zunächst aus dem Kerngedanken des Theatersynkretismus selbst. Wenn das Hauptmovens des synkretischen Theaters in dem Wunsch nach einer kulturgemäßen, die indigenen kulturellen Darstellungsformen berücksichtigenden Theaterform zu suchen ist, so liegt die Annahme nahe, daß die autochthonen Formen des Tanzes eine theateranthropologische Konstante darstellen. Bekanntlich verfügt jede Kultur über Tänze, und, betrachtet man das Theater in einem evolutionsgeschichtlichen Zusammenhang, so gilt Tanz gewissermaßen als Wiege des Theaters.66 Trotz dieser entwicklungsgeschichtlichen Verbindung zwischen Tanz und Drama haben sich diese beiden Ausdrucksformen im abendländischen Kulturraum mit der Zeit so weit ausdifferenziert, daß eine Wiedereingliederung nur punktuell und nicht strukturell möglich ist. Das primäre künstlerische und dramaturgische Problem für Exponenten des synkretischen Theaters besteht daher darin, diese mit der westlichen Dramengattung tradierte Formdichotomie zu überwinden und neue Integrationsmöglichkeiten der beiden performativen Kodes aufzuzeigen. Einen Lösungsversuch stellt Derek Walcott in seinen Bemühungen um ein karibisches Theater vor. Dieses Modell ist weniger dramaturgischer als schauspielpädagogischer Natur und verlangt eine Konvergenz von Schauspiel- und Tanzkunst. Anläßlich der Aufführung einer neuen »folk operetta« in Trinidad erörtert Derek Walcott im Jahre 1966 einige grundsätzliche Probleme bei der Schaffung eines indigenen Musiktheaters. Dabei geht es ihm um jene Form, die sich auf eine musikalische und choreographische Simulation von indigenen kulturellen Ausdrucksformen beschränkt, anstatt sie neu zu interpretieren und zu adaptieren. Als Beispiel verweist Walcott auf die von Beryl McBurnie geleitete Trinidader Tanztruppe The Little Carib Dance Company und deren Choreographierung von Besessenheitstänzen: The power and validity still alive enough in the West Indies almost resists tampering. Real bongos, shangos or pocomania dances are possessed by the faith of their cultists who are not performing when they dance, but are enacting their belief. The choreographer, therefore, prefers to simulate such possession as closely as possible, a technique that draws the dancer closer to acting, and acting emphasises dramatic development. (19663:5) 66
Gemeint sind hier die Passagen in Aristoteles' Poetik zum Dithyrambus, die den entwicklungsgeschichtlichen Ausgangspunkt für die meisten theaterhistoriographischen Gesamtdarstellungen des abendländischen Theaters bilden. Als pars pro toto vgl. Phyllis Hartnols einbändige Theatergeschichte Westeuropas: »Der Ursprung des modernen Theaters liegt im Dithyrambus, einem einstimmigen hymnischen Rundgesang oder Rundtanz um den Altar des Weingottes Dionysos«, Das Theater, (Wien: Molden 1970), S.8.
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N e b e n der Lebendigkeit der hier angesprochenen Tänze, die noch in ein intaktes rituelles Glaubensystem eingebunden sind, hebt Walcott den theatralen Aspekt dieser besonderen Tanzform (»enacting their belief«) hervor, die eigentlich eine F o r m der Schauspielkunst sei. D e r Tänzer als Schauspieler, oder besser der Schauspieler als Tänzer, ist einer der zentralen Forderungen Walcotts an das zu schaffende karibische Theater. Hier spielt zum einen das von ihm immer wieder hervorgehobene Kabuki-Theater eine wichtige Rolle. 6 7 Z u m anderen sei die Beherrschung von Tanzschritten ein kulturelles Wissen, über das alle Darsteller in Walcotts Schauspieltruppe verfügen sollten: »All of these actors move well. T h e y don't dance in the ballet or modern idiom; they are not abstract dancers. T h e y can do dances which are spontaneous and have more to do with acting than with dance.« ( 1 9 7 0 ^ 4 9 ) Sein Ziel ist ein Körper- und Bewegungstheater, das die verschiedenen bewegungsästhetischen Einflüsse, die aus China, Indien und A f r i k a auf die karibische Kultur einwirken, aufnimmt und sie durch einen Synkretisierungsprozeß - Walcott spricht von »cross-fertilization« - kombiniert, um »a true and terrifying West Indian theatre« (Ib.) hervorzubringen. Die Forderung nach einem Schauspieler-Tänzer und einer Mischform von Tanz und Sprechtheater bildet ein Leitmotiv in Walcotts theoretischen Schriften. In einem Artikel mit dem programmatischen Titel »Mixing the Dance and D r a ma« nimmt Walcott seine Rezension einer A u f f ü h r u n g der Trinidader Tanztruppe, Astor Johnsons Repertory Dance Theatre zum Anlaß, das Thema wiederaufzugreifen: »It was a piece like this which again indicates how much nearer w e are getting to a spontaneous fusion of drama and dance without patterning ourselves on the old-fashioned American musical that still cramps our concept of form.« (1972:5). Gegen eine Fragmentarisierung des Theaters und mit ihm der schauspielerischen Techniken in getrennte Sparten wehrt sich auch Errol Hill in seinem Programm f ü r ein Theater des Karnevals. Diese Fragmentarisierung und Spezialisierung betrachtet Hill als eine der Entwicklung eines karibischen Theaters abträgliche importierte Tradition«, die bei der Ausbildung neuer Schauspieler konterkariert werden müsse: »actors will need to be trained as dancers, singers and possibly as musicians.« ( 1 9 7 2 : 1 1 6 ) Diese von Walcott und Hill programmatisch erörterte Verbindung von Schauspiel- und Tanzkunst im Darstellungsstil kommt einer Aufhebung der Differenzierung von enkulturativen und akkulturativen Körpertechniken in Theater gleich. Gemeinsame Grundlage f ü r beide Dramatiker ist die Erkenntnis, daß der Tanz in der karibischen Kultur einen bedeutenden Kulturtext darstellt. Eine autochthone karibische Theaterform müsse an diesen kulturspezifischen Stellenwert anknüpfen, um bei der breiten Bevölkerung eine Resonanz finden zu wollen. Wenn der Tanz als Kulturtext erkennbar bleibt, hat er eine mimetische Signalfunktion und dient als Index historischer und/oder kultureller Authentizität. 67
Vgl. dazu Earle Emsts Charakterisierung des japanischen Darstellers: »As a generalization it can be fairly said that all Kabuki movement shows the qualities of dance movement.« Earle Ernst, The Kabuki Theatre, (New York: Grove Press 1956), S. i68f.
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Bereits in den in den dreißer Jahren entstandenen Stücken H. I. E. Dhlomos, die überwiegend im 19. Jahrhundert spielen und verschiedene Begebenheiten schwarzsüdafrikanischer Geschichte zum Thema haben/ 8 wird im Zusammenhang mit zeremoniellen bzw. rituellen Anlässen getanzt. Allerdings heißt es in Dhlomos didaskalischen Anweisungen lakonisch »dancing« oder »singing and dancing«, ohne weitere generische Spezifizierung. Eine vergleichbare Funktion findet sich in Ola Rotimis historischem Drama Kurunmi, das Begebenheiten der Yoruba-Geschichte im 19. Jahrhundert zum Thema hat. Wie bei Dhlomo dient Tanz hier der Charakterisierung einer traditionellen Lebensweise. Deshalb legt Rotimi Wert auf Authentizität bei der Darstellung. So verlangt er bei der Ausführung der Kriegstänze »expert choreography« (197^:62). Bei beiden Autoren wird die ursprüngliche Semantik des Tanzes weitgehend beibehalten. Es entstehen auch keinerlei Versuche, den Tanz für komplexere dramaturgische und/oder ideologische Funktionen im Sinne eines Gegendiskurses zur westlichen Theatertradtion dienstbar zu machen. Daß der Tanz als Gegendiskurs zu westlichen Praktiken eingesetzt werden kann, demonstriert der Kenianer Ngugi wa Thiong'o in Erläuterungen zu seinem auf zunächst Giküyä verfaßten Theaterstück Ngaahika Ndeenda, das er gemeinsam mit Ngugi wa Miri als I Will Marry When I Want ins Englische übertrug. 6 ' Im Gegensatz zur >dekorativen< Funktion im westlichen Theater haben Gesänge und Tänze bei diesem kollektiv erarbeiteten Stück eine >integrale< Funktion: Song and dance are not just decorations, they are an integral part of that conversation, that drinking session, that ritual, that ceremony. In Ngaahika Ndeenda we too tried to incorporate song and dance as part of the structure and movement of the actors. (1986:45)
In dieser Bemerkung macht die kurze Liste (»that conversation, that drinking session ...«) deutlich, daß Tanz in der ostafrikanischen Kultur in unterschiedlichen Lebensbereichen zur Anwendung kommt. Die Besonderheit des Werkes / Will Marry When I Want, das eine überschaubare, einsträngige Handlung und thematische Ausrichtung hat, liegt im Einsatz von Gesängen und vor allem Tän68
Diese sind The Girl Who Killed to Save, Ntsikana, Dirigane, Cetshwayo und Moshoeshoe, alle abgedruckt in Dhlomos Collected Works (1985). 6< > Das Stück wurde im Rahmen eines 1979 am Kamírñthü Bildungs- und Kulturzentrum in Limuru, Kenia, durchgeführten community project erarbeitet. Die Arbeit am Stück schildert Ngugi in seinem Buch Decoionising the Mind (1986). Eine Giküyü-Fassung erschien 1980 im Druck. Das Projekt hat bereits erhebliches Forschungsinteresse erregt, wodurch es in einem interessanten Diskursfeld situiert ist: Betont Ngugi die regionale Bedeutung des Projekts als Beitrag zur lokalen kulturellen Produktion, so garantiert die Person des international renommierten Schriftstellers und die durch das Projekt ausgelösten politischen Kontroversen eine Internationalisierung und Verallgemeinerung der Projektprinzipien; vgl. hierzu Eckhard Breitinger, »Multi-, Trans-, oder Interdisziplinarität? Neue Literaturen und alte Wissenschaftsorganisationen«, Mediating Cultures: Probleme des Kulturtransfers, Bd. 1., ed. Norbert H. Platz, (Essen: Die Blaue Eule 1991), 172—187, hier S. 175 und Anmerkung 4 für weiterführende Literatur zum Projekt und Stück.
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zen als Abbildung seiner Funktionalität im realen Leben. Rein quantitativ halten sich die Tanz- und Gesangspartien mit den dialogischen Passagen die Waage. Bei genauer Betrachtung zeigt sich, daß dem Tanz neben einer mimetischen eine komplexe dramaturgische Funktion zukommt. So fungiert der Tanz an mehreren Stellen als kinästhetisches Gedächtnis. Einige Tanzschritte der Hauptfigur Kfgüünda leiten z.B. eine Rückblende ein, in der er als junger Mann zeigt, wie er mit denselben energischen Tanzschritten seine künftige Frau beeindruckt: He starts the Mücüng'wa. In his head he begins to see the vision of how they used to dance the Mücüng 'wa. Actual DANCERS now appear on stage led by Ktgüünda and his wife. (Ngugi 1982:11)
Wie alle anderen Tänze im Stück verfügt auch dieser über eine vielschichtige Referentialität. Zum einen hat der Tanz eine präzise politisch-historische Dimension: Durch ihn erinnert sich Kfgüünda an die politische Ära vor dem Ausnahmezustand (1952-1962) in Kenia. Mit der Jugenderinnerung erschließt der Tanz zum anderen eine persönlich-zwischenmenschliche Perspektive. Schließlich unterstreicht Ngugi bei seiner Inszenierung des Stückes im Einklang mit der afrikanischen Tanzästhetik das kollektive Moment des Tanzes: Damit der Tanz in seiner kulturgemäßen Darbietungsform präsentiert wird, gesellt sich zu dem Paar auf der Bühne eine Gruppe von Tänzern. Der Tanz Mücüng'wa ist nur ein Beispiel von mehreren Tänzen, die Ngugi namentlich spezifiziert. Es handelt sich also nicht um eine choreographische Erfindung des Autors bzw. Regisseurs, sondern um einen fest umrissenen Kulturtext mit einem definierbaren Aussagewert.?0 Ahnlich komplexe dramaturgische Funktionen finden sich in den Tanzszenen in den Werken von Jack Davis. In seinem Stück The Dreamers drückt das nonverbale Ausdrucksmittel des Tanzes szenische Zeichenvorgänge aus, die mit den Mitteln der Sprache nicht kommunizierbar wären. So spezifiziert Davis bei der Tänzer-Figur in The Dreamers den genauen akkulturierten Bewegungsstil der traditionellen Tanzsprache: »in stylized rhythmic steps [he] searches for a straight stick [...] striking the mirrolgah stance?1 against a dramatic sunset as the music climaxes and cuts.« (1982:99) Die Problematik von Tanz und Tradition erfährt aber auch eine ganz andere Darstellung. Am Ende von Akt I, 4. Szene, versucht der alte Worru den >Jungen< einen traditionellen Tanz vorzuführen. Die Szenenanweisung verdient ausführlich zitiert zu werden, weil Davis hier ein exakt komponiertes Bewegungsszenario entwirft, in dem Tänze als verschiedene Kulturtexte nebeneinander gezeigt werden: ELI: GO on, Pop, git up an' show 'ima real middar. G o o n oldy, a real dinkum yahllarah. WORRU: Awright, awright, I'll show you fellas, me an' Nindal we danced for the Prince of New South Wales. 7° Nach Aussage von Ngugi trugen die Teilnehmer des Projekts zur Auswahl und Gestaltung der Tänze und Gesänge bei; vgl. Interview in Beyond the Theatre, ed. Hansel Ndumbe Eyoh, (Bonn: Deutsche Stiftung für internationale Entwicklung 1991), S. 147. 71 Diese ?raVro/ga¿-Haltung hat nach dem Kommentar von Davis zwei Bedeutungen: es kann eine Gleichgewichtshaltung oder den Akt des Speerwurfs bezeichnen. (1982:144)
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[ W O R R U rises and begins a drunken stumbling version of a half-remembered tribal dance. PETER turns the volume up and continues his own disco dance. W O R R υ pushes him aside and dances to the amusement of ELI and ROY until his feet tangle and he falls heavily. The scene freezes, the light changes, and the radio cuts abruptly to heavy rhythmic didjiridoo and clap sticks. An intricately painted dancer appears on the escarpment and dances down and across in front of them, pounding his feet into the stage. Finally, he dances back up the ramp where he poses for a moment before the light snaps out on the last note of music.] (1982:86)
Der Kulturtext Tanz spiegelt in dieser Sequenz drei Phasen kulturellen Verfalls wider. Der Endpunkt der Entwicklung wird deutlich an der Figur des jungen Eli. Er kennt zwar noch die Namen der traditionellen Tänze (middar, yahllarah) zieht seinen »disco dance« aber solchen Tänzen vor (Phase 3). Der Vollzug des enkulturativen Bruchs wird an der Figur des betrunken-torkelnden Worru sichtbar (Phase 2). Die Regieanweisung »half-remembered« suggeriert, daß Worru sich das kulturelle Wissen zwar erhalten hat, aber nicht fähig ist, es an die nachfolgende Generation weiterzugeben. Der Auftritt der Tänzer-Figur schließlich, der den von Worru bruchstückhaft vorgeführten Tanz vervollkommnet, verweist auf die vorkoloniale bzw. mythische Zeit (Phase 1), als Enkulturationsprozesse noch funktionierten. Helen Gilbert stellt die beiden Bewegungsabläufe kontrastierend gegenüber und deutet sie als Ausdruck einer doppelten Aborigine-Identität: »Here, the interrelationships of the two sets of movements produce an Aboriginal identity that reflects contemporary black reality, but which is, at the same time, also mythic, and therefore resistant to the dominant normalizing impulses of that reality.« (1992:142) Bilder, die zugleich Sozialkritik und eine mythische Wirklichkeitsebene enthalten, sind in solcher Verdichtung durch das Medium der Sprache kaum zu erreichen. So wird der aus rituellen Darstellungen übernommene Tanz zum Vermittlungsmodus einer Erfahrungswelt, die mit der Ästhetik des kitchensm^-Realismus nicht zu fassen ist. Die polysemische Ausdruckskraft dieser Szene erklärt sich auch aus den proxemischen Aspekten des Tanzes. Das physische N e beneinander zweier tanzender Körper - der bemalte Aborigine-Tänzer mit seinen eindrucksvollen Bewegungen neben dem alten Mann, der in Unterhemd und Hose auf dem Boden liegt - schafft eine Bedeutungsdimension, die dem Konnex von Bewegung und Raum, also der Ästhetik des Tanzes, zugrundeliegt. Zwar spielt körperliche Proxemik auch beim Sprechtheater keine unwichtige Rolle, beim Tanz jedoch konstituiert sie die dominante ästhetische Wirkung. Eine koloniale Begegnung in Tanzform präsentiert die tänzerisch-pantomimisch gestaltete Eröffnungsszene von Bob Mazas Stück The Keepers. Aborigines und Schotten treten sich in drei kontrastierenden Tänzen gegenüber. Die erste Begegnung der beiden Hauptfiguren des Stückes, Mirnat und Elizabeth, findet also in der stilisierten Form des Tanzes statt. Von den beiden Ausführenden ist einer in ein weißes, der andere in ein schwarzes Trikot gekleidet. Abwechselnd führen sie zuerst einen Tanz über den Ort ihrer Herkunft (»a dance of the home of the Boandik«, »a dance of Scotland«), danach einen »courting dance«, und schließlich einen symbolischen Tanz der Geburt auf. In der Sprache des Tanzes 198
werden jeweils kulturspezifische Formen vergleichend vorgeführt. Mit Hilfe des Tanzes arbeitet er kulturelle Differenzen plastisch heraus, ohne Hierarchien aufzustellen. Damit verweist Maza auf die Tatsache, daß das Zeichensystem Tanz, ähnlich wie die Musik, größere Zugangsmöglichkeiten in eine andere Kultur und bessere Kommunikation zwischen Kulturen bietet, als etwa die Sprache/ 2 Allerdings geht es in dem Stück keineswegs um eine Verklärung der Harmonie zwischen den Kulturen, sondern im weiteren Verlauf wird die Zerstörung der Boandik-Kultur thematisiert. Die Eröffnungsszene mutet da wie eine Utopie an. Waren die Tanzszenen in den bisher angeführten Beispielen gesamtdramaturgisch gesehen eher kurze Interlüden, so soll nun ein Werk betrachtet werden, das wegen der dominanten Rolle des Tanzes eine für die Gattung Drama ungewöhnliche Kodehierarchie aufweist. Wole Soyinkas Death and the King's Horseman ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie indigene Tänze formal so in eine dramatische Handlung integriert werden können, daß eine Dominantenverschiebung zugunsten nonverbaler Zeichen stattfindet. In keinem anderen Stück Soyinkas wird den kinesischen Zeichen so viel Aufmerksamkeit geschenkt wie in diesem. Auffallend ist, daß abgesehen von der Schlußszene beinah unentwegt getanzt wird. Dabei werden Afrikaner wie Europäer tanzend gezeigt. Die zahlreichen das Stück strukturierenden kulturellen Vergleiche finden auch auf dieser kinesischen Ebene statt. Es ist wichtig anzumerken, daß kinesische Zeichen häufig zur Proxemik und zur Raumwirkung in Beziehung gesetzt werden. Das heißt, daß Bewegung und Tanz in kulturell semantisierbaren Räumen stattfinden und auf diesem Hintergrund zu verstehen sind.73 So beginnt das Stück auf dem Markt, einem für die Yoruba-Kultur wichtigen Kommunikationsort. Dorthin begibt sich der Reitergeneral, Elesin, für die letzten Stunden vor seinem bevorstehenden rituellen Selbstmord. Begleitet wird er von Trommlern und einem Praise-Singer. Der Auftritt der Hauptfigur wird durch Trommelrhythmen und Tanz markiert. Die erste Regieanweisung charakterisiert Elesin als »a man of enormous vitality, speaks, dances and sings with that infectious enjoyment of life which accompanies all his actions« (1984:147). Allein dieser erste visuelle Eindruck signalisiert die für alle Alters-und Standesgrenzen geltende Bedeutung von Tanz in der Yoruba-Kultur.™ Tanz und Musik sind hier eng mit dem Tod verbunden. In der Yoruba-Kultur fungiert der Tanz als Vehikel, mit dem man sich zu den Ahnen begibt/' Elesin 71
Daß dieser Tanz von Frauen dargestellt wird, unterstreicht den gender-Aspekt dieser Begegnung; vgl. hierzu Gilbert 73 Auf die raumsemantischen Aspekte des Stückes wird im Kap. 19 gesondert eingegangen · 74 Vgl. hierzu R.F. Thompsons ästhetische Kategorie für afrikanische Bewegung, Ephebismus, die er als »the cult of youth« bezeichnet: »People in Africa, regardless of their actual age, return to strong, youthful patterns whenever they move within the streams of energy which flow from drums or other sources of percussion.« (1974:7). 7' Vgl. Soyinkas Widmung an seinen verstorbenen Vater: »who lately danced, and joined the Ancestors.« (Ib. 143) 199
will sich in den Tod tanzen, um so seinem verstorbenen König auf dem Weg zu den Ahnen Geleit zu gewähren: »This night I'll touch feet with their feet in a dance that is no longer of this earth.« (Ib. 148) Durch die kontinuierliche Bewegung entsteht eine Dynamik zwischen Elesin und dem Praise-singer. Dieser bestärkt den Tanzenden in seiner Entschlossenheit und warnt vor Rückzugsversuchen, indem er Elesin an seine Pflichten erinnert. In dieser Debatte werden Argumente vermittels Tanz, Sprache und Gesang ausgetauscht. Unterbrochen wird das rhythmische Hin-und-Her, als Elesin die Geschichte des »Not-I bird« erzählt. Da darin eine Ablehnung des Todes thematisiert wird, paßt diese Geschichte nicht in den ritualisierten Dialog. Das geht aus der Regieanweisung hervor: »PRAISE-SINGER: (Stopped in his lyric stride) The Not-I bird, Elesin?« (Ib. 149) Diese Regieanweisung ist eine lakonische Summation des Darstellungsstils der Szene, da sie sowohl die Musikalität der verbalen Repliken als auch die Rhythmisierung der Bewegung zum Ausdruck bringt. Die Geschichte des »NotI bird« ist ein mit kinästhetischen und sprachlich-musikalischen Mitteln dargestellter performativer tour-de-force. Der Stellenwert, der den tänzerischen Zeichen im Rahmen der Oralität zukommt, wird hier deutlich: ELESIN executes a brief, half-taunting dance. The drummer moves in and draws a rhythm out of his steps. ELESIN dances towards the market-place as he chants the story of the N o t - I bird, his voice changing dexterously to mimic his characters. H e performs like a born raconteur, infecting his retinue with his humour and energy. (Ib.: 149)
Die erste Anweisung, »a brief, half-taunting dance«, läßt erahnen, über welch subtile kinesische Ausdrucksmöglichkeiten die afrikanische Bewegungsästhetik verfügt. Elesins Tanzschritte sind eine physische Antwort auf die Mahnung des Praise-singer, der das Thema der Geschichte nicht gutheißt. Besonders das Partizip »half-taunting« unterstreicht eine Differenziertheit des Ausdrucks, die man sonst nur verbalen Zeichen zugesteht. Die Reaktion des Trommlers, der seinen Rhythmus aus Elesins Tanz bezieht, verweist auf ein weiteres Merkmal der afrikanischen art in motion. Angesprochen ist die Kategorie call-and-response, die einen ständigen Dialog zwischen kinesischen und musikalischen Kodes and Botschaften signalisiert. Thompson erläutert dazu, daß der Respons selbst ein aktives, handlungsbestimmendes Element der Darstellung ist, der einen Einfluß auf den »Rufer« ausübt und zur Kontrollinstanz werden kann.?6 Der Szenenwechsel zum Tango-Tanz des in £g«»g«»-Masken gehüllten Ehepaares Pilkings illustriert den krassen Gegensatz zwischen den Tanztraditionen der beiden Kulturen. Dabei wird deutlich, daß dem Tanz klar erkennbare Zeichenfunktionen zukommen. In der Yoruba-Kultur steht der Tanz für Vitalität und kulturelle Kohäsion. Er ist zugleich Unterhaltungsform, ästhetisches Ausdrucksmittel, Machtbeweis und metaphysisches Bindeglied. Demgegenüber repräsentiert das Bild eines mit sakralen Yoruba-Masken kostümierten britischen 76
Nach Thompson spiegelt die Beziehung zwischen Führer und Chor im afrikanischen Tanz und Gesang ein politisches Prinzip wider: Der Respons des Chors sei »a direct expression of public sanction and opinion.« (1974:27)
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Abb. 15: Wole Soyinka: Death and the King's Horseman. 3. Szene: Die Marktfrauen und Amusa. Royal Exchange Theatre, Manchester, 1990. Foto: Jan Woollams
Ehepaares, das einen argentinischen Tanz vorführt, ein Konglomerat an Inkongruitäten. In Abgrenzung zu diesem etwas karikierenden Europäer-Bild arbeitet Soyinka die ihm wichtigen Merkmale der Yoruba-Kultur um so deutlicher heraus. Diese indigene Kultur wird vor allem in performance sichtbar, wobei die Körperästhetik das dominante Zeichensystem bildet. Eine spektakuläre Vorführung der Yoruba-performance culture enthält die dritte Szene, in der Elesin versucht, sich in eine Todes-Trance zu versetzen. Hier steht afrikanische Bewegungskunst in ihren kinästhetischen und religiösen Ausprägungen im Mittelpunkt. Die Szene zerfällt in zwei Teile: Im ersten Teil stellen die Marktfrauen die schwarzen Polizisten mit verbalen Attacken bloß. Im zweiten Teil demonstriert Elesin seine rhetorischen Fähigkeiten, während er kraft seines Willens langsam in den Tod hinübergleitet. Beide Teile unterstreichen verschiedene Aspekte verbaler Überlegenheit. Doch wird die Redegewandheit der Marktfrauen unterstützt und begleitet durch präzis festgelegte kinesische Zeichen. Soyinka spezifiziert klar umrissene Bewegungsmuster: die fließendwechselnden, verspottenden Bewegungen der Frauen kontrastieren mit der steifen Haltung der Polizisten, die zu kämpfen haben, um ihre Autorität und Würde zu bewahren (vgl. Abb. 15). Mit dem Abgang der Polizisten verschwindet auch die letzte Spur europäischer Rigidität; afrikanische Zeichensysteme dominieren die Szene nun vollkommen. Dieser Wechsel wird durch das Tanzlied der Frauen markiert, das Soyinka 201
ein »song and dance of euphoria« (Ib.: 180) nennt und für das er ein choreographisches Szenario angibt. Unterbrochen wird der Tanz durch den Auftritt Elesins, der ein blutbeflecktes Brautlaken präsentiert. Elesin beginnt nun eine lange lyrische Rede, die in seinen Trance-Tanz überleitet. Der in Trance versetzende Tanz ist in westafrikanischen Kulturen sowohl eine verbreitete Darstellungsform als auch ein Vehikel der Religionsausübung. Soyinka bedient sich in seinen Dramen wiederholt der inhärenten Theatralität der Trance.77 Die zentralen Metaphern in Elesins den Tanz einleitenden Rede sind Reiter und Pferde. Damit verweisen sie nicht nur auf Elesins Stellung als »the king's horseman«, Begriffe wie >ReitenReitkunst< und >Geritten-werden< gehören zugleich zum Wortschatz der Yoruba-Besessenheitskulte78 Wenn Elesin die Bitte ausspricht: »make my limbs strike earth like a thoroughbred« oder »the stallion will ride in triumph on the back of man« (1984:182^), widerspiegelt diese Ausdrucksweise nicht nur eine wichtige ästhetische Kategorie, sondern auch die Idee eines vom Gott gerittenen Adepten. In African Art in Motion widmet Thompson (iyj^.jyfi.) dem Thema Reiter- und Pferdedarstellungen in der westafrikanischen Plastik ein ganzes Kapitel. Vor allem in den Holzskulpturen der Yoruba seien solche Motive sehr verbreitet. Er merkt an, in solchen Kunsttraditionen und Darstellungen fänden sich »suggestions of incarnation and mystical union« sowie eine fast ausschließliche Beziehung zu Königen, Herrschern und anderen hochgeborenen Personen. Daher liegen Soyinkas Beschreibung von Elesins Bewegungen Vorstellungen zugrunde, die in der Kultur der Yoruba verankert sind und den Komplex Macht-Skulptur-Tanz zusammenfassen: His dance is one of solemn, regal motions, each gesture of the body is made with a solemn finality. The WOMEN join him, their steps a somewhat more fluid version of his. (Ib.:i82)
In dieser Schilderung finden sich mehrere der ästhetischen Kategorien von Thompson wieder. Da ist zum einen der Aspekt Vital Aliveness,79 außerdem das bereits erwähnte Call-and-Response-Prinzip, das eine harmonische Beziehung zwischen Chorführer und Chor ausdrücken soll. In der diese Szene abschließenden Regieanweisung kommt eine weitere ästhetische Kategorie zum Ausdruck: »Elesin's dance does not lose its elasticity but his gestures become, if possible, even more weighty.« (Ib.: 186) Der Begriff der bewegungsästhetischen Elastizität 77
Jedoch wird das Phänomen Besessenheit unterschiedlich dargestellt, mal in satirischskeptischer Manier wie bei Kongi's Harvest und The Trials of Brother Jero, mal ernsthaft wie bei The Road. Vgl. hierzu den Aufsatz von Dapo Adelugba, »Trance and Theatre: The Nigerian Experience«, in: Ogunbiyi (1981). Im Falle von Kongi's Harvest wagt Adelugba die These, das ganze Stück stehe im Zeichen der Besessenheit: »[It] may be seen as a sustained Bori rite with all the entranced characters acting in consonance with the spirit they are possessed by.« (1981:208) 78 Die Vorstellung, daß der Besessene vom Geist »geritten« wird, ist allerdings in VodounVerehrung besser bekannt. 79 Thompson bestimmt: »the dancer must import equal life, equal autonomy, to every dancing portion of his frame.« (1974:9)
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findet bei Thompson unter dem Stichwort Flexibility Erwähnung. Selbst auf dem Ubergang zum Tode läßt Soyinka den Körper des tanzenden Elesin als ein Spiegelbild afrikanischer Ästhetik erscheinen. Ahnlich wie der Szenenwechsel zur zweiten Szene bildet der zu einem Maskenball in der kolonialen Residenz in der vierten Szene einen scharfen Kontrast, der vor allem über die Tanzsprache und Musik vermittelt wird. Bei den Kolonialherrn wird Walzer getanzt. Der Ehrengast, der Prince of Wales, und seine Gefolgschaft sind »in seventeenth century European costume« gekleidet (Ib.:i86). Ein im Vergleich zu dem von Elesin vollzogenen Ritual kümmerliches »ritual of introductions« findet statt, und Pilkings und seine Frau demonstrieren das Egungun-R itual: [They] demonstrate the dance steps and the gutteral sounds made by the harrass other dancers in the hall, M R S P I L K I N G S playing >the restrained to manic darts. (Ib.: 187)
egungun, PILKINGS'
Hier wird der egungun zum folkloristischen Partygag degradiert. Nicht nur die Maskierung wird entweiht, sondern auch die vom Maskentänzer hervorgebrachten Geräusche und Bewegungen, die für die Yoruba die göttliche Verkörperung des Tänzers indizieren, werden als exotische Kuriosität lächerlich gemacht. In Death and the King's Horseman gelingt es Soyinka, den Tanz in seiner vielfältigen Semiotik einzusetzen. Die ästhetische Dimension afrikanischer Tanzkunst, vertreten durch die Yoruba-Figuren, bildet eine Dominante in der Struktur des Stückes. Diese ästhetische Dimension wird durch die Anbindung an die religiöskultische Weltanschauung der Yoruba um eine metaphysische Funktion ergänzt. Der Tanz ist zugleich ein dramaturgisches Mittel, das auf einer aussagekräftigen Montagentechnik beruht. Die Szenenwechsel sind kontrapunktisch strukturiert, so daß der Ubergang von der Yoruba-Welt zur Kolonialwelt sich auf der Basis kontrastierender Tanzformen vollzieht. Diese kontrapunktische Verwendung der kinästhetischen Kodes erweist sich als äußert effektive und innovative Form des Kulturvergleichs.
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VII.
Raumkonzeptionen
18. Zur Dekolonisierung des Theaterraums We heard of the existence of a National Theatre and ran to it full of joy and anticipation. We discovered that there was no theatre, there was nothing beyond a precious, attractive building in the town centre [...] it was disconcerting to find a miniature replica of a British provincial theatre. (Wole Soyinka 1962)'
Wole Soyinkas Enttäuschung darüber, daß das im Jahre 1962 neu gegründete Nationaltheater Ugandas wenig mehr als ein Duplikat eines britischen Provinztheaters war, ist symptomatisch für das Denken von Dramatikern, Regisseuren und Theaterreformern, die in ihren gerade in die Unabhängigkeit entlassenen Ländern den Prozeß der Dekolonisierung in allen Bereichen des Theaters vorantreiben wollten. Es herrschte weitgehende Einigkeit darüber, daß die ererbte Guckkastenbühne ihren neuen dramaturgischen Vorstellungen kaum Rechnung tragen würde. Deshalb verlangt Soyinka in demselben Aufsatz »the new adaptable space where actor and audience may liberate their imagination.« (1988:4) In dieser Forderung unterscheidet er sich im Grundsatz nicht von mehreren Generationen europäischer Theaterreformer, die die einengende Ästhetik der Guckkastenbühne kritisierten. Der entscheidende Unterschied zur europäischen Diskussion besteht jedoch in einem Rückgriff auf performative Raumvorstellungen, die in indigenen Darstellungsformen wurzeln. Gefordert wird also die Vermischung von unterschiedlichen kulturellen Raumvorstellungen, die zugleich ein Zusammenbringen der mit diesen Kulturräumen verbundenen Assoziationen und Verhaltensweisen impliziert. Kulturräume lassen sich aber in den seltensten Fällen mühelos miteinander verbinden, weil Raum nie ein Abstraktum ist. Neben der natürlichen Sprache ist Raum einer der zentralen Kulturtexte einer Semiosphäre. Unter diesem von Jurij Lotman eingeführten Begriff hat man zunächst »die Gesamtheit aller Zeichenbenutzer, Texte und Kodes einer Kultur«2 zu verstehen, und in Verbindung damit die Vorstellung, daß Raum und Grenzen kulturdefinierende Momente sind.3 Allein schon die 1
»Towards a True Theatre«, Nigeria Magazine 75 (December 1962), 58-60; zitiert hier nach Soyinka (1988:3). 1 Jurij M. Lotman, »Uber die Semiosphäre« (1990:287). Es handelt sich um einen Begriff, den Lotman erst in den achtziger Jahren in Analogie zum Konzept der Biosphäre entwickelte. Allerdings war seine Kultursemiotik von Anfang an räumlich konzipiert. Bereits in den »Thesen« (1.2.4) wird die Opposition »Kultur - außerkultureller Raum« als »Minimal-Einheit des Kulturmechanismus« dargestellt. (Eimermacher 1986:86). 3 Nach Lotman sind Semiosphären durch Grenzen getrennt, vermittels derer bestimmbar
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bauliche Errichtung eines speziellen Raumes für Theateraufführungen findet in den meisten indigenen Kulturen keine Entsprechung. Wenn etwa in Uganda ein britisches Theatermodell einfach redupliziert wurde, belegt dieser Vorgang, daß die afrikanische Semiosphäre nicht berücksichtigt wurde. Dieses Beispiel ist kein Einzelfall. Uberall in Afrika wurden in postkolonialer Zeit Theaterbauten errichtet, die eine westliche Semiosphäre geradezu proklamierten. N o c h zwanzig Jahre nach Soyinkas kritischem Kommentar bilanzieren zwei in Nigeria tätige britische Wissenschaftler, daß die Theaterneubauten des Landes nicht den bei Maskeraden, Tanzfesten und oralen Darstellungen verwendeten Raumkonzeptionen entsprechen, sondern einem internationalistisch-westlichen Stil verpflichtet sind.'· A h n lich kritisch betrachtet der Kenianer N g u g i w a Thiong'o das National Theatre seines Landes in Nairobi. Diese Institution war bis in die siebziger Jahre hinein im architektonischen Sinne eine westliche Ikone und auch von der Spielplangestaltung, Administration und Leitung her eine koloniale Semiosphäre. Mit sarkastischem Unterton stellt der Schriftsteller N g u g i die rhetorische Frage nach den U r sachen für diese neokoloniale Ausrichtung: »Was it just a building? Was it the location? Was it the kind of plays presented there? O r was it simply the skin colour of the director and the administative staff?« (1986:40)' Die A n t w o r t lautet, daß das Zusammenspiel aller dieser Elemente zur Festigung der neokolonialen Struktur beitrugen. N g u g i s Frage berührt ein zentrales Anliegen der heutigen theater-semiotischen Raumdiskussion. In dieser Diskussion geht es in erster Linie um die E r w e i terung des Begriffes Theaterraum. 6 Neben architektonischen Aspekten werden wird, was zur Kultur der eigenen Semiosphären und was zum »außersemiotischen oder anderssemiotischen Raum« (1990:290) gehört: »One of the primary mechanisms of semiotic individuation is the boundary, and the boundary can be defined as the outer limit of a first-person form. This space is >oursmy own«, it is >culturedsafeharmoniously organizedtheir space< is >otherhostiledangerouschaoticArena Staging< in its most traditional form. There is no raised platform for the chief actor or the drummers. Everybody is on the same level including the spectators.« (1981:119) Diese Arena besteht aus konzentrischen Kreisen, in denen die Protagonisten, die Chöre, und die Zuschauer um einen Opferplatz, der den Fokalpunkt des Rituals bildet, gruppiert sind.
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die Proszeniumsbühne als Hindernis für die erwünschte Publikumsbeteiligung ab. 12 Ein Kreistheater, das aber weniger durch den Karneval als durch die Rituale der karibischen Kultreligionen wie Vodoun, Shango, oder Spiritual Baptists inspiriert ist, entwirft im Jahre 1979 auch Hills Landsmann Rawle Gibbons in seiner Schrift Traditional Enactments. In einem Kapitel mit der schlichten Uberschrift »Place« entwirft Gibbons das theoretisch untermauerte Modell eines Arenatheaters, dem der Begriff ritual of place zugrunde liegt. Raum bildet den Ausgangs- und Fokalpunkt seines Theaterkonzeptes. Als Voraussetzung für seine Reformidee nennt Gibbons die in der karibischen Volkskultur verwurzelten Aufführungsorte: The Yard, The Tent, The Temple und die Straßenkreuzung. Unter yard versteht er die Hinterhöfe städtischer Slums, die einen Versammlungspunkt für die Bewohner bilden.1^ Das Besondere an diesem Ort sieht Gibbons in der theatralen Qualität der dort stattfindenden Interaktion, die sich deutlich abhebt von dem Verhalten der etablierten Schicht: »Interaction even at the simplest level assumed a theatricality markedly absent from that of the established classes.« (1979:7) Weniger klar umrissen ist der Ort tent. Darunter faßt Gibbons einerseits die bekannten Aufführungsorte des Karnevals,1'* andererseits gebraucht er ihn auch als eine Bezeichnung für die >Tempel< der Shango-Verehrer Trinidads. Neben den von Menschen eigens errichteten Bauten betrachtet Gibbons die Straße als wichtigen Aufführungsort der Volkskultur. Durch den Karneval und andere zeremonielle Prozessionen wie das muslimische Hoosay-Fest [Hosein] ist sie zum karibischen Begegnungs- und Spielort schlechthin geworden. Auf der Straße bzw. an Straßenecken finden auch die von Gesang, Klatschen und Glockengeläut begleiteten Gottesdienste der Spiritual Baptists statt, denen Gibbons eine ausgeprägte Theatralität attestiert.1' Schließlich erläutert Gibbons die besondere Bedeutung der Straßenkreuzung für die karibische performance culture. Hier versammeln sich die limers, junge Männer, die verbale Wettstreite in der Öffentlich12
Allerdings ist sich Hill bewußt, daß die Einführung einer Arenabühne keineswegs automatisch zur Uberwindung der psychologischen Barriere zwischen Akteuren und Zuschauern führt: »Even when an arena stage is employed, the audience, though brought closer to the actors, remains a docile partner in the theatrical experience.« (1972:117) Dennoch scheint sie ihm die einzig praktikable Bühnenform zu sein, da die anderen Alternativen, »carnival tent or the street theatre« (Ib.), seiner Auffassung nach kein realistisches Modell für ein Nationaltheater bieten. 1 3 Dabei greift Gibbons auf das von der Jamaikanerin Marina Maxwell Anfang der siebziger Jahre entworfene und praktizierte Konzept eines >Yard Theatre< auf. In ihrem Aufsatz »Toward a Revolution in the Arts« skizziert Maxwell, wie das Yard Theatre zum informellen Interaktions-und Improvisationsort für jeden werden soll: ein Volkstheater im wahrsten Sinne. Maxwell schildert ihr Experiment, das zugleich programmatischen Charakter haben soll: »It is an attempt to place West Indian theatre in the life of the people — it is free, it is open to the street where people can stand and hear, come in or leave. It is an attempt to find West Indian theatre, and to find it in the yards where people live and are.« (1970:30). Zu den Carnival Tents vgl. Hill (1972), bes. Kap. 1 1 . 1 ' Zu den Spiritual Baptists, auch Shouters genannt, vgl. die Ausführungen bei Simpson (1980:140-153) 208
Shaded area = audience
Outer performance area
Musicians' stand
Inner performance area
Two cardinal points of entry
Abb. 16: Nach: Rawle Gibbons, Traditional Enactments (1979:44)
keit austragen. Diese verbal displays seien »highly performative« und konstituierten f ü r die Teilnehmer eine A r t Ubergangsritus ( 1 9 7 9 : 3 4 ) . D i e crossroads hätten zudem eine mythisch-kultische Signifikanz als »junction between mankind and the spirit world.« (1979:42) A u f g r u n d dieser Überlegungen entwirft Gibbons ein Rundtheater, das in seiner Raumsemantik Einflüsse verschiedener karibischer Kulturtexte aufweist (vgl. A b b . 16). Die Kreisform soll an die traditionelle R a u m konzeption des Geschichtenerzählens anknüpfen. Eine Innen- und Außenspielfläche erlaubt eine flexible, das Publikum einschließende Raumgestaltung. Das in der Mitte piazierte Musiker-Podest erinnert zugleich an den Geister-Pfahl des Vodoun. Die »cardinal points of entry« sollen v o m Regisseur f ü r jede Inszenierung neu bestimmt und v o m Bühnenbildner mit einer signifikanten Farbe ausgestattet werden. Entsprechend der Praxis in Shango-Tempeln spezifiert G i b bons einen harten irdenen Boden, der die Wirkung traditioneller Musikinstrumente wie Trommeln fördern soll. Gibbons betrachtet sein Theatermodell als Entwurf, der von anderen Theaterkünstlern erweitert und ausgestaltet werden kann, solange in deren Produktion gewährleistet ist, daß die in karibischen Ritualen konstatierten »significant points of place« darin angemessenen Niederschlag finden. Gibbons ist sich der Problematik bewußt, die sich aus der Übertragung rituell signifikanter Raumzeichen von einem funktionierenden semiotischen System in ein theatrales ergeben können:
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Zu liming und der Verbalkunst der Straße in der Karibik vgl. die Schriften von Roger D. Abrahams (197051983). Vgl. auch die Ausführungen zur Oralität in der Karibik in dieser Untersuchung. 209
They must be transferred from their native domains to the theatre. They must become rituals of the theatre. A new drama will be written, a new theatre produced. Playwright and director must learn in this theatre the ritual of place, the audience must be taught how character corresponds with place, the designer must explore earth design, the use of the earth medium in communicating sound, the whole pattern of existence as plotted in Baptist architecture needs to be closely examined in the theatre. (1979:46)
Die Grandtendenz dieses Reformmodells ist uns in den Ausführungen zum Ritualtheater bereits begegnet. Neu ist, daß der Raum als Ausgangs- und Bestimmungsmoment aller weiteren Theaterelemente wie Regie, Dramaturgie, Bühnenbild und Zuschauerhaltung gesehen wird. Elemente der Aufführungsräume einer indigenen Kultur werden gesammelt, selektiv kombiniert und zum westlichen Theatermodell neu in Beziehung gesetzt. Bei näherem Hinsehen entsteht dabei der Eindruck eines gewissen Eklektizismus. Denn miteinander verbunden sind die von Gibbons zusammengestellten Zeichenelemente lediglich durch ihren Bezug zur Volkskultur. Ansonsten gehören sie unterschiedlichen semiotischen Systemen an: Kulthandlungen, Straßenversammlungen und Karnevalsprozessionen sind innerhalb der Volkskultur getrennte Aktivitäten mit speziellen Kodes und Räumen. Auch wenn Gibbons' etwas akademisch anmutendes Modell bislang nicht verwirklicht worden ist, bleibt dieser Entwurf ein beachtenswerter Beitrag zu einer Theorie des synkretischen Theaterraums. Ein Beispiel eines verwirklichten synkretischen Theaterraums liefert eine südafrikanische Inszenierung. In den Jahren 1973 und 1974 veröffentlichte der ZuluSchriftsteller Credo Mutwa zwei programmatische Aufsätze in der südafrikanischen Theaterzeitschrift S'ketsh '. Darin stellt er die These auf, es habe eine vorkoloniale, in Vergessenheit geratene afrikanische Theaterform gegeben, die Umlinganiso genannt wurde und mit »The Living Imitation« übersetzt werden könnte. '7 Mutwa argumentiert, daß traditionelle Darstellungsformen außer Tänzen und Liedern eine breite Palette an mimetisch-theatralen Formen umfaßten: »from simple but highly skilled and highly-organised S T O R Y T E L L I N G by an expert storyteller, to actual E N A C T M E N T of stories by trained players of both sexes, which was performed on sacred occasions in times of peace.« (1973:38) Als Regisseure dieser Aufführungen nennt Mutwa die inyanga, die Medizinmänner, die damit eine konservative Macht über das Volk ausgeübt haben sollen.'8 Seinen Ausführungen fügt Mutwa neben einer Rekonstruktion dieses vermeintlich traditionellen Theaterraumes einen Vorschlag für eine Nachbildung in einem modernen Saal bei (vgl. Abb. 17). •7 Credo Mutwa, »On the Theatre of Africa«, S'ketsh ' 3 (Summer 1973), 3 8-39; »Uralinganiso ... The Living Imitation«, S'ketsh' (Summer 1974/75), 30-32. 18 Mutwa schreibt: »In this form of storytelling many people used to take part, each person representing a particular character in the story, walking, speaking and even behaving as that particular character is supposed to speak, walk and behave. This form of storytelling had been in existence amongst the Black people for thousands of years and was quite suitable for the purpose for which the I N Y A N G A S now began to use it, which was to keep the people frightened and united and to prevent them from forgetting the unwritten scriptures of the religion of their forebears.« (1974/75:32)
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Ungeachtet der Tatsachte, daß in der Forschung berechtigte Zweifel darüber bestehen, ob die von Mutwa spezifierten »specially constructed enclosures« jemals existierten,sind die beiden Grundrisse für unsere Fragestellung insofern interessant, als sie das Konzept des indigenen Theaterraums bei Mutwas Zeitgenossen maßgeblich prägten. Der Kulturraum, der bei Mutwas Theatermodell Pate stand, ist der in Zulu als isibaya bekannte Kral,20 in dem auch wichtige zeremonielle Anlässe zelebriert wurden.21 Die beiden Entwürfe zeigen einen Wandel von einem kreisförmigen zu einem quadratischen Aufführungsort. In diesem Wandel spiegelt sich eine Anpassung des traditionellen Kulturraums an die Gegebenheiten der westlichen Architektur wider. Kreis und Quadrat stehen hier weniger in Opposition als in einem Anpassungsverhältnis. Bei dem quadratischen Grundriß handelt es sich um den Inszenierungsplan für Mutwas Stück uNosilimela, das im Jahre 1973 in Soweto mehr oder weniger auf dieser Bühnenform aufgeführt wurde. Um Mutwas Raumvorstellungen gerecht zu werden,22 wurde ein Saal umgebaut. In uNosilimela spielen nicht nur Lieder und Tänze eine zentrale Rolle, bei denen Publikumsbeteiligung vorgesehen ist. Der Handlungsablauf selbst fand mitten unter dem Publikum statt und kreierte auf diese Weise eine räumliche Beziehung zwischen Akteuren und Publikum, die trotz der vorgesehenen festgelegten Zuschauerplätze eine Interaktionsdynamik ermöglichen sollte. Der weiße Regisseur Robert McClaren2', der zusammen mit Mutwa die Soweto-Produktion inszenierte, schildert, wie die Raumstruktur der Aufführung zur erwünschten Partizipation bzw. Integration führte: uNosilimela comes closest to achieving the kind of participation that seems to have existed in early African theatre. [...] When the audience is this close to the action and so familiar with many of the ceremonies and events that are depicted, there are moments when the play stops being a play, when the barriers between audience and cast completely disappear, and for a while you have real life. (1976:43)
Die wirksame Aufhebung der Trennung von Zuschauer- und Bühnenraum erläutert McClaren bzw. Mshengu anhand von Szenen, in denen schwarze Zuschauer
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21
2
'
Mutwa selber belegt seine Behauptungen nicht. Was seinen Begriff des Umlinganiso betrifft, so widerspricht ihm die ethnographische und die theaterwissenschaftliche Forschung dezidiert; vgl. z.B. Anne Fuchs (1987:33); Peter Larlham bezeichnet Mutwas Überlegungen zum traditionellen Aufführungsraum als »purely conjectural« (1985:85). Robert Kavanagh (1985:44) dagegen unterstützt die These und stellt sie neben H . I . E . Dhlomos Aufsätze zu traditionellen Darstellungsformen. Ein kreisförmiges Dorf bzw. ein kreisförmiger Pferch für Vieh. Zu dieser Deutung vgl. Mshengu (1976:41); vgl. auch die Ausführungen zum Kral als dramatischem Raum in den Stücken H. I. E. Dhlomos im nächsten Kapitel. Auf das Stück und Einzelheiten der Inszenierung soll hier nicht eingegangen werden, da beides andernorts ausführlich dokumentiert worden sind. Der Stücktext ist in Robert Kavanagh, ed. South African People's Plays (1981) abgedruckt; eine ausführliche Schilderung der Inszenierung findet man in Mshengu (1976); vgl. auch Larlham (1985:8485)· Der weiße Südafrikaner tritt in der Forschung auch unter den Pseudonymen Robert Kavanagh bzw. Mshengu auf. 211
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auf die Appellstruktur bestimmter musikalisch-tänzerischer Kulturtexte reagierten, indem sie ohne besondere Aufforderung mittanzten oder mitsangen.24 Mutwa entwarf sein Konzept auf der Grundlage traditionell afrikanischer Kulturvorstellungen. Zwar entspricht es im Grundsatz den vielerorts Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre praktizierten Versuchen eines »environmental theatres«,2' doch da Mutwa kein Theaterkünstler ist, dürfte er wohl kaum von den neuesten Entwicklungen der euroamerikanischen Avantgarde unterrichtet gewesen sein. Das Zusammenspiel von Raumanordnung und Zuschauerhaltung, das bei der Aufführung von uNosilimela bereits in Ansätzen gelang, wurde in noch überzeugenderer Form im Maori-Theater in Neuseeland demonstriert. Dort handelt es sich um ein mehrfach praktiziertes, nahezu institutionalisiertes Theaterkonzept. Die Grundzüge dieses Konzeptes wurden bereits im Kapitel 10 erläutert: die Umfunktionierung der zeremoniellen Zusammenkünfte der Maori-hui zu theatralen Veranstaltungen und deren Aufführung auf dem rituell sanktionierten Platz, marae genannt. Die theatrale Natur der ¿»¿-Versammlungen zeigt sich in ihrer räumlichen Organisation. Der Symbolik des Platzes und des Versammlungshauses liegt ein in sakral und profan aufgeteiltes Prinzip zugrunde: der Unterscheidung zwischen tapu/noa (sakral/profan) korrespondiert die Unterteilung in eine rechte (tapu) und linke {nod) Seite und bestimmt außerdem die räumliche Aufteilung von Männern und Frauen, Besuchern und Gastgebern. Der Platz vor dem Versammlungshaus {marae atea) konstituiert zusammen mit dem Versammlungshaus ein templum. Dieses von Ernst Cassirer eingeführte Konzept bezeichnet einen von der Alltagswelt abgegrenzten, sakralen Raum. 26 In der zeitgenössischen Maori-Theaterbewegung wird mit den performativen Möglichkeiten dieses 24
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Als konkretes Beispiel führt Mshengu die Hochzeitsszene an. Fester Bestandteil von Hochzeiten in Soweto sind musikalisch-tänzerische Wettkämpfe, die durch eine Rivalität zwischen Sothos und Zulus gekennzeichnet seien. Das dort praktizierte Verhalten wurde vom Soweto-Publikum auf die Hochzeitsszene im Stück übertragen: »Occasionally a woman would run from the audience, lizilela (howl), do a few steps, and rush back again. This wasn't participation, but integration.« (1976:44) So nannte Richard Schechner diese Experimentierphase der euroamerikanischen Avantgarde. Was die Raumauffassung betrifft, so sind sicherlich die von Antonin Artaud erörterten Ideen eines das Publikum umgebenden Aufführungsraumes der wichtigste Einfluß auf die Avantgarde. Vgl. Schechner (1973b) für Hintergrund und Beispiele des »environmental theatre«. Schechner legte seine Ideen bereits 1968 dar; vgl. seinen Aufsatz »6 Axioms for Environmental Theater«, The Drama Review 12 (Spring 1968). Auf die Parallelen zwischen uNosilimela und den Raumexperimenten der Avantgarde verweist auch Joachim Fiebach (1986:339). »Die Heiligung beginnt damit, daß aus dem Ganzen des Raumes ein bestimmtes Gebiet herausgelöst, von den anderen Gebieten unterschieden und gewissermaßen religiös umfriedet und umhegt wird. Dieser Begriff der religiösen Heiligung, die sich zugleich als räumliche Abgrenzung darstellt, hat seinen sprachlichen Niederschlag im Ausdruck des templum erhalten. Denn templum ^πεΛ.τέμενος) geht auf die Wurzel τεμ >schneiden< zurück.« Ernst Cassirer (41964:123).
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templum experimentiert. Entweder wird in einem marae selbst gespielt oder der jeweilige Aufführungsort wird durch eine Einweihungszeremonie temporär in einen marae verwandelt. So wurde zum Beispiel im Jahre 1990 das zur alternativen Theaterszene gehörende Depot Theatre in Wellington für die Dauer des New Zealand International Festival of the Arts 27 mit einer entsprechenden Einweihungszeremonie zum marae erklärt.28 An diesen Akt der Sakralisierung des Theaterraums knüpfen sich eine Reihe von Fragen. Zunächst ist festzustellen, daß die im westlichen Theater vorausgesetzte Dichotomie von ästhetischem und sakralem Raum als zwei phänomenologisch voneinander getrennten Bereichen durch die zeremonielle Einweihung aufgehoben wurde. Die Einweihung des Theaters als ein marae führte jedoch weder zu einer Beeinträchtigung bzw. Ausschaltung der Funktion als Theater noch zu einer Umwandlung in ein Gotteshaus. Der rituelle Akt hat vielmehr dazu beigetragen, dem Raum die Aura des Maoritums zu verleihen und damit zu gewährleisten, daß die Maori sich im Theaterraum willkommen und wohl fühlten. Nun stellt sich die Frage, was der Begriff marae in dieser Mischform raumsemiotisch bedeutet? Denn das Taki Rua/Depot Theatre ist durch seine räumliche Nähe zu anderen Theatern, Restaurants und Kinos Bestandteil des Wellingtoner Unterhaltungsviertels um Courtney Place und damit in das urbane System der neuseeländischen Hauptstadt integriert. Anders als im Fall des Aborigine-Kulturzentrums in Sydney gibt es keinen offensichtlichen Bezug zu Wohnvierteln der Maori oder zu anderen Einrichtungen der Maori-Kultur. In seiner architektonischen Struktur liefert das Theatergebäude keine Hinweise auf die Maori-Kultur. Untergebracht im zweiten Stock eines gewerblich genützten Gebäudes ist das Taki Rua/ Depot von außen nicht einmal als Theater zu erkennen. Abgesehen von dekorativen Maori-Emblemen in der Innenausstattung unterscheidet sich dieses Theater kaum von anderen Privattheatern der Stadt. Es gibt also keine ikonische Ähnlichkeit mit den architektonischen und räumlichen Kodes eines marae.2? Die kulturelle Funktion des Theaterraums im westlichen Sinne bleibt erhalten und bildet die Dominante; ihr wird lediglich eine weitere Kodierung, die der Maori-Kultur entstammt, hinzugefügt. Es handelt sich also nicht um eine Entweder-Oder-Situation, sondern um einen Zustand des Sowohl-Als-Auch. 2
7 Es fand vom 3. bis 24. März 1990 statt. Die Verwandlung fand jedoch nicht nur für die Zeit des Festivals statt, sondern ist bis zum heutigen Tage eine permanente Einrichtung. Inzwischen wurde das Theater in Taki Rua/Depot Theatre umbenannt. 28 Im Festivalprogramm heißt es: »The Depot Theatre will become a Maori Marae for five weeks over the Festival. The marae's name [Te Rakau Hua O Te Wao Tapu], given by Harata Solomon, means >The Blossoming Tree of Our Sacred GroveSchutzräume< ein gewisses Maß an Autonomie und Selbstbestimmung.' 6 In bei"
Osugbo glossiert Soyinka als »secret >executive< cult of the Yoruba; its meeting place.« (1984:220) Die Reservate in Australien entsprechen meistens den traditionellen Gebieten der dort lebenden Stämme. Dies ist kulturell notwendig, denn die mythisch-religiöse Grundlage der Aborigine-Kultur, der Traumzeit, ist an bestimmte Räume gebunden. Der Verlust dieser Räume würde den betroffenen Aborigines die Grundlage ihrer Kultur entziehen. Im Falle der weißen Siedlungsgebiete ist diese Situation bereits eingetreten. Zur Verbindung von Raum und Religion bei den Aborigines vgl. Kenneth Maddock, »The Foundations of Aboriginal Religious Life«, Einleitung zu: Religion in Aboriginal Australia: An Anthology, ed. Max Charlesworth et al. (St. Lucia: Univ. of Queensland Press 1984), bes. S. 26. Zur Verbindung von rituellen Darstellungen und Raum vgl. die Fallstudie von Richard Moyle, »Songs, Ceremonies and Sites: The Agharringa Case«, Aborigines, Land and Landrights, ed. Nicola Peterson und Maria Langton, (Canberra: Australian Institute of Aboriginal Studies 1983), 66-93. Zum System der Reservate in Kanada vgl. Geoffrey York, The Dispossessed: Life and Death in Native Canada, (London: Vintage 1990), bes. Kap.3 »Inside the Reserves«: »The reserves were created to remove Indians from the path of white settlement and to assimilate them by transforming them into farmers. [...] In the end, most of the reserves were too small and infertile to permit any significant amount of farming. [...] Less than 0.2 percent of Canada's total area is reserved for Indians, while in the United States the proportion set aside for Indians is twenty times larger.« S. 229
den Ländern läßt sich jedoch bekanntlich eine zunehmende Tendenz zur Urbanisierung der indigenen Bevölkerung beobachten. Dramatiker wie Jack Davis und Tomson Highway greifen die daraus resultierenden sozialen und psychischen Probleme auf. Die Stücke von Davis spielen in und um die Provinzhauptstadt Perth in Südwestaustralien. Die dortigen Aborigines wurden bereits Mitte des 19. Jahrhunderts durch die anrückenden britischen Siedler vertrieben, ihre traditionelle Kultur und Sprachen weitgehend zerstört.'? Die Trilogie No Sugar, The Dreamers und Bartingin zeichnet die Geschichte einer solchen vertriebenen Aborigines-Familie von den dreißiger bis in die achtziger Jahre dieses Jahrhunderts hinein nach. Was die Raumdramaturgie angeht, lassen sich zwei szenographische Methoden beobachten, um die Vergangenheit in ihrer historischen wie auch in ihrer mythischen Dimension auf der Bühne präsent zu machen.'8 Bei The Dreamers und Barungin, die beide in der Gegenwart spielen, wurde versucht, die Kontiguität von Stadtleben einerseits und historischer bzw. mythischer Vergangenheit andererseits mit Hilfe einer einheitlichen, auf die Gegenwart bezogenen Dekoration auszudrücken. Den Fokalpunkt bildet die Wohnküche der Wallitch-Familie. Dahinter befand sich in der Uraufführung des Stückes im Jahre 1982 in Perth ein steil ansteigendes an eine Wüstenlandschaft erinnerndes Areal (»escarpment« (1982:73). Dieser Teil der Bühne war der »tribal family« und dem AborigineTänzer vorbehalten. Zusätzlich zu der Opposition Wohnküche/Wüstenlandschaft wurde die Bühne mit Sand bedeckt, um beim Zuschauer eine assoziative Verbindung von dem gegenwärtigen Haus hin zur (Aborigine-)Vergangenheit hervorzurufen. Dazu erläutert der Regisseur Andrew Ross: It reminds you all the time that the house in the city is on land that was once occupied in a very different way. And that that history is not going to go away. That it is part of the whole being of people and living there. And in a way the thing was designed with this in mind. [...] O n the stage was an expanse of sand. The set was just the house floor sitting on top of that. (Ross 1993) (Vgl. Abb. 9)
An diesem Ort begegneten sich proxemisch-räumlich zwei Kulturen, die noch immer in einem Spannungsverhältnis koexistieren. Die Präsenz des Tänzers und seine Bewegung im Raum verweisen auf einen räumlich-historischen Konnex von Kolonialisierung und Zerstörung der Aborigine-Kultur. Die Szenographie für The Dreamers mußte, um den Bedingungen einer Tourneeproduktion gerecht zu werden, vereinfacht werden. In seiner Autobiographie schildert Davis, wie der Aborigine-Maler Shane Pickett Motive seiner Malerei auf Gaze-Vorhänge übertrug. Im Stil der inzwischen berühmt gewordenen Aborigine-Malerei wurde darauf der Traumzeit-Mythos der Erschaffung der Land'7
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Die Schlüsselkapitel dieser Begegnungen sind Thema des ersten Theaterstücks von Jack Davis Kullark, in dem die Geschichte der Rassenbeziehungen in Südwestaustralien aus Aborigine-Sicht revueartig dargestellt wird. Im folgenden wird von den gedruckten Spieltexten, denen jeweils die Szenographie der Uraufführungen zugrunde liegen, ausgegangen.
schaft um Perth abgebildet. Dasselbe Wechselspiel zwischen Vergangenheit und Gegenwart entstand bei der Uraufführung dieses Stückes mit Hilfe von Beleuchtungseffekten. 59 Eine andere szenographische Lösung fanden Jack Davis und der Regisseur A n d r e w Ross für das historische Drama No Sugar, in dem die Zwangsumsiedlung einer Aborigine-Familie in den dreißiger Jahren thematisiert wird. Hier spielt zwar der mythische Aspekt der Aborigine-Kultur kaum eine Rolle, umso mehr stand die Raumerfahrung der Umsiedlung und Entwurzelung als szenisches Problem im Mittelpunkt. Ross erläutert, daß Davis, der an der Uraufführung mitarbeitete, zwei Aspekte kombinieren wollte: die Unmittelbarkeit des Alltagslebens mit den abstrakteren Faktoren der historisch-politischen Zusammenhänge. Man entschied sich für eine Simultanbühne, die Ross »Promenade Staging« nennt, mit Schauplätzen in verschiedenen Räumen. Diese Raumgestaltung zwang Publikum und Akteure zu einer Wanderung, die auf die Zwangsumsiedlung verweisen sollte. Außerdem führte diese räumliche Trennung zu einer visuellen Gliederung der Themata: Physically, we had intimacy on the one hand and then a sense of vastness and landscape on the other. It also meant that you could have two or three disparate worlds and locations occurring simultaneously, so you got the sense of these things going on at the same time. So, you looked at history saying - well, there is political history and social history and that political history could be over there and social history could be over here and they could be there together. The fact that they could occupy the same time on stage had to be a useful tool for us. 60 Daß die intendierte Wirkung beim Publikum erreicht wurde, bestätigen die Kritiken zu dieser Inszenierung. 61 Die vom Publikum zu vollziehenden Ortswechsel zwischen den Schauplätzen wurde in Beziehung zum Schicksal der AborigineFamilie gesetzt, deren Leben das Stück nachzeichnet. 62
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»Clever lighting effects accentuated the beauty of Shane's work and allowed an interplay between the past, which could emerge from a shadow behind the gauze to become a reality, and the present.« (Chesson 1988:200) Vgl. auch die Reaktion des Theaterkritikers Peter Kemeny: »This [das neue Bühnenbild] enabled director Andrew Ross to develop the dream sequences before a beautiful gauze backdrop of genuine Aboriginal motifs. These incorporate the extended metropolitan area [of Perth], based on Shane Pickett's drawings and joined to reality by Steve Nolan's design.« »Bigger stage benefits play«, West Australian, 16.07.1983, S. 14.
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Interview mit Andrew Ross, 16.3.1991, Perth. No Sugar wurde am 18.2.1985 in Perth in einem ehemaligen Brauereigebäude uraufgeführt. Im Mai 1986 wurde es im Rahmen des World Theatre Festival in Vancouver und anschließend im National Arts Centre, Ottawa gezeigt. Dieser Auslandstournee folgte mehrere Aufführungen in Melbourne. Im Juni 1988 wurde No Sugar anläßlich der Zweihundertjahr-Feier Australiens in den Londoner Riverside Studios nocheinmal aufgeführt. Die Londoner Aufführung von No Sugar wurde von der lokalen und überregionalen Presse rezipiert. Kritiken aller großen Tageszeitungen liegen vor. Hier seien einige Reaktionen zur Raumwirkung exemplarisch angeführt. Peter Kemp schreibt am 20.6.88 in The Independent·. »No Sugar makes you go walkabout. In a way very appropriate to this
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No Sugar wurde auch auf einer Proszeniumsbühne, auf einer »dispersed setting on an open stage«, wie Davis in seiner Anmerkung zum veröffentlichten Text vorschlägt (1986:14), erfolgreich inszeniert. In einer Neuinszenierung des Stückes in Perth aus dem Jahre 1990 wurde die Bühne, ähnlich wie bei der Uraufführung der beiden anderen Teile der Trilogie, mit Sand belegt; die verschiedenen Schauplätze standen nebeneinander oder folgten aufeinander. Der Sand indizierte die kulturhistorische Grundlage, auf der sich verschiedene kulturelle Spuren überlagerten. Diese Bedeutung wurde durch die Anordnung der Szenenfolge unterstrichen. Abweichend vom veröffentlichten Text folgte in dieser Produktion der corroboree-Sztne. der Auftritt des Chief-Protector of Aborigines, Neville, der eine Rede über »our Aboriginal and coloured folk« hält (1986:85). Der weiße mit Anzug und Lederschuhen ausgestattete Beamte okkupiert und verändert den von den Aborigines als Aufführungsort benutzten und dadurch als ein templum demarkierten Raum durch seine Fußstapfen.Dieses Neben- bzw. Nacheinander zweier Darstellungsformen auf demselben Kulturraum manifestiert sich als genuin synkretisches Inszenierungsmoment. Im Gegensatz zu den Stücken von Jack Davis spielen die >Rez»Wha Kind a Pen Dis?The Bacchae of EuripidesOriginal< in the West African Europhone Novel«. Crisis and Creativity in the New Literatures in English, ed. Geoffrey V. Davis/ Hena Maes-Jelinek. (Amsterdam: Rodopi) (= Cross/Cultures, 1), 1 0 3 - 1 2 1 .
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XI. Register: Autoren, Werke, Theatergruppen
Abbey Theatre 36 Abrahams, Roger D. 147f., 209 Achebe, Chinua 117,121 Adedeji, J.A. 46ff„ 51, 139, 174 Adelugba, Dapo 118, 202, 227 African Dramatic Movement 45 Aidoo, Ama Ata The Dilemma of a Ghost 117f. Ajibola, Oloye J.O. 124f. Akerman, Anthony 159 Albee, Edward 222 The Zoo Story 54 Amankulor, J.Ndulaku 72, 207 apidán-Theater 34, 48 Archie, Carol 106 Arden, John Sergeant Musgrave 's Dance 193 Aristoteles 18, 41, 46, 78, 91, 194 Armstrong, Robert Plant 47 Artaud, Antonin 3, 36, 95, 97, 138, 213 Asad, Talal 16,115 Ashcroft et al. 4, 7, 27f„ 32, 113, 126f. Astor Johnson's Repertory Dance Theatre 195 Auslander, Philip 156ff. Bachmann-Medick, Doris 73 Bachtin, Mikhail 16, 26 Badejo, Deidre L. 79 Baker, Donald 73 Β alme, Christopher 7, 68, 73, 108, 118, 218 Banham, Martin 113,130 Barba, Eugenio 5, 183f. Barber, Karin 33 Barthes, Roland 228 Bauduy, Robert 93 Bausch, Pina 184 Beckett, Samuel 139 Beckwith, Martha W. 98 Beier, Ulli 81, 119, 124, 174f. Bender, Wolfgang 125 Benjamin, Walter 115 Benz, Ernst 91 Bemdt, C. & Ronald 67, 150, 154, 163
Berne, Eric 73 Berner Ulrich 20ff„ 32 Bettelheim, Judith 179 Black British Writing 28 Black Canadian Writing 28 Black Theatre Arts and Culture Centre (Sydney) 207 Bloch, Ernst 131 Boal, Augusto 31 Bogatyrev, Petr 15, 179 Bostock, Geny 64, 207 Bourguignon, Erika 89ff. Brandstetter, Gabriele 155ff. Brask, Per 64 Brathwaite, E. Kamau 28, 56 Brauneck, Manfred 11 Brecht, Bertolt 3, 31, 36, 59, 60, 111, 131, 180, 182 Breitinger, Eckhard 33, 196 Brightman, Robert 168 Brook, Peter 3, 5, 36, 159, 224, 236, 238f. Broughton, John 107ff. Te Hokinga Mai 107, 109f. Brown, Jennifer 168 Buller, Edward 65 Burke, Kenneth 9 Bystrina, Ivan 72 Carlson, Marvin 206, 216 Carril, Pepe Shango de Ima 93 Cassirer, Ernst 69,72,213 Cele, Thami 206 Césaire, Aimé 39 Cetshwayo, 45 Chadwick, Rangi 110 Chernoff, J.M. 42 Chesson, Keith 231 Clark (Bekederemo), J.P. 46f„ 115f., 121 The Raft 129 The Song of the Goat 116 Clark, Ebun 33 Clifford, James 7, 16f„ 25f„ 173 Clurman, Harold 45 2
55
Cobham, Rhonda 72 Coke, Lloyd 56 Cole, Herbert 172 Colpe, Carsten 18ff„ 32ff. Commedia dell'arte 90,143,184 Conologue, Ray 120 Conradie, P.J. If. Copian, David 2, 14, 30ff„ 40, 114, 141 Comevin, Robert 92f. Couzen, Tim 37 Creative Arts Centre (University of the West Indies) 102 Crowley, Daniel 181 Curtin, Philip 21 Dalmia-Liideritz, Vasudha 34 Daly, Ann 156 Dansey, Harry 137 Te Raukura: The Feathers of the Albatross 107, 135f. Dathome, O.R. 38 Dauer, Alfons M. 39 Davis, Jack 48, 67f., 150, 153, 171, 186ff., 230ff. Barungin (Smell the Wind) 68, 164f„ 230 Kullark 230 No Sugar 151ff., 162ff„ 187, 230ff. The Dreamers 164ff„ 186f„ 197f„ 230f. de Graft, Joe 81 Decamp, David 128 Depot Theatre (Taki Rua/ Depot Theatre) 69, 214,218 Dhlomo, Herbert I.E. 37ff„ 139ff.,211,223f. Cetshwayo 196 Dingane 196 Ntsikana 196, 224 Moshoeshoe 196 The Girl Who Killed to Save 196 Diamond, Stanley 16 Dingane 45, 143f„ 223 Dos Passos, John 45 Dostojewskj 26 Drewal, John 80, 175 Droogers, André 24f. Dutt, Utpal 34 Ebendam, Diane 66 Eco, Umberto 177 Efron, David 187 Eimermacher, Karl 12, 204, 225 Ekman, Paul (vgl. Friesen) 153, 187 Elam, Keir 139, 216 Eliot, T.S. 57 Engel, J.J. 185 256
Erasmus Corpus reformatorum 18 Ernst, Earle 195 Esslin, Martin 115 Etherton, Michael (vgl. Magyer, Peter) Evans, Daniel 153 Evans-Pritchard, E. 23
205
Fanon, Frantz 182 Fernandez, James W. 21 Fiebach, Joachim 10, 42, 72, 173f„ 213 Finnegan, Ruth 140 Fisch, Jörg 38, 143 Fischer-Lichte, Erika 5, 15, 18, 34, 36,139, 155, 185 Flavel, Floyd 121 Fleishmann, Mark 141 Foster, Michael K. 119 Foucault, Michel 156 Frazer, J.G. 41, 46f. The Golden Bough 47 Freud, Sigmund 102 Friesen, Wallace V. (vgl. Ekmann) 153, 187 Fuchs, Anne 132,143,211 Fugard, Athol 44, 142f. Sizwe Bansi is Dead (vgl. Kani, J. und Ntshona, W.) 44, 142 Gee, Debbie 69 Geertz, Clifford 23f. Gehlen, Arnold 72 Geiogamah, Hanay 64 Genet, Jean 182 Die Neger 54 Gibbons, Rawle 89, 97, 102, 149, 208ff. Gibbs, James 83, 87 Gilbert, Helen 157, 198f„ 232 Gildon, Charles 185 Gilkes, Michael 180 Glaap, Albert-Reiner 109 Goethe, J.Wolfgang von 57, 185 Goffman, Erving 9, 68f., 76, 106 Goldstraw, Irma E. 55 Goody, Jack 73 Götrick, Kacke 34, 72, 74, 87, 174 Graburn, Nelson H. H. 62f. Graham-White, Anthony 72, 74, 173 Griaule, Marcel 74 Grotowski, Jerzy 3, 31, 36, 142, 159, 189, 218, 224 Group Theatre 45 Haider, Maurice 220 Halle, Morris 12
Hammer, Robert 55f. Hannerz, Ulf 25f. Hapipi, Rore Death of the Land 107, 166 Harris, Marvin 183 Harris, Wilson 28 Harrison, Jane 41 Harrison, Paul Carter 93 Hartnol, Phyllis 194 Hauptfleisch, Temple 2, 8, 30ff., 44, 131, 134, 143 Herskovits, Melville J. 23, 74, 89, 99 Highway, Tomson 61, 66, 68, 118ff„ 168f„ 230, 232ff. Dry Lips Oughta Move to Kapuskasing 120f„ 169ff., 232ff. The Rez Sisters 66, 119f„ 168f„ 232f. Hill, Errol 52ff„ 57, 97f„ 102, 178f„ 195, 207f. Man Better Man 52, 57 Hirsch, Edward 148 Hodge, Robert 153 Höfele, Andreas 6 Hofmannsthal, Hugo von 193 Horaz 56 Horn, Andrew 90f. Horváth, Ödön von 139 Huggan, Graham 28 Hymes, Dell 128, 146 Ibsen, Henrik 8, 222 Innes, Christopher 11 Ionesco, Eugène 139 Issacharoff, Michael 7, 205, 221f. Ivanov, V.V. 12 Izevbaye, D.S. 85 jatra-Theater 34 Jeyifo, Biodun 33, 36, 48 John, Canoe (vgl. Jonkunnu) Johnson, Colin 63, 68 Johnson, Eva Murras 165f. Johnston, Denis 66 Jonkunnu 53, 178f. Junction Avenue Theatre Co. Sophiatown! 134 Tooth & Nail 134 Jung, Carl G. 102 Kaa, Keri 220 Kabuki 34, 59f„ 184, 195 Kamiongera, Christopher 29 Rani, John 142f.
53
134
Sizwe Bansi is Dead (vgl. Fugard, A. und Ntshona, W.) 44, 142 Kantor, Tadeusz 134 Karnad, Girish 3f„ 222f. Kathakali 34 Katrak, Ketu 48, 84 Kavanagh, Robert (vgl. Mshengu, McClaren) 142f„ 211 Kemeny, Peter 231 Kendali, Thomas 218 Kendon, Adam 186 Kowzan, Tadeusz 155 Kreidt, Dietrich 14 Kreutzer, Eberhard 4, 62 Kruger, Loren 52, 206 Kyôgen 34 La Mama Dance Theatre 93 Lachmann, Renate 27 Lang, Franciscus 185 Larlham, Peter 211,223 Laude, Jean 74, 173 Lazarowicz, Klaus 7, 73 Leclerc, Gerard 16 Leek, Robert 217 Leiris, Michel 35, 91 f. Lévi-Strauss, Claude 24, 65 Levy, Shimon 68 Lewis, Maureen W. 99 Little Carib Company 96 Living Theatre 95 Lohr, Günther 155 Lorca, Fernando G. 60, 226 Lord, Albert 140 Lotman, Jurij M. Luhmann, Niklas Lyn, Diana 56
1 Iff., 15, 105, 204, 225 21
MacAloon, John J. 10, 77 MacDermot, Gait 55 Maddock, Kenneth 229 Magyer, Peter (vgl. Etherton, M.) 205 Malinowski, Bronislaw 23 Mandela, Nelson 160 Manuel, George 62 Maori Theater 4, 64, 68ff„ 76, 105ff„ 110f., 135f„ 166, 213f„ 221, 235 Te Rakau Hua O Te Wao Tapu 216 Market Theatre 132, 206 Black Dog 132 Born in the RSA 132 Mars, Louis 89, 92
*57
Maunder, Paul (vgl. The Theatre of the Eighth Day) 217f. Mauss, Marcel 183 Maxwell, Marina 208 Maza, Bob 188, 199, 207 The Keepers 188, 198f. Mazrui, Ali A. 176 McBurnie, Beryl 96, 194 McClaren, Robert (vgl. Mshengu, Kavanagh) 142,211,213 Merasty, Billy 120f. Merrit, Robert The Cake Man 207 Mesnil, Marianne 158 Métraux, Alfred 90 Meyerhold, Wsewolod 184 Miller, Arthur 8 Milton, John 56 Mnouchkine, Ariane 5, 236 Moffat, James 19 Mojica, Monique 120 Molina, Tirso de El Burlador de Sevilla 55 Moody, David 128, 226 Morgan, William 64 Moriarty, Jim 106 Moyle, Richard 229 Mshengu (vgl. McClaren, Kavanagh) 142, 211, 213 Mtwa, Percy (vgl. Township Theatre) 144, 159, 189ff., 224 Bopha! 133, 159, 190ff„ 206, 224 Muecke, Stephen 150, 152 Munn, Nancy D. 162 Murray, Gilbert 41 Mutwa, Credo 210ff„ 221 uNosilimela 211,213 nacha-Theater 34 Naipaul, V.S. 28, 55, 58 The Middle Passage 56 The Mimic Men 58 Narogin, Mudrooroo (vgl. Johnson, Colin) 63, 68 Native Earth Performing Arts 64, 66, 121 Negro Ensemble Company 52, 55 New Independent Theatre (Auckland) 217 New Playwrights' Theatre 45 New, Lloyd Kiva 64f. Ngema, Mbongeni (vgl. Township Theatre, Woza Albert!) 144,159,189 Asinamali! 133, 143, 159f„ 206, 224 Sarafina! 160f. Ngugi wa Miri 196f. 258
Ngaahika Ndeenda (I Will Marry When I Want) (vgl. Ngugi wa Thiong'o) 196f. Ngugi wa Thiong'o 113, 196, 205 Ngaahika Ndeenda (I Will Marry When I Want) (vgl. Ngugi wa Miri) 196f. Nietzsche, Friedrich 48f. Nippel, Wilfried 78 Nö-Theater 34, 59, 180, 185 Nöth, Winfried 186,206 Ntshona, Winston 142 Sizwe Bansi is Dead (vgl. Fugard, A. und Kani, J.) 44, 142 O'Neill, Eugene 8 The Emperor Jones 98 Odets, Clifford 45 Ogunba, Oyin 85 Ogunde, Herbert 33 Ojo, J.R.O. 85 Olajubu, Chief Oludare 80 Olaniyan, Tejumola 54 Omotoso, Kole 51 Ondaatje, Michael 28 Ong, Walter 140 Orígenes 21 Orkin, Martin 8, 36ff„ 45, 190 Osborne, John 8 Look Back in Anger 112 Owomoyela, Oyekan 33 Oxford, Gillian 64, 163 Pannwitz, Rudolf 114 Parsi-Theater 33 Pavis, Patrice 5, 11, 117, 185, 205f. Peking-Oper 34, 185 Perdekamp, Gabriele G. 135 Peters, Helen 64 Pettazoni, R. 20 Pfister, Manfred 138 Pickett, Shane 230 Pinter, Harold 139 Pjatigorskij, A.M. 12 Plutarch 18 Pollak-Eltz, Angelina 80 Poslums, M. 62 Potiki, Roma 68, 70, 218 Preston, Jennifer 64f. Price-Mars, Jean 92 Prince, Raymond 89 Proschan, Frank 179 Purkey, Malcom 134f. Questel, Victor
55, 97, 102
Rabelais, François 26 Rapp, Uri 10 Rattigan, 8 Rea, Kenneth 34 Retief, Piet 143f. Ricard, Alain 71 Richards, David 123ff. Riemenscheider, Dieter 2 Ross, Andrew 164, 230f. Rotimi, Ola 46f., 113, 121ff„ 129ff„ 135, 139, 223f. Hopes of the Living Dead 129ff. If 129f. Kurunmi 122f., 196, 223 The Gods are Not to Blame 122 Rudolf, Kurt 19f„ 22 Rushdie, Salman 28 Said, Edward 9 Salmond, Anne 106f„ 214, 216 Saunders, Justine 67 Savarese, Nicola 14, 183 Schechner, Richard 10f„ 26, 29, 31f., 37, 42, 73, 213 Scheller, Bernard 64 Scheub, Harold 140f. Schmalenbach, Werner 40, 173 Schulte, Bernd 25, 29 Scolnicov, Hamma 205, 222 Scott, Dennis 99, 102 An Echo in the Bone 89, 97ff. Seaga, Edward 89, 98, 103 Sebeok, Thomas A. 186 Senghor, Léopold 39 Shaka 45,223 Shakespeare, William 3, 56 Hamlet 226 Shaw, G.B. 3, 8 Shelley, P.B. 57 Shennan, L. 70, 106 Sher, Emil 160, 206 Simon, Bamey 132 Simpson, George E. 88ff., 94, 96, 98, 104, 208 Sinclair, Keith 62, 136 Singer, Milton 10 Sircar, Bardal 34 Sistren Theatre 72 Smith, Susan 172, 181 Sotto, Wiveca 1,48 Soyinka, Wole 1 f., 29f„ 36,46,48ff„ 68, 71,78f., 81,87f., 97,112,115,121, 123f„ 174, 201, 204f., 221, 225f„ 229, 239 A Dance of the Forests 79f., 82, 174
Camwood on the Leaves 80ff. Death and the King's Horseman 80, 87f., 123ff., 174ff., 182, 199ff, 226ff„ 239 Kongi's Harvest 202 Madmen and Specialists 80 The Bacchae of Euripedes 80, 87 The Invention 80 The Lion and the Jewel 80 The Road 54, 80, 84ff„ 88, 97, 115, 127f., 174, 182, 202, 226f. The Strong Breed 80, 82ff. The Swamp Dwellers 80 The Trials of Brother Jero 80, 202 Stanislawski, Konstantin S. 184 Stefanek, Paul 72 Stilz, Gerhard 2 Stow, Randolph 153 Strasberg, Lee 45 Strindberg, August 93f„ 193 Ein Traumspiel 93f. Synge, J.M. 36, 54, 226 Playboy of the Western World 112 Szondi, Peter 123, 138 Tagore, Rabindranath 3 Tanvir, Habib 34 Tartu Schule 11 Taylor, Colin 2, 29f. Taylor, Rangimoana 69 Te Puea 218 Te Ua Haumene 136 The Little Carib Dance Company (vgl. McBurnie, Beryl) 194 The Theatre of the Eighth Day 216ff. Ko Te Kimihanga 218 Ngati Pakeha: He Korero Whakapapa 218,220 Te Tutakitanga i Te Puna (Encounter at Te Puna) 218, 220 Thompson, John S. 136 Thompson, Robert F. 40, 42, 124, 173f., 183, 199f., 202 Todd, Loreto 116 Tomaselli, Keyan 142 Township Theatre 2, 4, 25, 31, 71, 114, 127, 13Iff., 141f„ 159, 189f„ 206, 224, 238f. Woza Albert! (vgl. Ngema, M. und Mtwa, P.) 132, 143ff„ 149, 159, 189ff„ 206, 224, 238f. Toporov, V.N. 12 Traoré, Bakary 227 259
Trinidad Theatre Workshop 54ff„ 97 Tschechov, Anton 8 Drei Schwestern 233 Turner, Victor 10, 37, 73f„ 77ff„ 85f„ 88f. Tuwhare, Hone 61, 107, 137f., 216f. In the Wilderness Without a Hat (On Ilkla Moor B'aht'at) 107f., 137, 166ff„ 216ff. Ubersfeld, Anne 7 Umlinganiso / The Living Imitation Unity Theatre 45 Urban, Greg 172 Usener, Hermann Götternamen 19 Uspensky, B.A. 12f., 15
210
van der Leeuw, G. 20 van Gennep, Arnold 76f. van Gyseghem, André 45 Vergil 56 Vogel, Susan M. 40 Walcott, Derek 36, 54ff„ 68, 95, 97, 147, 149, 180ff„ 194f. Henri Christophe: A Chronicle 54 Dream on Monkey Mountain 54f., 89, 93ff„ 180ff. Drums and Colours 54 The Joker of Seville 55
2.60
The Sea at Dauphin 54 Τι-Jean and his Brothers 60, 93, 148f„ 180 Wall, Janet 172 Warner, Earl 102, 104f. Weber, Carl Maria von 92 Der Freischütz 92 Wedekind, Frank 226 Whaitiri, Reina 110 Whaley, George 64 Whitaker, Ben 62 White, Helen 217 Whyte, Ikoli H. 130 Wilde, Oskar 193 Williams, Nancy 162 Wilson, Robert 5 Winner, Irene P. & Thomas 12 Wongar, Bahumir 64 Wynter, Sylvia 96, 98 Maskarade 178f.
yagsagana 34 Yeats, W.B. 36, 193 York, Geoffrey 61,229 Yoruba Travelling Theatre
33
Zabus, Chantal 114, 116ff„ 120ff. Zeljan, Zora The Story of Oxala 93