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German Pages 442 [449] Year 1957
DIE
PHILOSOPHIE
DES
von Erich
Frauwallner
BUDDHISMUS
PHILOSOPHISCHE
TEXTE DER
STUDIENTEXTE
INDISCHEN
PHILOSOPHIE Herausgegeben
Walter
von
Ruben
Band 2
AKADEMIE-VERLAG • BERLIN • 1956
DIE P H I L O S O P H I E DES BUDDHISMUS von Erich
Frauwallner
A K A D E M I E - V E R L A G • B E R L I N • 1956
Copyright 1956 by A k a d e m i e -Verlag G m b H . , Berlin Alle R e c h t e v o r b e h a l t e n Erschienen im A k a d e m i e - V e r l a g G m b H . , Berlin W 8, M o h r e n s t r a ß e 59 Lizenz Nr. 202 • 100/345/56 Satz, Druck u n d B i n d u n g : IV/2/14 - V E B W e r k d r u c k G r ä f e n h a i n i c h e n - 592 Bestell- u n d V e r l a g s n u m m e r 4008 P r i n t e d in German>
MEINEM
VEREHRTEN
É T I E N N E
FREUND
LAMOTTE
GEWIDMET
INHALT Vorwort des Herausgebers Einleitung
IX 1
A. DIE LEHRE DES BUDDHA Der B u d d h a (um 5 6 0 - 4 8 0 v. u. Z.) Die Predigt von Benares (Dharmacakrapravartanasütram) Der buddhistische Erlösungsweg Änanda Das Sütra von Vatsagotra und dem Feuer (Aggivacchagottasuttantam) Das Sütra vom Lastträger (Bhärahärasütram) . . Der Lehrsatz vom abhängigen Entstehen Der Bericht von der Erleuchtung (Bodhikathä) . . Das große Sütra von den Grundlagen des E n t stehens (Mahänidänasuttantam) Das Sütra vom abhängigen Entstehen (Pratityasamutpädasütram) Aus Vasubandhus „ K o m m e n t a r zum Sütra vom abhängigen E n t s t e h e n " (Pratityasamutpädavyäkhyä) Das Sütra von der jungen Reispflanze (Öälistambasütram)
9 10 14 18 19 25 27 28 30 39 43 49
B. DIE DOGMATIK DES HINAYÄNA Die Enstehung der buddhistischen Schulen . . . .
61
Die philosophischen Hauptlehren des Sarvästiväda
62
Aus den „Fragen des Menandros" (Milindapanhä)
66
Inhalt
v m
Vasubandhu der Jüngere (um 400—480 n. u. Z.) . . 76 Aus der „Schatzkammer des A b h i d h a r m a " (Abhidharmakoiah) (Es gibt keine Seele) 77 Aus der „Widerlegung der Person" (Pudgalapratisedhaprakaranam) 86 Aus der „Schatzkammer des A b h i d h a r m a " (AbhidharmakosSah) (Es gibt keine Substanz, S. 101; Die Augenblicklichkeit der Dinge, S. 104) 101 Die Dogmatik des Sarvästiväda 109 Aus dem „Werk über die fünf Gruppen" (Pancaskandhakam) 111 Die Schule der Sauträntika . / 119 Aus der „Schatzkammer des A b h i d h a r m a " (Abhidharmako^ah) (Das scheinbar und das wahrhaft Wirkliche, S. 121; Das Wesen der Erlangung, S. 123) . 120 Die Erlösungslehre des Hlnayäna 126 Aus der „Schatzkammer des A b h i d h a r m a " (Abhidharmako^ah) (Die Unterdrückung durch Erkenntnis, S. 130; Das Nirväna als ein Nichtsein, S. 132) . . . 130 Aus dem „Nachweis der W a h r h e i t " (Tattvasiddhih) 136 C. DIE SCHULEN DES MAHÄYÄNA 1. Die Madhyamaka-Schule
143
Die Anfänge des Mahäyäna
143
Die Sütren des Mahäyäna
145
Die Prajnäpäramitä-Literatur 146 Aus der „Vollkommenheit der Einsicht in achttausend Verszeilen" (Astasähasrikä P r a j n ä p ä r a m i t ä ) . . . . 151 Aus dem „ J u w e l e n h a u f e n " (Ratnakütah) . . . . 164 N ä g ä r j u n a (um 200 n. u. Z.) Aus den „Merkversen der mittleren Lehre" (Madhyamakakärikä) Aus der „Streitabwehreriii" (Vigrahavyävartam) Aus der „ J u w e l e n k e t t e " (Ratnävali)
170 178 200 208
Inhalt
IX
Aryadeva (Anfang des 3. J a h r h u n d e r t s n. u. Z . ) . . . 218 Aus dem „ W e r k in vierhundert S t r o p h e n " (Catuhgatakam) 219 B u d d h a p ä l i t a (etwa 5. J a h r h u n d e r t n. u. Z.) . . . .
221
Aus dem „ K o m m e n t a r zu den Merkversen der m i t t leren L e h r e " (Mülamadhyamakavrttih) 222 Bhävaviveka (Mitte des 6. J a h r h u n d e r t s n. u. Z . ) . . . 224 Aus der „ L e u c h t e der E i n s i c h t " ( P r a j n ä p r a d i p a h ) 226 Aus d e m „ J u w e l in der H a n d " ( T c h a n g t c h e n ) . . . 232 Candraklrti (7. J a h r h u n d e r t n : u . Z.)
241
Aus der „ W o r t k l a r e n " ( P r a s a n n a p a d ä )
243
Aus der „ E i n f ü h r u n g in die M a d h y a m a k a - L e h r e " (Madhyamakävatärah) 249 2. Die Schule Säramatis
255
S ä r a m a t i (um 250 n . u. Z.)
255
Aus der „ E r l ä u t e r i m g des Keimes der (drei) J u welen" ( R a t n a g o t r a v i b h ä g a h ) 258 3. Die Schule der YogOcära Die Anfänge der Yogäcära-Schule Aus der „ S t u f e des B o d h i s a t t v a " bhümih)
264 265 (Bodhisattva270
Aus der „ E r l ä u t e r u n g des geheimen Sinnes" (Samdhinirmocanasütram) 284 M a i t r e y a n ä t h a (um 300 n. u. Z.) Aus dem „ S c h m u c k der Sütren des (Mahäyänasüträlamkärah)
296 Mahäyäna" 309
Aus der „ E r l ä u t e r u n g der Mitte u n d der E x t r e m e " (Madhyäntavibhägah) 324 Asanga (um 3 1 5 - 3 9 0 n. u. Z.) Aus der „ Z u s a m m e n f a s s u n g des M a h ä y ä n a " (Mahäyänasamgrahah)
326 335
X
Inhalt
V a s u b a n d h u der Ältere (um 3 2 0 - 3 8 0 n. u. Z.) . . . 350 Der „Nachweis, d a ß (alles) nur E r k e n n t n i s ist, in zwanzig Versen" (Vimsatikä Vijnaptimätratäsiddhih) 366 Der „Nachweis, d a ß (alles) nur E r k e n n t n i s ist, in dreißig Versen" (Trimsika Vijnaptimätratäsiddhih) 385 Dignäga (um 4 8 0 - 5 4 0 n. u. Z.) 390 Aus der „Zusammenstellung der Mittel richtiger Erk e n n t n i s " (Pramänasamuccayah) 393 Sthiramati u n d D h a r m a p ä l a (Mitte des 6. J a h r h u n d e r t s n. u. Z.) 394 Aus Hiuan-tsangs „Nachweis, d a ß (alles) nur Erkenntnis i s t " (Tch'eng wei che louen) 400 Quellen u n d Literatur
408
Sach- u n d Namenverzeichnis
418
VORWORT DES HERAUSGEBERS
Im ersten Band unserer Reihe von Übersetzungen indischer philosophischer Texte hat der Unterzeichnete den „Beginn der Philosophie in Indien" um etwa 650 v. u. Z. gezeigt: Dem Hylozoismus des Uddälaka, dieser ersten Form des Materialismus, wurde der Idealismus eines Yäjnavalkya gegenübergestellt, d. h. die Upanisadmystik des Einen, angeblich einzig Wirklichen, das brahman genannt und etwa als „ewig gleichbleibender Geist" beschrieben wird. Dieser Idealismus war mit Religion verquickt, insbesondere mit Seelenwanderungsglauben: Entsage allem Streben, damit deine nächste Wiedergeburt in einem glücklichen Stande erfolge. Als Brahmane oder Kshatriya, nicht als arbeitender Vaisya oder Südra. Jedoch wurde dieser Idealismus damals nur im kleinen Kreis von Priestern, Fürsten, Adligen, aber auch von gelehrten Frauen diskutiert. Als um 500 v. u. Z. die Entwicklung von Städten begann, bildete sich der Materialismus weiter aus. In dieser Zeit stellte der Kleinfürst Päyäsi seine merkwürdigen Experimente mit hinzurichtenden Verbrechern an, um nachzuweisen, daß es keine ewige Seele gibt. Ein Wanderasket, Ajita, vertrat vor dem größten Despoten der Zeit, vor Ajätasatru von Magadha, die Lehre, daß es nur vier Elemente gebe, aber keine Seele. Um solche Zweifel an der Seelenwanderung zu entkräften, wurde, in Reaktion auf den Materialismus, uralter Schamanismus zu Yoga entwickelt. Der Yoga behauptete, die wandernden Seelen
XU
Vorwort des Herausgebers
direkt sehen zu können. Es war der Buddhismus, der damals Yoga in dieser Weise verwendete. Als die sich um 500 v. u. Z. entwickelnde neue Religion nahm der Buddhismus wichtige volkstümliche Elemente in sich auf. Er griff das Ständewesen an und lehrte die natürliche Gleichheit aller Menschen. Er wandte sich aber nicht nur gegen den Materialismus, sondern auch insofern gegen den Upanisadidealismus, als er bestritt, daß es ein ewiges brahman oder eine ewige Seele gebe; er verfocht demgegenüber den Gedanken eines ständigen Werdens in allen natürlichen und geistigen Erscheinungen. Das war eine großartige, wenn auch noch naive Dialektik. Dessenungeachtet aber war der Buddhismus selbst wesentlich Religion und Idealismus, indem er die Welt und das Werden letztlich aus einer Verblendung oder aus einem Wahn (avidyä, wörtlich „Nichtwissen"), also von etwas Geistigem, herleitete. Neben dem Buddhismus entwickelten Ideologen der handeltreibenden Schicht den Jinismus als Religion mit einer eigenen Philosophie (Atomismus). Zugleich errichteten damals Brahmanen das vielfältige Gebäude eines anderen philosophischen Systems, des Sämkhya. So wirkten Schulen des Materialismus, Buddhismus, Jinismus und Sämkhya durch die Perioden der indischen Sklavenhaltergesellschaft neben und gegeneinander; sie existierten fort bis in den Feudalismus hinein, der sich etwa um 500 u. Z. zu formieren begann. Es ist heute noch nicht möglich, die philosophischen Kämpfe der genannten Richtungen in ihren einzelnen Perioden im Querschnitt darzustellen. Deshalb folgt in unserer Reihe auf den ersten Band über die Upanigaden jetzt als zweiter Band der über Buddhismus, und zwar beginnend mit dessen philosophischen Problemen in der Zeit der frühen Sklavenhaltergesellschaft um 500 v. u. Z. bis zur Spät-
XIII
Vorwort des Herausgebers
zeit des Feudalismus, als der Buddhismus in Indien ausstarb. Die weiteren Bände werden dann dem Sämkhya und anderen Strömungen gewidmet sein. B e r l i n , Februar 1956
Walter
Ruben
EINLEITUNG
In der indischen Philosophie nehmen die Systeme der Buddhisten eine führende Stellung ein. Der Buddha selbst hatte zwar ausschließlich eine Erlösungslehre verkündet und zu den philosophischen Fragen seiner Zeit kaum Stellung genommen. Als aber im Laufe der letzten Jahrhunderte v. u. Z. die allgemeine Entwicklung der indischen Philosophie zur Bildung vollständiger philosophischer Systeme geführt hatte, begannen auch die Buddhisten, ihre alte Lehre zum System auszubauen. Und schon damals entwickelten sie eigentümliche beachtenswerte Anschauungen, wie die Lehre von der Augenblicklichkeit aller Dinge oder die Leugnung des Vorhandenseins einer Seele. Am wichtigsten war es aber, daß die Schulen des Mahäyäna die grundlegende Frage nach der Wirklichkeit der Erscheinungswelt aufwarfen, daß sie ihre Irrealität exakt nachzuweisen suchten, zur Begründung ihrer Auffassung einen wohldurchdachten erkenntnistheoretischen Idealismus schufen und gleichzeitig entscheidend zum Ausbau der Erkenntnistheorie und Logik beitrugen, welche am Ende der klassischen Periode der indischen Philosophie eine hohe Blüte erreichten und zu dem Bedeutendsten gehören, was die indische Philosophie überhaupt geschaffen hat. Darüber hinaus hat die Philosophie der Buddhisten auch auf die folgende Zeit stark gewirkt und vor allem der Vedänta hat aus ihr nachhaltige Anregungen geschöpft. Trotz dieser hohen Bedeutung der buddhistischen Philosophie ist sie in weiteren Kreisen noch immer wenig 1
Frauwallner,
Buddhismus
2
Einleitung
bekannt. Eine befriedigende Darstellung fehlt. Und die Quellen selbst sind dem, der mit den Ursprachen nicht vertraut ist, kaum zugänglich. Es ist zwar manches übersetzt, aber das ist nur ein kleiner Teil einer umfangreichen Literatur, so daß sich damit nur schwer ein allgemeiner Überblick gewinnen läßt. Außerdem ist auch das Studium dieser Übersetzungen so mühsam, daß sie über engere Fachkreise kaum hinausgedrungen sind. Eine Möglichkeit auch für weitere Kreise, sich ohne allzu große Mühe mit der Gedankenwelt der buddhistischen Philosophen vertraut zu machen, fehlt nach wie vor 1 . Diese Möglichkeit soll nun das vorliegende Werk schaffen, und zwar soll es an Hand ausgewählter Texte eine erste Einführung geben, welche anschließend ein weiteres eingehenderes Studium ermöglicht. Ein solches Unternehmen ist allerdings mit großen Schwierigkeiten verbunden. In der indischen Philosophie der älteren Zeit, mit der wir es hier ausschließlich zu tun haben, gibt es kaum Texte, die bestimmt waren, Außenstehenden die Lehren der verschiedenen Systeme darzulegen. Das war Sache der mündlichen Belehrung, wie überhaupt das gesprochene Wort im philosophischen und religiösen Leben Indiens immer die beherrschende Rolle spielte. Was uns aus dieser Zeit erhalten ist, besteht, sofern es für den inneren Gebrauch der Schulen bestimmt war, im wesentlichen aus ursprünglich mündlich überlieferten Merksprüchen und Merkversen, sofern es der Auseinander1 Vor kurzem sind zwei Werke erschienen, welche eine Auswahl buddhistischer Texte in Übersetzung enthalten, Buddhist Texts through the Ages, edited by E. Conze, in collaboration with I. B. Horner, D. Snellgrove, A. Waley, Philosophical Library, New York 1954, und Buddhistische Geisteswelt, vom histori sehen Buddha zum Lamaismus, Texte, ausgewählt und eingeleitet von G. Mensching, Darmstadt 1955. Beide geben gut ausgewählte Proben aus den ver schiedensten Schichten des buddhistischen Schrifttums. Aber in beiden nehmen die rein philosophischen Texte nur einen bescheidenen Raum ein und die Ent Wicklung der philosophischen Gedanken ist nicht weiter verfolgt.
Einleitung
3
Setzung mit fremden Schulen diente, aus polemischen Werken. Keines von beiden sind Darstellungen, wie wir sie uns wünschen würden. Die Merktexte geben in knappster Form Stichwörter für das Gedächtnis, die bestimmt waren, zusammen mit mündlichen Erläuterungen überliefert zu werden, und die daher ohne solche Erläuterungen kaum verständlich sind. Außerdem sollten sie nicht so sehr die grundlegenden Lehren, sondern die Systeme in ihrer Gesamtheit festhalten, besonders auch dem Gedächtnis leicht entschwindende Einzelheiten und schulgerechte Formulierungen umstrittener Punkte. Die polemischen Texte wiederum setzen gewöhnlich alte, schon Generationen lang dauernde Auseinandersetzungen fort, mit denen der Leser vertraut sein muß, wenn er die einzelnen Erörterungen richtig verstehen will. Dabei tritt auch hier das Grundsätzliche, die große Linie, gegenüber den Einzelheiten zurück, auf die sich der Streit zugespitzt hatte. Das, was uns das Wichtigste ist, muß hier wie dort meist erst in mühsamer Arbeit aus den Texten herausgeholt und nur zu oft aus einzelnen Bemerkungen und Andeutungen erschlossen werden. Bei den buddhistischen Werken kommt außerdem hinzu, daß große Teile derselben philosophisch ohne Interesse sind. Und zwar handelt es sich in solchen Fällen vor allem um Besprechungen des praktischen Erlösungsweges, wobei technische Einzelheiten mit ermüdender Breite vorgetragen und ausgesponnen werden, während das philosophisch Wertvolle dazwischen fast erdrückt wird. Schließlich wird für den Leser das Studium aller dieser Werke noch dadurch erschwert, daß es bisher keine ausreichende Darstellung der buddhistischen Philosophie gibt, welche ihm die nötigen Voraussetzungen liefern würde, um die Texte richtig einzuordnen und aufzufassen, sondern daß er sich das meiste erst selbst erarbeiten muß. 1*
4
Einleitung
Um allen diesen Schwierigkeiten zu begegnen, habe ich folgenden Weg gewählt. Ich gebe kerne geschlossenen größeren Texteinheiten wieder, sondern ich habe philosophisch wertvolle Stücke herausgegriffen und nach sachlichen Gesichtspunkten zusammengestellt, so daß der Leser leicht die Entwicklung der einzelnen Gedanken zu verfolgen vermag. Besonderen Wert aber habe ich auf die Erklärung der Texte gelegt. Zunächst orientiert ein kurzer Abriß über den Verfasser und seine Lehre. Dann folgen die Texte mit ausführlichen Erläuterungen 1 . Zur Durchführung im einzelnen möchte ich bemerken, daß ich streng zwischen Übersetzung und Erklärung unterscheide. Eine Übersetzung hat dem der Sprache unkundigen Leser möglichst getreu zu vermitteln, was das Original enthält. Ist das Original feierlich und langatmig, so kann auch die Übersetzung nur feierlich und langatmig sein. Ist das Original hart und dunkel, so darf die Übersetzung nicht Glätte und Klarheit vortäuschen. Sonst ist sie keine Übersetzung mehr, sondern eine Bearbeitung. Selbst logische Fehler des Verfassers hat der Übersetzer unverändert wiederzugeben. Sie aufzuzeigen und zu erklären ist Sache der Erläuterungen. Die Erläuterungen selbst sind ziemlich umfangreich, besonders bei den knappen Merktexten. Dabei habe ich es vorgezogen, statt abgerissener einzelner Anmerkungen eine durchlaufende Erklärung zu geben und diese an die Spitze des Textes zu stellen. Es handelt sich dabei um keinen eingehenden wissenschaftlichen Kommentar. Aber ich hoffe, daß meine Erläuterungen alles enthalten, was für ein erstes Verständnis der Texte notwendig ist. 1 An Stelle eigener E r k l ä r u n g e n indische K o m m e n t a r e m i t z u ü b e r s e t z e n , h a t den Nachteil, d a ß diese o f t selbst der E r k l ä r u n g b e d ü r f e n u n d sehr h ä u f i g f r e m d e G e d a n k e n in die T e x t e h i n e i n i n t e r p r e t i e r e n .
Einleitung
5
In der schwierigen Frage der Wiedergabe der philosophischen Terminologie bin ich folgendermaßen verfahren. Da es sich hier, im Gegensatz zur antiken Philosophie, um eine Sprache handelt, die nur den wenigsten Lesern vertraut ist, war eine Beibehaltung der originalen Termini nicht möglich. Ich habe daher grundsätzlich übersetzt, zur Vermeidung von Irrtümern und Unklarheiten jedoch die indischen Ausdrücke in Klammern beigefügt. Dabei habe ich mich bemüht, durchgängig an der gleichen Übersetzung des gleichen Terminus festzuhalten. Ferner habe ich auch hier zwischen Übersetzung und Erklärung unterschieden. Schließlich muß auch der Inder, der sich mit einem philosophischen System vertraut macht, erst die terminologische Bedeutung der verschiedenen Ausdrücke kennenlernen. Ich habe daher soweit wie möglich Übersetzungen gewählt, die etwa dasselbe ausdrücken, was für den Inder das betreifende Wort zunächst besagt. Die genaue philosophische Bedeutung ergibt sich aus den Erläuterungen. Vor allem aber habe ich vermieden, Ausdrücke der europäischen philosophischen Terminologie zu verwenden. Denn so bestechend es oft auf den eisten Blick erscheint, in der Regel führt es irre und erweckt falsche Vorstellungen. Überhaupt habe ich mich durchwegs bemüht, die indische Prägung der Gedanken festzuhalten und möglichst genau wiederzugeben. Denn nur so ist ein richtiges Verstehen dieser fremden Gedankenwelt möglich. Um nur ein Beispiel zu geben, der Begriff des Grunderkennens (älayavijnänam) der buddhistischen Yogäcära-Schule lockt geradezu zur Übersetzung als „Unterbewußtsein". Aber die buddhistische Philosophie kennt auch den Begriff des Bewußtseins, und zwar bezeichnet sie es in der älteren Zeit als samjnä, in der jüngeren als samvit. Wenn sie nun das Grunderkennen als Erkennen (vijnänam) bezeichnet und
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Einleitung
nicht als Bewußtsein, so bestimmt sie es damit bewußt als ein psychisches Phänomen, dem ganz bestimmte Eigenschaften zukommen und welches vom Bewußtsein wesentlich verschieden ist. Und das muß der Übersetzer meiner Ansicht nach festhalten und darf es nicht verwischen. Auf einem Gebiet, das noch so wenig bearbeitet ist, wie das der buddhistischen Philosophie, ist ferner vieles Sache der persönlichen Auffassung. Ich gebe natürlich meine eigenen Auffassungen wieder. Die Begründungen dafür bringt meine „Geschichte der indischen Philosophie" 1 und die daneben veröffentlichten wissenschaftlichen Abhandlungen. Zur Auseinandersetzung mit abweichenden Ansichten ist in einem Werk wie dem vorliegenden kein Platz. Nur auf zwei Punkte möchte ich kurz eingehen. Den großen Madhyamaka-Lehrer Nägärjuna hat man bisher gewöhnlich für einen Südinder gehalten. Demgegenüber vertritt fit. Lamotte neuerdings die Ansicht, daß er im Nordwesten Indiens gewirkt hat, und zwar stützt er sich dabei auf den Mahäprajnäpäramitopadesah2. Das ist insofern richtig, als dieses Werk tatsächlich im Nordwesten entstanden sein muß. Ich halte es aber für kein Werk des großen Nägärjuna und bin infolgedessen bei der alten Auffassung geblieben. Ein zweites ist die Unterscheidung zwischen Asanga und seinem Lehrer Maitreyanätha. Vor kurzem hat nämlich P. Demieville ausführlich gezeigt, daß die Werke, welche von manchen Gelehrten einem Lehrer Asangas namens Maitreyanätha zugeschrieben werden, nach indischer Überlieferung Asanga von dem Bodhisattva Maitreya geoffenbart wurden, daß der 1 E. Frauwallner, Geschichte der indischen Philosophie. Salzburg, Otto Müller Verlag, I. Band 1953, I I . Band 1956. 2 Vgl. fit. Lamotte, Sur la formation du Mahäyäna, Asiatica, Festschrift Friedrich Weller, Leipzig 1954, S. 377—396.
Einleitung
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Glaube an solche Offenbarungen in den buddhistischen Kreisen der damaligen Zeit gang und gäbe war und daß uns nichts berechtigt, aus dieser Überlieferung einen historischen Lehrer Asangas namens Maitreyanätha zu erschließen. 1 Ich gehe aber in diesem Fall nicht von der Legende aus. Ich finde vielmehr, daß die wichtigsten Schriften, die unter dem Namen Asangas überliefert sind, in zwei Gruppen zerfallen, welche sich in ihren philosophischen Anschauungen scharf voneinander unterscheiden 2 und unvermittelt nebeneinander stehen. Nun ist es an und für sich möglich, daß ein Philosoph im Laufe seines Lebens seine Anschauungen ändert. Wenn aber der Gegensatz so schroff ist und nun die Überlieferung gerade die Werke der einen Gruppe auf fremde Inspiration zurückführt, so scheint es mir berechtigt, wirklich fremde Herkunft und einen anderen Verfasser anzunehmen. Maitreyanätha ist außerdem als Personenname ohne weiteres möglich und tatsächlich bezeugt. Ebenso leicht möglich und verständlich ist es aber atich, daß die spätere Überlieferung in diesem Maitreyanätha oder kurz Maitreya den Bodhisattva sah und daß es so zur Entstehung der Legende kam. Zum Schlüsse möchte ich noch betonen, daß sich das vorliegende Werk ausschließlich auf die buddhistische Philosophie Indiens in der klassischen Zeit beschränkt. Und selbst in dieser Beschränkung ist es nur eine bescheidene Auswahl aus einem umfangreichen Schrifttum. Ich hoffe aber, daß es sich als erste Einführung bewährt und daß es dem Leser ermöglicht, einen ersten Überblick 1 P. Demiéville, La Yogäcärabhümi de Sangharaksa, Bulletin de l'École Française d'Extrême-Orient, tome XLIV, Hanoi 1954, S. 381, Anm. 4. 8 Vgl. auch meinen Aufsatz Amalavijnänam und Älayavijnänam, ein Beitrag zur Erkenntnislehre des Buddhismus, Beiträge zur indischen Philologie und Altertumskunde, Walther Schubring zum 70. Geburtstag dargebracht, Hamburg 1951, S. 148—159.
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Einleitung
zu gewinnen, und ihm die Voraussetzungen gibt, wenn sein Interesse weiter führt, in die Werke der buddhistischen Philosophen selbst einzudringen. E. Frau wallner
A. DIE LEHRE DES BUDDHA Der Buddha (um 560—480 v. u. Z.)
Nach den Lehren der Upanisaden ist das nächste, worüber die Überlieferung berichtet, die Lehre des Buddha. Der Buddha war zwar kein Philosoph im eigentlichen Sinn, sondern der Verkünder einer Erlösungslehre. Das Philosophische beschränkt sich bei ihm auf wenige Gedankengänge und Lehrsätze, welche die theoretische Grundlage f ü r seinen Erlösungsweg abgeben. Aber der Impuls, der von ihm ausging, war so stark und an seine Verkündigung schließen später so bedeutende Denker ihre Systeme an, daß seine Lehre besondere Berücksichtigung verdient. Zeitlich u n d räumlich ist der Buddha von den jüngsten Lehren der Upanisaden-Zeit nicht weit getrennt. Das Land, wo er geboren war und wo er lebte und wirkte, war nicht weit vom Videha-Land entfernt, in dem J a n a k a , der sagenhafte Schutzherr Yäjnavalkyas geherrscht h a t t e . Und auch der zeitliche Abstand dürfte nicht sehr groß sein. U n d doch h a t t e sich in der Zwischenzeit viel geändert. Der Schwung und die erste Begeisterung der UpanisadenZeit war verflogen. Zahlreiche Lehrer durchzogen das Land und predigten ihre verschiedenen Lehren. U n d an die Stelle der begeisterten Verkündigung der Ätman-Lehre war das Gezänk der rivalisierenden Schulen getreten. Dabei war aber die Zeit von einem tiefen Erlösungsstreben erfüllt, das weiteste Kreise ergriffen h a t t e und sich besonders auch auf die vornehmen Kreise erstreckte. Beides hat entscheidend auf die Persönlichkeit des Buddha gewirkt. Vor allem ist er von einem leidenschaftlichen Drang erfüllt, die Erlösung aus dem Leid des Daseins zu finden. Der philosophische Lehrbetrieb seiner Zeit hat dagegen abstoßend auf ihn gewirkt. Er sah darin einen Irrweg, der vom eigentlichen Erlösungsziel a b f ü h r t . Und das hat f ü r die Dauer seines Lebens seine Stellung zur Philosophie bestimmt. E r verkündet daher den Erlösungsweg, den er selbst durch eigene Erfahrung gefunden h a t . Theo-
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Die Lehre des Buddha
retische Erörterungen lehnt er so weit wie möglich ab. Und nur die Begründung der Verstrickung in das Leid dos Daseins und der Möglichkeit der Erlösung gibt er in wenigen formelartigen Sätzen. A n der Spitze der Verkündigung des Buddha steht die Predigt von Benares, in der er, nach buddhistischer Ausdrucksweise, das R a d der Lehre in Bewegung setzte. Denn wie nach indischer Sage dem weltbeherrschenden K ö n i g ein wunderbares R a d voranrollt und den Weg auf seinem Siegeszug zur Eroberung der Erde zeigt, so hat der Buddha durch diese Predigt das R a d der Lehre in Bewegung gesetzt, das von da an siegreich über die Erde rollte. Gerichtet ist die Predigt an f ü n f Jünger, welche sich dem Buddha während der Zeit seines Strebens angeschlossen, sich dann aber von ihm abgewendet hatten, als er die übermäßigen Kasteiungen als nutzlos aufgab, weil sie ihm vorwarfen, er habe sich dem Wohlleben zugewendet. Darauf spielen die einleitenden Worte der Predigt an. Dann folgt die Verkündigung der vier edlen Wahrheiten, welche nach alter Anschauung den K e r n der erlösenden Erkenntnis ausmachen. Die Predigt hat folgenden Wortlaut.
Die Predigt v o n Benares {Dharmacakrapravartanasütram) Darauf sprach der Erhabene zur Gruppe der fünf Mönche „ F o l g e n d e n zwei Extremen, ihr Mönche, darf jemand, der der W e l t entsagt hat, nicht anhangen. W e l c h e n zwei? Hinsichtlich der Begierden der Hingabe an die Lust der Begierden, welche niedrig, gemein, weltlich, eines Edlen unwürdig ist und nicht z u m Ziele führt, und der Hingabe an die Selbstpeinigung, welche leidvoll, eines Edlen unwürdig ist und nicht z u m Ziele führt. Ohne diesen beiden E x t r e m e n zu folgen, ihr Mönche, h a t der Vollendete den mittleren W e g erkannt, der Schauen bewirkt und Wissen bewirkt, und der zur Beruhigung, zur Einsicht, zur Erleuchtung, z u m Erlöschen (nirvänam) führt. Welches ist,
Der Buddha
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ihr Mönche, dieser mittlere Weg, den der Vollendete erkannt hat, der Schauen bewirkt und Wissen bewirkt, und der zur Beruhigung, zur Einsicht, zur Erleuchtung, zum Erlöschen führt? Es ist der edle achtgliedrige Weg, nämlich rechte Ansicht, rechtes Denken, rechtes Reden, rechtes Handeln, rechtes Leben, rechtes Streben, rechte Wachsamkeit und rechte Sammlung. Dies, ihr Mönche, ist der mittlere Weg, den der Vollendete erkannt hat, der Schauen bewirkt und Wissen bewirkt, und der zur Beruhigung, zur Einsicht, zur Erleuchtung, zum Erlöschen führt. Dies ist ferner, ihr Mönche, die edle Wahrheit vom Leiden. Geburt ist Leiden, Alter ist Leiden, Krankheit ist Leiden, Tod ist Leiden, mit Unliebem vereint sein ist Leiden, von Liebem getrennt sein ist Leiden, wenn man etwas wünscht und es nicht erlangt, auch das ist Leiden, kurz die fünf Gruppen des Ergreifens (upädänaskandhah)1 sind Leiden. Dies ist ferner, ihr Mönche, die edle Wahrheit von der Entstehung des Leidens. Es ist der Durst (trsnä), der zur Wiedergeburt führt, der von Wohlgefallen und Begierde begleitet da und dort Gefallen findet, nämlich der Begierdedurst, der Werdedurst, der Vernichtungsdurst. Dies ist ferner, ihr Mönche, die edle Wahrheit von der Aufhebung des Leidens. Es ist die Aufhebung des Durstes durch völlige Begierdelosigkeit, das Aufgeben, Ablehnen, sich Freimachen und nicht daran Haften. Dies ist ferner, ihr Mönche, die edle Wahrheit von dem zur Aufhebung des Leidens führenden Weg. Es ist der edle achtgliedrige Weg, nämlich rechte Ansicht, rechtes Denken, rechtes Reden, rechtes Handeln, rechtes Leben, rechtes Streben, rechte Wachsamkeit und rechte Sammlung. 1 So werden die fünf Gruppen genannt, welche die irdische Persönlichkeit bilden (s. u. S. 26), da sich der Daseinsdurst auf sie richtet und an sie klammert.
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Die Lehre des Buddha
,Dies ist die edle Wahrheit vom Leiden, dies ist die edle Wahrheit von der Entstehung des Leidens, dies ist die edle Wahrheit von der Aufhebung des Leidens, dies ist die edle Wahrheit von dem zur Aufhebung des Leidens führenden Weg': so ging mir, ihr Mönche, über diese früher nicht vernommenen Dinge der Blick auf, ging mir das Verständnis, die Einsicht, das Wissen, das Schauen auf. ,Das Leiden, diese edle Wahrheit, muß erkannt werden; die Entstehung des Leidens, diese edle Wahrheit, muß vermieden werden; die Aufhebung des Leidens, diese edle Wahrheit, muß verwirklicht werden; der zur Aufhebung des Leidens führende Weg, diese heilige Wahrheit, muß geübt werden': so ging mir, ihr Mönche, über diese früher nicht vernommenen Dinge der Blick auf, ging mir das Verständnis, die Einsicht, das Wissen, das Schauen auf. Solange ich, ihr Mönche, über diese vier edlen Wahrheiten dieses dreifache, zwölfgliedrige Wissen und Schauen nicht in voller Klarheit besaß, solange, ihr Mönche, behauptete ich nicht, daß ich in dieser Welt samt himmlischen Göttern, Todesgöttern und Brahma-Göttern, unter diesen Wesen samt Asketen und Brahmanen, samt Göttern und Menschen die höchste vollkommene Erleuchtung erlangt habe. Seit ich aber, ihr Mönche, über diese vier edlen Wahrheiten dieses dreifache, zwölfgliedrige wahrhafte Wissen und Schauen in voller Klarheit besaß, seitdem, ihr Mönche, behauptete ich, daß ich in dieser Welt samt himmlischen Göttern, Todesgöttern und Brahma-Göttern, unter diesen Wesen samt Asketen und Brahmanen, samt Göttern und Menschen die höchste vollkommene Erleuchtung erlangt habe. Und es ging mir das Wissen und Schauen auf: Unerschütterlich ist die Befreiung meines Geistes; dies ist meine letzte Geburt; nicht gibt es nunmehr eine Wiedergeburt."
Der B u d d h a
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So sprach der Erhabene. Freudig begrüßte die Gruppe der fünf Mönche die Rede des Erhabenen. Angesichts der großen Bedeutung, welche die Überlieferung den vier edlen Wahrheiten beilegt, ist es auffallend, wie inhaltsleer diese Verkündigung ist. Es ist in ihr nicht mehr gesagt, als daß das Dasein leid voll ist, d a ß die Ursache des Leidens die Begierde ist u n d d a ß die A u f h e b u n g des Leidens durch Vernichtung der Begierde vermittels des edlen achtgliedrigen Weges erfolgt. Besonders die E r k l ä r u n g des edlen achtgliedrigen Weges ist dürftig. Sie bietet nur u n b e s t i m m t e allgemeine Begriffe, nichts klares Greifbares. Wir werden also in der Predigt von Benares a m besten eine Art programmatischer Ankündigung sehen, einen R a h m e n , der durch spätere eingehendere Belehrungen gefüllt u n d ergänzt werden sollte. U n d tatsächlich h a t der B u d d h a im Laufe seiner langen Lehrtätigkeit solche Ergänzungen in reichem Maße gegeben. U n d vor allem f ü r den Erlösungsweg gibt es eine ausführliche Darstellung, welche in zahlreichen T e x t e n des buddhistischen K a n o n s wiederkehrt u n d welche genaue, ins einzelne gehende Vorschriften e n t h ä l t . Danach stellt sich der Erlösungsweg etwa folgendermaßen dar. Der J ü n g e r , der im Vertrauen auf das W o r t des B u d d h a der Welt entsagt u n d aus dem Hause in die Hauslosigkeit zieht, h a t zunächst eine Reihe sittlicher Gebote zu beoba c h t e n . D a r a n schließt sich als Zweites das B e h ü t e n der Sinne, d. h. er darf sich durch Sinneseindrücke nicht erregen u n d zur Leidenschaft fortreißen lassen. Als Drittes folgt das Üben der Wachsamkeit u n d Bewußtheit. D a n a c h h a t alles T u n u n d Lassen stets in klarem Bewußtsein seiner B e d e u t u n g zu erfolgen. Alles das sind Vorbereitungen allgemeiner Art. Durch sie wird der J ü n g e r erst fähig, den Erlösungsweg im engeren Sinn zu betreten. Dieser ist n a c h indischer Art ein Weg des Yoga, d. h. der Geist wird d u r c h innere S a m m l u n g allmählich in einen Z u s t a n d erhöhter Klarheit versetzt, in dem er jeden gewünschten Gegenstand durch unmittelbares Schauen mit vollkommener Deutlichkeit u n d Sicherheit zu erkennen vermag. Der J ü n g e r läßt sich zu diesem Zweck im gebräuchlichen Yoga-Sitz mit verschränkten Beinen a n einem einsamen Ort nieder u n d
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bemüht sich zuerst, die geistigen Hindernisse zu überwinden. Dann durchsehreitet er vier Stufen der Versenkung, auf denen der Buddha selbst einst die erlösende Erkenntnis gefunden hat, bis er auf der vierten und letzten die erstrebte Klarsicht errungen hat. Diese richtet er nun zunächst auf sein eigenes Schicksal in früheren Geburten. Dann auf das Gesetz des Wesenskreislaufes im allgemeinen, wie es die ganze Welt beherrscht. Schließlich richtet er sie auf die vier edlen Wahrheiten selbst. Und nun ist er imstande, diese durch eigenes Schauen mit voller Sicherheit als wahr zu erkennen. Dadurch schwinden aber Leidenschaft und Nichtwissen, die ihn bisher im Wesenskreislauf festgehalten haben. Die Erlösung ist gewonnen und er wird sich bewußt, daß er erlöst ist. Dieser wichtigste Teil des Erlösungsweges hat folgenden Wortlaut.
Der buddhistische Erlösungsweg Ausgerüstet mit dieser edlen Gruppe sittlicher Gebote, mit dieser edlen Behütung der Sinne und mit dieser edlen Wachsamkeit und Bewußtheit sucht (der Jünger) eine abgelegene Wohnstätte auf, einen Wald, den Fuß eines Baumes, einen Berg, eine Schlucht, eine Berghöhle, eine Leichenstätte, eine Wildnis, einen Platz unter freiem Himmel oder einen Haufen Stroh. Dort setzt er sich nach der Mahlzeit, wenn er vom Almosengang zurückgekehrt ist, mit gekreuzten Beinen nieder, den Körper gerade aufgerichtet, indem er sich Wachsamkeit vergegenwärtigt. Nachdem er die Gier nach dieser Welt von sich getan hat, verharrt er gierfreien Sinnes; von Gier läutert er seinen Geist. Nachdem er Bosheit und Zorn von sich getan hat, verharrt er bosheitfreien Geistes; auf das Wohl aller Lebewesen bedacht läutert er seinen Geist von Bosheit und Zorn. Nachdem er Starrheit und Schlaffheit von sich getan hat, verharrt er frei von Starrheit und
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Schlaffheit; klaren Bewußtseins, wachsam und bewußt läutert er seinen Geist von Starrheit und Schlaffheit. Nachdem er Erregung und Reue von sich getan hat, verharrt er ohne Erregung; innerlich beruhigten Geistes läutert er seinen Geist von Erregung und Reue. Nachdem er den Zweifel von sich getan hat, verharrt er befreit von Zweifel; ohne Unklarheit über die heilsamen Dinge läutert er seinen Geist von Zweifel. Nachdem er diese Hindernisse von sich getan hat und die schwächenden Störungen des Geistes erkannt hat, erlangt er durch Loslösung von den Begierden und Loslösung von den unheilsamen Dingen, unter Nachdenken und Überlegen, durch diese Loslösung entstandene Befriedigung und Wohlbehagen und verharrt darin. Das ist die erste Versenkungsstufe. Nachdem Nachdenken und Überlegen zur Ruhe gekommen sind, erlangt er innere Beruhigung und Konzentration des Geistes und so, frei von Nachdenken und Überlegen, durch diese Sammlung entstandene Befriedigung und Wohlbehagen und verharrt darin. Das ist die zweite Versenkungsstufe. Nach Abkehr von der Befriedigung verharrt er gleichmütig, wachsam und bewußt und empfindet mit seinem Körper Wohlbehagen. Das ist es wovon die Edlen sagen: „Er ist gleichmütig, wachsam und verharrt in Wohlbehagen." Das ist die dritte Versenkungsstufe. Nachdem er Wohlbehagen und Mißbehagen von sich getan hat, und früher noch Wohlgefallen und Mißfallen geschwunden sind, erlangt er, frei von Mißbehagen und Wohlbehagen, reinen Gleichmut und Wachsamkeit und verharrt darin. Das ist die vierte Versenkungsstufe. Wenn nun sein Geist so gesammelt, gereinigt, geläutert, fleckenlos, frei von Störungen, geschmeidig, wirkungsfähig, fest und unerschütterlich geworden ist,
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richtet er ihn auf die Erkenntnis der Erinnerung früherer Geburten. Er erinnert sich an mannigfache frühere Geburten, an eine Geburt, zwei Geburten, drei Geburten, vier Geburten, fünf Geburten, zehn Geburten, zwanzig Geburten, dreißig Geburten, vierzig Geburten, fünfzig Geburten, hundert Geburten, tausend Geburten, hunderttausend Geburten, an zahlreiche Weltvernichtungsperioden, an zahlreiche Weltschöpfungsperioden, an zahlreiche Weltvernichtungs- und Weltschöpfungsperioden. „Dort führte ich diesen Namen, gehörte diesem Geschlecht und dieser Kaste an, hatte diesen Lebensunterhalt, empfand solche Lust und solches Leid, lebte soundso lange; dort bin ich dahingeschieden und da wiedergeboren worden. Da führte ich diesen Namen, gehörte diesem Geschlecht und dieser Kaste an, hatte diesen Lebensunterhalt, empfand solche Lust und solches Leid, lebte soundso lange; da bin ich dahingeschieden und bin hier wiedergeboren worden." So erinnert er sich mit allen Umständen und Einzelheiten an mannigfache frühere Geburten. Wenn nun sein Geist so gesammelt, gereinigt, geläutert, fleckenlos, frei von Störungen, geschmeidig, wirkungsfähig, fest und unerschütterlich geworden ist, richtet er ihn auf die Erkenntnis des Dahinscheidens und Wiederentstehens der Wesen. Er sieht mit dem himmlischen, geläuterten, übermenschlichen Auge, wie die Wesen dahinscheiden und wiederentstehen, und er erkennt niedrige und hohe, schöne und häßliche, auf dem guten und auf dem bösen Weg befindliche, wie sie wiederkehren je nach ihren Werken: „Diese Wesen sind mit schlechtem Verhalten des Körpers behaftet, mit schlechtem Verhalten der Rede, mit schlechtem Verhalten des Denkens, sie tadeln die Edlen, hegen falsche Ansichten und vollbringen Werke, welche auf diesen falschen Ansichten be-
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ruhen. Sie gelangen nach dem Zerfall des Körpers, nach dem Tode auf den Abweg, den bösen Weg, zum Absturz, zur Hölle. Diese Wesen dagegen sind mit gutem Verhalten des Körpers behaftet, mit gutem Verhalten der Rede, mit gutem Verhalten des Denkens, sie tadeln die Edlen nicht, hegen rechte Ansichten und vollbringen Werke, welche auf diesen rechten Ansichten beruhen. Sie gelangen nach dem Zerfall des Körpers, nach dem Tode auf den guten Weg, zur Himmelswelt." So sieht er mit dem himmlischen, geläuterten, übermenschlichen Auge, wie die Wesen dahinscheiden und wiederentstehen, und er erkennt niedrige und hohe, schöne und häßliche, auf dem guten und auf dem bösen Weg befindliche, wie sie wiederkehren, je nach ihren Werken. Wenn nun sein Geist so gesammelt, gereinigt, geläutert, fleckenlos, frei von Störungen, geschmeidig, wirkungsfähig, fest und unerschütterlich geworden ist, richtet er ihn auf die Erkenntnis des Schwindens der Befleckungen (äsraväh). „Das ist das Leiden," erkennt er der Wahrheit gemäß. „Das ist die Entstehung des Leidens," erkennt er der Wahrheit gemäß. „Das ist die Aufhebung des Leidens," erkennt er der Wahrheit gemäß. „Das ist der zur Aufhebung des Leidens führende Weg," erkennt er der Wahrheit gemäß. „Das sind die Befleckungen," erkennt er der Wahrheit gemäß. „Das ist die Entstehung der Befleckungen," erkennt er der Wahrheit gemäß. „Das ist die Aufhebung der Befleckungen," erkennt er der Wahrheit gemäß. „Das ist der zur Aufhebung der Befleckungen führende Weg," erkennt er der Wahrheit gemäß. Indem er solches erkennt, solches schaut, wird sein Geist von der Befleckung der Begierde erlöst, von der Befleckung des Werdens erlöst, von der Befleckung des Nichtwissens erlöst. Im Erlösten entsteht das Wissen von seiner Erlösung: „Vernichtet ist die Wiedergeburt, voll2
Frauwallner, Buddhismus
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endet der heilige Wandel, erfüllt die Pflicht; keine Rückkehr gibt es mehr in diese W e l t . " Also erkennt er. Philosophische Fragen, soweit sie nicht unmittelbar den Erlösungsweg angehen, lehnte der Buddha, wie wir bereits gesagt haben, ab. Das gilt besonders für die Fragen nach dem Vorhandensein und dem Wesen der Seele und nach dem Schicksal nach dem Tode. Er verneint diese Fragen nicht. Er leugnet z. B. nicht das Vorhandensein der Seele und er lehrt nicht, daß das Nirväna die Vernichtung sei. Es deutet vielmehr vieles darauf hin, daß er stillschweigend ähnliche Anschauungen voraussetzte, wie sie die Feuerlehre der Upanisaden auf ihrer letzten Stufe entwickelt hatte. Aber er geht auf diese Fragen nicht ein und schweigt dazu, weil sie „nicht zur Abkehr (vom Irdischen), zur Leidenschaftslosigkeit, zur Aufhebung (des Vergänglichen), zur Beruhigung, zur Erkenntnis, zur Erleuchtung, zum Erlöschen führen." In den seltenen Fällen aber, wo er sich zum Sprechen bewegen läßt, äußert er sich in dem Sinne, daß das Wesen der Seele und der Zustand des Erlösten unfaßbar und unausdrückbar ist. Von diesem Verhalten des Buddha mögen folgende zwei Texte eine Vorstellung geben. Ananda (Einmal weilte der Erhabene bei R ä j a g r h a im Bambushain, dem Futterplatz der Eichhörnchen.) Da begab sich der Wandermönch Vatsagotra dorthin, wo sich der Erhabene befand. Nachdem er sich dorthin begeben hatte, begrüßte er sich mit dem Erhabenen. Und nachdem er begrüßende, freundliche Worte gewechselt hatte, setzte er sich zur Seite nieder. Zur Seite sitzend sprach der Wandermönch Vatsagotra zum Erhabenen folgendes: „ G i b t es, o Gautama, ein Ich (ätmä) ?" Als er so gesprochen hatte, schwieg der Erhabene. „ G i b t es, o Gautama, etwa kein I c h ? " Wiederum schwieg der Erhabene. Da stand der Wandermönch Vatsagotra von seinem Sitz auf und ging fort.
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Darauf sprach der ehrwürdige Änanda, als der Wandermönch Vatsagotra noch nicht lange fortgegangen war, zum Erhabenen folgendes: „Warum, o Herr, hat der Erhabene die Frage des Wandermönchs Vatsagotra, die an ihn gerichtet wurde, nicht beantwortet?" „Wenn ich, Änanda, dem Wandermönch Vatsagotra auf die Frage, ob es ein Ich gibt, geantwortet hätte: ,Es gibt ein Ich', so hätte ich, Änanda, mit den Asketen und Brahmanen übereingestimmt, welche die Ewigkeit lehren. Und wenn ich, Änanda, dem Wandermönch Vatsagotra auf die Frage, ob es kein Ich gibt, geantwortet hätte: ,Es gibt kein Ich,' so hätte ich, Änanda, mit den Asketen und Brahmanen übereingestimmt, welche die Vernichtung lehren. Wenn ich nun, Änanda, dem Wandermönch Vatsagotra auf die Frage, ob es ein Ich gibt, geantwortet hätte: ,Es gibt ein Ich', hätte mir das geholfen, das Wissen hervorzurufen, daß alle Dinge nicht das Ich sind?" „Nein, o Herr." „Und wenn ich, Änanda, dem Wandermönch Vatsagotra auf die Frage, ob es kein Ich gibt, geantwortet hätte: ,Es gibt kein Ich', so hätte es, Änanda, (den Wandermönch) Vatsagotra, der ohnedies schon verwirrt ist, in noch größere Verwirrung gebracht: ,Mein Ich war doch früher und jetzt ist es nicht mehr V "
Das Sutra von Vatsagotra und dem Feuer (Aggivacchagottasuttantam)
So habe ich gehört. Einmal weilte der Erhabene in Sravastl im Jetavana, dem Garten des Anäthapindada. Da begab sich der Wandermönch Vatsagotra dorthin, wo sich der Erhabene befand. Nachdem er sich dorthin begeben hatte, begrüßte er sich mit dem Erhabenen. Und nachdem er begrüßende, freundliche Worte 2»
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gewechselt hatte, setzte er sich zur Seite nieder. Zur Seite sitzend sprach der Wandermönch Vatsagotra zum Erhabenen folgendes: „Wie steht es, o Gautama? Hegt der Herr Gautama die Ansicht, daß die Welt ewig ist, daß dies allein wahr ist und alles andere irrig?" „Nein, Vatsa, ich hege nicht die Ansicht, daß die Welt ewig ist, daß dies allein wahr ist und alles andere irrig." „Wie steht es denn, o Gautama ? Hegt der Herr Gautama die Ansicht, daß die Welt vergänglich ist, daß dies allein wahr ist und alles andere irrig?" „Nein, Vatsa, ich hege nicht die Ansicht, daß die Welt vergänglich ist, daß dies allein wahr ist und alles andere irrig." „Wie steht es, o Gautama? Hegt der Herr Gautama die Ansicht, daß die Welt begrenzt ist, daß dies allein wahr ist und alles andere irrig?" „Nein, Vatsa, ich hege nicht die Ansicht, daß die Welt begrenzt ist, daß dies allein wahr ist und alles andere irrig." „Wie steht es denn, o Gautama ? Hegt der Herr Gautama die Ansicht, daß die Welt unbegrenzt ist, daß dies allein wahr ist und alles andere irrig?" „Nein, Vatsa, ich hege nicht die Ansicht, daß die Welt unbegrenzt ist, daß dies allein wahr ist und alles andere irrig." Es folgen die Fragen, ob Seele und Körper dasselbe sind, ob sie verschieden sind, ob der Vollendete nach dem Tode besteht, ob er nicht besteht, ob er besteht und nicht besteht, ob er weder besteht, noch nicht besteht, und immer bleibt die Antwort des Buddha die gleiche. Da sagt Vatsagotra: „Auf die Frage: ,Wie steht es, o Gautama? Hegt der Herr Gautama die Ansicht, daß die Welt ewig ist, daß dies allein wahr ist und alles andere irrig?' antwortest du: ,Nein, Vatsa, ich hege nicht die Ansicht, daß die Welt ewig ist, daß dies allein wahr ist und alles andere irrig.' Auf die Frage: ,Wie steht es denn, o Gautama? Hegt der Herr Gautama die Ansicht, daß die Welt ver-
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gänglich ist, daß dies allein wahr ist und alles andere irrig?' antwortest du: ,Nein, Vatsa, ich hege nicht die Ansicht, daß die Welt vergänglich ist, daß dies allein wahr ist und alles andere irrig.' " Das gleiche wird von allen übrigen Fragen gesagt, dann schließt Vatsagotra mit den Worten:
„Welchen Mangel sieht der Herr Gautama in diesen Ansichten, daß er sie insgesamt nicht anerkennt?" ,, ,Die Welt ist ewig', diese Ansicht, Vatsa, ist ein Dickicht von einer Ansicht, eine Wildnis von einer Ansicht, ein Krampf von einer Ansicht, ein Schüttelfrost von einer Ansicht, eine Fessel von einer Ansicht, sie ist leidvoll, voll Beschwernis, voll Verzweiflung, voll Qual, und führt nicht zur Abkehr, zur Leidenschaftslosigkeit, zur Aufhebung (alles Irdischen), zur Beruhigung, zur Erkenntnis, zur Erleuchtung, zum Erlöschen." Wieder wird das gleiche von allen übrigen Ansichten gesagt, dann schließt der Buddha:
>,Diesen Mangel, Vatsa, sehe ich in diesen Ansichten, daß ich sie insgesamt nicht anerkenne." „Hegt also der Herr Gautama irgendeine Ansicht?" „Eine Ansicht, Vatsa, liegt dem Vollendeten fern. Denn der Vollendete, Vatsa, hat folgendes erkannt: Das ist die Körperlichkeit (rüpam), das ist die Entstehung der Körperlichkeit, das ist der Untergang der Körperlichkeit; das ist die Empfindung, das ist die Entstehung der Empfindung, das ist der Untergang der Empfindung; das ist das Bewußtsein, das ist die Entstehung des Bewußtseins, das ist der Untergang des Bewußtseins; das sind die Gestaltungen, das ist die Entstehung der Gestaltungen, das ist der Untergang der Gestaltungen; das ist das Erkennen, das ist die Entstehung des Erkennens, das ist der Untergang des Erkennens. Darum, sage ich, ist der Vollendete durch das Schwinden, die Ablehnung, die Aufhebung, das Auf-
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geben und das Zurückweisen aller Meinungen, aller Beunruhigungen und aller Belastungen durch die Vorstellungen von ,Ich' und ,Mein' vollkommen erlöst." „Wo aber, o Gautama, entsteht ein Mönch, dessen Geist so erlöst ist (wieder)?" „Entstehen, Vatsa, trifft nicht zu." „Dann also, o Gautama, entsteht er nicht (wieder) ?" „Nichtentstehen, Vatsa, trifft nicht zu." „Dann aber, o Gautama, entsteht er und entsteht er nicht (wieder) ?" „Entstehen und Nichtentstehen, Vatsa, trifft nicht zu." „Dann also, o Gautama, entsteht er weder, noch entsteht er nicht (wieder)?" „Weder-Entstehennoch-Nichtentstehen, Vatsa, trifft nicht zu." „Auf die Frage: ,Wo aber, o Gautama, entsteht ein Mönch, dessen Geist so erlöst ist (wieder)?' antwortest du: .Entstehen, Vatsa, trifft nicht zu.' Auf die Frage: ,Dann also, o Gautama, entsteht er nicht (wieder) ?' antwortest du: ,Nichtentstehen, Vatsa, trifft nicht zu.' Auf die Frage: ,Dann also, o Gautama, entsteht er und entsteht er nicht (wieder)?' antwortest du: ,Entstehen und Nichtentstehen, Vatsa, trifft nicht zu.' Und auf die Frage: ,Dann also, o Gautama, entsteht er weder, noch entsteht er nicht (wieder)?' antwortest du: ,Weder-Entstehennoch-Nichtentstehen, trifft nicht zu.' Da bin ich denn, o Gautama, in Unwissenheit geraten, da bin ich in Verwirrung geraten, und die Klarheit, die ich durch das frühere Gespräch mit dem Herrn Gautama gewonnen hatte, die ist mir jetzt verlorengegangen." „Genug der Unwissenheit, Vatsa, genug der Verwirrung! Tiefgründig, Vatsa, ist diese Lehre, schwer zu erschauen, schwer zu verstehen, ruhevoll, erhaben, dem Denken unerreichbar, feinsinnig, nur Weisen faßbar; schwer zu erkennen ist sie für dich, der du andere Ansichten hegst, an anderem Befriedigung, an anderem Wohlgefallen findest, einer anderen Regel und einer
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anderen Lehre folgst. Ich will daher, Vatsa, nun Gegenfragen an dich richten; beantworte sie, wie es dir gut dünkt. Was meinst du, Vatsa, wenn vor dir ein Feuer brennen würde, würdest du dann wissen: ,Hier vor mir brennt ein Feuer' ?" „Wenn vor mir, o Gautama, ein Feuer brennen würde, würde ich wissen: ,Hier vor mir brennt ein Feuer.' " „Wenn man dich, Vatsa, nun fragen würde: ,Wodurch brennt dieses Feuer, das da vor dir brennt?' Was würdest du, Vatsa, auf diese Frage antworten?" „Wenn man mich, o Gautama, fragen würde: ,Wodurch brennt dieses Feuer, das da vor dir brennt?' so würde ich, o Gautama, auf die Frage antworten: ,Dieses Feuer, das da vor mir brennt, brennt durch den Brennstoff, Gras und Holz.' " „Wenn nun, Vatsa, das Feuer vor dir erlöschen würde, würdest du wissen: 'Dieses Feuer vor mir ist erloschen'?" „Wenn, o Gautama, das Feuer vor mir erlöschen würde, würde ich wissen: ,Dieses Feuer vor mir ist erloschen.'" „Wenn man dich, Vatsa, nun fragen würde: ,In welche Richtung ist das Feuer, das hier vor dir erloschen ist, gegangen, in die östliche, westliche, nördliche oder südliche?' was würdest du, Vatsa, auf diese Frage antworten?" „Das trifft nicht zu, o Gautama. Denn das Feuer hat den Brennstoff, Gras und Holz, durch den es brannte, verzehrt, anderer wurde nicht zugeführt, und so gilt es ohne Nahrung als erloschen." „Ebenso, Vatsa, sind die Körperlichkeit, die Empfindung, das Bewußtsein, die Gestaltungen und das Erkennen, durch die man den Vollendeten, wenn man ihn bezeichnen wollte, bezeichnen könnte, aufgegeben, entwurzelt, gleich einem aus dem Boden gerissenen Palmbaum, zunichte gemacht und in Zukunft nicht mehr dem Entstehen unterworfen. Frei von jeder Auffassung als Körperlichkeit, Empfindung, Bewußtsein, Gestaltungen und Erkennen, Vatsa, ist der Vollendete tief, unermeßlich
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und schwer zu ergründen wie das Meer. Entstehen trifft nicht zu, Nichtentstehen trifft nicht zu, Entstehen und Nichtentstehen trifft nicht zu, Weder-Entstehen-nöchNichtentstehen trifft nicht zu." Auf diese Rede hin sprach der Wandermönch Vatsagotra zum Erhabenen folgendes: „Wie wenn, o Gautama, in der Nähe eines Dorfes oder Marktfleckens ein großer Säla-Baum stünde, und es fielen von ihm infolge der Vergänglichkeit die Zweige und die Blätter ab, es fiele die Rinde und Borke ab, und es fiele das morsche Holz ab, und er stünde darauf ohne Zweige und Blätter, ohne Rinde und Borke und ohne morsches Holz rein als Kernholz da, ebenso steht diese Verkündigung des Herrn Gautama ohne Zweige und Blätter, ohne Rinde und Borke und ohne morsches Holz rein als Kernholz da. Wundervoll, o Gautama, wundervoll, o Gautama! Wie wenn man, o Gautama, etwas Niedergebeugtes aufrichten würde, oder etwas Verdecktes enthüllen würde, oder einem Verirrten den Weg zeigen würde, oder im Dunkeln eine Öllampe tragen würde, damit alle, die Augen haben, die Formen (der Dinge) sehen, ebenso hat der Herr Gautama auf mannigfache Weise die Lehre verkündet. Ich nehme meine Zuflucht zum Herrn Gautama, zur Lehre und zur Mönchsgemeinde. Als Laienanhänger möge mich der Herr Gautama betrachten, der seine Zuflucht zu ihm genommen hat, von heute an, solange mein Leben währt." Anschließend soll noch kurz bemerkt werden, daß der Buddha zwar im großen streng an der besprochenen Einstellung festhielt und es vor allem vermied, von einem Ich oder einer Seele zu sprechen. Vereinzelt finden sich aber doch auch Texte, welche dagegen verstoßen, und daran k n ü p f t dann der Streit der späteren Schulen. Ein bekanntes Beispiel dafür ist das folgende kurze Sütram, in dem der Buddha ganz gegen seine sonstige Gewohnheit von einer Persönlichkeit (pudgalah) spricht.
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Das Sutra vom Lastträger (Bhärahärasütram) So habe ich gehört. Einmal weilte der Erhabene in Srävastl, im Jetavana, dem Garten des Anäthapindada. D a sprach der Erhabene zu den Mönchen: „ I c h will euch, ihr Mönche, die Last darlegen, das Aufnehmen der Last, das Ablegen der Last und den Träger der Last. Hört also und achtet wohl und gut darauf. Ich werde zu euch sprechen. W a s ist die L a s t ? Die fünf Gruppen des Ergreifens (upädänaskandhäk). Welche fünf? Die Körperlichkeit als Gruppe des Ergreifens, die Empfindung als Gruppe des Ergreifens, das Bewußtsein als Gruppe des Ergreifens, die Gestaltungen als Gruppe des Ergreifens und das Erkennen als Gruppe des Ergreifens. W a s ist das Aufnehmen der Last? Es ist der Durst, der zur Wiedergeburt führt, der von Wohlgefallen und Begierde begleitet da und dort Gefallen findet. W a s ist das Ablegen der Last ? Es ist das restlose Aufgeben, das Zurückweisen, das Abschütteln, das Schwinden, die Ablehnung, die Aufhebung, das Versiegen, das Untergehen des Durstes, der zur Wiedergeburt führt, der von Wohlgefallen und Begierde begleitet da und dort Gefallen findet. Wer ist der Träger der Last ? Darauf wäre zu antworten: die Person, d. h. jener Ehrwürdige, der diesen und diesen Namen trägt, der solcher A b k u n f t ist, aus diesem und diesem Geschlechte stammt, solche Nahrung zu sich nimmt, solche Lust und solches Leid empfindet, dessen Leben soundso lange dauert, der soundso lange besteht, und dessen Lebenszeit soundso begrenzt ist. Das nennt man die Last, das Aufnehmen der Last, das Ablegen der Last und den Träger der L a s t . "
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Darauf sprach der Erhabene noch folgende Verse: „ W e n n man die schwere Last abgelegt hat, darf man sie nicht wieder neuerlich aufnehmen. Die schwere Last bringt großes Leid, das Ablegen der Last bringt große Freude. Man muß allen Durst vernichten, dann schwinden alle Gestaltungen. Wenn man die restlichen Objekte klar erkennt, dann gibt es keine Wiedergeburt mehr." Dies sprach der Erhabene. Freudig begrüßten die Mönche die Rede des Erhabenen. Wir wenden uns nunmehr den eigentlichen philosophischen Sätzen des Buddhismus zu, nämlich der Begründung des Erlösungsweges. In der Predigt von Benares haben wir darüber nicht mehr gefunden, als daß der Durst die Ursache alles Leidens ist. Aber dieser Begriff wurde später weiter entwickelt. Man unterschied vor allem den Durst, der durch die Sinnesobjekte erregt wird, und den Durst, der sich auf das irdische Dasein richtet. Wenn nämlich die Sinne mit ihren Objekten in Berührung kommen, entstehen Empfindungen und diese wecken die Begierde. So entsteht der sogenannte Begierdedurst (kämatrsna). Die zweite Form des Durstes kommt folgendermaßen zustande. Für die Verstrickung in das Dasein ist es besonders verhängnisvoll, daß man die irdische Persönlichkeit für das wahre Ich (atma) hält. Demgegenüber hat der Buddha gezeigt, daß die irdische Persönlichkeit in Wahrheit nur eine Verbindung verschiedener Arten von Gegebenheiten (dharmäh) teils materieller, teils geistiger Art ist, welche alle vergänglich sind und dem Diesseits angehören. Und zwar unterschied er fünf Gruppen (skandhah) solcher Gegebenheiten, Körperlichkeit (rüpam), Empfindung (vetternd), Bewußtsein (samjnä), Gestaltungen (samskäräh) und Erkennen (vijnänam). Einer der wichtigsten Gegenstände der Predigt des Buddha ist es daher, zu zeigen, daß diese fünf Gruppen nicht das wahre Ich sind. Wer aber, wie es unter gewöhnlichen Menschen die Regel ist, sie trotzdem für das Ich hält, kommt dazu, sich an sie zu klammern. Und dieses Hangen an der irdischen Persönlichkeit ist eine der wichtigsten Ursachen für das ständige Wiedergeborenwerden. Und das ist die zweite Form des Durstes, der
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sogenannte Werdedurst (bhavatrsnä). Daneben hat man als dritte Form des Durstes gelegentlich auch den Vernichtungsdurst (vibhavatrsna) gestellt. Denn ebenso wie das Streben nach Fortdauer des Lebens, ist auch das Streben nach Vernichtung für den Erlösungsuchenden ein Irrweg. Aber diese dritte Form hat nie größere Bedeutung gewonnen und wurde bald fallen gelassen. Die Entwicklung des Durstbegriffes zeigt beachtenswerte Gedanken. Noch weit wichtiger aber war es, daß man einen zweiten Begriff heranzog, um die Verstrickung in den Wesenskreislauf zu erklären, und daß man ihn mit dem Durstbegriff verknüpfte, nämlich den Begriff des Nichtwissens. Seit den ältesten Lehren der Upanisaden war es gebräuchlich, das Mittel zur Erlösung vor allem im Wissen, d. h. in einer erlösenden Erkenntnis zu sehen. Die natürliche Folge war, die Ursache der Verstrickung in das Dasein im Fehlen dieser Erkenntnis, im Nichtwissen zu finden. Und da der Buddhismus die Erlösung ebenfalls von der Erlangung einer erlösenden Erkenntnis abhängig machte, konnte er sich dieser Folgerung nicht entziehen. So kam man dazu, das Nichtwissen neben dem Durst als Usache der Verstrickung m den Wesenskreislauf aufzustellen. Und man vereinigte beide, indem man eine fortlaufende K e t t e von Ursachen und Wirkungen zusammenstellte, welche das Zustandekommen der Verstrickung und damit der immer neuen Wiedergeburt erklären sollte. So entstand der bedeutendste theoretische Lehrsatz, den der älteste Buddhismus geschaffen hat, der berühmte Lehrsatz vom abhängigen Entstehen (pratityasamutpädah). Die folgenden Beispiele sollen nun diesen Lehrsatz, seine Deutung und seine Entwicklung vorführen. Ich habe dabei die Beispiele etwas reichlicher gewählt, nicht nur wegen der Bedeutung, die diesem Lehrsatz selbst zukommt, sondern auch, weil er in Europa sehr oft behandelt und auf die verschiedenste Art erklärt worden ist. Demgegenüber sollen die folgenden Beispiele, wenigstens in bescheidenem Maße, ein Bild davon geben, wie er und seine Deutung sich in der buddhistischen Überlieferung selbst darstellt. Die Legende verlegt die Entdeckung des Lehrsatzes vom abhängigen Entstehen bereits in die Zeit, als der
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sogenannte Werdedurst (bhavatrsnä). Daneben hat man als dritte Form des Durstes gelegentlich auch den Vernichtungsdurst (vibhavatrsna) gestellt. Denn ebenso wie das Streben nach Fortdauer des Lebens, ist auch das Streben nach Vernichtung für den Erlösungsuchenden ein Irrweg. Aber diese dritte Form hat nie größere Bedeutung gewonnen und wurde bald fallen gelassen. Die Entwicklung des Durstbegriffes zeigt beachtenswerte Gedanken. Noch weit wichtiger aber war es, daß man einen zweiten Begriff heranzog, um die Verstrickung in den Wesenskreislauf zu erklären, und daß man ihn mit dem Durstbegriff verknüpfte, nämlich den Begriff des Nichtwissens. Seit den ältesten Lehren der Upanisaden war es gebräuchlich, das Mittel zur Erlösung vor allem im Wissen, d. h. in einer erlösenden Erkenntnis zu sehen. Die natürliche Folge war, die Ursache der Verstrickung in das Dasein im Fehlen dieser Erkenntnis, im Nichtwissen zu finden. Und da der Buddhismus die Erlösung ebenfalls von der Erlangung einer erlösenden Erkenntnis abhängig machte, konnte er sich dieser Folgerung nicht entziehen. So kam man dazu, das Nichtwissen neben dem Durst als Usache der Verstrickung m den Wesenskreislauf aufzustellen. Und man vereinigte beide, indem man eine fortlaufende K e t t e von Ursachen und Wirkungen zusammenstellte, welche das Zustandekommen der Verstrickung und damit der immer neuen Wiedergeburt erklären sollte. So entstand der bedeutendste theoretische Lehrsatz, den der älteste Buddhismus geschaffen hat, der berühmte Lehrsatz vom abhängigen Entstehen (pratityasamutpädah). Die folgenden Beispiele sollen nun diesen Lehrsatz, seine Deutung und seine Entwicklung vorführen. Ich habe dabei die Beispiele etwas reichlicher gewählt, nicht nur wegen der Bedeutung, die diesem Lehrsatz selbst zukommt, sondern auch, weil er in Europa sehr oft behandelt und auf die verschiedenste Art erklärt worden ist. Demgegenüber sollen die folgenden Beispiele, wenigstens in bescheidenem Maße, ein Bild davon geben, wie er und seine Deutung sich in der buddhistischen Überlieferung selbst darstellt. Die Legende verlegt die Entdeckung des Lehrsatzes vom abhängigen Entstehen bereits in die Zeit, als der
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Buddha eben erst die Erleuchtung gefunden hatte, und schildert, wie er lange Zeit in Betrachtung verbrachte und diesen Lehrsatz immer wieder überdachte. Dabei heißt es:
Der Bericht von der Erleuchtung (Bodhikathä) Zu der Zeit weilte der erhabene Buddha bei Uruvilvä, am Ufer des Flusses Nairanjanä, am Fuße des Baumes der Erleuchtung, nachdem er eben erst die Erleuchtung gefunden hatte. Da saß nun der Erhabene am Fuße des Baumes der Erleuchtung sieben Tage lang in ein und demselben Sitz mit gekreuzten Beinen, indem er das Wohlgefühl der Erlösung genoß. Da betrachtete der Erhabene in der . . . Nacht das abhängige Entstehen in gerader und umgekehrter Reihenfolge : Abhängig vom Nichtwissen entstehen die Willensregungen (samskäräh), abhängig von den Willensregungen das Erkennen, abhängig vom Erkennen Name und Form, abhängig von Namen und Form der sechsfache Bereich, abhängig vom sechsfachen Bereich die Berührung, abhängig von der Berührung die Empfindung, abhängig von der Empfindung der Durst, abhängig vom Durst das Ergreifen, abhängig vom Ergreifen das Werden, abhängig vom Werden die Geburt, abhängig von der Geburt Alter und Tod, Schmerz und Klagen, Leid, Betrübnis und Verzweiflung. So kommt die Entstehung dieser ganzen Leidensmasse zustande. Durch Aufhebung des Nichtwissens infolge völliger Leidenschaftslosigkeit werden die Willensregungen aufgehoben, durch Aufhebung der Willensregungen wird das Erkennen aufgehoben, durch Aufhebung des Erkennens wird Name und Form aufgehoben, durch Aufhebung von Namen und Form wird der sechsfache Bereich aufgehoben,
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durch Aufhebung des sechsfachen Bereiches wird die Be rührung aufgehoben, durch Aufhebung der Berührung wird die Empfindung aufgehoben, durch Aufhebung der Empfindung wird der Durst aufgehoben, durch Aufhebung des Durstes wird das Ergreifen aufgehoben, durch Aufhebung des Ergreifens wird das Werden aufgehoben, durch Aufhebung des Werdens wird die Geburt aufgehoben, durch Aufhebung der Geburt wird Alter und Tod, Schmerz und Klagen, Leid, Betrübnis und Verzweiflung aufgehoben. So kommt die Aufhebung dieser ganzen Leidensmasse zustande. Als der Erhabene diese Sache erkannt hatte, tat er zu dieser Zeit folgenden Ausspruch: „Wahrlich, wenn dem ringenden, sinnenden Brahmanen die Gegebenheiten (dharmäh) sichtbar werden, dann vergehen ihm alle Zweifel, denn er erkennt die Gegebenheiten samt ihren Ursachen." Dieser Text bringt den Lehrsatz vom abhängigen Entstehen in seiner gebräuchlichen Form. Darin wird das Leid des Daseins in einer zwölfgliedrigen Kette von Ursachen und Wirkungen auf das Nichtwissen als letzte Ursache zurückgeführt. Im einzelnen sind die Glieder dieser Ursachenkette etwa folgendermaßen zu verstehen: Letzte Ursache der Verstrickung in den Wesenskreislauf ist, wie gesagt, das Nichtwissen, d. h. das Unbekanntsein mit der erlösenden Erkenntnis, nämlich den vier edlen Wahrheiten. In dem Menschen, der diese Erkenntnis nicht besitzt, entstehen Willensregungen, welche sich auf die Sinnesobjekte und die irdische Persönlichkeit richten. Von diesen Willensregungen getrieben geht nach dem Tod das Erkennen, das gleich einem feinen Körper Träger der Wiedergeburt ist, in einen neuen Mutterschoß ein. Im Anschluß an das Erkennen entwickeln sich Körper und psychische Faktoren — denn das ist mit Namen und Form gemeint — und schließlich auch der sechsfache Bereich, d. h. die Sinnesorgane des neuen Wesens, das damit ins Dasein tritt. Wird nun dieses neue Wesen geboren, so erfolgt die
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verhängnisvolle Berührung der Sinnesorgane mit ihren Objekten. Es entstehen Empfindungen verschiedener Art und erwecken die Leidenschaften, vor allem den Durst, der sich an die Sinnesgenüsse und an das vermeintliche Ich klammert, oder wie die buddhistischen Texte sagen, sie ergreift, und dadurch zu neuerlicher Bindung und neuem Dasein f ü h r t . Wieder kommt es zur Geburt und zur Verstrickung m das Leid des Daseins, und so fort in endloser Kette, solange nicht die erlösende Erkenntnis und die Vernichtung des Durstes dem Kreislauf ein Ende macht. Es ist nicht zu leugnen, daß dieser Lehrsatz vom abhängigen Entstehen manche Dunkelheit aufweist. Vor allem ist es auffallend, daß zwei Ursachen der Wiedergeburt, Nichtwissen und Durst, ganz äußerlich aneinander gereiht sind, und daß dementsprechend zwei Schilderungen gegeben werden, wie das irdische Dasein zustande kommt. Tatsächlich hat auch dieser Lehrsatz immer als dunkel und schwierig gegolten. Und das, zusammen mit der wichtigen Stellung, die er in der Verkündigung des Buddha einnimmt, hat dazu geführt, daß man sich immer wieder mit ihm beschäftigte und ihn immer aufs neue zu deuten suchte. Das beginnt bereits in den ältesten Teilen des buddhistischen Kanons und setzt sich bis in die Dogmatik der späteren Schulen fort. J a , es wurde ihm sogar im Laufe der Zeit ein wesentlich erweiterter Sinn zugeschrieben und grundsätzliche philosophische Bedeutung beigelegt. Es sollen daher im folgenden wenigstens einige kurze Beispiele dieser Entwicklung geboten werden. Das erste dieser Beispiele s t a m m t aus dem alten Kanon und enthält ein Gespräch zwischen dem Buddha und seinem Lieblingsschüler Änanda, in dem der Buddha diesem die Ursachenkette erklärt. Bemerkenswert ist dabei, daß in diesem Gespräch die Ursachenkette mit dem Erkennen endigt.
Das große Sütra von den Grundlagen des Entstehens (Mahänidänasuttantam,) 1
So habe ich gehört. Einmal weilte der Erhabene im Lande der Kuru. Dort ist ein Marktflecken der Kuru
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namens Kalmäsadamyam. Da begab sich der ehrwürdige Ananda dorthin, wo sich der Erhabene befand. Nachdem er sich dorthin begeben hatte und den Erhabenen begrüßt hatte, setzte er sich zur Seite nieder. Zur Seite sitzend sprach der ehrwürdige Ananda zum Erhabenen folgendes: „Wunderbar ist es, o Herr, erstaunlich ist es, o Herr, wie tiefgründig dieses abhängige Entstehen ist und wie tiefgründig es erscheint. Und doch kommt es mir vor, wie wenn es klar vor Augen läge." „Sprich nicht so, Ananda! Sprich nicht so, Ananda! Tiefgründig, Ananda, ist dieses abhängige Entstehen und tiefgründig erscheint es. Und weil sie diese Lehre nicht verstehen und nicht erfassen, darum, Ananda, vermögen diese Wesen, wirr wie ein Faden, mit Pusteln bedeckt, und Grashalmen gleich, über den Abweg, den bösen Weg, den Absturz, den Wesenskreislauf nicht hinauszugelangen. 2
Wenn man, Änanda, gefragt wird: ,Ist Alter und Tod von irgend etwas abhängig?' so wäre zu antworten: ,Ja.' Und wenn der Betreffende sagt: ,Wovon ist Alter und Tod abhängig?' so wäre zu antworten: ,Von der Geburt ist Alter und Tod abhängig.' Wenn man, Ananda, gefragt wird: ,Ist die Geburt von irgend etwas abhängig?' so wäre zu antworten: ,Ja.' Und wenn der Betreffende sagt: ,Wovon ist die Geburt abhängig?' so wäre zu antworten: ,Vom Werden ist die Geburt abhängig.' Wenn man, Ananda, gefragt wird: ,Ist das Werden von irgend etwas abhängig?' so wäre zu antworten: ,Ja.' Und wenn der Betreffende sagt: .Wovon ist das Werden abhängig?' so wäre zu antworten: ,Vom Ergreifen ist das Werden abhängig.'
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Die Lehre des Buddha
Wenn man, Änanda, gefragt wird: ,Ist das Ergreifen von irgend etwas abhängig?' so wäre zu antworten: ,Ja.' Und wenn der Betreffende sagt: ,Wovon ist das Ergreifen abhängig?' so wäre zu antworten: ,Vom Durst ist das Ergreifen abhängig.' Wenn man, Änanda, gefragt wird: ,Ist der Durst von irgend etwas abhängig?' so wäre zu antworten: ,Ja.' Und wenn der Betreffende sagt: ,Wovon ist der Durst abhängig?' so wäre zu antworten: ,Von der Empfindung ist der Durst abhängig.' Wenn man, Änanda, gefragt wird: ,Ist die Empfindung von irgend etwas abhängig?' so wäre zu antworten: ,Ja.' Und wenn der Betreffende sagt: ,Wovon ist die Empfindung abhängig?' so wäre zu antworten: ,Von der Berührung ist die Empfindung abhängig.' Wenn man, Änanda, gefragt wird: ,Ist die Berührung von irgend etwas abhängig?' so wäre zu antworten: ,«Ja.' Und wenn der Betreffende sagt:,Wovon ist die Berührung abhängig?' so wäre zu antworten: ,Von Namen und Form ist die Berührung abhängig.' 1 Wenn man, Änanda, gefragt wird: ,Ist Name und Form von irgend etwas abhängig ?' so wäre zu antworten: ,Ja.' Und wenn der Betreffende sagt: ,Wovon ist Name und Form abhängig?' so wäre zu antworten: ,Vom Erkennen ist Name und Form abhängig.' Wenn man, Änanda, gefragt wird: ,Ist das Erkennen von irgend etwas abhängig?' so wäre zu antworten: ,Ja.' Und wenn der Betreffende sagt: ¡Wovon ist das Erkennen abhängig?' so wäre zu antworten: ,Von Name und Form ist das Erkennen abhängig.' 1
Der sechsfache Bereich ist hier übersprungen.
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So ist denn, Ananda, das Erkennen von Name und Form abhängig, und Name und Form vom Erkennen abhängig, abhängig von Name und Form entsteht die Berührung, abhängig von der Berührung entsteht die Empfindung, abhängig von der Empfindung der Durst, abhängig vom Durst das Ergreifen, abhängig vom Ergreifen das Werden, abhängig vom Werden die Geburt, abhängig von der Geburt Alter und Tod, abhängig von Alter und Tod Schmerz und Klagen, Leid, Betrübnis und Verzweiflung. So kommt die Entstehung dieser ganzen Leidensmasse zustande. Es ist gesagt worden: .Abhängig von der Geburt entsteht Alter und Tod.' Wie nun Alter und Tod abhängig von der Geburt entsteht, das ist, Ananda, auf folgende Weise zu verstehen. Wenn es, Ananda, eine Geburt nicht gäbe, und zwar ganz und gar nicht und in keiner Weise, von irgendwem und irgendwo, d. h. von Göttern als Götter, von Gandharven als Gandharven, von Yaksas als Yaksas, von Gespenstern als Gespenster, von Menschen als Menschen, von Vierfüßern als Vierfüßer, von Vögeln als Vögel, von Kriechtieren als Kriechtiere, und wenn es eine Geburt von den und den Wesen als das und das nicht gäbe, wenn also eine Geburt überhaupt nicht bestünde, wäre dann nach Aufhebung der Geburt Alter und Tod wahrzunehmen?" „Nein, o Herr." „Daher, Änanda, ist dies hier der Grund, dies die Grundlage, dies der Ursprung und dies die Ursache von Alter und Tod, nämlich die Geburt. 5
Es ist ferner gesagt worden: .Abhängig vom Werden entsteht die Geburt.' Wie nun die Geburt abhängig vom 3
Frauwallner, Buddhismus
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Werden entsteht, das ist, Änanda, auf folgende Weise zu verstehen. Wenn es, Änanda, ein Werden nicht gäbe, und zwar ganz und gar nicht und in keiner Weise, von irgendwem und irgendwo, nämlich ein Werden in der Sphäre der Begierde, ein Werden in der Sphäre des Materiellen und ein Werden in der Sphäre des Nichtmateriellen, wenn also ein Werden überhaupt nicht bestünde, wäre dann nach Aufhebung des Werdens eine Geburt wahrzunehmen?" „Nein, 0 Herr." „Daher, Änanda, ist dies hier der Grund, dies die Grundlage, dies der Ursprung und dies die Ursache der Geburt, nämlich das Werden. 6
Es ist ferner gesagt worden: ,Abhängig vom Ergreifen entsteht das Werden.' Wie nun das Werden abhängig vom Ergreifen entsteht, das ist, Änanda, auf folgende Weise zu verstehen. Wenn es, Änanda, ein Ergreifen nicht gäbe, und zwar ganz und gar nicht und in keiner Weise, von irgendwem und irgendwo, nämlich ein Ergreifen der Begierden, ein Ergreifen der Ansichten, ein Ergreifen des sittlichen Verhaltens und der Gelübde und ein Ergreifen der Lehre vom eigenen Ich, wenn also ein Ergreifen überhaupt nicht bestünde, wäre dann nach Aufhebung des Ergreifens ein Werden wahrzunehmen?" „Nein, o Herr." „Daher, Änanda, ist dies hier der Grund, dies die Grundlage, dies der Ursprung und dies die Ursache des Werdens, nämlich das Ergreifen. 7
Es ist ferner gesagt worden: ,Abhängig vom Durst entsteht das Ergreifen.' Wie nun das Ergreifen abhängig vom Durst entsteht, das ist, Änanda, auf folgende Weise zu verstehen. Wenn es, Änanda, einen Durst nicht gäbe,
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und zwar ganz und gar nicht und in keiner Weise, von irgendwein und irgendwo, nämlich Durst nach Formen, Durst nach Tönen, Durst nach Gerüchen, Durst nach Geschmäcken, Durst nach Berührbarem und Durst nach Dingen (dharmäh), wenn also ein Durst überhaupt nicht bestünde, wäre dann nach Aufhebung des Durstes ein Ergreifen wahrzunehmen?" „Nein, o Herr." „Daher, Ananda, ist dies hier der Grund, dies die Grundlage, dies der Ursprung und dies die Ursache des Ergreifens, nämlich der Durst. 8
Es ist ferner gesagt worden: ¡Abhängig von der Empfindung entsteht der Durst.' Wie nun der Durst abhängig von der Empfindung entsteht, das ist, Ananda, auf folgende Weise zu verstehen. Wenn es, Ananda, eine Empfindung nicht gäbe, und zwar ganz und gar nicht und in keiner Weise, von irgendwem und irgendwo, nämlich durch Berührung des Auges entstandene Empfindung, durch Berührung des Gehörs entstandene Empfindung, durch Berührung des Geruchs entstandene Empfindung, durch Berührung der Zunge entstandene Empfindung, durch Berührung des Körpers entstandene Empfindung und durch Berührung des Denkens entstandene Empfindung, wenn also eine Empfindung überhaupt nicht bestünde, wäre dann nach Aufhebung der Empfindung der Durst wahrzunehmen?" „Nein, o Herr." „Daher, Ananda, ist dies der Grund, dies die Grundlage, dies der Ursprung und dies die Ursache des Durstes, nämlich die Empfindung. 9
So entsteht also, Ananda, abhängig von der Empfindung der Durst, abhängig vom Durst das Suchen, abhängig vom Suchen das Finden, abhängig vom Finden 3*
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das Stellungnehmen, abhängig vom Stellungnehmen Verlangen und Wohlgefallen, abhängig von Verlangen und Wohlgefallen das Streben, abhängig vom Streben das Erwerben, abhängig vom Erwerben der Geiz, abhängig vom Geiz das Verteidigen, anläßlich des Verteidigens kommt es zu vielen bösen, unheilbringenden Dingen, zum Greifen nach Stöcken, zum Greifen nach Waffen, zu Hader und Streit, Zank und Zwist, zu Verleumdung und Lüge." Nun werden die aufgezählten BegriSe in der gleichen Weise erklärt wie die Glieder der Ursachenkette. Dann fährt der Text fort: 19
„Es ist ferner gesagt worden: ,Abhängig von der Berührung entsteht die Empfindung.' Wie nun die Empfindung abhängig von der Berührung entsteht, das ist, Ananda, auf folgende Weise zu verstehen. Wenn es, Ananda, die Berührung nicht gäbe, und zwar ganz und gar nicht und in keiner Weise, von irgendwem und irgendwo, nämlich Berührung des Auges, Berührung des Gehörs, Berührung des Geruchs, Berührung der Zunge, Berührung des Körpers und Berührung des Denkens, wenn also eine Berührung überhaupt nicht bestünde, wäre dann nach Aufhebung der Berührung die Empfindung wahrzunehmen?" „Nein, o Herr." „Daher, Ananda, ist dies hier der Grund, dies die Grundlage, dies der Ursprung und dies die Ursache der Empfindung, nämlich die Berührung. 20
Es ist ferner gesagt worden:, Abhängig von Namen und Form entsteht die Berührung.' Wie nun die Berührung abhängig von Namen und Form entsteht, das ist, Ananda, auf folgende Weise zu verstehen. Wenn, Ananda, die Er-
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scheinungsformen, Kennzeichen, Merkmale und Bestimmungen, durch welche das Konglomerat des Namens zum Ausdruck gebracht wird, wenn diese Erscheinungsformen, Kennzeichen, Merkmale und Bestimmungen nicht bestünden, wäre dann beim Konglomerat der Form eine Berührung durch Benennung 1 wahrzunehmen?" „Nein, o Herr." „Und wenn, Ananda, die Erscheinungsformen, Kennzeichen, Merkmale und Bestimmungen, durch welche das Konglomerat der Form zum Ausdruck gebracht wird, wenn diese Erscheinungsformen, Kennzeichen, Merkmale und Bestimmungen nicht bestünden, wäre dann beim Konglomerat des Namens eine Berührung durch Widerstand wahrzunehmen?" „Nein, o Herr." „Und wenn, Ananda, die Erscheinungsformen, Kennzeichen, Merkmale und Bestimmungen, durch welche das Konglomerat des Namens und das Konglomerat der Form zum Ausdruck gebracht wird, wenn diese Erscheinungsformen, Kennzeichen, Merkmale und Bestimmungen nicht bestünden, wäre dann eine Berührung durch Benennung oder eine Berührung duroh Widerstand wahrzunehmen?" „Nein, o Herr." „Und wenn, Ananda, die Erscheinungsformen, Kennzeichen, Merkmale und Bestimmungen, durch welche Name und Form zum Ausdruck gebracht werden, wenn diese Erscheinungsformen, Kennzeichen, Merkmale und Bestimmungen nicht bestünden, würde dann eine Berührung wahrzunehmen sein?" „Nein, o Herr." „Daher, Ananda, ist dies hier der Grund, dies die Grundlage, dies der Ursprung und dies die Ursache der Berührung, nämlich Name und Form. 1 Für die alte buddhistische Dogmatik bedeutet nicht nur die Wahrnehmung, sondern auch das Benennen und Denken eines Gegenstandes eine Berührung, die nur anderer Art ist als die Berührung von materiellen Gegenständen, die sich gegenseitig Widerstand entgegensetzen.
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Es ist ferner gesagt worden: ,Abhängig vom Erkennen entsteht Name und Form.' Wie nun Name und Form abhängig vom Erkennen entsteht, das ist, Änanda, auf folgende Weise zu verstehen. Wenn das Erkennen, Änanda, nicht in den Mutter schoß einginge, würde sich dann Name und Form im Mutterschoß zusammenballen?" „Nein, o Herr." „Und wenn sich das Erkennen, Änanda, nachdem es in den Mutterschoß eingegangen ist, wieder entfernen würde, würde sich dann Name und Form zu diesem Dasein entwickeln?" „Nein, o Herr." „Und wenn das Erkennen, Änanda, bei dem Knaben oder Mädchen, solange sie noch klein sind, vernichtet würde, würde dann Name und Form zu Wachstum, Gedeihen und zu voller Größe gelangen?" „Nein, o Herr." „Daher, Änanda, ist dies hier der Grund, dies die Grundlage, dies der Ursprung und dies die Ursache von Namen und Form, nämlich das Erkennen. 22
Es ist ferner gesagt worden: ,Abhängig von Namen und Form entsteht das Erkennen.' Wie nun das Erkennen abhängig von Namen und Form entsteht, das ist, Änanda, auf folgende Weise zu verstehen. AVenn das Erkennen, Änanda, an Namen und Form keinen Halt finden würde, würde dann in Zukunft ein Zustandekommen der Entstehung des Leides von Geburt, Alter und Tod wahrzunehmen sein?" „Nein, o Herr." „Daher, Änanda, ist dies hier der Grund, dies die Grundlage, dies der Ursprung und dies die Ursache des Erkennens, nämlich Name und Form. Das ist es also, Änanda, wodurch man geboren wird, altert und stirbt, dahinscheidet und wiederentsteht, wodurch es eine Möglichkeit der Benennung, eine Möglich-
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keit der Erklärung, eine Möglichkeit der Bezeichnung gibt, wodurch die Erkenntnis ein Bereich findet, wodurch der Weltlauf abläuft, um das Dasein zu bezeichnen, nämlich Name und Form zusammen mit dem Erkennen." Damit ist die Erklärung der Ursachenkette beendet und der Text geht auf andere Gegenstände über. Das nächste Beispiel, das wir bringen, zeigt die Behandlung des Lehrsatzes vom abhängigen Entstehen in der ältesten Dogmatik. Der Text ist in die Form einer Lehrrede des Buddha gekleidet, aber das ist hier bereits zur leeren Äußerlichkeit geworden. Die Darstellung selbst zerfällt in zwei Teile, den sogenannten Anfang (ädih), der den Lehrsatz selbst wiedergibt, und die Erklärung (vibhangah). Die Erklärung ist kurz und trocken in der Art der alten Scholastik. Doch erfreute sich der Text großen Ansehens und bildete die Grundlage für die Erläuterung des Lehrsatzes in der Dogmatik der klassischen Zeit.
Das Sütra vom abhängigen Entstehen (Praütyasamut'pädasütram)
So habe ich gehört. Einmal weilte der Erhabene in Srävasti, im Jetavana, dem Garten des Anäthapindada, mit einer großen Schar von Mönchen, mit zwölfeinhalbhundert Mönchen. Da sprach der Erhabene zu den Mönchen: „Ich will euch, ihr Mönche, den Anfang und die Erklärung des abhängigen Entstehens darlegen. Hört also und achtet wohl und gut darauf. Ich werde sprechen. Welches ist der Anfang des abhängigen Entstehens? Nämlich, wenn dieses ist, wird jenes; infolge der Entstehung von diesem entsteht jenes. Nämlich, abhängig vom Nichtwissen entstehen die Gestaltungen (samskäräh), abhängig von den Gestaltungen das Erkennen, abhängig
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vom Erkennen Name und Form, abhängig von Namen und Form der sechsfache Bereich, abhängig vom sechsfachen Bereich die Berührung, abhängig von der Berührung die Empfindung, abhängig von der Empfindung der Durst, abhängig vom Durst das Ergreifen, abhängig vom Ergreifen das Werden, abhängig vom Werden die Geburt, abhängig von der Geburt Alter und Tod, Schmerz und Klagen, Leid, Betrübnis und Verzweiflung. So kommt die Entstehung dieser ganzen großen Leidensmasse zustande. Das wird der Anfang des abhängigen Entstehens genannt. Welches ist die Erklärung? ,Abhängig vom Nichtwissen entstehen die Gestaltungen.' Welcher Art ist das Nichtwissen? Unkenntnis der Vergangenheit, Unkenntnis der Zukunft, Unkenntnis der Vergangenheit und Zukunft, Unkenntnis nach innen, Unkenntnis nach außen, Unkenntnis nach innen und außen, Unkenntnis der Werke, Unkenntnis ihrer Reifung, Unkenntnis der Werke und ihrer Reifung, Unkenntnis des Buddha, Unkenntnis der Lehre, Unkenntnisder Gemeinde, Unkenntnis des Leidens, Unkenntnis der Entstehung, Unkenntnis der Aufhebung, Unkenntnis des Weges, Unkenntnis der Ursachen, Unkenntnis der aus Ursachen entstandenen Gegebenheiten, Unkenntnis der heilbringenden und unheilbringenden, tadelnswerten und tadellosen, zu pflegenden und nicht zu pflegenden, niedrigen und hohen, schwarzen und weißen abhängig entstandenen Gegebenheiten samt ihrer Gliederung, oder auch der sechs Bereiche der Berührung hinsichtlich ihres wahrheitsgemäßen Erfassens. Unkenntnis des Wahrheitsgemäßen bei Diesem und Jenem, Nicht-Sehen, Nicht-Schauen, Finsternis, Verblendung, Nichtwissen, Dunkelheit, das wird Nichtwissen genannt.
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,Abhängig vom Nichtwissen entstehen die Gestaltungen.' Welcher Art sind die Gestaltungen? Es gibt drei Gestaltungen: Gestaltungen des Körpers, Gestaltungen der Rede und Gestaltungen des Denkens. .Abhängig von den Gestaltungen entsteht das Erkennen.' Welcher Art ist das Erkennen? Es gibt sechs Gruppen (käyäh) des Erkennens; Erkennen durch das Auge, Erkennen durch das Gehör, durch den Geruch, durch die Zunge, durch den Körper und durch das Denken. ,Abhängig vom Erkennen entsteht Name und Form.' Was ist der Name? Die vier nichtmateriellen Gruppen (.skandhäh). Welche vier? Die Gruppe der Empfindung, die Gruppe des Bewußtseins, die Gruppe der Gestaltungen und die Gruppe des Erkennens. Was ist die Form? Alles, was es an Materie gibt, die vier großen Elemente und was auf den vier großen Elementen beruht. Diese Form und der vorher genannte Name, zu einer Einheit verbunden, werden Name und Form genannt. .Abhängig von Namen und Form entsteht der sechsfache Bereich.' Was ist der sechsfache Bereich? Die sechs inneren Bereiche, der innere Bereich des Auges, der innere Bereich des Gehörs, des Geruchs, der Zunge, des Körpers und des Denkens. ,Abhängig vom sechsfachen Bereich entsteht die Berührung'. Welcher Art ist die Berührung? Es gibt sechs Gruppen (käyäh) der Berührung: Berührung des Auges, Berührung des Gehörs, des Geruchs, der Zunge, des Körpers und des Denkens. ,Abhängig von der Berührung entsteht die Empfindung.' Welcher Art ist die Empfindung? Es gibt drei Empfindungen: lustvolle Empfindung, leidvolle Empfindung und weder-leid-noch-lustvolle Empfindung. .Abhängig von der Empfindung entsteht der Durst.' Welcher Art ist der Durst ? Es gibt dreierlei Durst: Durst
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nach den Begierden, Durst nach dem Materiellen und Durst nach dem Nichtmateriellen. ,Abhängig vom Durst entsteht das Ergreifen.' Welcher Art ist das Ergreifen? Es gibt viererlei Ergreifen: Ergreifen der Begierden, Ergreifen der Ansichten, Ergreifen des sittlichen Verhaltens und der Gelübde und Ergreifen der Lehre von einem Ich. .Abhängig vom Ergreifen entsteht das Werden.' Welcher Art ist das Werden? Es gibt dreierlei Werden: Werden in der Sphäre der Begierde, Werden in der Sphäre des Materiellen und Werden in der Sphäre des Nichtmateriellen. ,Abhängig vom Werden entsteht die Geburt.' Was ist die Geburt? Es ist die Geburt dieser und jener Wesen in dieser und jener Wesensgruppe, ihr Geborenwerden, ihre Verkörperung, ihr In-Erscheinung-Treten, ihr Sichtbarwerden, das Annehmen der Gruppen (skandhäh), das Annehmen der Elemente (dhätavah), das Annehmen der Bereiche (äyatanäni), das In-Erscheinung-Treten der Gruppen, das Sichtbarwerden des Lebensorgans. ,Abhängig von der Geburt entsteht Alter und Tod.' Welcher Art ist das Alter ? Kahlköpfigkeit, graue Haare, mit Runzeln bedeckt sein, Hinfälligkeit, gebeugt sein, bucklig sein wie ein Giebeldach, die Glieder mit schwarzen Flecken bedeckt haben, keuchendes Atmen des Körpers, auf einen Stock gestützt sein, Ungeschicklichkeit, Schwerfälligkeit, Dahinschwinden, Dahinsiechen, Abnützung und Verfall der Sinnesorgane, Altem und Hinfälligwerden der Gestaltungen, das wird Alter genannt. Welcher Art ist der Tod? Er ist das Dahinscheiden dieser und jener Wesen aus dieser und jener Wesensgruppe, ihr Dahinschwinden, ihr Zerfall, ihr Verschwinden, das Vergehen der Lebensdauer, das Vergehen der Lebenswärme, die Aufhebung des Lebensorgans, das Abwerfen der
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Gruppen (skandhäh), der Tod, das Sterben; das wird Tod genannt. Dieser Tod und das vorher genannte Alter, beide zu einer Einheit verbunden, werden Alter und Tod genannt. Das wird die Erklärung des abhängigen Entstehens genannt. Was ich euch gesagt habe: ,Ich will euch den Anfang und die Erklärung des abhängigen Entstehens darlegen,' das ist damit beantwortet." Dies sprach der Erhabene. Freudig begrüßten die Mönche den Erhabenen. N u n noch ein kurzes Beispiel d a f ü r , wie dieser Text in der klassischen Zeit der buddhistischen Systeme erklärt wurde. Die E r k l ä r u n g s t a m m t aus einem K o m m e n t a r des b e r ü h m t e n Kirchenlehrers Vasubandhu, des Jüngeren, auf den wir noch m e h r f a c h zu sprechen k o m m e n werden, u n d zwar gebe ich den Abschnitt wieder, der die E r k l ä r u n g des Durstes enthält. N a c h einer kurzen E r l ä u t e r u n g des Durstbegriffes geht V a s u b a n d h u auf die Besprechung verschiedener Einzelfragen über, ob nur Lustempfindungen den D u r s t hervorrufen u n d ähnliches. Der Text gibt eine g u t e Vorstellung von der Erklärungsliteratur der klassischen Zeit im allgemeinen. Vor allem zeigt er auch, wie m a n die heiligen T e x t e in umfassendster Weise zur E r k l ä r u n g heranzog u n d wie m a n ihre Widersprüche beobachtete u n d zu lösen versuchte.
Aus Vasubandhus „Kommentar zum Sutra vom abhängigen Entstehen" (Pratityasamutpädavyäkhyä) „Abhängig von der Empfindung entsteht der Durst. Welcher Art ist der Durst? Es gibt dreierlei Durst usw." Auch hier hat der Erhabene auf Grund der Unterscheidung (der Sphäre) der Begierde, des Materiellen und des Nichtmateriellen die Gliederung des Durstes gelehrt, aber nicht
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sein Wesen, und zwar mit Rücksicht auf die besondere Veranlagung der zu Belehrenden; das gilt genauso wie f r ü h e r . . . (es folgt eine kurze sprachlich-grammatische Erklärung) . . . Damit ist der auf die drei Sphären gerichtete Durst genannt. Dieser ist ein von den Lastern (klesäh) begleitetes Begehren, Hangen und Haften der Menschen, welche hinsichtlich der Sphäre der Begierde, beziehungsweise der Sphäre des Materiellen oder der Sphäre des Nichtmateriellen nicht frei von Begierde sind. Und zwar gehört der Durst der gleichen Sphäre an wie die Empfindung, von der er abhängt. (Einwand:) Wieso heißt es vom Durst hinsichtlich der leidvollen Empfindung nicht, daß er ausschließlich Durst nach dieser ist? 1 Die lustvolle Empfindung ist die Ursache des Durstes, damit verbunden und nicht davon getrennt zu sein, die leidvolle ist die Ursache des Durstes, damit nicht verbunden und davon getrennt zu sein, die weder-leid-noch-lustvolle ist die Ursache des Durstes, der an diesem Zustand Gefallen findet, beziehungsweise bei einer bestimmten Versenkung die Ursache des Durstes, damit verbunden und nicht davon getrennt zu sein. Außerdem hat der Erhabene gesagt: „Von der leidvollen Empfindung berührt findet er Gefallen an der Lust der Begierden." Daher ist auch die leidvolle Empfindung Ursache des Durstes nach der Lust. Ferner beruht der Durst nach dem Vorhandensein des Ich, welcher vom angeborenen Ich-Wahn begleitet in dem von der dreifachen Empfindung erfüllten Strom der Gruppen (skandhäh) unterschiedslos herrscht, auf der Empfindung. Und zwar ist jener ganze Strom der Empfindungen seine bestimmende Ursache. Dementsprechend heißt es auch in der großen Lehrrede von den Grundlagen 1 Es handelt sich darum, zu zeigen, daß auch die leidvolle Empfindung den Durst nach Lust hervorruft.
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des Entstehens: „Kann man, Änanda, dort, wo es keine Empfindung gibt und wo ein Empfindender nicht wahrgenommen wird, sagen: ,Ich bin'?" „Nein, o Herr". Abhängig von diesem unterschiedslos herrschenden Durst nach dem Vorhandensein des Ich entwickeln nun manche Menschen einen auf Vorstellungen beruhenden Ich-Wahn. Und im Hinblick auf diesen hat der Erhabene gesagt: „Abhängig von der Empfindung, ihr Mönche, welche aus dem Nichtwissen und der Berührung entspringt, entsteht der Durst und aus diesem die Gestaltungen." 1 Und dieser entspricht auch dem Ergreifen der Lehre von einem Ich. Denn wie könnte sonst das Ergreifen der Lehre von einem Ich abhängig vom Durst zustande kommen? (vgl. S. 41 f.) (Einwand:) Wenn also der Durst von der dreifachen Empfindung abhängt, wieso heißt es dann: „Die Begierde heftet sich an die lustvolle Empfindung?" (Antwort:) Weil sie diese zum Anhaltspunkt hat und mit ihr verbunden auftritt, und zwar gilt dieses von der lustvollen Empfindimg, welche dem eigenen Persönlichkeitsstrom angehört. (Einwand:) Wenn der Durst von der Empfindung abhängt, so folgt daraus, daß auch der Heilige mit Durst behaftet ist, weil jeder Mensch Empfindungen hat. Ferner folgt daraus, daß es das Wohlgefallen, welches die Befreiung vom Irdischen begleitet, nicht geben kann. (Antwort:) Man sagt: „Der Regen hängt von den Wolken ab." Muß es aber deswegen, wenn eine Wolke da ist, unbedingt regnen ? Ebenso muß sich, wenn Empfindung da ist, noch nicht unbedingt der Durst einstellen. (Frage:) Aus welchem Grunde stellt er sich nicht ein? (Antwort:) 1 Hier bezeichnet der Ausdruck Gestaltungen den a u f Vorstellungen beruhenden Ich-Wahn, der gleich nachher mit dem Ergreifen der Lehre von einem Ich gleichgesetzt wird.
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Weil gewisse Gegengründe da sind. Sein Same ist nämlich aus der Grundlage entfernt, beziehungsweise zerstört, so daß er sich trotz des Vorhandenseins der Ursache nicht einstellt, eben weil der Same fehlt oder zerstört ist. Ebenso kommt kein Sproß zum Vorschein, selbst wenn die Ursachen wie Feld, Wasser usw. vorhanden sind, wenn dafür der Same fehlt oder zerstört ist. Daher hat auch der Erhabene an einer anderen Stelle die genauere Bestimmung gegeben: „Abhängig von der Empfindung, welche aus dem Nichtwissen und der Berührung entsteht, entsteht der Durst." Ferner: „Wer Lust empfindet und die Empfindung nicht durchschaut, in dem setzt sich die Begierde fest, da er den Ausweg nicht sieht." Also nur die nichtverstandene Empfindung ist Ursache des Durstes aber nicht jede. (Frage:) Warum ist dann nicht auch im vorliegenden Falle eine solche genauere Bestimmung gegeben? (Antwort:) Weil hier bei der Behandlung des Gegenstandes vorausgesetzt wird, daß das Nichtwissen gemeinsame Ursache der Gestaltungen ist. (Einwand:) An manchen Stellen hat der Erhabene ausschließlich das Nichtwissen als Ursache des Durstes bezeichnet: „Das Nichtwissen, ihr Mönche, ist der Grund des Durstes, das Nichtwissen die Ursache, das Nichtwissen die Grundlage." Ferner: „Was, ihr Mönche, ist die Nahrung des Werdedurstes? Darauf wäre zu antworten: ,Das Nichtwissen.' " An manchen Stellen wieder ausschließlich die Berührung: „Es gibt sechs Gruppen (käyäh) des Durstes, durch Berührung des Auges entstandenen Durst usw." Ferner: „Jede Gruppe (skandhah) der Empfindung, jede Gruppe des Bewußtseins, jede Gruppe der Körperlichkeit ist von der Berührung abhängig." Hier wird dagegen ausschließlich die Empfindung als Ursache bezeichnet. Wieso ergibt sich also kein Wider-
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spruch mit den heiligen Texten? (Antwort:) Wegen der Verschiedenheit der Meinung. Wenn nämlich das Nichtwissen genannt wird, so ist die allgemeine Ursache des Durstes gemeint. Das gleiche gilt von der Berührung. Bei der Empfindung dagegen ist die besondere Ursache gemeint. Denn in allen drei Daseinssphären tritt bei einem der Verblendung unterworfenen Menschen der Durst derjenigen Stufe auf, welcher die Empfindung angehört. Ferner tritt auf ein und derselben Stufe bei gleichem Nichtwissen, infolge der Verschiedenheit der Empfindung, ihrer Stärke und ihrer Schwäche, eine Verschiedenheit des Durstes auf. Schließlich sind hinsichtlich des Auftretens des Durstes die als lustvoll usw. zu empfindenden Berührungen von der Verschiedenheit der Empfindung abhängig. Daher besteht kein Widerspruch. (Einwand:) Wenn mit den Worten: „Abhängig von der Empfindung entsteht der Durst," Ausschließlichkeit der Ursache gelehrt werden soll 1 , so ergeben sich die erwähnten Fehler. Außerdem wären andere Ursachen des Durstes, nämlich Grund und gleichartig vorgehende Ursache, nicht möglich. Soll dagegen Ausschließlichkeit des Verursachten gelehrt werden, so kann die Empfindung weder Grund, noch gleichartig vorgehende Ursache, noch Anhaltspunkt anderer Gegebenheiten sein. Außerdem würde sieh ein Widerspruch zu folgenden heiligen Texten ergeben: „Der Widerwille heftet sich an die leidvolle Empfindung" usw., und: „Bei dem von Wohlgefühl Erfüllten sammelt sich der Geist, bei dem von Wohlgefühl Erfüllten beruhigen sich die Gegebenheiten" usw. Soll Ausschließlichkeit beider gelehrt werden, so ergeben sich die beiderseitigen Fehler. Nimmt man endlich keinerlei 1
D. h. wenn d a m i t gesagt sein soll, daß ausschließlich die E m p f i n d u n g den
D u r s t v e r u r s a c h t , beziehungsweise, E m p f i n d u n g v e r u r s a c h t wird.
daß ausschließlich
der D u r s t
durch
die
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Ausschließlichkeit an, so ist die Belehrung zwecklos. (Antwort:) Es liegt hier keinerlei Ausschließlichkeit vor. Trotzdem ist die Belehrung nicht zwecklos, da die Belehrung unseren früheren Ausführungen entsprechend in dieser Form gegeben wird, um die besondere Ursache des Durstes mitzuteilen; ferner, weil die Empfindung die Hauptursache ist, da der Durst infolge der Verbindung usw. mit der lustvollen Empfindung usw. auftritt. Damit ist die Erklärung des Durstes abgeschlossen. Die bisherigen Beispiele haben gezeigt, wie man den Lehrsatz vom abhängigen Entstehen im einzelnen deutete und scholastisch erklärte. Philosophisch weit wichtiger ist aber der neue Sinn, der ihm im Laufe der Zeit allmählich beigelegt wurde. Dazu kam es folgendermaßen: Dadurch, daß der Lehrsatz vom abhängigen Entstehen eine Reihe von Ursachen und Wirkungen über mehrere Geburten hin verfolgt, gewann es den Anschein, daß er die irdische Persönlichkeit selbst auf den verschiedenen Stufen ihres Daseins schildere. Als man daher im Zuge der Entwicklung der Lehre von der Vergänglichkeit aller Dinge die ganze irdische Persönlichkeit in einen Strom ständig wechselnder Erscheinungen auflöste, sah man im Lehrsatz vom abhängigen Entstehen nicht mehr das Gesetz, nach dem sich Verstrickung und Erlösung aus dem Wesenskreislauf vollzieht. Man betrachtete ihn vielmehr als das Gesetz, welches die gesamte Entwicklung dieses Persönlichkeitsstromes selbst beherrscht und seine Daseinsform zum Ausdruck bringt. Aber dabei blieb man nicht stehen. Die Vergänglichkeit und der ständige Wechsel der Dinge gilt nicht nur für die irdische Persönlichkeit, sondern auch für die Außenwelt. Und man übertrug daher das Gesetz vom abhängigen Entstehen auch auf diese. Man stellte neben die bisherige Ursachenkette, welche man nunmehr als innere Ursachenkette bezeichnete, eine zweite, äußere Ursachenkette. Und so wurde der Lehrsatz vom abhängigen Entstehen das beherrschende Gesetz der gesamten Erscheinungswelt und der philosophische Ausdruck ihres Wesens. Und als daher die Schule der Mädhyamika in kühner Schlußfolgerung
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als erste die Irrealität der Außenwelt nachzuweisen suchte, ging sie von diesem Lehrsatz aus u n d leitete aus ihm nicht nur die Vergänglichkeit, sondern auch die Leerheit alles Irdischen ab. I m folgenden sollen n u n auch f ü r diese Entwicklung Beispiele geboten werden. Der Lehrsatz vom abhängigen E n t stehen als Ausdruck der irdischen Persönlichkeit wird im Abschnitt über die Leugnung des Ich (S. 77ff.) zur Sprache kommen, als Ausdruck der Vergänglichkeit u n d Leerheit der gesamten Erscheinungswelt wird er im Abschnitt über die Madhyamaka-Schule (S. 171 ff.) behandelt werden. Hier soll zunächst nur ein T e x t vorgeführt werden, der zeigt, wie die alte Ursachenkette zum allgemeinen Kausalitätsgesetz erweitert wurde. Der Text, u m den es sich dabei handelt, ist das sogen a n n t e S ä l i s t a m b a s ü t r a m . Die Überlieferung bezeichnet es als M a h ä y ä n a - T e x t u n d tatsächlich ist es dem k ü n f t i g e n B u d d h a Maitreya in den Mund gelegt. Aber inhaltlich beschränkt sich der mahäyänistische Charakter des Werkes auf Einzelheiten. Vor allem die Lehre vom abhängigen E n t s t e h e n t r ä g t keine wesentlichen Mahäyäna-Züge. I c h gebe, u m nicht zu ausführlich zu werden, den Text nicht vollständig wieder, sondern nur den Abschnitt, in dem inneres u n d äußeres abhängiges E n t s t e h e n geschildert u n d einander gegenübergestellt wird. Ausgelassen wurde ein einleitender allgemeiner Abschnitt u n d bei der Darstellung des inneren abhängigen E n t s t e h e n s eine E r k l ä r u n g der alten Ursachenkette. Doch e n t h a l t e n a u c h diese Abschnitte manches Interessante.
Das Sutra von der jungen Reispflanze (/Sälistambasütram)
Dieses abhängige Entstehen ergibt sich ferner aus zweierlei Anlässen. Aus welchen zweien? Aus der Verknüpfung der Gründe und aus der Verknüpfung der Ursachen. Und zwar ist es als zweifach zu betrachten, als äußeres und inneres. 4
Frauwallner,
Buddhismus
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Welches ist nun die Verknüpfung der Gründe beim äußeren abhängigen Entstehen? Aus dem Samen entsteht der Keim, aus dem Keim das Blatt, aus dem Blatt der Halm, aus dem Halm der Stengel, aus dem Stengel der Knoten, aus dem Knoten die Knospe, aus der Knospe die Granne, aus der Granne die Blüte, aus der Blüte die Frucht. Wenn der Same nicht vorhanden ist, kann der Keim nicht entstehen . . . usw., bis 1 . . . wenn die Blüte nicht vorhanden ist, kann die Frucht nicht entstehen. Wenn dagegen der Same vorhanden ist, kommt es zur Entwicklung des Keimes . . . usw. bis . . . wenn die Blüte vorhanden ist, kommte es zur Entwicklung der Frucht. Dabei denkt der Same nicht 2 : „Ich bringe den Keim hervor"; und der Keim denkt nicht: „Ich bin vom Samen hervorgebracht worden" . . . usw. bis . . . die Blüte denkt nicht: „Ich bringe die Frucht hervor"; und die Frucht denkt nicht: „Ich bin von der Blüte hervorgebracht worden." Und doch entwickelt sich, wenn der Same vorhanden ist, der Keim und kommt zum Vorschein . . . usw. bis . . . wenn die Blüte vorhanden ist, entwickelt sich die Frucht und kommt zum Vorschein. So ist die Verknüpfung der Gründe beim äußeren abhängigen Entstehen zu betrachten. Wie ist die Verknüpfung der Ursachen beim äußeren abhängigen Entstehen zu betrachten? Durch das Zusammentreten von sechs Elementen. Durch das Zusammentreten welcher sechs Elemente? Durch das Zusammentreten der Elemente der Erde, des Wassers, des Feuers, des Windes, des Äthers und der Jahreszeit ist die Verknüpfung der Ursachen beim äußeren abhängigen Entstehen zu betrachten. 1 So kürzen bereits die alten buddhistischen Texte die ständigen Wiederholungen ab. 3 Damit soll hervorgehoben werden, daß das ganze irdische Geschehen ohne denkendes Subjekt vor sich geht.
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Dabei bringt das Element der Erde beim Samen die Wirkung des Zusammenhaltens hervor; das Element des Wassers bringt beim Samen die Wirkung des Durchfeuchtens hervor; das Element des Feuers bringt beim Samen die Wirkung des Reifens hervor; das Element des Windes bringt beim Samen die Wirkung des Treibens hervor; das Element des Äthers bringt beim Samen die Wirkung des Nicht-Hemmens hervor und das Element der Jahreszeit bringt beim Samen die Wirkung der Umwandlung hervor. Wenn diese Ursachen nicht vorhanden sind, findet das Hervorkommen des Keimes aus dem Samen nicht statt; so wenn das äußere Element der Erde mangelt und ebenso wenn die Elemente des Wassers, des Feuers, des Windes, des Äthers und der Jahreszeit mangeln. Daher findet durch das Zusammentreten aller, während der Same vergeht, das Hervorkommen des Keimes aus ihm statt. Dabei denkt das Element der Erde nicht: „Ich bringe beim Samen die Wirkung des Zusammenhaltens hervor"; . . . usw. bis . . . und das Element der Jahreszeit denkt nicht: „Ich bringe beim Samen die Wirkung der Umwandlung hervor." Auch der Same denkt nicht: „Ich bringe den Keim hervor"; und der Keim denkt nicht: „Ich bin durch diese Ursachen erzeugt." Und doch findet beim Vorhandensein dieser Ursachen, während der Same vergeht, das Hervorkommen des Keimes statt, . . . usw. bis . . . während die Blüte vergeht, findet das Hervorkommen der Frucht statt. Auch ist dieser Keim nicht durch sich geschaffen, nicht durch anderes geschaffen, nicht durch beides geschaffen, nicht durch Gott geschaffen, nicht durch die Zeit umgestaltet, nicht aus einer Urmaterie hervorgegangen, nicht von einem einzelnen Anlaß abhängig, und auch nicht ohne Grund entstanden. Und doch findet durch das Zusammentreten der 4*
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Elemente der Erde, des Wassers, des Feuers, des Windes, des Äthers und der Jahreszeit, während der Same vergeht, das Hervorkommen des Keimes statt. So ist die Verknüpfung der Ursachen beim äußeren abhängigen Entstehen zu betrachten. Dabei ist das äußere abhängige Entstehen auf fünf Arten zu betrachten. Auf welche fünf? Nicht als ewig, nicht als Vernichtung, nicht als Übergang (samkräntih), als Hervorgehen einer großen Wirkung aus einer kleinen Ursache und als Folge von Gleichartigem. Wieso nicht als ewig? Weil der Keim etwas anderes ist als der Same. Denn der Keim ist nicht dasselbe wie der Same. Der Keim geht nämlich weder aus dem vernichteten Samen hervor, noch aus dem nichtvernichteten. Und doch vergeht der Same, und zur gleichen Zeit entsteht der Keim. Daher nicht als ewig. Wieso nicht als Vernichtung? Weil der Keim weder aus dem vorher vernichteten Samen entsteht, noch aus dem nichtvernichteten. Vielmehr vergeht der Same, und zur gleichen Zeit entsteht der Keim, so wie die Balken einer Waage sieh zugleich heben und senken. Daher nicht als Vernichtung. Wieso nicht als Übergang ? Weil der Keim etwas anderes ist als der Same. Denn der Keim ist nicht das, was der Same ist. Daher nicht als Übergang. Wieso als Hervorgehen einer großen Wirkung aus einer kleinen Ursache? Weil ein kleiner Same gesät wird und eine große Frucht hervorbringt. Daher als Hervorgehen einer großen Wirkung aus einer kleinen Ursache. Wieso als Folge von Gleichartigem ? Wie der Same ist, den man sät, so ist die Frucht, die er hervorbringt. Daher als Folge von Gleichartigem. So ist das äußere abhängige Entstehen auf fünf Arten zu betrachten.
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Ebenso ergibt sich das innere abhängige Entstehen aus zweierlei Anlässen. Aus welchen zweien? Aus der Verknüpfung der Gründe und aus der Verknüpfung der Ursachen. Welches ist nun beim inneren abhängigen Entstehen die Verknüpfung der Gründe? Abhängig vom Nichtwissen entstehen die Willensregungen . . . usw. bis . . . abhängig von der Geburt entsteht Alter und Tod. Wenn das Nichtwissen nicht wäre, wären die Willensregungen nicht wahrzunehmen . . . usw. bis . . . wenn die Geburt nicht wäre, wären Alter und Tod nicht wahrzunehmen. Da jedoch das Nichtwissen vorhanden ist, entwickeln sich die Willensregungen . . . usw. bis . . . da die Geburt vorhanden ist, entwickeln sich Alter und Tod. Dabei denkt das Nichtwissen nicht: „Ich bringe die Willensregungen hervor"; und die Willensregungen denken nicht: „Wir sind vom Nichtwissen hervorgebracht worden" . . . usw. bis . . . und die Geburt denkt nicht: „Ich bringe Alter und Tod hervor"; und Alter und Tod denken nicht: „Wir sind von der Geburt hervorgebracht worden." Und doch entwickeln sich, wenn das Nichtwissen vorhanden ist, die Willensregungen und kommen zum Vorschein . . . usw. bis . . . wenn die Geburt vorhanden ist, entwickeln sich Alter und Tod und kommen zum Vorschein. So ist die Verknüpfung der Gründe beim inneren abhängigen Entstehen zu betrachten. Wie ist die Verknüpfung der Ursachen beim inneren abhängigem Entstehen zu betrachten? Durch das Zusammentreten von sechs Elementen. Durch das Zusammentreten von welchen sechs Elementen ? Durch das Zusammentreten der Elemente der Erde, des Wassers, des Feuers, des Windes, des Äthers und des Erkennens ist die Verknüpfung der Ursachen beim inneren abhängigen Entstehen zu betrachten.
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Welches ist beim inneren abhängigen Entstehen das Element der Erde? Was durch den Zusammenhalt des Körpers seine Festigkeit bewirkt, das wird das Element der Erde genannt. Was beim Körper die Wirkung des engeren Zusammenschlusses hervorbringt, das wird das Element des Wassers genannt. Was im Körper das Gegessene, Getrunkene, Gekaute und Verzehrte verdaut, das wird das Element des Feuers genannt. Was im Körper die Wirkung des Aus- und Einatmens hervorbringt, das wird das Element des Windes genannt. Was im Körper das innere Hohlsein bewirkt, das wird das Element des Äthers genannt. Was beim Körper gleich (zwei aneinandergelehnten) Rohrbündeln 1 den Keim von Namen und Form hervorbringt, das mit den fünf Gruppen (käyäh) des Erkennens verbundene und mit den Befleckungen (äsraväh) behaftete Denkerkennen, das wird das Element des Erkennens genannt. Wenn diese Ursachen nicht vorhanden sind, findet das Entstehen des Körpers nicht statt; so wenn das innere Element der Erde mangelt, und ebenso, wenn die Elemente des Wassers, des Feuers, des Windes, des Äthers und des Erkennens mangeln. Daher findet durch das Zusammentreten aller die Entstehung des Körpers statt. Dabei denkt das Element der Erde nicht: „Ich bringe durch den Zusammenhalt des Körpers seine Festigkeit hervor"; das Element des Wassers denkt nicht: „Ich bringe beim Körper die Wirkung des engeren Zusammenschlusses hervor"; das Element des Feuers denkt nicht: „Ich verdaue im Körper das Gegessene, Getrunkene, Gekaute und Verzehrte"; das Element des Windes denkt nicht: „Ich bringe im Körper die Wirkung des Aus- und Einatmens hervor"; das Element des Äthers denkt nicht: 1 Name und Form werden mit zwei Rohrbündeln verglichen, die sich gegenseitig stützen.
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„Ich bewirke im Körper das innere Hohlsein"; das Element des Erkennens denkt nicht: „Ich bringe beim Körper Namen und Form hervor"; und auch der Körper denkt nicht: „Ich bin durch diese Ursachen erzeugt." Und doch findet, wenn diese Ursachen vorhanden sind, das Entstehen des Körpers statt. Dabei ist das Element der Erde nicht das Ich, nicht das Wesen, nicht die Seele, nicht das Lebewesen, nicht der Mensch, nicht das Menschenkind, nicht das Weib, nicht der Mann, nicht der Eunuch, nicht ich, nicht mein, noch irgendeines andern; ebenso ist das Element des Wassers, das Element des Feuers, das Element des Windes, das Element des Äthers, das Element des Erkennens nicht das Ich, nicht das Wesen, nicht die Seele, nicht das Lebewesen, nicht der Mensch, nicht das Menschenkind, nicht das Weib, nicht der Mann, nicht der Eunuch, nicht ich, nicht mein, noch irgendeines anderen. Nun folgt eine Erklärung der zwölf Glieder der Ursachenkette. Dann fährt der Text fort:
Dieses zwölfgliedrige abhängige Entstehen also, gegenseitig begründet und gegenseitig verursacht, weder vergänglich noch ewig, weder geschaffen noch ungeschaffen, weder grundlos noch ursachelos, nicht wahrnehmend, nicht dem Vergehen unterworfen, nicht der Vernichtung unterworfen, nicht der Aufhebung unterworfen, setzt sich seit anfangloser Zeit ununterbrochen fort gleich einem Strome. Und wenn sich dieses zwölfgliedrige abhängige Entstehen auch, gegenseitig begründet und gegenseitig verursacht, weder vergänglich noch ewig, weder geschaffen noch ungeschaffen, weder grundlos noch ursachelos, nicht wahrnehmend, nicht dem Vergehen unterworfen, nicht der Vernichtung unterworfen, nicht der Aufhebung
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unterworfen, seit anfangloser Zeit ununterbrochen gleich einem Strome fortsetzt, so sind doch diese vier Glieder dieses zwölfgliedrigen abhängigen Entstehens als Grund zur vereinten Wirkung tätig. Welche vier? Das Nichtwissen, der Durst, das Werk und das Erkennen. Dabei ist das Erkennen in der Art eines Samens Grund, das Werk ist in der Art eines Feldes Grund, Nichtwissen und Durst sind in der Art der Laster (klesäh) Grund. Dabei erzeugen Werk und Laster den Samen des Erkennens. Dabei bringt das Werk beim Samen des Erkennens die Wirkung des Feldes hervor, der Durst befeuchtet den Samen des Erkennens und das Nichtwissen streut den Samen des Erkennens aus. Wenn diese Ursachen nicht vorhanden sind, kommt die Entwicklung des Samens des Erkennens nicht zustande. Dabei denkt das Werk nicht: „Ich bringe beim Samen des Erkennens die Wirkung des Feldes hervor"; auch der Durst denkt nicht: „Ich befeuchte den Samen des Erkennens"; auch das Nichtwissen denkt nicht: „Ich streue den Samen des Erkennens aus"; und auch der Same des Erkennens denkt nicht: „Ich bin durch diese Ursachen erzeugt." Und doch wächst der Same des Erkennens im Felde der Werke ruhend, von der Feuchtigkeit des Durstes benetzt und vom Nichtwissen ausgestreut, und indem er da und dort in den Bereich des Entstehens eingeht, bringt er im Mutterschoß den Keim von Namen und Form hervor. Auch ist dieser Keim von Namen und Form nicht durch sich geschaffen, nicht durch anderes geschaffen, nicht durch beides geschaffen, nicht durch Gott geschaffen, nicht durch die Zeit umgestaltet, nicht aus einer Urmaterie hervorgegangen, nicht von einem einzelnen Anlaß abhängig, und auch nicht ohne Grund entstanden. Und doch bringt der Same des Erkennens infolge der Vereinigung von Vater und
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Mutter, durch das Hinzutreten der Empfängnisbereitschaft und durch das Zusammenkommen der übrigen Ursachen, indem er von Lust begleitet da und dort in das Bereich des Entstehens eingeht, im Mutterschoß den Keim von Namen und Form hervor, obwohl die Gegebenheiten ohne Herrn und nicht mein sind, ohne Haften, gleich dem Äther und in ihrem Wesen wie ein Trugbild beschaffen, und zwar weil die Gründe und Ursachen nicht mangeln. E s folgt, wie durch die Verbindung verschiedener Ursachen die verschiedenen Arten des Erkennens entstehen. Dann heißt es weiter:
Dabei geht keine Gegebenheit aus dieser Welt in jene Welt hinüber. Und doch werden Werk und Frucht wahrgenommen, weil die Gründe und Ursachen nicht mangeln. So wie man im klaren Rund eines Spiegels das Abbild des Gesichtes sieht; dabei geht das Gesicht nicht auf das Rund des Spiegels über; und doch wird das Gesicht wahrgenommen, weil die Gründe und Ursachen nicht mangeln. So scheidet niemand aus dieser Welt dahin, noch entsteht er anderswo; und doch werden Werk und Frucht wahrgenommen, weil die Gründe und Ursachen nicht mangeln. So wie die Mondscheibe viertausend Meilen hoch dahinzieht, und doch sieht man das Abbild des Mondes in einem kleinen Gefäß mit Wasser; dabei ist die Mondscheibe nicht von jener Stelle herabgesunken, noch ist sie auf das kleine Gefäß mit Wasser übergegangen; und doch wird die Mondscheibe wahrgenommen, weil die Gründe und Ursachen nicht mangeln. So wie ein Feuer wegen des Mangeins der Gründe und Ursachen nicht brennt, jedoch durch die Gesamtheit der Gründe und Ursachen brennt, ebenso bringt der durch Werke und Laster erzeugte Same des Erkennens,
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indem er da und dort in den Bereich des Entstehens eingeht, im Mutterschoß den Keim von Namen und Form hervor, obwohl die Gegebenheiten ohne Herrn und nicht mein sind, ohne Haften, gleich dem Äther und in ihrem Wesen wie ein Trugbild beschaffen, und zwar weil die Gründe und Ursachen nicht mangeln. So ist die Verknüpfung der Ursachen beim inneren abhängigen Entstehen zu betrachten. Dabei ist das innere abhängige Entstehen auf fünf Arten zu betrachten. Auf welche fünf? Nicht als ewig, nicht als Vernichtung, nicht als Übergang, als Hervorgehen einer großen Wirkung aus einer kleinen Ursache und als Folge von Gleichartigem. Wieso nicht als ewig? Weil die mit dem Sterben endigenden Gruppen (skandhäh) andere sind als die am Entstehen beteiligten Gruppen. Denn die mit dem Sterben endigenden Gruppen sind nicht dieselben, wie die am Entstehen beteiligten Gruppen. Vielmehr vergehen die mit dem Sterben endigenden Gruppen und die am Entstehen beteiligten Gruppen treten in Erscheinung. Daher nicht als ewig. Wieso nicht als Vernichtung? Weil die am Entstehen beteiligten Gruppen weder nach vorheriger Vernichtung der mit dem Sterben endigenden Gruppen in Erscheinung treten, noch ohne deren Vernichtung. Vielmehr vergehen die mit dem Sterben endigenden Gruppen, und zur gleichen Zeit treten die am Entstehen beteiligten Gruppen in Erscheinung, so wie die Balken einer Waage sich zugleich heben und senken. Daher nicht als Vernichtung. Wieso nicht als Übergang ? Aus einer unähnlichen Klasse von Wesen gehen nämlich in einer anderen Geburt gleichartige Gruppen hervor. Daher nicht als Übergang. Wieso als Hervorgehen einer großen Wirkung aus einer kleinen Ursache? Weil ein kleines Werk vollbracht und
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die Reifung einer großen Vergeltung genossen wird. Daher als Hervorgehen einer großen Wirkung aus einer kleinen Ursache. Wieso als Folge von Gleichartigem ? Wie das Werk zu empfinden ist, das vollbracht wird, so ist die Reifung zu empfinden, die genossen wird. Daher als Folge von Gleichartigem. So ist das innere abhängige Entstehen auf fünf Arten zu betrachten. Wer auch immer, ehrwürdiger Säriputra, dieses vom Erhabenen richtig verkündete abhängige Entstehen so, der Wirklichkeit entsprechend, mit rechter Einsicht, unablässig als ohne Seele und frei von Seele, wahrheitsgemäß und ohne Irrtum als ungeboren, unentstanden, unbewirkt, ungeschaffen, ohne Hindernis, ohne Hemmnis, freundlich, furchtlos, unentreißbar, unvergänglich und von Natur aus nicht zur Ruhe kommend ansieht, und es als unwahr, hohl, als Trug, ohne Kern, als Krankheit, als Eiterbeule, als Geschwulst, als Übel, als vergänglich, leidvoll, leer und wesenlos betrachtet, der sinnt nicht der Vergangenheit nach: „War ich in der vergangenen Zeit, oder war ich nicht in der vergangenen Zeit? Wer war ich in der vergangenen Zeit ? Wie war ich in der vergangenen Zeit ?" Er sinnt nicht der Zukunft nach: „Werde ich in der zukünftigen Zeit sein, oder werde ich in der zukünftigen Zeit nicht sein? Wer werde ich in der zukünftigen Zeit sein? Wie werde ich in der zukünftigen Zeit sein ?" Und er sinnt nicht der Gegenwart nach: „Was ist dies? Wie ist dies? Wer sind wir? Wer werden wir sein? Woher ist dieses Wesen gekommen? Wohin wird es, wenn es von hier dahinscheidet, gelangen?" Die Ansichten, welche manche Asketen und Brahmanen gesondert in der Welt hegen werden, die mit der Lehre von einem Ich verknüpft sind, mit der Lehre von einem Wesen verknüpft sind, mit der Lehre von einer Seele
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verknüpft sind, mit der Lehre von einer Persönlichkeit verknüpft sind, mit glückbringenden Zeichen und Sprüchen verknüpft sind, alles Tun und Lassen, das ist von ihm zu dieser Zeit aufgegeben, vollkommen erkannt, von Grund auf beseitigt gleich dem Wipfel einer Palme, seinem Wesen nach nicht mehr erscheinend und in Zukunft nicht mehr dem Entstehen und Vergehen unterworfen. Es folgen noch einige abschließende Sätze. Gleichzeitig schließen wir hiermit die Reihe der Texte, welche der Erläuterung 'des Lehrsatzes vom abhängigen Entstehen dienen soll. Denn wir sind damit bereits weit über die Lehre des Buddha selbst hinausgegangen und mitten in die Zeit der späteren Systeme geraten. Es ist daher Zeit abzubrechen und zur Darstellung dieser Systeme überzugehen.
B. DIE DOGMATIK DES HINAYANA Bei der Darstellung der Lehre des Buddha haben wir gesehen, daß der Buddha selbst sich rein philosophischen Fragen gegenüber ablehnend verhielt. Er beschäftigte sich mit theoretischen Fragen nur, soweit es nötig war, um seine Erlösungslehre zu begründen und zu untermauern. Was darüber hinausging, lehnte er als überflüssig und irreführend ab. An dieser Einstellung hielt er Zeit seines Lebens fest und sicher wirkte seine Haltung in diesen Dingen auch nach seinem Tode noch geraume Zeit weiter. Dann aber führte das natürliche Bedürfnis, die überkommene Lehre möglichst gründlich zu durchdringen und weiter auszubauen, dazu, die überlieferten Lehrsätze zu erweitern und umzugestalten. Zunächst scheint sich vor allem eine Art Erlösungsscholastik entwickelt zu haben, welche sich mit dem Erlösungsvorgang eingehender beschäftigte und nach indischer Art die damit zusammenhängenden Begriffe umfassend aufzählte und rubrizierte. Sobald aber einmal die Entwicklung in Fluß gekommen war, ließ man auch die eigentlichen philosophischen Fragen nicht ruhen. Besonders die Fragen, welche der Buddha selbst beiseite geschoben hatte, die Frage nach dem wahren Ich und nach dem Wesen der Erlösung, reizten das Interesse und führten zu ernsten philosophischen Erörterungen. Und schließlich kam man unter mannigfachen Einflüssen der gleichzeitigen philosophischen Systeme dazu, über diese Ansätze hinaus die eigene Lehre zu einem vollständigen System auszubauen. Diese Entwicklung war ungeheuer reich und mannigfaltig. Denn die buddhistische Gemeinde hatte sich inzwischen in zahlreiche Schulen geteilt, die alle in größerem oder geringerem Maße an der Entwicklung teilnahmen. Schon früh hatte sich im Heimatland des Buddhismus, in Magadha, eine Gruppe unter dem Namen der großen Gemeinde (Mahäsämghika) von den übrigen, der sogenannten Gruppe der Ältesten (Sthavira), getrennt. Die Mahäsäm-
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ghika hatten ihr Zentrum im Osten und breiteten sich allmählich längs der K ü s t e bis weit nach Süden aus, wobei sie sich in mehrere, wohl meist örtliche Schulen spalteten. Ungleich wichtiger war die Schulbildung bei der großen westlichen Gruppe der Sthavira. A m Rande, im äußersten Norden und Süden, bildeten sich Schulen mehr konservativen Gepräges. Eine besondere Stellung nimmt dabei die Schule der T ä m r a p a m i y a auf Ceylon ein, nicht zuletzt, weil ihre Literatur in großem Umfang in der Ursprache erhalten ist. Geistig führend waren jedoch die Schulen des Zentrums. Hier saß im westlichen Mittelindien die wichtige Schule der Vätslputriya-Sämmatiya. Weitaus a m bedeutendsten aber war die Schule der Sarvästivädin, auch oft Vaibhäsika genannt, welche von Mathurä aus sich über den ganzen Nordwesten ausbreitete und besonders in Kasmlr einen starken Rückhalt fand. Und diese Schule war es auch, welche das umfassendste und inhaltlich bedeutendste System schuf. Charakteristisch ist dabei gerade für diese Schule ein nüchterner, realistischer Geist, welcher alles Mystische in den Hintergrund drängt. D a s zeigt sich, wie wir noch sehen werden, z. B. in der Einschätzung der vom Buddha gelehrten vier Versenkungsstufen, die hier für die Erlösung fast überflüssig geworden sind. Neben dieser Nüchternheit steht aber andererseits eine unglaubliche Kühnheit des Denkens, welche vor den gewagtesten Annahmen nicht zurückscheut, um die aufgeworfenen Fragen befriedigend zu beantworten. Schließlich ist noch die Schule der Sauträntika zu erwähnen, deren Entwicklung und Geschichte allerdings größtenteils noch unklar ist. Der Lehre nach schließt diese Schule an das System der Sarvästivädin an, das sie m fortschrittlichem Sinne weiterbildet. Vor allem sind die Sauträntika die Nominalisten gegenüber dem Realismus der Sarvästivädin und auch des Vaisesika. E s ist nun vollkommen unmöglich, von dieser reichen Entwicklung, welche sich fast über ein Jahrtausend erstreckte, hier auch nur annähernd ein Bild zu geben. Und auf weite Strecken hat auch die Forschung dafür noch nicht die Voraussetzungen geschaffen. Außerdem handelt es sich um ungewöhnlich sprödes Material. Das philosophisch Bedeutsame ist in eine Flut dürrer Scholastik ein-
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ghika hatten ihr Zentrum im Osten und breiteten sich allmählich längs der K ü s t e bis weit nach Süden aus, wobei sie sich in mehrere, wohl meist örtliche Schulen spalteten. Ungleich wichtiger war die Schulbildung bei der großen westlichen Gruppe der Sthavira. A m Rande, im äußersten Norden und Süden, bildeten sich Schulen mehr konservativen Gepräges. Eine besondere Stellung nimmt dabei die Schule der T ä m r a p a m i y a auf Ceylon ein, nicht zuletzt, weil ihre Literatur in großem Umfang in der Ursprache erhalten ist. Geistig führend waren jedoch die Schulen des Zentrums. Hier saß im westlichen Mittelindien die wichtige Schule der Vätslputriya-Sämmatiya. Weitaus a m bedeutendsten aber war die Schule der Sarvästivädin, auch oft Vaibhäsika genannt, welche von Mathurä aus sich über den ganzen Nordwesten ausbreitete und besonders in Kasmlr einen starken Rückhalt fand. Und diese Schule war es auch, welche das umfassendste und inhaltlich bedeutendste System schuf. Charakteristisch ist dabei gerade für diese Schule ein nüchterner, realistischer Geist, welcher alles Mystische in den Hintergrund drängt. D a s zeigt sich, wie wir noch sehen werden, z. B. in der Einschätzung der vom Buddha gelehrten vier Versenkungsstufen, die hier für die Erlösung fast überflüssig geworden sind. Neben dieser Nüchternheit steht aber andererseits eine unglaubliche Kühnheit des Denkens, welche vor den gewagtesten Annahmen nicht zurückscheut, um die aufgeworfenen Fragen befriedigend zu beantworten. Schließlich ist noch die Schule der Sauträntika zu erwähnen, deren Entwicklung und Geschichte allerdings größtenteils noch unklar ist. Der Lehre nach schließt diese Schule an das System der Sarvästivädin an, das sie m fortschrittlichem Sinne weiterbildet. Vor allem sind die Sauträntika die Nominalisten gegenüber dem Realismus der Sarvästivädin und auch des Vaisesika. E s ist nun vollkommen unmöglich, von dieser reichen Entwicklung, welche sich fast über ein Jahrtausend erstreckte, hier auch nur annähernd ein Bild zu geben. Und auf weite Strecken hat auch die Forschung dafür noch nicht die Voraussetzungen geschaffen. Außerdem handelt es sich um ungewöhnlich sprödes Material. Das philosophisch Bedeutsame ist in eine Flut dürrer Scholastik ein-
Die philosophischen Hauptlehren des Sarvastivada 63 gebettet, die für weitere Kreise schwerlich Interesse hat. Ich beschränke mich daher im folgenden darauf, das Wesentliche herauszugreifen. Dabei lege ich das System des Sarvastivada als das bedeutendste zugrunde und gebe nur gelegentlich einen Ausblick auf die Lehren der übrigen Schulen. Ich be'ginne mit der Besprechung der philosophischen Hauptgedanken. Daran schließe ich eine Darstellung der Grundbegriffe, auf denen sich das System der Schule aufbaut. Den Abschluß bildet eine kurze Schilderung der Erlösungslehre. Der eigenartigste und folgenschwerste Gedanke im System der Sarvästivädin ist die Leugnung einer Seele, eines Ich. Den Anstoß dazu hat letzten Endes der Buddha selbst gegeben. Gerade die Lehre von der Seele war ein Punkt, über den er beharrlich schwieg. Außerdem bildete es einen Hauptgegenstand seiner Predigt, zu zeigen, daß die irdische Persönlichkeit nicht das Ich ist. Er wird nicht müde, immer wieder zu betonen, daß keine der fünf Gruppen (skandhah), aus denen sich die irdische Persönlichkeit zusammensetzt, für das Ich gehalten werden darf. Ihm selbst lag es zwar fern, damit das Vorhandensein einer Seele überhaupt zu leugnen. Als man aber nach seinem Tode nicht mehr dem Meister selbst, sondern nur den von ihm überlieferten Worten gegenüberstand, begann die einseitige negative Formulierung seiner Aussagen sich auszuwirken, und man kam schließlich dazu, eine Leugnung der Seele aus ihnen herauszulesen. Dabei handelte es sich aber nicht um ein einfaches Mißverstehen der Worte des Meisters. Diese Entwicklung hatte vielmehr einen tieferen Grund. Das Grundphänomen, von dem die Verkündigung des Buddha ausgeht, ist die Tatsache des Leidens. Alles Irdische ist leidvoll und daher gilt es, den Ausweg aus diesem Leiden, die Erlösung zu suchen. Aber hier mischt sich ein ganz eigener Zug ein, der aller Wahrscheinlichkeit nach auf den Buddha selbst zurückgeht. Das Irdische ist leidvoll, weil es vergänglich ist. Und die Vergänglichkeit ist es vor allem, aus der der Buddha die Tatsache des Leidens ableitet. Bezeichnend ist besonders, wie er es begründet, daß die fünf Gruppen (skandhah) nicht das Ich sind. Er fragt: „Was meint ihr, Mönche, ist die Form ewig oder vergänglich?" „Vergänglich, o
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Die Dogmatik des H l n a y a n a
H e r r . " „ W a s aber vergänglich ist, ist das Leid oder L u s t ? " „Leid, o H e r r . " „ W a s also vergänglich, leidvoll u n d der Veränderung unterworfen ist, k a n n m a n von dem die Ansicht hegen: , „ D a s ist mein, das bin ich, das ist mein Ich' ?" „Nein, o H e r r . " U n d die gleichen Fragen u n d Antworten werden hinsichtlich der übrigen vier Gruppen gestellt u n d gegeben. Die E r k e n n t n i s der Vergänglichkeit alles Irdischen ist also die grundlegende Anschauung, von der der B u d d h a ausgeht, u n d die letzten Endes den Anstoß zur Verkündigung seiner Lehre gegeben h a t . Diese E r k e n n t n i s der Vergänglichkeit, die ursprünglich einem Gefühl u n d einer unmittelbaren Anschauung entsprang, ist n u n , wie es der Verlauf der Entwicklung mit sich zu bringen pflegt, allmählich zu einer systematischen, streng formulierten Lehre ausgestaltet worden. Auf die Einzelheiten dieser Lehre werden wir später noch zurückk o m m e n müssen. Das Wesentliche ist, d a ß kein Ding ewigen Bestand h a t , sondern f r ü h e r oder später vergeht, während ein anderes an seine Stelle t r i t t . J a , die extremen Schulen der S a r v ä s t i v ä d m u n d S a u t r ä n t i k a gehen so weit, zu b e h a u p t e n , d a ß alles nur einen Augenblick besteht u n d d a n n sofort wieder vergeht, so d a ß alle Dinge, welche länger zu bestehen scheinen, in Wirklichkeit n u r eine Reihenfolge solcher Augenblicke sind, die wie im Film aufeinanderfolgen u n d durch ihre Ähnlichkeit den Schein hervorrufen, d a ß es sich u m dasselbe Ding handelt. Dabei ist entscheidend, d a ß es sich u m ein wirkliches E n t s t e h e n u n d Vergehen handelt, nicht u m eine bloße Veränderung. Der Sarvästiväda k e n n t keine Dauer im Wechsel. Es gibt keinen dauernden Träger, a n dem sich alle Veränderungen vollziehen, sondern es gibt nur einen ständigen Wechsel vergänglicher Erscheinungen. Schon der B u d d h a h a t t e scharf betont, d a ß es beim psychischen Geschehen keinen ruhenden Mittelpunkt gibt, sondern nur ständig wechselnde Vorgänge. Diese Anschauung wird n u n systematisch allgemein d u r c h g e f ü h r t . Nach den buddhistischen Systemen der Blütezeit gibt es keine Substanz, sondern nur selbständige, vergängliche Eigenschaften. Alle Dinge, welche uns die E r f a h r u n g zeigt, haben keinen festen Kern, sondern sind nur eine lose Zusammenballung solcher veränderlicher Erscheinungen.
Die philosophischen Hauptlehren des Sarvastivada 65 Somit ergeben sieh n a c h der klassischen Dogmatik des H i n a y ä n a f ü r alle Dinge der Erscheinungswelt zwei wesentliche Bestimmungen, ihre Vergänglichkeit u n d d a m i t eng verbunden, das Fehlen eines festen Kerns, einer Substanz. Das gilt ganz allgemein, besonders aber auch f ü r alle jene F a k t o r e n , aus denen sich die Erscheinungswelt als letzten Ursachen a u f b a u t . Wie alle philosophischen Systeme der klassischen Zeit h a t t e nämlich auch die Dogmatik des H i n a y ä n a , als sie die alte Lehre zum System ausgestaltete, alle diese letzten Bestandteile der Erscheinungswelt zusammengefaßt, gruppenweise geordnet u n d ihre Liste a n die Spitze des Systems gestellt. U n d zwar n a n n t e m a n alle diese F a k t o r e n mit dem allgemeinen Ausdruck, der von alters her im Buddhismus alle Gegenstände des Erkennens bezeichnete, dharmäh, was gewöhnlich mit „ G e g e b e n h e i t e n " oder „Daseinselemente" übersetzt wird. Nach dem bisher Gesagten bildet n u n die Vergänglichkeit dieser Gegebenheiten u n d , d a ß sie leere Erscheinungen ohne festen K e r n sind, eines ihrer wesentlichen Merkmale. U n d in dieser Auffassung aller Gegebenheiten besteht die sogenannte Dharma-Lehre, in der wir zwar nicht den Mittelpunkt, wohl aber einen der charakteristischen Züge der klassischen Dogmatik des H l n a y ä n a - B u d d h i s m u s sehen dürfen. I n diesem großen R a h m e n s t e h t n u n die Lehre der Sarvästivädin, d a ß es keine Seele, kein Ich gibt. Hier ist somit die Lehre des B u d d h a , d a ß die Gruppen (skandhüh) der irdischen Persönlichkeit nicht das Ich sind, aufs strengste d u r c h g e f ü h r t . Sie ist im R a h m e n allgemeiner Anschauungen philosophisch begründet. U n d da der n ü c h t e r n e Realismus der Schule das überirdische Sein, über das der B u d d h a u n d seine ersten J ü n g e r ein ehrfürchtiges Schweigen gebreitet h a t t e n , nicht k e n n t , ist d a r a u s zuletzt die konsequente Leugnung jeder Seele geworden. Das älteste Werk, das die Seelenleugnung ausführlich u n d in voller Klarheit ausspricht, sind die sogenannten F r a g e n des Menandros (Milindapanhä). Den I n h a l t dieses Werkes bildet ein Gespräch zwischen dem griechischen K ö n i g Menandros, der gegen E n d e des 2. J a h r h u n d e r t s v. u. Z. von Öäkala, d e m heutigen Siälköt im P a n j ä b aus vorübergehend ein mächtiges Reich schuf, u n d einem buddhistischen Mönch n a m e n s Nägasena. Das W e r k 5
Frauwallner, Buddhismus
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s t a m m t offenkundig aus der Zeit, wo das Andenken an Menandros noch lebendig war, also vermutlich aus dem 1. J a h r h u n d e r t v. u. Z. Es war in einem nordwestindischen Dialekt geschrieben, wie ursprünglich auch die Schriften des Kanons der Sarvästivädin. Erhalten sind aber nur Übersetzungen ins Päli, die Kirchensprache der ceylonesischen Schule, und ins Chinesische. Mit seiner lebendigen Rahmenerzählung und der geschickten und interessanten Behandlung der aufgeworfenen Fragen gehört das Werk zu den besten Schöpfungen der alten buddhistischen Literatur. Die Erzählung beginnt nach einer vielleicht später angefügten Vorgeschichte mit einer Schilderung der Stadt Säkala und geht d a n n auf den König Menandros (Milinda) über. Menandros ist in philosophischen Fragen sehr erfahren, und geschickt und gewandt in Disputationen. Eines Tages, als er sein Heer gemustert hat und sieht, daß der Tag noch nicht weit vorgeschritten ist, äußert er den Wunsch, sich mit irgendeinem Mönch oder Asketen über philosophische Fragen zu unterreden. Seine Minister bringen ihn zu einem buddhistischen Mönch namens Yuvala (Äyupäla). Aber Yuvala weiß auf die Fragen des Königs nichts zu antworten und Menandros bricht enttäuscht in die Worte aus: „Nichtig f ü r w a h r ist Indien! Leeres Geschwätz f ü r w a h r ist Indien! Es gibt keinen Asketen oder Brahmanen, der imstande wäre, sich mit mir zu unterreden und meine Zweifel zu beseitigen." Da macht der Minister Demetrios (Devamantiya) den König darauf aufmerksam, daß vor kurzem ein angesehener buddhistischer Lehrer namens Nägasena in Öäkala eingetroffen sei, u n d Menandros begibt sich zu ihm. Und Nägasena weiß den Fragen des Königs zu begegnen u n d macht sofort tiefen Eindruck auf ihn.
Aus den „Fragen des Menandros" (Milindapanhä) II, 1, 1; § 36
Darauf begab sich der König Menandros dorthin, wo sich der ehrwürdige Nägasena befand. Nachdem er sich
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dorthin begeben hatte, begrüßte er sich mit dem. ehrwürdigen Nägasena. Und nachdem er begrüßende, freundliche Worte gewechselt hatte, setzte er sich zur Seite nieder und auch der ehrwürdige Nägasena erwiderte den Gruß in einer Weise, daß er den Sinn des Königs Menandros freundlich stimmte. Darauf sprach der König Menandros zum ehrwürdigen Nägasena folgendes: „Unter welchem Namen sind Euer Ehrwürden bekannt? Welchen Namen trägt der Herr?" „Ich bin unter dem Namen Nägasena bekannt, o Großkönig; als Nägasena, o Großkönig, reden mich meine Mitbrüder an. Aber, wenn auch Vater und Mutter Namen geben wie Nägasena, Sürasena, Virasena oder Simhasena, so ist doch, o Großkönig, wenn man von Nägasena spricht, dies nur ein Ausdruck, eine Benennung, eine Bezeichnung, eine Redeweise, ein bloßer Name. Denn eine Persönlichkeit ist hier nicht wahrzunehmen." Darauf sprach der König Menandros folgendermaßen: „Hört mich, ihr fünfhundert Griechen und ihr achtzigtausend Mönche! Dieser Nägasena hier spricht folgendermaßen: ,Eine Persönlichkeit ist hier nicht wahrzunehmen.' Ist es recht, das gut zu heißen?" Darauf sprach der König Menandros zum ehrwürdigen Nägasena folgendes: „Wenn, o Nägasena, eine Persönlichkeit nicht wahrzunehmen ist, wer gibt euch dann die nötige Ausrüstung, Mönchsgewand, Almosenspeise, Sitz und Bett und Heilmittel zur Pflege der Kranken? Wer benützt sie? Wer hält die sittlichen Gebote ? Wer übt die Betrachtung ? Wer verwirklicht den Weg, die Frucht und das Erlöschen (nirvänam) ? Wer tötet ? Wer stiehlt ? Wer treibt Unkeuschheit ? Wer lügt ? Wer trinkt berauschende Getränke ? Wer begeht die fünf Sünden, die unmittelbar die Vergeltung nach sich ziehen ? Es gibt also kein Gutes, es gibt kein Böses, es gibt keinen Täter oder Veranlasser der guten und bösen Werke, es 5«
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gibt keine Frucht oder Reifung der guten und bösen Werke und wenn dich, o Nägasena, jemand tötet, so begeht er damit keinen Mord. Es gibt bei euch, o Nägasena, keinen Meister, keinen Lehrer und keine Aufnahme in den Mönchsorden. Und wenn du sagst: ,Als Nägasena, o Großkönig, reden mich meine Mitbrüder an,' wer ist in diesem Fall Nägasena? . . . Du sprichst also falsch, eine Lüge, wenn du sagst: ,Es gibt keinen Nägasena.' " Darauf sprach der ehrwürdige Nägasena zum König Menandros folgendes: „Du bist, o Großkönig, an fürstlichen Luxus gewöhnt, an überaus großen Luxus gewöhnt. Wenn du daher, o Großkönig, zur Mittagszeit auf dem erhitzten Boden, auf dem heißen Sand einhergehst, indem du auf den rauhen Schotter, Kies und Sand trittst, schmerzen dich die Füße, dein Körper ermüdet, dein Geist wird verdrossen und es regt sich eine von Schmerz begleitete körperliche Empfindung. Bist du also zu Fuß gekommen oder mit einem Fahrzeug?" „Ich gehe nicht zu Fuß, Herr; ich bin in einem Wagen gekommen." „Wenn du also, o Großkönig, in einem Wagen gekommen bist, dann erkläre mir den Wagen. Ist, o Großkönig, die Deichsel der Wagen?" „Nein, Herr." „Ist die Achse der Wagen?" „Nein, Herr." „Sind die Räder der Wagen?" „Nein, Herr." „Ist der Wagenkasten der Wagen?" „Nein, Herr." „Ist die Fahnenstange der Wagen ?" „Nein, Herr." „Ist das Joch der Wagen?" „Nein, Herr." „Sind die Zügel der Wagen?" „Nein, Herr." „Ist der Treibstock der Wagen?" „Nein, Herr." „Sind also, o Großkönig, Deichsel, Achse, Räder, Wagenkasten, Fahnenstange, Joch, Zügel und Treibstock der Wagen?" „Nein, Herr." „Es ist also, o Großkönig, der Wagen außerhalb von Deichsel, Achse, Rädern, Wagenkasten, Fahnenstange, Joch, Zügeln und Treibstock?" „Nein, Herr." „Wie ich dich also, o Großkönig, auch frage und frage, ich sehe
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keinen Wagen. Was ist also hier der Wagen ? Du sprichst also falsch, o Großkönig, eine Lüge. Du bist doch, o Großkönig, der erste König in ganz Indien, vor wem fürchtest du dich, daß du eine Lüge sagst? Hört mich denn, ihr fünfhundert Griechen und ihr achtzigtausend Mönche! Dieser König Menandros hier spricht folgendermaßen: ,Ich bin in einem Wagen gekommen.' Und auf meine Aufforderung: ,Wenn du, o Großkönig, in einem Wagen gekommen bist, dann erkläre mir den Wagen,' bringt er keinen Wagen zustande. Ist es wohl recht, das gut zu heißen?" Auf diese Worte riefen die fünfhundert Griechen dem ehrwürdigen Nägasena Beifall und sprachen zum König Menandros folgendes: „Nun rede, o Großkönig, wenn du kannst!" Darauf sprach der König Menandros zum ehrwürdigen Nägasena folgendes: „Ich spreche keine Lüge, o Nägasena. Gestützt auf Deichsel, Achse, Räder, Wagenkasten und Fahnenstange wird der Ausdruck, die Benennung, die Bezeichnung, die Redeweise, der Name ,Wagen' gebraucht." „Trefflich, o Großkönig, verstehst du den Wagen. Ebenso, o Großkönig, wird nun auch bei mir gestützt auf Haupthaar, Körperhaare, Nägel, Zähne, Haut, Fleisch, Sehnen, Knochen, Mark, Nieren, Herz, Leber, Brustfell, Milz, Lungen, Eingeweide, Gedärme, Magen, Kot, Galle, Schleim, Eiter, Blut, Schweiß, Fett, Tränen, Lymphe, Speichel, Nasenschleim, Gelenköl, Harn, das Gehirn im Kopf, auf Körperlichkeit, Empfindung, Bewußtsein, Gestaltungen (samskäräh) und Erkennen der Ausdruck, die Benennung, die Bezeichnung, die Redeweise, der bloße Name ,Nägasena' gebraucht. In Wirklichkeit aber ist hier eine Persönlichkeit nicht wahrzunehmen. Dies hat auch, o Großkönig, die Nonne Vajrä in Gegenwart des Erhabenen ausgesprochen mit den Worten: ,So wie man, wenn die Bestandteile (eines
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Wagens) zusammengefügt sind, das Wort Wagen verwendet, so spricht man im gewöhnlichen Leben, wenn die Gruppen (skandhäh) vorhanden sind, von einem Wesen". „Wunderbar ist es, o Nägasena! Erstaunlich ist es, o Nägasena! Glänzende Antworten hast Du auf meine Fragen gegeben. Wenn der Buddha hier wäre, würde er dir Beifall spenden. Trefflich, trefflich, Nägasena. Glänzende Antworten hast du auf meine Fragen gegeben." Darauf fragt der König Nägasena, ob er zu einer ausführlichen Unterredung bereit wäre, und als Nägasena zustimmt, lädt er ihn zu sich in seinen Palast ein. Nägasena kommt und es entwickelt sich ein langes Gespräch, in dessen Verlauf die verschiedensten Punkte der buddhistischen Lehre zur Sprache kommen, darunter auch wieder die Frage der Seelenleugnung. Diese Lehre zeigt hier bereits ihre vollentwickelte Gestalt. Es gibt keine ewige Seele. Was als irdische Persönlichkeit erscheint, das ist nur Name und Form, d. h. die fünf Gruppen (skandhäh), welche beständig vergehen und neu entstehen. Daraus ergeben sich eine Reihe von Fragen, vor allem, wieso man die ständig wechselnden Gruppen für die gleiche Persönlichkeit ansehen kann und wie unter diesen Umständen die Verantwortlichkeit für gute und böse Werke und ihre Vergeltung möglich ist. Nägasena beantwortet diese Fragen durch eine Anzahl geistvoller Gleichnisse. Schließlich wird der Strom der ständig wechselnden Gruppen auch mit dem Lehrsatz vom Abhängigen Entstehen in Verbindung gebracht, der das Gesetz ist, welches diesen ewigen Wechsel beherrscht. II, 2, l; § 55
Der König sprach: „Nägasena, ist der, welcher (wieder) geboren wird, derselbe oder ein anderer?" Der Älteste sprach: „Es ist weder derselbe noch ein anderer." „Gib ein Beispiel." „Was meinst du, o Großkönig, bist du jetzt, wo du groß bist, derselbe wie damals, als du ein kleiner zarter Knabe warst, töricht und auf dem Rücken liegend ?" „Nein, Herr, ein anderer war der kleine zarte Knabe,
Die philosophischen Hauptlehren des Sarvastivada 71 töricht und auf dem Rücken liegend, und ein anderer bin ich jetzt, wo ich erwachsen bin." „Wenn das so ist, o Großkönig, dann gibt es keine Mutter, keinen Vater, keinen Lehrer, keinen Handwerkskundigen, keinen Tugendhaften und keinen Weisen. Oder ist nicht die Mutter des Flöckchens 1 eine andere als die Mutter des Bläschens 1 , diese eine andere als die Mutter des Kügelchens 1 , diese eine andere als die Mutter des Klümpchens 1 , diese eine andere als die Mutter des kleinen Kindes und diese eine andere als die Mutter des Erwachsenen? Ist nicht der, welcher ein Handwerk lernt, ein anderer als der, welcher es erlernt hat? Und ist nicht der, welcher eine Übeltat vollbringt, ein anderer als der, dem Hand und Fuß abgehauen werden?" „Nein, Herr. Aber was würdest du sagen, o Herr, wenn man dich so fragt?" Der Älteste sprach: „Ich, o Großkönig, war der kleine, zarte Knabe, töricht und auf dem Rücken liegend, und ich bin jetzt der Erwachsene. Auf diesen selben Körper gestützt sind alle diese (Entwicklungsstufen) zur Einheit zusammengefaßt." „Gib ein Beispiel." „Wenn z. B., o Großkönig, irgendein Mann ein Licht anzünden würde, würde dieses die ganze Nacht brennen?" „Gewiß, Herr, es würde die ganze Nacht brennen." „Ist nun, o Großkönig, die Flamme während der ersten Nachtwache dieselbe wie während der mittleren Nachtwache?" „Nein, Herr." „Und ist die Flamme während der mittleren Nachtwache dieselbe wie während der letzten Nachtwache?" „Nein, Herr." „War also, o Großkönig, das Licht während der ersten Nachtwache ein anderes als während der mittleren Nachtwache und dieses ein anderes als während der letzten Nachtwache ?" „Nein, Herr; denn es hat auf dasselbe gestützt die ganze Nacht gebrannt." „Ebenso, o Großkönig, setzt sich der Strom der Gegeben1
Verschiedene Entwicklungsstufen des Embryo.
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heiten fort. Ein anderer ist es, der entsteht als der, welcher vergeht. Ohne Früher oder Später gleichsam setzt er sich fort. Daher ist er weder derselbe noch ein anderer, der zur letzten Zusammenfassung des Erkennens gelangt." „Gib noch ein Beispiel." „Wenn sich z. B., o Großkönig, frisch gemolkene Milch im Lauf der Zeit in Setzmilch verwandeln würde, aus Setzmilch in frische Butter und aus frischer Butter in Schmelzbutter, wenn nun, o Großkönig, jemand so sprechen würde: ,Die frische Milch ist dasselbe wie die Setzmilch, dasselbe wie die frische Butter und dasselbe wie die Schmelzbutter,' würde der, o Großkönig, wenn er so spricht, richtig sprechen?" „Nein, Herr. Auf dasselbe gestützt ist sie dazu geworden." „Ebenso, o Großkönig, setzt sich der Strom der Gegebenheiten fort. Ein anderer ist es, der entsteht, als der, welcher vergeht. Ohne Früher oder Später gleichsam setzt er sich fort. Daher ist er weder derselbe noch ein anderer, der zur letzten Zusammenfassung des Erkennens gelangt." ,,Du hast recht, Nägasena" . . . II, 2, 6; § 60
Der König sprach: „Nägasena, wer wird wiedergeboren?" Der Älteste sprach: „Name und Form, o Großkönig, wird wiedergeboren." „Ist es derselbe Name und dieselbe Form, die wiedergeboren werden?" „Nein, o Großkönig, es ist nicht derselbe Name und dieselbe Form, die wiedergeboren werden. Doch vollbringt man, o Großkönig, mit diesem Namen und dieser Form gute oder böse Werke und durch diese Werke wird ein anderer Name und eine andere Form wiedergeboren." „Wenn es, o Herr, nicht derselbe Name und dieselbe Form sind, welche wiedergeboren werden, ist man dann nicht von den bösen Werken befreit?" Der Älteste sprach: „Wenn man nicht wiedergeboren würde, dann wäre man von den
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bösen Werken befreit. Da man aber, o Großkönig, wiedergeboren wird, darum ist man von den bösen Werken nicht befreit." „Gib ein Beispiel." „Wenn z. B., o Großkönig, irgendein Mann einem andern Mann Mangofrüchte stehlen würde, und der Eigentümer der Mangofrüchte würde ihn ergreifen und dem König vorführen: ,Majestät, dieser Mann hat mir Mangofrüchte gestohlen', und er würde folgendermaßen sprechen: .Majestät, ich habe die Mangofrüchte dieses Mannes nicht gestohlen; denn die Mangofrüchte, die er gepflanzt hat, sind andere als die Mangofrüchte, die ich genommen habe; ich verdiene also keine Strafe,' würde dieser Mann, o Großkönig, wohl Strafe verdienen?" „Gewiß, Herr, er würde Strafe verdienen." „Aus welchem Grund ?" „Mager auchso sprechen, der Mann würde, o Herr, unbeschadet der ersten Mangofrucht, wegen der letzten Mangofrucht Strafe verdienen." „Ebenso, o Großkönig, vollbringt man mit diesem Namen und dieser Form gute oder böse Werke, und durch diese Werke wird ein anderer Name und eine andere Form wiedergeboren. Und darum ist man von den bösen Werken nicht befreit." . . . „Gib noch ein Beispiel." „Wenn z. B., o Großkönig, irgendein Mann mit einem Licht zur Dachkammer hinaufsteigen und dort essen würde, und das brennende Licht würde das Stroh in Brand setzen, das brennende Stroh würde das Haus in Brand setzen, und das brennende Haus würde das Dorf in Brand setzen, und die Dorfleute würden diesen Mann ergreifen und folgendermaßen sprechen: ,Warum steckst du, Mensch, das Dorf in Brand?' und er würde folgendermaßen sprechen: ,Ich habe das Dorf nicht in Brand gesteckt. Das Feuer des Lichtes, bei dessen Schein ich gegessen habe, war ein anderes als das Feuer, von dem das Dorf in Brand gesteckt wurde,' und die streitenden Parteien würden zu dir kommen, wem, o Großkönig würdest du
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Die Dogmatik des Hinayana
Recht geben?" „Den Dorfleuten, Herr." „Warum?" „Mag jener auch so sprechen, so ist doch dieses Feuer aus jenem hervorgegangen." „Ebenso, o Großkönig, mögen zwar Name und Form, welche beim Tod ihr Ende finden, andere sein als Name und Form bei der Geburt, doch sind diese aus jenen hervorgegangen. Und darum ist man von den bösen Werken nicht befreit." . . . „Du hast recht, Nägasena." . . . II, 2, 8; § 62
Der König sprach: „Nägasena, du hast von Namen und Form gesprochen. Was ist dabei der Name und was ist die Form?" „Das Grobstoffliche, o Großkönig, ist dabei die Form, das Feine, Geist und geistige Gegebenheiten, ist dabei der Name." „Aus welchem Grund, Nägasena, wird nicht der Name oder die Form allein wiedergeboren ?" „Diese Gegebenheiten, o Großkönig, sind aufeinander gestützt, daher entstehen sie nur als Einheit." „Gib ein Beispiel." „Wenn z. B., o Großkönig, aus einer Henne nicht das Eidotter entstehen würde, dann würde auch die Eischale nicht entstehen, denn Eidotter und Eischale sind beide aufeinander gestützt und daher findet ihr Entstehen nur als Einheit statt. Ebenso, o Großkönig, würde, wenn der Name nicht entsteht, auch die Form nicht entstehen, denn Name und Form sind beide aufeinander gestützt und daher findet ihr Entstehen nur als Einheit statt. So ist dies seit langer Zeit zustande gebracht." „Du hast recht, Nägasena." II, 2, 9; § 63
Der König sprach: „Nägasena, du hast von langer Zeit gesprochen. Was ist es, was man Zeit nennt?" „Die vergangene Zeit, o Großkönig, die zukünftige Zeit und die gegenwärtige Zeit." . . .
Die philosophischen Hauptlehren des Sarvastivada 75 II, s, 1; § 64
Der König sprach: „Nägasena, was ist die Wurzel der vergangenen Zeit, was ist die Wurzel der zukünftigen Zeit und was ist die Wurzel der gegenwärtigen Zeit?" „Die Wurzel der vergangenen Zeit, o Großkönig, der zukünftigen Zeit und der gegenwärtigen Zeit ist das Nichtwissen, abhängig vom Nichtwissen entstehen die Willensregungen, abhängig von den Willensregungen das Erkennen, abhängig vom Erkennen Name und Form, abhängig von Namen und Form der sechsfache Bereich, abhängig vom sechsfachen Bereich die Berührung, abhängig von der Berührung die Empfindung, abhängig von der Empfindung der Durst, abhängig vom Durst das Ergreifen, abhängig vom Ergreifen das Werden, abhängig vom Werden die Geburt, abhängig von der Geburt Alter und Tod, Schmerz und Klagen, Leid, Betrübnis und Verzweiflung. So ist ein früherer Endpunkt dieser ganzen Zeit nicht wahrzunehmen." „Du hat recht, Nägasena." II, 3, 2; § 65
Der König sprach: „Nägasena, du hast gesagt: ,Ein früherer Endpunkt ist nicht wahrzunehmen.' Gib dafür ein Beispiel." „Wenn z. B., o Großkönig, ein Mann einen kleinen Samen in die Erde streut, und es kommt daraus ein Keim hervor, gelangt der Reihe nach zu Wachstum, Gedeihen und Größe und trägt Frucht, und er nimmt darauf wieder den Samen und sät ihn, und es kommt daraus ein Keim hervor, gelangt der Reihe nach zu Wachstum, Gedeihen und Größe und trägt Frucht, gibt es da ein Ende dieser Reihe?" „Nein, Herr." „Ebenso, o Großkönig, ist auch bei der Zeit ein früherer Endpunkt nicht wahrzunehmen." „Gib noch ein Beispiel." „Wenn z. B , o Großkönig, aus der Henne das Ei, aus dem Ei
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Die Dogmatik des Hlnayana
die Henne und wieder aus der Henne das Ei entsteht, gibt es da ein Ende dieser Reihe ?" „Nein, Herr." „Ebenso, o Großkönig, ist auch bei der Zeit ein früherer Endpunkt nicht wahrzunehmen." Wir k o m m e n n u n m e h r zur Darstellung der F o r m , welche die Lehre vom Nichtvorhandensein einer Seele im vollentwickelten System der Sarvästivädin erhalten h a t . Wir übergehen dabei die älteren Vertreter der Schule u n d wenden uns sofort dem Manne zu, der dem System die endgültige u n d abschließende F o r m gegeben h a t . E s ist dies Vasubandhu, den ich zum Unterschied von dem Mahäyänalehrer Vasubandhu, dem Bruder Asangas, V a s u b a n d h u den J ü n g e r e n nenne.
Vasubandhu der Jüngere (um 400—480 n. u. Z.)
V a s u b a n d h u der J ü n g e r e wurde u m das J a h r 400 n. u. Z. geboren. Über seine H e r k u n f t sind wir nicht unterrichtet. Sein Lehrer war ein gewisser ziemlich unbedeutender Budd h a m i t r a . V a s u b a n d h u selbst errang f r ü h großes Ansehen. E r erfreute sich der Gunst der Gupta-Herrscher Skandag u p t a Vikramäditya (um 455 — 467) u n d N a r a s i m h a g u p t a Bäläditya (um 467 — 473), welche ihn a n ihren Hof n a c h Ayodhyä beriefen, u n d s t a r b schließlich hochbetagt in Ayodhyä im Alter von achtzig J a h r e n . V a s u b a n d h u wurde zuerst durch die erfolgreiche Bek ä m p f u n g Vmdhyaväsins b e k a n n t , des b e r ü h m t e s t e n Sämkhya-Lehrers seiner Zeit. Seine größte Leistung ist aber die Abfassung des Abhidharmakosah („Schatzk a m m e r der Dogmatik"), in dem er der Dogmatik des Sarv ä s t i v ä d a die endgültige F o r m gab. I n diesem Werk ist das gesamte System der Schule mit unübertrefflicher Genauigkeit u n d Übersichtlichkeit in k n a p p sechshundert Strophen zusammengefaßt. Trotzdem jedoch V a s u b a n d h u der Schule der Sarvästivädin die klassische Darstellung ihrer Dogmatik gab, ist er selbst kein strenger Anhänger der Schule. E r neigt vielmehr s t a r k zur R i c h t u n g der S a u t r ä n t i k a , was
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die Henne und wieder aus der Henne das Ei entsteht, gibt es da ein Ende dieser Reihe ?" „Nein, Herr." „Ebenso, o Großkönig, ist auch bei der Zeit ein früherer Endpunkt nicht wahrzunehmen." Wir k o m m e n n u n m e h r zur Darstellung der F o r m , welche die Lehre vom Nichtvorhandensein einer Seele im vollentwickelten System der Sarvästivädin erhalten h a t . Wir übergehen dabei die älteren Vertreter der Schule u n d wenden uns sofort dem Manne zu, der dem System die endgültige u n d abschließende F o r m gegeben h a t . E s ist dies Vasubandhu, den ich zum Unterschied von dem Mahäyänalehrer Vasubandhu, dem Bruder Asangas, V a s u b a n d h u den J ü n g e r e n nenne.
Vasubandhu der Jüngere (um 400—480 n. u. Z.)
V a s u b a n d h u der J ü n g e r e wurde u m das J a h r 400 n. u. Z. geboren. Über seine H e r k u n f t sind wir nicht unterrichtet. Sein Lehrer war ein gewisser ziemlich unbedeutender Budd h a m i t r a . V a s u b a n d h u selbst errang f r ü h großes Ansehen. E r erfreute sich der Gunst der Gupta-Herrscher Skandag u p t a Vikramäditya (um 455 — 467) u n d N a r a s i m h a g u p t a Bäläditya (um 467 — 473), welche ihn a n ihren Hof n a c h Ayodhyä beriefen, u n d s t a r b schließlich hochbetagt in Ayodhyä im Alter von achtzig J a h r e n . V a s u b a n d h u wurde zuerst durch die erfolgreiche Bek ä m p f u n g Vmdhyaväsins b e k a n n t , des b e r ü h m t e s t e n Sämkhya-Lehrers seiner Zeit. Seine größte Leistung ist aber die Abfassung des Abhidharmakosah („Schatzk a m m e r der Dogmatik"), in dem er der Dogmatik des Sarv ä s t i v ä d a die endgültige F o r m gab. I n diesem Werk ist das gesamte System der Schule mit unübertrefflicher Genauigkeit u n d Übersichtlichkeit in k n a p p sechshundert Strophen zusammengefaßt. Trotzdem jedoch V a s u b a n d h u der Schule der Sarvästivädin die klassische Darstellung ihrer Dogmatik gab, ist er selbst kein strenger Anhänger der Schule. E r neigt vielmehr s t a r k zur R i c h t u n g der S a u t r ä n t i k a , was
V a s u b a n d h u der J ü n g e r e
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in seinem eigenen K o m m e n t a r zum Abhidharmakosah deutlieh zum Ausdruck k o m m t . V a s u b a n d h u ist der große Systematiker des Buddhismus. Über seine B e d e u t u n g als Philosoph läßt sich vorläufig schwer urteilen, d a die Umgebung, in der er steht, noch zu wenig b e k a n n t ist. Eines darf m a n außerdem nicht vergessen, wenn m a n ihn richtig beurteilen will; er gehört der Spätzeit der Schule an. Die Grundlagen der Lehre, die er darstellt, sind altertümlich. Die Ausgestaltung, die er ihr gibt, ist dagegen jung, u n d zwar jünger als die großen Meister des Mahäyäna N ä g ä r j u n a u n d Asanga. Wer das a u s den Augen läßt, wird leicht zu schiefen Urteilen kommen. Der folgende Abschnitt, der vom Nichtvorhandensein der Seele handelt, s t a m m t aus d e m d r i t t e n Buch des Abhidharmakosah. I n diesem wird der W e l t b a u und* das Schicksal der Wesen im Wesenskreislauf dargestellt. Dabei wird die F r a g e aufgeworfen, was es ist, was im Wesenskreislauf wandert. Die Antwort l a u t e t : Keine Seele, sondern bloß die f ü n f Gruppen (skandhäh). Wie diese Gruppen in u n u n t e r b r o c h e n e m Strom bis zur Erlösung von einem Dasein ins andere übergehen, ist im Lehrsatz vom abhängigen E n t s t e h e n niedergelegt, der im Anschluß d a r a n ausführlich besprochen u n d erklärt wird. I m einzelnen ist der wiedergegebene Abschnitt n a c h dem bisher Gesagten verständlich u n d bedarf keiner weiteren E r l ä u t e r u n g e n . Es gibt keine Seele (Abhidharmakosah
I I I , v.
18—24)
Dazu sagen die Nichtbuddhisten, welche an ein Selbst (ätmä) glauben: „Wenn ihr ein Wesen (sattvam) gelten laßt, das in die andere Welt wandert, dann ist das Selbst, welches wir annehmen, erwiesen." U m das zurückzuweisen, sagt der Verfasser: v. 18
Es gibt kein Selbst. Wie ist das Selbst, welches ihr annehmt, beschaffen? Eine im Innern wirkende Person, welche diese Gruppen
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ablegt und andere Gruppen annimmt, gibt es nämlich sicher nicht, weil sie nicht wie Form, Auge usw. wahrgenommen werden kann. Außerdem hat der Erhabene gesagt: „Es gibt die Werke und es gibt ihre Reifung, aber ein Täter ist nicht wahrzunehmen, der diese Gruppen ablegt und andere Gruppen annimmt, außer dem Gesetz der Gegebenheiten (dharmasamketah). Dieses Gesetz der Gegebenheiten aber lautet: Wenn dieses ist, wird jenes; infolge der Entstehung von diesem, entsteht jenes (es folgt die vollständige Ursachenkette)." (Gegner:) Welcher Art ist das Selbst, das ihr nicht ablehnt? (Antwort:) .Die bloßen Gruppen . . . Wenn man mit dem Namen Selbst die bloßen Gruppen bezeichnet, so lehnen wir das nicht ab. (Gegner:) Soll man annehmen, daß die Gruppen aus dieser Welt in die andere Welt wandern? (Antwort:) Die Gruppen vergehen jeden Augenblick. Sie sind daher nicht imstande, sich fortzubewegen. (Jedoch) . . . gehen (sie), durch die Werke und Laster beeinflußt, durch den Strom des Zwischendaseins (antaräbkavasamtatih) in den Mutterschoß ein; wie ein Licht. 1 Wie bei einem Licht, obwohl es jeden Augenblick vergeht, der Strom (der Augenblicke) imstande ist, sich an einen andern Ort zu begeben, ebenso verhält es sich mit den Gruppen. Daher ist es kein Fehler, wenn man von Wandern spricht. Es ist also erwiesen, daß, obwohl es kein Selbst gibt, der Strom der Gruppen unter dem Einfluß der Laster und Werke in den Mutterschoß eingeht. V. 19
Dem Anstoß entsprechend wächst der Strom (der Gruppen) der Reihe nach und geht unter dem Ein1
D i e Schule der S a r v ä s t i v ä d i n n i m m t z w i s c h e n z w e i G e b u r t e n ein Z w i s c h e n -
dasein
an.
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fluß der Laster und Werke wieder in die andere Welt (d. h. in das nächste Dasein) ein Die (durch die Werke) veranlaßten Ströme von Gruppen sind nicht alle der langen oder kurzen Dauer nach gleich, weil die Werke, welche die Lebensdauer veranlassen, verschieden sind. Entsprechend der großen oder geringen Kraft der veranlassenden Werke wachsen sie dann in der Folgezeit der Reihe nach heran. Was heißt der Reihe nach? So wie es in der heiligen Schrift heißt: „Zuerst entsteht das Flöckchen, dann das Bläschen, aus diesem entwickelt sich das Kügelchen und aus dem Kügelchen das Klümpchen. Dann entwickeln sich die Gliedmaßen und darauf nacheinander Haupt- und Körperhaare, Nägel, die materiellen Sinnesorgane und ihre Träger." Im Mutterleib gibt es nämlich fünf verschiedene Entwicklungsstufen, erstens das Flöckchen, zweitens das Bläschen, drittens das Kügelchen, viertens das Klümpchen, fünftens den Körper mit den Gliedmaßen. Dann wächst der Embryo im Mutterschoß allmählich heran bis zu der Entwicklungsstufe, auf der die materiellen Sinnesorgane und ihre Träger vollständig entwickelt sind. Nun dreht sich der Embryo im Mutterleib durch den Druck der Winde, welche durch die Reifung der Werke entstehen, und gelangt zum Tor der Geburt. 1 Manchmal stirbt er entweder durch ungeeignete Nahrungsweise seiner Mutter oder durch seine eigenen früheren bösen Werke im Mutterleib. Dann führen erfahrene Frauen ihre mit kleinen scharfen Messern versehenen Hände in den Mutterleib ein, schneiden Glied für Glied ab und ziehen sie heraus. Oder die Geburt ist ohne Schwierigkeit. Dann nehmen ihn die Mutter und andere Frauen, waschen und 1 Die folgenden Sätze, in denen nach buddhistischer Art die Unreinheit des Mutterschoßes und die Qual der Geburt in grellen Farben geschildert wird, sind gekürzt.
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trocknen ihn. Sie geben ihm Butter in den Mund, tränken ihn mit Muttermilch, und allmählich gewöhnt er sich, feine und grobe, flüssige und feste Nahrung zu sich zu nehmen. Dann wächst er heran bis zum Zustand der Reife seiner Sinne. Wieder entstehen die Laster und häufen sich die Werke. Darauf verfällt der Körper. Wieder entsteht wie früher der Strom (der Gruppen) des Zwischendaseins und neuerlich geht er in die andere Welt ein. Auf diese Weise sind die Laster und Werke die Ursache der Geburt. Die Geburt ist wieder die Ursache des Zustandekommens der Laster und Werke. Und aus diesen Lastern und Werken entsteht neuerlich die Geburt. Daher ist der Kreis des Werdens ohne Anfang. Wenn man annimmt, daß es einen Anfang gibt, dann muß der Anfang ohne Ursache sein. Wenn aber der Anfang ohne Ursache ist, dann muß auch alles andere von selbst entstehen. Nun sieht man aber aus der Bindung an Ort und Zeit 1 , daß Keime usw. aus Samen usw. als Ursache entstehen. Ebenso entsteht durch Feuer usw. die Veränderung durch Hitze (päkajam) usw. Daher ist es gewiß nicht der Fall, daß die Gegebenheiten ohne Ursache Zustandekommen. Die Lehre von einer ewigen Ursache (Gott usw.) ist überdies bereits früher zurückgewiesen worden. Infolgedessen ist Geburt und Tod sicherlich ohne Anfang. Dagegen gibt es wohl ein Ende infolge des Schwindens der Ursachen, da die Geburt auf Ursachen beruht. Wenn also die Ursachen wegfallen, muß notwendigerweise auch die Geburt als Wirkung ein Ende nehmen. Der Satz besteht unbedingt zu Recht. 1 Wenn sie ohne Ursachen wären, würden sie überall und zu jeder Zeit entstehen.
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So wie, wenn der Same zugrunde geht, notwendigerweise auch der Keim nicht entsteht. Der Strom der Gruppen, von dem wir sprechen, verteilt sich auf drei Geburten. v. 20
Dies ist das abhängige Entstehen, das aus zwölf Gliedern und drei Teilen besteht, je zwei am Anfang und am Ende und acht in der Mitte, und zwar bei der vollständigen (Person). Die zwölf Glieder sind: 1. das Nichtwissen, 2. die Willensregungen, 3. das Erkennen, 4. Name und Form, 5. der sechsfache Bereich, 6. die Berührung, 7. die Empfindung, 8. der Durst, 9. das Ergreifen, 10. das Werden, 11. die Geburt, 12. Alter und Tod. Die genannten drei Teile sind: 1. der Anfang, 2. das Ende, und 3. die Mitte; und das sind drei Geburten, nämlich die vergangene, die zukünftige und die gegenwärtige. Wie ist es gemeint, daß die zwölf Glieder sich auf die drei Teile verteilen? Auf den Anfang und das Ende entfallen je zwei Glieder und auf die Mitte acht; somit ergeben sich zwölf. Nichtwissen und Willensregungen gehören dem Anfang an, Geburt, Alter und Tod dem Ende, und die übrigen acht der Mitte. (Frage:) Sind die acht Glieder der Mitte bei jedem Wesen in einer einzigen Geburt alle vollzählig vorhanden oder nicht? (Antwort:) Sie sind nicht alle vorhanden. Warum wurde dann gesagt, daß es acht Glieder sind? Im Hinblick auf die vollständige (Person). Damit ist gemeint: Wenn eine Person (pudgalah) alle Entwicklungsstufen durchläuft, dann heißt sie vollständig, nicht wenn sie dazwischen vorzeitig stirbt, oder in der Sphäre des Materiellen oder Nichtmateriellen. Denn das große Sütram von den Grundlagen des Entstehens (oben S. 30) lehrt nur im Hinblick auf die Person in der Sphäre der 0
Frauwallner, Buddhismus
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Begierde, daß alle (Glieder) vorhanden sind. Es heißt dort (S. 38): „Der Buddha sprach zu Änanda: ,Wenn das Erkennen nicht in den Mutterschoß einginge, . . . usw. bis . . . würde dann (Name und Form) zu Wachstum, Gedeihen und zur vollen Größe gelangen oder nicht?' .„Nein, o H e r r . ' " Gelegentlich sagt man auch, daß das abhängige Entstehen nur aus zwei Teilen besteht. Der erste umfaßt den Anfang, der zweite das Ende. Der Anfang umfaßt die ersten sieben Glieder, nämlich Nichtwissen bis Empfindung. Das Ende umfaßt die letzten fünf Glieder, vom Durst bis Alter und Tod. Dabei umfassen nämlich beide Teile Anfang und Ende mit ihrer Wirkung bzw. ihrer Ursache. 1 Welcher Art ist das Wesen dieser Glieder des Nichtwissens usw. ? v. 21
Das Nichtwissen ist der Zustand 2 der früheren Laster. Nichtwissen nennt man zusammenfassend den Zustand sämtlicher Laster in der früheren Geburt bis zum Reifen der gegenwärtigen Frucht, weil sie beständig mit dem Nichtwissen zusammen auftreten, da sie unter dem Einfluß des Nichtwissens in Erscheinung treten. So wie, wenn man vom Kommen des Königs spricht, damit keineswegs gesagt ist, daß das Gefolge nicht kommt. Man sagt nur, weil der König den Vorrang hat, zusammenfassend: Der König kommt. Die Willensregungen sind der Zustand der früheren Werke. 1 D. h. zum Anfang sind die Glieder gezogen, welche seine Wirkung in der nächsten Geburt darstellen, und zum Ende diejenigen, welche seine Ursache in der vorhergehenden Geburt bilden. 1 Das Wort „ Z u s t a n d " wird hinzugefügt, weil immer gedacht ist, daß die fünf Gruppen in diesem oder jenem Zustand das jeweilige Glied des abhängigen Entstehens ausmachen.
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Willensregungen nennt man zusammenfassend den Zustand der guten usw. Werke in der früheren Geburt bis zum Reifen der gegenwärtigen Frucht . . . Die Gruppen zur Zeit der Wiedergeburt (pratisamdhih) sind das Erkennen. Erkennen nennt man die fünf Gruppen im Zustand des einen Augenblicks der Wiedergeburt im Mutterleib. (Sie sind) Name und Form anschließend daran (v. 22) vor dem Entstehen des sechsfachen Bereiches. Name und Form nennt man zusammenfassend die Zustände in der Zeit nach der Wiedergeburt des Erkennens und vor der Entstehung der sechs Bereiche. Dabei sollte es eigentlich heißen „vor der Entstehung der vier Bereiche". 1 Man spricht aber von sechsen im Hinblick darauf, d a ß sie sich nunmehr in vollständigem Zustand darstellen. Dieses vor dem Zusammentreffen der Dreiheit. Der Zustand, in dem das Auge usw. entstanden ist, Sinnesorgan, Objekt und Erkennen aber noch nicht zusammengetroffen sind, erhält den Namen sechsfacher Bereich. Die Berührung, bevor sich die Fähigkeit einstellt, die Ursachen von Lust, Leid usw. zu erkennen. Berührung nennt man zusammenfassend den Zustand, in dem das Zusammentreffen der Dreiheit eingetreten ist, in dem aber die verschiedenen Ursachen der dreifachen Empfindung noch nicht erkannt werden. v. 23
Die Empfindung vor der Paarung. Der Zustand, in dem man die verschiedenen Ursachen der dreifachen Empfindung erkannt hat, in dem aber 1
Weil das Denken und der Körper, u n d damit auch das Tastorgan, schon
vom Augenblick der Wiedergeburt an bestehen. 6*
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die Begierde nach der geschlechtlichen Vereinigung noch nicht auftritt, diesen Zustand nennt man Empfindung. Der Durst bei dem, der nach den Sinnesgenüssen und der Paarung begehrt. Der Zustand, in dem die Begierde nach den Sinnesgenüssen zusammen mit dem Durst nach der Paarung auftritt, in dem man aber noch nicht danach strebt, diesen Zustand nennt man Durst. Das Ergreifen bei dem, der sich um die Erlangung der Sinnesgenüsse bemüht. Wenn man sich bemüht und überall herumläuft, um die verschiedenen Objekte der Sinnesgenüsse zu erlangen, so nennt man diesen Zustand Ergreifen. v. 24
Wenn man Werke vollbringt, die in der zukünftigen Geburt ihre Frucht tragen, so ist dies das Werden. Wenn man infolge dieses Bemühens Werke anhäuft, die in der zukünftigen Geburt eine Frucht herbeiführen, so nennt man diesen Zustand Werden. Die neuerliche Wiedergeburt (pratisamdhih) ist die Geburt. Wenn man durch die Kraft dieser Werke nach dem Dahinscheiden aus diesem Leben zu einem neuen Dasein wiedergeboren wird, so nennt man diesen Zustand Geburt. Das zukünftige Glied der Geburt entspricht also dem gegenwärtigen Erkennen. Alter und Tod reichen bis zur Empfindung. Alter und Tod nennt man zusammenfassend den Zustand des allmählichen Heranwachsens nach dem Augenblick der Geburt bis zur zukünftigen Empfindung. Alter und Tod entsprechen also im gegenwärtigen Dasein den vier Gliedern, Namen und Form, dem sechsfachen Be-
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reich, der Berührung und der Empfindung. Das ist die Erläuterung des Wesens der zwölf Glieder. E s folgen weitere ausführliche E r l ä u t e r u n g e n des a b h ä n gigen Entstehens. D a n n geht der T e x t auf a n d e r e Gegens t ä n d e über. I n der Schule des Sarvästiväda h a t die Seelenleugnung ihre schroffste Ausprägung erhalten. Daneben h a b e n sich natürlich auch alle übrigen buddhistischen Schulen mit der Frage beschäftigt u n d sind zu den verschiedensten Lösungen gelangt. I m schärfsten Gegensatz zu den Sarvästivädin steht dabei die südliche Nachbarschule der VätsiputriyaS ä m m a t i y a , welche sogar so weit ging, das Vorhandensein einer Person (pudgalah) zu b e h a u p t e n , wobei sie sich auf Texte wie das oben (S. 2S) wiedergegebene S ü t r a m v o m Lastträger stützte. Nach der Lehre der S ä m m a t i y a gibt es nämlich neben den drei Arten von verursachten (samskrtah) u n d den nichtverursachten (asamskrtah) Dingen als f ü n f t e s das U n a u s d r ü c k b a r e (avaktavyam), nämlich die Person. Diese Person ist weder dasselbe wie die Gruppen, noch ist sie von ihnen verschieden, sie ist weder ewig noch nichtewig, also u n a u s d r ü c k b a r . Über die Lehren der S ä m m a t i y a sind wir durch ein eigenes Werk unterrichtet, das sich in chinesischer Übersetzung erhalten h a t , das S ä m m a t l y a n i k ä y a ^ ä s t r a m („Lehrbuch der Sämmatlya-Schule"), in dem hauptsächlich die Lehre von der Person behandelt wird. Ferner verfügen wir über die Polemik Vasubandhus. V a s u b a n d h u h a t nämlich anschließend a n den Abhidharmako^ah ein kleines Werk verfaßt, die „Widerlegung der P e r s o n " (Pudgalapratised h a p r a k a r a n a m ) , welches der Widerlegung der verschiedenen Lehren dienen soll, die eine Seele a n n e h m e n . E s richtet sich also gegen die Seelenlehre des Sämkhya, des Vai&esika, vor allem aber u n d in erster Linie gegen die Sämmatiya-Lehre vom Vorhandensein einer Person. Aus diesem Werk sollen n u n im folgenden einige kurze Abschnitte übersetzt werden, welche eine Vorstellung von der Lehre der S ä m m a t i y a geben u n d gleichzeitig zeigen, wie sich der Sarvästiväda d a m i t auseinandersetzte. Der erste Abschnitt, der zugleich auch den A n f a n g des Werkes bildet, richtet sich gegen die Bestimmung der
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Person als unausdrückbar. Diese Unausdrückbarkeit entspricht natürlich nicht der Unausdrückbarkeit eines höchsten Seins, das allem menschlichen Denken unfaßbar bleibt, sondern es war zur damaligen Zeit gebräuchlich, Verhältnisse, die man nicht klar zu bestimmen vermochte, als weder so noch so und damit als unausdrückbar zu bezeichnen. So sagte man im Sämkhya und in der Mimämsä des Kumärila, daß die Gemeinsamkeit (sämanyam) von den Einzeldingen weder verschieden noch nichtverschieden sei. Und ähnlich erklärten die Sämmatiya die Person als weder verschieden noch nichtverschieden von den Gruppen. Vasubandhu sucht nun in seiner Widerlegung den Gegner zu zwingen, dieses Verhältnis schärfer zu bestimmen, und zeigt, daß jeder Versuch, den Worten einen klaren Inhalt zu geben, zum Scheitern führt.
Aus der „Widerlegung der Person" (Pudgalapratisedhaprakaranam) Kann es auf einem andern Weg als diesem keine Erlösung geben? Sicherlich nicht. Aus welchem Grunde? Weil der Blick durch die irrige Annahme eines Selbstes getrübt ist. Alle, welche außerhalb dieser Lehre (des Buddhismus) ein Selbst annehmen, betrachten es nämlich nicht als eine Bezeichnung für den Strom der Gruppen (skandhasamtänah), sondern nehmen an, daß es ein wirkliches von den Gruppen verschiedenes Selbst gibt. Durch die Annahme eines Selbstes aber entstehen alle Laster, der Kreislauf des dreifachen Werdens rollt weiter, und eine Erlösimg ist nicht möglich. (Frage:) Wieso läßt sich mit Sicherheit erkennen, daß die Benennung „Selbst" nur den Strom der Gruppen bezeichnet und nicht ein Selbst als eigene Wesenheit? (Antwort:) Weil es hinsichtlich dieses angenommenen von den Gruppen verschiedenen Selbstes keine wahrhafte Wahrnehmung oder Schlußfolgerung gibt. Wenn nämlich
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das Selbst wie die übrigen Gegebenheiten seinem Wesen nach ein eigenes wirkliches Ding wäre, dann müßte es, falls sich kein Hindernis einstellt, entweder durch Wahrnehmung erfaßt werden wie die sechs Sinnesobjekte 1 und das Denkorgan, oder es müßte durch Schlußfolgerung erfaßt werden wie die fünf materiellen Sinnesorgane. Was die Behauptung betrifft, daß die fünf materiellen Sinnesorgane durch Schlußfolgerung erfaßt werden, so herrscht allgemein die Anschauung, daß eine Wirkung trotz dem Vorhandensein der allgemeinen Ursachen nicht eintritt, wenn ihre besondere Ursache fehlt, daß sie hingegen eintritt, wenn diese nicht fehlt, so z. B. wenn ein Keim aus einem Samen entsteht 2 . Ebenso läßt sich beobachten, daß trotz dem Vorhandensein der Ursachen Licht, Objekt, Aufmerksamkeit usw. bei Blinden, Tauben usw. das Erkennen nicht eintritt, daß es hingegen bei Nichtblinden, Nichttauben usw. eintritt. Daraus läßt sich mit Bestimmtheit erkennen, daß es eine besondere Ursache gibt, die fehlt oder nicht fehlt. Und diese besondere Ursache ist das Sinnesorgan des Auges usw. In diesem Sinne also spricht man von einem Erschließen der materiellen Sinnesorgane. Hinsichtlich eines von den Gruppen verschiedenen Selbstes fehlen nun die beiden Erkenntnismittel vollständig. Daraus läßt sich mit Sicherheit erkennen, daß es kein Selbst als wirkliche Wesenheit gibt. Die Schule der Vätsiputriya nimmt nun an, daß es eine Person gibt, welche ihrem Wesen nach weder mit den Gruppen eins ist, noch von ihnen verschieden ist. Dabei ist zu überlegen, ob (diese Person) ein Ding 1 Da der Buddhismus das Denken den Sinnesorganen gleichstellt, zählt er sechs Sinnesorgane und sechs Sinnesobjekte. ! Auch wenn Feld, Wasser usw. da sind, entsteht der Keim nur, wenn auch seine besondere Ursache, nämlich der Same vorhanden ist.
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(idravyam) ist oder eine bloße Benennung (prajnaptih). Wie unterscheidet sich das Merkmal des dinghaft Seienden (dravyasat) von dem als Benennung Seienden (prajnaptisat) ? Wenn selbständige Dinge vorliegen, so ist dies das Merkmal des dinghaft Seienden, wie bei Form, Ton usw. Liegt dagegen nur eine Anhäufung (samudäyah) vor, so ist dies das Merkmal des als Benennung Seienden, wie bei Milch usw. (Gegner:) Welche Fehler ergeben sich, wenn man (die Person) als Ding oder als Benennung betrachtet? (Antwort.) Wenn sie ihrem Wesen nach ein Ding ist, so muß sie von den Gruppen verschieden sein, weil sie ihr eigenes Wesen hat, wie die verschiedenen Gruppen selbst. Außerdem muß sie, wenn sie ein wirkliches Wesen hat, notwendig eine Ursache haben. Oder sie muß etwas Nichtverursachtes (asamskrtah) sein, und das deckt sich wieder mit der Ansicht der Nichtbuddhisten. Überdies wäre sie zwecklos.1 Die Annahme, daß sie dinghaft ist, ist also sinnlos. Wenn sie dagegen ihrem Wesen nach (bloß) eine Benennung ist, so deckt sich das wieder mit unserer Behauptung. (Gegner:) Die Person, von der ich rede, ist nicht, wie ihr erklärt, dinghaft vorhanden, beziehungsweise der Benennung nach vorhanden. Man kann vielmehr nur gestützt auf die inneren, der Gegenwart angehörigen und angeeigneten (upättah) 2 Gruppen von einer Person sprechen. (Antwort.) Das ist die Rede eines Blinden, dem der Gegenstand noch nicht klar geworden ist. Ich verstehe nämlich noch immer nicht, was ihr mit dem Wort „gestützt" (upädäya) meint. Bedeutet gestützt soviel wie in Anlehnung (älambya) an die Gruppen, ergibt sich also die Person in Anlehnung an die Gruppen, so ist erDa sie als ewig unabänderlich am Weltlauf vollkommen unbeteiligt wäre. Angeeignet nennt der Buddhi9t die OrgaDe samt der dazugehörigen Materie, die einem Persönlichkeitsstrom angehören. 1
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wiesen, daß die Person nur als Benennung vorhanden ist, so wie sich Milch usw. in Anlehnung an die Form usw. ergibt. Bedeutet dagegen gestützt soviel wie abhängig (•pratitya) von den Gruppen, spricht man also abhängig von den Gruppen von einer Person, so ergibt sich für die Person derselbe Fehler. 1 (Gegner:) Wir sprechen nicht so davon. Wie denn? So wie man im gewöhnlichen Leben, gestützt auf den Brennstoff, von Feuer spricht. Wieso kann man, wenn man von Feuer spricht, sagen, daß es sich auf den Brennstoff stützt? Weil man, wenn kein Brennstoff da ist, nicht vom Vorhandensein eines Feuers sprechen kann. Dabei ist der Brennstoff weder vom Feuer verschieden noch eins mit ihm. Denn wenn das Feuer vom Brennstoff verschieden wäre, könnte der Brennstoff nicht heiß sein. Und wenn das Feuer mit dem Brennstoff eins wäre, dann wäre das Verbrannte auch das Verbrennende. Ebenso kann man, wenn keine Gruppen da sind, von keiner Person sprechen. Auch ist die Person weder von den Gruppen verschieden noch eins mit ihnen. Denn wenn sie von den Gruppen verschieden wäre, dann müßte sie ihrem Wesen nach ewig sein. Und wenn sie mit den Gruppen eins wäre, dann würde sich daraus ergeben, daß sie ihrem Wesen nach der Vernichtung unterworfen ist. (Antwort:) Dazu müßt ihr zunächst eindeutig sagen, was Feuer ist und was Brennstoff ist, damit ich verstehe, was es bedeutet, daß sich das Feuer auf den Brennstoff stützt. (Gegner:) Was ist da zu sagen? Aber wenn ich etwas sagen soll, so ist das Verbrannte der Brennstoff und das Verbrennende das Feuer. (Antwort:) Dabei wäre wiederum zu erklären, was das Verbrannte und was das Verbrennende ist, das Brennstoff und Feuer heißt. 1
6ie existiert auch In diesem Fall nur als Benennung.
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(Gegner:) Im gewöhnlichen Leben weiß man doch allgemein, daß der nichtflammende Gegenstand, der verzehrt wird, das Verbrannte, also der Brennstoff heißt, und daß der leuchtende, überaus heiße, flammende Gegenstand, der verzehrt, das Verbrennende, also das Feuer heißt. Und zwar verbrennt oder verzehrt dieses jenen Gegenstand, weil es in seinem Strom die späteren Augenblicke den früheren gegenüber verändert. 1 Und obwohl beide ihrem Wesen nach aus acht Dingen bestehen 2 , so entsteht das Feuer abhängig vom Brennstoff, so wie saure Milch und Essig abhängig von der süßen Milch und vom Wein entstehen. Und deswegen sagt man im gewöhnlichen Leben, daß sich das Feuer auf den Brennstoff stützt. (Antwort:) Wenn sieh das Feuer tatsächlich darauf stützt, dann ist es vom Brennstoff verschieden, weil das spätere Feuer und der frühere Brennstoff beide verschiedenen Zeiten angehören. Wenn sich also die von euch angenommene Person auf die Gruppen stützt wie das Feuer auf den Brennstoff, dann ist unbedingt zu sagen, daß sie abhängig von den Gruppen entsteht und daher von den Gruppen verschieden ist. Und außerdem ergibt sich, daß sie nicht ewig ist. (Gegner:) Beim flammenden Holz usw. heißt das Hitze (genannte) Berührbare Feuer, die übrigen Dinge heißen Brennstoff. 3 (Antwort:) Dann sind zwar Feuer und Brennstoff gleichzeitig, aber es muß als erwiesen gelten, daß sie ihrem Wesen nach verschieden sind, und zwar wegen der Ver1 Unter dem Einfluß des Feuers wird der Augenblicksstrom des Holzes allmählich zu Asche. • Vgl. S. 97 das über die Elementenlehre Gesagte. * D. h. von den acht Atomen, welche das Holzmolekül bilden, stellt das Hitzeatom das Feuer dar, die übrigen sieben den Brennstoff.
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schiedenheit ihrer Merkmale. Es wäre also wieder zu erklären, was „gestützt (auf den Brennstoff)" bedeutet. Denn wie könnt ihr behaupten, daß man gestützt auf den Brennstoff von Feuer spricht, da doch beide gleichzeitig entstehen. Der Brennstoff kann nämlich dem Feuer nicht als Ursache dienen, da beide aus ihren eigenen Ursachen zur gleichen Zeit entstehen. Und man kann den Brennstoff auch nicht als Ursache des Namens „Feuer" bezeichnen, da man doch das Hitze (genannte) Berühr bare als Ursache des Namens „Feuer" bezeichnet. (Gegner:) Der Satz, daß sich das Feuer auf den Brennstoff stützt, besagt, daß beide zugleich entstehen oder, daß (der Brennstoff) der Träger (des Feuers) ist. (Antwort:) Dann müßt ihr annehmen, daß die Person zugleich mit den Gruppen entsteht, oder daß die Gruppen der Träger (der Person) sind. Außerdem setzt ihr offenkundig voraus, daß sie ihrem Wesen nach von den Gruppen verschieden ist. Ferner müßt ihr folgerichtig annehmen, daß, wenn die Gruppen fehlen, auch die Person ihrem Wesen nach nicht vorhanden ist, ebenso wie, wenn der Brennstoff nicht vorhanden ist, auch das Feuer seinem Wesen nach fehlt. Ihr laßt aber diese Annahmen nicht gelten. Daher ist auch eure Erklärung nicht rifchtig. Ihr habt ferner hinsichtlich dieser eigenen Annahme den Einwand vorgebracht, daß der Brennstoff, wenn er vom Feuer verschieden wäre, nicht heiß sein könnte. Dabei muß eindeutig gesagt werden, was das Heiße seinem Wesen nach ist. Wenn ihr die Erklärung gebt, daß das Heiße das Hitze (genannte) Berührbare ist, dann ist der Brennstoff nicht heiß, weil sein Wesen anderer Art ist. 1 Gebt ihr dagegen die Erklärung, daß das Heiße das mit 1
Denn er besteht, der o b i g e n A n n a h m e e n t s p r e c h e n d , aus den übrigen sieben
A t o m e n des H o l z m o l e k ü l s .
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der Hitze Verbundene ist, dann muß auch seinem Wesen nach Verschiedenes die Bezeichnung Heiß erhalten. Als eigentliches Feuer bezeichnet man dann nur das Hitze (genannte) Berührbare. Alles übrige mit der Hitze Verbundene erhält die Bezeichnung Heiß. Damit ist aber offenkundig zugegeben, daß der Brennstoff heiß genannt wird, obwohl er vom Feuer verschieden ist, und ohne daß sich dadurch ein Fehler ergibt. Wieso kann also dagegen vorgebracht werden, daß eine Schwierigkeit vorliegt. (Gegner:) Das Holz usw., wenn es hell flammt, nennt man Brennstoff und zugleich Feuer. (Antwort:) Dann ist wieder zu erklären, was „gestützt (auf den Brennstoff)" bedeutet. Ferner muß die Person unbedingt mit den Gruppen der Körperlichkeit usw. eins sein; das läßt sich durch keine Logik widerlegen. Die Behauptung, daß man gestützt auf die Gruppen von der Person spricht, ebenso wie man gestützt auf den Brennstoff vom Feuer spricht, läßt sich daher durch Beweise und Gegenbeweise nicht erhärten. Der nächste Abschnitt, den wir wiedergeben, richtet sich gegen die Lehre von der Wahrnehmbarkeit der Person. Die Sämmatiya behaupten nämlich, daß im Anschluß an die Wahrnehmung der Sinnesobjekte auch die Person wahrgenommen wird. Vasubandhu folgert dagegen gerade daraus, daß der Person kein reales, sondern nur ein nominales Sein zukommt, daß sie also, wie der Inder sagt, nicht dinghaft (dravyatah), sondern nur als Benennung (prajfiaptitah) existiert. Ferner zeigt er, daß sich aus der Annahme des Gegners unmögliche Folgerungen ergeben.
Ferner müßte gesagt werden, welche von den sechs Arten des Erkennens1 die Person erkennt. (Gegner:) Alle sechs Arten erkennen sie. Wieso? Wenn das Augen-Er1 Die fünf Arten de6 Erkennens durch die Sinne und das Denk-Erkennen; vgl. unten S. 117.
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kennen zu irgendeiner Zeit die Form erkennt, so erfaßt es anschließend daran das Vorhandensein der Person. Daher sagt man, daß (die Person) vom Augen-Erkennen erkannt wird. Man kann aber nicht sagen, daß sie mit der Form eins oder von ihr verschieden i s t . . . usw. (von den übrigen Arten des Erkennens) bis . . . Wenn das Denk-Erkennen zu irgendeiner Zeit die Gegebenheiten erkennt, so erfaßt es anschließend daran das Vorhandensein der Person. Daher sagt man, daß (die Person) vom Denk-Erkennen erkannt wird. Man kann aber nicht sagen, daß sie mit den Gegebenheiten eins oder von ihnen verschieden ist. (Antwort:) Wenn es sich so verhält, dann kann von der (von euch) angenommenen Person ebenso wie von Milch usw. nur als Benennung gesprochen werden. Wenn nämlich das Augen-Erkennen zur Zeit, wo es die Form erkennt, anschließend daran das Vorhandensein der Milch usw. erfaßt, dann sagt man, daß die Milch usw. vom AugenErkennen erkannt wird, aber man kann nicht sagen, daß sie mit der Form eins oder von ihr verschieden i s t . . . usw. bis . . . Und wenn das Körper-Erkennen zur Zeit, wo es das Berührbare erkennt, anschließend daran das Vorhandensein der Milch usw. erfaßt, dann sagt man, daß die Milch usw. vom Körper-Erkennen erkannt wird, aber man kann nicht sagen, daß sie mit dem Berührbaren eins oder von ihm verschieden ist. Denn sonst würde sich ergeben, daß die Milch nichts ist als die vier (Sinnesobjekte), oder daß sie nicht aus ihnen gebildet ist. Daher ist es erwiesen, daß man gestützt auf die Gesamtheit der Gruppen vom Vorhandensein der Person als Benennung spricht, ebenso wie man im gewöhnlichen Leben gestützt auf die Gesamtheit der Form usw. von Milch usw. spricht, und zwar als Benennung, nicht als wirklich. Ferner habt ihr gesagt: „Wenn das Augen-Erkennen zu irgendeiner Zeit die Form erkennt, so erfaßt es
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anschließend daran das Vorhandensein der Person." Was bedeutet dieser Satz? Besagt er, daß die Form die Ursache der Wahrnehmung der Person ist, oder daß zur Zeit, wo man die Form wahrnimmt, auch die Person wahrgenommen werden kann? Besagt er, daß die Form die Ursache der Wahrnehmung der (Person) ist, und kann man dabei nicht sagen, daß diese von der Form verschieden ist, so kann man auch nicht sagen, daß die Form vom Auge usw. verschieden ist, da das Auge, und ebenso das Licht, die Aufmerksamkeit usw., Ursache der Wahrnehmung der Form ist. Besagt er dagegen, daß zur Zeit, wo man die Form wahrnimmt, auch die Person wahrgenomen werden kann, ist dann die Wahrnehmung der Form auch die Wahrnehmung der (Person), oder handelt es sich dabei um eine verschiedene Wahrnehmung? Wenn die Wahrnehmung der Form auch die Wahrnehmung der (Person) ist, dann ist man genötigt, anzunehmen, daß deren Wesen eben die Form ist, oder daß sich die Benennung für sie nur auf die Form bezieht. Dann kann es aber keine Vorstellungen geben wie: „Derart ist die Form" und „derart ist die (Person)". Wie läßt sich aber ohne diese zweierlei Vorstellungen das Vorhandensein der Form und der Person feststellen, da doch die Feststellung ihres Vorhandenseins notwendigerweise von den Vorstellungen abhängt ? Wenn es sich dagegen dabei um eine verschiedene Wahrnehmung handelt, dann muß, weil die Wahrnehmung zeitlich getrennt ist, (die Person) von der Form verschieden sein, ebenso wie das Gelbe vom Blauen verschieden ist oder das Frühere vom Späteren usw. Die gleichen Einwände sind (hinsichtlich der übrigen Sinnesobjekte) vorzubringen bis zu den Gegebenheiten. (Der Gegner) sagt, um dies abzuwehren: Wie man nicht eindeutig sagen kann, daß die (Person) mit der Form eins oder von ihr verschieden ist, so gilt dies auch bei der Be-
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trachtung der beiderlei Wahrnehmungen. (Antwort.) Dann dürft ihr die Wahrnehmung nicht unter das Verursachte (samshrtah) einreihen 1 . Wenn ihr es aber tut, dann verstoßt ihr gegen das eigene System. Der dritte und letzte Abschnitt, den wir bringen, gibt schließlich eine Probe, wie beide Gegner die Texte der heiligen Schrift zur Stütze ihrer Behauptungen benützen. Der Sämmatiya führt das oben (S. 29) übersetzte Sütram vom Lastträger aii. Die Entgegnung Vasubandhus zeigt, wie die Sarvästivädin dieses Zeugnis wegzudeuten suchten, da sie die Aussage des allgemein anerkannten Textes selbst nicht ableugnen konnten.
(Gegner:) Wenn nur die fünf Gruppen des Ergreifens Person genannt werden, warum hat dann der Erhabene folgendermaßen gesprochen: „Ich will euch, (ihr Mönche,) die Last darlegen, das Aufnehmen der Last, das Ablegen der Last und den Träger der Last" ? (Antwort:) Aus welchem Grunde hätte der Buddha nicht so sprechen sollen ? (Gegner:) Weil man die Last nicht Lastträger nennen kann. 2 (Antwort:) Warum nicht? (Gegner:) Weil man dergleichen bisher noch nicht gesehen hat. (Antwort:) Dann dürft ihr auch von keinem unausdrückbaren Ding sprechen. (Gegner:) Warum nicht? (Antwort:) Weil man dergleichen ebenfalls noch nicht gesehen hat. Außerdem könnte dann auch das Aufnehmen der Last nicht in den Gruppen enthalten sein, weil man bisher noch nicht gesehen hat, daß eine Last sich selber aufnimmt. Nun ist aber im Sütram gesagt, daß der Durst Aufnehmen der Last genannt wird. Daher ist es in den 1
Wenn
die W a h r n e h m u n g e n
weder
verschieden
noch
nichtverschieden
voneinander sind, dann sind sie u n a u s d r ü c k b a r und gehören in die gleiche Gruppe wie die P e r s o n , a b e r nicht u n t e r die v e r u r s a c h t e n s
Gegebenheiten.
I m S ü t r a m s e l b s t wird die L a s t als die f ü n f Gruppen des Ergreifens e r k l ä r t .
Diese k ö n n e n d a h e r nicht gleichzeitig a u c h L a s t t r ä g e r sein.
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Gruppen enthalten. Und das gleiche gilt vom Lastträger. E s ist also zuzugeben, daß er in den Gruppen zu sehen ist. Außerdem hat der Buddha, weil er fürchtete, daß man die Person als unausdrückbar, ewig und wirklich auffassen könnte, selbst im Sutram etwas später die Erklärung gegeben, d a ß damit nur dem gewöhnlichen Gebrauch zufolge „jener Ehrwürdige, der diesen und diesen Namen t r ä g t " usw. bezeichnet sei . . ., eben damit man erkennen möge, d a ß die Person ihrem Wesen nach ausdrückbar, nicht ewig und nicht wirklich ist. Außerdem erhalten die fünf Gruppen des Ergreifens, weil sie sich selbst gegenseitig bedrücken, den Namen „ L a s t " . Und die früheren Augenblicke werden, weil sie die späteren nach sich ziehen, „ L a s t t r ä g e r " genannt. E s gibt daher keine wirkliche Person. Wir wenden uns nun zu den Anschauungen allgemeiner Art, welche mit der Lehre von der Seelenleugnung verknüpft erscheinen und ihren weiteren Rahmen abgeben. Die erste von ihnen ist die Anschauung, daß allen Dingen ein fester beständiger Kern fehlt. Eine Neigung dazu zeigt sich schon in der ältesten Zeit und dürfte auf den Buddha selbst zurückgehen. Sie äußert sich in dem Streben, die flüchtigen Einzelerscheinungen in den Vordergrund zu stellen, und fußt offensichtlich auf dem Bemühen, die Vergänglichkeit aller Dinge zu betonen. Begünstigt wurde das Bestreben, die Einzelerscheinungen zu verselbständigen, durch die damals noch herrschende altertümliche Art, alles, selbst Eigenschaften, wenn man sich ihr Wesen deutlich zu machen suchte, dinghaft zu denken. Zur klar umrissenen philosophischen Lehre entwickelten sich diese Ansätze aber erst spät, und zwar im Gegensatz zum Vaisesika-System, als dieses seine Kategorienlehre schuf. Als nämlich das Vaisesika in klarer philosophischer Erkenntnis Dinge und ihre Eigenschaften, Substanz und Attribut, als zwei verschiedene Formen des Seins voneinander unterschied, galt es, zu dieser neuen Lehre Stellung zu nehmen. Und nun schieden sich die Geister. Und mit verschwindenden Ausnahmen entschieden sich die buddhistischen Schulen da-
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f ü r , der Vaisesika-Lehre von d e n S u b s t a n z e n u n d ihren A t t r i b u t e n die Lehre von den Gegebenheiten (dharmüh) gegenüberzustellen, die gewissermaßen als verselbständigte E i g e n s c h a f t e n ohne einen T r ä g e r ein eigenständiges Dasein führen. Diese Lehre ergab im einzelnen e t w a folgendes Bild. I m Bereich der E l e m e n t e h a t t e m a n es vor allem m i t den f ü n f E i g e n s c h a f t e n zu t u n , die seit alter Zeit als die O b j e k t e der S i n n e s w a h r n e h m u n g e n galten, nämlich m i t der Form 1 , d e m T o n , d e m Geruch, d e m Geschmack u n d der B e r ü h r b a r k e i t . Diese E i g e n s c h a f t e n werden in den L e h r r e d e n des B u d d h a meist allein g e n a n n t , ohne E r w ä h n u n g der E l e m e n t e , d a f ü r den B u d d h a die Außenwelt n u r so weit von Interesse war, als sie auf den Menschen wirkt u n d E m p f i n d u n g e n u n d L e i d e n s c h a f t e n h e r v o r r u f t . N u n lehrte m a n a u s d r ü c k lich, d a ß sie keine E i g e n s c h a f t e n seien, die a n den Element e n h a f t e n , sondern selbständige Wesenheiten. U n d als m a n die inzwischen geschaffene u n d zur V e r b r e i t u n g gel a n g t e Atomlehre ü b e r n a h m , lehrte m a n , d a ß diese Wesenheiten aus A t o m e n bestehen. Die Dinge der Außenwelt setzen sich also n i c h t a u s E l e m e n t e n z u s a m m e n , sondern sie sind a u s A t o m e n v o n F a r b e , T o n , Geruch, Geschmack u n d B e r ü h r b a r k e i t gebildet. Allerdings m u ß t e m a n sich a u c h m i t der a l t e n E l e m e n t e n vorstellung auseinandersetzen. D e n n schließlich w a r a u c h in den L e h r r e d e n des B u d d h a öfter v o n E l e m e n t e n die R e d e , u n d zwar von d e n w e i t v e r b r e i t e t e n vier E l e m e n t e n , E r d e , Wasser, F e u e r u n d W i n d . W a s sind also diese Elem e n t e ? U m dies zu erklären, griff m a n auf folgende Vorstellung zurück. Schon seit alter Zeit w u r d e den E l e m e n t e n n e b e n d e n f ü n f E i g e n s c h a f t e n , welche als Gegenstand der S i n n e s w a h r n e h m u n g e n den f ü n f Sinnesorganen entsprechen, eine zweite R e i h e charakteristischer E i g e n s c h a f t e n zugeschrieben, u n d zwar der E r d e die Festigkeit, d e m Wasser die F e u c h t i g k e i t , d e m F e u e r die H i t z e u n d d e m W i n d die Bewegung. M a n sagte n u n , d a ß die s o g e n a n n t e n vier E l e m e n t e nichts a n d e r e s seien, als eben diese Eigens c h a f t e n . Dabei o r d n e t e m a n diese vier E i g e n s c h a f t e n u n t e r d a s B e r ü h r b a r e ein u n d ü b e r t r u g n a t ü r l i c h a u c h auf sie die 1
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Die Form (rüpam) u m f a ß t Farbe und Gestalt.
Frauwallner, Buddhismus
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Atomvorstellung. Die vier Elemente sind demnach Härte-, Feuchtigkeits-, Hitze- und Bewegungsatome. 1 Nun treten aber nach allgemein verbreiteter Anschauung die Eigenschaften der Elemente nie einzeln auf. So lehrte z. B . das Vaisesika, daß jedes Element mehrere Eigenschaften in sich vereinigt, und alle andern Systeme folgten ihm darin. Nur über die Zahl und Verteilung dieser Eigenschaften herrschten Meinungsverschiedenheiten. Dementsprechend lehrte daher auch der Buddhismus, daß die atomhaften Elementeigenschaften nie allein als einzelne Atome vorkommen, sondern immer nur zu Molekülen vereinigt. Und zwar enthält jedes Molekül je ein Eigenschafts atom von jeder Art, zu denen gewissermaßen als Stütze j e ein Atom der vier Elemente t r i t t . Das Molekül besteht also, da der Ton nur gelegentlich auftritt, aus einer Mindestzahl von acht Atomen, zu denen fallweise noch weitere Atome hinzutreten können. Aus diesen Molekülen ist die gesamte stoffliche Welt aufgebaut. Die Verschiedenheit der einzelnen Stoffe ergibt sich durch das Überwiegen dieser oder jener Eigenschaftsatome. Damit hatte also der Buddhismus der Elementenlehre des Vaisesika eine eigene Lehre gegenübergestellt, in der der Substanzbegriff ausgeschaltet war, und wo an Stelle der Substanzatome mit ihren zahlreichen Eigenschaften ein lockerer Verband selbständiger Eigenschaftsatome getreten war. Nicht anders war die Lehrentwicklung auf psychologischem Gebiet. Hier lehrte das Vaisesika, daß alle psychischen Vorgänge Eigenschaften der Seele sind. Andere Schulen wie das Sämkhya, welche alle psychischen Vorgänge in den Bereich der Materie verlegten, sahen darin Eigenschaften eines oder mehrerer psychischer Organe. Der Buddhismus stand anfänglich diesen Schulen nahe und wir haben noch deutliche Spuren, daß das Erkennen (vijnänam) ursprünglich als ein solches Organ gedacht war. Aber auch hier zeigen schon die Lehrreden des Buddha das deutliche Streben, die einzelnen psychischen Vorgänge zu verselbständigen. Und auch hier lehrte die spätere Dogmatik scharf und eindeutig, daß alle psychischen Vor1 Das sind aber, wie man sagte, nur die Elemente im philosophischen Sinn. Was man im gewöhnlichen Leben so nennt, ist eine Mischung verschiedener Atome, wobei der Name an den Färb- und Gestaltatomen haftet.
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gänge keine Eigenschaften irgendeines psychischen Organs, sondern eigene selbständige Gegebenheiten sind, die in größerer Zahl zu einem psychischen Gesamtvorgang zusammentreten. Dem Erkennen ist von seinem ursprünglichen Wesen nichts geblieben, als daß es gewissermaßen den Mittelpunkt dieses Komplexes darstellt, insofern es in jedem psychischen Vorgang enthalten sein muß und die übrigen Gegebenheiten sich an das Erkennen anschließen. Also auch hier ist an die Stelle der psychischen Substanz mit ihren zahlreichen Eigenschaften ein loser Verband selbständiger Gegebenheiten getreten, wobei der Substanzbegriff bewußt ausgeschaltet ist. Diese Leugnung der Substanz ist die wichtigste grundsätzliche Entscheidung der buddhistischen Dogmatik auf diesem Gebiet. Die gleiche Stellungnahme wurde aber auch auf alle ähnlichen Fälle ausgedehnt, wo immer sich ein fester Kern oder ein beständiges Wesen in den Einzeldingen zu zeigen schien. Das galt besonders von der Vaisesika-Lehre v o m Ganzen (avayavi). Das Vaisesika behauptete nämlich, daß bei allen Dingen, welche aus den letzten Bestandteilen der Materie, den Atomen gebildet sind, nicht bloß eine Anhäufung von Atomen vorliegt, sondern daß aus ihrer Verbindung etwas Neues, nämlich ein einheitliches Ganzes entsteht. A u c h diese Anschauung verwirft der Buddhismus. Für ihn ist jedes Ganze ein lockerer Verband verschiedener Gegebenheiten und nicht mehr. A u c h in der Lehre von der Gemeinsamkeit (sämänyam), jenem allgemeinen Wesen, das nach VaisesikaLehre den Einzeldingen innewohnt und ihnen den gleichartigen Charakter verleiht, wirkt bei den Buddhisten die gleiche Einstellung nach. Die alten Schulen kennen eine A r t Gemeinsamkeit nur in sehr beschränktem Maß. I n späterer Zeit wurde sie grundsätzlich geleugnet. Von allen diesen Lehren und ihrer Entwicklung können wir hier keine ausführlichen Textproben bringen. Außerdem ist diese Entwicklung zur Zeit Vasubandhus schon längst abgeschlossen und dogmatisch erstarrt. Die Auseinandersetzung beschränkt sich, wie es in Indien auf einer solchen Entwicklungsstufe immer zu ergehen pflegt, auf eine Polemik, in der jeder Teil an seinem einmal ein7«
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genommenen S t a n d p u n k t starr festhält u n d ihn auf jede Weise zu verteidigen sucht. Solche Polemik h a t zwar oft dazu beigetragen, die Dinge klarer zu sehen u n d die Lehren schärfer zu fassen, aber sie ist schwierig u n d mühevoll zu lesen u n d h a t f ü r weitere Kreise k a u m Interesse. Ich beschränke mich daher auf die Wiedergabe eines kurzen Abschnitts aus dem Abhidharmakoáah, in dem sich Vasub a n d h u in knapper F o r m mit der Lehre von der Substanz auseinandersetzt, u n d gehe d a n n sofort z u m n ä c h s t e n P u n k t , zur Lehre von der Augenblicklichkeit der Dinge über. Der wiedergegebene Abschnitt s t a m m t aus d e m 3. Buch des Abhidharmakoáah, u n d zwar aus dem letzten Teil, wo von der periodischen Weltvernichtung die Rede ist. Diese bedeutet f ü r den Buddhisten eine völlige Vernichtung der Erscheinungswelt, während sich nach der Vaiáesika-Lehre die Welt dabei nur in ihre letzten Bestandteile, die Atome, auflöst, die als ewige Substanzen weiter bestehen. Das gibt V a s u b a n d h u Anlaß, sich kurz mit dem Substanzbegriff auseinanderzusetzen. Die Argumente, die er dabei vorbringt, sind im wesentlichen folgende: Es gibt keine Substanz, weil wir wohl die Elementeigenschaften sehen, aber keine Substanz daneben wahrnehmen, obwohl nach Vaisesika-Lehre die Substanz sowohl durch das Auge wie a u c h durch das T a s t g e f ü h l wahrgenommen werden k a n n . Ferner verschwindet beim Verbrennen eines Gegenstandes mit d e n Eigenschaften der Gegenstand selbst, was nicht möglich wäre, wenn die Substanz u n v e r ä n d e r t weiterbestünde. Schließlich scheint zwar ein solcher Fall beim Brennen von Tongefäßen vorzuliegen, wo sich nach Vaisesika-Lehre die sonst unveränderlichen Atomeigenschaften ändern, während die Gefäße offensichtlich in ihrer Substanz erhalten bleiben. I n Wirklichkeit b e r u h t dieser E i n d r u c k aber darauf, d a ß das Aussehen, d. h. die Anordnung der Teile der Gefäße, im Strom der Augenblicke die gleiche bleibt. Ähnlich glaubt m a n z. B. bei einer Ameisenstraße dauernd eine Reihe von Ameisen zu sehen, obwohl nichts Beharrendes da ist, dem m a n den N a m e n Reihe geben könnte. Damit bricht V a s u b a n d h u die Erörterung a b u n d k e h r t wieder zu seinem H a u p t g e g e n s t a n d zurück.
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Es gibt keine Substanz (Abhidharmalcosah I I I , zu v. 100) Ferner bezieht sich der Name „Atom" auf die Form usw. Daher gehen, wenn die Form zugrunde geht, auch die Atome zugrunde. (Gegner:) Die Atome gehören zum Stoff (dravyam) und sind von den Eigenschaften (gunah) Form usw. ihrem Wesen nach verschieden. Sie müssen daher nicht unbedingt zur gleichen Zeit vergehen. (Antwort:) Die Verschiedenheit des Wesens der beiden braucht keineswegs als erwiesen zu gelten. Denn wenn man sie betrachtet, gibt es neben der Form usw. keine gesonderte Erde usw. Daher sind sie ihrem Wesen nach nicht verschieden. Ferner nimmt man in jenem System selbst an, daß die Erde usw. durch Auge und Körper erfaßt wird. Wieso sind also Form und Berührbarkeit davon verschieden ? Da ferner, wenn man Wolle, Baumwolle, Opium usw. verbrennt, die betreffende Erkenntnis nicht mehr besteht, entsteht die Erkenntnis „Wolle" usw. nur auf Grund der besonderen Form usw. Zur Zeit, wo die durch Hitze veränderten Eigenschaften (päkajah) entstehen, stellt sich die Erkenntnis Topf oder Schale wegen der Gleichartigkeit der Gestalt ein, ebenso wie bei einer Reihe. Denn wenn man die Gestalt nicht sieht, stellt sich auch die Erkenntnis nicht ein. Aber wer wollte diese Reden sammeln, die sinnlos sind, wie die eines Toren. Darum Schluß mit der ausführlichen Polemik gegen dieses System! Die zweite wichtige Anschauung allgemeiner Art, die mit der vorhergehenden eng verknüpft ist, ist die Vorstellung von der Augenblicklichkeit aller Dinge. Den Ausgangspunkt dafür bildete, wie wir bereits bemerkt haben, die schon vom Buddha betonte Vergänglichkeit alles Irdischen; maßgebend für die Entwicklung und Ausgestaltung aber war, wie so häufig, die Grundanschauung,
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an die man anknüpfte. Das Sämkhya hatte bei seiner Lehre vom beständigen Wechsel aller Dinge das Bild des Tonklumpens vor Augen, der zum Topf wird und schließlich in Scherben bricht. So ergab sich der Eindruck eines während aller Veränderungen beharrenden Stoffes und die Veränderungen selbst erschienen bloß als ein Wechsel des Zustandes. Anders der Buddhismus. Für ihn war die Grundanschauung das Bild des Holzes, das vom Feuer verzehrt wird. Damit drängte sich aber die Vorstellung einer vollständigen Vernichtung auf. Denn die Asche schien etwas ganz anderes zu sein als das Holz. Die Asche entsteht, während das Holz vergeht. Hier empfand man also die Vergänglichkeit aller Dinge nicht als eine bloße Veränderung, sondern als eine restlose Vernichtung, wobei an die Stelle des Vernichteten etwas vollkommen Neues t r i t t . Und dementsprechend wurde auch die Lehre formuliert. Und zwar unterschied man dabei zunächst zwischen Dingen die längere Zeit bestehen, bis sie der Vernichtung anheimfallen, wie z. B . das Holz, und zwischen solchen, die jeden Augenblick vergehen und neu entstehen, wie z. B . die Flamme einer Lampe, der Ton einer Glocke und auch alle geistigen Gegebenheiten, deren Vergänglichkeit j a bereits der Buddha besonders hervorgehoben hatte. Auf diesem Stand der Lehre blieben viele Schulen stehen, vor allem auch die Vätsiputriya-Sämmatiya. Andere dagegen gingen allmählich so weit, die Augenblicklichkeit aller Dinge zu behaupten, und zwar waren es die Sarvästivädin und Sauträntika, welche bei dieser Entwicklung führten. Bezeichnenderweise sind dies die extremen Schulen die auch die Leugnung der Seele aufs schroffste formuliert hatten. Und der Zusammenhang ist unverkennbar. Denn j e klarer man sich das Fehlen jedes festen Kerns in den Dingen zu Bewußtsein brachte, um so zwingender mußte man auch zur Annahme der Augenblicklichkeit aller Dinge gedrängt werden. Wer eine Substanz anerkennt, dem mag leicht jeder Wechsel nur als eine Veränderung des Zustandes dieser Substanz erscheinen. Das war daher auch die Auffassung des Sämkhya, das trotz der Betonung des ewigen Flusses aller Dinge, doch eine Dauer im Wechsel lehrte. Denn bei allen Veränderungen sind es nach Sämkhya-Lehre nur die Eigenschaften (dharmäh) der Dinge,
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die vergehen, während der Träger der Eigenschaften (dharmi), die ewige Urmaterie, beharrt. Wer dagegen, wie die buddhistischen Schulen, nur Eigenschaften ohne Träger als selbständige Gegebenheiten kennt, f ü r den bedeutet notgedrungen jede Veränderung dieser Eigenschaften ein völliges Vergehen u n d Neuentstehen. U n d zwar mußte dies f ü r jede Art von Veränderung gelten. J a selbst Wachst u m , Altern und allmählicher Verfall mußte als eine solche K e t t e von Vernichtung und Werden erscheinen. U n d die ausdrückliche Formulierung der Lehre von der Augenblicklichkeit aller Dinge bedeutete daher nur einen letzten folgerichtigen Schritt. Dabei verschob sich auch die Auffassung der Vernichtung der Dinge. Denn d a s Holz vergeht u n d entsteht nach dieser Lehre bereits in ununterbrochener Folge, bevor es noch v o m Feuer verzehrt wird. D a s Feuer veranlaßt nur, daß sich der Augenblicksstrom des Holzes nicht weiter fortsetzt. D a s beständige Entstehen und Vergehen ist also nicht durch äußere Ursachen herbeigeführt, sondern liegt in der Natur der Dinge. D a s Wesen der Dinge selbst ist die Vergänglichkeit. U n d so wurde die Lehre auch formuliert. Dies ist nun die Entwicklungsstufe, welche die Lehre zur Zeit V a s u b a n d h u s erreicht hatte. Die Entwicklung selbst war im wesentlichen abgeschlossen. Nur Einzelheiten blieben zwischen den S a r v ä s t i v ä d i n u n d S a u t r ä n t i k a u m s t r i t t e n . I m übrigen drehte sich die Erörterung im wesentlichen u m die Begründung der Augenblicklichkeit der Dinge gegenüber den V ä t s i p u t r l y a u n d gegenüber den nichtbuddhistischen Schulen, vor allem dem Vaisesika. Diesen S t a n d spiegelt daher auch die Textprobe, die wir im folgenden wiedergeben. Sie ist d e m 4. B u c h des Abhid h a r m a k o s a h entnommen. Den Anlaß zur Auseinandersetzung gibt die F r a g e der Bewegung. Wenn die Dinge nämlich augenblicklich sind, dann können sie sich nicht bewegen, d a jede Bewegung Zeit erfordert. U n d daher n i m m t der S a r v ä s t i v ä d a auch an, daß es in Wirklichkeit keine Bewegung gibt. Was uns als Bewegung erscheint, ist vielmehr nur der Augen licksstrom, der ähnlich einem F i l m in immer anderer F o r m entsteht. D a m i t ist der Anstoß gegeben, dem Gegner gegenüber, der d a s Vorhandensein einer Bewegung behauptet, die Augenblicklichkeit der
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Dinge zu beweisen. Vasubandhu stellt zu diesem Zweck drei Schlußfolgerungen auf, an deren jede er die Widerlegung gegnerischer Einwände schließt. Die erste lautet: Die Vernichtung der Dinge kann durch keine äußere Ursache veranlaßt sein, da sie als ein bloßes Nichtsein unmöglich die Wirkung einer Ursache ist. Wenn aber die Vergänglichkeit in der Natur der Dinge selbst liegt, dann müssen sie sofort vergehen, da diese Natur von Anfang an gegeben ist. Dem Gegner, der sich auf die augenscheinliche Tatsache beruft, daß das Feuer das Holz vernichtet, antwortet er, daß es sich dabei um keine Wahrnehmung, sondern um eine Schlußfolgerung handelt, die keineswegs zwingend ist. Die zweite Schlußfolgerung besagt: Wenn die Vernichtung der Dinge tatsächlich auf irgendwelchen Ursachen beruht, dann müßten solche Ursachen überall wirksam sein, auch bei den geistigen Gegebenheiten usw., wo der Gegner selbst die Augenblicklichkeit annimmt. Anschließend weist er die von gegnerischer Seite in diesen Fällen angenommenen Ursachen zurück. Die dritte Schlußfolgerung endlich beruht auf der Anschauung, daß das Feuer die allmähliche Veränderung der Gegenstände herbeiführt, die ihm ausgesetzt sind. Das geschieht nach buddhistischer Vorstellung in der Weise, daß es im Augenblicksstrom dieser Gegenstände immer neue geänderte Augenblicke hervorruft. Auf diese Weise ist aber das Feuer Ursache des Entstehens dieser Augenblicke und kann nicht gleichzeitig Ursache ihres Vergehens sein. Das gibt den Anlaß die Rolle des Feuers in solchen Fällen klarzustellen. Dann schließt Vasubandhu mit einer kurzen Zusammenfassung des Ergebnisses seiner Beweisführung. Die Augenblicklichkeit der Dinge
(Abhidharmakosah
IV, v. 2—3)
Was ist ein Augenblick ? Was unmittelbar nach der Erlangung seines Selbstes (ätmaläbhah) 1 vergeht. Eine Gegebenheit, der ein solcher Augenblick zukommt, heißt 1 So drückt die buddhistische Philosophie der damaligen Zeit den Begriff des Entstehens aus.
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augenblicklich . . . Alle verursachten Gegebenheiten müssen unmittelbar, nachdem sie ihr Selbst erlangt haben, vergehen und zunichte werden. Wenn sie an einem Ort entstehen, dann vergehen sie auch an diesem Ort. Sie vermögen daher nicht von dort an eine andere Stelle zu gelangen . . . (Gegner:) Wenn die verursachten Gegebenheiten augenblicklich sind, dann läßt sich die Ansicht, daß sie an keine andere Stelle gelangen, rechtfertigen. (Antwort:) Die Behauptung, daß die verursachten Gegebenheiten augenblicklich sind, ist erwiesen, v. 2 d
weil sie später unbedingt vergehen. Das Vergehen der verursachten Gegebenheiten hat nämlich keine Ursache. Warum ? Was eine Ursache hat, ist eine Wirkung. Das Vergehen als Nichtsein ist aber keine Wirkung und hat daher auch keine Ursache. Weil nun das Vergehen keine Ursache hat, vergehen (die verursachten Gegebenheiten), kaum, daß sie entstanden sind. Denn, wenn sie nicht gleich anfangs vergehen, dann kann es auch später nicht der Fall sein, weil sie später die gleiche Beschaffenheit haben wie früher. Wenn sie daher später ein Ende finden so läßt sich daraus erkennen, daß sie bereits früher vergehen. (Gegner.) Sie verändern sich später und können daraufhin vergehen. (Antwort:) Sie können nicht dieselben sein und verändert genannt werden. Es kann daher unmöglich richtig sein, daß sich ihre Beschaffenheit verändert. (Gegner:) Läßt sich nicht im gewöhnlichen Leben, beobachten, daß das Brennholz usw. durch die Verbindung mit dem Feuer der Vernichtung anheimfällt ? Und es gibt bestimmt kein anderes Mittel richtiger Erkenntnis, welches der sinnlichen Wahrnehmung überlegen wäre. Daher trifft es nicht zu, daß das Vergehen der Gegeben-
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heiten durchweg keine Ursache hat. (Antwort:) Wie läßt sich erkennen, daß das Brennholz usw. durch die Verbindung mit dem Feuer vergeht? (Gegner:) Weil man das Brennholz usw. nach der Verbindung mit dem Feuer nicht mehr sieht. (Antwort:) Dann ist folgendes zu überlegen: Wird also das Brennholz usw. nicht gesehen, weil es durch die Verbindung mit dem Feuer vergeht, oder wird es nicht gesehen, weil das früher entstandene Brennholz usw. von selbst vergeht und später nicht wieder entsteht, also nicht mehr vorhanden ist, wie es bei der Flamme einer Lampe oder dem Ton einer Glocke infolge der Verbindung mit dem Wind oder mit der Hand der Fall ist ? 1 Diese Sache muß daher durch eine Schlußfolgerung nachgewiesen werden. (Gegner:) Welche Schlußfolgerung gibt es dafür? (Antwort:) Wie wir früher gesagt haben: Das Vergehen hat keine Ursache, weil es als Nichtsein keine Wirkung ist. Wenn ferner das Brennholz eine Ursache hat, daß es vergeht, v. 3 a
dann kann kein Vergehen ohne Ursache sein, wie das Entstehen, das eine Ursache hat und nicht ohne Ursache ist. Nun beobachtet man im gewöhnlichen Leben beim Erkennen, der Flamme und dem Ton, daß sie ohne eine andere Ursache jeden Augenblick von selbst vergehen. Daher hat auch das Vergehen des Brennholzes keine Ursache. Einige (die Vaisesika) nehmen an, daß das frühere Erkennen und der frühere Ton durch das spätere Erkennen und den späteren Ton vergehen. Das ist aber nicht richtig, 1 Der Gegner nimmt seibat an, daß das Licht einer Lampe oder der Ton einer Glocke augenblicklich sind und von selbst vergehen. Der Wind oder die Berührung der Hand vernichten sie also nicht, sondern es kommt bloß zu keinem neuen Entstehen.
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weil die beiden nicht zugleich sind. Denn man kann sich Zweifel und Sicherheit, Leid und Lust, Liebe und Haß usw. die einander ihrem Merkmal nach entgegengesetzt sind, nicht als gleichzeitig vorstellen. Oder angenommen nach einem Erkennen oder einem Ton in deutlichem Zustand entsteht unmittelbar ein undeutliches Erkennen oder ein undeutlicher Ton. Wie kann eine gleichartige undeutliche Gegebenheit eine deutliche gleichartige Gegebenheit vernichten ? Und wodurch vergeht wieder ein starkes späteres Erkennen oder ein starker späterer Ton ?. . . Wenn ferner die Verbindung mit dem Feuer die Ursache für das Vergehen des Brennholzes usw. ist, dann müßte bei den durch die Hitze hervorgerufenen Veränderungen (päkajah) die gering, mittelmäßig oder stark sind, v. 3 b
die Ursache des Entstehens auch die Ursache des Vergehens sein. 1 Warum ? Bei den durch die Verbindung mit dem Feuer verursachten durch die Hitze hervorgerufenen Veränderungen des Brennholzes usw. vernichtet nämlich das, was die mittelmäßigen und starken Veränderungen hervorruft, die geringen und mittelmäßigen Veränderungen. Dasselbe oder etwas Ähnliches wie das, was die Ursache des Entstehens der mittelmäßigen und starken Veränderungen ist, vermag also auch die Ursache des Vergehens der geringen und mittelmäßigen Veränderungen zu sein. Daher müßte die Ursache des Entstehens auch die Ursache des Vergehens sein, oder die Ursachen des Vergehens und Entstehens könnten nicht verschiedenartig sein. Es ist 1
Die durch die Hitze hervorgerufenen Veränderungen werden allmählich
immer stärker. Dasselbe Feuer, oder wenn wir die Augenblicklichkeit berücksichtigen, ein ähnliches Feuer wie das, welches die einen Veränderungen hervorgerufen hat, vernichtet sie auch wieder, um die nächsten hervorzurufen.
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aber nicht möglich, daß sowohl das Sein als auch das Nichtsein von irgend etwas auf derselben oder auf einer ähnlichen Ursache beruht. Außerdem kann man sich beim Entstehen der verschiedenen Feuerflammen eine Verschiedenheit der erzeugenden und der vernichtenden Ursachen vorstellen. Wie will man sich aber bei den durch die Verbindung mit der Asche, dem Schnee, den Ätzmitmitteln, der Sonne, der Erde und dem Wasser veranlaßten, durch die Hitze hervorgerufenen Veränderungen des Brennholzes usw. eine Verschiedenheit der Ursachen des Entstehens und Vergehens vorstellen? 1 (Gegner:) Man beobachtet doch, daß siedendes Wasser weniger wird und verschwindet. Was ist dabei die Wirkung der Verbindung mit dem Feuer? (Antwort:) Durch die Verbindung mit dem Feuerstoff wächst die Kraft des (im Wasser enthaltenen) Feuerelements. Durch das Wachsen des Feuerelements wird veranlaßt, daß die Wassermasse im jeweils folgenden Zustand in immer geringerem Ausmaß entsteht, bis sie, ganz gering geworden, sich nicht mehr weiter fortsetzt. Das nennt man dabei die Wirkung der Verbindung mit dem Feuer. Daher hat das Vergehen der Gegebenheiten keine Ursache. Die Gegebenheiten vergehen vielmehr von selbst, weil sie vergänglich sind. Da sie aber von selbst vergehen, vergehen sie, sowie sie entstanden sind. Und durch ihr Vergehen, sowie sie entstanden sind, ist die Ansicht von ihrem augenblicklichen Vergehen erwiesen. Da sie nun augenblicklich sind, gibt es notwendigerweise keine Bewegung Die falsche Vorstellung von einer Bewegung entsteht vielmehr bei ihrem Entstehen an verschiedenen un1 Beim Feuer, das auch der Gegner f ü r augenblicklich hält, kann er die Ursachen des Entstehens und Vergehens in verschiedenen Augenblicken des Feuers sehen. Aber bei den anderen Ursachen der durch die Hitze hervorgerufenen Veränderungen, welche seiner Ansicht nach nicht augenblicklich sind, ist das nicht möglich.
Die Dogmatik des Sarvastivada
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mittelbar aufeinanderfolgenden Orten, gleich der Bewegimg der Flamme bei einem Steppenbrand. Auf Grund dieser Beweisführung gibt es also bestimmt keine Bewegung. Wir haben uns im vorhergehenden damit beschäftigt, die philosophischen Grundgedanken darzustellen, welche das System des Sarvästiväda beherrschen. Nun gehen wir dazu über, einen Überblick über die Begriffe zu geben, aus denen sich das Weltbild der Schule aufbaut. Diese Begriffe sind in der Liste der Gegebenheiten (dharmüh) zusammengefaßt. Und da diese Liste in ihrem Kern für alle Schulen typisch ist, gibt sie ein gutes Bild davon, mit welchen Vorstellungen das philosophische Denken der damaligen Zeit arbeitete. Außerdem werden die in ihr zusammengefaßten Gegebenheiten immer wieder bald hier bald dort erwähnt, und so wird eine kurze Wiedergabe gewiß von Nutzen sein. Dabei ist zur Entstehung und Gliederung dieser Liste folgendes zu bemerken. Das bei den Indern so stark ausgeprägte Streben nach Systematik hat schon früh dazu geführt, daß verschiedene philosophische Schulen versuchten, die Grundelemente, aus denen sieh nach ihrer Ansicht die Welt zusammensetzt, listenmäßig zusammenzufassen. Dieser Brauch wurde von den späteren Systemen übernommen, und so stellte das Sämkhya seine Reihe der fünfundzwanzig Wesenheiten (tattvani) auf, ebenso wie das Vaiäesika die Liste seiner Kategorien (padärthah). Als daher die buddhistischen Schulen darangingen, ihre Lehre zu vollkommenen Systemen auszugestalten, empfanden auch sie die Notwendigkeit, solche Listen zusammenzustellen, und sie taten es. Dabei wählten die Sarvästivädin folgende Einteilung. Nach ihnen zerfallen sämtliche Gegebenheiten in Vergängliches und Ewiges, wofür man im Anschluß an die althergebrachten Ausdrucksformen des Buddhismus die Bezeichnungen samskrtam (Gestaltetes) und asamskrtam (Nichtgestaltetes) verwendete, die wir als „Verursachtes" und „Nichtverursachtes" übersetzen. Ferner teilte man das Vergängliche oder Verursachte in vier Gruppen, die Materie (rüpam), das Erkennen, oder wie man in diesem Zusammenhang lieber sagte, den Geist (cittam), die mit
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mittelbar aufeinanderfolgenden Orten, gleich der Bewegimg der Flamme bei einem Steppenbrand. Auf Grund dieser Beweisführung gibt es also bestimmt keine Bewegung. Wir haben uns im vorhergehenden damit beschäftigt, die philosophischen Grundgedanken darzustellen, welche das System des Sarvästiväda beherrschen. Nun gehen wir dazu über, einen Überblick über die Begriffe zu geben, aus denen sich das Weltbild der Schule aufbaut. Diese Begriffe sind in der Liste der Gegebenheiten (dharmüh) zusammengefaßt. Und da diese Liste in ihrem Kern für alle Schulen typisch ist, gibt sie ein gutes Bild davon, mit welchen Vorstellungen das philosophische Denken der damaligen Zeit arbeitete. Außerdem werden die in ihr zusammengefaßten Gegebenheiten immer wieder bald hier bald dort erwähnt, und so wird eine kurze Wiedergabe gewiß von Nutzen sein. Dabei ist zur Entstehung und Gliederung dieser Liste folgendes zu bemerken. Das bei den Indern so stark ausgeprägte Streben nach Systematik hat schon früh dazu geführt, daß verschiedene philosophische Schulen versuchten, die Grundelemente, aus denen sieh nach ihrer Ansicht die Welt zusammensetzt, listenmäßig zusammenzufassen. Dieser Brauch wurde von den späteren Systemen übernommen, und so stellte das Sämkhya seine Reihe der fünfundzwanzig Wesenheiten (tattvani) auf, ebenso wie das Vaiäesika die Liste seiner Kategorien (padärthah). Als daher die buddhistischen Schulen darangingen, ihre Lehre zu vollkommenen Systemen auszugestalten, empfanden auch sie die Notwendigkeit, solche Listen zusammenzustellen, und sie taten es. Dabei wählten die Sarvästivädin folgende Einteilung. Nach ihnen zerfallen sämtliche Gegebenheiten in Vergängliches und Ewiges, wofür man im Anschluß an die althergebrachten Ausdrucksformen des Buddhismus die Bezeichnungen samskrtam (Gestaltetes) und asamskrtam (Nichtgestaltetes) verwendete, die wir als „Verursachtes" und „Nichtverursachtes" übersetzen. Ferner teilte man das Vergängliche oder Verursachte in vier Gruppen, die Materie (rüpam), das Erkennen, oder wie man in diesem Zusammenhang lieber sagte, den Geist (cittam), die mit
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dem Geist verbundenen oder geistigen Gegebenheiten (cittasamprayukta dharmäh oder caittäh) u n d die vom Geist getrennten Gegebenheiten (cittaviprayuktü dharmäh). Diese Einteilung verwendete m a n jedoch nicht frei u n d unbedenklich. Denn m a n f ü h l t e das Bedürfnis, sich dabei irgendwie a n die Worte des B u d d h a anzulehnen. I m K a n o n aber war keine umfassende Einteilung zu finden, die sich verwenden ließ, da der B u d d h a an dergleichen kein Interesse gehabt h a t t e . Das einzige was m a n an Einteilungen zur Not verwenden konnte, waren zunächst die f ü n f Gruppen (skandhäh), in welche der B u d d h a die irdische Persönlichkeit geteilt h a t t e . Daneben h a t t e der B u d d h a , wo er von der B e r ü h r u n g der Sinnesorgane mit ihren Objekten sprach, die sechs Sinnesorgane u n d ihre sechs Objekte als die zwölf Bereiche (äyatanäni) zusammengefaßt. Schließlich h a t t e er gelegentlich neben diese zwölf Bereiche die sechs F o r m e n des Erkennens gestellt, die aus ihnen entspringen, u n d h a t t e sie mit ihnen zur Gruppe der sogenannten achtzehn Elemente (dhatavah) vereinigt. Das war alles, was sich finden ließ, u n d so zwängte m a n d e n n in Ermanglung eines Besseren die Liste der Gegebenheiten in das P r o k r u s t e s b e t t dieser alten Einteilungen, wobei m a n , soweit es nötig war, ihren ursprünglichen Sinn weiter f a ß t e . U n d wir treffen daher in den Werken, welche die Liste der Gegebenheiten enthalten, regelmäßig Versuche, eine Übereinstimmung mit diesen alten Einteilungen herzustellen. Unsere folgende Darstellung lehnt sich wieder a n ein Werk V a s u b a n d h u s an, das sogenannte P a n c a s k a n d h a k a m , u n d zwar wegen der mustergültigen Klarheit u n d K n a p p heit, welche dieses Werk auszeichnen. Allerdings handelt es sich dabei u m ein Mahäyäna-Werk. Vasubandhu folgt darin der Liste der Gegebenheiten, die der b e r ü h m t e YogäcäraLehrer Asanga aufgestellt h a t t e . Asanga seinerseits schließt sich in seiner Liste wieder an das System der H i n a y ä n a Schule der Mahlsäsaka an. D e n n er h a t t e ursprünglich vor seinem Übertritt zum Mahäyäna dieser Schule angehört, u n d als er später die Dogmatik der YogäcäraSchule gestaltete, diente i h m ihr System als Vorbild. Letzten Endes geht also die Darstellung in V a s u b a n d h u s P a n c a s k a n d h a k a m auf die Dogmatik der Mahlsäsaka zurück. Die Ähnlichkeit m i t der Dogmatik des Sarvästiväda
Die Dogmatik des Sarvastivada
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ist aber so groß, daß dies weiter nicht stört. Und es genügt daher, wenn wir auf die wichtigsten Abweichungen hinweisen. Vasubandhu bespricht in seinem Werk, wie schon der Name sagt, vor allem die fünf Gruppen (skandhäh). Dann erwähnt er kurz die zwölf Bereiche und die achtzehn Elemente und klärt ihr Verhältnis zu den fünf Gruppen. Den Abschluß bildet die Aufzählung einer Reihe von Bestimmungen, ähnlich wie im ersten Buch des Abhidharmakoäah, und die Nennung der Gegebenheiten, denen sie zukommen. Die Besprechung der einzelnen Gegebenheiten verteilt sich auf diese Einteilung folgendermaßen. Die materiellen Gegebenheiten werden bei der Gruppe der Körperlichkeit besprochen, der Geist bei der Gruppe des Erkennens, die geistigen und vom Geist getrennten Gegebenheiten mit Ausnahme der Empfindung und des Bewußtseins, die eigene Gruppen sind, bei der Gruppe der Gestaltungen. Die nichtverursachten Gegebenheiten schließlich finden unter den zwölf Bereichen ihren Platz, und zwar unter dem Bereich der Gegebenheiten. Ich übersetze im folgenden einzelne Stücke des Werkes und gebe anschließend die notwendigen Erklärungen.
Aus dem „Werk über die fünf Gruppen" (Pancaskandhakam) Wie der Erhabene zusammenfassend gesagt hat, gibt es fünf Gruppen: 1. die Gruppe der Materie (rüpam), 2. die Gruppe der Empfindung (vedanä), 3. die Gruppe des Bewußtseins (samjnä), 4. die Gruppe der Gestaltungen (samskäräh) und 5. die Gruppe des Erkennens (vijnänam). Was ist die Gruppe der Materie ? Die vier großen Elemente und die von den vier großen Elementen abhängige Materie. Was sind die vier großen Elemente? Das Erdelement, das Wasserelement, das Peuerelement und das Windelement. Was ist das Erdelement? Die Festigkeit.
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Die Dogmatik des Hlnayana
Was ist das Wasserelement ? Die Flüssigkeit. Was ist das Feuerlement ? Die Hitze. Was ist das Windelement ? Die Leichtbeweglichkeit. Was ist die von den vier großen Elementen abhängige Materie ? Das Augenorgan, das Gehörorgan, das Geruchsorgan, das Zungenorgan und das Körperorgan, Form, Ton, Geruch, Geschmack, ein Teil des Berührbaren 1 und die Materie der NichtVerständigung (avijnaptih). Was ist das Augenorgan ? Die feine Materie, welche die Form zum Gegenstand hat. Was ist das Gehörorgan? Die feine Materie, welche den Ton zum Gegenstand hat. Was ist das Geruchorgan ? Die feine Materie, welche den Geruch zum Gegenstand hat. Was ist das Zungenorgan ? Die feine Materie, welche den Geschmack zum Gegenstand hat. Was ist das Körperorgan ? Die feine Materie, welche das Berührbare zum Gegenstand hat. Was ist die Form? Das Objekt des Auges; sie zerfällt in Form, welche Farbe, in Form, welche Gestalt, und in Form, welche Verständigung (vijfiaptih) ist. Was ist der Ton ? Das Objekt des Gehörs; er zerfällt in Ton, der durch die angeeigneten 2 großen Elemente verursacht ist, Ton der durch die nichtangeeigneten großen Elemente verursacht ist, und Ton, der durch beide (Arten der) großen Elemente verursacht ist. Was ist der Geruch ? Das Objekt des Geruchorgans; er zerfällt in angenehmen Geruch, üblen Geruch und gleichförmigen ( = indifferenten) Geruch. Was ist der Geschmack? Das Objekt der Zunge; er zerfällt in süßen, sauren, salzigen, scharfen, bittern und herben Geschmack. Was ist der Teil des Berührbaren? Das Objekt des Körpers; er besteht aus dem übrigen abhängigen Berührbaren außer den vier großen Elementen 1
Das übrige Berührbare sind die vier großen Elemente.
1
Vgl. S. 88, Anm. 2
Die Dogmatil?: des Sarvästivada
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und zerfällt in Weiches, Hartes, Schweres, Leichtes, Kaltes, Hunger und Durst. Was ist die Materie der Nichtverständigung '(avijriaptih)l Eine Materie, die durch Verständigung (vijnaptih) oder Sammlung (samädhih) entsteht und weder sichtbar noch undurchdringlich ist. Diese Darstellung der materiellen Gegebenheiten unterscheidet sich nur unwesentlich von der Lehre der Sarvästivädin u n d bedarf nach dem, was wir bereits oben (S. lOOff.) über die Lehre von den Elementen gesagt haben, im allgemeinen keiner weiteren Erklärung. Beachtenswert ist die Altertümlichkeit der Liste, deren Zusammenstellung in sehr frühe Zeit zurückgeht u n d die daher noch die verschiedensten Dinge, wie z. B. Hunger und Durst, als eigene materielle Wesenheiten betrachtet. Die Begriffe der Verständigung und Nichtverständigung gehören der Lehre von den Werken (karma) an. Verständigung ist jede Willensäußerung durch Worte oder Taten, welche Verdienst oder Schuld nach sich zieht. Nichtverständigung liegt vor, wenn jemandem gute oder böse Werke zur Last fallen, ohne daß er zur selben Zeit entsprechende Reden äußert oder Taten vollbringt. I m übrigen fallen diese spitzfindig ausgearbeiteten Vorstellungen aus dem R a h m e n der vorliegenden Darstellung u n d können daher unberücksichtigt bleiben. Es folgt die Reihe der nichtmateriellen Gegebenheiten. Was ist die Gruppe der Empfindung ? Die drei Gefühle (anubhavah): 1. Leid, 2. Lust und 3. Weder-Leid-noch-Lust. Lust ist das, bei dessen Vergehen der Wunsch besteht, damit verbunden zu bleiben. Leid ist das, bei dessen Entstehen der Wunsch besteht, davon getrennt zu werden. Weder-Leid-noch-Lust ist das, bei dem beide Wünsche fehlen. Was ist die Gruppe des Bewußtseins ? Das Erfassen der verschiedenen Merkmale der Objekte. Was ist die Gruppe der Gestaltungen? Die übrigen geistigen Gegebenheiten, außer der Empfindung und dem Bewußtsein, und die vom Geist getrennten Gestaltungen. 8
Frauwallner, Buddhismus
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Die Dogmatik des Hinayäna
Was sind die übrigen geistigen Gegebenheiten? Die Gegebenheiten, welche mit dem Geist verbunden sind. Und welche sind dies? 1. Berührung, 2. Aufmerksamkeit, 3. Empfindung, 4. Bewußtsein und 5. Wille; 1. Begehren 2. Überzeugung, 3. Erinnerung, 4. Sammlung und 5. Einsicht; 1. Glaube, 2. Scheu, 3. Scham, 4. die Wurzel des Guten, Begierdelosigkeit, 5. die Wurzel des Guten, Haßlosigkeit, 6. die Wurzel des Guten, Verblendungslosigkeit, 7. Strebsamkeit, 8. Ausgeglichenheit, 9. Achtsamkeit, 10. Gleichmut und 11. Harmlosigkeit; 1. Begierde, 2. Haß, 3. Hochmut, 4. Nichtwissen, 5. (falsche) Ansicht und 6. Zweifel; 1. Zorn, 2. Groll, 3. Verstellung, 4. Gehässigkeit, 5. Neid, 6. Geiz, 7. Falschheit, 8. Heuchelei, 9. Übermut, 10. Bosheit, 11. Hemmungslosigkeit, 12. Schamlosigkeit, 13. Schlaffheit, 14. Erregtheit, 15. Ungläubigkeit, 16. Trägheit, 17. Nachlässigkeit, 18. Vergeßlichkeit, 19. Zerstreutheit und 20. Unbesonnenheit; 1. Reue, 2. Starrheit, 3. Nachdenken und 4. Überlegen. Von diesen geistigen Gegebenheiten sind fünf allgemein verbreitet, fünf sind an bestimmte Objekte gebunden, elf sind gut, sechs sind Laster, die folgenden sind Nebenlaster und vier sind ungebunden. E s folgen Definitionen der einzelnen geistigen Gegebenheiten, die ohne besonderes Interesse sind und daher wegbleiben können. Im übersetzten Abschnitt sucht Vasubandhu eine möglichst vollständige Zusammenstellung aller geistigen Erscheinungen zu geben. Seine Liste deckt sich dabei fast vollständig mit der Liste der Sarvästivädin, nur die Einteilung ist verschieden. Vasubandhu führt zuerst fünf Gegebenheiten an, die jeden geistigen Vorgang begleiten, dann fünf weitere Gegebenheiten, deren Auftreten durch die Objekte der Erkenntnisvorgänge bedingt ist, und am Schlüsse noch vier, die an keinen bestimmten, moralischen Charakter der geistigen Vorgänge gebunden sind, sondern sowohl neben guten als auch neben bösen oder moralisch unbestimmten geistigen Gegebenheiten auf-
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treten können. Dazwischen stehen drei Gruppen von Gegebenheiten, welche den moralischen Charakter der geistigen Vorgänge bestimmen, und zwar elf gute Gegebenheiten, sechs Laster und zwanzig Nebenlaster. Demgegenüber unterscheidet das System der Sarvästivädin nach dem Abhidharmakösah zehn geistige Gegebenheiten von weitem Bereich (mahäbhümikah), welche jeden geistigen Vorgang begleiten und den ersten beiden Gruppen des Pancaskandhakam entsprechen, ferner zehn gute Gegebenheiten von weitem Bereich, sechs Laster von weitem Bereich, zwei schlechte Gegebenheiten von weitem Bereich, eine größere Zahl von Gegebenheiten aus dem Bereich der beschränkten Laster und schließlich wieder wie das Pancaskandhakam vier ungebundene Gegebenheiten. Die Einteilung des Pancaskandhakam ist deutlich klarer und fortgeschrittener. Beiden Einteilungen gemeinsam ist das starke Hervortreten der guten Gegebenheiten und der Laster, was ohne weiteres verständlich ist, da ja die ganze Psychologie dieser Schulen auf das Erlösungsziel gerichtet ist, und der Erklärung des Erlösungsvorganges dienen soll. An die Definitionen der einzelnen geistigen Gegebenheiten schließt sich die Besprechung der vom Geist getrennten Gegebenheiten. Sie beginnt folgendermaßen. Was sind die vom Geist getrennten Gestaltungen ? Sie sind bloße Benennungen (prajnaptih), die sich auf verschiedene Zustände der Materie, des Geistes und der geistigen Gegebenheiten gründen, und lassen sich weder eindeutig als verschieden noch als nichtverschieden von diesen betrachten. Und welche sind sie ? Die Erlangung (präptih), die Versenkung der Unbewußtheit (asamjnäsamäpattih), die Versenkung der Unterdrückung (nirodhasamäpattih), der Zustand der Unbewußtheit (äsamjnilcam), das Lebensorgan (jivitendriyam), die Wesensgemeinschaft (nikäyasabhägah), die Geburt, das Alter, die Dauer, die Vergänglichkeit, die Menge der Worte, die Menge der Sätze, die Menge der Laute, die Weltlichkeit (prthagjanatvam) und dergleichen mehr. 8*
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Nun folgen wieder die Definitionen der einzelnen Gegebenheiten. Die Aufzählung selbst stimmt mit der des Abhidharmakoiah überein mit alleiniger Ausnahme der Weltlichkeit, welche die Sarvästivädin nicht anerkennen, sondern als eine Art der Nichterlangung betrachten. Diese Gruppe von Gegebenheiten ist für die Denkweise der Sarvästivädin und für die Altertümlichkeit ihres Systems besonders kennzeichnend. Einerseits zeigt sich das ernste Bestreben, alle Begriffe, mit denen man arbeitete, auf ihre sachliche Grundlage zurückzuführen. Anderseits kommt man über einen primitiven Realismus nicht hinaus, der zu allen diesen Begriffen eine dinghafte Entsprechung in der Außenwelt annimmt. Entstehen und Vergehen der Dinge, ihr Andauern und allmähliches Altern sind durch eigene Gegebenheiten verursacht, die mit ihnen in Verbindung treten und diese Vorgänge veranlassen. Bei der Versenkung der Unbewußtheit und der Versenkung der Unterdrückung handelt es sich um zwei Versenkungsstufen, beim Zustand des Unbewußten um das Dasein in einer Göttersphäre, in denen die geistigen Vorgänge aussetzen. Das wird wieder durch drei besondere Gegebenheiten begründet, die das Auftreten der geistigen Gegebenheiten verhindern. Worte, Sätze und Laute werden ebenfalls für besondere Gegebenheiten angesehen, welche in Verbindung mit einem bestimmten Schall die entsprechenden Erkenntnisvorgänge auslösen. Erlangung und Wesengemeinschaft erinnern an Begriffe des Vaisesika, und zwar die Erlangung an die Eigenschaft der Verbindung und die Wesensgemeinschaft an die Kategorie der Gemeinsamkeit. Aber im Gegensatz zum Vaisesika sind sie nicht Seinsformen verschiedener Art, sondern selbständige Gegebenheiten, wie die materiellen oder geistigen Gegebenheiten auch. Außerdem sind sie auf die Lebewesen beschränkt, wo sich ihre Annahme als besonders nötig erwies. Und zwar dient die Erlangung dazu, die Bindung bestimmter Gegebenheiten an irgendeine Person zu erklären. Die Wesensgemeinschaft sollte die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe von Lebewesen begründen. Was die Weltlichkeit betrifft, so unterscheidet der Buddhismus zwischen den Heiligen (äryäh), welche den Erlösungsweg betreten haben, und den weltlichen Menschen, bei denen
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dies nicht der Fall ist. Den weltlichen Menschen fehlen gewisse Gegebenheiten, deren Besitz den Heiligen ausmacht, und eben dieses Fehlen ist wieder durch eine eigene Gegebenheit verursacht, nämlich die Weltlichkeit. Vasub a n d h u teilt übrigens diese Anschauungen des Sarvästiväda nicht. U n d das spricht er auch im ersten Satz dieses Abschnittes aus. F ü r ihn sind, der Anschauung der Sauträntika u n d Yogäcära entsprechend, die vom Geist getrennten Gestaltungen keine wirklichen, selbständigen Gegebenheiten, sondern sie existieren bloß der Benennung nach (prajñaptitah). Doch davon werden wir im folgenden noch eingehender sprechen müssen. Der nächste Abschnitt, der n u n folgt, behandelt die Gruppe des Erkennens. Sie u m f a ß t zunächst die sechs Arten des Erkennens, welche den verschiedenen Sinnesorganen entsprechen und welche daher als Augenerkennen, Gehörerkennen, Gerucherkennen, Zungenerkennen, Körpererkennen u n d Denkerkennen bezeichnet werden. Außerdem f ü g t Vasubandhu, der Yogäcära-Lehre gemäß, noch das von Lastern begleitete Denken (klistam manah) u n d das Grunderkennen (álayavijñánam) hinzu, u n d zwar sind diese beiden Arten des Erkennens die einzigen, auf die er näher eingeht. Da aber gerade diese beiden bei der Darstellung der Yogäcära-Lehre noch zur Sprache kommen werden, können wir hier von einer Behandlung absehen. Damit ist die Darstellung der f ü n f Gruppen beendet. Aus der nun folgenden Besprechung der zwölf Bereiche u n d der sechzehn Elemente wollen wir nur noch den Abschnitt über die nichtverursachten Gegebenheiten herausgreifen, der allein von größerem Interesse ist. E r l a u t e t : Was ist das Nichtverursachte ? Der Raum (äkäsam), die Unterdrückung ohne Erkenntnis (apratisamkhyänirodhah), die Unterdrückung durch Erkenntnis (pratisamkhyänirodhah) und die Soheit (tathatä). Was ist der Raum ? Was der Materie Raum gewährt. Was ist die Unterdrükkung ohne Erkenntnis ? Eine Unterdrückung, welche keine Trennung (visamyogah) ist. Was bedeutet das? Daß die ¡Gruppen ganz und gar nicht entstehen, ohne daß ein Gegensatz (pratipaksah) zu den Lastern vorhanden ist.
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Die Dogmatik des Hlnayana
Was ist die Unterdrückung durch Erkenntnis ? Eine Unterdrückung, welche Trennung ist. Was bedeutet das ? Daß die Gruppen ganz und gar nicht entstehen, weil ein Gegensatz zu den Lastern vorhanden ist. Was ist die Soheit ? Die Natur (dharmatä) der Gegebenheiten, d. h. die Wesenlosigkeit der Gegebenheiten. Von diesen vier nichtverursachten Gegebenheiten kennt der Sarvästiväda nur die ersten drei. Beim Baum ist zu beachten, daß ihn die Sarvästivädin für eine wirklieh vorhandene Gegebenheit halten. Erst die Sauträntika und Yogäeära betrachten ihn als bloße Leere. Bei den beiden Unterdrückungen handelt es sich um folgendes. Es kann vorkommen, daß irgendwelche Gegebenheiten im Persönlichkeitsstrom nicht entstehen, weil die Ursachen dafür nicht gegeben sind. Ferner bringt es die Erkenntnis der heiligen Wahrheiten als Gegensatz zum Nichtwissen und den übrigen Lastern mit sich, daß diese im Persönlichkeitsstrom nicht mehr auftreten und daß dieser schließlich vollständig unterbrochen wird. Beides wird nach der Lehre der Sarvästivädin durch eigene Gegebenheiten verursacht, welche durch ihre Verbindung mit dem Persönlichkeitsstrom das Entstehen jener Gegebenheiten verhindern, und welche Unterdrückung ohne Erkenntnis, bzw. Unterdrückung durch Erkenntnis genannt werden. Die letztere ist besonders wichtig und wir werden über sie noch sprechen müssen, denn sie bedingt die Erlösung und wird daher auch als Erlöschen, als Nirväna bezeichnet. Was schließlich die Soheit betrifft, so bedeutet sie das wahre Wesen der Dinge und stellt, wie wir noch sehen werden, im Mahäyäna das höchste Sein dar. Sie ist dem Sarvästiväda fremd. Asanga unterscheidet noch in seinen Listen nach Art der Mahisäsaka die Soheit der guten, die Soheit der bösen und die Soheit der unbestimmten Gegebenheiten. Erst Vasubandhu hat an deren Stelle die Soheit im allgemeinen gesetzt. Wir haben nun schon mehrfach Gelegenheit gehabt, zu bemerken, daß Vasubandhu von der orthodoxen Lehre der Sarvästivädin abweicht und der Lehre der Sauträntika folgt, und angesichts der großen Bedeutung dieser Lehre besonders für die logisch-erkenntnistheoretische Schule des
Die Schule der Sautrantika
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Buddhismus scheint es am Platz, hier einiges über diese Schule zu sagen. E s liegen verschiedene Nachrichten über Vorläufer der Sautrantika-Schule vor und die ersten Anfänge seheinen in ziemlich frühe Zeit zurückzureichen. I m einzelnen jedoch bleibt diese Entwicklung bisher unklar. Die eigentliche Schule wurde von Kumäraläta begründet, der in der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts n. u. Z. im Nordwesten Indiens tätig war. Sein Schüler Öriläta gab der Schule die grundlegende umfassende Dogmatik. Außerdem ist noch ein zweiter Schüler, Harivarman, erwähnenswert, weil er der einzige Vertreter der Schule ist, von dem sich ein Werk, die Tattvasiddhih („Nachweis der Wahrheit"), erhalten hat. I n späterer Zeit neigt vor allem Vasubandhu der Jüngere stark zur Richtung der Sautrantika. Und wenn er auch im einzelnen große Selbständigkeit zeigt, so kommt diese Neigung, vor allem in seinem Kommentar zum Abhidharmakosah, doch so stark zum Ausdruck, daß er von seinen Gegnern im Lager der orthodoxen Sarvästivädin kurz als „der Sautrantika" bezeichnet wurde. Über ein Weiterleben der Schule ist vorläufig nichts bekannt, doch hat sie stark auf die logisch-erkenntnistheoretische Schule eingewirkt, und manches von ihrem Gedankengut hat hier weitergelebt. Die Sautrantika werden gern im Gegensatz zum Realismus des Sarvästiväda als Nominalisten bezeichnet. Und das ist berechtigt, da sie von vielen Gegebenheiten der Sarvästivädin erklären, daß sie nur der Benennung nach (jyrajnaptitah) existieren. Natürlich leugnen sie damit keineswegs jede reale Grundlage dieser Benennungen. Sie gehen nur systematisch über den primitiven Realismus des Sarvästiväda hinaus. Den R a u m z. B . betrachten sie als bloße Leere und die Unterdrückungen als reine Vernichtung. Oft finden sie aber auch die Benennungen im Wesen der Dinge begründet, und vor allem die Kräfte (¿aktayah) der Dinge spielen dabei eine Rolle, was die logische Schule dann weiter ausgebaut hat. Als Probe für diese Gedankengänge lege ich zunächst einen T e x t vor, der zeigt wie es zu verstehen ist, daß etwas bloß der Benennung nach existiert. Dann folgt die Erörterung der Erlangung (präptih) als Beispiel für die
Die Schule der Sautrantika
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Buddhismus scheint es am Platz, hier einiges über diese Schule zu sagen. E s liegen verschiedene Nachrichten über Vorläufer der Sautrantika-Schule vor und die ersten Anfänge seheinen in ziemlich frühe Zeit zurückzureichen. I m einzelnen jedoch bleibt diese Entwicklung bisher unklar. Die eigentliche Schule wurde von Kumäraläta begründet, der in der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts n. u. Z. im Nordwesten Indiens tätig war. Sein Schüler Öriläta gab der Schule die grundlegende umfassende Dogmatik. Außerdem ist noch ein zweiter Schüler, Harivarman, erwähnenswert, weil er der einzige Vertreter der Schule ist, von dem sich ein Werk, die Tattvasiddhih („Nachweis der Wahrheit"), erhalten hat. I n späterer Zeit neigt vor allem Vasubandhu der Jüngere stark zur Richtung der Sautrantika. Und wenn er auch im einzelnen große Selbständigkeit zeigt, so kommt diese Neigung, vor allem in seinem Kommentar zum Abhidharmakosah, doch so stark zum Ausdruck, daß er von seinen Gegnern im Lager der orthodoxen Sarvästivädin kurz als „der Sautrantika" bezeichnet wurde. Über ein Weiterleben der Schule ist vorläufig nichts bekannt, doch hat sie stark auf die logisch-erkenntnistheoretische Schule eingewirkt, und manches von ihrem Gedankengut hat hier weitergelebt. Die Sautrantika werden gern im Gegensatz zum Realismus des Sarvästiväda als Nominalisten bezeichnet. Und das ist berechtigt, da sie von vielen Gegebenheiten der Sarvästivädin erklären, daß sie nur der Benennung nach (jyrajnaptitah) existieren. Natürlich leugnen sie damit keineswegs jede reale Grundlage dieser Benennungen. Sie gehen nur systematisch über den primitiven Realismus des Sarvästiväda hinaus. Den R a u m z. B . betrachten sie als bloße Leere und die Unterdrückungen als reine Vernichtung. Oft finden sie aber auch die Benennungen im Wesen der Dinge begründet, und vor allem die Kräfte (¿aktayah) der Dinge spielen dabei eine Rolle, was die logische Schule dann weiter ausgebaut hat. Als Probe für diese Gedankengänge lege ich zunächst einen T e x t vor, der zeigt wie es zu verstehen ist, daß etwas bloß der Benennung nach existiert. Dann folgt die Erörterung der Erlangung (präptih) als Beispiel für die
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Behandlung der von den Dogmatikern des Sarvästiväda gelehrten Begriffe. Schließlich werden wir noch bei der Darstellung der Erlösungslehre auf die Auffassung des Nirvana bei den S a u t r ä n t i k a zu sprechen k o m m e n . Der erste T e x t ist aus dem 6. Buch des A b h i d h a r m a kosah genommen u n d behandelt die Frage des scheinbar oder beschränkt Wirklichen (samvrtisat) u n d des w a h r h a f t Wirklichen (paramürthasat). Diese beiden Begriffe haben im Mahäyäna, wie wir noch sehen werden, große B e d e u t u n g u n d dienen dazu, die Erscheinungswelt u n d das wahre Sein zu kennzeichnen. Der vorliegende T e x t zeigt demgegenüber einen Versuch des H i n a y a n a , sich mit diesen Begriffen auseinanderzusetzen, wobei sie natürlich der eigenen Lehre entsprechend ganz anders aufgefaßt werden. Sie werden nämlich hier dazu verwendet, innerhalb der Erscheinungswelt selbst eine Unterscheidung zu treffen, u n d zwar zwischen Dingen, welche nur der gewöhnlichen Auffassung n a c h existieren, u n d zwischen Dingen, die als solche wirklich sind. Bei den ersteren handelt es sich u m Dinge, welche aus einer Zusammensetzung bestehen, u n d wo daher die Worte u n d Vorstellungen keine genaue dingh a f t e E n t s p r e c h u n g haben. E s handelt sich also u m einen ähnlichen Fall, wie im Vaiáesika u n d den v e r w a n d t e n Systemen, wo m a n sich gescheut h a t t e , bei rein äußerlichen Vereinigungen von Dingen, wie bei einem Wald oder bei einem Heer, ein Ganzes oder eine Gemeinsamkeit als Grundlage der betreffenden W o r t e u n d Vorstellungen anzunehmen. N u r ging m a n hier viel weiter. Man d e h n t e die gleiche Anschauung auf alle Fälle aus, wo es sich u m eine Verbindung von Teilen handelt, bei der die W o r t e u n d Vorstellungen a n eben dieser Verbindung u n d ihrer F o r m h a f t e n u n d bei der Auflösung der Verbindung u n d dem Verschwinden der F o r m nicht mehr darauf bezogen werden. So wie m a n z. B. n a c h der Z e r t r ü m m e r u n g eines Topfes n u r mehr von Scherben, aber nicht mehr von einem Topf spricht. J a , m a n ging sogar so weit, alle Fälle mit einzubeziehen, wo m a n eine Verbindung verschiedener Dinge voraussetzte, auch wenn m a n sie nicht praktisch, sondern nur in Gedanken zu zerlegen vermochte. Einen solchen Fall sah m a n z. B. in dem, was m a n im gewöhnlichen Leben f ü r Elemente ansieht, Wasser, Feuer usw.,
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was die buddhistischen Schulen aber als eine Mischung verschiedenartiger Atome betrachteten. In allen diesen Fällen nahm man also an, daß keine wirklichen Dinge vorhanden sind, welche den Worten und Vorstellungen entsprechen. Diese Dinge bestehen vielmehr nur scheinbar, nur nach der Auffassung des gewöhnlichen Lebens. Wirklich sind nur ihre Bestandteile. Damit hatte man aber mit dem grundsätzlichen Realismus gebrochen, der für alle Worte und Vorstellungen ein wirkliches Korrelat verlangt. U n d auf dieser Anschauung fußt die Lehre von Dingen, welche nur der Benennung nach existieren ( p r a j ñ a p t i s a t ) .
Das scheinbar und das wahrhaft Wirkliche (AbhidharmakosaJi, VI v. 4) Der Erhabene hat also gesagt, daß es vier Wahrheiten gibt. In einem andern Sütra wieder h a t er gesagt, daß es zweierlei Wahrheit gibt, die beschränkte Wahrheit (samvrtisatyam) und die höchste Wahrheit (paramärthasatyam). Welches ist das Merkmal dieser beiden Wahrheiten ? Der Verstext sagt: (v. 4) wenn sich die Erkenntnis eines Gegenstandes nicht mehr einstellt, sobald er zertrümmert ist oder sobald man durch das Denken das Andersartige aussondert, dann ist er scheinbar wirklich (samvrtisat), wie ein Topf oder Wasser. Das Gegenteil davon ist wahrhaft wirklich (paramärthasat). Wenn sich die Erkenntnis eines Gegenstandes nicht mehr einstellt, sobald er zertrümmert ist, dann ist dieser Gegenstand als scheinbar wirklich zu betrachten, so wie ein Topf, bei dem sich, wenn er zertrümmert ist und nur die Scherben vorhanden sind, die Erkenntnis des Topfes nicht mehr einstellt. Das gleiche gilt bei einem Tuch usw. Wenn sich ferner bei einem Gegenstand, sobald man durch das Denken das Andersartige aussondert, seine Erkenntnis
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Die Dogmatik des Hinayana
nicht mehr einstellt, dann ist er ebenfalls scheinbar wirklich, so wie Wasser, bei dem sich, wenn man durch das Denken die Form usw. aussondert, die Erkenntnis des Wassers nicht mehr einstellt. Das gleiche gilt beim Feuer usw. Solange nun bei dem betreffenden Gegenstand die Zertrümmerung oder Aussonderung noch nicht stattgefunden hat, bezeichnet man ihn der gewöhnlichen Denk- und Sprechweise zufolge als solchen, und weil man ihn so bezeichnet, heißt er scheinbar wirklich. Wenn man ferner dem gewöhnlichen Gebrauch gemäß vom Vorhandensein einesTopfes usw. spricht, so ist das wahr und nicht falsch; und daher spricht man von scheinbarer Wahrheit. Wenn ein Gegenstand das Gegenteil davon ist, dann nennt man ihn wahrhaft wirklich. Die Erkenntnis dieses Gegenstandes schwindet nämlich nicht, wenn man ihn zertrümmert, und wenn man durch das Denken das Andersartige aussondert, besteht seine Erkenntnis weiter. Daher ist dieser Gegenstand als wahrhaft wirklich zu betrachten. So wie die Form (rüpam) usw., bei der, wenn man sie bis auf die Atome zerteilt, oder wenn man durch das Denken das Andersartige, wie den Geruch usw., aussondert, ihre Erkenntnis dauernd weiterbesteht. Das gleiche gilt von der Empfindung usw. Weil nun der (betreffende Gegenstand) vollkommen wirklich ist, heißt er wahrhaft wirklich. Wenn man ferner auf das wahrhaft Wirkliche gestützt vom Vorhandensein der Form usw. spricht, so ist das wahr und nicht falsch. Und daher spricht man von höchster Wahrheit. Die alten Meister geben folgende Erklärung: Wie die Gegebenheiten durch das überirdische Wissen und das anschließend daran erworbene richtige irdische Wissen erfaßt werden, heißen sie wahrhaft wahr. Und wie sie durch jedes andere Wissen erfaßt werden, heißen sie scheinbar wahr. Damit ist die Erörterung der Wahrheiten beendet.
Die Schule der Sautrantika
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Der nächste Abschnitt zeigt, wie die Begriffe der Sarvästivädin von den Sautrantika in ihrem Sinn umgedeutet wurden. E r s t a m m t aus dem 2. Buch des Abhidharmakoiah u n d handelt von der Erlangung (prüptih). Diese ist nach der Lehre der Sarvästivädin eine eigene Wesenheit, welche bestimmte Gegebenheiten, vor allem Laster u n d gute Gegebenheiten, an einen Persönlichkeitsstrom bindet. Sie verursacht dadurch, daß diese Gegebenheiten zur gegebenen Zeit in diesem Persönlichkeitsstrom auftreten, u n d bestimmt auch außerhalb dieser Zeit, während diese Gegebenheiten nicht in Tätigkeit sind, den Charakter des Menschen, so daß er demzufolge als lasterhaft oder tugendh a f t gilt. I m Gegensatz zu dieser Lehre bemüht sich Vasub a n d h u im Sinne der Sautrantika zu zeigen, daß es eine solche Erlangung genannte Wesenheit nicht gibt. Die erwähnten Tatsachen beruhen seiner Ansicht nach vielmehr auf einer bestimmten Beschaffenheit des Persönlichkeitsstromes, welche gleichsam den Samen der betreffenden Gegebenheit darstellt und ihn befähigt, sie zur gegebenen Zeit hervorzubringen. Auf diese Beschaffenheit bezieht es sich also auch, wenn man von einer Erlangung spricht. U n d daher besteht diese nur der Benennung nach, aber nicht wirklich als eigene Wesenheit.
Das Wesen der Erlangung (Abhidharmakosah
II v. 36)
Wieso kann man behaupten, daß es ein eigenes Ding {dravyam) namens Erlangung (präptih) gibt ? . . . Denn da weder ihr eigenes Wesen wahrgenommen wird, wie bei der Form, dem Ton usw. oder bei der Begierde, dem Haß usw., noch ihre Wirkung, wie beim Auge, beim Gehör usw., sind die Eigenschaften eines Dinges nicht gegeben und sie ist daher nicht möglich. 1 1 Die Mittel richtiger Erkenntnis sind Wahrnehmung und Schlußfolgerung. Die Erlangung wird aber weder wahrgenommen wie die Form usw. noch erschlossen, wie das Auge usw.
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Die Dogmatik des Hïnayana
(Gegner:) Erlangung nennt man die Ursache des Entstehens der Gegebenheiten. (Antwort:) Dann könnte es sie bei Niehtverursachtem nicht geben. 1 Und wie könnten außerdem Gegebenheiten entstehen, welche man noch nicht erlangt hat, oder welche man durch Wechsel der Sphäre oder durch Leidenschaftslosigkeit abgetan h a t 2 ? (Gegner:) Die zugleich entstehende Erlangung ist ihre Ursache. (Antwort:) Was bewirkt dann die Geburt (jâtif),) oder die Geburt der Geburt (jätijätih) ? 3 Ferner wäre bei Menschen, welche sämtliche Fesseln tragen, eine Verschiedenheit der entstehenden Laster, die gering, mittelmäßig oder stark sind, nicht möglich, da doch (ihre Ursache) die Erlangung nicht verschieden ist. Oder sie entstehen aus dem, woraus diese Verschiedenheit hervorgeht. Daher ist die Erlangung nicht die Ursache des Entstehens. (Gegner:) Wer sagt, daß die Erlangung die Ursache des Entstehens ist? (Antwort:) Was ist sie denn? (Gegner:) Sie ist die Ursache der Unterscheidung. Wenn es nämlich keine Erlangung gäbe, dann wäre bei Heiligen, welche weltliche Gedanken hegen, und bei Weltmenschen die Unterscheidung: „Das sind Heilige und das sind Weltmenschen" nicht möglich. (Antwort:) Diese (Unterscheidung) kann auch auf der Verschiedenheit beruhen, daß man die Laster abgelegt hat oder nicht abgelegt hat. (Gegner:) Und wie ist es möglich zu sagen, daß die einen die Laster abgelegt haben und daß die andern die Laster 1 Nach der Lehre der Sarvästivädin treten die nichtverursachten Gegebenheiten, Unterdrückung durch Erkenntnis und Unterdrückung ohne Erkenntnis, durch die Erlangung in Verbindung mit dem Persönlichkeitsstrom. Das wäre aber im angenommenen Falle nicht möglich, da Nichtverursachtes nicht ent stehen kann. 3 Da vor ihrer Entstehung auch keine Erlangung da ist, die sie verursachen könnte. 8 Nach der Lehre der Sarvästivädin ist die Gegebenheit Geburt (jätih) die Ursache des Entstehens der Dinge (s. S. 114 f.), und deren Ursache ist wieder die Geburt der Geburt.
Die Schule der Sautrantika
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nicht abgelegt haben ? Wenn dagegen eine Erlangung vorhanden ist, dann ergibt sich dies daraus, daß diese verschwunden ist oder nicht verschwunden ist. (Antwort:) Es ergibt sich aus der Verschiedenheit des Trägers (d. h. des Persönlichkeitsstromes). Bei den Heiligen ist nämlich der Träger durch den Weg des Schauens und der Betrachtung 1 so umgestaltet, daß die dadurch abzulegenden Laster nicht mehr wiedererstehen können. Wenn nun ein Träger gleich einem vom Feuer verbrannten Reiskorn, auf diese Weise so geworden ist, daß er nicht mehr Same der Laster sein kann, oder wenn durch den weltlichen Weg seine Fähigkeit, Same zu sein, beeinträchtigt ist, dann sagt man, daß er die Laster abgelegt hat; im gegenteiligen Falle sagt man, daß er sie nicht abgelegt hat. Wer sie abgelegt hat, von dem sagt man, daß er sie nicht besitzt, wer sie nicht abgelegt hat, von dem sagt man, daß er sie besitzt. Was ferner die guten Gegebenheiten betrifft, so sind sie zweifach, ohne Bemühung entstanden und durch Bemühung entstanden, d. h. solche, die man von Geburt an besitzt, und solche, die durch Anstrengung erworben werden. Dabei sagt man, daß jemand die ohne Bemühung entstandenen besitzt, wenn die Fähigkeit des Trägers, ihr Same zu sein, nicht beeinträchtigt ist; wenn sie beeinträchtigt ist, sagt man, daß er sie nicht besitzt. Dann sind die Wurzeln des Guten durchschnitten. Und zwar soll man wissen, daß dies durch falsche Ansicht geschieht. Übrigens wird die Fähigkeit, Same der guten Gegebenheiten zu sein, im Persönlichkeitsstrom nie vollständig vernichtet. Bei den durch Bemühung entstandenen (Gegebenheiten) wiederum sagt man, daß sie jemand besitzt, wenn sie einmal entstanden sind und die Fähigkeit des * Vgl. die unten folgende Darstellung der Erlösungslehre.
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Die Dogmatik des Hlnayana
Persönlichkeitsstromes, sie beliebig hervorzurufen, keiner Hemmung unterliegt. Der S a m e also, der nicht vollständig beseitigt ist, nicht beeinträchtigt ist und zur Zeit, wo sich die Fähigkeit auswirkt, kräftig ist, der ist es, der die Bezeichnung Besitz ( = Erlangung) erhält, und kein eigenes Ding. (Gegner:) Was ist dieser sogenannte S a m e ? (Antwort:) Name und Form, insofern sie infolge einer besonderen Umgestaltung des Augenblicksstromes fähig sind, unmittelbar oder mittelbar eine bestimmte Wirkung hervorzubringen. (Gegner:) Was ist diese sogenannte Umgestaltung? (Antwort:) D a s Anderswerden des Augenblicksstromes. (Gegner:) Und was ist dieser sogenannte Augenblicksstrom? (Antwort:) Die den drei Zeitstufen angehörigen Gestaltungen, insofern sie im Verhältnis von Ursache und Wirkung zueinander stehen . . . Daher ist die Erlangung und ihre Verneinung, die Nichterlangung, auf jeden Fall nur eine Gegebenheit der Benennung nach, aber keine dinghafte Gegebenheit. E s bleibt uns zum Schluß noch die Aufgabe, wenigstens kurz zu besprechen, welche Ausgestaltung die Erlösungslehre im Hlnayana erhalten hat. Denn bei der zentralen Stellung der Erlösungslehre im Buddhismus wird immer wieder auf sie Bezug genommen. Und überdies rührt die Frage nach dem Wesen der Erlösung an die entscheidendsten philosophischen Probleme. Bei den Sarvästivädin hat nun die Erlösungslehre im Laufe der Zeit im Wege einer Entwicklung, die wir hier nicht eingehender verfolgen können, folgende Form angenommen. Die Wesen sind seit anfangsloser Zeit in den qualvollen Wesenskreislauf verstrickt und wandern durch die Kraft der Werke (karma) getrieben ruhelos von Geburt zu Geburt. Die Werke üben jedoch ihre K r a f t nur aus, wenn sie moralisch bestimmt sind. Sonst sind sie unwirksam. Die moralische Bestimmtheit ergibt sich aus ihrer Verbindung mit den guten und bösen geistigen Gegebenheiten, vor allem mit den Lastern. Wer also die Erlösung
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Die Dogmatik des Hlnayana
Persönlichkeitsstromes, sie beliebig hervorzurufen, keiner Hemmung unterliegt. Der S a m e also, der nicht vollständig beseitigt ist, nicht beeinträchtigt ist und zur Zeit, wo sich die Fähigkeit auswirkt, kräftig ist, der ist es, der die Bezeichnung Besitz ( = Erlangung) erhält, und kein eigenes Ding. (Gegner:) Was ist dieser sogenannte S a m e ? (Antwort:) Name und Form, insofern sie infolge einer besonderen Umgestaltung des Augenblicksstromes fähig sind, unmittelbar oder mittelbar eine bestimmte Wirkung hervorzubringen. (Gegner:) Was ist diese sogenannte Umgestaltung? (Antwort:) D a s Anderswerden des Augenblicksstromes. (Gegner:) Und was ist dieser sogenannte Augenblicksstrom? (Antwort:) Die den drei Zeitstufen angehörigen Gestaltungen, insofern sie im Verhältnis von Ursache und Wirkung zueinander stehen . . . Daher ist die Erlangung und ihre Verneinung, die Nichterlangung, auf jeden Fall nur eine Gegebenheit der Benennung nach, aber keine dinghafte Gegebenheit. E s bleibt uns zum Schluß noch die Aufgabe, wenigstens kurz zu besprechen, welche Ausgestaltung die Erlösungslehre im Hlnayana erhalten hat. Denn bei der zentralen Stellung der Erlösungslehre im Buddhismus wird immer wieder auf sie Bezug genommen. Und überdies rührt die Frage nach dem Wesen der Erlösung an die entscheidendsten philosophischen Probleme. Bei den Sarvästivädin hat nun die Erlösungslehre im Laufe der Zeit im Wege einer Entwicklung, die wir hier nicht eingehender verfolgen können, folgende Form angenommen. Die Wesen sind seit anfangsloser Zeit in den qualvollen Wesenskreislauf verstrickt und wandern durch die Kraft der Werke (karma) getrieben ruhelos von Geburt zu Geburt. Die Werke üben jedoch ihre K r a f t nur aus, wenn sie moralisch bestimmt sind. Sonst sind sie unwirksam. Die moralische Bestimmtheit ergibt sich aus ihrer Verbindung mit den guten und bösen geistigen Gegebenheiten, vor allem mit den Lastern. Wer also die Erlösung
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a u s dem Leid des Wesenskreislaufes a n s t r e b t , m u ß zuerst die Laster beseitigen. D a n n verlieren die Werke ihre K r a f t u n d der Wesenskreislauf findet ein E n d e . Zur A u f h e b u n g der Laster f ü h r t der Erlösungsweg, der im intuitiven Erschauen der vier heiligen Wahrheiten gipfelt. Nach verschiedenen vorbereitenden Übungen, zu denen z. B. auch das b e d a c h t s a m e Ein- u n d A u s a t m e n zählt, beginnt m a n mit den vier Erweckungen der Wachsamkeit (smrtyupasthanüni), die schon im ältesten Buddhism u s eine große Rolle spielen. Es folgen die der Durchdringung förderlichen Gegebenheiten (nirvedhabhügiyani), bei denen m a n in vier Stufen die geoffenbarten vier heiligen Wahrheiten immer eindringlicher b e t r a c h t e t . Sie m ü n d e n schließlich in das eigene u n m i t t e l b a r e Erschauen (abhisamayah) dieser Wahrheiten. D a m i t beginnt der Erlösungsweg im engeren Sinn, der die Beseitigung der Laster h e r b e i f ü h r t , u n d zwar zunächst der Weg des Schauens (darianamcirgah). Nach der Dogmatik gliedert sich dieser Vorgang des Erschauens der heiligen Wahrheiten in sechzehn Augenblicke. Bei jeder Wahrheit werden n ä m lich zunächst in einem Augenblick die ihrer E r k e n n t n i s entgegenstehenden Laster beseitigt, d a n n erwirbt m a n in einem zweiten Augenblick die Erlangung (praptih), also den festen Besitz dieser Erkenntnis. U n d da außerdem bei jeder Wahrheit die E r k e n n t n i s hinsichtlich der untersten Weltensphäre, der Sphäre der Begierde, von der E r k e n n t n i s hinsichtlich der beiden höheren Sphären, der Sphäre des Materiellen u n d der Sphäre des Nichtmateriellen, unterschieden wird, ergibt sich insgesamt f ü r alle vier W a h r heiten die Zahl von sechzehn Augenblicken. Bemerkenswert u n d f ü r den n ü c h t e r n e n Geist der Schule kennzeichn e n d ist dabei, d a ß der Weg des Schauens nicht unbedingt die Übung der vom B u d d h a gelehrten Yersenkungsstufen voraussetzt u n d d a ß das Erschauen der heiligen Wahrheiten selbst t r o t z seinem übernatürlichen hellsichtigen Charakter auf einer Vorstufe dieser Versenkungsstufen erfolgen k a n n . Mit dem Erschauen der heiligen Wahrheiten ist der wichtigste Teil des Erlösungsweges zurückgelegt. Der J ü n g e r ist n u n m e h r ein Heiliger (aryah) geworden, während er f r ü h e r ein Weltmensch (prthagjanah) war. Die Erlösung
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ist aber d a m i t noch nicht gewonnen. E s gibt nämlich zweierlei Laster. Die einen bestehen in mangelhafter Erkenntnis, die a n d e r n sind Leidenschaften, eine Unterscheidung, die bereits in der Lehre des B u d d h a eine E n t sprechung h a t , wo in der zwölfgliedrigen Ursachenkette das Leiden auf zwei Wurzeln zurückgeführt wird, auf das Nichtwissen u n d den D u r s t . Von diesen beiden G r u p p e n k a n n n u n die m a n g e l h a f t e E r k e n n t n i s durch das Erschauen der heiligen Wahrheiten beseitigt werden, die Leidenschaften dagegen nicht. Man h a t t e nämlich e r k a n n t , d a ß gegen die Leidenschaften die bloße E r k e n n t n i s unwirksam ist. Sie müssen vielmehr durch gewohnheitsmäßige dauernde Beeinflussung b e k ä m p f t werden. D e m g e m ä ß unterschied m a n beim Erlösungsweg neben dem Weg des Schauens, welcher das Nichtwissen beseitigt, einen Weg der Betracht u n g (bhüvanümürgah), welcher der B e k ä m p f u n g der Leidenschaften dienen soll. Dieser Weg der B e t r a c h t u n g ist selbst wieder zweifach. F ü r den Heiligen, der die heiligen Wahrheiten bereits geschaut h a t , besteht er in einer wiederholten B e t r a c h t u n g der heiligen Wahrheiten, welche allmählich a u c h auf die Leidenschaften wirkt u n d sie vernichtet. Die B e k ä m p f u n g der Leidenschaften ist aber nicht n u r d e m Heiligen möglich. Wohl k a n n die Beseitigung des Nichtwissens n u r durch die E r k e n n t n i s der heiligen W a h r h e i t e n erfolgen. Aber die Leidenschaften k a n n u n d soll auch der Weltmensch bekämpfen. Es gibt daher neben dem überweltlichen (lokottarah) Weg, den der B u d d h a gelehrt h a t , a u c h einen weltlichen (laukikah) Weg der Betrachtung, indem m a n z. B. unabhängig von der Verkündigung des B u d d h a das Leid des Daseins b e t r a c h t e t u n d sich so von der Welt abwendet. Dieser weltliche Weg der B e t r a c h t u n g k a n n aber auch vor dem Weg des Schauens b e t r e t e n werden. J a der B u d d h a selbst ist das hervorragendste Beispiel d a f ü r . Denn er h a t t e vor der Erleuchtung auf dem weltlichen Weg der B e t r a c h t u n g bereits alle Leidenschaften vollständig ausgerottet, so d a ß ihm im Augenblick der E r l e u c h t u n g die E r k e n n t n i s der heiligen Wahrheiten zugleich auch die Erlösung brachte. Auf diesem doppelten Weg, dem Weg des Schauens u n d dem Weg der Betrachtung, mag dieser n u n der weltliche oder der überweltliche sein, ist es also möglich, sämtliche
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L a s t e r zu vernichten. Mit der Vernichtung der Laster verlieren dann die Werke ihre Wirksamkeit und die Erlösung stellt sich ein. Nun erhebt sich aber die F r a g e : Was ist die Erlösung, oder wie sie der Buddha nennt, das Erlöschen, das Nirväna? Gerade in der Beantwortung dieser Frage zeigt sich nun deutlicher als irgendwo der nüchterne realistische Geist, der die Scholastik des Sarvästiväda kennzeichnet, gleichzeitig aber auch die bedenkenlose Folgerichtigkeit, mit der man am einmal eingeschlagenen Weg festhielt und ihn zu Ende ging. E i n unfaßbares höchstes Sein kennt der aller Mystik abgekehrte Geist der Schule nicht. Das Nirväna muß also wie jeder andere Gegenstand des Erkennens eine dinghafte Gegebenheit sein. So fordert es die Logik des Systems. Wie aber ist diese Gegebenheit genauer zu bestimmen ? Dafür waren wieder die zahlreichen Schriftstellen maßgebend, welche das Nirväna als Aufhebung des Leidens und Schwinden der Begierde kennzeichnen. Das Nirväna muß also etwas sein, das die B e gierde aus dem Persönlichkeitsstrom ausmerzt und das Entstehen weiterer leidvoller Gegebenheiten verhindert. Damit konnte aber das Denken schon wieder in gewohnte Bahnen einlenken. Man kannte eine Gegebenheit Erlangung (prWptih), welche die Zugehörigkeit bestimmter Gegebenheiten zum Persönlichkeitsstrom verursacht. Als Ursache der Nichtzugehörigkeit galt eine zweite Gegebenheit, die Nichterlangung ( a p r ä p t i h ) . Nichts lag daher näher als anzunehmen, daß das Nirväna eine ähnlich geartete Gegebenheit ist, deren Verbindung mit dem Persönlichkeitsstrom dazu führt, daß die Laster und alle lasterhaften Gegebenheiten daraus ausgeschieden werden und später nicht mehr darin auftreten können. Und so wurde denn das Nirväna auch tatsächlich bestimmt. E i n Unterschied ergab sich nur insofern, als man es zu den nichtverursaehten Gegebenheiten rechnete, und nicht zu den verursachten. Aber dazu nötigten die zahlreichen Schriftstellen, welche das Nirväna als ewig und unvergänglich bezeichnen. So ergibt sich also die uns merkwürdig anmutende Tatsache, daß nach der Dogmatik des Sarvästiväda die Erlösung, das Nirväna, nichts anderes ist als eine Gegebenheit wie die übrigen auch, die mit dem Persönlichkeitsstrom in Verbindung tritt und so ihre Wirkung ausübt. 9
Frauwallner, Buddhismus
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Die Dogmatik des Hlnayana
Dieser Auffassung des Nirväna sind wir bereits im Pancaskandhakam Vasubandhus begegnet, wo es unter den nichtverursachten Gegebenheiten unter dem Namen der Unterdrückung durch Erkenntnis (pratisamkhyünirodhah) erscheint. Und die gleiche Lehre findet sich auch im Abhidharmakosah. Danach ist das Nirväna eine nicbtverursachte Gegebenheit, welche den Namen Unterdrückung durch Erkenntnis führt, weil sie auf Grund der Erkenntnis der heiligen Wahrheiten das Verschwinden der Laster verursacht. Sie wird als Trennung (visamyogah) bestimmt, weil sie die Laster und die lasterhaften Gegebenheiten aus dem Persönlichkeitsstrom ausscheidet. Schließlich ist noch zu bemerken, daß es nicht bloß eine solche Unterdrückung durch Erkenntnis gibt, sondern so viele, als Laster aus dem Persönlichkeitsstrom auszuscheiden sind, weil sonst mit dem Ausscheiden eines Lasters alle ausgeschieden werden müßten und damit bereits die Erlösung gewonnen wäre. Die Stelle des Abhidharmakosah, welche diese Lehre von der Unterdrückung durch Erkenntnis enthält, hat folgenden Wortlaut.
Die Unterdrückung durch Erkenntnis (Abhidharmakosah,
I v. 6)
Die Unterdrückung durch Erkenntnis ist Trennung (visamyogah). Die Unterdrückung durch Erkenntnis ist die Trennung von den befleckten (säsravah) Gegebenheiten. Die Erkenntnis ist das Erkennen der heiligen Wahrheiten vom Leiden usw., also eine Form der Einsicht (prajnä). Die dadurch erlangte Unterdrückung ist die Unterdrückung durch Erkenntnis . . . (Frage:) Ist die Unterdrückung durch Erkenntnis bei allen befleckten Gegebenheiten eine und dieselbe ? (Antwort:) Nein. Was ist sie denn ? (Sie ist) in jedem Fall verschieden. E s gibt ebensoviel trennende Dinge, als es verbundene Dinge gibt, denn sonst würde aus der Verwirklichung
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der Unterdrückung der durch das Schauen des Leidens zu beseitigenden Laster die Verwirklichung der Unterdrückung sämtlicher Laster folgen. In diesem Falle wäre aber das Üben der übrigen Gegensätze (pratipakßäh) 1 zwecklos. (Einwand:) Es heißt doch: Die Unterdrückung ist ohnegleichen (asabhägah). Was bedeutet das? (Antwort:) Dieser Ausspruch bedeutet, daß sie keine gleichartige Ursache (sabkägahetuh) hat, und daß sie selbst nicht die gleichartige Ursache von etwas anderem ist, (er bedeutet) aber nicht, daß es überhaupt nichts gibt, was ihr gleichartig wäre. Damit ist die Unterdrückung durch Erkenntnis besprochen. Diese eigentümliche Auffassung der Sarvästivädin vom Wesen des Nirväna wurde allerdings von den anderen Schulen nicht geteilt. Sie hat zwar, wie das System der Sarvästivädin durchweg, auch außerhalb der Schule ihre Wirkung geltend gemacht, aber die Abweichungen in der Auffassung der anderen Schulen waren mannigfaltig und teilweise beträchtlich. Auch die Sauträntika wichen, wie in so vielen anderen Fällen, in diesem Punkt von der Lehre der Sarvästivädin ab. Und auf ihre Ansicht wollen wir etwas näher eingehen. Die Ansicht der Sauträntika vom Wesen des Nirväna ergibt sich folgerichtig aus ihrer allgemeinen Einstellung. Sie gehen, wie meist, von der Anschauung der Sarvästivädin aus und formen diese dann in ihrem Sinne um. Das Nirväna ist also auch für sie Unterdrückung durch Erkenntnis. Aber sie geben sich mit dem primitiven Realismus des Sarvästiväda nicht zufrieden, der in dieser Unterdrückung eine eigene Wesenheit sieht, sondern bestimmen sie selbständig nach ihrer Art. Nun besteht die Unterdrückung durch Erkenntnis darin, daß die Laster und lasterhaften Gegebenheiten in Zukunft nicht mehr entstehen. Ein Nichtentstehen ist aber ein bloßes Nichtsein. So folgerten sie, daß das Nirväna ein Nichtsein, ein bloßes Nichts ist, und sie scheuten sich auch nicht, dies klipp und klar auszusprechen. 1
9*
D. h. der übrigen den L a s t e r n entgegenwirkenden
Gegebenheiten.
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Die Dogmatik des Hinayana
Diese Lehre der Sauträntika ist in einer langen Auseinandersetzung im zweiten Buch des Abhidharmakoäha behandelt, in der Vasubandhu zuerst die Lehre der Sauträntika kurz wiedergibt und sie dann gegen die Einwände der Sarvästivädin verteidigt, und von dieser Auseinandersetzung wollen wir einige Proben wiedergeben. Die Gegner arbeiten dabei zum Teil in der gewohnten Weise mit Stellen aus den heiligen Schriften. Schwierigkeiten bereitet ihnen vor allem das Problem, wieso ein Nichtsein Gegenstand der Erkenntnis sein kann und wieso Aussagen darüber möglich sind.
Das Nirväna als ein Nichtsein (Abhidharmakosah
II v. 55)
Die Sauträntika-Lehrer sagen: Alles Nichtverursachte (asamskrtam) ist nicht wirklich vorhanden, weil es nicht wie Form, Empfindung usw. ein gesondertes wirkliches Ding ist . . . Wenn die bereits entstandene Belastung (anusayah) und Geburt vernichtet ist und durch die Kraft der Erkenntnis eine neue nicht mehr entsteht, so nennt man dies Unterdrückung durch Erkenntnis . . . (Einwand:) Wenn das Nirväna ein bloßes Nichtentstehen ist, wie läßt sich dann der Wortlaut des Sütram damit vereinbaren? Das Sütram sagt nämlich: „Wenn man die fünf Vermögen (indriyäni) übt, pflegt und fördert, führen sie zum Abstoßen des vergangenen, zukünftigen und gegenwärtigen Leidens." Dieses Abstoßen ist das Nirväna. Nun läßt sich ein Nichtentstehen nur bei etwas Zukünftigem denken, aber nicht bei etwas Vergangenem und Gegenwärtigem. Wieso besteht also kein Widerspruch ? (Antwort:) Wenn auch dieser Wortlaut vorliegt, so besteht doch dem Sinn nach kein Widerspruch. Das Sütram besagt nämlich sinngemäß, daß man die Laster abstößt, welche auf dem vergangenen und gegenwärtigen Leiden
Die Erlösungslehre des H l n a y a n a
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beruhen, und deshalb heißt es Abstoßen des Leidens. Dementsprechend hat auch der Erhabene gesagt: „Ihr sollt die Begierde nach der Form abstoßen. Wenn ihr die Begierde abstoßt, so heißt dies Abstoßen der Form und Verstehen der Form" usw. in der gleichen Weise bis zum Erkennen. 1 Ebenso ist also das Abstoßen des vergangenen und gegenwärtigen Leidens zu verstehen . . . (Einwand:) Wenn die nichtverursachten Gegebenheiten ihrem Wesen nach überhaupt nicht sind, warum sagt dann das Sütram: „Von allen Gegebenheiten, die es gibt, seien sie verursacht oder nichtverursacht, ist die Begierdelosigkeit 2 weitaus die erste?" Wieso kann eine nichtseiende Gegebenheit unter nichtseienden als die erste hingestellt werden? (Antwort:) Wir sagen auch nicht, daß die nichtverursachten Gegebenheiten ihrem Wesen nach überhaupt nicht sind. Sie müssen vielmehr sein, wie wir etwas (von ihnen) aussagen. So sagt man z. B., daß es ein früheres Nichtsein und ein späteres Nichtsein eines Tones gibt. Dagegen kann man aber nicht sagen, daß das Nichtsein existiert und daß daher die Ansicht von seinem Vorhandensein erwiesen ist. Wenn man also vom Sein des Nichtverursachten spricht, so ist dies ebenso aufzufassen. Man kann daher auch ein Nichtsein loben. Begierdelosigkeit nennt man nämlich das vollkommene Nichtsein alles Schädlichen. Und dieses ist unter allem Nichtsein, das es gibt, das vorzüglichste. Man soll es daher als das Erste loben, um bei den Jüngern Freude und Wohlgefallen daran hervorzurufen. (Einwand:) Wenn die nichtverursachten Gegebenheiten ein bloßes Nichtsein darstellen, dann kann man (das Nirväna) nicht als die heilige Wahrheit von der Aufhebung (des Leidens) bezeichnen, weil es nicht ist. (Ant1 2
D. h. dasselbe wird im gleichen Wortlaut von den übrigen Gruppen gesagt. D. h. das Nirväna.
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Die Dogmatik des Hlnayana
wort:) Was bedeutet zunächst der Ausdruck heilige Wahrheit? 1 Bedeutet dieser Ausdruck nicht etwas Nichtirriges? Die Heiligen sehen Sein und Nichtsein nicht irrig. Die Heiligen sehen nämlich im Leiden nur Leiden und sie sehen im Nichtsein des Leidens nur das Nichtsein. Was ist also bei dieser Auffassung der heiligen Wahrheiten anstößig? (Frage:) Wieso kann man dieses Nichtsein als dritte Heilige Wahrheit hinstellen? (Antwort:) Weil es die Heiligen unmittelbar nach der zweiten sehen und lehren, ergibt es sich, daß es die dritte ist. (Einwand:) Wenn die nichtverursachten Gegebenheiten ihrem Wesen nach ausschließlich nicht sind, dann müßte die Erkenntnis des Äthers oder des Nirvänas sich auf ein Nichtsein als Objekt stützen. (Antwort:) Darin, daß sie sich auf ein Nichtsein als Objekt stützt, liegt kein Fehler. Das soll bei der Erörterung der Vergangenheit und Zukunft noch untersucht werden. 2 (Gegner:) Welchen Nachteil hat es, wenn wir annehmen, daß das Nichtverursachte ein eigenes wirkliches Sein hat ? (Antwort:) Welchen Vorteil hat es denn? (Gegner:) Wenn wir es annehmen, dann ist die Lehre der Vaibhäsika gerettet. Das ist der Vorteil. (Antwort:) Mögen die Götter wissen, ob sie (diese Lehre) retten wollen, wenn sie überhaupt zu retten ist. Wenn ihr aber annehmt, daß (das Nichtverursachte) wirklich ist, so ist das eine leere Einbildung, und das ist der Nachteil. Wieso? Es hat nämlich weder ein eigenes Wesen, welches wahrgenommen werden kann, wie die Form, die Empfindung usw., noch übt es eine Wirkung aus, welche wahr1 Die Dogmatik des Sarvästiväda pflegt die heiligen Wahrheiten mit ihrem konkreten Inhalt gleichzusetzen. * Die Sauträntika betrachten im Gegensatz zu den Sarvästivädin das Vergangene und Zukünftige nicht als wirklich, sondern als bloßes Nichtsein.
Die Erlösungslehre des Hinayäna
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genommen werden kann, wie das Auge, das Gehör usw.1 . . . (Einwand:) .VYie das Sütram sagt, erlangt der Mönch das Nirväna in diesem Leben. Wieso kann man bei einem Nichtsein von einem Erlangen reden? (Antwort:) Man spricht von einem Erlangen des Nirväna, weil man den Gegensatz (pratipaksah) 2 erlangt und dadurch einen Träger ( = Persönlichkeitsstrom) erwirbt, der den Lastern und der Wiedergeburt entgegengesetzt ist. Außerdem gibt es eine Stelle der heiligen Schrift, welche zeigt, daß das Wesen des Nirväna nur in einem Nichtsein besteht. Ein Sütram sagt nämlich: „Das restlose Abstoßen des vorhandenen Leidens, das Vonsichtun, das Vergehen, die Begierdelosigkeit, die Vernichtung, das Zurruhekommen, das Untergehen, ferner das Nichtwiederentstehen eines neuen Leidens, das Nichtergreifen, das Nichtauftreten, das ist das Friedvolle, das ist das Erhabene, das Aufgeben aller Behaftungen (upadhih) und gänzliche Vergehen des Durstes, die Begierdelosigkeit, die Vernichtung, das Nirväna . . . " Daraus erklärt sich gut der Vergleich des Sütram: „Wie das Erlöschen (nirvänam) einer Lampe so war die Erlösung des Geistes." 3 Der Sinn dieses Sütram besagt: Wie das Erlöschen einer Lampe bloß das Dahinschwinden der Flamme der Lampe ist, aber keine eigene Wesenheit, so erlangte der Geist des Erhabenen die Erlösung, d. h. es wurden bloß die Gruppen vernichtet, ein Sein war weiter nicht vorhanden. Nun soll zum Abschluß noch ein Sauträntika zu Wort kommen, nämlich Harivarman, der bereits genannte Schüler 1
D. h. es k a n n weder sinnlich w a h r g e n o m m e n , noch durch Schlußfolgerung
erschlossen 2
Laster 8
werden.
D. h. die Gegebenheiten, welche den heiligen Weg bilden und welche die vernichten.
Der Vers bezieht sich a u f den T o d des B u d d h a .
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Die Dogmatik des Hinayana
Kumäralätas. Er ist in seinen Aussagen womöglich noch klarer und deutlicher als Vasubandhu.
Aus dem „Nachweis der Wahrheit" (Tattvasiddhih, c. 196) (Frage:) Ist nicht das Nirväna wirklich vorhanden? (Antwort:) Man spricht von Nirväna auf Grund der restlosen Vernichtung der Gruppen. Was ist es, was dabei vorhanden sein sollte? (Frage:) (Ihr fragt) woraus man erkennt, daß das Nirväna wirklich ist. 1. Nirväna nennt man die (heilige) Wahrheit von der Aufhebung (des Leidens). Die Wahrheit vom Leiden usw. ist wirklich. Daher muß auch das Nirväna wirklich sein. 2. Ferner nennt maD das Wissen vom Nirväna Wissen von der Vernichtung. Wieso kann das (Nirväna), wenn es keine (wirkliche) Gegebenheit ist, ein Wissen hervorrufen? 3. Ferner sagt der Buddha im Sütram zu den Mönchen: „Es gibt gewordene, entstandene, bewirkte, verursachte Gegebenheiten, und es gibt nichtgewordene, nichtentstandene, nichtbewirkte, nichtverursachte Gegebenheiten." 4. Ferner heißt es im Sütram: „Es gibt nur zweierlei Gegebenheiten, verursachte Gegebenheiten und nichtverursachte Gegebenheiten. Die verursachten Gegebenheiten kennen Werden, Vergehen und Veränderung während des Bestehens. Die nichtverursachten Gegebenheiten kennen kein Werden, kein Vergehen und keine Veränderung während des Bestehens." 5. Ferner heißt es im Sütram: „Von allen Gegebenheiten, die es gibt, seien sie verursacht oder nichtverursacht, ist die Vernichtung, das Vergehen, das Nirväna allein die vorzüglichste." 6. Ferner heißt es: „Die Form ist nicht ewig, weil die Form vernichtet wird.
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Das Nirväna ist ewig" usw. in der gleichen Weise bis zum Erkennen. 7. Ferner heißt es im Sütram: „Man soll sich die Vernichtung vergegenwärtigen." Wenn sie also keine (wirkliche) Gegebenheit ist, was soll man sich dann vergegenwärtigen? 8. Ferner sagt der Buddha im Bahudhätuka-Sütram: „Der Weise erkennt wahrheitsgemäß das Verursachte und das Nichtverursachte." Das Nichtverursachte ist das Nirväna. Wieso kann man etwas, das durch richtiges Wissen erkannt wird, als nichtvorhanden bezeichnen ? 9. Ferner gibt es in den Sütren keine Stelle, die ausdrücklich besagt, daß das Nirväna keine (wirkliche) Gegebenheit ist. Daraus läßt sich ersehen, daß es bloß eine Schöpfung eurer eigenen Gedanken ist, (wenn ihr sagt,) daß es das Nirväna nicht gibt. (Antwort:) 1. Wenn es neben den Gruppen noch eine besondere Gegebenheit mit dem Namen Nirväna gibt, dann darf man nicht das Vergehen und die Vernichtung der Gruppen als das Nirväna bezeichnen. 2. Ferner müßte man, wenn es ein Nirväna gibt, sein Wesen angeben, was es ist. 3. Ferner heißt die Versenkung, welche sich auf das Nirväna richtet, die merkmallose (änimittasamädhih). Wenn nun die Merkmale einer Gegebenheit vorhanden sind, warum heißt sie dann die merkmallose ? Wie es im Sütram heißt: „Der Asket beobachtet das Aufgeben der Merkmale der Form" usw. bis „er beobachtet das Aufgeben der Merkmale der Gegebenheiten." 4. Ferner heißt es in den Sütren immer wieder: „Alle Gestaltungen sind vergänglich, alle Gegebenheiten sind ohne Selbst; friedvoll ist die Vernichtung, das Nirväna." Hier bezeichnet „Selbst" das Wesen der Gegebenheiten. Wenn man kein Wesen der Gegebenheiten sieht, dann sagt man, man sieht, daß sie kein Selbst haben. Wenn nun das Nirväna eine (wirkliche) Gegebenheit ist, dann kann man nicht sehen, daß es ohne Wesen ist, weil diese
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Gegebenheit nicht der Vernichtung verfällt. 1 Solange z. B. ein Topf besteht, gibt es keine Gegebenheit, welche das Vergehen des Topfes verkörpert. 2 Erst wenn der Topf vergeht, kann man von einem Vergehen des Topfes sprechen. Das gleiche gilt beim Fällen eines Baumes usw. Ebenso kann man nicht vom Nirväna sprechen, solange die Gestaltungen noch bestehen. Denn weil die Gestaltungen (in ihm) vernichtet sind, nennt man es Nirväna. 5. Ferner wird die Vernichtung des Leidens nicht als eine weitere gesonderte Gegebenheit bezeichnet. Es heißt nämlich im Sütram: „Ihr Mönche, wenn dieses Leiden der Vernichtung verfällt und neues Leiden nicht entsteht, wenn eine Wiedergeburt nicht mehr stattfindet, dann ist dies die höchste Stätte, die ruhige, friedvolle, das Abstoßen aller Behaftungen (upadhih), das Schwinden des Durstes, die Begierdelosigkeit, die Vernichtung, das Nirväna." Hier ist die Rede von der Vernichtung dieses Leidens und dem Nichtentstehen eines neuen Leidens. Welche Gegebenheit gibt es darüber hinaus, die Nirväna hieße ? 6. Ferner gibt es auch keine gesonderte Gegebenheit des Vergehens. Nur wenn der bereits entstandene Durst vernichtet wird und der noch nicht entstandene nicht entsteht, dann spricht man von Vergehen. Welche Gegebenheit gibt es also darüber hinaus, die Vergehen hieße ? Sie kann nicht wirklich genannt werden. 7. Außerdem ist „Sein" nur ein anderer Name für „Gegebenheit". Das Nichtsein der Gegebenheiten der fünf Gruppen nennt man Nirväna. Das Nichtsein also hier als Sein zu bezeichnen, das ist unmöglich. Man spricht nämlich auf Grund der Vernichtung von Nirväna. Wenn z. B. ein 1 2
Das Nirväna gilt ja allgemein als ewig und unvergänglich.
Das Nirväna ist seinem Wesen nach Vernichtung der Gegebenheiten, besteht aber der Lehre des Gegners zufolge von Ewigkeit her, also bevor die Gegebenheiten noch vernichtet sind.
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Kleid vernichtet wird, gibt es weiterhin keine gesonderte Gegebenheit. Denn andernfalls müßte es auch gesonderte Gegebenheiten der Vernichtung des Kleides usw. geben. 8. Das Wissen von der Vernichtung, von dem ihr sprecht, bedeutet keine Schwierigkeit. Beim Umhauen eines Baumes usw. entsteht z. B. ein (darauf bezügliches) Wissen, aber deswegen gibt es keine gesonderte Gegebenheit des Umhauens. Übrigens entsteht das Wissen dabei auf Grund der Gestaltungen. Sobald also die Gestaltungen nicht mehr vorhanden sind, spricht man von Nirväna. So wie man, wenn ein bestimmter Gegenstand nicht mehr vorhanden ist, das Fehlen dieses Gegenstandes erkennt. (Frage:) Gibt es also kein Nirväna? (Antwort:) Das ist nicht der Fall, daß es kein Nirväna gibt. Es ist nur keine wirkliche Gegebenheit. Denn wenn es kein Nirväna gäbe, dann würde Geburt und Tod ewig dauern und es gäbe überhaupt keine Erlösung. Ebenso gibt es das Zerbrechen eines Topfes und das Umhauen eines Baumes. Es sind nur keine wirklichen gesonderten Gegebenheiten. Was ihr wegen der übrigen (heiligen) Wahrheiten usw. gesagt habt, ist bereits beantwortet. Wieso ? Weil es nämlich eine Vernichtung des Leidens gibt, darum sagt man, daß es eine nicht gewordene, nicht entstandene, nicht bewirkte, nicht verursachte Gegebenheit gibt usw. Es besteht also keinerlei Schwierigkeit. Wir haben also gesehen, daß die Erlösung, das Nirväna, nach der Lehre der Sarvästivädin Unterdrückung durch Erkenntnis ist, d. h. eine eigene dinghafte Gegebenheit, welche mit dem Persönlichkeitsstrom in Verbindung tritt und das Entstehen der Laster und damit eine neue Wiedergeburt verhindert. Nach der Lehre der Sauträntika ist sie nichts anderes als dieses Nichtentstehen der Laster und der Wiedergeburt, somit ein bloßes Nichtsein. Beide Anschauungen sind vollkommen klar und aus den betreffen-
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den Systemen heraus verständlich. Aber die Frage nach dem Wesen der Erlösung und vor allem nach dem Zustand des Erlösten ist damit eigentlich noch nicht beantwortet. Denn die Unterdrückung durch Erkenntnis ist nur ein Faktor, der zur Erlösung führt, aber nicht die Erlösung selbst. Auf diese Frage nach dem Zustand des Erlösten schweigen nun die Texte, sei es, daß in diesem Punkt das Verhalten des Buddha selbst weiterwirkte, sei es, daß es überhaupt nicht in der Richtung der gewohnten Gedankengänge lag, die Dinge von dieser Seite zu betrachten. Trotzdem gibt uns die allgemeine Kenntnis der Lehren die Möglichkeit, auch diese Frage zu beantworten, und zwar in folgender Weise. Nach der Lehre der Sarvästivädin besteht, wie wir gesehen haben, die irdische Persönlichkeit aus einem Strom von Gegebenheiten, die beständig vergehen und neu entstehen, so lange die Werke (karma) unter dem Einfluß der Laster wirksam sind und die Verstrickung in den Wesenskreislauf andauert. Mit dem Erlangen der erlösenden Erkenntnis erwirbt man die Unterdrückung durch Erkenntnis, eine eigene Gegebenheit, welche mit dem Persönlichkeitsstrom in Verbindung tritt und das weitere Entstehen der Laster verhindert. Sobald aber die Laster nicht mehr entstehen, verlieren die Werke die Kraft, neue Gegebenheiten hervorzubringen. Wenn daher das gegenwärtige Leben abgelaufen ist, setzt sich der Persönlichkeitsstrom nicht mehr fort. Es kommt keine Wiedergeburt mehr zustande und die Erlösung ist erreicht. Bedeutet dies nun, daß die Erlösung die Vernichtung bringt, da j a der Persönlichkeitsstrom unterbrochen ist? Um dies zu beantworten, müssen wir eine Lehre heranziehen, die zu den eigentümlichsten Lehren der Schule zählt und die ihr sogar den Namen gegeben hat, die Lehre (vüdah), daß alles ist (sarvam asti). Nach dieser Lehre existieren nämlich nicht nur die gegenwärtigen Gegebenheiten, sondern alle, auch die vergangenen und zukünftigen. Sie befinden sich nur auf verschiedenen Zeitstufen. Das Werden und Entstehen der Dinge ist daher kein wirkliches Entstehen und Vergehen, sondern nur ein Wandern der bereits vorhandenen Gegebenheiten von einer Zeitstufe in die andere. Die scheinbar neu entstehenden Gegebenheiten
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wandern, v o n der Zeitstufe der Z u k u n f t in die Zeitstufe der Gegenwart u n d gehen bei ihrem Vergehen in die Zeitstufe der Vergangenheit über, so wie m a n einen Rechenstein a u s d e m F a c h f ü r Einer in das F a c h f ü r Zehner u n d H u n d e r t e r gibt, wobei zwar seine Geltung wechselt, er aber immer derselbe bleibt. Auch im Persönlichkeitsstrom entstehen u n d vergehen also die Gegebenheiten nicht, sondern es ist ein tatsächlicher Strom, der von der Z u k u n f t in die Vergangenheit fließt. Die Erlösung b e d e u t e t n u n n a c h dem bisher Gesagten, d a ß der Persönlichkeitsstrom unterbrochen wird u n d sich nicht weiter fortsetzt. Das heißt u n t e r diesen Voraussetzungen, d a ß er endgültig in die Vergangenheit übergeht. E r gelangt somit in einen totenähnlichen Zustand. E r ist nicht vernichtet, aber er ist zur R u h e gekommen. Andels l a u t e n allerdings die Folgerungen f ü r die Lehre der S a u t r ä n t i k a . Ihre Auffassung vom Wesen der Unterd r ü c k u n g durch E r k e n n t n i s b e d e u t e t noch keinen grundlegenden Unterschied. F ü r sie ist zwar die U n t e r d r ü c k u n g d u r c h E r k e n n t n i s keine eigene Gegebenheit. Vielmehr wird durch die erlösende E r k e n n t n i s der Persönlichkeitss t r o m so umgestaltet, d a ß die Laster in i h m nicht mehr e n t s t e h e n können, u n d als U n t e r d r ü c k u n g durch E r k e n n t nis b e t r a c h t e t m a n n u r dieses Nichtentstehen. Aber das Ergebnis, die U n t e r b r e c h u n g des Persönlichkeitsstromes, ist das gleiche. Entscheidend ist jedoch etwas anderes. Die S a u t r ä n t i k a leugnen, im Gegensatz zu den Sarvästivädin, d a ß das Vergangene u n d Zukünftige besteht. F ü r sie ist n u r das Gegenwärtige wirklich. Daher ist f ü r sie das Werden u n d Vergehen der Gegebenheiten kein W a n d e r n von Zeitstufe zu Zeitstufe, sondern ein wirkliches E n t s t e h e n u n d wirkliche Vernichtung. D a r a u s folgt aber, d a ß der Persönlichkeitsstrom mit seiner U n t e r b r e c h u n g ü b e r h a u p t zu bestehen a u f h ö r t . Die Erlösung n a c h der Lehre der S a u t r ä n t i k a ist also die vollkommene Vernichtung. Wir stehen somit vor der seltsamen Tatsache, d a ß eine Erlösungslehre als ihr Ziel einen totenähnlichen Zustand, j a die völlige Vernichtung hinstellt. U n d was noch seltsamer ist, diese Lehre vermochte eine gewaltige Anhängerschaft zu gewinnen u n d unvergleichliche Erfolge zu erzielen. Wir d ü r f e n aber nicht vergessen, d a ß wir es bei
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Die Dogmatik des Hinayana
den Schulen der Sarvästivädin und Sauträntika nur mit einzelnen Richtungen des Buddhismus zu tun haben, und zwar mit extremen Richtungen, von denen gerade die Sauträntika trotz ihrer bedeutenden denkerischen Leistungen keine große Verbreitung fanden und früh mit anderen Schulen verschmolzen. Daneben standen andere Richtungen, welche sich von den genannten teilweise stark, j a bis zum Gegensatz schroff unterschieden. Und aus diesen Richtungen ist auch die Bewegung hervorgegangen, die den Buddhismus zur höchsten Blüte führte und der wir uns nunmehr zuwenden wollen,Mas Mahäyäna.
C. DIE SCHULEN DES MAHAYANA 1. Die
Madhyamaka-Schule
Die Richtungen des Hinayäna, welche wir im letzten Abschnitt besprochen haben, sind vor allem dadurch gekennzeichnet, daß in ihnen der nüchtern klare aber auch kalte Verstand herrscht. Das k o m m t besonders im Zurückdrängen der Versenkungsübungen und im Leugnen eines höchsten Seins zum Ausdruck. Aber das starke mystische Element, das von jeher im Buddhismus mächtig war u n d das letzten Endes auf den Buddha selbst zurückgeht, ließ sich nicht einfach ausschalten. Es gab immer zahlreiche Gemeindemitglieder, f ü r welche das Versenkungserlebnis das Wesentliche war und welche der dogmatischen Scholastik mehr oder weniger gleichgültig gegenüberstanden. U n d diese Kreise waren es, aus denen das Mahäyäna hervorging. Dabei waren es mehrere Strömungen, die sich zur großen Bewegung des Mahäyäna vereinigten. Die erste davon, die wir nur kurz erwähnen brauchen, weil sie philosophisch unwichtig ist, die aber religiös u m so bedeutender war u n d die auch der ganzen Bewegung den Namen gab, betrifft die Erlösungslehre. Der Buddha h a t t e mit seiner Lehre den Weg gezeigt, auf dem m a n selbst die Erlösung aus dem Wesenskreislauf findet. Das genügte aber auf die Dauer begeisterten Anhängern nicht. Sie wollten auch andern das Heil bringen und stellten es als höchstes Ziel auf, selbst Buddha zu werden, ja selbst zunächst auf die eigene Erlösung zu verzichten und weiter im Wesenskreislauf zu bleiben, u m d a f ü r andere retten zu können. Nun war es alter Brauch, die Lehre mit einem Floß zu vergleichen, das den Jünger über den gefahrvollen Strom des Daseins ans rettende Üfer des Nirväna bringt. Und so bezeichnete m a n die neue Lehre, die vielen diese R e t t u n g bringen sollte, als das große Fahrzeug (Mahäyäna), und n a n n t e ihr gegenüber den bisherigen Erlösungsweg das kleine Fahrzeug (Hinayäna). Dieses neue Erlösungsziel er-
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Die Schulen des Mahayana
forderte natürlich große Begeisterungsfähigkeit u n d Opferbereitschaft u n d diese waren begreiflicherweise eher in den Kreisen der Mystiker zu finden als u n t e r den nüchternen Scholastikern. U n d so wurden vor allem jene die Träger der neuen R i c h t u n g . Dieselben Kreise boten aber auch den Boden f ü r die Entwicklung neuer philosophischer Gedanken. U n d vor allem war es zweierlei, was dazu den Anstoß gab. Die Mystiker, welche die Versenkung ü b t e n u n d schon in diesem K ö r p e r das Nirväna erlebten, ließen sich den Glauben a n ein höchstes Sein nicht nehmen, das sie selbst im Z u s t a n d der Versenkung erfahren h a t t e n . J a , es zeigte sich bei ihnen, wie bei Mystikern so leicht, darüber hinaus die Neigung, dieses Sein als das einzig Wahre zu betrachten, u n d die Alltagswelt daneben f ü r nichtig u n d f ü r einen bloßen Schein zu erklären. U n d so k a m es zur Bildung philosophischer Lehren, in deren Mittelpunkt die F r a g e n n a c h dem höchsten Sein u n d nach der R e a l i t ä t der Außenwelt s t a n d e n , während m a n sich u m die Beschaffenheit der Erscheinungswelt selbst wenig k ü m m e r t e u n d d a f ü r größtenteils die Anschauungen der Hlnayäna-Scholastik unverändert gelten ließ u n d , wenn nötig, ü b e r n a h m . Dazu k a m schließlich noch ein Drittes. Das neue Erlösungsziel brachte es mit sich, d a ß sich auch die Einstellung zur Person des B u d d h a verschob. Die historische Persönlichkeit t r a t zurück hinter dem dogmatischen Begriff. Der B u d d h a erschien n u n als ein übernatürliches Wesen, dessen Wirken weit über die Grenzen eines einzelnen irdischen Daseins hinausreicht, als eine Verkörpedes höchsten Seins. Die Vielheit der B u d d h a s gewann eine besondere Bedeutung. U n d so k a m es zur Ausbildung einer eigenen Buddhologie, die in den neuen philosophischen Lehren verankert wurde. Diese drei F a k t o r e n sind es also, welche die Entwicklung des Mahäyäna entscheidend b e s t i m m t e n u n d beherrschten, das neue Erlösungsziel, die philosophische Lehre vom höchsten Sein u n d von der Irrealität der Erscheinungswelt u n d schließlich die neue Buddhologie. Davon h a t das neue Erlösungsziel zur Aufstellung eines neuen Erlösungsweges g e f ü h r t , der in einer üppig wuchernden Erlösungsscholastik ausführlich behandelt u n d bis ins einzelnste ausgebaut
Die Anfänge des Mahayana
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wurde, und dessen Darstellung den Gegenstand einer ganzen Literatur bildet. Philosophisch ist diese Literatur zum größten Teil bedeutungslos und braucht nur vereinzelt gestreift werden. Um so wichtiger sind die philosophischen Lehren, die zu dem Bedeutendsten zählen, was die indische Philosophie hervorgebracht hat und auf die wir daher vor allem eingehen müssen. Die Buddhologie wird nur soweit zur Sprache kommen, als sie mit den philosophischen Lehren eng verknüpft ist und geeignet ist, ihr Bild zu ergänzen. Die ersten Anfänge des Mahäyäna entwickelten sich noch im Rahmen der alten Schulen des Hinayäna. Denn das neue Erlösungsziel bedeutete keinen grundsätzlichen Gegensatz. Es konnte jeder Anhänger einer alten Schule den Vorsatz fassen, selbst Buddha zu werden, o hne im übrigen von der Lehre seiner Schule abzuweichen. Erst als das Mahäyäna vollständige Lehrsysteme entwickelte, die sich teilweise in scharfen Widerspruch zu den Systemen des Hinayäna stellten, kam es zur Bildung selbständiger Schulen des Mahäyäna. Natürlich boten nicht alle HinayänaSchulen gleich günstige Entstehungsmöglichkeiten für das Mahäyäna. Am ungünstigsten waren ihm wohl die Schulen, welche die Hauptträger der Hinayäna-Scholastik waren, also vor allem die Schulen des Nordwestens. Weitaus besser waren die Bedingungen im Osten in den Kreisen der Mahäsämghilca. Und tatsächlich finden wir hier auch die verschiedensten Ansätze zur neuen Entwicklung. Besonders die südlichen Schulen auf dem Boden des Ändhra-Reiches und in der Nähe der alten Hauptstadt Dhänyakataka am Unterlauf der Krsnä erwiesen sich den neuen Strömungen zugeneigt. Und dieses Land ist es, das am ehesten den Anspruch erheben kann, als Heimat des Mahäyäna zu gelten. Die ältesten literarischen Zeugnisse des Mahäyäna sind Sütren, also Lehrreden, welche dem Buddha in den Mund gelegt sind, denn man versuchte natürlich, auch die neue Lehre unter die Autorität des Buddha zu stellen. Aber diese Sütren unterscheiden sich äußerlich und innerlich stark von den Sütren des alten Kanons. An die Stelle der oft so lebendigen Rahmenerzählungen sind formelhafte Einkleidungen getreten. Den Hörerkreis bilden zum großen Teil übernatürliche Wesen und Tausende und Millionen 10
Frauwallner, Buddhismus
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von zukünftigen Buddhas, von Bodhisattvas. S t a t t der auf bestimmte Hörer und Umstände berechneten Predigten, finden wir einen farblosen, gleichförmigen Lehrvortrag. Und inhaltlich sind es ganz neue Lehren, die verkündet werden. Dabei herrscht überall das Wunderbare und Maßlose. Die Schwierigkeiten, die sich daraus ergaben, daß dem Buddha ganz verschiedene Lehren in den Mund gelegt wurden, suchte man dabei folgendermaßen zu beseitigen. Seit altersher war der Buddha wegen seiner Fähigkeit berühmt, seine Predigt der Fassungskraft der Hörer anzupassen. Darauf berief man sich nun und sagte, daß nur ein Teil der überlieferten Sütren, vor allem natürlich die neuen Sütren, die volle Wahrheit verkündeten. Die übrigen seien auf Hörer berechnet, die noch nicht fähig sind, die ganze Wahrheit zu fassen, und seien bestimmt, diese auf den rechten Weg zu führen. Man dürfe sie daher nicht wörtlich nehmen, sondern müsse sie dementsprechend deuten. Von dieser Deutungsmöglichkeit wurde also reichlich Gebrauch gemacht und man k a m schließlich so weit, eine ganze Stufenreihe verschiedener Lehrverkündigungen zu unterscheiden. Die Sütrenliteratur des Mahäyäna ist überaus reich. E s wurden von den Anfängen an immer wieder neue Werke geschaffen und die alten erweitert und umgearbeitet. Und so sammelte sich allmählich eine fast unübersehbare Menge solcher Werke. E s ist daher nicht möglich, hier auch nur annähernd eine Vorstellung von dieser Literatur zu geben und überdies soll die vorliegende Darstellung vor allem die persönlich faßbaren Philosophen vorführen. Ich gebe infolge dessen nur einzelne Proben aus der ältesten Zeit, welche für das Verständnis der Entstehung der Mahäyäna-Lehren wichtig sind, und wende mich dann sofort zu den historisch faßbaren Vertretern der verschiedenen Lehren. loh beginne mit einer Gruppe von Werken, welche den gemeinsamen Namen Prajnäpäramitä (Vollkommenheit der Einsicht) führen. Gelegentlich erscheinen auch Einzeltitel, aber gerade die ältesten und bedeutendsten Werke dieser Gruppe führen bloß den allgemeinen Namen und werden nur nach ihrem Umfang unterschieden. Und zwar
Die Prajnaparamita-Literatur
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gibt es vor allem eine Prajnäpäramitä in achttausend Verszeilen (Astasähasrikä), eine solche in fünfundzwanzig tausend Zeilen (Pancavim^atisähasrikä) und eine in huntausend Zeilen (Öatasähasrikä). Wer diese Werke unvorbereitet in die Hand nimmt, wird zuerst befremdet und vielleicht enttäuscht sein. Denn die darin ausgesprochenen Lehren klingen zunächst wunderlich und fast unverständlich. Aber ihre historische Bedeutung ist überaus groß. In ihnen ist zum ersten Male die Lehre von der Unwirklichkeit der Außenwelt ausgesprochen. Sie waren von entscheidendem Einfluß auf die Entstehung der ersten bedeutenden Mahäyäna-Schule, der Schule der Mädhyamika. Und sie haben immer zu den heiligsten und angesehensten Texten des Mahäyäna gezählt. So sollen wenigstens einige kurze Proben aus einem der ältesten Texte, aus der Astasähasrikä Prajnäpäramitä geboten werden. Die Heimat der Prajnäpäramitä-Literatur dürfte das Ändhra-Land sein. Wenigstens berichtet die Überlieferung, daß eine der südlichen Schulen der Mahäsämghika eine Prajnäpäramitä in der Volkssprache besaß. Für ihre weitere Entwicklung und Verbreitung scheint besonders der Begründer der Madhyamaka-Schule Nägärjuna von Bedeutung gewesen zu sein. Und auch später wurde noch viel an den alten Texten gearbeitet und geändert und neue wurden geschaffen. Inhaltlich beschäftigten sich die Texte, wie die Mahäyäna-Sütren zumeist, vor allem mit der Laufbahn eines zukünftigen Buddha, eines Bodhisattva. Aber die philosophischen Abschnitte nehmen einen verhältnismäßig breiten Raum ein und bilden ihren eigentlichen Kern. Und zwar sind es vor allem folgende Gedanken, die in den ältesten Texten vorliegen. Im Mittelpunkt steht die Vorstellung von einem höchsten Sein. Es ist dies die uralte in Indien seit der Upanisadenzeit lebendige Vorstellung. Aber sie ist hier nicht einfach übernommen. Man hat sie vielmehr aus eigenem Erleben heraus eigenartig gestaltet und in eigene Ausdrucksformen gekleidet. Aufs schärfste ist, gemäß der allgemeinen Entwicklung, in der der Buddhismus steht, die Unfaßbarkeit und Unbestimmbarkeit des höchsten Seins betont. Nur selten wird es im Anschluß an eine alte vereinzelt im Kanon auf10*
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Die Schulen des Mahayäna
tauchende Anschauung, die später von den Mahäsämghika übernommen worden war, als fleckenloser und leuchtender Geist (prabhüsvaram cittam) bezeichnet. I m allgemeinen wird immer wieder hervorgehoben, daß keinerlei Bestimmungen darauf zutreffen. E s ist ohne Entstehen und ohne Vergehen, ungeschaffen (akrtah) und unveränderlich (avikärah) und überhaupt nicht ins Dasein getreten (anabhinirvrttah). E s ist undenkbar, unwägbar, unmeßbar, unzählbar und ohnegleichen. E s ist grenzenlos, d. h. ohne Anfang, ohne Mitte und ohne Ende, also räumlich unbegrenzt. E s ist aber auch ohne Beginn, ohne Gegenwart und ohne Aufhören, liegt also außerhalb der drei Zeitstufen. Kurz es ist von Natur aus rein (viiuddhah) und losgelöst (viviktah) von allen Bestimmungen. E s ist daher auch unvorstellbar (avikalpah) und auch in ihm finden keine Erkenntnisvorgänge statt. Wegen seiner Grenzenlosigkeit und Unfaßbarkeit wird es daher gern mit dem leeren R a u m verglichen. Die weitere Folge davon ist, daß es auch von allem Geschehen der Erscheinungswelt unberührt ist. E s wird nicht gebunden und nicht erlöst, nicht befleckt und nicht geläutert und übt auch seinerseits keine Wirkung aus. Ob es erkannt wird oder nicht, das berührt es nicht. E s gedeiht nicht, wenn es gelehrt wird, und schwindet nicht, wenn es nicht gelehrt wird. Als Bezeichnung für das höchste Sein erscheint oft der Ausdruck Wesen der Gegebenheiten (dharmänäm dharmata) und Element der Gegebenheiten (dharmadhätuh), ferner Höhepunkt des Wirklichen (bhütakotih). Charakteristischer und ebenfalls sehr beliebt ist die schon in kanonischen Schriften auftauchende Bezeichnung Soheit (tathatü), die hier das unfaßbare und nur sich selbst gleiche Wesen des höchstens Seins auszudrücken scheint und später als Ausdruck für seine UnVeränderlichkeit angesehen wurde. Noch kennzeichnender, wenn auch seltener, sind schließlich die in anderem Sinn ebenfalls bereits im Hinayäna verwendeten Bezeichnungen als Leerheit (iünyatä), als Merkmalloses ( ü m m i t t a m ) und als Unbegehrtes (apranihitam). Denn in diesen Begriffen kommt die Unbestimmbarkeit des höchsten Seins am stärksten zur Geltung und ihre Wichtigkeit wird dadurch hervorgehoben,
Die Prajnaparamita-Literatur
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daß sie und ihre Betrachtung Tore zur Erlösung (vimoksamukhäni) genannt werden. Als Wesen aller Dinge ist dieses höchste Sein auch das Wesen des Buddha (tathägatatvam), es ist die Allwissenheit (sarvajnata) und die Vollkommenheit der Einsicht (prajnäpäramita). Ihm gegenüber steht die Erscheinungswelt. Diese ist nicht wirklich. Das wird nicht weiter begründet. Denn offenkundig beruht diese Anschauung auf dem bei Mystikern so lebhaften Gefühl der Nichtigkeit alles Irdischen gegenüber dem wahren Sein, das sie im Zustand der Versenkung erlebt haben. Diese NichtWirklichkeit der Erscheinungswelt wird aufs schärfste und schroffste ausgesprochen. Die Dinge sind nicht vorhanden und nicht festzustellen, und zwar ganz und gar nicht und in keiner Weise. Sie sind nämlich frei (virahitah) und losgelöst (viviktah) von jedem eigenen Wesen (svabhavah), vom Wesen des Kennzeichnenden (lak?anam) und des Gekennzeichneten (laksyam). Sie sind also nichts, und ihre Natur (prakrtih) ist eine Nichtnatur (aprakrtih). Das, was wir zu erkennen glauben, sind bloße Worte (nümadheyamatram) und gleicht einem Zaubertrug (mäyü), einem Traum und einem bloßen Widerhall. Da die Dinge aber unwirklich und von allen Merkmalen losgelöst sind, treffen auch keinerlei Bestimmungen auf sie zu. Sie sind ungeboren und ungeschaffen, ohne Entstehen und Vergehen. Sie sind undenkbar, unwägbar, unmeßbar, unzählbar und ohnegleichen. Und sie sind unbegrenzt und ohne Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart. Damit fallen aber die Aussagen über die Erscheinungswelt mit denen über das höchste Sein zusammen, und die Dinge erscheinen gewissermaßen selbst als das höchste Sein. So gilt es also, das Verhältnis der beiden zueinander zu bestimmen. Aber das bereitet Schwierigkeiten. Wo man es versucht, vermag man nur zu sagen, daß sie verschieden und doch nichtverschieden sind. Die Bestimmungen, welche dem höchsten Sein zukommen, wie z. B . das Nichtentstehen und Nichtvergehen, sind nicht die fünf Gruppen. Und doch sind sie und die fünf Gruppen keine Zweiheit. Ebenso ist das höchste Sein selbst nicht den fünf Gruppen gleich. E s ist aber auch nicht außerhalb der fünf Gruppen zu suchen.
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Die Schulen des Mahäyäna
Da nun, wie gesagt, die Erscheinungswelt nicht wirklich ist und alle auf sie bezogenen Bestimmungen hinfällig sind, gibt es aber auch keine Bindung und Erlösung und alle Vorstellungen, die mit der Erlösung zusammenhängen, sind nichtig. Es gibt daher auch kein Erlangen und Erschauen der Wahrheit. Selbst das Rollen des Rades der Lehre durch den Buddha trifft nicht zu. Wie kommt aber unter diesen Umständen die Erscheinungswelt überhaupt zustande, und wie haben wir uns zu ihr zu verhalten ? Die Antwort lautet: Sie beruht auf einer Täuschung, auf den falschen Vorstellungen der Weltmenschen. Sie gleicht, wie bereits gesagt, einem Zaubertrug, und wenn z. B . ein Bodhisattva Wesen erlöst, so ist dies nicht anders, als wenn ein Zauberer die selbstgeschaffenen Truggestalten verschwinden läßt. U m sich nun von dieser Täuschung zu befreien, darf man sich ihr nicht hingeben. Man darf nicht an ihr haften, sich nicht auf sie stützen und nicht in ihr verharren. Jedes sich Klammern an Worte (nömo) und Merkmale (nimittam), ja ihre bloße Verwendung ist aber schon ein Haften. Schon der Gedanke, daß die Dinge wesenlos und leer sind, jeder Versuch, das höchste Sein in Vorstellungen und Worte zu fassen, bedeutet eine Vertrickung und muß abgelehnt werden. Das einzig richtige Verhalten ist das Verharren in völliger Losgelöstheit (viviktata) und Nichtwahrnehmung (anupalambhah), wie sie sich im Zustand der Versenkung einstellt. U n d die ungeheuer schwere Aufgabe eines Bodhisattva besteht darin, in der Erscheinungswelt zu verharren, um seine Aufgabe zu erfüllen, und doch diese Losgelöstheit zu bewahren. Das sind in den Grundzügen die philosophischen Lehren der älteren Prajnäpäramitä-Texte. Diese Lehren werden nun aber nicht zusammenhängend vorgetragen, sondern es erscheinen abgerissene einzelne Gedanken und Gesichtspunkte, wie sie f ü r das Verhalten eines Bodhisattva von Bedeutung sind. Denn dieses ist und bleibt der Hauptgegenstand der Texte. Das erschwert natürlich das Erfassen der Gedanken. Dazu kommt eine gewisse Altertümlichkeit. Man ringt noch mit den Gedanken und dem Ausdruck. Schließlich liebt Mystik stets das Geheimnisvolle. Und hier äußert es sich darin, daß man sich in den schroffsten Formulierungen gefällt, die den Hörer überraschen und ihm
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zunächst unverständlich bleiben. Und so erklärt sich die Absonderlichkeit und Schwierigkeit dieser Texte. Ein gutes Beispiel für diese Art gibt gleich der Anfang der Astasähasrikä Prajnäpäramitä. E r lautet:
Aus der „Vollkommenheit der Einsicht in achttausend Verszeilen" (Astasähasrikä
Prajnäpäramitä)
Aus dem I. Kapitel So habe ich gehört. Einmal weilte der Erhabene bei Räjagrha auf dem Berge Grdhraküta mit einer großen Schar von Mönchen, mit zwölfeinhalbhundert Mönchen, lauter Heiligen (arhan), deren Befleckungen geschwunden waren, die frei von Lastern waren, Herr ihrer selbst, befreiten Geistes, befreiter Einsicht, gleich wohlgeschulten Rossen, gleich großen Schlangenwesen, die getan hatten, was zu tun war, die vollbracht hatten, was zu vollbringen war, welche die Last abgeschüttelt hatten, welche ihr Ziel erreicht hatten, bei denen die Fesseln an das Dasein geschwunden waren, deren Geist durch richtige Erkenntnis befreit war, welche in der Beherrschung des gesamten Geistes die höchste Vollkommenheit erreicht hatten, mit Ausnahme einer einzigen Person, nämlich des ehrwürdigen Ananda. Da sprach der Erhabene zu dem ehrwürdigen Ältesten Subhüti: „Besinne Dich, Subhüti, hinsichtlich der Vollkommenheit der Einsicht der Bodhisattva, der großen Wesen, wie die Bodhisattva, die großen Wesen, zur Vollkommenheit der Einsicht gelangen." Darauf sprach der ehrwürdige Subhüti durch die Macht des Buddha zum Erhabenen folgendes: „Der Erhabene
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Die Schulen des Mahayäna
hat folgendermaßen gesprochen: ,Besinne dich, Subhüti, hinsichtlich der Vollkommenheit der Einsicht der Bodhisattva, der großen Wesen, wie die Bodhisattva, die großen Wesen, zur Vollkommenheit der Einsicht gelangen.' Hierbei wird, o Erhabener, der Ausdruck Bodhisattva gebraucht. Für welche Gegebenheit, o Erhabener, dient der Ausdruck Bodhisattva als Benennung ? Ich sehe, o Erhabener, keine Gegebenheit, welche Bodhisattva heißt. Auch sehe ich, o Erhabener, keine Gegebenheit namens Vollkommenheit der Einsicht. Da ich also, o Erhabener, weder einen Bodhisattva oder eine Bodhisattva genannte Gegebenheit finde, wahrnehme oder sehe, noch eine Vollkommenheit der Einsicht finde, wahrnehme oder sehe, was für einen Bodhisattva soll ich da belehren oder unterrichten und in was für einer Vollkommenheit der Einsicht? Wenn ferner, o Erhabener, bei einer solchen Rede, Lehre und Belehrung der Geist eines Bodhisattva nicht niedersinkt, nicht zusammensinkt, nicht bestürzt wird, nicht in Bestürzung gerät, wenn seinem Denken nicht das Rückgrat genommen, nicht das Rückgrat gebrochen wird, wenn er nicht erbebt, erzittert und in Zittern gerät, dann ist dieser Bodhisattva, dieses große Wesen, in der Vollkommenheit der Einsicht zu unterrichten. Das ist als die Vollkommenheit der Einsicht dieses Bodhisattva, dieses großen Wesens, zu betrachten. Das ist die Belehrung über die Vollkommenheit der Einsicht. Wenn er so beharrt, so ist das seine Belehrung und sein Unterricht Wenn ferner, o Erhabener, ein Bodhisattva, ein großes Wesen, in der Vollkommenheit der Einsicht wandelt und in der Vollkommenheit der Einsicht Betrachtung übt, so soll er sich so schulen, daß er sich bei dieser Schulung auch hinsichtlich des Gedankens an die Erleuchtung (bodhicittam) keiner Meinung hingibt. Aus welchem
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Grund? Weil dieser Gedanke kein Gedanke ist. 1 Denn die Natur des Geistes (cittam) ist leuchtend rein (prabhäsvarah)." Da sprach der ehrwürdige Säriputra zum ehrwürdigen Subhüti folgendes: „Ist, Ehrwürdiger Subhüti, dieser Gedanke, von dem (du sagst), daß er kein Gedanke ist, überhaupt vorhanden?" Auf diese Worte hin sprach der ehrwürdige Subhüti zum ehrwürdigen Säriputra folgendes: „Läßt sich, ehrwürdiger Säriputra, bei dem NichtGedanke-Sein (acittatä), von dem (wir sprechen), ein Sein oder Nicht-Sein finden oder wahrnehmen?" Öäriputra sprach: „Nein, Ehrwürdiger Subhüti." Subhüti sprach: „Wenn sich also, ehrwürdiger Säriputra, bei diesem Nicht-Gedanke-Sein ein Sein oder Nicht-Sein weder finden noch wahrnehmen läßt, ist dann deine Frage berechtigt, wenn du sagst: ,Ist dieser Gedanke, von dem (du sagst), daß er kein Gedanke ist, überhaupt vorhanden?'" Auf diese Worte hin sprach der ehrwürdige Säriputra zum ehrwürdigen Subhüti folgendes: „Welcher Art ist, ehrwürdiger Subhüti, dieses Nicht-Gedanke-Sein?" Subhüti sprach: „Unveränderlich, ehrwürdiger Särjputra, und unvorstellbar (avikalpah) ist das Nicht-GedankeSein." Da spendete der ehrwürdige Säriputra dem ehrwürdigen Subhüti Beifall: „Trefflich, ehrwürdiger Subhüti, trefflich ist es, wie du dies darlegst, der du vom Erhabenen als der Vorzüglichste unter den in der Streitlosigkeit Verweilenden bezeichnet worden bist." Ich gebe nun noch einige Proben, welche zeigen, wie die oben wiedergegebenen Gedanken in dem gleichen Text behandelt werden. Der erste Abschnitt bespricht die Vollkommenheit der Einsicht, und zwar ihre Unendlichkeit, in denselben Ausdrücken wie das höchste Sein, da die Voll1 Der Gedanke an die Erleuchtung (bodhicittam) ist ein Augenblick des Erkennens {cittam = vijnänam). Da aber das Erkennen in seiner scheinbaren Gestalt nicht wirklich ist, ist es kein wirkliches Erkennen, also ein Nicht- Erkennen.
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kommenheit der Einsicht ja mit dem höchsten Sein wesensgleich ist. Außerdem wird im Anschluß daran der Begriff der Wesen (sattvah) besprochen und gezeigt, daß er leer und nichtig ist.
Aus dem I I . Kapitel Auf diese Worte hin sprach Sakra, der Fürst der Götter, zum ehrwürdigen Subhüti folgendes: „Eine große Vollkommenheit, edler Subhüti, ist diese Vollkommenheit der Einsicht. Eine grenzenlose Vollkommenheit, edler Subhüti, ist diese Vollkommenheit der Einsicht. Eine unendliche Vollkommenheit, edler Subhüti, ist diese Vollkommenheit der Einsicht." Der Alteste, Subhüti, sprach: „So ist es, Kauäika, so ist es. Eine große Vollkommenheit, Kausika, ist diese Vollkommenheit der Einsicht. Eine unermeßliche Vollkommenheit, Kausika, ist diese Vollkommenheit der Einsicht. Eine grenzenlose Vollkommenheit, Kausika, ist diese Vollkommenheit der Einsicht. Eine unendliche Vollkommenheit, Kausika, ist diese Vollkommenheit der Einsicht. Aus welchem Grund? Durch die Größe der Form, Kauäika, ist die Vollkommenheit der Einsicht eine große Vollkommenheit. Ebenso, durch die Größe der Empfindung, des Bewußtseins, der Gestaltungen und des Erkennens, Kausika, ist die Vollkommenheit der Einsicht eine große Vollkommenheit. Durch die Unermeßlichkeit der Form, Kausika, ist die Vollkommenheit der Einsicht eine unermeßliche Vollkommenheit. Ebenso, durch die Unermeßlichkeit der Empfindung, des Bewußtseins, der Gestaltungen und des Erkennens, Kausika, ist die Vollkommenheit der Einsicht eine unermeßliche Vollkommenheit. Durch die Grenzenlosigkeit der Form, Kausika, ist die Vollkommenheit der Einsicht eine grenzenlose Vollkommenheit. Ebenso, durch die Grenzenlosigkeit der
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Empfindung, des Bewußtseins, der Gestaltungen und des Erkennens, Kausika, ist die Vollkommenheit der Einsicht eine grenzenlose Vollkommenheit. Durch die Unendlichkeit der Form, Kausika, ist die Vollkommenheit der Einsicht eine unendliche Vollkommenheit. Ebenso, durch die Unendlichkeit der Empfindung, des Bewußtseins, der Gestaltungen und des Erkennens, Kausika, ist die Vollkommenheit der Einsicht eine unendliche Vollkommenheit. Dabei gibt man sich, Kausika, nicht dem Gedanken hin: ,Sie ist eine große Vollkommenheit.' Man gibt sich nicht dem Gedanken hin: ,Sie ist eine unermeßliche Vollkommenheit', ,Sie ist eine grenzenlose Vollkommenheit' und ,Sie ist eine unendliche Vollkommenheit.' Daher, Kauöika, ist die Vollkommenheit der Einsicht eine große Vollkommenheit, eine unermeßliche Vollkommenheit, eine grenzenlose Vollkommenheit und eine unendliche Vollkommenheit. Durch die Unendlichkeit des Anhaltspunktes (äramban,am), Kausika, ist die Vollkommenheit der Einsicht eine unendliche Vollkommenheit. Durch die Unendlichkeit der Wesen (sattvah), Kausika, ist die Vollkommenheit der Einsicht eine unendliche Vollkommenheit. Wieso, Kausika, ist die Vollkommenheit der Einsicht durch die Unendlichkeit des Anhaltspunktes eine unendliche Vollkommenheit? Weil bei allen Gegebenheiten, Kausika, kein Anfang, keine Mitte und kein Ende wahrzunehmen ist, darum, Kausika, ist die Vollkommenheit der Einsicht eine unendliche Vollkommenheit. Auf diese Weise, Kausika, ist die Vollkommenheit der Einsicht durch die Unendlichkeit des Anhaltspunktes eine unendliche Vollkommenheit. Weil ferner, Kausika, alle Gegebenheiten unendlich und unbegrenzt sind, und ein Anfang, eine Mitte und ein Ende bei ihnen nicht wahrzunehmen ist, darum, Kausika, ist die Vollkommenheit der Einsicht
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eine unendliche Vollkommenheit. Aus welchem Grund? Bei der Form, Kausika, ist kein Anfang, keine Mitte und kein Ende wahrzunehmen. Ebenso, Kausika, ist bei der Empfindung, dem Bewußtsein, den Gestaltungen und dem Erkennen kein Anfang, keine Mitte und kein Ende wahrzunehmen. Auf diese Weise, Kausika, ist die Vollkommenheit der Einsicht durch die Unendlichkeit des Anhaltspunktes eine unendliche Vollkommenheit. Ferner, Kausika, sind die Wesen unendlich und unbegrenzt. Aus welchem Grund ? Bei den Wesen ist nämlich kein Anfang, keine Mitte und kein Ende wahrzunehmen. Daher, Kauöika, ist die Vollkommenheit der Einsicht durch die Unendlichkeit der Wesen eine unendliche Vollkommenheit." Darauf sprach Sakra, der Fürst der Götter, zum ehrwürdigen Subhüti folgendes: „Inwiefern, ehrwürdiger Subhüti, ist die Vollkommenheit der Einsicht durch die Unendlichkeit der Wesen eine unendliche Vollkommenheit?" Der Älteste, Subhüti, sprach: „Nicht wegen der Unmöglichkeit des Zählens, Kausika, noch wegen der Vielheit des Zählens ist die Vollkommenheit der Einsicht durch die Unendlichkeit der Wesen eine unendliche Vollkommenheit." Sakra sprach: „Inwiefern, edler Subhüti, ist die Vollkommenheit der Einsicht denn durch die Unendlichkeit der Wesen eine unendliche Vollkommenheit ?" Der Älteste, Subhüti, sprach: „Was meinst du, Kausika, für welche Gegebenheit dient der Ausdruck ,Wesen' als Benennung?" Sakra sprach: „Für keine Gegebenheit, edler Subhüti, und für keine Nichtgegebenheit dient der Ausdruck ,Wesen' als Benennung. Als äußerliche Bezeichnung wird der Ausdruck ,Wesen' verwendet, als gegenstandslose Bezeichnung wird er verwendet, als wesenlose Bezeichnung wird er verwendet, als Bezeichnung ohne Anhaltspunkt wird er verwendet." Der Älteste, Subhüti, sprach: „Was meinst du, Kausika, hat
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hier irgendeine Verkündigung der Wesen stattgefunden?" Sakra sprach: „Nein, edler Subhüti." Subhüti sprach: „Wo keine Verkündigung der Wesen stattgefunden hat, Kausika, was für eine Unendlichkeit der Wesen gibt es da ? Wenn, Kausika, der Vollendete, der Heilige, der vollkommen Erleuchtete mit dem Schall unendlicher Rede, mit tieftönender Stimme so viel Weltalter hindurch, als der Gangesstrom Sandkörner enthält, das Wort ,Wesen* spräche, ist deswegen irgendein Wesen entstanden, wird es entstehen oder entsteht es, ist es vernichtet, wird es vernichtet werden oder wird es vernichtet ?'' Sakra sprach: „Nein, edler Subhüti. Aus welchem Grund? Weil die Wesen von Anfang an rein und von Anfang an geläutert sind." Subhüti sprach: „Auf diese Weise also, Kausika, ist die Vollkommenheit der Einsicht durch die Unendlichkeit der Wesen eine unendliche Vollkommenheit. Und so ist, Kausika, die Unendlichkeit der Vollkommenheit der Einsicht durch die Unendlichkeit der Wesen zu verstehen." Der nächste Abschnitt (Kap. 22) behandelt die Frage nach dem Zustandekommen der Erscheinungswelt und sucht zu zeigen, daß sie nur auf Irrtum beruht.
Aus dem 22. Kapitel Subhüti sprach: „Wenn alle Gegebenheiten, o Erhabener, losgelöst und alle Gegebenheiten leer sind, wieso kommt es dann, o Erhabener, zur Vorstellung von einer Besudelung der Wesen, wieso kommt es, o Erhabener, zur Vorstellung von einer Läuterung der Wesen? Denn etwas Losgelöstes, o Erhabener, wird nicht besudelt, etwas Losgelöstes, o Erhabener, wird nicht geläutert. Etwas Leeres, o Erhabener, wird nicht besudelt, etwas Leeres, o Erhabener, wird nicht geläutert. Etwas Los-
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gelöstes, o Erhabener, oder etwas Leeres gelangt nicht zur höchsten vollkommenen Erleuchtung. Außerhalb der Leerheit, o Erhabener, ist aber keine Gegebenheit wahrzunehmen, welche zur höchsten vollkommenen Erleuchtung gelangt ist, gelangen wird oder gelangt. Oder wie sollen wir, o Erhabener, den Sinn dieser Rede verstehen ? Erkläre es, o Erhabener, erkläre es, o Vollkommener!" Auf diese Worte hin sprach der Erhabene zum ehrwürdigen Subhüti folgendes: „Was meinst du, Subhüti, wandeln die Wesen lange Zeit im Glauben an ein Ich und im Glauben an ein Mein?" Subhüti sprach: „So ist es, o Erhabener, so ist es, o Vollkommener. Lange Zeit wandeln die Wesen im Glauben an ein Ich und im Glauben an ein Mein." Der Erhabene sprach: „Was meinst du, Subhüti, sind der Glaube an ein Ich und der Glaube an ein Mein leer?" Subhüti sprach: „Leer sind sie, o Erhabener, leer sind sie, o Vollkommener." Der Erhabene sprach: „Was meinst du, Subhüti, wandern die Wesen durch den Glauben an ein Ich und durch den Glauben an ein Mein im Wesenskreislauf ?" Subhüti sprach: „So ist es, o Erhabener, so ist es, o Vollkommener. Durch den Glauben an ein Ich und durch den Glauben an ein Mein wandern die Wesen im Wesenskreislauf." Der Erhabene sprach: „Auf diese Weise also, Subhüti, kommt es zur Vorstellung von der Besudelung der Wesen. Wenn man Wesen annimmt und an ihnen hängt, dann ergibt sich Besudelung, und doch wird dabei niemand besudelt. Wenn man dagegen, Subhüti, nichts annimmt und an nichts hängt, dann kommt es nicht zur Vorstellung vom Glauben an ein Ich und vom Glauben an ein Mein. Auf diese Weise, Subhüti, kommt es zur Vorstellung von der Läuterung der Wesen. Wenn man keine Wesen annimmt und nicht an ihnen hängt, dann ergibt sich die Läuterung, und doch wird dabei niemand geläutert.
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Ein Bodhisattva, Subhüti, ein großes Wesen, der so wandelt, wandelt in der Vollkommenheit der Einsicht. Auf diese Weise, Subhüti, kommt es, trotzdem alle Gegebenheiten losgelöst und alle Gegebenheiten leer sind, zur Vorstellung von der Besudelung und von der Läuterung der Wesen." Der folgende Abschnitt (Kap. 1) bringt den Vergleich der Erscheinungswelt und vor allem auch des Erlösungsvorganges mit einem Zaubertrug.
Aus dem 1. Kapitel Darauf sprach der ehrwürdige Subhüti zum Erhabenen folgendes: „Man sagt, o Erhabener, ,mit einer großen Ausrüstung ausgerüstet, mit dem großen Fahrzeug ausgerüstet'. Wodurch, o Erhabener, ist ein Bodhisattva, ein großes Wesen, mit einer großen Ausrüstung ausgerüstet?" Der Erhabene sprach: ,,Da kommt, Subhüti, einem Bodhisattva, einem großen Wesen, der Gedanke: Unermeßliche Wesen sind von mir zur Erlösung zu führen, unzählige Wesen sind von mir zur Erlösung zu führen.' Und doch gibt es niemand, durch den sie zur Erlösung zu führen sind, und niemand, der zur Erlösung zu führen ist. Trotzdem führt er diese vielen Wesen zur Erlösung. Und doch gibt es kein Wesen, das erlöst wird, und keines, durch das es zur Erlösimg geführt wird. Aus welchem Grund? Dieses Wesen der Dinge (dharmatä dharmärtäm), Subhüti, beruht auf dem Wesen eines Zaubertruges. Da schafft z. B., Subhüti, ein geschickter Zauberer oder Zauberlehrling an einer großen Straßenkreuzung eine große Menschenmenge, und nachdem er sie geschaffen hat, läßt er diese große Menschenmenge wieder verschwinden. Was meinst du nun, Subhüti ? Ist dabei irgend jemand durch irgend jemanden getötet, gestorben,
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vernichtet oder verschwunden ?" Subhüti sprach: „Nein, o Erhabener." Der Erhabene sprach: „Ebenso, Subhüti, führt ein Bodhisattva, ein großes Wesen, unermeßliche und unzählige Wesen zur Erlösung. Und doch gibt es kein Wesen, das erlöst wird, und keines, durch das es zur Erlösung geführt wird. Wenn nun ein Bodhisattva, ein großes Wesen, wenn er die Darlegung dieser Lehre hört, nicht erbebt, nicht erzittert und nicht in Zittern gerät, dann ist, Subhüti, dieser Bodhisattva, dieses große Wesen, als mit einer großen Ausrüstung ausgerüstet zu betrachten." Zum Abschluß gebe ich endlich einen. Abschnitt wieder, der vom Haften an den Gegenständen der Erscheinungswelt handelt und anschließend daran wertvolle Bemerkungen über das Wesen der Dinge und das höchste Sein enthält. Aus dem 8. Kapitel Darauf sprach der ehrwürdige Säriputra zum ehrwürdigen Subhüti folgendes: „Welcher Art, ehrwürdiger Subhüti, ist das Haften?" Subhüti sprach: „Der Gedanke, ehrwürdiger Säriputra, daß die Form leer ist, ist Haften. Ebenso, ehrwürdiger Säriputra, ist der Gedanke, daß die Empfindung, das Bewußtsein, die Gestaltungen und das Erkennen leer sind, Haften. Wenn man von den vergangenen Gegebenheiten denkt, daß sie vergangene Gegebenheiten sind, so ist dies Haften. Wenn man von den zukünftigen Gegebenheiten denkt, daß sie zukünftige Gegebenheiten sind, so ist dies Haften. Wenn man von den gegenwärtigen Gegebenheiten denkt, daß sie gegenwärtige Gegebenheiten sind, so ist dies Haften. Und wenn man denkt, daß ein im Fahrzeug der Bodhisattva befindlicher Mensch durch die erste Erweckung des Gedankens (an die Erleuchtung) eine so und so große Menge von Verdienst erwirbt, so ist dies Haften."
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Darauf sprach Sakra, der Fürst der Götter, zum ehrwürdigen Subhüti folgendes: „Wieso, edler Subhüti, ist es Haften?" Subhüti sprach: „Wenn man, Kausika, vom Gedanken an die Erleuchtung denkt: ,Dies ist der erste Gedanke an die Erleuchtung', dann richtet man ihn (auf die höchste vollkommene Erleuchtung) mit dem Gedanken : ,Ich richte ihn auf die höchste vollkommene Erleuchtung.' Die Natur des Geistes läßt sich aber nicht richten, sei es von dem edlen Sohn, sei es von der edlen Tochter, die sich im großen Fahrzeug befinden. Wenn man daher, Kausika, einen andern über die höchste vollkommene Erleuchtung belehrt, ihn hinzuführen sucht, entflammt und begeistert, dann soll man ihn der Wahrheit entsprechend belehren, hinführen, entflammen und begeistern. Denn so schadet der edle Sohn oder die edle Tochter nicht sich selbst und führt den andern auf die vom Buddha gebilligte Art (zur höchsten vollkommenen Erleuchtung). Und er vermeidet dabei alle diese Millionen Arten des Haftens." Da spendete der Erhabene dem ehrwürdigen Subhüti Beifall: „Trefflich, trefflich, Subhüti, der du die Bodhisattva, die großen Wesen, über diese Millionen Arten des Haftens belehrst! Ich will dir daher noch andere, feinere Arten des Haftens verkünden. Höre also und achte wohl und gut darauf! Ich werde zu dir sprechen." „Gut, Erhabener", antwortete der ehrwürdige Subhüti dem Erhabenen. Der Erhabene sprach folgendes: „Da betrachtet, Subhüti, ein Gläubiger edler Sohn oder eine edle Tochter den vollendeten, Heiligen, vollkommen Erleuchteten auf Grund eines Merkmals (nimittam). So viele Merkmale es aber gibt, Subhüti, so viele Arten des Haftens gibt es. Aus welchem Grund ? Aus dem Merkmal, Subhüti, ergibt sich nämlich das Haften. Indem er nun denkt: ,Ich freue 11
Frauwallner, Buddhismus
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mich an den unbefleckten Eigenschaften der vergangenen, zukünftigen und gegenwärtigen erhabenen Buddha', richtet er mit dem Gedanken: ,Ich will diese Wurzel des Guten auf die höchste, vollkommene Erleuchtung richten', diese von Freude und vom Gegenstand der Freude begleitete (Wurzel des Guten auf die höchste vollkommene Erleuchtung). Das Wesen der Gegebenheiten, Subhüti, ist jedoch weder vergangen, noch zukünftig, noch gegenwärtig. Was aber weder vergangen, noch zukünftig, noch gegenwärtig ist, das ist losgelöst von den drei Zeitstufen. Und was von den drei Zeitstufen losgelöst ist, das kann nicht gerichtet werden, das kann nicht als Merkmal dienen und nicht als Anhaltspunkt dienen. Und es wird weder gesehen noch gehört, noch gedacht, noch erkannt." Subhüti sprach: „Tiefgründig, o Erhabener, ist die Natur der Gegebenheiten." Der Erhabene sprach: „Wegen ihrer Losgelöstheit, Subhüti." Subhüti sprach: „Von Natur aus tiefgründig, o Erhabener, ist die Vollkommenheit der Einsicht." Der Erhabene sprach: „Weil sie von Natur aus rein ist, Subhüti, weil sie von Natur aus losgelöst ist, ist die Vollkommenheit der Einsicht von Natur aus tiefgründig." Subhüti sprach: „Von Natur aus losgelöst, o Erhabener, ist die Vollkommenheit der Einsicht. Ich bezeige, o Erhabener, der Vollkommenheit der Einsicht meine Verehrung." Der Erhabene sprach: „Auch alle Gegebenheiten, Subhüti, sind von Natur aus losgelöst. Und dieses von Natur aus Losgelöstsein aller Gegebenheiten ist die Vollkommenheit der Einsicht. Aus welchem Grund? Weil all Gegebenheiten, Subhüti, vom Vollendeten, Heiligen, vollkommen Erleuchteten als ungeschaffen erschaut worden sind." Subhüti sprach: „Daher, o Erhabener, sind alle Gegebenheiten vom Vollendeten, Heiligen, vollkommen Erleuchteten nicht er-
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schaut worden." Der Erhabene sprach: „Weil, Subhüti, die Gegebenheiten von Natur aus Nichts sind. Denn ihre Natur ist eine Nichtnatur und die Nichtnatur ist ihre Natur, weil alle Gegebenheiten nur ein Merkmal (laksanam) haben, nämlich die Merkmallosigkeit. Daher Subhüti, sind alle Gegebenheiten vom Vollendeten, Heiligen, Vollkommen Erleuchteten nicht erschaut worden. Aus welchem Grund? Es gibt nämlich, Subhüti, nicht zwei Naturen der Gegebenheiten. Denn die Natur aller Gegebenheiten, Subhüti, ist nur Eine. Und diese Natur aller Gegebenheiten, Subhüti, ist eine Nichtnatur und diese Nichtnatur ist ihre Natur. So sind, Subhüti, alle diese Millionen Arten des Haftens vermieden." Diese Beispiele werden genügen, um von der reichen Literatur der Prajnäpäramitä-Texte wenigstens eine flüchtige Vorstellung zu geben. Aus der Fülle der übrigen alten Mahäyäna-Sütren greife ich als Probe nur ein einzelnes Werk heraus, den „Juwelenhaufen" (Ratnakütah) 1 . Diesem Werk kommt deswegen besondere Bedeutung zu, weil in ihm zuerst ein Gedanke ausführlich entwickelt wird, der für die Entstehung des Madhyamaka-Systems von entscheidender Wichtigkeit war, nämlich der Gedanke des mittleren Weges. Schon der Buddha hatte seine Lehre den mittleren Weg genannt, weil sie zwischen den Extremen des Wohllebens und der übertriebenen Askese die richtige Mitte hält. Bald wurden diesem Begriff auch philosophische Gedanken unterlegt. Bereits im Kanon finden wir eine Lehrrede, die Belehrung des Kätyäyana (Kätyäyana vavädah), in der der Buddha die Ansichten, daß Alles und daß Nichts existiert, als Extreme ablehnt und ihnen seine Lehre als mittlere Lehre gegenüberstellt. Und auch in den Prajnäpäramitä-Werken treten ähnliche Gedanken auf. Das ist an sich nichts Neues. Die Ablehnung der Gegensätze ist in der philosophischen Gedankenwelt Indiens weit verbreitet 1
Das ist der N a m e des alten Sütras. I n späterer Zeit wurde unter diesem
N a m e n eine ganze G r u p p e v o n Sütren zusammengefaßt und der alte T e x t erhielt innerhalb dieser G r u p p e den Titel „ K ä S y a p a - A b s c h n i t t " vartab).
11*
(KäSyapapari-
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u n d vor allem ist es seit der Zeit der Upanisaden gebräuchlich, bei den Versuchen, das höchste Sein zu bestimmen, alle Bestimmungen durch gegensätzliche Begriffe abzulehnen. I m R a t n a k ü t a h ist aber dieser Gedanke zur vollen Geltung gebracht und bewußt in den Mittelpunkt gestellt. Die richtige Betrachtung des höchsten Seins besteht eben in der grundsätzlichen Verneinung aller gegensätzlichen Bestimmungen, und dies allein ist die richtige Lehre, der mittlere Weg. Der Gedanke des mittleren Weges bestimmt also hier entscheidend die ganze Formung der Lehre. Neben diesem Grundgedanken wird ferner vor allem noch die Unbeteiligtheit des höchsten Seins an allen Vorgängen der Erscheinungswelt aufs schärfste betont und die strenge Mahnung ausgesprochen, nicht den gewöhnlichen Vorstellungen anzuhängen, da gerade die Wesenlosigkeit der Dinge als Lehre im gewöhnlichen Sinn aufgefaßt die verhängnisvollste Bindung herbeiführt. Der R a t n a k ü t a h gehört zu den ältesten MahäyänaSütren. E r wurde schon im 2. J a h r h u n d e r t n. u. Z. ins Chinesische übersetzt, fällt also noch in die Zeit vor der Schöpf u n g des Madhyamaka-Systems durch Nagärjuna. I m Vergleich zu den Werken der Prajnäpäramitä-Literatur stellt er jedoch einen wesentlichen Fortschritt dar. Gegenüber den abgerissen und geheimnisvoll schroff vorgetragenen Lehren der P r a j n ä p ä r a m i t ä finden wir hier einen systematisch durchgeführten Gedankengang, u n d die Gedanken selbst sind tiefer durchdacht und besser ausgeführt. Beiläufig sei noch bemerkt, daß ein Großteil des Werkes sich mit Fragen der Erlösungslehre beschäftigt, die aber f ü r uns hier ohne Bedeutung sind.
Aus dem „Juwelenhaufen" (Ratnakütah) § 52
„Ein Bodhisattva, Käsyapa, der sich in dieser Lehrverkündigung, dem großen ,Juwelenhaufen', zu schulen wünscht, muß um die Lehre richtig bemüht sein. Welches ist, Käsyapa, die richtige Bemühung um die Lehre? Die
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wahrheitsgemäße Betrachtung aller Gegebenheiten. Welches ist, Käsyapa, die wahrheitsgemäße Betrachtung aller Gegebenheiten ? Wenn man sie, Käsyapa, nicht als Selbst betrachtet, wenn man sie nicht als Wesen, nicht als Seele, nicht als Menschen, nicht als Person, nicht als Menschenkind und nicht als Menschenwesen betrachtet, das nennt man, Käsyapa, den mittleren Weg, die wahrheitsgemäße Betrachtung der Gegebenheiten. § 53
Dies ist ferner, Käsyapa, der mittlere Weg, die wahrheitsgemäße Betrachtung der Gegebenheiten. Wenn man die Form nicht als ewig betrachtet und nicht als nichtewig betrachtet, wenn man die Empfindung, das Bewußtsein, die Gestaltungen und das Erkennen nicht als ewig betrachtet und nicht als nichtewig betrachtet, das nennt man, Käsyapa, den mittleren Weg, die wahrheitsgemäße Betrachtung der Gegebenheiten. § 54
Wenn man das Element der Erde nicht als ewig betrachtet und nicht als nichtewig betrachtet, wenn man das Element des Wassers, das Element des Feuers und das Element des Windes nicht als ewig betrachtet und nicht als nichtewig betrachtet, wenn man das Element des Raumes und das Element des Erkennens nicht als ewig betrachtet und nicht als nichtewig betrachtet, das nennt man, Käsyapa, den mittleren Weg, die wahrheitsgemäße Betrachtung der Gegebenheiten. § 56
,Ewig', Käsyapa, das ist ein Extrem. ,Nichtewig', Kääyapa, das ist ein zweites Extrem. Was zwischen diesen
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beiden, dem Ewigen und dem Nichtewigen in der Mitte liegt, das ist formlos, unzeigbar, ohne Erscheinungsbild, ohne Erkennen, ohne Halt und ohne Kennzeichen. Das nennt man, Kääyapa, den mittleren Weg, die wahrheitsgemäße Betrachtung der Gegebenheiten. § 57
.Selbst (ätmä)', Käsyapa, das ist ein Extrem. ,Nichtselbst (nairätmyam)', Käsyapa, das ist ein zweites Extrem. Was zwischen diesen beiden, dem Selbst und Nichtselbst in der Mitte liegt, das ist formlos, unzeigbar, ohne Erscheinungsbild, ohne Erkennen, ohne Halt und ohne Kennzeichen. Das nennt man, Käsyapa, den mittleren Weg, die wahrheitsgemäße Betrachtung der Gegebenheiten. § 58
,Richtiges Erkennen (bhütacittam)', Käsyapa, das ist ein Extrem. .Unrichtiges Erkennen', Käsyapa, das ist ein zweites Extrem. Wo es, Käsyapa, keinen Geist, kein Denken und kein Erkennen gibt, das nennt man, Käsyapa, den mittleren Weg, die wahrheitsgemäße Betrachtung der Gegebenheiten. § 59
Ebenso, Käsyapa, ist bei allen Gegebenheiten, heilbringenden und unheilbringenden, weltlichen und überweltlichen, tadelnswerten und tadellosen, befleckten und unbefleckten, verursachten und nichtverursachten ,Besudelung' ein Extrem, .Läuterung' ein zweites Extrem. Das Nichtannehmen, das Nichtmitteilen und Nichtaussprechen dieser beiden Extreme, das nennt man, Käsyapa, den mittleren Weg, die wahrheitsgemäße Betrachtung der Gegebenheiten.
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§ 60
,Sein', Käsyapa, das ist ein Extrem. ,Nichtsein', Käsyapa, das ist ein zweites Extrem. Was zwischen diesen beiden Extremen in der Mitte liegt, das nennt man, Käsyapa, den mittleren Weg, die wahrheitsgemäße Betrachtung der Gegebenheiten. § 61—62
Was ich euch ferner gesagt habe, Käsyapa, daß abhängig vom Nichtwissen die Willensregungen ( = Gestaltungen) entstehen, abhängig von den Willensregungen das Erkennen, abhängig vom Erkennen Name und Form, abhängig von Namen und Form der sechsfache Bereich, abhängig vom sechsfachen Bereich die Berührung, abhängig von der Berührung die Empfindung, abhängig von der Empfindung der Durst, abhängig vom Durst das Ergreifen, abhängig vom Ergreifen das Werden, abhängig vom Werden die Geburt, abhängig von der Geburt Alter und Tod, Schmerz und Klagen, Leid, Betrübnis und Verzweiflung, und daß so die Entstehung dieser ganzen großen Leidensmasse zustande kommt, daß ferner durch Aufhebung des Nichtwissens die Willensregungen aufgehoben werden, durch Aufhebung der Willensregungen das Erkennen, durch Aufhebung des Erkennens Name und Form, durch Aufhebung von Namen und Form der sechsfache Bereich, durch Aufhebung des sechsfachen Bereiches die Berührung, durch Aufhebung der Berührung die Empfindung, durch Aufhebung der Empfindung der Durst, durch Aufhebung des Durstes das Ergreifen, durch Aufhebung des Ergreifens das Werden, durch Aufhebung des Werdens die Geburt, durch Aufhebung der Geburt Alter und Tod, Schmerz und Klagen, Leid, Betrübnis und Verzweiflung, und daß so die Aufhebung dieser ganzen großen Leidensmasse
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zustande kommt, dabei, Käsyapa, ist Wissen und Nichtwissen nicht zweierlei und bildet keine Zweiheit. Und diese Erkenntnis, Käsyapa nennt man den mittleren Weg, die wahrheitsgemäße Betrachtung der Gegebenheiten. Ebenso sind die Gestaltungen und das Nichtgestaltete (asamskrtam), das Erkennen und die Aufhebung des Erkennens, Name und Form und die Aufhebung von Namen und Form, der sechsfache Bereich und die Aufhebung des sechsfachen Bereiches, die Berührung und die Aufhebung der Berührung, die Empfindung und die Aufhebung der Empfindung, der Durst und die Aufhebung des Durstes, das Ergreifen und die Aufhebung des Ergreifens, das Werden und die Aufhebung des Werdens, die Geburt und die Aufhebung der Geburt, das Alter und die Aufhebung des Alters nicht zweierlei und bilden keine Zweiheit. Und diese Erkenntnis, Käsyapa, nennt man den mittleren Weg, die wahrheitsgemäße Betrachtung der Gegebenheiten. § 63
Dies ist ferner, Kääyapa, der mittlere Weg, die wahrheitsgemäße Betrachtung der Gegebenheiten, daß man die Gegebenheiten nicht durch die Leerheit leer macht, die Gegebenheiten vielmehr selbst leer sind, daß man die Gegebenheiten nicht durch das Merkmallose merkmallos macht, die Gegebenheiten vielmehr selbst merkmallos sind, daß man die Gegebenheiten nicht durch das Unbegehrte unbegehrt macht, die Gegebenheiten vielmehr selbst unbegehrt sind, das man die Gegebenheiten nicht durch das Nichtgestalten nichtgestaltet macht, die Gegebenheiten vielmehr selbst nichtgestaltet sind, daß man die Gegebenheiten nicht durch das Nichtentstehen entstehungslos macht, die Gegebenheiten vielmehr selbst unentstanden sind, daß man die Gegebenheiten nicht durch das Nichtgeborenwerden ungeboren macht, die Ge-
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gebenheiten vielmehr selbst ungeboren sind, und daß man die Gegebenheiten nicht durch die Wesenlosigkeit (asvabhävatä) wesenlos macht, die Gegebenheiten vielmehr selbst wesenlos sind. Diese Betrachtung, Käsyapa, nennt man den mittleren Weg, die wahrheitsgemäße Betrachtung der Gegebenheiten. § 61
Nicht führt ferner, Käsyapa, die Leerheit zur Vernichtung der Person. Die Leerheit ist vielmehr selbst leer. Sie ist am Anfang leer, am Ende leer und in der Gegenwart leer. Der Leerheit, Käsyapa, wendet euch zu, nicht der Person! Diejenigen jedoch, Käsyapa, welche sich der Leerheit zuwenden, indem sie sich die Leerheit vorstellen, die nenne ich, Käsyapa, verloren und völlig verloren für diese Lehre. Besser, Käsyapa, ist das Bekenntnis zum Glauben (drstih) an die Person, mag er auch groß sein wie der Götterberg Sumeru, als der Glaube an die Leerheit bei jemandem, der sich dem Wahne hingibt. Aus welchem Grund ? Für alle Arten von Glauben, Käsyapa, ist nämlich die Leerheit der Ausweg, wer jedoch an die Leerheit glaubt, Käsyapa, wie will der einen Ausweg finden ? § 65
Wenn z. B., Käsyapa, ein Mann krank wäre und der Arzt gäbe ihm ein Heilmittel und dieses Heilmittel triebe alle Krankheitsstoffe heraus, bliebe aber selbst im Magen liegen und käme nicht heraus — was meinst du wohl, Käsyapa, wäre dieser kranke Mann von der Krankheit befreit?" Er sprach: „Nein Erhabener. Die Krankheit dieses Mannes wäre nur noch schwerer, bei dem das Heilmittel alle Krankheitsstoffe herausgetrieben hat, selbst aber im Magen liegengeblieben ist und nicht herauskommt." Der Erhabene sprach: „Ebenso, Käsyapa, ist
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die Leerheit der Ausweg für alle Arten von Glauben, wer jedoch an die Leerheit glaubt, Käsyapa, den nenne ich unheilbar." Diese Beispiele aus der alten Sütren-Literatur zeigen, wie weit die philosophische Gedankenbildung zu Beginn unserer Zeitrechnung im Mahayäna bereits fortgeschritten war. Die Anschauungen über die Unwirklichkeit der Außenwelt und über das Wesen der höchsten Wirklichkeit hatten bereits feste Gestalt angenommen und verschiedene grundlegende Gedankengänge waren klar und systematisch durchgeführt. Damit war aber noch kein philosophisches System geschaffen. Das war erst das Werk eines Mannes, der zu den bedeutendsten Gestalten des Buddhismus und der indischen Philosophiegeschichte überhaupt zählt, des Nägärjuna. Nägärjuna (um 2 0 0 n. u. Z.)
Das Leben Nägärjunas, des Begründers der ersten philosophischen Schule des Mahayäna, der Schule der Mädhyamika, ist so von Legenden überwuchert, daß es schwer fällt, einen historischen Kern herauszuschälen. Nicht nur, daß ihn die Legende zum Zauberer und Alchimisten gemacht hat, auch Nachrichten über andere Personen des gleichen Namens sind mit der Überlieferung über ihn verschmolzen, so daß wir nur vermutungsweise das wenige Echte herauslösen können. Wenn wir also der Überlieferung trauen dürfen, so war seine Heimat Vaidarbha, das heutige Berär in Mittelindien. Den größten Teil seines Lebens scheint er aber in Südindien, im Ändhra-Reich, verbracht zu haben, wo er sich der Gunst und Freundschaft eines der letzten Könige aus dem Hause der Sätavähana erfreute. Die letzten Tage seines Lebens verweilte er auf dem Srlparvata am Ufer der Krsnä (Kistna). Ebenso unsicher wie über sein Leben sind auch die Nachrichten über seine schriftstellerische Tätigkeit. Die spätere Zeit hat eine ganze Literatur auf seinen Namen gestellt, worunter nicht nur Werke enthalten sind, welche seinen Namen zu Unrecht tragen, sondern auch die Werke anderer
Nagarjuna
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Verfasser des gleichen Namens. Allgemein gilt als sein Werk das Grundwerk der Madhyamaka-Schule, die Madhyamakakärikä („Merkverse der Mittleren Lehre"). Daneben steht eine Anzahl von Werken, deren Echtheit höchst wahrscheinlich ist. Noch weit größer aber ist die Zahl der Werke, deren Verfasserschaft fraglich bleibt und erst geklärt werden muß. Ich bringe daher in der folgenden Auswahl vor allem Abschnitte aus der Madhyamakakärikä. Daneben gebe ich nur noch Proben aus zwei Werken, deren Echtheit mir sicher scheint. Und auch die folgende kurze Darstellung der Lehre Nägärjunas gründet sich ausschließlich auf die Madhyamakakärikä. Wie wir bereits gesagt haben, hat Nägärjuna als erster ein philosophisches System des Mahäyäna geschaffen. Damit ist allerdings kein System im späteren Sinn gemeint. Es handelt sich um kein geschlossenes Lehrgebäude in systematischer Darstellung. Dazu war seine Zeit noch nicht fortgeschritten. Aber er hat die Unwirklichkeit der Außenwelt, welche in der Prajnäpäramitä bloß behauptet worden war, exakt zu beweisen versucht. Und er hat die entscheidenden Grundbegriffe der Madhyamaka-Schule herausgearbeitet und festgelegt. Systematisch zusammengestellt ergeben die von ihm vertretenen Anschauungen etwa folgendes Bild. Sein Hauptziel ist der Nachweis der Unwirklichkeit der Außenwelt. Und zwar setzt er an Stelle der bloßen Behauptungen der Prajnäpäramitä regelrechte Schlußfolgerungen, indem er mit kühner Logik zeigt, daß die gewöhnlichsten Begriffe des täglichen Lebens unmöglich sind, und daß die Erscheinungswelt, wie sie sich uns darstellt, eben weil sie auf diesen Begriffen beruht, unmöglich ist. In seinem Hauptwerk, der Madhyamakakärikä, schüttet er eine ganze Fülle solcher Schlußfolgerungen vor dem Leser aus, so daß sie zunächst verwirrend wirken. Aber trotzdem fehlt es nicht an einem Kern fester Anschauungen, der dieser verwirrenden Fülle zugrunde liegt. Vor allem hat Nägärjuna für das Wesen der Erscheinungswelt eine bestimmte Grundanschauung festgelegt. Die Prajnäpäramitä hatte, wenn die Rede auf die Außenwelt kam, gewöhnlich von den fünf Gruppen gesprochen. Nägärjuna setzt dafür das abhängige Entstehen (pratitya-
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samutpädah). Schon seit der Zeit des Buddha hatte bei der Betrachtung der Außenwelt ihre Vergänglichkeit im Vordergrund gestanden. Man sah das Wesen der Welt vor allem im ständigen Werden und Vergehen, das durch das Gesetz des abhängigen Entstehens beherrscht wird. Und so erschien für Nägärjuna eben dieses Gesetz des abhängigen Entstehens als die geeignete Formel, um das Wesen der Erscheinungswelt auszudrücken. Und daher bezog er auch seine Schlußfolgerungen auf dieses abhängige Entstehen. Was die Begriffe betrifft, auf denen unsere Auffassung der Erscheinungswelt beruht und deren Unmöglichkeit Nägärjuna nachzuweisen sucht, so hatte die Prajnäpäramitä solche Begriffe ziemlich willkürlich herausgegriffen. Nägärjuna wählt nach dem Vorbild des Ratnakütah mit Vorliebe gegensätzliche Begriffspaare. Das abhängige Entstehen ist für ihn unwirklich, weil die entgegengesetzten Möglichkeiten des Werdens und Vergehens, der Ewigkeit und der Vergänglichkeit usw. beide nicht zutreffen. Die wahre Lehre besteht vielmehr in der Ablehnung beider Gegensätze, im mittleren Weg. Damit knüpft Nägärjuna an die Verkündigung des Buddha an, der seine Lehre selbst als mittleren Weg bezeichnet hatte, und erhebt den Anspruch, die echte Lehre des Buddha zu verkünden. Und deshalb heißt sein System auch die mittlere Lehre, Madhyamakadarsanam. Die grundlegende Schlußfolgerung, von der er ausgeht, soll zeigen, daß weder ein Entstehen, noch ein Vergehen möglich ist. Dann folgt eine lange Reihe ähnlicher Schlußfolgerungen, die zunächst verwirren und fast betäuben. Bei näherer Betrachtung zeigen sich aber auch hier feste Grundanschauungen, die immer wiederkehren. Eine dieser Anschauungen, mit der Nägärjuna mit Vorliebe arbeitet, ist die Relativität der gegensätzlichen Begriffe. Solche Begriffe sind nämlich gegenseitig voneinander abhängig, weil das eine nur möglich ist, wenn auch das andere gegeben ist. Daraus folgert Nägärjuna aber, daß es die entsprechenden Dinge nicht wirklich geben kann, weil das Vorhandensein eines jeden immer bereits das Vorhandensein des anderen voraussetzt. Eine Ursache ist z. B . erst im Hinblick auf eine Wirkung Ursache. Es kann daher keine Ursache geben, solange die Wirkung nicht vorhanden ist. Ohne Ursache
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gibt es aber auch wieder keine Wirkung. Den Fehler, der dieser Folgerung zugrunde liegt, vermochte weder er noch seine Zeit zu erkennen. Noch wichtiger ist der von Nägärjuna eigenartig entwickelte Begriff des eigenen Wesens (svabhävah). Eigenes Wesen bedeutet nach Nägärjuna, der indischen Wortbedeutung entsprechend, ein Sein aus sich selbst und nur durch sich selbst bedingt, unabhängig von allem andern. Daraus folgt aber, daß ein solches eigenes Wesen nicht entstanden ist, weil es nicht verursacht sein kann, und daß es nicht dem Vergehen unterworfen ist, weil sein Bestehen von nichts anderem abhängt. Es ist daher ewig und unvergänglich. Und so folgert denn Nägärjuna, daß die Dinge der Erscheinungswelt, weil sie dem ständigen Werden und Vergehen unterliegen, kein eigenes Wesen besitzen können. Sie sind also wesenlos, d. h. unwirklich. Diese Begründung der Unwirklichkeit der Dinge ermöglicht ihm gleichzeitig, das Wesen der Erscheinungswelt, wie er sie sieht, schärfer zu erfassen. Die Unwirklichkeit der Erscheinungswelt bedeutet nicht, daß sie nicht ist. Sie ist nur nicht wesenhaft. Damit rückt eine Bestimmung in den Vordergrund, welche in der Prajnäpäramitä noch eine unter vielen war, die aber für Nägärjuna zum entscheidenden Ausdruck für das Wesen der Erscheinungswelt wurde, die Leerheit (¿ünyata). Die Dinge der Erscheinungswelt sind leer, wesenlos. Wir können daher weder sagen, daß die Dinge sind, noch, daß sie nicht sind. Beides ist fehlerhaft. Beides sind Gegensätze. Die Wahrheit liegt in der Mitte, im mittleren Weg, in der Leerheit. Diese Beschaffenheit macht aber die Erscheinungswelt, wie wir sie sehen, überhaupt erst möglich. Wenn die Dinge ein eigenes Wesen besäßen, könnten sie, wie gesagt, weder entstehen noch vergehen. Erst durch ihre Unwirklichkeit kann der ganze Weltlauf nach dem Gesetz des abhängigen Entstehens abrollen. Die Erscheinungswelt besteht also, und sie besteht nach ihren eigenen festen Gesetzen. Es kommt ihr somit auch eine gewisse Wahrheit zu, allerdings keine Wahrheit im Sinne der höchsten Wirklichkeit, sondern eine beschränkte Wahrheit (samvrtisatyam). Und im Sinne der beschränkten Wahrheit hat das Weltgeschehen und vor allem auch der buddhistische Erlösungs-
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weg und die Verkündigung des Buddha seine Gültigkeit. Denn vom Standpunkt der höchsten Wahrheit ( p a r a mürthasatyam), welche ausschließlich für die höchste Wirklichkeit zutrifft, gibt es weder einen Buddha, noch eine Lehre, noch eine Gemeinde, da diese alle der Erscheinungswelt angehören. Noch eine zweite Anschauung über das Wesen der E r scheinungswelt ist zu erwähnen, welche bei Nägärjuna zwar noch nicht zur vollen Geltung kommt, aber zum erstenmal bedeutungsvoll auftritt. Das Wesen der Erscheinungswelt ist die Vielfalt ( p r a p a f i c a h ) , ein Begriff, der von Nägärj u n a noch nicht weiter zergliedert wird. Die Welt der Abhängigkeit baut auf der Mannigfaltigkeit auf, welche durch die Vielfalt gegeben ist. Vor allem aber beruhen auf der Vielfalt alle unsere Vorstellungen, welche uns die E r scheinungswelt vortäuschen, auf die höchste Wirklichkeit aber nicht zutreffen, weil diese von jeder Vielfalt frei ist. Und hier liegt einer der Keime zu der späteren Lehre, welche in der Erscheinungswelt eine Schöpfung des E r kennens sieht. Was die höchste Wirklichkeit betrifft, so hat Nägärjuna über sie weniger Neues und Eigenes zu sagen als über die Erscheinungswelt. Vor allem vermeidet er die in der Prajnäpäramitä vorkommenden positiven Ausdrücke und Benennungen. E r spricht von keinem Element der Gegebenheiten (dharmadhütuh), von keiner Soheit (tathatü), sondern nur vom Erlöschen, dem Nirväna. Dieses ist ohne E n t stehen und Vergehen, ohne Aufhören und auch nicht ewig. Und vor allem ist es weder seiend noch nicht seiend, da Sein und Nichtsein als gegensätzliche Begriffe der Welt der Abhängigkeit angehören. Ferner ist das Nirväna frei von jeder Vielfalt, bietet also unseren Vorstellungen keine Grundlage und ist daher unvorstellbar und unausdrückbar. I n ihm ist somit die Mannigfaltigkeit der Erscheinungen und das Gesetz des abhängigen Entstehens aufgehoben. E s ist von Natur aus friedvoll (iantam). Auf diese Weise ergeben sich aber über das Nirväna die gleichen Aussagen wie über das Wesen der Erscheinungswelt. Und so kommt Nägärjuna, ebenso wie die Prajiiäpäramitä, dazu, die Einheit der Erscheinungswelt und des Nirvänas zu behaupten. Dieselben Bestimmungen, welche
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f ü r das Wesen der Dinge (dharmatä) gelten, gelten auch f ü r das Nirväna. N i r v ä n a und Erscheinungswelt sind gewissermaßen nur zwei Erscheinungsformen desselben Wesens. W a s in der Bedingtheit und A b h ä n g i g k e i t die Erscheinungswelt darstellt, das ist frei v o n der Bedingtheit und A b h ä n g i g k e i t das Nirväna. U n d N a g ä r j u n a scheut sich nicht, diese Wesensgleichheit aufs nachdrücklichste und schärfste zu betonen. Die Erscheinungswelt und das N i r v ä n a sind ein und dasselbe. Es besteht zwischen ihnen nicht der geringste Unterschied. Daraus folgt aber auch, d a ß das Nirväna nichts Getrenntes f ü r sich ist, das m a n erlangt, indem man sich v o n der Erscheinungswelt befreit. E s besteht vielmehr nur darin, daß m a n den T r u g der Erscheinungswelt nicht mehr wahrnimmt, indem die V i e l f a l t , auf die sie sich gründet, zur R u h e k o m m t . D a m i t ist gleichzeitig auch gesagt, worin nach der Lehre N ä g ä r j u n a s die Erlösung besteht. E s bleibt nur noch kurz hinzuzufügen, wie sich der Erlösungsvorgang innerhalb der Erscheinungswelt darstellt. Diese Frage h a t N ä g ä r j u n a recht einfach gelöst. N a c h alter Hinayäna-Lehre beruht die Wiedergeburt auf den Werken und die Wirksamkeit der Werke auf den Lastern, vor allem auf dem falschen Glauben an ein Ich, an eine Seele. N ä g ä r j u n a sagt nun, d a ß mit der A u f h e b u n g der Vielfalt, wie sie sich aus der Leerheit aller Dinge ergibt, allen Vorstellungen, welche sich mit den Dingen der Erscheinungswelt beschäftigen, die Grundlage entzogen ist. D a m i t wird aber auch der Glaube an ein Ich hinfällig, und mit ihm schwindet die W i r k s a m k e i t der Werke und die Wiedergeburt findet ein E n d e . Somit ist letzten Endes die Erkenntnis der Leerheit aller Dinge die Ursache der Erlösung u n d sie gibt den A n s t o ß z u m Abrollen des Erlösungsvorganges, wie m a n ihn sich bisher vorgestellt hatte. D a s sind in den Grundzügen die Anschauungen Nägärjunas, wie sie sich aus der Darstellung der M a d h y a m a k a k ä r i k ä ergeben. Wir wenden uns nunmehr den Werken N ä g ä r j u n a s selber zu, und zwar zunächst seinem H a u p t w e r k , eben der Mad h y a m a k a k ä r i k ä . Wir beginnen dabei mit dem ersten K a p i t e l , das den grundlegenden Nachweis der Unmöglichkeit jedes Entstehens enthält. Das K a p i t e l ist gleichzeitig
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ein gutes Beispiel für die Logik Nägärjunas, die zwar großenteils auf Trugschlüssen beruht, aber, ähnlich den Trugschlüssen des Eleaten Zenon, durch ihre überraschende Kühnheit großen Eindruck machte. Vorausgeschickt ist, wie in buddhistischen Werken zumeist, eine Strophe zu Ehren des Buddha, die aber gleichzeitig kurz angibt, was den wesentlichen Inhalt des Werkes ausmacht: nämlich die wahre Lehre des Buddha, d. h. das abhängige Entstehen (pratltyasamutpadah) als Wesen der Erscheinungswelt, so wie es in Wahrheit ist, frei von allen gegensätzlichen Bestimmungen, und damit das Aufhören der Vielheit der Erscheinungen und die Erlösung. Die eigentliche Darstellung beginnt mit der grundsätzlichen Behauptung, daß es kein Entstehen geben kann, weder aus sich, noch aus anderem, noch aus beiden noch aus keinem von beiden. Eine kurze Begründung gibt der folgende Vers. Die Dinge können nicht aus sich selbst entstehen, weil ihr eigenes Wesen, wie zunächst vorausgesetzt wird, in den Ursachen nicht vorhanden ist. Solange aber ihr eigenes Wesen nicht gegeben ist, kann es auch kein anderes Wesen geben, da jedes andere Wesen nur als Gegensatz zum eigenen Wesen möglich ist. Infolgedessen können die Dinge auch nicht aus etwas anderem entstehen. Nägärjuna stützt sich hier also auf die Relativität der gegensätzlichen Begriffe, die das Vorkommen des einen vom Vorhandensein des anderen abhängig macht. Dann geht er dazu über, um die Unmöglichkeit eines Entstehens zu beweisen, die gegnerische Ursachenlehre zu widerlegen, und zwar zunächst die Lehre der Hinayäna-Dogmatik. Nach dieser gibt es viererlei Ursachen: Den Grund (hetuh) oder die hervorbringende Ursache. Den Anhaltspunkt (älambanam) oder das Objekt der Erkenntnis. Die unmittelbar vorhergehende Ursache (samanantarapratyayah). Darunter ist gemäß der buddhistischen Lehre von der Augenblicklichkeit aller Dinge der Augenblick im Augenblicksstrom eines Dinges zu verstehen, der dem als Wirkung betrachteten Augenblick unmittelbar vorangeht und daher als seine Ursache anzusehen ist. Schließlich die bestimmende Ursache (adhipatipratyayah). Dazu zählen alle Dinge, welche durch ihr bloßes Vorhandensein das Entstehen einer Wirkung ermöglichen. Gegen diese Lehre bringt
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N ä g ä r j u n a zuerst allgemeine Einwände vor. Eine Wirkung k a n n , wie er sagt, weder Ursachen haben, noch ohne Ursache sein, u n d umgekehrt k ö n n e n die Ursachen weder eine Wirkung h a b e n noch ohne Wirkung sein. Zur Beg r ü n d u n g dieser B e h a u p t u n g b e n ü t z t er wieder die Rel a t i v i t ä t der Begriffe. Ursache n e n n t m a n das, wovon eine Wirkung a b h ä n g t . Solange aber die Wirkung nicht vorh a n d e n ist, k a n n sie auch von nichts abhängen. U n d somit k a n n es vor d e m E n t s t e h e n der Wirkung a u c h keine Ursache geben. Andrerseits k a n n die Ursache weder etwas Vorhandenes noch etwas Nichtvorhandenes zur Wirkung h a b e n . D e n n als Ursache von etwas N i c h t v o r h a n d e n e m wäre sie, wie gesagt, nicht Ursache. U n d als Ursache einer bereits vorhandenen Wirkung wäre sie zwecklos. D a n n wendet sich N ä g ä r j u n a kurz in je einem Vers gegen die verschiedenen Arten von Ursachen, welche die H i n a y ä n a D o g m a t i k a n n i m m t . Gegen den G r u n d oder die hervorbringende Ursache bemerkt er im Anschluß a n das zuletzt Gesagte, daß, wenn die Wirkung, also das Hervorgebrachte, weder vorhanden, noch nichtvorhanden, noch vorhanden-und-nichtvorhanden sein k a n n , natürlich a u c h eine hervorbringende Ursache unmöglich ist. Hinsichtlich des A n h a l t s p u n k t e s b e r u f t er sich auf ein B u d d h a w o r t in d e n P r a j n ä p ä r a m i t ä - T e x t e n , n a c h dem die Gegebenheiten ohne A n h a l t s p u n k t sind. Zur Widerlegung der u n m i t t e l b a r vorhergehenden Ursache s t ü t z t er sich auf die Definition des Gegners, der das Vergehen des vorhergehenden Augenblicks als Ursache des folgenden bezeichnet h a t t e . Das Vergehen k a n n aber nicht eintreten, bevor der folgende Augenblick e n t s t a n d e n ist. Ist es aber eingetreten, d a n n ist nichts mehr vorhanden, was Ursache sein könnte. Was schließlich die bestimmende Ursache betrifft, so verweist er auf die später noch ausführlicher begründete Wesenlosigkeit aller Dinge, welche es nicht erlaubt, von ihrem Sein zu sprechen, so d a ß es also unmöglich ist, zu beh a u p t e n , d a ß das Vorhandensein eines Dinges v o m Vorhandensein eines anderen a b h ä n g t . Die folgenden Verse (v. 11 — 14) scheinen gegen die Kausalitätslehre des S ä m k h y a u n d des Vaisesika gerichtet zu sein, welche vor allem die materielle Ursache im Auge h a t t e n , u n d v o n denen das S ä m k h y a lehrte, d a ß die 12
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Wirkung bereits in der Ursache vorhanden sei, während das Vaisesika das Gegenteil behauptete. Nägärjuna nimmt nun zunächst den Standpunkt ein, daß die Wirkung weder in den gesamten noch in den einzelnen Ursachen vorhanden ist, und stellt die Frage, wie etwas aus Ursachen hervorgehen kann, in denen es nicht enthalten ist. Und selbst wenn dies geschehen sollte, warum entsteht es dann, so fragt er weiter, nur aus bestimmten Dingen als Ursache und nicht auch aus anderen. Wenn man dagegen annimmt, daß die Wirkung in den Ursachen enthalten ist, also ihr Wesen hat, dann gilt das gleiche auch bereits für diese Ursachen. Sie haben also selbst kein eigenes Wesen und wie kann man daher behaupten, daß die Wirkung ihr Wesen hat. Und nun schließt Nägärjuna: Wenn also die Wirkung in den Ursachen weder enthalten noch nichtenthalten ist, so gibt es überhaupt keine Wirkung. Und wenn es keine Wirkung gibt, so gibt es auch keine Ursache.
Aus den „Merkversen der mittleren L e h r e " (Madhyamakakärikä) KAPITEL
i
Den Buddha, der das abhängige Entstehen verkündet h a t als ohne Vernichtung und ohne Entstehen, ohne Aufhören und nicht ewig, ohne Einheit und ohne Mannigfaltigkeit, ohne K o m m e n und ohne Gehen, als das friedvolle Zurruhekommen der Vielfalt (prapancah), ihn, den Trefflichsten der Lehrer, verehre ich. 1 Weder aus sich, noch aus anderem, noch aus beiden, noch ohne Grund sind jemals irgendwo irgendwelche Dinge entstanden. 2
Denn das eigene Wesen der Dinge ist in den Ursachen usw. nicht vorhanden. Wenn aber kein eigenes Wesen vor-
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handen ist, dann ist auch kein fremdes Wesen vorhanden. 3
Es gibt vier Ursachen, den Grund, den Anhaltspunkt die unmittelbar vorhergehende und die bestimmende Ursache. Eine fünfte Ursache gibt es nicht.
Die Wirkung hat keine Ursache. Die Wirkung ist aber auch nicht ohne Ursache. Ebenso sind die Ursachen nicht ohne Wirkung, sie haben aber auch keine Wirkung. s Wovon das Entstehen eines (Dinges) abhängt, das gilt als seine Ursachen. Solange es aber nicht entsteht, wieso sollten sie solange nicht NichtUrsachen sein ? 6
Weder bei einem nichtseienden noch bei einem seienden Gegenstand ist eine Ursache am Platz. Denn wessen Ursache ist sie, wenn er nicht ist ? Wenn er aber ist, wozu dient dann die Ursache ? 7
Wenn weder eine seiende, noch eine nichtseiende, noch eine seiende und nichtseiende Gegebenheit entsteht, wieso ist dann ein hervorbringender Grund möglich? 8
Von der seienden Gegebenheit wird gelehrt, daß sie ohne Anhaltspunkt ist. Wenn sie aber ohne Anhaltspunkt ist, woher sollte dann ein Anhaltspunkt kommen? 12*
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Solange die Gegebenheiten nicht entstanden sind, kommt die Vernichtung nicht zustande. Daher ist die unmittelbar vorhergehende Ursache nicht möglich. Ist dagegen die Vernichtung eingetreten, was soll dann Ursache sein ? 10 Da es bei wesenlosen Dingen kein Sein gibt, ist es unzulässig, zu sagen: Wenn dieses ist, wird jenes. it Weder in den einzelnen noch in den gesamten Ursachen ist die Wirkung enthalten. Wie soll aber das aus den Ursachen hervorgehen, was nicht in den Ursachen enthalten ist? 12
Geht aber die Wirkung, auch ohne vorhanden zu sein, aus den Ursachen hervor, wieso geht sie dann nicht auch aus Nichtursachen hervor? 13
Besteht die Wirkung aus den Ursachen, dann bestehen die Ursachen nicht aus sich selbst. Wieso kann also die Wirkung, die aus den nicht aus sich selbst bestehenden Ursachen stammt, aus den Ursachen bestehen? n Es gibt daher keine Wirkung, die aus den Ursachen besteht, und keine, die nicht aus den Ursachen besteht. Wenn es aber keine Wirkung gibt, wieso soll es dann Ursachen und Nichtursachen geben? Aus den zahlreichen folgenden Kapiteln, in denen Nägärjuna die verschiedensten Begriffe des gewöhnlichen Lebens als widerspruchsvoll und unmöglich nachzuweisen sucht,
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greife ich n u r eines heraus, das f ü n f z e h n t e , weil in ihm ein besonders wichtiger Begriff zur Sprache k o m m t , der Begriff des eigenen Wesens (svabhavah). I n dem Begriff des eigenen Wesens oder Eigen-Seins liegt, wie wir bereits gesagt haben, f ü r den Inder, d a ß etwas nur in sich u n d durch sich besteht. Das bedeutet, d a ß es durch nichts anderes bedingt u n d verursacht ist. U n d daraus folgt f ü r N ä g ä r j u n a weiter, d a ß es weder entstehen noch vergehen k a n n . D a r a u s ergibt sieh aber mit Notwendigkeit, d a ß in der Erscheinungswelt, deren Grundgesetz das abhängige E n t s t e h e n darstellt, ein eigenes Wesen unmöglich ist. I m vorliegenden K a p i t e l geht n u n N ä g ä r j u n a von diesem Begriff des eigenen Wesens aus u n d b e h a u p t e t zunächst, d a ß ein eigenes Wesen nicht entstehen u n d d a m i t in der Erscheinungswelt nicht v o r h a n d e n sein k a n n . N u n folgert er weiter aus der Gegensätzlichkeit der Begriffe, d a ß es ohne ein eigenes Wesen a u c h kein fremdes Wesen (parabhüvah) geben k a n n . Ohne eigenes u n d fremdes Wesen ist aber ü b e r h a u p t jedes Sein (bhävah) unmöglich. U n d ohne Sein gibt es a u c h kein Nichtsein. Die Ablehnung sowohl des Seins als a u c h des Nichtseins ist aber der K e r n der Verkündigung des B u d d h a hinsichtlich der Erscheinungswelt. U n d zur Bestätigung d a f ü r f ü h r t er ein b e r ü h m t e s S ü t r a aus dem alten K a n o n an, die sogenannte Belehrung des K ä t y ä y a n a ( K ä t y ä y a n ä v a v ä d a h ) . Dieses S ü t r a n e n n t die beiden gegensätzlichen Aussagen: „ E s i s t " u n d ,,Es ist n i c h t " , u n d das gibt den Anlaß zu einigen weiteren Bemerkungen. Diese beiden Aussagen sind nämlich im K a n o n die Stichwörter f ü r die beiden Anschauungen, welche der B u d d h a als die ärgsten Irrlehren b r a n d m a r k t e , die Lehre von der Ewigkeit (¿äivatadrstih) u n d die Lehre von der Vernichtung (ucehedadrstih) vor allem des Ich. U n d daher geht N ä g ä r j u n a noch kurz auf diese beiden Lehren ein. Zunächst b e m e r k t er, d a ß aus dem Sein eines eigenen Wesens seine Ewigkeit folgt, weil sich das eigene Wesen nicht ändern k a n n . J a , eine Veränderung ist ü b e r h a u p t unmöglich, beim Vorhandensein eines eigenen Wesens, weil dieses unveränderlich ist, u n d ohne ein eigenes Wesen, weil nichts da ist, was sich ändern könnte. U n d n u n schließt er: Beides, Sein u n d Nichtsein, m u ß m a n
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ablehnen, weil sich daraus die Irrlehren der Ewigkeit und der Vernichtung ergeben. Denn wenn man animmt, daß etwas seinem Wesen nach ist, so folgt daraus die Ewigkeit. Sagt man dagegen, daß etwas war und nicht mehr ist, so ergibt sich die Irrlehre der Vernichtung. KAPITEL
xv
1 Eine Entstehung des eigenen Wesens durch Gründe und Ursachen ist nicht möglich. Denn, wenn das eigene Wesen aus Gründen und Ursachen entstanden wäre, dann wäre es geschaffen. 2 Wie aber sollte es ein geschaffenes eigenes Wesen geben ? Denn das eigene Wesen ist nichts Gemachtes und ist nicht von anderem abhängig. 3
Wieso sollte es, wenn es kein eigenes Wesen gibt, ein fremdes Wesen geben? Denn das eigene Wesen eines fremden Wesens wird fremdes Wesen genannt. 4
Wie sollte es ferner ohne eigenes Wesen und fremdes Wesen ein Sein geben? Denn nur wenn ein eigenes oder fremdes Wesen da ist, kommt ein Sein zustande. 5
Wenn es aber kein Sein gibt, dann kann es auch kein Nichtsein geben. Denn das Anderssein eines Seins nennen die Leute Nichtsein. 6
Diejenigen, welche ein eigenes Wesen und ein fremdes Wesen, ein Sein und ein Nichtsein sehen, sehen nicht die Wahrheit nach der Lehre des Buddha.
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7
In der Belehrung des Kätyäyana hat der Erhabene, der Sein und Nichtsein kennt, beide Aussagen: „Es i s t " und „Es ist nicht", zurückgewiesen. 8
Wenn das Sein von Natur aus besteht, dann gibt es kein Nichtsein des (betreffenden Dinges). Denn ein Anderssein der Natur (prakrtih = svabhävah) kann niemals zustande kommen. 9
Wenn es keine Natur gibt, wessen Anderssein soll sich dann einstellen? Und wenn es eine Natur gibt, wie ist dann ein Anderssein möglich? 10
„Es ist", daraus ergibt sich der Glaube an die Ewigkeit. „Es ist nicht", daraus ergibt sich die Ansicht von der Vernichtung. Daher soll ein Verständiger weder das Sein noch das Nichtsein bejahen. n Was nämlich dem eigenen Wesen nach ist, das kann nicht nicht sein; infolgedessen ist es ewig. Sagt man dagegen: „Es ist jetzt nicht, war aber früher", so folgt daraus die Vernichtung. Ich bringe nun noch einige Kapitel, in denen neben der Widerlegung verschiedener Begriffe wichtige andere Gegenstände zur Sprache konmen. Das erste davon ist das 18. Kapitel, das der Widerlegung des Ätma-Begriffes dient und gleichzeitig wertvolle Aussagen über die Verkündigung des Buddha und über die wahre Lehre enthält. Die Beweisführung beginnt in Nägärjunas gewohnter Art. Es kann keinen Atman, kein Selbst, geben, weil er weder mit den Gruppen (shandhäh) identisch, noch von ihnen
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Die Schulen des M a h a y ana
verschieden sein kann. W e n n es aber kein Selbst gibt, dann g i b t es auch kein Mein, und damit wird der verhängnisvolle Glaube an ein Ich und a n ein Mein hinfällig, der die H a u p t Ursache f ü r die Verstrickung in den Wesenskreislauf ist. Schnell b e m e r k t N ä g ä r j u n a dazwischen, d a ß m a n natürlich auch a n keine Person glauben darf, welche v o m G l a u b e n a n ein I c h und a n ein Mein befreit ist. D a n n f ä h r t er f o r t : Mit dem Schwinden des Glaubens werden die Laster u n d W e r k e aufgehoben, es k o m m t zu keiner G e b u r t mehr u n d die Erlösung stellt sich ein. D a s entspricht, soweit es die B e g r ü n d u n g der Erlösung angeht, der alten H i n a y ä n a - L e h r e . N u n v e r k n ü p f t er damit seine eigene A n s c h a u u n g . Der Glaube a n ein I c h und a n ein Mein b e r u h t a u f Vorstellungen. Die Vorstellungen ihrerseits beruhen a u f der trügerischen Vielfalt der Erscheinungswelt (prapancah). U n d diese wird durch die E r k e n n t n i s ihrer Leerheit aufgehoben. Daher ist die Lehre v o n der Leerheit aller Dinge die letzte Ursache der Erlösung. Die gleichen Gedankengänge, die hier angedeutet sind, werden wir ausführlicher in dem später wiedergegebenen ersten K a p i t e l der R a t n ä v a l l ( „ J u w e l e n k e t t e " ) wiederfinden. D a m i t ist die eigentliche B e w e i s f ü h r u n g dieses K a p i t e l s abgeschlossen. N u n bringt N ä g ä r j u n a noch einige B e m e r k u n g e n über die V e r k ü n d i g u n g des B u d d h a . Der B u d d h a spricht verschieden, b a l d v o n einem Selbst, bald, d a ß es kein Selbst g i b t , bald d a ß es ein Selbst weder gibt noch nicht gibt. Diese Aussagen sind a u f verschiedene Hörer berechnet, die entsprechend ihrer A u f f a s s u n g s k r a f t u n d der S t u f e , die sie erreicht haben, allmählich zur wahren Erkenntnis v o m Wesen des Ich g e f ü h r t werden sollen. Dieses wahre W e s e n selber ist aber nicht ausdrückbar, da das eigentliche W e s e n der Dinge nicht anders wie das N i r v ä n a außerhalb des Bereichs der menschlichen Erkenntnis h e g t und sich daher a u c h nicht in W o r t e fassen l ä ß t . Die gleichen Ged a n k e n wiederholt N ä g ä r j u n a dann noch in allgemeiner F o r m . Die V e r k ü n d i g u n g des B u d d h a u m f a ß t hinsichtlich der Dinge der Erscheinungswelt alle vier Aussagen, Bej a h u n g , Verneinung, B e j a h u n g u n d Verneinung und weder B e j a h u n g noch Verneinung, u n d z w a r sind diese a u f die F a s s u n g s k r a f t der Hörer abgestimmt. D a s wahre W e s e n der Dinge ist jedoch frei v o n jener Vielfalt, welche die
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Erscheinungswelt kennzeichnet, und daher unvorstellbar und kann nicht mitgeteilt werden. Und nun faßt er die Erkenntnis vom Wesen der Erscheinungswelt nochmals kurz in die Form, in der sie sich allein zum Ausdruck bringen läßt und in der sie bereits im Einleitungsvers des ganzen Werkes ausgesprochen war, also in die Form, welche die wahre Lehre des Buddha darstellt. Dann schließt er mit der Bemerkung, daß diese ewige Lehre auch zu Zeiten, wo kein Buddha auftritt und die Überlieferung unter den Jüngern erloschen ist, in den Pratyekabuddha weiterlebt, die für sich allein die Erleuchtung gefunden haben. KAPITEL XVIII
1
Wenn das Selbst gleich den Gruppen ist, dann ist es dem Entstehen und Vergehen unterworfen. Wenn es von den Gruppen verschieden ist, dann hat es nicht die Merkmale der Gruppen. 2
Wenn es kein Selbst gibt, woher soll es dann ein Mein geben ? Infolge des Hinfälligwerdens von Selbst und Mein wird man frei vom Glauben an ein Mein und vom Glauben an ein Ich. 3
Es ist aber niemand vorhanden, der vom Glauben an ein Mein und vom Glauben an ein Ich frei ist. Wer jemand zu sehen glaubt, der vom Glauben an ein Mein und an ein Ich frei ist, der sieht falsch. 4
Wenn die Vorstellungen „Mein" und „Ich" nach außen und nach innen geschwunden sind, dann wird das Ergreifen aufgehoben, und mit dessen Schwinden schwindet die Geburt.
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Durch das Schwinden der Werke und der Laster erfolgt die Erlösung. Die Werke und Laster entspringen aus den Vorstellungen. Diese aus der Vielfalt. Die Vielfalt aber wird durch die Leerheit aufgehoben. 6
Daß es ein Ich gibt, ist verkündet worden. Daß es kein Ich gibt, ist gelehrt worden. Und daß es weder ein Ich noch kein Ich gibt, ist von dem Buddha gelehrt worden. 7
Wo das Bereich des Erkennens aufhört, hört auch das Benennbare auf. Denn das Wesen der Gegebenheiten (dharmatä) ist wie das Nirväna ohne Entstehen und ohne Vernichtung. 8
Daß alles wahr, nicht wahr, sowohl wahr als auch nicht wahr und weder wahr noch nicht wahr ist, das ist die Lehre der Buddha. 9
Nicht durch fremde Hilfe zu erkennen, friedvoll, durch Vielfalt nicht vielfältig, unvorstellbar und ohne Mannigfaltigkeit, das ist das Merkmal der Wirklichkeit (tattvam). 10
Was abhängig von einem andern entsteht, das ist nicht dasselbe wie dieses und ist auch nicht verschieden davon. Daher wird es nicht vernichtet, ist aber auch nicht ewig. n Keine Einheit und keine Vielheit, ohne Vernichtung und auch nicht ewig, das ist der Nektar der Lehre der Schirmherren der Welt, der Buddha.
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Wenn keine Buddha auftreten und die Jünger verschwunden sind, dann stellt sich getrennt für sich die Erkenntnis der P r a t y e k a b u d d h a ein. Das folgende Kapitel enthält Nägärjunas Lehre von der zweifachen Wahrheit. Es beginnt mit einem Angriff des Gegners, der den Vorwurf erhebt, daß die Behauptung der Leerheit aller Dinge die Grundlagen der buddhistischen Lehre untergräbt. Er sagt: Wenn es kein Entstehen und Vergehen gibt, dann kann es auch die vier heiligen Wahrheiten, nämlich das Leiden, die Entstehung des Leidens, die Aufhebung des Leidens und den zur Aufhebung des Leidens führenden Weg nicht geben. Von diesen vier Wahrheiten soll das Leiden verstanden, seine Entstehung vermieden, seine Aufhebung verwirklicht und der Weg dazu geübt werden. Alles das ist nicht möglich, wenn es die vier heiligen Wahrheiten nicht gibt. Damit bleibt auch der vierfache Lohn aus, der dem Jünger verheißen ist, daß er nämlich in den Strom gelangt, der zur Erlösung führt (srotaäpannah,), daß er im Wesenskreislauf nur mehr einmal wiederkehrt (sakrdügämi), daß er nicht mehr wiederkehrt (anügämi), und daß er zum vollkommenen Heiligen (arhan) wird. Infolgedessen gibt es aber auch keine Jünger, welche nach diesem Lohn streben oder ihn bereits erlangt haben. Und wenn es keine solchen Jünger gibt, gibt es keine Gemeinde. Außerdem gibt es ohne die vier heiligen Wahrheiten keine Lehre. Und ohne Gemeinde und Lehre gibt es keinen Buddha. Damit ist die dreifache Grundlage, auf der der Buddhismus beruht, zerstört. Darauf antwortet Nagärjuna, daß alles das nur auf einem Mißverständnis des Gegners beruht, der die Lehre von der Leerheit falsch auffaßt. Man muß zweierlei Wahrheiten unterscheiden, die beschränkte und die wahrhafte Wahrheit. Der Erlösungsweg gehört dem Bereich der beschränkten Wahrheit an und hat in diesem seine Gültigkeit. Das gibt den Anlaß, auf die Gefahren hinzuweisen, welche eine falsche Auffassung der Lehre mit sich bringt, und welche daher auch den Buddha zuerst mit der Verkündigung seiner Lehre zögern ließen. Und nun geht Nagärjuna selbst zum Angriff über. Alle Vorwürfe des Gegners
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treffen in Wirklichkeit ihn selbst. Nur wenn die Dinge leer, also ohne eigenes Wesen sind, ist ein Entstehen und Vergehen und damit alles andere möglich. Ein eigenes Wesen kann dagegen weder entstehen noch vergehen. Leerheit und abhängiges Entstehen sind also ein und dasselbe und bedingen sich gegenseitig. Dann zeigt er im einzelnen, daß alles, was der Gegner ausgeführt hat, von den vier heiligen Wahrheiten angefangen, nur auf Grund der Leerheit möglich ist. Diese Erörterungen sind nach dem bisher bereits Gesagten ohne weiteres verständlich und bedürfen keiner weiteren Erläuterung. Endlich schließt er mit der Feststellung, daß nur ein richtiges Verstehen des abhängigen Entstehens das Verstehen der heiligen Wahrheiten möglich macht.
KAPITEL
XXIV
1 (Gegner:) Wenn dies alles leer ist und es kein Entstehen und Vergehen gibt, dann ergibt sich für Dich das Nichtvorhandensein der vier heiligen Wahrheiten. 2
Infolge des Nichtvorhandenseins der vier heiligen Wahrheiten ist das Verstehen, Vermeiden, Üben und Verwirklichen nicht möglich. f 3
Da es dies nicht gibt, ist der vierfache Lohn der Heiligen nicht vorhanden. Und wenn der Lohn fehlt, gibt es keine des Lohnes Teilhaftigen und keine danach Strebenden. 4
Wenn es diese acht Arten von Personen nicht gibt, gibt es keine Gemeinde. Und infolge des Fehlens der heiligen Wahrheiten ist auch die edle Lehre nicht vorhanden.
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Gibt es aber die Lehre und die Gemeinde nicht, wie soll es dann einen Buddha geben ? Du leugnest also, wenn du die Leerheit behauptest, die drei Edelsteine (den Buddha, die Lehre und die Gemeinde). 6
Und du machst das Vorhandensein des Lohnes, Recht und Unrecht und überhaupt das ganze Tun und Lassen der Menschen unmöglich. 7
(Antwort) Dazu sagen wir. Du kennst den Zweck der Leerheit, die Leerheit und den Sinn der Leerheit nicht. Daher nimmst du Anstoß. 8
Die Lehr Verkündigung der Buddha stützt sich auf zwei Wahrheiten, auf die beschränkte Wahrheit des gewöhnlichen Lebens und auf die wahrhafte Wahrheit. 9
Wer den Unterschied dieser beiden Wahrheiten nicht erkennt, der erkennt nicht die tiefe Wahrheit (tattvam) in der Lehre der Buddha. 10
Wenn man sich nicht auf die gewöhnliche Auffassung (vyavahärah) stützt, kann man das Wahrhafte nicht lehren. Und wenn man das Wahrhafte nicht erfaßt, kann man das Nirväna nicht erlangen. n Falsch aufgefaßt stürzt die Leerheit den Toren ins Verderben, wie eine ungeschickt angefaßte Schlange oder ein falsch ausgeführter Zauber.
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Daher scheute sich auch der Weise (der Buddha) in seinem Sinn, die Lehre zu verkünden, weil er daran dachte, wie schwer diese Lehre für die Toren zu verstehen ist. 13
Was ferner die Vorwürfe betrifft, welche du gegen die Leerheit erhebst, so treffen uns die Fehler, welche sich ergeben, nicht und sie stellen sich auch beim Leeren nicht ein. 14
Wer die Leerheit gelten läßt, für den erweist sich alles als möglich. Wer die Leerheit nicht gelten läßt, für den erweist sich nichts als möglich. 15
Indem du deine eigenen Fehler uns zuschiebst, gleichst du einem, der auf einem Pferde sitzend das Pferd vergessen hat. 16
Wenn du der Ansicht bist, daß die Dinge dem eigenen Wesen nach bestehen, dann siehst du die Dinge an als ohne Gründe und ohne Ursachen; 17
du leugnest Wirkung und Ursache, Täter, Tun und Tat, Entstehen, Vergehen und Lohn. 18
Das abhängige Entstehen ist es, das wir als Leerheit bezeichnen. Sie ist bloße Benennung auf irgendwelcher Grundlage (upädäya prajnaplih) und sie ist der mittlere Weg.
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Weil es keine Gegebenheit gibt, die nicht abhängig entstanden ist, gibt es auch keine Gegebenheit, die nicht leer ist. 20
Wenn dies alles nicht leer ist und es kein Entstehen und Vergehen gibt, dann ergibt sich für dich das Nichtvorhandensein der vier heiligen Wahrheiten. 21
Wieso soll es ein Leiden geben, daß nicht abhängig entstanden ist? Denn Leiden nennt man das Vergängliche. Das gibt es aber nicht beim Vorhandensein eines eigenen Wesens. 22
Wie soll ferner etwas entstehen, das seinem eigenen Wesen nach vorhanden ist ? Daher gibt es für den, der die Leerheit leugnet, auch keine Entstehung (des Leidens). 23
Es gibt keine Aufhebung des Leidens, wenn es seinem eigenen Wesen nach besteht. Wenn du daher das eigene Wesen behauptest, machst du die Aufhebung (des Leidens) unmöglich. 24
Wenn es ein eigenes Wesen des Weges gibt, ist es nicht möglich, ihn zu üben. Wird der Weg aber geübt, dann gibt es für dich kein eigenes Wesen. 25
Wenn es kein Leiden, keine Entstehung und keine Aufhebung gibt, zu welcher Aufhebung des Leidens soll der Weg dann führen?
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Die Schulen des Mahäyana 26
Wenn (das Leiden) seinem eigenen Wesen nach nicht verstanden ist, wie kann es dann später verstanden werden ? Oder beharrt etwa das eigene Wesen nicht ? 27
In der gleichen Weise wie das Verstehen ist aber auch das Vermeiden, Verwirklichen und Üben nicht möglich, und ebenso der vierfache Lohn der Heiligen. 28
Wie ist es nämlich für den, der ein eigenes Wesen annimmt, möglich, einen Lohn, der seinem eigenen Wesen nach nicht erlangt ist, später zu erlangen? 29
Wenn es aber keinen Lohn gibt, dann gibt es keine des Lohnes Teilhaftigen und keine danach Strebenden. Wenn es diese acht Arten von Personen nicht gibt, gibt es keine Gemeinde. 30
Und infolge des Fehlens der heiligen Wahrheiten ist auch die edle Lehre nicht vorhanden. Gibt es aber die Lehre und die Gemeinde nicht, wie soll es dann einen Buddha geben ? 31
Ferner ergibt sich für dich, daß der Buddha von der Erleuchtung unabhängig ist, und es ergibt sich für dich, daß die Erleuchtung vom Buddha unabhängig ist. 32
Für dich wird niemand, der seinem Wesen nach nicht erleuchtet ist, auch wenn er sich um die Erleuchtung be-
Nagarjuna
193
müht, die Erleuchtung auf dem Wege der Bodhisattva erlangen. 33
Niemand wird ferner jemals Recht oder Unrecht tun. Denn was soll man an etwas Nicht-Leerem tun? Ein eigenes Wesen läßt sich nämlich nicht machen. 34
Außerdem gibt es für dich einen Lohn auch ohne Recht und Unrecht, und es gibt für dich keinen Lohn, der durch Recht und Unrecht veranlaßt ist. 35
Oder, wenn es für dich einen Lohn gibt, der durch Recht und Unrecht veranlaßt ist, wieso ist dann der aus Recht und Unrecht hervorgegangene Lohn für dich nicht leer. 36
Ferner machst du das ganze Tun und Lassen der Menschen unmöglich, wenn du die Leerheit des abhängigen Entstehens leugnest. 37
Für den, der die Leerheit leugnet, gibt es nichts zu tun, es gibt ein Tun, auch ohne daß es begonnen wurde, und es gibt einen Täter, auch ohne daß er etwas tut. 38
Beim Vorhandensein eines eigenen Wesens müßte die Welt nicht entstanden und nicht vergangen, unberührt (kütasthah) und von allen wechselnden Zuständen frei sein. 13
FrauwaJlner,
Buddhismus
194
Die Schulen des Mahayana 39
Wenn (alles) nicht leer ist, gibt es kein Erlangen des Nichterlangten, kein Beendigen des Leidens und kein Ablegen aller Laster. 40
Wer das abhängige Entstehen (richtig) sieht, sieht das Leiden, die Entstehung, die Aufhebung und den Weg. Als letztes gebe ich das 25. Kapitel wieder, das vom Nirväna, also von der höchsten Wirklichkeit handelt. Es beginnt ähnlich dem vorhergehenden Kapitel mit dem Einwand, daß es, wenn alle Dinge leer sind, nichts gibt, durch dessen Aufhebung man das Nirväna erlangt. Nägärjuna antwortet wieder, daß diese Schwierigkeit gerade dann eintritt, wenn die Dinge nicht leer sind, da ja gerade dann ein Werden und Vergehen nicht möglich ist. Dann geht er dazu über, das Wesen des Nirväna zu bestimmen. Nachdem er vorläufig festgestellt hat, was die Überlieferung über das Nirväna aussagt, daß es nämlich weder aufgegeben noch erlangt werden kann, weder vergänglich noch ewig ist und weder entsteht noch vergeht, beginnt er zu untersuchen, ob das Nirväna als Sein, als Nichtsein, zugleich als Sein und Nichtsein, oder weder als Sein noch Nichtsein zu betrachten ist. Die Untersuchung führt zu dem Ergebnis, daß keine der vier Möglichkeiten zutrifft. Als Sein wäre das Nirväna dem Alter und Tod unterworfen, es wäre aus Ursachen entstanden und es wäre nicht unabhängig, was der Überlieferung widerspricht. Als Nichtsein kann das Nirväna nicht gelten, weil ein Nichtsein ein Sein voraussetzt, und weil es dann ebenfalls nicht unabhängig wäre. Hier schiebt Nägärjuna die wichtige Bemerkung ein, daß das Nirväna nur der andere Aspekt der Erscheinungswelt ist, in dem die Bedingtheit und Abhängigkeit aufgehoben ist. Dann fügt er hinzu, daß das Nirväna weder Sein noch Nichtsein sein kann, weil der Buddha gelehrt hat, daß es im Nirväna kein Werden und Vergehen gibt. Es folgt in ähnlicher Weise die Widerlegung der Ansichten, daß das Nirväna zugleich Sem und Nichtsein und Weder-Sein-noch-Nichtsein ist. Im ersten Fall wäre die Erlösung zugleich ein Sem und Nichtsein, das
Nagarjuna
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Nirväna wäre nicht unabhängig, wäre aus Ursachen entstanden, und schließlich können sich zwei Gegensätze wie Sein und Nichtsein nicht zu einer Einheit verbinden. Weder als Sein noch als Nichtsein aber läßt sich das Nirväna nicht betrachten, wenn weder ein Sein noch ein Nichtsein erwiesen ist, das verneint werden kann. Und wodurch soll ein Nirväna, das weder Sein noch Nichtsein ist, festgestellt werden? Nun verweist Nägärjuna zur Bestätigung seiner Behauptung auf die Verkündigung des Buddha. Schon in den Texten des alten Kanons heißt es (vgl. oben S. 19ff.), daß man vom Erlösten nicht sagen kann, daß er ist, daß er nicht ist, daß er zugleich ist und nicht ist, und daß er weder-ist-noch-nicht ist, ja daß selbst bei seinen Lebzeiten diese Aussagen nicht zutreffen. Das ist somit erwiesen. Es folgt nun die entscheidende Aussage über das Verhältnis des Nirväna zur Erscheinungswelt: Beide sind ein und dasselbe. Es besteht nicht der geringste Unterschied zwischen ihnen. Dann weist Nägärjuna noch kurz die übrigen ketzerischen Lehren zurück, die im Kanon zugleich mit den Ansichten über das Sein und Nichtsein des Erlösten verworfen werden. Daß die Welt begrenzt oder unbegrenzt, ewig oder vergänglich ist, alle diese Ansichten sind verkehrt und sinnlos, wo doch alle Dinge leer, also unwirklich sind. Und nun noch eine letzte Frage: Worin besteht die Erlösung, wenn es kein Nirväna gibt, das erlangt werden kann, sondern Nirväna und Wesenskreislauf eins sind? Nägärjuna antwortet: Bloß im Schwinden aller Wahrnehmungen und im Aufhören der trügerischen Vielfalt der Erscheinungswelt. Denn auch der Erlösungsweg des Buddha ist nicht wirklich. In Wirklichkeit ist niemals eine Lehre vom Buddha verkündet worden. KAPITEL
XXV
1 (Gegner:) Wenn dies alles leer ist und es kein Entstehen und Vergehen gibt, durch wessen Aufgeben oder Vernichtung ergibt sich dann nach eurer Meinung das Nirväna ? 13*
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Die Schulen des Mahayana 2
(Antwort:) Wenn dies alles nicht leer ist und es kein Entstehen und Vergehen gibt, durch wessen Aufgeben oder Vernichtung ergibt sich dann nach eurer Meinung das Nirväna ? 3
Nicht aufgegeben und nicht erlangt, nicht unterbrochen und nicht ewig, nicht vernichtet und nicht entstanden — das nennt man das Nirväna. 4 Das Nirväna ist zunächst kein Sein, weil daraus folgen würde, daß es die Merkmale des Alters und Todes trägt. Denn es gibt kein Sein ohne Alter und Tod. 5
Wenn das Nirväna ein Sein wäre, dann wäre das Nirväna etwas Verursachtes (samskrtah). Denn es gibt nirgends ein Sein, das nicht verursacht ist. 6
Wenn das Nirväna ein Sein wäre, wieso wäre dann das Nirväna unabhängig ? Denn es gibt kein Sein, daß unabhängig ist. 7
Wenn das Nirväna kein Sein ist, wieso soll es dann ein Nichtsein sein? Denn wo kein Sein ist, da gibt es auch kein Nichtsein. 8
Wenn das Nirväna ein Nichtsein wäre, wieso wäre dann das Nirväna unabhängig? Denn es gibt kein Nichtsein, das unabhängig besteht.
Nagarjuna
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9
Das bedingte und abhängige Kommen und Gehen (im Wesenskreislauf) wird, sofern es unbedingt und unabhängig ist, als Nirväna bezeichnet. 10 Denn der Meister (der Buddha) hat es das Aufgeben des Werdens und Vergehens genannt. Daher ergibt es sich, daß das Nirväna weder ein Sein noch ein Nichtsein ist. n Wenn das Nirväna beides, Sein und Nichtsein wäre, dann wäre die Erlösung Sein und Nichtsein. Und das ist nicht möglich. 12
Wenn das Nirväna beides, Sein und Nichtsein wäre, dann wäre das Nirväna nicht unabhängig. Denn jenes ist beides abhängig. 13
Wieso sollte das Nirväna beides, Sein und Nichtsein sein? Denn das Nirväna ist nicht verursacht, und Sein and Nichtsein sind verursacht. 14
Wieso sollte das Nirväna beides, Sein und Nichtsein sein? Denn beides kann nicht an einem Ort vereinigt sein, wie Licht und Finsternis. 16
Die Annahme, daß das Nirväna weder Sein noch Nichtsein ist, ist möglich, wenn ein Sein und Nichtsein erwiesen ist.
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Die Schulen, des Mahayana
16 Wenn es ein Nirväna, das weder Sein noch Nichtsein ist, gibt, wodurch wird dann erkannt, daß es weder Sein noch Nichtsein ist? 17
Man kann nicht erkennen, daß der Erhabene nach dem Tode ist, man kann nicht erkennen, daß er nicht ist, daß beides der Fall ist, und daß keines von beiden der Fall ist. 18
Auch bei seinen Lebzeiten kann man nicht erkennen, daß der Erhabene ist, und man kann nicht erkennen, daß er nicht ist, daß beides der Fall ist, und daß keines von beiden der Fall ist. 19
Es gibt keinen Unterschied des Wesenskreislaufs vom Nirväna und es gibt keinen Unterschied des Nirväna vom Wesenskreislauf. 20
Die Grenze des Nirväna ist auch die Grenze des Wesenskreislaufs. Es gibt nicht das geringste, was die beiden voneinander trennt. 21
Die Ansichten über (den Zustand) nach dem Tode, über die Begrenzung (der Welt) usw., und über ihre Ewigkeit usw. gründen sich auf ein Nirväna, einen Anfang und ein Ende. 22
Wenn aber alle Gegebenheiten leer sind, was ist dann begrenzt, was unbegrenzt, was zugleich begrenzt und unbegrenzt, und was weder begrenzt noch unbegrenzt?
Nägarjuna
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23
Was ist dasselbe und was ist etwas anderes, was ist ewig und was ist nicht ewig, was ist zugleich ewig und nicht ewig und was ist keines von beiden ? 24
Alle Wahrnehmung hört auf, die Vielfalt kommt zur Ruhe und es herrscht Friede. Nirgends ist irgendwem irgendeine Lehre von Buddha verkündet worden. Ich lasse nun noch kurze Proben aus zwei andern Werken Nägärjunas folgen. Seine unerbittliche Logik, welche vor nichts haltmacht und alles als wesenlos nachweist, hat ihm den Vorwurf eingetragen, daß er damit sich selbst den Boden abgrabe, auf dem er steht. Denn wenn alles leer und wesenlos ist, dann seien auch die Beweise, die er vorbringt, leer und beweisen daher nichts. Gegen diese Vorwürfe wendet sich Nägärjuna in einem eigenen Werk, der Vigrahavyävartani („Die Streitabwehrerin"). Es ist eines seiner besten Werke und zeigt ihn in seiner ganzen Eigenart, vor allem in seiner unbeirrbaren Folgerichtigkeit. Es besteht aus einem Verstext mit Nägärjunas eigenem Kommentar und zerfällt in zwei Teile, von denen der erste die Angriffe des Gegners, der zweite ihre Wiederlegung enthält. Die folgenden Proben sind nur aus dem zweiten Teil genommen. Von der Wiedergabe der entsprechenden Abschnitte des ersten Teils konnte abgesehen werden, da Nägärjuna bei jedem neuen Punkt, zu dem er übergeht, nochmals kurz den Einwand des Gegners aufführt. Aus diesen Proben ergibt sich seine grundsätzliche Einstellung zu den angeschnittenen Fragen. Alle seine Beweisführungen, so sagt er, passen sich nur der Welt des Scheins an und dienen ausschließlich zu ihrer Widerlegung. Eigene positive Behauptungen enthalten sie nicht. Daher werden alle Angriffe des Gegners hinfällig, da sie nur solche Behauptungen treffen würden. Der erste Einwand des Gegners besagt, daß bei der Wesenlosigkeit aller Dinge auch Nägärjunas Beweisführung wesenlos sei, und daher nichts beweise. Nägärjuna antwortet, daß die Wesenlosigkeit seiner Rede nur die Wesen-
200
Die Schulen des Mahayana
losigkeit aller Dinge bestätige. Dann wirft er seinem Gegner vor, daß er die Lehre von der Leerheit der Dinge nicht richtig verstehe. Die Leerheit sei wesensgleich mit dem abhängigen Entstehen. Nur durch die Leerheit aller Dinge sei ein abhängiges Entstehen, alles T u n und Lassen, und damit überhaupt auch eine Beweisführung möglich. Und wie die Dinge der Erscheinungswelt trotz ihrer Leerheit innerhalb der Erscheinungswelt ihre verschiedenen Wirkungen hervorzubringen vermögen, so sei auch seine Beweisführung trotz ihrer Leerheit wirksam. Dies erläutert er durch den Vergleich mit einem durch Zaubertrug geschaffenen Menschen, der dem T u n eines zweiten, ebenfalls durch Zaubertrug geschaffenen Menschen Einhalt gebietet. Der nächste Einwand des Gegners nimmt eine Entgegnung Nägärjunas vorweg. A u f den Einwand, daß seine Widerlegung des eigenen Wesens aller Dinge leer und daher nicht beweiskräftig sei, könnte Nägärjuna antworten, daß das gleiche f ü r die Widerlegung dieser Widerlegung durch den Gegner gelte. Das ist aber, meint der Gegner, nicht richtig. Denn die Feststellung, daß alle Dinge leer seien, sei ausschließlich Behauptung Nägärjunas, hebe daher nur seine Widerlegung auf, aber nicht die Widerlegung des Gegners, welcher diese Behauptung nicht anerkennt. Darauf antwortet Nägärjuna, daß er überhaupt keine positive Behauptung aufstelle, auch nicht die Behauptung, daß alle Dinge leer seien. Daher könne auch keine Aussage als seine Behauptung gelten. Und ebensowenig könnten ihn die daraus entspringenden Fehler treffen.
Aus der „Streitabwehrerin" (Vigrahavyävartani)
Du hast zunächst gesagt: V. 1
Wenn es überall bei allen Dingen kein eigenes Wesen gibt, dann ist deine eigene Rede wesenslos und nicht imstande, ein eigenes Wesen zu widerlegen. Dazu sagen wir:
Nagarjuna
201
v. 21
Wenn meine Rede weder in den Gründen, Ursachen und ihrer Gesamtheit, noch in getrenntem Zustande vorhanden ist, dann ist doch die Leerheit der Dinge erwiesen, eben wegen ihrer Wesenlosigkeit. Wenn meine Rede in den Gründen nicht vorhanden ist, nämlich in den großen Elementen, mögen sie verbunden oder getrennt sein, wenn sie in den Ursachen nicht vorhanden ist, nämlich in Brust, Hals, Lippen, Zunge, Zähnen, Gaumen, Nase, Schädel usw. und in den Bemühungen (j>rayatnah), wenn sie in der Gesamtheit dieser beiden nicht vorhanden ist, und wenn sie auch getrennt, nämlich gesondert von den Gründen, Ursachen und ihrer Gesamtheit nicht vorhanden ist, dann ist sie wesenlos und wegen ihrer Wesenlosigkeit leer. So ist denn die Leerheit meiner Rede wegen ihrer Wesenlosigkeit erwiesen. Wie aber meine Rede wegen ihrer Wesenlosigkeit leer ist, so sind alle Dinge wegen ihrer Wesenlosigkeit leer. Wenn du daher gesagt hast: Wegen der Leerheit deiner Rede trifft die Leerheit aller Dinge nicht zu, so ist das nicht richtig. Ferner: v. 22
Das abhängige Entstehen der Dinge wird nämlich Leerheit genannt. Denn ein Ding, das abhängig entsteht, ist wesenlos. Ohne die Leerheit der Dinge zu verstehen und ohne den Sinn der Leerheit zu kennen, hast du es unternommen, einen Tadel vorzubringen, (indem du sagst): „Wegen der Leerheit deiner Rede ist deine Rede wesenlos. Mit deiner wesenlosen Rede ist aber eine Widerlegung des Wesens der Dinge nicht möglich." Das abhängige Entstehen der Dinge ist nämlich ihre Leerheit. Wieso? Wegen ihrer Wesenlosigkeit. Dinge, welche abhängig entstanden sind,
202
Die Schulen des Mahayana
sind ohne eigenes Wesen, weil ihnen ein eigenes Wesen fehlt. Wieso? Weil sie von Gründen und Ursachen abhängig sind. Wenn die Dinge einem eigenen Wesen nach bestünden, dann würden sie auch ohne Rücksicht auf Gründe und Ursachen bestehen. Das ist aber nicht der Fall. Daher sind sie wesenlos. Und weil sie wesenlos sind, werden sie leer genannt. Somit ist erwiesen, daß auch meine Rede, weil sie abhängig entstanden ist, wesenlos ist, und weil sie wesenlos ist, leer ist. Wie aber Wagen, Kleider, Töpfe usw., obwohl sie abhängig entstanden und daher von eigenem Wesen leer sind, trotzdem ihre verschiedenen Wirkungen ausüben, nämlich das Holen von Holz, das Holen von Erde, das Enthalten von Honig, Wasser und Milch, das Schützen gegen Kälte, Wind und Hitze usw., ebenso führt diese meine Rede, obwohl sie abhängig entstanden und daher wesenlos ist, trotzdem den Nachweis der Wesenlosigkeit der Dinge. Wenn du daher gesagt hast: Deine Rede ist wegen ihrer Wesenlosigkeit leer und wegen ihrer Leerheit ist es nicht möglich, durch sie das eigene Wesen aller Dinge zu widerlegen, so ist das nicht richtig. Ferner: v. 23
Wie ein durch Wunderkraft Geschaffener (nirmitakah) einen durch Wunderkraft Geschaffenen oder ein Zaubermensch einen durch die eigene Zauberkunst Hervorgebrachten aufhält, so verhält es sich mit dieser Widerlegung. Wie ein durch Wunderkraft geschaffener Mensch einen andern durch Wunderkraft geschaffenen Menschen, der zu irgendeinem Zweck herbeikommt, aufhält, oder wie ein von einem Zauberer hervorgebrachter Zaubermensch einen andern Zaubermenschen, der zu irgendeinem Zweck herbeikommt, aufhält — dabei ist der durch Wunder-
Nagarjuna
203
kraft geschaffene Mensch, der aufgehalten wird, leer, und der, der ihn aufhält, ist ebenfalls leer; der Zaubermensch, der aufgehalten wird, ist leer, und der, der ihn aufhält, ist ebenfalls leer — ebenso ist es möglich, durch meine leere Rede das eigene Wesen aller Dinge zu widerlegen. Wenn du daher gesagt hast: Wegen der Leerheit deiner Rede ist die Widerlegung des eigenen Wesens aller Dinge nicht möglich, so ist das nicht richtig. Du hast ferner gesagt: V.
i
Man könnte denken, mit der Widerlegung der Widerlegung verhält es sich ebenso. Das ist nicht richtig. Es trifft auf diese Weise auf Grund des Merkmals der Behauptung 1 der Vorwurf dich, aber nicht mich. Dazu sagen wir: v. 29
Wenn ich irgendeine Behauptung vertreten würde, dann würde sich daraus dieser Fehler für mich ergeben. Ich vertrete aber keine Behauptung. Daher trifft mich auch kein Fehler. Wenn ich irgendeine Behauptung vertreten würde, dann könnte für mich das Merkmal der Behauptung zutreffen, und es würde sich daher für mich, so wie du es gesagt hast, der daraus entspringende Fehler ergeben. Ich vertrete aber keinerlei Behauptung. Wieso soll also, wenn alle Dinge leer, vollkommen beruhigt und von Natur aus losgelöst sind, eine Behauptung vorliegen? Wieso soll darauf das Merkmal der Behauptung zutreffen? Und wieso soll sich der Fehler ergeben, der durch das Zutreffen 1 Da die Aussage, daB alle Dinge leer sind, definitionsgemäfi als deine Behauptung zu betrachten ist.
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Die Schulen des Mahayana
des Merkmals der Behauptung herbeigeführt wird ? Wenn du daher gesagt hast: Der Fehler trifft nur dich, weil (für dich) das Merkmal der Behauptung zutrifft, so ist das nicht richtig. Als letztes bringe ich eine Probe aus einem leichter verständlichen Werk Nägärjunas. Wie wir bereits erwähnt haben, berichtet die Überlieferung, daß Nägärjuna mit einem König aus dem südindischen Herrscherhaus der Sätavähana befreundet war. Tatsächlich finden sich unter den ihm zugeschriebenen Werken zwei, welche in Versen abgefaßte Mahnschreiben an einen König darstellen, der Suhrllekhah („Brief an einen Freund") und die Ratnävall („Juwelenkette"). Und aus dem weitaus umfangreicheren und bedeutenderen der beiden Werke, aus der Ratnävall, ist die folgende Textprobe genommen. Die Ratnävall ist keine systematische Darstellung der Lehren Nägärjunas. Ohne strenge Gliederung des Stoffes geht sie von einem Gegenstand zum andern über. Dabei nehmen vor allem sittliche Mahnungen einen breiten Raumein. Dazwischen sind aber auch rein philosophische Aba schnitte eingestreut, die inhaltlich höchst bedeutend sin und eine wertvolle Ergänzung zu der Darstellung seiner übrigen Werke bilden. Und ein solcher Abschnitt aus dem ersten Kapitel des Werkes ist es, den ich im folgenden wiedergebe. Vorausgeschickt sind einige einleitende Worte. Dann wird ein doppeltes Ziel der Lehre aufgestellt, Wohlergehen durch Frömmigkeit und die Erlösung. Die Mittel dazu sind Glaube und Einsicht. Nun wird zunächst das sittliche Leben des Gläubigen geschildert, das ihm Glück und Wohlergehen einträgt. Dann geht die Darstellung auf die Lehre über, welche zur Erlösung führt. Und damit beginnt der philosophische Teil des Kapitels. Den Anfang bildet die Feststellung (v. 25), daß der Tor Schrecken empfindet, wenn er hört, daß es ein Ich und ein Mein weder gibt noch geben wird. Und doch ist der Glaube an ein Ich und an ein Mein die Hauptursache der Verstrickung in den Wesenskreislauf. Das wird eingehender ausgeführt. Dieser Glaube ist es nämlich, der zum Vollbringen der Werke und zur Wiedergeburt führt. Andererseits beruht der Glaube selbst
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wieder auf der Außenwelt, die m a n wahrzunehmen meint, nämlich auf den f ü n f Gruppen. Denn wie m a n auf Grund eines Spiegels sein Spiegelbild zu sehen glaubt, das jedoch nichts Wirkliches ist, so glaubt m a n auf Grund der Gruppen a n ein Ich. So ist der Kreislauf geschlossen, in dem sich in gegenseitiger Abhängigkeit die ständige Wiedergeburt abspielt. Die Erlösung erfolgt, indem m a n die Unwirklichkeit des abhängigen E n t s t e h e n s erkennt. Denn damit schwindet der Glaube a n ein Ich, u n d Werke u n d Geburt finden ein Ende. Die Unwirklichkeit des abhängigen E n t stehens u n d damit der Außenwelt ergibt sich aber daraus, d a ß ein E n t s t e h e n der Dinge weder aus sich, noch aus anderem, noch aus beidem möglich ist. D a m i t ist die grundlegende Schlußfolgerung angedeutet, mit der Nägärj u n a sein H a u p t w e r k einleitet (s. oben S. 176ff.). Gleichzeitig weist er bei dieser Gelegenheit darauf hin, d a ß die Unwirklichkeit kein Nichtsein, sondern ein Weder-Sein noch-Nichtsein bedeutet. U n d n u n greift er auf seine anfängliche Bemerkung zurück, d a ß der Tor beim Hören der wahren Lehre Schrecken empfindet. D a ß es f ü r den Erlösten kein Ich u n d keine Gruppen gibt, wird ohnedies a n e r k a n n t . W a r u m also, f r a g t er, soll m a n darüber Schrecken empfinden, d a ß sie auch in dieser Welt nicht wirklich vorhanden sind. N u n folgt ein neuer Gedankengang (v. 42), u n d zwar wird der eigenartigste Zug dieser Erlösungslehre besprochen d a ß sie nämlich weder ein Sein noch ein Nichtsein lehrt. Schon in den letzten Versen war darauf hingedeutet worden, d a ß die Unwirklichkeit der Außenwelt kein Nichtsein bedeutet. Ebenso ist das Nirväna weder als Sein noch als Nichtsein anzusehen. Die wahre Lehre hält sich von diesen Gegensätzen frei. N u n weist N ä g ä r j u n a kurz auf die moralische B e d e u t u n g der verschiedenen Auffassungen hin. Die Lehre vom Nichtsein leugnet die Wirksamkeit der g u t e n u n d bösen Werke u n d f ü h r t zur Bestrafung in einer schlechten Wiedergeburt. Die Lehre vom Sein anerkennt die Wirksamkeit der Werke u n d f ü h r t zur Belohnung in einer guten Wiedergeburt. Die Lehre vom Weder-Sein-noch-Nichtsein dagegen hält sich von beiden fern u n d f ü h r t zur Erlösung. Es folgt eine genauere Besprechung der Frage, wieso die Erscheinungswelt weder
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Die Schulen des Mahayana
als seiend noch als nichtseiend anzusehen ist. Da sie aus Ursachen entsteht, kann man nicht ihr Nichtsein behaupten. Und da sie samt den Ursachen vergeht, kann man nicht ihr Sein behaupten. Dabei ist das ursächliche Entstehen nicht wirklich, weil die Ursache nicht Ursache sein kann, mag sie nun früher als die Wirkung oder gleichzeitig mit ihr sein. Das erste widerspricht der Relativität der gegensätzlichen Begriffe, das zweite macht ein Hervorbringen unmöglich. Die alten Sütren hatten das abhängige Entstehen in die Worte gefaßt: „Wenn dieses ist, ist jenes; infolge der Entstehung von diesem entsteht jenes" (vgl. oben S. 39). Das erste bezieht Nägärjuna auf die Relativität der gegensätzlichen Begriffe: Etwas Kurzes kann es nur im Hinblick auf etwas Langes geben. Das zweite bezieht er auf das Entstehen eines Dinges aus einem andern, so wie durch eine Lampe Licht entsteht. Im ersten Fall ist aber auch das Lange ohne etwas Kurzes nicht möglich, weil beides sich gegenseitig bedingt. Und daher kann die Ursache nicht früher sein als die Wirkung, weil auch der Begriff der Ursache die Wirkung voraussetzt (vgl. oben S. 176f.). Andererseits kann kein Licht entstehen, solange nicht die Lampe da ist. Und daher ist auch die Gleichzeitigkeit von Ursache und Wirkung ausgeschlossen. Schließlich liegt aber in der Erscheinungswelt, wie sie uns gegeben ist, tatsächlich ein Entstehen vor, und wenn man das in Betracht zieht, wird man an kein Nichtsein glauben. Und da die entstandenen Dinge innerhalb dieser Erscheinungswelt wieder vergehen, wird man auch an kein Sein glauben. Anschließend (v. 52) erläutert Nägärjuna an einem Beispiel, wieso bei der Erscheinungswelt weder Sein noch Nichtsein zutrifft. Die Erscheinungswelt gleicht einer Luftspiegelung, die als Wasser erscheint. Während etwas Wirkliches bei näherer Betrachtung genauer gesehen wird, ist das Wasser der Luftspiegelung in der Nähe nicht wahrzunehmen. Und ebenso erweist sich die Erscheinungswelt bei genauerer Betrachtung anders, als sie auf den ersten Blick erscheint. Beide sind also ein Schein und unwirklich. Aber wie man bei der Luftspiegelung deswegen, weil kein Wasser da ist, noch nicht von einem Nichtsein sprechen kann, weil j a der Trug der Luftspiegelung als
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solcher vorhanden ist, ebenso darf man bei der Erscheinungswelt von einem Nichtsein ebensowenig sprechen, wie von einem Sein. Beiläufig wird noch bemerkt (V. 58), daß man aus der Ablehnung von Sein und Nichtsein keinen Negativismus folgern darf. Denn, wenn man aus der Leugnung des Seins den Glauben an ein Nichtsein ableiten wollte, müßte man ebenso aus der Leugnung des Nichtseins auf den Glauben an ein Sein schließen. Dann schließt Nägärj u n a diesen Abschnitt mit der Bemerkung, daß diese Lehre welche über Sein und Nichtsein hinausgeht und allein zur Erlösung führt, ausschließlich der Verkündigung des Buddha eigentümlich ist. Nun kommt wieder ein neuer Gedankengang (v. 63), und zwar bringt Nägärjuna neue Beweise für die Unwirklichkeit der Erscheinungsweit. Der alte Buddhismus unterscheidet bei den Dingen drei Merkmale (laksanüni) oder Zeitstufen, Entstehen, Beharren und Vergehen. Diese entsprechen der Geburt, dem Alter und dem Tode. Und daher wird auch das Beharren genauer als Anderswerden während des Beharrens bestimmt. Nägärjuna behauptet nun, daß diese drei Zeitstufen nicht wirklich sind, und daß auch die Erscheinungswelt, weil sie außerhalb der drei Zeitstufen liegt, nicht wirklich sein kann und infolgedessen mit dem Nirväna wesensgleich ist. E r beweist dies folgendermaßen. Entstehen und Vergehen kann nicht wirklich sei, weil es kein Beharren gibt. Ein Beharren ist aber ausgeschlossen wegen der Augenblicklichkeit der Dinge (vgl. oben S. 102ff.), da alle Dinge einem beständigen Wechsel unterworfen sind, weil nur so das vorausgesetzte Anderswerden während des Beharrens möglich ist. Andererseits können jedoch auch die augenblicklichen Dinge nicht wirklich sein. Denn entweder vergehen sie jeden Augenblick vollständig oder teilweise. Bei einem teilweisen Vergehen ergibt sich der Widerspruch, daß dasselbe Ding zugleich vergeht und nicht vergeht. E i n vollständiges Vergehen dagegen läßt sich nicht beobachten. Außerdem gibt es bei einem vollständigen Vergehen kein Altern, ebensowenig wie bei einem unveränderlichen Beharren. Schließlich bereitet aber auch der Begriff des Augenblicks selbst Schwierigkeiten. Denn das Vergehen eines Augenblicks setzt ein vorhergehendes Entstehen und Beharren voraus. Damit
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Die Schulen des Mahayana
würde er aber in drei Teile zerfallen und wäre kein Augenblick mehr. U n d überdies ließe sich auf jeden seiner Teile die gleiche Folgerung anwenden. Außerdem sind Anfang, Mitte und Ende relative Begriffe und als solche unmöglich. Ferner wäre er wegen der Vielheit seiner Teile keine Einheit. Andererseits gibt es nichts Teilloses. U n d Einheit und Vielheit sind selbst wieder relative Begriffe, ebenso wie Sein und Nichtsein. Diese letzte Bemerkung gibt Nägärjuna den Anlaß zur Feststellung, daß ein Nichtsein nur durch die Vernichtung eines Seins oder als Gegensatz dazu möglich ist. Sein und Nichtsein sind also relative Begriffe und daher nicht wirklich. Infolgedessen findet auch bei der Erlösung keine wirkliche Vernichtung des irdischen Daseins statt, und es hat daher seinen guten Grund und seine volle Berechtigung, daß der Buddha auf die Frage, ob die Welt ein Ende hat, nur mit Schweigen antwortete, da diese Frage von vollkommen falschen Voraussetzungen ausgeht. Damit ist diese Erörterung beendet und mit einigen allgemeinen Bemerkungen über die Bedeutung dieser Lehre und über die Gefahr einer falschen Auffassung durch die Toren schließt dieses Kapitel.
A u s der „ J u w e l e n k e t t e " (Ratnävali) KAPITEL
i
1 N a c h d e m ich dem von allen Fehlern freien, mit allen Tugenden geschmückten, allwissenden einzigen Freund aller Wesen ( = d e m Buddha) meine Verehrung bezeigt habe, 2
will ich dir, o K ö n i g , d a m i t dein Verdienst wachse, die ausschließlich gute Lehre darlegen. Denn die Lehre t r ä g t Frucht in einem würdigen E m p f ä n g e r der guten Lehre.
Nagarjuna
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3
Wo erst das Verdienst gedeiht, stellt sich später das höchste Gut ein. Denn wenn man das Gedeihen erlangt hat, gelangt man später zum höchsten Gut. 4
Als Gedeihen gilt das Wohlergehen, als das höchste Gut die Erlösung. Die Mittel dazu sind, kurz zusammengefaßt, Glaube und Einsicht. 5
Durch Gläubigkeit erwirbt man Verdienst, durch Einsicht erkennt man wahrheitsgemäß. Die Einsicht ist jedoch das Wichtigere von beiden, doch geht der Glaube ihr voran. Nun folgt eine kurze Schilderung des tugendhaften Lebens, das man auf Grund des Glaubens führen soll. Dann fährt der Text fort: 25
Von der Lehre, die zum höchsten Gut führt und die fein und tiefgründig zu schauen ist, haben die Sieger ( = die Buddha) gesagt, daß sie bei den Toren, welche unfähig sind, sie zu hören, Zittern erregt. 26
Der Gedanke: „Ich bin nicht und ich werde nicht sein, nichts ist mein und nichts wird mein sein", bedeutet für den Toren Schrecken, für den Weisen Schwinden der Furcht. 27
Er, der ausschließlich das für die Geschöpfe Heilsame verkündet, hat gesagt, daß die Geschöpfe durch den Glauben an ein Ich hervorgerufen und vom Glauben an ein Mein begleitet sind. 14
Frauwallner, Buddhismus
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Die Schulen des Mahäyana 28
„Es gibt ein Ich, es gibt ein Mein"; das ist vom Standpunkt der höchsten Wahrheit irrig, da es nach wahrheitsgemäßer Erkenntnis beides nicht gibt. 29
Aus dem Glauben an ein Ich entstehen die Gruppen. Dieser Glaube an ein Ich ist in Wahrheit falsch. Wieso kann aber etwas, dessen Same falsch ist, wahrhaft emporwachsen ? 30
Wenn man gesehen hat, daß die Gruppen unwahr sind, schwindet der Glaube an ein Ich. Wenn aber der Glaube an ein Ich schwindet, dann kommen keine Gruppen mehr zustande. 31
Ebenso wie man auf Grund eines Spiegels ein Abbild des eigenen Gesichtes sieht, und wie dieses in Wirklichkeit nichts ist, 32
ebenso wird auf Grund der Gruppen der Glaube an ein Ich wahrgenommen, er ist aber in Wirklichkeit nichts, genau so wie das Abbild des eigenen Gesichts. 33
Und wie ohne Hilfe des Spiegels das Abbild des eigenen Gesichts, so wird ohne die Hilfe der Gruppen (die Vorstellung) „Ich" nicht wahrgenommen. 34
Nachdem der heilige Ananda durch das Hören dieses Sachverhalts das Auge der Lehre erlangt hatte, hat er ihn selbst wiederholt den Mönchen verkündet.
Nagärjuna
211
85
Solange der Glaube an die Gruppen bestellt, solange bestellt auch (die Vorstellung) „Ich". Wenn aber der Glaube an ein Ich besteht, entstehen daraus wieder Werke und Geburt. 36
Dieses aus drei Abschnitten bestehende Rad des Wesenskreislaufs, das keinen Anfang, kein Ende und keine Mitte hat, kreist, indem es sich gegenseitig verursacht, gleich einem im Kreis geschwungenen Feuerbrand. 37
Da es ( = das abhängige Werden des Wesenskreislaufs) aus sich, aus anderem und aus beidem auch auf allen drei Zeitstufen, nicht Zustandekommen kann, wird der Glaube an ein Ich hinfällig und dadurch Werke und Geburt. 38
Indem man so das Entstehen der Ursachen und Wirkungen schaut und ebenso ihr Vergehen, erkennt man, daß die Welt in Wirklichkeit weder ist noch nicht ist. 39
Wenn jemand Unüberlegter diese Lehre hört, die zum Schwinden alles Leidens führt, dann erbebt er in seinem Unverstand, indem er sich vor der Städte der Furchtlosigkeit ängstigt. 40
Daß dies alles im Nirväna nicht sein wird, das bedeutet für dich keinen Schrecken. Warum verursacht es dir also Schrecken, wenn man sagt, daß es hier nicht ist? 41
Bei der Erlösung gibt es kein Ich und keine Gruppen. Wenn dir eine solche Erlösung willkommen ist, warum H«
212
Die Schulen des Mahayana
ist dir dann eine Beseitigung des Ich oder der Gruppen unerwünscht ? 42
Das Nirväna ist aber auch kein Nichtsein, wieviel weniger ein Sein. Das Schwinden der Vorstellungen von Sein und Nichtsein wird Nirväna genannt. 43
Die Ansicht vom Nichtsein besagt kurz gefaßt, daß es keinen Lohn der Werke gibt. Sie ist sündhaft und führt auf den bösen Weg (zu einer schlechten Wiedergeburt), und wird als falsche Ansicht bezeichnet. 44
Die Ansicht vom Sein besagt kurz gefaßt, daß es einen Lohn der Werke gibt. Sie ist verdienstvoll und hat den guten Weg (d. h. eine günstige Wiedergeburt) zur Folge, und wird als richtige Ansicht bezeichnet. 45
Beim Wissen gelangt man, da Sein und Nichtsein zur Ruhe kommen, über Sünde und Verdienst hinaus. Und daher wird dies von den Guten die Erlösung vom bösen und vom guten Weg genannt. 46
Wenn man das ursächlich bedingte Entstehen sieht, gelangt man über das Nichtsein hinaus. Und wenn man das Vergehen samt der Ursache sieht, erkennt man das Sein nicht an. 47
Die Ursache ist in Wirklichkeit keine Ursache, mag sie nun früher entstanden oder gleichzeitig entstanden sein,
Nagärjuna
213
weil weder die Bezeichnung wahrgenommen wird noch ein wirkliches Entstehen. 48
Wenn dieses ist, ist jenes, wie das Kurze, wenn das Lange ist. Infolge der Entstehung von diesem entsteht jenes, wie das Licht infolge der Entstehung der Lampe. 49
Solange aber das Kurze nicht ist, ist das Lange seinem Wesen nach nicht vorhanden. Und wenn die Lampe nicht entstanden ist, entsteht auch das Licht nicht. 50
Wenn man so das Entstehen von Ursache und Wirkung sieht, erkennt man das Nichtsein nicht an, indem man die aus der Vielfalt entsprungene Tatsächlichkeit (yäthäbhütyam) dieser Welt gelten läßt. 51
Und indem man das aus der Vielfalt sich ergebende Vergehen der Tatsächlichkeit nach gelten läßt, erkennt man das Sein nicht an. Daher wird man erlöst, da man sich an beides nicht mehr klammert. 52
Eine aus der Ferne erblickte Form wird in der Nähe deutlich gesehen. Wenn die Luftspiegelung Wasser wäre, warum wird es in der Nähe nicht gesehen ? 53
Wie diese Welt aus der Ferne gesehen wird, so wird sie in der Nähe nicht gesehen, da sie merkmallos (animittah) ist, wie die Luftspiegelung.
214
Die Sohulen des Mahäyäna
51 Wie die Luftspiegelung dem Wasser gleicht, aber kein Wasser ist und nicht wirklich ist, so gleichen die Gruppen dem Ich, sind aber kein Ich und sind nicht wirklich. 55
Wenn jemand von der Luftspiegelung denkt: „Das ist Wasser", darauf zugeht und dann, wenn er dort ist, meint, daß das Wasser nicht ist, so ist er ein Tor. 56
Ebenso ist es eine Verblendung, wenn man von der Welt, die einer Luftspiegelung gleicht, meint, daß sie ist, oder daß sie nicht ist. Solange aber die Verblendung besteht, wird man nicht erlöst. 57
Wer an das Nichtsein glaubt, geht den schlechten Weg. Wer an das Sein glaubt, geht den guten Weg. Wer sich an beides nicht klammert, weil er erkennt, wie es sich wirklich verhält, gelangt zur Erlösung. 58
Wenn derjenige, welcher Sein und Nichtsein ablehnt, weil er erkennt, wie es sich wirklich verhält, aus Verblendung dem (Glauben an das) Nichtsein verfällt, warum verfällt er nicht dem (Glauben an das) Sein? 59
Man könnte denken, aus seiner Verwerfung des Seins ergibt sich sinngemäß das Nichtsein. Warum ergibt sich aber nicht aus der Verwerfung des Nichtseins das Sein?
Nagarjuna
215
60
Wenn sich für diejenigen, welche keine Behauptung, keinen Wandel und keinen Gedanken in Anlehnung an die Erleuchtung kennen, sinngemäß der Glaube an das Nichtsein ergibt, warum werden sie dann nicht (ebensogut) als Anhänger des Glaubens an ein Sein bezeichnet ? 61
Frag die Leute samt den Sämkhya, Vaisesika, Jaina, den Anhängern der Lehre von einer Person und von den Gruppen, ob sie ein solches Hinausgehen über Sein und Nichtsein lehren. 62
Daher wisse, daß dieser Unsterblichkeitstrank der Lehre der Buddha, der über Sein und Nichtsein hinausgeht, als Gabe der Lehre und als tiefgründig bezeichnet wird. 63
Die Welt vergeht nicht, kommt nicht und verharrt auch nicht einen Augenblick. Wieso sollte sie also wirklich sein, da sie ihrem Wesen nach außerhalb der drei Zeitstufen liegt? 64
Welcher Unterschied besteht daher in Wahrheit, zwischen der Welt und dem Nirväna, da es bei beiden in Wirklichkeit kein Kommen, kein Gehen und kein Beharren gibt? 65
Da es kein Beharren gibt, gibt es in Wirklichkeit auch kein Entstehen und keine Vernichtung. Woher sollte es in Wahrheit etwas Entstandenes, Beharrendes und Vernichtetes geben?
216
Die Schulen des Mahayana 68
Wie sollte es ein nichtaugenblickliches Ding geben, wenn beständig eine Veränderung vor sich geht? Wenn aber keine Veränderung erfolgt, woher sollte es dann in Wahrheit ein Anderssein geben? 67
Etwas kann augenblicklich sein, weil es teilweise oder weil es vollständig vergeht. Es ist aber in beiden Fällen unmöglich, weil es einen Widerspruch enthält und nicht wahrzunehmen ist (?). 68
Ist ein Ding ganz und gar augenblicklich, woher gibt es dann ein Altern? Ist es aber wegen seiner Beständigkeit nicht augenblicklich, woher gibt es dann ein Altern ? 69
Wie es ein Ende des Augenblicks gibt, so ist auch ein Anfang und eine Mitte anzunehmen. Da also der Augenblick aus drei Teilen besteht, kann die Welt nicht bloß einen Augenblick dauern. 70
Ferner sind Anfang, Mitte und Ende ebenso wie der Augenblick zu betrachten. Auch ist das Anfang-Mitteoder Ende-Sein weder aus sich selbst noch durch etwas anderes möglich. 71
Nichts kann Eins sein, wenn es mehrere Teile enthält. Etwas Teilloses gibt es aber nicht. Auch gibt es ohne Einheit keine Vielheit, ebenso wie kein Nichtsein ohne Sein.
Nagarjuna
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72
Ein Nichtsein kann es nur durch die Vernichtung oder im Gegensatz zu einem Sein geben. Wie ist aber die Vernichtung oder der Gegensatz möglich, wenn es kein Sein gibt ? 73
Infolgedessen trifft beim Erlöschen ein Vergehen der Welt in Wahrheit nicht zu. Daher pflegte der Sieger ( = der Buddha) auf die Frage, ob die Welt ein Ende habe, zu schweigen. 74
Daran wird der Allwissende von den Verständigen als wahrhaft allwissend erkannt, daß er diese tiefgründige Lehre ungeeigneten Leuten nicht mitgeteilt hat. 75
Von dieser Lehre, die zum höchsten Gut führt, tiefgründig ist und an nichts festhält, haben die Erleuchteten, welche die Wahrheit geschaut haben, gesagt, daß sie frei ist von allem, woran man sich klammern könnte (anälayah). 76
Von dieser Lehre, die frei ist von allem, woran man sich klammern könnte, fürchten sich nun die törichten Menschen, die sich gern an etwas klammern und die über Sein und Nichtsein nicht hinausgekommen sind, und gehen daher zugrunde. 77
Und indem sie zugrunde gehen, weil sie sich vor der Stätte der Furchtlosigkeit fürchten, richten sie auch andere zugrunde. Daher handle so, o König, daß du von den Verlorenen nicht zugrunde gerichtet wirst.
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Die Schulen des Mahayana
Äryadeva (Anfang des 3. Jahrhunderts n. u. Z.)
Neben. Nägärjuna steht sein großer Schüler Äryadeva, auch kurz Deva genannt. Äryadeva stammte der Überlieferung nach aus Ceylon. Was über sein Leben berichtet wird, ist vollkommen legendenhaft. Bei ihm liegt der seltene Fall vor, daß ein bedeutender Schüler in vollständiger Übereinstimmung mit seinem Lehrer wirkt und ihn aufs glücklichste ergänzt. E r stimmt in allen wesentlichen Anschauungen mit Nägärjuna überein, geht aber in der Art der Darstellung über ihn hinaus. Während nämlich Nägärjuna, besonders in seinem Grundwerk mit allgemein gehaltenen abstrakten Schlußfolgerungen arbeitet, geht Äryadeva genau auf die bekämpften Anschauungen ein und setzt sich mit ihnen in allen Einzelheiten auseinander. Und er ist dadurch eine wichtige Quelle für die gegnerischen Schulen seiner Zeit. Da er aber philosophisch nichts grundsätzlich Neues bringt, mag hier mit Rücksicht auf den Raum eine kurze Probe seiner Art genügen. Ich wähle dafür einige Verse aus seinem umfangreichsten Werk, dem Catuhäatakam („Das Werk in vierhundert Strophen"), und zwar die Widerlegung der Atomlehre. Äryadeva wendet sich darin gegen die Atomlehre der Vaiäesika, nach der alle materiellen Dinge aus Atomen zusammengesetzt sind. Dabei sind diese Dinge nach Auffassung der Vaisesika nicht einfach eine Anhäufung von Atomen, sondern die Atome bilden ein neues von ihnen verschiedenes Ganzes. Und zwar werden aus der Substanz und den Eigenschaften der Atome die Substanz und die Eigenschaften des Ganzen gebildet. Äryadeva stellt nun fest, daß die Atome nicht mit ihrem ganzen Wesen in dem Ganzen, das ihre Wirkung darstellt, aufgehen. Vor allem kommt die winzige Kugelrundheit ( parimändalyam ), welche die Atome auszeichnet, dem Ganzen nicht zu. Was aber mit einem Teil seines Wesens Ursache ist, mit einem andern dagegen nicht, ist seinem Wesen nach zusammengesetzt. Und was zusammengesetzt ist, so folgert er, kann nicht ewig sein. Damit ist die vom Gegner angenommene Ewigkeit der Atome widerlegt. Daß die Atome als Ursache und das Ganze als Wirkung nicht die gleiche Ausdehnung
Äryadeva
219
haben können, ergibt sich übrigens daraus, daß ein Atom nicht denselben Ort einnehmen kann, wie ein anderes Atom. Ein weiterer Grund dafür, daß die Atome aus Teilchen bestehen müssen, ist ferner der, daß wir bei jedem Versuch, uns ein Atom vorzustellen, notwendig verschiedene Seiten dieses Atoms nach den verschiedenen Richtungen annehmen müssen. Was aber mehrere Seiten hat, hat auch mehrere Teile. Ein weiterer Grund ergibt sich aus der Vaiäesika-Lehre von der Bewegung. Danach besteht nämlich die Bewegung eines Dinges darin, daß es mit seinen vorderen Teilen neue örtliche Verbindungen eingeht, mit seinen rückwärtigen Teilen dagegen die früheren Verbindungen löst. Das setzt aber wieder das Vorhandensein von Teilen voraus. Eine vollkommene Teillosigkeit würde außerdem das Atom vollkommen unsichtbar machen, während es nach Vaisesika-Lehre wenigstens für die übernatürliche Wahrnehmung eines Yogin sichtbar ist. Endlich beruft sich Äryadeva gegen die Vaiiesika-Vorstellung von den Atomen und dem aus ihnen gebildeten Ganzen noch auf die buddhistische Kausalitätslehre, wonach das Entstehen einer Wirkung die Vernichtung ihrer Ursache bedingt (vgl. oben S. lOlff.), was ebenfalls der vorausgesetzten Ewigkeit der Atome widerspricht. Und überdies könnten Ursache und Wirkung, Atome und Ganzes, nicht denselben Platz einnehmen, wie es die Vaiöesika-Lehre voraussetzt. Er schließt daher mit der Feststellung, daß sich ewige, als Materie undurchdringliche Atome, wie sie der Gegner annimmt, nicht nachweisen lassen und daß infolgedessen auch die Lehre der Buddha von keinen derartigen Atomen spricht.
Aus dem „Werk in vierhundert Strophen" (Catuhsatakam)
KAPITEL IX 12
Wovon ein Teil Ursache ist, ein anderer Teil dagegen nicht Ursache ist, das ist daher mannigfaltig und etwas Mannigfaltiges kann nicht ewig sein.
220
Die Schulen des Mahayana 13
Die Kreisrundheit der Ursache ist in der Wirbung nicht vorhanden. Daher können sich die Atome nicht mit ihrem ganzen Wesen (zum Ganzen) vereinigen. 14
Man nimmt, nicht an, daß der Ort eines Atoms auch der Ort eines andern ist. Daher nimmt man auch nicht an, daß beide, Ursache und Wirkung, die gleiche Ausdehnung haben. 15
Was eine östliche Seite hat, das hat auch einen östlichen Teil. Weil also das Atom Teile hat, darum wird das Atom als Nichtatom bezeichnet. 16
Ergreifen nach vorne zu und Verlassen nach rückwärts zu — bei wem dies beides nicht stattfindet, der kann nicht gehend ( = bewegt) sein. 17
Was keinen Anfang, was keine Mitte und was kein Ende hat, ist unsichtbar. Wer kann es sehen? 18
Die Ursache wird durch die Wirkung vernichtet, daher ist die Ursache nicht ewig. Ferner befindet sich die Wirkung nicht dort, wo. sich die Ursache befindet. 19
Ein undurchdringliches ewiges Ding ist nirgends wahrzunehmen. Daher haben die Buddha die Atome nie als ewig bezeichnet.
Äryadeva
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Was die weitere Entwicklung der M a d h y a m a k a - L e h r e n a c h N ä g ä r j u n a u n d Äryadeva betrifft, so finden wir hier keine Entwicklung von der gleichen Art wie bei a n d e r e n Schulen. Denn das M a d h y a m a k a - S y s t e m g a b nicht wie a n d e r e Schulen ein vollständiges Weltbild, das ergänzt u n d berichtigt werden konnte, sondern es beschränkte sich in seinem K e r n auf wenige metaphysische Grundanschauungen, welche seit N ä g ä r j ü n a u n v e r ä n d e r t feststanden. W e n n es t r o t z d e m zu einer A r t Entwicklung innerhalb der Schule k a m , so war diese durch äußere U m s t ä n d e b e s t i m m t . U n d zwar war es zweierlei, was dazu den Anstoß g a b : Die Fortschritte, die inzwischen auf dem Gebiet der Logik erreicht worden waren, u n d das A u f b l ü h e n der zweiten großen Mahäyäna-Schule, der Schule der Yogäcära. Die F o r t s c h r i t t e auf dem Gebiet der Logik nötigten, a n die Stelle der Schlüsse N ä g ä r j u n a s , die sich doch zum größten Teil als a n f e c h t b a r e Trugschlüsse erwiesen, haltbarere Beweise zu setzen. Die Yogäcära-Schule war vor allem d a d u r c h über das M a d h y a m a k a hinausgegangen, d a ß sie durch eine A r t von erkenntnistheoretischem Idealism u s das Z u s t a n d e k o m m e n der Erscheinungswelt erklärte u n d d a d u r c h die wichtigste Frage beantwortete, welche das M a d h y a m a k a offengelassen h a t t e , u n d ihre großen Erfolge zwangen die ältere Schule dazu, zu dieser neuen Lehre Stellung zu nehmen. U n t e r diesen U m s t ä n d e n l ä ß t sich die spätere Entwicklung der Madhyamaka-Schule a m besten in der Weise schildern, d a ß wir zeigen, wie sich ihre b e d e u t e n d s t e n Vertreter in diesen beiden P u n k t e n verhielten, wie sie die F o r t s c h r i t t e der Logik berücksichtigten u n d wie sie sich mit der Yogäcära-Lehre auseinandersetzten. Buddhapälita (etwa 5. Jahrhundert n« u. Z.)
Die erste bedeutende Persönlichkeit der M a d h y a m a k a Schule n a c h Äryadeva, welche neue Wege einschlug, war B u d d h a p ä l i t a , der etwa dem 5. J a h r h . n. u. Z. angehören d ü r f t e . B u d d h a p ä l i t a war es, der als erster dem F o r t s c h r i t t der Logik R e c h n u n g trug, u n d zwar verfaßte er einen Komm e n t a r zu N ä g ä r j u n a s M a d h y a m a k a k ä r i k ä , in dem er die Beh a u p t u n g e n N ä g ä r j u n a s durch eingehendere u n d haltbarere
222
Die Schulen des Mahayäna
Begründungen zu stützen suchte. Dabei hielt er grundsätzlich an der Einstellung Nägärjunas fest, keine eigenen Behauptungen aufzustellen, sondern beschränkte sich darauf, die gegnerischen Annahmen als unmöglich nachzuweisen. Er tat dies in der Weise, daß er zeigte, daß sich aus den Behauptungen des Gegners unerwünschte Folgerungen ergeben (prasangah), also auf dem Weg der deductio ad absurdum. Ein kurzes Beispiel aus seinem Kommentar wird genügen, um ein Bild von seinem Verfahren zu geben, und zwar wähle ich zu diesem Zweck den Kommentar zum ersten Vers der Kärikä (s. oben S. 178), weil sich der Nachweis der Unmöglichkeit jedes Entstehens immer mehr zum grundlegenden Beweis entwickelte, auf den sich die Widerlegung der Außenwelt durch die Madhyamaka- Schule vor allem stützte. Im einzelnen ist seine Darstellung klar und bedarf keiner ausführlichen Erläuterungen. Er bespricht der Reihe nach die vier von Nägärjuna zurückgewiesenen Möglichkeiten eines Entstehens aus sich, aus anderem, aus beidem und ohne Ursache. Die Dinge entstehen nicht aus sich selbst, weil es zwecklos wäre, daß etwas bereits Vorhandenes nochmal entsteht, und weil sie dann jederzeit entstehen müßten, da die Ursache, nämlich ihr eigenes Selbst, ja immer vorhanden wäre. Sie entstehen nicht aus anderem, weil dann alles aus allem entstehen könnte, da das eine fremde Ding genauso etwas anderes ist, wie das andere. Sie entstehen nicht aus beidem, weil dann die Einwände, welche gegen die einzelnen Annahmen vorgebracht wurden, beide zutreffen würden. Und sie entstehen nicht ohne Ursache, weil dann alles jederzeit aus allem entstehen könnte, da ja keine Ursache notwendig ist, deren Eintreten abgewartet werden müßte, und weil dann jede Bemühung zwecklos wäre, da alles sowieso auch ohne Ursache zustande käme. Aus dem „Kommentar zu den Merkversen der mittleren Lehre" (Mulamadhyamakavrttih) KAPITEL i
(Gegner:) Zunächst wäre zu zeigen, wieso es eine bloße Ausdrucksweise (vyavahäramätram) ist, wenn man von
Buddhapalita
223
einem Entstehen spricht. (Antwort:) Dazu ist als Erstes zu sagen: V. 1
Weder aus sich, noch aus anderem, noch aus beiden, noch ohne Grund sind jemals irgendwo irgendwelche Dinge entstanden. Wenn nämlich irgendein Ding entsteht, dann findet das Entstehen dieses Dinges aus sich, aus anderem, aus sich und anderem zugleich, oder ohne Grund statt. Prüft man nun (diese vier Möglichkeiten), so erweist es sich auf jede Weise als unmöglich. Wieso? Aus sich heißt soviel, wie aus dem eigenen Selbst. Die Dinge entstehen nun zunächst nicht aus ihrem eigenen Selbst, weil ihr Entstehen zwecklos wäre, und weil sich ein endloses Entstehen ergeben würde. Es besteht nämlich kein Anlaß, daß Dinge, die ihrem eigenen Selbst nach bereits vorhanden sind, neuerlich entstehen. Wenn aber etwas bereits Vorhandenes trotzdem entstünde, dann würde es niemals nicht entstehen. Und das ist nicht erwünscht. Daher entstehen die Dinge zunächst nicht aus sich. Sie entstehen aber auch nicht aus anderem. Wieso ? Weil daraus folgen würde, daß alles aus allem entstehen könnte. Sie entstehen ferner nicht aus sich und anderem zugleich, weil sich beide Fehler ergeben würden. Und sie entstehen schließlich auch nicht ohne Grund, weil daraus folgen würde, daß alles immer aus allem entstehen könnte, und weil sich der Fehler ergeben würde, daß alle Bemühungen zwecklos wären. Weil also das Entstehen der Dinge auf keine Weise möglich ist, entstehen sie nicht. Und wenn man daher von ihrem Entstehen spricht, so ist das eine bloße Ausdrucksweise.
224
Die Schulen des Mahayana Bhavaviveka (Mitte des 6. Jahrhunderts n. u. Z.)
Der nächste namhafte Madhyamaka-Lehrer ist Bhavaviveka oder Bhäviveka, der größte Neuerer in der Geschichte der Schule. Er lebte in der Mitte des 6. Jahrhunderts n. u. Z. und war Zeitgenosse und Gegner Dharmapälas, des berühmtesten damaligen Vertreters der Yogäcära-Schule in Nälandä. Bhavaviveka neuerte, sowohl durch die Berücksichtigung der logischen Fortschritte seiner Zeit, als auch durch die Verwertung von Yogäcära-Gedanken. Was seine logischen Neuerungen betrifft, so war für ihn der entscheidende Anstoß dadurch gegeben, daß kurz vorher Dignäga die buddhistische Logik zur vollen Höhe geführt und genau festgelegt hatte, aus welchen Teilen ein Schluß zu bestehen hat und welche Bedingungen die einzelnen Teile erfüllen müssen. Bhavaviveka machte sich das zu Nutzen, und zwar verfuhr er folgendermaßen. Er suchte aus den Worten Nägärjunas die Glieder eines solchen Schlusses herauszulesen und stellte daraus eine formelle Schlußfolgerung zusammen, die allen geforderten Bedingungen entsprach und die er gegen allfällige Einwände rechtfertigte. Er stellte also im Gegensatz zu Buddhapälita, der sich begnügt hatte, die Gegner ad absurdum zu führen, selbständige (svatantrah) Schlußfolgerungen auf, und das gab seiner Schule den Namen der Svätantrika Mädhyamika, während man die Anhänger Buddhapälitas als Präsangika bezeichnete. Auch setzte er sich mit Lehren und Einwänden fremder, und zwar keineswegs nur buddhistischer Schulen, eingehend und ausführlich auseinander. Als Beispiel für sein Verfahren bringe ich eine Probe aus seinem Hauptwerk, seinem großen Kommentar zu Nägärjunas Madhyamakakärikä, Prajnäpradipah („Leuchte der Einsicht") genannt, und zwar ebenso wie bei Buddhapälita die Erklärung des ersten Verses der Kärikä. Ich gebe aber nur den ersten Teil dieser Erklärung wieder, die Widerlegung der Entstehung der Dinge aus sich selbst, da Bhavaviveka unvergleichlich ausführlicher ist als Buddhapälita und da schon dieser Teil seine Art genügend kennzeichnet. Bhävaviveka führt ebenso wie Buddhapälita zuerst den Vers Nägärjunas an, den er besprechen will, und knüpft
Bhavaviveka
225
d a r a n einige Einzelerklärungen. W ä h r e n d aber B u d d h a pälita danach in voller Selbständigkeit seine Folgerungen aufstellt, beginnt B h a v a v i v e k a bereits hier seine Schlußfolgerung vorzubereiten u n d sie aus den Worten Nägärj u n a s abzuleiten. I n d e m Satz, d a ß die Dinge nicht aus sich entstehen, liest er aus den W o r t e n „ a u s sich" heraus, d a ß sie vorher bereits v o r h a n d e n sind, was er als Begründung a u f f a ß t . Als Beispiel k a n n , wie er bemerkt, jedes Ding dienen, in welchem beweisende u n d zu beweisende Eigenschaft, also G r u n d u n d Folge, v e r b u n d e n erscheinen. N u n geht er dazu über, die formelle Schlußfolgerung aufzustellen, u n d zwar gliedert er sie regelrecht in B e h a u p t u n g , G r u n d u n d Beispiel. Die Dinge — er n e n n t beispielshalber die inneren Bereiche — entstehen in Wahrheit nicht aus sich, weil sie bereits v o r h a n d e n sind, wie die Geistigkeit. E s folgt, wie es der Brauch der Logiker verlangt, eine Rechtfertigung der einzelnen Glieder des Schlusses gegen allfällige Einwände. Die wichtigste Bedingung, welche der G r u n d erfüllen m u ß , ist, d a ß er im Ungleichartigen (vipaksah) fehlt. Das ist im vorliegenden Fall selbstverständlich, d a es etwas Ungleichartiges, nämlich etwas in Wahrheit E n t s t a n d e n e s , nicht gibt. D a n n weist Bhavaviveka einen E i n w a n d der S ä m k h y a zurück. Nach SämkhyaLehre e n t s t e h t Seiendes aus Seiendem, d. h. die Wirkung ist in der Ursache bereits vorhanden. N u n sagt der Sämk h y a : D a ß die Dinge aus sich, sofern sie Wirkung sind, entstehen, b e h a u p t e t kein Mensch. W e n n euer Beweis also das besagt, so heißt das offene Türen einrennen. Wollt ihr dagegen beweisen, d a ß sie aus sich, sofern sie Ursache sind, nicht entstehen, so verwickelt ihr euch in einen Widerspruch. Denn das ist tatsächlich der Fall u n d ist auch das, was unsere Lehre besagt. Bhavaviveka weist diesen Einw a n d mit der Bemerkung zurück, d a ß seine Schlußfolger u n g allgemein gedacht ist u n d ohne die vom Gegner vorgebrachte Alternative, u n d d a ß überdies ein E n t s t e h e n aus d e m Wesen der Ursache, m a g sie n u n eigenes oder fremdes Wesen haben, noch zurückgewiesen werden wird (vgl. v. 2 u n d 3 bei N ä g ä r j u n a ) . Schließlich rechtfertigt er noch die Verwendung der Geistigkeit als Beispiel. I m Erkenntniss t r o m ist nämlich der von ihm übernommenen YogäcäraLehre entsprechend jede E r k e n n t n i s bereits vor ihrem 15
Frauwallner, Buddhismus
226
Die Schulen des Mahayana
Entstehen als Same, d. h. als latenter Eindruck vorhanden. Sofern man das berücksichtigt, ist also das Erkennen tatsächlich bereits vor seinem Entstehen vorhanden. Und da somit der Grund, nämlich das bereits Vorhandensein, bei ihm gegeben ist, kann es als Beispiel dienen. Damit ist Bhävavivekas eigene Beweisführung abgeschlossen und er geht dazu über, die Beweisführung Buddhapälitas als unzulänglich abzulehnen. Seine Gründe sind, daß Buddhapälita keine formelle dreigliedrige Schlußfolgerung bringt, daß er sich mit den Einwänden der Gegner nicht auseinandersetzt und daß schließlich jede deductio ad absurdum beinhaltet, daß das Gegenteil des als unmöglich Nachgewiesenen zutrifft. Wie sich zu diesen Vorwürfen die Anhänger Buddhapälitas stellten, werden wir bei der Besprechung Candraklrtis sehen (s. unten S. 241f.). Dies ist also die Art, wie Bhävaviveka Nägärjuna erklärt, und in der gleichen Weise behandelt er auch alle übrigen in den Versen Nägärjunas aufgestellten Behauptungen.
Aus der „Leuchte der Einsicht" (Prajnäpradi'pah) KAPITEL ]
Von denen, welche ein Entstehen behaupten, sagen einige, daß die Dinge aus sich entstehen, andere, aus anderem, einige, aus beiden, andere, ohne Grund. Wenn man (diese Ansichten) aber der Logik und der Überlieferung gemäß prüft, so erweist sich ein Entstehen in jeder Weise als unmöglich. In diesem Sinn sagt (Nägärjuna) : V 1
Weder aus sich, noch aus anderem, noch aus beiden, noch ohne Grund sind jemals irgendwo irgendwelche Dinge entstanden. Damit ist die allgemeine Behauptung aufgestellt. (Gegner:) Was heißt hier zunächst „weder aus sich"? (Ant-
Bhävaviveka
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wort:) Die Worte „sind jemals irgendwo irgendwelche Dinge entstanden" sind mit den einzelnen (Gliedern der Behauptung) zu verbinden. „Aus sich" bedeutet so viel wie „aus dem eigenen Selbst". Da durch eine bloße Behauptung der gewünschte Gegenstand nicht bewiesen wird, ist hier das Vorhandensein als Grund zu betrachten. Denn mit den Worten „aus sich" ist gesagt, daß das eigene Selbst bereits vorhanden ist. Das Beispiel beruht auf der zu beweisenden und der beweisenden Eigenschaft. Denn ein Eigenschaftsträger, der erwiesenermaßen die zu beweisende und die beweisende Eigenschaft besitzt, ist ein Beispiel. Die Verneinung „nicht aus sich" ist im Sinn einer einfachen Verneinung (prasajyapratisedhah) aufzufassen, weil dabei die Verneinung das wesentliche ist und die Absicht darin besteht, durch die Beseitigung des Netzes sämtlicher Vorstellungen das alle Objekte umfassende, vorstellungsfreie Wissen (nirvikalpakam jnänam) hervorzurufen. Würde sie dagegen auch eine Ausschließung (paryudäsah) beinhalten, so würden, da bei dieser die Bejahimg die Hauptsache ist, die Worte „die Dinge sind nicht entstanden" in positiver Form das Nichtentstehen lehren, und dadurch würde sich eine Abweichung vom eigenen System ergeben. Denn aus der Überlieferung geht hervor, daß derjenige, welcher im Nichtentstehen der Form (rüpam) wandelt, nicht in der Vollkommenheit der Einsicht wandelt . . . Dazu lautet die formelle Schlußfolgerung: Diese inneren Bereiche (äyatanäni) entstehen in Wahrheit nicht aus sich, weil sie bereits vorhanden sind, wie die Geistigkeit. (Gegner:) Der Grund, nämlich das Vorhandensein, ist kein Grund, weil nicht nachgewiesen ist, daß er im Ungleichartigen (vipaksah) nicht vorkommt. (Antwort:) Das Nichtvorkommen kommt nicht in Betracht, weil es (etwas Ungleichartiges) nicht gibt. Daher liegt hier und 15»
228
Die Schulen des Mahäyana
in allen (ähnlichen Fällen) kein Fehler vor. Dagegen wenden einige Sämkhya ein: Was ist der Sinn dieser Behauptung ? Heißt es (die Dinge entstehen nicht) aus sich, sofern sie das Wesen der Wirkung haben, oder sofern sie das Wesen der Ursache haben? Was folgt daraus? Wenn es heißt, sofern sie das Wesen der Wirkung haben, so wird nur etwas bereits Bewiesenes bewiesen. Wenn es dagegen heißt, sofern sie das Wesen der Ursache haben, so ist das inhaltlich ein Widerspruch, denn alles Entstehende entsteht, nachdem es in der Form der Ursache bereits vorhanden war. Das ist nicht stichhaltig, weil wir das bloße Entstehen aus sich bekämpfen, und weil wir, auch sofern es sich um das Wesen der Ursache handelt, ein Entstehen ablehnen, mag diese (Ursache) nun eigenes oder fremdes Wesen haben. Das Vorhandensein der Geistigkeit ist unanfechtbar, da sie auch mit inbegriffen ist, sofern sie das Merkmal der Kraft trägt (d. h. im potentiellen Zustand). Dazu geben andere ( = Buddhapälita) folgende Erklärung: Die Dinge entstehen nicht aus ihrem eigenen Selbst, weil ihr Entstehen zwecklos wäre, und weil sich ein endloses Entstehen ergeben würde. Das ist verfehlt, weil kein Grund und kein Beispiel angeführt wird, und weil die vom Gegner vorgebrachten Einwände nicht zurückgewiesen werden. Da es sich ferner um eine unerwünschte Folgerung (prasangah) handelt, ergibt sich im Gegensatz zur vorliegenden Aussage eine Behauptung und Begründung entgegengesetzten Inhalts, nämlich: Die Dinge entstehen aus anderem, weil ihr Entstehen einen Zweck hat, und weil ihr Entstehen ein Ende findet. Und das würde einen Widerspruch gegen das eigene System bedeuten. Philosophisch weitaus bedeutender als die logischen Neuerungen Bhävavivekas ist seine Auseinandersetzung
Bhavaviveka
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mit den Lehren der Yogäcära. Zum Verständnis dieser Auseinandersetzung ist folgendes zu berücksichtigen. Von Natur aus stehen die Mädhyamika und Yogäcära in ihren Grundanschauungen in keinem notwendigen Gegensatz. Schon bei Nägärjuna findet sich der Gedanke, die Erscheinungen der Außenwelt als Vorstellungen zu betrachten. Und als dieser Gedanke von der Yogäcära-Schule systematisch ausgeführt und zum Grundgedanken ihres Lehrgebäudes gemacht wurde, war damit kein Trennungsstrich gegenüber den Mädhyamika gezogen. Das gleiche gilt für die reich entwickelte Psychologie und die darauf gegründete Erlösungslehre, welche die Yogäcära in Anlehnung an jenen Grundgedanken schufen. Sie waren auch für den Mädhyamika denkbar und boten bei ihrer größeren Fortschrittlichkeit manche Vorteile, so daß der Gedanke nahelag, sich diese Vorteile nutzbar zu machen. Und das ist es, was Bhavaviveka tat. Er übernahm die Psychologie und die darauf gegründete Erlösungslehre der Yogäcära-Schule, wenn auch mit gewissen Änderungen. Er erreichte dadurch eine wesentliche Bereicherung der eigenen Lehre um wertvolle Begriffe. Und er konnte es dabei tun, ohne gegen die Grundsätze der eigenen Lehre zu verstoßen. Ganz ohne Schwierigkeiten ging es aber nicht ab, und vor allem war es ein Punkt, bei dem diese Schwierigkeiten einsetzten. Für jede Lehre, welche die Welt als Vorstellung betrachtet, liegt es nahe, der höchsten Wirklichkeit den Charakter des Erkennens zuzuschreiben, und das haben auch die Yogäcära getan. Allerdings war es nicht leicht, dies mit dem scharf betonten, unfaßbaren Wesen der höchsten Wirklichkeit die über allen irdischen Bestimmungen steht, in Einklang zu bringen. Und wie wir noch sehen werden, gab es darüber innerhalb der Yogäcära-Schule mancherlei Meinungsverschiedenheiten. Aber grundsätzlich entschied man sich dafür. Anders lagen die Dinge für Bhävaviveka. Im Madhyamaka-System war die Unfaßbarkeit und Bestimmungslosigkeit der höchsten Wirklichkeit bereits seit Nägärjuna so schroff und kompromißlos herausgearbeitet und betont worden, daß es unmöglich war, damit den Charakter des Erkennens zu vereinbaren. Und dementsprechend fiel daher auch die Entscheidung Bhävavivekas. Für ihn gehört das Erkennen in das Bereich
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Die Schulen des Mahayäna
der Erscheinungswelt. U m es in der Terminologie der Schulen auszudrücken, nach Yogäcära-Lehre gehört das Erkennen zum abhängigen Merkmal (paratantralakganam) u n d es k o m m t ihm daher ein gewisser Grad von Wirklichkeit zu. F ü r Bhävaviveka dagegen gehört das E r k e n n e n ins Bereich der beschränkten Wahrheit (samvrtisatyam) u n d h a t mit der höchsten Wirklichkeit nichts zu t u n . I n diesem P u n k t also wich Bhävaviveka von den Yogäcära ab. Darüber k a m es zum Streit u n d d a r u m wurde er von den Vert r e t e r n dieser Schule aufs heftigste angegriffen. E r h a t sich aber in dieser Frage im Sinne seiner eigenen Lehre entschieden u n d ist dabei ein treuer Anhänger N ä g ä r j u n a s geblieben. Als Beispiel f ü r diese Anschauungen gebe ich im folgenden ein Stück aus einem selbständigen Werk B h ä v a v i v e k a s wieder, aus dem „ J u w e l in der H a n d " (Tschang tschen). Dieses Werk f a ß t in kurzer F o r m die Lehren der Madhya. maka-Schule zusammen, so wie sie B h ä v a v i v e k a a u f f a ß t e . Den H a u p t t e i l bildet eine Widerlegung der Wirklichkeit der Außenwelt in zwei breit behandelten formellen Schlußfolgerungen, von denen eine die Unwirklichkeit der verursachten (samskrtdh), die andere die Unwirklichkeit der nichtverursachten Gegebenheiten (asamskrta dharmtzh) nachweist. Den Abschluß bildet eine Schilderung des Erlösungsweges u n d der höchsten Erkenntnis. Diesen Abschnitt gebe ich größtenteils wieder, denn er bietet eine ungewöhnlich gute Darstellung der philosophischen Grundgedanken des mahäyänistischen Erlösungsweges v o m S t a n d p u n k t der Madhyamaka-Lehre u n d zeigt gleichzeitig klar den Unterschied zwischen den Anschauungen B h ä v a vivekas u n d der Yogäcära. Zu seinem Verständnis ist folgendes zu bemerken. Den Ausgangspunkt bildet f ü r Bhävaviveka die durch Belehrung, vor allem aber durch die beiden vorhergehenden Schlußfolgerungen gewonnene E r k e n n t n i s der Unwirklichkeit der Außenwelt. Nach alter Anschauung genügt aber eine solche E r k e n n t n i s allein noch nicht zur Erlösung. E s m u ß noch die B e t r a c h t u n g (bhavand) hinzutreten (vgl. oben S. 128f.). Dieser Weg der B e t r a c h t u n g h a t nach Yogäcära-Lehre den Zweck, allmählich alle Vorstellungen, welche den I n -
Bhavaviveka
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halt der irdischen Erkenntnis ausmachen, zu beseitigen. Das gleiche gilt für Bhavaviveka, nur ist bei ihm der Weg der Betrachtung hinsichtlich der Vorstellungen, die es zu beseitigen gilt, der Madhyamaka-Lehre angepaßt, und ebenso sind die Sütren, auf die er sich beruft, solche, wie sie vor allem von der Madhyamaka-Schule hochgehalten wurden. Die erste Stufe dieses Weges der Betrachtung besteht darin, daß der Übende sämtliche Erscheinungen der Erscheinungswelt als unwirklich, also als leer betrachtet. I m einzelnen hat er sich dabei an die Bestimmungen der Leerheit zu halten, welche die Prajnäpäramitä-Texte geben. Der Erfolg dieser Betrachtung ist, daß schließlich alle groben äußeren Erscheinungsformen und die mit ihnen verknüpften Vorstellungen verschwinden. Auf der zweiten Stufe der Betrachtung kommt der Übende zur Erkenntnis, daß auch die Erkenntnis der Leerheit aller Dinge eine Vorstellung ist, welche als solche der höchsten erlösenden Erkenntnis im Wege steht und daher beseitigt werden muß. E r betrachtet infolgedessen, wieder im Anschluß an die Prajnäpäramitä-Texte, die Dinge auch nicht mehr als leer, und setzt diese Betrachtung so lange fort, bis auch die Vorstellung der Leerheit schwindet. Indem er so die Dinge weder als leer noch als nicht leer betrachtet, betritt er den mittleren Weg (madhyamü pratipat), wie ihn das R a t n a k ü t a - S ü t r a m schildert. Aber auch diese Erkenntnis, welche beide Gegensätze, Leerheit und Nichtleerheit, Sein und Nichtsein, ablehnt, auch sie ist als Erkenntnis eine Vorstellung und muß überwunden werden. Und so gelangt der Übende zur dritten Stufe der Betrachtimg, auf der jeder Erkenntnisinhalt ausgeschaltet wird. Und damit erreicht er die letzte und höchste Stufe, das vorstellungsfreie Wissen (nirvikalpaJcam jnünam). Von diesem vorstellungsfreien Wissen sprechen auch die Yogäcära. Aber hier scheiden sich die Geister. Nach Yogäcära-Lehre trägt auch das vorstellungsfreie Wissen den Charakter der Erkenntnis. Das ist aber nach Bhavaviveka unzutreffend. Nach ihm h a t das vorstellungsfreie Wissen auch den Charakter der Erkenntnis abgestreift und wird, wie er an einer anderen Stelle sagt, nur im übertragenen Sinn als Wissen bezeichnet. Das vorstellungsfreie Wissen ist also kein Wissen, wenn man
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auch von Wissen spricht. Ebenso wie es beim Heiligen auf dieser Stufe keinen Wandel gibt, obwohl man von Wandel spricht. Wie es schon in den heiligen Texten heißt, besteht diese letzte Erkenntnis vielmehr im Fehlen jeder Erkenntnis, ebenso wie der Wandel des Heiligen im Fehlen jedes Wandels besteht. Und das ist das Höchste, die Befreiung von jedem Irrtum, das Schweigen der Heiligen.
Aus dem „ J u w e l in der H a n d " (Tchang
tchen)
(T 1578, p. 276» 3—277&11)
Nachdem der Übende auf diese Weise alle Einwände beseitigt hat, erfaßt er durch richtige Schlußfolgerung die Leerheit der von eigener und von fremder Seite angenommenen nichtverursachten (Gegebenheiten). Wenn er aber auch auf der Stufenleiter des durch Hören gewonnenen Wissens die Leerheit erfaßt hat, ist er doch, solange die K r a f t der Betrachtung (bhävanä) fehlt, nicht imstande, die Hemmnisse (ävaranäni), die beseitigt werden müssen, zu entfernen. Daher bemüht er sich nunmehr, die K r a f t der Betrachtung zu üben.
i Solange nun dabei ein verursachtes oder nichtverursachtes Erscheinungsbild (nimittam) irgendwelcher A r t vorhanden ist, das mit Unterbrechung oder ohne Unterbrechung auftritt, hat er dieses Erscheinungsbild durch wahrheitsgemäße Betrachtung seiner Leerheit zu beseitigen, so d a ß es sich nicht mehr zeigt. Er erfaßt (dabei) alle Gegebenheiten (folgendermaßen): D a sie ohne eigenes Wesen sind, sind sie von Natur aus leer. D a sie leer sind, besitzen sie kein wirkliches Merkmal (nimittam). Sie sind daher merkmallos. Da sie merkmallos sind, sind sie nichts,
Bhavaviveka
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wonach man verlangt. Sie sind daher unbegehrt. Da sie frei von der Befleckung durch ein Merkmal sind, sind sie losgelöst. Da sie losgelöst sind, entstehen die Laster, welche sich an sie heften, überhaupt nicht. Sie sind daher friedvoll. Da ihr eigenes Wesen nicht entsteht, sind sie nicht entstanden. Da sie nicht entstanden sind, sind sie nicht vergänglich. Sie sind nicht leidvoll. Sie sind nicht ohne Selbst. Da sie nicht entstanden sind, sind sie ferner ohne Merkmal. Da sie ohne Merkmal sind, kann man durch die Betrachtung, deren einziges Merkmal die Merkmallosigkeit ist, die Zweiheitlosigkeit sämtlicher Gegebenheiten erfassen. In dieser Form bestrebt er sich, die Betrachtung zu üben. Indem so die Kraft der Betrachtung wächst, beseitigt er die groben Erscheinungsbilder, so daß sie sich nicht mehr zeigen. Es besteht daher keine Erscheinungsform mehr, in der er sich bewegt. Er erfaßt nämlich die verursachten und nichtverursachten Erscheinungsformen so, wie ein Augenkranker (taimirikah), dessen Augen von der groben Trübung durch die Augenkrankheit befreit und klar geworden sind. Er sieht nämlich die Erscheinungsbilder, die er früher erfaßte, nicht mehr. 2
Obwohl er nun dazu gelangt ist, bei diesen (Erscheinungsbildern) nicht zu verharren, so bleibt, weil die Vorstellungen der Leerheit usw. noch immer auftreten, der Strom seines Geistes dennoch mit einem gewissen Streben (äbhogah) verbunden und gelangt daher noch nicht zur Unbeweglichkeit. Da er also erkennt, daß das Auftreten der Vorstellungen der Leerheit usw. die überweltliche, vorstellungsfreie Einsicht verhindert, wünscht er sie zu beseitigen. Er bemüht sich daher ernstlich, folgende Überlegung anzustellen: „Vom Standpunkt
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der höchsten Wahrheit sind die Vorstellungen der Leerheit usw. hinsichtlich der Objekte, welche ihrem Wesen nach leer sind, ebenfalls nicht wirklich, da sie aus Ursachen entstehen, wie ein Zaubertrug usw." Indem er so die Betrachtung übt, vermag er nunmehr die Vorstellungen der Leerheit usw. zu beseitigen. Und indem er diese beseitigt, vermeidet er die beiden Extreme der Leerheit und Nichtleerheit usw. Er betrachtet daher die Gegebenheiten nicht mehr unter der Erscheinungsform ihrer Leerheit. Dementsprechend heißt es in der „Vollkommenheit der Einsicht" (Prajnäparamitä): „Wenn er richtig wandelt, sieht er die Körperlichkeit weder als ewig noch als nichtewig an, er sieht sie weder als freudvoll noch als leidvoll an, er sieht sie weder als Selbst noch als Nichtselbst an, er sieht sie weder als friedvoll noch als nichtfriedvoll an, er sieht sie weder als leer noch als nichtleer an, er sieht sie weder als Merkmal noch als Nichtmerkmai an, er sieht sie weder als begehrt noch als nichtbegehrt an, und er sieht sie weder als losgelöst noch als nichtlosgelöst an. Ebenso sieht er die Empfindung, das Bewußtsein, die Gestaltungen, das Erkennen, alle Formen, Töne, Gerüche, Geschmäcke, alles Berührbare und alle Gegebenheiten, das Auge, das Gehör, den Geruch, die Zunge, den Körper und das Denken, die Vollkommenheiten der Freigebigkeit, des sittlichen Verhaltens, der Geduld, der Tatkraft, der Versenkung und der Einsicht, die Erweckungen der Wachsamkeit, die rechten Bemühungen, die Bestandteile der Wunderkraft, die Vermögen, die Kräfte, die Glieder der Erleuchtung, die Glieder des Weges, die Versenkungen, die Versenkungen der Sphäre des Nichtmateriellen, die übernatürlichen Kenntnisse, die zehn Kräfte, die Gewißheiten, die unbeschränkten Erkenntnisse, die dem Buddha eigentümlichen Eigen-
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Schäften, die Sammlungen, die Tore des Erinnerungsvermögens und die Allwissenheit weder als ewig noch als nichtewig an usw., usw." Da der (Übende) auf diese Weise imstande ist, die beiden Extreme zu beseitigen, vermag er den mittleren Weg herbeizuführen und zu fördern. Dieser von den beiden Extremen freie, mittlere Weg wird, weil auf Grund der oben wiedergegebenen beiden Schlußfolgerungen die Formen des Verursachten und Nichtverursachten nicht mehr erscheinen, „formlos" genannt. Weil er formlos ist und weil die Vorstellungen des Seins usw. in ihm fehlen, gibt es keinerlei Gegebenheit, deren Merkmal aufgezeigt werden könnte, indem man sagt: „Dieses ist so, daher ist jenes ebenso." Daher wird er „unzeigbar" genannt. Weil er wesenlos ist, gibt es nichts, worauf man sich stützen könnte, und nichts, was sich darauf stützt. Weil er also kein Verharren kennt, wird er „ohne Halt" genannt. Mag es das Erscheinungsbild des Verursachten oder das Erscheinungsbild des Nichtverursachten sein, mag es Vorgestelltes oder Nichtvorgestelltes, Vorstellung oder Nichtvorstellung sein — eine Erkenntnis, welche ein derartiges Erscheinungsbild zeigt, tritt in ihm nicht auf. Daher wird er „ohne Erscheinungsbild" genannt. Da er frei ist von jedem Erscheinungsbild des Seins oder Nichtseins, entsteht keine Erkenntnis, welche dieses zum Objekt hat, daher wird er „ohne Erkennen" genannt. Weil er formlos ist, gestaltlos ist und es keinerlei Bestimmung oder Kennzeichen in ihm gibt, wird er „ohne Kennzeichen" genannt. Dementsprechend hat der Erhabene zu Käsyapa gesagt (vgl. oben S. 165f.): „ ,Ewig', das ist ein Extrem. ,Nichtewig', das ist ein zweites. Was zwischen diesen beiden in der Mitte liegt, das ist formlos, unzeigbar, ohne Halt, ohne Erscheinungsbild, ohne Erkennen und ohne Kenn-
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zeichen. Das nennt man den mittleren Weg, die wahrheitsgemäße Betrachtung des Wesens aller Gegebenheiten", usw. bis ,, ,Sein', das ist ein Extrem. ,Nichtsein' das ist ein zweites", usw. Ferner hat der Buddha zu Kääyapa gesagt (oben S. 167f.): „Wissen und Nichtwissen ist nicht zweierlei und bildet keine Zweiheit. Die richtige Erkenntnis davon, das nennt man den mittleren Weg." 3
Während der (Übende) also auf diese Weise die beiden Extreme zu beseitigen vermag, verharrt er in der Vorstellung, welche hinsichtlich der Ansicht von der Zweiheitlosigkeit entsteht. Nunmehr erkennt er, daß auch diese Ansicht von der Zweiheitlosigkeit ein Hindernis ist für das friedvolle Verharren in der überweltlichen, vorstellungsfreien Einsicht. Er beseitigt daher rasch die genannten Ursachen. Weil er sie beseitigt, zeigt sich nicht mehr eine solche oder solche Vorstellung, das zweifache Sprechen der Stimme und des Denkens kommt zugleich zum Stillstand, und er wird sich des wahren Wesens der Gegebenheiten bewußt, unbeweglich, ohne Erscheinungsbild, ohne Merkmal und frei von jeder Vielfalt. Er kommt somit zu dem darauf beruhenden unbeweglichen Bewußtsein und verharrt im Strom des Wissens vom eigenen Merkmal (svalaksariam). Obwohl er sich also bemüht, die irrtumslose Auffassung der Leerheit zu üben, bringt er sich doch das Wesen der Leerheit ganz und gar nicht zum Bewußtsein. Es folgt wieder ein längeres Zitat aus einem Sütra, dann fährt der Text fort: Die Yogäcära vertreten folgende Auffassung: „Wenn sämtliche Vorstellungen von etwas Ergriffenem und einem Ergreifer beseitigt sind, dann ist das das über-
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weltliche, vorstellungsfreie Wissen. Bei ihm entsteht eine feste Ansicht von der Wirklichkeit und man bemüht sich, die Betrachtung zu üben." Andere, welche dies richtig prüfen, sagen: Wenn dieses Wissen entsteht, so sind zwar die obengenannten Vorstellungen nicht vorhanden. Es entsteht aber in Verbindung mit dem Erscheinungsbild eines merkmallosen Objektes, ist begleitet von der Vorstellung dem eigenen Wesen nach (svabhävavikalpah)1, ist verursacht, und kann daher, ebenso wie die übrigen Erkenntnisse, welche zur sinnlichen Wahrnehmung zählen und von Vorstellungen begleitet sind, nicht als überweltliches, vorstellungsfreies Wissen gelten. Ebenso ist die von jenen angenommene höchste Wirklichkeit, die merkmallose und benennungslose Soheit (tathatä), Anhaltspunkt (der Erkenntnis) und kann als solche ebenso wie die übrigen Anhaltspunkte nicht als höchste Wirklichkeit gelten. Aus diesen Gründen sind beide (Annahmen) nicht unanfechtbar. Dementsprechend heißt es im Sütra: „Was ist dabei die Wahrheit im höchsten Sinn ? — Zu ihr hat das Wissen keinen Zugang." Ferner heißt es in der „Frage des Manjuärl" (Manjusrlpariprcchä): „Was ist es, was das Auge der Einsicht (prajnäcaksuh) betrachtet?" Die Antwort lautet: „Wenn irgend etwas vorhanden wäre, was es betrachtet, dann wäre es nicht mehr das Auge der Einsicht. Da dieses Auge der Einsicht frei von Vorstellungen ist, betrachtet es nicht das Verursachte und es betrachtet auch nicht dasNichtverursachte,da allesNichtverursachte nicht in das Bereich dieses Auges der Einsicht fällt." 1
Die
buddhistische S c h o l a s t i k u n t e r s c h e i d e t
mehrere Arten von
lungen. D a v o n ist die ,, Vorstellung dem eigenen Wesen n a c h "
Vorstel-
{svabhavavikatpah)
die grundlegende F o r m , welche a u c h bei E r k e n n t n i s v o r g ä n g e n v o r k o m m t , die im übrigen als vorstellungsfrei gelten.
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Diesen Gründen und diesen heiligen Texten zufolge hat man jene Auffassungen zu verwerfen. Ferner sagen die, die richtig prüfen: Nach der Wahrheit im höchsten Sinn ist ein solches überweltliches, vorstellungsfreies Wissen nicht wirklich, weil es aus Ursachen entstanden ist, wie ein durch Zauberkraft geschaffener Mensch. Alle Schwierigkeiten und Fehler, seien sie wie sie seien, sind auf Grund richtiger Betrachtung zu beseitigen. Wenn es aber ein Wissen ist, welches derartige Auffassungen beseitigt, so ist es ebenso wie diese fehlerhaft. Man bemüht sich daher nicht weiter, zu prüfen und darzulegen. Somit sind alle derartigen Auffassungen aus dem Wege geschafft. Was das merkmallose Wesen der Objekte als Gegenstand des Erkennens betrifft, so gibt es kein unmittelbares Erfassen. Und da die Gründe und Ursachen fehlen, entstehen auch keine anderen Arten des Erkennens. Weil es aber kein immittelbares Erfassen gibt, spricht man von wahrhaftem Erfassen. Dementsprechend hat der Erhabene gesagt: „Was nennt man wahrhaftes Erfassen? — Das vollkommene Nichterfassen aller Gegebenheiten, das nennt man das wahrhafte Erfassen." Ferner sagt ein Sütra: „Der Vollendete erschaut die Erleuchtung ganz und gar nicht." Außerdem heißt es in der „Frage des Manjusri" (Manjuäripariprcchä): „Was schaut derjenige, der die (heiligen) Wahrheiten schaut?" — Die Antwort lautet: „ E s gibt keinerlei Gegebenheit, die geschaut werden kann. Warum? Alles, was geschaut wird, ist falsch. Wenn nichts ist, was geschaut wird, dann spricht man von Schauen der Wahrheiten." Ferner wird gefragt: „Wie bemüht man sich, das Erschauen zu üben?" — Die Antwort lautet: „Wenn man weiß, daß es keinerlei Gegebenheit gibt, und so denkt und überlegt, dann bemüht man sich, das Erschauen zu üben." Ferner wird
Bhavaviveka
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gefragt: „Wann hat man das Erschauen verwirklicht?" — Die Antwort lautet: „Wenn man die Gleichheit sämtlicher Gegebenheiten betrachtet." — Ferner wird gefragt: „Gibt es jemanden, der die Gleichheit sämtlicher Gegebenheiten schaut?" — Die Antwort lautet: „Es gibt niemanden, der die Gleichheit schaut. Wenn nämlich etwas ist, das geschaut wird, dann ergibt sich, daß man die Gleichheit nicht schaut." Die Ausdrücke „wahrhaft erfassen", „Schauen der Wahrheiten" und „Erschauen" haben alle ein und dieselbe Bedeutung. Bei dem, der die Betrachtung übt, bewegt sich nunmehr weder Geist, noch Denken, noch Erkennen, noch Wissen. Das nennt man den richtigen Wandel in der vorstellungsfreien Einsicht. Wenn er so ohne Wandel zu wandeln vermag, dann erlangt er die wahrhafte Verkündigung der Vollendeten, vollkommen Erleuchteten. Dementsprechend sagt ein Sütra: „Erhabener, wie muß sich ein Bodhisattva üben, damit er über die höchste, vollkommene Erleuchtung, die Verkündigung der Vollendeten, vollkommen Erleuchteten erlangt? — 0 Brahmane, wenn der Bodhisattva zu dieser Zeit weder im Entstehen wandelt, noch im Vergehen wandelt, wenn er weder im Guten noch im Bösen wandelt, wenn er weder im Irdischen noch im Überirdischen wandelt, wenn er weder im Befleckten noch im Unbefleckten wandelt, wenn er weder im Tadelnswerten noch im Tadellosen wandelt, wenn er weder im Verursachten noch im Nichtverursachten wandelt, wenn er weder in der Verbindung noch in der Nichtverbindung wandelt, wenn er weder in der Loslösung noch in der Nichtloslösung wandelt, wenn er weder in Geburt und Tod noch im Erlöschen wandelt, wenn er weder im Geschauten, noch im Gehörten, Gedachten und Erkannten wandelt, wenn er weder in der Freigebigkeit und Entsagung noch im sittlichen
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Die Schulen, des Mahayana
Verhalten und der Zucht wandelt, wenn er weder in der Geduld noch in der Tatkraft wandelt, wenn er weder in der Versenkung noch in der Sammlung wandelt, wenn er weder in der Einsicht noch im Verständnis wandelt, und wenn er weder im Wissen noch in der Vergegenwärtigung wandelt, wenn der Bodhisattva so ohne Wandel wandelt, dann erlangt er die wahrhafte Verkündigung der Vollendeten, vollkommen Erleuchteten über die höchste vollkommene Erleuchtung." Ein solcher Wandel in der Einsicht heißt das Schweigen der Heiligen. Dementsprechend sagt ein Sütra: „Die wahrheitsgemäße Verkündigung der siebenunddreißig der Erleuchtung förderlichen Gegebenheiten, so wie sie der Buddha gelehrt hat, das nennt man das Predigen der Lehre. Wenn sich ferner (der Übende) auch diese Gegebenheiten mit dem Körper vergegenwärtigt, so betrachtet er doch die Gegebenheiten nicht als getrennt vom Körper, und er betrachtet den Körper nicht als getrennt von den Gegebenheiten. Er betrachtet sie vielmehr in der Weise, daß er sie weder als Zweiheit noch als Nichtzweiheit ansieht. Und während er sie so betrachtet, betrachtet er auch nicht, im Anschluß daran, das Wissen und Schauen durch sinnliche Wahrnehmung. Und weil er sie nicht betrachtet, nennt man dies das Schweigen der Heiligen." Aus diesen Schlußfolgerungen und heiligen Texten ergibt sich, wenn man sie genau prüft, daß es unmöglich ist, das eigene Wesen von allem Verursachten und Nichtverursachten zum eigenen Wesen der Objekte des Geistes oder der Einsicht zu machen, mögen diese von Vorstellungen begleitet oder von Vorstellungen frei sein. Wenn man dies erkannt hat, dann verscheucht der Sonnenschein der klaren Einsicht jegliches Dunkel der Verblendung.
Candraklrti
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Mit den besprochenen Neuerungen war B h ä v a v i v e k a weit über alles Bisherige hinausgegangen u n d das f ü h r t e zum Rückschlag. E r wurde von den Yogäcära-Lehrern heftiger angegriffen als irgendein anderer Vertreter seiner Schule. U n d auch innerhalb der Schule selbst k a m es zu einer Gegenströmung, deren H a u p t v e r t r e t e r Candraklrti war.
Candraklrti (7. J a h r h . n. u. Z.)
Candraklrti ist die bedeutendste Persönlichkeit der Madhyamaka-Schule im 7. J a h r h u n d e r t . Sein H a u p t s t r e b e n war darauf gerichtet, N ä g ä r j u n a s Lehre in ihrer Reinheit wiederherzustellen, frei von allen neueren Erweiterungen u n d Entstellungen. E r lehnte sich daher a n B u d d h a p ä l i t a an, in d e m er sein Vorbild sah, während er Bhävaviveka aufs heftigste b e k ä m p f t e . Diese grundsätzliche Einstellung bringt es allerdings auch mit sich, d a ß wir nicht erwarten dürfen, bei ihm etwas Bedeutendes, Neues u n d Eigenes zu finden. U n d es ist bezeichnend, d a ß sich im Gegensatz zu den meisten großen M a d h y a m a k a - L e h r e r n seine Tätigkeit f a s t ausschließlich auf die Abfassung von K o m m e n t a r e n beschränkte. Aber er h a t die Schule mit dem ganzen R ü s t zeug seiner Zeit u n d mit großem Erfolg vertreten. U n d da er zu den b e k a n n t e s t e n u n d meist genannten Vertretern der Schule zählt, k a n n er hier einen Platz beanspruchen. Von Candrakirtis K o m m e n t a r e n ist der wichtigste sein großer K o m m e n t a r zu N ä g ä r j u n a s M a d h y a m a k a k ä r i k ä , P r a s a n n a p a d ä („Die W o r t k l a r e " ) genannt. D a n e b e n ist vor allem ein selbständiges Werk zu nennen, der Madhyamak ä v a t ä r a h ( „ E i n f ü h r u n g in die M a d h y a m a k a - L e h r e " ) . Aus beiden soll je eine Probe gebracht werden, die gleichzeitig Candrakirtis Einstellung zur Logik u n d sein Verhältnis zur Yogäcära-Schule beleuchten. Was zunächst seine Einstellung zu den F r a g e n der Logik betrifft, so sah er in der Aufstellung formeller Schlußfolgerungen durch B h ä v a v i v e k a eine Verirrung u n d einen Verstoß gegen den Grundsatz N ä g ä r j u n a s , d a ß der Mädhyamika keine eigene B e h a u p t u n g aufstellen dürfe. Seiner 16
Frauwallner, Buddhismus
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Meinung nach ist das richtige Verfahren das Buddhapälitas, der auf dem Weg der deductio ad absurdum wohl den Gegner widerlegt, dabei aber jede eigene Behauptung vermeidet. E r behandelt diese Frage ausführlich in seinem Kommentar zum ersten Vers der Madhyamakakärikä, in dem er Buddhapälita gegen die Angriffe Bhävavivekas verteidigt, und aus dieser breiten Erörterung ist die kurze Probe genommen, die ich als Beispiel folgen lasse. Der T e x t bietet keine Schwierigkeiten. Candrakirti gibt zuerst einige erläuternde Bemerkungen zum Vers Nägärjunas und verweist für die ausführliche Begründung der darin aufgestellten Behauptungen auf seinen Madhyamakävatärah. Dann führt er sofort die Erklärung Buddhapälitas an und verteidigt sie gegen die Angriffe Bhävavivekas. Diese Angriffe umfassen drei Punkte. Zunächst wirft Bhävaviveka Buddhapälita vor, daß er keinen Grund und kein Beispiel anführt, wie es eine regelrechte Schlußfolgerung erfordert. Candrakirti antwortet, daß die deductio ad absurdum vollkommen zur Widerlegung des Gegners ausreicht, eine regelrechte Schlußfolgerung also überflüssig ist. Außerdem habe ein Mädhyamika nach dem Zeugnis Äryadevas und Nägärjunas keine eigene Behauptung aufzustellen. Damit wird zugleich der zweite Vorwurf Bhävavivekas hinfällig, daß nämlich Buddhapälita die Einwände des Gegners nicht widerlegt. Da Buddhapälita keine eigene Behauptung aufstellt, kann auch der Gegner keine Einwände vorbringen, die widerlegt werden müßten. Der dritte Vorwurf Bhävavivekas lautet, daß aus einer deductio ad absurdum folgt, daß das Gegenteil der widerlegten Behauptung richtig ist. Candrakirti entgegnet, daß der Mädhyamika in solchen Fällen von den Voraussetzungen des Gegners ausgeht und nicht von eigenen Anschauungen, und daß daher auch die sich ergebenden Folgerungen nur den Gegner treffen und nicht ihn. Die Antworten zeigen deutlich die grundsätzliche Einstellung Candrakirtis. Die weiteren umfangreichen Erörterungen, die er daran knüpft, sind ohne allgemeineres Interesse und daher nicht wiedergegeben.
Candrakirti
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Aus der „Wortklaren" (Prasannapadä) KAPITEL
i
Das Entstehen, welches die Gegner annehmen, könnte man sich vorstellen aus sich, man könnte es sich vorstellen aus anderem, aus beiden oder ohne Grund. Es ist aber auf keine Weise möglich. In diesem Sinne sagt (Nägärjuna): V.
1
Weder aus sich, noch aus anderem, noch aus beiden, noch ohne Grund sind jemals irgendwo irgendwelche Dinge entstanden. . . . (Gegner): Wenn man feststellt, daß sie nicht aus sich entstehen, dann ergibt sich die unerwünschte Folgerung, daß sie aus anderem entstehen. (Antwort:) Sie ergibt sich nicht, da eine einfache Verneinung (prasajyapratisedliah) ausgesprochen werden soll, und da außerdem die Entstehung aus anderem noch wiederlegt werden wird. Die Beweisführung, der zufolge ein Entstehen aus sich nicht möglich ist, ist in der „Einführung in die Madhyamaka-Lehre" (Madhyamakävatärah) usw. zu finden, wo es heißt (Kapitel V I v. 8): Beim Entstehen desselben aus demselben ergibt sich, kein Vorteil. Außerdem ist ein neuerliches Entstehen von etwas bereits Entstandenem widersinnig, usw. Der Meister Buddhapälita dagegen sagt (s. oben S. 223) Die Dinge entstehen nicht aus sich, weil ihr Entstehen zwecklos wäre, und weil sich der Fehler zu weitgehender Folgerungen ergeben würde. Es besteht nämlich kein Anlaß, daß Dinge, die ihrem eigenen Selbst nach bereits vorhanden sind, neuerlich entstehen. Wenn aber etwas bereits Vorhandenes trotzdem entstünde, dann würde es niemals nicht entstehen. 16»
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Dagegen richten einige ( = Bhävaviveka) folgende Einwände (s. oben S. 228). Das ist verfehlt, weil kein Grund und kein Beispiel angeführt wird, und weil die vom Gegner vorgebrachten Einwände nicht zurückgewiesen werden. Da es sich ferner um eine unerwünschte Folgerung ( p r a s a n g a h ) handelt, ergibt sich im Gegensatz zur vorliegenden Aussage eine Behauptung und Begründung entgegengesetzten Inhalts, nämlich: Die Dinge entstehen aus anderem, weil ihr Entstehen einen Zweck hat, und weil ihr Entstehen ein Ende nimmt. Und das würde einen Widerspruch zur eigenen Lehre bedeuten. Diese ganzen Einwände betrachten wir als unberechtigt. Wieso? Wenn ihr zunächst sagt: „Weil kein Grund und kein Beispiel angeführt wird", so ist das nicht am Platz. Warum? Weil wir den Gegner, der ein Entstehen aus sich annimmt, fragen, welchen Zweck es hat, wenn etwas bereits Vorhandenes wieder entsteht. Da nämlich „aus sich" als Ursache angegeben wird, heißt dies, daß dasselbe entsteht. Wir sehen nun keinen Zweck im neuerlichen Entstehen von etwas bereits Vorhandenem, sondern sehen vielmehr, (daß sich) eine endlose Reihe (anavastfiä) (ergibt). Das neuerliche Entstehen von etwas bereits Entstandenem erscheint aber auch dir nicht erwünscht, und ebenso ist eine endlose Reihe unerwünscht. Daher ist deine Behauptung unmöglich und widerspricht deinen eigenen Annahmen. Stimmt nun etwa der Gegner, wenn man es ihm vorhält, nicht zu, so daß es noch einen Sinn hat, einen Grund und ein Beispiel anzuführen ? Wenn sich aber der Gegner nicht geschlagen gibt, selbst wenn man ihm vorhält, daß er mit seinen eigenen Annahmen in Widerspruch gerät, dann wird er sich in seiner Unverschämtheit auch auf Grund und Beispiel hin nicht geschlagen geben. Mit einem Verrückten aber streiten wir nicht.
Candrakirti
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Der Herr Meister zeigt also nur seine Vorliebe für Schlußfolgerungen, wenn er auch dort, wo es nicht am Platz ist, eine Schlußfolgerung anbringt. Für einen Mädhyamika paßt es sich aber nicht, selbst eine selbständige Schlußfolgerung aufzustellen, da er keinerlei Behauptung anerkennt. Dementsprechend sagt auch Äryadeva (Catuhöatakam X Y I v. 25): Wer keinerlei Behauptung vertritt, sei es Sein, Nichtsein, oder Sein und Nichtsein zugleich, den zu widerlegen ist auch in nochsolanger Zeit nicht möglich. Auch in der „Streitabwehrerin" (Vigrahavyävartani) heißt es (s. oben S. 203f.): v. 29
Wenn ich irgendeine Behauptung vertreten würde, dann würde sich daraus dieser Fehler für mich ergeben. Ich vertrete aber keine Behauptung. Daher trifft mich auch kein Fehler. v. 30
Wenn ich irgend etwas erfassen würde, dann würde ich auf Grund der durch sinnliche Wahrnehmung usw. festgestellten Gegenstände Behauptungen aufstellen und widerlegen. Da dies nicht der Fall ist, trifft mich kein Vorwurf. Wenn aber der Mädhyamika keine selbständige Schlußfolgerung aufstellt, was hat er dann mit der selbständigen Behauptung zu tun: „Die inneren Bereiche entstehen nicht aus sich", gegen welche die Sämkhya ihre Einwände vorbringen, indem sie sagen (s. oben S. 228f.): „Was ist der Sinn dieser Behauptung? Heißt es, (die Dinge entstehen nicht) aus sich, sofern sie das Wesen der Wirkung haben, oder sofern sie das Wesen der Ursache haben?
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Was folgt daraus? Wenn es heißt, sofern sie das Wesen der Wirkung haben, so wird nur etwas bereits Bewiesenes bewiesen. Wenn es dagegen heißt, sofern sie das Wesen der Ursache haben, so ist das inhaltlich ein Widerspruch, denn alles Entstehende entsteht, nachdem es in der Form der Ursache bereits vorhanden war." Was haben wir mit dem Grund zu tun?: „Weil sie bereits vorhanden sind", der nur bereits Bewiesenes beweist, oder inhaltlich einen Widerspruch enthält, so daß wir dann die Mühe haben, dieses Beweisen vom Bewiesenen oder den inhaltlichen Widerspruch zu entkräften. Weil sich also für den Meister Buddhapälita keine vom Gegner vorgebrachten Einwände ergeben, braucht er sie auch nicht zu entkräften. Die der unerwünschten Folgerung entgegengesetzte Ansicht geht ausschließlich den Gegner an, aber nicht uns, da wir keine eigene Behauptung aufstellen. Und daher ergibt sich auch kein Widerspruch zu unserer eigenen Lehre. Wenn dagegen den Gegner die verschiedensten Vorwürfe treffen, weil das Gegenteil der unerwünschten Folgerung zutrifft, so kann uns das nur recht sein. Wieso sollte auch der Meister Buddhapälita, welcher der irrtumslosen Lehre des Meisters Nägärjuna folgt, anfechtbare Aussagen machen, so daß der Gegner Gelegenheit zu einem Angriff findet? Und wieso sollte sich für den Vertreter der Lehre von der Wesenlosigkeit (der Dinge), wenn er dem Anhänger der Lehre vom eigenen Wesen (der Dinge) eine unerwünschte Folgerung vorhält, die der unerwünschten Folgerung entgegengesetzte Ansicht als Folgerung ergeben? Denn schließlich sind die Worte keine Häscher, welche den Sprecher der Freiheit berauben. Sie richten sich vielmehr, sofern ihnen die betreffende Ausdrucksfähigkeit zukommt, nach dem, was der Sprecher ausdrücken will. Weil also das Vorbringen der
Candrakirti
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unerwünschten Folgerung ausschließlich den Zweck hat, die Behauptung des Gegners zu widerlegen, ergibt sich aus ihr keineswegs mit Notwendigkeit die dieser Folgerung entgegengesetzte Ansicht. Was Candrakirtis Verhältnis zur Yogäcära-Schule betrifft, so steht er seiner grundsätzlichen Einstellung entsprechend jeder Übernahme von Yogäcära-Gedanken grundsätzlich ablehnend gegenüber. Er geht also darin über Bhävaviveka hinaus. In der Hauptfrage allerdings, ob das Erkennen als wirklich zu betrachten ist, oder ob es der unwirklichen Erscheinungswelt angehört, stimmt er mit ihm überein. Und da diese Frage im Mittelpunkt der Auseinandersetzung mit der Yogäcära-Schule steht, findet er keinen Anlaß, gegen Bhävaviveka Stellung zu nehmen. Und tatsächlich fehlt auch in den Abschnitten, die sich mit der Yogäcära-Lehre auseinandersetzen, die Polemik gegen Bhävaviveka. Der Abschnitt, den ich im folgenden wiedergebe, stammt aus Candrakirtis großem selbständigen Werk, der „Einführung in die Madhyamaka-Lehre" (Madhyamakävatärah). Dieses Werk behandelt die Laufbahn eines Bodhisattva im Anschluß an die alte Lehre von den zehn Stufen (bhümayah), die ein Bodhisattva zu durchlaufen hat. Philosophisch am wichtigsten ist das 6. Kapitel, das die sechste dieser Stufen behandelt, auf der der Bodhisattva die Vollkommenheit der Einsicht gewinnt, und das seiner Wichtigkeit entsprechend auch weit mehr als die Hälfte des ganzen Werkes ausmacht. Es zerfällt in drei Teile. Der erste enthält den Nachweis der Unwirklichkeit der Außenwelt. Der zweite bekämpft den falschen Glauben an ein Ich. Der dritte schließlich bespricht die sechzehn Arten der Leerheit, welche schon in den Prajnäpäramitä-Texten aufgezählt sind und auch sonst oft behandelt werden. Der Nachweis der Unwirklichkeit der Außenwelt zeigt die gleiche Entwicklung, wie wir sie in Bhävavivekas „ J u w e l in der Hand" beobachten konnten. Die verwirrende Fülle vielfach bedenklicher Schlußfolgerungen, wie sie Nägärjuna vorgebracht hatte, ist aufgegeben, und an ihre Stelle ist eine einzige, aber gründlich durchgearbeitete Beweisführung getreten. Und zwar ist es bei Candrakirti der
248
Die Schulen des Mahayana
Beweis, der auch bei Nägärjuna an der Spitze seines Hauptwerkes steht, daß nämlich jegliches Entstehen in Wirklichkeit unmöglich ist. In diese Beweisführung sind auch verschiedene Exkurse eingeflochten, darunter eine breite Widerlegung der Yogäcära-Lehre. Und aus ihr ist die folgende kurze Probe genommen. Vorausgeschickt ist nach allgemeinem Brauch eine kurze Wiedergabe der gegnerischen Lehrsätze, welche widerlegt werden sollen. Von diesem Teil habe ich nur die Verse übersetzt, ohne die Erklärung Candraklrtis, da sie auf Grund der späteren Darstellung der Yogäcära-Lehre ohne weiteres verständlich sind. Dann beginnt Candraklrtis Polemik. Die Yogäcära konnten, um die Unwirklichkeit der Außenwelt zu beweisen, die Beweisführung Nägärjunas nicht verwenden, denn diese dient dem Nachweis, daß die gesamte Erscheinungswelt unwirklich ist, während die YogäcäraSchule nur die Unwirklichkeit der Außenwelt behauptet, die Erkenntnisvorgänge aber als wirklich gelten läßt. Sie mußten also andere Wege einschlagen. Dabei bedienten sie sich vor allem verschiedener Beispiele, welche zeigen sollten, daß ein Erkennen auch ohne wirklich vorhandene äußere Objekte möglich ist, und unter diesen Beispielen war wieder das beliebteste der Traum. Sie sagten: Ebenso wie das Erkennen im Traum die verschiedensten Gegenstände zeigt, die in Wirklichkeit nicht vorhanden sind, so sind auch die Gegenstände, die wir im Wachen zu sehen glauben, nicht wirklich. Hier setzt nun die Polemik Candraklrtis ein, und zwar sucht er, der erwähnten Grundanschauung der Mädhyamika entsprechend, zu zeigen, daß nicht nur die Außenwelt, sondern die gesamte Erscheinungswelt unwirklich ist. E r sagt daher: Euer Beispiel beweist nichts, weil im Traum nicht nur die gesehenen Gegenstände, sondern auch das Erkennen unwirklich ist. Der Yogäcära entgegnet: Das Erkennen im Traum ist wirklich, weil wir uns daran erinnern. Candrakirti antwortet: Wir erinnern uns auch an die im Traum gesehenen Gegenstände. Nun formuliert der Yogäcära seine Lehre genauer: Es handelt sich im Traum um keine Wahrnehmung, sondern um ein Denkerkennen (manovijnünam), wobei wir das Erscheinungsbild dieses Erkennens irrtümlich nach außen verlegen; und das gleiche gilt für die Erkenntnis während
Candraklrti
249
des Wachens. Demgegenüber hält Candraklrti daran fest, daß auch in diesem Fall das Erkennen ebenso unwirklich ist wie sein Gegenstand. Das führt er folgendermaßen weiter aus: Nach der Lehre des Buddha, wie sie f ü r alle buddhistischen Schulen gilt, entsteht eine Wahrnehmung nicht dadurch, daß jemand sieht, sondern indem die wahrgenommene Form und das Auge zusammen ein Augenerkennen hervorrufen. Wenn nun Form und Auge nicht wirklich sind, kann natürlich auch das Erkennen nicht wirklich sein. Das gilt f ü r alle sechs Arten des Erkennens, auch f ü r das Denkerkennen. U n d daran ändert sich auch nichts, wenn man darauf hinweist, daß die Form nur als Bestandteil des Bereichs der Gegebenheiten (dharm&yatanam) Objekt des Denkerkennens ist. Denn wenn man daraus folgern wollte, daß daher ebenso wie Form und Denken auch das Denkerkennen des Traumes wirklich ist, dann verliert das ganze Beispiel seinen Sinn. Denn dann läßt sich daraus nicht mehr die Unwirklichkeit der Objekte des Wachbewußtseins beweisen, da j a sein eigenes Objekt als wirklich vorausgesetzt ist. Nun führt Candraklrti noch einige Belege aus der heiligen Schrift an, dann schließt er, indem er das Beispiel des Gegners im eigenen Sinn deutet und verwendet: Ebenso wie im Traum alle drei Faktoren, auf denen die Erkenntnisvorgänge beruhen, als wirklich erscheinen, während man sie nach dem Erwachen als unwirklich erkennt, ebenso erscheinen die gleichen Faktoren bei der Erkenntnis während des Wachens zunächst als wirklich. Wer aber aus dem T r a u m des Nichtwissens erwacht, erkennt, daß auch sie unwirklich sind. Damit ist dieser Gedankengang zu Ende und Candraklrti geht auf die nächsten Argumente seines Gegners über, die nun in langer Reihe folgen, auf deren Wiedergabe wir aber verzichten müssen.
Aus der „Einführung in die Madhyamaka-Lehre" (Madhyamakävatärah) v. 45
Der in der Einsicht verweilende Bodhisattva, der zur Erkenntnis gekommen ist, daß die Wirklichkeit
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Die Schulen des Mahayana nur Erkennen ist, versteht, da er ohne Ergriffenes keinen Ergreifer sieht, daß das dreifache Sein ( = die Dreiwelt) nur Erkennen ist. v. 46
So wie die Wellen aus dem großen Meer unter dem Antrieb des Windes entstehen, so entsteht aus dem sogenannten Grunderkennen, das alle Samen enthält, durch seine eigene Kraft (saktih) das bloße Erkennen. V. 47
Daher besteht das abhängige Wesen (paratantrarüpam), welches die Grundlage aller nur der Benennung nach vorhandenen Dinge bildet. Es entsteht ohne ein äußeres Ergriffenes, es ist, und es liegt seinem Wesen nach außerhalb das Bereichs aller Vielfalt (praparicah). Dazu ist zu sagen : V. 48
Der Geist besteht ohne etwas Äußeres — wie wo? Das ist genau zu untersuchen. ( Der Gegner) sagt: Wie im Traum. Wenn man in einer kleinen Kammer schläft, träumt man, vom Schlaf getäuscht, innerhalb des Hauses von einer Herde wütender Elefanten. Sie sind aber in keiner Weise vorhanden. Da also kein äußeres Objekt vorhanden ist, muß man notgedrungen diese Erkenntnis annehmen. Um zu zeigen, daß auch das nicht stichhaltig ist, sagt der (Verfasser): Das ist zu überlegen. Wieso? (Darauf) sagt er: Da nach unserer Ansicht auch der Geist im Traum nicht besteht, so besteht dein Beispiel nicht zu Recht.
Candrakirti
251
Nach unserer Ansicht besteht das Erkennen, welches die Form der wütenden Elefantenherde trägt, ebensowenig wie das Objekt, weil es nicht entstanden ist. Wenn dieses Erkennen aber nicht besteht, dann liegt kein von beiden Parteien anerkanntes Beispiel vor, und es trifft daher nicht zu, daß das Erkennen ohne ein äußeres (Objekt) besteht. Nun könnte man denken, wenn es im Traum kein irriges Erkennen gäbe, dann könnte man sich nach dem Erwachen nicht an das im Traum Wahrgenommene erinnern. Aber auch das ist nicht richtig, denn: v . 49
Wenn das Denken besteht, weil man sich im Wachen an den Traum erinnert, so steht es mit dem äußeren Objekt genauso. Wieso? Ebenso wie du dich erinnerst: „Ich habe gesehen", ebenso besteht auch die Erinnerung an das äußere Objekt. Wie das Denken wegen der Erinnerung an die Wahrnehmung im Traum besteht, ebenso muß notgedrungen wegen des Vorhandenseins der Erinnerung an die Wahrnehmung des Objektes auch das Objekt bestehen, oder das Erkennen besteht ebenso wenig. (Gegner): Wenn im Traum die Form (rüpam) der Elefanten usw. vorhanden wäre, so müßte, um sie zu erfassen, auch ein Augenerkennen vorhanden sein. Das ist aber nicht der Fall, weil in der Verwirrung des Schlafes die Gruppe der fünf (Sinnes-) Erkenntnisse nicht zustande kommen kann. Nämlich v . 50
wenn du meinst: Weil im Schlaf kein Augenerkennen möglich ist, ist kein (Objekt) vorhanden. Es
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Die Schulen des Mahäyana
besteht aber das Denkerkennen. Und wie dessen Erscheinungsform im Traum als außen aufgefaßt wird, so ist es auch hier (im Wachen) der Fall. Im Traum ist ein Augenerkennen in keiner Weise vorhanden, und weil es nicht besteht, ist auch die' Form der Elefanten usw., welche als Augenbereich (äyatanam) erfaßt werden könnte, nicht vorhanden. Das Denkerkennen ist aber da. Wenn daher auch eine äußere Form (rüpam) nicht vorhanden ist, so ist doch nichts dagegen einzuwenden, daß die Erscheinungsform des Erkennens als außen aufgefaßt wird. Wie daher im Traum bloß das Erkennen entsteht, ohne daß irgend etwas Äußeres vorhanden wäre, so ist es auch hier der Fall. (Antwort): So ist es nicht, weil im Traum ein Denkerkennen nicht entstehen kann. Denn v. 5 1
wie für dich im Traum kein äußeres Objekt entsteht, so entsteht auch kein Denken. Daher sind alle drei, das Auge, das Objekt des Auges und das daraus entstandene Erkennen unwahr. Wie bei der Wahrnehmung einer Form Auge, Form und Denken, diese drei, vereint auftreten, so werden diese drei auch beim Erfassen eines Objektes im Traum vereint wahrgenommen. Und wie hier Auge und Form nicht vorhanden sind, so ist auch das Augenerkennen nicht vorhanden. Und wie diese drei, so v. 5 2
entstehen auch die andern Dreier-Gruppen, das Gehör usw. nicht. Mit den Worten „Das Gehör usw." ist der Ton, das Gehörerkennen usw. bis zum Denken, dem Bereich der
Candrakirti
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Gegebenheiten und dem Denkerkennen mit einbezogen. Im Traum sind also alle diese Dreiergruppen unwahr. Daher ist es auch unmöglich, daß im Traum das Denkerkennen besteht. (Gegner:) Vom Denkerkennen wird die dem Bereich der Gegebenheiten angehörige Form erkannt, und diese ist im Traum vorhanden. Daher trifft es in keiner Weise zu, daß das Erkennen ohne Objekt ist. (Antwort:) Auch das ist nicht richtig, denn im Schlaf bestehen die drei auf jeden Fall nicht. Wenn wir es jedoch gelten lassen wollen, nur um die Lehre des Gegners zu widerlegen, so verliert das Beispiel vom Traum seinen Sinn. Denn mit einem Beispiel, dessen Gegenstand nicht unwahr ist, läßt sich ein wirklicher Gegenstand nicht als unwahr erweisen. Weil also im Traum jene drei durchwegs unwahr sind, so ergibt sich daraus, da durch Erwiesenes das Nichterwiesene bewiesen wird, daß auch im Zustand des Wachens alle Gegebenheiten wesenlos sind. Daher sagt (der Verfasser): Wie im Traum so sind auch hier im Wachen die Dinge unwahr und der Geist besteht nicht; und auch die Sinnesorgane sind, da sie kein Objekt haben, nicht vorhanden. Wie im Traum Objekt, Sinnesorgane und Erkennen unwahr sind, ebenso sind sie es auch im Wachen. So ist dies aufzufassen. Daher heißt es auch mit Recht: Wie durch Zaubertrug geschaffene Lebewesen wahrgenommen zu werden scheinen, in Wahrheit aber nicht wirklich sind, so sind, wie der Vollendete gelehrt hat, die Gegebenheiten beschaffen, gleich einem Zaubertrug und gleich einem Traum. Ferner: Der ganze Verlauf des Daseins gleicht einem Traum. Niemand wird geboren und niemand stirbt. Kein Wesen, keine Seele und kein Mensch ist zu erfassen.
254
Die Schulen des Mahayana
Alle diese Gegebenheiten gleichen Schaum oder einem (hohlen) Bambusrohr. Und dergleichen mehr. Wir haben also gesagt, daß hinsichtlich der Erkenntnis im Wachen die gesamte Dreiheit nicht entstanden ist. Im Traum nun, hinsichtlich der Erkenntnis dessen, der den Traum träumt, v. 53
ist ebenso wie hier im Wachen, solange er nicht erwacht, die Dreiheit vorhanden. Wie für jemanden, der als wach gilt, obwohl er in den Schlaf des Nichtwissens versunken ist, weil er von dem davon verschiedenen Schlaf frei ist, diese Dreiheit, wiewohl sie dem eigenen Wesen nach nicht entstanden ist, besteht, da er sie wahrnimmt, weil er infolge des Schlafes des Nichtwissens einen Traum träumt, so ist für diejenigen, welche vom Schlaf nicht frei sind, und sich aus dem Zustand des Traumes nicht erhoben haben, die entsprechende Dreiheit vorhanden. Ebenso wie diese Dreiheit nach dem Erwachen nicht vorhanden ist, ebenso verhält es sich, wenn man aus dem Schlaf der Verblendung erwacht. Wie für den aus dem Schlaf Erwachten die gesehene Dreiheit nicht vorhanden ist, ebenso ist für diejenigen, welche den Schlaf des Nichtwissens vollkommen abgeschüttelt haben und sich das Element der Gegebenheiten (dharmadhätuh) in unmittelbarer Anschauung vergegenwärtigt haben, die Dreiheit nicht vorhanden. Daher ist es nicht richtig, daß das Erkennen (allein) ohne äußere (Objekte) besteht. Damit schließen wir unseren Überblick über die Entwicklung der Madhyamaka-Schule. Von ihren bekannteren Vertretern aus späterer Zeit ist Säntideva (um 700 n. u. Z.) mehr als Dichter bedeutend als als Philosoph. Besondere
Die Schule Saramatis
255
Erwähnung verdient der große Apostel Tibets Öäntiraksita (Mitte des 8. Jahrhunderts) mit seinem Schüler Kamala^ila, der in der Art Bhävavivekas eine Verbindung der Madhyamaka- mit der Yogäcära-Lehre versuchte. Nach ihm hat die Schule keine bedeutenden Persönlichkeiten mehr hervorgebracht und ist auf indischem Boden allmählich erloschen. Doch ist noch zu erwähnen, daß die tantrisehen Schulen des Buddhismus mit ihren mystischen Kulten und Zauberriten weitgehend auf den Gedanken der Madhyamaka-Schule aufbauen.
2. Die Schule
Säramatis
Bevor wir zur Betrachtung der 2. großen MahäyänaSchule, der Schule der Yogäcära übergehen, müssen wir wenigstens kurz noch eine kleinere Schule erwähnen, die ich nach ihrem wichtigsten Vertreter die Schule Säramatis nenne. Sie verdient diese Erwähnung, nicht nur weil sie selbst beachtenswert ist und die Mannigfaltigkeit der Strömungen im Mahäyäna zeigt, sondern vor allem auch, weil sie auf den eigentlichen Begründer der Yogäcära-Schule, Maitreyanätha stark eingewirkt hat. Von den Werken dieser Schule ist in Europa das Mahäyänasraddhotpädasästram („Das Lehrbuch über die Entstehung des Mahäyäna-Glaubens") am bekanntesten, das einem Asvaghosa zugeschrieben wird. Aber historisch ist Säramati bedeutender. Er hat noch lange nachgewirkt, während das Mahäyäna^raddhotpädaäästram, wenigstens in Indien, bald verschollen war. Ja es ist nicht ausgeschlossen, daß dieses Werk überhaupt in China entstanden ist. Daher soll hier nur Säramati kurz Berücksichtigung finden.
Säramati ( u m 250 a . u. Z . )
Säramati stammte, der Überlieferung nach, aus dem zentralen Indien und lebte nicht lange nach Nägärjuna. Wir besitzen von ihm zwei Werke. Das wichtigere ist der Ratnagotravibhägah („Erläuterung des Keimes der (drei)
Die Schule Saramatis
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Erwähnung verdient der große Apostel Tibets Öäntiraksita (Mitte des 8. Jahrhunderts) mit seinem Schüler Kamala^ila, der in der Art Bhävavivekas eine Verbindung der Madhyamaka- mit der Yogäcära-Lehre versuchte. Nach ihm hat die Schule keine bedeutenden Persönlichkeiten mehr hervorgebracht und ist auf indischem Boden allmählich erloschen. Doch ist noch zu erwähnen, daß die tantrisehen Schulen des Buddhismus mit ihren mystischen Kulten und Zauberriten weitgehend auf den Gedanken der Madhyamaka-Schule aufbauen.
2. Die Schule
Säramatis
Bevor wir zur Betrachtung der 2. großen MahäyänaSchule, der Schule der Yogäcära übergehen, müssen wir wenigstens kurz noch eine kleinere Schule erwähnen, die ich nach ihrem wichtigsten Vertreter die Schule Säramatis nenne. Sie verdient diese Erwähnung, nicht nur weil sie selbst beachtenswert ist und die Mannigfaltigkeit der Strömungen im Mahäyäna zeigt, sondern vor allem auch, weil sie auf den eigentlichen Begründer der Yogäcära-Schule, Maitreyanätha stark eingewirkt hat. Von den Werken dieser Schule ist in Europa das Mahäyänasraddhotpädasästram („Das Lehrbuch über die Entstehung des Mahäyäna-Glaubens") am bekanntesten, das einem Asvaghosa zugeschrieben wird. Aber historisch ist Säramati bedeutender. Er hat noch lange nachgewirkt, während das Mahäyäna^raddhotpädaäästram, wenigstens in Indien, bald verschollen war. Ja es ist nicht ausgeschlossen, daß dieses Werk überhaupt in China entstanden ist. Daher soll hier nur Säramati kurz Berücksichtigung finden.
Säramati ( u m 250 a . u. Z . )
Säramati stammte, der Überlieferung nach, aus dem zentralen Indien und lebte nicht lange nach Nägärjuna. Wir besitzen von ihm zwei Werke. Das wichtigere ist der Ratnagotravibhägah („Erläuterung des Keimes der (drei)
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Die Schulen des Mahayana
Juwelen"), meist U t t a r a t a n t r a m („Die vorzüglichere Lehre") g e n a n n t . Der Titel des zweiten, das n u r in chinesischer Übersetzung erhalten ist, wird gewöhnlich als Dharm a d h ä t v a v i s e s a t ä ä ä s t r a m („Lehrbuch über die Nichtverschiedenheit des Elementes der Gegebenheiten") wiedergegeben. Die Lehre, die in diesen Werken niedergelegt ist, s t e h t in schroffem Gegensatz zur P r a j n ä p ä r a m i t ä u n d zu Nägärj u n a . W ä h r e n d d o r t die Unwirklichkeit der Außenwelt im Mittelpunkt des Interesses steht u n d die U n f a ß b a r k e i t des höchsten Seins aufs schärfste b e t o n t wird, so d a ß es schließlich ganz in den H i n t e r g r u n d t r i t t u n d sich fast zu einem Nichts verflüchtigt, beschäftigt sich S ä r a m a t i in erster Linie m i t dem höchsten Sein, das bei ihm ausgesprochen positiven Charakter h a t u n d starke Ähnlichkeit mit der Weltseele des V e d ä n t a zeigt. Dieses höchste Sein is f fleckenloser (amalam) oder leuchtender Geist (prabhasvaram cittam). Auch als Soheit (tathatü) wird es bezeichnet. Meist aber heißt es Element (dhütuh) oder genauer wahrh a f t e s Element (paramarthadhätuh), Element der Gegebenheiten (dharmadhätuh) u n d Element der B u d d h a s (buddhadhätuh). Es ist keineswegs u n f a ß b a r , sondern durch deutlich ausgeprägte Eigenschaften gekennzeichnet, u n d zwar sowohl durch Mängel (maläh) als auch durch Vorzüge (gunäh). Vor allem die vier Vollkommenheiten, Reinheit, Selbst, Wonne u n d Ewigkeit werden i h m beigelegt. Aber während die Mängel äußerlich (Ogantulcah) sind u n d sein Wesen nicht berühren, sind die Vorzüge u n t r e n n b a r mit seinem Wesen verbunden, wie die Strahlen mit der Sonne. Das höchste Sein ist die Grundlage der gesamten E r scheinungswelt. Durch falsche Auffassung (ayoniiomanaskärah) entstehen Werke u n d Laster (karmakleiah) und durch diese die Gruppen (skandhäh), Bereiche (äyatanäni) u n d Elemente (dhätavah), aus denen sich die Erscheinungswelt a u f b a u t . Da das höchste Sein allgegenwärtig ist, wohnt es auch allen Lebewesen inne, alle besitzen daher den Keim (gotram) des B u d d h a t u m s . Nur ist es bei den gewöhnlichen Mensehen unrein, bei den Heiligen teils rein, teils unrein u n d n u r bei den B u d d h a vollkommen rein. I n seiner vollk o m m e n reinen F o r m ist es somit das B u d d h a t u m (buddha-
Saramati
257
tvam), die heilige Wahrheit (Cbryasatyam) und das Erlöschen (nirvänam). Das wahre Wesen des Buddha ist also das höchste Sein. Dieses ist sein Körper der Lehre ( d h a r m a k a y a h ) , der allein wahrhaft (paramärthakäyah) ist. Sein irdischer Körper (rüpaküyah), der in doppelter Form erscheint, ist dagegen nur scheinbar (samvrtikäyah) und verhält sich zum Körper der Lehre, wie zum Mond sein Spiegelbild im Wasser. Die Körper des Buddha besitzen die verschiedenen Eigenschaften und Vorzüge, welche ihnen die Dogmatik zuschreibt. Durch sie bewirkt er die Erlösung der Wesen, aber ohne Streben (äbhogah) und ohne daß das höchste Sein, welches seinen Körper der Lehre ausmacht, sich bewegt oder irgendeine Veränderung erleidet. Alles das wird breit ausgeführt, doch muß hier diese kurze Andeutung genügen. Die folgenden Übersetzungsproben sind aus verschiedenen Teilen des Ratnagotravibhägah genommen und sollen die oben skizzierten Lehren illustrieren. Eine zusammenhängende Übersetzung längerer Abschnitte ist wegen der gekünstelten und unübersichtlichen Gliederung des Textes nicht angezeigt. I m einzelnen sind wenig Erläuterungen notwendig. Die erste Versreihe ( I v. 49 — 63) behandelt das Entstehen der Erscheinungswelt aus dem höchsten Sein. Zum Vergleich dient die Weltschöpfung, bei der nach buddhistischer Lehre im R a u m zuerst der Wind, dann das Wasser und schließlich die Erde entsteht. Die zweite Versreihe ( I v. 40 — 47) handelt vom höchsten Sein als dem Keim des Buddhatums, der allen Lebewesen innewohnt, und zwar bei den Weltmenschen in unreiner, bei den Heiligen in teilweise reiner und bei den Buddha in vollkommen reiner Form. Das höchste Sein stellt dabei in seiner reinen Form sowohl das Buddhatum als auch die Erlösung dar, die daher beide wesensgleich sind (I v. 84 und 87). Die nächste Versreihe ( I I v. 3 — 7) schildert das Buddhatum als höchstes Sein. Die hier erwähnten beiden Hemmnisse, das der Laster und das des zu Wissenden, und die beiden Formen des erlösenden Wissens kehren in der Lehre der Yogäcära-Schule wieder und finden dort (S. 267 und 300f. usw.) ihre Erklärimg. E s folgt eine Schilderung der beiden Körper des Buddha ( I I I v. 1 — 4). Der Körper der Lehre wird durch die Befreiung des den Wesen innewohnenden höchsten 17
Frau wallner, Buddhismus
258
Die Schulen des Mahayana
Seins von allen äußerlichen Befleckungen erlangt. Ihm schreibt die Dogmatik als Eigenschaften zehn Kräfte, vier Furchtlosigkeiten und achtzehn nur den Buddha eigentümliche Eigenschaften zu. Der irdische Körper entsteht im Wesenskreislauf durch die Reifung der Werke. Er besitzt die zweiunddreißig Merkmale, welche nach indischer Mythologie die großen Männer auszeichnen. Die letzte Versreihe endlich (IV, v. 53—64) handelt vom Wirken des Buddha, dessen Eigenart durch den Vergleich mit dem Wirken des Gottes Brahman und der Sonne erläutert wird.
Aus der „Erläuterung des Keimes der (drei) Juwelen" (Ratnagotravibhägai.),) KAPITEL i 19
Wie der seinem Wesen nach von Vorstellungen freie Raum sich überallhin erstreckt, so erstreckt sich das aus der natürlichen Fleckenlosigkeit des Geistes bestehende Element überallhin. 51
Da es mit Mängeln in äußerlicher Weise verbunden ist und mit Vorzügen von Natur aus verbunden ist, kommt ihm nach wie vor die Beschaffenheit der Unveränderlichkeit zu. 52
Wie der allgegenwärtige Raum wegen seiner Feinheit nicht beschmutzt wird, so wird dieses überall in den Wesen vorhandene (Element) nicht beschmutzt. 53
Wie die Welten überall im Raum entstehen und vergehen, so vergehen und entstehen die Sinnesorgane im nichtverursachten Element.
Säramati
259
54
Wie der Raum noch niemals von Feuern verbrannt wurde, so verbrennen die Feuer des Todes, der Krankheit und des Alters dieses nicht. 55
Die Erde beruht auf dem Wasser, das Wasser auf dem Wind, der Wind auf dem Raum. Der Raum dagegen beruht nicht auf den Elementen des Windes, des Wassers und der Erde. 56
Ebenso beruhen Gruppen, Elemente und Sinnesorgane auf Werken und Lastern. Werke und Laster beruhen stets auf der falschen Auffassung. 57
Die falsche Auffassung beruht auf der Reinheit des Geistes. Die Natur des Geistes dagegen beruht nicht auf allen Gegebenheiten. 58
Gruppen, Bereiche und Elemente sind gleich dem Element der Erde anzusehen. Werke und Laster der Verkörperten sind gleich dem Element des Wassers anzusehen. 59
Die falsche Auffassung ist gleich dem Element des Windes anzusehen; die Natur (des Geistes), welche ohne Wurzel und ohne Grundlage ist, gleicht dem Element des Raumes. 60
Die falsche Auffassung haftet an der Natur des Geistes. Laster und Werke entspringen aus der falschen Auffassung. 17«
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Die Schulen des Mahayana 61
Aus dem Wasser der Werke und Laster gehen die Gruppen, Bereiche und Elemente hervor. Sie entstehen und vergehen, so wie dieses geschaffen und vernichtet wird. 62
Die Natur des Geistes kennt, ebenso wie das Element des Raumes, keinen Grund, keine Ursache und keine Gesamtheit (von Gründen und Ursachen), kein Entstehen, kein Vergehen und kein Beharren. 63
Diese leuchtende Natur des Geistes erleidet wie der Himmelsraum niemals eine Veränderung. Durch den äußerlichen Schmutz der Begierde usw., der durch unrichtige Vorstellungen entsteht, erfährt sie jedoch eine Besudelung.
40
Wenn es das Element der Buddha nicht gäbe, dann gäbe es auch keinen Überdruß am Leiden und es gäbe kein Wünschen, Begehren und Streben nach dem Erlöschen. 41
Wenn der Keim (gotram) vorhanden ist, schaut man die Mängel und das Leid des Daseins, sowie die Vorzüge und die Wonne des Erlöschens. Bei (Wesen), denen der Keim fehlt, ist dies nicht der Fall. 45
Da die Soheit bei Weltmenschen, Heiligen und Erleuchteten nicht verschieden ist, haben die Erschauer der
Saramati
261
Wahrheit verkündet, daß dieser Keim der Buddha (jinagarbhah,) in (allen) Lebewesen vorhanden ist. 48
Die Weltmenschen sind im Irrtum befangen. Mit denen, welche die Wahrheit geschaut haben (den Heiligen), verhält es sich umgekehrt. Wahrhaft frei vom Irrtum und frei von der Vielfalt sind die Vollendeten. 47
Als unrein, unrein und rein und als vollkommen rein wird der Reihe nach das Element der Wesen bezeichnet, der Bodhisattva und der Vollendete. 84
Da dies der Körper der Lehre, der Vollendete, die heilige Wahrheit und das wahrhafte Erlöschen ist, gibt es kein Erlöschen außer dem Buddhatum, weil die Eigenschaften von ihm untrennbar sind, wie die Strahlen von der Sonne.
87
Die Erleuchtung in allen Formen und die Beseitigung der Flecken samt der Durchtränkung, das Buddhatum und das Erlöschen, ist daher in Wahrheit ein und dasselbe. KAPITEL II 3
Das Buddhatum, das, wie gelehrt wird, von Natur aus leuchtend ist, das, gleich der Sonne und dem Räume, von den äußerlichen Hemmnissen der Laster und des
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Die Schulen des Mahäyana
zu Wissenden wie von der Hülle eines dichten Wolkenschleiers bedeckt ist, das mit allen fleckenlosen Eigenschaften eines Buddha versehen, ewig, beständig und unvergänglich ist, wird auf Grund des Wissens erlangt, das in der vorstellungsfreien Unterscheidung der Gegebenheiten besteht. 4
Das Buddhatum ist bedingt durch untrennbare helle Eigenschaften und ist, gleich der Sonne und dem Raum, durch doppeltes Wissen und Loslösung gekennzeichnet. 5
Es ist mit allen leuchtenden Eigenschaften eines Buddha versehen, welche (an Zahl) den Sand am Ufer des Ganges übertreffen, ungeschaffen sind und untrennbar an ihm haften. 6
Die Hemmnisse der Laster und des zu Wissenden werden daher, weil sie von Natur aus unwirklich, alldurchdringend und äußerlich sind, den Wolken gleich bezeichnet. 7
Als Ursache der Beseitigung der beiden Hemmnisse wird das zweifache Wissen angenommen, das vorstellungsfreie und das anschließend daran erlangte Wissen. KAPITEL III i
Zum eigenen Nutzen und zum Nutzen anderer dient der wahrhafte Körper und der darauf beruhende scheinbare Körper. Diese Frucht gliedert sich in vierundsechzig Eigenschaften, je nachdem sie auf Loslösung oder auf Reifung (der Werke) beruht.
Saramati
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2
Der wahrhafte Körper des Weisen ( = des Buddha) ist die Grundlage des eigenen Glückes. Die Grundlage des Glücks der andern ist der Körper der irdischen Wahrheit (sämketikah). 3
Der erste Körper ist mit den auf Loslösung beruhenden Eigenschaften verbunden, den Kräften usw., der zweite mit den auf Reifung beruhenden Merkmalen des großen Mannes. 4
Durch den Besitz der Kräfte gleicht der Weise den Hindernissen des Nichtwissens gegenüber einem Donnerkeil. Durch den Besitz der Furchtlosigkeiten gleicht er in den Versammlungen einem Löwen. Durch die dem Vollendeten eigentümlichen Eigenschaften gleicht er dem Luftraum, durch sein zweifaches Erscheinen dem Mond im Wasser. K A P I T E L IV 53
Wie Brahman, ohne die Brahma-Stätte zu verlassen, ohne Bemühung in allen Götterwelten seine Erscheinung zeigt, 54
so wird der Weise ( = der Buddha), ohne den Körper der Lehre zu verlassen, durch seine geschaffenen (Gestalten) ohne Streben in allen Sphären den Belehrbaren sichtbar. 55
So wie Brahman seinen Palast nicht verläßt, die Götter ihn aber doch beständig in der Sphäre der Begierden schauen, und sein Anblick ihnen die Lust an den Sinnes-
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Die Schulen des Mahäyana
Objekten nimmt, ebenso verläßt der Vollendete den Körper der trefflichen Lehre nicht, und doch sehen ihn beständig die Belehrbaren in allen Welten und sein Anbück beseitigt alle ihre Flecken. 59
Wie die Sonne frei von Vorstellungen durch ihre gleichzeitig entsendeten Strahlen die Lotose weckt und andere zur Reife bringt, 60
so wirkt die Sonne des Vollendeten frei von Vorstellungen durch die Strahlen der trefflichen Lehre auf die Lotose der Belehrbaren. 63
Indem sich die Sonne des. Buddha beständig über das ganze Himmelsgewölbe des Elementes der Gegebenheiten ausbreitet, fallen ihre (Strahlen) auf die Berge der Belehrbaren, so wie sie es verdienen. 64
So wie hier die Sonne, wenn sie aufgeht, mit ihren ausgebreiteten tausend Strahlen ringsum die Welt erleuchtet und der Reihe nach die höchsten, mittleren und niedrigsten Berge bescheint, so bescheint die Sonne des Buddha der Reihe nach die Scharen der Wesen.
3. Die Schule der
Yogäcära
Wir wenden uns nunmehr der bedeutendsten MahäyänaSchule zu, der Schule der Yogäcära. Sie führt ihren Namen daher, daß in den Kreisen, aus denen sie hervorging, die Übung des Yoga eine besondere Rolle spielte. Dabei ist
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Die Schulen des Mahäyana
Objekten nimmt, ebenso verläßt der Vollendete den Körper der trefflichen Lehre nicht, und doch sehen ihn beständig die Belehrbaren in allen Welten und sein Anbück beseitigt alle ihre Flecken. 59
Wie die Sonne frei von Vorstellungen durch ihre gleichzeitig entsendeten Strahlen die Lotose weckt und andere zur Reife bringt, 60
so wirkt die Sonne des Vollendeten frei von Vorstellungen durch die Strahlen der trefflichen Lehre auf die Lotose der Belehrbaren. 63
Indem sich die Sonne des. Buddha beständig über das ganze Himmelsgewölbe des Elementes der Gegebenheiten ausbreitet, fallen ihre (Strahlen) auf die Berge der Belehrbaren, so wie sie es verdienen. 64
So wie hier die Sonne, wenn sie aufgeht, mit ihren ausgebreiteten tausend Strahlen ringsum die Welt erleuchtet und der Reihe nach die höchsten, mittleren und niedrigsten Berge bescheint, so bescheint die Sonne des Buddha der Reihe nach die Scharen der Wesen.
3. Die Schule der
Yogäcära
Wir wenden uns nunmehr der bedeutendsten MahäyänaSchule zu, der Schule der Yogäcära. Sie führt ihren Namen daher, daß in den Kreisen, aus denen sie hervorging, die Übung des Yoga eine besondere Rolle spielte. Dabei ist
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u n t e r Yoga hier in allgemeinem Sinn das gesamte Streben, die Übung u n d Betätigung aller der Tugenden zu verstehen, welche von einem zukünftigen Buddha, einem Bodhisattva, verlangt werden. Die Schilderung des Weges, den ein B o d h i s a t t v a zu durchlaufen h a t , s t a n d n a t u r g e m ä ß von jeher bei allen Mahäyäna-Schulen' im Mittelpunkt des Interesses. Hier wurde sie jedoch mit einer üppig wuchernden P h a n t a s i e in einer Weise a u s g e f ü h r t u n d ausgemalt, welche alles Ähnliche noch ü b e r t r i f f t . Daneben t a u c h e n aber f r ü h , wenn a u c h zunächst noch in bescheidenem Maße, philosophische Gedankengänge verschiedener A r t auf. Später wurden diese von bedeutenden Lehrern mit den verschiedensten a n d e r e n Anregungen verschmolzen u n d erweitert. U n d schließlich e n t s t a n d auf diese Weise ein großes, allumfassendes System. Das charakteristischste Werk, welches die alte YogäcäraSchule hervorgebracht h a t , ist das Yogäcärabhümisästram ( „ L e h r b u c h v o n den Stufen der Betätigung des Yoga"). E s ist eines der typischen Riesenwerke, wie sie die indische Maßlosigkeit so gern geschaffen h a t . Als Verfasser n e n n t die Überlieferung die Schulhäupter Maitreya u n d Asanga. Aber wahrscheinlich ist es ein Werk der Schule, dessen E n t stehung sich über mehrere Generationen erstreckte. Der älteste Teil d ü r f t e die B o d h i s a t t v a b h ü m i h („Die Stufe des B o d h i s a t t v a " ) sein. I n ihr wird die L a u f b a h n des Bodhis a t t v a mit unermüdlicher .Phantasie in allen Einzelheiten mit einer verwirrenden u n d fast b e t ä u b e n d e n Ausführlichkeit geschildert. Das Philosophische t r i t t dabei hinter der tropisch wuchernden Erlösungsscholastik ganz zurück. Einzelne wenige Abschnitte sind allerdings eingeschoben, die auch philosophisch von B e d e u t u n g sind. U n d da sie eine gute Vorstellung von den Gedankengängen geben, von denen die Entwicklung des Yogäcära-Systems ihren Ausgang n a h m , gebe ich eine Probe daraus wieder. Ich kürze dabei u n d gebe n u r die philosophisch wichtigsten Stücke wieder. Denn das Werk ist an u n d f ü r sich in einem eigenartigen, umständlichen u n d weitschweifigen Stil geschrieben. U n d da überdies immer noch breit a u s g e f ü h r t wird, welche B e d e u t u n g die betreffenden philosophischen Erkenntnisse f ü r die L a u f b a h n des B o d h i s a t t v a haben, erscheinen solche Kürzungen geboten.
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Gegenstand des wiedergegebenen Abschnittes ist die Wirklichkeit (tattvdrthah oder tattvam). Den Anfang machen nach der äußerlichen scholastischen Art, welche das ganze Werk kennzeichnet, verschiedene Einteilungen der Wirklichkeit. Die erste ist oberflächlich und unbedeutend. Sie unterscheidet das Sein (bhütatä) der Gegebenheiten und ihre Gesamtheit (sarvatü), wobei offenbar an den Umfang des Bereichs der Wirklichkeit gedacht ist. Wichtiger, wenn auch noch immer äußerlich, ist die zweite Einteilung. Danach gibt es eine vierfache Wirklichkeit oder Wahrheit j e nach der Art der Erkenntnis, deren Gegenstand sie ist. Und zwar ist die erste Gegenstand der Ansicht aller gewöhnlichen Menschen, also der opinio communis, die zweite Gegenstand der wissenschaftlichen Erkenntnis. Das ist einfach und nichts Besonderes. Bemerkenswert ist jedoch die Unterscheidung der dritten und vierten Wirklichkeit. Die dritte ist nämlich Gegenstand des Wissens, durch welches das Hemmnis der Laster beseitigt wird, die vierte Gegenstand des Wissens, durch welches das Hemmnis des zu Wissenden beseitigt wird. Dieser Unterscheidung liegt eine wichtige Weiterbildung der Erlösungslehre zugrunde. I m Hlnayäna (vgl. oben S. 126 ff.) hatte man sich den Erlösungsvorgang so gedacht, daß durch die Erkenntnis der vier heiligen Wahrheiten die Laster beseitigt werden, und daß dadurch die Werke ihre K r a f t verlieren und die K e t t e der Wiedergeburten ein Ende nimmt. Und zwar neigte man stark dazu, den Kern der erlösenden Erkenntnis im Nichtvorhandensein einer irdischen Persönlichkeit zu sehen. Nun war man aber zu einer neuen grundlegenden Erkenntnis gelangt, der man ganz besondere Bedeutung beimaß, zur Erkenntnis von der Wesenlosigkeit der Erscheinungswelt. Es war daher nur natürlich, daß man auch dieser Erkenntnis einen Anteil an der Erlösung zuschrieb. Nägärjuna hatte das, wie wir oben gesehen haben ( S . 175f.) in der Weise getan, daß er die Erkenntnis vom Nichtvorhandensein einer irdischen Persönlichkeit vom Wissen um die Wesenlosigkeit der Erscheinungswelt abhängig machte. Das genügte aber auf die Dauer nicht. Man wollte beide Erkenntnisse, welche beide so wichtig schienen, in gleicher Weise als Ursachen der Erlösung zur Geltung bringen, und das t a t man folgendermaßen. Man unterschied zwei Ur-
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sachen der Verstrickung in den Wesenskreislauf. Die eine sind den bisherigen Anschauungen entsprechend die Laster, und man sprach daher von einem Hemmnis der Laster (kle üvaravam). Daneben nahm man nun aber noch ein zweites Hemmnis an, welches die richtige Erkenntnis des Erkennbaren verhindert, und nannte es das Hemmnis des zu Wissenden (jneyüvarariam). Dieses doppelte Hindernis erfordert aber naturgemäß zu seiner Beseitigung eine doppelte erlösende Erkenntnis, und so lehrte man, daß das Hemmnis der Laster beseitigt wird, indem man die Wesenlosigkeit der irdischen Persönlichkeit (pudgalanairütmyam) erkennt, das Hemmnis des zu Wissenden dagegen, indem man sich der Wesenlosigkeit der Gegebenheiten (dharmanairatmyam) bewußt wird. Diese doppelte Begründung der Bindung und Erlösung dringt allmählich allgemein durch. Und sie ist es, die der vorliegenden Unterscheidung der dritten und vierten Wirklichkeit zugrunde liegt und uns somit hier zum ersten Male begegnet. Nun folgt die eigentliche Bestimmung des Wesens der Wirklichkeit und damit der philosophisch bedeutendste Teil des Abschnittes. Es wird erklärt, daß das Wesen der Wirklichkeit auf der Zweiheitlosigkeit beruht. Damit ist ein alter Gedanke, den wir bereits im Ratnakütah und bei Nägärjuna kennen gelernt haben, aufgegriffen. Aber es wird ihm hier ein neuer Inhalt gegeben. Die Zweiheit, von der die Wirklichkeit frei ist, ist das Sein und Nichtsein, was auch bei Nägärjuna in erster Linie steht. Nägärjuna hatte nun gesagt, daß das Sein nicht zutrifft, weil die vom Gesetz des abhängigen Entstehens beherrschte Vielfalt nicht wirklich ist, daß aber auch das Nichtsein nicht zutrifft, weil sie nicht vollkommen nicht vorhanden ist. Hier wird derselbe, Grundgedanke anders gestaltet. Das Sein trifft nicht zu weil unsere Vorstellungen von den Dingen, die wir in sie hineintragen, unwirklich sind. Das Nichtsein trifft aber ebenfalls nicht zu, weil das unfaßbare Ding an sich (vastumatram), das den Vorstellungen zugrunde liegt, wirklich ist. Nach Nägärjuna sind die Gegenstände der Erscheinungswelt unwirklich, weil sie den Forderungen der Logik nicht entsprechen. Daneben taucht der Gedanke auf, daß diese Gegenstände Objekt unserer Vorstellungen sind, während das höchste Sein allen Vorstellungen unzugänglich
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bleibt. Nun heißt es, daß die Erscheinungen selbst Vorstellungen und als solche unwirklich sind. Das höchste Sein dagegen ist das, was hinter diesen Vorstellungen steht und ihnen zugrunde liegt, selbst aber von allen Vorstellungen frei ist. Damit hat sich eine wichtige Verschiebung vollzogen. A n die Stelle des Truges der Erscheinungswelt, wie ihn Nägärjuna gelehrt hatte, ist die Welt als Vorstellung getreten. In diesem Sinn wird nun die Lehre von der Zweiheitlosigkeit der Wirklichkeit ausgeführt. Wir dürfen die Wirklichkeit nicht als seiend betrachten, weil unsere Vorstellungen unwirklich sind. Wir dürfen sie aber auch nicht f ü r nicht seiend erklären, weil das Ding an sich, auf welches sich die Vorstellungen stützen, wirklich ist und nicht geleugnet werden darf. Diese Auffassung, welche die beiden Extreme des Seins und Nichtseins vermeidet, ist der mittlere Weg und die richtige Lehre, die den Bodhisattvas zur höchsten Erleuchtung verhilft. Nun folgt ein Versuch, das behauptete Wesen der Wirklichkeit zu beweisen, und zwar durch den Nachweis der Unwirklichkeit der Erscheinungswelt. Dieser Nachweis ist den neuen Anschauungen angepaßt und schlägt ganz andere Wege ein als Nägärjuna. Zu seinem Verständnis ist folgendes zu beachten. Wir haben bei der Besprechung der Lehren des Hlnayäna gesehen (S. 119f.), daß man um diese Zeit zur Erkenntnis gekommen war, daß nicht alle Gegenstände unserer Erkenntnis wirklich sind. Vor allem lehrten die Sauträntika, daß wir auch von Dingen sprechen, die keine Entsprechung in der Wirklichkeit haben, und nannten solche Dinge nur der Benennung nach vorhanden {prajnaptisat). Diese Gedankengänge müssen wir also damals als bekannt voraussetzen. Dazu kam aber auch noch folgendes: Man war zur damaligen Zeit trotz manchen bemerkenswerten Ansätzen noch nicht imstande, Wahrnehmungen und begriffliches Denken als zwei verschiedene Erkenntnisformen zu unterscheiden, sondern betrachtete sie als zusammengehörige, gleichartige Erkenntnisvorgänge. Nun glaubte man zu beobachten, daß jeder Erkenntnisvorgang von Worten begleitet ist, sei es von wirklichem Sprechen oder von Denksprechen (manojalpah). Daraus schloß man, daß alles Erkennen nicht nur notwendig mit Worten verbunden, sondern auch durch sie
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bedingt ist. Und da wir es sind, welche die mit den Worten gegebenen Benennungen den Dingen beilegen, kam man zur Folgerung, daß auch die durch die Benennungen ausgedrückten Erscheinungsformen nur von uns den Dingen beigelegt werden, in Wirklichkeit aber unsere Vorstellungen sind. Dementsprechend stellt sich das besprochene Wesen der Wirklichkeit, genauer ausgedrückt, folgendermaßen dar. Zugrunde liegt allen Erscheinungen ein Ding an sich (vastumütram), das aber vollkommen unfaßbar und unausdrückbar ist. Ihm schreiben wir die verschiedensten Benennungen (praqnaptivüdah) und dadurch die damit verknüpften Erscheinungsformen zu. Das Zuschreiben (samaropah) der Benennungen ist also falsch. Ebenso falsch aber wäre es, alles zu leugnen (apavüdah), da das Ding an sich, welches den Benennungen zugrunde liegt und das Zuschreiben erst ermöglicht, wirklich ist. Daß die Benennungen tatsächlich nicht wirklich sind und nicht wirklich sein können, wird auf zweierlei Art begründet. Erstens schreiben wir jedem Ding die verschiedensten Benennungen und damit die verschiedensten Erscheinungsformen zu. Sie alle können aber nicht zum Wesen des Dinges gehören, denn das eine Ding kann nicht vielerlei Wesen haben. Nur in einer dieser Erscheinungsformen das Wesen des Dinges zu sehen, dazu haben wir aber keinen Grund und damit keine Berechtigung. Wir müssen sie also alle als unwirklich betrachten. Die zweite Begründung ist folgende. Wenn die Benennungen und Erscheinungsformen, welche wir den Dingen zuschreiben, ihr Wesen ausmachen würden, dann wären die Dinge, bevor dieses Zuschreiben erfolgt, wesenlos, also nicht vorhanden, und damit wäre auch das Zuschreiben unmöglich, da ihm jede Grundlage fehlt. Wollten wir dagegen annehmen, daß die Dinge das betreffende Wesen auch schon besitzen, bevor wir es ihnen zuschreiben, dann müßten die mit den betreffenden Benennungen verbundenen Vorstellungen bereits auftreten, bevor wir noch diese Benennungen den Dingen beigelegt und sie so mit ihnen verbunden haben, und das ist nicht der Fall. Infolgedessen können die Benennungen und die mit ihnen verknüpften Erscheinungsformen nicht zum Wesen der Dinge gehören und sind daher nicht wirklich.
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Es folgt nun noch ein längerer Abschnitt, der aber nach dem bisher Gesagten ohne weiteres verständlich ist und keiner weiteren Erläuterungen bedarf. Auch er knüpft an Gedanken an, die bereits im Ratnakütah und bei Nägärjuna zu finden sind (vgl. oben S. 169f. u. 180ff.) und gestaltet sie nur den neuen Anschamuigen entsprechend um. Es handelt sich dabei um die zwei Irrtümer, in die man bei der Auffassung der Wirklichkeit verfallen kann, wenn man den richtigen mittleren Weg verfehlt, den Irrtum der einseitigen Bejahung und den Irrtum der einseitigen Verneinung. Der erste Irrtum, bei dem man ausschließlich an das Sein glaubt, besteht der neuen Auffassung nach darin, daß man die dem Ding an sich zugeschriebenen unwirklichen Erscheinungsformen für wirklich hält. Der zweite, bei dem man ausschließlich an das Nichtsein glaubt, besteht darin, daß man auch das Ding an sich für unwirklich ansieht. Und ebenso wie im Ratnakütah und bei Nägärjuna wird auch hier erklärt, daß der zweite Irrtum weitaus der verhängnisvollere ist, weil er einer Berichtigung unzugänglich ist. Schließlich wird die falsche und richtige Auffassung der Wirklichkeit noch als falsche und richtige Auffassung der Leerheit besprochen. Wieder ist der Gedanke im neuen Sinn ausgeführt, aber schon die Ausdrucksweise mit der Verwendung des Wortes Leerheit zeigt den Anschluß an das Alte. Den Abschluß bildet ein hier nicht wiedergegebener Versuch, die vorgetragene Lehre durch Stellen aus der heiligen Schrift zu belegen. Dann geht die Darstellung auf andere Gegenstände über.
Aus der „Stufe des Bodhisattva" (Bodhisattvabhümih) A B S C H N I T T 1, K A P I T E L IV
Welches ist die Wirklichkeit ? Sie ist kurz zusammengefaßt zweifach. Mit Hinblick auf das Wie-Vorhandensein der Gegebenheiten ihr Sein (bhütatä). Mit Hinblick auf ihr Wieweit-Vorhandensein die Gesamtheit (sarvatä) der Gegebenheiten. So ist das Sein und die Gesamtheit
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der Gegebenheiten zusammengefaßt als Wirklichkeit zu betrachten. Die Wirklichkeit ist ferner nach ihren Abarten eingeteilt vierfach: in der Welt anerkannt, aus Vernunft gründen anerkannt, Bereich des vom Hemmnis der Laster gereinigten Wissens und Bereich des vom Hemmnis des zu Wissenden gereinigten Wissens. Wenn alle gewöhnlichen Menschen über irgendein Ding auf Grund einer Erkenntnis, die sich an Vereinbarung, Brauch, Gewohnheit, oder Herkommen anschließt, die gleiche Anschauung haben, z. B. über die Erde: „Das ist Erde und kein Feuer", ebenso wie über die Erde, so über das Feuer, das Wasser, den Wind, über die Formen, die Töne, die Gerüche, die Geschmäcke, das Berührbare, über Speise und Trank, Fahrzeuge, Schmuck . . . über Lust und Leid: „Das ist Leid und keine Lust" und „Das ist Lust und kein Leid", kurz gesagt: „Das ist das und nichts anderes; das ist so und nicht anders", dieses Ding also, welches Gegenstand einer ganz bestimmten Auffassung ist, welches von allen gewöhnlichen Menschen auf Grund einer durch zusammenhängende Überlieferung überkommenen Anschauung durch eigene Vorstellung anerkannt ist, und welches, ohne zu denken, zu wägen und zu prüfen, hingenommen wird, das wird in der Welt anerkannte Wirklichkeit genannt. Welches ist die aus Vernunftgründen anerkannte Wirklichkeit ? Ein erkennbares Ding, welches von verständigen Menschen, die sich auf das, was vernunftgemäß ist, verstehen, die klug sind, die Logik kennen, mit methodischer Untersuchung vertraut sind und sich auf einer Stufe befinden, auf welcher die Logik herrscht, eigene Einfälle gelten, welche mit dem Bereich der Weltmenschen und mit methodischen Untersuchungen verknüpft ist, (ein Ding also, welches von solchen Menschen) mit Hilfe
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der Mittel richtiger Erkenntnis, nämlich der sinnlichen Wahrnehmung, Schlußfolgerung und glaubwürdigen Überlieferung als Gegenstand klar bestimmten Wissens durch Darlegungen, Beweise und Vernunftgründe bewiesen und festgestellt ist, das wird aus Vernunftgründen anerkannte Wirklichkeit genannt. Welches ist die Wirklichkeit, welche Bereich des vom Hemmnis der Laster gereinigten Wissens ist? (Diejenige Wirklichkeit), welche Bereich und Objekt des unbefleckten Wissens 1 , des das unbefleckte Wissen herbeiführenden Wissens und des anschließend an das unbefleckte Wissen erlangten irdischen Wissens aller Hörer (srävakäh) und Einzelbuddha (pratyekabuddhäh) ist, diese wird die Wirklichkeit genannt, welche Bereich des vom Hemmnis der Laster gereinigten Wissens ist. Durch diesen Anhaltspunkt wird das Wissen vom Hemmnis der Laster gereinigt und verbleibt in Zukunft in dieser Hemmnislosigkeit. Daher spricht man von einer Wirklichkeit, welche Bereich des vom Hemmnis der Laster gereinigten Wissens ist. Welches ist nun diese Wirklichkeit? Die vier heiligen Wahrheiten, das Leiden, die Entstehung, die Aufhebung und der Weg. Wer nämlich diese vier heiligen Wahrheiten klar unterscheidet und erschaut, bei dem entsteht, sobald er sie erschaut hat, dieses Wissen. Dieses Erschauen der Wahrheiten wiederum entsteht bei Hörern und Einzelbuddha, wenn sie bloß die Gruppen wahrnehmen und kein Selbst als anderen von den Gruppen verschiedenen Gegenstand wahrnehmen, durch eine Einsicht, welche mit dem Entstehen und Vergehen der abhängig entstandenen Gestaltungen verknüpft ist, auf 1 AU unbeflecktes Wissen wird das Schauen der heiligen Wahrheiten bezeichnet.
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Grund der ständigen Betrachtung des Nichtvorhandenseins einer von den Gruppen gesonderten Persönlichkeit, Welches ist die Wirklichkeit, welche Bereich des vom Hemmnis des zu Wissenden gereinigten Wissens ist ? Ein Hindernis des Wissens hinsichtlich des zu Wissenden nennt man Hemmnis. (Diejenige Wirklichkeit nun), welche Bereich und Objekt des von diesem Hemmnis des zu Wissenden befreiten Wissens ist, ist als die Wirklichkeit zu betrachten, welche Bereich des vom Hemmnis des zu Wissenden gereinigten Wissens ist. Welches ist nun diese (Wirklichkeit) ? (Diejenige Wirklichkeit), welche Bereich und Objekt des Wissens der Bodhisattva und erhabenen Buddha ist, (jenes Wissens) das auf das Eindringen in die Wesenlosigkeit der Gegebenheiten gerichtet ist, vollkommen rein ist, und hinsichtlich des unausdrückbaren Wesens aller Gegebenheiten das Wesen der Benennungen frei von Vorstellungen als vollkommen gleich erfaßt (?). Das ist jene höchste Soheit (tathatä), die unübertreffliche, welche die Grenze des Erkennbaren bildet, vor der die richtige Unterscheidung aller Gegebenheiten zurückweicht und sich nicht darauf erstreckt. Was ferner das Merkmal der Wirklichkeit betrifft, so ist es hinsichtlich seiner Bestimmung als durch die Zweiheitlosigkeit hervorgerufen zu betrachten. Als Zweiheit bezeichnet man das Sein und das Nichtsein. Dabei ist das Sein das, was als Wesen der Benennungen (prajnaptivädasvabhävah) bestimmt wird, was die Menschen seit langer Zeit so auffassen, und was für die Menschen die Wurzel der Vielfalt aller Vorstellungen ist, z. B. die Körperlichkeit oder die Empfindung, das Bewußtsein, die Gestaltungen und das Erkennen, das Auge oder das Gehör, der Geruch, die Zunge, der Körper und das Denken, die Erde oder das Wasser, das Feuer und der 18
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Wind, die Form oder der Ton, der Geruch, der Geschmack und das Berührbare, das Gute, das Böse oder das Unbestimmte, das Entstehen oder das Vergehen, das abhängig Entstandene, das Vergangene, Zukünftige oder das Gegenwärtige, das Verursachte oder das Nichtverursachte, diese Welt oder jene Welt, beide Sonne und Mond, das Gesehene, Gehörte, Gedachte und Erkannte, das Erlangte und Erforschte, oder das im Geist-Überdachte und Überlegte, bis schließlich zum Nirväna. Das so beschaffene, für die Menschen an den Benennungen haftende Wesen der Gegebenheiten wird Sein genannt. Dabei ist das Nichtsein die Dinglosigkeit und Merkmallosigkeit der Benennimg „Form" usw. bis schließlich Benennung „Nirväna"; das gänzliche und völlige Nichtsein und Nichtvorhandensein einer Grundlage der Benennungen, auf Grund derer die Benennungen in Verwendung treten können. Das wird Nichtsein genannt. Das in dem Merkmal der Gegebenheiten miteingeschlossene Ding, welches von dem oben genannten Sein und von diesem Nichtsein, von diesen beiden, von Sein und Nichtsein frei ist, das ist das Zweiheitlose. Dieses Zweiheitlose ist der mittlere Weg, ist frei von beiden Extremen und wird als das Unübertreffliche bezeichnet. Als auf diese Wirklichkeit gerichtet ist das vollkommen reine Wissen der erhabenen Buddha zu betrachten. Und als auf diese (Wirklichkeit) gerichtet ist das auf dem Wege der Schulung hervorgerufene Wissen der Bodhisattva zu betrachten. Diese Einsicht ist für den Bodhisattva ein wertvolles Hilfsmittel zur Erlangung der höchsten vollkommenen Erleuchtung . . . Durch welche Vernunftgründe läßt sich nun das Wesen aller Gegebenheiten als unausdrückbar erkennen? Jede Benennung des eigenen Merkmals (svalaksariam) der Ge-
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gebenheiten, z. B. „Körperlichkeit" oder „Empfindung" usw. wie oben bis schließlich oder „Nirväna", ist als bloße Benennung zu betrachten, nicht als eigenes Wesen und nicht als ein davon getrennter oder verschiedener Bereich oder Objekt der Rede. Da es sich so verhält, ist das Wesen der Dinge nicht so vorhanden, wie es ausgedrückt wird. Es ist aber auch nicht ganz und gar nicht vorhanden. Wie ist es aber vorhanden, wenn es nicht so vorhanden ist und dennoch nicht ganz und gar nicht vorhanden ist ? Frei von der falschen Auffassung, die im Zuschreiben von etwas Unwirklichem besteht, und frei von der falschen Auffassung, die im Ableugnen von etwas Wirklichem besteht, ist es vorhanden. Dieses wahrhafte Wesen aller Gegebenheiten ist ferner ausschließlich als Bereich des vorstellungsfreien Wissens zu betrachten. Wenn ferner alle Gegebenheiten und jedes Ding so beschaffen wäre, wie der Ausdruck, der für diese Gegebenheiten und dieses Ding zur Verwendung kommt, in diesem Falle kämen einer einzigen Gegebenheit und einem einzigen Ding viele und vielerlei Wesenheiten zu. Aus welchem Grund? Einer einzigen Gegebenheit und einem einzigen Ding werden nämlich durch viele Ausdrücke viele und vielerlei Benennungen beigelegt (upäcärah). Es läßt sich aber bei diesen vielen und vielerlei Benennungen keine feste Regel finden, nach der irgendeine einzige Benennung zur Natur, zur Beschaffenheit und zum Wesen dieser Gegebenheit und dieses Dinges gehört, nicht aber die anderen übrigen Benennungen. Daher gehören alle Benennungen, sei es insgesamt oder teilweise nicht zur Natur, zur Beschaffenheit und zum Wesen aller Gegebenheiten und aller Dinge. Wenn ferner die oben genannten Gegebenheiten, die Körperlichkeit usw., die Benennung zum Wesen hätten, in diesem Falle wäre zuerst das Ding vorhanden, und 18*
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dann würde ihm nach Belieben die Benennung beigelegt. Vor dem Beilegen der Benennung, solange das Beilegen der Benennung noch nicht stattgefunden hat, wäre also dieses Ding und diese Gegebenheit ohne eigenes Wesen. Fehlt aber das eigene Wesen, dann ist die Benennung, der (in diesem Fall) das Ding fehlt, nicht möglich. Und wenn kein Beilegen der Benennung stattfindet, dann ist es auch nicht möglich, daß die Gegebenheit oder das Ding die Benennung zum Wesen hat. Wenn hingegen die Körperlichkeit bereits vor dem Beilegen der Benennung das Wesen der Körperlichkeit hätte und nachträglich diesem Wesen der Körperlichkeit durch die Benennimg zusätzlich die Körperlichkeit beigelegt würde, in diesem Falle würde auch ohne diese Beilegung der Benennung „Körperlichk e i t " im Hinblick auf die als Körperlichkeit bezeichnete Gegebenheit und das als Körperlichkeit bezeichnete Ding die Erkenntnis der Körperlichkeit auftreten. Sie tritt aber nicht auf. Aus dieser Ursache also und aus diesen Vernunftgründen ist das Wesen aller Gegebenheiten als unausdrückbar zu erkennen. Und wie für die Körperlichkeit so gilt dies auch für die übrigen angeführten Gegebenheiten, die Empfindung usw. bis schließlich zum Nirväna. Von folgenden Zweien soll man wissen, daß sie von der Regel dieser Lehre abgefallen sind, wer sich bei Gegebenheiten, wie der Form usw., und bei einem Ding, wie der Körperlichkeit usw., an das eigene Merkmal, das seinem Wesen nach nur eine Benennung ist, klammert, indem er ihnen etwas Unwirkliches zuschreibt, und wer das Ding, welches als Grundlage Anlaß der Benennung ist, welches als Stütze Anlaß der Benennung ist, und welches seinem unausdrückbaren Selbst nach wahrhaft wirklich ist, hinfällig macht, indem er es leugnet und sagt: „Es ist ganz und gar nicht vorhanden." Die Fehler
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nun, welche sich zunächst beim Zuschreiben von etwas Unwirklichem ergeben, diese sind bereits früher geschildert, kundgetan, erläutert und erklärt worden, die Fehler nämlich, auf Grund derer man als abgefallen von der Regel dieser Lehre zu betrachten ist, weil man einem Ding wie der Körperlichkeit usw. etwas Unwirkliches zuschreibt. Wieso dagegen derjenige von der Regel dieser Lehre abgefallen ist, der alles umstürzt, indem er in Gegebenheiten wie der Form usw. das Ding an sich leugnet, das will ich nunmehr sagen. Für den, der bei Gegebenheiten wie der Form usw. das Ding an sich leugnet, ist beides nicht möglich, weder die Wirklichkeit, noch die Benennung. Wie nämlich die Benennung als Persönlichkeit möglich ist, wenn die Gruppen, Körperlichkeit usw. vorhanden sind, nicht aber, wenn sie nicht vorhanden sind, da dann die Benennung als Persönlichkeit ohne Ding wäre, ebenso ist die Beilegung der Benennung als Gegebenheit wie Form usw. möglich, wenn bei den Gegebenheiten Form usw. das Ding an sich vorhanden ist, nicht aber, wenn es nicht vorhanden ist, da dann das Beilegen der Benennung ohne Ding wäre. Wenn nämlich kein Ding für die Benennung vorhanden ist, dann ist auch die Benennung nicht vorhanden, da sie keine Grundlage hat. Wenn daher manche Menschen, nachdem sie die schwer verständlichen, zum Mahäyäna gehörigen, tiefsinnigen, mit der Leerheit verknüpften und in bestimmtem Sinne gemeinten Sütren gehört haben, weil sie den Sinn des Gesagten nicht richtig verstehen und nicht richtig zutreffend auffassen, auf eine bloße ungeschickt angestellte Erwägung hin folgende Ansicht und folgende Lehre vertreten: „Dieses alles ist bloße Benennung; das ist die Wahrheit, und wer so sieht, sieht richtig", so ist für diese (Menschen) auch diese Benennung ganz und gar nicht vorhanden, weil das Ding an sich als Grundlage der
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Benennung fehlt. Wieso sollte also die Wirklichkeit bloße Benennung sein. Auf diese Weise leugnen sie also sowohl die Wirklichkeit, als auch die Benennung, als auch beides zusammen. Weil daher (ein solcher Mensch) Benennung und Wirklichkeit leugnet, ist er als Erz-Leugner zu betrachten. Und weil er ein solcher Leugner ist, sollen verständige Mitjünger nicht mit ihm reden und nicht mit ihm zusammenweilen. Denn er stürzt sich selbst ins Verderben, und auch die Leute, welche seine Ansichten gutheißen, werden ins Verderben gestürzt. In diesem Sinn hat der Erhabene gesagt: „Besser, daß hier jemand an eine Persönlichkeit glaubt, als daß jemand die Leerheit falsch auffaßt." Aus welchem Grund? Wenn ein Mensch an eine Persönlichkeit glaubt, dann täuscht er sich bloß über das zu Wissende, aber er wird nicht alles zu Wissende leugnen. Er wird daher nicht aus diesem Grund in schlechten Daseinsformen wiedergeboren werden. Er wird nicht einem andern, der nach der Lehre begehrt und nach der Erlösung vom Leiden begehrt, widersprechen und ihn täuschen, sondern er wird ihm zur Lehre und zur Wahrheit verhelfen. Und er wird nicht nachlässig sein in der Befolgung der Gebote. Durch falsche Auffassung der Leerheit dagegen täuscht man sich über das zu wissende Ding. J a man leugnet sogar alles zu Wissende. Aus diesem Grund wird man auch in schlechten Daseinsformen wiedergeboren. Man stürzt einen andern, der sich an die Lehre hält und nach der Erlösung vom Leiden begehrt, ins Verderben. Und man ist nachlässig in der Befolgung der Gebote. Auf diese Weise also ist der, welcher das wirkliche Ding leugnet, von der Regel der Lehre abgefallen. Auf welche Weise aber wird die Leerheit falsch aufgefaßt ? Wenn irgendein Asket oder Brahmane das nicht gelten läßt, wovon etwas leer ist, und auch das nicht
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gelten läßt, was leer ist, dann nennt man diese derartige Leerheit falsch aufgefaßt. Aus welchem Grund? Wenn das nicht vorhanden ist, wovon etwas leer ist, das dagegen vorhanden ist, was leer ist, dann ist die Leerheit möglich. Wenn dagegen alles fehlt, was soll dann leer sein, wo und wovon ? Auch ist die Leerheit desselben von demselben nicht möglich. Daher wird die Leerheit auf diese Weise falsch aufgefaßt. Auf welche Weise aber wird die Leerheit richtig aufgefaßt ? Wenn man etwas von dem, was darin nicht vorhanden ist, als leer betrachtet, das jedoch, was dabei übrig bleibt, wahrheitsgemäß als hier vorhanden erkennt, dann nennt man dies wahrheitsgemäßes, nicht irriges Eindringen in die Leerheit. In einem als Form usw. bezeichneten Ding, wie wir es oben genannt haben, ist z. B. eine Gegebenheit, welche die Benennung als Form usw. zum Wesen hat, nicht vorhanden. Daher ist dieses als Form usw. bezeichnete Ding vom Wesen der Benennung als Form usw. leer. Was bleibt jedoch in diesem als Form usw. bezeichneten Ding übrig? Das, was die Grundlage der Benennung als Form usw. bildet. Wenn man nun dies beides wahrheitsgemäß erkennt, das vorhandene Ding an sich und die bloße Benennung am Ding an sich, wenn man das Unwirkliche nicht zuschreibt und das Wirkliche nicht leugnet, wenn man nichts hinzufügt und nichts wegnimmt, nichts einschiebt und nichts ausscheidet, dann erkennt man wahrheitsgemäß die wahrhafte Soheit, die unausdrückbare Wesenheit. Das nennt man richtig aufgefaßte Leerheit, durch rechte Einsicht wohl erfaßt. Wie bei der Madhyamaka-Schule so spielt auch bei der Yogäcära-Schule besonders in der älteren Zeit die SütrenLiteratur eine große Rolle und manche wichtigen Gedanken finden wir zuerst in Sütren ausgeprochen. Es soll also auch davon eine Probe gegeben werden, und zwar wähle ich dafür ein Werk, das in besonderem Ansehen
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stand lind die Entwicklung der Schule aufs stärkste beeinflußte, das Samdhinirmocanasütram („Erläuterung des geheimen Sinnes"). Bei diesem Werk ist außerdem interessant, daß es noch deutlich Spuren seiner allmählichen Entstehung zeigt und so gewissermaßen den Gang der allgemeinen Entwicklung der Schule widerspiegelt. Seine ältesten Teile folgen ganz der Art der PrajnäpäramitäTexte, während in den jüngeren die neuen philosophischen Gedanken und die Erlösungsscholastik der YogäcäraSchule zu Wort kommen. Der im folgenden wiedergegebene Abschnitt enthält eine Lehre, die für die Yogäcära-Schule während der ganzen Dauer ihres Bestehens kennzeichnend war, nämlich die Lehre vom dreifachen Wesen oder der dreifachen Beschaffenheit der Dinge, und damit verknüpft die Lehre von ihrer dreifachen Wesenlosigkeit. Mit der Lehre vom Wesen der Wirklichkeit, wie wir sie in der Bodhisattvabhümih kennengelernt haben, war eine der grundlegenden Lehren des Systems geschaffen. Sie hatte aber noch nicht die Form gefunden, in der sie dauernd in Geltung bleiben sollte. Das geschah erst mit der Lehre von der dreifachen Beschaffenheit. Die Bodhisattvabhümih hatte gelehrt, daß die Erscheinungswelt bloße Vorstellung ist, daß ihr aber ein unfaßbares und unausdrückbares Ding an sich zugrunde liegt, und sie hatte diese Anschauung in die Form der alten Lehre vom mittleren Weg gekleidet. Das Samdhinirmocanasütram wählte dafür eine andere Form. Es unterschied vor allem zwischen den Dingen, wie sie uns erscheinen, und den Dingen, wie sie wirklich sind. Das war vom Standpunkt der Erlösungslehre wichtig. Denn auf der Auffassung der Dinge, wie sie erscheinen, beruht die Verstrickung in den Wesenskreislauf, auf der Erkenntnis, wie sie wirklich sind, die Erlösung. Dieses zweifache Wesen der Dinge ist nun dadurch verursacht, daß ihnen im ersten Fall die Erscheinungsformen, welche in Wirklichkeit der Vorstellung angehören, zugeschrieben werden, während sie im zweiten Fall davon frei sind. Die der Vorstellung angehörigen Erscheinungsformen sind also der Faktor, dessen Vorhandensein oder Fehlen das doppelte Wesen der Dinge bedingt. Man stellte sie daher als drittes neben jenes und unterschied somit ein dreifaches Wesen
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(svabhavah) oder eine dreifache Beschaffenheit (laksanam) der Dinge, erstens die Erscheinungsformen, welche wir den Dingen zuschreiben, zweitens die Dinge, sofern sie sich u n s in diesen Erscheinungsformen darstellen, u n d d r i t t e n s die Dinge, sofern sie von diesen Erscheinungsformen frei sind. Das erste Wesen n a n n t e m a n das vorgestellte Wesen (parihalpitah svabhavah), weil jene Erscheinungsformen bloße Vorstellungen sind, das zweite das abhängige Wesen (paratantrah svabhavah), weil sich uns die Erscheinungswelt in dieser F o r m darstellt u n d ihr wesentlichstes Merkm a l das abhängige E n t s t e h e n ist, das d r i t t e schließlich das vollkommene Wesen (parinispannah svabhavah), d a es das höchste Sein in seiner Reinheit darstellt. Das ist die Lehre v o m dreifachen Wesen der Dinge, wie sie das S a m d h i n i r m o c a n a s ü t r a m bringt. Sie h a t die Lehre der B o d h i s a t t v a b h ü m i h vom Wesen der Wirklichkeit verd r ä n g t u n d ist zum festen Lehrsatz des Yogäcära-Systems geworden. Die darin gegebene dreifache Aufspaltung der Wirklichkeit ist allerdings schief u n d h a t immer wieder Schwierigkeiten bereitet. I m Samdhinirmocanasütram selbst ist es nicht vollkommen gelungen, den Gedanken klar d u r c h z u f ü h r e n , aber die darin liegende Systematik entsprach der zur zahlenmäßigen Aufgliederung neigenden, in der Yogäcära-Schule besonders s t a r k ausgeprägten, indischen A r t . U n d so h a t sich diese Lehre rasch endgültig durchgesetzt. I m ersten Teil des u n t e n übersetzten Abschnittes des S a m d h i n i r m o c a n a m ( = K a p . VI) wird also diese Lehre v o m dreifachen Wesen der Dinge vorgetragen. Zuerst wird sie selbst k n a p p formuliert. D a n n wird sie durch Beispiele erläutert. Z u m Abschluß wird das dreifache Wesen schließlich noch von einem weiteren S t a n d p u n k t aus b e t r a c h t e t , u n d zwar im Hinblick auf die Erlösungslehre. Es heißt, d a ß m a n durch richtige Einsicht in das vorgestellte Wesen die Gegebenheiten als beschaffenheitslos oder merkmallos erkennt, da die der Vorstellung angehörigen Erscheinungsformen wesenlos sind; d a ß m a n durch richtige Einsicht in das abhängige Wesen die Gegebenheiten im Z u s t a n d der Besudelung (samkleiah) erkennt, d a das abhängige Wesen die Erscheinungswelt u n d d a m i t den Wesenskreislauf darstellt; u n d d a ß m a n durch richtige Einsicht in das
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vollkommene Wesen die Gegebenheiten im Zustand der Läuterung (vyavadanam) erkennt, da das vollkommene Wesen dem höchsten Sein und damit der Erlösung entspricht. Diese dreifache Auffassimg hat keinen Bestand gehabt. Nur die Auffassung der Erscheinungswelt als Zustand der Besudelung und des höchsten Seins als Zustand der Läuterung ist unter die festen Anschauungen des Systems aufgenommen worden. Der daran anschließende zweite Teil der Übersetzung ( = Kap. V I I ) beschäftigt sich mit dem Gegenstück zur Lehre vom dreifachen Wesen der Dinge, mit der Lehre von der dreifachen Wesenlosigkeit, wobei das dreifache Wesen der Dinge vom Gesichtspunkt einer dreifachen Wesenlosigkeit betrachtet wird. Auch diese Lehre hat ihre besondere Bedeutung und ihren tieferen Hintergrund. Trotz allen äußeren Beziehungen und aller Anlehnung der älteren Yogäcära-Schule an die Lehre der Prajnäpäramitä und der Mädhyamika besteht doch innerlich ein tiefgreifender Gegensatz. Wir haben bisher nur auf die Verschiedenheit hingewiesen, die darin liegt, daß die Yogäcära Nägärjunas Lehre vom Trug der Erscheinungswelt durch die Auffassung der Welt als Vorstellung ersetzten. Noch weitaus wesentlicher ist jedoch der Unterschied in der Auffassung der höchsten Wirklichkeit. Während diese bei Nägärjuna vollkommen allen Vorstellungen und Bestimmungen entzogen ist, ja nicht einmal als seiend oder nichtseiend bezeichnet werden kann, wobei diese Stellungnahme von Nägärjuna mit nie wieder erreichter Folgerichtigkeit durchgeführt und festgehalten wird, so daß die höchste Wirklichkeit von Schweigen bedeckt fast in ein Nichts entschwindet, behält sie in der Schule der Yogäcära trotzaller Betonung ihrer Unausdrückbarkeit einen ausgesprochen positiven Charakter. Nichts ist bezeichnender, als daß der bei Nägärjuna alles beherrschende Begriff der Leerheit (Sünyata) hier vollkommen in den Hintergrund gedrängt ist und die höchste Wirklichkeit mit anderen Namen, wie vor allem als Soheit (tathata), bezeichnet wird. Auch heißt es ausdrücklich, daß die höchste Wirklichkeit nur in der Form, wie sie uns erscheint, nicht vorhanden ist, daß sie dagegen als Ding an sich existiert. Damit ergeben sich auch wichtige Folgen für das Verhältnis der
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höchsten Wirklichkeit zur Erscheinungswelt. Es besteht keine unüberbrückbare Kluft, und an die Stelle der mystischen Einheit vom Wesenskreislauf und Nirväna, wie sie Nägärjuna gelehrt hatte, tritt eine feste, klar faßbare Verbindung. Und das trennt die Schulen der Mädhyamika und Yogäcära stärker als alles andere und bedingt auch ihre ganz verschiedene Entwicklung. Aus dieser Verschiedenheit ergab sich aber für die Yogäcära eine große Schwierigkeit. Die zahlreichen Sütren, welche der Madhyamaka-Schule nahestanden, wie vor allem die Prajnäpäramitä-Werke, und welche auch sie als Buddha-Wort anerkannten, sprachen ausdrücklich von der Leerheit und Wesenlosigkeit aller Dinge. Wie war dies mit ihrer eigenen positiven Einstellung zur Erscheinungswelt und der ihr zugrunde liegenden Wirklichkeit zu vereinbaren? Um diese Schwierigkeit zu umgehen, griff man zu der beliebten Annahme (vgl. oben S. 146), daß es sich bei diesen Werken um Texte handle, welche nicht die volle Wahrheit verkünden, sondern welche vom Buddha in einem bestimmten Sinn für bestimmte Hörer geoffenbart worden seien. Man sagte, daß der Buddha dabei an keine vollständige Wesenlosigkeit, sondern nur an eine Wesenlosigkeit in bestimmter Hinsicht gedacht habe, und zwar dem dreifachen Wesen der Dinge entsprechend, an eine dreifache Wesenlosigkeit. Die erste Wesenlosigkeit ist die Wesenlosigkeit der Beschaffenheit oder dem Merkmal nach (laksananihsvabhavatü). Sie entspricht dem vorgestellten Wesen, da dieses keine eigene Beschaffenheit (svalaksanam) und damit kein eigenes Wesen besitzt. Die zweite ist die Wesenlosigkeit dem Entstehen nach (utpattinihsvabhavatä). Sie bezieht sich auf das abhängige Wesen und wird, offenbar in Anlehnung an Madhyamaka-Gedanken, damit begründet, daß die Dinge nicht aus sich, sondern aus anderen Ursachen entstehen. Die dritte Wesenlosigkeit schließlich ist die Wesenlosigkeit der höchsten Wahrheit nach (paramürthanihsvabhüvatü). Sie steht, wie schon der Name sagt, in Beziehung zum höchsten Sein. Und da das höchste Sein sowohl mit dem abhängigen, wie auch mit dem vollkommenen Wesen verknüpft ist, da beide das höchste Sein im Zustand der Besudelung und der Läuterung darstellen, steht auch die Wesenlosig-
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keit der höchsten. Wahrheit nach mit beiden im Zusammenhang. Und zwar kann man beim abhängigen Wesen von einer Wesenlosigkeit der höchsten Wahrheit nach sprechen, da als höchste Wahrheit nur das höchste Sein im Zustand der Läuterung zu betrachten ist. Das vollkommene Wesen wiederum kann als Wesenlosigkeit der höchsten Wahrheit nach gelten, weil die höchste Wahrheit eben in der Ichlosigkeit oder Wesenlosigkeit der Gegebenheiten (dharmanairatmyam) besteht. Mit dieser Lehre von der dreifachen Wesenlosigkeit war die Wesenlosigkeit aller Dinge, wie sie in der Prajnäpäramitä vorgetragen war, vom Standpunkt der Yogäcära erklärt. Zwar hat sich diese Lehre für die Gedankenentwicklung des Systems nicht als fruchtbar erwiesen, aber sie wurde mit geringen Änderungen dauernd beibehalten und blieb mit der Lehre vom dreifachen Wesen fest verbunden. In der folgenden Übersetzung wird zunächst die Frage gestellt, warum der Buddha die Wesenlosigkeit aller Dinge gelehrt hat. Dann wird die Lehre von der dreifachen Wesenlosigkeit vorgetragen und kurz erläutert, und anschließend daran breit ausgeführt, wie der Buddha durch diese Lehre die Wesen zur Erlösung führt.
Aus der „Erläuterung des geheimen Sinnes" (Samdhinirmocanasütram) KAPITEL v i 1 Darauf fragte der Bodhisattva Gunäkara den Erhabenen: „Erhabener, man spricht von Bodhisattva, welche in der Beschaffenheit (laksanam) der Gegebenheiten erfahren sind. Wodurch, o Erhabener, sind Bodhisattva in der Beschaffenheit der Gegebenheiten erfahren? Und woraufhin bezeichnet der Vollendete die Bodhisattva als erfahren in der Beschaffenheit der Gegebenheiten ?"
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Als er das gesagt hatte, sprach der Erhabene zum Bodhisattva Gunäkara folgendes: „Gunäkara, zum Heile vieler Menschen, zum Wohle vieler Menschen, aus Mitleid mit der Welt, zum Nutzen, zum Heile und zum Wohle der Geschöpfe samt den Göttern und Menschen fragst du den Vollendeten nach dieser Sache. Vortrefflich, vortrefflich! Höre also, Gunäkara, ich will dir die Erfahrenheit in der Beschaffenheit der Gegebenheiten darlegen. 3
Gunäkara, es gibt drei Beschaffenheiten der Gegebenheiten. Welche drei ? Die vorgestellte Beschaffenheit (parikalpitalaksanam), die abhängige Beschaffenheit (paratantralaksarmm) und die vollkommene Beschaffenheit (parinispannalaksanam). Welches ist dabei, Gunäkara, die vorgestellte Beschaffenheit der Gegebenheiten? Es ist jede Festsetzung eines Namens und einer Vereinbarung 1 für die Gegebenheiten nach Wesen oder Besonderheit, um sie im täglichen Sprachgebrauch zu bezeichnen. 5
Welches ist, Gunäkara, die abhängige Beschaffenheit der Gegebenheiten? Es ist das abhängige Entstehen der Gegebenheiten, nämlich, wenn dieses ist, wird jenes, infolge der Entstehung von diesem entsteht jenes, nämlich, abhängig vom Nichtwissen entstehen die Gestaltungen — usw. bis — so kommt die Entstehung dieser ganzen großen Leidensmasse zustande. 1 Die Verbindung zwischen Wort und Gegenstand beruht nach buddhistischer Auffassung auf menschlicher Vereinbarung (samketafy).
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Welches ist, Gunäkara, die vollkommene Beschaffenheit der Gegebenheiten? Es ist die Soheit der Gegebenheiten, ihr Erschauen durch die Bodhisattva auf Grund ihrer Energie und richtigen Beobachtung (yonisomanasikärah), und durch das Zustandekommen der Übung dieses Erschauens schließlich das Zustandekommen der höchsten vollkommenen Erleuchtung. I
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Wie eine Augenkrankheit, Gunakara, am Auge eines Menschen, der an einer Augenkrankheit leidet, so ist die vorgestellte Beschaffenheit anzusehen. Wie sich einem solchen (Menschen) durch die Augenkrankheit bedingt, Haarbüschel, Bienen, Sesamkörner, blaue, gelbe, rote oder weiße Erscheinungsbilder zeigen, so ist die abhängige Beschaffenheit anzusehen. Und wie der eigentliche Bereich, das irrtumslose Objekt des gleichen Auges, wenn das Auge des gleichen Menschen gereinigt und von der Augenkrankheit befreit ist, so ist die vollkommene Beschaffenheit anzusehen. 8
Es verhält sich damit, Gunäkara, wie mit einem klaren Kristall. Wenn dieser mit etwas Blauem in Verbindung gebracht wird, erscheint er wie ein Saphir, und indem er irrtümlich für einen Saphir gehalten wird, täuscht er die Wesen. Wenn er mit etwas Rotem in Verbindung gebracht wird, erscheint er wie ein Rubin, und indem er irrtümlich für einen Rubin gehalten wird, täuscht er die Wesen. Wenn er mit etwas Grünem in Verbindung gebracht wird, erscheint er wie ein Smaragd, und indem er irrtümlich für einen Smaragd gehalten wird, täuscht er die Wesen. Und wenn er mit etwas Gelbem in Verbindung gebracht
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wird, erscheint er wie Gold, und indem er irrtümlich für Gold gehalten wird, täuscht er die Wesen. 9
Wie beim klaren Kristall, Gunäkara, die Verbindung mit der Farbe, so ist bei der abhängigen Beschaffenheit die zur vorgestellten Beschaffenheit gehörige Durchtränkung 1 durch den Sprachgebrauch anzusehen. Wie beim klaren Kristall die irrtümliche Auffassung als Saphir, Rubin, Smaragd oder Gold, so ist bei der abhängigen Beschaffenheit die Auffassung als vorgestellte Beschaffenheit anzusehen. Wie der klare Kristall selbst, so ist die abhängige Beschaffenheit anzusehen. Wie der klare Kristall der Beschaffenheit als Saphir, Rubin, Smaragd oder Gold nach beständig und dauernd nicht gegeben und wesenlos ist, so ist die vollkommene Beschaffenheit anzusehen, insofern als die abhängige Beschaffenheit der vorgestellten Beschaffenheit nach beständig und dauernd nicht gegeben und wesenlos ist. 10 Dabei wird, Gunäkara, die vorgestellte Beschaffenheit erkannt, indem man sich auf die mit den Erscheinungsbildern verknüpften Namen stützt. Die abhängige Beschaffenheit wird erkannt, indem man sich auf die Auffassung der abhängigen Beschaffenheit als vorgestellte Beschaffenheit stützt. Und die vollkommene Beschaffenheit wird erkannt, indem mau sich auf die Nichtauffassung der abhängigen Beschaffenheit als vorgestellte Beschaffenheit stützt. 1 Es liegt die Anschauung zugrunde, daß alle Vorstellungen und Wörter Eindrücke im Erkennen hinterlassen, aus denen später wieder entsprechende Vorstellungen entstehen. Diese Eindrücke, Durchtränkung (väsanä) genannt, vertreten hier die Wörter und Vorstellungen. Vgl. dazu unten S. 328f.
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Indem nun, Gunäkara, die Bodhisattva in der abhängigen Beschaffenheit der Gegebenheiten die vorgestellte Beschaffenheit wahrheitsgemäß erkennen, erkennen sie wahrheitsgemäß die Gegebenheiten ohne Beschaffenheit. Indem die Bodhisattva die abhängige Beschaffenheit wahrheitsgemäß erkennen, erkennen sie wahrheitsgemäß die Gegebenheiten in der Beschaffenheit der Besudelung (samklesah). Und indem die Bodhisattva die vollkommene Beschaffenheit wahrheitsgemäß erkennen, erkennen sie wahrheitsgemäß die Gegebenheiten in der Beschaffenheit der Läuterung (vyavadänam). Indem die Bodhisattva in der abhängigen Beschaffenheit wahrheitsgemäß die Gegebenheiten ohne Beschaffenheit erkennen, wenden sie sich von den Gegebenheiten in der Beschaffenheit der Besudelung ab. Und indem sie sich von den Gegebenheiten in der Beschaffenheit der Besudelung abwenden, gelangen sie zu den Gegebenheiten in der Beschaffenheit der Läuterung. Weil also, Gunäkara, die Bodhisattva, indem sie die vorgestellte Beschaffenheit, die abhängige Beschaffenheit und die vollkommene Beschaffenheit wahrheitsgemäß erkennen, das Fehlen der Beschaffenheit, die Beschaffenheit der Besudelung und die Beschaffenheit der Läuterung wahrheitsgemäß erkennen, indem sie die Gegebenheiten ohne Beschaffenheit wahrheitsgemäß erkennen, sich von den Gegebenheiten in der Beschaffenheit der Besudelung abwenden, und indem sie sich von den Gegebenheiten in der Beschaffenheit der Besudelung abwenden, zu den Gegebenheiten in der Beschaffenheit der Läuterung gelangen, darum sind die Bodhisattva in der Beschaffenheit der Gegebenheiten erfahren, und wenn der Vollendete die Bodhisattva als erfahren in der Beschaffenheit der Gegebenheiten bezeichnet, so tut er dies deswegen."
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Darauf sprach der Erhabene in dieser Zeit folgende Strophen: „Wenn man die Gegebenheiten ohne Beschaffenheit erkennt, dann wendet man sich von den Gegebenheiten in der Beschaffenheit der Besudelung ab. Wenn man sich von den Gegebenheiten in der Beschaffenheit der Besudelung abwendet, gelangt man zu den Gegebenheiten in der Beschaffenheit der vollen Reinheit. Die von Leichtsinn betörten trägen Menschen, welche die Mängel der Gestaltungen nicht einsehen und in die unbeständigen, von Natur aus wechselnden Gegebenheiten versunken sind, sind bemitleidenswert." K A P I T E L VII
Darauf sprach der Bodhisattva Paramärthasamudgata zum Erhabenen folgendes: „Erhabener, als ich einst allein in der Einsamkeit weilte, kam mir folgende Überlegung des Geistes: Der Erhabene hat auf mehrfache Weise die eigene Beschaffenheit (svalaksanam) der Gruppen verkündet. Er hat die Beschaffenheit des Entstehens, die Beschaffenheit des Vergehens, das Aufgeben und das Verstehen verkündet. Ebenso wie die Gruppen hat er die Bereiche, das abhängige Entstehen und die Nahrungen (ähäräh) verkündet. Der Erhabene hat auf mehrfache Weise die eigene Beschaffenheit der Wahrheiten verkündet. Er hat das Verstehen, das Vermeiden, das Verwirklichen und das Üben verkündet. Der Erhabene hat auf mehrfache Weise die eigene Beschaffenheit der Elemente verkündet. Er hat die Mannigfaltigkeit der Elemente, die Vielfältigkeit der Elemente, das Aufgeben und das Verstehen verkündet. . . Und doch hat der Erhabene verkündet, daß alle Gegebenheiten wesenlos sind, daß alle Gegebenheiten nicht entstanden, nicht vergangen, von 19
Frauwallner, Buddhismus
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Anfang an friedvoll und von Natur aus vollkommen erloschen sind. In welcher geheimen Absicht hat der Erhabene verkündet, daß alle Gegebenheiten wesenlos sind, daß alle Gegebenheiten nicht entstanden, nicht vergangen, von Anfang an friedvoll und von Natur aus vollkommen erloschen sind? Nach dieser Sache frage ich den Erhabenen, in welcher geheimen Absicht der Erhabene verkündet hat, daß alle Gegebenheiten wesenlos sind, daß alle Gegebenheiten nicht entstanden, nicht vergangen, von Anfang an friedvoll und von Natur aus vollkommen erloschen sind." 2
Als er das gesagt hatte, sprach der Erhabene zum Bodhisattva Paramärthasamudgata folgendes: „Paramärthasamudgata, deine Überlegung ist gut und ist richtig zustande gekommen. Vortrefflich, vortrefflich! Paramärthasamudgata, zum Heile vieler Menschen, zum Wohle vieler Menschen, aus Mitleid mit der Welt, zum Nutzen, zum Heile und zum Wohle der Geschöpfe samt den Göttern und Menschen fragt du den Vollendeten nach dieser Sache. Auch das ist vortrefflich. Höre also, Paramärthasamudgata, ich will dir darlegen, in welcher geheimen Absicht ich verkündet habe, daß alle Gegebenheiten wesenlos sind, daß alle Gegebenheiten nicht entstanden, nicht vergangen, von Anfang an friedvoll und von Natur aus vollkommen erloschen sind. 3
Paramärthasamudgata, im Hinblick auf die dreifache Wesenlosigkeit (nihsvabhävatä) der Gegebenheiten habe ich verkündet, daß alle Gegebenheiten wesenlos sind, nämlich im Hinblick auf die Wesenlosigkeit der Beschaffenheit nach (laksananihsvabhävatä), auf die Wesenlosig-
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keit dem Entstehen nach (utpattinihsvabhävatä) und auf die Wesenlosigkeit der höchsten Wahrheit nach (paramärthanihsvabhävatä). 4
Welches ist dabei, Paramärthasamudgata, die Wesenlosigkeit der Gegebenheiten der Beschaffenheit nach ? Es ist die vorgestellte Beschaffenheit. Aus welchem Grunde ? Weil diese ihrer Beschaffenheit nach auf Namen und Vereinbarung beruht und nicht, auf einer eigenen Beschaffenheit (svalaksanam) beruht, darum heißt sie Wesenlosigkeit der Beschaffenheit nach. 5
Welches ist, Paramärthasamudgata, die Wesenlosigkeit der Gegebenheiten dem Entstehen nach ? Es ist die abhängige Beschaffenheit der Gegebenheiten. Aus welchem Grund? Weil diese durch die Kraft fremder Ursachen entsteht, und nicht aus sich selbst, darum heißt sie Wesenlosigkeit dem Entstehen nach. 6
Welches ist, Paramärthasamudgata, die Wesenlosigkeit der Gegebenheiten der höchsten Wahrheit nach ? Die abhängig entstandenen Gegebenheiten, welche durch die Wesenlosigkeit dem Entstehen nach wesenlos sind, sind auch durch die Wesenlosigkeit der höchsten Wahrheit nach wesenlos. Aus welchem Grund? Was bei den Gegebenheiten Anhaltspunkt (älambanam) der Reinigung ist 1 , das habe ich als die höchste Wahrheit verkündet. Die abhängige Beschaffenheit ist nicht Anhaltspunkt der Reinigung, daher heißt sie Wesenlosigkeit der höchsten Wahrheit nach. Ferner heißt die vollkommene Beschaffen1
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D. h. worauf sich der Läuterungsprozeß der Erlösung erstreckt.
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heit der Gegebenheiten ebenfalls Wesenlosigkeit der höchsten Wahrheit nach. Aus welchem Grund ? Bei den Gegebenheiten wird die Ichlosigkeit der Gegebenheiten (dharmanairätmyam) als ihre Wesenlosigkeit bezeichnet. Und sie ist die höchste Wahrheit. Weil also die höchste Wahrheit aus der Wesenlosigkeit aller Gegebenheiten entspringt, heißt sie Wesenlosigkeit der höchsten Wahrheit nach. 7
Wie eine Ätherblume 1 , Paramärthasamudgata, so ist die Wesenlosigkeit der Beschaffenheit nach anzusehen. Wie ein Zaubertrug, so ist die Wesenlosigkeit dem Entstehen nach anzusehen und ein Teil der Wesenlosigkeit der höchsten Wahrheit nach anzusehen. Und wie der Raum, der aus der bloßen Wesenlosigkeit ( = dem Nichtvorhandensein) der Materie hervorgeht und sich überallhin erstreckt, so ist ein Teil der Wesenlosigkeit der höchsten Wahrheit nach anzusehen, insofern sie aus der Ichlosigkeit der Gegebenheiten hervorgeht und sich überallhin erstreckt. 8
Im Hinblick auf diese dreifache Wesenlosigkeit, Paramärthasamudgata, habe ich verkündet, daß alle Gegebenheiten wesenlos sind. Dabei habe ich im Hinblick auf die Wesenlosigkeit der Beschaffenheit nach verkündet, daß alle Gegebenheiten nicht entstanden, nicht vergangen, von Anfang an friedvoll und von Natur aus vollkommen erloschen sind. Aus welchem Grund? Weil das, was der eigenen Beschaffenheit nach nicht ist, auch nicht entstanden ist. Was aber nicht entstanden ist, das ist nicht 1
Das beliebteste indische Beispiel f ü r etwas v o l l k o m m e n Unwirkliches ist
eine Ä t h e r b l u m e , d. h. eine B l u m e , die im leeren K a u m aus dem Nichts hervorwächst.
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vergangen. Was nicht entstanden und nicht vergangen ist, das ist von Anfang an friedvoll. Was von Anfang an friedvoll ist, das ist von Natur aus vollkommen erloschen. Was von Natur aus vollkommen erloschen ist, bei dem gibt es nichts, was noch zum vollkommenen Erlöschen zu bringen wäre. Daher habe ich im Hinblick auf die Wesenlosigkeit der Beschaffenheit nach verkündet, daß alle Gegebenheiten nicht entstanden, nicht vergangen, von Anfang an friedvoll und von Natur aus vollkommen erloschen sind. 9
Ferner habe ich, Paramärthasamudgata, im Hinblick auf die Wesenlosigkeit der höchsten Wahrheit nach, welche aus der Ichlosigkeit der Gegebenheiten entspringt, verkündet, daß alle Gegebenheiten nicht entstanden, nicht vergangen, von Anfang an friedvoll und von Natur aus vollkommen erloschen sind. Aus welchem Grund? Weil die Wesenlosigkeit der höchsten Wahrheit nach, welche aus der Ichlosigkeit der Gegebenheiten entspringt, beständig und dauernd gegeben ist. Als Wesen der Gegebenheiten (dharmadharmatä) ist sie außerdem nicht verursacht und von den Lastern vollkommen frei. Was aber beständig und dauernd als Wesen der Gegebenheiten gegeben und nicht verursacht ist, das ist, weil es nicht verursacht ist, auch nicht entstanden und nicht vergangen. Und weil es von allen Lastern frei ist, ist es auch von Anfang an friedvoll und von Natur aus vollkommen erloschen. Daher habe ich im Hinblick auf die Wesenlosigkeit der höchsten Wahrheit nach, welche aus der Ichlosigkeit der Gegebenheiten entspringt, verkündet, daß alle Gegebenheiten nicht entstanden, nicht vergangen, von Anfang an friedvoll und von Natur aus vollkommen erloschen sind.
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Ich habe, Paramärthasamudgata,. die dreifache Wesenlosigkeit nicht verkündet, weil die Lebewesen in der Sphäre der Lebewesen das vorgestellte Wesen seinem Wesen nach als etwas Verschiedenes ansehen, und weil sie das abhängige Wesen und das vollkommene Wesen seinem Wesen nach als etwas Verschiedenes ansehen. Die Lebewesen schreiben vielmehr dem abhängigen und dem vollkommenen Wesen das vorgestellte Wesen zu und benennen daher nach dem Sprachgebrauch (vyavahärah) das abhängige und vollkommene Wesen nach der Beschaffenheit des vorgestellten Wesens. Wie sie nun diese nach dem Sprachgebrauch benennen, so wird der Geist von diesen Benennungen nach dem Sprachgebrauch durchtränkt. Und durch die Verbindung mit den Benennungen nach dem Sprachgebrauch und durch die Eindrücke (anusayäh) der Benennungen nach dem Sprachgebrauch klammern sie sich beim abhängigen und vollkommenen Wesen an die Beschaffenheit des vorgestellten Wesens. Wie sie sich nun daran klammern, so wird aus diesem Grund und dieser Ursache, daß sie sich nämlich beim abhängigen und vollkommenen Wesen an das vorgestellte Wesen klammern, in der Zukunft (wieder) ein abhängiges Wesen hervorgerufen. Und dieses bildet die Grundlage, daß sie von der Besudelung der Laster besudelt werden, daß sie von der Besudelung der Werke und von der Besudelung der Geburt besudelt werden, und daß sie lange Zeit entweder unter den Höllenwesen, unter den Tieren, unter den Gespenstern, unter den Göttern, unter den Dämonen oder unter den Menschen wandernd im Wesenskreislauf umherirren, weil sie aus dem Wesenskreislauf nicht herausgelangen." Es folgt eine lange Schilderung, wie die Lebewesen durch die Lehre von der dreifachen Wesenlosigkeit der
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Gegebenheiten zur Erlösung gelangen. Sie schließt mit den Worten. 24
Darauf sprach der Erhabene zu dieser Zeit folgende Strophen: „Die Gegebenheiten sind wesenlos, die Gegebenheiten sind nicht entstanden, die Gegebenheiten sind nicht vergangen, die Gegebenheiten sind von Anfang an friedvoll, alle Gegebenheiten sind von Natur aus erloschen: Welcher Verständige möchte ohne geheime Absicht so sprechen ? Die Wesenlosigkeitder Beschaffenheit nach, die Wesenlosigkeit dem Entstehen nach und die Wesenlosigkeit der höchsten Wahrheit nach, das habe ich verkündet. Der Verständige, der dabei die geheime Absicht erkennt, der geht nicht den Weg des Verderbens. Dies ist der eine Weg der Läuterung. Es gibt nur eine Läuterung, eine zweite gibt es nicht. Daher verkünde ich dieses eine Fahrzeug. Doch ist damit nicht gesagt, daß es nicht Lebewesen von verschiedenem Stamm (gotrarn) gibt. Die Lebewesen, welche in dieser Sphäre der Lebewesen für sich allein das Nirväna erlangen, sind unzählig. Diejenigen jedoch, welche, trotzdem sie erloschen sind, fest und mitleidsvoll die Lebewesen nicht verlassen, sind schwer zu finden. Die unbefleckte Sphäre der Erlösten ist fein, dem Denken nicht faßbar, gleich und unterschiedslos. Sie ist das Zuteilwerden aller Wünsche, das Abtun des Leides und der Laster. Sie ist ohne Zweiheit, unausdrückbar, der dauernde Schatz." Zum Abschluß ergreift der Bodhisattva Paramärthasamudgata das Wort und faßt die Lehre, so wie er sie verstanden hat, nochmals zusammen.
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Die Schulen des Mahäyana Maitreyanätha (um 3 0 0 n. u. Z.)
Wir haben bisher die Anfänge der Yogäeära-Schule besprochen. Dabei haben wir auf die überreich entwickelte Erlösungsscholastik hingewiesen. Wir haben daneben aber auch wertvolle philosophische Gedankengänge kennengelernt. Und zwar zeigten diese manche Berührungen mit den Anfängen der Madhyamaka-Schule, enthielten aber darüber hinaus vieles bedeutende Neue. Trotzdem handelt es sich dabei nur um Ansätze philosophischer Gedankenbildung, die hinter der Erlösungstheorie und Praxis vollkommen zurücktreten. Von einem philosophischen System läßt sich dabei auf keinen Fall sprechen. Das wurde, ähnlich wie bei der Madhyamaka-Schule, erst durch das Wirken einer bedeutenden Persönlichkeit geschaffen, und zwar scheint diese Persönlichkeit hier Maitreyanätha gewesen zu sein. Die Überlieferung berichtet, daß das Schulhaupt der Yogäeära-Schule, Asanga, Belehrungen vom Bodhisattva Maitreya im Tusita-Himmel empfangen habe und daß ihm dieser auch verschiedene Werke geoffenbart habe. Ähnliche Überlieferungen finden sich öfter. I m vorliegenden Falle ist es aber auffallend, daß die auf Maitreya zurückgeführten Werke keine Sütren sind, wie man erwarten würde, sondern philosophische Werke wie andere auch. Asanga kann aber nicht der Verfasser dieser Werke sein, denn die darin vorgetragenen Lehren zeigen eine klar ausgeprägte Eigenart und unterscheiden sie deutlich von den eigenen Werken Asangas. Wir sind daher berechtigt, in ihrem Verfasser eine historische, von Asanga verschiedene Persönlichkeit zu sehen, die wahrscheinlich mit einer mehrfach überlieferten Namensform Maitreyanätha hieß, und in der erst eine spätere Zeit den bekannten Bodhisattva sah. Die meistgenannten Werke Maitreyanäthas sind der Abhisamayälamkärah („Der Schmuck des Erschauens"), der Mahäyänasüträlamkärah („Der Schmuck der Sütren des Mahäyana") und der Madhyäntavibhägah („Erläuterung der Mitte und der E x t r e m e " ) . Als Alamkärah („Schmuck") bezeichneten die Buddhisten Werke, die, größtenteils in Versen geschrieben, in losem Anschluß an maßgebende Texte Erklärungen und Ergänzungen dazu
Maitreyanatha
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brachten. Solche Alamkäras sind die ersten beiden der obengenannten Werke, u n d zwar sucht der Abhisamayäl a m k ä r a h den Erlösungsweg, wie ihn die Pancavimsatisähasrikä P r a j n ä p ä r a m i t ä (,,Die Vollkommenheit der Einsicht in f ü n f u n d z w a n z i g t a u s e n d Verszeilen"; s. oben S. 146f.) schildert, systematisch u n d übersichtlich zusammenzufassen, während der M a h ä y ä n a s ü t r ä l a m k ä r a h im engen Anschluß a n die Gliederung der B o d h i s a t t v a b h ü m i h („Die Stufe d e s B o d h i s a t t v a " ; s. oben S. 265) im übrigen aber mit großer Freiheit die darin behandelten Gegenstände bespricht. Beide Werke stellen also Versuche dar, in den W u s t der älteren Erlösungsscholastik Ordnung zu bringen. Allerdings ist dieser Versuch nur in beschränktem Maße gelungen. M a i t r e y a n a t h a h a t die unübersehbaren u n d vielfach widerstrebenden Stoffmassen n u r teilweise zu einer Einheit verschmolzen. Größtenteils h a t er sie n u r n a c h einer äußeren Einteilung eingeordnet u n d dabei die Ged a n k e n klarer geformt. Von ähnlicher Art ist auch d a s d r i t t e Werk, der M a d h y ä n t a v i b h ä g a h , wenn es sich a u c h nicht wie die beiden Alamkäras äußerlich a n einen älteren T e x t anlehnt. Auch in ihm werden wichtige Gegenstände der Lehre in der Weise behandelt, d a ß die überlieferten Anschauungen in das Schema einer äußeren Einteilung eingeordnet werden, ohne d a ß eine wirkliche Einheit erreicht wird. Neben diesen unvollkommenen Versuchen, die überlieferten Massen der Erlösungsscholastik zu bewältigen, h a t aber M a i t r e y a n a t h a auch klare philosophische Anschauungen, j a ein wirkliches philosophisches System entwickelt. Denn wenn philosophische Anschauungen in seinen Werken, die sich ja im wesentlichen mit der Erlösungsscholastik beschäftigen, auch n u r gelegentlich u n d in einzelnen zusammenhanglosen Abschnitten zur Sprache k o m m e n , so zeigt sich doch, d a ß immer dieselben Vorstellungen zugrunde liegen, die sich ungezwungen miteinander verbinden u n d zu einem großen Ganzen zusammenschließen. U n d dieses Ganze dürfen wir als Lehre Maitreyan ä t h a s u n d als das erste philosophische System der Yogäcära-Schule b e t r a c h t e n . I m großen gesehen ist die Lehre Maitreyanäthas ein kunstvolles Gebäude, in dem die verschiedensten älteren Lehren mit wertvollen eigenen Gedanken zu einer Einheit
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verschmolzen sind. Einen wesentlichen Bestandteil bildet Säramatis Lehre vom höchsten Sein, zusammen mit seiner Buddhologie. Dazu kommen die philosophischen Anschauungen der älteren Yogäcära-Schule, vor allem die Lehre von den drei Beschaffenheiten, ergänzt und bereichert durch eigene Gedanken Maitreyanäthas. Schließlich ist auch allerlei der Madhyamaka-Schule entnommen. Insbesondere bemüht sich Maitreyanätha immer wieder, seinen Sätzen die F o r m der mittleren Lehre zu geben und so seine Lehre als den wahren mittleren Weg an die Stelle der Madhyamaka-Lehre zu setzen. I m Mittelpunkt seines Systems steht das höchste Sein, das er meist Element der Gegebenheiten (dharmadhätuh), seltener Soheit (tathata) nennt. Von Leerheit (iünyatä) spricht er nur im Anschluß an die Madhyamaka-Lehre. Dieses höchste Sein ist das einzige in der Welt, was wirklich existiert, und bildet auch die Grundlage des Truges der Erscheinungswelt. Selbst ist es unausdrückbar (anabhilüpyah) und ohne Vielfalt (aprapancätmakah). Zu diesen Anschauungen, welche auch der Madhyamaka-Schule gemeinsam sind, kommen nun die grundlegenden Lehren Säramatis hinzu, in erster Linie die Lehre vom reinen Geist. Wie für Säramati ist auch für Maitreyanätha das höchste Sein Geist (cittam) und hell leuchtend (prabhasvarah). Vor allem aber ist es von Natur aus rein ( p r a k r tiviiuddhah) wie Wasser, Gold oder der R a u m . Alle Besudelung, welche der Trug der Erscheinungswelt mit sich bringt, ist nur äußerlich (Ogantukah) und kann sein Wesen nicht berühren. Und daher wird es auch durch die Läuterung von der Besudelung in seinem Wesen nicht verändert. Trotzdem sind seine Besudelung und Läuterung von grundlegender Wichtigkeit. Denn auf ihnen beruhen Bindung und Erlösung und überhaupt der ganze Trug der Erscheinungsweit. Die Erscheinungsweit umfaßt sämtliche Gegebenheiten (dharmäh). Diese beruhen nach Maitreyanätha auf dem höchsten Sein und können getrennt nicht bestehen. Das höchste Sein bildet vielmehr das Wesen der Gegebenheiten (dharmata). Und zwar ist ihr Verhältnis so, daß sie weder verschieden noch nichtverschieden sind. Der Charakter der Erscheinungswelt selbst läßt sich am besten nach Madhya-
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maka-Art durch den Vergleich mit einem Zaubertrug (müyü) erläutern. Wie ein solcher auf irgendeiner Grundlage etwas vortäuscht, was in Wirklichkeit nicht vorhanden ist, so steht es auch mit der Erscheinungswelt. Diese ist daher unwirklich im Hinblick auf das, was sie vortäuscht, aber wirklich als Schein. Man kann sie infolgedessen weder als seiend noch als nichtseiend bezeichnen, sondern sie ist ein Sein und Nichtsein zugleich. Andere Vergleiche, die ihr Wesen erläutern, sind die Täuschung, welche ein gutes Gemälde hervorbringt, oder der Traum. Zur Erklärung des Truges der Erscheinungswelt sagt Maitreyanätha, wie schon die ältere Yogäcära-Schule, daß sie Vorstellung ist, d. h. eine Schöpfung unseres Erkennens. Damit begnügt er sich aber nicht, sondern geht bedeutend weiter, und hier entwickelt er seine wertvollsten eigenen Gedanken. Bisher hatte man nicht gefragt, wer der Träger der Vorstellung ist und wie sie zustande kommt. Maitreyanätha tat es. In den Mittelpunkt stellte er dabei den Begriff der unwirklichen Vorstellung (abhütaparilcalpah), d. h. eines Erkennens, das etwas Unwirkliches vorstellt. Diese unwirkliche Vorstellung ist für ihn die Grundlage der gesamten Erscheinungswelt. Sie kommt folgendermaßen zustande. Das höchste Sein ist, wie bereits gesagt, selbst Geist und wohnt als Same oder Element (dhatuh) allen Lebewesen inne. Aus diesem Element geht die unwirkliche Vorstellung hervor. Sie zeigt dabei das Bild der verschiedenen Dinge der Erscheinungswelt. Es ist nämlich eine bei den buddhistischen Schulen sehr verbreitete Anschauung, daß die Erkenntnis eines Dinges dadurch zustande kommt, daß der Geist seine Form annimmt. So spiegelt also auch die unwirkliche Vorstellung die verschiedenen Dinge der Erscheinungswelt. Nur entsprechen diesen Spiegelbildern der Vorstellung keine wirklichen Dinge. Vielmehr sind alle Gegebenheiten nur solche Spiegelbilder. Wirkliche Dinge außerhalb des Erkennens gibt es überhaupt nicht. Die unwirkliche Vorstellung spiegelt aber nicht nur die Objekte der scheinbaren Außenwelt, sie spiegelt auch das Subjekt. Sie zeigt, wie Maitreyanätha es ausdrückt, sowohl das Erfaßte, wie auch den Erfassenden (grahakah). Es ist also eines ihrer charakteristischsten Merkmale, daß
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sie beständig eine Zweiheit (dvayam) vortäuscht. Gelegentlich macht Maitreyanätha den Versuch, diese Zweiheit weiter zu gliedern. So sagt er, daß die Vorstellung einerseits Gegenstände und Lebewesen, andererseits Ich und Erkennen spiegelt. An anderen Stellen heißt es jedoch, daß sie einerseits als Worte, Gegenstände und Körper erscheint, andererseits als Denken ( m a n a h ) , Auffassung (udgrahah) und Vorstellung (viJcalpah). Feste Anschauungen scheint er sich also in dieser Hinsicht nicht gebildet zu haben. Lückenhaft sind seine Anschauungen auch hinsichtlich der Beschaffenheit des psychischen Organismus. Während er nämlich meist nur von der unwirklichen Vorstellung spricht, unterscheidet er gelegentlich, wie die meisten buddhistischen Schulen, zwischen Geist (cittarn) und geistigen Gegebenheiten (caittah). E r führt dies aber nicht weiter aus. Bemerkenswert ist jedoch, daß er gelegentlich ausdrücklich sagt, daß die Laster (kleidh), welche gewöhnlich als geistige Gegebenheiten gelten, bloße Erscheinungsformen des Geistes sind. Alle diese Anschauungen über die Erscheinungswelt und das höchste Sein kleidet Maitreyanätha auch in die F o r m der Lehre von den drei Beschaffenheiten, wie wir sie im Samdhinirmocanasütram kennengelernt haben. Danach sind die Erscheinungsbilder, welche sich als Zweiheit in der Vorstellung spiegeln, das vorgestellte Merkmal. Die unwirkliche Vorstellung selbst, welche diese Bilder zeigt, ist das abhängige Merkmal. Das Fehlen der Zweiheit schließlich, also das der unwirklichen Vorstellung zugrunde liegende höchste Sein in seiner reinen Form, ist das vollkommene Merkmal. Dabei ist aber deutlich spürbar, daß die Übernahme dieser Lehre von den drei Beschaffenheiten für Maitreyanätha nur ein Zugeständnis an die Überlieferung der Schule ist, ohne daß sie seine eigenen Gedankengänge in irgendeiner Weise befruchtend beeinflußt. Was die Erlösungslehre betrifft, so hat sich Maitreyanätha ausführlich mit der überlieferten Erlösungsscholastik der Yogäcära-Schule auseinandergesetzt. E r hat daneben aber auch klare eigene Anschauungen über die entscheidenden geistigen Vorgänge bei der Erlösung entwickelt, und
Maitreyanatha
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diese Anschauungen haben auch philosophische Bedeutung. Danach erfolgt die Erlösung, nachdem der Bodhisattva sich das nötige Verdienst und Wissen erworben und vor allem die Mahäyäna-Lehre gehört und richtig aufgefaßt hat, im Zustand der Versenkung durch das vorstellungsfreie Wissen (nirvikalpakam, jnanam). Dabei erkennt er zunächst, daß alle Gegenstände des Erkennens von Worten begleitet und durch Worte bedingt sind, und daher nicht wirklich sein können. Daraus ergibt sich als nächstes die Erkenntnis, daß auch das Erkennen nicht wirklich sein kann, weil es ohne Gegenstand kein Erkennen gibt. U n d nachdem er so die Unwirklichkeit von Objekt und Subjekt erkannt hat, sammelt sich der Geist in dem ihm zugrundeliegenden Element des höchsten Seins (cittasya svadhütau sthanam), alle Zweiheit der Vorstellung schwindet und das Element der Gegebenheiten selbst wird geschaut. Das ist das sogenannte vorstellungsfreie Wissen. Wichtig ist dabei noch besonders, daß dadurch auch die Gleichheit (samata) des Elements der Gegebenheiten in allen Lebewesen erkannt wird. A n dieses vorstellungsfreie Wissen, das im Zustand der Versenkung gewonnen wird, schließt sich ferner als Ergebnis ein weiteres Wissen an (prsthalabdhajnanam), welches auch im gewöhnlichen Bewußtseinszustand bleibt. U n d während jenes die eigene Erlösung bringt, ermöglicht dieses die Belehrung und dadurch die Erlösung anderer Wesen. Die Erlösung selbst besteht darin, daß durch das vorstellungsfreie Wissen die Besudelung, welche die Verstrickung in den Wesenskreislauf bedingt, beseitigt wird, so daß das Element der Gegebenheiten, welches allen Lebewesen innewohnt, zu seiner natürlichen Reinheit gelangt. Dieser Vorgang wird Umgestaltung der Grundlage (äirayaparavrttih) genannt. Er ist kein einmaliger Vorgang, sondern vollzieht sich stufenweise 111 langen Zeiträumen. Maitreyanatha verknüpft ihn, wie überhaupt die ganzen Vorgänge, die zur Erlösung führen, mit den zahlreichen Stufen des Erlösungsweges, den die alte Erlösungsscholastik ausgearbeitet hatte. Aber dieses komplizierte Schema ist philosophisch bedeutungslos und kann hier unberücksichtigt bleiben. Mit der letzten und endgültigen Umgestaltung der Grundlage ist die Erlösung gewonnen und gleichzeitig, dem Ziel
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Die Schulen des Mahäyana
des Mahäyäna entsprechend, die Allwissenheit und das Buddhatum. Die Lehre vom Zustand des Erlösten verbindet sich daher für Maitreyanätha mit der Buddhologie. Da die Erlösung in der Läuterung des Elementes der Gegebenheiten, das allen Lebewesen innewohnt, von der äußerlichen Besudelung des irdischen Daseins besteht, gehört der Erlöste dem reinen höchsten Sein an. Damit kehrt unsere Darstellung zu dem Punkt zurück, von dem sie ausgegangen ist. Aber vom Standpunkt der Buddhologie treten beim höchsten Sein andere Züge hervor, als wir sie zuerst besprochen haben. Als Buddhatum erscheint es nicht als helleuchtender Geist, sondern ähnlich einer Weltseele, die wirkend alles durchdringt. E s ist ewig und allgegenwärtig, und sein Wirken ist ununterbrochen und allumfassend. Wenn es mit seinem Wirken nicht überall in Erscheinung tritt, so beruht dies auf der Verderbtheit der Wesen. Ferner ist sein Wirken mannigfaltig und unerschöpflich, gleich einem Licht, das strahlt, ohne sich zu erschöpfen. Bemerkenswert ist dabei, daß sein Wirken ohne Bemühung (yatnah), ohne Streben (äbhogah) und ohne Ichsucht stattfindet, also ohne alles, was eine Bindung bedeuten könnte. Eine besondere Frage stellt es dar, wie mit dem Buddhatum, das sich nur auf das höchste Sein gründet, die Persönlichkeit und die Vielzahl der Buddha zu vereinbaren ist. Hierbei bekennt sich Maitreyanätha einerseits zur folgerichtigen Auffassung, daß im Hinblick auf die Einheit des fleckenlosen Elementes der Gegebenheiten keine Vielheit möglich ist, und daß nur mit Rücksicht auf die frühere Verkörperung von einer Vielheit gesprochen werden kann. Andererseits rechnet er doch praktisch mit der Vielheit der Buddha und erläutert ihr Zusammenwirken durch den Vergleich mit dem Zusammenwirken der Sonnenstrahlen. Ebenso erläutert er die Wichtigkeit dieses Zusammenwirkens durch den Vergleich mit Flüssen, die als Wohnstätte für Lebewesen erst dann voll zur Geltung kommen, wenn sie ihr Wasser im Meer vereinigen. Maitreyanätha erwähnt auch mehrfach die guten oder weißen Eigenschaften, welche nach alter Lehre den Buddha kennzeichnen und ihm eigentümlich sind. Schließlich ist noch zu bemerken, daß er auch die im Mahäyäna so verbreitete Lehre von den drei Körpern des Buddha
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kennt, die aber mehr theologisches als philosophisches Interesse hat und daher hier unberücksichtigt bleiben kann. Das ist in den Grundzügen die Lehre Maitreyanäthas. Als wesentlicher Zug kommt endlich noch hinzu, daß er damit die Anschauungen der Madhyamaka-Schule soweit wie möglich zu verschmelzen und dadurch die Madhyamaka-Lehre zu ersetzen und zu verdrängen sucht. E r tut dies, indem er, wo sich Gelegenheit bietet, Begriffe des Madhyamaka-Systems übernimmt und einarbeitet, indem er z. B. trotz allen Unterschieden der Auffassung sein höchstes Sein mit der Leerheit ( Sünyata ) gleichsetzt, vor allem aber, indem er seiner Lehre die Form des mittleren Weges zu geben sucht. Dabei lehnt er die jeweiligen E x treme nicht, wie es die Madhyamaka-Schule ursprünglich tut, grundsätzlich ab, weil beide in keiner Weise zutreffen, sondern er lehnt ihre einseitige Bejahung ab, weil immer in gewissem Sinn auch das Gegenteil zutrifft, also auf Grund einer relativen Auffassung. Eine solche mittlere Auffassung durch Verneinung zweier Extreme bringt er in seiner Lehre bei jeder sich bietenden Gelegenheit bei den verschiedensten Begriffen an. Den systematischsten Versuch dieser Durchführung des mittleren Weges enthält jedoch das unten übersetzte 1. Kapitel des Madhyäntavibhägah, das als gutes Beispiel dieser ganzen Betrachtungsweise dienen kann und auf das daher verwiesen sein mag. Von den folgenden Übersetzungsproben ist die erste aus dem Mahäyänasüträlamkärah genommen. Ich habe dabei Verse aus verschiedenen Kapiteln des Werkes ausgehoben und sinngemäß angeordnet, um die wichtigsten Lehrsätze zu erläutern. Eine Übersetzung zusammenhängender Abschnitte kam nicht in Betracht, da Maitreyanätha selbst keine zusammenhängende Darstellung gibt und zu viel philosophisch Unbedeutendes eingeflochten ist. Von einer durchlaufenden eingehenderen Erklärung konnte ich absehen und nur einzelne Punkte, bei denen es mir notwendig schien, erläutern, da das meiste nach der vorhergehenden Darstellung wohl ohne Schwierigkeit verständlich ist. Die erste Versreihe ( X I I I , v. 16— 19) handelt vom Wesen der Erscheinungswelt und der höchsten Wirklichkeit. Die Erscheinungswelt wird wahrgenommen, obwohl sie in Wirklichkeit nicht ist. Das wird a m Beispiel eines Zaubertruges
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u n d a n der Täuschung, welche ein gutes Gemälde hervorr u f t , erläutert. Die höchste Wirklichkeit wird geläutert, obwohl sie in Wirklichkeit nicht besudelt ist. Als Beispiel dient der R a u m und klares, nur äußerlich getrübtes Wasser. Die zweite Versreihe ( X I , v. 13 — 23) beginnt mit einer knappen Schilderung des Wesens der höchsten Wirklichkeit. Dabei bezieht sich die Aussage, daß sie erkannt, aufgegeben und geläutert werden muß, auf die Lehre von der dreifachen Beschaffenheit und ist auf Grund des übersetzten Abschnittes aus dem Samdhinirmocanasütram (VI, 11, oben S. 288) ohne weiteres verständlich. D a n n wird d a s Zustandekommen der Täuschimg der Erscheinungswelt durch d a s Beispiel eines Zaubertruges erläutert. Hierbei spielen die letzten beiden Verse (v. 17 — 18) auf die übernatürliche Macht an, die der Asket im Anschluß a n die erlösende Erkenntnis über die Erscheinungswelt gewinnt, sobald mit der L ä u t e r u n g des Elementes der Gegebenheiten die sogenannte Umgestaltung der Grundlage {üäraya•paravrttih) eintritt. Zur Erläuterung wird darauf verwiesen, daß auch die Menschen, welche von einem Zaubertrug getäuscht waren, nach dem Schwinden der Täuschung mit deren Anlaß nach Belieben zu verfahren vermögen. Der Zauberer ruft nämlich die Täuschung nicht aus dem Nichts hervor,-sondern nimmt irgendeinen wirklichen Gegenstand, z. B . ein S t ü c k Holz zum Anlaß und läßt es nur in anderer Gestalt, etwa als E l e f a n t erscheinen. Anschließend wendet Maitreyanätha noch die Betrachtungsweise der mittleren Lehre auf diese A u f f a s s u n g der Erscheinungsweit an. E i n Zaubertrug ist wohl als Schein vorhanden, aber nicht als wirkliches Ding. Man darf daher weder einseitig behaupten, daß er ist, noch, daß er nicht ist. U n d d a s gleiche gilt f ü r die Erscheinungswelt. Die nächste Versreihe ( X I , v. 31 — 35) beschäftigt sich mit der Vorstellung u n d ihrem Zustandekommen. Zunächst wird der gesamte Bereich der Erscheinungswelt, •die j a nichts als Vorstellung ist, folgendermaßen eingeteilt: in unwirkliche Vorstellung, womit die gewöhnlichen Erkenntnisvorgänge gemeint sind, in weder wirkliche noch unwirkliche Vorstellung, worunter die Erkenntnisvorgänge zu verstehen sind, welche die erlösende Erkenntnis vorbereiten, in die Nichtvorstellung, d. h. in d a s vorstellungs-
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freie Wissen (nirvikalpakam jnänam), welches die Erlösung bringt, u n d schließlich in das sich daraus ergebende, d e m gewöhnlichen Bewußtseinszustand angehörige Wissen, das weder als Vorstellung noch als Nichtvorstellung anzusehen ist. Die gewöhnlichen Vorstellungen gehen aus ihrem Elem e n t hervor, d. h. aus dem E l e m e n t der Gegebenheiten, d a s als K e i m allen Lebewesen innewohnt. Sie zeigen das Bild der Zweiheit ohne eine wirkliche Zweiheit zu enth a l t e n . Werden sie dem höchsten ihnen zugänglichen Obj e k t zugewendet, indem m a n sie auf ihr Element richtet, so schwindet das Bild der Zweiheit, sie verlieren also den Charakter der Vorstellung. E r l ä u t e r t wird dies durch das Beispiel v o n Leder, das bei entsprechender Behandlung die H ä r t e verliert u n d weich wird, oder durch das Beispiel eines g e k r ü m m t e n Stabes, der u n t e r d e m Einfluß von Hitze gerade wird. Außerdem werden die guten u n d schlechten geistigen Gegebenheiten e r w ä h n t , vor allem die Laster, von denen gesagt wird, d a ß sie keine eigenen Gegebenheiten, sondern n u r Erscheinungsformen des Geistes sind. Den Gegenstand der n ä c h s t e n drei Verse ( X I , v. 39 — 41) bildet die Lehre v o m dreifachen Wesen der Dinge, u n d zwar geben sie eine kurze Bestimmung dieses dreifachen Wesens im Sinne Maitreyanäthas. Die vorgestellte Beschaffenheit ist d e m n a c h das Vorstellungsbild, in dem sich Gegenstand u n d N a m e gegenseitig bedingen. Die abhängige Beschaffenheit ist die unwirkliche Vorstellung, welche das doppelte Bild des Objekts u n d S u b j e k t s zeigt, wobei jedes dieser beiden dreifach gegliedert erscheint, das O b j e k t in N a m e n , Gegenstand u n d Körper, das S u b j e k t in Denken, Auffassen u n d Vorstellung. Die vollkommene Beschaffenheit schließlich, deren Wesen im Fehlen der Zweiheit von Objekt u n d S u b j e k t besteht, wird hier im Sinne der mittleren Lehre bestimmt (vgl. dazu den u n t e n übersetzten Abschnitt aus dem Madhyäntavibhägah). Sie ist Nichtsein, da jene Zweiheit nicht v o r h a n d e n ist, u n d sie ist Sein, da dieses Nichtsein ist. Sie vereinigt also in sich Sein u n d Nichtsein. Sie ist ferner nicht friedvoll, d a sie durch äußerliche Befleckimg besudelt ist, u n d sie ist friedvoll, da sie von N a t u r aus rein ist. Schließlich fehlt ihr, t r o t z ihrer Geistigkeit, das Wesen der Vorstellung. 20 Frauwallner, Buddhismns
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Die nächste Versreihe bildet das VI. Kapitel des Mahäyänasüträlamkärah. Ich gebe dieses kurze Kapitel vollständig, weil es dem oben auszugsweise übersetzten Abschnitt der Bodhisattvabhümih entspricht und zeigt, wie Maitreyanätha sich nur äußerlich an dieses Werk anschließt und in den darangeknüpften Bemerkungen ganz frei seine eigenen Gedanken ausspricht. Außerdem gibt das Kapitel in knappen Worten eine gute Zusammenfassung der wesentlichen Züge des Erlösungsvorganges nach der Auffassung Maitreyanäthas. Die ersten fünf Verse lehnen sich stark an Madhyamaka-Gedankengänge an. Zunächst wird eine Definition der höchsten Wirklichkeit gegeben, welche ganz in der Art der PrajnäpäramitäTexte gehalten ist. Nur die Aussage, daß die höchste Wirklichkeit nicht geläutert wird und doch geläutert wird, bezieht sich wieder darauf, daß sie von Natur aus rein und nur äußerlich befleckt ist. Dann wird der Glaube an ein Ich als Ursache der Verstrickung in den Wesenskreislauf fast so breit behandelt, wie bei Nägärjuna. Er ist ein bloßer Irrtum, da weder er selbst, noch die fünf Gruppen das Ich sind, und es etwas anderes, was das Ich sein könnte, nicht gibt. Trotzdem vermögen die Menschen unter seinem Einfluß nicht zu erkennen, daß die Dinge leidvoll sind und daher nicht das Ich sein können, und daß alle Dinge, auch die psychischen Gegebenheiten, nur nach dem Gesetz des abhängigen Entstehens voneinander hervorgerufen werden, ohne daß ein wirkendes Ich dahintersteht. Das sind alte Gedankengänge, welche bis in die Texte des Kanon zurückreichen. Dazwischen sind Bemerkungen im Sinn der mittleren Lehre eingestreut. Die Menschen empfinden das Leid, weil sie es fühlen und sie empfinden es nicht, weil sie es nicht verstehen. Sie werden davon gequält, aber auch nicht gequält, weil es j a kein Ich gibt. Denn sie bestehen nur aus Gegebenheiten, aber nicht einmal das trifft zu, weil auch die Gegebenheiten nicht wirklich sind. An den Gedanken, daß der Glaube an ein Ich bloßer Irrtum ist, und daß die Erlösung daher bloß im Schwinden dieses Irrtums besteht, wird dann noch die Lehre angeschlossen, daß Erlösung und Wesenskreislauf in Wirklichkeit ein und dasselbe sind, wenn auch die Erlangung der Erlösung auf dem vom Buddha gewiesenen Weg gelehrt
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wird. Auch das entspricht der Lehre der Prajiiäpäramitä und der Madhyamaka-Schule. Nun folgt (v. 6) die Darstellung des Erlösungsvorganges selbst und damit beginnt Maitreyanatha wieder eigene Anschauungen vorzutragen. Zunächst erwähnt er die vorbereitenden Stufen, die darin bestehen, daß der Bodhisattva den nötigen Vorrat an guten Werken und Wissen erwirbt, und daß er die Mahäyäna-Lehre hört und richtig auffaßt. Der entscheidende Erkenntnisvorgang beginnt damit, daß er sich bewußt wird, daß alle Vorstellungsbilder, somit alle Gegenstände der Erkenntnis, von Worten begleitet und durch Worte bedingt, und daher unwirklich sind. Er kommt dadurch zur Einsicht, daß nichts besteht als die Erkenntnis, welche das Bild der Objekte zeigt, und gelangt anschließend daran, indem er sich von der Zweiheit von Subjekt und Objekt freimacht, zum unmittelbaren Anschauen der höchsten Wirklichkeit. Im einzelnen erfolgt dieser letzte Schritt in der Weise, daß mit dem Wegfall der Objekte auch das Subjekt hinfällig wird. Damit ist die Einsicht in die Unwirklichkeit der Zweihe.it gewonnen und die höchste Erkenntnis, welche im unmittelbaren Erschauen der zweiheitslosen höchsten Wirklichkeit besteht, stellt sich ein. Diese höchste Erkenntnis bringt es mit sich, daß man die Gleichheit des Elementes der Gegebenheiten erkennt, das in allen Wesen ein und dasselbe ist. Und indem sie alle Befleckungen beseitigt, welche die Verstrickung in den Wesenskreislauf bedingen, führt sie die Erlösung herbei. Der letzte Vers erwähnt als eine Art Zusatz, daß der Bodhisattva auf dieser Stufe auch die Lehre des Buddha als bloße Vorstellung erkennt, der das Element der Gegebenheiten zugrunde liegt, und daß er nunmehr rasch die zahllosen Tugenden erwirbt, die ihn zum Buddha machen. Als letzte Probe aus dem Mahäyänasüträlamkärah folgen mehrere Versgruppen aus dem I X . Kapitel, welches vom Buddhatum handelt. Zunächst (v. 11 — 12) wird das Buddhatum als die Zuflucht aller Wesen gepriesen und kurz seine Erlangung geschildert. Dabei werden folgende Punkte hervorgehoben: Voraussetzung ist die Beseitigung der beiden Hemmnisse, des Hemmnisses der Laster und des Hemmnisses des zu Wissenden, welche stufenweise in zahl20»
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reichen Ausscheidungsvorgängen erfolgt. Das B u d d h a t u m selbst b e r u h t auf der Umgestaltung der Grundlage, welche die L ä u t e r u n g des Elementes der Gegebenheiten herbeif ü h r t , u n d ist durch die den B u d d h a s eigentümlichen Eigenschaften ausgezeichnet, die n a c h ihrer moralischen Beschaffenheit weiße Gegebenheiten g e n a n n t werden. Der Weg dazu ist schließlich das mit Befleckungen nicht beh a f t e t e vorstellungsfreie Wissen, das die Allwissenheit mit sich bringt. Die weiteren Versgruppen sind leicht verständlich u n d bedürfen keiner eingehenden E r l ä u t e r u n g . Sie handeln (v. 15—17) von der Allgegenwärtigkeit des B u d d h a t u m s , wobei durch Beispiele erklärt wird, w a r u m es nicht überall in Erscheinung t r i t t . D a n n wird davon gesprochen, d a ß die Tätigkeiten der B u d d h a ohne Streben (äbhogah), also ohne innere Bindung (v. 18—19), u n d d a ß sie u n u n t e r b r o c h e n (v. 20 — 21) s t a t t f i n d e n . Darauf wird begründet (v. 26), wieso m a n weder ausschließlich von einer Einheit noch von einer Vielheit der B u d d h a sprechen k a n n , wieso also in gewissem Sinne beides zutrifft. Ferner wird durch den Vergleich mit den Sonnenstrahlen die Einheitlichkeit ihres Wirkens erklärt (v. 29 —31), das ohne jede Eigensucht ist (v. 32) u n d das sich auf alles erstreckt, soweit ihm nicht die Verderbtheit der Wesen im Wege s t e h t (v. 33 — 34). Ein Vers (v. 37) zeigt, d a ß das B u d d h a t u m als lautere F o r m des Elementes der Gegebenheiten allen Wesen als Keim innewohnt. Eine weitere Versreihe beh a n d e l t wieder das Wirken des B u d d h a . Sie schildert (v. 51), wie der eine B u d d h a in den zahllosen Weltensphären eine tausendfache Tätigkeit entfaltet u n d doch seinem eigentlichen Wesen nach unbewegt v e r h a r r t . Sie b e t o n t neuerlich (v. 52 —53), wie sich das Wirken des B u d d h a ohne innere Beteiligung u n d B e m ü h u n g vollzieht. Sie erläutert (v. 54) a m Beispiel einer Lampe, wie sich das Wesen des B u d d h a t r o t z allen Ausstrahlungen nicht erschöpft. Schließlich erklärt sie (v. 55) durch Vergleich m i t d e m Meer, wie das Element der Gegebenheiten als Sphäre der B u d d h a t r o t z dem Zustrom, der sich durch die ständige L ä u t e r u n g u n d Erlösung so vieler Wesen ergibt, nicht voll wird u n d nicht z u n i m m t . Die letzte Versreihe endlich (v. 82 — 85) zeigt, u n d zwar abermals a n der H a n d eines Beispiels, wie die Tätigkeit der B u d d h a n u r durch
Maitreyanätha ihre Einheit kommt.
im Buddhatum
zur
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Aus dem „Schmuck der Sütren des Mahäyäna" (Mahäyänasüträlamkärah) KAPITEL XIII
16 Die Wahrnehmung, ohne daß Gegebenheiten vorhanden sind, und die Läuterung, ohne daß eine Befleckung besteht, ist gleich einem Zaubertrug usw. und gleich dem Raum aufzufassen. 17
Wie es bei einem regelrecht gemalten Gemälde keine Höhe und Tiefe gibt und sie doch gesehen wird, so gibt es bei der unwirklichen Vorstellung nie und in keiner Weise eine Zweiheit, und sie wird doch gesehen. 18
Wie bei aufgewühltem und dann wieder beruhigtem Wasser die Klarheit nicht anderswoher entsteht, sondern nur eine Entfernung des Schmutzes stattfindet — diese gleiche Regel gilt auch bei der Läuterung des eigenen Geistes. 19
Es gilt die Meinung, daß der Geist von Natur aus beständig klar ist und nur durch äußerliche Mängel getrübt wird. Außer dem auf dem Wesen der Gegebenheiten beruhenden Geist (dharmatäcittam) gibt es keinen anderen Geist, dessen Klarheit von Natur aus gelehrt wird. KAPITEL XI 13
Die Wirklichkeit ist beständig von der Zweiheit frei, sie ist jedoch Grundlage des Irrtums. Sie kann auf keine
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Die Schulen des Mahayana
Weise ausgedrückt werden und ist ihrem Wesen nach ohne Vielfalt. Sie muß erkannt, aufgegeben und geläutert werden, gilt von Natur aus als fleckenlos, und ihre Läuterung vom Laster gilt als dem Raum, dem Gold und dem Wasser ähnlich. 14
Es gibt nichts in der Welt, was davon verschieden wäre, und doch ist die gesamte Welt darüber im Irrtum befangen. Wieso kommt diese eigentümliche Art von Verblendung der Menschen zustande, die sich an das Nichtseiende klammert und das Seiende vollkommen unberücksichtigt läßt? 15
Wie ein Zaubertrug, so wird die unwirkliche Vorstellung (abhütaparikalpah) erklärt. Wie die Wirkung des Zaubertruges, so wird die Täuschung der Zweiheit erklärt. 16
Wie das Nichtvorhandensein des einen im andern, so wird die höchste Wahrheit angenommen. Wie dessen Wahrnehmung jedoch, so (verhält sich) die beschränkte Wahrheit. 17
Wie beim Schwinden des (Zaubertruges) die (wahre) Beschaffenheit seines Anlasses (nimitlam) erfaßt wird, so wird bei der Umgestaltung der Grundlage (äsrayaparävrttih) (die wahre Beschaffenheit) der unwirklichen Vorstellung erfaßt. 18
Und wie die Menschen, wenn sie vom Irrtum befreit sind, mit diesem Anlaß nach Beheben verfahren, so steht es in der Macht des Asketen, wenn infolge der Unigestal-
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tung der Irrtum geschwunden ist, nach Belieben zu verfahren. 19
Die betreffende Gestalt ist da, das Sein jedoch ist nicht vorhanden. Daher spricht man bei einem Zaubertrug usw. von Sein und Nichtsein. 20
Dabei ist das Sein kein Nichtsein und das Nichtsein kein Sein. Man behauptet jedoch bei einem Zaubertrug usw. die NichtVerschiedenheit des Seins und Nichtseins. 21
Ebenso ist der Schein der Zweiheit da, das Sein jedoch ist nicht vorhanden. Daher spricht man bei der Form usw. von Sein und Nichtsein. 22
Dabei ist das Sein kein Nichtsein und das Nichtsein kein Sein. Man behauptet jedoch bei der Form usw. die Nichtverschiedenheit des Seins und Nichtseins. 23
Dies wird angenommen, um die beiden Extreme der Bejahung und Verneinung zurückzuweisen und um den Weg des kleinen Fahrzeugs (Hlnayäna) zurückzuweisen. 31
Als unwirkliche Vorstellung, als weder-wirkliche-nochunwirkliche, als Nichtvorstellung und als Weder-Vorstellung-noch-Nichtvorstellung wird das gesamte Erkennbare erklärt. 32
Aus ihrem Element (dhätuh) gehen die Vorstellungen hervor, welche das Bild der Zweiheit zeigen, bei ihrem
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Die Schulen des Mahäyäna
Wirken vom Nichtwissen und den Lastern begleitet sind und von einer wirklichenZweiheit (dvayadravyam) frei sind. 33
Sie gelangen zu ihrem vorzüglichsten Anhaltspunkt, wenn man sich übt, sie auf ihr Element zu richten. Denn dann erscheinen sie ohne das Bild der Zweiheit, gleich einem Leder oder einem Stab. 34
Es wird angenommen, daß der Geist, welcher das Bild der Zweiheit zeigt, auch das Bild der Begierde usw. und das Bild des Glaubens usw. zeigt. Eine davon verschiedene lasterhafte oder gute Gegebenheit gibt es nicht. 35
Der Geist tritt also in Erscheinung, indem er mannigfaltige Bilder und mannigfaltige Erscheinungsformen zeigt. Das Sein und Nichtsein geht daher das Erscheinungsbild an, und nicht die Gegebenheiten. 39
Das dem Namen und dem Gegenstand entsprechende Erscheinen des Gegenstandes und des Namens, welches das Objekt (nimittam) der unwirklichen Vorstellung ist, das ist die vorgestellte Beschaffenheit. 40
Die unwirkliche Vorstellung, welche durch Erfaßtes und Erfassendes gekennzeichnet ist und ein je dreifaches Bild zeigt, das ist die abhängige Beschaffenheit. 41
Nichtsein und Sein, die Gleichheit des Seins und Nichtseins, nichtfriedvoll und friedvoll und Nichtvorstellung, das ist die vollkommene Beschaffenheit.
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KAPITEL VI
1 Sie ist nicht seiend und nicht nichtseiend, sie ist nicht so und nicht anders, sie entsteht nicht und vergeht nicht, sie schwindet nicht und wächst nicht, sie wird nicht geläutert und ist doch geläutert — das ist das Merkmal der höchsten Wahrheit. 2
Der Glaube an ein Ich hat selbst nicht das Merkmal des Ichs, ebensowenig die Welt des Leides (duhsamsthilatä), da sie anderer Art ist. Etwas anderes als diese beiden gibt es aber nicht. Daher ist er ein Irrtum. Infolgedessen ist auch die Erlösung das bloße Schwinden dieses Irrtums. 3
Wieso erkennen die Menschen, in einem bloßen Irrtum befangen, nicht die ewige leidvolle Natur (der Dinge) ? Sie empfinden sie und sie empfinden sie nicht. Sie werden vom Leid gequält und nicht gequält. Sie bestehen aus den Gegebenheiten und sie bestehen nicht daraus. 4
Wieso glauben die Menschen, wo sie doch das abhängig Entstandene vor Augen haben, daß es durch etwas anderes bewirkt ist? Welche eigentümliche Art von Verblendung ist dies, daß sie das Seiende nicht sehen und das Nichtseiende erblicken. 5
Es gibt hier in Wirklichkeit auch keinerlei Unterschied zwischen der Ruhe (dem Nirväna) und der Geburt. Und doch wird für die Vollbringer guter Werke die Erlangung der Ruhe durch das Schwinden der Geburt gelehrt.
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Die Schulen des Mahäyäna 6
Nachdem der Bodhisattva einen unbegrenzten Vorrat an Wissen und Verdienst gesammelt hat, erkennt er, nachdem er über die Lehrtexte durch Nachdenken zu voller Klarheit gelangt ist, daß das Erfassen der Gegenstände vom Sprechen abhängig ist. 7
Nachdem er die Gegenstände als bloßes Sprechen erkannt hat, verharrt er im bloßen Geist, der ihr Bild zeigt, und das Element der Gegebenheiten wird ihm sichtbar. Dadurch ist er von der Beschaffenheit der Zweiheit befreit. 8
Indem er nämlich durch seinen Verstand erkennt, daß es etwas anderes als den Geist nicht gibt, erkennt er dadurch auch das Nichtvorhandensein des Geistes. Und nachdem er das Nichtvorhandensein der Zweiheit erkannt hat, verharrt der Verständige im Element der Gegebenheiten, welches von ihr nicht berührt wird. 8 Durch die Kraft des vorstellungsfreien Wissens, welches der Gleichheit (samam) überall und immer folgt, wird bei dem Verständigen der dichte Haufen von Fehlern, der sich in ihm gesammelt hat, beseitigt, wie Gift durch ein kräftiges Gegenmittel. 10
Nachdem er über die vom Weisen (dem Buddha) verkündete gute Lehre volle Klarheit gewonnen hat, richtet der Standhafte seinen Geist auf das zugrunde liegende Element der Gegebenheiten. Er erkennt dann, daß die
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(gesamte) Überlieferung (smrtigatih) bloße Vorstellung ist, und gelangt so rasch ans andere Ufer des Meeres der Tugenden. K A P I T E L IX 11
Solange die Welt besteht, gilt das Buddhatum als die große Zuflucht aller Wesen, damit sie alles Mißgeschick vermeiden und damit ihnen alles Glück zuteil werde. 12 Dieses Buddhatum, in dem der Same der Hemmnisse der Laster und des zu Wissenden, der (den Wesen) seit unbegrenzter Zeit beständig anhaftet, durch überaus ausgiebige Abstoßungen aller Art verschwunden ist, besteht in einem Anderswerden der Grundlage, welches mit den vorzüglichsten Tugenden, bestehend in weißen Gegebenheiten, verbunden ist. Und zwar wird es erlangt auf dem Wege des Wissens, der frei von Vorstellungen ist, ein überaus großes Bereich hat und vollkommen rein ist. 13
In ihm weilend überblickt der Vollendete die Welt, wie wenn er auf einem hohen Berg stünde. Er bemitleidet die Menschen, die an der Ruhe (dem Nirväna) Gefallen finden, wieviel mehr die andern Menschen, die am Werden Gefallen finden. 15
Wie man vom Raum meint, daß er beständig sich überallhin erstreckt, so meint man vom (Buddhatum), daß es sich beständig überallhin erstreckt. Und wie der Raum in den Scharen der Formen (rüpam) überall vorhanden ist, so ist dieses in den Scharen der Wesen überall vorhanden.
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Die Schulen des Mahayana 16
Wie das Bild des Mondes nicht zu sehen ist, wenn das Gefäß mit Wasser zerbrochen ist, so ist das Bild des Buddha in verderbten Wesen nicht zu sehen. 17
Wie das Feuer an der einen Stelle aufflammt, an der andern dagegen verlischt, so ist es auch bei den Buddha aufzufassen, daß sie bald zu sehen, bald nicht zu sehen sind. 18
Wie von (himmlischen) Musikinstrumenten der Ton ausgeht, ohne daß sie geschlagen werden, so geht vom Buddha die Lehre aus, ohne ein Streben seinerseits. 19
Und wie ein Edelstein seinen Glanz zeigt, ohne daß. er sich bemüht, so zeigen die Buddha ihre Tätigkeiten ohne ein Streben ihrerseits. 20
Wie im Raum ununterbrochen die Tätigkeiten der Menschen zu sehen sind, so im unbefleckten Element ununterbrochen die Tätigkeiten der Sieger (der Buddha). 21
Und wie im Raum beständig ein Schwinden und Entstehen der Tätigkeiten (der Menschen) stattfindet, so findet im unbefleckten Element ein Entstehen und Vergehen der Tätigkeiten der Buddha statt. 26
Im fleckenlosen Element der Buddha gibt es keine Einheit und keine Vielheit, wegen der Körperlosigkeit,
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gleich dem Raum, und im Anschluß an den früheren Körper. 29
Wie unzählige in der Sonnenscheibe vereinigte Strahlen beständig ein und dieselbe Wirkung hervorbringen und die Welt erleuchten, 30
so wird im unbefleckten Element eine Unzahl von Buddha angenommen, welche bei ihren Tätigkeiten vereint ein und dieselbe Wirkung hervorbringen und das Licht des Wissens hervorrufen. 31
Wie mit der Ausbreitung eines einzigen Sonnenstrahls sich alle Strahlen ausbreiten, so ist die Ausbreitung des Wissens der Buddha aufzufassen. 32
Wie es beim Wirken der Sonnenstrahlen keine Eigensucht gibt, so gibt es beim Wirken des Wissens der Buddha keine Eigensucht. 33
Wie von den Strahlen, deren Glanz die Sonne auf einmal aussendet, die Welt beleuchtet wird, so wird vom Wissen der Buddha auf einmal alles Erkennbare beleuchtet. 34
Und wie man meint, daß die Sonnenstrahlen durch Wolken usw. gehemmt werden, so bildet für das Wissen der Buddha die Verderbnis der Wesen ein Hemmnis.
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Die Soheit, welche in allen (Wesen) nicht verschieden ist, stellt, wenn sie zur Reinheit gelangt ist, das Buddhatum dar. Daher tragen alle verkörperten (Wesen) den Keim dazu in sich (tadgarbhah = tathägatagarbhah). 51
Hier zeigt (der Buddha) auf vielen hundert Wegen das Rad der Lehre, dort das Schwinden der Geburt, dort mannigfaltigen Mangel durch die Geburten, hier die völlige Erleuchtung, dort das Nirväna, und zwar immer wieder. Dabei bewegt er sich nicht von der Stelle und doch vollbringt er alles. 52
Dabei denken die Buddha sich: „Dieser ist reif für mich. Dieses Lebewesen muß ich zur Reife bringen. Und dieses wird jetzt zur Reife gebracht." Ohne Willensbetätigung (samskärah = abhisamskärah) gelangt die Menschheit vermöge der weißen Gegebenheiten (d. h. der Tugenden des Buddha) überall in allen Weltgegenden durch die drei Tore (die drei Fahrzeuge) zur Reifung. 53
Wie die Sonne ohne Bemühung durch die Aussendung ihrer ausgedehnten hellen Strahlen überall in allen Weltgegenden bei der Reifung der Saaten tätig ist, so ist die Sonne der Lehre (der Buddha) durch die Aussendung der Strahlen der Lehre, welche die Beruhigung (das Nirväna) predigt, überall in allen Weltgegenden bei der Reifung der Wesen tätig. 54
Wie von einem Licht eine überaus große, unermeßliche und unzählbare Fülle von Licht ausgeht, ohne daß es
Maitreyanatha
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sich deswegen erschöpft, so geht von einem Buddha eine überaus große, unermeßliche und unzählbare Fülle von Reifung aus, ohne daß er sich deswegen erschöpft. 55
Und wie das große Meer durch die Gewässer nicht gesättigt wird und durch den Zustrom der ausgedehnten hellen Wasser nicht wächst, so wird das Element der Buddha durch den beständig eintreffenden Zustrom von Reinheit nicht gesättigt und wächst nicht. Das ist hier das größte Wunder. 82
Die Flüsse, welche ein getrenntes Bett und getrenntes Wasser haben, wenig Wasser führen und gesondert ihre Wirkung vollbringen, gewähren nur wenigen im Wasser wohnenden Lebewesen Nutzen, solange sie nicht unter die Erdoberfläche gelangt sind. 83
Wenn sie aber ins Meer gelangt sind und alle ein Bett und ein großes Gewässer haben und zusammen eine Wirkung vollbringen, dann gewähren sie der Schar der im Wasser wohnenden Lebewesen beständig großen Nutzen. 81 Auch die Weisen, welche eine getrennte Stätte und getrennte Meinung haben, wenig Einsicht besitzen und gesondert ihrer eigenen Tätigkeit nachgehen, gewähren beständig nur für eine beschränkte Zahl von Wesen Nutzen, solange sie nicht zum Buddhatum gelangt sind. 85
Wenn sie aber zum Buddhatum gelangt sind und alle dieselbe Stätte haben, dieselbe große Einsicht besitzen
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Die Schulen des Mahäyana
und gemeinsam dieselbe Tätigkeit ausüben, dann gewähren sie beständig einer großen Schar von Wesen großen Nutzen. Die zweite Übersetzungsprobe bringt die philosophisch wichtigsten Stücke aus dem 1. Kapitel des Madhyäntavibhägah. Dieses Kapitel enthält die Auseinandersetzung Maitreyanäthas mit der Madhyamaka-Lehre. E r verfährt dabei in der Weise, daß er seiner Lehre die Form des mittleren Weges, wie er ihn auffaßt, gibt und so die Madhyamaka-Lehre zu berichtigen und zu ergänzen sucht. Dementsprechend wählt er auch einen neuen Namen für seine Lehre und spricht nicht von mittlerer Lehre, sondern nennt sie Lehre von der Mitte und den E x t r e m e n . Wesentlich ist dabei, worin er den mittleren Weg zwischen den Extremen zu finden glaubt und seine Einarbeitung des Begriffes der Leerheit (¿ünyata). Seine Auffassung des mittleren Weges bringen bereits die ersten beiden Verse. Nägärjuna hatte den mittleren Weg darin gesehen, daß beide E x t r e m e , Sein und Nichtsein, auf die Erscheinungswelt nicht zutreffen, weil beide a n und für sich nicht möglich sind (vgl. z. B . die Übersetzung des 15. Kapitels der Madhyamakakärikä, oben S. 180ff.). Daneben zeigte sich aber auch schon bei ihm die Neigung, die Ablehnung der beiden E x t r e m e damit zu begründen, daß keines von ihnen ausschließlich zutrifft, weil daneben in gewissem Sinn auch das andere gilt (vgl. z. B . Ratnävali I , v. 42ff., oben S. 212). Für diese Auffassung hat sich nun die Yogäcära-Schule entschieden. Wir haben daher in dem oben übersetzten Abschnitt der Bodhisattvabhümih (S. 283f.) den mittleren Weg in der Weise erklärt gefunden, daß man von einem Sein der Erscheinungswelt nicht sprechen darf, weil sie bloße Vorstellung und damit unwirklich ist, daß man aber ebensowenig von einem Nichtsein sprechen darf, da das höchste Sein, das ihr zugrunde liegt, wirklich ist. Und die gleiche Auffassung gilt auch für Maitreyanätha. Bei ihm erscheint sie nur in etwas komplizierterer Form, da er nicht wie die Bodhisattvabhümih nur Erscheinungswelt und höchstes Sein im Auge hat, sondern mit den drei Beschaffenheiten rechnet, welche das Samdhinirmocanasütram gelehrt hatte.
Maitreyanatha
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Von diesen, drei Beschaffenheiten ist die vorgestellte Beschaffenheit reine Vorstellung, die abhängige und die vollkommene Beschaffenheit sind das höchste Sein in seiner besudelten und seiner geläuterten Form. Dementsprechend nimmt die Lehre des mittleren Weges bei ihm folgende Gestalt an. Er sieht die vorgestellte Beschaffenheit in der Zweiheit von Subjekt und Objekt, welche uns die Vorstellung zeigt. Die abhängige Beschaffenheit ist für ihn die unwirkliche Vorstellung, welche ja mit dem Trug der Zweiheit behaftet ist. Die vollkommene Beschaffenheit schließlich ist das höchste Sein, sofern es von diesem Trug frei ist. Er spricht daher von Nichtsein oder Leerheit, setzt diese aber später (v. 13 — 14) ausdrücklich dem höchsten Sein, also dem Element der Gegebenheiten gleich. Davon existiert nun die Zweiheit von Subjekt und Objekt nicht, da sie bloße Vorstellung ist. Dagegen existiert ihr Nichtsein, also die höchste Wirklichkeit, und die unwirkliche Vorstellung, die sich darauf gründet. Man darf daher bei der Erscheinungswelt von keinem Sein sprechen, da die Zweiheit nicht ist, und man darf von keinem Nichtsein sprechen, da die Leerheit und die unwirkliche Vorstellung ist. Und das ist der wahre mittlere Weg. Nun erläutert Maitreyanatha (v. 3 — 4) den zentralen Begriff der unwirklichen Vorstellung {abhütaparikalpah), von dem aus er die ganze Erscheinungswelt erklärt, und stellt anschließend (v. 5) kurz die Beziehimg zur Lehre von den drei Beschaffenheiten her. Die unwirkliche Vorstellung besteht darin, daß das Erkennen entsteht, indem es das Bild von Objekt und Subjekt zeigt. Ein wirkliches Objekt gibt es aber nicht. Und ohne Objekt kann es auch kein Subjekt geben. Es ist das der gleiche Schluß, der bei der Schilderung der erlösenden Erkenntnis wiederkehrt, und dem wir daher oben bereits begegnet sind. Daraus folgt aber, daß alles Erkennen nur eine Vorstellung von etwas Unwirklichem ist. Diese Unwirklichkeit wird nun noch knapp im Sinne des mittleren Weges bestimmt. Das Vorgestellte ist nicht so vorhanden, wie es erscheint, weil es in Wirklichkeit nicht besteht. Es ist aber auch nicht vollkommen nicht vorhanden, weil es als Vorstellung gegeben ist. Auf diesem Trug der Vorstellung beruht aber, ebenso wie Nägärjuna es lehrt, Bindimg und Erlösung und damit 21
Frauwallner,
Buddhismus
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Die Schulen des Mahayana
der gesamte Weltlauf. Denn, die Erlösung besteht nur im Schwinden dieses Truges. Diese unwirkliche Vorstellung ist n u n im Sinne der Lehre von den drei Beschaffenheiten die abhängige Beschaffenheit. Ihr Gegenstand, nämlich die Zweiheit von S u b j e k t u n d Objekt ist, die vorgestellte Beschaffenheit. U n d das Nichtvorhandensein dieser Zweiheit, wie es sich bei der Erlösung ergibt, ist die vollkommene Beschaffenheit. Die nächsten beiden Verse (v. 6 — 7) f ü h r e n die kurz angedeutete B e g r ü n d u n g der Unwirklichkeit der Vorstellung n ä h e r aus. Aus der Einsicht, daß nur das E r k e n n e n wahrgenommen wird, welches die F o r m der Objekte h a t , ergibt sich die Erkenntnis, d a ß m a n keine Objekte w a h r n i m m t . Daraus, d a ß m a n keine Objekte w a h r n i m m t , ergibt sich aber die weitere Folgerung, d a ß m a n auch kein E r k e n n e n w a h r n e h m e n k a n n , da es ohne Objekte kein E r k e n n e n gibt. Die scheinbare W a h r n e h m u n g ist also in Wirklichkeit eine N i c h t w a h r n e h m u n g . Da aber beide bestehen, die Nichtw a h r n e h m u n g dem tatsächlichen Sachverhalt n a c h u n d die W a h r n e h m u n g , weil ja doch das unwirkliche Vorstellungsbild wahrgenommen wird, sind W a h r n e h m u n g u n d Nichtw a h r n e h m u n g einander gleich. U n d d a m i t ist wieder die relative Auffassung im Sinne der mittleren Lehre eingeflochten. E s folgen wieder in zwei Versen (v. 8 — 9) einige Bemerkungen über die psychologische Grundlage der unwirklichen Vorstellung. Diese psychologische Grundlage besteht, der allgemeinen buddhistischen Auffassung entsprechend, aus dem Geist oder dem E r k e n n e n u n d den dazugehörigen geistigen Gegebenheiten, die beide nach den drei Weltsphären gegliedert sind. Davon erkennt der Geist den jeweiligen Gegenstand im allgemeinen, während die geistigen Gegebenheiten seine Besonderheiten erfassen. Schwierig ist die D e u t u n g des zweiten Verses, da M a i t r e y a n ä t h a seine Anschauungen mehr a n d e u t e t als ausspricht u n d die späteren Erklärer die Psychologie Asangas in seine Worte hineinlesen. Manches spricht d a f ü r , d a ß er zwei F o r m e n des Erkennens unterscheidet, von denen eine bloß das Bild des Objektes vermittelt, während die zweite seine W a h r n e h m u n g bewußt werden läßt. Die erste würde also dem Objektsteil, die zweite dem Subjektsteil der unwirklichen Vorstellung entsprechen.
Maitreyanätha
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I m Original folgen nun noch zwei Verse, welche mit der bei Maitreyanätha häufigen äußerlichen Systematik die Formen der Besudelung aufzählen, welche die Verstrickung in den Wesenskreislauf bedingt. Dann ist die erste Hälfte des Kapitels zu Ende. Die zweite Hälfte, die nun folgt, behandelt die Leerheit {¿ünyatü) oder das höchste Sein. Nach einer kurzen Angabe der Disposition dieses Teiles gibt Maitreyanätha (v. 13) zunächst eine Definition der Leerheit. E r wiederholt dabei die am Anfang des Kapitels gegebene Bestimmung der vollkommenen Beschaffenheit, die j a dem höchsten Sein entspricht, und formt sie nur etwas schärfer im Sinne des mittleren Weges. Danach ist die Leerheit das Nichtsein der Zweiheit und das Sein dieses Nichtseins, d. h. sie hat positiven Charakter. Sie ist nicht ein bloßes Nichtvorhandensein, sondern eine Wesenheit, welche durch das Nichtvorhandensein der Zweiheit gekennzeichnet ist. Infolgedessen kann sie auch im Sinne einer relativen Betrachtungsweise weder als seiend noch als nichtseiend bezeichnet werden. Und damit ist wieder der mittlere Weg gewahrt. Wichtig aber nicht weiter ausgeführt ist die im letzten Teil dieses Verses enthaltene Bestimmung. Sie bezieht sich auf das Verhältnis des höchsten Seins zur E r scheinungswelt, also des Wesens der Gegebenheiten (dharmatü) zu den Gegebenheiten (dharmäh). Nach Maitreyanätha ist dieses Verhältnis so, daß beide weder verschieden noch eins sind. Die nächsten zwei Verse (v. 14 — 15) zählen die verschiedenen Namen auf, mit denen die Leerheit noch bezeichnet wird, und begründen sie. Sie heißt Soheit (tathatä), weil sie nie anders wird. Sie heißt Höhepunkt des Wirklichen (bhütakotih), weil sie frei von jedem Irrtum ist. Sie heißt das Merkmallose (änimittah), weil sie ohne jedes Merkmal ist. Sie heißt die höchste Wahrheit (paramärthatä), weil sie Gegenstand des Wissens der Heiligen ist. Und sie heißt Element der Gegebenheiten (dharmadhätuh) weil die Eigenschaften (dharmäh) der Heiligen auf ihr beruhen. Anschließend bespricht Maitreyanätha die Leerheit vom Standpunkt der Bindung und Erlösung (v. 16), und zwar in ganz derselben Weise wie sonst in seinen Werken, wo er die Bezeichnung Element der Gegebenheiten gebraucht. 21*
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Die Schulen des Mahayana
Sie ist danach entweder befleckt oder unbefleckt. Befleckt ist sie, wenn sie durch die Verbindung mit den Lastern besudelt ist. Unbefleckt ist sie, wenn sie durch die Beseitigung der Laster geläutert ist. Diese Besudelung und Läuterung berührt aber ihr Wesen nicht und bedingt keine Veränderung desselben, da sie von Natur aus rein und alle Befleckung nur äußerlich ist, wie bei Wasser, Gold oder dem Raum (vgl. oben Mahäyänasüträlamkärah X I , v. 13). Die Verse, die im Original nun folgen (v. 17 — 20), sind ein Einschub, in dem Maitreyanätha die sechzehn Arten der Leerheit aufzählt, die in der Prajnäpäramitä gelehrt werden. Dann fährt er fort (v. 21 — 22): Die besudelte Form der Leerheit muß bestehen, weil es sonst keine Verstrickung in den Wesenskreislauf gäbe. Die geläuterte Form muß bestehen, weil sonst keine Erlösung möglich wäre. Sie ist daher, relativ betrachtet, weder besudelt noch unbesudelt, weder rein noch unrein. Also gilt auch hier das Prinzip des mittleren Weges. Aus der „Erläuterung der Mitte und der Extreme" (Madhyäntavibhägah) KAPITEL i
1 Die nichtwirkliche Vorstellung ist vorhanden. Eine Zweiheit gibt es dabei nicht. Die Leerheit gibt es jedoch dabei. Und in ihr gibt es auch jene (nichtwirkliche Vorstellung). 2
Daher wird alles weder als leer noch als nichtleer gelehrt, wegen des Seins, des Nichtseins und des Seins. Und dies ist der mittlere Weg. 3
Das Erkennen entsteht, indem es Gegenstände, Wesen, Ich und Erkenntnis spiegelt. Es hat aber keinen Gegenstand, und weil dieser fehlt, ist es selbst nichtseiend.
Maitreyanatha
325
4
Daher erwiesen, nicht ist. Erlösung
ist sein Charakter als unwirkliche Vorstellung weil es nicht so, aber auch nicht vollständig Man nimmt an, daß durch sein Schwinden die (erfolgt). 5
Die vorgestellte, abhängige und vollkommene Beschaffenheit ist auf Grund des Gegenstandes, der unwirklichen Vorstellung und des Nichtseins der Zweiheit gelehrt worden. 6
Auf die Wahrnehmung gestützt entsteht die Nichtwahrnehmung. Auf die Nichtwahrnehmung gestützt entsteht die Nichtwahrnehmung. 7
Daher ist erwiesen, daß das Wesen der Wahrnehmung Nichtwahrnehmung ist. Infolgedessen soll man wissen, daß Nichtwahrnehmung und Wahrnehmung gleich sind. 8
Die unwirkliche Vorstellung ist der Geist und die geistigen Gegebenheiten, welche den drei Sphären angehören. Dabei ist das Erkennen Schauen des Gegenstandes. Die geistigen Gegebenheiten richten sich auf seine Besonderheiten. 9
Eines ist das bemerkende Erkennen (pratyayavijnänam), das zweite das empfindende (aupabhogikam). Dabei fördern (prerakah) die geistigen Gegebenheiten die Feststellung (paricchedaib) und Empfindung (upabhogah).
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Die Schulen des Mahäyäna 13
Das Nichtsein der Zweiheit und das Sein des Nichtseins ist das Merkmal des Leeren. (Es ist daher) weder Sein noch Nichtsein, weder durch Verschiedenheit noch durch Einheit gekennzeichnet. 14
Die Soheit, der Höhepunkt des Wirklichen, das Merkmallose, die höchste Wahrheit und das Element der Gegebenheiten, das sind in Kürze die Synonyme der Leerheit. 15
Der Sinn dieser Synonyme ergibt sich der Reihe nach daraus, daß sie nicht anders, ohne Irrtum, Unterdrückung der (Merkmale), Bereich der Heiligen und Ursache der Eigenschaften der Heiligen ist. 16
Sie ist besudelt und rein oder befleckt und unbefleckt. Es wird angenommen, daß ihre Reinheit ähnlich ist wie die Reinheit des Elementes des Wassers, des Goldes und des Raumes. 21
Wenn jene nicht besudelt wäre, wären alle Lebewesen erlöst. Wenn jene nicht rein wäre, wäre jede Bemühung fruchtlos. 22
Sie ist (daher) weder besudelt noch unbesudelt, weder rein noch unrein. Asaiiga (um 315—390 n. u. Z.)
Die bedeutendste Persönlichkeit der Yogäcära-Schule ist der große Schüler Maitreyanäthas Asaiiga. Asanga
Asariga
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wurde gegen Anfang des 4. J a h r h u n d e r t s n. u. Z. als Sohn eines vornehmen B r a h m a n e n in P u r u s a p u r a (Peshäwar) geboren. Ursprünglich gehörte er der Hinayäna-Schule der Mahisäsaka an, w a n d t e sich aber später dem Mahäyäna zu. Entscheidend wurde f ü r ihn der Einfluß seines Lehrers M a i t r e y a n ä t h a . Dieser teilte ihm seine Werke mit, welche Asaiiga teils selbst kommentierte, teils seinem Bruder Vas u b a n d h u übermittelte, d a m i t dieser die K o m m e n t a r e dazu schreibe. Die spätere Legende h a t d a n n , als die Persönlichkeit Maitreyanäthas vergessen war, d a r a u s gemacht, d a ß Asanga diese Werke vom künftigen B u d d h a Maitreya im Tusita-Himmel empfangen habe. Wichtig f ü r die E n t wicklung der Schule war ferner, d a ß es Asanga gelang, seinen jüngeren Bruder V a s u b a n d h u f ü r seine Lehre zu gewinnen, der d a n n eine überaus umfangreiche u n d erfolgreiche Tätigkeit im Dienste seines neuen Glaubens entwickelte. Einer späten Überlieferung zufolge soll Asanga im Alter von fünfundsiebzig J a h r e n gestorben sein. Asanga h a t trotz seiner Schülerschaft bei M a i t r e y a n ä t h a u n d t r o t z dessen s t a r k e m Einfluß auf ihn bedeutendes Eigenes geleistet, u n d zwar vor allem zweierlei. E r h a t durch Übernahme u n d E i n a r b e i t u n g der Hinayäna-Dogm a t i k das Yogäcära-System so ausgestaltet, d a ß es sich in jeder Hinsicht ebenbürtig neben die großen H i n a y ä n a Schulen der damaligen Zeit stellen konnte. Ferner h a t er, was M a i t r e y a n ä t h a noch nicht gelungen war, die Massen der alten Erlösungsscholastik mit fester H a n d in sein Sys t e m eingefügt u n d so ein einheitliches Lehrgebäude errichtet, das in seinen Grundzügen d a u e r n d in Geltung geblieben ist. Von den zahlreichen Werken Asangas sind vor allem folgende wichtig: Der Abhidharmasamuccayah („Zusammenstellung der D o g m a t i k " ) , in dem er in Anlehnung a n den A b h i d h a r m a der Mahxsäsaka-Schule der Yogäcära-Schule die grundlegende Dogmatik gab. Das n u r Chinesisch erhaltene Hien y a n g cheng kiao louen ( „ V e r k ü n d u n g der edlen Lehre", behelfsmäßig, da der Originaltitel nicht b e k a n n t ist, meist Äryadesanävikhyäp a n a m oder kurz V i k h y ä p a n a m genannt), eine systema-
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Die Schulen des Mahayana
tische Zusammenfassung der Lehren des riesigen Yogäcärabhümisästram (s. oben S. 265f.). Das philosophisch bedeutendste Werk, der Mahäyänasamgrahah („Zusammenfassung des Mahäyäna"), in dem er eine systematische Darstellung der Grundlehren seines Systems gibt. Für sein System ist, wie bereits gesagt, vor allem die Übernahme der Begriffswelt der Hlnayäna-Dogmatik kennzeichnend. Das zeigt sich besonders in der Psychologie. Das reine Erkennen Maitreyanäthas, aus dem die falschen Vorstellungen entspringen, ist bei ihm durch den Komplex psychischer Gegebenheiten ersetzt, wie ihn die HlnayänaSchulen lehrten, nämlich den Geist, d. h. die sechs Arten des Erkennens, die schon der Kanon kennt, und die damit verbundenen geistigen Gegebenheiten. Dazu kommt noch das Denken (manah) als Träger des Ichbewußtseins, und, was besonders wichtig ist, das Grunderkennen (älayavijndnam). Dieses hat folgenden Ursprung. Da nach allgemeiner buddhistischer Lehre die psychischen Gegebenheiten nur die Dauer eines Augenblicks haben und sofort nach ihrem Entstehen wieder vergehen, ergab sich früh die Frage, wieso sich in Fällen, wo eine Unterbrechung des Bewußtseins eintritt, der Erkenntnisstrom später wieder fortsetzen kann. Daher hatten mehrere Schulen des Hlnayäna, darunter auch die Mahiiäsaka, eine Form des Erkennens angenommen, welche den bewußten Erkenntnisformen zugrunde liegt und während des ganzen Wesenskreislaufs, oder wenigstens von der Geburt bis zum Tode, ununterbrochen andauert. Die Stelle dieses Erkennens nimmt nun bei Asanga das Grunderkennen ein. Und zwar war diese Annahme für ihn um so notwendiger, als die YogäcäraSchule nichts außerhalb des Erkennens kannte, was ihm als Träger dienen oder es hervorrufen konnte. Asanga verbindet daher damit noch eine zweite Lehre, die vielleicht ebenfalls bereits ein Vorbild bei der Mahlääsaka-Schule hatte, nämlich die Lehre von den Samen (bijüni) oder von der Durchtränkung (väsana) des Grunderkennens. Danach hinterläßt jeder Erkenntnis Vorgang im Grunderkennen einen Eindruck, er durchtränkt es gewissermaßen wie ein Geruch ein Tuch, und diese Eindrücke vermögen später ohne den Anstoß durch ein äußeres Objekt, ein gleich-
Asariga
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artiges Erkennen hervorzurufen, so daß in anfanglosem ununterbrochenem Wechsel von Erkennen und Eindrücken das Bild der Erscheinungswelt entsteht, ohne daß außerhalb des Erkennens irgend etwas Wirkliches vorhanden wäre. Durch ähnliche Eindrücke erklärt Asanga außerdem auch das Wirken der Werke (karma). Aus diesen psychischen Gegebenheiten baut sich das Bild der Erscheinungswelt folgendermaßen auf: Der für Maitreyanätha grundlegende Begriff der unwirklichen Vorstellung ist für Asanga bedeutungslos und ist nur ganz äußerlich in seine Lehre eingearbeitet. Dagegen gibt die Lehre von den drei Beschaffenheiten im Gegensatz zu Maitreyanätha für ihn den grundsätzlichen festen Rahmen ab. Von diesen drei Beschaffenheiten steht die abhängige Beschaffenheit als grundlegend im Mittelpunkt. Sie besteht nämlich aus den verschiedenen Arten der Erkenntnis (vijnaptih), die aus dem Grunderkennen hervorgehen, und zwar kennt Asanga elf solche Arten: 1. bis 3. die Erkenntnis des Körpers, des Verkörperten und des Genießers, 4. die Erkenntnis des dadurch Genossenen, 5. die Erkenntnis des Genießenden, 6. die Erkenntnis der Zeit, 7. die Erkenntnis der Zahl, 8. die Erkenntnis des Ortes, 9. die Erkenntnis der Sprache, 10. die Erkenntnis der Verschiedenheit zwischen sich und anderen und 11. die Erkenntnis des guten und des bösen Weges, des Dahinscheidens und des Entstehens. Diese elf Arten der Erkenntnis umfassen alle Formen, in denen sich die Erscheinungswelt darstellt, und indem sie in dieser Form aus dem Grunderkennen hervorgehen, entsteht das Bild der Außenwelt. Die von Maitreyanätha so stark betonte Unterscheidung von Objekt und Subjekt führt Asanga dabei folgendermaßen durch. Er spricht nicht von Erfaßtem und Erfassendem (grähyagrühakau), sondern unterscheidet beim Erkennen zwischen einem Bildteil (nimittabhUgah) und einem Blickteil (darianabhagah,), die dem Objekt und Subjekt entsprechen. Beide, Bildteil und Blickteil, sind in den oben aufgezählten Arten der Erkennntis enthalten, und zwar verhält es sich damit so. Nach alter buddhistischer Lehre müssen bei jedem Erkenntnisvorgang drei Faktoren gegeben sein, Objekt, Sinnesorgan und das entsprechende Erkennen, und der Kanon lehrte daher eine Gruppe von
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Die Schulen des Mahayana
achtzehn sogenannten Elementen (dhütavah), welche die sechs Sinnesorgane mit den entsprechenden sechs Objekten und sechs Arten des Erkennens umfaßt. F ü r Asanga, der keine Außenwelt kennt, sind aber alle diese achtzehn Elemente nur Arten der Erkenntnis und als solche in den oben aufgezählten elf Arten enthalten, und zwar machen sie ihren eigentlichen K e r n aus, während alle übrigen nur Abarten (prabhedah) von ihnen sind. Dabei umfaßt die E r kenntnis des Körpers, des Verkörperten und des Genießers die sechs Sinnesorgane, die Erkenntnis des dadurch Genossenen die sechs Objekte, und die Erkenntnis des Genießenden die sechs Arten des Erkennens. Somit entstehen für Asanga bei jedem Erkenntnisvorgang immer drei Arten der Erkenntnis zugleich, von denen eine das Bild des Sinnesorgans zeigt, die zweite das Bild des Objekts und die dritte das Bild des entsprechenden Erkennens. Die Erkenntnis, welche das Bild des Sinnesorgans zeigt, bildet dabei gewissermaßen die Grundlage, diejenige, welche das Bild des Objekts zeigt, stellt den Bildteil und somit das Objekt des Erkenntnisvorganges dar, diejenige, welche das Bild des entsprechenden Erkennens zeigt, den Blickteil und somit das Subjekt. Soweit die abhängige Beschaffenheit. Von der vorgestellten und der vollkommenen Beschaffenheit weiß Asanga ähnlich wie Maitreyanätha nur zu sagen, daß die vorgestellte Beschaffenheit in den Gegenständen besteht, die sich, ohne wirklich vorhanden zu sein, in der Erkenntnis spiegeln, die vollkommene Beschaffenheit dagegen im vollständigen Nichtvorhandensein dieser Gegenstände. Wichtig und neu ist nur seine Ansicht von der Vorstellung. Für ihn ist nämlich nicht jedes Erkennen Vorstellung, sondern nur das Denkerkennen (manovijfianam). E r folgt dabei wieder einer verbreiteten Ansicht der Hinayäna-Schulen, daß zwar jedes Erkennen von Vorstellung (vikalpah,) begleitet ist, daß aber der eigentliche vorstellende Charakter nur dem Denkerkennen zukommt. Beim Denkerkennen erscheinen wieder wie überall drei Arten der Erkenntnis miteinander verknüpft. Die Grundlage bildet hier die Erkenntnis des Denkens (manovijnaptih). Die Erkenntnis des Denkerkennens selbst (manovijnänavijnaptih) stellt den Blickteil dar. Der Bildteil schließlich besteht aus allen sechs äußeren
Asanga
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Elementen oder Bereichen von der Erkenntnis der Form (rüpavijriaptih) bis zur Erkenntnis der Gegebenheiten (dharmavijnaptih). Diese Arten der Erkenntnis machen zusammen die Vorstellung aus und sie sind es, auf denen die vorgestellte Beschaffenheit beruht. Bei der Erlösungslehre kommt die Eigenart der Auffassung Asangas besonders deutlich zum Ausdruck. Zwar liegen die Verhältnisse schwieriger. Denn das Streben, das gesamte überkommene Material in sein System einzubauen und zu einer Einheit zusammenzufassen, hat hier dazu geführt, daß Altes und Neues bunt nebeneinander steht. Dabei ist manches unausgeglichen geblieben. Und auch an Widersprüchen fehlt es nicht. Greifen wir aber die Abschnitte heraiis, in denen Asanga seine eigenen Gedanken ausspricht, so verschwinden die Anstöße und alles schließt sich ungezwungen und folgerichtig mit den bisher wiedergegebenen Anschauungen zu einem einheitlichen Bild zusammen. Die Grundzüge des Erlösungsweges stimmen bei Asanga mit Maitreyanätha überein. Er beginnt mit der Vorbereitung, die vor allem in der Anhäufung von Verdienst und Wissen besteht. Besonders wichtig ist dabei das Hören und die richtige Auffassung der Mahäyäna-Lehre. Den entscheidenden Schritt aber bildet das vorstellungsfreie Wissen (nirvikalpalcajnünam). Dieses erkennt zuerst die Unwirklichkeit der Gegenstände der Erkenntnis, wird sich bewußt, daß ohne Gegenstände auch das bloße Erkennen hinfällig wird, und erschaut schließlich unmittelbar das höchste Sein. Auf das vorstellungsfreie Wissen folgt das anschließende Wissen (prsthalabdhajnänam), welches die gewonnene Einsicht auch im gewöhnlichen Bewußtseinszustand festhält. Die erste Erlangung des vorstellungsfreien Wissens stellt den Weg des Schauens dar (daräanamärgah). Auf ihm wird der Beginn der Beseitigung der Hemmnisse gemacht und damit die Umgestaltung der Grundlage (dSrayaparavrttih) eingeleitet. Die Fortsetzung dieses Vorgangs bringt der Weg der Betrachtung (bhävandmargah), der sich über lange Zeit erstreckt. Zum Ziel führt endlich der Weg des Abschlusses (ni?thümärga,h), der, nachdem in der diamantgleichen Versenkung (vajropamasamOdhih) die letzten Hemmnisse vernichtet sind, die Umgestaltung der Grund-
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Die Schulen des Mahayana
läge zum Abschluß bringt, womit die Erlösung erreicht ist. Kennzeichnend ist nun, wie Asaiiga im Gegensatz zu Maitreyanätha diese Vorgänge psychologisch erklärt. Während sie sich für Maitreyanätha im höchsten Sein abspielen, das j a fleckenloser Geist ist, ist bei Asanga ihr Träger der von ihm gelehrte psychische Komplex. Der Ablauf ist dabei folgender. Zunächst entsteht durch das Hören und richtige Auffassen der Mahäyäna-Lehre eine Durchtränkung (väsanä), welche ein Ausfluß des höchsten Seins ist. Diese Durchtränkung gehört nicht dem Grunderkennen an, da dieses besudelt ist, sie selber dagegen unbefleckt (anOsravah) und überweltlich (lokottarah) ist. Sie lehnt sich aber an das Grunderkennen an. Aus ihr geht das vorstellungsfreie Wissen hervor, das ebenfalls überweltlich ist, und ebenso schließen sich an sie alle unbefleckten Gegebenheiten an, die der Bodhisattva im Laufe seines Strebens erwirbt. So entwickelt sich in der abhängigen Beschaffenheit neben dem besudelten Grunderkennen und allem, was zu ihm gehört, ein zweiter, lauterer Bestandteil. Die weitere Entwicklung im Laufe des Erlösangsweges verläuft nun so, daß der besudelte Teil immer schwächer wird, während jene Durchtränkung und damit der gesamte lautere Teil immer mehr an Stärke gewinnt. Das ist die genannte Umgestaltung der Grundlage. Sie endet schließlich in der Weise, daß das Grunderkennen und damit der ganze besudelte Teil vollständig verschwindet und nur der lautere Teil übrig bleibt. Und damit ist die Erlösung gewonnen. Dieser Auffassung des ErlösungsVorganges entspricht auch Asangas Buddhologie. Danach besteht der Körper der Lehre (dharmakäyah) des Buddha aus den lauteren Gegebenheiten, welche bei der Umgestaltung der Grundlage übrig bleiben, zusammen mit den für den Buddha kennzeichnenden Eigenschaften, welche er mit der Erlangung der Erleuchtung erwirbt. Also auch hier ist es nicht das höchste Sein, worauf Asaiiga seine Anschauung gründet, sondern der Komplex psychischer Gegebenheiten. Gleichzeitig entspricht dies der alten Hlnayänä-Auffassung, welche den Körper der Lehre in den reinen Gegebenheiten gesehen hatte, deren Besitz den Buddha zum Buddha macht. Im einzelnen spielen die zehn Machtvollkommen-
Asanga
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heiten (vaiitah) eine Art zentrale Rolle. An sie schließen sich die übrigen reinen Gegebenheiten an. Diese sind überaus zahlreich, da Asanga auch hier alles zusammenfaßt, was ihm die alte Überlieferung bot. Auch die Lehre von den drei Körpern des Buddha f ü h r t er breit aus. Aber alles das hat philosophisch wenig Bedeutung und kann ebenso wie die scholastische Ausmalung des Erlösungsweges wegbleiben. Als Übersetzungsproben sind bei Asanga längere zusammenhängende Stücke aus seinen Werken nicht geeignet, da er breit und umständlich schreibt und ständig das Material der alten Erlösungsscholastik einüicht, das dem philosophisch interessierten Leser nichts bietet. Ich bringe daher einzelne, herausgegriffene Stücke, in welchen seine oben dargestellten charakteristischen Anschauungen ausgesprochen sind. Die Lehre vom Grunderkennen und den Durchtränkungen, berücksichtige ich dabei nicht, da sie in den später wiedergegebenen Werken Vasubandhus wiederkehrt. Im allgemeinen sind die übersetzten Abschnitte nach dem Gesagten ohne Schwierigkeit verständlich, so daß einzelne Bemerkungen genügen. Die übersetzten Stücke des 2. Kapitels behandeln die Lehre von den drei Beschaffenheiten und besonders, wie sich die Erscheinungswelt aus den elf Arten der Erkenntnis aufbaut. Dabei ist im 2. Paragraph die Unterscheidung von drei Arten der Durchtränkung als charakteristisch f ü r Asanga hervorzuheben. Davon gehört die Durchtränkung der Benennung zur Hauptmasse der Vorstellungen, die ja nach alter Yogäcära-Lehre (s. oben S. 268f.) notwendig mit Worten verbunden sind. Die Durchtränkung des Glaubens an ein Ich erscheint gesondert gemäß der Wichtigkeit, die der Ich-Vorstellung beigelegt wird, und da sie mit einer eigenen Form des Erkennens, nämlich dem sogenannten lasterhaften Denken (klistam manah) verknüpft ist. Die Durchtränkung der Glieder des Daseins schließlich entspricht der Form der Erkenntnis, in welcher die Reifung der Werke besonders zum Ausdruck kommt. Der 13. Paragraph lehrt einen Bildteil und Blickteil des Grunderkennens auf Grund der Erwägung, daß es als Erkennen auch diese beiden Teile besitzen müsse.
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Die Schulen des Mahayana
Die wiedergegebenen Stücke des 3. Kapitels handeln vom Erlösungsweg, vor allem vom vorstellungsfreien E r kennen. Der 1. Paragraph beginnt mit einer genauen Bestimmung der Durchtränkung durch das Hören der Mahäyäna-Lehre und der entsprechenden Erkenntnis vom psychologischen Standpunkt aus. Diese Erkenntnis ist demnach ein Denksprechen und besteht als Erkennen aus einem Bild- und einem Blickteil. Und zwar besteht der Bildteil aus Wort und Gegenstand, also hier aus den Mahäyäna-Texten und ihrem Inhalt. Die Paragraphen 7 bis 9, welche den Verlauf des vorstellungsfreien Erkennens schildern, bieten ein gutes Beispiel, wie Asanga das verschiedene überkommene Material ineinanderarbeitet und mit eigenen Gedanken zu einer Einheit verbindet. In den Grundzügen folgt er der Lehre Maitreyanäthas (vgl. oben S. 300f.). Um die Unwirklichkeit der Gegenstände der E r kenntnis zu begründen, verwendet er die alte YogäcäraLehre vom Denksprechen und von der notwendigen Verbindung der Gegenstände mit den Worten. Damit verbindet er die aus der Erlösungsscholastik genommene Lehre von den vier Prüfungen und den vier wahrheitsgemäßen Erkenntnissen und reiht außerdem eigene Gründe daran an (§ 8 Anfang = 2. Kapitel, § 11). Schließlich ist zu beachten, wie er den Verlauf der Vorgänge mit der Lehre von den drei Beschaffenheiten in Einklang zu bringen sucht. Das 8. Kapitel handelt ausschließlich vom vorstellungsfreien Erkennen. Bemerkenswert ist im 7. Paragraphen der Versuch, die Unausdrückbarkeit des wahren Wesens der Dinge zu begründen. Asanga stützt sich hier wieder auf die alte Yogäcära-Lehre von der Abhängigkeit der vorgestellten Gegenstände von der Lautverbindung der Worte. Das wahre Wesen der Dinge kann aber nicht mit den Worten verknüpft sein, weil sie sich nicht entsprechen, da z. B . für ein und dasselbe Ding mehrere Wörter verwendet werden, und daher ist es durch Worte unausdrückbar. Zum 9. und 10. Kapitel, welche von der Umgestaltung der Grundlage und dem Körper der Lehre des Buddha handeln, ist nichts Besonderes zu bemerken. Zu beachten ist nur, daß in der Buddhologie immer wieder die alte Lehre vom höchsten Sein durchklingt. Angeschlossen habe ich noch einige Paragraphen aus dem 1. Kapitel, welche die
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Lehre von der Umgestaltung der Grundlage genauer erläutern. Der überweltliche Geist ist dabei das vorstellungsfreie Wissen. Zum Vergleich mit Milch und Wasser ist schließlich noch zu bemerken, daß Milch und Wasser als typisches Bild einer harmonischen Verbindung gelten und daß nach indischem Glauben, der Flamingo die Fähigkeit besitzt, aus dieser Mischung die Milch allein herauszutrinken.
Aus der „Zusammenfassung des Mahäyäna" (Mahäyänasamgrahah) KAPITEL II
1 Wie ist die Beschaffenheit des Erkennbaren anzusehen ? Sie ist, kurz gefaßt, dreifach: 1. Die abhängige Beschaffenheit, 2. die vorgestellte Beschaffenheit und 3. die vollkommene Beschaffenheit. 2
Welches ist dabei die abhängige Beschaffenheit? Die Erkenntnis, deren Same das Grunderkennen ist und die der unwirklichen Vorstellung (abhütaparikalpah) angehört. Welche ist dies? 1.—3. Die Erkenntnis des Körpers, des Verkörperten und des Genießers, 4. die Erkenntnis des dadurch Genossenen, 5. die Erkenntnis des Genießenden, 6. die Erkenntnis der Zeit, 7. die Erkenntnis der Zahl, 8. die Erkenntnis des Ortes, 9. die Erkenntnis der Sprache, 10. die Erkenntnis der Verschiedenheit zwischen sich und anderen und 11. die Erkenntnis des guten und des bösen Weges, des Dahinscheidens und des Entstehens. 3
Dabei ist die Erkenntnis des Körpers, des Verkörperten und des Genießers, die Erkenntnis des dadurch Genossenen
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die Erkenntnis des Genießenden und die Erkenntnis der Zeit, der Zahl, des Ortes und der Sprache aus dem Samen der Durchtränkung der Benennung (abhiläpaväsanä) entstanden. Die Erkenntnis der Verschiedenheit zwischen sich und anderen ist aus dem Samen der Durchtränkung des Glaubens an ein Ich (ätmadrstiväsanä) entstanden. Die Erkenntnis des guten und des bösen Weges, des Dahinscheidens und des Entstehens ist aus dem Samen der Durchtränkung der Glieder des Daseins (bhavängaväsanä) entstanden. Alle Sphären, Wege (gatayah)1, Mutterschöße (yonayah)1 und Besudelungen, welche in diesen Arten der Erkenntnis enthalten sind, werden als unwirkliche Vorstellung der abhängigen Beschaffenheit bezeichnet. (Dagegen) sind diese Arten der Erkenntnis (selbst), sofern sie als bloße Erkenntnis der unwirklichen Vorstellung angehören und die Grundlage der nicht vorhandenen, irrigerweise erscheinenden Dinge sind, die abhängige Beschaffenheit. 3
Welches ist dabei die vorgestellte Beschaffenheit ? Das Erscheinen dieser bloßen Erkenntnis als Gegenstand, obwohl kein Gegenstand vorhanden ist.
Welches ist dabei die vollkommene Beschaffenheit? Das vollständige Nichtvorhandensein des Merkmals des Gegenstandes in der abhängigen Beschaffenheit. 1 Als Arten des Daseins unterscheidet der Buddhist fünf Wege, d. h. das Dasein als Gott, Mensch, Gespenst, Tier oder Höllenbewohner, und vier Mutterschöße, j e nach der Geburt aus einem Ei, aus der embryonalen Eihaut, aus Schweiß oder durch wunderbares unvermitteltes Erscheinen.
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Dabei sind unter der Erkenntnis des Körpers, des Verkörperten und des Genießers die sechs inneren Bereiche des Auges usw. zu verstehen. Unter der Erkenntnis des dadurch Genossenen sind die sechs äußeren Bereiche der Form usw. zu verstehen. Unter der Erkenntnis des Genießenden sind die sechs Elemente des Augenerkennens usw. zu verstehen. Die übrigen Arten der Erkenntnis sind als Abarten dieser Arten der Erkenntnis zu betrachten. 6
(Gegner:) Welches Beispiel habt ihr für die Behauptung, daß diese Arten der Erkenntnis bloß Erkenntnis sind, weil kein Gegenstand vorhanden ist? (Antwort:) Der Traum usw. ist als Beispiel zu betrachten. Im Traum z. B. erscheint, obwohl kein Gegenstand da ist und nur das Erkennen vorhanden ist, das Bild mannigfacher Gegenstände, einer Form, eines Tones, eines Geruchs, eines Geschmacks, eines Berührbaren, eines Hauses, eines Waldes, eines Landes, eines Berges usw., und doch ist dabei kein Gegenstand vorhanden. Auf Grund dieses Beispiels läßt sich erkennen, daß in allen Fällen nur die Erkenntnis vorhanden ist. Die Worte „usw." sind (oben) so zu verstehen, daß auch Zaubertrug, Luftspiegelung und Augentäuschung als Beispiele zu betrachten sind. 7
(Gegner:) Wenn wie im Traum usw. auch im Wachen in allen Fällen nur die Erkenntnis vorhanden ist, warum ergibt sich dann nicht wie beim Traum auch dabei die Einsicht, daß es sich um bloße Erkenntnis handelt? (Antwort:) Sie ergibt sich bei denen, die durch das Wissen von der Wahrheit erwacht sind. So wie sich im Traum diese Einsicht nicht ergibt, wohl aber im Wachen, so 22
Frauwallner,
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ergibt sie sich nicht bei denen, die durch das Wissen von der Wahrheit nicht erwacht sind, wohl aber bei denen, die durch das Wissen von der Wahrheit erwacht sind. 10 (Frage:) Warum entstehen die Erkenntnis des Körpers, des Verkörperten und des Genießers, die Erkenntnis des dadurch Genossenen und die Erkenntnis des Genießenden in jedem Körper vereint und zur gleichen Zeit? (Antwort:) Damit die Geburt und der Genuß (der Werke) vollständig Zustandekommen. (Frage:) Warum entstehen die verschiedenen genannten Arten der Erkenntnis der Zeit usw.? (Antwort:) Weil die seit anfangloser Zeit bestehende Kette des Kreislaufs der Geburten keine Unterbrechung kennt. Weil die Sphäre der Lebewesen unermeßlich ist. Weil die Sphäre der Umwelt (bhäjanalokah) unermeßlich ist. Weil die Ausdrücke, welche die gegenseitigen Tätigkeiten mitteilen, unermeßlich sind. Weil die Abarten des angeeigneten Genusses unermeßlich sind. Weil die Abarten des Genusses der erwünschten und unerwünschten Reifung der Frucht der Werke unermeßlich sind und weil die Abarten der Geburt, des Alters und des Todes, die man erleidet, unermeßlich sind. 11 (Frage:) Wie läßt sich feststellen, daß diese Arten der Erkenntnis bloß Erkenntnis sind? (Antwort:) Kurz gesagt auf dreierlei Art: Weil nur sie vorhanden sind, da es keinen Gegenstand gibt. Weil eine Zweiheit gegeben ist, da sie mit Bild (nimittam) und Blick (darsanam) versehen sind. Und weil eine Vielheit zugleich entsteht, da sie in vielfacher Gestalt entstehen. Diese Arten der Erkenntnis sind nämlich alle, da es keinen Gegenstand gibt,
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bloß dies, (nämlich Erkenntnis). Die Erkenntnis des Auges usw. ist mit Bild und Blick versehen, da die Form usw. ihr Bild und das Erkennen derselben ihr Blick ist . . . usw., bis . . . da das Körpererkennen ihr Blick ist. Die Erkenntnis des Denkens hat von der Erkenntnis des Auges bis zur Erkenntnis der Gegebenheiten alles als Bild und die Erkenntnis des Denkerkennens als Blick, weil das Denkerkennen Vorstellung ist und in der Gestalt aller Arten der Erkenntnis entsteht. Dazu lautet ein Vers: Bloß dies, die Zweiheit und die Vielheit wünschen die Yogin zu erkennen. Denn derjenige, welcher in den bloßen Geist eingedrungen ist, wird davon frei.
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Wenn man die Erkenntnis des Grunderkennens als Erkenntnis eines Objekts auffaßt, so bilden alle andern Arten der Erkenntnis ihre Bilderkenntnis. Die Erkenntnis des Denkerkennens samt ihrer Grundlage ist als Blick zu betrachten. Da die Arten der Erkenntnis, welche das Bild darstellen, der Anlaß für das Entstehen des Blickes sind, wirken sie als Grundlage, wenn dieser in der Gestalt des Gegenstandes entsteht. Auf diese Weise steht es fest, daß nur die Erkenntnis besteht.
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(Frage): Wenn das abhängige Wesen die bloße Erkenntnis ist, welche die Grundlage für das Erscheinen der Gegenstände bildet, warum ist es dann abhängig und warum nennt man es abhängig? (Antwort:) Weil es aus dem Samen seiner eigenen Durchtränkung entsteht, darum ist es von Ursachen abhängig. Und weil es nach 22*
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dem Entstehen selbst nicht länger als einen Augenblick zu bestehen vermag, darum nennt man es abhängig. (Frage:) Wenn das vorgestellte Wesen das darauf beruhende Erscheinungsbild der Gegenstände ist, die als Gegenstände nicht vorhanden sind, warum ist es dann vorgestellt, und warum nennt man es vorgestellt ? (Antwort:) Weil es der Anlaß für das Entstehen der Irrtümer ist, welche in den Vorstellungen des Denkerkennens mit ihren zahllosen Erscheinungsformen bestehen, darum ist es vorgestellt. Und weil es sich bloß an die Vorstellung anlehnt, da eine eigene Beschaffenheit (svalaksanam) nicht vorhanden ist, darum nennt man es vorgestellt. (Frage.) Wenn das vollkommene Wesen durch das vollständige Nichtvorhandensein des (vorgestellten Wesens) gekennzeichnet ist, warum ist es dann vollkommen und warum nennt man es vollkommen? (Antwort:) Weil es sich nicht verändert, darum ist es vollkommen. Und weil es Anhaltspunkt der Reinheit ist und die Vollendung aller guten Gegebenheiten darstellt, darum nennt man es im Sinne der Vollendung vollkommen. 16
(Frage:) Wenn eine Vorstellung vorhanden ist, dann ist auch ein Vorgestelltes vorhanden und ein vorgestelltes Wesen. Was ist nun die Vorstellung, was das Vorgestellte und was das vorgestellte Wesen? (Antwort:) Das Denkerkennen ist die Vorstellung (parikalpah) da es von Vorstellungen (vikalpäh) begleitet ist. Es entsteht aus dem Samen seiner eigenen Durchtränkung der Benennung (abhiläpaväsanä) und es entsteht aus dem Samen der Durchtränkung der Benennung von allen Arten der Erkenntnis. Daher entsteht es mit Vorstellungen von zahlloser Erscheinungsform, und weil es vorstellt, indem es in jeder Weise gestaltet, nennt man es Vorstellung. Das
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abhängige Wesen ist das Vorgestellte. Die Erscheinungsform endlich, in der das abhängige Wesen vorgestellt wird, ist dabei das vorgestellte Wesen . . . (Frage:) Wie stellt die Vorstellung vor? Was ist der Anhaltspunkt, was ist das Erfassen der Merkmale, was ist das Sich-daran-klammern, was ist die Sprachäußerung, was sind die Ausdrucksweisen (vyavahärah) und was ist das Zuschreiben (samäropah) durch das sie vorstellt? (Antwort:) Sie stellt vor, indem sie im Namen ihren Anhaltspunkt findet, im abhängigen Wesen die Merkmale erfaßt, sich durch Ansichten daran klammert, durch Überlegen sich sprachlich äußert, sich durch die vier Ausdrucksweisen des Gesehenen usw. (des Gehörten, Gedachten und Erkannten) ausdrückt und einem nichtvorhandenen Gegenstand das Vorhandensein zuschreibt.
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(Frage:) Ist dieses dreifache Wesen von verschiedener Art oder von nicht verschiedener ? (Antwort.) Es ist weder als verschieden noch als nichtverschieden zu bezeichnen. Das abhängige Wesen ist in gewissem Sinne abhängig, in gewissem Sinne ist es vorgestellt und in gewissem Sinne ist es vollkommen. (Frage:) In welchem Sinne nennt man das abhängige Wesen abhängig? (Antwort): Weil es insofern abhängig ist, als es aus dem abhängigen Samen der Durchtränkung entsteht. (Frage:) In welchem Sinne nennt man es vorgestellt ? (Antwort:) Weil es Anlaß der Vorstellung ist und durch sie vorgestellt wird. (Frage:) In welchem Sinne nennt man es vollkommen ? (Antwort:) Weil es so, wie es vorgestellt wird, ganz und gar nicht vorhanden ist.
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Die Schulen, des Mahäyana KAPITEL III 1
Damit ist die Beschaffenheit des Erkennbaren besprochen. Wie ist nun das Eindringen in die Beschaffenheit des Erkennbaren anzusehen? Es besteht in Denksprechen, dessen Grundlage die Durchtränkung durch zahlreiches Hören ist, nicht zum Grunderkennen gehört, aber wie das Grunderkennen Same ist, welches zur richtigen Auffassung gehört, bei seinem Entstehen die Form von Lehrtexten und ihrem Inhalt zeigt, die dem erfaßten Ding entsprechen, und welches mit Schauen verbunden ist. 2
Wer ist es, der in die Beschaffenheit des Erkennbaren eindringt? Ein Bodhisattva, dessen Geistesstrom durch das zahlreiche Hören der Lehre des großen Fahrzeugs durchtränkt ist, der die Gunst zahlloser Verkörperungen des Buddha gewonnen hat, und der durch einzigartige Hingebung die Wurzeln des Guten gefördert und dadurch einen reichen Vorrat an Verdienst und Wissen angehäuft hat. 3
Wo dringt er ein ? An der Hand dieses Denksprechens, welches mit Schauen verbunden ist, das Bild von Lehrtexten und ihrem Inhalt zeigt und aus der Lehre des großen Fahrzeugs entspringt, dringt er in die Stufe des Wandeins der Hingebung, in den Weg des Schauens, in den Weg der Betrachtung und in den Weg des Abschlusses ein, weil er sich der Belehrung hingibt, daß alle Gegebenheiten nur Erkenntnis sind, weil er dies wahrheitsgemäß erkennt, weil er den Gegensatz aller Hemmnisse übt und weil er von den Hemnnissen frei ist.
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Wodurch und wie dringt er ein? Er dringt ein, 1. auf Grund des Denkspreches, das aus der Durchtränkung durch das Hören hervorgeht, das zur richtigen Auffassung gehört, das das Bild von Lehrtexten und ihrem Inhalt zeigt und das mit Schauen verbunden ist, 2. auf Grund der vier Prüfungen (paryesanä), nämlich der Prüfung des Namens, des Gegenstandes, der Benennung des Wesens und der Benennung der Besonderheiten und 3. auf Grund der vier wahrheitsgemäßen Erkenntnisse (yathäbhütaparijfiänam), nämlich der wahrheitsgemäßen Erkenntnis des Namens, der Sache, der Benennung des Wesens und der Benennung der Besonderheiten, da diese alle nicht wahrzunehmen sind. Indem sich der Bodhisattva nämlich bemüht, in die bloße Erkenntnis einzudringen, erkennt er beim Denksprechen, das in der Form von Lauten und Gegenständen erscheint, daß die aus Lauten bestehenden Namen bloßes Denksprechen sind. Er erkennt, daß die auf den Lauten beruhenden Gegenstände ebenfalls bloßes Denksprechen sind. Und er erkennt, daß das Wesen und die Besonderheiten der Namen und der Gegenstände bloße Benennungen sind, . . . So dringt er auf Grund der vier Prüfungen und der vier wahrheitsgemäßen Erkenntnisse beim Denksprechen, das das Bild von Lauten und Gegenständen zeigt, in die bloße Erkenntnis ein. 8
Wie findet dieses Eindringen in die bloße Erkenntnis statt und wem gleicht sie? Er dringt in die bloße (Erkenntnis), in die mit Bild und Blick versehene Zweiheit und in die Vielgestaltigkeit ein, weil Name, Gegenstand, die Benennung des Wesens, die Benennung der Besonderheiten, das Wesen und die Besonderheiten, diese sechs
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Die Schulen des Mahäyana
Gegenstände keine Gegenstände sind, weil sie sich als erfaßte und erfassende Dinge darstellen, und weil sie entstellen, indem sie gleichzeitig das Bild vielgestaltiger Gegenstände zeigen. Er dringt ein wie bei einem Strick, der im Dunkeln als Schlange erscheint. Bei dem Strick ist die Schlange eine Täuschung, weil sie nicht vorhanden ist. Diejenigen, welche den Gegenstand erkannt haben, verwerfen daher die Erkenntnis der Schlange, die nicht vorhanden ist, und verharren bei der Erkenntnis des Strickes. Aber auch dieser ist, wenn man ihn auf seine feinen Erscheinungsformen zurückführt, eine Täuschung, da er Farbe, Geruch, Geschmack und Berührbares als Merkmal hat. Beim Denksprechen nun, das die sechs Erscheinungsformen von Laut und Gegenstand zeigt, wird wie die Erkenntnis der Schlange bei den sechs Erscheinungsformen die Wirklichkeit abgelehnt. Und wie, auf die Erkenntnis der Farbe usw. gestützt, auch die Erkenntnis des Strickes verworfen wird, so wird, auf die Erkenntnis des vollkommenen Wesens gestützt, auch die Erkenntnis des bloßen Erkennens zum Schwinden gebracht. 9
Indem der Bodhisattva also in das Denksprechen, das durch den erscheinenden Gegenstand gekennzeichnet ist, eindringt, dringt er in das vorgestellte Wesen ein. Und indem er in die bloße Erkenntnis eindringt, dringt er in das abhängige Wesen ein. Wie dringt er aber in das vollkommene Wesen ein? Es dringt ein, indem er die Auffassung als bloße Erkenntnis beseitigt. Wenn der Bodhisattva die Auffassung als Gegenstand zum Schwinden gebracht hat, dann hat das Denksprechen, das aus der Durchtränkung der gehörten Lehrtexte entspringt, keine Möglichkeit, in der Form aller Gegenstände zu entstehen.
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Daher entsteht es auch nicht in der Form der bloßen Erkenntnis. Wenn er nun hinsichtlich aller Gegenstände im bloßen vorstellungsfreien Namen verharrt und so verharrt, daß er das Element der Gegebenheiten unmittelbar wahrnimmt, dann entsteht bei diesem Bodhisattva, infolge der Gleichheit des Wahrgenommenen und des Wahrnehmenden, das vorstellungsfreie Wissen der Gleichheit. So dringt der Bodhisattva in das vollkommene Wesen ein . . .
K A P I T E L VIII
Damit ist die Vorzüglichkeit des höchsten Geistes besprochen. Wie ist nun die Vorzüglichkeit der höchsten Einsicht anzusehen? Das vorstellungsfreie Wissen ist als die Vorzüglichkeit der höchsten Einsicht anzusehen. 3
Der Träger des vorstellungsfreien Wissens der Bodhisattva ist nicht Geist und doch Geist, weil er keinen Gegenstand erkennt und doch daraus (d. h. aus dem Geist) hervorgegangen ist.
Die Grundlage des vorstellungsfreien Wissens der Bodhisattva ist die Durchtränkung durch das mit Sprechen verbundene Hören und die richtige Auffassung. 5
Der Anhaltspunkt des vorstellungsfreien Wissens der Bodhisattva ist das unausdrückbare Wesen der Dinge und die auf der Wesenlosigkeit (nairätmyam) beruhende Soheit.
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Die Schulen des Mahayäna 6
Die Erscheinungsform des vorstellungsfreien Wissens der Bodhisattva ist die Merkmallosigkeit des Erkennbaren, das als Anhaltspunkt dient. 7
Das Vorgestellte ist das aus der Verbindung sich ergebende Wesen und nichts anderes. Der Gegenstand, der sich aus der Verbindung der Laute miteinander ergibt, ist der sich aus der Verbindung ergebende (Gegenstand). Wenn nun eine Benennung nicht vorhanden ist, richtet sich das Wissen nicht auf das Benannte. Eine Benennung ist aber (in den Gegebenheiten) nicht vorhanden, weil ein Gegensatz besteht. Daher ist alles unausdrückbar. 13
Der Abschluß des vorstellungsfreien Wissens der Bodhisattva besteht in der Erlangung der reinen drei Körper und in der Erlangung der Machtvollkommenheiten (vasitä) . . . KAPITEL
IX
1 Damit ist die Vorzüglichkeit der höchsten Einsicht besprochen. Wie ist nun die Vorzüglichkeit der Loslösung anzusehen? Die Loslösung der Bodhisattva besteht in dem nicht feststehenden Nirväna (apratisthitanirvänam)1. Dessen Merkmal ist die Umgestaltung der Grundlage, welche darin besteht, daß man wohl die Besudelung aufgegeben hat, aber verharrt, ohne den Wesenskreislauf aufzugeben. Dabei ist der Wesenskreislauf das abhängige 1 Das -Nirvana, welches das Weiterwirken im Wesenskreislauf zum Wohl der Wesen nicht ausschließt.
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Wesen, soweit es den besudelten Teil bildet. Das Nirväna ist es, soweit es den lauteren Teil bildet. Die Grundlage ist dieses abhängige Wesen, sofern es beide Teile umfaßt. Die Umgestaltung besteht darin, daß dieses abhängige Wesen den besudelten Teil beim Entstehen seines Gegensatzes aufgibt und zum lauteren Teil wird.
KAPITEL
x
3
Was ist das Kennzeichen des Körpers der Lehre (dharmakäyah) der Buddha ? Man soll wissen, daß sein Kennzeichen, kurz gefaßt, fünffach ist. 1. Sein Kennzeichen ist die Umgestaltung der Grundlage, weil er die den besudelten Teil bildende abhängige Beschaffenheit, die alle Hemmnisse enthält, abgestoßen hat und zu der den lauteren Teil bildenden abhängigen Beschaffenheit geworden ist, die durch das Freiwerden von allen Hemmnissen die Herrschaft über alle Gegebenheiten gewonnen hat. 2. Sein Kennzeichen ist, daß sein Wesen aus weißen Gegebenheiten besteht, weil er durch die Vollendung der sechs Vollkommenheiten (päramitä) die zehn Machtvollkommenheiten (vasitä) erlangt hat . . . 3. Sein Kennzeichen ist die Zweiheitlosigkeit (d. h. das Freisein von der Zweiheit des Seins und Nichtseins, des Verursachten und Nicht verursachten und der Vielheit und Einheit) . . . 4. Sein Kennzeichen ist die Ewigkeit, weil er durch die reine Soheit gekennzeichnet ist, weil er die Auswirkung eines früheren Gelöbnisses ist, und weil seine Tätigkeit nie abgeschlossen ist. 5. Sein Kennzeichen ist die Unfaßbarkeit durch das Denken, weil die reine Soheit selbst erlebt werden muß (pratyätmavedyah), weil sie auf der Welt ohnegleichen ist, und weil sie nicht in den Bereich des logischen Denkens fällt.
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Die Schulen des Mahäyana 4
Wie wird ferner dieser Körper der Lehre zum ersten Male durch Berührung erlangt ? Durch das vorstellungsfreie und das daran anschließende Wissen, welche sich auf die zusammengefaßte Lehre des großen Fahrzeugs richten, durch die fünffache eifrige Betrachtung, durch das eifrige Sammeln des Vorrats (an Wissen und Verdienst) auf allen Stufen (bhümih) und durch die diamantgleiche Versenkung (vajropamasamädhih), welche zur Vernichtung der schwer zu vernichtenden feinen Hemmnisse dient. Unmittelbar anschließend an diese Versenkung wird man von allen Hemmnissen befreit und erlangt so dadurch die Umgestaltung der Grundlage. 8
(Frage:) Ist der Körper der Lehre bei den erhabenen Buddha verschieden oder ist er nicht verschieden ? (Antwort:) Da Grundlage, Ziel und Wirksamkeit nicht verschieden sind, ist er nicht verschieden. Da jedoch zahllose Körper zur vollkommenen Erleuchtung gelangen, ist er verschieden . . KAPITEL
i
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(Gegner:) Wenn das Reifungserkennen (d.h. das Grunderkennen als Ergebnis der Reifung der Werke), welches alle Samen enthält, Ursache der Besudelung ist, wieso kann es dann Same ihres Gegensatzes sein, nämlich des überweltlichen Geistes (lokottaram cittam). Der überweltliche Geist ist nämlich etwas Fremdartiges. Daher ist eine Durchtränkung von ihm nicht vorhanden. Wenn aber keine Durchtränkung vorhanden ist, dann muß gesagt werden, aus welchem Samen er entsteht. (Antwort:)
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Er entsteht aus dem Samen der Durchtränkung durch das Hören, welche ein Ausfluß des vollkommen reinen Elements der Gegebenheiten ist. 46
(Gegner:) Gehört diese Durchtränkung durch das Hören ihrem Wesen nach zum Grunderkennen oder nicht ? Wenn sie ihrem Wesen nach zum Grunderkennen gehört, wieso kann sie dann der Same seines Gegensatzes sein? Wenn sie dagegen ihrem Wesen nach nicht zu ihm gehört, was ist dann als der Träger dieses Samens der Durchtränkung durch das Hören zu betrachten? (Antwort:) Bis zur Erleuchtung der Buddha haftet die Durchtränkung durch das Hören, an welchem Träger sie auch immer haften mag, insofern am Reifungserkennen, als sie zugleich mit ihm in Erscheinung tritt, so wie Milch und Wasser. Sie gehört aber nicht zum Grunderkennen, da sie der Same seines Gegensatzes ist. 47
Gestützt auf eine schwache Durchtränkung entsteht eine mittelmäßige Durchtränkung, gestützt auf eine mittelmäßige Durchtränkung, entsteht eine starke Durchtränkung, da Hören, Denken und Betrachten eine Verstärkung mit sich bringen. 48
Dabei ist der Same der Durchtränkung durch das Hören, mag er schwach, mittelmäßig oder stark sein, als Same des Körpers der Lehre zu betrachten. Da er der Gegensatz des Grunderkennens ist, gehört er seinem Wesen nach nicht zum Grunderkennen. Und da er, trotzdem er weltlich ist, ein Ausfluß des überweltlichen, vollkommen reinen Elements der Gegebenheiten ist, bildet er den Samen des
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überweltlichen Geistes. Er ist, auch wenn dieser überweltliche Geist noch nicht entstanden ist, der Gegensatz des Ausbrechens der Laster, der Gegensatz des schlechten Weges (im Wesenskreislauf) und der Gegensatz, der alles böse Tun zum Verschwinden bringt. Er fördert die Verbindung mit den Buddha und Bodhisattva. Er gehört, trotzdem er weltlich ist, dem Körper der Lehre der angehenden Bodhisattva an und er gehört dem Erlösimgskörper der Jünger und Einzelbuddha an. Er gehört also nicht zum Grunderkennen, sondern er gehört dem Körper der Lehre und dem Erlösungskörper an. Wie er nun als schwach, mittelmäßig und stark der Reihe nach heranwächst, schwindet im gleichen Maße das Reifungserkennen und die Grundlage gestaltet sich um. Ist die Grundlage vollkommen umgestaltet, dann ist das Reifungserkennen, welches alle Samen enthält, samenlos geworden und ist vollkommen beseitigt. 49
(Gegner:) Wenn das Grunderkennen und das, was nicht Grunderkennen ist, wie Milch und Wasser zusammenbesteht, wieso kann dann das eine vollständig verschwinden? (Antwort:) So wie von einem Flamingo die Milch aus dem Wasser getrunken wird . . .
Vasubandhu der Ältere (um 320—380 n. u. Z.)
Die berühmteste Persönlichkeit der Yogäcära-Schule neben Asanga ist sein jüngerer Bruder V a s u b a n d h u . Dieser gehörte ursprünglich der Hinayäna-Schule der Sarvästivädin an u n d h a t t e sich bereits durch die Abfassung zahlreicher Werke einen N a m e n gemacht, als er von Asanga f ü r das Mahäyäna gewonnen wurde. N u n stellte er seine Be-
V a s u b a n d h u der Ältere
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g a b u n g mit vollem Eifer in den Dienst seines neuen Glaubens, f ü r den er so viele Werke schrieb, d a ß er den N a m e n „Meister der t a u s e n d L e h r b ü c h e r " erhielt. Nach der Legende d ü r f t e er vor Asanga gestorben sein. Die Schriften V a s u b a n d h u s umfassen zahlreiche Komm e n t a r e zu Werken M a i t r e y a n ä t h a s u n d Asangas. Vor allem aber g r ü n d e t sich sein R u h m auf die K o m m e n t a r e zu einigen der wichtigsten M a h ä y ä n a - S ü t r e n . Außerdem sind u n t e r dem N a m e n V a s u b a n d h u zwei kleinere Werke erhalten, die beide den N a m e n V i j n a p t i m ä t r a t ä s i d d h i h („Nachweis, d a ß (alles) n u r E r k e n n t n i s ist") f ü h r e n , eines in zwanzig Versen (Vimsatikä), das andere in dreißig (Trimsikä). Die äußere Überlieferung läßt keine Entscheid u n g zu, ob diese beiden Werke von V a s u b a n d h u , dem B r u d e r Asangas s t a m m e n , oder von V a s u b a n d h u dem J ü n g e r e n , dem Verfasser des Abhidharmakosah. Meiner Ansicht nach ist V a s u b a n d h u der J ü n g e r e ihr Verfasser, doch k a n n diese schwierige Frage hier nicht weiter erörtert werden. Von diesen beiden Werken u m f a ß t das erste in zwanzig Versen auch einen K o m m e n t a r von Vasub a n d h u s eigener H a n d . Sein I n h a l t ist der Nachweis der Irrealität der Außenwelt. Das zweite Werk in dreißig Versen besteht n u r aus dem Verstext. Es gilt als das letzte Werk Vasubandhus, der gestorben sein soll, bevor es ihm möglich war, den beabsichtigten K o m m e n t a r zu schreiben. E s enth ä l t eine D o g m a t i k der Yogäcära-Lehre in k n a p p s t e r F o r m . Diese beiden Werke gelten als die besten Zusammenfassungen der wichtigsten philosophischen Lehrsätze der Schule. Sie haben sich als solche immer großen Ansehens erfreut u n d zahlreiche K o m m e n t a r e wurden zu ihnen geschrieben. Ihrer Wichtigkeit entsprechend gebe ich sie im folgenden vollständig wieder. Ich schicke n u r eine kurze Zusammenstellung der wichtigsten Anschauungen, die in ihnen e n t h a l t e n sind, voraus. I m allgemeinen sind folgende Züge f ü r sie charakteristisch. Es herrscht ausgesprochen das philosophische Interesse vor. Die alte Erlösungsscholastik ist vollkommen verschwunden. Auffallend ist ferner ein stärkeres Abweichen von Asanga u n d Anlehnung an die Anschauungen Maitreyan ä t h a s . I n der Psychologie, die erst Asanga geschaffen h a t , besteht wohl im wesentlichen Übereinstimmung. U m so
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stärker sind dafür die Abweichungen bei der Lehre von der Erscheinungswelt. Dazu kommen eigenartige neue Gedanken, welche für die spätere Entwicklung richtunggebend waren, wobei sich öfter engere Berührung mit SauträntikaVorstellungen zeigt. I n der Formung schließlich ist eine Genauigkeit und strafte Knappheit erreicht, wie sie die Hinayäna-Dogmatik nur zur Zeit ihrer höchsten Blüte kennt. I m einzelnen ergibt die in den beiden Werken enthaltene Lehre etwa folgendes Bild. Der psychische Komplex, auf dem die ganze Erscheinungswelt beruht, besteht aus drei Erscheinungsformen oder, wie sich Vasubandhu ausdrückt, Umwandlungen (parit^ämah) des Erkennens. Diese sind das Grunderkennen, das Denken und die Erkenntnis der Objekte. Vasubandhu bespricht jede von ihnen systematisch, und zwar behandelt er ihr Wesen, ihren Stützpunkt und ihr Objekt, die geistigen Gegebenheiten, die sie begleiten, ihren moralischen Charakter und schließlich Zeitpunkt und Dauer ihres Auftretens. Das Grunderkennen ( ü l a y a v i j n ü n a m ) als Grundlage des gesamten psychischen Komplexes und wesentlicher Träger der irdischen Persönlichkeit ist in seiner Beschaffenheit durch die Werke bedingt, welche das betreffende Dasein hervorgerufen haben und welche auf diese Weise die Art dieses Daseins bestimmen. E s ist daher Reifung (vipükah) oder Vergeltung. Seine wesentliche Aufgabe ist es, als Träger aller Samen der verschiedenen Durchtränkungen zu wirken, also jener Eindrücke, aus welchen die verschiedenen Formen des Erkennens hervorgehen. E s ist dabei aber ein echtes Erkennen und hat als solches sein Objekt, nämlich die gesamte Umwelt ( b h ä j a n a l o k a h ) nebst dem eigenen Körper. Doch wird dieses Objekt durch das Grunderkennen nicht zu Bewußtsein gebracht. Vasubandhu vert r i t t also, wie übrigens vor ihm bereits Asanga, den kühnen Gedanken, daß die gesamte Erscheinungswelt bereits Schöpfung des Unterbewußtseins ist und daß durch die übrigen Erkenntnisvorgänge erst sekundär Teile davon ins Bewußtsein gehoben werden. Als Erkennen ist das Grunderkennen ferner auch von geistigen Gegebenheiten (caittah) begleitet, aber da es unbewußt bleibt, nur von jenen, welche jedes Erkennen begleiten und allgemein verbreitet
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(sarvatragah) genannt werden. D a es selbst Ergebnis früherer Werke und unbewußt ist, ist es außerdem moralisch unbestimmt. E s ist also nicht mit L a s t e r n behaftet u n d weder gut noch böse. Was schließlich sein Auftreten betrifft, so besteht es als wesentlicher Träger des irdischen Daseins seit anfangloser Zeit in ununterbrochenem Erkenntnisstrom, solange der Wesenskreislauf dauert. E r s t im Z u s t a n d der Heiligkeit, wenn die U m g e s t a l t u n g der Grundlage (üärayaparüvrttih) erfolgt, erlischt es. D a s Denken (manah) ist seinem Wesen nach Meinen oder Wähnen (manana). Denn es ist der Träger der verhängnisvollen falschen Vorstellung von einem Ich, f ü r die somit ihrer Wichtigkeit entsprechend eine eigene beständig tätige F o r m des Erkennens angenommen wird. E s stützt sich auf d a s Grunderkennen, aus dem es entspringt, u n d hat es gleichzeitig z u m Objekt. D a s Grunderkennen ist also die Grundlage dieser Ich V o r s t e l l u n g . Begleitet ist d a s Denken von den f ü n f allgemein verbreiteten geistigen Gegebenheiten, besonders aber von vier L a s t e r n , welche sich a n die falsche Ichvorstellung anschließen u n d ihr ihren eigentümlichen, unheilvollen Charakter verleihen. Moralisch ist es unbestimmt, d a die guten und bösen geistigen Gegebenheiten, welche die gute oder böse Vergeltung nach sich ziehen, in ihm fehlen, aber es ist lasterhaft. E s besteht während des ganzen Wesenskreislaufes u n d erlischt endgültig erst wie d a s Grunderkennen durch die U m g e s t a l t u n g der Grundlage im Z u s t a n d der Heiligkeit. E s kann aber vorher schon vorübergehend unterbrochen werden, u n d zwar im Z u s t a n d der Versenkung der Unterdrückung (nirodhasamäpattih) und beim überweltlichen vorstellungsfreien Wissen (nirvikalpakajnänam). Die Erkenntnis der Objekte ( v i s a y a v i j n a / p t i h ) umfaßt schließlich alle übrigen Erkenntnisvorgänge, also die nach alter Lehre nach den sechs Sinnesorganen benannten sechs Arten des Erkennens. Ihr S t ü t z p u n k t ist in dem S a m e n der Durchtränkung zu sehen, a u s dem sie hervorgegangen ist. Ihr Objekt sind die verschiedenen, scheinbar der Außenwelt angehörigen Gegenstände, die sich in ihr spiegeln. Sie k a n n von sämtlichen geistigen Gegebenheiten begleitet sein, welche die D o g m a t i k der Y o g ä c ä r a kennt (vgl. oben S. 113 ff. der Wiedergabe von V a s u b a n d h u s P a n c a s k a n 23
Frauwallner,
Buddhismus
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dhakam), den allgemein verbreiteten, den an bestimmte Obj e k t e gebundenen, den guten, den Lastern, den Nebenlastern und den ungebundenen geistigen Gegebenheiten. I n ihr spielen sich die Willensvorgänge ab, welche die Werke ausmachen und den weiteren Verlauf des Wesenskreislaufs bestimmen. Sie ist daher sowohl gut wie böse, kann aber auch unbestimmt sein. Was schließlich das Auftreten der verschiedenen Arten der Erkenntnis der Objekte betrifft, so entstehen die verschiedenen Arten der Sinneserkenntnis jeweils, wenn die Ursachen für ihre Entstehung gegeben sind, und zwar bald einzeln, bald zugleich. Das Denkerkennen ist immer vorhanden außer im Zustand der Bewußtlosigkeit, also bei Betäubung, Ohnmacht, in der Versenkung der Unbewußtheit (asamjnisamäpattih), in der Versenkung der Unterdrückung (nirodhasamäpattih) und schließlich im Zustand der Unbewußtheit (äsamjmkarn), den der Buddhismus einer bestimmten Göttersphäre zuschreibt. Aus diesen drei Umwandlungen des Erkennens besteht der psychische Komplex, auf dem die gesamte Erscheinungswelt beruht. F ü r sein Wirken sind die Samen der Durchtränkung entscheidend, welche im Grunderkennen aufgespeichert sind. Diese teilt Vasubandhu nicht nach dem Vorgang Asangas in drei Gruppen ein (s. oben S. 333), sondern er gibt eine einfachere, treffendere Einteilung in zwei Gruppen. E r unterscheidet nämlich die Durchtränkung der zweifachen Auffassung (grähadvayavOsana) und die Durchtränkung der Werke (karmaväsanä). Die Durchtränkung der zweifachen Auffassung ist durch die einzelnen Erkenntnisvorgänge hervorgerufen, welche ein Erfaßtes und ein Erfassendes zu erkennen glauben, und vermag ihrerseits wieder ähnliche Erkenntnisse hervorzubringen. Die Dürchtränkung der Werke ist, wie schon der Name sagt, durch die Werke verursacht, und bestimmt die allgemeine Entwicklung des psychischen Komplexes und damit das Schicksal im Wesenskreislauf. Vor allem ist sie auch die Hauptursache, wenn ein Grunderkennen, das in einer bestimmten Form Träger eines bestimmten Daseins war, zu Ende geht, daß nun ein neues, andersartiges Grunderkennen als Träger eines neuen Daseins entsteht. Das Bild der Erscheinungswelt kommt bei diesem Wirken des psychischen Komplexes nach Vasubandhu folgender-
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maßen zustande. Jede Erkenntnis ist von Natur aus eine Vorstellung (vikalpah), die etwas Unwirkliches vorstellt. Dieses Unwirkliche ist die Zweiheit von Erfaßtem und Erfassendem (grähyagrähakau). Dabei ist das Erfaßte und Erfassende nicht, wie es Asanga annimmt, durch zwei verschiedene Erkenntnisse verkörpert, zu denen als Träger, dem Sinnesorgan entsprechend, eine dritte hinzutritt, sondern alles ist in einem* Erkennen vereinigt. Dieses Erkennen zeigt nämlich selbst das Bild eines Objektes, das man für außen befindlich hält. Damit ist Erfaßtes und Erfassendes gegeben. Was ferner das Sinnesorgan betrifft, welches nach alter kanonischer Lehre neben Objekt und Erkennen gegeben sein muß, damit ein Erkenntnisvorgang zustande kommt, so sieht es Vasubandhu in dem Samen der Durchtränkung, aus dem das betreffende Erkennen entspringt. D a jedes Erkennen auf diese Weise an sich Vorstellung ist, fällt die besondere Rolle weg, die Asanga dem Denkerkennen zuschreibt. Dieses ist f ü r Vasubandhu vielmehr von gleicher A r t , wie das Sinneserkennen, an das es sich anschließt. Es zeigt das gleiche Bild wie dieses, ist also seinem Wesen nach Erinnerung, und unterscheidet sich von ihm nur dadurch, daß es den betreffenden Gegenstand bewußt erfaßt. Wichtig ist ferner die Erkenntnis Vasubandhus, daß jedes Erkennen, sobald es selbst Objekt wird, in vorgestellter Form erscheint. Was dann erkannt wird, ist also nicht sein wahres Wesen, sondern eine Vorstellung wie jede andere. Damit ist das Verhältnis zur höchsten Wirklichkeit geklärt. Die Lehre, daß alles nur Erkenntnis ist, besagt also nicht, daß das einzig Wirkliche die Erkenntnis ist, wie sie uns erscheint. Es ist vielmehr ihr wahres Wesen, das unserer irdischen Erkenntnis ewig unzugänglich bleibt. U n d das ist eben die höchste Wirklichkeit. Bemerkenswert ist außerdem, daß Vasubandhu die Frage der Vielzahl der Lebewesen, also der Vielzahl der erkennenden Subjekte, und ihres Verhältnisses zueinander anschneidet. Nach seiner Ansicht beruht die Beziehung der verschiedenen Lebewesen zueinander darauf, daß die verschiedenen Erkenntnisströme, die alle wirklich sind, sich in ihrem A b l a u f gegenseitig ursächlich zu beeinflussen vermögen. 23»
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Bei der Erlösungslehre geht V a s u b a n d h u nach altem Brauch von der doppelten Bindung aus, welche im falschen Glauben a n ein Ich u n d a n Gegebenheiten besteht, wobei er die N a t u r dieses Glaubens als Beilegen eines fremden Wesens (upacärah) neu u n d eigenartig zu bestimmen sucht. Beim Erlösungsvorgang selbst beschäftigt ihn nur der philosophische Grundgedanke, den er im wesentlichen übern i m m t , wie ihn M a i t r e y a n ä t h a geschaffen u n d Asariga beibehalten h a t t e (s. oben Seite 300f. u n d 331 f.). I n der Beg r ü n d u n g der Unwirklichkeit der Außenwelt schlägt er allerdings ganz andere Wege ein. Die Abhängigkeit der Dinge von den Worten, mit der noch Asanga gearbeitet h a t t e , ist vollkommen fallengelassen u n d der Versuch gem a c h t , durch U n t e r s u c h u n g des Atombegriffs die Unmöglichkeit der Materie nachzuweisen. Aus der Unmöglichkeit des E r k e n n b a r e n leitet er nach alter Art die Hinfälligkeit des Erkennens ab, wobei er wieder a n den Gedanken ank n ü p f t , d a ß das Erkennen, wie es u n s erscheint, n u r Vorstellung ist. H a t sich der J ü n g e r n u n von Objekt u n d Erkennen, also von E r f a ß t e m u n d Erfassendem abgewendet, so v e r h a r r t er in der bloßen Erkenntnis, d. h. in ihrem wahren Wesen, der höchsten Wirklichkeit. E r h a t damit das überweltliche vorstellungsfreie Wissen (nirvikalpakajnänam) erlangt, das gleichzeitig N i c h t w a h r n e h m u n g (anupalambhah) jedes Objekts im gewöhnlichen Sinne ist. Damit erfolgt die Umgestaltung der Grundlage (üörayaparavrttih), die doppelte Bindung durch den falschen Glauben a n ein Ich u n d a n Gegebenheiten ist vernichtet, u n d der psychische Komplex löst sich auf. Dadurch ist die Erlösung gewonnen, das Einswerden mit der höchsten Wirklichkeit, dem unbesudelten Element (anäsravo dhätuh), wie es auch M a i t r e y a n ä t h a g e n a n n t h a t t e , das gleichzeitig der Körper der Lehre (dharmakäyah) des B u d d h a ist. Ich gehe n u n zur Besprechung der Vimsatikä Vijnaptim ä t r a t ä s i d d h i h über. Die Lehre von der Irrealität der Außenwelt war ursprünglich u n m i t t e l b a r aus dem Meditationserlebnis hervorgegangen. Zur Begründung h a t t e m a n sich begnügt, auf T r a u m , Sinnestäuschung, Luftspiegelung u. dgl. hinzuweisen. Dementsprechend beginnt Vasub a n d h u mit der Aufstellung des Lehrsatzes u n t e r B e r u f u n g auf die heilige Schrift u n d u n t e r Hinweis auf diese Bei-
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spiele. Inzwischen waren aber von gegnerischer Seite verschiedene Einwände vorgebracht worden, mit denen m a n sich auseinandersetzen m u ß t e , u n d zwar handelte es sich vor allem u m vier P u n k t e . Man f r a g t e : Wenn die Dinge, die wir sehen, tatsächlich nur eine Schöpfung unserer Vorstellung sind, w a r u m sehen wir sie d a n n nur a n einem bes t i m m t e n Ort u n d zu einer b e s t i m m t e n Zeit ? W a r u m sehen wir sie alle u n d nicht nur einzelne von uns ? U n d wieso sind sie imstande, b e s t i m m t e Wirkungen hervorzubringen? Vas u b a n d h u a n t w o r t e t mit Gegenbeispielen, wobei er auch Anschauungen verwendet, die nur f ü r den Buddhisten Gültigkeit haben, da sich ja seine Beweisführung in erster Linie gegen die Anhänger des H i n a y ä n a richtet. E r verweist zunächst darauf, d a ß auch die Traumbilder an einem bes t i m m t e n Ort u n d zu bestimmter Zeit erscheinen, u n d d a ß sie i m s t a n d e sind, eine Wirkung hervorzubringen, wie die Pollution im Schlafe. D a f ü r , d a ß alle dieselben Dinge sehen, bringt er das Beispiel der Totengeister. Die Buddhisten kennen nämlich u n t e r den verschiedenen Arten der Wiedergeburt a u c h das Dasein als Totengeister oder Gespenster (pretah). Diese irren auf der E r d e umher u n d werden vor allem von H u n g e r u n d Durst gequält. Das b e r u h t darauf, d a ß sie in Flüssen, welche f ü r die Menschen klares Wasser f ü h r e n , infolge ihrer Werke E i t e r u n d U n r a t zu sehen glauben, u n d d a ß sie daher ihren Durst nicht zu löschen vermögen. U n d zwar unterliegen alle Totengeister, welche u n t e r der Wirkung der gleichen Werke stehen, dieser T ä u schung u n d nicht n u r einzelne. Schließlich bringt Vasub a n d h u noch ein Beispiel, bei dem alle vier P u n k t e zutreffen, nämlich das Beispiel der Höllenwächter, welche die V e r d a m m t e n bewachen u n d quälen. Nach der Lehre der S a u t r ä n t i k a , von der V a s u b a n d h u zunächst ausgeht, sind diese Höllenwächter nämlich nicht wirklich, sondern nur Vorstellung der V e r d a m m t e n . Trotzdem erscheinen sie a m b e s t i m m t e n Ort u n d zu bestimmter Zeit, werden von allen gesehen u n d nicht n u r von einigen, u n d die V e r d a m m t e n spüren die Qualen, die sie ihnen zufügen. Diese Lehre von den Höllenwächtern war n u n allerdings bei den Schulen der B u d d h i s t e n sehr u m s t r i t t e n u n d verschiedene Anschauungen standen einander gegenüber. V a s u b a n d h u sieht sich d a h e r genötigt, auf verschiedene Einwände zu a n t w o r t e n ,
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und zwar wendet er sich zunächst gegen die Lehre der Mahäsämghika und Sämmatiya, welche m den Höllenwächtern wirkliche Lebewesen sahen, dann gegen die Lehre der Sarvästivädin, welche die Höllenwächter für Gebilde der unbelebten Elemente hielten, die durch die Werke der Verdammten in dieser Gestalt erscheinen. Gegen diese zweite Ansicht bemerkt er, daß die Auswirkung der Werke auf der Durchtränkung (vüsanü,) oder den Eindrücken beruht, welche sie im Erkennen hinterlassen; es sei daher besser anzunehmen, daß auch ihre Wirkung in der Gestalt einer Vorstellung im Erkennen erscheint und nicht in der Außenwelt. E r stützt sich dabei auf den Grundsatz, der in der indischen Philosophie allgemein gilt, daß von mehreren möglichen Theorien immer die einfachere den Vorzug hat. Mit der Berufung des Gegners auf die heilige Schrift geht die Auseinandersetzung auf eine neue Frage über: Warum hat der Buddha von den sechs äußeren Bereichen ( ä y a tanäni) gesprochen, wenn es keine Außenwelt gibt? Vasubandhu gibt darauf die nunmehr im Mahäyäna schon seit langem gebräuchliche Antwort: Die Lehre von den sechs äußeren und sechs inneren Bereichen ist vom Buddha in einem bestimmten Sinn verkündet worden, um bestimmte Hörer, die zum Erfassen der vollen Wahrheit noch nicht fähig sind, zunächst einen Schritt weiterzuführen. Als ähnliches Beispiel verweist er auf die Lehre von den plötzlich entstehenden Lebewesen (wpapüdukah, sattvüh). Die buddhistische Dogmatik kennt nämlich Lebewesen, die nicht geboren werden, sondern unvermittelt und plötzlich in Erscheinung treten. Dazu zählen unter anderen die Höllenbewohner, ein Teil der Götter und, woran Vasubandhu hier vor allem denkt, die Wesen im Zwischendasein (antarobhavah) zwischen dem Ende eines Lebens und dem Beginn der neuen Wiederverkörperung. Mit dieser Lehre von den plötzlich entstehenden Lebewesen wollte der Buddha keineswegs das Dasein von Lebewesen bejahen, einen Begriff, den der Buddhismus dem Seelenbegriff gleichstellt und grundsätzlich verwirft, sondern er hatte dabei das Weiterbestehen des Erkenntnisstromes im Auge und wollte seine Hörer davon abhalten zu glauben, daß mit dem Tode eine Unterbrechung des Daseins und damit eine Vernichtung eintritt. Ebenso wollte er mit der
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Lehre von den sechs äußeren u n d sechs inneren Bereichen nicht das Dasein einer Außenwelt bejahen, sondern h a t t e das Erscheinungsbild in der E r k e n n t n i s u n d den Samen, aus dem sie e n t s t e h t , im Auge u n d wollte d a m i t jene Hörer, die f ü r die Lehre von der Wesenlosigkeit aller Gegebenheiten (dharmanairütmyam) noch nicht reif sind, zunächst zur E r k e n n t n i s der Wesenlosigkeit der Persönlichkeit (pudgalanairätmyam) bringen (vgl. dazu S. 267). D e n n durch die Lehre, d a ß die einzelnen Erkenntnisvorgänge durch das Zusammenwirken von Objekt u n d Sinnesorgan zustande k o m m e n u n d nicht das Werk eines einheitlichen Erkenners sind, k o m m e n die Hörer zur Einsicht, d a ß es kein Ich u n d keine Seele gibt. Ist das geschehen, d a n n können sie durch die Lehre, d a ß alles n u r E r k e n n t n i s ist, zur vollen Wahrheit von der Wesenlosigkeit aller Gegebenheiten g e f ü h r t werden. N u n erhebt der Gegner noch einen E i n w a n d : Wenn alle Gegebenheiten wesenlos sind, d a n n ist es auch die bloße E r k e n n t n i s ; sie k a n n daher nicht bestehen u n d es ist sinnlos, sie zu lehren. V a s u b a n d h u a n t w o r t e t , d a ß mit der Wesenlosigkeit der Gegebenheiten nicht gemeint ist, d a ß sie überh a u p t nicht existieren. Sie bestehen n u r nicht in der Form, wie sie sich die gewöhnlichen Menschen vorstellen, wohl aber dem u n a u s d r ü c k b a r e n Wesen nach, welches n u r die B u d d h a restlos zu erkennen vermögen. Das gilt auch von der bloßen Erkenntnis. Auch sie ist keineswegs nicht vorh a n d e n , wohl aber besteht sie nicht in der von den gewöhnlichen Menschen vorgestellten F o r m . J a diese Ann a h m e ist sogar unbedingt notwendig. Denn wenn die E r k e n n t n i s , so wie wir sie uns vorstellen, wirklich wäre, d a n n h ä t t e eine Erkenntnis, wenn sie eine andere erkennt (vgl. v. 21), ein wirkliches Objekt u n d die Lehre, d a ß die E r k e n n t n i s ohne Objekt n u r f ü r sich allein besteht, würde hinfällig. N u n folgt (v. 11 ff.) das eigentliche K e r n s t ü c k der Darlegung, V a s u b a n d h u s eigener Nachweis der Unwirklichkeit der Außenwelt. Der alte Gedanke der B o d h i s a t t v a b h ü m i h , die Unwirklichkeit der Dinge aus ihrer notwendigen Verbindung mit den Worten abzuleiten, mit dem noch Asañga gearbeitet h a t t e , war durch die inzwischen erfolgten Fortschritte der Erkenntnislehre unmöglich geworden. Vasu-
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bandhu schlägt daher einen ganz anderen Weg ein, und zwar stützt er sich vor allem auf die Unmöglichkeit des Atombegriffs. Manches erinnert dabei an ältere Gedankengänge, wie wir sie z. B . bei Äryadeva (s. oben S. 218ff.) gefunden haben. I m ganzen aber ist seine Darlegung neu und eigenartig. Sein Grundgedanke ist der, daß ausgedehnte Dinge keine Einheit sein können, sondern in Teile zerfallen müssen. Das setzt sich solange fort, bis nur mehr die Atome übrig bleiben, welche teillos und daher unteilbar sind. Solche teillose Atome sind aber, wie er weiter zeigt, unmöglich. Und daher kann es keine Materie und damit keine Außenwelt geben. Die Darstellung beginnt damit, daß Vasubandhu für die Dinge der Außenwelt drei Möglichkeiten aufstellt. Sie sind entweder ein aus Atomen gebildetes, aber von den Atomen verschiedenes Ganzes (avayavl), wie es die Vaiäesika lehrten, oder eine Vielheit einzelner Atome oder eine Verbindung von Atomen. Über die Ansicht der Vaisesika geht er kurz hinweg, da sie von allen buddhistischen Schulen einmütig abgelehnt wurde. Eine Vielheit kommt nicht in Betracht, weil einzelne Atome nicht wahrnehmbar sind. Die Annahme einer Verbindung schließlich scheitert an den Schwierigkeiten des Atombegriffs. Treten nämlich an das Atom von allen sechs Seiten sechs andere Atome heran, um sich mit ihm zu verbinden, und berühren sie es an sechs verschiedenen Stellen, so h a t das Atom Teile und ist kein Atom mehr. Berühren sie es dagegen an ein und derselben Stelle, so fallen alle in einem Atom zusammen. Daran ändert auch die Annahme der kaschmirischen Schule der Sarvästivädin nichts, daß nicht die einzelnen Atome, sondern nur Konglomerate miteinander in Verbindung treten. Denn die Konglomerate sind nichts anderes, als die Atome, deren Verbindung eben unmöglich ist. Und wenn sich die Konglomerate nicht verbinden, setzt Vasubandhu hinzu, dann noch viel weniger die einzelnen Atome. E s ist aber gar nicht notwendig, an eine Verbindung zu denken. Schon wenn das Atom verschiedene Seiten hat, hat es Teile und ist kein Atom mehr. Andernfalls wieder ist jeder Schatten unmöglich, weil die teillosen Atome nicht zugleich beleuchtet und nichtbeleuchtet sein können. Ferner treffen andere Atome außerhalb des einen
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Punktes auf nichts, was ihnen Widerstand leistet und ihr Zusammenfallen mit dem ersten Atom verhindert, und so würde eine Vereinigung von noch so vielen Atomen nie größer sein, als ein einzelnes Atom. Und auch hier hilft die Ausflucht nichts, daß zwar nicht die einzelnen Atome, wohl aber ihre Konglomerate Schatten und Widerstand ergeben, da, wie gesagt, der Gegner selbst zugibt, daß seine Konglomerate nichts anderes sind als die vereinigten Atome. Nun bringt der Gegner noch den Einwand vor, daß diese ganze Beweisführung, welche die Unwirklichkeit der Außenwelt dartun soll, nicht das Wesen der Sache trifft, da sie nur von der äußeren Form der Materie ausgeht, aber nicht von ihrem Merkmal (laksanam), d. h. von dem, was ihr Wesen ausmacht. Worin, fragt Vasubandhu, besteht nun dieses Merkmal ? Der Gegner antwortet: Darin, daß sie, je nach ihrer Zugehörigkeit zu den sechs äußeren Bereichen, Objekte des Auges oder eines anderen Sinnesorganes ist und als Farbe usw. gekennzeichnet ist. 1 Darauf entgegnet Vasubandhu: Von eben dieser Farbe, welche Objekt des Auges ist, untersuchen wir ja, ob sie in Atomform auftritt, oder als einheitliches Ganzes, und somit ist sie dadurch selbst wiederlegt. Daß sie als Atom nicht möglich ist, ist bereits gezeigt. Um die Unmöglichkeit eines einheitlichen Ganzen darzutun, geht er, wie auch die buddhistische Bekämpfung der Vaisesika-Lehre vom Ganzen (avayavi), von dem Grundsatz aus, daß das, worauf verschiedene Bestimmungen zutreffen, keine Einheit sein kann, wobei er allerdings auch Bestimmungen sehr äußerlicher Art miteinbezieht. Er sagt, daß die Erde keine Einheit sein kann, weil sie beim allmählichen Durchschreiten teils durchschritten, teils nichtdurchschritten ist. Bei einem wirklich einheitlichen Ding könnten wir nicht zugleich die Vorderseite erfassen und die Rückseite nicht. Ferner könnten sich auf einer einheitlichen Fläche nicht mehrere getrennte Gegenstände zugleich befinden, denn entweder müßten sie in Eins zusammenfallen, oder die Fläche müßte von ihnen zugleich bedeckt und nichtbedeckt sein. Endlich schließt er mit einer Bemerkung gegen die 1 Zur Anschauung, daß die charakteristischen Eigenschaften allein die Materie ausmachen vgl. oben S. 96 f f .
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Meinung des Gegners, daß nur das Merkmal (laksanam) das Wesen der Dinge bedingt. In diesem Falle, sagt er, müßten die unsichtbaren feinen Wasserwesen, die übrigens nicht nur der Buddhismus kennt, ebensogut sichtbar sein, wie die groben, da j a die Materie, aus der sie bestehen, dem angeführten Merkmal nach gleichartig ist. Damit ist die eigentliche Beweisführung beendet. E s folgt nun noch als Abschluß die Widerlegung einer Reihe gegnerischer Einwände. Der erste davon (v. 16) beruft sich auf die sinnliche Wahrnehmung, welche von allen Schulen als das maßgebendste Mittel richtiger Erkenntnis (pramünam) anerkannt wurde. Wieso können wir uns, fragt der Gegner, bewußt werden, einen Gegenstand sinnlich wahrzunehmen, wenn dieser in Wirklichkeit nicht existiert. In seiner Antwort unterscheidet Vasubandhu im Anschluß an Hlnayäna-Vorstellungen, und zwar vor allem an die Lehre der Sauträntika, zwischen der eigentlichen Wahrnehmung und dem darauffolgenden Denkerkennen. Erst durch dieses Denkerkennen, welches dasselbe Bild zeigt wie die Wahrnehmung, also den Charakter einer Erinnerung hat, und welches, wie jedes Denkerkennen, von Vorstellung begleitet ist, wird man sich bewußt, den Gegenstand wahrzunehmen. Infolge der Augenblicklichkeit jedes Erkennens ist aber zur Zeit dieses Denkerkennens die Wahrnehmung selbst bereits vergangen, und das gleiche gilt im Sinne der Lehre von der Augenblicklichkeit aller Dinge vom wahrgenommenen Gegenstand selbst. Wie soll also dieses Bewußtsein der Wahrnehmung das Vorhandensein eines Gegenstandes beweisen, der zur gleichen Zeit weder wahrgenommen wird, noch selbst vorhanden ist. Beruft sich aber der Gegner darauf, daß dieses Denkerkennen auf einer Wahrnehmung beruhen muß, die ihrerseits wieder das Vorhandensein des Gegenstandes voraussetzt, so ist zu antworten, daß es ebensogut auf einer Wahrnehmung beruhen kann, die wie im Traum das Bild des Gegenstandes zeigt, ohne daß dieser wirklich vorhanden ist. An zweiter Stelle folgt ein Einwand, dem wir bereits bei Asanga begegnet sind (s. oben S. 337f.). Er richtet sich gegen den Vergleich mit dem Traum und fragt, wieso wir beim Traum von selbst erkennen, daß die gesehenen Gegenstände nicht wirklich sind, während dies im Wachen nicht
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der Fall ist. Vasubandhu antwortet ebenso wie Asanga, daß wir die Unwirkliehkeit der im Traum gesehenen Gegenstände auch erst erkennen, wenn wir aus dem Schlaf erwacht sind. Ebenso erkennen wir die Unwirkliehkeit der im Wachen gesehenen Dinge erst, wenn wir durch das überweltliche vorstellungsfreie Wissen (nirvikalpakam jnänam) aus dem Schlaf der Verblendung erwacht sind, welche die gewöhnlichen Menschen befangen hält. Der dritte Einwand (v. 18) wirft die Frage auf, wieso sich Menschen gegenseitig beeinflussen können, wenn es keine Außenwelt gibt und somit ein Verkehr und ein Sprechen miteinander nicht möglich ist. Vasubandhu antwortet, daß die einzelnen Erkenntnisströme, welche die verschiedenen Personen darstellen, aufeinander als bestimmende Ursache einzuwirken vermögen und daß sie so gegenseitig ihre Entwicklung bestimmen. Der nächste Einwand ist wieder durch den Vergleich mit dem Traum bedingt und bezieht sich auf die indische Lehre von der Wirksamkeit der Werke (karma). Warum, heißt es, zieht gutes und böses Tun im Traum nicht die gleiche Vergeltung nach sich, wie die im Wachen vollbrachten guten und bösen Werke, wenn es sich doch in beiden Fällen nur um Vorgänge handelt, die sich in der eigenen Erkenntnis abspielen. Die Antwort lautet, daß das Tun im Traum durch die Ermattung des Schlafes abgeschwächt ist und daß es aus diesem Grund nicht die gleichen Folgen hat. Es folgt ein Einwand (v. 19), der wieder die Einwirkung der Lebewesen aufeinander betrifft, und zwar handelt es sich um die Frage, wieso es unter der Voraussetzung, daß nur die Erkenntnis besteht, möglich ist, daß ein Lebewesen das andere tötet. Vasubandhu stützt sich bei seiner Antwort wieder auf die Anschauung von dem gegenseitigen Einfluß der verschiedenen Erkenntnisströme aufeinander, und zwar lehrt er, daß ein bestimmter Erkenntnisvorgang im Erkenntnisstrom des Tötenden den Erkenntnisstrom des Getöteten in der Weise beeinflußt, daß er den lebenerhaltenden Kräften entgegenwirkt und so die Unterbrechung dieses Erkenntnisstromes herbeiführt, die wir Tod nennen. Zum Beweis für diese Einwirkung eines Erkenntnisstromes auf den andern beruft er sich auf den
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allgemeinen indischen Glauben, daß dämonische Wesen (Pisäca) und mit Wunderkraft begabte Menschen durch ihr bloßes Denken auf den Geist anderer in der verschiedensten Weise einzuwirken vermögen. Er führt dafür Beispiele aus der Legende und Sage an, und zwar die Legende von Mahäkätyäyana und Särana und die Sage von der Niederlage des Riesenkönigs Vemacitra. Die erste erzählt, wie der Königssohn Särana, der Asket und Schüler des großen Mönchs Mahäkätyäyana geworden war, vom König Pradyota von Ujjayini mißhandelt wird und nun daran denkt, aus dem Orden auszutreten, um an der Spitze eines Heers Rache zu nehmen. Aber Mahäkätyäyana bringt ihn davon ab, indem er ihn im Traum den Mißerfolg des Unternehmens voraussehen läßt. Die Sage vom Riesenkönig Vemacitra berichtet, wie dieser heilige Seher, welche im Walde wohnen, bei seinem Besuch unhöflich behandelt und ihre Bitte um seinen Schutz schroff abschlägt, während der Götterkönig Indra ihnen in der zuvorkommendsten Weise begegnet. Daher trifft Vemacitra ihr Zorn, und als es wieder zum K a m p f zwischen Göttern und Riesen (Asura) kommt, wird er von Indra besiegt. Es gilt nun noch zu beweisen, daß der besprochene geistige Einfluß soweit gehen kann, daß er den Tod anderer Lebewesen herbeiführt. Zu diesem Zweck führt Vasubandhu einen Ausspruch des Buddha an, der einem alten T e x t des Kanons entnommen ist, dem sogenannten UpäliSütram. Dieses berichtet von einer Unterredung des Buddha mit dem Hausvater Upäli, einem Anhänger der JainaLehre, über die Frage, welche Werke, oder wie es hier im Anschluß an die Jaina-Ausdrucksweise heißt welche Gewalttaten (dandahj 1 größere Schuld mit sich bringen, die durch Gedanken, Worte oder Werke. Während die Jaina die Gewalttat durch Werke für die schwerste erklären, entscheidet sich der Buddha für die Gewalttat durch Gedanken. Unter den Beispielen, die er dabei anführt, um zu zeigen, daß durch Gedanken viel schwererer Schaden angerichtet werden kann als durch Werke, befinden sich auch verschiedene Sagen, die berichten, wie Könige wundermächtige Asketen beleidigen oder töten, und wie darauf 1
Die Jaina-Überlieferung verwendet den Ausdruck yogah.
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zur Strafe ein Stein- u n d Feuerregen ihr L a n d heimsucht u n d alles Leben vernichtet. Darauf u n d auf die A u t o r i t ä t des B u d d h a b e r u f t sich hier Vasubandhu, u m zu zeigen, d a ß bloße Gedanken den Tod selbst von zahlreichen Lebewesen herbeiführen können. Einen E i n w a n d weist er dabei noch zurück, d a ß nämlich nicht der Zorn der Seher unm i t t e l b a r den Tod aller dieser Lebewesen herbeigeführt habe, sondern, d a ß er durch übermenschliche Wesen verursacht wurde, welche den Sehern freundlich gesinnt waren u n d ihren Willen vollstreckten. I n diesem Falle, sagt er, h ä t t e der B u d d h a dieses Geschehen nicht als Beispiel f ü r die verhängnisvolle Wirkung bloßer Gedanken a n f ü h r e n können. Zum Schluß k o m m t noch ein E i n w a n d (v. 21), der einen bereits in a n d e r e m Z u s a m m e n h a n g gestreiften Gedanken (oben S. 359) wieder a u f n i m m t . Der Buddhismus k e n n t u n t e r den übernatürlichen Fähigkeiten, welche der J ü n g e r im Laufe seiner Versenkungsübungen erwirbt, a u c h die Fähigkeit, die Vorgänge im Geist eines anderen zu erkennen. Der E r k e n n t n i s s t r o m des a n d e r n ist n u n aber wirklich. Somit h ä t t e eine solche E r k e n n t n i s ein wirkliches Objekt u n d das widerspricht der B e h a u p t u n g , d a ß nur die E r k e n n t n i s allein existiert ohne jedes Objekt. Vasub a n d h u a n t w o r t e t , d a ß auch in diesem Falle kein wirkliches Objekt vorliegt. D e n n ob wir n u n unsere eigenen geistigen Vorgänge erkennen oder die eines andern, was wir erk e n n e n ist hier wie bei allen Gegebenheiten nur die vorgestellte Erscheinungsform, welche dem T r u g der Erscheinungswelt angehört. Das wahre Wesen der Dinge bleibt unserer E r k e n n t n i s hier wie überall unzugänglich u n d ist ausschließlich Bereich des Wissens der Buddha. D a m i t ist das Werk beendet u n d V a s u b a n d h u schließt, a n die letzten Gedanken a n k n ü p f e n d mit den Worten, d a ß er die Lehre von der bloßen E r k e n n t n i s nach bestem K ö n n e n dargestellt habe. Erschöpfend könne er jedoch ihr Wesen weder erkennen noch darstellen, da ihr wahres Wesen in den F o r m e n unserer E r k e n n t n i s nicht f a ß b a r u n d n u r dem übernatürlichen Wissen der B u d d h a zugänglich sei.
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Der „Nachweis, daß (alles) nur Erkenntnis ist, in zwanzig Versen" (Vimsatikä
Vijnaptimätratäsiddhih) KAPITEL
i
Im Mahäyäna wird gelehrt, daß die aus den drei Sphären bestehende Welt bloß Erkenntnis ist, denn im Sütra heißt es: „Fürwahr, ihr Söhne des Siegers, diese aus den drei Sphären bestehende Welt ist bloß Geist." Geist (cittam), Denken (manah), Erkennen (vijnänam) und Erkenntnis (vijiia'ptih) sind Synonyme. „ G e i s t " bedeutet hier den Geist samt seiner Begleitung 1 . Das Wort „ b l o ß " dient dazu, äußere Gegenstände auszuschließen. V. 1
Alles dies ist bloß Erkenntnis, weil sich nicht vorhandene Gegenstände (in ihr) spiegeln, so wie Augenkranke nicht vorhandene Haarringe usw. sehen. (Einwand:) Dagegen wendet man ein: v. 2
Wenn die Erkenntnis nicht durch einen Gegenstand hervorgerufen wird, dann ist das Gebundensein an Ort und Zeit, das Nichtgebundensein an einen bestimmten Erkenntnisstrom und das Bewirken einer Wirkung nicht am Platz. Was ist damit gesagt? Wenn es einen Gegenstand wie Form usw. nicht gibt und die Erkenntnis einer Form usw. entsteht, ohne durch einen Gegenstand wie Form usw. hervorgerufen zu sein, warum entsteht sie dann an einem bestimmten Ort und nicht überall? Warum entsteht sie an diesem Ort zu einer bestimmten Zeit und 1
Es ist also nicht nur der Geist wirklich, sondern a u c h die den Geist beglei-
t e n d e n geistigen Gegebenheiten
(caiitäk).
Vasubandhu der Ältere
367
nicht immer? Warum entsteht sie ohne bestimmte Bindung im Geist aller, die sich zu dieser Zeit an diesem Ort befinden, und nicht bloß bei einigen, so wie Haare usw. nur im Geiste der Augenkranken erscheinen, und nicht bei anderen Menschen ? Warum bringen die von Augenkranken gesehenen Haare, Bienen usw. nicht die Wirkung von Haaren usw. hervor, während andere sie hervorbringen? Warum bringen die im Traum gesehenen Speisen, Getränke, Kleider, Gift, Waffen usw. nicht die Wirkung von Speise und Trank usw. hervor, während andere sie hervorbringen ? Warum bringt eine Gandharvenstadt (Fata Morgana), die nicht vorhanden ist, nicht die Wirkung einer Stadt hervor, während andere (Städte) sie hervorbringen? Wenn also der Gegenstand einer solchen Erkenntnis nicht existiert, dann ist ebenso wie bei nicht vorhandenen (Dingen) das Gebundensein an Ort und Zeit, das Nichtgebundensein an einen bestimmten Geist und das Bewirken einer Wirkung nicht am Platz. (Antwort:) Das ist nicht richtig, daß sie nicht am Platze sind, denn: v. 3
Das Gebundensein an Ort und Zeit ist erwiesen wie im Traum. Wieso? Im Traum sieht man, auch ohne daß ein Gegenstand vorhanden ist, bestimmte Dinge, wie Bienen, Gärten, Frauen, Männer usw. an einem bestimmten Ort und nicht überall. Und man sieht sie an diesem Ort zu einer bestimmten Zeit und nicht immer. Damit ist das Gebundensein an Ort und Zeit auch ohne einen Gegenstand erwiesen. Das Nichtgebundensein an einen bestimmten Erkenntnisstrom ferner wie bei Totengeistern. „Ist erwiesen" gilt weiter. Wieso ist es erwiesen?
368
Die Schulen des Mahayäna
Da von allen zugleich Eiterströme usw. gesehen werden. Die Totengeister, welche sich im gleichen Zustand der Reifung ihrer Werke befinden, sehen alle einen mit Eiter gefüllten Strom und nicht bloß einer. Und ebenso, wie sie einen mit Eiter gefüllten Strom sehen, sehen sie auch solche, die mit Harn, Kot usw. gefüllt sind und von Männern mit Stöcken und Schwertern bewacht werden; das ist durch das Wort „usw." angedeutet. Damit ist erwiesen, daß die Erkenntnis, auch wenn kein Gegenstand vorhanden ist, nicht an einen bestimmten Erkenntnisstrom gebunden sein braucht. V.
4
Das Bewirken einer Wirkung wie bei einer Pollution im Schlaf. „Ist erwiesen" ist hinzuzudenken. Wie im Schlaf auch ohne geschlechtliche Vereinigung eine durch Ausfließen des Samens gekennzeichnete Pollution eintritt. Somit sind die angeführten Tatsachen, das Gebundensein an Ort und Zeit usw. zunächst durch immer andere Beispiele erwiesen. Alles wiederum wie in den Höllen. „Ist erwiesen" ist hinzuzudenken. Wieso ist es erwiesen? Da man Höllenwächter usw. sieht und von ihnen gequält ward. Wie es nämlich erwiesen ist, daß in den Höllen die Höllenbewohner Höllenwächter usw. an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit sehen — durch das Wort „usw." ist angedeutet, daß sie auch Hunde und Krähen sehen, sowie eiserne Berge usw., die kommen und gehen — und zwar alle und nicht nur einer, und wie ferner erwiesen ist, daß sie von diesen Höllenwächtern gequält werden, obwohl es keine Höllenwächter gibt, bloß durch den Einfluß der gleichartigen Reifung ihrer Werke, ebenso
Vasubandhu der Ältere
369
sind auch in anderen Fällen alle die genannten vier Tatsachen, das Gebundensein an Ort und Zeit usw., als erwiesen zu betrachten. (Einwand:) Aus welchem Grund nehmt ihr nicht an, daß die Höllenwächter und diese Hunde und Krähen Lebewesen sind? (Antwort:) Weil es immöglich ist. Sie können nämlich nicht Höllenbewohner sein, weil sie nicht wie diese die Höllenqualen empfinden. Auch wäre es, wenn sie sich gegenseitig quälten, unmöglich, zwischen Höllenbewohnern und Höllenwächtern zu unterscheiden. Ferner würden sie, wenn sie von gleicher Gestalt, Größe und Kraft wären und sich gegenseitig quälten, nicht in der gleichen Weise Furcht empfinden. Und wie könnten sie, während sie selbst die Feuerqual auf dem glühenden eisernen Boden nicht zu ertragen vermögen, in dieser Lage andere quälen ? Wenn sie aber keine Höllenbewohner sind, wie können sie dann in der Hölle wiedergeboren werden? (Einwand:) Wie können dann Tiere im Himmel geboren werden? Ebenso gut können also Tiere und gewisse Arten von Totengeistern als Höllenwächter usw. in den Höllen wiedergeboren werden (Antwort vom Standpunkt der Sarvästivädin:) v. 5
Eine Wiedergeburt von Tieren wie im Himmel ist in der Hölle nicht möglich, und ebenso wenig von Totengeistern, weil sie den dort entstehenden Schmerz nicht empfinden. Die Tiere, welche im Himmel wiedergeboren werden, werden dort infolge von Werken geboren, die zur Lust der dortigen Umwelt führen, und genießen die dort entstehende Lust. Die Höllenwächter usw. empfinden dagegen die Höllenqualen nicht. Daher ist weder die Wiedergeburt von Tieren noch von Totengeistern (in den Höllen) 24
Frauwallner,
Buddhismus
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Die Schulen des Mahäyäna
möglich. Es entstehen dort vielmehr durch die Werke der Höllenbewohner gewisse Gebilde aus den Elementen, welche eine bestimmte Farbe, Gestalt, Größe und Kraft zeigen, und welche den Namen Höllenwächter usw. erhalten. Und sie verändern sich so, daß sie verschiedene Bewegungen, wie Schwingen der Arme usw., auszuführen scheinen, um Furcht hervorzurufen, oder daß man Berge in Gestalt von Widdern kommen und gehen sieht und daß die Dornen im eisernen Sälmali-Wald sich abwärts und aufwärts zu richten scheinen. Sie sind aber keineswegs nicht vorhanden. (Antwort Vasubandhus:) v. 6
Wenn Ihr annehmt, daß durch die Werke der (Höllenbewohner) dort Elemente entstehen und sich in solcher Weise verändern, warum nehmt ihr das nicht vom Erkennen an? Warum nehmt ihr nicht an, daß sich ihr Erkennen durch ihre Werke so verändert? Warum stellt ihr euch Elemente vor? v. 7
Ihr stellt euch die Durchtränkung der Werke anderswo vor und die Frucht anderswo. Was ist der Grund, daß Ihr (die Frucht) nicht dort annehmt, wo (sich) die Durchtränkung (befindet) ? Ihr stellt euch vor, daß durch die Werke der Höllenbewohner in der (Hölle) Elemente in solcher Weise entstehen und sich verändern. Die Durchtränkung dieser Werke haftet nun an ihrem Erkenntnisstrom und nirgendwo sonst. Warum nehmt ihr also nicht an, daß dort, wo sich die Durchtränkung befindet, auch ihre Frucht erscheint, nämlich eine entsprechende Veränderung des Erkennens ? Was ist der Grund, daß ihr euch die Frucht dort vorstellt, wo die Durchtränkung nicht ist?
Vasubandhu der Ältere
371
KAPITEL II
(Gegner:) Der Grund ist die heilige Überlieferung. Wenn es bloß das Erkennen gäbe, welches das Bild der Form usw. zeigt, und keinen Gegenstand Form usw., dann hätte der Erhabene nicht das Vorhandensein des Bereiches der Form usw. gelehrt. (Antwort:) Das ist kein Grund, denn: v. 8
Das Vorhandensein des Bereiches der Form usw. ist in bestimmtem Sinn gelehrt worden, und zwar mit Rücksicht auf Leute, die dadurch gefördert werden sollen, ebenso wie (das Vorhandensein) der plötzlich entstehenden Lebewesen. So wie der Erhabene in bestimmtem Sinn gelehrt hat, daß es plötzlich entstehende Lebewesen gibt, und zwar im Hinblick darauf, daß der Geistesstrom in der Zukunft nicht unterbrochen wird, gemäß dem Ausspruch: ,,Es gibt hier kein Lebewesen und kein Selbst; was wir sehen sind nur ursächlich bedingte Gegebenheiten", ebenso hat der Erhabene das Vorhandensein des Bereiches der Form usw. gelehrt, und zwar mit Rücksicht auf Leute, die durch diese Lehre gefördert werden sollen. Erhandelt sich also um eine Aussage in bestimmtem Sinn. Welches ist nun dieser Sinn? v. 9
Den eigenen Samen, aus dem eine Erkenntnis hervorgeht, und daß Bild, das sie (dabei) zeigt, diese beiden hat der Weise als ihr doppeltes Bereich bezeichnet. Was ist damit gesagt ? Eine Erkenntnis, welche das Bild der Form zeigt, entsteht aus ihrem Samen, sobald dieser einen bestimmten Zustand der Umwandlung (parinä24*
372
Die Schulen des Mahayana
mavisesah) erreicht h a t 1 . Diesen Samen nun und das Bild, welches sie (dabei) zeigt, diese beiden hat der Erhabene als den zu dieser Erkenntnis gehörigen Bereich des Auges bzw. der Form bezeichnet. Das gleiche gilt für alle Arten der Erkenntnis bis zur Erkenntnis des Berührbaren. Eine Erkenntnis nämlich, welche das Bild des Berührbaren zeigt, entsteht aus ihrem Samen, so bald dieser einen bestimmten Zustand der Umwandlung erreicht hat. Diesen Samen nun und das Bild, welches sie (dabei) zeigt, diese beiden h a t der Erhabene als das zu dieser Erkenntnis gehörige Bereich des Körpers bzw. des Berührbaren bezeichnet. Das ist also der Sinn, um "den es sich hier handelt. Was für einen Vorteil h a t es nun, die Lehre auf Grund dieses Sinnes so vorzutragen? v . 10
So gelangt man nämlich zum Verständnis der Wesenlosigkeit der Persönlichkeit. Wenn die Lehre so vorgetragen wird, gelangt man nämlich zum Verständnis der Wesenlosigkeit der Persönlichkeit. Wenn man erkennt, d a ß die sechs Arten des Erkennens aus je zwei (Bereichen) entstehen, d a ß es aber keinen einheitlichen Seher, Hörer -usw. bis-Denker gibt, dann gelangen diejenigen, welche durch die Lehre von der Wesenlosigkeit der Persönlichkeit gefördert werden sollen, zum Verständnis der Wesenlosigkeit der Persönlichkeit. Wird dagegen die Lehre in der anderen A r t vorgetragen, so gelangt man zum Verständnis der Wesenlosigkeit der Gegebenheiten. 1
Der S a m e oder E i n d r u c k im U n t e r b e w u ß t s e i n , a u s dem j e d e E r k e n n t n i s ent-
steht,
reift u n t e r s t ä n d i g e r U m w a n d l u n g a l l m ä h l i c h heran, bis er schließlich
die F ä h i g k e i t g e w o n n e n h a t , die b e t r e f f e n d e E r k e n n t n i s im nächsten A u g e n b l i c k hervorzubringen.
V a s u b a n d h u der Ältere
373
,,In der anderen Art" heißt, wenn gelehrt wird, das (alles) nur Erkenntnis ist. Wieso gelangt man dann zum Verständnis der Wesenlosigkeit der Gegebenheiten? Indem man erkennt, daß alles, was wir sehen, bloß Erkenntnis ist, die entsteht, indem sie das Bild der Gegebenheiten Form usw. zeigt, daß es dagegen eine als Form usw. gekennzeichnete Gegebenheit nicht gibt. (Einwand:) Wenn es eine Gegebenheit überhaupt nicht gibt, dann gibt es auch die bloße Erkenntnis nicht. Wieso könnt ihr sie also behaupten? (Antwort:) Zum Verständnis der Wesenlosigkeit der Gegebenheiten gelangt man nicht, indem man denkt, daß es eine Gegebenheit überhaupt nicht gibt, sondern nur dem vorgestellten Wesen nach. Die Wesenlosigkeit der Gegebenheiten besteht dem vorgestellten Wesen nach, d. h. dem Wesen nach, welches sich die Toren vorstellen als Erfaßtes und Erfassendes usw., aber nicht dem unausdrückbaren Wesen nach, welches Objekt der Buddha ist. Ebenso gelangt man zum Verständnis der Wesenlosigkeit der bloßen Erkenntnis dem von einer andern Erkenntnis vorgestellten Wesen nach, und indem man (in diesem Sinn) behauptet, daß (alles) nur Erkenntnis ist, gelangt man zum Verständnis der Wesenlosigkeit aller Gegebenheiten, und nicht indem man ihr Vorhandensein vollkommen leugnet. Denn andernfalls hätte eine Erkenntnis die andere Erkenntnis zum Gegenstand und es wäre daher nicht erwiesen, daß (alles) bloß Erkenntnis ist, weil die Erkenntnisse einen Gegenstand hätten.
KAPITEL III
(Gegner:) Wie läßt es sich aber erkennen, daß der Erhabene das Vorhandensein des Bereichs der Form usw.
374
Die Schulen des Mahäyäna
in diesem Sinne gelehrt hat, daß es jedoch diese (Bereiche), welche einzeln Objekt der Formerkenntnis usw. sind, (in Wirklichkeit) nicht gibt? (Antwort:) Weil V. 11
es weder als Einheit Objekt ist, noch als Vielheit von Atomen, noch als diese im Zustand der Vereinigung, da das einzelne Atom nicht erwiesen ist. Was ist damit gesagt? Der Bereich der Form usw., welcher einzeln Objekt der Formerkenntnis usw. ist, ist entweder eine Einheit wie das Ganze, welches sich die Vaisesika vorstellen, oder eine Vielheit von Atomen, oder eben diese Atome im Zustand der Vereinigung. Eine Einheit kann zunächst nicht Objekt sein, weil sich ein von den Teilen verschiedenes Ganzes nirgends fassen läßt. Ebenso wenig eine Vielheit, weil die Atome einzeln nicht faßbar sind. Und ebenso wenig können die (Atome) im Zustand der Vereinigung Objekt sein, weil das Atom als einzelnes Ding nicht erwiesen ist. Wieso ist es nicht erwiesen? Weil V. 1 2
bei der gleichzeitigen Verbindung mit einer Sechsheit (sich) eine Sechsteiligkeit des Atoms (ergibt). Bei einer gleichzeitigen Verbindung mit sechs Atomen von (allen) sechs Seiten ergibt sich eine Sechsteiligkeit des Atoms, weil an dem Ort des einen (Atoms) kein anderes sein kann. Wenn sich dagegen alle sechs am gleichen Ort befinden. dann würde die Zusammenballung nur die Größe eines Atoms haben. Wenn der Ort des einen Atoms gleichzeitig der (Ort) aller sechs wäre, dann würden sich alle am gleichen Ort befinden und die ganze Zusammenballung hätte daher nur
Vasubandhu der Ältere
375
die Größe eines Atoms, weil sich eines über das andere nicht hinauserstrecken würde. Es wäre infolgedessen keine Zusammenballung zu sehen. (Gegner:) Die einzelnen Atome verbinden sich nicht miteinander, weil sie teillos sind. Daher braucht sich dieser Fehler nicht ergeben. Vereinigt aber verbinden sie sich miteinander, so sagen die Vaibhäsika von Kasmir. (Antwort:) Die Anhäufung der Atome ist doch nichts anderes als sie selbst. v. 13
Wenn sich also das Atom nicht verbindet, was verbindet sich dann in der Anhäufung ? Dann ist es aber auch nicht die Teillosigkeit, derentwegen die Verbindung der Atome nicht zustande kommt. Wenn sich also auch die Anhäufungen nicht miteinander verbinden, dann dürft Ihr nicht sagen, daß die Verbindung der Atome wegen der Teillosigkeit nicht zustandekommt, da ihr ja auch bei der Anhäufung, die doch Teile hat, eine Verbindung nicht zugebt. Daher ist das Atom als einzelnes Ding nicht erwiesen. Ob ferner eine Verbindung der Atome angenommen wird oder nicht: V. 1 4
Was nach Raumteilen gegliedert ist, kann unmöglich eine Einheit sein. Ein anderer ist nämlich der östliche Raumteil des Atoms... usw. bis . . . ein anderer der abwärts gelegene Raumteil. Wieso kann also, wenn eine Gliederung nach Raumteilen vorliegt, das Atom, das doch aus diesen (Teilen) besteht, eine Einheit bilden ? Oder wieso Schatten und Hemmung ? Wenn es bei dem einzelnen Atom keine Gliederung nach Raumteilen gäbe, wieso zeigt sich dann bei Sonnenauf-
376
Die Schulen des Mahayäna
gang auf einer Seite Schatten, auf der anderen Licht? Denn es hat doch keinen andern Teil, wo das Licht nicht hinkommen könnte. Und wieso findet ein Hemmen des einen Atoms durch das andere statt, wenn eine Gliederung nach Raumteilen nicht angenommen wird. Denn das Atom hat dann keinen anderen Teil, wo das eine, wenn es sich dorthin bewegt, auf den Widerstand des anderen stoßen würde. Wenn es aber auf keinen Widerstand stößt, dann würden, wie wir bereits gesagt haben, alle (Atome) denselben Ort einnehmen und jede Anhäufung hätte daher nur die Größe eines Atoms. (Gegner:) Warum nehmt ihr nicht an, daß Schatten und Hemmung der Zusammenballung angehören und nicht dem Atom? (Antwort:) Nehmt ihr etwa an, daß die Zusammenballung, der sie angehören sollen, etwas anderes ist, als die Atome ? Nein. Daher heißt es: Wenn die Zusammenballung nichts anderes ist, dann gehören sie ihr nicht an. Wenn ihr annehmt, daß die Zusammenballung nichts anderes ist als die Atome, dann ist erwiesen, daß sie ihr nicht angehören. (Gegner:) Die Frage, ob Atom oder Anhäufung, betrachtet nur die Verschiedenheit der Gestalt. Was hat aber diese Überlegung für einen Wert, solange nicht das Merkmal der Form usw. widerlegt wird ? (Antwort:) Was ist denn ihr Merkmal? (Gegner:) Das Objektsein für das Auge usw. und die Blauheit usw. (Antwort:) Das ist es ja gerade, womit sich unsere Überlegung beschäftigt. Diese untersucht nämlich, ob eben dieses Blaue, Gelbe usw., welches als Objekt des Auges usw. angesehen wird, ein einheitliches Ding ist oder eine Vielheit. (Gegner:) Und was folgt daraus? (Antwort:) Die Fehler im Falle der Vielheit sind bereits besprochen.
Vasubandhu der Ältere v.
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15
Im Falle der Einheit fände eine schrittweise Bewegung, ein gleichzeitiges Erfassen und Nichterfassen, das Vorhandensein mehrerer getrennter (Dinge) und die Nichtwahrnshmung von Feinem nicht statt. Wenn man annimmt, daß das Objekt des Auges, Blau, Gelb usw., soweit es nicht unterbrochen ist, ein einziges Ding darstellt, dann gäbe es auf der Erde keine schrittweise Bewegung, d. h. kein Gehen, weil mit einer einzigen Fußbewegung alles durchschritten wäre. Es gäbe kein gleichzeitiges Erfassen des vorderen und Nichterfassen des rückwärtigen Teils. Denn ein Erfassen und Nichterfassen desselben (Dinges) zur selben Zeit ist nicht möglich. Ferner könnten sich in einem (Ding) nicht mehrere getrennte (Dinge) wie Elefanten, Pferde usw. befinden. Denn wo das eine ist, müßte auch das andere sein. Wieso kann man also beide als getrennt ansehen? Und wieso kann andererseits das eine Einheit sein, was mit den beiden sowohl verbunden als auch nichtverbunden ist, da j a im Zwischenraum (zwischen beiden) etwas erfaßt wird, was von ihnen frei ist. Schließlich gäbe es, wenn man eine Verschiedenheit der Dinge ausschließlich wegen der Verschiedenheit des Merkmals annimmt und aus keinem andern Grund, keine Nichtwahrnehmung der feinen Wasserwesen, da sie die gleiche Beschaffenheit haben wie die groben. Man muß daher unbedingt eine Gliederung nach Atomen annehmen, und dieses ist als Einheit nicht erwiesen. Wenn es aber nicht erwiesen ist, dann ist auch nicht erwiesen, daß die Form usw. Objekt des Auges usw. ist, und damit ist erwiesen, daß (alles) nur Erkenntnis ist.
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Die Schulen des Mahäyana K A P I T E L IV
(Gegner:) Sein oder Nichtsein wird auf Grund der Erkenntnismittel festgestellt. Von allen Erkenntnismitteln aber ist das Erkenntnismittel der sinnlichen Wahrnehmung das gewichtigste. Wieso kommt also, wenn kein Gegenstand vorhanden ist, die Erkenntnis zustande : ,Ich habe das sinnlich wahrgenommen"? (Antwort:) v. 16
Die Erkenntnis der sinnlichen Wahrnehmung (pratyaksäbuddhih) ergibt sich wie im Schlaf. Auch ohne einen Gegenstand, das ist früher bereits gezeigt worden. Ferner wird der Gegenstand zur Zeit, wo sie sich einstellt, nicht gesehen. Wieso kann er also als sinnlich wahrgenommen betrachtet werden? Zur Zeit, wo sich die Erkenntnis der sinnlichen Wahrnehmung: „Dies habe ich sinnlich wahrgenommen", einstellt, wird der Gegenstand nicht gesehen, weil diese Feststellung durch das Denkerkennen erfolgt und das Augenerkennen inzwischen vergangen ist. Wieso kann also der (betreffende Gegenstand) als sinnlich wahrgenommen betrachtet werden, besonders von einem Anhänger der Lehre von der Augenblicklichkeit aller Dinge, für den zu dieser Zeit die betreffende Form oder der betreffende Geschmack usw. vergangen ist? (Gegner:) An etwas Nichtwahrgenommenes erinnert man sich nicht durch das Denkerkennen. Es muß daher unbedingt eine Wahrnehmung des Gegenstandes geben und das ist das Sehen. Aus diesem Grund betrachtet man die Form usw., welche dessen Objekt darstellt, als sinnlich wahrgenommen. (Antwort:) Es ist ist nicht erwiesen, daß man sich an einen wahrgenommenen Gegenstand erinnert, denn:
Vasubandhu der Ältere V.
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Wir haben besprochen, wie eine Erkenntnis, welche sein Bild zeigt, (entsteht). Wie auch ohne einen Gegenstand eine Erkenntnis, welche sein Bild zeigt, ein Augenerkennen usw. entsteht, haben wir besprochen. Daraus (entspringt) die Erinnerung. Aus dieser Erkenntnis entspringt eine Denkerkenntnis, welche mit Erinnerung verbunden ist, dasselbe Bild zeigt und die Form usw. vorstellt. Daher ist durch das Entstehen der Erinnerung die Wahrnehmung des Gegenstandes nicht erwiesen. (Gegner:) Wenn die Erkenntnis ebenso wie im Schlafe auch im Wachen keinen wirklichen Gegenstand zum Objekt hätte, dann würden die Menschen das Nichtvorhandensein desselben ebenso von selbst erkennen. Das ist aber nicht der Fall. Daher trifft es nicht zu, daß jede Wahrnehmung eines Gegenstandes ebenso wie im Schlafe keinen Gegenstand hat. (Antwort:) Das ist nicht beweiskräftig, denn: Solange man nicht erwacht ist, erkennt man das Nichtvorhandensein des im Schlafe gesehenen Objektes nicht. Ebenso vermögen die Menschen, welche in den Schlaf der durch die Gewohnheit falscher Vorstellungen entstandenen Durchtränkung versunken sind, und welche wie im Schlafe einen unwirklichen Gegenstand sehen, solange sie nicht erwacht sind, das Nichtvorhandensein desselben nicht wahrheitsgemäß zu erkennen. Sobald sie jedoch durch die Erlangung seines Gegensatzes, nämlich des überweltlichen, vorstellungsfreien Wissens erwacht sind, erkennen sie durch die Vergegenwärtigung des daran
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Die Schulen des Mahäyana
anschließenden reinen weltlichen Wissens wahrheitsgemäß das Nichtvorhandensein des Objekts. Die Verhältnisse liegen also gleich. (Gegner:) Wenn bei den Wesen die Erkenntnis, welche das Bild eines Gegenstandes zeigt, auf Grund einer bestimmten Umwandlung ihres Erkenntnisstromes entsteht, und nicht auf Grund eines bestimmten Gegenstandes, wieso ist es dann möglich, daß die Verbindung mit schlechten und guten Freunden und das Hören guter und schlechter Lehren die Erkenntnis der Wesen bestimmt, wo es doch diese Verbindung und diese Lehre nicht gibt? (Antwort:) v. 18
Die gegenseitige Bestimmung der Erkenntnis erfolgt durch wechselseitige Beeinflussung. Die jeweilige gegenseitige Bestimmung der Erkenntnis erfolgt bei allen Wesen dadurch, daß sich ihre Erkenntnis wechselseitig beeinflußt. Daher entsteht durch eine bestimmte Erkenntnis des einen Erkenntnisstromes eine bestimmte Erkenntnis im andern Erkenntnisstrom, und nicht durch einen bestimmten Gegenstand. (Gegner:) Wenn die Erkenntnis im Wachen ebenso wie im Traum keinen Gegenstand hat, warum ergibt dann guter und böser Wandel beim Schlafenden und Nichtschlafenden in der Zukunft nicht die gleiche erwünschte oder unerwünschte Frucht? (Antwort:) Weil der Geist im Schlaf durch Mattigkeit gehemmt ist, darum ist die Frucht nicht gleich. Das ist die Ursache davon, und nicht das Vorhandensein eines Gegenstandes. (Gegner:) Wenn alles dies bloß Erkenntnis ist und niemand einen Körper oder eine Stimme hat, wieso tritt
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dann der Tod von Schafen usw. ein, welche von Schäfern usw. geschlachtet werden ? Oder wenn ihr Tod nicht von den Schäfern usw. verursacht wird, warum trifft dann diese die Sünde der Vernichtung von Leben ? (Antwort:) v . 19
Der Tod ist eine Veränderung auf Grund einer bestimmten Erkenntnis eines anderen, sowie durch die Kraft des Denkens eines Piöäca usw. bei andern (eine Veränderung wie) der Verlust der Erinnerung usw. (eintritt). Wie durch die Kraft des Denkens eines Pisäca usw. bei anderen Veränderungen eintreten, wie der Verlust der Erinnerung, das Sehen von Träumen oder die Besessenheit durch Geister und Dämonen, oder (wie solche Veränderungen) durch die Kraft des Denkens mit Wundermacht ausgestatteter Personen (eintreten), wie das Sehen von Träumen durch Särana unter dem Einfluß des heiligen Mahäkätyäyana, oder die Niederlage des Vemacitra durch die Erbitterung des Denkens der waldbewohnenden Seher, ebenso tritt durch den Einfluß einer bestimmten Erkenntnis irgendeiner Person bei andern eine Veränderung ein, welche dem Lebensorgan entgegenwirkt, und dadurch erfolgt die Unterbrechung des gleichartigen Erkenntnisstromes, welche wir Tod nennen. So ist dies aufzufassen. v. 20
Wie hätte sonst die Leerheit des Dandaka-Waldes durch den Zorn des Sehers eintreten können. Wenn ihr jedoch nicht anerkennt, daß der Tod der Wesen unter dem Einfluß einer bestimmten Erkenntnis eines andern erfolgt, (so verweisen wir darauf, daß) der
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Die Schulen des Mahayana
Erhabene, um die große Sündhaftigkeit der Gewalttat durch das Denken nachzuweisen, den Hausvater Upäli fragte: „Hast du gehört, Hausvater, wodurch die Dandaka-Wälder, die Mätanga-Wälder und die KalingaWälder leer gemacht und gesäubert wurden?" und daß dieser antwortete: „Ich habe gehört, Gautama, durch die Erbitterung des Denkens der Seher." Oder wieso wird dadurch die große Sündhaftigkeit der Gewalttat durch das Denken bewiesen. Wenn man annimmt, daß die darin wohnenden Wesen durch übermenschliche Wesen ausgerottet wurden, welche den (Sehern) freundlich gesinnt waren, und daß sie nicht durch die Erbitterung des Denkens der Seher umkamen, wieso ist in diesem Fall bewiesen, daß die Gewalttat durch das Denken weitaus sündhafter ist als die Gewalttat durch Körper und Rede. Durch das Umkommen so vieler Wesen infolge der bloßen Erbitterung ihres Denkens dagegen wird es bewiesen. (Gegner:) Wenn dies alles bloß Erkenntnis ist, kennen dann die Kenner fremden Geistes den fremden Geist, oder kennen sie ihn nicht? Was folgt daraus? Wenn sie ihn nicht kennen, wieso sind sie dann Kenner fremden Geistes? Kennen sie ihn dagegen, (wieso behauptet ihr dann, daß nur die Erkenntnis ohne Objekt besteht?) (Antwort:) v. 21
Das Wissen der Kenner fremden Geistes entspricht nicht der Wirklichkeit. Wieso? Wie das Wissen um den eigenen Geist. Wieso entspricht auch dieses nicht der Wirklichkeit ? Weil es (ihn) nicht kennt, wie er Bereich des Buddha ist.
Vasubandhu der Ältere
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Weil es ihn nicht so kennt, wie er seinem unausdrückbaren Wesen nach Bereich der Buddha ist. Beide entsprechen also nicht der Wirklichkeit, weil sie die Vorstellung von Erfaßtem und Erfassendem nicht aufgegeben haben, da sie unzutreffende Erscheinungsbilder zeigen. Zu dieser (Lehre) vom bloßen Vorhandensein der Erkenntnis, welche mit ihren zahllosen einzelnen Feststellungen unergründlich tief ist, V. 2 2
habe ich diesen Nachweis, daß (alles) nur Erkenntnis ist, meinen Kräften entsprechend verfaßt. Vollständig ist sie aber durch Gedanken nicht zu erfassen. In jeder Form kann sie von meinesgleichen durch Gedanken nicht erfaßt werden, weil sie nicht Objekt des logischen Denkens ist. Wessen Bereich ist sie denn in ihrer Gänze? Sie ist Bereich der Buddha. Bereich der erhabenen Buddha ist sie nämlich in jeder Form, da deren Wissen, das alles Erkennbare in jeder Gestalt umfaßt, keine Schranken kennt. Die TrimÄikä Vijnaptimätratäsiddhih, deren Übersetzung ich nun folgen lasse, besteht nur aus dreißig Versen, da Vasubandhu keinen Kommentar dazu hinterlassen hat. Trotzdem erübrigt sich eine eingehendere Erläuterung, da sich fast alles, was zum Verständnis nötig ist, aus der vorausgeschickten kurzen Übersicht über die Anschauungen Vasubandhus ergibt. Vasubandhu beginnt mit einem kurzen Hinweis auf die doppelte Ursache der Verstrickung in den Wesenskreislauf, den Glauben an ein Ich und den Glauben an Gegebenheiten. Neu ist dabei nur, daß er das Wesen dieses Irrtums genauer als ein Beilegen (upacarah) bestimmt, d. h. es wird dadurch einem
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Die Schulen des M a h ä y ä n a
Ding ein Wesen beigelegt, das i h m in Wirklichkeit nicht z u k o m m t . Das beigelegte Wesen ist im vorliegenden Fall das Ich u n d die Gegebenheiten. Beigelegt wird es den verschiedenen Erscheinungsformen des Erkennens. N u n beschreibt V a s u b a n d h u der Reihe n a c h diese drei Erscheinungsformen des Erkennens. I n der Beschreibung des Grunderkennens (v. 2 — 5) bezeichnet der Ausdruck S t ä t t e die Umwelt (bhüjanalokah). U n t e r Aneignung sind K ö r p e r u n d Sinnesorgane zu verstehen, d a diese in den Persönlichkeitsstrom aufgenommen u n d gewissermaßen angeeignet erscheinen. Gleichmut als E m p f i n d u n g ist weder Lust noch Leid u n d k o m m t d e m Grunderkennen zu, da dieses unb e w u ß t bleibt. Die Beschreibung des Denkens (v. 5 — 8) e n t h ä l t außer den übrigen Bestimmungen noch eine kurze Bemerkung über die Sphäre, welcher die das Denken begleitenden Laster angehören. Diese Frage h a t die buddhistische Scholastik bei allen Gegebenheiten viel beschäftigt, ist aber ohne philosophisches Interesse. Als überweltlicher Weg (v. 7) ist das vorstellungsfreie Wissen bezeichnet, weil dieses den überweltlichen Teil des Erlösungsweges darstellt. I n der Beschreibung der E r k e n n t n i s der O b j e k t e (v. 8—16) sind die vier ungebundenen geistigen Gegebenheiten als zwei P a a r e aufgezählt (v. 14) u n d als zweifach bezeichnet, d. h. sie können lasterhaft u n d nicht l a s t e r h a f t sein. N a c h wenigen Versen über den Charakter des Erkennens als Vorstellung u n d über das Wirken der D u r c h t r ä n k u n g folgt eine kurze Wiedergabe der Lehre vom dreifachen Wesen der Dinge u n d ihrer dreifachen Wesenlosigkeit (v. 20 — 25). V a s u b a n d h u folgt dabei der alten Lehre, wie wir sie im S a m d h i n i r m o c a n a s ü t r a m kennengelernt haben (s. oben S. 279ff.), ohne etwas wesentlich Neues hinzuzufügen. Beachtenswert ist bei der Lehre vom dreifachen Wesen nur die Bemerkung (v. 22), d a ß das vollkommene vom abhängigen Wesen weder verschieden noch nichtverschieden ist, was d a r a n erinnert, wie Mait r e y a n ä t h a das Verhältnis des Wesens der Gegebenheiten (dharmatü) zu den Gegebenheiten b e s t i m m t (vgl. oben S. 323), u n d die weitere Bemerkung, d a ß das abhängige Wesen nicht richtig verstanden werden k a n n , wenn m a n nicht vorher das vollkommene Wesen e r k a n n t h a t . Was die dreifache Wesenlosigkeit betrifft, so ist das vorgestellte
Vasubandhu der Ältere
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Wesen wesenlos, weil ihm keine eigene Beschaffenheit zukommt, das abhängige Wesen, weil es nicht für sich selbst besteht, sondern von anderem abhängig ist. Die Wesenlosigkeit des vollkommenen Wesens beruht schließlich darauf, daß es die höchste Wirklichkeit ist und diese in der Wesenlosigkeit der Gegebenheiten besteht (vgl. oben S. 283f). Als Abschluß folgt die Erlösungslehre (v. 2 6 - 3 0 ) . Die falschen Vorstellungen von einem Ich und von Gegebenheiten und die dadurch verursachte Durchtränkung, auf denen die Verstrickung in den Wesenskreislauf beruht, verschwinden erst durch das unmittelbare Erschauen der bloßen Erkenntnis vermöge des vorstellungsfreien Wissens. Zu diesem Zwecke müssen alle Vorstellungen von Objekten beseitigt werden. Es genügt daher auch nicht, in den gewöhnlichen Formen unseres Erkennens zu denken, daß alles bloß Erkenntnis ist, weil damit noch immer ein Objekt gegeben bleibt. Erst wenn jegliches Objekt und mit dem Objekt auch das Erkennen geschwunden ist, wird man sich unmittelbar der bloßen Erkenntnis in ihrer wahren unausdrückbaren Form bewußt. Das ist das überweltliche vorstellungsfreie Wissen, im Sinne des gewöhnlichen Erkennens ein Nichtwahrnehmen, bei dem auch die psychischen Faktoren verschwunden sind. Dieses führt die Umgestaltung der Grundlage herbei und das Schwinden der doppelten Bindung durch den Glauben an das Ich und die Gegebenheiten, welche Vasubandhu hier mit einem alten schon bei Maitreyanätha gebrauchten Ausdruck als Verderbtheit (dausthulyam) bezeichnet. Damit erfolgt die Erlösung und das Eingehen in das höchste Sein, das für den gewöhnlichen Jünger der Körper der Erlösung (vimuktikäyah), für den Buddha der Körper der Lehre (dharmakäyah) ist. Der „Nachweis, dalä (alles) nur Erkenntnis ist, in dreißig Versen" (Trimsikä
Vijnaptimätratäsiddhih) 1 Das Beilegen eines Ich und von Gegebenheiten, welches in mannigfacher Weise stattfindet, betrifft die Umwandlung des Erkennens. Und diese Umwandlung ist dreifach, 25
Frauwallner,
Buddhismus
386
Die Schulen des Mahayana 2
Reifung, Denken genannt, und Erkenntnis des Objekts. Davon ist die Reifung das sogenannte Grunderkennen. Dieses enthält alle Samen 3
und erkennt in unbewußter Form die Aneignung und die Stätte. Es ist beständig von Berührung, Aufmerksamkeit, Empfindung, Bewußtwerden und Willen begleitet. i Die Empfindung in ihm ist der Gleichmut. Ferner ist es unbefleckt und unbestimmt. Ebenso die Berührung usw. Es pflanzt sich in ununterbrochenem Strom fort wie ein Fluß. 5
Sein Verschwinden erfolgt im Zustand der Heiligkeit. Darauf gestützt und mit ihm als Anhaltspunkt entwickelt sich das Denken genannte Erkennen, welches Meinen zum Wesen hat, e beständig begleitet von vier Lastern, welche befleckt und unbestimmt sind, als Glaube an das Ich, Verblendung über das Ich, Stolz auf das Ich und Liebe zum Ich bezeichnet werden 7
und der (Sphäre) angehören, in der man geboren ist, und von anderen (geistigen Gegebenheiten), der Berührung usw. Es ist nicht vorhanden bei einem Heiligen, in der Versenkung der Unterdrückung und auf dem überweltlichen Weg. 8
Das ist die zweite Umwandlung. Die dritte ist die Wahrnehmung des sechsfachen Objekts. Diese ist gut, böse und keines von beiden.
Vasubandhu der Ältere
387
9
Sie ist begleitet von den allgemein verbreiteten geistigen Gegebenheiten, von den an bestimmte Objekte gebundenen, von den guten, von den Lastern und Nebenlastern, und hat drei Empfindungen. 10
Die ersten sind die Berührung usw. Die an bestimmte Objekte gebundenen sind Begehren, Überzeugung und Erinnerung samt der Sammlung und Einsicht. Glaube, Scheu, Scham, 11
die Dreiheit Begierdelosigkeit usw., Strebsamkeit, Ausgeglichenheit, der (Gleichmut) samt der Achtsamkeit und die Harmlosigkeit sind die guten. Die Laster sind Begierde, Haß, Verblendung, 12 Hochmut, (falsche) Ansicht und Zweifel. Zorn und Groll wiederum, Verstellung, Gehässigkeit, Neid, ferner Geiz, Heuchelei 13
samt der Falschheit, Übermut, Bosheit, Hemmungslosigkeit, Schamlosigkeit, Schlaffheit, Erregtheit, Ungläubigkeit, ferner Trägheit, Nachlässigkeit, Vergeßlichkeit, 14
Zerstreutheit und Unbesonnenheit, Reue und Starrheit, Nachdenken und Überlegen, das sind die Nebenlaster und die (letzten) beiden Paare sind zweifach. 15
Fünf Arten des Erkennens entstehen im Grunderkennen je nach dem Vorhandensein der Ursachen zugleich oder nicht, wie die Wellen im Wasser. 25*
388
Die Schulen des Mahayäna 16
Das Denkerkennen entsteht immer, ausgenommen den Zustand der Unbewußtheit, die beiden Versenkungen, die Starrheit ( = Betäubung) und jene Ohnmacht, in der der Geist aussetzt. 17
Diese Umwandlung des Erkennens ist Vorstellung Was von ihr vorgestellt wird, das ist nicht vorhanden. Daher ist dies alles bloße Erkenntnis. IS
Das Erkennen enthält nämlich alle Samen. Die Umwandlung entwickelt sich unter gegenseitigem Einfluß bald so bald so, so daß bald diese, bald jene Vorstellung entsteht. l« Die Durchtränkung der Werke zusammen mit der Durchtränkung der zweifachen Auffassung bringt, wenn die frühere Reifung aufgebraucht ist, das (Grunderkennen) als neue Reifung hervor. 20
Alle Dinge, welche durch irgendeine Vorstellung vorgestellt werden, bilden das vorgestellte Wesen. Dieses ist nicht vorhanden. 21
Das abhängige Wesen dagegen ist die aus Ursachen entstandene Vorstellung. Das vollkommene (Wesen) ist dessen beständiges Freisein vom vorhergehenden. 22
Daher ist dieses vom abhängigen (Wesen) weder als verschieden noch als nicht verschieden zu bezeichnen, wie die Vergänglichkeit usw. Solange dieses nicht gesehen ist, wird jenes nicht gesehen.
Vasubandhu der Ältere
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23
Im Hinblick auf die dreifache Wesenlosigkeit dieses dreifachen Wesens ist die Wesenlosigkeit aller Gegebenheiten gelehrt worden. 24
Das erste ist wesenlos dem Merkmal nach. Das zweite wiederum, weil ihm kein eigenes Sein zukommt. Eine weitere Wesenlosigkeit ergibt sich daraus, 25
daß es ( = das dritte, nämlich das vollkommene Wesen) die höchste Wirklichkeit (paramärthah) der Gegebenheiten ist. Diese ist auch die Soheit, weil sie jederzeit so ist. Und sie ist überdies die bloße Erkenntnis. 26
Solange das Erkennen nicht in der bloßen Erkenntnis Fuß faßt, solange verschwindet die Belastung (anuiayah) der Zweiheit nicht. 27
Auch durch die Wahrnehmung, daß (alles) dies bloß Erkenntnis ist, faßt man in der bloßen (Erkenntnis) nicht Fuß, da man etwas vor sich hinstellt. 28
Wenn dagegen das Wissen keinen Anhaltspunkt wahrnimmt, dann steht es im bloßen Erkennen fest, da es infolge des Fehlens eines Erfaßten auch das (Erkennen) nicht erfaßt. 29
Das ist die Nichtwahrnehmung, in der der Geist geschwunden ist (acittafi), es ist das überweltliche Wissen,
390
Die Schulen des Mahayana
die Umgestaltung der Grundlage durch die Beseitigung der zweifachen Verderbtheit (dausthulyam). 30
Es ist das unbesudelte Element, das undenkbare, heilbringende, unvergängliche, wonnevolle. Das ist der Körper der Erlösung. Das ist der sogenannte (Körper der) Lehre des großen Weisen. Mit Vasubandhu h a t die Yogäcära-Schule ihren Höhep u n k t erreicht. Ihre weitere Entwicklung im einzelnen zu verfolgen, fehlt hier der R a u m . Sie hat noch lange geblüht u n d vor allem das 6. J a h r h u n d e r t ist reich an n a m h a f t e n Vertretern der Schule u n d an bedeutenden Werken. Von besonderer Wichtigkeit ist ferner, daß aus einer Verbindung von Yogäcära- u n d Sauträntika-Gedanken die logisch-erkenntnistheoretische Schule des Buddhismus hervorging, welche einen der Höhepunkte der indischen Philosophie überhaupt darstellt. Ihre Klassiker sind Dignäga (6. J h . ) und Dharmakirti (7. Jh.). Sie h a t eine reiche Literatur hervorgebracht u n d bis in den Anfang des 2. Jahrtausends eine führende Stellung behauptet. Von alledem muß hier abgesehen werden. Nur an einem kurzen Beispiel soll noch eine Probe davon gegeben werden, wie m a n in der Zeit nach Vasubandhu seine Erkenntnislehre weiterbildete.
Dignäga ( u m 4 8 0 — 5 4 0 n. u. Z.)
Dignäga s t a m m t e aus Südindien, aus der Gegend von KäncI, u n d gehörte ursprünglich der Sekte der Vätsiputriya an. Später wendete er sich nach Norden und t r a t zur Yogäcära-Schule über. Er hielt sich einige Zeit in Nälandä, dem Zentrum buddhistischer Gelehrsamkeit auf. Den Rest seines Lebens verbrachte er in Orissa. Dignäga war ein überaus fruchtbarer Schriftsteller. E r schrieb unter anderem einen knappen Kommentar zum Abhidharma-
Dignaga
391
kosah V a s u b a n d h u s des J ü n g e r e n , eine kurze Zusammenfassung der Lehre der P r a j n ä p ä r a m i t ä . Am bedeutendsten aber waren seine logischen Schriften, durch die er zum Begründer der logisch-erkenntnistheoretischen Schule des B u d d h i s m u s wurde. N a c h d e m er zahlreiche kleinere Werke geschrieben h a t t e , f a ß t e er schließlich seine Lehren in dem umfangreichen P r a m ä n a s a m u c c a y a h („Zusammenstellung der Mittel richtiger E r k e n n t n i s " ) zusammen, der das Grundwerk der neuen Schule wurde. Seine logischen Lehren können hier nicht b e r ü h r t werden. Auf erkenntnistheoretischem Gebiet ist vor allem seine Unterscheidung von W a h r n e h m u n g u n d Vorstellung von Wichtigkeit. Ferner die Lehre von den verschiedenen Teilen des Erkennens, welche den Gegenstand der folgenden Übersetzungsprobe bildet. Asaiiga h a t t e nämlich innerhalb des Erkennens, wie wir gesehen h a b e n (oben S. 329f.) einen Bildteil u n d einen Blickteil unterschieden, die sich auf zwei verschiedene Erkenntnisse verteilen. Davon war V a s u b a n d h u abgegangen. E r lehrte bloß nach S a u t r ä n t i k a - A r t , d a ß das E r k e n n e n das O b j e k t spiegelt, ohne ausdrücklich zwei Teile des Erkennens zu unterscheiden. I m m e r h i n erscheint bei i h m a u c h der Gedanke, d a ß das E r k e n n e n selbst Objekt eines anderen Erkennens wird. D a r a n anschließend unterscheidet Dignäga zwei Erscheinungsformen des Erkennens. Die Erscheinungsform des Objektes, das sich in ihm spiegelt, u n d seine eigene Erscheinungsform. Darüber hinaus k e n n t er aber auch noch eine dritte Erscheinungsform, das Bewußtsein. I n den Schulen des H l n a y ä n a war schon f r ü h die F r a g e aufgeworfen worden, wieso m a n sich eines E r k e n n e n s b e w u ß t wird. Verschiedene Lehren waren aufgestellt worden, u n d u n t e r anderem h a t t e n die Mahäsämghika die Ansicht vertreten, d a ß das E r k e n n e n sich seiner selbst b e w u ß t wird, so wie eine L a m p e nicht n u r die Gegenstände, sondern auch sich selbst beleuchtet. Diese Ansicht übern a h m Dignäga u n d lehrte das Selbstbewußtsein (svasarnvittih) des Erkennens als seine d r i t t e Erscheinungsform. Somit sind nach seiner Auffassung in einem Erkennen drei Erscheinungsformen vereinigt, die Erscheinungsform des e r k a n n t e n Objekts, die eigene Erscheinungsform des Erkennens u n d als drittes das Bewußtsein.
392
Die Schulen des Mahayana
Der folgende Abschnitt aus dem Pramänasamuccayah enthält nun die Begründung Dignägas für diese Lehre. Er geht dabei von dem Fall aus, daß unter den Erkenntnissen, die im Erkenntnisstrom ununterbrochen aufeinanderfolgen und von denen jede nur die Dauer eines Augenblickes hat, auf eine Erkenntnis, welche ein Objekt erkennt, eine zweite Erkenntnis folgt, welche diese Erkenntnis selbst zum Gegenstand hat. Wenn nun die Erkenntnis des Objekts, so sagt er, nur die Erscheinungsform des Objekts zeigt, dann kann die Erkenntnis, welche sie selbst erkennt, ebenfalls nur diese Erscheinungsform zeigen. Sie wäre somit auch nur eine Erkenntnis des Objekts und von der ersten nicht verschieden. Würde dagegen die erste Erkenntnis nur ihre eigene Erscheinungsform tragen, dann würden auch die folgenden Erkenntnisse nicht die Form des Objektes zeigen und könnten sie daher nicht als Erkenntnis des betreffenden Objekts erkennen. Somit muß die erste Erkenntnis beide Erscheinungsformen enthalten, die des Objekts und ihre eigene. Das gleiche ergibt sich auch daraus, daß man sich später an die Wahrnehmung eines Objekts erinnert. Denn das ist nur möglich, wenn man sich sowohl an das Objekt, wie auch an seine Wahrnehmung erinnert, was wieder beide Erscheinungsformen der betreffenden Erkenntnis voraussetzt. Aus der Erinnerung läßt sich aber auch das Selbstbewußtsein der Erkenntnis ableiten, denn ebenso wie man sich an einen Gegenstand nur erinnern kann, wenn man ihn wahrgenommen hat, so kann man sich auch an eine Erkenntnis nur erinnern, wenn man sie wahrgenommen hat, d. h. wenn man sich ihrer bewußt geworden ist. Dieses Bewußtwerden kann aber nur durch die betreffende Erkenntnis selbst erfolgen. Denn wenn man sich ihrer durch eine andere Erkenntnis bewußt würde, dann müßte für diase andere Erkenntnis das gleiche gelten, und es ergibt sich somit ein regressus in infinitum. Außerdem könnte man nie zur Erkenntnis eines andern Gegenstandes übergehen, da in endloser Reihe immer nur eine Erkenntnis die vorhergehende erkennt. Somit erweist sich die Annahme, daß sich jede Erkenntnis ihrer selbst bewußt wird, als unbedingt notwendig.
Dignaga
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Aus der „Zusammenstellung der Mittel richtiger Erkenntnis" (Pramänasamuccayah) KAPITEL i
(Gegner:) Wie läßt sich erkennen, daß das Erkennen zwei Formen hat? (Antwort:) V. 11
Aus der Verschiedenheit des Erkennens des Objekts und des Erkennens dieses (Erkennens) ergibt sich die Zweigestaltigkeit der Erkenntnis. Das Erkennen eines Objekts, einer Form usw., zeigt das Bild des Gegenstandes und sein eigenes. Das Erkennen des Erkennens dieses Objektes dagegen zeigt das Bild dieses dem Gegenstand ähnlichen Erkennens und sein eigenes Bild. Andernfalls, wenn das Erkennen des Objekts bloß die Form des Gegenstandes oder die eigene Form zeigen würde, wäre das Erkennen des Erkennens des Objektes nicht davon verschieden, und das jeweils folgende Erkennen würde nicht das Bild des Objekts des vorhergehenden Erkennens zeigen, weil es dieses nicht zum Objekt hat. Daher ist die Zweigestaltigkeit des Erkennens erwiesen. v. 12
Und aus der Erinnerung in der Folgezeit, ergibt sich die Zweigestaltigkeit, ist zu ergänzen. Auch darum, weil hinsichtlich des Erkennens ebenso wie hinsichtlich des Objekts in der Folgezeit eine Erinnerung an die Wahrnehmung entsteht, ist die Zweigestaltigkeit des Erkennens erwiesen. Auch das Selbstbewußtsein. Wieso ?
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Die Schulen des Mahay ana
Denn bei etwas nicht Wahrgenommenem stellt sich diese nicht ein. Ohne Wahrnehmung stellt sich die Erinnerung an das Sehen eines Gegenstandes nicht ein, ebenso wie die Erinnerung an eine Form usw. (Gegner:) Wie die Form usw. wird auch das Erkennen durch ein anderes Erkennen wahrgenommen. (Antwort:) Das ist nicht richtig, denn: v. 13
Bei der Wahrnehmung durch ein anderes Erkennen ergibt sich eine endlose Reihe. Wenn das Erkennen durch ein anderes Erkennen wahrgenommen wird. Wieso? Denn auch bei diesem findet Erinnerung statt. Denn wenn das Erkennen durch ein anderes Erkennen wahrgenommen wird, dann muß später auch eine Erinnerung an dieses zu beobachten sein. Und wenn daher auch dieses durch ein anderes Erkennen wahrgenommen wird, ergibt sich eine endlose Reihe. Außerdem würde unter diesen Umständen kein Übergehen auf ein anderes Objekt stattfinden. Es ist aber zu beobachten. Daher ist unbedingt ein Selbstbewußtsein des Erkennens anzunehmen.
Sthiralnati und Dharmapala (Mitte des 6. Jahrhunderts n. u. Z.)
Zum Abschluß bringe ich noch eine Übersetzungsprobe aus der Schule Vasubandhus. Wie wir bereits gesagt haben, erfreute sich die Yogäcära-Schule vor allem im 6. Jahrhundert einer großen Blüte. Zahlreiche bedeutende Ver-
Sthiramati und Dharmapala
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treter schufen, eine Fülle von Werken. Man schrieb Komment a r e zu den Werken Asangas u n d Maitreyanäthas. Insbesondere aber bildete Vasubandhus Vimsatikä u n d Trimsikä Vijnaptimätratäsiddhih den Ausgangspunkt zahlreicher Erklärungsschriften, in denen das System Vasubandhus weiter ausgebaut u n d ergänzt wurde. Das Zentrum dieser regen schriftstellerischen Tätigkeit war die b e r ü h m t e buddhistische Hochschule in Nälandä in Nordindien im Heimatland des Buddhismus. Als Vertreter der Schule von Nälandä ragt Dharmapala hervor, der Sohn eines Ministers aus Känci in Südindien. Dieser verbrachte seine J u g e n d im Süden, begab sich aber später nach Nälandä, wo er die Yogäcära-Lehre in Wort und Schrift glänzend vertrat. E r starb jedoch schon f r ü h mit 32 J a h r e n . Neben der Schule von Nälandä steht die Schule von Valabhl in Käthiävär. Sie wurde von Gunamati begründet, einem Südinder, der in der ersten Hälfte des 6. J a h r h u n d e r t s von Nälandä nach Valabhl zog. Ihr namhaftester Vertreter ist ein Schüler Gunamatis, Sthiramati, der zu seiner Zeit neben Dharmapala als der bedeutendste Vertreter der Yogäcära-Schule galt. Unsere Hauptquelle f ü r diese Zeit u n d besonders f ü r die beiden Schulen von Nälandä und Valabhl ist, da von der einst so reichen Literatur nur wenige Werke erhalten sind, der berühmte chinesische Pilger Hiuan-tsang (602 bis 664 n. u. Z.). Dieser schrieb nach seiner Rückkehr aus Indien einen umfassenden Kommentar zu Vasubandhus Trimsikä, wobei er die Kommentare von zehn indischen Autoren benützte. Er folgt darin im allgemeinen der Lehre Dharmapälas, berücksichtigt daneben aber immer wieder auch die verschiedenen abweichenden Ansichten, u n d vor allem erwähnt er fast regelmäßig auch die Meinung Sthiramatis. Aus diesem Werk ist nun die folgende Übersetzungsprobe genommen. Zu bemerken ist dabei allerdings, daß das, was Hiuan-tsang als Meinung Sthiramatis a n f ü h r t , vielfach nicht mit dem übereinstimmt, was wir in den eigenen Werken Sthiramatis ausgesprochen finden. Hiuantsang scheint sich also weniger auf Sthiramatis eigene Werke zu stützen, als auf das, was er in Indien als Lehre seiner Schule kennengelernt h a t t e . U n d wir werden daher vielleicht gut daran t u n , in den Lehren, die er Dharmapala
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Die Schulen des M a h a y a n a
u n d S t h i r a m a t i zuschreibt, nicht "so sehr die persönlichen Ansichten dieser Männer z u sehen, als die Lehren ihrer Schule. Die folgende Übersetzungsprobe behandelt, ähnlich der Übersetzungsprobe aus Dignäga, die Lehre von den Teilen des Erkennens. Über diesen Gegenstand herrschten n a c h den Mitteilungen Hiuan-Tsangs die verschiedensten Ansichten. Teilweise hielt m a n a n der Auffassung Vasub a n d h u s fest, nach der im E r k e n n e n das Bild des O b j e k t e s erscheint, ohne d a ß ausdrücklich Teile unterschieden würden. Meist n a h m m a n n a c h dem Vorgang Dignägas drei Teile an. D a s war auch die Ansicht Sthiramatis. D h a r m a p ä l a f ü g t e schließlich noch einen vierten Teil hinzu. Der Gegensatz zwischen S t h i r a m a t i u n d D h a r m a p ä l a ber u h t aber auf diesem Gebiet weniger auf der Zahl der angenommenen Teile, sondern auf folgendem. Nach Sthiram a t i ist nur der Bewußtseinsteil wirklich, der Bild- u n d Blickteil ist bloß Vorstellung. Nach D h a r m a p ä l a sind alle Teile wirklich. Diese Meinungsverschiedenheit h a t ihre tieferen Gründe. S t h i r a m a t i folgt nämlich der Ansicht Maitreyanäthas u n d Vasubandhus, n a c h der jedes E r kennen Vorstellung ist. Infolgedessen gehört der Bild- u n d Blickteil jedes Erkennens d e m vorgestellten Wesen (parilcalpitah svabhavah) a n u n d ist unwirklich. Nur der Bewußtseinsteil fällt ins Bereich des abhängigen Wesens (paratantrah svabhavah) u n d ist wirklich. D h a r m a p ä l a greift dagegen den Gedanken Asangas auf, d a ß die Vorstellung n u r dem Denken z u k o m m t , u n d f ü h r t ihn, vielleicht im Anschluß a n Dignäga, weiter aus. F ü r ihn u m f a ß t das vorgestellte Wesen daher nur die Beschaffenheit, welche vom Denkerkennen (manovijnünam) u n d vom Denken (manah) den Gegenständen der übrigen F o r m e n des Erkennens zugeschrieben wird. Der Bild- u n d Blickteil aller dieser E r k e n n t n i s f o r m e n zählt jedoch zum abhängigen Wesen u n d ist wirklich. F ü r Sthiramati ist somit die ganze Erscheinungswelt bloße Vorstellung. F ü r D h a r m a p ä l a k o m m t ihr Wirklichkeit zu, nur handelt es sich nach seiner Lehre u m keine Außenwelt, sondern bloß u m Erscheinungsformen des Erkennens. Auch in der Erlösungslehre wirkt sich diese Meinungsverschiedenheit aus, wobei sich wieder der Anschluß a n M a i t r e y a n ä t h a u n d Asanga zeigt. F ü r
Sthiramati und Dharmapala
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Sthiramati verschwindet bei der Erlösung im Zusammenhang mit der Umgestaltung der Grundlage (Oirayaparavrttih) jedes Erkennen, da es bloße Vorstellung ist, und nur die Soheit bleibt bestehen. Nach Dharmapala erfahren sämtliche Formen des Erkennens eine Umgestaltung, bestehen aber auch beim Erlösten weiter. Das erste Stück der Übersetzungsprobe stammt aus dem Kommentar zum dritten Vers der Trimiikä und behandelt die Worte „(das Grunderkennen) erkennt in unbewußter Form die Aneignimg und die Stätte". Zuerst wird eine kurze Erklärung der einzelnen Wörter gegeben. Dann geht Hiuan-tsang auf die Frage der Erscheinungsform (akarah) des Erkennens über und bespricht dabei die Lehre von seinen Teilen. Er verwendet dafür Material verschiedenster Herkunft, das er möglichst zu einer Einheit zu verbinden strebt, indem er von der einfachsten Ansicht ausgehend zur schwierigsten fortschreitet und zum Abschluß zu zeigen sucht, daß alle diese Ansichten dasselbe besagen. Der erste Absatz schildert, der eigenen Lehre Vasubandhus entsprechend, ohne von Teilen zu sprechen, wie im Erkennen das Bild der Gegenstände erscheint, welches das Objekt des Erkenntnisvorganges abgibt. Der letzte Satz, welcher diesen Erkenntnisvorgang als Blickteil bezeichnet, ist eine Zutat Hiuan-tsangs. Im zweiten Absatz werden zwei Teile des Erkennens unterschieden, das Erfaßte (älambyah) und das Erfassende (alambakah), und ihr Vorhandensein wird begründet. Die Begründung für das Vorhandensein des Bildes des Erfaßten ist die gleiche, wie sie schon der Hinayäna-Schule der Sauträntika geläufig war. Ohne dieses Bild wäre nämlich kein Grund vorhanden, daß die betreffende Erkenntnis gerade diesen Gegenstand erkennt und keinen andern. Die Beschaffenheit des Erfassenden muß gegeben sein, damit ein Erkennen überhaupt stattfindet. Nun folgen zwei scholastische Erörterungen. Die erste beschäftigt sich mit der Frage, was der Anhaltspunkt (ülambanam), die Erscheinungsform (akarah) und die Substanz (dravyam) des Erkennens ist, also sein Objekt, seine Tätigkeit und sein eigentliches Wesen. Die zweite behandelt die Frage, wie sich Geist und geistige Gegebenheiten hinsichtlich ihres Stützpunktes, ihres Anhaltspunktes, ihrer
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Die Schulen des Mahayana
Erscheinungsform und ihrer Substanz zueinander verhalten. I n beiden Fällen geht Hiuan-tsang von der HinayänaAnschauung der Realität der Außenwelt aus. Denn bei beiden handelt es sich um Erörterungen, die bereits aus der Hmayäna-Dogmatik stammen. Demzufolge ist bei jedem Erkennen das äußere Objekt als Anhaltspunkt zu betrachten, der Bildteil als Erscheinungsform und der Blickteil als Wesen. Der Stützpunkt eines Erkennens und der dazugehörigen geistigen Gegebenheiten, nämlich das Sinnesorgan, ist der gleiche. Ebenso der Anhaltspunkt, nämlich das äußere Objekt, und die Erscheinungsform, nämlich das Bild des Objekts im Erkennen. Dagegen sind Erkennen und geistige Gegebenheiten selbst wohl der Zahl nach gleich, da sie alle in der Einzahl auftreten, aber ihrem Charakter nach sind Erkennen, Empfindung usw. natürlich verschieden. Alles das verschiebt sich, sobald man das Vorhandensein äußerer Objekte leugnet, und gleichzeitig wird es notwendig, einen weiteren dritten Teil des Erkennens, nämlich den Bewußtseinsteil anzunehmen. In diesem Fall ist nämlich bei jedem Erkennen der Bildteil als Anhaltspunkt zu betrachten, der Blickteil als Erscheinungsform und der Bewußtseinsteil als Wesen. Der Stützpunkt, nämlich das Sinnesorgan, ist bei Geist und geistigen Gegebenheiten der gleiche. Ebenso der Anhaltspunkt, also in diesem Fall das Bild des Objektes im Erkennen. Die Erscheinungsform dagegen, nämlich die Tätigkeit des Erkennens, Empfindens usw. ist verschieden, und ebenso der Charakter des Erkennens, der Empfindung usw. selbst. Der bei dieser Gelegenheit kurz angedeutete Beweis für das Vorhandensein des Bewußtseinsteils ist derselbe wie bei Dignäga, daß nämlich ohne ihn keine Erinnerung an geistige Vorgänge möglich wäre. Da Dignäga derjenige war, der die Lehre von den drei Teilen des Erkennens maßgebend ausgestaltete, bringt Hiuan-tsang anhangsweise noch die Form, in der die Lehre von Anhaltspunkt, Erscheinungsform und Substanz des Erkennens bei Dignäga erscheint. In den Kreisen der Logiker und Erkenntnistheoretiker, denen Dignäga angehörte, lautete die Fragestellung nämlich anders. Zunächst sprach man nicht von Erkennen überhaupt, sondern
Sthiramati und Dharmapala
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von den Mitteln richtiger E r k e n n t n i s , denn diese suchte m a n vor allem festzustellen. U n d m a n f r a g t e nach dem Gegenstand der Mittel richtiger E r k e n n t n i s (prameyam), n a c h diesen Mitteln selbst ( p r a m ü n a m ) u n d n a c h ihrem Ergebnis (pramänaphalam). Nach d e m aus Dignäga ang e f ü h r t e n Vers ( P r a m ä n a s a m u c c a y a h I, v. 10—11) verteilen sich n u n diese drei folgendermaßen auf die drei Teile des E r k e n n e n s : Der Bildteil ist der Gegenstand, der Blickteil das Mittel der richtigen E r k e n n t n i s u n d der Bewußtseinsteil ist das Ergebnis. Der vierte Absatz bringt die Ansicht D h a r m a p ä l a s , der einen vierten Teil des Erkennens, nämlich das Bewußtsein des Bewußtseins lehrt. Die Gründe, die ihn dazu bestimmen, sind, d a ß der Bewußtseinsteil, wie jeder Teil des Erkennens, von einem a n d e r n Teil e r k a n n t werden müsse. A u ß e r d e m ist er als Bewußtsein sinnliche W a h r n e h m u n g , also ein Mittel richtiger Erkenntnis, u n d m u ß wie jedes solches ein Ergebnis haben. Das f ü h r t zur A n n a h m e eines vierten Teils des Erkennens, der den Bewußtseinsteil erk e n n t . E r selbst wird seinerseits wieder vom Bewußtseinsteil e r k a n n t u n d so ist der Kreis geschlossen u n d eine endlose Reihe, wie sie Dignäga b e f ü r c h t e t h a t t e (vgl. S. 393) vermieden. Der vierte Teil erkennt übrigens n u r den d r i t t e n u n d nicht d e n zweiten Teil, weil dieser bereits vom d r i t t e n e r k a n n t ist u n d d a h e r nichts mehr zu erkennen bleibt. I m übrigen ist noch zu bemerken, d a ß der zweite Teil bei einer Sinneserkenntnis sinnliche W a h r n e h m u n g , also Mittel richtiger E r k e n n t n i s ist. Beim Denkerkennen k a n n er als Schlußfolgerung ebenfalls Mittel richtiger E r k e n n t n i s sein. Als E r i n n e r u n g dagegen ist er es nicht. Alles andere ist leicht verständlich. Der letzte Absatz sucht schließlich zu zeigen, wie sich die verschiedenen Auffassungen über die Zahl der Teile des E r k e n n e n s miteinander m Einklang bringen lassen. Die letzten beiden Teile können als Einheit b e t r a c h t e t werden, da sie beide Bewußtsein sind. So bleiben n u r drei Teile. Man k a n n aber a u c h die drei letzten Teile als Einheit auffassen, da sie alle als erfassend zum Blickteil gerechnet werden können. Das ergibt n u r zwei Teile. U n d schließlich k a n n m a n alle Teile als Einheit b e t r a c h t e n , da ihr Wesen als E r k e n n t n i s das gleiche ist.
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Die Schulen, des Mahayäna
Aus Hiuan-tsangs „Nachweis, daß (alles) nur Erkenntnis ist" (Tch'eng wei che louen) Welches ist die Erscheinungsform und der Anhaltspunkt dieses Erkennens ? Die Antwort lautet: v. 3
Es erkennt in unbewußter Form die Aneignung und die Stätte. Die Erkenntnis (vijfiaptih) ist seine Erscheinungsform, weil das Erkennen in der Erkenntnis seine Erscheinungsform hat. „Stätte" bedeutet Standort, d. h. die Umwelt, weil sie der Standort aller Wesen ist. Die Aneignung ist zweifach, die Samen und der Körper mit den Organe'n. Unter „Samen" ist die Durchtränkung durch Merkmal, Namen und Vorstellung zu verstehen. Unter „Körper mit den Organen" sind die materiellen Organe und der Träger der Organe zu verstehen. Diese beiden sind vom Erkennen angeeignet, d. h. in sein Wesen aufgenommen, weil sie sein Schicksal teilen. Aneignung und Stätte sind der Anhaltspunkt (des Erkennens). 1
Zur Zeit, wo das Grunderkennen durch die Kraft der Gründe und Ursachen seinem Wesen nach entsteht, erfolgt seine innere Umwandlung zu den Samen und dem Körper mit den Organen, seine äußere Umwandlung zur Umwelt. An dieser Umwandlung hat es seinen Anhaltspunkt, weil mit ihrer Hilfe seine Erscheinungsform ( = die Erkenntnis) zur Entstehung kommt. Dabei ist unter Erkenntnis die auf seinen Anhaltspunkt gerichtete Erkenntnistätigkeit des Reifungserkennens zu verstehen. Diese Erkenntnistätigkeit gehört dem Blickteil an.
Sthiramati u n d D h a r m a p a l a
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2
Jedes befleckte Erkennen zeigt zur Zeit, wo es seinem Wesen nach entsteht, das Bild der Beschaffenheit des Erfaßten (älambyah) und des Erfassenden (älambakah). Das gleiche gilt von den mit ihm verbundenen (geistigen) Gegebenheiten. Das Bild der Beschaffenheit des Erfaßten nennt man den Bildteil. Das Bild der Beschaffenheit des Erfassenden nennt man den Blickteil. Wenn nämlich der Geist und die geistigen Gegebenheiten nicht die Beschaffenheit des Erfaßten zeigten, dann könnten sie das Objekt, welches ihr Anhaltspunkt ist, nicht erfassen, oder sie müßten jedes sämtliche (Objekte) erfassen, da das eigene Objekt gleich den fremden und die fremden gleich dem eigenen sind. Und wenn der Geist und die geistigen Gegebenheiten nicht die Beschaffenheit des Erfassenden zeigten, dann könnten sie nicht erfassen, wie der Äther usw., oder der Äther usw. würde ebenfalls erfassen. Daher müssen der Geist und die geistigen Gegebenheiten unbedingt diese doppelte Beschaffenheit besitzen. Dementsprechend heißt es auch im Sütra: „Alles ist nur Wahrnehmung; wahrgenommene Gegenstände gibt es nicht. Der wahrnehmende und der wahrgenommene Teil treten getrennt für sich in Erscheinung." 3
Diejenigen, welche annehmen, daß es außerhalb des Erkennens Objekte als Anhaltspunkt gibt, sagen, daß das äußere Objekt der Anhaltspunkt (des Erkennens) ist, der Bildteil die Erscheinungsform und der Blickteil die Substanz, weil er das Merkmal des Wesens des Geistes und der geistigen Gegebenheiten ist. Dabei haben der Geist und die geistigen Gegebenheiten den gleichen Stützpunkt, den gleichen Anhaltspunkt und die gleiche Erscheinungsform, nämlich das gleiche Erscheinungsbild. Die 26
Frauwallner, Buddhismus
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Die Schulen des Mahayana
Substanz ist, obwohl der Zahl nach gleich, dem Merkmal nach verschieden, da das Merkmal des Erkennens, der Empfindung, des Bewußtwerdens usw. verschieden ist. Diejenigen dagegen, welche anerkennen, daß es außerhalb des Erkennens keine Objekte als Anhaltspunkt gibt, sagen, daß der Bildteil der Anhaltspunkt (des Erkennens) ist, der Blickteil die Erscheinungsform und das Wesen, welches die Grundlage des Bild- und Blickteils bildet, die Substanz. Dieses ist der Bewußtseinsteil. Wenn es diesen nicht gäbe, könnte man sich an den Geist und die geistigen Gegebenheiten nicht erinnern, so wie man sich an früher nicht gesehene Objekte unbedingt nicht erinnern kann. Dabei haben der Geist und die geistigen Gegebenheiten den gleichen Stützpunkt, nämlich das gleiche Sinnesorgan, den gleichen Anhaltspunkt, nämlich das gleiche Erscheinungsbild. Die Erscheinungsform ist verschieden, weil die Tätigkeit des Erkennens, des Empfindens usw. verschieden ist. Ebenso ist die Substanz, obwohl der Zahl nach gleich, dem Merkmal nach, verschieden, da das Wesen des Erkennens, der Empfindung usw. ein anderes ist. Der Geist und die geistigen Gegebenheiten haben also, wenn man sie richtig untersucht, jedes zur Zeit seines Entstehens drei Teile, da das Objekt der Mittel richtiger Erkenntnis, die Mittel der richtigen Erkenntnis und das Ergebnis der Mittel richtiger Erkenntnis zu unterscheiden sind, und weil der Bild- und der Blickteil notwendig ein Wesen als Grundlage haben müssen. Dementsprechend heißt es in einem Vers der „Zusammenstellung der Mittel richtiger Erkenntnis" (Pramänasamuccayah): „Das Erscheinungsbild, das sich zeigt, ist das Objekt der Mittel richtiger Erkenntnis. Die Mittel der richtigen Erkenntnis und ihr Ergebnis sind in der Erscheinungsform des Erfassenden und im Bewußtsein zu suchen. Diese Dreiheit ist daher nichts voneinander Getrenntes."
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Wenn man jedoch den Geist und die geistigen Gegebenheiten genau betrachtet, dann müssen sie vier Teile haben, drei Teile wie früher und als vierten den Bewußtseinsbewußtseinsteil. Denn wer würde, wenn es diesen nicht gäbe, den dritten zu Bewußtsein bringen ? Da er nämlich ein Teil des Geistes ist, muß er in der gleichen Weise wie alle zu Bewußtsein gebracht werden. Ferner müßte der Bewußtseinsteil kein Ergebnis haben, während doch alle Mittel richtiger Erkenntnis unbedingt ein Ergebnis haben. Auch kann der Blickteil nicht das Ergebnis des dritten sein, da der Blickteil manchmal nicht zu den Mitteln richtiger Erkenntnis gehört. Infolgedessen kann der Blickteil den dritten nicht zu Bewußtsein bringen, weil das Wesen des Bewußtseins unbedingt sinnliche Wahrnehmung ist. Von diesen vier Teilen sind die beiden ersten äußere, die beiden letzten innere (Teile). Der erste ist nur Anhaltspunkt. Die letzten drei sind beides (Erfaßtes und Erfassendes) zugleich. Der zweite Teil erfaßt dabei bloß den ersten. Er ist Mittel richtiger Erkenntnis oder er ist es auch nicht. Er kann Wahrnehmung oder auch Schlußfolgerung sein. Der dritte Teil erfaßt den zweiten und den vierten. Der Bewußtseinsbewußtseinsteil erfaßt bloß den dritten, aber nicht den zweiten, weil er nichts mehr zu tun hat. Der dritte und der vierte Teil gehören beide zur sinnlichen Wahrnehmung. Der Geist und die geistigen Gegebenheiten sind aus vier Teilen zusammengesetzt. Sie sind zugleich Erfaßtes und Erfassendes. Daher trifft der Fehler einer endlosen Reihe nicht zu. Und sie sind weder eins noch getrennt. Daher besteht es zu Recht, daß alles nur Erkennen ist. Infolgedessen heißt es in einem Vers eines Sütras: „Der Geist der Wesen ist von zweierlei Art. Alle Teile, innere und äußere, sind in Erfaßtes und 26»
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Die Schulen des Mahäyana
Erfassendes verstrickt. Das Sehen hat mannigfaltige Abarten." Dieser Vers besagt: Der Geist der Wesen ist aus Teilen von zweierlei Art zusammengesetzt. Alle diese, seien sie innere oder äußere, sind in Erfaßtes und Erfassendes verstrickt. Das Sehen hat viele mannigfaltige Abarten, Mittel richtiger Erkenntnis, Nicht-mittel richtiger Erkenntnis, sinnliche Wahrnehmung oder Schlußfolgerung. Dabei ist nämlich das Sehen der Blickteil. Diese vier Teile können auch als drei zusammengefaßt werden, da der vierte im Bewußtseinsteil enthalten ist. Sie können auch als zwei zusammengefaßt werden. Die letzten drei sind nämlich alle im Blickteil enthalten, da sie ihrem Wesen nach Erfassendes sind. Der Ausdruck Blick bedeutet nämlich das Erfassende. Sie können schließlich auch als einer zusammengefaßt werden, weil ihr Wesen nicht verschieden ist. Dementsprechend heißt es in einem Vers des Lankävatärah: „Während er am eigenen Geist haftet, entwickelt sich der Geist, indem er ein äußeres Objekt zeigt. Das, was gesehen wird, ist aber nicht vorhanden. Daher heißt es, daß es nur den Geist gibt." Ebenso heißt es an zahlreichen Stellen, daß es allein den Geist gibt. Durch den Ausdruck „Geist allein" sind nämlich die geistigen Gegebenheiten miteingeschlossen. Die Erscheinungsform des Erkennens ist also die Erkenntnis. Und die Erkenntnis ist der Blickteil des Erkennens. Ich lasse nun noch einige Sätze aus dem Kommentar zu Vers 20 folgen, welche die Verschiedenheit der Auffassung hinsichtlich der Wirklichkeit der Teile des Erkennens beleuchten. Von den vorgebrachten Ansichten gehört die erste der Schule Sthiramatis, die zweite der Schule Dharmapälas an. Beachtenswert ist dabei, daß die angeführten Belege aus der Schrift bei Sthiramati auf Maitreyanätha führen (Madhyäntavibhägah I, s. oben S. 324f.)
Sthiramati und Dharmapala
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bei Dharmapala auf Asanga (Mahäyänasamgrahali II, § 11 und § 2, s. oben S. 338f. und 335). Welches ist das Merkmal des vorgestellten Wesens, und wie unterscheidet es sich vom abhängigen Wesen ? Einige meinen, daß der Geist und die geistigen Gegebenheiten, welche den drei Sphären angehören, obwohl sie ihrem Wesen nach eine Einheit sind, infolge anfangsloser unwirklicher Durchtränkung bei ihrem Entstehen als Zweiheit erscheinen, nämlich als Blick- und Bildteil, d. h. als Erfassendes und Erfaßtes. Diese beiden Teile sind angenommenerweise vorhanden, begründeterweise nicht. Diese Beschaffenheit nennt man vorgestellt. Das Wesen jedoch, auf welchem diese beiden (Teile) beruhen, entsteht tatsächlich auf Ursachen gestützt. Dieses Wesen ist daher keineswegs nicht vorhanden und wird abhängig genannt. Andere meinen, daß die beiden Teile, zu welchen sich jeder Geist und seine geistigen Gegebenheiten durch die Kraft der Durchtränkung umwandeln, aus Ursachen entstehen und daher ebenfalls abhängig sind. Auf sie gestützt nimmt die Vorstellung irrigerweise ein wirkliches Sein und Nichtsein, Einheit und Verschiedenheit, beides zugleich und keines von beiden usw an. Diese zweierlei Gegensätze nennt man vorgestellt. Die Schrift sagt nämlich, daß das bloße Mittel richtiger Erkenntnis, die bloße Zweiheit und die bloße Vielheit als abhängig bezeichnet werden. Und das Lehrbuch sagt, daß . . . die elf Arten der Erkenntnis zum abhängigen (Wesen) gehören. Zum Abschluß gebe ich einen Absatz aus dem Ende des Werkes wieder, der zeigt, wie sich die Lehre von der Irrealität der Erscheinungswelt der Ansicht der beiden Schulen gemäß darstellt. Zunächst wird die Lehre Sthiramatis formuliert. Danach existiert nur das Erkennen selbst. Die gesamte Erscheinungswelt ist bloßer Schein. Es folgt die
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Die Schulen des Mahayäna
Ansicht Dharmapälas. Nach ihm entwickelt sich das Erkennen zur Erscheinungswelt. Diese ist also wirklich. Sie ist nur nicht außen, sondern innerhalb des Erkennens. Nun bringt ein Gegner den Einwand vor, daß es in diesem Falle nicht berechtigt ist, zu sagen, daß nur die Erkenntnis existiert, da auch die Objekte wirklich sind. Dieser Einwand wird zunächst vom Standpunkt Dhamarpälas abgewehrt, dann schließt der Verfasser, indem er noch einmal auf die Ansicht Sthiramatis zurückgreift, die einem solchen Einwand keinen Angriffspunkt bietet. 1 Der Bildteil usw., der sich auf das Erkennen gestützt entwickelt, gehört nicht wie das Wesen des Erkennens zur abhängigen (Beschaffenheit) und ist nicht wirklich. Denn sonst wäre nicht erwiesen, daß alles nur Erkennen ist, da angenommen wird, daß sowohl das Erkennen wie auch die inneren Objekte wirklich sind. 2 Oder der Bild- und der Blickteil des Erkennens sind aus Ursachen entstanden. Sie sind daher beide abhängig, und unwirklich oder wirklich wie das Erkennen selbst. Der Ausdruck „nur (Erkennen)" lehnt bloß äußere Objekte ab, leugnet aber die inneren Objekte nicht. Andernfalls müßte auch die Soheit unwirklich sein, (da sie nicht Erkennen ist). 3
(Gegner:) Wenn also neben dem Erkennen auch die inneren Objekte nicht unwirklich sind, wieso sagt ihr dann bloß, daß nur die Erkenntnis vorhanden ist, und nicht auch die Objekte? (Antwort:) Das Erkennen ist nur innen, die Objekte aber sind zugleich auch außen. Weil man möglicherweise in den Irrtum verfallen könnte, daß sie außen sind, ist bloß gelehrt worden, daß nur die
Sthiramati und Dharmapala
407
Erkenntnis vorhanden ist. Oder weil die Toren irrtümlicherweise an Objekte glauben, dadurch Laster und Werke hervorrufen, in den Wesenskreislauf versinken und sich nicht bemühen, durch Betrachtung des Geistes herauszugelangen, darum ist aus Mitleid mit ihnen verkündet worden, daß nur die Erkenntnis vorhanden ist, damit sie durch Betrachtung des Geistes die Erlösung aus dem Wesenskreislauf finden, aber nicht in der Meinung, daß die inneren Objekte ebenso wie die äußeren ganz und gar nicht vorhanden sind. Oder der Bildteil usw. ist seinem Wesen nach Erkennen. Nur durch die Kraft der Durchtränkung entsteht das Bild mehrerer Teile. Das wahre Wesen des Erkennens ist dagegen die Soheit. Daher gibt es getrennt vom Wesen des Erkennens keine eigenen Gegebenheiten. Dabei sind mit dem Ausdruck „Erkennen" auch die geistigen Gegebenheiten gemeint, weil der Geist notwendig mit den geistigen Gegebenheiten verbunden ist.
QUELLEN UND LITERATUR
(M = Quellenmaterial, A = Ausgaben, Ü = Übersetzungen, Lit. = Literatur. Die Literaturangaben enthalten natürlich nur eine kleine Auswahl des Wichtigsten.) Allgemeines H. Oldenberg, Buddha, sein Leben, seine Lehre, seine Gemeinde, Stuttgart und Berlin 121923. H. v. Glasenapp, Der Buddhismus in Indien und im fernen Osten, BerlinZürich 1936. L. de La Vallée Poussin, Bouddhisme. Opinions sur l'histoire de la dogmatique, Paris 41925. Ders., Le dogme et la philosophie du Bouddhisme, Paris 1930. E. Conze, Buddhism its Essence and Development, Oxford 1951. C. Regamey, Buddhistische Philosophie (Bibliographische Einführungen in das Studium der Philosophie, No. 20/21), Bern 1950. A. Die Lehre des Buddha K a n o n i s c h e T e x t e (Tripitaka) : M: im Original erhalten ist der Kanon des ceylonesischen Zweiges der Schule der Sthavira (Päli-Kanon), daneben zahlreiche Bruchstücke des Kanons anderer Schulen; außerdem liegen die wichtigsten Texte in chinesischen Übersetzungen vor, die auf verschiedene Schulen zurückgehen; in den tibetischen Bka'-'gyur (Kanjur) haben nur wenige Texte des alten Kanons Aufnahme gefunden. — A: Die maßgebende Ausgabe des Päli-Kanons wurde von der
Quellen und Literatur
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Pali Text Society, London 1882ff., veranstaltet; neuerdings erscheint auch eine Ausgabe mit Übersetzung in Paris. Die beste Ausgabe der chinesischen Übersetzungen bietet die Taishö-Ausgabe des chinesischen Tripitaka, hrsg. v. J . Takakusu und K. Watanabe, Tökyö 1924—29. Für die tibetischen Übersetzungen ist man im allgemeinen auf tibetische Blockdrucke angewiesen 1 . — Ü: Die wichtigsten Texte sind in den Sacred Books of the Buddhists und in der Translation Series der Pali Text Society, London, übersetzt; daneben zahllose Teilübersetzungen in den verschiedensten Sprachen. — Die wiedergegebenen Stücke sind folgenden Texten entnommen: Die Predigt von Benares = Mahävagga I, 6, 17—29; Der buddhistische Erlösungsweg = Majjhimanikäya 51 (Bd. I, S. 346ff.); Änanda = Samyuttanikäya XLIV, 10 (Bd. IV, S. 400f.); Das Sütra von Vatsagotra und dem Feuer = Majjhimanikäya 72 (Bd. I, S. 483ff.); Der Bericht von der Erleuchtung = Mahävagga I, 1, 1—3; Das große Sütra von den Grundlagen des Entstehens = Dighanikäya XV, 1—9 und 19—22; Das Sütra vom Lastträger ist nach dem Chinesischen des Tsa a-han übersetzt (T. 99, k. 3, p. 19a 15— b l). — Pratityasamutpädasütram: M: Sanskritoriginal; chin. Übersetzung, T. 124; tib. Übersetzung, Nr. 211. — Meine Übersetzung folgt dem inschriftlich erhaltenen Sanskrittext, s. N. P. Chakravarti, Two Brick Inscriptions from Nälandä (Epigraphia Indica XXI/1931—32, S. 193—199). — Pratityasamutpädavyäkhyä: M: Bruchstücke des Sanskritoriginals; tib. Übersetzung, Nr. 3995. — A: G. Tucci, A Fragment from the Pratityasamutpäda of Vasubandhu (Journal of the 1 Im folgenden zitiere ich die Päli-Texte nach den Ausgaben der Pali Text Society, die chinesischen Übersetzungen nach der Taisho-Ausgabe des Tripitaka, die tibetischen Übersetzungen nach dem Complete Catalogue of the Tibetan Buddhist Canons, hrsg. v. H. Ui u.a., Sendai 1934.
27
Frauwallner, Buddhismus
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Quellen und Literatur
Royal Asiatic Society 1930, S. 611—23). — Die Übersetzung entspricht bei Tucci S. 616—19. — Sälistambasütram: M: Sanskritoriginal ; fünf chin. Übersetzungen, T. 708—712; tib. Übersetzung, Nr. 210. — A: In L. de La Vallée Possin, Théorie des douze causes, Gand 1913, S. 68ff. (Enthält den tibetischen Text und eine Rekonstruktion des Sanskritoriginals an Hand der zahlreichen Fragmente). Das neugefundene Sanskritoriginal war mir nicht zugänglich. B. Die Dogmatik des
Hlnayäna
Milindapanhä: M: Päli-Text; chin. Übersetzung, T. 1670 a und b. — A : The Milindapañho, being Dialogus between King Milinda and the Buddhist Sage Nägasena, ed. by V. Trenkner, London 21928. — Ü : T . W . R h y s Davids, The Questions of King Milinda (Sacred Books of the East, vol. 35—36), Oxford 1890 u. 94; F. 0 . Schräder, Die Fragen des Königs Menandros, Berlin 1907; L. Finot, Les questions de Milinda (Collection des Classiques de l'Orient, vol. 8), Paris 1923; P. Demiéville, Les versions chinoises du Milindapañha (Bulletin de l'École Française d'Extrême-Orient, tome 24/1925, p. 1—258). — Vasubandhu der Jüngere, Abhidharmakosah: M: Sanskritoriginal; zwei chin. Übersetzungen, T. 1558—1560; tib. Übersetzung, No. 4089—4090. — Vom neugefundenen Sanskritoriginal wurde bisher erst der Verstext herausgegeben von V. V. Gokhale, The Text of the Abhidharmakosakärikä of Vasubhandu (Journal of the Bombay Branch of the Royal Asiatic Society, N. S. Vol. 22/1946, p.73—102). — Ü : L. de La Vallée Poussin, L'Abhidharmakosa de Vasubandhu, traduit et annoté, 6 Bde., Paris-Louvain 1923—1931 (nach der chinesischen Übersetzung des Hiuan-tsang). — Die übersetzten Stücke entsprechen folgenden Abschnitten: Es
Quellen und Literatur
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gibt keine Seele = T. 1558, k. 9, p. 47 b 24—48 c 8 (bei La Vallée Poussin III, S. 56—65); Aus der „Widerlegung der Person" = T . 1558, k. 29, p.l52 b 24—153b 2; 153b12— °12; k. 30, p. 155 a 23— b 9 (IX, S. 230ff., 238ff., 256f.); Es gibt keine Substanz = T. 1558, k. 12, p. 66° 15—23 (III, S. 213f.); Die Augenblicklichkeit der Dinge = T. 1558, k. 13, p. 67c 11—68b 1 (IV, S. 4—8); Das scheinbar und das wahrhaft Wirkliche = T. 1558, k. 22, p. 116b 10—29 (VI, S. 139ff.); Das Wesen der Erlangung = übersetzt nach der unvollständigen Ausgabe des tibetischen Textes in der Bibliotheca Buddhica XX, S. 158,15—161,20 (II, S. 181 ff.); Die Unterdrückung durch Erkenntnis = Bibl. Buddh. XX, S. 9, g —10, n (I, S. 8f.); Das Nirvana als ein Nichtsein = T. 1558, k. 6, p. 34a 12—35a 3 (II, S. 278—286). Paricaskandhakam; M: chin. Übersetzung, T. 1612; tib. Übersetzung, No. 4059. Meine Übersetzung folgt der chinesischen Version. — Harivarman, Tattvasiddhih: M: chin. Übersetzung, T. 1646. Der wiedergegebene Abschnitt (k. 16, p. 368c 13—369a 27) wurde auch von L. de La Vallée Poussin übersetzt in Mélanges chinois et bouddhiques, V/1936—37, S. 208 — 210.
C. Die Schulen des Mahäyäna 1. Die Madhyamaka-Schule Asfasähasrikä Prajnäpäramitä: M: Sanskritoriginal; sechs chin. Übersetzungen, die ältesten aus den Jahren 172 und 179 n. u. Z., T. 220, k. 538—555 und T. 224—228; tib. Übersetzung, Nr. 12 — A: Räjendraläla Mitra, Ashtasähasrikä a Collection of Discourses on the Metaphysics of the Mahäyäna School of the Buddhists (Bibliotheca Indica 110), Calcutta 1888; mit einigen Ver27»
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Quellen und Literatur
besserungen abgedruckt in Haribhadras Abhisamayälamkärälokah, hrsg. von Unrai Wogihara, Tokyo 1932—35. — Ü : M. Walleser, Prajnä Päramitä, die Vollkommenheit der Erkenntnis (Quellen der Religionsgeschichte, Bd. 6, Gruppe 8), Göttingen 1914 (Teilübersetzung). — Übersetzt wurden folgende Abschnitte nach der Ausgabe von Räjendraläla Mitra (sämtliche auch in der chin. Übersetzung von 179 n. Chr. enthalten, wenn auch mit Abweichungen im Wortlaut): Kap. 1, S. 3,12— 6, 10 (T. 224, k. 1, p. 425° 4—426a 4) ; Kap. 2, S. 4 5 , 4 7 , 2 0 (T. 224, k. 1, p. 430 b 23—c22); Kap. 22, S. 399,12—400,17 (T. 224, k. 7, p. 462a 23—b14); Kap. 1, S. 20,13— 21,12 (T. 224, k. 1, p. 427° 2—13); Kap. 8, S. 190,8—192,20 (T. 224, k. 3, p. 442b 26—c20). —Ratnakütah (Käsyapaparivartah): M: Sanskritoriginal, in einer lückenhaften zentralasiatischen Handschrift; vier chin. Übersetzungen, die älteste aus den Jahren 178—184 n. u. Z., T. 310, No. 43, k. 112, und T. 350—352; tib. Übersetzung No. 87. — A: A. von Staël-Holstein, The Kâçyapaparivarta, a Mahäyänasütra of the Ratnaküta Class, edited in the original Sanskrit in Tibetan and in Chinese, Shanghai 1926. — Nägärjuna, Madhyamakakärikä: M: Sanskritoriginal ; chin. Übersetzung (mit dem Kommentar des Ts'ing mou), T. 1564; tib. Übersetzung, Nr. 3824. — A: L. de la Vallée Poussin, Mülamadhyamakakärikäs de Nägärjuna avec la Prasannapadä Commentaire de Candrakïrti (Bibliotheca Buddhica IV), St.-Petersbourg 1913. — Ü: M. Walleser, Die buddhistische Philosophie in ihrer geschichtlichen Entwicklung, 2. Teil: Die Mittlere Lehre (Mädhyamikasästra) des Nägärjuna, nach der tibetischen Version übertragen, Heidelberg 1911 ; 3. Teil: Die mittlere Lehre des Nägärjuna, nach der chinesischen Version übertragen, Heidelberg 1912. S. auch unter Candrakïrti. — Vigrahavyävartanl: M: Sanskritoriginal; chin. Überset-
Quellen und Literatur
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zung, T. 1631; tib. Übersetzung, No. 3828 und 3832.— A: K. P. Jayaswal and Rähula Sänkrityäyana, Vigrahavyävarttani by Ächärya Nägärjuna, with the Author's own Commentary (Appendix to the Journal of the Bihar and Orissa Research Society, Vol. X X I I I , Part. I l l ) , Patna 1937. — Ü: Susumu Yamaguchi, Traité de Nägärjuna pour écarter les vaines discussions, traduit et annoté (Journal asiatique, tome 215/1929, S. 1—86). G. Tucci, Vigrahavyâvartanï by Nägärjuna, Translation from the Chinese and Tibetan Text (In Pre-Dinnäga Buddhist Texts on Logic from Chinese Sources, Gaekwad's Oriental Series No. XLIX), Baroda 1929. — Ratnävali: M: Bruchstücke des Sanskritoriginals; chin. Übersetzung, T. 1656; tib. Übersetzung, Nr. 4158. — A: G. Tucci, The Ratnävali of Nägärjuna (Journal of the Royal Asiatic Society 1934, S. 307—325 und 1936, S. 237—252) (k. 1,2 (Anfang) u n d 4 ; Sanskrittext mit englischer Übersetzung). —Äryadeva, Catuhéatakam: M: Bruchstücke des Sanskritoriginals; teilweise chinesische Übersetzung, T. 1570; tib. Übersetzimg, No. 3846. — A: Haraprasäd Shästrl, Catuhsatikä by Ärya Deva (Memoires of the Asiatic Society of Bengal, Vol. III/1914, No. 8, S. 449—514). Vidhushekhara Bhattacharya, The Catuhéataka of Äryadeva, Sanskrit and Tibetan Texts with copious extracts from the commentary of Chandrakirtti, reconstructed and edited, Part II (Visva = Bharati Series No. 2), Calcutta 1931. — Ü: G. Tucci, Studi Mahäyänici I, La versione cinese del Catuhçataka di Äryadeva confrontata col testo sanscrito e la traduzione tibetana (Rivista degli Stüdi Orientali X/1923—25, S . 5 2 1 — 5 9 0 ) . — Buddhapälita,
Mülamadhyamakavrttih:
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Quellen und Literatur
T. 1566; tib. Übersetzung, No. 3853. — A: M. Walleser, Prajnâ-Pradîpah, a Commentary on the Madhyamaka Sütra (Bibliotheca Indica 226), Calcutta 1914 (unvollständig). — Tchang tchen (Hastaratnaml): M: chin. Übersetzung, T. 1578. — Ü : L. de la Vallée Poussin, Madhyamaka, II. L'auteur du Joyau dans la main, III. Le Joyau dans la main (Mélanges chinois et bouddhiques 11/1932—33, S. 60—138). — Candraklrti, Prasannapadä: M: Sanskritoriginal; tib. Übersetzung, No. 3860. — A: s. Nägärjuna. — Ü : Th. Stcherbatsky, The Conception of Buddhist Nirvana, Leningrad 1927 (enthält eine Übersetzimg des 1. und 25. Kapitels) ; St. Schayer, Ausgewählte Kapitel aus der Prasannapadä (V, X I I bis XVI), Einleitung, Übersetzung und Anmerkungen (Polska Akademja Umiejetnosci, Prace komisji orjentalistyczney No. 14), Krakow 1931. — Madhyamakävatärah: M: tib. Übersetzung, No. 3861—62. — A: L de la Vallée Poussin, Madhyamakävatära par Candrakïrti, traduction tibétaine (Bibliotheca Buddhica IX), St. Pétersbourg 1912. — Ü : ders., Madhyamakävatära, introduction au traité du milieu de l'Acârya Candraklrti, avec le commentaire de l'auteur, traduit d'après la version tibétaine (Muséon VIII/1907, S. 249—317; XI/1910, S. 2 7 1 - 3 5 8 ; XII/1911, S. 235—328) (Unvollständig).
2. Die Schule Säramatis Säramati, Ratnagotravibhägah: M: Sanskritoriginal; chin. Übersetzung, T. 1611; tib. Übersetzung, No. 4024. — A : E . H . Johnston, The Ratnagotravibhäga Mahäyänottaratantraéâstra (The Journal of the Bihar Research Society, Vol. X X X V I , Part I), Patna 1950. — Ü : E. Obermiller, The Sublime Science of the Great Vehicle to Salvation, being a Manual of Buddhist Monism. The Work
Quellen und Literatur
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of Ärya Maitreya with a Commentary by Aryäsanga, translated froni the Tibetan with introduction and notes (Acta Orientalia IX/1931, S. 8 1 - 3 0 6 ) . 3. Die Schule der Yogäcära Bodhisattvabhûmïh: M: Sanskritoriginal; drei chin. Übersetzungen, T. 1579, k. 35—50, T. 1581 und 1582; tib. Übersetzung, No. 4037. — A: Unrai Wogihara, Bodhisattvabhümi, a Statement of whole course of the Bodhisattva (being fifteenth section of Yogäcärabhümi), Tokyo 1930—36. — Übersetzt wurde S. 37, 1 und 43, 24—48,6.—Samdhinirmocanasütram : M: fünf chin. Übersetzungen, T. 675—679; tib. Übersetzung, No. 106. — A: É. Lamotte, Samdhinirmocanasütra. L'explication des Mystères, texte tibétain édité et traduit (Univ. de Louvain, recueil de travaux publiés par les membres des Conférences d'Histoire et de Philologie, 2 e série, 34e fasc.), Louvain-Paris 1935. — Meine Übersetzung folgt dem Tibetischen. — Maitreyanätha, Mahäyänasüträlamkärah: M: Sanskritoriginal; chin. Übersetzung, T. 1604; tib. Übersetzung, No. 4020. — A: Sylvain Lévi, Asanga, Mahäyäna-Süträlamkära, exposé de la doctrine du Grand Véhicule selon le système Yogäcära, édité et traduit (Bibliothèque de l'École des Hautes Études, sciences historiques et philologiques, fasc. 159 & 190), Paris 1907—1911. Madhyäntavibhägah: M: Sanskritoriginal; zwei chin. Übersetzungen,T. 1599—1601 ; tib. Übersetzung, No. 4021. — A: Susumu Yamaguchi, Pien tchong pien louen, Nagoya 1934 (enthält die tibetische und die chinesischen Übersetzungen mit dem Kommentar Vasubandhus) ; Bruchstücke des unveröffentlichten Sanskritoriginals in Susumu Yamaguchi, Sthiramati, Madhyäntavibhägatikä, exposition systématique du Yogäcäravijnaptiväda, Na-
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Quellen und Literatur
goya 1934, und Vidhushekhara Bhattacharya and G. Tucci, Madhyäntavibhägasütrabhäsyatlkä of Sthiramati, Part I (Calcutta Oriental Sériés, No. 24), London 1932. — Ü: Th. Stcherbatsky, Madhyäntavibhanga, Discourse on Discrimination between Middle and Extremes, ascribed to Maitreya and commented by Vasubandhu and Sthiramati, translated from the Sanscrit (Bibliotheca Buddhica XXX), Leningrad 1936 (war mir nicht zugänglich). — Asanga, Mahäyänasamgrahah: M: vier chin. Übersetzungen, T. 1592—1594 und 1596; tib. Übersetzung, No. 4048. — A : É. Lamotte, La Somme du Grand Véhicule d' Asanga (Mahäyänasamgraha), Tome I, Versions tibétaine et chinoise (Hiuan-tsang), Tome II, Traduction et commentaire (Bibliothèque du Muséon 7), Louvain 1938. — Vasubandhu, Vimsatikä : M : Sanskritoriginal ; drei chin. Übersetzungen, T. 1588—1590; tib. Übersetzung, No. 4056 bis 4057. — A: Sylvain Lévi, Vijnaptimätratäsiddhi, deux traités de Vasubandhu, Vimsatikä et Trimsikä (Bibliothèque de l'École des Hautes Études, fasc. 245), Paris 1925. L. de la Vallée Poussin, Vasubandhu, Vimsatikäkärikäprakarana traité des vingt slokas avec le commentaire de l'auteur (Muséon XIII/1912, S. 53—90) (Tibetischer Text mit Übersetzung). — Ü: Sylvain Lévi, Matériaux pour l'étude du système Vijnaptimâtra (Bibliothèque de l'École des Hautes Études, fasc. 260), Paris 1932 (enthält eine Übersetzung der Vimsatikä und Trimsikä). Junvu Kitayama, Metaphysik des Buddhismus (Veröffentlichungen des Orientalischen Seminars der Universität Tübingen, 7. Heft), Stuttgart 1934 (enthält S. 234—268 eine Übersetzung der Vimsatikä). — Trimsikä : M : Sanskritoriginal ; zwei chin. Übersetzungen, T. 1586—1587; tib. Übersetzung, No. 4055. — A: s. Viméatikâ. — Ü: s. Vimsatikä. H. Jakobi, Triméikâvijnapti des Vasubandhu mit Bhäsya des Äcärya Stiramati (Bei-
Quellen und Literatur
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träge zur indischen Sprachwissenschaft und Religionsgeschichte, 7. Heft), Stuttgart 1932. — Dignäga, Pramänasamuccayah: M: tib. Übersetzung, No. 4203—4204. — A: H.-R. Rangaswamy Iyengar, Dinnâga's Pramana Samuccaya (Chapter I), with Vritti, Tlka and Notes edited and restored into Sanskrit, Mysore 1930 (vollkommen unbrauchbar). — Hiuan-tsang,
Tch'eng
v;ei che louen:
M:
chin. Original, T. 1585. — Ü: L. de la Vallée Poussin, Vijnaptimätratäsiddhi, la Siddhi de Hiuan-tsang, traduite et annotée (Buddhica, Première Série: Mémoires-Tome I & V), Paris 1928—1929.
SACH- UND NAMENVERZEICHNIS Abhidharmakosah (Schatzkammer der Dogmatik) 76 Abhidharmasamuccayah (Zusammenstellung der Dogmatik) 327 Abhisamayälamkärah (Schmuck des Erschauens) 296 Arten der Erkenntnis (vijnaptih), elf 329 Äryadeva 218 Asanga 110, 296, 326 Atome 360 Atomlehre 218 Außenwelt, Unwirklichkeit der 171, 268, 299, 329, 351 ff. Befleckungen (äsravah) 17 Begriffe, gegensätzliche 164, 172 Beilegen eines fremden Wesens (upacärah) 356, 383 Benennung (prajnaptih) 88, 115, 119 — nach vorhanden, der (prajnaptisat) 268 Bereiche, zwölf (äyatanäni) 110
Beschaffenheiten,drei 280f., 300 Besudelung (samklesah) 281
Bewußtsein (samjnä) 111, 113 Bhävaviveka 224 Bildteil (nimittabhägah) 329 Blickteil (darsanabhägah) 329 Bodhisattva 143, 146, 265 Bodhisattvabhümih (Stufe des Bodhisattva) 265 Brennstoff 23, 89 Buddha 9 Buddhapälita 221 Buddhatum (buddhatvam) 256, 302 —, Keim (gotram) des 256 Candraklrti 241 Catuhsatakam (Werk in vierhundert Strophen) 218 Denken (manah) 328, 353 —, lasterhaftes (klistam manah) 333 Denksprechen (manojalpah) 268 Dharmadhätvavisesatäsästram (Lehrbuch über die Nichtverschiedenheit des Elementes der Gegebenheiten) 256 Dharmakirti 390 Dharma-Lehre 65 Dharmapäla 224, 394
Sach- und Namenverzeichnis Dignäga 390 Ding an sich (vastumätram) 267 Dinge, Augenblicklichkeit aller 63f., 101 ff. —, dreifache Beschaffenheit der 280 f. —, Wesen der (dharmatä dharmänäm) 159, 175 —, dreifaches Wesen der 280 f. Durchtränkung (väsanä) 328, 332, 354 —, drei, Arten der 333 — der zweifachen Auffassung (grähadvayaväsanä) 354 — der Werke (karmaväsanä) 354 Durst 11, 25, 26f., 34f„ 41f., 84, 95 Elemente, achtzehn (dhätavah) 110, 330 Empfindung (vedanä) 32, 41, 111, 113 Entstehen, abhängiges (pratityasamutpädah) 2 7 ff., 81, 171, 176 Erfaßte, das (grähyam) 299 Erfassende, der (grähakah) 299 Erkennen (vijnänam) 26, 29, 38, 41, 83, 98, 109, 111, 117 —, Umwandlung des (parinämah) 352 Erkenntnis (vijnaptih) 329 — der Objekte (visayavijnaptih) 353 —•, Unterdrückung durch
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(pr atisamkhyänirodhah) 117, 130 Erkenntnis, Unterdrückung ohne (apratisamkhyämirodhah) 117 Erlangung (präptih) 115, 119, 123ff. Erläuterung des geheimen Sinnes (Samdhinirmocanasütram) 280 Erlöschen (nirvänam) 129, 257 Erlösungslehre 126ff., 300, 331, 385 Erlösungsweg 13 Erschauen (abhisamayah) 127 Erscheinungswelt, Unwirklichkeit der 268 Fahrzeug, das große (Mahäyäna)143 —, das kleine (Hlnayäna) 143 Feuer 23, 89 Folgerungen, unerwünschte (prasangah) 222 Ganzes (avayavi) 99, 360 Gegebenheiten (dharmäh) 65, 97 —, Element der (dharmadhätuh) 148, 256, 298, 323 —, vom Geist getrennte (cittaviprayuktä dharmäh) 110 —, geistige (cittasamprayuktä dharmäh oder caittäh) 98f„ 110, 114
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Sach- u n d Namenverzeichnis
Gegebenheiten, Gesetz der (dharmasamketah) 78 —, Liste der 109 —, Wesen der ( d h a r m ä n ä m d h a r m a t ä ) 148, 298, 323 —, Wesenlosigkeit aller (dharmanairätmyam) 267, 284, 359 Geist (cittam) 109 —, fleckenloser u n d leuchtender (prabhäsvaram cittam) 148, 256, 298 Gemeinsamkeit (sämänyam) 99 Gestaltungen (samskäräh) 26, 111, 113 —, vom Geist getrennte 115 Grunderkennen (älayavijnänam) 328, 352 Grundlage, Umgestaltung der (äsrayaparävrttih) 301, 331, 356 Gruppen, angeeignete (upättah) 88 —, fünf 26, 63, 70, 77, 85, 110, 205 —, f ü n f , des Ergreifens (upädänaskandhäh) 11, 25 H a r i v a r m a n 119 Heiliger (äryah), ein 127 H e m m n i s der Laster (klesäv a r a n a m ) 267 — des zu Wissenden (jney ä v a r a n a m ) 267 Hien yang cheng kiao louen (Verkündung der edlen Lehre) 327 H i n a y ä n a 61, 143 Hiuan-tsang 395
Kamalaslla 255 K ä t y ä y a n a , Belehrung des ( K ä t y äy a n ä v a v ä d a h ) 163, 181 Körper der Lehre (dharmakäyah) 257, 356 K r ä f t e (saktayah) 119 K u m ä r a l ä t a 119 Laster 114, 126 —, H e m m n i s der (klesävar a n a m ) 267 L ä u t e r u n g (vyavadänam) 282 Lebensorgan (jivitendriyam) 115 Leerheit (äünyatä) 148, 173, 303, 320, 323 Lehrsatz vom abhängigen Entstehen (pratityasam u t p ä d a h ) 27ff., 171f. Madhyamaka-Lehre 247 M a d h y a m a k a k ä r i k ä (Merkverse der mittleren Lehre) 171 M a d h y a m a k a v a t ä r a h (Einf ü h r u n g in die Madhyamaka-Lehre) 241 M a d h y ä n t a v i b h ä g a h (Erläuterung der Mitte u n d der E x t r e m e ) 296 Mahäsämghika 61, 147, 148, 358 ' Mahäyäna 143 —, Sütrenliteratur des 145 Mahäyänasamgrahah (Zusammenfassung des Mahäyäna) 328 Mahäyänasraddhotpädasästram (Lehrbuch über
Sach- u n d Namenverzeichnis die E n t s t e h u n g des Mahäyäna-Glaubens) 255 Mahäyänasüträlamkärah (Schmuck der Sutren des Mahäyäna) 296 Mahïéâsaka 110, 327 f. M a i t r e y a n ä t h a 296 Mängel (maläh) 256 Materie (rüpam) 109, 111 Menandros 65 Milandapanhä (Fragen des Menandros) 65 Moleküle 98 Mülamadhyamakavrttih ( K o m m e n t a r zu den Merkversen der mittleren Lehre) 222 N ä g ä r j u n a 147, 170 Nägasena 65 N a m e n u n d F o r m 29, 36, 41, 74, 83 Nebenlaster 114 Nichtverständigung (avijnaptih) 113 Nichtverursachte, das (asamskrtam) 109, 117 Nichtvorhandensein der Seele 77 N i r v a n a (Erlöschen) 18,118, 129, 174, 194, 205 Nichtwissen 27, 29, 40, 82 P a n c a s k a n d h a k a m (Werk über die fünf Gruppen) HOf. Person (pudgalah) 85 Persönlichkeit 24 P r a j n ä p ä r a m i t ä (Vollkommenheit der Einsicht) 146
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P r a j n ä p r a d l p a h (Leuchte der Einsicht) 224 Präsahgika 224 P r a s a n n a p a d ä (die Wortklare) 241 Pudgalapratisedhaprakaran a m (Widerlegung der Person) 85 K a t n a g o t r a v i b h ä g a h (Erläuterung des Keimes der drei Juwelen) 255 R a t n a k ü t a h (Juwelenhaufen) 163, 164 R a t n ä v a l i (Juwelenkette) 204 Samen (bljäni) 328 S ä m m a t i y a 62, 85, 358 Sämmatiyanikäya^ästram (Lehrbuch der Sämmatiya-Schule) 85 Öäntiraksita 255 Öäntideva 254 S ä r a m a t i 255 Sarvästivädin 62ff., 109ff. —, Alles ist (sarvam asti) 140 S a u t r a n t i k a 62, 76, 118, 391 Seele, Leugnung der 63ff., 70, 77 ff. Sein, höchstes 147, 174, 256, 298 Seiendes, d i n g h a f t (dravyasat) 88 —, als Benennung (prajnaptisat) 88 Soheit ( t a t h a t ä ) 117, 118, 148, 256, 282, 298, 323 ¡Sriläta 119 Sthavira 61
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Sach- u n d Namenverzeichnis
Sthiramati 394 Stufen eines Bodhisattva (bhümayah) 247, 265 Subjekte, Vielzahl der erkennenden 355 Substanz, Leugnung der 99 Suhrllekhah (Brief an einen Freund) 204 S v ä t a n t r i k a 224 T ä m r a p a r n i y a 62 Tch'eng wei che louen (Nachweis, d a ß alles nur E r k e n n t n i s ist) 400 T r a u m 248, 299, 337, 356 Trimsikä V i j n a p t i m ä t r a t ä siddhih (Nachweis, d a ß alles nur E r k e n n t n i s ist, m dreißig Versen) 351 Tschang tschen (Juwel in der H a n d ) 230 Unausdrückbare, das (avaktavyam) 85 Unbewußtheit, Zustand der (äsamjnikam) 115 —, Versenkung der (asamj n ä s a m ä p a t t i h ) 115 Unterdrückung, Versenkung der (nirodhasamäpattih) 115 U t t a r a t a n t r a m (die vorzüglichere Lehre) 256 Vasubandhu der J ü n g e r e 76 V a s u b a n d h u der Ältere 327, 350 Vätslputriya- S ä m m a t l y a 62, 85, 390 Vergänglichkeit der Dinge,
siehe Dinge, Augenblicklichkeit der Versenkung, diamantgleiche (vaj ropamasamädhih) 331 —, vier Stufen der 14, 62 Verständigung (vijnaptih) 112f. Verursachtes (samskrtam) 109 Vielfalt (prapancah) 174 Vigrahavyävartanl (die Streitabwehrerin) 199 V i k h y ä p a n a m , siehe Hien y a n g cheng kiao louen Vimsatikä V i j n a p t i m ä t r a t ä siddhih (Nachweis, daß alles nur Erkenntnis ist, in zwanzig Versen) 351, 366 Vorstellung (vikalpah) 330, 355 —, unwirkliche (abhütaparikalpah) 299, 321 Wachsamkeit, vier Erwekkungen der (smrtyupasthänäni) 127 Wahrheit, beschränkte (samvrtisatyam) 121, 173 —, heilige (äryasatyam) 257 —, höchste (paramärthasatyam) 121, 174 —, Nachweis der (Tattvasiddhih) 119 Wahrheiten, vier edle 10 —, — heilige 127 Weg des Abschlusses (nisthämärgah) 331 — der B e t r a c h t u n g
Sach- und Namenverzeichnis (bhävanämärgah) 128, 230, 331 Weg, mittlerer 10, 163, 172, 231, 303, .320 — des Sehauens (darsanamärgah) 127, 331 Weltmenseh (prthagjanah) 127 Werke (karma) 126 Wesen (sattvah) 154 —, abhängiges (paratantrah svabhävah) 281 —, eigenes 173, 181 —, vollkommenes (parinispannah svabhävah) 281 —, vorgestelltes (parikalpitah svabhävah) 281 Wesenlosigkeit, dreifache 280, 284 — der Persönlichkeit (pudgalanairätmyam) 359 — aller Gegebenheiten (dharmanairätmyam) 359 Wirkliche, das wahrhaft (paramärthasat) 120
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Wirkliche, das beschränkt (samvrtisat) 120 Wirklichkeit (tattvärthah oder tattvam) 266 Wissen, anschließendes (prsthalabdhaj nänam) 301,'331 —, vorstellungsfreies (nirvikalpakaj nänam oder nirvikalpalsam jnanam) 231, 301, 331, 356 Yogäcära 264 Yogäcärabhümisästram (Lehrbuch von den Stufen der Betätigung des Yoga) 265 Zaubertrug (mäyä) 149, 159, 299 Zweiheit (dvayam) 300 Zweiheitlosigkeit 267 Zwischendasein (antaräbhavah) 78, 358