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German Pages [110] Year 2016
Welten der Philosophie 1
A
Ram Adhar Mall Jayandra Soni
Kleines Lexikon der indischen Philosophie
VERLAG KARL ALBER
https://doi.org/10.5771/9783495860953
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B
WELTEN DER PHILOSOPHIE
A
https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
Über dieses Buch: Die Übersetzungs- und Übertragungspraxis zwischen Kulturen, Philosophien, Religionen und verschiedenen Weltanschauungen gibt es seit der Antike. Wörterbücher und Lexika sind hermeneutische Hilfsmittel auf dem Wege einer Verständigung unter den Menschen und ihren Kulturen. Dieses Wörterbuch der wichtigsten Termini technici der indischen Philosophie ist das Ergebnis der langjährigen Lehr- und Forschungstätigkeit der Autoren auf dem Gebiet der interkulturellen und vergleichenden Philosophie, insbesondere der indischen und der europäischen. Eine Voraussetzung für die Übertragbarkeit der jeweiligen Denkkategorien und Begriffe in eine andere Kultur besteht darin, daß diese eine gemeinsame anthropologische Verankerung aufweisen. Insofern ist es möglich, über philosophische Grundfragen zu sprechen, ohne sie ausschließlich griechisch, indisch oder chinesisch qualifizieren zu müssen. Weit entfernt von einem Anspruch auf Vollständigkeit versucht dieses kleine Wörterbuch, erstens die wichtigsten Termini technici der indischen Philosophie zu erklären und zweitens diese in den Kontext der verschiedenen philosophischen Schulen (Buddhismus, Jainismus, Schule des indischen Materialismus, Veda¯nta-Schulen u. a.) zu stellen.
Die Autoren: Ram Adhar Mall, 1937 in Indien geboren, ist Professor für Philosophie. Er ist der langjährige Präsident der Gesellschaft für Interkulturelle Philosophie und Autor zahlreicher Bücher. Zur Zeit lehrt er in Jena und München. Jayandra Soni, 1947 in Südafrika geboren, promovierte 1978 an der Banaras Hindu University in Indien im Department of Philosophy sowie 1987 in Indologie an der McMaster University in Kanada. Nach Lehraufträgen in Innsbruck, Salzburg und Wien ist er seit 1991 Lektor für indische Sprachen (Sanskrit, Hindi, die Muttersprache Gujarati) und indische Philosophien an der Philipps-Universität Marburg/Lahn.
https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
Ram Adhar Mall / Jayandra Soni Kleines Lexikon der indischen Philosophie
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Welten der Philosophie 1 Wissenschaftlicher Beirat: Claudia Bickmann, Rolf Elberfeld, Geert Hendrich, Heinz Kimmerle, Kai Kresse, Ram Adhar Mall, Ryôsuke Ohashi, Heiner Roetz, Ulrich Rudolph, Hans Rainer Sepp, Georg Stenger, Franz Martin Wimmer, Ichirô Yamaguchi
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Ram Adhar Mall / Jayandra Soni
Kleines Lexikon der indischen Philosophie
Verlag Karl Alber Freiburg / München
https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
Alle Rechte vorbehalten © Verlag Karl Alber GmbH Freiburg / München 2009 www.verlag-alber.de Originalausgabe Satz und PDF-E-Book: SatzWeise GmbH, Trier ISBN (Buch) 978-3-495-48353-4 ISBN (PDF-E-Book) 978-3-495-86095-3
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Wir sind auf dem Wege vom Abendrot der europäischen Philosophie zur Morgenröte der Weltphilosophie. Karl Jaspers
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Inhalt
Zur Aussprache der Sanskritwörter . . . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Lexikon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Die wichtigsten Schriften der indischen Philosophie . . . . . . .
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Ausgewählte Literatur zur indischen Philosophie . . . . . . . . .
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Index . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vorwort
Die Schulen und ihre zentralen Lehren Zeittafel
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Zur Aussprache der Sanskritwrter
Vokale Ein Strich über dem Vokal (a¯, ¯ı, u¯) bedeutet dessen Länge; e und o sind immer lang r ist ri ˙
Konsonanten c und ch wie englisch ch, z. B. ›church‹ j wie deutsch dsch, z. B. ›Dschungel‹ t, th, d, dh, n: »retroflexe« Laute, ähnlich wie t, th, d, dh, n, aber mit ˙ ˙ zurückgezogener ˙ ˙ ˙ Zungenspitze Der Nasal n˙ nasaliert wie deutsch ›Zunge‹ Der Nasal m nasaliert wie deutsch m Der Nasal ñ˙ palatalisiert, wie nj y wie deutsch j, z. B. ›ja‹ Die Zischlaute s´ und s wie sch, z. B. ›schön‹ ˙ z. B. Wasser Das s ist immer scharf, Ein h hinter dem Konsonanten ist ein den Konsonanten verstärkender Hauchlaut, vgl. ›Tee‹
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Vorwort
Die Übersetzungs- und Übertragungspraxis zwischen Kulturen, Philosophien, Religionen und verschiedenen Weltanschauungen gibt es seit Menschengedenken. Wörterbücher und Lexika sind hermeneutische Hilfsmittel auf dem Wege einer Verständigung unter den Menschen und ihren Kulturen. Unsere langjährige Tätigkeit auf dem Gebiete der interkulturellen und vergleichenden Philosophie, insbesondere der indischen und der europäischen in Lehre und Forschung hat uns davon überzeugt, daß ein Wörterbuch über die wichtigsten Termini technici der indischen Philosophie fehlt. Auch Gespräche mit Fachkollegen, Studenten und Interessierten haben das Fehlen eines solchen Werkes bestätigt. Die wirtschaftliche und mediale Globalisierung ist eine Herausforderung für die verschiedenen Kulturen und führt auch dazu, daß man über die notwendige, aber schwierige Übersetzungstätigkeit erneut nachdenken muß. Hierbei sind die beiden fiktiven Annahmen einer totalen Kommensurabilität und einer völligen Inkommensurabilität der Kulturen und Philosophien zu vermeiden. Geht man von der Möglichkeit einer Begriffskonkordanz aus, so setzt man zu Recht voraus, daß es unter den verschiedenen Kulturen grundsätzliche Gemeinsamkeiten und erhellende Differenzen gibt. Was die Übersetzungen überhaupt ermöglicht, ist das Vorhandensein der Überlappungen. Raimon Panikkar spricht mit Recht von Entsprechungen, die er homeomorphische Äquivalenzen (»homeomorphic equivalents«) nennt. Philosophie im Vergleich der Kulturen kann heute die anderen, nicht europäischen Ursprungsorte der Philosophie wie z. B. China und Indien nicht umgehen. Auch dies hat uns dazu geführt, diese kleine Schrift zu verfassen. Die als Motto ausgewählten Worte von Karl Jaspers »vom Abendrot der europäischen Philosophie zur Morgenröte der Weltphilosophie« mögen ein wenig gestelzt erscheinen, aber dieser Eindruck ver13 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
Vorwort
schwindet, sobald wir einsehen, daß wir heute über eine neue Gestalt der Historiographie der Philosophie nachdenken müssen. Philosophie im Weltkontext macht dies heute nötig. Dieses kleine Wörterbuch möchte auch als ein Beitrag hierzu verstanden werden. Von großem Wert ist die textkritische, philologische Arbeit der Indologen, jedoch berührte diese die Philosophie im oben genannten Sinne nur selten. Ganz allgemein herrschte, von einigen Ausnahmen abgesehen, das Vorurteil, der Geburtsort der Philosophie sei ausschließlich Griechenland, d. h. Europa. Philosoph und Indologe in einer Person zu sein, wie es z. B. Paul Deussen und Wilhelm Halbfass waren, ist ein Glücksfall. Dieses Wörterbuch stellt eine Korrekturthese zu den auf S. 17 erwähnten Vorwürfen dar und geht davon aus, daß Denkkategorien trotz ihrer kulturellen Prägungen eine gemeinsame anthropologische Verankerung aufweisen, was der Rede einen Sinn gibt, man könne von einem allgemeingültigen universalen Begriff Philosophie sprechen, ohne ihn jedoch ausschließlich griechisch, indisch oder chinesisch qualifizieren zu müssen. Die philosophische Grundüberzeugung, die unserem bescheidenen Unternehmen zugrunde liegt, ist die folgende: Wenn es eine Philosophia perennis gibt, so ist sie niemandes Alleinbesitz. Sie bedarf zwar der philosophischen Traditionen und ist orthaft, geht jedoch in keiner Tradition restlos auf. Philosophia perennis ist auf die Sprache angewiesen, aber sie macht keine Sprache exklusiv zu ihrer Muttersprache, weil sie polyphon ist. Eine solche Überzeugung, nennen wir sie hier eine interkulturelle philosophische Orientierung von der Philosophia perennis, ist das sine qua non für die Möglichkeit einer komparativen Philosophie, die die verschiedenen philosophischen Traditionen in ihrem philosophischen Selbstverständnis zu Wort kommen läßt, anstatt sie lediglich nebeneinander zu stellen. Es ist wahr, daß es keine völlig deckungsgleichen Übersetzungen gibt. Ebenso wahr ist, daß es unterschiedliche Namen dafür gibt, was im Westen mit dem Namen Philosophie belegt wird. Der Oberbegriff Philosophie kennt unterschiedliche Sedimentationen und ist orthaft ortlos. Dieses Wörterbuch ist eine kleine Probe aus der indischen Philosophie im Weltkontext der Philosophie und im Vergleich der Kulturen. Weit entfernt von einem Anspruch auf Vollständigkeit versucht diese kleine Schrift, erstens einige der wichtigsten Termini technici 14 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
Vorwort
der indischen Philosophie zu erklären, zweitens diese in den Kontext der verschiedenen philosophischen Schulen zu stellen, drittens – wo möglich – auf eine Begriffskonkordanz mit der europäischen Philosophie hinzuweisen und viertens die Gemeinsamkeiten und Differenzen der Denksysteme zu erarbeiten. Einige Artikel über die wichtigsten hier behandelten Begriffe sind eingefügt, um dieser Schrift zugleich den Charakter eines kleinen Lexikons zu verleihen. Die Verfasser sind bemüht gewesen, die Erläuterungen der Begriffe so eng wie möglich in Anlehnung an die Originalliteratur darzustellen. Die Begriffe sind in lexikalischer Reihenfolge des lateinischen Alphabets angegeben. Das Zeichen »*« verweist auf ein eigenes Stichwort. Herzlich danken wir Frau Dr. Luitgard Soni für die stete Hilfe und für die Arbeit am Text und Herrn Professor Dr. Jürgen Hanneder, dessen ermutigende Bemerkungen und konstruktive Kritik uns überaus wichtig waren. Ein besonderer Dank geht an den Verlag Karl Alber, an Herrn Lukas Trabert und sein Team für die überaus sorgfältige Betreuung des Buches. R. A. Mall, J. Soni
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Einleitung: Philosophie zwischen Wissen (jña¯na) und Weisheit (prajña¯)
Ein Wort zuvor Selbst heute noch hört und liest man in fachphilosophischen und fachtheologischen Kreisen zwei Vorwürfe seitens der westlichen Philosophie und Religion bezogen auf die Philosophie und Religion Asiens, insbesondere Indiens: Der westliche Fachphilosoph meint, die indische Philosophie sei zu religiös und verwechsele Philosophie mit Religion; der christlich-westliche Theologe dagegen ist der Ansicht, indische Religion sei zu philosophisch und verwechsele Religion mit Philosophie. Beide irren sich, und ein Nebenprodukt unserer Ausführungen sollte eine Kritik und Korrektur dieser langlebigen Vorurteile sein. Daß hier fast paradigmatisch, aprioristisch und vor allem im Vergleich das tertium comparationis in der je eigenen philosophischen und theologischen Tradition mit einem universalistischen Geltungsanspruch dingfest gemacht wird, braucht nicht weiter begründet und erläutert zu werden. Auf die Frage: wie kommen Fachphilosophen und Fachtheologen zu diesem seltsamen Urteil, könnte die Antwort lauten: Der Philosoph kommt zu seinem (Fehl-)Urteil, weil er eine bestimmte Gestalt der Philosophie, nämlich die der griechisch-europäischen, in den absoluten Stand setzt. Der Theologe kommt zu seinem (Fehl-)Urteil, weil er eine bestimmte Religion, nämlich die christliche, verabsolutiert. Beide begehen den logischen Fehler pars pro toto, denn Philosophie ist nicht nur griechisch-europäisch, sondern auch griechisch und europäisch, und Religion ist nicht nur die christliche oder die islamische, sondern auch die christliche und die islamische. Diese kurze Darstellung der indischen Philosophie mag auch als eine Kritik und Korrektur des oben geschilderten Vorurteils gelesen werden. Im weiten Gebiet der indischen Philosophie finden sich deutlich voneinander unterschiedene Denksysteme, die traditionell allerdings nach 17 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
Einleitung
religiösen Kriterien klassifiziert sind. So spricht man von den sechs sogenannten orthodoxen hinduistischen Schulen (Sa¯mkhya, Yoga, Vai˙ s´esika, Nya¯ya, Pu¯rva Mı¯ma¯msa¯, Uttara Mı¯ma¯msa¯ oder Veda¯nta), die ˙ ˙ ˙ sich durch ihre Veda bejahende Haltung auszeichnen, und von den drei sogenannten heterodoxen, den Veda verneinenden Richtungen, nämlich Materialismus (die Ca¯rva¯ka-Schule), Buddhismus (mit den Schulen des Hı¯naya¯na, des Maha¯ya¯na und des Vajraya¯na) und Jainismus (mit den Hauptgruppen der Digambara und der S´veta¯mbara). Für alle Schulen gilt jedoch: Philosophie zeichnet sich aus erstens durch den Versuch der Erkenntnisgewinnung (jña¯napra¯pti) und zweitens durch die Anstrengung der Realisierung des Erkannten (phalapra¯pti). Alle diese Schulen haben ihre je eigene Metaphysik und Epistemologie. Es war der große Maha¯ya¯na-Philosoph und Dialektiker, Na¯ga¯rjuna, der überzeugend nachwies, daß es in allen diesen Fällen eine ausweglose Zirkularität gibt zwischen Metaphysik und Epistemologie, weil sie sich gegenseitig voraussetzen. Man kann weder eine bestimmte Metaphysik vertreten, ohne eine entsprechende epistemologische Theorie vorauszusetzen, noch kann man eine epistemologische Theorie einleiten, ohne eine Metaphysik vorauszusetzen. Diese Feststellung gilt jedoch jenseits der Grenzen der westlichen und indischen Philosophie. Die Schulen entwickelten im Mit- und Gegeneinander ausgefeilte Disziplinen der Logik, der Erkenntnistheorie, der Sprachtheorie und der Metaphysik. Mit Ausnahme des Materialismus jedoch läßt sich ein allen gemeinsamer Grundzug beschreiben: Sie befassen sich mehr oder weniger zentral mit der Erkenntnis des Selbst, das bedeutet die Erkenntnis des eigentlichen Wesens des Menschen, mit dem Ziel, Befreiung von der leidverursachenden Unwissenheit zu erlangen. In dieser Erkenntnis geht es letztlich um eine intuitive, mystische Erfahrung. Die folgenden Überlegungen sollten als Grundlage für das Verständnis der indischen Philosophie im Allgemeinen dienen: 1. Gedanken über den Unterschied zwischen Philosophie und Mystik im indischen Kontext; 2. einige grundsätzliche Annahmen der verschiedenen Schulen; 3. kurze Erörterung der Entwicklung der Debattierkunst; 4. zur Theorie der Negation.
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Philosophie und Mystik
1.
Philosophie und Mystik
Im Allgemeinen spricht die indische Philosophie von zwei Hauptfunktionen der Erkenntnis: eine theoretische, reflexive, die die Existenz und Natur des Erkenntnisgegenstandes zum Vorschein bringt, und eine praktische, welche uns hilft, Ziele im Leben und des Lebens zu erreichen. Philosophie im indischen Verständnis ist nicht nur ein Denkweg, sondern auch ein Lebensweg. Es ist schwierig, die Begriffe ›Philosophie‹ und ›Mystik‹ vollständig zu definieren, aber folgende Überlegung scheint im indischen Kontext angebracht zu sein: wenn die Philosophie, grob gesagt, die Lehre vom Denken überhaupt und vom Argumentieren ist und die Mystik, noch gröber gesagt, sich mit dem Unaussprechlichen und dem Unbeschreibbaren beschäftigt, könnte man vielleicht diese zwei, die Philosophie und die Mystik, als gegensätzlich sehen. Wenn man aber über die Mystik überhaupt spricht, braucht man eine sichere Basis, nicht nur um die Grenze der Mystik zur Philosophie zu erkennen, sondern auch um die Möglichkeit zu begreifen, daß man die Begrenztheit seiner Vorstellungen, seiner Ideen und überhaupt seines Denkens übersteigen kann. Jemand, der tatsächlich diese Grenze überschritten hat, erreicht, so sagen die Inder, den Zustand der Befreiung. Dies ist ein Zustand, der nicht weniger im Bereich der menschlichen Erfahrung liegt als jeder andere. Diese Erfahrung kann mystisch genannt werden, denn sie hat einen qualitativ anderen Stellenwert und eine andere Wirkung auf den Menschen als alltägliche Erfahrungen. Sie ist etwas Tieferes und wird als eine intuitive oder mystische Erfahrung beschrieben. Mystische Erfahrung bewirkt eine völlige Transformation der Person und umfaßt alle Bereiche des Lebens. Echte Mystik wird von einer unmittelbaren Gewißheit gespeist und wartet nicht auf eine allgemeine Bestätigung. Man kann sagen, daß im indischen Kontext die Philosophie ein Tor zum Bereich der Mystik ist. Für denjenigen, der (zur Befreiung) den Weg des Denkens und der Meditation beschreitet, ist die Philosophie das Sprungbrett, das den Sprung hinaus aus dem begrifflichen Denken ermöglicht. Vom Standpunkt der Mystik ist die Philosophie wie eine Leiter, die man im Bereich der Sprache und der Diskussion zurückläßt, einem Bereich, zu dem der Denker auch immer wieder zurückkehrt. Wenn nun die Philosophie als Basis für die Mystik dienen kann, so ist die Basis für die Philosophie, unter anderem, eine Analyse des Menschen in der Welt. Angenommen wird jedoch, daß der Mensch 19 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
Einleitung
ein begrenztes Wesen ist, das trotz seiner begrenzten Fähigkeiten das Wissen um die Wirklichkeit erlangen und damit von seiner Unwissenheit befreit werden kann. Zwei gegensätzliche Hauptströmungen sind in der philosophischen Tätigkeit der Inder ersichtlich und beide haben ihre eigene Art von Mystik, insofern ihr letztes Ziel die Befreiung ist. Eine besagt, daß die Wirklichkeit begreifbar ist, daß es möglich ist, sie in Sprache auszudrücken, weil nämlich die Kategorien unseres Denkens ausreichen, die Wirklichkeit befriedigend zu beschreiben. Diese Ansicht wird hauptsächlich von der Nya¯ya-Vais´esika-Schule vertreten, deren ˙ Schwerpunkt die Logik und die Naturphilosophie ist. Die andere Richtung behauptet im Gegenteil, daß die Wirklichkeit eigentlich jenseits der Sprache und des diskursiven Denkens liegt. Das heißt, was Begriffe betrifft, ist die wirkliche Welt letztlich unaussprechlich. Die Beschreibungen, die man trotzdem zu geben versucht, haben die Rolle eines Spiegels: Die Sprache, d. h. die Beschreibungen, reflektiert eine Wirklichkeit, die sie selbst nicht ist, und somit weist sie auf das hin, was wirklich zu erkennen ist. Hier könnte man das deutliche Zeichen einer Mystik sehen, wenn die Rede davon ist, worüber man eigentlich nicht reden kann. Diese Ansicht wird z. B. von der hinduistischen Advaita-Veda¯nta-Schule und der Madhyamaka-Schule des Buddhismus vertreten. Die Philosophie beschreibt und diskutiert, wie die Wirklichkeit zu verstehen und zu sehen ist, und der Weg der Mystik ermöglicht die Verwirklichung, die Erfahrung, ja die Vollendung dieses Wissens. Es scheint, daß man in dieser Erfahrung durch die Dualität hindurch jenseits der Polarität gelangt, man übersteigt die Subjekt-Objekt-Spaltung der normalen Erkenntnis, man gibt sie auf. Diese Erfahrung bedeutet, durch ein gezieltes Meditationstraining, das Aufgeben und dabei das Übersteigen irdischer Regeln oder Normen. Das Aufgeben von allem, was mit Denken zu tun hat, scheint gleichzeitig der Schlüssel zu dieser Erfahrung und ihrer Mystik zu sein. Es geht um ein Aufgeben von materiellem als auch von geistigem Besitz. In diesem Zusammenhang ist dieser Sanskrit-Spruch zutreffend: »Gib auf die Tugend und die Untugend; gib auf die Wahrheit und die Unwahrheit; nachdem du beides, die Wahrheit und die Unwahrheit aufgegeben hast, gib noch das auf, womit du aufgibst.« Das Sanskritwort a¯nvı¯ksikı¯ hat vielleicht die größte Nähe zu dem, was man im Abendland als ˙›wissenschaftliche, analysierende und sy20 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
Philosophie und Mystik
stematisierende Philosophie‹ bezeichnen kann. A¯nvı¯ksikı¯ bedeutet so viel wie Nachprüfen oder Forschen. Einerseits gibt es ˙Hinweise dafür, daß die Wissenschaft vom a¯tman oder vom Selbst (a¯tmavidya¯) so genannt wird. Andererseits ist auch ersichtlich (und ist in Kautalyas ˙ als Arthas´a¯stra nachweisbar), daß die Wissenschaft vom Selbst sich dars´ana entwickelte, was Ansicht oder Schauen bedeutet – d. h. eine Wissenschaft, die einem erlaubt, das Selbst zu sehen oder zu erkennen, wie es die meisten indischen Systeme zum Ziel haben. A¯nvı¯ksikı¯ oder ˙ das Nachprüfen entwickelte sich als die Kunst der Argumentation und der Debatte (tarkavidya¯), insofern sie die Regeln anführte, die für die Disputation in der Gesellschaft der Gelehrten verwendet werden sollen. Sie überprüft auch Argumente für den Beweis, daß ein Selbst, ein a¯tman, tatsächlich existiert. Kautalya verdankt die indische Philosophie eine Dreiteilung der ˙ intellektuellen Tradition: trayı¯ oder die »dreifache« Wissenschaft über Lied, Opferspruch und Gesang der vedischen Hymnen, va¯rtta¯ oder Handel und Landwirtschaft, dandanı¯ti oder die Wissenschaft von der ˙ ikı¯ analysiert und fragt nach den Regierung und a¯nvı¯ksikı¯. A¯nvı˙¯ks ˙ ˙ Gründen des Richtigen und Falschen, des Guten und Schlechten. Sie wird daher die Quelle des Lichts für alle Wissenschaften und die Grundlage (a¯s´raya) aller dharmas. Das Gedankengut der verschiedenen Weltanschauungen Indiens entwickelte sich auf der Grundlage von allgemeinen Prinzipien, die eng mit den philosophischen Voraussetzungen der meisten indischen Systeme verbunden sind. Trotz vieler Ähnlichkeiten in den Grundzügen der verschiedenen Schulen Indiens werden die philosophischen Voraussetzungen von den jeweiligen Perspektiven der indischen Schulen verschieden interpretiert und verwendet. Insofern ist die Bezeichnung ›Indische Philosophie‹ irreführend, denn man muß jeden philosophischen Begriff je nach Schule spezifisch behandeln. Trotzdem kann hier ein Bild von dem Inhalt und der Methode der indischen Philosophie dargestellt werden, aufgrund einiger allgemeiner Annahmen. Diese Annahmen verdeutlichen die Verschiedenheit der Schulen, wenn man sie im Detail herausarbeitet.
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Einleitung
2.
Einige grundstzliche Annahmen der indischen Philosophie
Einer der wichtigsten Grundsätze des indischen Denkens ist die klare Unterscheidung zwischen dem Wesen des Leblosen und dem Wesen des Lebendigen. Das erste ist materiell und damit empirisch nachweisbar. Auch der Mensch hat einen Anteil an der Materie, und das ist es, was ihn mit den Dingen der Welt verbindet und ihn einen Teil der physischen Welt sein läßt. Wesentlich jedoch ist er mit Bewußtsein begabt, welches das Prinzip des Lebendigen ist. Gerade durch das Prinzip des Bewußtseins kann der Mensch beider gewahr werden, der physischen Welt und seiner Selbst als immaterieller Existenz. Alle indischen Denker stimmen darin überein, daß dieses Prinzip des Bewußtseins es uns erlaubt, das menschliche Wesen mit dem bewußtlosen Sein der Dinge zu kontrastieren. Außerdem unterscheidet sich der Mensch durch den Grad der Manifestation des Bewußtseins vom anderen Lebendigen, von Pflanzen und von Tieren. Wir können über das Bewußtsein nicht in derselben Weise sprechen, in der wir über die Dinge der Welt sprechen. Die Manifestation des Bewußtseins ist in unserem Reden über die Dinge der Welt enthalten und vorausgesetzt. Die Frage ist, ob das Bewußtsein selbst über das Bewußtsein sprechen kann. Wenn das möglich ist, müssen wir zugeben, daß es dafür ein anderes Kommunikationsmittel geben muß als das, welches wir im Sprechen über die Dinge der Welt benutzen. Diese Frage muß im Kontext des indischen Strebens nach Befreiung (moksa ˙ oder nirva¯na) behandelt werden, zu dem jede Schule ihre eigene Inter˙ pretation anbietet. Ein zweiter Grundsatz, der mit der Manifestation des Bewußtseins im Menschen zusammenhängt, ist, daß wir begrenzte Wesen sind, begrenzt bezüglich der Kapazität der Instrumente der Erfahrung, die uns zur Verfügung stehen. Daß die Kategorien unseres Denkens die Begrenztheit unseres Daseins begreifen, setzt ein Prinzip voraus, das nicht so begrenzt ist, nämlich das Bewußtsein. Das Bewußtsein animiert die Instrumente der Erfahrung, die uns zur Verfügung stehen, die Augen, die Ohren usw. Das Bewußtsein selbst jedoch ist nicht in der Weise begrenzt, wie es die Instrumente sind. Das Bewußtsein gibt den Sinnen erst die Fähigkeit, überhaupt zu funktionieren. Daß wir von der tatsächlichen Existenz des Bewußtseins sprechen, beruht auf Erfahrung und auf glaubwürdigen Mitteilungen, z. B. von Weisen, von Sehern, von erleuchteten Menschen – so sehen es die Inder. Jedoch ist das 22 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
Einige grundstzliche Annahmen der indischen Philosophie
Bewußtsein begrenzt durch die Kapazität eines bestimmten Instrumentes der Erfahrung, z. B. können die Augen nur sehen, die Ohren nur hören usw., und das Bewußtsein ist im Alltag auf diese begrenzten Sinnesdaten angewiesen. Die Inder sagen weiter, daß so eine Begrenzung des Bewußtseins sein wahres Wesen nicht wiedergibt. Sein Wesen wird offenbar, wenn man es mit dem Wesen der Dinge der Welt kontrastiert. Damit gelangt man zu einem Prinzip, das sich der Dinge bewußt und daher wesentlich anders ist. Ein Nachdenken über die begrenzte Manifestation des Bewußtseins und seine Abhängigkeit vom Körper impliziert wenigstens zweierlei: (1) die Gebundenheit oder die Unfreiheit des Bewußtseins, und (2) die Frage nach der Möglichkeit unbegrenzter Manifestation des Bewußtseins. Vom Standpunkt der indischen Philosophie bedeutet ein gebundenes oder unfreies Bewußtsein, also eine gebundene Existenz, daß das Leben in der Welt im Grunde im Leidhaften befangen ist. Ferner, mit der Wirkung des karman, wird diese Befangenheit von einer Existenz in die folgende fortgesetzt. Jede Schule des indischen Denkens beschäftigte sich auf ihre Art mit dem Problem, wie das Leidhafte zu überwinden sei. Während die Problemstellung dieselbe blieb, nämlich wie das Leid zu überwinden sei, stellten sich die Lösungen verschieden dar, je nach philosophischer Grundstruktur und metaphysischen Annahmen der jeweiligen Schule. Für den Ursprung der indischen Philosophie gilt nicht so sehr die Tatsache, daß der Mensch nach Erkenntnis strebt, sondern die Tatsache von dem Leidhaften des Daseins verbunden mit dem Streben nach seiner Überwindung. Hierbei gilt die Unwissenheit selbst als die Hauptquelle des Leidens, ja sie ist selbst eine Form des Leidens. Ein dritter Grundsatz ist die gerade erwähnte Karmatheorie. Es ist Karma (karman), das das Leben in der Welt verursacht und fortsetzt, durch eine Serie von Sterben und Wiedergeburten, ohne daß ein Ende abzusehen wäre. Die Karmatheorie ist in der Tat eine Theorie von Ursache und Wirkung. Durch unsere Handlungen und Verhaltensweisen häufen wir Ursachen an, die wie Samen irgendwann in dieser oder in einer anderen Existenz Früchte tragen. Unser gegenwärtiges Leben ist die Frucht von vergangenen Taten, und der Zyklus von Ursache und Wirkung scheint endlos weiterzugehen. Diese Theorie betrachtet das Leben als leidvoll, und dies fordert auch wieder einen Weg heraus aus dieser Lage. Die Genialität der Theorie von Karma und Wiedergeburt besteht darin, daß die Möglichkeit ihrer Vernichtung in die Theorie 23 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
Einleitung
selbst integriert ist. In diesem Sinne ist das Pessimistische in der Karmatheorie lediglich ein Anfangspunkt zur positiven Anschauung, daß Befreiung gesucht und gefunden werden kann. Karma kann unwirksam gemacht werden, nachdem der Nährstoff oder die treibende Kraft des Karma bewußt zum Versiegen gebracht wird. Die Hindus nennen den Nährstoff Leidenschaft (ra¯ga). Leidenschaft äußert sich in Zuneigung und Abneigung. Die Buddhisten sprechen von Begierde oder Durst (trsna¯) als der Kraft, die die Kette der Wiedergeburt in Bewe˙ ˙ ˙ und in Gang hält. Für den Jainismus ist es die Gewalt gung setzt (himsa¯), die den höchsten Grad bzw. die höchste Menge von Karma ˙ verursacht. Somit ist es bemerkenswert, daß alle, Hindus, Buddhisten und Jainas, trotz verschiedener Weltanschauungen die Begrenztheit des Menschen als Tatsache akzeptieren und daß diese Begrenztheit, direkt oder indirekt, Karma als ihren Grund hat. Die Möglichkeit, daß diese Begrenztheit, nämlich das Leid, überwunden werden kann, ist der vierte Grundsatz. Damit verbunden ist die Annahme, daß das Leben in der Welt notwendig, ja absolut notwendig ist für die Befreiung. Das bedeutet, daß der Mensch – anders als z. B. das Tier oder eine Pflanze – in der besonderen Lage ist, die Gelegenheit zur Befreiung zu ergreifen. Damit muß das Leben in der Welt positiv bewertet werden, insofern als wir, obwohl wir in Leid befangen sind, nach der Verwirklichung unseres Wesens streben können. Alle diese Annahmen schließen in sich, daß es im Bereich menschlicher Möglichkeiten und Fähigkeiten liegt, ein befreites Wesen zu werden und nicht nur ein Leben in Gebundenheit führen zu müssen. Wenn sich die Beschreibung des Lebens darin erschöpfen würde, daß es leidhaft genannt wird, dann könnte man das in der Tat eine weltverneinende Haltung nennen. Doch muß man dieses weitverbreitete Urteil über das indische Denken revidieren: das Leben in der Welt ist ein Erfahrungsfeld für den Menschen, in dem er trotz seiner Gebundenheit die Freiheit hat, die Möglichkeit zur Selbsterkenntnis auszunützen. Gerade die Grundannahme vom Leiden verleiht dem Streben nach Befreiung von eben dieser Leidhaftigkeit Sinn und Bedeutung. Das Wort, das üblicherweise zur Beschreibung des eigentlichen Wesens des Menschen verwendet wird, ist a¯tman, jı¯va oder purusa. ˙ Es wird unterschiedlich übersetzt als Essenz, Natur, Charakter, das Selbst, oder die individuelle Seele. In allen Fällen konstituiert es das belebende Prinzip im Menschen, das Prinzip, das uns erlaubt, vom Menschen als einem mit Denken, Fühlen und Wollen begabten Wesen 24 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
Einige grundstzliche Annahmen der indischen Philosophie
zu sprechen. A¯tman oder jı¯va hat die Natur von cit oder caitanya, und daher scheint ›Bewußtsein‹ die beste Übersetzung zu sein, um diese Bedeutung auszudrücken.
2.1 Ein kurzer Überblick über die vedische und upanisadische Tradition ˙ Die schriftlichen Quellentexte des indischen philosophischen Denkens sind die Veden (Sammlungen der Weisheiten und Ansichten der Seher, d. h. rsis), die auch als »s´ruti«, d. h. das Gehörte bezeichnet werden, und ˙˙ die »Upanis aden« (die philosophisch-spekulativen Kommentare und ˙ Weiterführungen der Veden). Eine Eigenart der philosophischen Systembildung in Indien beginnt mit den »Su¯tren«, d. h. mit der systematisch kompositorischen wissenschaftlichen aphoristischen Literatur, die formelhafte, leicht memorierbare, aber stellenweise doch ohne weitere Kommentare und Erklärungen nicht leicht zugängliche Sätze darstellen. Um diesen tiefsinnigen und ambivalenten Charakter der Su¯tren zu erhellen, entwickelte sich die Tradition der Kommentarliteratur über die Su¯tren mit dem Namen »Bha¯sya«. Hier werden nicht nur neue Kommentare geschrieben, sondern es˙ entstehen neue Bedeutungshorizonte und eine Vielzahl von interpretativen Möglichkeiten. Die verschiedenen klassischen Schulen der indischen Philosophie sind dann weitere Systematisierungen dieser Bhasya-Literatur mit Betonung der vedischen und upanisadischen Texte.˙ ˙ Jahrtausend vor Chr. beginnt so das Mit den Veden im zweiten philosophische Denken in Indien. Zum ersten Mal werden Fragen gestellt: Sind die Götter nur verschiedene Namen des einen wahren Seins (ekam sat)? Ist das Sein oder das Nichtsein das Ursprünglichere? Die ˙ waren der festen Ansicht, daß die These der »creatio ex nihilo« Veden nicht gilt. Die Upanisaden, als philosophische Reflexionen über die Veden, kreisen um die ˙ zentrale These von der Einheit zwischen »Brahman« (dem Höchsten und Größten als der Quelle aller Dinge) und ¯ tman« (dem wahren Selbst einer jeder Person). Auch wenn das in»A dische philosophische Denken das soteriologische Ziel, eben das Thema Erlösung, Befreiung, Moksa oder Nirva¯na, nie aus den Augen verliert, ˙ behält das analytische, reflexive Denken˙seine Unabhängigkeit. Die indische philosophische Literatur kennt zwei Ausdrücke, die sich mit dem, was im Westen Philosophie genannt wird, übersetzen lassen: Phi25 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
Einleitung
losophie als eine spirituelle Wissenschaft (Adhya¯tmavidya¯) und Phi¯ nvı¯ksikı¯vidya¯). losophie als eine analytische, kritische Grundlegung (A ˙ So läßt sich der auch im Westen öfters verwendete Begriff »Dars ´ ana« mit Philosophie übersetzen, trotz einiger erhellender Unterschiede. Dars´ana, etymologisch abgeleitet von dem Verb »drs´« (sehen), steht ˙ für Ansicht, Einsicht, Vision, System und Spekulation. Eine zu enge etymologische und übertrieben philologische Deutung hat zu dem bekannten Mißverständnis geführt, daß indische Philosophie mit Intuition, mit einer bloß spirituellen, nicht intellektuellen, nicht analytischen und diskursiven Sicht gleichgesetzt wurde. Leider wurde und wird stellenweise immer noch diese einseitige Sicht auch in fachphilosophischen Kreisen vertreten. Die streng materialistische, skeptische und agnostische Tradition und auch die rein philosophisch spekulative und analytisch-logisch-dialektische Tradition werden selten oder kaum in Betracht gezogen. Freilich wird der indischen Philosophie als einer streng analytischen und kritischen Disziplin die Möglichkeit und Fähigkeit einer Transformation des Philosophierenden zugetraut. Indische Philosophie in ihrer befreienden Funktion (Moksa, Nirva¯na) zielt ˙ auf die Möglichkeit einer solchen Transformation. ˙
2.2 Kurzer Überblick über die orthodoxen und heterodoxen klassischen Schulen der indischen Philosophie Zur Zeit Buddhas war das intellektuelle Leben sehr rege und zeichnete sich aus durch philosophische, ethische und religiöse Dispute, Meinungsverschiedenheiten und Debatten. Es gab zwei Traditionen, die sich miteinander stritten: die vedisch-upanisadisch-brahma¯nische Hin˙ Materiadutradition und die Gruppe der Freidenker,˙ Wanderprediger, listen, Skeptiker, Agnostiker, Naturalisten und Atheisten. Der »Terminus technicus« für die letztere Tradition war »S´ramana«, bestehend aus Mönchen, Wanderpredigern, Weltentsagern. Auch˙ Buddha gehörte anfänglich dieser Gruppe an. Unzulässigerweise hat Max Weber diese weltentsagende Haltung eines Teiles des indischen Geistes zu sehr essentialistisch generalisiert und dem indischen Geist prinzipiell eine asketische und weltverneinende Haltung zugeschrieben. In der Zeit von etwa 400 v. Chr. bis 400 n. Chr. entstehen die bekannten Epen »Maha¯bha¯rata« und »Ra¯ma¯yana«. Das Hindu-Denken ˙ geht von einer hierarchisch angelegten Vierteilung der Lebensziele aus. 26 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
Die Debattierkunst in Indien
Diese sind: »Artha« (Geld, weltliche Güter), »Kama« (Sinnesfreude), »Dharma« (das Ethische, Moralische) und »Moksa« (Befreiung vom Leid). Entsprechend dieser vier Ziele gibt es dann˙ eine Vielzahl von wissenschaftlichen Traktaten (S´a¯stras). Die bekannten Schriften über Ökonomie, Politik und Staatskunst sind »Arthas´a¯stra« von Kautalya, »Kamasu¯tra« von Va¯tsya¯yana, »Dharmas´a¯stra« z. B. von Manu˙ und »Moksas´a¯stra«. Die Schriften über Ästhetik heißen »Rasas´a¯stra«. Auch die bekannte Schrift über Grammatik von Pa¯nini gehört hierher. ˙
3.
Die Debattierkunst in Indien
Die indische Philosophie ist seit ihrem Anfang durch das Zwiegespräch charakterisiert. Diskussionen und Debatten, seien sie nun geschrieben oder tatsächlich in der Öffentlichkeit durchgeführt, waren die Merkmale der meisten Schulen, denn sie haben andere Ansichten und Meinungen zuerst in Erwägung gezogen, bevor sie ihre eigene sogenannte endgültige Anschauung darstellten. Die beiden bekannten Termini technici hierfür sind pu¯rva-paksa oder die »erste Ansicht«, nämlich des Gegners, und uttara-paksa ˙oder die Antwort darauf, nämlich die eigene Ansicht. In der Regel ˙fangen die Schulen mit dem pu¯rva-paksa ˙ an, bevor sie ihre eigenen Ansichten darstellen. Dieses methodische Merkmal der indischen Philosophie hat viele fachfremde Leser anfänglich ein wenig verwirrt. Die Schulen entwickelten ihre Philosophie jeweils auf der Basis eines fundamentalen (su¯tra) Werkes, das die grundsätzlichen Kategorien und Ideen eines jeweiligen Systems festlegte. Alle diese Grundwerke, in knappen Lehrsätzen verfaßt, um auswendig gelernt werden zu können, sind kryptisch und kurz. Diese Werke sind in den Jahrhunderten kurz vor und nach Beginn unserer Zeitrechnung (bis ungefähr 300 n. Chr.) zusammengefaßt worden, und setzen eine vorhergehende Stufe der Entwicklung voraus. Kommentatoren haben die Grundideen innerhalb ihrer eigenen Tradition ausgearbeitet, um die Gedanken dem Uneingeweihten verständlich zu machen. Sie haben gleichzeitig die Gelegenheit genutzt, ihre Tradition gegen Angriffe zu verteidigen. Oft wurden auch Kommentare zu den Kommentaren nötig, um neue Erklärungen zu geben und die Tradition weiterhin zu verteidigen. Die Entwicklung der Debatte in Indien, sowohl in den Kommentaren als auch in den organisierten öffentlichen Redewettbewerben, 27 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
Einleitung
führte zu einem Schärfen des philosophischen Instrumentariums und zu Regeln der Debatte, die in Versammlungen an den Höfen, wo die meisten stattfanden, streng eingehalten werden mußten. Daß in diesen Wettbewerben auch wichtige philosophische und erkenntnistheoretische Kategorien vorkommen, ist aus einem alten Werk der indischen Medizin klar ersichtlich. Ein Arzt namens Caraka (ca. 1. Jh., in Carakasamhita¯, »Sammlung des Caraka«) gibt Ratschläge, wie man sich bei ˙ Debatte verhalten soll, und eine Liste von Kategorien, mit denen einer man sich vertraut machen soll, um zu wissen, wie man bei Disputationen vorzugehen habe. Wichtig für die Philosophie sind Carakas Aufzählung und Erklärung dialektischer Kategorien, die ein Arzt beherrschen soll, bevor er an einer Unterredung teilnimmt. Seine Liste enthält 44 Begriffe, und die folgenden Kategorien heben die Verbindung zwischen der Debattierkunst und der Entwicklung der Philosophie hervor: die Substanz (dravya), die Eigenschaft (guna), die Gemeinsamkeit (sa¯ma¯nya), die ˙ Besonderheit (vis´esa), die Inhärenz (samava¯ya), die Behauptung (pra˙ tijña¯), die Beweisführung (stha¯pana¯) für die vorgebrachte Behauptung, die Gegenaufstellung des Gegners (pratistha¯pana¯), die Begrün˙˙ dung (hetu), das Beispiel (drsta¯nta), die Wahrnehmung (pratyaksa) ˙ ˙ ˙ ˙ und die Schlußfolgerung (anuma¯na). Es ist ersichtlich, daß früh in der Geschichte der indischen Philosophie erkenntnistheoretische Fragen in konsequenter Weise beachtet wurden. Die epistemologische Ausrichtung versuchte mit Bezug auf Themen alltäglicher Erfahrung die Basis für einen intelligiblen Diskurs zu liefern. Letztlich diente sie – indirekt – dem Zweck, die alltägliche Erfahrung von dem zu unterscheiden, was das Wissen um die Wirklichkeit ausmacht, oder aufzuzeigen, wie die Beschäftigung mit der Epistemologie zu einem Wissen um die eigentliche Natur des Menschen, des Erkenners, führt. In diesem Sinne stellt die indische Epistemologie eine Philosophie des Seins und des Wissens dar. Sie impliziert dabei einen metaphysischen Anteil, wo die empirische Subjekt-ObjektUnterscheidung aufgehoben wird. In der indischen Philosophie, besonders in der Upanisad-Literatur ˙ und in der Veda¯nta-Schule ist von einer dreistufigen reflexiv-meditativen Methodologie die Rede: s´ravana, manana und nididhya¯sana. Die ˙ erste Stufe besteht im Hören und Lernen der heiligen Schriften. Heute würde man sagen, im Sich-Informieren, im Lesen usw. Die zweite Stufe besteht im Nachdenken, im kritischen Reflektieren über das Ge28 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
Zur Theorie der Negation
hörte, Gelesene. Die dritte Stufe besteht schließlich im meditativen Sich-Aneignen des so Gehörten und Nachgedachten. Ob diese dritte Stufe noch zur Philosophie gehört oder nicht, wird selbst in Indien kontrovers diskutiert. Auch hier sieht man, daß die indische Philosophie, mit ganz wenigen Ausnahmen, zwischen Wissen (jña¯na) und Weisheit (prajña¯) angesiedelt ist. Die Eigenart der indischen philosophischen Überlegungen, die oft sehr theoretisch, komplex und subtil sind, liegt darin, daß das Band zwischen dem kritischen Denken und der Befreiung sehr eng ist.
4.
Zur Theorie der Negation
Sehr häufig werden im indischen Denken wichtige Konzepte durch das privative Präfix »a« vor dem entsprechenden positiven Begriff geformt: a-himsa¯ (Nicht-Gewalt), a-dvaita (Nicht-Zweiheit), a-vidya¯ (Nicht˙ Wissen). Damit bedeutet das Wort nicht, was etwas ist, sondern was etwas nicht ist, es legt nicht fest, sondern öffnet den Bereich des Anders-Seins oder der Verschiedenheit. Sowohl in der Metaphysik als auch in der Erkenntnistheorie und Logik finden sich sehr häufig Aussagen, denen das Konzept a-bha¯va, Nicht-Sein oder Abwesenheit, zugrunde liegt. In der Nya¯ya-Vais´esika˙ Schule wird Nicht-Sein als metaphysische Kategorie diskutiert, wofür Überlegungen der realistisch ausgerichteten Erkenntnistheorie den Anstoß gaben. Die Frage, wie es möglich sei, etwas als nicht seiend zu erkennen, also die positive Vorstellung der Abwesenheit von etwas, führte zur Lehre, daß das Nicht-Sein lediglich ein anderer Aspekt des Seins sei. Die Erkenntnis offenbart das Existierende als existent und das Nicht-Existierende als nicht existent. In der Interpretation der negativen Erkenntnis oder der Verneinung wurde durch eine Vergegenständlichung der Verneinung die Abwesenheit als Entität über dem entsprechenden Substrat aufgefaßt. Die negative Erkenntnis: »Es ist kein Topf auf dem Boden« wurde ausgelegt als: »Es gibt die Abwesenheit eines Topfes auf dem Boden«. In der späteren Navya-Nya¯ya-Schule spielt das Konzept der Abwesenheit eine besonders große Rolle. Eine typische Verwendung soll dies andeuten: Anstelle von Wörtern wie »alle« oder »jeder« werden für Allgemein-Aussagen Vorstellungen von Abwesenheit und Ort (locus) herangezogen. So wird die Aussage »Alle Menschen sind sterb29 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
Einleitung
lich« formuliert als: »Die Menschheit ist abwesend von einem Ort, an dem die Abwesenheit von Sterblichkeit ist«. In der buddhistischen Tradition hingegen, für die es objektiv kein einheitlich Seiendes im Sinne eines dauerhaften Substrates gibt bzw. die Dinge kein Eigenwesen haben, wurde die erkenntnistheoretische Frage sehr wichtig, wie wir wissen können, daß etwas nicht ist. Negative Erkenntnis hat laut der logisch-erkenntnistheoretischen Schule des Buddhismus kein Objekt, auf das sie sich beziehen könnte. NichtErkennen, z. B. eines Kruges auf einem Tisch, ist eigentlich das Erkennen dessen, was anders ist als das Objekt des Nicht-Erkennens, das heißt das Erkennen des Tisches und anderer Dinge außer dem Krug. Nicht-Erkennen ist Anderes-Erkennen und Nicht-Sein ist unreal. In der Madhyamaka-Schule des Buddhismus, in der jegliches Eigenwesen der Dinge geleugnet wird, haben die Überlegungen über die Negation eine beinahe soteriologische Bedeutung für die Lehre von der Leerheit: Wenn geleugnet wird, daß Dinge aus sich selbst, aus anderen, aus diesen beiden und unverursacht entstehen, werden auch die darauf bezogenen Begriffe als leer aufgelöst und das wahre, nicht begriffliche Wissen, in dem weder Seiendes noch nicht Seiendes erfaßt wird, linguistisch als eliminierende Negation verstanden. Im Gegensatz dazu erklärt die Yoga¯ca¯ra-Schule des Buddhismus das vollkommene Erkennen für real, wiewohl es frei ist vom Subjekt des Erkenners und dem Objekt des Erkannten. Dieses vollkommene Erkennen, das jenseits der Dualität ist, ist nicht Abwesenheit von Dualität, sondern die absolute Realität, die anders ist als Dualität. Somit wird kognitiv eine limitierende Negation ausgesprochen.
5.
Einige Bemerkungen zur indischen Konzeption einer einbeziehenden pluralen Identitt
Der indische Nobelpreisträger, Wirtschaftswissenschaftler und Philosoph Amartya Sen ist der Ansicht, daß Indiens lange und tief verwurzelte Tradition der Heterodoxie dazu beigetragen hat, daß ein Nebenund Miteinander der Religionen auf dem indischen Boden möglich wurde. Indische Identität darf man nicht mit einer Teilidentität, ob kulturell, sprachlich oder religiös, gleichsetzen. Sie scheint eher der Name einer Einstellung, einer Überzeugung zu sein, die in dem vedischen 30 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
Einige Bemerkungen zur einbeziehenden pluralen Identitt
Diktum von dem Einen Wahren mit vielen Namen zum Ausdruck kommt und ein Miteinander der Kulturen und Religionen interkulturell begründet. Philosophen aller Traditionen verbindet nicht so sehr die Gleichartigkeit der Antworten, sondern vielmehr die der Fragestellungen. Eine Asymmetrie zwischen Fragen und Antworten, freilich zugunsten der Fragen, scheint die eigentliche Geburtsstätte allen Denkens, auch des philosophischen zu sein. Philosophen identifizieren sich nicht so sehr durch ihre nationalen, geographischen, sprachlichen, schulphilosophischen und kulturellen Zugehörigkeiten, sondern vielmehr durch die philosophischen Probleme, die über alle legitimen Kulturgrenzen hinaus eine Universalität aufweisen. Denn ein deutscher Idealist steht einem indischen Idealisten näher als einem deutschen Materialisten. Ein charakteristischer Zug des indischen Geistes scheint die Erfahrung des Leides zu sein, und so ist Philosophie weithin mit dem Streben der Leidensüberwindung verbunden. Ferner besetzt das indische philosophische Denken Pluralität nicht von vornherein negativ, sondern positiv. Es rät uns, die Tugend der Verzichtleistung auf den Absolutheitsanspruch zu entwickeln, um so jede Form der Gewalt, ob theoretischer oder praktischer Natur, zu vermeiden auf dem Wege einer uns aufgegebenen interkulturellen Kommunikation und Verständigung.
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Lexikon
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abha¯va
abha¯va Nichtsein, Nichtvorhandensein Eine Kategorie der Erkenntnistheorie. Im negierenden Ausdruck wird die positive Vorstellung von der Abwesenheit von etwas erzeugt, d. h., man erkennt etwas als nicht seiend. Für die *Nya¯ya-Schule ist diese Kategorie ein verläßliches Erkenntnismittel für die Abwesenheit eines Dinges. Die Schule übernahm die fünf verschiedenen Arten des Nichtseins von dem *Vais´esika-Autor Candramati: das frühere Nichtsein ˙ ein Ding, z. B. ein Topf, entsteht; das Nicht(pra¯gabha¯va), d. h. bevor sein durch Vergehen (pradhvamsa¯bha¯va), d. h. die vergangene Exi˙ stenz eines Dinges; das gegenseitige Nichtsein (anyonya¯bha¯va), wie z. B. das Nichtsein eines Pferdes in einer Kuh und umgekehrt, d. h.: ein Pferd ist keine Kuh; das Nichtsein hinsichtlich eines Zusammenhanges (samsarga¯bha¯va), wie das Nichtsein von Feuer das Nichtsein ˙ von Rauch bedeutet; und das vollständige oder absolute Nichtsein (atyanta¯bha¯va), das ein Ding bezeichnet, das nie existieren kann, wie der Sohn einer unfruchtbaren Frau. Siehe auch S. 29.
acit ohne Bewußtsein, ungeistig, materiell Siehe auch cit.
Abschnitt, Substrat, Beziehung (zwischen Wörtern), Topik Mit Bezug auf ein Werk: ein einem speziellen Gegenstand gewidmeter Abschnitt. Ein Text wird in verschiedene Abschnitte unterteilt, zunächst in einen größeren Abschnitt, ein Kapitel (adhya¯ya), dieses in »Viertel« (pa¯da), und dieses wieder in einen einem speziellen Gegenstand gewidmeten Abschnitt, einen Paragraphen (adhikarana). Philosophisch bedeutet der Begriff Substrat, z. B. ist das Selbst das˙ adhikarana des Wissens. In der Grammatik bezeichnet er die Beziehung, in der˙ ein Wort mit einem anderen steht, z. B. die Beziehung des Lokativs zum Verb. adhikarana ˙
adhya¯sa Übertragung, Überlagerung Dieser Begriff wird besonders von S´an˙kara in seinem Kommentar zu Ba¯dara¯yanas *Veda¯nta-Su¯tra hervorgehoben. In seiner Einleitung da˙ zu verwendet er die Theorie der Überlagerung, um einen universellen 34 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
advaita
Irrtum zu erklären, wobei auf ein Substrat fälschlich Eigenschaften übertragen werden. S´an˙kara illustriert die Theorie mit dem Gleichnis von dem Seil, das in der Dämmerung für eine Schlange gehalten wird; die Qualitäten oder Merkmale der Schlange werden auf das Seil irrtümlich übertragen. In dieser Weise werden auch auf das Substrat der einzigen, einheitlichen Wirklichkeit, genannt Brahman, Eigenschaften oder Qualitäten fälschlich übertragen. Dadurch entsteht der Irrtum, das Sein sei mannigfaltig. S´an˙kara sieht die Ursache der Überlagerung im angeborenen Nichtwissen (*avidya¯), das seinerseits auf der Wirkung von *ma¯ya¯ beruht. Die Überlagerung als ein Irrtum der Erfahrung bleibt so lange erhalten, bis sie durch eine richtige Erkenntnis korrigiert wird. Adhya¯sa liefert auch eine Theorie der Illusion, indem erklärt und begründet wird, wie und warum Illusionen entstehen. Der Mensch mit seinen diversen Verblendungen ist am Entstehen falscher Übertragungen mitbeteiligt. Siehe auch veda¯nta.
adhya¯tmavidya¯ Wissen um das höchste Selbst, Metaphysik Diese »Wissenschaft des Selbst« ist eine Antwort auf die upanisadische Frage: »Was ist das, durch dessen Wissen alles gewußt wird?« ˙ Siehe auch a¯nvı¯ksikı¯. ˙ adrsta nicht gesehen, durch eine unsichtbare Ursache bewirkt ˙ ˙˙Begriff bezieht sich hauptsächlich auf das, was nicht bekannt ist, Der wie z. B. mit Bezug auf die Karmatheorie das in einer Existenz angesammelte Verdienst oder die Schuld und ihre entsprechende Glücksoder Leiderfahrung in einer anderen.
Nicht-Zweiheit, Zweitlosigkeit, Ohne-Ein-Zweites-Sein, die Advaita-Schule Ein zentraler Begriff der monistisch-illusionistischen Veda¯nta-Richtung. Außer dem Absoluten – dem brahman –, das zugleich das eigentliche Wesen – a¯tman – des Menschen ist, existiert kein Zweites. Nur dieses Eine ist das wahre Seiende, die Vielheit ist Illusion. Siehe auch dvaita und veda¯nta. advaita
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a¯gama
a¯gama überlieferte Lehre, kanonische Texte Der S´ivaismus, der Visnuismus und der S´a¯ktismus anerkennen als ka˙ ˙ zu den vedischen Schriften, oft diesen übernonische Texte zusätzlich ¯ gama (›auf uns gekommen‹) geordnet, eine Gruppe von Werken, die A ¯ gama-Text soll vier große Gebiete genannt werden. Ein vollständiger A behandeln: Wissen (jña¯na), Meditationspraxis (yoga), Ritualwesen (kriya¯) und religiös-soziales Verhalten (carya¯). Siehe auch tantra.
aham Ich, das eigentliche Subjekt oder Selbst In der *Veda¯nta-Schule ist es dieses Ich, das mit der einen, absoluten Realität *brahman identifiziert wird. Diese Identität der beiden Kategorien ist ausgedrückt im großen Upanisad-Wort (maha¯-va¯kya): aham ˙ brahma¯smi, ich bin brahman.
ahamka¯ra der »Ich-macher«, das Ego, das Subjektivierungsprinzip ˙ auch samkhya. Siehe ¯ ˙ ahimsa¯ Ohne Gewalt, Gewaltlosigkeit Ein˙Begriff der Ethik, wonach gutes Verhalten danach strebt, nicht zu verletzen und zu töten und solches weder zu verursachen noch zu billigen. Gewaltlosigkeit ist das erste Gebot der Vorschriften (yama) in Patañjalis Yogasu¯tra (2, 30) für eine sittliche Lebensführung eines Yogaübenden (siehe yoga). Gewaltlosigkeit erstreckt sich auf Tat, Wort und Gedanken. Besonders wichtig ist der Begriff im Jainismus, wo es heißt, daß durch Gewalt die größte Menge von *karman angehäuft wird und daher große Vorsicht geboten ist, auch nicht kleinste Lebewesen in Erde, Wasser, Feuer und Luft zu verletzen. Eine sozial-politische Wirkung erreichte diese uralte Lehre durch Gandhis Programm satya¯graha (das »Festhalten an der Wahrheit«), was für Gandhi nichts anderes bedeutete als die Praxis der Gewaltlosigkeit in allen Bereichen und auf allen Ebenen des Lebens.
ajı¯va leblos, ungeistig, ohne Bewußtsein, seelenlos Siehe auch jı¯va. 36 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
anavastha¯
ajña¯na Nicht-Wissen, Unwissenheit Nicht-Wissen ist nicht bloß das Fehlen der wahren Erkenntnis, sondern es besitzt auch die Kraft, das wahre Wesen der Dinge zu verdecken. Siehe auch jña¯na.
a¯layavijña¯na Das Vorrats- oder Speicher-Bewußtsein Ein Terminus technicus der Vijña¯nava¯da- oder Yoga¯ca¯ra-Schule des *Maha¯ya¯na-Buddhismus. Dieser nimmt traditionell in der Theorie des Erkennens fünf Sinneswahrnehmungen und ein nicht durch die Sinne bedingtes Erkennen (*manovijña¯na) an. Die Vijña¯nava¯da-Schule nennt zwei weitere Arten des Erkennens: klista-manas und a¯layavi˙˙ jña¯na. Ersteres ist das Ich-Gefühl und das Zweite ein Behälter oder Speicher der latenten Eindrücke vergangener Taten (*karman) und geistiger Vorgänge. Es gilt als Grundlage allen mentalen Geschehens. Die Hauptvertreter dieser Richtung des Buddhismus sind Asan˙ga (4. Jh.), sein Bruder Vasubandhu und zwei Jahrhunderte später Dharmapa¯la. Für die Vijña¯nava¯da-Schule enthält dieser zentrale Begriff die Eindrücke und Erfahrung des individuellen Lebens – dieses und auch der vorangegangenen Leben. Diese Eindrücke beeinflussen unser Denken und Handeln. Die Vijña¯nava¯da-Schule zielt auf eine völlige Reinigung und Entleerung der karmischen Eindrücke, um so die eigentliche Wahrheit des Nur-Bewußtseins zu realisieren.
ana¯di
ohne Beginn
Wonne, Seligkeit, eines der drei Merkmale der brahmanRealisation im Veda¯nta: sat (Sein), cit (Bewußtsein) und a¯nanda (Wonne) Siehe auch brahman.
a¯nanda
ananta
anavastha¯
ohne Ende
Unbeständigkeit, Nicht-zum-Stillstand-kommen, regressus ad infinitum 37 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
aneka¯ntava¯da
Nicht-Einseitige-Theorie, Theorie der Mannigfaltigkeit Eine erkenntnistheoretische Methode der Jainas, einen Sachverhalt zu beschreiben. Sie verwenden dazu die Lehre der Standpunkte (nayava¯da) und die Lehre, in der das Wort sya¯t verwendet wird (sya¯dva¯da), um die siebenstufigen Aussagen oder Prädikationen (saptabhan˙gı¯) zu erstellen. Die sieben Standpunkte sind: 1. Der gewöhnliche oder unbestimmte Standpunkt (naigamanaya); 2. Der allgemeine oder kollektive Standpunkt (samgrahanaya); 3. Der spezifische oder praktische Stand˙¯ ranaya); 4. Der geradlinige Standpunkt (rjusu¯trapunkt (vyavaha ˙ 5. Der naya). Die weiteren drei Standpunkte beziehen sich auf Wörter: wortgetreue Standpunkt (s´abdanaya); 6. Der subtile Standpunkt (samabhiru¯dhanaya); 7. Der ›so-geschehene‹ Standpunkt (evambhu¯tanaya). ˙Die sieben Aussagen, die man über einen Gegenstand machen kann sind: 1. Aus einer Perspektive existiert er (sya¯d asti); 2. Aus einer Perspektive existiert er nicht (sya¯n na¯sti); 3. Aus einer Perspektive existiert er und aus einer anderen Perspektive existiert er nicht (sya¯d asti sya¯n na¯sti). Diese Aussage, in der die erste und die zweite kombiniert werden, vermeidet einen offensichtlichen Widerspruch dadurch, daß die zwei Teile nicht gleichzeitig gelten. Man könnte diese Aussage folgendermaßen erweitern: aus einer bestimmten Perspektive existiert der Topf (als Topf), und aus einer anderen Perspektive existiert er nicht (als Baum). Diese Aussage kann auch gleichzeitig gelten, wobei eine Person gleichzeitig Mutter und Tochter oder Vater und Sohn sein kann. 4. Aus einer Perspektive ist er unbeschreibbar (sya¯d avaktavyam); 5. Aus einer Perspektive existiert er und ist unbeschreibbar (sya¯d asti ca¯vaktavyam); 6. Aus einer Perspektive existiert er nicht und ist unbeschreibbar (sya¯n na¯sti ca¯vaktavyam); 7. Aus einer Perspektive existiert er und existiert nicht und ist unbeschreibbar (sya¯d asti ca na¯sti ca¯vaktavyam). Diese siebenstufige Prädikationslogik bestreitet nicht die Gültigkeit philosophischer Aussagen, sondern nur ihre Bedingtheit. Das Anliegen der modernen mehrwertigen Logik ist eher dieser Jaina-Logik gemäß. Ohne einem grundlosen Relativismus das Wort zu reden, weist die Jaina-Logik den absolutistischen Anspruch auf den Besitz der Wahrheit zurück. Nicht so sehr die Absolutheit der Wahrheit wird in Abrede gestellt, sondern nur ihre exklusive Inanspruchnahme durch die Menschen. Ferner hilft diese Jaina-Logik einer offenen toleranten Hermeneutik des Lesens und Lesen-Lassens, des Interpretierens und aneka¯ntava¯da
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anuma¯na
Interpretieren-Lassens, des Glaubens und Glauben-Lassens. Auch die Idee einer singulären Letztbegründung wird zurückgewiesen.
anirvacanı¯ya Nicht aussprechbar, begrifflich nicht faßbar Fast alle indischen philosophischen Schulen, mögen sie sich in vielen anderen Punkten noch so sehr voneinander unterscheiden, sind in einem Punkte einig, daß die letzte Wirklichkeit jenseits der reinen Begrifflichkeit und Sprachlichkeit liegt. Nicht die Notwendigkeit der Sprache und des logischen Denkens wird bestritten, sondern hauptsächlich ihre Unzulänglichkeit betont, d. h., die Sprache weist auf das hin, was sie selbst nicht ist.
anuma¯na Folgerung, Schlußfolgerung, Inferenz, Syllogismus Dieser Begriff bezeichnet ein Erkenntnismittel, und zwar die Hauptform von mittelbarer Erkenntnis, die zwischen den Sinnesorganen und dem zu erkennenden Gegenstand stattfindet. Während die Wahrnehmung unmittelbar ist und eine direkte Erkenntnis von Gegenständen mit sich bringt, wie »Das ist ein Topf«, ist die Schlußfolgerung mittelbar, wie z. B. in dem indirekt erreichten Schluß auf die Existenz von Feuer aufgrund der direkten und unmittelbaren Wahrnehmung von Rauch, der als Zeichen bekannt ist, das immer mit Feuer in Verbindung gebracht wird. So ist die Schlußfolgerung nicht nur von der Wahrnehmung abhängig, sondern sie ist im indischen Kontext immer mit einer Umfassung oder Verallgemeinerung (vya¯pti) eng verbunden. Die technische Definition von Verallgemeinerung ist: die Koexistenz des Hauptterminus (Feuer) mit dem Mittelterminus (Rauch) in allen Fällen, in denen der Mittelterminus vorhanden ist. In dem Beispiel: »Feuer ist auf dem Berg, weil dort Rauch ist – und wo Rauch ist, ist auch Feuer«, ist letzteres die Verallgemeinerung. Das Feuer heißt der »unveränderliche Gefährte« (vya¯paka) und der Rauch heißt »unveränderlich damit verbunden« (vya¯pya). Die beiden Termini dieses Beispiels gleichen sich allerdings nicht bezüglich ihres Umfangs, das heißt, sie können in ihrer Anwendung hier nicht ausgetauscht werden, da Rauch immer auf Feuer hinweist, eine rote glühende Eisenkugel jedoch ein Beispiel für Feuer ohne Rauch wäre. Es gibt allerdings Fälle in denen sie ausgetauscht werden können, z. B.: Wo immer Rauch ist, ist Feuer, das mit feuchtem Brennstoff geschürt ist. 39 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
anuma¯na
Die *Nya¯ya-Ansicht, daß Verallgemeinerung eine universale Regel sei, die für den Menschen zur Erlangung von Erkenntnis eine wichtige Funktion hat, wird allerdings von den indischen Materialisten (*Ca¯rva¯kas) nicht anerkannt. Diese sind gegen Verallgemeinerung, da nicht jeder Fall geprüft werden kann. Für die *Advaita-Schule würde eine einzige Beobachtung der Verbindung vom Feuer und Rauch, oder sogar eine innere Beobachtung im Akt der Versenkung, genügen, um eine Verallgemeinerung (vya¯pti) zu ermöglichen, doch nur dann, wenn keine Ausnahme bekannt ist. Die Schlußfolgerung ist kein bloßes Wiederaufleben von Eindrükken. Sie braucht dazu noch das Wissen um die Beziehung zwischen der vergangenen Erfahrung und dem gegenwärtigen Fall. Dieser psychologische Akt wird para¯mars´a genannt, d. h. sich-etwas-Vergegenwärtigen, und ist in der indischen Schlußfolgerung unerläßlich. Erinnerung allein genügt nicht zur Ausführung einer Folgerung. Eine Schlußfolgerung kann zweierlei Art sein; eine, die für einen selbst angewendet wird (sva¯rtha¯numa¯na), und eine, um anderen etwas zu beweisen (para¯rtha¯numa¯na). Für die Advaita-Schule ist es der Schluß, der einem als erster einfällt, und dann erst müssen die Prämissen gefunden werden, die den Schluß rechtfertigen. Diese sind in den fünf Stufen des indischen Syllogismus angeordnet. Für die Advaita-Schule findet eine Folgerung statt entweder im Fall eines Zweifels oder wenigstens im Fall von fehlendem Wissen bezüglich dessen, worauf geschlossen wird. Für die Nya¯ya-Schule findet sie so unwillkürlich wie eine plötzliche Wahrnehmung statt. Die fünf Glieder (avayava) der indischen Schlußfolgerung sind: 1. die Behauptung (pratijña¯), z. B.: auf dem Berg ist Feuer; 2. die Begründung (hetu), z. B.: weil dort Rauch ist; 3. das Beispiel (drsta¯nta) oder der Beleg (uda¯harana) zu˙˙˙ ˙ gibt, sammen mit der Verallgemeinerung, z. B.: wo immer es Rauch gibt es auch Feuer, so wie in der Küche – der Beleg kann auch negativ sein, z. B.: dort, wo kein Feuer ist, ist auch kein Rauch, wie in einem See; 4. die Anwendung (upanaya), in dem man sagt: »es verhält sich so oder nicht so« (d. h. auch dort gibt es / gibt es nicht Rauch); 5. der Schluß oder die Folgerung (nigamana), was eine Wiederholung der Behauptung ist, unter Hinweis auf die Begründung (deshalb ist dort Feuer / kein Feuer). Die Argumentationslogik, die der Theorie des indischen Syllogismus zugrunde liegt, besitzt grundsätzliche Gemeinsamkeiten und erhellende Differenzen zur westlichen Logik. Logik ist erstens eine Lehre 40 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
a¯nvı¯ksikı¯ ˙
des Schließens, zweitens der theoretischen Untersuchung und drittens der Begründung dieses Schließens. Das Gemeinsame ist, daß für die Schlußfolgerungen Argumente gegeben werden sollen und müssen. Diese Argumentationsmuster können jedoch unterschiedlich sein. Der fünfgliedrige indische Syllogismus mag im Gegensatz zu dem dreigliedrigen Aristotelischen unnötig lang, logisch ein wenig schwerfällig und nicht formal genug sein, aber er besitzt didaktisch-pädagogisch große Vorteile. Das psychologisch-empirische Element bleibt in der indischen Logik erhalten, auch wenn es möglich ist, die indische Logik zu formalisieren. Es mag sein, daß die indischen Logiker der Kategorie der reinen formalen Gültigkeit gegenüber zurückhaltender sind als die Logiker der westlichen Philosophie. Eine strenge Trennung zwischen Logik auf der einen Seite und Psychologie und Erkenntnistheorie auf der anderen vollzieht die indische Logik im Gegensatz zur europäischen jedoch kaum. Siehe auch pra¯ma¯nyava¯da, hetva¯bha¯sa. ˙ a¯nvı¯ksikı¯ Nachprüfen, Forschen, Philosophie ˙ Das ursprüngliche Wort für wissenschaftliche, analysierende und systematisierende Philosophie. Zunächst wurde es mit a¯tmavidya¯ oder *adhya¯tmavidya¯ gleichgesetzt, die Wissenschaft des *a¯tman oder des Selbst. Mit dem Denker Kautalya (am Anfang unserer Zeitrechnung) ˙ gewinnt der Begriff eine differenziertere Bedeutung: während a¯tmavidya¯ eine Aufstellung dogmatischer Behauptungen über den a¯tman oder das Selbst beinhaltet, stellt a¯nvı¯ksikı¯ ihrerseits die Gründe für ˙ die Entwicklung dieser Wisdie Aussage dar. Der nächste Schritt, der senschaft ein wenig später zeigt, macht eine weitere Unterscheidung: a¯tmavidya¯ entwickelte sich als *dars´ana und a¯nvı¯ksikı¯ als *tarka oder ˙ für »sehen«, und tarkavidya¯. Das Wort dars´ana entstammt der Wurzel als Substantiv bedeutet es Ansicht, Anschauungsweise, Lehre (*s´a¯¯ tmastra), und als a¯tmavidya¯ bedeutet dars´ana die Wissenschaft des A Erkennens. A¯nvı¯ksikı¯ wurde als tarkavidya¯ gebraucht, nämlich als die Wissenschaft oder˙ Kunst der Argumentation, der Logik und der Debatte, insofern sie die Regeln aufstellte, die für die Disputationen in der Gesellschaft der Gelehrten verwendet werden sollten (siehe S. 27). Die sechs orthodoxen Schulen sind alle dars´anas oder a¯tmavidya¯s. Eine einzige Schule, die Nya¯ya-Schule, ist auch als tarkavidya¯ oder tarka-
41 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
a¯nvı¯ksikı¯ ˙
s´a¯stra bekannt. Das Wort dars´ana im Sinne von Ansicht oder Lehre wird auch für die Schulen des Jainismus und Buddhismus verwendet. Es war Kautalya, der a¯nvı¯ksikı¯ als die Lampe aller Wissenschaften, ˙ als das Werkzeug˙ aller Handlungen und als das Fundament aller *dharmas bezeichnete. Worauf es hier ankommt, ist die Feststellung, daß die indischen Philosophen qua Philosophen – allen voran die Denker der Nya¯ya-Schule – a¯nvı¯ksikı¯ als eine fundierende Grundlagenwissen˙ schaft begriffen und praktiziert haben. Die Wissenschaft von a¯nvı¯ksikı¯ ˙ unterscheidet sich von der Philosophie als adhya¯tmavidya¯ durch ihre kritische Reflexion. Der Denker Manu spricht sogar von einer a¯nvı¯ksikı¯-a¯tmavidya¯, d. h. von einer kritischen Reflexion über das ei˙ gentliche Selbst (a¯tman). Die philosophische Tätigkeit der kritischen Analyse und Reflexion setzt dort ein, wo es bereits weltanschauliche Systeme gibt. So entspricht a¯nvı¯ksikı¯ in etwa dem zweiten veda¯nti˙ schen Schritt des manana (Nachdenken, Überlegen), der dem ersten Schritt des s´ravana (des Hörens) folgt. Selbst die unterschiedlichen ˙ dars´anas als weltanschauliche Systeme begreifen sich als Ergebnisse kritischer Analyse und Reflexion (siehe auch S. 28).
apoha Negation, das Ausschließen, Absonderung vom anderen Der Begriff ist bekannt aus dem apohava¯da oder anya¯pohava¯da, der Theorie des Ausschließens, vertreten hauptsächlich durch die nominalistischen Buddhisten Digna¯ga (oder Din˙na¯ga, ca. 480–560 n. Chr.) und Dharmakı¯rti (ca. 600–660 n. Chr.). Ein Wort begreift kein Ding gänzlich, weder als Universalie noch als Partikular. Es ist auch nichts Festumrissenes, sondern grenzt sich in einem Prozeß der Absonderung gegen das jeweils nicht ausgedrückte ab. So bedeutet das Wort »Kuh« nur, daß das Objekt keine ›Nicht-Kuh‹ ist. Diese Apoha-Lehre unterstützt auch die buddhistische Ansicht, daß die Dinge keine Eigennatur haben, daß sie leer sind. So werden Begriffe durch Ausschließen definiert, indem gesagt wird, was ein Ding nicht ist, und nicht, was es ist. Diese Lehre ist der des Nominalismus in der europäischen Philosophie ähnlich.
arhat der Edle Buddhisten und Jainas nennen Menschen, die die Erleuchtung erlangt haben, Arhats. Sie haben die Wirklichkeit erkannt und vermögen sie zu 42 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
a¯tman
lehren. Sie verkörpern die Reinheit. Im Jainismus ist das Wort auch ein Synonym für *Tı¯rthamkara und *Jina. Ein Arhat hat nach buddhisti˙ die Vergänglichkeit und Unpersönlichkeit alschem Selbstverständnis len Daseins erkannt und realisiert.
artha Bedeutung, Gegenstand Als eines der vier Ziele des Menschen: materielles Wohlergehen. Siehe purusa¯rtha. ˙ a¯s´rama Lebensstadium, religiöse Stätte, eine holistische Einteilung Der Hinduismus nennt vier Stadien des idealen religiösen Lebens des orthodoxen Brahmanen: das Stadium des Schülers, in dem er den Veda und die rechte Lebensführung lernt und Keuschheit übt (brahmacarya); das Stadium des Hausvaters (grhastha), in dem das Familien˙ und Berufsleben vorschriftsmäßig gepflegt wird; das Einsiedler- oder Waldleben (vanaprastha), in dem er sich von den gesellschaftlichen Pflichten zurückzieht und in den ersten Stufen der Askese noch ein Hausfeuer unterhält; das Stadium des Weltentsagens (sannya¯sa), in dem er auf steter Wanderschaft ohne jegliche Bindung an die Welt die endgültige Befreiung anstrebt. Als eine religiös motivierte, aber ethisch-moralisch bedeutsame Einteilung des Lebens in und außerhalb der Gesellschaft schreibt die a¯s´rama-Lehre jedem Stadium entsprechende Pflichten zu.
a¯tman Hauch, Seele, Selbst, das eigentliche Wesen des Menschen Insofern alle Schulen der indischen Philosophie, mit Ausnahme der *Ca¯rva¯ka-Schule, die endgültige Befreiung des Menschen als Ziel haben, geht es hier um Selbsterkenntnis, die Erkenntnis des a¯tman. Manche Schulen sehen den Begriff als ein Synonym für *purusa oder *jı¯va. ˙ Die meisten buddhistischen Schulen erkennen keinen Wesenskern des Menschen an (an-a¯tma-va¯da). Das große Thema der Upanisaden und der Veda¯nta-Schulen ist das Verhältnis zwischen a¯tman und ˙brahman, die miteinander wesentlich verbunden sind bis hin zur Unzweiheit der beiden in der Lehre von S´an˙kara. Die großen Worte tat tvam asi (»das bist du«) und aham brahma¯smi (»ich bin brahman«) deuten auf eine solche Einheit hin. 43 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
avidya¯
avidya¯ Unwissen, Unwissenheit, auch ein Synonym für *ma¯ya¯ Avidya¯ liegt allen Verblendungen des Menschen zugrunde, weil sie nicht nur Unwissenheit darstellt, sondern darüber hinaus die Menschen verführt, das Falsche für wahr zu halten.
bhakti Hingabe, Ergebenheit, Liebe Der Weg zur Befreiung kann auch der Weg der Hingabe und Liebe zu Gott sein (bhakti-ma¯rga oder bhakti-yoga). Bhakti ist die liebende Versenkung in das Wesen Gottes. Siehe jña¯na.
Verschiedenheit-in-NichtVerschiedenheit Eine Theorie der *Veda¯nta-Philosophie, um das Verhältnis von *atman und *brahman zu charakterisieren. Insofern die Seelen göttlichen Wesens sind, sind sie vom Absoluten nicht verschieden; insofern sie Individualwesen sind, sind sie verschieden. Die Lehre Plotins von dem Aufstieg der menschlichen Seele zu Gott weist gewisse Ähnlichkeit mit dieser veda¯ntischen Lehre auf. Siehe auch veda¯nta. bheda-abheda (bheda¯bheda)
bodhisattva einer, dessen Wesen vollkommene Erkenntnis ist Im *Hı¯naya¯na-Buddhismus bezeichnet Bodhisattva den historischen Buddha vor seiner Erleuchtung und allgemein einen Anwärter der Buddhaschaft. Im *Maha¯ya¯na-Buddhismus bezeichnet bodhisattva die erleuchteten Wesen, die aus Mitleid mit den Mitmenschen die Erlangung von *nirva¯na aufschieben, um noch weiter in der Welt zu wirken ˙ und die Lehre Buddhas weiter zu verkünden.
Andacht, Priester, Brahmane, Schöpfer der Welt, Schöpfer-Gott des indischen Pantheons, das eine immanenttranszendente wahre Sein 1. Brahman bezeichnet die als Drang und Fülle des Gemüts auftretende und den Göttern zustrebende Andacht, d. h. überhaupt jede fromme brahman
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Ca¯rva¯ka
Äußerung in einer rituellen Handlung. Im übertragenen Sinne ist brahman ein heiliger Spruch, auch ein Zauberspruch. 2. Ein Beter oder Andächtiger und dann Beter von Beruf, d. h. Priester, Brahmane, ein Kenner der heiligen Sprüche; auch der Hauptpriester, der die Leitung des Opfers innehat und die vier *Veden kennen soll. 3. Eine philosophische Bedeutung hat brahman als Neutrum in den Upanisaden als die alles durchdringende, absolute Essenz der Welt, ˙ das eigentliche Wesen der Welt, das mit dem Selbst (*a¯tman), dem eigentlichen Wesen des Menschen, gleichgesetzt wird. Die Natur oder die Form (*ru¯pa) des brahman ist dem Veda¯nta zufolge saccida¯nanda: (*sat), Bewußtsein (*cit) and Wonne (*a¯nanda). 4. Der Grammatiker und Sprachphilosoph Bharatrhari (ca. 6. Jh. ˙ n. Chr.) vertritt in seinem Werk Va¯kyapadı¯ya, über ›Wort und Satz‹, eine metaphysische Theorie der Sprache, die das ewige Wort (s´abda) als absolute Realität festsetzt und mit dem brahman identifiziert. Das ewige einheitliche Wortprinzip (s´abda-brahman) entfaltet sich mittels seiner ihm innewohnenden Kräfte (s´akti) zur Welt und zum Bewußtsein. Das Wort ist ewig, ist das brahman, ist der Veda. Eine solche Logosdeutung weist gewisse Ähnlichkeiten mit der Lehre von Heraklit und der Stoiker auf, weil auch dort der Logos mit einer unpersönlichen und allem zugrundeliegenden Weltvernunft identifiziert wird. Siehe auch veda.
brahmacarya Lebensstadium Lebensstadium der Brahmanen-Schülerschaft, in dem der Veda gelernt und Keuschheit und Askese geübt werden. Siehe auch a¯s´rama.
caitanya Bewußtheit, Geistigkeit Siehe cit.
Ca¯rva¯ka Materialist, die materialistische Schule Der indische Materialismus ist unter vier Namen bekannt: 1. Die allgemeine Bezeichnung ist Na¯stika-Dars´ana. Darunter versteht man die Ansichten derer, die den *Veda nicht als autoritative Offenbarung an45 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
Ca¯rva¯ka
erkennen. Man zählte dazu nicht nur die Materialisten, sondern auch die Buddhisten und die Jainas. Mit Bezug auf einen Materialisten bedeutet na¯stika »Leugner«, da er die Ansicht vertritt, daß es ein Fortleben nach dem Tod, Vergeltung für gute und böse Taten und moralische Forderungen nicht (na) gibt (asti). 2. Ba¯rhaspatya- und 3. Ca¯rva¯ka-dars´ana beziehen sich auf die mutmaßlichen Gründer der Schule, den mythischen Seher Brhaspati und Ca¯rva¯ka, über den nichts bekannt ist. 4. Der Materialismus˙ wird auch oft Loka¯yata genannt, das ist die Lehre, welche sich nur auf diese Welt (loka) bezieht. Kein originales *su¯tra-Werk der Schule ist erhalten. Aber da es für die anderen Systeme offenbar wichtig war, sich mit den Ca¯rva¯kas auseinanderzusetzen, um sich gegen ihren Positivismus zu profilieren, finden wir Lehrsätze der Materialisten in den gegnerischen Schriften zitiert. Damit sind die Quellen für dieses System hauptsächlich die Schriften ihrer Gegner. Die Thesen und Argumente sind daher möglicherweise verzerrt dargestellt. Das früheste erhaltene Werk der Ca¯rva¯ka-Schule ist der Tattvopaplavasimha, »der Löwe, der die Grundwahrheiten (der anderen Schu˙ len) zerstört«, von Jayara¯s´i (ca. frühes 9. Jh.). Die vier philosophischen Säulen der Schule sind: 1. es gibt nur ein verläßliches Erkenntnismittel, die Wahrnehmung; 2. die Welt besteht nur aus vier Elementen, Erde, Wasser, Feuer und Luft; 3. die Existenz einer Seele (*a¯tman) wird verneint, oder wenn man behaupten will, daß sie existiert, dann ist sie nicht vom Körper getrennt; es gibt auch kein Jenseits und keine Vergeltung der guten und bösen Werke; 4. das Bewußtsein ist lediglich ein Zustand der Mischung der vier Elemente, es entsteht geradeso wie die berauschende Kraft durch eine bestimmte Mischung von Mehl, Wasser und Molasse. Bewußtsein ist ein Epiphänomen. Diese Schule besitzt eine gewisse Ähnlichkeit mit der epikureischen Schule, denn in beiden Lehren geht es um die Verminderung des Leides und um die Vermehrung der Freude. Die Ca¯rva¯ka-Lehre wurde von den anderen indischen Schulen zum Zwecke der Widerlegung herangezogen so wie die Lehre der Sophisten von Platon. Manche Ansichten dieser Lehre wandten sich direkt gegen das konservative Brahmanentum, wie z. B. die Kritik an der Opferhandlung und dem Kastenwesen.
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dars´ana
cit reine Geistigkeit, reiner Geist, Bewußtsein Eine Substanz mit der Natur des Bewußtseins ist von einer Substanz, die rein materiell ist und kein Bewußtsein besitzt (*acit), zu unterscheiden (siehe auch S. 22–25). Cit und das von ihm hergeleitete Wort caitanya bezeichnen die Natur des *a¯tmans, als das Prinzip des Lebendigen im Menschen. Durch die cit-Natur ist der Mensch als ein mit Denken, Fühlen und Wollen begabtes Wesen. Ohne dieses Prinzip wäre der Mensch eine Leiche, eine reine materielle Substanz ohne Bewußtsein (acit). Das Bewußtsein ist (z. B. in der Sa¯mkhya- und Veda¯nta˙ über Wahrheit und Schule) neutral und entscheidet von sich aus nicht Falschheit, denn es umfaßt die Feststellung beider Urteile. Für das Bewußtsein gibt es die Metapher des Lichts, das selbstleuchtend (svayampraka¯s´a) ist. Es existieren Parallelen zur Licht-Metaphysik in der europäischen Philosophie. Siehe auch brahman.
citta Denken, Vorstellen, Gedanken, Psyche In der *Yoga-Philosophie ist dieser Begriff ein Teil der Definition des Yoga, wo es heißt: »Yoga ist das Anhalten der Bewegungen der Psyche« (yogas´ citta-vrtti-nirodhah, Yogasu¯tra 1, 2). Die Psyche (citta) geht ˙ hervor. Sie ist das Medium, wodurch das ˙ aus der Urmaterie (prakrti) ˙ geistige Bewußtseins-Prinzip sich manifestiert und die Funktionen des materiellen Körpers ermöglicht. Weil die Psyche aus der Materie entsteht und weil die Materie Kraft oder Energie besitzt, ist die schwierige Aufgabe, die Psyche zur Ruhe zu bringen, nur durch die Yoga-Disziplin möglich. Siehe auch yoga.
dars´ana Ansicht, Lehre, System, Weltanschauung, Philosophie Meist mit ›Philosophie‹ übersetzt, wird z. B. Yoga-Dars´ana, Nya¯yaDars´ana als *Yoga-Philosophie, *Nya¯ya-Philosophie bezeichnet. Siehe a¯nvı¯ksikı¯ für die Entwicklung dieses Begriffes. Dars´ana steht auch für ˙ Wahrnehmung, wobei unter Wahrnehmung eigentlich eine systematische Anschauung verstanden wird. Es geht in den unterschiedlichen dars´anas der indischen Philosophie erstens um die Suche nach der einen grundlegenden Wahrheit und zweitens um die unterschiedlichen Perspektiven und Standpunkte, von denen diese gesehen, erklärt und 47 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
dars´ana
begründet wird. Die Parabel von den zehn Blinden und dem Elefanten bietet sich als eine Verstehenshilfe an. In dieser Parabel berühren fünf Blinde einen Elefanten, wobei jeder den Teil, den er berührt, für das Ganze hält. Die Ohren werden als Fächer wahrgenommen, und so stellt man sich den Elefanten als Fächer vor. Ähnlich nimmt einer das Bein als Baum, den Schwanz als Schlange etc. wahr. Ein dars´ana kann sowohl eine allumfassende Lehre darstellen, deren Reichweite sich von der Erklärung physikalischer Phänomene bis zu der mystischen Erfahrung erstreckt, aber auch in einem engeren Sinne ein gedankliches System zur Erklärung der wahren Natur der Dinge bedeuten.
Sitte, Recht, Pflicht, Natur, Eigenschaft, Gesetz, Ordnung, Religion Der vieldeutige Begriff dharma wird von der Sanskrit-Wurzel dhr, ˙ »halten, tragen, festhalten«, hergeleitet. Im Hinduismus bezieht sich dharma seit den frühen Upanisaden auf Verhaltensnormen in Moral, ˙ Sitte und Recht und wird im modernen Sprachgebrauch meist als Religion wiedergegeben. Für die orthodoxen Hindus bedeutet dharma die Pflicht oder Ordnung der einzelnen Kasten (ja¯ti) und das jeweilige Lebensstadium (*a¯s´rama) der betreffenden Person. Im Buddhismus wird dharma unterschiedlich gebraucht; es können damit Gesetze gemeint sein, denen das Seiende unterworfen ist (z. B. das Gesetz des Entstehens in Abhängigkeit); dharma kann auch die buddhistische Lehre bedeuten (Buddha hat mit seiner ersten Predigt das Rad des dharma in Bewegung gesetzt). Ferner sind die dharmas im Buddhismus die Daseinselemente, die Gegebenheiten, deren Eigenschaften und Zustände durch Unbeständigkeit gekennzeichnet sind. In einem anderen Kontext im Buddhismus heißen alle Phänomene dharma, wie auch ihre Eigenschaften und Charakteristiken. So soll Buddha über die Vergänglichkeit der Persönlichkeitsbestandteile (*skandha) gelehrt haben: »Altwerden ist das dharma aller zusammengesetzten Dinge«. In der Hindu-Philosophie ist die Dharma-Lehre der Inbegriff aller menschlichen Rechte und Pflichten in einer idealiter vorgestellten Gesellschaft. Dharma ist das, was die moralischen Handlungen zusammenhält und sie trägt. Ferner ist dharma die der ganzen großen kosmischen Natur zugrundeliegende Gesetzmäßigkeit, vergleichbar mit dem *rtaGedanken des Veda und dem Tao des Taoismus. Dharma ist auch˙ die innere, eigenste Natur der Dinge sowie der Menschen, allerdings nicht dharma
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drsti ˙ ˙˙
im Sinne einer von außen auferlegten Pflicht, sondern als Ergebnis einer Einsicht, einer Gesinnung.
dhya¯na Meditation, Nachsinnen, Vertiefung Siehe yoga.
digambara
»Luft-gekleidet«, nackt, eine Gruppe im Jainismus
dravya/guna/parya¯ya Substanz, Qualität, Modus ˙ der indischen Philosophie anerkennt eine bestimmte AnJede Schule zahl von Substanzen (dravya), die als ontologische Prinzipien gelten. So z. B. anerkennt der Jainismus nur zwei Substanzen (*jı¯va und *ajı¯va) und die *Vais´esika-Schule neun (Erde, Wasser, Feuer, Luft, Äther, Zeit, Raum, Seele,˙ Denkorgan). Wenn es darum geht, eine Substanz in einem bestimmten Moment ihrer Existenz philosophisch zu diskutieren, werden die Begriffe Qualität (guna) und Modus (parya¯ya) ˙ Erkenntnistheorie, inverwendet. Die Diskussion bezieht sich auf die sofern es um die Natur der Objekte geht, die erkannt werden können. Diese differenzierenden Begriffe wurden von der Nya¯ya-Vais´esika ˙ Schule aufgestellt. Der Jainismus schreibt einer Substanz bestimmte Qualitäten zu, die ihr ermöglichen, in einem bestimmten Moment einen bestimmten Modus oder eine bestimmte Form zu erhalten, ähnlich wie die Substanz Erde ein Topf werden kann, weil sie die Qualität besitzt, so geformt zu werden, ohne daß ihre Substanz verlorengeht. Daher ist für den Jainismus eine Substanz ohne Qualitäten und Modi undenkbar. Für guna siehe auch sa¯mkhya. ˙ ˙ drsti Sehen, Ansicht, Anschauung, Einsicht, Standpunkt, Theorie ˙ ˙˙ wird unter diesem Terminus eine Lehre verstanden, die zu spekuOft lativ, einseitig und exklusivistisch ist. Daher wird, hauptsächlich in der Lehre Buddhas, unter drsti-va¯da eine verkehrte, falsche Ansicht ver˙˙ standen. Eine verkehrte ˙Ansicht verwirft die buddhistische Lehre, weil sie zur verkehrten Gesinnung führt, was wiederum zu falschen Handlungen führt. Zu solchen verkehrten Ansichten zählt der Buddhismus 49 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
drsti ˙ ˙˙
die Lehre von einem Ich (a¯tman), die Lehre von der Ursachenlosigkeit des Daseins und die Lehre von der Wirkungslosigkeit der Taten. In dem starren Festhalten an einer Ansicht sieht der Buddhismus ein Grundübel. Das Ziel ist das Aufgeben aller Ansichten, weil diese nur Begrenzungen darstellen. Das Aufgeben der exklusivistischen Ansicht führt auch zur Streitlosigkeit. Wer verkehrte Ansichten aufgibt, wobei zur verkehrten Ansicht gehört, daß man den absolutistischen Anspruch auf den alleinigen Besitz der Wahrheit erhebt, trägt zur Kultur eines philosophischen Diskurses bei. Der Jainismus hat diese Haltung in seinem *aneka¯ntava¯da, der Theorie der Mannigfaltigkeit, systematisch entwickelt.
duhkha Leid, Frustration, Pein, Schmerz ˙ alles Leiden ist (sarvam duhkham), ist die Grundthese des Daß ˙ Buddhismus, gilt aber auch als˙ Grundsatz für den Jainismus und den Hinduismus. Diese Annahme ist ein Grundzug der Entwicklung des Asketentums in Indien und steht als Weltanschauung im Gegensatz zu der Weltanschauung des Vedischen. Die Pflicht des Menschen besteht nicht mehr in der Darbringung des Rituals, um im Himmel die Früchte der Opferhandlung in Form eines verklärten Daseins zu genießen, sondern um eine endgültige Befreiung vom Karma (*karman) zu erreichen, das einen unendlichen Kreislauf von Existenzen verursacht. Die Askese wird als Mittel angesehen, das diese Befreiung ermöglicht. Alle drei einheimischen Strömungen des Buddhismus, Hinduismus und Jainismus entwickelten ihre eigene Art der Askese, um dieses Leid zu überwinden. Der Grundsatz vom Leid gibt dem Streben nach Befreiung Sinn und Bedeutung. Im Buddhismus kann man drei Arten von Leidhaftigkeit unterscheiden. Erstens das körperlich oder geistig empfundene Leid, zweitens das durch das ständige Entstehen und Vergehen aller Dinge verursachte Leid und drittens das Leid, das entsteht, weil alle angenehmen Gefühle der Vergänglichkeit anheimfallen. Das Mittel gegen das Leid ist der mittlere Weg, genannt der edle achtfache Pfad (siehe *therava¯da). In der *Sa¯mkhya-Schule ist das »dreifache Leid« ˙ das Leid, das durch äußere Schwierigkeiten entsteht (a¯dhibhautika), z. B. durch Sonne, Wind, Tiere und Menschen (die Mittel dagegen sind z. B. Medizin, Diplomatie und Religion), das innere Leid (a¯dhya¯tmika), nämlich körperliches und psychisches Leid (die Mittel dagegen sind Essen, Trinken, Gewänder und Parfums), und schließlich das Leid, das 50 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
hetva¯bha¯sa
übernatürliche Ursachen hat (a¯dhidaivika), z. B. durch Gespenster (die Mittel dagegen sind Beschwörungen und Zauberformeln). Das Mittel, um das Leiden über die Unwissenheit bezüglich der Wirklichkeit bzw. des Selbst zu überwinden, ist für Sa¯mkhya und Yoga ist die Philosophie. ˙ daß der grundsätzliche UnterEs ist das Wissen, das darin besteht, schied erkannt wird zwischen dem Wesen des eigentlichen Selbst (*purusa) einerseits und der Produkte der Urmaterie (prakrti) andererseits. ˙ Siehe auch karman. ˙
dvaita Zweiheit Eine Schule des *Veda¯nta vertritt gegenüber der monistischen (*advaita) Richtung die Position der uneingeschränkten Verschiedenheit von Gott einerseits und der Einzelseelen und der Welt andererseits (Madhva). Es handelt sich um das Verhältnis oder die Beziehung zwischen *a¯tman und *brahman. Siehe Veda¯nta für die verschiedenen Bedeutungen. Siehe auch bheda-abheda.
grhastha Lebensstadium des Hausvaters ˙ Siehe a¯s´rama.
guna Qualität, Komponente ˙ samkhya und dravya/guna/paryaya. Siehe ¯ ¯ ˙ ˙ hetu Grund, Begründung Ein wichtiges Glied der Beweisführung. Siehe anuma¯na.
hetva¯bha¯sa Scheingrund, Scheinbeweis, ungültige Schlußfolgerung Ein technischer Begriff für falsche Gründe in einer Schlußfolgerung (hetu + a¯bha¯sa). Die fünf Hauptarten solcher Scheingründe, die die *Nya¯ya-Schule angibt, sind: der fehlgehende (savyabhica¯ra) Scheingrund, der widersprechende (viruddha) Scheingrund, der themagleiche (prakaranasama) Scheingrund, der dem zu Beweisenden (sa¯dhya˙ 51 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
hetva¯bha¯sa
sama) gleiche Scheingrund, der zeitlich nicht zutrefffende (ka¯la¯tı¯ta) Scheingrund. Hetu ist der Grund für eine Schlußfolgerung, und er wird zum Scheingrund, wenn Erkenntnisse vorliegen, die den hetu widersprüchlich erscheinen lassen. Zu sagen, es gibt Feuer im Teich, weil es dort Wasser gibt, stellt eine falsche Schlußfolgerung dar, weil uns bekannt ist, daß Wasser und Feuer nicht zusammengehen. Auch hier zeigt sich, daß das indische logische Denken sich nicht ganz von den empirischen, psychologischen und erkenntnistheoretischen Faktoren trennt, wie es bei reinen formal-logischen Konstruktionen und Setzungen in der westlichen Logik der Fall ist. So kann es Sinn machen, wenn man Logik aus interkultureller Sicht thematisiert und einige unterschiedliche Begründungen in unterschiedlichen philosophischen Kulturen zur Diskussion stellt. Man kann die obige Schlußfolgerung vom Vorhandensein von Feuer im Teich formallogisch als richtig ansehen, wenn man die Prämisse entsprechend konstruiert, d. h., wenn man von der Gültigkeit der Prämisse ausgeht: Überall wo es Wasser gibt, gibt es auch Feuer. Eine interkulturelle philosophische Orientierung versucht einen Mittelweg einzuschlagen zwischen einer bloßen Psychologisierung der Logik und einer Logifizierung der Psychologie. Siehe auch hetu und anuma¯na.
hı¯naya¯na das kleine Fahrzeug des Buddhismus Siehe therava¯da.
jada starr, leblos ˙ Dieser Begriff bezeichnet die Materie oder etwas ohne Bewußtsein. Wird oft als gegensätzlich zur Natur des *a¯tman genannt.
Redewettkampf, zielt darauf hin, eine Debatte zu gewinnen und den eigenen Standpunkt durchzusetzen. Siehe auch va¯da und vitanda¯. ˙˙ jalpa
ja¯ti Gattung, Kaste In der *Nya¯ya-Schule: die 24 falschen Einwände. Sie beziehen sich auf die Aufstellung falscher Analogien, um ein Argument zu bestreiten. 52 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
kala¯
jina Sieger, Bezwinger, Überwinder Jina bedeutet, den Sieg über die Leidenschaften erlangt zu haben. Sowohl Buddha wie auch die 24 großen Verkünder der Jaina-Lehre werden Jina genannt. Im Jainismus ist Jina ein Synonym für *tı¯rthamkara. ˙ Die letzten beiden Jinas dieses Weltzyklus sind Pa¯rs´va und Vardhama ¯na-Maha¯vı¯ra. Maha¯vı¯ra, der etwa 250 Jahre nach Pa¯rs´va lebte, war ein älterer Zeitgenosse Buddhas.
jı¯va/ajı¯va Seele/Nicht-Seele, das Lebendige/das Leblose Dies sind die beiden ontologischen Kategorien des Jainismus. Sie sind entgegengesetzte Prinzipien: das eine ist das belebende Prinzip und entspricht dem a¯tman oder dem purusa, das andere entspricht allem, was ungeistig oder bewußtseinslos ist.˙ Das letztere wird unterteilt in Materie (pudgala) und die Kategorien, die für Regung (dharma) und Regungslosigkeit (adharma) verantwortlich sind, ferner Raum (a¯ka¯s´a) und Zeit (ka¯la). Die Jaina-Unterscheidung zwischen jı¯va und ajı¯va ist vergleichbar mit der Sa¯mkhya-Unterscheidung zwischen *purusa und ˙ ˙ *prakrti. ˙ jña¯na Wissen, Gnosis Die Erlangung von Wissen über die Wirklichkeit ist das Ziel aller philosophischen Richtungen des indischen Denkens. Was die Wirklichkeit ist, die erkannt werden soll, wird je nach den jeweiligen ontologischen und metaphysischen Annahmen der verschiedenen Schulen verschieden beschrieben. Es geht darum, die Unwissenheit zu überwinden, denn Unwissenheit bedeutet Leid. In diesem Sinne ist jede philosophische Schule, die das Wissen um die Wirklichkeit als den Weg zur Befreiung von der Unwissenheit bezeichnet, auch jña¯na-yoga oder jña¯na-ma¯rga (der Weg des jña¯na). Dieser Weg gilt auch als der ›Königsweg‹, ra¯ja-yoga. Der erkenntnistheoretische Weg dient nicht nur einer theoretischen Klarheit, sondern ebnet den Weg zur Befreiung.
kala¯ Partikel, Teilchen Ein wichtiger Begriff des S´ivaismus. Kala¯ bezieht sich auf die Elemente der materiellen Welt. Sa-kala¯ bedeutet das, was Komponenten oder Teile besitzt, und damit: ›beeinflußt durch die Elemente der materiellen 53 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
kala¯
Welt‹. Ein sakala-*pas´u ist ein durch die Welterfahrung gebundenes Wesen, nämlich der Mensch, einer der mit kala¯ versehen ist. Siehe auch pati/pas´u/pa¯s´a.
ka¯la Zeit Die Vorstellung von Zeit in der indischen Philosophie beinhaltet zwei Aspekte: einen kosmischen oder mythischen Aspekt wie auch einen historischen. Beide dienen bestimmten Zwecken. Wenn es sich um die Weltzeitalter oder Perioden des Weltzyklus handelt, sind die Zeitangaben unfaßbar und nur durch Metaphern oder Analogien verständlich zu machen. Die Hindus sprechen von vier Perioden oder Weltzeitaltern (yuga), die in Weltzyklen ablaufen: das krta- oder satya- Zeitalter, das 1.728.000 menschliche Jahre dauert, das ˙treta¯-Zeitalter mit 1.296.000 Jahren, das dva¯para-Zeitalter mit 864.000 Jahren und das kali-Zeitalter mit 432.000 Jahren. Zusammen bilden diese das große Zeitalter (maha¯yuga) mit 4.320.000 menschlichen Jahren. Der Jainismus faßt die Zeit als ein Rad auf, das mit zwölf Speichen versehen ist: sechs, die absteigen (avasarpin¯ı), und sechs, die aufsteigen (utsarpin¯ı). Jeder Weltzyklus ˙ ein stetiges und unaufhaltsames Absinken ˙ bezeichnet bzw. Verbessern des rechtlichen, sittlichen und intellektuellen Niveaus des Weltgeschehens; dies ist die Auffassung aller Schulen von der ewigen, periodisch wiederkehrenden Zerstörung und Wiederentstehung der Welt. Zeit und Geschichte spielen im philosophischen Denken der Inder nicht die zentrale Rolle wie im westlichen Denken. Im indischen Denken hat das Sein Priorität vor der Zeit. Auf der metaphysischen Ebene ist die Zeit eine bloße Erscheinung, jedoch nicht auf der empirischen Ebene. Zeit ist eine Kategorie, z. B. in der Nya¯ya-Vais´esika-Schule. ˙ Zeit eher als Das indische philosophische Denken neigt dazu, die zyklisch anzusehen, während das christlich-europäische Denken das lineare Zeitmodell bevorzugt. Im indischen Denken ist die Zeitkalkulation von kosmischen Ausmaßen, so daß weder die nur kreisförmige noch die lineare Zeit zutrifft. Die Natur der Zeit bleibt jedoch zyklisch im Kosmischen. Im riesigen Ausmaß nähert sich der Kreisbogen der Linie, die jedoch Teil des Kreises bleibt.
kalpana¯ mentale Konstruktion, Sich-Vorstellen, Einbilden Siehe vikalpa. 54 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
karman
ka¯ma Genuß, Liebe, sinnliche Freude Siehe purusa¯rtha. ˙ karana Instrument ˙ Im allgemeinen bezeichnet der Begriff ein Mittel, wodurch etwas erlangt oder gemacht wird. Im Bereich der Epistemologie bezeichnet karana die Instrumente einer Erkenntnis, z. B. die Sinnesorgane als In˙ strumente der Wahrnehmung der ihnen entsprechenden Objekte. Siehe auch pra¯ma¯nyava¯da. ˙ ka¯rana Ursache, Grund ˙ a ist etwas, was vor einem Produkt vorhanden ist, so wie upadaKa¯ran ¯ ¯ ˙ na-karan a, die materielle Ursache, oder nimitta-ka¯rana, die causa in˙ ˙ strumentalis bzw. Mittelursache.
karman Tat, Handlung, Wirkung Die Karma- und die damit verbundene Wiedergeburts-Theorie bezieht sich auf Handlungen, die früher oder später ihre Wirkungen zeigen (siehe auch S. 23). Nach einer oft verwendeten Metapher sind die Handlungen (in Tat, Wort und Gedanken) wie Samen, die unter den geeigneten Bedingungen reifen und ihre Früchte tragen, die dann geerntet werden müssen – die geeigneten Bedingungen sind durch die vorherigen Taten determiniert. Diese Theorie wird von allen indischen Schulen, außer den Materialisten, schon früh in der Geschichte der indischen Philosophie anerkannt. Drei Arten von Karma kommen prinzipiell zur Sprache: das in der Vergangenheit angesammelte Vorratskarma (sañcita-karman), das gegenwärtige (pra¯rabdha) Karma und das künftige (a¯ga¯mi) Karma. Der Jainismus faßt Karma als feinen materiellen Stoff (*pudgala) auf, der sich an die Seelen heftet und ihre eigentliche, unbeschränkte Natur und Kraft begrenzt. Wie der Mensch sich der Wirkung des Karma entzieht, ist Thema der Befreiungslehren (*moksa), die sich nach den je˙ weiligen ontologischen und metaphysischen Annahmen der jeweiligen Schulen differenzieren. Die Verbindung der Karma-Lehre mit den anderen beiden Lehren von der Wiedergeburt und Befreiung hat ihre sozial-politische und 55 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
karman
psychologische Bedeutung in den Hintergrund treten lassen. Die Karma-Lehre basiert auf dem Willen, der die Tat hervorbringt, im Denken, Sprechen und Handeln. Die indischen Denker haben dies zutiefst realisiert. Wenn alle Handlungen auf dem Willen beruhen, ist das Ziel das Erreichen eines zufriedenen Zustandes. Unsere Wünsche werden entweder erfüllt oder nicht erfüllt. Alle möglichen Fälle reduzieren sich auf den Fall der Freude oder den des Leids. Eine solche psychologischphänomenologische Theorie der Handlung mündet für die indischen Denker in einer metaphysischen Theorie der Handlung. Oft wird der Karma-Theorie ein Determinismus vorgeworfen, was nur zum Teil stimmt. Die vergangenen Handlungen bestimmen zwar den gegenwärtigen Zustand, aber die jetzigen und die künftigen Handlungen sind frei. Unsere Taten fesseln uns und befreien uns zugleich. Wir sind verantwortlich für die Determination und frei in der zukünftigen Gestaltung.
karuna¯ Mitleid ˙ Im Buddhismus eine Geisteshaltung, die sich auf dem Weg zur Vollendung einstellt.
khya¯ti Begreifen, Erkennen, Wissen In der Epistemologie wird der Begriff in der Form khya¯ti-va¯da als die Theorie des Irrtums verwendet. Es sind fünf Hauptarten zu unterscheiden: a) akhya¯ti-va¯da, die Theorie, daß der Irrtum ein Mangel des Wissens ist, nämlich daß der Irrtum partielles oder unvollständiges Wissen ist. Diese Theorie wird hauptsächlich von der Pra¯bha¯kara-*Mı¯ma¯m˙ sa¯-Schule vertreten. b) anyatha¯-khya¯ti-va¯da, die Theorie, daß der Irrtum eine Wahrnehmung eines Gegenstandes als etwas »anderes« (anyatha¯) ist, nämlich anders als er tatsächlich ist. Der Hauptvertreter ist die Bha¯tta˙˙ *Mı¯ma¯msa¯-Schule. ˙ c) a¯tma-khya¯ti-va¯da, die Theorie, daß jede Erfahrung, die vergegenständlicht wird, als solche illusorisch ist; dementsprechend ist jeder alltägliche Irrtum ein ›Doppel-Irrtum‹. Die Yoga¯ca¯ra- oder Vijña¯nava¯da-Schule des Buddhismus vertritt diese Theorie. d) asat-khya¯ti-va¯da, die Theorie, daß ein Irrtum eine Wahrneh56 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
ksanikava¯da ˙ ˙
mung von etwas ist, was nicht existiert (asat). Sie wird vertreten von der *Madhyamaka-Schule des Buddhismus, wie auch von der MadhvaSchule des *Veda¯nta. e) anirvacanı¯ya-khya¯ti-va¯da, die Theorie, daß etwas unbeschreibbar ist, nämlich, daß ein zu erkennender Gegenstand unbestimmbar ist, wie im Fall von *ma¯ya¯ in der Advaita-Veda¯nta-Schule. Alle diese fünf Theorien beschäftigen sich mit dem Problem der Entstehung des Irrtums, der das Wissen verdeckt. Das indische philosophische Denken scheint in diesem Punkt von der Vorstellung beseelt zu sein, daß es bei der Suche nach der Wahrheit eher um das Vermeiden der Irrtümer geht.
kriya¯
Handlung, Ritual, Gottes-Dienst
kriya¯-yoga
Eine Disziplin des Körpers, in dem bestimmte YogaÜbungen, z. B. der Körper-Reinigung, durchgeführt werden. Wörtlich: Yoga der Tat.
ksanikava¯da die Lehre der Momenthaftigkeit im Buddhismus ˙ ˙ den Lehren von der Nicht-Existenz der Seele und von der VerNeben gänglichkeit aller Dinge ist diese Lehre von der Momenthaftigkeit ein wichtiger Bestandteil der Lehre Buddhas. Laut dieser Lehre entsteht alles Seiende nur für einen Augenblick, um dann wieder zu vergehen. Es gibt also nur den reinen Wechsel von Moment zu Moment und einen kontinuierlichen Fluß augenblicklich neu entstehender und wieder vergehender, einander aber bloß ähnelnder Dinge, geradeso wie eine Kerzenflamme, die dieselbe zu sein scheint, sich jedoch stets in Veränderung befindet. Es gibt dabei eine Serie von Flammen, die in jedem Augenblick aufkommen und verschwinden. Das heißt: In dem Moment, in dem die Flamme aufkommt, verschwindet sie, während sie gleichzeitig eine neue Flamme entstehen läßt. Es gibt einen Strom von Flammen, die schnell aufeinander folgen. Und obwohl die Flamme der brennenden Kerze nicht in zwei Augenblicken dieselbe ist, ist sie doch nicht ganz verschieden. Ferner heißt es in der ksanikava¯da, in dem ˙ ˙ enthalten. Der Moment der Geburt ist schon das Moment des Todes
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ksanikava¯da ˙ ˙
Kreislauf der Existenzen (*samsa¯ra) als eine unendliche Kausalkette ist ˙ ständig im Entstehen und Vergehen begriffen.
loka¯yata Materialist, die materialistische Schule Siehe ca¯rva¯ka.
madhyamaka Schule des Buddhismus Siehe maha¯ya¯na.
maha¯ya¯na Schule des Buddhismus Beim zweiten Konzil der Buddhisten, ungefähr hundert Jahre nach Buddhas Tod, kam es zu einer Spaltung der Anhängerschaft Buddhas, und die sogenannten »Älteren« (Thera, siehe Therava¯da) lösten sich von der größeren ›Mitgliedschaft‹, den Maha¯san˙gikas ab; diese haben wahrscheinlich einen Bezug zur Entstehung der Maha¯ya¯na-Schule. Die zwei Hauptschulen des Maha¯ya¯na sind die Madhyamaka-Schule und die Yoga¯ca¯ra-Schule. Als Protagonist des Madhyamaka gilt Na¯ga¯rjuna (ca. 2. Jh. n. Chr.) mit seinem Werk Madhyamaka-ka¯rika¯, ›Strophen über den mittleren Weg‹, in 27 Kapiteln mit insgesamt 448 Strophen. Seine Philosophie wird auch S´u¯nya-va¯da, genannt, ›die Theorie der Leerheit‹. Seine Grundthese ist: alle Phänomene sind ohne Eigensein und beruhen auf absoluter Leerheit (su¯nyata¯), die selbst weder mit den Begriffen »Sein« noch »Nicht-Sein«, noch von beiden zugleich, noch von keinem von beiden erfasst werden kann und selbst leer ist. Alle Begriffe sind bedingt gültig und alle Ansichten (*drsti) und Theorien werden kon˙ ˙ ˙ die eigene Position bezüglich sequent als unhaltbar erwiesen. Auch der Leerheit ist nicht eine zu verteidigende Position. Sie soll vielmehr aus allen Positionen herausführen, hin zum *Nirva¯na, dem Aufhören ˙ und Zur-Ruhe-Kommen aller Wahrnehmung. Die andere Schule des Maha¯ya¯na heißt Yoga¯ca¯ra, als deren Gründer Maitreya (3. oder 4. Jh. n. Chr.) gilt, dessen Schüler Asan˙ga und Bruder Vasubandhu die Schule vertreten. Asan˙gas Werk heißt Yoga¯ca¯ra-bhu¯mi-s´a¯stra, ›der Lehrtext über die Grundlage des Yoga-Weges‹. Digna¯ga (oder Din˙na¯ga), ein Schüler Vasubandus des Jüngeren, und Dharmakı¯rti (7. Jh.) sind die großen Denker dieser Richtung. 58 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
Mantra
Die Yoga¯ca¯ra-Lehre heißt auch Vijña¯nava¯da, ›die Lehre vom Bewußtsein‹ und unterscheidet sich vom Madhyamaka eben durch die Ansicht, daß die Objekte der Erscheinungswelt und die sie wahrnehmenden Subjekte lediglich Projektionen des Bewußtseins (vijña¯na) seien. Die Vorstellung der Leerheit oder des Nichts wurde mit dem identifiziert, was Vijña¯nava¯da Bewußtsein nennt. Dieses wird auch als ein Vorratsbewußtsein (a¯laya-vijña¯na) aufgefaßt, insofern das Denken seine Vorstellungen aus einer Art von ewigem Vorratsraum bezieht. Dieser Vorratsraum ist letztlich mit dem Nichts identisch. Der Weg zur Realisierung der Wahrheit beinhaltet eine Reinigung des Vorratsbewusstseins, und Befreiung ereignet sich auf dem Wege des Yoga (yoga¯ca¯ra) durch die Erkenntnis der reinen So-heit (tathata¯) des Seins, welches eigentlich reines Bewußtsein (vijña¯na) ist. Siehe auch therava¯da.
mala Schmutz, Staub, Unreinheit Im S´ivaismus die dritte ontologische Kategorie (zusammen mit s´iva, siehe *pati und *a¯tman). Sie bezeichnet die der Seele angeborene geistige Unreinheit, die als Fessel (*pa¯s´a) die Kräfte (*s´akti) der Seele mindert.
manana Siehe s´ravana ˙ Ein Erkennen, das nicht durch die Sinnesorgane stattfindet Im Buddhismus ein technischer Begriff für den Denkprozeß, in dem die Entstehung von Vorstellungen reflektiert wird. Siehe auch a¯layavijña¯na. manovijña¯na
Mantra
Gebetsformel, heilige Silben oder Sprüche für die Meditation
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ma¯ya¯
ma¯ya¯ Trugbild, Illusion, das Prinzip der Erscheinung Ein besonderer Begriff der *Veda¯nta-Schule, nach der die Welt ein Trugbild ist, das durch die Kraft der Unwissenheit (*avidya¯) zustande kommt. Durch das Zauberwerk der ma¯ya¯ erscheint das von Natur aus qualitäts- und eigenschaftslose *brahman als mit Qualitäten behaftet. Bildlich ausgedrückt entsteht der Schein von Tun und Tuenden, von Entstehen und Vergehen, von kausalen Zusammenhängen und dem Kreislauf der Existenzen – scheinbar ebenso real, wie das Schwingen einer Fackel im Dunkel flüchtige feurige Kreise, Kurven und Linien entstehen läßt. Andere Bilder und Analogien der Verblendung, die durch ma¯ya¯ verursacht werden, sind: So wie die Unwirklichkeit der Traumerscheinung sich beim Aufwachen als solche herausstellt, so zeigt sich die Unwirklichkeit der Welt beim wahren geistigen Erwachen; Fata Morgana; das Kunststück des Zauberers; der Strick, der in der Dunkelheit für eine Schlange gehalten wird; der Silberglanz der Perlmutter, die mit echtem Silber verwechselt wird – all das erweist sich dem Erkennenden als Irrtum und Trugbild; dem Wissenden sind sie fälschliche Projektionen von Eigenschaften auf das ewig eine, unveränderliche und attributlose *brahman. Ma¯ya¯ verblendet die Seele (*a¯tman) hinsichtlich ihres eigenen sowie des absoluten Wesens (brahman) und bindet sie damit an die Welt. Die Veda¯nta-Schule verwendet den Begriff ma¯ya¯, um zu erklären, wie und warum die eine Welt der eigentlichen Realität so vielfältig erscheint. Ma¯ya bewirkt, daß wir das Falsche als das Wahre ansehen. Neben dieser Erklärungsfunktion wird ma¯ya¯ eine Kraft zugeschrieben, die das Wahre verdeckt und die Menschen zu Projektionen verleitet. Man könnte die Bedeutung des Begriffs ma¯ya¯ in folgende sechs Punkte fassen: 1. Die Welt erklärt sich selbst nicht. Das deutet auf ihre Erklärungsbedürftigkeit hin. Das Prinzip ma¯ya¯ steht für ein solches Erklärungsprinzip; 2. Die Absolutheit brahmans ist nur einer unmittelbaren Schau gegeben und kann nicht durch das diskursive Denken begriffen werden. Diese zwei Welten aufeinander zu beziehen scheitert. Das Prinzip ma¯ya¯ ist der Name dieser Unbegreiflichkeit; 3. Als Ursache der Welt ist brahman von ma¯ya¯ in keiner Weise berührt. Diese einseitige Abhängigkeitsrelation wird auch ma¯ya¯ genannt; 4. Das Prinzip, das angenommen wird, um die Welt als eine Erscheinung brahmans zu erklären, heißt ma¯ya¯; 5. Die Kraft, die dem Schöpfergott innewohnt, heißt auch ma¯ya¯; 6. Mit Hilfe des ma¯ya¯-Prinzips wird erklärt,
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mı¯ma¯msa¯ ˙
daß diese Welt weder ganz real noch bloß traumhaft irreal ist. Sie ist unbeschreibbar. Ma¯ya¯ ist diese Unbeschreibbarkeit (anirvacanı¯yata¯).
Nachforschung, Streben nach Wissen, Erörterung, die Mı¯ma¯msa¯-Schulen ˙ zwei Schulen, die in enger Beziehung zu den Das Wort bezeichnet *Veda-Schriften stehen: Pu¯rva- und Uttara-Mı¯ma¯msa¯. Pu¯rva-Mı¯ma¯msa¯ heißt »frühere Erörterung« und bedeutet die˙ Erörterung des ˙ früheren Teils der heiligen Schriften, die Samhı¯ta¯ und die Bra¯hmana ˙ (siehe veda). Uttara-Mı¯ma¯msa¯, die »spätere ˙ Erörterung«, beinhaltet ˙ eine Erforschung des späteren Teils der vedischen Schriften, die ¯ ranyaka und die Upanisaden (siehe veda). Diese heißt auch die *VeA ˙ ˙ da¯nta-Schule. Das Grundwerk der Pu¯rva-Mı¯ma¯msa¯, auch kurz Mı¯ma¯msa¯ genannt, ist das Mı¯ma¯msa¯–su¯tra, ›Faden˙ der Erörterung‹ , das ˙Jaimini ˙ Werk ist ein Lehrbuch der Hermeneutik, ein zugeschrieben wird. Das System von Regeln für die Interpretation der heiligen Texte, um klare Aufschlüsse über die religiösen Pflichten (*dharma) zu gewinnen, vor allem mit Bezug auf die Vollziehung der vedischen Opfer und der rituellen Handlungen. Somit heißt die Schule auch Karma-Mı¯ma¯msa¯. Eine ˙ daß sie besondere Leistung der früheren Mı¯ma¯msa¯-Schule liegt darin, ˙ eine Methode der Ermittlung der Bedeutung von Textstellen entwikkelte, die für die ganze wissenschaftliche Literatur (auch die der Logik) maßgebend geblieben ist. Jede Erörterung einer Topik (*adhikarana) ˙ gliedert sich nach dieser Methode in fünf Teile (avayava): a) Die Feststellung des zu behandelnden Gegenstandes einer Behauptung (visaya); b) Die Äußerung des Zweifels daran (sams´aya); c) Die Dar˙ ˙ Antwort darauf stellung der Ansicht des Gegners (pu¯rvapaksa); d) Die ˙ oder die endgültige Ansicht (uttara-paksa oder siddha¯nta); e) Die Be˙ anderen Textteilen (samgaziehung des so gesicherten Ergebnisses zu ˙ ti). Jaiminis Mı¯ma¯msa¯-Su¯tra systematisiert die Hermeneutik der Ri˙ tualvorschriften in mehr als 2500 Merksprüchen, und der älteste uns erhaltene Kommentar dazu ist das Mı¯ma¯msa¯-bha¯sya des S´abara (ca. ˙ sind die klassi˙ 5. Jh.). Zwei Kommentatoren zu diesem Kommentar schen Exponenten der Mı¯ma¯msa¯ und bilden zwei Richtungen der ˙ Schule: Prabha¯kara (um 650 n. Chr.) mit seinem »großen Kommentar« mı¯ma¯msa¯ ˙
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mı¯ma¯msa¯ ˙
(Brhatı¯) und sein Zeitgenosse Kuma¯rila Bhatta mit seinem Kommentar ˙˙ in˙Strophen, dem S´lokava¯rttika. Die Mı¯ma¯msa¯-Schule wird oft als atheistisch bezeichnet, weil das ˙ eigentliche Anliegen der Erörterung und Auslegung die absoluten Texte der Veden sind. Diese Texte haben keinen Autor, sind apauruseya. Eine für die heutige Diskussion der Philosophie im Weltkontext˙ sehr wichtige und fruchtbare Einsicht dieser Schule besteht in der Feststellung, daß keine diskursive Interpretation absolut sein kann. Für die Uttara-Mı¯ma¯msa¯-Schule siehe veda¯nta. ˙ mithya¯
nicht der Wahrheit entsprechend, lügnerisch, illusorisch
moksa/mukti Befreiung, Erlösung Nach˙ der brahmanischen Tradition das vierte Lebensziel. Siehe S. 24–26. Siehe auch purusa¯rtha. ˙ mudra¯ Finger- und Handpositionen mit festgelegter Bedeutung Ein bekanntes Beispiel ist Abhayamudra¯, eine Gebärde mit der Bedeutung »Fürchte dich nicht«.
na¯ma-ru¯pa
Name und Gestalt, die jedes bestimmbare Ding der Welt hat
»Es gibt nicht«-Denker, Materialist, die materialistische Schule Siehe ca¯rva¯ka. na¯stika
nayava¯da Theorie der Standpunkte Siehe aneka¯ntava¯da.
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nirva¯na ˙
neti-neti ›nicht dies, nicht dies‹ oder ›nicht so, nicht so‹ Ein via negativa aus den Upanisaden (siehe veda), gilt als ein großer Spruch (maha¯va¯kya). Das eine ˙wahre *brahman ist jenseits aller begrifflichen Bestimmungen. Es kann nicht beschrieben werden, weil alle Denkkategorien sich als unzulänglich erweisen. Alles, was dennoch versucht wird, ist zu sagen, was es nicht ist. Diese Methode und Anschauung ist der negativen Theologie verwandt. Ebenso aber mit der Einsicht der Buddhisten, daß auch *nirva¯na jenseits aller kategorialen ˙ Bestimmungen liegt.
nididhya¯sana Siehe s´ravana ˙ nirguna ohne Qualität oder Eigenschaft ˙ von einem nirguna-brahman (einem brahman ohne EigenEs wird schaften) im Gegensatz zu˙ einem saguna-brahman (einem brahman mit Eigenschaften) gesprochen. Diese˙ Unterscheidung ist Thema hauptsächlich der *Veda¯nta-Schule. Siehe auch dravya/guna/parya¯ya. ˙ nirva¯na das Erlöschen ˙ Im Buddhismus bedeutet der Begriff das Erlöschen des Feuers, des Durstes oder der Begierde und bezeichnet die Befreiung vom Grund des Leidens. Es entspricht dem höchsten Ziel des menschlichen Lebens, der endgültigen Befreiung, *moksa. Aspekte des nirva¯na sind Gier, ˙ Haß und Verblendung, sind sie besiegt, dann erreicht der˙ Mensch die Heiligkeit eines *Arhat, die Arhatschaft. Dem gegenüber tritt beim Tod des Arhat ein Zustand ein, in dem ein völliges Erlöschen aller Daseinsformen stattgefunden hat. Selbst ein theoretisches Verständnis des nirva¯na setzt eine gründliche Vernichtung der falschen Ansichten ˙ von der Existenz einer ewigen Persönlichkeit voraus, denn sonst mißversteht man nirva¯na als einen ewigen Zustand, in den das Ich eingeht. ˙ von allen falschen Ansichten. Nirva¯na ist Leerheit ˙ Siehe auch drst¯ı. ˙˙˙
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nivrtti ˙
nivrtti Rückzug aus der Welt, Entsagen ˙ pravrtti. Siehe ˙ nya¯ya Regel, Norm, logischer Beweis, Logik, die Nya¯ya-Schule Das Grundwerk der Nya¯ya-Schule ist das Nya¯ya-Su¯tra, das dem Aksapa¯da Gotama zugeschrieben wird. Das Wort nya¯ya bedeutet ˙ »Regel«, besonders im Sinne einer »Regel« für richtiges Denken oder Argumentieren, und charakterisiert das Hauptanliegen der Schule, nämlich Methoden für korrektes und erfolgreiches Disputieren auszubilden, was zu einer Spezialisierung auf dem Gebiet der Logik und Epistemologie führte. Der älteste erhaltene Kommentar des Grundwerks der Schule ist das Nya¯yabha¯sya (»Kommentar zum Nya¯ya«) des Paksilasva¯min Va¯tsya¯yana (4.–5.˙ Jh.). Das Grundwerk der Schule besteht ˙aus fünf Kapiteln zu je zwei Tageslektionen (a¯hnika): die ersten beiden behandeln Logik, Erkenntnistheorie und Dialektik (die 16 Kategorien der Schule werden im ersten Kapitel aufgezählt), das dritte bezieht sich auf Psychologie, das vierte auf Wiedergeburt und Erlösung, und das fünfte behandelt zwei der sechzehn Kategorien: die falschen Einwände (ja¯ti) und die Gründe der Niederlage (nigrahastha¯na). Die anderen 14 Kategorien sind: 1. Erkenntnismittel (prama¯na), 2. Erkenntnisgegenstand (prameya), 3. Zweifel (sams´aya), ˙ 4. Zweck ˙ ¯ nta), 7. Glieder (prayojana), 5. Beispiel (drsta¯nta), 6. Lehrsatz (siddha ˙ ˙ ˙ der Beweisführung (avayava), 8. Überlegung (tarka), 9. Entscheidung (nirnaya), 10. Disputation (*va¯da), 11. Redewettkampf (*jalpa), ˙ 12. Redestreit (*vitanda¯), 13. Scheingrund (*hetva¯bha¯sa), 14. Ver˙˙ drehung (chala). Im Laufe des 12. Jahrhunderts begann in der Nya¯ya-Schule eine neue Richtung, die man wörtlich »Neo-Nya¯ya«, Navya-Nya¯ya nannte. Diese Schule erreichte den ersten Höhepunkt mit dem großen Denker und Systematiker Gan˙ges´a (13. Jh.) und seinem Werk Tattvacinta¯mani ˙ (»Der Edelstein der Wahrheit«), ein schwieriger Text, der alles bisher Geschaffene zusammenfaßte. Gan˙ges´a beschränkte sich streng auf die Erkenntnistheorie, und sein Werk gliedert sich daher in vier Kapitel nach den vier Erkenntnismitteln der Schule: Wahrnehmung, Schlußfolgerung, Vergleich und die glaubwürdige Mitteilung. Sein Werk ist so wirkmächtig, daß alles, was die Navya-Nya¯ya-Schule geleistet hat, sich daran anschloß, und zwar in der Form von Kommentaren und Subkommentaren. 64 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
pati
pada¯rtha
›Bedeutung des Wortes‹, Kategorie
pañcas´¯ıla Fünf Regeln des Verhaltens im Buddhismus Diese sind: Lebewesen nicht töten, nicht stehlen, Enthaltsamkeit, nicht lügen und keine berauschende Getränke zu sich nehmen.
para¯mars´a Sich-zur-Erinnerung-Bringen, Sich-Vergegenwärtigen Ein psychologischer Akt, der für die Schlußfolgerung unerläßlich ist. Siehe anuma¯na.
paroksa ˙
die indirekte Wahrnehmung in der Epistemologie des Jainismus
parya¯ya
Siehe dravya/guna/parya¯ya ˙
pa¯s´a Fessel Im S´ivaismus das kosmologische Synonym für das ontologische *mala oder die angeborene Unreinheit, die als Fessel die Kräfte (*s´akti) der Seele mindert. Siehe auch pati und pas´u.
pas´u gebundenes Tier oder Wesen Im S´ivaismus das kosmologische Synonym für den ontologischen *a¯tman, der als gebundenes Wesen existiert. Siehe auch pati und pa¯s´a.
pati Herr, Gott Im S´ivaismus das kosmologische Synonym für S´iva als das ontologische Bewußtseinsprinzip mit besonderen Kräften (*s´akti). Siehe auch pas´u und pa¯s´a.
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praja¯
prajña¯ Weisheit, transzendentales Wissen Im Buddhismus eine nicht begriffliche, nicht intellektuelle, intuitive Erkenntnis.
prajña¯pa¯ramita ›Vollkommenheit der Einsicht‹ Im *Maha¯ya¯na-Buddhismus ein Begriff für eine Gruppe von Texten über buddhistische Philosophie und Ethik.
prakrti ursprüngliche Form, die Urmaterie Siehe˙ sa¯mkhya. ˙ prama¯na Instrument oder Mittel der Erkenntnis ˙ manyavada. Siehe pra ¯ ¯ ¯ ˙ pra¯ma¯nyava¯da Erkenntnistheorie, Epistemologie (siehe auch S. 28) ˙ der Geschichte der indischen Philosophie wurden erkenntnisFrüh in theoretische Fragen in konsequenter Weise beachtet. Die epistemologische Ausrichtung versuchte mit Bezug auf Themen alltäglicher Erfahrung die Basis für einen intelligiblen Diskurs zu liefern. Letztlich diente sie – indirekt – dem Zweck, die alltägliche Erfahrung von dem zu unterscheiden, was das Wissen um die Wirklichkeit ausmacht, oder aufzuzeigen, wie die Beschäftigung mit der Epistemologie zu einem Wissen um die eigentliche Natur des Menschen, des Erkenners, führt. In diesem Sinne stellt die indische Epistemologie eine Philosophie des Seins und des Wissens dar. Sie impliziert dabei einen metaphysischen Anteil, wo die empirische Subjekt-Objekt-Unterscheidung aufgehoben wird. Die Grundfragen der Epistemologie lauten: Welche sind die Objekte (*prameya) der Erkenntnis? Welche sind die Erkenntnismittel (*prama¯na), die eine verläßliche Erkenntnis liefern? Wie wird der Er˙ kenntnisvorgang zwischen dem Subjekt, dem Objekt und dem Erkenntnismittel erklärt? Jedes der indischen Denksysteme anerkennt seine eigene Anzahl von Erkenntnismitteln, und mittels detaillierter logischer Argumente rechtfertigt jede Schule die Art und Anzahl der
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pra¯ma¯nyava¯da ˙
von ihr akzeptierten Erkenntnismittel. Für die Hauptschulen der indischen Philosophie reicht die Anzahl von einem bis sechs: die Ca¯rva¯kaSchule anerkennt nur die Verläßlichkeit der Wahrnehmung (pratyaksa), Buddhismus und die Vais´esika-Schule akzeptieren zwei, die ˙ ˙ Wahrnehmung und die Schlußfolgerung (*anuma¯na), die Sam˙ khya-Schule zusätzlich die Mitteilung einer glaubwürdigen Person oder eines autoritativen Textes (s´abda, s´ruti), die Nya¯ya-Schule anerkennt vier Erkenntnismittel und fügt zu den vorhergehenden noch den Vergleich oder die Analogie (upama¯na) hinzu. Andere Schulen fügen dem noch die Vermutung oder Annahme (artha¯patti) einer Tatsache und das Wahrnehmen vom Nicht-Sein (anupalabdhi) eines Dinges hinzu. Was immer ihre Gründe sein mögen, bestimmte Arten und eine bestimmte Anzahl der Erkenntnismittel zu akzeptieren, stimmen alle Schulen ohne Ausnahme darin überein, daß gewisse Bedingungen erfüllt werden müssen, damit die anerkannten Erkenntnismittel ihre besondere Rolle aufrechterhalten. Diese Bedingungen können so in vier Punkten zusammengefaßt werden: 1. Die Erkenntnis, die jedes einzelne Mittel liefert, muß neu sein und nicht durch irgendwelche anderen Mittel erlangbar. 2. Ein Mittel kann einem anderen helfen, Erkenntnis zu ermöglichen, doch das Mittel, um das es sich handelt, soll nicht auf andere zurückführbar sein – z. B. kann eine Wahrnehmung von Rauch die Erkenntnis oder den Schluß auf Feuer herbeiführen, ohne daß das Feuer gesehen wird, somit ist die Schlußfolgerung nicht auf die Wahrnehmung zurückführbar. 3. Die Erkenntnis, zu der man mit bestimmten Mitteln gelangt, sollte nicht durch ein anderes Erkenntnismittel widerlegt werden können, und 4. Die akzeptierten Erkenntnismittel sollten sich auf Vernunft berufen können, und im Fall der Autorität der geoffenbarten Schriften z. B. muß die geoffenbarte Wahrheit wahrscheinlich erscheinen und muß mit Bezug auf die menschliche Erfahrung verständlich gemacht werden können. Ansonsten wäre die geoffenbarte Wahrheit nutzlos. Unter den verschiedenen Schulen der indischen Philosophie hat es stets eine sehr lebhafte und kontroverse Diskussion hinsichtlich des erkenntnistheoretischen Apparats gegeben, denn eine bestimmte Epistemologie führte zu einer bestimmten Ontologie, Ethik und philosophischen Anthropologie. Umgekehrt setzt eine bestimmte Ontologie eine ihr entsprechende Epistemologie voraus. Selbst die *Mı¯ma¯msa¯-Schule, die eine hermeneutische Exegese der vedischen Texte ˙ 67 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
pra¯ma¯nyava¯da ˙
liefert, basiert auf einer Erkenntnistheorie. Daher ist die oft zu hörende Kritik, die indische Philosophie sei unkritisch und zu traditionell, oberflächlich und klischeehaft. Der pra¯ma¯nyava¯da zeigt das Gegenteil. ˙ Tradition haben sehr unterSelbst die sogenannten heiligen Texte der schiedliche Interpretationen erfahren. Der Vorwurf der bloßen Orthodoxie ist der indischen Philosophie gegenüber nicht begründet, denn es gibt nicht die eine Bedeutung eines Textes. Die eigentliche philosophische Reflexion besteht nicht darin, daß man etwas behauptet, sondern darin, daß man für die These Argumente liefert. Und diese Argumente sind die Hauptbeschäftigung des philosophischen Unternehmens. Philosophie und Tradition müssen keinen Gegensatz darstellen, denn Philosophie ohne Tradition ist leer und Tradition ohne Philosophie ist blind. Dies gilt, ganz gleich ob wir Philosophie intra- oder inter-kulturell behandeln.
prameya Gegenstand der Erkenntnis; das, was zu erkennen ist Siehe pra¯ma¯nyava¯da. ˙ pramiti Erkenntnis, Wissen Siehe pra¯ma¯nyava¯da. ˙ Erscheinung, aufleuchtender Gedanke, schnelles Begreifen, Verstand, Einsicht In der Sprachphilosophie ist dies eine angeborene Fähigkeit des Menschen, die Bedeutung von Wörtern und Sätzen plötzlich zu begreifen. In der Poetik bezeichnet der Begriff die aufleuchtenden Gedanken des Dichters. pratibha¯
pratijña¯ Aussage, Erklärung, Behauptung Siehe anuma¯na.
pratı¯tyasamutpa¯da Entstehen in Abhängigkeit, bedingte Entstehung Die buddhistische Kausalitätstheorie lehrt, daß alles bedingt, relativ und voneinander abhängig, und nicht absolut ist. Die Kausalitätstheo68 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
pratı¯tyasamutpa¯da
rie beruht auf vier Grundthesen: wenn dieses ist, ist jenes; wenn dieses entsteht, entsteht jenes; wenn dieses nicht ist, ist jenes auch nicht; wenn dieses aufhört, hört jenes auch auf. Die zwölf Glieder des Entstehens in Abhängigkeit, auch das Rad des Werdens (bhava-cakra) genannt, sind: 1. das Nichtwissen (*avidya¯); durch dies entstehen 2. die karmagestaltenden Tatkräfte (*sam˙ ska¯ra); diese bewirken 3. die Bewußtheit (*vijña¯na) des Einzelwesens, und dies ist die Ursache für 4. Name und Gestalt eines geistig-leiblichen Einzelwesens (*na¯ma-ru¯pa); daran schließt sich 5. die Entstehung der sechs Sinne an, einschließlich des inneren Sinnes (sada¯yatana); ˙ 6. die Bedurch den Kontakt der Sinne mit der Außenwelt bildet sich rührung (spars´a) der Sinne mit den Objekten, die 7. die Empfindung (vedana¯) hervorruft; dies ist die Ursache für 8. den Durst oder die Begierde (*trsna¯), welche 9. den Lebenshang oder das Sich-Klammern an ˙ ˙ (upa ˙ ¯ da¯na) bewirkt; dadurch entsteht 10. das Werden (bhadas Dasein va) oder die Begründung einer neuen Existenz, die 11. zu einer neuen Geburt (ja¯ti) führt, worauf wiederum 12. Altern und Tod (jara¯-marana) folgen. Die ersten beiden Glieder betreffen das Vergangene, die ˙ mittleren acht sind der Gegenwart zuzuordnen, und die letzten beiden Glieder sind künftige Ereignisse. Während die buddhistische Lehre von Ichlosigkeit (ana¯tmava¯da) analytisch verfährt und das Dasein in seine Bestandteile zerlegt, geht es in der Lehre von der bedingten Entstehung um ein synthetisches Verfahren, das das Bedingtsein aller Phänomene zeigt. Die eigentliche Bedeutung der Lehre vom Entstehen in Abhängigkeit begreift man, wenn man die Phänomenalität, die Substanzlosigkeit, ja die Leerheit allen Daseins einsieht und entsprechend dieser Einsicht handelt und lebt. In dieser Lehre des Buddhas geht es nicht um eine Spekulation hinsichtlich der Kausalformationen allen Daseins, sondern um die Einsicht in die Leerheit aller Dinge. Der Karma-Prozeß bewirkt alle Formen des Bewußtseins. Oft wird diese Lehre als Fatalismus mißverstanden, weil der Wille nicht mehr frei sei. Die Frage nach der Willensfreiheit ist nach buddhistischer Auffassung falsch gestellt. So wie es kein Ich gibt, gibt es auch keinen Willen, der als eine Substanz unveränderlich existiert. Der Wille ist auch ein geistiges Phänomen, das ebenso dem Prozeß des bedingten Entstehens unterliegt wie alle anderen Phänomene, ob körperlicher oder geistiger Natur. Es liegt in der Konsequenz dieser Lehre, daß die Theorie von einem blinden Zufall zurückgewiesen wird. 69 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
pratyaksa ˙
pratyaksa Wahrnehmung ˙ manyavada. Siehe pra ¯ ¯ ¯ ˙ pravrtti Streben und Tätigkeit in der Welt ˙ Gegensatz zum Entsagen (nivrtti) ˙ pudgala Materie Siehe auch jı¯va/ajı¯va.
purusa Mensch, Person, individuelle Seele, Geist, Urindividuum ˙ Ein Synonym für *a¯tman und *jı¯va. In Sa¯mkhya und Yoga gibt es mehrere purusas, die alle als Geistesprinzip˙ gleichartig und unveränderlich sind.˙In Anlehnung an Leibniz könnte man sie auch als Geistmonaden betrachten. Siehe auch Sa¯mkhya. ˙ purusa¯rtha ›Ziele des Menschen‹ ˙ Traditionell gibt es vier Ziele: religiöse und moralische Pflicht (*dharma), Reichtum (artha), Liebe (ka¯ma) und Befreiung (*moksa/mukti). ˙ ra¯ga
Leidenschaft. Siehe S. 24
rasa Saft, Geschmack, Genuß In der indischen Ästhetik werden von Bharata (ca. 2. Jh.) in seiner Wissenschaft der Dramaturgie (Na¯tya-s´a¯stra) acht grundsätzliche Ge˙ fühlslagen (stha¯yi-bha¯va) genannt: 1. Liebe (rati), 2. Lachen (ha¯sa), 3. Trauer (s´oka), 4. Zorn (krodha), 5. Begeisterung (utsa¯ha), 6. Furcht (bhaya), 7. Abscheu (jugupsa¯) und 8. Staunen (vismaya). Diesen entsprechen acht Haupttypen der ästhetischen Erfahrung (rasa): 1. Erotik (s´rn˙ga¯ra), 2. Komik (ha¯sya), 3. Pathetik (karuna¯), 4. Zorn (raudra), ˙ 7. Ekel (bibhatsa) 5.˙ Heldentum (vı¯ra), 6. Schrecken (bhaya¯naka), und 8. Bewunderung (adbhuta). Ruhe (s´a¯nta) und Zärtlichkeit (va¯tsalya) werden auch zu den rasas hinzugefügt. 70 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
sa¯ksin ˙
Indische Ästhetik ist holistisch orientiert, und es gibt ästhetische Gefühle wie z. B. Zorn, Ekel, die eher Elemente in einer Ästhetik des Häßlichen darstellen. Das Ziel der indischen Ästhetik, die Dramaturgie, Tanz, Musik, Skulptur und Poetik einschließt, ist die Realisation des s´a¯nta-rasa durch ein ausgeglichenes Kräftespiel der unterschiedlichen Gefühlslagen und ästhetischen Erfahrungen. Wenn der Dichter über seine persönlichen Erfahrungen spricht, so spricht er über die Tatsache seiner rasa-Erfahrung. Erlebt der Mystiker die Identität zwischen *a¯tman und *brahman, so erlebt er unmittelbar einen rasa, worüber er dann in einem bestimmten Sprachrahmen spricht.
rta Ordnung, Wahrheit, Gesetz, Ordnung der Dinge ˙ Zuerst erwähnt in dem Rg-*Veda, dient diese dem ganzen Kosmos zu˚ grundeliegende Urordnung als Basis für das ethisch-moralische Denken der Hindus.
ru¯pa Form, Gestalt, in der etwas in Erscheinung tritt Siehe auch na¯ma-ru¯pa.
s´abda Klang, Wort, Zeugnis des Wortes, Offenbarung Siehe auch pra¯ma¯nyava¯da und s´ruti. ˙ s´abdabrahman
*Brahman als Wort oder Laut.
saguna mit Qualität oder Eigenschaft Siehe˙ auch dravya/guna/parya¯ya. ˙ sa¯ksin das Beobachter-Selbst, intuitives Vermögen ˙ In Veda ¯ nta eine Funktion des *a¯tman, der alles beobachtet, ohne an den Geschehnissen teilzunehmen. Dieser Begriff weist einige Parallelen zu dem Begriff des Transzendentalen, des transzendentalen Ego des unbeteiligten Zuschauers (Husserl) auf.
71 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
s´a¯kta
s´a¯kta S´akti-Verehrer, die S´a¯kta-Tradition, der S´a¯ktismus Die Verehrung der s´akti oder der Kraft bezieht sich auf das weibliche göttliche Prinzip, das in der Gestalt einer bestimmten Göttin eine wesentliche Rolle im Welt- und Heilsgeschehen spielt. Die Werke dieser ¯ gama, in welchen s´akti als höchstes, ewiges Tradition heißen S´a¯kta-*A Weltprinzip dargestellt und verehrt wird. Besondere Beachtung findet dabei ein magisches Ritualwesen mit strengen esoterischen Andachtsformen, mit Verwendung von heiligen Silben und Formeln (mantra), mystischen Diagrammen (yantra), Meditation auf Verbrennungsstätten (smas´a¯na-sa¯dhana) und ein Sublimationsritual mit dem Genuß von fünf sinnenbezogenen Mitteln, die fünf »m-s« (pañcamaka¯ra): Wein (madya), Fleisch (ma¯msa), geröstetes Korn (mudra¯), Verschlin˙ Geschlechtsverkehr (maithuna) zur Ergung der Finger (mudra¯) und langung der Einheit mit dem Weltprinzip. Siehe auch tantra.
s´akti Kraft, Energie, Synonym für *vı¯rya Siehe s´a¯kta.
sama¯dhi Versenkung Siehe yoga.
sa¯mkhya Zahl, die Sa¯mkhya-Schule ˙ wird dem Seher Kapila zugeschrieben, sie Die˙ Gründung der Schule gilt als eine der ältesten Schulen Indiens, entstanden vielleicht zur Zeit Buddhas. Kapilas originales *su¯tra-Werk ist nicht erhalten; das ihm zugeschriebene Sa¯mkhya-Su¯tra (auch Sa¯mkhya-Pravanca genannt, ˙ ˙¯ mkhya«) ist kein originales, »Darstellung des Sa sondern ein im 14. ˙ oder 15. Jh. n. Chr. entstandenes Werk. Das früheste selbständige Werk des Systems ist die Sa¯mkhya-Ka¯rika¯ in etwa 70 zweizeiligen Merkstrophen von I¯s´varakrs˙na (ca. 5. Jh. n. Chr.). Sa¯mkhya-Ideen findet ˙ ˙¯ta ˙ ¯ (»Gesang des Erhabenen«) ˙ man in der Bhagavadgı des Epos Maha¯bha¯rata wie auch in den Pura¯nas. Eine ausführliche Darstellung des Sa¯mkhya ist der bedeutendste ˙Kommentar zur Sa¯mkhya-Ka¯rika¯, die ˙ Yukti-Dı ¯pika¯ (»Leuchte der Beweisführung«), um ˙etwa 7. Jh. n. Chr. Das Wort sa¯mkhya, abgeleitet von der Wurzel khya¯ mit dem Präfix ˙ 72 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
samsa¯ra ˙
sam, das heißt »zusammenzählen, berechnen, erwägen«, bedeutet wörtlich etwas, »was die Zahl« (samkya¯) betrifft, und bezieht sich als ˙ Name der Schule auf dessen Methode, mittels »Aufzählung« der die Welt konstituierenden »Wesenheiten« (tattva, wörtlich »Dasheit«) systematische »Erwägung« anzustellen. Die Schule ist bekannt für ihre Kausalitätstheorie, genannt satka¯rya-va¯da, nämlich, daß die Wirkung (ka¯rya) bereits in der Ursache existiert (sat) oder enthalten ist, wie der Baum im Samen. Ontologisch werden zwei von Natur aus unterschiedliche Kategorien anerkannt: *purusa und prakrti. Purusa entspricht den Bewußtseinsprinzipien, ˙ von denen es eine ˙Vielzahl ˙gibt. Prakrti entspricht der Urmaterie, die ˙ (*guna) besteht: sattva steht aus drei Eigenschaften oder Qualitäten ˙ für alles, was klar, fein und hell ist, und manifestiert sich als Freude, Leichtigkeit und Erleuchtung; rajas steht für alles, was aktiv, unruhig und bewegend ist, und zeigt sich in Aktivität, Bewegung und Schmerz; tamas steht für alles, was unklar, grob und dunkel ist, und zeigt sich in Verwirrung und Verblendung. Wenn sich der Gleichgewichtszustand der Komponenten der Urmaterie ändert, ist die Urmaterie für das Hervorkommen der enthaltenen Produkte verantwortlich. Die 23 Kategorien, die sich dann entfalten sind: 1. Vernunft oder Intellekt (buddhi); 2. Ich-macher oder Ego, das Subjektivierungsprinzip der Psyche (ahamka¯ra); 3. Denkvermögen oder ›Mind‹ (manas); 4.–8. Fünf Er˙ kenntnisvermögen der Sinne (jña¯nendriyas): Hören, Tasten, Sehen, Schmecken und Riechen; 9.–13. Fünf Tatvermögen (karmendriyas): Sprechen, Greifen, Gehen, sich Entleeren und Zeugen; 14.–18. Fünf feine Elemente (tanma¯tras): Schall, Tastbarkeit, Gestalt, Geschmack und Geruch; 19.–23. Fünf grobe Elemente (bhu¯ta): Äther, Luft, Feuer, Wasser und Erde.
sams´aya Zweifel ˙ Mımamsa. Siehe ¯ ¯ ¯ ˙ Wanderung, Durchwandern aus einem Leben in ein anderes, Kreislauf des Lebens, diese Welt des EntstehensBestehens-Vergehens Die Lehre von dem Kreislauf des Lebens zeigt den Einfluß der asketischen Tradition Indiens, die sich wahrscheinlich im Gegensatz zur vesamsa¯ra ˙
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samsa¯ra ˙
dischen Weltanschauung entwickelt hat. Sie wird mit der Karma-Theorie (siehe karman) in Verbindung gebracht, die den Verlauf des Kreislaufs bestimmt. Trotz wesentlicher Unterschiede in der Erörterung des Begriffs in den jeweiligen Schulen gilt der Kreislauf des Lebens grundsätzlich als leidhaft und anfangslos; er kann nur durch das Streben nach Befreiung (*moksa) zum Ende gebracht werden. Jede Schule, außer der Ca¯rva¯ka-Schule, ˙verkündet einen Weg der Befreiung (moksa-ma¯rga) ˙ heraus aus diesem Kreislauf. Es geht hier nicht um eine Befreiung von den Dingen und Verhältnissen in dieser Welt, sondern überhaupt von dieser Welt.
Spur, Eindruck, Anlage oder Disposition des Geistes, Nachwirkung, (Opfer-)Handlung, Ritus Bei den Buddhisten bezeichnet der Begriff die Stimmung des Inneren, einen momentanen Affekt des Geistes, einen der fünf *skandha. Siehe auch karman. samska¯ra ˙
satya/satyam das Wirkliche, die Wirklichkeit, Wahrheit Siehe auch sat.
sannya¯sin Entsager, Wandermönch Siehe a¯s´rama.
saptabhan˙gı¯ siebenstufige Aussagen oder Prädikationen Siehe aneka¯ntava¯da.
s´a¯stra
Anweisung, Vorschrift, Unterweisung, Leitfaden, Lehrbuch, kanonisches Werk
sat seiend, daseiend, vorhanden, anwesend Siehe auch brahman.
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s´ravana/manana/nididhya¯sana ˙
die Kausalitätstheorie, daß das Produkt [in der Ursache] existiert oder enthalten ist Siehe Sa¯mkhya. ˙ satka¯ryava¯da
skandha Teil, Gesamtheit, Komplex Im Buddhismus gibt es fünf Bestandteile, die die Gesamtheit des menschlichen Wesens ausmachen und seine Persönlichkeit bilden. Sie sind: Körper (*ru¯pa), Sinnesempfindungen (vedana¯), Wahrnehmung (samjña¯), die von diesen geweckten Geistesregungen (*samska¯ra, ˙ ˙ *karman gehört zu dieser Gruppe), und Bewußtsein (*vijña¯na). Sie befinden sich in ständigem Wechsel und bilden die scheinbare Persönlichkeit des Einzelwesens.
smrti Gedächtnis, Erinnerung, Tradition ˙ *s´ruti oder *s´abda zu unterscheiden. Smrti bezeichnet auch eine Von ˙ Gruppe von Texten, die nicht den gleichen Stellenwert wie die den Sehern geoffenbarten s´ruti-Texte haben. Weil sie auf dem menschlichem Gedächtnis beruhen, haben smrti-Texte nicht die Verläßlichkeit ˙ der Offenbarung, d. h. der vedischen Texte.
sphota Aufspringen, Bersten ˙ Sprachphilosophie der unvergängliche und unvernehmliche BeIn der standteil der Laute und Wörter, der als der wahre Träger der Bedeutung betrachtet wird. Von dem Sprachphilosophen Bharatrhari (ca. 6. Jh) als ˙ der unteilbaren sphotava¯da gebraucht, um das plötzliche Verstehen ˙ Bedeutung von Wörtern und Sätzen zu bezeichnen.
s´ravana/manana/nididhya¯sana (siehe auch S. 28) ˙ Drei Begriffe, die traditionell das Verhalten eines Adepten charakterisieren sollen; sie bedeuten jeweils: das Hören und studierendes Aufnehmen; Überdenken und Überlegung des Gehörten; und die anhaltende innere Betrachtung. Die Advaita-*Veda¯nta-Schule nimmt diese dreistufige Methode ernst und läßt die Erkenntnis in dem intuitiven Erlebnis von der Nicht-Zweiheit von *a¯tman und *brahman kulminieren. Sollte man diese spirituelle Ebene nicht zur Philosophie an sich 75 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
s´ravana/manana/nididhya¯sana ˙
rechnen, könnte man diese drei methodischen Schritte dazu verwenden, um zu zeigen, daß das philosophische Denken sowohl als Denkals auch als Lebensweg gestaltet wird.
gehört, vernommen, Offenbarung, glaubwürdige Mitteilung, meist als Synonym für Offenbarung des *Veda Siehe auch s´abda, pra¯ma¯nyava¯da und smrti. ˙ ˙
s´ruti
s´u¯nya Leer, Leerheit, die S´u¯nyava¯da-Schule Siehe Maha¯ya¯na.
su¯tra Faden, Lehrsatz, Merksatz, Aphorismus Die wörtliche Bedeutung von Faden, im Sinne von dem, was alles zusammenhält, bezeichnet sowohl eine Gattung von Werken wie auch die einzelnen darin enthaltenen Lehr- oder Merksätze. Die Äußerung eines su¯tra erfolgt in sehr knapper Form, die den Überlieferungsstoff mnemotechnisch festhält, und meist sind die su¯tren ohne Kommentar schwer oder gar nicht verständlich. Fast jede philosophische Schule hat als Grundwerk ein so verfaßtes su¯tra-Werk, das nicht nur am Anfang einer umfangreichen philosophischen und religiösen Literaturproduktion steht, sondern zugleich auch das Ende einer vorausgehenden Denkarbeit und literarischen Tätigkeit ist, deren Erzeugnisse uns nicht immer erhalten sind. Das Orientierungsdatum für die ursprünglichen su¯tra-Werke der jeweiligen philosophischen Schulen, die uns erhalten sind, ist etwa 200 v. Chr. bis etwa 200 n. Chr.
svabha¯va
s´veta¯mbara
die eigentliche Natur eines Dinges, wie auch der Seele
»weiß gekleidet«, eine Gruppe im Jainismus
die Theorie vom sya¯t, die siebenstufigen Aussagen oder Prädikationen des Jainismus Siehe aneka¯ntava¯da. sya¯dva¯da
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tarka/tarkavidya¯
Grundlehre, Theorie, wissenschaftliches Werk, die TantraTradition, der Tantrismus Eine Gattung von Schriften, welche von der Schöpfung und Zerstörung der Welt, von der Verehrung der Götter, von der Erlangung weltlichen Ruhmes und Reichtums, insbesondere magischer Kräfte, und von der Versenkung des Geistes handelt. Der Tantrismus wird auch S´a¯ktismus genannt, weil die Kraft (*s´akti) eine Hauptrolle spielt. Als eine Gattung von Texten ist tantra ein Synonym für *a¯gama. Siehe s´a¯kta. tantra
tapas Hitze, Glut, Askese Askese wird in Enthaltsamkeit geübt, durch Fasten, geschlechtliche Enthaltsamkeit, Schweigen und Abhärtung des Körpers. Einerseits eingesetzt zur Ansammlung innerer Glut, um Macht zu erlangen – magische Zwecksetzung –, andererseits als Mittel, den a¯tman oder das Selbst zu realisieren. Im Jainismus ist tapas ein Mittel, das Eindringen von Karmastoff in die Seele zu verhindern oder diesen auch zu beseitigen, und dient damit der Befreiung aus dem *samsa¯ra. Tapas bezeichnet auch die fünf Feuer, denen sich der Asket in ˙der heißen Jahreszeit aussetzt, nämlich die vier in den vier Himmelsrichtungen angezündeten Feuer mit der von oben brennenden Sonne.
tapasya
aus Hitze (*tapas) entstanden, Askese
Logik, Wissenschaft, Kunst der Argumentation und der Debatte Es wird von einer Wissenschaft des tarka (tarka-s´a¯stra) gesprochen. In dieser Wissenschaft geht es um kritische und methodische Reflexion über unterschiedliche Gegenstände. Eine Kette von tarkas liefert einen Begründungszusammenhang. Obwohl tarka selbst nicht zu einem Erkenntnismittel erhoben wird, ist er ein Hauptgrund, Zweifel und Irrtum im Prozeß der Erkenntnisgewinnung zu beseitigen. Die *Nya¯yaSchule bringt tarka in Verbindung mit der Induktion. Selbst bei der Annahme, Ablehnung oder kritischen Betrachtung der vedischen Schriften liefern die verschiedenen Schulen ihre Begründungen. Siehe auch a¯nvı¯ksikı¯. ˙ tarka/tarkavidya¯
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tatha¯gata
tatha¯gata
»so gegangen«, »zur Wahrheit gekommen«, der Buddha
›wie es ist‹, ›Dasheit‹, Wesen, die wahre Natur, Wahrheit, Realität, Grundprinzip, Kategorie Die Anzahl der Grundprinzipien ist je nach Schule verschieden. Tattva wird auch als Synonym für *pada¯rtha verwendet. tattva
therava¯da Schule des Buddhismus Die einzige noch existierende Schule des Hı¯naya¯na-Buddhismus, verbreitet in Sri Lanka und Südostasien, dessen Name wörtlich die »Lehre des Älteren« bedeutet. Beim zweiten Konzil der Buddhisten, ungefähr hundert Jahre nach Buddhas Tod, kam es zu einer Spaltung der Anhängerschaft. Die Kerngruppe löste sich ab und nannte sich die »Älteren«. Wegen des Ziels der Erlösung, das nur den Einzelnen betrifft, wird sie von der *Maha¯ya¯na-Schule das kleine Fahrzeug (Hı¯naya¯na) des Buddhismus genannt. Der Hauptsitz der Schule ist in Sri Lanka. Die grundsätzlichen Ansichten der Schule, welche die Hauptlehre Buddhas bilden und die von allen Schulen des Buddhismus anerkannt werden, sind die vier edlen Wahrheiten, das Entstehen in Abhängigkeit (*pratı¯tyasamutpa¯da) und die Theorie der Momenthaftigkeit des Lebens (*ksanikava¯da). Die vier edlen Wahrheiten, die der Buddha in ˙ ˙ Predigt verkündet hat und damit das Rad der Lehre in seiner ersten Bewegung gesetzt hat, sind: 1. es gibt Leiden (z. B. Geburt, Alter, Krankheit, Tod); 2. das Leiden hat einen Ursprung oder Grund, nämlich die Begierde oder den Durst (*trsna¯), z. B. nach Lust, nach Werden, ˙ ˙ ˙ aufgehoben werden, d. h. durch nach Vernichtung; 3. das Leiden kann völlige Begierdelosigkeit ist Befreiung (*nirva¯na) möglich; und 4. der Weg zur Aufhebung des Leidens, nämlich der ˙edle achtfache Pfad, der die buddhistische Disziplin mit den folgenden Bestandteilen ausmacht: Weisheit (*prajña¯), nämlich rechte Ansicht und rechter Entschluß; ethisches Verhalten (s´ı¯la), nämlich rechtes Reden, rechtes Verhalten, rechter Lebensunterhalt; und die geistige Disziplin (*sama¯dhi), nämlich rechte Anstrengung, rechte Achtsamkeit und rechte Meditation.
78 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
vais´esika ˙
tı¯rthamkara Furtbereiter ˙ Im Jainismus: die erleuchteten Verkünder der Jaina-Lehre, die durch ihr Beispiel und ihre Predigt den Menschen den Weg zur Erlösung zeigen – und damit eine Furt im Strom des Lebens zum jenseitigen Ufer bereiten – und eine Gemeinschaft von Mönchen, Nonnen, LaienanhängerInnen gründen.
trsna¯ Begierde, Durst ˙ ˙ ˙ S. 24, siehe auch pratıtyasamutpada. Siehe ¯ ¯
upanisad ˙
Geheimlehre, philosophische und theologische Literatur am Ende des *Veda
Siehe veda.
va¯c
Sprache, Wort, Aussage
va¯da Behauptung, Theorie, Disputation Va¯da bezeichnet eine sachliche Ermittlung der Wahrheit in einer Diskussion. Auch eine allgemeine Bezeichnung für Theorie. Siehe auch jalpa und vitanda¯. ˙˙ vais´esika die Vais´esika-Schule ˙ Das Grundwerk der ˙Schule ist das Vais´esika-su¯tra, das dem Kana¯da ˙ ˙ Ka¯s´yapa (auch Ulu¯ka genannt) zugeschrieben wird. Zwei Kommentare des Textes sind das in chinesischer Übersetzung erhaltene Das´apada¯rtha-S´a¯stra (»Lehrbuch der zehn Kategorien«) von Candramati (ca. 5.–6. Jh.), und der Pada¯rtha-dharma-samgraha (»Zusammenfassung der Eigenschaften der Kategorien«) von˙ Pras´astapa¯da (6. Jh.), dessen Werk zum systematischen Haupttext der Schule wurde. Der Name Vais´esika weist auf das Hauptanliegen der Schule hin, nämlich ihre ˙ Beschäftigung mit den ›Besonderheiten‹ (*vis´esa). Die Besonderheiten ˙ alles Existierende und sind die sechs Hauptkategorien (*pada¯rtha), die die Beziehungen zwischen den existierenden Dingen erfassen sollen, nämlich: Substanz (*dravya), Eigenschaft (*guna), Tätigkeit (*kar˙ 79 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
vais´esika ˙
man), und die drei Beziehungen: Allgemeinheit (sa¯ma¯nya), Besonderheit (vis´esa) und Inhärenz (samava¯ya). Unter Substanz wurden vier atomare ˙Kategorien (Erde, Wasser, Feuer, Luft) und weitere fünf (Äther, Zeit, Raum, Selbst und der innere Sinn), die nicht atomar sind, aufgezählt. Später wird das Nichtsein (*abha¯va) zu den sechs Hauptkategorien hinzugefügt. Das Vais´esika vertritt eine Kausalitätstheorie ˙ Sachverhalt entsteht als Beginn vom Beginn (a¯rambha). Ein Ding oder einer Zusammensetzung von Atomen und das Vergehen entsprechend als Auflösung eines solchen Aggregats.
das Diamantene- oder Donnerkeil-Fahrzeug, die Vajraya¯na-Schule des Buddhismus Die Grundtexte der Vajraya¯na-Schule, die heute hauptsächlich in Tibet existiert und praktiziert wird, heißen *Tantra (ab dem 3. Jh.). Sie sind Lehrbücher, deren Inhalt angeblich die Anweisungen Buddhas an seine aufnahmefähigsten Schüler darstellte und die später in vier Gruppen geteilt wurden. Die ersten beiden, Kriya¯tantra und Carya¯tantra, befaßten sich mit den mehr populären Aspekten der Tradition und im allgemeinen mit weltlicheren Formen des Rituals. Die anderen beiden, Yogatantra und Anuttaratantra, dienten als Richtlinien für spezielle Formen meditativer und liturgischer Praktiken, die direkt zur Verwirklichung des Buddhaseins führen. Das Vajraya¯na leitete viele seiner metaphysischen Lehren aus *Maha¯ya¯na-Texten her, erweiterte sie und paßte sie ihren eigenen Doktrinen und Praktiken an, deren Wurzeln, wie im Fall des *S´a¯ktismus, in der Tradition des tantrischen Rituals und alter yogischer Übungen waren. Es entwickelte sich ein System von komplexen Meditationsübungen und ritualistischer Symbolik zur Erlangung von Zauberkräften, zum Beschwören von göttlichen Kräften, zur Vervollkommnung der Persönlichkeit und zur Realisierung der absoluten Leerheit. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Einweihung durch einen Meister, die spezielle Einweihung durch den Guru und die Verwendung von magischen Diagrammen. Die Kraft heiliger Silben (*mantra) und Formeln (*dha¯rani), spezielle Gesten der Hände (*mudra¯) und konzentriertes Denken ˙(*dhya¯na) sind Mittel der spirituellen Disziplin. vajraya¯na
80 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
veda
va¯kya¯rtha
Bedeutung des Wortes, Sinn, Inhalt eines Satzes
vanaprastha Wald-Einsiedlerschaft Siehe a¯s´rama.
veda Wissen, heiliges Wissen, die Veda-Tradition, Veda-Texte Der Veda bezeichnet weder ein einzelnes literarisches Werk noch Texte, die zu einer bestimmten Zeit abgefaßt worden wären. Er ist im Laufe von vielen Jahrhunderten (ab 1500 v. Chr.) entstanden und wurde jahrhundertelang von Generation zu Generation mündlich überliefert. Später wurde er als »heiliges Wissen« oder »göttliche Offenbarung« verkündet. Dies hat sich von selbst ergeben, ohne ein Konzil, und für die Vedagläubigen wird sein Status nicht in Frage gestellt. Der brahmanischen Tradition gemäß ist der Veda nicht menschlichen (apauruseya) ˙ als Ursprungs. Seine Wahrheit wurde von Sehern ›gehört‹ und gilt *s´ruti, im Gegensatz zu den erinnerten (*smrti) Texten. Unter dem Wort »Veda« versteht man˙ vier verschiedene Arten von Werken, von denen jedes für sich auch Veda heißt. Die vier Veden sind: 1. Rgveda, das Wissen von den Preisliedern, bestehend aus 1028 ˚ Hymnen, eingeteilt in zehn Bücher. 2. Atharvaveda, das Wissen von den Zaubersprüchen oder Zauberformeln in 731 Hymnen, um Dämonen zu besänftigen, Freunde zu segnen usw. Einige Hymnen enthalten nicht nur theosophische und kosmogonische Spekulationen, sondern auch philosophische Gedanken. 3. Sa¯maveda, das Wissen von den Melodien oder Gesängen in 1810 Hymnen (meist Wiederholungen vom Rgveda), lehrt die Art, wie die Hymnen rezitiert werden, und auch˚ die Melodien, die bei bestimmten Opfern und Zeremonien gesungen werden sollen. 4. Yajurveda, das Wissen von den Opfersprüchen in zwei Teilen, dienen als Handbücher und Gebetsbücher für den Opferpriester mit Anleitungen, wie die einzelnen Opferhandlungen verrichtet werden sollen. Jeder Veda besteht aus vier Gruppen oder Klassen von Texten von unterschiedlicher Anzahl und Länge:
81 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
veda
1.
2.
3.
4.
Samhita¯, die ›Sammlungen‹ von Hymnen, Gebeten, Zauberlie˙ Segenssprüchen, Opferformeln und Litaneien für die Opferdern, handlung. Bra¯hmana, die ›Erklärungen‹ oder ›Erläuterungen‹, die als Kommentare˙zum Ritus dienen. Sie sind umfangreiche Prosatexte mit theologischen Erörterungen und Betrachtungen über die Opferhandlungen und beinhalten auch praktische und mystische Bedeutungen der einzelnen Opferriten und Zeremonien. ¯ ranyaka, die ›Waldtexte‹, sind Lehren derer, die sich in den Wald A ˙ zurückgezogen haben. Ihr Inhalt ist mit dem nächsten Teil eng verbunden. Upanisad, die ›Geheimlehre‹, die die Meditationen der Waldeinsiedler˙ und Asketen über Gott, Welt und Menschen enthält. In diesen ist ein großer Teil der ältesten indischen Philosophie erhalten, denn das anfängliche philosophische Denken der früheren als Bra¯hmana und Samhita¯ bekannten Textsammlungen wird in ˙ entfaltet.˙ Die Upanisaden gehören chronologisch dem ihnen voll ˙ Ende (anta) des Veda an und heißen daher auch *veda¯nta.
veda¯nta ›Ende des Veda‹, die Veda¯nta-Schule Veda¯nta ist ein Sammelbegriff für eine Vielfalt von Richtungen, die sich allerdings auf ein und denselben Grundtext stützen, das Veda¯ntaoder Brahma-su¯tra des Ba¯dara¯yana. Das Werk besteht aus vier Kapi˙ teln mit insgesamt 555 Merksprüchen, die ohne Kommentar schwer verständlich sind. In der Interpretation des Werkes unterscheiden sich zwei Hauptströmungen wesentlich in ihrer Kosmologie und Erkenntnistheorie, indem sie zwei verschiedene Standpunkte zur Frage nach der Realität der Welt einnehmen. Der parina¯mava¯da (»die Lehre von ˙ der Umwandlung«) behauptet die Wesensgleichheit von materieller Ursache und Produkt, wie die Umwandlung von Milch in Sauermilch. Für diese Strömung, die die ältere gewesen zu sein scheint, ist die Welt eine reale Umwandlung (parina¯ma) des Absoluten (*brahman). Ba¯dara¯yana scheint diese Ansicht˙ vertreten und die Vielheit der Welt als ˙ tatsächliche Evolutionsformen des Absoluten angesehen zu haben. Damit sind die Welt und die Einzelseelen in gewissem Sinne verschieden (*bheda) vom absoluten Urgrund, doch in gewissem Sinne, als Transformation des Absoluten, nicht verschieden (*abheda), analog zum Verhältnis der Wellen zum Ozean und des Funkens zum Feuer. 82 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
vikalpa
Nach der zweiten Theorie wandelt sich das wahrhaft seiende Absolute nicht; alles Empirische ist demnach nicht wahrhaft seiend, sondern eine bloße illusorische Manifestation des Absoluten. Die Entfaltung des Einen zum Vielen ist daher lediglich eine Scheinentfaltung (vivarta), analog zum Mond, der sich ohne Veränderung zugleich auf mehreren Flächen spiegeln kann. Wichtige Denker der Veda¯nta-Schule haben Kommentare zu Ba¯dara¯yanas Grundwerk geschrieben, und bis zum 16. Jh. haben sich ˙ sechs Hauptschulen des Veda¯nta entwickelt: 1. S´an˙karas Veda¯nta der ›Nicht-Zweiheit‹ (*a-dvaita) oder des radikalen Monismus, 7. Jh. 2. Ra¯ma¯nujas Veda¯nta von der ›besonderen Nicht-Zweiheit‹ oder des ›qualifizierten Monismus‹ (vis´ista-advaita), 12. Jh. ˙ 3. S´rı¯kanthas Veda¯nta von der˙›Nicht-Zweiheit S´ivas‹ (s´iva-advai˙ ˙ ta), 13. Jh. 4. Nimba¯rkas Veda¯nta von der ›Nicht-Zweiheit in Zweiheit‹ (dvaita-advaita), 13. Jh. 5. Madhvas Veda¯nta von der ›Lehre der Zweiheit‹ (dvaita-va¯da), 13. Jh. 6. Vallabhas Veda¯nta von der ›reinen Nicht-Zweiheit‹ (s´uddha-advaita), 16. Jh. Siehe auch mı¯ma¯msa¯. ˙ vidya¯
Wissen, auch als Synonym für *jña¯na
vijña¯na richtige Erkenntnis, Kognition, im Buddhismus ›Bewußtsein‹ Siehe maha¯ya¯na.
vijña¯nava¯da Schule des Buddhismus Siehe maha¯ya¯na.
vikalpa mentale Konstruktion, Sich-Vorstellen, Einbilden Indische Philosophie mißt der Einbildungskraft eine große Rolle zu. Hauptsächlich in *Yoga, Buddhismus und *Veda¯nta wird die Rolle der mentalen Konstruktionen betont. Der Grundgedanke der vikalpa83 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
vikalpa
Theorie ist folgende: Wir erfahren die Welt, sie widerfährt uns. Um die Erfahrung zu organisieren, zu deuten, bringen wir Kategorien und unsere Vorstellungen ein, wobei die letzteren Zutaten der eigentlichen Erfahrung fremd sein können. Dies hat auch dazu geführt, daß die oben genannten Schulen der Rolle der Sprache gegenüber skeptisch sind. Yogasu¯tra 1, 9 definiert vikalpa als das, was durch verbale Erkenntnis oder Wort-Wissen hervorgebracht wird und keinem realen, objektiven Gegenstand entspricht. Unter vikalpa werden nicht nur fiktionale Konstruktionen verstanden. Selbst die Zeit (*ka¯la) wird in der Yoga-Schule als eine mentale Konstruktion (buddhi-nirma¯na) verstan˙ den, der nichts Reales entspricht. Die Buddhisten gebrauchen hierfür den Terminus kalpana¯, was dazu führt, daß wir den momentan existierenden Dingen Namen, Begriffe, Substanz usw. zuschreiben. Die Advaita-Veda¯nta-Schule geht so weit, daß alle Objekte als verbale Konstruktionen angesehen werden, entstanden durch die anfangslose Unwissenheit (*avidya¯). Es existieren hier Analogien zum Konstruktivismus, zum Dekonstruktivismus und zur Rolle der Einbildungskraft in der europäischen Philosophie. Die vikalpa-Theorie liefert eine sehr modern klingende Erklärung dafür, daß es Begriffe geben kann, die zwar einen Sinn (eine Bedeutung), aber keine reale Entsprechung haben. So z. B. steht der Allgemeinbegriff »Mensch« – falls man ein Nominalist ist – nicht für einen konkret existierenden Gegenstand, ergibt aber Sinn und wird in philosophischen Diskursen verwendet.
vı¯rya Kraft, Energie; ein synonym für *s´akti Im Jainismus eine Qualität der Seele (*jı¯va).
visaya ˙
Objekt der Erkenntnis, in *mı¯ma¯msa¯ ›zu behandelnder ˙ Gegenstand‹
vis´esa Besonderheit, Partikular ˙ auch vais´esika. Siehe ˙
84 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
yoga
vitanda¯ Redestreit, Kampfgespräch ˙ Ein ˙Gespräch, bei dem man lediglich den Standpunkt des Gegners zu Fall bringen will, ohne einen eigenen aufzustellen. Siehe auch jalpa und va¯da.
vivarta Schein-Entfaltung Siehe veda¯nta.
vya¯karana ˙
Grammatik
Verallgemeinerung, unveränderliche Verbindung (z. B. zwischen Rauch und Feuer) Es ist die alltägliche Erfahrung, die eine Verallgemeinerung oder unveränderliche Verbindung ermöglicht, so z. B. ist es niemals der Fall, daß Rauch nicht auf einen Ort des Feuers zurückgeht. Vya¯pti ermöglicht die Schlußfolgerung. Siehe anuma¯na. vya¯pti
Yoga, Verinnerlichung, Konzentration, Selbstkontrolle, Askese, die Yoga-Schule Das grundlegende Werk der Yoga-Schule ist das Yoga-su¯tra, das dem Patañjali zugeschrieben wird. Die philosophischen Grundlagen der Schule decken sich weitgehend mit denen der *Sa¯mkhya-Schule, indem sie vor allem die ontologische Struktur des Sa¯m˙khya mit wenigen ˙ liegt auf der DarÄnderungen übernimmt. Der Schwerpunkt des Yoga stellung der theoretischen Anschauungen, die dem Befreiungsweg zugrunde liegen, und auf dem Aufzeigen des Weges, der zu seiner praktischen Verwirklichung führt. Damit liegt die Besonderheit des Yoga in der Erörterung der psychophysiologischen Struktur des Menschen und auf der Auswertung seiner wesentlichen Fähigkeiten. Die yogische Geisteshaltung der Verinnerlichung und der Versenkung wird von den meisten Schulen akzeptiert, und trotz bedeutsamer Unterschiede in den philosophischen Voraussetzungen der jeweiligen Schulen wird Yoga grundsätzlich anerkannt als eine Methode, mit der das Wesen des yoga
85 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
yoga
Menschen verwirklicht werden kann. Dies gilt insbesondere auch für den Buddhismus, der ein ewig existierendes Selbst (*a¯tman) ablehnt. Das Yoga-su¯tra besteht aus 195 (oder 196) Lehrsätzen und gliedert sich in vier Teile. Der erste Teil (sama¯dhi-pa¯da) befaßt sich mit grundlegenden Fragen wie: Was ist Yoga? Wo beginnt er? Wo soll er hinführen? Welche Bewußtseinszustände sind mit dem Yogaweg verbunden? Welche Mittel führen zu diesem Ziel hin? Welche Hindernisse stellen sich in den Weg? Die achtfache Yoga-Disziplin (siehe unten) wird im zweiten Teil (sa¯dhana-pa¯da) besprochen, nämlich die Mittel, die zur Überwindung des Leides (*duhkha) führen. Der dritte Teil (vibhu¯ti˙ (dha¯rana), die Meditation (dhya¯na) pa¯da) beschreibt die Festlegung ˙ die ›Kräfte‹ und ›Mächtigund die Versenkung (sama¯dhi); er gibt auch keiten‹ (siddhi, vibhu¯ti) an, die man als Folge der Disziplin erringt. Der vierte Teil (kaivalya-pa¯da) definiert und erklärt Begriffe wie Psyche (*citta), Vernunft (buddhi), ›Ich-Macher‹ (ahamka¯ra) und latente Spu˙ ren (va¯sana¯) in der Psyche und gibt eine Beschreibung des Zustandes der Befreiung (*moksa). Eine Diskussion˙über Yoga ist zugleich eine Beschäftigung mit der indischen Psychologie, da das psychische Organ, genannt *citta, ein Zentralbegriff des Yoga ist. Im Prozeß der Befreiung von der Hemmung und Begrenzung der Materie muß die Psyche zwar überstiegen werden, jedoch ist sie gleichzeitig auch das Mittel, wodurch das Wissen um die Wirklichkeit erlangt werden kann. Die Psyche ist materieller Natur; sie kommt, wie im *Sa¯mkhya, aus der ungeistigen Urmaterie ˙ von Yoga bezieht sich auf sie: »Yo(prakrti) hervor, und die Definition ˙ ga ist das Anhalten der Bewegungen der Psyche«. Die Bedeutung dieses Erlangens wird so angegeben: »Dann verweilt der Seher in seiner eigenen Natur«. Im Gegensatz zum Sa¯mkhya spricht Yoga von einem »besonde˙ ren« *purusa, der I¯s´vara, »Gott« oder »Herr«, genannt wird. Er unter˙ scheidet sich von den anderen Geistmonaden (purusa) dadurch, daß er ˙ Karma und von »unberührt ist von den Hindernissen, dem Gesetz des latenten Spuren«. Er ist allwissend, und sein Kennwort ist die heilige Silbe om. Seine Rolle ist, daß durch die konzentrative Wiederholung seines Kennwortes die Hindernisse am Yogaweg verschwinden. Die acht Glieder (asta¯n˙ga) oder acht Stufen der praktischen Yoga˙ Disziplin sind: 1. Fünf ˙Gebote (yama): Gewaltlosigkeit, Wahrhaftigkeit, Nichtstehlen, Enthaltsamkeit, Besitzlosigkeit; 2. Fünf Regeln (niyama): Sauberkeit, Zufriedenheit, Askese, Selbst-Studium, Hinga86 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
yuga
be an den Herren (genannt I¯s´vara, der als Konzentrationsobjekt der Meditation hilft); 3. Sitzarten oder Körperhaltung (a¯sana); 4. Atemübungen (pra¯na¯ya¯ma); 5. Zurückziehen oder Zurückhalten der Sin˙ ¯ ha¯ra); 6. Konzentration (dha¯rana¯); 7. Meditation nesorgane (pratya ˙ (*dhya¯na); und 8. Versenkung (*sama¯dhi), eine zweistufige Steigerung der Meditation: die Versenkung verknüpft mit einem Objekt oder einer Vorstellung (samprajña¯ta-sama¯dhi) und die Versenkung ohne ein Objekt oder eine ˙Vorstellung (asamprajña¯ta-sama¯dhi). Die erste ˙ Art von Versenkung wird in vier unterteilt: a) mit rationalem Denken (savitarka-sama¯dhi), b) ohne rationales Denken (nirvitarka-sama¯dhi), c) mit prüfender Überlegung (savica¯ra-sama¯dhi) und d) ohne prüfende Überlegung (nirvica¯ra-sama¯dhi). Man kann sagen, daß Yoga vier Dinge in einem ist: eine Haltung, eine Theorie, ein Weg und das Ziel. In dieser Hinsicht besitzt Yoga einige Parallelen mit der Psychoanalyse. Die Yoga-Disziplin kann den Menschen helfen, das Wesentliche von dem Unwesentlichen und Oberflächlichen zu unterscheiden. Eines der bleibenden Verdienste des Yoga ist die Entwicklung einer spirituellen Psychologie, die die geistig-seelischen Funktionen beschreibt und Wege aufweist, *sama¯dhi zu erreichen.
yoga¯ca¯ra Schule des Buddhismus Siehe maha¯ya¯na.
yuga Weltzeitalter Siehe ka¯la.
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Die Schulen und ihre zentralen Lehren
Schule
allg. Anmerkungen
Die Ca¯rva¯kaSchule (Schule des indischen Materialismus) oder Die Loka¯yataSchule
Materialismus; veda 1. Wahrnehmung (pratyaksa) ist das ein˙ wird nicht als autoritatizige gültige Erkenntnismittel ve Offenbarung aner2. Die einzige Realität ist die Materie kannt 3. Bewußtsein ist ein Epiphänomen; es entsteht durch Permutation u. Kombination der materiellen Faktoren 4. Es gibt keinen Gott; Religion ist eine betrügerische Erfindung der Brahmanenkaste 5. Es gibt kein Leben nach dem Tod 6. Das einzige wahre Ziel ist diesweltlich u. besteht in dem Bestreben, die Freude zu vermehren u. das Leid zu verringern
Zentrale Lehren
Buddhismus
Gautama, der später zu Buddha wurde, lehnt die brahmanische HinduOrthodoxie ab und spricht in seiner ersten Predigt von den vier edlen Wahrheiten: von Leid, von der Ursache des Leides, von dem Weg der Überwindung des Leides und von Befreiung (nirva¯na) ˙
1. Es gibt keine Seele (ana¯tmava¯da) 2. das empirische Ich besteht aus fünf Daseinsfaktoren 3. Es gibt keine Eigennatur der Dinge 4. Alles entsteht, besteht und vergeht in abhängigen Relationen 5. Alles, was es gibt, befindet sich im Werden ohne Dauer 6. Identität ist eine Denk-Fiktion 7. Es gibt nur zwei gültige Erkenntnismittel: Wahrnehmung und Schlußfolgerung
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Die Schulen und ihre zentralen Lehren Jainismus
Maha¯vı¯ra, ein Zeitgenosse Buddhas, revoltiert ebenso gegen die HinduOrthodoxie und setzt die anti-vedische Bewegung seines Vorgängers Pars´va fort
1. Realität weist eine unendliche Komplexität auf 2. So gibt es eine Vielzahl von Standpunkten (aneka¯ntava¯da) 3. Wahrheit ist daher relativ zu einem Standpunkt 4. Ein Urteil ist wahr von einem bestimmten Standpunkt aus u. nicht wahr von einem anderen Standpunkt aus 5. Deswegen soll man eine jede Selbstverabsolutierung eines bestimmten Standpunktes vermeiden u. Gewaltlosigkeit auf allen Ebenen üben 6. Es gibt zwei gültige Mittel der Erkenntnisgewinnung: die direkte und die indirekte Wahrnehmung (pratyaksa / ˙ paroksa) 7. Alles ˙Lebendige ist beseelt 8. es gibt keinen Schöpfergott 9. Jede Seele ist eines unendlichen Bewußtseins fähig u. demzufolge im Stande, die endgültige Befreiung zu erlangen
Sa¯mkhya ˙
Kausalitätstheorie; Methode: mittels »Aufzählung« der die Welt konstituierenden »Wesenheiten« systematische »Erwägung« anzustellen
1. Es gibt einen Urdualismus von Natur (prakrti) und Seele (purusa) ˙ ˙ in unter2. drei Qualitäten (gunas) sind ˙ schiedlichen Kombinationen in allem wirksam 3. Alles entsteht aus einer Urmaterie 4. Die Wirkung ist in der Ursache enthalten (satka¯ryava¯da) u. stellt nur eine Transformation der Ursache dar 5. Es gibt drei gültige Erkenntnismittel: Wahrnehmung, Schlußfolgerung u. das glaubwürdige Wort 6. Wahr u. falsch sind der Erkenntnis immanent 7. Bewußtsein ist selbst-manifestierend 8. Die höchste Befreiung ist eine reine Einsamkeit als Ergebnis einer differenzierenden und diskriminierenden Erkenntnis
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Die Schulen und ihre zentralen Lehren Yoga-Schule
Übernimmt das theoreti- 1. Ziel ist das Anhalten der Bewegungen sche Gerüst der der Psyche Sa¯mkhya-Philosophie; 2. Dadurch verweilt der purusa in seiner ˙ ˙ ist jedoch sehr praxisorieigenen Wesenheit entiert u. bietet eine Yo- 3. Der Weg des yoga beinhaltet acht Stuga-Psychologie u. Yogafen: Technik an, um das letzte • Fünf Gebote (yama): GewaltlosigStadium der Bewußtkeit, Wahrhaftigkeit, Nichtstehlen, seinsruhe (sama¯dhi) zu Enthaltsamkeit, Besitzlosigkeit; erlangen. Befreiung von • Fünf Regeln (niyama): Sauberkeit, den Verblendungen u. Zufriedenheit, Askese, Selbst-Stufalschen Identifikatiodium, Hingabe an den Herren (genen; Vermittlungsstelle nannt I¯s´vara, der als Konzentratizwischen der Philosophie onsobjekt der Meditation hilft); als Denkweg u. der Phi• Sitzarten oder Körperhaltung (a¯salosophie als Lebensweg; na); das Wissen ist noch nicht • Atemübungen (pra¯na¯ya¯ma); Tugend • Zurückziehen oder ˙Zurückhalten der Sinnesorgane (pratya¯ha¯ra); • Konzentration (dha¯rana¯); • Meditation (dhya¯na); ˙ • Versenkung (sama¯dhi)
Vais´esika˙ Schule
Beschäftigung mit den ›Besonderheiten‹ (vis´esa); die Besonderheiten ˙ die sechs Hauptsind kategorien (pada¯rtha), die alles Existierende u. die Beziehungen zwischen den existierenden Dingen erfassen sollen, nämlich: Substanz (dravya), Eigenschaft (guna), Tätigkeit (kar˙ u. die drei Bezieman), hungen: Allgemeinheit (sa¯ma¯nya), Besonderheit (vis´esa) und Inhärenz ˙ ¯ ya). (samava
1. Es gibt nur zwei gültige Erkenntnismittel: Wahrnehmung u. Schlußfolgerung 2. Von sechs Kategorien ist in dieser Schule die Rede: Substanz, Qualität, Handlung, Universalität, Partikularität und Inhärenz 3. Wahrheit besteht in Übereinstimmung 4. Wahr u. falsch sind der Erkenntnis extrinsisch 5. Die materielle Welt besteht aus Atomen 6. Gott ist d. Wirkursache der Welt u. nicht absolut frei
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Die Schulen und ihre zentralen Lehren Nya¯ya-Schule Methoden für korrektes 1. Es gibt vier gültige Erkenntnismittel: und erfolgreiches DisWahrnehmung, Schlußfolgerung, Verputieren ausbilden; Spegleich, glaubwürdiges Wort zialisierung auf Logik 2. Zu den auch von dieser Schule akzepund Epistemologie tierten sechs Kategorien der Vais´esikaPhilosophie fügt diese Schule eine˙siebte Kategorie der Nicht-Existenz (abha¯va) hinzu. Im allgemeinen gehen diese beiden Schulen Hand in Hand Mı¯ma¯msa¯Schule˙
eigentliches Anliegen ist 1. Es werden fünf gültige Erkenntnismitdie Erörterung und Austel akzeptiert: Wahrnehmung, Schlußlegung der absoluten folgerung, Vergleich, das glaubwürdige Texte der Veden Wort und Hypothese. Manche Vertreter dieser Schule sprechen auch von einem 6. Erkenntnismittel: das NichtWahrnehmen (anuplabdhi) 2. Erkenntnis ist unmittelbar u. mittelbar – beide Ansichten werden vertreten 3. Wahrheit der Erkenntnis ist intrinsischer Natur; Falschheit ist jedoch extrinsisch 4. Das Selbst wird erkannt durch die Wahrnehmung der Aussageart wie z. B. ›ich bin froh‹ 5. Diese Schule vertritt eine realistische Metaphysik, akzeptiert jedoch eine Kategorie »Kraft« 6. Es herrscht eine Ambivalenz hinsichtlich der Existenz Gottes, aber die theistischen Argumente werden auf jeden Fall zurückgewiesen. Diese Schule ist sehr hermeneutisch angelegt
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Die Schulen und ihre zentralen Lehren Veda¯ntaSchulen (AdvaitaVeda¯nta – Unzweiheitslehre von S´an˙kara)
Zwei Strömungen: Einerseits: Welt als eine reale Umwandlung (parina¯ma) des Absoluten ˙ (brahman); Andererseits: das wahrhaft seiende Absolute wandelt sich nicht, alles Empirische ist demnach nicht wahrhaft seiend, sondern eine bloße illusorische Manifestation des Absoluten
1. Die eigentliche Realität, d. h. Brahman ist nicht-dual (advaita) 2. Die Welt ist wegen der Schleierkraft ›ma¯ya¯‹ eine falsche, illusionäre Erscheinung u. wird weder bloß als falsch noch als wahr beschrieben, sondern ist unbeschreibbar (anirvacanı¯ya) 3. Endliche individuelle Seelen sind nicht verschieden von Brahman u. es besteht zwischen ihnen eine Unzweiheit 4. Verwirklichung des Brahman (moksa) ist das letzte Ziel des menschlichen˙Lebens 5. Um Brahman zu realisieren muß man in erster Linie weder den Befreiungsweg der Gottesliebe (bhaktima¯rga) noch den der Handlung (karmama¯rga), sondern den der Erkenntnis (jña¯nama¯rga) gehen 6. Es werden hier sechs gültige Erkenntnismittel anerkannt: Wahrnehmung, Schlußfolgerung, Vergleich, Hypothese, das glaubwürdige Wort und NichtWahrnehmen
Veda¯ntaSchule von Ra¯ma¯nuja (vis´ista˙˙ – advaita bedingter Dualismus)
Das Brahman, der alleine Gott, besitzt die Einzelseelen und das Unbelebte als Qualitäten (vis´esa). Gott verhält sich ˙ Seelen und der zu den Materie wie die Seele zum Leib. Sie sind gänzlich abhängig, aber ewig verschieden von ihm
1. Brahman ist gleichzusetzen mit dem Gott der Theisten 2. Brahman enthält interne Differenzen 3. Die Welt ist in Brahman verankert und daher nicht bloß eine illusionäre Erscheinung 4. Die Materie und die Seelen sind Teile des Brahman 5. Unwissenheit (avidya¯) ist die Wurzel aller Verblendungen 6. Freiheit von diesem Grundübel der Unwissenheit ist möglich durch Gottesliebe 7. Gott ist gnädig
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Zeittafel
Schulen/Personen Vedische Epoche (ca. 1500–600 v. Chr.)
Überlieferung, Werke • Veda/Veden (mündlich überliefertes ›Wissen‹, ca. 1500–1000 v. Chr.) – Die vier Veden: Rgve˚ da, Atharvaveda, Sa¯maveda, Yajurveda • Bra¯hmanas (»Opfermystik«, ca. ˙ v. Chr.) 1000–750 • Upanisaden (›Geheimlehren‹, ˙ Erläuterungen zu den Veden, ca.700–200 v. Chr.)
Klassische / Maha¯vı¯ra, Jainismus Epische Epoche Buddha, Buddhismus (ca. 600–200 (ca. 550–326 v. Chr.) v. Chr.) Patañjali (2. od. 4. Jh. v. Chr.) Aksapa¯da Gotama (ca. 2. Jh. ˙ v. Chr.) Jaimini (ca. 3. Jh. v. Chr.) Kana¯da Ka¯s´yapa (Ulu¯ka) (ca.˙ 2. Jh. v. Chr.)
• Yoga-su¯tra (Grundwerk YogaSchule) • Nya¯ya-su¯tra (Grundwerk Nya¯ya-Schule) • Mı¯ma¯msa¯-su¯tra (Grundwerk ˙ sa¯-Schule) Mı¯ma¯m ˙ • Vais´esika-su ¯ tra (Grundwerk Vais´es˙ ika-Schule) ˙ v. Chr. bis 400 n. Chr.) Epen (400 • Maha¯bha¯rata, darin Bhagavad-gı¯ta¯ • Ra¯ma¯yana ˙
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Zeittafel Su¯tra- oder Ca¯rva¯ka-Schule: scholastische Jayara¯s´i (ca. frühes 9. Jh.) Epoche (ca. 200 v. Chr.– 1700) Maha¯ya¯na (Schule d. Buddhismus): Na¯ga¯rjuna (ca. 2. Jh. n. Chr.) Asan˙ga (ca. 3./4. Jh. n. Chr.)
• Tattvopaplavasimha (»Der ˙ Löwe, der die Grundwahrheiten zerstört«)
• Madhyamaka-ka¯rika¯ (»Strophen über den mittleren Weg«) • Yoga¯ca¯ra-bhu¯mi-s´a¯stra (»Lehrtext über die Grundlage des Yoga-Weges«)
Mı¯ma¯msa¯-Schule: S´abara˙(ca. 5. Jh. n. Chr.) Kommentare dazu: Prabha¯kara (um 650 n. Chr.) Kuma¯rila Bhatta Nya¯ya-Schule:˙ ˙ Paksilasva¯min Va¯tsya¯yana (ca. 4./ ˙ n. Chr.) 5. Jh. Gan˙ges´a (13. Jh.)
• Mı¯ma¯msa¯-bha¯sya (Kommentar ˙¯ma¯msa¯˙-su¯tra) zum Mı ˙ • Brhatı¯ (»Großer Kommentar«) ˚ • S´lokava ¯ rttika
Sa¯mkyha-Schule: ˙ I¯s´varakr sna (ca. 5. Jh. n. Chr.) ˚˙ ˙
• Sa¯mkhya-Ka¯rika¯ ˙ Yukti-Dı ¯pika¯ (»Leuchte der Beweisführung«)
Vais´esika-Schule: ˙ Candramati (ca. 5./6. Jh.)
• Das´apada¯rtha-S´a¯stra (»Lehrbuch der zehn Kategorien«) • Pada¯rtha-dharma-samgraha (»Zusammenfassung˙der Eigenschaften der Kategorien«)
Pras´astapa¯da (6. Jh.)
Vajraya¯na (Schule des Buddhismus):
• Nya¯yabha¯sa (»Kommentar ˙ zum Nya¯ya«) • Tattvacinta¯mani (»Der Edel˙ stein der Wahrheit«)
• Tantra: Kriya¯tantra, Carya¯tantra, Yogatantra, Anuttaratantra
• Veda¯nta- oder Brahma-su¯tra Veda¯nta-Schule: Ba¯dara¯yana (vor d. 5. Jh. n. Chr.) ˙ 6 verschiedene Richtungen: S´an˙kara (7. Jh.) Ra¯ma¯nuja (12. Jh.) S´rı¯kantha (12. Jh.) ˙¯˙rka (13. Jh.) Nimba Madhva (13. Jh.) Vallabha (16. Jh.) Digna¯ga (ca. 480–560 n. Chr.) Dharmakı¯rti (ca. 600–660 n. Chr.) • Va¯kyapadı¯ya (»Wort und Bharatrhari (ca. 6. Jh. n. Chr.) ˚ Satz«)
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Die wichtigsten Schriften der indischen Philosophie
1.
Veden
a)
Rgveda, das Wissen von den Preisliedern, 1028 Hymnen, ˚ eingeteilt in zehn Bücher
Übersetzungen: Der Rig-Veda, aus dem Sanskrit ins Dt. übersetzt und mit einem laufenden Kommentar versehen von Karl Friedrich Geldner. Cambridge, Mass.: Harvard Univ. Press u. a., 1951–1957, Neudruck Cambridge, Mass. u. a.: Harvard Univ. Press, 2003; RigVeda: das heilige Wissen. Erster und zweiter Liederkreis. Aus dem Sanskrit übersetzt und hg. von Michael E. J. Witzel und Toshifumi Goto. Unter Mitarbeit von E. Doyama und M. Jezic. Frankfurt/ M.: Verlag der Weltreligionen, 2007.
b)
Atharvaveda, das Wissen von den Zaubersprüchen oder Zauberformeln, 731 Hymnen
Übersetzungen: Hundert Lieder des Atharva-Veda, übersetzt und mit textkritischen und sachlichen Erläuterungen von Julius Grill, Stuttgart 1888; Der Hymnus an die Erde aus dem altindischen Atharvaveda. Ein Denkmal ältester Dichtung und alten Ariertums, übersetzt und erläutert von Hermann Beckh. Stuttgart: Verlag der Christengemeinschaft, 1934; Hymns of the Atharva-Veda: together with extracts from the ritual books and the commentaries, translated by Maurice Bloomfield. Oxford 1897, Neudruck Delhi u. a.: Motilal Banarsidass, 1979.
97 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
Die wichtigsten Schriften der indischen Philosophie
c)
Sa¯maveda, das Wissen von den Melodien oder Gesängen, 1810 Hymnen
Übersetzung: The Sâmaveda Samhitâ. Text, Translation, Commentary, Notes in English, translated˙ by Ralph T. H. Griffith. Revised and enlarged edition, enlarged by Nag Sharan Singh and Surendra Pratap 1991.
d)
Yajurveda, das Wissen von den Opfersprüchen, dienen als Handbücher für Opferpriester
Übersetzung: TheYajurveda. Sanskrit text with English translation with introductory remarks by M. C. Joshi and with glossary and index, transl. by Devi Chand. 5. Aufl. New Delhi: Munshiram Manoharlal, 1994.
2.
Upanisaden ˙
Übersetzungen: Sechzig Upanishad’s des Veda, aus dem Sanskrit übersetzt und mit Einleitung und Anmerkungen versehen von Paul Deussen. Nachdr. der Ausg. Leipzig: Brockhaus, 1897, Bielefeld: Kleine, 1980; Upanishaden. Die Geheimlehre des Veda, übersetzt von Paul Deussen. Nach der Originalausgabe von Deussens Sechzig Upanishad’s des Veda (Leipzig 1897) hg. und eingeleitet von Peter Michel, Wiesbaden 2006.
3.
Epen (400 v. Chr. bis 400 n. Chr.)
Maha¯bha¯rata, Va¯ysa zugeschrieben (darin: Bhagavad-Gı¯ta¯, »Gesang des Erhabenen«), vor dem 4. Jh. n. Chr. Übersetzungen: Bhagavad-gita: der vollständige Text mit dem Kommentar Shankaras [Shankara¯ca¯rya], unter Heranziehung der Sanskritquellen ins Deutsche übersetzt von Jürgen Dünnebier, hg. von Gerhard Riemann. München: Droemer Knaur, 1989; Die Bhagavadgı¯ta¯: des Erhabenen Gesang, aus dem Sanskrit übersetzt und hg. von Klaus Mylius. Vollst. Ausg., 2. Aufl. München: dtv, 98 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
Die wichtigsten Schriften der indischen Philosophie
2002; Bhagavad Gı¯ta¯: der Gesang des Erhabenen, aus dem Sanskrit übersetzt und mit einem Kommentar hg. von Michael von Brück. Mit einem Glossar. Frankfurt/Main: Verlag der Weltreligionen, 2007. Ra¯ma¯yana, Valmiki zugeschrieben, vor dem 4. Jh. n. Chr. ˙ Übersetzung: Ramayana. Die Geschichte vom Prinzen Rama, der schönen Sita und dem großen Affen Hanuman, übersetzt von Claudia Schmölders. Köln: Diederichs, 1986.
4.
Grundwerke der einzelnen Schulen
4.1 Orthodoxe Schulen a) Mı¯ma ¯ msa ¯ -Schule Jaimini, ˙Mı¯ma¯msa¯–su¯tra, »Faden der Erörterung«. Lehrbuch der Her˙ meneutik, ein System von Regeln für die Interpretation der heiligen Texte, 300–200 v. Chr. oder 1. Jh. n. Chr. Kommentar: Mı¯ma¯msa¯-bha¯sya des S´abara, ca. 5. Jh. (früherer Kom˙ ˙ erhalten) mentar von Upavars ´ a nicht Zwei Kommentare zu diesem Kommentar, die zugleich zwei Richtungen der Schule bilden: Prabha¯kara, Brhatı¯ (»großer Kommentar«), um 650 n. Chr., und Kuma¯rila Bhatt˙a, S´lokava¯rttika (»Ergänzen˙˙ der Kommentar in Strophen«) Übersetzung (ins Englische): Mimamsa sutras of Jaimini, übersetzt von Mohan Lal Sandal, 2 Bde, Delhi: Motilal Banarsidass 1980. b) Nya¯ya-Schule Aksapa¯da Gotama, Nya¯ya-Su¯tra. Grundwerk der Nya¯ya-Schule, ca. ˙ n. Chr. 1. Jh. Kommentar: Nya¯yabha¯sya (»Kommentar zum Nya¯ya«) des Paksilasva¯min Va¯tsya¯yana,˙4.–5. Jh. (ältester erhaltener Kommentar)˙ seit dem 12. Jahrhundert Navya-Nya¯ya (»Neo«-Nya¯ya), vgl. Gan˙ges´a, Tattvacinta¯mani (»Der Edelstein der Wahrheit«), 13. Jh. ˙ ¯ yasu¯tra’s: Text, Übersetzung, Erläuterung und Übersetzung: Die Nya Glossar von Walter Ruben, Leipzig 1928, Nachdruck Nendeln, Liechtenstein: Kraus-Reprint, 1966.
99 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
Die wichtigsten Schriften der indischen Philosophie
c) Sa¯mkhya-Schule ˙ Sa¯mkhya-Ka ¯ rika¯ von I¯s´varakrsna, ca. 5. Jh. n. Chr. ˙ ˙ ¯˙ (»Leuchte der Beweisführung«), ca. ˙ Kommentare: Die Yukti-Dı¯pika 7. Jh. n. Chr.; Sa¯mkhya-Pravacana, »Darstellung des Sa¯mkhya«, ˙ oder ˙ Kapila zugeschrieben, kein originales, sondern ein im 14. 15. Jh. n. Chr. entstandenes Werk Übersetzung (ins Englische): Mainkar, T. G.: Samkhyakarika of Ishvarakrsna. Chankhamba Sanskrit Pratishthan, 2004. d) Vais´esika-Schule ˙ tra, Kanada Kas´yapa (auch Uluka genannt) zugeschrieben, Vais´esika-su ¯ ¯ ¯ ¯ ˙ ˙ ca. 2. Jh. v. Chr. Kommentare: das in chinesischer Übersetzung erhaltene Das´apada¯rtha-S´a¯stra (»Lehrbuch der zehn Kategorien«) von Candramati, ca. 5.–6. Jh. und der Pada¯rtha-dharma-samgraha (»Zusammenfassung der Eigenschaften der Kategorien«)˙ von Pras´astapa¯da, 6. Jh., systematischer Haupttext der Schule Übersetzung: Die Lehrsprüche der Vaiseshika-Philosophie von Kana¯da, aus dem Sanskrit übersetzt und erläutert von E. Röer, Leipzig 1867/68. e) Veda¯nta-Schule Veda¯nta- oder Brahma-su¯tra des Ba¯dara¯yana, ca. 2. Jh. Kommentare: Gaudapadı¯yaka¯rika¯ von ˙ Gaudapa¯da, um 500; S´a¯rı¯rakabha¯sya˙von S´an˙kara, ca. 788–820 ˙ Übersetzung: Die˙ Sûtra’s des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmânsâ des Bâdarâyana nebst einem vollständigen Kommentare des Çankara, übersetzt von Paul Deussen, Leipzig 1887, Neudruck Hildesheim: Olms, 1966. f) Yoga-Schule Yoga-su¯tra, dem Patañjali zugeschrieben, ca. 2. Jh. v. Chr. Kommentar: Yogabha¯sya von Vya¯sa ˙ Übersetzungen: I. K. Taimni: Die Wissenschaft des Yoga. Die Yoga-Sutren des Patanjali in Sanskrit, Übersetzung und Kommentar, übersetzt von L. Flock, Hirthammer Verlag, München 1982; Patanjali: Die Wurzeln des Yoga. Die Yoga-Sutren des Patanjali mit einem Kommentar von P. Y. Deshpande. Mit einer neuen Übertragung aus dem Sanskrit hg. von Bettina Bäumer. Bern u. a.: Barth, 1977; 100 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
Die wichtigsten Schriften der indischen Philosophie
Yoga-Sutra. Der Yogaleitfaden des Patanjali, übersetzt von Helmuth Maldoner, Raja-Verlag, Stuttgart 2003.
4.2 Heterodoxe Schulen a) Ca ¯ rva ¯ ka-Schule (Materialismus) Jayara¯s´i Bhatta: Tattvopaplavasimha (»der Löwe, der die Grundwahr˙ heiten [der anderen Schulen] zerstört«), ca. frühes 9. Jh. Übersetzung: Eli Franco: Perception, knowledge, and disbelief: a study of Jayara¯s´i’s scepticism, 2. Aufl., Verlag Motilal Banarsidass, Delhi 1994. b) Maha¯ya¯na-Schulen (Buddhismus) b.a) Madhyamaka-Schule Na¯ga¯rjuna, Madhyamaka-ka¯rika¯, »Strophen über den mittleren Weg« (eigentlich: Mu¯lamadhyamaka-Ka¯rika¯, »Grundlegende Merkstrophen des Mittleren [Weges]«), ca. 2. Jh. n. Chr. Übersetzung: Bernhard Weber-Brosamer, Dieter M. Back: Die Philosophie der Leere. Na¯ga¯rjunas Mu¯lamadhyamaka-Ka¯rika¯s. Übersetzung des buddhistischen Basistextes mit kommentierenden Einführungen, 2., durchgesehne Aufl., Wiesbaden: Harrassowitz, 2006. b.b) Yoga¯ca¯ra-Schule Asan˙ga, Yoga¯ca¯ra-bhu¯mi-s´a¯stra, »der Lehrtext über die Grundlage des Yoga-Weges«, ca. 4. Jh. c) Jainismus Tattva¯rtha¯dhigamasu¯tra (›Leitfaden für das Verständnis der Wirklichkeit‹) des Uma¯sva¯ti (5. Jh.) Übersetzung: Eine Jaina-Dogmatik. Uma¯sva¯ti’s Tattva¯rtha¯digama Sutra, übersetzt und erläutert von Hermann Jacobi, ZDMG, Bd. 60, 1906, S. 287–325.
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Die wichtigsten Schriften der indischen Philosophie
5.
Weitere wichtige Schriften
a) Carakasamhita¯, Sammlung des Caraka, ca. 1. Jh. (Medizin) Übersetzung:˙ Priya Vrat Sharma (Ed.): Caraka Samhita: Text with English Translation (in 4 Volumes), Varanasi 2004. b) Kautilya oder Kautalya, Arthas´a¯stra, ca. 300 v. Chr. (Staatskunst) ˙ ˙ Das altindische Buch vom Welt- und StaatsÜbersetzung: Kautilya: leben: das Arthaçâstra des Kautilya, aus dem Sanskrit übersetzt ˙ und mit Einleitung und Anmerkungen versehen von Johann Jakob Meyer, Leipzig: Harrassowitz, 1926, Nachdruck Graz: Akademische Druck- und Verlagsanstalt, 1977. c) Manu, Dharmas´a¯stra, ca. 200 n. Chr. (Gesetzbuch) Übersetzungen: Georg Bühler: The Laws of Manu. Delhi: Motilal Banarsidass, 1993 (zuerst Oxford 1886); Wendy Doniger (with Brian K. Smith): The Laws of Manu. Harmondsworth 1991; Patrick Olivelle: The Law Code of Manu. Oxford 2004. d) Panini, Asta¯dhya¯yı¯, ca. 4. Jh. v. Chr. (Grammatik) ˙ ˙˙ Otto Böhtlingk (Hg.): Panini’s Grammatik, Bonn Übersetzung: 1839–1840, Nachdruck Delhi 2001. e) Va¯tsya¯yana, Ka¯masu¯tra, 3./4. Jh. (Liebeskunst) Übersetzung: Mallanaga Vatsyayana, Das Kamasutra, herausgegeben und übersetzt von Klaus Mylius, Leipzig 1987.
102 https://doi.org/10.5771/9783495860953 .
Ausgewhlte Literatur zur indischen Philosophie
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Index
abhängiges Entstehen: pratı¯tyasamutpa¯da Absonderung: apoha Anschauung: drsti ˙ ˙ ˙ drsti Ansicht: dars´ana, Anweisung: s´a¯stra ˙ ˙ ˙ Aphorismus: su¯tra Askese: tapasya
Erinnerung: smrti Erkennen: khya¯˙ti Erkenntnis: pramiti Erkenntnis-Instrument, -Mittel: ka¯rana, prama¯na ˙ ˙ Erkenntnistheorie: pra¯ma¯nyava¯da ˙ Erlöschung: nirva¯na ˙ Erlöschen: moksa/mukti, nirva¯na ˙ »es-gibt-nicht«-Denker: na¯stika˙
Bedeutung: artha Bedeutung des Wortes: pada¯rtha Befreiung: moksa/mukti, nirva¯na ˙ ˙ Begründung: hetu Behauptung: va¯da Beobachter-Selbst: sa¯ksin Besonderheit: vis´esa ˙ ˙ Bestandteile der Persönlichkeit: skandha Bewußtsein: cit daseiend: sat Denken: citta Denkerkennen: manovijña¯na Disputation: va¯da Eigenschaft: dharma eigenschaftslos: nirguna ˙ ¯ va eigentliche Natur: svabha Eindruck: samska¯ra Einsicht: drst˙i, pratibha¯ ˙ ˙ ˙ vı¯rya Energie: s´akti, Entsager: sannya¯sin Entstehen in Abhängigkeit: pratı¯tyasamutpa¯da Epistemologie: pra¯ma¯nyava¯da ˙
falscher Einwand: ja¯ti Fessel: pa¯s´a Form: ru¯pa Frustration: duhkha ˙ Furtbereiter: tı¯rtham kara ˙ Gattung: ja¯ti gebundenes Wesen: pas´u Gedächtnis: smrti ˙ Geheimlehre: upanis ad ˙ purusa Geist: a¯tman, cit, jı¯va, ˙ Geistigkeit: cit Gegenstand: artha, visaya ˙ Gegenstand der Erkenntnis: prameya, visaya ˙ ka¯ma, rasa Genuß: Gesetz: dharma, rta ˙ Gestalt: ru¯pa Gewaltlosigkeit: ahimsa¯ ˙ Gnosis: jña¯na Gott: pati Grammatik: vya¯karana Grund: hetu, ka¯rana ˙ ˙ Grundprinzip: tattva
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Index Handlung: karman, kriya¯ heiliges Wissen: veda
Modus: parya¯ya, siehe: dravya/guna/ ˙ parya¯ya
Ich: aham Ichbewußtsein: ahamka¯ra ˙ Ichmacher: ahamka¯ra Illusion: ma¯ya¯ ˙
Nachforschung: mı¯ma¯msa¯ ˙ ¯ pa Name und Gestalt: na¯ma/ru Natur: dharma Negation: apoha nicht aussprechbar: anirvacanı¯ya nicht-einseitig: aneka¯nta Nichtsein: abha¯va Nichtvorhandensein: abha¯va Nicht-Wissen: ajña¯na, avidya¯ Nicht-Zweiheit: advaita
illusorisch: mithya¯ Instrument der Erkenntnis: ka¯rana, ˙ prama¯na ˙ Irrtum-Lehre: khya¯ti Kampfgespräch: vitanda¯ ˙ ˙ s´a¯stra kanonischer Text: a¯gama, Kategorie: pada¯rtha, tattva Kausalitätstheorie des Buddhismus: pratı¯tyasamutpa¯da Kausalitätstheorie des Sa¯mkhya: ˙ satka¯ryava¯da Klang: s´abda Komponente: guna Kraft: s´akti, vı¯rya˙ Kreislauf des Lebens: samsa¯ra ˙ Lebensstadium: a¯s´rama leblos: jada Leerheit: ˙s´u¯nya Lehrbuch: s´a¯stra Lehre: dars´ana Lehrsatz: su¯tra Leid: duhkha Liebe: ka¯˙ma Logik: nya¯ya logischer Beweis: nya¯ya mannigfaltig: aneka¯nta Materialist: ca¯rva¯ka Materialismus: ca¯rva¯ka materiell: acit, jada Mensch: purusa ˙ ˙ Merksatz: su¯tra Metaphsyik: adhya¯tmavidya¯ Mittel der Erkenntnis: ka¯rana, pra˙ ma¯na ˙ mit Eigenschaft/Qualität: saguna ˙
Objekt der Erkenntnis: prameya, visaya ˙ Offenbarung: s´ruti ohne Beginn: ana¯di ohne Eigenschaft: nirguna ˙ ohne Ende: ananta ohne Gewalt: ahimsa¯ ˙ a ohne Qualität: nirgun Ordnung: dharma, rta˙ ˙ Partikular: vis´esa Partikel: kala¯ ˙ Pein: duhkha ˙ Pflicht: dharma Philosophie: a¯nvı¯ksikı¯, dars´ana ˙ Psyche: citta Qualität: guna, dravya/guna/parya¯ya ˙ qualitätslos: ˙nirguna ˙ Recht: dharma Redestreit: vitanda¯ Redewettkampf:˙ ˙jalpa regressus ad infinitum: anavastha¯ Religion: dharma Ritual: kriya¯ Scheinbeweis: hetva¯bha¯sa Schein-Entfaltung: vivarta Scheingrund: hetva¯bha¯sa Schmutz: mala seiend: sat
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Index Seele: a¯tman, jı¯va, purusa ˙ ¯va Seele/Nicht-Seele: jı¯va/ajı seelenlos: ajı¯va Sehen: drsti ˙ ˙ ˙ jı¯va, purusa Selbst: a¯tman, ˙ das eigentliche Selbst: aham Seligkeit: a¯nanda siebenstufige Aussagen: saptabhan˙gı¯ Sieger: jina sinnliche Freude: ka¯ma Sitte: dharma Speicher-Bewußtsein: a¯layavijña¯na Spur: samska¯ra ˙ drsti, naya Standpunkt: ˙ ˙ ˙ Modus: dravya/ Substanz, Qualität, guna/parya¯ya ˙ Substrat: adhikarana System: dars´ana ˙ Tat: karman Teile der Persönlichkeit: skandha Teilchen: kala¯ Theorie: drsti, va¯da ˙ ˙ ti Tradition: ˙smr ˙ Wissen: prajña¯, jña¯na transzendentales Trugbild: ma¯ya¯ Überlagerung: adhya¯sa überlieferter Text: a¯gama Übertragung: adhya¯sa unaussprechlich: anirvacanı¯ya Unbeständigkeit: anavastha¯
ungeistig: acit, ajı¯va, jada ˙ ungültige Schlußfolgerung: hetva¯bha¯sa Unreinheit: mala unsichtbare Ursache: adrsta ˙˙˙ ¯ Unwissenheit: ajña¯na, avidya Urmaterie: prakrti Ursache: ka¯rana ˙ ˙ Verallgemeinerung: vya¯pti Verschiedenheit-in-Nicht-Verschiedenheit: bheda/abheda vollkommene Einsicht: prajña¯pa¯ramita Vorratsbewußtsein: a¯layavijña¯na Wald-Einsiedlerschaft: vanaprastha Wandermönch: sannya¯sin Weisheit: prajña¯ Weltanschauung: dars´ana Wissen: jña¯na, khya¯ti, prajña¯, pramiti, veda Wonne: a¯nanda Wort: s´abda Wort-Brahman: s´abda-brahman Zeit: ka¯la Zeitalter: yuga Ziel des Menschen: purusa¯rtha ˙ zu behandelnder Gegenstand: visaya ˙ Zweifel: sams´aya ˙ advaita Zweitlosigkeit:
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