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German Pages [549] Year 2016
Welten der Philosophie 2
Ryôsuke Ohashi (Hg.)
Die Philosophie der Kyôto-Schule Texte und Einführung
VERLAG KARL ALBER
https://doi.org/10.5771/9783495860939
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B
Die Philosophie der Kyôto-Schule
VERLAG KARL ALBER
A
https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
Welten der Philosophie 2 Wissenschaftlicher Beirat: Claudia Bickmann, Rolf Elberfeld, Geert Hendrich, Heinz Kimmerle, Kai Kresse, Ram Adhar Mall, Hans-Georg Moeller, Ryôsuke Ohashi, Heiner Roetz, Ulrich Rudolph, Hans Rainer Sepp, Georg Stenger, Franz Martin Wimmer, Günter Wohlfart, Ichirô Yamaguchi
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Die Philosophie der Kyôto-Schule Zweite, erweiterte und mit einer neuen Einführung versehene Auflage Texte von Kitarô Nishida · Hajime Tanabe · Shin-ichi Hisamatsu · Keiji Nishitani Iwao Kôyama · Masaaki Kôsaka · Toratarô Shimomura · Shigetaka Suzuki Yoshinori Takeuchi · Kôichi Tsujimura Shizuteru Ueda
Herausgegeben und eingeleitet von Ryôsuke Ohashi
Verlag Karl Alber Freiburg/München
https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
Dritte Auflage 2014 © VERLAG KARL ALBER in der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2011 Alle Rechte vorbehalten www.verlag-alber.de Satz und PDF-E-Book: SatzWeise GmbH, Trier ISBN (Buch) 978-3-495-48316-9 ISBN (PDF-E-Book) 978-3-495-86093-9
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源窮水不窮
戊辰仲夏 寸心
Die Quelle läßt sich erschöpfen – ihr Wasser aber nie. Im Hochsommer 1928 Sunshin
Die Kalligraphie von Kitarô Nishida muß von rechts nach links gelesen werden, die Zeichen in Maschinenschrift dagegen sind von links nach rechts geordnet. Sunshin, der Name Nishidas als Laienschüler im Zen, bedeutet: Kleines (sun) Herz (shin). In zen-buddhistischen Wendungen ist das Kleine oft das, was nicht bloß im Gegensatz zum Großen steht, sondern gerade dieses Große in sich birgt. Als Beispiel hierfür könnte man das Gedicht Shin-ichi Hisamatsus (vgl. Kap. 3) heranziehen, das er zum 33. Todesjahr seiens Lehrers Kitarô Nishida schrieb: »Dreiunddreißig Jahre – ein Augenblick. / Der Leib Kitarôs hat sich in viele geteilt (分身), die ins ›Kleine Herz‹ (寸心) zurückkehren. / Wie auch immer: Wer übertrifft seinen Lehrer an Weisheit? / Buddha und Meister töten, das ist höchste Dankbarkeit.« (Zur Übersetzung der Kalligraphie siehe auch die Verfasser-Anmerkung 4 zum Tsujimura-Text »Die Wahrheit des Seins und das absolute Nichts«.)
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Inhalt
Einführung zur zweiten Auflage
I.
. . . . . . . . . . . . . . . . .
11
Anfang der Schule
1. Kitarô Nishida (1870–1945) 西田幾多郎 . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kitarô Nishida: Selbstidentität und Kontinuität der Welt . . . Kitarô Nishida: Das künstlerische Schaffen als Gestaltungsakt der Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . .
2. Hajime Tanabe (1885–1962) 田辺元 . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hajime Tanabe: Versuch, die Bedeutung der Logik der Spezies zu klären . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hajime Tanabe: Valérys Kunstphilosophie. Kap. 4: Die Grenze des Gedichts »Die junge Parze« und ihre Überwindung . . . .
. 132 . 132
51 51 56
. 115
. 137 . 184
II. Bildung der Schule 3. Shin-ichi Hisamatu (1889–1980) 久松真一 . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Shin-ichi Hisamatsu: Eine Erläuterung des Lin-ichi(= Rinzai)-Zen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Shin-ichi Hisamatsu: Kunst und Kunstwerke im Zen-Buddhismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . Shin-ichi Hisamatsu: Selbst-Bild . . . . . . . . . .
. . . . . . 213 . . . . . . 213 . . . . . . 218 . . . . . . 222 . . . . . . 235
7 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
Inhalt
4. Keiji Nishitani (1900–1990) 西谷啓治 . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Keiji Nishitani: Vom Wesen der Begegnung . . . . . . . . . Keiji Nishitani: Die »Verrücktheit« beim Dichter Bashô . . .
. . . .
237 237 242 258
5. Iwao Kôyama (1905–1993) 高山岩男 . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Iwao Kôyama: Das Prinzip der Entsprechung und die Ortlogik .
281 281 286
6. Masaaki Kôsaka (1900–1969) 高坂正顕 . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Masaaki Kôsaka: Die hermeneutische Struktur des Weges . . .
326 326 330
7. Toratarô Shimomura (1902–1995) 下村寅太郎 . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Toratarô Shimomura: Mentalität und Logik der Japaner . . . .
341 341 345
8. Shigetaka Suzuki (1907–1988) 鈴木成高 . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Shigetaka Suzuki: Ausblick über die europäische Weltgeschichte
361 361 365
III. Fortwirkung der Schule Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
389
9. Yoshinori Takeuchi (1913–2002) 武内義範 . . . . . . . . . Yoshinori Takeuchi: Das Schweigen des Buddha. Ein Problem der Religionsphilosophie des Buddhismus . . . . . . . . . . .
392
10. Kôichi Tsujimura (1922–2010) 辻村公一 . . . . . . . . . . Kôichi Tsujimura: Die Wahrheit des Seins und das absolute Nichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kôichi Tsujimura: Über Yü-chiens Landschaftsbild »In die ferne Bucht kommen Segelbote zurück« . . . . . . . .
413
8 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
392
413 426
Inhalt
11. Shizuteru Ueda (* 1926) 上田閑照 . . . . . . . . . . . . . Shizuteru Ueda: Das absolute Nichts im Zen, bei Eckhart und bei Nietzsche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
440 440
Nachwort zur 1. Auflage
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469
Nachwort zur 2. Auflage
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473
Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
475
Ergänzung der Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
507
Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
539
Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
543
9 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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Einführung zur zweiten Auflage
1.
Zum Bild der Kyôto-Schule
Ähnlich wie die einstige »Frankfurter Schule« in Deutschland bildete sich die »Kyôto-Schule« in Japan über mehrere Generationen hinweg. Aber im Unterschied zur erstgenannten ist ihr Denken in der philosophischen Welt nicht nur in Japan, sondern auch und vor allem in Europa und den USA, jetzt sogar in Ostasien, keineswegs »vergangen«. Im Gegenteil ist sie immer aktueller geworden, und zwar in dem Sinne, daß die Weiterentwicklung ihres Denkens immer reger ist und ihr philosophisches Erbe in den genannten Erdteilen immer größere Aufmerksamkeit auf sich zieht. 1 Angesichts dieser neueren Situation bedarf der Bericht über den Forschungsstand bis zum Jahre 1990, wie er in der Einführung der 1. Auflage des vorliegenden Bandes dargestellt wurde, einer starken Ergänzung. Daß inzwischen fünf der damals in den Band aufgenommenen Autoren hingeschieden sind 2, ist nur ein Indiz für die Notwendigkeit dieser Ergänzung. Wichtiger ist die philosophische Entwicklung selbst, die in dieser Einführung der 2. Auflage dargestellt werden soll. Das reale Bild der Kyôto-Schule ist erst jetzt ein Thema. Dies ist heute nicht mehr bloß das Thema der inner-japanischen, philosophischen Welt, sondern auch das interkultureller Forschung. In dem von James W. Heisig herausgegebenen Buch Japanese Philosophy Abroad 3 haben insgesamt sechzehn Autor(inn)en, darunter nur zwei japanische, Dies läßt sich auch an der Bibliographie des vorliegenden Bandes erkennen. Zur Literatur in Ostasien vgl. Kevin Lam, Higashi-ajia no »Kyôtogakuha« zô (Das Bild der KyôtoSchule in Ostasien), in: Ryôsuke Ohashi (Hg.), Kyôto-gakuha no shisô (Der philosophische Gedanke der Kyôto-Schule), Kyôto 2004, S. 120–137. Zur Literatur in Ost-Europa finden sich einige Hinweise auf der Homepage http://www.japanese-philosophy.org. 2 Vgl. die im Inhaltsverzeichnis angegebenen Lebensdaten der Autoren. 3 James W. Heisig (Hg.), Japanese Philosophy Abroad, Nanzan Institute for Religion 1
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Einführung zur zweiten Auflage
die allerdings nicht in Japan lehren, berichtet, wie heute die japanische Philosophie im weiten Sinne im französischen, englischen, spanischen, italienischen, deutschen und im chinesischen Sprachraum aufgenommen und erforscht wird. Hierbei fällt auf, daß es nicht möglich ist, bei der Betrachtung der japanischen Philosophie die Kyôto-Schule außer acht zu lassen. Dies gilt auch für das jetzt noch nicht abgeschlossene große Projekt des Nanzan Institute for Religion and Culture, das Sourcebook in Japanese Philosophy, in dem »the aim is to cover the whole range of Japanese philosophical thought, from the Nara period to the 20th century«. 4 In dem vom Verfasser 2004 herausgegebenen Band Kyôto-gakuha no shisô (Der philosophische Gedanke der Kyôto-Schule), in dem eigens die Philosophie der Kyôto-Schule thematisiert wurde, ist sowohl das historische als auch das philosophische Bild dieser Schule dargestellt, ohne jedoch die japanische Philosophie im weiten Sinne mit einzubeziehen. Man sieht, wie sich das Bild der Schule in den vergangenen Jahrzehnten geändert und vervielfältigt hat. In den frühen Arbeiten in Europa über die Kyôto-Schule wurde der Begriff recht unterschiedlich verwendet. 5 Die Verwirrung kam teils daher, daß es selbst in Japan and Culture, Nagoya 2004 (Japanische Übersetzung: Nihon Tetsugaku no Kokusai-sei. Kaigai ni okeru juyô to tenbô, Kyôto 2006). 4 Nanzan Institute for Religion and Culture (Hg.), Sourcebook in Japanese Philosophy. Die Auskunft ist zu finden unter http://www.nanzan-u.ac.jp/SHUBUNKEN/projects/ projects.htm. Das Projekt wird von John Maraldo, James Heisig und Tom Kasulis geleitet. 5 Fritz Buri gab z. B. in seiner Studie über die Kyôto-Schule sieben Figuren an: Kitarô Nishida, Hajime Tanabe, Daisetzu Suzuki, Shin-ichi Hisamatsu, Keiji Nishitani, Yoshinori Takeuchi, Masao Abe. Hans Waldenfels kommentierte mit Recht wie folgt: »Über die Auswahl … dieser läßt sich streiten. So wird manch einer zu Recht der Meinung sein, daß Daisetsu Suzuki im strengen Sinne trotz seiner Freundschaft mit Nishida nicht in diesen Kreis gehört. Umgekehrt hätten dann andere Namen erscheinen können, etwa Masaaki Kosaka, Torataro Shimomura, Iwao Koyama, zumindest aber Koichi Tsujimura« (Neue Zeitschrift für Missionswissenschaft XX, Heft 2, Zürich 1983, S. 142). In Frederick Franck (ed.), The Buddha Eye: An Anthology of the Kyoto School, Crossroad 1982 (Reprint: Nagoya 2004), ist die Auswahl durchaus ein »Misch-Masch«. Die als »major figures« aufgenommenen Autoren sind (der Reihe nach) Daisetsu Suzuki, Keiji Nishitani, Masao Abe, Nanrei Kobori, Shizuteru Ueda, Shin-ichi Hisamatsu, Yoshinori Takeuchi, Ryôjin Soga, Manshi Kiyosawa. Hier fehlen vor allem Nishida und Tanabe als erste Generation der Kyôto-Schule. Kiyosawa und Soga sind beide bekannte Buddhisten der Shinshu-Schule, haben aber mit der Philosophie der Kyôto-Schule überhaupt nichts zu tun, was auch von Kobori, dem Zen-Meister im Daitoku-Tempel, gilt. Die Bezeichnung »Nishida-Schule«, wie sie von Junko Hamada in Nishida-Philopsophie, in: Japan-Handbuch, hrsg. von Horst Hammitzsch, 2. Aufl., Stuttgart 1984, S. 1366–1374, verwendet
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Einführung zur zweiten Auflage
lange Zeit keine thematische Forschung in dieser Richtung gegeben hat. 6 Die erste Fachliteratur in Japan, in der der Name Kyôto-Schule verwendet wurde, ist ein Aufsatz von Jun Tosaka (1900–1945), der ein marxistischer Schüler Nishidas war. 7 Als Vertreter der sich damals im Werden befindenden Kyôto-Schule gibt Tosaka drei Namen an: Kitarô Nishida (1870–1945), Hajime Tanabe (1885–1962) und Kiyoshi Miki (1897–1945). 8 Miki wird heute nach wie vor als wichtiger Denker viel gelesen. Solange unter dem Begriff der Kyôto-Schule der Schülerkreis Nishidas oder ein Salon der Gruppe um Nishida herum gemeint wird, 9 ist Miki sehr wohl zu dieser Schule zu zählen, war er doch ein Lieblingsschüler Nishidas. Wenn aber unter dem Begriff der genannten Schule nicht bloß ein kollegialer Kreis um Nishida, sondern ein Kreis der Philosophen verstanden werden soll, die mit Nishida von einem gemeinwird, ist auch in Japan heute nicht mehr geläufig und gilt höchstens für die Anfangsphase der Kyôto-Schule. 6 Vgl. dazu Ryôsuke Ohashi, Kyôto-gakuha no shisô. Im ersten Teil des Werkes werden der Umfang und verschiedene »Bilder« der Kyôto-Schule von der Entstehungszeit bis heute behandelt. 7 Die Marxisten vor dem Krieg hatten die Philosophie der Kyôto-Schule und Nishidas weder als faschistisch noch als reaktionär betrachtet, sondern sogar positiv eingeschätzt. Vgl. dazu Shin-ichi Funayama, Senzen-senchû no ›sayoku‹ tetsugakusha-tachi kara mita nishida-tetsugaku no seikaku (Der Charakter der Philosophie Nishidas, wie er von ›linken‹ Philosophen vor und während des Kriegs betrachtet wurde), in: Beilage zum Bd. 15 (4. Aufl.) der bisherigen Gesamtausgabe Nishidas, Nishida Kitarô zenshû. Seit 2002 erscheint in demselben Verlag die neue Gesamtausgabe Kitarô Nishidas, Nishida Kitarô zenshû, in der die bisher unveröffentlichen Materialien enthalten sind. Da die beiden Gesamtausgaben unter demselben Titel von demselben Verlag veröffentlicht wurden, wobei die Band- und Seitenzahl der alten Ausgabe nicht in der neuen Ausgabe angegeben sind, was technisch durchaus machbar gewesen wäre, herrscht nun ein gewisses Chaos vor allem in der Zitierweise. Eine Konkordanz wäre begehrenswert, und zwar nicht nur für die Benutzer der alten Ausgabe, sondern auch und eben für die Benutzer der neuen Ausgabe – die seit mehr als einem halben Jahrhundert anhand der alten Ausgabe gemachten Zitate und deren Stellen können nicht anhand der neuen Ausgabe festgestellt werden. Im vorliegenden Band sind alle Zitate wie bisher anhand der 4. Auflage der alten Gesamtausgabe Nishidas (im Folgenden: Werke Nishidas) angegeben. Zur neuen Gesamtausgabe vgl. auch die Ergänzung der Bibliographie im vorliegenden Band. 8 Jun Tosaka, Kyôto-gakuha no tetsugaku (Philosophie der Kyôto-Schule), 1932, jetzt in: Tosaka Jun zenshû (Gesamtausgabe Jun Tosakas), Bd. 3, Tôkyô 1966, S. 171–176. 9 So meint Atsushi Takeda in seinem Aufsatz Shimomura Toratarô – Seishin-shi eno kiseki (Toratarô Shimomura – Ein Sog zur ›Geistesgeschichte‹), in: Kyôto-gakuha no tetsugaku (Die Philosophie der Kyôto-Schule), herausgegeben von Masakatsu Fujita, Kyôto 2001.
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samen philosophischen Geist bewegt wurden und einige Schlüsselbegriffe wie das »Nichts« prinzipiell akzeptierten, 10 so ist Miki eher als eine Randfigur der Kyôto-Schule anzusehen. Tosaka zählte Miki damals offensichtlich deshalb zur Schule, weil Miki als Autor des 1932 erschienenen Buchs Rekishi tetsugaku (Geschichtsphilosophie) die von Nishida immer intensiver problematisierte »Geschichte« in seiner Weise zu thematisieren und zu entwickeln versuchte. Miki hatte sich aber wie Tosaka den damals von den Behörden verfolgten Kommunisten angenähert und wurde 1930 verhaftet. Infolgedessen mußte er seine Stelle an der Hôsei Universität verlassen, um seitdem als freier Journalist zu leben. Er war wohl auch beruflich von den aktuellen Themen bewegt, ohne Muße zu haben, nachdenklich in philosophischen Gedanken versinken zu können. Kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde er unter falschen Anschuldigungen wieder verhaftet und starb kurz nach dem Ende des Kriegs einsam an einer auf schlechte Behandlung zurückzuführende Erkrankung im Gefängnis. Die Nishida-Kritik, die er im Sinne hatte und fragmentarisch äußerte, konnte er am Ende nicht systematisch darstellen. 11 Der Fall Miki in der Bestimmung des Kreises der Kyôto-Schule läßt den Leser ahnen, daß ein Aspekt des Bildes der Kyôto-Schule ziemlich stark politisch gefärbt ist. Dieser Eindruck wird bestärkt, wenn man sich daran erinnert, daß die Philosophen dieser Schule nach dem Krieg der »Kollaboration mit dem Militär-Regime« sowie der »Verschönerung des Invasionskriegs« beschuldigt wurden. Durch das Schicksal John Maraldo versucht eine ausführliche Klassifikation der Kriterien für die Bestimmung der Kyôto-Schule in Ôbei no shiten kara mita Kyôtogakuha no yurai to yukue (Die Herkunft und der Ausblick der Kyôto-Schule in der europäisch-amerikanischen Perspektive), übersetzt von Yurika Azumi, in: Masakatsu Fujita and Bret W. Davis (Hgg.), Sekai no naka no nihon no tetsugaku (Japanische Philosophie in der Welt), Kyôto 2005. Er gibt sechs formale Kriterien an, worunter der Begriff des absoluten Nichts als geistiges Gemeingut der Kyôto-Schule als das 6. Kriterium zählt. Zum historischen Überblick über die Diskussionen zum Umfang der Kyôto-Schule und überhaupt zur Kyôto-Schule vgl. auch den ausführlichen Artikel von Bret W. Davis, The Kyoto School, in: Stanford Encyclopedia of Philosophy, http://plato.stanford.edu/entries/ kyoto-school/ (publiziert am 27. Feb. 2006). Der Artikel gibt unter all den bisher auf Englisch verfaßten Texten über die Kyôto-Schule wohl die ausführlichste Information. 11 Zum philosophischen wie menschlichen Verhältnis Mikis zu Nishida vgl. Ryôsuke Ohashi, Sengo nihon no shisô-hyôshiki. Kiyoshi Miki und Kitarô Nishida (Philosophische Merkzeichen der Nachkriegszeit in Japan – Kiyoshi Miki und Kitarô Nishida), in: Asuteion, No. 40, Spring 1996, S. 194–210. 10
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ihrer Zeit ist das Bild der Kyôto-Schule nicht nur philosophisch, sondern auch politisch geprägt. Bevor das philosophische Bild der Schule dargelegt wird, ist einiges zu diesem politschen Schicksal zu erörtern. Ein bekanntes und zugleich einst viel bestrittenes Bild der KyôtoSchule ist, daß vier Philosophen der Schule die nach dem Krieg als »berüchtigt« geltende Symposien-Serie mitmachten: Masaaki Kôsaka (1900–1969), Keiji Nishitani (1900–1990), Iwao Kôyama (1905–1993) und Shigetaka Suzuki (1907–1988). Die von ihnen geleitete Symposien-Serie wurde vom Magazin Chûôkôron im Jahre 1942 und 1943 veranstaltet und 1943 unter dem Titel Sekaishi-teki tachiba to nihon (Der weltgeschichtliche Standpunkt und Japan) veröffentlicht. 12 Ein anderes Symposium wurde ebenfalls nach dem Krieg heftig angegriffen: Kindai no chôkoku (Die Überwindung der Moderne), das vom Magazin Bungakukai veranstaltet wurde. Am letzteren nahm neben Keiji Nishitani und Shigetaka Suzuki ein weiterer, bedeutsamer Philosoph der Kyôto-Schule, Toratarô Shimomura (1902–1995), teil, und zwar zusammen mit dem Kreis der Schriftstellergruppe Bungakukai (Literarische Welt) und Nihon rôman-ha (Japanische Romantikergruppe). 13 Die Grundabsicht der Philosophen kann mit den Worten Keiji Nishitanis zusammengefaßt werden. Nishitani, der als bedeutendster japanischer Philosoph nach dem Krieg gilt, schrieb 1952, er habe am Krieg mitgearbeitet, indem er sich gegen die damalige Richtung des Militärregimes gestellt habe. Es ging ihm darum, klar darzustellen, daß der Krieg ein »moralisch gerechtes Ziel« haben muß, damit er nicht zu einem Invasionskrieg werde. 14 So hatte er auch in seiner 1941 erschienenen Schrift Sekai-kan to Kokka-kan (Weltansicht und Staatsansicht) 15 zwei MotiSekaishi-teki tachiba to nihon, Tôkyô 1943. Die Symposien wurden in drei Sitzungen ausgeführt, und die Protokolle wurden in der Zeitschrift Chûôkôron im Januar und April 1942 sowie im Januar 1943 publiziert. 13 Der Vertreter des ersteren Kreises ist Hideo Kobayashi (1902–1983) und der des letzteren ist Yojûrô Yasuda (1909–1981), der allerdings nur schriftlich einen Beitrag zum Symposium schickte und nicht dort anwesend war. 14 Keiji Nishitani, Jiei ni tsuiteno sairon – hihan e no kotae (Wieder zum Problem der Aufrüstung – Antwort auf die Kritik), in: Chûôkôron (Mai 1952), S. 32. Diese kurz zugefügte Kommentierung gilt als eine von Nishitani ausnahmsweise geäußerte Erklärung seines Motivs bezüglich der »Kollaboration« während des Krieges. Sonst gab er, wie dargestellt, keine verteidigenden Stellungnahmen ab. 15 Keiji Nishitani, Sekai-kan to kokka-kan (Weltansicht und Staatsansicht), Tôkyô 1941, jetzt in Gesammelten Schriften Nishitanis (im Folgenden: Werke Nishitanis), Bd. 4., S. 259–384. 12
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ve angegeben: zum einen wollte er das Verhältnis von Philosophie und Religion zum Staat erläutern und zum anderen die damalige Stellung Japans sowie die politische Richtung, die das Land nehmen sollte, in weltgeschichtlicher und weltweiter Sicht begreifen. Diese Ansicht, die auch im Titel Weltansicht und Staatsansicht zum Ausdruck kommt, geht eigentlich auf Nishida, den Lehrer Nishitanis, zurück. Nishida schrieb nämlich 1932 in einer Abhandlung: »Die wahre Kultur der Welt bildet sich nur dadurch, daß die verschiedenen Kulturen, während sie ihren eigenen Standpunkt beibehalten, durch die Vermittlung der Welt sich selbst entwickeln. Man soll zu diesem Zweck über die Grundlage seiner eigenen Kultur tief nachdenken und erklären, auf welcher Grundlage sie beruht und welche Beziehungen zu anderen Kulturen sie hat. Welche Verschiedenheit besteht zwischen den Grundlagen der morgenländischen und abendländischen Kultur?« 16 Dieser Satz Nishidas drückt die fundamentale Ansicht der KyôtoSchule über den Weltbegriff angesichts der damaligen Situation aus, wonach die Welt nicht mehr von Europa als dem einzigen Zentrum aus, sondern als eine »welthafte Welt« (sekai-teki sekai) aufgefaßt wird. Jede Weltgegend soll in dieser »welthaften Welt« eine selbständige Stelle von unentbehrlicher Bedeutung haben. Tanabes »Logik der Spezies« trug, wie wir später erörtern, zur Entwicklung dieser Ansicht bei, indem Tanabe die eigentümliche Stelle des Volkes in der logischen Struktur der Welt herausstellte. Diese relativistisch-pluralistische Ansicht scheint erst heute, wo man gerne vom interkulturellen »Glokalismus« redet und die Kommunikation zwischen den »Kulturwelten« inmitten der globalisierten »Welt« für unentbehrlich hält, selbstverständlich zu sein. Sie war aber damals, d. h. in der Zeit des immer fanatischer und gewaltsamer werdenden Ultra-Nationalismus, gar nicht selbstverständlich. Eben dadurch, daß sie über den bloßen Gegensatz von Ost und West hinausgehen wollte, 17 mußte sie in den fatalen Konflikt mit den Rechtsextremisten geraten. Bevor wir aber diese unglückliche Verstrickung darstellen, ist noch zu bemerken, daß diese pluraristische Weltansicht von den Philosophen Kitarô Nishida, Keijijögakuteki tachiba kara mita tôzai no bunka keitai, jetzt in: Werke Nishidas, Bd. 7, S. 429–453. Zitiert wurde aus der deutschen Fassung: Die morgenländischen und abendländischen Kulturformen in alter Zeit vom metaphysischen Standpunkt aus gesehen, übersetzt von Fumi Takahashi, Berlin 1939. 17 Dazu vgl. Yôko Arisaka, Beyond East and West: Nishida's Universalism and a Postcolonial Critique«, in: The Review of Politics 59:3, Summer 1997, S. 541–560. 16
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der Kyôto-Schule als ein Teil ihrer geschichtsphilosophischen Gedanken und nicht als die »Selbstbehauptung« der nicht-europäischen Welt vorgelegt wurde. Das philosophische Motiv des ernsten Engagements der Philosophen der Kyôto-Schule im Pazifischen Krieg ist schon bei Tanabe zu erblicken. Er hatte seit 1934 seine eigene philosophische Idee der »Logik der Spezies« entwickelt. In seinem 1937 verfaßten Aufsatz Shu no ronri no imi wo akirakani su (Versuch, die Bedeutung der Logik der Spezies zu klären) 18 werden zwei Motive für seine Philosophie angegeben, ein philosophisches und ein praktisches. Die von ihm gemeinte »Spezies« besagt nämlich zweierlei: Als eine logische Kategorie ist sie das »Besondere« im Unterschied zu dem »Allgemeinen« und dem »Einzelnen«. Andererseits konkretisiert sich die Spezies in der und als die gesellschaftlich-geschichtliche Gestalt des Volks bzw. der Gesellschaft. Tanabe entwickelte so eine logisch begründete soziale Geschichtsphilosophie, womit er sich mit der damaligen ultra-nationalistischen Gruppe und auch mit den immer einflußreicher werdenden Marxisten auseinandersetzte. Die erstere, ultra-nationalistische Gruppe erklärte damals den »philosophischen Kampf« (shisô-sen) gegen die akademisch-liberalen Professoren an den Universitäten Tôkyô und Kyôto, mit dem heftigen Vorwurf, sie verdürben den Geist des Kaiserreichs. Sie bekam in politischer – wenn auch nicht in philosophischer – Hinsicht immer größeren Erfolg. Als Folge ihres Angriffs wurden einflußreiche Professoren aus den beiden genannten Universitäten verbannt und ihre Publikationen verboten. Sie erklärte diesen philosophischen Kampf auch gegen die Kyôto-Schule, und Nishida gab seinen Schülern den Rat, die Provokation des Führers dieser Gruppe, den er als »tollen Hund« bezeichnete, nicht ernst zu nehmen. Tanabe aber, der ein rigoros ethischer und ernster Philosoph war, begegnete dieser Provokation zeitweise in der Form eines Briefwechsels mit dem »tollen Hund« Muneki Minota. 19 Das an sich religionsphilosophische Schlüsselwort Nishidas und Tanabes, das »absolute Nichts«, wurde auch dem geschichtsphilosophischen Gedanken der Kyôto-Schule zugrundegelegt, womit anstelle der Selbstbehauptung des Volkes als riesiges, egozentrisches Ich eher der Verzicht auf die Egoizität, wie sie sich typischerweise im Kolonialkrieg 18 19
Siehe die deutsche Fassung in diesem Band. Vgl. Ryôsuke Ohashi (Hg.), Kyôto-gakuha no shisô, S. 59–78.
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ausdrückt, gemeint ist. Ihre Idee der »welthaften Welt« setzt nicht den unrealistischen Anspruch aller Weltgegenden als der sich behauptenden Zentren voraus, sondern eher das Gewahrwerden des eigenen »Selbst« als des »subjekt-losen Subjektes«, das als das schöpferische Nichts in der Selbstbestimmung der sich bewegenden Welt seinerseits diese bildet. Die heutige Idee der »Interkulturalität« findet ihre Vorläuferin in dieser religionsphilosophischen Idee der »welthaften Welt«. Der in diesem Band aufgenommene Aufsatz Shimomuras, Mentalität und Logik der Japaner, gilt als eine Erläuterung dieser Idee. Die vorhin genannten Symposien sowie die angebliche Kollaboration der Philosophen der Kyôto-Schule mit dem rechtsextremistischen Militärregime wurden, allerdings nach dem Pazifischen Krieg, von den sog. »fortschrittlich Kultivierten« (shinpo-teki bunkajin) nachhaltig kritisiert und als Rechtfertigung des Invasionskriegs verurteilt. In der nach dem Krieg im Zuge der Okkupationspolitik eingeführten »Demokratie« herrschte ein derartiger Diskurs fast ein halbes Jahrhundert lang, so daß die Philosophie der Kyôto-Schule oft als ideologisch gebrandmarkt wurde, obwohl umgekehrt diese Verurteilung selber als ideologisch in Verdacht gebracht werden sollte. Erst nach diesem halben Jahrhundert begannen allmählich philosophisch nüchterne Diskussionen über die Philosophie Nishidas und der Kyôto-Schule. Seit ca. zwei Jahrzehnten entstand dann eine neue Tendenz, vor allem von seiten der Phänomenologen, die Philosophie Nishidas neu zu verstehen. 20 Seit ca. zwei Jahrzehnten ist es in der japanischen Philosophenwelt sogar in Mode gekommen, sich mehr oder weniger mit der Philosophie Nishidas zu beschäftigen und Stellung zur ihr zu nehmen.
Vgl. hierzu folgende Beiträge zweier japanischer Phänomenologen: Yoshihiro Nitta, Nishida tetsugaku ni okeru ›tetsugaku no ronri‹ (›Die Logik der Philosophie‹ bei Nishida), in: Nishida-tetsugaku. Botsugo 50 shûnen kinen ronbun-shû, (Nishidas Philosophie. Aufsätze aus Anlaß des 50. Jubiläumsjahres nach dem Tod Nishidas), hrsg. von Shizuteru Ueda, Tôkyô 1994, S. 29–50 und Keiichi Noe, Rekishi no naka no shintai – Nishida-tetsugaku to genshôgaku (Der Leib in der Geschichte – Die Philosophie Nishidas und die Phänomenologie), ebd., S. 75–100. 20
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2.
Das Oshima-Memoire zur Berichtigung des politischen Bildes der Kyôto-Schule
Diese Nishida-Mode bedeutet aber nicht, daß das Problem des politischen Bildes der Kyôto-Schule einfach beiseite gelegt werden bzw. in Vergessenheit geraten darf. Auch in dieser Hinsicht ist die Zeit reifer geworden. Seit 1999 wurde unter der Initiative von Shizuteru Ueda und in enger Zusammenarbeit mit dem Verfasser die 30-bändige Sammlung der Texte der Kyôto-Philosophie einschließlich derjenigen der KyôtoSchule als Neudruck publiziert. Die bisherigen politischen Diskurse über die Kyôto-Schule mußten und müssen im Zuge dessen neu reflektiert werden. 21 Innerhalb dieses Projekts wurde 2003 ein Dokument vom Verfasser entdeckt, das als Oshima-Memoire 22 bekannt ist. Yasumasa Oshima (1917–1989) war während des Zweiten Weltkriegs Assistent am philosophischen Seminar der Literarischen Fakultät der Kaiserlichen Universität Kyôto. Oshima wurde damals von der Fakultät vertraulich beauftragt, das in Kollaboration mit dem Marine-Nachrichtenamt organisierte und streng geheimgehaltene Treffen der Philosophen der Kyôto-Schule zu arrangieren. 23 Nishida selbst hatte dem Treffen zugestimmt. Oshima sollte die Diskussionen des geheimen Treffens notieren und die erreichten Einsichten dem Nachrichtenamt vorlegen. Die von ihm selber aufgezeichneten und aufbewahrten (und deshalb vom Verfasser Oshima-Memoire genannten) Dokumente bezeugen, daß die geheimen Treffen der Philosophen von Anfang des Pazifischen Krieges an, d. h. von Februar 1942, bis zur Endphase des Kriegs zunächst ziemlich häufig, später allerdings immer seltener veranstaltet wurden. Die Teilnehmer versuchten, anhand der vom Nachrichtenamt vorgelegten Materialien die Weltsituation zu analysieren, einen geschichtsphilosophischen Ausblick auf den Krieg zu gewinnen, der TenKyôto Tetsugaku Sensho (Ausgewählte Texte der Kyôto-Philosophie). Die erste Serie, 15 Bände. Unter der redaktionellen Oberaufsicht Shizuteru Uedas herausgegeben von Akira Omine, Seitô Hase und Ryôsuke Ohashi, Kyôto 1999–2001; Die zweite Serie, 15 Bände. Unter der redaktionellen Oberaufsicht Akira Omines herausgegeben von Seitô Hase, Ryôsuke Ohashi, Keiichi Noe und Hisao Matsumaru. Kyôto 2001–2003. 22 Ryôsuke Ohashi, Kyôto gakuha to nihon kaigun – shin shiryô »Oshima memo« wo megutte (Kyôto-Schule und die Japanische Marine – Zum neuen Material »OshimaMemoire«), Tôkyô 2001. 23 Zum Verlauf und Ausgang dieses geheimen Treffens vgl. Ryôsuke Ohashi, Kyôto gakuha to nihon kaigun – shin shiryô »Oshima memo« wo megutte, S. 35 ff. 21
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denz eines Kolonisationskriegs entgegenzuwirken und dem Krieg die moralische Bedeutung einer Befreiung zu geben, die das kolonialisierte Asien von den europäischen Mächten unabhängig machen sollte. Den Diskussionen wurden häufig kleine Vorträge der Teilnehmer vorangestellt. Dazu gehört auch ein bisher unbekannter Vortrag von Hajime Tanabe, Kyôeiken no ronri ni tsuite (Über die Logik der Sphäre des CoGedeihens). 24 In der Endphase des Kriegs wußten die Philosophen aber klar, daß Japan den Krieg bald verlieren mußte, so daß das Thema des Treffens der Ausblick auf den Wiederaufbau Japans nach der Niederlage wurde. Das Oshima-Memoire bezeugt auf unleugbare Weise das intensive Engagement der Kyôto-Schule im letzten Krieg. Es war ohne Zweifel eine »Kollaboration«, aber, und dies ist entscheidend, nicht mit dem von der Armee geleiteten Militär-Regime, sondern mit einer gegen die Armee eingestellten Gruppe innerhalb der Marine. Es war die Zeit, in der der Staatsminister im Parlament öffentlich aussprechen konnte: »Wer eine Friedensarbeit gegen die Staatspolitik macht, wird in seinem Leben nicht gesichert sein, auch wenn er Minister ist«. 25 Keiner der Philosophen des geheimen Treffens verteidigte sich nach dem Krieg. Denn sie sahen, daß in der Nachkriegssituation jeder Diskurs in der Öffentlichkeit von einem von der Besatzungsarmee bestimmten Maßstab beherrscht wurde und demzufolge die Verliererseite des Pazifischen Kriegs in jeder Hinsicht als schuldig verurteilt werden mußte. Sie bewahrten also einfach Schweigen. Jetzt aber, seitdem das Oshima-Memoire nach mehr als sechzig Jahren an ihrer Stelle zu sprechen beginnt, ist es eher die bisherige Art der Kritik an der KyôtoSchule, die Grund hat zu schweigen. Das »ideologiekritische« Bild der Kyôto-Schule mag europäische Leser an den Fall Martin Heideggers erinnern. Dieser übernahm zu Beginn des Dritten Reichs das Rektorat an der Freiburger Universität, und obwohl er bald danach der nationalsozialistischen Partei kritisch gegenüberstand, ohne allerdings die Partei zu verlassen, ist er aufgrund seiner einstigen Mitgliedschaft in der NSDAP noch heute der Kritik Dieser Vortrag Tanabes ist jetzt in englischer Übersetzung von David Williams zugänglich: On the Logic of Co-prosperity Spheres, in: David Williams, Defending Japan's Pacific War. The Kyoto School philosophers and post-White power. New York 2004, S. 188–199. 25 Ryôsuke Ohashi, Kyôto gakuha to nihon kaigun – shin shiryô »Oshima memo« wo megutte, S. 14, 26. 24
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ausgesetzt. 26 In seinen wenigen Äußerungen und dem sonstigen Schweigen scheint Heidegger Nishitani ähnlich zu sein. Denn Heidegger schrieb kurz nach dem Krieg in einer Notiz: »Mit der Übernahme des Rektorats hatte ich den Versuch gewagt, das Positive zu retten und zu läutern und zu festigen.« 27 Allerdings waren nicht alle Philosophen der Kyôto-Schule mit Heidegger eins bezüglich dessen Stellungnahme in der Rektoratsrede. Hajime Tanabe, der einst die Phänomenologie des jungen Heidegger zum ersten Mal in der philosophischen Welt in einem Aufsatz thematisierte, 28 kommentierte die Rektoratsrede Heideggers gleich nach dem Erscheinen derselben kritisch. 29 Auch war es Kiyoshi Miki, der im Mai 1933 unmittelbar nach der Rektoratsrede Heideggers mit journalistischer Sensibilität auf diese Rede sehr kritisch reagierte. 30 Dazu ist zu bemerken, daß es in der Kritik Tanabes sowie Mikis nicht um die politische, sondern um die philosophische Stellungnahme ging. Von der ungeheueren Kriminalität des Holocaust hatte niemand im Jahre 1933 etwas geahnt. Der freie Zugang zu den exakten Informationen war nicht nur in Deutschland, sondern auch in Japan zu beschränkt, als daß man umfassende Kritik an der damaligen Situation hätte üben können. Soweit zum »ideologiekritischen« Bild der Kyôto-Schule. Es soll nun die Philosophie der Kyôto-Schule – frei von unnötiger Belastung durch politische Vorurteile und bewußt politisch manipulierte Verurteilung – aufgezeigt werden.
Vgl. hierzu Victor Farias, Heidegger et le nazisme, Lagrasse 1987 (deutsche Fassung: Heidegger und der Nationalsozialismus, Frankfurt a. M. 1989); Hans-Georg Gadamer, Oberflächlichkeit und Unkenntnis. Zur Veröffentlichung von Victor Farias, in: Antwort. Martin Heidegger im Gespräch, Pfullingen 1988, S. 152–156; Holger Zaborowski, Eine Frage von Irre und Schuld? Martin Heidegger und der Nationalsozialismus, Frankfurt a. M. 2010 27 Martin Heidegger, Das Rektorat 1933/1934 – Tatsachen und Gedanken, Frankfurt a. M. 1983, S. 26. 28 Hierauf wird der folgende Abschnitt näher eingehen. 29 Vgl. Hajime Tanabe, Kiki no tetsugaku ka, tetsugaku no kiki ika (Philosophie der Krise oder Krise der Philosophie?), in: Gesamtausgabe Tanabes (im Folgenden: Werke Tanabes), Bd. 8, S. 1–10. Zur deutschen Übersetzung von Elmar Weinmayr siehe Japan und Heidegger, hrsg. von Hartmut Buchner, Sigmaringen 1989, S. 139–147. 30 Kiyoshi Miki, Haidegga to tetsugaku no unmei (Heidegger und das Schicksal der Philosophie), in: Bd. 10 der Gesamtausgabe Kiyoshi Mikis (Miki kiyoshi zenshû), Tôkyô 1967, S. 310–320. 26
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3.
Der Anfang der Kyôto-Schule in philosophiegeschichtlicher Hinsicht
Der erste Philosoph der Kyôto-Schule ist Kitarô Nishida. Er gilt als Vordenker der modernen japanischen Philosophie überhaupt, etwa in ähnlichem Sinne wie Wladimir Solowjew (1853–1900) für die russische Philosophie 31 und Charles Sanders Peirce (1839–1914) für die amerikanische Philosophie 32. Die Philosophie, wie sie im Abendland entstand, wurde Ende des 19. Jahrhunderts als eine Welle der Modernisierung bzw. der Europäisierung in Japan eingeführt. Nishidas Erstlingsabhandlung Zen no Kenkyû (Studie über das Gute) 33 war das erste originelle Werk in diesem für Japan neuen Gebiet. Sie hat bis heute einen weiten, fast volkstümlichen Leserkreis auch außerhalb der philosophischen Welt gewonnen. Nachdem Nishida Ordinarius des philosophischen Seminars I der Kaiserlichen Universität Kyôto wurde, bildete sich ein Schülerkreis um ihn, der in den zwanziger und dreißiger Jahren zur Blüte der Literarischen Fakultät beitrug. Nishida begründete so, ohne daß es ihm bewußt war, die philosophische Tradition Japans und insbesondere die Philosophie der Kyôto-Schule. Mit der genannten Erstlingsabhandlung beginnt die bereits erwähnte Gesamtausgabe Nishidas, die als Ausgangspunkt des philosophischen Lebens überhaupt in Japan gilt. Der Nachfolger auf dem Lehrstuhl Nishidas, Hajime Tanabe, ist in philosophischer Hinsicht weit eher der mächtigste Antipode Nishidas. Auf seine Kritik an Nishida sei später eingegangen und einstweilen nur Zu diesem sowohl in Deutschland wie auch in Japan zu Unrecht wenig bekannten russischen Philosophen vgl. Wilhelm Goerdt (Hg.), Russische Philosophie. Zugänge und Durchblicke, Freiburg/München 1984. 32 Zwar begann der »Pragmatismus« in der philosophischen Öffentlichkeit bekannterweise mit dem Vortrag von William James, Der philosophische Begriff und das praktische Resultat, gehalten im Jahre 1898. James selber sagt jedoch in diesem Vortrag, es sei sein Zeitgenosse Charles Sanders Peirce, der Anfang der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts in einem engen Kreis das Prinzip des Pragmatismus vorlegte und diesem den Namen »pragmatism« gab. Vgl. William James, What Pragmatism Means (1907), in: ders., Writings 1902–1910. New York 1987, S. 505–522, vor allem S. 507 f. Der Einfluß der Philosophie des Pragmatismus ist freilich James zuzuschreiben, der Ordinarius an der Universität Harvard war. 33 Kitarô Nishida, Zen no kenkyû, Tôkyô 1911; englische Fassung: A Study of Good, translated by Valdo H. Viglielmo, Tôkyô 1960; deutsche Fassung: Über das Gute, übersetzt von Peter Pörtner, Frankfurt a. M. 1989. 31
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darauf hingewiesen, daß Nishida seinerseits sein Philosophieren offensichtlich unter der Berücksichtigung der Kritik Tanabes entwickelte. Auch Tanabe mußte seine Nishida-Kritik dementsprechend korrigieren. Die Entwicklung der Philosophie Nishidas und Tanabes ist somit in gegenseitiger Abhängigkeit voneinander zu betrachten, so daß beide Philosophen als Begründer der Kyôto-Schule gelten können. Tanabe war überdies einer der wichtigsten Initiatoren des Gesprächs mit den europäischen Philosophen. In den zwanziger Jahren hörte er bei Husserl in Freiburg und verfaßte 1924 einen Aufsatz Genshôgaku ni okeru atarasiki tenkô (Die neue Wende in der Phänomenologie). 34 Es handelte sich hierbei um die von Martin Heidegger vollzogene »neue Wende«. In diesem auch in Europa als eine der wohl frühesten Heidegger-Deutungen geltenden Aufsatz würdigt Tanabe ausführlich die damals nur einem kleinen Kreis von Fachleuten und Zuhörern bekannte hermeneutische Phänomenologie Heideggers – und dies drei Jahre vor dem Erscheinen von Sein und Zeit. Im Anschluß an den Aufsatz Tanabes kamen rege und kreative Gespräche der japanischen Philosophen mit der damaligen europäischen Philosophie, vor allem mit der Heideggers, zustande. 35 1957 verlieh die Freiburger Albert-Ludwigs-Universität Tanabe anläßlich ihrer 500-Jahr-Feier den philosophischen Ehrendoktor. Bevor wir die Bildung der Kyôto-Schule durch die zweite Generation und die Fortbildung durch die dritte Generation erörtern, ist der Grundgedanke von Nishida und Tanabe in philosophisch-philosophiegeschichtlicher Hinsicht zu betrachten. Der Grundbegriff, der von den beiden Philosophen entwickelt und von der nachfolgenden Generation prinzipiell beibehalten wurde, ist »das absolute Nichts«, das je nach Kontext auch mit dem Wort »das schlechthinnige Nichts« übersetzt oder auch durch das Wort »Leere« ersetzt und mit dem neuen Problembewußtsein des »Nihilismus« entwickelt werden kann, wie es bei Keiji Nishitani der Fall war. Man verbindet ihn oft mit dem buddhistischen Begriff des Nirvana. Der philosophische Gedanke der Kyôto-Schule wird darum auch im Grunde als religionsphilosophisch charakterisiert. Versteht man allerdings als Genshôgaku ni okeru atarasiki tenkô, jetzt in: Werke Tanabes, Bd. 4, S. 17–34. Deutsche Fassung, übersetzt von Johannes Laube, in: Japan und Heidegger, S. 89–109. 35 Dazu vgl. Ryôsuke Ohashi, Die frühe Heidegger-Rezeption in Japan, in: Japan und Heidegger, S. 23–38. 34
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das Wesentliche einer Religion den Glauben an einen Gott oder die Furcht vor dem heiligen Numinosen, so ist der Gedanke des absoluten Nichts eher atheistisch. Denn er hat nichts mit dem Heiligen zu tun 36 und ist insofern nicht religiös im gewöhnlichen Sinne. Die Bezeichnung »Religionsphilosophie« kann nur dann verwendet werden, wenn der Begriff der Religion als Problembegriff von Grund auf neu gedacht wird. Auch gilt der Begriff der Philosophie selber als Problembegriff. Denn die »erste Philosophie« bei den Griechen, ausgehend von der Frage nach dem »on«, ist in ihrem Grundcharakter die »Ontologie« bzw. die »Philosophie des Seins«. Auch nachdem sich die griechische Philosophie in der Begegnung mit dem Christentum dem christlichen Schöpfergott als einem ihr bisher fremden Begriff ausgesetzt sah, änderte sie keineswegs ihren Grundcharakter, Ontologie zu sein. Sie wurde sogar, um es mit einem Wort Kants und Heideggers zu sagen, zur Onto-Theologie fortentwickelt. Wenn also der Gedanke des absoluten Nichts als »Philosophie« entwickelt wird, so muß eigentlich der Begriff der Philosophie selbst in Frage gestellt werden. Damit ist aber nicht gemeint, daß die Philosophie des absoluten Nichts in der Kyôto-Schule eine im Fernen Osten entstandene, sich auf den Boden des Buddhismus stützende, esoterische Philosophie ist. Denn es ist die westliche Philosophie selbst und deren neuzeitliche Folge, die den Gedanken des Nichts als philosophisches Thema hervorgerufen hat. Das Wort des jungen Hegel, »das Nichts das erste, woraus alles Sein … hervorgegangen ist«, 37 ist ein erster Beleg dafür, obwohl bei Hegel der philosophische Gedanke noch im tradierten logisch-ontologischen Gesichtskreis ausgesprochen wurde. 38 Seit etwa dem späteren Schelling bis zur modernen Philosophie wie bei Nietzsche und Heidegger ist der Gedanke des Nichts kein Sonderphänomen mehr. Als Neukantianer meinte Hermann Cohen, indem er seine »Logik des Ursprungs« konzipierte, mit diesem »Ursprung« eben das absolute Vgl. Shin-ichi Hisamatsu, Mushinron, in: Gesammelte Schriften Hisamatsus, Bd. 2, Kyôto 1994, S. 53–93; deutsche Fassung: Atheismus, in: Zeitschrift für Missionswissenschaft und Religionswissenschaft, Heft 4 (1978), S. 268–296; ders.: Sei no hitei toshite no zen, ebd., Bd. 1, S. 102–112; englische Fassung: Zen as the Negation of Holiness, in: The Eastern Buddhist (New Series), Vol. X, Nr. 12 (1972), S. 1–12. 37 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Differenz des Fichte'schen und Schelling'schen Systems der Philosophie (= Phil. Bibl.), Hamburg 1962, S. 15. 38 Vgl. Ryôsuke Ohashi, Zeitlichkeitsanalyse der Hegelschen Logik (= Symposion 72), Freiburg/München 1984, S. 57 ff. 36
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Nichts. 39 Max Scheler erklärte das absolute Nichts sogar als den deutlichsten »Ausgangspunkt« der Philosophie. 40 Diese Ansätze hängen wohl mit der Tendenz der Zeit zusammen, daß das Wesen der Philosophie als Metaphysik bzw. »Onto-Theologie« von Grund auf fragwürdig geworden ist. Der Gedanke des Nichts in der Philosophie der Kyôto-Schule wurzelt einerseits sicherlich im fernöstlichen Denken, vertreten vor allem vom Buddhismus. Aber er entspricht andererseits dem philosophischen Geist der Neuzeit. Er entwickelte sich durchaus als Philosophie und nicht als religiöse Lehre. Das heißt, in dieser Philosophie ging es um die Logik, wie sie Nishida und Tanabe beschäftigte, und alle philosophischen Themen, die von der abendländischen und vor allem der neuzeitlichen Philosophie übernommen wurden: Sein und Nichts, Kunst und Moral, Gesellschaft und Staat und Geschichte. Wenn erkärt wird, wie z. B. in der Philosophie des absoluten Nichts die Weltgeschichte als ein Hauptanliegen übernommen werden konnte, wird auch die philosophiegeschichtliche Stellung dieser Schule sichtbarer werden. Wie kann die geschichtliche Welt als die »seiende Welt« mit dem Gedanken des »Nichts« erfaßt werden? Es ist eben der Geschichtsgedanke, der im Buddhismus kaum entwickelt wurde, imaginiert dieser doch die Welt als grundlose Wiederkunft des Seienden in der endlosen Kette von Entstehen und Vergehen. Die geschichtliche Welt, die etwa seit dem 18. Jahrhundert ins Blickfeld rückte, wurde im Sinne der Tradition vom »Grund« (ratio) oder vom »höchsten Seienden« (ens summum) aus betrachtet. 41 Im Hinblick auf diesen Grund bzw. das höchste Seiende wurde der Sinn und das Ziel der geschichtlichen Welt reflektiert. Die teleologische Auffassung der Geschichte änderte sich bis Marx und im Grunde bis Francis Fukuyama als dessen später Nachhall grundsätzlich nicht. Der Gedanke des Nichts erscheint zunächst als ohnmächtig bzw. widersinnig für die Begründung der Geschichte und deren Sinn. Der abgründige Gedanke des Nihilismus bei Nietzsche führte in der Tat zum Gedanken der »ewigen Wiederkehr des Gleichen« als der radikalen Negation jeglichen Sinnes der Geschichte. Hermann Cohen, Logik der reinen Erkenntnis, Berlin 1902, S. 93 f. Max Scheler, Vom Ewigen im Menschen, 3. Aufl., Berlin 1923, S. 113. 41 Vgl. z. B. Immanuel Kant, Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte (1786), in: Kants Werke, Akademie Textausgabe, Bd. VIII, Berlin/New York 1968, S. 107–124. 39 40
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Der Kernpunkt des Geschichtsdenkens der Kyôto-Schule aber ist, daß das von ihr gemeinte Nichts kein negatives Nichts im Gegensatz zum »Sein« bedeutet. In ihm soll, formal-logisch gesagt, auch alles Negative negiert werden, und zwar nicht als Resultat der prozessualen »Negation der Negation«, wie sie Hegel entwickelte. Das gemeinte Nichts gilt, um es mit einem Gleichnis zu verdeutlichen, als die absolute Ruhe inmitten der Bewegung, als deren schöpferischer Quell. Dieser Gedanke ist eigentlich nicht neu, sondern wurde seit alters her im Mahâyâna-Buddhismus entwickelt, dessen Grundformel lautet: »Alle Erscheinungen sind zugleich leer; die Leere zeigt sich zugleich als Erscheinungen«. Dieses »zugleich« weist darauf hin, daß das Nichts das inmitten der wirklichen Welt lebendig Wirkende ist und diese Wirkung eben in der oder als die Erfahrung des eigenen Selbst von uns bewahrheitet wird. Nach der spekulativen Formulierung der Kegon-Schule des Buddhismus hängt alles, was ist, voneinander ab, und alles spiegelt sich in allem. Dieses Geschehen des voneinander Abhängens wird aber im Ganzen als »leer« bewahrheitet. Diese Bewahrheitung wurde dann vor allem vom Zen-Buddhismus in der und als die lebendig-alltägliche Erfahrung des eigenen »Selbst« bewährt. Wie bereits erwähnt, entwikkelte der Buddhismus zwar kein besonderes Geschichtsdenken außer einigen eher primitiven Vorstellungen des stufenweisen Verfallsprozesses der Welt. Aber wenn das Nichts in der und als die lebendige Erfahrung im Alltagsleben bewahrheitet wird, so werden zum Übergang von dieser Erfahrung des Nichts zum Geschichtsdenken nur noch einige Schritte durch das philosophische Denken benötigt. Diese Schritte wurden von der Kyôto-Schule vollzogen. Nishida und Tanabe waren sich aber in der philosophischen Auffassung des absoluten Nichts nie ganz einig. Zwischen den beiden entbrannte über dieses Thema eine Kontroverse, die ohne Versöhnung immer heftiger wurde und am Ende zu einem gewissen Bruch führte. Nishida versuchte, die Geschichtswelt als die »Selbstbestimmung« des absoluten Nichts zu fassen und diese Selbstbestimmung mit seiner »Ortlogik« logisch zu entwickeln. Tanabe kritisierte diese Ortlogik Nishidas, weil dadurch das absolute Nichts – so Tanabe – statisch angeschaut wird und somit wie bei Plotin eine mystische Anschauung der Emanationslehre bleibt, die sich nie zum philosophisch-existenziellen Denken entwickelt. Für Tanabe gilt es hingegen, das absolute Nichts als das dialektische Prinzip der existentiellen Praxis aufzufassen und logisch zu entwickeln. Seine bereits erwähnte »Logik der Spezies« war 26 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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nichts anderes als der Versuch, das absolute Nichts in seiner Weise logisch-dialektisch zu begreifen und als eine sozial-ethische wie auch geschichtliche Weltphilosophie zu entwerfen. Die Kontroverse zwischen Nishida und Tanabe bewegte sich aber, so hart sie auch gewesen sein mag, innerhalb der fernöstlichen Ansicht, daß das Nichts und das Sein nie voneinander getrennt, sondern dasselbe sind. Die Logik dieses einander Durchdringens von Nichts und Sein blieb, wie schon gesagt, für die Philosophie der Kyôto-Schule eine Hauptleistung. Hier ist aber auf einen entscheidenden Charakter des absoluten Nichts hinzuweisen, nämlich daß dieses Nichts nicht in erster Linie das Anliegen der Ontologie, sondern das der unmittelbaren Erfahrung ist. Die in der modernen europäischen Philosophie aufgekommene Rede vom absoluten Nichts unterscheidet sich wohl eben hierin von der der Kyôto-Schule. Es sei nur ein Beispiel angeführt: Max Scheler gibt auf die bekannte Frage Leibniz’ und Schellings, »Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?«, die Antwort »dieses Nichts sei das absolute Nichts«. Er fährt fort: »Wer gleichsam nicht in den Abgrund des absoluten Nichts geschaut hat, der wird auch die eminente Positivität des Inhalts der Einsicht, daß überhaupt Etwas ist und nicht lieber Nichts, vollständig übersehen«. 42 Scheler schaut hier etwas wie das absolute Nichts und dessen Abgrund, der aber der »geschaute« Abgrund bleibt und sich nicht in der und als die unmittelbare Erfahrung bewährt. Die moderne Konstellation der Philosophie, in der das Nichts immer mehr in den Vordergrund tritt, und die Konstellation der geschichtlichen Welt hängen sicherlich eng zusammen. Hier spiegelt sich auch die Annährung der abendländischen und der ostasiatischen Welt. In diesem Zusammenhang ist wieder Max Scheler zu zitieren. Er sah die Folge des Ersten Weltkriegs im »Ausgleich des spezifisch Europäischen und Asiatischen«. 43 Diese Ansicht teilte die Kyôto-Schule, ohne sich dessen eigens bewußt zu werden. Um das Gesagte in philosophiegeschichtlicher Hinsicht zu verdeutlichen, ist ein Blick auf die Lage um 1911 zu werfen, als Nishidas Studie über das Gute erschien. In diesem Jahr wurden in Deutschland zwei Bücher der Neukantianer publiziert: Die Logik der Philosophie und die Kategorienlehre von Emil Lask und Die Philosophie des Als Max Scheler, Vom Ewigen im Menschen, 3. Aufl., Berlin 1923, S. 113. Vgl. auch ders., Stellung des Menschen im Kosmos, 6. Aufl., München 1962, S. 87 f. 43 Max Scheler, Vom Ewigen im Menschen, S. 247. 42
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Ob von Hans Vaihinger. Es war die letzte Blütezeit des Neukantianismus, der sich die Begründung der Wissenschaft zu einer wesentlichen Aufgabe gemacht hatte. Man muß in diesem Zusammenhang auch das Erscheinen der Principia mathematica von Russell und Whitehead (3 Bände, 1910–1913) beachten. Ebenso behält die Phänomenologie Husserls die Wissenschaftlichkeit im Auge, wie man in seinen 1913 veröffentlichten Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie feststellt. Es muß auf das philosophiegeschichtliche Faktum hingewiesen werden, daß der Neukantianismus heute nicht mehr so einflußreich wie einst ist, während die Phänomenologie eine immer aktivere Rolle im Philosophieren erhält. Dies scheint vor allem daher zu kommen, daß im neukantianistischen Logismus die »sinnliche Anschauung« zu gering geschätzt wird, was sich gerade bei der neukantianistischen Interpretation der transzendentalen Ästhetik in Kants Kritik der reinen Vernunft zeigt. 44 In Husserls Begriff der Intentionalität dagegen ist die Sinnlichkeit als fundamentales Element enthalten. In einem Zeitalter, in dem die Abkehr von der alten Metaphysik nicht mehr aufzuhalten war und der Einfluß der Naturwissenschaft immer stärker wurde, aber gerade deshalb das sinnliche Leben zu retten und zu begründen versucht wurde, war die Geringschätzung der sinnlichen Anschauung wohl ein fataler Fehlgriff. Es ist kein Zufall, daß in dieser Zeit die »Lebensphilosophie« als Gegenpol zum Neukantianismus auftritt. Diltheys Schrift Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften, in dem von den »Kategorien des Lebens« die Rede ist, erschien im Jahre 1910. Die sich überschneidende Entwicklungslinie in Deutschland – Neukantianismus, Lebensphilosophie und Phänomenologie – ist allerdings nur eine und nicht die einzig wichtige des damaligen Philosophierens in der Welt. Außerhalb der deutschen Philosophie gab es damals andere wichtige Strömungen: die Philosophie Henri Bergsons in Frankreich und der radikale Empirismus in Amerika, vertreten durch William James. Die erstere, die in Deutschland bis heute wenig beachtet wird, 45 Vgl. z. B. Hermann Cohen, der in der Logik der reinen Erkenntnis die Zeit und den Raum, die bei Kant als die Formen der Anschauung aufgefaßt wurden, als »Kategorien« neu interpretiert und die transzendentale Ästhetik in die transzendentale Logik auflöst. 45 Vgl. Rudolf W. Meyer, Bergson in Deutschland. Unter besonderer Berücksichtigung seiner Zeitauffassung, in: Studien zum Zeitproblem in der Philosophie des 20. Jahrhunderts (= Phänomenologische Forschungen 13), hrsg. von Ernst Wolfgang Orth, Freiburg/München 1982, S. 20 ff. 44
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war für Nishida von Anfang an ein wichtiger Gesprächspartner in der Denkweise, wenn auch nicht im persönlichen Gespräch, und auch der radikale Empirismus von James war für das Entstehen der Studie über das Gute von großer Bedeutung, da Nishida den Begriff der »reinen Erfahrung« zuerst von James übernommen hat. 46 Dies steht im Zusammenhang mit dem Aufkommen der Psychologie, unter deren Einfluß die Philosophie zeitweise geriet. Die Philosophie konnte von ihr nicht absehen, wollte sich aber auch von ihr befreien. 47 Der Befund der philosophiegeschichtlichen Lage um 1911 besagt zunächst, daß das philosophische Denken angesichts der Entwicklung der Naturwissenschaften die Notwendigkeit sah, diese zu begründen, wobei es wesentlich von diesen bestimmt wird und sich von der Metaphysik abkehrt. Andererseits zeigt sich das Bedürfnis einer Philosophie des Lebens, das von der wissenschaftlichen Positivität allein nicht befriedigt werden konnte. So entsteht nach dem Ersten Weltkrieg eine neue Strömung, die die bisher im Stich gelassene Metaphysik wiederherzustellen sucht. Selbst Heidegger, der später das Ende der Metaphysik verkündete, machte zunächst die Grundlegung einer Metaphysik zu seinem Hauptanliegen. 48 Der Zeitgeist um 1911 war also von zwei widersprüchlichen Bestrebungen geprägt: einerseits dem Streben, in der Abkehr von der metaphysischen Spekulation den Standpunkt der Erfahrung und der wissenschaftlichen Positivität zu gewinnen, und andererseits dem Bedürfnis, doch die Metaphysik wiederherzustellen. Diese »neue« Metaphysik bedurfte allerdings der Überprüfung des bisherigen Seinsprinzips und ist somit noch mit der alten Metaphysik verbunden. In dieser Hinsicht ist zu bemerken, daß der philosophische Zeitgeist im 20. Jahrhundert im damals noch wenig beachteten Denken Nietzsches und dessen Gedanken des Nihilismus zum viel radikaleren Ausdruck gekommen war als in den geistigen Strömungen um 1911; aber dies
Zum Vergleich der Philosophie Nishidas mit der James' vgl. Yôko Arisaka, Experiential Ontology: The Origins of the Nishida Philosophy in the Doctrine of Pure Experience, in: International Philosophical Quarterly 30:2. With Andrew Feenberg, June 1990, S. 173–205. 47 Vgl. hierzu Keiji Nishitani, Nishida tetsugaku – tetsugakushi ni okeru sono ichi (Nishidas Philosophie – Ihre Stellung in der Philosophiegeschichte), 1950, jetzt in: Werke Nishitanis, Bd. 9, S. 95–124. 48 Vgl. dazu Max Müller, Existenzphilosophie. Von der Metaphysik zur Metahistorik. 4. Aufl., Freiburg/München 1986. 46
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zeigte sich nachhaltig erst in den dreißiger Jahren durch die NietzscheInterpretation Heideggers. Nishidas Studie über das Gute wird durch die beiden obengenannten widersprüchlichen Bestrebungen des Zeitgeistes mitbestimmt: die Aufbewahrung der unmittelbaren Erfahrung und das Streben nach einer Metaphysik. Hier ist darauf aufmerksam zu machen, daß gerade an einer dieser zwei Bestrebungen, der »unmittelbaren Erfahrung«, die fernöstliche Erfahrung des »Nichts« ihre erste philosophische Formulierung findet. Man kann weiter sagen: Gerade durch das Ansetzen in der Erfahrung des Nichts konnten die sonst widersprüchlichen Bestrebungen des Zeitgeistes vereinigt und philosophisch entwickelt werden. Im Folgenden ist dies noch eingehender zu klären, um dann die weitere Entwicklungslinie der Philosophie der Kyôto-Schule darzustellen.
4.
Nishidas Philosophie der »reinen Erfahrung« und des »Ortes«
In der Vorrede zur Studie über das Gute erklärt Nishida, warum diese Abhandlung trotz ihres philosophischen Charakters mit dem Wort das »Gute« betitelt wird, als ziele sie auf etwas ganz Lebenspraktisches. Der Grund liegt darin, daß Nishida das Problem des Lebens als die Mitte und als das Ende seiner Betrachtung nimmt. Trotz aller neukantianistischen Einflüsse basiert Nishidas Philosophie auf dem ernsten Anliegen des Lebens und des Todes, welches ihn auch zur Zen-Übung geführt hatte. Die Studie über das Gute hat so statt eines spekulativen Prinzips die unmittelbare »reine Erfahrung« zu ihrem Anfang, ein Ausdruck, der, wie schon erwähnt, sich an William James anlehnt. Nishida sagt, er habe seit langem konzipiert, »die reine Erfahrung als die einzige Realität zu nehmen, um dadurch alles erklären zu können.« 49 In diesen Worten spiegeln sich die beiden bereits genannten Hauptinteressen. Die reine Erfahrung als die einzige Realität nehmen heißt, die wirkliche Welt nicht in der bloßen Spekulation zu konstruieren, sondern in der reinen, unmittelbaren Erfahrung zu bewahren. Der radikal empiristische Standpunkt wird hier beibehalten. Um aus dieser und mit dieser 49 Vorwort zur neuen Auflage der Zen no kenkyû, 1911, in: Werke Nishidas, Bd. 1, S. 6– 7. Dieses Vorwort, das einen wichtigen Rückblick Nishidas auf seine eigene Philosophie enthält, ist in der deutschen Übersetzung nicht aufgeführt.
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Erfahrung alles zu erklären, muß man jedoch das bloß positiv Gegebene gewissermaßen »transzendieren«. Damit wird ein Hinausgehen über das Physische und damit eine meta-physische Stellung ausgedrückt. Die Frage ist, wie diese zwei Hauptinteressen vereinigt werden können. Der Schlüssel des Gedankens liegt in der »reinen Erfahrung«. Die Erfahrung ist für Nishida darin »rein«, daß sie noch nicht oder nicht mehr vom ichlichen Bewußtsein reflektiert, vergegenständlicht und subjektiviert, d. h. in der Subjekt-Objekt-Spaltung gefaßt wird. Gerade deshalb gab Nishida es bald danach auf, den Terminus »Bewußtsein«, den er in seiner Erstlingsschrift oft als Ausdruck für die reine Erfahrung verwendete, zu gebrauchen. Er verzichtete sogar darauf, den Terminus der »reinen Erfahrung« zu verwenden, um den Eindruck zu vermeiden, es gehe doch um einen Bewußtseinszustand. Wer eine Ahnung von der fernöstlichen Denktradition und der Bedeutung der Praxis in ihr hat, wird mit dieser ursprünglichen Bedeutung der reinen Erfahrung sofort an die Übung der ichlosen, gesammelten Versenkung denken, wie sie am reinsten in der Sitzübung im Zen realisiert wird. Die reine Erfahrung in der Versenkung in eine Sache ist die Erfahrung der Sache (genitivus subjectivus und objectivus). Hierdurch besteht der lebendige Zusammenhang von Ich und Ding als die »eine und einzige Realität«. Die Versenkung in diese reine Erfahrung kann sich immer weiter vertiefen, so daß sie sich am Ende als Versenkung in die »Gottheit« ergibt. Diese nämlich ist nach Nishida die »vertiefte und vergrößerte reine Erfahrung«. Ohne den Standpunkt der unmittelbaren Erfahrung zu verlassen, besteht hier die Möglichkeit einer Metaphysik. Es muß hinzugefügt werden, daß die reine Erfahrung als Erweis der Ichlosigkeit und Gegenstandlosigkeit in der einen und einzigen Realität die Erfahrung des Nichts im positiven Sinne war. Mit diesem Nichts-Gedanken wird also einerseits die Unmittelbarkeit der Erfahrung aufbewahrt und andererseits eine neue Metaphysik aufzubauen versucht. Um die weitere Entwicklung von Nishidas Philosophie zu skizzieren, in der statt »reine Erfahrung« ein anderer Begriff, »Ort«, verwendet wird, sei nur ein Problem aufgenommen. Es ist das der Bestimmung des »Einzelnen«, das in der Studie über das Gute nicht eigens ausgeführt ist, später aber zu einem zentralen Punkt gemacht wird. Im Zusammenhang damit mag auch der Gedanke des »absoluten Nichts« klarer werden. Das »Einzelne«, wie es typischerweise am Beispiel des menschlichen Individuums begriffen werden kann, ist das Einzige, das durch 31 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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kein Anderes ersetzbar ist und Anspruch auf absolute Freiheit erhebt. Die traditionelle Auffassung des Einzelnen seit Aristoteles läßt sich aus drei Kategorien erklären: die Gattung (das Allgemeine), die Spezies (das Besondere) und das Individuum (das Einzelne). Sokrates z. B. ist das Individuum, das zweifüßige Tier ist die Spezies, und das Tier ist die Gattung. Das Einzelne wird als Endpunkt der Bestimmung des Allgemeinen verstanden. Damit aber ist das Einzelne nur das verkleinerte Allgemeine, somit das von diesem Bestimmte und nicht das von ihm freie, unabhängige Wesen, wie es der Begriff des Einzelnen eigentlich verlangt. Die Einzigkeit des freien, einzelnen Wesens muß darin bestehen, daß es als Bestimmung des Allgemeinen auch umgekehrt dieses letztere bestimmen kann. Solange das Einzelne aus dem Allgemeinen, unter dem Vorrang desselben, bestimmt wird, kann die schöpferische Freiheit und Einzigkeit nie begriffen werden. Es gibt einen kleinen Aufsatz von Nishida, in dem der wichtige Ansatzpunkt für dieses Problem im näheren Vergleich mit der abendländischen Philosophie dargelegt wird: Das Problem des zurückgelassenen Bewußtseins. 50 Nishida gibt zu bedenken, daß innerhalb der abendländischen Philosophie das Bewußtsein zwar ständig problematisiert werde, aber immer als das zum Bewußtsein gebrachte Bewußtsein und nicht als das zum Bewußtsein bringende Bewußtsein, das als solches in der abendländischen Philosophie verbleibe. Man weiß heute allerdings, daß in der Fichteschen Wissenschaftslehre von 1797 die Rede vom »Bewußtseienden« im Unterschied zum »Bewußten« 51 oder in der Phänomenologie Husserls die Rede von dem nie zu vergegenständlichenden »anonymen Ich« 52 ist. Das von Nishida gemeinte »Zurückgelassene« wurde, so wird der in der Philosophiegeschichte Sachkundige behaupten, auch in der neuzeitlichen Philosophie doch ins Auge gefaßt. Es bleibt aber bei der genaueren Überprüfung entweder als das absolute Bewußtsein jenseits der unmittelbaren Erfahrung oder als Grenzbegriff derselben, über den hinaus nichts gesagt werden kann. Kitarô Nishida, Torinokosaretaru ishiki no mondai, in: Festschrift für Prof. Tokunô zu seinem 60. Geburtstag (jap.), 1926, jetzt in: Werke Nishidas, Bd. 12, S. 5–17. 51 Johann Gottlieb Fichte, Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre, 1797, Sämtliche Werke, hrsg. von Immanuel Hermann Fichte, Bd. 1, Nachdruck Berlin 1971, S. 526 f. 52 Vgl. dazu Klaus Held, Lebendige Gegenwart. Die Frage nach der Seinsweise des transzendentalen Ich bei Edmund Husserl, entwickelt am Leitfaden der Zeitproblematik (= Phaenomenologica 23), Den Haag 1966. 50
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Das »zurückgelassene« Bewußtsein bedeutet für Nishida unser Selbst, welches in der reinen Erfahrung real gegenwärtig ist und bewahrheitet wird. Wird dieses Selbst als das Ich substantialisiert, müßte ihm der Paralogismus im Sinne Kants vorgeworfen werden; bleibt es ein Grenzbegriff, ist es noch kein freies, »einzelnes« Wesen. Dieses Selbst wurde von Nishida bald nicht mehr mit der Begriff der »reinen Erfahrung«, sondern mit dem des »Ortes« philosophisch bearbeitet. Nishida verwendete diesen Begriff teilweise in Anlehnung an den »Chora« im Platonischen Timaios. Wie in der gewöhnlichen, räumlichen Vorstellung des Ortes, ist der Ort zunächst das, worin das, was ist, besteht, obwohl er selber kein Seiendes, und insofern Nichts ist. Allerding ist der räumlich verstandene Ort nur eine Bedeutungsebene des Ortes. Der von Nishida gemeinte »Ort« ist besser mit dem »Sehenden« vergleichbar, das jeder Tätigkeit, somit auch jedem tätigen Willen als dessen sehendes »Auge« zugrundeliegt. Fichte hatte bekanntlich dieses Auge einige Male als »Auge der Urania« bezeichnet. Bei ihm wurde aber dieses Auge als die innerste Kraft des absoluten Willens und somit noch als ein Wirkendes aufgefaßt. Wie jedoch inmitten des Wirbelsturms absolute Ruhe herrscht, so muß das Innerste des Wirkenden das Nicht-Wirken schlechthin sein. Die Kraft bewegt das Andere, sich selber aber nicht. Das Selbst des Wirkenden ist das Nichts schlechthin. Dieses Nichts läßt aber das Wirkende sein, was es ist. Außer dem absoluten Ich ist nichts – so sagten einst Fichte und Schelling. Die Formel könnte umschrieben werden: das absolute Ich kann nicht sein ohne dieses »nichts« bzw. »Nichts«. Der Ort des Nichts in diesem Sinne ist das, worin auch der Prozeß des Sichbegreifens des absoluten Ich stattfindet. Um jede Mystifikation dieses Begriffs zu vermeiden, ist nochmals darauf aufmerksam zu machen, daß der von Nishida gemeinte Ort des Nichts ein anderer Name des Gewahrwerdens bzw. des Erwachens zum eigenen Selbst ist, das jeder eigentlich immer schon ist. Dieser Ortgedanke findet sich zuerst in der Sammlung von Abhandlungen Vom Wirkenden zum Sehenden 53, er wird aber bis zur letzten Phase des Denkweges von Nishida immer weiter entwickelt, während die reine Erfahrung als Terminus bald verschwindet. Aber der Sachverhalt der reinen Erfahrung bleibt prinzipiell beibehalten. Denn
53 Kitarô Nishida, Hatarakumono kara miruniono e, 1916, jetzt in: Werke Nishidas, Bd. 4.
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diese gilt als die gesammelte Versenkung in den Ort als das Selbst des Ich. Aber gerade im Hinblick auf diese sachliche Kontinuität zwischen der »reinen Erfahrung« und des »Ortes« muß bemerkt werden, daß auf dem Denkweg Nishidas noch eine Wende vorkommt. Der Ort im späteren Gedanken Nishidas, vor allem seit seinem Aufsatz Die Welt als Dialektisches Allgemeines 54, wird nämlich nicht mehr vom individuellen Gewahrwerden des Selbst her, sondern vom Selbst der »Welt« her, als der Ort der Selbstbestimmung des absoluten Nichts aufgefaßt. War die Entstehung des Ortgedankens bei Nishida die erste Wende seines Denkens, so war die neue Denkweise des Ortes, die Welt quasi von der Welt her zu betrachten, die zweite und eigentliche Wende. Der Begriff der »Wende« mag an die des Heideggerschen Denkens erinnern, da auch bei diesem das menschliche »Da-sein«, wie es in Sein und Zeit gedacht wurde, später als das »Da des Seins«, als »Welt« gedacht wurde. Bei Nishida könnte man diese zweite Kehre als »ortlogische Kehre« 55 bezeichnen.
5.
Tanabes Philosophie der absoluten Vermittlung
Tanabe war, wie bereits erwähnt, der Nachfolger auf dem Lehrstuhl Nishidas, sein philosophisches Denken wich jedoch stark von dem Nishidas ab. Alle philosophisch bedeutenden Kritiken an Nishidas Philosophie stammen, so könnte man behaupten, bis heute von Tanabe. Seine Nishida-Kritik vollzieht sich in zwei Phasen. In der ersten Phase 56 bleibt Tanabe noch Kantianer. Ihm gilt der Standpunkt des absoluten Nichts oder, um es mit Nishida zu sagen, der Standpunkt des Sehens ohne das Sehende, nur als eine »religiöse Anschauung«, die nicht zum Prinzip eines philosophischen Systems entwickelt werden kann. Tanabe verstand den Gedanken des Ortes bei Nishida zuerst als eine mystische
Kitarô Nishida, Benshôhôteki ippansha toshite no sekai, 1907, jetzt in: Werke Nishidas, Bd. 7, S. 305–428. Deutsche Fassung: Die Welt als Dialektisches Allgemeines, übersetzt von Yukio Matsudo, Berlin 1990. 55 Die Wendung »ortlogische Kehre« ist der vom Verfasser in seinem Werk Nishida tetsugaku no sekai (Die Welt der Philosophie Nishidas), Tôkyô 1995, verwendete Terminus. 56 Vgl. Hajime Tanabe, Nishida sensei no oshie wo aogu (Bitte um die Belehrung meines Lehrers Nishida), 1930, jetzt in: Werke Tanabes, Bd. 4, S. 303–328. 54
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Emanationslehre wie bei Plotin, wonach das Eine als das Ewig-Wahre seine Selbstbeschauung in der Weise der Bildung der Welt emaniert. Durch die Beschauung des absoluten Nichts, so meinte Tanabe, kann die Irrationalität der geschichtlichen Welt nicht erklärt werden. Die Philosophie werde als Philosophie vielmehr durch diesen mystisch-religiösen Standpunkt gefährdet. Diese Nishida-Kritik der ersten Phase wurde von Tanabe selbst bald widerrufen. In der zweiten Phase, nach seiner Auseinandersetzung mit Hegel 57, stellt er sich etwa ab 1934 als Dialektiker vor. Er findet dabei den Kern der Dialektik im denkerischen Akt der negativen Vermittlung. Philosophisch denken heißt für Tanabe nichts anderes, als die Gegensätze und Widersprüche, die sonst in unmittelbarer Form in der Wirklichkeit gefunden werden, in der vermittelten Aufgehobenheit zu begreifen. Auch die diese Wirklichkeit begreifende philosophische Logik kann ihrerseits, nach Tanabe, nicht unmittelbar bestehen; sie wird vermittelt durch die irrationale Wirklichkeit als Negation der rationalen Logik. Die philosophische Logik ist insofern nie der abstrakte Rationalismus, sondern das Eindringen in die irrationale Wirklichkeit. In ihr wird nichts in seiner Unmittelbarkeit sein gelassen; das Wahre wird immer in der Negation der Unmittelbarkeit, in der vermittelten Aufgehobenheit gesehen. Mit einem Ausdruck aus Hegels Phänomenologie des Geistes bezeichnet Tanabe seine eigene Logik als die Dialektik der »absoluten Vermittlung«. In dieser Zeit begann Tanabe, seine »Logik der Spezies« zu konzipieren. Dies ist der Beginn der Philosophie Tanabes im engeren Sinne und damit auch einer gründlicheren Auseinandersetzung mit Nishida. In der traditionellen Logik besitzt die Spezies als »Besonderes« nur die Stelle der Zwischenstufe zwischen dem »Allgemeinen« und dem »Einzelnen«. In Wirklichkeit gilt aber nach Tanabe die Spezies als das »geschichtliche Substrat«, wie es exemplarisch in einem »Volk« realisiert wird; durch dieses erst soll das Einzelne als das reale, handelnde Subjekt, und der Staat als das einigende, allgemeine Ganze in die Struktur der geschichtlichen Welt vermittelt werden. Die »Logik der Spezies« hat so einerseits ein philosophisches Motiv bezüglich der »Logik«, andererseits ein praktisches Motiv bezüglich
Vgl. Hajime Tanabe, Hêgeru tetsugaku to benshôhô (Hegels Philosophie und die Dialektik), 1931, jetzt in: Werke Tanabes, Bd. 3, S. 73–369.
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der »Spezies«. Der Kontext des letzteren, die damalige politische Situation in Japan und außerhalb Japans wurde vorhin schon erwähnt. Was das erstere betrifft, so geht es um die Konzeption einer neuen Logik, die der neuen philosophischen Auffassung der Spezies entspricht: die Logik der »absoluten Vermittlung«, in der keine der drei Kategorien, das Allgemeine, das Besondere und das Einzelne, unmittelbar gesetzt wird, sondern alle sich nur in der Vermittlung miteinander finden. Die Stelle der Spezies, die formal-logisch dieselbe Bedeutung wie das Allgemeine und das Einzelne hat, wird dabei nur wegen ihrer praktischen Wirklichkeitsbedeutung eigens betont. Tanabe wirft von dieser »Logik der Spezies« her der Philosophie Nishidas vor, diese bleibe eine der Wirklichkeit gegenüber ohnmächtige »Logik des Nichts«, in der das Gewicht nur auf die innerlich-religiöse Eigentümlichkeit des einzelnen Menschen gelegt, aber die wirkliche Bedeutung der Spezies in der Gestalt der Gesellschaft und des Volks übersprungen sei. Für Tanabe ist das von Nishida gedachte Einzelne nicht von der Spezies als dem geschichtlichen Substrat vermittelt, somit kein reales, handelndes Subjekt in der wirklichen Welt. Diese neue Kritik benennt eine gewisse Schwäche der damaligen Philosophie Nishidas – in der Tat fühlte sich Nishida aufgefordert, auf diese Kritik zu reagieren und auf seine Weise das Problem der Gesellschaft und der geschichtlichen Welt zu denken. Die Auseinandersetzung zwischen Nishida und Tanabe sowie deren Entwicklung kann an dieser Stelle nicht in ihrem ganzen Umfang skizziert werden. Nur muß gesagt werden, daß Tanabe trotz seiner Kritik an Nishida das »absolute Nichts« nicht verwarf. Er war nur dagegen, dieses als den die dialektische Welt umfassenden »Ort des Nichts« zu verstehen. Das absolute Nichts gilt für ihn einzig und allein als die Tätigkeit der absoluten Vermittlung. Es ist nur dann das echte absolute Nichts, wenn es das eigene Sein verneint und die eigene Nichtigkeit bejaht, was nicht in der Weise des »Ortes«, sondern nur in der Weise der Tätigkeit der ständigen Verneinung möglich sei, wie das Laufen auf dem Eis, so Tanabes Gleichnis, wobei das Aufhören des Laufens sofort zum Sturz übergehen muß. Das absolute Nichts ist für Tanabe nicht ein in einer intuitiven Anschauung zu Setzendes, das ein »Sein« haben muß und dem eigenen Begriff widerspricht. Es wird nur in einem existentiellen Handeln verwirklicht. Tanabe ergänzte und präzisierte immer wieder seine dialektische »Logik der Spezies«. Die kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs 36 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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konzipierte Philosophie als Metanoetik 58 z. B. bedeutet einerseits eine Philosophie der »metanoia«, d. h. der (Nach-)Reue, andererseits die »meta-noesis«, d. h. das Transzendieren bzw. Überwinden der vernünftigen Noetik überhaupt. Sie ist das Bewußtsein des Umsturzes der Vernunft und das Philosophieren auf Grund des Scheiterns derselben. Dabei spielt der Grundbegriff »Tariki« (»Kraft des Anderen«) der JôdoShin-Schule (die »Schule des Reinen Landes«) im Buddhismus eine wesentliche Rolle. Die »Kraft des Anderen« wird in dieser Schule dem Amida-Buddha zugeschrieben, durch dessen unendliche Liebe bzw. großes Erbarmen der Gläubige errettet werden soll. 59 »Tariki« fordert so von einem Gläubigen den gänzlichen Verzicht auf »Jiriki«, d. h. auf die »Kraft des eigenen Selbst«, wie sie gewöhnlich als Weg des ZenBuddhismus vorgestellt wird. Nicht durch die eigene Mühe des Vernunftdenkens, aber auch nicht durch den voreiligen Verzicht auf sie, sondern durch ein bis aufs Äußerste radikalisiertes Denken und dessen endgültiges Scheitern sollte nach Tanabe der neue Weg des Denkens geöffnet werden. Dementsprechend wird auch die Spezies aus der Vermittlung durch die Kraft des Anderen »metanoetisch« aufgefaßt. Übrigens endete die Spätphilosophie Tanabes nicht mit dieser Metanoetik des »Tariki«. In ihrer weiteren Entwicklung in der Gestalt einer »Philosophie des Todes« erhielt auch der Zen-Buddhismus als Weg des »Jiriki« eine sehr wichtige Bedeutung. Weiterhin sieht man in ihr eine Annäherung an das Christentum. Durch sie wird ein Gespräch zwischen Christentum und Buddhismus neu eröffnet. Dieses Gespräch wurde in der Tat von seinen Schülern weiter ausgeführt. 60
58 Zangedô toshite no tetsugaku, Tôkyô 1946, jetzt in: Werke Tanabes Bd. 9, S. 1–269. Englische Fassung: Philosophy as Metanoetics, translated by Yoshinori Takeuchi, University of California Press 1986. 59 Vgl. dazu Yoshinori Takeuchi, Die Bedeutung der ›anderen Kraft‹ im buddhistischen Heilpfad, in: Erlösung in Christentum und Buddhismus, Mödling 1982, S. 175–193. 60 Hier ist der ehemalige Lehrstuhlinhaber für Christologie an der Universität Kyôto, Kazuo Mutô (1912–1995), zu nennen, der seine religionsphilosophischen Arbeiten zwar nicht in Richtung der Philosophie des absoluten Nichts vollzog, aber als Christ den Gedanken von Tanabe ernst nahm. Er sympathisierte insofern philosophisch mit Tanabe, während die meisten Philosophen der zweiten Generation der Kyôto-Schule eher mit Nishida sympathisierten.
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6.
Die Bildung der Kyôto-Schule
Man wird sich fragen müssen, ob Shin-ichi Hisamatsu (1889–1980) als der Älteste der zweiten bzw. der jüngste der ersten Generation der Kyôto-Schule als »Philosoph« im strengen Sinne bezeichnet werden kann. Sein Weg zum Zen begann mit der Verzweiflung an der Philosophie. Seine eigentliche Stärke liegt nicht in der schriftlichen Arbeit, sondern in der lebendigen Wirkung, die er als Zen-Meister in jeder Begegnung zeigte. Er ist jedoch der Kyôto-Schule zuzurechnen, weil von ihm das absolute Nichts in unerhörter Weise als die lebendige Erfahrung bezeugt wurde und fast alle Philosophen in der zweiten Generation der Kyôto-Schule mehr oder weniger unter seinem Einfluß standen. Hisamatsu nennt das absolute Nichts das »formlose Selbst« und erörtert dieses in all seinen Schriften, vor allem aber in seiner ins Deutsche und Englische übersetzten Dissertation Tôyô-teki mu (Das morgenländische Nichts). 61 Das absolute Nichts wird allerdings nicht in der schriftlichen Bestimmung, die Hisamatsu vorlegt, sondern nur in seinem Tun und Lassen, in der Art und Weise der Begegnung mit den Leuten, gegenwärtig. Zudem gründete Hisamatsu die FAS Society 62, eine Gruppe der Zen-Praxis, die heute noch aktiv ist. Keiji Nishitani gilt zwar ebenfalls als Meister im Zen. Aber er erweist sich als Philosoph par excellence, so daß er der philosophischen Linie nach als Nachfolger von Nishida weithin anerkannt ist. In einem kleinen Essay Watashi no tetsugakuteki hossokuten (Der Ausgangspunkt meines Philosophierens) 63 sagt Nishitani, der Ausgangspunkt und das innere Motiv von Nishidas Philosophie sei die »Trauer des Lebens« gewesen, während sein eigener Ausgangspunkt etwas anderes war: der »Nihilismus«. Damit wird der Unterschied der philosophiegeschichtlichen Phasen ausgesagt, in denen sich Nishida und Nishitani jeweils befanden. Die Trauer des Lebens gilt wohl als ein radikalisierter Ausdruck von Schellings »Trauer der Endlichkeit«. Sie ist ein Ausdruck Shin-ichi Hisamatsu, Tôyô-teki mu. Englische Fassung: The Characteristics of Oriental Nothingness, in: Philosophical Studies of Japan, Vol. 1, Tôkyô 1960, S. 65–97; deutsche Fassung: Die Fülle des Nichts, übersetzt von Takashi Hirata und Johanna Fischer, hrsg. von Eberhard Cold, Pfullingen 1975. 62 FAS ist die Abkürzung für Formless Self, All Humankind, Suprahistorical History. 63 Keiji Nishitani, Watashi no tetsugakuteki hossokuten, 1963, jetzt in: Werke Nishitanis, Bd. 20, S. 185–195. Englische Fassung: The Starting Point of my Philosophy, in: FAS Society Journal (Spring 1986) S. 24–29. 61
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für das anfängliche, jedem Menschen innewohnende Bewußtsein, das dem Wesen und Schicksal der endlichen Lebewesen inneliegt. Sie hat eine gewisse Affinität zum »Erstaunen« als Anfang des griechischen, oder zur »Angst« als Anfang des neuzeitlichen Philosophierens. Im Fortschreiten des Philosophierens über Generationen wiederholt sich auch sein Anfang. Wie allerdings Kierkegaard in der Wiederholung der »Angst« die Erbsünde im Fortschreiten der Generationen erblickte, ist das Resultat der Wiederholung etwas »mehr« als das Ursprüngliche. Dieses Mehr ist zwar nach Kierkegaard nur »quantitativ«, da jeder Mensch in der Wiederholung des Anfangs, der Sünde Adams, nie zu einem »qualitativ« anderen Menschen, sondern zu demselben Menschen wie Adam wird. Im genannten »Mehr« liegt jedoch die »Geschichtlichkeit«. Die Trauer des Lebens in ihrer Geschichtlichkeit einsehen hieße erstens, das Leben nicht nur auf einer persönlichen, sondern auch auf seiner geschichtlichen Ebene als das Leben der Geschichtswelt einzusehen, und zweitens, diese Geschichtswelt in ihrer abgründigen Trauer, d. h. in ihrem letzten Grund als nichtig zu durchschauen. Hier geht der Gedanke des Nihilismus auf. Die Trauer des Lebens als Anfang des Philosophierens wird im Denken von Nishitani als Nihilismus wiederholt und vertieft. Fing Nishida in seinem Philosophieren mit der Studie über das Gute an, so ging Nishitani in seiner Dissertation Aku no mondai ni tsuite (Vom Problem des Bösen) aus. 64 Der von Nishitani gemeinte Nihilismus ist nicht der negativ verstandene Gedanke der Gottlosigkeit in der europäischen Neuzeit, sondern der Gedanke, der erst als Überwindung und in der Überwindung dieses europäischen Nihilismus aufgeht: Er ist der Gedanke der »Leere«, wie ihn Nishitani in Shûkyô towa nanika (Was ist Religion?) 65 entfaltete. Die »Leere« ist nach der bekannten Formel des Hannya-Sutra im Mahâyâna-Buddhismus gleich das Reale, und das Reale ist gleich die Leere. Die wahre Realität wird als die Leere aufgefaßt. Nishitani hatte diesen Begriff deshalb dem des »Nichts« vorgezogen, weil der letztere immer im Kontext des Begriffspaars »Sein – Nichts« verstanden und aus diesem interpretiert wird, somit begrifflich von vornherein 64 Vgl. Keiji Nishitani, Aku no mondai ni tsuite, in: Tetsugaku Kenkyû, Vol. 142, 1928, S. 44–89, jetzt in: Werke Nishitanis, Bd. 2, S. 3–38. 65 Keiji Nishitani, Shûkyô towa nanika, Tôkyô 1961, jetzt in: Werke Nishitanis, Bd. 10. Englische Fassung: Religion and Nothingness, translated by Jan Van Bragt, Los Angeles/ London, 1982; deutsche Fassung: Was ist Religion?, übers. von Dora Fischer-Barnicol, Frankfurt a. M. 1982.
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belastet ist. Ein gewichtigerer Grund für das Vorziehen dieses Begriffs ist aber gewesen, daß es für Nishitani in seinem Gedanken des Nihilismus um die große Negation wie das absolute Nichts geht, die zugleich die große Affirmation sein soll, etwa wie der leere Großhimmel, in dem sich alles, was ist, findet. Das chinesisch-japanische Schriftzeichen »Leere« bzw. »leer« bedeutet in der Tat auch »Himmel«. Die Bewährung durch die unmittelbare Erfahrung impliziert übrigens eine gründliche Übernahme des Denkens von Nishida einerseits und andererseits eine grundsätzliche Kritik an Tanabes »absoluter Vermittlung«. In dieser wird kein Glied in seiner Unmittelbarkeit stehengelassen. Jedoch darf auch der Unterschied der Denkweise Nishitanis von der Nishidas nicht übersehen werden. Hat Nishida mit eigenartigen und seltsamen Formeln wie »zettai-mujun-teki-jikodôitsu« (»die widersprüchliche Selbstidentität«) seinen Gedanken dialektisch entwikkelt, so beschreibt Nishitani die im Grunde selbige Sache ohne spezielle Termini und Formeln quasi phänomenologisch. Darin zeigt sich wohl wiederum der Unterschied der philosophiegeschichtlichen Phasen, in denen sich Nishida und Nishitani befanden. Die Philosophie der Kyôto-Schule erreicht in der zweiten Generation mit dem Gedanken der Leere von Nishitani offensichtlich eine neue Stufe. Damit dürfen aber die Leistungen von anderen Philosophen wie Masaaki Kôsaka, lwao Kôyama 66, Toratarô Shimomura, Shitgetaka Suzuki usw. nicht geringgeschätzt werden. Sie alle wirkten an der goldenen Zeit der Kyôto-Philosophie mit. Eine eingehende Skizzierung der Leistungen dieser Philosophen findet sich in der jeweils ihren Texten vorangestellten Einleitung; hier wird allein eine allgemeine Charakteristik der philosophischen Bedeutung der Arbeiten dieser Autoren gegeben. Art und Weise und Tendenz ihres Denkens sind vielfältig und verschieden. So liegt etwa die Stärke Kôsakas mehr in seinen historischen Arbeiten als im kreativen Denken, während Kôyama in fast allen philosophischen Gebieten wie Logik, Geschichtsphilosophie, Kulturphilosophie, politischer Philosophie, Ethik usw. einen eigenen systematischen Gedanken aufzubauen versuchte. Shimomura ist einer der Herausgeber der alten Gesamtausgabe Nishidas (1. bis 4. Auflage), und seine geistesgeschichtlichen sowie wissenschaftstheoretischen Ar2007 ist der erste Band der sechsbändigen Gesammelten Schriften Kôyamas im Universitätsverlag Hôsei (Hôsei daigaku shuppan-kai) erschienen; der letzte Band erschien 2009.
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beiten, wie seine Gesammelten Schriften 67 zeigen, gelten als Ecksteine der Forschung im Gebiete der Geistesgeschichte und der Wissenschaftstheorie in Japan. Trotz all dieser Verschiedenheiten lassen sich aber einige gemeinsame Tendenzen feststellen: Bezüglich der vorher erwähnten NishidaTanabe-Kontroverse standen sie eher auf der Seite Nishidas als auf der Tanabes, d. h. das absolute Nichts wird von ihnen ungefähr im Sinne Nishidas verstanden. Kôyama wollte diesen Begriff allerdings in seiner Schrift Koô no ronri (Die Logik der Entsprechung) noch weiterentwikkeln bzw. modifizieren, während Shimomura und Kôsaka diesen Begriff zwar verwendeten, aber nicht selber thematisch behandelten.
7.
Fortbildung und Öffnung der Kyôto-Schule
Wenn wir von hier aus direkt zur dritten Generation übergehen, so fällt uns auf den ersten Blick auf, daß sie weniger in Verhaftung an den fernöstlichen »Winkel« denkt, sondern sich mehr und intensiver darum bemüht, ihre Gedanken in europäischen Sprachen zu vermitteln und unmittelbar das Gespräch mit der abendländischen Philosophie zu führen. Zur dritten Generation zählen fünf Personen. Der erste ist Yoshinori Takeuchi (1913–2002), 68 der Nachfolger Nishitanis am Lehrstuhl für Religionswissenschaft war und durch seine Gastvorlesungen in Marburg sowie durch englisch- und deutschsprachige Publikationen bekannt ist. Während fast alle Philosophen der zweiten Generation philosophisch größere Sympathie mit Nishida und dem Zen hatten, blieb Takeuchi als Priester der Jôdo-Shin-Schule des Buddhismus vom Zen distanziert und stand eher auf der Seite Tanabes. Anhand der präzisen Kenntnisse des Buddhismus und der abendländischen Philosophie führte er in religionsphilosophischer Hinsicht den Geist Tanabes weiter, und sein Einfluß wirkt bei seinen Schülern fort. Der zweite Name ist Masao Abe (1915–2004), der zwar in der Toratarô Shimomura, Nihonjin no shinsei to ronri (Mentalität und Logik der Japaner), 1970, jetzt in: Shimomura Toratarô chosaku-shû (Gesammelte Schriften Shimomura Toratarôs), Bd. 12, Tôkyô 1990, S. 550–567. 68 Die wichtigen Texte Takeuchis sind jetzt zugänglich in seinen gesammelten Schriften: Takeuchi Yoshinori chosaku-shû (Gesammelte Schriften Yoshinori Takeuchis), 5 Bände, Kyôto 1999. 67
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japanischen Literatur nur selten zur Kyôto-Schule gezählt wird, aber wegen seiner zahlreichen Publikationen in Englisch vor allem in den USA zu Recht als Philosoph der Kyôto-Schule angesehen wird. 69 Abe war zuerst an der pädagogischen Universität Nara tätig. Er übernahm nach seiner Emeritierung Gastprofessuren an amerikanischen Universitäten, wie Columbia/New York, Chicago, Princeton und Claremont. Weiterhin war er Zen-Schüler von Shin-ichi Hisamatsu und nach dessen Tod eine der Hauptfiguren in dem von diesem gegründeten ZenKreis FAS Society. Durch seine Publikationen und Vorlesungstätigkeiten in den USA wurde der Austausch zwischen der westlichen und der östlichen Philosophie sicherlich bereichert. Im vorliegenden, schon sehr umfangreich gewordenen Band mußte aber auf die Aufnahme seiner Aufsätze verzichtet werden, um die Vermittlung des Bildes der KyôtoSchule auf die streng philosophische Ebene zu beschränken. Die Fortbildung der Kyôto-Schule in durchaus philosophischer Richtung wurde von Kôichi Tsujimura (1922–2010) gesichert. Die Veröffentlichungen Tsujimuras über Heidegger und Zen können als seine Hauptleistung angesehen werden. Seine originäre Heidegger-Auslegung geht über den Rahmen einer Interpretation hinaus und öffnet ein Problemfeld, in dem das westliche und fernöstliche Denken einander begegnen bzw. sich auseinandersetzen. Sie zeichnen sich meist durch eine radikale Auseinandersetzung aus, indem sie versuchen, die Standpunkte beider Seiten zu enthüllen, so daß beide von ihren Wurzeln her in ihrer Bedingtheit und Möglichkeit in Frage gestellt werden. Hat Nishitani einst in Kami to zettaimu (Gott und das absolute Nichts) 70 Meister Eckhart behandelt, so betrachtete Tsujimura in der Abhandlung U no toi to zettaimu (Die Seinsfrage und das absolute Nichts) das Denken Heideggers. 71 Er versuchte, die von Heidegger gedachte »Wahrheit des Seins« als Spiegelbild der »Zen-Wahrheit« ins Gespräch zu bringen. Hierdurch eröffnete er das Gespräch zwischen So wird Abe z. B. in dem von Frederick Franck herausgegebenen Sammelband zur Kyôto-Schule, The Buddha Eye (vgl. Anm. 5), zu dieser Schule gezählt und ein Aufsatz von ihm, Man and Nature in Christianity and Buddhism, dort als das zehnte und letzte Kapitel aufgenommen. 70 Keiji Nishitani, Kami to zettaimu, Tôkyô 1948, jetzt in: Werke Nishitanis, Bd. 7. S. 1– 204. 71 Kôichi Tsujimura, U no toi to zettaimu, 1966, jetzt in: ders., Haidegga ronkô (Abhandlungen zu Heidegger), Tôkyô 1970, S. 1–54. Die Teil-Übersetzung ist im vorliegenden Band abgedruckt. 69
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dem Heideggerschen Denken als einem Zenit der abendländischen Philosophie im 20. Jahrhundert einerseits und dem vom Zen motivierten östlichen Denken andererseits. Tsujimura versuchte in dieser Weise den Spalt inmitten der Auseinandersetzung beider auszutragen. Die dritte Generation scheint die Generation dieser Diskussion zu sein, während für die früheren Generationen der schöpferische Auf- und Ausbau der Philosophie des Nichts im Bereich der Religions- und Geschichtsphilosophie die Hauptaufgabe war. Als der produktivste Philosoph in der dritten Generation gilt Shizuteru Ueda (geb. 1926). Seine philosophische Leistung war zur Zeit der 1. Auflage des vorliegenden Bandes, d. h. im Jahre 1990, in ihrem Umriß noch nicht so klar zu erkennen wie heute. Damals zeichnete sich seine Leistung vorwiegend durch seine Eckhart-Forschung 72 aus, durch die der mystische Gedanke Eckharts, z. B. des »Durchbruchs zur Gottheit«, im Lichte der und durch die Zen-Erfahrung erläutert wurde. Dadurch ergab sich die deutsche »Mystik« als tiefste Erfahrung des Nichts im abendländischen Denken. Der von Nishitani angebahnte Problembereich »Zen und Mystik« wurde von Ueda offensichtlich weiter erschlossen. Doch seit 1990 hat sich das Bild verändert, denn inzwischen sind seine gesammelten Schriften 73erschienen, die zeigen, daß er neben seiner Eckhart- und Nishida-Interpretation, die weithin als maßgebend angesehen wird, eine Weiterführung der Philosophie Nishidas und Nishitanis vollzieht. Dazu ist auf seinen Gedanken des »In-der-gedoppelten-Welt-seins« hinzuweisen. Der Titel des Buchs Basho (Ort), in dem dieser Gedanke entwickelt wird, 74 deutet schon auf einen Anschluß an den »Ortgedanken« Nishidas hin. Die Formulierung »In-der-gedoppelten-Welt-sein« erinnert den Leser mit Recht an das »In-der-Welt-sein« Heideggers. Zugleich weist sie auf die zweite bzw. tiefere Dimension der »Welt« hin, das unendliche Offene der »Leere«, womit eine Weiterführung des Gedankens der »Leere« von Nishitani angedeutet wird. Vgl. vor allem die Dissertation Uedas, Die Gottesgeburt in der Seele und der Durchbruch zur Gottheit. Die mystische Anthropologie Meister Eckharts und ihre Konfrontation mit der Mystik des Zen-Buddhismus, Gütersloh 1965. 73 Ueda Shizuteru shû (Gesammelte Schriften Shizuteru Uedas, im Folgenden: Werke Uedas), 11 Bände, Tôkyô 2001–2003. Die Gesammelten Schriften wurden zusammengefaßt und überarbeitet in 5 Bänden veröffentlicht als Tetsugaku raiburarî (Philosophy Library), Tôkyô 2007–2008. 74 Shizuteru Ueda, Basho, Tôkyô 1992, jetzt in: Werke Uedas, Bd. 3. 72
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Vom 26. bis 28. Juni 2006 war Ueda Gast der ›Karl Jaspers Vorlesungen zu Fragen der Zeit‹ 75 in Oldenburg. Der Titel seines Hauptvortrags lautete: »Entwurf einer Phänomenologie des Selbst in der Perspektive des Zen-Buddhismus.« Diese Einladung kann zunächst als etwas Äußerliches angesehen werden. Und doch darf hier nicht außer acht gelassen werden, daß Jaspers selber sich mit dem Geist Buddhas und der ostasiatischen Denktradition beschäftigt hatte und eine Würdigung dieser Art doch nie ohne Verbindung mit dem Geist des Namensgebers geschieht. Die Einladung Uedas zu den ›Karl Jaspers Vorlesungen‹ kann denn auch als ein wertvolles Ereignis auch für die Philosohie der Kyôto-Schule gewertet werden. Als fünfter, freilich nicht der Bedeutung nach letzter Name in der dritten Generation 76 ist heute Bin Kimura (geb. 1931) 77 zu nennen, was für einige Leser und eventuell für Kimura selber etwas überraschend scheinen mag. Denn er ist doch zumindest dem Fach nach nicht Philosoph, sondern Psychopathologe. Er entwickelte seine Gedanken entlang den drei Schlüsselbegriffen »post festum«, »ante festum« und »intra festum«, womit er jeweils die Symptome der Melancholie, der Schizophrenie und der Epilepsie kennzeichnet. 78 Er denkt zunächst fachlich unter dem Einfluß von Viktor von Weizsäcker, aber sein Denken wurzelt zugleich tief in der Philosophie Kitarô Nishidas. In seiner Abhandlung Die Philosophie Nishidas und die medizinische Anthropologie 79 erörtert er, daß die Theorie der Psychoanalyse und deren Diskurse nur die Spuren des »Psychoanalysierens« sind. Er meint mit diesem die Diese Vorlesungen werden seit 1997 in Verbindung mit der OLB-Stiftung der Oldenburgischen Landesbank AG veranstaltet. Der Gast der Eröffnungsveranstaltung für die Vorlesungen 1997 war Willard V. O. Quine aus Harvard; Jürgen Habermas setzte die Vorlesungen 1998 fort. 76 Zur dritten Generation sind noch mindestens zwei weitere Philosophen zu rechnen: Akira Omine und Shôtô Hase. Zu diesen Philosophen vgl. die »Einleitung« zur dritten Generation, S. xxx. 77 Kimura Bin chosaku-shû (Gesammelte Schriften Bin Kimuras, im Folgenden: Werke Kimuras), 8 Bände, Tôkyô 2001. In der »Erläuterung« zum ersten Band der Gesammelten Schriften Kimuras schreibt Keiichi Noe mit Recht: »Wenn es Phänomenologie ist, die der Anthropologie Kimuras die methodologische Basis gibt, so ist es Nishidas Philosophie, die ihr die geistige Basis gibt« (Bd. 1, S. 415). 78 Bd. 2 der Werke Kimuras legt die Theorie des »ante festum« dar, Bd. 3 die Theorie des »post festum«, Bd. 4 die des »intra festum«. 79 Bin Kimura, Nishida tetsugaku to igaku-teki ningengaku, in: Werke Kimuras, Bd. 7, S. 317–341. 75
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»reine Erfahrung« Nishidas in der Psychoanalyse; in der Tat vollzieht er das Psychoanalysieren im Geiste Nishidas. Seine umfangreichen Kenntnisse und sein großes Verständnis von der Philosophie der Gegenwart gelten als weitere Gründe, ihn zur dritten Generation der Kyôto-Schule zu zählen. Die Nennung Kimuras verdeutlicht jedoch auch, daß es in dieser dritten Generation nicht nur um die Fortbildung, sondern auch um die Öffnung der Schule geht. Es ist ein natürlicher Prozeß, daß ein Quell des philosophischen Denkens, je reicher und schöpferischer er ist, umso breiter über dessen Entstehungsort hinaus strömt. Der philosophische Gedanke der Kyôto-Schule, ausgehend von der Philosophie Nishidas und dessen Gedanken des absoluten Nichts, kann mit Recht nicht innerhalb des engen Kreises der Universität von Kyôto bleiben. Die Professoren der dritten Generation wie Takeuchi, Tsujimura und Ueda, die alle an den dortigen philosophischen Seminaren lehrten, trugen selbst zur Verbreitung dieser Denkweise bei, indem sie viele ihrer Vorträge in Europa und Amerika hielten und dort auch publizierten. Kimura dozierte zuletzt an der Medizinischen und eben nicht an der Literarischen Fakultät der Universität Kyôto. Die »Auflösung« bzw. Öffnung der Kyôto-Schule ist die innere und sachgerechte Folge ihrer eigenen Philosophie, die man als eine »Weltphilosophie« ansehen kann – ein Begriff, den Tanabe tatsächlich gebrauchte. 80 Im Hinblick auf die von Anfang an angelegte Tendenz der Öffnung ist zum Gesamtbild der Kyôto-Schule auf zwei wichtige Philosophen zu verweisen, die Zeitgenossen Nishidas waren und auf dessen Einladung an der Literarischen Fakultät der Universität Kyôto lehrten: Tetsurô Watsuji (1889–1960) und Shûzô Kuki (1888–1941). Die beiden unterstützten zwar, genauso wie Miki, den Gedanken des Nichts, entwickelten ihre Philosophie aber nicht ausgehend von diesem und thematisierten ihn nicht. Deshalb sind sie, wiederum wie Miki, nicht zur KyôtoSchule im Sinne der philosophischen Schule zu zählen. Aber ihre philosophische Leistung ist nicht minder originell als die der wichtigen Philosophen der Kyôto-Schule. Innerhalb der dritten Generation wirkte der Gedanke des Nichts, wenn auch nicht als direkte Motivation des philosophischen Denkens, dennoch als das geistige Klima, in dem das ostasiatische Denken in der schöpferischen Auseinandersetzung mit der 80 Werke Tanabes, Bd. 6, S. 264. Der Begriff findet sich im Aufsatz Shu no ronri to sekai zushiki (Logik der Spezies und das Welt-Schema), 1935.
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abendländischen Philosophie wachsen konnte. Die »Auflösung« der Kyôto-Schule im positiven Sinne war auch in diesen sich am Rande der Philosophie der Kyôto-Schule befindenden und doch für diese fruchtbaren Figuren angelegt. Wenn ihren Werken ein eigenständiger Name gegeben werden soll, so ist die Bezeichnung »Kyôto-Philosophie« wohl der geeignetste. Unter dieser Bezeichnung können allerdings viele andere Philosophen wie Kiyoshi Miki als Träger einer geistigen Strömung verstanden werden. So wurde vor einigen Jahren die 30-bändige Reihe Ausgewählte Schriften der Kyôto-Philosophie veröffentlicht, 81 die die wichtigen Texte der Kyôto-Philosophie und der Autoren der Kyôto-Schule dem heutigen Leser wieder zugänglich macht. Die den jeweiligen Bänden vorangestellten insgesamt 30 Einführungen bieten einen Überblick über die genannte philosophische Bewegung, wobei sich zeigt, daß die Spitze dieser Bewegung die Kyôto-Schule ist. Watsuji, der in gleichem Jahre wie Heidegger geboren wurde und im Jahre 1927 Heideggers gerade erschienenes Werk Sein und Zeit las, setzte sich mit dessen Denken auseinander. Seine Kritik, Heidegger habe zwar das Problem der Zeit bearbeitet, aber das des Raums zu wenig beachtet, führte dazu, ein Gegenstück zu Sein und Zeit zu verfassen, das teilweise von der »Klimatologie« Herders motiviert und den Titel Fûdo (Wind-Erde) trägt. 82 Es handelt sich hierbei um eine klimatologische Kulturanthropologie, die später zum anderen Hauptwerk, Ningen no gaku toshite no rinrigaku (Ethik als Wissenschaft des Menschen), 83 weiterentwickelt wird. Kyôto-tetsugaku sensho (Ausgewählte Schriften der Kyôto-Philosophie). Die erste Reihe, Kyôto 1999–2001, enthält 15 Bände. Die redaktionelle Oberaufsicht hat Shizuteru Ueda, die Herausgeber sind: Akira Omine, Seitô Hase, Ryôsuke Ohashi. Die zweite Reihe, Kyôto 2001–2003, enthält ebenfalls 15 Bände. Die redaktionelle Oberaufsicht hat Akira Omine, die Herausgeber sind: Seitô Hase, Ryôsuke Ohashi, Keiichi Noe, Hisao Matsumaru. 82 Tetsurô Watsuji, Fûdo, Tôkyô 1935, jetzt in: Watsuji Tetsurô zenshû (Gesamtausgabe Tetsurô Watsujis, 1. Aufl. 20 Bände, Tôkyô 1957–1963; 3. Aufl. mit 2 Ergänzungsbänden, 1989–1992, im Folgenden: Werke Watsujis), Bd. 2. Englische Fassung: Climate and Culture: a philosophical study, translated by Geoffrey Bownas, Ministry of Education, Tôkyô 1961; deutsche Fassung: Fûdo – Wind und Erde: der Zusammenhang von Klima und Kultur, übersetzt von Dora Fischer-Barnicol und Okoochi Ryogi, 2. unveränderte Auflage, Darmstadt 1997. 83 Tetsurô Watsuji, Ningen no gaku toshite no rinrigaku, 1934, jetzt in: Werke Watsujis, Bd. 9, S. 1–192. 81
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Kuki, der neun Jahre lang in Frankreich und Deutschland studierte und sich die europäische Philosophie sowie kulturelle Bildung aneignete, ist bekannt als Verfasser des Buches Iki no kôzô (Die Struktur des ›Iki‹), 84 das er schon vor dem Erscheinen von Sein und Zeit verfaßte und, wie bekannt, mit Heidegger intensiv besprach. Er verwendete dort bereits die hermeneutische Methode Heideggers. Während seines Aufenthaltes in Europa wurde Kuki die japanische Kultur durch den Vergleich mit der europäischen immer mehr bewußt, was ihn dazu bewegte, sein Iki-Buch zu verfassen. Später, nachdem er von Nishida zum philosophischen Seminar in Kyôto berufen wurde, verfaßte er sein Hauptwerk Gûzensei no mondai (Das Problem des Zufalls), in dem es um das Nichts geht, da der Zufall nach Kuki das ist, was nicht mit einem Grund erklärt werden kann und somit ein grund-loses Ereignis ist. Wie bereits gesagt, war Watsuji und Kuki der Begriff des absoluten Nichts zwar nicht fremd, er war für sie jedoch auch nicht zentral. Von der Philosophie der Kyôto-Schule her gesehen, weist ihre Denkweise aber darauf hin, daß und wie der Gedanke des Nichts im Sinne Nishidas möglicherweise auch in ethisch-ästhetischen und sonstigen Gebieten als Quelle des Denkimpulses gelten und sich weiterentwickeln kann. Auch die Psychopathologie von Bin Kimura gilt als ein heutiges und wichtiges Beispiel dafür. Wenn zum Schluß vom Verfasser als dem Herausgeber des vorliegenden Bandes seine Stellungnahme zur Kyôto-Schule verlangt wird, so möchte er sich wie folgt äußern: Die »Auflösung« dieser Schule bedeutet nicht, daß ihr Philosphieren zu einem Ende gekommen ist oder sich erschöpft hat. Vielmehr sind viele Aufgaben des Denkens von der Philosophie der Kyôto-Schule offen geblieben und bedürfen des Weiterdenkens, was teilweise auch von Bin Kimura bezeugt wird. So geht es auch für den Verfasser nicht direkt um das absolute Nichts als das Grundwort dieser Schule, sondern um die »Compassion« als den Pathos-Aspekt des sonst von Nishida und Tanabe vorwiegend logisch bzw. dialektisch entwickelten absoluten Nichts. Die »Compassion«, die dem Shûzô Kuki, Iki no kôzô, Tôkyô 1929, jetzt in: Kuki Shûzô zenshû (Gesamtausgabe Shûzô Kukis), Bd. 1, Tôkyô 1981, S. 1–86. Dazu und zur ausführlichen Information über Kuki vgl. Ryôsuke Ohashi, Heidegger und Graf Kuki – Zu Sprache und Kunst in Japan als Problem der Moderne, vorgetragen auf der Jahrestagung der Heidegger-Gesellschaft aus Anlaß des 100. Geburtstags Martin Heideggers, jetzt in: Von Heidegger her: Wirkungen in Philosophie – Kunst – Medizin. Meßkircher Vorträge 1989. Hrsg. von Hans-Helmuth Gander, Frankfurt a. M. 1991, S. 93–104. 84
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Einführung zur zweiten Auflage
ursprünglich mahâyâna-buddhistischen Begriff des »Großen Mitgefühls« entspricht, bildet im Mahâyâna-Buddhismus mit der sog. »Großen Weisheit« ein Begriffspaar. Mit der Thematisierung dieses in der Philosophie der Kyôto-Schule wenig entwickelten Pathos-Aspektes kann sich ein neuer Raum des Denkens öffnen, der vielleicht eher phänomenologisch als logisch sein wird. 85 Es gilt für diese und freilich auch für die anderen von der Philosophie der Kyôto-Schule zurückgelassenen Aufgaben des Denkens, das reale Bild und die Bilanz dieser Schule sichtbar zu machen. Dies ist das Ziel des vorliegenden Bandes
85 Vgl. dazu Ryôsuke Ohashi, A phenomenoetics of compassion, in: Sourcebook in Japanese Philosophy (in Vorbereitung, University of Hawaii Press), sowie ders., Die »Phänomenologie des Geistes« als Sinneslehre, Verlag Karl Alber, Freiburg i. Br. 2009.
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I. Anfang der Schule
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1. Kitarô Nishida
Einleitung Der erste der beiden hier aufgenommenen Aufsätze Nishidas »Selbstidentität und Kontinuität der Welt« steht am Beginn der »Philosophischen Aufsätze I« (im folgenden abgekürzt: PhA I) im 8. Band der Gesamtausgabe Nishidas. Die in den Bänden 8, 9, 10 und 11 der Gesamtausgabe Nishidas enthaltenen und unter dem Titel »Philosophische Aufsätze« herausgegebenen sieben Aufsatzsammlungen (PhA I bis PhA VII) markieren in einem strengen Sinne die Spätphilosophie Nishidas. Der erste Text gilt so überhaupt als erster Schritt der Spätphilosophie. Bereits der Titel PhA I ist bemerkenswert. Während Nishida seine früheren Aufsatzsammlungen immer unter einem ausführlichen Titel veröffentlichte, der den Inhalt der Aufsätze stichwortartig vergegenwärtigte, gab er seine Aufsatzsammlungen seitdem nunmehr unter dem Titel »Philosophische Aufsätze« heraus. Der Untertitel zu PhA I lautet: »Entwurf eines philosophischen Systems«. Es scheint, als wolle Nishida damit zum Ausdruck bringen, daß sein Gedanke nun nicht mehr mit einem bestimmten Titel zu fassen sei, sondern schlicht philosophisch ist und dieser Gedanke nun zu einem System gebildet werden soll. Die Spätphilosophie Nishidas ist ein Systementwurf, mit dem Nishida, wie er selber sagt, die Welt der geschichtlichen Wirklichkeit zu erläutern versucht. »Spätphilosophie« bedeutet dabei nicht eine Überwindung oder Verabschiedung seines früheren Denkens. Nishidas spätes Denken ist die umfassendere Entfaltung und Weiterentwicklung seiner Grunderfahrung und seines Grundgedankens, nämlich des Gedankens der »Welt«. Bereits in dem Aufsatz »Die Welt als dialektisches Allgemeines« 1 versuchte Nishida, die Welt in ihrer dialektischen StrukBenshôhôteki ippansha toshite no sekai (弁証法的一般者としての世界), 1934, jetzt in: Werke Nishidas Bd. 7, S. 305–428.
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tur zu beschreiben. In diesem Aufsatz konzipierte Nishida seinen Begriff der Selbstidentität und seinen Begriff der Kontinuität, wobei der erste genauer widersprüchliche Selbstidentität und der zweite genauer diskontinuierliche Kontinuität bedeutet. Beide Begriffe erläutern dasselbe, die Grundstruktur des Geschehens von Welt, jedoch beleuchten beide das Geschehen von je verschiedener Seite. Identität bezeichnet eher die logische Seite, Kontinuität eher die Realitätsseite dieses Geschehens. Der Gedanke im Aufsatz »Selbstidentität und Kontinuität der Welt« bildet den bereits in »Die Welt als das dialektische Allgemeine« vorbereiteten Auftakt der Spätphilosophie Nishidas und zieht sich – immer noch weiterentwickelt vor allem in seiner sprachlich begrifflichen Fassung – durch das gesamte Spätwerk. Dieser Gedanke der als dialektisch aufgefaßten Welt bildet den wohl prägnantesten Unterschied zwischen Nishidas frühem und seinem späten Denken. Blieb das frühere Denken, wie Nishida sich selbst kritisiert, noch dem Standpunkt eines in einem gewissen Sinne subjektiven, individuellen »Selbstgewahrens« 2 verhaftet, so öffnet der Gedanke der Welt den Blick auch auf Geschichte, Gesellschaft, Kultur, Wissenschaft usw. Wurde das Geschehen der Wirklichkeit früher vor allem vom Standpunkt des selbstbewußten, sich selbst gewahrenden individuellen Selbst her aufgefaßt, so vertieft sich Nishidas Denken in der Spätphilosophie als Philosophie des absoluten Nichts zu einer Geschichts-, Gesellschafts- und Kulturphilosophie. Dies zeigt sich auch deutlich an der inhaltlichen Gliederung der »Philosophischen Aufsätze I–VII«. In PhA I–III entwickelt Nishida seinen logischen und in einem strengen Sinn als philosophisch zu bezeichnenden Gedanken, während er in den darauffolgenden Bänden Teilgebiete der Philosophie behandelt: Praktische Philosophie und Ästhetik (PhA IV), Epistemologie (PhA V), Naturwissenschaft (PhA VI), Religionsphilosophie (PhA VII). Jikaku (自覚). Dieses Wort kann auch mit »Selbst-erwachen«, »Selbst-wahrnehmung«, »Selbst-gewahrwerden«, »Selbst-bewußtsein«, »Innewerden«, »Selbstwissen« usw. übersetzt werden. D. h. das Wort gilt bald als Bezeichnung für die religiöse Erfahrung des Erwachens bzw. der Erleuchtung, bald als philosophischer Terminus, der als Übersetzungswort für das deutsche »Selbstbewußtsein« vor allem im Sinne des deutschen Idealismus verwendet wird. In der Philosophie der Kyôto-Schule weist dieses Wort auch oft auf das ethisch-moralische Verhalten einer Entscheidung bzw. einer Tat. In diesem Band wird dieser Schlüsselbegriff der Philosophie der Kyôto-Schule je nach dem Kontext und der Nuance des Textes vom jeweiligen Übersetzer ins Deutsche übertragen.
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Kitarô Nishida
Der Aufsatz »Selbstidentität und Kontinuität der Welt« ist in fünf Abschnitte gegliedert, von denen hier die vier ersten übersetzt sind. Diese vier Abschnitte vergegenwärtigen den wesentlichen Grundgedanken des späten Nishida und sind zugleich ein typisches Beispiel für die Art und Weise, in der Nishida seinen Gedanken entwickelt. Im ersten Abschnitt wird nach einer Destruktion der gewöhnlichen Vorstellung von Identität und Kontinuität die Welt in ihrer fundamental widersprüchlich selbstidentischen Struktur erläutert. Der zweite Abschnitt thematisiert den Unterschied und das Verhältnis der verschiedenen Welten, nämlich der physikalischen, der biologischen und der geschichtlichen Welt. Analog zum zweiten Abschnitt werden im dritten Abschnitt verschiedene Weisen des Selbst, nämlich das intellektuelle, verstehende, handelnde Selbst erörtert, und es wird dargetan, wie der Weise des Selbst entsprechend die Welt je in verschiedener Weise aufgeht und sich zeigt. Im vierten Abschnitt rückt der Gedanke der Geschichte als Selbstbestimmung des ewigen Jetzt mehr in den Vordergrund. Im fünften Abschnitt rekapituliert Nishida rückblickend seinen Gedankengang noch einmal. Zur obigen Gliederung des Textes ist allerdings eine kurze Bemerkung notwendig. Die Gliederung wird mißverstanden, wenn dadurch der Eindruck entsteht, als entwickle sich der Gedanke Nishidas linear Stufe um Stufe. In Wirklichkeit ist sein Gedankengang, wie der Leser dem Text entnehmen wird, in sich kreisend und sich wiederholend. Wenn der Leser dem Text mit an der Lektüre deutscher philosophischer Texte ausgebildeten Leseerwartungen gegenübertritt, wird er ihn zunächst etwas fremd finden. Nishidas Denken entfaltet sich sowohl im Horizont der westlichen als auch der östlichen Denktradition und rekurriert oft auf Erfahrungsgehalte fernöstlicher und, wie man bemerkt, zen-buddhistischer Tradition. Hier handelt es sich um eine in einem genuinen Sinne japanische Philosophie, so daß die Beschäftigung mit ihr ein ungewöhnliches Einfühlungsvermögen vom europäischen Leser verlangen wird. Der zweite Text »Das künstlerische Schaffen als Gestaltungsakt der Geschichte« ist in PhA IV aufgenommen und zählt so ebenfalls zur Spätphilosophie. Nachdem Nishida in PhA I bis PhA III vor allem im Aufsatz »Absolut widersprüchliche Selbstidentität« (PhA III) 3 den Zettai mujunkteki jikodôitsu (絶対矛盾的自己同一), veröffentlicht in: Shisô 202 (1939), jetzt in: Werke Nishidas Bd. 9, S. 147–222.
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theoretischen bzw. logischen Teil seiner Spätphilosophie entwickelt hatte, begann er mit dem Entwurf seiner Kunstphilosophie. Es ist das zweite Mal, daß Nishida sich explizit und ausführlich zur Philosophie der Kunst äußert. Bereits früher thematisierte er die Kunst in einigen Abhandlungen, die 1923 unter dem Titel »Kunst und Moral« gesammelt erschienen. Der hier aufgenommene Text hat seine Bedeutung jedoch nicht allein darin, daß Nishida hier seinen spekulativen Gedanken auf ein nichtphilosophisches Gebiet bezieht und dort bewährt. Diese Abhandlung verweist auf einen ganz persönlichen Erfahrungshintergrund. Nishida war nämlich nicht nur Philosoph, er war zugleich Künstler. Er dichtete japanische Kurzgedichte (waka, tanka) und schrieb bzw. malte Kalligraphien. Er ist heute allgemein als bedeutender Kalligraph anerkannt. Eine weitere Bedeutung des Aufsatzes »Das künstlerische Schaffen als Gestaltungsakt der Geschichte« liegt darin, daß in ihm erstmals führende und wesentliche Positionen und Gedanken der deutschen Ästhetik in Japan ausführlich vorgestellt wurden und von dort aus dann in die Fragestellungen und Diskussionen der japanischen Kunstwissenschaften gelangten. Nishida versteht die Kunst nicht allein als subjektiv-individuelle Tätigkeit des Künstlers, sondern auch als eine Selbstgestaltung der geschichtlichen Welt, die sich im Künstler und in seinem Schaffen ereignet. Diesen Gedanken entfaltet Nishida in vier Abschnitten. Im ersten Abschnitt stellt er das Ziel der Abhandlung vor: das künstlerische Schaffen soll aus dem Bildungsakt der Geschichte erklärt werden. Als Vorläufer dieses Gedankens nennt Nishida Fiedler und Riegl. Darauf erläutert er in Anlehnung an Forschungsergebnisse von Jane Harrison seine eigenen Gedanken. Besonders wichtig ist für Nishida dabei der von Harrison ausführlich erläuterte Begriff des δρώμενον (Kultus, ursprünglich: das Werk, das Handeln). Im zweiten Abschnitt formuliert Nishida: »Alles, was in der geschichtlichen Welt erscheint, sind nicht Phänomene, sondern Drómena.« Dabei versteht er Drómenon als eine Anfangsstufe der sich in absolut widersprüchlicher Selbstidentität bildenden Geschichte. Im dritten Abschnitt referiert Nishida zunächst Worringers Deutung des künstlerischen Schaffens aus dem Abstraktionsdrang, um dann in Übernahme und Absetzung von Worringers Erläuterungen seinen eigenen Gedanken zu vertiefen. In dem darauf folgenden, hier übersetzten Teil, legt Nishida dann seinen eigenen Gedankengang dar. Im letzten, vierten Abschnitt faßt Nishida seine Ansichten vor allem über die östliche Kunst zusammen. 54 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
Kitarô Nishida
Die beiden hier aufgenommenen und übersetzten Texte geben somit dem Leser die Möglichkeit, Nishidas Spätphilosophie in ihren Grundzügen kennenzulernen.
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Kitarô Nishida
Selbstidentität und Kontinuität der Welt 1 (Übersetzt von Elmar Weinmayr)
I. Was ich »Selbstidentität« nenne heißt nicht nur, daß ein Ding 2 ein Ding ist, sondern, daß etwas sich ineins damit, daß es sich verändert, nicht verändert und in eins damit, daß es Vieles ist, Eines ist. Auch das, was ich »Kontinuität« nenne, bedeutet solches, nämlich, daß etwas ineins damit, daß es Vieles ist, Eines ist. Das bloß Eine kann nicht Kontinuität genannt werden, und ebenso kann das bloß Viele nicht Kontinuität genannt werden. Gibt es das Viele, so muß es einzelne, unabhängige Dinge geben. Sind diese das Eine, so dürfen sie nicht einzeln und unabhängig sein. Daß das Viele das Eine ist, ist ein Widerspruch. Gibt es das ganz und gar einzelne und unabhängige Viele, so kann dies nicht das Eine sein. Gibt es das ganz und gar Eine, so kann dies nicht das Viele sein. Wenn wir uns ein Eines, das Vieles ist, vorstellen, legen wir normalerweise entweder die Vielen oder das Eine zugrunde. Hat ein Ding Attribute, so gehören die verschiedenen Attribute zum Ding und können nicht etwas Einzelnes und Unabhängiges sein. Denkt man, daß einzelne Dinge sich irgendwie gegenseitig aneinanderreihen, d. h. stellt man sich eine sog. Anmerkungen von Elmar Weinmayr. – Sekai no jikodôitsu to renzoku (世界の自己同 一と連続) erstmals in drei Teilen veröffentlicht in: Shisô 152, 153, 154 (Tôkyô 1935), dann aufgenommen in: Tetsugaku ronbunshû I (Philosophische Aufsätze I) Tôkyô 1935. Der Übersetzung liegt der Text in: Nishida Kitarô zenshû (Gesamtausgabe Kitarô Nishidas), Tôkyô 11947–1953 41988 f., Bd. 8 (im folgenden abgekürzt: NKZ 8) S. 7–106 zugrunde. Die übersetzten Abschnitte finden sich auf den Seiten 7–89. 2 Mono (もの bzw. 物), Ding, Sache darf hier nicht europäisch in einem Gegensatz zum Menschen verstanden werden. Es ist daran zu erinnern, daß das Wort mono im Japanischen sowohl Ding (物) als auch Mensch (者) bedeuten kann, was darauf deutet, daß in Japan die Grenze zwischen Ding und Mensch nicht so scharf gezogen ist wie in der europäisch-neuzeitlichen Tradition. »Ding« ist daher hier und im folgenden im Sinne von »Seiendes« zu verstehen. 1
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Selbstidentität und Kontinuität der Welt
Kontinuität vor, so legt man die Vielen zugrunde. In einem solchen Fall muß es ein in irgendeinem Sinne Vermittelndes geben. Vielleicht denkt man, daß die einzelnen Dinge durch ihre Ränder miteinander verbunden sind, aber insofern der Rand zum je einzelnen Ding gehört, kann er die einzelnen Dinge nicht miteinander verbinden. Sind die einzelnen Dinge durch irgendein Vermittelndes verbunden, so werden die Dinge, insofern sie den Charakter dieses Vermittelnden haben, durch dieses Vermittelnde vermittelt. Mit der Beziehung zwischen zwei Akten verhält es sich genauso. Verbinden sich zwei Akte und werden eins, so ist das nur ein Akt. Verbinden sich zwei einzelne Akte, so muß es zwischen ihnen ein Vermittelndes geben, sonst würde es sich nur um den Akt eines Aktes handeln. Kontinuität ist jedenfalls zu denken als widersprüchliche Einheit zwischen einzelnen Unabhängigen und Allgemeinem, d. h. als Selbstidentität von einander absolut Widersprechendem. 3 Man kann sagen, daß sowohl Fichtes »Absolutes Ich« als auch Schellings »Identität« einen solchen Sinn haben. Vor allem aber hat Hegels »Dialektik« diese Bedeutung. Gibt es etwas, das als wirkliche Selbstidentität von einander absolut Widersprechendem, d. h. als wirkliche widersprüchliche Einheit mit sich selbst identisch ist, so muß dabei das Einzelne ganz und gar einzeln und das Allgemeine ganz und gar allgemein sein. Daß ein Einzelnes ganz und gar einzeln ist, heißt, daß es sich ganz und gar selbst bestimmt und nicht von Anderem bestimmt wird. Daß das Allgemeine ganz und gar allgemein ist, heißt, daß es die Einzelnen völlig bestimmt und umschließt oder wenigstens die Einzelnen untereinander vermittelt. Wäre das nicht so, könnte man es nicht als Allgemeines bezeichnen. Das Allgemeine ist eine Extensivbestimmung. Selbst wenn ein Einzelnes sich selbst bestimmt, so kann es doch nie bloß ein Einzelnes geben. Ein Einzelnes ist dadurch, daß es Einzelnen gegenübersteht, ein Einzelnes. Schon der Begriff des Einzelnen enthält einen Selbstwiderspruch. Wenn ein Einzelnes dadurch, daß es Einzelnen gegenübersteht, ein Einzelnes ist, so muß es ein die Einzelnen untereinander Vermittelndes, ein Allgemeines geben. Das wirkliche Allgemeine hat diese Bedeutung. So wie der Begriff des Einzelnen einen Selbstwiderspruch enthält, enthält auch Selbstidentität von einander absolut Widersprechendem (zettai ni aihansuru mono no jikodôitsu, 絶対に相反するものの自己同一). Diese Formulierung ist eine Vorform von »absolut widersprüchliche Selbstidentität« (zettai mujunteki jikodôitsu 絶対矛盾的自己 同一), einem Zentralbegriff der Spätphilosophie Nishidas.
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I. Anfang der Schule
Kitarô Nishida
der Begriff des Allgemeinen einen Widerspruch in sich. Das wirkliche Allgemeine muß die Einzelnen bestimmen oder die Einzelnen wenigstens untereinander vermitteln. So verstanden verneint das Allgemeine die Einzelnen. Radikalisiert man diese Bedeutung des Allgemeinen, so verschwinden die Einzelnen. Wenn die Einzelnen verschwinden, verschwindet auch das Allgemeine. Würde es nicht verschwinden, dann wäre das Allgemeine nur ein einziges Einzelnes, dem nichts gegenübersteht. Ein einziges Einzelnes, dem nichts gegenübersteht, ist überhaupt nichts. Aus obengenannten Gründen müssen daher die Einzelnen durch das Allgemeine vermittelt sein und als Bestimmungen des Allgemeinen aufgefaßt werden. Wenn es sich so verhält, sind die Einzelnen aber keine Einzelnen. In dem Sinne, daß es sich selbst bestimmt, muß ein Einzelnes sogar das Allgemeine sein. Und das wirkliche Allgemeine wiederum muß ein Einzelnes sein. Das bedeutet dann auch, daß das Einzelne Einzelnen gegenübersteht. Obwohl die Einzelnen und das Allgemeine sich einander ganz und gar, d. h. absolut widersprechen, sind sie unmittelbar identisch, d. h. widersprüchlich selbstidentisch. Dadurch ist es möglich, daß es einerseits die durch und durch Einzelnen, andererseits das ganz und gar Allgemeine gibt. Wirkliche Kontinuität ist eine solche widersprüchliche Selbstidentität. Die Kontinuität in der wirklich realen Welt ist so. Weder gibt es bloß Kontinuität, noch bloß Diskontinuität. Daher spreche ich von einer diskontinuierlichen Kontinuität. Die Realität bewegt sich. Daher kommt es auch, daß das Reale zeitlich ist. In einer Hinsicht ist die Zeit räumlich. Weil die Gegenwart räumlich-zeitlich ist und sich selbst selbstwidersprüchlich bestimmt, kommt die Zeit zustande. Sowohl eine bloß linear vorgestellte Kontinuität als auch eine bloß als Diskontinuität von Einzelnem und Unabhängigem vorgestellte Diskontinuität sind nur in jeweils eine dieser beiden einander widersprechenden Richtungen abstrahierte Vorstellungen. Stellt man das eben Gesagte durch Zeichen dar, so sind e sich ganz und gar selbst bestimmende Einzelne. Insofern sie zum Vermittelnden ihrer selbst werden und sich ganz und gar selbst vermitteln, sind sie als e1, e2, e3 … linear. Am äußersten Ende dieser Reihe ergeben sie sich als Ε und so M. Hier sind sie somit in einer Hinsicht Α. Α ist nicht nur ein bloßes A, sondern, insofern es die Einzelnen bestimmt, ist es substantiell, d. h. Α ist M. Wäre Α nicht M, würde es als einfaches e wieder in die Reihe e1, e2, e3 … hineinkommen. Das Reale als Α = Ε bzw. Μ ist daher als m1, m2, m3 … zu denken. Viele Leute denken, daß das Reale ineins damit, daß es einzeln ist, 58 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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allgemein und ineins damit, daß es diskontinuierlich ist, kontinuierlich ist. Sie denken, daß es in der wirklichen Welt weder etwas bloß Einzelnes noch etwas bloß Allgemeines, weder etwas bloß Diskontinuierliches noch etwas bloß Kontinuierliches gibt. Ich verneine dies nicht. Die Frage ist nur, von welchem Standpunkt aus man so denkt. Ich sage, daß man dies im Falle der Welt, in der die Dinge wirklich gegenseitig aufeinander wirken, als widersprüchliche Einheit denken muß. Was heißt widersprüchliche Selbstidentität? Widersprüchliche Selbstidentität kann weder ein einziges Einzelnes, das in Richtung der Einzelbestimmung alles vereint, noch das Allgemeine, das in Richtung der Allgemeinbestimmung 4 alles umschließt, sein. Stellt man sich so etwas in einer dieser beiden Richtungen vor, handelt es sich nicht um eine widersprüchliche Einheit. Ich spreche daher von einer Bestimmung ohne Bestimmendes oder von einer Bestimmung des Nichts. Auch diejenigen Leute, die eine widersprüchliche Einheit denken, stellen sich in irgendeinem Sinn gegenständlich etwas Einzelnes vor. Vom Standpunkt des intellektuellen Selbst 5 aus stellen sie sich die Welt als eine Einheit vor und denken, daß sie in eins damit, daß sie Sein ist, Nicht ist, bzw. daß sie in eins damit, daß sie Bejahung ist, Verneinung ist. Es ist aber undenkbar, daß etwas bloß gegenständlich Vorgestelltes oder etwas bloß Subjekthaftes selbstwidersprüchlich ist. Denkt man trotzdem so, so gibt es nur einen Widerspruch, und eine widersprüchliche Einheit ist undenkbar. Will man hier eine widersprüchliche Einheit denken, so muß man sie als einen unendlichen Prozeß, als eine Reihe denken. Selbst wenn man von Bejahung-zugleich-Verneinung, Verneinung-zugleichBejahung 6 redet, so stellt man sich das als eine unendliche kontinuierDas Wortpaar Einzelbestimmung (kobutsu-teki gentei, 個物的限定) und Allgemeinbestimmung (ippan-teki gentei,一般的限定) verwendet Nishida häufig, um die absolut widersprüchliche bzw. dialektische Struktur des Wirklichkeitsgeschehens zu erläutern. Einzelbestimmung meint dabei, daß ein Einzelnes sich selbst bestimmt und in dieser Selbstbestimmung zugleich das Ganze und Allgemeine bestimmt. Allgemeinbestimmung heißt, daß das Allgemeine sich bestimmt und so alle Einzelnen umschließt und bestimmt. In verbaler Verwendung wird Einzelbestimmung durch »sich als Einzelnes bestimmen« übersetzt. 5 Intellektuelles Selbst (chi teki jiko, 知的自己). Chi (知) hat die Bedeutung von Verstand, Wissen, Erkenntnis, Intellekt. In Abhebung vom handelnden Selbst (kôi-teki jiko, 行為的自己) wird chi-teki jiko hier mit »intellektuelles Selbst« übersetzt. 6 Verneinung-zugleich-Bejahung (hitei soku kôtei, 否定即肯定). Verneinung und Bejahung sind nicht im Sinne der Urteils- bzw. abstrakten Logik, sondern im Sinne der dialektischen bzw. konkreten Logik, wie Nishida sie versteht, zu denken. Verneinung 4
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liche Reihe vor. Kontinuität versteht man gewöhnlich vor allem im Sinne der Einheit eines Einzelnen auf Grund einer solchen Reihe. Bei einer solchen Reihe ist die Einheit des Einzelnen aber bereits eine Einheit des Allgemeinen und bedeutet somit seine Selbstverneinung. Wenn es sich so verhält, befindet sich dann im Hintergrund dieser Reihe ein Allgemeines? Ein Allgemeines, das dieser Reihe zugrunde liegt, muß sich selbst ganz und gar individuieren und verneinen. Weil das Einzelne das Allgemeine ist und das Allgemeine das Einzelne ist, kann es eine solche Reihe geben. Wenn ein Einzelnes Einzelnen gegenüber ein Einzelnes ist, so muß es ein Vermittelndes geben. Dinge werden jedoch insofern untereinander vermittelt, als sie den Charakter des Vermittelnden haben. Treibt man diesen Gedanken auf die Spitze, so heißt das, daß das Einzelne ein Aspekt des Allgemeinen ist und das Einzelne verschwindet. Ohne die Einzelnen gibt es aber auch kein Vermittelndes. Das wirkliche Einzelne ist etwas, das sich selbst verneint und selbst vermittelt, und das wirklich Vermittelnde ist etwas, das sich selbst verneint und selbst individuiert. Das Einzelne ist ein Vermittelndes, das Vermittelnde ist ein Einzelnes. Deshalb gibt es eine wirkliche widersprüchliche Einheit. Solange man im Hintergrund des dialektischen Prozesses in irgendeinem Sinn die Einheit eines Einzelnen oder die Einheit des Allgemeinen denkt, handelt es sich nicht um einen wirklich dialektischen Prozeß. Eine solche Dialektik erkennt nämlich die Einzelheit und Unabhängigkeit des Einzelnen in Wirklichkeit nicht an. Wenn ein Einzelnes wirklich einzeln ist, ist es absolut unabhängig und unvermittelt und bestimmt sich absolut selbst. Das heißt aber zugleich, daß das Einzelne sich selbst verneint. Ein Einzelnes ist ein Einzelnes gegenüber Einzelnen, d. h. das Einzelne ist etwas Vermitteltes. Was ist das die Einzelnen untereinander Vermittelnde? Wenn Einzelne bzw. gegenseitig voneinander unabhängige Dinge sich einander gegenüberstehen, müssen sie nebeneinander sein, d. h. es muß eine räumliche Beziehung geben. Allerdings ist ein Einzelnes nicht bloß so etwas wie ein Punkt. Es ist nicht bloß ein als äußerste Grenze der Selbstbestimmung des Allgemeinen zu verstehender Endpunkt. Das Einzelne bestimmt sich selbst. Somit ist das Einzelne eine ganz und gar lineare Einheit und zeitlich. Widersprüchliche Selbstidentität bzw. dialektische Einheit bedeutet daher, daß die Zeit der Raum und der Raum die Zeit ist, bzw. daß das Lineare und Bejahung nennen hier kein Urteilsgeschehen, sondern eine existentielle Negation bzw. Bejahung.
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zirkulär und das Zirkuläre linear ist. 7 Die Zeit ist in ihrem Grund zirkulär, und der wirklich reale Raum ist zeitlich bzw. enthält die Zeit. So ist z. B. auch der physikalische Raum vierdimensional. Wäre er das nicht, so wäre er ein geometrischer Raum. Aber wo sind Raum und Zeit als widersprüchliche Einheit verbunden? Ich denke, sie sind in der Gegenwart verbunden. Gegenwart hat Weite und ist in eins damit, daß sie zeitlich ist, räumlich. Gegenwart ist nicht bloß vierdimensional, sondern vieldimensional. Wirkliche Gegenwart hat unzählige Dimensionen. Sowohl die Linie der Zeit als auch die Ausdehnung des Raumes kommen daher, daß Gegenwart sich selbst bestimmt. Gegenwart ist weder wie ein Einzelnes noch wie Allgemeines geeint. Stellt man sich eines von diesen beiden vor, so handelt es sich nicht um Gegenwart. Allerdings ist Gegenwart auch nicht einfach ohne Einheit. Gegenwart hat die Einheit der Gegenwart selbst. Wäre das nicht so, so könnte es überhaupt keine Gegenwart geben. Gegenwart hat ein Zentrum, das kein Zentrum ist. Wenn wir »jetzt« sagen, ist es schon nicht mehr jetzt. Das Jetzt läßt sich nicht fassen. Gegenwart ist jedoch der Ort, wo die Dinge gegenseitig aufeinander wirken. Ohne Gegenwart gibt es keine reale Welt. Was bedeutet es, daß die Dinge gegenseitig aufeinander wirken? Die gegenseitig aufeinander wirkenden Dinge müssen gegeneinander einzeln und voneinander unabhängig sein. Sind sie das nicht, so gibt es kein Wirken. Wie können voneinander unabhängige Dinge sich wechselseitig aufeinander beziehen und gegenseitig aufeinander wirken? Wenn voneinander unabhängige Dinge gegenseitig aufeinander wirken, muß es ein Vermittelndes geben. Daß ein Ding durch ein Vermittelndes auf anderes wirkt, bedeutet, daß das Einzelne sich selbst verneint und vermittelnd wird. Die Materie wirkt dadurch, daß sie Raum besitzt. Daß ein Einzelnes sich selbst verneint und allgemein wird, bedeutet, daß es wirkt. Wenn ein Ding zu seinem eigenen Vermittelnden wird, so gibt es eine innere Einheit und innere Entwicklung. Wenn jedoch Dinge gegenseitig aufeinander wirken, muß das Vermittelnde dieser Dinge identisch sein. Das Allgemeine muß die Bedeutung eines Ortes haben. Solange ein Ding nur zum Vermittelnden seiner selbst wird, Linear (chokusen-teki, 直線的) und zirkulär (enkan-teki, 円環的) bilden ein ähnliches Wortpaar wie einzeln und allgemein (vgl. Anm. 4). Linear meint zeitlich, in die Zukunft gerichtet, entwerfend, sich als Einzelnes bestimmend, während zirkulär räumlich, von der Vergangenheit her bestimmt, geworfen, vom Allgemeinen bestimmt bedeutet.
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kann es nicht auf anderes wirken. Daß ein Ding sich selbst durch ein Vermittelndes, das mit dem Vermittelnden eines anderen identisch ist, vermittelt, bedeutet, daß die Selbstbejahung des Dings seine Selbstverneinung und seine Selbstverneinung seine Selbstbejahung ist. Hier herrscht diskontinuierliche Kontinuität. Gäbe es hier nur Kontinuität, so hieße das, daß ein Ding sein eigenes Vermittelndes ist, es ein ganz und gar einziges Ding ist und nicht auf anderes wirkt. Aber ein einziges Ding ist überhaupt nichts. Gäbe es bei dieser wechselseitigen Beziehung zwischen den Dingen bloß zwei Dinge, so könnten sie die beiden sich einander widersprechenden Enden eines einzigen Vermittelnden sein. Wäre es so, würde es sich wiederum nur um ein Ding handeln. Für eine wechselseitige Beziehung zwischen wirklich unabhängigen Dingen, muß es daher mindestens drei Dinge geben. Erst dann bedeutet, daß ein Ding wirkt, daß es sich selbst verneint, anderes wird und als wirklich Wirkendes zu sich selbst kommt. Daher muß das Vermittelnde der wechselseitigen Beziehungen, in denen voneinander unabhängige Dinge gegenseitig aufeinander wirken, orthaft sein. Das orthaft Vermittelnde ist als wirkliche diskontinuierliche Kontinuität eine widersprüchliche Selbstidentität bzw. eine dialektische Einheit. Daß voneinander unabhängige Dinge gegenseitig aufeinander wirken, heißt, daß der Ort sich selbst bestimmt. Daß der Ort sich selbst bestimmt, bedeutet, daß die Dinge gegenseitig aufeinander wirken. Stellt man sich die dialektische Einheit akthaft als Bejahung-zugleich-Verneinung, Verneinung-zugleich-Bejahung vor, so kann man die Vorstellung, daß ein Einzelnes zu seinem eigenen Vermittelnden wird, noch nicht abstreifen. Daher handelt es sich hier noch um eine subjektive Dialektik, bei der unser Selbst sich selbst zum Vermittelnden macht, und nicht um die wirkliche, absolute Dialektik. Man kann sagen, daß sogar Hegel sich nicht von diesem Standpunkt lösen konnte. Daß die Dinge sich wechselseitig bestimmen und gegenseitig aufeinander wirken, bedeutet, daß der Ort als das orthafte Vermittelnde bzw. als diskontinuierliche Kontinuität sich selbst bestimmt. Daß der Ort sich selbst bestimmt, bedeutet, daß die Dinge gegenseitig aufeinander wirken. Als orthafte Bestimmung entsteht hier Neues, d. h. dadurch, daß Gegenwart die Gegenwart selbst bestimmt, entsteht in der Gegenwart Neues. Dieses Neue ist eine Folge bzw. Erscheinung, die sich aus dem gegenseitigen Aufeinanderwirken der Dinge ergibt. Ohne die Selbstbestimmung des als diskontinuierliche Kontinuität zu verstehenden Ortes gibt es kein gegenseitiges Aufeinanderwirken der Dinge. 62 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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Ohne gegenseitiges Aufeinanderwirken der Dinge gibt es nicht ein Ding. Umgekehrt gibt es ohne das Sichwechselseitig-Bestimmen der Dinge kein Vermittelndes. Es gibt kein bloßes Vermittelndes. Hierin besteht die Selbstidentität der dialektischen Welt. Die Selbstbestimmung dieser Welt ist ein Gestaltungsakt. 8 Dieser Gestaltungsakt ist schöpferisch im Sinne einer Bestimmung ohne Bestimmendes. Am Grund dieses Gestaltens läßt sich – ganz gleich in welchem Sinne – nicht ein Ding denken. Es gibt dort keine Einheit eines Einzelnen. Allerdings kann es sich bei diesem Gestalten auch nicht um einen bloßen Prozeß handeln. Prozeßhaft vorgestellt wird ein Ding zum Vermittelnden seiner selbst und vermittelt sich selbst. Selbst wenn man sich einen dialektischen Prozeß von der Art Bejahung-zugleich-Verneinung, Verneinung-zugleich-Bejahung vorstellt, wie denkt man dann die Verbindung von Bejahung und Verneinung? Man muß sie in irgendeinem Sinn als Spaltung und Entfaltung eines Dinges oder ansonsten als ein bloßes Vermittelndes denken. Damit läßt sich aber die reale Welt, wo Einzelne gegenseitig aufeinander wirken, die Welt all der vielfältigen Verflechtungen nicht denken. Auch die wirklich schöpferische Welt läßt sich hiermit nicht denken. Was ich diskontinuierliche Kontinuität nenne, bedeutet nicht einfach, daß die Dinge von dort, wo nichts ist, hervorkommen. Daß neue Dinge als orthafte Bestimmungen in der Gegenwart entstehen, bedeutet, daß unzählige Dinge sich einander gegenseitig bestimmen und gegenseitig aufeinander wirken. Damit irgend etwas entsteht, müssen die Dinge gegenseitig aufeinander wirken. Umgekehrt gibt es aber auch, ohne daß irgendetwas entsteht, kein gegenseitiges Aufeinanderwirken der Dinge. Es gibt keine Folge ohne Ursache, aber es gibt auch keine Ursache ohne Folge. Ohne das Sich-einander-Gegenüberstehen der Dinge gibt es kein Vermittelndes, Gestaltungsakt (keiseisayô, 形成作用), einer der zentralen Begriffe in der Spätphilosophie Nishidas, bezeichnet immer einen Gestaltungsakt der Welt, in der wir uns befinden. Entscheidend ist es, keiseisayô in Abhebung von europäischen subjektsmetaphysischen Vorstellungen nicht als einen subjektiven Akt, in dem entweder die Welt den Menschen oder der Mensch die Welt bestimmt und gestaltet, zu verstehen. Nishida denkt diesen Gestaltungsakt von der Selbstbestimmung der dialektischen Welt her. »Unser Leben ist ein Gestaltungsakt, in dem die Welt sich selbst gestaltet.« (NKZ 8, S. 27) Gestaltungsakt ist daher zu verstehen aus dem Eröffnungsgeschehen von Wirklichkeit überhaupt, in dem erst Gestaltungen und Differenzierungen (wie z. B. Subjekt und Objekt) zustande kommen. Gestaltungsakt muß von der »orthaften Selbstbestimmung des absoluten Nichts« (zettai mu no basho-teki jikogentei, 絶対無の場所的自己限定) her gedacht werden.
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ohne Vermittelndes gibt es kein Sich-einander-Gegenüberstehen der Dinge. Nur solange man das Sich-einander-Gegenüberstehen der Dinge noch nicht als absolut denkt, d. h. solange man es noch nicht als ein wirkliches Sich-einander-Gegenüberstehen von Einzelnen denkt, läßt sich ein dialektischer Prozeß denken. Ich meine, daß auch die sog. Welt der mechanischen Kausalität eine orthafte Bestimmung als das Sich-wechselseitig-Bestimmen der Einzelnen, d. h. eine diskontinuierlich-kontinuierliche Welt ist. Die Dinge bestimmen sich gegenseitig in der Gegenwart und die physikalischen Phänomene sind Veränderungen des physikalischen Raums bzw. des orthaften Vermittelnden, das zeitlich-räumlich ist. Diese Phänomene sind Bewegungen. Weil in der physikalischen Welt die Selbstbestimmung der Einzelnen minimal ist, ist sie allerdings nicht schöpferisch und wird nur als Wiederholung der immer gleichen Welt aufgefaßt. In der biologischen Welt jedoch bestimmen sich die in ihr befindlichen Einzelnen bereits selbst. Der Prozeß des Lebens ist schöpferisch und insoweit ist der Prozeß des Lebens diskontinuierlich-kontinuierlich. In der geschichtlichen Welt 9 schließlich bestimmt das Einzelne sich wirkGeschichtliche Welt (rekishi-teki sekai, 歴史的世界). Zum Verständnis dieses Grundwortes des späten Nishida ist es äußerst wichtig, all die Bedeutungsnuancen und Implikationen, die das deutsche Wort »Geschichte« im Kontext abendländischer Denktradition hat, soweit wie möglich auszublenden. Selbst wenn gegenwärtig »Geschichte« im europäischen Sinn nicht mehr einfach traditionell metaphysisch als ein in sich schlüssiger und abgeschlossener archeo- oder teleologisch gegründeter Prozeß verstanden wird, so ist »Geschichte« doch immer – sei es offen oder verdeckt – unlösbar verbunden mit der Vorstellung eines irgendwie einheitlichen Verlaufs, durchgängigen Zusammenhangs und beständigen Gesamthorizontes. Europäisches Reden von Geschichte vollzieht sich innerhalb eines Horizontes einer, wenn auch oft rudimentären und unausdrücklichen, so doch letzten Kontinuität, Ganzheit, Sammlung, Einheit. In Nishidas Denken taucht das Wort »Geschichte« in anderem Kontext und in anderer Bedeutung auf. Nishida verwendet die Titel »geschichtliche Welt«, »Welt der handelnden Anschauung« (kôi-teki chokkan no sekai, 行為的直観の世界), »Welt der Wirklichkeit« (genjitsu no sekai, 芸 術の世界) synonym. Ungefähr in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre werden diese Titel zu Grundworten Nishidas, die jetzt das, was er früher »reine Erfahrung« (junsui keiken, 純粋経験), »Ort des absoluten Nichts« (zettai mu no basho, 絶対無の場所) oder »dialektisches Allgemeines« (benshôhô-teki ippansha, 弁証法的一般者) nannte, bezeichnen (vgl. NKZ 1,S. 6 f.). In all diesen Worten sucht Nishida denkend zur Sprache zu bringen, daß die gestaltete und differenzierte Welt des Seins je eine »orthafte Bestimmung des absoluten Nichts« ist. Diese Selbstbestimmung ist nur denkbar als Dialektik von der Struktur absolut widersprüchlicher Selbstidentität. Welt der Wirklichkeit, geschichtliche Welt wird von Nishida daher erläutert als eine in absolut widersprüchlicher Selbstidentität von ganzem Einen (Allgemeinen) und einzelnen Vielen (Einzelnen), von
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lich selbst. Das Einzelne ist hier das Individuum und dieses ist ganz und gar linear und zeitlich. Hier ist die wirklich schöpferische Welt, die wirklich diskontinuierlich-kontinuierliche Welt der Bestimmung des Nichts, d. h. der Bestimmung ohne Bestimmendes. Die geschichtliche Welt denke ich von der Selbstbestimmung ewiger Gegenwart, in der das Lineare zirkulär und das Zirkuläre linear ist, her. Spreche ich von so etwas wie der Selbstbestimmung des ewigen Jetzt, so denkt man vielleicht gleich an eine mystische Welt. Aber die Welt unseres Handelns, die Welt, in der wir durch Handeln Dinge schaffen, die Welt der Poeisis ist die zeitlich-räumliche, subjektiv-objektive Welt der Selbstbestimmung des ewigen Jetzt. Die wirklich reale Welt ist die Welt der Selbstbestimmung des ewigen Jetzt. Selbst die Welt des zeitlich-räumlichen physikalischen Raums ist bereits eine Selbstbestimmung des ewigen Jetzt. Daß sich hier und jetzt physikalische Phänomene ereignen, heißt, daß im Sinne einer Veränderung des physikalischen Raums die Dinge aufeinander wirken. Daß die Dinge gegenseitig aufeinander wirken, bedeutet umgekehrt, daß sich als Veränderungen des physikalischen Raums physikalische Phänomene ereignen. Daß hier und jetzt geschichtliche Ereignisse passieren, bedeutet, daß wir im Sinne einer Veränderung der Verhältnisse in der subjektiv-objektiven, ausdruckshaften, bzw. in der geschichtlich-gesellschaftlichen Welt wirken. Wenn ein Einzelnes wirklich ein Einzelnes bzw. wirklich zeitlich wird, stehen wir selbstverständlich der subjektiv-objektiven Gegenstandswelt gegenüber. Selbst die Lebewesen stehen bereits der Umwelt gegenüber. Daß wir eine subjektiv-objektive Gegenstandswelt als Vermittelndes haben, bedeutet aber, wie ich später zeigen werde, daß wir uns einander als wirklich selbst bestimmende Einzelne diskontinuierlich gegenseitig bestimmen, bzw. daß wir uns wirklich dialektisch selbst bestimmen. Natürlich kann die physikalische Materie und auch ein bloßes Lebewesen sich selbst nicht wirklich dialektisch bestimmen. Die Welt der Materie und die biologische Welt sind nicht subjektiv-objektiv, sie sind keine Welten wirklich diskontinuierlicher Kontinuität, sie sind immer Sammlung und Zerstreuung, von Kontinuität und Diskontinuität usw. eröffnet und sich eröffnende Welt. Wie entfernt die »Geschichtlichkeit« dieser Welt von einer europaisch verstandenen »Geschichtlichkeit« ist, mag allein schon daran gesehen werden, daß Nishida statt von »geschichtlicher Welt« und gleichbedeutend mit ihr auch von der »Welt der Selbstbestimmung des ewigen Jetzt« bzw. von der »Welt der Selbstbestimmung schlechthinniger Gegenwart« (eien no ima [bzw. zettai genzai] no jikogentei no sekai, 永遠の今〔絶対現在〕の自己限定の世界)spricht.
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noch Welten der Kontinuität. Jedoch können von der Welt der absoluten Dialektik her sowohl in Richtung ihrer Einzelbestimmung als auch in Richtung ihrer Allgemeinbestimmung verschiedene solche kontinuierliche Welten gedacht werden. Diese Welten sind alle nur vom intellektuellen Selbst aus betrachtete Gegenstandswelten. Vom Standpunkt der Kantischen Erkenntnistheorie oder der Husserlschen Phänomenologie her kann es keine diskontinuierlich-kontinuierliche Welt geben. Eine vom Standpunkt des intellektuellen Selbst her betrachtete Welt ist unvermeidlich durch und durch subjektiv. Besonders die Phänomenologie hat den Standpunkt des innenwahrnehmenden Selbst auf die Spitze getrieben. Selbst von Heideggers Standpunkt her läßt sich, insofern er die Welt durch die Vermittlung des Selbst betrachtet, eine wirklich objektive Welt nicht denken. Selbst wenn man die Welt durch die Vermittlung des handelnden Selbst denkt, so kann sich auch solches Denken noch nicht von dem Standpunkt lösen, auf dem man, kurz gesagt, das Selbst zur Vermittlung nimmt. Von diesem Standpunkt aus läßt sich eine Welt, die sich wirklich selbst bestimmt, nicht denken. Auch wenn man diese Welt als eine wechselseitige Bestimmung von sich Widersprechendem, nämlich Selbst und Welt, Subjekt und Objekt, faßt, so handelt es sich hierbei, kurz gesagt, um ein Sich-wechselseitig-Bestimmen von zwei Dingen, was umgekehrt auch als Spaltung und Einheit eines Dinges gedacht werden kann. Und selbst wenn man sich dieses Sich-wechselseitig-Bestimmen als unendlichen dialektischen Prozeß vorstellt, so läßt sich damit die Einzelbestimmung, bei der die Einzelnen sich einander gegenüberstehen, nicht begründen. Ein solches Denken hat sich noch nicht von dem Standpunkt gelöst, auf dem man unser Selbst, das selbst zu seinem eigenen Vermittelnden wird und sich selbst vermittelt, zum Modell macht und über die Welt nachdenkt. Man wird nun wohl fragen, durch was vermittelt, wenn nicht durch das Selbst, sich die Welt selbst bestimmt. Aber auch unser denkendes Selbst ist durch die sich selbst bestimmende Welt vermittelt. Die Welt vermittelt sich selbst logisch, das Reale ist logisch. Man mag vielleicht einwenden, ob, solches zu denken, nicht wiederum bedeute, daß das Selbst dies denkt. Aber, daß das Selbst eine solche, selbstwidersprüchliche Existenz ist, kann bereits logisch gesagt werden. Deshalb ist Hegel nicht von Fichtes »Ich«, sondern vom Sein, und Spinoza anstelle von Descartes’ »cogito ergo sum« von der »causa sui« ausgegangen. Solange man die reale Welt in irgendeinem Sinn durch das Selbst vermittelt denkt, kann man sich letztlich 66 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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nicht vom Standpunkt des Bewußtseins losmachen. Kurz gesagt: hier handelt es sich um den Standpunkt, auf dem ein Einzelnes sich selbst vermittelt. Natürlich denke ich auch nicht, daß einfach das Objektive die Grundlage des Subjektiven ist. Aus dem bloß Allgemeinen kommt kein Einzelnes. Die Naturwissenschaft kommt auf der Grundlage des Allgemeinen zustande. Vom Standpunkt der Naturwissenschaft aus gibt es keine dialektische Welt. Selbst wenn man behauptet, die Realität durch Handeln zu erkennen, so ist dieses Handeln bereits einseitig subjektiv. Wäre es nicht so, dann gäbe es keinen Unterschied zwischen dem Handeln und einer bloßen Bewegung. Selbstverständlich bestimmt in einer Hinsicht das Objekt das Subjekt. Aber aus bloß Objektivem kommt nichts Subjektives, aus einer bloß gegenständlich vorgestellten Materie kommt kein Bewußtsein.
II. Ein Einzelnes ist nie ein einziges Einzelnes. Einerseits ist das Einzelne eine Bestimmung des Allgemeinen, die äußerste Grenze einer solchen Bestimmung. Aber allein dies macht noch kein Einzelnes aus. Das Einzelne ist etwas, das sich selbst bestimmt und umgekehrt das Allgemeine bestimmt. Die Welt halten wir zunächst für etwas unserem Selbst gegenüber Allgemeines, und auch unser Selbst denken wir einerseits ganz und gar als eine Bestimmung dieser Welt. Aber unser Selbst ist nicht nur dies, es ist etwas, das sich selbst bestimmt und wirkt. Daß das Einzelne sich selbst bestimmt, heißt, daß das Einzelne sich selbst vermittelt, daß es zum Vermittelnden seiner selbst wird und daß das Einzelne zugleich das Allgemeine ist. Daher ist das Einzelne linear. Wäre das Einzelne bloß ein Punkt, könnte es sich nicht selbst vermitteln und wäre bloß der äußerste Grenzpunkt der Bestimmung des Allgemeinen. Die Tatsache, daß das Einzelne zum Vermittelnden seiner selbst wird, stellt man sich als innere Einheit oder, insofern man dieses Vermittelnde zugrunde legt, nur als eine Kontinuität vor. Denkt man das Vermittelte und das Vermittelnde als sich einander gegenüberstehend, so stellt man sich die Tatsache, daß das Einzelne zum Vermittelnden seiner selbst wird, als einen dialektischen Prozeß von Bejahung-zugleich-Verneinung, Verneinung-zugleich-Bejahung vor. Genauso stellt man sich auch die Kontinuität zwischen zwei Akten vor. Von dieser Vorstellungsweise her gesehen, ist es aber unmöglich, daß das Einzelne wirkt. Um zu 67 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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wirken, muß das Einzelne Einzelnen gegenüberstehen, müssen unabhängige Dinge einander gegenüberstehen. Insofern denkt man, daß das Einzelne zum Vermittelnden seiner selbst wird, läßt sich zwar ein kontinuierlicher, dialektischer Prozeß, aber kein Wirken denken. Daher ist die Selbstbestimmung eines Einzelnen schon nicht mehr linear, sondern zirkulär. Bereits der Begriff des Einzelnen enthält einen Selbstwiderspruch. Je dialektischer man diesen denkt, um so deutlicher wird das oben Gesagte. Daß das Einzelne wirklich zum Vermittelnden seiner selbst wird, heißt, daß es sich selbst nicht linear, sondern zirkulär vermittelt, bzw. daß das Einzelne das Allgemeine ist. Hier gilt: das Einzelne ist eine Welt. In dieser Welt sind die einzelnen Dinge, während sie voneinander unabhängig sind, zugleich eins. Als Selbstidentität von SichWidersprechendem bzw. als kontinuierlich oder dialektisch unendlicher Prozeß bestimmt sich diese Welt selbst. Unsere subjektive Welt ist eine solche Welt. Aber auch wenn man sich die Selbstbestimmung des Einzelnen als zirkulär vorstellt, läßt sich das Wirkende nicht gleich erklären. Es gehört nämlich noch zu einer durch und durch subjektiven Welt. Solange man sich die Welt als eine Einheit vorstellt, verbleibt man unvermeidlich im Subjektivismus. Stehen Einzelne einander gegenüber und wirken gegenseitig aufeinander, so müssen sie voneinander unabhängig und diskontinuierlich sein. Dabei ist auch ausgeschlossen, daß ein Einzelnes zum Vermittelnden der anderen wird. Wenn ein Einzelnes das Allgemeine seiner selbst ist und in eins damit, daß es ein Einzelnes ist, zugleich das Allgemeine ist, verhält es sich auch mit dem anderen so. Erst so ist es möglich, daß unabhängige Dinge sich einander gegenüberstehen. Daß einzelne sich einander gegenüberstehen, bedeutet daher in einer Hinsicht, daß Allgemeines sich einander gegenübersteht. Zwischen Allgemeinem und Allgemeinem kann es überhaupt keine Kontinuität geben. In diesem Sinn sind die Einzelnen unvermittelt. Wären sie jedoch bloß unvermittelt und diskontinuierlich, so könnten sie nicht gegenseitig aufeinander wirken. Ohne gegenseitiges Aufeinanderwirken gibt es keine Einzelnen. Hierin besteht der wirkliche Selbstwiderspruch des Einzelnen. Daher ist das, was die Einzelnen vermittelt, die diskontinuierliche Kontinuität. Diese ist nicht nur prozeßhaft, sondern orthaft. Stellt man sie sich bloß prozeßhaft vor, so fällt man wieder in die Vorstellung, daß das Einzelne zu seinem eigenen Vermittelnden wird, zurück. Was ist das Allgemeine? Das Allgemeine muß in irgendeinem Sinn die Einzelnen umschließen und bestimmen, sonst könnte man es nicht 68 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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als Allgemeines bezeichnen. Auch die Gattungsbegriffe haben eine Extension. Aber ohne Intension gibt es auch keine Extension. Das wirkliche Allgemeine individuiert sich selbst, es ist sozusagen das Individuationsprinzip. Hierbei stellen sich viele Leute das Allgemeine prozeßhaft vor, aber etwas bloß Prozeßhaftes ist wieder nur ein Ding. Das wirkliche Allgemeine verneint in einer Hinsicht sogar das Prozeßhafte und ist extensiv. Man kann sagen, daß das Allgemeine die Bedeutung eines die Dinge untereinander Vermittelnden hat. In diesem Sinne ist das wirkliche Allgemeine – radikal gedacht – das die Einzelnen untereinander Vermittelnde, d. h. es ist orthaft. Die wirklich objektive Welt bestimmt und umschließt die Einzelnen, sie ist die Welt des Sich-wechselseitigBestimmens der Einzelnen. Ansonsten könnte das Allgemeine keine Eigentümlichkeit als Allgemeines haben. Wenn man denkt, daß das Allgemeine vom Einzelnen überstiegen wird und die Einzelnen nicht umschließen kann, wenn man das Allgemeine bloß für einen sog. abstrakten Begriff hält, dann besitzt dieses Allgemeine überhaupt keine Eigentümlichkeit und muß als so etwas wie eine Eigenschaft der Einzelnen aufgefaßt werden. Es ist dann etwas in den Einzelnen Enthaltenes. Wenn man denkt, daß das Allgemeine irgendeine Eigentümlichkeit hat und den Einzelnen gegenübersteht, so ist dieses Allgemeine wiederum nur ein Einzelnes. Was Einzelnen gegenübersteht, ist ein Einzelnes. Die Leute, die davon sprechen, daß sich Subjekt und Objekt gegenüberstehen und wechselseitig bestimmen, stellen sich dies oft wie ein Sich-einander-Gegenüberstehen von Einzelnen vor. Das heißt aber, daß sie ein Sich-einander-Gegenüberstehen von nur zwei Dingen denken. Die Beziehung von Subjekt und Objekt in diesem Sinne zu denken, bedeutet, wieder in die Vorstellung einer Spaltung oder eines dialektischen Prozesses eines Dings zurückzufallen. Dabei verschwindet das wirkliche Einzelne wieder. Die wirkliche objektive Welt muß den Charakter eines die Einzelnen untereinander Vermittelnden haben. Erst so läßt sich sagen, daß wir aus dieser Welt geboren werden und in sie sterben. Daß das Einzelne sich selbst bestimmt, heißt, daß das Einzelne sich ganz und gar selbst vermittelt und eine Welt wird. Aber diese Welt ist eine durch und durch subjektive Welt, in der ein Wirken des Einzelnen unmöglich ist. Ein Einzelnes, das wirkt, muß diskontinuierlich-kontinuierlich vermittelt, muß durch das orthafte Vermittelnde vermittelt sein. Das wirkliche Allgemeine hat den Charakter eines orthaften Vermittelnden, das die Einzelnen untereinander vermittelt. Das, was wir als objektive Welt denken, hat den Charakter eines die Einzelnen diskon69 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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tinuierlich-kontinuierlich Vermittelnden. In der Hinsicht, daß diese Welt unser Selbst vermittelt und unser Selbst von und aus dieser Welt vermittelt ist, ist sie subjektiv. In der Hinsicht, daß diese Welt als diskontinuierliche Kontinuität unser Selbst verneint, ist sie objektiv. Daher ist die Welt, in der wir leben, in eins damit, daß sie subjektiv ist, objektiv. Sie ist in eins damit, daß sie linear ist, zirkulär und in eins damit, daß sie zirkulär ist, linear. Im Blick darauf, daß diese Welt sich ganz und gar selbstbestimmende Einzelne vermittelt und das innere Vermittelnde der Einzelnen ist, d. h. im Blick darauf, daß sie eine subjektive Welt ist, ist diese Welt selbst einerseits ein Einzelnes, das sich selbst bestimmt und selbst vermittelt, d. h. ein Subjekt, das sich aus seinem eigenen Innern heraus selbst bestimmt. Zugleich damit ist diese Welt andererseits, hinsichtlich dessen, daß sie das äußere Vermittelnde von sich selbstbestimmenden Einzelnen, d. h. das Vermittelnde von sich selbstverneinenden Einzelnen ist, etwas, das überhaupt keine eigene innere Einheit besitzt, d. h. sie ist ein bloßes Allgemeines. Daher ist die Welt in eins damit, daß sie das Eine ist, das Viele. In eins damit, daß sie sich selbst bejaht, verneint sie sich selbst. Die Welt ist in diesem Sinne in eins damit, daß sie einzeln ist, allgemein, in eins damit, daß sie allgemein ist, einzeln, in eins damit, daß sie subjektiv ist, objektiv und in eins damit, daß sie objektiv ist, subjektiv. Daß diese Welt sich selbst bestimmt, bedeutet zugleich, daß die Dinge sich einander gegenüberstehen und sich gegenseitig bestimmen. Wenn Dinge in der Welt der Materie gegenseitig aufeinander wirken, so heißt das, daß der zeitlich-räumliche physikalische Raum sich verändert. Umgekehrt bedeutet eine Veränderung des physikalischen Raums, daß Dinge gegenseitig aufeinander wirken. In der Welt der Materie sind die Dinge aber keine sich wirklich selbst bestimmende Einzelne. Die physikalische Welt vermittelt die Dinge von außen untereinander. In ihr werden die Dinge dadurch vermittelt, daß sie sich selbst verneinen. Die physikalische Welt ist daher eine Welt der Selbstverneinung, eine bloß allgemeine, bloß objektive Welt. Zwar gibt es auch in der physikalischen Welt Zeit, aber diese ist dort ganz und gar negativ. Deswegen gibt es in der physikalischen Welt keine sich selbst bestimmenden Einzelnen. Die physikalische Welt ist eine Welt des bloßen Vielen. Im Gegensatz dazu gibt es in der biologischen Welt bereits eine gewisse Selbstbestimmung der Einzelnen und Eigentümlichkeit der Zeit. Die biologische Welt vermittelt die Dinge nicht nur von außen, sondern von innen untereinander, d. h. diese Welt verneint sich nicht 70 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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nur, sondern bejaht sich auch selbst. In der Welt des biologischen Lebens gibt es in gewissem Sinne Einzelnes. So verstanden ist die Selbstbestimmung dieser Welt ein Gestaltungsakt. Unser Leben ist ein Gestaltungsakt, in dem die Welt sich selbst gestaltet. Das auf diese Weise Gestaltete ist unser Leib. Unser Leben befindet sich nicht bloß in unserem individuierten Leib. Deswegen müssen die Lebewesen sterben. Der Tod ist ein Faktor des Lebens. Die Welt, die sich selbst bejaht, ist eine Welt, die sich selbst verneint. Auch wenn es in der biologischen Welt eine gewisse Eigentümlichkeit der Zeit gibt und diese Welt insofern eine subjektive Welt ist, so ist sie doch noch keine Welt, in der es die Eigentümlichkeit der Einzelnen, die sich wirklich selbst bestimmen, gibt. Daher gibt es in der biologischen Welt kein wirkliches Sich-einanderGegenüberstehen und Sich-wechselseitig-Bestimmen von Einzelnen. In der biologischen Welt ist die Beziehung der Einzelnen untereinander nur ein Zeugungsverhältnis wie zwischen Eltern und Kindern, die Beziehung der Einzelnen untereinander ist bloß linear und zeitlich. Insofern ist unser biologisches Leben keine konkrete Realität, es ist nicht vermittelt von und aus der diskontinuierlich-kontinuierlichen Welt, die subjektiv-zugleich-objektiv, objektiv-zugleich-subjektiv ist. Man kann sich das biologische Leben auch als bloße Kontinuität vorstellen. Lebewesen besitzen zwar als sich selbst bestimmende Einzelne eine Umwelt, sie stehen einer Umwelt gegenüber. Aber die Umwelt der Lebewesen ist in ihrem Grunde, kurz gesagt, die Welt der Materie. Sie ist nur eine Welt des Todes. Das Selbst kann nicht von und aus einer Welt, die sich selbst verneint, vermittelt werden. In einer solchen Welt gilt nicht: Tod-zugleich-Leben, Objekt-zugleich-Subjekt. Sie ist die von nur einer Seite her betrachtete, sich selbst bestimmende Welt. Sie hat keine eigene Objektivität. Selbstverständlich haben Tiere ein Bewußtsein und besitzen insofern ihre eigene Unabhängigkeit. Trotzdem sind sie aber noch keine sich wirklich selbst bestimmende Einzelne. Materialisten denken oft, daß biologische Phänomene entstehen, sobald die Welt der Materie irgendeinen Gestaltungszustand erreicht hat. Aber was für einen Gestaltungszustand die Welt der Materie auch annehmen mag, er wird nie mehr sein als nur ein Gestaltungszustand der Welt der Materie. Aus der Welt der Materie, aus Bewegungen kann kein Leben kommen. Selbst wenn man sagt, daß man solches erfahrungsmäßig beweisen könne, so steht das Erkennen dieser erfahrungsmäßigen Wirklichkeit bereits auf einem anderen Standpunkt und hat andere Prinzipien eingeführt. Behauptet man, die Materie sei dialektisch, so hat man 71 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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bereits etwas Subjektives eingeführt. Stellt man sich wiederum vor, die Materie sei allgemein, so ist das bloß eine Verneinung der Dialektik. Aus dem Allgemeinen kommt kein Einzelnes. Daß die wirklich subjektiv-objektive, objektiv-subjektive, diskontinuierlich-kontinuierliche Welt sich selbst bestimmt, heißt, daß gleichzeitig die sich selbst bestimmenden Einzelnen sich einander gegenüberstehen und gegenseitig bestimmen. Die Welt, die sich subjektiv-objektiv selbst bestimmt, d. h. die Welt wirklicher Gestaltungsakte, ist die Welt unseres Handelns. Umgekehrt ist die Welt des Handelns die Welt der Gestaltungsakte. Sie ist die Welt der geschichtlichen Realität. Ich will versuchen, dies einmal am Beispiel der Sprache zu erläutern. (Selbstverständlich meine ich nicht, daß die Welt der Sprache eine Welt von sich selbst bestimmenden Einzelnen ist.) Sprache ist subjektiv-objektiv und ein sich selbst gestaltender Gestaltungsakt. Sprache ist nicht die Sprache eines Menschen und wird nicht von einem Menschen geschaffen. Der Ursprung der Sprache liegt im Emotionalen. Es ist ursprünglich nicht so, daß wir uns ausdrücken, um Anderen unsere Gedanken mitzuteilen, sondern, weil wir uns ausdrücken, verstehen wir uns gegenseitig (Comte). Die Sprache taucht aber auch nicht einfach auf als Selbstbestimmung eines Allgemeinen, sie ist nicht einfach ein ZumAusdruck-Kommen der Gefühle der Tiere. Bei einer solchen Vorstellung handelt es sich nur um eine entwicklungsphysiologische Betrachtungsweise. Sprache gibt es wesensmäßig dort, wo Menschen einander gegenüberstehen. Ihr Wesen besteht darin, daß sie zum Vermittelnden der Gedanken zwischen den Menschen wird. Die Sprache entwickelte sich aus Befehl und Antwort. Der Ursprung der Sprache ist nicht der Monolog, sondern das Gespräch (Spengler). Die Sprache kann diesen Charakter nie und nimmer verlieren. Wäre sie bloß objektiv, wäre sie keine Sprache. Die Sprache ist somit ein subjektiv-objektives Kulturphänomen. Insofern die Sprache sich subjektiv-objektiv gestaltet, läßt sie sich auch als eine Art objektiver Geist denken. (Allerdings kann man sie noch nicht als wirklich objektiven Geist bezeichnen.) Was aber ist objektiver Geist? Betrachten wir zunächst den individuellen Geist. Der individuelle Geist ist etwas, das sich als zeitliche Kontinuität ändert und zugleich nicht ändert. Das heißt, daß ein Ding zum Vermittelnden seiner selbst wird und sich selbst vermittelt. In diesem Sinn ist der individuelle Geist ein Einzelnes. Ein Einzelnes ist aber dadurch, daß es Einzelnen gegenübersteht, ein Einzelnes. Das Einzelne ist etwas Vermitteltes. Somit haben wir es hier mit einem Einzelnen, das sich ganz und gar 72 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
Selbstidentität und Kontinuität der Welt
selbst vermittelt, d. h. mit einem Ding, das zum Vermittelnden seiner selbst wird, zu tun. Die an der äußersten Grenze dieser Einzelbestimmung als Bejahung der Verneinung zustande kommende Einheit der sich selbst bestimmenden Einzelnen ist der objektive Geist. Der objektive Geist ist nicht nur eine aus einer Vielzahl individueller Existenzen herausabstrahierte Allgemeinheit. Im Gegenteil, er ist objektiv, weil er unsere individuellen Existenzen vermittelt. Wie weit man aber auch gehen mag, der objektive Geist kann die Kontinuität noch nicht übersteigen, er kann sich nicht davon befreien, ein Einzelnes zu sein. Ansonsten wäre er ein bloßes Allgemeines. Die Wirklichkeiten des individuellen und des objektiven Geistes stehen darum in einer Alternativbeziehung. Hierbei können sich die Einzelnen nicht einander gegenüberstehen und gegenseitig bestimmen. Man könnte auch denken, daß der objektive Geist sich selbst wie ein Einzelnes bestimmt. Dann wäre er eine bis zur äußersten Grenze unseres Selbst vorangetriebene Aufspreizung unseres Selbst oder, insofern das Einzelne als eine Selbstbestimmung des Allgemeinen verstanden werden kann, nur die Verneinung unseres Selbst. Hierbei ist es unmöglich, daß unsere Selbstverneinung im Sinne von Subjekt-zugleich-Objekt, Objekt-zugleich-Subjekt 10 wirklich unsere Selbstbejahung ist. Daher handelt es sich hier nicht um einen wirklich schöpferischen Akt und nicht um das, was ich Welt nenne. Das, was ich im Sinne einer Selbstbestimmung der Welt von Subjekt-zugleich-Objekt, Objekt-zugleich-Subjekt Gestaltungsakt bzw. wirkliches Schaffen nenne, kann es daher nur in der Welt geben, in der sich unzählige Menschen einander gegenüberstehen und sich gegenseitig bestimmen. Wenn ich davon spreche, daß Einzelne sich wechselseitig bestimmen, so meine ich damit nicht, daß sich nur zwei Einzelne, sondern daß sich unzählige Einzelne wechselseitig bestimmen. Das heißt nun aber wiederum nicht, daß die Welt als eine Ansammlung von Einzelnen zustande kommt, sondern daß die diskontinuierlichkontinuierliche Welt sich selbst bestimmt. Bei der physikalischen Welt verhält es sich genauso. Wenn wir wirklich wirken, so bedeutet das, daß wir uns selbst in obiger Welt bestimmen. In der Welt des bloßen Bewußtseins können wir nicht wirken. Daß wir wirken, bedeutet, daß wir im Draußen Dinge schaffen, daß wir poietisch sind. In diesem Fall ist ein Ding nicht bloß so etwas, wie es sich die Physiker vorstellen, sondern
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Subjekt-zugleich-Objekt (shukan soku kyakkan, 主観即客観).
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eine ausdruckshafte, 11 wirkliche Realitat. Erst so können wir auf die Dinge wirken. Aber nicht nur wir wirken auf die Dinge, auch die Dinge wirken als ausdruckshafte auf uns. Die Phänomenologen denken, daß der Ausdruck nur etwas objektiv Erscheinendes ist und bloß zu einem Gegenstand des Verstehens wird. Aber der Ausdruck ist in unserem Handeln enthalten. Umgekehrt gibt es ohne Ausdruck kein Handeln unsererseits. Ausdruck ist etwas ganz und gar uns Bewegendes. In diesem Sinn ist auch das Verstehen eine Art Handeln. Auch die Welt der bloßen Bedeutung befindet sich in der geschichtlichen, realen Welt. Eine in der Luft schwebende Bedeutungswelt gibt es nicht. Vom Standpunkt der Einzelbestimmung her gesehen stößt das Einzelne, wenn es ganz und gar zum Vermittelnden seiner selbst wird und sich selbst bestimmt, an der äußersten Grenze dieser Selbstbestimmung an die Selbstverneinung, bzw. an das Allgemeine. Somit gerät das Einzelne in einen Selbstwiderspruch. Aus diesem Grund ist unser Selbst eine selbstwidersprüchliche Existenz. Handelt es sich hierbei um etwas Einzelnes oder um etwas Allgemeines? Wäre unsere Existenz ein Einzelnes, so wäre sie so etwas wie der objektive Geist. Wäre sie ein Allgemeines, so wäre sie eine Welt der BedeuDas Wort ausdruckshaft (hyôgen-teki, 表現的) ist ein äußerst vieldeutiger, seit ca. 1928 in verschiedenen Kontexten und Bedeutungen verwendeter Grundbegriff Nishidas. In diesem Aufsatz kommt er vor allem in zwei Kontexten vor. Zum einen bezeichnet er die Erscheinungsweise der Wirklichkeit, wie sie dem verstehenden Selbst erscheint. Seinen weit wesentlicheren Platz hat das Wort »ausdruckshaft« aber bei der Erläuterung des Vermittlungsgeschehens der Dialektik der absolut widersprüchlichen Selbstidentität bzw. der handelnden Anschauung. »Was ich unter Ausdruck verstehe, hat … die Bedeutung eines Vermittelnden. Was voneinander absolut unabhängige Dinge vermittelt, ist der Ausdruck.« (NKZ 7, S. 346) »Ausdruckshaft« kann dabei zunächst als ein der Anschauung des Menschen auf der Objektseite der Dinge korrelierender Begriff verstanden werden. Ein gestaltetes Ding ist ausdruckshaft. Wird das Gestaltete angeschaut, so verführt es durch seine Ausdruckshaftigkeit den Anschauenden zum Handeln. Der handelnd Anschauende wird so zu einem gestalteten Gestalter, der selbst wiederum ausdruckshaft Anderes bestimmt und gestaltet. »Ausdruckshaft« kann daher nach der Logik der absolut widersprüchlichen Selbstidentität in zwei Richtungen gleichzeitig gelesen werden: ausdruckshaft von einem Anderen bestimmt und gestaltet und zugleich ausdruckshaft Anderes bestimmend und gestaltend. Die Übersetzung »ausdruckshaft« wurde gewählt, weil sie im Vergleich zu »durch Ausdruck«, »ausdrückend« u. ä. deutlicher spüren läßt, daß Nishida nicht an ein in-sich-stehendes, selbständiges Seiendes, das dann auch noch durch einen Ausdruck seiner selbst in eine Beziehung oder Vermittlung eintreten kann, denkt. Vielmehr versucht Nishida zu denken, daß alles, was ist, in seinem Wesen Ausdruck ist, d. h. überhaupt nur als Ausdruckshaftes, als ein ausdruckshaft Bestimmtes und zugleich ausdruckshaft Bestimmendes, als Ausdruck ohne Ausdrückendes ist.
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tung ohne irgendeine Selbstbestimmung, bzw. die Gegenstandswelt unseres Bewußtseins. Wenn das Einzelne bei seiner Selbstbestimmung an die Selbstverneinung bzw. an das Allgemeine stößt, so wird es, während es sich selbst vermittelt, zugleich zu einem einzelnen Vermittelnden, das seine Bedeutung verloren hat. Dort ist das Einzelne, während es noch ein Einzelnes bleibt, zugleich eine bloß allgemeine Vermittlungsebene, d. h. Bewußtseinsebene. Gegenüber dieser bloß allgemeinen Vermittlungsebene des Einzelnen kommt die Welt der Bedeutung objektiv zustande. Dieses Bewußtsein ist nur intentional. Es verbleibt noch im Bereich der Innenwahrnehmung. Sobald es jedoch die Bedeutung, eine Selbstbestimmung des Einzelnen selbst zu sein, verliert, wird dieses Bewußtsein verstehend. In diesem Fall hört jedoch das Einzelne auf, das Vermittelnde seiner selbst zu sein und wird durch Anderes vermittelt, es wird vermittelt durch das diskontinuierlich-kontinuierlich Vermittelnde. Jeder Mensch hat sein eigenes Bewußtsein, und die Menschen verstehen einander durch sprachlichen Ausdruck. Geht man nur von der Einzelbestimmung aus, bei der das Einzelne zum Vermittelnden seiner selbst wird, so gelangt man zur oben beschriebenen Welt des nicht bestimmenden, bloßen Ausdrucks, bzw. zu einer Welt der Bedeutung. Geht man jedoch davon aus, daß ein Einzelnes dadurch, daß es Einzelnen gegenübersteht und die Einzelnen sich gegenseitig bestimmen, d. h. dadurch, daß es durch das diskontinuierlich-kontinuierliche Vermittelnde vermittelt ist, ein Einzelnes ist, so läßt sich auch unser Bewußtsein als eine Seite des diskontinuierlich-kontinuierlich Vermittelnden, bzw. des von mir sog. orthaften Vermittelnden bezeichnen. So gesehen ist es auch möglich, daß der Ausdruck das Bewußtsein bestimmt. Die orthafte Bestimmung ist in eins damit, daß sie einerseits eine Einzelbestimmung ist, eine Allgemeinbestimmung. Diese Welt der orthaften Bestimmung ist eine diskontinuierlich-kontinuierliche Welt. Was sich in ihr befindet, bestimmt sich gegenseitig ausdruckshaft. Man kann diese Welt ausdruckshafte Welt nennen. In dieser Welt wird das Einzelne zum Vermittelnden seiner selbst und bestimmt sich ganz und gar als Einzelnes selbst. An der äußersten Grenze dieser Einzelbestimmung liegt das Bewußtsein. Daß die Einzelbestimmung an ihrer äußersten Grenze an die Selbstverneinung, bzw. an das Allgemeine stößt, liegt daran, daß die Einzelbestimmung ursprünglich nur eine Seite der diskontinuierlich-kontinuierlichen Welt ist. Daher ist die Welt des Bewußtseins eine Seite der ausdruckshaften Welt. Normalerweise denkt man den Ausdruck vom Bewußtsein her, aber man muß umgekehrt 75 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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genauso das Bewußtsein vom Ausdruck her denken. Ein Bewußtseinsakt hat in der ausdruckshaften Welt die Bedeutung einer Einzelbestimmung. Daher ist auch das Verstehen in eins damit, daß es kein Handeln ohne Bewußtsein gibt, ein Handeln. Verstehen ist aber noch keine Poiēsis, da es ein Akt der Selbstverneinung an der äußersten Grenze der Selbstbestimmung, in der sich das Einzelne selbst bestimmt, ist. Hier ist das Einzelne noch nicht wirklich dadurch, daß es diskontinuierlichkontinuierlich vermittelt ist und Einzelnen gegenübersteht, d. h. wirkt, ein Einzelnes. Das Selbst ist noch nicht wirklich von außen vermittelt, es ist noch nicht dadurch vermittelt, daß es ausdruckshaft Dinge schafft. Das bloß bewußtseinsmäßige Selbst ist nur ein körperloses abstraktes Selbst. Unser Handeln ist eigentlich immer Praxis; Praxis bedeutet immer, die Außenwelt in irgendeinem Sinne zu verändern, im Außen Dinge zu schaffen. Handeln ist immer poietisch. Daher hat all unser Handeln den Charakter eines Ausdrucksaktes. Auch beim Bauen eines Hauses ist, wie Aristoteles sagt, das Eidos zuerst im Kopf des Zimmermanns und die Handlung ist das Ausdrücken dieses Eidos. Traditionell denkt man den Ausdrucksakt als nur subjektiv. Aber ein Ausdrucksakt kommt nicht bloß subjektiv zustande. Er kommt umgekehrt dort zustande, wo das Objekt das Subjekt bestimmt. Dabei bewegt das Objekt das Subjekt, bzw. die Dinge bewegen mich. Aus diesem Grund verstand man die Kunst anfangs als Nachahmung der Natur. Ein Ausdrucksakt ereignet sich dort, wo Subjekt und Objekt sich gegenseitig bestimmen, dort, wo die Welt subjektiv-objektiv, objektiv-subjektiv ist und Dinge in der Einheit von Subjekt und Objekt gestaltet werden. Solange man sich diese Welt nur als physikalische oder biologische, ja auch wenn man sie sich nur als geistige vorstellt, läßt sich kein Ausdrucksakt denken. Nur dort, wo ganz und gar unabhängige Einzelne, sozusagen Monaden, miteinander diskontinuierlich-kontinuierlich bzw. durch das orthaft Vermittelnde in gegenseitiger Beziehung stehen und sich gegenseitig bestimmen, kommen Ausdrucksakte zustande. Ein Ding ist etwas als Selbstbestimmung dieses Vermittelnden, bzw. als Selbstbestimmung der subjektiv-objektiven, objektiv-subjektiven Welt, Gestaltetes. Ein ausdruckshaftes Ding ist ein die Menschen untereinander Vermittelndes. Daß die sich selbst zur Vermittlung nehmenden und sich ganz und gar selbst bestimmenden Einzelnen sich einander wechselseitig bestimmen, bedeutet, daß sie diskontinuierlich-kontinuierlich ausdruckshaft vermittelt werden. Die Welt des Sich-wechselseitig-Bestimmens der 76 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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Menschen ist eine ausdruckshafte Welt. Aber es ist nicht so, daß zuerst die Einzelnen sind und sich diese dann ausdruckshaft gegenseitig bestimmen, sondern die Einzelnen sind, weil sie sich als Selbstbestimmung des orthaften, diskontinuierlich-kontinuierlichen Vermittelnden einander gegenüberstehen. Daher kann sogar gesagt werden, daß umgekehrt das Einzelne durch die Selbstbestimmung der ausdruckshaften Welt vermittelt wird. Das Ich ist ein sich ganz und gar ausdruckshaft selbst bestimmendes Einzelnes. Daß das Ich wirkt, heißt, daß ein Einzelnes sich ganz und gar ausdruckshaft selbst bestimmt, bzw. daß es ausdruckshaft Dinge schafft. Dies bedeutet umgekehrt, daß die ausdruckshafte Welt sich selbst bestimmt. Unsere Ausdrucksakte sind Gestaltungsakte, unsere Gestaltungsakte sind Ausdrucksakte. Und dies ist unsere Praxis. Ein Ding, das ganz und gar zum Vermittelnden seiner selbst wird und sich selbst als Einzelnes, d. h. kontinuierlich und zeitlich bestimmt, stößt an der äußersten Grenze dieser Bestimmung an die Selbstverneinung, d. h. an das Allgemeine. Dort liegt im Inneren das Bewußtsein. Insofern man dieses Bewußtsein nur als innenwahrnehmend auffaßt, ist es intentional. Begreift man es aber als innenwahrnehmend-zugleich-außenwahrnehmend 12, so läßt sich im Äußeren die Welt der Materie denken und ebenso, daß das Bewußtsein die Dinge spiegelt. Nimmt man dieses Bewußtsein als ein Vermittelndes, so lassen sich alle Selbstvermittlungsakte des Einzelnen als Bewußtseinsakte auffassen. Allerdings gibt es hierbei noch kein Wirken unsererseits. Um zu wirken, müssen wir diesen Standpunkt übersteigen, d. h. wir müssen uns ins Außerhalb des Bewußtseins begeben und durch die Bejahung der Verneinung diskontinuierlichkontinuierlich vermittelt werden. Dabei werden wir durch das, was uns auf dem Standpunkt unserer Selbstverneinung gegenübersteht, d. h. durch die Materie vermittelt. Wenn wir durch die Materie vermittelt werden, verschwindet aber unser Selbst, d. h. das Einzelne wird nur verneint. Die Materie ist etwas nur Allgemeines bzw. Nichteinzelnes. Dann stellt man sich die Welt des biologischen Lebens vor. Man denkt, daß in der Welt des biologischen Lebens die Materie das Leben hervorbringt und das Allgemeine das Einzelne bestimmt. Aber das ist vollkommen unmöglich. Als Selbstbestimmung der biologischen Welt kann nur etwas Körperliches gedacht werden. Innenwahrnehmend-zugleich-außenwahrnehmend (naibu chikaku soku gaibu chikaku, 内部知覚即外部知覚).
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Vom Bewußtsein her gesehen kann die Welt des Lebens, können die Handlungen der Lebewesen triebhaft gedacht werden. So gesehen können auch Lebewesen Dinge schaffen, so wie z. B. ein Vogel ein Nest baut. Aber unser wirkendes Selbst kann von und aus dieser Welt noch nicht vermittelt werden. Die Lebewesen haben noch keine Welt subjektiv-objektiver Dinge, d. h. sie haben noch keine wirklich objektive Welt. Unsere Handlungen sind nicht nur von und aus der Welt des biologischen Lebens vermittelt. Sie sind aber auch nicht bloß durch die Welt des Bewußtseins vermittelt. Unsere Handlungen sind von und aus der ausdruckshaften Welt, die subjektiv-objektiv, objektiv-subjektiv ist, vermittelt. Anders: wie oben erläutert, sind unsere Bewußtseinsakte selbst schon von und aus dieser Welt vermittelt. Redet man von Handlung, so stellt man sich vielleicht nur eine Handlung des bloß eigenen Selbst vor. Selbst wenn man sagt, daß wir ausdruckshaft Dinge schaffen, stellt man sich vor, daß ein Ich durch sich und für sich Dinge schafft. Aber bereits dieses Ich ist von und aus der Welt des Ausdrucks vermittelt. Wenn wir z. B. ein Haus bauen, was heißt dabei »Ding«? Es ist nicht die Materie. Materie ist etwas, mit dem wir nicht willkürlich verfahren können. Aber ein Ding ist auch nicht nur etwas von uns Empfundenes oder Vorgestelltes. Es ist ein ausdruckshaftes Ding. Dinge schaffen, heißt, sich in der ausdruckshaften Welt ausdruckshaft selbst bestimmen. Die ausdruckshafte Welt ist die Welt des Ich und Du, ja die Welt der Ers. 13 Wo absolut unverbindbare Einzelne doch miteinander verbunden werden, ist die Welt des Ausdrucks. Nur in der geschichtlichen Welt gibt es Poiēsis. Als homo faber befinden wir uns bereits in der Welt des Ich und des Du (watashi to nanji no sekai, 私と汝の世界); Welt der Ers (kare no sekai, 彼の世界). Der Gedanke von »Er« ist bezeichnend für den Entwicklungsgang der Philosophie Nishidas. Während in der Aufsatzsammlung »Selbstgewahrungsbestimmung des Nichts« (mu no jikaku-teki gentei, 無の自覚的限定), Tôkyô 1932, der Gedanke von Ich und Du bestimmend war, kritisiert Nishida in den darauffolgenden Aufsätzen diesen Gedanken als unzureichend. Der Gedanke von Ich und Du basiere noch auf dem Standpunkt des individuellen und somit im Grunde subjektiven Selbstgewahrens. Der Gedanke des Dritten zu Ich und Du, d. h. der Gedanke des Er als des Prinzips der objektiven Welt, markiert somit eine Wende in Nishidas Denken. Nishida verläßt mit diesem Gedanken den noch subjektiven Standpunkt des individuellen Selbstgewahrens (jikaku, 自覚) und versucht, die Welt der geschichtlichen Realität sozusagen von dieser Welt selber her zu denken. Allerdings behielt Nishida den Begriff des »Er« im Gegensatz zu anderen Termini, wie »handelnde Anschauung«, »ausdruckshafte Welt« usw. nicht lange bei. Bald nach dem Erscheinen dieses Aufsatzes verschwindet er aus dem Denken Nishidas.
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geschichtlichen Welt. Daher besitzt ein geschaffenes Ding Realität und bestimmt umgekehrt uns. Wäre es nicht so, könnte ein geschaffenes Ding keine eigene reale Grundlage haben. Ein geschaffenes Ding hat als geschichtliches Ding seine Realität. Wenn wir Dinge schaffen, haben wir bereits unser Selbst in die subjektiv-objektive Welt projiziert und sind bereits von und aus der subjektiv-objektiven Welt vermittelt. Das Eidos des Hauses befindet sich nicht bloß im Kopf des Zimmermanns. Das Handeln eines Ich ist sich nicht immer der anderen Menschen bewußt. Nicht in diesem Sinne ist die ausdruckshafte Welt eine Welt der Menschen untereinander. Nur an der äußersten Grenze der Selbstbestimmung der ausdruckshaften Welt steht das Ich dem Du gegenüber. Ständen sich jedoch das Ich und das Du dort nicht gegenüber, so gäbe es auch keine ausdruckshafte Welt. Die ausdruckshafte Welt ist in eins damit, daß sie subjektiv ist, objektiv und in eins damit, daß sie einzeln ist, allgemein. Sie ist eine Welt widersprüchlicher Einheit. Zugleich damit, daß das Einzelne sich ganz und gar selbst bestimmt, steht es andererseits ganz und gar den Anderen gegenüber, wobei sie sich wechselseitig bestimmen. Als Selbstbestimmung der diskontinuierlich-kontinuierlichen Welt, bzw. der Welt des Sich-wechselseitig-Bestimmens der Einzelnen kommt unser Handeln zustande. Das das Ich und das Du sich einander gegenüberstehen, heißt nicht, daß das Ich und das Du sich immer einander bewußt sind. Das Selbst, das ganz und gar zu seinem eigenen Vermittelnden wird, stößt an die Selbstverneinung. Was das Selbst hierbei vermittelt, ist weder die Materie noch die biologische Welt, sondern das diskontinuierlich-kontinuierliche Vermittelnde. Dieses vermittelt die Einzelnen untereinander. An seinem Grund stehen sich das Ich und das Du gegenüber. Das Ich und das Du stehen sich nicht nur noesishaft, innerlich gegenüber, sondern sie stehen sich durch eine absolute Verneinung gegenüber. Daß das Ich und das Du Vermittelnde ist nicht bloß die Materie; es ist die wirkliche Welt, die subjektiv-zugleich-objektiv, objektiv-zugleich-subjektiv ist, bzw. die Welt der handelnden Anschauung. 14 Es ist die Welt, in der Dinge geschaffen werden, Handelnde Anschauung (kôi-teki chokkan, 行為的直観), ein zentraler Grundbegriff des späten Nishida, beschreibt das von Nishida als orthafte Selbstbestimmung des absoluten Nichts gedachte Eröffnungsgeschehen von Wirklichkeit im Blick auf den Menschen (vgl. NKZ 9, S. 156). Als orthafte Selbstbestimmung des absoluten Nichts kann die Wirklichkeit weder vom menschlichen Subjekt, das in sich stehend aus sich heraus aktiv handelnd und gestaltend die Wirklichkeit eröffnet, noch von einem an sich gegebenen Objekt, das sich dem passiv schauenden, sehenden Subjekt vergegenwärtigt, her
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es ist die Welt des Schaffens. Die Welt der handelnden Anschauung ist in eins damit, daß sie die Welt des Ich ist, auch die Welt des Du. Das Ich und das Du werden von und aus dieser Welt vermittelt und sind Einzelne, die sich in dieser Welt einander gegenüberstehen. Daher stehen sich das Ich und das Du, auch wenn ich von einem Gegenüberstehen rede, nicht bloß wie in der Welt der Materie auf einer Fläche gegenüber. In der Welt der Materie ist etwas Lineares ganz und gar linear. Das Ich und das Du stehen sich jedoch in einer Welt der Selbstidentität einander widersprechender Dinge, in der das Lineare zirkulär und das Zirkuläre linear ist, gegenüber. In der flächenhaften Welt der Materie stehen sich das Ich und das Du überhaupt nicht gegenüber. Aber bei einer handelnden Anschauung oder in einem subjektiv-objektiven Ding sind das Ich und das Du immer verbunden. Ein Ding ist ineins damit, daß es ein Mein-Ding ist, ein Dein-Ding. Insofern ein Ding handelnd gesehen wird, gibt es die Welt, in der wir leben. Die Welt ist weder bloß eine Welt des Ich, noch bloß eine Welt des Du, aber sie ist auch keine Welt ohne Ich und Du. Je stärker die schöpferische Seite der wirklichen Welt wird, desto mehr sind wir in ihr durch eine absolute Verneinung miteinander verbunden. Ein schöpferischer Akt ereignet sich dort, wo wir wirklich dadurch leben, daß wir uns selbst verneinen. In der Welt der handelnden Anschauung ist das Einzelne weder Materie noch ein Lebewesen, sondern ein handelndes Selbst. begriffen werden. Als orthafte Selbstbestimmung des absoluten Nichts beruht die Wirklichkeit nicht in einem substanzhaften Grund. Nishida versucht das Wirklichkeitsgeschehen diesseits der in solchem Substanz- und Grunddenken implizierten Differenz zwischen Grund und Gegründetem, aktiv und passiv zu denken. Im Gedanken der handelnden Anschauung denkt Nishida, daß jedes Handeln in sich zugleich ein Anschauen und jedes Anschauen in sich zugleich ein Handeln ist, d. h. daß Welt und Wirklichkeit sich eröffnen in einem Geschehen diesseits der Differenzierungen in Subjekt und Objekt, aktiv und passiv. »Handelnde Anschauung heißt, daß wir selbstwidersprüchlich Objekte gestalten und wir umgekehrt von und aus den Objekten gestaltet werden. Handelnde Anschauung bedeutet die widersprüchliche Selbstidentität von Sehen und Wirken.« (NKZ 9, S. 173) »Gestalten ist Sehen, wir wirken aus dem Sehen heraus. Wir sehen handelnd-anschauend Dinge und gestalten, weil wir Dinge sehen. Wenn man von ›wirken‹ spricht, geht man vom individuellen Subjekt aus. Allein wir wirken nicht von außerhalb der Welt, sondern sind, wenn wir wirken, bereits inmitten der Welt. Das Wirkende ist ein Gewirktes.« (NKZ 9, S. 168 f.) Handelnde Anschauung bedeutet so, daß in widersprüchlicher Selbstidentität das Gestaltete den Gestaltenden gestaltet und umgekehrt. Unter einigen Vorbehalten läßt sich der Gedanke der handelnden Anschauung mit Heideggers Analyse des menschlichen Daseins als eines geworfenen und entwerfenden zugleich vergleichen.
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III. Was ist ein schöpferischer Akt? Ein schöpferischer Akt meint nicht bloß, daß aus dem Nichts Sein entsteht. Ein schöpferischer Akt muß eine Grundlage haben. Die Grundlage eines schöpferischen Aktes ist weder die Welt der bloßen Materie noch die Welt des bloßen Geistes. Es ist auch nicht die bloß biologische Welt. Goethe als eine Gestalt betrachten, heißt nicht, ihn biographisch oder von der materiellen Gesellschaft seines Zeitalters her zu betrachten. Aber Goethe ist doch der Goethe, der, wie sein Tagebuch zeigt, von einem Tag zum anderen Tag dahinlebte und innerhalb der materiellen Gesellschaft seines Zeitalters lebte. Auch seine Gestaltungsakte kommen von dieser Grundlage her. Treibt man den Gedanken einer solchen Allgemeinbestimmung noch weiter voran, so muß bei seinen Gestaltungsakten auch der physiologische Aspekt in Betracht gezogen werden. Aber aus dem bloß Allgemeinen kommt kein Einzelnes, aus dem bloß Materiellen kommt nichts Geistiges. Dem schöpferischen Akt muß zuerst etwas Speziesartiges 15 oder Gemeinschaftliches zugrundeliegen. Ein schöpferischer Akt ist nicht die Arbeit eines bloßen Individuums. Die Helden und Genies des Altertums waren Repräsentanten ihrer Spezies. Ineins damit, daß die Helden und Genies ein Zeitalter schaffen, schafft das Zeitalter die Helden und Genies. Die Helden und Genies stehen immer im Brennpunkt der Gesellschaft. Was für eine Welt ist das, die diese Helden und Genies hervorbringt? Zuerst ist es die Welt von Mensch und Mensch, die Welt der Menschen. Der Mensch ist im ausgezeichneten Sinne ein Einzelnes. Die Welt, die diese Helden und Genies hervorbringt, ist die Welt des Sichwechselseitig-Bestimmens der Einzelnen, bzw. die Welt als orthafte Bestimmung. Ein bloß unabhängiges Einzelnes gibt es nicht. Ohne die Shuzoku (種族), später oft nur shu (種), Sorte, Art ist hier mit Spezies zu übersetzen. Hinter diesem Wort steht eine Kontroverse zwischen Nishida und Tanabe. Tanabe warf Nishida vor, der Philosophie Nishidas fehle der Gesichtspunkt der Spezies, die logisch gesehen das Besondere zwischen dem Allgemeinen und Einzelnen ist. Bei Nishida gebe es nur die religiöse Anschauung und die Unmittelbarkeit des absoluten Nichts. Dieses realisiere sich aber in Wirklichkeit nur durch die Vermittlung des Besonderen der Wirklichkeit. Tanabe vermißt bei Nishida die Beachtung der realen geschichtlichen Welt, die Tanabe selbst mit seiner »Logik der Spezies« zu begreifen versucht. Nishida versucht auf diese Kritik hin die Spezies vom Gedanken der Selbstbestimmung des Nichts her zu erläutern. Dieser Abschnitt des Aufsatzes stellt so eine Replik auf Tanabes Kritik dar.
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Kitarô Nishida
Menschen gibt es vielleicht keine Spezies, aber ebenso gibt es ohne die Spezies keine Menschen. Wir werden aus der Spezies geboren. Aber wir werden nicht einfach geboren wie in der biologischen Welt, sondern wir stehen einander ausdruckshaft gegenüber. In diesem Sinne hat die orthafte Welt des Sich-wechselseitig-Bestimmens der Einzelnen, wie der physikalische Raum, in sich eine Spannung. Durch das orthafte Vermittelnde stehen sich die Einzelnen einander diskontinuierlich-kontinuierlich gegenüber und bestimmen sich gegenseitig. Daß der Ort sich selbst bestimmt, heißt umgekehrt, daß die Einzelnen sich einander gegenüberstehen, gegenseitig bestimmen und aufeinander wirken. Ohne das Vermittelnde gibt es die Dinge nicht, ohne die Dinge gibt es das Vermittelnde nicht. Ineins damit, daß eine solche Welt, wie anfangs gesagt, in dem Sinn, daß das Einzelne ganz und gar zu seinem eigenen Vermittelnden wird und sich selbst vermittelt, einen subjektiven Charakter hat, gilt in ihr zugleich, daß das Einzelne sich ganz und gar verneint und dadurch, daß es sich verneint und wirkt, ein Einzelnes ist. D. h. diese Welt steht dem Einzelnen ganz und gar verneinend gegenüber und ist durch und durch objektiv und allgemein. Einerseits bestimmt das Einzelne sich selbst. Daß das Einzelne sich selbst bestimmt, heißt, daß es ganz und gar zu einem eigenen Vermittelnden wird. Am äußersten Punkt dieser Vermittlung und Bestimmung ist das Einzelne eine Welt. Aber das Lineare ist in seinem Grunde zirkulär. So gesehen liegt am Grunde unseres Selbst der allgemeine Geist. Diesen kann man sich als objektiven Geist, oder, wenn man den Gedanken noch tiefer vorantreibt, (wie Hegel) als den absoluten Geist, der Subjekt und Objekt vereinigt, vorstellen. Wie weit man aber auch gehen mag, hierbei handelt es sich immer nur um den weitergetriebenen Standpunkt der Einzelbestimmung. Man bleibt unvermeidlich dem Subjektivismus verhaftet und kann kein wirkendes Einzelnes denken. Die Welt der Einzelnen, die wirklich reale Welt ist nicht durch ein solches subjektives Vermittelndes vermittelt. Die wirklich reale Welt ist eine durch absolute Verneinung vermittelte, diskontinuierlich-kontinuierlich vermittelte Welt. Daher ist sie in einer Hinsicht materiell. Aber natürlich ist sie nicht bloß materiell. Aus dem bloß Materiellen kommt nichts Einzelnes. Die absolute Verneinung ist zugleich die absolute Bejahung. Das bedeutet, daß diese Welt die Einzelnen von innen vermittelt. Das wirkliche Allgemeine vermittelt die Einzelnen untereinander. Wie oben erläutert, kommt auch unser Bewußtsein in Wirklichkeit hier zustande. Die Bewußtseinsakte kommen dort zustande, wo das Einzelne an der äußersten 82 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
Selbstidentität und Kontinuität der Welt
Grenze der Einzelbestimmung zum Vermittelnden seiner selbst wird, an die Selbstverneinung stößt und sich aber zugleich von dort her bejaht. Daher hat die von mir sog. diskontinuierlich-kontinuierliche Welt bzw. Welt der orthaften Bestimmung ineins damit, daß sie allgemein ist, den Charakter eines Einzelnen. Man kann sich diese Welt auch als Welt des objektiven oder des absoluten Geistes vorstellen. Daß diese Welt einzeln ist, heißt aber nicht, daß sie ein einziges Einzelnes oder einzeln im Sinne einer kontinuierlichen Selbstidentität ist. Der Begriff eines Einzelnen, das zu seinem eigenen Vermittelnden wird, enthält in sich bereits einen Selbstwiderspruch. Ein sich selbst vermittelndes Einzelnes kann nicht bloß ein Einzelnes sein, sondern ist bereits ein Einzelnes, das sich selbst verneint und in unzählige Einzelne vereinzelt. Genauso wie bei unserer Selbstidentität, sind diese Einzelnen, während ein jedes unabhängig ist, zugleich das Eine. Daß die Welt als orthafte Bestimmung ineins damit, daß sie einerseits allgemein ist, einzeln ist, bedeutet, daß sie in diesem Sinne absolut einzeln ist. Daß diese Welt sich selbst bejaht, heißt einerseits, daß unzählige Einzelne entstehen, unzählige Menschen geboren werden. Daß so unzählige Menschen geboren werden, bedeutet zugleich, daß diese Menschen eins sind und als Selbstbestimmung der geschichtlichen Welt zustande kommen. Ein einziges Selbst gibt es nicht. Daß wir Bewußtsein besitzen, heißt, daß wir bereits keine bloßen Einzelnen mehr sind. Es bedeutet, daß wir durch Selbstverneinung Selbst sind. Außerdem kann das Selbst als wirkendes Selbst nicht einzeln und unabhängig zustande kommen. Hierin besteht die kontinuierliche Selbstidentität der Welt. Dies meine ich auch, wenn ich sage, daß die Welt eine Spannung besitzt. Man könnte wirklich sogar von einer Krümmung des Raumes des Universums sprechen. (Am Ende dieses Aufsatzes werde ich dies als geschichtliche Gegenwart erläutern.) In eins damit, daß diese Welt sich als Einzelnes bestimmt, bestimmen sich unzählige Einzelne selbst bzw. wirken. Das Handeln eines jeden Menschen ist zugleich ein Selbstgestaltungsakt der Welt. Damit verneint sich diese Welt jedoch zugleich selbst und ist in einer Hinsicht durch und durch materiell und einzeln. Die diskontinuierlich-kontinuierliche Welt ist ineins damit, daß sie einerseits kontinuierlich ist, andererseits diskontinuierlich. In Richtung der Diskontinuität verschwindet diese Welt völlig. Daß die Einzelnen gegeneinander diskontinuierlich bzw. beziehungslos sind, heißt, daß das Einzelne verschwindet. In dieser Richtung kann die Welt der Materie gedacht werden. Aus diesem Blickwinkel sind auch der objektive und der absolute Geist nur subjektive 83 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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Scheinbilder. In dieser Welt gibt es überhaupt nichts, was beständig ist, und alles vergeht. Die Materialisten denken die Materie vielleicht als unvergänglich. Aber die Welt der Materie ist nur die in Richtung der Selbstverneinung bzw. des Allgemeinen vorgestellte subjektiv-objektive, einzeln-allgemeine Welt. Selbst wenn die Welt der Materie in Richtung der Selbstverneinung bzw. des Allgemeinen liegt, so gibt es sie doch nur, insofern es in dieser Richtung noch eine Selbstbejahung und Einheit des Einzelnen gibt. Ich meine, daß deswegen in der gegenwärtigen Physik sogar die Unvergänglichkeit der Materie nicht gedacht werden kann. Aber auch wenn diese Welt einerseits selbstbejahend, andererseits selbstverneinend ist und unendlich fließt, verändert sie sich doch nicht bloß prozeßhaft und linear. So zu denken hieße die Welt bloß als ein sich selbst vermittelndes Einzelnes bzw. subjektiv zu betrachten. Die Welt als subjektiv-objektive ist immer orthaft, in ihr stehen sich die Einzelnen durch absolute Verneinung vermittelt einander gegenüber und bestimmen sich gegenseitig. Daher geht die Welt von Epoche zu Epoche, von Gegenwart zu Gegenwart, von Welt zu Welt über. Hierin besteht die als widersprüchliche Einheit zu verstehende wirkliche Kontinuität der Welt. Die Völker erscheinen in dieser Welt als Schauspieler. Als Faktoren dieser Welt haben die Völker geschichtliche Realität. Wäre es nicht so, dann wäre die Geschichte der Völker nur die Biographie eines jeden Volkes. Ein Volk ist eine Welt, die ihre eigene Einheit hat. Geschichtlich real jedoch ist ein Volk, insofern es Selbstverneinung in sich hat. Selbstverneinung in sich haben, heißt, ein Mitglied der Weltgeschichte zu sein. (Daher kam Ranke auch zu dem Gedanken, daß es außer der weltgeschichtlichen keine Geschichtsschreibung gibt.) Daß die subjektiv-objektive, objektiv-subjektive Welt sich selbst bestimmt, bzw. sich selbst bejaht, heißt, daß die Welt selbst wie ein Einzelnes wird, daß die Welt sich selbst eint. Daß die Welt sich selbst eint, heißt aber nicht, daß sie zu nur einem Einzelnen wird, sondern umgekehrt, daß sie sich in einer Hinsicht ganz und gar zu Einzelnen macht und unzählige Einzelne entstehen. Es ist genauso wie mit der Einheit unseres Bewußtseins: ineins damit, daß ein jedes Element unabhängig ist, ist es das Bewußtsein eines Selbst. Die Welt ist ineins damit, daß sie das Eine ist, das Viele. Daher ist die Welt zeitlich. Weil die Dinge, die sich in dieser Welt befinden, ineins damit, daß ein jedes unabhängig ist und sich selbst bestimmt, das Eine sind, ist die Welt zeitlich. Unendlich zeitlich verändert sie sich und geht über. Mit unserer Selbstidentität verhält es sich genauso. Die Welt, die einerseits einzeln 84 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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ist und sich ganz und gar selbst aus ihrem eigenen Innern vermittelt, ist auch zeitlich. Die Welt des Sich-wechselseitig-Bestimmens der Einzelnen ist in einer Hinsicht zeitlich. Dies ist die subjektive Richtung der Welt, in der wir leben. Von hierher kommt unser Bewußtsein. Wenn man sagt, daß einzelne, unabhängige Dinge eins sind, und dabei das Gewicht vor allem auf die einzelnen, unabhängigen Dinge legt, so kann man dieses »eins« nur als eine bedeutungsmäßige Einheit denken. So stellen sich die Psychologen bisher unser Selbst vor. Wie James stellen sie sich das Selbst gleichsam wie das Brandzeichen an einem Schaf vor. Bedeutung taucht dort auf, wo das Einzelne sich selbst verneint und mit Anderen in Beziehung tritt. Die Selbstbestimmung des Einzelnen enthält einen Selbstwiderspruch. Wenn das Einzelne an der äußersten Grenze seiner Selbstbejahung an die Selbstverneinung stößt, erscheint die Welt der bedeutungsmäßigen Einheit, die Welt des Ausdrucks. Der Ort dieser Verneinung der Selbstbejahung des Einzelnen ist unser Bewußtsein. Von der Selbstbestimmung der Welt der handelnden Anschauung her gesehen, handelt es sich bei dieser Verneinung der Selbstbejahung um eine Bejahung der Verneinung. In der Welt, die sich in der Weise von Bejahung-zugleich-Verneinung, Verneinung-zugleich-Bejahung selbst bestimmt, verhält es sich immer so. Unser Bewußtsein erscheint in der Selbstbestimmung der Welt als ein Moment dieser Selbstbestimmung. Die Welt vom Standpunkt des Bewußtseins aus zu betrachten, bedeutet, sie subjektiv, d. h. vom Standpunkt der Einzelbestimmung her zu betrachten. Es bedeutet, kurz gesagt, daß wir uns die Welt nach dem Modell unseres individuellen Selbst vorstellen, bzw. daß wir uns die Welt anhand der Form der Selbstbestimmung eines Selbst vorstellen und dieses Selbst zur Welt aufspreizen. Diese Welt ist eine uns immanente Welt. Die Welt von diesem Standpunkt aus zu betrachten, heißt, sie vom Standpunkt des individuellen Selbst her zu betrachten. Weil die sich selbst bestimmende Welt einerseits durchaus eine solche Richtung hat, können wir die Welt intellektuell-bewußtseinsmäßig betrachten. Aber diese Richtung ist, kurz gesagt, die Richtung, in der die Welt verschwindet, die Richtung, in der sich die Welt selbst verneint. Die Welt vom Standpunkt des intellektuellen Selbst aus zu betrachten, bedeutet, die Welt der handelnden Anschauung vom Nachhinein ihres Vergangenseins aus zu betrachten. D. h., daß die sich selbst bestimmende Gegenwart sich selbst vom Standpunkt der Selbstverneinung her betrachtet. Hier erhebt sich nun eine Frage. Ich habe die Richtung, in der sich 85 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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die Welt als Einzelnes bejaht, als subjektiv bezeichnet. Wenn ich diese Richtung nun wiederum als Richtung der Selbstverneinung denke, widerspricht sich dann ersteres und letzteres nicht einander? Daß das Einzelne sich selbst bestimmt, heißt aber, daß es zu seinem eigenen Vermittelnden wird. Daß die Welt sich selbst als Einzelnes bestimmt, heißt, daß sie zum inneren Vermittelnden unzähliger Einzelner wird. Unser individuelles Selbst kommt durch diese innere Vermittlung zustande. Falls das nicht so wäre, müßten wir im Solipsismus versinken. Dadurch, daß sich die Welt von innen her selbst vermittelt, kommen unzählige individuelle Selbst zustande. Am Grund der Zeit liegt eine zirkuläre Bestimmung. Durch die Selbstbestimmung des Allgemeinen der Zeit entstehen unzählige lineare Zeiten. Wie ich am Anfang dieses Aufsatzes sagte, enthält jedoch schon der Begriff des Einzelnen einen Selbstwiderspruch. Am Grunde der Selbstbestimmung des Einzelnen liegt das Allgemeine, das das Einzelne ineins damit, daß es es verneint, bejaht. Allein dadurch, daß Einzelnes kontinuierlich zu seinem eigenen Vermittelnden wird (d. h. durch E), gibt es noch keine unzähligen unabhängigen Einzelnen. So wie das Allgemeine an seinem äußersten Ende das Einzelne ist, so ist das Einzelne an seinem äußersten Ende das Allgemeine. Wenn in diesem Sinne das Allgemeine das Einzelne ist (wenn A = E, d. h. M), entstehen diskontinuierlich-kontinuierlich unzählige Einzelne. pffiffiffiffiffiIn diesem Sinne bezeichne ich die Einzelbestimmung (M = E, d. h. M) als die Richtung der Einzelbestimmung, bzw. der Selbstbejahung der subjektiv-objektiven Welt. Diese Richtung der Selbstbejahung bzw. Einzelbestimmung der Welt ist die Richtung, in der die Welt, in der die Dinge gegenseitig aufeinander wirken, voranschreitet; es ist die Richtung der handelnden Anschauung. In ihr liegt das Wohin der Welt. Diese Richtung beinhaltet, daß sich die Einzelnen ganz und gar selbst bestimmen, und hat zugleich den Charakter der Verneinung des Einzelnen. Daher hat unser Bewußtsein, obwohl es aus der Richtung des Voranschreitens der Welt geboren wird, die Eigenschaft, die Welt zu spiegeln. Die Selbstverneinung eines kontinuierlichen Selbst bzw. eines Einzelnen hat als bloße Selbstverneinung den Charakter des Bewußtseins. Das Bewußtsein ist auch keine Einheit des Einzelnen (E = M) in dem Sinne, daß das Allgemeine das Einzelne ist. Daher ist die Welt von hier aus gesehen eine Welt der Bedeutung, eine Welt des bloßen Ausdrucks. Da diese Verneinung ursprünglich in der Selbstbejahung der Welt enthalten ist, beruht unser Bewußtsein als Innenwahrnehmungzugleich-Außenwahrnehmung in der Wirklichkeit der handelnden An86 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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schauung. Weil aber in der Welt absoluter Dialektik absolute Bejahung zugleich Verneinung ist, ist die oben erläuterte Verneinung bei der Selbstbestimmung der Welt gegenüber dem Einzelnen eine absolute Verneinung. Die Selbstbejahung der Welt enthält einerseits immer eine Verneinung. Vom Standtpunkt des Bewußtseins aus betrachten wir die Welt vom Nachhinein ihres Voranschreitens her, d. h. wir spiegeln die Vergangenheit. Das ist der Standpunkt des Verstehens. (Wobei Verstehen natürlich nicht nur heißt, die Vergangenheit zu spiegeln.) Hier ist unser Bewußtsein nicht mehr innenwahrnehmend, sondern verstehend. Man kann hier nicht mehr von Innenwahrnehmung-zugleichAußenwahrnehmung sprechen, der Gegenstand der Außenwahrnehmung ist verschwunden. Auch die geschichtliche Erkenntnis kommt hier zustande. Die Welt bejaht sich ganz und gar, aber diese Bejahung enthält eine Verneinung, d. h. sie enthält Bewußtsein. Dieses kann man als das geschichtliche Erkenntnissubjekt denken. Auch die sog. Welt der Natur ist in Wirklichkeit etwas in dieser Richtung Angeschautes. Es klingt zwar paradox, aber auch die sog. Natur betrachten wir von dem Standpunkt aus, wo wir die voranschreitende Welt vom Nachhinein her betrachten, d. h. wo wir die Vergangenheit betrachten. Selbst wenn ich hier von Vergangenheit spreche, so bedeutet das natürlich nicht, nur etwas, das vorüber und vorbei ist, zu betrachten. Nur insofern unser Bewußtsein als Innenwahrnehmung-zugleich-Außenwahrnehmung in der Selbstbejahung der Welt, d. h. in der Gegenwart beruht, kann man die Welt der Natur in dieser gegenwärtigen Vergangenheit betrachten. Ein naturwissenschaftliches Experiment ist immer etwas, das in der Gegenwart beruhend die Vergangenheit betrachtet. Die Welt der Vergangenheit im Sinne von Gegenwart-zugleich-Vergangenheit ist die Welt der Materie, die Welt des sich selbst verneinenden Selbst. Daher ist auch die Welt der Materie eine übergängliche Welt. Was bedeutet es, daß wir wirken? Daß ich wirke, heißt zunächst, daß ein Einzelnes sich selbst bestimmt. Wenn ein Einzelnes ganz und gar zu seinem eigenen Vermittelnden wird und sich kontinuierlich selbst bestimmt, so heißt das aber – selbst wenn es zu einer subjektiven Welt wird – noch nicht, daß es wirkt. Um zu wirken, müssen wir diese subjektive Welt überschreiten. Unser Wirken kommt nicht auf dem Standpunkt der Verneinung der Bejahung dieser Welt, d. h. auf dem Standpunkt des Bewußtseins zustande, sondern auf dem Standpunkt der Bejahung ihrer Verneinung. Unser Wirken kommt zustande als Selbstbejahung der diskontinuierlich-kontinuierlichen Welt. Daß wir 87 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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wirken, heißt deshalb zugleich, daß sich die subjektiv-objektive Welt selbst verändert, bzw. daß wir Dinge schaffen. Dinge sind immer ausdruckshaft. Was ich Ding nenne, ist nicht die sog. Materie. Die Materie kommt als Korrelat der Welt des Bewußtseins in Richtung der Selbstverneinung der Welt in den Blick. Die in der geschichtlichen Welt erscheinenden Dinge sind alle ausdruckshaft. Daher ist unser Handeln immer ein Ausdrucksakt. Poeisis hat einen ausdruckshaften Charakter. Ansonsten bestünde kein Unterschied zwischen der Poeisis und einem instinktiven Akt oder einer Bewegung. Ausdruckshaft Dinge schaffen, heißt, daß die Dinge ausdruckshaft erscheinen und wir die Dinge gleichzeitig ausdruckshaft sehen. Ausdruckshaft Dinge schaffen, schließt in einer Hinsicht eine Anschauung mit ein. Die ausdruckshaft erscheinenden Dinge sind alle ideenhaft. Hier gibt es eine platonische Welt. In diesem Sinne ist die Welt unseres Handelns die Welt der handelnden Anschauung. Das Handeln hört aber keineswegs auf, auch ein Bewußtseinsakt von uns zu sein, es verliert in einer Hinsicht seinen Bewußtseinscharakter nicht. Weil die Welt des Handelns auch ganz und gar die Welt der Materie im Sinne eines Korrelats der Welt des Bewußtseins ist, ist unser Handeln auch ein Geschehen in der Welt der Materie. Daß die Welt sich selbst bestimmt, heißt, daß sie einerseits eine Selbstverneinung enthält und daß diese Selbstverneinung umgekehrt unmittelbar eine Bejahung in sich birgt. Daß die einzelnen, unabhängigen Dinge das Eine werden, bzw. daß die Welt sich selbst bejaht, heißt, daß die einzelnen, unabhängigen Dinge verneint werden. Das aber heißt, daß die Welt verschwindet. Daß die Einzelnen bloß diskontinuierlich sind, heißt, daß die Einzelnen verschwinden, daß die Welt verschwindet. Daß die Welt sich selbst bejaht, daß die Welt sich selbst als Einzelnes bestimmt, heißt deshalb, daß unzählige Einzelne, indem sie sich wechselseitig bestimmen, das Eine werden. Dieses ist die Welt der handelnden Anschauung. Zugleich bedeutet dies, daß die Einzelnen dadurch, daß sie sich selbst verneinen, selbst bejahen. Um die Beziehung zwischen dem Einzelnen und der Welt zu erhellen, läßt sich folgendes sagen. Solange man denkt, daß ein Einzelnes bzw. unser Selbst ganz und gar sich selbst bestimmt, steht man auf dem Standpunkt des intellektuellen Selbst. Die Welt vom Standpunkt der Selbstvermittlung eines Selbst her zu betrachten, heißt, sie vom Standpunkt des intellektuellen Selbst her zu betrachten. Dabei handelt es sich um die Richtung, in der die Welt sich selbst verneint, in der die Welt verschwindet. So zu denken, bedeutet, die Welt bloß als Kontinuität, 88 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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bloß als Erkenntnisgegenstand bzw. als eine tote Sache, als Vergangenheit aufzufassen. Aber selbst in diesem Fall ist unser Selbst von der Welt überhaupt nicht distanziert. Daß die diskontinuierlich-kontinuierliche Welt sich selbst bejaht, d. h. eins bzw. zu einer Kontinuität wird, bedeutet, daß die Welt zu ihrem eigenen Vermittelnden wird und sich selbst ganz und gar bejaht. Die lineare Bestimmung ist in ihrem Grund zirkulär. Daß das Einzelne sich ganz und gar selbst bestimmt, zu einem intellektuellen wird, heißt deshalb auch, daß das Einzelne sich selbst verneint, daß es stirbt. Das Einzelne wird dadurch, daß es wirkt, zu einem Einzelnen. Daß das Einzelne sich ganz und gar selbst bestimmt, daß es sich von der Welt distanziert und zu nur einem Einzelnen wird, heißt letzten Endes, daß das Einzelne stirbt, sich dem Tod zuwendet. Wird die Welt auf diese Weise bloß diskontinuierlich, so heißt das auch, daß die Welt verschwindet, bzw. daß sie zur Welt von Monaden wird. Zu Standpunkten wie Kants »Bewußtsein überhaupt« oder Husserls reinem Ich kommt es deshalb, weil das Einzelne, insofern es ganz und gar zu seinem Vermittelnden wird, als Allgemeines gedacht werden kann. Betrachtet man die sich selbst bejahende und bewegende Welt vom Standpunkt eines solchen intellektuellen Selbst aus, so scheint die Welt ausdruckshaft zu sein. Ohne sich bewegende Wirklichkeit gibt es keinen Ausdruck. Der Ausdruck ist ein Nachglanz der sich bewegenden Welt. Ohne Dinge gibt es keinen Ausdruck. Der Ausdruck ist ein Nachglanz der Welt der Dinge. Betrachtet man die sich bewegende Welt vom Nachhinein her, so ist sie eine ausdruckshafte Welt. Auch Diskontinuierliches, das man vom Standpunkt der Kontinuität aus betrachtet, ist ausdruckshaft. Die Welt des Sich-wechselseitig-Bestimmens der Einzelnen, die diskontinuierlich-kontinuierliche Welt ist daher immer ausdruckshaft. Alle Dinge, die sich in der dialektischen, geschichtlichen Welt befinden, haben einen ausdruckshaften Nachglanz. Deshalb ist der Standpunkt des intellektuellen Selbst – auch wenn man dieses Selbst als ein allgemeines Selbst auffaßt – ein Standpunkt, der auf der Unabhängigkeit eines Selbst beharrt, ein Standpunkt, auf dem sich das Selbst außerhalb der Welt befindet und die Welt von außen betrachtet. D. h. dieser Standpunkt ist der Standpunkt des Individualismus und Subjektivismus. Von diesem Standpunkt her gesehen verschwindet die Welt. Die Welt des Sich-wechselseitig-Bestimmens der Einzelnen ist jedoch – in dem Sinne, daß die Einzelnen sich ganz und gar unabhängig selbst bestimmen – eine Welt des Sich-wechselseitig-Bestimmens wirklicher Einzelner. Die Verneinung dieser Welt ist ihre Bejahung. Als in89 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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tellektuelles Selbst befinden wir uns in einer dieser Welt widersprechenden Richtung. Als handelndes Selbst sind wir inmitten der Welt und befinden uns in Richtung der Entfaltung dieser Welt. So gesehen gründet auch das intellektuelle Selbst, das ganz und gar zu seinem eigenen Vermittelnden wird und sich selbst vermittelt, im handelnden Selbst. Erkennen ist eine Art Handlung. Was heißt es, daß wir wirken? Wirken heißt, daß wir unser bewußtseinsmäßiges Selbst verneinen und uns ins Außerhalb des Bewußtseins begeben. Handeln ist ein Verneinen unseres intellektuellen Selbst. Den Grund seines Handelns kann selbst das Selbst nicht einsehen. Beim Handeln werden wir aber weder zu Materie, noch handeln wir unbewußt. Dadurch, daß wir wirken, finden wir unser wirkliches Selbst. Im Wirken ereignet sich unser wirkliches Selbstgewahrwerden, unser bewußtes Selbstgewahren gründet im Wirken. Was steht uns gegenüber, wenn wir wirken? Was ist die Gegenstandswelt des handelnden Selbst? Es ist weder die Welt der Materie noch etwas bloß im Dunkeln Liegendes. Ich sagte vorhin, wenn man den subjektiven Standpunkt, auf dem unser Selbst zu seinem eigenen Vermittelnden wird, immer weiter vorantreibt, distanziere sich das Selbst von der sich bewegenden wirklichen Welt und nehme den Standpunkt des bloßen Verstehens ein. Weiter sagte ich, die Gegenstandswelt des verstehenden Selbst sei ausdruckshaft. Beim Übergang vom bewußtseinsmäßigen Selbst zum handelnden Selbst müssen wir einmal diesen Weg gehen, d. h. wir müssen den Standpunkt des verstehenden Selbst durchlaufen und die Welt als eine ausdruckshafte betrachten. (In Wirklichkeit ist es natürlich umgekehrt: das bewußtseinsmäßige Selbst kommt vom handelnden Selbst her.) Daß wir bewußt handeln, heißt auch nicht, daß wir vom Bewußtsein des innenwahrnehmenden Selbst sogleich in die Welt der Materie überwechseln. Wenn wir das bewußtseinsmäßige Selbst verneinen und zum handelnden Selbst übergehen, distanziert sich unser Selbst einmal in Richtung des verstehenden Selbst von der Welt und verschwindet zugleich damit in dieser Richtung. Daher kann unser Selbst beim Handeln eine unendliche Vergangenheit durchlaufen, das Nichts durchlaufen. Nur in der geschichtlichen Welt ist es möglich, daß wir wirken. Daß das bloß verstehende Selbst nicht sogleich das wirkende Selbst ist, muß wohl nicht extra gesagt werden. Dem verstehenden Selbst steht der bloße Ausdruck gegenüber. Wenn wir wirken, müssen jedoch die unserem Selbst gegenüberstehenden Dinge unser Selbst bewegen, und auch unser Selbst muß die ihm gegenüberstehenden Dinge 90 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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bewegen. Die Einzelnen müssen einander wechselseitig bestimmen. Das mir ausdruckshaft Gegenüberstehende bewegt mich. Es ist mir gegenüber eine rufende Stimme oder ein Befehl. Hier läßt sich das Ich und das Du denken. Natürlich ist das, was einem handelnden Selbst gegenübersteht, nicht immer ein Individuum, das man »Du« nennt. Das behaupte ich auch nicht. Was ist dann aber das unserem handelnden Selbst Gegenüberstehende? Es kann nicht die bloße Materie sein. Ist es dann der bloße Ausdruck? Der bloße Ausdruck ist ein Gegenstand für das verstehende Selbst, aber kein Gegenstand für das handelnde Selbst. Wenn es nur ein einziges Selbst, das ganz und gar zu seinem eigenen Vermittelnden wird und sich ganz und gar selbst vermittelt, gäbe, gäbe es kein Wirken. Einem solchen Selbst steht wiederum ein sich selbst Unabhängiges gegenüber. Auch dieses ist wieder ein Selbst. Wenn sich sich selbstbestimmende Einzelne einander gegenüberstehen, stehen sich Welten einander gegenüber. Das bezeichne ich als Gegenüberstehen von Ich und Du. Wenn Einzelne, vermittelt durch das diskontinuierlich-kontinuierlich Vermittelnde sich einander gegenüberstehen, so handelt es sich um ein Ich und ein Du. Daher kann man die geschichtliche Welt als Welt von Ich und Du denken. Stehen sich Einzelne einander gegenüber, so sind sie Ich und Du. Einzelnes gründet aber im Sich-wechselseitig-Bestimmen unzähliger Einzelner. Ein Einzelnes ist etwas durch orthafte Bestimmung Bestimmtes. Ein Einzelnes im Sichwechselseitig-Bestimmen unzähliger Einzelner ist ein Er. Allein zwischen zwei Einzelnen gibt es keine Welt. Wenn sich die Ers als in der geschichtlichen Welt Befindliche einander dialektisch gegenüberstehen, so gibt es Ich und Du. Daß wir das bewußtseinsmäßige Selbst verneinen und uns auf den Standpunkt des handelnden Selbst stellen, heißt, daß das Ich sich auf den Er-Standpunkt stellt, daß das Ich ein Er wird. Wenn wir das Subjekt objektivieren, bedeutet das dasselbe. (Das Er ist nicht nur das Prinzip der Trennung von Ich und Du, sondern auch das Prinzip der Objektivierung.) Auf dem Er-Standpunkt sehen wir subjektiv-objektiv Dinge. Daß das Ich wirkt, heißt, daß das Ich auf dem Er-Standpunkt steht. Wenn das Du wirkt, verhält es sich genauso; wenn das Du wirkt, heißt das, daß das Du auf dem Er-Standpunkt steht. So verkehren das Ich und das Du in der und durch die Er-Welt miteinander und bestimmen sich gegenseitig durch das diskontinuierlich-kontinuierliche Vermittelnde. Das Ich und das Du bestimmen sich gegenseitig in der subjektiv-objektiven Welt der Dinge. Die Welt der Dinge ist die ErWelt. Daher ist auch die Welt des objektiven Geistes eine Er-Welt. Auch 91 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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der objektive Geist ist in gewissem Sinne ein Er. (Selbstverständlich ist dieser Geist kein Individuum.) In diesem Sinne steht das Ich zunächst dem objektiven Geist gegenüber. Der Geist ist in diesem Falle zunächst ein Gegenstand des Verstehens. Wenn sich das Ich aber einmal auf den Standpunkt des handelnden Selbst stellt und wirken will, wird der objektive Geist zum Du. Er wird zu einem Ding, das das Ich zwingt oder dem Ich befiehlt. Daß die Welt der Einzelnen sich selbst bestimmt, heißt, daß die Er-Welt sich selbst bestimmt. Daß die Er-Welt sich selbst bestimmt, heißt, daß ein Ich und ein Du sich einander gegenüberstehen und sich gegenseitig bestimmen. Daß das Ich wirkt, heißt umgekehrt, daß das Ich und das Du sich einander gegenüberstehen, sich gegenseitig bestimmen und Er werden. Die subjektiv-objektive, objektiv-subjektive Welt, bzw. das, was wir gewöhnlich objektive Welt nennen, ist nicht bloß eine Aufspreizung unseres Selbst oder die Welt eines allgemeinen Selbst, sondern die Welt von unzähligen, einzelnen Selbst, die von mir sog. Er-Welt. Erst so kann diese Welt wirkliche Objektivität haben. Würde es sich nicht so verhalten, wäre die sog. objektive Welt nur etwas vom Standpunkt des intellektuellen Selbst her Betrachtetes. Die Welt der Einzelnen als orthafte Bestimmung ist eine Welt der vielen Ers, von denen ein jedes ein ganz und gar sich selbst bestimmendes Selbst ist. D. h., daß diese Welt als diskontinuierlich-kontinuierliche Welt sich dialektisch selbst bestimmt. Daß diese Welt sich selbst bejaht, heißt, daß sie sich selbst eint, kontinuierlich wird und wirklich eine Welt entsteht. Daß die Welt sich verneint, heißt, daß sie sich zerstreut, diskontinuierlich wird, daß jedes Einzelne sich selbständig macht und die Welt verschwindet. Wenn sich die Welt dialektisch selbst bejaht, stehen sich das Ich und das Du einander gegenüber. Das Gegenüberstehen von Ich und Du ist kein Gegenüberstehen von Dingen, wie man es sich gewöhnlich vorstellt. Es bedeutet, daß Welten sich einander dialektisch gegenüberstehen. Weder geht es, aus dem Ich von innen her eine Verbindung zum Du herzustellen, noch läßt sich vom Du aus von innen her eine Verbindung zum Ich herstellen. Es handelt sich um das Gegenüberstehen von sich absolut widersprechenden Dingen. Dem Ich steht kein bloßes Ding gegenüber. Wenn es nur ein Ich gibt, d. h. auf dem Standpunkt des intellektuellen Selbst, sind die Dinge entweder Bewußtseinsphänomene des Ich oder ansonsten nichts. Vom Standpunkt der Kantischen Erkenntnistheorie her ist das Ding an sich unerkennbar, weil das Bewußtsein überhaupt nur eine Aufspreizung des Selbst ist. Faßt man die Dinge als etwas, das das Ich verführt, als einen Gegenstand 92 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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des Begehrens, so steht das Ich bereits einer Welt der Anderen gegenüber, einer Welt außerhalb der Welt, in der das Selbst zu seinem eigenen Vermittelnden wird. Bereits hier herrscht die diskontinuierliche Kontinuität. Wenn das Ich wirkt, ist das Ich nicht bloß ein Individuum. Wenn die Welt sich selbst bejaht, hat sie die Einheit eines Einzelnen. Das Ich steht auf dem Standpunkt der Selbstbejahung dieser Welt. Das Wirken des Ich ist der Prozeß der Selbstbejahung der diskontinuierlichkontinuierlichen Welt. Das Begehren des Ich ist gefordert von der Selbstbejahung dieser Welt. Das Begehren des Ich entspringt nicht dem Bewußtsein des Ich. Wenn es sich so verhält, mag man vielleicht einwenden, ist das Ich ja zugleich die Welt. Daß das Ich wirkt, heißt, daß das Ich im Prozeß der Selbstbejahung der Welt stirbt. Daß das Ich im Prozeß der Selbstbejahung der Welt geboren wird, heißt, daß es als sterbliches geboren wird. Das wirkliche Gegenüberstehen von Ich und Du kommt an der äußersten Grenze des in obigem Sinne verstandenen Sich-einander-Gegenüberstehens von Welten zustande. Das Ich bestimmt sich ganz und gar selbst und distanziert sich als bewußtseinsmäßiges Selbst von der Welt. Hier läßt sich unser freier Wille denken. Dasjenige mit freiem Willen Begabte, das diesem mit freiem Willen begabten Selbst gegenübersteht, ist das Du. Deshalb stehen sich das Ich und das Du an der äußersten Grenze der sich ganz und gar selbst bejahenden Welt gegenüber. Hier liegt die Welt der Person. Zugleich verneint sich hier diese Welt auch selbst. Sowohl der bloße Ausdruck als Gegenstand des verstehenden Selbst als auch das sich als Gegenstand des handelnden Selbst ausdruckshaft selbst Bestimmende, d. h. das Du, all dies erscheint in Richtung der Selbstbejahung der Welt, die sich selbst orthaft als diskontinuierliche Kontinuität bestimmt. Daß ein Einzelnes ganz und gar zu seinem eigenen Vermittelnden wird und sich selbst vermittelt, heißt umgekehrt, daß eine Welt sich als ein Einzelnes selbst vermittelt. Dies ist der Standpunkt des intellektuellen Selbst. Da aber ein Einzelnes dadurch, daß es anderen Einzelnen gegenübersteht, ein Einzelnes ist und da das Selbst etwas durch Anderes Vermitteltes ist, ist, von diesem Selbst her gesehen, das Andere ausdruckshaft und das Selbst verstehend. Von der Selbstbestimmung der Welt her gesehen, handelt es sich hier um die Bejahung der Verneinung der Welt, die sich ineins damit, daß sie sich selbst bejaht, verneint. Das ist – selbst wenn es sich um eine Bejahung der Verneinung handelt – selbstverständlich keine Selbstbestimmung der Welt der handelnden Anschauung, wo gilt: Verneinung-zugleich-Bejahung, sondern ein Zu93 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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stand der Trennung und des Gegenüberstehens dieser beiden Richtungen. Das verstehende Selbst ist eine Selbstverneinung des handelnden Selbst. Der Gegenstand des verstehenden Selbst ist daher die bereits vergangene Welt. Zwar enthält die vergangene Welt noch eine Anschauung, radikalisiert man aber diese Selbstverneinung des handelnden Selbst weiter, dann wird die Gegenstandswelt des verstehenden Selbst zu einer Welt der bloßen Bedeutung, die in sich überhaupt gar keine Selbstbestimmung bzw. Anschauung hat, d. h. sie wird zu einer peripheren Welt. Wenn aber die Welt als diskontinuierlich-kontinuierliche Welt sich selbst bestimmt, bzw. als Welt der handelnden Anschauung Verneinungzugleich-Bejahung ist, so ist das dem handelnden Selbst Gegenüberstehende nicht ein bloßer Ausdruck, sondern ein Du. Ineins damit, daß das Ich ausdruckshaft Anderes bestimmt, bestimmt auch das Andere ausdruckshaft das Ich. Das, was sich ausdruckshaft gegenübersteht und handelnd gegenseitig bestimmt, ist Ich und Du. (Auch die Vergangenheit ist, insofern sie noch irgendeine Wirkung in der Gegenwart hat, ein Du.) Dies gilt auch dann, wenn sich ein individuelles Ich und individuelles Du einander gegenüberstehen, selbst wenn es sich hier um subjektive Welten handelt. Man wird einwenden, daß, wenn das Ich handelt, die dem Ich gegenüberstehenden Dinge nicht immer ein Du seien. Ein Du müsse ein persönliches Individuum sein. Es sei daher nicht zutreffend, die dem Ich gegenüberstehenden Dinge als Du zu bezeichnen. Wenn das Ich handelt, dann ist dieses Ich aber nicht nur ein sich ganz und gar selbst bestimmendes Einzelnes, sondern bereits ein von Anderem Vermitteltes, ein vom diskontinuierlich-kontinuierlichen Vermittelnden Vermitteltes. Gleichzeitig ist es eine Selbstbestimmung der diskontinuierlichkontinuierlichen Welt. Das Ich als handelndes Selbst ist bereits eine Seite der Welt, ja es ist bereits eine Welt. Ganz genauso verhält es sich mit dem dem Ich Gegenüberstehenden. Trotzdem handelt es sich hierbei nicht um ein Sich-einander-Gegenüberstehen von Allgemeinem und Allgemeinem, sondern um das Sich-einander-Gegenüberstehen von Welten, die sich selbst als Einzelne bestimmen. Wie anfangs gesagt, wird das Einzelne, wenn es sich selbst bestimmt, zu einem Allgemeinen. Wenn das Allgemeine sich selbst bestimmt, wird das Allgemeine ein Einzelnes und steht Einzelnen gegenüber. So stehen sich die sich selbst als Einzelne bestimmenden Welten einander gegenüber. Daß die Einzelnen sich gegenseitig durch das diskontinuierlich-kontinuierlich Vermittelnde bestimmen, bedeutet eben dies. Wenn wir als handelndes Selbst existieren, so ist das Ich nicht nur 94 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
Selbstidentität und Kontinuität der Welt
ein Einzelnes, das sich erst durch sich selbst vermittelt, sondern ein Einzelnes, das sich dadurch, daß es von Anderem vermittelt wird, selbst vermittelt und wiederum Anderes vermittelt. D. h. das Ich ist eine Seite der subjektiv-objektiven Welt. Auch das dem Ich Gegenüberstehende ist nicht bloß eine allgemeine Welt, sondern ein Einzelnes im obigen Sinne, ein Du. Wenn wir als handelndes Selbst existieren, ist das Ich ein durch die Geschichte vermitteltes geschichtliches Selbst (bzw., wie ich nachher erläutere, eine Tendenz in der Geschichte). Was diesem Selbst gegenübersteht, ist eine Art objektiver Geist. Auch die vergangene Welt steht, insofern sie noch Zukunft hat und unser Selbst ausdruckshaft bewegt, dem Ich als ein Du in der geschichtlichen Gegenwart gegenüber. Denkt man wie eben das Ich als durch und durch handelnd und vom Grund der geschichtlichen Welt her vermittelt, so läßt sich das dem Ich Gegenüberstehende als Gott denken. Wie Bultmann in seinem Buch »Jesus« schreibt, stehen wir Gott gegenüber immer in Entscheidung. 16 Entscheidung ist nicht Willkür. Es ist ein Handeln auf Tod und Leben in einem letzten Sinn. Wenn sich zwei sog. Individuen einander gegenüberstehen, so bedeutet »Ich und Du« nur eine diskontinuierliche Kontinuität von zwei Einzelnen; es bedeutet bloß, daß sich zwei Einzelne aufgrund der Selbstbestimmung einer Welt von nur zwei Menschen gegenüberstehen. Wenn die Welt nur eine Welt von zwei Menschen ist, ist das dem Ich Gegenüberstehende nur ein individuelles Du. Die wirklich objektive Welt ist aber eine Welt von mindestens drei Einzelnen, ja eine Welt des Sich-wechselseitig-Bestimmens unzähliger Einzelner, eine Welt der Ers. Die Welt von zwei Menschen ist noch eine subjektive Welt, sozusagen die Welt eines aufgespreizten Ich. Gewöhnlich meint man, bei zwei Individuen von Ich und Du sprechen zu können. Aber das heißt nur, daß man sich den Anderen analog zu sich selbst vorstellen kann oder man miteinander empfinden kann. Es bedeutet nur, daß eine innerliche Kontinuität möglich ist. Auch das, was man bisher Gesellschaft nannte, ist nur eine überaus vorangetriebene Gestalt einer solchen Beziehung von zwei Selbst, es ist nicht mehr als eine bis zum letzten erweiterte Gestalt der Beziehung zwischen einem individuellen Ich und einem individuellen Du. Selbst wenn man deswegen das Er als ein trennendes Prinzip einführt, handelt es sich hier unvermeidlich um
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Vgl. Rudolf Bultmann, Jesus, Tübingen 1926, S. 46–51.
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eine durch und durch subjektive Welt und keine objektive Welt. Diese Welt ist nicht die Welt unseres wirklichen handelnden Selbst. Ich möchte einen Unterschied machen, ob sich Menschen gefühlsmäßig oder ob sie sich als handelndes Selbst einander gegenüberstehen bzw. miteinander verbunden sind. Stehen sie sich einander gefühlsmäßig gegenüber oder sind sie gefühlsmäßig miteinander verbunden, so ist das genau das Gegenteil davon, daß sie sich als handelndes Selbst einander gegenüberstehen oder miteinander verbunden sind. Natürlich kann unsere kollektive oder gesellschaftliche Verbindung nicht immer unbedingt als gefühlsmäßig oder als handelnd bezeichnet werden. Ich meine jedoch, daß sich wenigstens begrifflich diese Unterscheidung treffen läßt. Auch wenn sich Gesellschaften einander gegenüberstehen, so ist das ein Sich-Gegenüberstehen von Ich und Du, d. h. ein Sich-einander-Gegenüberstehen von Einzelnen, die sich ganz und gar selbst vermitteln. Das gefühlsmäßige Sich-einander-Gegenüberstehen von Kollektiven ist nur ein Sich-einander-Gegenüberstehen subjektiver Welten. Es ist kein Sich-einander-Gegenüberstehen von Gesellschaften in der Geschichte. Solange wir meinen, einem objektiven Geist gegenüberzustehen, haben wir das Ich noch nicht als das wirklich ganz und gar selbst vermittelnde Einzelne begriffen. Auch wenn man das Ich als zu irgendeinem Kollektiv gehörig, als ein kollektives denkt, stellt man sich noch ein subjektives Kollektiv vor. Deshalb ist der objektive Geist dem Ich gegenüber ein Befehlender, er tritt dem Ich als Sollen entgegen. Das Sich-einander-Gegenüberstehen und der Konflikt von Kollektiven in der Geschichte ist ein Sich-einander-Gegenüberstehen und ein Konflikt zwischen objektivem Geist und objektivem Geist. Wenn das als handelndes Selbst zu verstehende Ich als ein Individuum der Welt gegenübersteht, steht das Ich als Welt der Welt gegenüber. Daher ist das, was dem Ich als einem handelnden Selbst wirklich gegenübersteht, ein Du. Redet man von Person, so versteht man das vielleicht gleich bloß im Sinne der Kantischen Philosophie. Aber die wirkliche Person ist handelnd, ist etwas vom Grund der Geschichte her Vermitteltes. Wenn man denkt, daß es in der diskontinuierlich-kontinuierlichen Welt einerseits etwas Kontinuierliches, Subjektives und andererseits etwas Diskontinuierliches, Objektives gibt, und auch unser Handeln als einen Gegenstand des intellektuellen Selbst betrachtet, kann man sich die Person als das Sich-einander-Kreuzen dieser beiden Richtungen vorstellen. Es läßt sich zwar denken, daß es in der wirklichen Welt kein wirklich persönliches Handeln gibt. Aber dies gilt nur in einer Welt, wie das intel96 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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lektuelle Selbst sie sich vorstellt. Vom handelnden Selbst her gesehen, ist die Wirklichkeit immer die Bejahung der absoluten Verneinung. Unpersönliches Handeln gibt es vom Standpunkt des handelnden Selbst her gesehen in der Richtung der Verneinung. An der äußersten Grenze dieser Richtung ist unser Handeln eine Bewegung der Materie. Aber unser Handeln ist nur möglich als Selbstbestimmung der dialektischen Welt, es ist nicht bloß ein Sich-Kreuzen oder ein Zwischending dieser beiden Richtungen. Redet man von Person, so fällt einem gleich die Person ein, wie sie in der Kantischen Philosophie gedacht wird. Aber wirkliche Personen stehen sich einander in der geschichtlichen Welt handelnd gegenüber. Sie sind – wie ich nachher erläutern werde – eine Tendenz in der geschichtlichen Welt. Wenn das Kollektiv und das Individuum sich um gesetzliche Rechte streiten, so sind beide eine gesetzliche Person. Genauso sind wirkliche Personen Einzelne, die sich in der geschichtlichen Welt einander gegenüberstehen. Eine wirkliche Person ist eine persona auf der Bühne der Geschichte. Bloße Vernünftigkeit macht keine Person aus. Das Du, das dem als Person verstandenen Ich gegenübersteht, spielt genauso wie das Ich die Rolle eines Einzelnen in der geschichtlichen Welt. Das wirkliche Ich und das wirkliche Du sind nicht bloß du und ich, sind nicht bloß abstrakte Einzelne. Die wirkliche Welt ist die Welt des Sich-wechselseitig-Bestimmens der Einzelnen, die Welt der diskontinuierlichen Kontinuität. Daß diese Welt sich selbst bejaht, heißt einerseits, daß die Einzelnen verneint werden, daß die unzähligen Einzelnen sich selbst verneinen und das Eine werden. Das bedeutet, daß die Einzelnen wirken. Es ist nicht so, daß es zuerst einzelne unabhängige Einzelne gibt und diese sich dann verbinden. Ein Einzelnes ist dadurch ein Einzelnes, daß es Einzelnen gegenübersteht und durch das diskontinuierlich-kontinuierlich Vermittelnde vermittelt ist. Daher entstehen durch die Selbstverneinung dieser Welt unzählig sich ganz und gar selbst bestimmende Einzelne. Diese Einzelnen sind selbstwidersprüchlich, sie verneinen sich selbst und werden das Eine. Dadurch findet das Einzelne sein wirkliches Selbst. Als handelndes Selbst werden wir als solche, die sich selbst verneinen, geboren. Wir handeln nicht als bewußtseinsmäßiges Selbst, sondern als Einzelne in der geschichtlichen Welt. Daß wir handeln, heißt daher, daß die diskontinuierlich-kontinuierliche Welt sich selbst bestimmt und Dinge geschichtlich zum Vorschein kommen. Das ist der Grund dafür, daß wir durch Handeln Dinge sehen. Anschauung bedeutet, daß das Ich und das 97 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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Du sich als zwei Welten einander gegenüberstehen und daß die Welten von Ich und Du zu einer werden. Wenn man von einer Vereinigung von Subjekt und Objekt oder von einer Anschauung spricht, denkt man gewöhnlich sofort, daß die Dinge und das Ich zu Einem werden. Daß einfach das Ding das Ich und das Ich das Ding ist, gilt aber schon für unser triebhaftes Verhalten. Weiter denkt man, daß wir bei einer Anschauung unser Selbst verlieren und in einen Rauschzustand geraten. Man meint, wenn es weder Subjekt noch Objekt, weder Ich noch Mensch gibt und man die mystische Welt der Vereinigung von Subjekt und Objekt betritt, handle es sich um eine Anschauung. Aber eine solche Welt ist ausschließlich eine Art subjektiver Welt, sie bleibt unvermeidlich eine Welt der Gefühle. Bei einer wirklichen Anschauung ist das dem Ich Gegenüberstehende zunächst etwas Ausdruckshaftes. Ein Ding bloß als ausdruckshaftes zu betrachten, ist aber der Standpunkt des Verstehens. Das, was als wirklich objektive Welt dem Ich gegenübersteht, steht dem Ich als handelndem Selbst gegenüber. Es ist die Welt des Du. Das dem Ich Gegenüberstehende ist ein Du. Im Sinne einer Selbstidentität dieser sich absolut widersprechenden Welten ist die Welt des Ich zugleich die Welt des Du. Ich und Du stehen sich als Selbstbestimmungen der diskontinuierlich-kontinuierlichen Welt einander gegenüber. Unser Handeln kommt als Selbstbestimmung dieser Welt zustande. Deswegen sehen wir durch Handeln die Dinge und die Dinge bestimmen ausdruckshaft sich selbst. Insofern wir durch Handeln Dinge sehen, bestimmt sich daher die Welt selbstidentisch selbst. Insofern sich die Welt selbstidentisch selbst bestimmt, sehen wir durch Handeln Dinge. Hierin besteht wirkliche Welt, wirkliche Gegenwart. Wirkliche Gegenwart ist immer geschichtliche Gegenwart. Normalerweise stellen wir uns Gegenwart nur als natürliche Gegenwart vor. Wir stellen uns die Gegenwart einer Welt vor, in der wir uns nicht befinden und die wir gleichsam bloß vom Auge her betrachten. So eine Gegenwart ist die Gegenwart, wie sie das intellektuelle Selbst sieht, sozusagen die Gegenwart, wie sie sich dem innenwahrnehmenden Selbst zeigt. Es ist die Gegenwart einer Welt, die die Einzelnen verneint. Im Gegensatz dazu ist die Gegenwart des handelnden Selbst die Gegenwart einer Welt, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft umschließt, sie ist Gegenwart des ewigen Jetzt. Sind wir handelndes Selbst, so sind diese Welt und die dem Selbst gegenüberstehenden Dinge ausdruckshaft. Sind wir verstehendes Selbst, so distanziert sich das innenwahrnehmende, auf der natürlichen Gegenwart beruhende Selbst als 98 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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ein ganz und gar Einzelnes von der wirklichen Welt, und die Vergangenheit und die Zukunft treten gegenständlich in die Gegenwart ein. Daher wird auch die vergangene Geschichte zu einem Gegenstand des Verstehens. Daß unser Selbst verstehend ist, heißt, daß wir bereits Einzelne sind, die sich in der Gegenwart befinden, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft umschließt. Allerdings ist in dieser Welt das, was dem Einzelnen gegenübersteht, wieder ein Einzelnes, das, was dem Selbst gegenübersteht, wieder ein Selbst. Für ein einzelnes Selbst, das sich bloß über Vergangenheit und Gegenwart erstreckt, d. h. gegenüber einem verstehenden, bzw. sich ganz und gar selbst bestimmenden Selbst ist die Welt bloß ausdruckshaft. In der Gegenwart des ewigen Jetzt, der geschichtlichen Gegenwart, jedoch ist das, was dem Ich gegenübersteht und es bewegt, nicht bloß etwas Ausdruckshaftes, es ist ein dem Ich gegenüberstehendes Du. Auch die vergangene Geschichte wird, insofern sie dem Ich in diesem Sinne gegenübersteht, zum Gegenstand geschichtlicher Erkenntnis. Was dem Ich als handelndem Selbst in der geschichtlichen Gegenwart gegenübersteht, ist eine Welt, die sich von der Vergangenheit bis zur Zukunft erstreckend selbst bestimmt. In eins damit ist auch das Ich eine solche Welt. Welt und Welt – je zu verstehen als Selbstbestimmung eines Einzelnen – stehen sich einander gegenüber. In dieser Gegenwart des ewigen Jetzt, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft umschließt, in der geschichtlichen Gegenwart stehen sich Ich und Du bzw. Einzelnes und Einzelnes einander gegenüber und bestimmen sich gegenseitig. Ineins damit, daß Ich und Du einander absolut widersprechen, sind sie Eines. Hier sieht man die Dinge weder als Ich noch als Du, sondern objektiv als Er. (Das Er wiederum wird zum Ich und zum Du.) Umgekehrt ist immer dort, wo wir durch Handeln Dinge sehen, geschichtliche Gegenwart. Daher sind die Dinge immer geschichtliche Dinge, dialektische Dinge. Insofern man die Dinge als Selbstidentität von sich Widersprechendem, als einen Gegenstand der Anschauung betrachtet, haben die Dinge eine eigene Selbstidentität. Die Dinge als Gegenstand des Er bestimmen sich ausdruckshaft selbst. Daß das Ich, wie ich vorher sagte, ein verstehendes Selbst wird, bedeutet, daß das Ich bereits ein Er ist. Wo Einzelne sich einander gegenüberstehen und sich gegenseitig bestimmen, gibt es Ich und Du. Übersteigen wir das innenwahrnehmende Selbst, so wird das Ich ein Er. Genauso wie das Ich ist auch das Du ein Er im Sinne eines geschichtlichen Einzelnen. Ein Ding als Gegenstand des Ich und des Du, die Er sind, ist ein sich selbst ausdruckshaft bestimmender Gegenstand der Anschauung. 99 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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Wenn wir handeln, steht die Welt der Dinge dem Ich als ein Du gegenüber. Wenn Ich und Du zu Einem werden, d. h. zusammen Er werden, bestimmen die Dinge als Gegenstand der Anschauung das Ich und das Du. Diese Welt der geschichtlichen Gegenwart ist die Welt der uns äußerst konkreten Alltäglichkeit. Auch alle wissenschaftliche Erkenntnis beruht in dieser Welt. Die Welt der wirklichen Alltäglichkeit ist die von mir sog. Welt der handelnden Anschauung. In ihr liegt immer ein Mittelpunkt der geschichtlichen Welt. Gewöhnlich denkt man das dem handelnden Selbst Gegenüberstehende genauso wie das dem intellektuellen Selbst Gegenüberstehende als bloße Dinge. Daher können vielleicht viele Leute nicht akzeptieren, daß ich es als ein Du bezeichne. Die Dinge, die dem handelnden Selbst gegenüberstehen, sind jedoch geschichtliche Dinge, dialektische Dinge. Sie stehen in einer dialektischen Beziehung zum Ich. Nach der gewöhnlichen Vorstellung stehen das Ich und das Du nicht in einer solchen Beziehung. Der gewöhnlichen Vorstellung zufolge ist das Du nur ein anderes Ich, ein Du, das in einer subjektiven Welt gegenübersteht, ein Nachbar-Du. (Hier handelt es sich nicht um ein wirkliches Ich und ein wirkliches Du, sondern um dich und mich.) Auch halten viele Leute Anschauung für ein subjektives, inneres Bild. Wie Arnold sagt, ist die Dichtung eine höchst organisierte Gestalt intellektueller Aktivität, sie ist intellektuell. 17 Dichtung ist eine handelnde Anschauung. Auch das Gesetz und die Moral sind, insofern sie die Kraft besitzen, das Ich zu bewegen, nicht bloße abstrakte Begriffe, sondern ein Gegenstand der Anschauung. Sie treten dem Ich als ein Du entgegen. Die Philosophen der Anschauung denken daher Moral und Gesetz als vernunftgemäße Anschauungen. Aber die bloße Vernunft verleiht uns weder Moral noch Gesetz. Die wirkliche Moral, das wirkliche Gesetz, sind etwas durch unser Handeln aus der geschichtlichen Wirklichkeit heraus Angeschautes. Was ich vorhin sagte, heißt nicht, daß all unser Handeln personal ist. Es heißt ebensowenig, daß die wirkliche Welt, in der wir leben, sich aus unzähligen Personen zusammensetzt oder daß der Grund der Realität personal ist. Die Welt der Person kommt zustande in Richtung der Einzelbestimmung der dialektischen Welt. Das unserem handelnden Selbst Gegebene, das objektiv Existierende ist nicht die Materie, es ist immer etwas Geschickhaftes. Dieses gibt unserem Leben immer wieder eine Wendung. Ich nenne dieses Geschickhafte »Du«. Dieses Du ist 17
Vgl. Matthew Arnold, Essays, Literary and Critical, London 1906, S. 31 f.
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keine bedeutungslose Materie. Denkt man so, so kommt das daher, weil man sich nur vom Standpunkt des intellektuellen Selbst aus einen Gegenstand vorstellt. Aber schon beim Bauen eines Hauses sind die Dinge nicht bloß als Materie, sondern als etwas für unser Handeln Geschickhaftes gegeben. Bei jeder Poiēsis verändert nicht nur das Ich die Dinge, sondern die Dinge auch das Ich. Bei allem Handeln stehen wir mehr oder weniger in einer Krise. Die Welt unserer Alltäglichkeit ist sogleich eine Welt der Sorge. Diese Sorge schwebt nicht in einem fernen Jenseits. Die dialektische Welt als orthafte Bestimmung, d. h. die geschichtliche, wirkliche Welt ist als widersprüchliche Einheit ineins damit, daß sie einerseits ganz und gar bejahend ist, andererseits ganz und gar verneinend. Unser Handeln ist in einer Hinsicht durch und durch materiell und biologisch, durch Materielles und Biologisches bestimmt. Aber all dies hat für uns auch eine geschickhafte Bedeutung (selbstverständlich auch das Gesellschaftliche). Unser Selbst entsteht als Einzelbestimmung der geschichtlichen Welt, unser Leben entsteht vom Grund der geschichtlichen Welt her. Das, was dem Ich gegenübersteht, ist das Geschick 18 des Ich. Dabei stehen sich Einzelnes und Einzelnes einander gegenüber. Das Geschick bewegt unser Selbst. Aber das Geschick liegt nicht im Inneren unseres Selbst, es ist etwas außerhalb des Selbst. Auch das Selbst kann das Geschick verändern. Das Geschick liegt in eins damit, daß es außerhalb des Selbst ist, im Selbst. Selbst und Geschick stehen in einer dialektischen Beziehung. Bei großen Menschen ist diese Beziehung dämonisch. Die geschichtliche Welt als Sich-wechselseitigBestimmen von Einzelnen gestaltet sich in dieser Beziehung selbst. Ein großer Mensch ist nicht nur ein Individuum, er ist eine Einzelbestimmung der Welt, die sich ganz und gar als Einzelnes bestimmt. Die Masse der Menschen ist das bloß Viele. Selbstverständlich gibt es weder das bloße Eine noch das bloße Viele. Das Eine ist das Eine des Vielen, das Viele ist das Viele des Einen. Wenn man von dieser dialektischen Welt ausgehend die Einzelbestimmung ganz und gar verneint, gelangt man zur biologischen Welt und schließlich zur Welt der Materie. Die Natur befindet sich in der geschichtlichen Welt, in ihr hat sie ihre Objektivität. Das naturwissenschaftliche Experiment ist eine Art und Weise, die Einzelbestimmung aus dieser Welt auszuschließen. Auf diese Weise können wir mit dem Geschick kämpfen.
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Unmei (運命).
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IV. Wir sehen durch Handeln Dinge, die Dinge als ausdruckshafte bestimmen uns. Hierin besteht unsere als geschichtliche Gegenwart zu verstehende Welt. Die uns ganz konkrete Erfahrungwelt bzw. die wirkliche Welt besteht immer hierin. Die geschichtliche, wirkliche Welt enthält jedoch als Selbstidentität von sich absolut Widersprechendem in sich selbst immer einen Widerspruch. Sie ist ineins damit, daß sie einzeln ist, allgemein, ineins damit, daß sie linear ist, zirkulär und ineins damit, daß sie zeitlich ist, räumlich. Daher bewegt sich diese Welt ganz und gar aus sich selbst. Wer die Dinge vom Standpunkt des intellektuellen Selbst her betrachtet, wird denken, daß die Dinge weder einzeln noch allgemein sind und sie sich vielleicht als das dazwischen liegende Besondere vorstellen. Ein solches Ding bewegt sich aber nicht aus sich selbst. Etwas, das sich selbst bewegt, muß in sich einen Widerspruch enthalten, muß ein sich selbst bestimmendes Besonderes sein. Daß sich sogar die Welt der Materie bewegt, kommt daher, daß die Dinge als zeitlichräumliche in sich selbst einen Widerspruch enthalten. Raum und Zeit sind etwas Unverbindbares und sich gegenseitig Widersprechendes. Dort jedoch, wo sie in der Wahrnehmung zu Dingen vereinigt werden, gibt es die Welt der Dinge. Auch die Wahrnehmung ist eine Art handelnder Anschauung. Es gibt eine Welt der Wahrnehmung im Sinne von Außenwahrnehmung-zugleich-Innenwahrnehmung, Innenwahrnehmung-zugleich-Außenwahrnehmung. Deshalb hat auch die Welt der Materie den Charakter einer Art geschichtlicher Gegenwart. Allerdings verneint die Welt der Materie ganz und gar die Einzelbestimmung und minimalisiert die Zeit. Deswegen gibt es in der Welt der Materie keine Generationen und keinen Übergang von Generation zu Generation. Selbst die Entwicklung des Kosmos ist nicht mehr als verschiedene Veränderungen der Zusammensetzung der Materie. Erst bei der Welt der Lebewesen bestimmt die Welt sich selbst einzeln und besitzt Eigenheit. Daß die Welt sich einzeln bestimmt, bedeutet nicht, daß sie ein Einzelnes ist, sondern daß unzählige Einzelne Eines sind. Es bedeutet, daß das Lineare zirkulär ist und daß gilt: Einzelnes-zugleich-Allgemeines, Allgemeines-zugleich-Einzelnes. Erst damit gibt es geschichtliche Gegenwart und ist Gegenwart der Ort von Leben/Tod. Daß die Gegenwart der Ort von Leben/Tod ist, heißt nicht, daß hier Dinge völlig zusammenhangslos, nur augenblicklich entstehen und vergehen. Denkt man so, so kommt das daher, daß man sich bloß die natürliche Gegen102 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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wart vorstellt. In der geschichtlichen Gegenwart ist das Lineare zirkulär, die Vergangenheit ist, obgleich sie vergangen ist, noch nicht vergangen und die Zukunft ist, obwohl sie noch nicht gekommen ist, bereits gegenwärtig. Vergangenheit und Zukunft existieren in der Gegenwart gleichzeitig. Aber dies läßt sich selbstverständlich nicht im Sinne der natürlichen Gegenwart denken. Aus diesem Grund ist die Einzelbestimmung dieser Welt, die Selbstbejahung dieser Welt, eine Selbstbejahung, die zugrunde gehen muß. Die Lebewesen werden als sterbliche geboren. Daß die Lebewesen Vergangenheit und Zukunft haben, bedeutet, daß sie das Schicksal haben, sterben zu müssen. Wie Augustinus sagt, bewegt sich das ewige Jetzt, das Vergangenheit und Zukunft umschließt, unendlich. Daher gibt es bei den Lebewesen bereits Generationen. Insofern Vergangenheit und Zukunft gleichzeitig existierend verbunden sind, gibt es eine Generation. Insofern die Welt die Bedeutung einer Einzelbestimmung hat, läßt sich eine Generation denken. Die Generationen der Lebewesen nur vom Alter her zu denken, ist nicht mehr als die Sichtweise in der natürlichen Welt. Die Generationen der Lebewesen sind von ihrer organischen Struktur her zu denken. Diese organische Struktur ist etwas, das die Vergangenheit und Zukunft immer in der Gegenwart enthält. Die Leute, die die reale Welt bloß natürlich betrachten, können sich vermutlich nicht vorstellen, daß die Gegenwart die Vergangenheit und Zukunft enthält. Aber insofern selbst die natürliche Welt reale Welt ist, enthält sogar die natürliche Gegenwart in minimaler Weise Vergangenheit und Zukunft. Wäre das nicht so, so gäbe es keine Entwicklung in der natürlichen Welt. Natur kann bezeichnet werden als die unendliche Wiederholung derselben Generation. Dies ist der Grund, weshalb ich sage, daß sich auch die Natur in der Geschichte befindet. Die von mir sog. orthafte Bestimmung, in der das Lineare zirkulär und das Zirkuläre linear ist, bedeutet somit, daß Vergangenheit und Zukunft sich in der Gegenwart befinden, bzw. daß Vergangenheit und Zukunft mit der Gegenwart gleichzeitig existieren. 19 Was wir als Gegenwart denken, ist das, was Augustinus Gegenwart der Gegenwart nannte. Diese denken wir immer als Welt der handelnden Anschauung. Erfahrung und Natur denken wir immer in dieser Gegenwart. Hier gilt immer, daß die Gegenwart Gegenwart der Gegenwart ist und VerganGenzai ni dôjisonzai-teki (現在に同時存在的) bedeutet sowohl »in der Gegenwart gleichzeitig existierend« als auch »mit der Gegenwart gleichzeitig existierend«.
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genheit und Zukunft verneint. Wir stoßen an die absolute Verneinung. Aber selbst bei dieser verflachten Gegenwart bestimmt die Gegenwart als Gegenwart der Gegenwart sich selbst, d. h. sie enthält in minimaler Weise Vergangenheit und Zukunft. Hier läßt sich die Welt der sinnlichen Wahrnehmung und der Materie denken. In dieser Welt entstehen und vergehen alle Dinge. Das Phänomen des Lebendigen läßt sich bereits nicht mehr mit Hilfe der physikalischen Zeit denken. Wenn die heutigen Materialisten behaupten, daß sie die Materie dialektisch denken, so müßten sie sie im obigen Sinne als Selbstbestimmung des ewigen Jetzt denken. Spricht man davon, daß sich Dinge entwickeln, so stellt man sich oft vor, daß das, was nachher kommt, vorher enthalten ist, oder daß sich etwas Potentielles manifestiert. Aber das vorher Erschienene ist das vorher Erschienene. Im vorher Erschienenen ist das Nachherige nicht enthalten. Gerade das Verschwinden des Vorherigen ist Entwicklung. Ein Lebewesen ist nicht im Ei eines Lebewesens enthalten. Daß ein Lebewesen wächst, bedeutet, daß die Gestalt des Eis verschwindet. Allein in der Welt der Gegenwart, die Vergangenheit und Zukunft enthält, läßt sich Wachstum denken. Auch diese Welt kann aber als Natur aufgefaßt werden, insofern sie die Gestalt der Selbstbestimmung des ewigen Jetzt, mit dem Vergangenheit und Zukunft gleichzeitig existieren, hat. Als Gegenwart der Gegenwart ist sie immer auch materiell. Daß man sie jedoch nicht einfach auf die Welt der Materie reduzieren kann, muß wohl nicht eigens gesagt werden. Wenn ich davon spreche, daß Vergangenheit und Zukunft mit der Gegenwart gleichzeitig existieren, so heißt das nicht, daß Vergangenheit und Zukunft im gleichen Sinne wie die Gegenwart gegenwärtig sind. Wäre das so, dann hieße das bloß, daß es weder Vergangenheit noch Zukunft gibt, ja sogar, daß es keine Zeit gibt. Wenn man sagt, daß das Sein das Nichts ist und das Nichts das Sein ist, so halten die Leute das vielleicht für Sophisterei. Aber die wirkliche Welt muß so gedacht werden. Selbst die Welt der Materie muß, insofern sie sich bewegt, so gedacht werden. Der Raum enthält daher die Zeit, er besitzt eine Krümmung. Wenn der Raum die Zeit enthält, ist dieser Raum eine Gegenwart, die sich von Gegenwart zu Gegenwart bewegt, eine Gegenwart des ewigen Jetzt. In dem, was in der Gegenwart erscheint, ist das Nachherige nicht enthalten, sondern im Raum ist die Zeit enthalten. Die Gegenwart der Gegenwart als Selbstbestimmung des ewigen Jetzt, d. h. die geschichtliche Gegenwart, enthält unendliche Zeiten, d. h. ineins damit, daß sie unendliche Dimensionen hat, verneint sie alle Zeiten. Daher läßt sie 104 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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sich auch als Natur und als materielle Grundlage denken. Weil die absolute Verneinung aber die absolute Bejahung ist, entstehen aus dieser Verneinung wiederum andere Zeiten. Insofern die Gegenwart Vergangenheit und Zukunft enthält, gibt es kontinuierliche Zeit. Aber Geschichte ist nicht bloß eine kontinuierliche Epoche. Eine Generation geht zugrunde und eine andere erscheint. In der Geschichte erscheint von der Grundlage der ewigen Gegenwart her immer wieder eine andere Zeit. Selbstverständlich steht diese Zeit in jedem Fall in irgendeinem Zusammenhang mit den vorhergehenden Epochen. Aber man kann sie nicht einfach kontinuierlich aus den vorhergehenden Epochen erklären. Selbstverständlich gibt es in der Geschichte auch Fälle, die sich als außerordentlich kontinuierlich denken lassen. Aber wer kann garantieren, daß nicht irgendetwas Überraschendes zum Vorschein kommt? Dabei kann man sich immer eine Grundlage wie die Natur vorstellen. Aber nicht einmal von der heutigen Welt der Lebewesen und auch nicht von der Welt der Materie läßt sich sagen, daß sie nie vergehen werden. Vielleicht vergehen sie und entstehen wiederum als solche Welten. Trotzdem reden die gegenwärtigen Materialisten jedoch einfach von Empfindung oder Materie. Sie stellen nur die eine Seite der Verneinung dar und klären nicht, warum Verneinung zugleich Bejahung ist. Selbst wenn sie behaupten, obiges durch wissenschaftliche Erfahrung zu beweisen, können sie durch wissenschaftliche Erfahrung nicht beweisen, daß die Welt dialektisch ist. Die Dialektik ist die logische Struktur der Erfahrungswelt selbst. Wäre es nicht so, dann könnte man nur Beispiele zeigen. Geschichtliche Gegenwart ist die Gegenwart des ewigen Jetzt, das Vergangenheit und Zukunft umschließt. Spreche ich vom ewigen Jetzt, so stellt man sich das vielleicht als ein die Wirklichkeit übersteigendes fernes Jenseits vor, aber es bedeutet im Gegenteil, daß diese Gegenwart unendliche Vergangenheit und Zukunft enthält. Man denkt, daß wir in einem Augenblick der Zeit das Ewige berühren, aber als handelndes Selbst berühren wir in der Gegenwart immer das Absolute. Vom intellektuellen Selbst her gesehen ist die Gegenwart als Gegenwart immer etwas Entschiedenes. Aber dies ist gar nicht die wirkliche Gegenwart, sondern vielmehr eine vorbeigegangene Gegenwart. Auf dem Standpunkt des handelnden Selbst enthält die Gegenwart, ineins damit, daß sie entschieden ist, unendliche Möglichkeiten. Wirkliche Gegenwart ist somit der Ort, wo die Dinge vergehen und entstehen. Das handelnde Selbst ist immer durch die Anschauung bestimmt, und zugleich enthält 105 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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die Anschauung immer unendliche Möglichkeiten. Daher enthält geschichtliche Gegenwart, ineins damit, daß sie von unendlicher Vergangenheit bestimmt ist, unendliche Möglichkeiten. Ineins damit, daß in der geschichtlichen Gegenwart verschiedene Generationen gleichzeitig existieren, enthält die geschichtliche Gegenwart verschiedene Tendenzen. 20 Das als dialektische Materie zu verstehende sinnlich Wahrgenommene, an das wir durch unser Handeln stoßen, ist in dieser geschichtlichen Gegenwart etwas Objektives, an das wir stoßen. Daß Vergangenheit und Zukunft in der Gegenwart enthalten sind, bedeutet einerseits, daß Vergangenheit und Zukunft verneint werden. Deshalb hat die geschichtliche Gegenwart auch die Bedeutung von Natur. Zugleich damit ist sie aber auch erzeugend. Auch die Natur, wie sie die Naturwissenschaften betrachten, befindet sich in der geschichtlichen Gegenwart. Alles, was existiert, befindet sich in der Gegenwart, die Vergangenheit und Zukunft verneint und Vergangenheit und Zukunft in sich enthält. Daher sind die Welt der Natur und die Welt der Materie immer Bedingungen der Existenz geschichtlicher Dinge und Sachverhalte. Diese Gegenwart enthält als geschichtliche Gegenwart jedoch unendliche Möglichkeiten. Wenn ich sage, daß die Gegenwart sich selbst bestimmt, so denke ich das von daher, daß die Gegenwart als geschichtliche Gegenwart Vergangenheit und Zukunft enthält bzw. unendliche Vergangenheiten und Zukünfte mit der Gegenwart gleichzeitig existieren. Auf dem Standpunkt des intellektuellen Selbst denkt man die Gegenwart von der Vergangenheit oder von Vergangenheit und Zukunft her und stellt sie sich als etwas nicht Faßbares vor. Aber auf dem Standpunkt des handelnden Selbst läßt sich die Gegenwart fassen. Ließe sich die Gegenwart nicht fassen, gäbe es kein Handeln. Selbstverständlich ist auch unser Handeln, wenn man es vom Standpunkt des intellektuellen Selbst aus betrachtet, ein Geschehen, das kontinuierlich von der Vergangenheit in die Zukunft übergeht, und der Augenblick etwas, das sich nicht fassen läßt. Denkt man jedoch ganz konsequent so, dann läßt sich kein Handeln mehr denken, und es wäre sogar schwierig, Veränderung zu denken. Damit es Veränderung gibt, muß, wie bereits Platon sagte, Bewegung in Stillstand und Stillstand in Bewegung übergehen. Hier läßt sich der Augenblick denken. Der Augenblick ist etwas, das nicht Zu dem Gedanken und der Formulierung von der »Tendenz in der Geschichte« wurde Nishida vermutlich von Ranke inspiriert. Vgl. Leopold v. Ranke, Über die Epochen der neueren Geschichte, München 1921, S. 16 ff.
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zur Zeit gehört. Wenn wir wirken, muß etwas, das in irgendeiner Richtung der Zeit voranschreitet, seine Richtung ändern. Dabei existieren Vergangenheit und Zukunft gleichzeitig. Um zu wirken, müssen wir in der Gegenwart einen Anhalt haben. Vor allem wenn wir ausdruckshaft wirken, befinden wir uns in schlechthinniger Gegenwart, in der Zeiten vergehen und entstehen. In der Welt des Sich-wechselseitig-Bestimmens der Einzelnen, in der diskontinuierlich-kontinuierlichen Welt ist das Lineare zirkulär und das Zirkuläre linear. Unter Selbstbestimmung dieser Welt verstehe ich, daß die Gegenwart als widersprüchliche Selbstidentität sich selbst bestimmt. Insofern die Gegenwart Vergangenheit und Zukunft enthält, gibt es die Welt der handelnden Anschauung. In ihr ist das Lineare zirkulär und das Zirkuläre linear, das Subjektive objektiv und das Objektive subjektiv. In ihr sehen wir die Dinge durch Handeln, und die Dinge bestimmen uns ausdruckshaft. In diesem Sinne gibt es – insofern die Gegenwart Vergangenheit und Zukunft enthält – eine kontinuierliche Welt. Auf diesem Standpunkt läßt sich, wenn man davon ausgeht, daß die Gegenwart Vergangenheit und Zukunft ganz und gar enthält, eine durch und durch kontinuierliche Welt, eine Welt, in der das Einzelne das Vermittelnde seiner selbst ist, denken. Aber in der Gegenwart des ewigen Jetzt, in der geschichtlichen Gegenwart, enthält die Gegenwart Vergangenheit und Zukunft nicht einfach, sondern Vergangenheit und Zukunft existieren mit der Gegenwart gleichzeitig. Wenn das nicht so wäre und die Welt nur ganz und gar kontinuierlich wäre, würde es sich nicht um die dialektische Welt handeln. Daß Vergangenheit und Zukunft gleichzeitig mit der Gegenwart existieren, kann auch so formuliert werden, daß Vergangenheit und Zukunft gegenüber der Gegenwart selbst die Bedeutung einer Gegenwart haben. Im ewigen Jetzt existieren unzählige Gegenwarten gleichzeitig. Die wirkliche diskontinuierlich-kontinuierliche Welt ist als solche widersprüchliche Einheit durch die gleichzeitige Existenz unzähliger Generationen bzw. durch die gleichzeitige Existenz von Ungleichzeitigem charakterisiert. Sie geht über von Generation zu Generation. So wie es keine Uhr gibt, die den Wandel der Epochen anzeigt, so ist wohl auch der Wechsel von Generation zu Generation unerklärlich. Jedenfalls entwickelt sich nicht die eine Generation zur nächsten, sondern jede Epoche besitzt ihre je eigene Identität. Hierin besteht das Prinzip der sich selbst bestimmenden Besonderheit. Dort, wo sozusagen im ewigen Jetzt unzählige Gegenwarten sich gleichzeitig existierend gegenüberstehen, gründet die sich selbst 107 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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bestimmende Besonderheit. Das Besondere, das man sich wie in der gewöhnlichen Logik in der Mitte zwischen Einzelnem und Allgemeinem vorstellt, hat überhaupt keine Eigenheit. Daher kann man sagen, daß die Besonderheit in der handelnden Anschauung gründet. Ohne handelnde Anschauung gibt es kein sich selbst bestimmendes Besonderes. Die geschichtliche, reale Welt ist immer Gegenwart, wobei die Gegenwart nicht nur immer Vergangenheit und Zukunft enthält, sondern Vergangenheit und Zukunft gleichzeitig mit der Gegenwart existieren. Als widersprüchliche Selbstidentität bewegt sich diese Welt von Generation zu Generation. Deshalb bestimmt die wirkliche Welt ineins damit, daß sie sich einzeln bestimmt, allgemein und ineins damit, daß sie sich bejaht, verneint sie sich. Dort, wo sie sich als Einzelnes bejaht, ist immer Gegenwart. In dem Sinn, daß diese Gegenwart Vergangenheit und Zukunft enthält, bewegt sie sich voran; in dem Sinne, daß Vergangenheit und Zukunft gleichzeitig mit der Gegenwart existieren, geht die Gegenwart nicht nur über, sondern geht zugrunde. Die Anhänger des Subjektivismus betrachten die Geschichte vom Standpunkt der Einzelbestimmung aus, die Anhänger des Objektivismus betrachten die Geschichte vom Standpunkt der Allgemeinbestimmung aus. Aber Geschichte ist weder bloß kontinuierlich noch bloß diskontinuierlich. Durch die handelnde Anschauung wird sie von Besonderem zu Besonderem verbunden. Die Materialisten denken am Grund der Geschichte die Materie oder die Natur. Aber das wirkliche Subjekt der Geschichte ist das, was als Gegenwart des ewigen Jetzt immer da ist. Dieses ist die natürliche Grundlage der Geschichte. Weil es uns als Gegenwart immer unmittelbar ist, kann man es sich als etwas sinnlich Wahrgenommenes oder Materielles vorstellen und denken, daß wir es durch Handeln spiegeln. Denn die Gegenwart der Gegenwart ist die Gegenstandswelt der handelnden Anschauung und das Bewußtsein ist das abstrakte Allgemeine dieser Gegenwart. Im Gegensatz dazu ist die materielle Natur, wie man sie sich gewöhnlich vorstellt, nicht mehr als die unendliche Wiederholung derselben Generation innerhalb der oben beschriebenen Welt des geschichtlichen Voranschreitens. Von der materiellen Natur her läßt sich die dialektische geschichtliche Welt nicht denken. Wenn man behauptet, daß aus der materiellen Natur etwas Einzelnes und Subjektives hervorkäme, so ist das nur eine Behauptung. Der Behauptung, dies sei durch Erfahrung bewiesen, ist entgegenzuhalten, daß die wissenschaftliche Erfahrung das Wesen solcher Geschichte nicht be108 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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weist. Spricht man von einem Sprung von Qualität zu Quantität oder von Quantität zu Qualität, so ist das nur möglich, weil man bereits das dialektische Wesen der Realität, in der das Subjektive objektiv und das Objektive subjektiv ist, logisch anerkannt hat. Durch wissenschaftliche Experimente läßt sich dieses dialektische Wesen der Wirklichkeit nicht beweisen. In Wirklichkeit kommen wissenschaftliche Experimente aufgrund dieses dialektischen Wesens der Realität zustande. Die geschichtliche Realität ist ineins damit, daß sie ganz und gar allgemein ist, einzeln und ineins damit, daß sie einzeln ist, allgemein. Sie ist subjektivobjektiv, objektiv-subjektiv. Daß die geschichtliche Welt einzeln ist, heißt nicht, daß sie irgendwo von einem Zentrum her beginnt. Die Geschichte fängt von der Gemeinschaft her an. Das bedeutet aber nicht, daß die Geschichte von einer Gemeinschaft her beginnt. Eine Gemeinschaft in der Geschichte hat unzählige andere Gemeinschaften. Diese sind das Besondere. Dies gilt, was auch immer diese anderen Gemeinschaften sind, und auch ganz abgesehen von der Art und Weise und dem Grad ihres Gegenüberstehens. Weil eine Gemeinschaft ineins damit, daß sie sich selbst entwickelt, mit anderen Gemeinschaften in Beziehung tritt, gibt es geschichtliches Werden. Auch die Natur in der Geschichte ist nicht bloß die materielle Natur, sondern die Grundlage dieses In-Beziehung-Tretens. Selbstverständlich ist auch die materielle Natur, insofern sie eine solche Rolle spielt, geschichtliche Natur. Selbstbestimmung des ewigen Jetzt heißt, daß die Gegenwart, in der wir als handelndes Selbst stehen, sich selbst bestimmt. Daß diese Gegenwart sich selbst bestimmt, heißt nicht nur, daß sie Vergangenheit und Zukunft enthält, sondern daß Vergangenheit und Zukunft gleichzeitig mit der Gegenwart existieren. Auf dem Standpunkt des intellektuellen Selbst hält man den Augenblick für etwas, das man nicht fassen kann, und stellt sich die Zeit nur als linear verfließend und vergehend vor. Auch wenn man sich eine teleologische Welt vorstellt, so heißt das bloß, daß das, was am Ende erscheint, bereits am Anfang da war, oder höchstenfalls, daß die Gegenwart Vergangenheit und Zukunft enthält. Auf dem Standpunkt des handelnden Selbst jedoch muß man die Zeit wie oben erläutert denken. In der Welt der handelnden Anschauung enthält nicht nur die Gegenwart Vergangenheit und Zukunft, sondern Vergangenheit und Zukunft existieren gleichzeitig mit der Gegenwart. Als widersprüchliche Einheit bestimmt sich die Gegenwart selbst immer weiter. Ich meine, daß sich hier Natur in einem weiten und tiefen Sinn denken läßt. Der wahre Begriff der Natur ist der, daß die Gegen109 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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wart sich selbst bestimmt und dadurch ohne Ende Dinge enstehen. Ich denke, daß sowohl das lateinische Natura als auch die griechische Physis eine solche Bedeutung haben. Die Natur als bloße Notwendigkeit zu verstehen, ist wohl eher eine Vorstellung der neuzeitlichen Wissenschaft. Aber selbst am Grund dieses wissenschaftlichen Verständnisses von Natur gibt es die Vorstellung, daß die Dinge entstehen. Wie vorhin erläutert, stellt man sich aufgrund dessen, daß dieselbe Generation sich wiederholt, eine von Notwendigkeit beherrschte Natur vor. Das, was die Wissenschaftler bisher als Beständigkeit der Natur dachten, bedeutet nur dies. Gegenwärtig denken auch die Materialisten die Materie als etwas, das sich verändert. Auf diese Weise können wir Natur und Geschichte als eines denken. Daß die Gegenwart Vergangenheit und Zukunft enthält, bedeutet, daß die Dinge zeitlich sind, und daß das Zirkuläre linear ist. Logisch heißt das, daß gilt: Verneinung-zugleich-Bejahung und Allgemeines-zugleich-Einzelnes. Insofern die Gegenwart Vergangenheit und Zukunft enthält, gibt es die Welt, die sich fortbewegt und in der die Dinge entstehen. Anhand der Gegenwart der Gegenwart, anhand der entschiedenen Gegenwart (logisch gesehen: der Verneinung) läßt sich die Welt der Materie denken. Denkt man, daß die Gegenwart Vergangenheit und Zukunft völlig enthält, so läßt sich eine teleologische oder die biologische Welt denken. In der Welt des biologischen Lebens umschließt das Zirkuläre bereits das Lineare. Allerdings entstehen in der biologischen Welt die Dinge noch nicht aus der wirklichen Gegenwart. Die biologische Welt ist noch nicht die Welt der handelnden Anschauung. Tiere besitzen keine subjektiv-objektiven Gegenstände. Im Gegensatz dazu bestimmen in der geschichtlichen Welt die Dinge ausdruckshaft uns und wir bestimmen ausdruckshaft die Dinge. In der geschichtlichen Welt bestimmt das Subjekt das Objekt und das Objekt das Subjekt. In ihr ist das Lineare zugleich zirkulär und das Zirkuläre zugleich linear. Die geschichtliche Welt ist eine schöpferische Welt, in der die Dinge aus der Gegenwart entstehen, sie ist die Welt der schöpferischen Natur. Die wirkliche Schöpfung geschah nicht am Anfang der Welt, sondern geschieht dort, wo die Gegenwart sich selbst bestimmt. Auch das, was man sich als bloße Natur in der Geschichte vorstellt, hat als etwas, das uns ausdruckshaft bestimmt, eine schöpferische Bedeutung. Die Natur in der Geschichte hat immer diese Bedeutung. Die Natur der Urvölker war, insofern sie ausdruckshaft war, nicht die Natur, wie sie die Wissenschaften zum Gegenstand haben. Dagegen können Dinge, wie gesellschaftliche Sitten, Bräuche, Ordnungen und 110 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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Gesetze, insofern sie objektiv sind und uns bestimmen, als zweite Natur bezeichnet werden. Weil diese geschichtliche Welt die Welt der handelnden Anschauung ist, in der das Subjekt das Objekt und das Objekt das Subjekt bestimmt, ist die geschichtliche Welt keine teleologische Welt und auch keine Welt, in der die Gegenwart Vergangenheit und Zukunft bloß enthält. In der geschichtlichen Welt gibt es immer die Möglichkeit, daß eine Welt zugrunde geht und eine andere Welt erscheint. Deswegen sage ich, daß Vergangenheit und Zukunft gleichzeitig mit der Gegenwart existieren. Die Welt der handelnden Anschauung enthält auf ihrer Rückseite immer sogleich die Verneinung. Daß sie die Verneinung enthält, bedeutet, daß andere Welten gleichzeitig existieren. Die geschichtliche Gegenwart enthält immer mehrere Tendenzen. Sie ist ineins damit, daß sie allgemein ist, einzeln. Deswegen ist die geschichtliche Welt eine diskontinuierlich-kontinuierliche Welt. Man hält die Völker für die Träger der Geschichte, aber die Völker sind nur Schauspieler, die auf der Bühne dieser Geschichte auftreten, sie sind die subjektiven Faktoren dieser Geschichte. Die verschiedenen Völker erscheinen in Richtung der linearen Bestimmung dieser Geschichte. In der Welt, in der das Lineare zirkulär ist, entstehen, wie bereits in der biologischen Welt, unendlich zeitliche Dinge. Ineins damit, daß ein Volk eine Epoche bildet, bildet eine Epoche ein Volk. Geschichtliche Völker entstehen nicht bloß biologisch, sie entstehen aus der subjektiv-objektiven geschichtlichen Welt. Ohne Umwelt gibt es kein geschichtliches Volk. Der Unterschied zwischen einer biologischen Spezies und einem geschichtlichen Volk besteht darin, daß beim geschichtlichen Volk die Umwelt zugleich das Leben und das Leben zugleich die Umwelt ist. Selbst bei der geschichtlichen Entwicklung eines Volkes enthält das Volk in sich bereits unendliche Besondere und ist bereits eine Welt. Eine geschichtliche Epoche enthält immer verschiedene Tendenzen. In der geschichtlichen Gegenwart existieren Vergangenheit und Zukunft gleichzeitig mit der Gegenwart. Wenn man denkt, daß das Einzelne das Vermittelnde seiner selbst ist und sich ganz und gar selbst vermittelt, so ist das der Standpunkt des intellektuellen Selbst. Die im Sinne einer äußersten Grenze dieses Vermittelnden bzw. einer Selbstbestimmung des Bewußtseins überhaupt als Welt der Erkenntnisgegenstände aufgefaßte Welt läßt sich denken als Selbstbestimmung des Allgemeinen. So ist das Einzelne dadurch, daß es Einzelnen gegenübersteht, ein Einzelnes und das Selbst ist dadurch, daß es durch Andere vermittelt wird, es selbst. Diese Selbstbestimmung des Einzelnen, die 111 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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das Andere zum Vermittelnden seiner selbst nimmt, ist der Standpunkt des handelnden Selbst. Die Welt als Gegenstandswelt dieses handelnden Selbst läßt sich als etwas, das sich selbst wie ein Einzelnes bestimmt, d. h. als Welt der Selbstbestimmung des objektiven Geistes denken. Solange man aber so denkt, gilt noch nicht, daß Tod gleich Leben ist; die Welt ist noch nicht die Welt der Bejahung der absoluten Verneinung, und wir haben noch kein geschichtliches Bewußtsein. Eine solche Welt ist noch die Welt des Individualismus. Solange man die Welt von diesem Standpunkt aus betrachtet, bleibt sie unvermeidlich subjektiv. Daß ein Einzelnes dadurch, daß es Einzelnen gegenübersteht, ein Einzelnes ist, heißt, daß das Einzelne dadurch, daß es durch das diskontinuierlichkontinuierliche Vermittelnde vermittelt ist, ein Einzelnes ist, daß das Einzelne etwas orthaft Bestimmtes ist, und daß unser Selbst von und aus der subjektiv-objektiven, geschichtlichen Welt vermittelt ist. Unser Selbst hat in der Geschichte den Charakter einer Tendenz. Denkt man, daß das Ende im Anfang enthalten ist, so stellt man sich bloß eine teleologische Welt vor. Denkt man, daß die Gegenwart Vergangenheit und Zukunft enthält, so stellt man sich nicht bloß eine teleologische Welt, sondern auch eine Welt des handelnden Selbst vor. Aber was man einfach als Welt des handelnden Selbst denkt, ist noch eine Welt des objektiven Geistes. Wenn man denkt, daß in der Gegenwart Vergangenheit und Zukunft gleichzeitig mit der Gegenwart existieren, dann handelt es sich um die als geschichtliche Gegenwart zu verstehende Welt der von mir sog. handelnden Anschauung. Ineins damit, daß wir die Dinge bestimmen, bestimmen die Dinge uns. Die Welt gestaltet sich subjektiv-objektiv fort. Unser Handeln ist ein Gestaltungsakt der geschichtlichen Welt. Das handelnde Selbst muß immer als eine Tendenz in der geschichtlichen Gegenwart verstanden werden. Insofern wir durch handelnde Anschauung die Dinge sehen, gibt es geschichtliche Gegenwart und eine Generation. Eine Generation ist eine Einheit von unzähligen Tendenzen. Ineins damit, daß eine Generation als Selbstbestimmung des ewigen Jetzt der absoluten Verneinung gegenübersteht, d. h. die Natur berührt, ist sie der Ort, wo die Dinge gebildet werden, ja der Ort des geschichtlichen Werdens, in dem die Dinge entstehen. Die Welt der gebildeten Dinge bestimmt als zweite Natur wiederum uns. Die eine Epoche ist zwar eine Bedingung zum Entstehen der nächsten Epoche, aber in der Welt der Selbstbestimmung des ewigen Jetzt, in der Vergangenheit und Zukunft gleichzeitig mit der Gegenwart existieren, ist eine Epoche nicht die Ursache der folgenden Epoche und 112 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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die folgende Epoche entwickelt sich nicht als Telos der vorhergehenden Epoche. Die vorhergehende Epoche und die folgende Epoche bestimmen sich gleichzeitig existierend wechselseitig. Daher bestimmt sich alles, was sich in der geschichtlichen Gegenwart befindet, als Besonderes selbst. Auch die Nationen und die Gesellschaften werden je in ihrer Epoche gestaltet und bestimmen wiederum uns Menschen. Sie sind sich selbst bestimmende Besondere. Wir wissen nicht, was von einer Epoche in die nächste führt. Ranke schreibt in »Über die Epochen der neueren Geschichte«: »Der Historiker hat nun die großen Tendenzen der Jahrhunderte auseinanderzunehmen und die große Geschichte der Menschheit aufzurollen, welche eben der Komplex dieser verschiedenen Tendenzen ist. Vom Standpunkte der göttlichen Idee kann ich mir die Sache nicht anders denken, als dass die Menschheit eine unendliche Mannigfaltigkeit von Entwicklungen in sich birgt, welche nach und nach zum Vorschein kommen, und zwar nach den Gesetzen, die uns unbekannt sind, geheimnisvoll und größer, als man denkt.« Ich meine, daß man das auch so verstehen kann, daß jede Epoche Gott unmittelbar ist und ihre Existenz als solche wertvoll ist. 21 Ich sage nicht, daß die folgende Epoche ohne Zusammenhang aus der hervorgehenden hervorgeht bzw. nur diskontinuierlich zustande kommt. Die folgende Epoche ist gleichzeitig existierend in der vorhergehenden enthalten. Das, was A verändert, ist in A enthalten. Das, was A durchbricht und B wird, ist in A enthalten. Weder ist B A untergeordnet, noch ist A B untergeordnet, A und B sind unabhängige Existenzen. Genau gesagt existiert weder A durch sich selbst, noch existiert B durch sich selbst. A und B existieren auch nicht beziehungslos. A existiert dadurch, daß es B gegenübersteht, und B existiert dadurch, daß es A gegenübersteht. Das meine ich, wenn ich sage, daß ein Einzelnes dadurch, daß es Einzelnen gegenübersteht, ein Einzelnes ist. Dies ist die Bedeutung von diskontinuierlicher Kontinuität bzw. von wirklicher dialektischer Entwicklung. Dabei handelt es sich nicht um das Gegenüberstehen von Spezies und Spezies oder Einzelnem und Einzelnem, wie es sich die Logiker gewöhnlich vorstellen. In der geschichtlichen Gegenwart sind die folgenden Epochen im obigen Sinne dialektisch enthalten. Eine Epoche existiert unabhängig, besitzt ihr eigenes Telos und bestimmt sich ganz und gar als ein Einzelnes. Was Eigenheit hat und als widersprüchliche Einheit eine Selbstidentität von einander Widerspre21
Leopold v. Ranke, Über die Epochen der neueren Geschichte, a. a. O. S. 18 u. 17.
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chendem ist, entwickelt sich, insofern es verschiedene Tendenzen vereinigt, ganz und gar selbst. Daß eine Epoche sich ganz und gar selbst entwickelt, heißt jedoch, kurz gesagt, einerseits, daß diese Epoche zugrunde geht. Was ist das Prinzip der Selbstbestimmung des ewigen Jetzt, die eine Epoche bestimmt und dann zur nächsten Epoche übergeht? Ich denke, es ist die handelnde Anschauung. Spreche ich von handelnder Anschauung, so besteht noch die Gefahr, das subjektiv zu verstehen. Aber das, was ich handelnde Anschauung nenne, ist ein Gestaltungsakt der Geschichte. Geschichtliche Gegenwart ist die orthafte Bestimmung, in der die Dinge gebildet werden und entstehen, sie ist die Selbstbestimmung der geschichtlichen Natur. Wir denken, daß wir durch Handeln die Dinge sehen. Allerdings entsteht auch unser Handeln aus der geschichtlichen Natur. Das handelnde Selbst ist eine Einzelbestimmung der geschichtlichen Natur, es ist eine Tendenz der Geschichte. Auch unsere diversen Sinnesorgane entstehen nicht aus der materiellen Natur, sondern aus der geschichtlichen Natur. Selbst ein ganz individuelles Kunstwerk entsteht aus der geschichtlichen Natur. Große Kunst vertritt in einem äußerst tiefen Sinn die Epoche. Große Genies sind dämonisch, die Schöpfungen der geschichtlichen Natur sind alle dämonisch. Sich selbst einzeln bestimmen, heißt, sich selbst objektivieren. Die Ideen sind in diesem Sinn der dämonisch angeschaute Inhalt der geschichtlichen Natur. Wo sich eine geschichtliche Epoche selbst bestimmt, kann die idea gesehen werden. Die Gesetze der Entfaltung der geschichtlichen Natur übersteigen, wie Ranke sagt, unser menschliches Vorstellungsvermögen.
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Das künstlerische Schaffen als Gestaltungsakt der Geschichte 1 (Übersetzt von Elmar Weinmayr)
Kunst ist weder ein Spiel noch ein Vergnügen. Sie beruht auch nicht, wie viele Menschen meinen, in der Nachahmung. Kunst ist ein Ausdruck des geschichtlichen Lebens. Die Primitiven waren Menschen der Tat. Anstatt zu Gott zu beten, tanzten sie magische Tänze. Wünschten sie sich, daß die Sonne scheint, so tanzten sie einen Sonnentanz; wünschten sie sich Regen, so tanzten sie einen Regentanz. Sie beteten nicht zu Gott, sondern luden ihn ein, mit ihnen zu tanzen. In der Hymne des Kouros heißt es: O großer Kouros spring für unsere Stadt, spring für unsere Schiffe! Unsere geschichtliche Gesellschaft nahm ihren Anfang von solchen rituellen Tänzen. Die Primitiven stellten eine Handlung, die ihnen Spaß gemacht hatte, sie wiederholend, noch einmal dar oder sie führten dieselbe Handlung, bevor sie sich ihr zuwandten, sie antizipierend, auf. Diese Handlung wurde dabei durch ein Ritual fixiert. Das Ritual ist der Stereotyp einer solchen Handlung. Allerdings wird nicht jedes einfache Handeln zu einem Ritual. Es muß ein gesellschaftliches Handeln sein. Auch nicht jedes bloß gesellschaftliche Handeln wird zu einem Ritual, es muß von einer heftigen Gemütsbewegung begleitet sein. In einem von heftiger Rührung begleiteten, gemeinschaftlichen Tanz fühlten die Primitiven etwas, das sie selbst überstieg, sie fühlten ein transzendentes Seiendes. Dabei ging ihre Individualität unter, und sie wurden gefühlmäßig eins. Aus solchen rituellen Tänzen wurden die Götter geboren, und auf diese Weise wurde das Heilige zur Grundlage der Gestaltung der Gesellschaft. Am Anfang waren alle Menschen Tänzer, jeder Mensch war Gott. Beim Kouros-Tanz z. B. war 1 Anmerkungen von Elmar Weinmayr. – Rekishi-teki keiseisayô toshite no geijutsu-teki sôsaku (歴史的形成作用としての芸術的創作), erstmals in zwei Teilen veröffentlicht in: Shisô 228, 229 (Tôkyô 1941), dann aufgenommen in: Tetsugaku ronbunshû IV (Philosophische Aufsätze IV), Tôkyô 1941. Der Übersetzung liegt der Text in: Werke Nishidas (= NKZ), Bd. 10, S. 177–264 zugrunde. Der hier aufgenommene Abschnitt findet sich auf den Seiten 223–241.
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jeder Kouros. Aus diesen rituellen Tänzen entwickelte sich jedoch die Unterscheidung in Schauspieler und Zuschauer, in Götter und Anbetende. 2 Ein solches Entstehen und ein solcher Entwicklungsprozeß der geschichtlichen Gesellschaft ist nicht etwas bloß Vergangenes. Auch heute verhält es sich noch so. Geschichtliche Gesellschaft kommt immer zustande in widersprüchlicher Selbstidentität des ganzen Einen mit dem einzelnen Vielen 3 und in widersprüchlicher Selbstidentität des Gebildeten mit dem Bildenden. Deswegen spricht man z. B. vom Mythos des 20. Jahrhunderts. Der Mythos wird natürlich immer weiter rationalisiert. Aber nirgendwo gibt es Gesellschaft ohne Tradition. Tradition ist, wie Eliot sagt, Geschichtssinn. Die wirkliche Welt ist immer ein Kampf zwischen Traditionsgestaltung und materieller Umwelt. Anders: Wirkliche Welt ist insofern, als Umwelt und Tradition als Selbstbestimmung absolut widersprüchlich selbstidentischer, schlechthinniger Gegenwart 4 Nishida bezieht sich im Text oft auf andere Autoren und gibt deren Gedankengänge, sie auf seinen Gedanken hin akzentuierend und in einzelnen Fällen auch mißverstehend, wieder, ohne jedoch genau zu zitieren. In den Anmerkungen wird versucht, die Quellen zu belegen. Soweit zugänglich, wird dabei die von Nishida selbst verwendete Ausgabe des jeweiligen Textes zugrunde gelegt. – Von »Die Primitiven waren …« bis »… Götter und Anbetende« referiert Nishida im wesentlichen Ergebnisse der Forschungen von Jane Ellen Harrison. Vgl. dazu Jane Ellen Harrison, Themis. A Study of the Social Origins of Greek Religion, Cambridge 1912, S. 1–49, bes. 7 f., 10, 16, 42–49; vgl. auch dies., Ancient Art and Ritual (= Home University Library of Modern Knowledge), London o. J. 3 Zentai-teki ichi to kobutsu-teki ta to no mujun-teki jikogentei (全体的一と個物的多 との矛盾的自己限定). 4 Selbstbestimmung absolut widersprüchlich selbstidentischer, schlechthinniger Gegenwart (zettai mujun-teki jikodôitsu-teki naru zettai genzai no jikogentei, 絶対矛盾的自己 同一的なる絶対現在の自己限定). Zettai (絶対) wird gewöhnlich mit »absolut« übersetzt. Diese Übersetzung ist jedoch nicht ganz unproblematisch. Insofern »absolut« eines der Hauptworte europäisch-philosophischer Tradition ist, sind die dem europäischen Leser in diesem Wort eröffneten Bedeutungen und Verstehensmöglichkeiten immer bestimmt und gefärbt von der Eigenart europäischer Welt und der in ihr herrschenden Denktraditionen. Die glatte Übersetzung von »zettai« durch das vertraut und selbstverständlich klingende »absolut« könnte jedoch gerade die Eigentümlichkeit des von Nishida im Wort »zettai« Gedachten verdecken und das Verständnis erschweren bzw. fehlleiten. Wörtlich genommen besteht zwar eine Ähnlichkeit zwischen »absolut« und »zettai«, insofern absolut im Gegensatz zu relativ ein Losgelöstsein aus jeder Beziehung meint und die beiden Schriftzeichen zetsu-tai (= zettai) im Gegensatz zu sôtai (相対, einander-gegenüber, gewöhnlich mit »relativ« übersetzt) ursprünglich »vernichten« bzw. »abbrechen« (zetsu) und »gegenüber« (tai) bedeuten. Das Wort »absolut« erhält jedoch in der europäischen Tradition eine weitergehende Ausdeutung in Richtung: in keiner Beziehung stehend, nicht bedingt, unbedingt, in sich stehend, in sich geschlossen, selbstgegründet, substanzhaft, zeitenthoben. Diese auf spezifisch europäische Letzt2
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– sich selbst in widersprüchlicher Selbstidentität und in der Bewegung von einem Gebildeten zu einem Bildenden 5 gestalten. Diese Welt besitzt zwei sich ganz und gar widersprechende Pole. Als widersprüchliche Selbstidentität dieser beiden Pole ist sie wirkliche Welt, insofern sie von diesen Polen elliptisch begrenzt ist. Dort, wo sich handelnde Anschauung in der Weise von Poiēsis bzw. Praxis vollzieht, ist wirkliche Welt. bedingungen und -horizonte (Sein, Substanz) verweisenden Bedeutungsnuancen sind in »zettai« nicht impliziert. Der Unterschied von »absolut« und »zettai« kommt in seiner philosophischen Bedeutung und Problematik am deutlichsten in Nishidas Gedanken von zettai mu (絶対無, »absolutes« Nichts) und von zettai bzw. zettaisha (絶対者, das »Absolute«) zum Vorschein. Zettai mu ist kein Nichts, das in einem europäischen Sinn absolut wäre. Noch deutlicher zeigt folgende Stelle die Differenz zwischen dem europäischen Absoluten und Nishidas zettai: »Zettai ist dadurch wirkliches zettai, daß es sich dem Nichts aussetzt … Zettai hat sein Selbst in der Selbstverneinung. Das wirkliche zettai besteht darin, daß es sich im Einandergegenüber umwendet.« (NKZ 11, S. 397 f.) Bei Nishidas zettai handelt es sich nicht um ein in sich stehendes, in sich geschlossenes und selbstgegründetes Absolutes. Um Mißverständnisse zu vermeiden, ist deswegen zu überlegen, ob zettai nicht besser durch »schlechthin« bzw. »schlechthinnig« zu übersetzen wäre. Diese Übersetzung vermindert zwar die Gefahr von übersetzungsbedingten Verdeckungen des eigentümlichen Denkens Nishidas, löst das Problem aber nur teilweise, da sie wiederum verdeckt, daß Nishida sein Denken in Übernahme und Absetzung, Anspielung auf und Verwandlung von europäischen Gedanken, wie z. B. Hegels Begriff des Absoluten, entwickelt. Nishida selbst verstand – wie Notizen zeigen (vgl. NKZ 13, S. 295 u. 301) – das japanische »zettai« als Äquivalent für das deutsche »absolut«. Hinzu kommt, daß »schlechthinnig« nicht substantivisch verwendbar ist. In der Übersetzung wird zettai daher je nach Kontext mit »schlechthinnig« oder »absolut« übersetzt.– Im obigen Ausdruck scheint mir für das erste zettai »absolut«, für das zweite zettai »schlechthinnig« angebrachter. Das erste zettai kann nun aber grammatisch sowohl adverbial auf mujun-teki (absolut widersprüchlich) oder adjektivisch auf jikodôitsu (absolute Selbstidentität) bezogen werden. Zieht man zettai zu jikodôitsu, wird die Selbstidentität so sehr betont, daß der Widerspruch nur mehr ein internes Moment der absoluten Selbstidentität zu sein scheint. Der Widerspruch wird zu einer untergeordneten Funktion letzter Einheit und Kontinuität. Nishida denkt die Selbstidentität aber nicht in einer kontinuierlichen Identität, sondern in einer »Kontinuität des absoluten Bruchs« (zettai no danzetsu no renzoku, 絶対の断絶の連続) (NKZ 9, S. 124). Es handelt sich um eine gebrochene Selbstidentität. Zettai ist daher auf mujun zu beziehen. Die Selbstbestimmung schlechthinniger Gegenwart ereignet sich in absolut widersprüchlicher Selbstidentität. 5 Tsukurareta mono kara tsukuru mono e (作られたものから作るものへ). Wörtlich übersetzt lautet der Ausdruck »von einem Gebildeten zu einem Bildenden«. Die Beifügung von »in Bewegung« scheint gerechtfertigt, da es sich um eine feststehende Wendung im Denken des späten Nishida handelt, die er selbst manchmal durch »in Bewegung« bzw. »sich bewegend« (ugoki-iku, 動き行く) erläutert. Tsukuru (作る), das hier im Blick auf seine Nähe zu »gestalten« (keisei suru, 形成する) durch »bilden« übersetzt wird, bedeutet auch »produzieren«, »machen«, »herstellen«, »hervorbringen«.
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Aus dieser wirklichen Welt heraus, sie in Richtung des geschichtsleibhaften 6 Bildens von Dingen, d. h. in poietischer Richtung übersteigend, kommt die künstlerische Anschauung zustande. Dabei übersteigt unsere Poiēsis als Selbstbestimmung schlechthinniger Gegenwart sich selbst. Poiēsis heißt, aus sich selbst heraus Dinge schaffen. Sie ist durch und durch subjektiv. Allein die Dinge werden nicht nur vom Ich-Subjekt geschaffen, es muß dazu eine geschichtliche Grundlage geben. Das aus sich heraus handelnde Subjekt ist ja selbst bereits aus dem Selbstwiderspruch der geschichtlichen Welt entstanden. In der widersprüchlichen Selbstidentität der geschichtlichen Welt ist es möglich, daß wir objektiv Dinge bilden. Wäre dem nicht so, dann wären die Dinge nicht mehr als bloße Traumbilder. Unser künstlerisches Können ist das künstlerische Können des Weltlogos. 7 Dort, wo unser eigenes Können an sein Ende kommt und wir unser eigenes Selbst verlieren, kommt das künstlerische Schaffen zum Vorschein. Das ist auch der Grund, weshalb man glaubt, Kunst entstünde aus einer Inspiration. Wie aber ist nur das künstlerische Schaffen für uns Menschen möglich? Es ist möglich, insofern jedes menschliche Selbst eigentlich als augenblickshafte Selbstbestimmung schlechthinniger Gegenwart zustande kommt. Von daher ist es in der Tat möglich, daß wir geschichtlichwirkend poietisch sind. Unsere Poiēsis beruht immer in diesem Sachverhalt. Unser Selbst hat daher am Grund seiner selbst eine Tendenz zur künstlerischen Anschauung. Wie Worringer erläutert, ist der Abstraktionsdrang hin zur
Rekishi-teki shintai-teki (歴史的身体的). Die Übersetzung »geschichtsleibhaft« wurde gewählt, um zu betonen, daß Nishida mit rekishi-teki shintai-teki nicht »geschichtlich« (in der Geschichte) und »körperlich« (im biologischen Sinn) meint. Nishida versteht die Leiblichkeit des Menschen nicht biologisch, sondern denkt sie von dem von ihm »Geschichte« genannten Eröffnungsgeschehen der Wirklichkeit her (vgl. NKZ 9, S. 178) und erläutert den Leib als Geschichtsleib, d. h. als einen Faktor der geschichtlichen Welt. Daher kann Nishida als Synonym für »handelnd anschauend« auch die Worte »schöpferisch-leibhaft« (seisaku-teki shintai-teki, 制作的身体的) verwenden (vgl. z. B. NKZ 9, S. 179). »Leiblich« repräsentiert dabei den Aspekt der Anschauung, d. h. des bereits Gestalteten und Vorgegebenen, das das gestaltende Subjekt gestaltet und so selbst zugleich ein Gestaltendes ist. »Wir haben unseren Leib im Gebildeten. Der menschliche Leib ist schöpferisch.« (NKZ 9, S. 178) 7 Ten (天), wörtlich: Himmel, hier jedoch nicht im Sinne des Sternenhimmels oder des christlichen Himmels, sondern als das, was alles Seiende durchherrscht, ordnet und im Sein erhält, d. h. in deutlicher Abgrenzung zu vom Menschen erstellten Ordnungen und Strukturen, als das allem Seiendem innewohnende, »natürliche« Seinsgesetz zu verstehen. 6
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künstlerischen Anschauung unserem Selbst von Natur aus angeboren. 8 Je mehr sich unser Selbst als Projektionspunkt des Absoluten in seinen Grund vertieft, je mehr es sich individualisiert, desto mehr wird es von diesem Drang bewegt. In solchem künstlerisch-anschauenden Abstrahieren versucht man, wie Riegl beschreibt, die plastische Lebenswelt mit ihren Höhen und Tiefen durch begriffliches Denken zu verflachen. 9 In der Welt der Selbstbestimmung schlechthinniger Gegenwart werden Vergangenheit und Zukunft, die gleichzeitig mit der Gegenwart existieren, in der Gegenwart ganz und gar ausgelöscht. Ja, ineins damit, daß Vergangenheit und Zukunft ganz und gar von der Gegenwart umschlossen werden, verschwindet auch die Gegenwart völlig. Sie kann nicht einen Augenblick verweilen. Dort, wo wir unsere Poiēsis durch und durch als Selbstbestimmung schlechthinniger Gegenwart erfahren, verlöschen Vergangenheit und Zukunft völlig in der Gegenwart. Hier sehen wir das sich ganz und gar Bewegende ruhend. Von der wirklichen Welt herkommend übersteigen wir hier die Wirklichkeit und sehen ihr direkt in die Augen. Hierbei handelt es sich um eine Verflachung der Geschichte. Das sich Bewegende überhaupt ruhend sehen, heißt abstrahieren. Gewöhnlich meinen die Menschen, es sei Abstraktion, die geschichtliche Welt von einem transzendenten Standpunkt aus als gleichzeitig existierend zu betrachten, d. h. sie halten nur das Denken für abstrahierend. Zwar erfaßt man auch im Denken die sich bewegenden Dinge als völlig ruhende, jedoch handelt es sich dabei um das genaue Gegenteil der künstlerischen Anschauung, weil im Denken die Gegenwart völlig verneint wird. So wie sich die verschiedenen Inhalte und Kategorien der Erkenntnis aus dem Denken (d. h. vom sog. Erkenntnissubjekt her) begreifen lassen, so sind die verschiedenen Inhalte und Kategorien der Kunst von einer von schlechthinniger Gegenwart abstrahierten Gegenwart, d. h. von einer verflachten Seite der Geschichte her zu denken. Die wirkliche Welt, die sich als widersprüchliche Selbstidentität von einem Gebildeten zu einem Bildenden bewegt, ist eine Welt der Freude und eine Welt des Leidens, ja eine Welt, in der unsere Freuden gezählt sind, unser Kummer aber maßlos ist wie die Sandkörner am Strand und die Sterne am Himmel. Am äußersten Zum Abstraktionsdrang vgl. Wilhelm Worringer, Abstraktion und Einfühlung, München 71919, bes. S. 18–33. 9 Vgl. dazu Alois Riegl, Spätrömische Kunstindustrie, Wien 1927, S. 24–36; ders., Stilfragen. Grundlegungen zu einer Geschichte der Ornamentik, Berlin 21923, S. 2 f., 19 f. 8
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Punkt seiner Poiēsis übersteigt sich unser Selbst und wird eins mit schlechthinniger Gegenwart. Anders gesagt: Wenn wir diese Welt als Selbstbestimmung schlechthinniger Gegenwart erfahren, übersteigt unser Selbst diese Welt. Das ist eine Art Erlösung. Seit Schopenhauer verstand man die Kunst als eine Art Erlösung. In diesem Sinne deutet auch Worringer den Abstraktionsdrang religiös. 10 (Ich bin jedoch, wie schon mehrmals betont, der Ansicht, daß eine solche Deutung die Gefahr einer Vermengung von Kunst und Religion heraufbeschwört.) Wenn wir am äußersten Punkt der Poiēsis diese Wirklichkeit übersteigen und mit schlechthinniger Gegenwart eins werden, lassen wir das Leid dieser Welt hinter uns. Dort herrscht die Freude der reinen Anschauung. Wie bereits Kant feststellte, ist das Schöne das, was ohne alles Interesse gefällt. In der künstlerischen Anschauung wird alles AbstraktBegriffliche überstiegen. Künstlerische Anschauung besteht nun aber nicht einfach darin, daß unser Selbst passiv wird. Wie oben erläutert, gründet unser poietisches Selbst in der Selbstbestimmung schlechthinniger Gegenwart. Wenn unser Selbst künstlerisch anschauend ist, wird es mit der sich in der Gegenwart vollziehenden Selbstbestimmung schlechthinniger Gegenwart, d. h. mit der schöpferischen Tätigkeit der geschichtlichen Welt eins. Die Freude der künstlerischen Anschauung ist die unendliche Freude des Schaffens, die unendliche Freude des Lebens. Die Bewegung der künstlerischen Anschauung geht nicht von Gott zu den Menschen, sondern von den Menschen zu Gott. Der Mensch nimmt teil am Schaffen Gottes, er selbst wird Gott. Diese Bewegung verläuft genau umgekehrt zu der der Religion. Weil die künstlerische Anschauung sich in der oben beschriebenen Weise vollzieht, ist das Schöne als Gegenstand des künstlerischen Schaffens nicht die sog. Natur, sondern eine Gestalt des geschichtlichen Lebens. Das Schöne ist ein Stereotyp unseres Tuns, es ist δρώμενον-artig. 11 Das Schöne ist daher etwas, das in unserem Handeln entdeckt werden kann, es ist ein Ausdruck des geschichtlichen Lebens. Der Stil in der Kunst ist das sich auf einer verflachten Seite der Geschichte spiegelnde Paradigma des Lebens unserer geschichtlichen Spezies. Was man gewöhnlich für schön hält, ist nicht mehr als das Paradigma der Spezies. So ist es z. B. möglich,
Z. B. Wilhelm Worringer, a. a. O. S. 173 ff. Zum Begriff des δρώμενον vgl. Jane Ellen Harrison, Ancient Art and Ritual, a. a. O. S. 35–38, 119–168; dies, Themis, a. a. O. S. 30–49, bes. 42–45. 10 11
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an den Maßstäben, nach denen eine Frau als schön beurteilt wird, das Paradigma der jeweiligen geschichtlichen Spezies abzulesen. Fiedler erläutert in seiner Abhandlung »Über den Ursprung der künstlerischen Tätigkeit«, die meines Erachtens eine tiefe Einsicht in den Ursprung des künstlerischen Schaffens enthält, daß die Sprache nicht, wie man normalerweise denkt, ein Zeichen für einen Gedanken, sondern eine Stufe der Entfaltung des Denkprozesses, genauer: die letzte Stufe der gedanklichen Entfaltung ist. Die uns unmittelbare Innenwelt ist eine unfaßbare Welt unendlicher Wandlungen, eine Welt des Entstehens und Vergehens. Drücken wir diese Innenwelt in der Sprache aus, d. h. fassen wir sie durch Worte in eine Gestalt, so endet ihre fließende Bewegtheit, und sie nimmt eine neue Gestalt an. Die so bestimmte Gestalt ist dann die Realität. Sprache ist nicht ein Ausdruck der Realität, in der Sprache liegt die Gestalt der Realität. Sprache ist eine Kristallisation unserer Bewußtseinsphänomene. Man kann sie mit der Blüte oder Frucht einer Pflanze vergleichen. Fiedler denkt so die Realität nicht außerhalb der uns unmittelbaren Innenwelt, er denkt sie als ausdruckshafte Gestaltung dieser Innenwelt. Dank der Sprache als eines allen Bewußtseinsphänomenen gemeinsamen Ausdrucks besitzen wir eine allgemeine sog. reale Welt. Allerdings können die verschiedenartigen Bewußtseinsphänomene durch den sprachlichen Ausdruck nicht ausgeschöpft werden. Das Bewußtsein eines jeden von uns hat in sich die Tendenz zu gestaltender Entfaltung. Natürlich besitzt der Tastsinn gar keine Entfaltungsfähigkeit, er überläßt seinen Ausdruck direkt der Sprache. Im Gesichtssinn aber eröffnet sich, wenn wir ganz mit ihm eins werden, eine Welt unendlicher Ausblicke, eine Welt unendlichen visuellen Gestaltens taucht auf. Die Gesichtsbilder, die wir gewöhnlich haben, sind nur begrifflich verzerrte, unvollkommene Gesichtsbilder. (Ich denke, das, was Fiedler über den Gesichtssinn ausführt, läßt sich auch unmittelbar auf den Gehörsinn beziehen.) Wenn wir unser ganzes Bewußtsein auf den Gesichtssinn konzentrieren, wenn sozusagen der ganze Leib Auge wird, dann lösen wir uns von der in unendlichen Assoziationen verstrickten, sog. dinglichen Welt und betreten eine Welt, in der sich der Gesichtssinn entfaltet. Aus einem Zustand passiven Sehens gehen wir in einen Zustand aktiven Sehens über. Wir finden im Selbst die Möglichkeit, Dinge, die nur durch das Auge und nicht durch die anderen Sinne gegeben sind, für das Auge zu verwirklichen. Dabei betreten wir ein Gebiet, in dem sich unser aktives Verhalten unmittelbar mit einem Handeln in der Außenwelt verbindet und das Handeln in 121 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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der Außenwelt unmittelbar zu einer Fortsetzung unseres aktiven Verhaltens wird. Das geht soweit, daß die sonst passiv dem Eindruck der Dinge rezipierenden Augen umgekehrt den Leib bewegen. Die Ausdrucksbewegungen, mit denen wir nur auf die Dinge hinweisen, entwickeln sich dadurch zu einem Gestalten der Dinge. Auf diese Weise die unvollkommenen Gesichtsbilder zu vollenden, darin besteht die schöpferische Tätigkeit des Künstlers. 12 In der Welt absolut widersprüchlicher Selbstidentität gestaltet unser Selbst als ein ganz und gar einzelnes Selbst eine einzige Welt. Dieses Gestalten ist jedoch zugleich und ineins eine augenblickshafte Selbstbestimmung schlechthinniger Gegenwart. Die Beziehung zwischen Welt und Selbst ist eine ausdruckshafte Beziehung. Als widersprüchliche Selbstidentität eines Gebildeten mit einem Bildenden befindet sich unser Leib in einer Bewegung vom Gebildetsein zum Bilden. Daher ist unser Leib einerseits handelnd, andererseits ausdruckshaft. So verstanden ist auch ein Bewußtseinsakt überhaupt nicht vom Leib getrennt. Auch das Denken kommt am äußersten Punkt dieser Ausdrucksbewegung zustande. Unser Leib ist durch und durch geistig, unser Geist ist ganz und gar leibhaft. In diesem Sinne gibt es überhaupt gar keinen Bewußtseinsakt, der nicht ausdruckshaft wäre. Genauso wie man sagt, daß das Bewußtsein intentional ist, ist jeder Bewußtseinsakt ausdruckshaft. Nach Fiedler ist der Ausdruck eine Stufe der Entfaltung des Bewußtseinsaktes, 13 aber ein Bewußtseinsakt ist vom Ursprung seines Entstehens an ausdruckshaft. Umgekehrt gründet unsere Poiēsis immer in der Selbstbestimmung der geschichtlichen Welt. Das Kunstwerk als Gegenstand der künstlerischen Anschauung kommt dort zustande, wo unsere Poiēsis in widersprüchlicher Selbstidentität zugleich die Poiēsis der Welt ist. Ein Kunstwerk ist daher weniger mein Werk, denn ein Werk des Weltlogos. Die Sprache ist unter den Ausdrucksakten derjenige, in dem unser Selbst als ein Projektionspunkt des Absoluten die Welt eher vom Standpunkt des transzendenten Selbst her ausdrückt. Dabei wird das poiēsisleibhafte 14 Selbst winzig Bis hierher handelt es sich um eine Zusammenfassung für den Gedankengang Nishidas wichtiger Überlegungen Fiedlers. Vgl. Conrad Fiedler, Der Ursprung der künstlerischen Tätigkeit, in: Conrad Fiedlers Schriften über Kunst, hrsg. von H. Marbach, Leipzig 1896, S. 187–367, v. a. 192–205, 253–280, 289 ff. 13 Vgl. Fiedler, a. a. O. S. 294–309. 14 Poieshisu-teki shintai-teki (ポイエシス的身体的). »Poiēsisleibhaft« wurde analog zu »geschichtsleibhaft« (vgl. Anm. 6) gebildet. Welt der Poiēsis (im Sinne der handelnden Anschauung) und Welt der Geschichte sind im Denken Nishidas synonyme Begriffe. 12
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klein. Man kann auch sagen, daß es sich hier um eine Selbstbestimmung schlechthinniger Gegenwart handelt, die die Gegenwart völlig verneint. Trotzdem verschwindet dabei das poiēsisleibhafte Selbst nicht völlig. Der sprachliche Ausdruck als Selbstausdruck der Welt ist nämlich nur wahr, insofern es das poiēsisleibhafte Selbst gibt. Insofern der Logos anschauend ist, ist er wahr. Das Denken drückt die Welt am äußersten Punkt dieser Transzendenz vom widersprüchlich selbstidentischen Geschichtsleib, d. h. von der handelnd-anschauenden Wirklichkeit her aus. Aus diesem Grund ist das Denken wahr bzw. wissenschaftlich, insofern es sich nicht vom Geschichtsleib distanziert, d. h. insofern es handelnd-anschauend ist. Wäre dem nicht so, dann wäre die Sprache nur ein bloßer Bedeutungsbehälter. Wenn wir von Fiedlers sog. Innenwelt ausgehen und die reale Welt durch die Gestalt des sprachlichen Ausdrucks bedingt denken, verbleiben wir unvermeidlich in einem Subjektivismus. Selbstverständlich ist auch der sprachliche Ausdrucksakt als ein geschichtsleibhaftiger ganz und gar an die innerste Immanenz gebunden. Aus dieser innersten Immanenz entstehen z. B. Gedichte. Im Gegensatz zum Gesichts- und Gehörsinn ist der Tastsinn überhaupt nicht ausdruckshaft. Er ist lebensweltlich-plastische, dreidimensionale Sinneswahrnehmung. Daher ist er in einem wesentlichen Sinn Realitätssinn. Wir kennen die Realität durch den Tastsinn. Daß der Tastsinn nicht ausdruckshaft ist, bedeutet, daß er hauptsächlich handelnd, bzw. daß er, wie man sagt, leibhaft ist. Der Tastsinn überläßt daher seine ausdruckshafte Gestaltung unmittelbar der Sprache. Der Tastsinn kommt zwar am innersten Punkt der leibhaften Immanenz zustande, hat aber hinsichtlich seiner Ausdruckshaftigkeit keine Möglichkeit sich zu entfalten, d. h. er ist nicht in sich selbst ausdruckshaft. Dementgegen wird er aber am äußersten Punkt der Transzendenz ausdruckshaft. Anders: Der Tastsinn ist ausschließlich in unserem Selbst als einem Projektionspunkt des Absoluten bzw. im denkenden Selbst ausdruckshaft oder, wie die Erkenntnistheoretiker sagen, Materia des Denkens. Unsere reale Welt ist die durch die äußerste Transzendenz geleistete Einheit des in der innersten Immanenz Zustandegekommenen. In dieser als Selbstbestimmung schlechthinniger Gegenwart zu verstehenden Welt werden Vergangenheit und Zukunft in der Gegenwart verneint, und die Gegenwart bestimmt sich selbst. Gerade dies bedeutet jedoch, daß die Gegenwart auf widersprüchlich selbstidentische Weise völlig verneint wird, bzw. daß es keine wirkliche Gegenwart gibt. Die reale Welt kommt in der widersprüchlichen Selbstidentität 123 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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dieser beiden Pole zustande; sie kommt zustande in der widersprüchlichen Selbstidentität von Tastsinn und Denken. Vom Standpunkt Kants z. B. stellt man sich die Anschauung als bloß passiv vor. Der erkenntnismäßige Ausdruck ist aber nur objektiv, insofern unsere Anschauung als geschichtsleibhafte Selbstbestimmung der Welt aktiv ist, d. h. insofern sie handelnd-anschauend ist. Selbst der Tastsinn drückt sich selbst aus. Auch die Wissenschaft kommt zustande aufgrund einer als Selbstbestimmung schlechthinniger Gegenwart zu verstehenden handelnden Anschauung unseres Selbst bzw. in widersprüchlicher Selbstidentität von Denken und Anschauung. Ausgehend von der widersprüchlichen Selbstidentität besitzen wir so in diesen beiden Polen die beiden Welten von Kunst und Wissenschaft. Deswegen würde sowohl die Kunst bei völliger Ignorierung der Transzendenz zur bloßen Phantasie, wie auch die Wissenschaft bei völliger Ignorierung der Immanenz zum bloßen Begriff würde. Kunst ist eine Leistung in der wirklichen Welt, sie ist eine schöpferische Leistung. Die künstlerische Inspiration ist nicht etwas nur aus sich selbst Entstehendes. Ebenso ist die Wissenschaft in ihrem Grund eine Bewegung von handelnder Anschauung zu handelnder Anschauung. Daher ist sie artifiziell. Bei der Wissenschaft handelt es sich zwar um einen der Kunst entgegengesetzten Standpunkt, gäbe es jedoch die widersprüchliche Selbstidentität beider nicht, so bestände keine Möglichkeit einer Verbindung von Denken und Anschauung. Gesichtssinn und Gehörsinn sind im Gegensatz zum Tastsinn in sich selbst ausdruckshaft. Wenn wir den Tastsinn als handelnde und subjektive Sinneswahrnehmung verstehen, so können wir den Gesichtssinn, weil er objektiv ist, im Gegensatz dazu eine umweltbezogene Sinneswahrnehmung nennen. Allerdings ist sogar der Tastsinn, insofern er überhaupt bewußt ist, in sich ausdruckshaft, genauso wie auch der Gesichtssinn, insoweit er leibhaft ist, handelnd ist. In der wirklichen, geschichtlichen und gesellschaftlichen Welt geschieht Handeln immer in der widersprüchlichen Selbstidentität dieser beiden Pole. Handeln ist praktisch in der Weise der handelnden Anschauung. Die wirkliche Welt besitzt jedoch hinsichtlich beider Pole je eine abstrakte Welt. In der innersten Immanenz ist unser Handeln eine Ausdrucksbewegung. Dort wird das begriffliche Denken verneint und unser Handeln ist gefühlsmäßig. Es ist dabei allerdings nicht bloß irrational und unwissend. Vielmehr spiegelt sich bei diesem Handeln die Welt, in der wir leben, auf der bloß abstrakt-gegenwärtigen Seite schlechthinniger Gegenwart, d. h. auf einer verflachten Seite der Geschichte. So wird unser Handeln zu 124 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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einem Prozeß, in dem sich die Welt selbst gestaltet. Deswegen wird das Ich hier eins mit den Dingen. All das gilt ebenso für das moralische Handeln. Wäre dem nicht so, dann wäre unser Handeln nur das Besondere eines Allgemeinen, und wir könnten nicht sagen, daß unser Handeln als Selbstbestimmung schlechthinniger Gegenwart einzig ist. Das künstlerische Schaffen geht von der Praxis aus und übersteigt diese in Richtung auf die innerste Immanenz. Bei der sog. Ausdrucksbewegung ist diese Bewegung unbewußt. In diesem Überstieg über die Wirklichkeit in die innerste Immanenz, d. h. im Übersteigen des Leibes hin zum Leib, werden wir leibhaftig frei, d. h. unser Selbst gewahrt sich poietisch. Fiedler legt dar, daß, wenn unser Selbst mit dem Gesichtssinn eins wird, uns unsere natürlich zu eigene Ausdrucksbewegung nützlich wird, weil sich dann eine Welt unendlicher visueller Entfaltungen eröffnet und der Gesichtssinn unmittelbar mit den körperlichen Bewegungen in der Außenwelt eins wird. 15 Wenn wir alle Assoziationen abschneiden und ganz mit dem Gesichtssinn eins werden, sehen wir die Dinge auf einer verflachten Ebene der Geschichte. Im Unterschied zur Welt der Begriffe eröffnet sich hier eine Welt ausdruckshaft unendlicher Ausblicke. Unser Selbst gestaltet durch seine Ausdrucksakte als abstrakte Selbstbestimmungen dieser geschichtlichen Welt zu verstehende Kunstwerke. Wir können auch sagen, daß das künstlerische Schaffen als orthafte Selbstbestimmung der geschichtlichen Welt seinen Ursprung im δρώμενον hat. Die Zeichnung ist eine Art Geste, sie kann aber auch als Tanz auf dem Papier bezeichnet werden. Die primitive Kunst ist eine Tanzgeste des Geistes der Spezies. Wie bereits erwähnt, bin ich der Meinung, daß sich Fiedlers Abhandlung über den Ursprung des künstlerischen Schaffens philosophisch grundlegen läßt. Der Gegenstand der Kunst, d. h. das künstlerisch Schöne, ist nicht, wie man gewöhnlich meint, nur eine harmonische Gestalt, die uns Lustgefühle verschafft, und auch nicht eine schöne Gestalt. Das Schöne ist kein passives Lustgefühl. Demzufolge ist die Kunst auch keine Nachahmung der Natur. Genausowenig ist die Kunst so etwas wie das Glücksgefühl, die Apperzeptionstätigkeit des Ich in den Dingen zu sehen, oder ein objektivierter Selbstgenuß. Kunst ist in überhaupt gar keinem Sinne Genuß. Der künstlerische Gegenstand ist die Gestalt eines Dinges gesehen in schlechthinniger Gegenwart bzw. im ewigen Jetzt. Im Gegensatz zur traditionellen idealistischen Denkweise, die das 15
Vgl. z. B. Fiedler, a. a. O. S. 273.
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Schöne als eine Manifestation einer Idee betrachtete, wird in der materialistischen Kunsttheorie der Semper-Schule der Wert eines Kunstwerks als etwas durch die Kombination der drei Faktoren Rohstoff, Technik und Gebrauchszweck Bestimmtes aufgefaßt und das Schöne als etwas Stilgerechtes gedacht. 16 Ich meine, daß man das Schöne auch von Riegls positivistischem Standpunkt her als etwas Stilgerechtes denken muß. 17 Stil ist nichts anderes als das sich auf der geschichtlichen Ebene spiegelnde Paradigma unseres Handelns. Riegls absolutes Kunstwollen ist als ein Gestalten im Horizont dieses Paradigmas zu verstehen. 18 Hier ist das Sehen zugleich ein Wirken. Die verschiedenen Stile sind dabei als verschiedene Ausrichtungen dieses Willens zu verstehen. Dabei kann das Schöne durchaus noch als das Schattenbild einer Idee bezeichnet werden. Die Idee stellt das archetypische Paradigma unseres Tuns dar. So verstanden ist das Schöne durch und durch Katharsis. Kunst gründet ganz und gar im Abstraktionsdrang. Der Kunsttrieb wird in gar keiner Hinsicht von einem teleologischen Begriff her motiviert. Selbst das formal Schöne Kants ist aber der Zweckmäßigkeit des Urteils noch nicht entronnen und gefällt in Wirklichkeit nicht ohne alles Interesse. Das bisherige Nachdenken über Kunst vollzog sich ausschließlich im Gesichtswinkel des bloß bewußtseinsmäßigen Subjektes. Oft stellte man sich die Kunst dabei in Abhängigkeit von der Einbildung vor. Von dieser Auffassung her kann aber die objektive Bedeutung der Kunst in unserer Welt überhaupt nicht klargemacht werden. Daher läßt sich mit dieser Vorstellung das Wesen der Kunst nicht fassen. Man hält die Welt der Kunst einfach für idealistisch und glaubt im äußersten Fall sogar, daß sie so etwas wie eine Welt leerer Illusionen ist. Ganz im Gegensatz zu einer solchen Vorstellung ergibt sich das künstlerische Schaffen in Wirklichkeit aus dem Gestaltungsakt der Geschichte selbst. Geschichte und auch Gesellschaft sind in ihrem Grund widersprüchlich selbstidentisch bzw. δρώμενον-artig. Am Anfang war sowohl der tanzende Mensch ein Gott, als auch der Gott ein Tänzer. Komm und spring zum Wohl unserer Stadt! Alle waren Schauspieler. In der widersprüchGottfried Semper, Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Aesthetik. Ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde, 2 Bde., München 1878 f., z. B. Bd. 1, S. 7 f. 17 Zum positivistischen Standpunkt Riegls vgl. Alois Riegl, Naturwerk und Kunstwerk, in: Alois Riegl, Gesammelte Aufsätze, Augsburg 1928, S. 51–70. 18 Zum Begriff des Kunstwollens vgl. Alois Riegl, Stilfragen, a. a. O.; ders., Spätrömische Kunstindustrie, a. a. O. vor allem S. 9 und 400 f. 16
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lich selbstidentischen Entwicklung dieser Tänze trennten sich dann die beiden Pole, Götter und Tänzer. In der wirklichen Welt dieser handelnden Anschauung haben wir immer zwei Richtungen, die der unendlichen Anschauung und die des unendlichen Denkens. Die Anschauung ist immer die Richtung unseres Vorwärtsschreitens, die Richtung des geschichtlichen Schaffens. Es gibt keine Wirklichkeit, die nicht diese Anschauung enthält. Wäre die Anschauung nicht in der Wirklichkeit enthalten, dann wäre die Welt der handelnden Anschauung nicht mehr als eine nur gedachte Welt. Es gibt in diesem Sinne auch keine Praxis ohne Anschauung. Ein großer Politiker ist in irgendeinem Sinn immer auch ein Dichter. Aus dem bloßen Denken kommt keine geschichtlich schöpferische Praxis. Im Denken gibt es nur ein tabuisiertes Verbot. Eine auf bloßer Logik basierende Sollensmoral ist die fixierte, bürgerliche Moral irgendeines Zeitalters. Die Welt der künstlerischen Anschauung kommt zustande, indem die künstlerische Anschauung von der wirklichen Welt der widersprüchlichen Selbstidentität ausgeht und diese auf die Anschauung hin übersteigt. Daher verhält sich die künstlerische Anschauung zu dieser wirklichen Welt gelassen und anschauend. Ich habe einmal gesagt, daß unser Selbst ineins damit, daß es leibhaft existiert, den Leib zugleich als ein Werkzeug besitzt. Ein Werkzeug ist ein Ersatzleib. Daher ist unser Leib nicht nur etwas Physisches, sondern etwas Geschichtsleibhaftiges. Wenn dieser unser Leib seine Eigenexistenz verliert und zum bloßen Werkzeug wird, wird er künstlerisch tätig. Die Poiēsis unseres Selbst wird hierbei zur Poiēsis des Weltlogos. Beim Tanzen wird unser Leib unmittelbar zu einem Werkzeug. Beim Malen wird unser Leib zur Achse des Pinsels, beim Schaffen einer Skulptur zum Griff des Meißels. Die Kunstarten unterscheiden sich dadurch, daß je etwas anderes als Werkzeug genommen wird. Daher darf man auch dem Gedanken der Semper-Schule, wonach Material und Technik Faktoren der Kunst sind, Bedeutung zumessen. Material und Technik sind nicht nur, wie Riegl meint, Reibungskoeffizienten. 19 Wie schon einmal erwähnt, versuche ich, die künstlerisch schöpferische Tätigkeit im Gegensatz zur bisherigen psychologischen Betrachtungsweise und in Absetzung von den Vorstellungen der idealistischen Philosophie vom Gestaltungsakt der Geschichte her zu denken. Daher fasse ich den künstlerischen Schaffenstrieb als einen durch und durch abstrahierenden auf. Sogar die sog. Einfühlung muß von dorther verstanden 19
Alois Riegl, Spätrömische Kunstindustrie, a. a. O. S. 9.
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werden. In diesem Punkt bin ich m. E. noch radikaler als Worringer. 20 Selbst der Stil der sog. klassischen Kunst ist eine Stilisierung unseres organischen Lebens. Bei diesem künstlerischen Schaffen gibt es kein Genußgefühl, keinen Selbstgenuß in den Dingen. Ebensowenig ist die klassische Kunst eine Objektivierung unseres Selbst oder ein subjektiver Ausdruck. Wäre sie so etwas, dann wäre sie keine Kunst mehr. Beim Malen einer schönen Frau muß sich der Künstler genauso verhalten wie beim Malen eines Baumes oder eines Steines. Nietzsche bemerkt, daß die Griechen eigentlich ein pessimistisches Volk waren, aber in einer künstlerischen Religion Erlösung gesucht haben. Die Gestaltungstätigkeit der Geschichte entfaltet sich, indem das Subjekt 21 die Umwelt und die Umwelt das Subjekt bestimmt, sie schreitet in widersprüchlicher Selbstidentität und in der Bewegung von einem Gebildeten zu einem Bildenden voran. Die Welt, die sich selbst in widersprüchlicher Selbstidentität von Subjekt und Umwelt gestaltet, d. h. die Welt, in der die Gestalt die Gestalt bestimmt, hat als Selbstbestimmung schlechthinniger Gegenwart auf ihren beiden sich widersprechenden Seiten eine auf abstrakter Ebene statische Gestalt. Genauer gesagt: Es gibt die wirkliche Gesellschaft, die als widersprüchliche Selbstidentität von Subjekt und Objekt dort lebt, wo die Gestalt die Gestalt selbst bestimmt. Diese geschichtliche, wirkliche Gesellschaft hat sowohl in ihrer subjektiven Richtung als auch in ihrer umwelthaften Richtung je eine abstrakte Gestalt, die dieses widersprüchliche Gegenüberstehen von Subjekt und Umwelt übersteigt und umschließt. Erstere Gestalt ist der künstlerische Stil, letztere Gestalt sind die naturwissenschaftlichen Gesetze. Erstere kann als Selbstausdruck des subjektiven Lebens, letztere als Selbstausdruck der Umwelt verstanden werden. In ersterer Gestalt versinkt die Umwelt im Subjekt, in letzterer das Subjekt in der Umwelt. Der künstlerische Stil ist der Selbstausdruck der geschichtlichen Welt auf dem Standpunkt, auf dem die Umwelt sich ans Subjekt anpaßt. Demgegenüber kann man den Selbstausdruck der geschichtlichen Welt auf dem Wilhelm Worringer denkt Einfühlungsvermögen und Abstraktionsdrang als die beiden sich gleichwertig gegenüberstehenden Pole menschlichen Kunstempfindens. Vgl. Worringer, a. a. O. S. 1–65, vor allem 43 ff., 59 ff. 21 Shutai (主体). Das Japanische kennt mehrere Worte für »Subjekt«. Shutai (Bedeutung der Zeichen: Herr-Leib) meint weder das logische oder das grammatische Subjekt (shugo, 主語, Herr-Wort) noch ein Subjekt im einschränkenden Sinne des neuzeitlichen Erkenntnissubjektes (shukan, 主観, Herr-Sicht oder -Blick), sondern ein Subjekt im positiven Sinn eines Handelnden. 20
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Standpunkt, auf dem das Subjekt sich an die Umwelt anpaßt, in den naturwissenschaftlichen Gesetzen sehen. Die Riegl-Schule sieht eine Aufgabe der Kunst darin, den Raum zu begrenzen. 22 Der so verstandene Raum, d. h. der künstlerische Raum, ist eine von schlechthinniger Gegenwart abstrahierte Gegenwart. Worringer denkt diese Raumbegrenzung als eine Art Erlösung. 23 Insoweit diese Raumbegrenzung künstlerisch geschieht, läßt sie die Dinge jedoch zugleich zu einem Spiegel des Selbst werden, d. h. sie bringt es immer mit sich, daß man das Selbst in den Dingen sieht. So verstanden, lassen sich Lipps »Einfühlen« 24 und Worringers »Abstrahieren« als zwei sich widersprechende Richtungen des künstlerischen Triebs selbst begreifen. Es handelt sich bei ihnen ganz und gar um zwei Richtungen des anschauenden Abstraktionsdrangs. Der künstlerische Trieb ist in seiner Verspanntheit zwischen diesen beiden sich widersprechenden Polen in sich widersprüchlich, würde jedoch ein Pol fehlen, so hörte er auf, Kunst zu sein. Kunststile sind als widersprüchliche Selbstidentität von Subjekt und Umwelt je nach Volk und dessen Umwelt verschieden. Das griechische Volk gestaltete in seiner Umwelt den Stil der griechischen Kunst. Das ägyptische Volk gestaltete in seiner Umwelt den Stil der ägyptischen Kunst. Das japanische Volk gestaltete in seiner Umwelt den Stil der japanischen Kunst. Wie Taut einmal formulierte, besteht die ewige Schönheit darin, daß ein Kunstwerk die Forderungen, die ihm durch das Gesamt all der Dinge, die seinen Mutterboden ausmachen, auferlegt sind, in äußerster Reinheit und noch dazu kraftvoll erfüllen kann. Das Parthenon empfing seine Gestalt in Profilen und Proportionen von der durchsichtig-klaren Luft Griechenlands. Der Ise-Schrein empfing seine Gestalt in Profilen und Proportionen von dem trübfeuchten, regnerischen Klima Japans. 25 Der jeweilige Stil ist für die Künstler, vielleicht ähnlich wie bei mathematischen Beziehungen, etwas ganz Klares und Notwendiges. Die als subjektive Selbstbestimmungen schlechthinniger Gegenwart zu verstehenden Ausformungen von Riegls Kunstwollen sind unendlich verschiedenartig. Es wird erzählt, daß der Maler Richter 26 in jungen Jahren einmal zusammen mit drei Freunden eine LandVgl. z. B. Alois Riegl, Spätrömische Kunstindustrie, a. a. O. S. 25–36. Vgl. z. B. Wilhelm Worringer, a. a. O. S. 19–27, 45 f., 173 ff. 24 Nishida bezieht sich hier auf Theodor Lipps, Ästhetik. Psychologie des Schönen und der Kunst, 2 Bde., Hamburg/Leipzig 1903. 25 Vgl. Bruno Taut, Grundlinien der Architektur Japans, Tôkyô 1936, S. 9 u. 17. 26 Adrian Ludwig Richter, 1803–1884. 22 23
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schaft malte, wobei sie die Verabredung trafen, nicht einen Millimeter von der Natur abzuweichen. Die fertigen Bilder allerdings waren alle verschieden. Botticelli hat Botticellis Stil, Credi hat Credis Stil. Neben den individuellen Stilen gibt es, wie Wölfflin feststellt, noch Stile der Schulen, der Länder und der Rassen. 27 Was wir gewöhnlich als schön empfinden, ist so etwas wie eine normative Form. Im Abstraktionsdrang kann sogar etwas durch und durch Häßliches zum Gegenstand der Kunst werden. Man kann sagen, es gibt kein Kunstwerk, an dem nicht der Teufel beteiligt ist. Dmitrij Karamasow behauptet, für die gewaltige Überzahl aller Menschen läge die Schönheit gerade in Sodom. Die Schönheit sei nicht nur eine fürchterliche, sie sei eine geheimnisvolle Sache. Hier kämpfe der Teufel mit Gott, und das Schlachtfeld sei das Menschenherz. 28 Im Altertum war das Hauptthema der Kunst Sieg und Herrlichkeit. Vom Beginn des spätrömischen Zeitalters an wurden Schande und Abscheulichkeit zum Hauptthema der Kunst. Im Zeitalter des Augustinus dachte man schließlich, daß es das reine Schöne nur bei Gott gäbe, es jedoch auch kein geschaffenes Ding gäbe, das nicht Spuren des Schönen in sich enthält, selbst die häßlichen Dinge seien davon nicht ausgenommen. Die klassische Kunst faßt den Raum als einzelne Gestalt. Zwischen Einzelnem und Einzelnem gibt es aber immer einen Zwischenraum. Wenn der Raum in der spätrömischen Kunst in die Ebene eingetragen bzw. verflacht wird, bedeutet das, daß der Raum als Rhythmus dieser Zwischenräume erfaßt wird. Der Rhythmus bildet die innere Einheit unabhängiger Dinge. Augustinus denkt das Böse als eine Privatio des Guten und das Häßliche als ein Intervall des Schönen. 29 Im Gegensatz dazu versucht die Kunst der neueren Zeit den Raum, der unendliche Tiefe hat, zu erfassen. Dadurch befreit sie sich vom lebensweltlichen plastisch-dreidimensionalen Raum. Ich bin kein Kunstfachmann, aber geht das Kunstwollen der östlichen Kunst nicht in eine von der westlichen Kunst wieder völlig verschiedene Richtung? Daß Kunst nicht vom Problem der Gestalt zu trennen ist, muß nicht extra gesagt werden. Geht man jedoch davon aus, daß das Kunstwollen der westlichen Kunst den Raum der Dinge faßt, könnte man dann nicht denken, Dazu und zu den oben genannten Beispielen vgl. Heinrich Wölfflin, Kunstgeschichtliche Grundbegriffe. Das Problem der Stilentwicklung in der neueren Kunst, Basel 11 1948, S. 11 f. u. 18. 28 Fjodor M. Dostojewski, Die Brüder Karamasow, 3. Buch, 3. Kapitel. 29 Von »Im Altertum …« bis »… des Schönen« referiert Nishida Darlegungen Riegls. Vgl. Alois Riegl, Spätrömische Kunstindustrie, a. a. O. S. 15, 25–36, 389 bis 405. 27
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Das künstlerische Schaffen als Gestaltungsakt der Geschichte
daß das Kunstwollen der östlichen Kunst darin besteht, den Raum des Herzens zu fassen? Worringer meint, der Mensch befreie sich, indem er den Raum fixiert, von der Angst vor dem Vakuum. 30 Umgekehrt bedeutet diese so verstandene Befreiung vom gegenständlichen Raum aber, daß das Selbst übrigbleibt. Wirkliche Befreiung geschieht erst, wenn der Ort des Herzens, der Raum des Herzens erfaßt wird. Wirkliche Befreiung heißt, im Herzen frei zu werden und nicht bezüglich der Dinge frei zu sein. Die westliche Kunst der neueren Zeit faßt die Tiefe des Raumes. Die östliche Kunst besteht darin, die abgründige Tiefe zu fassen. Man könnte das auch so formulieren, daß das Erfassen des Raumes von zwei sich widersprechenden Richtungen aus erfolgt. Der geschichtliche Raum ist der Raum der Dinge und zugleich der Raum des Herzens. In schlechthinniger Gegenwart sind Leib und Herz eins. Das Herz zugleich Buddha, Buddha zugleich das Herz. Auch die westliche Kunst kommt als Selbstbestimmung dieses Raumes zustande. Selbst wenn die westliche Kunst von der Abstraktion geprägt ist, so ist ihr doch die Einfühlung nicht völlig fremd. Man kann auch die östliche Kunst abstrahierend nennen, allerdings ist unser Kunststil vom geometrischen Stil des ägyptischen Gebiets ganz und gar verschieden. Unser Kunstwollen entspringt einem sanften, geschmeidigen Herzen. Wie man z. B. an der Architektur des Teehauses sehen kann, besteht der Stil der japanischen Kunst darin, das Selbst in den absoluten Raum einsinken zu lassen. Der Raum der östlichen Kunst ist nicht der Raum, der dem Selbst gegenübersteht, es ist der Raum, in dem sich das Selbst befindet. Im Gegensatz zu einer Entwicklung der Religion, in der sich die Götter aus den Haupttänzern der Kouros-Tänze herausdifferenzierten, entfaltete sich im Osten der Ursprungsort Gottes selbst zu Gott. Gott ist absolutes Nichts, Gott ist absolute Leere. Ob man den Stil der östlichen Kunst in so etwas wie die Stilkategorien Wölfflins hineinzwängen kann? Ich bezweifle es. 31
Vgl. z. B. Wilhelm Worringer, a. a. O. S. 19–30, 48–55. In dieser Bemerkung Nishidas darf man wohl eine direkte Replik auf Wölfflin sehen, der im Vorwort zur 6. Auflage seines Buches »Kunstgeschichtliche Grundbegriffe« (1922) äußerte, daß sein Schema zur Bestimmung der Entwicklungslinie des anschaulichen Vorstellens »sich bis in die Gebiete der japanischen … Kunst hinein als brauchbar erwiesen« hätte. Vgl. Wölfflin, a. a. O. S. 6.
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2. Hajime Tanabe
Einleitung In diesem Kapitel sollen Werke von Hajime Tanabe vorgestellt werden. Zwei Abhandlungen von ihm wurden auszugsweise aufgenommen: »Versuch, die Bedeutung der Logik der Spezies zu klären« (1937) und »Valérys Kunstphilosophie« (1951). Die erste Abhandlung hat neben der Logik der Spezies die Philosophie der Gesellschaft (bzw. des Staates) zum Gegenstand. Die zweite Abhandlung beschäftigt sich vor allem mit der Philosophie des Symbols als Kreuzungspunkt der Beziehungen zwischen Künstler, Werk und Publikum (bzw. der Gesellschaft). Durch diese beiden Abhandlungen zeigt sich die Eigentümlichkeit der Philosophie Tanabes besonders deutlich. Der erste Text »Versuch, die Bedeutung der Logik der Spezies zu klären« stellt die letzte und vollständigste Behandlung des Themas durch Tanabe dar, und zwar soweit es um seine Vorkriegsabhandlungen geht. In der hier auszugsweise übersetzten Abhandlung bezieht Tanabe auch schon die an seinen früheren Aufsätzen zur »Logik der Spezies« geübte Kritik mit ein. Rein zeitlich gesehen ist also die Abhandlung zur Gesellschaftsphilosophie, die hier aufgenommen wurde, älter als die Abhandlung über Kunstphilosophie. Das bedeutet unter anderem, daß die Abhandlung »Valérys Kunstphilosophie« die durch die »Philosophie als Metanoetik« 1 markierte Umkehr der Philosophie Tanabes voraussetzt, während der »Versuch, die Bedeutung der Logik der Spezies Hajime Tanabe, Zangedô toshite no tetsugaku (懺悔道としての哲学), 1944 verfaßt, 1946 gedruckt; jetzt in: Gesamtausgabe Hajime Tanabes (vgl. Anm. 1 zum ersten Text Tanabes), Bd. 9, S. 1–269. Vgl. dazu die Aufsätze: Johannes Laube, Zur religionsphilosophischen Bedeutung der »Metanoetik« des japanischen Philosophen Hajime Tanabe, in: Zeitschrift für Missions- und Religionswissenschaft, Heft 2 (1981) S. 121–138; ders., Die Interpretation des Kyôgyôshinshô Shinrans durch Hajime Tanabe, in: Zeitschrift für Missions- und Religionswissenschaft, Heft 4 (1981) S. 227–293.
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Hajime Tanabe
zu klären«, das metanoetische Moment noch nicht ausdrücklich berücksichtigt, obgleich es nicht völlig fehlt, insofern Tanabes »absolutes Nichts« als »die absolute Vermittlung« immer schon auf dem Weg zur metanoetischen Liebe als Selbstverneinung war. Die allmähliche Klärung des besonderen Charakters dieser absoluten Selbstverneinung war ja gerade die Aufgabe, die Tanabe 1937 bis 1944 gestellt wurde. Aufgrund der »Philosophie als Metanoetik« reflektierte Tanabe noch einmal seine in den dreißiger Jahren ausgearbeitete »Logik der Spezies« und schrieb 1946 »Die Praxis-Struktur der Logik der Spezies« 2 als Ergebnis dieser Reflexion nieder. Darin zeigt sich, daß Tanabe bei der Abfassung der »Logik der Spezies« in den dreißiger Jahren eben nicht nur praktische Motive hatte (nämlich zwischen Kommunismus und dem rechtsextremen Nationalismus eine dritte Gesellschaftsphilosophie anzubieten), sondern auch philosophische. Denn die Probleme der »Logik der Spezies« ließen ihn nicht los, obgleich doch die gesellschaftliche und politische Situation der dreißiger Jahre vergangen war und die Nachkriegsstudenten nun zwischen Kommunismus und demokratischem Liberalismus zu wählen hatten. Seine »Logik der Spezies« wurde von ihrer eigenen Dialektik her vorangetrieben. Das metanoetische Denken breitete sich über alle Bereiche der Philosophie Tanabes aus. 3 Der Grundgedanke der »Logik der Spezies«, wie er aus dem hier auszugsweise übersetzten Text »Versuch, die Bedeutung der Logik der Spezies zu klären« als Denkergebnis der Jahre 1934 bis 1937 ersichtlich ist, wurde auch in der Nachkriegsabhandlung »Dialektik der Logik der Spezies« (1947) beibehalten. Die Korrekturen bezogen sich auf Sekundäres. Deshalb kann der hier abgedruckte Text (auch im Auszug) nach wie vor als Grundlage der späteren reifen Philosophie Tanabes, in die er zugleich einführt, betrachtet werden. Der zweite Text bringt die Kunstauffassung Tanabes deutlich zum Vorschein. Tanabe steht anders zur Kunst als Nishida. Diese Verschiedenheit geht auf ihr verschiedenes philosophisches Denken allgemein Hajime Tanabe, Shu no ronri no jissenteki kôzô (種の論理の実践的構造), 1947 unter dem Titel »Shu no ronri no benshôhô« (種の論理の弁証法, Dialektik der Logik der Spezies) als Buch gedruckt; jetzt in: Gesamtausgabe, Bd. 7, S. 251–372. 3 Zu den Abhandlungen Tanabes über die »Logik der Spezies« vgl. die Aufsätze: Johannes Laube, Kritik der »Logik der Spezies« von Hajime Tanabe, 1. Folge, in: Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie, Bd. 23, Heft 3 (1981) S. 297–318, und ders., Kritik der »Logik der Spezies« von Hajime Tanabe, 2. Folge, in: ebd. Bd. 24, Heft 1 (1982) S. 104–118. 2
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I. Anfang der Schule
zurück. Tanabe hat zwar in seinen Notizheften mehr als tausend japanische Gedichte im Stil der Waka hinterlassen (also fünfmal mehr Gedichte verfaßt als Nishida). Aber Tanabe hat sich selbst nicht für einen Künstler gehalten und hätte es nicht angenommen, wenn andere ihn als Dichter bezeichnet hätten. Besonders in seinen frühen Abhandlungen erkennt man, daß für ihn die Kunst zunächst nichts Selbständiges war. Philosophie und Religion sowie Ethik drohten sie zu bevormunden. Den Ausdruck »künstlerisch« verwendete Tanabe häufig in negativem, kritischem Sinne zur Bezeichnung von Nishidas Philosophie. Er hielt sie damals für eine Philosophie der undialektischen Schau des Ganzen (im Sinne der Integralrechnung). Statt ihrer suchte er die Wirklichkeit durch und durch dialektisch zu erfassen, wobei das Individuum bzw. die individuelle Tat als Achse des Wirbels der Wirklichkeit beschrieben wurde (im Sinne der Differentialrechnung). Die Kunst wurde von Tanabe später aber immer klarer herausgearbeitet als ein ebenbürtiges Moment der absoluten Vermittlung, ebenbürtig der Ethik, der Religion und der Philosophie. In einer Dialektik der absoluten Vermittlung kann es ja auch nicht anders sein. In seinem Werk »Einführung in die Philosophie« 4 beschreibt Tanabe zum ersten Mal sowohl die Vermittlungsfunktion der Kunst gegenüber Ethik, Religion und Philosophie als auch die Vermittlungsfunktion der Kunstphilosophie gegenüber den übrigen Bereichen der Philosophie. 5 Schon in eben dieser »Einführung in die Philosophie« (wie in den späten Abhandlungen) taucht das dialektisch verstandene »Symbol« im Unterschied zum undialektischen »Ausdruck« als identitätsmäßiger Äußerung der Lebensexpansion auf. Doch besonders in seiner Auseinandersetzung mit den französischen symbolistischen Dichtern Paul Ambroise Valéry in »Valérys Kunstphilosophie«, 1951, und Stéphane Mallermé, in »Notizen zu Mallermé«, 1961, 6 macht Tanabe deutlich, was er letztlich unter »Symbol«, »Kunst« und »Kunstphilosophie« versteht. Gerade als »Symbol des (absoluten) Nichts« geHajime Tanabe, Tetsugaku nyûmon (哲学入門, Einführung in die Philosophie), Teil um Teil zwischen 1948 und 1952 verfaßt, zuerst gesondert und dann gesammelt veröffentlicht, jetzt zugänglich als Bd. 11 der Gesamtausgabe. 5 Zum »System« der Philosophie Tanabes und zum Ort der Kunstphilosophie darin vgl. Johannes Laube, Hajime Tanabes Religionsphilosophie als Beitrag zum »Wettstreit der Liebe« zwischen Buddhismus und Christentum (Freiburg i. Br. 1984) S. 23 f. 6 Hajime Tanabe, Mararume oboegaki (マラルメ覚書, Mallarmé-Memorandum), in: Gesamtausgabe, Bd. 13, S. 199–304. 4
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Hajime Tanabe
winnt die Kunst ihre dialektische Funktion für Ethik, Religion und Philosophie. Dabei vollzieht sich diese Vermittlung nach Tanabe immer durch die individuelle Existenz (des Künstlers, des Kunstbetrachters, des Kunstphilosophen – je nach Perspektive). Ein Überblick über die einzelnen Kapitel der Abhandlung »Versuch, die Bedeutung der Logik der Spezies zu klären« ist noch vorauszuschicken, damit der Zusammenhang des übersetzten Auszugs mit dem Ganzen sichtbar wird. Der Gesamttext besteht aus sieben Kapiteln. In den nicht übersetzten beiden ersten Kapiteln wird das »praktische Motiv« der Ausarbeitung der Logik der Spezies erläutert. Es geht Tanabe darum, angesichts vor allem der nationalistischen Bewegung der dreißiger Jahre, Prinzipien des praktischen (ethischen) Handelns des Einzelnen zu ergründen und das Verhältnis zwischen der Freiheit des Bürgers und dem Gehorsam gegenüber dem Machtanspruch bzw. gegenüber der Zwangsausübung des Staates dialektisch-philosophisch zu bestimmen. Das zweite Motiv, das »logische Motiv«, das im dritten und vierten Kapitel erörtert wird, reflektiert die Beziehung zwischen Genus – Spezies – Individuum als Moment der Dialektik der absoluten Vermittlung. Diese beiden Kapitel gelten als das Herzstück der Abhandlung. Im fünften Kapitel gibt Tanabe einen Vorblick auf die Folgerungen für die Ethik und die Religion. In diesen drei Kapiteln (3, 4, 5) setzt sich Tanabe gleichzeitig kritisch mit Nishidas Philosophie auseinander, ohne daß er jedesmal dessen Namen nennt, wenn er Nishida meint. Im sechsten und siebten Kapitel, die nicht übersetzt wurden, tritt wieder das Handeln des Individuums als Achse der absoluten Vermittlungsbewegung in den Vordergrund. Von dieser Perspektive aus werden andere wichtige philosophische Richtungen (wie z. B. die Philosophie Kants, Hegels, des Neukantianismus, Husserls, Heideggers) kritisiert. Wenn auch die übersetzten Kapitel 3, 4 und 5 diese Ausblicke auf die europäischen Philosophen nicht enthalten, so lassen sie doch die Grundstruktur der dialektischen »Logik der Spezies« klar erkennen. Der Zusammenhang des übersetzten Teils der kunstphilosophischen Abhandlung mit dem Ganzen soll ebenfalls sichtbar gemacht werden: Im ersten Kapitel handelt es sich hauptsächlich um Tanabes Kritik der Ästhetik Kants und der Metaphysik Leibnizens. Tanabe betont dort, daß Valéry in erster Linie Dichter war und seine Ästhetik nicht vom Gesichtspunkt des Zuschauens wie Kant, sondern von dem des Herstellens der Kunstwerke aus konzipierte. Das zweite Kapitel erörtert die frühere Kunstphilosophie Valérys, während das dritte Kapitel die späte135 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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re Kunstphilosophie Valérys darstellt. Das Gedicht »La jeune Parque« gilt dabei als Beginn dieser späteren Kunstphilosophie. Der Name Parque bedeutet übrigens im Lateinischen Parca, im Griechischen Μοῖρα, die Tochter der Ἀνάγκη (Schicksal). Das Schicksal, das an sich als ein unmittelbar-unvermitteltes Prinzip in seiner unvermeidlichen Notwendigkeit den Menschen von außen her bestimmt, schlägt, nach der Auslegung Tanabes, ins negative Moment der menschlichen Freiheit um, indem die vom Schicksal beherrschte Seele durch das Gewahrwerden ihrer Ohnmacht in dieses Schicksal vermittelt wird und es dadurch verinnerlicht. Tanabe sieht so im Gedicht Valérys den dichterischen Ausdruck der dialektischen Vermittlungsstruktur von Freiheit und Schicksal in seinem Sinne. Der übersetzte vierte Teil, in dem Tanabe trotz seiner Sympathie für das Gedicht Valérys dessen Grenze in den Blick nimmt und diese zu überwinden versucht, bildet den Höhepunkt der Auslegung. In diesem vierten Teil kommt auch Tanabes eigentliches Denken deutlich zum Vorschein. Das fünfte Kapitel behandelt die letzte Epoche der Kunstphilosophie Valérys, die in der Abhandlung »Introduction à la Poétique« zum Ausdruck kommt. Tanabe sieht in dieser Abhandlung die Entwicklung der Kunstphilosophie Valérys hin zu einem sozialen Gesichtspunkt. Im sechsten Kapitel versucht Tanabe, vom Gesichtspunkt des »absoluten Nichts« aus in seinem Sinne den Gedanken Valérys zu radikalisieren. Das absolute Nichts sollte nach Tanabe als der letzte Grund des künstlerischen Schaffens aufgezeigt werden.
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Hajime Tanabe
Versuch, die Bedeutung der Logik der Spezies zu klären 1 (Übersetzt von Johannes Laube)
I. Zu Beginn dieser Abhandlung erklärte ich, daß man auf zwei Motive kommt, wenn man die Gründe zusammenfaßt, die mich dazu bewegten, die Logik der Spezies vorzuschlagen. Das erste davon basiert auf dem praktischen Verlangen, die Begründung für die Kontrolle von Staat und Gesellschaft gegenüber dem Einzelnen zu suchen und die Haltung, mit der wir ihr begegnen, rational zu begründen. Indem ich dieses Motiv in den beiden vorangegangenen Kapiteln erörterte, versuchte ich, den Sinn der Logik der Spezies von dieser Seite her zu klären. Das Ergebnis davon war, daß sie eine allgemeine Bedeutung bekam, welche über die mit der bloßen aktuellen Situation verbundene praktische Bedeutung hinaus sogar mit der Methode der Philosophie als solcher in Beziehung tritt. Doch dieses rein logische Denkmotiv ist eben der zweite Grund, der mich von Anfang an bewegte und die Logik der Spezies ausdenken Anmerkungen von Johannes Laube. – Shu no ronri no imi o akiraka ni su (種の論理の 意味を明にす), zuerst veröffentlicht in: Tetsugaku kenkyû 259/260/261 (1937), jetzt zugänglich in: Tanabe Hajime zenshû (Gesamtausgabe Hajime Tanabes), 15 Bde., Tôkyô 1963/1964, 21972/1973, Bd. 6, S. 447–521. Der übersetzte Teil umfaßt die Seiten 466– 502. – Die sieben Vorkriegsabhandlungen zur »Logik der Spezies«, die alle in Bd. 6 der Gesamtausgabe (im folgenden abgekürzt mit THZ 6) aufgenommen wurden, sind zwischen 1932 und 1937 veröffentlicht worden, also in einer Periode der japanischen Geschichte, in der Japan sich zum faschistischen und imperialistischen Staatswesen entwikkelte. Die Abhandlungen Tanabes zur »Logik der Spezies« (Shu no ronri, 種の論理) wollen in die damalige Diskussion über das Wesen des (japanischen) Staates eingreifen und – vor allem auch den suchenden jungen Intellektuellen – einen Weg zwischen Marxismus und Hegelianismus zeigen. Allerdings gibt Tanabe in seiner letzten expliziten Abhandlung zur »Logik der Spezies« nach dem Zweiten Weltkrieg zu, daß er damals den Staat (wie Hegel) zu positiv gesehen habe. Man müsse auch dem Staat – wie dem Individuum – die Neigung zusprechen, dem Einfluß des »radikalen Bösen« (Kant) zu erliegen und sich schuldig zu machen (vgl. die Abhandlung »Dialektik der Logik der Spezies«, THZ 7, S. 253 f.). 1
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ließ. Ich muß mich jetzt dem zuwenden und den Inhalt dieses zweiten Motivs klären. 2 Man sagt: Weil die Logik der Dialektik die Einheit des Widerspruchs zum Kern besitzt, und weil klar ist, daß ein jene Einheit vermittelndes Sein nicht existiert, ist jene Einheit unvermittelt, unmittelbar. Etwas, was Sein und Nichts, Bejahung und Verneinung vereinigt, gibt es ursprünglich nicht. Aber von der anderen Seite her bedacht: Obgleich es heißt, daß Sein und Nichts unmittelbar vereinigt werden, stehen eigentlich beide absolut im Gegensatz zueinander und werden durch den unüberspringbaren Abgrund der Negation voneinander getrennt. Keineswegs bilden sie unvermittelt, unmittelbar ein Kontinuum. Wenn es sich tatsächlich so verhält, nämlich daß Sein nicht Nichts und Nichts nicht Sein ist, 3 dürfte die Vereinigung der beiden nicht zustande kommen, wenn es nicht irgendeine Vermittlung gibt, die diesen Abgrund der Negation überwinden läßt. So haben wir einen Grund dafür, daß das Fehlen von Vermittlung gleichzeitig das Vorhandensein von Vermittlung sein muß. Das läuft darauf hinaus, daß die VermittSeit Tanabe im Denken von Kant zu Hegel übergegangen ist (1932), betrachtet er die dialektische Logik (die nach seiner Auffassung die analytische Logik als einen Teil in sich enthält) als die logische Methode der Philosophie. 1933 verlangt Tanabe – wie sein Lehrstuhlvorgänger Kitarô Nishida – als Methode der Philosophie die »absolute Dialektik« (zettai benshôhô, 絶対弁証法) und sieht diese gerade in Nishidas Schriften beispielhaft dargestellt: vgl. »Tetsugaku tsûron« (»Einführung in die Philosophie«), THZ 3, S. 512. – Es ist nun aber ein Hauptanliegen gerade dieses 3. Kapitels der Abhandlung »Versuch, die Bedeutung der Logik der Spezies zu klären«, die »absolute Dialektik« Nishidas zu kritisieren. Wenn Tanabe gegen Ende des Kapitels erklärt: »Absolute Kritik ist nichts anderes als Logik der Spezies. Weil eine Dialektik des Nichts, welche die Logik der Spezies nicht zur Vermittlung macht, die Selbstverneinung und die absolute Verneinung unterschiedslos identifiziert, kann sie nur richtungslose Emanationslehre sein, welche die Geschichte nicht als Vermittlung nimmt. Darum kann sie nicht absolute Dialektik als absolute Vermittlung sein«, so kritisiert Tanabe jetzt Nishidas »absolute Dialektik« und setzt seine eigene »absolute Dialektik als Dialektik der absoluten Vermittlung« dagegen. Ihre konkreteste Gestalt ist die »Logik der Spezies«. 3 Sein (u, 有) und Nichts (mu, 無) werden hier noch im einzelnen unbestimmt als Gegensatzpartner einander gegenübergestellt. Später kann das Wort »Sein« ohne Zusatz aus dem Zusammenhang heraus oft soviel bedeuten wie »relatives Seiendes«, »materielles Seiendes«, »nicht selbstbewußtes Seiendes«, dem das »selbstbewußte Sein« (jikakusonzai, 自覚存在) gegenübersteht. Mu (»Nichts«) kann ohne Zusatz aus dem Zusammenhang heraus manchmal auch das absolute Nichts (zettai-mu, 絶対無) meinen, das über den Gegensatz von »Sein und Nichts« (des relativen Seins) und dem ihm gegenüberstehenden relativen Nichts erhaben ist, d. h. das auch die relative Negation noch einmal negiert. 2
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Versuch, die Bedeutung der Logik der Spezies zu klären
lung, die Sein und Nichts verbindet, selbst Nichts und doch Sein sein muß. Es ist klar, daß das nichts anderes ist als das »absolute Nichts«, 4 weil es auch das Nichts verneint, insofern es eben Nichts und doch Sein ist. So ist das, was die Logik der Dialektik vermittelt, das absolute Nichts, und auf dem absoluten Nichts gegründet besteht die Welt der Dialektik. Wenn man nun als den jene Welt umschließenden Ort das absolute Nichts denkt, ist es nichts anderes als der sogenannte Ort des Nichts. 5 Wenn man so zu denken beginnt, muß man zugeben, daß das absolute Nichts auf den ersten Blick sehr klar ist und sein Vorhandensein unbezweifelbar und daß auch der Grund, warum es als Ort des Nichts gedacht werden muß, sehr einleuchtend ist. Ich glaube, es ist nicht nötig, noch einmal darauf hinzuweisen, daß die Nishida-Philosophie, die heute als die tiefgründigste japanische Philosophie anerkannt wird, diesen Begriff zur Grundlage besitzt, und daß auch die von ihr beeinflußten Philosophien übereinstimmend das Nichts in dieser Bedeutung lehren. 6 Doch für mich ist es auf jeden Fall unmöglich, das absolute Nichts so zu verstehen. Zwar sind seit der Zeit damals, als Herr Professor Nishida zum ersten Mal den Ort des Nichts lehrte, bis heute schon zehn Jahre vergangen, und in jenem Zeitraum hat sein Denken mehr und mehr an Tiefe und Ausführlichkeit zugenommen und ist im Begriff, ein imponierendes System aufzubauen. 7 Aber ich vermag nichts dageAbsolutes Nichts, vgl. Anmerkung 3. Es braucht wohl kaum darauf hingewiesen zu werden, daß die verschiedenen Autoren der Kyôto-Schule der Philosophie ihren je eigenen Gebrauch von diesem Wort machen, der jeweils neu eruiert werden muß. Man darf nicht einfach unterstellen, daß alle »wie Nishida« das »absolute Nichts« verstehen. Tanabe beginnt hier seine Auseinandersetzung um diesen Begriff des »absoluten Nichts« von Kitarô Nishida. 5 Ort des Nichts (mu no basho, 無の場所), ein Zentralbegriff Kitarô Nishidas. Nishida versucht, mit seiner Hilfe die Beziehungen zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen sowie dem Einzelnen zu bestimmen. Wie es mehrere »Allgemeine« gibt, gibt es auch mehrere »Örter des Nichts« (mu no basho). Selbstverständlich ist der wichtigste der »Ort des absoluten Nichts« (zettai-mu no basho, 絶対無の場所). 6 Wörtlich »das von ihr beeinflußte Denken« (sore ni eikyô-serareta shisô). Doch durch den Zusatz itchi-shite (»übereinstimmend«) und den Gesamtzusammenhang dieses Kapitels legt sich der Bezug auf eine Mehrzahl von »Philosophien des Nichts« nahe. Gemeint sind vor allem die unmittelbaren Schüler Nishidas, z. B. Masaaki Kôsaka, Iwao Kôyama, Keiji Nishitani u. a. 7 In der Abhandlung »Vom Wirkenden zum Sehenden« (Hataraku mono kara miru mono e) aus dem Jahre 1927 stellt Nishida zum ersten Mal den »Ort des Nichts« vor (vgl. Gesamtausgabe Nishidas, Bd. 4, S. 208–289). 4
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Hajime Tanabe
gen zu tun, daß ich von Anfang bis heute nach wie vor im Bezug auf die Grundlage des Systems dieses verehrungswürdigen Lehrers einen Zweifel hege. Es handelt sich um die Frage, ob nicht das absolute Nichts, insofern es unmittelbar als Grundlage des Systems, als sogenannter Ort des Nichts gesetzt wird, schon Sein ist und nicht mehr Nichts. Das absolute Nichts muß etwas sein, was durch und durch Nichts ist, und dem es nicht erlaubt ist, Sein zu sein. Doch wenn man es als absolutes Nichts zum Untergrund oder Hintergrund der dialektischen Welt macht und es als Ort betrachtet, in dem die Seienden sich befinden, die Selbstverneinung in sich einschließen, 8 wird es als unmittelbar Seiendes festgelegt und verliert in Wahrheit die Bedeutung, daß es gleichzeitig Nichtseiendes ist. So werden zwar alle anderen Seienden in der Dialektik als Einheit von Verneinung und Bejahung durch Negation vermittelt und stellen Im-Nichts-sich-befindende-Seiende dar. 9 Aber der Ort des Nichts selbst als die Vermittlung, die sie Im-Nichts-sich-befindende-Seiende sein läßt, wird dagegen undialektisch unmittelbar bejaht, und das absolute Nichts verliert die Bedeutung, daß es Sein ist und doch Nichts, und wird unvermeidlich unmittelbares Sein. Das bedeutet nichts anderes, als daß die Dialektik selbst unmittelbar bejaht und undialektisch behauptet wird. Ich muß das für mangelnde Durchführung der Dialektik halten. Mit anderen Worten: Ich denke, daß auch das absolute Nichts gleichzeitig durch Negation vermittelt werden muß. Doch was bedeutet es, daß das absolute Nichts durch Negation vermittelt wird? Weil das absolute Nichts durch und durch Nichts ist, muß das, was ihm in Negation gegenübersteht, Sein sein. Wie im dialektischen Denken allgemein die Bejahung durch die Verneinung und das Sein durch das Nichts vermittelt wird, muß in diesem Fall umgekehrt das Nichts durch das Sein und die Verneinung durch die Bejahung vermittelt werden. Das absolute Nichts ist absolutes Nichts nur in der Wirksamkeit, durch die es umgekehrt das Sein zur eigenen Vermittlung macht und es verneint. Nur darin, daß es das Sein als seine Negation verneint und sein eigenes Nichts bejaht, kann es als durch Negation vermittelte Negation absolute
Ort, in dem die seienden sich befinden, die Selbstverneinung in sich einschließen (jikohitei-teki-naru sonzai ni oite aru basho.) Im Laufe der Abhandlung wird die Zugehörigkeit dieser »Selbstverneinung« (jiko-hitei, 自己否定) geklärt. Vgl. Anm. 11. 9 Im-Nichts-sich-befindende-Seiende (mu ni oite aru mono, 無に於て有るもの). Nishida formuliert meist: (shin no) mu no basho ni oite aru mono: vgl. z. B. Nishida Kitarô zenshû, Bd. 4 (= NKZ 4), S. 242–248. 8
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Versuch, die Bedeutung der Logik der Spezies zu klären
Negation sein. 10 Mit anderen Worten: Das absolute Nichts muß als seinen Vermittlungsaspekt das Sein als seine Selbstverneinung besitzen. 11 Dadurch kann das absolute Nichts etwas sein, was nicht unmittelbares Sein ist, sondern durch Negation vermittelt, insofern es nicht unmittelbar gesetzt wird, vielmehr als durch Selbstverneinung Vermitteltes durch und durch Verneinungswirksamkeit darstellt. In diesem Sinn muß man feststellen, daß das absolute Nichts nichts anderes als die Wirksamkeit der absoluten Negation ist. Ein absolutes Nichts, das vor der Wirksamkeit der Negation als Grundlage dieser Wirksamkeit gesetzt und zur Voraussetzung gemacht wird, vermag zwar im Bezug auf alle Seienden außer sich selbst die Herrschaft der Dialektik begründen. Aber es selbst allein wird etwas undialektisch unmittelbar Bejahtes oder Behauptetes. Insofern ein System auf so etwas als seiner Grundlage besteht, kann es zwar die für seine Errichtung nötige Einheitlichkeit besitzen. Gleichzeitig muß es aber als Einheit ohne den Aspekt der Selbstverneinung in undialektischer Ideenidentität enden. Auch das absolute Nichts als seine Grundlage ist undialektisch. Das System ist eben – wie oben gesehen – ein Negationsmoment der Dialektik. Folglich muß das absolute Nichts als seine Grundlage selbstverständlich in Wirklichkeit undialektisches, identisches Sein darstellen. Der Ort des absoluten Nichts ist gerade so etwas. Denn er ist zwar das, was alle in ihm Seienden negiert, genauer gesagt: was ermöglicht, daß durch die Wendung des Seins in Nichts Entstehen Vergehen und Vergehen Entstehen ist. Aber nur er selbst allein ist etwas Beständiges, das nichts mit solchem Entstehen und Vergehen zu tun hat. Das sogenannte ewige Nichts hat wohl diese Bedeutung. Es bildet allgemein die Grundlage der Philosophien des Nichts. 12 Nur aufgrund eines solchen ewigen und beständigen Nichts kann ein philosophisches System des Nichts errichtet werden. Das bedeutet aber nichts anderes als die undialektische Bejahung und Behauptung der Dialektik. Ich betrachte das als ihre nicht folgerichtige Durchführung. Wenn man die Dialektik als Methode der Philosophie für nötig und genügend hält, muß man sie folgerichtig durchführen. Absolute Negation (zettai hitei, 絶対否定). Das Sein als seine Selbstverneinung (sono jiko-hitei-taru u). Vgl. Anm. 8. Es wird immer klarer, daß Tanabe »das Sein« (u) oder »das Seiende« als die Selbstverneinung des absoluten Nichts betrachtet. Durch die Selbstverneinung im (am) Seienden vermittelt es sich selbst. 12 Aus dem Gesamtzusammenhang heraus deutet die Übersetzung ippan ni mu no tetsugaku-naru mono als einen Plural. 10 11
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Hajime Tanabe
Wenn man sie beim Denken der Dialektik selbst ausnimmt, ist das offensichtlich ein Widerspruch, eine Unstimmigkeit. 13 Wenn man aber im Gegenteil diese Unstimmigkeit vermeiden und die Dialektik konsequent durchführen will, muß man gleichzeitig gewärtig sein, daß die Philosophie des Nichts nicht mehr als ein System, welches das absolute Nichts zur Grundlage hat, bestehen kann. Weil bei der konsequenten Durchführung der Dialektik auch die Existenz des Systems gleichzeitig in eins gehen 14 muß mit seiner Nichtexistenz, ist die Rede von einem »System, das die Dialektik zur Basis hat« im gewöhnlichen Sinn ein Widerspruch und läuft auf Sinnlosigkeit hinaus. Man kann wohl an ein System nur in dem Sinn denken, wie ich im vorigen Kapitel beschrieb. Es ist die logische Ordnung der Einheit-im-Augenblick-derEinheit-der-Tat. Gleichzeitig aber ist es als Entfremdung der Dialektik etwas, was negiert werden muß, etwas, was der unablässigen Erneuerung anvertraut wird. Als abgeschlossene Einheit, welche die Tat in sich einschließt und doch ewig stillesteht, kann das System nicht bestehen. Wenn man ein solches System plant, das die Dialektik einschließt, muß man als seine Grundlage etwas aufstellen, was nicht als absolutes Nichts, sondern als absolutes Sein über der Dialektik steht. Aber ein solches absolutes Sein 15 ist – ähnlich wie das am Ende des vorigen Kapitels berührte Eine bei Plotin – eine Einheit, welche die Logik und das Denken schon überstiegen hat. Es kann nur Inhalt einer mystischen Intuition sein. 16 Ein die Dialektik einschließendes System ist nur auf Unstimmigkeit (fuseigô, 不斉合) kann auch übersetzt werden mit: »Asymmetrie«, »Nicht-zusammenpassen«. 14 In eins gehen (sôsoku-suru, 相即する), sonst meist nur soku-suru. Die Bedeutung von soku schwingt zwischen »sich entsprechen, sich gleich sein, sich vereinigen, sich verbinden, einssein« hin und her. Auch die Bedeutung »unmittelbar an etwas sein oder geschehen« oder »verbunden mit etwas«, »in Verbindung mit«, wird vom Zusammenhang her verlangt. Damit der Leser im Deutschen den japanischen feststehenden Terminus soku hinter dem deutschen Wort erkennen kann, wurde soku bzw. sôsoku in der vorliegenden Übersetzung immer mit einer Variante von »in eins gehen« übertragen. Dabei ist im Sinne Tanabes daran zu denken, daß es sich um einen dynamischen Kreislauf gegenseitiger dialektischer Vermittlung handelt und keinesfalls um statische Identität oder Parallelität. Gegenseitige Vermittlung aber heißt gegenseitige Negation. Soku gilt also als Symbol für diesen dynamischen Vermittlungskreislauf und in diesem Sinn als Signal an den Leser. Eine vollkommene Übersetzung dieser Wortverbindung sôsokusuru oder soku-suru, die überall passen würde, gibt es nicht und kann es nicht geben. 15 »Absolutes Sein«: hier zettai u, sonst auch zettai sonzai. 16 Mystische Intuition (shimpi-teki chokkan, 神秘的直観). Kann auch übersetzt werden mit: »mystische Schau«. Tanabes alter Vorwurf gegen Nishida. Was hier an Plotin kriti13
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einem solchen sogenannten überdialektischen Standpunkt möglich. Aber es ist wohl auch klar, daß die Dialektik dann als Methode der Philosophie unvermeidlich zu etwas Zweitrangigem degradiert wird, insofern so etwas Überdialektisches als das, was der Dialektik eine Bedingung auferlegt, ihr gegenüber aufgestellt wird. Das ist der Grund, warum die Dialektik Platons bei Plotin ihre Bedeutung veränderte. Die Dialektik muß immer am Standpunkt der Vermittlung durch die Tat festhalten und auf ein ewiges System, welches das Ganze zusammenfaßt, verzichten. Doch die Philosophien des Nichts übersehen in vielen Fällen dieses Verhältnis und hegen die falsche Vorstellung, als ob sich auf dem Standpunkt der Dialektik unmittelbar ein System errichten lasse. Aber wenn das absolute Nichts unmittelbar geschaut würde, würde es schon auf dem Standpunkt einer Überdialektik 17 als Sein unmittelbar geschaut. Auf keinen Fall wird es dialektisch gedacht. In der Dialektik muß das Nichts immer das Nichts des Seins, das Nichts des Seienden sein. 18 Es kann nicht unter Auslassung der Wirksamkeit der siert wird, soll auch Nishida treffen: Verwandlung der Philosophie in Religion, in mystische, pantheistische Religion. 17 Überdialektik (chô-benshôhô, 超弁証法). Kann auch übersetzt werden mit: »Metadialektik« im Sinn der Übersteigung und Überwindung der Dialektik. 18 Nichts des Seins, Nichts des Seienden: (u no mu, 有の無, sonzai no mu 存在の無). Tanabes Wortgebrauch im Bezug auf u (Sein), sonzai (Sein/Existenz/ Seiendes/Dasein), jitsuzon (»Existenz« im Sinn der Existenzphilosophie) ist nicht immer folgerichtig und eindeutig. U kann stehen für »Vorhandensein«, manchmal für die Vielheit der »Seienden (bzw. »Seiendes«), in diesem Sinn für »Existenz« und »Existierendes« (im Sinn der existentia der Scholastik). Es kann als »Sein« (esse) dem »Nichtsein« (non-esse) oder als »Sein« im Sinn von »Seiendes« dem »Nichts« (nihilum privativum, leeres Nichts) gegenübergestellt werden. Bei Tanabe kann es sogar in abgekürzter Redeweise dem absoluten Nichts entgegengestellt werden, obgleich das absolute Nichts eigentlich zunächst den Gegensatz »Sein-soku-Nichts« (u-soku-mu) negativ aufhebt, also den Gegensatz des relativen Seins und des relativen Nichts zusammengenommen. Jitsuzon wird aufgrund des Zusammenhangs bei Tanabe immer als »des Menschen wahres Sein« = Existenz im Sinn der Existenzphilosophie erkannt (jitsuzon ist Abkürzung von shinjitsu-sonzai). Schwierigkeiten der Deutung und Übersetzung entstehen aber manchmal bei Tanabes Gebrauch von sonzai. Sonzai betont gewöhnlich das »Dasein«, die »Existenz« im Sinn von existentia, »Existieren«, »Existentsein«, »Bestehen«, »Vorhandensein«, »Gegenwärtigsein«. Bei Tanabe kann es alles das heißen, aber auch ein konkretes Seiendes, ein Vorhandenes, ein existierendes Wesen (ein ens) meinen. Schließlich kann es wie hier in eine Linie mit u = esse gebracht und als »Sein« dem »Nichts« gegenübergestellt werden: sonzai-soku-mu wie u-soku-mu. Für das »Dasein« in Heideggers Sprachgebrauch nimmt Tanabe gewöhnlich gen-sonzai (現存在) (Abkürzung von genjitsu-sonzai: »erscheinend-wirkliches Sein«). Ob Tanabe mit dem vorliegenden Satz (»In der Dialektik
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Negation unmittelbar geschaut werden. Was unmittelbar geschaut wird, ist immer Sein. Es erscheint auch selbstverständlich, daß Bergson vom Standpunkt der unmittelbaren Anschauung her das leere Nichts verwarf. Das Nichts zu sehen muß bedeuten, das Nichts zu realisieren. 19 Aber das Nichts zu realisieren bedeutet das Selbstbewußtsein 20 des Wirmuß das Nichts immer das Nichts des Seins, das Nichts des Seienden«) zwischen dem ersten »Sein« (hier: u, 有)und dem zweiten »Seienden« (hier: sonzai, 存在) einen Bedeutungsunterschied anzeigen oder nur ein Hendiadyoin gebrauchen wollte, kann strittig sein. Für die Bedeutungsgleichheit von u = Sein und sonzai = Sein im vorliegenden Fall spricht die Tatsache, daß Tanabe in den folgenden Sätzen bis zum Ende des Abschnitts nur u = Sein verwendet. Aus dem Inhalt dieses Abschnitts geht hervor, daß »Sein« hier als die statische Welt der Gegenstände der unmittelbaren Anschauung verwendet und verworfen wird. Analog dazu beginnt der folgende Abschnitt mit der Entgegensetzung von »Sein« (hier: sonzai!) und »Tat« (kôi) als Momente der »Wirklichkeit« (genjitsu, 現 実). Tat (kôi, 行為) im Sinne von Tanabe ist die dynamische Achse der absoluten Dialektik. Durch die Tat geht die Wirklichkeit mit dem dynamischen absoluten Nichts »in eins«. Die Tat ist immer Tat des Individuums. Die Wirklichkeit steht auf der Seite des dynamischen Nichts (mu, zettai mu) gegenüber dem statischen Sein (u, sonzai). Darum lehnt Tanabe eine »Seinslehre der Wirklichkeit« (»Ontologie der Wirklichkeit«: genjitsu no sonzairon, 現実の存在論) ab (vgl. Tanabes nächsten Abschnitt). 19 Das Nichts realisieren (mu o satoru). Satoru und Satori (悟り) (»zur Einsicht gelangen«, »zur Erleuchtung gelangen«, »zur Wesensschau gelangen«, »die ursprüngliche Buddhanatur schauen«) gehören zusammen. Sie sind mit shô-suru (証する)verwandt, das Tanabe noch häufiger gebraucht, im Anschluß an die Terminologie von Shinran (1173–1262): kyô (die wahre »Lehre«, d. h. bei Shinran: die drei Sûtren, vom »Reinen Land [Amida Buddhas]«), gyô (die daraus folgende wahre »Praxis« der Anrufung des Namens Amidas), shin (der »Glaube« an Amida Buddha, der selber als Geschenk von Amida ins Herz des Gläubigen gesenkt wird), shô (das Erlebnis der »Geburt im Reinen Land« als Garantie der Erlösung = Erleuchtung mit Amida Buddha). Dieses »Er-lebnis«, diese »Er-fahrung« geben wir in der vorliegenden Übersetzung immer mit dem Wort »realisieren«, »Realisierung«, »Realisations(erlebnis)« wieder. Wir lehnen uns dabei an den englischen Sprachgebrauch von to realize (erkennen und verwirklichen, erkennen im Verwirklichen, verwirklichend erkennen) und an Daisetsu Teitarô Suzukis Übersetzung des Kyôgyôshinshô Shinrans an, der das Moment des -shô der Formel kyô (教), gyô (行), shin (信), shô (証) als »(true) realizing of the Pure Land« übersetzt. Gemeint ist bei Tanabe die Verwirklichung des absoluten Nichts (das bei Tanabe auch manchmal »absolute Wirklichkeit« heißen kann) durch mein Handeln bzw. meine Praxis gyô. Dieses Handeln wird aus mir herausgezogen vom Glauben (shin) und bestätigt vom »Er-leben« shô oder »Realisieren« oder »Erkennen-im-Verwirklichen« (to perform and to perceive). Shô könnte auch mit »Zeugnis (geben)« oder »Beweis (erbringen)« oder »sich erweisen« übersetzt werden. Vgl. auch Anm. 20 zum Begriff »Selbstbewußtsein«. 20 Selbstbewußtsein (jikaku, 自覚). Tanabe übersetzt Hegels Terminus »Selbstbewußtsein« mit jikaku. Wenn Tanabe über Hegel spricht und ihn referiert, mag bei jikaku an Hegels Deutung dieses Wortes zu denken sein (und an die Rolle des Selbstbewußtseins im Ganzen seines philosophischen Systems). Das muß aber von Fall zu Fall aus dem
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kens als Nichts. Es darf nicht bedeuten, das Nichts unmittelbar anzuschauen. Wenn man nicht selbst zum Nichts wird und nicht umgekehrt als Einheit von Wirklichkeit und Selbst handelt, kann man nicht das Nichts realisieren, nicht in diesem Sinn das Nichts sehen. Richtig gedacht ist das Nichts nicht etwas, was geschaut wird, sondern etwas, was getan wird. Das absolute Nichts einer solchen Tat wird aufgrund des Wesens der Tat als solcher gewiß nicht in der ursprünglichen Bedeutung unmittelbar geschaut. Die Tat ist gerade deswegen Tat, weil sie die unmittelbare Anschauung übersteigt. Weil sie die Schau übersteigt und das unmittelbar geschaute Sein zerbricht, kommt die Tat-im-Nichts zustande. In diesem Sinn stehen sich Tat und Schau negativ gegenüber. Die Schau hat das Sein als die negative Vermittlung des oben beschriebenen absoluten Nichts zum Inhalt. Wenn man das absolute Nichts unmittelbar in Sein verwandelt, ist es schon kein Nichts mehr. Ähnlich Zusammenhang erschlossen werden. Tanabe gebraucht jikaku ferner für das buddhistische (zen-buddhistische) Satori (satoru: vgl. Anm. 19). Des weiteren kann jikaku bei Tanabe die Tätigkeit des dialektischen Philosophierens selbst meinen. Jikaku kann unmittelbar für Philosophie stehen, und zwar für Tanabes Philosophie-als-Selbstbewußtsein (»Sichwissen«)-der-Tat, kurz: Philosophie als Tat-Philosophie. Jikaku bedeutet dann das ungegenständliche, durch Negation aller anderen Formen von Wissen vermittelte (und darum auch »Glaube«, shin genannte) Tat-Bewußtsein, das sich dialektisch zur Tat-Philosophie entwickelt. Es handelt sich bei jikaku nicht um das gewöhnliche Gegenstandsbewußtsein, auch nicht um das gewöhnliche Selbstbewußtsein (jiko-ishiki, 自己意 識), bei dem sich das Selbst als Subjekt gleichzeitig auch als Objekt selbst zu erkennen glaubt. Das ji (自) von jikaku muß zunächst als onozukara (»von selbst«) gedeutet werden. Es bezeichnet ein von mir selbst von selbst mir zukommendes, über-mich-kommendes, mich in den Strudel der Aufhebung des Selbst im Kampf mit der Wirklichkeit hineinziehendes Wissen-im-Vollzug, Wissen-im-Verwirklichen. Tanabe definiert jikaku manchmal als dynamisches Beisichsein der Nichtung des Selbst und in diesem Sinn als »Selbstbewußtsein des Nichts des Selbst«, also gerade nicht als Selbst-Bewußtsein (jikoishiki), in dem das Selbst sich selbst als »Selbst« zu erkennen glaubt. Jikaku als das oben beschriebene Tatbewußtsein vollzieht sich nach Tanabe konkret im ethischen, geschichtlichen, gesellschaftlichen, weltlichen Handeln, im Erneuerungshandeln, im schöpferischen Schaffen, im Schaffen aus dem Nichts der Zukunft (oder: »in Verbindung mit ihm« und in diesem Sinn »an ihm«: ni soku-shite, vgl. Anm. 14). Die Formel »Handeln-Glauben-Realisieren« (oder »Praxis-Glaube-Erleuchtung«) drückt die drei Momente dieses Tatwissens bzw. Tatglaubens aus. Für eine ausführliche Darstellung von jikaku und gyô-shin-shô im Sinne Tanabes sei verwiesen auf: Johannes Laube, Dialektik der absoluten Vermittlung. Hajime Tanabes Religionsphilosophie als Beitrag zum »Wettstreit der Liebe« zwischen Buddhismus und Christentum, Freiburg i. Br. 1984. – Um auf diese besondere Bedeutung von jikaku bei Tanabe hinzuweisen, wird im Text der vorliegenden deutschen Übersetzung »Selbstbewußtsein« kursiv gedruckt – als Signal an den Leser, sich des oben Dargelegten zu erinnern.
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kann die Tat nicht mehr als Tat bezeichnet werden, wenn man sie unmittelbar schaut. Insofern die Tat die Einheit-des-Nichts ist, kann ihre Einheit nicht unmittelbar angeschaut werden. Erst da, wo die unmittelbare Schau negiert wird, tritt die Tat auf. Solange die unmittelbare Schau andauert, gibt es keinen Freiraum, in den die Tat eintritt. Der Begriff der »handelnden Anschauung« oder »tätigen Schau« 21 erscheint mir in diesem Sinn als ein Widerspruchsbegriff. Er kann in Wirklichkeit erst gebraucht werden, wenn man den Standpunkt der Tat verläßt, der die Dialektik praktiziert, und auf den Standpunkt überwechselt, der das Ergebnis der Tat als Ausdruck interpretiert. Das Adjektiv »handelnd« zeigt richtig verstanden nicht mehr an als nur die Tatsache, daß die unmittelbare Schau nicht bloß passiv ist, sondern aktiv beziehungsweise kreativ. Auch die Wende »vom Geschaffenen zum Schaffenden« 22 bleibt auf dem Standpunkt der Schau der Dinge stehen, insofern sie nur ausdruckshaftes Schaffen 23 ist. Sie gelangt nicht dazu, die durch Negation vermittelte Wechselwende von Ding und Selbst im Selbstbewußtsein zu erfassen. Mag sie künstlerische Schöpfung darstellen. Ethische Tat ist sie nicht. Das Absolute, das da berührt wird, ist das absolute Leben. Es ist nicht Nichts, sondern Sein. Das Nichts wird nur in der Tat auf die Weise der absoluten Negation praktiziert. Seine Vermittlung muß umgekehrt gerade das Sein sein. Der Ort des Nichts kann dafür nicht das Prinzip abgeben. Wenn man bei dieser Gelegenheit erklärt, die Tat-als-Negation 24 sei möglich, weil es das Nichts gibt, so ist
Kôiteki chokkan (行為的直観). Terminus Nishidas, auch als »Tatschau« oder »Einheit von Schaffen und Schauen« übersetzbar. Tanabe dagegen verlangt den »Tatglauben«: vgl. Anm. 20. 22 Vom Geschaffenen zum Schaffenden (Tsukurareta mono kara tsukuru mono e). Ausdruck Nishidas. Kann auch übersetzt werden mit: »Vom Gemachten zum Machenden«. 23 Hyôgen-seisaku-teki (表現制作的): ausdruckshaftes Schaffen (Hyôgen »Ausdruck«). »Ausdrucksschaffen« ist ein Streitwort zwischen Nishida und Tanabe. Für Tanabe sind der unmittelbare Lebensausdruck – konkreter gesprochen: die seienden als Äußerung des absoluten Lebens – und das dialektisch vermittelte Symbol (shôchô, 象徴) – konkreter gesprochen: die Seienden als Selbstverneinung des absoluten Nichts = der absoluten Wirklichkeit – entgegengesetzt wie die Nishida-Philosophie und die Tanabe-Philosophie insgesamt. Der Konzeption Nishidas vom »Ausdruck« wirft Tanabe vermittlungsloses Identitätsdenken, Philosophie des unmittelbaren, sich selbst verlängernden, sich selbst bruchlos und restlos äußernden, sich selbst bejahenden, sich selbst ewig reproduzierenden absoluten Lebens vor. 24 Tat-als-Negation (hitei-teki kôi, 否定的行為). Kann auch übersetzt werden mit: »negationsmäßige Tat«. 21
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das Interpretation der Tat und nicht Selbstbewußtsein der Tat. Dinge zu schauen, die bloß negiert werden können, ist nicht nur nicht wahrhaft Schau des Nichts, sondern ist – richtig verstanden – nicht einmal »tätig«. »Tätig-folglich-negierend« 25 und unmittelbare Schau widersprechen sich. Doch die Philosophie des Nichts wendet auf der Grundlage eines solchen widersprüchlichen Begriffs die Dialektik undialektisch an und stellt damit ein System auf. Ähnlich wie der praxisbezogene Standpunkt des Zen, der sich durchweg auf die plötzliche Realisierung des Nichts konzentrieren muß, dazu neigt, sich mit dem kontemplativen System der Hannya-Ansicht von der Leere zu verbinden, 26 verwandelt sie das Nichts als einen Inhalt mystischer Intuition in Sein und erfaßt dabei die Wende zur Überdialektik nicht im Selbstbewußtsein. So denkt sie, die Dialektik als solche ermögliche die Errichtung eines Systems, und macht sich dreist des Widerspruchs der Errichtung eines dialektischen Systems schuldig. Gerade deswegen leiste ich dagegen Widerstand. Die durch Negation vermittelte Einheit von Sein und Tat ist eben die Wirklichkeit. Insofern die Wirklichkeit so die Tat zum Moment hat, kann sie sich nicht in Sein verwandeln. Eine »Seinslehre der Wirklichkeit« 27 kann es nicht geben. Wenn man die Wirklichkeit nur von der Seite des Inhalts her betrachtet, der im Begriffe ist, durch die Tat gestaltet zu werden, das Nichts der Tat, das ihr Moment ist, außer acht läßt, sie ausschließlich als Sein nimmt und ontisch auffaßt, wird sie als sogeTätig-folglich-negierend: (kôi-teki shitagatte hitei-teki). Tanabe deutet hier das ursprüngliche Anliegen des Zen als Praxis der Meditation schlechthin – ohne philosophisch-theologische Systembildung. Letztere sieht er als Anliegen der buddhistischen Schulen, die sich auf die Prajñâpâramirâ-Sûtren (Hannya-Sûtren) stützen und von Nâgârjuna (2./3. Jh.) führen lassen. Die meditative Praxis des Zen und die philosophisch-theologische Theorie des Nâgârjuna seien eine unerlaubte Verbindung eingegangen. Das »Nichts« der Praxis sei nicht die »Leere« der Theorie. Hannya, Sanskrit prajñâ (»Weisheit«) ist, nach dem Shin-Bukkyôjiten) (»Neues Buddhismuslexikon«), hrsg. von Hajime Nakamura, Tôkyô 1972, die aufgrund der Praxis des allgemeinbuddhistischen »achtfachen Pfades« und der Mahâyâna-buddhistischen (sechs oder zehn) Bodhisattva-Tugenden (Pâramitâ) in Erscheinung tretende Weisheit. Sie überschreitet das die Phänomenwelt analysierende urteilende Erkennen und Wissen (vijñâna) und schaut die Vielheit der Seienden als Ganzheit. Es ist die Weisheit, durch die ein Buddha zum Buddha geworden ist, darum heißt sie auch »Buddha-Mutter«. 27 Seinslehre der Wirklichkeit (genjitsu no sonzairon). Tanabe lehnt eine »Ontologie« der Wirklichkeit ab, weil dadurch die Wirklichkeit ihrer Dynamik und Dialektik beraubt werde. Er versteht »Ontologie« als statische Substanz-Ontologie der europäischen Tradition. 25 26
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nanntes ausdruckshaftes Sein 28 zum Gegenstand der Interpretation. Ihre Rückseite wird durch das absolute Nichts als Vermittlung der Tat gestützt, und als solche hält jene das System dadurch aufrecht, daß das Nichts unmittelbar vorausgesetzt wird. Das eben ist die allgemeine Struktur des Systems der Philosophie des Nichts. Weil aber ein solches Nichts schon Sein ist, läßt es 29 die Tat nicht zustande kommen. Es denkt nur die Tat im Ausdrucksinhalt, der ihr Ergebnis ist. Es ist klar, daß in das Innere dieses Systems die Tat nicht eintreten kann. In einer Ontologie der Ausdruckshermeneutik gibt es keinen Freiraum, den die Tat besetzen kann. Denn die Tat kommt da zustande, wo sie ein solches ausdrucksmäßiges Sein negiert. Hier liegt wohl auch der Grund, warum das Nichts in der Existenzphilosophie interpretiertes Nichts ist, und die Tat bei der Möglichkeit der Entscheidung stehenbleibt. 30 Wenn man – darüber hinausgehend – die Tat und das Sein unmittelbar vereint und durch die Verwandlung des Nichts in das Sein-als-Ort die tätige, unmittelbare Schau mit Gewalt zur Grundlage eines Systems macht, ist das Ergebnis davon keine Philosophie mehr, die den Standpunkt der Logik bewahrt, sondern nichts anderes als ein Mythos als Produkt der Einbildungskraft. Platon gebrauchte immer Mythen, wenn er den Ursprung der Wirklichkeit erörterte und seine überlogische Struktur entfaltete. Damit unterschied er sie eindeutig vom Standpunkt der dialektischen Logik. Man muß zugeben, daß dies ein sehr klares Selbstbewußtsein der Vernunft zeigt. Doch die Philosophie des Nichts vergißt diese Unterscheidung und verbindet Logik und Mythos unmittelbar, und zwar denkt sie, dialektisch sei dies möglich. Wenn ich sie als »künstlerisch« betrachte und ihr Widerstand leiste, so kommt das daher, weil sie auf der einen Seite die logische Beziehung der Begriffe unklar macht und an das Mysterium der Intuition appelliert sowie die Gefahr einschließt, in die Illusion der sogenannten intellektuellen Anschauung 31 zu fallen, und Ausdruckshaftes Sein (hyôgen-teki sonzai, 表現的存在) kann auch übersetzt werden mit: »ausdrucksmäßiges Sein«. 29 Es: im Japanischen ist das »es« unmittelbar bezogen auf das im Weil-Satz vorausgegangene »Nichts«. Sinngemäß hätte man erwartet, daß »es« das System der Philosophie des Nichts meint, das in den vorangegangenen Sätzen Thema war. 30 Tanabe wirft auch in anderen Abhandlungen Heidegger vor, daß das Nichts, von dem Heidegger spricht, gedachtes Nichts, nicht getanes Nichts sei. Die Todesentschlossenheit (= Nichtsentschlossenheit) bei Heidegger sei nur mögliche Entscheidung, nicht wirkliche Entschiedenheit. 31 Intellektuelle Anschauung (chi-teki chokkan, 知的直観). In seinen früheren Werken gebrauchte Nishida statt »handelnde Anschauung« (kôi-teki chokkan) den Terminus 28
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weil sie auf der anderen Seite gleichzeitig die Praxis, die man als den Kern der dialektischen Logik bezeichnen muß, unnötig macht und ferner, ohne die Irrationalität der Wirklichkeit durch die Vermittlung in Rationalität zu wenden, die Irrationalität – so wie sie ist – unmittelbar rationalisiert, und zwar so, daß sie dabei ihre Einheit der Kontemplation des absoluten Nichts anvertraut, als ob sie auf der Wende der absoluten Negation beruhe. Das ist nicht der negative Gehorsam gegenüber der Wirklichkeit als der Verwandlung der Wirklichkeit in das Selbst durch die Tat, sondern es ist nichts anderes als unmittelbare Wirklichkeitsbejahung. Auch bei der »tätigen Schau« bedeutet das sogenannte »tätig« nicht mehr als nur die künstlerische, unmittelbare Kulturschöpfung und berührt nicht die politische Praxis der Staatserneuerung, die ihre Basis darstellt. Das ist letztlich nichts anderes als die praxislose Resignation angesichts des Status quo. Verglichen mit denen, die philosophisch 32 auf dem Standpunkt der unmittelbaren Schau stehen, und religiös alle Seienden als Symbole des Absoluten betrachten, sie als symbolische Seiende im Sinne des Satzes »Pflanzen, Bäume, Länder – alle werden Buddha« zum Gegenstand der Kontemplation machen und so ihr Geheimnis lösen wollen, scheint so diese Philosophie nicht bloß aufgrund ihres Standpunktes den oben beschriebenen Mangel an Selbstbewußtsein und Stimmigkeit einzuschließen, sondern noch stärker die Tendenz zu haben, für das wirkliche praktische Leben unmittelbar die Praxis unnötig zu machen. Das kommt daher, weil sie nicht wie die ersteren den eigenen Standpunkt der Praxis anerkennt und ihn in Symbol verwandelt, sondern aufgrund der falschen Vorstellung, als ob unmittelbar die Kontemplation selbst Praxis sei, die Intuition und die Interpretation die Vertreter der Praxis sein läßt. Allgemein gesprochen ist die logische Unstimmigkeit eines Systems für sich allein noch nicht
»intellektuelle Anschauung (chi-teki chokkan). Zum Beispiel in Zen no kenkyû (»Studie über das Gute«, 1911) nennt Nishida die »intellektuelle Anschauung«: junsui keiken ni okeru tôitsu-sayô sono mono – »die Einheitsfunktion selbst in der reinen Erfahrung« (vgl. auch die deutsche Übersetzung von Peter Pörtner, Über das Gute, Frankfurt a. M. 1989, S. 66), NKZ 1, S. 43. Damit hat Nishida einen Schellingschen Terminus in seine Philosophie-der-reinen-Erfahrung eingeordnet und ihm eine neue Funktion gegeben. Nishida erklärt in diesem Zusammenhang auch: »… Schellings ›Identität‹ ist ein Zustand reiner Erfahrung« (deutsche Übersetzung, S. 65). Wegen dieser Übernahme Schellingscher Begriffe und wegen der Herleitung der »intellektuellen Anschauung« aus der »mystischen Schau« (ebd.) kritisiert Tanabe Nishida noch jahrzehntelang. 32 Philosophisch: hier jikaku-teki ni, wörtlich: selbstbewußtseinsmäßig.
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das Ende. Mit Notwendigkeit hat sie praktischen Einfluß. Hier liegt der Grund, warum ich nicht umhin kann, dem System der Philosophie des Nichts Widerstand zu leisten. Aus den oben im einzelnen erörterten Gründen beabsichtige ich, um die Logik der Dialektik folgerichtig durchzuführen, die wahre Bedeutung des absoluten Nichts in der Wirksamkeit der absoluten Negation zu sehen, die auch diese Logik durch und durch dialektisch bejaht, und umgekehrt den ihr in Negation gegenüberstehenden Gegensatzpartner zum Vermittler macht und ihn negiert. Damit auch das absolute Nichts dialektisch gedacht wird, muß es als negative Vermittlung seines Nichts den Gegensatz des Seins haben. Wenn das nicht der Fall ist, ist es – wegen der Unmittelbarkeit – nicht Nichts, sondern verwandelt sich in Sein. Daß das Nichts jenes zu negierende Sein nötig hat, um durchweg als Nichts Wirksamkeit der Negation zu sein, ist eben der Kernpunkt dessen, was ich oben erklärte. Weil nun das Sein als die negative Vermittlung dieses Nichts die Vermittlung des Nichts ist, muß es selbst unvermitteltes, unmittelbares Sein sein. Denn insofern es als Vermittlung des Nichts vorausgesetzt wird, ist es selbst eben unvermitteltes Sein. Aber von der anderen Seite her gedacht müßte im dialektischen Denken jedwede Bejahung des Seins durch Verneinung vermittelt worden sein. Wenn das Sein für nötig gehalten wird, um das Nichts negativ zu vermitteln, muß man gleichzeitig umgekehrt das Nichts für nötig erachten, um das Sein zu vermitteln. Andernfalls vermeidet man wohl immer noch nicht, daß man unstimmig denkt. Doch jetzt ist das Nichts, welches das Sein zu seiner Vermittlung hat, vom Ursprung des Problems her gesehen, das wir bisher bedachten, das absolute Nichts. Folglich kann man außer diesem kein anderes Nichts gesondert denken. Deshalb gibt es keine Möglichkeit, das Nichts, welches das Sein vermittelt, außerhalb des absoluten Nichts zu suchen. Doch das absolute Nichts war umgekehrt das, was das Sein zur eigenen Vermittlung hat. Wenn es so ist, vermittelt das absolute Nichts das Sein-als-seine-Vermittlung in Umkehrung selbst und außerhalb seiner selbst besitzt es keine Vermittlung seiner selbst. Es muß eine selbstverständliche Folgerung sein, wenn es eben der Geist der Dialektik ist, alle Seienden als durch das Nichts vermittelt zu betrachten, daß es nämlich ursprünglich außerhalb des absoluten Nichts auch das Sein nicht geben kann. Absolutes Nichts bedeutet darum das, was sich selbst absolut vermittelt. Absolutes Nichts meint die Wirksamkeit, die sich selbst durch Negation absolut vermittelt. Deshalb erklärte ich, daß die wahre Bedeutung des 150 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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absoluten Nichts in der absoluten Negation liegt. Doch absolute Negation ist – auf Grund dessen, was wir gerade sahen – nichts anderes als absolute Vermittlung. Wenn es so ist, ist die Wirksamkeit der absoluten Negation selbstverständlich nichts anderes als die Wirksamkeit der absoluten Vermittlung. Was ist dann absolute Vermittlung? Absolute Vermittlung muß bedeuten, daß – wie eben gesehen – auch die Vermittlung in sich selbst vermittelt wird, und nichts bloß unmittelbar gegeben und vorausgesetzt wird. Konkret gesagt bedeutet das folgendes: Auch das unmittelbare Sein, das die Voraussetzung der negativen Vermittlung sein muß, muß gleichzeitig – obgleich es unmittelbar Sein ist, insofern es in seinem Sein gegenüber der absoluten Negation betrachtet wird – umgekehrt selbst durch die absolute Negation vermittelt sein. Das heißt: Die absolute Negation vermittelt sich selbst durch Negation. Doch es ist klar, daß es ein unvermitteltes Selbst geben muß, damit das Selbst sich selbst vermittelt. Das ist das sogenannte unmittelbare Sein. Weil es aber nach wie vor ein Selbst ist und »Selbst« etwas meint, was sich vermittelt, muß »unvermitteltes Sein« etwas bedeuten, was Selbst ist und doch kein Selbst. Etwas, was einerseits Selbst ist, anderseits doch kein Selbst, ist etwas von sich selbst Abgewandtes, etwas von sich selbst Getrenntes. Es verlor sich selbst. Es wurde seiner selbst entfremdet. Das sogenannte Sichselbstentfremdete ist das, was einerseits Selbst ist und anderseits doch kein Selbst. Eben das wird als Negationsmoment der absoluten Negation »unmittelbares Sein« genannt. Weil es seine Vermittlung vergessen und verworfen hat, obgleich es durch die absolute Negation Vermitteltes ist, kann es die Negation der absoluten Negation sein. Deshalb ist die Selbstentfremdung nichts anderes als die Selbstverneinung-im-Ansich. Wenn man die Selbstverneinung gleichzeitig im Fürsich im Selbstbewußtsein erfaßt, handelt es sich schon nicht mehr um Selbstverneinung und nicht mehr um Selbstwiderspruch. Vielmehr stellt das die Rückkehr zu sich selbst dar. Weil aber die Rückkehr zu sich selbst die Negation der Selbstentfremdung bedeutet, muß sie die absolute Negation als solche sein. Die absolute Negation vollzieht durch die Vermittlung der Selbstverneinung als der Selbstentfremdung die Rückkehr zu sich selbst. Das ist nichts anderes als das sogenannte Beisichsein. 33 »Beisichsein« bedeutet nicht, daß man nicht Beisichsein (jika-shijû, 自家止住). Tanabe gibt selbst die deutsche Übersetzung mit »Beisichsein« an.
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aus sich herausgeht, vielmehr bedeutet es, daß man aufgrund der Gleichzeitigkeit von Ausgang und Rückkehr aus sich herausgeht und doch bei sich bleibt, bei sich wohnt. Der Satz: »Unterwegs sein und doch nicht das Haus verlassen« hat wohl diese Bedeutung. Aber dieser Satz bildet mit seiner Umkehrung: »Das Haus verlassen und doch nicht unterwegs sein«, eine Einheit wie Vorder- und Rückseite. Folglich kann man das »Beisichsein« auch »Außersichsein« nennen. Absolute Vermittlung kann in diesem Sinn »Selbstverneinung-in-eins-mit-absoluter-Verneinung« genannt werden. Aber weil dieses »ineins« 34 natürlich Zurückführung auf Eines durch negative Vermittlung bedeutet, kann es nur etwas meinen, was durch die Tat verwirklicht wird. Das heißt: Es bedeutet, daß die Selbstverneinung die Vermittlung der absoluten Negation darstellt. Jedoch steht die Selbstverneinung in der Bedeutung von Selbstentfremdung der absoluten Negation negativ gegenüber. Sie muß buchstäblich sich von sich selbst abwenden und aus sich herausgehen, das Haus verlassen und unterwegs sein, und zwar weil sie dennoch das Haus nicht verläßt, sondern nach wie vor bei sich bleibt, und Ausgang gleichzeitig Rückkehr bedeutet, handelt es sich um absolute Vermittlung. Das Beisichsein in der Bedeutung dieser sogenannten Einheit von Ausgang und Rückkehr stellt die absolute Vermittlung in meinem Sinne dar. Weil man trotz allen Verlassens des eigenen Hauses und trotz aller Abkehr von sich selbst nach wie vor sein Haus nicht verläßt, realisiert man den Grund, warum die Einheit der absoluten Negation ihre Verwirklichung in der Tat verlangt. 35 Wenn man das realisiert und im Selbstbewußtsein erfaßt, daß die Negation des Selbst eben die Rückkehr zum Absoluten ist, ist das die sogenannte »Schau der Buddhanatur«. 36 Sie ist keine unmittelbare Anschauung, sondern beruht auf dem Glauben. Tat und Glaube gründen sich aufeinander und stützen sich gegenseitig und lassen so die Dialektik der absoluten Vermittlung sich
Ineins (soku, 即). Hier deutet Tanabe selbst das soku als »Zurückführung auf Eines« (kiitsu, 帰一), und zwar durch »negative Vermittlung« (hitei-teki baikai, 否定的媒介). (Vgl. auch Anm. 14.) 35 In der Tat (kôi ni oite, 行為に於て). An anderen Stellen: an der Tat (kôi ni sokushite, 行為に即して). 36 Schau der Buddhanatur (kenshô, 見性). Andere Übersetzungen sind: Schau des ursprünglichen eigenen Wesens, Schau des eigentlichen Wesens, Erwachen, Durchbruch des eigentlichen Wesens durch das Selbst. Durchbruch des Buddhawesens durch das Selbst, populär »Erleuchtung« genannt. Terminus des Zen-Buddhismus. 34
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selbst erweisen. Die Negation wird nicht unmittelbar geschaut. Nur Glauben und Handeln bezeugen sie. 37 Deshalb ist die absolute Vermittlung in dieser Bedeutung gewiß nicht identisch mit der sogenannten Selbstbestimmung des absoluten Nichts. 38 Insofern das absolute Nichts – wie oben im einzelnen erörtert – unmittelbar geschaut wird, ist es im Gegenteil Sein. Seine Selbstbestimmung ist Selbstbestimmung des Seins. Man kann sicher nicht behaupten, sie sei die absolute Negation, die durch das Sein als ihre Selbstverneinung vermittelt wurde. Was nur im geringsten geschaut wird, ist notwendig unmittelbar. Darum ist es nicht denkbar, daß es mit der absoluten Negation als dem durch Selbstverneinung Vermittelten identisch ist. Folglich wird auch jene Selbstbestimmung nicht durch die Selbstverneinung-als-der-Selbstentfremdung 39 vermittelt, sondern ist nichts anderes als unmittelbare Selbstverneinung. Mag man noch so sehr die »tätige Schau« betonen, es ist doch nicht das Gleiche wie wenn man – auf dem Standpunkt der absoluten Vermittlung – von der absoluten Negation redet, welche die Selbstentfremdung zur Vermittlung besitzt. Letztlich ist das die Deutung der Welt als Selbstbestimmung des Anschauungsinhaltes genannt »absolutes Nichts«, d. h. nichts anderes als: des Seins. Mit anderen Worten: Deutung der Welt als Emanation. 40 Aber wie kann das, was als unmittelbares absolutes Nichts keine Richtung hat, die Richtung der zeitlichen, geschichtlichen Wirklichkeit bestimmen? Nur die absolute Negation, welche die Selbstentfremdung und die Rückkehr zum Selbst vereinigt, kann als Beisichsein die Bewegtheit der Geschichte und die ruhige Einheit des Absoluten 41 Dieser Satz enthält eine Anspielung auf die Shinran-Formel: (Lehre)-Handeln-Glauben-Bezeugen ((kyô-)gyô-shin-shô), vgl. Anm. 19. 38 Selbstbestimmung des absoluten Nichts (zettai-mu no jiko-gentei, 絶対無の自己限 定). Ein Ausdruck Nishidas, der vor allem in den Abhandlungen vorkommt, die im Bd. 6 mit dem Titel »Mu no jikaku-teki gentei« (Selbstbewußtseinsmäßige Bestimmung des Nichts) der Gesammelten Werke Nishidas enthalten sind. Allerdings lautet der Ausdruck bei Nishida meistens: zettai-mu no jikaku-teki gentei (selbstbewußtseinsmäßige Bestimmung des absoluten Nichts) statt: zettai-mu no jiko-gentai (Selbstbestimmung des absoluten Nichts). 39 Selbstverneinung-als-die-Selbstentfremdung (jiko-sogai toshite no jiko-hitei). Das bei Tanabe entscheidende Vermittlungsmoment ist nicht die Selbstverneinung als solche, sondern die als Selbstentfremdung charakterisierte Selbstverneinung. 40 Emanation (hosshutsu, 発出). »Ausfluß« im Unterschied zum »Ausgang« (gaishutsu, 外出). 41 Ruhige Einheit des Absoluten: Obgleich grammatikalisch auch die »absolute ruhige 37
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vermitteln und vereinigen. Die Welt als Selbstbestimmung des absoluten Nichts zu interpretieren bedeutet in Wirklichkeit, einen die Dialektik übersteigenden Standpunkt der Dialektik überzustülpen. Keinesfalls hält man dadurch richtig am Standpunkt der Dialektik fest und führt ihn konsequent durch. Wie oben gesagt, leiste ich dem mit äußerster Kraft Widerstand. Einen Weg, dieser Inkonsequenz und Unstimmigkeit zu entgehen, gibt es nicht, ausgenommen, man hebt die Selbstentfremdung als unerläßliches Moment der absoluten Vermittlung eindeutig hervor. Tatsächlich kann man behaupten, daß der Kern der Dialektik in dieser Selbstentfremdung liegt. Weil sich bei Platon das Denken der Geschichtsphilosophie noch nicht entfaltet hatte, begnügte er sich damit, im Bezug auf den Ursprung der Welt und die leibliche Fessel der Seele die Dialektik des Nichtseins zu lehren. Er gelangte nicht zu dem Gedanken, der die Entfremdung der Hylé 42 als die Vermittlung der geschichtlichen Veränderungen, folglich auch der geschichtlichen Praxis betrachtet. Das ist der Kern der Dialektik, welche die Hegel eigentümliche Geschichtsphilosophie hervorbrachte. 43 Daß man, um die Dialektik zu charakterisieren, den Aspekt der Selbstverneinung dazunimmt, ist eine Gewohnheit, gegen die natürlich bisher schon keiner Einwendungen erhob. Das ist selbstverständlich. Aber es ist verhältnismäßig selten, daß man das Beisichsein bis zur absoluten Vermittlung durchführt, d. h. das Beisichsein als die Einheit von Ausgang und Rückkehr, in der die Selbstverneinung Selbstentfremdung ist, und aufgrund der Vermittlung dieser Selbstentfremdung zu sich heimkehrt und sich wiederherstellt. Das rührt letztlich nur daher, daß man die Dialektik nicht als Logik der Tat rein durchhält, sondern sie das Prinzip sein lassen will, das mit Hilfe des Diebstahls der unmittelbaren Anschauung ein kontemplatives System aufbaut. Es ist selbstverständlich, daß das Ergebnis davon eine Emanationslehre ist. In der Emanationslehre ist die SelbstEinheit« gemeint sein könnte, ist hier aus der Parallelität zu genjitsu no dôsei (現実の動 性, »Bewegtheit der Wirklichkeit«) auf die Substantivierung des Absoluten zu schließen. 42 Hylé (shitsuryô, 質料). Im Zusammenhang mit Platons Lehre von der »Materie (Hylé) benutzt Tanabe gewöhnlich das japanische Wort shitsuryô, sonst einfach busshitsu (Stoff, Materie). In der vorliegenden Abhandlung hält sich Tanabe nicht an seine sonstige Gewohnheit. Er wechselt zwischen shitsuryô und busshitsu ohne erkennbaren Bedeutungswechsel. Darum verwenden wir meistens das Wort »Materie« bzw. potentielle Materie (sensei-teki shitsuryô, 潜勢的質料), vgl. Anm. 45. 43 Der japanische Satz ergibt im Deutschen einen mißverständlichen Relativsatz. Gemeint ist: Die Geschichtsphilosophie Hegels brachte die Dialektik hervor, von der die Rede ist.
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entfremdung nicht anderes als die Selbstbestimmung des absoluten Seins. Diese ist Vermittlung des emanativen Ausgangs, jedoch nicht Vermittlung der Rückkehr. Folglich stellt die Selbstverneinung als Selbstbestimmung des Absoluten 44 das Prinzip der Emanation dar. Keinesfalls kann sie eine Bedeutung besitzen, in der sie dem Absoluten negativ gegenübersteht. Auf diese Weise sind »Natur« oder »Materie« bloß potentielle Materie 45 des Geistes, und das Absolute hat nicht konsequent die Verneinung und Entfremdung des Geistes zur Vermittlung, sondern wird gerade zum Geist, der immer die unmittelbare Einheit bewahrt. Darum ist die Selbstbestimmung des absoluten Nichts nach wie vor ein System der Geistesphilosophie. Das ist – wie ich immer wieder erkläre – Negation der Dialektik. Auf dem Standpunkt der wahrhaft durchgeführten Dialektik wird die Tat nicht von einem System umschlossen, sondern der Aspekt der durch Negation vermittelten Einheit der Tat muß das System sein. Daß in diesem Punkt nicht so sehr Hegel als vielmehr Platon als derjenige bezeichnet werden kann, der die Dialektik noch reiner bewahrte, entspricht dem oben Dargelegten. Kann man wohl auch behaupten, daß eine Synthese von Platon und Hegel die Dialektik folgerichtig durchführen läßt? Jedenfalls ich nahm, um die Dialektik bis zur absoluten Vermittlung durchzuführen, das Moment der Selbstentfremdung entschlossen auf und machte es zum Substrat als Spezies. 46 Daß das Spezies-Substrat nicht Potentialität ist, sondern der Hylé als dem Nichtsein entspricht, legte ich im vorigen Kapitel dar. Wenn man das »Materie« 47 nennt, ist Materie nichts anderes als die Selbstentfremdung des Absoluten. Der Aspekt seiner Rückkehr zu sich selbst ist der Geist. Deswegen ist die Materie nicht die Selbstentfremdung, nicht die Selbstentäußerung des Geistes, wie Hegel dachte, sonDes Absoluten: hier setzt Tanabe ausdrücklich zettaisha (絶対者) der, (die), das Absolute als konkrete Existenz. – Auch in den folgenden Sätzen tritt das Wort zettaisha immer wieder auf. Tanabe referiert und interpretiert hier nämlich nicht seine eigene Philosophie, sondern die Platons und Hegels und zielt auf Nishida. 45 Natur (shizen, 自然); Materie: hier zerst busshitsu (物質) und dann »potentielle Materie« (sensei-shitsuryô). 46 Substrat als Spezies (shuteki kitai, 種的基体). Kann auch übersetzt werden mit: »Spezies-Substrat«. Auch die umgekehrte Übersetzung Spezies als Substrat legt sich stellenweise nahe. Das wörtliche »speziemäßiges Substrat« ist nicht nur unschön, sondern läßt auch die Beziehung zwischen Spezies und Substrat in keiner Weise erkennen. Diese Beziehung ist gerade der Inhalt der »Logik der Spezies« als der konkretesten Gestalt der »Dialektik der absoluten Vermittlung«. 47 Materie hier busshitsu. 44
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dern die Selbstentfremdung als das Negationsmoment des Absoluten. Folglich ist der Geist nicht unmittelbar absolut. Vielmehr stellt er den Aspekt der Rückkehr zu sich selbst dar, der die Selbstentfremdung der Materie als Moment besitzt. Das Absolute ist die absolute Vermittlung, die durch die Vermittlung der Selbstentfremdetheit der Materie an der Tat diese mit der Rückkehr-zu-sich-als-Geist vereinigt. Daß es nicht unmittelbar Geist ist, entspricht dem, daß es nicht unmittelbar Materie ist. Geist und Materie sind beide nichts anderes als Momente der absoluten Vermittlung. Deshalb kann man sagen, daß die absolute Vermittlung die absolute Dialektik ist, welche den Gegensatz von idealistischer und materialistischer Dialektik transzendiert und beide durch Negation zur Synthese bringt. Aufgrund des eben Gesehenen ist wohl klar, daß demgegenüber der Standpunkt der unmittelbaren Schau des absoluten Nichts in Wirklichkeit nichts anderes als idealistische Dialektik ist, obgleich er sich den Namen der absoluten Dialektik auf die Fahne schreibt. Wenn es sich dabei nicht um Dialektik der absoluten Vermittlung handelt, die das Moment der Materie als Selbstentfremdung entschlossen anerkennt und ihre Selbstverneinung 48 zur negativen Vermittlung der absoluten Negation macht, kann sie nicht absolute Dialektik sein. Nur darin vereinigt sich die Materie als Moment der Selbstverneinung mit dem Geist als dem Aspekt der Bejahung der absoluten Negation und verwirklicht die Einheit von Selbstverneinung und absoluter Negation in der Tat. Aber die Selbstverneinung muß durchweg als Selbstentfremdung, als Materie, dem Selbstbewußtsein des Geistes negativ gegenüberstehen. Was dieses als »ineins« der absoluten Negation durch die Tat vermittelt, ist eben die absolute Negation als solche. Die Tat läßt sozusagen als Selbstbewußtsein der Materie am Fürsich den Geist zustande kommen. Keinesfalls wird die Materie im Inneren des Geistes eingeschlossen, bzw. keineswegs geht erstere aus letzterem hervor. Die Selbstentfremdung ist das Prinzip, das in der Materie zum Geist negativ im Gegensatz steht. Mein Spezies-Substrat ist nichts anderes als das. In Anbetracht der Abstraktion, 49 die darin besteht, daß in der materialistiIhre Selbstverneinung (sono jiko-hiteisei, その自己否定性). Der Bezug von »ihre« (sono) ist nicht klar. Wir interpretieren »ihre« bezogen auf (Moment der) Materie. Die Materie ist als Selbstverneinung des absoluten Nichts und als solche als seine Selbstentfremdung zu verstehen. D. h. die Materie hat die Qualität der »Selbstverneinung« (jikohiteisei). 49 Abstraktion (chûshô, 抽象), bei Tanabe heißt chûshô soviel wie nicht folgerichtige Durchführung der dialektischen Bewegung, mangelnde »Radikalität«, »mangelnde Kon48
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schen Dialektik die Materie als Produktivkraft 50 der gesellschaftlichen Produktion bestimmt wird und ihr entsprechende gesellschaftliche Verhältnisse gedacht werden, wodurch auch der Staat zuerst nur als Klassenstaat aufgefaßt wird, dachte ich im Substrat der Gesellschaftsverhältnisse nicht einfach nur die Produktivkraft als Faktor der Klassenspaltung, sondern die mit Blut und Boden 51 verbundene unmittelbare Spezies-Einheit als Einheitsmoment, das zur Produktivkraft negativ im Gegensatz steht. Das eben ist mein Substrat als Spezies. Wie in diesem Kapitel beschrieben, erfüllt sie die Aufgabe der Vermittlung im Bezug auf die folgerichtige Durchführung der Dialektik, die ein rein logisches Postulat ist, und sie dient als Prinzip der Selbstentfremdung, die das Negationsmoment der absoluten Dialektik als der absoluten Vermittlung darstellt. Es ist wohl nicht übertrieben, wenn ich behaupte, daß diese Tatsache der Grund ist, der logisch ihre Bedeutung sichert. Die Spezies erfüllt als Substrat der Logik des sozialen Seins nicht nur ein praktisches Verlangen, sondern besitzt als Negationsprinzip der Selbstentfremdung in der Logik der absoluten Vermittlung als der Durchführung der Dialektik eine zentrale Bedeutung. Absolute Dialektik ist nichts anderes als Logik der Spezies. 52 Weil eine Dialektik des Nichts, welche die Logik der Spezies nicht zur Vermittlung macht, die Selbstverneinung und die absolute Verneinung unterschiedslos identifiziert, 53 kann sie nur richtungslose Emanationslehre sein, welche die Geschichte sequenz« (fu-tettei) des dialektischen Denkens. Darum ist »Abstraktion« hier als eine Kritik an Marx gedacht. 50 Produktivkraft (seisan-ryoku). Hier als Übernahme des Terminus von Marx zu verstehen. 51 Blut und Boden (chi to tsuchi): Anspielung auf die Terminologie der Rassentheorien bzw. Ethnosoziologie des 19./20. Jh., aber mit neuer Bedeutung gefüllt im Rahmen der »Logik der Spezies« Tanabes. Gemeint sind die konkreten Zeit-Raum-Beziehungen des Individuums; Zeit, d. h. Geschichte, Generationen; Raum, d. h. Boden, Heimat; Raum und Zeit müssen ebenso wie die individuelle Freiheitsentscheidung in die Dialektik der absoluten Vermittlung eingehen. 52 Auch Nishida verwendete die Formulierung: »absolute Dialektik«, zettai benshôhô (絶対弁証法). Weil sie nicht bis zur »Logik der Spezies« (shu no ronri) konkretisiert wurde, kritisiert ihn Tanabe. 53 Dialektik des Nichts (mu no benshôhô): abgekürzte Redeweise. Natürlich ist letztlich die »Dialektik des absoluten Nichts« bzw. die »absolute Dialektik« gemeint. Die Unterscheidung zwischen der Selbstverneinung (des absoluten Nichts) und der absoluten Verneinung bzw. absoluten Negation, die hier zum ersten Mal klar ausgesprochen wird, macht gleichzeitig nach Tanabe den Unterschied zwischen der Tanabe-Philosophie und der Nishida-Philosophie aus. Der Sache nach war diese Unterscheidung schon da ein-
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nicht als Vermittlung nimmt. Darum kann sie nicht absolute Dialektik als absolute Vermittlung sein. Es ist jetzt klargeworden, daß die zwei Beweggründe, aus denen ich die Logik der Spezies erdachte, nicht einfach zwei getrennte Motive sind, sondern eine notwendige innere Beziehung haben. Die Entwicklung meines Denkens vollzog sich beim Entfalten dieser Beziehung. Daß sich Praxis und Logik durch die Vermittlung der Wirklichkeit miteinander verbinden, muß selbstverständlich sein. Eben das ist der Verlauf der Entstehung der Logik der Spezies.
II. In den vorangegangenen drei Kapiteln erläuterte ich die Motive, die mich dazu bewegten, die Logik der Spezies zu erdenken. Ich stellte sie von zwei Seiten her dar, von der praktischen und von der logischen. Ich erklärte, daß diese zwei Motive nicht zwei voneinander getrennte Beweggründe bilden, sondern eine notwendige Beziehung zueinander haben. Ich machte deutlich, daß das Spezies-Substrat das Moment der Selbstverneinung, das Prinzip der Selbstentfremdung der Dialektik als der Logik der absoluten Vermittlung ist, und daß es so die negative Vermittlung der absoluten Negation darstellt. Ich glaube, dadurch wurde die logische Bedeutung der Spezies im großen und ganzen erkannt. Aber der Platz der Spezies in dieser Logik der absoluten Vermittlung und ihre Aufgabe darin lassen sich nicht beschreiben, ohne notwendigerweise den Inhalt der Spezies und ihre Struktur zu bestimmen. Anfangs machte ich mir hauptsächlich aus dem praktischen Anliegen heraus die Logik des sozialen Seins zum Problem und entdeckte als Schlüssel zu seiner Lösung den Begriff des Spezies-Substrats. Darum betrachtete ich diesen – um ihn zu bestimmen – einseitig nur von der logischen Struktur des sozialen Seins her. Ich gelangte nicht dazu, gleichzeitig allgemein die absolutdialektische universale Grundlage dieser Logik philosophisch 54 zu erfassen. Gewöhnlich wird eine derartige allgemeine Reflexion erst durchgeführt, nachdem selbstverständlich geschlossen, wo eben die Rolle der »Materie« in der Dialektik der absoluten Vermittlung erörtert wurde. 54 Philosophisch zu erfassen: hier jikaku-suru. Wie in Anm. 20 dargetan, kann jikakusuru in bestimmten Zusammenhängen nicht einfach nur das spontane Sichwissen des Handelns meinen, sondern auch das sich daraus dialektisch entwickelnde Philosophieren.
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zunächst einmal eine Durchsicht durch den Inhalt im ganzen gewonnen worden ist. Auch ich kam erst, nachdem ich die »Logik des sozialen Seins« 55 geschrieben hatte, in der Abhandlung »Logik der Spezies und Weltschema« 56 dazu, den Standpunkt der absoluten Vermittlung zu entfalten. Aber als ich einmal von diesem Standpunkt aus prinzipiell die Logik der Spezies reflektierte, mußte der Begriff der Spezies, wie ich ihn anfangs gedacht hatte, eine wichtige Berichtigung erfahren. Die dritte Abhandlung über meine Sozialontologie »Die sozialontologische Struktur der Logik« 57 bildet gerade jene Abhandlung, die das Ergebnis davon mitteilte. Das hat darin seinen Grund, daß die Spezies, die anfangs bloß als Negationsmoment des sozialen Seins als substratartige unmittelbare Einheit gegenüber der Subjektivität des Individuums gedacht wurde, jetzt als Negationsmoment der absoluten Vermittlung zum Prinzip der Selbstentfremdung werden mußte. So kam es dazu, daß dem Spezies-Substrat, das anfangs relativ einfach gedacht worden war, diejenige Struktur gegeben wurde, die es als Prinzip der Selbstentfremdung haben muß. Was ich damals am Anfang nicht genügend im Detail hatte bestimmen können, wurde nun allmählich logisch im Bezug auf seine Struktur entfaltet. Diese Entwicklung muß man wie folgt zusammenfassen: Der Begriff der Spezies, der anfangs einen bloß bildliche Beschreibung zulassenden, verworrenen, unbestimmten Inhalt hatte – ähnlich wie Schelling in seiner Abhandlung »Vom Wesen der menschlichen Freiheit« 58 die Hylé in Platons »Timaois« 59 interpretierte –, dieser Begriff der Spezies hatte sich dadurch allmählich in etwas verwandelt, was eine logische Bestimmung besaß. Nach dem Beispiel von Platon selbst analysierte ich ihn mathematisch und physikalisch, Die Logik des sozialen Seins (shakai-sonzai no ronri, 社会存在の論理). Diese Abhandlung erschien zuerst 1934, jetzt in: THZ 6, S. 51–167 enthalten. 56 »Logik der Spezies und Weltschema«: Shu no ronri to sekai-zushiki. Zuerst 1935 erschienen, jetzt in: THZ 6, S. 169–264. 57 Die sozialontologische Struktur der Logik (ronri no shakai-sonzaironteki kôzô), zuerst 1936 erschienen, jetzt in: THZ 6, S. 299–396. 58 Genauer Titel: Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände, in:f. W. J. Schelling, Sämtliche Werke, hrsg. von K. F. A. Schelling, Bd. 7, S. 331–416. Vgl. auch die Neuausgabe: Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit. Mit einem Essay von Walter Schulz: »Freiheit und Geschichte in Schellings Philosophie«, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1975. 59 Vgl. Platonis Opera, Recognovit Brevique Adnotatione Critica Instruxit Ioannes Burnet, Tomus IV Tetralogiam VIII Continens, Oxonii 1902, Reprinted 1962, Timaios 69 b. 55
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nahm seine Analogie zur intuitionistischen Lehre vom Kontinuum in der neueren mathematischen Grundlagentheorie beziehungsweise seine Analogie zur Relativitätstheorie zu Hilfe und versuchte schließlich sogar, mit der Dialektik der Quantenmechanik in Berührung zu kommen. 60 Daß ich derlei Probleme erörterte, ist im Bezug auf das Studium der Sozialontologie auf den ersten Blick eine Abschweifung, und es scheint kritisiert werden zu können, als ob das bloß von meiner Vorliebe für Mathematik und Physik komme. Sogar ich selbst will das keineswegs leugnen. Denn mein Interesse für derartige Richtungen hat mich veranlaßt, diese Abschweifungen zu machen. Aber wenn man denkt, derartige Studien seien nicht mehr als nur Abschweifungen – völlig ohne Beziehung zur Logik des sozialen Seins –, kann ich dem nicht gerade zustimmen. Wenn man die einheitliche Struktur des Seins, die dialektische Entwicklung seiner Stufen und die Beziehungen der sozusagen spiralförmigen, d. h. kreislaufmäßigen und aufsteigenden Konkretisierung anerkennt, muß es klar sein, daß die Ontologie der Mathematik und die der Physik zur Sozialontologie eine Art Entsprechung bilden. Nennt man diese Beziehung der Entsprechung »Analogie«, 61 so darf das keinesfalls bloß eine Beziehung meinen, in der die generische Gleichheit 62 nur abgeschwächt wurde. Wenn man allerdings der identitätsmäßigen Argumentationsmethode als der Logik des Objekts folgt, ist die Analogie wohl tatsächlich nicht mehr als nur ein unvollkommenes Argument, in dem der Mittelbegriff, der die Vermittlung der Deduktion darstellt, nicht offen angezeigt wird. Aber als Logik des Subjekts meint die Analogie, in der das generische Gemeinsame 63 fehlt, nichts anderes als die konkreten Gestalten, welche die absolut negative
Zum Gedanken der Analogie zwischen der physikalischen und der sozialen Wirklichkeit bei Tanabe vgl. Johannes Laube, Dialektik der absoluten Vermittlung, S. 84, 91, 110, 271 Anmerkung 151. 61 Analogie (hiron, 比論). Auch ruihi (類比). Hiron bezeichnet »Analogie« im Sinn des gattungsmäßigen Vergleichens. Ruihi bedeutet die gattungsmäßige Vergleichbarkeit oder Gleichheit. 62 Generische Gleichheit (ruidô, 類同), auch »Analogie« im Sinn der generischen Gleichheit oder Vergleichbarkeit. 63 Das generische Gemeinsame (ruiteki kyôtsûsha, 類的共通者). Weil in diesem Satz die Analogie (hiron) definiert wird als diejenige Argumentationsmethode, der ruiteki kyôtsûsha (also ausdrücklich: das genusmäßige Gemeinsame) fehlt, wurde auch in der Übersetzung von ruihi und ruidô das rui (Genus, das Generische) mitübersetzt, obgleich das gewöhnlich nicht geschieht. 60
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Struktur der Tat-Einheit des Subjekts zu ihrer 64 gemeinsamen Vermittlung haben. Die Analogie, welcher der Mittelbegriff des Seins fehlt, ist in Wirklichkeit Logik der Vermittlung, die den Mittelbegriff des Nichts hat. 65 Die Konklusion des Seins in der identitätsmäßigen Deduktion kann als Negationsmodus der Konklusion des Nichts in der Analogie gedeutet werden. Weil natürlich die Bedeutung jener sogenannten Negation durchweg die der dialektischen Negation sein muß, bedeutet das nicht, daß die Deduktion durchgeführt wird, wenn man der Analogie eine unmittelbare Bestimmung gibt und diese negiert und einschränkt. Vielmehr kann man sagen: Daß die Deduktion als Logik des Objekts einen ihr eigentümlichen Standpunkt besitzt, muß gleichbedeutend sein damit, daß der Verstand als das Negationsmoment der Vernunft ein ihm eigentümliches Prinzip besitzt. Obgleich das so ist, besitzt gleichzeitig die Vernunft – als Einheit des subjekthaften Nichts gegenüber dem Verstand – die Einheit des objekthaften Seins des Letzteren zu ihrem Negationsmodus. In diesem Sinn müßte man die Analogie als die konkrete Konklusion bezeichnen können, welche die auf einem gemeinsamen Genus beruhende Deduktion zu ihrem Negationsmodus besitzt. Weil in einem solchen Sinn auch die Ontologie der Mathematik und die der Physik zur Sozialontologie in einer analogen Beziehung stehen, kann wohl nicht bezweifelt werden, daß jene Analogie dazu dient, subjektivierend 66die Strukturen zu verstehen. In diesem Sinn hat der Pythagoreismus auch gegenwärtig seine Grundlage nicht völlig verloren. Ich unterstütze natürlich nicht voll und ganz die Einheitswissenschaft der heutigen Wiener Schule und die von ihrem Standpunkt aus aufgestellte mathematische Wirtschaftswissenschaft und Gesellschaftswissenschaft von Neurath. 67 Vielmehr leiste ich dagegen Widerstand. Aber jedenfalls darf man wohl behaupten, daß das Denken dieser Schule in irgendeinem Sinne diesen Sachverhalt bestätigt. Insofern dieses mit dem Geist des Platonismus übereinkommt, besitzt es eine richtige Grundlage. In diesem Sinn verband ich, ohne zu zögern, das wissenschaftliche Interesse für Mathematik und Physik mit der Philosophie, Der Satz wurde als Plural interpretiert: »die konkrete Gestalten« (gutaiteki keitai), weil von »ihrer gemeinsamen Vermittlung« (sore no kyôtsûnaru baikai) die Rede ist. 65 Mittelbegriff des Nichts (mu no baigo, 無の媒語). Gemeint ist: das Nichts als Mittelbegriff (selbstverständlich als Mittelbegriff eigener Art). 66 Subjektivierend die Strukturen verstehen (shutaiteki ni kôzô o rikai-suru). 67 Vgl. z. B. Otto Neurath (1882–1945), Empirische Soziologie, 1931; Einheitswissenschaft und Psychologie, 1933. 64
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präzisierte meine Logik aus deren Richtungen und versuchte, sie auf die Sozialontologie analog anzuwenden und so umgekehrt je nach der Weise ihrer Übereinstimmung die Erstere 68 zu berichtigen. Es war das Verlangen meines Platonismus, nicht bloß aufgrund der Analogie von Mathematik und Physik die Sozialstruktur zu denken, sondern im Gegenteil, aufgrund der Logik der Sozialstruktur die Logik der Mathematik und Physik voranzutreiben. Von diesem Blickpunkt aus also kam es dazu, daß das Spezies-Substrat eine logische Korrektur erhielt. Wenn es so ist, wo lag dann der Hauptpunkt jener Korrektur? Es handelte sich darum, daß die Spezies, die anfangs einfach gegenüber dem Subjekt des Individuums als Substrat, bloß als unmittelbare Einheitskraft gedacht wurde, durch die oben beschriebene Logik der Selbstentfremdung als Modus der Selbstverneinung verstanden wurde. Doch »Selbstverneinung« bedeutet – wie im vorigen Kapitel gesehen – nichts anderes, als daß das Selbst vergißt, daß es aufgrund der Einheit besteht, daß es ferner seine Einheit aus den Augen verliert und so im eigenen Inneren Gegensätze gebiert und Spaltungen hervorbringt. Weil das so ist, bildet der Modus der Selbstverneinung, der das Selbst sich selbst gegenüber entfremdet hat, den Gegensatz der Spaltung, welcher der Einheit des Selbst gegenübersteht. Gleichzeitig muß er der Gegensatz der gespaltenen Momente sein. D. h.: Es ist ein zweifacher Gegensatz. Die »Doppeltheit« 69 dieses Gegensatzes ist gerade die Grundstruktur des Spezies-Substrats. Die Selbstverneinung als die Selbstentfremdung entsteht durch diese doppelte Gegensätzlichkeit. Die entfremdete Einheit, welche die Gegensatzpartner konkret nicht einigen kann, sondern bloß zu ihnen im Gegensatz steht, d. h. nichtvermittelte, unmittelbare Einheit darstellt, ist als solche umgekehrt gleichzeitig selbst nichts anderes als ein Gegensatz. Gerade das aber ist das eben geklärte Wesen der Spezies. In diesem Fall ist es folglich besonders wichtig, daß die Einheit, zu der die Spaltung der einander gegenüberstehenden Momente als solche noch einmal im Gegensatz steht, keinesfalls als Einheit wirkt und als Ganzheit im Selbstbewußtsein erfaßt ist. Das ist zwar von der obigen Beschreibung der Struktur der Selbstentfremdung her klar. Aber wenn man das vergäße und die Einheit so deutete, daß sie als solche dem Die erstere, d. h. hier: die Logik. Doppeltheit des Gegensatzes (nijûsei) kann auch übersetzt werden mit: »Zweischichtigkeit«.
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Gegensatz gegenüber existierte, führte das dazu, daß sie aufhörte, bloß Selbstverneinung zu sein, und daß sie folglich nicht mehr Nicht-Sein im Sinne Platons darstellen könnte, sondern Sein, Bejahung wäre. Eine solche Einheit ist keine bloße Materie 70mehr, sondern schließt schon Form 71 ein. Sie stellt keine Selbstentfremdung der Materie 72 mehr dar, sondern ist des Geistes Rückkehr zu sich selbst. Deshalb darf das Spezies-Substrat, insofern es nicht Sein, sondern Nicht-Sein darstellt, insofern es nicht Selbstbejahung, sondern Selbstverneinung ist, seine Einheit nicht im Selbstbewußtsein erfassen. Wenn die Einheit im Selbstbewußtsein erfaßt würde und in diesem Sinn die Einheit existierte, wäre sie nicht mehr Spezies, sondern schon Genus. Genus, wie ich es verstehe, ist gerade dasjenige, in dem die Spezies als Selbstverneinung im Tun 73 in die absolute Negation gewendet wird und in dem die Selbstentfremdung als ineins-mit-der-Rückkehr-zu-sich-selbst das Selbstbewußtsein des sogenannten Beisichseins erlangt hat. Dadurch werden die inneren Gegensätze der Spezies durch das Ganze geeint, und es erscheint das, was der Beziehung zwischen Genus und Spezies in der Identitätslogik entspricht, in der man – wenn man die bloß in wechselseitigem Gegensatz einander gegenüberstehenden Parallelmomente allein als Spezies 74 bezeichnet – das sie einigende 75 Moment »Genus« 76 nennen kann. Aber weil ursprünglich der Gegensatz zweier Parallelmomente in der Selbstentfremdung der Einheit seine Ursache hat, bildet jener Parallel-Gegensatz die Begleitung des Gegensatzes des Ganzen zu seinen Teilen. Das ist der Grund, warum der Zwang des Ganzen, der die Teile niederdrückt, gleichzeitig immer den Druck des einen Teils gegen den anderen Teil bildet. Weil es ferner auf dem Standpunkt der Spezies ohne wahre Einheit und absolute Ganzheit notwendig ist, daß jene unterdrückten Teile die ihrem Ganzen entgegenstehenden anderen Ganzen ihre eigenen Freunde sein lassen wollen, begleiten sich die Gegensätze nach innen und die Gegensätze nach außen gegenseitig. Das Materie (shitsuryô) (im Sinne der hylé). Form (keisô) im Sinne von morphé. 72 Materie (hier busshitsu). Dem »Geist« (seishin) stellt Tanabe immer »Materie« als busshitsu, nicht als shitsuryô gegenüber. 73 Im Tun (kôi ni oite, 行為に於て), kann auch übersetzt werden mit: in der Tat. Hier nicht: an der Tat (kôi ni soku-shite). 74 Spezies (shu, 種). Tanabe definiert hier seine Terminologie. 75 Wörtlich: geeinigt habendes Moment (tôitsu-seru mono). 76 Genus (rui, 類). Tanabe definiert hier seine Terminologie. 70 71
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Genus muß dasjenige sein, was diese zweifachen, oder sogar dreifach zu denkenden Gegensätze auf die Weise der Negation vereint hat. Es ist ein Ganzes, das durch die Negationsvermittlung der Gegensätze in seinem Inneren die Eintracht und Einheit der Individuen verwirklicht hat, gleichzeitig nach außen gerichtet mit den anderen Ganzen vereinigt wird und selbst als einheitliches Einzelnes 77 am absoluten Ganzen teilnimmt. Diese nach innen und außen gerichtete zweifache Einheit ist das Ganze des Genus. Es ist selbst Individuum und kann gleichzeitig als Einheit von Individuen gedacht werden. Beispielsweise eine menschheitliche Welt – in der die Ganzheiten von Staaten, in denen die Klassenspaltung der Nation aufgehoben ist und in denen die Einzelnen frei mitarbeiten, gleichzeitig in der internationalen Zusammenarbeit ihren Bestand erhalten – besitzt eine solche Struktur. In diesem Sinn wird der Staat philosophisch 78 als menschheitlicher Staat 79 gedacht, und auch der Einzelne wird als Mitglied des Staates gleichzeitig ein Glied der Menschheit. Eben das ist die konkrete Struktur des sozialen Seins. Weil die Spezies als ihr Negationsmoment ursprünglich Nicht-Sein ist, kann man sie nicht als etwas bezeichnen, was aus sich allein existiert. Wenn ich auch anfangs von der Spezies-Gesellschaft dachte, sie werde von einer Art Totem-Stamm 80 gestaltet, bedeutete das doch keineswegs, daß das Spezies-Substrat nur aus sich heraus als eine solche Gesellschaft existiert. Es bedeutete nicht mehr, als daß ich diejenige Gestalt der Gesellschaft, in der als gesellschaftliches Strukturmoment die Unmittelbarkeit der Spezies den anderen Momenten gegenüber den Vorrang Einzelnes (hier kotai, 個体). Innerhalb der nächsten Sätze tauchen bei Tanabe die Termini kotai, ko (個) (auch »das Einzelne«, »das Individuum«), besonders in der Reihung: Genus-Spezies-Individuum (rui-shu-ko, 類-種-個) und der Einzelne (kojin, 個人) auf. 78 Philosophisch: hier wieder: jikakuteki ni. 79 Menschheitlicher Staat (jinrui-kokka, 人類国家). Gemeint ist kein konkreter Staat, nicht die Menschheit als Zentralstaat, sondern die dialektische Beziehung zwischen Individuen, ihren konkreten Staaten und der Menschheit als einer nicht-staatlichen, überstaatlichen Einheit. In dem Maße wie ein konkreter Nationalstaat im Selbstbewußtsein seiner Mitglieder auf die Menschheit insgesamt bezogen wird, in dem Maße trägt er zum Frieden der Welt bei. Mit anderen Worten: Je »menschlicher« ein Nationalstaat (vertreten durch seine Bürger) wird, desto mehr verwirklicht er seine Pflichten als Nationalstaat und als Menschheitsstaat. Manchmal beschreibt Tanabe den »menschheitlichen Staat« mit Eigenschaften der »offenen Gesellschaft« nach Bergson. 80 Totem-Stamm (totemu-buzoku, トテム部族). Der Totem-Stamm ist für Tanabe das Musterbeispiel einer »geschlossenen Gesellschaft« (nach Bergson). 77
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besitzt, als Spezies-Gesellschaft bezeichnete. Jetzt aber wird es als wichtig erachtet, daß auch jene unmittelbare Einheit als dem Gegensatz Entgegenstehendes selbst einen Gegensatz bildet. Der Aspekt der unmittelbaren Einheit eines Stammes stellt möglicherweise die Begleiterscheinung des Kampfes der Stämme gegeneinander dar. Natürlich denkt man, ein »Spaltungsgegensatz« bestehe auf der Grundlage einer Einheit und ohne die letztere verliere er seine Bedeutung. Aber im Modus der Selbstverneinung der Selbstentfremdung wird auch die Einheit bloß als Gegensatzpartner eingeschlossen, der dem Gegensatz entgegensteht. Als Einheit wird sie nicht im Selbstbewußtsein erfaßt. Folglich bleibt sie als immer negierte Einheit nur Gegensatzmoment und kann den Gegensatz nicht wahrhaft zur Einheit bringen. Weil die »Unvermitteltheit-im-Ansich« der Verwirklichung von Einheit widersteht, mag zwar eine Einheit bloß im Ansich zustande kommen. Aber sie verwirklicht Einheit noch nicht im Fürsich. Wenn Einheit schon verwirklicht würde, handelte es sich nicht mehr um Selbstverneinung, sondern um absolute Negation. Wenn auch beide eine Einheit miteinander bilden, stehen sie doch gleichzeitig in Negation zueinander im Gegensatz und werden erst durch die Tat miteinander vermittelt. Weil [diese Negation] die Bedeutung einer dialektischen Negation besitzt, kann natürlich »entfremdete, negierte Einheit« nicht bedeuten, daß die Einheit – indem sie negiert wird – einfach direkt verlorengeht. 81 Weil auch die Negation Verneinung in Bejahung ist, wird [die Einheit] zwar negiert, existiert aber gleichzeitig als Moment, ja, bildet vielmehr die negative Vermittlung, die den Gegensatz zustande kommen läßt. D. h. sie wird in der Bejahung verneint. Das ist der Grund, warum die aristotelische Materie während der ganzen Bewegung, mit der die Potenz in den Akt übergeht, als Substrat identisch erhalten bleibt. 82 Wenn das in die Gegenrichtung umgedreht wird, durch die Vermittlung der Negation wiederhergestellt und in der Verneinung bejaht wird, handelt es sich nicht mehr um bloße Selbstverneinung, weil es schon Selbstbewußtsein der Einheit darstellt. Es handelt sich dann um nichts anderes als um die Wende-als-Tat, 83 in der die Selbstverneinung mit der absoluten NegatiEckige Klammern auch im folgenden immer vom Übersetzer. Hier wird auf die Materie als materia prima angespielt. Im Japanischen ist von shitsuryô die Rede und von der Bewegung aus der Potenz (sensei, 潜勢) bzw. Latenz in den Akt (gensei, 現勢). 83 Wende-als-Tat kann übersetzt werden mit: Tat-als-Wende (kôiteki tenkan). 81 82
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on in eins geht. D. h. es stellt die Verwandlung der Spezies in Genus dar. Wenn Aristoteles den einmal aufgestellten Substratcharakter der Materie 84 negierte und erklärte, daß vielmehr die Form eben das Substrat ist, muß er diese Wende meinen. Seine Lehre von der Bewegung bricht den Rahmen der Identitätslogik und verlangt nach der Logik der Dialektik. Diese 85 muß die Verwandlung der Materie in die Form, die Verwandlung der Spezies in das Genus bedeuten, und zwar in der noch folgerichtiger als bei Hegel durchgeführten Wende-als-Tat. Vom Standpunkt der Identitätslogik her kann man sie nicht verstehen, indem man sie einfach als Verwandlung der Potenz in den Akt betrachtet. Sie muß die Subjektivierung des Spezies-Substrats als der Selbstverneinung sein, eine Subjektivierung, die als Einheit durch die absolute Negation vermittelt ist: Solange man bei dem Substrat der Spezies als der Selbstverneinung stehenbleibt, geht die Einheit unvermeidlich aus dem Blick verloren, wird entfremdet und vermag selbst nur noch ein Moment des Gegensatzes zu sein. So kann man die Spezies als absoluten Spaltungsgegensatz bezeichnen, der auch die Einheit als solche zum Moment des Gegensatzes macht. Die Materie des »Timaios«, die Schelling mit einem »wogend wallend Meer« verglich, kann dadurch, daß sie den Modus der Selbstverneinung als des doppelten Gegensatzes darstellt, absoluter Gegensatz sein. Die Spezies, die anfangs als unmittelbare Einheit gegenüber der Subjektivität des Individuums gedacht worden war, macht aufgrund ihrer Struktur klar, daß sie der absolute Spaltungsgegensatz ist, der vielmehr auch diese unmittelbare Einheit als Negationsmoment besitzt. Jetzt kann ich – die Spezies definierend – sie als das bezeichnen, in dem die Einheit als solche gleichzeitig nichts anderes ist als Gegensatz. Das trifft wohl gerade beispielsweise auch auf die Nation 86 zu. Genau das ist es, was ich oben die logische Berichtigung des Begriffes der Spezies nannte. Im Zusammenhang damit kann man feststellen, daß das Genus dasjenige ist, in dem der Gegensatz gleichzeitig die Einheit ist, und daß das Individuum nichts anderes ist als der
Substratcharakter der Materie (shitsuryô no kitaisei, 質料の基体性) Diese: hier bezogen auf die Logik der Dialektik. Das japanische sore wa (dieser, diese, dieses) ist in diesem Satz mißverständlich. In den beiden folgenden Sätzen fehlt eine grammatikalische Kennzeichnung des Satzsubjekts im Japanischen ganz. Wir beziehen alle drei Sätze auf die Beschreibung der Eigenart der Logik der Dialektik bzw. ihrer Funktion. 86 Nation (minzoku, 民族) kann auch übersetzt werden mit: Volk. 84 85
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Vermittler jener Wende, in der die Spezies-als-der-absolute-Gegensatz sich in das Genus-als-die-absolute-Einheit wendet. Wenn so das Spezies-Substrat die Selbstverneinung als der doppelte Gegensatz darstellt, kann das Individuum, 87 das zu ihm auf die Weise des Subjekts im Gegensatz steht, kein Gegensatzpartner sein, der – wie ich anfangs dachte – unmittelbar der Spezies negativ gegenübersteht. Denn sofern die Spezies der absolute Spaltungsgegensatz ist, kann es einen Gegensatz außerhalb der Spezies nicht geben. Auch ein der Spezies gegenüberstehender negativer Gegensatzpartner gehörte, wenn er unmittelbar mit ihr ein Gegensatzpaar bilden würde, selbst zur Spezies und müßte gerade als der relative Gegensatz bezeichnet werden, der den absoluten Gegensatz der Spezies zustande kommen läßt. Weil das, was wahrhaft der Spezies gegenübersteht und sie negiert, die Negation der Spezies-als-der-Selbstverneinung ist, kann dies nur die absolute Negation sein. Und zwar ist die absolute Negation als die Negation der Selbstverneinung nichts anderes als die Tat, die – wie eben gesehen – als Negation des absoluten Gegensatzes die Einheit im Fürsich verwirklicht, welche die Vermittlung des Gegensatzes im Ansich darstellt. Deshalb ist die »subjekthafte Tat des Individuums« tatsächlich die Wende der Selbstverneinung der Spezies in das Genus-als-die-absolute-Negation, und das Individuum steht nicht einfach zur Spezies im Gegensatz, sondern entsteht 88 in der Wende zum Genus, die durch die Selbstverneinung der Spezies vermittelt wurde. So stehen Spezies und Individuum nicht unmittelbar zueinander im Gegensatz, sondern das Individuum entsteht in der durch die Selbstverneinung der Spezies vermittelten absoluten Negation. Die Vermittlung der Wende im Fürsich, in welcher die Einheit als Genus verwirklicht wird, die der absolute Spaltungsgegensatz der Spezies im Ansich voraussetzt, ist nichts anderes als das Individuum. Das ist der Grund, warum das Individuum als dasjenige betrachtet wird, was als Subjekt tätig ist. Dieses aber entsteht in der ganzheitlichen Einheit des Anundfürsich, in der die Selbstverneinung in eins geht mit der absoluten Negation. Oben stellte ich das Absolute 89 Individuum (hier: ko). Entsteht (seiritsu-suru). Die Übersetzung »besteht« wäre ebenfalls möglich. Doch aus dem Zusammenhang mit den folgenden Sätzen ergibt sich, daß es um das »Zustandekommen« des Individuums geht. 89 Das Absolute. Tanabe setzt hier ausdrücklich zettai sha. Allerdings redet er in den folgenden Sätzen wieder doppeldeutig von zettai, das sowohl Substantiv als auch Adjektiv sein kann. 87 88
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als das Beisichsein dar, nannte seinen Aspekt des Ausgangs-als-derSelbstentfremdung Materie und bezeichnete seinen Aspekt der Rückkehr-als-der-absoluten-Negation als Geist. Das Individuum nun muß eben das geistige Subjekt sein, während demgegenüber die Spezies das materielle Substrat darstellt. 90 Während die Spezies den Aspekt des absoluten Spaltungsgegensatzes bildet, ist das Individuum dagegen der Aspekt der absoluten Einheit und Rückkehr. 91 Weil so das Individuum durch die Spezies vermittelt wird und nichts anderes als die Negation der Selbstverneinung der Spezies darstellt, negiert es die Spezies nicht unmittelbar, sondern entsteht in der Wiederherstellung der Einheit der Selbstverneinung der Spezies. Das ist der Grund, weshalb ich – wie im zweiten Kapitel erläutert – korrigierte, daß ich am Anfang das Individuum als unmittelbare Negation der Spezies gegenüberstehend betrachtete, und weshalb ich es nun zu etwas durch die Spezies Vermitteltes machte, es durch die Negation der Spezies selbst vermittelt sein und in der absoluten Negation zustande kommen ließ. Es ist wohl selbstverständlich, daß diese Korrektur nur das Ergebnis der Korrektur des Begriffs der Spezies selbst ist, der zur Klärung der zweifachen Gegensätzlichkeit der Spezies gelangt war. So entsteht das Individuum im Ganzen des Genus und ist Mitglied des Genus, gleichzeitig trägt es den Charakter der subjekthaften Einheitlichkeit des Ganzen und repräsentiert es. In diesem Sinn ist das Individuum gleichzeitig das Ganze, und das Ganze ist gleichzeitig das Individuum. Beide müssen in eins gehen. Weil die Negation der Spezies die Negation der Selbstverneinung ist, ist sie die Verwirklichung-als-Fürsich der Einheit-als-Ansich, die im absoluten Gegensatz als solchen der Spezies eingeschlossen ist. Sie ist die Wiederherstellung des Ganzen. Das Individuum ist die Dynamik der Wiederherstellung dieser ganzheitlichen Einheit. Es ist der Prozeß der Rückkehr. Das ist der Grund, warum es tätiges Subjekt ist. Während der Aspekt der Verneinung der absoluten Negation als Beisichsein die Stofflichkeit 92 der Spezies darstellt, ist der Aspekt ihrer Bejahung nichts anderes als die Geistigkeit 93 des Individuums. Ähnlich wie die Einheit im Ansich betrachtet selbst als Gegensatzmoment in der absoluten Im Japanischen steht »ersteres« (zensha) und »letzteres« (kôsha). Zettai no tôitsu-kanki-men (Aspekt der absoluten Einheit und Rückkehr) kann auch übersetzt werden mit: Aspekt der Einheit und Rückkehr des Absoluten. 92 Stoffllichkeit (busshitsusei, 物質性). 93 Geistigkeit (seishinsei, 精神性). 90 91
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Spaltung der Spezies eingeschlossen ist, wird auch das Individuum unmittelbar gesehen als Spezies im Modus der Selbstverneinung der Spezies eingeschlossen. Der Geist hat notwendigerweise den Leib zum Negationsmoment. Er wird durch die Materie vermittelt. Das Individuum, wie ich es anfangs verstand, war ein solches Individuum im Ansich. Aber als Gegensatzpartner der Spezies, der selber zur Spezies gehört, konnte es selbst nichts anderes als Spezies 94 sein. Daß das, was so der Spezies gegenübersteht, durch und durch Spezies ist, kommt daher, weil die Spezies absoluter Gegensatz ist. Und zwar, weil die Tatsache, daß das Individuum mit der Einheit des Ganzen zusammen entsteht und die Wiederherstellung und Rückkehr der Einheit ist, von der absolut-negativen Negationswende der Selbstverneinung der Spezies abhängt, ist es auch selbstverständlich, daß sowohl das Individuum als auch das Ganze (das Genus) 95 die Selbstverneinung der Spezies zur Vermittlung besitzt. Deshalb ist diese Dialektik notwendigerweise Logik der Spezies. Ich glaube, es gibt keinen Zweifel, daß es die absolute Vermittlung der Dialektik außerhalb der Logik der Spezies nicht geben kann. Vielleicht denkt man demgegenüber auch, weil es sich um absolute Vermittlung handelt, müßten jeweils zwei von Genus, Spezies und Individuum von dem einen anderen vermittelt werden, insbesondere gebe es keinen Grund, annehmen zu müssen, daß die Spezies die beiden anderen vermittelt, und in diesem Sinn vertrügen sich die absolute Dialektik und die Logik der Spezies nicht miteinander. Aber wenn man voll versteht, was ich oben darlegte, müßte sich dieser Gedanke von selbst auflösen. Formal gesehen mag die »absolute Vermittlung« tatsächlich auf den ersten Blick den Anschein erwecken, als ob sie bedeute, daß sich Genus, Spezies und Individuum – ähnlich wie A, B und E 96 in Hegels Logik – ganz gleichrangig gegenseitig vermitteln. Aber sogar bei Hegel sind die drei Vermittlungsfiguren 97 nicht völlig gleichrangig. Wie im Syllogismus des Aristoteles von E-B-A die erste Figur als, verglichen mit den beiden anderen, natürlichste Figur die Vorrangstellung einIm Japanischen steht ausdrücklich, daß das Individuum als Gegensatzpartner der Spezies »selber Spezies« (sore jishin shu) ist. 95 Klammer von Tanabe. Das Ganze (zentai, 全体), das Genus (rui, 類). 96 Im Japanischen gebraucht Tanabe ebenfalls nur die Buchstaben A, B, E. Er bezieht sich auf die deutschen Termini: das Allgemeine, das Besondere und das Einzelne (Genus, Spezies, Individuum). 97 Vermittlungsmodi (baikaitai, 媒介態), kann auch übersetzt werden mit: Vermittlungsstände. 94
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nimmt, so entwickelt dieses Schema E-B-A syllogistisch die natürliche, ursprüngliche Struktur des Urteils, nämlich »E ist A« als die natürlichste. Daß in der natürlichen Reihenfolge der Entstehung das Besondere, d. h. B, den Platz der Vermittlung einnimmt, muß eine Notwendigkeit sein. Aber wenn man ein auf diese Weise zustande gekommenes Konklusionsschema noch einmal der Reflexion unterwirft, sind die anderen Konklusionsschemata gleicherweise möglich. Mit Hilfe von jedem beliebigen von den drei A-B-E als Vermittlung für die beiden anderen kann man die Konklusion verstehen. Von diesem Punkt her gesprochen, lassen sie die sogenannte absolute Vermittlung zustande kommen. Daß auch meine Logik der Spezies auf ähnliche Weise die Selbstverneinung der Spezies, ihre Selbstentfremdung zum Substrat macht, auf dem die Dialektik entsteht und besteht, ist zwar ein notwendiges Ergebnis dessen, daß die Dialektik eine Logik der Selbstverneinung ist. Aber die zweifach gegensätzliche Struktur jener Selbstverneinung schließt gleichzeitig das Genus (das Ganze) 98 und das Individuum selbstverständlich als Momente des absoluten Gegensatzes im Ansich ein, und weil in diesem Sinn die Spezies gleichzeitig sowohl vom Genus wie auch vom Individuum vermittelt wird, läßt sie selbstverständlich die absolute Vermittlung entstehen, und jeder einzelne von den drei Modi kann die anderen beiden vermitteln. Nein, nicht nur das! Man müßte auch behaupten können, daß umgekehrt zwei von ihnen den anderen einen vermitteln. Eben das gehört zu den Notwendigkeiten der Dialektik, daß die absolute Vermittlung als Logik der Spezies zustande kommt. Wenn man das bezweifelt, so kommt das daher, weil man die Dialektik nicht subjektiviert versteht. Nun, niemand bezweifelt wohl, daß die Zeit etwas ist, was durch die drei Modi Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft absolut vermittelt wird, und daß jeder dieser drei Modi als Vermittlung für die beiden anderen etwas Unerläßliches ist. Beim Verständnis der Zeit sind deshalb drei Standpunkte möglich, von denen jeder den Schwerpunkt auf einen der drei Modi legt, und von alters her hat deshalb jeder von den drei seine einflußreichen Vertreter. Aber trotzdem kann man wohl gleichzeitig auch nicht leugnen, daß beim Zustandekommen der Zeit die Gegenwart als Vermittlerin einen besonders auserwählten Platz einnimmt. Das ist der Grund, warum die klassische Zeitlehre Augustins ihre tiefe Bedeutung besitzt. Dadurch, daß wir in dieser Gegenwart stehen, werden die Bewegtheit und die 98
Klammer von Tanabe. Vgl. Anm. 95 dort die Umkehrung.
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Einheitlichkeit der Zeit miteinander verbunden. Der Vermittlungscharakter der Gegenwart widerspricht nicht nur nicht dem Charakter der absoluten Vermittlung, vielmehr ermöglicht er jenen. Nun, in einem diesem ähnlichen Sinn besteht die Logik der Spezies nicht nur neben der Logik der absoluten Vermittlung, sondern sie ermöglicht jene. Wenn man das bezweifelt, so folgt das daraus, daß man die Logik der absoluten Vermittlung nicht dialektisch versteht, sondern sie objektivierend in die formale Logik verwandelt. Worauf dabei als erstes zu achten nötig ist, das ist die Frage, wie man beim Verständnis der Dialektik als Logik der absoluten Vermittlung die Konklusivität 99 deutet, die der allgemeine Charakter der Logik ist. Ich habe darauf hingewiesen, daß es unmöglich ist – den Begriff der Logik allzu weit deutend –, auch das Logik zu nennen, was beim bloßen Ausdrucksverstehen verharrt. Ich betonte die Notwendigkeit, gegenüber dem Logos des Sprachausdrucks den Logos der Logik genau zu unterscheiden, und ich führte als dasjenige, was den letzteren charakterisiert, die Konklusivität an. Das bedeutete natürlich keineswegs, daß ich eine neue These von mir geltend machte. Vielmehr stellte ich nur den Sinn klar, in dem der Begriff »Logik« von alters her bis heute richtig gebraucht wurde. Aber wenn man die »Konklusivität« – einfach der klassischen Bedeutung folgend – auf dasjenige Denkverfahren beschränken wollte, das aus Voraussetzungen Schlußfolgerungen ableitet, kann man nicht behaupten, daß dies auf den Fall der Dialektik unmittelbar paßt. Denn aus Voraussetzungen Folgerungen abzuleiten bedeutet, daß die Folgerungen vermittelt sind, und gleichzeitig bedeutet es, daß die Voraussetzungen nicht vermittelt, sondern unmittelbar sind. Doch dialektisch gesprochen müssen auch die Voraussetzungen – dem Verlangen der absoluten Vermittlung entsprechend – gleichzeitig etwas Vermitteltes sein. Das bedeutet eindeutig einen Zirkelschluß und ist etwas in der Identitätslogik nicht Erlaubtes. In diesem Sinn kann man auch sagen, daß der Konklusionscharakter und der Zirkelschlußcharakter sich nicht miteinander vertragen. Aber die Dialektik transzendiert einerseits das Widerspruchsgesetz, das Axiom der Identitätslogik, und zwar in der Freiheit des Subjekts angesichts des Nichts des Objekts, und Konklusivität (suironsei, 推論性). Gemeint ist nicht nur das Schlußfolgern, sondern die Fähigkeit, der Schlußfolgerung unterworfen zu werden und dadurch folgerichtige Ergebnisse zu erbringen. Darum gebraucht die Übersetzung nicht das deutsche Wort »Schlußfolgerung«.
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auf der damit verbundenen anderen Seite verlangt sie auch den Zirkelcharakter. Wenn man den Konklusionscharakter in der gewöhnlichen Bedeutung versteht, ist darum die Dialektik der absoluten Vermittlung nicht konklusiv, sondern zirkulär, und aus diesem Grund folglich auch keine Logik. Aber es ist schon lange anerkannt, daß auch in der Identitätslogik, wenn sie als Methode der Erkenntnis nach der Abgeschlossenheit des Systems verlangt, die Voraussetzungen der Deduktion die Schlußfolgerungen der Induktion darstellen, und so die Voraussetzungen und die Schlußfolgerungen in eins gehen und sich Deduktion und Induktion gegenseitig vermitteln sowie eine zirkuläre Beziehung zustande kommen lassen. Von diesem Punkt her betrachtet bilden der Konklusionscharakter und der Zirkelcharakter eine Einheit miteinander. Der Konklusionscharakter steht zum Zirkelcharakter in der Beziehung eines Teilmoments zum Ganzen. Das gerade ist nun allgemein eben die Beziehung zwischen Dialektik und Identitätslogik. Man kann wohl den Zirkelcharakter der Dialektik auch den absoluten Konklusionscharakter nennen, der den Konklusionscharakter der analytischen Logik zum Negationsmoment besitzt. Aber weil ein Negationsmoment kein unmittelbarer Teil ist, ist es nicht so, daß eine Konklusion zustande kommt, wenn man nur einen Teil des dialektischen Zirkels, zum Beispiel nur eine Richtung der Vermittlung, aufgreift. Vielmehr kann nur das, was die identitätsmäßige Konklusion negiert und fortwährend sie erneuert, absolute Konklusivität sein. Vielleicht darf man das auch als den subjektiven Konklusionscharakter bezeichnen, der die Einheit von Verneinung und Bejahung des objektiven Konklusionscharakters darstellt. Darum kann man nicht im gewöhnlichen Sinn sagen, die Logik der Dialektik habe die Konklusion zum Inhalt. Vielmehr ist sie die Quelle 100 der Bewegung der Konklusivität, welche die Konklusion verneint und darin bejaht. Vielleicht kann man das auch so beschreiben: Während die gewöhnliche Konklusion den Charakter der Ausgedehntheit und Außengerichtetheit besitzt, der identitätsmäßig und verstandesmäßig voranschreitet, bedeutet jene die Konklusivität, welche eine solche Konklusion selbst auf die Weise der Negation subjektiviert. Während die Konklusion der Identitätslogik unmittelbar und bejahend ist, ist jene absolut verneinend. Im Selbstbewußtsein zu erfassen, daß die Konklusion auf der Grundlage dieser absoluten Negation entsteht, ist eben die 100
Quelle (dôgen, 動源). Wörtlich übersetzt: bewegende Quelle.
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absolut negative Konklusivität. Darum muß man den Konklusionscharakter der Logik der Dialektik im Sinn von negativer Vermittlung verstehen. Diese gehört eindeutig zum Selbstbewußtsein des tätigen Subjekts. Wenn man so denkt, gibt man wohl auch leicht zu, daß der Konklusionscharakter der Dialektik als das, was die negative Struktur des Mittelbegriffs 101 klärt, der das Zentrum der gewöhnlichen Konklusion bildet, nichts anderes ist als die Konkretion der Kopula des Urteils. Daß das dialektische Urteil weder von der Logik des Subjekts her noch von der Logik des Prädikats aus konkret begriffen werden kann, sondern nur die Logik der Kopula dieses richtig verständlich machen kann, behaupte ich seit langem. Ich möchte das jetzt nicht wiederholen. Wenn die Dialektik die Einheit von Verneinung und Bejahung, die negative Vermittlung von Substanz und Subjekt und folglich die Tat-Vermittlung von Existenz und Begriff ist, muß selbstverständlich die negative Vermittlung der Kopula das Zentrum des Urteils darstellen. Freilich, im Urteil ist die Kopula eine inhaltlose, unmittelbare Einheit. Sie besteht in der bloßen Tat-Entscheidung der Einheit von Verneinung und Bejahung. Die Einheit von Prädikat und Subjekt enthält keinerlei Vermittlung, und das Allgemeine des Begriffs, das die Bedeutung des Subjekts darstellt, wird ohne Vermittlung mit der Existenz verbunden, die dasjenige ist, was das Prädikat ausdrückt. Das ist bloß selbstbewußtseinslose Einheit, die man auch mit einer grundlosen Tat vergleichen kann. Genügend vernunfterhellt ist sie nicht. Vernunft muß etwas sein, was frei ist dadurch, daß es durchweg das Selbstbewußtsein des Grundes besitzt. Ähnlich wie für dieses die Freiheit der Wende als Wechseleinheit von Wirklichkeit und Selbst besteht, ist das Selbstbewußtsein der Vermittlung für das Prädikat nichts anderes als die Konklusivität. Konklusivität heißt: Für das Allgemeine des Prädikats des Spezies-Substrats im Selbstbewußtsein zu erfassen, das dessen negative Vermittlung sein muß, und es der Wiederherstellung der Einheit-im-Subjekt-des-Individuums zu vermitteln, welches dasjenige ist, was das Satzsubjekt ausdrückt. 102 Auf diese Weise vermeidet die inhaltlose Kopula des Urteils jenen Modus, der darin besteht, daß in der bloßen Unmittelbarkeit der negativen Einheit umgekehrt die Einheit gerade zum Moment der SpalMittelbegriff (baigo, 媒語). Satzsubjekt (shugo, 主語), wörtlich übersetzt mit: Subjekt. Im Deutschen wäre »Subjekt« allein hier mißverständlich gewesen.
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tung entartet, und dementsprechend ständig das unmittelbare Urteil notwendig zur Lüge verfällt. So kann [die Kopula] in den Wahrheitsmodus wenden, in dem sie ihren Grund im Selbstbewußtsein erfaßt hält. Das eben ist die Konklusivität. Das Spezies-Substrat dient als die Vermittlung, um die unmittelbare Einheit der Kopula bis zur Einheit der absoluten Negation zu konkretisieren. Das Erfassen dieser Vermittlung der Selbstverneinung im Selbstbewußtsein macht die Konklusivität der Dialektik aus. Die zweifach gegensätzliche Struktur dieser Vermittlung läßt das Zustandekommen des Urteils durch Negation begreifen, und das Selbstbewußtsein davon konkretisiert die Kopula notwendigerweise bis zum Inhalt des Mittelbegriffes. Der wahre Inhalt des Mittelbegriffs ist nichts anderes als das Spezies-Substrat. Die Logik der Spezies, die diesen klärt, kann wohl mit Recht als dasjenige bezeichnet werden, was die Konklusivität verwirklicht. Aber ich glaube, ich brauche jetzt nicht zu wiederholen, daß ihre sogenannte Verwirklichung nichts anderes ist als das Selbstbewußtsein der Wiederherstellung der Einheit-in-der-Tat. 103
III. Wenn die Einheit des Ganzen im Genus – wie schon gesehen – die Wiederherstellung derjenigen Einheit bedeutet, die im Modus der Selbstverneinung der Spezies als Moment im Ansich eingeschlossen ist, wenn sie Selbstbewußtsein im Fürsich ist und wenn das Zustandekommen jenes Selbstbewußtseins als Wiederherstellung und Verwirklichung der Einheit nichts anderes ist als die subjekthafte Tat des Individuums, dann entspricht das Individuum jenem Wendepunkt, in dem dasjenige Moment der Spezies, welches im Ansich die Einheit des Genus als der Negation der Selbstverneinung bedeutet, in der Wende der absoluten Negation von der Spezies in das Genus wendet. Zwar war die Einheit bis jetzt selbst nicht mehr als nur ein Moment des Gegensatzes. Jetzt aber wird sie zum Ganzen, in dem die Einheit im Anundfürsich verwirklicht ist. Gleichzeitig geht die Besonderheit, die bisher ein Moment der im Ansich verwirklichten Einheit in der Spezies gewesen war, nicht einfach unter, sondern wird in der Negation bejaht, muß also in 103 Das Selbstbewußtsein der Wiederherstellung der Einheit-in-der-Tat (kôi ni okeru tôitsu no kaifuku-jikaku).
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diesem Sinn aufgehoben werden. Das heißt: Obgleich die ganzheitliche Einheit wiederhergestellt wird, so wird sie doch nicht ohne Vermittlung bewerkstelligt. Vielmehr wird sie durchgeführt mit jenem Spezies-Moment als negativer Vermittlung, auf das sie bisher im Ansich durch die Spezies beschränkt gewesen war. Bildlich ausgedrückt: Bei der Entstehung der Einheit muß es etwas geben, was man auch als die Achse bezeichnen könnte, die den Vermittlungsdrehpunkt jener Wende bildet. Einerseits wirkt sie als Negation der Einheit inmitten der Einheit, anderseits wirkt sie als Vermittlung der Einheit. Das bedeutet: Während sie in ihrer Negativität die der Spezies eigene Selbstverneinung übernimmt, wirkt sie als die negative Vermittlung der Einheit dadurch, daß sie in der Einheit sich selbst verneint. Da vollzieht sich die Aufhebung des Speziescharakters. Das bedeutet, daß sie durch die Durchsetzung des Speziescharakters umgekehrt den Speziescharakter negiert. Der Gedanke der klassischen Logik, der den Endpunkt der speziesmäßigen Besonderung als species infima mit dem Individuum gleichsetzt, muß zu dieser Dialektik gewendet werden. Weil auch der Modus der absoluten Negativität der Einheit durchweg die Selbstverneinung der Spezies zur Vermittlung besitzt, bewahrt sie die Negativität der Spezies als Negationsmoment, gebraucht sie als Vermittlungspunkt der Wende und macht sie zu ihrem Antriebspunkt. Dieser tathafte Wendepunkt, der auch »punctum saliens aller Lebendigkeit« heißen könnte, ist nichts anderes als das Individuum. Dadurch wird die Spezies in die ganzheitliche Einheit des Genus mittels Negation gewendet, und das Spezies-Moment, das die Einheit im Ansich repräsentierte, wird zum Genus als dem Ganzen. Das Ganze und das Einzelne verbinden sich zu einer wechselseitigen Einheit, 104 und das, was als ihre negative Vermittlung wirkt, ist nichts anderes als das Substrat der Spezies. Was das Ganze und das Einzelne in wechselseitiger Einheit zusammenbindet, ist das Substrat der Spezies, das auf der Rückseite dieser beiden sich selbst negiert und so als Spaltungsgegensatz wirkt. Das ist die genaue Bedeutung dessen, was ich oben andeutete, nämlich daß die Wende der Selbstverneinung des Spezies-Substrats in der absoluten Negation die Einheit des Genus darstellt, und daß demgegenüber der Rückkehr-Aspekt jener Wendeund-Wiederkehr das Individuum ist. Man kann sagen: Gegenüber der Bewegtheit des Individuums bedeutet das Genus die Einheit von Bewegung und Ruhe des Beisichseins. Ferner darf man erklären: Während 104
Verbinden sich zu einer wechselseitigen Einheit (sôsoku-suru).
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das Genus das Anundfürsich darstellt, entspricht das Fürsich dem Subjektcharakter des Individuums. Deswegen wird das Individuum als der Endpunkt der Eingrenzung der Spezies betrachtet, und deshalb denkt man auch, daß die Einheit der Spezies durch Negation verwirklicht wird und gleichzeitig die Gespaltenheit der Spezies in ihrem Endpunkt zum Individuum gelangt. Hier liegt der Grund, warum man seit Platon die infima species das Individuum repräsentieren ließ. Erst wenn man das Individuum als das versteht, was die Spezies als die Vermittlung der Einheitsverwirklichung im Inneren des einheitlichen Ganzen negiert und bewahrt, kann wohl seine genaue Bedeutung begriffen werden. In seiner Gegensätzlichkeit gegenüber dem Ganzen übernimmt das Individuum den Speziescharakter, und zwar in der absoluten Negativität, welche diese ins Innere des Ganzen hinein aufhebt, bildet das Individuum den Antriebspunkt, den Wendepunkt des Ganzen. Ihre Negationen und Gegensätzlichkeiten negieren sich gegenseitig und da, wo das Extrem ihrer Negationen erreicht wird, kehrt der Inhalt des Substrats ins Nichts zurück. Gleichzeitig wendet die durch ihn gefesselte Negationsfunktion selbst – nun als vollkommen ungebundene freie Tat – den Substratinhalt zum eigenen Subjektinhalt und beginnt so ihre Wirksamkeit. Das aber ist nichts anderes als das individuelle Subjekt. Folglich hebt dieses den Gegensatz, der dem Negationsgegensatz der Spezies entspricht, in der Gegensatzeinheit von Ich und Du auf. Ihre Inhalte gehören – als Einheiten, die den Speziescharakter negiert haben – zusammen zum Ganzen des Genus. Wenn darum das Individuum nicht als Negationsmoment des Ganzen, sondern als zum Ganzen im Gegensatz stehendes Moment sich selbst unmittelbar bejaht, verfällt es sofort zur Spezies. Das Individuum ist nichts anderes als die widersprüchliche Existenz, die sich im Ganzen befindet und gleichzeitig ihre Selbständigkeit bewahrt und außerdem das Ganze zustande kommen läßt dadurch, daß sie sich selbst negiert. Ihr Charakter als das, was im Nichtsein existiert, 105 als das, was im Selbstverlust sich findet, d. h. ihr Charakter als Einheit von Selbstopfer und Selbstverwirklichung kommt auf diese Weise zustande. Wenn man so denkt, wie oben gezeigt wurde, ist das Genus das Selbstbewußtsein der Wiederherstellung derjenigen Einheit, die von der Spezies vorausgesetzt und im Ansich als Moment der Spezies von ihr eingeschlossen wird. Das Individuum dagegen kann man als die Be105
Was im Nichtsein existiert (nai koto ni oite aru mono). Vgl. Anm. 14.
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wahrung und Bejahung der Gegensätzlichkeit der Spezies innerhalb der Einheit des Genus bezeichnen. Bis hierher muß die Beziehung zwischen Genus, Spezies und Individuum, wie ich sie anfangs vom Gesichtspunkt der Sozialontologie her vorgetragen habe, konkretisiert werden. Das bedeutet nichts anderes als die Entfaltung der Logik der Spezies, die auf der doppelt-gegensätzlichen Struktur der Selbstverneinung der Spezies beruht. Von diesem Gesichtspunkt her betrachtet ist auch die doppelte Struktur des Individuums offensichtlich und kann – meiner Meinung nach – nicht verborgen werden. Denn von der einen Seite her gesehen besteht das Individuum aufgrund seines Bezugs zum Ganzen als der Negation der Gegensätzlichkeit der Spezies. Weil es aber gleichzeitig – von der anderen Seite her betrachtet – die Bewahrung und Bejahung der Gegensätzlichkeit der Spezies bildet, stellt der Schnitt- und Verbindungspunkt der zwei Wege das Individuum her, nämlich der Schnitt- und Verbindungspunkt des Weges aufwärts zur Einheit des Genus, die auf der Negation der Gegensätzlichkeit der Spezies beruht, und des Weges, auf dem die Einheit des Genus umgekehrt den Gegensatz der Spezies als ihre eigene Vermittlung verlangt und in seine Richtung abwärts führt. Denn das Individuum ist eigentlich nichts anderes als der Kreuzungspunkt von ôsô (»Hinweg/Aufstieg«) und gensô (»Rückweg/Abstieg«). 106 Das Individuum ist zwar – wie oben gesehen – der Wendepunkt, in dem die absolut-negative Einheit des Genus zustande kommt, jetzt aber muß man es sich gleichzeitig auch als denjenigen Punkt vorstellen, in dem die Einheit des Genus in der Gegensätzlichkeit der Spezies als ihrer negativen Vermittlung sich selbst vermittelt und mit ihr in Berührung tritt. Wenn die Einheit in ihrem eigenen Inneren ihre Glieder nicht belebt und nicht jedes einzelne Glied seine Selbständigkeit haben läßt, verliert sie ihre Wirkung als Einheit. Das entspricht meiner früheren Hervorhebung der Forderung, daß die ganzheitliche Einheit des Staates, jedes einzelne Glied, seinen Ôsô (往相) und gensô (還相) sind Ausdrücke aus der buddhistischen Literatur, und zwar besonders der Richtung des Buddhismus des Reinen Landes (= Jôdo-Buddhismus oder Amida-Buddhismus). Sie bezeichnen den »Aufstieg« bzw. »Abstieg« des Bodhisattva zum Reinen Land, bzw. zurück vom Reinen Land in die Welt der erlösungsbedürftigen Lebewesen. Tanabe gebraucht ôsô und gensô hier entmythologisiert. Bei Tanabe sind ôsô und gensô Momente der Dialektik von Genus-Spezies-Individuum, die im Individuum aufeinanderprallen oder »sich kreuzen«. Sie sind nicht bloß Momente des Individuums, sondern der gesamten Wirklichkeit, die unter verschiedener Rücksicht als Genus oder als Spezies oder als Individuum beschrieben werden kann.
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jeweiligen Platz einnehmen und es durch freiwillige Mitarbeit am Ganzen teilnehmen lassen muß. 107 Eben das ist der Aspekt des Rückwegs des Ganzen im Individuum. Die Konkretion des Allgemeinen kommt nicht zustande, wenn es sich nicht im Besonderen selbst vermittelt. Doch wenn das Besondere, welches das Allgemeine als seine Vermittlung besitzt, 108 bloß als unmittelbare Selbstbestimmung des Allgemeinen im Inneren des Allgemeinen gegeben wäre, könnte sich das Allgemeine durch dieses nicht selbst vermitteln. Denn das, was die Vermittlung bildet, muß zu ihm im Gegensatz stehen. Deshalb darf das Besondere nicht bloß eine unmittelbare Selbstbestimmung des Allgemeinen sein. Es ist notwendig, daß es sich innerhalb des Allgemeinen befindet und gleichzeitig aus ihm hinaustritt, daß es zu ihm im Gegensatz steht und gleichzeitig zu seiner Einheit gehört. Auch die sogenannte Selbstbestimmung 109 muß etwas dialektisch Vermitteltes sein. Auch bei der sogenannten Einheit von Selbstbestimmung und Fremdbestimmung muß man diese Negativität des Gegensatzes und folglich auch die absolute Negativität, die nur durch die Tat als »Einheit« (soku) vermittelt wird, hinreichend klarstellen. Andernfalls beruht die »wechselseitige Einheit« (sôsoku) nicht auf einer negativen Vermittlung, sondern auf einer undialektischen Identität. 110 Doch wahre Einheit besitzt durchweg den Gegensatz zur Vermittlung. Folglich muß das Allgemeine sich selbst durch den Gegensatz des Besonderen vermitteln lassen, und das Ganze muß zum Einzelnen herabsteigen und es beleben. Indem das [Ganze das Einzelne] 111 als ein selbständiges Glied sich selbst gegenüberstehen läßt, muß es dieses in sich selbst aufnehmen. Ohne diesen Aspekt des Rückweges fällt die absolute Einheit des Allgemeinen bzw. Ganzen in den Modus des Ansich und kippt unvermeidlich selber in den
107 In Kap. 4 hat Tanabe schon das Ideal des »menschheitlichen Staates« (jinrui-teki kokka) vorgestellt, auf den das hier beschriebene Verhältnis des Ganzen und des Einzelnen zutrifft. 108 Der deutsche Satz ist hier mißverständlich; gemeint ist: Das Allgemeine besitzt das Besondere als seine Vermittlung, nicht umgekehrt hier. 109 Sogenannt, d. h. es ist eine Anspielung auf die Philosophie Kitarô Nishidas und einen ihrer Hauptbegriffe beabsichtigt. Auch im folgenden Satz. 110 Daß es erlaubt ist, soku und sôsoku im Deutschen mit »wechselseitiger Einheit« wiederzugeben, zeigt Tanabe selbst im folgenden Satz, der soku und sôsoku erklärend fortfährt. 111 Der japanische Satz wurde geteilt. Darum mußte das »Ganze das Einzelne« wiederholt werden. Eckige Klammern also immer vom Übersetzer.
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Gegensatz der Spezies um. Es ist notwendig, daß der Aufstieg bzw. Hinweg, auf dem die Spezies zum Genus erhöht wird, und der Abstieg bzw. Rückweg, auf dem gleichzeitig das Genus zum Individuum herabsteigt, sich zu einer wechselseitigen Einheit verbinden. Diese wechselseitige Einheit zu verwirklichen, ist Tat. Die Tat ist einerseits Tat des Individuums, anderseits ist sie Selbstverwirklichung des Ganzen. Dadurch, daß sich das Individuum verliert, findet es sich im Ganzen wieder. Doch gleichzeitig damit besitzt das Ganze das Individuum zur Vermittlung und vermag nur durch die Spontaneität und Freiheit des Individuums Subjekt zu sein. Wenn man so die Tat des Individuums als das betrachtet, was im Augenblick der Seitenverkehrung der Selbstverneinung der Spezies mit der absoluten Negation des Genus zustande kommt, d. h. was im Kreuzungspunkt von Hinweg und Rückweg besteht, und wenn man [die Tat] als die negative wechselseitige Einheit des Individuums und des Genus (des Ganzen) 112 mit der negativen Vermittlung durch die Spezies begreift, bringt das sowohl praktisch wie auch logisch außerordentlich wichtige Ergebnisse mit sich. Zum Beispiel vom praktischen Standpunkt aus gesehen – gewährt nicht die Doppeltheit des Individuums, sein Charakter als Wende-durch-Negation, im Bezug auf die Beziehungen zwischen Religion und Ethik einen gewissen Durchblick? Daß die Religion alle endliche Existenzen verneinen, den menschlichen Gesichtspunkt hinwegfegen und sich durchweg auf Bestimmungen vom Standpunkt des Absoluten her stützen muß, sind Forderungen, die in neuerer Zeit besonders häufig betont werden. Es handelt sich dabei um eine Reaktion darauf, daß die Religionsphilosophie des sogenannten Idealismus der menschliche Standpunkt ist, der an den Endpunkt der menschlichen Vervollkommnung den religiösen Standpunkt plaziert. Es ist nicht zu leugnen, daß diese Reaktion eine Bedeutung besitzt, die hinreichend gewürdigt werden muß. Aber daß in der Folge davon – wegen der Überbetonung des negativen Gegensatzes zwischen dem Absoluten und dem Relativen, zwischen Gott und Mensch – die absolutnegative Wende zwischen den beiden geleugnet und das Zustandekommen dieser Wende nur in dem Mittler (Christus) als der Selbstverneinung Gottes anerkannt wird sowie der Glaube an die Beziehung zum Absoluten auf den Glauben an das Auftreten eines Mittlers eingeschränkt zu werden droht, muß als eine einseitige Betrachtungsweise 112
Runde Klammern von Tanabe.
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bezeichnet werden. 113 Das kommt wohl von dem Mangel an Dialektik, der darin besteht, daß Gott nicht absolute Negation, sondern absolute Existenz ist, und seine vermittlungslose, unmittelbare Selbstverneinung die Erschaffung der Relativen bedeutet. Das ist nichts anderes als ein Fall von logischer Unstimmigkeit, insofern die Existenz des Absoluten als solchen undialektisch ist. Wenn es so ist, dann vermeidet – meiner Meinung nach – auch der gegenteilige Standpunkt, der die Vereinigung des Absoluten und des Relativen nicht hinreichend negativ, sondern in irgendeinem Sinn identitätsmäßig bejaht, nach wie vor nicht die Abstraktheit, weil er nur den Existenzcharakter des Absoluten als undialektisch und unmittelbar betrachtet, ihn der sogenannten unmittelbaren Anschauung anvertraut und so nicht konsequent genug die Negationsvermittlung durchführt. Als Ergebnis davon lehrt er die Einheit des Gesetzes Buddhas und des Gesetzes der Welt und verfällt der praxislosen 114 Kontemplation als Verherrlichung der Wirklichkeit. 115 Des weiteren ist dies nicht nur dem Standpunkt der Kontemplation des Buddhagesetzes und der buddhistischen Resignation eigen, sondern 113 Tanabe beschreibt in den vorangegangenen Sätzen die Kritik Sören Kierkegaards und der auf ihn sich berufenden dialektischen Theologie (z. B. Karl Barths) an der idealistischen Religionsphilosophie (Hegels). Tanabe sieht sie als Kritik der Verteidiger der Transzendenz des seinshaft gedachten christlichen Gottes (und des auf ihn bezogenen Glaubens) an den Verteidigern der Immanenz dieses Gottes (und der auf ihn bezogenen Religion). – Im folgenden Satz wird aber auch klar, daß Tanabe diese Kritik der dialektischen Theologie an der idealistischen Religionsphilosophie gleichfalls für ungenügend hält, weil sie wie die letztere am seinshaft gedachten Gott festhält. Für Tanabe ist wahre absolute Dialektik nur gewährleistet, wenn »Gott« nicht absolutes Sein (absolute Substanz/esse subsistens) ist, sondern »absolutes Nichts« (absolute Negation). In dieser Beziehung nur geht Tanabe mit Nishida denselben Weg. Doch wirft er Nishida die Verbindung des »absoluten Nichts« mit der »unmittelbaren Schau« (= Kontemplation) des Nichts vor. Nicht die Praxis, sondern die Kontemplation vermittele bei Nishida das absolute Nichts mit den Relativen. Vgl. die folgenden Sätze. 114 Tanabe spielt hier nicht nur auf die undialektische, kontemplative Haltung des Buddhismus im allgemeinen an, sondern auch auf die zwar dialektische, aber immer noch nicht konsequent genug dialektische – vom Zen-Buddhismus inspirierte Philosophie Kitarô Nishidas. Er kritisiert, ihr fehle die Vermittlung durch die ethische, besonders sozialethische bzw. politische Praxis. – In der japanischen Formulierung ist der Bezug von »praxislos« (hi-jissenteki-naru) zweideutig. Er kann sich auf »Verherrlichung« als dem Nächststehenden beziehen. Aufgrund der bei Tanabe üblichen Gegenüberstellung von Kontemplation und Praxis bezieht die Übersetzung »praxislos« auf »Kontemplation«. 115 D. h. als undialektische, unkritische Bejahung des Status quo. Es fehlt die Veränderung, die Erneuerung, die Neuschöpfung – letztlich das eschatologische und transzendenz-theologische Moment, meint Tanabe.
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auch der Standpunkt, der die Praxis der Buddhaschaft 116 proklamiert, kann das notwendigerweise nicht vermeiden, insofern die Wende der absoluten Negation, die er lehrt, ohne Vermittlung zustande kommt und die Vermittlung der Selbstentfremdung der Spezies nicht besitzt. Selbst wenn die Bestimmung des Individuums als Rückweg betont wird, des Individuums, das die Befreiungs- bzw. Erlösungsachse ist, wird doch der Sachverhalt übersehen, daß die soziale ethische Praxis den konkreten Inhalt der Tat bilden muß, da ja die Selbstverneinung der Spezies als Vermittlung von Anfang an nicht hinreichend anerkannt wird. Weil tatsächlich – vom Standpunkt des Absoluten her gesehen – alle Relativen bloß negative Vermittlung bleiben und ihr Inhalt nicht positiv bejaht wird, ist es wohl selbstverständlich, daß sie letztlich als unterschiedslos auf derselben Ebene nivelliert werden. Aber die Wende der absoluten Negation negiert das Relative nicht einfach unmittelbar und hebt es auf. Weil das Relative negiert wird und gleichzeitig durch die absolute Negation bejaht wird, werden natürlich die Unterschiede der Relativen nicht so, wie sie sind, im Absoluten selbst als Unterschiede an Positivität des Wertes anerkannt, jedoch vom Standpunkt der Selbständigkeit her, welche die Relativen besitzen müssen, muß ihr Unterschied anerkannt werden, je nachdem ob sie als Negationsvermittlung abstrakt oder konkret sind. Wenn man die Existenz des Menschen konkret in der sozialen Existenz denkt und die Tat in der ethischen Qualität der politischen Praxis des Staatsaufbaus faßt, ist das am konkretesten. Wenn das so ist, dürfte man nicht leugnen können, daß dies als Negationsvermittlung am konkretesten ist. Deshalb hat auch Hegel gelehrt, daß als Vermittlung der Religion die Ethik vonnöten ist. Das muß das notwendige Ergebnis dessen sein, daß man als soziales Substrat der menschlichen Existenz den Modus der Selbstverneinung der Spezies anerkannt. Ferner muß wohl anerkannt werden, daß die Ethik als die negative Vermittlung der absoluten Negation das Konkreteste ist, [die Ethik] in welcher der Vermittlungscharakter [der Spezies] diese am konkretesten verwirklicht, weil er auf ihrer doppelt-gegensätzlichen Struktur beruht. Daß dann die Tat der absoluten Negation die RelativiPraxis der Buddhaschaft (gyô-butsu, 行仏). Kann auch übersetzt werden mit: den Buddha tun, die Buddhaschaft einüben. Hier als Terminus der buddhistischen Literatur übernommen. Tanabe will sagen: Obgleich einige Buddhisten von der »Praxis« der Buddhaschaft, von »Tun« oder »üben« der Buddhaschaft sprechen, meinen sie doch keine wirkliche geschichtliche, gesellschaftliche, ethisch verantwortete, politische Praxis der Gesellschaftserneuerung.
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tät, welche die Ethik besitzt, der Absolutheit der Religion vermittelt und gleichzeitig die Religion ihre konkreteste negative Vermittlung in der Ethik finden läßt, gehört zu den Notwendigkeiten der Dialektik. Das bedeutet natürlich aufgrund des Wesens der dialektischen negativen Vermittlung weder, daß man die Religion als Postulat der Ethik betrachtet und auf ihrer Basis erstellt noch daß man die Ethik aus der Religion ableitet. Vielmehr bedeutet es, daß man die Ethik und die Religion, die jede für sich auf ihrem eigenen Standpunkt Selbständigkeit besitzen, durch Negation vermittelt und sie als Gegensatz vereinigt. Was ich bisher von der Beziehung zwischen Ethik und Religion sagte, ist in Beziehung dieser negativen Vermittlung zu verstehen. Es bedeutet weder, daß es wie im Sinne der Identitätslogik notwendig ist, daß die Religion die Ethik zur Vermittlung hat, noch daß die Ethik im Sinne der Identität an ihrem Endpunkt zur Religion führt. Wenn man das als die Auffassung betrachtet, die meint, die Ethik sei die notwendige und genügende Bedingung der Religion, und wenn man mich in diesem Sinn kritisiert, so resultiert das nur daraus, daß man die Bedeutung der Vermittlung durch Negation in der Dialektik nicht versteht und – weil man selber den Standpunkt der identitätsmäßigen Intuition nicht aufgibt – auch meine Aussagen undialektisch und identitätsmäßig interpretiert. Weil im Gegensatz dazu die Ethik des Staatsaufbaus, die ich meine, durch die Wendung der Selbstverneinung der Spezies in die absolute Negation des Genus die Verwirklichung der ganzheitlichen Einheit bedeutet, braucht sie – zusammen mit dem Aspekt des Aufstiegs bzw. Hinwegs – notwendigerweise auch den Aspekt des Abstiegs bzw. Rückwegs und setzt die Vermittlung durch die Selbstverneinung des Absoluten voraus. Nicht der Endpunkt der Vervollkommnung der Ethik, sondern die Bejahung der Ethik durch die absolute Negation ist eben die Religion. Folglich verlangt die Religion ferner – in ihrem Aspekt des Rückwegs, in dem sie notwendig zum Relativen als der Vermittlung des Absoluten durch Selbstverneinung herabsteigt – nach der Ethik als ihrer konkretesten negativen Vermittlung. Es muß wohl nicht ausdrücklich erklärt werden, daß das nicht bedeutet, daß identitätsmäßig das Absolute der Religion ohne Vermittlung sich selbst negiert und zum Relativen herabsteigt und folglich die Ethik als unvollkommene Vorstufe zur Religion zur eigenen Vermittlung macht. Alle diese Fehldeutungen sind nichts anderes als fehlendes Verständnis im Bezug auf die Dialektik. Der Glaube darf nicht nur nicht Intuition des Seins sein, sondern kann auch nicht unmittelbare Anschauung des Nichts sein. Weil das Nichts 182 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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nur in der Tat als der Vermittlung durch absolute Negation verwirklicht wird und die Tat auf dem Standpunkt der Negation, welche die unmittelbare Anschauung übersteigt, sich vollzieht, praktiziert der Glaube das Nichts in dem Sinne, daß er das Unsichtbare glaubt und mit ihm durch Negation gewendet und vermittelt wird. Glaube ist das Selbstbewußtsein 117 der Beziehung der das Nichts praktizierenden Tat zum Absoluten. Er ist das Bewußtsein 118 der Wendung und wechselseitigen Vereinigung von Hinweg und Rückweg. Das Nichts ist etwas, was man nicht schauen kann, etwas, was getan werden muß, und das Bewußtsein des Tuns jenes Nichts ist nichts anderes als der Glaube. Wenn man ihn mit der unmittelbaren Anschauung identifiziert, verliert die Religion ihr ethisches Bemühen und verfällt zu ästhetischem Genuß. 119
Selbstbewußtsein, vgl. Anm. 20. »Bewußtsein«: hier wie im folgenden Satz steht ishiki (eigentlich bei Tanabe für das »Gegenstandsbewußtsein reserviert). Glaube als »Bewußtsein des Tuns jenes Nichts« kann aber kein »Gegenstandsbewußtsein« meinen. Es ist das gemeint, was in den früheren Kapiteln als (mu no jikaku) »Selbstbewußtsein des Nichts« oder »Sichwissen der Nichtung des Selbst« beschrieben worden ist. 119 Ethisches Bemühen (rinrisei, 倫理性), kann auch übersetzt werden mit: »ethische Qualität«; ästhetischer Genuß (geijutsuteki shumi, 芸術的趣味), kann auch übersetzt werden mit: künstlerischer Geschmack. – Tanabe faßt hier seine Sicht von Religionen zusammen: Glaube (als Stellvertreter für Religion) besteht nicht in der Intuition (unmittelbaren Anschauung, Schau, Kontemplation) Gottes als des absoluten Seins (Kritik an dem von Tanabe so verstandenen Christentum oder wenigstens wichtiger Teile davon); Glaube besteht auch nicht in der Intuition »Gottes« als des absoluten Nichts (Kritik am Buddhismus und an der von Tanabe so verstandenen Nishida-Philosophie, sondern Glaube ist – wie oben erklärt – »Sichwissen der Nichtung des Selbst«. Man muß aber darauf hinweisen, daß in den vorliegenden, übersetzten Texten ein zweiter Aspekt der »Nichtung nur wenig erwähnt wird: die »Auferstehung«. Für Tanabe ist die Rückseite des Todes des Selbst die Auferstehung des Selbst in der Gemeinschaft der Auferstandenen. Vgl. dazu vor allem sein Werk: Zangedô toshite no tetsugaku (Philosophie der Metanoetik), in: THZ 9, S. 1–269. 117 118
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Valérys Kunstphilosophie. Kap. 4: Die Grenze des Gedichts »Die junge Parze« und ihre Überwindung 1 (Übersetzt von Johannes Laube)
Damit habe ich oben das Ganze des Gedichts »Die junge Parze« von Valéry – es interpretierend – vollständig übersetzt. Anfangs hatte ich zwar die Absicht, die Interpretation zur Hauptsache zu machen und als Belege für sie Übersetzungsauszüge von Gedichtabschnitten beizufügen. Aber als ich das wirklich anzuwenden versuchte, mußte ich erkennen, daß das auszugsweise Übersetzen und Zitieren eines Symbolgedichtes letztlich unmöglich ist. Denn wenn man aus dem Ganzen einen Teil herausschneidet und als Auszug vorlegt, geht der Charakter des Symbols verloren, und es verfällt zu einem bloßen Zeichen. Ein Zeichen bleibt sozusagen bei der Verwandlung von Sein in Sein stehen. Ein Symbol als Verwandlung des Nichts in Sein ist es nicht. 2 Damit das 1 Anmerkungen von Johannes Laube. – Varerii no geijutsu-tetsugaku (ヴァレリィの芸 術哲学), zuerst veröffentlicht Tôkyô 1951 als Monographie, jetzt in: Gesamtausgabe Hajime Tanabes, Bd. 13, 21972/1973, S. 1–162. Der übersetzte Teil umfaßt die Seiten 92–109. Tanabe schloß die Abhandlung am 28. Februar 1950 ab, also in der letzten, reifen Phase seines philosophischen Denkens. Zu Tanabes Denkweg vgl. Johannes Laube, Dialektik der absoluten Vermittlung – Hajime Tanabes Religionsphilosophie als Beitrag zum »Wettstreit der Liebe« zwischen Buddhismus und Christentum, Freiburg i. Br. 1984, S. 17–21. – Das von Tanabe als Material der Auseinandersetzung benutzte Gedicht »Die junge Parze« (La Jeune Parque) ist enthalten in: Œuvres de Paul Valéry, Edition de la Nouvelle Revue Française (nrf-Ausgabe), Paris 1933, Bd. 3, S. 59–88. 2 Tanabe unterscheidet hier – wie auch in anderen Abhandlungen – »Zeichen« (kigô) und »Symbol« (shôchô). Sie unterscheiden sich in ihrer verschiedenen Beziehung zum Sein bzw. Nichts. Tanabe ergreift dabei die Partei des dialektischen »Symbols«. Die für das Zeichen charakteristische identitätsmäßige Verwandlung einer Seinsform in eine andere nennt Tanabe u no uka (有の有化). Die für das Symbol gültige Formel lautet u no muka (有の無化); sie vermittelt mu no uka (無の有化): Die Verwandlung einer Seinsform ins Nichts, d. h. ihre Negation oder Nichtung, vermittelt die Verwandlung der Negation ins Sein, d. h. an der negierten Seinsform erscheint das Nichts als Sein, und zwar als Negation der Negation. Was hier vom konkreten Symbol in einem Gedicht gesagt
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Symbol als die Verwandlung des Nichts in Sein zustande kommt, muß umgekehrt der Untergangsprozeß des Seins, der als Gegenteil dazu »Verwandlung des Seins ins Nichts« heißen muß und im antinomischen Widerspruch gründet, dieses vermitteln. Dadurch, daß die Einheit in der Wende dieser gegenseitigen Vermittlung als ein Ganzes, das zu sich selbst zurückgekehrt ist, den Teil die Verwandlung des Nichts ins Sein sein läßt, wird dieser zum Symbol. Wenn man diese Vermittlung völlig abstrahiert, geht notwendig der Symbolcharakter des Symbols aus den Augen verloren. Das ist der Grund, weshalb das Herstellen von Auszügen eines Symbolgedichts unmöglich sein muß. Als ich das merkte, mußte ich schließlich zu einer Entscheidung kommen und das Ganze übersetzen. Doch wenn ich gewußt hätte, daß schon eine vertrauenswürdige japanische Übersetzung existiert, dürfte ich, der ich kein Selbstvertrauen im Bezug auf meine Kenntnisse der französischen Sprache und Literatur besitze, wohl kaum das meine Grenzen nicht beachtende törichte Unterfangen gewagt haben, selbst eine leichtfertige Übersetzung vorzunehmen. Aber da ich damals am Anfang überhaupt nicht wußte, daß eine japanische Übersetzung existiert, habe ich notgedrungen – gestützt auf meine eigene Interpretation – das ganze Gedicht erst einmal durchübersetzt. Da ich später von einem Freund unterrichtet wurde, daß es die Übersetzung von Herrn Shûzô Hishiyama 3 gibt, versuchte ich dann diese und meine Übersetzung zu vergleichen. Weil die Übersetzung von Herrn Hishiyama, der wahrhaftig selber ein Dichter ist, treffende und elegante Wörter, die mir nie in den Sinn gekommen wären, in freier Verfügung einsetzt, gibt es einige Textstellen, bei denen ich diese Übersetzung unverändert übernahm und meine eigene Übersetzung verbesserte. Ferner gab es auch Fälle, in denen ich durch die Übersetzung von Herrn Hishiyama auf meine Mißdeutungen in der Interpretation des Französischen selbst aufmerksam gemacht wurde. Im Bezug auf diese Belehrungen drücke ich Herrn Hishiyama tiefempfunden meinen Dank und Respekt aus. Jedoch steht eine Übersetzung gleichzeitig in einer untrennbaren Beziehung zur Interpretation des Gedichtes selbst. Selbst wenn ich in einigen Fällen – wie eben wird, entspricht dem, was Tanabe in den Abhandlungen zur »Logik der Spezies« vom konkreten Individuum bzw. seiner Tat erklärt. An ihrer Dialektik erscheint das absolute Nichts als die absolute Negation bzw. Negation der Negation. 3 Shûzô Hishiyama (1909–1967). Hishiyama hat mehrere Male Texte von Valéry ins Japanische übersetzt und veröffentlicht.
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gesagt – durch die Übersetzung von Herrn Hishiyama belehrt meine eigene Übersetzung korrigierte, ist es doch auch selbstverständlich, daß dies innerhalb eines Rahmens geschah, der meine Interpretation im Bezug auf das Gedichtganze nicht berührt. Doch in der Interpretation des Ganzen unterscheiden wir uns ziemlich, Herr Hishiyama und ich. In dem von Herrn Hishiyama übersetzten Gedichttext gab es einige Stellen, deren Bedeutung mir unverständlich war. Ferner, im Bezug auf den Gesamtzusammenhang des Gedichtes gesprochen, fehlten auch nicht Stellen, von denen ich glauben mußte, daß meine eigene Übersetzung diesen noch genauer und klarer begreifen ließ. Jedenfalls war meine Übersetzung aufgrund ihres Entstehungsprozesses deshalb selbstverständlich etwas von der Übersetzung des Herrn Hishiyama völlig Verschiedenes. Darum übergebe ich – in dem Gedanken, daß auch meine schlechte Übersetzung neben der des Herrn Hishiyama erst einmal ein Existenzrecht beanspruchen kann – diese der Öffentlichkeit. Natürlich habe ich, der ich kein Selbstvertrauen im Bezug auf meine Kenntnisse der französischen Sprache und Literatur besitze – wie ich oben bekannte –, nicht die Absicht, mich selbst meiner Übersetzung wegen zu brüsten. Im Gegenteil: Ich fürchte, daß ich viele Irrtümer begangen habe, und erwarte die Belehrung durch Experten dieses Fachgebietes. Ich glaube, wenn die schöne Übersetzung von Herrn Shintaro Suzuki, 4 von der ich höre, daß sie gegenwärtig Fortschritte macht, vollendet ist und ans Licht der Öffentlichkeit tritt, muß sich so etwas wie meine Übersetzung natürlich verstecken. Ich dachte mir nur, weil die Kunstphilosophie Valérys allgemein mein Interesse weckte, insbesondere weil das Gedicht »Die junge Parze«, welches die beiden Perioden seiner Entwicklung, die frühe und die späte, gleichzeitig trennt und verbindet, in seinem Inhalt selbst voll ist von der Negationswende, und weil Aspekte wie Schicksalsbewußtsein, Verwirklichung von Auferstehen durch Sterben oder Überschreiten und Durchbrechen vom leeren Nichts weg zur Existenz hin Gesichtspunkte zu sein scheinen, die philosophisch außerordentlich wichtige Gedanken entfaltet haben, sei der Versuch 4 Shintarô Suzuki (1885–1970) hat sich durch seine Übersetzungen und Abhandlungen einen Namen als Experte in der neueren französischen Literatur gemacht. Tanabe besaß – laut Auskunft seines Bibliothekskatalogs (Daigaku Fuzoku Toshokan Tanabe-Bunko Mokuroku 1968) neben den Werken von Hishiyama auch die vielen Werke von Shintarô Suzuki über diese Periode der französischen Literatur. Selbstverständlich besaß Tanabe auch die Originaltexte von Valéry (und den übrigen erwähnten französischen Dichtern) in Französisch.
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einer Interpretation von der Seite der Philosophie her nicht nur eine Aufgabe für die Philosophie, die sie nicht vernachlässigen dürfe, sondern er besitze auch durchaus Momente, die zur Deutung des Gedichtes als Gedicht irgendwie beitragen. Obgleich ich nach wie vor noch keine Gelegenheit finde, darin Einsicht zu nehmen, so halte ich doch die Tatsache, daß der verehrungswürdige philosophische Denker Alain 5 schon lange einen Kommentar zur »Jungen Parze« veröffentlicht hat, für eine Bestätigung meines oben vorgetragenen Gedankens. Ich hatte die Empfindung, es sei vor allem notwendig, daß sowohl die Dichter wie auch die Philosophen und Kritiker in freier Zusammenarbeit die Wahrheit suchen, ohne sich von ihrem eigenen Fachgebiet gefangennehmen zu lassen, und beschloß – bewußt auf den Vorwurf der Anmaßung nicht achtend – meine Interpretation und meine Übersetzung zusammen zu veröffentlichen und der Kritik und Korrektur von Seiten des Publikums entgegenzusehen. Aber umgekehrt gedacht: Wenn Symbolgedichte – wie Valéry selbst sie verstand – eigentlich Tätigkeiten des Geistes sind, welche die Einheit des Gegensatzes zwischen der Bedeutung und dem Klang der Worte zu erreichen suchen, selbst wenn sie dabei um der Klangharmonie willen die Genauigkeit der Bedeutung opfern, kann denn dann wohl so etwas wie eine »Übersetzung« überhaupt für möglich gehalten werden, welche ausschließlich die eine gemeinsame Bedeutung zur Vermittlung macht, indem sie sie von ihrer jeweiligen Landessprache loslöst, welche die dem Klang der Worte je eigene Basis ist, und so das in der einen Landessprache verfaßte Symbolgedicht in die Sprache eines anderen Landes überträgt. Natürlich ist es ein völlig undurchführbarer Vorschlag, ein Symbol der französischen Sprache, die einen ganz anderen Wortklang hat, in der japanischen Übersetzung beizubehalten. Wenn man anerkennt, daß das so ist, dann wird die Übertragung eines Symbols nicht auf der Seite der sinnenhaften Harmonie des Klanges durchgeführt. Vielmehr muß man wohl feststellen, daß die Übersetzung eines Symbolgedichtes gerade darin besteht, daß die Dialektik von »Verwandlung des Seins ins Nichts ineins 6 mit Verwandlung des 5 Alain: Pseudonym für Emile Auguste Chartier (1868–1951), französischer Moralist in der Nachfolge des Descartes und der französischen Rationalisten. Hier ist sein »Kommentar« zur »Jungen Parze« gemeint, La Jeune Parque, commentée par Alain, Paris 1936. 6 »Ineins« (soku vgl. Anm. 14 des Tanabe-Textes »Versuch, die Bedeutung der Logik der Spezies zu klären«). Die Bezeichnung »ineins« ist mit Bedacht gewählt. Für den Leser der
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Nichts in Sein« – die im Originalgedicht mit Hilfe der Vermittlung dieser Seite entwickelt wurde – mit Hilfe der sinnenhaften Vorstellung als Vermittlung in die andere Landessprache übertragen wird. Dabei besitzt zwar der Klang des Originalgedichts die Funktion eines Hinweises für die Gestaltung des Symbols. Aber daß dieses Verhältnis in der Übersetzung aufrechterhalten wird, beschränkt sich nur auf diejenigen Fälle, in denen es – wie z. B. zwischen dem Französischen und Englischen – eine genealogische Verwandtschaft der Sprachen gibt. Zwischen Sprachen wie dem Französischen und dem Japanischen dürfte das nicht zu erwarten sein. Wenn einmal die japanische Übersetzung eines Gedichtes die Seite der Klangharmonie des Symbols zum Ausdruck bringen sollte, handelt es sich dabei nicht mehr um die Beibehaltung und Verpflanzung ein und derselben Seite des Originalgedichts, sondern es muß sich wohl um eine Schöpfung ganz vom Standpunkt des Japanischen selbst aus handeln. Ich meine, daß Übersetzungswerke wie z. B. »Klang der Gezeiten« von Herrn Bin Ueda 7 in älterer Zeit und »Auszüge neuerer französischer Symbolgedichte« von Herrn Shintarô Suzuki 8 aus jüngerer Zeit in diesem Sinn hochzuschätzende Schöpfungen darstellen. Gerade sie sind eigentlich das, was man als Übersetzungineins-mit-Neuschöpfung bezeichnen muß. Was im Deutschen »Nachdichtung« 9 heißt, hat wohl diese Bedeutung. Doch das gehört für mich zu den Arbeiten, für die meine Kräfte überhaupt nicht ausreichen. Deshalb wurde bei meiner Übersetzung auf eine Bemühung in dieser Richtung von Anfang an verzichtet. Meine Kraft wurde ausschließlich auf die dialektische Seite des Symbols konzentriert. Eben die durch die Selbstverneinung vermittelte Rückkehrbewegung des Symbols als Entwicklung vom Sein-ineins-mit-dem-Nichts zum Nichts-ineins-mitdem-Sein, als Umkehr und als Wiederkehr bildet ihren hauptsächlichen Inhalt. Daß gerade sie eine untrennbare Beziehung zur Interpretation als der ganzheitlichen Erfassung dieser Bewegung besitzt, muß selbstverständlich sein. vorliegenden Übersetzung soll die konsequente Verwendung von »ineins« als Vermittlungssymbol signalisieren, daß Tanabe im Japanischen soku oder sôsoku stehen hat. 7 Bin Ueda (1874–1916), japanischer Anglist und Dichter. »Klang der Zeiten« (Kaichôon) 1905, jetzt in: Teihon Ueda Bin Shizû (Sammlung der Gedichte [Nachdichtungen] von Bin Ueda). 8 Suzuki Shintarô, Kindai Furansu Shôchôshi-shû, Suzuki Shintarô Senyaku, Shunyôdô, Tôkyô 1924. 9 Tanabe gebraucht hier selbst das deutsche Wort »Nachdichtung«, vgl. THZ 13, S. 94.
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Nun, solche Deutungen und Übersetzungen werden – weil es ja das Symbol ist, worauf sie sich beziehen – notwendigerweise auf der Grundlage des Nichts durchgeführt. Gewiß dürfte man sie sich nicht genau so vorstellen können wie Übersetzungen von Prosa, die einfach einen Ausdruck des Seins in der einen Sprache in den betreffenden Ausdruck der anderen Sprache umsetzen. Das Nichts wird keinesfalls wie das Sein als etablierte Existenz objektiviert gedacht. Es besteht nur darin, daß der Modus des Seins als selbstidentischer Existenz aufgrund der antinomischen Widersprüchlichkeit, die er einschließt, zum Einsturz gebracht wird, und der Prozeß seines Untergangs und Zusammenbruchs im Tatbewußtsein des Subjekts offenbart wird. Eben die Logik der Negation, in der die Entfaltung dieses Selbstbewußtseins 10 ineins mit der Bewegung der Selbstverneinung des Begriffs vollzogen wird, ist nichts anderes als Dialektik. Folglich ist sie »Logik der Negation« und muß gleichzeitig auch »Negation der Logik« sein. Daß diese zweite Seite tathaft, subjekthaft im Selbstbewußtsein erfaßt und aufgrund der Wirkung des Transzendierens im Sinne der Einheit von Abbruch-ineins-mit-Durchbruch wieder zur Bejahung der Logik gewendet und zur sogenannten »Logik der Negation« wiederauferweckt wird, stellt die Rückkehrbewegung der Dialektik dar. Das Symbol ist nichts anderes als das, was diese zu sich selbst zurückkehrende, sich selbst verneinende Wirkung des Begriffs, d. h. »die-Verwandlung-des-Seins-insNichts-ineins-mit-der-Verwandlung-des-Nichts-ins-Sein«, sich in sinnenhaften Vorstellungen kristallisieren läßt. Weil das so ist, liegt sein Inhalt gewiß nicht in der unmittelbaren Vorstellung als solcher, sondern in der dialektischen Bewegung des Begriffs, in der die Selbstverneinung eine Einheit bildet mit der Selbstbejahung. D. h. die Symbolik besteht nicht unmittelbar im objektiven Inhalt der Vorstellung. Vielmehr besteht sie in dem subjekthaften Selbstbewußtsein der Dialektik, in der jenes begriffliche Denken, infolge der Antinomien, der »Negation der Logik« verfällt, und zwar so, daß es doch zur »Logik der Negation« wieder umgedreht und auferweckt wird. Hier liegt die besondere Bedeutung, welche die Dialektik für die Übersetzung eines Symbolgedichtes haben muß. Denn weil ja das Symbol als die Verwandlung des Nichts ins Sein nicht unmittelbar in der seinsmäßigen Vorstellung als solcher bestehen kann, sondern durch die Dialektik als Verwandlung Vgl. Anm. 20 des Tanabe-Textes »Versuch, die Bedeutung der Logik der Spezies zu klären«.
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des Seins ins Nichts vermittelt werden muß, dürfte das Entstehen eines Symbols losgelöst von der Dialektik nicht im Selbstbewußtsein erfaßt werden. Die Übersetzung eines Prosatextes läßt die Vorstellung als bloßes Sein durch die Vermittlung des Wortes von einer Landessprache in die andere Landessprache übergehen und läßt auch sein begriffliches Denken – als etwas, was immer von der Identität des objektiven Substrats abhängig ist – auf der Logik der Selbstidentität gründen, welche auf notwendige, objektive Inhalte fixiert ist. Daß das subjekthafte Selbstbewußtsein der Dialektik – die im Falle einer solchen Prosaübersetzung überhaupt nicht beobachtet werden kann – als Grundlage des auf dem Nichts bestehenden Symbols auch seine Übersetzung fundiert, muß selbstverständlich sein. Dadurch, so glaube ich, steht jene besondere Bedeutung, welche die Dialektik für die Übersetzung eines Symbolgedichtes beansprucht, unbezweifelbar fest. Auch daß ich mir einbilde, für die Übersetzung des Gedichtes »Die junge Parze« könne meine eigene dialektische Interpretation mehr oder weniger einen nützlichen Beitrag liefern, geschieht nur deswegen. Doch wenn, infolge der Auffassung, daß die Dialektik als »Logik der Negation« nach wie vor die höhere 11 Logik ist und die auf der konkreten Allgemeinheit des Begriffs beruhende Konklusivität 12 aufrechterhält, übersehen werden sollte, daß sie als Vermittlung dafür umgekehrt gleichzeitig durch die »Negation der Logik« unterstützt werden muß, wird ihr Charakter als Wende-qua-Tat, in welcher Abbruch in eins geht mit Durchbruch, bzw. ihr Charakter als Rückkehr-zu-sichselbst und absolute Vermittlung außer acht gelassen; so wird es unmöglich, die Tendenz zu meiden, daß der Charakter einseitiger Deduktion im Sinn der Identitätslogik an ihrer Stelle dort hineingetragen wird. Die sogenannte Emanationslogik ist das Resultat davon. Denn wenn die konkrete Allgemeinheit des Begriffs als Sein festgehalten wird, und die Vermittlung seiner Wende als seine Verwandlung ins Nichts fehlt, ist es unmöglich zu verhindern, daß die Deduktion aus einem solchen Allgemeinbegriff als synthetische Emanation die sogenannte Emanationslogik mit sich bringt. Aber das Ergebnis davon ist, daß dabei die tätige, Höhere Logik (kôji no ronri). Die Übersetzung als »höhere« statt »hohe« oder »hochstehende« (Logik) ergibt sich einmal aus dem Sinnzusammenhang, zum anderen aus Tanabes eigener Übersetzung ins Deutsche in einem anderen Fall von kôji no: vgl. THZ 15, S. 48. 12 Konklusivität (vgl. Anm. 99 des Tanabe-Textes »Versuch, die Bedeutung der Logik der Spezies zu klären«). 11
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freie Schöpfung des Individuums, d. h. die sogenannte Existenz in ihrer Entstehung wohl unvermeidlich in Schwierigkeiten kommt. Man kann nicht leugnen, daß es bei Hegel 13 mehr oder weniger eine derartige Tendenz gab. Um sie zu vermeiden, muß man als Vermittlung der »Logik der Negation« die »Negation der Logik« zur Stütze machen und die auf dem dialektischen Denken beruhende Verneinung und Verwandlung der unmittelbaren sinnenhaften Vorstellung ins Nichts als Vorbereitungsstufe dem Symbol als Begleiter mitgeben. Erst dadurch wird die Vorstellung-als-Sein als Verwandlung des Nichts ins Sein in ein Symbol verwandelt. Wenn man so denkt, muß man wohl auch zugeben, daß – wie oben gesagt – für das Symbol die Dialektik nicht nur die notwendige Vermittlung seines Werdens ist, sondern auch umgekehrt die Dialektik nach dem Symbol als Vermittlungselement verlangt. So zeigen Dialektik und Symbol, daß sie in ihrer Beziehung gegenseitiger Vermittlung untrennbar sind. Aber selbst wenn das Symbol im Gedicht mit der Dialektik in einer untrennbaren Beziehung steht – wie oben erklärt –, handelt es sich doch um eine Beziehung, die nur zur einen Seite des Symbols gehört. Die andere Seite wird nicht durch eine solche Dialektik vermittelt, sondern muß durch den Klang der Worte vermittelt werden. Und zwar – wie oben beschrieben – ist es die Ansicht von Valéry, daß das Symbolgedicht als Musikalisierung von Sprache dadurch zustande kommt, daß man nicht so sehr der Seite der Bedeutung als vielmehr dieser Seite des Klanges den Vorrang einräumt und – der Notwendigkeit entsprechend – um der Klangseite willen die Bedeutungsseite zum Opfer bringt. Denn wenn es tatsächlich so ist, ist die Beziehung zwischen Dialektik und Symbol nämlich eine Beziehung, in der beide – obgleich sie als Vermittlung untrennbar sind – gleichzeitig immer als logische Vermittlung des Begriffs und als unmittelbarer Ausdruck des Klangs zueinander im Gegensatz stehen, eine Beziehung, in der man bewußt anerkennen muß, daß die logische Vermittlung des Begriffs um des unmittelbaren Ausdrucks des Klangs willen geopfert wird. Daß zum Beispiel die eine Zeile »Das Fleisch ist traurig, ah! Und ich habe alle Bücher gelesen«, die den Anfang des Gedichtes von Mallermés »Meeresbrise« 14 bildet, als SymÄhnlich wie Kitarô Nishida betont auch Hajime Tanabe immer wieder den Verlust der Autonomie des Individuums im System Hegels. Diese ihre Hegelkritik darf nicht vergessen werden, wenn beide auf weiten Strecken des Denkens mit Hegel gemeinsam gehen. 14 Stéphane Mallarmé (1842–1898). Mit ihm beschäftigt sich Tanabe in seinem »Mallar13
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bol, das wirklich die Leere und den Überdruß des Lebens suggeriert, auf der Rückseite die Dialektik der Antinomien birgt, welche die Vermittlung davon ist, dürfte wohl voll erkannt werden. Aber das ist gewiß keine allgemeine Dialektik, wie sie die Phänomenologie des Geistes bei Hegel entfaltet. So ist es nicht. Vielmehr muß unmittelbar der Klang des Verses »La chair est triste, hélas! et j’ai lu tous les livres« die Einheit der Töne die negative Bedeutung eines derartigen Symbols suggerieren. Hierin liegt die Eigenart des Gedichtes im Vergleich mit der Philosophie. Dadurch wird wohl folgendes Verhältnis erkannt: Während die auf der Anschauung beruhende Einheit des Gedichts – geführt von der musikalischen Harmonie des Gefühls – die dialektische Negation einfach nur Vermittlung in ihrem Hintergrund sein läßt, ist es im Gegensatz dazu die Aufgabe der Philosophie, diese negative Vermittlung in den Vordergrund zu stoßen, und – um des Strebens nach der begrifflichen Struktur jener logischen Wendebewegung willen – stets die Rückkehreinheit des Zerstörungs- und Zusammenbruchprozesses der Antinomien und der Wende-Auferstehung als Abbruch-ineins-mitDurchbruch zu entfalten, ohne im geringsten die intuitive, emotionale Unmittelbarkeit zu lassen wie sie ist. Kurz gesagt: Auch die Einheit zwischen Symbol und Dialektik ist gewiß nicht einfach etwas Identitätsmäßiges; im Gedicht ist sie symbolisch, in der Philosophie dialektisch. In beiden Fällen besteht sie auf der Basis des Nichts. Auf dem Standpunkt des bloßen Seins kommt sie nicht zustande. Aber weil im Symbol des Gedichts die emotionale, intuitive Einheit den Vorrang einnimmt, kann es die dialektische Vermittlung der Philosophie nicht voll ausdrücken. Folglich müssen beide etwas sein, was selbst für sich allein die Antinomie nicht abwerfen kann. Wenn man so denkt, bilden der Anschauungscharakter des Symbols und der negative Vermittlungscharakter der Dialektik gewiß keine identitätsmäßige Einheit, sondern nichts anderes als eine gegenseitige Entsprechung, die durch die Tateinheit gegenseitiger negativer Vermittlung von Emotionalität und der Intellektualität im Dichten geschaffen wird. Die Rückseite dieser Einheit ist Gespaltenheit. Wenn das Symbol von der unablässigen tätigen Vermittlung weggerissen wird, ist es kein Werk der Vermittlung mehr, in dem sich das Nichts in Sein verwandelt, sondern es verwandelt sich unvermeidlich in eine Vorstellung bloßen mé-Memorandum« (Mararume-oboegaki) ebenso ausführlich wie mit Valéry in der vorliegenden »Kunstphilosophie«.
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Seins. Dieser Sachverhalt wird wohl sehr klar erkannt, wenn man das »Meer« als Beispiel heranzieht, welches als von Valéry geliebtes Symbol einen wichtigen Platz einnimmt. Daß in dem oben schon in Übersetzung vorgestellten Gedicht »Die junge Parze« das Meer das Medium der negativen Wende war, unterliegt keinem Zweifel. Es ist der Abgrund der Negation, in den sich die Parze – zerschlagen vom Überdruß des Lebens, der Verführung des Todes, dem Abscheu vor den fleischlichen Begierden und der Ohnmacht des Intellekts – schließlich am Höhepunkt der Verzweiflung hineinstürzt in dem Verlangen, das Leben wegzuwerfen und das Fleisch zu begraben. Gerade das Meer ist eigentlich der Opferaltar, auf dem sich die Seele, die im Bezug auf die die Existenz des Seins stützende Große-Erde zur Verzweiflung gelangte, freiwillig dem Nichts darbringt. Eben das ist der Grund, weshalb ich das Meer als Medium des Nichts bezeichne. Aber das absolute Nichts muß darüber hinaus als Nichts des Nichts auch die Negation noch einmal negieren und die Seele, die sich ihm einmal zum Opfer dargebracht hat, wiederherstellen und wiederbeleben. Das Trauerschiff, das am Abend zuvor die lebendige Opfergabe transportierte, wendet am heutigen Morgen unter den Strahlen der Morgenröte vom Erlöser, dem ewigen Fischer, gesteuert die tote Seele in die Unsterblichkeit. Das Meer, das Medium des Nichts, stellt nicht nur den Abgrund des Todes dar, sondern ist auch gleichzeitig der Erlöser des Lebens, der die Seele in die Unsterblichkeit und Ewigkeit auferstehen läßt. Tatsächlich ist das Meer, das in seiner Wildheit und Wut Schiffe und Menschen verschlingt, kein anderes als das Meer, das auch die Vermittlung des friedlichen Geschäfts und Verkehrs des Menschen bildet. Die Bewegtheit des Meeres schüttelt nicht nur die anderen Dinge hin und her, sondern ist absolute Bewegtheit, die auch das Meer selber umwälzt. Daß das Meer Symbol des absoluten Nichts ist, dieser Bedeutungsgehalt besitzt sehr tiefe Aspekte. Das kann man wohl nicht leugnen. Es erscheint wahrhaftig als natürlich, daß Valéry, der in der südfranzösischen Stadt Cette 15 an der Mittelmeerküste geboren wurde, bewegt vom Heimweh nach dem Meer seiner hellen, friedlichen Heimat, es liebte, das Meer als Symbol von Tod-und-Auferstehung zu gebrauchen. Wie früher auch schon gesagt, ist das Gedicht »Friedhof am Meer«, 16 dessen Abfas»Cette« im Original, heutige Schreibweise »Sète«. Friedhof am Meer (Le Cimetière Marin), Gedicht in der Sammlung »Zauberlieder« Charmes, 1922, entstanden 1920.
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sungszeit zu derjenigen der »Jungen Parze« als nahe gedeutet wird, voll von ähnlichen Motiven, und zwar legt es nicht – wie die »Junge Parze« – das Schwergewicht auf die Negativität des Nichts, auf das Eindringen und die Einmischung des Todes ins Leben, sondern läßt diese negative Seite hauptsächlich durch den Friedhof symbolisieren und gebraucht im Gegensatz dazu das Meer als Prinzip der Auferstehung oder als Prinzip des in diesem Sinne wahren Lebens. Das ist ein klares Beispiel, das zeigt, welche symbolische Bedeutung das Meer für Valéry besaß. Aber wenn die Dialektik – die das Meer symbolisiert als Prinzip des wahren Lebens, welches durch die Tod-Auferstehungswende vermittelt wurde, die im Evangelium beschrieben wird: »Wer sein Leben zu bewahren sucht, wird es verlieren; wer es dagegen verliert, wird es gewinnen« (Lukas 17,33) 17 – in ihrer Struktur nicht genügend beachtet wird, und wenn einfach mit Bezug auf den vorstellungsmäßigen Sachverhalt der ewigen, unablässigen Bewegtheit – unverändert – wegen der metaphorischen Entsprechung zum Leben das Meer als Symbol des Lebens betrachtet wird, kann es wohl nicht mehr vermieden werden, daß das Meer den wahren symbolischen Charakter verliert und sich in eine impressionistische Metapher verwandelt. Was in der Musik als Impressionismus des Debussy 18 bezeichnet wird, meint in Wirklichkeit einen derartigen Impressionismus-des-Ansich; er unterscheidet sich in seiner Richtung davon, daß der Impressionismus in der Malerei die Analyse der Sinneswahrnehmung, die Reduktion des Eindrucks sowie die durch sie hindurchgehende Reorganisation der Sinneswahrnehmung bedeutet. Jedenfalls, daß »Der Friedhof am Meer« die Dunkelheit der »Jungen Parze« wegwischte und ein durchsichtiges leichtverständliches Gedicht bildete, kommt daher, weil das Gedicht »Der Friedhof am Meer« mit Hilfe der emotionalen Identität des Eindrucks den Gedichtaufbau einigte und nicht – wie im Gedicht »Die junge Parze« – seinen Inhalt mit der Dialektik der Negationswende des Nichts füllte. Beim ersten Gedicht bedeutet das Meer nicht selber das Prinzip des Todes, die Negationskraft des Nichts. Eine derartige Negativität wird durch den Friedhof dargestellt. Die Vereinigung der beiden durch ihre gegenseitige Negation wird durch die als »Friedhof am Meer« bezeichnete Situation abgebilDie Bibelzitate geben wir hier immer nach der deutschen Einheitsübersetzung wieder, die 1978 durch die deutschen Bischöfe und 1979 durch den Rat der Evangelischen Kirche Deutschland (nur Psalmen und Neues Testament) approbiert wurde. 18 Claude Debussy (1862–1918), Komponist. 17
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det. Daß diese mit Hilfe einer Gestalt von malerischer Genauigkeit konstruiert wird und einen sehr durchsichtigen glasklaren Eindruck macht, muß selbstverständlich sein. Doch beim zweiten Gedicht drückt das Meer nicht bloß als Bejahungskraft des Lebens die ewige Bewegtheit aus, vielmehr schließt jene Bewegtheit auch die Zerstörungskraft des Meeres, d. h. das Prinzip der Negation ein. Und zwar symbolisierte es – aufgrund dessen, daß seine absolute Bewegtheit auch die Zerstörungskraft selbst verneint und zerstört und so den Modus der Wende von Tod-und-Auferstehung zustande kommen läßt – die unanschauliche, freischwebende Verschwommenheit 19 des Lebens-das-nicht-Leben-ist, des Lebens-das-Tod-und-Leben-übersteigt, des Lebens-im-Tode. Daß das Meer nach der Sturmnacht das Licht der Morgenröte dahinfluten läßt und so diese transzendente gläserne Weite zur Erscheinung bringt, genügt wohl, um uns zur Überzeugung zu bringen, daß eben das Meer das Prinzip der Erlösung und Befreiung ist. Es ist nicht die zweidimensionale Existenz der bloßen unmittelbaren Bewegtheit, sondern das dreidimensionale Symbol der Einheit-von-Rückkehr-und-Neuschöpfung des Geheimnisses, dessen Tiefe man nicht auslotet. 20 Während das erstere Sein ist, ist das letztere die Wende des absoluten Nichts-inEinheit-mit-dem-Sein. 21 Deshalb müssen die Dunkelheit und Schwerverständlichkeit der »Jungen Parze« im Vergleich mit der Klarheit und Ruhe des »Friedhofs am Meer« eher als Beweise für die spekulative Verschwommenheit (hyôbyôsei, 縹渺性). Die verschiedenen deutschen Übersetzungsmöglichkeiten wie »Dunstigkeit«, »ununterscheidbare Weite« oder ähnliches müssen, um diejenige Assoziation auszudrücken, die Tanabe meint, das Ineinanderübergehen von Leben und Tod oder genauer: die Wechselbewegung von Leben und Tod andeuten können. 20 Das dreidimensionale Symbol der Einheit-von-Rückkehr-und-Neuschöpfung (rittaiteki kaiki soku sôzô no shôchô, 立体的回帰即創造の象徴). Zunächst zur Bedeutung von rittaiteki: Tanabe verwendet die geometrische Unterscheidung zwischen hyômenteki »flächenhaft, zweidimensional« und rittaiteki »plastisch, körperlich, dreidimensional« häufig als Unterscheidung zwischen der analytischen und der dialektischen Logik. Insbesondere gilt ihm das Individuum als »dreidimensional« (wobei auch die Dimension der Zeit, Geschichte, Freiheit eingeschlossen sein kann). Wie der Zusammenhang hier zeigt, ist die zweidimensionale Metapher des »Meeres« im »Friedhof am Meer« dem dreidimensionalen Symbol des »Meeres« in »Die junge Parze« entgegengesetzt. Aus diesem Zusammenhang heraus rechtfertigt sich die Stellung des Wortes »dreidimensional« rittaiteki im deutschen Satz, nämlich vor »Symbol«, obgleich es im Japanischen vor der »Einheit-von-Rückkehr-und-Neuschöpfung« steht. 21 »Das erstere«: hier »die zweidimensionale Existenz der unmittelbaren Bewegtheit«, »das letztere« hier: »das dreidimensionale Symbol …« 19
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Tiefe der »Jungen Parze« bezeichnet werden, welche die analytische Eindeutigkeit des »Friedhofs am Meer« nicht erreichen kann. Doch wenn man fragt, ob diese Dialektik, die das Symbol einschließt, wirklich vom Symbol vollständig aufgenommen werden kann, so gibt es wohl keinen Grund zu zweifeln, daß das letztlich unmöglich ist, wenn man berücksichtigt, daß – wie früher schon gesagt – die Entsprechung der beiden 22 nichts Identitätsmäßiges ist, sondern selber eine dialektische Einheit darstellt und nur in der Tat verwirklicht und im Selbstbewußtsein erfaßt wird. Sofern der vorstellungsmäßige Seinscharakter des Symbols bloß emotional und intuitiv zustande kommt, kann er letztlich die spekulative Einheit des Nichts nicht vollkommen ausdrücken. Sie kommt nur als das paradoxe Verhältnis von Erreichen und Nichterreichen, Nichterreichen und Erreichen zustande, insofern die dialektische Gespaltenheit die Rückseite der spekulativen Einheit bildet, und insofern aufgrund des Selbstbewußtseins der Tat, in der Vorderseite und Rückseite sich miteinander wenden, die unablässige absolute Bewegtheit verwirklicht wird. Auch damit »Die junge Parze« als Tochter des Schicksals das Schicksalsbewußtsein, mit anderen Worten: das Todesbewußtsein erreicht, gibt es keine andere Methode als den Weg, durch die Verfolgung der Dialektik der Zerstörung aufgrund der Antinomien der begrifflichen Bestimmungen im Selbstbewußtsein zu erfassen, daß die Existenz ihrer Seele notwendig durch den Urzufall des Schicksals bedingt wird und zufälliges Leben ist, das von der Notwendigkeit des Todes überschattet ist. Doch muß man betonen, daß dem Symbolgedicht, das unter Aufopferung der sprachlichen Bedeutung aufgrund der emotionalen Verwandtschaft der Töne die Spaltungseinheit der anschaulichen Vorstellung ausdrückt, von seinem Wesen her die Möglichkeit fehlt, die dialektische Bewegung des Begriffs vollkommen in sich aufzunehmen. Denn das Sein der Vorstellung besitzt die Tendenz, auf dem Standpunkt der identitätsmäßigen Analyse festgehalten zu werden und enthält in sich selbst nicht die Vermittlung als Wende von Nichts-ineins-mit-Sein. Diese Vermittlung wird nur dadurch erreicht, daß man durch die Wendebewegung, welche – im Durchgang durch die antinomische Spaltung der Dialektik – die subjekthafte Tat als »Die Entsprechung der beiden«: ryôsha no taiô. Es ist aus dem Satz selbst nicht völlig klar, wer die »beiden« sind. Zunächst können »das Symbol« und »die Dialektik« gemeint sein. Doch dahinter steht das Verhältnis des Symbols zur Dialektik-des-Seins-undNichts also das Verhältnis des Symbols zum (absoluten) Nichts.
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Abbruch-ineins-mit-Durchbruch im Selbstbewußtsein erfaßt, die Tendenz der Vorstellung zur identitätsmäßigen Analyse zur Entfaltung bringt und sie gleichzeitig negiert und transzendiert. Getrennt von dieser Wende als absolut negativer Transzendierung verliert auch die symbolische Vorstellung ihren Nichtscharakter als Symbol und verfällt zum Zeichen der Existenz, die bloß dem leeren Nichts gegenübersteht. Dabei geht nunmehr die Doppelschichtigkeit des Begriffs, welche die Bedeutung der symbolischen Sprache notwendig begleitet, aus dem Blick verloren, und anstelle des Selbstbewußtseins der Vermittlung als Wende in der Richtung seiner dreidimensionalen Tiefe erscheint nur die zweidimensionale Aneinanderreihung von Unterschieden. Wenn das tathafte Selbstbewußtsein die Einheit der Rückkehr und Wende des »Selbstineins-mit-dem-Anderen, des Anderen-ineins-mit-dem-Selbst« verliert, geht die Unbegreiflichkeit des Selbstbewußtseins unter, und es bleibt nur die Unterscheidung des Nebeneinanderbestehens des Selbst und des Anderen übrig. Selbst wenn man durch die Aufrechterhaltung irgendeiner dialektischen Einheit der Vermittlung durch Negation den Nichtscharakter des Symbols für die Seite des Seinscharakters der Vorstellung als Rückseite betrachten würde, würde die Rückseite letztlich unvermeidlich von der Vorderseite unterdrückt und so in Unterlegenheit gebracht und dem Vorrang der Vorderseite unvermeidlich geopfert, und insofern kann man gewiß nicht das Selbstbewußtsein des absoluten Nichts in der gegenseitigen Negation und Wende zustande bringen. Das Schicksalsbewußtsein in der »Jungen Parze« vermeidet die tathafte Einheit der Negationsvermittlung des »Selbst-ineins-mit-dem-Anderen, des Anderen-ineins-mit-dem-Selbst«, welche dem Selbstbewußtsein eigentümlich ist, es ergreift die analytische Unterscheidung und Nebeneinanderstellung des Schicksals (der Notwendigkeit oder des Geschicks) und seiner Töchter 23 und darüber hinaus der Töchter als drei Schwestern, nimmt ferner das erfassende Selbst und das erfaßte Selbst – obgleich sie als Selbst sich ganz nahe sind – als zwei verschiedene Existenzen und stellt sich vor, daß die eine die andere betrachtet, und tendiert dahin, auch das sich in übergroßer Verzweiflung ins Meer werfende Selbst und das wieder aufgeweckte, erlöste Selbst – statt daß es diese Mit den Töchtern des Schicksals sind die drei Parzen bzw. Moiren gemeint: Klotho, Lachesis und Atropos. Tanabe hat sie in früheren – hier nicht abgedruckten – Kapiteln schon vorgestellt (vgl. THZ 13, S. 68 f.). Er kommt weiter unten noch einmal auf sie zurück und nennt sie beim Namen.
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als Wende qua absolute Negation bzw. Tod-Auferstehung ein und desselben Selbst vereint – vielmehr gesondert und getrennt nebeneinander stehen zu lassen. Wenn man das noch tiefer weiterverfolgt, wird der Tod bloß als leeres Nichts der Existenz des Lebens gegenübergestellt, und die Wendesituation, in der als Tod-ineins-mit-Leben umgekehrt der Tod das Prinzip des Lebens ist, und das absolute Nichts der Grund des Seins ist, wird nicht genug offengelegt. Wie früher aufgezeigt, scheint es daher auch zu kommen, daß bei Valéry der Gedanke, daß das Meer das Wendeprinzip der Einheit von Tod und Leben als absolute-Negationineins-mit-Bejahung ist, unvermeidlich schwach ausgeprägt ist. Man ist gezwungen, darauf hinzuweisen, daß hier das ironische Phänomen auftritt, daß infolge der Vermeidung der Schwerverständlichkeit der Dialektik und infolge des Verlangens nach der Genauigkeit der analytischen Logik umgekehrt Valéry dazu gelangt, sogar die paradoxe Struktur des Selbstbewußtseins aufzulösen und zu zerstören. Man darf zwar wohl sagen, daß Leonardos 24 krisenhafter reiner Dynamismus aufgrund der Vortrefflichkeit seiner malerischen Kunstfertigkeit die Wende von Nichts und Sein im Symbol konkret geschildert hat, doch muß man erklären, daß auf dem Standpunkt des Symbolgedichts, der das Wort, welches ursprünglich die identitätsmäßige Bedeutung zu seiner Grundlage und Basis hat – ohne es dialektisch absolut zu negieren –, an dem unmittelbaren Seinscharakter der Vorstellung befestigt, wenigstens insofern er die dialektische Rückseite nicht noch konkreter der Vorderseite vermittelt, auf diesem Standpunkt also der Symbolcharakter des Symbols nicht genug demonstriert wird. Außerdem, wenn die Dreieinheit der Zeit in dem Selbstbewußtsein der Tateinheit der gegenseitigen Wende von Vergangenheit und Zukunft in der Gegenwart besteht, verwandeln sich die etablierten Inhalte der der Klotho 25 anvertrauten Gegenwart in Vergangenheit, und die synthetische Einheit, die der Notwendigkeit der Vergangenheit folgt, welche die Lachesis verwaltet, muß wohl statt dessen durch das Tatbewußtsein der Gegenwart 24 Leonardo da Vinci (1452–1519). Mit Praxis und Theorie Leonardos beschäftigte sich Valéry schon in seinem Essay »Einführung in die Methode des Leonardo da Vinci« (Introduction à la Méthode de Léonard de Vinci, Erstveröffentlichung 1895; Tanabe gibt THZ 13, S. 37 u. 59 an; 1894). 25 Tanabe spricht hier nur von Klotho und Lachesis. Klotho verwaltet als Schicksalsgöttin die Gegenwart, Lachesis die Vergangenheit, Atropos die Zukunft. In der griechischen Mythologie heißt es: Klotho spinnt den Lebensfaden, Lachesis teilt ihn zu, Atropos schneidet ihn ab (vgl. Hesiod).
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ersetzt werden. D. h. dialektisch gesehen bildet die Gegenwart das Zentrum der Synthese, und sowohl Vergangenheit als auch Zukunft sind nicht mehr als nur ihr gegenüberstehende Momente; infolgedessen hätten Klotho und Lachesis ihre betreffenden Zeitmodi austauschen müssen. Doch für den undialektischen Valéry war dies kein Problem. 26 Aber wenn man so redet, wenn man – um den symbolischen Charakter des Symbolgedichts aufzuzeigen – die Negationswende der dialektischen Bedeutung der Worte vorantreibt, wird dadurch zwar wohl tatsächlich der Charakter des Symbols als absolutes Nichts aufrechterhalten oder aufgezeigt, doch gleichzeitig kann man wohl dem Zweifel nicht entfliehen, ob das nicht das Gedicht in Philosophie verwandelt, und ob es nicht mit Hilfe des Denkens die Kunst ersetzt. Wenn man auf diese Weise, um den symbolischen Charakter des Symbolgedichts zu retten, seinen Charakter als Gedicht vernachlässigt, wird ein Dilemma offenbar, nämlich daß man nicht vermeiden kann, mit einem Widerspruch in Konflikt zu kommen, der zum vorigen genau das Gegenteil darstellt. Wie kann man dem wohl entgehen? Freilich kann eigentlich der antinomische Charakter eines Symbolgedichtes, der auf dem Grund dieses Dilemmas verborgen liegt, letztlich nicht aufgelöst werden, insofern es sich wahrhaftig um eine Antinomie handelt. Denn wenn es sich dabei um etwas handelte, was gelöst werden könnte in dem Sinne, daß es gemäß dem Widerspruchsgesetz der Identitätslogik gehandhabt wird, dürfte es nicht etwas sein, was einen antinomischen Widerspruch zustandekommen und uns ins Dilemma fallen läßt. Wenn es tatsächlich so ist, d. h. selbst wenn es einen Weg gäbe, dem obigen Dilemma zu entgehen, bedeutete das doch nicht, daß man ihm im Sinn der Identitätslogik entgeht. Vielmehr muß es sich um folgendes handeln: Während man die eigene Ohnmacht, auf keine Weise entfliehen zu können, bekennt und bereut, stürzt man sich gleichzeitig – wegen der übergroßen Verzweiflung – selbst in den Abgrund der Antinomie und gibt dennoch die Hoffnung auf Erlösung nicht auf, sondern schreitet – stets demütig – in dem Maße voran, in dem die Verwicklungen und Hindernisse sich augenblickhaft, differential auflösen und im jeweiligen Da ein wegloser Weg abgepaßt wird. Dadurch entgeht man im Sinn der Praxis der Wende der sogenannten Einheit-von-Abbruch-und-Durchbruch dem unTanabe entmythologisiert die Vorstellung von den Parzen bzw. Moiren, indem er ihre Tätigkeiten als Drei-Einheit der Tat-in-der-Gegenwart-des-Individuums als Dialektik der absoluten Vermittlung deutet.
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entrinnbaren Hindernis, ohne ihm auszuweichen. D. h. außer dem Weg, auf dem man »metanoëtiquement (metanoetisch)« 27 in der Bedeutung, wie ich sie erkläre, die Antinomie durchbricht, gibt es keinen Weg. Doch die Tatsache, daß dieser Weg der Metanoia für uns als Weg der Erlösung geöffnet ist, wird – gestützt auf das Realisationserlebnis 28 – nur im Glauben zugänglich, nämlich dadurch, daß der jeweilige Zustand der Wirklichkeit den Mund öffnet und uns einlädt, und wir seiner Einladung entsprechend das uns Aufgetragene gehorsam in die Tat umsetzen. Der Weg der Metanoia ist nichts anderes als der Kern des religiösen Selbstbewußtseins, das in solchem Handeln-Glauben-Erleben 29 zustande kommt. Die dialektische Rückseite, welche das Symbolgedicht verlangt, wird in diesem metanoetischen Selbstbewußtsein möglich, d. h. aufgrund dieses Tatbewußtseins, das nicht auf der logischen Entwicklung des Begriffs beruht. Auch das, was man »logische Dialektik« und »Spekulation« nennt, kommt in Wirklichkeit nicht einfach auf dem Standpunkt der Kontemplation zustande, sondern ist nichts anderes als die reflexive Logisierung der grundlegenden Tatsache, welche auf dem Bodengrund des metanoetischen Tatbewußtseins zustande kommt. Dadurch erst, grundgelegt durch die religiöse Metanoetik, kommt das Symbolgedicht konkret zustande. Was den eben genannten metanoetischen, religiösen Grund des Metanoëtiquement: Tanabe schreibt im Japanischen »zangedôteki metanoëtiquement« und spielt dabei auf sein 1944/1945 verfaßtes und 1946 veröffentlichtes Werk »Philosophie als Metanoetik« (Zangedô toshite no tetsugaku) an. Metanoia bedeutet bei Tanabe – kurz, aber unvollständig gesagt – einmal Umkehr des Lebens und Selbstbewußtsein davon und zum anderen Umkehr des bisherigen Denkens, also vor allem der VernunftPhilosophie in der Nachfolge Hegels (die Tanabe in seinen ersten Aufsätzen zur »Logik der Spezies« übernommen und weiterentwickelt hatte). (Vgl. zum Inhalt und zur Bedeutung des Werkes »Philosophie als Metanoetik« die Aufsätze von Johannes Laube, in: Zeitschrift für Missionswissenschaft und Religionswissenschaft [1979] Heft 2, [1981] Heft 2 und 4. Die englische Übersetzung von Yoshinori Takeuchi: Philosophy as Metanoetics, Los Angeles, London 1986. Johannes Laube hat eine Teilübersetzung vorgelegt, »Tanabe Hajimes Philosophie als Metanoetik – eine »Negative Theologie«?, in: Japonica Humboldtiana 12 (2008). 28 Realisationserlebnis (shô, shô-suru), vgl. Anm. 19/20 des Tanabe-Textes »Versuch, die Bedeutung der Logik der Spezies zu klären« und Gutoku Shaku Shinran, The Kyôgyôshinshô. The Collection of Passages Expounding the True Teaching, Living, Faith, and Realizing of the Pure Land, translated by Daisetz Teitarô Suzuki, Kyôto 1973. 29 Handeln-Glauben-Erleben (行信証, Gyô-shin-shô). Kann auch übersetzt werden: »Praxis-Glaube-Realisationserlebnis«. Vgl. Anm. 37 des Tanabe-Textes »Versuch, die Logik der Spezies zu klären«. 27
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Symbolgedichts angeht, so können wir ihn bei Mallermé oder Valéry nicht unmittelbar sehen. Darum mußte das Dichten dieser Dichter unvermeidlich in eine selbstwidersprüchliche Hohlheit und Unfruchtbarkeit fallen, nämlich (bei Mallarmé), 30 daß es schließlich seine tragische Grenze werden ließ, das Ideal der Vollkommenheit des reinen Schönen, das er anstrebte, nicht erreichen zu können, oder (bei Valéry) 31 das symbolische Dichten unabhängig von der Vollendung des Gedichtes einfach absichtslose, unablässige Übung sein zu lassen. Wenn man denkt, daß in irgendeinem Sinn das Dichten ein Werk ist, das mit Selbstbewußtsein 32 ausgeführt wird, ist die Folge davon, daß es nichts anderes sein kann als unmittelbarer Selbstausdruck, dem die Vermittlung durch Negation fehlt. Es muß dann Ausdruck des Seins sein, das den Charakter des Symbols als Nichts schon verloren hat. Die »Narzissus-Fragmente«, die Valéry in der Gedichtsammlung »Zauberlieder« veröffentlichte, 33 sind wohl nichts anderes als Bekenntnisse der egozentrischen Unproduktivität dieses sterilen Selbstbewußtseins. Ähnlich wie der Roman »Herr Teste« 34 beispielhaft die Dialektik von Erfolg und Niederlage der Methode Leonardos zeigt, können die »Narzissus-Fragmente« als dasjenige gedeutet werden, was den Modus der Selbstentfremdung der »Jungen Parze« schildert. Ich glaube, man kann leicht Lefèvre 35 zustimmen, wenn er sagt, daß die »Narzissus-Fragmente« die lebendigste Satire auf »Monsieur Teste« und seine Methode sind, wenn man berücksichtigt, daß die »Narzissus-Fragmente« – das Selbstbewußtsein der »Jungen Parze« schon durchmachend – als Einheit von Selbstgenügsamkeit und Selbstentfremdung den Zusammenbruch des Selbstbewußtseins bedeuten. Ein wahrhaft produktives Selbstbewußtsein muß sich selbst negieren und so das Andere vermitteln. Dadurch wird der Grund gezeigt, warum Sich-Selbst-Vergessen umgekehrt Sich-Selbst-Wissen bedeutet, und Sich-Selbst-Verlieren Sich-SelbstErhalten heißt. Das eben ist das Paradoxon des religiösen SelbstbewußtKlammer von Tanabe. Klammer von Tanabe. 32 »Mit Selbstbewußtsein«: hier jikakuteki ni (自覚的に). Unten werden zwei »Selbstbewußtseine« voneinander unterschieden, das »sterile Selbstbewußtsein« (ohne Selbstnegation) und das »produktive Selbstbewußtsein« (mit Selbstnegation). Hier scheint zunächst das undialektische, sterile Selbstbewußtsein gemeint zu sein. 33 Vgl. Anm. 16. 34 Eigentlicher Titel La soirée avec Monsieur Teste (Der Abend mit Herrn Teste), Teildruck 1896, erste vollständige Ausgabe 1926. 35 Frédéric Lefèvre, Entretiens avec Paul Valéry, le Livre, Paris 1926, S. 357, 362. 30 31
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seins. Doch Valéry wollte in der »Introduction à la Poiétique (1838)«, die der letzten Stufe seiner Kunstphilosophie entspricht, das Moment der Gesellschaftlichkeit des Gedichts im Bezug auf die künstlerische Wertproduktion von allen Seiten behandeln. Das ist ein außerordentlich origineller Gesichtspunkt, eine Blickrichtung, für die man den Ausdruck tiefen Respekts nicht versagen kann. D. h. gegenüber dem Verfasser, der die Produktion des Werks selbst durchführt, unterschied er da die öffentliche Gesellschaft als Produzentin des Wertes, die auf es reagiert und es genießt und damit als Verbraucher ihm Wert verleiht, und zwar infolgedessen, daß sie geschichtlich sich bewegt und unablässig und immer neue Wertmaßstäbe sucht, spiegelt sie sich im Verfasser selbst, und in ein-und-derselben Persönlichkeit des Dichters bringt sie den Kritiker zustande, der die dynamische Norm der gesellschaftlichen Werte repräsentiert. So analysierte und interpretierte er den Produktionsmechanismus, der bis zur Umgestaltung der Werk-Produktion selbst geht. Die Ordnung, welche die durch jene gegensätzliche, dynamische Einheit hindurchgehende widersprüchliche Verwirrung und Unordnung der freien Tat vermittelt – als etwas, was die übervernünftige Wende einschließt und auch die Nichtumkehrbarkeit der »Zeit« umkehrbar wendet –, muß eigentlich auf der Dialektik der absoluten Wende gegründet sein. Man darf wirklich sagen, daß sein Denken über die »Junge Parze« hinausgehen und noch tiefer dem Tun des Geistes auf den Grund gehen wollte. Doch Valéry deutete auch hier das Nichts bloß als leeres Nichts und erkannte den positiven Wendecharakter des absoluten Nichts nicht an. Folglich blieb er bei der Forderung nach der resignativen Geduld und Hoffnung stehen, ohne das Realisationserlebnis und den Glauben an die Barmherzigkeit und Gnade der Sündenvergebung zu besitzen, welche die Metanoia zur Vermittlung macht, und gelangte nicht bis zur Dialektik der Einheit von Nichts-und-Liebe. Daß es letztlich dem Standpunkt Valérys an Religiosität gebricht, kann man nicht leugnen. Obgleich Leonardo gegen die Verdorbenheit und Scheinheiligkeit der Kirche und der Ordensleute heftigen Abscheu und scharfe Ironie zum Ausdruck brachte, hegte er doch gegenüber dem Evangelium selbst das Gefühl tiefer Verehrung und war reich an religiösem Gefühl. Das ist zwar eine Beobachtung, auf die z. B. schon lange Müntz aufmerksam gemacht hat. 36 Aber tatsächlich beweist das erhabene, reiEugen Müntz, Leonard de Vinci, l'Artiste, le Savant, Paris 1899. Tanabe gibt die englische Übersetzung an.
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ne Gefühl, das wir selbstverständlich angesichts des Bildes vom Letzten Abendmahl, aber auch gegenüber dem Bild der Heiligen-Mutter-mitdem-Kind fühlen, vollständig die religiöse Tiefe und Höhe des Geistes von Leonardo. Ich glaube ferner, wenn man die süßliche Gewöhnlichkeit der Bilder von Raffaelo, 37 von dem es heißt, daß er von ihm lernte und zwar dabei über eine oberflächliche Nachahmung seiner Technik nicht hinausgehen konnte, und den Adel und die Transzendenz der Bilder von Leonardo selbst vergleicht, wird diese Beobachtung noch klarer. Die Würde, die in den Werken von Leonardo aufstrahlt – woher kommt sie wohl, wenn nicht von einer Religiosität, die durch ihre Eigenschaften wie Glaubwürdigkeit und Schönheit nicht erschöpfend beschrieben wird. In diesem Punkt können die Gedichte von Valéry letztlich wohl nicht mit den Bildern von Leonardo verglichen werden. Bei Valéry, nein, nicht nur bei ihm, sondern auch bei Mallermé, dem er zuneigte, ist so etwas wie Religiosität sehr wenig vertreten. Sie waren Heiden, keine Anhänger des Evangeliums. Wie hervorragend schön ihre Kunst sein mag, letztlich kommt sie an die Kunst von Leonardo nicht heran. Man kann wohl höchstens sagen, daß sie an Eupalinos 38 nahe herankommt. Ist es nicht so, daß der Leonardo, den Valéry sah, sich bloß auf den Aspekt der Methode beschränkte und nicht an den Aspekt des Geistes, der das Werk erfüllt, herankam? Doch wenn man weiter zurückgeht und zu Baudelaire 39 kommt, den man als die Quelle bezeichnen darf, aus welcher ihre Symbolgedichte flossen, ändert sich die Richtung mit einem Mal. Seine Gedichte bleiben nicht dabei stehen, daß sie die Wendeeinheit des Geistes als Nichts-ineins-mit-Sein – die hervortritt aus dem Grund der gegenseitigen Negation von süßer Wonne der Fleischeslust und Trauer sowie Schmerz der Seele, die er selbst anerkannte als Gegensatzmomente, welche die Strukturelemente des Schönen sind –, daß sie also nicht nur Raffaelo oder Raffaello Santi (1483–1529). Nicht nur von Tanabe, sondern auch von Nishida wird Raffael als Beispiel für die Erörterung des Wesens des künstlerischen Schaffens gebraucht, z. B. Zen no kenkyû, Gesammelte Werke Nishidas, Bd. 1, S. 167 (Raffael wird verglichen mit Michelangelo! S. 168: Giotto als Beispiel!). Tanabe kannte Nishidas Vergleich zwischen Raffael und Michelangelo. Nishida stellt eher Raffael heraus. 38 Vgl. Valéry, »Eupalinos ou l'Architecte« (Eupalinos oder der Architekt), 1921. Hier ist nicht Valérys Werk, sondern Eupalinos selbst gemeint, der bei Herodot erwähnte Eupalinos aus Megara, Wasserbauingenieur (6. Jh. v. Chr.). Er soll als einer der ersten Ingenieure präzise Methoden der Landvermessung erfunden haben und gilt als Leiter des Baus des Aquädukts von Samos (im Auftrag des Polykrates), der durch einen Berg führt. 39 Charles Pierre Baudelaire (1821–1867). 37
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diese Wendeeinheit durch die Gefühlsentsprechungen in den Erscheinungen der Natur in Symbol verwandeln, sondern sie sind in ihrem Grunde voll von tiefer Metanoia als Moment der Vermittlung, in dem die Verzweiflungsseite jenes Nichts in die Bejahungsseite des absoluten Nichts gewendet wird. Für Baudelaire war das Dichten in seinem Ursprung eigentlich Metanoia. Das Einleitungsgedicht mit dem Titel »An den Leser«, das am Anfang des Bandes »Blumen des Bösen« steht, beweist das klar. 40 Weiter, wenn die Titel-Worte selbst, »Blumen des Bösen«, nicht schon metanoetische Symbole sind, was sind sie wohl dann? Selbst in dem Fall, da an der äußersten Grenze seines Dandyismus die Verzweiflung dem Geschmack der sogenannten »Blasphemie« verfiel und dem Satanismus der Rebellion zuneigte, war in Wirklichkeit sein Grundton doch nichts anderes als der Schmerzensschrei des Gewissens. Das war der schmerzliche Schrei des Gebetes, das immer dringlicher Gott anhängen will. Daher wohl auch traten Kritiker auf, die die »Blumen des Bösen« als etwas deuteten, was der »Göttlichen Komödie« von Dante 41 verwandt ist, oder sie mit der »Nachfolge Christi« des Thomas a Kempis 42 verglichen. Der Interpretation von Herrn Tatsuno, 43 die erklärt, daß das Hauptmotiv der »Blumen des Bösen« das Problem des Todes, von Himmel und Hölle war, daß es die Auseinandersetzung mit Gott war, kann ich mich nur anschließen. Wenn man so interpretiert, kann man feststellen, daß die Religiosität von Baudelaire sehr deutlich erkennbar ist und keinem Zweifel mehr Raum läßt. Man kann wohl nicht leugnen, daß es eine Erscheinung der gleichen Religiosität war, wenn der Dichter Rimbaud, 44 unter dessen Einfluß zu stehen auch Valéry anerkannte, in dem während der Endphase seines kurzen Lebens
Nach der deutschen Übersetzung von Carlo Schmid, Goldmanns Gelbe Taschenbücher Nr. 535, München 1959 – Originalausgabe im Kurt Desch-Verlag, heißt es S. 5 f.: »An den Leser: Verirrung, Dummheit, Sünde, Lug erschüttern/ Im Fleisch uns, legen auf den Geist die Hand./ Wir päppeln unseres Gewissens Brand/ Wie Beutelleute Ungeziefer füttern.// Wir büßen feige; unsere Sünden hecken;/ Wir nehmen für Geständnis Wucherpreis,/ Begehn dann lustig neu verschlammtes Gleis/ Im Wahne feile Tränen löschten Flecken// usw.« 41 Dante Alighieri (1265–1321). 42 Thomas a Kempis (Thomas von Kempen, Thomas Hemerken von Cempen), (1379/ 1380–1471). 43 Mutsu Tatsuno, Boodoreeru kenkyû josetsu (Einleitung in die Baudelaire-Studien), Tôkyô 1929, S. 181, 183–191. 44 Jean Arthur Rimbaud (1854–1891). 40
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veröffentlichten Prosagedicht »Eine Saison in der Hölle« 45 die LichtWende zeigte – weg vom Widerstand hin zu Trost und Frieden, weg von der Verführung des Todes hin zu seiner Überwindung –, selbst wenn das nicht unmittelbar auf Baudelaires Einfluß zurückgeht. Die Tatsache, daß jenes geheimnisvolle feine Licht schließlich im Katholizismus von Claudel 46 brillant aufstrahlte, war ein Beweis dafür, daß das Symbolgedicht, das in der sogenannten Alchimie des Wortes besteht, dahin gelangte, im Fürsich den Charakter jenes Symbols als des absoluten Nichts im Selbstbewußtsein zu erfassen, Religiosität offenbarte und metanoetisch wurde. Kann man nicht vielleicht behaupten, daß der Weg von Baudelaire über Rimbaud zu Claudel insofern eine Stufe konkreter als der Weg von Baudelaire über Mallermé zu Valéry war? Jedenfalls glaube ich, daß durch einen derartigen Vergleich die »Grenze« der »Jungen Parze« von Valéry unverkennbar wird. Doch die Abstraktheit dieses Mangels an Religiosität bei der »Jungen Parze« ist nicht nur eine Grenze, die im Charakter des Gedichtes liegt, sondern auch eine Beschränktheit, die zu seinem Inhalt gehört. Wie ich vorher schon bei der Interpretation des Gedichtes aufmerksam gemacht habe, wird die Versöhnung zwischen Selbst und Schicksal ursprünglich in der Vermittlung der Liebe vollzogen, und die Tatsache, daß die Negation durch das Geschick als ineins-mit-der-absoluten-Negation in Bejahung gewendet und das absolute Nichts zum Prinzip von Tod-und-Auferstehung wird, muß auf dem religiösen Glauben und Realisieren der Einheit von Nichts-und-Liebe gegründet sein. Auch daß der Abbruch-ineins-mit-dem-Durchbruch auf dem durch das Tun und Erleben der Metanoia vermittelten Glauben beruht, bedeutet nichts anderes, als daß er davon abhängt, daß das absolute Nichts als Liebe im Glauben und Erleben vollzogen wird. Wenn das Glauben und Erleben dieser Liebe fehlt, muß auch der Glaube an die Einheit von Abbruchund-Durchbruch oder Tod-und-Auferstehung eine völlig vermittlungslose Forderung bleiben. Doch wenn das Selbst, das eine derartige Forderung aufstellt, stets als das Selbst fortexistieren und die kontinuierliche Identität des Selbst aufrechterhalten wollte, bleibt das, was man seine Verwandlung ins Nichts, seine Vernichtung nennt, in Wirklichkeit bloß ein teilweiser Vorgang und muß wohl unvollendet abschließen. Das gilt auch im Bezug auf »Tod« und »Metanoia«: Weil ja das sterbende Selbst 45 46
Une Saison en Enfer, 1873. Paul Claudel (1868–1955).
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nicht stirbt und das bereuende Selbst unverändert fortexistiert, ist die Wende, in der die Selbstaufgabe eins ist mit dem Selbstgewinn, letztlich ein Widerspruch und darum nicht mehr als ein unmögliches Verlangen. Da kann es sowohl die wahre Selbstaufgabe als auch die Selbstverneinung nicht geben. Diese müssen eigentlich Funktionen der Liebe sein. Gerade deshalb erklärte Baudelaire auch: »Meine Demut war Gottes Gnade.« 47 In diesem Sinn stellen Reue und Glaube erst einmal nichts anderes als Gottes Geschenke dar. Eigentlich müßten das erste und das zweite Gebot der Liebe zu Gott und der Liebe zum Nächsten Forderungen sein, die man mit der Eigenkraft des Menschen, der endlich und ohnmächtig ist, nicht erfüllen kann. In seinem Grund muß die von Gott kommende Liebe wirken. D. h. die Liebe zu Gott und die Liebe zum Nächsten werden durch Gott, der die Liebe ist, vermittelt, und beeinflußt von der Einheit von absolutem Nichts-und-Liebe im Sinn des Satzes »Gott ist Liebe« und so von der Metanoia zur Sündenvergebung gewendet, vollzieht das Selbst den Dank und die Vergeltung dafür in der Liebe zu Gott und, um das zu tun, gibt es keinen anderen Weg als mitzuwirken bei der Einheit von Gott und Liebe, und deshalb wird es dazu gebracht, in der Liebe zum Nächsten seinen Rückweg zu vollziehen. Daß diese dreieinheitliche Vermittlung die Grundstruktur der Liebe ist, habe ich zwar einst in dem Werk »Philosophie als Metanoetik« 48 vertreten. Doch als ich danach entdeckte, daß der erste Brief des Johannes genau die gleiche Richtung beschreibt und den sonst an keiner anderen Stelle des Neuen Testamentes auffindbaren Satz »Gott ist Liebe« dort vorträgt, und ferner klar behauptet, daß auch die Liebe zum Nächsten von Gott kommt, hat das mir starkes Interesse und Neugier eingeflößt (1. Johannesbrief, 4. Kapitel). Zwar wird in der heutigen Textkritik 49 der 1. Johannesbrief als Brief eines Autors betrachtet, der mit dem Autor des Johannesevangeliums identisch ist, und man sieht anscheinend beide als das an, was das Material der sogenannten Johanneischen Theologie bildet. Doch ich frage mich, ob es da nicht ein wenig ein ProCharles Baudelaire, Mon Cœur Mis à Nu (»Mein Herz, der Nacktheit ausgesetzt«, nach Jacques Crépet 1859–1866 entstanden), S. 101. In Baudelaire, Œuvres Complètes, Paris 1961, sind diese Tagebuchaufzeichnungen Teil der Journaux Intimes (S. 1245– 1314, Mon Cœur S. 1271–1301). Vgl. die deutsche Übersetzung von Friedhelm Kemp, Charles Baudelaire: Mein entblößtes Herz, München 1946. 48 Vgl. Anm. 27. 49 Tanabe gebraucht das Wort kyôrishi (教理史), das eigentlich Dogmengeschichte bedeutet. Er meint aber die Textkritik als Teil der neutestamentlichen Wissenschaften. 47
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blem gibt, nämlich: Kann man wirklich sagen, daß der Gott-als-die-Liebe lehrende Brief und das Gott-als-das-Licht beschreibende Evangelium wirklich den Schwerpunkt auf dasselbe legen, selbst wenn sie inhaltlich sowie stilistisch Übereinstimmung zeigen? Jedenfalls bin ich der Überzeugung, daß die unmittelbare, vermittlungslose Einheit des bloßen Lichtes oder Lebens und die absolute Vermittlung der Liebe im Denken stets klar voneinander unterschieden werden müssen. Gerade die Liebe ist das Nichts im Gegensatz dazu, daß Licht und Leben Sein sind. Die Einheit von Nichts-und-Liebe ist der Kern der Religion. Bildet das nicht die Eigenart, welche die Religion von der Philosophie unterscheidet und die romantische Intuition vom Symbolismus trennt? Insofern der dies versäumende Symbolismus von Valéry bzw. Mallarmé nicht wieder zurückkehrt zur Romantik, muß er wohl deshalb in unfruchtbarem Selbstvertrauen und Selbstgenügsamkeit enden. Er endete im Grunde in dem heute so genannten Existentialismus und erreichte nicht das Selbstbewußtsein konkreter religiöser Liebe. Auch das Schicksalsbewußtsein in der »Jungen Parze« ging nicht über den Existentialismus hinaus. Daß dieses gleichzeitig als Todesbewußtsein in eins geht mit dem gläubigen Bewußtsein der »Ewigkeit«, hat keine Möglichkeit der Verwirklichung als darin, daß es im Tun-und Erleben vollzogen wird, und zwar in der Liebe auf dem Rückweg, in der man für Andere sich selbst aufgibt. Das früher zitierte Christuswort des Lukasevangeliums: Wer sein Leben »verliert, wird es gewinnen« (Lk 17,33) wird bei Matthäus (16,25) bzw. Markus (8,35) ergänzt durch die Worte: »Wer aber sein Leben um meinetwillen verliert« bzw. »Wer aber sein Leben um meinetwillen und um des Evangeliums willen verliert«. Geschieht auch diese Ergänzung nicht deswegen?, frage ich mich. Denn die Auferstehung wird ohne die Gnade der Liebe nicht geglaubt und als Erlebnis erfaßt. Hier liegt die Grenze der »Jungen Parze«. Doch bei Baudelaire zeigt die Sachlage ganz das Gegenteil. Gibt es sonst wohl einen Dichter oder Denker, der wie er mit Hilfe des schokkierenden Wortes »Prostitution« die unentgeltliche Selbstaufopferung der Liebe zum Ausdruck brachte und Gott als den größten Prostituierten bestimmte? Ich, der ich schlecht unterrichtet bin, weiß das nicht. Seine Worte »Das am meisten Prostituierte, das ist die höchste Existenz, d. h. Gott. Denn Gott ist für jeden Einzelnen der höchste Freund, er ist das gemeinsame Reservoir, seine Liebe erschöpft sich nicht« 50, müssen 50
Französischer Originaltext: »L'être le plus prostitué, c'est l'être par excellence, c'est
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jedenfalls seine tiefe Demut ausgedrückt haben, die sein liebendes Gefühl und seine fleischliche Begierde durch Reue und Schmerz reinigte und als Prinzip der Sündenvergebung und Auferstehung, die auf der absoluten Wende von Nichts-und-Liebe beruht, als Gott, der die Liebe ist, glaubte und erlebte. Sogar seine verbotenen Gedichte, welche durch den Duft des Fleisches gleichgeschlechtlicher Liebe von Frauen stickig wirken, daß diese glänzen in der reinen Schönheit, welche kein obszönes Gefühl aufkommen läßt, ist das nicht deswegen, weil das Symbol des Gottes, der die Einheit von Nichts-und-Liebe ist, durch das sündenreinigende Feuer der Metanoia ausgebrannt und wiederhergestellt wurde und so wieder auszustrahlen begann? Es scheint, daß hier eine religiöse sinnliche Schönheit, welche eine andere Richtung besitzt als Mallermés »Nachmittag eines Fauns« 51 oder Valérys »Junge Parze«, entfaltet worden ist. Die sinnliche Lust und Trauer sowie der Schmerz, die er als die gegensätzlichen Strukturmomente des Schönen betrachtete, werden vereint nur durch die Liebe Gottes, die die Selbstaufgabe in der Metanoia ermöglicht. Ich kann nicht anders, als hier die Macht der Metanoia zu fühlen. Sind nicht das gerade die Momente, die möglich machen, daß Kunst und Religion, die nicht ineinander unmittelbar übergehen und verschmelzen, sondern stets als Gegensätze voneinander unterschieden werden, 52 doch beide durch die gemeinsame Vermittlung der als Prostitution beschriebenen Liebe vereint werden und sich gegenseitig korrespondieren, während die eine auf dem Tun-Glauben-Erleben der transzendenten Wende fußt, die andere dagegen auf dem Standpunkt des Symbols stehenbleibt, das immanent unmittelbar das Nichts in Sein verwandelt? 53 Wenn das Gedicht nicht bis hierher konkretisiert wird und so von der Religion getrennt existiert, muß wohl die höchste Qualität des Gedichtes als eines Symbolgedichtes verlorengehen. Lefèvre setzte vor den Vers »Die Jungfrau, die so jetzt im Blut Dieu, puisqu'il est l'ami suprême pour chaque individu, puisqu'il est le réservoir commun, inépuisable de l'amour.« (Baudelaire, Œuvres Complètes, Nouvelle Revue Française, Paris 1961, S. 1286 f.) – Friedhelm Kemp übersetzt: »Das allerprostituierteste Wesen ist das Wesen aller Wesen, das heißt Gott, denn er ist der höchste Freund jedes einzelnen Menschen, denn er ist der allen gemeinsame unerschöpfliche Brunnquell der Liebe.« (Mein entblößtes Herz, München 1946, S. 58 f.) 51 Stéphane Mallarmé, L'Après-midi d'un Faune 1887. 52 Vgl. Anm. 47. 53 Charles Baudelaire, Fusées (»Raketen«), nach Jacques Crépet 1855–1862 entstanden, jetzt in Journaux Intimes, S. 1246–1270. Vgl. Anm. 47.
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Unreinheit nicht trägt, unter den goldfarbenen Formen einer vor Dank überfließenden Brust, dem Sonnenlicht entgegenzugehen bereit, oh Feuer jenes Lichtes!«, 54 der die letzten zwei Zeilen der »Jungen Parze« bildet, folgende Zeile ein: »Ich liebe dich, oh Licht, das so aussieht, als ob es mich kennte!« 55 Er bestimmte, dies bedeute, daß die menschliche Existenz nicht auf die reine Erkenntnis reduziert werden kann, daß es unmöglich ist, sie wegzureißen von der Sinnenwelt, welche durch alle Kapillaren hindurch in den Menschen eindringt und damit den Grund verkündet, warum das Wissen durch die Liebe beleuchtet werden muß. 56 Es scheint zwar, daß sich obiger Vers in der nrf-Ausgabe, 57 die heute gewöhnlich im Handel ist, nicht findet. Aber auf welchem Quellenmaterial 58 gestützt er diesen Vers wohl tatsächlich ergänzte, kann ich mit meiner oberflächlichen Kenntnis nicht beurteilen. Ich warte deshalb auf die Belehrung von Seiten der Experten. Allerdings paßt jener Sinn im Grund zu dem, was ich oben erklärte, und ich darf ihn wohl als etwas bezeichnen, was dem Prozeß entspricht, in dem der Gott-als-das-Licht nach dem Johannesevangelium bis zum Gott-als-die-Liebe nach dem 1. Johannesbrief konkretisiert wird. Und wenn – wie man selbstverständlich schließen kann – der obige Vers auf irgendeiner Ausgabe von Valéry selbst beruhen sollte, kann man ihn auch so deuten, daß er selbst in gewissem Maße die Notwendigkeit dieser Ergänzung und Konkretisierung gefühlt hat. Wenn es sich tatsächlich so verhält, muß man wohl folgern, daß der Klassizismus des Gedichtes »Die junge Parze« gerade erst dadurch, daß er erhöht wird in Richtung auf das christliche Evangelium, den Symbolismus vollkommen hätte durchführen können müssen.
Im Original bei Valéry: »Feu vers qui se soulève uns vierge de sang/ Sous les espèces d'or d'un sein reconnaissant!« – Meine deutsche Übersetzung versuchte, Tanabes japanische Übersetzung nachzuahmen: »Kakute imaya chi ni kegare o obizaru shojo wa, kansha afureru mune no kinshokunaru keibô ni yôkô ni mukai tachi-agaran, sono hikari no homura (honô) yo!« 55 Der Zusatz nach Lefèvre lautet bei Tanabe: »Ware kimi o itsukushimu, Ware o shiru ni nitaru hikari yo!« 56 Vgl. Frédéric Lefèvre, Entretiens avec Paul Valéry, S. 319. 57 Vgl. Anm. 1. 58 Quellenmaterial (bunkengakuteki konkyo), kann auch übersetzt werden mit: bibliographische Grundlage, philologische Grundlage. 54
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3. Shin-ichi Hisamatsu
Einleitung Der erste der hier aufgenommenen Texte von Shin-ichi Hisamatsu »Eine Erläuterung des Lin-chi-Zen« ist so kurz und einfach, daß man beim ersten Lesen nicht bemerken wird, welche Bedeutung er in Hinblick auf Zen und Philosophie bei Hisamatsu hat. Um diese Bedeutung zu verstehen, ist es notwendig, einen kurzen Blick auf Hisamatsus Biographie zu werfen. In »Erinnerungen an meine Studienzeit« 1 beschreibt Hisamatsu, wie er zum Zen kam: Er wurde in einer frommen Familie geboren und im Glauben der Jôdo-ShinshûSchule des Buddhismus 2 erzogen. Bald jedoch zerbrach ihm dieser Glaube und er ging an die Kyôto-Universität, um bei Nishida Philosophie zu studieren. Aber auch dort erfuhr er, daß die Philosophie seinem innersten Problem, der Frage nach dem Selbst, ohnmächtig gegenüberstand. Durch Vermittlung Nishidas kam er zum Zen-Meister Shôzan Ikegami im Myôshinji-Tempel in Kyôto. Dort nahm er 1915, vor dem Abschluß seines Studiums, als Anfänger an der Dezember-Übung teil. Diese Übungswoche gilt als die härteste des ganzen Jahres und ist selbst für die erfahrenen Mönche äußerst anstrengend. Der Beschreibung Hisamatsus kann man entnehmen, welchen inneren Spannungen und welch enormen körperlichen Schmerzen er bei dieser Übung ausgesetzt war. Jedoch gerade inmitten dieser seiner restlosen Not und Verzweiflung kam er zum großen, entscheidenden Erwachen, das auch von ZenMeister Shôzan anerkannt wurde. Hisamatsu schreibt dann weiter (in Gakkyû seikatsu no omoide (学究生活の思い出), in: Hisamatsu Shin-ichi chosakushû (久松真一著作集, Gesammelte Werke Shin-ichi Hisamatsus), 8 Bde., 1970–1980, Bd. 1, Tôkyô 1970, S. 415–434. 2 Jôdo-shinshû (浄土真宗), Wahre Lehre vom Reinen Land. Die Jôdo-shinshû-Schule wurde gegründet von Shinran (親鸞, 1173–1262), dem Schüler Hônens (法然, 1133– 1212). 1
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II. Bildung der Schule
der dritten Person): »Schließlich erwacht er zum wahren, freien Selbst. Seitdem bemüht er sich ausschließlich darum, dieses wahre Selbst im Leben zu realisieren und zu üben, um es dadurch in allen Bereichen des Lebens zum Ausdruck kommen zu lassen. Diese große Erfahrung wurde ihm zu einer Religion des Erwachens, die er dann in einer Philosophie des Erwachens erläutert. In dieser Philosophie wird sich das Selbst in einer Distanzierung seiner selbst bewußt und erlangt so ein ›vergegenständlichtes‹ Wissen seiner selbst. Der Vollzug dieser Religion und Philosophie des Erwachens ist seitdem das erste Anliegen und die ewige Aufgabe für ihn.« 3 Was Hisamatsu mit »Religion des Erwachens« meint, wird in den Aufsätzen und Reden deutlich, die jetzt im dritten Band seiner Gesammelten Werke »Erwachen und Schaffen« 4 gesammelt sind. Der Gesichtspunkt »Welt und Geschichte«, der den Philosophen der KyôtoSchule gemeinsam ist, steht auch in diesen Schriften im Vordergrund. Nach Hisamatsu darf es im heutigen Zen nicht bloß um ein Erwachen gehen, das nur das Individuum betrifft und von Meister zu Meister weiterüberliefert wird. Vielmehr geht es darum, die Grenzen und die Problematik der modernen Welt sowie des Menschseins selbst von Grund auf zu durchbrechen, um von diesem Standpunkt des Erwachens aus die von ihm so genannte Postmoderne zu gestalten. Erwachen ohne hieraus sich ergebende lebendige Gestaltung der lebendigen, realen Welt gilt Hisamatsu nur als ein totes Erwachen, das er im traditionellen, sich ins Kloster zurückziehenden Zen-Buddhismus findet. Teils um seine Ideen zu realisieren, teils auf Bitte seiner Studenten an der Universität Kyôto hin, gründete er 1944 eine Vereinigung für Zen-Praxis, die 1958 den Namen »FAS« erhielt. F steht für »formless self«, A für »all humankind« und S für »suprahistorical history«. In den Schriften des dritten Bandes der Gesammelten Werke ist sichtbar, daß die »Religion des Erwachens« sich als »FAS« realisiert hat. Die »Philosophie des Erwachens« hat er in den im ersten und zweiten Band seiner Gesammelten Werke zusammengestellten Aufsätzen und Abhandlungen niedergeschrieben. Der Titel des ersten Bandes lautet »Das östliche Nichts«, 5 der des zweiten Bandes »Der Weg des abso-
3 4 5
Werke Hisamatsus, Bd. 1, S. 433 f. Kaku to sôzô (覚と創造), Tôkyô 1971. Tôyô-teki mu (東洋的無), Tôkyô 1970.
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luten Subjektes«. 6 Die zwei Titel sind zwei verschiedene Ausdrücke für dieselbe Sache: das wahre Selbst. Allerdings hatte Hisamatsu früher, um 1925, dieses wahre Selbst »die nichthafte Existenz« genannt. In seiner Vorlesung »Die nichthafte Existenz« 7 überprüft er die religionsphilosophischen Auffassungen des »Nichts« im Westen und Osten, um zu erläutern, wie dieses Nichts letztlich als das wahre Selbst, d. h. als nichthafte Existenz, aufgefaßt werden muß. Bald danach, 1928, hielt er aber den Vortrag »Das östliche Nichts«, dessen Titel nun etwa bis 1945/1946 als Ausdruck für das wahre Selbst verwendet wird. Ab 1945/1946 wird anstelle des östlichen Nichts »das absolute Subjekt« verwendet. Diese Verwandlung des Namens für das wahre Selbst bei Hisamatsu bedeutet zwar nicht die Verwandlung seines Standpunktes, sie kann aber als eine Entwicklung der »Philosophie des Erwachens« angesehen werden. Etwas schematisierend gesagt: in der ersten Phase wird sowohl das östliche Nichts der zweiten Phase wie auch das absolute Subjekt der dritten Phase schon vorweggenommen. Die Grundlage aber, wie sie als F in »FAS« zum Ausdruck kommt, wird erst in der zweiten Phase philosophisch gründlich formuliert. Erst von dort her wird auch der Weg zu A und S deutlich gemacht, wie in der dritten Phase. Dort wird zu zeigen versucht, daß im »Weg des absoluten Subjektes« das »östliche Nichts« in der geschichtlichen Welt sich realisiert. Der hier aufgenommene Text Hisamatsus »Eine Erläuterung des Lin-chi-Zen«, der erste Aufsatz des zweiten Bandes, gilt als ein Kreuzungspunkt und Eckstein der Religion des Erwachens und der Philosophie des Erwachens. Liest man den Text aufmerksam, so findet man in ihm auch die Gedanken von formless self, allmankind und superhistorical history, die Hisamatsu in der Philosophie und im Zen zu entwikkeln und zu realisieren versucht. Thematisch zwischen der Religion des Erwachens und der Philosophie des Erwachens stehen übrigens die im sechsten Band seiner Gesammelten Werke aufgenommenen Schriften. 8 Es handelt sich bei ihnen um Erläuterungen buddhistischer Texte und Gedanken. Die anderen Bände der Gesammelten Werke, ausgenommen der achte Band, in dem verschiedene Fragmente gesammelt sind, kreisen Zettai shutaidô (絶対主体道), Tôkyô 1972. Sokumuteki jitsuzon (即無的実存), in: Hisamatsu Shin-ichi, Bukkyô kôgi (久松真一 仏教講義, Vorlesungen über den Buddhismus), Bd. 1, Tôkyô 1990, S. 7–128. 8 Kyôroku-shô (経録抄), Werke Hisamatsus, Bd. 6, Tôkyô 1973. 6 7
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alle um die in einem weiten Sinn verstandene »Kunst«. Der vierte Band mit dem Titel »Philosophie des Teewegs« 9 versammelt die Aufsätze und Vorträge, die sich mit der kunstphilosophischen Seite der Religion des Erwachens beschäftigen. Den konkreten Hintergrund dieser Überlegungen bildet die 1931 von Hisamatsu gegründete Vereinigung »des Tee-Herzens«. 10 Der fünfte Band »Zen und Kunst« 11 enthält Hisamatsus Reden und Aufsätze über Kunst und Kultur des Zen aus der Zeit von 1940 bis 1968. Im siebten Band »Sammlung Nin-nun« 12 sind Hisamatsus eigene Gedichte und Kalligraphien gesammelt. Sein großes Kunstbuch »Zen und schöne Künste«, 13 das wegen der Größe der Photos nicht in die Gesammelten Werke aufgenommen werden konnte, zeigt den Grundansatz und Rahmen der in diesen Kunst-Bänden entwickelten Gedanken. Auch der zweite hier aufgenommene Text vermittelt recht deutlich die in diesen Bänden entfalteten Grundgedanken Hisamatsus über die (Zen-)Kunst. Es handelt sich bei diesem Text um einen Vortrag, den Hisamatsu am 19. Mai 1958 an der Universität Freiburg i. Br. gehalten hat. Um die Bedeutung von Hisamatsus Interesse an der Kunst für sein Werk im Ganzen zu verdeutlichen, sei hier auf eine Stelle aus seinem Essay »Profil des Meisters Daisetzu Suzuki«, in dem er das Verhältnis von Zen und Zen-Kunst erläutert, verwiesen. Hisamatsu schreibt dort: »Während in der im gewöhnlichen Sinn verstandenen Kunst das Gestalthafte unter dem Aspekt des Gestalthaften erscheint, kommt im eigentümlichen Stil des Zen das Gestaltlose vor allem und zuerst unter dem Aspekt des Gestaltlosen und erst in zweiter Linie unter dem Aspekt des Gestalthaften zum Vorschein. Wirkt sich diese Art und Weise des Zen in Malerei, Plastik, Handwerk, Architektur, Gartenkunst, Theater, Musik, Literatur usw. aus, so kann eine Kunst entstehen, die weit über die Kunst des Gestalthaften hinausragt und von allen Formen befreit werden kann, bzw. nicht mehr an den Formen hängenbleiben muß.« 14 Sadô no tetsugaku (茶道の哲学), Tôkyô 1973. Shincha-kai (心茶会). 11 Zen to geijutsu (禅と芸術), Tôkyô 1970. 12 Nin-nun-shû (任運集), Tôkyô 1980. 13 Zen to bijutsu (禅と美術), Tôkyô 1958, Nachdruck Kyôto 1976. Vgl. dazu die englische Übersetzung: Zen and the Fine Arts, Tôkyô 1971, 21974. 14 Das Protokoll des am Tag vorher, am 18. Mai 1958 von Martin Heidegger zusammen mit Hisamatsu veranstalteten Colloquiums »Die Kunst und das Denken« ist bisher in dreisprachiger Fassung (deutsch – japanisch – englisch) in dem dreisprachigen Buch, 9
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Shin-ichi Hisamatsu
Das Gestaltlose, das hier als Brennpunkt von Hisamatsus Kunsterfahrung und -philosophie erscheint, darf wohl als die entscheidende Grunderfahrung Hisamatsus bezeichnet werden. Das kann schon daran gesehen werden, daß das Grundwort Hisamatsus, das sowohl die Religion des Erwachens als auch die Philosophie des Erwachens und die Kunst des Erwachens durchzieht, und um das sich all seine Gedanken kristallisieren, das »gestaltlose Selbst« ist. Der dritte, kurze Text »Selbst-Bild«, verfaßt für die 1952 gegründete Gruppe der Kalligraphie-Künstler »Kreis der Tusch-Menschen«, 15 wird dem Leser das Verstehen des oben genannten »Selbst« erleichtern, da dort das Selbst anhand des Beispiels der Kunst des »Reitens« und dann des »Schreibens« erläutert wird. Das hier Gesagte wird übrigens auch von der in diesem Band aufgenommenen Kalligraphie Nishidas gelten, die als ein »Selbst-Bild« der Kyôto-Schule angesehen werden kann.
L. Alcopley: Heidegger und Hisamatsu und ein Zuhörender, Kyôto 1963, erschienen. Die japanische Fassung des Protokolls wurde auch in: Shin-ichi Hisamatsu, Zen to geijutsu (禅と芸術, Zen und Kunst), in: Werke Hisamatsus, Bd. 5, S. 461–469, unter dem Titel »Geijutsu no honshitsu« (芸術の本質, Das Wesen der Kunst) gedruckt. Die deutsche Fassung wird unter dem Titel »Die Kunst und das Denken« wiedergedruckt in: Japan und Heidegger, hrsg. von Hartmut Buchner, Sigmaringen 1989, S. 211–215. 15 Bokujin-kai.
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Eine Erläuterung des Lin-chi-(= Rinzai)-Zen 1 (Übersetzt von Kôichi Tsujimura und Hartmut Buchner)
Die lebendige, schöpferische Gemeinsamkeit der Religionen, die keineswegs nur mittels des Vergleichs der verschiedenen, bisher vorhandenen Religionen und der Induktion festgestellt werden darf, muß diejenige Wesenszusammengehörigkeit sein, die erst durch eine kritische, tief eindringende Ergründung des Menschenwesens entdeckt werden kann. Sonst müßte es grundsätzlich unmöglich bleiben, auf die Frage: worin liegt der notwendige Grund dafür, daß es im Menschen überhaupt so etwas wie Religion gibt, eine sachlich entscheidende Antwort zu geben. Von diesem Gesichtspunkt aus möchte ich eine knappe Erläuterung des Lin-chi-Zen versuchen. Lin-chi-Zen ist eine Schule des Zen, die in der ersten Hälfte des neunten Jahrhunderts n. Chr. gleichzeitig mit Ts’aotung-Zen 2 vom Zen-Meister Lin-chi I-hsüan 3 in China gegründet worden ist. Wie ein Wesensmerkmal des Zen überhaupt von alters her lautet: »kein Wort aufstellen«, so ist auch das Lin-chi-Zen kein buddhistisches Bibeltum, das die in den überlieferten heiligen Schriften des Buddhismus enthaltenen Lehren dogmatisch als die absolute Wahrheit glaubt und sich davon abhängig macht. Was das Lin-chi-Zen will, ist ein jähes Erwachen, in dem man ganz unmittelbar auf der Stelle ins lebendige »Nirwana-Wundersame Herz« als den Ursprung aller heiligen Schriften und Lehren einbricht. Gemäß einem anderen Wesensmerkmal des Zen: »Unmittelbar auf das Menschenherz weisen; das eigene und anAnmerkungen von Ryôsuke Ohashi. – Rinzai-zen no kaimei (臨済禅の解明), japanische Fassung in: Werke Hisamatsus, Bd. 2, S. 11–13. Der Text ist ein Vortrag, der am 8. September 1958 im Myôshinji Zen-Tempel zu Kyôto beim Besuch der ausländischen Teilnehmer am 9. Internationalen Kongreß für Religionsgeschichte gehalten wurde. Der Vortrag wurde gedruckt in: Nachrichten der Gesellschaft für Natur und Völkerkunde Ostasiens 85/86 (Hamburg 1956) S. 18–20. 2 Jap.: Sôtô-Zen. 3 Jap.: Rinzai-Gigen, chinesischer Zen-Meister (gest. 867). 1
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Eine Erläuterung des Lin-chi-(= Rinzai)-Zen
fängliche Wesen durchblicken und zum Buddha werden«, gehört auch das Lin-chi-Zen weder zur theistischen Religion, in der man an Gott oder an Buddha glaubt oder ihn als etwas Gegenständliches erlebt, noch zur mystischen Religion, in der man in der Ledigkeit seiner Selbst mit dem Gott oder dem Buddha oder der Natur als einem Anderen eins wird. Wie ein berühmtes Zen-Wort sagt: »Im großen Zweifel liegt ein großes Erwachen«, so zieht das Lin-chi-Zen das menschliche Dasein mit seiner Welt in Zweifel, und zwar nicht dergestalt, daß der Zweifelnde in der Vergegenständlichung über sein Dasein zweifelt, sondern in der Weise, daß das Bezweifelte gerade der Bezweifelnde selbst ist. In einem sich konzentrierenden Eindringen bis ins Innerste solches äußersten, aber sich nie vergegenständlichenden Zweifels gelangt man an die Grenze seines subjektiven Selbst oder, wie es im Zen heißt, wird man selbst zu »einem großen Kloß des Zweifels«. Erst im Durchbrechen dieses »Zweifelskloßes« aus sich selbst bricht er ins wahre Wesen des Menschen ein, erwacht er zu seinem »ursprünglichen Selbst«. Aber darin nicht stehen bleibend, kommt er als so erwachter Mensch zum »wundersamen Wirken« in der wirklichen Welt zurück. In diesem Sinne ist das Lin-chi-Zen eine Religion des Menschentums. Allein das bedeutet nicht, daß es eine Art idealistischen Humanismus ist, der auf der naiven Bejahung des menschlichen Daseins beruht, sondern daß es zu einer ganz anderen Dimension der Menschen-Bejahung gehört. Wenn hier das Wort »Humanismus« gebraucht werden darf, ist das Lin-chiZen der Humanismus desjenigen neuen Menschen, der – wie es im Zen heißt – »einmal im Großen Tod abstirbt und dadurch wieder zum Leben erwacht« – durch eine schonungslose Kritik des menschlichen Daseins. Das sich daraus ergebende absolute Nein zu ihm schlägt in das absolute Ja seiner Selbst um. Ein so erwachter Mensch wird im Lin-chi-Zen »das wahre Selbst« genannt; Lin-chi selber bezeichnet ihn auch als »einen wahren Menschen«. 4 Gäbe es überhaupt so etwas wie Buddha, so wäre der wahre Buddha nichts anderes als dieser wahre Mensch und außerhalb seiner gäbe es keinen Buddha. Deswegen sagt das Zen immer: »Sein eigenes Herz, das ist Buddha.« Was für eine Seinsweise ist nun der »große Zweifelskloß« als die äußerste subjektive Grenzlage des Menschen? Sie ist diejenige tödliche Seinslage des menschlichen Daseins, in der eine widerstreitende Verflechtung von »Leben und Tod« oder all4
Shin-nin (真人).
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II. Bildung der Schule
Shin-ichi Hisamatsu
gemeiner von »Sein und Nichts« und weiter die Verflechtung von »Gut und Böse«, »Wahr und Falsch« oder allgemeiner von »Wert und Unwert« den Menschen verschlingen; in diesem Verschlungensein bleibt der Mensch in eine andauernde Hoffnungslosigkeit, sich zu entreißen, verstrickt. Das Durchbrechen dieses großen Zweifelskloßes besteht darin, daß der Mensch im Sich-Loslassen von solcher tödlichen Seinslage zu jenem wird, in dem »kein Leben und kein Tod« und zugleich »kein Gut und kein Böse« ist. Er ist »ein Mensch der großen Freiheit« oder »des großen, zur Vollendung gebrachten Erwachens«, der, wie Lin-chi sagt, »den Buddha tötet, wenn er Buddha begegnet; und den Patriarchen tötet, wenn er den Patriarchen trifft«. In solcher Befreiung aus der Gebundenheit an Buddha und an den Patriarchen erwacht er zu seinem wahren Selbst, ja er ist sogar von seinem Erwachen selbst nicht mehr befangen. Diesen nennt Lin-chi »einen in sich stehenden, von allem ledigen, ganz unabhängigen, erwachten Menschen« 5 oder auch »einen wahren Menschen ohne Stand«. 6 Das, worauf die Ergründung des »Kôan«, d. h. des Zen-Aporema, wie es heute noch als Übung im Gebrauch ist, abzielt, liegt letzten Endes darin, den Schüler sich zu jenem »großen Zweifelskloß« sammeln zu lassen und ihn zu durchbrechen. Vermöge dieses durchbrechenden Erwachens geht der Mensch einerseits über »Leben und Tod« und »Gut und Böse« hinweg, erreicht er »Nirwana-stille Ruhe« und wird selbst zum »los gelassenen Wesen der wahren Leerheit«; andererseits kommt er zum »großen, wundersamen Wirken der aus jenem Wesen hervorquellenden Barmherzigkeit« in der wirklichen Welt. Im Zen heißt jene Seite »Weg der Säuberung« 7 und diese »Weg der Stiftung«. 8 Es geschieht zwar in der Tat nicht selten, daß der Buddhismus in bloßer »Nirwana-stiller Ruhe« befriedigt bleibt und auf »das wundersame Wirken« keine Rücksicht nimmt. Allein eine solche Haltung, die bloß auf der »Nirwana-stillen Ruhe« besteht und sie dadurch zum unechten Zustand macht, ist vom Lin-chi-Zen von alters her ganz entschieden bekämpft und mit den Schimpfworten »Zen des bloß schweigenden Beschauens« oder »Zen des toten Menschen« zurückgewiesen worden.
5 6 7 8
Mue no dônin (無依の道人). Ichimui no shin-nin (一無位の真人). Sôtômon(掃蕩門). Konryûmon (建立門).
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Eine Erläuterung des Lin-chi-(= Rinzai)-Zen
Das Wesen des Lin-chi-Zen liegt also, kurz gesagt, darin, daß es stets auf das »große, wundersame Wirken« den größten Wert legt. Auf welche Weise wirkt nun dieses »große, wundersame Wirken« in der wirklichen Welt? Zwei Richtungen lassen sich unterscheiden. In der einen führt dieses Wirken die noch nicht erwachten Menschen zum Erwachen, in der anderen offenbart es, auf Grund des Erwachens, in der wirklichen Welt einen neuen Sinn und gestaltet sie aus ihm her zur wahren Welt. Wie die anderen Schulen des Buddhismus hat sich auch das Zen bislang fast ausschließlich mit dem Wirken in der ersteren Richtung beschäftigt und die letztere vernachlässigt. Solche Haltung ist aber nichts anderes als ein weiterer Verfall ins »Zen des toten Menschen«, welcher Verfall letzten Endes in der Weltflucht enden muß. Dagegen kann und soll das in seiner Wahrheit verstandene Lin-chiZen durch sein »großes, wundersames Wirken« an der jedem Menschen notwendigen Aufgabe der letzten, äußersten Befreiung und ebenso sehr an der ihm unerläßlichen Aufgabe der Stiftung der wahren Welt teilnehmen und in solcher Weise einen zweifachen Beitrag für den ganzen Menschen in der Gegenwart leisten. Gerade in diesem Sinne sagt Lin-chi: »Das Herz-Dharma ist formlos und durchdringt das Weltall in allen Richtungen; es wirkt hier und jetzt.« 9
9
Shimpô mugyô jippô ni tsûkan su (心法無形十方に通貫す).
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Kunst und Kunstwerke im Zen-Buddhismus 1 (Übersetzt von Geza S. Dombrady)
In der Kultur des Fernen Ostens, in China, Korea und Japan, herrschte ein einheitlicher, alles durchdringender Geist von besonderem Charakter, der im Abendland unbekannt ist. Dieser Geist, dessen Keim schon zu Beginn des 6. Jh. n. Chr. in China aufkam, schlug Ende des 7. Jh. Wurzeln, blühte dann allmählich auf und verfiel zu Anfang des 15. Jhs. Während dieses fast tausendjährigen Zeitraumes, der dem Mittelalter des Abendlandes entspricht, wurde der Geist dieser Kultur nach Korea und Japan verpflanzt. Insbesondere in Japan, wo er im 13. Jh. eingeführt wurde, gelangte er vom 15. bis 17. Jh. zur vollen Blüte, um danach in Verfall zu geraten. Sein unschätzbares Erbe ist jedoch nicht nur reichlich bis zur Gegenwart bewahrt geblieben, auch seine fest verankerten Wurzeln sind heute immer noch lebendig. Im allgemeinen ist dieser Geist im Abendland nur wenig bekannt. Er ist noch nicht Thema wissenschaftlicher Untersuchungen geworden. Aber für die Menschen im Fernen Osten, die von diesem Geist und seiner Überlieferung durchdrungen sind, insbesondere für uns Japaner, die seinen reichen Schatz geerbt und bewahrt haben, ist es eine unerläßliche Aufgabe, ja sogar eine geschichtliche Forderung, den wahren Geist dieses Erbes der abendländischen Welt bekannt zu machen, und zwar nicht nur einem engen Kreis von Gelehrten, sondern auch der großen Weltöffentlichkeit. Hierdurch soll, wie ich hoffe, der künftigen Welt ein Dienst erwiesen werden. Worin besteht der Geist dieser Kultur? Welche charakteristischen Anmerkungen von Ryôsuke Ohashi. – Der Text ist ein Vortrag, gehalten am 19. Mai 1958 an der Universität Freiburg i. Br., mit der deutschen Übersetzung von Kôichi Tsujimura und Geza S. Dombrady. Die französische Fassung des Vortrages wurde gedruckt unter dem Titel Le Zen et les beaux-arts, in: Arts asiatiques, tome VI, fascidul 4 (1959) S. 244–258. Zur englischen Fassung vgl. Zen and Fine Arts, Tôkyô 1971, 21974. Die japanische Fassung ist enthalten im Aufsatz Zen to zen-bunka (禅と禅文化), Bd. 5 der Werke Hisamatsus, S. 11–45. Der übersetzte Teil umfaßt die Seiten 30–45.
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Kunst und Kunstwerke im Zen-Buddhismus
Merkmale hat diese von ihm durchdrungene Kultur? Dieser Geist ist der Zen-Buddhismus oder kurz »Zen«, und die von ihm bestimmte Kultur ist sozusagen die Zen-Kultur, falls in diesem Zusammenhang das Wort »Kultur« gebraucht werden darf. Den Grund, warum sie als Zen-Kultur zu bezeichnen ist, wird man aus den folgenden sieben Wesenszügen erkennen, die als Merkmale dieser Kultur gelten und sich alle ausschließlich auf den Zen-Geist gründen. Anders gesagt, das, was in dieser Kultur zum Ausdruck kommt, d. h. das ursprünglich Tragende dieser Kultur, kann man nirgendwo anders suchen als im Zen selbst. Dieser Zen-Geist dringt in fast alle Bereiche des menschlichen Lebens, z. B. in die Bereiche der Religion, des philosophischen Denkens, der Sittlichkeit und der Etikette; er hat auch Einfluß auf verschiedene Künste, nämlich auf die Dichtung, Malerei, Kalligraphie, Baukunst, Gartenkunst, Kunstgewerbe usw. Deshalb sind alle diese Bereiche von gemeinsamen Wesenszügen durchdrungen, die man in den folgenden sieben Punkten zusammenfassen kann. 2 1. Unebenmäßigkeit (oder Asymmetrie), 2. Schlichtheit, 3. herbe Würde, 4. Natürlichkeit, 5. unergründliche Tiefe und Feinsinnigkeit, 6. entweltlichte Freiheit, 7. Stille.
1.
Unebenmäßigkeit (fukinsei, auch Asymmetrie)
Die »Unebenmäßigkeit« erscheint erst da, wo eine Kunst nicht mehr in Regelmäßigkeit, Vollkommenheit und symmetrischer Richtigkeit befangen bleibt, sondern über diese gesetzmäßigen Merkmale hinausgeht. Diese »Unebenmäßigkeit« ist eine eigentümliche Schönheit des Gebrochenen, Verzogenen und Ausgefallenen. Solche Schönheit beruht auf einem typischen Wesenszug des Zen selbst, den man in folgende Worte fassen kann: »Nichts ist heilig« oder »Das Gesetz ist ohne Gesetz« oder »Weltliche Begierden sind spurlos abgefallen und zugleich ist der Begriff der Heiligkeit gänzlich sinnentleert.« 1. fukinsei (不均斉), 2. kanso (簡素), 3. kokô (枯高), 4. shizen (自然), 5. yûgen (幽玄), 6. datsuzoku (脱俗), 7. seijaku (静寂).
2
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II. Bildung der Schule
2.
Shin-ichi Hisamatsu
Schlichtheit (kanso)
Die »Schlichtheit« besteht, negativ gesagt, in der Nicht-Weitschweifigkeit, und positiv, in der Einfachheit. Sie ist eine äußerst gediegene, unbefangene und einfache Schönheit, die nicht im Komplizierten und Minutiösen zu suchen ist. Der Ursprung einer solchen Schönheit liegt verborgen in dem, worauf Zen mit folgenden Ausdrücken hinweisen will: »Weiträumig«, »Äußerste Armut«, »Es gibt keine Dinglichkeit«, »das Eine«.
3.
Herbe Würde (kokô)
Die »herbe Würde«, deren Züge »abgeklärt«, »alt«, »trocken« und »edelrostüberzogen« sind, erscheint dort, wo alles Unnötige und Unreife durch langjährige schonungslose Erfahrungen ganz abgetragen oder überwunden worden ist, und wo nur der Kern, d. h. das eigentliche Wesen völlig entblößt hervortritt. Es handelt sich um eine markige, unnahbar, würdevolle Schönheit, wie zuweilen beim Anblick eines alten Kieferbaumes, der lange Jahre hindurch Wind und Schnee ertragen hat und dadurch seine jugendliche Unreife und Schwäche überwinden konnte. Seine Blätter sind fest, seine Äste scharfkonturiert und sein Stamm ist oft ausgehöhlt. Aus diesem Ausgehöhltsein spricht eine unantastbare Würde. Diese würdevolle Schönheit, die sich nie im Neuen und Jungen findet, rührt von dem Charakteristikum des Zen her, das man mit folgenden Worten bezeichnen kann: »von aller Haut entblößt« oder »eine unangreifbare Strenge«.
4.
Natürlichkeit (shizen)
Die »Natürlichkeit« eines Dinges, oder negativ gesagt, das »Ungekünstelte«, »die Ungezwungenheit« ist die Art des »So-Seins-wie-manist«. Hier bedeutet das Wort »natürlich« keineswegs »angeboren« oder »naiv« oder »instinktmäßig«. In dieser Natürlichkeit ist die Kunst des schöpferischen Schaffens enthalten, die jedoch nicht künstlich geartet ist. Ein Spruch aus der Kunst des Tee-Kultes lautet: »Nur die EdelrostStimmung, die aus der Sache selbst, aus sich selbst hervorkommt, ist gut. Der künstlich erzeugte Edelrost aber ist schlecht.« Falls die oben 224 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
Kunst und Kunstwerke im Zen-Buddhismus
genannte »herbe Würde« oder die »entweltlichte Freiheit« gekünstelt ist, muß sie ihre Schönheit einbüßen und zu etwas unerträglich Abstoßendem werden. Jedoch beruht die echte Natürlichkeit auf dem, was im Zen als »ohne Herz« oder »ohne Gedanken« bezeichnet wird. Dabei bedeutet der Ausdruck »ohne Herz« oder »ohne Gedanken« keineswegs die Herz- oder Gedankenlosigkeit, sondern eine Art »Reine Hingabe an die Sache selbst«.
5.
Unergründlichkeit (yûgen)
Die unergründliche Tief- und Feinsinnigkeit ist jene verhaltene Verborgenheit, in der eine unendliche nicht zu äußernde Fülle von Sinnigkeit und Stimmung verborgen ist. Dieser innere Reichtum kann sich gar nicht im Ausdruck erschöpfen. Hier waltet ein Dunkel von unergründlicher Tiefe, Ruhe und Gelassenheit. Der Ursprung dieser Bezeichnung liegt in dem, worauf Zen folgendermaßen hinweist: »Wo es überhaupt kein Ding gibt, dort liegt etwas Unerschöpfliches an Vielfalt von Dingen verborgen« oder einfach »Ungrund«, »Unergründlichkeit«.
6.
Entweltlichung (datsuzoku)
Die entweltlichte Freiheit bedeutet eine sich unbegrenzt durchsetzende Unbefangenheit, die nicht nur in den Dingen der wirklichen Welt, sondern auch durch Buddha selbst sich nicht beeinträchtigen läßt. Ja sogar in der Unbefangenheit selbst nicht befangen bleibt. Diese Unbefangenheit entspricht einem Charakter des Zen, den man das »Wirken als Spiel« oder »Ungehindertheit des ursprünglichen Selbst-Seins« nennt.
7.
Stille (seijaku)
Die Stille oder, anders gesagt, die gelassene Ruhe, wirkt sich nicht nur in ruhigen Zeiten aus, sondern erst recht in den unruhigen und geräuschvollen. Ein Zen-Wort lautet: »Mit dem Schrei des Vogels wird der Berg noch stiller.« Die tiefe Stille eines Berges wird durch den Vogelruf nicht gestört, sondern wirkt gerade dadurch noch stiller und tiefer. Solche Stille ist nichts anderes als das, was man im Zen so nennt: »Beim Spre225 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
II. Bildung der Schule
Shin-ichi Hisamatsu
chen oder Schweigen, in Bewegung oder Stillstand bleibt das Wesen immer ruhig in tiefer Stille.« Wir haben auf die sieben Wesenszüge der Zen-Kultur und insbesondere auf das ihr zugehörige Kunstwerk einen kurzen Blick geworfen. Diese Wesenszüge bestehen aber nicht für sich vereinzelt, sondern sie sind vollkommen miteinander verschmolzen und bilden ein einheitliches Ganzes. In jedem einzelnen dieser sieben Grundzüge sind auch die anderen mit enthalten. Freilich ist es möglich, daß – der jeweiligen Sachlage entsprechend – ein bestimmter Wesenszug sich von den anderen abhebt und daß die anderen in den Hintergrund treten. Aber gerade darin, daß diese sieben Grundzüge stets miteinander ein Ganzes bilden, besteht das Wesentliche des Zen-Kunstwerkes, wodurch sie z. B. von der gewöhnlichen Unebenmäßigkeit oder von der bloßen Natürlichkeit deutlich unterschieden werden können. Nun aber ist das, was an dem Kunstwerk, das durch die oben genannten Charakterzüge bestimmt wird, zur Wirkung kommt, oder – wenn man in diesem Fall so sagen darf – das ursprüngliche Subjekt dieser Kunst, das ist Zen selbst. Was ist dieses Zen? Obwohl wir hier auf eine ausführliche Erläuterung verzichten müssen, dürfen wir aufgrund der Zen-Erfahrung und -Überlieferung das Wesen des Zen vorgreifend folgendermaßen bestimmen: Das Wesen des Zen besteht weder im Glauben an das Göttliche und Heilige, das als Transzendenz dem Menschen gegenübersteht, noch in der sogenannten »philosophischen Institution«, noch in der »unio mystica«, in der das Einssein des Menschen mit Gott verwirklicht wird. Das Wesen des Zen liegt einzig allein nur darin, daß der Mensch zu seinem ursprünglichen, wahren Selbst erwacht. Durch dieses Erwachen verwirklicht sich sein ursprüngliches Selbst. Das hier infrage stehende wahre Selbst ist das Formlose – sowohl in körperlicher als auch in geistiger Hinsicht. Weil dieses Selbst formlos ist, ist es einmal an keine Formen gebunden, zum anderen kann es alle Formen annehmen. Über die Zen-Erfahrung sagte einmal der japanische Zen-Meister Dôgen: »Die Abgeschiedenheit von Leib und Geist, darin besteht der Durchbruch ins Zen.« Ein chinesischer Zen-Meister, Obaku, sagte das gleiche mit den Worten: »Leib und Geist, keines von beiden gibt es gegenwärtig.« Ein großer chinesischer Meister namens Rinzai sagte: »Das wahre Herz ist ohne Form und ohne Weise. Deswegen durchdringt es den ganzen Kosmos.« Alle diese Worte weisen auf das form- und weiselose Selbst hin, wohin der Mensch erst nach der Loslösung leiblicher und geistiger Formen gelangen kann. Das wahre Herz, wie es Rinzai gesagt 226 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
Kunst und Kunstwerke im Zen-Buddhismus
hat, ist nicht das im Unterschied zum Leib stehende Herz, sondern nichts anderes, als das obengenannte form- und weiselose Selbst. Der Weg des Zen führt vom großen Zweifel, in den unser gewöhnliches formhaftes Selbst hineingeworfen wird, zum großen Erwachen auf das formlose Selbst. Das sogenannte »Satori«, die entscheidende Zen-Erfahrung, ist überhaupt kein Wissen um irgendeinen Gegenstand, sondern ein Erwachen zum Form- und Weiselosen in unserem Selbst. Zen fängt mit Zweifeln an. Das besagt, Zen zieht alles, sogar Buddha, in Zweifel. In diesem äußersten, fast wie eine eiserne Kugel erstarrten Zweifel und im großen Erwachen als dessen Zersprengung hat Zen eine Wesensverwandtschaft mit der Philosophie im Unterschied zu den gewöhnlichen Religionen. Darin hinwiederum, daß sich dieser Zweifel und seine Auflösung, d. h. das Erwachen, keineswegs in der Dimension des an Vorstellung gebundenen Verstandes bewegt, sondern immer den ganzen Menschen in seiner nicht vorzustellenden Ursprünglichkeit in Anspruch nimmt, besteht sein religiöser Charakter im Unterschied zur herkömmlichen Philosophie. »Buddha« im Wort »Buddhismus« bedeutet der »Erwachte«, der im Zen aber nichts anderes ist als das genannte form- und weiselose Selbst. In der Zen-Lehre ist nicht nur Shakya, der etwa vor 2500 Jahren in Indien lebte, ein Buddha, sondern alle »erwachten« Menschen sind Buddha. Denn das Buddha-Sein des Shakya besteht ausschließlich in seinem Erwachen. Der wahre Buddha steht nicht in einer bestimmten Zeit und in einem bestimmten Raum, sondern immer darüber. Deswegen vermag er jeweils, sich in Zeit und Raum zu verwirklichen, ohne daran gebunden zu sein. Im Zen wird dieses »ursprüngliche Selbst« oft auch als »Nichts« bezeichnet. Allein dieses »Nichts« im Zen bedeutet keinesfalls die bloße Verneinung oder das »Nicht-Sein«, sondern deutet nur darauf hin, daß es in unserem ursprünglichen Selbst keine Form und Weise gibt. Unser gewöhnliches Selbst bleibt fast immer in endlosen Gegensätzen und Widerstreitigkeiten zwischen Bejahung und Verneinung, zwischen Sein und Nichtsein befangen. Erst wenn wir uns von diesen Widerstreitigkeiten losgelöst haben, kommt das form- und weiselose Selbst in uns zum Erwachen. Kurz, das »Nichts« im Zen ist weiter nichts als das Form- und Weiselose, das im Ursprung wir selbst sind. Obgleich wir uns gewöhnlich von diesem Selbst abgewendet haben, steht dieses Selbst, das wir 227 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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selbst sind, immer im Wachen. In solchem Wachen findet aber kein Unterschied zwischen »Noesis« und »Noema« statt. Deshalb ist es überhaupt nicht das Bewußtsein, dessen Grundverfassung durch die Intentionalität von Noesis auf Noema konstituiert ist. Es ist ein Wachen, das sich auf dem Grund des Bewußtseins befindet, und in dem das Bewußtsein und dessen Bewußtes ein Einziges ausmacht. Und dieses einzige Eine ist form- und weiselos. Erst wo das Form- und Weiselose in unserem Selbst sich aus dem jeweiligen Formhaften als Anlaß verwirklicht, wird das Zen-Kunstwerk geschaffen. Es ist deshalb ohne weiteres einleuchtend, daß es nirgends eine Zen-Kunst gegeben hat, wo das Selbsterwachen des form- und weiselosen Selbst nicht vollzogen wurde. Im Zeitalter, wo Zen in China in ein Stadium der Überreife kam, d. h. im Zeitraum vom Ende der Tang-Dynastie (618 bis 907) bis zur Sung-Dynastie (960 bis 1279), wurde der künstlerische Ausdruck des Zen sehr mannigfaltig, reich und verfeinert. In diese Zeit wurden viele ausgezeichnete Kunstwerke von bemerkenswertem Stil geschaffen. Da Zen als eine Richtung des Buddhismus gilt, könnte man glauben, daß die Zen-Kunst – z. B. die Zen-Malerei – ein Teil der buddhistischen Kunst sei, die Zen-Malerei ist jedoch in Entwurf und Stimmung von der herkömmlichen buddhistischen Malerei sehr verschieden. In der buddhistischen Malerei werden im allgemeinen die Buddha und ihre Lebensgeschichten zum Thema gewählt. In der Zen-Malerei hingegen werden als Themen die in der Welt wirkenden Menschen – z. B. der Mensch Shakya oder seine Jünger oder Zen-Meister – eher als die jenseitig erhabenen, übermenschlich heiligen Buddha bevorzugt dargestellt. Auch in der Landschaftsmalerei kommen hier nicht die übersinnliche mythologische Welt, wie das jenseitige Paradies oder das reine Buddha-Land der Seligkeit, sondern vielmehr unsere wirkliche Welt und ihre Dinge, wie Berge und Flüsse, Blumen und Vögel, Affen, Ochsen, Früchte usw., zur Darstellung. Der Grund hierfür liegt darin, daß im Zen der erwachte Mensch schon Buddha ist, und daß Zen dem übermenschlichen, jenseitigen Buddha keinen Platz einräumt. Deshalb ist es ohne weiteres verständlich, daß in der Zen-Malerei anstelle der transzendenten, heiligen Buddha-Wesen und jener jenseitigen mythologischen Welt die wirklichen, nicht-heiligen, aber vom Erwachen durchdrungenen Menschen dargestellt werden. Das von dem chinesischen Maler Liang-K’ai 3 gemalte Bild »Der vom Berg herabsteigende Shakya3
Ryôkai, chinesischer Maler (13. Jh.). Zum philosophisch-religiösen Sinn dieses Bildes
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Kunst und Kunstwerke im Zen-Buddhismus
Abb. 1 »Der vom Berg herabsteigende Shakyamuni« von Liang-K’ai
muni« (Abb. 1) ist ein ausgezeichnetes Beispiel von dieser Art. Das Gleiche gilt auch von den Bildern über die Lebensgeschichte Buddhas. Dies besagt: während die Lebensgeschichten Shakyamuni-Buddhas, wie sie in den buddhistischen heiligen Schriften beschrieben sind, immer den Charakter transzendenter mythologischer Fixiertheit tragen, spielt vgl. auch Kôichi Tsujimura, Eine Entsprechung. Versuch einer Strukturanalyse des Bildes »Der den Berg hinabgehende Sakyamuni« von Liang K'ai, sowie Ryôsuke Ohashi, Der Ort des Augenblicks, in: Kôichi Tsujimura, Ryôsuke Ohashi und Heinrich Rombach, Sein und Nichts. Grundbilder westlichen und östlichen Denkens, Freiburg i. Br. 1981.
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Abb. 2 »Kaki-Früchte« von Mu-chi
sich das Lebensgeschehen der Zen-Meister, d. h. ihre entscheidende Erfahrung, jeweils ganz unbestimmt ab, durch den Anlaß von allerlei tatsächlichen Begebenheiten und Dingen der wirklichen Welt bestimmt. Das Erwachen also geschieht jeweils in einer ganz unerwarteten Weise. Denn alles und jedes vermag Anlaß des Erwachens zu werden: Sprechen oder Schweigen, irgendeine körperliche Bewegung oder die Berührung mit den Dingen. Die Art und Zahl solcher Anlässe zum Erwachen ist unermeßlich und unberechenbar. Das berühmte Bild der »Kaki-Früchte« des Zen-Malers Mu-chi 4 (Abb. 2) ist nur ein kleines, schlichtes Werk, eine Art Stilleben, das sechs Kaki-Früchte dargestellt zeigt. Aber dies ist – im Lichte des Zen – ein viel hervorragenderes Bild von etwas Buddhamäßigem als die sogenannten erhabenen Buddha-Bilder. Die
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Mokkei, chinesischer Maler (13. Jh.).
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Kunst und Kunstwerke im Zen-Buddhismus
Abb. 3 »Heiterer Sturmwind auf dem Bergmarkt« von Yü-chien (Das Bild ist eines der acht Bilder, die bekannt sind unter dem Titel »Acht Ansichten am Hsiao-Hsing«)
vom Zen-Mönch Yü-chien 5 gemalten Landschaftsbilder »Ansichten am Hsiao-Hsing« (Abb. 3) sind unvergleichlich buddhistischer als die feierlichen, herrlichen Bilder des Reinen Buddha-Landes. Der Grund für diese Überlegenheit der Zen-Bilder liegt darin, daß sie – in schroffem Gegensatz zu den üblichen buddhistischen Bildern – es nicht mehr als erstrebenswert erachten, den formhaften Buddha und die von ihm geformte Welt, sondern den wahren, vor allen Formen liegenden und jeder Form ledigen Buddha, d. h. das form- und weiselose Selbst, zum Ausdruck zu bringen. Im Bestreben, dieses ursprüngliche form- und weiselose Selbst zu verwirklichen, liegt überhaupt erst der besondere Charakter der Zen-Kunstwerke. Daß solche Landschaften oder Stilleben uns in einzigartiger Weise beeindrucken und unser besonderes Interesse erregen, wie es sonst nirgends geschieht, kommt nicht aus zufälliger Neugier oder aus unserem bloßen Interesse für die Fremdartigkeit, sondern daher, daß jenes form- und weiselose Selbst, das sonst im Herzensgrund des Menschen tief verborgen bleibt, sich in solchen Bildern darstellt. Daß sich das form- und weiselose Selbst im Kunstwerk auszudrücken vermag, ist nur dort möglich, wo dieses Selbst zum Erwachen gekommen ist, oder dort, wo mindestens das rege Interesse dafür unter den Menschen wachgeworden ist. Die Zeit von der T’ang-Dynastie bis zur Sung-Dynastie war sehr geeignet für solches künstlerisches Sich-ins-Werk-setzen des Zen. Die darin waltende Lebensstimmung aber ging in der Zeit der Ming- (1368– 5
Gyokkan, chinesischer Maler (13. Jh.).
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1644) und Ch’ing-Dynastie (1644–1911) verloren, konnte jedoch inzwischen nach Japan überliefert werden. Mit all diesen Kunstwerken hat es die Bewandtnis, daß hier nicht ein formhaftes Selbst ein formhaftes Ding vor- und darstellt, auch kein formhaftes Selbst ein formloses zu malen anstrebt, auch nicht ein formloses Selbst ein formhaftes Ding, sondern daß sich hier das form- und weiselose Selbst – dem jeweiligen Anlaß entsprechend – am Kunstwerk verwirklicht zum Ausdruck gekommen ist. Hier kommt es nicht darauf an, wie eindrucksvoll oder wie realistisch ein Gegenstand gezeichnet werden kann, sondern darauf, wie frei und ursprünglich sich das formlose Selbst aus dem Anlaß der jeweiligen Dinge im Werk ins Werk setzt. Was für ein Gegenstand auch immer in diesen Kunstwerken dargestellt werden mag, es muß darin das formlose Selbst in echter Weise ausgesprochen sein. Schließlich ist hier das Malende im Maler selbst zum Gemalten, d. h. zum Gemälde geworden. Damit hat es die Bewandtnis, daß das Gemälde niemals als Objekt dem Menschen gegenübersteht, sondern daß sich das malende Selbst durch das Gemalte bis ins Gemälde ausprägt. In diesem Sinne gehört die Zen-Malerei weder zum Realismus noch zum Impressionismus, sondern vielmehr zu einem Expressionismus von eigentümlichem Gepräge. Aber im Gegensatz zum gewöhnlichen Expressionismus besteht die Expression der Zen-Malerei nicht darin, irgendetwas Formhaftes auszudrücken, sondern im Sicham-Werk-ins-Werk-setzen des formlosen Selbst. Aus dem hier Gesagten sind die mannigfaltigen und einzigartigen Wesenszüge der ZenKunst wohl verständlich geworden. Im Zen hat sich die radikale Befreiung von den als Dogmen festgehaltenen buddhistischen Lehren vollzogen. Das ist auch eine Befreiung von dem als Transzendenz geheiligten Buddha, sowie von dem mythologischen Reinen Budda-Land. Dadurch ist die jeweilig lebendige, freie Sprache des form- und weiselosen Selbst zu einer lebendigen, in jeder jeweiligen Lage stattfindenden Lehre geworden. Der erwachte Mensch wird zum gegenwärtig lebenden Buddha, und die hiesige Welt, in der sich dieses Selbst ins Werk setzt, zum wirklichen Buddha-Land. Dadurch ist der bisherige Rahmen der buddhistischen Malerei durchbrochen und ein neuer, freier Bereich eröffnet worden. Dieser Wandel ist ganz offensichtlich aus den charakteristischen Themen zu ersehen, die von den obengenannten Zen-Malern wie Liang-K’ai, Muchi und Yü-chien gewählt worden sind. Auch wenn gelegentlich die gewöhnlichen Gegenstände der traditionellen buddhistischen Malerei, 232 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
Kunst und Kunstwerke im Zen-Buddhismus
wie Shakya, seine Jünger, Kuan-Yin (jap. Kannon) usw., noch dargestellt worden sind, so wurden sie nicht mehr als jenseitig und heilig, sondern als diesseitig und menschlich behandelt. Nicht nur für die Themen, sondern auch für die Art und Weise der Pinsel-Zeichnung gilt derselbe Wandel. Das besagt: es wurde eine für das »Sich-ins-Werk-setzen« des Zen geeignete Art und Weise der Pinsel-Zeichnung geschaffen. Im Gegensatz zu den anderen Richtungen des Buddhismus, die man als »Sekten der Lehre« bezeichnet hat, und in denen die buddhistische Wahrheit in einer sehr eingehenden, fast scholastischen Weise bis ins Kleinste ergründet worden ist, besteht der Wesenszug des Zen darin, die Wahrheit selbst mit einem Schlag zu ergreifen, und die ergriffene Wahrheit in einem Atemzug ganz unmittelbar und kühn sich ins Werk setzen zu lassen. Zen bewegt sich nicht diskursiv, sondern sprunghaft, d. h. nicht von einem Mannigfaltigen zu einem anderen Mannigfaltigen oder von einem Unterschiedenen zu einem anderen Unterschiedenen, sondern vom Mannigfaltigen zum Einen, vom Unterschiedenen zum Nicht-Unterschiedenen. Kurz, der Weg des Zen führt immer vom Komplizierten zum Einfachen, vom Formhaften zum Formlosen. Deswegen muß auch das Sich-ins-Werk-Setzen der Zen-Malerei dergestalt vollzogen werden, daß das Eine und Formlose mit einem Schlag, in einem Zug, d. h. ganz schnell, ungehindert, frei und jäh wie ein Blitz, ins Werk gesetzt wird. Deshalb ist das gezeichnete Mannigfaltige und Formhafte nicht um seiner selbst willen vorhanden, sondern es ist da, um das Eine und Formlose stimmungsmäßig erscheinen zu lassen. Hiervon wird auch die Art und Weise der Pinselkunst bestimmt. In der üblichen Art und Weise der traditionellen Malerei wurden zuerst Teile des Bildes mit dem Pinsel sehr genau und sorgfältig nacheinander gezeichnet, und in solcher diskursiven Anhäufung der Teile wurde am Ende das ganze Bild. In der Zen-Malerei wird dagegen zuerst ein in sich einheitliches Ganzes in einem Atemzug gezeichnet, aus und in welchem Ganzen nachher die mannigfaltigen Teile hervorquellen. Hier ist nicht das Formhafte und Mannigfaltige zuerst als Subjekt gesetzt, das auf das Eine und Formlose zugeht, sondern hier waltet das Eine und Formlose als ursprüngliches Sich-ins-Werk-Setzen des Subjekts, das sich in dem Mannigfaltigen und Formhaften darstellt. Diese Art und Weise des Pinsel-Zeichnens oder -Malens entspricht genau der Blitzartigkeit des Erwachens im Zen. Das plötzliche Erwachen besteht nicht darin, daß wir nur auf das Eine und Formlose zugehen, sondern geschieht im Gegenteil so, daß sich das Eine und Formlose als 233 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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ursprüngliches Subjekt durch uns ins Werk setzt. Ein Spruch aus der Kunst der Tuschmalerei lautet: »In der Tuschmalerei sind fünf (alle!) Farben in der einen schwarzen Farbe der Tusche enthalten.« Darin, daß in der einen Farbe die anderen verborgen liegen, besteht das Wesensverwandte dieser Kunst mit dem Zen. Unter den verschiedenen Spielarten der Tuschmalerei sind das sogenannte »Haboku«, d. h. »die Pinselstriche brechen lassen« und das »hatsuboku«, d. h. »die Tuschlösung gespritzt streuen«, dem Wesen des Zen besonders entsprechend. In solcher Weise wird das Ganze in einem Atemzug ganz schnell hingemalt, und die unendliche Fülle von mannigfaltigen Teilen ist in diesem gebrochenen und gespritzten Ganzen verborgen enthalten. Dieselbe Bewandtnis hat es auch mit der zu zeichnenden oder zu malenden Linie. Der einen gewaltsamen und dicken Linie, in der unzählige Linien verborgen sind, wird nämlich der Vorzug vor der schmalen und feinen gegeben. Auch mit der Gestalt steht es so, d. h. die gebrochene und deformierte Gestalt ist weit geeigneter für die Zen-Malerei als die vollständige und regelmäßige. »Haboku«, d. h. die Art, den Pinselstrich brechen zu lassen, und »Hatsuboku«, d. h. die Tuschlösung gespritzt zu streuen, sollen im 8. Jh. mit dem chinesischen Dichter Wang Wei, 6 und im 9. Jh. mit dem Maler Wang Mo 7ihre Anfänge genommen haben. Diese beiden Arten sind, wegen ihrer genauen Entsprechung zum Wesenszug des Zen, im folgenden Zeitalter zu den typischen Arten der vom Zen beeinflußten Tuschmalerei geworden. Durch diese radikale Wandlung – sowohl im Thema wie auch in der Komposition – ist die Zen-Malerei, in schroffem Gegensatz zur traditionellen orthodoxen Malerei, zu eigentlicher Blüte gekommen.
Ôi, chinesischer Dichter (8. Jh.). Vgl. Wang Wei, Jenseits der weißen Wolken. Die Gedichte des Weisen vom Südgebirge, Diederichs Gelbe Reihe Bd. 38. 7 Ôboku, chinesischer Maler (9. Jh.). 6
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Selbst-Bild 1 (Übersetzt von Kôichi Tsujimura und Hartmut Buchner)
»Auf dem Sattel ist kein Mensch, unter dem Sattel kein Pferd.« Dieses Wort nennt das in Japan von alters her überlieferte Geheimnis des Reitens. Gegenständlich betrachtet, ist es eine offenkundige und unbestreitbare Tatsache, daß auf dem Sattel ein Mensch und unter dem Sattel ein Pferd ist. Dagegen scheint jenes Geheimnis eine bloße Erdichtung zu sein, die der Tatsache widerspricht – so meint man. Doch diese Ansicht bleibt nur ein Irrtum, der aus einer Verwechslung des Reitens mit dem Betrachten des Reitens kommt. Das Betrachten des Reitens jedoch ist niemals das Reiten selbst. Daß auf dem Sattel kein Mensch und unter dem Sattel kein Pferd ist, bezieht sich nicht auf das Betrachten des Reitens, sondern betrifft das Geheimnis des Reitens selbst. Was das Reiten selbst angeht, so ist es um so schlechter, je mehr Mensch auf dem Sattel und Pferd unter dem Sattel ist. Das Reiten ist desto geschickter je ungeschiedener beide Eines werden. Erst wo Mensch und Pferd Eines geworden, d. h. zur Nicht-Zweiheit gekommen sind, so daß kein Pferd neben dem Menschen und kein Mensch neben dem Pferd ist, wie jenes Geheimnis sagt, erlangt das Reiten das Äußerste seines Wesens sowie das Höchste seiner Geschicklichkeit. Dort erst vollendet sich die Übung im Reiten, dort erst wird sein freies Bei-sichselbst-Sein gewonnen. So verhält es sich nicht nur mit dem Reiten. Das Gleiche gilt auch von allen anderen Künsten. Die Kunst des Bogenschießens zum Beispiel erreicht erst dann das Äußerste ihres Wesens, wenn sich Schütze, Bogen, Pfeil und Scheibe zu einem vereinigt haben. Auch in der Kunst des Schreibens wird das Höchste der Geschicklichkeit erst dort erlangt, wo Schreiber, Pinsel und Papier sich zusammen ins ungeschiedene Eine geschickt haben. Da hört das Papier auf, ein Koshô (己象), erschienen in: Ausstellungskatalog der Künstlergruppe »Bokujinkai«: Works of Bokujin, Kyôto 1962, S. 1–3, jetzt in: Werke Hisamatsus, Bd. 5, S. 246 f.
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bloß passives, totes Material zu sein; es ist, eins geworden mit dem Pinsel, schon ein lebendiger Raum, der sich zur Schrift bildet, zugleich ist der Schreiber nicht mehr ein bloß routinierter Techniker, der Hand und Finger tüchtig zu bewegen versteht, sondern jener Mensch, der mit seinem ganzen Leib und Geist, eins geworden mit dem Pinsel, das Papier zum Leben erweckt und solcherweise auf ihm sich selbst zum Ausdruck bringt. Die so geschriebene Schrift ist nichts anderes als das Selbst-Bild des Schreibenden selbst und zugleich das Bild des ursprünglichen Lebens. Wenn das Geschriebene jedoch ein bloßes Schriftbild zum Zweck des Lesens bleibt beziehungsweise ein Geschreibe, das lediglich nach traditionellen, festgesetzten Vorbildern und Regeln hergestellt wird, wie es sehr häufig bei den bisherigen Fach-Kalligraphen der Fall war, dann vermag es niemals ein Selbst-Bild des Schreibenden selbst zu sein, vielmehr bleibt es letzten Endes Nachahmung einer außerhalb des Schreibenden schon vorhandenen Gestalt; hier gibt es dann keinen wesentlichen Unterschied zur Darstellung der Außendinge in der sogenannten realistischen Malerei. Die ostasiatische Schreibkunst wird oft als eine Art abstrakter Kunst bezeichnet, weil sie, im Unterschied zur Darstellung der Außendinge, un-bildlich bleibt. Als abstrakte Kunst könnte sie keinesfalls aufgefaßt werden, wenn sie in ihrem Wesen doch nur eine realistische Abbildung im oben erwähnten Sinne einer Darstellung des Vorhandenen wäre. Ist die Schrift dagegen ein freier Schwung, ein Aufspritzen sozusagen des Lebens des Schreibers selbst, das sich von jedem schon vorhandenen Bild, ja überhaupt von allem Bildhaften losläßt und ledig ist, kurz: ist sie ein Selbst-Bild, in welchem es keine Spur einer abbildenden Darstellung mehr gibt, dann ist sie das Abstrakte alles Abstrakten. Die Kunst des Schreibens ist dann rein abstrakte Kunst. Erst und nur als solche Abstraktion vermag sie reiner Ausdruck – Ausdruck also nicht mehr im Sinne des Expressionismus etwa – zu sein, nicht mehr Abbild, Eindruck oder Symbol.
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4. Keiji Nishitani
Einleitung Bei Nishitani ist es nicht einfach zu sagen, welche von seinen zahlreichen Arbeiten sich als Hauptwerk bezeichnen läßt. 1 Das bereits ins Deutsche übersetzte Buch »Was ist Religion?« 2 ist zwar seine Hauptleistung, dennoch ist es kein Hauptwerk in dem Sinne, daß die anderen Aufsätze und Bücher aus ihm wie Zweige aus einem Stamm wachsen. Daß sich kein »Hauptwerk« ausmachen läßt, liegt wohl wesentlich daran, daß das Denken Nishitanis nicht von einem Systemgedanken bestimmt ist. Sein Buch »Was ist Religion?« z. B. besteht aus sechs »Essays«. Sie entstanden, weil Nishitani den zuerst geschriebenen Aufsatz unzureichend fand und daher einen zweiten schrieb, den er aber wieder durch einen dritten, dann einen vierten Aufsatz usw. ergänzte. »In einem solchen Fall ist es nicht verwunderlich, daß diese Seiten nicht die systematische Einheitlichkeit eines Werkes aufweisen, das von Anfang bis Ende nach einem vorgefaßten Plan niedergeschrieben ist.« 3 Allerdings ist es unbestreitbar, daß der »Hauptgedanke« Nishitanis der Gedanke der »Leere« ist. Dieser Gedanke wird von ihm jedoch im Vergleich zu Nishida und Tanabe nicht so sehr systematisch geklärt, sondern eher sachlich-phänomenologisch erläutert. Nishitanis eigentümliche Sicht- und Beschreibungsweise ist in allen seinen Schriften, auch den kleineren, deutlich gegenwärtig. In einem gewissen Sinn sind
Vgl. Gesammelte Werke Keiji Nishitanis (西谷啓治著作集, Nishitani Keiji chosakushû), 26 Bde., Tôkyô 1987 ff. Im Anschluß an die ersten 13 Bände, bezeichnet als die der »ersten Periode« (1987/1988), folgen weitere 13 Bände der »zweiten Periode« (1990/ 1991). 2 Frankfurt a. M. 1982. Japanische Fassung: Shûkyô towa nanika (宗教とは何か), Tôkyô 1961, jetzt als Bd. 10 der Werke Nishitanis. 3 Werke Nishitanis, Bd. 10, S. 7. 1
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alle seine Schriften Hauptwerke, insofern sie alle von demselben Hauptgedanken durchzogen sind. Daher scheint es auch gerechtfertigt, in diesem Band nur kleinere Schriften Nishitanis aufzunehmen, in denen der Gedanke der Leere genauso wie in den großen Schriften zum Ausdruck kommt. Zum besseren Verständnis der Bedeutung und des Inhalts der aufgenommenen Texte möchte ich die eben erwähnte Eigentümlichkeit von Nishitanis Denken, die auch seine denkerische Eigenständigkeit gegenüber Nishida und Tanabe klar vor Augen führt, etwas genauer darlegen. Wie bereits erwähnt, entfaltet sich Nishitanis Denken nicht systematisch. Seine un-systematische Denkweise ergibt sich und entspringt im letzten seinem Hauptgedanken, dem Gedanken der »Leere«. In seiner Abschlußarbeit an der Universität Kyôto beschäftigte sich Nishitani mit dem »Problem des Bösen«. Der Ausgangspunkt seines Denkweges ist somit in anderen Worten der »Nihilismus«. Die Einsicht in das Böse und in den Nihilismus in einem radikalen Sinne verlangt den Verzicht auf einen Systemgedanken. Denn die Existenz des radikal Bösen und der extreme Nihilismus bedeuten, daß es überhaupt keinen Grund mehr gibt, während ein System doch immer einen Grund als sein Prinzip, auf dem es beruht, haben muß. Die europäischen Denker, denen Nishitanis besondere Sympathie gilt und von denen er viele Anstöße erhalten hat, wie z. B. Eckhart und andere Mystiker, Nietzsche, Heidegger, Dostojewski, haben alle, wenn auch in je verschiedener Weise, das abgründige Nichts des Grundes gesehen. Andere häufig von Nishitani behandelte Denker, wie z. B. Plotin, Augustinus, Pascal, Schelling u. a., haben alle die Gemeinsamkeit, daß sich ihre Gedanken un-systematisch entfalten. Wenn hier eine Vorliebe Nishitanis für un-systematische Denker festgestellt wird, darf darüber allerdings nicht seine Auseinandersetzung mit systematischen Denkern wie Aristoteles 4 und Hegel übersehen werden. Sein Aufsatz über die Hegelsche Vernunft und die mahâyâna-buddhistische Weisheit, Prajñâ, 5 gilt sogar als eines seiner wichtigsten Werke. Jedoch auch durch diese Arbeiten zieht sich deutlich spürbar der Hauptgedanke Nishitanis. So versucht Nishitani z. B. in Keiji Nishitani, Arisutoteresu ronkô (アリストテレス論攷Abhandlungen zu Aristoteles), Kyôto 1948, jetzt als Bd. 5 der Werke Nishitanis. 5 Keiji Nishitani, Hannya to risei (般若と理性, Prajñâ und Vernunft), in: Bukkyô no hikakushisôron-teki kenkyû, hrsg. von Kôshirô Tamaki, Tôkyô 1979, S. 237–300, jetzt im Bd. 13 der Gesammelten Werke, S. 31–95. 4
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Keiji Nishitani
dem erwähnten Hegel-Aufsatz die Problematik des Hegelschen Wissens überhaupt aufzuzeigen, indem er die »Leere« als den »Ort des Wissens« interpretiert. Indem er so das Hegelsche Wissen, das das Fundament des Hegelschen Systems ausmacht, auf die Leere als seinen Ursprungsort zurückbezieht, stellt er mit dem Gedanken der Leere das ganze System Hegels in Frage. Diese Leere ist für Nishitani identisch mit dem Selbst des Menschen. Diesen Gedanken hat Nishitani ausführlich in seiner ersten Schrift »Philosophie der ursprünglichen Subjektivität« 6 erläutert. Unter dem Leitwort »ursprüngliche Subjektivität« versucht Nishitani eine Subjektivität aufzuzeigen, deren Ursprung selbst nicht subjektiv ist. Anders: Die Leere als ein Ort des Wissens ist selbst kein Gegenstand des Wissens. Dieser Ursprung ist daher nicht »logisch« darstellbar. Es fällt auf, daß Nishitani die »Logik«, um die sich Nishida und Tanabe so sehr bemühten, nicht ausdrücklich thematisiert. Diese scheinbare Unbekümmertheit Nishitanis um die Logik bedeutet allerdings nicht, daß er überhaupt kein Interesse an ihr hätte. In seiner Abhandlung »Leere und ›soku‹«, 7 die zusammen mit dem Hegel-Aufsatz als einer der Höhepunkte von Nishitanis Denken gilt, behandelt er die »Logik«. Allerdings geht es ihm nicht um die Logik im Sinne der abendländischen Philosophie, sondern um den Logos, wie er in der Formulierung der Kegon-Schule des Buddhismus 8 »gegenseitiges, völlig ungehindertes Ineinander von Logos und Faktum« zum Ausdruck kommt. Dem wahren Faktum begegnet man – nach der Kegon-Schule – erst dort, wo der Logos aus einer Verschlossenheit aufbricht, ohne dabei seinen Inhalt zu verlieren. Logos und Faktum durchdringen sich dann ganz und gehen völlig ineinander. Mit dem Gedanken eines solchen Logos wird versucht, die Logik auf ihr vorlogisches Wesen zurückzuführen. Die scheinbare Unbekümmertheit Nishitanis um die Logik hat ihren wesentlichen Grund wohl darin, daß dieser vorlogische Ort Ursprung und Quelle seines Denkens ist. In der Kegon-Schule wird »das gegenseitige, völlig ungehinderte Ineinander von Logos und Faktum« noch einen Schritt weiter zurückKeiji Nishitani, Kongen-teki shutaisei no tetsugaku (根源的主体性の哲学), Tôkyô 1940, jetzt als Bd. 1 der Werke Nishitanis. 7 Keiji Nishitani, Kû to soku (空と即), in: Bukkyô shisô, Bd. 5, Tôkyô 1982, S. 21–70, jetzt im Bd. 13 der Werke Nishitanis, S. 111–160. 8 Schule der Buddha-Girlande. Sie basiert auf dem Kegon-Sûtra und kam im 8. Jh. von China nach Japan. 6
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genommen in »das gegenseitige, völlig ungehinderte Ineinander von Faktum und Faktum«. Hier gibt sich der Logos als Logos. Soll diese Erfahrung dennoch zu Wort gebracht werden, so darf solches Wort weder bloß logisch noch bloß unlogisch sein. In Anlehnung an eine Redeweise eines alten Zen-Meisters drückt Nishitani diesen Gedanken z. B. folgendermaßen aus: Einer trinkt Wein, und ein anderer wird betrunken. Von dieser Erfahrung her ist die Bedeutung des ersten hier aufgenommenen Textes »Vom Wesen der Begegnung« zu verstehen. Der Ausgangspunkt des Textes ist ein überliefertes Zen-Gespräch: Ein ZenMeister, der nach seinem Namen gefragt wird, gibt als Antwort den Namen eines anderen, ihn fragenden Zen-Meisters an. Nachdem der andere diesen Namen als den seinen erklärt hat, gibt er seinen richtigen Namen an. Der Kerngedanke dieses Textes, in dem Nishitani ausgehend von diesem scheinbar unsinnigen Gespräch das Dharma und Menschsein im mahâyâna-buddhistischen Sinn erläutert, ist genau diese Logik des gegenseitigen, völlig ungehinderten Ineinanders von Faktum und Faktum. In diesem Text kommt somit ein Tiefstes des Denkens von Nishitani zur Sprache. Der zweite hier aufgenommene, essayartige Text »Die Verrücktheit beim Dichter Bashô« beschäftigt sich mit der Dichtung Bashôs. In seinem Aufsatz »Leere und ›soku‹«, dessen erster Abschnitt »Leere und Gedicht« lautet, spricht Nishitani von einem »möglichen Eindringen der Religion in die Kunst und der Kunst in die Religion«. Diese gegenseitige Durchdringung von Religion und Kunst zeigt sich konkret darin, daß die »religiöse« Erfahrung der Leere auch in japanischen Gedichten zum Ausdruck kommt, was besonders beim Dichter Bashô zu spüren sei. Nishitani schrieb über Bashô mehrere Essays, die alle in seinem Buch »Gemüt des Windes« 9 enthalten sind. Der hier übersetzte Essay findet sich ebenfalls in diesem Buch. Alle Aufsätze dieses Buches sind durchzogen von der Grundeinsicht Nishitanis in das Verhältnis von Religion und Kunst: Die Kunst ist zwar nicht Religion, sie ist aber mit der Religion insofern verwandt, als auch die künstlerische Technik auf ihrem Höhepunkt zur Natur zurückkehrt und damit die Natur als solche in der Kunst zum Vorschein kommt. Wie Faktum und Logos, durchdringen sich bei Nishitani auch Philosophie, Keiji Nishitani, Kaze no kokoro (風のこころ), Tôkyô 1980, jetzt als Bd. 20 der Werke Nishitanis.
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Keiji Nishitani
Kunst und Religion ganz und gar. Nishitanis Essays über die Kunst sind daher nicht ein Nebenprodukt seines philosophischen Denkens wie bei Nishida, ebensowenig eine Abhandlung innerhalb eines philosophischen Systems wie bei Tanabe, sondern selbst in sich ein religiös-philosophisches Werk. Die beiden hier aufgenommenen Texte zeigen uns, trotz ihres relativ geringen Umfangs, die Quintessenz von Nishitanis Denken.
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Keiji Nishitani
Vom Wesen der Begegnung 1 (Übersetzt vom Verfasser in Zusammenarbeit mit Hartmut Buchner)
Zuerst lese ich den zen-buddhistischen Text, durch dessen Auslegung das Wesen der Begegnung zu erörtern versucht wird. Ich lese dabei die chinesischen Meisternamen in der knapperen, einprägsameren und daher für den unmittelbaren Vortrag verständlicheren japanischen Aussprache: »Einmal frug Meister Gyôsan Ejaku 2 den Meister Sanshô Enen: 3 ›Wie heißt du?‹ Sanshô antwortete: ›Ejaku‹ – also mit dem Namen des Fragers! Dieser, Gyôsan Ejaku, sagte darauf: ›Ejaku – das bin ich!‹ Darauf Sanshô: ›Mein Name lautet Enen.‹ Da brach Gyôsan Ejaku in ein großes Lachen aus.« In späterer Zeit fügte der japanische Zen-Meister Daitô dieser ZenErzählung die Frage hinzu: »Wohinweg bist Du?« Außerdem dichtete Meister Daitô für diese Geschichte von der Begegnung zwischen Gyôsan Ejaku und Sanshô Enen noch ein sogenanntes ›Lobgedicht‹ : es lautet in ungefähr wörtlicher Wiedergabe: »Im Lichte der warmen Sonne taut der Schnee; es ist Frühling, Pflaumenblüten und Weidenkätzchen wetteifern in ihrer duftenden Frische miteinander. Anlaß zum Gedicht: das Heitere des Windes, ein unendlicher Sinn; Ihn zu verstehen sei nur dem erlaubt, der sich im Freien mit dem Singen abgemüht hat.« Anmerkungen von Ryôsuke Ohashi. – Die deutsche Fassung dieses Vortrages wurde erstellt vom Verfasser in Zusammenarbeit mit Hartmut Buchner, und aufgenommen vom Südwestfunk, Bonner Büro, am 24. August 1964. Die japanische Fassung ist enthalten in: Standort des Zen (zen no tachiba), Werke Nishitanis, Tôkyô 1987, Bd. 11, S. 342–352. Die englische Fassung wurde gedruckt unter dem Titel: On the I-Thou Relationship in Zen-Buddhism, in: The Eastern Buddhist 2:2 (1969), S. 71–87. 2 仰山, chin.: Yang-shan Hui-chi. Die in der westlichen Literatur übliche Umschrift ist Kyôzan. Chinesicher Zen-Meister (807–883 oder 813/814–890/891). 3 三聖, chin.: San-sheng Hui-jan. Chinesischer Zen-Meister (etwa 9. Jh.). 1
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Vom Wesen der Begegnung
Diese Erzählung von der Begegnung zwischen Gyôsan und Sanshô findet sich in einem alten Grundbuch des Zen, dem »Bi-yän-lu« 4 und ist von alters her ein sehr berühmtes Koân, d. i. eine Zen-Frage (oder ZenAporie). Die Erzählung zeigt, könnte man sagen, wie es mit dem Begegnen zwischen Menschen geht. Wir begegnen an jedem Tag zu jeder Stunde dem anderen Menschen. In der Familie begegnen wir unserer Frau und unseren Kindern, im Büro unseren Kollegen, auf der Straße und in der Straßenbahn den Fremden – und in der Geschichte den Persönlichkeiten von vor hundert und tausend Jahren. Doch wir erstaunen nicht darüber. Allein, was liegt überhaupt im Grunde des Begegnens der Menschen? Wo liegt der Grund seiner Möglichkeit? In der Geschichte jener Begegnung, deren Erzählung wir eben hörten, geht es darum, den Grund der Begegnung bis ins Letzte zu ergründen und den darin verborgenen unendlichen Schrecken sowie das unendliche Schöne zu enthüllen. Das Ergründen des Begegnens geschieht hier nicht in einem Abstandnehmen vom Begegnen selbst von außen her, also z. B. nicht in der Art und Weise biologischer, soziologischer, anthropologischer oder ethischer Erklärungen. Solche Erklärungen sind (alle), könnte man sagen, von einer Art und Weise, die alles Fragwürdige im Begegnen von einem Ort aus lösen möchte, von dem aus seine Tiefe nicht zu erreichen ist. Wie oft und wie lautstark man z. B. auch die Bedeutung der sogenannten »Angeborenen Menschenrechte« hervorkehren mag – was freilich durchaus sein Recht hat –: die Frage nach dem Wesensgrund des Begegnens der Menschen wird dadurch nicht gelöst. Mit Hilfe des Begriffs der »Angeborenen Menschenrechte« wird z. B. jenes Verhältnis gar nicht berührt, das Hobbes in dem Satz nennt: »Die Menschen sind einander wie Wölfe.« Auch der Kantische Standort der Persönlichkeit, nämlich der gegenseitigen Anerkennung der persönlichen Würde, vermag nicht in die eigentliche Tiefe der Begegnung zu reichen. Überhaupt gelangen weder das philosophische Ergründen noch das theologische jemals in die abgründige Tiefe, die den Grund der Begeg-
Vgl. Achtundsechzigstes Beispiel: Yang-shan (Gyôsan) befragt San-sheng (Sanshô), in: Bi-yän-lu, Meister Yüan-wu's Niederschrift von der Smaragdenen Felswand, verdeutscht und erläutert von Wilhelm Gundert, 3 Bde., München 1960–1973, Bd. 3, S. 105 ff. Diese anerkannte Übersetzung von Gundert bleibt allerdings noch unvollendet. Das angegebene »Beispiel« ist das letzte der übersetzten Beispiele, während im Original hundert Beispiele enthalten sind. 4
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nung ausmacht. Selbst die Lehre von der »Communio sanctorum«, von der Gemeinschaft derjenigen, die durch den Heiligen Geist Gottes begeistet und begeistert leben, erscheint nur wie ein Sichjucken am Fuße durch die Schuhsohlen hindurch. Die Begegnung ist seit Martin Buber als »persönliches« Verhältnis von »Ich und Du« betont worden. Allerdings – das ist sie! Aber gerade das »persönliche« Verhältnis von »Ich und Du« birgt auf seinem Grunde eine große Frage – von welcher Frage eben die Ergründung im Zen ausgeht. Dabei müssen die beiden folgenden Sachverhalte durch und durch ohne Kompromiß zum voraus anerkannt sein: 1) Sowohl Ich als Du sind je als Herr der Absolute. 2) Sowohl Ich als Du sind je der absolut Relative. Was jene Absolutheit angeht, so ist sie bisher auf verschiedene Weise gesehen worden. Daß alle Menschen gleich Wölfen gegeneinander sind, ist auch eine Art von Absolutheit. Die Kantische Persönlichkeit, der gemäß des Menschen sittlicher Wille autonom sei und keine Bestimmung von außen, auch nicht von Gott, zulassen soll, ist auch eine Art der Absolutheit. Ebenso absolut ist die Person im religiösen Sinne, als welche ich mich zu Gott als dem »ganz Anderen«, d. h. dem absoluten Du verhalte. Jeder dieser Standpunkte zeigt in seiner je eigenen Dimension die Absolutheit des einzelnen Menschen und sein unangreifbares Herrsein. Jeder dieser Standpunkte erkennt jedoch über dem einzelnen Menschen oder in ihm selbst irgendein Allgemeines, d. h. irgendein Gesetzhaftes an. Aufgrund eben dieses anerkannten Gesetzhaften läßt jeder dieser Standpunkte die einzelnen Menschen sich aufeinander beziehen. Auf diese Weise wird aber die Absolutheit des einzelnen Menschen auf halbem Wege abgeschnitten und relativiert. Dem »wölfischen« Menschen z. B. ist der Staat mit seinem Gesetz der Ort der Allgemeinheit. Der sittlichen Persönlichkeit ist es die praktische Vernunft und ihr Moralgesetz, der religiösen Persönlichkeit das »ganz Andere« und dessen heiliges Gesetz. Allein, auf diese Weise kann der Grund der Begegnung nicht zureichend ergründet werden. Das Unzureichende solcher Ergründung zeigt sich in der folgenden gedoppelten Zweideutigkeit: Einerseits ist für den einzelnen Menschen sein unvertretbares Herrsein und damit seine volle Freiheit anerkannt, gleichwohl sind andererseits alle einzelnen Menschen dem jeweiligen Allgemeinen untergeordnet. Von dieser Seite der Unterordnung her sind alle einzelnen Menschen »gleich«. In der Weise des Untergeordnetseins unter das All244 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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gemeine kann sich jeder Einzelne auf das Allgemeine beziehen und es so gleicherweise vertreten. Während die Freiheit in der Unvertretbarkeit jedes Einzelnen wurzelt, gründet die Gleichheit in ihrer Vertretbarkeit. Solche Verbindung der Freiheit mit der Gleichheit macht jedoch die Freiheit zu einer nicht bis zum letzten Grunde vollzogenen. Wo alle einzelnen Menschen auf das Allgemeine bezogen und kraft dieser Beziehung aufeinander bezogen sind, muß jeder einzelne bis zum Verlust seiner Absolutheit relativiert werden. Aus dieser Zweitdeutigkeit stammen alle Schwierigkeiten im Verhältnis von Freiheit und Gleichheit. 5 Daß nun die Freiheit nicht bis zum letzten Grunde vollzogen wird, bedeutet auf der anderen Seite, daß es mit der Gleichheit ebenso geht. Keine Unterordnung unter das Allgemeine kann die Freiheit des »Ich« im einzelnen Menschen vollkommen aufsaugen. Die Freiheit, die sich aus dem Netzwerk des Allgemeinen löst, kann im Widerstand zur Freiheit des Ungesetzlichen werden. Selbst die Gewalt des staatlichen Gesetzes kann aus den »Wölfen« nicht auf vollkommene Weise Schafe machen – welche Wölfe bald zu »Wölfchen der Straße«, d. i. zu Schurken und Gangstern, bald zur riesenhaften Inkarnation des Willens der Gewalt werden. Die Würde des moralischen Gesetzes vermag nicht die Eigenliebe des Menschen auszurotten – welche Eigenliebe sich bis zum sogenannten »Radikalbösen« im Kantischen und mehr als Kantischen Sinne vertiefen bzw. versteifen kann. Die Heiligkeit des göttlichen Gesetzes vermag die Selbstsucht des Menschen nicht aufzuhalten – und der Mensch kann in der Abkehr von Gott leicht der Verführung des Satans erliegen. Kurz, in den einzelnen Menschen, die nur das Allgemeine vertreten, wird auch die Gleichheit nicht bis zum letzten Grunde vollzogen. Dies ist die andere Seite der genannten doppelten Zweideutigkeit. In einem menschlichen Verhältnis aber, in dem Freiheit und Gleichheit nicht zugleich miteinander bis zum Letzten vollzogen werden, gibt es kein wahres Begegnen der Menschen. In einem Naturzustande, in dem die Menschen wie Wölfe gegeneinander sind, aber auch unter den staatlichen und den moralischen Gesetzen, ja sogar unter der Gesetzgebung des Gottes bleibt der letzte Grund menschlicher Begegnung stets unergründet. In dieser Passage und dem folgenden wird wohl bezüglich der Bestimmung des Allgemeinen und des einzelnen Menschen der Gedanke Nishidas von der »Einzelbestimmung« und »Allgemeinbestimmung« übernommen. Vgl. auch die Anm. 3 und 4 zu Nishidas Text »Selbstidentität und Kontinuität der Welt« in diesem Band.
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Wo die Unterordnung unter das Allgemeine die Freiheit des »Ich« im einzelnen Menschen nicht aufzusaugen vermag, will das erregte Allgemeine die Gleichheit dadurch verwirklichen, daß es die Freiheit des Einzelnen gänzlich erstickt. Solche Tendenz kommt z. B. dort zum Vorschein, wo sich der Sozialismus zum Totalitarismus wandelt. Allein, die wahre absolute Gleichheit läßt sich auf solche Weise nicht verwirklichen. Damit sich die absolute Gleichheit in Wahrheit verwirklicht, muß das Allgemeine zu demjenigen werden, was einerseits den einzelnen Menschen und die Freiheit seines »Ich« im Ganzen aufzusaugen vermag und was zugleich anderseits –, dann, wenn der Einzelne völlig zu Nichts geworden ist, auch das Einandergleichsein verschwindet und sogar die Gleichheit selbst sinnlos wird – den Einzelnen und seine Freiheit im ganzen wiederhervorgehen läßt. Das wahre Allgemeine muß die absolute Negation des Einzelnen und seiner Freiheit sein, welche Negation zugleich die absolute Affirmation des Einzelnen und seiner Freiheit ist – und umgekehrt. Das wahre Allgemeine muß die Gleichheit als absolute Negation des Einzelnen und seiner Freiheit in eins mit seiner absoluten Affirmation zustande kommen lassen. Gibt es aber überhaupt ein solches Allgemeines? Wenn, dann kann es nur das absolute »Nichts« oder die »Leere« sein (wie sich im Folgenden zeigen soll). Das Allgemeine, das als Sein des Seienden gegen den Einzelnen gesetzt ist, sei es als Staat, sei es als praktische Vernunft, sei es als Gott oder als was immer, vermittelt durch sein Gesetz die Einzelnen zueinander und bringt sie so zur vermittelten Einheit. In solcher »gesetzhaften« Einheit herrscht das Allgemeine als Sein des Seienden, als das Identische, kurz: als Substanz. Staat, Vernunft und Gott sind je auf ihre Weise »Sein« und »Substanz«. In der Substanz ist nur auch der Bezug des Einzelnen zueinander selbst substanziell – in welchem Bezug sich daher die Einzelnen als solche halb aufgeben. Der Einzelne kann hier nicht der absolut Einzelne sein, der gänzlich aus dem Bezug herausgetreten ist. Auch das Allgemeine als Substanz, das halbwegs den Einzelnen innewohnen bleibt, läßt die Einzelnen sich aus sich selber aufeinander beziehen, d. h. das Allgemeine ist gerade nicht jenes, was ganz und gar über die Einzelnen hinausläge und deren Wurzeln abschnitte. Je stärker daher die Freiheit des Einzelnen zunimmt, desto mehr wird die Einheit des Gesetzes bis zur Verwesung zerstört. Dies zeigt sich z. B. in der Tendenz des Liberalismus zur Anarchie, die nichts anderes ist als ein gesteigerter Naturzustand. Allein, so müssen wir fragen, kann denn die Freiheit überhaupt 246 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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vollkommen verwirklicht werden? Es gibt nur einen Standort, auf dem die bis zu ihrem letzten Grund sich vollziehende Freiheit nicht der Anarchie verfällt. Dieser Ort öffnet sich erst dann, wenn die Hinneigung zur Gleichheit als der Negation der Freiheit bis zur absoluten Negation der Freiheit vollzogen wird. Eben da ereignet sich jener Bereich der Leere als Ort der Freiheit. Die wahre Freiheit kommt zuwege nur als Umschlag der absoluten Negation der Freiheit zur absoluten Affirmation. Alle anderen Standpunkte schwanken notwendig immer nur zwischen Totalitarismus und Anarchie hin und her. Wir verstehen dabei »Totalitarismus« und »Anarchie« nicht als bloß politische Erscheinungen, sondern gleichsam auch als Kategorien, die vom Bezirk des menschlichen Miteinander überhaupt gelten. Der Totalitarismus trägt in sich immer die Möglichkeit, unmittelbar in Anarchie umzuschlagen – und umgekehrt. Und zwischen beiden verschlingen sich sehr oft die Tendenzen zum einen und zum anderen ineinander. Jetzt aber muß gefragt werden: In welchem Zusammenhang steht der hier gekennzeichnete Sachverhalt als Sachverhalt unserer heutigen, wirklichen Welt überhaupt mit jenem seltsamen Gespräch, das in alter Zeit zwischen den beiden Mönchen stattfand? Antwort: Alles soeben Gesagte ist in jenem Gespräch gegenwärtig. Wir kehren jetzt an den Anfang unserer Erörterung, d. h. zu der Frage nach dem Wesen der Begegnung zurück. Alles kommt jetzt darauf an, erneut festzuhalten, daß Ich und Du je als Herr der Absolute sind, und daß zugleich Ich und Du je der absolut Relative sind. Diese beiden Sachverhalte müssen unumwunden und ohne auf halbem Wege stehen zu bleiben, anerkannt werden. Würde unsere Frage nicht bis zu jenem Grund-Sachverhalt zurückgebracht, so bedeutete das, daß es in Wahrheit weder Freiheit noch Gleichheit geben kann, d. h. zugleich weder die wahrhaften Einzelnen noch das wahre Allgemeine. Daß sowohl Ich als auch Du je der durch und durch Absolute sind, besagt, daß beide je der absolute Absolute sind. Und dies besagt in sich, daß sowohl Ich als auch Du je der absolute Relative sind. Dieser Sachverhalt ist ein vollkommener Widerstreit und ein vollkommener Widersinn. Er zeigt eine absolute Gegnerschaft, in der Ich und Du, je als Todfeind, niemals unter demselben Himmel in gemeinsamer Mitwelt sein wollen. Solange beide niemals unter demselben Himmel zusammen sein wollen, muß der eine den anderen töten. Hier herrscht ein Entweder-Oder, nämlich wie es bei uns heißt: Entweder Verschlucken oder Verschlucktwerden, in welchem Verhältnis jeder jedem gegenüber Wolf sein muß. Damit würde aber das 247 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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Verhältnis, die Relation beider verschwinden. Die Absolutheit eines jeden duldet es nicht, in der Relation zu stehen. Zugleich gibt es doch keinen Grund dafür, daß der eine von beiden vernichtet und der andere gerettet wird. Hier sind beide vollkommen gleich. Daher müssen die beiden Menschen, die niemals unter demselben Himmel zusammen sein wollen, doch vollkommen in Frieden miteinander leben. Wenn man das für widersinnig und unmöglich hält, dann muß man mit irgendeinem seienden Allgemeinen einen Kompromiß zwischen beiden herstellen, welcher Kompromiß jedoch einen ständigen Widerspruch und Widerstreit in sich enthielte und immer der Gefahr des Zusammenbruchs ausgesetzt wäre. So geht es freilich zu jeder Zeit in der Wirklichkeit der Geschichte (geschichtlichen Wirklichkeit), die daher stets unendliches Leiden ist. Die Wurzel dieses Problems (dieser Aporie) liegt bereits im menschlichen Miteinander selbst, in dem einfachen Faktum, daß zwei Menschen, Hans und Peter, da sind; die Unmöglichkeit, daß zwei oder unzählige Absolute da sind, ist bereits ein gewöhnliches Faktum der alltäglichen Wirklichkeit. Aus ihm kommen unendliche Verwirrung und unendliches Leiden. Wie löst nun das Zen dieses Faktum der Wirklichkeit? Durch den scheinbaren Widersinn, daß die absolute Gegnerschaft ganz unmittelbar, wie sie ist, nichts anderes als die absolute Harmonie ist. Auf welche Weise bezeugt das Zen die Möglichkeit dieses Widersinnigen? Gyôsan fragte Sanshô: »Wie heißt Du?« Je weiter man in den Anfang der Menschheitsgeschichte zurückgeht, desto bedeutsamer wird das Phänomen des Namens. Er zeigt sich, zurückgehend, zuerst als Symbol der realen Sache, dann als Enthüllung der Sache selbst und schließlich als eins mit der Sache selbst. Der Name spielt eine große Rolle in der Magie, in der Religion und im gesellschaftlichen Leben. Wenn z. B. eine Frau einem Manne ihren Namen nennt, bedeutet das schon, daß sie sich ihm enthüllt und gibt. Sagte man »Im Namen Gottes« oder spricht man »den Namen Midas« 6 aus, so meldet sich in diesem »Namen« Gott oder Buddha, die sich solcherweise den Menschen offenbarten und gaben. In späterer Zeit wird dann der Name zum bloßen Namen. Dies war der Beginn der Welt jenes Menschentums, das
Mida ist der verkürzte Weg des Amida (阿弥陀), skrt.: Amitâyus bzw. AmitâbhaBuddhas. »Den Namen Midas« aussprechen und rezitieren heißt in der Jôdo-Schule des Buddhismus »nembutsu« (念仏), die fundamentalste Übung.
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stolz auf seine Intelligenz ist – also der Beginn der neuzeitlichen Wissenschaft. Daraus entstanden der Nominalismus und die Philosophie des Empirismus. Es kann jedoch bezweifelt werden, ob jene Identifizierung des Namens mit der realen Sache ohne weiteres einfach nur als eine Auszeichnung (ein Wesenszug) der sogenannten primitiven Intelligenz (des sog. primitiven Geistes) und des sogenannten mythischen Zeitalters im negativen Sinne werden darf. Die Menschen jener Zeit könnten vielmehr noch unmittelbar in der realen Berührung mit der Realität gelebt haben – in einem ganz positiven Sinne. Da das Realitätsgefühl noch real und lebendig erhalten war, konnte auch der Name real gefühlt werden. Daß der Name für die Intelligenz späterer Zeiten zum bloßen Namen wurde, könnte vielmehr gerade ihre Entfremdung von der Realität zeigen. Liegt im Grunde nicht im sogenannten Erwachen der Intelligenz eine noch tiefere Blindheit verborgen? Es könnte sein, daß der Hochmut des sogenannten »wissenschaftlichen« Menschen eine Erscheinung der Torheit ist – einer Torheit, in der er um sein eigenes, noch tiefer liegendes Wissen nicht mehr weiß? Wie dem auch immer sei: Gyôsan und Sanshô waren keine primitiven Menschen eines mythologischen Zeitalters mehr. Das Zen, dessen Wesen, wie es heißt, darin liegt, »den Buddha zu töten und den Meister zu töten«, ist eine bis ins Äußerste »entmythologisierte« Religion (die auch das »Entmythologisieren« selbst bis zum Grund »entmythologisiert« hat). Man darf nun aber auch nicht annehmen, daß Gyôsan Sanshô nur nach seinem bloßen Namen gefragt hätte. Sanshô war ein weithin berühmter ZenMeister, dessen Namen Gyôsan unmöglich unbekannt sein konnte. Gyôsan hat also Sanshô nicht bloß verstandesmäßig nach seinem Namen gefragt, vielmehr hat mit jener Frage nach dem Namen das Begegnen zwischen Menschen als Ereignis des Zen angefangen. Dies meint zugleich das Anfangen der Ergründung jenes alltäglichen Faktums, daß sich Hans und Peter begegnen. Wir haben oben gesagt, daß die Unmöglichkeit eines wesentlichen Miteinanderseins der wesentlichen Todfeinde in der alltäglichen Wirklichkeit doch ermöglicht ist. Mit der Frage Gyôsans beginnt die Ergründung dieses Faktums der Wirklichkeit. Die Frage »Wie heißt Du?« erläutert der chinesische Zen-Meister Engo 7 im »Bi-yän-lu« durch folgenden Zusatz: »Den Namen wie auch den Gehalt rauben.« Den Namen zu erfragen, heißt also nicht nur den Namen, sondern zugleich den Gehalt rauben. Im japa7
Engo Kokugon, chin.: Yüan-wu K'o-ch'in, chinesischer Zen-Meister (1063–1135).
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nischen Zen-Buch Kaian-Kokugo 8 sagt der japanische Zen-Meister Hakuin über diese Frage folgendes: »Es scheint so, wie wenn ein Wächter der Grenzwache einen verdächtigen Nachtwanderer anruft.« Das meint selbstverständlich nicht, daß der Fragende Gyôsan seinem Fragen eigens einen solchen Sinn gegeben hätte, dieser ergibt sich vielmehr aus seinem Fragen ganz unmittelbar von selbst. Wo der Absolute in der Welt der Relation wirkt, ergeht es seinem Wirken ganz von selbst, ohne Zutun, so, daß es keine Relation zuläßt, d. h. daß der Absolute jeden ihm entgegenkommenden Anderen in sich selbst fängt, ihn sich ihm entreißt und so ihn sich aneignet. Solange ein Selbst selbständiger und unabhängiger Herr ist und wahres Selbst sein will, ergeht es ihm ganz von selbst so. Das heißt hier, daß Gyôsan Gyôsan selbst ist. Allein, solange auch das Du Herr ist, ergeht es ihm ebenso. Ich und du ist ein Entweder-Oder: entweder Verschlucken oder Verschlucktwerden – in einem wesenhaften Sinne. Deshalb setzte Engo hier hinzu: »Den Räuber gefangen und doch das Haus geplündert!« Das heißt: Gyôsan hat tüchtigerweise Sanshô verführt und in sich gefangen, aber doch verrät sich Sanshô zu Gyôsans Erstaunen als ein ruchloser Räuber, und Gyôsans Haus ist gründlichst geplündert. In der Tat antwortete Sanshô nach seinem Namen gefragt: »Ejaku.« Ejaku aber ist Gyôsans Name. Mit seiner Antwort hat Sanshô jenes, worin Gyôsan Gyôsan selbst ist, d. h. das, was kein Miteinander und Gegeneinander duldet und alles Du seinem eigenen Selbst aneignet, kurz, die Absolutheit Gyôsans, so wie sie ist, sogleich in seinem eigenen Selbst ergriffen. Sanshô ist hinter das Dasein Gyôsans und all sein Wirken gekommen und hat da seine eigene Flagge gehißt, um Gyôsan von Grund aus in die Schwebe zu bringen (…) Zu dieser Stelle setzt Engo hinzu: »Die Spitze der Zunge abschneiden, die Flagge einholen und die Trommel rauben.« Daß Sanshô die Zungenspitze, d. h. die Sprache von Gyôsan abgeschnitten und ihm seine Flagge und Trommel geraubt hat, ist die Natur dessen, daß Sanshô Sanshô selbst ist. Von hier aus zurückgeblickt, steht auch das Selbst Gyôsans in jenem selben Ort, worin er Sanshô seines Namens und Gehaltes beraubt hat. Also begegnen Gyôsan und Sanshô einander in der absoluten Gegnerschaft, d. h. Todfeindschaft. Allein, hier kommt alles darauf an, einzusehen, daß das Verständnis zwischen den Menschen hier nicht mehr das des Ich und Du im gewöhnlichen Sinne sein kann. Kaian-kokugo, Kommentare vom Zen-Meister Hakuin (1685–1768) zu den Worten von Meister Daitô (1282–1337), verfaßt im zweiten Jahre Kanyen (1749).
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Wenn Sanshô sich mit »Ejaku«, d. i. mit Gyôsans Namen nennt, ist er Gyôsan. Ich bin Du und Du bist Ich. Ebenso ist es auf dem Standort Gyôsans. Kurz: Ich bin kein bloßes Ich, sondern das Ich, das zugleich Du bist. Hier verschwinden sowohl Ich als auch Du in eine vollkommene Vermischung. Hier waltet die eine absolute Dharmaheit, welche absolute Indifferenz und absolute Gleichheit ist. Vom abendländischen Denken her könnte man sagen, daß hier jenes herrscht, was das »absolute Eine«, oder, z. B. bei Schelling und bei Hegel, die »absolute Identität« oder die »Indifferenz« genannt worden ist. Hier gibt es keine Relation mehr, kein »Sich« und keinen »Anderen«, kurz keine »Person« und kein »persönliches Verhältnis«. Will nun aber jenes Gespräch sagen, daß die Wirklichkeit des Ich-Du-Verhältnisses im Wesentlichen in eine bloße Indifferenz zurückgenommen werden soll? Im Gegenteil: Während sich die bloße Indifferenz von der Wirklichkeit entfernt hält, handelt es sich hier unmittelbar um die Wirklichkeit des Ich und Du, d. h. um die Wirklichkeit der menschlichen Begegnung und darin vor allem um die absolute Gegnerschaft, die in der Begegnung enthalten ist. Dabei müssen wir darauf achten, daß hier Ich und Du kein bloßes Ich und Du ist, sondern Ich und Du, die je in der absoluten Indifferenz stehen, in der Ich Du bin und Du Ich bist. Jene absolute Indifferenz ist für Mich solches, was meinem eigenen Selbst zugehört – und dasselbe ist sie auch für Dich. Durch diese absolute Indifferenz bin ich in Wahrheit Ich selbst, bist Du in Wahrheit Du selbst – und darin gerade ist das Wahre Ich und Du. Das Ich-und-Du, dieses Verhältnis, könnte man sagen, ist gerade in Wahrheit das, was es ist, weil es kein Ich und Du ist. Gerade deshalb herrscht da auch mit Notwendigkeit jene absolute Gegnerschaft und Todfeindschaft. Ich und Du, die sich beide einander als absolute Indifferenz entreißen, und zwar diese Indifferenz als je zugehörig zu ihrem eigenen Wesen – Ich und Du von solchem Wesenscharakter sind die wahren absolut Relativen, d. h. Ich und Du, die, jeder als Herr, absolut voneinander unterschieden sind. Hier gibt es keine »Beziehung«, durch die Ich und Du verbunden werden. Diese Beziehungslosigkeit ist hier aber nicht die obengenannte Indifferenz, sondern sie ist als sie absolute Gegnerschaft, in der Ich und Du als die absolut Relativen in einem von allen Beziehungen abgeschnittenen Bereich gegeneinander stehen. Die Wahrheit der Begegnung von Ich und Du in der alltäglichen Wirklichkeit ist ein solches absolutes Gegeneinander, eine absolute Gegnerschaft und Todfeindschaft. Im Grunde der Begegnung ist verborgen ein unendlicher Schrecken. 251 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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Allein, die Absolutheit dieses Gegeneinander kommt, von der anderen Seite her erblickt, daher, daß sowohl Mir als auch Dir die absolute Indifferenz eines jeden zugehört. In dieser absoluten Indifferenz bin Ich Du und Du bist Ich. Du bist bei Mir, und zwar als ein von Mir absolut Ununterschiedener – und umgekehrt. Von der Seite her gesehen, daß sich Sanshô mit Gyôsans Namen genannt hat, zeigt sich, daß Sanshô, seiner selbst ganz ledig, Gyôsan sich an seine Stelle (seinen Ort) hat setzen lassen. Das heißt, daß der eine im Zentrum seines Daseins den anderen setzt. Darin, daß die Gegeneinander-Stehenden auf solche Weise ganz alterozentrisch werden, herrscht der absolute Einklang, oder, wie man sagen könnte, eine Art der Liebe im religiösen Sinne; »religiös« kann sie deshalb heißen, weil sie sich im Bereich der »Leere« oder des »Nicht-Ich« ereignet, in welchem Bereich das Sich und das Andere samt ihrer Relation in absoluter Weise abgeschnitten werden. Die absolute Gegnerschaft ist also zugleich die absolute Harmonie; beide sind Ein und das Selbe. Die absolute Gegnerschaft ist unmittelbar so, wie sie ist, ein Spiel. Die absolute Harmonie ist keine bloße Indifferenz. »Sich« und »Anderes« sind, wie wir sagen: Nicht-Eins und Nicht-Zwei. 9 Dies Wort »Nicht-Eins und Nicht-Zwei« besagt, daß jeder seine Absolutheit bewahrt und doch im Gegeneinander steht – und zwar ohne auch nur einen Augenblick von einander geschieden zu sein. In der vollkommenen Anerkennung dessen, daß Du in Deiner absoluten Indifferenz Ich bist und dadurch gerade auf absolute Weise Du selbst, lasse Ich Dich zu Mir selbst werden. Und Ich bin auf eben solche Weise Ich selbst, stehend in meiner absoluten Indifferenz. Will man diese Harmonie in der absoluten »Beziehungslosigkeit« Liebe nennen, dann ist diese Liebe allerdings durchaus verschieden vom sogenannten Eros wie auch von der Agape. Wie dem auch immer sei, Gyôsan, dessen Name von Sanshô genannt worden ist, sagte: »Ejaku, das bin Ich«, und Sanshô erwiderte im Augenblick: »Mein Name lautet Enen.« Zu dieser Antwort Sanshôs sagte der japanische Zen-Meister Hakuin dies: »Er hat sein Haupt wie auch seinen Schwanz umgetauscht. Viele Verwandlungen hat dieser Fuchs von neun Schwänzen!« Und Engo sprach: »Jener wie dieser verwahrt in der Rückkehr je seinen eigenen Ort!« Durch viele Verwandlungen hindurch ist Gyôsan zu seinem Haus, und Sanshô zu dem sei9
Nicht-Eins und Nicht-Zwei (fuichi funi, 不一不二).
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nen zurückgekehrt. Hier waltet die Harmonie, d. h. der Einklang des Singens, in dem eine unendliche Schönheit scheint. Dieses Begegnen bezeichnete Hakuin einerseits mit dem Wort: »Ein Gegeneinander-Ausschlagen von Drache und Elephant«, welchem Streit sich das lahme Pferd oder der blinde Esel nie nahen kann – und andererseits mit dem Wort: »Ihr Taktschlagen und Singen, Trommeln und Tanzen – das ist, wie die Blumen im warmen Frühling in ihrem Hochrot oder Purpur miteinander wetteifern.« Dies nennt die Lage, in der jeder in seinen eigenen Ort zurückgekehrt und da er selbst ist. Inmitten des alltäglichen Treffens und Begegnens muß jenes sein, darin jeder von uns seinen eigenen Ort in sich verwahrt. Nur ist es (meist) nicht verwirklicht und ergründet. Um es zu ergründen, müssen wir unserem Begegnen in Wirklichkeit auf den Grund kommen. Dafür müssen wir durch den Streit des »Entweder Verschluckens oder Verschlucktwerdens«, oder genauer: durch den Streit des »Verschluckens und zugleich Verschlucktwerdens«, d. h. durch die wechselseitige Ertötung jedes kleinen Ich zu jenem Ort zurückkehren, in dem Ich und Du Nicht-Zwei sind und der Streit zum Spiel verwandelt wird. Sei es das Verhältnis zwischen einzelnen Menschen, sei es das von Staaten zu Staaten oder das von Gruppen zu Gruppen: solange dies Verhältnis nicht bis dorthin zurückgeführt wird, wo die Blumen im Frühling in ihrem Hochrot oder Purpur miteinander wetteifern, bleibt der Streit der des Wolfes mit dem wilden Hund. Wir möchten jetzt gegen Schluß auf das Lobgedicht Meister Daitôs kommen, das wörtlich übersetzt etwa so lautet: »Im Lichte der warmen Sonne taut der Schnee; es ist Frühling. Pflaumenblüten und Weidenkätzchen wetteifern in ihrer duftenden Frische miteinander. Anlaß zum Gedicht: das Heitere des Windes, ein unendlicher Sinn; Ihn zu verstehen sei nur dem erlaubt, der sich im Freien mit dem Singen abgemüht hat.«
Der Sinn des ersten und zweiten Verses: »Im Lichte der warmen Sonne taut der Schnee; es ist Frühling. Pflaumenblüten und Weidenkätzchen wetteifern in ihrer duftenden Frische miteinander«
mag durch das Erörterte schon deutlich geworden sein. Meister Hakuin setzte diesen Versen hinzu: »Im Augenblick, da das dunkle Tal des alles bergenden Nichtbewußtseins verwandelt/umgekehrt wird und jäh die 253 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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Segen-Sonne voll vom Licht des großen runden Spiegels hervorbricht, taut der liegende Schnee der Machenschaft und der an den Formen hängenbleibenden Anhänglichkeit«, oder: »die gefrorene Fixiertheit der Wahrheit und Gleichheit wird mit einem Schlage zerbrochen und die Eisschicht des bloßen Dharmawesens geschmolzen«. Gemeint ist die Überwindung von allerlei Anhänglichkeiten, z. B. ans Ich und an Dharma, d. h. auch ans Gesetz. Der »Mensch als Wolf« und der Kampf, der die heutige Menschenwelt in zwei Hälften gespalten hat, enthüllt sich, wenn er bis auf den Grund befragt wird, als in der Anhänglichkeit des Ich wurzelnd, wo das Ich auf Grund seiner selbst »Sich« und den »Anderen« voneinander unterscheidet. Die tiefste Wurzel eines solchen Solipismus, einer solchen Selbstverhaftung oder Selbstanhänglichkeit des Ich liegt in der sogenannten »Ungelichtetheit« oder, mit einem anderen Wort, im obengenannten alles bergenden Nichtbewußtsein. Wir haben oben gesagt, daß auf dem Grunde des menschlichen Geistes selbst eine tiefe Blindheit herrscht. Damit wollten wir auf diese »Unmöglichkeit« hinweisen, aus der alles Leiden und jedes Irren stammt. Um das Leiden und Irren zu überwinden, sind verschiedene Theorien und Ideologien erdacht und mannigfaltige Gesetze aufgerichtet worden – z. B. das Gesetz des Staates, das sittliche Gesetz, das Gesetz Gottes. Solange aber die Wurzel der Selbstanhänglichkeit mit Hilfe solcher Gesetze nicht ausgerottet werden kann, erscheint sie verborgenerweise wieder hinter dem Gesetz. Man ist stolz auf sein eigenes Land, auf seine eigene Sittlichkeit und auf den geglaubten Buddha und Gott. Dies ist die Anhänglichkeit ans Gesetz, die nichts anderes ist als eine potenzierte Selbstanhänglichkeit. Ebenso steht es mit den verschiedenen Ideologien. – Böse ist nicht eigentlich das Gesetz, sondern jene Seinsart des Menschen, die auf dem als Sein gesetzten Allgemeinen – sei es als Heteronomie, sei es als Autonomie, sei es als Theonomie – insistieren will. Alle Arten solcher Insistenz oder Selbstanhänglichkeit meint die obengenannte »Machenschaft« und »das an Formen hängen bleiben«. Jedes Gesetz wird, falls wir darin befangen und daran hängen bleiben, zum »liegenden Schnee«, der die Anhänglichkeit selbst verdeckt. Erst wenn wir in den Ort des Allgemeinen im Sinne der »Nicht-Zweiheit«, des »Nicht-Ich« und der »Leere« hinausgelangen, scheint das Licht der Gegensonne und bricht die »Ungelichtetheit« auf. Sie ist das Licht der großen Weisheit, d. h. des Prajñâ. Falls diese »Nicht-Zweiheit« von Sich und Anderem jedoch für eine bloße Indifferenz gehalten wird, bleibt sie in der Seinsart des bloßen Vorstellens der Indifferenz hängen, welche 254 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
Vom Wesen der Begegnung
Vorstellung oder Idee immer noch eine Art der Anhänglichkeit ans Gesetz ist. Anders gewendet: »die Wahrheit und Gleichheit«, »das eine Dharma-Wesen« oder »das Eine«, das »absolut Identische«, kurz: die genannte »feste und harte Eisschicht« sind selbst auch eine verborgene Anhänglichkeit an Gesetz und Selbst, die erst im Bereich jenseits von Selbst- und Gesetzesanhänglichkeit als solche sich zeigt. Erst im Durchbrechen dieser höheren Weise der Anhänglichkeit öffnet sich die eigentliche Wirklichkeit, in der Ich als Ich, Du als Du, und Gesetz als Gesetz in ihrer duftenden Frische miteinander wetteifern. Dann ist auch ein alltägliches Begegnen wie das von Hans und Peter voll unendlichen Duftes, unendlicher Frische. Dies Wort »Frische« im zweiten Vers ist wohl zu beachten. Im dritten Vers begegnen wir den Worten »Gedicht« und »das Heitere des Windes«. Hier ist das Begegnen der Menschen ebenso Anlaß zum Gedicht wie das Leuchten der Pflaume und Weiden. Aber das hier genannte Gedicht ist nicht solches, was wir uns gewöhnlich darunter vorstellen, ein aus den im menschlichen Bewußtsein vorgestellten und eingebildeten Bildern hergestelltes. Jenes Gedicht ist auch nicht ein in menschlicher Sprache Gedichtetes. Es ist jenes Gedicht, in dem die wirkliche Sache und ihre wirkliche Sachlichkeit selbst zum Bilde geworden ist und in dem die Sprache der Sache selbst spricht. Auch sind die Worte »das Heitere des Windes« keine dichterische Phantasie eines menschlichen Bewußtseins, sondern ein heiteres Wehen des Windes selbst, das sich aus dem Grunde der Dinge und des menschlichen Daseins ereignet. Der Wurzelgrund dieses Gedichtes ist keine gesteigerte Romantik, sondern ein radikaler, bis zum Grunde durchgedrungener Realismus. In der bis zum Grund ergründeten Wirklichkeit zeigt sich das Wirkliche, so wie es ist, als das Gedicht. Hier waltet eben jenes selbe Verhältnis, in welchem sich der Streit, falls er bis zum tiefsten Grunde ergründet wird, zum Spiel verwandelt. Dieses »Gedicht«, das keine menschliche Dichtung ist, sondern über den Bereich der gewöhnlichen Dichtung hinausreicht, ist das Gedicht, an dem der Mensch teilnimmt und das an den Menschen teilnimmt. In welchem Bereich ereignet sich dieses Gedicht? Was wir oben das »prajñâ«, die »große Weisheit« genannt haben, ist jenes, was sich, wenn ein Mensch seiner selbst ledig geworden in die Realität eingekehrt ist, als der Bereich der Realität selbst, d. h. als der ursprüngliche Bereich aller Anwesung öffnet. Das Sichöffnen dieses Bereiches der Realität ist nichts anderes als dies, daß der Mensch die Realität in ihrer Wahrheit weiß. Das »Licht der Weis255 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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heit«, das die Realität in ihrer Wahrheit durchscheint und durchschaut, ist ein Licht, das zur Realität selbst gehört. Dieses glänzende Licht der Segenssonne ist, so wie es ist, die Selbstgewahrnis, 10 in der der Mensch, wie wir sagen, sein »eigentliches Gesicht« 11 durchblickt. Dies »Gedicht«, das sich aus dieser Weisheit, d. h. aus Prajñâ ereignet, ist bei Daitô genannt. Hier ist die wahre Realität der realen Welt, so wie sie ist, Anlaß zum Gedicht und zum heiteren Wehen des Windes. Diesem dritten Vers fügte Meister Hakuin die folgenden berühmten Worte aus Konfuzius hinzu: »Im späten Frühling, da das Sommerkleid schon fertig ist, baden fünf oder sechs Jünglinge, die bei ihrer soeben gefeierten Mündigkeitszeremonie Kronen tragen, und sechs oder sieben Knaben im Flußhain, und sie setzen sich aus dem Wehen des Windes auf den regen Gebetsplatz und kommen singend zurück.« Prajñâ, die »große Weisheit« ist, könnte man sagen, jener Ursprungsbereich, aus dem sich die Dichtung, zusammen mit Religion, Philosophie und Sittlichkeit ereignet, aber so, daß sie alle in ihm unzertrennlich miteinander verbunden sind. Wäre es so, dann würde das hier genannte Gedicht jenen Ursprungsbereich zeigen, dem die Dichtung selbst entspringt und in den sie als in ihr eigenes »Vor«, ihren eigenen Anfangsgrund zurückgekehrt ist. Doch über ein solches Geheimnis des menschlichen Daseins dürfen wir nicht einfachhin sprechen. Hier genüge ein Hinweis. Die Erzählung von der Begegnung ist, nachdem sich Gyôsan und Sanshô einander je mit ihrem eigenen Namen benannt haben, mit dem »großen Lachen« von Gyôsan zum Abschluß gebracht worden. Dieses »Ausbrechen ins große Lachen« ist der Angelpunkt, oder, wie wir sagen können, der Augenpunkt des ganzen Gesprächs. Es ist das Ende und die Vollendung jenes spielenden Streites sowie jenes »Taktschlagens und Singens, Trommelns und Tanzens«. Die Szene des »großen Lachens« ist nicht mehr die des Streites, nicht mehr die des singenden Einklangs. Die Szene ist hier noch einmal umgewendet oder vielmehr: in den wahrhaft wahren, anfänglich eigentlichen Bereich zurückgekehrt. Wollte man diesen Bereich im Zusammenhang mit dem früher erwähnten Streit bezeichnen, so wäre zu sagen, daß er ein einmaliges Schlachtfeld ist, auf dem die Sommergräser die Spur des Traumes von kämpfenden Soldaten tragen. Jetzt gibt es da keine Streitenden, keine Selbstgewahrnis (jikaku, 自覚). Zu diesem fundamentalen Wort der Kyôto-Schule vgl. die Anm. 2 der »Einleitung« zum Nishida-Kapitel in diesem Band. 11 Eigentliches Gesicht (honrai no memboku). 10
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Vom Wesen der Begegnung
miteinander Singenden und keine gegeneinander Stehenden mehr. Sie sind spurlos verschwunden. Wo kein Gyôsan und kein Sanshô mehr ist, tönt nur ein »großes Lachen« von Gyôsan. Gerade hierauf bezieht sich die Frage Meister Daitôs: »Wohinweg bist Du?« Dies ist natürlich keine bloße Frage. Daitô weist mit dieser Frage hin auf den ortlosen Ort von Gyôsan. In diesem Ort des Ausbruches ins große Lachen muß sich das wirkliche Begegnen der Menschen in seiner vollen Wirklichkeit zu einer Überwirklichkeit verwandeln – wobei es kaum nötig sein dürfte zu sagen, daß die hier gemeinte Überwirklichkeit keine Überrealität des sur-realisme, aber auch nichts Transzendentes ist. Hier läßt das Wirkliche die Überwirklichkeit als seine eigentliche Wirklichkeit anwesen: »Anlaß zum Gedicht: das Heitere des Windes, ein unendlicher Sinn.« Allein, wir müssen hier Halt machen. Jenen »unendlichen Sinn« des »wehenden Windes« zu verstehen: das ist »nur dem erlaubt, der sich im Freien mit dem Singen abgemüht hat«. Jener Dichter, der den »unendlichen Sinn« verstanden – und sich damit abgemüht hat, ihn singend den Menschen mitzuteilen, gibt einen Hinweis auf die große Weisheit und die große Barmherzigkeit, die im großen Lachen Gyôsans enthalten ist – so könnte man sagen. Die Worte, die Meister Daitô dem Schluß der Erzählung von der Begegnung zwischen Gyôsan und Sanshô hinzusetzte – jene Frage »Wohinweg bist Du?«, mit der Daitô den ins Verborgene sich entziehenden Gyôsan mit Gewalt gefangen hat, ist, so könnte man sagen, nichts anderes als das »Ecce homo« Meister Daitôs selbst.
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Die »Verrücktheit« beim Dichter Bashô 1 (Übersetzt von Engelbert Jorißen)
Bashô besaß eine Beziehung zu Zen, und das beeinflußte dann wohl auch seine Kunst, so wird häufig behauptet. Und in der Tat kann man von der Zeit an, in der er seinen ›Wahren Stil‹ 2 begründete, in seinem Denken Zen-haftes spüren. Auch wenn es im Verlauf der Jahre in seinem haikai-Stil 3 Veränderungen gibt, auch wenn seine hokku 4 sich zwiAnmerkungen von Engelbert Jorißen. – Bashô ni okeru »kyô« (芭蕉における「狂」), zunächst erschienen in der Zeitschrift »Techô«, Juni 1949, dann in: Keiji Nishitani, Herz des Windes (Kaze no kokoro), Tôkyô 1980, S. 153–168. 2 Shôfû (正風). Der Begriff bezeichnet hier den Stil Bashôs (1644–1694) von einem bestimmten Zeitpunkt ab, nämlich von dem Moment, an dem er zu seinem eigenen und von dem der zu jener Zeit herrschenden Schulen der haikai-Dichtung (vgl. Anm. 3) Teimon (貞門) und Danrin (談林) unabhängigen Stil gelangte. Das erste Erscheinen dieses Stils sieht man gewöhnlich in der haikai-Sammlung »Wintertag« (Fuyu no hi) aus dem Jahre 1684. Der Begriff »shôfû« enthält das chinesische Zeichen (正), das »richtig«, »korrekt« oder »wahrhaft« bedeutet. Die hier gewählte Übersetzung »wahrer Stil« geht zurück auf zahlreiche Bemerkungen Bashôs zu seiner Dichtung, in denen er den Begriff »makoto« (真 oder 誠) betont, was »Wahrheit«, »Unverfälschtheit«, »Aufrichtigkeit« bedeuten kann. (Da allerdings auch andere Schulen ihren Stil mit dem Namen »shôfû« benennen, schreibt man zur deutlicheren Unterscheidung von Bashô die Silbe »shô« mit dem Zeichen »shô« [蕉] aus Bashôs Namen, das wörtlich übersetzt »Banane« bedeutet.) Da Bashô selbst seinen Stil auch nach 1684 ständig weiterentwickelte, muß der Begriff shôfû pluralistisch verstanden werden. Der Name wird an anderer Stelle ebenfalls für den Stil von Bashôs Schülern und Anhängern verwendet. 3 Haikai (俳諧) bezeichnet zunächst Gedichte, die als spaßig empfunden bzw. in spaßiger Absicht verfaßt werden, d. h. Gedichte, die formal oder inhaltlich von der formalisierten Dichtung abweichen (vgl. Shin kokinshû, S. 905). Haikai oder haikai no renga bezeichnet dann eine spaßige – oft geistreiche, witzige – Form des Kettengedichtes (renga, 連歌), das in der Muromachi-Zeit (1338 bis 1573) zu einer Blüte kam. Spätere Dichter und vor allem Bashô allerdings sehen im haikai ernsthaftere Möglichkeiten; insbesondere Bashô verleiht dem haikai neue ästhetische Dimensionen und tiefe metaphysische Bedeutung. Bashô behält den Namen somit geradezu paradoxerweise für seine Dichtung bei. Er verwendet für sie durchweg den Begriff haikai, dazu gehören längere Verssequenzen (renku, 連句), die bekanntesten renku bei Bashô bestehen aus 36 Gliedern (kasen, 歌仙), wie auch die sehr häufig isolierten Startverse eines Kettengedichtes (hokku, vgl. Anm. 4) 1
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Die »Verrücktheit« beim Dichter Bashô
schen tiefsinnigen und seichteren unterscheiden, so wurzeln seine hokku doch immer in seinem zenhaften Denken, man hat den Eindruck, als ob sie aus diesem herausgeboren seien. Auch jenes »Schein-Wirkliche«, 5 das zum Gerüst seiner haikai wird, hat seine Grundlage sicherlich in einer Haltung buddhistischer Beschauung, wie sie der Satz im Hannya-shingyô zum Ausdruck bringt: »Erscheinung ist (gleich) Leere, Leere ist (gleich) Erscheinung«. 6 Solche Anschauungen blieben für Bashô nicht bloße Begriffe, sie durchdrangen sein eigenes Leben selbst, und dies ohne Zweifel auf Grund seiner eigenen Zen-Erfahrung. Konsequenz solcher Anschauungen war der sein Leben durchziehende Gedanke, an keinen Ort gebunden zu leben. Sein Wandern (Reisen) ist selbstverständlich der unmittelbare Ausdruck dieses Gedankens. Schon im »Utatsu-kikô« 7 spricht er an einer Stelle von »zwei Wanderern im Universum ohne Wohnung«. 8 Wandernd wollte er in einem Leben ohne Wohnung, in einem Leben ohne Dinge, denen er verhaftet war, und nicht zuletzt seine haikai-Prosa (haibun, 俳文). In der Übersetzung steht der Begriff dort, wo es sich um Bashôs Dichtung als Ganzes, um längere Verssequenzen oder haibun-Prosa handelt (vgl. Anm. 4). 4 Das hokku (発句) war als erstes Glied eines Kettengedichtes von besonderer Wichtigkeit und konnte sich so verselbständigen. In seiner isolierten Form (17 Silben, 5/7/5) entspricht es den heute allgemein unter dem Namen haiku (俳句) bekannten 17-Silber. Der Begriff »haiku« wurde jedoch erst im 19. Jahrhundert eine übliche Bezeichnung. Es ist also ein – wenn auch allgemein gebrauchter – Anachronismus, bei Bashô von haiku zu sprechen. In der Übersetzung heißt es dort, wo es sich um diesen (isolierten) 17-Silber handelt, hokku, um ihn von der haikai-Dichtung in anderer Form zu unterscheiden. 5 Schein-Wirkliches (kyojitsu, 虚実), wörtlich das Kenon (die Leere) und das Substantielle, ist das Wort für eine Realitätsauffassung, wonach das Reale in wechselseitigem Durcheinander von Kenon und Substantiellem angesehen wird. 6 »Erscheinung ist (gleich) Leere, Leere ist (gleich) Erscheinung« (shiki soku ze kû, kû soku ze shiki, 色即是空、空即是色). Es handelt sich um einen Satz aus dem »Prajñâpâramitâ-hridaya-Sûtra«, Herz-Sûtra (hannya-shin-gyô, 般若心経), einem extrem kurzen Sûtra, das eine Essenz der »Prajñâpâramitâ-Sûtren«, »hannya-kyô (Weisheits-Sûtren, 般若経) darstellt. Es handelt von dem Wissen um die Leere (kû, 空) und der Nichtsubstantialität der Erscheinungen. 7 Utatsu-kikô. Das »U.« ist das dritte von fünf Reisetagebüchern (kikô, 紀行) Bashôs. Es ist der Bericht von Bashôs Reise vom Ende des Jahres 1687 bis ins Jahr 1688 (nach einem chin.-jap. Kalender einem Jahr des Hasen [u, 卯] und einem Jahr des Drachen [tatsu, 辰]) von Edo [Tôkyô] bis Suma in Westjapan. Man vermutet heute, daß Bashô das Manuskript in den Jahren 1690/1691 fertigstellte. Das »U.« ist ebenfalls bekannt unter dem Namen »Notizen aus dem Ranzen« (Oi no kobumi, 笈の小文). 8 Bashô schreibt im »Utatsu-kikô« (vgl. Anm. 7), daß ihm von Ise ab ein Mann auf der Reise Gesellschaft leistet, um ihn bis Yoshino zu begleiten; beim Aufbruch zur nun gemeinsamen Weiterreise, heißt es, schrieben sie auf ihre Hüte: »Zwei Wanderer …« Bei
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zu dem keine Bindung kennenden Wesen des eigentlichen Lebens selbst, welches sich ständig in Veränderung befindet und sich dennoch nie verändert, vordringen. »Nirgends-wohnen«, das war für ihn das Wesen des Lebens als solches und die Realität seines wirklichen Lebens, das er – mit dem Blick auf dieses Wesen – als Ziel nach seiner eigenen Entscheidung wählte. Das »Nirgends-Wohnen« war somit für Bashô das Wesen und die Realität des Lebens, Ziel und zugleich »Weg« unter seinen Füßen. Für ihn war das Leben die Übung des Weges 9 – und zwar, weil das Nirgends-Wohnen sein Ausgangspunkt war. Weil aber das Nirgends-Wohnen eine Angelegenheit des Lebens als solches ist, geht es nicht nur um eine Frage des praktischen Lebens, sondern zugleich um eine Frage des Inneren. Es ist eine Frage des Lebens nach Außen und des Inneren. Es gibt einen Brief Bashôs – aus dem Jahre Genroku 3 (1690), wahrscheinlich geschrieben, bevor Bashô sich in der sogenannten »Hütte Schein-Wohnung« 10 in die Berge zurückzog – an Kyokusui, 11 von dem er beim Wohnen in dieser Hütte Hilfe erhalten zu haben scheint; in einem Abschnitt heißt es da: »Da ich sehr wünsche, wie die dahintreibenden Wolken mit dem Herzen des Nirgends-Wohnens zu leben, bitte ich Sie, während ich so umherwandere, meinem Wunsch entgegenzukommen. Bitte besorgen Sie mir nur das, an das ich mich nicht zu binden brauche, und dem mein Herz nicht allzusehr verpflichtet wird. Da ich denke, daß mein vorläufiger Aufenthalt wie Spinngewebe ist, das dem jeweiligen Wehen des Windes ausgesetzt ist, so mag der Ort zwar ein (unscheinbares) Häuschen sein, ist es aber zugleich für mich wiederum auch nicht.« 12 Bashôs Wandern in dem großen Verlandem Begleiter handelt es sich um Tokoku Tsuboi (1657?–1690), einem der engeren Freunde Bashôs, im »U.« nennt er sich Mangiku-maru. 9 Die Übung des Weges (gyôdô, 行道), wörtlich: gehen auf einem Weg. Das Wort ist ein stehender Ausdruck im Buddhismus und bedeutet Übung überhaupt. 10 Genjû-an (幻住庵). Das Wort »gen« (幻) ist als ein Wort für die Realität im buddhistischen Sinne ungefähr synonym zur Leere oder kyojitsu (vgl. Anm. 5 und 11). 11 Kyokusui Suganuma (1658?–1717). Der Briefwechsel zwischen Bashô und dem Schüler Kyokusui zeigt das enge Verhältnis zwischen beiden. Kyokusuis Onkel besaß in der Nähe des Biwa-Sees eine Hütte. 1690 nahm Bashô dankbar das Angebot Kyokusuis an, dort den Sommer zu verbringen, er blieb dort etwa dreieinhalb Monate. Ergebnis dieses Aufenthaltes war die »Aufzeichnungen aus der Hütte Schein-Wohnung« (Genjû-an no ki, 幻住庵記). Die mehrfache Überarbeitung des Textes weist darauf, für wie wichtig Bashô selbst diese Aufzeichnungen einschätzte. Bashô erklärte hier, daß der Onkel Kyokusuis in der Hütte acht Jahre als Priester unter dem Namen Genjû lebte. 12 Vgl. Bashô bunshû, Nihon koten bungaku taikei 46, Tôkyô 1984, S. 409.
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gen nach jenem Leben ohne Wohnung der dahintreibenden Wolken ist also ein Wandern, um das Herz nicht zu binden, um das Herz nicht allzusehr den Dingen dieser Welt zu verpflichten. Die Formulierung »nicht allzusehr verpflichten« ist sehr implikativ. Verneint sie einerseits, daß das Herz sich an etwas bindet, so gibt sich andererseits in ihr verborgen doch eine Einstellung zu erkennen, die nicht auf der gefühllosen Leere hartnäckig besteht. Man kann wohl sagen, dieser Ausdruck zeigt ein Gefühl, das in Berührung mit den Dingen dieser Welt entsteht, nachdem Begierde und Verlangen verneint und so Ich und Besitztum verlassen wurden. In »Aufzeichnungen aus der Hütte Schein-Wohnung« heißt es im Manuskript einer frühen Fassung: »Ich blicke ins Nichts, sitze auf einem hohen Felsen und zerdrücke Läuse.« Daraus wird in dem in die Gedichtsammlung »Sarumino« 13 aufgenommenen Text: »Die Beine lasse ich über einen hohen Felsen herabhängen, sitze auf einem einsamen Berg der Leere und zerdrücke Läuse.« »Nichts« (»der einsame Berg«) und der »hohe Berg« stehen hier in umgekehrter Reihenfolge. Die Gründe hierfür werden deutlich, wenn Bashô in einem Brief, in dem er während der Überarbeitung dieser Aufzeichnungen nach Kyorais 14 Meinung fragt, die Erklärung gibt, wenn er einsamer Berg der Leere schreibe, so sei das doch »der einsame Berg der Leere in uns«, und daher müsse man diesen Begriff, ohne daß es ein Hindernis geben dürfte, mit dem Begriff »hoher Felsen« austauschen können. 15 Wo es also zunächst heißt »ins Nichts blicken«, dieses ›Nichts‹ auch »Des Affen Strohmantel« (猿蓑集), 1691 erschienen, eine Sammlung von hokku (vgl. Anm. 3 u. 4) Bashôs und seiner Schüler, die unter Bashôs Anleitung von Kyorai (vgl. Anm. 14) und Bonchô Nozawa (?–1714) kompiliert wurde. Die Entstehung dieser Sammlung zeigt, daß Bashô selbst ihr besondere Bedeutung zumaß, sie fand gleich nach der Veröffentlichung großen Anklang und gilt noch heute als eine exemplarische haikaiSammlung der Bashô-Schule. Im letzten Teil dieser Sammlung wurde auch eine Version des in verschiedenen Fassungen erhaltenen »Genjû-an no ki« (vgl. Anm. 11) aufgenommen. 14 Kyorai Mukai (1651–1704). Kyorai gehörte zum engeren Freundes- und Schülerkreis Bashôs; 1691 hielt sich Bashô in dessen Hütte mit dem Namen »Hütte der herabfallenden Kaki-Früchte« (Rakushi-sha) auf und schrieb das »Tagebuch aus Saga« (Saga-nikki, 嵯峨 日記). Von großer Bedeutung für das Verständnis von Bashôs Dichtung sind die von Kyorai gesammelten Aufzeichnungen von Gedanken Bashôs über das Wesen des haikai (vgl. Anm. 3) und Gesprächen zwischen Bashô und seinen Schülern, die unter dem Titel »Notizen Kyorais« (Kyorai-shô, 去来抄) bekannt sind; sie wurden 1775 erstmals veröffentlicht. 15 Brief an Kyorai (vgl. Anm. 14) aus dem Jahre Genroku 3 (1690); vgl. Bashô bunshû Nihon Koten bungaku taikei 46, Tôkyô 1984, S. 393–395, vor allem 394. 13
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wiederum der »einsame Berg der Leere in uns« genannt wird, wo weiterhin gesagt wird: auf einem einsamen Berg, die Beine über einen hohen Felsen herabhängen lassend, dasitzen und Läuse zerdrücken, da kann man die oben zitierte Beschauung ›Erscheinung ist (gleich) Leere, Leere ist (gleich) Erscheinung‹ und eine Zen-Erfahrung, in der Bashô diese Beschauung seinem Herzen selbst zu eigen machte, entdecken. Gleiches gilt auch für den letzten Satz dieser Aufzeichnungen, in dem es heißt: »Welche Wohnung ist nicht Schein-Wohnung? So nachdenkend habe ich mich schlafengelegt.« 16 Das Wohnen in der »ScheinWohnung«, welches als ein wie das Spinngewebe dem Wind Ausgesetztsein verstanden werden muß, ist nichts anderes als das Nirgends-Wohnen im eigenen Herzen. Der »Ort« dieses Nirgends-Wohnens ist der Ort, wo, nachdem der Fluß aufwärts verfolgt wird, das Wasser aufhört; die »Zeit« dieses Nirgends-Wohnens liegt in der Stunde, in der sich die Wolken türmen, die man dasitzend schaut. 17 Die »Aufzeichnungen aus der Hütte Schein-Wohnung« schließen nach jenem (oben zitierten) letzten Satz unvermutet mit dem hokku: »Eine Eiche ist auch da, auf die ich nun rechne: Sommerhain!« 18
Während er die Wohnung überhaupt für die Schein-Wohnung nimmt, wohnt er ausgeglichen ebendort. Eine solche Lebensansicht, die diese Aufzeichnungen durchdringt, kommt in diesem hokku zur Kristallisation. Die unsichere Lebenslage, in der der Blick sogleich auf einem Eichenbaum verweilt, der zwar erst Monate später Früchte tragen soll, dennoch aber Aussicht auf den Speisenvorrat, somit vorläufig die Beruhigung gibt; das sich lebhaft an einem neuen Wohnort erfreuende Herz, mit dem man auf den Eichenbaum rechnend die Unsicherheit durchbricht; die Bäume (des Sommerhains), die Schatten spenden und überdies auch einen kühlen Wind nicht aufhalten, alle diese sind im knappen und dennoch so starken Wort »auf die ich nun rechne …« enthalten. Dieses Wort bringt ein feines Sich-Durchdringen von Aus »Genjûan no ki«, vgl. Anm. 11. Hier handelt es sich um eine Anspielung auf den chinesischen Dichter Han-shan (japanisch Kanzan, wahrscheinlich zweite Hälfte des 8. Jahrhunderts), dessen vom Ch'anBuddhismus (jap. Zen-Buddhismus) beeinflußte Gedanken wiederum nicht ohne Einfluß auf Bashô blieben. 18 Mazu tanomu/ shii no ki mo ari/natsu kodachi (先ずたのむ推の木もあり夏木 立). 16 17
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Die »Verrücktheit« beim Dichter Bashô
Schein-Wohnen und sorglosem Wohnen schlicht zum Ausdruck. Hier durchdringen sich Unwirklichkeit und Wirklichkeit, was der Existenz in der Welt überhaupt gehört. Ich will hier aber nicht über dieses hokku selbst sprechen. Ich möchte vielmehr fragen, ob nicht in einem Herzen – wie es sich in diesem hokku zu erkennen gibt –, das auch im ScheinWohnen auf eine Eiche rechnend Ermutigung finden kann, in einem Herzen, das im Nirgends-Wohnen sorglos wohnt, ob nicht hier der Ursprung für Bashôs haikai-Kunst liegt! Herz des Nirgends-Wohnens ist ein Herz, das an nichts gebunden ist. Und das bedeutet nichts anderes, als daß das Herz zu seinem eigenen Urquell zurückkehrt. Man kann auch sagen, ist im Herzen einmal dessen Urquell »ent«-deckt, befindet sich das Herz von nun an immer an seinem Ursprung, dort, wo sein Uranfang ist. Das Herz ist dort so rein wie aus der Quelle strömendes Wasser. Das von Augenblick zu Augenblick entstehende und wieder entstehende Herz (d. h. das Bewußtsein) entspringt einem nicht zu fassenden Ort. Oder: es entspringt der Leere. Und die Leere ist eben das Herz selbst. Es ist ein Herz, von dem das bekannte Wort gesagt wird: »Ohne einen Wohnort zu haben, entsteht eben dort das Herz.« 19 Doch scheint es, daß für Bashô eine solche kreative Haltung, die keinen Wohnort kennt, aber ein solches Herz gebiert, zum Urquell seines Schaffens wurde. Und dies kann man auch deutlich durch die Tatsache bestätigt finden, daß er in dem »Menschen, der dem Weg des Herzens folgt«, den größten Künstler sah und sich selbst auch als einen »Haikai-Dichter des Herzens« sah; weiterhin durch die Tatsache, daß er einmal einen Satz schreibt, in dem es heißt: »Stets übend, nachdenkend, soll man im nötigen Fall sein Gefühl mit ganzer Kraft ausdrücken. Man soll nicht in seinem Inneren versinken.« 20Das als ›Wandnotiz‹ überlieferte Wort: »Man muß sich denken, daß hokku dort entstehen, wo das Ich keine unterscheidende Reflexion vornimmt«, 21 enthält wahrscheinlich den gleichen Sinn. Was im Herzen, das keine unterNach der sino-japanischen Lesung »ô-mu-sho-jû-ni-shô-go-shin« (応無所住而生其 心), das Wort ist im Diamant-Sûtra (kongo-hannya-haramitsu-Sûtra, VajracchedikaPrajñâpâramitâ-Sûtra) enthalten. 20 Dieses Bashô-Wort wird im »kyorai-shô« (vgl. Anm. 14) überliefert. 21 »Wo das Ich keine unterscheidende Reflexion vornimmt«. Im Japanischen steht hier der hier kaum angemessen übersetzbare Begriff »mufunbetsu« (無分別), der einen Bereich (Zustand) der Erfassung des Absoluten ohne (außerhalb der) verstandesmäßige Scheidung und Unterscheidung bezeichnet. 19
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scheidende Reflexion vornimmt, eben in diesem Herzen seinen Ort findet und von diesem Ort her Haikai-Dichtung entstehen läßt, das ist der »Same von fûga«. Die Veränderungen im Universum werden hier der Same von fûga genannt. 22Obgleich alles gemeinhin weltlich ist, so gibt es doch nichts, was nicht auch zum Samen von fûga wird. Was aber für ein Wind »fû« im fûga ist das dann, der fûga heranträgt? 23 Bashô spricht hier zum Beispiel von dem »Herbstwind, der die Wolken aufwühlt und uns unruhig ins Herz weht«. 24 Oder er schreibt: »Auch ich dachte seit langer Zeit – vom Wind, der mit Wolken weht, verlockt – unablässig an Wanderung … besessen war ich von verführerischen Göttern, die mein Herz in Unruhe versetzten.« 25 Die Bibel überliefert folgende Worte Jesu, in denen er den Heiligen Geist dem Wind vergleicht. Dort heißt es: »Der Wind (›Pneuma‹) weht, wo er will; du hörst sein Brausen, weißt aber nicht, woher er kommt und wohin er geht. So ist es mit jedem, der aus dem Geist (›Pneuma‹) geboren ist.« 26 Ebenso weht für Bashô der Geist der Kunst unruhig wie der Wind und versetzt sein Herz in einen Zustand der Verrücktheit. Dieses in einen Zustand der Verrücktheit versetzte Herz ist seine Künstlerseele, ist Urquell seiner hokku. (An anderer Stelle schreibt so Bashô:) »Im Körper meiner Das Zitat findet sich im »Roten Buch« (Aka-sôshi, 赤冊子) der »Drei Bücher« (Sanzôshi, 三冊子). Neben dem »kyorai-shô« (vgl. Anm. 13) sind die Aufzeichnungen von Bemerkungen Bashôs und Gesprächen mit den Schülern durch den Bashô-Schüler Tohô Hattori (1657–1730) von großem Wert für den Zugang zur haikai-Dichtung der BashôSchule. Sie sind als »Sanzôshi« bekannt, dieses ist unterteilt in »Weißes Buch« (Shirosôshi), »Rotes Buch« (Aka-sôshi) und »Schwarzes Buch« (Kuro-sôshi); die erste Veröffentlichung ist von 1768. 23 Der Begriff »fûga wird mit dem gleichen Zeichen für Wind (fû, 風) wie in »shôfu (vgl. Anm. 2) geschrieben und mit dem Zeichen für »ga«(雅), welches im heutigen Japanisch etwa »Eleganz«, »Anmut« »(feiner) Geschmack« bedeutet, vor dessen irreführenden Konnotationen in der deutschen Übersetzung zum Verständnis des in der vorliegenden Übersetzung reflektierten Begriffs »fûga« hier aber nur gewarnt werden kann. 24 »Aufzeichnungen von der Reise nach Sarashina« (Sarashina-kikô, 更科紀行). Bashô beschreibt in diesem, dem vierten seiner Reisetagebücher, seine Reise im Jahr 1688 nach dem für seinen Mondschein berühmten Ort Sarashina. 25 Das Zitat ist dem Beginn von Bashôs fünftem und umfangreichstem Reisetagebuch »Oku no hosomichi« (奥の細道) entnommen. In diesem Tagebuch beschreibt Bashô seine Reise von 1689 in den nördlichen Teil Japans, er arbeitete an seiner Fertigstellung vier Jahre (1690–1694). Der Titel, den man zunächst als »Der schmale Pfad nach Norden« übersetzen mag, besitzt allerdings komplexere Bedeutung. Es ist möglich, daß Bashô z. B. an einen Weg zum inneren Wesen der Dichtung gedacht hat. 26 Johannes-Evangelium 3,8. 22
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Die »Verrücktheit« beim Dichter Bashô
hundert Knochen und neun Öffnungen da wohnt etwas, das man hier einmal ›fûrabô‹, Wandermönch mit dem Wind ausgesetzten Gazekleid nennen möchte. Dieser Name soll darauf anspielen, wie leicht dünne Gaze vom Wind hinweggerissen wird. Lange Zeit hatte dieses Wesen am Verfassen von Versen (kyôku, wörtlich: verrückte Verse) einfach nur Vergnügen. Schließlich aber machte es dies zu seiner Lebensaufgabe.« 27 Solche hier angesprochene »Verrücktheit« aber besagt die menschliche Existenz des Nirgends-Wohnens, die dem Wind gleicht. Man findet zu ihr, indem man nirgends wohnend doch in Ausgeglichenheit wohnt. Sie besagt, daß man etwas entdeckt hat, an dem man aus dem An-keiner-Sache-Verhaftetsein heraus doch haften soll. Dieses war für Bashô der Weg des fûga. Fûga war für ihn ein ausgeglichenes Leben (Wohnen) als Verwirklichung des Nirgends-Wohnens, vielmehr, war ein ausgeglichenes Leben (Wohnen), das beharrlich zum NirgendsWohnen strebte. Solches Leben im Ausgeglichensein ist gleichzeitig auch ein kreatives ausgeglichenes Leben, ist ausgeglichenes Leben als Schöpfung. Jene Verrücktheit aber ist dann wohl ein dem Spiel des Windes Preisgegeben-Sein, wie das des von seiner Schnur gerissenen Drachen. Aber darin erschöpft sie sich noch nicht. In diesem dem Wind-preisgegebenSein gibt es doch einen Weg. Dieser Weg, der die Ungebundenheit des dem Wind-preisgegeben-Seins nicht stört und die Freiheit nicht einschränkt, ist ein künstlerisch schöpferisches Leben als ein ausgeglichenes Leben (Wohnen) im Nirgends-Wohnen. Die einleitende Passage des »Utatsu-kikô«, die mit den gerade zitierten Sätzen beginnt, müssen wir mit etwas Aufmerksamkeit lesen. Auf die Sätze: »Lange Zeit hatte dieses Wesen am Verfassen von Versen einfach nur Vergnügen. Schließlich aber machte es dies zu seiner Lebensaufgabe« folgen schon bald Worte, in denen es heißt: »(jener Wandermönch mit dem Wind ausgesetzten Gazekleid) ohne Fähigkeiten und Talente folgte schließlich nur noch diesem einen Wege«. Und hierauf geht es im Text neuerlich weiter zu den Worten: »Die Waka-Dichtung von Saigyô, die RengaDichtung von Sôgi, die Malerei von Sesshû und die Kunst des Tee von Rikyû durchdringt ein und dieselbe Sache.« 28 Jeder einzelne der in diese »Utatsu-kikô«, vgl. Anm. 7. »Utatsu-kikô, vgl. Anm. 7. Bashô nennt hier vier Künstler, die – auch heute noch – als Meister in ihrer Kunst gelten. Saigyô (1118–1190) für das japanische Gedicht, »waka« (和歌) (in Gegensatz zum chinesischen Gedicht »shi«〔詩〕), dessen wichtigste und seit 27 28
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kurze Passage eingebrachten Gedankenübergänge bedeutet einen Sprung. Und jeder Sprung birgt wohl in sich verschiedene Bedeutungen. Schauen wir uns also an, was der hier zuerst wiedergegebene Gedankenübergang aussagt. Die »Verrücktheit« eines Herzens, das aus dem Verfassen von haikai (wörtl. verrückten Versen) eine Lebensaufgabe macht, ist ein sich Trennen von der Alltäglichkeit der Welt, ist ein Abweichen von der normalen Ordnung des alltäglichen Lebens. Sie ist ein Nirgends-Wohnen, das sich im Verhältnis zur alltäglichen Welt verwirklicht. Hier wird sie als eine Konsequenz dessen dargestellt, daß er selbst (Bashô, der Wandermönch mit dem Wind ausgesetzten Gazekleid), da ohne eine Stellung und ohne Talente, außer diesem einen Weg nichts hat, wohin er sich wenden kann, sie wird zu einem Herausfallen aus dem Leben der Welt um ihn. Gleichzeitig aber hört man aus dem Tonfall der Worte ›nur noch diesem einen Weg folgen‹ deutlich den Stolz heraus, der in solcher Demut verborgen liegt. Und dieser Stolz rührt aus dem Umstand, daß ein solches Nirgends-Wohnen nicht einfach nur ein Herausfallen ist, sondern die Konsequenz einer Entscheidung, aktiv das gewöhnliche Leben von sich zu werfen, um auf diesem einen Weg der Kunst seine Lebensaufgabe zu finden, der hier verborgene Stolz scheint vor allem auch imponierend klar aus den Worten auf: »ein und dieselbe Sache durchdringt diese (Künste)«. Und aus eben diesem Grunde ist die »Verrücktheit« bei Bashô ein Nicht in der alltäglichen Welt Leben (Wohnen) und dennoch in ihr Leben (Wohnen), ein Wohnen und dennoch Nicht-Wohnen und schließlich ein Leben (Wohnen) in Ausgeglichenheit im Nirgends-Wohnen. Dieses Nirgends-Wohnen ist weiter in der Entscheidung, die Kunst als Leben zu wählen, als Urgrund dieser Entscheidung enthalten. Nämlich die Entscheidung für seine Kunst wird verwirklicht durch das Von-sich-Werfen eines gewöhnlichen Alltagslebens, und indem er »ins Nichts blickt« und die Beine über einen hohen Felsen herabhängen läßt, und sie wird verwirklicht, indem er der Natur folgend zur Natur zurückkehrt. Und dieses Leben (Wohnen) in der Heian-Zeit (794–1185) damit praktisch identische Form das einunddreißigsilbige (5/7/5/7/7) »tanka« (短歌) ist. Für die Kunst des Kettengedichtes (renga, vgl. Anm. 3) nennt er Sôgi (宗祇, 1420–1502); Saigyô (西行) und Sôgi sind in der japanischen Literaturgeschichte als Wanderdichter berühmt. Wie Sôgi gehören die nach ihm genannten Sesshû (1420–1506), der Meister der Tuschmalerei, und Rikyû (1522–1591), der als Tee-Meister die Ideale der Kunst des Tee (sadô, 茶道) zur Vollendung führte, der Muromachi-Zeit an.
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Die »Verrücktheit« beim Dichter Bashô
Ausgeglichenheit ist auch ein Leben in Ausgeglichenheit als Schöpfung, welches seine (Lebens)Aufgabe in dieser Welt auf jenem einen Weg der Kunst verfolgt. Die Entscheidung für die Kunst war bei Bashô einerseits eine Entscheidung, die alltägliche Welt von sich zu werfen und dann ein Leben des Nirgends-Wohnens im Universum zu beginnen, andererseits war dies eine Entscheidung, die alltägliche Welt von sich zu werfen und von dort her in der alltäglichen Welt zu leben. Durch diesen Akt trennte er gleichsam ein Leben im Verzicht auf diese Welt von dem Leben in dieser Welt und verband sie in diesem Trennen. Dieses beide Seiten voneinander Trennen und sie dabei doch gleichzeitig zu verbinden, war nichts anderes als seine Kunst. Als er das Haus seines Landesfürsten verließ, den Ort seiner Stellung in Samurai-Diensten aufgab und sich vornahm, Künstler zu sein, da handelte es sich wohl um eine solche Entscheidung. 29 Eine derartige Entscheidung am Anfang aber ist eine Entscheidung, die wiederholt werden muß. Das bedeutet, diese Entscheidung wiederholt sich von nun an fortdauernd, seine Existenz durchdringend und ist Urquell seines Lebens als Künstler und auch seiner Kunst selbst. Nicht in der alltäglichen Welt lebend (wohnend) dennoch in ihr leben (wohnen), in ihr lebend (wohnend) dennoch nicht in ihr leben (wohnen), dies ist eine Art religiöser Übung. Bei ihm war diese Übung das Wesen des Lebens selbst. Und eben dieses Wesen seines Lebens wurde (von ihm) als künstlerische Schöpfung verwirklicht. Man kann sagen, daß in diesem Sinne bei ihm die Kunst eine religiöse Übung war. Sein Künstlertum bestand darin, ins Nichts blickend die Wirklichkeit wahrlich und ursprünglich als Wirklichkeit zu fassen, darin, in der Leere die feinsten und geheimsten Tiefen des Seins, der Wirklichkeit zu 29 Bashôs Vater Yozaemon Matsuo (?–1656) stand als niederer Samurai in den Diensten der Familie Tôdô, daimyô (Fürst) der Provinz Iga. Auch Bashôs älterer Bruder Hanzaemon (?–1701) diente der Familie bis zum Ende seines Lebens. Schon früh wurde Bashô mit Yoshitada Tôdô – sein Dichtername ist Sengin(蝉吟) – befreundet, dem Erbfolger eines wichtigen Zweiges der Tôdô-Familie. Beide verfaßten zusammen haikai (vgl. Anm. 3), und unter der Protektion machte sich Bashô einen ersten Namen als Dichter. Unerwartet starb Sengin erst vierundzwanzigjährig im Jahre 1666. Bashô verließ darauf den Hof der Tôdô, was das Ende seiner Karriere als Samurai bedeuten mußte. Die Gründe für diesen Aufbruch sind nicht völlig klar, aber man muß bedenken, daß Bashô mit Sengin einen Freund und Förderer verlor. Auch über die dann folgenden Jahre in Bashôs Leben (1666–1672) besitzt man keinerlei Klarheit, auf jeden Fall scheint er sich aber mehr und mehr der haikai-Kunst gewidmet zu haben, wie auch in dieser Zeit verfaßte (und veröffentlichte) Gedichte zeigen.
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suchen. Und dies gilt auf ursprüngliche Weise gleichermaßen für seine Lebensweise, wonach er nicht in der alltäglichen Welt lebte (wohnte) und dennoch in ihr lebte (wohnte), in ihr lebte (wohnte) und doch nicht in ihr lebte (wohnte). Und indem dies gleichermaßen für Leben und Kunst gilt, sind Leben wie Kunst nur als ein religiöser Akt möglich. Gegenüber der alltäglichen Welt ist dies eine Einstellung, die sich wie folgt formulieren läßt: die absolute Negation ist Affirmation, oder: Transzendenz ist Immanenz, und weiter bedeutet dies, ein künstlerisches Leben als eine religiöse Übung zu führen. Dort ist der Urquell des Lebens, der Urquell der Kunst, und indem es der Urquell des Lebens ist, ist es Urquell der Kunst, und indem es Urquell der Kunst ist, ist es Urquell des Lebens. Und überhaupt kann sich nur aus einer solchen Haltung heraus in seiner wahren Bedeutung verwirklichen, daß Kunst Leben ist und Leben Kunst. In jedem anderen Fall, also wenn die Kunst im Leben des Künstlers nicht auf diese oder die andere Weise eine Bedeutung wie etwa die der absoluten Negation der alltäglichen Welt und/ oder deren Transzendieren annimmt, dann bleibt dort immer etwas Unwahres. Wenn der Künstler etwa das Leben überbetont, wird sich in seinem künstlerischen Geist eine Vagheit zeigen, und daraus wird sich ergeben, daß er auch als Mensch nicht tief mit der Wahrheit in Berührung kommt. Überbetont der Künstler aber andererseits seine Kunst, wird er sich von den Wahrheiten, die in den täglichen Angelegenheiten des menschlichen Lebens liegen, entfernen, und dadurch wird wiederum seine Kunst einer Ursprünglichkeit ermangeln. In beiden Fällen verliert der Künstler auf diese oder jene Weise die Fähigkeit, tief zu fühlen, nämlich dort, wo es darum geht, wie er in seinem eigenen Leben und in seiner Kunst als Mensch zu leben hat. Nun, auf jeden Fall ist die »Verrücktheit« in Bashôs Leben und in seiner Kunst als ein auf das Nirgends-Wohnen ausgerichtetes Leben (Wohnen) in Ausgeglichenheit eine künstlerische Schöpfung, und diese Schöpfung war zugleich eine ursprüngliche Gestaltung des Lebenslaufs als solchem. Als er sich in die Hütte Schein-Wohnung zurückzog, hatte er geschrieben: »Da ich denke, daß mein vorläufiger Aufenthalt wie Spinngewebe ist, das dem jeweiligen Wehen des Windes ausgesetzt ist …« Auch dies zeigt eine Form des auf das Nirgends-Wohnen hin ausgerichteten Lebens (Wohnens) in Ausgeglichenheit. Und ebenfalls seine Wanderung, die er ›vom mit Wolken wehenden Wind verlockt‹ unternimmt, ist wohl eine weitere Form davon. Allerdings liegt diesen verschiedenen äußeren Formen davon ein auf das Nirgends-Wohnen hin ausgerichtetes, ausgegli268 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
Die »Verrücktheit« beim Dichter Bashô
chenes Wohnen in seinem Leben selbst und/oder in seinem Herzen selbst zugrunde; dieses ausgeglichene Leben war auch die Einrichtung eines Lebens, in dem er sich in den gewöhnlichen Alltag hineinlebend über diesen erhob, in einem Leben weder als Priester noch als Laie, und weiterhin gleichzeitig das Etablieren eines Künstlertums der »Leere und des Wirklichen«. Allerdings zeigt sich hierin allein noch nicht die ganze Bedeutung jener »Verrücktheit«. Wir haben diese »Verrücktheit« bisher nur unter einem Aspekt, nämlich in ihrem Verhältnis zur gewöhnlichen Welt betrachtet. Ich habe im vorhergehenden Abschnitt den ersten Teil der einleitenden Passage des »Utatsu-kikô« wiedergegeben, wo das Leben Bashôs als eines Dichters einem Leben in der alltäglichen Welt gegenübergestellt wird. Aus dem Vergnügen am Verfassen von Versen schließlich eine Lebensaufgabe zu machen, dies bedeutete, aus der Ordnung des alltäglichen Lebens herausfallend, auf diesem einen Wege einen bescheidenen Anhaltspunkt zu finden. Die von ihm selbst so bezeichnete »Verrücktheit«, bzw. die (»verrückten Verse«), drückt jene Empfindung aus, daß »fûga bei mir (in meinen Gedichten) so etwas Überflüssiges ist, wie ein Kaminfeuer im Sommer oder ein Fächer im Winter. Es widerspricht dem Geschmack der Menge und ist von keinem Nutzen.« 30 Aber auch in diesen Worten der Bescheidung verbirgt sich zugleich der Selbstrespekt eines Menschen, der seinen eigenen Wert kennt und nicht zurücksteckt. Und diesen Selbstrespekt fanden wir ja auch in dem Satz enthalten, in dem es heißt: ohne Fähigkeiten und Talente folgte er schließlich nur noch diesem einen Wege. Solcher Selbstrespekt und solche Würde zeigten sich unmittelbar und deutlich darin, daß Bashô im gleich auf diesen Abschnitt folgenden zweiten Teil (jener Einleitung) den Namen von Saigyô und die anderer Vorgänger erwähnt, und er schließlich sagt: »ein und dieselbe Sache durchdringt diese (Künste)«. Jener Weg, der von ihm gewählt wurde, da er für alle übrigen Lebensweisen untauglich ist, wird hier für den die Geschichte der Kunst hindurch tradierten einen Weg gehalten. Diese Passage, in der er beschreibt, wie dieser eine Weg für seine Kunst konkret wurde, geht dann weiter mit den Worten »wer für das fûga lebt, der folgt der Natur und macht sich die vier JahDie Bemerkung ist in einem Abschiedswort Bashôs an seinen Schüler Kyoriku Morikawa (1656–1715) aus dem Jahre Genroku 6 (1693) enthalten; in »Abschiedsworte an Kyoriku« (Kyoriku ribetsu no shi). 30
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reszeiten zu Freunden« und reicht bis zu dem Satz: »folge der Natur, kehre zur Natur zurück«. 31 Wenn wir annehmen, daß der erste Teil dieser Einleitung das Leben des Dichters vom Verhältnis zum Leben in der alltäglichen Welt her bestimmt, so können wir sagen, daß ihr zweiter Teil den ›Weg‹ seiner Kunst vom Verhältnis zum Religiösen her bestimmt. Saigyô und die anderen von ihm angeführten Künstler sind, jeder für sich, Menschen, die den Ursprung ihrer Kunst in einem religiösen Gemüt suchten. Das heißt, Bashôs dichterisches Fühlen, sein Herz, das von verführerischen Göttern besessen und in Unruhe versetzt ist, muß auch von dieser Seite her betrachtet werden. Denn seine »Verrücktheit« ist sowohl eine »Verrücktheit« gegenüber einem Leben in der alltäglichen Welt als auch eine »Verrücktheit« gegenüber einem Leben im Verzicht auf diese Welt. Nicht in dieser Welt wohnen (leben) und auch nicht im Nirvāna wohnen (leben), dies ist die Grundhaltung des Buddhismus. Besonders im Zen vertritt man ein Leben eines Nichts verhafteten Herzens, das in das Wesen des Buddhismus eindringt, ohne an Buddha und an das buddhistische Gesetz gebunden zu sein. Dieses Leben entspricht ebenfalls einer (Selbst-)Erniedrigung 32 um der Barmherzigkeit willen. Hier scheint die ekstatisch erfahrene unverfälschte Wahrheit auf, als Bereich, in dem alles Leere ist. Dies ist etwa eine Haltung eines »ich denke«, wobei doch das Denken des Ich zur Leere gemacht wird, und während es weiter heißt, »also bin ich«, wird doch der Gedanke des Ich sowie der Gedanke des Seins zur Leere gemacht, wird sogar der Gedanke der Leere zur Leere gemacht. Hier darf es keinerlei Illusionshaftigkeit mehr geben. Hier west nun erstmals das absolute Nichts, das jenseits der beiden Bereiche des Seins und des Nichts steht, bzw. die wahre Leere als das wundersame Sein. Es kommt zu einer Haltung eines wahren Verzichts auf die alltägliche Welt, die die Unterscheidung zwischen einem Leben in dieser alltäglichen Welt und einem Leben im Verzicht auf diese
»Utatsu-kikô«, vgl. Anm. 7. Selbsterniedrigung (rakusô, 落草). Die Zeichen für den Begriff »rakusô« bedeuten wörtlich »ins Gras herabfallen«. Nach dem »Lexikon für Zen-Forschung« (Zengaku-daijiten) bezeichnet der Begriff das (sich) Erniedrigen zu einem niederen Rang. Im Zen bedeutet rakusô das sich bescheidende Herabsteigen des »Lehrers« (kyôkasha, 教化者) in das gewöhnliche Leben. Der Lehrer lenkt zum Guten, indem er ein Leben in der »verderbten Welt« (ojoku no genjitsu, 汚濁の現実) führt (vgl. in der Folge kaitô-domen und dadei-taisui); Zengaku-daijiten, Tôkyô 1985, S. 1259 a.
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Welt überwunden hat. (In der Jôdo-Schule des Buddhismus 33 spricht man hier – durch das richtige Moment der Illusionshaftigkeit vermittelt – vom großen Glauben an die absolute fremde Kraft, die vom anderen Ufer [d. h. des Stroms der Seelenwanderung, also vom Nirvāna] kommt und die Menschen zum anderen Ufer hin errettet.) Dies ist nun zugleich eine Haltung, inmitten des Weltlaufs die Spur der weltlichen Tätigkeit zu löschen, und dies ist nichts anderes als eine Haltung, die man als kaitô-domen und dadei-taisui 34 bezeichnet. Diese allerdings ist letztlich eine Haltung im Bereich der Religion. In Welten wie denen der Wissenschaft und der Kunst, in Bereichen der Praxis wie denen der Moral und der Politik ist ein Vordringen bis zu einem solchen Punkt nicht zulässig. In diesen Bereichen muß es eine tiefe Beharrlichkeit geben. Hier ist ein festes Gebunden-Sein notwendig. In der Kunst z. B. ist ein Sich-Verbessern durch Üben in einer als Kunst verstandenen Fertigkeit und einem als Kunst verstandenen Geist gefordert. Einen Vers tausendmal durchkauen zu können (wörtl.: tausendmal auf der Zungenspitze wenden), ein solches Überarbeiten und Feilen eines Verses ist unmöglich ohne ein hartnäckiges Beharren auf der Kunst. Man kann nicht anders, als denken, daß ein solches intensives Beharren auch implizit war, als Bashô schrieb: »(er) folgte schließlich nur noch diesem einen Weg«. Das Gleiche gilt auch für die Bereiche der Wissenschaft und der Moral. Ein solches Beharren ist aber von der Religion her betrachtet Irrtum, ist etwas, das absolut negiert werden muß. Gäbe es aber ein solches Beharren nicht, so wäre wiederum kein geschichtlich-gesellschaftlich gestaltendes und schöpferisches Wirken denkbar. Aus einer solchen Sichtweise erscheint nun in dem Verhältnis von Kunst und Religion bei Bashô eine weitere Paradoxie, die zu unterscheiden ist von der Paradoxie, die im Verhältnis von seinem Leben in der alltäglichen Welt und seiner Kunst liegt. Oben habe ich gesagt, daß am Anfang von Bashôs Kunst eine Entscheidung steht. Diese Entscheidung war jene Art religiöser Übung, ein Jôdo-shû, gegründet von Hônen (法然 1133–1212). Kaitô-domen (灰頭土面), wörtlich, »Asche auf das Haupt und Erde ins Gesicht streuen«; dadei-taisui (拖泥帯水), wörtlich, »sich mit schmutziger Erde und mit schmutzigem Wasser verunreinigen« – beide Begriffe sprechen von einer (Selbst-)Erniedrigung; im Zen-Buddhismus weisen sie auf das Leben z. B. eines Schulengründers unter den gewöhnlichen Menschen hin, das dieser nicht zuletzt zu deren Erlösung wählt (vgl. Anm. 32), vgl. »Lexikon für Zen-Forschung« (禅学大辞典, Zengaku-daijiten), a. a. O. S. 144 d und 828 c/d.
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Leben im Verzicht auf die alltägliche Welt und ein Leben in dieser Welt eben durch ihre Trennung zu verbinden, und diese Übung wurde bei ihm als künstlerische Schöpfung vollzogen. Er lebte also in einer Haltung, über die alltägliche Welt hinaus doch in dieser zu leben, und so nahmen sein Leben und seine Kunst – was sein Künstlerdasein betrifft – in ihrem Verhältnis eben zu der alltäglichen Welt eine Bedeutung der sogenannten »Verrücktheit« an. Diese »Verrücktheit« ist sein Empfinden als Dichter. Und dies ist eine Einstellung, die den einmal von ihm geäußerten Worten entspricht: »Nachdem man eine erhabene Erleuchtung erlangt hat, muß man zur alltäglichen Welt zurückkehren.« 35 Betrachten wir aber eben diese gleiche Einstellung in ihrem Verhältnis zum religiösen Denken, so wird sie sich unter diesem Aspekt in einem neuen Licht zeigen. Seiner Kunst liegt eine Haltung zugrunde, in der er ins Nichts blickt und im Universum ohne Wohnung bleibt. Dies ist eine religiöse Haltung, für die alle Erscheinungen Leere sind. Wir fanden bei ihm auch den Gedanken, der Natur folgend zur Natur zurückzukehren. Ein solches Denken entspricht der religiösen Erfahrung des ›Aufscheinens ekstatisch erfahrener unverfälschter Wahrheit‹. Eigentlich gesprochen ist dies nun eine Haltung, die sich von aller Illusionshaftigkeit befreit hat, und dennoch gerade diese Haltung wurde bei Bashô zur Grundlage seiner Kunst. Sein künstlerisches Schaffen geht immer aus ihr hervor und kehrt zu ihr zurück; hier finden wir die Wiederholung jener Entscheidung, wie wir sie oben erwähnten. Aus ihr gehen auch sein Selbstbewußtsein und seine Hingabe als Künstler hervor, die wir in Worten von ihm finden wie: »dieser eine Weg« oder »ein und dieselbe Sache durchdringt (alle Künste)«. Ein solches Selbstbewußtsein und eine solche Hingabe aber sind – wie ich es oben erwähnte – vom religiösen Standpunkt her betrachtet eine tiefe Illusion. Und so schafft hier schließlich die von aller Illusion befreite Haltung die Grundlage für eine tiefe Illusion. Hinzu kommt noch: in dem Maße, in dem man sich eine solche von der Illusion befreite Haltung zu eigen macht, legt diese den Urquell des dichterischen Empfindens tiefer, verstärkt sie das Selbstbewußtsein und die Hingabe, die man als Dichter besitzt. Das heißt, in dem Maße, in dem man, befreit von Illusion, ein in höherem Sinne künstlerisches Leben betont, wirkt dies als eine Kraft, die die Kunst, somit deren Illusionshaftigkeit vertieft; umgekehrt gilt, in dem Maße, in dem man die künstlerische Hingabe vervielfachend, zu deren Illu35
»San-zôshi« und »Aka-sôshi«, vgl. Anm. 22.
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Die »Verrücktheit« beim Dichter Bashô
sionshaftigkeit durchdringt, vertieft dies ein von der Illusionshaftigkeit befreites, in höherem Sinne künstlerisches Leben. Bashôs Kunst begründete sich auf einer solchen Paradoxie; indem er eine solche Paradoxie als Paradoxie bis zum Letzten vollzog, konnte er in seiner Kunst eine äußerst intensive Ausstrahlung erreichen. Allgemein gesprochen gilt, daß in der Zeit, wo Buddhismus einerseits und Kultur und Praxis andererseits einander durchdrungen haben, Kultur und Praxis dann in sich ein über sie selbst hinausreichendes Wesen annehmen; wenn sie so bis zu ihrem Gipfel erhöht werden, dann immer, so kann man sagen, scheint eine solche Paradoxie auf. Der Grund dafür liegt wahrscheinlich darin, daß solche Paradoxie das tiefste oder auch höchste Prinzip der Kultur und Praxis darstellt. Allgemein bekannt ist zum Beispiel der Schwur, den die Kusunoki-Brüder 36 taten, als sie sich (nach verlorener Schlacht) am Minato-Fluß durch Seppuku selbst töteten, nämlich sieben Mal wiedergeboren zu werden, um dem Kaiser und Vaterland zu dienen. Ebenso bekannt ist die Überlieferung, daß dieser Schwur von einem Selbstbewußtsein begleitet war, das sich in den Worten äußerte: »Mag solches sündiges Handeln (nämlich im Dienst für den Kaiser dessen Feinde zu töten) auch von tiefer Illusion sein.« Hinter ihrer Gesinnung, dem Kaiser und Vaterland zu dienen, steht eine buddhistische Gesinnung jenseits von Liebe und Haß; dennoch ist diese buddhistische Gesinnung tiefer Ursprung ihrer patriotischen Gesinnung, sie verleiht ihrer patriotischen Gesinnung große Kraft. Hier wird eine solche in der Tat erschienene Paradoxie sichtbar. Und zwar wurde die Tat hier dadurch, daß die in ihr liegende Paradoxie Kusunoki-Brüder (Kusunoki-kyôdai). Es geht hier um eine Episode aus dem 14. Jahrhundert, aus den Auseinandersetzungen zwischen dem 96. Kaiser Godaigo (1318–1338) und zunächst der von der Familie der Hôjô beherrschten Militärregierung in Kamakura (Kamakura-bakufu) und spater dem ab 1338 als Shogun regierenden Takauji Ashikaga. Im Jahre 1336 kam es am Minato-Fluß zur Schlacht zwischen den Truppen Godaigos, von denen Masashige Kusunoki einer der Befehlshaber war, und den von Takauji befehligten Truppen. Die Krieger unter Masashige wurden geschlagen, am Ende der Schlacht nahmen er und sein Bruder Masasue sich das Leben. Bevor sie sich entleibten, soll Masashige seinen Bruder nach dessen letzten Gedanken gefragt haben, worauf dieser antwortete, er wolle siebenmal wiedergeboren werden, um die Feinde des Kaisers zu bekämpfen. Masashige soll erwidert haben, dies seien auch seine Gedanken. Vor allem Masashige wurde in der japanischen Geschichte zu einem Symbol der Treue und Hingabe im Dienst für das Land. Nicht minder berühmt ist die fälschlicherweise oft Masashige zugeschriebene Bemerkung Masasues in der Form (des bis in dieses Jahrhundert gebrauchten und mißbrauchten) »shichishô-hôkoku« (七生報国), »sieben Leben für das Vaterland«.
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konsequent als Paradoxie ausgeführt wurde, auf die höchste Ebene einer Tat erhoben. Wäre das Selbstbewußtsein der Illusionshaftigkeit nicht dagewesen, hätte sie wohl nicht eine derartige Höhe als Tat erreicht. Wäre diese Tat aber nur als illusionshaft beurteilt worden, dann hätte sie sich wiederum wohl nicht als geschichtliche Tat innerhalb der Realität ereignen können. Aus diesem Grunde zeigt sich gerade in den Worten »Mag solches sündiges Handeln auch von tiefer Illusion sein« ihre Gesinnung auf deutlichste Weise. Auch bei Bashô gab es eine ähnliche Denkweise. So schreibt er zum Beispiel einmal: »Hatte ich fûga auch (im haikai-Verfassen) bis hierher gesucht, so dachte ich doch am Ende zu schweigen und nicht mehr zu dichten (denn selbst fûga ist etwas, das an die Illusionshaftigkeit von Allem erinnert). Aber wenn ich dies dachte, so verführte doch der Geschmack des Dichters am fûga mein Herz; mir schwebten so die Dinge der Natur vor, dies muß die Tat des verführerischen Dämons des fûga sein. Doch habe ich dann alles von mir geworfen, habe mein Haus verlassen, und nur mit 100 sen (Pfennig) ausgerüstet, vertraute ich schließlich mein Leben dem Pilgerstab und der bittenden Reisschale des wandernden mittellosen Priesters an. Ich kam nun so weit, um mein Leben eines fûga suchenden Dichters in der Gestalt eines bettelnden Priesters zu führen.« 37 In diesen Worten wird eine Paradoxie, wie ich sie zuvor beschrieben habe, auf äußerst klare Weise zum Ausdruck gebracht. Wenn Bashô schreibt: ›Hatte ich fûga auch bis hierher gesucht, so dachte ich doch am Ende zu schweigen‹, dann gab es wohl in seinem Herzen den Trieb, selbst seine eigene Kunst als etwas Illusionshaftes aufzugeben. Dies ist ein Verlangen, über die Kunst hinauszugehen, um ein lauteres religiöses Leben zu beginnen. Dennoch aber weicht aus seinem Herzen nicht ein in die entgegengesetzte Richtung strebender Trieb, wie wir es in den Worten finden: ›so verführte doch der Geschmack des Dichters am fûga mein Herz; mir schwebten die Dinge der Natur vor‹. Dies ist der »verführerische Dämon des fûga«, der das Eintreten in das rein religiöse Leben aufhält. Diese zueinander im Widerspruch stehenden Gefühlsrichtungen erscheinen im folgenden auf eine noch bedeutungstiefere Weise. Dort heißt es nämlich, daß er nun selbst diesen verführerischen Dämon des fûga von sich wirft, um sein Leben dem Das Zitat findet sich in einer aus dem Jahre Genroku 5 (1692) stammenden kurzen »Notiz« Bashôs, die unter dem Titel »Über das Verlassen der Hütte« (Seikyo no ben, 栖 去之弁) bekannt ist.
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Pilgerstab und der bittenden Reisschale des wandernden mittellosen Priesters anzuvertrauen. Das aber ist ganz und gar der Weg eines Priesters (Zen-Mönchs) auf seiner Wanderung, der ohne eine Wohnung im Universum lebt. Dennoch ist das aber gerade die radikale Durchführung des »Lebens eines fûga suchenden Dichters«, welches das Herz verführt und den Dingen, die in der Natur sind, ihren Reiz gibt. So kam Bashô so weit, »das Leben eines fûga suchenden Dichters in der Gestalt eines bettelnden Priesters zu führen«. Hier wird das Paradoxe so konsequent vorangetrieben, daß es sich beinahe in einem Brennpunkt trifft. Gleiches finden wir in der Überlieferung eines Gesprächs, das er geführt haben soll, als er auf dem Krankenbett vor seinem Tod jenes hokku verfaßte: »Erkrankt auf der Reise,/ meine Träume wandern umher/ auf welker Heide.« 38Als er darüber nachsann, im Zweifel, ob er die zweite Hälfte des hokku ersetzen sollte, und zwar durch die folgende Variante: »… auf welker Heide/ wandere ich im Traum«, 39 äußerte er bei der Beratung mit seinen Schülern den Gedanken: »Zwar ist auch dies etwas Illusionshaftes, ich glaube aber doch fest an meinen Weg, nämlich ich will sterben, ohne das fûga zu verleugnen.« 40 In dem hier zum Ausdruck gebrachten Selbst-Bewußtsein von dem verführerischen Dämon des fûga und der Illusionshaftigkeit zeigt sich ein bescheidenes Gefühl, daß der Weg der eigenen Kunst sich von dem (einen) eigentlichen religiösen Weg entfernt hat, und der Dichter von diesem (religiösen) Weg abgekommen ist. Aber auch hier wiederum legt er durch solche Worte wie: »ich kam so weit, das Leben eines fûga suchenden Dichters zu führen« oder »ich will sterben, ohne das fûga zu verleugnen« in diese Bescheidenheit einen tiefen Selbstrespekt und Stolz für die Eigentümlichkeit des Weges seiner Kunst. Und zwar kommen dieser Selbstrespekt und Stolz aus der religiösen Haltung der Gelassenheit im Nirgends-Wohnen, die das fûga von ihm durchdringt. Hier erscheint deutlich die oben aufgezeigte Paradoxie, die das Leben seiner Kunst ausmacht. Die Paradoxie besagt, daß man in den Bereich der Religion tritt und doch nicht eintritt, daß man nicht in diesen Bereich eintretend ihn dennoch betritt. Während er also betont seine künstlerische ErgeTabi ni yande/ yume wa kareno wo/ kakemeguru (旅に病んで夢は枯野をか けめぐ る). 39 …/ kareno wo meguru/ yumegokoro, vgl. »San-zôshi« und »Aka-sôshi«, Anm. 22. 40 Den Gedanken Bashôs überliefert der Bashô-Schüler Kikaku (Familienname Enomoto, dann Takarai) (1661–1707) in seiner Haikai-Sammlung »Welkes Stilblütengras« (Kareobana). 38
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benheit als etwas Illusionshaftes eingesteht, öffnet er den Zugang zu einem Weg, auf dem er gleichsam diese Illusionshaftigkeit, ohne deren Illusionshaft-Sein zu ändern, doch zu einem religiösen Gehalt machen kann. Einen Weg, auf dem er gleichsam dadurch, daß er seine Kunst als Kunst beharrlich bis zum Letzten fortführt, zur Religiosität gelangt. Man kann sagen, daß seine Kunst durch diese Paradoxie in ihrem Verhältnis zur Religion nun ihrerseits auf ihrem eigenen Grund eine religiöse Einstellung des Herzens eröffnet hat. Dadurch hat seine Kunst in ihrem inneren Wesen eine religiöse Atmosphäre, die man in gewöhnlicher Kunst, die keine Selbst-Transzendenz bzw. keine Ekstase kennt, nicht entdecken kann, auf tiefwirkende Weise zur Ausstrahlung gebracht. Und zwar handelt es sich dabei nicht um eine äußere Verbindung, die man gemeinhin mit dem Namen ›religiöse Kunst‹ benennt. Die religiöse Atmosphäre entsteht erst dadurch, daß die Kunst Bashôs bis zuletzt reine Kunst bleibt. Die religiöse Atmosphäre ist da durch und durch als eine Vertiefung des künstlerischen Geistes selbst. Die Kunst vermag dadurch, daß sie sich selbst bis zur Paradoxie im Verhältnis zur Religion in der Weise einer (religiösen) Hebung ergründet, von dort her ihrerseits das ursprüngliche Leben der Kunst zu eröffnen; das hat Bashô in seinem Leben aufgewiesen. Diese Paradoxie war ein Teil des Beweggrunds, der ihn sein dichterisches Fühlen »Verrücktheit« nennen ließ. Und so umfassen also die (oben zitierten) Worte, zur Welt zurückkehren, nachdem man eine erhabene Erleuchtung erlangt hat, eine zweifache Paradoxie, die sein künstlerisches Leben im Verhältnis zum Leben in der alltäglichen Welt, die ihn umgibt, und im Verhältnis zu einem religiösen Leben enthält. Als er zwei Jahre nach dem »Utatsu-kikô« im dritten Jahre Genroku (1690) die »Aufzeichnungen aus der Hütte Schein-Wohnung« schrieb, hat er dies dort angedeutet, wo er von einer öffentlichen Stellung (z. B. in Samurai-Diensten) und von dem Gedanken, ein Mönch zu werden, spricht. Allerdings finden wir auch dort wiederum den Satz wiederholt: »Ohne Fähigkeiten und Talente folgte ich schließlich nur noch diesem einen Weg (der Dichtung).« Dort heißt es: »Wenn ich auf den Verlauf meines so ungeschickten Lebens in diesen Monaten und Jahren zurückblicke, dann erinnere ich mich, daß ich zu gewisser Zeit die Leute in einer öffentlichen Stelle beneidete und zu anderer Zeit wiederum daran dachte, ein Mönch zu werden. Aber mein Leben, das den im Winde treibenden Wolken gleicht, war mir mühsam; ich widmete mich dem Dichten: über diese Blume oder jenen Vogel, ja ich
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Die »Verrücktheit« beim Dichter Bashô
machte dies für eine Weile zu meiner Lebensaufgabe, und schließlich folgte ich, ohne Fähigkeiten und Talente, nur noch diesem einen Wege.« 41
In diesem kurzen Abschnitt, in dem er sein ganzes Leben einfängt, spricht Bashô von seinem Künstlertum, das in sich jene zweifache Paradoxie als das, was sein Leben ausmachte, barg. Es ist aber wohl kaum nötig zu sagen, daß diese zweifache Paradoxie in Wirklichkeit die beiden Seiten einer Paradoxie darstellt. Was sein künstlerisches Leben eine »Verrücktheit« sein ließ, die in der Loslösung von den Ereignissen des täglichen Lebens gründet, das war die Anziehungskraft, die er im religiösen Leben mit einer erhabenen Erleuchtung fand. Aber was dieses gleiche künstlerische Leben – in Unruhe versetzt vom verführerischen Dämon des fûga – ins tägliche Leben zurückführte, das war die Verführung des Herzens des fûga, welches von verführerischen Göttern besessen den Dingen, die in der Natur sind, ihren Reiz gibt. Man kann sagen, daß hier die Grundhaltung des Buddhismus, weder in der alltäglichen Welt noch im Nirvāna zu wohnen – die sich gleichsam verwirklicht durch die wechselnde Umkehrung der zwei Phasen des Kommens zur und Gehens aus der alltäglichen Welt –, daß diese Grundhaltung in Bashôs Künstlerleben als Künstlerleben Verwirklichung fand. Verwirklichung dieser Grundhaltung im Künstlerleben bedeutet, daß dieses wechselnde Umkehren, das zwischen einem Leben in der alltäglichen Welt und einem Leben im Verzicht auf die alltägliche Welt stattfindet, zu einer Entscheidung und zu einer Übung wurde, indem es eine künstlerische Ergebenheit zum Zentrum hatte und diese künstlerische Ergebenheit zu einer ursprünglichen schöpferischen Kraft wurde. Das heißt nun eigentlich, daß hier ein Bereich der die Geschichte transzendierenden Religion in der Geschichte immanent gemacht und zur geschichtlichen Gestaltungskraft wurde. Und dies trug die Bedeutung einer wegweisenden Antwort auf höchst wichtige Fragen, die die Geistesgeschichte der Menschheit durchziehen und auch in die heutige Zeit hineinreichen. Einst wies Platon im »Phaidros«, einem Lehrwerk voller Inspiration, der »Verrücktheit« einen wichtigen Platz zu. Folgen wir seiner Lehre, so haben die höchsten Güter in uns alle ihre Herkunft in einem gleichsam als göttliche Gabe verliehenen Wahnsinn. 42 41 42
»Genjû-an no ki«, vgl. Anm. 11. Griechisch: mania; japanisch: kyôki, wörtlich: Gefühl der Verrücktheit.
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In gleicher Weise wie die okkulten Zeremonien, in denen das Böse beschworen wird, oder die Weissagungen für die Zukunft, so sind auch dichterische und philosophische Intuition nicht einfach nur Produkte der vernünftigen Besonnenheit, sondern sind Ergebnisse eines von den Göttern beherrschten Wahnsinns. In der Dichtung darf ein »von den Musen verliehener Wahnsinn« nicht fehlen. Wer in der Selbstgefälligkeit, allein Kunstfertigkeit ohne ein solches Gefühl reiche aus, ein Dichter zu sein, an die Pforten der Dichtung klopft, vermag letztlich kein Dichter zu sein. Die Dichtung dessen, der mit seiner Vernunft dichtet, erscheint blasser gegenüber dem Werk des von einem Wahnsinn beherrschten Dichters. Allerdings darf die Besonnenheit (sōphrosynē), die Platon dort, wo es sich um Dichtung handelt, zurückstellt, im gewöhnlichen Leben in der alltäglichen Welt nicht fehlen. Aus diesem Grunde vermag man nun zu sagen, daß auch hier die Trennung zwischen dem Leben in der alltäglichen Welt und dem Leben des Dichters als eine »Verrücktheit« beschrieben wird. Allerdings unterscheidet sich auf bedeutende Weise von dem bis hierher Beschriebenen, wie diese Trennung bei Platon zur Paradoxie wurde. Platon nämlich entschied sich trotz seiner vorzüglichen dichterischen Begabung nicht für den Dichter und dessen Haltung, sondern für den Philosophen, mehr noch für den Philosophen, der Gesetzgeber sein will. Bekannt ist, daß er die Dichter aus dem von ihm beschriebenen idealen Staat ausschloß. Auch im »Ion« ist der Dichter ein Mensch in einem Zustand von den göttlichen Musen verliehenen »heiligen Wahnsinns«. Er wird dargestellt als jemand, der allein mit seiner Kunstfertigkeit kein Dichter sein kann, aber zugleich wird betont, daß der Dichter nicht die Erkenntnis der Wahrheit und die Weisheit besitzt. Für den Philosophen Platon war die Dichtung nicht mehr als nur die Nachbildung von Erscheinungen der sinnlichen Welt. Und die sinnlichen Erscheinungen selbst wiederum sind nicht mehr als Schattenbilder von Ideen, die als wahres Seiendes zur intelligiblen Welt gehören. Die Ideen nun werden nur dann intuitiv erfaßt, wenn die Seele kraft ihrer Intelligenz sich über die sinnliche Welt erhebt, nur durch eine solche philosophische Beschauung vermag die Seele zu ihrem eigenen Ursprung zurückzukehren und Unsterblichkeit zu erlangen. Was bei Bashô als eine Trennung von Kunst und Religion erscheint, erscheint hier als Trennung von Kunst und Philosophie. Aber auch die Art und Weise, auf die diese Trennung zur Paradoxie wird, ist bei Platon wiederum eine vollkommen andere. Der Darstellung im 278 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
Die »Verrücktheit« beim Dichter Bashô
»Phaidros« zufolge ist auch die Fähigkeit der Beschauung von Ideen ein vom Liebesgott (Eros) inspirierter Wahnsinn. Diese Fähigkeit erhält ihren Antrieb aus der Liebe zum Schönen. Wenn diese Liebe sich von dem Schönen sinnlicher Erscheinungen zum Schönen von geistig Seiendem erhebt und von dort wiederum zum Schönen an sich fortschreitet, verläßt die Seele in solchem Emporstreben die sinnliche Welt und tritt ein in die Welt der Ideen. So ist das Schöne also als Weg der Katharsis der Seele die Sache der Philosophie, die Kunst hat hieran kaum Anteil. Bei der von Platon vorgenommenen, auf der Ideenerkenntnis gegründeten Einrichtung von Ständen unter den Menschen (seines Staates), finden sich die Dichter an einem durchaus unten befindlichen Platz. Auf diese Weise wird also das durch das Schöne verursachte in Ekstase-Geraten der Seele (›Verrücktwerden‹ des Herzens), das gewöhnlich als etwas der Kunst Eigentümliches betrachtet wird, hier nun vielmehr in den Bereich der Philosophie hineingenommen, es wird hier zur urquellhaften Bewegkraft einer Philosophie als Liebe zur Weisheit. Hier geschieht ein genauer Gegensatz zu dem Fall Bashô, bei dem der religiöse Lebensbereich in den der Kunst hineingenommen und zu einer Antriebskraft von dieser wurde. Die Paradoxie im Verhältnis der Kunst und einer dieser gegenüberstehenden transzendenten Welt hat Platon auf eine vollkommen gegenteilige Weise zu lösen gesucht. Allerdings konnte auch das abendländische Denken nicht bei einer solchen Herabsetzung der Kunst, wie wir sie bei Platon finden, stehenbleiben. Kunst wurde in der Folge nicht als eine nur die sinnlichen Erscheinungen nachbildende Tätigkeit angesehen, sondern verstanden als ein Bereich, in dem die gleichen über dem Sinnlichen stehenden Ideen, mit denen sich die Philosophie beschäftigt, geschaut werden, ja als ein eigener Weg, diese Ideen zum Ausdruck zu bringen. Und dieser Wandel der Kunstauffassung selbst hatte wiederum dieselben Schriften Platons zum Quell, in denen er die Erhöhung der Seele durch die Liebe zum Schönen beschreibt. Dort nun, wo es wie hier zu der Ansicht kommt, daß die Kunst die Beziehung zu ideenhaften und transzendenten Dingen einschließt, wird erstmals ein Vergleichen dieser mit östlichem künstlerischem Geist, wie er bei Bashô erscheint, möglich. Und von solchem Vergleichen her werden dann wohl auch Überlegungen zu den Eigentümlichkeiten östlichen künstlerischen Denkens möglich. Kann man nämlich denken, daß sich die Kunstauffassung des Westens – beginnend mit Platon – auf einer Zweiwelten-Lehre begründet, nämlich der Lehre der sinnlichen Welt und der intelligiblen Welt, bzw. der 279 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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Keiji Nishitani
Welt der Erscheinungen und der der Ideen, so begründet sich die des Ostens auf einer dieser Ansicht gegenüber vollkommen verschiedenen Basis. Aber darüber möchte ich ein anderes Mal sprechen. (24. Jahr Shôwa [1949] Juni, »Notizen«)
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5. Iwao Kôyama
Einleitung Die Produktivität Iwao Kôyamas ist selbst im Vergleich mit anderen ebenfalls sehr produktiven Philosophen der Kyôto-Schule auffällig. Die neu erschienenen, sechsbändigen Gesammelten Schriften Kôyamas 1 enthalten nur einen Teil seiner zahlreichen Publikationen. Im Alter von dreißig Jahren schrieb er sein erstes Buch »Nishidas Philosophie«. 2 Bis vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs erschienen folgende sieben Bücher: 3 1) »Hegels Philosophie«, 2) »Philosophische Anthropologie«, 3) »Kulturtypik«, 4) »Nishidas Philosophie«. Fortsetzung, 5) »Kulturtypische Untersuchungen«, 6) »Philosophie der Weltgeschichte«, 7) »Die Aufgabe Japans und die Weltgeschichte«. Sein Buch über Nishida ist das erste umfassende Buch über Nishidas Philosophie überhaupt. Obwohl er es in jungen Jahren geschrieben hat, gilt es bis heute als ein erster und wichtiger Überblick über Nishidas Philosophie, die damals mit dem Gedanken des dialektischen Allgemeinen eine neue, systematische Gestalt bekommen hatte. Kôyama Iwao Chosaku-shû, 6 Bde., Tôkyô, 2007–2009. Nishida tetsugaku (西田哲学), Tôkyô 1935. Genau gesagt, erschienen noch vorher zwei Bücher von Kôyama: Begriff der Kulturtypik (Bunka ruikeigaku no gainen, 文化 類型学の概念), Tôkyô 1933, und Begriff der Kulturtypik – Fortsetzung (Zoku bunka ruikeigaku no gainen, 続文化類型学の概念), Tôkyô 1934. Diese enthalten die Vorträge, die Kôyama für die Lehrer der Gymnasien in der Provinz Nagano – wohl als Vorarbeit für später und nicht direkt zum Zweck der Drucklegung – gehalten hat. Die Vorträge wurden vom Veranstalter der Gesellschaft für Erziehung in Nagano (Shinano Kyôikukai) nur für deren Mitglieder gedruckt. 3 1) Hêgeru-tetsugaku (ヘーゲル哲学), Tôkyô 1936; 2) Tetsugaku-teki ningengaku (哲 学的人間学), Tôkyô 1938; 3) Bunka ruikeigaku (文化類型学), Tôkyô 1939; 4) Zoku Nishida tetsugaku (続 西田哲学), Tôkyô 1940; 5) Bunka ruikeigaku kenkyû (文化類型学), Tôkyô 1941; 6) Sekai-shi no tetsugaku (世界史の哲学), Tôkyô 1942; 7) Nihon no kadai to sekai-shi (日本の課題と世界史), Tôkyô 1943. 1 2
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Die oben genannten Schriften markieren die erste Phase der philosophischen Tätigkeit Kôyamas. Seine »Philosophische Anthropologie« entsprang seiner Neigung zur damaligen Philosophie des Lebens. In der »Kulturtypik« versucht er aufzuzeigen, daß und wie die Welten je einen eigenen Typus von Kultur besetzen, und auch die europäische Kultur als eine regionale betrachtet werden muß. In der »Philosophie der Weltgeschichte« geht es ihm darum, an die Stelle der bisherigen eurozentrischen und daher eindimensionalen Auffassung der Weltgeschichte ein mehrdimensionales Verständnis der Weltgeschichte zu entwickeln. Hinter all diesen Arbeiten steht die geschichtliche und politische Situation zu Beginn und während des Zweiten Weltkrieges. Wie Kôyama im Vorwort zur »Philosophie der Weltgeschichte« formuliert, verstand er den Zweiten Weltkrieg als eine Überwindung des Prinzips der neuzeitlichen Welt, die eine ausschließlich europäische Welt war. Anstelle dieser alten Weltordnung müsse eine neue entstehen. Selbstverständlich verwarf er im Blick auf diese neue Weltenordnung den extremen japanischen Nationalismus. Denn auch die japanische, bzw. asiatische Welt ist nur eine und nicht »die« Welt. Die universalistische Ansicht der Marxisten war aber für ihn auch keine Alternative. In diesem Dilemma fühlte Kôyama sich verpflichtet, den begonnenen Weltkrieg als weltgeschichtliches Ereignis im Sinne eines Krieges für die Welt der Welten zu interpretieren. Im nachhinein ist klar, daß er die Realität des Weltkrieges durch seine weltgeschichtliche Idee »idealisiert« hat. Dies bekam er auch am eigenen Leib zu spüren, da er 1946, ein Jahr nachdem er als Nachfolger Tanabes an die Universität Kyôto berufen worden war, aus der Universität Kyôto ausgestoßen wurde und ein Berufsverbot in staatlichen Ämtern auferlegt bekam. Es wäre allerdings voreilig, ihn deswegen als einen »Ideologen« abzustempeln. In den darauffolgenden Jahren erweist er sich nämlich als Philosoph in einem ausgezeichneten Sinne. Bis er 1952 an die Universität Kanazawa berufen wurde, d. h. während seiner sechsjährigen Berufslosigkeit, erschienen sechzehn Bücher von ihm. In dieser zweiten Phase seiner Tätigkeit entstand Kôyamas Philosophie im engeren Sinne. Die Titel dieser Bücher lauten: 4 1) »Die Idee des Kulturstaates«, 1) Bunka kokka no rinen (文化国家の理念), Osaka 1946; 2) Tokoro no rinri (所の倫 理), Tôkyô 1947; 3) Risei seishin jitsuzon (理性 精神 実存), (?) 1948; 4) Gendai tetsuga-
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2) »Ethik des ›Ortes‹«, 3) »Vernunft Geist Existenz«, 4) »Die Aufgabe der gegenwärtigen Philosophie«, 5) »Philosophie und philosophische Existenz«, 6) »Das Schicksal der Philosophie«, 7) »Einführung in die Dialektik«, 8) »Religion – das Letzte, wonach der Mensch sucht«, 9) »Einführung in die Philosophie«, 10) »Reden über die Existenzphilosophie«, 11) »Überwindung des Marxismus«, 12) »Allgemeine Einführung in die Philosophie«, 13) »Lexikon der philosophischen Begriffe«, 14) »Das Prinzip der Entsprechung und die Ortlogik«, 15) »Zeittafel der Philosophie«, 16) »Krisis der Moral und die neue Ethik«. Im Buch »Vernunft Geist Existenz« versucht Kôyama am Leitfaden dieser Schlüsselbegriffe, durch historische Untersuchungen eine im Osten und Westen gemeinsame, geisteswissenschaftliche Entwicklungslinie aufzuweisen, um so diesen beiden Welten und Geistesgeschichten einen inneren Zugang zueinander anzubahnen. Hinter diesem Versuch steht Kôyamas Kritik an seinen beiden Lehrern, Nishida und Tanabe, die sich nur darum bemühten, »die eingeführten Europäischen Philosophien direkt mit dem Zen bzw. dem Nembutsu 5 zu verbinden, ohne den brillianten Mahâyâna-Buddhismus wie Tendai, Kegon, Sanron, Yuishiki usw. zu beachten«. 6 In den Büchern »Ethik des ›Ortes‹« und »Das Prinzip der Entsprechung und die Ortlogik« entwickelt Kôyama von Nishidas und Tanabes Philosophie ausgehend seinen eigenen Standpunkt: den Gedanken der »Entsprechungsidentität«. Zwar legte Kôyama bereits in der »Enzyklopädie der Philosophie« seine fundamentalen Gedanken über die Philosophie als solche (Kap. 1–5), die Wissenschaftstheorie (Kap. 6, 7), die ku no kadai (現代哲学の課題), Osaka 1948; 5) Tetsugaku to tetsugaku-teki jitsuzon (哲 学と哲学的実存), Tôkyô 1948; 6) Tetsugaku no unmei (哲学の運命), (?) 1948; 7) Benshôhô nyûmon (弁証法入門), Tôkyô 1948; 8) Shûkyô – ningen no motomeru saigo no mono (宗教 – 人間の求むる最後のもの), Tôkyô 1949; 9) tetsugaku nyûmon (哲学入 門), Tôkyô 1949; 10) Marukusushugi no chôkoku (マルクシズムの超克), Tôkyô 1949; 11) Jitsuzon tetsugaku no hanashi (実存哲学の話), Tôkyô 1950; 12) Tetsugaku gaisetsu (哲学概説), Tôkyô 1950; 13) Tetsugaku yôgo jiten (哲学用語辞典), Tôkyô 1951; 14) Basho-teki ronri to koô no genri (場所的論理と呼応の原理), Tôkyô 1951; 15) Tetsugaku nempyô (哲学年表), Tôkyô 1951; 16) Dôtoku no kiki to shin-rinri (道徳の危機と新 倫理), Tôkyô 1952. 5 Rezitieren des Namens Buddhas, Meditationsübung der Schule des Reinen Landes im Buddhismus. 6 Vorwort zu: Was ist Philosophie? (Tetsugaku towa nanika, 哲学とは何か), Tôkyô 1967 (Zusammenstellung der Enzyklopädie der Philosophie, 1950, und Vernunft Geist Existenz, 1948), S. 3.
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Philosophie der Technik (Kap. 8), die Kulturphilosophie (Kap. 9), die Sozialphilosophie (Kap. 10), die politische Philosophie (Kap. 11), die Geschichtsphilosophie (Kap. 12), die Moralphilosophie (Kap. 14) und die Logik (Kap. 15, 16) dar, wäre aber dazu nicht noch der Gedanke der Entsprechungsidentität entfaltet worden, könnte man genaugenommen nicht von einer Philosophie Kôyamas sprechen. Auf diese zweite, für die Entwicklung von Koyamas eigenem Standpunkt entscheidende Phase seines Denkens, folgt noch eine dritte, in der Koyama mannigfaltige Themen behandelte und ca. dreißig Bücher publizierte. Die wichtigsten darunter sind: 7 1) »Warum ist Religion nötig?«, 2) »Gegen die zwei Welten«, 3) »Die Angst der Gegenwart und die Religion«, 4) »Der Geist der Genossenschaft«, 5) »Vergangenheit und Gegenwart der Neutralität«, 6) »Was ist Moral?«, 7) »Untersuchungen zur internationalen Neutralität«, »Das politische und gesellschaftliche Denken der Gegenwart«, »Einführung in die Philosophie«, 10) »Einführung in die Dialektik«, 11) »Erziehung und Ethik«, 12) »Das Herz des japanischen Volkes«, 13) »Die Philosophie der Zivilisation. Zum Problem des Untergangs«, 14) »Erziehungsphilosophie«, 15) »Briefe an Politiker«. Daneben gibt es über hundert Aufsätze von ihm. Der hier übersetzte Text, das dritte Kapitel des Buches »Das Prinzip der Entsprechung und die Ortlogik«, bildet ein Kernstück dieses Buches. Im ersten Kapitel »Verschiedene Arten der Logik« stellt Kôyama die formale Logik, die Logik der Natur- und die der Geisteswissenschaften, die philosophische Logik sowie die transzendentale und dialektische Logik vor. Im zweiten Kapitel »Der Grundsatz der Logik« verdeutlicht er, daß die Grundbedeutung aller Logik die Negativität ist, und die Logik entsprechend der Tiefe der Negativität von der formalen zur transzendentalen und schließlich zur dialektischen Logik fortschrei1) Shûkyô wa naze hitsuyô ka (宗教はなぜ必要か), Tôkyô 1953; 2) Futatsu no sekai ni kôshite (二つの世界に抗して), Tôkyô 1954; 3) Gendai no fuan to shûkyô (現代の不 安と宗教), Tôkyô 1955; 4) Kyôdôshakai no seishin (協同社会の精神), Tôkyô 1955; 5) Chûritsu no o kako to genzai (中立の過去と現在), Tôkyô 1956; 6) Dôtoku to wa nanika (道徳とは何か), Tôkyô 1958; 7) Kokusai-teki chûritsu no kenkyû (国際的中立 の研究), Tôkyô 1961; 8) Gendai no seiji-shakai shisô (現代の政治・社会思想), Tôkyô 1964; 9) Tetsugaku nyûmon, Tôkyô (哲学入門) 1967; 10) Benshôhô nyûmon (弁証法入 門), 1967; 11) Kyôiku to rinri (教育と倫理), Tôkyô 1968; 12) Nihon minzoku no kokoro (日本民族の心), Tôkyô 1972; 13) Bummei no tetsugaku. Botsuraku no mondai wo megutte (文明の哲学・没落の問題をめぐって), Tôkyô 1974; 14) Kyôiku tetsugaku (教育 哲学), Tôkyô 1976; 15) Seijika e no shokan (政治家への書簡), Tôkyô 1979.
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tet. Die dialektische Logik unterscheidet er in eine »Logik des Nichts« und eine »Logik des Seins«, wobei er die dialektische Logik des Seins als eine Vorstufe der dialektischen Logik des Nichts auffaßt. Seine eigene Logik der Entsprechungsidentität gilt heute im allgemeinen als eine Neufassung und Weiterentwicklung der bereits von Nishida und Tanabe in je eigener Weise konzipierten Logik des Nichts. Während die nachfolgenden Kapitel des Buches verschiedene logische Bereiche vom Standpunkt der Entsprechungslogik aus diskutieren, wird in dem hier übersetzten Kapitel der Grundgedanke dieser Logik erläutert. Dieser Grundgedanke stellt eine Entfaltungsstufe der Philosophie des absoluten Nichts in der Kyôto-Schule dar.
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Iwao Kôyama
Das Prinzip der Entsprechung und die Ortlogik 1 (Übersetzt von Hans-Joachim Becker)
I. Der Begriff koô, Entsprechung, umfaßt im Japanischen die Bedeutungen von ›rufen‹ (yobu) und ›antworten, entsprechen‹ (kotaeru mit sinojapanischer Lesung ô), ferner ›be-, anrufen‹ (yobu mit sino-japanischer Lesung kan) und ›reagieren‹ (ôzuru). Im weiteren Sinne möchte ich unter diesem Begriff auch die Bedeutungen von ›fragen‹ (tou) und ›antworten‹ (kotaeru mit sino-japanischer Lesung tô), von ›hervorrufen, erwecken‹ (yobiokosu mit sino-japanischer Lesung kanki) und – reaktiv als dessen Wirkung – ›hervorgerufen, erweckt werden‹ (yobiokosareru) mitverstanden wissen. Mit Entsprechung (koô) soll hier die fundamentalste Weise personaler Haltung und personalen Verhaltens bezeichnet werden. Dabei ist ko das anrufende Fragen, 2 derart, daß es seine Antwort ô, immer schon mitsetzt. Denn es gibt kein Fragen, welches nicht eine Antwort erwartet. Folglich ist die Antwort stets als Antwort auf ein Fragen zu verstehen: ohne Fragen gibt es kein Antworten. Und umgekehrt: wo es ein Fragen gibt, da gibt es zweifellos auch ein Antworten. Wollte man den (aus Fragen und Antworten sich zusammensetzenden) Anmerkungen von Hans-Joachim Becker und Ryôsuke Ohashi. – Koô no genri to basho-teki ronri (呼応の原理と場所的論理), in: Basho-teki ronri to koô no genri, Tôkyô 1951, hier wurde das 3. Kapitel, S. 69–104, übersetzt. Der Begriff »Ortlogik« (bashoteki ronri,場所的論理) wird auch als »Logik des Ort(e)s« wiedergegeben, so etwa in Robert Schinzingers Nishida-Diskussion in seinem Buch »Japanisches Denken«, Berlin 1983, S. 61 ff. Hier wird die Übersetzung »Ortlogik« bevorzugt, da der Genitiv – auch mit Fugen-s – den festen Begriff hin zu einem genitivus subjectivus verschiebt. 2 Die Übersetzung »anrufendes Fragen« kommt aufgrund des oben Gesagten der Bedeutung von »ko« (呼) im Begriff »koô« (呼応) wohl am nächsten. Dennoch wird im folgenden der Einfachheit halber, aber auch um die Entsprechung von »Frage« (呼) und »Antwort« (応) deutlicher werden zu lassen, in der Regel nur von »Frage/n« gesprochen. Man beachte also, daß im Text sowohl »Entsprechung« als auch »Frage-Antwort« dasselbe japanische Wort »koô« wiedergeben. 1
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Entsprechungsbegriff in seine Bestandteile zerlegen, so erhielte man Begriffe ohne Sinn: sinnlose Begriffe. Der Entsprechungsbegriff muß als Einheit gesehen werden. Wie auf einen Schlag, einen Laut ein Echo folgt, so folgt auf ein Fragen auch eine Antwort. Dieses Phänomen sei hier mit Entsprechungsidentität bezeichnet. Nehmen wir etwa die menschliche Stimme, welche nichts als eben sie selber ist. Die Entsprechung ist dabei im Verhältnis der fragenden zur antwortenden Stimme zu sehen. Wo es aber Entsprechung gibt, da gibt es stets auch deren Identität. Bei der Verwendung des Begriffs Entsprechungsidentität sollten wir uns allerdings stets bewußt sein, daß es außer der Entsprechung keine andere identische Wesenheit, überhaupt keine andere Identität gibt. Entsprechung ist stets notwendig Entsprechungsidentität. Entsprechung besteht zwischen Mensch und Mensch, zwischen Ich und Du, zwischen Subjekt und Objekt. Sie ist personenbezogen. Alle personalen Verhältnisse sind in ihrem Grunde Entsprechungsverhältnisse. Ohne diese gäbe es überhaupt keine Personen. Existierte in dieser (oder überhaupt einer denkbaren) Welt nur ein einziges Ich, so wäre dieses jedoch nicht als Person anzusehen, eben weil es hier kein Entsprechungsverhältnis gäbe. Bei einer einzigen ›Person‹ kann sich nämlich deren Begriff im strengen Sinn des Wortes gar nicht erst herausbilden, denn dieser setzt stets eine Vielzahl voraus. Wenn sich in einer einzelnen Person personenhafte Beziehungen herausbilden, dann werden in ihr bereits Ich und Du, Subjekt und Objekt geschieden, und das ist der Moment, in dem Entsprechungen sich bilden. Doch ist die Tatsache, daß es sich nicht um eine, sondern um mehrere Personen handelt, allein noch keine zureichende Bestimmung von Person. Erst wenn sie sich als Subjekt (Ich) und Objekt (Du) 3 begegnen, sind sie im wahren Sinne Person. Das Subjekt ist dabei das Fragende, das Objekt das Antwortende. Subjekt und Objekt sind nicht ohne dieses Entsprechungsverhältnis. Mit ihm erst konstituieren sie sich. Nun existieren Personen in Raum und Gesellschaft nicht in der gleichen Weise wie (physikalische) Körper im Raum. Ausdehnung und Größe besitzen sie nämlich nicht im selben Sinne wie diese. Ebensowenig lassen sie sich wie diese quantifizieren. Der Mensch ist erst dann Person, bzw. wird zu einer solchen, nachdem er sich durch die Subjekt-Objekt-Beziehung konstituiert hat. Davor läßt sich sinnvoll noch gar nicht von ›Person‹ reden. Subjekt und Objekt, wörtlich übersetzt: Herr und Gast. Im folgenden wird die Übersetzung Subjekt und Objekt beibehalten.
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Iwao Kôyama
Wenn Subjekt und Objekt sich gemäß dem Prinzip der Entsprechung konstituieren, und wenn man die Entsprechung als ursprünglicher denn Subjekt und Objekt ansetzt, dann ist die Entsprechung der Ursprung der Person, ja, wir müssen sagen, daß es sich hierbei um jene ursprüngliche Bestimmung handelt, welche die Person überhaupt erst zur Person macht. Die mit den Begriffen Subjekt und Objekt ausgedrückte personale Beziehung ist ursprünglicher als die der intellektuellen Erkenntnis. Deshalb nennen wir den Gegenstand der Erkenntnis Objekt, und wenn wir erkenntnistheoretisch von Subjekt und Objekt sprechen, so steht an deren Ursprung die personale Subjekt-Objekt-Beziehung. Diese aber kann nicht vom Subjekt bzw. Objekt der Erkenntnis her verstanden werden, sondern einzig vom Wesen der Entsprechung her. In diesem Sinne ist die Entsprechung die fundamentalste und zugleich auch ursprünglichste Seinsweise, welche die menschliche Existenz erst eigentlich zu einer solchen macht. Wenn man bei einer beliebigen Anzahl von Personen diese – rein theoretisch versteht sich – jeweils als identisches Selbst setzt und sie zudem als in räumlicher und zeitlicher Vereinzelung befindlich denkt, so besteht zwischen ihnen keinerlei Entsprechungsverhältnis. Mithin ist eine solche Theorie auch keine, die die Entsprechung als fundamentale Seinsweise der Person begreift. Ich beabsichtige nicht, ganz allgemein und grundsätzlich gesprochen, eine Monadentheorie (etwa im Leibnizschen Sinne) zum Grundprinzip der von mir vertretenen Entsprechungstheorie zu machen. Im Gegenteil! Die sogenannte prästabilierte Harmonie ist ja ein Prinzip, welches bei der Monadologie erst später hinzutritt, wohingegen das Prinzip der Entsprechung genau umgekehrt ihr vorausliegt. Entsprechung ist wie Ich und Du, Subjekt und Objekt eine ursprüngliche Beziehung zwischen Personen, welche füreinander die jeweils Anderen sind. Deshalb ist Entsprechung ihrem innersten Wesen nach sowohl dialogisch als auch dialektisch. Ein jedes Gespräch hat unabdingbar Entsprechung zur Voraussetzung. Ja, sogar in Kampf und Gegensatz ist, ebenso wie in Versöhnung und Einheit, Entsprechung präsent. Gleiches gilt fürs Reden wie fürs Schweigen, denn selbst wenn das (anrufende) Fragen ohne Antwort bliebe, kann dies nur deshalb geschehen, weil zuvor ein Entsprechungsverhältnis vorausgesetzt wurde. Das aber heißt, daß Entsprechung im hier gemeinten Sinne sich nicht auf Entsprechungen innerhalb der Ebene des Bewußtseins und der Psychologie reduziert. Sie ist das, was vielmehr dieser Ebene zu288 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
Das Prinzip der Entsprechung und die Ortlogik
grundeliegt. Sie ist jene ursprünglichste Seinsweise bzw. jene Kategorie, die das menschliche Sein, ja menschliche Beziehungen überhaupt erst ermöglicht. Entsprechung ist also ursprünglich weder ein psychologisches Phänomen noch eines des Bewußtseins. Von beiden ist sie grundverschieden. Verstünde man Entsprechung als ein psychologisches Phänomen, so würde sich ergeben, daß – wie weit auch immer man zurückginge – Entsprechung, so wie wir sie verstehen, stets schon vorausgesetzt war. Entsprechung ist mithin eine Grundkategorie, die in der Tiefe der menschlichen Seins-, Lebens- und Handlungsweise anzusiedeln ist. Unter dem Begriff ›Kategorie‹ pflegt man allgemein die ›Seinsweise natürlicher Dinge‹ zu verstehen. Von daher mag hier vielleicht der Begriff ›Existential‹ im Sinne Heideggers 4 adäquater sein, wobei jedoch von den ihm in der deutschen Philosophie eigenen Differenzierungen abzusehen ist. Von daher erhellt, daß der Alltagsgebrauch von Entsprechung nur einen Aspekt des von uns hier verwendeten ursprünglichen Entsprechungsbegriffs darstellt. Entsprechung im ursprünglichen Sinne verstanden besteht nämlich auch dort, wo die Alltagssprache diesen Begriff nicht verwendet. Denkt man Entsprechung als Grundprinzip der philosophischen Logik, so verweist sie unabdingbar auf Entsprechung im ursprünglichen Sinne und damit auf eine Grundkategorie. Versteht man unter Entsprechung die Seins- und Lebensweise des Menschen, seine Weise zu fühlen, zu begehren und zu handeln, so ist damit ein Fundamentalstes und Allgemeinstes angesprochen: eben eine Kategorie. Entsprechung ist, wie gesagt, sowohl dialogisch als auch dialektisch. Aber auch umgekehrt gilt: Dialog und Dialektik haben ihrerseits Entsprechungscharakter. Aus dem Entsprechungsverhältnis entspringen Phänomene, welche als solche an den einzelnen Subjekten selbst nicht erscheinen, bzw. die am einzelnen Menschen nicht auftreten. Nehmen wir ein Beispiel: Ein – beliebiges – Subjekt spricht ein Objekt an. Dieses antwortet jenem. Dessen Antwort gemäß wendet es sich wieder ans Subjekt, welches wiederum dem Objekt antwortet. Doch ehe sie in diese Entsprechungsbeziehung eintreten, haben Subjekt und Objekt als solche noch gar nicht existiert. Erst nachdem sich die Entsprechungsbeziehung eingestellt hat, ergab sich erstmalig auch jene neue Situation. Diese neue Situation, die sich aufgrund der empfangenen 4
Zum Begriff »Existential« bei Heidegger vgl. vor allem den § 9 in »Sein und Zeit«.
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Iwao Kôyama
Antwort ergeben hat, mündet nun ihrerseits in eine neue Frage, welche dann abermals eine neue Antwort hervorruft. So ergibt sich ein stetes Fortschreiten in Form von wechselseitigen Entsprechungen. Aus dem Spannungsfeld der Entsprechungen bildet sich somit das Neue und in eben diesem Sinne ist das Entsprechungsprinzip schöpferisch. Nun könnte man vielleicht meinen, daß jenes Neue bereits im antwortenden Subjekt vorhanden sei. Denn die Frage ruft ja eine Antwort hervor, welche der gestellten Frage entspricht. So wird der Inhalt der Antwort durch die Frage bestimmt und als solcher von ihr hervorgerufen. Daraus könnte man schließen, daß im Lautwerden der Frage die zu erwartende Antwort bereits mitgesetzt ist. Bei genauerer Betrachtung ergibt sich hier jedoch folgender Sachverhalt: Der Inhalt der Antwort ist nicht völlig beziehungslos und zufällig zur gestellten Frage, denn die Antwort ist ja nicht bar jeder Verbindung zu ihr. Eben deshalb ist Entsprechung immer zugleich auch Entsprechungsidentität (nämlich eine von Frage und Antwort). Dabei gilt es zu bedenken, daß der Inhalt der der Frage entsprechenden Antwort nie laut werden würde, wenn es eben jene Frage zuvor nicht gegeben hätte. Diese nämlich bewirkt ein Erwecken, welches wiederum zu einem Erwachen (im Sinne eines Bewußtwerdens) führt. Daß Erwecken und Erwachen nicht auch ein Erweckt- und Aufgewecktwerden bedeutete, ist nicht gut vorstellbar. Denn es wäre ja sinnlos, die Begriffe Erwecken und Erwachen auf ein völlig Nichtiges zu beziehen. Daraus folgt, daß der Inhalt der Antwort im Augenblick der Frage bereits feststeht. Erweckt und zum – selbstbewußten – Erwachen gebracht wird er allerdings erstmals durch diese. Ehe er hervorgerufen wird, besteht er noch nicht, und solange das nicht erfolgt, wird er von selbst auch nicht wirklich werden. Es ist eine eigentümliche, ja widersprüchliche Situation, in der sich Erwecken und Erwachen befinden: schon bestehend sind sie noch nicht, und noch nicht seiend bestehen sie schon. Erwecken und Erwachen sind mithin von Verhältnissen wie Kausalität und Wechselwirkung, wie sie bei Naturphänomenen (im Sinne der Naturwissenschaften) gelten, wesentlich verschieden. Aber nicht nur das: Bohren wir hier noch etwas tiefer und fragen, was sich denn aus der Antwort eigentlich ergibt, so zeigt sich, daß sie tatsächlich nur der Frageweise des Fragenden entspricht. Auch der Antwortende kann es nicht im vorhinein bestimmen, und der Fragende kann den substantiellen Inhalt der Antwort nur innerhalb eines relativ vagen Rahmens vermuten. Denn ein wahrer Dialog ist ein solcher, in 290 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
Das Prinzip der Entsprechung und die Ortlogik
dem das Ergebnis nicht von vornherein feststeht. Ja, einen wahren Dialog zeichnet gerade aus, daß in ihm bereits vorher feststehende Ergebnisse destruiert werden und die Dialogpartner zu noch unbekannten, völlig neuen Ergebnissen gelangen, denn ein wahrer Dialog ist stets schöpferisch. Doch es gibt auch Fälle, in denen die Frage von der Art ist, daß sie die Antwort bereits inhaltlich festlegt. Das gilt beispielsweise fürs Frage- und Antwortsystem bei Examina. Diese Art von Frage und Antwort, die als pädagogisch im weitesten Sinne bezeichnet werden kann, ist jedoch kein Dialog im hier gemeinten ausgezeichneten Sinne des Begriffs. Der wahre Dialog ist dialektisch, und wahre Dialektik zeichnet aus, daß in ihr die Synthese nicht von vornherein schon feststeht. Eine solche hätte mit wahrer Dialektik nichts mehr zu tun. Auch hier zeigt sich wiederum, daß die eigentliche Entsprechung schöpferisch ist. Oder umgekehrt: als schöpferische erst ist sie Entsprechung im wahren Sinne. Hier bestimmt stets aufs neue die Form der Antwort die der Frage, denn ihr entsprechend wird sich die Form der Frage unterscheiden. Nun ist es allerdings nicht so, daß die Entsprechungen (koô) in ununterbrochener Folge einander ablösen und dabei ein jeweils spezifisches – d. h. einmaliges und individuelles – Fragen (ko) und Antworten (ô) hervorrufen. Denn es zeigte sich ja, daß der Antwortende mit seiner Antwort in Wahrheit zugleich auch fragt und der Fragende mit seiner Frage zugleich auch antwortet. Entsprechung ist nämlich ihrem eigentlichen Wesen nach korrelierend und reziprok. Die Frage ist als Frage zugleich auch schon Antwort, und die Antwort ist als Antwort zugleich auch schon Frage. Mit anderen Worten: die Frage spiegelt in sich selbst die Entsprechung (welche ja eine von Frage und Antwort ist) unendlich wider, was umgekehrt ebenso für die Antwort gilt. Die Entsprechung ruft nicht nur in der Zeit eine neue Entsprechung hervor, in welche sie dann übergeht, sondern bereits in der Gleichzeitigkeit der Reziprozität. Nun bedeutet die Tatsache, daß es Entsprechungen gibt, zugleich auch, daß es Entsprechungsidentität gibt. In der Entsprechung kommt Neues zum Vorschein, wird Neues geschaffen und damit besteht hier auch Entsprechungsidentität. Deren Kriterium ist nämlich das Auftreten, das Sich-zeigen von Neuem, denn die Entsprechungsidentität ist ihrem Wesen nach schöpferisch. Schöpfung ist ja kein Ereignis, das, einem deus ex machina 5 gleich, der Entsprechung plötzlich 5
»Deus ex machina«, im Original lateinisch.
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II. Bildung der Schule
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von außen zufällt, sowenig wie sie völliger Nichtexistenz entspringt, gleich der Schöpfung aus dem Nichts. Wo es keine Entsprechungsidentität gibt, da gibt es auch keine Schöpfung, denn diese ist ja nichts anderes als Entsprechungsidentität. Entsprechung ist also, wie oben ausgeführt, 1) personal (im Sinne von personenbezogen), 2) reziprok und 3) schöpferisch. Sie beschränkt sich allerdings nicht nur auf bewußte und phänomenale Entsprechungen. Ihr Zustandekommen verweist vielmehr auf eine Grundkategorie, die die ursprüngliche Seinsweise des Menschen bezeichnet. Ausdrücklich sei hier auf diese Grundkategorie als ein Grundprinzip der Logik hingewiesen, welche ich mit dem Begriff ›Entsprechungsidentität‹ bezeichnen möchte. Der Begriff der Entsprechung im ausgezeichneten Sinne ist einer, der zwischen den Subjekten des Ich und Du besteht. Er ist ferner – in Erweiterung seines Sinnes – überall dort anwendbar, wo er die Bedeutung von Ich und Du, von Subjekt und Objekt annehmen kann. Die logische Struktur der Entsprechung findet sich sowohl in unserer natürlichen Umwelt als auch im Umfeld der Gesellschaft. Sie erscheint in Ideal und Idee, in Gott, wie überhaupt in jedweder Transzendenz. Und sie erscheint schließlich im Ich, wenn es den Vorgenannten gegenüber sich in Übereinstimmung bzw. Auseinandersetzung befindet, d. h. wenn der mir Gegenüberstehende die Position des Objekts einnimmt, das selber sein Ich zum Subjekt hat. Doch wenn der Gegenüberstehende als Objekt nicht ein personales Subjekt ist, so ist die Reziprozität der Entsprechung stets schwach ausgebildet. In diesem Fall ist die einseitige Aktivität der Entsprechung offenkundig. Dieser Modus der Beziehungen zwischen dem Ich und dem ihm Gegenüberstehenden, also zwischen Subjekt und Objekt, ist der logischen Struktur der Entsprechung inhärent, denn ihr gemäß bauen sie sich ja auf. Dies heißt jedoch nicht, Natur und Gesellschaft, ja überhaupt alles, was nicht Person ist, zu personifizieren, bzw. dieser nachzubilden. Damit eine – bewußte oder unbewußte – Personifizierung überhaupt möglich wird, muß zuvor nämlich bereits die Entsprechung von Subjekt und Objekt angenommen und vorausgesetzt werden. Denn diese ist Voraussetzung aller Personifizierung. Daß ein nicht-personales Gegenüber in Entsprechungsbeziehungen eintritt, heißt, daß ihm durch unser Leben und unser ganzes Verhalten die Stellung eines Objekts zugewiesen wird. Daß ihm die Stellung eines Objekts zugewiesen wird und also sich Subjekt-ObjektBeziehungen einstellen, heißt wiederum, daß es sich ursprünglich um 292 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
Das Prinzip der Entsprechung und die Ortlogik
Entsprechungen handelt, welche personale Merkmale angenommen haben. Ohne solche Subjekt-Objekt-Entsprechungen wären Technik, ja menschliche Werke überhaupt, aber auch so abstrakte Phänomene wie z. B. Reform und Verrat und damit, ganz allgemein, menschliches Leben und unser Verhalten in ihm schlechterdings unmöglich. Auch unsere Erkenntnis konstituiert sich erst auf der Grundlage der Logik der Entsprechung. Sie hat die Entgegensetzung von Subjekt und Objekt zur Voraussetzung. Diese wiederum konstituieren sich auf der Basis ursprünglicher, personaler Subjekt-Objekt-Entsprechungen. Denn es ist ja nicht das erkenntnistheoretische Subjekt/Objekt, von dem her sich das Entsprechungssubjekt/-objekt bildet, sondern umgekehrt. Unter dem Aspekt des Logischen betrachtet, versteht sich die Geltung dieser ursprünglichen Entsprechung bei jener Logik, die den innergesellschaftlichen Argumentationszusammenhang thematisiert, von selbst. Aber auch in der Logik der naturwissenschaftlichen wie auch der sozialwissenschaftlichen Untersuchung ist in ihrem tiefsten Grunde das logische Prinzip der Entsprechung gegenwärtig. Die Untersuchung wird überhaupt erst aufgrund der Existenz von Entsprechungsverhältnissen möglich. Unabhängig davon, ob eine Untersuchung gelingt oder ob sie fehlschlägt, ob das erwartete Ergebnis sich einstellt oder nicht, wird in ihr stets ein Entsprechungsverhältnis vorausgesetzt. Denn ›Untersuchung‹ meint im Grunde ja nichts anderes als den Versuch, auf eine Frage, ein Problem, eine Antwort zu erhalten, sie sozusagen ›hervorzurufen‹. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, daß der koô-(Entsprechungs-)Begriff selbst bereits die Bedeutung von Untersuchung miteinschließt. Das erste Element, ko (Fragen), kann man ja auch als ›Untersuchung‹ verstehen, während man das zweite, ô, als Antwort auf die in der Untersuchung gestellten Fragen betrachten kann. Nur muß man hier, analog zum ursprünglichen Verständnis von Entsprechung, auch den Begriff ›Untersuchung‹ in seiner ursprünglichen Bedeutung nehmen, d. h. er darf nicht auf naturwissenschaftliche Untersuchungen, ja, überhaupt nicht auf nur theoretisch-wissenschaftliche Untersuchungen verengt werden. Politik und politische Praxis, Produktion und Konsum, ferner Kultur, Zivilisation und Technik sind alles Bereiche, in denen der Begriff der Untersuchung zur Anwendung kommt. Damit aber trifft er praktisch auf alle Betätigungen innerhalb der Wirklichkeit unserer Lebenspraxis zu. Zugrunde liegt ihm jene ursprüngliche Logik, die die Entsprechung zum Prinzip hat. Somit muß die Logik der Untersuchung in ihrem Grunde eine Logik der Entspre293 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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chung sein. Was nun die logische Struktur der Untersuchung angeht, so ist sie als eine von ›Aufgabe und Lösung‹ zu kennzeichnen. Somit ist die Logik der Untersuchung eine Logik von Aufgabe und Lösung, welche ihrerseits zueinander in einem Entsprechungsverhältnis stehen. Folglich ist dann die Logik der Entsprechung auch eine Logik von Aufgabe und Lösung. Wo es keine Aufgabe gibt, da gibt es auch keine Untersuchung, denn diese entwickelt sich im Einklang mit dem Entstehen von Aufgaben. Wichtig ist allerdings, daß wir, analog zum Verständnis von ›Entsprechung‹ und ›Untersuchung‹ in ursprünglicher Bedeutung, auch den Begriff der ›Aufgabe‹ im ursprünglichen Sinne verstehen. Dabei ist irrelevant, ob das, was wir hier als Aufgabe in einem ursprünglichen Sinne bezeichnen, uns auch psychologisch als Aufgabe bewußt ist oder nicht. Denn die Aufgabe geht dem Prozeß ihrer Bewußtwerdung durch uns voraus: sie antezediert das von der Psychologie her bestimmte Bewußtsein und verweist auf eine Situation, von der her unser Denken und Fühlen, unser Wollen und Handeln stimuliert, ja hervorgerufen wird. Wo es keine Aufgabe gibt, da kann weder Denken noch Fühlen, weder Wollen noch Handeln entstehen. Daß sie aber entstehen, zeigt, daß die ›Aufgabe‹ bereits vorhanden ist, welche sie hervorruft und schließlich zur Existenz verhilft. Die Tatsache, daß es die Aufgabe gibt, bedeutet also, daß das Feld, 6 in dem sie existiert, eine bestimmte ›Situation‹ ausgebildet hat, und zwar noch ehe sie uns ins Bewußtsein getreten ist. Es gibt kein Feld, welches nicht solcherart ›Situationen‹ ausbildet, denn es gibt kein ›situationsfreies‹ Feld. Es gilt also generell, daß das Feld stets ein Situationsfeld ist, welches wiederum die Bedingung für das Entstehen und Zustandekommen von Aufgaben ist. Daß das Feld eine bestimmte Situation ausbildet und daß es in ihr Aufgaben gibt, zeigt, daß das Feld ein ›Aufgabenfeld‹ ist. Eine aufgaben-freie Situation gibt es sowenig, wie es ein aufgaben-freies Feld gibt. Insofern ist die Aufgabe, der wir hier das logische Fundament geben wollen, als ursprünglich zu bezeichnen. Wir haben gesagt, daß die Aufgabe die Lösung hervorruft, sie ›erweckt‹. Eine Aufgabe, die diese Funktion nicht erfüllt, erfüllt auch den Sinn von ›Aufgabe‹ nicht. Denn diese ist stets als eine zu lösende Aufgabe zu sehen. Das Streben nach der Lösung ist ihr inhärent, es ist eine Tendenz, die in ihr bereits angelegt ist. Solange sie noch nicht gelöst ist, 6
Feld (ba, 場). Vgl. Anm. 7 und 9.
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Das Prinzip der Entsprechung und die Ortlogik
ist der Zustand der Aufgabe instabil. Dies ist ihr eigentlicher Zustand. Die Instabilität, in welcher sich die Aufgabe befindet, strebt nach Stabilisierung, ein Zustand, auf den hin sie sich bewegt. Um allmählich eine Ordnung zu gewinnen, bewegt sich die Aufgabe, von ihrem Inhalt gedrängt, in Richtung zunehmender Stabilität. Wenn die neue Ordnung, welche die Antwort auf den Inhalt der Aufgabe ist, sich eingestellt hat, ist Stabilität erreicht. Die erreichte Stabilität ist die Lösung, während die Aufgabe als gestörte Ordnung anzusehen ist, bzw. als ein Zustand, in dem die angestrebte Ordnung noch offen, d. h. nicht etabliert ist. Die Lösung ist das Herstellen einer Ordnung, ihre Etablierung. Dabei ist die Untersuchung als ein Prozeß zu verstehen, der zwischen diesen beiden Punkten abläuft. Der Inhalt der Aufgabe strebt stets nach einem ihm gemäßen Platz 7. Sie ist mithin eine Aktivität, die ein geordnetes Ganzes anstrebt. Aufgabe und Lösung sind darin Größen, welche einander wechselseitig entsprechen. Wo diese Entsprechung fehlt, kann es auch Aufgabe und Lösung nicht geben, ja, sie fehlen überall dort, wo wir es mit Dingen und Größen zu tun haben, welche einander nicht entsprechen. Die Aufgabe intendiert die Lösung, welche sich wiederum in Antwort auf jene einstellt. Somit bezeichnen Aufgabe und Lösung in einem ursprünglichen Sinne einen in sich konsequenten Sachzusammenhang, dessen Grundlage die Entsprechungsidentität bildet und der gekennzeichnet ist durch Dinge von spezifischer Eigentümlichkeit mit je eigener Individualität. Es hat sich also gezeigt, daß die Untersuchung sich im Spannungsfeld von Aufgabe und Lösung bewegt, wobei die Letztgenannten wiederum zueinander in einem Entsprechungsverhältnis stehen. Logik und Rationalität sind in den Prozeß der Untersuchung miteingegangen, wobei zu beachten ist, daß hier Prozeß weder einen psychologischen noch einen zeitlichen Vorgang beschreibt. Unter ›Aufgabe‹ verstehen wir – von der erreichten Lösung her gesehen – ein [der Problemlage] angemessenes Verfahren und eine notwendige innere Folgerichtigkeit, der schlechthin zuzustimmen ist. Dieses Verfahren und diese innere Folgerichtigkeit sind mithin nur andere Bezeichnungen für den Gang der Logik selber, wobei dieser logische Prozeß, im Sinne Kants, nicht als ›empirisch‹, sondern als ›transzendental‹ zu bezeichnen ist. Zudem sind Aufgabe und Lösung (bzw. der Prozeß, der sich zwischen beiden vollzieht) durch eine bestimmte Eigentümlichkeit gekennzeichnet: in ihrer 7
Platz (sho, 所). Vgl. Anm. 9.
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jeweiligen Logik und Rationalität manifestiert sich nämlich der Unterschied zwischen Naturwissenschaftlich und Geisteswissenschaftlich. Oder anders gewendet: es zeigen sich hier die Unterschiede zwischen einer technisch-ökonomischen und einer juristisch-politischen Betrachtungsweise. Denn die Wissenschaft einer jeden Disziplin als einer solchen, die in Entsprechung zur jeweiligen Aufgabe nach Lösungen sucht, hat eine ihr eigentümliche Rationalität zur Grundlage. Wenn wir hier die Logik der Untersuchung thematisieren, so interessiert uns nicht so sehr die Struktur von Aufgabe und Lösung im Gang der Untersuchung, als vielmehr – noch einen Schritt weiter gehend – transzendental die Erörterung der Frage, wie das Phänomen Aufgabe und Lösung überhaupt möglich ist. Bei dieser Frage stoßen wir notwendigerweise auf die ›Ortlogik‹, ohne welche Aufgabe und Lösung gar nicht gedacht werden können, und ohne Aufgabe und Lösung wiederum wäre die Untersuchung undenkbar. Bei genauerer Betrachtung der Theorie der Untersuchung stößt man nämlich von selbst auf die Theorie von Aufgabe und Lösung, und verfolgt man diese weiter, so gelangt man schließlich von selbst zur Ortlogik. Somit ist nach meinem Verständnis das Prinzip der Entsprechung in Wahrheit nichts anderes als das Prinzip der Ortlogik. Die Aufgabe ist nicht das Ergebnis einer Einzelerfahrung, sondern eines Beziehungsgeflechts von Erfahrungen. Denn diese sind nur möglich, wenn man sie als mit diversen anderen Erfahrungen in Beziehung tretend denkt. Streng genommen gibt es nämlich so etwas wie eine Einzelerfahrung überhaupt nicht, und folglich kann sich die Aufgabe auch nicht aus einer solchen heraus bilden. Phänomene wie Sinnestäuschungen und Halluzinationen etwa sind allein durch die Wahrnehmung noch nicht zureichend als solche zu bestimmen. Dazu werden sie erst, wenn man sie zu anderen Wahrnehmungen in Beziehung setzt und mit ihnen vergleicht. Gleiches gilt für den Traum, denn solange man träumt, kann man noch nicht sinnvoll von ›Traum‹ sprechen, sondern erst nach dem Erwachen. Ebenso wird auch die Erfahrung erst dann zu einer solchen, wenn sie mit anderen Erfahrungen in Beziehung tritt. Erfahrung gibt es nur als Teil der Gesamtheit dieser Beziehungen. Selbstverständlich kann es für die Gesamtheit der Beziehungen weder in der Zeit noch im Raum eine feste Grenze geben. Sie ist nicht eingrenzbar, was bedeutet, daß sie frei ist. Die Gesamtheit der Beziehungen ist nur zeitweise ein Ganzes, wobei jedoch sicher ist, daß jede Einzelerfahrung sich innerhalb jener Gesamtheit befindet, denn sie bildet ja einen Teil davon. Wenn also das ganzheitliche Beziehungsgeflecht seine 296 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
Das Prinzip der Entsprechung und die Ortlogik
bestimmte Ordnung hat, und wenn die Einzelerfahrungen darin ihren jeweiligen Platz einnehmen und ihr Verhältnis zueinander frei von Widersprüchlichem ist, dann ist dieses System stabil, und es ergeben sich folglich aus ihm auch keine neuen Aufgaben. Diese ergeben sich erst dann, wenn Reibungen und innere Widersprüche zwischen den Einzelerfahrungen entstehen, wenn die Ordnung des gesamten Beziehungsgeflechts anfängt, durcheinander zu geraten, worauf dieses seine harmonische, einheitliche Ordnung verliert und das ganze System aus den Fugen gerät. Die Aufgaben ergeben sich also nicht aus den Einzelerfahrungen, sondern aus deren ganzheitlichem Beziehungsgeflecht und d. h. aus einem System von Erfahrungen. Zwar wissen wir nur aufgrund von Einzelerfahrungen von der Existenz von Aufgaben und werden uns ihrer Konstituierung bewußt, aber die Einzelerfahrung ist ja – wie aus den zuvor gegebenen Beispielen wie Sinnestäuschung, Halluzination und Traum ersichtlich – in Wirklichkeit in das Beziehungsgeflecht des Ganzen verwoben. Keine Erfahrung ist denkbar, bei der nicht in uns bereits – strukturell von ihrer Bewegungsrichtung her – das ganzheitliche Beziehungsgeflecht en miniature angelegt wäre. Von dem Prinzip, daß die Aufgaben aus jenem ganzheitlichen Beziehungsgeflecht entstehen, gibt es auch nicht die geringste Abweichung. Die Gesamtheit der Beziehungen bzw. das ganzheitliche Beziehungsgeflecht bezeichne ich mit dem Begriff ›Feld‹ (ba) und die Einzelerfahrung, die dessen Teil bildet, mit ›Einzelnem‹ (ko). 8 Die Einzelerfahrungen nehmen dabei innerhalb eines Feldes eine bestimmte Position bzw. Stellung ein. Das Feld hat eine bestimmte, durch Einheit gekennzeichnete Ordnung und bildet ein System. Es enthält die Einzelerfahrungen. Der Zustand, in dem es weder Reibungen noch innere Widersprüche gibt, ist einer, in dem das Einzelne seinen ›Platz‹ eingenommen hat. 9 Somit gibt es in einem Zustand, in dem jedes Einzelne seinen Platz hat, auch keine … Aufgaben Einzelnes (ko, 個). Damit ist sowohl »das« Einzelne wie »der« Einzelne gemeint. Vgl. dazu auch die »Einzelbestimmung« und »Allgemeinbestimmung« im Nishida-Text »Selbstidentität und Kontinuität der Welt« in diesem Band. 9 Der japanische Ausdruck »einen Platz einnehmen« ist gebräuchlich und hat implikative Bedeutung. Der gemeinte Platz nämlich ist immer der je eigene, d. h. der einem jeden gemäße Platz. Der Ausdruck wird somit auch oft im ethischen und sozialen Sinne gebraucht. Der Verfasser konzipiert so die »Ethik des ›tokoro‹«, wie sie weiter unten kurz gestreift wird. Das Wort »tokoro« (所) lautet in sino-japanischer Lesung »sho«, wie im Begriff »basho« (場所). 8
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mehr. Diese stellen sich nämlich erst dann, wenn das Einzelne im Begriff ist, seinen Platz zu verlieren. Daß die Aufgabe gelöst wurde, bedeutet dann, dass das Einzelne im Feld einen neuen Platz gefunden hat. Damit ist das Feld allerdings nicht mehr das ursprüngliche, sondern es ist eines mit einer neuen Ordnung. Das Grundschema der Ortlogik ist, das bisher Gesagte zusammenfassend, gekennzeichnet durch die Elemente ›Feld‹, ›Platz‹ und ›Einzelnes‹. Sie unterscheiden sich von Gattung, Art und Einzelwesen insofern, als der Gesichtspunkt, unter dem sie betrachtet werden, ein anderer ist. Begriffe wie Gattung, Art und Einzelwesen, bzw. Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit sind vom Standpunkt der formalen Logik her konzipierte Schemata. Man differenziert sie gewöhnlich nach ihrem unterschiedlichen Grad von Allgemeinheit. Dies aber gilt nicht für die Begriffe Feld, Platz und Einzelnes, da sie prinzipiell nichts mit der formalen Logik zu tun haben, sondern sich vielmehr auf positiv gegebene Sachverhalte beziehen. Macht man Feld, Platz und Einzelnes zum Grundschema der Ortlogik, so zeigt sich alsbald, daß diese in sich selbst die Sachlogik bereits enthalten. Das Feld ist ein Feld von Einzelnem, und das Einzelne ist ein Einzelnes innerhalb eines Feldes. Wollte man sie isoliert voneinander betrachten, so ergäbe sich eine sinn-lose Beziehung. Der Platz schließlich bringt die Ordnung des Ganzen zum Ausdruck. Die Ordnung ist die Beziehung zwischen Feld und Einzelnem. Kein Einzelnes existiert außerhalb einer solchen Ordnung, wie es im übrigen auch kein Feld ohne eine solche Ordnung gibt. Die übliche Bezeichnung für diese Ordnung ist ›Rationalität‹. Die von Einzelnem und Feld gebildete Ordnung beinhaltet zugleich auch die Festlegung des Platzes. Eben darin liegt die Identität der Entsprechung. Die Bildung der Aufgabe ebenso wie ihre Lösung vollziehen sich innerhalb des Feldes. Auch jede Bewegung des Einzelnen ist stets eine Bewegung innerhalb eines Feldes. Bewegt sich aber das Einzelne im Feld, so handelt es sich notwendigerweise um die Veränderung seines Platzes, was wiederum bedeutet, daß das Feld als Ganzes in Bewegung ist. Ist umgekehrt das Einzelne zur Ruhe gekommen, so heißt das, daß sein Platz festgelegt ist, und ist der Platz festgelegt, so ist auch das Feld wieder in Ruhe(stellung). In der Ortlogik herrscht, was das Verhältnis von Einzelnem, Platz und Feld angeht, eine innere Konsequenz und Stimmigkeit. Deshalb wäre es sinnlos, sie voneinander isoliert zu betrachten. Denn das Einzelne ist ja, wie gesagt, ein Einzelnes innerhalb eines Feldes, in dem es seinen Platz einnimmt, und das Feld ist eines, 298 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
Das Prinzip der Entsprechung und die Ortlogik
welches Einzelnes enthält, dem es seinen Platz zuweist. Die einzelnen Plätze bilden wiederum ein geordnetes Feld, und die einzelnen (Dinge) bilden eine Ordnung, die durch deren Beziehung untereinander innerhalb des Feldes bestimmt ist. Es gibt kein Feld ohne diese Plätze, und es gibt auch kein Einzelnes, welches nicht in jenem seinen einen Platz einnähme. Es ist wichtig, die Erfahrungen samt den Beziehungen, die sie eingehen, durch das Schema der Ortlogik zu erhellen. Dabei kann man, was wir hier Erfahrung nennen, auch im Sinne von Tatsache oder Ereignis verstehen und das Schema der Ortlogik auf die Beziehungen von Individuum und Gesellschaft, Ich und Welt, Einzelwesen und Umwelt übertragen. In Rücksicht auf die dynamische Beziehung, die zwischen Feld und Einzelnem besteht, wurde hier eigens das Wort Erfahrung gebraucht. Aus dieser durch Feld und Einzelnem gebildeten Erfahrung konstituieren sich Aufgabe und Lösung, wobei dann der logische Prozeß, der sich zwischen Bewegung und Ruhe des Platzes vollzieht, nichts anderes ist als die Untersuchung. Hier nun, wo wir es unternehmen, den logischen Aufbau von Aufgabe und Lösung innerhalb der Ortlogik zu erhellen, müssen wir uns auch über die Struktur des Feldes klar werden. Diese kann mit den Begriffen Mittelpunkt und Umfeld gekennzeichnet werden. Wir haben gesagt, daß die Gesamtheit der Beziehungen nach außen hin offen ist, und auch, daß diese Gesamtheit jeweils eine nur relative ist. Diese Gesamtheit nun, d. h. in unserer Terminologie also das ›Feld‹, hat einen Mittelpunkt, um welchen sich praktisch endlos sein Umfeld erstreckt. Da das Feld dergestalt die Struktur von Mittelpunkt und Umfeld besitzt, kann man von einer relativen Gesamtheit sprechen und ihm eine gewisse Vollendung zusprechen. Stabilität besitzt das Feld genau in dem Maße, wie ihm Abgeschlossenheit zukommt. Diese Abgeschlossenheit ist jedoch nicht theoretisch zu verstehen, sondern sie ist vom Interesse bedingt. Wenn wir sagten, daß sich im Feld ein bestimmter Mittelpunkt herauskristallisiert, um welchen sich das Umfeld erstreckt, so bezeichnen wir dieses Herausbilden der Struktur von Mittelpunkt und Umfeld im Felde mit ›Interesse‹, und es ist kein Feld denkbar, welches nicht durch das Interesse strukturiert wäre. Wir haben oben gesagt, daß das Feld eine bestimmte ›Situation‹ ausbildet, ja, daß es wesentlich Situationscharakter besitzt. Doch dieser Situationscharakter ergibt sich nur deshalb, weil das Feld sich durch das Interesse ausgebildet hat. Daß das Feld, durch das Interesse bedingt, die Struktur von Mittelpunkt und Umfeld hat, daß es Situationscharakter besitzt, heißt auch, daß es diese 299 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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Situation schließlich ausbilden wird. Ein solches Feld ist dann, so kann man sagen, in gewisser Weise abgeschlossen. Es versteht sich, daß diese Abgeschlossenheit keine absolute ist. Sie bedeutet weder absolute Vollendung noch auch Verschlossenheit, sondern strukturelle Einheit auf der Basis des Interesses. Das Feld ist weder ohne Struktur noch ohne Ordnung, sondern seine Struktur ist von einer Ordnung bestimmt, die auf dem Interesse beruht. Diesem Interesse gemäß beinhaltet seine Struktur ein Differenzieren nach unterschiedlichen Graden von Wichtigkeit. Auf dieser Grundlage bildet sich die Struktur von Mittelpunkt und Umfeld heraus. Dadurch sind die Aufgaben, die sich aus der jeweiligen Situation des Feldes ergeben, zwar klar und präzise, aber nicht umfassend und erschöpfend. Dabei bewegt sich die Aufgabe aus sich selbst heraus, während sich zugleich das Feld als solches bewegt. Das Feld, welches abgeschlossen aber nicht vollendet ist, ist stets dynamisch. Das aber bedeutet nichts anderes, als daß es seinem Wesen nach zeitlich ist. Also ist das Feld als ein räumliches zugleich auch ein zeitliches und als ein zeitliches zugleich auch ein räumliches. Das Feld mit seiner Struktur von Mittelpunkt und Umfeld besitzt eine vorläufige Abgeschlossenheit. Daß das Feld stabil ist, heißt, daß seine Aufgaben im Begriff sind, gelöst zu werden. Wird es instabil, verliert es seine Abgeschlossenheit, bricht die Struktur von Mittelpunkt und Umfeld zusammen, dann bedeutet das, daß eine neue Aufgabe im Begriff ist zu entstehen. Mit dem Entstehen der Aufgabe beginnt zugleich auch die Untersuchung, die deren Lösung anstrebt. Sie ist Ausdruck des Bemühens, die Stabilität des Feldes wieder herzustellen. Stabilität ist dann erreicht, wenn das Feld wieder die Struktur von Mittelpunkt und Umfeld ausgebildet und damit eine vorläufige Abgeschlossenheit erreicht hat. Dies aber ist die Lösung, mit welcher die Untersuchung einstweilen endet. Die Untersuchung vollzieht sich im Spannungsfeld von Stabilität und Instabilität. Sie ist als ein Prozeß zu verstehen, der auf (Wieder-)Gewinnung von Stabilität zielt. Dieser Prozeß vollzieht sich, dem Prinzip der Entsprechung gemäß, im Zwischenbereich von Aufgabe und Lösung, demgemäß er sich auch weiterentwickelt. Das Feld ist, wie bereits gesagt, von nur vorläufiger, nicht absoluter Abgeschlossenheit, somit auch von relativer Unvollkommenheit. Folglich sind auch Aufgabe und Lösung nicht von absoluter, sondern nur von relativer Unvollkommenheit. Aus dem Gesagten erhellt, daß sich das Feld in der Zeit bewegt und zwar unaufhörlich, wohingegen seiner Ordnung als einer solchen Immobilität eignet. Mit ande300 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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ren Worten: Während das Feld eine vom Interesse bestimmte Struktur von Mittelpunkt und Umfeld besitzt und damit in gewisser Weise relativ ist, besitzt es zugleich doch ein bestimmtes Maß an Stabilität, in welcher es sich seiner Ordnung entsprechend zu erhalten sucht. Es ist offen und besitzt dennoch ein gewisses Maß an Abgeschlossenheit. Es ist dynamisch und immobil zugleich.
II. Wiederholen wir: Das Feld ist durch Mittelpunkt und Umfeld strukturiert, wobei die Struktur selbst vom Interesse bestimmt ist. Diesem gemäß wird der Mittelpunkt festgelegt und aufgrund dieser Festlegung wiederum werden die mannigfaltigen Erfahrungen miteinander verknüpft. Auf der Grundlage von Mittelpunkt und Umfeld bildet sich eine bestimmte Ordnung heraus. Von deren Struktur her können wir zunächst einmal beim Feld den Aspekt des Raumes und den der Zeit unterscheiden. Die Räumlichkeit des Feldes ist bereits in dessen Begriff enthalten, denn es gibt schlechthin keinen Ort, der nicht räumliche Ausdehnung besäße. Das Feld ist eines, welches Einzelnes enthält, welches Einzelnes umschließt. Räumlichkeit ist ein ursprüngliches Charakteristikum des Feldes. Doch ist sie nicht identisch mit dem natürlichen oder physikalischen Raum. Eine solche Gleichsetzung wäre geradezu falsch. Der natürliche, physikalische Raum wird als ein quantitativ gefaßter, homogener Raum vorgestellt. Die Räumlichkeit des Feldes dagegen, so wie wir sie hier verstehen, hat mit Homogenität und Quantität gar nichts zu tun. Räumlichkeit im hier gemeinten Sinne liegt vielmehr einer solchen Bestimmung noch voraus und besitzt zudem eine Eigentümlichkeit, die von dieser grundsätzlich verschieden ist. So unterscheiden sich etwa die Begriffe Nähe und Ferne von quantitativ gefaßten homogenen Distanzen. Jene sind Distanzen, die gewissermaßen bildlich nach den Gesetzen der Perspektive die Struktur von Mittelpunkt und Umfeld widerspiegeln. Feld ist nämlich ursprünglich nicht nur der natürliche Raum, sondern insbesondere jener Ort, an dem wir Menschen unsere alltägliche Lebenspraxis vollziehen. Folglich ist hier, im weiteren Sinne, die Idee der Gesellschaft stets schon miteingeschlossen. Es ist jener Ort, an dem wir mit den uns gegenüberstehenden Dingen und Menschen Beziehungen mannigfaltigster Art eingehen. Feld in diesem Sinne ist also räumlich und zeitlich zugleich. Dabei 301 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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versteht sich die Räumlichkeit des Feldes von selbst, denn sie folgt ja, wie schon gesagt, aus seinem Begriff. Die Zeitlichkeit hingegen ist keineswegs so selbstverständlich. Sie bildet jedoch ein wesentliches Strukturmoment des Feldes. Nehmen wir etwa die Begriffe ›Land‹ und ›Akker‹. Sie sind mehr, als bloßer ›Raum‹, nämlich geschichtliche Orte, die unsere Vorfahren über lange Zeiten hinweg bearbeitet und an denen sie ihr Leben verbracht haben. Ferner sind sie Orte, die als Gegenstände des Besitzes gesellschaftlich anerkannt bzw. umstritten waren. Analog dazu hat auch die natürliche Umwelt einen Kulturaspekt. Daraus erhellt, daß das, was wir hier mit ›Feld‹ bezeichnen, nicht nur ein räumliches, sondern ebenso auch ein zeitliches bzw. geschichtliches Phänomen ist. Unter dem Aspekt des Zeitlichen betrachtet, zeigt sich, daß beim Feld Vergangenes sich bis in die Mitte der Gegenwart hinein fortsetzt und deren Umfeld gestaltet. Da das Vergangene das Feld stets mitstrukturiert, müssen wir es als ›gleichzeitig‹ mit der Gegenwart im Zentrum ansehen. Denn allem, was sich im Feld befindet, kommt der Charakter der Gleichzeitigkeit zu. Eltern und Kinder z. B. leben zur gleichen Zeit, wie ja die menschliche Gesellschaft überhaupt die gleichzeitige Existenz verschiedener Generationen bildet. Zum Begriff des Feldes gehört die gleichzeitige Existenz von Ungleichzeitigem, und man kann sagen, daß das Feld jenes Prinzip verkörpert, welches Gleichzeitigkeit erst ermöglicht. Wenn oben gesagt wurde, daß die Vergangenheit mit der Gegenwart gleichzeitig ist, so bedeutet das jedoch nicht, daß das Vergangene damit völlig seines ihm eigentümlichen Charakters entkleidet wäre. Denn auch wenn Eltern und Kinder zur gleichen Zeit leben, so ist damit ja noch nicht ihre Zugehörigkeit zu verschiedenen Generationen aufgehoben: die Ungleichzeitigkeit von Ungleichzeitigem verschwindet nicht einfach. Bezogen auf die Gegenwart ist hier die Vergangenheit zwar gleichzeitig, doch bleibt ihre Zugehörigkeit zu einer anderen Zeitdimension weiterhin bestehen: nach wie vor behält sie ihren Vergangenheitscharakter. Insofern ist das Feld sowohl gleichzeitig wie ungleichzeitig. Zu seinem inneren Wesen gehört eine die Ungleichzeitigkeit mit einschließende Gleichzeitigkeit. Damit wird deutlich, daß sich die Zeitlichkeit des Feldes von der der natürlichen wie auch der physikalischen Zeit unterscheidet. Sie ist nicht einfach die verfließende Zeit, nicht eine als linearer Ablauf vorgestellte Zeitlichkeit. Sie ist vielmehr eine verfließende und nicht verfließende Zeitlichkeit, in welcher Gleichzeitigkeit und Ungleichzeitigkeit miteinander verknüpft sind. Je 302 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
Das Prinzip der Entsprechung und die Ortlogik
mehr das Feld in sein Umfeld übergeht, desto mehr neigt es der Vergangenheit zu, wobei die Mitte des Feldes die Gegenwart bildet. Aber diese Gegenwart ist nicht, wie im üblichen Zeitbegriff, als Punkt zu denken, also nicht als Gegenwartspunkt, sondern als eine Gegenwart, welche das Interesse einschließt, eine eigentlich seinsollende Wahrheit auch zu verwirklichen. Sie ist mit anderen Worten eine Gegenwart, welche in sich bereits Zukünftigkeit enthält. Die Mitte des Feldes ist mithin gegenwärtige Mitte mit einer Tendenz zur Zukunft hin: also eine zukünftig-gegenwärtige Mitte. Das sich daran anschließende Umfeld tendiert demgegenüber zur Vergangenheit hin, ist also ein vergangenheitlich-gegenwärtiges Umfeld. Die Gegenwärtigkeit des Feldes ist eine Gegenwart, die mit Vergangenheit gesättigt ist und mit der Zukunft schwanger geht. Von daher eignet ihr eine gewisse Dichte. Dies also ist der zeitliche Charakter des Feldes. Man darf sich folglich das Feld nicht als eine ›Ebene‹ vorstellen. Wenn wir vielmehr jenen Raum, der wesentlich die Dimension der Zeit miteinschließt, die Welt nennen wollen, dann können wir sagen, daß das Feld die Welt ist. Das Feld hat also, ganz allgemein gesprochen, die Struktur von Mitte und Umfeld. Diese Struktur zeigt sich am deutlichsten bei jenem Feld, welches wir als unsere geschichtlich-soziale Wirklichkeit zu bezeichnen pflegen. Hier sind die Einzelnen im Feld nämlich wir selber, und zwar als Individuen, die als Subjekte mit freiem Willen begabt sind. Dies ist das Feld, mit dem alle anderen Felder verknüpft sind, und die in der Mitte dieser Verknüpfung stehen, sind wir selber, ist unser Selbst. Daß die Entsprechung, wie oben gesagt, personal, reziprok und schöpferisch ist, zeigt sich in der Wechselbeziehung der als Subjekte mit freiem Willen begabten Individuen. So manifestiert sich in geradezu exemplarischer Weise die Ortlogik der Entsprechungsidentität im Felde der geschichtlich-sozialen Wirklichkeit. Wir können nun verschiedene Arten von Feldern unterscheiden: das Feld der Natur (bzw. das Feld als natürliche Umwelt), das Feld der Kultur, das Feld der technischen Fertigung, das Feld der Produktion, des Konsums und der ökonomischen Zirkulation überhaupt; ferner das Feld des Rechts, der Politik und der Erziehung. Diese Felder sind alle durch ein Geflecht von Beziehungen miteinander verbunden und jeweils Gegenstand natur- und sozialwissenschaftlicher Forschung. Darüber hinaus gibt es noch die höchst abstrakten und daher un-wirklichen, sich auf eine bloß mögliche Welt beziehenden Felder der Logik und der Mathematik. Schließlich wäre dann noch die Welt der Religion zu nennen. Als 303 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
II. Bildung der Schule
Iwao Kôyama
ein unsere Wirklichkeit transzendierendes Feld bewegt sie sich, verglichen mit den vorgenannten, in einer völlig anderen Dimension. Dasjenige nun, was all diese verschiedenen Felder miteinander verknüpft, ist unser Selbst. So sind wir in der natürlichen Welt ein natürliches Selbst, in der ökonomischen ein ökonomisches und in der geschichtlichen ein geschichtliches Selbst. Im ganzen gesehen läßt sich bei den genannten Beispielen generell zwischen unserem natürlichen Selbst auf der einen und unserem geschichtlich-sozialen auf der anderen Seite unterscheiden. Hierbei können wir allerdings das natürliche Selbst bzw. den Menschen als ein in natürlicher Umwelt lebendes Individuum noch nicht als ein Selbst im wahren Sinne bezeichnen. Denn dieser Mensch hat ja die Dimension naturhafter Lebewesen noch gar nicht verlassen. Im Grunde ist er noch ein von seinen Trieben und Instinkten gesteuertes, von der Spezies bestimmtes Wesen und noch nicht Individuum im strengen Sinn des Wortes. Erst als ein bewußtes ist es ein Selbst im ausgezeichneten Sinne. Als eines, das sich seiner selbst bewußt ist, ist es zugleich auch das wahre Selbst. In diesem Sinne ist das geschichtlich-soziale Selbst ein seiner selbst bewußtes Selbst. Doch auch dieses sich seiner selbst bewußt gewordene geschichtlich-soziale Selbst kann letztlich immer noch nicht als das wahre Selbst bezeichnet werden. Denn das wahre Selbst ist erst dasjenige, das sich eines ›eigentlichen‹ Selbst bewußt geworden ist. Sich des eigentlichen Selbst bewußt werden aber heißt, unser uneigentliches, alltägliches Selbst zu negieren. In dieser Negation wird das eigentliche Selbst sich selber als ein dem alltäglichen entgegenstehendes Selbst bewußt. Diese uneigentliche Alltäglichkeit enthält sowohl Naturhaftigkeit als auch Geschichtlichkeit und Sozialität. Nun bedeutet das wahre, selbst-bewußte Selbst ein unbedingtes negierendes Transzendieren der alltäglichen Wirklichkeit und Streben nach dem Eigentlichen des Menschen. Darin erreicht das Selbst-Bewußtsein des Selbst seine äußersten Möglichkeiten. Das Selbst ist dabei aber nicht einfach jener Punkt, in dem wir dieses ursprüngliche Selbst erreichen, sondern es besteht vielmehr auch und gerade in der Tätigkeit, welche bestrebt ist, das Selbst-Bewußtsein dieses eigentlichen Selbst zu vertiefen. Das Selbst ist nämlich das Subjekt der Tätigkeit der SelbstNegation wie auch das der Selbst-Transzendenz. Was wir allgemein mit ›Ideal‹ bezeichnen, ist der Begriff, der auf das Eigentliche und Wahre zielt, dessen wir in der Tätigkeit der SelbstNegation und der Selbst-Transzendenz gewahr werden. Deshalb kann 304 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
Das Prinzip der Entsprechung und die Ortlogik
das Ideal auch nicht der alltäglichen ›Wirklichkeit‹ entstammen, zu der es vielmehr im geraden Gegensatz steht. Verläßt man nämlich den Boden des Selbst-Bewußtseins des eigentlichen Selbst, welches die alltägliche Wirklichkeit durchbricht und transzendiert, so wird jedwedes Ideal unmöglich und der Idealismus selbst kann nicht mehr zureichend begriffen werden. Denn die idealistische Haltung ist eine existentielle Haltung. Ihr entspringt das Moment des Ideals, welches der geschichtlich-sozialen Wirklichkeit innewohnt. Das Selbst kennzeichnet eine sich selbst negierende Transzendenz, welche die Verbindung der verschiedenen Felder untereinander herstellt. So wird das eigentliche Selbst erst in Negation und Transzendenz sich seiner selbst bewußt, was wiederum eine beständige Vertiefung des Selbst-Bewußtseins zur Folge hat. Eben darin zeigt sich das System der Felder, deren Systematisierungsprinzip allein in der beständigen Vertiefung des Selbst-Bewußtseins liegt. Deshalb entspricht einem abstrakten Feld auch ein abstraktes Selbst, welchem aber stets ein konkretes, selbst-bewußtes Selbst zugrundeliegt. Die negierende Transzendenz des abstrakten Selbst besteht darin, daß sie mit der Vertiefung des Selbst-Bewußtseins des eigentlichen Selbst ihr Feld transzendiert, um gleichsam mit einem Sprung in ein konkretes Feld zu gelangen. Denn die Transzendenz des Feldes und die des Selbst entsprechen einander. Diese Selbst-Transzendenz, d. h. also die Vertiefung des Selbst-Bewußtseins, ist eine Vertiefung der Subjektivität des Selbst, ist ein Transzendieren hin zu dessen subjektivem Grund. Alle Vorgänge, die sich innerhalb eines Feldes vollziehen, bedeuten niemals – wie groß der Sprung auch immer sein mag – ein Transzendieren. Denn darunter ist nur ein Transzendieren des Feldes selbst zu verstehen. Das bedeutet, daß das darin befindliche Selbst zu sich selber in Widerspruch gerät und sich im Durchstoßen des Feldes wieder neu konstituiert. Dies aber heißt nichts anderes, als daß es das in diesem Feld befindliche Selbst negierend überwindet, wodurch schließlich ein neues Selbst Selbst-Bewußtsein erlangt und zu existieren beginnt. Die Transzendenz vollzieht sich durch die Negation. Sie ist immer negative Transzendenz. Eben dies ist die Grundbedeutung dessen, was wir Freiheit nennen. Durch die negative Transzendenz werden verschiedene Felder bzw. verschiedene Welten (oder überhaupt verschiedene Bereiche) miteinander verbunden, die dann lebendige Systeme herauszubilden beginnen. Hierbei müssen wir nun außer den bereits genannten unterschiedlichen Feldsystemen der Natur, der Kultur, der Wirtschaft, der Politik etc. noch 305 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
II. Bildung der Schule
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zwei weitere Felder näher betrachten, die, was Bedeutung und Charakter betrifft, doch ziemlich verschieden sind. Es handelt sich um zwei Felder, die den beiden Funktionsweisen der Selbst-Transzendenz entsprechen. Es sind dies keine Felder der Wirklichkeit, denn sie sind, wiewohl auch Strukturmomente der Wirklichkeit, dennoch wirklichkeitsnegierend. Das eine liegt auf der Ebene des Denkens und Erkennens. Es ist das Feld, in dem sich wissenschaftliches Forschen vollzieht. Das andere dagegen zeigt sich immer dann, wenn die alltägliche Wirklichkeit hinter sich gelassen und das eigentlich Wahre zum Gegenstand der Untersuchung gemacht wird. Gemeint ist die bereits genannte ›idealistische Haltung‹, bzw. der idealistische Geist, der bestrebt ist, jenes eigentlich Wahre in der Wirklichkeit zu verwirklichen: das Feld der Moral. Beide sind nicht als Teilfelder anzusehen, die nur Bestandteile der genannten Systeme wären. D. h. diese Felder koexistieren nicht mit denen der Natur, des Rechts, der Wirtschaft, der Kultur, der Politik etc. Sie bilden vielmehr eine Art Randzone, die in alle Felder der Wirklichkeit hineinreicht, bzw. sie durchdringt. Sie sind das, was man von jeher mit dem Begriff ›Vernunft‹ bezeichnet hat, genauer: mit ›theoretischer‹ und ›praktischer Vernunft‹. Wie man dem Tatbestand, daß diese beiden Formen mit dem einen Begriff Vernunft bezeichnet werden, entnimmt, besteht auch zwischen dem Denken, dem Aspekt der theoretischen Vernunft im Erkenntnisvorgang, und der Negation der Alltäglichkeit, d. h. dem Aspekt der praktischen Vernunft in der Verwirklichung des Ideals, ein enger innerer Zusammenhang. So ist einerseits die Tätigkeit der Negation der Wirklichkeit als deren Wesen anzusehen, während sie aber andererseits auch und gerade Strukturmoment von Wirklichkeit ist. Das mit Denken und Erkennen bezeichnete Reflexionsverhalten konstituiert sich in der Tätigkeit der negativen Transzendenz des Selbst. Das wird sofort deutlich, wenn wir uns die Prinzipien des mathematischen Denkens vor Augen führen, welchen zwar die Anschauung zugrundeliegt, die aber dennoch die reale Lebensanschauung negieren. Gleiches gilt für die wissenschaftliche Erkenntnis, die zwar an die Erfahrung appelliert, aber dennoch vom empirischen Einzelfall abstrahierende, allgemeingültige Regeln formuliert. Ebenso abstrahiert die negative Transzendenz in unserer alltäglichen Wirklichkeit von der wirklichen Konkretheit der Dinge, d. h. sie abstrahiert die sinnlich-empirischen Einzeldinge von den Tatsachen der Wirklichkeit. Wir können also konstatieren, daß Denken und Erkennen sich nicht im Feld der 306 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
Das Prinzip der Entsprechung und die Ortlogik
Wirklichkeit, sondern in dem der Möglichkeit ereignen. Die Welt der Möglichkeit ist nicht-sinnlich und nicht-empirisch. Vielfach pflegt man Nicht-Sinnliches und Nicht-Empirisches mit dem Begriff ›intelligibel‹ zu bezeichnen. Doch ist das eine auf einem Irrtum beruhende Verwechslung. Zwar sind intelligible Dinge nicht-sinnlich und nicht-empirisch, aber damit keineswegs schon mögliche Dinge. Das Intelligible ist ein die Existenz tangierendes wirkliches Sein, welches die alltägliche Wirklichkeit negierend durchbrochen hat. Keinesfalls ist es damit aber auch schon ein mögliches Sein. Vom Standpunkt der Möglichkeit zu den sinnlich-empirischen Tatsachen zurückzukehren und sodann diese erneut vom Standpunkt der Möglichkeit begreifen, ist genau das, was wir Erkenntnis nennen. Denn Erkenntnis ist nichts anderes, als die Tatsachen der Wirklichkeit im Felde der Möglichkeit zu verstehen. Die Welt der Möglichkeit gehört zur Welt der Allgemeinheit bzw. zu der der Gattung. Entsprechend bezeichnen wir die Tatsachen der Wirklichkeit als Gegenstände der Erkenntnis mit dem Begriff Individuelles bzw. Einzelnes. Jedoch verliert dieses Individuelle bzw. Einzelne in dem Maße, wie der Erkenntnisprozeß fortschreitet, seinen Charakter, Tatsache der Wirklichkeit zu sein, womit es schließlich ins Feld der Möglichkeit versetzt wird. Die solcherart auf Gattung wie Einzelnes sich erstrekkende Welt der Möglichkeit kann man als das Feld der reinen Logik denken. Da die Welt der Logik eine der Möglichkeit ist, wird alles Wissen – vom Standpunkt der Möglichkeit her betrachtet – zu einem bedingten und hypothetischen. Es ist die Welt des ›wenn … dann‹ : die Welt der sogenannten theoretischen Vernunft. Demgegenüber ist die Welt der sogenannten praktischen Vernunft zwar ebenfalls eine Welt, auf die hin das Selbst die alltägliche Wirklichkeit negierend transzendiert. Doch wendet sie sich nicht – wie das Wissen, das sich der Objektivität zuwendet – entsprechend hin zur Welt der Möglichkeit. Im Gegenteil: sie macht vielmehr den subjektiven Aspekt des eigentlichen Selbst zum Gegenstand ihrer Untersuchungen und wendet sich damit dem Selbst-Bewußtsein des eigentlichen Selbst zu. Diese Welt ist nicht die der Möglichkeit, und ihr kommt auch nicht, wie dem Wissen, ein hypothetischer, bedingter Charakter zu. Vielmehr ist es die Welt des apodiktischen, des kategorischen Imperativs. Das eigentliche Selbst ist, wie gesagt, das wahre Selbst. Das Selbstbewußtsein des wahren, des eigentlichen Selbst-Bewußtseins beinhaltet das ursprüngliche Bedürfnis, ja das Postulat, es unabdingbar auch zu verwirklichen. Dieses Postulat ist unbedingt und daher notwendig. Diese Welt 307 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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des eigentlichen Selbst ist in einem höheren Sinne realistisch, als es die Realität des Wirklichen ist. Das verstand man von jeher schon unter derjenigen Realität, welche erst später mit dem Begriff intelligibel versehen wurde. Das Intelligible ist nämlich nicht als nicht-sinnlich, sondern als übersinnlich, nicht als nicht-empirisch, sondern als überempirisch zu verstehen. Dieses Realitätsgefühl, diese Realitätserfahrung und diese Realitätsgewißheit sind nicht möglich, solange man sich im Felde der alltäglichen Wirklichkeit bewegt (hier nämlich ist die alltägliche Wirklichkeit die einzige Realität). Erfahren kann sie nur, wer sich seines eigentlichen Selbst bewußt ist. Deshalb stellt das idealistische Bedürfnis nach Verwirklichung des wahren, eigentlichen Selbst – ein Sollenspostulat mit dem Charakter des Unbedingten und Notwendigen – einen Sachverhalt dar, welcher zum Erlebnisbereich desjenigen gehört, der sich seines eigentlichen Selbst bewußt ist. Es bleibt für denjenigen unverständlich, der nur in der alltäglichen Wirklichkeit verharrt. Ein solches Erlebnis kann, eben weil es ein Erlebnis ist, bezüglich der Frage nach seiner Existenz bzw. Nichtexistenz nicht bewiesen werden. Diejenigen, die sich nur im Feld der alltäglichen Wirklichkeit bewegen, behaupten üblicherweise seine Nichtexistenz. In der Welt des Bewußtseins vom eigentlichen Selbst ist dieses Selbst selber ein Einzelnes. Das Feld, in dem sich dieses Einzelne befindet, ist die Gattung bzw. Allgemeinheit. Die alltägliche Wirklichkeit korrespondiert dann mit der Art 10 bzw. der Besonderheit. In der Erkenntniswelt der theoretischen Vernunft werden Einzelnes und Gattung allerdings nicht als wirklich gesetzt. Denn rein erkenntnistheoretisch betrachtet, gibt es kein Prinzip, nach dem sich in einem grundsätzlichen Sinne zwischen Einzelnem und Gattung unterscheiden ließe. Vom Standpunkt der Erkenntnis her gesehen, ordnen wir die Tatsachen der Wirklichkeit den Einzel(dingen) zu, die Möglichkeit hingegen, welche diese miteinschließt, der Gattung. Als Teil der Gattung gesehen, ist das Einzelne ein mögliches Einzelnes. Aber auch die Gattung ist, insofern in ihr die Klassen nach ihrem jeweiligen Rang geordnet sind, graduell differenziert. Deshalb handelt es sich hier nicht um Einzelnes bzw. Gattung in einem definitiven, sondern in einem nach ihrer jeweiligen Größe graduell differenzierten Sinne. Denn tatsächlich behalten sie ja ihren Charakter der Besonderung bzw. den der Art auch Der Begriff »Art« (shu, 種) ist dasselbe Wort wie »Spezies« (shu), wie es bei Hajime Tanabe gebraucht wird. Vgl. das Tanabe-Kapitel in diesem Band.
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Das Prinzip der Entsprechung und die Ortlogik
weiterhin bei. Erst das Bewußtsein dieses Sachverhalts hat dem Einzelnen und der Gattung gegenüber als ein Drittes die Art gesetzt. So sind im Felde des Wissens Gattung, Art und Einzelnes in ihrem innersten Wesen notwendig graduell und relativ. Dies ist für das Feld des Wissens der theoretischen Vernunft ein unablösliches und daher wesentliches Charakteristikum, denn es macht das innerste Wesen des Wissens aus. Solange wir uns im Bereich des reinen Wissens bewegen, ist ein Berühren der Realität nicht möglich, denn hier bewegen wir uns ja im Bereich bloßer Möglichkeit. Gattung, Art und Einzelnes werden in Wahrheit bedingt durch das Selbst-Bewußtsein der praktischen Vernunft. Im Bereich des Selbst-Bewußtseins der praktischen Vernunft ist das Einzelne das mit freiem Willen begabte, frei seine Entscheidungen treffende Selbst selber. Die davon direkt betroffene Gattung ist gekennzeichnet durch – übersinnliche – Intelligibilität. Ihre – nicht-alltägliche – Realität gehört zur unbezweifelten Gewißheit des Einzelnen. Die Art hingegen konstituiert sich durch die geschichtlich-soziale Wirklichkeit. Gattung, Art und Einzelnes sind aber nicht nur graduell verschieden. Sie stehen vielmehr in einem durch Diskontinuität gekennzeichneten Gegensatz zueinander. Das Einzelne steht im Gegensatz sowohl zur Art wie auch zur Gattung. Gleiches gilt für Art und Gattung, welche zueinander in einem einander wechselseitig negierenden Gegensatz stehen. Diese fundamentalen Differenzierungen werden allerdings nicht vom Standpunkt des reinen Wissens aus getroffen, sondern – in ihrem tiefsten Grunde – vom Standpunkt des Selbst-Bewußtseins der praktischen Vernunft. Die Welt der theoretischen Vernunft ist eine bedingte und hypothetische. Die Welt der praktischen Vernunft dagegen ist unbedingt und kategorisch. Offenbart sich das Wissen der theoretischen Vernunft in kategorischen Sätzen, so beruht die Beweisführung stets in der Gewißheit der praktischen Vernunft, welche durch das Wissen nur widergespiegelt wird. Unsere geschichtlich-soziale Wirklichkeit enthält sowohl das Moment des möglichen, hypothetischen Wissens, als auch das des notwendigen, kategorischen Sollens – mithin die Momente der Bedingtheit und der Unbedingtheit, der theoretischen und der praktischen Vernunft. Diese geschichtliche Wirklichkeit als eine Einheit von Wissen, Wirklichkeit und Ideal ist keine unstrukturierte, sondern vielmehr eine durchstrukturierte Einheit. Bricht diese strukturierte Einheit zusammen, so passiert folgendes: zum einen wird die Hypothetik des Wissens vage, sie verliert an Präzision und Exaktheit. Mit der Wirklichkeit also 309 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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verwachsend, löst sich der einander negierende Gegensatz von Wissen und Wirklichkeit auf. Zum anderen zerfällt das Selbst-Bewußtsein des eigentlichen Selbst, wie auch das des zur Wirklichkeit in negierendem Gegensatz stehenden Ideals. Damit ergibt sich ein Zustand, in welchem kategorisches Sollen und das Postulat, welches auf dessen Verwirklichung drängt, sich auflösen. Es ist dies der Zustand, den wir mit dem Begriff Alltäglichkeit bezeichnen. Von daher ist die alltägliche Wirklichkeit eine, die man weder mit geschichtlich im ausgezeichneten Sinne des Begriffs, noch auch mit gesellschaftlich bezeichnen könnte. Das Charakteristikum von Alltäglichkeit ist ein Verschüttetsein des Selbst, besteht in einem Mangel an Selbst-Bewußtsein und insbesondere in einem Mangel an Selbst-Bewußtsein des eigentlichen Selbst. Es besteht ferner in der Neutralisation der Gegensätze, im Mangel an negierender Transzendenz sowie in einer auf Kompromiß und Halbheit beruhenden Unbestimmtheit. Wo diese alltägliche Wirklichkeit negierend transzendiert wird, bildet sich einerseits das Wissen bzw. allgemein die gelehrte Forschung aus und andererseits die Moral bzw. die Postulierung von Idealen, wobei das Bedürfnis nach deren Verwirklichung stets mitgesetzt ist. Die geschichtlich-soziale Wirklichkeit ist dann die Einheit, die die Negation all dieser Wirklichkeiten selbst miteinander verknüpft. Sie ist diejenige Wirklichkeit, die die Negation der Wirklichkeiten verborgen durchzieht und das Stadium der Selbstbejahung erreicht hat. Es gibt nämlich keine geschichtlich-soziale Wirklichkeit, die sich nicht der Probe auf Negation der Wirklichkeiten unterzöge. Deshalb sind der geschichtlich-sozialen Wirklichkeit zutiefst sowohl die Untersuchung als auch das Ideal zugehörig. Daß Aufgaben sich stellen und Lösungen gefunden werden, hat eben hierin seinen Grund. Nur in dem Maße, in dem Wirklichkeit Wirklichkeit ist, ist die Annahme der Existenz von Aufgaben sinnvoll. Dabei geht es nicht nur um die Untersuchung von Lösungsmöglichkeiten. Untersuchung heißt hier das Überdenken von verschiedenen Lösungsmöglichkeiten, wobei aber zugleich in ihnen unabdingbar das Bedürfnis nach Realisierung des Ideals mitenthalten sein muß, was dem eigentlichen Selbst gemäß zu geschehen hat. Zwischen Aufgabe, Untersuchung und Lösung, zwischen Wissen, Wirklichkeit und Ideal aber waltet als durchgängiges Prinzip das der Entsprechungsidentität.
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Das Prinzip der Entsprechung und die Ortlogik
III. Nun ist es keineswegs so, daß sich uns Aufgaben beliebig oder gar willkürlich stellen. Der Wirklichkeit selber entspringend sind sie etwas uns Gegebenes. Deshalb ist die Aufgabe auch kein Individuelles, sondern besitzt den Charakter der Allgemeinheit. Sie ist nichts Subjektives, sondern ist objektiv. Daß sie ein Gegebenes ist, bedeutet, daß sie aus dem Felde kommt, daß sie sich im Feld heranbildet, ja, daß sie das Feld ist. Doch ist die Aufgabe nicht nur etwas uns einfach Gegebenes, sondern sie ist uns geradezu aufgegeben. Sie ist uns gegeben und aufgegeben zugleich. Daß sie uns aufgegeben ist, heißt, daß sie uns als eine zu lösende aufgegeben ist. Die Aufgabe ›wartet‹ auf die Lösung, postuliert sie, ruft sie hervor. Aber es ist der Einzelne, der die Aufgabe löst, der sich ihrer Lösung unmittelbar annimmt. Sie ist dem Einzelnen aufgegeben, und er ist es auch, den sie zu ihrer Lösung drängt. Als Lösung, die von der Aufgabe her gefordert ist, hat sie deren Anforderungen zu entsprechen, sowie deren Besonderheiten widerzuspiegeln. Andernfalls wäre der Sinn von ›Lösung‹ verfehlt, denn zwischen Aufgabe und Lösung besteht ja ein Entsprechungsverhältnis. Die Tatsache der ›Gegebenheit der Aufgabe‹ wird zum Gegenstand von Verstehen und Erkenntnis. Daß die Lösung uns aufgegeben ist, heißt, daß wir zur Untersuchung von Lösungsmöglichkeiten gedrängt sind. Nun beschränkt sich die Funktion der Aufgabe nicht allein darauf, Gegenstand des Wissens zu sein. Von der Untersuchung gedrängt, ist sie zudem auch deren Ausgangspunkt und bestimmt deren Inhalt. Die Untersuchung ist das Verfolgen einer Lösung, welche dann zum Endpunkt der Untersuchung, zu ihrem schließlichen Bestimmungspunkt wird. Dabei ist die Lösung als eine ›Handlung‹ zu verstehen, welche zur Grundlage nicht das Wissen, sondern vielmehr einen Entschluß hat. D. h.: während die Aufgabe ihrem Wesen nach erkenntnisbezogen ist, ist die Lösung handlungsbezogen. Zudem ist die Aufgabe gemeinschaftsorientiert, auf die Allgemeinheit bezogen, wohingegen die Lösung individuell, d. h. aufs je Einzelne bezogen ist. Damit es überhaupt zu einer Lösung kommen kann, muß ihr zunächst einmal eine Untersuchung vorausgegangen sein. Und damit eine Untersuchung zustande kommen kann, muß ihr zuvor eine Aufgabe vorausgegangen sein. So sind Aufgabe, Untersuchung und Lösung untereinander durch die Beziehung von ›Vorausgehen‹ und ›Hervorrufen‹ verknüpft. Nun ist die Untersuchung eine Untersuchung (möglicher) 311 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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Lösungen. Insofern aber die Untersuchung ein Akt der Erkenntnis ist, kann sie nur Mögliches erkennen. Dieses kann jedoch niemals als ein Einzelnes, sondern immer nur als eine Vielzahl gedacht werden. In der Untersuchung wird der Inhalt der je gegebenen Aufgabe geordnet und ihr Mittelpunkt bestimmt. Sodann wird für die angestrebte Lösung die einzuschlagende Richtung festgelegt. Wie bereits gesagt, ergibt sich die Aufgabe aus der Erschütterung der Ordnung des Feldes, aus deren Verlust und damit letztlich aus dem Zusammenbruch der Feldstruktur. Von daher zielt die Untersuchung auf das Entwerfen einer neuen Ordnung, welche den Zusammenbruch in einen neuen Aufbau umwandelt. Diese neue Ordnung, welche ja eine von mehreren möglichen ist, ist das Ergebnis verschiedener Entwürfe, was wiederum heißt, daß die angestrebte Ordnung bedingt ist durch den Inhalt der in Frage stehenden Aufgabe. Da die Lösung der jeweiligen Aufgabe entsprechen muß, ist dies nur selbstverständlich. Aber wäre sie allein durch den von der Aufgabe her gegebenen Inhalt bedingt, so wäre der Entwurf einer neuen Ordnung nicht möglich. Denn auch wenn man eine neue Ordnung entworfen hätte, und wenn es davon als einer möglichen Ordnung mehr als eine gäbe, so entspringt das Vermögen, nur die eine als die jeweils beste auszuwählen, doch nicht nur aus ihr selbst. D. h.: zwar bezweckt die Untersuchung das Finden einer Lösung, aber da sie durch den gegebenen Inhalt bedingt ist und sich zudem nur auf den Bereich der Erkenntnis beschränkt, gelingt es ihr nicht, die bestmögliche Lösung, welche ihr Ziel ist, auch zu erreichen. Diese wäre das Finden eben jener Lösung, welche der Aufgabe genau entspricht. Dafür reicht bei der Untersuchung der Akt der Erkenntnis allein nicht hin, sondern es bedarf zudem noch eines Ideals, welches außerhalb des Bereichs der Erkenntnis steht. Denn die Untersuchung darf sich nicht nur auf einen theoretischen Akt beschränken, der in der Aufbereitung der ihr gegebenen vergangenheitsbezogenen Inhalte besteht, sondern sie muß auch noch durch einen praktischen Charakter ausgezeichnet sein, der im Streben nach der einzig besten Lösung seinen Ausdruck findet. Die Untersuchung vollzieht sich nicht nur gemäß den Kriterien der theoretischen Vernunft, sondern gleichermaßen auch gemäß denen der praktischen. Das Moment der Idealität muß mit in die Lösung eingegangen und also in ihr enthalten sein. Die Untersuchung erstrebt nämlich die Einheit der Momente von Idealität und Gegebenheit. Genauer gesagt: eine Einheit von Gegebenheit der Aufgabe und Idealität der Lösung herzustellen, ist 312 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
Das Prinzip der Entsprechung und die Ortlogik
der eigentliche Zweck der Untersuchung. Dieses Moment eines der Untersuchung inhärenten Ideals entspricht den Bedürfnissen der Aufgabe, und somit muß jene eine Form annehmen, die deren Besonderheit entspricht. Oder anders gesagt: Ist die Aufgabe derart, daß sie schon von sich aus zur Lösung drängt, so ist das Moment der Idealität bereits im Postulat der Aufgabe mitenthalten. Jedoch ergibt sich die Idealität nicht einfach aus dem je vorgegebenen Inhalt und kann sich deshalb auch nicht aus der sich auf nur Mögliches beziehenden Erkenntnis herleiten. Das Ideal ist durch das existentielle Selbst-Bewußtsein des Einzelnen der Untersuchung aufgegeben, die es als ein ihr innewohnendes leitet. Bei der Analyse der Aufgabe beschränkt sie sich also nicht nur auf den reinen Erkenntnisakt. Ihr eignet vielmehr auch ein praktischer Charakter, der in der Forderung nach einer idealen Lösung seinen Ausdruck findet, d. h. in der Untersuchung haben wir es mit einer Verschmelzung von theoretischer und praktischer Vernunft zu tun. Das Moment der der Untersuchung aufgegebenen Idealität konstituiert sich durch das Selbst-Bewußtsein des Einzelnen. Dieses ist, wie bereits gesagt, das Selbst-Bewußtsein des eigentlichen Selbst, d. h. das existentielle Selbst-Bewußtsein. Unter Ideal verstehen wir hier das Wahrnehmen und Innewerden des eigentlichen Selbst. Das Ideal ist durch ›Allgemeinheit‹, das ihm gegenüberstehende Selbst durch ›Vereinzelung‹ gekennzeichnet, wohingegen der Inhalt der Aufgabe durch ›Besonderheit‹ charakterisiert ist. Die Untersuchung stellt dann die Tätigkeit dar, auf der Basis des Besonderen dieses und das Allgemeine zur Synthese, zur Einheit zu bringen. Die Frage ist nun, von welcher Art diese synthetische Einheit ist. Sie läßt sich etwa folgendermaßen denken: Das Ideal ist seinem Wesen nach allgemein und als solches gilt es überall und zu jeder Zeit. Damit aber entspricht es natürlich nicht der spezifischen Besonderheit der Aufgabe. Dazu muß es erst einmal einem Prozeß der Besonderheit unterworfen werden. Das erfolgt mittels der Einbildungskraft. Diese ist nicht einfach Intellekt, aber auch nicht einfach nur Wille, d. h. sie ist weder nur theoretische noch auch nur praktische Vernunft. Sie ist vielmehr jenes geistige Vermögen, welches aller Kunst und Technik (im weitesten Sinne) zugrunde liegt und das deren Formen gestaltet. Sie ist es auch, die die Untersuchung durchdringt und die Besonderung des Allgemeinen leistet, und ist damit als die Tätigkeit zu denken, vermittels welcher das Allgemeine im Besonderen konkrete Gestalt annimmt. Ohne die Einbildungskraft käme die Untersuchung gar nicht erst zu313 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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stande. Bei der Untersuchung der Lösung(smöglichkeiten) ist jene Tätigkeit, welche die Besonderheit der Aufgabe und die Allgemeinheit des Ideals zu Synthese und Einheit zu bringen sucht, eine Tätigkeit eben dieser Einbildungskraft. Unterzieht sich die durch die praktische Vernunft bestimmte Einbildungskraft dem Prozeß der Besonderung, so wird das durch das eigentliche Selbst erkannte Ideal dadurch noch keineswegs in seiner Allgemeinheit beeinträchtigt. Denn die Gewißheit, daß das Ideal etwas Besonderes, und dennoch das höchste und einzige Ideal ist, ist nicht zu erschüttern. So besitzt und bewahrt das Ideal sowohl den Charakter der Allgemeinheit als auch den der Besonderheit. Die Fähigkeit, den mit dem Begriff Entsprechung bezeichneten Sachverhalt auch realiter zu manifestieren, eignet nicht dem Intellekt und auch nicht dem Willen, sondern der Einbildungskraft. Real wird die Logik der Entsprechung einzig durch die direkte Vermittlung der Einbildungskraft. Zwischen Aufgabe und Lösung besteht also ein Entsprechungsverhältnis, in welchem sich Idealität manifestiert. Die Untersuchung steht zwischen Aufgabe und Lösung. Sie bringt die Gegebenheit der Aufgabe, ihre Besonderheit, mit der Zukünftigkeit und Allgemeinheit des Ideals zu Synthese und Einheit. Die Einbildungskraft ist es schließlich, welche sich der der Untersuchung inhärenten Synthese und Einheit annimmt. Dem Prinzip der Entsprechung liegt jenes Prinzip am nächsten, das die Einbildungskraft beherrscht, und dadurch ist es auch das Prinzip, das den Bereich zwischen Aufgabe und Lösung beherrscht. Wir sprechen hier einfach von Synthese und Einheit, doch gilt zu beachten, daß sie zur Grundlage stets das Prinzip der Entsprechung haben müssen, denn sonst würden Synthese und Einheit gar nicht zustandekommen können. Synthese und Einheit stellen sich erst im Zustand der Entsprechungsidentität ein. Die Lösung ist dabei nichts anderes als die Entsprechungsidentität von Aufgabe und Ideal. Ist das Ideal in der Aufgabe als einer solchen enthalten, dann ist die Lösung die Entsprechungsidentität von Gegebenem und Ideal in der Aufgabe. Erreicht wird dies, so kann man sagen, im Akt der Untersuchung. Somit ist der Zustand der Entsprechungseinheit als einer einzigartigen als ›individuell‹ zu bezeichnen. Das Subjekt, das sich in einem durch Einzigartigkeit und Individualität gekennzeichneten Zustand befindet, ist wahrhaft Einzelwesen, d. h. Individuum. In dem Maße jedoch, in dem dieser Zustand noch in den Bereich der Untersuchung und in die Sphäre der Einbildung fällt, befindet er sich immer noch im Feld des Möglichen und wird nicht zu 314 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
Das Prinzip der Entsprechung und die Ortlogik
etwas Wirklichem. Damit er Wirklichkeit werde, ist noch ein weiterer Schritt erforderlich. Das Moment der Idealität steht, wie oben dargelegt, dem Einzelnen als kategorischer, notwendiger Imperativ gegenüber. D. h. es handelt sich um ein Sollen, mit dem das unabdingbare Postulat verbunden ist, daß sich das nur in der Einbildung Gegebene auch in ein Handeln verwandle. Erst durch das Handeln wird die Lösung zur Wirklichkeit und die Entsprechungsidentität wird fruchtbar in wirklichen Dingen. Es handelt sich hierbei nicht einfach nur um Gegebenes, aber auch nicht einfach nur um ein Ideales. Vielmehr wird ein Einzelnes als ein Neues geschaffen. Die Entsprechungsidentität ist schöpferisch, denn in ihr wird das Selbst-Bewußtsein des Einzelnen zu etwas Wirklichem und das Selbst wird in dieser Wirklichkeit wahrhaft zu einem Einzelnen. Das oben Gesagte läßt sich auch folgendermaßen formulieren: Durch die Aufgabe ist das Moment der Gegebenheit schon mitgesetzt, wobei zugleich das ihr entsprechende Moment der Idealität als ein erst noch Hervorzubringendes enthalten ist. In der Lösung wiederum ist mit der Idealität auch das ihr entsprechende Moment der Gegebenheit uns aufgegeben und enthalten. Die Aufgabe kennzeichnet Gegebenheit und Idealität, die Lösung Idealität und Gegebenheit. Es ist die Untersuchung, in der die Struktur von Aufgabe und Lösung erkannt wird, in der Gegebenheit und Idealität unterschieden und zur Synthese gebracht werden, so daß aus beiden eine singuläre Einheit entstehen kann. Die Handlung schließlich setzt diese dann in Wirklichkeit um. Wenn wir nun das bisher Gesagte noch unter dem Aspekt der Zeit betrachten, so ergibt sich folgendes: Die Aufgabe ist etwas Gegebenes. Etwas Gegebenes ist wiederum ein bereits Bestehendes. Ein solches aber impliziert stets auch Vergangenheit. Folglich ist die Aufgabe vergangenheitsbezogen. Sie bildet und vollendet sich aus der Vergangenheit heraus, sie ist nicht mit einem Schlage da. Um zur Aufgabe zu werden, um sich als Aufgabe bewußt zu werden, muß sie erst einen zeitlichen Prozeß durchlaufen. Psychologisch gesehen ist es durchaus möglich, daß uns die Aufgabe plötzlich bewußt wird. Doch ist das nur ein psychologisches Phänomen: die Aufgabe als Aufgabe reift allmählich heran. Während dieses Reifeprozesses bewegt sich die Zeit von der Vergangenheit her zur Zukunft hin. Nun ist die Aufgabe als Aufgabe zugleich ja auch dadurch definiert, daß sie ihre eigene Lösung hervorruft. Da die Lösung Idealität enthält, ist folglich auch in der Aufgabe bereits ein Moment von Idealität enthalten. Dieses entspringt allerdings 315 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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nicht der Vergangenheit und bildet sich auch nicht aus ihr. Es erscheint vielmehr im Selbst-Bewußtsein des eigentlichen Selbst. Während ihm das Postulat auf Verwirklichung innewohnt, ist es aber als ein Nochnicht-Wirkliches auch ein Noch-nicht-Seiendes. Ein solches Nochnicht-Seiendes ist ein Zukünftiges im Sinne eines Noch-nicht-Gekommenen, wohingegen das Ideal, welchem das Postulat auf Verwirklichung einbeschrieben ist, als ein Zukünftiges im Sinne von ›im-Begriff-seinzu-kommen‹ oder ›unmittelbar bevorstehen‹ 11 bestimmt werden muß. Der Zeitablauf erfolgt hier vom Noch-nicht-Gekommenen hin zum Vergangenen. Das Reifwerden der Aufgabe bedeutet, daß sie vom bereits Bestehenden her zum Zukünftigen hin sich bewegt, was praktisch nichts anderes heißt, als daß die Zeit reif wird. Zugleich aber heißt dies, daß die von der Aufgabe hervorgerufene Lösung heranreift. Dieses Heranreifen der Lösung bedeutet, daß sie von der Zukunft her zum bereits Bestehenden hin sich bewegt, was wiederum heißt, daß die Zeit sich erfüllt. Das Heranreifen der Zeit meint also im Grunde ihr Sich-erfüllen. Beide Ausdrucksweisen entsprechen einander. Mit dem Heranreifen der Zeit kommt auch die Aufgabe zu der ihr entsprechenden Lösung. So wird die Lösung gemäß der sich erfüllenden Zeit zu einer der jeweiligen Aufgabe entsprechenden Lösung. Daß die Zeit vom bereits Bestehenden her zum Zukünftigen hin reift und vom Zukünftigen her zum bereits Bestehenden hin sich erfüllt, zeigt, daß die Ablaufrichtungen zwar einander entgegengesetzt sind, daß sie dabei aber einander durchdringen. Ebendies ist das Wesen der Zeit. So können wir sagen, daß die Aufgabe zwar vergangenheitsbezogen ist, jedoch auch Momente des Zukünftigen enthält. Im Gegensatz dazu ist die ihr entsprechende Lösung zukunftsbezogen, enthält jedoch auch Momente des Vergangenen. Schließlich die Untersuchung: Sie bedeutet Betrachten, Bedenken, Erforschen der vergangenheitsbezogenen Aufgabe. Sie ist notwendigerweise eine Untersuchung bestehender Lösungsmöglichkeiten. Deshalb auch bedarf sie der Konfrontation mit dem zukunftsbezogenen Ideal. Wir können also sagen, daß die Untersuchung eine Einheit darstellt, welche aus der Konfrontation von GeDas Japanische kennt zwei verschiedene Begriffe für das Wort »Zukunft«: 1) »mirai« (未来), wörtlich: »Noch-nicht-gekommen(es)« und 2) shôrai (将来), welches (siehe unten) »im Begriff sein zu kommen« oder »unmittelbar bevorstehen« bedeutet. Zukunft im grammatikalischen und damit sehr formalen Sinne ist mirai. Dem gegenüber ist shôrai mehr inhaltlich gedacht als sich erfüllende, vollendende Zeit.
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wesenem und Noch-nicht-Bestehendem, von Vergangenheit und Zukunft erwächst. Diese Einheit aber ist die Gegenwart. Diese auf der Untersuchung beruhende Gegenwart, welche ja noch nicht Wirklichkeit geworden ist, ist eine der Einbildungskraft. Insofern ist sie zukunftsbezogen. Doch da der Inhalt der Untersuchung durch die Vergangenheit bedingt ist, ist sie zugleich auch vergangenheitsbezogen. Erst im Lösungsakt selber werden Vergangenheit und Zukunft zur Einheit gebracht. Damit wird er im wahren Sinne zur Gegenwart. Er vollzieht sich genau dann, wenn die von der Vergangenheit herkommende Zeit herangereift ist, und die von der Zukunft herkommende sich erfüllt hat. Die Gegenwart ist jener Augenblick, in dem die von der Vergangenheit herkommende Zeit auf die von der Zukunft herkommende trifft. Daß die Gegenwart Vergangenheit in sich birgt und mit der Zukunft schwanger geht, heißt nicht einfach, daß Vergangenheit und Zukunft in ihr enthalten sind, sondern es muß bedeuten, daß die von der Vergangenheit und die von der Zukunft herkommende Zeit in einem Entsprechungsverhältnis zueinander stehen, daß die Zeit heranreift und sich erfüllt, daß Vergangenheit und Zukunft in der Gegenwart ihre Entsprechungsidentität enthüllen. Die Einbildungskraft ist es, welche diese Gegenwart entwirft. Insofern sie aber ›Einbildung‹ (im Kantischen Sinne) ist, ist sie noch von der realen Zeit geschieden und befindet sich in einem zeitlosen Feld. Erst jener Akt durchbricht dieses zeitlose Feld und eröffnet die reale Gegenwart. Aufgabe, Ideal und Lösung sind jeweils Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart zugeordnet. Oder umgekehrt: die Vergangenheit ist ›aufgabebezogen‹, die Zukunft ist ›idealbezogen‹, und in der Gegenwart schließlich kommt es zur Lösung, bzw. vollzieht sich der Lösungsakt. Wir sind gewohnt, die drei Zeitformen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft lediglich als verfließende Zeit zu denken, welche gleichgerichtet und inhaltsleer ist: als drei Zeitformen mit der Gegenwart als Scheitelpunkt. Nur ist damit noch keineswegs das wesentliche Prinzip begriffen, nach dem die drei Zeitformen zu unterscheiden sind. Denn nur aufgrund eines Prinzips können sie unterschieden werden. Dieses wesentliche Prinzip ist aber kein anderes als das von Aufgabe, Ideal und Lösung. Von jeher ist über die wesentlichen Prinzipien nachgedacht worden, welche diesen drei Zeitformen entsprechen. So hat beispielsweise Augustin die Vergangenheit der Erinnerung, die Zukunft der Erwartung und die Gegenwart der Anschauung zugeordnet. Er betrachtete die Zeit unter einem psychologischen Aspekt, dem aber, so müssen 317 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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wir sagen, eine noch objektivere Basis zugrundeliegen muß. Ferner wäre etwa die Heideggersche Sicht zu erwähnen, welche die Zeit vom fundamentalontologischen Interesse des Menschen her zu erhellen sucht. Dieser zufolge ist die Vergangenheit, da wir in sie hineingeworfen sind, der ›Geworfenheit‹, die Zukunft dagegen, da wir sie frei entwerfen, dem ›Entwurf‹ zugeordnet. Zwar werden die Zeitformen hier nach einem wesentlichen Prinzip differenziert, doch wäre es notwendig, hier noch einen Schritt weiter zu gehen und hinter ›Geworfenheit‹ und ›Entwurf‹ noch die Ortlogik zu setzen. Ich meine nämlich, daß die Aufgabe das konkrete Wesen dessen ist, was Geworfenheit, und die Lösung das konkrete Wesen dessen ist, was Entwurf genannt wurde. Es ist, so denke ich, nicht möglich, Geworfenheit und Entwurf zureichend zu verstehen, wenn man das Wesen von Aufgabe und Lösung außer Betracht läßt. Wie aus dem bisher Gesagten von selbst erhellt, bestehen Aufgabe, Ideal und Lösung nicht allein und für sich. Auch setzen sie die jeweils anderen nicht nur voraus, um dann eine Verbindung mit ihnen einzugehen, sondern sie sind ihnen vielmehr inhärent als ein Moment des Eigenen. Immer aufs neue spiegelt sich das eine im anderen und trifft sich in ihm. Von daher handelt es sich hier um reale Zeit. Wenn aber die Aufgabe als eine bloß gegebene ihren mit dem Begriff der idealen Lösung mitgesetzten Zukunftscharakter verliert, dann wird auch die Vergangenheit zur bloßen Vergangenheit. Bloße Vergangenheit wird sie insofern, als ihr durch die praktische Vernunft keine Lebenskraft mehr eingehaucht wird: sie wird zum bloßen Denkobjekt einer theoretischen Vernunft, die die Verbindung zur praktischen verloren hat. Entsprechend verhält es sich mit dem Ideal, bei dem die Zukunft, wenn es den ihre Verwirklichung intendierenden Charakter eines Sollenspostulates verliert und somit zu einem bloßen Ideal wird, lediglich zu einer Zukunft im Sinne des Noch-nicht-Gekommenen wird. Diese Zukunft blickt unbeteiligt auf das durch die Vergangenheit Gegebene und hält sich fern von der analysierenden theoretischen Vernunft. Ebenso ist die praktische Vernunft hier nur noch eine subjektiv imaginierende Zukunft im Sinne des bloßen ›Noch-nicht-Gekommenen‹. Entsprechend wird auch die Gegenwart zu einer ganz und gar flüchtigen, zu einem bloß vergehenden Zeit-Punkt: nichts als ein Augenblick im Strom der verfließenden Zeit. Mit ›Akt‹ im obigen Sinne hat sie nichts mehr zu tun. Diese Zeit im Sinne der drei Zeitformen von Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart ist die Zeit der alltäglichen Wirklichkeit. Sie entspricht der alltäglichen, gewöhnlichen Zeitvorstellung. In der alltäg318 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
Das Prinzip der Entsprechung und die Ortlogik
lichen Zeit gibt es keinen Bruch zwischen Vergangenheit und Zukunft. Folglich gibt es zwischen ihnen weder Entsprechung noch auch eine Gegenwart im Sinne der Entsprechungsidentität. Die Zeit wird dabei bloß als ein geradliniges Verfließen von der Zukunft, dem Noch-nichtGekommenen, her zur Vergangenheit hin gedacht. Doch die wirkliche, die wahre Zeit ist eine, bei der Vergangenheit und Zukunft einander konfrontiert sind und einander entsprechen. Analog dazu ist die Gegenwart eine Zeit, die als ›Handlungseinheit‹ zu bestimmen ist. Das ›Feld‹ ist in der Regel der Vergangenheit zugewandt, wohingegen das ›Einzelne‹ auf die Zukunft im Sinne des Noch-nicht-Gekommenen gerichtet ist. Der ›Platz‹ schließlich, als ein auf der Grenzlinie der Entsprechungsidentität von Feld und Einzelnem gelegener, ist gegenwartsbezogen. Wir haben nun umrißhaft das Grundsätzliche bezüglich des Prinzips der Entsprechung und der Ortlogik dargelegt. Wir müssen hier allerdings darauf aufmerksam machen, daß sich bezüglich des Begriffs der Logik aufgrund des bisher Gesagten eine – im Vergleich zu traditionellen Bestimmungen – leichte Bedeutungsverschiebung ergibt. Beim Begriff der Logik pflegt man üblicherweise an die Prinzipien des Wissens und die Formen der Erkenntnis zu denken. Und in der Tat wäre eine Logik undenkbar, welche davon absähe. Nur beschränkt sie sich nicht allein auf diese beiden Funktionen. Denn die Logik der Entsprechungsidentität wie auch die Ortlogik erfüllen zusätzlich noch die Funktionen einer Logik als Handlungsprinzip und als einer Form von Praxis. Daß die Logik eine Logik von Handlung und Praxis ist, daß sie sich als Logos des Faktischen 12 äußert, ja sich als eigentlicher Kern in diesem Bereich erweist, bedeutet nichts anderes als den Tatbestand der Entsprechungsidentität. Das Wissen bezieht sich auf die je gegebenen Tatsachen und damit auf ein Sein, welchem Vergangenheitscharakter zukommt. Begriffe wie Verständnis, Verstehen, Interpretation oder Erkenntnis beziehen sich alle auf bereits Vorhandenes, d. h. auf Sachverhalte, die sich in Hinblick auf bereits bestehendes Sein konstituiert haben. Reine Wissenschaft und die Naturwissenschaft versuchen, den Einfluß des jeweils aktuellen Logos des Faktischen (jiri, 事理). Hier handelt es sich um einen Begriff aus der KegonSchule des Mahâyâna-Buddhismus. »Ji« (Faktum, 事) und »ri« (Logos, 理) als fundamentale Begriffe bilden die »Weltanschauung« dieser Schule. Jiri heißt der Logos, der das Faktum durchzieht und als Faktum real vorhanden ist. Die Logik (ronri, 論理) dagegen, wie sie hier vom Autor gebraucht wird, bedeutet den »ri« (Logos) des »ron«(Denkens), d. h. den Logos, der nicht der Wirklichkeit entsprechen muß.
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Gegenwartsinteresses möglichst zu eliminieren: sie untersuchen die Phänomene des Seins unter einem sogenannten rein objektiven Blickwinkel. Ihr Ideal ist die Enthüllung von dessen Gesetz. So gesehen, ist das Sein als Gegenstand wissenschaftlicher Forschung auch vom bereits Bestehenden verschieden. Es entzieht sich folglich der Wirklichkeit des bereits Bestehenden und des Noch-nicht-Bestehenden, und somit auch aller (Einzel-)Bestimmungen des wirklichen Interesses des bereits Bestehenden und Noch-nicht-Bestehenden. Es wird als im Felde der Zeitlosigkeit, als im Felde des Ewigen befindlich betrachtet. Aufgabe und Lösung sind – rein wissenschaftlich gesehen – nicht diejenigen, die vom geschichtlich-sozialen Wirklichkeitsinteresse her bedingt sind, sondern sind Probleme und deren Auflösung, die rein theoretisch erdacht und konzipiert sind. Aber auch dieses Sein, welches als im Felde des Ewigen befindlich gedacht wird, wird – vom Standpunkt des wirklichen Interesses her betrachtet – zu einem Sein mit dem Charakter des Bestehenden und Vergangenen. So hat beispielsweise ein vom rein wissenschaftlichen Standpunkt her Gedachtes noch nicht Bestehendes, zukünftiges Sein nicht den Charakter des Zukünftigen. Es handelt sich vielmehr um ein aus dem Feld bzw. der Dimension des Vergangenen herausprojiziertes Sein. Folglich ist dieses Sein bereits im Felde der Möglichkeit enthalten. Hier mag zwar wiederum die Unterscheidung von Möglichem und Wirklichem, von Sinn und Realität, von Ideal und Wirklichkeit, von Intelligiblem und Erfahrung zum Tragen kommen. Da es aber Gegenstände des Wissens sind, kann es sich nur um Unterscheidungen handeln, die bereits im Felde der Möglichkeit angelegt sind. So strebt das Wissen danach, durch und durch den Standpunkt des alles wirkliche Interesse abgelegt habenden rein Objektiven einzunehmen. Dieses aber bedeutet nichts anderes als das Postulieren einer theoretischen Vernunft, welche den Zusammenhang mit der praktischen aufgekündigt hat. Es besteht jedoch, wie bereits dargelegt, in der Wirklichkeit ein unaufkündbarer Zusammenhang zwischen theoretischer und praktischer Vernunft. Deshalb ist es in der Tat unmöglich, dieses Postulat zu verwirklichen, und die philosophische Logik beruht auch auf dem klaren Bewußtsein eben dieser Unmöglichkeit. Ein jedes theoretisches ›Problem‹ hat eine wirkliche ›Aufgabe‹ zur Voraussetzung. Das Feld der Theorie berührt das Feld der Wirklichkeit nur insofern, als es dieses leugnet. Daß so die Theorie dieser Verbindung gemäß zu einem wichtigen Strukturelement von Wirklichkeit wird, ist bereits gesagt worden. 320 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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Der Komplex des theoretischen Wissens ist nur ein Element der auf Lösung der Aufgaben der Wirklichkeit hinarbeitenden Untersuchung. Auch wenn das Wissen als solches sich nicht selber weiß, so existiert es doch als ein in die Wirklichkeit eingewobenes Element der Untersuchung. Deshalb erschöpft sich die Logik nicht darin, Logik des Verstehens und der Auslegung zu sein. Es ist ja offenkundig, daß die Logik nicht nur eine der Auslegung und des Wissens, sondern auch noch eine von Handlung und Praxis sein muß, denn die Logik ist stets Logik alles Faktischen. Im Grunde gehören Aufgabe und Lösung nicht in den Schematismus von Wissen und Theorie, sondern in den von Verhalten und Praxis. Nun stellen sich diese allerdings nicht völlig unvermittelt ein. Dazu müssen vielmehr eine bestimmte Szenerie und eine entsprechende Situation, müssen (Ausgangs-)Basis und die weiteren Entwicklungslinien bereits vorgegeben sein. Diese aber sind, wie ich meine, nichts anderes als Aufgabe und Lösung. Verhalten und Praxis erfolgen, wie sich von selbst versteht, zwar ohne vorherige geistige Analyse, jedoch auch nicht triebhaft. Vielmehr ergeben sie sich als Lösung der jeweiligen Aufgabe. Zwar ist es, wenn die Triebe involviert sind, allgemein nicht üblich, von Verhalten und Praxis zu sprechen. Doch kann man es, bei genauerer Betrachtung, auch so verstehen, daß das, was wir mit Trieb und Instinkt bezeichnen, die Bedeutung von ›Lösung der Aufgaben‹, die sich aus dem Zusammentreffen von natürlicher Umwelt und Lebendigem ergeben, haben kann. Selbstverständlich geht es nicht um das Bewußtsein von Aufgabe und Lösung, denn wir haben es ja nicht mit bewußtem Leben zu tun, sondern es geht um den Tatbestand lebendigen Lebens, welches ja dem Bewußtsein und geistiger Analyse vorausliegt. Die Stetigkeit unseres Verhaltens entwickelt sich aus letztlich unbewußten psychologischen Tatbeständen, und so liegt der Gedanke nahe, daß sich Triebe und Instinkte in ihrem Ursprung auf der Grundlage der Feldstruktur von Aufgabe und Lösung konstituiert haben. Damit wird die zwischen Aufgabe und Lösung bestehende Entsprechung zu einer völlig unmittelbaren. Die Differenz, der Abstand, welche zwischen Aufgabe und Lösung bestehen, schrumpfen hier auf ein Minimum und die Entsprechung wird nur noch reaktiv-reflexhaft. Für Denken und Analyse bleibt in einer solchen Identität schließlich kein Raum mehr, und man kann dann darunter auch Trieb und Instinkt verstehen. So verstanden gilt der ortlogische Schematismus von Aufgabe und Lösung nicht nur für die Phänomene des Lebendigen, sondern auch 321 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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für die Interpretation physikalischer Phänomene. Das gilt um so mehr, wenn wir von Begriffen wie Technik und Fertigung zu geschichtlichsozialen Phänomenen wie Kultur, Zivilisation, Politik und Moral übergehen: sie sind sich alle der Aufgabe als einer solchen bewußt, und hier wird deren Lösung auch bewußt angestrebt. Bei all den genannten Beispielen gilt also ganz offenkundig der ortlogische Schematismus von Aufgabe und Lösung. Versteht man also Aufgabe und Lösung im ausgezeichneten Sinne als zum Schematismus von Verhalten und Praxis gehörig, so muß man die Ortlogik der Entsprechung der Logik von Handlung und Praxis zurechnen, d. h. einer Logik, bei der Handlung und Praxis eine ihr gemäße Vernunft (im Sinne einer Logik des Weges) 13 offenbaren und zugleich eine zu befolgende Richtschnur aufzeigen. Dies wiederum bedeutet, daß erstens der Lösung der Aufgabe ein – was die Verwirklichung des Ideals anlangt – auf der praktischen Vernunft beruhendes Sollenspostulat immanent ist, wobei rückblickend immer deutlicher wird, daß nur so Handlung und Praxis überhaupt möglich sind. Und es bedeutet zweitens, daß Aufgabe und Lösung in einem wechselseitigen Entsprechungsverhältnis zueinander stehen. Vergegenwärtigt man sich, daß die Lösung die Entsprechungsidentität von Gegebenem und Ideal, von Vergangenheit und Zukunft darstellen muß, so gibt es hierüber wohl keinen Zweifel mehr. Denn Entsprechungsidentität ist ›Sein‹ und ›Sollen‹ zugleich. Sie konstituiert sich, auf daß die Zweiheit von Sein und Sollen zugleich eine Einheit sei. Als solche ist sie die Norm für Handlung und Praxis schlechthin. Doch indiziert diese Norm nicht einfach eine inhaltslose Form. Vielmehr muß die Lösung von einer Konkretheit sein, die dem ganz konkreten Inhalt der Aufgabe entspricht, und sie muß, vermittelt durch die Untersuchung auf der Ebene des Wissens, auch konkret entwickelt sein. Deshalb ist erstens die Entsprechungsidentität als Norm ein Einmaliges und Einzigartiges, d. h. ein Individuelles, das nicht zu einem allgemeinen Gesetz erhoben werden kann. Ja, es ist gar nicht möglich, die Entsprechungsidentität in der Form eines allgemein gültigen Gesetzes zu formulieren. Das bedeutet allerdings nicht, daß man die Frage nach der Gesetzmäßigkeit völlig ignorieren könnte, denn immerhin kann man von einem Gesetz der Gesetz-losigkeit in dem Sinne sprechen, wie man etwa von einem Virtuosen sagt, daß es für ihn keine 13
Dôri (道理), wörtlich: Logos (ri, 理) des Weges (dô, 道).
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starren Regeln mehr gibt. Zweitens gilt es bei der Entsprechungsidentität immer den Unterschied von Vollkommenheit und Unvollkommenheit zu beachten. Denn es ist ja nicht immer so, daß die Lösung unbedingt und in jedem Fall eine vollkommene Entsprechungsidentität zum Ausdruck bringt. Ja, man kann sogar sagen, daß in der Wirklichkeit die Lösung in der Regel eine unvollkommene ist. Von der Unvollkommenheit der Lösung und damit auch von der der Entsprechungsidentität wissen wir nicht erst sozusagen post factum, sondern bereits von Anbeginn. Im vorhinein bereits von der Unvollkommenheit zu wissen, heißt aber bereits auch Vollkommenes zu wissen. Jedoch existiert dieses Wissen des Vollkommenen nur in der Form einer negativen Vorahnung, denn in der Wirklichkeit bestehen immer gewisse Hemmkräfte, welche Vollkommenheit beeinträchtigen. Woher diese Hemmkräfte kommen und welche Bedeutung ihnen zukommt, ist ein wichtiges Problem, dem aber an anderer Stelle nachgegangen werden soll. In jedem Fall können Lösung und Entsprechungsidentität, solange Menschen involviert sind, dieser Unvollkommenheit nicht entrinnen. Aus den Nischen dieser Unvollkommenheit aber entspringen neue Aufgaben, welche ihrerseits neue Lösungen hervorrufen. So konstituiert sich Wirklichkeit als eine fortlaufende Kette von Aufgaben und Lösungen: eben dies ist die Geschichtlichkeit der Wirklichkeit. Damit die Entsprechungsidentität die mitunter bloß graduellen Unterschiede zwischen Vollkommenheit und Unvollkommenheit ausdrücken kann, gibt es für sie keine Norm als Grundlage. Das versteht sich für eine Logik, welche Aufgabe und Lösung ins Zentrum rückt, von selbst. Hier hat die Ortlogik der Entsprechungsidentität die Bedeutung einer Logik von Handlung und Praxis, und so sollte man statt von Logik genauer von der Logik des Faktischen reden. Die Ortlogik der Entsprechungsidentität ist eine Logik von Erkenntnis und Handlung zugleich. Sie ist zudem eine Logik der Auslegung und eine der Praxis. Die ›Logik‹ ist ihrem eigentlichen Wesen nach auslegend und praktisch, hat Handlungs- und Wissenscharakter und ist zugleich auch Logik des Faktischen. Wenn wir Logik so verstehen, dann stellt sich das Problem, wie denn die Beziehung zwischen ›Ortlogik‹ und ›Ortethik‹ zu bestimmen ist. Grundsätzlich kann man sagen, daß die Ortethik die Ortlogik zur Voraussetzung hat. Diese ist das umgreifende Fundament für jene. Denn insofern die Ortlogik eine Logik von Handlung und Praxis ist, schließt sie notwendig die auf der praktischen Vernunft beruhende Ethik als ein Moment mit ein. Dieses 323 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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Moment besonders herausstellend und thematisierend konstituiert sich die Ortethik. Doch beschränkt sich die Ethik im ausgezeichneten Sinne nur darauf, die Beziehungen von Mensch zu Mensch, von Subjekt zu Subjekt zu thematisieren. Von daher ist der Bereich der Logik umfassender als der der Ethik. Diese ist mithin nur ein Moment der Logik, dessen Fehlen allerdings bedeutete, daß sich auch die Logik nicht konstituieren könnte. Positiv gewendet: die Ethik voraussetzend konstituiert sich die Logik. Beide bedingen und ergänzen einander. Sie sind Bedingungen der Möglichkeit der jeweils anderen. Was nun bei der Ethik den Aspekt ihres Verhältnisses zur Logik betrifft, so haben wir bereits gesagt, daß hier das Selbst die alltägliche Wirklichkeit negierend zu transzendieren sucht und zum eigentlichen Selbst hinstrebt. Indem wir uns des eigentlichen Selbst bewußt werden, erfassen, ja ›erfühlen‹ wir das Ideal. Dabei ist die Intention, das Ideal in der Wirklichkeit zu verwirklichen, wie bereits dargelegt, das ideale bzw. idealistische Prinzip. Es ist das Grundprinzip dessen, was man die eigentliche Ethik nennt, und bildet das Fundament, auf dem die Ortethik beruht. Da die Ethik die Beziehungen, die sich aus dem Verhältnis zwischen Mensch und Mensch ergeben, zu ihrem ›Feld‹ macht, so sprechen wir, wenn das Feld der Gesellschaft thematisiert wird, auch von ›Feldethik‹. Geht es demgegenüber um den selbst-bewußten Einzelnen, der in negierender Transzendierung der Wirklichkeit dem Ideal nachstrebt, so könnte man von einer Ethik des Einzelnen (im Sinne einer ›Individuenethik‹) sprechen. Sie betont das Streben nach Bewußtwerdung des eigentlichen Selbst und die Verwirklichung der Bewußtseinsinhalte. Das unbedingte, notwendige Sollen in bezug auf Selbst-Bewußtsein und Verwirklichung gehört in den Erlebnisbereich des ethischen Selbst. Auf die Unmöglichkeit, jenes Sollen von etwas Anderem herzuleiten, ist bereits hingewiesen worden. Die Ethik hat nämlich als Ausgangspunkt das Erlebnis des ethischen Selbst zur Voraussetzung. Wo allerdings dieses Erlebnis anderen nicht mitgeteilt werden kann, da ist auch Ethik als Wissenschaft nicht möglich. Ich begreife das ethische Erlebnis als ein Moment der Ortlogik und bin wie gesagt der Meinung, daß ohne dieses ethische Moment auch die Ortlogik nicht denkbar wäre. Das Prinzip der Entsprechungseinheit umfaßt auch den Bereich des Ethischen, und deshalb wollen wir sie zur Norm für die Handlungen des Subjekts machen. Von daher kann man sagen, daß der gemeinsame Bereich, in welchem Ortlogik und Ortethik einander überlagern, der der Individualität ist. So begrenzt die Ortlogik das Prinzip der Entspre324 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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chung nicht nur auf den engen Bereich personaler Entsprechung, sondern erweitert es vielmehr auf alles, was sich im Zwischenbereich von Subjekt und Objekt befindet. Wenn wir jetzt noch einen Schritt weitergehen und das Prinzip der Entsprechung zur ursprünglichen Weise des Seins machen, so erscheint hier die Logik der Entsprechungsidentität in einem sehr weiten Sinne. Von daher reklamiere ich für die Ortlogik der Entsprechungsidentität einen von der traditionellen Logik ein wenig abweichenden Charakter, welcher aber, wie ich meine, das wahre Wesen der Logik zum Ausdruck bringt. Hierin liegt der Grund dafür, daß die Logik immer zugleich auch Logik des Faktischen ist. Dieser ihr Charakter kommt von der (allgemeinen) Wissenschaftslogik bis hin zur Logik der Sozialwissenschaften klar zum Ausdruck und ich bin der Meinung, daß sich die philosophische Logik auch dessen bewußt werden sollte.
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6. Masaaki Kôsaka
Einleitung »›Sub specie historiae!‹ Wenn ich diesen Ausdruck benutzen darf, so möchte ich alles unter dem Aspekt der Geschichte verstehen«, schreibt Kôsaka im Nachwort zu seinem Buch »Sinn und Richtung der Geschichte«. 1 Er kritisiert allerdings den bisherigen Historismus, der zwar auch alles unter dem Gesichtspunkt der Geschichte sehen wolle, die Geschichte aber nur rückblickend verstehen und nicht vorblickend bilden wolle. Außerdem sehe der Historismus die Geschichte unter dem Aspekt des zeitlichen Verlaufs und der Dauer, während er selbst die Geschichte unter dem Aspekt von Ewigkeit und Sprung sehe. Das hier artikulierte Verständnis der Geschichte macht den geschichtsphilosophischen Grundgedanken Kôsakas aus. Der hier aufgenommene Aufsatz ist von diesem Gedanken her zu verstehen. Bevor wir auf Kôsakas Geschichtsphilosophie eingehen, muß noch kurz die allgemeine Tendenz seiner Philosophie gekennzeichnet werden. Das obengenannte Buch »Sinn und Richtung der Geschichte« wurde zusammen mit seiner Erstlingsarbeit »Die geschichtliche Welt« 2 in den ersten Band seiner Gesammelten Werke 3 aufgenommen. Dabei änderte Kôsaka den Titel in: »Die geschichtliche Welt. Fortsetzung«. Diese Neufassung des Titels zeigt, daß das zentrale Interesse Kôsakas unverändert der geschichtlichen Welt gilt. Zwischen den beiden Arbeiten liegt der Zweite Weltkrieg, ein ungeheures geschichtliches Ereignis. Kôsakas Hauptthema wird dadurch aber in keiner Weise beeinflußt. Die philosoRekishi no imi to hôkô (歴史の意味と方向), Tôkyô 1950. Rekishi-teki sekai (歴史的世界), Tôkyô 1937, jetzt als Bd. 1 der Werke Kôsakas (vgl. Anm. 3). 3 Gesammelte Werke Masaaki Kôsakas (Kôsaka Masaaki chosakushû, 高坂正顕著作集), 8 Bde., Tôkyô 1964–1969. 1 2
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phiegeschichtlichen Untersuchungen Kôsakas, die den größten Teil der von ihm selbst zusammengestellten Gesammelten Werke bilden und in dem nicht in die Gesammelten Werke aufgenommenen Buch »Geschichte der abendländischen Philosophie« 4 kulminieren, sind keine bloßen Darstellungen der Philosophiegeschichte. Vielmehr sind diese Untersuchungen bewegt von Kôsakas Interesse an der geschichtlichen Welt. Umgekehrt wurden die geschichtsphilosophischen Gedanken Kôsakas durch seine philosophiegeschichtlichen Untersuchungen über Kant, Spinoza, Nietzsche, Kierkegaard, Sartre, Jaspers, Heidegger, den Pragmatismus, die Gegenwartsphilosophie, das japanische philosophische Denken zur Meiji-Zeit und Nishidas Philosophie bereichert und vertieft. Es lassen sich zwei Kreuzungspunkte ausmachen, an denen sich die Geschichtsphilosophie und die philosophiegeschichtlichen Forschungen Kôsakas deutlich schneiden. Das Schwergewicht der philosophiegeschichtlichen Forschung Kôsakas liegt auf Kant. Bei Kant selbst ist der Geschichtsgedanke zwar schwach, aber gewisse Ansätze, wie z. B. der Gedanke der Weltrepublik und der Teleologie, die dann später von anderen Denkern aufgenommen und weiterentwickelt werden, sind bei ihm vorhanden. Kôsaka nimmt den Kantischen Gedanken der Antinomie auf, an dem sich das »metaphysische Interesse« des Menschen zeigt. Betrachtet man die erste Antinomie Kants (»Die Welt hat einen Anfang in der Zeit, die Welt hat keinen Anfang in der Zeit.«) aus einem geschichtlichen Interesse, könnte man sie – wie es Kôsaka tut – folgendermaßen neu formulieren: »Die Geschichte hat ein Ende, die Geschichte hat kein Ende.« Diese geschichtliche Antinomie, ein Kernpunkt der Geschichtsphilosophie Kôsakas, entspringt seiner Ansicht nach dem geschichtlichen Interesse des Menschen, einerseits ein teleologisches Gesetz in der Geschichte finden zu wollen, andererseits aber sich zugleich die Freiheit zur Gestaltung der Geschichte bewahren zu wollen. Am Leitfaden einer Untersuchung über die Geschichtsphilosophie von Hegel, Marx, Nietzsche und Dostojewski bringt Kôsaka diese geschichtliche Antinomie in drei Formulierungen zum Ausdruck: Die Geschichte hat unzählig viele Endziele, die Geschichte hat nur ein einziges Endziel. Die Geschichte hat unzählig verschiedene Zeitalter, für uns gibt es nur ein einziges Zeitalter. In einem Zeitalter liegen un4
Seiyô tetsugaku-shi (西洋哲学史), Tôkyô 1949, 71965.
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zählig viele Möglichkeiten des Endziels dieser Epoche, aber nur eine dieser Möglichkeiten wird in diesem Zeitalter durch ein einziges Schema zur geschichtlichen Wirklichkeit. Das Wort »Schema« ist dabei vom Kantschen Schematismus her zu verstehen. In seinem Buch legt Kôsaka die jeweiligen Auflösungen dieser Antinomien bei Marx, Nietzsche usw. dar. Zuletzt legt er, inspiriert von Dostojewski, seinen eigenen Gedanken der »umgekehrten Transzendenz« 5dar. Im Gedanken der umgekehrten Transzendenz versucht Kôsaka, eine Transzendenz ins Diesseits und nicht ins Jenseits der geschichtlichen Wirklichkeit zu denken. In dieser Transzendenzbewegung verwandelt sich die Wirklichkeit in der Weise, daß das Ende der Geschichte als jeweils augenblickliche Vollendung der Geschichte aufgeht und somit kein Ende im zeitlichen Sinne mehr ist. Dadurch öffnet sich die Zukunft inmitten der Gegenwart. Die menschliche Natur wird transzendiert, jedoch nicht in ein Jenseits, sondern in ihr innerstes Diesseits. Dieser Gedanke der umgekehrten Transzendenz hat eine wesentliche Nähe zu Nishidas Konzept der »immanenten Transzendenz«. 6 Kôsakas Interesse an der geschichtlichen Welt verrät zugleich den Einfluß Tanabes, der sich zeitlebens mit der geschichtlichen Wirklichkeit auseinandergesetzt hat. In der Tat schreibt Kôsaka im Vorwort zu seinem Buch »Nishidas und Tanabes Philosophie«: 7 »In meiner früheren Arbeit ›Die geschichtliche Welt‹ hatte ich von meiner allgemeinen Tendenz her das Gefühl einer Verwandtschaft zu Nishidas Gedanken. Aber ich habe mich auch darum bemüht, das damals von Tanabe behandelte und von Nishida übersehene Problem der Logik der Spezies meinerseits zu lösen.« 8 Zusammenfassend ist jedoch zu bemerken, daß die Denkansätze Kôsakas nicht zu einer vollständigen eigenen Philosophie ausgearbeitet wurden. Nur im ersten Band der Gesammelten Werke entfaltet er seine geschichtsphilosophische Position. Der hier übersetzte Aufsatz »Die hermeneutische Struktur des ›Weges‹« findet sich in diesem ersten Band als Beilage zur Abhandlung »Die geschichtliche Welt«. Diese Arbeit ist, wie Kosaka selbst gesteht, eine »statische« Betrachtung der geGyaku-chôetsu (逆超越). Naizai-teki chôetsu (内在的超越). 7 Nishida-tetsugaku to Tanabe-tetsugaku, Kôsakas Gesammelte Werke, Bd. 8, S. 235 bis 372. 8 Ebd. S. 242. 5 6
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Masaaki Kôsaka
schichtlichen Wirklichkeit, die dann 1950 durch eine »dynamische« Betrachtung abgelöst wird. In der übersetzten Beilage ist diese dynamische Richtung jedoch schon angelegt, insofern der »Weg« in ihr als innere Struktur der geschichtlichen Welt verstanden wird. Ausgehend von dieser hermeneutischen Struktur des Weges konzipierte Kôsaka in Absetzung von der dialektischen Logik Nishidas und Tanabes umrißhaft eine dynamische »Logik der Erforschung«. Die Entwicklung und Entfaltung dieser Logik bleibt jedoch der Nachwelt überlassen.
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Die hermeneutische Struktur des »Weges« 1 (Übersetzt von Engelbert Jorißen)
Geschichte ist Welt in ihrer Bestimmung 2, ist »Ort« 3 in seiner Bestimmung. Was die Grundlage der Geschichte ausmacht, ist nicht einfach Zeit, das ist auch Raum. Das ist Zeit-Raum. Der die Grundlage der Geschichte ausmachende Zeit-Raum ist nicht der sogenannte Raum, das ist vielmehr das Klima. 4 Nein, denn das natürliche Klima ist der Ort für Lebewesen, noch nicht aber der geschichtliche Ort. Er selbst besitzt keine Bewegung, keine Selbständigkeit. Was den Ort der Geschichte ausmacht, muß die selbständige Natur sein, die ein Gefüge, eine Struktur und ihre Bewegung besitzt. Was der Natur ein Gefüge gibt, ihr eine Struktur gibt, ihr Bewegung gibt, was uns die Natur zu einer zu erlesenden macht, was sie von selbst erzählen und überdies von selbst Fortschritt machen läßt – was man gewissermaßen auch den LoAnmerkungen von Ryôsuke Ohashi. – »Michi« no kaishakugakuteki kôzô (「みち」 の解釈学的構造), in: Gesammelte Werke Masaaki Kôsakas, Bd. 1, S. 251–260. 2 Das Wort »Bestimmung« (gentei, 限定) wird hier in prägnanter Bedeutung wie bei Kitarô Nishida verwendet. Nishida gebraucht es in verschiedenartigen Wendungen wie »die lineare Bestimmung«, »die zirkuläre Bestimmung, »die orthafte Bestimmung«, »die prädikative Bestimmung« usw. (vgl. hierzu den Nishida-Text »Selbstidentität und Kontinuität der Welt« in diesem Band). Der erste Satz impliziert den Gedanken Nishidas der Selbstbestimmung der geschichtlichen Welt. 3 Das Wort »Ort« (basho, 場所) wird hier ebenfalls in derselben Bedeutung wie der fundamentale Terminus der Philosophie Nishidas verwendet. Der »Ort« ist keinerlei Etwas; insofern ist er »Nichts«. Dennoch ist alles, was ist, an seinem »Ort«. Bei Nishida ist die geschichtliche Welt eine Selbstbestimmung des Ortes des absoluten Nichts. Vgl. auch Anm. 6, 7, 9 zum Kôyama-Text »Das Prinzip der Entsprechung und die Ortlogik« in diesem Band. 4 Der Begriff »Klima« (fûdo, 風土) setzt hier offensichtlich den Gedanken Tetsuro Watsujis voraus, dessen Buch »Das Klima« (1935, in englischer Übersetzung: Climate and Culture – A Philosophical Study, Tôkyô 1961) einen sehr breiten Leserkreis gewonnen hat. Das japanische Wort Klima »fûdo« besteht aus zwei Wörtern: »Wind« und »Boden«. Der »Wind-Boden« heißt die bestimmte Art des Klimas einer Gegend in prägnantem Sinne. 1
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gos der Natur nennen muß – sollte das nicht der Weg sein! Durch den Weg strukturiert sich die Natur selbst hin zur Welt. In den Weg sind die Impulse der Welt hineinverwebt. Aus den Farben und Tönen des Wegs fügt sich die Geschichte der Welt zusammen. Wir wollen uns hier die Frage stellen, was das, was ich hier Weg nenne, an besonderen Eigenschaften besitzt. Wege: das sind die auf die Erde geschnittenen Spuren der Begegnungen von Menschen. Ein Weg ist etwas, das grundsätzlich nicht mir allein gehören kann. Obgleich es sich um einen Nebenweg oder Schleichpfad handelt, muß, solange es sich um einen Weg handelt, sein Passieren durch einen anderen, als ich es bin, erlaubt sein. Mein Weg ist kein Weg. Daß der Besitzer eines Weges nicht eine Einzelperson ist, sondern das Dorf, die Stadt, kurz, die Gruppe, bringt nichts anderes als sein juristisches Wesen zum Ausdruck. Der Weg ist etwas Öffentliches. Früher kamen die Menschen auf dem Weg miteinander in Berührung, man stellte Anschlagtafeln auf, zeigte sich. Auf dem Weg stehen, das heißt, sich in die Welt stellen. Ein Weg kann nicht durch einen einzigen Gang zur Möglichkeit werden, das besagt wohl auch, daß der Weg etwas Öffentliches ist. Am Weg befinden sich Märkte, werden Plätze eingerichtet, und auch dies muß auf die selbständige Entwicklung der Öffentlichkeit des Weges hinweisen. Halten wir also fest, daß die erste Charaktereigenschaft, die der Weg besitzt, die Tatsache ist, daß er etwas Öffentliches ist. Der Weg stellt den Ort des Öffentlichen dar. Jeder Ort verändert sich dadurch, daß ein Weg angelegt wird aus einem verborgenen Dasein in ein sichtbares Dasein. Durch den Weg macht die Welt ihr Selbst sichtbar. Der Weg ist etwas Öffentliches: hierin ist die Bedeutung enthalten, daß ich auf dem Weg meine nur mir eigene Welt verlasse, daß zugleich dadurch, daß ich mich an einem öffentlichen Ort befinde, eine mir unbekannte Welt näherrückt. Der Weg ist zugleich ein Weg, der aus meinem Innern nach außen tritt und ein Weg, der von außen in mein Inneres führt. Der Weg bedeutet richtigerweise Kommen und Gehen. Der Weg, durch den dieses Dorf jenes Dorf angreift, wird zugleich auch zum Weg, durch den jenes Dorf dieses Dorf angreift. Die erste Charaktereigenschaft, nämlich die Tatsache, daß der Weg Öffentlichkeit ist, führt also dazu, daß der Weg umkehrbar ist als seiner zweiten Charaktereigenschaft. Der Weg besitzt zwei Richtungen. Daß der Weg zwei Richtungen besitzt, erschöpft sich jedoch nicht in der Bedeutung, daß der Weg schlechthin ein Ort des Öffentlichen, ein vertrauter Ort ist, das 331 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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bedeutet auch, daß der Weg Fremdheit ist, und weiter, daß er ein Ort ist, an dem sich Feindseligkeit begegnet. Hier werden zugleich vertraute Grußworte gewechselt, und hier geht man, Leute am Wegrand, aneinander vorbei. »Weg« bedeutet weiterhin auch mehr als nur einfach ein Kommen und Gehen. Was »Weg« meint, geht über den Begriff der Bewegung hinaus. Ein Weg weist auch auf die Fixierung auf einen bestimmten Ort hin. Ein Weg entsteht nämlich nicht durch einen einmaligen Gang, ein Weg besteht vielmehr aus den Spuren wiederholter Gänge; dies besagt wohl, daß die Entstehung eines Weges den Übergang vom wandernden Volk zum ansässigen Volk anzeigt. Hier liegt das Moment, daß der Weg schließlich Dorf, schließlich Stadt wird. Dadurch daß Weg und Weg sich kreuzen, kommt es von der Form des nach zwei Seiten hin Ausgerichtetseins und der Geradlinigkeit zur Form der Fläche. So entsteht als ein Ergebnis des Weges die Stadt. Die Stadt ist ein Gebinde von Wegen. »Michi« bedeutet weggehen, »Weg«; demgegenüber bedeutet Stadt Stehenbleiben – »Stadt« soll (übrigens) etymologisch von »stehen« kommen – das scheint ein interessantes Wortspiel zu sein. Dadurch, daß die Stadt sich nicht selten mit einer Mauer umgibt, läßt sie auf bemerkenswerte Weise diese (ihre) Tendenz zur Ansässigkeit deutlich werden. Das englische Wort für Stadt, »town« und »Zaun« sollen die gleiche Etymologie besitzen. Besitzt der Weg nun zwar den Charakter, nach zwei Seiten hin ausgerichtet zu sein, so schränkt er doch auf Grund dieser Ansässigkeit die ihm eigene Bewegung selbst ein. Denn Wege leiten nicht nur Menschen aus einer bestimmten Gegend heraus; dadurch, daß sie längs und quer führen, entwickeln sie die ihnen innewohnende Struktur ebenfalls in die Tiefe. Durch eine mit Wegen versehene Natur besitzen wir zum ersten Mal eine eigene Heimat. Ich habe bisher also gesagt, daß der Weg Öffentlichkeit ist. Zweitens bedeutet der Weg Umkehrbarkeit. Drittens aber, habe ich nun gezeigt, besitzt er eine/die Eigenschaft der Ansässigkeit. Erschöpfen sich hierin aber schon die Charaktereigenschaften des Weges? Wie stark auch immer eine Stadtmauer sein mag, so besitzt sie doch gewiß einige Stadttore. Und mag eine Stadt auch der Zusammenschluß von Wegen sein, kann sie doch nicht den in den Wegen liegenden Impuls, der nach außen leitet, unterbinden. Durch das Tor wird die Fixiertheit des Weges durchbrochen. Das Tor verbindet das Innen mit dem Außen. Verläßt er das Tor, entfernt sich der Weg in eine unendliche Weite. Wo aber liegt dann der Ursprung solcher Unendlichkeit, die 332 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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dem Weg eine (weitere) seiner Charaktereigenschaften verleiht, der unsere höchste Aufmerksamkeit gelten muß? Vielleicht sind es nicht weite Reisen, die uns Entfernung lehren, sondern es ist die Entfernung, die uns den Impuls zu weiten Reisen gibt! Entfernung, insbesondere die unendliche Entfernung ist unser eigener »Entwurf«. Die verschiedenen Mauern und Tore haben eine Bedeutung lediglich darin, daß sie den Impuls des ins Unendliche führenden Weges einschränken. Von ihnen sprechen heißt nicht mehr, als von einem anderen Aspekt des im Weg verborgenen Impuls zu sprechen, der ins Unendliche führt. Allein aus der Tatsache, daß wir in einer Sackgasse ein Gefühl haben, als ob wir betrogen wurden, können wir doch schon die Unendlichkeit des Weges begreifen. Eine Sackgasse ist kein Weg. In der weiten Ferne des Wegs entfaltet sich die Unendlichkeit der Welt. Der Weg ist ein Ausdruck des Impulses zur Welt hin. Wir dürfen hier aber nicht vergessen, daß der Weg schließlich auch etwas Bindendes besitzt. Ein Weg, dem einmal eine Form gegeben ist, läßt sich nicht so leicht verändern. Der Weg schränkt unsere Schritte ein. Er schreibt eine bestimmte Richtung vor. Und damit wird uns verboten zu gehen, wo nicht Weg ist. Wir sollten also auch das »Bindende« als eine wichtige Charaktereigenschaft des Weges festhalten. Ich habe bisher also fünf Charaktereigenschaften des Weges angeführt. Fassen wir zusammen, so stehen nun auf der einen Seite Öffentlichkeit und Unendlichkeit, auf der anderen Seite stehen diesen Ansässigkeit und Bindung gegenüber. In deren Mitte aber steht geradezu wie ein zwischen beiden Seiten Vermittelndes die Umkehrbarkeit. Der Weg bindet uns zugleich an eine bestimmte Gegend und führt Menschen ohne Einschränkung in andere Gegenden. Der Weg besitzt widersprüchliche Eigenschaften. Insofern ist ›Kommen und Gehen‹ (alltägliches japanisches Wort) hier wohl ein recht passend gewählter Ausdruck. Denn Welt entfaltet sich nicht nur in der Weite des Weges. Die Welt drängt auch beständig auf uns ein. Die Welt bewegt sich auch in uns. Aufgrund seines Charakters, hinauszugehen und zugleich ins Innere zurückzukehren, ergänzt der Weg in einem Widerspruch seine Bedeutung, Impuls zur Welt hin zu sein. Wenn es einmal erlaubt sei, die Brücke als eine Gestalt, den Turm als andere Gestalt des Weges zu denken, so bringt dieses Bild wohl ebenfalls zum Ausdruck, daß der Weg eine Richtung, die nach außen geht, und eine vertikale Richtung, die sich ins eigene Innere vertiefen mag, besitzt. Denn durch die Brücke wird der Mensch schließlich auch mit einer jenseits liegenden Welt ver333 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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bunden, auf der anderen Seite mag er sich im Elfenbeinturm einschließen und seine eigene Welt bewahren. Nach diesen Erklärungen müssen wir uns erneut fragen, was für eine Existenzweise der Weg denn besitzt. Was für eine Bedeutung hat er der geschichtlichen Welt gegenüber? Ich glaube, zwei Phänomene, die wir ›auf dem Weg‹ finden können, – das eine ist die Begegnung, das andere ist der Lauf – geben Anleitung für eine Antwort darauf. Fragen wir zuerst, was für ein Phänomen denn die Begegnung ist. Mit welchen Tiefen macht uns denn das Phänomen der Begegnung, das auf einem Weg ständig geschieht, bekannt? Man gebraucht das Wort ›Begegnung‹ (›Zusammentreffen‹) eigentlich nicht, wenn es sich um Dinge handelt, sondern nur für Menschen. Wir begegnen nicht Dingen, wir begegnen nur dem Du. 5Auch Ereignisse, denen wir begegnen mögen, tragen den Charakter des Du. Dasjenige, dem wir begegnen, das kann nicht etwas uns vollständig Fernstehendes ein. Das, dem wir begegnen, das muß zu der gleichen Welt, die die unsere ist, gehören. Dabei muß es sich denn wohl um etwas auf diese oder jene Weise schon Erwartetes handeln. Aber sollten sich Begegnungen dann also einfach nur auf selbstverständliche Dinge, die erwartet wurden, beschränken? Spricht man von einer Begegnung, so ist hier aber auch Unerwartetes denkbar wie z. B. die Begegnung mit einem nicht erwarteten Menschen, die unvorhergesehene Erfahrung – auch das unvorhergesehene Ereignis, dem man begegnen kann, gehört zu den unvorhergesehenen Erfahrungen. Man sagt nicht, daß Menschen einander innerhalb eines Hauses begegnen. Aber es ist möglich zu sagen, daß man auf dem Rückweg seines Spaziergangs jemandem aus seinem Haus begegnet. Daß man nicht innerhalb des Hauses, sondern nur auf dem Weg (auf der Straße) jemandem aus seinem Haus begegnen kann, muß in der Unvorhersehbarkeit begründet sein, die auf irgendwelche Weise bei der Begegnung im Spiel ist. So treten also bei einer Begegnung zu einem Teil Selbstverständlichkeit und zu einem Teil Unvorhersehbarkeit auf. Notwendigkeit und Zufall gehen hier Hand in Hand. Das heißt dann also wohl, wem ich auf dem Weg begegne, das ist zweifellos das Du, aber das ist nicht das einfache Du, das ist Impliziert ist hier der Gedanke »Ich und Du«. Nishida entwickelte diesen Gedanken im Aufsatz »Ich und Du« (1932), Nishidas Werke, Bd. 6, S. 341–427, wohl unabhängig von Martin Buber. In Tagebüchern Nishidas kommt der Name Buber erst im August 1934 vor; dort lautet es kurz: »M. Buber – Ich und Du?«
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das Du in der Welt, oder vielmehr noch: ist durch das Du zur Fühlung kommende Welt. Auf dem Weg begegne ich durch Du oder durch Er 6 »Welt«. Begegnung ist also die Art und Weise, auf die mir Welt, insbesondere geschichtliche Welt, vermittelt wird, wir wollen sagen, sie stellt die Kategorie ihrer Gegebenheit dar. Das einfache Du allein ist für mich selbstverständliches Dasein. Was dieses zum Zufall werden läßt, muß über das Du hinausgehende Welt sein. Die Welt ist als etwas, dem man begegnet, Zufall und Notwendigkeit. Auf dem Weg wird also das Du mir zur Begegnung. Hinter dem begegneten Du aber steht Welt bzw. Weltlauf. Eben dieser Weltlauf ist mein Schicksal; darum ist das Du in der Eigenschaft, daß es zur Begegnung wird, doch wohl für mich Schicksal. Dem Schicksal begegnet man in der Gestalt des Du. Die bloße Natur, wieviel von ihr auch Notwendigkeit sein mag, ist nicht Schicksal. In dem Erwarteten und in dem dieses überholenden Unvorhersehbaren, das heißt in dem Du, begegne ich dem Schicksal. Schicksal ist nicht etwas, was mir allein gehört. Schicksal entsteht an dem Ort, an dem ich dem Du begegne, an dem Ort, an dem Ich und Du dieses gemeinsam tragen. Schicksal ist der Weltlauf des Menschen. Die Welt hat ja das Schicksal. Indem ich das nur mir eigene Haus verlasse, und das Du seinerseits dort draußen auf dem Weg der Begegnung ist, also indem ich über meine eigene Schwelle hinausschreite, aus dem Zaun, der um mich ist, nach draußen gehe, begegne ich der Welt und dem Schicksal. Begegnung ist ein Phänomen von Welt und Schicksal. Wir hatten gesagt, daß eins der eigentümlichen Phänomene des Weges die Begegnung ist. Aber es gibt noch ein weiteres äußerst eigenartiges Phänomen des Weges. Dieses, so hatten wir gesagt, ist der Lauf. Worin aber besteht nun der eigentümliche Charakter des Laufs? Bei der Begegnung begegne ich dem Du. Bei der Begegnung liegt der Schwerpunkt bei dem Du. Beim Lauf aber liegt der Schwerpunkt bei mir. Dem Du begegnend laufe ich weiter. Beim Lauf kann meine Selbständigkeit nicht hintangesetzt werden. Aufmerksamkeit muß aber der Tatsache gelten, daß ich durch Lauf auf diese oder jene Weise Geschichtlichkeit erwerbe. Mein Lauf bleibt nicht ergebnislos, sondern auf dem Der Begriff »Er« (kare, 彼) wird von Nishida in der Entwicklung seines Gedankens von »Ich und Du« eingeführt. Er meint, die dialektische Struktur der Welt in seinem Sinne könne mit dem Verständnis von Ich und Du allein nicht zureichend gefaßt werden. Dazu müssen nach ihm zahllose »Er« als drittes Moment gedacht werden.
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Lauf wird das, dem ich auf dem Weg begegne, in mir gesammelt. Ein Lauf von einem Punkt »A« nach »B« bedeutet nicht einfach nur »A« und »B« zu verbinden; das Verbinden von »A« und »B« – das heißt der Prozeß dieser Vermittlung –, folglich die Bewegung selbst wird eine gewisse Unabhängigkeit besitzen. Durch den Lauf wird mein Inneres reich. Von »A« her nach »B« laufen, das ist ›In-mir-Laufen‹. Jener Prozeß bzw. die Wanderung erlangt Subjektivität; und eine solche Bereicherung des Inneren von uns ist schließlich etwas Geschichtliches. Wenn man also sagen kann, daß der Weg selbst den Menschen zur Wanderung veranlaßt, dann kann man wohl auch sagen, das dies heißt, der Weg selbst ist etwas, das den Menschen zur Geschichte drängt. Der Weg läßt also durch den Lauf jene Selbständigkeit und Geschichtlichkeit aufscheinen. Es gilt aber erneut zu beachten, daß Selbständigkeit und Geschichtlichkeit nicht meinem sogenannten Ich alleine zugehören können. Was auf dem Weg läuft, ist nicht allein Ich, sondern die Gesamtheit des mit einer Straße versehenen Gebietes. Dadurch, daß eine Straße angelegt wird, wird das gesamte mit dieser Straße versehene Gebiet zu etwas, das »mitläuft«. Durch die Anlage einer Straße bekommt dieses Gebiet Gefüge, Struktur. Und so gerät die Gesamtheit eines Gebietes in eine Bewegung. Durch die Anlage einer Straße bewegt es sich freilich nicht selbst, sondern ist so (immer) schon in Bewegung hinein gesetzt. Dadurch daß es eine Straße besitzt, können seine Erzeugnisse transportiert werden. Was an einen Ort gebunden war, gewinnt nun die Freiheit, aus solcher Bindung gelöst werden zu können. Das Gebiet von mir dringt in das des Du hinein, und damit drängt auch schon das Gebiet des Du in das mir eigene. So wird der »Ort« selbst zu etwas, das sich bewegt. Auf solche Weise gewinnt ein »Ort« Selbständigkeit und Geschichtlichkeit. Das Klima, das man auf dem Grund der Geschichte annimmt, hat einen solchen Weg; zumindest wird es immer das Klima sein, das die Disposition zu einem Weg besitzt. Nur mit einer Straße versehene Natur kann geschichtliche Natur, selbständige Natur sein. Dies wird wohl noch deutlicher, wenn man noch ein weiteres Phänomen berücksichtigt, welches zusammen mit dem Lauf auftritt. Durch Lauf wird ein Gebiet in ein anderes Gebiet vermittelt. Und damit hört jeder »Ort« auf, einfach nur fixiert zu sein. Wenn allgemein in dem, was überliefert wird, die Eigentümlichkeit des Geschichtlichen vorhanden ist, müssen wir wohl nicht nur zeitlicher, sondern auch räumlicher Überlieferung unsere Aufmerksamkeit schenken. Geschichtliche Be336 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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gegnung ist immer auch zugleich räumliche Begegnung. Räumliche aber ist nichts anderes als Bewegung, die über einen Weg geschieht. Es ist nicht notwendig, zwingend zu entscheiden, in welcher Zeit und an welchem Ort Geschichte beginnt. Daß aber der Beginn der Geschichte zugleich auch der Beginn eines Weges ist, zu dieser Behauptung geben allerdings einige Überlegungen ausreichenden Grund. In der Regel können aus den Bewegungen der Gestalt von Wegen, daraus, wo ein Weg angelegt wird, wo er sich (mit anderen) verbindet, wo er gesperrt wird, aus der Vollendung und Blockade eines Weges die Bewegungen von Geschichte herausgelesen werden. Erzählen denn nicht die Wechsel der Konzentrierungen der Wege die Wechsel der Weltgeschichte? Aufstieg und Fall, das Schicksal der Wege nach Rom zeigen die Geburt und den Niedergang eines je neuen Zeitalters an. Durch Wege werden der Wille von Menschen und des Klimas zum Ausdruck gebracht. Eine neue Zeit, eine neue Welt werden durch einen neuen Weg vermittelt, sie treten auf ihm auf die Bühne der Weltgeschichte. Überlieferungen auf Wegen geschehen also durch Lauf; und dadurch, daß Wege den Verlauf vom Lauf zu Abläufen eben auf sich selbst machen, zeitigen sie eine auf die geschichtliche Entwicklung äußerst wichtige Wirkung. Das was auf den Wegen den Ort wechselt, wird nicht einfach zu seiner ursprünglichen Form bewegt. Nicht allein wird ihm schon dadurch, daß es von der ihm eigenen Umgebung getrennt wird, eine seiner Eigentümlichkeiten genommen, auf seiner Wanderung passiert es andersgeartetes Klima und wird gefiltert, erfährt Korrosionen und/oder wird vermischt, wird abstrahiert oder erfährt eine Synthese, es nimmt eine bestimmte Allgemeingültigkeit an. Nur dadurch, daß das Christentum seinen Weg über Rom nimmt und diesen Verlauf hinter sich hat, erhebt es sich zu einer geschichtlichen Allgemeinheit. Die Überlieferung auf Wegen muß der Geburtsort der geschichtlichen Allgemeinheit sein. Auf dem Weg begegne ich dem Du – was mein Schicksal ist – und erfahre meinen Lebenslauf – was meine Geschichte ist –. Das haben wir oben gelernt. Mit der ›Begegnung‹ und dem Lauf sind wir zwei bedeutungsvollen Phänomenen des Weges »begegnet«. Als was sollen wir denn nun schließlich, nach den bisherigen Aussagen, vom Weg sprechen? Den Weg kann man wohl zunächst als Mittel, als Werkzeug denken. Tatsächlich zeigt eine Reihe von Ausdrücken in der Verbindung mit Weg, wie z. B. »es gibt keinen Weg«, »um einen Weg verlegen 337 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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sein«, »mittels eines Weges« usw. wohl deutlich, daß der Weg den Charakter eines Werkzeugs besitzt. Jedes Werkzeug nun hat die Eigenschaft des »um … zu«; hierher gehört wohl auch, daß der Weg immer ein »Weg zu …« ist. Ein Weg ist ein Weg nach München oder ein Weg nach Hamburg. Auch bringen Wörter wie ›Militärstraße‹, ›Handelsstraße‹ oder ›Wasserstraße‹ wohl zum Ausdruck, daß es sich (hier) um ein Mittel zu einem bestimmten Zweck handelt. Erschöpft sich aber nun der Charakter des Weges darin, Mittel zu sein? Ein Mittel muß in der Regel ein Mittel zu einem bestimmten Zweck sein. Ein Mittel ohne bestimmten Zweck ist kein Mittel, ist kein Werkzeug. Der Zweck bestimmt das Mittel. Was ist dann also der Zweck des Weges? Wofür ist der Weg Mittel? Wahrscheinlich besteht die naheliegende Antwort darauf in den Worten, der Weg sei Mittel zum Verkehr. Und diese Antwort ist sicherlich auch richtig. Aber was ist Verkehr denn eigentlich? Es geht wohl nicht an, daß wir hier lediglich an das, was man gemeinhin Verkehr nennt, denken. Verkehr, den man sich als Zweck für den Weg denken muß, muß – viel weiter gefaßt – als Vermittlung zwischen Mensch und Mensch verstanden werden. Auf dem Weg (durch den Weg) entsteht die Struktur der Beziehungen zwischen Mensch und Mensch. Durch den Weg erhält das Leben zwischen Menschen zum ersten Mal eine bestimmte Struktur. Auf dem Weg steht der Mensch zum ersten Mal in der Welt. Durch den Weg wird der Mensch zum ersten Mal Mensch. Und damit ist der Weg schon nicht mehr nur einfach Mittel. Sein Verkehr ist nicht Verkehr als Zweckbestimmung, sondern muß doch wohl weiter gefaßt das Verkehren zwischen Mensch und Mensch sein. Aus diesem Grund allein ist der Weg »als Weg zu einem bestimmten Zweck« eine sekundäre Möglichkeit. Also kann man auch sagen, der Weg als solcher ist ein Zweck in seinem Verhältnis zum Menschen. Das Wesen des Weges erschöpft sich mit Sicherheit nicht darin, Mittel zu sein. Das Wesen des Weges, so sagte ich, besteht nicht einfach darin, Werkzeug zu sein. Der Weg besitzt nicht nur den Charakter des »um … zu«, vielmehr trägt er in sich selber einen Zweck, und das heißt, er besitzt einen Charakter des »an sich«. Dieses ist die Realität der Beziehungen zwischen Mensch und Mensch. Auf dem (durch den) Weg wird der Mensch mit dem Menschen verbunden. Eine solche Vermittlung aber besitzt ihre eigene Subjektivität. Unseren hier gemachten Ausführungen folgend werden wir auf eine Analogie zwischen Weg und Wort gestoßen. Üblicherweise heißt es, daß die Beziehung zwischen Mensch 338 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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und Mensch durch das Wort vermittelt wird. Ich und der Andere (Du) sprechen durch das Wort miteinander. Auch das Wort ist jedoch nicht einfach bloß Mittel. Das Wort besitzt als Ausdruck Unabhängigkeit und Selbständigkeit. Demzufolge muß man nun sagen, daß auch der Weg sein Wesen darin besitzt, Ausdruck zu sein. Man kann also berechtigterweise sagen, daß Wege in der Tat Ausdruck der von Menschen auf die Erde geschnittenen Spuren sind. Wege sind die Spuren des Menschen auf der Erde. Wie aber Wörter Ausdruck von Volksgruppen sind, so sind auch Wege wiederum kollektiver Ausdruck von Menschen. In diesen Punkten, kann man wohl sagen, sind auch Wege wie Wörter Ausdruck. Während wir aber sagen, daß Wege und Wörter gleichermaßen Ausdruck sind, spüren wir doch zugleich in der (jeweiligen) Bedeutung von ›Ausdruck‹ gewisse Unterschiede. Worin mag dieser Eindruck sich begründen? Wörter sind Ausdruck von Menschen, Wege sind Ausdruck der Erde. Bei Wörtern ist der Mensch Mittelpunkt, bei Wegen ist die Natur Mittelpunkt. Wenn eine gewagte Verallgemeinerung erlaubt sei, und man sagen könnte, die westliche Philosophie sei eine aus dem Logos herrührende Philosophie, und die östliche Philosophie sei eine im Weg wurzelnde Philosophie, müßte man nicht interpretieren, daß auch dies darin begründet ist, daß der Logos Wort, und das Wort Ausdruck des Menschen ist, während demgegenüber der Weg ›Weg des Himmels‹ 7 und Ausdruck der Natur ist? Jedenfalls ist das Wort ein expliziter Ausdruck, während der Weg der schweigsame Ausdruck ist; er ist Ausdruck, der verborgen ist. Das Wort teilt wohl eine bestimmte Bedeutung mit, aber der Weg teilt nicht ein bestimmtes Wort mit. Vielmehr, während er etwas mitteilt, verbirgt er dieses. Ausdruck, der verborgen ist, das ist doch ein Widerspruch! Aber ist es nicht gerade solcher Widerspruch, der lehrt, daß es sich hier nicht um Ausdruck von Menschen, sondern des Himmels handelt?! Wenn man sagt, daß auch die Natur spricht, so besitzt diese Natur also menschlichen Charakter – dies ist nun, was man Ausdruck nennt, die Natur wird zur konkreten Erweiterung des menschlichen Leibes. Wenn auf der anderen Seite der Mensch Das Wort »Himmel« (ten 天) ist – wie das Wort »Weg« und das Wort »Natur« – hier zuallererst in dem den Japanern vertrauten Sinne des Taoismus zu verstehen. Der Himmel ist hier nicht verbunden mit dem Schöpfer Gott. Er ist nicht eine überirdische Sphäre, sondern ein reales Maß, das dem Menschen den Weg zeigt und die Richtung vorschreibt.
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dem Weg des Himmels folgt, ist auch der Mensch Glied der Natur, wird von der Erde genährt. Nicht nur der Mensch besitzt Ausdruck, auch der Himmel besitzt Ausdruck. Und es ist wohl der Weg, der Ausdruck des Himmels ist. Mehr als Ausdruck des Logos ist der Weg Ausdruck der Handlung. Er ist der handelnde Ausdruck des Himmels, der schweigend im Lauf der vier Jahreszeiten da ist. Ich habe hier den Weg interpretiert und wegen des in ihm verborgenen Ausdrucks ihn als Ausdruck des Himmels verstanden. Im Weg, den wir unbewußt gehen, liegt tief Metaphysisches verborgen. Auch in der Philosophie muß gelten, daß wir das Naheliegende, was uns vor Füßen liegt, betrachten. Im Weg existiert Metaphysik des Himmels oder Metaphysik der Erde. Es gilt, daß man ein Verständnis der »Welt« nur über den Weg erreicht.
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7. Toratarô Shimomura
Einleitung Die in der Form der Gesammelten Werke 1 erschienenen umfangreichen Schriften Toratarô Shimomuras wurden von ihm selbst als »geistesgeschichtliche« und nicht als »philosophiegeschichtliche« Untersuchungen bezeichnet. Drei seiner Bücher haben das Wort »Geistesgeschichte« im Titel: 1) »Ein Winkel der Geistesgeschichte«, 2) »Im Wald der Geistesgeschichte« und 3) »Die Künstler in der Geistesgeschichte«. 2 Im Nachwort zum letztgenannten Buch beschreibt Shimomura kurz, was er unter dem Wort »Geistesgeschichte« versteht: »Geistesgeschichte meint das Verstehen und die Interpretation des Geistes, der hinter dem Vergegenständlichten und Gebildeten steht.« In jedem Bild könne man das Leben des Geistes erkennen. »Das geistesgeschichtliche Interesse geht also darauf aus, in allen geistigen Bildern den nicht-bildlichen ›Geist‹ zu finden, das Bild als seine Verbildlichung und umgekehrt durch das Bild hindurch ihn zu verstehen.« 3 Shimomuras Arbeitsgebiet, das sich daher nicht nur auf die Philosophie beschränkt, sondern auch Kunst und Wissenschaft mit einschließt, muß daher durch den Namen »Geistesgeschichte« gekennzeichnet werden. Bei seinen geistesgeschichtlichen Untersuchungen orientiert sich Shimomura vor allem an der Mathematik, den Naturwissenschaften und der Kunst. In seinem ersten Buch »Leibniz«, 4 das zugleich zum ersten Mal eine Bibliographie über Leibniz in Japan verlegte, eröffnete Shimomura Toratarô chosakushû (下村寅太郎著作集 = STC), 13 Bde., Tôkyô 1988– 1999. 2 1) Seishin-shi no ichigû (精神史の一隅), Tôkyô 1949; 2) Seishin-shi no mori no naka de (精神史の森の中で), Tôkyô 1972; 3) Seishin-shi no naka no geijutsuka (精神史の中 の芸術家), Tôkyô 1981. 3 Vgl. Seishin-shi no naka no geijitsuka, S. 207. 4 Raipunittsu (ライプニッツ), Tôkyô 1938, jetzt in: STC 7. 1
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er sich das Problemfeld der Entstehung und Bildung von Mathematik und Wissenschaft. Dabei ging es ihm nicht um die historische Entstehungsgeschichte beider, sondern um die Geistesgeschichte ihrer Entstehung. Damit z. B. die Mathematik nicht bloß als Kenntnis der Zahl, sondern in einem eigentlichen Sinn bei den Griechen entstehen konnte, mußte zuvor der »Geist« der Griechen existiert haben. Diesen Gedanken hat er in seinem dritten und erfolgreichsten Buch »Philosophie der Wissenschaftsgeschichte« 5 ausführlich entwickelt und begründet. Auch in seinem zweiten Buch »Die Naturphilosophie« 6 versucht Shimomura bereits die Geschichtlichkeit der Naturwissenschaft von der Antike bis zur Neuzeit zu zeigen. Seine »wertfreien« und nüchternen Untersuchungen erwecken den Anschein, als verfolge er eine andere Tendenz als Kôyama, Kôsaka und Nishitani. Diese setzten sich alle intensiv mit der existentiellen Haltung und Stellungnahme auseinander, die die damalige weltgeschichtliche Lage nach ihrer Meinung forderte. Jedoch zeigt auch Shimomuras Intention weitläufige Gemeinsamkeiten mit den anderen Philosophen der Kyôto-Schule. Im Vorwort zu seiner »Philosophie der Wissenschaftsgeschichte« schreibt er: »wenn heute von der ›Stelle Japans in der Welt‹ bzw. von der ›weltgeschichtlichen Aufgabe‹ Japans die Rede sein soll, so bedeutet die genannte ›Welt‹ nicht das Ganze, in dem Japan bloß als ein Teil enthalten ist. Sie ist die Welt, die aus Abendland und Morgenland, und zwar durch deren Gegensatz, besteht.« 7 Shimomura vertritt also die Meinung, daß Europa und Japan je eine Welt der »Weltgeschichte« sind. Shimomura gehört auch als Schüler Nishidas und Mitherausgeber seiner Gesamtausgabe zur Kyôto-Schule. Seine Bücher über Nishida, 8 1) »Nishidas Philosophie«, 2) »Der junge Kitarô Nishida«, 3) »Der Weg zu Nishidas Philosophie«, 4) »Kitarô Nishida – Person und Gedanke« wirkten maßgeblich orientierend für die spätere Nishida-Forschung und werden zur grundlegenden Nishida-Literatur gerechnet. Im Gegensatz zu Nishida und anderen Denkern der Kyôto-Schule Kagaku-shi no tetsugaku (科学史の哲学), Tôkyô 1939, jetzt in: STC 1. Shizen tetsugaku (自然の哲学), Tôkyô 1939, jetzt in: STC 1. 7 Vgl. Kagaku-shi no tetsugaku, S. 5. 8 1) Nishida tetsugaku (西田哲学), Tôkyô 1946; 2) Wakaki Nishida Kitarô sensei (若き 西田幾多郎), Kyôto 1947; 3) Nishida tetsugaku e no michi (西田哲学への道), Tôkyô 1951; 4) Nishida Kitarô – hito to shisô (西田幾多郎 – 人と思想), Tôkyô 1965. Die Arbeiten werden gesammelt erscheinen in: STC 12. 5 6
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wird von ihm jedoch weder der Buddhismus noch das absolute Nichts thematisch behandelt. Shimomura ist eher ein Historiker denn ein Denker des absoluten Nichts. »Zwar habe ich unter dem Einfluß meiner beiden Lehrer (Nishida und Tanabe) gelernt, daß das logische Interesse das Wesentliche des philosophischen Denkens ausmacht, allmählich merkte ich aber, daß ich eher Historiker als Logiker bin.« 9 Auch beruflich war er außerhalb von »Kyôto« tätig. Er übernahm einen Lehrstuhl an der Tôkyô Bunri Universität. Shimomura steht sozusagen auf der Schwelle zwischen dem Innen und dem Außen der Kyôto-Schule. Kommen wir zu seinen geistesgeschichtlichen Untersuchungen zurück. In seinem vierten Buch »Bildung und Struktur der Lehre des Unendlichen« 10 behandelt er die neuzeitliche Mathematik. Im Anschluß daran veröffentlichte er viele Aufsätze über die geistesgeschichtliche Bedeutung von Kopernikus, Kepler, Gallilei usw. Die Niederlage Japans im Zweiten Weltkrieg unterbrach Shimomuras Forschungstätigkeit nicht. Es kam auch zu keinem Umbruch seines Denkens. Erst 1956, mitten in der Vorbereitung einer Arbeit über Newton, die Französische Revolution und die moderne Physik erfuhr, wie er selbst an mehreren Stellen erzählt, sein Denken eine Wende. In dieser Zeit unternahm er nämlich eine dreimonatige Europareise, die ihn leibhaft mit der europäischen Kultur konfrontierte. Der Eindruck auf ihn war so stark und erschütternd, daß er sich danach in zahlreichen Abhandlungen mit der europäischen Kultur, vor allem der Kunst der Renaissance beschäftigte. Das Ergebnis dieser Beschäftigung liegt vor in den Büchern: 11 1) »Wanderung in Europa«, 2) »Leonardo da Vinci«, 3) »Der Heilige Franziskus von Assisi«, 4) »Die Künstler der Renaissance«, 5) »Abhandlung über die Mona Lisa« u. a. Im bereits oben zitierten Nachwort zum Buch »Die Künstler in der Geistesgeschichte« schreibt Shimomura jedoch, daß seine Beschäftigung mit der europäischen Kunst für ihn keine Abschweifung von seinem bisherigen geistesgeschichtlichen Interesse, sondern »eine ErweiChosaku henro aruiwa jigajisan (著作遍路或は自画自賛, Meine Wanderungen im schriftstellerischen Leben bzw. mein Kommentar zu meinen Werken), in: STC 13, zitiert aus: Sôbun 235 (August 1983) S. 21. 10 Mugenron no keisei to kôzô, Tôkyô 1942, jetzt in: STC 1. 11 1) Yôroppa henreki (ヨーロッパ遍歴), Tôkyô 1961, jetzt in: STC 8; 2) Renoardo da Vinchi (レオナルド・ダ・ヴィンチ), Tôkyô 1961, erscheint in: STC 5; 3) Assiji no sei Furanshisu, Kyôto 1975, erscheint in STC 3; 4) Runessansu no geijutsuka, Tôkyô 1969, erscheint in: STC 4; 5) Mona Riza ronkô, Tôkyô 1974, erscheint in: STC 5. 9
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terung seiner geistesgeschichtlichen Untersuchungen der Wissenschaftsgeschichte bedeutet«. 12 Es ginge ihm dabei nicht um Ästhetik oder Kunstphilosophie, sondern um die Geistesgeschichte der Kunst. In umfangreichen Buch über Burckhardt 13 setzte er die Tendenz fort, kunst- und geistesgeschichtliche Aspekte in eins zu betrachten. Der hier übersetzte Aufsatz »Mentalität und Logik der Japaner« spiegelt die Ansicht und Position Shimomuras kurz und prägnant wieder. In diesem Aufsatz betrachtet er ausgehend von seinen geistesgeschichtlichen Untersuchungen die Eigenart des japanischen Denkens im Vergleich mit dem europäischen. Als Leitfaden dient ihm dabei die Auseinandersetzung mit der Ansicht Masao Maruyamas, eines modernen japanischen Intellektuellen. Der Aufsatz enthält auch einige kurze Bemerkungen zu Nishidas und Tanabes Philosophie. Er endet mit der Forderung, den Gedanken des Nichts, den die abendländische Philosophie bisher nicht verständlich machen konnte, zur Aufgabe der gegenwärtigen Philosophie zu machen. Der Aufsatz stellt somit eine hervorragende Einführung in die Denkweise und nüchterne Selbstbetrachtung der Kyôto-Schule dar.
Seishin-shi no naka no geijitsuka (精神史の中の芸術家), S. 208. Burukkuharuto no sekai (ブルクハルトの世界, Die Welt Burckhardts), Tôkyô 1983, erscheint als STC9.
12 13
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Mentalität und Logik der Japaner 1 (Übersetzt von Takao Nishida und Rolf Elberfeld)
I. Was auch immer man als den eigentümlichen Charakter der japanischen Mentalität bezeichnen mag, so kann man auch immer viele Tatsachen aufzeigen, die zum Gegenbeweis werden. Aber in Wirklichkeit kann man diesen eigentümlichen Charakter aus den Dingen erschließen, die sich in der letzten Zeit in Japan ereignet haben. Allerdings gilt dies nicht nur für Japaner, sondern für die Menschen aller Länder. Im allgemeinen ist es unmöglich, kulturgeschichtliche Phänomene exakt zu bestimmen. Mag es Ausnahmen oder Gegenbeispiele geben, es ist nicht zu leugnen, daß es eine Tendenz gibt, die einen allgemeinen Charakter anzeigt, bzw., daß es einen bestimmten Stil 2 gibt, der historisch entstanden und gewachsen ist und insofern nicht immer derselbe blieb. Allerdings ist es auch eine Tatsache, daß im historischen Werden selbst wieder ein Stil zu finden ist. Daher ist es wohl relativ objektiv, anhand des Stils der Tatsachen, die in der historischen Bildung der japanischen Kultur zu finden sind, den eigentümlichen Charakter der japanischen Mentalität zu suchen. Als das wohl bedeutendste Charakteristikum innerhalb der geschichtlichen Tatsachen ist die Art und Weise anzuführen, wie in Japan fremde Kulturen aufgenommen werden. Völlig fremde Kulturen und Gedanken werden oft ohne kritische Auseinandersetzung übernommen, aber gleichzeitig bleibt das Überlieferte erhalten. So koexistieren Dinge von unterschiedlichem Charakter Anmerkungen von Rolf Elberfeld. – Nihonjin no shinsei to ronri (曰本人の 心性と論 理), in: Seitô shinkei (Westöstliche Geisteslandschaft), Tôkyô 1977, S. 218–236. 2 Kata (型) kann auch übersetzt werden mit: Modell, Form, Typus, Muster. Ein einzelnes kata gibt einen normativen Typus wieder, nach dem sich Benehmen, Verhalten, aber auch körperliche Bewegung vollzieht. Vgl. hierzu Shirô Katô, Kata-Katachi-Sugata. Besinnung auf die Grundstruktur der Seinsverfassung in der japanischen Sprache, in: Journal of the Faculty of Letters, University of Tôkyô (Aesthetics) 4 (1979), S. 95–99. 1
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miteinander und leben gemischt zusammen. – Genau dies ist der auffällige Stil, der in der ganzen japanischen Kulturgeschichte zu finden ist. Auch in der Gegenwart ist dieses charakteristische Merkmal erkennbar. Nicht nur im Denken, sondern auch im alltäglichen Leben selbst ist dieser Stil sichtbar. Es gibt »japanische Kleidung« und »westliche Kleidung«, »japanisches Essen« und »westliches Essen«. Und weil das bis in das alltägliche Leben durchgedrungen ist, wurde es zu einem grundlegenden Charakter der Kultur. Außer diesen Tatsachen kann stets auch auf einen Mangel an Folgerichtigkeit, einen nicht klassifizierenden Geist und anderes mehr hingewiesen werden. All diese Charaktereigenschaften gehören zur selben Stilform. Unsere Aufgabe soll nun sein, Kritik zu üben an der vorbestimmten 3 Kritik, die die Mentalität der Japaner, die in der eben genannten Stilform liegt, kritisiert. Die Kritik soll sich in der Form vollziehen, daß differenzierter über die oben erwähnten »Tatsachen« nachgedacht wird. Wenn die Theorie, daß Indien, China und Japan einfach unter dem Begriff »der Osten« zusammengefaßt werden, nicht selbstverständlich ist, wie es Sôkichi Tsuda 4 gezeigt hat, so läßt sich der Charakter des japanischen Denkens, bzw. des japanischen Wesens, das noch vor dem Denken liegt, durch Vergleich mit dem europäischen am besten verdeutlichen. Man könnte sogar sagen, daß der Begriff unserer heutigen »japanischen Kultur« selbst erst durch Begegnung und Vergleich mit dem europäischen Denken bewußt wurde. Die Kritik der Europäer an der japanischen Kultur ist oft vorbestimmt, und es ist nicht nötig, sie zu wiederholen. Außerdem sind diese Kritiken von Japanern selbst – insbesondere von Intellektuellen –, akzeptiert und beinahe zur Selbstinterpretation und Selbstkritik geworden. Da unsere Aufgabe in der Kritik gegenüber dieser Kritik liegt, so müssen wir auf beide Aspekte aufmerksam sein: die in dieser Kritik zugrundegelegte europäische Denkweise und die von ihr unterschiedene Logik der japanischen Denkweise; und zwar will die letztere nicht nur in ihrem negativen Aspekt, sondern auch in ihrem positiven Aspekt bedacht werden. Jeder ist wahrscheinlich daran interessiert, wie er vom anderen eingeschätzt wird. Da wir unseres Selbst nicht immer vollständig bewußt sind, ist die Kritik der anderen mehr als bloßer Gegenstand des Teikeiteki (定型的), wörtlich übersetzt: festgelegter Stil, vgl. Anm. 2. Hier ist eine Kritik gemeint, die aus einer bestimmten stereotypen Position erfolgt. 4 Sôkichi Tsuda (津田左右吉, 1873–1961), Historiker. 3
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Interesses. Die Kritik an Japan durch die ausländischen Wissenschaftler – hier wollen wir uns auf Europäer beschränken –, erfaßt, auch wenn die Kritiker, wie es oft der Fall ist, Japanisch nicht verstehen und die Schrift nicht lesen können und auch wenn es oft nur Eindrücke von oberflächlichen Tatsachen sind, die wichtigsten Punkte. Dies kommt wohl daher, daß sie aus einem deutlichen Kontrast entstehen. Auf die Art der romantischen Interpretation eines Lafcadio Hearn, 5 die aus einer anderen Generation stammt, will ich nicht eingehen. Dagegen möchte ich als Beispiel die Kritik am modernisierten, gegenwärtigen Japan durch den Philosophen Karl Löwith anführen. 6 »Die Japaner leben wie in zwei Stockwerken: einem unteren, fundamentalen, in dem sie japanisch fühlen und denken, und einem oberen, in dem die europäische Wissenschaft von Platon bis Heidegger aufgereiht steht, und der europäische Lehrer fragt sich: wo ist die Treppe, auf der sie (die Japaner) vom einen zum anderen gehen?« Der europäische Geist dagegen hat die grundlegende Eigenschaft, immer mit »dem Geist der Kritik zu unterscheiden, zu vergleichen und zu entscheiden … Die Kritik ist geradezu das Prinzip unseres Fortschritts … Kritik am Bestehenden überhaupt, am Staat und an der Natur, an Gott und den Menschen, an Glaubenssätzen und Vorurteilen – diese alles ergreifende und in Frage stellende, zweifelnde und forschende Unterscheidungskraft ist das Element des europäischen Lebens, ohne das es nicht denkbar ist … Der Orient erträgt nicht solche rücksichtslose Kritik, weder an sich noch gegen andere.« 7
II. Solche Ansichten sind schon zu Gemeinplätzen der Interpretation und Kritik geworden, die vom westlichen Standpunkt aus an der Mentalität der Japaner geübt werden. Von der europäischen Denkweise her gesehen muß diese Kritik wohl unvermeidlich sein. Und so kann man durch Lafcadio Hearn (1850–1904), Schriftsteller. Karl Löwith (1892–1973), Philosoph. 1936–1941 Lektor an der Kaiserlichen Universität Tôhoku in Sendai. 7 Aus »Nachwort an den japanischen Leser«, in: Der europäische Nihilismus. Erstveröffentlichung in japanischer Sprache unter dem Titel »Yôroppa no nihirizumu«, in Shisô 220, 221 und 222 (Tôkyô 1940). Die deutschsprachige Veröffentlichung nach dem Originalmanuskript in: Karl Löwith, Sämtliche Schriften, Stuttgart 1983, Bd. 2, S. 473–541. 5 6
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die Kritik den Charakter der Mentalität der Europäer kennenlernen. Aber gleichzeitig wurde diese Ansicht zur allgemeinen Auffassung unter japanischen Intellektuellen. Um ein typisches Beispiel hierfür anzuführen, möchte ich an das Buch von Masao Maruyama »Denken in Japan«, 8 das in den letzten Jahren sehr bekannt war, erinnern. Er wies auf den Mangel einer Koordinatenachse des Denkens bzw. einer denkerischen Tradition in Japan hin: »In Japan hat sich keine als Kristallisationspunkt oder Koordinatenachse dienende geistige Tradition zu bilden vermocht, die die Vorstellungen und Ideen der verschiedenen Epochen ohne Ausnahme zueinander in Beziehung gesetzt hätte und im Verhältnis zu der sich alle weltanschaulichen Positionen – gegebenenfalls auch durch Negation – selbst geschichtlich eingeordnet hätten … Häufig werden Konfuzianismus, Buddhismus und Shintô, welcher sich in ›Symbiose‹ mit den beiden ersteren entwickelt hat, oder auch die ›Kokugaku‹ 9 der Edo-Zeit als ›traditionelle Denkrichtung‹ bezeichnet und den zahlreichen, nach der Meiji-Restauration eingeströmten europäischen Denkrichtungen gegenüberstellt … Sie jedoch als ›Tradition‹ und ›Nicht-Tradition‹ einander gegenüberzustellen, führt, fürchte ich, zu schwerwiegenden Mißverständnissen … Denn auch dieses aus Europa stammende Denken ist bereits ›Tradition‹ geworden … Das Problem liegt darin, daß all diese Gedanken ungeordnet nebeneinander bestehen und dabei ihre gegenseitigen logischen Beziehungen und die ihnen jeweils zukommenden Positionen völlig im unklaren bleiben. In Bezug auf diese Grundsituation läßt sich kein substantieller Unterschied zwischen dem ›traditionellen‹ Denken und dem seit der MeijiZeit eingeführten europäischen Denken feststellen … Das traditionelle Denken nach der Meiji-Restauration verstärkte seinen fragmentarischen Charakter noch weiter, so daß es nicht als Ausgangsbasis funktionierte, von der aus man die verschiedenen neuen Ideen von innen heraus hätte ordnen oder sich direkt mit dem fremden Denken hätte auseinandersetzen können. Hierin liegt der Grund für die Tatsache, daß trotz der riesigen Differenzen zwischen den Inhalten der verschiedenen Geistesströmungen und den von ihnen eingenommenen Positio8 Masao Maruyama (1914–1996), Nihon no shisô (Denken in Japan), 1957. Deutsche Übersetzung: Masao Maruyama, Denken in Japan. Eingeleitet und aus dem Japanischen übertragen von Wolfgang Schamoni, Frankfurt a. M. 1986. Im folgenden werden die Zitate Shimomuras aus dieser Übersetzung übernommen. 9 »Nationale Schule« bezeichnet eine im 18. Jahrhundert aufgekommene gelehrte Schulrichtung, die sich um die älteste japanische Literatur bemühte.
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nen gerade in der Art und Weise ihrer Rezeption eine Kontinuität zwischen ›Vormoderne‹ und ›Moderne‹ besteht.« 10 – Die Ansicht Maruyamas als eines Experten für die Geschichte des japanischen Denkens scheint mir sehr objektiv, konkret, exakt, scharf, überzeugend und unbestreitbar zu sein. Aber sie unterscheidet sich nicht wesentlich von Karl Löwiths Kritik, die vom westlichen Standpunkt aus geübt wurde. Dies ist auch in keiner Weise zufällig. Denn die Bildung der gegenwärtigen japanischen Intellektuellen kommt aus dem Westen oder ist westlich beeinflußt. Allerdings ist diese Tatsache nicht immer bewußt. Vielmehr wird die westliche Bildung so zur eigenen gemacht, daß sie von vornherein als die eigene angesehen wird. Aber das eigentliche Problem liegt noch davor. Was Maruyama als besondere Eigenschaften der Geschichte japanischen Denkens aufgewiesen hat, wird von ihm nicht gebilligt, sondern er wünscht die »Revolution« dieses Denkens. Folglich muß aber dann das japanische Denken, wie es sein soll, zur Frage werden. Für diese Frage ist eine noch genauere Reflektion der Tatsachen in der Geschichte des japanischen Denkens nötig, und der Grund für diese Tatsachen, d. h. die Logik der Denkweise, welche dieses Denken ermöglicht, muß noch gründlicher bedacht werden. Europäisches Denken ist, wie Maruyama aufwies, schon zu einer japanischen »Tradition« geworden. Allerdings existiert es zusammen mit dem herkömmlichen Denken, beide »bestehen nebeneinander«, 11 um es mit Maruyamas Worten zu sagen. Das europäische Denken, dessen wesentliche Eigenschaft die Kritik ist, und das somit ein derartiges »nebeneinander bestehen« sicher nicht akzeptieren könnte, ist trotz dieser wesentlichen Eigenschaft bloß ein Mitglied des gemischten Zusammenlebens im japanischen Denken. Das ist, was unser Denken betrifft Tatsache. Europäische Gedanken haben traditionell eine Struktur, und ihre Eigenschaft ist es, kritisch zu sein. Das japanische Denken akzeptiert diese vollkommen gegensätzlichen Gedanken, indem es die traditionelle Eigenschaft, nämlich »strukturlos« zu sein, nach wie vor erhalten kann. Genau das, was dies ermöglicht, ist der »traditionelle« Charakter des japanischen Denkens und seine charakteristische Erscheinungweise. Das ist eine Tatsache, unabhängig davon, ob man sie akzeptiert oder nicht. Natürlich ist dies nicht eine Tradition, die einen be10 11
Vgl. die Vorbemerkung zu Denken in Japan, a. a. O. S. 21–28. Zakkyo (雑居)
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stimmten Inhalt hat oder eine Koordinatenachse bildet. Es ist nicht die »Tradition« im europäischen Sinne, sondern vielmehr etwas ohne Tradition. Allerdings genau dies, nämlich keine Tradition zu haben, ist offensichtlich die Tradition des japanischen Denkens. Denn es ist eine besondere Tatsache, daß in der gesamten tausendjährigen japanischen Geistesgeschichte fremde Gedanken aufgenommen wurden und so ständig gemischt zusammenlebten. 12 Diese Eigenschaft ist in diesem Sinne wirklich typisch, da das japanische Denken immer noch traditionell im japanischen Sinne ist und den »unstrukturierten« Charakter erhalten konnte, obwohl es völlig gegensätzliche Gedanken, d. h. die europäischen aufnahm, die traditionell eine Struktur haben und traditionell kritisch sind. Hier kann man sagen, dies ist die Freiheit und Stärke des nicht passiven, sondern aktiven Anerkennens dieser Gegensätze. Die Existenz dieser Gedankenkultur, die eine Tradition ohne Tradition ist bzw. eine unstrukturierte Struktur hat, ist eine alte historische Tatsache und keine bloß »säkulare Anwendung der buddhistischen Philosophie«. Auch wenn man zur Interpretation dieser japanischen Gedankenkultur Kategorien benötigt, die sich von europäischen unterscheiden, ist es nicht notwendig, diese Kultur nur negativ zu sehen. Sie wird nur dann als bloß negativ gesehen bzw. als nur negativ eingeschätzt werden, wenn man europäische Kategorien voraussetzt, die in diesem Falle vielmehr als eingeschränkt gelten müssen. Das bedeutet nur, daß die positive »Seite« der japanischen Kultur durch die europäischen Kategorien nicht sichtbar ist.
Vgl. Elmar Weinmayr, Der »andere Anfang« im Zugleich verschiedener Zeiten und Welten, in: Destruktion und Übersetzung, Weinheim 1989, S. 77–84. Weinmayr gibt ein hervorragendes Beispiel aus dem japanischen Leben für dieses »gemischte Zusammenleben« und versucht sich dieser Tatsache philosophisch zu nähern. In diesem Zusammenhang sei auch verwiesen auf das Buch von Heinrich Rombach, Welt und Gegenwelt, Freiburg i. Br. 1983, in dem die Vielheit der Welten ein grundlegendes Thema ist. Vgl. hier vor allem den Abschnitt Weltendifferenz und Weltenkommunikation, S. 146 ff. Auch sei erwähnt das Buch von Wolfgang Welsch, Unsere postmoderne Moderne, Weinheim, 21988. Welsch versucht aufzuzeigen, daß das Grundphänomen des postmodernen Lebens die Pluralität ist. Leider setzt er sich nicht mit der japanischen Realität auseinander, die gewissermaßen die Pluralität der Lebensformen als eine »Tradition« ausgebildet hat. 12
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III. Das Faktum, daß europäisches und japanisches Denken gemischt zusammenleben, bedeutet, daß in Japan das europäische Denken lediglich eine Denkweise unter anderen ist. Folglich kann man sagen, daß die japanische Denkweise eine allgemeinere Denkweise ist, welche die europäische Denkweise als nur eine unter anderen in sich enthält. Es ist kein Denken, das einfach im Gegensatz zum europäischen Denken steht. Allerdings ist es natürlich eine Frage, was hier unter »allgemein« verstanden wird. Darauf will ich aber erst später eingehen. Die folgenden Ansichten sind bestimmt richtig: »In der Geschichte japanischen Denkens bildete sich keine Tradition, die als Kern gelten kann … Buddhistische, konfuzianische, schamanistische und westliche Gedankenströmungen blieben ungeordnet und existierten gleichzeitig nebeneinander her … Die logische Beziehung zwischen diesen verschiedenen Positionen ist nicht geklärt und so bleibt die Tradition strukturlos. Es besteht die Tendenz, die in bestimmter zeitlicher Reihenfolge nach Japan gekommenen Ideen im Innern des Individuums nur räumlich umzuarrangieren und sie sozusagen zeitlos koexistieren zu lassen, wobei sie ihre historische Strukturiertheit verlieren.« 13 – Da sich aber in der Tat diese Denkweise traditionell bilden konnte, so muß man, insofern man dieses Denken nennen kann, nach der Logik fragen, auf der diese Denkweise basiert. Jedoch muß zuerst nach dem Grund des Denkens, das das japanische Denken lediglich negativ verstehen kann, d. h. nach der Grundlage des europäischen Denkens gefragt werden. Diese Grundlage ist, wie das abendländische Denken selbst darlegte, die Logik des Satzes vom Widerspruch und der Satz des ausgeschlossenen Dritten (tertium non datur), der mit dem ersteren direkt zusammenhängt. Die Grundlagentheorie in der Mathematik der Neuzeit machte klar, daß das logische Prinzip des Satzes des ausgeschlossenen Dritten beschränkt ist, d. h. nur bei finiten Größen gilt oder zumindest nicht selbstverständlich ist. Ich möchte hier aber nicht weiter auf diese abstrakten Probleme eingehen. Jedenfalls ist klar: Die Logik, welche die faktischen Gedanken der Japaner ermöglichte, kann durch den Satz des ausgeschlossenen Dritten nicht näher bestimmt werden, und somit ist es offensichtlich, daß das, womit man dieses Denken positiv verstehen kann, sich von den Kategorien des abendländischen Denkens unterscheidet. Dieses Denken 13
A. a. O., S. 29.
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von vornherein als primitiv und naiv abzutun, dazu besteht kein Grund. Vielmehr ist es das, was im abendländischen Denken fehlt, oder das, was die abendländische Mentalität nicht zu leisten vermochte. Nun kann man sagen, daß die koordinatenlose Tradition und das strukturlose Denken in der Tat die »Erfahrung« der tausendjährigen japanischen Geschichte und unsere »Weisheit« sind. Dann ist es nicht eine Frage des »Könnens«, 14 sondern eine Frage des »Wollens«. 15 So muß man also denken, daß sich die japanischen Denker, die in hohem Maße die Gedanken des Mahâyâna-Buddhismus und des Konfuzianismus verstanden haben, die nicht weniger tief sind als die westlichen Gedanken, sich gewollt im »Nebeneinanderbestehen« der Gedanken befanden. Insofern wir nicht so arrogant sein wollen, daß nur wir uns für nüchterne Japaner halten, ist die Mentalität anzuerkennen, die diese Denkweise nicht einfach nur negativ wertet. Durch Begegnung mit den europäischen Gedanken kann die Eigenheit gleichwohl deutlicher werden, aber das japanische Denken wird dadurch nicht gleich wertlos. Vielmehr müssen gleichzeitig mit den besonderen Eigenschaften des europäischen Denkens deren Beschränkungen bewußt werden. Japanische Intellektuelle sind gegenüber japanischem Denken äußerst kritisch, gegenüber dem europäischen hingegen weniger. Die Beschränkungen, die das europäische Denken aus seinen natürlichen Empfindungen heraus hat, wenn es dem japanischen Denken vergleichend gegenübersteht, sind als Beschränkungen nicht bewußt. (Zum Beispiel sind europäische Sprachen exakter als die japanische: allerdings können sie sich eben nur exakt ausdrücken. Beschreibungen wie in Kanbun und Kanshi, 16 welche die Zeit – das Tempus – ausschalten, sind in europäischen Sprachen unmöglich. In Kanbun oder Kanshi sind keine naturwissenschaftlichen Beschreibungen möglich, aber die Naturwissenschaft ist nicht der höchste Gedanke und das Maß aller Dinge.) Dieser Zustand selbst geht auf den japanischen Charakter zurück, wo das nichtsubjekthafte Selbst das eigentliche Selbst ist und somit dieses nichtsubjekthafte Selbst ein Grundgedanke ist. Dies hat seine Wurzeln Deutsch im Original. Deutsch im Original. 16 Dies sind Texte bzw. Gedichte verfaßt in klassischer chinesischer Sprache, die aber mit japanischer Aussprache gelesen werden. Ein einzelnes chinesisches Schriftzeichen läßt sich weder in Tempus noch in Nummerus oder sonst irgendeiner europäischen grammatikalischen Kategorie klar bestimmen. Je nach Funktion, aber ohne äußerliche oder lautliche Veränderung, wechselt es seine grammatikalische Bestimmung. 14 15
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in der Denkweise der Japaner. Man kann nicht sagen, daß diese Denkweise von Natur gedankenlos und unlogisch ist. Vielmehr muß im Gegenteil hierzu der Grund der Kritik selbst hinterfragt werden – wonach diese Denkweise als ein kritikloser, einfacher Kompromiß bloß negativ betrachtet wird – und so die Beschränkung der Kritik bedacht werden, in der die genannte Denkweise nur als ein Kompromiß erscheint. Es gibt auch eine Denkweise, für die Kritik, Unterscheidung und Urteil nicht unbedingt das Wesen des Denkens sind, bzw. nicht als das Höchste im Denken gelten. Die europäische Denkweise konnte »Philosophie« und »Naturwissenschaft« hervorbringen, aber es gibt weder Grund noch Ursache dafür, daß diese Denkweise die einzig mögliche ist. Daß man das Denken nicht als bloße Unterscheidung, Kritik und Auseinandersetzung betrachtet und dies auch nicht unbedingt will und eine derartige Denkweise nicht als das Höchste betrachtet, dies hat seinen triftigen Grund, hat seine eigene Logik, mit andern Worten, es liegt eine andere Philosophie zugrunde. Man kann diese nicht als gedankenlos oder unlogisch betrachten. Vielmehr: nur das Denken, das »zugleich existieren« 17 mit einem fremden Gedanken nicht erträgt und so nicht umhin kann, die Auseinandersetzung mit dem fremden Gedanken zu fordern, kann die gleichzeitige Existenz nur als »gemischtes Zusammenleben« verstehen. Dieses Verständnis erhellt vielmehr eine Grenze dieses Denkens, das die Rezeption fremder Kulturen verunmöglicht, wie sie in Japan gängige Praxis war und ist. Der japanischen »Logik« des Denkens war es möglich dieses zu tun, so muß sie auch von dieser Möglichkeit her bedacht werden. Im europäischen Denken erscheint dies vielleicht nicht als eine Logik. Insofern man das tausendjährige Denken der Japaner nicht als gedankenlos abtut, sollte man dieses Denken als die Existenz einer positiven Logik anerkennen. Die japanische Logik unterscheidet sich von der europäischen, aber dies bedeutet nie bloß einen Mangel an Logik oder Unlogik. Selbst wenn japanisches Denken als unlogisch empfunden wird, so muß man doch nach der Logik fragen, die es möglich machte, trotz dieser Tatsache europäisches Denken übernommen und verstanden zu haben und darüber hinaus dieses Denken als einen Gedanken im Denken gefaßt zu haben. Nach dem Grund des Denkens, der diese Tatsache ermöglicht, muß gefragt werden. Was sich untereinander äußerst fremd ist, wie z. B. Shintoismus, Buddhismus, Konfuzianismus, Christentum und moderne Natur17
Dôjisonzai (同時存在).
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wissenschaft, kann in Japan zugleich miteinander existieren. Das ist wohl in der europäischen Denkweise unmöglich. Wenn nur das europäische Denken als einziges Kriterium gälte, könnte dies nicht als »Denken« angesehen werden; diese Möglichkeit soll aber vielmehr als Grenze des europäischen Denkens verstanden werden.
IV. Es ist nicht unsere Absicht, um jeden Preis die Mentalität der Japaner zu idealisieren. Wir wollen nur darauf aufmerksam machen, daß die nur negativ interpretierten Tatsachen einen Boden haben, der positiv interpretiert werden kann. Dies heißt nur, daß wir erneut unsere eigene Denkweise prüfen wollen, und so gleichzeitig auf den Boden von Maruyamas typischer Kritik und dazu auch auf die Existenz des »Japanischen« hinweisen wollen. Was ist das eigentliche japanische Denken, auf das er durch seine Kritik am japanischen Denken hinwies? »Katô Shûichi hat einmal die japanische Kultur als ›Hybridenkultur‹ charakterisiert und vorgeschlagen, man solle, nachdem in der Vergangenheit alle Versuche, sie entweder im nationalistischen Sinne oder im westlichen Sinne zu ›reinigen‹, fehlgeschlagen seien – das Positive dieses Kreuzungscharakters sehen. Dies ist eine bemerkenswerte Meinung und ich stimme ihr im Grundsätzlichen zu. Aber insbesondere im Hinblick auf das Denken scheinen mir einige Ergänzungen notwendig zu sein. Erstens: Es gibt jene ›traditionelle‹ Auffassung, Japan sei berufen, Ost und West zu ›verschmelzen‹. Diese Auffassung bejaht den ›Kreuzungscharakter‹, aber in einem schlechten Sinne. Davon haben wir inzwischen wohl genug. Zweitens: Die eigentliche Aufgabe besteht darin, daß die verschiedenen Ideen, Denkweisen und Weltanschauungen miteinander verkehren und so neue Kreuzungen und Individualitäten geboren werden, die unterschieden werden müssen und so das bloße nebeneinander leben überhöht wird zu einer echten Hybride. Dieses kann – sowohl als Erkenntnis wie auch als Praxis – letzten Endes nur von einem über zähe Selbstbeherrschung verfügenden Subjekt aufgebracht werden. Dieses Subjekt aus uns selbst hervorzubringen, das und nichts anderes ist die Aufgabe unserer ›Revolution‹.« 18
18
Vgl. a. a. O. S. 74–77.
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Was ist dann also das »miteinander verkehren«, 19 das den Kern der Aufgabe bildet? Dieses »verkehren« ist bei Maruyama etwas anderes als das »reinigen« hin zum Nationalen bzw. Europäischen. Es ist weder die »Ost-West-Integration« noch die »dialektische Einheit«. Er sagt: »Würden die verschiedenen Denkweisen wirklich miteinander verkehren, so würde eine wirkliche Kreuzung und ein neuer Charakter entstehen.« 20 »Das Verkehren«, sagt er, bringe eine Hybride hervor. So ist gefordert, daß »wir ein Subjekt mit starker Selbstbeherrschung erzeugen«. Wenn »die Koordinatenachsen«, die dem japanischen Gedanken fehlten, durch ein derartiges »verkehren« sich bilden, ist dann nicht auch zu erwarten, daß eine »Struktur« entsteht? Ist hierfür wohl ein »Subjekt mit starker Selbstbeherrschung, sowohl in der Erkenntnis als auch in der Praxis«, nötig? Es ist, sagt er, Aufgabe »unserer Revolution«, das zu erzeugen. »Revolution« bei Maruyama ist so zu verstehen, daß »das Subjekt«, das im japanischen Denken nicht existierte, neu erstellt wird, die Gedanken der Japaner, welche bis jetzt nur ein gemischtes Zusammenleben vieler Gedanken waren, zu verbessern, und ihnen so »eine Struktur« zu geben. Aber es wird von diesem Subjekt »auch« erwartet, daß es durch den innerlichen Verkehr der verschiedenen Gedanken hervorgeht und so ist es möglich, daß aus diesem »Verkehren« verschiedenartige Subjekte geboren werden. Sind diese »Subjekte« aber nicht so undeutlich wie zuvor? Wo liegt der Unterschied zum alten Zustand? So einen »Verkehr« – gab es den nicht schon in der Vergangenheit? Existierte nicht sogar ein noch tieferer »Verkehr«? Oder war es früher einfach nur so, »daß die verschiedenen Gedanken eigentlich nur räumlich zusammen und gleichzeitig waren, ohne miteinander zu ›verkehren‹«? Was ist der positive Unterschied zum »revolutionären Verkehr« der sich einander fremden Gedanken, was macht dieser anders? Dies ist in keiner Weise geklärt. Zumindest ist es sowohl vom Begriff als auch von der Stimmung her klar, daß die Abhandlung Maruyamas keine »schonungslose«, kritische Auseinandersetzung im abendländischen Sinne ist. Letztlich entfernt sich die Kritik doch nicht von »dem Japanischen«, das von Maruyama selbst als Zielscheibe seiner Kritik gesetzt wurde. Vielmehr »den Raum«, 21 in dem die fremden Gedanken räumlich gleichzeitig leben, d. h. bleiben können, erneut produktiv zu überden19 20 21
Majiwari (交わり). Vgl. a. a. O. S. 74–77. Kûkan (空間), hier bedeutet das Wort soviel wie »Gedankenraum«.
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ken, und seine Logik zu finden, ist nicht eben das wirklich »revolutionär«? Denn dies bedeutet, den Grund des Faktums der japanischen Denkgeschichte zu verdeutlichen, und in dem bisher nur negativ Betrachteten erneut Positives zu sehen. Die Japaner haben über tausend Jahre lang trotz aller Rezeption der Gedanken und der Kultur das von Maruyama genannte »gemischte Zusammenleben« bewahrt. Das historische Faktum und der gedankliche Grund, der dieses ermöglichte, wird hier zur Frage. Japaner haben verschiedene Gedanken, die wahrscheinlich zur höchsten Klasse in der Kulturgeschichte der Welt gehören, übernehmen können. Dies muß genug geschätzt werden, da es keineswegs eine leichte Aufgabe ist. Obgleich Japaner für den jeweiligen Gedanken tiefes Verständnis zeigten, wurden sie vom jeweiligen Gedanken nicht eingefangen, sondern haben ihre Identität weiterhin erhalten. An dieser historischen Tatsache muß anerkannt werden, daß die Denkkraft der Japaner nicht nur Beweglichkeit, sondern auch Zähigkeit besitzt. Man könnte dies vielmehr eine unvergleichliche Eigentümlichkeit nennen. Allerdings um die Positivität anzuerkennen, sind andere Kategorien als die des europäischen Denkens nötig. Dafür ist es vor allem nötig zu wissen, daß die Kategorien des europäischen Denkens beschränkt sind, die die japanischen Gedanken nur als gemischtes Zusammenleben vieler Gedanken, als Kompromiß, Eklektizismus oder als Inkonsequenz begreifen können. Man muß das, was im europäischen Denken als etwas Negatives aufgefaßt wird, als etwas Positives sehen können und eben diese Denkweise muß als japanische Eigentümlichkeit bewußt werden. Dies folgt nicht aus der Spekulation, sondern aus nichts anderem als aus der Reflexion über die Wirklichkeit japanischen Lebens. Die gelebte Wirklichkeit im ganzen Bereich der japanischen Kultur, z. B. eine sehr alltägliche Vorschrift beim Teetrinken, ist gleichzeitig verbunden mit »dem Weg« der Kunst und der Religion. Alltäglichkeit und Religiosität, die sonst voneinander entfernt und entgegengesetzt sind, stehen miteinander in einem Kontinuum. Wegen dieses Kontinuums werden die Japaner oft kritisiert, daß ihr Religionsbewußtsein seicht sei. Das ist aber nur eine Seite. Eben dort, wo das Niedrigste und das Höchste zusammenfließen, muß die positive Eigenschaft dieses Bewußtseins erkannt werden. Was ist die Logik des japanischen Denkens, die eine derartige Denkweise ermöglicht?
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Mentalität und Logik der Japaner
V. Unsere Sprache wird den Zugang zu dieser Frage erleichtern. Im allgemeinen ist die Sprache nicht nur ein Ausdrucksmittel des Gedankens, sondern das die Gedanken bildende (B. Whorf). 22 Ohne Sprache könnte man nicht denken. Da die Sprache in sich selbst ein bestimmtes System der Weise zu denken enthält, entsprechen die Eigenschaften, die in der japanischen Grammatik zu finden sind, der Eigentümlichkeit der japanischen Denkweise. Man sagt, der Wortschatz des heutigen Japanischen bestehe zu über 60 Prozent aus Fremdwörtern. Diese Fremdwörter haben sich alle durch Nominalisierung eingebürgert, d. h. sie wurden nicht nur ausgeliehen oder benutzt. Durch diese Nominalisierung können die Fremdwörter in den Satzbau frei aufgenommen werden, und die grammatikalische Struktur wird so überhaupt nicht beeinflußt. Es ist wohl eine wirklich wesentliche Eigenschaft, daß das Subjekt hinsichtlich der Grammatik im Japanischen im Unterschied zu den europäischen Sprachen nicht unbedingt notwendig ist. Dies ist keine bloße Abkürzung aus Gründen der Bequemlichkeit. Vielmehr kann dies so interpretiert werden, daß die japanische Sprache kein Subjekt hat. Als ein amerikanischer Wissenschaftler mit äußerst guten Kenntnissen der japanischen Sprache eine philosophische Abhandlung von Hajime Tanabe – einem Philosophen, der in Japan als der logischste gilt – übersetzte, sagte er, daß er sich sehr bemüht habe, Subjekte zu entdecken. Es ist wohl fraglich, ob die japanischen Partikel »wa« und »ga« dem Subjekt im Sinne der europäischen Sprachen nachfolgen. Zumindest unterscheidet sich Japanisch in struktureller Hinsicht von den europäischen Sprachen, die das Subjekt als Gegenstand bestimmen und prädizieren. (Hier kann auf diese Probleme nicht eingegangen werden. Ich möchte die Aufmerksamkeit nur darauf lenken, daß man Japanisch nicht unlogisch zu finden braucht, bloß weil Japanisch mit der Grammatik der europäischen Sprachen nicht hinreichend erklärt werden kann.) Die gegenwärtige japanische Grammatik wurde am Maßstab der europäischen Grammatik gebildet, insofern wird das dem Japanischen Eigentümliche zu einer Ausnahme. Die Systematisierung der Regeln für das richtige Japanisch ist noch nicht vollendet. Die der japanischen Sprache beigelegte Logik zu erkennen, ist eine Aufgabe für die japanischen PhiBenjamin Lee Whorf (1897–1941), vgl. Language, Thought and Reality, Cambridge, Mass. 1956.
22
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II. Bildung der Schule
Toratarô Shimomura
losophen. Insofern diese Logik auf der Weise unserer eigenen Erfahrung und unseres eigenen Denkens beruht, muß man sich diesem Problem stellen. Daß die Philosophie Nishidas als originell empfunden wird, hängt faktisch mit diesem Problem zusammen. Allerdings setzt seine Philosophie die Denkweise der Japaner nicht voraus, sondern sie kam dadurch zustande, daß er das westliche Denken erforschte und so die Grenzen desselben durchbrach. Die Logik, die als »die Selbstbestimmung des absoluten Nichts« und »die Selbstbestimmung des Ortes« 23 formuliert wurde, entspricht der Logik der Denkweise, wie sie in der japanischen Sprache vorhanden ist, d. h. im Denken ohne Subjekt. Seine Philosophie ist praktisch eine logische Gestaltung der Denkweise, die unserem alltäglichen Leben zugrundeliegt. Aber unser Alltagsleben bleibt nicht nur bloß alltäglich; es verbindet sich gleichzeitig auch mit der Transzendenz. Es ist die Eigentümlichkeit der japanischen Denkweise, zu isolieren und gleichzeitig zu kontinuieren. Weil nur die Kontinuität einseitig gesehen wird, wird die genannte Denkweise als nur negativ, d. h. undifferenziert und als nicht unterscheidend verkannt. Das Erhabene wird herabgezogen zum Niedrigsten, aber die andere Seite, nämlich das Niedrige zum Erhabenen zu heben, wird vernachlässigt. Was in der Philosophie Nishidas als »Selbstidentität des absolut Widersprüchlichen«, »Selbstbestimmung des absoluten Nichts«, »Selbstbestimmung des Ortes« usw. formuliert wurde, sind Prinzipien eines grandiosen Philosophiesystems und gleichzeitig nichts anderes als die logische Formulierung unserer alltäglichen Denkweise, die kein Subjekt benötigt. Weil über dieses Problem noch nie konsequent nachgedacht wurde, verbrachte dieser Philosoph sein ganzes Leben damit. Die Schwierigkeit seiner Philosophie ist letztlich nichts anderes als die des Denkens der Japaner. »Der Spielraum«, 24 in dem alle fremden Gedanken gleichzeitig existieren können, hat weder seine festgelegte Form noch seinen festgelegten Inhalt, d. h. er kann dieses nicht haben. Eben darum kann dieser Spielraum oft verschiedene Formen und Inhalte aufnehmen. Gleichgültig welche Form er hat, er kann durch diese Form nicht beschränkt werden. (Dies ist der Grund dafür, daß das japanische Denken weder eine Koordinatenachse noch eine Struktur hat.) In philosophischer Terminologie wird dies »das absolute Nichts« oder »der Ort« genannt. Keines23 24
Vgl. den Nishida-Text »Selbstidentität und Kontinuität der Welt« in diesem Band. Vgl. Anm. 21.
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Mentalität und Logik der Japaner
wegs ist dies ein gegenständliches Subjekt. Das alltägliche japanische Denken, das kein Subjekt enthält, kann man schließlich als das Denken in einem solchen »Ort« bezeichnen.
VI. … Die gesamte moderne japanische Wissenschaft denkt – ihre Allgemeingültigkeit voraussetzend – in Übersetzungen der europäischen Begriffe. Allerdings bemerkt sie dabei nicht immer, daß es zwischen den beiden Denkweisen inkommensurabele Momente gibt. Die zuvor erwähnte Beschränkung des europäischen Denkens kann als ein solches inkommensurabeles Moment angesehen werden. Es ist deshalb unsere Aufgabe, eigene Kategorien des Denkens zu entwickeln und nicht anhand der schon vorliegenden Begriffe leichthin Analogien zu bilden. Dies ist für uns eine wesentlich schwierigere Aufgabe aufgrund unserer Denkweise, die im Gegensatz zum europäischen Denken, das alles zu logifizieren strebt, dazu neigt, dem sprachlich-begrifflichen Ausdruck gegenüber eine eher negative Haltung einzunehmen, und so die Tendenz hat, das sogenannte »Abschneiden des Sprach-Weges« 25 für das letzte Ideal zu halten. Es wird gefordert, dem Gedanken, der die Sprache zurückweist und keine Theorie zuläßt, eine Sprache zu geben und eine Logik zuzusprechen. Daß sich die Nishida-Philosophie um diese Aufgabe bemüht hat, dafür gebührt ihr Anerkennung. Nishida versucht die »Philosophie«, die im europäischen Sinne verneinende Philosophie, d. h. keine Philosophie ist, zur »Philosophie« zu machen. Dies ist das eigentlich radikale Problem. Die Japaner begegneten zu Beginn der Meiji-Zeit (1868–1912) zum erstenmal der europäischen »Philosophie«. Die aufklärerischen Philosophen der Meiji-Zeit bemerkten so in Absetzung zur westlichen Philosophie die Existenz einer »östlichen Philosophie«. Allerdings blieben sie bei ihren Untersuchungen dabei stehen, in Anlehnung an die Begriffe der westlichen Philosophie und durch Analogie zu diesen Begriffen das östliche Denken zu interpretieren. Da sie aber die ursprüngliche Eigentümlichkeit der beiden Denkweisen nicht erfassen konnten, mußten sie bei oberflächlichen Kompromissen bleiben. Dadurch, daß der ursprüngliche Unterschied zwischen Gongodôdan (言語道断), ein Ausdruck im Buddhismus, der auf das Letzte im Buddhismus hinweist, das durch die Sprache nicht erreicht werden kann.
25
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II. Bildung der Schule
Toratarô Shimomura
den beiden Denkweisen erfaßt wird, wird es erstmalig möglich, ein nicht-philosophisches Denken als »Philosophie« auszuarbeiten. Diese Arbeit ist Philosophie, und nicht mehr bloß »östliche Philosophie«. Hierfür ist Nishida ein typisches Beispiel. In der europäischen Philosophiegeschichte war es so, daß die griechische Philosophie das »Unendliche« nur als etwas Negatives verstehen konnte. Auf der Basis des Christentums konnte die abendländische Philosophie erstmalig das »Unendliche« positiv verstehen. Unser Gedanke des »Nichts« ist aber weder mit den Begriffen der griechischen Philosophie noch mit den Begriffen der westlichen Philosophie zu verstehen. Diesen Gedanken des Nichts als eine »Philosophie« auszuarbeiten, ist die Aufgabe der dritten Stufe der Philosophiegeschichte.
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8. Shigetaka Suzuki
Einleitung Beim Namen Suzuki denkt der Leser vielleicht sofort an Daisetsu T. Suzuki, den weltberühmten Zen-Gelehrten. Daisetsu T. Suzuki gehört aber nicht der Kyôto-Schule an, wie es des öfteren in der europäischen Literatur angenommen wurde. Zwischen Daisetsu T. Suzuki und Shigetaka Suzuki können keinerlei Verbindungen hergestellt werden. Shigetaka Suzuki ist kein Philosoph, sondern Historiker. Sein Forschungsgebiet ist nicht die Philosophiegeschichte, sondern die Geschichte als solche. Seine geschichtswissenschaftlichen Hauptleistungen sind »Untersuchung der feudalistischen Gesellschaft« und »Die Industrierevolution«. 1 Im ersten Buch untersucht er das feudalistische System im mittelalterlichen Europa, im zweiten thematisiert er die Industrierevolution als eine »noch nicht vollendete Revolution« und stellt auch einige Betrachtungen über das Wesen der Technik an. Angesichts dieses fast rein historisch orientierten Arbeitsgebietes mag es befremden, ihn zum Kreis der Kyôto-Schule als einer philosophischen Schule zu zählen. Es bedarf einer Rechtfertigung, warum sein Aufsatz »Ausblick auf die europäische Weltgeschichte« in diesen Band aufgenommen wurde. Ein Grundwort der Kyôto-Schule ist das absolute Nichts. Das diesem Grundwort zugeordnete andere Grundwort, ohne das das absolute Nichts ein esoterisches Prinzip bliebe, ist die »Welt« bzw. die »Weltgeschichte«. Bereits Nishidas und Tanabes Philosophie sind nicht nur als Religionsphilosophie, sondern auch, ja sogar in erster Linie, als Weltphilosophie zu verstehen. Die zweite Generation der Kyôto-Schule thematisiert »Welt« und »Weltgeschichte« noch ausdrücklicher. Das gesamte Denken der Kyôto-Schule ist daher auch von einem spezifisch 1
Hôkenshakai no kenkyû (封建社会の研究), 1948; Sangyô kakumei, Tôkyô 1950.
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geschichtsphilosophischen Gedanken geprägt. Es ist allerdings noch offen, ob sich dieser geschichtsphilosophische Gedanke auch vom Standpunkt eines Historikers aus rechtfertigen läßt. Im Vorwort zu seinem Buch »Ranke und die Historie der Weltgeschichte«, 2 dem der hier übersetzte Aufsatz entnommen ist, schreibt Suzuki, es gebe einen Unterschied zwischen der philosophisch aufgefaßten Geschichte und der Geschichte, wie sie sich von seinem Standpunkt aus darstellt. Suzuki ist sich seines Standpunktes als Historiker voll bewußt. Es kam daher auch zu einer Kontroverse zwischen ihm und Kôyama. Kurz nachdem Kôyama seine »Idee der Weltgeschichte« in der Zeitschrift »Shisô« dargelegt hatte, veröffentlichte Suzuki in der Zeitschrift »Risô« seinen Aufsatz »Die Wende der Gegenwart und das Problem der Weltgeschichte«. 3 In diesem Aufsatz kritisierte Suzuki die Position Kôyamas. Kôyama versuche mit seiner Konzeption der weltengeschichtlichen Welt die eindimensionale Weltgeschichtsauffassung Rankes zu durchbrechen und die Idee einer kulturtypischen, mehrdimensionalen Weltengeschichte zu entwickeln. Ein solches bloßes Nebeneinander kulturtypisch verschiedener Geschichten könne aber nie zu einer Weltgeschichte führen. Dazu müsse es »ein höheres Etwas, einen allgemeinen Zusammenhang« geben, und gerade dieses höhere Allgemeine mache das Wesentliche der Weltgeschichte aus. Das weltgeschichtliche Allgemeine beruhe nicht auf einer Identität aller Welten und Kulturen, sondern es sei diejenige Eindimensionalität, die die Differenzen und die Eigentümlichkeiten als seine eigenen Momente in sich selbst beinhaltet. Suzuki will Rankes weltgeschichtliche Auffassung nicht in eine Mehrdimensionalität, sondern auf eine Eindimensionalität hin überwinden, die in sich als das weltgeschichtliche Allgemeine die Differenzen und Widersprüche der verschiedenen Welten enthält. Ein weiterer Streitpunkt zwischen Suzuki und Kôyama betrifft die »europäische Weltgeschichte«. Kôyama versteht die europäische Weltgeschichte als eine spezielle, so wie es auch in China, Indien und Japan eine spezielle Weltgeschichte gab. Suzuki vertritt jedoch mit Ranke den Standpunkt, daß die bisherige Weltgeschichte im strengen Sinn nur eine europäische war. Nach Rankes Ansicht gibt es zwar auch außerhalb Ranke to sekaishigaku (ランケと世界史学), Tôkyô 1939, S. 1. Iwao Kôyama, Sekai-shi no rinen (世界史の理念), in: Shisô 215 (April 1930) S. 329– 348; ebd. 216 (Mai 1930) S. 531–582; Shigetaka Suzuki, Gendai no tenki to sekai-shi no mondai (現代の転機と世界史の問題), in: Risô 117 (Januar 1931) S. 29–43.
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Shigetaka Suzuki
Europas Kulturen und Geschichten, aber keine allgemeine Einheit im Sinne eines weltgeschichtlich Allgemeinen. Im Gegensatz zu Kôyama schließt sich Suzuki dieser Ansicht Rankes weitgehend an. Der dritte strittige Punkt ist die Frage nach der Art und Weise der Beschreibung der weltgeschichtlichen Welt. Von Kôyamas kulturtypischem Standpunkt aus kommt es auf die Erkenntnis der Mehrdimensionalität als solcher an. Der Geschichtswissenschaft geht es jedoch um den faktischen Prozeß zur weltgeschichtlichen Einheit und die Beschreibung dieses Prozesses. In den Augen Suzukis besteht dieser Prozeß darin, daß sich die europäische Welt über die ganze Erde ausbreitet und die nichteuropäische Welt europäisiert. Er vermißt die Berücksichtigung dieser faktischen Entwicklung in Kôyamas Kulturtypik, nach der die Weltgeschichte vom Stadium der speziellen Weltgeschichten unmittelbar zur universalen Weltengeschichte übergeht. Die Diskrepanzen zwischen Suzuki und Kôyama waren jedoch, wie man leicht einsehen kann, nicht unüberbrückbar. Beide waren sich über die Tatsache und die Bedeutung einer »Wende« des Zeitalters einig. Suzuki zeigte sich bald einverstanden mit den Entgegnungen Kôyamas, während Kôyama seinerseits gezwungen war, seinen Gedanken präziser zu fassen. So legte Kôyama seinen von Suzuki kritisierten Begriff der »speziellen Weltgeschichte« genauer dar. Er verdeutlichte, daß die spezielle Weltgeschichte als eine Staatsgeschichte sowohl im Hinblick auf die allgemeine Weltgeschichte als auch zugleich als eine eigene Weltgeschichte zu begreifen sei. Mit diesem Zugeständnis schlossen Kôyamas »Philosophie der Weltgeschichte« und Suzukis »Historie der Weltgeschichte« sozusagen Brüderschaft. In der darauffolgenden Zeit leiteten Kôyama und Suzuki zusammen mit Kôsaka und Nishitani die bekannten Symposien der Zeitschrift »Chuôkôron«, in denen sich das damalige Denken der Kyôto-Schule über die aktuelle Lage und die Notwendigkeit einer geschichtlichen Wende bildete und formulierte. Suzukis historische Betrachtungsweise und das geschichtsphilosophische Denken der Kyôto-Schule sind daher durch ihre Genese untrennbar miteinander verbunden. Nicht zufällig wird Suzuki daher als einer der »vier Vertreter« (d. h. der vier Teilnehmer an den oben genannten Symposien) betrachtet. In diesem Sammelband wurde Suzuki jedoch nicht wegen dieser äußerlichen Verbindung zur Kyôto-Schule, sondern wegen seiner dem Denken der Kyôto-Schule entsprechenden Grundansicht aufgenommen. Bei dem hier übersetzten Aufsatz »Ausblick auf die europäische 363 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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Weltgeschichte« handelt es sich um eine programmatische Schrift des jungen Suzuki. Mit dem Gedanken einer »europäischen Weltgeschichte« versucht er, Europa in der und als eine Weltgeschichte zu begreifen. In diesem Aufsatz steht allerdings nicht die damalige historische Situation im Vordergrund, sondern eine geschichtswissenschaftliche Einsicht. Dies ist schon daran zu sehen, daß Suzuki eine Neubearbeitung desselben Themas auch nach dem Krieg unter dem Titel »Die Entstehung Europas« 4 publizierte. Dort konzipiert er die »Historie der Weltgeschichte« als einen »Zwischenbereich zwischen der Geschichtswissenschaft als einer Einzelwissenschaft und der Geschichtsphilosophie«, die dem Allgemeinen den Vorrang gibt. Sein Konzept der Historie der Weltgeschichte, bestimmt von dem Versuch, im Einzelnen das Allgemeine der Weltgeschichte zu finden, ist im hier vorgelegten Text schon zu erblicken.
4
Yôroppa no seiritsu (ヨーロッパの成立), Tôkyô 1946.
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Ausblick über die europäische Weltgeschichte 1 (Übersetzt von Engelbert Jorißen)
I. Europa – was ist das denn eigentlich? Diese Frage stellen nicht nur wir Japaner uns, dies ist eine fundamentale Frage unserer Zeit, die auch die Europäer selbst beschäftigt. Warum aber müssen die Europäer, die heute auf eine dreitausendjährige Geschichte zurückblicken, eine solche Frage, wie sie es heute tun, verfolgen?! Dies zeigt ganz deutlich, daß der Begriff »Europa« selbst zur Zeit einem Veränderungsprozeß unterliegt. Folglich wird das Wort ›Europa‹ allmählich eine Bedeutung annehmen, die zumindest von der verschieden sein wird, die es heute besitzt. In der Vergangenheit war Europa gleichzeitig die Welt überhaupt. Diese Aussage bedeutet zweierlei: Das heißt erstens, Europa war ein isoliertes System und besaß eine Abgeschlossenheit in sich. So wie der Orient für sich ein isoliertes System darstellte, stellte der Okzident ebenso ein isoliertes System ohne Berührung mit dem Orient dar. Damit soll natürlich nicht die Tatsache, daß es geschichtlich zwischen dem Okzident und dem Orient Kontakte und Austausch und die Tatsache, daß es wechselseitige Beeinflussungen gegeben hat, bestritten werden; und genauso wenig soll hier behauptet werden, man dürfe diese Tatsachen vernachlässigen. Wir wollen hier lediglich der Gefahr entgehen, unbedeutendere Phänomene über eine gewisse Notwendigkeit hinaus in den Mittelpunkt zu rücken, wobei man dann, in der Vergangenheit ›kramend‹, die eigentlich wichtigen Erscheinungen aus dem Auge zu verlieren droht. Orient und Okzident waren beide ihre eigene selbständige Welt und zwar unabhängig davon, ob oder ob sie nicht miteinander Yôroppa-teki sekaishi e no tembô (彐一口 ッパ的世界史への展望), in: Ranke und die Historie der Weltgeschichte (ランケと世界史学, Ranke to sekaishigaku), Tôkyô 1939, S. 137–170.
1
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in Berührung kamen; denn zweifellos waren beide in ihrem gesellschaftlichen System und in ihrer kulturellen Wirklichkeit voneinander verschieden. Eine aus der Einheit von Okzident und Orient konstruierte höhere Welt gab es in der Vergangenheit nicht. Mit dieser gerade gemachten Einschränkung also stellte Europa ein isoliertes System dar, war Europa eine Welt. Und als solche stand Europa als Welt der übrigen Welt gegenüber. Ein solches Europa finden wir in der heutigen Welt allerdings nicht mehr. Europa kann für sich nicht existieren. Dafür ist beispielsweise das heutige »Staatensystem« ein Beweis; wird doch das europäische Gleichgewicht dadurch gehalten, daß es etwa Amerika oder Japan zu ›Stützpunkten‹ hat. Europa als die Welt überhaupt, das heißt zweitens, in der Vergangenheit umfaßte Europa auch, was »Nicht-Europa« war. Europa beherrschte Nicht-Europa. Was das Verhältnis von Okzident und Orient im 19. Jahrhundert angeht, so gab es keinen Austausch. Zwar gab es eine Verbindung. Diese allerdings entstand nicht systematisch aus dem Gegenüber von beiden Seiten als eine neue Ordnung, sondern war nichts anderes als eine Ausdehnung der europäischen Ordnung nach Asien hin. Dies stellte nichts anderes dar als die Expansion des modernen Europa, als eine Stufe in dem weltweiten Prozeß einer Europäisierung, welche mit der Entdeckung Amerikas begann. So verstanden war das moderne Europa »mehr als Europa«; es war die Welt. Also war Europa die Welt, welche die übrigen Welten »umfaßte«; als solches war es nicht eine Welt, sondern war die ganze Welt. In unserer heutigen Zeit aber geht ein solcher Gültigkeitsanspruch verloren. Vor unseren Augen können wir eine Entwicklung Wirklichkeit werden sehen, die zeigt, daß die europäische Ordnung schon nicht mehr den Anspruch einer weltweit gültigen erheben kann. Unseren hier gemachten Ausführungen folgend steht »Europa« in der heutigen Zeit in doppelter Bedeutung nicht länger als Synonym für die Welt. Europa ist in Unruhe geraten und steht heute der von ihm selbst hervorgebrachten Zivilisation skeptisch gegenüber, hat angesichts der eigenen Geschichte kein Selbstvertrauen; eben deshalb ist der Begriff ›Europa‹ selbst zur Zeit grundsätzlich in ein Schwanken geraten. Hinterfragt man die zu beobachtende Zivilisationskritik, die Überlegungen zur Geschichte und die Problematisierung Europas, so sind diese letzten Endes Ausdruck einer qualvollen Unruhe der Veränderung. Bevor wir uns aber die Frage stellen, ob das, was wir in der Zukunft in Europa (von 366 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
Ausblick über die europäische Weltgeschichte
Europa) zu erwarten haben, Hoffnungslosigkeit, Heilung oder Neuaufbau sein wird, ist es wohl notwendig, darüber nachzudenken, was denn Europa eigentlich ist. Europa ist keine geographische, sondern eine geschichtliche Idee. Betrachtete man es einfach geographisch, so wäre es vielleicht erlaubt zu behaupten, Europa sei im Grunde nicht mehr als ein Teil des asiatischen Kontinents. Die Ausdehnung dieses ›Teiles‹ umfaßt nicht mehr als etwa die Fläche Kanadas. Aber was wir hier geographisch als Europa beschreiben, stimmt sicher nicht mit der Vorstellung, die wir von Europa haben, überein. Innerhalb der Grenzen, die geographisch betrachtet Europa umfassen, stoßen wir auf im eigentlichen Sinne nicht zu Europa Gehörendes; so gehören beispielsweise Ungarn und Finnland ethnologisch nicht zu Europa, und auch, ob Rußland letztlich zu Europa oder zu Asien gehört, ist sicher nicht leicht zu beantworten; und das ›Rätsel‹ Rußland, das muß gesagt werden, gehört auch zu unserer Frage. Weiterhin sind auch die von dem alten türkischen Reich regierten Balkanländer ihrer Religion und Kultur nach verschieden von dem Europa, an welches wir gewöhnlich denken, wenn wir von Europa sprechen; man kann bei diesen Ländern beinahe schon vom »Nahen Osten« sprechen. Innerhalb der Welt, die wir uns gewöhnlich als europäische vorstellen, sind also viele Elemente enthalten, die streng genommen gar nicht europäisch sind. Europa ist kein mit Sicherheit fest zu umreißendes Gebiet, und was westlich des Ural und westlich des Kaukasus liegt, gehört nicht unbedingt zu Europa. Es gibt eine bestimmte Tradition von einem »Europa, das europäisch ist«; diese Tradition ist aber ausschließlich in einer ihr selbst zugrundeliegenden, geistbestimmten Haltung begründet. Der Engländer McEachran formuliert das in seinem Buch »The Destiny of Europe« überaus kurz und treffend, indem er schreibt: »Europe is not so much a piece of land … but an idea«; es gibt also kein geographisch zu verstehendes Europa, es gibt nur ein historisch zu verstehendes Europa. Aber auch das historisch zu verstehende Europa ist mit Sicherheit keine Identität ohne Wandlungen. Wir haben die schlechte Gewohnheit, im Hinblick auf einen Teil der europäischen Geschichte – vor allem was die Geschichte des modernen Europas angeht – an ganz Europa zu denken. Ist nach solcher Überlegung dann nun die Klemme, in der sich Europa heute befindet, eine Klemme für ein »Europa an sich« oder nicht mehr als eine Klemme für das »moderne Europa von heute«? Man kann nicht umhin, diese Frage als ein großes die Zukunft der ganzen Welt an367 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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gehendes Problem zu betrachten. Es gilt also ganz klar zu erkennen, daß das moderne Europa nicht das ganze ›Europa‹ darstellt, und daß es auch noch eine ganz andere Daseinsform von Europa geben kann. Die Neuzeit ist nicht immer die uns unbedingt am nächsten stehende, die uns vertrauteste Epoche, es ist eher eine Zeit, in der wir eine Bilanz ziehen müssen. Europa ist ein »Begriff«, der seine Bedeutung zusammen mit den Epochen ständig verändert. ›Europa‹ befindet sich fortwährend im »Werden«. Diese Tatsache müssen wir als allererste zur Kenntnis nehmen. Auf der anderen Seite müssen wir aber zugleich zur Kenntnis nehmen, daß es trotz dieses kontinuierlichen Wandlungsprozesses stets ›Europa‹ gegeben hat. Die Aussage, daß Europa immer ›Europa‹ gewesen ist, besitzt allerdings eine andere Bedeutung als die, daß China immer ›China‹ gewesen ist. In einer fixierten Welt des Orients finden wir ein China ohne Veränderungen, das die Identität ohne Entwicklung hatte. Demgegenüber hat Europa ununterbrochen sein eigenes Selbst erneuert, hat seine Ordnung und Struktur reformiert, hat die »Qualität« seiner Zivilisation verändert und hat dennoch denselben Geist, der alle Veränderungen durchzieht. Wir wollen in dem folgenden geschichtlichen »Ausblick« – wenn auch auf eine sicherlich nicht letztlich befriedigende Weise – zu erkennen suchen, wie sehr denn das, was wir ›Europa‹ nennen, seine ›Bedeutung‹ verändert hat, wie Europa trotz solcher Veränderungen dennoch stets ›Europa‹ gewesen ist und wie es (sc. Europa) schließlich den alle Veränderungen durchziehenden selben Geist besessen hat.
II. Fragen wir uns zunächst, wo nahm Europa geschichtlich seinen Ausgangspunkt, und was liegt diesem Ausgangspunkt eigentlich zugrunde? Wie jeder gebildete Mensch weiß, beginnt die europäische Geistesgeschichte mit der Zivilisation des klassischen Griechenlands; als Europa dann die Krise des Zusammenbruchs der klassischen Kultur erlebte, wurde das Christentum zu seinem zweiten Ausgangspunkt. Jene klassische Zeit und das Christentum, also der Hellenismus und das Hebräertum, sieht man seit Arnold für die beiden der europäischen Zivilisation zugrundeliegenden Hauptströmungen an. Gehen wir von einer historischen Betrachtungsweise aus, so ist eine solche verbreitete Anschauung natürlich nicht falsch. Das griechische Denken ist nicht ein368 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
Ausblick über die europäische Weltgeschichte
fach nur als das der Griechen zu verstehen, sondern ist als ein allgemeines europäisches aufzufassen; das Christentum ist nicht einfach nur eine Religion, sondern begegnet uns als christliche Zivilisation, dies gilt es für uns immer im Auge zu behalten. Kam es innerhalb der europäischen Geschichte zu geistigen Erneuerungen, so kehrte man immer wieder zu diesen beiden Ausgangspunkten zurück. Die Renaissance ist ein Wiederkehren der klassischen Antike, die Reformation ein Wiederkehren zum ursprünglichen Christentum. Die Tatsache, daß Europa Erneuerungen seiner selbst stets vermittels einer Rückkehr zu seiner ›europäischen‹ geistigen Basis vollzogen hat, kann nur als Zeugnis dafür gesehen werden, wie sehr und wie tief diese beiden Denkweisen der europäischen Zivilisation zur Grundlage geworden sind. Sie waren nicht einfach nur Ausgangspunkt für die europäische Zivilisation, sondern wurden ihr wiederholt zum Ausgangspunkt und boten ihr das Moment zur Entwicklung. Wie wir schon andeuteten, besitzen die alte und die moderne Welt zwei vollkommen voneinander verschiedene Ordnungen, wir stehen vor zwei unterschiedlichen Weltsystemen. Nichtsdestoweniger sind diese beiden voneinander verschiedenen Welten ein Europa, weil ein Geist beide durchdringt. Das moderne Europa trägt das Erbe Griechenlands; dies ist aber etwas ganz anderes, als wenn beispielsweise Japan europäische Zivilisation übernimmt. Griechisches ist für die Europäer keine importierte, keine von draußen kommende Zivilisation, sondern ist ihre eigene Zivilisation; Griechisches ist auch für die Europäer keine in einer bestimmten Epoche eingeflossene Zivilisation, sondern wir finden es in Europa zu jeder Zeit als ihm fest zugehörige Grundlage. Man neigt bisweilen zu der Ansicht, das Mittelalter sei eine von der Antike isolierte Epoche gewesen, dies ist jedoch ein schwerer Irrtum. Auch während des Mittelalters war die Antike ständig anwesend. Ihre Anwesenheit wurde lediglich von der früheren und der modernen Zeit anders realisiert. Das heißt, nur die Einstellung des Menschen der jeweiligen Epoche gegenüber der klassischen Antike war unterschiedlich. Die Renaissance war nicht so sehr eine Wiederbelebung als vielmehr eine Wiedererkenntnis der klassischen Antike. Das Neue in/an der Renaissance war nicht die Anwesenheit der Antike, sondern war die Einstellung des Menschen zu ihr. Auch wenn die Einstellung des Menschen sich gegenüber der klassischen Antike und dem Christentum von Epoche zu Epoche unterscheidet, so war ihre Anwesenheit in der europäischen Zivilisation doch nie unterbrochen. Und hier handelt es sich nicht bloß um den Geist eines Landes oder eines 369 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
II. Bildung der Schule
Shigetaka Suzuki
Volkes, sondern um den Geist der Europäer. Europa hat selbst in Zeiten, in denen sich große ethnische Unterschiede bemerkbar machten, aufgrund einer solchen geistigen Basis seine Einheit und Kontinuität bewahrt. An der Richtigkeit der verbreiteten Ansicht, daß Europa seinen Beginn in Griechenland nimmt, ist also nach dem, was wir hier dargestellt haben, nicht zu rütteln. Geht man allerdings weiter, so ist es nicht möglich, den Begriff ›Europa‹, wie wir ihn in klassischer Zeit finden, als schon in voller Schärfe festumrissen anzunehmen. Die Welt der antiken Kultur, die um das Mittelmeer herum entstand, setzte sich u. a. zusammen aus den Zivilisationen, die an den Ufern des Nils, im westasiatischen Zweistromland, in Kleinasien, im Griechenland vor den Griechen und im klassischen Griechenland bestanden. In jener Zeit ist es nicht möglich, Westen und Osten, Europäisches und Asiatisches aufgrund prinzipieller Verschiedenheiten und einem sich Gegenüberstehen beider Seiten voneinander zu trennen. Vielmehr haben wir es hier mit einer einzigartigen Welt zu tun, die zugleich Europa und Asien umfaßte. Eduard Meier spricht angesichts jener antiken Welt von einer Welt, die mit einem besonderen Namen »Mittelmeerwelt« benannt werden muß. Und diese Welt ist als System eine andere Welt als die europäische Welt, das Abendland, welche(s) wir im Mittelalter und in der Neuzeit kennen. Ihr Merkmal ist die Ununterschiedenheit von Europa und Asien. Freilich zeigten sich auch in der Antike Krisen der Trennung von Westen und Osten. Eine solcher Krisen sind z. B. die Persischen Kriege; sie sind nicht nur einfach eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen Griechenland und Persien, sie besitzen eine weitreichendere Bedeutung des Zusammenstoßes von Westen und Osten. Der Sieg Griechenlands in diesen Kriegen bedeutet eine Loslösung Europas von Asien. Es ist mit Sicherheit kein Zufall, daß das Perikleische Zeitalter, von welchem wir in der Kulturgeschichte sprechen, das heißt die Entstehungszeit der antiken Zivilisation, gerade in jene Epoche fällt. Die Ausbildung des Bürgerstaats, welcher zum europäischen politischen Grundmuster gegenüber dem östlichen Despotismus wurde, geschieht in jener Epoche. Die Geburt der schönen Künste und der Tragödie, die für die europäischen Künste zu stilistischen Typen wurden, gehört ebenfalls in diese Zeit. Im Verlauf der Kämpfe Europas gegen Asien also intensivierte sich das europäische Selbstbewußtsein, formierte sich seine geistige Basis. 370 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
Ausblick über die europäische Weltgeschichte
In der zweiten Etappe der griechischen Geschichte, deren Verlauf in die Zeit der Perserkriege fällt, das heißt im Alexanderreich oder in der hellenistischen Zivilisation, die sich in diesem herausbildete, finden wir allerdings wiederum eine Tendenz, die der gerade dargestellten Richtung entgegenläuft. Denn im Alexanderreich war man bestrebt, ethnische Grenzen zu überschreiten, kulturelle Unterschiede und geographische Trennungen zu überwinden, um so die ganze Welt unter eine Herrschaft zu stellen. Folglich ist eine Art die Völkergrenzen übergreifender ›Kosmopolitismus‹ eines der das Alexanderreich beherrschenden Prinzipien; die Vereinigung griechischer und nichtgriechischer Völker und Kulturen bildete eines der Ideale jener Verwaltung der Welt. Freilich stellt das Alexanderreich nicht den Versuch der Herausbildung einer ›dritten Welt‹ durch die Verschmelzung der östlichen und der westlichen dar; vielmehr muß man hier das Bestreben der Ausbreitung einer griechischen Welt erkennen. Immerhin bedeutet aber dieses das neue Griechenland durchdringende ›neue‹ Prinzip eine Art gleichzeitiger Umfassung von Westen und Osten, es ist tatsächlich eine Aufhebung des Gegeneinanderstehens beider Seiten. Mit anderen Worten, das Alexanderreich und seine Zivilisation besitzt einen Charakter, in dem sich ein Bestreben in Richtung auf die Auflösung der Trennung zwischen Westen und Osten zeigt. Ein solcher kosmopolitischer Charakter läßt sich in der (erstrebten) Weltherrschaft des römischen Imperiums noch klarer erkennen. Wollen wir die Besonderheit des römischen Imperiums verstehen, so dürfen wir nicht den Begriff des modernen Staates auf dasselbe anwenden. Das römische Imperium stellte gewissermaßen einen Staat ohne Grenzen dar. Rom war gleich Welt, und die Welt wiederum war gleich Rom. Und so spricht man hier besser nicht so sehr von einem Staat als von einer überstaatlichten Welt. Diese Welt, für die das Mittelmeer (gewissermaßen) zum See wurde, umfaßte Europa, Afrika und Asien: es läßt sich nicht bestreiten, daß dieser Weltstaat also gleichzeitig Westen und Osten umschloß. Während aber Alexander die griechische Zivilisation hauptsächlich in der Richtung nach Osten verbreitete, entwickelte Rom seine Zivilisation im Wesentlichen nach Westen. Die Erscheinung einer solchen »Ausrichtung nach Westen« in der römischen Geschichte markiert, wie Ranke betont, ein neues Stadium im Entstehungsprozeß Europas. Dies erklärt auch, warum wir heute die Formierung des historischen Europas nicht getrennt von dem Auftreten Roms denken können. Rom stellt sich als ein verbindender Mittler dar zwischen der anti371 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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Shigetaka Suzuki
ken Mittelmeerwelt und der modernen westeuropäischen Welt. In der römischen Zeit ist Europa allerdings noch nicht von Asien getrennt. Beim Alexanderreich wie beim römischen Reich, also allgemein gesprochen bei den antiken Reichen, handelt es sich um Weltstaaten, die zur gleichen Zeit Europa und Asien in sich einschließen; die eigenartige Ordnung der antiken Mittelmeerwelt, in deren Struktur beide (d. h. Europa und Asien) sich noch nicht voneinander gelöst haben, muß man von der mittelalterlichen und modernen »europäischen Welt« trennen. Die Antike ist nicht als eine (bloße) Vorstufe für das Mittelalter und die Neuzeit zu verstehen, sie besitzt in sich selbst eine Vollendung und besitzt so verstanden als ein Geschichtsstadium eigener Art eine von den nachfolgenden Epochen gesonderte selbständige Bedeutung.
III. Kann man also einerseits von der Ununterschiedenheit von Europa und Asien als einem besonderen Merkmal der Geschichte des Altertums sprechen, so läßt sich auf der anderen Seite für die Geschichte des Mittelalters als besonderes Merkmal das voneinander Getrenntsein Europas und Asiens festhalten. Mit dem Niedergang des römischen Weltreiches wurde der in diesem eingeschlossene asiatische Teil von dem Geschehen auf der Bühne der europäischen Geschichte, d. h. von der sogenannten römisch-germanischen Welt für einmal abgeschnitten. Auch nach dem Versinken des römischen Reiches in Europa bestand allerdings mit der östlichen Hauptstadt Konstantinopel das oströmische Reich oder, wie man es auch nennt, das byzantinische Reich weiter fort. Dieses führte aber nicht so sehr die römische als vielmehr die hellenistisch griechische Tradition weiter; seine Geschichte ist seit dem Mittelalter eine von der europäischen Geschichte unabhängige und anders verlaufende. Der Charakter seiner Zivilisation ist, so ist weiter zu erklären, mehr noch orientalisch als griechisch, unter seiner Herrschaft standen die unzähligen und verschiedenen asiatischen Völkerstämme Kleinasiens. Auf diese Weise mußte der mit seinen Völkern, seiner Kultur und seiner Religion so charakteristische Begriff des »Nahen Ostens« sich wohl notwendig ausbilden. Auch heute noch besitzen – so wie wir oben andeuteten – die verschiedenen byzantinischen Völker und Länder, nämlich die Slaven Rußlands und des Balkans und die Türkei, wenn 372 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
Ausblick über die europäische Weltgeschichte
man es genau beobachtet, einen von den Europäern und Europa etwas verschiedenen Charakter. Mit dem Verschwinden der »Mittelmeerwelt« ist der »Nahe Osten« auf klar zu erkennende Weise nicht (mehr) Europa. Hinter der Frage, in welcher Zeit etwa die »Mittelmeerwelt« zu Ende ging, stehen verschiedene Probleme, die wissenschaftlich untersucht werden müssen; kein Zweifel besteht allerdings darüber, daß der Germaneneinfall nicht die Ursache für dessen Untergang war. In neuerer Zeit haben Henri Pirenne und andere Gelehrte bekräftigt, daß auch unter dem Aspekt der Wirtschaftsgeschichte betrachtet, die Ost-WestKontakte etwa bis zum achten Jahrhundert über das Mittelmeer hin ununterbrochen weiter fortbestanden. Dieser Ansicht zufolge müssen wir im achten Jahrhundert eine Trennung der Weltgeschichte konstatieren. Die Spaltung von römischer und byzantinischer Kirche, die vom Ikonoklasmus des achten Jahrhunderts motiviert wurde, bedeutete gleichsam die geistige Spaltung der beiden Welten des Ostens und des Westens. Insbesondere da Asien, infolge des plötzlichen Aufstiegs zur Macht des mohammedanischen Reiches, unter die Herrschaft der Sarazenen geriet, und sich in der Folge das christliche Europa und das mohammedanische Asien als unversöhnliche Welten gegenüberstanden, fand damals eine eindeutige Trennung statt. Allerdings begann Asien sich nun unter den Sarazenen erneut auszudehnen, die Sarazenen drangen im achten Jahrhundert über Afrika in Europa ein; und so wiederholte sich in der Weltgeschichte, daß der Westen und der Osten, wie es in der Antike während der Perserkriege geschehen war, sich in einem krisenhaften Aufeinandertreffen begegneten. Man darf wohl sagen, daß die Spaltung von Westen und Osten infolge der im achten Jahrhundert erfolgten Abwehr des Sarazeneneinfalls nun endgültig besiegelt war. Nach dem achten Jahrhundert ist das Mittelmeer für Europa kein See mehr, sondern ein Graben, der es isoliert. Auf der iberischen Halbinsel etablierte sich nichtsdestoweniger ein sarazenisches Königreich (Kalifat) – das heißt, daß auch die iberische Halbinsel während des Mittelalters nicht ›Europa‹ war. Das Mittelalter schuf auf diese Weise ein abgeschlossenes Europa; Europa besaß im Mittelalter den Charakter einer geschlossenen und eingegrenzten Regionalität; seine Kultur besaß im Gegensatz zu der antiken Meereskultur den Charakter einer Binnenlandskultur. Was hier geschieht, wird man wohl eine Schrumpfung und Regression der Weltgeschichte nennen müssen; wir dürfen allerdings nicht vergessen, daß 373 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
II. Bildung der Schule
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diese Epoche für den Bildungsprozeß Europas eine sehr tiefreichende Bedeutung besitzt. Auf gewisse Weise ist die Weltgeschichte während des Mittelalters noch europäischer, als sie es im Altertum war. Das Europa in der Vorstellung, die wir davon haben, beginnt sich in der Tat im Mittelalter zu formieren. Das Mittelalter läßt also ein ›abgeschlossenes‹ Europa entstehen, wir müssen aber unsere Aufmerksamkeit darauf richten, daß in der europäischen Geschichte etwa mit dem 12.–13. Jahrhundert eine ganz neue Phase beginnt. Nach der »drei Phasen-Einteilung der Weltgeschichte« läßt man das Jahrtausend zwischen dem Fall Roms und der Entdeckung Amerikas als eine Epoche gelten. Daß wir das Mittelalter als eine Epoche denken, ist allerdings nicht korrekt, das Mittelalter umfaßt vielmehr verschiedene Epochen. Ferdinand Lot schreibt dazu: »Il n’y a pas un moyen age, mais il y a des ages moyens.« Das Mittelalter weist also eine Struktur auf, die aus vielen Einzelepochen entsteht, in ihr gilt es verschiedene Phasen zu unterscheiden. In ihr besitzen allerdings insbesondere das 12. und 13. Jahrhundert die Bedeutung eines entscheidenden Wendepunkts. So wie man dazu neigt, das Mittelalter als eine Epoche zu denken, so stellt man sich demgegenüber auch die Neuzeit als eine Epoche vor. Aber auch die Neuzeit setzt sich aus verschiedenen Phasen zusammen. Besonders eine Anschauung, die auf überbetonende Weise in der Renaissance und in der Reformation eine Wende zur Moderne sieht, gilt es gründlich zu überdenken. Das 15. und 16. Jahrhundert rechnen wir gewöhnlich zur Neuzeit, wir müssen uns aber bewußt werden, daß es sich hier um eine Phase handelt, in der Mittelalter und Neuzeit zugleich anwesend sind. Auf gleiche Weise ist etwa auch das, was wir einen modernen Staat nennen, nämlich das Frankreich vor der Revolution, das Ancien Regime, aufgrund in ihm existierender »Privilegien« ein in seiner Struktur nicht einheitlicher Staat. Privilegien, das sind »Veräußerungen« (Zessionen) der (Staats)Souveränität, und das ist nichts anderes, als daß Autorität, die nur der Staat besitzen sollte, im Besitz eines Einzelnen ist, daß ein Einzelner Rechte besitzt, die er eigentlich nicht besitzen sollte; mit anderen Worten gesagt, bedeutet das nichts anderes als das Weiterleben des Feudalismus im modernen Staat. Dies bedeutet weiterhin, daß das Ancien Regime seiner Struktur nach eine Phase war, in der Feudalismus und Modernität nebeneinander lebten, und das Problem, nach dessen Lösung dann in der Französischen Revolution gesucht werden mußte, liegt (eigentlich) hier. Auf ähnliche Weise denkt man sich auch die Re374 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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naissance als die unmittelbare Geburtsstunde des modernen Geistes. Folgt man jedoch der Darstellung von Huizinga (vgl. »Wege der Kulturgeschichte«) und anderen modernen Renaissanceforschern, so besitzt die Renaissance gleichzeitig Elemente der Neuzeit wie des Mittelalters. Die Renaissance bedingungslos der Neuzeit zuzurechnen, das ist vorwissenschaftlicher Dogmatismus, wissenschaftlich ist es für die Renaissanceforschung heute vielmehr angebracht, die Renaissance als eine Phase der gleichzeitigen Existenz von Mittelalter und Moderne anzusehen. Demzufolge ist also die europäische Gesellschaft oder Zivilisation in den fünf Jahrhunderten zwischen dreizehntem und achtzehntem Jahrhundert im Wesentlichen von einer Art gemeinsamen Wesens. Einer solchen Anschauung folgend sollte man nun dem dreizehnten Jahrhundert nicht nur für das Mittelalter, sondern allgemeiner innerhalb des europäischen Entwicklungsprozesses die Bedeutung eines entscheidenden Wendepunktes zumessen. Die herkömmliche ›drei PhasenEinteilung der Weltgeschichte‹ gilt es auch in diesem Punkt grundsätzlich in Frage zu stellen. Unsere Aufmerksamkeit ist aber an dieser Stelle auf das folgende zu richten: das Phänomen des hier angesprochenen gesellschaftlichen und geistigen Wendepunktes in Europa steht in einem Zusammenhang mit der etwa zu dieser Zeit beginnenden neuen Tendenz europäischer Expansion. In dieser Zeit etwa läßt sich eine entscheidende Veränderung von einem abgeschlossenen zu einem offenen Europa, von einem passiven zu einem aktiven Europa und schließlich von einem auf sich zurückbeziehenden zu einem expandierenden Europa beoachten; dieser Prozeß steht wiederum in Verbindung mit einer Veränderung der Gesellschaftsstruktur, das heißt mit einem Ende des Feudalismus, mit dem Aufkommen der Städte und mit der Entwicklung des Kapitalismus, und er steht weiterhin in einem Zusammenhang mit einem Wendepunkt des Geistes.
IV. Die hier angesprochene Tendenz europäischer Expansion läßt sich an ganz unterschiedlichen Erscheinungen beobachten wie z. B. an der Kolonisationsarbeit des deutschen Volksstammes der Preußen im 13. Jahrhundert, an dem Zurückdrängen der Sarazenen durch das Königreich der Normannen in Italien oder an der wiederum auf der iberischen Halbinsel sich ereignenden Vertreibung der Sarazenen und des dortigen 375 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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plötzlichen Aufstiegs zur Macht eines christlichen Staates. Als ein viel weitreichendere Auswirkungen tragendes weltgeschichtliches Ereignis (als diese) müssen hier aber die Kreuzzüge genannt werden. Es ist uns selbstverständlich bewußt, daß den Kreuzzügen ein Netz der verschiedensten verursachenden Elemente zugrunde liegt, grundsätzlich aber handelte es sich hier um eine (die) Expansion Europas gegenüber dem, was ›nichteuropäisch‹ war. Nach den Kreuzzügen zeigte sich dieses europäische Sich-Ausdehnen dann in noch deutlicher wahrzunehmender Gestalt in der Entdeckung des amerikanischen Kontinents. Diese Entdeckung wiederum nun war sicherlich kein bloß zufälliges Phänomen. Sie gehörte zu einer jene Zeit omnipräsent durchziehenden Tendenz. Auch die Entdeckung des Kolumbus besitzt eine schon etwas mehr als ein halbes Jahrhundert zuvor beginnende Vorgeschichte. Beginnend mit den Entdeckungen der im Atlantik liegenden Inseln und der Erkundung der westafrikanischen Küste unter dem Infanten Heinrich dem Seefahrer bis zu der Entdeckung des Kaps der Guten Hoffnung, des amerikanischen Festlandes und des Seewegs nach Indien: diese Kette von Ereignissen fassen die Historiker unter dem einen Begriff »Entdeckungen« zusammen. Als Motiv aller dieser Ideen, angefangen beim Traum von einem Eldorado und bei der vom Kreuzzugsgedanken getragenen Legende von der Existenz eines außerhalb Europas gelegenen christlichen Reiches, bis hin zu dem klaren Zielbewußtsein, Indien erreichen zu wollen, liegt auf irgendeine Weise unverändert die Expansion Europas zugrunde. Namentlich die Entdeckung des Kolumbus hält man gemeinhin für die Entdeckung der »Neuen Welt«, ja, man neigt bisweilen dazu, diese Entdeckung als einen Neubeginn in der Weltgeschichte mißzuverstehen. Freilich muß man die Entdeckung des Kolumbus von den vom Kreuzzugsgedanken getragenen religiös motivierten und von den von vagen utopischen Legenden genährten Unternehmungen trennen. Kolumbus besaß das definierte Ziel, eine Passage nach Indien zu finden, er war wissenschaftlich davon überzeugt, daß die Erde rund ist, und seine Fahrt wurde mit der rationalen Überzeugung unternommen, daß die Reise mit dem Kompaß gerade nach Westen hin, der kürzeste Weg nach Indien ist – damit muß man wohl seine Entdekkung zu Recht als eine von der Einstellung einer neuen Zeit getragene Unternehmung von den verschiedenen vorhergehenden Entdeckungen trennen. Was aber waren die Folgen, die seine Entdeckung brachte? Außer der, daß sie die Vorstellung der Europäer von der Welt veränderte – was sicherlich kein geringes Ergebnis war – trug sie kaum weitere 376 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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unmittelbare Folgen. Zwar war ein Ergebnis (eben dieser Entdeckung), daß der reiche Fluß von Gold und Silber und die Veränderung der Seerouten nach einiger Zeit – und zwar nach etwas mehr als einem halben Jahrhundert – schließlich auf das europäische Wirtschaftsleben einen entscheidenden Einfluß nahmen, aber es kam, um es mit einem Wort zu sagen, in keiner Weise zu einer durch die Entdeckung des neuen Kontinents bedingten bis hin zum Kern der europäischen Zivilisation reichenden Veränderung. Daß Amerika so wie Asien für Europa so etwas wie die Bedeutung einer neuen Welt bekam, das wurde eigentlich erst vor relativ kurzer Zeit zur Tatsache, bis dahin existierten sowohl Amerika wie auch Asien nur als eine Art Erweiterung Europas. Aus diesem Grunde besitzt die Entdeckung des Kolumbus als »Entdeckung« nicht die Bedeutung des Erscheinens einer Neuen Welt und ist nicht mehr als eine auf Expansion gerichtete Bewegung der Alten Welt. Betrachtet man jene Entdeckung also von ihren Ergebnissen her, so war dies eher eine geographische Entdeckung und keine geschichtliche. Sie besitzt nicht die Bedeutung eines Neubeginns der Geschichte, der der bisherigen (alten) Geschichte ein Ende setzen würde, man muß hier lediglich von einer räumlichen Erweiterung der ›geschichtlichen alten Welt‹, nämlich Europas, sprechen. Die Tatsache dieser räumlichen Ausdehnung Europas selbst war aber sicherlich nicht von geringzuschätzender Bedeutung. Denn das, was wir als einen wesentlichen Charakterzug der modernen Geschichte kennen, nämlich die Beherrschung der nichteuropäischen Welt durch Europa und die Europäisierung der Welt, nahm hier seinen Ausgang. Spricht man von einer Schrumpfung und Regression Europas in der Geschichte des Mittelalters, so läßt sich im Gegensatz dazu von der Ausdehnung und Vorwärtsbewegung Europas in der modernen Geschichte sprechen. Von einer bestimmten Seite her betrachtet, zeigt der Entwicklungsprozeß der modernen Geschichte nichts anderes als verschiedene Stufen der Beherrschung der nichteuropäischen Welt durch Europa. Zum Antagonismus der Großmächte im 17. und 18. Jahrhundert gehören nicht nur die innerhalb der Grenzen Europas ausgetragenen Kontroversen, wir dürfen nicht vergessen, daß zu ihm auch der Kampf um die Kolonialgebiete gehört, und daß er von einem Wechsel der jeweils führenden Seemächte begleitet war. Die Entdeckungen veränderten die (bisherigen) Verkehrsrouten. Die Verbindungslinie zwischen Osten und Westen veränderte sich vom Mittelmeer zum Indischen Ozean, und der Atlantik verband als 377 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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neue Verkehrsstraße die Alte mit der Neuen Welt. Die Schwerpunkte des Verkehrswesens hatten im Mittelalter in Binnenmeeren wie dem Mittelmeer und dem Baltischen Meer gelegen, nun aber verlagerten sie sich in die offenen Meere; und auch das (europäische) Wirtschaftszentrum verschob sich von den italienischen Städten und den Hansestädten zur Verbindungslinie London – Amsterdam. Wir müssen unser erstes Augenmerk darauf lenken, daß die in der Neuzeit starken Staaten, nämlich zuerst Spanien und in der Folge Frankreich, England usw., immer als an der Atlantikküste gelegene Länder auftraten. Der Untergang Spaniens war bedingt durch die Zerstörung seiner ›Unbesiegbaren Flotte‹. Die Beherrschung der Meere wurde zum entscheidenden Faktor für das Schicksal der Staaten. Und die betroffenen Staaten machten immer auf irgendeine Weise den Merkantilismus zur nationalen Politik. Merkantilismus bedeutet mit anderen Worten die Ökonomie des absoluten Staates, bedeutet die Konzentration von Gold und Silber in der Staatskasse; hier aber handelt es sich um einen Reichtum des Mutterlandes, der von der Ausbeutung der Kolonien abhängt. Die modernen europäischen Staaten konnten »Großmächte« werden aufgrund der Absorption des Reichtums der nichteuropäischen Staaten.
V. Die europäische Expansion, deren Bewegung die Geschichte der Neuzeit durchzieht, erreichte am Ende des neunzehnten und in der Zeit des Übergangs zum zwanzigsten Jahrhundert im Imperialismus ihre letzte aber damit auch höchste Stufe. Der Imperialismus war eine notwendige Stufe, die die kapitalistische Entwicklung des modernen Staates mit sich brachte, und wurde bestimmt nicht von einer (der) besonderen Staatsform, wie sie der Name anzudeuten scheint, hervorgebracht. Der Imperialismus ist nämlich nicht notwendig ein besonderes Phänomen im alten russischen Kaiserreich, im alten deutschen Kaiserreich oder im alten österreichischen Kaiserreich, also in den sogenannten monarchistischen Staaten; vielmehr finden wir in einem demokratischen Staat wie England einen besonders typischen Imperialismus. Dies beweist nichts anderes, als daß der Imperialismus nicht mit Regelmäßigkeit von der Staatsform abhängt, sondern daß er von einer (der) staatskapitalistischen Entwicklung hervorgebracht wird. Die zwei die heutige Welt beherrschenden Phänomene des Kapita378 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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lismus und der technischen Zivilisation hatten ihren Ursprung in Europa, dies dürfen wir als ein wesentliches historisches Problem nie übersehen. Kapitalismus, das ist nicht einfach die Akkumulation von Kapital, also das Vorhandensein von größer werdendem Reichtum. Sich anhäufenden Reichtum gab es auch in den Gesellschaften des Ostens. Die Konzentration von Reichtum kann auch ohne Kapitalismus entstehen. Ebenfalls ist auch größer werdender Reichtum, wird er bloß gehortet oder bloß konsumiert, noch kein eigentliches Kapital. Um Kapital zu werden, muß er investiert oder im Reproduktionsprozeß eingesetzt werden. Kapitalismus charakterisiert sich also zwangsläufig nicht durch das Vorhandensein von Kapital, sondern durch das Investieren von Kapital. Und dies kann nicht dessen Konsum in Form von Lebenshaltungskosten oder Luxusausgaben sein, sondern muß Verfolgen von Gewinn sein. Jedoch ist auch Gewinnstreben nicht unbedingt sofort Kapitalismus, solches gibt es zu allen Zeiten in allen Gesellschaften. Selbst der Krämer und der Bettler streben nach Gewinn. Kapitalismus aber, das ist systematisiertes Gewinnstreben, ist in höchstem Maße rationalisiertes Gewinnstreben. Das heißt also, Kapitalismus ist charakterisiert durch die Eigentümlichkeit der Kapitalinvestition und durch die Organisation des Betriebs; und diese Eigentümlichkeit und Organisation sind mit ihren Wurzeln auf untrennbare Weise mit dem Geist des modernen Europas verbunden. Wir müssen festhalten, daß der Kapitalismus zusammen mit Parlamentarismus und Demokratie europäische Phänomene sind. Ebenfalls wäre es nicht richtig, es für einen puren Zufall zu halten, daß ›die Maschine‹ nicht im Osten hervorgebracht wurde, sondern daß sie ihren Ursprung im Westen hatte. Wo es Technik gibt, dort gibt es auch sogleich Werkzeuge, allerdings entsteht ›Mechanismus‹ als von Naturkräften und Menschenkraft gesondertes automatisches System nicht aus der Ausübung von Technik auf der Grundlage von Muskelkraft. Es geht uns hier nicht darum, eine Antwort darauf zu finden, ob es im Osten Wissenschaft gab oder nicht; nehmen wir hier auch einmal an, daß es Wissenschaft in Form von Wissen gegeben hat, so wird doch niemand gegenüber der Behauptung Einwand erheben, daß es dort Wissenschaft als Zivilisation nicht gab. Die Verbindung von Wissenschaft und Leben, eine wissenschaftliche Zivilisation, dies muß man als ein Charakteristikum der neuzeitlichen europäischen Zivilisation ansehen. Das Auftreten von Maschinen ergibt sich nicht einfach aus dem Wissen selbst, es besitzt gesellschaftlichen Charakter, und solche Maschinen erscheinen zuerst als Spinnmaschine der Textilindustrie, 379 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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die die Kennzeichen einer Produktionsreform trugen, dies aber sollte man wiederum zunächst mehr als einen Erscheinungsprozeß von ›Manufakturmaschinen‹ denn von ›dynamischen Maschinen‹ verstehen. Es ist keine zufällige Tatsache, daß die industrielle Revolution ihren Ursprung in England hatte. Erstens ist England das Geburtsland der modernen Wirtschaftswissenschaften und zweitens ist England das Geburtsland des modernen Handelskapitalismus. Der Entwicklungsprozeß der Maschine ist also tief verwurzelt in eben einer Zivilisation und einem Gesellschaftssystem. Die beiden miteinander verbundenen Phänomene Kapitalismus und technische Zivilisation sind in ihrem Ursprung sicherlich europäische. Daß es in Japan beide Erscheinungen gibt, ist ein Ergebnis jener europäischen Kultur, dies aber ist nichts anderes als eine Tatsache, die in einem notwendigen Entwicklungsprozeß der neueren Weltgeschichte, die eine europäisierte ist, entstand. Für uns muß es allerdings ein nicht zu übersehender bedeutender Tatbestand sein, daß China, welches vor Japan mit der europäischen Zivilisation in Kontakt kam, auch heute (d. h. 1939) noch nicht im Besitz einer modernen Zivilisation mit diesen beiden (Kennzeichen) ist. Das Japan des zwanzigsten Jahrhunderts steht im Begriff, mit dieser europäischen Kultur ein neues Zeitalter für Asien zu bringen. Das Auftreten von Maschinen hat also – wie hier angedeutet – seine Wurzeln in einer zivilisatorischen Notwendigkeit, ihr Auftreten aber schafft schließlich wiederum eine neue Form der Zivilisation. Das Wesen der Maschine besteht in ihrer Übermenschlichkeit und Übernatürlichkeit. Ist sie auch (einmal) vom Menschen erbaut worden, so übersteigt sie (irgendwann) den Willen ihres menschlichen Erbauers und schließlich seine Fähigkeiten und läßt eine »dritte Welt« entstehen; in jener Welt wird nun umgekehrt der Mensch zum Sklaven der Maschine, und seine Freiheit wird ihm geraubt. So zerstört also die Maschine den Menschen und die Natur, und eine Zivilisation, wie man sie im heutigen Amerika sehen kann, nimmt Gestalt an, nämlich eine Zivilisation der Mittel, eine Zivilisation ohne Ziel, eine Zivilisation der Quantität. Weiterhin wurzelt zwar das Erscheinen der Maschine in einer Notwendigkeit der Gesellschaft, nach ihrem Erscheinen aber entwickelt sich die Maschine nun ihrerseits über die Notwendigkeiten dieser Gesellschaft hinweg, verändert selbst deren Organisationsstruktur, und schließlich beherrscht nun umgekehrt die Maschine die Gesellschaft. Freie Konkurrenz, Überproduktion, Monopolismus, Arbeitsprobleme, Armutsprobleme, Sozialismus und Klassenkampf, all dieses sind 380 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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auf ihre Weise neue Erscheinungen, die in dieser neuen Gesellschaft auftreten. Die heute in den verschiedenen Ländern auf der Welt in Angriff genommenen Organisierungen haben weiterhin auch nichts anderes zum Ziel als, um es einfach auszudrücken, eine Modifikation der von politischen Plänen abhängigen technischen Zivilisation und des Kapitalismus. Die unserem Japan von heute zugeschriebene Aufgabe der Etablierung einer neuen Ordnung in Asien schließlich ist weiter nichts anderes als die Revision einer alten Ordnung, die der Kapitalismus aus Europa mit sich gebracht hatte. Denn die industrielle Revolution hat in Europa zwar neue Produktionstechniken mit sich gebracht, aber Europa besitzt nicht die dafür notwendigen Rohstoffe. In der technischen Zivilisation haben die ›Rohstoffquellen‹ eine neue Bedeutung gewonnen. Demgegenüber ist Asien zwar im Besitz von Rohstoffquellen, besitzt aber keine Produktionsmethoden. Weiterhin verlangt die mit der Maschine verbundene Massenproduktion einen das europäische Konsumvermögen übersteigenden Weltmarkt. In Asien aber gibt es eine Bevölkerung, die doppelt so groß wie die in Europa ist. An diesem Punkt muß die Entwicklung der kapitalistischen Länder nach einem Abhängigkeitsverhältnis der nichteuropäischen Länder verlangen. Dies geschah mit der imperialistischen Politik der Großmächte im neunzehnten Jahrhundert. Englands Nahostpolitik, seine Südasienpläne und sein Vordringen zum Pazifik bzw. im Fernen Osten; Rußlands Bewegung nach Süden, seine Sibirienpläne und seine Regierung in Zentralasien bzw. im Fernen Osten – der japanisch-russische Krieg war ein gegen jenen russischen Imperialismus gerichteter Freiheitskrieg Japans –; Frankreichs Nordafrika- und seine Indochinapläne; Deutschlands Vordringen im Nahen Osten; die Aufteilung Afrikas durch die Großmächte; die chinesischen Pachtverträge und schließlich das Vordringen der Vereinigten Staaten von Amerika in Mittel- und Südamerika bzw. zum Pazifik in diesem Jahrhundert: all diese Tatsachen zeigen auf ihre Weise nichts anderes als den Entwicklungsprozeß der imperialistischen Politik. Die Tatsache, daß die Befreiungsbewegungen der unterdrückten Völker gegen den Imperialismus heute im Osten oft mit dem Charakter von Klassenkämpfen erscheinen, bedeutet nicht nur, daß der Imperialismus die Überlegenheit der tüchtigen Völker über die inferioren Völker darstellte, sie zeigt (auch), daß der Imperialismus in bestimmten Gebieten die Gestalt kapitalistischer Ausbeutung besaß. Hier sorgte vor allem der imperialistische Konkurrenzkampf zwischen 381 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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England, das auch in Europa sehr früh mit der Entwicklung einer Kolonialpolitik begonnen hatte, und Deutschland, das mit sehr großer Verspätung damit begonnen hatte, für große Schärfe. Dieser verspätete Start Deutschlands hat seine Gründe zwar auch in politischen Umständen, die Einigung des Landes war nämlich endlich erst 1870 zu einer Tatsache geworden, er ist aber auch darin begründet, daß die deutsche industrielle Revolution mit etwa hundertjähriger Verspätung nach der englischen kam. Gefördert durch die Schutzpolitik Bismarcks für die Industrie zog die nun plötzlich stark gewordene Schwerindustrie Deutschlands jedoch in kürzester Zeit mit der des fortgeschrittenen England gleich, die ausgezeichneten Produkte Deutschlands begannen im Nu den Weltmarkt in Unruhe zu versetzen. Geht man von der in Deutschland erfolgten ungewöhnlichen Entwicklung des Kapitalismus aus, so war die deutsche imperialistische Expansion vielleicht eine unvermeidliche Notwendigkeit, auch ohne daß man auf die selbstgefällige Weltpolitik des Kaisers hätte warten müssen. Deutschland begann seine Weltpolitik allerdings, lange nachdem die Einflußsphären der Großmächte einmal festgelegt waren; daß das Eindringen in eine solche Situation die Erscheinung einer gewaltsamen Politik besitzen mußte, war das unglückliche Schicksal Deutschlands. Der sich auf dem Weltmarkt abspielende Kampf um wirtschaftliche Überlegenheit zwischen England und Deutschland wurde zu einer für das Auge zwar nicht gleich wahrzunehmenden, allerdings sehr tiefe Wurzeln besitzenden Ursache für den Ersten Weltkrieg. Sieht man hiervon auch einmal ab, so erschöpft sich doch das, was die von den europäischen Großmächten entwickelte Imperialismuspolitik gebracht hat, in dem einen Begriff: Ausdehnung Europas. Selbst heute noch haben die europäischen Großmächte ihre jeweiligen übereuropäischen Interessen. Probleme in Asien und Afrika spiegeln hier unmittelbar die politische Situation Europas wider, und Reibungen, die zwischen den Großmächten in Europa stattfinden, haben heute ihre unmittelbare Verlängerung bis außerhalb Europas. Diese Phänomene müssen nun aber strikt von dem vor unseren Augen sich auftuenden Gegensatz zwischen Europa und Asien getrennt werden. War (bei den oben genannten Erscheinungen) Asien auch die Bühne gewesen, so zeigte sich in ihnen doch nicht mehr als das Aufeinanderstoßen der sich einander gegenüberstehenden europäischen Staaten. Hier handelte es sich um nicht mehr als um eine Ausweitung von in Europa stattfindenden Gegensätzlichkeiten über Europa hinaus. 382 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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VI. Der aus den Kollisionen der außereuropäischen Politik der europäischen Staaten entstandene Erste Weltkrieg hat schließlich die Struktur des neunzehnten Jahrhunderts aufgelöst. Die typischen Großmächte des neunzehnten Jahrhunderts, das deutsche Reich, das habsburgische Reich und das russische Reich, verschwanden aus der Geschichte, aus ihren Ruinen gingen neue Staaten hervor, die keine Fortsetzungen der alten Staaten waren. Diese neuen Staaten waren auf eine neue Weltsicht, nämlich die materialistische Geschichtsauffassung und eine rassische Philosophie, und auf ein neues System gegründete ideologische Staaten. Und eben hier fand eine Umwandlung der Staatsprinzipien statt, die nicht einfach nur in einer Ablösung der Herrschenden und/ oder in einem Wechsel der Kabinette bestand. Der Vertrag von Versailles allerdings entsprach einem System schon bestehender Staaten. Die Ruhelosigkeit des zwanzigsten Jahrhunderts hat ihren Ursprung in dem Widerspruch, der in eben jenem Vertrag von Versailles liegt. Wir dürfen nicht vergessen, daß die drei Staaten, die mit dem Ersten Weltkrieg ihr Ende fanden, immerhin imperialistische Staaten gewesen waren. Die Staaten, die überlebten, waren demokratische Staaten. Der Vertrag von Versailles, der in den Köpfen von demokratischen Politikern, die diese Staaten repräsentierten, entstand, war nichts anderes als eine Weltordnung »um der Sicherheit der Demokratie willen«. Was aber ist Demokratie schließlich anderes als ein Erbe des neunzehnten Jahrhunderts? Künstlich entstanden kleine Staaten, die auf dem Prinzip des Selbstbestimmungsrechts der Völker basierten, aber keine Existenzfähigkeit besaßen. Ein weiterer großer Fehler war, daß demokratische Staaten, die am Weltkrieg mitschuldig gewesen waren, nun selbst zu Richtern wurden und Deutschland verurteilten. Für Deutschland war das kein Vertrag, sondern eine Strafe. Welche Lehre gibt uns also wohl das Nachkriegseuropa? Die in Versailles geschaffene Ordnung war schließlich nur eine Ordnung ohne Möglichkeiten (einer Verwirklichung). Die Geschichte der zwanziger Jahre erschöpft sich in der Geschichte vergeblicher Bemühungen, die Ordnung von Versailles als Ordnung zu verwirklichen. Die Geschichte der dreißiger Jahre bewegt sich dann in eine offen der Ordnung von Versailles entgegenlaufende Richtung. 1933 etabliert sich die Naziregierung, die sich die Annullierung des Versailler Vertrags zur Staatspolitik 383 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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macht; schon vorher hatte sich 1929 in Italien, das auf gleiche Weise (wie Deutschland) Unzufriedenheit mit der Ordnung von Versailles hegte, die politische Macht der Faschisten etabliert. Das von diesen Staaten der neuen Ordnung vorgebrachte Verlangen nach einer Neuverteilung der Kolonien war nicht mehr als die Absicht, den Imperialismus des neunzehnten Jahrhunderts um eine gründliche Revision zu ergänzen. Hier hinzu kommt nun die Existenz der Sowjetunion im Osten Europas, welche von Anbeginn am Rande der Versailler Ordnung stand. Der Gegensatz der ideologisch ausgerichteten Länder, der faschistischen, kommunistischen und demokratischen Länder, trat zuerst im Äthiopienkrieg zutage, er verschärfte sich mit dem spanischen Bürgerkrieg und im Zusammenhang mit dem tschechischen Problem. Mit der Annäherung der Sowjetunion an den demokratischen Block teilte sich Europa in die zwei großen Lager der Volksfront und der Rassisten, und auch die kleinen Länder stießen nun je für sich zu diesen ideologisch ausgerichteten Blöcken; die Zeit in den Jahren 1937/1938 markierte dann geradezu einen Höhepunkt ideologisch bestimmter Diplomatie. Daß sich die Staaten einander gegenüberstehen, ist an sich wahrscheinlich ein in der Geschichte der Neuzeit gewöhnliches Phänomen. Daß sich die Staaten aber nicht einfach als Machtsysteme oder als von Interessen gelenkte Gesellschaften gegenüberstehen, sondern einen ganz bestimmten ideologischen Standort besitzen und aufgrund dieser Ideologie einander gegenübertreten oder miteinander zusammenarbeiten, dies muß man als historisch nicht dagewesenes Phänomen bezeichnen. Die Gegensätze zwischen den Staaten sind heute politischer und militärischer Art und müssen gleichzeitig zu gedanklichen werden. Angesichts einer solchen Weltsituation kann auch Japan seinerseits nicht im Abseits stehen. Aus diesem Grunde konnte Japan auch nicht umhin, sich mit dem Antikominternpakt – zwischen Japan, Deutschland und Italien – einem der Ideologieblöcke anzuschließen. Das Jahr 1938 aber, das mit dem Zusammenschluß von Deutschland und Osterreich begann, schuf wiederum eine neue Situation in Europa. Diese offenbarte sich in der überraschenden Tatsache der deutsch-russischen Übereinkunft. (Hier zeigte sich,) die Staaten müssen heute trotz ihres ideologischen Standpunktes miteinander kooperieren. Man muß sich fragen, ob dies wohl ein Ende der ideologiegeprägten Diplomatie bedeutet! Dem Antikomintern-Block wurde durch den antidemokratischen Block ein neuer Anstrich verliehen. Die Staaten neuer Ordnung und die Staaten alter Ordnung, die Vertreter des Versailler Vertrags und seine Gegner 384 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
Ausblick über die europäische Weltgeschichte
haben heute schließlich eine Haltung eingenommen, in der sie einander gegenüberstehen und – »die Länder mit einer kleinen Bevölkerungsentwicklung« zwischen sich – (auf beiden Seiten) sich immer weiter stark machen. Im Rückblick erscheint die Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts als eine Geschichte der Verleugnung des Wiener Kongresses, der ihr Ausgangspunkt war, und nun schickt sich das zwanzigste Jahrhundert an, zu einer Geschichte der Verleugnung des Versailler Vertrags, der ihr Ausgangspunkt war, zu werden. Die nach der Französischen Revolution aus der Gesinnung heraus, »es soll nicht wieder Revolution geben«, geschaffene Ordnung des Wiener Kongresses wurde letztlich durch die Revolution zum Sturz gebracht; Heilige Allianz wie reaktionärer Kongreß mußten angesichts der Revolution ihre Macht verlieren. Die nach dem Ersten Weltkrieg aus der Gesinnung heraus, »es soll nicht wieder Krieg geben«, geschaffene Ordnung von Versailles scheint nun durch einen erneuten Krieg zum Sturz gebracht zu werden. Völkerbund wie Abrüstungskonferenz mußten schließlich machtlos werden. Der »europäische Weltkrieg« hat aber nicht nur den Zusammenbruch der Ordnung des neunzehnten Jahrhunderts gebracht, sondern auch eine weit schwerwiegendere Folge als diese. Diese nämlich besteht in der Veränderung der Stellung Europas in der Welt. Wir müssen im Gedächtnis behalten, daß der Krieg in Europa nicht aus der eigenen Kraft Europas zu einem Ende gebracht wurde. Als Europa die selbst provozierte Katastrophe aus eigener Kraft nicht mehr unter Kontrolle bringen konnte, war es Amerika, das sie zu einem Ende brachte. Seit dieser Zeit ist Amerika nicht länger eine Ausdehnung Europas. Amerika wurde zur zweiten Welt. Und zwar war Amerika nun nicht (länger) eine neue Welt infolge der Entdeckung durch Kolumbus, (sondern) wurde zu der neuen Welt durch den europäischen Weltkrieg. Aber heute ist eine dritte Welt in Asien im Begriff zu entstehen. Und dies ist nichts anderes als eine in der Hand von Japan liegende asiatische Neuordnung. Die durch Europa errichtete alte Ordnung Asiens soll aufgehoben und eine durch Asien errichtete asiatische Ordnung gebaut werden. Die in Europa stattfindende Rebellion gegen die Ordnung des neunzehnten Jahrhunderts, sie findet heute auch in Asien durch uns statt. Im neunzehnten Jahrhundert bestand Europa über Europa hinaus, schloß das Nichteuropäische mit ein. Europa und die Welt waren Synonyme. Heute ist Europa im Begriff, diese (seine) Be385 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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deutung zu verändern. Der Begriff Europa selbst ist in Bewegung. An dieser Stelle muß die Frage: »Europa, was ist das eigentlich?«, von den Europäern selbst gestellt werden. Gleichzeitig muß die Frage, was ist Asien denn eigentlich, durch die Asiaten selbst vorgebracht werden.
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III. Fortbildung der Schule
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Vorbemerkung
Die kurze Vorbemerkung, die der Herausgeber für diesen Abschnitt in der 1. Auflage (1990) verfaßte, bedarf heute der wesentlichen Ergänzung. Denn in dem Zeitraum von 20 Jahren, der inzwischen vergangen ist, hat sich auch die Gestalt der dritten Generation der Kyôto-Schule geändert. Zwei der drei aufgenommenen Autoren, Yoshinori Takeuchi und Kôichi Tsujimura, sind hingeschieden. Und das philosophische Gesamtwerk von Shizuteru Ueda hat sich eben in diesem Zeitraum klarer abgezeichnet. Dasselbe gilt auch von anderen hier nicht aufgenommenen Autoren wie Akira Omine (geb. 1929), Bin Kimura (geb. 1931) oder Shôtô Hase (geb. 1937). Es geht in dieser Generation um die Fortbildung und Öffnung der Kyôto-Schule. Bin Kimura wurde schon in der Einführung des vorliegenden Bandes (vgl. S. 44–45) vorgestellt. Hier sind noch kurz Akira Omine und Shôtô Hase zu erwähnen. Beiden ist gemein, dass sie in ihrer religiösen Einstellung nicht dem ZenBuddhismus, sondern der Jôdo-Shin Sekte (der Wahren Sekte des Reinen Landes) angehören. Zugleich gehen sie im Denken von der europäischen Philosophie aus. Die erste Schrift Omines ist, wie der Titel der Schrift Fichte kenkyû (Studie über Fichte), Tôkyô 1976, zeigt, eine Abhandlung über die Philosophie Fichtes. Sie wird als eine große Wegmarke der Fichte-Forschung in Japan angesehen. Den danach folgenden, mehr als dreißigen erbaulichen Schriften über den Glaubens seiner Sekte liegt immer die intensive Beschäftigung mit dem Denken Heideggers und anderen europäischen Philosophen zugrunde. Omine ist auch bekannt als haikuDichter. In seinem Denken vereinen sich Denken und Dichten in genuiner Weise. Wie der von ihm herausgegebene Band Nishida-tetsugaku wo manabu hito no tameni (Einführung in die Philosophie Nishidas), Kyoto 1996, 2. Aufl. 2002, zeigt, führt er ein wesentliches Stück des philosophischen Geistes Nishidas in einer anderen Weise fort, als es die übrigen Schüler Nishidas tun. 389 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
III. Fortbildung der Schule
Was nun Shôtô Hase betrifft, so sind seine drei repräsentativen religionsphilosophischen Schriften anzugeben: Shôchô to sôzôryoku (Symbol und Imagination), Tôkyô 1987; Kokoro ni utsuru mugen. Kû no imâju-ka (Das Unendliche im kokoro-Bewustsein und das ImageWerden der Leere), Kyôto 2005; Yokubôno tetsugaku. Jôdokyô-sekai no shisaku (Philosophie der Begierde. Das Denken der Welt der Begierde), Kyôto 2003. Seinen Schriften liegt nicht nur die gläubige Denkposition der Sekte des Reinen Landes zugrunde, sondern auch die offene Hermeneutik, die er vor allem von Paul Ricoeur erlernt hat. Seine erste Schrift Shôchô to sôzôryoku ist ursprünglich eine Abhandlung über Ricoeur. Aber offensichtlich wird er in seinem Denken noch tiefer von Keiji Nishitani und dessen Gedanken der Leere beeinflußt. Seine Philosophie kann insofern als eine nicht vom Zen, sondern vom Glauben seiner Sekte her versuchte Fortführung der Philosophie Nishitanis verstanden werden. Dazu sei auch auf die »Einführung« des Bandes verwiesen. Hier soll nur die Stellung der ausgewählten Arbeiten im Gesamtzusammenhang ihrer Leistungen kurz erläutert werden. Das Kriterium der Auswahl ist das gleiche wie bisher: ein typisches Beispiel für die Arbeiten, die die Autoren veröffentlicht haben. Der Aufsatz Takeuchis »Das Schweigen des Buddha« ist ein gutes Beispiel für seine Buddhismus-Interpretation, die er anhand der existenzphilosophischen Analyse vollzieht. Die Philosophie und der Buddhismus stehen bei ihm in keinem schroffen Gegensatz. Die erstere geht vom letzteren aus, wie der letztere durch die erstere hindurch sich entfaltet. Dieses Merkmal war von Anfang an für die meisten, wenn auch nicht für alle, Philosophen der Kyôto-Schule charakteristisch. Takeuchi entwickelte diesen Aspekt als gelehrter Fachbuddhologe und Philosoph weiter. Der Aufsatz Tsujimuras »Die Wahrheit des Seins und das absolute Nichts« bewegt sich im Themenbereich, den Tsujimura selber eröffnete, indem er sich einerseits tief mit dem Zen-Buddhismus und andererseits intensiv mit dem Denken Heideggers beschäftigte. Dieses Thema ist offensichtlich eines der zentralsten Themen im west-östlichen philosophischen Gespräch. Sein zweiter Aufsatz »Über Yüchiens Landschaftsbild« ist die Fortsetzung eines Nebengebietes in der Philosophie der Kyôto-Schule, in dem die »Kunst« thematisiert wird. Der Aufsatz Uedas »Das absolute Nichts im Zen, bei Eckhart und bei Nietzsche« entspricht einerseits dem Aufsatz Tsujimuras, indem er ebenfalls einen wichtigen Themenbereich im west-östlichen Gespräch eröffnet. Andererseits ist er auch in dem Sinne ein gerade hier auf390 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
Vorbemerkung
zunehmendes Beispiel, da in dem Text die originelle Interpretation Uedas sowohl zu Eckhart als auch zur sog. »Ochsengeschichte« im Zen zum Ausdruck kommt. In den hier aufgenommenen vier Aufsätzen wird der Leser die zentralen Stücke der noch fortwirkenden Philosophie der Kyôto-Schule erkennen.
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9. Yoshinori Takeuchi Das Schweigen des Buddha. Ein Problem der Religionsphilosophie des Buddhismus 1
Das Thema meines Vortrages »Die Religionsphilosophie des Buddhismus« meint die philosophische Betrachtung über sein Wesen. Dabei muß man auf Folgendes achten: Im Buddhismus ist das Wesen der Religion immer mit dem philosophischen Denken verbunden, obgleich beide nicht dasselbe sind. Deshalb kommt es bei der Philosophie des Buddhismus keineswegs darauf an, daß das philosophische Denken rein äußerlich mit seiner Reflexion und seinen reflexiven Kategorien von der Religion handelt und ihr irgend eine philosophische oder metaphysische Einstellung aufdrängt, um sie auf das bloße System des rationalen Denkens zu reduzieren. Im Buddhismus haben Religion und Philosophie dieselbe Wurzel. Wie in einem zweiästigen Baum sind beide von demselben Safte durchdrungen. Zwar ist jene der Hauptstamm und diese der Ast, aber beide stehen immer im engen Zusammenhang. Es mag zwar in der langen Geschichte des Buddhismus einige Zeiten gegeben haben, in denen das Abschneiden des philosophischen Zweiges dem religiösen Stamm viele Früchte brachte, und andere Zeiten, in denen bei Aushöhlung des Hauptstamms die philosophischen Zweige in voller Blüte standen. Auf die Dauer aber gedeihen und welken beide zusammen – sie haben dasselbe Schicksal. Beide können sich in ein gemeinsames, freundliches Gespräch einlassen. Die Religion reflektiert sich selbst durch Philosophie – sie vertieft und erneut ihr Leben durch das Denken. Wie die Anmerkungen von Yoshinori Takeuchi, die mit (E) gekennzeichneten Anmerkungen von Rolf Elberfeld. – Der Aufsatz, der einen im Juli 1961 an der Philosophischen Fakultät der Universität Hamburg gehaltenen Vortrag wiedergibt, ist abgedruckt in: Yoshinori Takeuchi, Probleme der Versenkung im Urbuddhismus (= Beihefte der Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 16), Leiden 1972, S. 1–18; die italienische Fassung: Il silencio del Buddha, in: Il Pensiero 6 (1961), S. 265–282; die englische Fassung: The Silence of Buddha, in: Yoshinori Takeuchi, The Heart of Buddhism, New York 1983, S. 3–12.
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quellenden Brunnen immer sich selbst erbohren eben durch die hervorströmende Wasserkraft, so enthält auch das lebendige Leben der Religion die Philosophie und den philosophischen Gedanken in sich als sein aufgehobenes Moment. Im Buddhismus gibt es eigentlich nicht, was der Apostel Paulus mit der »Torheit des Kreuzes« bezeichnet. Das ist seine Schwäche und Stärke zugleich. Und so kommt auch die Philosophie nicht von außen als Kritik der Religion. Ursprünglich ist die Philosophie im Buddhismus keine Spekulation oder metaphysische Kontemplation. Die Philosophie im Buddhismus ist Metanoesis des Denkens, eine Umkehrung, bzw. Bekehrung des reflexiven Denkens in sich selbst zu seinem eigentlichen Selbst, d. h. zur Erleuchtung. Also ist buddhistische Philosophie Philosophie im Sinne der Meta-Noetik. 2 Sie ist nicht Metaphysik, sondern Philosophie als Überwindung der Metaphysik. Ich möchte sie buddhistischen Existenzialismus nennen, d. h. existenzielle Erweckung und Erleuchtung – die Aneignung des buddhistischen Geistes auf dem Wege des Denkens. Wie das möglich ist, kann ich heute nicht erschöpfend behandeln. Wir wollen jetzt nur als Vorbereitung einige Untersuchungen anstellen. Sie verstehen wohl, daß die Religion und die Philosophie hier in dynamischer Einheit stehen – einer Einheit zwar, die in dem Gegensatz beider begründet ist. Sie stehen gegeneinander, und können daher nicht ohne weiteres gleichgesetzt werden. Buddha selbst warnte seine Jünger manchmal vor solcher Verwechselung des religiösen Suchens, »des edlen Strebens«, mit den philosophischen und metaphysischen Fragen. In einem Sûtra in der »Mittleren Sammlung«, wo ein Schüler namens »Mâlunkya« seinen Lehrer um eine klare und bestimmte Antwort auf die folgenden Fragen bittet: a) ob die Welt ewig oder zeitlich sei, b) ob sie unendlich oder endlich sei, weiter c) ob das Leben (jīva) und der Leib ein und dasselbe, oder ein anderes das Leben und ein anderes der Leib sei, d) ob der Vollendete (tathâgata) nach dem Tode bestehe oder nicht, schilt Buddha ihn, daß er sich in den »Pfaden der Meinungen« verirrte, und vergleicht diese seine metaphysische Neugier mit der Torheit desjenigen Menschen, welcher von einem Pfeil getroffen wurde, dessen Spitze mit Gift bestrichen war. Als da seine Freunde und Genossen ihm nämlich einen heilkundigen Arzt bestellten, sprach er:
(E) Vgl. hierzu Hajime Tanabe, Philosophy as Metanoetics, übers. von Yoshinori Takeuchi, London 1986.
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»Nicht eher will ich diesen Pfeil herausziehen, bevor ich nicht weiß, wer jener Mann ist, der mich getroffen hat, ob es ein Krieger oder ein Priester, ein Bürger oder ein Bauer ist; Nicht eher will ich diesen Pfeil herausziehen, bevor ich nicht weiß, wer jener Mann ist, der mich getroffen hat, wie er heißt, woher er stammt oder hingehört.« »Ebenso nun auch, Mâlunkya, ist es, wenn einer da spricht: Nicht eher will ich beim Erhabenen den heiligen Wandel führen, bis mir der Erhabene mitgeteilt haben wird, ob die Welt ewig ist oder zeitlich ist, ob die Welt endlich ist oder unendlich ist … ; nicht genug könnte, Mâlunkya, der Vollendete einem solchen mitteilen: denn er stürbe hinweg.«
Die Lösungen dieser metaphysischen Probleme helfen ihm nicht zur Lösung der religiösen Aufgabe, wenn sie auch möglich wäre. So heißt es in demselben Sûtra: »Wenn die Ansicht ›Ewig ist die Welt‹, Mâlunkya, besteht, dann kann der Weg des Heiligen bestehen: das gilt nicht. Wenn die Ansicht ›Zeitlich ist die Welt‹, Mâlunkya, besteht, dann kann der Weg des Heiligen bestehen: auch das gilt nicht. Ob nun die Ansicht ›Ewig ist die Welt‹, Mâlunkya, oder die Ansicht ›Zeitlich ist die Welt‹, besteht: sicher besteht Geburt, besteht Alter und Tod, besteht Wehe, Jammer, Leiden, Gram und Verzweiflung, deren Zerstörung ich schon bei Lebzeiten kennenlerne.«
Damit meint Buddha, daß die religiöse Situation (d. h. ihre Aufgabe und ihre Wirklichkeit) einer ganz anderen als der metaphysischen Dimension angehört. Indes, die Auflösung solcher Probleme bringt in Wirklichkeit keinen Abschluß. Dort gibt es immer »ein Dickicht, einen wilden Urwald, eine Komödie, und einen verzerrten Krampf der Meinungen – dort gibt es nur eine Fessel des Gedankens voller Leiden und Qual«. Daher ist es ratsam für seinen Schüler, das, »was Buddha nicht mitgeteilt hat, als nicht mitgeteilt, und was er mitgeteilt hat, als mitgeteilt zu betrachten«. »Was aber, Mâlunkya, habe ich nicht mitgeteilt? ›Ewig ist die Welt‹, Mâlunkya, habe ich nicht mitgeteilt, ›Zeitlich ist die Welt‹ habe ich nicht mitgeteilt, …« »Und warum habe ich das, Mâlunkya, nicht mitgeteilt? Weil es, Mâlunkya, keinen Gewinn bringt, weil es nicht den Wandel in Heiligkeit fördert, weil es nicht zur Abkehr vom Irdischen, zum Untergang aller Lust,
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zum Aufhören des Vergänglichen, zum Frieden, zur Erkenntnis, zur Erleuchtung, zum Nirvâna führt: darum habe ich das nicht mitgeteilt.« 3
I. Da in diesem Schweigen Buddhas auf die oben genannten Fragen immer etwas Rätselhaftes enthalten bleibt, gibt es viele Möglichkeiten zur Deutung. Die älteste ist schon im Pâli-Kanon selbst aufgestellt worden: »Zu einer Zeit weilte der Erhabene zu Kosambi im Sinsapâwalde. Und der Erhabene nahm einige Sinsapâblätter in seine Hand und sprach zu den Jüngern: ›Was meint ihr, ihr Jünger, was ist mehr, diese wenigen Sinsapâblätter, die ich in die Hand genommen habe, oder die anderen Blätter droben im Sinsapâwalde?‹ ›Diejenigen Blätter, Herr, die der Erhabene in die Hand genommen hat, sind gering, um wie viel mehr jene Blätter droben im Sinsapâwalde.‹ ›So auch, ihr Jünger, ist das viel mehr, was ich erkannt und nicht mitgeteilt, als das, was ich mitgeteilt habe. Und warum, ihr Jünger, habe ich jenes nicht mitgeteilt? Weil es euch, ihr Jünger, keinen Gewinn bringt …‹« 4
Diese Erklärung des Schweigens Buddhas setzt den Glauben der Jünger an seine Allwissenheit voraus, und sie dachten daher, daß Buddha zwar selbst wohl die wahre Antwort kenne, daß er sie aber den Jüngern nicht verkünde, weil sie für ihr Heil nicht nötig sei. – Er will seinen Schülern sozusagen Scheuklappen anlegen, um sie für den Wandel in Heiligkeit zu fördern. Eine andere Art der Erklärung ist eine ganz moderne Interpretation, daß nämlich die Einstellung Buddhas pragmatisch 5 oder positivistisch 6 sei im Hinblick auf die religiösen Fragen, und deshalb zugleich
(E) Vgl. Karl Eugen Neumann, Die Reden Gotamo Buddhos, Mittlere Sammlung (Majjhima-Nikâya), München 31922, Bd. 2, S. 63. Rede »Der Sohn des Mâlunkyâ«, S. 184–195. 4 (E) Wilhelm Geiger, Samutta-Nikaya. Die in Gruppen geordnete Sammlung, München 1925–1930, Bd. 1, Abschnitt 5, Mahâ Vabha. 5 Vgl. Rhys Davids, Buddhist Psychology, London 1914. 6 Vgl. Helmuth v. Glasenapp, Die fünf großen Religionen, Bd. 1, Düsseldorf 1951/1952, 41975. 3
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gleichgültig gegenüber den metaphysischen Problemen. Aber das Wort »pragmatisch« oder »positivistisch« wird hier falsch gebraucht. Denn eigentlich beruht die pragmatische Einstellung immer auf der Wahrheit der sinnlichen, objektiven Welt; der Begriff der Nützlichkeit ist also immer mit dem endlichen Gegenstande verbunden. Gegenständliches Denken hat einen inneren Zusammenhang mit dem Gedanken der Nützlichkeit. So ist unser gegenständliches (diskursives) Denken immer rechnend auf den Gegenstand gerichtet, wenngleich unsere Wissenschaft ganz »wertfrei« die Gegenstände als Gegenstände objektiv betrachten soll. Im Buddhismus müssen solche Nützlichkeitsgedanken von Grund auf überwunden werden, weil sie nichts anderes sind als das Sich-Anhaften unseres blinden Willens, sowohl an uns selbst als an die Dinge. So ist der pragmatische Gedanke das erste, was der Buddhismus aus seinem Denken wegzulassen wünscht, um zum rechten Frieden des Geistes zu gelangen. In der Tat ist der Pragmatismus gleichgültig gegenüber der Metaphysik, weil er an den Problemen der Transzendenz keinen Anteil nimmt, weder in der Metaphysik noch in der Religion. Aber die Religion ist gegen die Metaphysik, weil das metaphysische Transzendieren nicht der rechte Weg ihrer Ausführung ist. Andererseits sei die pragmatische Erklärung des Buddhismus von folgenden Tatsachen unterstützt: a) Buddha hatte sein Heilsziel klar vor Augen und erreichte es auch zu seinen Lebzeiten. So hat er seinen Schülern eine entscheidende Haltung gegeben, »wie wenn man etwas Niedergebeugtes aufrichtet oder Verborgenes enthüllt oder einem Verirrten den Weg weist oder im Finstern ein Licht anzündet. Also hat der Heilige in mannigfacher Weise die Lehre verkündet.« b) Weiterhin von dem besonders philosophischen Standpunkt aus betrachtet, bewahrt Buddha selbst immer sein Schweigen auf die Frage nach Gott und nach dem höchsten Prinzip, und wenn sein Schweigen hier der Abweisung solcher Transzendenz zuzuneigen scheint, so liegt das wohl darin begründet, daß seine Rede vom Nicht-Ich (anattâ) 7 im scharfen Gegensatz zur Lehre Âtman in den Upanischaden 8 steht. Pali: anattâ, Sktr.: anâtman. Kann auch übersetzt werden mit »Nicht-Selbst«, »NichtWesenhaftigkeit«, »Unpersönlichkeit«. 8 (E) In den Upanischaden (entstanden in Indien ab dem 8. Jh. v. Chr.), bedeutet âtman das ewige, unveränderliche substantielle Ich bzw. Selbst. 7
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c)
Zum Dritten würde auch die pragmatische Sicht der anderen Seite dieser Anattâ-Theorie entsprechen, wonach die Buddhisten alle psychologischen Erscheinungen als die Fortsetzung der augenblicklichen Verbindungen der Dharma-Komplexe 9 betrachten konnten, genau so wie vom moderneren wissenschaftlichen Standpunkt aus, da sie den Begriff des Ich nicht gebrauchten und statt der substanziellen Auffassung der Seele (wie bei den griechischen Philosophen) die Erscheinungen des Geistes ganz funktionell behandelten.
In der Tat hängen diese drei Probleme eng zusammen: a) Es ist ganz richtig, daß Buddha positiv im unmittelbaren Erlebnis seiner religiösen Wahrheit steht. Er führt das Heilsziel sich und seinen Schülern klar vor Augen, und daraus resultiert auch seine Kritik bezüglich der Mittel und Wege, dasselbe zu erlangen. Aber das Verhältnis von Mittel und Zweck im pragmatischen Sinn ist etwas anderes als das Verhältnis von Ziel und Weg im buddhistischen Sinn: denn hier ist der Zweck selbst Nirvâna. Das bedeutet nicht, daß das Heilsziel im Buddhismus ein reines Nichts ist und folglich der Ernst und das Streben zum Heil in Leere aufgehen wird. Im Gegenteil, Buddha und seine Schüler waren von einem Zweckbewußtsein, der Sicherheit, ihr Ziel zu erreichen und so von einer völligen Hingabe im Suchen durchdrungen, wie auch Buddha selbst in seinem heiligen Streben ein Beispiel für seine Jünger darstellte. Aber noch heute herrscht im europäischen Geist die Auffassung, der Buddhismus sei eine Form des Nihilismus. b) Man soll diesen Ausdruck anattâ (anâtman) nicht als Atheismus oder Nihilismus im gewöhnlichen Sinne mißverstehen, wie Prof. Friedrich Heiler im Zusammenhang mit dem Begriff Nirvâna sehr klar hervorgehoben hat: »Nirvâna ist dasselbe, was für die Mystik ›das Seiende des Seienden‹ ist, die höchste und einzige Realität, das Absolute, das Göttliche … Nirvâna ist das ›Unendliche‹, das ›Ewige‹, das ›Ungeschaffene‹, das ›Qualitätlose‹, das ›Unaussprechliche‹, das ›Einzige‹, das ›Höchste‹, das ›höchste Gut‹, (E) Dharma bedeutet hier: Manifestationen der Wirklichkeit, allgemeine Sachverhalte, Dinge, das Phänomenale. Die bedingten Dharmas entstehen, kombinieren sich mit anderen zu Dharmaverbindungen bzw. Phänomenen, die unmittelbar wieder vergehen und etwas Neues bilden.
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das ›Beste‹, das ›Gute‹ schlechthin. Und doch vermeiden es Buddha und seine Jünger peinlich, Nirvâna ausdrücklich als das ›Göttliche‹, die ›Gottheit‹, als das Brahma in der Sprache der Upanischadmystiker, zu benennen …« 10
Ja, gerade hinter diesem negativen Begriff »anattâ (anâtman)« ist ein tiefes und starkes Gefühl für Heiligkeit und auch eine unerschütterliche Gewißheit der Verwirklichung der Erlösung in diesem Leben verborgen. »Der Buddhismus hat nur den Gedanken der ›negativen Theologie‹ zu Ende gedacht, und aus der mystischen Idee epekeina die letzten Konsequenzen gezogen.« 11
Und in diesem Extrem der mystischen Idee geschieht etwas sehr Seltsames: Der Zeiger unseres Heilsziels ändert seine Richtung. Man kann sagen: Der Buddhismus versucht das Jenseits des Jenseits zu erreichen und findet dies im »Hier und Jetzt« der wahren menschlichen Existenz. Das Rätselhafte der Ausdrücke wie anâtman, śûnyatâ 12 beruht auf diesem Phänomen. c) Es ist sehr interessant, hier die eigentliche Bedeutung des oben zitierten »Vollendeten« (tathâgata) zu beobachten. Tathâgata bedeutet: einer der bereits auf dem Weg von hier nach dort (Nirvâna) gegangen ist, und zugleich: einer der auf diesem Weg von dort her wiederum hierher gekommen ist. Die Lehre Buddhas ist eben dieser Weg, auf dem er erst als der Hin-und-Her-Gehende als Persönlichkeit (tathâgata) seinen Jüngern begegnen kann. Hegel hat einmal den Grundzug des Absoluten durch »egressus est regressus« bezeichnet, und diesen als dialektische Logik nur im Bereich des reinen Denkens, objektiv (spekulativ), anwenden wollen, indem er das theologische Symbol der Dreieinigkeit philosophisch interpretierte. So verlor er auf halbem Wege den Anschluß an den wirklichen Sinn des »egressus est regressus«. Hier im Ur-Buddhismus dagegen wird die konkrete Wahrheit der Lehre Buddhas mit dem Wort »tathatâ« bezeichnet. Tathatâ ist die absolute Wahrheit, die aber immer mit dem tathâgata zusammengehörig, Friedrich Heiler, Die Buddhistische Versenkung, München 1918, 21922, S. 40. Ebd., S. 41. 12 (E) Skrt., wörtlich: Leere, Leerheit. Zentraler Begriff der Kyôto-Philosophie. Der Hinayâna-Buddhismus bezog die Leere/Leerheit nur auf die Person, wohingegen die verschiedenen Schulen des Mahâyâna-Buddhismus diese Konzeption auf alle Wesen und Dinge ausdehnten. 10 11
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sozusagen seinen Vorder-grund (nicht Hintergrund) ausmacht. Der Grund Gottes (die Gottheit) ist leer, da sein Hintergrund, zum Vordergrund verwandelt, als Weg inmitten der Gläubigen (seiner Jünger) offen bleibt. Das ist, so glaube ich, die wahre Bedeutung von śûnyatâ und anâtman. Was die übliche Ansicht angeht, daß die Persönlichkeit im buddhistischen Sinne nichts anderes als die Kombination der »fünf Gruppen des Ergreifens« 13 sei, so glaube ich, daß sie später entstanden und von der abhidharmischen Tendenz 14 seiner Schüler verursacht worden ist. Einen sachlicheren Vergleich für die Abscheu Buddhas gegen die Probleme der Metaphysik können wir in der europäischen Philosophie bei Kierkegaard finden, wenn er gegen die Spekulation Hegels sagt: Die Philosophie als Spekulation ist nichts anderes als die phantastische Einheit unseres zeitlichen Daseins mit der Ewigkeit. In Wirklichkeit bleibt die arme Existenz des Spekulanten immer gleich vor und auch nach dem System – ganz elend und heillos. Der Philosoph ist wie ein Mann, der einen großen Palast gebaut hat, selbst aber daneben in einer elenden Hütte wohnt. Wäre sein Dasein unendlich, so könnte er zwar zur Erholung sich der Spekulation hingeben, aber er ist zeitlich. Gerade wenn er die Zeit in seiner Betrachtung »sub specie aeternitatis« vergißt, wird er für seine Vergeßlichkeit – d. h. Verschwendung seines Daseins – verantwortlich. Die rein spekulative Beziehung unserer Zeitlichkeit mit der Ewigkeit hilft unserer Existenz nicht. »Existenz ist unser Sein, das in unserer Endlichkeit unendlich an seiner Seligkeit interessiert ist.« Ich konnte lange nicht dieses Wort »unendlich interessiert« oder »leidenschaftlich interessiert« verstehen, weil mir das »Interesse« mit weltlichen Dingen im Zusammenhang zu stehen schien – ein Ergebnis meiner Gewöhnung an die buddhistische Denkweise. Aber »Leidenschaft« und »Interesse« sind hier eschatologisch gefärbt. Dadurch, daß im Buddhismus das Ziel »Nirvâna« ist, und ebenso durch die Tatsache, daß im Christentum der Weg zum Reich Gottes eschatologisch verstan-
(E) Skrt.: Skandha. Bezeichnung für die fünf Gruppen, die alles, was allgemein als »Persönlichkeit« angesehen wird, konstituieren. Körperlichkeit, Empfindung, Wahrnehmung, psychische Formkräfte, Bewußtsein. 14 (E) Der Abhidharma-Pitaka umfaßt die buddhistischen Schriften zur Dogmatik, die die Lehrreden Buddhas auslegen und vertiefen. 13
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den wird, erfährt das Verhältnis von Ziel und Weg einen grundlegenden Wandel seiner Bedeutung. Was Kierkegaard als das Problem unserer eigenen Seligkeit bezeichnete, gehört zur Grundbestimmung unseres Menschseins. Es bewegt uns von Grund aus und verändert so unsere Daseinsart – unser Streben nach dem Nützlichen und nach Behagen – zu einem ganz Anderen. Eine große eschatologische Leidenschaft bestimmt uns in unserer Grundhaltung. Sie ist zwar ein Suchen, aber von dem alltäglichen Streben qualitativ verschieden wie die Liebe von der Begierde. Ganz ähnlich sind die Umstände im Buddhismus. Zwar wird hier die Grundhaltung dieses heiligen Suchens immer etwas negativ ausgedrückt. Aber natürlich ist eine pessimistische, leblose Stimmung wie Langeweile, Müdigkeit usw. nicht die wahre Abgeschiedenheit. Im buddhistischen Sinne ist die wahre religiöse Abgeschiedenheit zwar »stetig und unerschütterlich«, aber sie muß zugleich »empfänglich und geschmeidig« sein. Erst eine solche Leidenschaft bewegt uns zum »heiligen Suchen«. Denn sie ist ein Wegweiser zu unserem letzten Ziel, und sie leitet uns auf jedem Schritt unseres Weges und kritisiert uns streng in unserem Tun und Lassen und fragt uns, inwiefern wir zweckbewußt handeln. Was oben in dem Kanon auf Deutsch mit »keinen Gewinn bringt« übersetzt wurde, ist in den Pali-Texten mit na atthasamhitam bezeichnet. Auch ist C. H. Rhys Davids selbst in ihren letzten Jahren die sinnvolle Bedeutung dieses Wortes, »attha« bewußt geworden. 15 Theologisch gesagt ist diese große Leidenschaft, verursacht durch die Begegnung unseres Zeitlichseins mit der Ewigkeit, von Grund auf eschatologisch. Ontologisch, möchte ich sagen, ist sie beherrscht von der Begegnung des Seins und des Nichts. Es ist die Verschiedenheit dieser Begegnungsart, so denke ich, die das Christentum vom Buddhismus unterscheidet. Idealtypisch betrachtet: der Bericht von der Begegnung des Apostels Paulus mit Christus auf dem Wege nach Damaskus und die Sage von der Begegnung des jungen Buddha mit dem Alten, dem Kranken, dem Sterbenden und dem Heiligen vor den Toren seiner Vaterstadt wirken auf die religiöse Gesinnung der nachkommenden Gläubigen. Auch die Wesensverschiedenheit der Religion und der Philosophie beruht auf der charakteristischen Fragestellung in dieser BeVgl. C. H. Rhys Davids, Gotama the Man, London 1929; Wayfarer's World, Bd. 2 und 3, London 1942; Sakya, London 1931.
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gegnung des Seins und des Nichts – dieses schwierige Problem, das mich immer beschäftigt, werde ich gleich nochmals berühren.
II. Eine gemäßigtere Ansicht, verglichen mit der obengenannten pragmatischen Einstellung, kann man in den Büchern von Hermann Oldenberg, Max Walleser, Tetsurô Watsuji und Hakuju Ui finden – ich möchte hier nur die letzten beiden kurz darstellen. Nach Watsujis Meinung ist es sehr klar, daß dieser Standpunkt Buddhas, der den Diskussionen über Zeitlichkeit und Ewigkeit oder Endlichkeit und Unendlichkeit der Welt usw. ausweicht, in Wirklichkeit keine naive Ablehnung der Philosophie oder Mißtrauen gegen sie ist, sondern daß sich darin eine höhere Weisheit manifestiert, die nicht diesen auf der Antinomie der theoretischen Vernunft beruhenden Irrweg geht. Es ist sehr interessant, daß die Antinomien hier in ganz ähnlicher Weise eingeordnet wurden wie in Kants »Kritik der reinen Vernunft«. Watsuji behauptet, die Grundeinstellung Buddhas sei nicht nur kritisch gewesen (im Sinne der Ablehnung der dogmatischen Behauptungen) sowohl gegenüber der traditionellen autoritären Spekulation der upanischadischen Mystik als auch gegenüber dem damals neu sich geltend machenden Empirismus, Materialismus und Skeptizismus, sondern seine Philosophie und Religion sei völlig durchdrungen von der erkenntnistheoretischen Methode. Zwar sei für Buddha das Reich der Mathematik und Naturwissenschaft noch nicht erschlossen, welches Kant seine kritische Untersuchung über die Möglichkeit ihrer Allgemeingültigkeit in der Menschheit durchführen lasse. Aber Buddha kenne auch das menschliche Dasein in seiner Alltäglichkeit. Gerade dieses verlange seine eigenen Da-seinskategorien, von welchen erst gemeinsame Züge des alltäglichen Lebens begründet würden. Diese Lehre des menschlichen Daseins in seiner Alltäglichkeit sei analysiert von Buddha in seiner Theorie von den »fünf Gruppen des Ergreifens«. 16 Die Lehre von dem »Abhängigen Entstehen« 17 sei eine weitere Grundlage, auf der sich die Beziehung dieser Dharmen, nach dem letzVgl. Anm. 13. Pali: paticca-samudppâda, Skrt.: pratītya-samutpâda. (E) Diese Lehre besagt, daß die Phänomene alle in einem bestimmten Abhängigkeits- bzw. Bedingungsverhältnis zuein-
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ten Grund des Menschseins, ordne. – Da unsere Einsicht, die den letzten Grund des Menschseins zu Tage fördert, gerade dadurch die menschliche Alltäglichkeit zu-Grunde-gehen lasse d. h. aufheben könne, so führe sie auf den Weg der Transzendierung d. h. der Erlösung unseres Daseins. 18 Diese Erklärung Watsujis birgt allerdings viele Schwierigkeiten in sich. Der Beitrag von Watsuji zu diesem Problem ist unübersehbar, weil er zum ersten Male in Japan die Möglichkeit der gegenseitigen Befruchtung von europäischer Philosophie und urbuddhistischem Denken aufgezeigt hat. Und seine ausführlichen Erklärungen der Theorie von den fünf Gruppen und der Pratītyasamutpâda-Theorie sind glänzend. Ich möchte hier seine erkenntnistheoretische und daher transzendentalphilosophische Einstellung noch einen Schritt weiter vertiefend, das Problem der zugrunde gehenden Bewegung unseres Selbstbewußtseins von dem Standpunkt des existenziellen Buddhismus aus erhellen. Die Lehre vom sogenannten abhängigen Entstehen stammt aus dem ureigensten Denken des Urbuddhismus, woher auch alle weitere Entfaltung der späteren buddhistischen Philosophie ihr Leben und ihre Kraft empfängt. Obwohl die Härte und Eintönigkeit in der Formulierung dieser Lehre eine unmittelbare Annäherung zurückweist, herrscht in ihr doch eine unsichtbare Kraft der Sprache Buddhas, und wer einmal betroffen und entzückt von ihrem Geiste ist, wird an ihrer echten religiösen Wahrheit nicht weiter zweifeln können. Sie kommt aus der tiefen Versenkung und Konzentration des Bewußtseins, welches die Äußerlichkeiten und Zerstreutheiten der Erlebnisse unseres alltäglichen Lebens auf den Brennpunkt der Persönlichkeit hin versammelt, um dort das Unsagbare entflammen zu lassen. Die steife und mechanische Ausdrucksweise ist wie eine Einstellung der Brennweiten, durch welche der Apparat unseres Bewußtseins wiederholt eingerichtet werden soll, um das Licht des Himmels einholen zu können. So möchte ich Sie gleich bei meinem Versuch zur Einführung dieser Lehre bitten, daß Sie ein wenig Geduld haben möchten, bis Sie später etwas Wärme in der Tiefe Ihrer Seele spüren werden; ich hoffe, daß sich das Feuer dann von selbst nähren wird. Sie werden am folgenden Zitat erkennen, daß die Formulieander stehen und entstehen und demgemäß dem einzelnen Seienden kein substanzielles Wesen zugrunde liegt. 18 Tetsurô Watsuji, Genshi bukkyô no jissentetsugaku (Die Praktische Philosophie des Ur-Buddhismus), Tôkyô 1927.
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rung nichts anderes ist als ein Bekenntnis der Umkehrung Buddhas, durch deren Mitteilung er für sein heiliges Feuer den neuen Feuerstock sucht – in mir und in Ihnen. Und gerade darin nämlich, daß solches Bekenntnis eine nüchterne und philosophische Formulierung finden konnte, liegt auch ein besonderer Charakterzug des Buddhismus, wie ich Ihnen schon gezeigt habe. Die Formulierung des Lehrsatzes vom abhängigen Entstehen erscheint in den Texten des Buddhismus in vielen Abwandlungen. Gerade die Glieder dieser Formulierung sind nicht übereinstimmend. Aber zuvor möchte ich die berühmte Fassung mit den zwölf Gliedern erklären. »Zu der Zeit weilte der erhabene Buddha bei Uruvelâ am Ufer des Flusses Nerañjarâ, am Fuße des Baumes der Erleuchtung, nachdem er eben erst die Erleuchtung gewonnen hatte. Da saß nun der Erhabene am Fuße des Baumes der Erleuchtung sieben Tage lang in ein und demselben Sitz mit gekreuzten Beinen, indem er das Wohlgefühl der Erlösung genoß. Da betrachtete der Erhabene in der tiefen Nacht das abhängige Entstehen in gerade und umgekehrter Reihenfolge: Abhängig vom (12) Nichtwissen (avijjâ), entstehen (11) die Willensregungen (Gestaltungen: sankhârâ); abhängig von den Willensregungen entsteht (10) das Erkennen (viññâna), abhängig vom Erkennen entstehen ( 9) Name und Form (nâma-rûpa); abhängig von Name und Form entsteht ( 8) der sechsfache Bereich (salâyatana), … ( 7) die Berührung (phassa), … ( 6) die Empfindung (vedanâ), … ( 5) der Durst (tanhâ), … ( 4) das Ergreifen (upâdâna), … ( 3) das Werden (bhava), … ( 2) die Geburt (jâti), … ( 1) Alter und Tod (jarâ-marana), Schmerz und Klagen, Leid, Betrübnis und Verzweiflung. So kommt die Entstehung dieser ganzen Leidensmasse zustande. Durch Aufhebung des Nichtwissens (12) infolge völliger Leidenschaftslosigkeit werden die Willensregungen (11) aufgehoben; durch Aufhebung der Willensregungen wird das Erkennen (10) aufgehoben; … durch Aufhebung der Geburt wird Alter und Tod, Schmerz und Klagen, Leid, Betrübnis und Verzweiflung aufgehoben. So kommt die Aufhebung dieser ganzen Leidensmasse zustande.« 19
19
Vgl. hierzu Hermann Oldenberg, Reden des Buddha, München 1922, S. 31 f.
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In einem anderen Sûtra ist das Motiv dieses steifen und archaischen Denkens mit folgenden Worten ausgedrückt: »In Mühsal wahrlich ist diese Welt geraten. Man wird geboren und altert und stirbt und scheidet aus dem Dasein und wird wiedergeboren. Aber man findet doch keinen Ausweg aus diesem Leiden. Wann wird man denn doch einen Ausweg finden aus diesem Leiden, aus Alter und Tod?« In der Tat ist es gerade diese Kardinalfrage, auf Grund deren er, nämlich Gotama Buddha, in seiner Jugend der Welt entsagt und ein mönchisches Leben führt, um die Wahrheit zu finden, die über die Vergänglichkeit und alle weltlichen Dinge erhaben ist. Die älteste Überlieferung von dieser seiner ersten Bekehrung ist uns glücklicherweise im Pâli-Kanon erhalten geblieben. Doch selbst schon im Pâli-Kanon wurde sie andererseits bereits zur Legende und in eine dramatisierte Anekdote umgestaltet: Der junge Prinz sah bei seinen Ausfahrten vor den Toren seiner Heimatstadt einmal einen Greis, dann einen Kranken, dann wieder einen Leichnam und schließlich einen Asketen; dieses beeinträchtigte sein Wohlergehen dermaßen, daß er schließlich zu dem Entschluß kam, den Gang in die Heimatlosigkeit anzutreten und mit großem Eifer nach Erlösung zu suchen. 20 – In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen zeigen, daß diese dramatische Anekdote eine Wirklichkeit bezeichnet, welche wirklicher ist als der geschehene Vorfall und welche für die Ausprägung des religiösen Geistes in ganz Ostasien maßgebend ist. Diese Wirklichkeit trug nämlich nicht nur zur religiösen Erweckung des Asiaten bei, sondern wurde auch in der Legende des christlichen Heiligen Josaphat bis in den Westen überliefert und hatte vielleicht großen Einfluß auf das Christentum im Mittelalter, z. B. auf Franz von Assisi und andere. 21 Die Legende vom jungen Prinzen ist nichts anderes als eine mythologischphantasievolle Ausschmückung jener vorhin angedeuteten so bedeutungsvollen Frage des Buddha. Wir können diese Frage geradezu als existenzielle bezeichnen. Das ist sicher noch deutlicher als bei der UrFassung, die die Sprache des Buddha selbst spricht. Die dramatisierte Form erhält ihren existenziellen Charakter von dieser. Darum kann sie auch als Archetypus für den religiösen Menschen Jahrtausende hindurch ihre Geltung bewahren und weiterwirken. Vgl. Hermann Oldenberg, Buddha, Stuttgart 1959, S. 113 f.; E. Kanakura, Geistesgeschichte Indiens (indo jodai seishinshi), Tôkyô 1938, S. 296 f. 21 Vgl. Alfred Foucher, La Vie du Buddha, Paris 1949; H. Thode, Franz von Assisi, Wien 1904. 20
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Doch weit schwieriger ist es, auch im philosophischen oder theoretischen Bereich den eigentlichen Sinn und die Bedeutung jener Frage zu ergründen. Gerade dies ist das Problem der buddhistischen Philosophie, wenn sie nämlich diese religiöse Frage mit einer philosophischen Antwort in Zusammenhang bringen will. Doch solch ein existenziales Denken ist bei den Nachfolgern Buddhas nicht mehr zu finden. Schon im Pâli-Kanon gerät oft die Exegese dieser Lehre durch die ersten Schüler des Buddha in Verfall; daher wohl warnte er zuweilen davor, daß die Lehre von eilfertigen Schülern manchmal allzu leichtgenommen werde. Eine solche verfallende d. h. existenzlos objektivierende Fassung der Lehre werden wir insbesondere bei den abhidharmischen Interpretationen kennenlernen, wo Begriffe wie Tod, Alter, Schmerz usw. ganz seicht und psychologisch (oder physiologisch) verstanden werden. Daraus erfolgt eine ganze Reihe von mißverstandenen Erklärungen, die bis jetzt unter den Gelehrten im Osten und auch im Westen als gültig betrachtet wurden. H. Ui hat unter den ersten Pâli-Kommentaren bezüglich des Pratītyasamutpâda denjenigen herausgefunden, der die erste Phase der Entwicklung der Erklärung des Pratītyasamutpâda darstellt. In diesem Text gibt es seiner Meinung nach keinen Anhaltspunkt dafür, daß die Lehre vom Pratītyasamutpâda einer empirischen und physio-psychologischen Erklärung bedarf, wie sie sich in den überlieferten Exegesen findet. So sei es ganz unnötig, die Glieder dieser Lehre, indem man ihnen drei Zeitbestimmungen (nämlich Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft) zuordnet, als Kausalnexus der Seelenwanderung (samsâra) zu erklären. Seiner Ansicht nach erklärt uns Pratītyasamutpâda, wie es möglich ist, daß der Mensch in seinem Leben überhaupt solchem Elend und solcher Not wie Alter, Krankheit, Sterben usw. ausgesetzt ist, und nicht wie der Mensch, je einzeln, faktisch und nach dem Gesetz des Karma immer seine Geburt wiederholen muß. Anders ausgedrückt, handelt es sich nicht um die mythologische und zugleich empirische und physio-psychologische Erklärung unseres Daseins aus dem Seelenwanderungsglauben, sondern um die logische und ontologische Begründung unserer schmerzhaften Existenz. Von dieser Einsicht her vergleicht er alle Formen des Pratītyasamutpâda – es gibt diese Lehre mit 6, 7, 9, 10, bis zu 11, 12 und auch mehr Gliedern. Wenn man bei solcher Verschlingung die vielfachen Formeln berücksichtige, sei es nötig, zuerst das gemeinsame Grundprinzip des pratītyasamutpâda hervorzuheben. Und dieses Grundprinzip ist nach 405 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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Ui jene Formel im Pâli-Kanon »Wenn dies ist, ist auch jenes; wenn dies entsteht, entsteht auch jenes; wenn dies nicht ist, ist auch jenes nicht; wenn dies vergeht, vergeht auch jenes.« Die erste Hälfte in dieser Formel der wechselseitigen Abhängigkeit entspricht der »Entstehung der ganzen Leidensmasse«, und die letzte der »Aufhebung derselben«. So repräsentiert die ganze Formel nicht nur die Begründung und Ermöglichung unserer Erscheinungswelt, sondern sie erklärt auch die Ordnung des Heilswegs. Und weiter erklärt die Lehre des Pratītyasamutpâda in ihren einzelnen Gliedern, wie die ganze Welt erscheint entsprechend jeder einzelnen Stufe. – Die Welt im buddhistischen Sinne ist nämlich nichts anderes als die horizontale Totalität des Seienden, insofern die Welt vom Menschen gesehen und in Bezug zum Menschen gestellt wird. Sowohl einzeln wie zusammen betrachtet, offenbaren die Glieder des Pratītyasamutpâda die ganze Welt in ihrer vielfältigen Zusammenfügung. Hier ist nach meiner Meinung besonders die achtgliedrige bzw. neungliedrige Formel des Pratītyasamutpâda bemerkenswert. Sie fängt wie alle anderen mit (1) Alter und Tod (jarâ-marana) an, aber endet mit (9) Name und Form (nâma-rûpa) und (10) Erkennen (viññâna: vijñâna). Weiter sind in dieser Formel die beiden letzten Glieder – nämlich Erkennen (viññâna) sowie Name und Form (nâma-rûpa) – wechselseitig von einander abhängig d. h. abhängig vom viññâna ist und entsteht nâma-rûpa, und umgekehrt abhängig von nâma-rûpa ist und entsteht viññâna. Philologisch betrachtet ist es klar, daß die Formel mit 12 Gliedern eine Weiterentwicklung von der mit 8 Gliedern ist. So konzentriert sich das Wesen des abhängigen Entstehens 22 zum Verhältnis von: nâma-rûpa ! viññâna. Das ist verständlich, weil hier das Geheimnis der Dynamik der Umkehrung, nämlich das Zum-absoluten-Wissen-Erwachen in einer rätselhaften Chiffre verborgen ist. Ein Beispiel aus dem Samyutta-Nikâya (XII. Nr. 67) macht dies noch klarer. Hier schwingt, so scheint mir, noch der Klang echten religiösen Erlebens mit: »Gerade so, wie wenn da zwei Rohrbündel an einander gelehnt stünden, genauso entsteht aus Name und Form als Ursache das Erkennen: aus dem Erkennen als Ursache entsteht Name und Form, aus Name und Form als Ursache entstehen die sechs Sinnesbereiche, … aus der Geburt entsteht Alter und Tod, Schmerz, Kummer, Leid, Betrübnis und Ver22
Pali: idappaccayatâ, Skrt.: idam-pratyayatâ.
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zweiflung. Auf solche Art kommt die Entstehung der ganzen Masse des Leidens zustande. – Wenn man aber von diesen Rohrbündeln das eine an sich zöge, so fiele das andere um, und wenn man das andere an sich zöge, so fiele das erste um. Ganz ebenso folgt aus der Aufhebung von Name und Form die Aufhebung des Erkennens; aus der Aufhebung des Erkennens folgt Aufhebung von Name und Form, aus der Aufhebung von Name und Form folgt Aufhebung der sechs Sinnesbereiche; … durch Aufhebung der Geburt werden Alter und Tod, Schmerz, Kummer, Leid, Betrübnis und Verzweiflung aufgehoben. Auf solche Art kommt die Aufhebung der ganzen Masse des Leidens zustande.« 23
In diesem Gleichnis wird die Zusammengehörigkeit, die wechselseitige Abhängigkeit von »Erkennen« und »Name und Form« sowohl von der Seite der Entstehung als auch von der der Aufhebung her beleuchtet. Also ist diese Zusammengehörigkeit auch die von Entstehung und Aufhebung. – Daher beruht die Zusammengehörigkeit von »Erkennen« und »Name und Form« auf dieser uns noch verborgenen Dynamik unseres inneren Gefüges. Durch diese Grunderkenntnis wird auf einmal jene Kraft nichtig, die uns immer auf dem Meer des Todes und Alters schweben läßt. Denkt man an das Verhältnis von viññâna und nâma-rûpa als das des Menschen und der Erscheinungswelt, so können wir dabei einen bemerkenswerten Kontrast zur frühesten europäischen Philosophie feststellen. Bei Parmenides heißt es: »To gar auto noein estin te kai einai.« (»Das Selbe nämlich ist Vernehmen [Denken] sowohl als auch Sein.«) Was dieser schwierige Satz eigentlich bedeutet, beherrscht den ganzen Weg der Philosophie im Abendland. 24 Eine ähnliche Bedeutsamkeit wie das »to auto« des Parmenides enthält die wechselseitige Abhängigkeit (idam-pratyayatâ) zwischen viññâna und nâma-rûpa im Buddhismus, da die ganze Geschichte der Philosophie des Buddhismus nichts anderes ist als die Entwicklung dieses einfachen, aber zugleich schwierigsten Gedankens. Wir geben hier nur ein Beispiel, und zwar das aus der Vijñânavâda-Schule. 25 Wir erkennen, daß die Zusammengehörigkeit im pratītyasamutpâda doppelseitig ist und zwar in dem Sinn, a) daß einmal viññâA. a. O. (Anm. 4) Bd. 2, S. 156. Martin Heidegger, Identität und Differenz, Pfullingen 1956. 25 (E) Skrt., wörtlich: Die Schule, welche das Erkennen lehrt. Auch bekannt unter dem Namen Yogakara, Skrt.: wörtlich: Das Ausüben des Yoga. Schule des indischen Mahâyâna-Buddhismus, die sich im 3./4. Jh. n. Chr. bildete. 23 24
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na abhängig ist von nâma-rûpa und umgekehrt, b) daß sie zum anderen nur zusammen entstehen und auch einander aufheben können. Dies wird mit Recht mit dem Verhältnis zwischen dem träumenden Subjekt und seiner Welt im Traum verglichen. Dadurch, daß ich einen Traum habe, erscheint die Welt in meinem Traume. Aber nur weil die Welt zugleich unabhängig von mir ist, ist dies für mich quälend. Weiter, indem die Welt des Traums immer ununterbrochen da ist, kann ich nicht aus dem Traum erweckt werden, und umgekehrt. Und dennoch, diese Kontinuität im Schlafen kehrt sich um zum Erwachen von dem Augenblick an, wenn die Traum-welt und das träumende Subjekt wechselseitig vernichtet werden. Also haben wir hier ein Beispiel für die wechselseitige Abhängigkeit zwischen viññâna und nâma-rûpa. In der frühesten Theorie der Vijñânavâda-Schule wird die nâma-rûpa als die Welt und der Leib vorgestellt, da unser »In-der-Welt-Sein« zugleich unser »Den-Leib-Haben« im Sinne des »Ergreifens« ist. Wie ein Knabe, der nach dem Kuchen in einem engmündigen Gefäß greift, seine Hände nicht mehr herausziehen kann, so wird sich der Mensch gerade bei dem »Seinen-eigenen-Leib-Haben« unvermeidlich in die Welt verstricken. Läßt der Knabe seine Hände weg von den Dingen seiner Begierde, dann wird er wieder frei. Die große Abgeschiedenheit von den weltlichen Dingen macht uns also frei sowohl von uns selbst als auch von der Welt. Aber das ist nur eine allegorische Erläuterung. Überlegen wir uns eine andere Möglichkeit der Auffassung wie etwa die der Mâdhyamika-Schule 26 und die Erläuterung der Avatamsaka-Schule, 27 so hebt sich eine andere Seite desselben Grundgefüges ab. Nach der Lehre Nâgârjunas 28 ist es ein Grundprinzip, daß in der Welt alle Entstehungen der Dharmen (d. h. alle Erscheinungen des Seienden) auf der wechselseitigen Abhängigkeit beruhen. Nichts in der Welt hat einen eigenen Grund oder eine causa sui, aber zugleich entsteht nichts durch Zufall. In der Relation des Subjekts und Objekts, im Zusammenhang eines Dinges zum andern liegt ein Gesetz der Dharmen. Dieser
(E) Skrt., wörtlich: Vertreter des Mittleren Weges. Schule des indischen MahâyânaBuddhismus, begründet von Nâgârjuna im 2. Jh. n. Chr. Auch bekannt unter dem chinesischen und japanischen Namen San-lun bzw. Sanron Schule. 27 (E) Sktr., wörtlich: Schule der Buddha-Girlande. Mehr bekannt unter dem chinesischen Namen Hua-yen-Schule, oder unter dem japanischen Namen Kegon-Schule. Da die indischen Quellen verloren sind, ist die Entstehung ungewiß. 28 (E) Vgl. Anm. 26. 26
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Grundsatz der Dharmen 29 ist jene idam-pratyayatâ, durch welche, nach Nâgârjunas Erklärung, »alles Entstandene als abhängig von etwas anderem zur Erscheinung kommt«, oder »alles sein Dasein nur im Zusammenhang mit anderem hat«. Das Vorbild dieser Einheit des voneinander Abhängigen ist das oben genannte Grund-Verhältnis von viññâna und nâma-rûpa, aber hier wird der Begriff der Abhängigkeit mehr philosophisch und konstruktiv-affirmativ auf das Ganze hin betrachtet, da durch das »Wechselseitig-sich-selbst-Negieren«, und durch das gleichzeitige »Von-einander-abhängig-bestehend-Sein« eine harmonische Totalität entsteht. Genau wie bei den Perlen eines Rosenkranzes, die so auf eine Schnur gezogen werden, daß diese durch ihre Mitte, das heißt vom Loch einer Perle zu dem der anderen (also von Zentrum zu Zentrum) verläuft, so werden die Dinge in der Welt und ich selbst – und ebenso das Ich mit dem Du oder ein Ding mit dem andern – durch dharmatâ 30 verbunden und ausgefüllt, da die Dinge und das Ich wesenlos (śûnyâ, leer) sind. Diese harmonische Anschauung der Dharmen wird weiterentwikkelt in der Philosophie des Avatamsaka-Sûtra. 31 Nach dem AvatamsakaSûtra und der berühmten philosophischen Interpretation des chinesischen Forschers Fa-tsang 32 ist die Welt dem Netz des Gottes Indra vergleichbar, bei dem jeder Knoten einen Edelstein umschließt. In jedem dieser Edelsteine reflektiert sich die Gesamtheit der übrigen; das ganze Netz entspricht also der Welt der Dharmen. Und nicht nur dies! Jeder Edelstein spiegelt sich auch selbst in allen anderen und – durch die Spiegelung aller anderen Spiegelungen in jedem einzelnen Edelstein – wird eine »Selbstspiegelung als reine Tätigkeit« geschaffen. So wird durch wechselseitiges Reflektieren, das zugleich Selbstspiegelung ist, das einzigartige Prinzip der All-Eins-Lehre im Buddhismus entwickelt.
(E) Skrt.: dharmastititâ, kann auch übersetzt werden mit: das konstante Wesen der Dharmen (d. h. eben nicht konstant zu sein). 30 (E) Skrt.: Wesen des Dharma; die Essenz, die allem zugrundeliegt. Philosophisches Konzept des Mahâyâna-Buddhismus. Gleichbedeutend mit Tathatâ, Buddha-Natur. 31 (E) Kurzform für Buddhâvatamsaka-Sûtra, Skrt., wörtlich: Sûtra der Buddha-Girlande. Sutra, das die Grundlage der Avatamsaka-Schule (chinesisch Hua-yen-Schule, japanisch Kegon-Schule, vgl. auch Anm. 32) bildet, welche vor allem die Lehre von der »gegenseitigen ungehinderten Durchdringung« aller Dinge hervorhebt. 32 (E) Fa-tsang (642–712). Begründer der Hua-yen-Schule in China. Vgl. auch Anm. 27 und 31. 29
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Aber man darf dieses Prinzip weder als Pantheismus noch als Panentheismus auffassen. Wie ein zwischen zwei parallele Spiegel gestelltes Licht eine unendliche Reihe von Spiegelbildern erzeugt, die doch in ein einziges Licht zusammenfallen, so verschieden und doch gleichartig sind jeweils zwei Glieder (Dharmen) in dieser monadologischen Weltharmonie. Fa-tsang selbst läßt einmal eine Weltanschauung durch den Aufbau des folgenden Apparates veranschaulichen: er stellt vier Buddha-Statuen im Viereck auf und eine fünfte in das Zentrum dieses Vierecks, und dann jeweils eine brennende Kerze vor jedes Gesicht. Dann wird das ganze Zimmer verdunkelt und zehn große Spiegel – acht in Form eines Achtecks um die fünf Statuen herum und je einer über und unter ihnen – aufgestellt, so daß je zwei parallel zueinander stehen, und indem sie sich gegenseitig das Bild der Buddha-Statuen zuwerfen, den unendlichen Kosmos der Buddhas sichtbar machen. Das ist ein Beispiel für den Zusammenhang zwischen den Dharmen. Ferner kann in dieser monadologischen Welt das Prinzip der Welteinheit von zwei Seiten aus gesehen werden. Von der ersten aus erscheint es als das Prinzip der Kontinuität zwischen allen Monaden, welches wie die oben erwähnte Rosenkranz-Perlen-Schnur alle Monaden von Zentrum zu Zentrum verbindet. Wie die Welt der Monaden in der Philosophie von Leibniz entsprechend dem Grad der Klarheit der Reflexion und des Bewußtseins von der dunkelsten bis zur klarsten Monade eine ununterbrochene Reihe bildet, so wird die kosmische Einheit der Dharmen in eine Rangordnung von Stufen des Heilsweges gebracht. Aber es gibt noch eine andere Seite der Welteinheit. Fa-tsang vergleicht das mit dem Schreiben und dem Drucken eines Sûtra. Um zu schreiben, muß man vom Anfang bis zum Ende Wort für Wort und Zeile für Zeile folgen lassen. Aber das Ergebnis dieser Tätigkeit wird beim Abdrucken im ganzen und auf einmal wiedergegeben. Beim Abdrucken ist nicht nur eine Umkehrung der Schriftrichtung möglich, sondern unendlich viele willkürliche Anordnungsmöglichkeiten der Schriftreihen. Das ist das Prinzip, welches die Welt stets neu hervorbringt – das »Er-eignen« der Welteinheit. Hier dreht sich die Totalität der Dharmen-Welt (d. h. der Welt ihrem wahren Wesen nach) von Ewigkeit zu Ewigkeit um soviel Achsen, wieviel Dharmen es gibt, wobei stets eine an erster Stelle stehende Monade die Gesamtheit der anderen Monaden beherrscht, sich aber alle Monaden in dieser Führungsstellung abwechseln. In dieser Dynamik der ständigen Welterneuerung 410 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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wird die konkrete Relation zwischen einer Monade und den anderen und auch zwischen den Monaden und der Welt von dem »gegenseitigen Begleiten« bestimmt, d. h. die niederen Monaden passen sich ständig der Aktion der höchsten Monade an. Also gibt es eine musikalische Harmonie zwischen den Begleiterinnen und der Hauptsängerin – doch wechselt hier die Rolle von Augenblick zu Augenblick. Nach der Philosophie des Fa-tsang ist dieses Einander-Begleiten bedeutungsvoller als die allmähliche Entwicklung der Heilsstufen, die im Vijñâna-vâda 33 als Wesenszug des pratītyasamutpâda angesehen wurde. Die Auffassung von diesem die Welt ständig erneuernden Prinzip oder von dem »gegenseitigen Begleiten der Dharmen« (und zugleich auch der Dharmen und der Welt) kommt nach Meinung Uis unter allen anderen Interpretationen der späteren Schulen der eigentlichen Bedeutung des pratītya-samutpâda im Ur-Buddhismus am nächsten. Aber in dieser Erklärung der Theorie des »gegenseitigen Begleitens« von Fatsang wird das pratītya-samutpâda nicht genug als der Weg zur »Aufhebung der ganzen Leidensmasse« verstanden. Das stimmt natürlich vom idealistischen Standpunkt aus, aber man muß sich fragen, wie diese moderne kritisch-idealistische Einstellung sich Eingang verschaffen konnte bei der Interpretation des Ur-Buddhismus. Die früher erwähnte Ansicht Watsujis war nämlich damals – als er seine »Praktische Philosophie des Ur-Buddhismus« schrieb – von der Philosophie des berühmten Marburger Philosophen Hermann Cohen beeinflußt worden. Die neukantianische Philosophie spielt in seiner Erklärung eine große Rolle. Ich möchte hier an dieser Philosophie des kritischen Idealismus keine Kritik üben. Seine Schwäche, die von der dialektischen Theologie und vom Existenzialismus an den Tag gebracht wurde, ist auch bei der oben beschriebenen Einstellung von Watsuji und Ui 34 zu finden. Aber wie der Gegensatz zwischen Vijñâna-vâda und Mâdhyamika in Indien zeigt, sind beide nichts anderes als das einseitige Entwickeln des Grundgefüges, und was Buddha in seinem Schweigen offen bleiben läßt, erforscht jede Schule aus ihrer besonderen philosophischen Einstellung heraus. Erst der Zen-Buddhismus und der Glaube an das »Reine Land« konnten das Problem von der Tiefe der Existenz erhellen.
(E) Vgl. Anm. 25. Vgl. Hakuju Ui, Indo tetsugaku kenkyû dainikan (Untersuchungen über die indische Philosophie), Tôkyô 1925–1927, Bd. 2, 3, 4.
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III. Der dritte Wege, das Schweigen des Buddha zu erklären, beruht auf der Versenkung. 35 Sie ist sehr wichtig und erscheint auch am geeignetsten, dieses Geheimnis zu durchdringen. Doch hat auch sie neben der starken ihre schwache Seite, wie man es in dem berühmten Buch von Hermann Beckh 36 lesen kann. Ich kann dieses Problem heute nicht weiter ausführen und möchte mich mit einer kleinen Legende von Buddha aus der Überlieferung des Zen-Buddhismus begnügen. Eines Tages saß Buddha mit seinen Schülern zusammen. Er pflückte eine Lotusblüte und sah sie an, und ein Lächeln spielte um seinen Mund. Keiner der Schüler begriff sein Geheimnis. Nur Kassapa lächelte wie er. Buddha aber bemerkte dies und sprach: Von nun an sollst du mein »geborgenes Wesen des Buddhismus« tragen. 37 Dieses Lächeln und das Schweigen sind gleich. Beide sind die unmittelbarste Kommunikation über die größte Distanz. Lassen Sie die Lotusblume, wie sie ist! Sie blüht, wenn sie blüht, sie fällt, wenn sie fällt. Jetzt steht sie und blüht unter dem hellen Himmel, und das ganze Universum spiegelt sich in ihr. Dabei tun weder Buddha noch Kassapa etwas dazu. Auch wir nichts! Doch sie grüßt auch Sie im sanften Wind und wartet auf Ihr stilles heiliges Lächeln.
Pali: jhâna, Sktr.: dhyâna. Vgl. Hermann Beckh, Buddha und seine Lehre, Stuttgart 1958. 37 (E) Vgl. hierzu Mumonkan – Die Schranke ohne Tor, übers. von Heinrich Dumoulin, Mainz 1975, Koan Nr. 6, S. 52. 35 36
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10. Kôichi Tsujimura Die Wahrheit des Seins und das absolute Nichts a (Übersetzt von Daisuke Shimizu und Ursula Baatz)
Zum Schluß müssen wir einiges über Unterschiede und Zusammenhänge zwischen der »Wahrheit des Seins«, nach der in der »Seinsfrage« Heideggers gefragt wird, und die sich somit durch diese Frage zeigt, und dem absoluten Nichts erwähnen, das im Zen als »ursprüngliches Antlitz des Selbst« b zum Selbst-Erwachen kommt, d. h. einfach gesagt, der »Wahrheit des Zen« – zugleich ist darin die Frage enthalten, ob diese Zusammenhänge möglich oder unmöglich sind. Die »Wahrheit des Seins« ist der »andere Anfang«, c verschieden von dem »Anfang der Metaphysik«, und auch die »Wahrheit des Zen« ist »anderer Anfang«, von der Metaphysik verschieden. Wir könnten sagen, daß die beiden Wahrheiten in dem negativen, nicht aktiven Punkt übereinstimmen, daß sie keine Metaphysik sind. Und diese Übereinstimmung im Nichta Anmerkungen von Kôichi Tsujimura; die Zusätze in eckigen Klammern von Ryôsuke Ohashi. Mit Kleinbuchstaben gekennzeichnete Anmerkungen von Daisuke Shimizu und Ursula Baatz. – U no shinsei to zettai mu (有の真性と絶対無). Der Text ist das Schlußkapitel eines Aufsatzes von Kôichi Tsujimura »Die Seinsfrage und das absolute Nichts (u no toi to zettaimu), in: Kôichi Tsujimura, Abhandlungen zu Heidegger (ハイデッガー論 攷, Heideggâ ronkô), Tôkyô 1971, S. 3–54. Der Aufsatz: Die Seinsfrage und das Absolute Nichts-Erwachen, in: Transzendenz und Immanenz, hrsg. von D. Papenfuß (vgl. Bibliographie), wurde unabhängig von dem hier übersetzten Aufsatz verfaßt. b Vgl. Mumonkan (無門関), Die Schranke ohne Tor, übers. von Heinrich Dumoulin, Mainz 1975, S. 96, Beispiel 23: »Der Patriarch sprach: Denk nicht, dies ist gut, denk nicht, dies ist böse! Was ist in diesem Augenblick das ursprüngliche Antlitz des Mönches Ming?« Dieses Beispiel bezieht sich auf die Rede vom ursprünglichen Antlitz im »Sûtra des sechsten Patriarchen« (六祖壇経, Rokuso-Dankyô). c Martin Heidegger, Einführung in die Metaphysik, Einzelausgabe, Tübingen 31966, S. 29; ders., Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung, Einzelausgabe, Frankfurt a. M. 41971, S. 76; ders. Nietzsche, Einzelausgabe, Pfullingen 31961, Bd. 1, S. 259 u. 470; Bd. 2, S. 262; ders., Vorträge und Aufsätze, Einzelausgabe, Pfullingen 1954, S. 83; ders., Wegmarken, Martin Heidegger Gesamtausgabe, Bd. 9, Frankfurt a. M. 1976, S. 159 Randbemerkung b. Vgl. dazu auch Otto Pöggeler, Der Denkweg Martin Heideggers, Pfullingen 1963, S. 189 ff.
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III. Fortbildung der Schule
Aktiven müßte für die heutige Welt nicht notwendig eine nicht-aktive Sache sein. Jedoch, auch die Unterschiede zwischen der »Wahrheit des Seins« und dem absoluten Nichts als der »Wahrheit des Zen« sind auf den ersten Blick offensichtlich. Zum ersten sind die beiden mit Blick auf den Boden des Selbst-Erwachens, des Zustandekommens dieser Wahrheiten, völlig verschieden. D. h. die »Wahrheit des Zen« ist diese: d Selbst, Welt und Geschichte in eins zu einem Klumpen schlagend, wird man zu einer Großen Zweifels-Masse und an dem Ort, wo diese endet – wo sich jenseits des Denkens die Sprache verliert, stürzt sie zusammen und schmilzt wie Eis; gerade an diesem Ort wird einem unmittelbar diese »Wahrheit des Zen« zu eigen. Folglich ist sie die Wahrheit, die mit keinem Denken erreicht werden kann und an sich selbst mit keiner Sprache zur Sprache gebracht werden kann. Schon in dem Augenblick, wo sie »das absolute Nichts jenseits von Sein und Nichts« genannt wird, ist die Sache längst vorbei. Notgedrungen sagt man provisorisch »das absolute Nichts«. Aber es west an dem Ort an, wo das Sprechen völlig zu einem Ende gekommen und zunichte geworden ist. Nein, es ist die Wahrheit, die vor dem Sprechen immer schon anwesend gewesen ist, und sie kann daher auch mit Sprache nicht mitgeteilt werden. Es ist Wahrheit, derart, daß man, wenn man sie zur Sprache bringt, im Gegenteil »vollkommen gutes Fleisch herausreißt, so daß eine Wunde entsteht«. e Kurzum, sie ist das Selbst; dieses heißt zwar das Selbst, aber es ist dasjenige ursprüngliche Antlitz des Selbst, das Welt und Geschichte in sich selbst gebracht hat. Dagegen ist die »Wahrheit des Seins« die Wahrheit, die durch und durch auf dem Boden des »Denkens« und der »Sprache« zustandekommt, und daher fordert, durch und durch »gedacht« und »zur Sprache gebracht« zu werden. Allerdings, selbst die »Wahrheit des Seins« wird, wenn sie in ihrem Tiefsten durchdrungen ist, nicht mehr die »Wahrheit des Seins«, sondern schlechthin »die d Da im japanischen Text an dieser Stelle ein subjektloser Nebensatz folgt, kann der Satz auch anders übersetzt werden: »D. h. die Wahrheit des Zen ist die Wahrheit, die gerade an dem Ort sich unmittelbar als solche erweist, wo Selbst, Welt und Geschichte in eins zu einem Klumpen geschlagen, zu einer Großen Zweifels-Masse werden, und so diese an ihrem Ende – wo sich jenseits des Denkens die Sprache verliert – zusammenstürzt und wie Eis schmilzt.« e Ein ähnlicher Ausdruck findet sich im Beispiel 3 des »Hekiganroku« (碧巌録), Bi-yânlu, Niederschrift von der Smaragdenen Felswand, übers. von Wilhelm Gundert, München 1960.
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Wahrheit« genannt. »Die Wahrheit« wird in diesem Fall derart gesagt, daß sie die »Wahrheit« ist, darein sowohl das »Sein« entschwindet als auch gleichzeitig das »Nichts« zunichte wird. 1 In diesem Punkt ähnelt sie dem absoluten Nichts sehr. Allein, »die Wahrheit« wird nicht das »Selbst« oder das »ursprüngliche Antlitz des Selbst« genannt, obwohl sie die wahre »Welt« ist. Die »Wahrheit des Zen« und die »Wahrheit des Seins« sind also ursprünglich völlig anders, obwohl sich die letztere, wenn sie in ihrem Tiefsten durchdrungen ist, der ersteren sehr ähnlich zeigt. Genauer gesagt, die völlige Andersheit der beiden Wahrheiten besagt nicht, daß sie verschiedene Wahrheiten sind, die zu einer gleichen Dimension gehören, sondern sie gehören zu völlig anderen Dimensionen, oder eher, sie sind als Wahrheiten je völlig andere Dimensionen. Die Andersheit dieser Dimensionen könnte zunächst als die des »(auch Sprache enthaltenden) Denkens« und des »Ursprungs des Denkens« gezeigt werden. Dieser ist der Ursprung nicht nur des Denkens, sondern des Seins und der Tätigkeit von allem Seienden. Allein, bloß durch die Zuführung des Unterschiedes zwischen der »Wahrheit des Seins« und der »Wahrheit des Zen« auf den dimensionalen Unterschied zwischen dem »Denken« und dem Ursprung des Denkens sind wir noch keinesfalls so weit gekommen, daß wir die Andersheit der beiden genug erörtert haben. Denn, wenn diese Andersheit bloß der Unterschied zwischen Dimensionen wäre, gälte sie auch für den Unterschied zwischen der Wahrheit der »Metaphysik«, in deren Grund zurückzugehen durch die »Frage nach der Wahrheit des Seins« unternommen worden ist, und der Wahrheit des Zen. Dagegen gehört das Denken Heideggers, das sich als »Frage nach der Wahrheit des Seins« bewegt, nicht nur nicht mehr zu der Dimension des »metaphysischen Denkens«, sondern es ist das »Andenken an den anderen Anfang«, verschieden von dem letzteren; es ist kein bloßes Denken, sondern ein »anderes Denken«, 2 das, wie erwähnt, von »dem, vor dem jedes Denken unmöglich ist« (das »Unvordenkliche«) f zu diesem hervorgerufen wird. Folglich kann die »Wahrheit des Seins«, die dieses »andenkende Denken« hervorruft, nicht so gesagt werden, daß sie leDies ist ein von Martin Heidegger mir mitgeteilter Gedanke aus: »Die Gefahr« (unveröffentlicht). (Anmerkung des Herausgebers: Jetzt zugänglich in Martin Heidegger, Gesamtausgabe, Bd. 79). 2 Martin Heidegger, Gelassenheit, Einzelausgabe, Pfullingen 1959, S. 32, 63 u. 73. f Der Verfasser bezieht sich hier auf das zweite, hier nicht übersetzte Kapitel der Arbeit. – Vgl. auch Martin Heidegger, Gelassenheit, Einzelausgabe, Pfullingen 1959, S. 63. 1
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diglich im Bereich des »Denkens« besteht; sondern sie besteht sozusagen »zwischen« dem »Denken« und dem »Ursprung des Denkens«; und zwar besteht sie im »Da« als Zwischenbereich, in dem ein »Gespräch« der beiden Bereiche geführt werden kann; sie ist nichts anderes als dieses »Da«. Daher kommt es, daß das, was der dimensionale und den Bereich betreffende Unterschied zwischen der »Wahrheit des Seins« und der »Wahrheit des Zen« genannt wird, nicht so einfach und klar ist. Aufgrund des Erwähnten könnte es vorläufig folgendermaßen formuliert werden: die »Wahrheit des Zen« ist im Ort des Ursprungs des Denkens gegenwärtig, und die »Wahrheit des Seins« west im Zwischenbereich des »Denkens« und des Ursprungs des Denkens als das »Gespräch« der beiden an. Aber selbst die »Wahrheit des Zen« beharrt nicht im Ort des Ursprungs des Denkens, sondern sie ist der »Ursprung«, woraus außerdem sowohl »Denken« als auch »Sprache« als Selbstbestimmungen dieses Ortes hervortreten. Auch in der »Wahrheit des Zen« kann sich nämlich beispielsweise eine Art von »Gespräch« ereignen, nämlich das »Mondô« (Frage-Antwort). g (Natürlich ist ein »Mondô« nicht so etwas wie ein Gespräch.) Demnach müßte die obige Formulierung folgendermaßen ergänzt werden: die »Wahrheit des Seins« west im Zwischenbereich des »Denkens« und des Ursprungs des Denkens als das »Gespräch« der beiden an, und die »Wahrheit des Zen« kann auch als »Mondô« aus dem Ursprung des Denkens anwesen. Der Ursprung des Denkens als Sitz der »Wahrheit des Zen« verneint h nicht lediglich »Denken« und »Sprache«, sondern kann diese in sich entstehen lassen, ohne von ihnen gefaßt zu werden; er ist jenseits von ihnen. So hat sowohl die »Wahrheit des Seins« als auch die »Wahrheit des Zen« in je eigener Weise mit dem »Denken« und dem Ursprung des Denkens zu tun. Daher könnte der Unterschied der beiden zum Unterschied der Art des Verhältnisses werden, das »Denken« und Ursprung des Denkens zueinander haben. Wäre dann das, was am Anfang als der dimensionale und den Bereich betreffende Unterschied der beiden erwähnt wurde, nichts als eine sinnlose Charakterisierung gewesen? So können wir das nicht unbedingt sagen. Denn obwohl es möglich ist, aus dem Ursprung des Denkens her zu »denken«, ist es wesentlich unmögVgl. dazu Daisetzu T. Suzuki, Mondo, in: Studies in Zen, London 1955, S. 165–175. Das altertümliche Wort, das hier mit »Verneinung« übersetzt wird, ist ein buddhistischer Terminus. g
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lich, sich vom »Denken« her auf den Weg zu machen und durch das »Denken« in den Ursprung des Denkens zu gelangen. Wir haben das berücksichtigt und erörtern als nächstes den Unterschied der Art des Verhältnisses, das »Denken« und Ursprung des Denkens zueinander haben, sowohl in der »Wahrheit des Seins« als auch in der »Wahrheit des Zen«. Bei der »Frage nach der Wahrheit des Seins« ist, wie erwähnt, das »Denken« von »dem, vor dem jedes Denken unmöglich ist«, zu diesem selbst hin zu »denken« hervorgerufen. Dabei wird der Ursprung des Denkens als »das, vor dem jedes Denken unmöglich ist« (das Unvordenkliche), oder als »das Vor des Denkens« (Vor dem Denken) von dem »Denken« getroffen und von diesem her als ein solches gesehen, nein, eher gehört. Um es anders auszudrücken: »das, vor dem jedes Denken unmöglich ist«, ist insofern der Ursprung des Denkens, als es von dem »Denken« getroffen und von diesem her als »das Undenkbare« gesehen oder gehört wird. Es ist insofern nichts anderes als derjenige Ursprung des Denkens, der in der Dimension des »Denkens« gespiegelt wird oder in sie versetzt ist. i Das bedeutet aber nicht, daß der (undenkbare) Ursprung des Denkens, wahrlich als solcher, an sich selbst ursprünglich ins Anwesen gelangt und sich von sich selbst her kennenlernt. Mit Bezug darauf spricht Daitô Kokushi j im »Kana-Hôgo« k folgendermaßen: »An den unbekannten Ort, zur äußersten Grenze gelangend, sollen Sie kommen, zur äußersten Grenze gelangend sollen Sie diesen Ort (wieder) verlassen. Wenn Sie an den unbekannten Ort gelangt sind, gibt es auch so etwas wie den unbekannten Ort nicht; das heißt, es wirklich kennengelernt zu haben.« 3 Nur in dieser Weise kann sich das absolute Nichts sive das ursprüngliche Antlitz des Selbst, das die »Wahrheit des Zen« ist, von sich selbst her kennenlernen. Allein, weil die »Seinsfrage« nicht im »Großen Tod«, den dasjenige »Denken« einmal stirbt, das sie für das »Wesen der Menschen« hält, in den Ursprung des Denkens gelangt sein kann – mit Worten meines Lehrers Kitarô Nishida gesagt: in den Ort, der sowohl der »Urgrund des Enti Der Verfasser verwendet hier utsuru (spiegeln, 映る) und utsuru (versetzen, 移る); da beide Verben gleich ausgesprochen werden, haben sie vermutlich denselben Ursprung. j »Meister des Staates« Daitô (1282–1337); der Gründer der Daitokuji-Sekte innerhalb der Rinzai-Schule im Zen. k Mit »Kana«-Zeichen geschriebene Predigt; »Kana« ist die japanische Silbenschrift, die eigentliche Schrift der Japaner. 3 Daitô Kokushi [vgl. Übersetzeranmerkung j], Kana-Hôgo [vgl. Übersetzeranm. k].
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stehens des Selbst« als auch der »Urgrund des Entstehens der Welt« ist – so erscheint der letztere dem »Denken« als »das, vor dem jedes Denken unmöglich ist, und zugleich ruft dieser ohne Unterlaß das »Denken« von ihm zu ihm hervor und heran. Das ist eine solche Situation – um die erwähnte Metapher noch einmal zu wiederholen – wie wenn sich im Wasser, das aus der Quelle tritt, diese spiegelt, und das Wasser, von dem Schatten der sich spiegelnden Quelle angezogen, rückwärts in diese fließt. Um die »Wahrheit des Zen« mit einer gleichartigen Metapher zu charakterisieren: »Man fragt ja doch nach einem Wasser ohne Quelle. Die Quelle läßt sich erschöpfen – ihr Wasser aber nie.« 4 Von da aus könnten wir zunächst in Beziehung auf die »Wahrheit des Seins« und die »Wahrheit des Zen« im allgemeinen folgendermaßen sagen: die »Wahrheit des Seins« ist insofern die »Wahrheit des Zen«, als diese sich als das »Vor des Denkens« im »Denken« spiegelt; folglich ist die »Wahrheit des Seins« sozusagen ein Schatten der »Wahrheit des Zen »und ist nicht die »Wahrheit des Zen« selbst. Jedoch spiegelt sich in der »Wahrheit des Seins« die »Wahrheit des Zen«, wenn auch jene Schatten ist. Es läßt sich denken, daß wir von hier aus die »Wahrheit des Seins« und alles, was über die »Frage« nach ihr gesagt werden kann, auf den ersten Blick überschauen können. Wir müssen uns jetzt jedoch darauf beschränken, auf einige ihrer Hauptcharaktere hinzuweisen. Die »Wahrheit des Zen« ist das absolute Nichts, das gerade im Ort jenseits von jedem Denken zum Selbst-Erwachen kommt: »Das Sprechen durch Sprache und Schriftzeichen ist abgeschnitten; der Bereich des Denkbewußtseins verlöscht.« Weil dieses absolute Nichts als das ursprüngliche Antlitz des Selbst, ins Anwesen gelangend, zum SelbstErwachen kommt, deshalb ist hier das Nichts des Selbst selber unmittelbar das Sein des Selbst selber. Dagegen – dadurch, daß die Einstellung der »Wahrheit des Seins«, nach der das »Denken« das »Wesen des Menschen« und der Grund desselben sei, noch nicht ausgerottet wird, ist die »Wahrheit des Seins« der Schatten des absoluten Nichts, insoferne sich dieses als das »Vor des Denkens« im »Denken« spiegelt. (Die Lage schlägt um, wenn man plötzlich merkt, daß genau »dasjenige, vor Gedichte Kanzans (Kanzanshi, 寒山詩), Nr. 39, in: Kanzanshi-Kange, im Jahr Kanbun 12 (1672), Bd. 1, Doppelseite 24. Vgl. auch den Kommentar Hakuins »Kanzanshi-Sendaikibun«, Bd. 1, Ausgabe im Jahr Enkyô 3 (1746), Doppelseite 34–35. [Vgl. auch die deutsche Übersetzung: Han Shan, 150 Gedichte vom Kalten Berg, übersetzt, kommentiert und eingeleitet von Stephan Schumacher, Düsseldorf/Köln 41984, Gedicht Nr. 117.]
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dem jedes Denken in jeder Weise unmöglich ist« – was hier »Vor des Denkens« genannt wurde – »das Selbst« ist, das eben in dieser Weise »Denkende«.) Dieser Schatten des absoluten Nichts, das sich als »das Vor des Denkens« im »Denken« spiegelt, ist die erwähnte »ursprüngliche Offenbarkeit des Nichts«, l wovon die »Seinsfrage« abstammt. Mit anderen Worten: weil das absolute Nichts, das der Ursprung des Denkens – d. h. der Ursprung von allem – ist, dem »Denken« als »das Vor des Denkens« erscheint, deshalb kommt es, daß das »Denken«, von »dem Vor des Denkens«, d. i. der »Wahrheit des Seins« hervorgerufen, nach der »Wahrheit des Seins« fragt, also zur »Frage nach der Wahrheit des Seins« wird. Auch andersherum – obwohl es die gleiche Sache ist –, die »Wahrheit des Seins« wird zu der »Frage nach der Wahrheit des Seins«, weil sie dem »Denken« als »das Vor des Denkens« erscheint. Diese Situation bedeutet nicht, daß es zuerst das »Denken« und die »Wahrheit des Seins« gesondert gibt, und dann die »Frage nach der Wahrheit des Seins« als das Verhältnis der beiden zustandekommt; sondern das »Denken« ist in seinem ursprünglichen Wesen und seinem Zustandekommen die »Frage nach der Wahrheit des Seins«, und die »Wahrheit des Seins« ist in sich selbst die »Frage nach der Wahrheit des Seins«. Die »Wahrheit des Seins« zeigt sich durch sich selbst als die »Frage nach der Wahrheit des Seins«, weil sie als der Schatten des absoluten Nichts, das sich im »Denken« spiegelt, in sich selbst sowohl das »Entbergen« (sich entbergen) als auch das »Verbergen« (sich verbergen) 5 ist. Heidegger bezeichnet diese Situation als das »Zusammengehören« von »Sein« (»Wahrheit des Seins«) und »Denken« (Wesen des Menschen), und zwar sagt er, daß es nicht aus den beiden her als das »Zusammengehören« interpretiert werden kann, sondern daß aus dem »Zusammengehören« her das »Zusammen« der beiden gedacht und erörtert werden soll. 6 Es läßt sich denken, daß wir dieses »Zusammengehören« unseren gerade versuchten Erläuterungen gemäß und auch entlang der von Heidegger gezeigten Richtung noch tiefgründiger durchdringend erörtern könnten. Dieses »Zusammengehören« des »Seins« (der »Wahrheit des Seins«) und des »Denkens« ist, mit anderen l Vgl. dazu das zweite, nicht übersetzte Kapitel dieses Aufsatzes; dazu Martin Heidegger, Wegmarken, a. a. O. S. 11 f. 5 Martin Heidegger, Vorträge und Aufsätze, Einzelausgabe, Pfullingen 1954, S. 270 f. 6 Ders., Identität und Differenz, Einzelausgabe, Pfullingen 1957, S. 20 f.
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Worten Heideggers gesagt, das »Ereignis« als der schon erwähnte »Einblick in das, was ist«. m »Ereignis« ist die Situation, die sich mit einem »Wirbel« illustrieren läßt, 7 aus dem sowohl »Sein« (die »Wahrheit des Seins«) als auch »Denken« entspringen; es ist der »Anfang«, aus dem sich die »Welt-Geschichte« erschließt, nämlich der von Heidegger sogenannte »andere Anfang«; es ist das »und« in »Sein und Zeit«. Von unserem Standort aus gesehen haben wir also erläutert, daß die »Wahrheit des Seins« der Schatten der »Wahrheit des Zen«, d. i. des absoluten Nichts ist, das sich im »Denken« spiegelt, und daß daraus die »Wahrheit des Seins« und das »Denken« – als die »Frage nach der Wahrheit des Seins« – ursprünglich »zusammengehörig« zustandekommen: es ist nun von diesem Standort aus gesehen klar, daß das »Ereignis« – der »andere Anfang der Welt-Geschichte« – das »und« in »Sein und Zeit«, in der Wahrheit seiner selbst, die auch für es selbst noch nicht bis auf den Grund erörtert worden ist, nichts anderes ist als das absolute Nichts, die »Wahrheit des Zen«, und daß es hieraus entspringt und sich »ereignet«. Das heißt, an dem erwähnten Bild gezeigt: das absolute Nichts ist sowohl der »Wirbel« als auch dessen Zentrum; im Zentrum des Wirbels waltet absolute Ruhe in allen Bewegungen; der Wirbel (nämlich das »Ereignis«) ereignet sich aus diesem Zentrum, und dieses »Ereignis« ist zugleich ins Zentrum »zurückkehrendes Verlöschen«. 8 Weil dieses Zentrum in der »Seinsfrage« Heideggers nicht deutlich als das Selbst des absoluten Nichts zum Selbst-Erwachen gekommen ist, kann nur eine Seite des »Ereignisses« gesehen werden, und die andere Seite, daß es zugleich ein »zurückkehrendes Verlöschen« ist, hat sich »verborgen«. Wenn man daher die »Wahrheit des Seins« den »anderen Anfang« nennt, muß das absolute Nichts, das die »Wahrheit des Zen« ist, »anderer Anfang, wiederum verschieden von dem ›anderen Anfang‹« genannt werden; kurzum, es ist der wahre Anfang. Wir haben früher n die Entfaltung der »Seinsfrage« in drei Perioden eingeteilt und erwähnt, daß die drei Perioden je auf den drei Wei-
m Vgl. das zweite, nicht übersetzte Kapitel. – Dazu Martin Heidegger, Die Technik und die Kehre, Pfullingen 1962, S. 43–45. 7 Heidegger hat selbst diese Illustration gezeichnet. 8 Den Gedanken der Doppelseitigkeit des Wirbels verdanke ich meinem Lehrer Keiji Nishitani. n Vgl. das zweite, nicht übersetzte Kapitel dieses Aufsatzes.
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sen der »ursprünglichen Offenbarkeit des Nichts« beruhen. Was wird aus ihnen, wenn wir versuchen, sie von unserem Standort aus noch einmal zu sehen? In der ersten Periode erschloß sich das »Nichts« als das »sich in der Angst enthüllende Nichts«, d. h. als das »Sein zum Tode«, primär im »Horizont der Zukunft«. In der zweiten Periode erschloß sich das »Nichts« als »Nihilismus« in der »Metaphysik« als überliefertem Erbe, d. h. primär im »Horizont der Gewesenheit«. In der dritten Periode zeigt sich das »Nichts« in der »Wahrheit des Seins« als dem »Ereignis«, d. h. im »Geheimnis«; es ist nichts anderes als die Erschließung des »Nichts« im »Horizont der Gegenwart«. Obwohl diese »ursprüngliche Offenbarkeit des Nichts« in einigen Punkten der Entbergung des absoluten Nichts ähnlich ist, unterscheidet sie sich davon in subtilen Punkten. Der Unterschied zwischen der »eigentlichen Existenz« als dem »eigentlichen Sein zum Tode« und »einmal den Großen Tod sterben und danach wieder auferstehen« ist bereits erwähnt worden. o D. h., dort kommt das Nichts des Selbst selber unmittelbar in sich als das Sein des Selbst selber nicht so zum Selbst-Erwachen wie hier, und zwischen das Nichts des Selbst und das Sein des Selbst tritt die »Sorge der Beständigkeit und des Bestandes« p des »Daseins«, d. h. das »Denken« – das »Sein das Daseins«, das in der ersten Periode die »Sorge« genannt worden ist, wird so später das »Denken« als das »Wesen des Menschen« genannt; daher werden das Nichts des Selbst und das Sein des Selbst zweigeteilt, und die Entzweigeteilten kommen in eine Beziehung, derart, daß sie in der »Sorge« oder dem »Denken« aneinander gebunden werden. Von da aus mußte im »Sein des Daseins« auch die Unterscheidung der »eigentlichen Existenz« und der »uneigentlichen Existenz« entstehen. Wo dagegen das Selbst sich von dieser »Sorge« losmacht, die auch das letzte Verhaftetsein genannt werden soll, muß es dasjenige Selbst werden, das jenseits von Sein und Nichts das absolute Nichts ist. Das »Sein zum Tode« ist, so wie es ist, unmittelbar in sich selbst das »Sich von Leben und Tod Losmachen«. 9 Der »Nihilismus« besteht, wie erwähnt, nach der Formulierung Heideggers darin, daß »es mit dem Sein selbst (d. h. dem Sein als solVgl. das erste, nicht übersetzte Kapitel dieses Aufsatzes. Heidegger, Wegmarken, a. a. O., S. 67. 9 Mumonkan, Beispiel 47, Tosotsu-Sankan [Tou-shuai's drei Schranken, vgl. die Übersetzeranm. b]. o p
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chem oder der Wahrheit des Seins) nichts ist«. q Auch hier wird das »Sein selbst« so wenig unmittelbar in sich als Nichts! 10 gewahrt wie im vorigen Fall; das »Nichts« ist von dem »Sein selbst« unterschieden und lediglich mit diesem in einer Bezüglichkeit des »mit« r verbunden, ohne daß dabei dieses »mit« und seine Herkunft erörtert werden. (Es läßt sich denken, daß es, als »Vermittlung« gesehen, zur dialektischen Spekulation Hegels wird, wenn man dieses »mit« vom Standort des Denkens aus spekulativ 11 entwickelt; auch hier bleiben aber Unzulänglichkeiten bezüglich des sogenannten »Anfangs der Wissenschaft« 12 erhalten. Obwohl wir dies hier nicht ausführlich darstellen können, sind die wichtigsten Punkte, daß der »Anfang der Wissenschaft« durch und durch der von der »Wissenschaft« aus – d. h. von dem »begrifflichen Denken aus – gesehene Anfang« bleibt, und daß die »Wissenschaft«, d. h. die »Philosophie« nicht vom »Anfang« aus gesehen wird.) Daher kann sich das »Nichts« in diesem Fall im Grunde nicht von der NichtAktivität losmachen; es ist nihilum, nicht absolutes Nichts. Auch mit dem »Geheimnis« steht es im Grunde gleich. Das »Geheimnis« ist die dem Wesen der »Wahrheit des Seins« eigene »Ver-bergung«, es ist diejenige »Un-entborgenheit«, die »das Da-sein des Menschen durchwaltet« und ist in diesem Sinne »Un-wahrheit«; 13 und zwar ist »das eigentliche Un-wesen der Wahrheit das Geheimnis«. 14 Das »Un-wesen« wird in diesem Fall als »das vor-wesende Wesen 15 (vor der Wahrheit)« bezeichnet, und davon sagt Heidegger lediglich dies: »Für den Wissenden allerdings deutet das ›Un-‹ des anfänglichen Unwesens der Wahrheit als der Un-wahrheit in den noch nicht erfahrenen Bereich der Wahrheit des Seins.« 16 Es läßt sich denken, daß Heidegger q Vgl. das zweite, nicht übersetzte Kapitel. – Dazu Martin Heidegger, Holzwege, Einzelausgabe, Frankfurt a. M. 1950, S. 239 u. 244 f.; ders., Nietzsche, a. a. O. Bd. 2, S. 338. 10 Mumonkan, Beispiel 1, Jôshû-Muji. »Shû (Meister Chao-chou) sagt Mû (Nichts!). (Vgl. Übersetzeranm. b) r Das »mit« bezieht sich auf das »mit« des vorhergehenden Zitats. 11 G. W. F. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, hrsg. von Friedhelm Nicolin und Otto Pöggeler (Philos. Bibl. 33), Hamburg 1959, S. 103. 12 G. W. F. Hegel, Wissenschaft der Logik, Ausgabe Lasson (Philos. Bibl. 56/ 57), Hamburg 1963, Bd. 1, S. 51–64. 13 Martin Heidegger, Vom Wesen der Wahrheit, in: Wegmarken, Einzelausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 89. 14 Ebd. 15 Ebd. 16 Ebd. S. 90.
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hier sowohl die λήθη 17 – die »Unwahrheit« als »Vergessenheit« – als auch das »α privativum« – »Beraubung« στέρησις, privatio), 18 d. h. »α-« = »Un-«, das das »Nicht« bedeutet – im Sinn behält, die in der griechischen »Wahrheit«, »ἀλήθεια« enthalten sind. Das heißt, die »Wahrheit des Seins« (ἀ-λήθεια) ist wahrscheinlich so gedacht worden, daß sie sich in der »Unwahrheit« als »Vergessenheit« (λήθη), die sozusagen früher als die »Wahrheit des Seins« anwest, ereignet, als die »Beraubung« (α privativum) der »Unwahrheit«, sozusagen als Ununwahrheit. Dabei wird gesagt, daß die »Unwahrheit« als »Vergessenheit«, die in einer Hinsicht früher als die »Wahrheit« ist, und daß das »α privativum« = »Un-« – d. h. das »Nicht« –, das die »Wahrheit« als die »Beraubung« der »Unwahrheit« ereignet, »in den noch nicht erfahrenen Bereich deuten«. Dieses »Nicht« = »Un-« als »α privativum« ist aber dasjenige »a«, das »Verneinung« oder »Beraubung« bedeutet; nicht nur in der griechischen, sondern durchgängig in den indoeuropäischen Sprachen überhaupt, wie etwa im Sanskrit (z. B. »a« von anatman = Ich-losigkeit), und außerdem auch im »A« der »Beschauung des ›A‹« (»Ajikan«), 19 wovon in der Shingon-Schule gesprochen wird. s Wenn es wirklich so ist, ist gerade das »Nicht« = »Un-« = »α privativum«, auf das von Heidegger hingewiesen wird, wahrscheinlich nichts anderes als das »Nicht«, das sowohl die alles raubende Große Verneinung als auch die alles wahr machende Große Bejahung ist. Dies ist beispielsweise das »Nicht« in »Nicht Herz nicht Buddha« 20 von Baso Ders., Vorträge und Aufsätze, S. 264 ff. Wie ich hörte, hielt Heidegger neulich (ca. 1964/1965) mit Medard Boss ein Seminar und betonte darin die Wichtigkeit der Frage nach der »privatio«. Dies ist für ihn seit seiner Habilitation das Problem. Vgl. Martin Heidegger, Die Kategorien- und Bedeutungslehre des Duns Scotus, in: Frühe Schriften, Einzelausgabe, Frankfurt a. M. 1972, S. 166 f. 19 Mein vertrauter Kollege Shizuteru Ueda teilte mir mit, daß das »A« (阿) der »Ajikan« das »A« des Alphabetes ist. s »Ajikan« gehört zur Meditations-Praxis der Shingon-Schule, die zum esoterischen Buddhismus gezählt wird. 20 Mumonkan, Beispiel 33. »Ein Mönch fragte einmal Baso (Ma-tsu), was der Buddha ist. Dieser sagte: ›Nicht Herz, nicht Buddha‹.« Dieses »Nicht« ist jedoch nicht notwendig ein Wahrheitsmonopol des Zen-Buddhismus. Es west überall an. Vielleicht ist dieses Beispiel extravagant, aber am Beginn des vierten Satzes der Neunten Symphonie von Beethoven wird das »Nicht« offensichtlich zur Musik. In der Art von »Nicht diese Töne …« werden die Themen des ersten, zweiten und dritten Satzes alle durch die von Wagner so genannten »Schreckensfanfare« geraubt und zu allerletzt kommen die gerade in der Verneinung, nämlich der »Schreckensfanfare« bereits sich versteckenden Töne als 17 18
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Dôitsu. t »Nicht Herz, nicht Buddha« ist »Herz, das ist gleich Buddha«, u und »Herz, das ist Buddha« ist »Nicht Herz, nicht Buddha«. Dieses »Nicht« ist nichts anderes als der Kern der Wahrheit, die, ursprünglich jenseits von »Ist« und »Nicht«, nicht zu nennen ist. Das haben wir hier das absolute Nichts genannt. Wenn wir dies so verstehen, ist Heideggers »Geheimnis« als »Un-Wahrheit«, d. i. als »Vergessenheit« (λήθη) nicht mehr etwas, das Geheimnis zu nennen ist, sondern es kann nichts anderes sein als das offene würdevolle Anwesen der absoluten Wahrheit jenseits vom Wahren und Irrigen und so nichts anderes als die absolute Gegenwart. Es ist gerade »Offen!«, wie Unmon v sagt. w Daher kann der Bereich, den Heidegger zuvor »den noch nicht erfahrenen Bereich der Wahrheit des Seins« nennt, kein anderer sein als der Bereich der Wahrheit des Zen-Buddhismus, und diese »Erfahrung« nichts anderes als das bis zum Grunde durchdringende Selbst-Erwachen. Hier wird die »Vergessenheit« dazu gelangen, »den hierher gegangenen Weg zu vergessen«. 21 Mit dem bisher Erwähnten haben wir, so läßt sich denken, einigermaßen klar gemacht, daß schließlich und endlich der Ort, an den die »Frage«, die Heideggers Denken vom Grund aus bewegt hat, d. h. die »Frage nach der Wahrheit«, gelangt, nichts anderes sein kann als die »Wahrheitsschau« (»Kenshô«) der zen-buddhistischen Wahrheit als das Selbst-Erwachen des absoluten Nichts. Dadurch ist aber die Problematik, die der Titel »Die Seinsfrage und das absolute Nichts« zeigt, noch nicht erledigt. Es gibt noch offengelassene Probleme. Wie in der die »Freudensmelodie« durch die tiefsten Töne der Kontrabässe zum Erscheinen, als ob sie aus der Tiefe der Erde hervorquöllen; sie breiten sich in alle Instrumente aus; weiter wird durch die »Schreckensfanfare« noch einmal verneint, daß sich diese Melodie auf das Zusammenspiel der Instrumente beschränkt; sie wird zur Singstimme der Menschen und zum Chor. Das ist die Große Bejahung. Über das geschichtliche Zustandekommen des Anfangs dieses letzten Satzes und als Bestätigung dieser Ansicht vgl. Walter Riezler, Beethoven, Zürich 1936, 91966, S. 206 f. t Chin.: Ma-tsu Tao-i (709–788), chinesischer Zen-Meister. u Wörtlich: »Gleich Herz, gleich Buddha«. v Chin.: Yü-men Wen-yen (864–949), chinesischer Zen-Meister. w Zitiert im zweiten, nicht übersetzten Kapitel des Aufsatzes. 21 Kanzanshi, Nr. 20: »Zehn Jahre lang keine Gelegenheit zur Heimkehr/jetzt ist vergessen der bisher gegangene Weg«, in: Kanzanshishû Kange, Doppelseite 15 [vgl. Anm. 4, in der deutschen Ausgabe Gedicht Nr. 84]. Hakuin, einer der bedeutendsten Zen-Meister der Rinzai-Schule (1685–1768), sagt folgendermaßen: »Das sind die zehn Jahre, in denen Kanzan den gegangenen Weg vergessen hat. Die Lernenden müssen sich (ebenfalls) anstrengen.«
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Vorrede erwähnt, bleibt nicht nur die philosophische Aufgabe offen, diesmal vom Standort des Selbst-Erwachens des absoluten Nichts aus, wieder die »Seinsfrage« zu betrachten und die wiederholende Interpretation derselben bis ins Detail durchzuführen; doch eine Arbeit ist noch wichtiger: vom Standort des Selbst-Erwachens des absoluten Nichts aus erneut jene Fragen der Gegenwart der Welt-Geschichte, die in Heideggers Frage zum Erscheinen gekommen sind – vor allem das Problem des Wesens der Technologie – wieder zu betrachten und danach zu fragen, weil seine »Seinsfrage« eigentlich die »Weltfrage« ist. Dieses wichtigste Problem bleibt offen. Um dieses Problem als Problem wahrnehmen zu können, wird vermutlich von dem bisherigen Zen gefordert, sich noch einmal zu erneuern. Die Erörterung der zwei offenbleibenden, miteinander zusammenhängenden Probleme wird anderen Studien überlassen.
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Über Yü-chiens Landschaftsbild »In die ferne Bucht kommen Segelboote zurück« 1
Vorwort Die Frage stellt sich: Wie zwingen wohl anerkannte Kunstwerke zu einer Neuorientierung des Denkens? Um diese reizvolle Frage auf meine Weise beantworten zu können, möchte ich hier, wenn ich auch kein Fachmann für Ästhetik oder Kunstgeschichte bin, Yü-chiens Landschaftsbild »In die ferne Bucht kommen Segelboote zurück« behandeln. Der alt-chinesische Maler Yü-chien lebte in der Sung-Zeit in der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts. Das Bild ist – wie andere Werke der altchinesischen Malerei – kein Landschaftsbild im strengen Sinne, sondern ein Bild der Gattung »Berg/Fluß«. Aber wir nennen es hier der Einfachheit halber »Landschaftsbild«.
In die ferne Bucht kommen Segelboote zurück Von Yü-chien Anmerkungen von Kôichi Tsujimura. – Der Aufsatz wurde in deutscher Sprache verfaßt und aufgenommen in: Abhandlungen der Braunschweigischen Wissenschaftlichen Gesellschaft 36 (1984) S. 135–152. Aus Platzgründen wurde hier der erste Teil des Aufsatzes, der einen historischen Überblick gibt, weggelassen und nur der zweite und dritte Teil aufgenommen.
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Über Yü-chiens Landschaftsbild »In die ferne Bucht kommen Segelboote zurück«
Der erste Teil dieses Versuchs ist ein historischer Bericht. Im zweiten Teil unterscheiden wir vier charakteristische Züge in Yü-chiens Landschaftsbildern. Im dritten Teil versuchen wir, eine Antwort auf die Frage zu geben, wie uns sein Landschaftsbild »In die ferne Bucht kommen Segelboote zurück« zu einer Neuorientierung des Denkens veranlassen oder zumindest dazu anregen kann.
I. Gewiß kann man in Bildern von Dürer 2 und Altdorfer 3 die Vorläufer einer selbständigen Landschaftsmalerei in Europa sehen. Als eigene Gattung gibt es sie aber erst in der holländischen Malerei des siebzehnten Jahrhunderts. Jan van Goyen (1596–1656), Salomon van Ruysdael (1601–1670) und Rembrandt sind ihre wichtigsten Repräsentanten. Rembrandts »Gewitterlandschaft« können wir hier aber außer acht lassen, da dieses Werk – anders als Bilder Yü-chiens – kein Flußlandschaftsbild ist; es ist auch allzu verschieden, als daß es sich mit einem solchen vergleichen ließe. Sowohl Goyens Landschaftsbilder »Flußlandschaft mit Fischerbooten vor einem Dorf« (1633) und »Flußlandschaft mit einer Windmühle« (1632) als auch Ruysdaels Bilder »Flußlandschaft mit Fischern« (1643) und »Flußlandschaft mit Fähre und einem Kirchdorf hinter Eichenbäumen, in der Ferne ein Fischerhafen« (ca. 1650) zeigen die Landschaft realistisch in einer eindeutig bestimmten Perspektive, die von dem außerhalb des Bildes stehenden Maler ausgeht. Die perspektivische Sehweise ist von der Renaissance bis ins neunzehnte Jahrhundert typisch gewesen für die europäische Landschaftsmalerei. Yü-chiens Landschaftsbilder, die in Japan als klassische Kunstwerke gelten, unterscheiden sich deutlich von den genannten europäischen, und zwar vor allem in vier Hinsichten.
Albrecht Dürer, »Innsbruck« (1495), »Ansichten von Trient« (wahrscheinlich 1495), »Areo« (1495). Vgl. Peter Strieder, Albrecht Dürer, Wiesbaden 1977, S. 16–21, 64. 3 Albrecht Altdorfer, »Donaulandschaft bei Regensburg«. 2
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III. Fortbildung der Schule
1.
Kôichi Tsujimura
Die Circumspektive
Die genannten holländischen Flußlandschaftsbilder stellen Ähnliches dar wie Yü-chiens Bild »In die ferne Bucht kommen Segelboote zurück«. Aber bei ihm ist keine eindeutige Perspektive feststellbar. D. h. beim ersten Anblick mag es so aussehen, als ob der Maler auch hier außerhalb des Bildes stünde und von dieser Stelle aus perspektivisch malte. Aber wenn man es genau betrachtet, wird der Blick auf etwas Merkwürdiges in der Nähe der Bildmitte gelenkt: Auf »zwei Greise in einem Boot« in dem Bild »In die ferne Bucht kommen Segelboote zurück«; und »Berginsel Yun-shan« im Bild »Herbstmond über dem Dong-tiang-See«. Die Landschaftsbilder Yü-chiens enthalten eine Einheit mannigfaltiger Sichten, die vom Zentrum ausgehen und nicht nur nach vorn verlaufen, sondern sich nach allen Seiten hin öffnen. Solche Sichten, die sich in alle Richtungen erstrecken, lassen sich nicht als »Perspektive« (»Durchblick«), sondern sachgemäß eher als Circumspektive (»Umblick«) kennzeichnen. Daß Yü-chien seine Bilder der Reihe »Acht Ansichten von HsiaoHsing« nicht perspektivisch, sondern »circumspektivisch« malen wollte, ist aus dem ersten Vers des Lobgedichtes zu ersehen: »Grenzenloses Land kommt in die Haarspitze des Pinsels herein.« Er malt die Landschaft so, daß das »grenzenlose Land« auf ihn zukommt, in die »Haarspitze seines Pinsels« eingeht. Er steht also nicht außerhalb »des grenzenlosen Landes«, sondern befindet sich gleichsam in dessen Mitte. Im Bild »In die ferne Bucht kommen Segelboote zurück« scheint sich der Maler mit den »beiden Greisen in einem Boot« zu identifizieren. Von dieser Mitte her und auf diese Mitte zu malt er die Landschaft circumspektivisch. Das Gleiche gilt von seinen Bildern »Heller Dunst über dem Bergdorf« und »Herbstmond über dem Dong-tiang-See«. Daß sich der Maler mit auf dem Gemälde dargestellten Menschen oder Dingen identifiziert, wird durch ein Zen-Wort bestätigt, das Yüchien kennen mußte: »Nachdem ich die Landschaft Hsiao-Hsing erschöpfend betrachtet habe, komme ich mit dem Boot in das gemalte Bild hinein.« 4 Solange wir das »Land Hsiao-Hsing« bloß ansehen, bleibt es noch außerhalb des Sehenden. Wenn er es aber »erschöpfend« sieht, wandelt sich das Sehen in Malen, kommt der Malende selbst in das Anthologie der Sprüche des Zen-Hains-Kloster (Zenrin-kushû), hrsg. von Zenkei Shibayama, Kyôto 3o. J., S. 157.
4
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gemalte Bild hinein. Diese »Ansicht von Hsiao-Hsing« in Wahrheit malen heißt: in die Ansicht hineinkommen und sie von innen her malen, was gar nicht perspektivisch möglich ist, sondern nur circumspektivisch.
2.
Das Allernotwendigste
Yü-chiens Art und Weise, das »grenzenlose Land« zu malen, besteht darin, daß er immer nur das notwendige Minimum malt. Diese Stileigentümlichkeit kommt in allen seinen Bildern zum Vorschein. Sein Stil ist weit knapper, zügiger und sparsamer als derjenige holländischer Landschaftsmalerei im siebzehnten Jahrhundert. Yü-chiens Kunst ist noch einfacher und herber als die Mu-chis. Während dieser in seinem Bild des Typs »In die ferne Bucht kommen Segelboote zurück« das Gebirge, die Bäume am Fluß und zwei Segelboote recht konkret wiedergibt, hat Yü-chien dieselbe Landschaft so gemalt, daß das Gebirge im Dunst liegt, die Bäume nur durch tiefschwarze Tusch-Spritzer angedeutet werden und die Segel eingezogen sind. Statt der zwei Segel im Bild von Mu-chi sehen wir bei Yü-chien zwei Alte im Boot. Seine knappe und abrupte Malweise hat wohl mit dem Wissen zu tun, daß er, malte er viele endliche Dinge, das Grenzenlose verdecken müßte. Die Beschränkung auf das Allernotwendigste ist es gerade, was das »grenzenlose Land« erscheinen läßt. Es ist bekannt, daß die offene Leere bzw. das Freilassen von großer Bedeutung für die chinesische wie auch japanische Landschaftsmalerei ist. Mit der offenen Leere allein kann man aber nicht das »grenzenlose Land« erscheinen lassen. Deshalb muß dieses ineins mit dem Allernotwendigsten gemalt werden. In dieser Hinsicht ist Yü-chien einer der radikalsten Vertreter der ostasiatischen Landschaftsmalerei. Sein Verfahren, das Allernotwendigste für das grenzenlose Land zu setzen, besteht darin, daß er das spannungsvolle »Zwischen« des Nichtmalens und des Malens auf einmal ausführt. Ein solches Verfahren, das nicht minutiös sein will, muß das Bild gleichsam ganz spontan und in einem Zug ausführen. Es ist dann dennoch kein bloßer Entwurf, sondern ein vollendetes Werk. Liang K’ai, der etwas früher als Yüchien, in der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts für einige Jahre als Hofmaler tätig war, gelang beides: die minutiöse wie die knappe
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Darstellung. Sein Bild »Schneelandschaft« unterscheidet sich wegen seiner auffallenden Detailliertheit sehr von Yü-chiens Arbeiten.
In die ferne Bucht kommen Segelboote zurück Von Mu-chi
Für Yü-chiens Kunst, das spannungsvolle »Zwischen« des Nichtmalens und des Malens rasch auszuführen und es zum Bild werden zu lassen, ist ferner ein extremer Kontrast von dünn und dick aufgetragener Tusche bezeichnend. Er hat nichts mit der Perspektive zu tun, nach der etwa ferne Berge dünn und nahe Bäume dick getuscht würden, sondern er zeigt ein Hell-Dunkel, das dem Hellen und Dunklen des »Zwischen« von Nichtmalen und Malen entspricht. Yü-chiens Landschaftsbilder, die nur das Allernotwendigste malen, haben eine gewisse Abstraktheit. Es ist eine Art Abstraktheit, in der alles bloß Menschliche und jegliches Weltliche derart negiert wird, daß es sich durch die vollbrachte Negation hindurch zum jeweiligen Ausdruck des Grenzenlosen wandelt. Wegen ihrer »Abstraktheit« sind Yüchiens Landschaftsbilder, insbesondere sein Bild »In die ferne Bucht kommen Segelboote zurück« in Japan für Kunstwerke gehalten worden, deren Grundzug in der »Kälte« 5 besteht. Diese »Kälte«, die gleichsam eine der für die mittelalterliche Kunst Japans bezeichnenden ästhetischen Kategorien ist, negiert die bloß menschliche Wärme und drückt kalte Reinheit und Einsamkeit aus, jene »schneidende Kälte«, durch die man bei uns Quellwasser kennzeichnet. Die »Kälte« sowie das »Dürre« ist eine Art von Schönheit, die erst zum Vorschein kommt, wenn alles Konkrete, das Menschliche eingeschlossen, einmal durch und durch negiert worden ist. Yü-chiens Landschaftsbilder sind in diesem Sinne »kalte« Bilder. Yukihiro Kurasawa, Taikyoku Momoyama no Bi (Pol und Gegenpol, Schönheit der Momoyama-Zeit), 10. Kapitel, Schönheit der »Kälte«, Kyôto 1983, S. 41–50.
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3.
Einklang von Malen und Dichten
Das dritte Charakteristikum von Yü-chiens Bildern der Reihe »Die Acht Ansichten von Hsiao-Hsing« ist der Einklang von Malen und Dichten. Im Unterschied zu Mu-chi fügt Yü-chien je ein Lobgedicht zu jeder seiner acht »Ansichten« bei. Obwohl fünf davon verlorengegangen sind, sind glücklicherweise deren fünf dazugehörige Lobgedichte erhalten. Wir versuchen nun, das Bild »In die ferne Bucht kommen Segelboote zurück« am Leitfaden seines Lobgedichtes zu erläutern. Hören wir es noch einmal: »Grenzenloses Land kommt in die Haarspitze des Pinsels herein./ Segel sind in den herbstlichen Fluß gefallen und verborgen im abendlichen Dunst./ Der letzte Abendschein ist noch nicht erloschen, doch beginnen schon die Lampen der Fischer zu flimmern./ Zwei Greise in einem Boot sprechen gelassen vom Land ›Jiang-nan‹.« Wir wissen nicht, ob das Bild oder das Gedicht zuerst entstanden ist. Jedoch entspricht das Bild so genau dem Gedicht, daß die Entsprechung selbst zum Ausdruck bringt, was jedes für sich allein nicht sehen lassen könnte. Der erste Vers: »Grenzenloses Land kommt in die Haarspitze herein« nennt den Ursprung, von dem das Bild herkommt. Ist es aber überhaupt möglich, daß »grenzenloses Land« in die Haarspitze des Pinsels hereinkommt? Ist das nicht eine chinesische, insbesondere dem Zen eigentümliche Übertreibung? Wenn wir das »grenzenlose Land« als die Gesamtheit aller Dinge verstünden, wäre es ja ganz unmöglich, es zum Vorschein kommen zu lassen. Wir können ein »grenzenloses Land« gar nicht zum Gegenstand machen. Es ist aber jederzeit nicht nur möglich, sondern wirklich so, daß wir uns inmitten eines grenzenlosen Landes befinden, obgleich wir gewöhnlich dieses Faktum nicht gewahren. Geschieht dies aber doch, so kommt das »grenzenlose Land« in die Haarspitze des Pinsels herein, d. h. in uns selbst. Die Landschaft hat sich in die unseres Herzens verwandelt. Hier geschieht eine Umkehrung der »Stellung des Menschen im Kosmos«. Der zweite Vers: »Segel sind in den herbstlichen Fluß gefallen und verborgen im abendlichen Dunst«, besagt, daß die Segel eingezogen und daher nicht mehr zu sehen sind. Und ineins damit kommt das im Bild nicht Gezeigte zum Ausdruck, daß es nämlich Herbst und Abend ist. Den Eindruck »Abendlicher Dunst« bewirken die Büsche und Bäume am Fluß, die durch tiefschwarze Tuschspritzer angedeutet werden. 431 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
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Ohne das Gedicht könnten wir vielleicht diesen Teil des Bildes nicht verstehen. Der dritte Vers: »Der letzte Abendschein ist noch nicht erloschen, doch beginnen schon die Lampen der Fischer zu flimmern«, zeigt die Landschaft unter dem schwindenden Abendschein, was wir aus dem Bild allein kaum ersehen könnten. Zu dieser Stunde beginnen Lampen zu flimmern. Der ganze dritte Vers sagt aus, daß sich die Landschaft in Richtung auf das »Dunkle« hin verhüllt, während sich die im Dunkel flimmernden Lichter auf das »Helle« zu bewegen. Diesen Sachverhalt, daß im »Dunklen« das »Helle« ist und im »Hellen« das »Dunkle«, d. h. die im Zen so genannte »Wechseldurchdringung von Hell und Dunkel«, 6 bringt der Vers zum Ausdruck. Die Wechseldurchdringung von Hell und Dunkel besagt das Ineinander von Indifferenz – das Dunkel, in dem sich alles und jedes verbirgt – und Differenz, jener Helle, in der sich alles in der Unterscheidung offenbart. Dann ist z. B. im Nichtsprechen Sprechen und im Sprechen Nichtsprechen. Den Sachverhalt eines derartigen Hell-Dunkel-Verhältnisses enthüllt das Gedicht so, daß in der kalten Landschaft (d. h. im Dunklen) die geringe Wärme ausstrahlenden Lichter (das Helle) flimmern. Der vierte Vers: »Zwei Greise im Boot sprechen gelassen vom Land ›Jiang-nan‹«, besagt: Da das Boot gerade geruhsam in den Hafen der Bucht zurückkommt, haben die Alten Muße; gelöst plaudern sie vermutlich über alte Zeiten und über Sagen des Landes »Jiang-nan«. Sinnvoll schließt dieser Vers das Lobgedicht ab. Im ersten Vers kommt das »grenzenlose Land« in den Menschen herein. Im zweiten und dritten Vers ist die Landschaft die Hauptsache, wenn auch die eingezogenen »Segel« und die kaum sichtbaren »Lichter« das Dasein des Menschen andeuten. Hier ist also der Mensch »in« der Landschaft. Die Aussage des vierten Verses betrifft hauptsächlich die beiden Greise. Da sie von Jiang-nan sprechen, ist hier die Landschaft im Menschen. Das grenzenlose Land, das anfangs in die Haarspitze des Pinsels eingedrungen ist, ist am Ende zum Thema eines ebenso unerschöpflichen wie gelassenen Gesprächs zwischen Menschen geworden. In diesem Sinne eignet sich der vierte Vers als Abschluß besonders. Auf den Text folgt dann der Titel des Bildes »In die ferne Bucht kommen Segelboote zurück«. Er faßt das Ganze vom Bild und Gedicht zusammen und sagt: dies ist »In die ferne Bucht kommen Segelboote 6
Vgl. Bi-yän-lu, übers. von Wilhelm Gundert, München 1964–1973, Bd. 3, S. 21.
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zurück«. Die »Ferne« der Bucht deutet das »Grenzenlose« des Landes an, in welche Ferne die Menschen im Boot als die »Alten« zurückkehren. Auf solche Weise stimmt das Bild mit dem Gedicht überein.
4.
Der ostasiatische Ausdruck des Herzens
Im Unterschied zu vielen europäischen Landschaftsbildern sind bei Yüchien vor Augen liegende Landschaften nicht realistisch abgebildet. Es könnte sein, daß Yü-chien wie auch Mu-chi die »Acht Ansichten von Hsiao-Hsing« wirklich gesehen haben. Dennoch ist die Frage ohne Belang, ob ihre Bilder den »wirklichen« Ansichten von Hsiao-Hsing entsprechen. Yü-chien wie auch Mu-chi haben wahrscheinlich am Leitfaden der dichterischen Titel der »Acht Ansichten von Hsiao-Hsing« ihre Bilder konzipiert und diese Konzeption zum Ausdruck gebracht. Dies gilt besonders für Yü-chien, da er ein ausgezeichneter Dichter gewesen ist. Das macht schon der Vers des Gedichtes zum Bild »Abendschnee auf dem Land, wo Fluß und Himmel ineinander übergehen« deutlich: »Die unendliche Weite von Fluß und Himmel ist die unendliche Weite des Herzens.« Die zum »Herzen« gewordene und als »Herz« präsente Landschaft wird »Bild« des Herzens. In dieser Hinsicht muß das Bild auch vom europäischen Expressionismus unterschieden werden, der mehr an noch irgendwie Vorhandenem hängen bleibt. Das heißt aber nicht, daß Yü-chien etwas gleichsam im Kopf Zurechtgelegtes zum Bild gemacht hätte. Um die »Acht Ansichten von Hsiao-Hsing« malen zu können, mußte er den jeweiligen Wesenscharakter, d. h. das »Herz« der Landschaft in seinem Herzen erfaßt haben. Das chinesische Schriftzeichen »hsin«, das ursprünglich das Bild »Herz« meint, bedeutet »Zentrum«, »Kernstück«, sei es das eines Menschen, sei es das eines Dinges. Das »Herz«, d. h. hier der Wesenscharakter der jeweiligen Landschaft von Hsiao-Hsing, den Yü-chien ganz in sich aufgenommen hat, findet nicht nur im Bild, sondern auch im Gedicht Gestalt. Mein deutscher Lehrer Martin Heidegger beachtete das Verhältnis von Bild und Gedicht in der ostasiatischen Malerei, weil ein solches Verhältnis in der europäischen Malerei nicht zu finden ist. 7 Dieses Verhältnis fehlt aber auch in der europäischen Malerei nicht ganz, wie mir 7
Zum neuen Ansatz, Kunstwerken, etwa Bildern, entsprechende Sinnzeilen beizufügen,
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scheint. Denn auch ein abendländisch-europäisches Gemälde trägt gewöhnlich einen Titel. Der bekannte Kupferstich Albrecht Dürers z. B. trägt den Titel »Ritter, Tod und Teufel«. Obgleich sich aus einem solchen Titel ein Gedicht entfalten könnte, bleiben doch die meisten Titel dem Werk äußerlich. Der ostasiatische Ausdruck des Herzens gründet m. E. darin, daß das grenzenlose Land in die Spitze des Pinsels eindringt, oder anders gesagt, daß die unendliche Weite von Fluß und Himmel die unendliche Weite des Herzens ist. Der Maler, der so etwas sagen kann, ist derjenige »Mensch«, der von allen Formen und Inhalten ganz ledig ist und eben deswegen die jeweils nötigen Formen und Inhalte aufnehmen kann. Die Bilder von Yü-chien, insbesondere das Bild »In die ferne Bucht kommen Segelboote zurück«, drücken, so könnte man sagen, das Herz eines solchen Menschen aus: es sind seine »Selbst-Bildnisse«.
II. Wie kann uns Yü-chiens Bild »In die ferne Bucht kommen Segelboote zurück« zu einer Neuorientierung des Denkens führen? Wir erwähnten schon holländische Landschaftsbilder des siebzehnten Jahrhunderts. Es sind Bilder, welche die Landschaft in der Perspektive, die von dem außerhalb des Bildes stehenden Maler ausgeht, mehr oder weniger realistisch abbilden. Hier wird eine Entsprechung solcher Landschaftsmalerei zur Philosophie der neuzeitlichen Subjektivität augenfällig. Das subjektive Denken der Neuzeit ist nicht subjektiv im Sinne der Beliebigkeit und der Willkürlichkeit, sondern subjektiv in dem Sinne, daß es alle Dinge als Objekte setzt und sie objektiv betrachtet. Es ist das subjektive Denken, was die objektiven Erkenntnisse bzw. die objektiven Wissenschaften ermöglicht. Das »Cogito« bei Descartes zielt, wenn es sich auf die körperlichen Außendinge richtet, darauf ab, diese in der Perspektive der »Extensio« möglichst klar und deutlich zu erkennen. Dabei erscheint das »Ego« als Subjekt des »Cogito« nicht in der Perspektive der »Extensio«, weil es gerade den Ausgangspunkt dieser Perspektive ausmacht. Also haben die holländische Landschaftsmalerei und das auf die Außendinge gerichtete Denken des Descartes im Grunde vgl. Heinrich Rombach, Leben des Geistes, Freiburg i. Br. 1977; Welt und Gegenwelt, Freiburg i. Br. 1983.
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genommen eine und dieselbe Wesensstruktur, wobei das »Cogito me cogitare«, d. h. das Selbstbewußtsein, dem »Selbstbildnis« der neuzeitlichen Malerei entspricht. Wenn der neuzeitliche Mensch als Subjekt alles Seienden dieses in der von ihm selbst ausgehenden Perspektive objektiv erkennen will, muß seine Erkenntnisleistung wegen der einseitigen Endlichkeit der Perspektive zu einer endlosen Progression und einem grenzenlosen Progressionszwang werden, der den Grundzug der modernen Technik ausmacht. Obwohl sich der Mensch als das Subjekt reflexiv wie im Spiegel erkennen kann, bleibt doch in seiner Subjektivität, im reflektierenden Selbst, immer etwas Dunkles zurück, was nie durch die Reflexion geklärt werden kann. In diesem Dunkel der menschlichen Subjektivität gibt es immer Raum für einbrechende Willkür. 1. Nun sind Yü-chiens Bild »In die ferne Bucht kommen Segelboote zurück« wie auch seine anderen Bilder nicht in der Perspektive einer Richtung gemalt, sondern in der Circumspektive vieler Richtungen. Bedeutet »perspektivisch Sehen«: »vorblickend Durchblicken«, so besteht die Circumspektive im »Umblick«, der die Richtungen des Vorblickens, Nachblickens, Aufblickens, Hinblickens, Ausblickens, Zurückblickens und andere in sich enthält. Zwar gehört auch die Circumspektive zum Menschen. Er steht inmitten der Circumspektive, ist ihr »Herz«, jedoch nicht Subjekt bzw. Selbstbewußtsein im Sinne europäischer Neuzeit. Der Mensch, der sich inmitten aller Dinge befindet, entfaltet von dieser Mitte her die jeweilige Circumspektive nach allen Richtungen. Damit aber diese Circumspektive, d. h. der »Umblick« um den Menschen möglich werde, muß er nicht nur von sich aus die Umwelt sehen und denken, sondern zugleich sich selbst von der Umwelt her. Das verlangt von uns in unserer Seh- und Denkweise eine nochmalige Umwendung der Kopernikanischen Wendung Kants. Also ist das circumspektivische Denken ein »ökologisches Denken« 8 im philosophischen Sinne, indem es die Menschen und die Dinge im »OIKOS«, d. h. im »Haus« der Welt, sieht und denkt. Das circumspektivische Denken ist ein Umdenken des perspektivischen Denkens, das Mensch und Ding gemäß dem Subjekt-Objekt-Verhältnis gedacht hat. Eine solche Neuorientierung des Denkens ist vom japanischen Vgl. Tomonobu Imamichi, Was ist ecoethica? (Französisch und Japanisch, unvollendet).
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Denker Kitarô Nishida (1870–1945) gewissermaßen vorweggenommen worden, indem er das Sich-selbst-Bestimmen des einzelnen Menschen von dem Sich-selbst-Bestimmen der Welt her, d. h. kurz: unser »Selbst« von der »Selbstbestimmung der Welt« her denkt. Dementsprechend hält Nishida »das künstlerische Schaffen« für »ein Glied der Selbstgestaltung der geschichtlichen Welt«. Yü-chiens Bild »In die ferne Bucht kommen Segelboote zurück«, welches Menschen, die im grenzenlosen Land in den Hafen einer fernen Bucht zurückkommen, zum Bild gebracht hat, verlangt also von uns eine Heimkehr des Denkens, in der das Denken circumspektivisch-ökologisch zu seinem anfänglichen Haus der Welt zurückkehrt. 2. Wie gesagt, es ist ein Charakteristikum der Landschaftsbilder von Yü-chien, daß in ihnen nur das Allernotwendigste gemalt ist. Das heißt: Yü-chien hat einen Stil gefunden, in dem sich das Grenzenlose oder das Unendliche fassen läßt. Dagegen beharrt die gegenwärtige Philosophie auf dem Standort der Endlichkeit. Heideggers Denken z. B., das radikal endlich bleibt, sowohl im Denken selbst als auch in der Sache des Denkens, lehnt die Unendlichkeit durchaus ab. Die Ablehnung des Unendlichen gilt von der gegenwärtigen Philosophie allgemein, zumal in Rücksicht auf die des deutschen absoluten Idealismus. Gegenüber dieser Tendenz der gegenwärtigen Philosophie erscheint im Bild Yü-chiens die Möglichkeit, daß sich das Endliche in den jeweiligen Ausdruck des Unendlichen verwandelt, wobei der Ausdruck wesensgemäß äußerst einfach, ja karg und »kunstlos« sein muß. Dies könnte uns zu einem Denken veranlassen, das im Einfachen und Unscheinbaren das Scheinen des Unendlichen oder/und Grenzenlosen sieht und denkt. Bei Yü-chien drückt sich das Unendliche blitzartig aus. Im wahren, lebendigen Denken – sowohl in Europa wie auch in Ostasien – ist notwendig, und zwar als sein Kernstück oder »Herz«, ein Blitz, ein Erblitzen der Welt enthalten. Sonst bliebe das Denken nur begriffliche Hülle oder Ausdruck von Pfützenwasser des Erlebens. Was heißt aber ein Erblitzen der Welt? Es heißt ein Augen-blick. Der Umblick des circumspektivischen Denkens muß sich in einem Augen-blick versammeln, welcher als die Mitte, das »Herz« des Umblickens, dieses bestimmt und entfaltet.
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3. In Yü-chiens Kunst stimmt das Malen mit dem Dichten überein. Dies weist auf die Möglichkeit einer Neuorientierung eines Denkens hin, das mit dem Dichten übereinstimmt. »Dichten und Denken« bzw. »das dichterische Denken« wurde von Heidegger versucht auf dem Weg des »anderen Denkens« als dem des metaphysisch-begrifflichen. Das von ihm so genannte »dichterische Denken« ist allerdings kein Gemisch von Denken und Dichten, sondern ein Denken, das als solches dichterisch und als Dichten denkerisch ist. Heideggers Wort »Dichten und Denken«, auf das wir jetzt nicht eingehen können, ist ein »Gespräch« zwischen beidem auf dem gemeinsamen Boden der »Sprache«. Dagegen ist der Einklang von Denken und Dichten, zu dem uns Yü-chiens Landschaftsbild hinführen kann, in erster Linie nicht der Einklang beider miteinander auf dem Boden der Sprache, sondern ein Einklang, den erst der Ort ermöglicht, wo einmal Sprache wie Denken gebrochen sind. Dieser Ort, in den wir weder mit der Sprache noch mit dem Denken gelangen können, ist aber der Ursprungsort von Sprache und Denken. Dieser ursprüngliche Ort ist der ursprüngliche Mensch, der ein jeder von uns von Haus aus ist. Erst dort kommt die Übereinstimmung von Dichten und Denken zustande. Dabei umfängt das Dichten das Denken, weil das Dichten dem Ursprung näher als das Denken liegt. Wie eben gesagt, ist das Dichterische nicht auf das Denken beschränkt. Das Dichterische kann, wie man in Japan an der Tee-Zeremonie, der Gartenkunst und der Haiku-Dichtung sieht, zu einer gewaltlosen Macht werden, die unser Leben tief durchstimmt. Das Dichterische in diesem weiten Sinne ist auch Europäern gar nicht fremd. Der französische Moralist Michel de Montaigne soll einmal gesagt haben: »J’aime l’allure poétique.« Der deutsche Dichter Friedrich Hölderlin hat gedichtet: »Voll Verdienst, doch dichterisch wohnet der Mensch auf dieser Erde.« 9 Aber bleibt die Frage: Wie kann das Dichterische in Einklang mit dem rechnenden Denken der modernen Technik gebracht werden? 4. Yü-chiens Kunst haben wir als ostasiatischen Ausdruck des Herzens charakterisiert. Was meint dies? Es besagt, daß derjenige Mensch sich selbst ausdrückt, der aller Formen und Inhalte, ja sogar des Menschlichen, ledig geworden ist und gerade deswegen alle Formen und Inhalte 9
Friedrich Hölderlin, »In lieber Bläue …«, Kleine Stuttgarter Ausgabe, Bd. 2, S. 372.
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als die je seinen annehmen kann. In unserem Fall drückt sich ein ursprünglicher Mensch als die »Acht Ansichten von Hsiao-Hsing« aus. Wenn wir den ursprünglichen Menschen als das »Nichts«, das wir von Haus aus sind, kennzeichnen, besagt »ostasiatischer Ausdruck«: Ausdruck des Nichts. 10 Kann aber dieser in der Malerei den Weg eines entsprechenden Ausdrucks des Nichts im Denken eröffnen? Die Möglichkeit einer solchen Neuorientierung des Denkens hat wiederum Nishidas Denken aufgezeigt, dem das Sehen »alles Formhaften« als »Form des Formlosen« 11 zugrundeliegt. Unter dem Formhaften versteht Nishida »Seiendes«, während das Formlose das »Nichts« im genannten Sinne bedeutet. Deswegen ist alles und jedes Seiende als »Form des Formlosen« der Ausdruck des Nichts. Anders gewendet: Nishida faßt Seiendes, d. h. das Formhafte, als »Seiendes in …« und das Formlose (bzw. das Inhaltslose) als den »Ort des Nichts«. Da alles und jedes Seiende das »Seiende im Ort des Nichts« ist, so bringt alles und jedes Seiende mit seinem eigenen Sichausdrücken zugleich den Ort des Nichts zum Ausdruck. Etwa: Dieser Tisch ist durchaus Tisch erst im Ort des Nichts und zugleich als Ausdruck des Orts des Nichts wie ein Traum. Etwas ist durchaus Etwas und zugleich nicht Etwas. Dies gilt von jedem Seienden. Das Sehen, das alles und jedes Seiende als im Ort des Nichts seiend, d. h. hier als den jeweiligen Ausdruck des Orts des Nichts sieht, ermöglicht es erst, Seiendes nicht in der ich-haften Perspektive, sondern in der welthaften Circumspektive zu sehen, da der Ort des Nichts, wie Nishida sagt, nichts anderes als die Welt bedeutet. Daß Seiendes überhaupt als solches im Ort des Nichts den Ort des Nichts ausdrücken kann, verlangt von uns, daß wir Seiendes möglichst knapp, d. h. hier zusammen mit dem Nichts, darstellen. Daß Seiendes im Ort des Nichts den Ort des Nichts ausdrückt, ist das Wunder, das als Ursprung des Malens und Dichtens beider Übereinstimmung möglich macht. Also ermöglicht der Ausdruck des Nichts alle hier genannten Grundzüge der Yü-chien’schen Landschaftsmalerei. Dabei müssen wir das »Nichts« immer als den »ursprünglichen Menschen« verstehen, der wegen seines Nichts-Charakters alles Seiende, so wie es ist, sein lassen kann. Die Ansicht, daß wir alles und jedes Seiende als den jeweiligen Ausdruck des Nichts, das wir von Haus aus sind, sehen und denken, 10 11
Diesen Ausdruck verdanke ich meinem Zen-Lehrer, Prof. Dr. Shin-ichi Hisamatsu. Kitarô Nishida, Werke Nishidas, Bd. 6, S. 6.
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könnte merkwürdig klingen. Genauso verwunderlich ist aber der Gedanke, daß jedes Seiende je ein »ens creatum« durch Gott ist. Die beiden Ansichten sind paradoxerweise nicht so weit voneinander entfernt, wie man meint, obgleich es zwischen ihnen eine unüberbrückbare Kluft gibt. Diese Kluft zwischen »ipsum esse«, das Gott ist, und Nichts, das wir von Haus aus sind, dürfen und können wir gar nicht aufheben: wir müssen sie durchaus aushalten. 12
Professor Dr. Hiroshi Kôzen, Ordinarius für Chinesische Literatur an der Universität Kyôto, danke ich für seine ausführliche und genaue Erläuterung der Gedichte Yü-chiens. Den beiden Kunsthistorikern, Prof. Dr. Nihei Nakamura, Ordinarius an der Pädagogischen Hochschule Kyôto, und Professor Yukihiro Kurasawa, Ordinarius an der Universität Kôbe, danke ich für viele wertvolle Hinweise im Gespräch. Dr. Eberhard Scheiffele, Lektor für Germanistik und Philosophie an der Universität Kyôto, gilt mein herzlicher Dank für seine freundliche Hilfe bei der stilistischen Überarbeitung.
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11. Shizuteru Ueda Das absolute Nichts im Zen, bei Eckhart und bei Nietzsche 1 (Zweiter und dritter Teil übersetzt von Stefan Thumfart) I. Der Text, von dem hier ausgegangen wird, stammt aus dem 12. Jahrhundert und heißt in der deutschen Übersetzung »Der Ochs und sein Hirte. Eine altchinesische Zen-Geschichte«. 2 Von diesem Text wird noch heute im japanischen Zen-Kreis viel Gebrauch gemacht. Er stellt den Vorgang der Selbstrealisierung des Menschen in zehn Stationen anschaulich dar. Der Text gibt zu jeder Station ein kurzes Vorwort, eine Tuschzeichnung im Kreisrahmen und deren bündige Erklärung in Gedichtform. Jede Zeichnung zeigt jeweils anschaulich eine bestimmte Weise und Dimension der Existenz auf dem Weg zum wahren Selbst. Es heißt: der Ochse und sein Hirte, wobei der Ochse ein vorläufiges Symbol für das gesuchte wahre Selbst ist, während der Hirte den Menschen darstellt, der sich um das wahre Selbst bemüht. Hier sollte gleich darauf hingewiesen werden, daß die Gestalt des Ochsen, trotz des Titels »Der Ochse und sein Hirte«, nicht in allen zehn Zeichnungen erscheint, sondern nur in vier. Dieses Verhältnis ist für das zen-buddhistische Verständnis des Selbst entscheidend wichtig, darauf werde ich nachher zurückkommen. Der Titel der 1. Station lautet »Die Suche nach dem Ochsen«; die 2. heißt »Das Finden der Ochsenspur«; die 3. »Das Finden des Ochsen«; 1 Anmerkungen zu Teil I von Ryôsuke Ohasi, zu Teil II und III von Stefan Thumfart. – Der Text besteht aus zentralen Stücken verschiedener Aufsätze des Autors. Die Zusammenstellung in der vorliegenden Form wurde vom Herausgeber vorgeschlagen und vom Autor gebilligt. Der I. Teil ist vom Autor selbst in deutscher Sprache verfaßt worden. 2 Übersetzt ins Deutsche von Kôichi Tsujimura und Hartmut Buchner, Pfullingen 61988. Der Titel der englischen Übersetzung von Daisetsu T. Suzuki, die in seinem Buch »Manual of Zen Buddhism« enthalten ist, lautet The Ten Oxherding Pictures, Kyôto 1935. Eine weitere englische Ausgabe: The Bull and his Herdsman. The Traditional Pictures, Comments and Pointers by Zen Master Daizôkutsu Rekidô Otsu, London 1989.
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Das absolute Nichts im Zen, bei Eckhart und bei Nietzsche
die 4. »Das Fangen des Ochsen«; die 5. »Das Zähmen des Ochsen«; die 6. »Die Heimkehr auf dem Rücken des Ochsen«. Auf diese Weise wird die Beziehung des Hirten zum Ochsen immer enger und intimer bis zur 7. Station, wo die Einswerdung erreicht wird, so daß sich der Mensch nicht mehr den Ochsen als Vereinigungsobjekt vorstellt. Das Selbst, so wie es und so weit es durch den Ochsen symbolisiert wird, ist jetzt realisiert worden, wodurch er als Symbol des Selbst aufgehoben wird. Der Titel der 7. Station heißt also »Der Ochse ist vergessen, der Hirte bleibt«. In der Zeichnung dazu ist der Ochse verschwunden und allein der Mensch bleibt bestehen, wie er »ruhig und gelassen, zwischen Himmel und Erde sein eigener Herr ist«, wie es im Vorwort dazu lautet. Die Strecke von der 1. bis zur 7. Station in ihrer stufenweisen Steigerung zeigt nacheinander Stadien der buddhistischen Lehren, Einübung in die Versenkung, anstrengende und angespannte Zucht, Einswerdung in Glückseligkeit usw. Mit der erreichten 7. Station ist aber noch nicht das wahre Selbst, wie es der Zen-Buddhismus versteht, realisiert. Wir sind auf dem Weg zum Selbst immer noch unterwegs, um weiter mit einem entscheidenden Sprung zur 8. Station durchzubrechen. Nun kommt aber mit der 8. Station das Charakteristische des wahren Selbst in der zen-buddhistischen Auffassung ausdrücklich zum Vorschein. Die 8. Station, mit dem Titel »Vollkommene Vergessenheit des Hirten und des Ochsen« oder »Doppelte Vergessenheit«, ist durch eine merkwürdige Zeichnung dargestellt, d. h. durch einen »leeren Kreis«, worin nichts gezeichnet ist, weder Hirt noch Ochs, überhaupt nichts. Diese Leerheit, wo nichts gezeichnet ist, muß hier in diesem Zusammenhang betont werden. Nichts gezeichnet, das bedeutet das absolute Nichts, das hier, über die 7. Station hinausgehend zunächst die absolute Negation bedeutet. Das absolute Nichts besagt aber im Buddhismus nicht, daß es überhaupt nichts gäbe. Es soll vielmehr den Menschen vom substanzialisierenden Denken und vom substanzialisierenden Selbstergreifen befreien. Für den Buddhismus liegt dem substanzialisierenden Denken die Selbstsubstanzialisierung des Menschen zugrunde, die eine verborgene Wurzel im Ich als solchem, in der Ich-Verhaftetheit, hat. Das Ich wird in der buddhistischen Lehre als das Ich-Bewußtsein verstanden und die elementarste Weise des Ich-Bewußtseins lautet: ›Ich bin ich‹, und zwar in der Weise: ›Ich bin ich, denn ich bin ich‹. Dieses ›Ich bin ich‹, das seinen Grund wiederum im ›Ich bin ich‹ hat und derart in sich geschlossen und verschlossen ist, dieses Ich-bin-ich gilt mit seiner sogenannten 441 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
III. Fortbildung der Schule
dreifachen Selbstvergiftung, nämlich Haß gegen Andere, Grundblindheit über sich selbst und Habgier, als die Grundverkehrtheit und der Unheilsgrund des Menschen. Demgegenüber würde das wahre, d. h. im buddhistischen Verständnis selbst-lose, Selbst von sich sagen: ›Ich bin ich und zugleich ich bin nicht ich‹ (nach der Formulierung von Prof. Nishitani), oder: ›Ich bin ich, weil ich nicht ich bin‹ (Daisetzu Suzuki). Alles kommt auf die vollkommene Auflösung des geschlossenen, verschlossenen Ich-bin-ich, auf die endgültige Loslösung von der Ich-Fessel an. Der Ich-Mensch soll endgültig sterben um des wahren, selbstlosen Selbst willen. Der Weg von der 1. bis zur 7. Station ist zugleich der Prozeß der Loslösung vom Ich-bin-ich. Wenn der Mensch aber auf der 7. Station, wo er als er selbst da ist, d. h. wo er noch als er selbst da ist, in Selbstgenügsamkeit und Selbstsicherheit stehen bleibt, fällt er mit seinem Selbstbewußtsein ›Ich bin jetzt, was ich sein soll‹ wieder in das verborgene Ich-bin-ich zurück. Eine sublimere Form des religiösen Egoismus sozusagen. Auch seine eigene Religion zu lassen, das ist hier das letzte religiöse Anliegen. Daher führt die 8. Station ein für allemal mit einem entschiedenen, entschlossenen Sprung ins absolute Nichts, in dem weder der suchende Hirt noch der gesuchte Ochs, weder Mensch noch Buddha, weder Dualität noch Einheit ist. (In diesem Zusammenhang sei auf Meister Eckharts Gedanken hingewiesen: Gott vergessen; Gott lassen; von der Vereinigung mit Gott weg zum Nichts der Gottheit, das gleichzeitig der Grund der Seele ist.) Der Mensch soll also, um zum Durchbruch zum wahren Selbst zu gelangen, dessen unbedingter Selbst-losigkeit entsprechend, nun alle bis dahin erreichten religiösen Einsichten und Erfahrungen ganz lassen, seiner selbst wie auch des Buddhas ganz ledig werden und ein für allemal ins lautere Nichts ein-springen, d. h. »groß sterben«, wie es im Zen-Buddhismus heißt. Im Begleittext zur Zeichnung des leeren Kreises heißt es: »Alle weltlichen Begierden sind abgefallen. Zugleich hat sich auch der Sinn der Heiligkeit völlig entleert. Verweile nicht vergnügt am Ort, wo der Buddha wohnt. Geh rasch vorbei an dem Ort, in dem kein Buddha mehr wohnt.« »Mit einem Schlag bricht jäh der große Himmel in Trümmer. Heiliges, Weltliches spurlos entschwunden.« Das drückt diese 8. Zeichnung aus. Nun muß das buddhistische Nichts, das das Substanzdenken auflösende Nichts, nicht als das Nichts festgehalten, nicht für eine Art Substanz, für Minus-Substanz sozusagen, d. h. ein nihilum gehalten werden. Es geht um die entsubstanzialisierende Bewegung des absoluten 442 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
Das absolute Nichts im Zen, bei Eckhart und bei Nietzsche
Nichts, um das Nichts des Nichts, oder in einem philosophischen Terminus um die Negation der Negation, und zwar um eine reine Bewegung des Nichts in zusammenhängender Doppelrichtung, nämlich 1) als Negation der Negation im Sinne der weiteren Verneinung der Negation, ohne zur Bejahung umzukehren, weit ins unendlich offene Nichts und 2) als Negation der Negation im Sinne der Umkehr zur Bejahung ohne jede Spur der Vermittlung. Das absolute Nichts bewährt sich als diese dynamische Zusammengehörigkeit der unendlichen Negation und der unmittelbaren schlichten Bejahung, und auf diese Zusammengehörigkeit kommt es einzig an. Das absolute Nichts bewegt sich als das Nichts des Nichts. Das absolute Nichts, das von der 7. Station her als deren absolute Negation wirkt, ist als solches nichts anderes als diese dynamische Zusammengehörigkeit der Negation und der Bejahung. So ereignet sich in diesem Nichts als dem Nichts des Nichts dann eine Grundwendung und völlige Umkehr wie im »Stirb und Werde« oder im »Tod und Auferstehung«. Die Zeichnung der nächsten, der 9. Station, stellt einen blühenden Baum am Fluß dar, nichts anderes. Dazu heißt es im Begleittext: »Die Blumen blühen, wie sie von sich selbst blühen; der Fluß fließt, wie er von sich selbst fließt.« Es geht um den Menschen in seinem wahren Selbst. Warum hier plötzlich ein blühender Baum am Fluß? Es handelt sich hier, da wir uns auf dem Weg des Selbst befinden, nicht um eine äußere, gegenständliche bzw. uns umgebende Landschaft, aber auch nicht um eine metaphorische Landschaft als Ausdruck eines inneren Zustandes des Menschen oder Projektion einer inneren Seelenlandschaft, sondern um eine völlig neue Realität als eine Vergegenwärtigung des selbstlosen Selbst. Es handelt sich um die Auferstehung aus dem Nichts, um die radikale Wendung von der absoluten Negation zum großen »Ja«. Ja, das ist es! Da auf der 8. Station die Subjekt-ObjektSpaltung in jeder Gestalt zum Vor-der-Spaltung im Nichts zurückgelassen wurde, so ist hier bei der Auferstehung aus dem Nichts ein blühender Baum am Fluß nichts anderes als das Selbst, und zwar nicht im Sinne substanzieller Identität der Natur und des Menschen, sondern in dem Sinne, daß ein blühender Baum, so wie er blüht, die Selbstlosigkeit des Menschen auf nichtgegenständliche Weise verkörpert. Das Blühen des Baumes, das Fließen des Wassers ist hier also, so wie es sich ereignet, zugleich ein Spielen der selbstlosen Freiheit des Selbst. Die Natur, wie die Blumen blühen, wie der Fluß fließt, ist der erste Auferstehungsleib des selbstlosen Selbst aus dem Nichts. 443 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
III. Fortbildung der Schule
Bei der Bewegung von der 8. zur 9. Station handelt es sich nicht mehr wie bei den vorangegangenen Stationen um eine stufenweise Steigerung, sondern um eine Zusammengehörigkeit, bzw. eine Hinund-her-Umwendung. Das Nichts in der 8. und das Einfache in der 9. Station gehören der Sache nach derart zusammen, daß sie – um im Gleichnis zu sprechen – die beiden Seiten eines Stücks Papier, eines Papiers ohne Dicke, bilden. Die beiden Seiten sind weder zwei noch eins. Es handelt sich alleine um die zusammengehörige, ineinander-durchdrungene Doppelperspektive, nämlich: die Richtung von der 8. zur 9. Station »in eins mit« der entgegengesetzten Richtung von der 9. zur 8. Station, so daß es in einer umkehrbaren Doppelaussage heißt, »Blühende Blumen, das heißt das Nichts; das Nichts, das heißt blühende Blumen.« Die klassische Formulierung im Buddhismus lautet: »Das Formhafte ist das Leere, das Leere ist das Formhafte.« 3 Es geht demnach um das absolute Zusammenfallen des Nichts und des Formhaften, wobei aber die Betonung nicht in der Identität als solcher liegt – das wäre wieder eine irrige Substanzialisierung –, sondern in der zusammenhängenden Doppelperspektive, die ihrerseits mit »Tod und Auferstehung« im existentiellen Bereich zusammenhängt. Die eine Richtung, das Formhafte als das Nichts zu durchschauen, wird als die »Große Erkenntnis« bezeichnet, während die andere Richtung, das Nichts unmittelbar als das Formhafte konkretisiert zu sehen, als die »Große Sympathie« bezeichnet wird. In der 10. und letzten Station ist die zwischenmenschliche Begegnung ausdrückliches Thema. Hier wirkt und spielt das wahre Selbst, vom Nichts auferstanden, zwischen Mensch und Mensch als selbstlose Dynamik des »Zwischen«. Dabei ist dieses »Zwischen« jetzt der eigene Spielraum, Spielinnenraum des Selbst, oder auch: das Selbst, durch das absolute Nichts aufgeschnitten, geöffnet, entfaltet sich als das »Zwischen«. Die Zeichnung hier stellt dar, wie sich ein Greis und ein Junge auf der Weltstraße begegnen. Hier handelt es sich nicht um zwei verschiedene Menschen, die sich dann zufällig treffen. »Ein Greis und ein Junge«, das ist eine selbst-lose Selbstentfaltung des Greises selbst. Wie es einem Andern geht, das ist jetzt für das Selbst in seiner Selbst-losig3 Skrt.: Rûpam śûnyatâ sûnytaive rûpam; sino-jap.: Shiki soku ze kû, kû soku ze shiki (色即是空 空即是色). (Anmerkung des Herausgebers: Vgl. Anm. 6 zum Nishitani-Text »Die Verrücktheit beim Dichter Bashô« in diesem Band. Dort allerdings wird das Wort »shiki« nicht mit »das Formhafte« übersetzt, sondern mit dem Wort »Erscheinung«.)
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Das absolute Nichts im Zen, bei Eckhart und bei Nietzsche
keit sein inneres Anliegen. Die Sache des Jungen, wie sie ist, ist die eigene Sache des Greises, der seinerseits für sich keine Sache hat. Die communio des gemeinsamen Lebens ist der zweite Auferstehungsleib des selbst-losen Selbst. Ich bin »Ich und Du«; »Ich und Du«, das bin ich. Es handelt sich um das Selbst als Doppelselbst auf Grund der Selbstlosigkeit. Im Begleittext wird bemerkt: »Freundschaftlich kommt dieser Mensch – der Greis – aus einem fremden Geschlecht (das ist, aus dem absoluten Nichts). Er hat sein leuchtendes Wesen schon tief vergraben. Bald kommt er mit einem ausgehöhlten Kürbis, mit Wein gefüllt, zum Markt. Bald kehrt er mit seinem Stab in seine Hütte zurück. Wie es ihm gerade gefällt, besucht er Weinkneipen und Fischbuden, wo die anderen im Umgang mit ihm zu sich selbst erwachen.« Zur Begegnung mit anderen Menschen wohnt das wahre Selbst nicht im sogenannten »Nirvâna«, sondern auf der vielbefahrenen und vielbegangenen Weltstraße, ohne aber das absolute Nichts zu verlassen. Es handelt sich dabei wieder um die doppel-perspektivische Dynamik: Auf der Weltstraße wie im Nichts, im Nichts wie auf der Weltstraße. Die unermüdliche ernste Bemühung um die anderen ist dabei gleichzeitig ein Spiel für sich selbst auf Grund des Nichts, ohne daß dabei durch den Spielcharakter jedoch die Bemühung und das Mitleiden Einbuße erlitten. Dies meint der Zen-Buddhismus mit der charakteristischen Doppelaussage, die nur logisch gesehen einen Widerspruch darstellt. Einerseits heißt es: »Die Lebewesen sind unermeßlich. Wir geloben uns, sie alle zu retten.« Andererseits heißt es: »Es gibt kein Lebewesen, das wir retten sollen und gerettet haben, auch keine Rettung.« Oder: »Schade! Alle Welt wollte ich bisher retten. Erstaunen! Es gibt keine Welt mehr zu retten.« Das Selbstbewußtsein, die anderen gerettet zu haben, das allein würde die Rettung innerlich schon wieder verderben. Selber zum wahren Selbst erwachen, das bewährt sich darin, einen anderen erwachen zu lassen, und zwar so, daß dieser selber erwacht. Auf Grund des formlosen, weiselosen Nichts ist die Art und Weise der Begegnung hier wieder sehr charakteristisch. Wenn die Begegnung irgendwo noch unterwegs auf der Strecke zwischen der 1. und der 7. Station stattfindet, so wird miteinander über religiöse Themen gesprochen werden. Hier aber nicht. Der Greis predigt nicht, belehrt nicht, sondern stellt in der Begegnung wie auch beim Zusammensein einfach Fragen: »Woher bist du?« »Was ist dein Name?« »Wie geht’s dir?« »Hast du 445 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
III. Fortbildung der Schule
schon gegessen?« »Siehst du diese Blumen?«, um einige Beispiele aus der Geschichte des Zen-Buddhismus zu nennen. Diese sind alle zunächst unauffällige, alltägliche Fragen. Ob der Andere aber in Wahrheit weiß, woher er überhaupt kommt? Ob der Andere Blumen wirklich so sieht, wie sie von sich selbst blühen? Der Greis fragt und bei dem Anderen wird die Frage nach sich selbst, nach dem wahren Selbst erweckt: »Wer bin ich eigentlich?« Der Andere fängt an, selber »nach dem Ochsen zu suchen«. So haben wir von neuem die erste Station. Die 10. Station ist also nicht der Abschluß, sondern der Anfang der 1. Station für einen Anderen, für einen Jungen, dem der Greis in seinem offenen »Zwischen« begegnet und bei dem dadurch die Frage nach dem wahren Selbst erweckt wird. Es geht um die Überlieferung des Selbst, von Selbst zu Selbst.
II. Um dieses in den Stationen 8, 9 und 10 zum Ausdruck gebrachte, absolute Nichts weiter zu erläutern, soll es im folgenden mit einigen abendländischen Gedanken verglichen werden. Zunächst darf wohl das »Nichts der Gottheit« bei Eckhart, dem Hauptgipfel der deutschen Mystik des Mittelalters, als der Gedanke betrachtet werden, der dem leeren Kreis des absoluten Nichts in der 8. Station am ehesten entspricht. 4 Die existentielle Haltung, »zu sterben und zum Leben erwachen«, ist das Fundament der religiösen Existenz. Eckhart radikalisiert diese Haltung anhand des Motivs der »Gottesgeburt in der Seele«, welches der großen Tradition der christlichen Mystik angehört. Gott gebiert den Sohn Gottes, d. h. für Eckhart den Gott-Sohn, in die Seele des Menschen, die sich selbst aufgegeben hat und der Ich-heit gestorben ist. Diese »abgeschiedene« Seele läßt sich durch das Leben Gottes als Leben Gottes in Gott wiedererwecken. Die Wiedererweckung ist zugleich das Ereignis der Inkarnation, in der Gott Mensch wird, im jeweiligen Menschen als dieser Mensch. Indem jeder einzelne Mensch so in der Wiedergeburt als Gottes einziger Sohn mit Christus gleich wird, ereignet Vgl. dazu auch Keiji Nishitani, Kami to zettai mu (神と絶対無, Gott und das absolute Nichts), Tôkyô 1948. Shizutera Ueda, Die Gottesgeburt in der Seele und der Durchbruch zur Gottheit, Gütersloh 1965; ders., Maisutâ ekkuharuto (マイスター・エックハルト, Meister Eckhart), Tôkyô 1983.
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Das absolute Nichts im Zen, bei Eckhart und bei Nietzsche
sich in jedem einzelnen Menschen direkt und ursprünglich die Erlösung, und wird die lebendig konkrete Einheit mit dem lebendigen Gott gelebt. Dieses Selbstgewahren bei Eckhart hat im Unterschied zu dem Standpunkt eines Glaubens, der Christus als Vermittler zur Erlösung versteht, eine beachtenswerte Gemeinsamkeit mit der grundlegenden Ansicht des Mâhâyana-Buddhismus, wonach das Erwachen des einzelnen Menschen Buddha und das Selbstgewahrwerden vereinigt. Dort, wo die Predigt Eckharts dann auf einer solchen Ebene erneut eine von einer gewissen Modulation begleitete Steigerung zeigt, tritt ihre Verwandtschaft mit dem Zen zu Tage. Die zum Sohn Gottes gewordene Seele »dringt bis auf den Grund und sucht weiter und erfaßt Gott in seiner Einheit und in seiner Einöde; sie erfaßt Gott in seiner Wüste und in seinem eigenen Grunde. Deshalb läßt sie sich nichts genügen, sie sucht weiter danach, was das sei, das Gott in seiner Gottheit und im Eigentum seiner eigenen Natur sei.« 5 Sie »will (vielmehr) wissen, woher dieses Sein [(das einfaltige, stillstehende göttliche Sein, das weder gibt noch nimmt)] kommt, [sie] … will in den einfaltigen Grund, in die stille Wüste, in die nie Unterschiedenheit hineinlugte, weder Vater noch Sohn noch Heiliger Geist«. 6 Für die als »Bild Gottes« geschaffene Seele ist nicht nur der Ursprung in Gott, sondern der Grund Gottes ist gerade der äußerste Ursprung der Seele. Die Bewegung der Seele, die ihre eigene Ursprünglichkeit wiederzugewinnen sucht, hört dort nicht auf, wo die Seele als Kind Gottes zu Gott zurückgekehrt ist, sondern versucht, Gott zu »durchbrechen« und in den Grund Gottes durchzustoßen. Das Charakteristische in diesem »Durchbruchs«-Motiv liegt in der existentiellen Bedeutung, die der Unterschied von Gott und »Gottesgrund« für die Seele hat. Eckhart sieht im Grund des, den Geschöpfen gegenüberstehenden, personalen Gottes einen Ort, wo Gott Gott selbst ist, und weist auf das »Selbst«, bzw. das »Wesen« Gottes in diesem Grunde mit dem Wort »Gottheit« hin. Dabei sagt er: »Gott und Gottheit sind so weit voneinander verschieden wie Himmel und Erde.« 7 Der den Geschöpfen gegenüberstehende, als Gott in Erscheinung tretende Gott ist die äußere Form Gottes – d. h., von Seiten des Menschen her gesagt, Meister Eckhart, Deutsche Predigten und Traktate, hrsg. und übers. von Josef Quint, München 1955, S. 206 (= Q, S. 206). Vgl. in der großen Ausgabe: Meister Eckhart, Die deutschen und lateinischen Werke. Die deutschen Werke, hrsg. und übers. von Josef Quint, Stuttgart 1958 ff., Bd. 1, S. 171 (= DW 1, S. 171). 6 Q, S. 316. 7 Q, S. 272. 5
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III. Fortbildung der Schule
eine Vorstellung Gottes als Gott. Dagegen ist die Gottheit, d. h. das Selbst Gottes im Grunde, nicht etwas von den Geschöpfen her Begreifbares. Es geht nicht nur über die von Seiten des Menschen her vollzogene Vergegenständlichung hinaus; es ist auch der Ort, wo selbst die innere Selbstbeziehung Gottes von Vater, Sohn und Geist entledigt wurde, und wo das Eintreten in die »Stille (samâdhi)« des »eins« selbst geschieht. Dort ist der »Grund«, d. h. die »Grundlosigkeit« Gottes. Die von Gott unterschiedene Gottheit ist gestaltlos, namenlos, unerklärbar, unkennbar und unfaßbar. Es ist in genauerem Sinne »weder dies noch das« 8 und in diesem Sinne das absolute Nichts. Sobald Gott als »irgend etwas Seiendes« begriffen wird, ob dies nun das Sein, ob es das Licht, die Liebe, das Gute, das Wahre, die Kraft oder was auch immer sei, ja sogar, sobald schon Gott gesagt wird, wird dies bereits zu einer das sich im Grunde ereignende Selbst Gottes verbergenden, äußerlichen Hülle. Es kann wohl gesagt werden, daß hier die sogenannte »negative Theologie« in ihrer äußersten Tragweite zur Geltung kommt. Die Worte der Negation bei Eckhart, der die negative Theologie bis an ihre äußerste Grenze führt, lassen die eisige Luft einer eigentümlich hellen, aber gespannten, unendlichen Offenheit fühlen; gleichsam wie die Spitze eines hohen Berges, in das Himmelsgewölbe hineinragend, sich selbst verneinend entschwindet. Diese eisige Luft ist fast wie die Luft des Zen. »Gott aber ist nicht gut!« 9 Nicht das Sein sondern Nichtwesen, nicht Person sondern Nichtperson, nicht Gott sondern Nichtgott. 10 Ein solcher Gottesgrund, »das Nichts der Gottheit«, ist seinerseits – und das ist bei Eckhart eine entschiedene Sache – auf ungegenständliche Weise der Grund der Seele selbst (Seelengrund). (Seele entspricht im Zen dem »Herzen«, Seelengrund dem »Herzensgrund«, bzw. dem »Herzensursprung«.) »Gott und Gottheit« sind in ihrer ganzen Weite der Gang einer Transzendierung direkt in der Immanenz als eine Bewegung, in der sich die Seele in ihren Ursprung selbst durchbricht; sie machen die abgründige Tiefe der Seele selbst aus. Die Seele führt in ihrem Innersten ek-statisch in das Innerste Gottes. Die als Sohn Gottes in Gott zurückgekehrte Seele kann nicht anders, als den »Gottesgrund« als ihren letzten Grund zu erforschen. Eckhart spricht in diesem Zusammenhang vom das Innere Gottes zerstrahlenden »Seelenfünklein«. Q, S. 196 u. 407. Q, S. 353, vgl. auch DW 3, S. 441. 10 Vgl. Q, S. 355 und DW 3, S. 448. 8 9
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Das absolute Nichts im Zen, bei Eckhart und bei Nietzsche
Er sagt: »Die Seele spricht, daß ihr Zorn so unmäßig sei, daß er [Gott] sich mit ihr nicht versöhnen könne.« 11 Dieses Drängen der Seele bei Eckhart, das bis in den letzten Grund ihrer selbst – in die Grundlosigkeit, insofern dieser Grund nicht ein »Seiendes« genannt werden kann, und somit jeder seiende Grund durchbrochen ist – durchstößt, hat mit der »Selbsterforschung« im Zen eine tiefe Gemeinsamkeit. Eckhart gebraucht beim Aufzeigen des Grundes der Seele als solchen gerade den Terminus, den die negative Theologie verwendet, um auf den Grund Gottes hinzuweisen. »Es [ein Fünklein in der Seele] ist weder dies noch das; … Es ist von allen Namen frei und aller Formen bloß, ganz ledig und frei, wie Gott ledig und frei ist in sich selbst.« 12 Die Worte Eckharts, der den »Gottesgrund« sive »Seelengrund« aufzeigt, indem er den Bereich der radikalen negativen Theologie »durch«-schreitet, erscheinen manchmal wie direkte Übersetzungen aus Zentexten. Die letzte Rückkehr in den »Gottesgrund« sive »Seelengrund« wird entsprechend dem Charakter des »absoluten Nichts« »Gott lassen«, »Gottes ledig werden, Gottes quitt werden« genannt. D. h., die im Inneren Gottes ihr Leben mit Gott vereinigende Seele nichtet erneut und radikal das mit Gott vereinigte Selbst. Es ist das letzte Lassen der »Ich«-heit. »Gott lassen« als die äußerste Spitze der existentiellen, absoluten Verneinung dürfte im »Buddha töten, den Meister töten« des Zen eine Verwandtschaft finden. »Wenn du danach verlangst, das Dharmagesetz zu verstehen, vermeide menschliche Irrwege. Nach innen, nach außen, auf was du auch immer stößt, töte es. Wenn du Buddha triffst, töte ihn; wenn du den Meister triffst, töte ihn, … erst dann kannst du loskommen. Du hängst nicht mehr an Dingen, sondern bist ledig und frei.« 13 Eckhart sagt: »Daher soll deine Seele allen Geistes bar sein, soll geistlos dastehen. Denn, liebst du Gott, wie er Gott, wie er Geist, wie er Person und wie er Bild ist, – das alles muß weg.« 14 Allein »Gott« zu denken, verdeckt das gestaltlose, lautere und reine Eins Gottes und verstellt die Grundlosigkeit, die der Grund Gottes ist. Zugleich verdeckt dieses Denken das gestaltlose, lautere und reine Eins der Seele selbst und die Grundlosigkeit, die der Grund der Seele ist. Wird die Vgl. Franz Pfeiffer, Deutsche Mystiker des 14. Jahrhunderts. Bd. 2: Meister Eckhart, Leipzig 1857, Neudruck Aalen 1966, S. 542. 12 Q, S. 163. 13 Vgl. Ruth Fuller-Sasaki, The Record of Lin-chi, Kyôto 1975, S. 25. 14 Q, S. 355. 11
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Grundlosigkeit verdeckt, gibt es keine wahre Freiheit. In dieser Verdekkung lebt verborgen die Wurzel der schon für abgeschnitten gehaltenen Ichheit – mit Eckharts eigenen Worten: eigen-schaft. 15 Sobald sich die Seele als »Sohn Gottes« sieht, klebt an ihr der ontische Charakter »Sohn Gottes«. Denn wenn die Seele sich in diesem »Zustand selbst kostet, schmeckt sie nach Gott. Dieses Schmecken führt zum Stolz auf das Selbst als »Gott Habendes«. Das Selbst, welches der Inhalt Gottes sein sollte, maßt sich Gott an und macht ihn zu seinem Inhalt. Es ist »der Seele eigen, … unablässig aufzustreben; sieht sie aber beiseite, so verfällt sie dem Hochmut, das (aber) ist Sünde«. 16 Wenn die Seele sich selbst sieht, wird dies bereits zum »Beiseite-sehen«. Deshalb sieht Eckhart in der sogenannten »unio mystica« erneut eine letzte, im Jetzt zu zerbrechende Schranke. Daher: »Gott lassen«! 17 Das ist kein sogenannter Atheismus und auch kein sogenannter Humanismus. Ganz im Gegenteil, es ist die Radikalisierung dessen, daß die Seele sich selbst stirbt. Es ist das nochmalige große Töten der Seinsweise, sich selbst zu sterben und sich im Leben Gottes wiedererwecken zu lassen. Deshalb wird es »grundtôt« 18 oder die »naeste armuot (die äußerste Armut)« 19 genannt. Es bedeutet, sich selbst in die gottlose »Wüste« zu werfen. Diese Wüste ist aber zugleich der Ort, wo die Quelle des reinen »Lebens ohne Warum« hervorsprudelt. Auf diese Weise wird das »Nichts der Gottheit«, welches der »Gottesgrund« ist, für die Seele zum radikalsten Ort, wo Tod gleich Leben ist. Auch wenn über den Bezug des Motivs der »Geburt« der Seele als Sohn Gottes in Gott und des Motivs des »Durchbruchs« der Seele durch Gott in das Nichts der Gottheit hinein bei Eckhart verschiedene Interpretationen möglich sind, kann man die Ansicht verantworten, daß die Beziehung dieser beiden Motive dem Umschlag und Aufstieg vom im siebten Bild dargestellten Selbst zum im achten Bild angedeuteten absoluten Nichts entspricht. Allgemein wird in der Mystik, die in der unio mit Gott lebt, auf die Erfahrung der unio oft das Herausfallen aus der unio gleichsam wie ihr Negativ erfahren. Diese Erfahrung, die auch mystischer Kollaps genannt werden könnte, wird vom jeweiligen Mystiker selbst als »Gott15 16 17 18 19
DW 1, S. 25 f., vgl. auch Q, S. 159 (»Ich-Bindung«). Q, S. 297 (Hervorhebung vom Autor). Vgl. Q, S. 214 unter anderem. Vgl. DW 1, S. 135. Vgl. DW 2, S. 500.
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Das absolute Nichts im Zen, bei Eckhart und bei Nietzsche
verlassenheit«, »Gottentfremdung«, »Dürre der Seele«, als »dunkle Nacht der Seele (la noche oscura)« usw. empfunden. Die Mystiker beschreiten dann den Weg der Bedrängtheit, auf dem diese Erfahrung ausgetragen wird. Dabei kommt es oft vor, daß dieser Weg zur entscheidenden Gelegenheit einer Wendung wird, um die einmalig gesteigerte Einheitserfahrung bis in die auf den Standpunkt der unio lebenden Existenz zu vertiefen. Bei Eckhart ist dieser Punkt vom Anfang an eher positiv. Bei ihm gilt nicht: »von Gott verlassen, von Gott verworfen«, sondern »Gott lassen«. Das dürfte wohl mit seiner Ansicht über Gott, daß Gott in seinem Grunde nicht Gott ist, verbunden sein. Eigens von der unio zu scheiden ist die Verwirklichung des gestaltlosen Eins mit dem Selbst Gottes, der seinerseits im Grund gestaltlos ist. Eckhart sagt: »eins … und nicht vereint« 20mit Gott, »ein Eines und eine lautere Einung«. 21 Daraus kommt ein Kernsatz Eckharts: »Hier ist Gottes Grund mein Grund und mein Grund Gottes Grund. Hier lebe ich aus meinem Eigenen, wie Gott aus seinem Eigenen lebt.« 22 Das ist in Wahrheit die große Freiheit des »Ich bin«. Eckhart sagt, daß dieses »Ich bin« weder den Menschen noch den Engeln, noch Gott zugehört; 23 oder: Ich »bin weder ›Gott‹ noch Kreatur«. 24 Dies könnte fast die Seinsweise des »ledigen, von nichts abhängigen Menschen« in »Lin-chis Aufzeichnungen« genannt werden. Den Wohnort eines solchen »Ichs« Eckharts, das weder Gott noch Geschöpf ist, muß das Jenseits der gewöhnlichen Unterscheidung von Theismus und Atheismus, das Jenseits des gewöhnlichen Unterschieds personalen und impersonalen Wirklichkeitsprinzips, oder eher noch dessen Diesseits genannt werden. Auch wenn vom Verdacht der damals Eckhart vorgeworfenen Häresie abgesehen werden mag, könnte der Durchbruch in das »Nichts der Gottheit« als ein spekulativer Höhenflug erscheinen, der den in der raum-zeitlichen Wirklichkeitswelt real lebenden, leibhaft-konkreten Menschen vergißt. Tatsächlich ist aber das Gegenteil der Fall. Eckhart sieht im Gegensatz zur herkömmlichen, traditionellen Interpretationsweise nicht in Maria, die vor Jesus sitzend, sich hörend in die Worte Gottes einläßt, sondern in ihrer Schwester Martha, die sich emsig um 20 21 22 23 24
Q, S. 215. Q, S. 215. Q, S. 180. Vgl. Q, S. 302. Q, S. 308 (Hervorhebung vom Autor).
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III. Fortbildung der Schule
den Empfang Jesu und seiner Jünger abmüht, Vollkommenheit. Er sieht in Maria die in die unio mit Gott versinkende Seinsweise, und in Martha die von der unio sich erhoben und Gott gelassen habende Seinsweise; in ihr sieht er die Rückkehr in das reale Leben der aktuellen Welt, welche »in eins« mit dieser Rückkehr das Durchstoßen in das Nichts der Gottheit ist. Für Martha – so meint Eckhart – bedeutet, bei Gästebesuch in der Küche zu arbeiten, in das Nichts der Gottheit durchzustoßen. Es darf wohl gesagt werden, daß hier eine neue Ebene in der Tradition der Mystik eröffnet wurde. Es ist die Seinsweise, die aus der unio mit Gott zum Nichts der Gottheit und zugleich zur aktuellen Welt erwacht. Im »Gott lassen« wird auf diese Weise der aufsteigende Durchbruch ins Nichts der Gottheit und die absteigende Rückkehr in die reale Welt durch und durch eins. Das »Leben ohne Warum« und das »reale menschliche Leben« werden zu einem lebendig-wirklichen Leben. In diesem Sinne spricht Eckhart, der vom »Seelenfünklein« redet, zugleich auch vom »wohlgeübten Leib« 25. Daß der Leib, wie Martha, bei Besuch von Gästen für diese arbeitet, das ist die aktuelle Wirkung des Seelenfünkleins. Bei Eckhart zeigt sich, wie oben beschrieben, daß im Selbstgewahrwerden des »Nichts der Gottheit« die religiöse Haltung des »Tod, das ist Leben« – d. h., sich selbst zu sterben und im Leben Gottes wiedererweckt zu werden – noch einmal radikal »groß getötet« wird, und das Selbst aus dem absoluten Nichts wieder erwacht. Bei Eckhart öffnet sich also eine mit dem Zen fast gleiche Welt. Hier treten die Ursprünglichkeit des Lebens, die absolute Subjektivität und die zum realen Leben erwachte, alltägliche Konkretheit ineins ins Anwesen. Bei Eckhart erscheint der Gedanke des absoluten Nichts in dem Sinne, daß Gott in seinem Grunde »absolutes Nichts« sei, und daß dieses »absolute Nichts« zugleich der Grund der Seele selbst sei. Das »absolute Nichts« bildet den Kern- und Angelpunkt des gesamten Denkens Eckharts und wird oft durch die »Wüste ohne ein einzig Ding« symbolisiert. Dies dürfte dem Zenspruch »Grenzenlose Weite, kein bißchen Gras« entsprechen. Zu diesem »absoluten Nichts« Eckharts kann eine enge Verwandtschaft mit dem absoluten Nichts gesehen werden, welches im 8. Bild der zehn Ochsenbilder als ein leerer Kreis dargestellt wird. Aber auch hier tritt freilich ein subtiler Charakterunterschied in Erscheinung. Dieser könnte unter Umständen zu einem entscheidenden Unter25
Q, S. 288.
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Das absolute Nichts im Zen, bei Eckhart und bei Nietzsche
schied werden. Wenn dieser Kontrast des »absoluten Nichts« zugespitzt formuliert würde, müßte es einerseits »Gott ist Nichts«, andererseits einfach »Nichts« heißen. Die klarste und einfachste Formulierung des absoluten Nichts bei Eckhart ist: »Gott ist Nichts.« Als was für ein Standpunkt wird sich ein solcher Standpunkt zeigen, wenn er im Gesichtsfeld des Vergleichs mit dem einfachen »Nichts« gesehen wird? »Gott ist nichts; nicht so, daß er ohne Sein wäre; er ist (vielmehr) weder dies noch das, was man auszusagen vermag – er ist ein Sein über allen Sein (Plur).« 26 D. h., bei Eckhart wird Gott auf Grund der Überragendheit des Seins Gottes als Überwesen Nichts genannt. Hier findet sich ein Typ der in der Tradition der christlichen Philosophie sich ereignenden, negativen Theologie. Die äußerste Negativität des »Nichts« im »Gott ist Nichts« wird nicht auf das Sein Gottes als solches gerichtet, sondern greift in Wirklichkeit die menschliche Seinsweise an, die das Sein Gottes zu bestimmen sucht. Die gesamte Negation aller möglichen Prädikate, die vom Menschen her Gott gegeben werden, wird »Nichts« genannt. Vonseiten des Menschen her gesagt heißt dies: Angesichts des Seins Gottes selbst die Verneinung der eigenen Worte und den Verzicht auf jedes Denken sowie jedes Bedenken zu erklären, diese Negation der Worte mit einem negativen Wort (d. h. »Nichts«) auszudrücken, und mit diesem negativen Wort den Gott zu prädizieren, der gerade die Worte negieren und das Denken verlassen läßt. Deswegen wird, wenn »Gott ist Nichts« gesagt wird, »ihm [Gott] damit nicht das Sein abgesprochen, vielmehr … es in ihm erhöht«. 27 »Gott ist« ist eine unerschütterliche, unangreifbare Substanz, die in der Frage nach dem »Was ist er?« nicht bezweifelt wird, und in der Antwort »Er ist Nichts« nicht verneint werden kann. »Gott ist Nichts« besagt, daß Gott ist, aber für den Menschen Nichts ist, und zwar in dem Sinne, daß er nicht im Wort bestimmt werden kann. Daraus folgt, daß auch die letzten Worte Eckharts über das Selbst Gottes, von dem betont wird, es sei das gestaltlose »Eins« als solches, nur auf Grund des »Zwei«, der Doppelheit von Gott und Mensch, von Sein und Nichts, gesagt werden können. Sofern dieses »Nichts« das Sein nicht entreißt, sondern unendlich »das Sein erhöht«, trägt es zwar eine gewisse Absolutheit in sich, aber von dem Standort aus, auf dem vom »absoluten Nichts« gesprochen wird, muß es doch als ein relatives »ab26 27
Q, S. 407 (Hervorhebung vom Autor). Q, S. 196.
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III. Fortbildung der Schule
solutes Nichts« angesehen werden. Das, was auf diesem Standort letztlich als absolut betrachtet wird, ist nicht das »Nichts«, sondern das Sein Gottes, d. h. das Sein selbst. Dieses wird durch das gesteigerte »Eins« als solches, durch die in konsequenter Weise radikalisierte »Substanz«-ialität potenziert. Auf Grund der einen reinen Gestaltlosigkeit des Selbst des »Eins« wird das Sein Gottes das Nichts genannt; aber hinter dem so genannten Nichts harrt die Substanz. Die Substantialität setzt dem Nichts eine Grenze. Das Nichts Eckharts ist als solches radikal, aber letztlich bleibt es ein Adjektiv, ein Prädikat zur hauptwörtlichen Substanz. Die Absolutheit des »absoluten Nichts« Eckharts liegt also nicht im »Nichts«, sondern stammt aus dem Sein als Überwesen, aus der äußersten Substantialität. Daß das Sein als Überwesen das Nichts bis zum Äußersten in sich birgt und übersteigt, das ist als solches sicherlich ein radikaler Gedanke. Vonseiten des Zen her wurde in der Rhythmik, die diese Radikalität in der menschlichen Existenz hervorruft, eine Verwandtschaft gespürt. Das Nichts der negativen Theologie könnte als dasjenige bezeichnet werden, das die sogenannte Analogie, die Seinsanalogie in der Doppelheit von ›gleich‹ und ›ungleich‹ zwischen Schöpfer und Geschöpf in der Richtung der Ungleichheit auf die Überragendheit hin überschreitet. Und in diesem Punkt war Eckharts Spekulation radikal. Aber Eckharts Originalität liegt darin, daß bei ihm die radikale negative Theologie, die der Ausdruck des die Unendlichkeit überschreitenden, unendlichen Abstands zu Gott ist, zugleich und direkt zum Ausdruck der Abstandslosigkeit wird. Wenn nämlich gesagt wird, »Gott ist Nichts«, so drückt der Überragende zugleich doch auch die im Nichtswerden der Seele auf ungegenständliche Weise anwesende Ungegenständlichkeit aus. Vonseiten des Zen wird besonders darin eine Verwandtschaft gespürt. Aber das schlechthinnige absolute Nichts des Zen hat als solches eine vom »Gott ist Nichts« verschiedene Stimmung. Schon vom Fundament des Mahâyâna-Buddhismus, der die Basis des Zen ist, ist das Nichts keine Steigerung der Substantialität, sondern im Gegenteil die totale Auflösung der Substantialität in Leere. Es ist nicht »Gott ist«, ist nicht »Gott ist Nichts« und auch nicht »Gott ist nicht«. Es ist die Auflösung der Substantialität als solcher, welche das Aussagen überhaupt von »Gott ist …« leitet. Die Auflösung der Substantialität in Leere ist die Eröffnung der »unendlichen Offenheit« der Leere – »der Ort des Nichts« – und ineins damit die Tätigkeit der Leere (die Tätigkeit des Nichts). In diesem Sinne ist das »Nichts« hier nicht ein Adjektiv für 454 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
Das absolute Nichts im Zen, bei Eckhart und bei Nietzsche
das »Eins« als Substanz, sondern muß Verbum sein. Während es die Substantialität leert und den »Ort des Nichts« in Leere eröffnet, löst sie im »Ort des Nichts« das substantielle »Eins« in Leere auf, läßt das Eins zum unerschöpflichen Vielen werden, und läßt dieses unerschöpflich Viele als »Eins, das nicht eins ist« zum »wie eins«-Bezug werden. »Sein« bedeutet hier, daß es als es selbst ganz Nichts ist und daß deshalb dort, wo es gänzlich in »Bezüge« entfaltet wird, die unerschöpflichen »Bezüge« auf es hin konkret konzentriert werden. »Öffnet sich eine Blume, entsteht die Welt.« Ein solcher dynamischer Gesamtzusammenhang ist die Tätigkeit des absoluten Nichts. Diese Tätigkeit ist dennoch zugleich im absoluten Nichts spurlos. Während auf Eckharts spekulativer Basis das Sein selbst und das »Eins« austauschbar sind, kann hier »Nichts« und »Bezug« ausgetauscht werden. (Mit einem dem Mahâyâna-Buddhismus eigenen Terminus gesagt: Es geht um »Leere und abhängiges Entstehen [śûnyatâ und pratītya-samutpâda]«.) Bei Eckhart einerseits ist die Basis das »Sein (Substanz) = eins«, im Zen andererseits ist sie der »Bezug des wie-eins«. Das Nichts als die Tätigkeit, die Substantialität in die Leere aufzulösen, negiert zugleich auch jede Festlegung des Nichts als Negation des Seins. »(Das Nichts ist) nicht Sein« heißt hier »(Das Nicht ist) nicht Nichts«. Das Nichts löst die Substantialisierung des Nichts selbst, nämlich daß die Negation der Substanz zu einer sogenannten Minus-Substanz wird, als »Nichts des Nichts« in Leere auf. »Nichts«, das ist »Nichts des Nichts«. In der klassischen Formulierung heißt es: »Leere ist wieder leer.« Hier kommt die Tätigkeit des »Nichts« voll zur Geltung. Dabei liegt der Kern im folgenden: Das »Nichts des Nichts« ist einerseits die das Nichts wiederum negierende, unendlich unauslotbare Verneinung, die durch und durch die unendliche Offenheit in Leere eröffnet. Andererseits schlägt es zugleich um ins Sein. (Gleichwie die Negation der Negation Bejahung ist.) Das »Nichts« ist »Nichts des Nichts«, aber »Nichts des Nichts« ist auf diese Weise das Zu-einander und In-einander der unauslotbaren Verneinung und unauslotbaren Bejahung, und noch dazu ist dieses Zu-einander und In-einander in der unauslotbaren Verneinung spurlos. Aber gleichzeitig wird doch nur darin die Bejahung zur schlechthinnig absoluten Bejahung. – Wie vorhin erwähnt, z. B., »Der Berg, das ist der Berg« ist die vollkommene Wahrheit, die vollkommene Anwesenheit. Hier werden die unerschöpflichen Bezüge konzentriert, und die Wahrheit des Seins wird konkret als »tathâ (wie dies)« ins Anwesen gebracht. Absolute Verneinung, das 455 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
III. Fortbildung der Schule
ist absolute Bejahung, und dies heißt: absolute Bejahung, das ist absolute Verneinung. Einen solchen Gesamtzusammenhang in sich zu beschließen und noch dazu das In-sich-Beschließen vollkommen auslöschen zu können, – das ist das »Nichts«. Das ist das »absolute Nichts« des leeren Kreises der 8. Station. Letztlich, oder noch genauer gesagt, vom Anfang an hat die Radikalität Eckharts im Gedanken »Gott ist Nichts« eine andere Stimmung als die des »absoluten Nichts«, das in der Bewegung der menschlichen Existenz als der genannten Radikalisierung zum Vorschein kommt. Mit dem Text der zehn Ochsenbilder gesagt: Weder Buddha, noch Nicht-Buddha. 28Oder in einem anderen Text heißt es: »Die drei Welten haben kein Dharma; wo willst du nach einem Herzen suchen?« 29 Und zugleich kann auf die Frage »Was ist das Nichts?« – oder in der Redeweise Heideggers gesagt: Wie steht es um das Nichts? – z. B. das »Grenzenlos fließt der Fluß, wie er fließt. Rot blüht die Blume, wie sie blüht.« 30 im 9. Bild dann zur wahren Antwort werden.
III. »Gott ist.« Aber dieses »Sein« war das »Überwesen« und wurde deshalb »Nichts« genannt. »Gott ist Nichts« ist deshalb das genaue Gegenteil von »Gott ist nicht«. Die extreme Negativität des »Nichts« im »Gott ist Nichts« war nicht auf das »Gott ist« gerichtet, sondern war auf den Menschen im Gegenüber zu Gott gerichtet. Eckhart hat dies nicht nur als spekulativen Sachverhalt, sondern auf seinen existentiellen Schluß hin radikal durchforscht. Darin, daß die Menschen dieses Nichts in sich selbst real bezeugen, nehmen sie am Sein Gottes, d. h. allgemein am Sein als solchem teil. Die Verwandtschaft mit dem Zen klingt am ehesten in diesem existentiellen Rhythmus an. Wenn nun aber das extreme »Nichts« das »Gott ist« als solches verneint, dann dürfte noch eine weitere Analogie zum leeren Kreis im 8. Bild hervortreten. Welche Sachlage in der abendländischen Geistesgeschichte entspricht dieser Analogie? Vgl. Der Ochs und sein Hirte, S. 41. Vgl. auch Bi-yän-lu, Meister Yüan-wu's Niederschrift von der smaragdenen Felswand, übers. und erläutert von Wilhelm Gundert, 3 Bde., München 1960–1973, Bd. 2, S. 86. 30 Der Ochs und sein Hirte, S. 45. 28 29
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Das absolute Nichts im Zen, bei Eckhart und bei Nietzsche
Was wird werden, wenn nicht gleich die Auflösung der Substantialität selbst in Leere im buddhistischen Sinne, sondern die Substanz als Fundament beibehalten, der Ort aber, in dem erst die Substanz besteht, vollständig entleert würde, d. h. zum absoluten Minus würde, oder wenn die Nichtigkeit Gottes zu einem Vakuum führte? Das würde genau Nietzsches »Gott ist tot« ergeben. Das ist keine Selbstbejahung des Menschen durch eine sogenannte anthropologische Reduktion. Denn an Stelle Gottes beherrscht nun der »Tod Gottes«, das abgründige nihilum, in dem die Substanz zum Vakuum wurde, alles. Die Grundlosigkeit wird zum höchsten Grund. Wie Gott alles war, wird nun das nihilum alles. Wird das »absolute Nichts« bei Eckhart als das plus »absolute Nichts« bezeichnet, so ist dieses nihilum das minus »absolute Nichts«. Hier muß sich der Standpunkt des »radikalen Nihilismus« 31 offenbaren. Nietzsche sagt, »das Nichts (das ›Sinnlose‹) ewig!« 32 Gott = Ewigkeit läßt nur die zur Substantialität gehörende Form dieser Ewigkeit zurück. Der Gott der Substanz bricht zusammen und verwandelt sich in das nihilum = Ewigkeit. »Was bedeutet Nihilismus? – Daß die obersten Werte sich entwerten. Es fehlt das Ziel. Es fehlt die Antwort auf das ›Wozu?‹.« 33 Früher wurde auf die Frage nach dem »Warum?« im Letzten immer mit Gott geantwortet. (Diese Frage ist eine Frage, die nur dadurch, daß sie auf diese Weise im Letzten beantwortet ist, beantwortet werden kann.) Dadurch, daß der die Allordnung im Letzten beherrschende Kern- und Angelpunkt sich auflöst, kommt alles im nihilum durcheinander und beginnt in schlechter Unendlichkeit zu rotieren. Das ist die in ihrer »furchtbarsten Form« erfahrene, bodenlose Negation in der »ewigen Wiederkehr des Gleichen«. »Das Dasein, so wie es ist, ohne Sinn und Ziel, aber unvermeidlich wiederkehrend, ohne ein Finale ins Nichts.« 34 Daß das Nichts nicht bloß vom Sein aus als Nicht-Sein gesehen, sondern als nihilum im Sinne der Nichtigkeit des Seinsgrundes selbst, als ein alles Sein Nichtendes, zum Problem wurde, ist in der europäischen Geistesgeschichte vielleicht zum ersten Mal durch Nietzsche geschehen. Nietzsche hat den existentiellen Schluß eines solchen »Gott ist tot« in seiner eigenen Existenz radikal durchgelebt. So, wie es Vgl. Karl Schlechta, Friedrich Nietzsche, Werke in drei Bänden, München 1955, Bd. 3, S. 567 (= Sch 3, S. 567). 32 Sch 3, S. 853. 33 Sch 3, S. 557. 34 Sch 3, S. 853. 31
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äußerst schwierig ist, wahrhaft gläubig, in Gott zu leben, genauso schwierig ist es, im Tod Gottes zu leben; genauso schwierig ist es, den Tod Gottes ohne Ersetzung durch irgendwelche Pseudogötter zu überleben. Nietzsche, der das Leid des Verlustes Gottes ausgetragen hat, stößt bis zu dem Ort durch, wo er sich »als der erste vollkommene Nihilist Europas, der aber den Nihilismus selbst schon in sich zu Ende gelebt hat – der ihn hinter sich, unter sich, außer sich hat«, 35 bezeichnen kann. Er stößt von der Seinsweise, die angesichts des Todes Gottes am hellichten Tage Gott mit einer Laterne wie verrückt sucht, 36 zur Seinsweise durch, die im Tod der alten Götter die Eröffnung der großen Meeresgefilde der Freiheit sieht. 37 Diese Seinsweise wird abermals durchbrochen. Was für eine Situation eröffnete dieser doppelte Durchbruch? Aber zuvor soll betrachtet werden, ob denn das Problem des Nihilismus und der Zusammenhang der zehn Ochsenbilder ineinandergreifen können. Versuchsweise sollen das siebte und achte Bild der zehn Ochsenbilder speziell aufgegriffen und nebeneinander gestellt werden. Dabei soll das 8. Bild vorläufig als das Ende der Zehn Ochsenbilder gesehen werden. Dem 8. Bild fehlt dann das Zu-einander des feinen, wunderbaren Seins und der feinen, wunderbaren Tätigkeit im 9. und 10. Bild. Wenn dieses 8. Bild auf diese Weise das Ende wäre, dann könnte es wohl als die äußerst negative Leere gedeutet werden. Dann dürfte folgendes gezeigt werden können: Im siebten Bild wurde ein in sich selbst ruhender und gesammelter Mensch gezeigt, während das 8. Bild zur schlagartigen Entblößung dessen würde, daß die Sache des siebten Bildes und das Ganze der Geschichte der Selbsterfahrung bis dorthin, d. h. die Übung, von der der Gedanke des wahren Selbst in dieser Erfahrungsgeschichte geleitet wurde, nichts anderes als sinnloses nihilum wäre. Es entspricht zwar nicht dem ursprünglichen Zusammenhang der zehn Ochsenbilder, aber der eindeutigeren Präzision willen anders gesagt: – Es ist denkbar, daß sich im 8. Bild zeigt, daß der Mond, den der Hirt im siebten Bild mit gefalteten Händen und sich niederkniend anbetet, d. h. also das im Mond symbolisierte Absolute in Wirklichkeit ein bloß leeres Nichts sei. Dann betete er ein leeres Nichts an. Das würde heißen, daß das die Übung abgeschlossen habende Selbst mit einem Schlag sinnlos 35 36 37
Sch 3, S. 634. Vgl. Sch 2, S. 126–128. Vgl. Sch 2, S. 205 f.
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Das absolute Nichts im Zen, bei Eckhart und bei Nietzsche
würde, und es darüber hinaus nichts mehr gäbe. Die darüber hinausstrebende Bewegung kehrte immer wieder in diese Sinnlosigkeit zurück. Dies wäre wohl dem von Nietzsche so benannten, »radikalen Nihilismus« 38 nahe. Es wäre keine bloß alltägliche nihilistische Einstellung. Denn erst nachdem der Weg, diese Einstellung zu überwinden, beschritten wird, wird das Ganze sinnlos und nichtig. Das 8. Bild mit der Darstellung eines leeren Kreises, das im ursprünglichen Gesamtzusammenhang der zehn Ochsenbilder steht, ist das absolute Nichts und ganz bestimmt nicht das absolute nihilum. Geschweige denn stellt es den im geschichtlichen Zusammenhang sich ereignenden, radikalen Nihilismus Nietzsches dar. Aber wenn einmal methodisch, um den möglichen Zusammenhang mit dem Nihilismus darin zu erforschen, im 8. Bild das Ende der zehn Ochsenbilder gesehen würde, so könnte dies die Gestalt des absoluten nihilum zeigen. Tatsächlich war es in der indischen Geistesgeschichte gar nicht selten, daß die buddhistische Sicht der Leere nihilistisch erklärt worden war. Selbst im Buddhismus wurden die Vertreter der Mâdhyamika als Pan-Nihilisten, d. h. als Vertreter des Standpunktes, daß alles nichts sei, bezeichnet. Ebenso behandeln gar nicht wenige moderne, europäische Buddhologen den Standpunkt der »Leere« als Nihilismus. Die Haltung der »Leere« versteht sich demgegenüber als ein vom Sein und vom Nichts freier Mittelweg und warnt wiederholt den, der die »Leere« erlernen möchte, nicht der nihilistischen, d. h. eitlen Ansicht anheim zu fallen. Dies heißt zugleich, daß in der Leere die Gefahr, in die einseitig negative Ansicht, nämlich in das Vorurteil, das im Gegenüber von Sein und Nichts stehend, »alles für Nichts« ansieht, d. h. in die nihilistisch, eitle Ansicht, in den Nihilismus, zu verfallen, enthalten ist. Diese Gefahr dürfte in der vorhin verwendeten Redewendung, daß die Negation der Substanz zu einer minus-Substanz werde, passend beschrieben werden. Damit wird gesagt, daß »Leere« erst dort voll anwesend sei, wo die Überwindung dieser Gefahr, die bei der Auflösung der plus- oder minus-Substantialität in Leere zustandekommt, in Leere enthalten ist. Wenn ein solcher, oben beschriebener Hintergrund tatsächlich gegeben sein sollte, und für den Fall, daß die zehn Ochsenbilder mit dem 8. Bild enden würden, so scheint es im Kontext der modernen Welt nicht unmöglich, den radikalen Nihilismus Nietzsches auf dieses 8. Bild zu beziehen. Genau im gleichen Fragment, in dem es heißt: »Das ist die extremste Form des 38
Vgl. Sch. 3, S. 567.
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Nihilismus: das Nichts (das ›Sinnlose‹) ewig!«, fügt Nietzsche selbst hinzu: »Europäische Form des Buddhismus.« 39 Wenn in der obigen Weise das Problem des Nihilismus in die zehn Ochsenbilder eingefügt wird, was für einen Sinn könnte dann das absolute Nichts des in den Gesamtzusammenhang der zehn Ochsenbilder wieder eingefügten 8. Bildes mit der Darstellung des leeren Kreises offenbaren? Aus dem absoluten Nichts des 8. Bildes wurden die »Natur« im 9. Bild und das »Zwischen« der Menschen im 10. Bild herausgestellt; das 8., 9. und 10. Bild machen einen dynamischen Zusammenhang aus. Dieser ist das absolute Nichts. Man kann sagen, daß hier eine ursprüngliche Möglichkeit, den Nihilismus zu übersteigen, gezeigt wird. Es hört nicht beim Nichts auf, oder anders gewendet, das Nichts ist nicht das Ende, noch genauer gesagt, es ist nicht das »Nichts ewig« in der Weise, daß es auch nicht mit dem Nichts aufhört, sondern es überschreitet das Nichts in der Weise des Nichts des Nichts: »Blau fließen die Ströme, grün ragen die Gebirge« 40 (wie im Text zum 9. Bild – dann sind die Gebirge wahrhaft Gebirge und das ist so, wie es ist, die ichlose Erfülltheit des Selbst), »Einander begegnen« 41 (etwa wie im Text zum zehnten Bild – dann ist das Selbst im Nichts eine doppelte Erfülltheit). Das war das absolute Nichts. Hier ist der radikale Nihilismus buchstäblich »hinter sich« (Nietzsches Wort). Hier läuft man hurtig über den Ort hinweg, wo der Nihilismus entstünde, würde man stehen bleiben. (Im Text des 8. Bildes heißt es: »An diesem Ort muß der Hirte rasch vorübergehen.«) 42 Es verhält sich keineswegs als gäbe es etwas, das der Negativität des absoluten Nichts entkommt und nachher hervortritt. Im Gegenteil wird das Nichts auf Grund der Radikalität des alles aufräumenden Nichts, auf Grund der nicht-substantiellen Radikalität des »Nichts des Nichts« im »Nichts« als »Nichts des Nichts« zunichte gemacht und überstiegen. Die unauslotbare Negativität und die absolute Bejahung wesen hier im Zu-einander an. Dies ist aber zugleich das Anwesen des »selbst-losen Selbst«. Im absoluten Nichts, im »Nichts des Nichts« kann folgendes geschehen: »Grenzenlos fließt der Fluß, wie er fließt. Rot blüht die Blume, wie sie blüht.« 43 und: »Er besucht … die Wein39 40 41 42 43
Sch 3, S. 853. Der Ochs und sein Hirte, S. 45. Ebd. S. 128 f. Ebd. S. 111 u. 41 f. Ebd. S. 45.
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Das absolute Nichts im Zen, bei Eckhart und bei Nietzsche
kneipen und Fischerbuden.« 44 Dies war die wahre Erfülltheit des Selbst. Das ganze Geheimnis liegt, obwohl an diesem Ort nichts Geheimnis ist, im »Nichts des Nichts«. Auch Nietzsche sagt, indem er »den Nihilismus selbst schon in sich zu Ende gelebt hat«, habe er den Nihilismus »hinter sich, unter sich, außer sich«. 45 Wenn es wahrhaftig so sein sollte, d. h., wenn der radikale Nihilismus nicht von außen negiert und überwunden werden könne – denn wie es für Gott kein »Außen« geben kann, so kann es auch für das Vakuum des »Todes Gottes« kein »Außen« geben –, sondern nur dadurch, daß er bis zu Ende durchgelebt wird. Denn eine Überwindung muß als »Selbstüberwindung des Nihilismus« auf Grund der Vollendung des radikalen Nihilismus, nur in der Bewegung des Nichts im radikalen Nihilismus selbst geschehen. Wenn der Nihilismus nur in der »Bewegung des Nihilismus selbst« überwunden werden kann, muß es dort eine Bewegung des Nichts geben. Das Nichts, das alles nichtet, muß auf irgendeine Weise zum Nichts werden, das die Bejahung gebiert. Das minus absolute Nichts muß in der Bewegung des Nichts zum ursprünglichen Plus werden können. Z. B. so, daß der nihilistisch leere »Nicht-Sinn (die Sinnlosigkeit)« des radikalen Nihilismus als das Fehlen der »Antwort auf das ›Wozu?‹«, 46 wie Nietzsche sagt, in der Bewegung des Nichts in den schlechthin bejahenden »Nichts«-Sinn umschlagen kann. Von außen kann keine Antwort gegeben werden. Das »ohne Warum« muß schlicht zur ursprünglich neuen Antwort werden. Wenn es so ist, mündet es hier unerwartet in das vorhin erwähnte »ohne Warum« des ursprünglichen Lebens bei Eckhart und in das »ohne Warum« des schlichten Seins der Rose ein, wie es Angelus Silesius zum Ausdruck bringt: »Die Ros ist ohn warum, sie blühet, weil sie blühet, …« 47 Besser gesagt: es geschieht eher ein von sich selbst her notwendiges Übereinstimmen sozusagen Rücken an Rücken, einerseits nämlich vom Grund Gottes, andererseits vom Grund als Tod Gottes, welcher der Abgrund ist, wobei beide von Grund aus in der und als die menschliche Existenz durchforscht werden. Hiermit öffnet sich folgende Möglichkeit: Der von Nietzsche so genannte radikale Nihilismus kann, gerade weil er radikal ist (anders gesagt, wenn er wahrhaft radikal 44 45 46 47
Ebd. S. 49 u. 122 f. Sch 3, S. 634. Sch 3, S. 557. Angelus Silesius, Der Cherubinische Wandersmann, Jena 1921, S. 39.
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ist), z. B. in der schlichten Erfahrung des »Die Ros ist ohn warum« überschritten werden. Es ist der Umschlag des Nichts auf dem Standort, wo auf das »Warum?« nicht eine einzige Antwort gegeben werden kann, zu dem Nichts im Wort »Die Ros ist ohn warum«, oder anders gesagt: es ist das im Umschlag des Nichts absolut bejahte Sein. Es ist der Umschlag vom Nichts des Seins zum Sein des Nichts. Wenn das so sein sollte, so dürfte die Sachlage dem Zusammenhang des 8. und 9. Bildes der zehn Ochsenbilder sehr nahe kommen. Noch einmal zusammenfassend: Nietzsche sagt, daß er, indem er den Nihilismus zu Ende gelebt hätte, den Nihilismus hinter sich gelassen habe. Es handelt sich um die »Bewegung der Selbstüberwindung des Nihilismus«. Wenn es so sein sollte, so ist die Überwindung des Nihilismus nur als »Bewegung des Nichts« möglich. – Und die Bewegung des Nichts dürfte zur Auflösung der substantialistischen Ansicht, welche die Grundlage der Auffassung des plus oder minus absoluten Nichts war, in Leere führen. – Das ist nur in der Weise möglich, daß sich das Nichts im Sinne der Nicht-Antwort auf die Frage »Warum« in das Nichts im Sinne des »ohne Warum« verwandelt, und dieses Nichts, z. B. in der Konkretheit der Rose als die Überfülle des Seins, das »ohne Warum« ist, erfahren wird. Der Weg, den Nietzsche selbst tatsächlich als die Überwindung des Nihilismus lehrte, war in Wirklichkeit nicht dieser Weg. Es gibt aber bei Nietzsche tatsächlich verschiedene Ansätze, die auf diesen Weg gerichtet sind. Der oben gezeigte Weg wird dann sichtbar, wenn man diese Ansätze verfolgt und konsequent betrachtet. Aber die »Bewegung des Nihilismus«, die Nietzsche tatsächlich entwickelt hat, wurde zu einer Bewegung, die im »Willen« ihre Antriebskraft fand. Im Willen, inmitten der abgründigen Tiefe des nihilums »das Nichts zu wollen«, wird ein Hebel für den Umschlag gesucht – »lieber will noch der Mensch das Nichts wollen, als nicht wollen …« 48 –, dieser Wille wird sich im Hervortreten der reinen und ursprünglichen Gestalt des Lebens, als des »Willens zum Willen« (nach Heidegger), selbst als »Wille zur Macht« gewahr, und dieser »Wille zur Macht« wird zum Überwinder des Nihilismus, und zwar als die treibende Kraft des aktiven und positiven Nihilismus. »›Nihilismus‹ als Ideal der höchsten Mächtigkeit des Geistes, des überreichsten Lebens, …« 49 Der Gedanke des »Willens zur Macht« 48 49
Sch 2, S. 900. Sch 3, S. 557.
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Das absolute Nichts im Zen, bei Eckhart und bei Nietzsche
hängt zutiefst mit dem Sachverhalt zusammen, den Grundwörter Nietzsches wie »ewige Wiederkehr«, »Übermensch« und andere ausdrücken, aber für Nietzsche war gerade der »Wille zur Macht« als Kern der Überfülle und Steigerung des Lebens der »Besieger Gottes und des Nichts«. 50 Dieser Wille wandelt im Wollen des Nichts den »Tod Gottes« in der Spontaneität des Selbst. Nietzsche denkt diese Bewegung, als die aus dem Selbst ausbrechende Steigerung der Kraft des Willens, der das Nichts will, und so im Wollen des Nichts das nihilum überwindet. »Dem Werden den Charakter des Seins aufzuprägen – das ist der höchste Wille zur Macht.« 51 Vorhin wurde im Gedanken Nietzsches von der Selbstüberwindung des Nihilismus auf Grund der Radikalisierung des Nihilismus so etwas wie eine »Bewegung des Nichts« gesehen. Nietzsche selbst spricht von der »Bewegung des Nihilismus« 52 und stellt den »Willen zur Macht« als Antriebskraft und Träger dieser Bewegung auf. Obwohl »Bewegung des Nihilismus« gesagt wird, ist diese Bewegung eine »Bewegung des Willens«. In die »Bewegung des Nichts« muß das menschliche Subjekt eingefügt werden. Das ist keine irgendwo geschehende, autonome Bewegung mehr, denn sie ist eins mit der Umwandlung der Seinsweise des Subjekts. Aber wenn der »Wille zur Macht« nicht nur in sie eingefügt, sondern als ein diese Bewegung des Nihilismus Beherrschendes ihr zugrunde gelegt wird, und, während das Verhältnis zwischen Nichts und Wille undurchsichtig bleibt, so etwas wie der »Wille zur Macht« inmitten des nihilums als letzter Sachverhalt aufgestellt wird, dann bleibt letztlich die Tendenz zu einer abermaligen Substantialisierung erhalten. Alles, sogar Gott, wird als Fiktion um des Hervortretens und der Steigerung der Kraft des »Willens zur Macht« willen uminterpretiert und entsubstantialisiert, aber der »Wille zur Macht« selbst wird als Grund aller Dinge zur einzigen Realität. Tatsächlich wird bei Nietzsche der »Wille zur Macht« als »Essenz der Welt«, als »das innerste Wesen des Seins« und als »der äußerste Grund aller Veränderungen« gefaßt. Deshalb sagt Keiji Nishitani: »Sofern es ein ›Wille‹ ist, entledigt es sich noch nicht des Charakters eines Seienden.« 53 Deshalb sieht auch Heidegger in Nietzsche den radikalen Kritiker und AbSch 2, S. 837. Sch 3, S. 895. 52 Sch 3, S. 634 f. u. 792. 53 Keiji Nishitani, Shûkyô to wa nani ka (Was ist Religion?), Tôkyô 81983, S. 237; vgl. auch Keiji Nishitani, Was ist Religion?, Frankfurt a. M. 1982, S. 329 f. 50 51
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III. Fortbildung der Schule
lehner der Metaphysik des Abendlandes, zugleich aber den letzten Vollender der abendländischen Metaphysik. D. h., wenn an einem solchen letzten Ort der »Wille zur Macht« als einzig wahrhaft »Seiendes« aufgestellt wird, so müßte er abermals dem nihilum des von Nietzsche selbst benannten, radikalen Nihilismus ausgesetzt werden. Denn das extreme nihilum ist ein nihilum, das gerade das, was als Grund des Seienden »Grund ist«, nichtig macht. Wenn es sich so verhalten sollte, dann heißt das, daß das extreme Nichts bei Nietzsche und der »Wille zur Macht« als dessen Überwinder beide miteinander vom existentiellen Ort des 8. Bildes der zehn Ochsenbilder weit entfernt sind. Aber im Gedanken Nietzsches vom »Willen zur Macht« sickert, eng verschlungen mit der problematischen, metaphysischen Substantialisierung, hier und dort ein Grundzug durch, der als direkter Selbstausdruck des reinen Lebens selbst gelten könnte; gleichsam wie das Grundwasser, das die Grundbegriffe Nietzsches, wie »Wille zur Macht«, »ewige Wiederkehr«, »Übermensch« und andere in der Tiefenschicht verbindet, oder wie Quellen, aus denen dieses Grundwasser hier und dort hervorquillt. So wird z. B. bei Nietzsche das Lachen und der Tanz als die ausdrücklichste Bejahung des Lebens bezeichnet. Diese extremste Bejahung des Lebens ist zwar zunächst nicht in durchsichtiger Weise auf den Gedanken des »Willens zur Macht« bezogen, aber dort wird von Vergessen gesprochen, mit dem im Grunde ein Ausfallen des Willens überhaupt angedeutet wird: der »Wille zur Macht« wird im Zentrum seiner Macht sozusagen fallen gelassen; damit verbunden wird dann das »Spiel« als die höchste Seinsweise angesprochen. Hier könnte der »Wille zur Macht« als der Standpunkt verstanden werden, an dem das 8. Bild mit der Darstellung des leeren Kreises, in dem sowohl der Hirte wie auch der Ochs »vergessen« sind, durchschritten und absolut verneint sive absolut bejaht wird. Das ist die Seinsweise, in der der Wille zur Macht die Macht vergißt und in diesem Vergessen in der natürlichen Bewegung des Spiels ek-sistiert. Hier soll nur eine Stelle kurz betrachtet werden, in der der Gedanke »Vergessen = Spiel« bei Nietzsche in relativ konsequenter Weise deutlich wird. In der ersten Predigt Zarathustras wird erörtert, wie der Geist zum Kamel, das Kamel zum Löwen, der Löwe letztlich zum Kind wird. Das Kind, als die letzte Gestalt des Geistes, der die Seinsweisen des Kamels und des Löwen durch-gelebt und Selbstüberwindungen aufgeschichtet hat, wird in folgender Weise gelobt: »Unschuld ist das Kind und Vergessen, ein Neubeginnen, ein Spiel, ein aus sich rollendes Rad, 464 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
Das absolute Nichts im Zen, bei Eckhart und bei Nietzsche
eine erste Bewegung, ein heiliges Ja-sagen.« 54 Nietzsche sieht im Kind ein »Spiel des Schaffens«. Das »Kamel« stellt den Geist dar, der in Ehrfurcht und Gehorsam spontan schwere Lasten trägt. Es ist die Seinsweise, die immer schwerere Lasten schleppend, seine Kraft genießend erfährt. Das Kamel lernt mit dem Leib alles, was in der Überlieferung einen Wert hat. Das auf diese Weise schwere Lasten schleppende Kamel eilt in die Wüste und verwandelt sich tief im Inneren der Wüste in den Löwen. Die im Schleppen der schweren Last trainierte Kraft schleudert die Last ab und verwandelt sich in die Kraft des Löwen, in die Kraft des »ich will«. Der Löwe, der »ich will« sagt, will freier Herrscher in der Wüste werden. Er fordert den bisherigen Herrscher, Gott, den Drachen, der »du sollst« sagt, zu einem letzten Kampf heraus und schlägt ihn mit einem heiligen »Nein« nieder. Das ist zwar die Sicherung der absoluten Freiheit des Willens des »ich will«, aber diese Freiheit ist ohne Inhalt, diese Kraft ist die Kraft der radikalen Verneinung. Nach dem Niederschlagen des Drachen wird die Wüste zur noch wüstenhafteren, einsamen Weite. Der das nihilum dieser Wüste durch-ertragen habende Löwe verwandelt sich plötzlich in das Kind. Und das, was nicht einmal für den Löwen möglich war, wird nun möglich. Oder wie vorhin zitiert, das »schöpferische« Spiel ist die Welt des Kindes. Die ewige Wiederkehr, die die extremste Form des Nihilismus war, schlägt in die Form der höchsten Bejahung um. Diese Bejahung ist das Kind als »ein aus sich rollendes Rad«, als unschuldiges »Vergessen = Spiel«. (Es soll aber besonders darauf aufmerksam gemacht werden, daß hier Qualität und Ton von den Gedanken des »Willens zur Macht« irgendwie verschieden sind.) Nietzsche hegte schon sehr früh tiefe Gedanken zum »spielenden Kosmoskind« Heraklits: »Wenn von Heraklit dem Dunklen die weltbildende Kraft einem Kinde verglichen wird, das spielend Steine hin und her setzt und Sandhaufen aufbaut und wieder einwirft.« 55 Das Spiel des Kosmoskindes selbst ist die Welt. Die letzte Seinsweise des Menschen findet sich dort, wo er als Kind im eigenen Spiel das Spiel dieses Kosmoskindes spielt, und vielleicht kann gesagt werden, daß Nietzsche in der kindlichen Seinsweise des unschuldigen »Vergessen = Spiels« ein vollkommenes Ausfallen des Nihilismus geahnt habe. 54 55
Sch 2, S. 294. Sch 1, S. 132.
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III. Fortbildung der Schule
Es scheint, daß der Gedanke »Vergessen = Spiel« eine direkte Verbindung zum vorhin betrachteten Weg des »ohne Warum« hat, und seine Bejahung vom Blickpunkt der Überwindung des Nihilismus aus mit dem Zen eine nähere Verwandtschaft zeigt. Die Darstellung des leeren Kreises in der 8. Station ist mit »Die vollkommene Vergessenheit von Ochs und Hirte« 56 betitelt. Und die von dort aus hervortretende Seinsweise wird in den »Sechs Ochsenbildern« ausdrücklich als Spiel bezeichnet. Im Text heißt es: »Spielend dahinwandelnd auf dem endlosen Weg.« 57 Aber es scheint, als ob Nietzsche sich dieser Beziehung zwischen nihilum, Wille zur Macht und Kind noch nicht in ganz klarer Weise bewußt gewesen sei. Heidegger sagt am Ende seines Vortrags »Der Satz vom Grund« über dieses für Nietzsche so anziehende, »das Weltspiel spielende Kind« Heraklits wie folgend: »Warum spielt das von Heraklit im αἰών erblickte große Kind des Weltspiels? Es spielet, weil es spielet … Das Spiel ist ohne ›Warum‹ … Es bleibt nur Spiel: das Höchste und Tiefste. Aber dieses ›nur‹ ist Alles, das Eine, Einzige.« 58 Hier taucht wiederum das »ohne Warum« auf. Aber Heidegger fügt hinzu: »Die Frage bleibt, ob wir und wie wir, die Sätze dieses Spiels hörend, mitspielen und uns in das Spiel fügen.« 59 Mit dieser Frage wird der Vortrag »Der Satz vom Grund« geschlossen. Es ist die Frage, ob wir selbst den radikalen Nihilismus als Fehlen der Antwort auf die Frage »Warum?« überschreiten können, indem wir im »ohne Warum« lebend und das Spiel des Seins spielend existieren. Heidegger hat diese Frage offen gelassen. Vielleicht war für ihn die Frage das Letzte. Nietzsche weist den Weg: »Wer zum Kinde werden will, muß auch noch seine Jugend überwinden.« 60 Falls das so sein sollte, dürfte der Sinn der Seinsweise des auf der zehnten Station der zehn Ochsenbilder erscheinenden »Alten« neu beleuchtet werden. Wer zum Kind werden kann, ist kein Kind. Er ist der »Alte«, der die Jugend überwunden hat. Erst als »Alter« kann er Kind sein und mehr als Kind; vor allem darin, daß das Sich-vergessen zugleich die Seinsweise um des Anderen willen ist, und das Vergessen zugleich Selbstgewahrwerden und Erwecken des Anderen. Der Ochs und sein Hirte, S. 41. Vgl. Zenkei Shibayama, The Six Oxherding Pictures, translated by S. Kudô, Kyôto o. J., S. 44. 58 Martin Heidegger, Der Satz vom Grund, Pfullingen 1957, S. 188. 59 Ebd. 60 Sch 2, S. 401. 56 57
466 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
Das absolute Nichts im Zen, bei Eckhart und bei Nietzsche
Bis jetzt wurde versucht, das Nichts bei Eckhart und Nietzsche als etwas zu betrachten, das eine Verwandtschaft zur Darstellung des leeren Kreises habe. Aber bei dem plus »absoluten Nichts« Eckharts lag seine plus Absolutheit in der Substanz und das Nichts war nicht die Negation der Substanz. Vom »Nichts des Nichts« her gesehen, war auch das für Gott prädizierte, extreme Nichts letztlich nur negativ. Demgegenüber nichtet das Nichts im Falle des minus »absoluten Nichts« im von Nietzsche so benannten, radikalen Nihilismus die Substanz, und es findet sich dort eine Absolutheit des Nichts. Aber es geschah in der Weise, daß das Nichts zur minus-Substanz wurde, und nicht so, daß das Nichts sich wandelnd in die Bejahung trat. So war auch das bis zum »Tod Gottes« führende, aktive Nichts, vom »Nichts des Nichts« aus gesehen, bloß negativ. Dem »heiligen Ja-sagen« im Gedanken »Vergessen = Spiel« als die andere Seite bei Nietzsche fehlt es an der selbstbewußten Klarheit einerseits des extremen Nichts, andererseits des »Willens zur Macht«, und deshalb blieb die letzte Bejahung selbst letztlich bloß negativ. Das absolute Nichts deckt sich auf der Seite der absoluten Bejahung mit dem plus »absoluten Nichts« Eckharts, auf der Seite der absoluten Verneinung mit dem minus »absoluten Nichts« des radikalen Nihilismus, da aber das Zu-einander und Ineinander der absoluten Verneinung und absoluten Bejahung – und genau das ist die Bewegung des »Nichts des Nichts« – das absolute Nichts ist, ist einerseits bei Eckhart die Negativität nicht genug weit vorangetrieben, und fehlt es andererseits bei Nietzsche an Positivität. In jedem Fall bleibt das absolute Nichts bei beiden bloß negativ. Aber ist nicht das »Nichts« vom Anfang an ursprünglich negativ, absolut negativ und nicht anders? Ist es nicht auf Grund des »Nichts« selbstverständlich, daß das »Nichts« bloß passiv ist? Wenn von positiv und bejahend gesprochen werden soll, dann ist es in keinem Sinn »Nichts«, sondern muß es dann nicht Sein, Überwesen, Eins, Substanz, oder Gott, – sich auf den »Tod Gottes« berufend – ein neuer Gott, ein »kommender«, letzter Gott sein? Oder: Wenn »Gott« als eine Illusion abgelehnt würde, müßte dann nicht der Mensch selbst positiv und bejahend genannt werden? Ja, so ist es! Aber hat nicht Nietzsche gerade in der Einsicht, daß genau solch Positives und Bejahendes wegen seiner Seiendheit im Grunde seine Gültigkeit verlor, die Notwendigkeit des positiv aktiven (diese Ungültigkeit positiv vollziehenden), radikalen Nihilismus gesehen? Und wenn Nietzsche sagt, daß er, indem er »den Nihilismus selbst schon in sich zu Ende gelebt hat«, den Nihilismus »hinter sich, 467 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
III. Fortbildung der Schule
unter sich, außer sich hat«, 61 wird es gestattet sein, einen Weg in der oben erwähnten »Bewegung des Nihilismus« zu sehen, der im »Nichts des Nichts«, das im ursprünglichen Zusammenhang der wie oben betrachteten zehn Ochsenbilder enthalten ist, den Nihilismus durchschlüpft und übersteigt. Nietzsche spricht gelegentlich intuitiv von der Untrennbarkeit der Verneinung und Bejahung. Zarathustra sagt: »O meine Seele, ich gab dir das Recht, nein zu sagen wie der Sturm, und ja zu sagen, wie offener Himmel ja sagt.« 62 Nietzsche selbst spricht von seiner »dionysischen Natur, welche das Neintun nicht vom Jasagen zu trennen weiß«. 63 Auch bei Eckhart gibt es eine Verbindung zwischen negativer und positiver Theologie im »via eminentiae«. Wie auch immer, die Möglichkeit des Zu-einanders selbst von Verneinung und Bejahung dürfte zum letzten Problem werden. Es wurde oben gezeigt, daß der leere Kreis im 8. Bild ein Nichts darstellt, das »mehr« als das plus absolute Nichts Eckharts und das minus absolute Nichts Nietzsches ist, obwohl die beiden mit dem 8. Bild eine Verwandtschaft zeigen, und in diesem »mehr« zugleich der Umschlag zur großen Bejahung liegt. Die 9. und 10. Station der zehn Ochsenbilder stellen eben dieses »mehr« des absoluten Nichts im Zen dar, wie es im I. Abschnitt dieses Aufsatzes erörtert wurde.
61 62 63
Sch 3, S. 634. Sch 2, S. 467. Sch 2, S. 1153.
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Nachwort zur 1. Auflage
Der erste briefliche Kontakt, den ich für den vorliegenden Band aufnahm, ist datiert mit dem 23. Januar 1981. Heinrich Rombach schrieb mir dort: »Wegen meines Vorschlags für den Kyôto-Band bin ich etwas unsicher geworden, da mir Herr Tsujimura schrieb, daß er mit den anderen Kollegen zu dem Ergebnis gekommen ist, daß ein solcher Band nicht vor Ablauf von 2–3 Jahren zusammengestellt werden könnte. Unter diesem Aspekt ist die Planung vielleicht besser offen zu halten, auch hat es dann wohl keinen großen Sinn, inhaltliche Vorwegnahmen oder Wünsche anzumelden, da die Beteiligten sich dadurch möglicherweise gegängelt fühlen könnten, was ja keinesfalls unsere Absicht ist. Vermutlich ist es am besten, einfach abzuwarten und vielleicht gelegentlich durch Erinnerungen den Gedanken an diesen wichtigen Plan wachzuhalten. Sehe ich das richtig?« Der Name Heinrich Rombach taucht nicht in diesem Band auf – weder als Autor noch als Übersetzer. Aber der Band wäre ohne seinen in dem Brief erwähnten Vorschlag überhaupt nicht entstanden. Rombach kam 1980 auf Einladung von Kôichi Tsujimura, damals Lehrstuhlinhaber des Instituts für Philosophie I der Universität Kyôto, nach Japan. Er hielt in Kyôto und Tôkyô Vorträge, die ungewöhnliche Erfolge hatten. Der Hörsaal war immer voll und die Diskussionen waren äußerst rege, was bei einer Veranstaltung in der Philosophie ein relativ seltenes Phänomen ist. Rombach führte Gespräche mit dem Zen-Meister Kajitani im Shôkokuji Tempel und mit den Angehörigen der Kyôto-Schule wie Keiji Nishitani, Kôichi Tsujimura, Shizuteru Ueda, usw. Ich dolmetschte für ihn bei seinen Vorträgen und Diskussionen und kann sagen, daß seine Vortragsreise von der japanischen Seite her gesehen ein großer Erfolg war. Rombach seinerseits bekam auch, wie er gesteht, zu spüren, daß »das japanische Denken«, geprägt durch die »Nichtserfahrung«, im Hinblick auf das europäische »Seinsdenken« einen anderen Weg geht. Er fand es nach den Gesprächen und Diskussionen in Japan für unbe469 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
Nachwort zur 1. Auflage
dingt notwendig, die Bedeutung des japanischen Denkens nicht nur in Gesprächen, sondern auch durch Texte zugänglich zu machen. So schlug er mir schon während seiner Japan-Reise vor, einen Sammelband der Texte der Kyôto-Schule herauszugeben. Kôichi Tsujimura behielt aber recht. Denn die Vorbereitung für den geplanten Band verlangte tatsächlich mehr Zeit und Kraft, als wir zuerst dachten. Wir hielten »den Gedanken an diesen wichtigen Plan« wach. Ich fühlte mich inzwischen etwas überlastet, weil der größte Teil der von mir ausgewählten Texte der deutschen Übersetzung bedurfte, was eine enorme Arbeit bedeutete. Keiji Nishitani gab mir dann den Rat, nicht selbst zu übersetzen, sondern deutsche Mitarbeiter zu gewinnen, die die Texte zu übersetzen imstande sind. »Wir Japaner haben bisher genug europäische Texte ins Japanische übersetzt. Es muß heute genug deutsche Mitarbeiter geben, die die deutsche Übersetzung der japanischen Texte übernehmen können.« Auf diesen treffenden Rat Nishitanis fand ich tatsächlich bald viele kompetente deutsche Kollegen, die im Interesse des Bandes bereit waren, mit mir zusammenzuarbeiten. Shizuteru Ueda half mir dabei, hochqualifizierte deutsche Mitarbeiter zu finden. Nachdem die Konzeption des Bandes fertiggestellt war, begann ich ab Februar 1984 einen Briefwechsel mit den deutschen Kollegen, die zum Teil in Zusammenarbeit mit in der Bundesrepublik Deutschland und Österreich wohnenden japanischen Studenten die Texte übersetzten. Sie sandten mir ihre Fassungen, und ich schickte ihnen meine Korrekturvorschläge zurück, wobei ich hinzufügen muß, daß die Fassungen der deutschen Übersetzungen von Anfang an von so hoher Qualität waren, daß ich von der wissenschaftlichen Kompetenz der Mitarbeiter sehr angetan war. Der Briefwechsel hörte nicht auf, bis die beiden Seiten, der jeweilige Übersetzer und ich, zu einer Übereinstimmung gekommen waren. Nach siebenjähriger Zusammenarbeit, die zum Teil von Auseinandersetzungen begleitet war, habe ich außer den Korrekturvorschlägen weit über hundert Briefe der Mitarbeiter und deren Übersetzungsmanuskripte – gut doppelt soviel wie das druckfertige Manuskript. Bei den Übersetzungen handelt es sich letztlich nicht um den in einem Wörterbuch feststellbaren »richtigen«, sondern um den »wahren« Sinn der japanischen Termini. Wer sich mit der Übersetzung eines philosophischen bzw. zen-buddhistischen Textes aus Ostasien beschäftigt hat, wird erfahren haben, welche Mühe eine solche Übersetzungsarbeit macht. Ich bin jetzt allen Mitarbeitern dieses Bandes sehr 470 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
Nachwort zur 1. Auflage
dankbar für ihre Mühe. Die noch lebenden Autoren (Nishitani, Tsujimura, Ueda) haben die Übersetzung ihrer Texte kontrolliert, so daß die deutsche Fassung ihrer Texte als autorisiert gelten kann. Bei der Transkription der chinesischen und japanischen Eigennamen und Begriffe wurden die Regeln der Wade-Giles- bzw. der Hepburn-Umschrift verwendet. Zur Entstehungsgeschichte gehört auch die Auswahl des Verlags und die dazu gehörenden Verhandlungen. Mehrere deutsche Verleger erklärten sich bereit, allerdings unter jeweils unterschiedlichen Bedingungen, dieses Buch zu publizieren. Herrn Dr. Meinolf Wewel im Karl Alber Verlag danke ich sehr für seine verständnisvolle Bereitschaft für den Band. Es war nun wieder Heinrich Rombach, der sich nicht nur um die Vermittlung zwischen Herausgeber und Verleger, sondern auch um die Vermittlung der Druckkostenbeihilfe selbstlos bemühte. Außer der freundlichen und großzügigen Beihilfe der »Suntory-Kultur-Stiftung« (Osaka/Japan) und dem »Daidô-Seimei-Fonds für den internationalen Kulturaustausch« (Osaka/Japan), die auf Antrag des Herausgebers dieses Buch kräftig unterstützte, erteilte nämlich auch der »Verein zur Förderung der kulturellen und wissenschaftlichen Beziehungen zwischen Japan und der Bundesrepublik Deutschland e. V., Köln« auf Antrag der deutschen Seite eine sehr großzügige Beihilfe. Ihnen gilt unser besonderer Dank. Herrn Rolf Elberfeld danke ich besonders für seine intensive Hilfe in der Endphase der Redaktionsarbeit. Ich hoffe, daß dieser Band, dem die mühsame, aber fruchtbare Zusammenarbeit von so vielen Leuten über eine so lange Zeit zugrundeliegt, eine bisher vermißte, authentische Grundlage für das west-östliche Gespräch anbietet, indem er in die Eigenart des »japanischen Denkens« einführt. Der Band soll aber auch einen kritischen Rückblick auf das philosophische Denken in Japan im Vergleich mit dem in Europa bieten, wobei dieses europäische Denken seinerseits in einem neuen, kritischen Licht aufgehen soll.
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Nachwort zur 2. Auflage
Nachdem die 1990 erschienene 1. Auflage des vorliegenden Bandes vergriffen war, wurde ich immer wieder von vielen Forschern, von denen die meisten außerhalb Japans leben und wirken, gefragt, ob es noch Exemplare des Bandes gebe. So versuchte ich selbst mehrmals, jedoch zumeist ohne Erfolg, das Buch antiquarisch zu finden. Von der Vorbereitung einer 2. Auflage hielten mich jedoch lange Zeit andere Aufgaben ab; weshalb nun seit dem Erscheinen der 1. Auflage mehr als zwei Jahrzehnte vergangen sind. Fünf der in diesen Band aufgenommenen Autoren (K. Nishitani, I. Kôyama, T. Shimomura, Y. Takeuchi und K. Tsujimura) sowie zwei Mitarbeiter (H. Buchner und G. Dombrady) sind inzwischen verstorben. Seitdem aber hat sich, wie in der Einführung dargestellt, die Philosophie der Kyôto-Schule in der dritten Generation weiterentwickelt, so daß die Zeit nicht umsonst vergangen ist. Für die vorliegende 2. Auflage wurde nicht nur die Einführung, sondern auch die Bibliographie überarbeitet von Frau Dr. Silja Graupe und Frau Dr. Eveline Cioflec. Ohne ihre freundliche Mitarbeit hätte ich diese Neuauflage nicht vorbereiten können. Ihnen spreche ich hiermit meinen herzlichen Dank aus. Herrn Enrico Fongaro sei gedankt für die Überprüfung der Bibliographie. Mein weiterer Dank gilt Herrn Lukas Trabert vom Karl Alber Verlag für seine Entscheidung, diese Neuauflage zu publizieren. Ihm und seinem Vorgänger, Herrn Meinolf Wewel, der die 1. Auflage des Bandes betreut hat, darf ich auch im Namen der übrigen Phänomenologen und Philosophen in Japan herzlich danken für ihren großen Einsatz, die japanischen Beiträge zur Philosophie durch die Publikation in Deutschland bekannt zu machen. Ebenso sehr bin ich der Alexander von Humboldt-Stiftung dankbar, die durch ihre erneute Einladung meinen Forschungsaufenthalt in Köln im Sommersemester 2011 unterstützt hat. Die intensive Über473 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
Nachwort zur 2. Auflage
arbeitung der vorliegenden 2. Auflage des Bandes wäre nicht möglich gewesen ohne diesen Forschungsaufenthalt. Zum Schluß möchte ich an dieser Stelle an zwei Verstorbene erinnern, ohne die die 1. Auflage des vorliegenden Buches nicht zustande gekommen wäre. Ich gedenke Herrn Heinrich Rombach, der, wie im Nachwort der 1. Auflage ausgeführt, den Vorschlag machte, ein Buch zur Kyôto-Schule vorzubereiten, und schließlich den Kontakt zum Karl Alber Verlag herstellte. Auch gedenke ich Herrn Hartmut Buchner, dem Herausgeber des Bandes Heidegger und Japan, der mir bei der Publikation der 1. Auflage mit vielen Ratschlägen und dem Nachtrag zur Bibliographie half. Heinrich Rombach und Hartmut Buchner starben beide im Jahr 2004; die 2. Auflage des von ihnen angestoßenen Werkes können beide nicht mehr sehen. Aber auch sie leben in dieser Neuauflage, wie die ebenfalls inzwischen verstorbenen Philosophen der KyôtoSchule. Kyôto, Januar 2011
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Bibliographie (Von Rolf Elberfeld)
Bei der Erstellung der Bibliographie wurde das Ziel verfolgt, erstmalig eine vollständige Liste der Publikationen zum Thema Kyôto-Schule in westlichen Sprachen zu geben. Hinweise auf eventuell fehlende Publikationen können an den Verlag oder direkt an den Herausgeber gerichtet werden. Die Nishida-Bibliographie bis 1986 stammt zum größten Teil aus der von Lydia Brüll und Masao Abe erstellten Bibliographie zu NishidaÜbersetzungen und zur Nishida-Sekundärliteratur in westlichen Sprachen in dem Buch: Nishida tetsugaku – shin shiryô to kenkyû e no tebiki (Nishidas Philosophie. Neue Materialien und Einführung), hrsg. von Yoshio Kayano und Ryôsuke Ohashi, Kyôto 1986, S. 389–399 (im gleichen Buch befindet sich auch eine vollständige japanische Bibiographie zu Nishida bis 1986). Die Bibliographie wurde wiederabgedruckt in: International Philosophical Quarterly 28:4 (1988) S. 373–381. Ansonsten konnte zum großen Teil auf das private Material des Herausgebers zurückgegriffen werden. Die Angaben unter der Überschrift »Gesamtausgabe« bzw. »Gesammelte Werke« wurden neu aus dem Japanischen übersetzt, wobei die in Klammern gesetzten Angaben wie z. B. (Deutsch) darauf hinweisen, daß der Text in die angegebene Sprache übersetzt wurde. Direkte oder indirekte Schriften zur Kyôto-Schule T. Taketi: Japanische Philosophie der Gegenwart, in: Blätter für Deutsche Philosophie 3 (1940) S. 277–299. Paul Lüth: Die Japanische Philosophie, Tübingen 1944. Gino Piovesana: Recent Japanese Philosophical Thought 1892–1962. A Survey, Tôkyô 1963. Tomonobu Imamichi: Die gegenwärtige Lage der japanischen Philosophie, in: Philosophische Perspektiven (1969) S. 318–330.
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Bibliographie Tadashi Ogawa: The Kyôto School of Philosophy and Phenomenology, in: Analecta Husserliana 8 (Dordrecht 1979) S. 207–221. Postwar Japanese Thought: 1945–1960, ein Gespräch von Nishitani Keiji, Kôsaka Masaaki, Mutô Kazuo u. a., in: The Japanese Christian Quarterly 47:3 (1981) S. 133–178, insbesondere hier: Tanabe Hajimes Thought, S. 135–144. Thomas Kasulis: The Kyôto School and the West, Review and Evaluation, in: The Eastern Buddhist 15:2 (1982) S. 125–144. Fritz Buri: Der Buddha-Christus als der Herr des wahren Selbst. Die Religionsphilosophie der Kyôto-Schule und das Christentum, Bern/Stuttgart 1982. F. Franck: The Buddha Eye. An Anthology of the Kyôto School, New York 1982. Robert Schinzinger: Japanisches Denken, Berlin 1983. Japan-Handbuch, Abschnitt »Japanische Philosophie«, hrsg. von Horst Hammitzsch, Stuttgart 21984, besonders S. 1366–1374. F. Seifert, The Kyôto School and the School of Consequent Eschatology, in: Buddhist-Christian studies (University of Hawai) (1984) S. 125–134. Ryôsuke Ohashi: Die Philosophie der Kyôto-Schule, in: Zeitschrift für Philosophische Forschung 40:1 (1986) S. 121–134. Elmar Weinmayr: Lexikonartikel »Nishida Kitarô«, »Nishitani Keiji« und »KyôtoSchule«, in: Philosophisches Wörterbuch, hrsg. von Max Müller und Alois Halder, Freiburg i. Br. 1988. Lydia Brüll: Die Japanische Philosophie. Eine Einführung, Darmstadt 1989. Ryôsuke Ohashi: Die frühe Heidegger-Rezeption in Japan, in: Japan und Heidegger, hrsg. von Hartmut Buchner, Sigmaringen 1989, S. 23–37. Yasuo Yuasa: Nationalism and Japanese Philosophy, in: Kokusaigaku Review, Vol. 2 (1990) S. 11–28.
Kitarô Nishida Alte Gesamtausgabe (Nishida Kitarô zenshû, 1.–4. Aufl., Abkürzung: NKZ) 1. Band Studie über das Gute (Zen no kenkyû) 1911 (Englisch 1960/1990, Spanisch 1963/2005, Deutsch 1989, Italienisch 2007). Denken und Erleben (Shisaku to taiken) (Aufsatzsammlung) 1911–1912. 2. Band Anschauung und Reflexion im Selbstbewußtsein (Jikaku ni okeru chokkan to hansei) 1913–1917 (Englisch 1987). 3. Band Das Problem des Bewußtseins (Ishiki no mondai) 1917–1920 (teilweise Englisch 1979). Kunst und Moral (Geijutsu to dôtoku) 1921–1923 (teilweise Deutsch 1940, Englisch 1973). 4. Band Vom Handelnden zum Anschauenden (Hataraku mono kara miru mono e) 1923–1927.
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Kitarô Nishida 5. Band Das selbstbewußte System des Allgemeinen (Ippansha no jikakuteki taikei) 1928–1930 (teilweise Deutsch 1943, teilweise Englisch 1972). 6. Band Selbstbewußte Bestimmung des Nichts (Mu no jikakuteki gentei). 7. Band Grundprobleme der Philosophie, Welt der Handlung (Tesugaku no konponmondai, kôi no sekai) 1933 (Englisch 1970). Grundprobleme der Philosophie – Fortsetzung, Die dialektische Welt (Tetsugaku no komponmondai, zokuhen benshôhôteki sekai) (teilweise Deutsch 1939, Englisch 1970, Deutsch 1990). 8. Band Philosophische Aufsätze I – Entwürfe zu einem System der Philosophie (Tetsugaku ronbunshû I, tetsugaku taikei e no kito): 1) Selbstidentität und Kontinuität der Welt (Sekai no jikodôitsu to renzoku) 1935 (Deutsch 1990). 2) Standpunkt der Handelnden Anschauung (Kôiteki chokkan no tachiba) 1935. Philosophische Aufsätze II (Tetsugaku ronbunshû II): 1) Logik und Leben (Ronri to seimei) 1936 (teilweise Deutsch 1936). 2) Praktisches und gegenständliches Bewußtsein – das Bewußtsein in der geschichtlichen Welt (Jissen to taishô ninshiki – rekishitekisekai ni oite no ninshiki no tachiba) 1937. 3) Die Frage nach der Entwicklung der Spezies (Shu no seisei hatten no mondai) 1937. 4) Handelnde Anschauung (Kôiteki chokkan) 1937. 9. Band Philosophische Aufsätze III (Tetsugaku ronbunshû III): 1) Die menschliche Existenz (Ningenteki sonzai) 1938. 2) Die Stellung des Einzelnen in der geschichtlichen Welt (Rekishiteki sekai ni oite no kobutsu no tachiba) 1938. 3) Absolut widersprüchliche Selbstidentität (Zettai mujunteki jikodôitsu) 1939 (Deutsch 1943, Englisch 1958). 4) Erfahrungswissenschaft (Keikenkagaku) 1939. 10. Band Philosophische Aufsätze IV (Tetsugaku ronbunshû IV): 1) Praktische Philosophie (Jissentetsugaku) 1940. 2) Poesis und Praxis (Poieshisu to purakushisu) 1940. 3) Das künstlerische Schaffen als Gestaltungsakt der Geschichte (Rekishiteki keiseisayô toshite no geijutsuteki sôsaku) 1941 (Deutsch 1990). 4) Das Problem der Staatsraison (kokkariyû no mondai) 1941. Philosophische Aufsätze V (Tetsugaku ronbunshû V): 1) Über die Objektivität der Wahrnehmung (Chishiki no kyakkansei ni tsuite) 1943. 2) Über das Selbstbewußtsein (Jikaku ni tsuite) 1943.
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Bibliographie 11. Band Philosophische Aufsätze VI (Tetsugaku ronbunshû VI): 1) Die Welt der Biologie (Butsuri no sekai) 1944. 2) Logik und das mathematische Prinzip (Ronri to sûri) 1944. 3) Hin zu einer Religionsphilosophie, anhand des Konzepts der prästabilen Harmonie (Yotei chôwa o tebiki toshite shûkyôtetsugaku e) 1944 (Englisch 1970). 4) Über die Philosophie Descartes (Dekaruto-tetsugaku ni tsuite) 1944. 5) Tradition (Dentô) 1944. 6) Der Raum (Kûkan) 1944. 7) Die philosophische Grundlage der Mathematik (Sûgaku no tetsugakuteki kiso) 1944. Philosophische Aufsätze VII (Tetsugaku ronbunshû VII): 1) Leben (Seimei) 1944. 2) Ortlogik und religiöse Weltanschauung (Bashoteki ronri to shûkyôteki sekaikan) 1944 (teilweise Deutsch 1973, Englisch 1983 und 1987). 12. Band Denken und Erleben – Fortsetzung (Zoku shisaku to taiken) (Aufsatzsammlung) u. a.: Der metaphysische Hintergrund Goethes (Gête no haikei) 1931 (Deutsch 1938, Englisch 1958). Das Problem der japanischen Kultur (Nihonbunka no mondai) (teilweise Englisch 1958). 13. Band Kleine Aufsätze (Shôhen): Über die Schönheit (Bi no setsumei) (Englisch 1987). Brief an den Schriftleiter der Zeitschrift »Risô« (»Risô henshûsha e no tegami) (Deutsch 1936). Zweifel in unserem Herzen (Jinshin no giwaku) (Englisch 1984). 14. Band Vorlesungsmitschriften (kôen hikki). 15. Band Vorlesungen (Kôgi). 16. Band Frühe Schriften (shoki sôkô). 17. Band Tagebuch Meiji 30 – Showa 20. 18. Band Briefe I (Shokanshu I). 19. Band Briefe II (Shokanshu II). Literaturverzeichnis zu Nishida.
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Kitarô Nishida
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Hajime Tanabe Gesamtausgabe (Tanabe Hajime zenshû, Abkürzung: THZ) 1. Band Frühe Aufsätze (Shoki ronbunshû) 1910–1922. 2. Band Die neuere Naturwissenschaft (Saikin no shizenkagaku) 1915. Einführung in die Naturwissenschaft (Kagaku gairon) 1918. Forschungen über die Philosophie der Mathematik (Sûritetsugaku kenkyû) 1925. 3. Band Die Teleologie Kants (Kanto no mokutekiron) 1923. Hegels Philosophie und die Dialektik (Hêguru tetsugaku to benshôhô) 1932 (teilweise Deutsch 1971). Übersicht über die Philosophie (Tetsugaku tsûron) 1932. 4. Band Aufsatzsammlung zur frühen und mittleren Periode (Shoki, chûki ronbunshû) 1924–1932 (u. a.): Die neue Wende in der Phänomenologie (Genshôgaku ni okeru atarashiki tenkô) 1924 (Deutsch 1989). 5. Band Aufsätze der mittleren Periode (Chûki ronbunshû) 1932–1938. 6. Band Aufsatzsammlung zur »Logik der Spezies« I (»Shu no ronri« ronbunshû I): Vom Schema »Zeit« zum Schema »Welt« (Zushiki »jikan« kara zushiki »sekai« e) 1932. Die Logik des sozialen Seins (Shakaisonzai no ronri) 1934/1935. Die Logik der Spezies und das Weltschema (Shu no ronri to sekaizushiki) 1935. Die dritte Stufe der Ontologie (Sonzai no daisan dankai) 1935. Die sozialontologische Struktur der Logik (Ronri no shakaisonzaironteki kôzô) 1936. Antwort auf die Kritik an der »Logik der Spezies« (»Shu no ronri« ni taisuru hihyô ni kotau) 1937.
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Hajime Tanabe Versuch, die Bedeutung der Logik der Spezies zu klären (Shu no ronri no imi o akirakanisu) 1937 (Deutsch 1990). 7. Band Aufsatzsammlung zur »Logik der Spezies« II (»Shu no ronri« ronbunshû II): Die Grenze der Existenzphilosophie (Jitsuzontetsugaku no genkai) 1938. Die Logik des staatlichen Wesens (Kokkateki sonzai no ronri) 1939. Ewigkeit – Geschichte – Handlung (Eien – rekishi – kôi) 1940. Ethik und Logik (Rinri to ronri) 1940. Die Entwicklung des Existenzbegriffs (Jitsuzongainen no hatten) 1941. Dialektik der Logik der Spezies (Shu no ronri no benshohô) 1947 (Englisch 1969). 8. Band Aufsätze zu aktuellen Ereignissen (jijironbunshû) u. a.: Philosophie der Krise oder Krise der Philosophie (Kiki no tetsugaku ka tetsugaku no kiki ka) 1933 (Deutsch 1989). Die dringende Aufgabe einer politischen Philosophie (Seijitetsugaku no kyûmu) 1946. 9. Band Philosophie als Metanoetik (Zangedô toshite no tetsugaku) 1946 (Englisch 1986). Existenz, Liebe und Praxis (Jitsuzon to ai to jissen) 1947. 10. Band Rechtfertigung des Christentums (Kirisutokyô no benshô) 1948. 11. Band Einführung in die Philosophie (Tetsugaku nyûmon) 1949–1952. 12. Band Aufsatzsammlung zur Wissenschaftsphilosophie (Kagaku tetsugaku ronbunshû) 1948–1955. 13. Band Aufsätze der späten Periode – Nachlässe (Kôki ronbunshû, ikô) 1951 bis 1961: Valèrys Kunstphilosophie (Varerii no geijutsutetsugaku) 1951 (Deutsch). Memento Mori (Memento mori) 1958 (Englisch 1959, Deutsch 1973). Meine persönliche Ansicht zu Zen-Quellen (Zengen shikai) 1959. Mararume Memorandum (Mararume oboegaki) 1961. Philosophie, Dichtung und Religion (Tetsugaku to shi to shûkyô) 1953. Ontologie des Lebens oder Dialektik des Todes (Sei no sonzaigaku ka shi no benshohô ka) 1959 (teilweise Deutsch 1959). 14. Band Gemischtes (Zassan). 15. Band Gemischtes (Zassan).
487 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
Bibliographie
Übersetzungen von Hajime Tanabes Werken Todesdialektik (THZ 13), übers. von K. Tsujimura und H. Buchner, in: Festschrift Martin Heidegger zum 70. Geburtstag, Pfullingen 1959, S. 93–133. Memento Mori (THZ 13), in: Philosophical Studies of Japan 1 (1959) S. 1–12. Introduction to »Philosophy as Metanoetics« (THZ 9), übers. von Y. Takeuchi, in: Japanese Religion 5:2 (1967) S. 29–47. The Logic of the Species as Dialectics (THZ 7), übers. von D. A. Dilworth, in: Monumenta Nipponica 24:3 (1969) S. 273–288. A Comparision of Metanoetics with the Philosophy of Freedom (THZ 9), übers. von Y. Takeuchi, in: Japanese Religion 7:2 (1971) S. 50–75 und die Fortsetzungshefte. Zu Hegels Lehre vom Urteil (THZ 3), übers. von K. Tsujimura und H. Buchner, in: Hegel-Studien 6 (1971) S. 211–229. Memento Mori (THZ 9), in: Gott in Japan, hrsg. von Seiichi Yagi und Ulrich Luz, München 1973. Philosophy as Metanoetics (THZ 9), übers. von Y. Takeuchi, Los Angeles 1986. Die Wende in der Phänomenologie – Heideggers Phänomenologie des Lebens (THZ 4), in: Japan und Heidegger, hrsg. von Hartmut Buchner, Sigmaringen 1989, S. 89–108. Philosophie der Krise oder Krise der Philosophie? Zu Heideggers Rektoratsrede (THZ 8), in: Japan und Heidegger, hrsg. von Hartmut Buchner, Sigmaringen 1989, S. 139–146.
Sekundärliteratur zu Hajime Tanabe Minoru Inaba: Zur Philosophie von Hajime Tanabe, in: Oriens Extremus 13 (1966) S. 180–190. Mikio Kuroki: 1975, vgl. Nishida Sekundärliteratur. Johannes Laube: Welches Fach ist für das Studium der modernen japanischen Philosophie zuständig?, in: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft Supplement III, 2 (Wiesbaden 1977) S. 1283–1289. –: Westliches und östliches Erbe in der Philosophie Hajime Tanabes, in: Neue Zeitschrift für systematische Theologie und Religionsphilosophie 20:1 (1978) S. 1– 15. –: Die »absolute Dialektik« von Hajime Tanabe, in: ebd. 20:3 (1978) S. 278–293. –: The meaning of gyô (»practice«) according to the Buddhist theologian Shinran and the philosopher Tanabe, in: European Studies on Japan, hrsg. von Ian Nish und Charles Dunn, Tenterden, Kent 1979, S. 105–110. –: Hajime Tanabes Erfahrung der »Wende vom Tod zum Leben« in den Jahren 1941–1944, in: Zeitschrift für Missions- und Religionswissenschaft 63:2 (1979) S. 119–128. –: Zur religionsphilosophischen Bedeutung der »Metanoetik« des japanischen Philosophen Hajime Tanabe, in: ebd. 65:2 (1981) S. 121–138.
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Shin-ichi Hisamatsu –: Die Interpretation des Kyôgyôshinshô Shinrans durch Hajime Tanabe, in: ebd. 65:4 (1981) S. 277–293. –: Kritik der »Logik der Spezies« von Hajime Tanabe (1. Folge), in: Neue Zeitschrift für systematische Theologie und Religionsphilosophie 23:3 (1981) S. 297–318. –: Kritik der »Logik der Spezies« von Hajime Tanabe (2. Folge), in: ebd. 24:1 (1982) S. 104–118. B. Eversmeyer: Ein Besuch bei Tanabe Hajime. Brief an einen Unbekannten, Karuizawa, den 8. 8. 1959, in: Bochumer Jahrbuch zur Ostasien-Forschung (1982) S. 474–477. Johannes Laube: Der Glaubensakt bei Luther und Shinran – ein Vergleich, in: Zeitschrift für Missions- und Religionswissenschaft 67:1 (1983) S. 31–49. –: Dialektik der absoluten Vermittlung. Hajime Tanabes Religionsphilosophie als Beitrag zum »Wettstreit der Liebe« zwischen Buddhismus und Christentum. Mit einem Geleitwort von Yoshinori Takeuchi, Freiburg i. Br. 1984. Narifumi Nakaoka: Zur Differenz-Frage. H. Tanabes Philosophie des Absoluten Nichts, in: Philosophisches Jahrbuch 92:1 (1985) S. 124 f. Steve Odin: Philosophy as Metanoetics, übers, von J. Takeuchi (Buchbesprechung), in: Japanese Journal of Religious Studies 14:4 (1987) S. 337–343. D. A. Dilworth: H. Tanabe, Philosophy as Metanoetics, übers. von Y. Takeuchi und V. H. Viglielmo (Buchbesprechung), in: Monumenta Nipponica 43:4 (1988) S. 497500. Kiyoshi Himi: Nishida und Tanabe im Vergleich, in: Zeitschrift für Missions- und Religionswissenschaft 72:1 (1988) S. 1–13. Taitetsu Unno und James Heisig (Hrsg.): The Religious Philosophy of Tanabe Hajime: The Metanoetical Imperative, Berkeley 1990.
Shin-ichi Hisamatsu I. Gesammelte Werke (Hisamatsu Shin-ichi chosakushû, Abkürzung: HSC) 1. Band: Das östliche Nichts (Tôyôteki mu): Das östliche Nichts (Tôyôteki mu) (Englisch 1960 und Deutsch 1975). Zen als Verneinung des Heiligen (Sei no hitei toshite no zen) (Englisch 1977). Religion außerhalb der Grenzen des Menschen (Ningen no genkaigai no shûkyô). Religion und Philosophie (Shûkyô to tetsugaku). Gespräche (Taiwa) (Brunner, Jung, Portmann, Heidegger) (Gespräch mit Jung Englisch 1968, Gespräch mit Heidegger Deutsch 1989). Inmitten des Nichts gibt es einen Weg (Muchûyûro); Autobiographische Schriften (Englisch 1985). 2. Band Der Weg des absoluten Subjekts (Zettai shûtaidô): Der Weg des absoluten Subjekts (Zettai shûtaidô) (Teilweise Deutsch 1978). Tod und Sünde (Shi to tsumi). Das Menschenbild im Zen (Zenteki ningenzô) (Teilweise Deutsch 1973).
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Bibliographie Glaube und Erwachen (Shin to kaku). Die Welt des Erwachens (Kaku no sekai). Kritik der gegenwärtigen Dogmatik (Gendai kyôgaku hihan). Gespräche (Taiwa) (Tillich, Brunner) (Teilweise Englisch 1971). 3. Band Erwachen und Schaffen (Kaku to sôzô): Die Bedeutung des Zen für die neuzeitliche Zivilisation (Kindaibunmei ni okeru Zen no igi) (Englisch 1965). Die buddhistische Struktur der neuen Welt (atarashiki sekai no bukkyôteki kôzô). Das Gelübde des Menschen (Jinrui no chikai). FAS als die neue Grundlinie unseres Übungskreises (Dôjô no atarashii kihonsen toshite no FAS). Gespräche (Taiwa). Hinterlassener Duft des Meisters Konmôkutsu (Konmôkutsu yuihô). 4. Band Philosophie des Teewegs (Sadô no tetsugaku): Der Teeweg als umfassende Lebensweise (Sôgôteki seikatsutaikei toshite no Sadô). Der Geist des Tees (Cha no seishin) (Englisch 1970). Die Maximen des Teewegs (Sadôshin). Die Entstehung des japanischen Teeweges (Nihon Sadô no seiritsu). Nachtrag (Yoroku). 5. Band Zen und Kunst (Zen to geijutsu): Zen und schöne Künste (Zen to bijutsu) (Französisch 1959, Deutsch 1990). Zen und Kultur (Zen to bunka) (Teilweise Englisch 1984). Die Eigenart der japanischen Kultur (Nihonbunka no tokusei). Gespräche (Taiwa) (Heideggergespräch Deutsch 1963/1989, Englisch 1963). 6. Band Zu verschiedenen buddhistischen Texten (Kyôrokushô): Die Themen der Abhandlung Kishin (Kishin no kadai). Die sieben Regeln von Yuima (Yuima shichisoku). Erläuterungen zu den Aufzeichnungen Rinzais (Rinzairoku shôkô) (Englisch 1981). Die fünf Stände des Zen-Meister Tôsan (Tôsan goi teikô) (Deutsch 1980). Die Zehn Ochsenbilder (Jûgyûzu teikô). 7. Band Sammlung Freie Gelassenheit (Nin-nun): Gedichte und Kalligraphien Hisamatsus. 8. Band Zernutzte Strohsandalen (Hasôai): Einige vor mir, einige nach mir (Zen sansan go sansan). Aufzeichnung der Wanderung in der Welt (Sekai angyashô). Von Zeit zu Zeit (Jiji henpen). Gespräche (Taiwa).
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Shin-ichi Hisamatsu II. Hisamatsus Vorlesungen über den Buddhismus (Hisamatsu Shin-ichi Bukkyô kôgi) 1. Band: Die Nichthafte Existenz (Sokumuteki jitsuzon). 2. Band: Die Welt des Buddhismus (Bukkyôteki sekai). 3. Band: Die Logik der Rückkehr in die Welt (Gensô no ronri). 4. Band: Völlig ungehinderte Durchdringung von Faktum und Faktum (Jijimuge). III. Zen und schöne Künste (Zen to bijutsu) (Englisch 1971)
Übersetzungen von Shin-ichi Hisamatsus Werken Zen and the Various Arts, in: Chicago Review 12:3 (University of Chicago 1958). Le Zen et les beaux-arts (HSC 5), in: Arts asiatiques, tome 6, fasciule 4 (1959) S. 244–258. The characteristics of Oriental Nothingness (HSC 1), in: Philosophical Studies of Japan 2 (1960) S. 65–97. Zen. Its Meaning for Modern Civilisation (HSC 3), in: The Eastern Buddhist 1:1 (1965) S. 22–47. Listening to Heidegger and Hisamatsu, Heidegger und Hisamatsu und ein Zuhörender, Kikinagara kakinagara (HSC 5) (Publikation dreisprachig), hrsg. von Al Copley, Kyôto 1963. On Zen Arts (HSC 3), in: The Eastern Buddhist 1:2 (1966) S. 21–33. Mondo. At the Death of a »Great Death Man« (HSC 7), in: The Eastern Buddhist 2:1 (1967) S. 29–34. A Dialogue – Carl G. Jung and Shin-ichi Hisamatsu (HSC 1), in: Psychologica 11 (1968) S. 25–32. The Nature of Sadô Culture (HSC 4), in: Eastern Buddhist 3:2 (1970) S. 9–19. Dialogues, East and West. Conversation between Dr. Paul Tillich and Dr. Hisamatsu Shin-ichi (HSC 2), in: The Eastern Buddhist 4:2 (1971) S. 89–101; ebd. 5:2 (1972) S. 109–128; ebd. 6:2 (1973) S. 87–114. Zen and the Fine Arts, Tôkyô 1971, 31982. Satori (Selbsterwachen). Zum postmodernen Menschenbild (HSC 2), in: Gott und Japan, hrsg. von Seiichi Yagi und Ulrich Luz, München 1973, S. 127–138. Ultimate Crisis and Resurrection (HSC 2), in: The Eastern Buddhist 8:1 (1975) S. 12–29; ebd. 8:2 (1975) S. 37–65. Die Fülle des Nichts. Vom Wesen des Zen (HSC 1), Pfullingen 1975, 21980. Postmodernist Manifesto – the Renovation of the World (HSC 3), in: FAS Society Newsletters 1:1 (July 1976) S. 1 f. Zen as Negation of Holiness (HSC 1), in: The Eastern Buddhist 10:1 (1977) S. 1– 12. Atheismus (HSC 2), übers. und mit Vorbemerkung von Hans Waldenfels, in: Zeitschrift für Missions- und Religionswissenschaft 62:4 (1978) S. 268–269. Ordinary Mind (HSC 2), in: The Eastern Buddhist 12:1 (1979) S. 1–29. Die Fünf Stände von Zen-Meister Tosan Ryokai (HSC 6), Pfullingen 1980. On the Records of Rinzai (HSC 6), in: The Eastern Buddhist 14:1 (1981) S. 1–12; ebd. 14:2 (1981) S. 11–21; ebd. 15:1 (1982) S. 74–86; ebd. 16:1 (1983) S. 74–89;
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Bibliographie ebd. 17:2 (1984) S. 75–92; ebd. 18:2 (1985) S. 65–98; ebd. 20:1 (1987) S. 120– 135. True Sitting: A Discussion with Shin-ichi Hisamatsu, in: FAS Society Journal 1 (Autumn 1984). Zen and Culture: The Formless Self and its Creation (HSC 5), in: FAS Society Journal (Winter 1984/1985) S. 11–14. Memories of My Academic Life (HSC 1), in: The Eastern Buddhist 18:1 (1985) S. 8–27. Memories of My Student Life. An Autobiographical Essay (HSC 1), in: FAS Society Journal (Summer 1985) S. 14–24. Teaching-Faith-Practice-Awakening (HSC 2), in: FAS Society Journal (Summer 1985) S. 27–39. After My Student Life (HSC 1), in: FAS Society Journal (Winter 1985/1986) S. 1– 3. Zen in America and the Necessity of the Great Doubt: A Discussion Between Daisetsu T. Suzuki and Shin-ichi Hisamatsu, in: FAS Society Journal (Spring 1986) S. 19–23. The Vow of Humankind (HSC 3), in: FAS Society Journal (Spring 1986), (Winter 1986/1987), (Autumn 1987), (Winter 1988/1989). An Interview with Hisamatsu, in: FAS Society Journal (Winter 1986/1987) S. 1– 10. The Current Task of Religion, in: FAS Society Journal (Winter 1986/1987) S. 35– 36. Problems of Religious Mind, in: FAS Society Journal (Autumn 1987) S. 12–15. Wechselseitige Spiegelung. Aus einem Gespräch mit Martin Heidegger (HSC 1), in: Japan und Heidegger, hrsg. von Hartmut Buchner, Sigmaringen 1989, S. 189– 192. Martin Heidegger – Shin-ichi Hisamatsu. Die Kunst und das Denken, Protokoll eines Colloquiums, in: Japan und Heidegger, hrsg. von Hartmut Buchner, Sigmaringen 1989, S. 211–215.
Sekundärliteratur zu Shin-ichi Hisamatsu Masao Abe: Hisamatsu’s Philosophy of Awakening, in: The Eastern Buddhist 14:1 (1981) S. 26–42. –: Hisamatsu Shin-ichi, 1889–1980, ebd. S. 142–147. Reminiscences to Shin-ichi Hisamatsu, in: ebd. S. 113–132.
Das FAS Society Journal ist vorhanden im Eastern Buddhist Society Büro, Otani Universität, Kyôto und im Institut for Zen Studies, Hanazono Universität, ebenfalls Kyôto.
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Keiji Nishitani
Keiji Nishitani Gesammelte Werke (Nishitani Keiji chosakushû, Abkürzung: NKC) Erste Periode: 1. Band Philosophie der ursprünglichen Subjektivität (Kongenteki shutaisei no tetsugaku) 1940. 2. Band Philosophie der ursprünglichen Subjektivität, Fortsetzung (Kongenteki shutaisei no tetsugaku zoku) 1940. 3. Band Forschungen zur abendländischen Mystik (Seiyô shimpishisô no kenkyû) 1940– 1947. 4. Band 1) Verschiedene Probleme der gegenwärtigen Gesellschaft und Religion (Gendai shakai no shomondai to shûkyô) (Über Religion, Politik und Kultur). 2) Philosophie der Weltgeschichte und geschichtliches Bewußtsein (Sekaishi no tetsugaku to rekishiteki ishiki) 1940–1951. 5. Band Abhandlungen zu Aristoteles (Arisutoteresu ronkô) 1933–1948. 6. Band Religionsphilosophie (Shûkyôtetsugaku) 1941–1977. 7. Band Gott und absolutes Nichts (Kami to zettai mu) 1946–1971. 8. Band Nihilismus (Nihirizumu) 1949–1972. 9. Band Nishidas Philosophie und Tanabes Philosophie (Nishida-tetsugaku to Tanabetetsugaku) 1948–1968. 10. Band Was ist Religion? (Shûkyô to wa nanika) 1954–1961 (Englisch 1960/1979, Deutsch 1982). 11. Band Der Standpunkt des Zen (Zen no tachiba) (Englisch 1984). Verschiedene Probleme im Zen (Zen o meguru shomondai) u. a.: Wissenschaft und Zen (Zen to kagaku) (Englisch 1965). Aufsätze entstanden 1960–1974. 12. Band Gedichte von »Kanzan« (chin. Han-shan) (Kanzanshi) 1974. 13. Band Philosophische Abhandlungen (Tetsugaku ronkô) u. a.: Prajñâ und Vernunft (Hannya to risei) 1979. Leere und die Kategorie »soku« (Kû to soku) 1982.
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Bibliographie Zweite Periode: 14. Band Vorträge Philosophie I (Nishida-Philosophie) (Kôwa tetsugaku I [Nishida-tetsugaku]) 1961/1982. 15. Band Vorträge Philosophie II (Leere und »Soku«) (Vgl. Band 13) (Kôwa tetsugaku II [Kû to soku]) 1986–1989. 16. Band Vorträge Religion (Kôwa shûkyô). 17. Band Vorträge Buddhismus (Kôwa Bukkyô): Über den Buddhismus (Bukkyô ni tsuite) 1982. 18. Band Vorträge Zen-Buddhismus und Jôdo-Buddhismus (Kôwa Zen to Jôdo). 19. Band Vorträge Kultur (Kôwa bunka). 20. Band Essays 1 (Zuisô I): Gemüt des Windes (Kaze no kokoro), Tôkyô 1980. 21. Band Essays II (Zuisô II). 22. Band Shôbôgenzô Vorträge I (Shôbôgenzô kôwa I) 1965–1972. 23. Band Shôbôgenzô Vorträge II (Shôbôgenzô kôwa II) 1972–1978. 24/25/26. Band Vorlesungen an der Otani-Universität I/II/III (Otani-daigaku kôgi I/II/III) 1964–1987.
Übersetzungen von Keiji Nishitanis Werken The Problem of Myth, in: Religious Studies in Japan (NKC 6), Tôkyô 1959, S. 50– 61. Die religiös-philosophische Existenz im Buddhismus, in: Sinn und Sein, hrsg. von Richard Wisser, Tübingen 1960, S. 381–398; auch abgedruckt in: Proceedings of the 11. International Congress for History of Religions. Tôkyô and Kyôto 1958, Tôkyô 1960, S. 577–583. Der Buddhismus und das Christentum (NKC 6), in: Nachrichten der Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens 88 (1960) S. 5–32. Eine buddhistische Stimme zum Thema der Entmythologisierung, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 13:3/4 (1961) S. 244–262 und 345–356. Rationale of the International Institute for Japan Studies, in: Japan Studies 1:1 (1964) S. 1–8. Japan in the world, in: Japan Studies 1:2 (1964) S. 2–9. Science and Zen (NKC 11), in: The Eastern Buddhist 1:1 (1965) S. 79–108.
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Keiji Nishitani The Awakening of Self in Buddhism, in: The Eastern Buddhist 1:2 (1966) S. 1–11. Prelimirary Remarks zu Heideggers »Ansprache zum Heimatabend« und »Über Abraham a Santa Clara«, in: The Eastern Buddhist 1:2 (1966) S. 48–59; wiederabgedruckt in: Heidegger and Asien Thought, hrsg. von Graham Parkes, Hawaii 1987, S. 145–154. A buddhist philosopher looks at the future of christianity, in: The Japan Christian Yearbook (Tôkyô 1968) S. 108–111. On the I-Thou Relationship in Zen Buddhism (NKC 12), in: The Eastern Buddhist 2:2 (1969) S. 71–87. On Modernisation and Tradition in Japan, in: Modernisation and Tradition in Japan, hrsg. von Yasushi Kuyama und Nobuo Kobayashi, Nishinomiya 1969, S. 69–96. Dialogue: Chinese Zen, ein Gespräch von Tsukamoto Zenryû, Shibayama Zenkei und Keiji Nishitani, in: The Eastern Buddhist 8:2 (1975) S. 66–93. The significance of Zen in Modern Society, in: Japanese Religions 8:3 (1975) S. 18– 24. The Problem of Time in Shinran, in: The Eastern Buddhist 11:1 (1978) S. 13–26. Religion and Nothingness (NKC 10), übers. und eingeleitet von Jan Van Bragt, Berkeley, Los Angeles, London 1982; die einzelnen Teile erschienen wie folgt: Kapitel 1, What is Religion, in: Philosophical Studies of Japan 2 (1960); die folgenden Kapitel erschienen von 1970–1979 in: The Eastern Buddhist. Was ist Religion? (NKC 10), übers. und eingeleitet von Dora Fischer-Barnicol, Frankfurt a. M. 1982, 21986. Zen and the Modern World (NKC 11), in: Zen Buddhism Today 1 (1983) S. 19–25. The Standpoint of Zen (NKC 11), in: The Eastern Buddhist 17:1 (1984) S. 1–26. »Was bedeutet eigentlich …«, in: Zen Buddhism Today 2 (1984) S. 185–187. Encountering No-Religion, in: Zen Buddhism Today 3 (1985) S. 141–144. All-Einheit als eine Frage, in: All-Einheit. Wege eines Gedankens in Ost und West, hrsg. von Dieter Henrich, Stuttgart 1985, S. 13–21. Dialogue: Shinran’s World, ein Gespräch von Daisetsu Suzuki, Kaneko Daiei, Soga Ryôjin und Nishitani Keiji, in: The Eastern Buddhist 18:1 (1985) S. 105–119; ebd. 19:1 (1986) S. 101–117. An Interview with Keiji Nishitani, in: FAS Society Journal (Summer 1985). The Days of My Youth. An Autobiographical Sketch, in: FAS Society Journal (Winter 1985/1986) S. 25–30. Three Worlds – No Dharma: Where to seek the Mind? in: Zen Buddhism Today 4 (1986) S. 119–125. Modernisierung und Tradition in Japan, in: Japan und der Westen, Bd. 1, hrsg. von Constantin v. Barloewen und Kai Werhahn-Mees, Frankfurt a. M. 1986, S. 183– 204. The Starting Point of My Philosophy, in: FAS Society Journal (Spring 1986) S. 24– 29. Ikebana, in: ebd. S. 30–33. Koan Zen: An Interview with Keiji Nishitani, in: FAS Society Journal (Autumn 1987) S. 8–11. Vorbereitende Bemerkungen zu zwei Meßkircher Ansprachen von M. Heidegger,
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Bibliographie in: Japan und Heidegger, hrsg. von Hartmut Buchner, Sigmaringen 1989, S. 147– 158. Ein tiefes Gefühl für die Krise der modernen Zivilisation. Nachruf auf M. Heidegger, in: ebd. S. 193–194. The Self-Overcoming of Nihilism, übers. von Graham Parkes und Setsuko Aihara, New York 1990.
Sekundärliteratur zu Keiji Nishitani Hans Fischer-Barnicol: Fragen aus Fernost. Eine Begegnung mit dem japanischen Philosophen Nishitani, in: Hochland 58 (1966) S. 205–218. Jan Van Bragt: Notulae on Emptiness and Dialogue. Reading Professor Nishitani’s »What is Religion«, in: Japanese Religion 4:4 (1966) S. 50–78. –: Nishitani on Japanese Religiosity, in Japanese Religiosity, hrsg. von Joseph Spae, Tôkyô 1971, S. 271–284. Hans Waldenfels: Absolutes Nichts. Zur Grundlegung des Dialoges zwischen Buddhismus und Christentum. Mit einem Geleitwort von Keiji Nishitani, Freiburg i. Br. 1976. Joseph Spae: Buddhist-Christian Empathy, Chicago 1980, S. 35 ff. Hans Waldenfels: »Was ist Religion?« Zur deutschen Übersetzung von K. Nishitanis Werk, in: Zeitschrift für Missions- und Religionswissenschaft (1983) S. 306– 312. Heinrich Rombach: Keiji Nishitani, Was ist Religion (Buchbesprechung), in: Philosophisches Jahrbuch 91:2 (1984) S. 437–441. Eberhard Scheiffele: Bemerkungen zur deutschen Übersetzung von Keiji Nishitanis »Shûkyô towa nanika?« in: Zen Buddhism Today 2 (1984) S. 78–89. Walter Strolz: Zen-Buddhismus und christlicher Glaube – zum Buch von Keiji Nishitani »Was ist Religion«, in: Zen Buddhism Today 2 (1984) S. 60–77. Tsutomu Horio: Professor Nishitani und der Zen-Buddhismus, in: Zen Buddhism Today 2 (1984) S. 36–46. Kunio Kôzu: H. Waldenfels, Absolutes Nichts. Zur Grundlegung des Dialoges zwischen Buddhismus und Christentum (Buchbesprechung), in: Bochumer Jahrbuch zur Ostasien-Forschung (1985) S. 475–483. –: Der Standpunkt der Leere in Hinblick auf das Prinzip der Praxis, in: Philosophisches Jahrbuch 92:2 (1985) S. 386–395. Jan Van Bragt: Religion and Science in Keiji Nishitani, in: Zen Buddhism Today 5 (1987) S. 161–174. H. Eibert: I regnbagens tecken Dialoger, Reflexioner, Umaningar, Stockholm 1989, darin: en tänker mellan öst och uäst, S. 79–102 (über Keiji Nishitani). S. Heine: Philosophy for an »Age of Death«: The Critique of Science and Technology in Heidegger und Nishitani, in: Philosophy East and West 40:2 (1990) S. 175–194. Ruth Kambartel: Religion als Hilfsmittel für die Rechtfertigung einer totalitären Staatsideologie in Nishitani Keijis Sekaikan to kokkakan, in: Japanstudien. Jahr-
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Iwao Kôyama buch des Deutschen Instituts für Japanstudien (Tôkyô) 1 – 1989 (München 1990). Taitetsu Unno (Hrsg.): The Religious Philosophy of Nishitani Keiji: Encounter with Emptiness, Berkeley 1990.
Iwao Kôyama Nishidas Philosophie (Nishida tetsugaku) 1935. Hegels Philosophie (Hêgeru tetsugaku) 1936. Philosophische Anthropologie (tetsugaku-teki ningengaku) 1938. Kulturtypik (Bunka ruikeigaku) 1939. Nishidas Philosophie. Fortsetzung (Zoku Nishida tetsugaku) 1940. Kulturtypische Untersuchungen (Bunka ruikeigaku kenkyû) 1941. Philosophie der Weltgeschichte (Sekai-shi no tetsugaku) 1942. Die Aufgabe Japans und die Weltgeschichte (Nihon no kadai to sekai-shi) 1943. Die Idee des Kulturstaates (Bunka kokka no rinen) 1946. Ethik des Ortes (Tokoro no rinri) 1946. Vernunft Geist Existenz (Risei seishin jitsuzon) (1948). Die Aufgabe der gegenwärtigen Philosophie (Gendai tetsugaku no kadai) 1948. Philosophie und philosophische Existenz (tetsugaku to tetsugaku-teki jitzuzon) 1948. Das Schicksal der Philosophie (Tetsugaku no unmei) 1948. Einführung in die Dialektik (Benshôhô nyûmon) 1949. Religion – das Letzte, wonach der Mensch sucht (Shûkyô – ningen ga motomuru saigo no mono) 1949. Einführung in die Philosophie (Tetsugaku nyûmon) 1949. Reden über die Existenzphilosophie (Jitsuzon tetsugaku no hanashi) 1949. Überwindung des Marxismus (Marukusushugi no chôkoku) 1949. Allgemeine Einführung in die Philosophie (Tetsugaku gaisetzu) 1950. Lexikon der philosophischen Begriffe (Tetsugaku yôgo jiten) 1950. Das Prinzip der Entsprechung und die Ortlogik (Basho-teki ronri to koô no genri) 1951 (teilweise deutsch 1990). Zeittafel der Philosophie (Tetsugaku nempyô) 1951. Krisis der Moral und die neue Ethik (Dôtoku no kiki to shin-rinri) 1952. Warum ist Religion nötig? (Shûkyô wa naze hitsuyôka) 1953. Gegen die zwei Welten (Futatsu no sekai ni kôshite) 1954. Die Angst der Gegenwart und die Religion (Gendai no fuan to shûkyô) 1955. Der Geist der Genossenschaft (Kyôdôshakai no seishin) 1955. Vergangenheit und Gegenwart der Neutralität (Chûritsu no kako to genzai) 1956. Was ist Moral? (Dôtoku towa nanika) 1958. Untersuchungen zur internationalen Neutralität (Kokusai-teki chûritsu no kenkyû) 1961. Das politische und gesellschaftliche Denken der Gegenwart (Gendai no seijishakai shisô) 1964. Einführung in die Philosophie (Tetsugaku nyûmon) 1967.
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Bibliographie Einführung in die Dialektik (Benshôhô nyûmon) 1967. Erziehung und Ethik (Kyôiku to rinri) 1968. Das Herz des japanischen Volkes (Nihon minzoku no kokoro) 1972. Die Philosophie der Zivilisation. Zum Problem des Untergangs (Bummei no tetsugaku. Botsuraku no mondai wo megutte) 1974. Erziehungsphilosophie (Kyôiku tetsugaku) 1976. Briefe an Politiker (Seijika e no shokan) 1979.
Masaaki Kôsaka Gesammelte Werke (Kôsaka Masaaki chosakushû, Abkürzung: KMC) 1. Band Die geschichtliche Welt (Rekishiteiki sekai). Die geschichtliche Welt – Fortsetzung (Zoku rekishiteki sekai). 2. Band Kant (Kanto). Der junge Kant und seine Zeit (Wakaki kanto to sono jidai). 3. Band Probleme der Kant-Interpretation (Kanto kaishaku no mondai). Probleme der Kant-Interpretation – Fortsetzung (Zoku kanto kaishaku no mondai). Die Kant-Schule (Kanto gakuha). Die Struktur der intelligiblen Welt bei Kant (Kanto ni okeru eichiteki sekai no kôzô). 4. Band Die gegenwärtige Philosophie (Gendai tetsugaku). Der Pragmatismus (Puragumatizumu). Nietzsche (Niiche). Spinoza (Supinoza). 5. Band Existenzphilosophie (Jitsuzon tetsugaku). Von Kierkegaard zu Sartre (Kerukregôru kara sarutoru e). Für die, die Zarathustra lesen (Tsaratsusutora o yomu hito no tame ni). 6. Band Philosophie der Pädagogik (Kyôiku tetsugaku). Geschichte der Philosophie der Pädagogik (Kyôiku tetsugaku no rekishi). Verschiedene Aspekte der Philosophie der Pädagogik (Kyôiku tetsugaku no shosô). Phänomenologie der Pädagogik (Kyôiku no genshôgaku). Die pädagogische Funktion des Schönen (Bi no kyôikuteki kinô). 7. Band Geschichte des Denkens in der Meiji-Zeit (Meijishisô-shi) (Englisch 1958). 8. Band Mein Lehrer Kitarô Nishida – Leben und Denken (Nishida Kitarô sensei ni shôgai to shisô).
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Toratarô Shimomura Die Philosophie Nishidas und die Philosophie Tanabes (Nishida-tetsugaku to Tanabe-tetsugaku). Erinnerungen an meinen Lehrer Kitarô Nishida (Nishida Kitarô sensei no tsuioku).
Übersetzungen von Masaaki Kôsakas Werken Japanese Thought in the Meiji Era (KMC 7), übersetzt von D. Abosch, Tôkyô 1958. The status and role of the individual in Japanese society, in: The Status of Individual in East and West, hrsg. von Charles Moore, Honolulu 1968, S. 361–376.
Toratarô Shimomura Gesammelte Werke 1. Band Philosophie der Mathematik (Sûritetsugaku). Philosophie der Wissenschaftsgeschichte (Kagakushi no tetsugaku). 2. Band Aufsätze zur neuzeitlichen Wissenschaftsgeschichte (Kindai kagaku shiron). 3. Band Studien über Franz von Assisi (Asshishi no Furanshisu kenkyû). 4. Band Studien zur Renaissance (Runessansu kenkyû). 5. Band Studien zu Leonardo da Vinci (Reonarudo kenkyû). 6. Band Studien zu Renaissance und Barock (Runesansu to Barokku no ningenzo). 7. Band Studien zu Leibniz (Raipunittsu kenkyû). 8. Band Kirchen – Galerien – Plätze – Wanderung in Europa (Seidô – garô – hiroba – yôroppa henreki). 9. Band Studien zu Burckhardt (Burukuharuto kenkyû). 10. Band Aufsätze zur Geistesgeschichte und Kunstgeschichte (Bijutsushi seishinshi ronkô). 11. Band Philosophische Probleme (Tetsugakuteki mondai). 12. Band Nishidas Philosophie und das japanische Denken (Nishida tetsugaku to nihon no shisô). 13. Band Biographische Essays (Esse biogurafikku).
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Bibliographie
Übersetzungen von Toratarô Shimomuras Werken Nishida Kitarô and some Aspects of His Philosophical Thought, in: A Study of Good, 1960, vgl. Nishida-Übersetzungen. On the Varieties of Philosophical Thinking, in: Philosophical Studies of Japan 4 (1963) S. 1–21. The Modernization of Japan with special Reference to Philosophy, in: Philosophical Studies in Japan 7 (1966) S. 1–28.
Shigetaka Suzuki Ranke und die Historie der Weltgeschichte (Ranke to sekaishi-gaku) 1939. Idee eines geschichtlichen Staates (Rekishiteki kokka no rinen) 1941. Die Entstehung Europas (Yôroppa no seiritsu) 1947. Forschung zur feudalistischen Gesellschaft (Hôkenshakai no kenkyû) 1948. Das Schicksal der Welt und das Schicksal des Staates (Sekai no unmei to kokka no unmei) 1949. Die Industrierevolution (Sangyô kakumei) 1950. Tradition und Moderne in Japan (Nihon ni okeru dentô to kindai) 1959. Japan von jetzt an (Korekarano Nihon) 1965. Die mittelalterliche Stadt (Chûsei no machi) 1982. Die Moderne in der Weltgeschichte (Sekaishi ni okeru gendai) 1990.
Yoshinori Takeuchi Übersetzungen bzw. Schriften in westlichen Sprachen Buddhism and Existentialism. The Dialogue between Oriental and Occidental Thought, in: Religion and Culture, hrsg. von W. Leibrecht, New York 1959, S. 291–318. Das Problem der Eschatologie bei der Jôdo-Schule des japanischen Buddhismus und ihrer Beziehung zu seiner Heilslehre, in: Oriens Extremus 8:1 (1961) S. 84–94. Il Silenzio del Buddha, in: Il Pensiero 6:3 (1961) S. 265–283. Hegel and Buddhism, Nishidas Philosophy and his Dialectic of Absolute Nothingness, in: Il Pensiero 7:1–2 (1962) S. 7–20. The Philosophy of Nishida, in: Japanese Religion 3:4 (1963) S. 1–32. Modern Japanese Philosophy, in: Encyclopaedia Britannica, 1966, S. 958–962. Introduction to »Philosophy as Metanoetics«, in: Japanese Religion 5:2 (1967) S. 29–47. Die Idee der Freiheit von und durch Kausalität im Ur-Buddhismus, in: Akten des XIV. Internationalen Kongresses für Philosophie in Wien, 2.–8. September 1968, S. 145–157. Probleme der Versenkung im Ur-Buddhismus, in: Beihefte der Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 16, Leiden 1972.
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Kôichi Tsujimura Shinran and Contemporary Thought, in: The Eastern Buddhist 13:2 (1980) S. 26– 45. Die Bedeutung der »anderen Kraft« im buddhistischen Heilspfad, in: Erlösung in Christentum und Buddhismus, Mödling, Österr. 1982, S. 175–193. The Meaning of the »Other-Power« in the Buddhist Way of Salvation, in: The Eastern Buddhist 15:2 (1982) S. 10–27. The Philosophy of Nishida, in: The Buddha Eye, hrsg. von F. Franck, New York 1982. The Heart of Buddhism, übers. von James W. Heisig, New York 1983. Der Neue Buddhismus der Kamakurazeit, in: Fernöstliche Weisheit, hrsg. von Hans Waldenfels und Thomas Immoos, Mainz 1986, S. 221–233. Nishida Kitarô, in: Encyclopaedia Britannica 8, 1986, S. 723–725 (siehe auch Bd. 12, 1966, 1968, 1970, S. 958–962 und Bd. 16, S. 532; Bd. 13, 1976, S. 118– 120). Buddhist Peace of Heart, in: Being and Truth. Essays in Honour of Mac Quarrie, hrsg. von Kee und Zong, 1986, S. 264–275. Kitarô Nishida, in: Encyclopaedia of Religion Bd. 10, New York 1987, S. 456–457. Buddhist Philosophy, in: ebd. Bd. 2, S. 540–542.
Übersetzungen ins Englische von Yoshinori Takeuchi Philosophy as Metanoetics, vgl. Tanabe-Übersetzungen. Intuition and Reflection in Self-Consciousness, vgl. Nishida-Übersetzungen.
Kôichi Tsujimura Schriften bzw. Übersetzungen in westlichen Sprachen Die Mystik Meister Eckharts und die Zen-Erfahrung, in: Zeitschrift des Bayrischen Rundfunks »Gehört – Gelesen« 4 (1958). Vom Nichts im Zen, in: Il Pensiero (1960). Buchbesprechung zu: Shizuteru Ueda, Die Gottesgeburt in der Seele und der Durchbruch zur Gottheit, in: The Eastern Buddhist 1:2 (1966) S. 117–124. Martin Heideggers Denken und die japanische Philosophie, in: Ansprachen zum 80. Geburtstag M. Heideggers, Meßkirch 1969, S. 9–19; wiedergedruckt in: Japan und Heidegger, hrsg. von Hartmut Buchner, Sigmaringen 1989, S. 159–166. Heidegger und die japanische Philosophie, in: Martin Heidegger im Gespräch, hrsg. von R. Wisser, Freiburg/München 1970, S. 27–30. Die Seinsfrage und das absolute Nichts – Erwachen, in: Transzendenz und Immanenz, hrsg. von D. Papenfuß und J. Söring, Stuttgart 1977, S. 289–302. Heideggers Weltfrage in einer ostasiatischen Sicht – Gestell und Geviert, in: Journal of the Faculty of Letters, Universität Tôkyô, Aesthetics 4 (1979) S. 19–30. Eine Bemerkung zu Heideggers »Aus der Erfahrung des Denkens«, in: Nachdenken über Heidegger, hrsg. von Ute Guzzoni, Hildesheim 1980, S. 275–296.
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Übersetzungen ins Deutsche von Kôichi Tsujimura Der Ochs und sein Hirte, in Zusammenarbeit mit Hartmut Buchner, Pfullingen 61988. Todesdialektik, vgl. Tanabe-Übersetzungen. Zu Hegels Lehre vom Urteil, vgl. Tanabe-Übersetzungen. Dôgens Lehre von Sein = Zeit, in: Medard Boss zum 70. Geburtstag, Bern 1973.
Shizuteru Ueda Schriften bzw. Übersetzungen in westlichen Sprachen Die Gottesgeburt in der Seele und der Durchbruch zu Gott. Die mystische Anthropologie Meister Eckharts und ihre Konfrontation mit der Mystik des Zen-Buddhismus, Gütersloh 1965.
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Shizuteru Ueda Der Zen-Buddhismus als »Nicht-Mystik« unter besonderer Berücksichtigung des Vergleichs zur Mystik Meister Eckharts, in: Transparente Welt, hrsg. von G. Schulz, Bern und Stuttgart 1965. Der Glaubensbuddhismus. Über den »Nembutsu«, in: Nachrichten der Ostasiengesellschaft 88 (1966) S. 32–44. Über den Sprachgebrauch Meister Eckharts: »Gott muß …« Ein Beispiel für die Gedankengänge der spekulativen Mystik, in: Glaube, Geist, Geschichte. Festschrift für Ernst Benz, hrsg. von Gerhard Müller und Winfried Zeller, Brill und Leiden 1967, S. 266–277. The LSD Experience and Zen, in: The Eastern Buddhist 4:2 (1971) S. 149–152. Maître Eckhart et le Bouddhisme-zen, in: La vie spirituelle 578 (Janvier 1971) S. 33–42. Der Buddhismus und das Problem der Säkularisierung. Zur gegenwärtigen geistigen Situation Japans, in: Hat die Religion Zukunft?, hrsg. von Oskar Schatz, Wien/Köln 1971, S. 255–275. The sayings of Rinzai. A conversation between Daisetzu Suzuki and Shizuteru Ueda, in: The Eastern Buddhist 6:1 (1973) S. 92–110. Das Nichts und das Selbst im buddhistischen Denken. Zum westöstlichen Vergleich des Selbstverständnisses des Menschen, in: Studia Philosophica. Jahrbuch der Schweizerischen Philosophischen Gesellschaft 34 (Basel 1974) S. 144–161. Das menschliche Selbst und das Nichts – philosophische Aspekte, in: Universitas (Oktober 1975) S. 1047–1052. Der Tod im Zen-Buddhismus, in: Der Mensch und sein Tod, hrsg. von Johannes Schwartländer, Göttingen 1975, S. 162–172. Das wahre Selbst. Zum west-östlichen Vergleich des Personbegriffs, in: Fernöstliche Kultur. Festschrift für Wolf Haenisch, Marburg a. L. 1975, S. 1–10. Das Denkende Nicht-Denken. »Zen und Philosophie« bei Nishida unter besonderer Berücksichtigung seiner Frühphilosophie der reinen Erfahrung, in: Denkender Glaube. Festschrift für Carl Heinz Ratschow, hrsg. von Otto Kaiser, Berlin/New York 1976, S. 331–341. Leere und Fülle. Sûnyatâ im Mahâyâna-Buddhismus, in: Eranos 45 (1976) S. 135– 163. Das »Nichts« bei Meister Eckhart und im Zen-Buddhismus unter besonderer Berücksichtigung des Grenzbereiches zwischen Theologie und Philosophie, in: Transzendenz und Immanenz, hrsg. von Dieter Papenfuß und Jürgen Söring, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1977, S. 257–266. Un-Grund und Interpersonalität. Zum Problem des Personengedanken im ZenBuddhismus, in: Religionen, Geschichte, Oekumene. In Memoriam Ernst Benz, hrsg. von R. Flach und E. Geldbach, Leiden 1981, S. 205–215. Die Bewegung nach oben und die Bewegung nach unten. Zen-Buddhismus im Vergleich mit Meister Eckhart, in: Eranos 50 (1981) S. 223–272. Nothingness in Meister Eckhart and Zen Buddhism, in: The Buddha Eye, hrsg. von F. Franck, New York 1982, S. 157–168. Das Erwachen im Zen-Buddhismus als Wort-Ereignis, in: Offenbarung als Heilserfahrung im Christentum, Hinduismus und Buddhismus, hrsg. von Walter Strolz und Shizuteru Ueda, Freiburg i. Br. 1982, S. 209–234.
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Bibliographie Das Gespräch und das »Mon-Dô« im Zen-Buddhismus, in: Das Gespräch als Ereignis, hrsg. von E. Grassi und H. Schmale, München 1982, S. 45–57. Materialien zu einer Theorie des Bildes und der Ritualisierung im Zen- Buddhismus, in: ebd. S. 159–170. Emptiness and Fullness: Sûnyatâ in Mahâyâna-Buddhism, in: The Eastern Buddhist 15:1 (1982) S. 9–37. Ascent and Descent: Zen in Comparision with Meister Eckhart, in: The Eastern Buddhist 16:1 (1983) S. 52–75. Die zen-buddhistische Erfahrung des Wahr-Schönen, in: Eranos 53 (1984) S. 197– 240. Zen-Buddhismus und Meister Eckhart, in: Zen Buddhism Today 2 (1984) S. 91– 107. Vorüberlegungen zum Problem der All-Einheit im Zen-Buddhismus, in: All-Einheit. Wege eines Gedankens in Ost und West, hrsg. von Dieter Henrich, Stuttgart 1985. Sein – Nichts – Weltverantwortung im Zen-Buddhismus, in: Die Verantwortung des Menschen für eine bewohnbare Welt im Christentum, Hinduismus und Buddhismus, hrsg. von R. Panikkar, Freiburg i. Br. 1985, S. 37–58. Meister Eckharts Predigten. Ihre »Wahrheit« und ihre geschichtliche Situation, in: Abendländische Mystik im Mittelalter, hrsg. von Kurt Ruh, Stuttgart 1986, S. 34–48. Der Ort des Menschen im Nô-Spiel, in: Eranos 56 (1988) S. 69–103. Das Religionsverständnis in der Philosophie Nishida Kitarôs, in: Das Gold im Wachs. Festschrift für Thomas Immoos, hrsg. von Elisabeth Gössmann und Günter Zobel, München 1988, S. 513–529. Zen Buddhist Experience of the Truly Beautiful, in: The Eastern Buddhist 22:1 (1989) S. 1–36. The Horizont for Presenting the Problem of Science and Religion, in: Zen Buddhism Today 7 (1989) S. 136–142. Eckhart und Zen am Problem »Freiheit und Sprache«, in: Luther und Shinran – Eckhart und Zen, hrsg. von M. Kraatz, Köln 1989, S. 21–92.
Sekundärliteratur zu Ueda Shizuteru J. C. Maraldo: Zen, Language and the Other. The Philosophy of Ueda Shizuteru, in: The Ten Directions, hrsg. vom Zen Center of Los Angeles and The Kuroda Institute, 10:2 (1989). D. Steen: Durchbruch ins Nichts. Der Vergleich zwischen Meister Eckhart und dem Zen-Buddhismus bei Shizutera Ueda, Diplomarbeit Universität Münster 1990.
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Nachtrag
Nachtrag (Die Hinweise für den Nachtrag stammen von Hartmut Buchner.) Kitarô Nishida: Die Einheit der Gegensätze. Der metaphysische Hintergrund Goethes (Auszüge aus der Schinzinger-Übersetzung von 1943), in: Japanische Geisteswelt. Vom Mythos zur Gegenwart, ausgewählt und eingeleitet von Oscar Benl und Horst Hammitzsch, Baden-Baden 1956, S. 316–320. H. Ochi: Kitarô Nishida, Die intelligible Welt. Drei philosophische Abhandlungen, übers. von R. Schinzinger (Buchbesprechung), in: Nippon. Zeitschrift für Japanologie, hrsg. vom Japaninstitut Berlin, Deutsch-Japanische Gesellschaft Berlin und Japanisch-Deutsches Kultur-Institut Tôkyô (1943) S. 138–140. Lexikonartikel »Nishida Ikutarô«, in: Japan-Handbuch, hrsg. von M. Ramming, Berlin 1941, S. 436 f. Lexikonartikel »Nishida Kitarô«, in: Kodansha Encyclopedia of Japan, hrsg. von Kodansha, Tôkyô 1983, Bd. 6, S. 14 f. Lexikonartikel »Tanabe Hajime«, in: ebd. Bd. 7, S. 335. Hajime Tanabe: Ein Dankbrief an Martin Heidegger, in: Japan und Heidegger, hrsg. von H. Buchner, Sigmaringen 1989, S. 185 f. Freiburger Ehrendoktor für Hajime Tanabe, in: ebd. S. 181–183. Shin-ichi Hisamatsu Hôseki: Garden in Ryôanji Tempel, in: A Guide to Kansai Area, Nara & Kyôto, Research Tour D, hrsg. von Japanese History of Religions, Science Council of Japan, Kyôto 1958, S. 69–72. Shin-ichi Hisamatsu: Philosophie des Erwachens. Satori und Atheismus, hrsg. von Herbert Elbrecht, übers. von Norbert Klein und Katsumi Takizawa, mit einer Einführung von Elmar Weinmayr, Küsnacht 1990. G. Parkes: Nietzsche and Nishitani on Self Through Time, in: The Eastern Buddhist 17:2 (1984) S. 55–74. Yoshinori Takeuchi: Editor’s Note, in: A Guide to Kansai Area, Nara & Kyôto, Research Tour D, hrsg. von Japanese History of Religions, Science Council of Japan, Kyôto 1958, S. III. Shizuteru Ueda: Esoteric Buddhism in Japan, in: A Guide to Kansai Area, Nara & Kyôto, Research Tour D, hrsg. von Japanese History of Religions, Science Council of Japan, Kyôto 1958, S. 44–46.
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Ergänzung der Bibliographie (Von Silja Graupe, überarbeitet und ergänzt für 2007–2008 von Eveline Cioflec)
Direkte oder indirekte Schriften zur Kyôto-Schule Tremblay, J., Temporalité et temporalisation du soi, in: dies. (Hrsg.), Enjeux de la philosophie japonaise du XXe siècle, Montréal: Presses de l’Université de Montréal 2009 (in Vorbereitung) Iida, Y., Consulting aesthetic/moral national space: the Kyôto-School and the place of nation, in: Goto-Jones, C. (Hrsg.), Re-Politicising the Kyôto School as philosophy, Leiden: Routledge 2008, S. 75–95 Parkes, G., The definite internationalism of the Kyôto School: changing attitudes in the contemporary academy, in: Goto-Jones, C. (Hrsg.), Re-Politicising the Kyôto School as philosophy, Leiden: Routledge 2008, S. 161–182 Tremblay, J., Liminaire, in: dies. (Hrsg.), Laval Théologique et Philosophique. Philosophie japonaise du XXe siècle 64/2 (2008), S. 237–243 Uhl, C., What was the ›Japanese philosophy of history‹ ? An inquiry into the dynamics of the ›world-historical standpoint‹ of the Kyôto-School, in: Goto-Jones, C. (Hrsg.), Re-Politicising the Kyôto School as philosophy, Leiden: Routledge 2008, S. 113–133 Stienen, H., Die Kyôto-Schule. Ostasiatische Philosophie auf buddhistischem Fundament, in: Buddhistische Monatsblätter 4 (2007), S. 6–12 Davis, B. W., Toward a World of Worlds. Nishida, the Kyôto School, and the Place of Cross-Cultural Dialogue, in: Heisig, J. W. (Hrsg.), Frontiers of Japanese Philosophy, Nagoya: Nanzan Institute for Religion and Culture 2006, S. 205–245 Davis, B. W., The Kyôto School, in: Zalta, N. (Hrsg.), The Stanford Encyclopedia of Philosophy, http://plato.stanford.edu/archives/spr2006/entries/Kyôto-school/, 27. Februar 2006 Davis, B. W., Rethinking Reason, Faith, and Practice: On the Buddhist Background of the Kyôto School, in: Shûkyô-tetsugaku Kenkyû (Studies in the Philosophy of Religion) 23 (2006) Schneider, H. (Hrsg.), Zusammenhänge: Jahrbuch für Asiatische Philosophie, Bd. 1, Hamburg: Verlag Dr. Kovač 2005 Goto-Jones, C., Political Philosophy in Japan. Nishida, the Kyôto-School and CoProsperity, Leiden: Routledge Curzon 2005 Graupe, S., Der Ort ökonomischen Denkens. Die Methodologie der Wirtschaftswissenschaften im Licht japanischer Philosophie, Frankfurt/Main: Ontos 2005
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Ergänzung der Bibliographie Graupe, S., Mythos Arbeitsmarkt – japanische Sichten, in: Welttrends 49 (2005/ 06), S. 144–154 Hantke, M.-S., F. W. J. Schellings Identitätsphilosophie im Horizont der KyôtoSchule, München: Iudicium 2005 Stevens, B., Invitation à la philosophie japonaise. Autour de Nishida, Paris: CNRS Éditions 2005 Winfield, P. D., Mystical Consciousness: Western Perspectives and Dialogue with Japanese Thinkers, in: Philosophy East and West 55/3 (2005), S. 493–495 Elberfeld, R., Philosophie in Japan – Japanische Philosophie. Perspektiven der Philosophiegeschichtsschreibung im 20. Jahrhundert, in: Polylog. Zeitschrift für interkulturelles Philosophieren 10/11 (2004), S. 51–66 Elberfeld, R., Japanische Philosophie in deutscher Sprache, in: Heisig, J. W. (Hrsg.), Japanese Philosophy Abroad, Nagoya: Nanzan University Press 2004, S. 155– 171 Heisig, J. W. (Hrsg.), Japanese Philosophy Abroad, Nagoya: Nanzan University Press 2004 Heisig, J. W., The Place of Japanese Philosophy, in: Japan Studies Review 8 (2004) Jones, N. J., The Logic of Soku in the Kyôto School, in: Philosophy East and West 54/3 (2004), S. 302–321 Maraldo, J., Defining Philosophy in the Making, in: Heisig, J. W. (Hrsg.), Japanese Philosophy Abroad, Nagoya: Nanzan University Press 2004, S. 220–245 Maraldo, J., Self-Mirroring and Self-Awareness. Dedekind, Royce and Nishida, in: Heisig, J. W. (Hrsg.), Frontiers of Japanese Philosophy, Nagoya: Nanzan Institute for Religion and Culture, 2006, S. 143–163 Maraldo, J., The War Over the Kyôto School, in: Monumenta Nipponica 61/3 (2006), S. 375–406 N.N., Philosophie in Japan, in: Synthesis Philosophica 37 (2004) Stevens, B., L’étude de la philosophie japonaise contemporaine en francophonie, in: Heisig, J. W. (Hrsg.), Japanese Philosophy Abroad, Nagoya: Nanzan University Press 2004, S. 30–45 Stevens, B., L’attrait de la phénoménologie auprès des philosophes de l’école de Kyôto, in: Phénoménologie Japonaise, Philosophie 79 (2004) Williams, D., Defending Japan’s Pacific War. The Kyôto School Philosophers and Post-White Power, London u. a.: RoutlegdeCurzon 2004 Heisig, J. W., Desacralizing Philosophical Translation in Japan, in: Bulletin of the Nanzan Institute for Religion and Culture 27 (2003), S. 46–62 Roy, L., Mystical Consciousness. Western Perspectives and Dialogue with Japanese Thinkers, Albany: State University of New York Press 2003 Takayama, M., Der Begriff des Guten im modernen japanischen Denken, in: ders., Elm, R. (Hrsg.), Zukünftiges Menschsein: Ethik zwischen Ost und West, BadenBaden: Schriften des Zentrums für Europäische Integrationsforschung 55 (2003), S. 139–169 Yamashita, Y., Identität als Unverborgenheit. Kant, Nishida, Heidegger, Würzburg 2003 Davis, B., Introducing the Kyôto School as World Philosophy: Reflections on
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Direkte oder indirekte Schriften zur Kyôto-Schule James W. Heisig’s Philosophers of Nothingness, in: The Eastern Buddhist 34/2 (2002), S. 142–170 Heisig, J. W., Filosófos de la nada. Un ensayo sobre la Escuela de Kioto, Barcelona: Herder 2002 Langdon, G., Tillich and the Kyôto School, in: Scharlemann, R. (Hrsg.), Negation and Theology, Charlottesville/London: University Press of Virginia 1992, S. 72– 85 Maraldo, J., The Ambiguous Legacy of Japanese Philosophy (Review Article), Monumenta Nipponica 57/3 (2002), S. 349–358 Marra, M., Japanese Hermeneutics: Current Debates on Aesthetics and Interpretation, Honolulu: University of Hawaii Press 2002 Arisaka, Y., The Ontological Co-Emergence of ›Self and Other‹ in Japanese Philosophy, in: The Journal of Consciousness Studies 8/5–7 (2001), S. 197–208 Blocker, H. G., Starling, Ch. L., Japanese Philosophy, Albany: State University of New York Press 2001 Heisig, J. W., Philosophers of Nothingness: An Essay on the Kyôto School, Honolulu: University of Hawaii Press 2001 Marra, M., A History of Modern Japanese Aesthetics, Honolulu: University of Hawaii Press 2001 Monnet, L. (Hrsg.), Approches critiques de la pensée japonaise du XXe siècle, Montréal: Les Presses de l’Université de Montréal 2001 Monnet, L, Le devenir de la traduction. Pour une ›autre histoire‹ de la pensée japonaise moderne, in: dies. (Hrsg.), Approches critiques de la pensée japonaise du XXe siècle, Montréal: Les Presses de l’Université de Montréal 2001, S. 449–511 Roy, L., Some Japanese Interpretations of Meister Eckhart, in: Studies in Interreligious Dialogue 11/2 (2001), S. 182–198 Araki, T., La logique du lieu et la langue japonaise, in: Berque, A. (Hrsg.), Logique du lieu et dépassement de la modernité, vol. 2: Du lieu nishidien vers d’autres mondes, Bruxelles: Ousia 2000 Elberfeld, R., Nouvel ordre du monde, lieu et monde mondial chez Nishida, in: Berque, A. (Hrsg.), Logique du lieu et dépassement de la modernité, vol. 1: Nishida: la mouvance philosophique, Bruxelles: Ousia 2000, S. 142–159 Steineck, C., Grundstrukturen mystischen Denkens, Würzburg: Königshausen und Neumann 2000 Stevens, B., Topologie du néant. Une approche de l’école de Kyôto, Louvain-Paris: Peeters 2000 Stevens, B., Quelques aspects de la philosophie japonaise contemporaine, in: Conférences du Céjul 98–99 (2000), S. 65–80 Valles, J. G., Historia de la filosofía japonesa, Madrid: Tecnos 2000 Hashi, H., Die Aktualität der Philosophie, Grundriß des Denkweges der KyôtoSchule, Wien 1999 Heisig, J. W., Philosophy as Spirituality: The Way of the Kyôto School, in: Takeuchi, Y. (Hrsg.), Buddhist Spirituality, vol. 2: Later China, Korea, Japan and the Modern World, New York: Crossroad 1999, S. 367–388 Marra, M., Modern Japanese Aesthetics. A Reader, Honolulu: University of Hawaii Press 1999
509 https://doi.org/10.5771/9783495860939 .
Ergänzung der Bibliographie Ohashi, R., Japan im interkulturellen Dialog, Müchen: Judicium 1999 Stambaugh, J., The Formless Self, Albany: State University of New York Press 1999 Dilworth, D., Vigliemlo, V. H., Jacinto Zavala, A. (Hrsg.), Sourcebook for Modern Japanese Philosophy, London: Greenwood 1998 Hase, S., The Problem of the Other in Self-Awareness, in: Zen Buddhism Today 15 (1998), S. 119–138 Heisig, J. W., The Kyôto School, in: Craig, Edward (Hrsg.), Routledge Encyclopedia of Philosophy 5, London: Routledge 1998, S. 323–330 Yagi, S., The Language of the Kyôto School of Philosophy, in: Zen Buddhism Today 15 (1998), S. 65–76 Abe, M., Buddhism in Japan, in: Carr, B., Mahalingam, I. (Hrsg.), Companion Encyclopedia of Asian Philosophy, London: Routledge 1997, S. 746–791 Araki, T., Le statut du sujet en japonais et la logique du lieu, in: Berque, A., Nys, P. (Hrsg.), Logique du lieu et œuvre humaine, Bruxelles: Ousia 1997, S. 213–228 Buri, F., The Buddha-Christ as the Lord of the True Self: The Religious Philosophy of the Kyôto School and Christianity, Macon: Mercer University Press 1997 Hubbard, J., Swanson, P. L. (Hrsg.), Pruning the Bodhi-Tree: The Storm over Critical Buddhism, Honolulu: University of Hawaii Press 1997 Lavelle, P., La pensée japonaise, Paris: PUF 1997 Maraldo, J. C., Contemporary Japanese Philosophy, in: Carr, B., Mahalingam, I. (Hrsg.), Companion Encyclopedia of Asian Philosophy, London: Routledge 1997, S. 810–835 Morita, Y., Contemporary Japanese Philosophy, in: Deutsch, E., Bontekoe, R. (Hrsg.), A Companion to World Philosophies, London: Blackwell 1997, S. 523– 530 Parkes, G., The putative Fascism of the Kyôto School and the Political Correctness of the Modern Academy, in: Philosophy East and West 47 (1997), S. 305–336 Naoshi Yamawaki, The philosophical thought of Japan from 1963 to 1996, in: ders., Piovesana, G. K., Recent Japanese Thought 1862–1996. A survey, Richmond: Japan Library 1997, S. 271–287 Tamba, A. (Hrsg.), L’Esthétique contemporaine au Japon, Paris: CNRS Éditions 1997 Unno, T., The Past as a Problem of the Present: Zen, the Kyôto School and Nationalism, in: The Eastern Buddhist 30/2 (1997), S. 245–266 Yamaguchi, I., Ki als leibhaftige Vernunft, München: Wilhelm Fink Verlag 1997 Yusa, M., Contemporary Buddhist Philosophy, in: Deutsch, E., Bontekoe, R. (Hrsg.), A Companion to World Philosophies, Oxford: Blackwell 1997, S. 564– 572 Allioux, Y.-M. (Hrsg.), Cent ans de pensée au Japon, Arles: Philippe Picquier 1996 Girard, F., La philosophie au Japon, in: Encyclopédie Philosophique Universelle, Paris: PUF 1996, S. 594–617 Graham, P., Nietzsche and East Asian Thought: Influences, Impacts, and Resonances, in: Magnus, B., Higgins, K. M. (Hrsg.), The Cambridge Companion to Nietzsche, Cambridge: Cambridge University Press 1996
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Direkte oder indirekte Schriften zur Kyôto-Schule Maruyama, M., Essais sur l’histoire de la pensée politique au Japon, Bd. 1, übersetzt von J. Joly, Paris: PUF 1996 Stevens, B., Histoire de l’être et nihilisme dans la perspective de l’école de Kyôto, in: Heidegger Studies 12 (1996), S. 57–82 Vianello, G., Cestari, M., Yoshioka, K., La scuola di Kioto. Kioto-ha, Rubbettino 1996 Faure, B., The Kyôto School and Reverse Orientalism, in: Heine, S., Wei-Hsun Fu, C. (Hrsg.), Japan in traditional and postmodern perspectives, Albany: State University of New York Press 1995, S. 245–281 Heine, S., Wei-Hsun Fu, C. (Hrsg.), Japan in traditional and postmodern perspectives, Albany: State University of New York Press 1995 Jacinto Zavala, A. (Hrsg.), Textos de la filosofia japonesa moderna. Michoacan: El Colegio de Michoacan 1995 Maraldo, J., Tradition, Textuality, and the Translation of Philosophy: the Case of Japan, in: Heine, S., Wei-Hsun Fu, C. (Hrsg.), Japan in traditional and postmodern perspectives, Albany: State University of New York Press 1995, S. 225–243 Nakamura, Y., Un philosophe face aux apories de la philosophie au Japon. Une philosophie japonaise est-elle possible?, in: Ebisu 8 (1995), S. 77–102 Pörtner, P., Heise, J., Die Philosophie Japans, Stuttgart: Kröner 1995 Bragt, J. van, Kyôto School Philosophy: Intrinsically Nationalistic?, in: Heisig, J. W., Maraldo, J. (Hrsg.), Rude Awakenings. Zen, the Kyôto School, and the Question of Nationalism, Honolulu: University of Hawaii Press 1994, S. 233– 254 Doak, K., Nationalism as Dialectics: Ethnicity, Moralism, and the State in Early Twentieth-Century Japan, in: Heisig, J. W., Maraldo, J. (Hrsg.), Rude Awakenings: Zen, the Kyôto School, and the Question of Nationalism. Honolulu: University of Hawaii Press 1994 Girard, F., Le moi dans le bouddhisme japonais, in: Bulletin de la maison francojaponaise 6 (1994), Ebisu, S. 97–124 Hamada, Y., Japanische Philosophie nach 1868, Leiden: E. J. Brill 1994 Heisig, J. W., Maraldo, J. (Hrsg.), Rude Awakenings. Zen, the Kyôto School, and the Question of Nationalism, Honolulu: University of Hawaii Press 1994 Horio, T., The Chûôkôron Discussions, Their Background and Meaning, in: Heisig, J. W., Maraldo, J. (Hrsg.), Rude Awakenings. Zen, the Kyôto School, and the Question of Nationalism, Honolulu: University of Hawaii Press 1994 Minamoto, R., The Symposion on »Overcoming Modernity«, in: Heisig J. W., Maraldo, J. (Hrsg.), Rude Awakenings. Zen, the Kyôto School, and the Question of Nationalism, Honolulu: University of Hawaii Press 1994, S. 197–229 Ohashi, R., Das Schöne in Japan. Philosophisch-ästhetische Reflexionen zu Geschichte und Moderne, übersetzt von R. Elberfeld, Köln: DuMont 1994 Shibayama, F., Coping with the Anglo-American World Order: Japanese Intellectuals and the Cultural Crisis of 1913–1953, Ann Arbor: Yale University 1994 Stevens, B. (Hrsg.), La réception européenne de l’école de Kyôto, Revue philosophique de Louvain 92/4 (1994) Takahashi, T., Philosophie de l’histoire mondiale. Logique du nationalisme philoso-
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Ergänzung der Bibliographie phique japonais, in: Le passage des frontières. Autour du travail de Jacques Derrida, Paris: Galilée 1994, S. 105–110 Girard, F., En quel sens peut-on parler de philosophie au Japon?, in: Pensée et expérience religieuse au Japon, Cipango 2 (1993), S. 115–23 Paul, G., Philosophie in Japan. Von den Anfängen bis zur Heian-Zeit, München: Judicium 1993 Stevens, B. (Hrsg.), L’école de Kyôto. Etudes phénoménologiques 18 (1993) Stevens, B., L’école de Kyôto, in: ders., Une introduction historique à la philosophie, Louvain-la-Neuve 1993, S. 291–336 Stevens, B., Sur la spécificité philosophique du Japon, in: Revue philosophique de Louvain 90 (1993), S. 275–295 Stevens, B., Une présentation de l’école de Kyôto, in: ders. (Hrsg.), L’école de Kyôto. Etudes phénoménologiques 18 (1993) Horo, A., Kyôto School Philosophy. A Call for a Paradigm Shift in Philosophical Thought, in: Bulletin of the Nanzan Institute for Religion and Culture 16 (1992), S. 15–32 Bragt, J. van, The Challenge to Christian Theology from Kyôto-School Buddhist Philosophy, in: Studies in Interreligious Dialogue 1 (1991), S. 41–57 Franck, F. (Hrsg.), The Buddha Eye. An Anthology of the Kyôto School, New York: Crossroad 1991 Heisig, J. W., The Religious Philosophy of the Kyôto School, in: Unno, T., Heisig, J. W. (Hrsg.), The Religious Philosophy of Tanabe Hajime, Berkeley: Asian Humanities Press 1990, S. 12–45 Heisig, J. W., The Religious Philosophy of the Kyôto School – an Overview, in: Japanese Journal of Religious Studies 17/1 (1990), S. 51–81 Rimer, J. T. (Hrsg.), Culture and Identity. Japanese Intellectuals during the Interwar Years, Princeton: Princeton University Press 1990
Kitarô Nishida Neue Gesamtausgabe (Nishida Kitarô zenshû) 1. Band Studie über das Gute (Zen no kenkyû) Denken und Erleben (Shisaku to taiken) (Aufsatzsammlung) 1911–1912 2. Band Anschauung und Reflexion im Selbstbewußtsein (Jikak ni okeru chokkan to hansei) 1913–1917 3. Band Kunst und Moral (Geijutsu to dôtoku) 1921–1923 Vom Handelnden zum Anschauenden (Hataraku mono kara miru mono e) 1923–1927 4. Band Das selbstbewußte System des Allgemeinen (Ippansha no jikakuteki taikei) 1928–1930
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Kitarô Nishida 5. Band Selbstbewußte Bestimmung des Nichts (Mu no jikakuteki gentei) 6. Band Grundprobleme der Philosophie. Welt der Handlung (Tetsugaku no komponmondai. Kôi no sekai); Grundprobleme der Philosophie – Fortsetzung. Die dialektische Welt (Tetsugaku no komponmondai. Zokuhen. Benshôhôteki sekai) 7. Band Philosophische Aufsätze I – Entwürfe zu einem System der Philosophie (Tetsugaku rombunshû I, tetsugaku taikei e no kito) 8. Band Philosophische Aufsätze II, III (Tetsugaku rombunshû II, III) 9. Band Probleme der japanischen Kultur (Nihon bunka no mondai); Philosophische Aufsätze IV, V (Tetsugaku rombunshû IV, V) 10. Band Philosophische Aufsätze VI, VII (Tetsugaku rombunshû VI, VII) 11. Band Kleine Aufsätze (Shôhen), Erinnerungen (Tsuioku), Beileidsworte (Chôji) etc. 12. Band Vorträge I (Kôen I) 13. Band Vorträge II (Kôen II) 14. Band Vorlesungsdokumente (Kôgi kiroku) 15. Band Vorlesungshefte (Kôgi Nôto) 16. Band Fragmente (Danshô), Notizen zur Forschung (Kenkyû nôto) 17. Band Tagebücher I (Nikki I) 18. Band Tagebücher II (Nikki II) 19. Band Briefe I (Shokan I) 20. Band Briefe II (Shokan II) 21. Band Briefe III (Shokan III) 22. Band Briefe IV (Shokan IV) 23. Band Briefe V (Shokan V)
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Ergänzung der Bibliographie
Übersetzungen von Kitarô Nishidas Werken (die Angaben zu den Originaltexten beziehen sich auch hier auf die alte Gesamtausgabe der Werke Nishidas, Abkürzung: NKZ) Fongaro, E., Uno studio sul bene, introduzione di Pasqualotto, G. (NKZ 1, S. 1– 200), Torino: Bollati Boringhieri 2007 Maris, M., Itu, M., O cercetare asupra binelui (NKZ 1, S. 1–200), Brasov: Editura Orientul Latin 2005 Tosolini, T., La logica de lugo e la visione religiosa del mondo (NKZ 11, S. 371– 464), Palermo: L’Epos 2005 Yusa, M., Nishida Kitarô and coincidentia oppositorum (NKZ 14, S. 295–300), Übers. und Einl., in: Schwaetzer, H., Stahl, H. (Hrsg.), Cusanus-Rezeption in der Philosophie des 20. Jahrhunderts, Philosophie interdisziplinär, Bd. 13, Regensburg: S. Roderer Verlag 2005, S. 211–225 Botz-Bornstein, T., The ›I‹ and the ›Thou‹ : A Dialogue between Nishida Kitarô and Mikhail Bakhtin, in: Japan Review 16 (2004), S. 259–284 Elberfeld, R., Kitarô Nishida: Wissenschaftliche Methodik, in: Polylog 11 (2004), S. 67–72 Elberfeld, R., Kitarô Nishida: Das Problem der japanischen Kultur, in: Polylog 11 (2004), S. 73–80 Dalissier, M., Daisuke, I., Compréhension logique et compréhension mathématique, Ebisu 31 (2003) Stadelmann-Boutry, B., Art et morale (NKZ 3, S. 239–545), in: dies., La création artistique chez Nishida Kitarô (1870–1945) à travers ses lectures de Fiedler et de Kant dans son texte ›Art et morale‹ (Geijutusu to dôtoku) de 1923, Université de Genève 2003 (unveröffentlichte Dissertation) Tremblay, J., L’éveil à soi, Paris: CNRS Éditions 2003 Tremblay, J., Le temporel el l’intemporel (NKZ 6, S. 233–259), in: dies., L’éveil à soi, Paris: CNRS Éditions 2003, S. 55–70 Tremblay, J., Amour de soi, amour de l’autre et dialectique (NKZ 6, S. 260–299), in: dies., L’éveil à soi, Paris: CNRS Éditions 2003, S. 71–93 Tremblay, J., Je et tu (NKZ 6, S. 321–427), in: dies., L’éveil à soi, Paris: CNRS Éditions 2003, S. 50–144 Tremblay, J., L’auto-identité absolument contradicoire (NKZ, S. 147–222), in: dies., L’éveil à soi, Paris: CNRS Éditions 2003, S. 145–92 Tremblay, J., A propos de l’éveil à soi (NKZ 10, S. 477–564), in: dies., L’éveil à soi, Paris: CNRS Éditions 2003, S. 193–249 Tremblay, J., A propos de la philosophie de Descartes, (NKZ 11, S. 147–188), in: dies., L’éveil à soi, Paris: CNRS Éditions 2003, S. 251–88 Kopf, G., On the Role of Religion (NKZ 15, S. 289–296 und S. 331–335), in: The Eastern Buddhist 25/1 (2003), S. 229–239 Kobayashi, R., Le lieu (NKZ 4, S. 208–289), Paris: Osiris 2002 Kracht, K., Nishida und die Politik, erster Teil und zweiter Teil, in: Japonica Humboldtiana 5 (2001), S. 205–250 und 6 (2002), S. 183–249. (Enthält Übersetzungen aus den Briefen und Auszüge aus folgenden Texten: Wissenschaftliche Me-
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Kitarô Nishida thoden, Über die Geschichtsphilosophie, Fragen der Staatsräson, Das Prinzip der neuen Weltordnung) Steineck, C., Nishida Kitarô: »Die verschiedenen Welten« (1917). Annotierte, um Quellenzitate ergänzte Übersetzung, in: Herausgeberkollektiv (Hrsg.), Beiträge zur Japanforschung. Festgabe für Peter Pantzer zu seinem sechzigsten Geburtstag, Bonn: Bier’sche Verlagsanstalt 2002, S. 319–338 Yusa, M., The Limited Status Program at the College of Humanities at the Imperial University around 1891–1892, in: dies., Zen and Philosophy, Honolulu: University of Hawaii Press 2002, S. 41–44 Yusa, M., In Memory of My Deceased Child, in: dies., Zen and Philosophy, Honolulu: University of Hawaii Press 2002, S. 90–95 Yusa, M., A Retirement Speech of a Professor, in: dies., Zen and Philosophy, Honolulu: University of Hawaii Press 2002, S. 224–226 Yusa, M., Even the Cat is Dead, in: dies., Zen and Philosophy, Honolulu: University of Hawaii Press 2002, S. 246–247 Yusa, M., On the Scholarly Method: A Public Talk at Hibiya Park, in: dies., Zen and Philosophy, Honolulu: University of Hawaii Press 2002, S. 271–277 Yusa, M., A New Year’s Lecture to the Emperor: On the Philosophy of History, in: dies., Zen and Philosophy, Honolulu: University of Hawaii Press 2002, S. 314– 318 Yusa, M., My Philosophical Path (introduction to 9th volume of Nishida Kitarô zenshû), in: dies., Zen and Philosophy, Honolulu: University of Hawaii Press 2002, S. 301–304 Yusa, M., In Memory of My Eldest Daughter, Ueda Yayoi, in: dies., Zen and Philosophy, Honolulu: University of Hawaii Press 2002, 332–335 Cestari, M., L’intuizione attiva (NKZ 8, S. 541–71), in: ders., Nishida Kitarô, Il corpo e la conoscenza, Venezia: Cafoscarina 2001, S. 29–64 Cestari, M., Saggio sulla filosophia di Cartesio (NKZ 11, S. 141–175), in: ders., Nishida Kitarô, Il corpo e la conoscenza, Venezia: Cafoscarina 2001, S. 65–100 Cestari, M., Appendice al Saggio sulla filosofia di Cartesio (NKZ 11, S. 189–192), in: ders., Nishida Kitarô, Il corpo e la conoscenza, Venezia: Cafoscarina 2001, S. 101–106 Girard, F., Shinran le pauvre d’esprit à demi tonsuré (NKZ 1, S. 407–409), in: Berque, A. (Hrsg.), Logique du lieu et dépassement de la modernité, vol. 1: Nishida: la mouvance philosophique, vol. 2: Du lieu nishidien vers d’autres mondes, Bruxelles: Ousia 2000, S. 237–243 Girard, F., A propos de ma logique (NKZ 12, S. 265–266), in: Berque, A. (Hrsg.), Logique du lieu et dépassement de la modernité, vol. 1: Nishida: la mouvance philosophique, vol. 2: Du lieu nishidien vers d’autres mondes, Bruxelles: Ousia 2000 Elberfeld, R. (Übers. u. Hrsg.), Logik des Ortes, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1999 Elberfeld, R., Ort (NKZ 4, S. 209–289), in: ders. (Übers. u. Hrsg.), Logik des Ortes, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1999, S. 72–139 Elberfeld, R., Ich und Du (NKZ 6, S. 321–427), in: ders. (Übers. u. Hrsg.), Logik des Ortes, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1999, S. 140–203
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Keiji Nishitani
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Yoshinori Takeuchi Übersetzungen bzw. Schriften in westlichen Sprachen Giorgi, M. de, Il Cuore del Buddhismo: alla ricerca die valori originari e perenni del Buddhismo (Gesamtausgabe 3, S. 148–216, 219–241, 309–332), Bologna: Editrice Missionaria Italiana 1999 Takeuchi, Y., The Spirit of Poverty, in: The Eastern Buddhist 25/1 (1992), S. 128– 130
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Ergänzung der Bibliographie Takeuchi, Y., The Heart of Buddhism, New York: Crossroad 1991 Takeuchi, Y., The Philosophy of Nishida, in: Franck, F. (Hrsg.), The Buddha Eye. An Anthology of the Kyôto School, New York: Crossroad 1991, S. 179–202 Unno, M. (Übers.), Recollections of Professor Tanabe, in: Heisig, J. W., Unno, T. (Hrsg.), The Religious Philosophy of Tanabe Hajime. The Metanoetic Imperative, Berkeley: Asian Humanities Press 1990, S. 1–11
Shizuteru Ueda Übersetzungen bzw. Schriften in westlichen Sprachen Ueda, S., Wer und was bin ich? Zur Phänomenologie des Selbst im Zen-Buddhismus, Freiburg: Alber 2011 Davis, B. W., Letting Go of God for Nothing: Ueda Shizuteru’s Non-Mysticism and the Question of Ethics in Zen Buddhism, in: Hori, V. S., Curley, M. A.-M. (Hrsg.), Frontiers of Japanese Philosophy 2, Nagoya: Nanzan Institute for Religion and Culture 2008, S. 220–250 Döll, S., Wozu also suchen? Zur Einführung in das Denken von Ueda Shizuteru, München: Judicium 2005 Ueda, S., Foreword to Thomas Yûhô Kirchner, Entangling Vines: Zen Koans of the Shûmon Kattôshû, Kyôto 2005 Buoso, R. (Übers.), La práctica del Zen, in: Zen y la filosofía, Barcelona: Editorial Herder 2004 Buoso, R. (Übers.), El pensamiento de Nishida (Gesamtausgabe 1, S. 263–288), in: Zen y la filosofía, Barcelona: Editorial Herder 2004 Giner, I. (Übers.) Eckhart y el zen sobre la libertad el lenguaje, in: Zen y la filosofía, Barcelona: Editorial Herder 2004 Saviani, C. (Übers.), La fenomenologia del sé nella prospettiva del buddhismo zen, in: Studi filosofici 25/16 (2003), S. 259–288 Ueda, S., D. T. Suzuki Today, Forty years from his passing – Outwardly, Be Open; Inwardly Be Deep: D. T. Suzuki’s »Eastern Outlook«, in: The Eastern Buddhist vol. 38/1 (2007), S. 8–40 Ueda, S., Mythisierung und Ent-Mythisierung der Transzendenz als Entwurf ihrer Erfahrung im Zen-Buddhismus, in: Oberhammer, G., Schmücker, M. (hrsg.), Mythisierung der Transzendenz als Entwurf ihrer Erfahrung, Wien: Österreichische Akademie der Wissenschaften 2003, S. 169–183 Ueda, S., Gottesbegriff, Menschenbild und Weltanfang im Buddhismus, in: Koslowski, P. (Hrsg.), Gottesbegriff, Weltursprung und Menschenbild in den Weltreligionen, München: Fink 2000, S. 51–65 Ueda, S., »Glaube und Mystik« am Problem »Erfahrung und Sprache«, in: Brinker von der Heyde, C., Largier, N. (Hrsg.), Homo Medietas, Bern u. a.: Lang 1999, S. 323–234 Ueda, S., Buddhistische Betrachtungen zum Problem »Wiedergeburt«, in: Schweidler, W. (Hrsg.), Wiedergeburt und kulturelles Erbe, St. Augustin 1999, S. 37–58
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Shizuteru Ueda Ueda, S., Schweigen und Sprechen im Zen-Buddhismus, in: Schabert, T., Brague, R. (Hrsg.), Die Macht des Wortes, München: Fink 1996, S. 91–113 Ueda, S., Sôseki and Buddhism: Reflecions on His Later Works, in: The Eastern Buddhist 29/2 (1996), S. 172–209; 30/1 (1997), S. 32–52 Ueda, S., Phänomenologie des Selbst in der Perspektive des Zen-Buddhismus, in: Stenger, G., Röhrig, M. (Hrsg.), Philosophie der Struktur – »Fahrzeug« der Zukunft? Festschrift für Heinrich Rombach, Freiburg: Karl Alber 1996, S. 19–42 Bragt, J van. (Übers.), Nishida’s Thought (Gesamtausgabe 1, S. 263–288), in: The Eastern Buddhist 28/1 (1995), S. 29–47 Ueda, S., Nishida; Nationalism, and the War in Question, in: Heisig, J. W., Maraldo, J. (Hrsg.), Rude Awakenings. Zen, the Kyôto School, and the Question of Nationalism, Honolulu: University of Hawaii Press 1995, S. 77–106 Ueda, S., The Difficulty of Understanding Nishida’s Philosophy, in: The Eastern Buddhist 28/2 (1995), S. 175–182 Ueda, S., Hermeneutik des Weges durch den Tod. in: Oberhammer, G. (Hrsg.), Im Tod gewinnt der Mensch sein Selbst, Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1995, S. 231–248 Hadley, R., Kirchner, T. L. (Übers.), The practice of Zen, in: The Eastern Buddhist 27/1 (1994), S. 10–29 Nobuhara, T., Kirchner, T. L. (Übers.), The Place of Self-Awareness, in: D’sa, F. X., Mesquita, R. (Hrsg.), Hermeneutik der Begegnung. Festschrift für Gerhard Oberhammer, Wien 1994, S. 203–213 Ueda, S., Gelassenheit im Zen-Buddhismus, in: Grassi, E., Schmale, H. (Hrsg.), Arbeit und Gelassenheit, München: Fink 1994, S. 207–230, wieder abgedruckt in: Schabert, T., Brague, R. (Hrsg.), Die Macht des Wortes, Eranos NF 4, München: Fink 1996, S. 91–113 Ueda, S., Pure Experience, Self-Awareness, »Basho«, in: Études Phénoménologiques 18 (1993), S. 63–86 Ueda, S., Zen and Philosophy in the Thought of Nishida Kitarô, in: Japanese Religions 18/2 (1993), S. 162–193 Schlüter, A.-M. (Übers.), El Zen de cada día (Gesamtausgabe 4, S. 79–133), in: Pasos 38 (1992), S. 7–17; 41 (1993), S. 3–8; 44 (1993), S. 3–7; 47 (1994), S. 3–12 Ueda, S., The Place of Man in the Noh Play, in: The Eastern Buddhist 25/2 (1992), S. 59–88 Ueda, S., My Teacher, The Eastern Buddhist 25/1 (1992), S. 1–7 Ueda, S., Experience and Language in the Thinking of Kitarô Nishida, in: Annual Report from the Institute for Zen Studies 17, S. 91–154 Ueda, S., Das Problem der Sprache in Meister Eckharts Predigten (Gesamtausgabe 8, S. 171–219), in: Jain, E., Margreiter, R. (Hrsg.), Probleme philosophischer Mystik, St. Augustin: Academia 1991, S. 95–108 Bragt, J. van (Übers.), Everyday Zen (Gesamtausgabe 4, S. 79–133), in: Chanoyu Quarterly 62 (1990), S. 38–50; 63, S. 34–47 Szipple, R. F. (Übers.), Freedom and Language in Meister Eckhart and Zen Buddhism, in: The Eastern Buddhist 23/1 (1990), S. 18–59; 24/1 (1990), S. 52–79
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Personenregister (Von Rolf Elberfeld)
Abe, Masao 12, 41 f. Alain 187 Alcopley, L. 217 Altdorfer 427 Amida-Buddha 144, 248 Angelus Silesius 461 Arisaka, Yôko 29 Aristoteles 32, 76, 166, 169, 238 Arnold, Matthew 100, 368 Ashikaga, Takauji 273 Augustinus 103, 130, 170 f., 238 Baatz, Ursula 413 Bashô 240, 258 ff., 444 Baso Dôitsu (chin. Ma-tsu tao-i) 423 f. Barth, Karl 180 Baudelaire, Charles Pierre 203–207, 222 Becker, Hans-Joachim 286 Beckh, Hermann 412 Beethoven 423 f. Bergson, Henri 28, 144 Bismarck 382 Boss, Medard 423 Botticelli 130 Buber, Martin 244, 334 Buchner, Hartmut 21, 217 f., 235, 242, 440 Buddha 131, 180 f., 219 f., 227 f., 254, 393–403, 412 Bultmann, Rudolf 95 Buri, Fritz 12 Burckhardt, Jacob 344 Christus (Jesus) 264, 400, 446 f., 451 Claudel, Paul 205
Cohen, Hermann 24 f., 28, 411 Cold, Eberhard 38 Comte, Auguste 72 Credi 130 Daitô Kokushi 242, 253, 256 f., 417 Dante 204 Debussy, Claude 194 Descartes, René 66, 434 Dilthey, Wilhelm 28 Dôgen 226 Dombrady, Geza S. 222, 472 Dostojewski, Fjodor M. 130, 238, 327 f. Dürer, Albrecht 427, 434 Dumoulin, Heinrich 412 f. Duns Scotus 423 Meister Eckhart 42 ff., 238, 390 f., 442, 446–455, 456 f., 461, 467 f. Elberfeld, Rolf 345, 392, 471 Eliot, T. S. 116 Engo Kokugon (chin. Yüan-wu K’och’in) 249 f. Eupalinos 203 Farias, Victor 21 Fa-tsang 409 f., 411 Feenberg, Andrew 29 Fichte, Immanuel Hermann 32 Fichte, Johann Gottlieb 24, 32 f., 57, 66 Fiedler, Conrad 54, 121 ff., 125 Fischer, Johanna 38 Fischer-Barnicol, Dora 39 Foucher, Alfred 404 Franck, Frederick 12 Franziskus von Assisi 343, 404
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Personenregister Fuller-Sasaki, Ruth 449 Funayama, Shin-ichi 13 Gadamer, Hans-Georg 21 Geiger, Wilhelm 395 Glasenapp, Helmuth von 395 Goerdt, Wilhelm 22 Goethe, Johann Wolfgang von 81 Goyen, Jan van 427 Gundert, Wilhelm 243, 414, 432 Gyosân Ejaku (chin. Yang-shan Huichi) 242 f., 248–252, 256 Hakuin 250, 252 f. 256, 418 Hamada, Yunko 12 Hammitzsch, Horst 12 Harrison, Jane 54, 116, 120 Hearn, Lafcadio 347 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 24, 26, 35, 57, 62, 66, 82, 117, 135, 138, 144, 154 f., 166, 169, 180, 191 f., 200, 238 f., 251, 327, 398 f., 442 Heidegger, Martin 20 f., 23 f., 29 f., 34, 42 f., 46 f., 66, 135, 143, 148, 216 f., 238, 289, 327, 347, 389 f., 407, 413, 415, 419–425, 433, 436 f., 456, 462 f., 466, 473 Heiler, Friedrich 397 f. Held, Klaus 32 Heraklit 465 f. Herodot 203 Hirata, Takashi 38 Hisamatsu, Shin-ichi 5, 12, 24, 38, 42, 213–217, 222, 438 Hishiyama, Shûzô 185 Hobbes, Thomas 243 Hölderlin, Friedrich 413, 437 Hônen 213 Huizinga, Johan 375 Husserl, Edmund 23, 28, 32, 65, 89, 135 Ikegami, Shôzan 213 Imamichi, Tomonobu 435 James, William 29 f. Jaspers, Karl 327 Jorißen, Engelbert 258, 330, 365
Kajitani 469 Kant, Immanuel 24 f., 66, 89, 92, 96 f., 120, 124, 126, 135, 138, 243 f., 295, 317, 327, 401, 435 Kanzan (chin. Han-Shan) 418, 424 Karamasow, Dimitrij 130 Kassapa 412 Katô, Shirô 345 Katô, Sûichi 354 Kemp, Friedhelm 206 Kierkegaard, Sören 39, 180, 327, 399 f. Kiyosawa, Manshi 12 Kobayashi, Hideo 15 Kobori, N. 12 Kolumbus 376 Konfuzius 256 Kôsaka, Masaaki 12, 15, 40 f., 139, 326 ff., 342, 363 Kôyama, Iwao 12, 15, 40 f., 139, 281– 285, 330, 362 f., 472 Kôzen, Hiroshi 439 Kuan-Yin (jap. Kannon) 233 Kudô, S. 466 Kuki, Shûzô 45 Kurazawa, Yukihiro 430, 439 Kusonoki, Masashige 273 Kyokusui 260 Kyorai, Mukai 261 Lask, Emil 27 Lasson, Georg 422 Laube, Johannes 23, 133 f., 137, 145, 160, 184, 200 Lefèvre, Frédéric 201, 208 f. Leibniz, Gottfried Wilhelm 27, 288, 341, 410 Leonardo da Vinci 198, 202, 343 Liang-K’ai 228 f., 232, 429 Lipps, Theodor 129 Löwith, Karl 347, 349 McEachran 367 Mallarmé, Stéphane 134, 191 f., 201, 207 f. Mâlunkya 393 f. Marbach, Hans 122
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Personenregister Maria 451 f. Maruyama, Masao 344, 348 f., 354 ff. Martha 451 f. Marx, Karl 327 f. Matsudo, Yukio 34 Meyer, W. Rudolf 28 Miki, Kiyoshi 13 f. Montaigne, Michel de 437 Mu-chi 230, 232, 242 ff., 433 Müller, Max 29 Müntz, Eugen 202 Mutô, Kazuo 37 Nâgârjuna 147, 408 f. Nakamura, Hajime 147 Nakamura, Nihei 439 Neumann, K. Eugen 395 Neurath, Otto 161 Nietzsche, Friedrich 24, 29, 128, 238, 327 f., 390, 441, 422, 457–468 Nishida, Kitarô 5, 12–14, 16–18, 21– 24, 25–27, 29–40, 42–45, 47, 51–55, 57 f., 81, 115, 117 f., 122, 129, 133 ff. 146, 153, 157, 178, 183, 191, 203, 213, 237, 239, 245, 281, 283, 285, 327 f., 330, 334, 342, 358 ff., 361, 436, 438 Nishida, Takao 345 Nishitani, Keiji 12, 15 f., 29, 38–42, 139, 237–241, 342, 363 f., 442, 444, 446, 463, 469 ff. Nozawa, Bonchô 261 Obaku 226 Ohashi, Ryôsuke 13, 17, 23, 24, 218, 222, 229, 242, 286, 330, 413, 440 Oldenberg, Hermann 401, 403 Orth, Ernst Wolfgang 28 Otsu, Rekidô D. 440 Parmenides 407 Pascal, Blaise 238 Paulus 393, 400 Peirce, Charles Sanders 22 Pfeiffer, Franz 449
Platon 143, 148, 154 f., 159, 163, 176, 277 ff., 347 Plotin 26, 35, 142 f., 238 Pöggeler, Otto 413, 422 Pörtner, Peter 22, 149 Popper, Karl 42 Quint, Josef 447 Raffaello 203 Ranke, Leopold von 106, 113, 362 f. Rembrandt 427 Rhys Davids, Thomas W. 395, 400 Richter, Adrian Ludwig 129 Riegl, Alois 54, 119, 126 f., 129, 130 Riezler, Walter 424 Rikyû 265 f. Rimbaud, Jean Arthur 204 Rinzai Gigen (chin. Lin-chi I-hsüan) 215, 218 ff., 226, 451 Rombach, Heinrich 229, 350, 434, 469, 472 f. Russell, Bertrand 28 Ruysdael, Salomon van 427 Saigyô 265 f., 270 Sanshô Enen (chin. San-sheng Hui-jan) 242 f., 248–252, 256 f. Sartre, Jean-Paul 327 Scheiffele, Eberhard 439 Scheler, Max 25, 27 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 24, 27, 38, 55, 149, 159, 166, 238, 251 Schelling, K. F. A. 159 Schinzinger, Robert 286 Schlechta, Karl 457 Schmid, Carlo 204 Schopenhauer, Arthur 120 Schulz, Walter 159 Schumacher, Stephan 418 Semper, Gottfried 126 f. Sesshû 265 f. Shibayama, Zenkei 428, 466 Shimizu, Daisuke 413 Shimomura, Toratarô 12 f., 15, 40 f., 341 f., 348, 472
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Personenregister Shinran 132, 144, 153, 200, 213 Soga, Ryôjn 12 Sôgi 265 f. Sokrates 32 Solowjew, Wladimir S. 22 Spengler, Oswald 72 Spinoza, Baruch de 66, 327 Suzuki, Daisetsu 12, 144, 200, 361, 416, 440, 442 Suzuki, Shigetaka 15, 40, 361 ff., 365 Suzuki, Shintarô 186, 188 Takahashi, Fumi 16 Takeuchi, Yoshinori 12, 37, 41, 45, 213, 389 f. 392, 472 Tanabe, Hajime 12, 16 f. 21, 23, 132– 136, 141, 143 ff., 163 f., 167, 177, 181, 183 f., 190 f., 198 f., 200 f., 203, 206, 237, 239, 283, 308, 328, 343, 357, 361, 393 Tatsuno, Mutsu 204 Taut, Bruno 129 Thode, Henry 404 Thomas a Kempis 204 Thumfart, Stefan 440, Tôdô, Yoshitada 267 Tosaka, Jun 13f Tsuda, Sokichi 346 Tsujimura, Kôichi 12, 42 f., 218, 222, 229, 235, 389, 413, 426, 440, 469 ff., 472
Ueda, Bin 188 Ueda, Shizuteru 12, 43 f., 390, 423, 440, 446, 469, 471 Ui, Hakuju 401, 409 f., 411 Unmon (chin. Yü-men Wen-yen) 424 Vaihinger, Hans 28 Van Bragt, Jan 39 Vietta, Silvio 21 Viglielmo, Valdo 22 Valéry, Paul Ambroise 135 f., 184, 186 f., 194, 198 f., 200–209 Waldenfels, Hans 12 Walleser, Max 401 Wang-Mo 234 Wang-wei 234 Watsuji, Tetsuro 45 ff., 330, 401 f., 411 Weinmayr, Elmar 21, 56, 115, 350 f. Welsch, Wolfgang 350 Whitehead, Alfred North 28 Whorf, Benjamin 357 Wölfflin, Heinrich 130 f. Worringer, Wilhelm 54, 120, 128 f., 131 Yasuda, Yojûrô 15 Yozaemon, Matsuo 367 Yüan-Wu 243 Yü-chien 231 f., 390, 426–431, 433 f., 435 ff.
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Sachregister (Von Rolf Elberfeld)
Abgeschlossenheit 300 absolut 116 f. Abstraktheit 430 Akt, schöpferischer 81 Allgemein 32, 57, 60 ff., 67–70, 75, 94, 102 Allgemeinbestimmung 59, 66, 75 Amerika 377, 385 Anarchie 246 f. anâtman 396 f. Anschauung, handelnde 79 f., 146 –, intellektuelle 148 f. –, künstlerische 118 f., 120 Asien 370 ff., 377, 385 f. atheistisch 24 Aufgabe – Lösung 294 f., 311–318 Augenblick 436 Ausdruck 74 ff., 88 f., 125 f. ausdruckshaft 65, 74, 78, 88, 90 f., 93, 98 f., 109 f., 122, 146 Ausdrucksakt 76 Avantamsaka-Schule 408 Balkanländer 367 Begegnung 251, 334, 444 f. Bejahung, zugleich Verneinung 59 f., 62 f., 67, 105, 110 Bestimmung des Nichts 59, 65 Bewußtsein 32 f., 75, 77, 82, 87, 228 –, zurückgelassenes 33 Bewußtseinsakt 76 f., 82, 122 Bild 341 – des Herzens 433 Bogenschießen 235 Buddha töten, den Meister töten 5, 220, 249, 449
Buddhismus 353, 392 f., 400 Christentum 37, 353, 368 f., 400 Circumspektive 428, 435 Communio sanctorum 244 Denken 91, 306, 415 ff., 436 f. –, europäisches 349–354 –, japanisches 351–354 –, ökologisches 435 Deutschland 382, 384 Dharma-Welt 398, 437 ff. Dialektik 34 f., 57, 60, 62, 67, 138–157, 170–173, 191 f. –, materialistische 156 Dialektisches Allgemeines 51, 64 Dialog 290 f. Dichtung 278, 431, 436 f. Ding 52, 62 f., 76, 78 ff., 87, 101 diskontinuierliche Kontinuität 52, 62– 65, 68 ff. dromenon 120, 126 dunkel – hell 432 Durchbruch-Motiv 447, 450 Eine, das 56, 70, 101 Einheit 164 f., 174 f., 178 f. –, wechselseitige 178 Einzelbestimmung 59, 66, 75 Einzelne, das 56, 60, 67–72, 75, 82 f., 88 f., 92, 94, 97, 103, 137, 175, 297 f., 308, 315 Empirismus, radikaler 28 England 378, 381 f. Entbergung – Verbergung 421 Entsprechung 286–315
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Sachregister Entsprechungsidentität 283 f., 287, 291 f., 314 f., 322 Entweltlichung 225 Entwurf 318 Epoche 105, 111–114 Erblitzen der Welt 436 Ereignis 420 Erfahrung, reine 30 f., 34, 38, 64 –, unmittelbare 27, 40 Erkenntnis, große 444 –, wissenschaftliche 306 Erwachen 214, 218 f., 230 Erwecken – Erwachen 290 f. Ethik 182 f., 324 – des Einzelnen 324 Europa 342, 365–385 Existenzialismus, buddhistischer 393 Existenz, nichthafte 215 Existenzial 289 FAS (Formless self, All humankind, Suprahistorical history) 38, 214 Feld 294, 297–305, 307 Feldethik 324 Frankfurter Schule 11 Freiheit 244 f., 247, 305 –, schöpferische 32 fûga 264, 274 Ganze, das 168, 175 f. Gattung 308 f. Gedicht 191, 199, 255 f. Gegenwart 61 f., 98 f., 102 f., 107 f., 123, 170 f., 198 f., 302 f., 317 –, geschichtliche 105 f., 111 f. –, schlechthinnige 116, 123 Geist 122, 156 Genus 163 f., 167, 168, 174, 176 f. Geschichte 25 f., 108 f., 248, 277 Geschichtlichkeit 39, 323, 336 geschichtsleibhaft 118, 123, 127 Gesellschaft 97 f., 137, 299 Gesetz 254 Gesichtssinn 121 Gespräch 288 Gestaltungsakt 63, 71
Geworfenheit 318 Glauben 152, 179, 182 f., 206 Gleichheit 245 f. Gott 113, 131, 179 f., 206, 246, 438 f., 446 ff. Gott ist tot 457 Gott lassen 442, 449 Griechenland 368 f. Haikai-Stil 258 Handeln 72, 76, 83, 88, 90, 124 f., 153 Hokku 258 f., 263 Ich 33, 78, 89, 93, 95, 101, 246, 287, 441 f. Ich-Fessel 442 Ich und Du 78, 80, 91–95, 97–100, 244, 247, 251 f., 287 f., 334 f. Identitätslogik 166, 171 f., 199 Imperialismus 378 Individualismus 89 Individuum 167 f., 175 ff., 179, 299, 314 f. Industrielle Revolution 381 In eins gehen 142 innenwahrnehmend-zugleich-außenwahrnehmend 77, 87 Innenwelt 121 Innewerden 52 Intentionalität 28 Interesse 299 f. Jetzt, ewiges 53, 98 f., 104 f., 112 f., 125 Jiriki 37 Jôdo-Schule 271 Jôdo-shin-Schule 37, 213 Kälte 430 Kapitalismus 379 Kegon-Schule 239, 409 Klima 330 Kôan 220, 243 Konfuzianismus 251 Konklusivität 171–174 Kontinuität 51, 53 Kultur 282
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Sachregister Kunst 21, 76, 115, 118 f., 124 ff., 133 f., 208, 216, 235, 240, 268, 271, 275 f., 278 f. –, östliche 130 f., 433 f. –, westliche 130 f. Kunstwerk 122, 426 Kyôto-Schule 11 ff. Kyôto-Philosophie 19, 46
Metaphysik 29 Militärregime 15 Mittelalter 373 f. Mittelpunkt – Umfeld 299 f. Monaden 76, 89, 410 Mondô 416 Moral 25, 103, 125, 244 f., 270 f., 306 Mystik 446, 450
Lachen, großes 256 Leben als Schöpfung 256 Leben ohne Warum 452 Lebensphilosophie 28 Leben/Tod 102, 112, 194 f., 198, 450 Leere 39 f., 147, 224, 220, 237 ff., 247, 252, 259, 270, 454 f., 459 Leib 122, 126 f. Liberalismus 246 Liebe 205 f. Linear – zirkulär 60 f., 80 Logik 36, 171 ff., 239, 284 f., 319, 320 f., 323 f., 351 – der Entsprechung 41 – des Faktischen 323 – der Kopula 173 – der Negation 189 ff. – des Nichts 36 – des Prädikats 173 – der Spezies 16 f., 26 f., 35 f., 132 f., 137 f., 157 – des Subjekts 160, 173 Logos des Faktischen 319 Logos-Faktum 239 f.
Naher Osten 367, 373 Name 248 ff. Nationalismus 16 Natürlichkeit 224 Negation, absolute 141, 156 ff., 165 ff., 174 f. Neukantianismus, Neukantianer 24, 27 f. Nichtgott 448 Nicht-Ich 252, 254 Nichts 24 f., 30, 33, 47, 138–158, 182 f., 193, 227, 261, 268, 360 –, absolutes 24 f., 30, 34 ff., 38, 47, 52, 116 f., 133, 139–157, 193, 270, 358, 361, 413, 418 ff., 441 ff., 447, 452, 454 f., 467 –, das östliche 214 f. –, schlechthinniges 23, 33 »Nichts ist heilig« 223 Nichts-ineins-mit-Sein 203 Nicht-Zweiheit 254 f. Nihilismus 39 f., 238, 421, 457–467 –, radikaler 459 Nihon rôman-ha (Japanische Romantikergruppe) 15 Nirgends-wohnen 260–263 Nirwâna 216, 270, 397 f., 445 Nishida-Philosophie 139, 146, 359 Noesis, Noema 228
Mâdhyamika-Schule 408 Mahâyâna-Buddhismus 24 f., 37, 39, 41, 478, 487 Marxisten, Marxismus 13 Maschine 431 f. Materie 77 f., 83 f., 102, 155 f. Mathematik 160 ff. Meiji-Restauration 348 Mensch 81 f. Menschenrechte 243 Metanoetik 37, 132 f., 200–202, 206, 208, 393
Objektivismus 108 Ochsenbilder 440 ff., 458 f. Okzident – Orient 365 Ontologie 27, 147 Onto-Theologie 24 Ort 33 f., 41 f., 61 f., 82, 105, 112, 262, 330, 336 f., 358 f., 437
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Sachregister – der Freiheit 247 – des Nichts 33, 36, 64, 139 f., 438 –, ortloser 257 –, vorlogischer 239 Ortethik 324 f. orthaft 68 f., 77, 84, 93 orthafte Bestimmung 63 f., 75, 92, 101, 103 – Vermittlung 62, 75 ff. Ortlogik 26, 296 ff., 319, 323 Oshima-Memoire 17, 19, 27 Person 93, 96 f., 287 f. Perspektive 427 Phänomenologie 28, 35 Philosophie 227, 359 f., 392 – des absoluten Nichts 24 – des Erwachens 214 f. – der Kunst 54 – des Seins 24 – des Teewegs 216 – der Weltgeschichte 361 –, abendländische 32, 339 –, östliche 339, 360 Platz 397 f. Poesis 65, 76, 88, 118 ff., 121, 127 Postmoderne 214 Prâjñâ 147, 238, 254 ff. Prâjñâpâramitâ-Sûtra 156, 259 Pratīdya-samutpâda-Theorie 401–411, 455 Praxis 76 f., 158, 273, 319, 321 Prozeß, dialektischer 60, 67 Psychologie 29 Psychopathologe 44 Raum 58 f., 131, 301 Realität 58 Reiten 235 Religion 24, 39, 41, 179, 182 f., 207 f., 218, 240, 271, 275 f., 297, 392 f. – des Erwachens 214 –, entmythologisierte 249 –, mystische 219 –, theistische 219 Renaissance 269, 374
Rom 371 Rückkehr-Aspekt 175, 178, 182 Russland 367 Sachlogik 298 Satori 227 Schaffen, künstlerisches 118, 125 Schau 145 – der Buddhanatur 152 –, tätige 146, 153 »Schein-Wirkliches« 259 ff. Schlichtheit 224 Schöne, das 120, 125 f., 253 Schönheit des Gebrochenen 223 Schöpfung 109 f., 291 f. Sein 138 ff., 150 f., 246 –, soziales 158 ff., 164 –, unmittelbares 150 Seinsfrage 419 f. Sein und Nichts 138–155, 184 f. Selbstrealisierung 440 Selbst 62, 66, 76, 83, 88 f., 90 f., 96, 101, 122 f., 125, 151, 215, 414, 417 –, bewußtseinsmäßiges 97 –, formloses 226 f., 247 –, geschichtliches 95 –, handelndes 59, 96, 98 f., 105, 112 –, intellektuelles 59, 90, 93, 105 –, nichtsubjekthaftes 352 –, poetisches 120 –, Selbst-loses 442 f. –, wahres 304, 310, 444 f. Selbstbestimmung des ewigen Jetzt 65, 104, 109, 112 – des absoluten Nichts 153 f., 155, 358 – der Welt 73 – schlechthinniger Gegenwart 116, 118 Selbstbewußtsein 144, 147, 148–151, 172 f., 174, 189 f., 196–201 Selbst-bewußtsein 52, 304 f., 309 f. Selbst-Bildnis 235, 434 Selbstentfremdung 155 f. Selbst-erwachen 52, 418, 453 Selbstgewahren 52, 90
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Sachregister Selbstidentität 56 –, widersprüchliche 52 ff., 57 f., 59, 80 Selbst-ineins-mit-dem-Anderen 197 Selbst-Transzendenz 304 f. Selbstverneinung 75, 83 f., 90, 162 Selbst-wahrnehmen 52 Selbstwissen 52 Shintô 353 Situation 294, 299 f., 321 Situationsfeld 294 Sollen 322 So-Sein-wie-man-ist 224 Sowjetunion 384 f. Sozialismus 246, 380 Sozialontologie 159–162, 177 Sprache 72, 121, 413 –, japanische 357 Spezies 32, 35 f., 81 f., 113, 166 f., 169, 174–177 Spezies-Gesellschaft 164 f. Spiel 252 f., 255, 445, 464 f. – des Seins 466 Spielraum 358, 444 Staat 35, 137, 164, 177 f., 244, 246 Stil 120, 126, 128–130 Stille 225 Streit 253 Subjekt zugleich Objekt 73 Subjektivismus 82, 108 Subjektivität, neuzeitliche 434 Substanzialität 454 f. Substrat als Spezies 155, 158, 162 f., 173 f. Sûnyatâ 398, 455 Syllogismus 169 Symbol 184 f., 188 f., 191 f., 196 Symbolgedicht 184, 187 f. Sympathie, große 444 Tätigkeit, schöpferische 120 f. Tariki 37 Tastsinn 123 Tat 142–148, 178 f., 183 Tathâgata 398 Technik 379 Teehaus 131
Theologie, negative 398, 448 Tod, großer 219 Tod-und-Auferstehung 198, 205 Totalitarismus 246 f. Tradition 116, 349 f. Transzendenz, umgekehrte 328 Tuschmalerei 234, 236 Übermensch 463 Übersetzung 189 Übung des Weges 260, 267 f., 271 f. Umfeld 299 ff. Umwelt 128 f., 435 Unebenmäßigkeit 223 Unergründlichkeit 225 Ursprung des Denkens 415 f. Urteil 173 Vergangenheit 106 f., 112, 123, 302 f., 316 f. Vergessen = Spiel 464 ff. Vermittelnde, diskontinuierlich-kontinuierlich 89, 75 –, orthaft 69 Vermittlung, absolute 34 ff., 133 f., 151 ff., 169 f. Verneinung, absolute 82, 87, 112 Vernunft 173, 246, 306 Verrücktheit 264 f., 266, 269, 272 Verstehen 76, 87 Viele, das 56, 70, 101 Vijnânavada-Schule 407 f. Volk 110 f. Wahrheit des Seins 414 Wahrheitsschau 424 Wahrnehmung 102 Wandern 260 f. Weg 260, 330–339 – der Säuberung 220 – der Stiftung 220 Welt 34, 51, 69 f., 79 f., 122, 127, 299, 303, 340, 361, 418 – als orthafte Bestimmung 81 f. – der Ers 78, 95 f., 99 – der Gestaltungsakte 72, 81
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Sachregister – der handelnden Anschauung 64, 79 f., 86, 88, 93, 100, 103 f., 117 – der Natur 87 – der Person 93, 96 f., 100 – des Schaffens 80 – des Sich-wechselseitig-Bestimmens 76, 81 f., 107 – der wirklichen Alltäglichkeit 100 –, alltägliche 266, 272 –, ostasiatische 27 –, ausdruckshafte 75, 77 f. –, biologische 64, 70 f., 77, 110 –, diskontinuierlich-kontinuierliche 64, 66, 79, 82 f., 87, 93, 96 f., 107, 111 –, geschichtliche 25 f., 53 f., 64, 78 f., 83, 88, 89 f., 95, 97, 100, 108 f., 120, 122, 326 f. –, geschichtlich-gesellschaftliche 65, 115, 303 f., 310 –, physikalische 64, 70 –, schöpferische 65, 109 f. –, subjektive 69 f. –, welthafte 16, 18 Weltfrage 425 Welt-Geschichte 420, 425
Weltkrieg, Erster 383 Weltlogos 122, 127 Weltphilosophie 27 Weltreich, römisches 372 Weltspiel 466 Werkzeug 127 Wiederkehr, ewige 457, 463 Wille zur Macht 462, 464 –, freier 93 Wind 264 Wirken 87 – als Spiel 225 Wissenschaft 124, 379 Würde, herbe 224 Zeit 58, 60 f., 170, 198, 301, 315–318 Zeit-Raum 330 Zen-Buddhismus 26, 37, 43, 147, 214, 218 ff., 223–227, 249, 270, 277, 414, 418, 440 ff. Zen-Kultur 223, 226 f. Zen-Malerei 228, 332 f. Zukunft 104 f., 112, 123, 317 Zweifel, großer 219 Zwischen 430, 444 f.
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