Testierfreiheit und Ehegattenschutz: Zum Schutz der Vermögensinteressen und der Persönlichkeitsrechte des überlebenden Ehegatten vor und durch Verfügungen von Todes wegen [1 ed.] 9783428512164, 9783428112166

In naher Zukunft werden bedeutende Vermögenswerte vererbt. Dabei steht nicht nur der Vermögenstransfer zwischen den Gene

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German Pages 952 Year 2004

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Testierfreiheit und Ehegattenschutz: Zum Schutz der Vermögensinteressen und der Persönlichkeitsrechte des überlebenden Ehegatten vor und durch Verfügungen von Todes wegen [1 ed.]
 9783428512164, 9783428112166

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Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 288

Testierfreiheit und Ehegattenschutz Zum Schutz der Vermögensinteressen und der Persönlichkeitsrechte des überlebenden Ehegatten vor und durch Verfügungen von Todes wegen

Von Joachim Goebel

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

JOACHIM GOEBEL

Testierfreiheit und Ehegattenschutz

Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 288

Testierfreiheit und Ehegattenschutz Zum Schutz der Vermögensinteressen und der Persönlichkeitsrechte des überlebenden Ehegatten vor und durch Verfügungen von Todes wegen

Von Joachim Goebel

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Juristischen Fakultät der Universität Regensburg gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft Bonn.

Die Juristische Fakultät der Universität Regensburg hat diese Arbeit im Jahre 2001 als Teil einer Habilitationsschrift angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 3-428-11216-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort In Gegenwart und naher Zukunft steht die Vererbung bedeutender Vermögenswerte an. Der Schutz des überlebenden Ehegatten des Verstorbenen rückt damit mehr und mehr mit in den Mittelpunkt der rechtsdogmatischen und rechtspraktischen Aufmerksamkeit. Die vorliegende Untersuchung möchte einen Beitrag zur Frage leisten, wie das geltende Recht die Vermögensinteressen und die Persönlichkeitsrechte des überlebenden Ehegatten sowohl vor als auch durch Verfügungen von Todes wegen des verstorbenen Ehepartners schützt. Die Arbeit stellt den Hauptteil einer umfangreicheren Untersuchung zum Thema dar, die im Sommersemester 2001 von der Juristischen Fakultät der Universität Regensburg als Habilitationsschrift angenommen worden ist. Sie wird flankiert durch die beiden Studien zum Thema „Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht“ sowie zum Thema „Der Nießbrauch an Personengesellschaftsanteilen“, welche zeitgleich mit dieser Arbeit im Hause Duncker & Humblot erscheinen. Mein aufrichtiger Dank gilt zuallererst meinem verehrten akademischen Lehrer, Herrn Prof. Dr. Peter Gottwald. In bewundernswerter Umsicht und Geduld betreute er das Forschungsprojekt und zeigte sich für alle Diskussionen offen. Danken möchte ich auch Herrn Prof. Dr. Dieter Schwab für die Übernahme des Zweitgutachtens und für die wertvollen Anregungen. Dem Geschäftsführer des Verlages, Herrn Prof. Dr. Norbert Simon, sowie Herrn Dr. Florian R. Simon (LL. M.) sei an dieser Stelle herzlich für das verlegerische Engagement gedankt. Mein Dank gilt auch der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die mit der Gewährung eines Habilitationsstipendiums und einer Druckkostenbeihilfe zu dem Gelingen des Werks beigetragen hat. Köln, im März 2003

Joachim Goebel

Inhaltsübersicht Grundlegung

37

§1

Rechtliche Dogmatik als geltungstheoretisch ausgerichtete Dogmatik. . . . . 38

§2

Die Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

Erster Teil Der Schutz des überlebenden Ehegatten im Privatbereich

47

Kapitel 1 Vorüberlegungen zur Thematik §3

49

Im Focus: Schutz personaler Rechte und der Vermögensinteressen . . . . . . . 49

Abschnitt 1 Die Sicherung der Testierfreiheit des überlebenden Gatten

51

Kapitel 2 Die Bindungswirkung des Ehegattentestaments

51

§4

Kritik bisheriger Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

§5

Vorüberlegungen: Reziprozität und Ehegattentestament . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

§6

Testamentarische Bindung und gemeinschaftliche Todesverarbeitung . . . . 104 Kapitel 3 Die Loslösung von der testamentarischen Bindungswirkung

154

§7

Einführung zur Lösung von der testamentarischen Bindung . . . . . . . . . . . . . 154

§8

Entbindung qua Willen beider Gatten oder des Erstverstorbenen . . . . . . . . 170

§9

Entbindung aus Gründen des Schutzes des Überlebenden: Die Hauptfälle 195

§ 10 Entbindung qua Schutz des Überlebenden: Seltener einschlägige Fälle . . . 222

8

Inhaltsübersicht Kapitel 4 Das Sonderproblem Testierfreiheit und Wiederverheiratung

246

§ 11 Entbindung im Fall der Wiederverheiratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 § 12 Die Wiederverheiratung im Lichte kautelarjurisprudentieller Klauseln . . . 283 Kapitel 5 Zusammenfassung zur testamentarischen Entbindung

324

§ 13 Das System der Lösung von der testamentarischen Bindung . . . . . . . . . . . . 324

Abschnitt 2 Der Schutz sonstiger personaler Rechte des überlebenden Ehegatten

339

Kapitel 6 Personaler Ehegattenschutz und personfunktionales Erbrecht

339

§ 14 Sittenwidrigkeit und personfunktionales Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 § 15 Der Schutz personaler Rechte des Überlebenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342

Abschnitt 3 Die Versorgung des überlebenden Ehegatten im Privatbereich 387 Kapitel 7 Verpfründung und Veranlassung

388

§ 16 Die Bewältigung von Leistungsstörungen im Erbvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . 388 § 17 Leistungsstörungen und condictio ob rem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 § 18 Einzelfragen zur condictio ob rem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 § 19 Ergebnis zu Leistungsstörungen beim entgeltlichen Erbvertrag . . . . . . . . . . . 484 Kapitel 8 Versorgung – Pflichtteilsrecht – Unterhaltsrecht

498

§ 20 Die herkömmliche Versorgung des zurückgesetzten Ehegatten . . . . . . . . . . 498 § 21 Die Versorgung des zurückgesetzten Ehegatten über das Unterhaltsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531

Inhaltsübersicht

9

Kapitel 9 Zusammenfassung zum ersten Teil

566

§ 22 Zusammenfassung zum Schutz des Überlebenden im Privatbereich . . . . . . 566

Zweiter Teil Der Schutz des überlebenden Ehegatten im Unternehmensbereich

569

Kapitel 10 Einleitung zum zweiten Teil

571

§ 23 Die Versorgung des Überlebenden im Unternehmensbereich . . . . . . . . . . . . 571

Abschnitt 4 Die Ehegattenversorgung beim einzelkaufmännischen und beim freiberuflichen Unternehmen

589

Kapitel 11 Risikoaverse Versorgungsmodi

589

§ 24 Risikoaverse Mittel zur Versorgung des Überlebenden . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 Kapitel 12 Die Versorgung des unternehmerisch nicht oder gut befähigten Überlebenden

598

§ 25 Die Versorgung des unternehmerisch nicht befähigten Ehegatten . . . . . . . . 598 § 26 Die Versorgung des unternehmerisch starken Ehegatten . . . . . . . . . . . . . . . . 601 Kapitel 13 Die Versorgung des unternehmerisch gering befähigten Gatten

609

§ 27 Vorüberlegungen zum Unternehmensnießbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 610 § 28 Die Versorgung über den Ertragsunternehmensnießbrauch . . . . . . . . . . . . . . 626 § 29 Die Rechtsfolgen des Unternehmensertragsnießbrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . 662

10

Inhaltsübersicht Kapitel 14 Die Versorgung des mittelmäßig befähigten Überlebenden

679

§ 30 Versorgung und Testamentsvollstreckung: Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . 679 § 31 Die Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch . . . . . . . . 682 § 32 Treuhänderische Testamentsvollstreckung und Unternehmensnießbrauch . . 694 § 33 Die echte Testamentsvollstreckung und Unternehmensnießbrauch . . . . . . . 728 § 34 Die Versorgungstauglichkeit der Testamentsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . 741 Kapitel 15 Nochmals: Die Zulässigkeit des Ertragsnießbrauchs

779

§ 35 Die Zulässigkeit des Ertragsnießbrauchs an einem Unternehmen . . . . . . . . 779 § 36 Nießbrauch an einem Gegenstand „Unternehmen“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 801

Abschnitt 5 Die Ehegattenversorgung im Falle der Mitgliedschaft des Erblassers in einer Personenhandelsgesellschaft

817

Kapitel 16 Ehegattenversorgung und Personenhandelsgesellschaft

817

§ 37 Einführung – Erkenntnisinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 817 § 38 Der Nießbrauch an einem OHG-Anteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 821

Abschnitt 6 Die Schwierigkeiten bei einem frühzeitigen Ableben des Unternehmers

825

Kapitel 17 Die Drittbestimmung des künftigen Unternehmers

827

§ 39 Materielle Höchstpersönlichkeit und Drittbestimmung des Unternehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 827

Inhaltsübersicht

11

Kapitel 18 Die Testamentsvollstreckung im Unternehmensrecht

832

§ 40 Einzelkaufmännisches Unternehmen und Testamentsvollstreckung . . . . . . . 832 § 41 Personengesellschaft und Testamentsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 878

Schlußteil

898

§ 42 Statt einer Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 898 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 905 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 948

Inhaltsverzeichnis Grundlegung

37

§1

Rechtliche Dogmatik als geltungstheoretisch ausgerichtete Dogmatik . 38 I. Rechtssystem und Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 II. Geltungstheoretische versus konstitutionstheoretische Deutung des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

§2

Die Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vermögen – Tod – Persönlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erbrecht als Vermögensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erbrecht und Todesverarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erbrecht als funktionales Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Begrifflichkeiten: Gewillkürtes Erbrecht – Personfunktionalität . . . .

. . . . . .

41 41 41 42 44 45

Erster Teil Der Schutz des überlebenden Ehegatten im Privatbereich

47

Kapitel 1 Vorüberlegungen zur Thematik §3

49

Im Focus: Schutz personaler Rechte und der Vermögensinteressen . . . 49 I. Schutz personaler Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 II. Schutz der Vermögensinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

Abschnitt 1 Die Sicherung der Testierfreiheit des überlebenden Gatten

51

Kapitel 2

§4

Die Bindungswirkung des Ehegattentestaments

51

Kritik bisheriger Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einführung und Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bisherige Deutungen der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Ehegattentestaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bindung kraft Vertragsähnlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51 51 53 53

14

Inhaltsverzeichnis 2. Bindung kraft Äquivalenz und Solidarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das gemeinschaftliche Testament als Ausdruck fortgesetzten Familienrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bindung kraft Vertrauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausgangsproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vertrauen als Blankettbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Normativierung des Vertrauens? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Der Bezugspunkt von Vertrauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Vertrauen, Kenntnis und Umfang des relevanten Vertrauenstatbestands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vertrauen und Selbstverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Ausgewogenheit der von beiden Gatten geleisteten Investition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Selbstverantwortlichkeit der Ehegatten als Limitierung eines Vertrauensschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bindung kraft Selbstbindung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Formen der Selbstbindung im Ehegattentestament . . . . . . . . . . . b) Dogmatische Tragfähigkeit des Selbstbindungskonzepts . . . . . . III. Ergebnis der Diskussion bisheriger Deutungen testamentarischer Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

§5

§6

Vorüberlegungen: Reziprozität und Ehegattentestament . . . . . . . . . . . . . I. Ausgangsproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. These . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Bezugsraster testamentarischer Bindung: Die Theorie des sozialen Austauschs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Konkretisierung: Sozialer Austausch – Reziprozität . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Ausgang: Selbstbindung und soziale Interaktion . . . . . . . . . . . . 2. Reziprozität als stabilisierendes Moment der Bindung . . . . . . . . . . . III. Nochmals: Kritik am Vertrauensgedanken als Grundlage testamenarischer Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bindung durch Selbstdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bindungsstabilisierung durch Reziprozität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erbrechtliche Reziprozität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nochmals: Die mangelnde Erklärungskraft des vertrauenstheoretischen Bindungskonzepts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Testamentarische Bindung und gemeinschaftliche Todesverarbeitung . I. Testamentarische Bindung und Todesverarbeitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der funktionale Gehalt des Testierens und das Verstehen einer Todesverarbeitung durch Dritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Todesverarbeitung und testamentarische Bindung . . . . . . . . . . . . . . .

56 56 57 61 61 62 62 63 66 68 69 69 70 75 76 76 80 83 84 84 84 85 87 87 92 96 96 99 99 100 104 104 104 107

Inhaltsverzeichnis

15

3. Testamentarische Bindung und Gattenbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Codierung von Intimität in der ehelichen Verbindung. . . . . b) Der Grund für die Einschränkung der Bindungswirkung auf das gemeinschaftliche Testament von Ehegatten und Lebenspartnern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einzelheiten testamentarischer Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einseitige Abhängigkeit und testamentarische Bindung . . . . . . . . . . 2. Die formale Bindung zu Lebzeiten beider Gatten: § 2271 I BGB . a) Die Begründung des lebzeitigen Widerrufsrechts . . . . . . . . . . . . b) Die rechte Form des Widerrufs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die partikularen Interaktionsgepflogenheiten der Ehegatten im Lichte gesetzlicher Typisierung: Die Begründung der gesetzlichen Auslegungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Typisierte Auslegungsregeln: Die Ehe als normativer Realtypus . . a) Der Prozeß der Interaktionsrekonstruktion: Allgemeines . . . . . . b) Äquivalenz und Solidarität in der Ehe als Auslegungsmittel. . . c) Typen ehelicher Interaktion? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Beispiele für verselbständigte Vernunftserwägungen. . . . . . . . . . e) Die Wiederverheiratung Geschiedener als Beispiel . . . . . . . . . . . 2. Der mutmaßliche Wille der Ehegatten: Beispiele für Auslegungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beispiel I: Die Besserstellung des Ehegatten bei Schlechterstellung des Endbedachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beispiel II: Der Kreis des von der Bindungswirkung erfaßten Vermögens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beispiel III: Beschwerung kraft sittlicher Pflicht oder aus Anstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die gesetzliche Auslegungsregel des § 2270 II BGB . . . . . . . . . . . . a) Typisierende Einschränkungen der Typisierung des § 2270 II BGB? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Begriff der Verwandten und des Nahestehens i. S. § 2270 II BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Entscheidung in Zweifelslagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Gemeinschaftliches Testament und Erbvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der relevante Verständnishorizont bei der Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Zentralgedanke der testamentarischen Bindung: Die Gabe der besseren Todesverarbeitung als psychische Gratifikation . . . . . 2. Der Reziprozitätsmechanismus der §§ 2270 f. BGB. . . . . . . . . . . . .

111 111

114 116 116 119 119 120

122 122 123 124 124 126 127 131 131 133 135 137 137 140 143 144 148 150 150 151

16

Inhaltsverzeichnis Kapitel 3

§7

§8

§9

Die Loslösung von der testamentarischen Bindungswirkung

154

Einführung zur Lösung von der testamentarischen Bindung . . . . . . . . . I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Konfliktpotential testamentarischer Bindung . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Hauptgründe zur Loslösung von der Bindungswirkung . . . . . . II. Typische Fallgestaltungen und Interessenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Typische Fallgestaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die beteiligten Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Interessen des Erstverstorbenen und des Überlebenden . . . b) Die Interessen des neuen Gatten und der Kinder aus der zweiten Ehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Interessen des Endbedachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Lösung von der testamentarischen Bindung als Folge einer auf die Todesverarbeitung bezogenen Erwartungsstörung . . . . . . . . . . . . . . . IV. Weiteres Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

154 154 155 156 160 160 161 161

Entbindung qua Willen beider Gatten oder des Erstverstorbenen . . . . I. Freistellung und Ehegattenwillen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Ermittlung einer Freistellungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Freistellungsklausel als Instrument zur Bewältigung von Erwartungsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Freistellung und Anfechtung: Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Freistellung und ergänzende Auslegung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Schicksal der korrespektiven Verfügung des Erstverstorbenen . . . 1. Der Fall der ausdrücklichen Freistellungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Fall der im Wege ergänzender Auslegung ermittelten Freistellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Freistellung oder Wegfall der Geschäftsgrundlage? . . . . . . . . . . . . . IV. Beispielhafte Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die fehlgeschlagene Versorgung des Überlebenden . . . . . . . . . . . . . 2. Die vorrangige Prüfung der Wechselbezüglichkeit . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Beispiel des unvorhersehbaren Vermögenszuwachses beim überlebenden Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die Freistellungsklausel bei der Einheits- und bei der Trennungslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

170 170 170 172

Entbindung aus Gründen des Schutzes des Überlebenden: Die Hauptfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Loslösung von der Bindung kraft Ausschlagung: Der Fall des § 2271 II 1 HS 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Ausschlagungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Streitstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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174 175 178 184 184 187 187 190 190 190 191 193 195 195 196 197

Inhaltsverzeichnis

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b) Eigene Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Person des Ausschlagenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die ausschließliche Bedenkung eines Dritten . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Bedenkung des überlebenden Gatten und eines Dritten . . . aa) Diskussionslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Rechtslage bei der Trennungslösung. . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Rechtslage bei der Einheitslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Ergebnis zur Ausschlagung bei Bedenkung des Überlebenden und eines Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Wegfall des Endbedachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Wegfall der Bindung aufgrund Wegfalls des Endbedachten . . 2. Die Wechselbezüglichkeit der Verfügung hinsichtlich des Ersatzerben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Lösung von der Bindung qua Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Selbstanfechtung durch den überlebenden Teil . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Form- und Fristfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Anfechtung durch Dritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

203 206 206 207 207 209 212

§ 10 Entbindung qua Schutz des Überlebenden: Seltener einschlägige Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Loslösung von der Bindung kraft Kondiktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einführung in die Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die condictio ob rem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Probleme des Leistungsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die allgemeine Abschöpfungskondiktion des § 812 I 1 Alt. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Zuweisungsgehalt der Testierfreiheit in Anlehnung an die Rechtslage bei den klassischen absoluten Rechten . . . . . . . . . . . c) Präzisierung: Zuweisungsgehalt und Legalerwerb . . . . . . . . . . . . 5. Ergebnis zur Kondiktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Lösung von der Bindung aufgrund des Willens des Überlebenden . 1. Fälle: Anschauungswandel und irrtumsrechtlich irrelevante Umstandsänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) „Selbstverständliche Vorstellungen“ – Anfechtung – ergänzende Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Wertungsparallelität zur Sittenwidrigkeit einer letztwilligen Verfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Ausgang: Gewichtung der Interessen beider Gatten . . . . . . b) Der Wertungsabgleich mit § 138 I BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Einsatzpunkte einer Lösung von der Bindung in Anlehnung an § 138 I BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Schicksal der Verfügungen des Erstverstorbenen . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis Kapitel 4 Das Sonderproblem Testierfreiheit und Wiederverheiratung

§ 11 Entbindung im Fall der Wiederverheiratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Interessenlage und Grundfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Position des neuen Ehegatten hinsichtlich der Vererbung seines Vermögens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Problem der Beeinträchtigung der Endbedachten aus erster Ehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Fall 1: Einheitslösung im gemeinschaftlichen Testament der ersten Ehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fall 2: Trennungslösung im gemeinschaftlichen Testament der ersten Ehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Position des wiederverheirateten Längstlebenden I: Allgemeines . 1. Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das von der Bindungswirkung erfaßte Vermögen des überlebenden Teils. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die zur Vererbung anstehenden Vermögensmassen beim Überlebenden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Testierfreiheit und das Eigenvermögen des Überlebenden . aa) Die Limitierung des Erwartungsschutzes im Falle der Wiederverheiratung: Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Reziprozität und Wiederverheiratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Das Maß der Loslösung von der testamentarischen Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Lösung von der Bindung und § 2270 I BGB . . . . . . . . . . . . d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Zustimmung der erstehelichen Abkömmlinge zur beeinträchtigenden Verfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Position des wiederverheirateten Längstlebenden II: Die Anfechtung gem. § 2079 BGB. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Selbstanfechtung durch den Überlebenden . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Anfechtungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Form und die Frist der Anfechtung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Selbstanfechtung und Freistellungsklausel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Anfechtung durch die Pflichtteilsberechtigten . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Ausschluß der Anfechtung gem. § 2079 S. 2 BGB. . . . . . . . . . 4. Die Wirkung der Anfechtung nach § 2079 S. 1 BGB . . . . . . . . . . . a) Die Wirkung hinsichtlich des Testaments des Überlebenden. . . b) Die Wirkungen hinsichtlich der korrespektiven Verfügungen des Erstverstorbenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis § 12 Die Wiederverheiratung im Lichte kautelarjurisprudentieller Klauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kautelarjurisprudentielles Regelungsangebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dogmatische Problemstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Situation vor der Wiederverheiratung bei der Einheitslösung: Die Konkurrenz zwischen der lebzeitigen Rechtmacht des Überlebenden und dem Schutz der Nacherben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die dogmatische Konstruktion hinter einer Wiederverheiratungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Testierfreiheit und Nacherbenschutz im Kontext der erbrechtlichen Typenordnung: Formalbegründungen aus dem Bedingungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Konkurrenz zwischen Ehegattenschutz und Nachlaßinteressen a) Der Ausgangspunkt: Die Widersprüchlichkeit im gesetzlichen System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nacherbenschutz und Erblasserwille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die beiden relevanten Kriterien zur Entscheidung des Konkurrenzproblems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Fallgruppenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Nacherbenschutz für den Fall einer klaren Bevorzugung des Überlebenden vor den Nacherben: Der Bezug auf ähnliche gesetzliche Wertungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Ansatzpunkt: Lebzeitiges Eigeninteresse des Vorerben . . . b) Dogmatisch-konstruktive Bewältigung: Zustimmungspflicht des Nacherben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Flexibilisierung des Nacherbenschutzes und erbrechtlicher Typenzwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Testierfreiheit und Nacherbenschutz: Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Rechtslage nach Wiederverheiratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Problem der Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Testamentarische Bindung und Wiederverheiratungsklausel . . . . . . a) Entwicklung einer typisierenden Auslegungsregel . . . . . . . . . . . b) Die Diskussion der Auslegungsregel des Kammergerichts. . . . . 3. Wiederverheiratungsklausel und der Fortfall der Verfügung des Überlebenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Im Zweifel: Fortfall der Verfügung?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfügungsfortfall und Ehegatteninteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verfügungsfortfall und Schutz der erstehelichen Kinder . . . . . . d) Verfügungsfortfall und Ehegattensolidarität . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis zu Wiederverheiratungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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283 283 283 285

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Inhaltsverzeichnis Kapitel 5 Zusammenfassung zur testamentarischen Entbindung

§ 13 Das System der Lösung von der testamentarischen Bindung . . . . . . . . . I. Zusammenfassung der tragenden Entbindungsmöglichkeiten . . . . . . . . 1. Die drei tragenden Wertungen einer Lösung von der testamentarischen Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Testamentarische Entbindung und Erwartungsstörung . . . . . . . . . . . a) Entbindung und tatsächlich gehegte Erwartungen . . . . . . . . . . . . b) Normative Begrenzungen der Erwartungen des Erstverstorbenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das wirtschaftliche Äquivalent zur Entbindung: Vermögensübertragung durch lebzeitige Rechtsgeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. § 2287 BGB und unbenannte Zuwendungen unter Ehegatten . . . . . 3. Die Beeinträchtigungsabsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Schlußbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ein zehnstufiges Untersuchungsschema. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entbindung als Persönlichkeitsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Abschnitt 2 Der Schutz sonstiger personaler Rechte des überlebenden Ehegatten Kapitel 6 Personaler Ehegattenschutz und personfunktionales Erbrecht

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§ 14 Sittenwidrigkeit und personfunktionales Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 I. Streitstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 II. Gute Sitten und Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 § 15 Der Schutz personaler Rechte des Überlebenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundrechte Dritter und Sittenwidrigkeit: Allgemeines . . . . . . . . . . . . . 1. Das Konstruktionsproblem: Die Art der Einwirkung der Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Problemstand. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Schwierigkeiten eines grundrechtlichen Wertedenkens . . . . c) Der wiederaufgelebte Streit um die Grundrechtswirkung im Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Kollisionsproblem: Der Umfang der Einwirkung der Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Möglichkeiten der Präzisierung des § 138 I BGB . . . . . . . . . . . . b) Sittenwidrigkeitsprüfung und Kernbereich der Grundrechte . . .

342 343 343 343 344 348 351 351 354

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c) Unerträglichkeit des Eingriffs in Rechte Dritter? . . . . . . . . . . . . II. Die beiden Hauptfälle des sittenwidrigkeitsrechtlichen Bedachtenschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Sittenwidrigkeit erbrechtlicher Potestativbedingungen . . . . . . . a) Das Denken in Anerkennungsverhältnissen und grundrechtliche Drittwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Streitstand zur Sittenwidrigkeit erbrechtlicher Potestativbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kritik der bisherigen Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der Schwenk in der Perspektive: Anerkennungsverhältnisse im Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Präzisierung: Sittenwidrigkeit trotz eines bloßen Angebots an den Bedachten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Leitlinien der Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Testierfreiheit und Familienordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsatz: Vorrang der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausnahme: Schutz des Gefühlszustands des Überlebenden in unerträglichen Fällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Einzelfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Zeitpunkt der Beurteilung der Sittenwidrigkeit . . . . . . . . . . b) Ein subjektiver Tatbestand bei § 138 I BGB? . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Rechtsfolgenseite der Guten-Sitten-Klausel. . . . . . . . . . . . . . III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Abschnitt 3 Die Versorgung des überlebenden Ehegatten im Privatbereich 387 Kapitel 7 Verpfründung und Veranlassung § 16 Die Bewältigung von Leistungsstörungen im Erbvertrag . . . . . . . . . . . . . I. Fälle: Verpfründung und Veranlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Testamentarische Verpfründung und Veranlassung . . . . . . . . . . . . . . 2. Erbvertragliche Verpfründung und Veranlassung: Hauptfälle . . . . . 3. Die Hauptprobleme bei einer gestörten Versorgung des Überlebenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Problem 1: Die erbvertragliche Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Problem 2: Ansprüche gegen den Überlebenden . . . . . . . . . . . . . II. Lösungsvorschläge bei einer gestörten Versorgung des Überlebenden 1. Übersicht über bisherige Lösungsvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

388 388 388 388 390 391 391 392 392 393

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Inhaltsverzeichnis a) Der Fall der anfänglichen Nichtigkeit der Versorgungszusage b) Der Fall der Schlechterfüllung, des Verzugs oder der Nichterfüllung der Versorgungszusage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Streitstand: Leistungsstörungen des Versorgungsvertrages und Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) „Synallagma-Lösungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Anfechtungslösung: Anfechtung wegen Motivirrtums. . . . . c) Die Stufenlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Kondiktionslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Synallagmatische Verknüpfung zwischen Erbvertrag und Versorgungszusage? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Weiteres Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

§ 17 Leistungsstörungen und condictio ob rem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeines zum Bereicherungsanspruch des Überlebenden . . . . . . . . 1. Das Zuwendungssubstrat: Die stabilisierte Erberwartung als Kondiktionsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Erberwartung als Vermögensgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Gegenstandsorientierung des Bereicherungsrechts . . . . . . . 2. Die causa des Erbvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Diskussionslinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Bezugsfeld der causa-Lehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Erbvertrag als grundsätzlich kausales Rechtsgeschäft . . . . . d) Die Art der causa erbrechtlicher Zuwendungsgeschäfte jenseits der Dichotomie von Verpflichtung und Verfügung . . . . . . . 3. Einwände gegen eine causa-Fähigkeit der Verfügung von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Weiteres Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die drei Hauptprobleme des Bereicherungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . 1. Mögliche Kondiktionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Condictio indebiti. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Condictio ob rem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Zulässigkeit einer gewillkürten Abstraktheit von erbrechtlichen Verfügungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Problementfaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die dogmatische Unfruchtbarkeit einer Parallele zu schuldrechtlichen Zweckverfehlungsfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gewillkürte Abstraktheit und die Rechtssicherheit einer perpetuierten Antizipation der dinglichen Zuständigkeitsänderung . . d) Zusammenfassung zur Zulässigkeit einer gewillkürten Abstraktheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Exkurs zur bereicherungsrechtlichen Zweckvereinbarung . . . . . . . . a) Einführung in die Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis b) Vermögensrechtlicher Exkurs: Die Zweiseitigkeit der Zweckvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Zweckvereinbarung im allgemeinen Vermögensrecht bb) Die causa der datio ob rem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Schutz des endbedachten Dritten über die Zweckvereinbarung im Dreieck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gestaltung 1: Der endbedachte Dritte lehnt die Zweckvereinbarung ab. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gestaltung 2: Der endbedachte Dritte stimmt ausdrücklich der Zweckvereinbarung zu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gestaltung 3: Der Dritte kennt die Veranlassungsmotivation des Erblassers nicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Gestaltung 4: Der Dritte kennt die Veranlassungsmotivation des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Ergebnis zum Schutz des Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 18 Einzelfragen zur condictio ob rem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einzelfragen zur Zweckvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Form der Zweckvereinbarung als erbrechtliches Problem . . . . 2. Die Ermittlung der Zweckvereinbarung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Situation im allgemeinen Vermögensrecht. . . . . . . . . . . . . . . b) Die Situation beim Erbvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Erfordernis der Gegenleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das kondiktionsrechtliche Sonderproblem: Die nachträgliche Zweckvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ein originärer Einsatzpunkt der Kondiktion neben der Anfechtung?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Zulässigkeit einer nachträglichen Zweckvereinbarung . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Weitere Einzelfragen zum Tatbestand der Kondiktion . . . . . . . . . . . . . . 1. Die bereicherungsrechtlich relevante Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Wegfall der causa bei der condictio ob rem des § 812 I 2 Alt. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Problemskizze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fall 1: Versorgung qua Versorgungszusage . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fall 2: Versorgung aufgrund Veranlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fragen der Rechtsfolgen der condictio ob rem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Was wird vom endbedachten Dritten verlangt? . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einführung in die Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Art und Weise der Zustimmung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Form der Zustimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Kosten der notariellen Beurkundung der Zustimmungserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Form- und Fristfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Form, in der die Kondiktion geltend zu machen ist . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis b) Die Frist, in der die Kondiktion geltend zu machen ist . . . . . . . aa) Analoge Anwendung des § 2283 I, II 1 BGB auf die Kondiktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Relevanz von Stundung und Kondiktionsanerkenntnis 3. Die Folgen für die korrespektive Verfügung des Erstversterbenden bei einem korrespektiven zweiseitigen Erbvertrag . . . . . . . . . . IV. Überleitende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 19 Ergebnis zu Leistungsstörungen beim entgeltlichen Erbvertrag . . . . . . . I. Zusammenfassende Bemerkungen zur condictio ob rem . . . . . . . . . . . . II. Das Verhältnis von Kondiktion, Änderungs- und Rücktrittsvorbehalt und Selbstanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Änderungs- und Rücktrittsvorbehalt und der Tatbestand der Kondiktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Selbstanfechtung und der Tatbestand der Kondiktion . . . . . . . . III. Der Sonderfall der nachträglichen Zweckvereinbarung . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis: Die Bewältigung von Leistungsstörungen beim entgeltlichen Erbvertrag und der Sinn der Kondiktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Anwendungsbereich und die praktische Bedeutung der Kondiktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Normalfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Sonderfall: Nachträgliche Zweckvereinbarung . . . . . . . . . . . 2. Der Rücktritt vom Erbvertrag gem. § 2295 BGB . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kapitel 8 Versorgung – Pflichtteilsrecht – Unterhaltsrecht § 20 Die herkömmliche Versorgung des zurückgesetzten Ehegatten. . . . . . . . I. Der Ansatz der Rechtsprechung: Sozialmoral-gesteuerter Ehe- und Familienschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Motivierung, Inhalt und Zweck als Agens einer Gesamtwürdigung des letztwillig Verfügten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Objektivierungstendenzen im Kontext von Ehe und Familie? . . . . . II. Kompensation einer grob unbilligen Nichtversorgung des überlebenden Ehegatten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unterhaltsrechtliche versus erbrechtliche Korrektur der Bedürftigkeit des überlebenden Ehegatten post mortem: Thesen zu zwei Lösungswegen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Problemmodellierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Beziehung von Unterhalt und Pflichtteil: strenge Äquivalenz, weiche Äquivalenz und Neutralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Sperre des § 1615 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis III. Äquivalenzformen von Unterhalt und Pflichtteil in historischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Funktionen des Pflichtteilsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Regelungsabsicht des historischen Gesetzgebers: Der Wert der Materialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der historische Kontext des Pflichtteilsrechts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis der historischen Skizze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Äquivalenzformen von Unterhalt und Pflichtteil in systematischer Perspektive. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Familienideologische Einkleidung der Testierfreiheit und strenge Äquivalenzthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die technische Ausgestaltung des Pflichtteilsrechts . . . . . . . . . . . . . 3. Familienerbrecht und Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einwirkungen sozialer Sicherungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Funktionswandel der Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verfassungsrechtliche Aspekte strenger Äquivalenz . . . . . . . . . . . . . a) Pflichtteilsübersteigende Versorgung und Diskriminierung . . . . b) Erbrechtsgleichheit und Bedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gleiche Vermögensteilhabe und personale Verbundenheit . . . . . 5. Vergleich mit dem Güterrecht: Durchbrechungen des Prinzips der Ausschließlichkeit des Zugewinnausgleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Ergebnis: Die strenge Äquivalenzthese als Arcanum des Pflichtteilsrechts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die Sperre des § 1615 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Problemstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vergleich mit Geschiedenenunterhalt, Versorgungsausgleich und den Gesetzesmaterialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 21 Die Versorgung des zurückgesetzten Ehegatten über das Unterhaltsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Lückenfeststellung: Postmortale Nachwirkungen der Ehe . . . . . . . . . . . 1. Das Problem: Der normative Ordnungsrahmen einer pflichtteilsübersteigenden Nachlaßpartizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Normative Differenzierungen: Tod – Scheidungsantrag – Scheidung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Formale Ausdrucksformen ehelicher Zerrüttung . . . . . . . . . . . . . b) Der immanente Telos des Scheidungsunterhalts. . . . . . . . . . . . . . c) Konkretisierung: Scheidungsunterhalt, Solidarität und Vertrauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der normative Ordnungsrahmen des nachehelichen Versorgungsvertrauens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vertrauendürfen und der Wertungsabgleich zur Sittenwidrigkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fortwirkendes Vertrauen als typisiertes empirisches Faktum . .

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Inhaltsverzeichnis c) Der dogmatische Ausgangspunkt des normativen Ordnungsrahmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Argumente gegen eine Entwertung des Versorgungsvertrauens des Überlebenden qua Scheidungsantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Argumente für eine Entwertung des Versorgungsvertrauens des Überlebenden qua Scheidungsantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis: Der normative Ordnungsrahmen überquotaler Nachlaßpartizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Lückenfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Konkretion der Lückenfüllung: Das Maß des konkret geschützten Vertrauens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konstruktion der Lückenfüllung: Gesetzliche Erbfolge – Erblasserschuld – Kapitalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Konstruktive Wege zur Ehegattenversorgung: Schuldrechtliche oder dingliche Nachlaßpartizipation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Friktionen einer dinglichen Nachlaßbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . c) Vorzüge der schuldrechtlichen Nachlaßbeteiligung . . . . . . . . . . . d) Sonderfragen: Interessenbezug, Ehebedingtheit, Einsatzzeitpunkt, wertmäßige Anspruchslimitierung, Vermögenseinsatz . . III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zusammenfassende Bemerkungen zum bisherigen Gedankengang 2. Zusammenfassende Bemerkungen zum Schutz des Versorgungsinteresses des überlebenden Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kapitel 9 Zusammenfassung zum ersten Teil § 22 Zusammenfassung zum Schutz des Überlebenden im Privatbereich . . . I. Der Schutz des todesbezogenen Persönlichkeitsrechts des Überlebenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Schutz sonstiger personaler Rechte des Überlebenden . . . . . . . . . . III. Der Schutz der Versorgung des Überlebenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zweiter Teil Der Schutz des überlebenden Ehegatten im Unternehmensbereich

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Kapitel 10 Einleitung zum zweiten Teil

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§ 23 Die Versorgung des Überlebenden im Unternehmensbereich . . . . . . . . . 571 I. Die beiden Hauptprobleme des letztwillig verfügenden Unternehmers 571 1. Der Kreis der erfaßten Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 571

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2. Hauptproblem I: Die Versorgung des überlebenden Teils. . . . . . . . . 3. Hauptproblem II: Der frühzeitige Tod des Unternehmers . . . . . . . . II. Ein analytisches Schema der Versorgung des Überlebenden . . . . . . . . . 1. Risikoaverse Versorgung versus risikopartizipative Versorgung . . . a) Risikoaverse Versorgungsinstrumente. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Risikopartizipative Versorgungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Risikopartizipative Versorgung insbesondere beim einzelkaufmännischen Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die unternehmerische Befähigung des Ehegatten als Richtschnur der Gattenversorgung: Ein analytisches Schema . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Versorgungsinteressen des Überlebenden: Ein weiteres analytisches Schema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Haftung des überlebenden Ehegatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unternehmensführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Relevanz ökonomischer Rationalität in einem personfunktionalen Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gewichtungen in den weiteren Gedankengängen . . . . . . . . . . . . . . . III. Zivilrechtliche Gestaltung und steuerrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . .

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Abschnitt 4 Die Ehegattenversorgung beim einzelkaufmännischen und beim freiberuflichen Unternehmen

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Kapitel 11 Risikoaverse Versorgungsmodi § 24 Risikoaverse Mittel zur Versorgung des Überlebenden . . . . . . . . . . . . . . I. Risikoaverse Versorgung des Ehegatten auf der Grundlage einer obligatorischen Leibrentenverpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Risikoaverse Versorgung des Ehegatten auf der Grundlage dinglicher Sicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Herkömmliche dingliche Sicherungsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Insbesondere die Reallast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kapitel 12 Die Versorgung des unternehmerisch nicht oder gut befähigten Überlebenden

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§ 25 Die Versorgung des unternehmerisch nicht befähigten Ehegatten . . . . 598 I. Gründung einer GmbH, einer KG oder einer Stillen Gesellschaft . . . . 598 II. Die Gewährleistung des Interesses an einer versorgungsgerechten Unternehmenspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 599

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Inhaltsverzeichnis

§ 26 Die Versorgung des unternehmerisch starken Ehegatten . . . . . . . . . . . . . I. Bestellung eines Unternehmensnießbrauchs mit anschließender Unternehmensverpachtung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorteile der Gestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bestellung eines Unternehmensnießbrauchs mit anschließender Ausübungsüberlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorteile der Gestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der sog. „stille Nießbrauch“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kapitel 13 609

Die Versorgung des unternehmerisch gering befähigten Gatten § 27 Vorüberlegungen zum Unternehmensnießbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Bestellung des Unternehmensnießbrauchs: Nießbrauch „am Unternehmen“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Streitstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorteile der herrschenden Meinung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die praktischen Hauptprobleme eines Nießbrauchs „am Unternehmen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das erste Problem: Die Nießbrauchsbelastung des Neuerwerbs von Gegenständen des Anlagevermögens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Konstruktion: Nießbrauchsbelastung des Neuerwerbs ex lege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Wertung: Der Grund für den Direkterwerb . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Folgerungen für das Problem „Nießbrauchsbelastung des Neuerwerbs“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das zweite Problem: Die Tauglichkeit der Nießbrauchskonstruktion für ein jedes einzelkaufmännisches Unternehmen . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Ausgestaltung des Unternehmensnießbrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Eigentumsverhältnisse und Belastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anlagevermögen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Umlaufvermögen: Eigentumsübergang an den Nießbraucher . . 2. Forderungszuständigkeit – Haftungsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Auskehrfähiger Gewinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 28 Die Versorgung über den Ertragsunternehmensnießbrauch . . . . . . . . . I. Gestaltung und Streitstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Ausgestaltung des Ertragsnießbrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Dinglichkeit des Ertragsnießbrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dinglichkeit als Schutz gegenüber Geschäftsgläubigern? . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

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a) Die Haftung des Ertragsnießbrauchers für Geschäftsschulden . b) Die negatorischen Rechte des Ertragsnießbrauchers und die Stellung der Geschäftsgläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Dinglichkeit des Ertragsnießbrauchs und die Verfügungsbefugnis des Unternehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Übersicht zu den beiden Hauptproblemen des Ertragsnießbrauchs 4. Die Zulässigkeit einer Partizipation des Ehegatten am unternehmerischen Ertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Dingliche Leistungspflicht im Nießbrauchsrecht? . . . . . . . . . . . . . . . a) Sachenrechtliche Einwände gegen eine dingliche Leistungspflicht im Nießbrauchsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ertragszuweisung und Unternehmerpersönlichkeit . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bewirtschaftungspflicht und Insolvenznähe . . . . . . . . . . . . . cc) Einschränkungen in der sachlichen Dimension . . . . . . . . . . dd) Einschränkungen in der zeitlichen Dimension . . . . . . . . . . . III. Der erste Bestandteil des Handlungsrahmens des Unternehmers: Die wirtschaftliche Bestimmung des Betriebsvermögens. . . . . . . . . . . . . . . . 1. Streitstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nießbrauchsrechtliche Widmung als objektive Gegebenheit? . . . . . 3. Nießbrauchsrechtliche Nutzungsoptimierung und erbrechtliche Personfunktionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Schranken einer ausschließlich versorgungsgerechten Unternehmenswidmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Causa und dingliches Nutzungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der zweite Bestandteil des Handlungsrahmens des Unternehmers: Die wirtschaftliche Ordnungsgemäßheit des unternehmerischen Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Bestimmung der Regeln ordnungsgemäßer Wirtschaft bei nach dem Tode des Ehegatten mutmaßlich erst ertragswirksam werdenden Investitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Ausgleichsanspruch des Ertragsnießbrauchers bei „untermäßiger“ Bewirtschaftung des Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Inhalt des Ausgleichsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Versorgungsgerechtigtkeit des Ausgleichsanspruchs . . . . . . V. Nochmals: Die Versorgungsgerechtigkeit einer Gestaltung und die Bedürfnisse wirtschaftlichen Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 29 Die Rechtsfolgen des Unternehmensertragsnießbrauchs . . . . . . . . . . . . . . I. Die Rechtsfolgen eines nicht versorgungsgerechten unternehmerischen Handelns beim Unternehmensertragsnießbrauch. . . . . . . . . . . . . . II. Besitzfragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Berechnung des auszukehrenden Ertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Ertragsberechnung während des Nutzungsrechts . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis 2. „Aufwendungen“ auf das Unternehmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Vergleich mit den Regelungen des Sachnießbrauchsrechts b) Konsequenzen für den Ertragsnießbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nutzungen zwischen Vermächtnisanfall und Bestellung des dinglichen Rechts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Informations- und Kontrollrechte des Ertragsnießbrauchers . . . . . . 5. Unternehmensveräußerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kapitel 14 Die Versorgung des mittelmäßig befähigten Überlebenden

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§ 30 Versorgung und Testamentsvollstreckung: Vorüberlegungen . . . . . . . . . . 679 I. Erkenntnisinteresse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 679 II. Die typische Fallgestaltung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 681 § 31 Die Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch . . . . . I. Die Schwierigkeiten einer Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Zulässigkeit einer Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch mit dem Erben als Vollstrecker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Unternehmensnießbrauch als tauglicher Vollstreckungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Eignung des Alleinerben zum Vollstreckeramt . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtliche Eignung des Alleinerben zum Vollstreckeramt . . . . b) Die faktische Eignung des Alleinerben zum Vollstreckeramt . . III. Die Lösungswege bei der Testamentsvollstreckung über ein einzelkaufmännisches Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 32 Treuhänderische Testamentsvollstreckung und Unternehmensnießbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bestellung – Vermögenszuordnung – Firma – Registerfragen . . . . . . . II. Die Haftung des Erben-Testamentsvollstreckers bei der Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Haftung für Alt-Verbindlichkeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Haftung für Alt-Verbindlichkeiten als Erbe: Das erbrechtliche Haftungsregime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Haftung für Alt-Verbindlichkeiten als Testamentsvollstrecker: Das handelsrechtliche Haftungsregime . . . . . . . . . . . . . 2. Haftung für Neu-Verbindlichkeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Haftung des Nießbrauchers-Vermächtnisnehmers . . . . . . . . . . . . . . 1. Haftung für Alt-Schulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Haftung im Außenverhältnis zu den Geschäftsgläubigern . . . . . b) Das Innenverhältnis zwischen Ehegatten und Erben-Testamentsvollstrecker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis aa) Die Haftung des Ehegatten für Alt-Schulden als Vermächtnisnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Haftung des Ehegatten für Alt-Schulden als Unternehmensnießbraucher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Haftung für Neu-Schulden und dingliche Zuordnung des Neuerwerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Dingliche Zuordnung des Neuerwerbs bei der Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch an einem einzelkaufmännischen Unternehmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Modifikationen der allgemeinen Regeln der Treuhandlösung durch die Vollstreckung in den Unternehmensnießbrauch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Zulässigkeit dinglicher Surrogation: Offenkundigkeit versus Bestimmbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Der Schutz des Ehegatten-Nießbrauchers bei der Surrogation des Neuerwerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Haftung des Unternehmensnießbrauchers für geschäftliche Neuschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Beschränkung auf den Vermächtnisgegenstand? . . . . . . . . . cc) Sonderproblem I: Nachlaßinsolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Sonderproblem II: Die Eigeninsolvenz des Treuhänders . . IV. Das Haftungsregime der Treuhandlösung: Zusammenfassung . . . . . . . V. Die Pflicht des Treuhänder-Testamentsvollstreckers zur versorgungsgerechten Bewirtschaftung des Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 33 Die echte Testamentsvollstreckung und Unternehmensnießbrauch . . . . I. Bestellung – Vermögensmassen – Registerfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Haftungsordnung im einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Alt-Schulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Neu-Schulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zugriff auf den Nachlaß neben dem Zugriff auf den Vermächtnisgegenstand? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung zur Haftungsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 34 Die Versorgungstauglichkeit der Testamentsvollstreckung . . . . . . . . . . . . I. Das Interesse des Ehegatten an einer versorgungsgerechten Unternehmenspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die versorgungsgerechte Ausrichtung der Unternehmenspolitik . . . 3. Präzisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Informationsrechte des Ehegatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zwei Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Langfristig erst ertragswirksam werdende investive und bilanzpolitische Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis aa) Fallgestaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Mehrstufige Interessenkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Der Raum zur Kompatibilisierung der Binnenrationalitäten von Wirtschaft und Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Sonstige Fälle unternehmerischen Entscheidens . . . . . . . . . . . . . 4. Die Stärkung des Versorgungsinteresses durch § 2214 BGB. . . . . . 5. Unternehmensstillegung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Verhältnis zwischen den Geschäftsgläubigern und der Ertragsbeteiligung des Überlebenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Zugriff auf die Unternehmenserträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rücklagenbildung und Neuinvestitionen zu Lasten des Ehegatten – Vollstreckervergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Teilhabe am Ertrag im Fall der Nachlaßinsolvenz . . . . . . . . . . 3. Nochmals: Gewinnauskehr an den Ehegatten und Nachlaßinsolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Problemlösung: Ausnahmsweise keine Gewinnsurrogation in den Nachlaß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die besondere Versorgungstauglichkeit des testamentsvollstreckungsbelasteten Unternehmensnießbrauchs. . . . . . . . . . . . . . IV. Die sonstigen Aspekte der Versorgungsgerechtigkeit der Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Versorgungsschutz in der Unternehmernachfolge . . . . . . . . . . . 2. Nochmals: Haftungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vorzeitige Beendigung der Testamentsvollstreckung? . . . . . . . . . . . . 4. Der wehrbereite Ehegatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Kontrolle des Testamentsvollstreckers durch das Prozeßgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die Testamentsvollstreckung im Vergleich zu den sonstigen Modi der Ehegattenversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Vergleich mit der Vorerbschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kapitel 15 Nochmals: Die Zulässigkeit des Ertragsnießbrauchs § 35 Die Zulässigkeit des Ertragsnießbrauchs an einem Unternehmen . . . . I. Der Unternehmensertragsnießbrauch als Produkt einer Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Ertragsnießbrauch und die Typizität und der numerus clausus dinglicher Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Ertragsnießbrauch und die Systematik des Sachenrechts . . . . . 2. Die Vorgaben sachenrechtlicher Typizität und numerischer Beschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

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3. Ertragsnießbrauch und Publizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Verhältnis von Nutzziehung und Lastentragung . . . . . . . . . . . . III. Die Versorgungsgerechtigkeit der bisher diskutierten Sicherungsinstitute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vergleichende Übersicht – zugleich Zusammenfassung der bisherigen Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das konkurrierende Modell: Die Testamentsvollstreckung am Unternehmensnießbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsfortbildungssperre aufgrund Nutzungsgemeinschaftsrechts?. 4. Das unabweisbare Bedürfnis für einen Ertragsnießbrauch . . . . . . . 5. Auswirkungen in der Rechtsfolge des Ertragsnießbrauchs: Gewinnabführungspflicht des Unternehmers? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 36 Nießbrauch an einem Gegenstand „Unternehmen“? . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Nießbrauch am Unternehmen als konstruktives Phänomen . . . . . . II. Ausgangspunkt der herrschenden Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der verfehlte Zuschnitt in der Dogmatik des Unternehmensnießbrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Einwand gegen den Unternehmensnießbrauch aufgrund der Nießbrauchsbestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einwände aufgrund des Vergleichs mit anderen Sachgesamtheiten 3. Das Unternehmen als Nießbrauchsgegenstand: Zirkuläres Denken? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Umkehrung des Problemzuschnitts: Vom Nießbrauchsgegenstand zu den leitenden rechtlichen Wertungsvorgaben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Der sachgerechte Unternehmensbegriff beim Unternehmensnießbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Gesamtergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

790 791 794 796 798 800 801 801 802 805 805 807 808 810 814 816

Abschnitt 5 Die Ehegattenversorgung im Falle der Mitgliedschaft des Erblassers in einer Personenhandelsgesellschaft

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Kapitel 16 Ehegattenversorgung und Personenhandelsgesellschaft § 37 Einführung – Erkenntnisinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Risikopartizipative Versorgung durch einen Nießbrauch an der Mitgliedschaft des Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Motivlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anlage der weiteren Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

§ 38 Der Nießbrauch an einem OHG-Anteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die allgemeinen Grundlagen des Anteilsnießbrauchs . . . . . . . . . . . . . . . II. Versorgungsgerechte Gestaltung über die Zuordnung des Stimmrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Versorgungsgerechte Gestaltung über die versorgungsgerechte Widmung des belasteten Anteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Versorgungsgerechtigkeit und Haftungsordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Exkurs: Der Anteilsnießbrauch bei der GmbH & Co. KG . . . . . . . . . .

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Abschnitt 6 Die Schwierigkeiten bei einem frühzeitigen Ableben des Unternehmers

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Kapitel 17 Die Drittbestimmung des künftigen Unternehmers § 39 Materielle Höchstpersönlichkeit und Drittbestimmung des Unternehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Streitstand und die Regelungsangebote der Kautelarjurisprudenz II. Der Ausweg: Besinnung auf die symbolischen Gehalte der Erbenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die bisherigen Begründungen des Prinzips materieller Höchstpersönlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Materielle Höchstpersönlichkeit und personfunktionales Erbrecht

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Kapitel 18 Die Testamentsvollstreckung im Unternehmensrecht § 40 Einzelkaufmännisches Unternehmen und Testamentsvollstreckung. . . . I. Streitstand zur Testamentsvollstreckung über ein einzelkaufmännisches Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bewertung der gegen die echte Testamentsvollstreckung vorgetragenen Argumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einheit von Herrschaft und Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die implizite Option der herrschenden Meinung für handelsrechtliche Wertungen: Ungereimtheiten in der Auflösung einer Prinzipienkollision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die der Annahme einer zwingend unbeschränkten Haftung vorgelagerte Frage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Auflösung der Prinzipienkollision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Erbrechtliche Grenzen einer Testamentsvollstreckung über ein Einzelhandelsgeschäft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis 1. Das Problem: Die Abstimmung der §§ 1978 ff. BGB zu den §§ 2197 ff. BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die vermeintliche Schutzlücke des § 2219 BGB . . . . . . . . . . . . b) Bisherige Versuche zur Bewältigung der vermeintlichen Schutzlücke des § 2219 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rückgewähr der ausgekehrten Gewinne im Falle der Nachlaßinsolvenz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einwände gegen die Rückgewährpflicht des Erben. . . . . . . bb) Gewinnabschöpfung bei der Unternehmensfortführung durch den Erben? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Nochmals: Gewinnabschöpfung bei der Testamentsvollstreckung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ergebnis: Unzulässigkeit der echten Testamentsvollstreckung wegen eines ansonsten unzureichenden Schutzes der Nachlaßaltgläubiger? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Lösungsvorschlag: Rückbesinnung auf das ausgeblendete Dritte: den Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Vergleich mit der Unternehmensfortführung durch den Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das Problem: Der insolvenzrechtliche Nachrang der Nachlaßaltgläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Lösungsvorschläge zum Schutz der Nachlaßaltgläubiger . b) Die Todesvergessenheit bisheriger Dogmatik als Schlüssel zum Problem der Unternehmensvererbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Verlust systematischer Kohärenz im bisherigen Erbrechtsdenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der Rückgriff auf die symbolische Struktur des Erbrechts: die Todesbewältigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Wertungsabgleich zwischen der Unternehmensfortführung durch den Erben und durch den Testamentsvollstrecker . . . . . . . 3. Nochmals: Gewinnsurrogation in den Nachlaß? . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis zur Zulässigkeit der Verwaltungsvollstreckung über ein Einzelhandelsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Verbot der Testamentsvollstreckung über ein Unternehmen als Gewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Teleologische Reduktion des gewohnheitsrechtlichen Verbots. . . . . § 41 Personengesellschaft und Testamentsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ausgangslage und Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Nachlaßzugehörigkeit der Mitgliedschaft: Die Abspaltungsthese. 1. Streitstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kritik der Abspaltungsthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Testamentsvollstreckung und die personale Verbindung der Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Streitstand zu vollhaftenden Anteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Testamentsvollstreckung und die unbeschränkte gesellschaftsrechtliche Haftung des Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Streitstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Haftungslage bei unterstellter Zulässigkeit der Testamentsvollstreckung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Nicht überzeugende Haftungskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das überzeugende Haftungskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die sachgerechte Bewältigung der Prinzipienkollision zwischen Erb- und Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Testamentsvollstreckung als eine besondere Weise legaler Haftungsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Auflösung einer Prinzipienkollision zwischen Erbund Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ergebnis zur Zulässigkeit der echten Testamentsvollstreckung über einen OHG-Anteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Das Sonderproblem der Haftungsbeschränkung des minderjährigen Erben des Unternehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Schlußteil § 42 Statt einer Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rückblick: Erbrecht als funktionales Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . II. Bemerkungen zu einem familiarfunktionalen Erbrechtsdenken . . . . . III. Einsatzpunkte eines personfunktionalen Erbrechtsdenkens . . . . . . . . . 1. Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schlußbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 905 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 948

Grundlegung Es ist mittlerweile zum Gemeinplatz geworden, daß in Gegenwart und naher Zukunft die Vererbung bedeutender Vermögenswerte ansteht. Die damit verbundenen Herausforderungen für die Privatrechtsdogmatik sind groß, stehen doch bei einem universalsukzessiven Vermögenstransfer von Todes wegen nicht nur Vermögenswerte auf dem Spiel, sondern auch ganze Lebensperspektiven der vom Ableben des Erblassers besonders betroffenen Personen in Rede. Ein rechtsdogmatischer Blick auf den Schutz derjenigen Personen, die von dem Tod eines Menschen typischerweise am meisten betroffen sind, liegt daher nahe. Typischerweise ist derjenige Mensch am meisten vom Todes eines anderen betroffen, der sich ihm in Intimität und Solidarität zugewandt hatte und durch emotionale Verbundenheit auch über den Tod hinaus zusammengehörig weiß – eben der überlebende Ehegatte. Dessen Schutz kann zum einen dem Erblasser selbst am Herzen liegen. Will er nach seinem Tode seinen Gatten angemessen abgesichert sehen, muß er zu sinnvollen Instrumentarien greifen können, mit deren Hilfe er den Schutz des anderen Teils ins Werk setzen kann. Zum anderen kann aber auch der Umstand eintreten, daß der überlebende Gatte seinerseits um Schutz vor einer letztwilligen Verfügung des Erstversterbenden ersucht – ein in der Lebenswirklichkeit durchaus nicht seltener Fall. Es gilt also, den Schutz des Überlebenden sowohl durch als auch vor dem Erblasser zu diskutieren. Dieser Schutz wird im Rahmen dieser Studie in zwei Ausrichtungen untersucht. Einmal geht es um den Schutz des Überlebenden im Privatbereich. Hier gilt es, personale Rechte des überlebenden Gatten auf der einen und dessen Vermögensinteressen auf der anderen Seite zu schützen. Dies wird im ersten Teil dieser Studie in Angriff genommen werden. Sodann muß der Schutz des Ehegatten thematisiert werden, wenn der Verstorbene als Unternehmer Verantwortung getragen hat. Die hier zu vergegenwärtigenden Probleme und lebenstypischen Schwierigkeiten sind derart vielschichtig, daß eine Eingrenzung der Thematik auf die Versorgung des überlebenden Teils erforderlich wurde. Dies wird Gegenstand des zweiten Teils dieser Arbeit sein. Bevor der Schutz des Überlebenden diskutiert wird, muß vorab ein kurzer Blick auf die rechtstheoretische Grundlegung der Untersuchung geworfen werden. In einer rechtsdogmatischen Arbeit ist es normalerweise unüblich, sich vorweg in einem kurzen Exkurs den theoretischen Grundlagen der dogmatischen Arbeit mit dem Recht zu vergewissern. Dennoch ist dies hier vonnöten. Denn es wird sich zeigen lassen, daß zahlreiche rechtsdogmatische Streitigkeiten um den Ehegattenschutz von Todes wegen sich im Kern

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Grundlegung

auf sehr unterschiedliche Ansichten über den rechten Umgang mit dem Recht zuspitzen lassen. Dabei geht es nicht um die Frage nach der rechten Methodik des Rechts. Vielmehr steht in Rede, sich einen Ausgangspunkt für die den Methodenfragen vorausliegende Thematik zu erarbeiten, wie es um das Rechtliche im Recht bestellt ist. Erst wenn dies geleistet ist, bleibt die Erörterung zahlreicher Einzelfragen nicht in einer eigentümlichen Schwebe (dazu im folgenden § 1). Nun ist der Schutz des überlebenden Teils nicht schon als solcher eine Kategorie des Rechts, sondern zuerst einmal nur ein gemeinhin in der sozialen Realität als erstrebenswert ausgezeichnetes Ziel. Anders ist dies bei der Testierfreiheit. Sie stellt von vornherein eine rechtliche Kategorie dar, die rechtlich begriffen werden will. Das Verhältnis zwischen einem gehörigen Ehegattenschutz nach dem Vorversterben eines der Gatten und der Testierfreiheit kann daher nicht näher diskutiert werden, wenn nicht zuvor der dogmatische Rahmen näher ausgelotet worden ist, in den das Recht die Testierfreiheit einspannt. Steht mithin der Schutz des überlebenden Ehegatten durch und vor Verfügungen von Todes wegen in Rede, ist es unausweichlich, sich vorab des rechtlichen Stellenwerts derjenigen Freiheit zu versichern, auf der letztwillige Verfügungen ruhen, nämlich der Testierfreiheit (dazu im folgenden § 2).

§ 1 Rechtliche Dogmatik als geltungstheoretisch ausgerichtete Dogmatik I. Rechtssystem und Republik Es ist ein Gemeinplatz, daß der rechte Umgang mit dem Recht ein theoretisch vermintes Terrain darstellt. Der überbordende Reichtum der Theorie findet in der auf ihre Entscheidungszwänge verweisenden Praxis und Dogmatik des Rechts keinen ausdrücklichen Anschluß. Das leitende Interpretationsideal der Praxis besteht vielmehr zumeist darin, das Recht auf eine Entscheidung des Gesetzgebers zurückzuführen. Das Gesetz wird mithin aus einer (bei formellen Gesetzen etwa aus einer legislativen) Entscheidung entwickelt und diese wiederum mit der Existenz einer überlegenen Macht – in der Diktion Hobbes: mit auctoritas – verknüpft. Die Konkretisierung des positiven Rechts wird innerhalb dieses positivistischen Modells im wesentlichen geleistet durch eine Beschreibung des positiven Rechts, welches rechtliche Dogmatik dann als Manifestation demokratischer Kompromisse transparent zu machen sucht1. Diese Weise der Gesetzesinterpretation ist 1 Dazu Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 1 II 1; ders., ARSP 2003, 372 (372 f.).

§ 1 Rechtliche Dogmatik als geltungstheoretisch ausgerichtete Dogmatik

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nicht die einzige Manier, mit Gesetzen umzugehen. Der Rechtsanwender kann auch versuchen, das Gesetz nicht bloß auf die legislative auctoritas zurückzuführen. In diesem Fall muß notwendigerweise die Gesetzesinterpretation mit einer Theorie der Gerechtigkeit verknüpft werden. Im Rahmen dieser Untersuchung wird nun versucht, die rechte Interpretation des Gesetzes zumindest ansatzweise mit der kantischen Idee der Republik und damit mit einer prozeduralen Gerechtigkeitstheorie des modernen demokratischen Verfassungsstaates zu verknüpfen. Damit ist viel gewonnen. Denn mit der Anbindung der Gesetzesinterpretation an die Idee der Republik kann es nicht mehr auf die Konkretisierung des Rechts im Sinne einer Beschreibung seiner selbst als Frucht der legislativen auctoritas ankommen. Vielmehr steht die Rekonstruktion des Rechts als ein kohärentes System von Grundsätzen in Rede. Bei einem solchen System kann zumindest die Hoffnung gehegt werden, daß in ihm der vernünftige Gemeinwille der republikanischen Rechtsgemeinschaft selbst aufscheint und daß deshalb der Bürger sich selbst als Autor des Rechts verstehen darf. Im Gedanken einer kohärenten Gesetzesinterpretation sind somit demokratietheoretische Prämissen mit der Methode des Rechts intern miteinander verschränkt2. Das Gesetz muß also – wenn es nicht in der Hobbesschen auctoritas aufgehen soll – als ein kohärentes System von Grundsätzen rekonstruiert werden. Kann es in dieser Weise rekonstruiert werden, wird im folgenden davon die Rede sein, daß das Gesetz statt auf bloße auctoritas auf das Recht zurückgeführt wird3. II. Geltungstheoretische versus konstitutionstheoretische Deutung des Rechts Rechtsdogmatik bleibt demnach um der Allgemeinheit des Rechts willen dazu aufgerufen, die hinter dem Zeichengeflecht des Gesetzes verborgenen Wertungen kohärent zu erklären. Einem kohärenten Rechtssystem ist eine hinreichend komplexe symbolische Struktur inhärent4. Zu einer derartigen symbolischen Struktur zählen auf mittlerem theoretischem Abstraktionsniveau etwa normative Hintergrundtheorien, wie sie beispielsweise von Wie2

Ähnlich spricht Ingeborg Maus davon, daß konzeptionell sich der Stufenbau der Rechtssetzung zwischen Kelsen und Kant dadurch unterscheidet, daß bei Kelsen die Spitze dieses Stufenbaus durch eine logische, bei Kant hingegen durch eine demokratische Prämisse besetzt ist, Maus, Zur Aufklärung der Demokratietheorie, 285 Fn. 116. 3 Die Einzelheiten können hier nicht näher dargelegt werden, pauschal sei hier deshalb verwiesen auf Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 1 II 3, III 1; ders., ARSP 2003, 372 (373 ff., 384 f.). 4 Dies sieht auch die herrschende Wertungsjurisprudenz so, siehe Larenz/Canaris, Methodenlehre, 302 ff.

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Grundlegung

acker als „Sozialmodell“ herausgearbeitet worden sind. Kohärenz bedeutet mithin nichts anderes, als daß über die Vermeidung von Widersprüchen (Konsistenzgebot) hinaus ein konstruktiver, „positiver Zusammenhang“ der Elemente des inneren Systems des Rechts insofern gewahrt sein muß, daß diese als Ganzes sinnvoll und einer rationalen Rechtfertigung im Sinne einer gegenseitigen Stützung und Ergänzung zugänglich gemacht werden können5. Das Material der Kohärenzprüfung sind dabei die anerkannten Vorentscheidungen der Rechtsordnung. Eine derartige kohärente Deutung rechtlicher Vorentscheidungen wird im folgenden als eine „geltungstheoretische“ Erklärung des geltenden Rechts bezeichnet werden. Geltungstheoretisch ausgerichtet mit Recht zu arbeiten bedeutet mithin nichts anderes, als strikt auf Kohärenz und Konsistenz im Recht zu pochen. Gegenüber einem derartigen geltungstheoretischen Ansatz wird die Rückführung des Gesetzes auf die Entscheidung des Gesetzgebers (mithin auf reine auctoritas) eine „konstitutionstheoretische“ Erklärung genannt werden. Mit dieser Begrifflichkeit soll deutlich gemacht werden, daß bei einer konstitutionstheoretischen Deutung des Rechts nicht mehr dessen inneres System primär in Rede steht. Vielmehr wird das Gesetz primär begriffen als Kompromißformular von legislativen Entscheidungsakten. Mit der Präferenz für eine geltungstheoretisch ausgerichtete Rechtsdogmatik soll nicht die Erfahrung verabschiedet werden, daß historische Einsichten wichtig sind, um aus dem Material des Gesetzes ein kohärentes System rechtlicher Wertung zu formen, damit das Gesetz dadurch als Recht ausgewiesen werden kann6. Das Verständnis des Rechts als ein historisch gewordener Normbestand – die Geschichtlichkeit des Rechts – ist oftmals für seine kohärente Deutung unverzichtbar, da sich in dem in der historischen Gemeinschaft tradierten normativen Vokabular häufig etablierte Argumentationsmuster und Deutungsschemata wiederfinden lassen, die die Kohärenz im inneren System des Rechts strukturell fördern können – freilich umgekehrt aufgrund der widerborstigen Kraft der Tradition auch hindern können. Die Zeitlichkeit des Rechts spielt insofern selbstverständlich im Rahmen der Kohärenzprüfung eine genuine Rolle. Eine dem heutigen Tableau normativer Kontexte angemessene Kohärenz in der rechtlichen Wertung wird daher weder die Geschichtlichkeit des Rechts vergessen, noch das Erfahrungspotential missen mögen, welches in historischen Lebenswelten und sprachlichen Lebensformen widerscheint. Freilich gilt dies nur für das historische Umfeld, in dem Gesetze entstanden sind (rechtsgeschichtlicher Aspekt) und in dem sie situieren (rechtsso5 Siehe im weiteren zu einzelnen Theorie einer normativen Kohärenz Goebel, ARSP 2003, 372 (378 f.). 6 Allg. zum Problem siehe aus der Fülle statt vieler nur Lüderssen, Genesis und Geltung, 73 ff., 110 ff. und passim; Dilcher, AcP 184 (1984), 247 ff.

§ 2 Die Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht

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ziologischer Aspekt). In den Gesetzgebungsmaterialien findet sich hingegen geradezu komprimiert ein konstitutionstheoretisches Datum, nämlich legislative auctoritas. Läßt sich mittels des Rekurs auf den Willen des historischen Gesetzgebers das Gesetz daher geltungstheoretisch nicht als Recht erweisen, müssen die Gesetzesmaterialien bei der weiteren Argumentation zwangsläufig außer Acht bleiben. Denn gelingt die geltungstheoretische Deutung des Gesetzes anhand seiner Materialien nicht, wird notgedrungen das Systematische des Rechts und damit dessen Bezug zur Gerechtigkeit verabschiedet. Gesetzesmaterialien haben daher allenfalls eine die kohärente Deutung des Gesetzes unterstützende Funktion. Mit ihrer Hilfe kann jedoch kein Argument gegen eine dogmatische Theorie gewonnen werden, die sich ansonsten als kohärente Erklärung des Gesetzes erweist7.

§ 2 Die Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht I. Vermögen – Tod – Persönlichkeit 1. Erbrecht als Vermögensrecht

Das objektive Erbrecht wird im allgemeinen als funktionales Vermögensrecht, stellenweise auch als funktionales Familienrecht verortet8. Es sei der „letzte Abschnitt des Vermögensrechts, die Fortsetzung der Eigentums-, der Verpflichtungs- und Verfügungsfreiheit des einzelnen über seinen Tod hinaus“9 und beschränke sich in seinen Wirkungen auf den Bereich des privaten Vermögensrechts10. Dieser Standortbestimmung des objektiven Erbrechts entsprechend wird die Testierfreiheit durchweg als eine dem einzelnen gewährte Möglichkeit konzipiert, „für die Zeit nach seinem Tode über sein Vermögen rechtswirksame Bestimmungen treffen zu können“11, und in einen Sachzusammenhang mit der schuldrechtlichen Vertragsfreiheit (§ 305 BGB) und der Freiheit des Eigentums (§ 903 BGB) eingestellt12. Das objektive Erbrecht gilt also weithin als fortgesetztes Eigentum; die Testierfreiheit als fortgesetzte Eigentümerfreiheit. Eine derartige vermögensrechtliche 7 Dazu auch Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 1 III 2, 3; ders., ARSP 2003, 372 (385 f.). 8 Siehe etwa Palandt-Edenhofer, Einl § 1922 Rn. 1; Staud-Otte, Einl §§ 1922 ff. Rn. 1; Soergel-Stein, Einl. zum Erbrecht Rn. 1; MünchKomm-Leipold, Einl. zum Erbrecht Rn. 1; ders., Erbrecht, Rn. 1; Brox, Erbrecht, Rn. 1 f.; Edenhofer, Erbrecht, Rn. 9; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 1 I 1; v. Lübtow, Erbrecht, 1; Schlüter, Erbrecht, Rn. 1; Windel, Modi, 205. 9 Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 1 III. 10 So etwa bei Leipold, Erbrecht, Rn. 1; Brox, Erbrecht, Rn. 1 f. 11 Kipp/Coing, Erbrecht, § 16 I vor 1. 12 Etwa bei Wieacker, Sozialmodell, 9.

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Grundlegung

Deutung des Erbrechts scheidet nicht schlechthin aus; hiergegen sperrt sich schon die historische Genese des Erbrechts selbst13. Gleichwohl wird diese Deutung im Rahmen dieser Untersuchung weitgehend verlassen werden. Denn andernorts konnte gezeigt werden, daß eine vermögensrechtliche oder familiaristische Deutung des Erbrechts dieses geltungstheoretisch nicht als Recht ausweisen kann14. 2. Erbrecht und Todesverarbeitung

Eine geltungstheoretisch einsichtige Deutung des erbrechtlichen Normbestandes gelingt erst, wenn die Testierfreiheit als ein rechtliches Instrument begriffen wird, welches dem einzelnen die Verarbeitung des ihn unausweislich treffenden Todes erleichtern soll. Dies klingt reichlich kryptisch, ja geradezu abenteuerlich. Was mit dieser Verschwisterung des Erbrechts mit dem individuellen Prozeß der Todesverarbeitung gemeint ist, erhellt erst ein kurzer Blick auf den bisherigen Diskurs um das Sterben und den Tod15. Die Verarbeitung des je eigenen Todes wird in der entwickelten Moderne als ein Moment reiner Innerlichkeit und als Ausdruck höchstpersönlicher Entfaltung begriffen. Zum Tode sich verhalten drückt allgemein gesagt mithin nichts anderes aus, als sich zugleich zu sich selbst zu verhalten; „(v)om Tode sprechen bedeutet also immer auch: von sich selbst sprechen“16. Besonders prägnant wird diese Einsicht entfaltet in der Philosophie Heideggers, der in seinem Konzept des „Seins zum Tode“ die Todeserfahrung als Möglichkeit einer Entfaltung des Individuums hin zu einem authentischen Lebensentwurf begriffen hat17. Tod und Authentizität, Todesverarbeitung und personaler Lebensentwurf gehören also je zusammen. Dieser Befund findet in der Art und Weise seine Entsprechung, in der in modernen Gesellschaft mit dem Tod umgegangen wird18. In vormodernen Gesellschaften wurde der Tod durch das durch Religion bereitgestellte Wissen intersubjektiv verstehbar und akzeptierbar gemacht; die Sicht zum Tod wurde ehedem durch ein die ganze Fülle der Erlebnisverarbeitung umspannendes Wissen aufgefangen, die heute in ihrer Totalität kaum mehr nachzuvollziehen ist. In der intersubjektiven Sinnkonstruktion der entwickelten Moderne fehlt hingegen eine plausible gesellschaftsweite symbolische Sinngebung des Todes. Dieser Verlust des gesellschaftlichen symbolischen Orts 13

Dazu näher Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 5 I. Dazu ausführlich Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 3 bis § 8. 15 Dazu und zum folgenden ausführlich Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 9. 16 Theunissen, in: ders., Negative Theologie der Zeit, 197 (201). 17 Dazu ausführlich Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 9 II 3. 18 Dazu ausführlich Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 9 III. 14

§ 2 Die Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht

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des Todes ist Folge der Entwicklung der Gesellschaft hin zur in Subsysteme ausdifferenzierten modernen Gesellschaft. Eine gesellschaftsweite Thematisierung und Verarbeitung der für den einzelnen so überaus problematischen Grundtatsache des Todes würde die ungestörte Reproduktion der Systemimperative empfindlich stören, da eine intersubjektive Sinngebung des Todes durch den Verlust der totalitär-sinngebenden Kraft der Religion ja weggebrochen ist19. Die moderne gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit konstruiert deshalb quasi eine gesellschaftliche Unwirklichkeit des Todes und weist die Aufgabe der Todesverarbeitung den einzelnen Individuen zu, die sie als Moment je personaler Sinngebung erfahren. Darüberhinaus gründet die gesellschaftliche Verabseitigung des Todes in der Moderne auch auf den Prozeß der Modernisierung selbst20. Die Frage nach dem Sinn des Todes wird mehr und mehr als Ausdruck extremer Irrationalität konstruiert. Der Tod und seine Verarbeitung wird damit von vornherein aus dem Horizont des intersubjektiv Kommunizierbaren (und dies ist in der durchrationalisierten Moderne vor allem das Rationale) entfernt und auf diese Weise privatisiert. Die Individualisierung der Todesverarbeitung wurde auch deshalb notwendig, weil ansonsten durch eine zu starke affektive Auseinandersetzung mit dem Tod die gesellschaftlichen Verflechtungsbeziehungen gestört würden; der Tod wurde deshalb mit einem Zivilisationstabu belegt und seine Verarbeitung als Moment reiner Innerlichkeit ausgegeben. All dies ist an anderer Stelle ausführlich dargelegt worden21. Wenn diese Einsichten in die Sprache der Rechtsdogmatik übersetzt wird, bedeutet dies nichts anderes, als daß die Todesverarbeitung als genuine Formung personaler Identität und die Sicht zum Tod selbst als genuiner Ausdruck personaler Identität verstanden werden kann22. Todesverarbeitung hat also etwas mit Persönlichkeitsentfaltung zu tun. In der bisherigen Erbrechtsdogmatik wird der Tod und das Sterben hingegen ausgesperrt. Der Tod wird in dem herkömmlichen dogmatischen Aussagengeflecht als ein rein technischer Einsatzpunkt im Rahmen des intergenerationalen Vermögenstransfers begriffen und damit seiner anthropologischen Bedeutung weitgehend entkleidet. Dieser rechtsdogmatische Befund findet seine Entsprechung in der geschilderten gesellschaftlichen Verdrängung der Todesverarbeitung. Diese einseitige Todesbetrachtung anhand einer Überwindung, Verdrängung und Technisierung des Todes ist mit hohen dogmatischen Kosten verbunden. Denn erst wenn der Tod und das Sterben als ein Phänomen mit nicht bloß anthropologischer Relevanz, sondern mit einem dogmatischen Eigenwert begriffen werden kann, gelingt die Deutung des Normbe19 20 21 22

Dazu Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 9 III 2 a. Dazu Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 9 III 2 b. Siehe Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 9. Dazu Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 9 III 4, § 9 IV.

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Grundlegung

stands des gewillkürten Erbrechts als kohärentes System rechtlicher Wertung23. Damit wird zugleich deutlich, daß es hier nicht darum geht, irgendwelche Philosopheme dem Recht gleichsam von außen überzustülpen – ein Vorhaben, welches einer geltungstheoretisch ausgerichteten Dogmatik ein Unding ist. Denn es ist gerade umgekehrt: Gelingt erst anhand einer Verschwisterung des Todesdiskurs mit dem Erbrechtsdiskurs die kohärente Deutung des erbrechtlichen Normbestands, ist diese Verschwisterung als Grundlage des geltenden Rechts ausgewiesen. 3. Erbrecht als funktionales Persönlichkeitsrecht

Im weiteren wird das Erbrecht nicht mehr primär als ein besonderes Vermögensrecht erfaßt, welches sich der vermögensrechtlichen Probleme annimmt, die beim Tode eines Menschen auftreten. Vielmehr wird das Erbrecht als ein genuines Recht des Todes begriffen und die Testierfreiheit als ein funktionales Persönlichkeitsrecht verortet24; der einzelne kann gleichsam mit rechtsgeschäftlichen Mitteln (der Verfügung von Todes wegen) seinen Tod verarbeiten. An anderer Stelle konnte nachgewiesen werden, daß mit dieser Weichenstellung dem Rechtssubjekt um der Sicherung seiner persönlichen Freiheit willen Instrumente an die Hand gegeben werden, den Prozeß der eigenen Todesverarbeitung auch gegen die Übermacht systemischer Imperative durchsetzen zu können25. Die Interpretation der Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht fußt auf einer genuin geltungstheoretischen Lesart des Erb- und des Personenrechts. Das Erbrecht kann geltungstheoretisch nur dann als Recht und nicht nur als Manifestation einer bloßen auctoritas erwiesen werden, wenn es als funktionales Persönlichkeitsrecht aufgefaßt wird. Dies kann anhand des Rechts der Auslegung letztwilliger Verfügungen und des Rechts ihrer Anfechtung, anhand der Prinzipien formeller und materieller Höchstpersönlichkeit, anhand des Verbots einer obligatorischer Verpflichtung zu einer Verfügung von Todes wegen, anhand eines Wertungsabgleichs mit dem Nachfolgerecht der juristischen Person, mittels einer geltungstheoretisch einsichtigen Einordnung des Instituts der Testamentsvollstreckung sowie schließlich anhand der erforderlichen Schutzkautelen der von Todes wegen Bedachten einschließlich einer Erörterung fideikommißähnlicher Vermögensbindungen gezeigt werden26. Die personrechtlich orientierte Lesart der Testierfreiheit ist beileibe nicht praktisch folgenlos. Es wird sich zeigen, daß im geltenden Recht zahlreiche 23

Dazu Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 10, § 11. Zur Begrifflichkeit „funktionales Persönlichkeitsrecht“ siehe Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 2 II. 25 Dazu Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 9 IV. 26 Dazu Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 11. 24

§ 2 Die Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht

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„Einsatzpunkte“ eines erbrechtlichen Personalismus entdeckt werden können, die die quasi subversive Kraft eines persönlichkeitsrechtlich orientierten Verständnisses der Testierfreiheit belegen – und zwar bis in die harten Bestände des Wirtschaftsrechts, in denen persönlichkeitsrechtliche Wertungen eher selten vermutet werden. Nun scheint gegen die hiesige Vorstellung, die Ausübung der Testierfreiheit sei orientiert am Prozeß der Todesverarbeitung und der damit verbundenen „Ich-Findung“, freilich sprechen, daß es doch als eine sehr idealistische Konzeption anmuten dürfte, etwa einem Unternehmer, der über das Schicksal seines Unternehmens von Todes wegen verfügt, zu unterstellen, dieser verarbeite damit auch sein „Sein zum Tode“27. In der Tat prägen das reale Testierverhalten durchaus ökonomische Notwendigkeiten; es wäre ja absurd anderes zu behaupten. Fraglich ist aber, was aus diesem empirischen Befund für die Dogmatik des geltenden Erbrechts gezogen werden kann. Denn taugt der Zusammenhang von Erbrecht und Eigentum gerade nicht dazu, kohärent und konsistent die anerkannten Wertentscheidungen des gewillkürten Erbrechts zu erklären, kann das eben diesen Zusammenhang widerspiegelnde typische Testierverhalten gerade nicht als Basis für eine sachgerechte rechtsdogmatische Konzeption der Testierfreiheit dienen; dies gelingt nur bei einer Verklammerung von Testierfreiheit und Persönlichkeitsrecht. Zudem ist die gängige Testierpraxis mit dem hiesigen Konzept ohne weiteres verträglich, da niemand dazu gezwungen werden kann, seinen Tod mit rechtsgeschäftlichen Mitteln zu verarbeiten – nur wenn er dies wünscht, stellt das Recht ihm hierzu ein probates Mittel bereit, nämlich die Verfügung von Todes wegen. Nach all dem bleibt es also dabei: Erst wenn die Testierfreiheit als ein Persönlichkeitsrecht begriffen wird, gelingt eine kohärente Deutung des geltenden Rechts. II. Begrifflichkeiten: Gewillkürtes Erbrecht – Personfunktionalität Im weiteren wird des öfteren vom „gewillkürten Erbrecht“ und dessen „Personfunktionalität“ die Rede sein28. Unter der Kategorie „gewillkürtes Erbrecht“ wird der gesamte Komplex derjenigen erbrechtlichen Wertungen verstanden, die sich nicht mit dem gesetzlichen Erbrecht beschäftigen. Der Begriff steht mithin für eine Vielzahl von Normen. Hingegen darf unter „gewillkürtem Erbrecht“ im hiesigen Sinne nicht die Fähigkeit verstanden werden, vererben zu können (statt Rückfall an den Staat oder Herrenlosig27

Dazu auch Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 13 II. Zur Begrifflichkeit siehe auch Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 2 II. 28

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Grundlegung

keit der Güter mit dem Tode des Rechtsinhabers), ebenso nicht die Freiheit, testieren zu dürfen und schließlich auch nicht als Fähigkeit, erben zu können. In der Begrifflichkeit der „Personfunktionalität“ schließlich soll sich die Einsicht wiederfinden, daß das Erbrecht funktional als ein Persönlichkeitsrecht begriffen werden muß.

Erster Teil: Der Schutz des überlebenden Ehegatten im Privatbereich

Kapitel 1

Vorüberlegungen zur Thematik § 3 Im Focus: Schutz personaler Rechte und der Vermögensinteressen Der Schutz des überlebenden Gatten ist ein weites Gebiet. Es wird im Rahmen dieser Studie aus der Perspektive des gewillkürten Erbrechts her focussiert. Anhand des Ehegattenschutzes soll im folgenden dem ganzen Spektrum jener Wertungen nachgegangen werden, die sich dem Recht entbergen lassen, wenn Individualität, Freiheit, Tod und Recht in einem personfunktional verstandenen gewillkürten Erbrecht miteinander verknüpft werden. I. Schutz personaler Rechte Wie schon eingangs ausgeführt, wird der Schutz des überlebenden Ehegatten in zwei Ausrichtungen untersucht. Einmal steht der Schutz der personalen Rechte des überlebenden Teils zur Rede. Hier ist aus personfunktionalem Blickwinkel zum einen wichtig, wie es um die Entfaltung des „Seins zum Tode“ des Überlebenden – also dessen rechtsgeschäftlich geleisteten Todesverarbeitung – bestellt ist. Die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Ehegattentestaments steht einer erneuten Todesverarbeitung des Überlebenden nach dem ersten Todesfall im Wege. Diesbezüglich ist es demnach hochinteressant, inwiefern diese Bindungswirkung geltungstheoretisch als Recht ausgewiesen werden kann. Ist dies geleistet, ist eine Plattform geschaffen, auf der die Instrumentarien entwickelt werden können, um dem Ehegatten eine Lösung von der testamentarischen Bindung zu ermöglichen. Zum anderen muß ausgelotet werden, wie der Schutz der sonstigen personalen Güter des Überlebenden rechtlich inszeniert wird. Hier wird die Sittenwidrigkeit letztwilliger Verfügungen in den Mittelpunkt der Betrachtungen rücken. Es gilt zu prüfen, wie über die Sittenwidrigkeit dem Überlebenden geholfen werden kann, ohne zugleich die im Grundlegungsteil dieser Untersuchung gewonnene Einsicht zu hintertreiben, daß die Testierfreiheit erbrechtlich als eine ungebundene, mit expressiven Momenten durchschossene Freiheit konstituiert werden muß.

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Kap. 1: Vorüberlegungen zur Thematik

II. Schutz der Vermögensinteressen Nachdem all dies ins Werk gesetzt worden ist, kann die Untersuchung auf den Weg einschwenken, ob und inwiefern das Recht die Vermögensinteressen des Überlebenden schützt. Vornehmlich geht es hier um dessen Versorgung. Wenn der erstverstorbenen Gatte ein einzelkaufmännischer Unternehmer oder ein vollhaftendes Mitglied einer Personengesellschaft war, steht etwaig an, wie der Überlebende an den Erträgnissen der Unternehmung auch nach dem Tode des Unternehmers partizipieren kann, ohne mit den Mühen belastet zu werden, selbst für die Prosperität des Unternehmens Sorge tragen zu müssen. Darüberhinaus steht das Problem in Rede, wie bei einem frühzeitigen Tode des Unternehmers die Unternehmensführung weitergegeben werden kann, wenn nachfolgefähige und -willige Abkömmlinge noch nicht in Sicht sind. Hier muß geprüft werden, inwieweit eine Drittbestimmung des künftigen Unternehmers statthaft ist und wie es um die Zulässigkeit der echten Testamentsvollstreckung über ein einzelkaufmännisches Unternehmen oder über eine vollhaftende Personengesellschaftsbeteiligung bestellt ist. Die Schwierigkeiten, welche hier vor allem gesellschaftsund sachenrechtlich zu vergegenwärtigen sind, sind groß. Bevor diese Schwierigkeiten angegangen werden, muß noch zuvor untersucht werden, wie es um die Versorgung des Überlebenden bestellt ist, wenn der Erblasser nicht unternehmerisch engagiert war. Das Augenmerk wird hier vornehmlich darauf gelenkt werden, ob dem von Todes wegen zurückgesetzten Ehegatten Instrumente zur Hand stehen, mit denen er sich gegen seine Zurücksetzung wehren kann, auch ohne daß er die Sittenwidrigkeit der Verfügung reklamieren muß. Schließlich soll nochmals daran erinnert werden, daß mit den folgenden Überlegungen nicht das Ziel verfolgt wird, eine handbuchartige Darstellung der rechtlichen Einzelprobleme zur Hand zu reichen, die dem Ehegatten nach dem Tode des Vorversterbenden ins Haus stehen. Das Erkenntnisinteresse ist vielmehr ein anderes: Es soll anhand von Einzelproblemen des Ehegattenschutzes versucht werden, das hiesige Konzept eines personfunktionalen Erbrechts zu erproben.

Abschnitt 1

Die Sicherung der Testierfreiheit des überlebenden Gatten Kapitel 2

Die Bindungswirkung des Ehegattentestaments § 4 Kritik bisheriger Ansätze I. Einführung und Aufgabe Die Normalgestaltungen von gemeinschaftlichen Ehegattenverfügungen sind durchweg wie folgt gelagert: – erster Fall – gegenseitige Einsetzung der Ehegatten als Vorerben und eines Dritten (meist die gemeinsamen Abkömmlinge oder nahestehende Personen) als Nach- und Ersatzerben, – zweiter Fall – gegenseitige Einsetzung der Gatten als Vollerben und eines Dritten als Ersatzerben und – dritter Fall – Vermächtnis eines Erbschaftsnießbrauchs an den überlebenden Teil mit Vollerbschaft des Dritten1. Bei derartigen Verfügungen tritt für den Überlebenden nach § 2271 II BGB grundsätzlich nach dem ersten Todesfall eine Bindung seiner Testierfreiheit ein: Spätere Verfügungen sind in der Weise unwirksam, daß diese keine Rechtswirkungen hervorrufen, solange die die Bindungswirkung erzeugende Verfügung Bestand hat. Nun konnte eingangs notiert werden, daß das gewillkürte Erbrecht als Ausdruck des Persönlichkeitsrechts des von Todes wegen Verfügenden begriffen werden muß2. Der Grund hierfür wurde in der Einsicht gefunden, daß ansonsten der Normbestand des geltenden Rechts nicht erklärt werden kann – mit durchschlagenden Folgen: Das Gesetz könnte dann nur als Ausdruck einer bloßen auctoritas des Gesetzgebers, nicht jedoch geltungstheoretisch als Recht erscheinen. Vor dem Hintergrund eines derartig personfunktional verstandenen Erbrechts stellt die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Ehegattentestaments prima vista eine zentrale Herausforderung dar. Denn die Ehegatten werden ja in zwei Hinsichten gehindert, einfach so und ohne größere Anstrengungen neu zu 1 Siehe zu diesen gängigen Fallgestaltungen nur MünchKomm-Musielak, § 2269 Rn. 2 ff. 2 Oben § 2 I.

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Kap. 2: Die Bindungswirkung des Ehegattentestaments

testieren: Zu Lebzeiten beider Gatten muß der erneut testierwillige Teil die Mühen eines notariell beurkundeten Widerrufs auf sich nehmen, ansonsten ist seine Zweitverfügung nicht wirksam, § 2271 I BGB. Man kann dies als formelle testamentarische Bindungswirkung bezeichnen. Nach dem Tode des Erstversterbenden ist der überlebende Gatte hingegen an die wechselbezüglichen Verfügungen des gemeinschaftlichen Testaments gebunden, § 2271 II 1 HS 1 BGB. Anders ist dies nach h. M. nur, wenn er das ihm Zugewendete ausschlägt, § 2271 II 1 HS 2 BGB, wenn ihm ein Aufhebungsgrund nach § 2271 II 2 BGB zur Seite steht, wenn an die Stelle des durch Tod weggefallenen (§§ 1923 I, 2160 BGB) korrespektiv Bedachten niemand gem. §§ 2069, 2096, 2190 BGB tritt und auch keine Anwachsung gem. §§ 2094, 2158 BGB erfolgt3. Die durch § 2271 II BGB ins Werk gesetzte Bindung kann man als materielle Bindungswirkung wechselseitiger Verfügungen bezeichnen. Mit Rücksicht auf die mit der materiellen Bindungswirkung verbundenen Einschränkung der Testierfreiheit des überlebenden Teils wird die materielle Bindung im Vordergrund der folgenden Überlegungen stehen. Entsprechend der geltungstheoretischen Grundausrichtung dieser Studie4 geht es im weiteren darum, die materielle testamentarische Bindung – die im folgenden auch durchweg abgekürzt als „Bindung“ bezeichnet oder mit der Diktion „Bindungswirkung“ bedacht wird – kohärent zu deuten, um sie als Recht und nicht als Ausdruck bloßer Macht begreifen zu können. Das gesetzliche Konzept, welches die materielle Bindungswirkung nach § 2271 II BGB ins Werk setzt, wird stellenweise als wenig trittsicher beschrieben5. Und in der Tat wird sich zeigen lassen, daß die bisher zur Deutung der Bindungswirkung vorgelegten Konzepte nicht recht überzeugen. Diese Konzepte versuchen, das Zentralproblem einer jeden Theorie in den Griff zu bekommen, die sich die Erklärung einer Bindung des rechtsgeschäftlichen Willens zum Ziel gesetzt hat. Dieses Zentralproblem besteht darin, in einer Situation, wo eine solide Legitimation einer Willensbindung über die Willensfreiheit des handelnden Subjekts nicht – wie bei der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments – verfügbar zu sein scheint, substitutive Zurechnungsgründe zu finden, die eine dennoch eintretende Willensbindung erklären. Die bisher in Literatur und Rechtsprechung angeführten Zurechnungsgründe reichen von einem Denken in Kategorien des synallagmatischen Vertrages, über äquivalenz- und solidaritätsgeprägte Vorstellungen bis hin zur Erklärung der Bindungswirkung aufgrund in Anspruch genommenen Vertrauens6. Wenn die bisher rechtsdogmatisch in 3 4 5 6

Siehe zu diesen Fällen nur MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 20. Dazu oben § 1 II. So Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266 (1267). Nachweise zu den jeweiligen Ansätzen siehe sogleich unter II.

§ 4 Kritik bisheriger Ansätze

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Literatur und Rechtsprechung noch nicht thematisierte Bindungserklärung mittels einer autonomen sozialen Selbstbindung des wechselbezüglich verfügenden Teils hinzugenommen wird, erhält man auf einer Skala von reiner Autonomie (Selbstbindung) bis reiner Heteronomie (Vertrauen)7 ein ganzes Bündel heterogener Erklärungsversuche, die dennoch – wie noch gezeigt werden wird8 – nicht zur Erklärung des Bindungsphänomens hinreichen. Für das in dieser Untersuchung avisierte Konzept liegt die weitere Aufgabe auf der Hand: Es gilt, die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments geltungstheoretisch dadurch als Recht zu erweisen, daß der geltende Normbestand des gemeinschaftlichen Testaments systematisch-kohärent interpretiert wird9. Dies bedingt notwendigerweise einen Blick auf die bisher vorgelegten Bindungsdeutungen. Dieser Blick und die aus ihm folgenden weiteren Überlegungen werden trotz des geltungstheoretischen Erfordernisses, das Gesetz zum Recht gelingen zu lassen, mancherorts dennoch wohl als zu weitgehend empfunden werden. Überlegungen zum Grund testamentarischer Bindung haben aber nicht „bloß“ einen geltungstheoretischen Hintergrund, sondern besitzen auch einen eminent praktischen Stellenwert. Denn falls der rechtfertigende Grund einer Willensbindung nicht gekannt wird, „kann man über die Voraussetzungen ihrer Auflösung nur rätseln“10. Dies wird vor allem in der Diskussion über die Gründe deutlich werden, die es dem überlebenden Teil ermöglichen, sich von der Bindung zu lösen11. II. Bisherige Deutungen der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Ehegattentestaments 1. Bindung kraft Vertragsähnlichkeit

Im Grundsatz ist man sich gegenwärtig einig, daß Korrespektivität nicht in Parallelen zu einem synallagmatischen Austauschvertrag erklärt und das gemeinschaftliche Testament daher nicht an den Gedanken eines nutzenegoistischen do ut des angelehnt werden kann. Ein derartiges Denken in Kategorien des synallagmatischen Vertrages wird heute12 zumeist13 – abgesehen 7 Das Begriffspaar Autonomie und Heteronomie wird hier analytisch verwendet. Zur Schwierigkeit, auch heute noch von Autonomie zu sprechen, siehe Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 10 IV 2, 3 b, V 3. 8 Sogleich unter § 4 II. 9 Siehe zum geltungstheoretischen Ausgangspunkt rechtsdogmatischer Überlegungen, das Gesetz kohärent zu deuten, um es damit als Frucht der gemeinsamen Autorenschaft der Bürger in der kantisch verstandenen Republik begreifen zu können, oben § 1 II. 10 Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266 (1278). 11 Dazu unten §§ 7 ff.

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Kap. 2: Die Bindungswirkung des Ehegattentestaments

von einigen Anklängen in der Rechtsprechung14 – abgelehnt15. Der Grund hierfür wird in dem normativen Leitbild gesehen, welches dem Vertrag zugeschrieben wird: Die Kategorie des Vertrags soll für die rechtsgeschäftliche Verbindung zweier Parteien reserviert bleiben, die ihren je wohl definierten Eigennutz am Markt verfolgen. Eine derartige Eigennützigkeit sei dem gemeinschaftlichen Testament mit seinen subtileren, weil in der personalen Gemeinschaftlichkeit der Beteiligten gründenden Zielsetzungen nicht angemessen, da regelmäßig die Parteien nicht durch einen durch Verhandlungen erzielten und im Wege des do ut des verwirklichten Interessenausgleich zu ihren letztwilligen Verfügungen motiviert würden16. Letztlich schimmert bei der rigorosen Ablehnung eines vertragsrechtlichen Denkens im Recht des gemeinschaftlichen Testaments demnach nichts anderes durch als die tradierte Dichotomie von Markt und Familie17. Überzeugt diese rigorose Ablehnung? Nun eignet sich in der Tat das Leitmotiv und das Rollenverständnis eines homo oeconomicus der vermögensrechtlichen Vertragslehren nicht dafür, die durch das gemeinschaftliche Ehegattentestament hindurchschimmernden Aspekte der Gattensolida12

Zu den Anklängen an Vertragselemente im gemeinschaftlichen Testament im Rahmen der Beratungen des Erbrechts vgl. Protokolle, Mugdan V, 725 f. 13 Deutliche Näherung an Vorstellungen des synallagmatischen Vertrages aber bei Jakobs, Festschrift für Bosch, 447 (455 f.); in Anklängen auch bei Palandt-Edenhofer, § 2271 Rn. 14 aE; sowie bei Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 16 V 2 b Fn. 89. Vgl. auch Kress, AllgSchuldR, 58 Fn. 55. 14 Auf Gegenseitigkeitsvorstellungen rekurriert bsp. RGZ 116, 148 (150); BGH RPfl 1981, 282; BayObLG RPfl 1985, 240; KG JFG 22, 106 (111). Der Gedanke des do ut des schimmert auch dann durch, wenn die Vermögenslosigkeit des anderen Teils zum Anlaß genommen wird, die Wechselbezüglichkeit eingehend zu prüfen, so vgl. nur RG DR 1940, 723 (724); BayOlG FamRZ 1984, 1154 (1155); FamRZ 1986, 393 (394); Rpfl 1981, 282; OLG Saarbrücken, NJW 1990, 1285 (1286); OLG Köln, Fa, RZ 1993, 1371 (1372). Ein derartiger Nexus ist jedoch nicht immer zu finden, vgl. nur KGJ 42, 119 (122 f.); OLG Kiel, HEZ 2, 329 (331). Ein Denken in vertragsrechtlichen Kategorien zeichnet sich bei der Rechtsprechung bsp. auch bei der Frage ab, unter welchen Voraussetzungen der überlebende Ehegatte neu testieren kann, wenn er sich wiederverheiratet und eine Wiederverheiratungsklausel nach der Einheitslösung vorgelegen hatte, vgl. dazu Buchholz, Wiederverheiratungsklausel, 69, 81, 86 ff.; und OLG Hamm. JR 1987, 376 (377); FamRZ 1995, 250 (251), wo explizit von einem Gegenseitigkeitsverhältnis der Erbeinsetzung die Rede ist. 15 Vgl. nur Battes, Vermögensordnung, 112 f., 225 f.; Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266 (1267); Tiedtke, FamRZ 1991, 1259 (1264); vgl. auch Fr. v. Hippel, Formalismus und Rechtsdogmatik, 136. 16 Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266 (1267). 17 Dem Studium dieser und anderer Dichotomien haben sich vor allem die Protagonisten des Critical Legal Studies Movement gewidmet. Siehe hinsichtlich des Paars Markt/Familie nur Frances E. Olsen, Harvard Law Review 96 (1983), 1497 ff.

§ 4 Kritik bisheriger Ansätze

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rität18 sowie der personal-affektiven Verbundenheit innerhalb sozialer Primärgruppen hinreichend abzubilden. Ganz gleich, ob Ehe rechtlich als Institution, als interindividuell sich austarierendes Gemeinschaftsverhältnis, als Organisation oder als soziale Verhaltensform19 verstanden wird, ein ökonomisch ausgerichtetes Eheverständnis, bei dem personale Komponenten in das Austausch- und Reservemedium Geld übersetzt werden müssen, ist der bürgerlich-rechtlichen Ehe nicht angemessen. Hierüber dürfte rechtlich (soziologisch mag dies anders sein20) weitgehend Übereinstimmung bestehen. Es fragt sich nur, ob die Metaphorik gerade des Ökonomischen unabweislich angelegt werden muß, wenn es gilt, die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Ehegattentestaments anhand Vorstellungen von „Gegenseitigkeit“ zu erklären. Die ökonomistische Vertragsdeutung abstrahiert zwar von personalen Konnotationen und verbirgt ein Menschenbild, in welchem sämtliche affektiv-emotionalen Momente des sozialen Handelns als irrelevant (als bloße Affektionsinteressen) abgewiesen werden und welches Gegenseitigkeitserwartungen nur innerhalb eines Entgeltnexus stehend akzeptiert21. Das Bild ändert sich jedoch grundlegend, wenn die Perspektive umgestellt und nicht mehr der marktförmige Austausch von in Geld bezifferbaren Leistungen focussiert wird: Nichts spricht dagegen, die herkömmlichen Vertragskategorien zu verlassen und einen neuartigen Entwurf eines gegenseitigen Austauschverhältnisses zu ersinnen, der dem personalen Leitbild der Ehe gerecht wird. Um letzteres zu bewerkstelligen, darf dieser neue Entwurf den normativen Reduktionismus nicht mitmachen, der in den ökonomischen Vertragslehren versteckt ist. Es muß also die Perspektive umgestellt werden: Nicht mehr eine Auffassung über das gemeinschaftliche Testieren im Sinne eines marktförmigen Gegenseitigkeitsverständnisses, welches am generalisierten Austauschmedium Geld orientiert ist und damit von den Bedingungen der Lebenswelt abstrahiert22, steht zur Rede, sondern eine Gegenseitigkeit im Sinne eines zwischen den Ehegatten erfolgenden Austauschs von personalen Faktoren und wirtschaftlichen Leistungen. Wenn 18

Dazu Battes, Vermögensordnung, 226 ff. Vgl. dazu nur Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 3. 20 Selbstverständlich hat der Ökonomismus auch in der Deutung familiaristischer Erscheinungen zumindest in soziologischer Hinsicht Eingang gefunden, siehe nur jüngst Gary Becker, Familie, Gesellschaft und Politik – die ökonomische Perspektive, 1996; sowie allg. Hill/Kopp, Familiensoziologie, 103 ff. 21 Vgl. zu den theoretischen Grundlagen eines ökonomischen Rechtsverständnisses allg. Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, passim; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 29 ff.; Goebel, Zivilprozeßrechtsdogmatik und Verfahrenssoziologie, 309 ff. 22 Vgl. zur Entgegensetzung des am Austauschmedium Geld orientierten Wirtschaftssystems und der Lebenswelt nur Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 2, 229 ff., 275 ff., 521 ff. Zur Kritik dieser Entgegensetzung ist hier kein Raum. 19

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Kap. 2: Die Bindungswirkung des Ehegattentestaments

derartige Konstrukte möglich sind, mit deren Hilfe der geltende Normbestand kohärent gedeutet werden kann – und daß sie möglich sind, wird gezeigt werden23 –, ist in der Anlehnung an die Vertragskategorie ein für das Recht des gemeinschaftlichen Testaments durchaus heuristisches Potential verborgen. Es bleibt festzuhalten, daß die generelle Ablehnung eines vertragsrechtlichen Denkens im Recht des gemeinschaftlichen Testaments durchaus nicht überzeugt. 2. Bindung kraft Äquivalenz und Solidarität

a) Das gemeinschaftliche Testament als Ausdruck fortgesetzten Familienrechts Vor allem Battes hat sich eindringlich gegen eine Parallelisierung zwischen vertraglichem Synallagma und testamentarischer Bindung ausgesprochen. Eine derartige Parallelisierung ginge allein deshalb schon fehl, weil trotz eines deutlichen Zusammenhangs zwischen Bindung und Vermögensvorteil24 eine Bindung auch ohne Vermögenserwerb des Überlebenden vorliegen könne25. Nach Battes müssen weitere Topoi wie Vermögensgemeinschaft, Verwandtschaft und die gemeinsame Errichtung (Form) hinzukommen, die zusammen auf Bindungsgründe hinweisen, die nur im Zusammenhang mit den Lebensverhältnissen der Beteiligten verständlich sind; die Bindung an die letztwillige Verfügung diene letztlich dem Familieninteresse26. Das gemeinschaftliche Testament dürfe danach weder einseitig als eine Art Austauschverhältnis noch als ein reiner Liberalitätsakt betrachtet, sondern müsse als Ausprägung familiärer Solidarität und als Gestaltungsmittel für die Vermögensordnung der Familie verstanden werden. Dieses Nebeneinander vertragsähnlicher Elemente einerseits und außervertraglicher Bindungsgründe andererseits hat Battes dann mit dem Wechselspiel zweier Prinzipien, des Äquivalenz- und des Solidaritätsprinzips27, er23 Es wird gezeigt werden, daß in Anlehnung an die Theorie des sozialen Austauschs von George C. Homans, Peter M. Blau, Alvin Gouldner und Marcel Mauss das Vertragsmodell durchaus für die Erklärung der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments fruchtbar gemacht werden kann, wie dies schon Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, 1981, für die Vertragsdogmatik ins Werk gesetzt hat. 24 Battes, Vermögensordnung, 111 ff. 25 Battes, Vermögensordnung, 114 ff. Dieser Einwand ist freilich schon deshalb nicht ganz gereimt, weil beim Vertrag zugunsten Dritter der Vertragspartner ebenfalls keinen eigenen Vermögensvorteil erwerben muß und gleichwohl vertragliche Bindung vorliegt, worauf gesprächsweise Peter Gottwald hingewiesen hat. 26 Battes, Vermögensordnung, 111 ff., 133 ff., 149 ff., 158 ff., 173 ff., 216 ff. 27 Dazu vgl. auch Müller-Freienfels, Ehe und Recht, 40; Rauscher, Reformfragen, 219 f., 245 ff.

§ 4 Kritik bisheriger Ansätze

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klärt und in ihrer Konkurrenz das eigentliche Regelungs- und Wertungsproblem des gemeinschaftlichen Testaments gesehen28. Die testamentarische Bindung wird somit durch die Notwendigkeit einer Sicherung der Vermögensordnung der Familie im Generationenwechsel erklärt. Battes sagt dies zwar nicht ausdrücklich. Die von Battes bereitgestellten Topoi können jedoch auch als ein objektiv orientiertes, familiaristisches Erklärungsmodell dafür gelesen werden, wie Bindung vom Gesetz generiert wird. b) Kritik Ein derartiges Modell reicht jedoch zur Erklärung der Bindungswirkung nicht hin. Einmal kann Solidarität durchaus als ein Topos verstanden werden, der in eine Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung eingestellt werden kann. Es geht dann auch hier wieder um solidaritätsorientierte, nichtvermögensmäßige Austauschsvorgänge losgelöst von monetären Sinngehalten. Bei Lichte betrachtet ist dies freilich ein eher schwacher Einwand, da er durch geringe Umstellungen in der Battesschen Theorieanlage aufgefangen werden könnte. Gegen die von Battes favorisierte Erklärung der Bindungswirkung mittels der topoi von Äquivalenz und familiarer Solidarität spricht auch nicht der Vorhalt, das Erbrecht würde dann primär nicht als Vermögensrecht, sondern als fortgesetztes Familienrecht begriffen. In dieser Rigidität verfängt der Einwand schon deshalb nicht, weil Battes induktiv sich des Rechtsprechungsmaterials annimmt und hierauf aufbauend seine Theorie entwirft. Battes könnte dann allenfalls entgegengehalten werden, er orientiere sich in seinem induktiven Vorgehen zu sehr an dem lebenden Recht (Eugen Ehrlich) und vernachlässige den kritizistischen Gehalt dogmatischer Systembildung. Könnte mithin anhand Äquivalenz und familiarer Solidarität auch losgelöst von dem induktiven Vorgehen von Battes die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments erklärt werden, liefe der Vorhalt, hier würde das Erbrecht mit dem Familienrecht zu stark verschwistert, ins Leere. Gegen Battes spricht auch nicht, daß er die familienrechtlichen und die vermögensrechtlichen Wertungen nicht ins rechte Verhältnis setzt, wie dies von Rauscher29 angenommen wird. Rauscher versteht seine Kritik vor dem Hintergrund einer von ihm untersuchten Erbrechtsreform und wirft Battes nur vor, Äquivalenz könne de lege ferenda für das gesetzliche Ehegattenerbrecht kein Zurechnungskriterium der Vermögensverteilung post mortem darstellen30. Zur Darstellung der lex lata verhält Rauscher sich jedoch nicht. 28 29 30

Battes, Vermögensordnung, 25, 220 ff., 225 ff. und passim. Rauscher, Reformfragen, 245 ff. Rauscher, Reformfragen, 248.

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Kap. 2: Die Bindungswirkung des Ehegattentestaments

Gewichtiger ist denn auch folgende Überlegung. Bei beispielsweise kinderlosen Ehegatten, welche nicht sich je gegenseitig, sondern nichtverwandte Dritte von Todes wegen gemeinschaftlich in der Weise bedenken, daß die Verfügung des einen nicht ohne die des anderen getroffen wäre31, tritt gem. § 2271 II 1 BGB nach dem Tode des Erstversterbenden die Bindung des überlebenden Teils ein. Diese Bindungswirkung muß Battes unerfindlich bleiben. Damit gelingt es ihm aber nicht, den Gesamtbestand der geltenden rechtlichen Wertungen geltungstheoretisch als Recht zu erweisen, was die Überzeugungskraft eines familiaristischen Erbrechtsdenkens notwendig mindert: Indem Battes nur solche Fallgestaltungen der Kohärenzprüfung zugrundelegt, die von vornherein ein familiares Gepräge aufweisen – mag die Fallauswahl auch vom bisher vorliegenden Fallmaterial der Rechtsprechung geleitet sein –, wird eine familiaristische Deutung der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments durch die Fallauswahl praktisch vorweggenommen. Zwar liegt der Einwand nahe, das soeben gewählte Beispiel verfehle den Sinn einer Theorie, die sich die Erklärung der Bindungswirkung nach § 2271 II BGB zum Ziele setze, weil es sich auf einen randständigen Extremfall kapriziere. Die für den Zuschnitt der Bindungstheorie relevanten Normalfälle lägen nun einmal – erster Fall – in der gegenseitigen Einsetzung der Ehegatten als Vorerben und eines Dritten (meist die gemeinsamen Abkömmlinge) als Nach- und Ersatzerben, in der – zweiter Fall – gegenseitigen Einsetzung der Gatten als Vollerben und eines Dritten als Ersatzerben oder – dritter Fall – in dem Vermächtnis eines Erbschaftsnießbrauchs an den überlebenden Teil mit Vollerbschaft des Dritten32. Überzeugend ist dieser Einwand freilich nicht. Denn der überaus starke Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Erblassers, welcher in dem Verlust einer weiteren Möglichkeit gegeben ist, sein „Sein zum Tode“33 nach dem Tod des Erstversterbenden in einem erneuten Prozeß der Todesverarbeitung zu entfalten, muß auch für diejenigen Fallgestaltungen erklärt werden können, die abseits des gängigen und tatsächlich in breiter Linie geübten Verfügungsverhaltens liegen. Sicherlich wird dem überlebenden Teil nicht verwehrt, überhaupt seinen eigenen Tod zu verarbeiten. Ihm wird aber von Rechts wegen (§ 2271 II BGB) vorenthalten, seinen Tod so zu verarbeiten, daß er für die Sozietät wirkmächtig relevant ist – denn wirkmächtig relevant ist die Todesverarbeitung, wenn ihr Ergebnis der Sozietät mit der Kraft des Rechts als Testament entgegengehalten werden kann34. Nun 31

Dieses Beispiel verdanke ich einem Hinweis von Peter Gottwald. Siehe zu diesen gängigen Fallgestaltungen nur MünchKomm-Musielak, § 2269 Rn. 2 ff. 33 Dazu oben § 2 I 2 und Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 9 II 3. 32

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dürfte die üblicherweise an den Tag gelegte Todesverarbeitung der Gatten (also etwa die Fallgestaltungen, denen sich Battes induktiv angenommen hat: gegenseitige Bedenkung der Gatten und endbedachter gemeinsamer Abkömmlinge)35 durchaus funktional auf die Perpetuierung der Institution Familie gerichtet sein. Die landläufigen Ehegattenverfügungen unterstützen damit durchaus einen der zentralen Orte der Sozialisation und des Prozesses der Vergesellschaftung des Menschen und gewähren damit der gesellschaftlichen Reproduktion einen rundweg hilfreichen Beitrag36. Wenn dem aber so ist und falls mithin die Theorie der Bindungswirkung gemeinschaftlicher Testamente sich allein auf das gebräuchliche Verfügungsverhalten gemeinschaftlich verfügender Ehegatten stützt und ein abweichendes Verfügungsverhalten als für die Erklärungsreichweite erbrechtlicher Dogmatik irrelevant abweist, ordnet sich die Bindungstheorie in genau jene, oben37 schon beschriebene Phalanx ein, die die je individuelle Todesverarbeitung gesellschaftlich verdrängt und möglichst so ablaufen sehen möchte, daß die gesellschaftliche Reproduktion sich störungsfrei (etwa: familienfreundlich) entfalten kann. Mit anderen, durchaus etwas pointierten und überzogenen Worten: Die Auffassung von Battes würde dazu führen, daß der mit der 34

Dazu oben § 2 I 2 und Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 9

IV 2. 35 Siehe zu den gewöhnlich in gemeinschaftlichen Testamenten getroffenen Verfügungen die rechtstatsächlichen Überlegungen bei Guericke, Rechtstatsächliche Untersuchungen, 1994. 36 Der funktionale Beitrag der Familie für die gesellschaftliche Produktion und Reproduktion wird in der soziologischen Theorie durchaus zwiespältig beurteilt. Gerade aus systemtheoretischer Sicht wird bestritten, daß das Sozialsystem „Familie“ noch irgendeinen funktionalen Beitrag für die Gesellschaft leistet außer den, einen Ort bereitzustellen, an dem die gesamte Person thematisiert werden kann, siehe Luhmann, in: ders., Soziologische Aufklärung, Bd. 5, 196 (198 f.). Demgegenüber anerkennt die struktur-funktionale Systemtheorie in der Tradition Talcott Parsons (dazu den Überblick bei Hill/Kopp, Familiensoziologie, 67 ff.) weiterhin wichtige funktionale Leistungen der Familie für die Reproduktion der Gesellschaft (sexuelle Gratifikation, Reproduktion, Sozialisation und arbeitsteilige ökonomische Kooperation, emotionaler Spannungsausgleich). In dieser Traditionslinie soziologischer Theorie gewinnt dann auch das Diktum der Familie als der „Keimzelle“ einer jeden Gesellschaft überhaupt erst Sinn. Die funktionale Bedeutung der Familie für die gesellschaftliche Reproduktion mag dabei mehr und mehr geschwächt sein (dazu nur Hill/Kopp, ebda., 75 f.), ganz entfallen sein dürfte sie nicht (dazu nur Hill/Kopp, ebda., 44 ff., 233 ff., 243 ff.). Die Rede von der Familie als „Keimzelle“ der Gesellschaft muß aber um so genauer erklären, was damit eigentlich gemeint ist, als das Erklärungsparadigma der struktur-funktionalen Systemtheorie mittlerweile an Überzeugungskraft eingebüßt hat. Siehe ansonsten zur Kritik an Luhmann nur jüngst Hill, in: Busch/Nauck/Nave-Herz (Hrsg.), Aktuelle Forschungsfelder der Familienwissenschaft, 33 ff.; empirische Forschungsergebnisse zur Bedeutung der Ehe heute bei Klein, in: Busch/Nauck/Nave-Herz (Hrsg.), ebda., 103 ff. 37 Oben § 2 I 2 und Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 9 III.

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Todesverarbeitung verbundene befreiende Schlag gegen die gesellschaftliche Überwältigung der Rechtsperson durch eben diese nicht geführt werden kann – und dies gerade in der Situation, in der der Überlebende seinen Gatten verloren hat und ihm damit die spürbare Übermacht des je eigenen Todes drastisch im Spiegel des Todes des je anderen vor Augen geführt worden ist38. Gerade in dieser Situation würde die Rechtsperson an einer erneuten Todesverarbeitung nach dem Tode des Erstversterbenden gesetzlich gehindert, ohne daß dem eine kohärente Deutung des Rechts zugrundeläge; Battes kann die Bindung solcher Ehegatten ja nicht erklären, welche in der Form des gemeinschaftlichen Testaments familienneutral oder familienfeindlich (aber durchaus ehegattenfreundlich) korrespektiv testieren. Wäre freilich eine derartige kohärente Deutung ins Werk gesetzt, wäre die Verweigerung einer erneuten Todesverarbeitung nicht auf die Übermacht systemischer Imperative, sondern auf die gemeinsame Autorenschaft der Bürger und mithin auf das Recht zurückgeführt. Die Theorie testamentarischer Bindung muß sich mithin gerade in den Fallgestaltungen bewähren, die abseits vom „Mainstream“ des tatsächlichen Verfügungsverhaltens liegen. Doch selbst wenn der soeben vorgestellte, an dem Verhältnis zwischen den gesellschaftlichen Subsystemen und der je individuellen Todesverarbeitung ausgerichtete Einwand gegen Battes nicht überzeugt, reicht seine Theorie dennoch zur Erklärung der Bindungswirkung nicht hin. Denn falls die Theorie testamentarischer Bindung nur an den üblichen und standardisierten Fallgestaltungen des gemeinschaftlichen Verfügens von Ehegatten interessiert ist, richtet sie notwendigerweise ihr Erklärungsprogramm auch nur an üblichen und standardisierten Formen der Todesverarbeitung aus. Die Todesverarbeitung qua Testament ist aber Signum der persönlichkeitsrechtlich geschützten personalen Entfaltung des Testierenden39. Wird aber die Todesverarbeitung nur standardisiert erfaßt, wird auch die Handhabung des Persönlichkeitsrechts durch den Testierenden gleichfalls nur vereinheitlicht der dogmatischen Theorie zugrundegelegt. Damit wird aber der Sinn des Persönlichkeitsrechts von vornherein verfehlt, gerade auch einer ungezügelten Expressivität, der in der Todesverarbeitung widerscheinenden Ästhetisierung des eigenen Lebensentwurfs, eigenwilligen Inszenierungen des Selbst und nicht zuletzt Formen unverständlicher „Spinnerei“ einen rechtlich genuin geschützten Ort zu geben40. In anderen Worten: Der Erklärungsgehalt der Battesschen Deutung testamentarischer Bindung würde um so geringer, je stärker der Testierende seine Persönlichkeit rechtsgeschäftlich im Testieren aus38 Siehe zur möglichen Umformung der Realitätssicht nach dem Tode des Lebenspartners Shamgar-Handelman, in: Nave-Herz/Markefka (Hrsg.), Handbuch der Familien- und Jugendforschung, Bd. 1, 423 (429 f.). 39 Dazu Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 11 VII. 40 Dazu Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 10 V 3.

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prägen würde. Aus Sicht eines personfunktionalen Erbrechtsdenkens wäre mithin der Einwand erkennbar zirkulär, die Theorie testamentarischer Bindung dürfe sich nicht an Extremfällen, sondern müsse sich an dem herkömmlichen Verfügungsverhalten orientieren. Es ist ja gerade Sinn des Persönlichkeitsrechts, dem Dogmatiker die Instrumente aus der Hand zu schlagen, die es ermöglichen, von vornherein ein Verhalten als „Extremverhalten“ bewerten zu können. Gerade durch die Einordnung dessen, was als Extrem- und was als Normalfall im gemeinschaftlichen Verfügen angesehen wird, würde mithin schon vorentschieden, welche Richtung die Theorie testamentarischer Bindung – nämlich die eines familiaristisch verstandenen Erbrechts – einschlagen wird. Nach alldem kann der Ansatz von Battes nicht sämtliche Fallgestaltungen erklären, in denen der Überlebenden in seinem Testierverhalten von Rechts wegen gem. § 2271 II BGB gebunden ist. Geltungstheoretisch müssen mithin andere Erklärungen gesucht werden. 3. Bindung kraft Vertrauen

a) Ausgangsproblematik Sehr häufig41 wird der Sinn der §§ 2270 f. BGB im Schutz des Vertrauens des Erstversterbenden in die Beständigkeit des gemeinsam letztwillig Verfügten gesehen: Der Überlebende soll nicht die Vorteile aus der letztwilligen Verfügung ziehen, ohne zu Lebzeiten beider Gatten das gemeinschaftlich Verfügte zu widerrufen. Denn widerruft er zu Lebzeiten, habe er ja die Vorstellungen des anderen Teils hinsichtlich der sachgerechten Vermögensordnung post mortem entwertet und soll dann auch die Nachteile dieser Entwertung (nämlich Streit in und möglicherweise Abbruch der Beziehung) tragen. Anders als bei einfachen einseitigen Verfügungen von Todes wegen, denen abgesprochen wird, einen Vertrauenstatbestand beim Bedachten zu begründen42, soll ein korrespektives Verfügen mithin ein schutzwürdiges Vertrauen begründen, welches ein funktionales Äquivalent zur Bindung kraft gemeinsamen Geschäftswillen im Vertrag43 darstellen würde; zugleich würde ein Beitrag geleistet, die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Ehegattentestaments mit der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre in Bezie41 Vgl. schon KG JFG 10, 67 (70); KG JFG 17, 44 (47); KG JW 1938, 179 (180); BGHZ 9, 233 (236); BGHZ 30, 261 (265); sowie nur Staud-Kanzleiter, § 2270 Rn. 7; MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 1; Soergel-Manfred Wolf, § 2271 Rn. 1; von Lübtow, Erbrecht, Bd. 1, 497; Kipp/Coing, Erbrecht, § 35 III; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 24 V 1; Lüderitz, Auslegung, 102; Kegel, FS Jahrreiß, 143 (153); Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266 (1267); Ritter, Konflikt, 79; Buchholz, Erbfolge, 88; ders., RPfleger 1990, 45 (49); Bühler, DNotZ 1962, 359 (362 f.); Dilcher, JuS 1961, 20 (22). 42 Vgl. v. Craushaar, Einfluß des Vertrauens, 37, 50.

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hung zu setzen44. Nun ist es durchaus einleuchtend, daß gerade enge Sozialbeziehungen auf ein starkes Vertrauendürfen angewiesen sind45 und daß dieses anhand der §§ 2270 f. BGB auch normativ gegen Enttäuschungen gesichert sein soll. Dennoch ist die vertrauensgestützte Erklärung der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments letztlich in der Pauschalität unbefriedigend, in der mit dem topoi „Vertrauen“ gearbeitet wird. Zwar liegt dies nicht daran, daß auf den Vertrauensschutz-Topos scheinbar nur aufgrund eines vermeintlichen Zwangs gebaut worden ist, den Befund einer testamentarischen Bindung gem. § 2271 BGB mit dem römisch-rechtlichen Dogma von der absoluten Widerruflichkeit des Testaments in Einklang zu bringen46. Derartige konstitutionstheoretisch47 ausgerichtete Einsichten in die Genese dogmatischer Erklärungsansätze sind geltungstheoretisch unbeachtlich, solange mit der jeweiligen dogmatischen Erklärung der Bestand geltender Normen nicht kohärent gedeutet werden kann. Vielmehr muß der „Vertrauens-Ansatz“ deshalb kritisiert werden, weil er die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments nur sehr ungenau erklären kann. Vertrauenstheoretische Bindungsdeutungen sind mithin – dies wird im weiteren nachgewiesen – zu unklar, als daß sie den geltenden Normbestand kohärent erklären können. b) Vertrauen als Blankettbegriff aa) Allgemeines Vertrauen wird von den Vertretern der vertrauenstheoretischen Bindungsbegründung unspezifisch gefaßt. Vertrauen allein als Alltagsbegriff mit vagem Zeichenwert, dessen Bedeutung zwar jeder „irgendwie“ zu verstehen 43

Vgl. zur Bindung kraft autonomer Selbstbestimmung und heteronomen Vertrauens nur Singer, Widersprüchliches Verhalten, 79 f., auf der Basis eines willenstheoretischen Rechtsgeschäftsansatzes. 44 Teilweise wird innerhalb der vertragstheoretischen Rechtsgeschäftslehren die Bindung an die Obligation ja auf Vertrauen, bzw. auf Verkehrsschutz i. S. der allgemeinen Ordnungsaufgabe des Rechts überhaupt zurückgeführt, vgl. nur Bydlinski, Privatautonomie, 67 ff., 136; Radbruch, Rechtsphilosophie, 245; Larenz, Methode, 485; Bassenge, Versprechen; Comes, Rechtsfreie Raum, 47 f.; v. Craushaar, Vertrauen, 36 ff., 51 ff., 58 ff., 62 ff. Vgl. dazu auch Jürgen Schmidt, Vertragsfreiheit, 88 f.; Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen, 169 ff. 45 Vgl. allg. nur v. Craushaar, Vertrauen, 16, 18. 46 So aber die Kritik von Battes, Vermögensordnung, 258 f., an einer Gründung der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments allein auf dem topos „Vertrauen“. 47 Zur Unterscheidung zwischen konstitutionstheoretisch und geltungstheoretisch orientierter Dogmatik siehe oben § 1 II, sowie Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 1 III.

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meint, aber letztendlich doch nicht zu definieren vermag48, eignet sich jedoch ohne nähere Präzisierung nicht als Baustein einer dogmatischen Theorie, die sich die Erklärung eines so ungewöhnlichen Phänomens, wie die einer Bindung qua gemeinschaftlichen Testierens, zum Ziel gesetzt hat. Vertrauen bedarf daher als ubiquitäres psychologisches, soziales und juristisches Phänomen in rechtsdogmatischen Zusammenhängen ersichtlich der rechtstechnischen Präzisierung, wie sie etwa im Bereich des Vermögensrechts durch Kriterien wie Vertrauensinvestition, Schutzwürdigkeit des Vertrauens und Zurechenbarkeit mehr oder weniger49 geleistet wird. Nun bezweckt Vertrauen allgemein nicht, daß jemand ein bestimmtes Verhalten an den Tag legt, sondern ist darauf gerichtet, normative Erwartungen hinsichtlich des Eintritts oder des Nichteintritts eines Umstands zu stabilisieren50. Die Vertreter der vertrauenstheoretischen Bindungslehre beziehen das geschützte Vertrauen zumeist auf die Erwartung, daß nach dem ersten Erbfall der Überlebende aufgrund der wechselbezüglichen Verfügungen nicht ohne zwingenden Grund neu testiert51. Vertraut wird wegen des Vertrauenstatbestands der wechselbezüglichen Testierung somit auf die Verhaltenskonsistenz des anderen Gatten zum Schutz der Perpetuierung der Ordnungsvorstellungen des Erstversterbenden. Ob dieses Vertrauen auch schutzwürdig ist, wird jedoch herkömmlich durchweg nicht überzeugend erläutert, was an mehreren Beispielen verdeutlicht werden kann. bb) Normativierung des Vertrauens? So wird nicht deutlich, ob Vertrauen empirisch oder auch normativiert verstanden werden muß. Wenn Vertrauen empirisch verstanden werden müßte, müßte das konkret vorhandene Vertrauen rechtliche Bindung limitieren. Es wäre dann vor allem nicht verständlich, wieso ein förmlicher Widerruf gem. § 2271 I 1 BGB notwendig ist, wenn in concreto der eine Ehegatte von dem anderen Ehegatten weiß, daß dieser neu testieren will. Wieso sollte er bei dieser kognitiven Lage weiter vertrauen dürfen? Der Verweis auf den Telos der gesetzlichen Form des § 2271 I 1 BGB allein reicht auf jeden Fall hier nicht hin. Sicherlich kann das Verhältnis von Rechtsgeschäft und gesetzlicher Form heute nicht mehr unreflektiert als Einheit eines Formalgeschäfts verstanden werden kann52, und so werden denn auch selbst48

Allg. Köndgen, Selbstbindung, 193. Vertrauen bleibt jedoch selbst bei Vorlage derartiger Kriterien nur wenig greifbar, siehe nur Köndgen, Selbstbindung, 98, 106 ff.; Fikentscher, Schuldrecht, § 103 IV 1. 50 Luhmann, Vertrauen, 35 ff.; ders., Ausdifferenzierung, 111; ders., Rechtssoziologie, 114; ders., Das Recht der Gesellschaft, 131 ff. 51 Vgl. nur KG JFG 17, 47. 49

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verständlich die Zwecke der notariellen Beurkundung des Widerrufs im Übereilungsschutz, in der rechtlichen Beratung sowie in der Beweisfunktion gesehen53. Doch soweit der eine Ehegatte mit Sicherheit beurteilen kann, daß der andere Ehegatte an dem gemeinsam Verfügten nicht mehr festhalten will54, ist für Vertrauen empirisch kein Raum mehr. Der Ehegatte darf wegen der gesetzlich angeordneten Widerrufsform freilich rechtlich noch vertrauen. Dieses Vertrauendürfen verweist dann aber auf eine Normativierung des Vertrauensbegriffs, eben auf ein „Dürfen“. Normativierungen müssen jedoch offengedeckt werden, da man ansonsten mit ihnen nicht arbeiten kann. Genau dies geschieht aber zumeist innerhalb der Dogmatik des § 2271 BGB nicht. Die Notwendigkeit, genaue Zurechnungskriterien für ein normativiert verstandenes Vertrauen zu entwickeln, zeigt ein weiteres Beispiel: Ein bloßer Verweis auf Vertrauen läßt offen, wieso gerade das Vertrauen des erstversterbenden Ehegatten geschützt werden soll und nicht umgekehrt das mögliche Vertrauen des anderen, wechselbezüglich testierenden Ehegatten in den Schutz vor einer Bindung post mortem, von deren Entstehung er möglicherweise nichts ahnt und auch nichts ahnen muß. Mit anderen Worten stellt sich immer die einfache Frage, was es rechtfertigt, das Vertrauen des einen (also das Vertrauen des Erstversterbenden auf die Bindung des anderen Teils) zu schützen und das des anderen (also das Vertrauen des Überlebenden auf einen Schutz vor seiner Bindung) erst einmal zu enttäuschen. Und diese Frage stellt sich auch dann, wenn – wie nach überwiegender Ansicht – dem anderen Ehegatten ein Anfechtungsrecht wegen Inhaltsirrtums gem. § 2078 BGB gegeben wird, wenn er über die Bindungswirkung des Ehegattentestaments geirrt hatte55. Denn bei erfolgter Anfechtung würde ja die korrrespektive Verfügung des Erstversterbenden gem. § 2270 I BGB nichtig, obwohl ein derartiger anfechtungsbedingter Verlust der Bedenkung gemeinhin nur bei einem relevanten Irrtum gerade des letztwillig 52

Zur geschichtlichen Entwicklung vgl. kurz Häsemeyer, Form, 21 ff. Vgl. nur Soergel-Manfred Wolf, § 2271 Rn. 8. 54 Man solle hier nicht einwenden, eine derartige Sicherheit sei nur vorhanden, wenn eine beglaubigte Abschrift der notariellen Beurkundung zugeht. Denn Kontinuität im Erwarten kann faktisch auch durch andere Formen der Interaktion hergestellt werden: Es kommt darauf an, wann Kontinuitätserwartungen vom Kognitiven ins Normative umschlagen, wann der Erwartende also enttäuschungsfest erwartet, vgl. nur Luhmann, Rechtssoziologie, 40 ff. Mit Vertrauensschutz allein kann schließlich in keinem Fall erklärt werden, wieso die Zustellung einer beglaubigten Abschrift von den Gerichten (vgl. nur BGH 31,5 (7); 36, 201 (204); 48, 374 (378), OLG Hamm, NJW-RR 1991, 1480) und einem Teil der Literatur (vgl. nur MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 8) nicht für ausreichend betrachtet wird, vgl. Battes, Vermögensordnung, 121 f. 55 Vgl. nur OLG Hamm, FamRZ 1967, 697, zum Erbvertrag; zudem MünchKomm-Musielak, § 2281 Rn. 9; Soergel-Loritz, § 2078 Rn. 12. 53

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Verfügenden eintritt; nicht dieser, sondern der überlebende Teil hat sich aber in dem skizzierten Beispiel über die Bindungswirkung geirrt. Anders gesagt: Das Vertrauen des Erstversterbenden wird gewöhnlich über das Irrtumsrecht geschützt56. Wer auch der ungewollten oder „fahrlässigen“ Veranlassung von Vertrauen durch den anderen Ehegatten eine Bindungswirkung entnehmen möchte, müßte die Bindungsintensität danach abstufen, wie leicht dem wechselbezüglich Testierenden die Verhinderung des Vertrauens des einen Ehegatten möglich und zumutbar war57. Es würde folglich unvermeidlich, konkrete Zurechnungskriterien aufzuweisen: Es müßte geklärt werden, ob Vertrauen immer schutzwürdig und damit ohne Rücksicht auf konkurrierende Interessen geschützt ist oder ob das durch § 2271 II BGB geschützte Vertrauen abwägungsoffen sich mit anderen Interessen auseinandersetzen muß. Auch ein weiteres Beispiel weckt Zweifel an einer unspezifisch gefaßten vertrauenstheoretischen Grundlegung des § 2271 II BGB. So bleibt der Überlebende auch dann an das gemeinschaftliche Testament gebunden, wenn der Erstversterbende ohne förmlichen Widerruf iS § 2271 I 1 HS 1 BGB zu Lebzeiten beider Gatten für den anderen erkennbar neu testiert hatte58 und dadurch zu erkennen gibt, daß die gemeinsam ersonnene Vermögensordnung post mortem für ihn nunmehr ohne Wert ist. Ein Schutz des Vertrauens in die Beständigkeit dieser von dem Erstversterbenden nicht mehr konsentierten Vermögensordnung ist hier nicht mehr einsichtig. Gegen diese Überlegung könnte freilich eingewandt werden, daß hier der Erstversterbende sich in einen unter Vertrauensaspekten relevanten Widerspruch zu seinen eigenen Absichten begebe59, wenn er a) die gemeinsame Verfügung nicht förmlich widerrufe und b) die darin ausgeführte Vermögensordnung dennoch ablehne. Nun ist anerkannt, daß bloßes widersprüchliches Verhalten für sich allein nicht genügt, um irgendwelche Folgen auszulösen60. Die 56

Zum Telos des erbrechtlichen Anfechtungsrechts siehe oben § 11 II 2. Vgl. zum ähnlichen Problem im Vertragsrecht nur Bydlinski, Privatautonomie, 110, 124. 58 Die Fälle nachträglich einseitiger Korrespektivität (dazu Buchholz, Rpfleger 1990, 45 (46 ff.)) können hier ohne Schaden ausgeklammert werden. 59 Hauptgrund und theoretische Legitimation des Verbots des venire contra factum proprium ist nach h. M. in Rechtsprechung und Literatur der Vertrauensschutz. Vgl. nur BGHZ 32, 273 (279); 44, 367 (371); 47, 184 (189); 84, 280 (284); vgl. aber auch BGHZ 50, 191 (196); aus der Literatur vgl. nur Wieacker, Präzisierung, 28; Canaris, Vertrauenshaftung, 270 f., 287 ff., 372 ff.; Dette, venire, 45 ff.; Köhler, Unmöglichkeit, 146; Singer, Widersprüchliches Verhalten, 77 ff.; Soergel-Teichmann, § 242 Rn. 313 ff.; MünchKomm-Roth, § 242 Rn. 289 ff.; Palandt-Heinrichs, § 242 Rn. 55 f. Musielak, FS Kegel, 433 (444), gründet den Vertrauensschutz gem. § 2271 II BGB auf den venire-Gedanken. 60 Vgl. nur Singer, Widersprüchliches Verhalten, 14, 18 f.; Dette, Venire, 38 ff., 45 ff., 95 ff. 57

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Kap. 2: Die Bindungswirkung des Ehegattentestaments

Frage kann deshalb hier nur sein, ob gerade aufgrund der Verbindung von Verhaltensänderung (Neutestierung) und Formmangel (formloser Widerruf der gemeinsamen Verfügung) eine andere Bewertung angezeigt ist. Die Erschwerung des Widerrufs dient jedoch nicht dem gleichen Zweck wie die Bindung des Überlebenden: der Widerrufende soll die Risiken auf sich nehmen, die aufgrund des Widerrufs für seine eheliche Lebensgemeinschaft zu Lebzeiten entstehen; zudem soll der andere Ehegatte die Möglichkeit erhalten, hinsichtlich seiner eigenen Verfügungen neue Entschlüsse zu fassen61. Aus teleologischen Erwägungen spricht daher aufgrund der je verschiedenen Schutzrichtung des § 2271 II 1 HS 1 und 2 BGB nichts für eine weitere Relevanz unspezifizierten Vertrauens. Zudem braucht der formmangelhaft Widerrufende nicht unbedingt die Formbedürftigkeit des Widerrufs zu kennen; bei einer derartigen Unkenntnis ist ein beachtlicher Widerspruch im Verhalten des Widerrufenden schlechterdings nicht erkennbar. Der Formmangel ändert damit nichts an der mangelnden Schutzwürdigkeit des Vertrauens und kann nicht normativ einen Vertrauenstatbestand perpetuieren. Es bleibt also dabei: Wo sind die normativen Zurechnungsgründe für Vertrauen? Bleiben diese unerklärlich, wird § 2271 II BGB allein auf legislative auctoritas zurückgeführt und kann sich geltungstheoretisch nicht als Recht erweisen. cc) Der Bezugspunkt von Vertrauen Schließlich muß der Bezugspunkt von Vertrauen und damit die Rechtsbeziehung geklärt sein, deren hinreichende Anscheinswirkung nach allgemeiner Anerkennung durch einen Vertrauenstatbestand repräsentiert wird62. Zu enträtseln wäre somit, ob sich Vertrauen objektbezogen auf die Perpetuierung der familiären Vermögensordnung post mortem oder – wie zumeist angenommen wird – handlungsbezogen auf die Bindung der Testierfreiheit des Überlebenden, mithin also auf die Entscheidungsstabilität des anderen Ehegatten bezieht. Anhand eines Beispiels kann diese Frage erläutert werden: Es ist strittig, ob es für § 2271 II 1 HS 2 BGB ausreicht, wenn nicht dem Ehegatten, sondern einem Dritten etwas zugewendet worden ist, und dieser ausschlägt63. Dies wird einmal mit der Begründung verneint, der 61

Vgl. nur Battes, Vermögensordnung, 122, 261; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 24

VI 1. 62

Dazu nur Hübner, Allgemeiner Teil, Rn. 587. Verneinend Staud-Kanzleiter, § 2271 Rn. 40; RGRK-Johannsen, § 2271 Rn. 26; Erman-M. Schmidt, § 2271 Rn. 12; MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 23; v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 1, 506 f.; bejahend Kipp/Coing, Erbrecht, § 35 III 3 b; Soergel-Manfred Wolf, § 2271 Rn. 20; Hellwig, Verträge auf Leistung an Dritte, 648 f.; bei Verwandten oder Nahestehende als bedachte Dritte Battes, Vermögensordnung, 139; Brox, Erbrecht, Rn. 192. 63

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Überlebende bringe kein eigenes Vermögensopfer, was jedoch für einen durchgreifenden Vertrauensschutz hinsichtlich der Beständigkeit der Verfügungen des Überlebenden erforderlich sei. Zudem solle der Überlebende durch § 2271 II 1 HS 2 BGB an dem widersprüchlichen Verhalten64 gehindert werden, die gemeinsame Nachlaßregelung durch Aufhebung seiner eigenen Verfügung unwirksam zu machen, obwohl er durch die Annahme der Erbschaft zu erkennen gegeben hat, daß die gemeinsame Nachlaßregelung für ihn Bestand haben soll; bei der Ausschlagung durch einen Dritten sei ein derartig widersprüchliches Verhalten nicht gegeben, so daß dessen Ausschlagung der durch den Ehegatten nicht gleichwertig sei65. Dem kann unter Vertrauensgesichtspunkten nur bedingt zugestimmt werden: Vertrauen wird dann handlungsbezogen – auf die Ausübung der Testierfreiheit – und nicht objektbezogen auf die Sicherung der gemeinsamen Nachlaßregelung verstanden. Einsichtig ist dies nicht ohne weiteres, da eine Beschränkung der Testierfreiheit nur dann sinnvoll ist, wenn ohne derartige Bindungen die Vorstellung des je Erstversterbenden hinsichtlich der postmortalen Vermögensordnung durchkreuzt wird. Ansonsten ist schlechterdings kein rechtfertigender Grund für die Schutzwürdigkeit eines solchen Vertrauens ersichtlich, das nur auf Freiheitseinschränkung ohne nennenswerte Vorteile, wie bsp. der Entwertung einer Vertrauensdisposition, zielt66. Wenn für den Fall der Ausschlagung durch den Dritten die Ehegatten Vorsorge durch Einsetzung eines Ersatzerben getroffen haben, wird die gemeinsame Nachlaßregelung durch die Ausschlagung des Dritten nicht obsolet; Vertrauen gibt hier daher noch Sinn. Hinsichtlich der Schutzwürdigkeit des Vertrauens müßte somit danach differenziert werden, ob die postmortale Vermögensordnung auch nach Ausschlagung durch den Dritten noch von den Ehegatten im voraus – bsp. durch Einsetzung eines Ersatzerben – geregelt worden ist. Ansonsten könnte Vertrauen nicht schutzwürdig sein und der Überlebende könnte seiner Bindung analog67 § 2271 II 1 HS 2 BGB entledigt werden. Derartige Feinheiten deuten darauf hin, daß der Vertrauenstopos, so wie er bisher der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments als Erklärung unterlegt worden ist, zu undifferenziert ist, um die Teleologie des § 2271 II BGB sachgerecht entschlüsseln zu können.

64 Auf die Verbindung zwischen dem Verbot widersprüchlichen Verhaltens und Vertrauensschutz ist oben schon hingewiesen worden. 65 Musielak, FS Kegel,433 (444 f.); MünchKomm-ders., § 2271 Rn. 23; RGRKJohannsen, § 2271 Rn. 26; Erman-M. Schmidt, § 2271 Rn. 12. 66 Auf diese Konstellation spielt ersichtlich Battes, Vermögensvorteil, 139, an. 67 Vgl. dazu nur Battes, Vermögensordnung, 139.

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dd) Vertrauen, Kenntnis und Umfang des relevanten Vertrauenstatbestands Schließlich setzt Vertrauen auf die Beständigkeit der gemeinsam vorgesehenen Vermögensordnung post mortem, wie jedes geschützte Vertrauen68, Kenntnis des Vertrauenstatbestands voraus, wobei hier noch offen bleiben kann, ob faktische Kenntnis oder Kenntnis bezogen auf einen verständigen Erblasser und damit normativierte, zugerechnete Kenntnis gemeint ist. Der Vertrauenstatbestand ist nun die gemeinschaftliche Errichtung eines Testaments, mit dem zugleich eine bestimmte Vermögensordnung nach dem ersten Todesfall avisiert ist. Die Erblasser müssen demnach die zu perpetuierende Vermögensordnung in ihrer inhaltlichen Ausformung zumindest kennen. Dies ist jedoch nicht ohne weiteres selbstverständlich der Fall. Denn bei der Auslegung gemeinschaftlicher Testamente soll es auf den gemeinsamen Willen beider Ehegatten ankommen, so daß stets zu prüfen ist, ob ein nach dem Verhalten des einen Erblassers mögliche Auslegungsergebnis auch dem Willen des anderen Teils entsprochen hat69. Bei wechselbezüglichen Verfügungen soll es zudem expressis verbis wegen der Verkehrsgerichtetheit der Erklärung und der Schutzbedürftigkeit des einen Ehegatten im Hinblick auf die Erklärung des anderen auf den erkannten und hilfsweise nach den erkennbaren Erklärungssinn analog § 157 BGB ankommen70, während bei nichtwechselbezüglichen Verfügungen nach überwiegender Ansicht71 das reine Willensdogma ohne Analogie zu § 157 BGB durchgeführt werden soll72. Nichtwechselbezügliche Verfügungen des einen 68 Vgl. nur zur Vertrauenshaftung im Vermögensbereich Canaris, Vertrauenshaftung, 507 ff., der als Sonderfall von der Voraussetzung der Kenntnis des Vertrauenstatbestands nur die Sonderfälle des Registerschutzes ausnimmt. 69 BGH NJW 1951, 959 (960); BGHZ 112, 229 (233); BGH NJW 1993, 256; BayObLGZ 1981, 710; BayObLG 1996, 1037; OLG Oldenburg, FamRZ 1998, 1390; FamRZ 1993, 854. 70 Vgl. BGH NJW 1993, 256 (ohne direkten Bezug zur Wechselbezüglichkeit); RGRK-Johannsen, § 2084, Rn. 10; Palandt-Edenhofer, § 2084 Rn. 1 und vor §§ 2265 ff. Rn. 12; Soergel-Loritz, § 2084 Rn. 51; MünchKomm-Leipold, § 2084 Rn. 24, § 2269 Rn. 15; Brox, Erbrecht, Rn. 223; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 413; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 33 III 7 b.; danach differenzierend, ob der Verfügung eine Leistung gegenüber steht Brox, Irrtumsanfechtung, 160 f. Zum § 157 vgl. auch Wolf/Gangel, JuS 1983, 663 (664). Richtigerweise wird dabei allerdings nicht auf einen verständigen Erblasser Bezug genommen, sondern auf das Verständnis des anderen Teils in der konkreten Situation bei Abfassung des gemeinschaftlichen Testaments, siehe Soergel-Loritz, § 2084 Rn. 51. Das BayObLG kleidet dies in die Sentenz, daß eine nach dem Verhalten des einen Gatten mögliche Auslegung auch immer dem Willen des anderen Ehegatten gerecht werden muß, BayObLG, FamRZ 1987, 208 (209). 71 Vgl. nur Soergel-Loritz, § 2084 Rn. 51; MünchKomm-Leipold, § 2084 Rn. 24; Brox, Erbrecht, Rn. 224; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 413.

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Gatten braucht der andere Ehegatte nach überwiegender Ansicht somit nicht in ihrem Inhalt voll erkannt zu haben, obwohl diese auf die Vermögensordnung post mortem durchaus einen bedeutenden Einfluß haben können. Wieso wird dennoch Vertrauen geschützt, obwohl die Voraussetzungen für das kognitive Erfassen des Vertrauenstatbestands nicht voll gegeben sein müssen? Zudem ist Vertrauen beschränkt auf Erbeinsetzungen, Vermächtnisse und Auflagen, § 2270 III BGB, obwohl die anderen möglichen Verfügungen, namentlich die Anordnung der Testamentsvollstreckung durch eine bestimmte Person, die gemeinschaftlich vorgestellte Vermögensordnung empfindlich beeinflussen können. Vertrauenschutz ist daher nicht hinsichtlich der Perpetuierung der Vermögensordnung in ihrer je konkreten Gestalt gegeben, sondern wird auf Erbeinsetzung, Vermächtnis und Auflagen limitiert. Doch warum ist dies so? Es käme mithin gerade darauf an, zu wissen, warum Vertrauen gegenständlich auf Erbeinsetzung, Vermächtnis und Auflage gesetzlich limitiert wird: Was ist das Spezifische dieser zu anderen Gestaltungsfaktoren der postmortalen Vermögensordnung? Auch hier bleibt die bisherige vertrauensttheoretische Gründung der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments im unklaren. c) Vertrauen und Selbstverantwortung Ein Schutz des Vertrauens des Erstversterbenden scheint nun schon allein deshalb erforderlich zu sein, weil dieser wegen seines Todes nicht erneut, der Überlebende aber sehr wohl weiterhin testierfähig ist. Das Problem, warum das Gesetz testamentarische Bindung anordnet, spitzt sich also auf die Erwägung zu, ansonsten würden irreversible Folgen für den vertrauenden erstversterbenden Teil eintreten73. aa) Die Ausgewogenheit der von beiden Gatten geleisteten Investition Ein derartiger Gedanke eines irreversiblen Verlusts beim Erstverstorbenen reicht zur Legitimation der Bindung des Überlebenden jedoch nicht hin. 72 Dazu siehe auch Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 11 II 1. Auch bei einseitigen Verfügungen, die nicht ohne jede Bedeutung für den anderen Ehegatten sind, soll § 157 BGB zur Anwendung kommen nach Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 34 III 7 b; RGRK-Johannsen, § 2084, Rn. 10. 73 Die Irreversibilität der eingetretenen Verhältnisse in Form eines Dispositionsschutzes stellt auch nach den Vertretern eines eng umgrenzten Verbots widersprüchlichen Verhaltens einen hinreichenden Rechtfertigungsgrund für eine Schutzwürdigkeit bloßer Kontinuitätserwartungen dar, vgl. nur Singer, Widersprüchlicher Verhalten, 46, 313 f.; Canaris, Vertrauenshaftung, 510 ff.

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Aus ihm ergibt sich nicht die Schutzwürdigkeit eines auf die Bindung bezogenen Vertrauens. Auch der Überlebende ist ja erst einmal gebunden und kann sich nur ausnahmsweise von der Bindung befreien und damit seine Testierfreiheit wiedererlangen. Das Gesetz sieht demnach auch seine, im gemeinschaftlichen Testament niedergelegte Disposition nach dem ersten Todesfall für irreversibel an. Und kann sich der überlebende Teil von der Bindung lösen, kann er dies grundsätzlich nur um des Preises der Unwirksamkeit der korrespektiven Verfügungen des Erstverstorbenen, § 2270 I BGB. Der Erstversterbende kann zudem für den Fall, daß seine im gemeinschaftlichen Testament enthaltene Verfügung gem. § 2270 I BGB unwirksam wird, durch eine auf diesen Fall bedingte weitere (nunmehr einseitige) letztwillige Verfügung Vorsorge treffen. Im großen und ganzen ist demnach die Irreversibilität der vertrauensbegründenden Investititionsbeiträge bei beiden Gatten regelmäßig parallel geschaltet: Kann sich der Überlebende nicht von seiner testamentarischen Bindung lösen, haben beide Gatten irreversibel investiert; kann sich der Überlebende hingegen lösen, entfällt bei beiden Gatten wegen des § 2270 I BGB die Vertrauensinvestition. Eine Begründung des Vertrauensschutzes anhand der Irreversibilität der Vertrauensdisposition beim erstversterbenden Ehegatten geht folglich fehl. Die zumutbaren Investitionsbeiträge beider Teile sind vielmehr gleich, so daß unter dem Gesichtspunkt des Schutzes erbrachter Investitionen nichts für eine Bindung des Überlebenden gem. § 2271 II BGB spricht. Die sachgerechte Norm, welche die Investition des Erstverstorbenen schütz, ist vielmehr § 2270 I BGB. Die Regelung des § 2270 I BGB, nicht aber § 2271 II BGB ist also Dreh- und Angelpunkt des Dispositionsschutzes des Erstversterbenden. Anders gesagt: Eine Bindung des Überlebenden wäre mit Blick auf die Teleologie des Vertrauensschutzes überschießend (sprich unverhältnismäßig) und kann die Bindung daher geltungstheoretisch nicht überzeugend erklären.

bb) Selbstverantwortlichkeit der Ehegatten als Limitierung eines Vertrauensschutzes Ein gewichtiger Vorhalt, welcher gegen die Argumentation, der Vertrauensschutzgedanke rechtfertige geltungstheoretisch allenfalls § 2270 I BGB, nicht aber § 2271 II BGB, eingewendet werden kann, blieb bisher noch außen vor. Es ist dies der Einwand, bei Lichte betrachtet seien die Dispositionsbeiträge des Erstverstorbenen und des Überlebenden doch nicht ausgewogen, da dieser als Verstorbener ja nicht mehr testieren könne, jener aber sehr wohl; dem Erstverstorbenen wäre mithin die Möglichkeit genommen, sein „Sein zum Tode“ mit Blick auf die neue Situation des Testierens des Überlebenden auszuprägen. Dies scheint ein durchaus berechtigter, ja ge-

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radezu schlagender Einwand zu sein, dem mit größter Sorgfalt begegnet werden muß. Es dürfte nicht verwundern, daß hier nachzuweisen versucht wird, daß der Einwand letztlich fehl geht. Denn mit ihm wird etwas Wichtiges übersehen. Anhand eines Gedankenexperiments kann dies erläutert werden. In diesem Experiment sei einmal ceteris paribus davon ausgegangen, daß die Regelung des § 2271 II BGB bzgl. der Bindung nach dem ersten Todesfall nicht, die des § 2270 I BGB aber sehr wohl bestünde. Es soll also ein Blick auf die Situation des Erstversterbenden geworfen werden, wenn eine testamentarische Bindung des Überlebenden nach dem ersten Todesfall nicht stattfindet. Wie wäre hier die Situation hinsichtlich des Schutzes des erstversterbenden Teils? Diese Situation kann an einem Beispiel plastisch gemacht werden: Die Ehegatten haben ein gemeinschaftliches Testament mit korrespektiven Verfügungen verfaßt. Nach dem Tode des Erstversterbenden testiert der Überlebende neu (ceteris paribus ist dieser ja im Beispiel nicht gebunden); die korrespektive Verfügung des Erstverstorbenen ist dann unwirksam, § 2270 I BGB. Für diesen Fall hätten beide Gatten zu Lebzeiten Vorkehrungen in der Art treffen können, daß eine auf den Fall der Unwirksamkeit der korrespektiven Verfügungen bedingte weitere (nunmehr einseitige) letztwillige Verfügung erklärt wird. Damit wären sämtliche im gemeinschaftlichen Testament gewährten Vertrauensdipositionen, welche das Schicksal des Vermögens post mortem betreffen, auf jeden Fall aufgefangen. Die Frage, ob der erstversterbende Teil in seinem Vertrauen geschützt werden muß, spitzt sich mithin auf die Problematik zu, ob ihm angetragen werden kann und darf, er möge in der beschriebenen Weise für den Fall der Zweitverfügung seines verwitweten Gatten tunlichst Vorsorge treffen; treffe er sie nicht, müsse er auch die Folgen (Entwertung einstmals im gemeinschaftlichen Testament gewährten Vertrauens) eigenverantwortlich tragen. Anders gesagt: Muß die Verantwortung, anhand der o. g. bedingten einseitigen Verfügung sein Vertrauen vor einer Entwertung zu schützen, dem erstversterbenden Ehegatten zugewiesen werden oder kann und muß sie sogar auf den überlebenden Teil abgewälzt werden? Kann die Notwendigkeit einer derartigen „Verantwortungsüberwälzung“ begründet werden, ist § 2271 II BGB anhand des Vertrauensgedankens geltungstheoretisch erklärt; kann sie es nicht, schlägt eine vertrauenstheoretisch ausgerichtete Gründung des § 2271 II BGB geltungstheoretisch fehl. Für eine Überwälzung der „Vorsorgeverantwortlichkeit“ an den Überlebenden scheint auf den ersten Blick zu sprechen, daß der Erstverstorbene ja im Zeitpunkt, in der er für den Fall der Zweitverfügung bedingt einseitig testiert, den Inhalt der Zweitverfügung des anderen Teils nicht kennen kann (im Beispiel verfügt der Überlebende nach dem Tode des Erstversterben-

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den), so daß er sich aber auf diese auch nicht mehr einstellen kann. Dies schadet freilich nicht. Schließlich hätte ja auch zu Lebzeiten beider der andere Teil bei einem wirksamen Widerruf des gemeinschaftlich Verfügten wirksam neu verfügen können, ohne daß der Widerrufsempfänger vom Inhalt der Neuverfügung Kenntnis erhalten müßte. Wenn er neu testieren will, müßte er somit ohne Kenntnis der Neuverfügung des anderen testieren. Gleiches gilt umgekehrt für den Überlebenden. Dieser braucht im Zeitpunkt der Zweitverfügung die bedingt auf diesen Fall (im Beispielsfall ja) erklärte einseitige Verfügung seines erstverstorbenen Gatten nicht zu kennen und muß damit das Risiko eingehen, nicht seinen Interessen gerecht neu zu testieren. Das kognitive Risikopotential ist mithin beim Erstversterbenden und beim Überlebenden gleich. Für eine Überwälzung der Verantwortlichkeit kann auch nicht der Gedanke angefährt werden, diese sei durch die unter Ehegatten geschuldete Solidarität bedingt. Dem Erstverstorbenen ist es zu Lebzeiten doch ein Leichtes, in der beschriebenen Weise bedingt zu testieren; er ist mithin nach hergebrachten Solidaritätskategorien nicht hilfsbedürftig und damit auch nicht schutzwürdig. Schutzwürdigkeit dürfte aber für den Einsatz von Solidarität eine notwendige Bedingung sein. Zudem ist der Solidargedanke viel zu unklar, als daß er eine Verantwortungsüberwälzung legitimieren könnte. Denn warum sollte nicht umgekehrt vom Erstverstorbenen erwartet werden dürfen, er solle um der Solidarität mit seinem Partner willen diesen von einer testamentarischen Bindung durch eigene Vorsorge (nämlich bedingte einseitige Verfügung) entlasten, damit vermeidbarer Schaden (nämlich testamentarische Bindung) von ihm gewendet wird? Auch der vor allem von Battes74 in die Diskussion eingebrachte Gedanke, das gemeinschaftliche Testament müsse als Vermögensordnung der Familie begriffen werden, trägt keine Verantwortungsüberwälzung auf den überlebenden Teil. Denn hat der Erstverstorbene keine Vorsorge für den Fall der Zweitverfügung des Überlebenden getroffen, ist seine korrespektive Verfügung gem. § 2270 I BGB unwirksam. Es tritt dann – eine weitere Verfügung des Erstverstorbenen liegt in diesem Beispiel ja nicht vor – gesetzliche Erbfolge ein. Diese wiederum verstehen die familiaristischen Erbrechtslehren durchweg als Ausdruck des Familiengedankens. Ist dem so, verschlägt es aber aus Sicht des Familienschutzes nicht, daß gesetzliche Erbfolge eintritt. Darüberhinaus wäre ein Verweis auf den Schutz der Familie auch doppelsinnig. Denn oftmals will der Überlebende neu testieren, weil er eine neue Familie gegründet hat. Aus Sicht des erbrechtlichen Familiarismus käme es dann zu einem „familiaristischen Patt“, da der Familien-

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Battes, Vermögensordnung, passim. Zu Battes siehe schon oben § 4 II 2.

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gedanke nicht mehr die Entscheidung leiten kann, ob nun die alte oder die neue Familie schützenswerter ist. Zudem könnte – so ein möglicher Einwand – die Obliegenheit des Erstversterbenden, für seine eigenen Interessen durch ein bedingtes einseitige Testament Sorge zu tragen, den hergebrachten Testiergewohnheiten widerstreiten, nach denen so eben nicht testiert wird. Überzeugend ist dies nicht. Denn es müßte ja dargelegt werden, wieso beim gemeinschaftlichen Testament Handlungsgewohnheiten zu einer Risikoüberwälzung im Bereich der personal gegen sich selbst anzulegenden Verantwortung führen können und dürfen. Auch sonst entlasten Gewohnheiten in der Regel nicht davon, Eigenverantwortung zu tragen. Es bestünde allenfalls ein hinreichender Grund, die Gewohnheit zu ändern. Für eine Verantwortungsüberwälzung könnte schließlich noch ins Feld geführt werden, in einer funktionierenden Ehe würde der Erstversterbende ja schon deshalb in der großen Mehrzahl der Fälle nicht in der beschriebenen Weise bedingt einseitig verfügen, weil dies ein eklatantes Mißtrauen voraussetzen würde, welches aber nicht ernstlich den Ehegatten angesonnen werden kann. Also: Entspricht § 2271 II BGB nicht dem gängigen Ehebild? Bei diesem Einwand wird übersehen, daß die Zweitverfügung des Überlebenden nach dem ersten Todesfall erklärt wird, folglich in der Zeit nach der todesbedingten Auflösung der Ehe. Ein Mißtrauen, welches auf ein Verhalten während der Ehe bezogen ist, ist aber etwas anderes als ein Mißtrauen, welches während der Ehe die Zeit nach der Auflösung der Ehe avisiert – ein Verweis darauf, von dem Erstverstorbenen könne kein Mißtrauen gegen den Ehegatten erwartet werden, verlängert also quasi die Ehe in die Zeit nach ihrer Auflösung und kann mithin durchaus als ein metaphysisches Äquivalent zu den prominent durch v. Savigny75 und Puchta76 zum gemeinen Recht vertretenen, erbrechtlichen Persönlichkeitsfortsetzungstheorien gedeutet werden, nach denen die Persönlichkeit des Erblassers zeitweise oder gar dauerhaft fortlebt, indem sie auf den Erben übergehe oder von ihm fortgesetzt werde77. Nun weiß man, wie einschneidend der Tod des Erstversterbenden für den Überlebenden sein kann. Es kann zu einer Umformung der Realitätswahrnehmung und -bewertung kommen, von einer Änderung der Umstände, in die der Überlebende sich gestellt sieht, ganz zu schweigen78. Und diese Veränderungen machen die Ehegatten eben nicht mehr gemeinsam durch. Wieso sollte der erstversterbende Teil hier nicht Mißtrauen quasi zeigen müssen? Anders gesagt: Warum soll sich der Erstversterbende 75 76 77

v. Savigny, System, Bd. 1, 381 f. Puchta, Institutionen, Bd. 3, 215 f. Zu derartigen Theorien siehe Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht,

§ 4. 78

Dazu unten § 7 I 1.

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so hartherzig gegenüber dem Überlebenden zeigen, daß er diesen gem. § 2271 II BGB gebunden sehen will, obwohl es ihm doch ein Leichtes wäre, diesen anhand einer auf die Zweitverfügung des Überlebenden bedingten einseitigen Verfügung von der Notwendigkeit einer derartigen Bindung zu verschonen? Wäre die Verweigerung einer Übernahme der Verantwortung für sich selbst durch den Erstverstorbenen nicht eine Verweigerung gelebter Solidarität? Zudem zeigt das Eherecht, daß es durchaus Mißtrauen zwischen den Ehegatten anerkennt. Wie sonst sollte das Institut des Ehevertrags erklärlich sein? Eine vertragliche Bindung ist schließlich ein besonders prominentes Beispiel für einen Erwartungsschutz. Wären die gegenseitigen Erwartungen der Gatten hinreichend, käme es wohl kaum je zu Eheverträgen. Aus all dem kann nur gefolgert werden, daß der Gedanke einer Vermeidung vermeintlich unzumutbaren Mißtrauens eine Verantwortungsüberwälzung vom Erstversterbenden an den Überlebenden nicht trägt. Gegen eine Verantwortungsüberwälzung wiederum sprechen gewichtige klassische Risikoverteilungskriterien79. So ist die Verantwortungstragung dem Erstversterbenden zumutbar, da er testierfähig ist. Damit gilt er rechtlich zu einer bedingten einseitigen Verfügung befähigt. Das Risiko, keine Eigenverantwortung an den Tag zu legen, ist darüberhinaus leicht beherrschbar, da der Erstversterbende zu Lebzeiten sich nur über sein eigenes Tun Rechenschaft ablegen und ihn betreffende Handlungen Dritter nicht prognostizieren muß. Darüberhinaus hat das Risiko, Verantwortung zeigen zu müssen, der Erstversterbende selbst (zwar nicht alleine aber doch immerhin auch) veranlaßt; er mußte nun einmal nicht gemeinschaftlich testieren. Schießlich kann der Erstversterbende sich ja für den Hauptfall des Neutestierens des Überlebenden, dessen Wiederverheiratung, Wiederverheiratungsklauseln ausbedingen, die ja auch nicht gerade ungebräuchlich sind80. Dem Erstversterbenden steht mithin ein profundes Kautelarinstrument zur Hand, das er zur Risikovorsorge einsetzen kann. Nach all dem sprechen keine Argumente für eine Verantwortungsüberwälzung an den überlebenden Teil: Sowohl der Solidargedanke, der Verweis auf den erbrechtlichen Familiarismus, auf Äquivalenz und Testiergewohnheiten als auch die Idee eines Mißtrauensschutzes untermauern eine Verantwortungsüberwälzung nicht. Darüberhinaus tragen gängige Risikoverteilungskriterien dazu bei, eine derartige Überwälzung zu verwerfen: Die Veranlassung des Risikos, sich selbst die geschuldete Verantwortung nicht zuzugestehen, die Zumutbarkeit der Risikotragung, die Beherrschbarkeit des Risikos und dessen Vorsorgemöglichkeit hindern eine Verantwortungsüberwälzung. In dieser Situation 79 80

Dazu allg. Koller, Risikozurechnung, Kap. 2, S. 77 ff. Siehe unten § 12 I.

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kann der Erstversterbende entsprechend dem privatrechtlichen Bild der Rechtsperson, sich selbst nur in Verantwortung vor sich selbst zu entfalten, nur darauf verwiesen werden, er möge sich im Umfeld des gemeinschaftlichen Testierens als Rechtsperson erweisen und Selbstverantwortung übernehmen. Ist dem so, könnte auch für den Fall, daß die Regelung des § 2271 II BGB nicht gelten würde, so daß der Überlebende nicht gebunden wäre, dem Erstversterbenden angetragen werden, bedingt auf eine neue Verfügung des Überlebenden einseitig zu Lebzeiten zu testieren. Er hätte dann auch den letzten Gleichklang in den Investitionen gefunden, der ihn noch von der Investition des Überlebenden unterschieden hatte. Ist das Maß des Investitionsverlusts aber bei beiden Gatten nach dem ersten Todesfall identisch, entfällt das Argument, das Vertrauen des Erstversterbenden müsse geschützt werden, weil dieser nach seinem Tode eine unwiederbringlich verloren gegangene Investition erbracht habe: Dies hat der Überlebende eben auch. Der Gedanke des Vertrauensschutzes rechtfertigt nach all dem nur die Regelung des § 2270 I BGB, nicht aber § 2271 II BGB.

d) Ergebnis Die bisherigen Überlegungen haben gezeigt, daß sich die Bindungswirkung korrespektiver Verfügung so einfach mit dem Gedanken des Vertrauensschutzes nicht rechtfertigen läßt. Bei Lichte betrachtet rechtfertigt dieser Gedanke bei selbstverantwortungsbewußten Ehegatten allenfalls die Regelung des § 2270 I BGB, nicht aber die testamentarische Bindung nach § 2271 II BGB. Nach all dem kann es nicht verwundern, daß bei der Diskussion gewichtiger Einzelfragen hinsichtlich der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments der vertrauensbezogene Telos des § 2271 II BGB eher in den Hintergrund tritt und die jeweiligen Erörterungen kaum leitet. Dies wiederum zeigt, daß entweder ein unspezifisch gefaßter Vertrauenstopos für eine teleologische Entfaltung des § 2271 II BGB nicht hinreicht (mangelnde dogmatische Heuristik) oder daß die teleologische Anbindung des § 2271 II BGB an Vertrauen nicht sämtliche dogmatische Vorentscheidungen im Bindungskontext angemessen kohärent erklären kann (mangelnde geltungstheoretische Erklärungskraft). Insgesamt gesehen scheint die vertrauenstheoretische Bindungsbegründung ihre im bisherigen rechtsdogmatischen Diskurs so überaus hohe Überzeugungskraft gerade daraus zu schöpfen, daß sie so unpräzise ausformuliert, was sie eigentlich meint. Mit anderen Worten: Erst die Undifferenziertheit und die Ungenauigkeit des Vertrauensansatzes führen dazu, im Vertrauensschutz den Sinn und Zweck des § 2271 II BGB erblicken zu können. Sehr deutlich wird dieses Manko bei einer rein vertrauenstheoretischen Begründung der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments, wie sie Buchholz vorge-

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legt hat81. Buchholz weist die gebräuchliche Formel eines „Zusammenhangs im Motiv“82 im Rahmen seiner Konzeption der Wechselbezüglichkeit zurück, da sie zu sehr an quasivertragliche Konzeptionen korrespektiver Verfügungen erinnere, und rekurriert allein auf das Vertrauen der Ehegatten hinsichtlich der Verfügung des je anderen im gemeinschaftlichen Testament. Nur werden dann sämtliche Kriterien, welches Vertrauen denn warum schützenswert ist, aus der dogmatischen Theorie gelöst83 – ein Verfahren, welches auf die praktische Stringenz der Theorie durchschlagen muß. Es bleibt mithin aufgegeben, zu klären, warum Vertrauen schützenswert sein soll. Und diese Aufgabe ist umso wichtiger, je mehr die Einsicht anerkannt wird, daß das Erbrecht nicht als fortgesetztes Eigentum begriffen werden kann, falls die Wertungen des geltenden Rechts kohärent gedeutet werden sollen. Denn ist dem so – und daß dem so ist, wurde eingangs skizziert und andernorts ausführlich nachgewiesen84 –, hat der Erblasser-Eigentümer ja post mortem als Eigentümer kein schützenswertes Interesse am Schicksal seines Vermögens. Wieso sollte dann aber sein Vertrauen hinsichtlich dieses Schicksals schutzwürdig sein? Insgesamt gesehen hat die bisherige Diskussion gezeigt, daß der Vertrauenstopos noch genauer untersucht werden muß: Es muß gründlicher geklärt werden, wovon die Rede ist, wenn von Vertrauen gesprochen wird, da ansonsten jedes Kriterium, welches Vertrauen denn nun durch die §§ 2270 f. BGB geschützt wird, verloren geht85. Und es muß intensiver analysiert werden, ob „Vertrauen“ überhaupt geeignet ist, die Bindungswirkung des Ehegattentestaments kohärent zu erklären. Bevor der mühselige Weg beschritten wird, dies alles zu prüfen, soll zuvor untersucht werden, ob nicht noch ein anderer Gedanke den Bindungseffekt korrespektiver Verfügungen eines gemeinschaftlichen Testaments erklären kann. 4. Bindung kraft Selbstbindung?

a) Formen der Selbstbindung im Ehegattentestament Bisher war nur von heteronomen Momenten (Solidarität und Äquivalenz auf der einen sowie Vertrauen auf der anderen Seite) die Rede, die testamentarische Bindung generieren. Bindung qua Autonomie blieb bisher außen vor. Der Versuch, die Bindungswirkung wechselbezüglicher Verfügun81

Buchholz, Rpfleger 1990, 45 (49 ff.). Prot., Mugdan V. 723. 83 Kritisch gegenüber Buchholz deshalb auch Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266 (1275 Fn. 114). 84 Oben § 2 und Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 8 I et passim. 85 So auch Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266 (1275 Fn. 114). 82

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gen von Todes wegen auf eine Selbstbindung der Testierenden zurückzuführen, ist bisher noch nicht rechtsdogmatisch näher untersucht worden. Dieser Versuch würde die Momente autonomer Bindung in das theoretische Blickfeld rücken, die mit dem Verweis auf rein heteronom begründetes Vertrauen oder auf Äquivalenz und Solidarität verloren zu gehen schienen. Der dogmatische Aufwand für eine derartige Erklärung wäre freilich recht hoch: Mit „Selbstbindung“ wird auf den ersten Blick gemeinhin eine Bindung verbunden, die auf einen rechtsgeschäftlichen, final auf Rechtsgestaltung gerichteten Willens zurückgeführt wird, wie er von der herkömmlichen Rechtsgeschäftslehre vorgestellt wird86. Mit dem topos „Selbstbindung“ scheint mithin eine willenstheoretisch fundierte Abgrenzung von Bindung und Unverbindlichkeit avisiert zu sein87. Demgegenüber müßte beim Ehegattentestament zuerst einmal geklärt werden, in welchem Sinn es überhaupt angebracht ist, über Selbstbindung zu sprechen, wenn das hinter dem Rechtsbegriff der Willenserklärung verborgene Rechtsprinzip (die autonome Selbstbestimmung) bei der Herstellung der Korrespektivität zwar eine maßgebliche Rolle spielt, gleichwohl aber in der Herstellung testamentarischer Bindung selbst augenscheinlich nicht, da Bindung auch dann – qua Gesetz, § 2271 II BGB – eintritt, wenn sie nicht bedacht und nicht explizit gewollt wurde; es hilft dann nach überwiegender Ansicht bei einer nicht gewollten Bindung nur das Anfechtungsrecht wegen Inhaltsirrtums gem. § 2078 BGB88. Das Problem einer jeden Erklärung der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments mit dem Aspekt der Selbstbindung muß sich daher dem Problem stellen, wie der rechtsgeschäftliche Wille eine Bindung überhaupt generiert, wenn der Wille selbst im konkreten Fall eine Bindung gar nicht bedacht hat: Kann mithin eine Bindung (zwar nicht gegen, wohl aber ohne Willen des Erklärenden) normativ zugerechnet werden und gleichwohl noch von autonomer Selbstbindung die Rede sein? Zur Beantwortung dieser Frage gibt es im Vertragsrecht ein breites Arsenal an rechtlichen Wertungsvorbildern. Der Bogen reicht von der dort diskutierten Frage, ob zur vertraglichen Bindung bei einer Willenserklärung das Bewußtsein erforderlich ist, sich rechtlich zu binden, wie dies verschie86 Vgl. nur Flume, Rechtsgeschäft, § 10, 1, § 4, 5; Soergel-Hefermehl, vor § 116 Rn. 16. 87 Vor allem die Rechtsprechung grenzt die vertragliche Bindung und die Unverbindlichkeit in Gefälligkeitsverhältnissen nach dem Willen der Beteiligten ab, siehe nur die grundlegende Entscheidung BGHZ 21, 102. Auch die ganz herrschende Ansicht bleibt bei der Abgrenzung Rechtsgeschäft – Gefälligkeit dem Willensdogma verhaftet, vgl. nur statt vieler MünchKomm-Kramer, vor § 116 Rn. 14 und vor § 145 Rn. 20; Soergel-Hefermehl, vor § 116 Rn. 27. 88 Vgl. nur OLG Hamm, FamRZ 1967, 697, zum Erbvertrag; zudem MünchKomm-Musielak, § 2281 Rn. 9; Soergel-Loritz, § 2078 Rn. 12; sowie schon oben § 4 II 3 b bb.

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dentlich in Annäherung an die Erklärungstheorie der Pandektistik verneint wird89, über die einer gängigen höchstrichterlichen Praxis90 entsprechende, verkehrssichernde Zurechnung eines Verhaltens als Willenserklärung über die Frage, wie es generell um die Bedeutung des Rechtsbindungswillens bestellt ist91 und bis schließlich zu dem Extremverständnis von Selbstbindung, bei dem der Bindungsgrund der Obligation vom Willen der Parteien abgelöst und in den berechtigten Erwartungen des Gegners verortet wird92. Vor diesem Hintergrund erscheint der Gedanke einer „Selbstbindung ohne Willen zur Bindung“ nicht mehr so abwegig, wie er auf den ersten Blick daherkam, da innerhalb der Rechtsgeschäftslehre auch dort noch von autonomer Selbstbindung die Rede ist, in der andere nur von heteronomer Vertrauenshaftung sprechen wollen. Daß die Frage nach der rechtsgeschäftlich ins Werk gesetzten Bindung qua gemeinschaftlichen Testament nicht so abwegig ist, zeigt zudem ein Blick auf Ehevereinbarungen. Hier wird bei zahlreichen Fallgestaltungen dem Zusammenwirken der Ehegatten herrschender Meinung nach ein rechtsgeschäftlicher Charakter abgesprochen93. Dies blieb insbesondere durch Hepting94 nicht unwidersprochen. Er will die allgemeine Rechtsgeschäftslehre weiterentwickeln und votiert gerade im Bereich enger Sozialbeziehungen für Formen rechtsgeschäftlichen Handelns, bei denen in ihrer theoretischen Begründung nicht mehr am Dualismus95 zwischen willensund vertrauenstheoretischer Grundlegung des Rechtsgeschäft angeknüpft wird. Vielmehr plädiert Hepting für einen dritten Weg, welcher Erklärungsformen, die bisher zumeist unter der Kategorie Vertrauen abgelegt wurden, in die Rechtsgeschäftslehre einbindet. Das Zusammenwirken von Willensund Vertrauenselementen im Rechtsgeschäft soll anhand eines zweifach gestuften hermeneutischen Prozesses ermittelt werden: Einmal wird bei einer Äußerung der natürliche Regelungswille des Äußernden, sodann dessen 89 So bsp. bei MünchKomm-Kramer, § 119 Rn. 83 ff.; ders., Grundfragen der vertraglichen Einigung, 169 ff.; Bydlinski, Privatautonomie, 162 ff. 90 Vgl. nur BGHZ 91, 324 (330 mit zahlr. weiteren Nachw.). 91 Verwiesen sei hier nur auf die Grundfolgentheorie (vertreten insbesondere durch Lenel, Bechmann, Ehrlich und Danz, vgl. die Nachw. bei Flume, Rechtsgeschäft, § 4, 5), die für die Verbindlichkeit einer Erklärung es genügen ließ, daß der Erklärende einen wirtschaftlichen Erfolg wolle, vgl. nur Bydlinski, Privatautonomie, 6 ff. 92 So bei Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, 1981. 93 Vgl. dazu nur den Überblick bei Hepting, Ehevereinbarungen, 120 ff., 175 ff. 94 Hepting, Ehevereinbarungen, 1984; auf der Basis der rechtsgeschäftlichen und rechtstheoretischen Ansätze von Willoweit, Abgrenzung und rechtliche Relevanz nicht rechtsgeschäftlicher Vereinbarungen, 1969; und Comes, Der rechtsfreie Raum, 1976. Zu Comes und Willoweit vgl. Hepting, ebda., 191 ff., 256 ff., 265 f. 95 Es liegt auf der Hand, daß hier eine sehr grobe Vereinfachung skizziert wird.

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Verbindlichkeit wertend-typologisch anhand der Rechtsordnung ermittelt96. Das Verbindlichkeitskriterium „Rechtsbindungswille“ wird somit durch eine normative Bewertung des geäußerten, objektiv-normativ festzustellenden „natürlichen Willens“ anhand eines „Spruchs der Rechtsordnung“ ersetzt, so daß das Bewußtsein der rechtlichen Relevanz der Äußerung beim Äußernden nicht mehr zur Annahme einer Willenerklärung erforderlich ist97. In der Diktion personaler Autonomie gesagt, werden die normalerweise mit einem Vertrauensschutz herbeigeführten Effekte nunmehr der Person als autonome Entscheidung zugerechnet. Ausgangspunkt ist der hermeneutisch zu ermittelnde Aktsinn der Äußerung98; und bei gemeinschaftlichen Testamenten könnte dieser darin begründet sein, nicht mehr abweichend zu testieren99. Autonome Gestaltung der postmortalen Vermögensordnung würde hier dann in Formen erfolgen, in denen ein Rechtsbindungswille für die Fallgestaltungen zugerechnet wird, wo der Verweis auf die Notwendigkeit eines rechtsgeschäftlichen Bindungswillens zur Fiktion geraten würde100. Ein Zurechnungsmodus könnte dann das in § 2270 I BGB beschriebene Testierverhalten sein: dann läge aufgrund einer sozialen Typizität im Testierverhalten ein Selbstbindungswille in Form eines Versprechens zukünftiger Enthaltsamkeit im Testieren vor101. Freilich dürften die theoretischen Kosten eines derartigen Ansatzes recht hoch und seine Überzeugungskraft für die meisten Rechtsgeschäftler recht niedrig sein, rührt doch die These, daß der rechtsgeschäftliche Wille nicht finaler Rechtsbindungswille sein müsse, an die Grundfesten der Privatautonomie Savignyscher Prägung102.

96

Vgl. zu diesem zweistufigen Prozeß nur Hepting, Ehevereinbarungen, 294 f. Hepting, Ehevereinbarungen, 268. 98 Hepting, Ehevereinbarungen, 241 ff., 252, 253 f., 256 ff. 99 Es liegt zwar keine empfangsbedürftige Erklärung vor, so daß an einem sozialen Aktsinn des Testierverhaltens gezweifelt werden könnte. Dennoch wären Folgerungen daraus rein begrifflicher Natur. Denn das gemeinschaftliche Testament ist auf den je anderen Ehegatten hin orientiert, so daß im Rahmen dieses Drittbezugs durchaus sinnvoll von einem sozialen Aktsinn eines Versprechens gesprochen werden kann. 100 Der rechtsgeschäftliche Wille könnte zudem von einer Partei nicht verneint werden, wenn sie einen Rechtsfolgen inhärierenden Zweck anstrebt, vgl. Willoweit, Abgrenzung, 106. 101 Es ergeben sich dann zahlreiche Anschlußfragen, bsp. dahingehend, ob der gebundene Ehegatte dieses Versprechen von demjenigen, dem es zum Vorteil gereicht, also den durch die bindende Verfügung des Überlebenden Bedachten, nicht kondizieren kann, wenn die der Motivlage zugrundeliegenden Verhältnisse sich geändert haben. Vgl. zu den bereicherungsrechtlichen Problemen im Kontext von Ehevereinbarungen Hepting, Ehevereinbarungen, 343 ff. 102 Vgl. Hepting, Ehevereinbarungen, 262. 97

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Kap. 2: Die Bindungswirkung des Ehegattentestaments

b) Dogmatische Tragfähigkeit des Selbstbindungskonzepts So tragfähig das Konzept autonomer Selbstbindung auf den ersten Blick auch sein mag, so ist letztlich seine Erklärungskraft doch merklich geschwächt. Nun liegt dies nicht daran, daß § 2302 BGB einer Verpflichtung entgegensteht, eine letztwillige Verfügung nicht zu errichten, da hier ja eine derartige Verpflichtung nicht zur Rede steht und selbst wenn dies der Fall wäre, § 2302 BGB durch § 2271 II BGB als Spezialnorm eingeschränkt würde. Eher könnte man daran denken, daß das Selbstbindungskonzept deshalb zur Erklärung des Gesetzes nicht hinreicht, weil § 2270 BGB die Bindung dem ersten Anschein nach an nicht-autonome Momente knüpft: Das in § 2270 I BGB beschriebene Verfügungsverhalten löst Bindung von einem Bindungswillen ab und rekurriert – nach tradierter Diktion – auf einen Zusammenhang im Motiv. Und ein solcher Zusammenhang im Motiv – und damit eine Bindung – ist möglich, auch wenn eine Bindung des überlebenden Ehegatten psychologisch nicht gewollt ist103 – etwa weil das Bewußtsein fehlt, sich rechtsgeschäftlich relevant zu binden104. Damit scheint das Selbstbindungskonzept in sich zusammen zu brechen105. Es läge dann eine Bindung kraft Gesetzes und damit eine heteronome Bindungszurechnung vor. Der Schein trügt indes, da hier wiederum nur verschiedene Willenskonzepte gegeneinander ausgespielt würden: Denn eine rechtsgeschäftlich qua erklärter Selbstbindung herbeigeführte Bindung wäre vornehmlich dann absurd, wenn ein Willenserklärungskonzept entsprechend der tradierten Rechtsgeschäftslehre in ihrer willenstheoretischen Ausprägung angelegt würde. Diese willenstheoretische Richtung versteht den rechtsgeschäftlichen Willen zwar objektiv-normativ nach der Erklärungsbedeutung (und damit mit heteronomen Elementen angereichert) und nicht als psychologisch-subjektives Wollen im Sinne der Willenstheorie der Pandektistik. Heteronome Zurechnungsmomente werden aber gleichwohl soweit wie möglich aus dem theoretischen Verweisungszusammenhang entfernt; es wird weiterhin ein reales Bewußtsein gefordert, durch sein Verhalten eine rechtsgeschäftliche 103

Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266 (1272). Bei einem Testieren wäre zwar ein Fehlen des Bewußtseins, sich überhaupt rechtlich relevant zu verhalten, kaum vorstellbar. Dies wäre ein sehr abseitiger, kaum je eintretender Fall, da der Testierende zumeist weiß, daß er sich rechtlich relevant verhält. Ein Fehlen des Bewußtseins, sich durch den Akt des gemeinschaftlichen Testierens selbst zu binden (und nicht nur erbrechtlich zu verfügen), dürfte jedoch häufiger auftreten. 105 Freilich bestünde für die testierenden Gatten immer noch die faktische Möglichkeit, durch Willensäußerungen Einfluß auf das Entstehen der Bindung zu nehmen. Zumindest die notwendige Voraussetzung, die nach dem sehr weit gefaßten Konzept von Privatautonomie von Bydlinski für eine privatautonome Selbstbestimmung anzusetzen ist – nämlich eben die genannte faktische Möglichkeit (vgl. Bydlinski, Privatautonomie, 126 ff., 155) –, läge damit wenigstens vor. 104

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Mitteilung irgendwelchen Inhalts zu machen106. Doch ist dies ja nur einer, wenn auch ein weitverbreiteter Ansatz in der Dogmatik der Willenserklärungen. Es gibt neuere Entwicklungen in der Rechtsprechung107, bei denen die Notwendigkeit eines rechtsgeschäftlichen Erklärungsbewußtsein unter Verantwortungs- und Zurechnungsgesichtspunkten differenziert betrachtet wird. Zudem wird bei der oben angerissenen Position von Hepting der Bindungswille normativiert und mit heteronomen Kategorien angereichert108. Bindung kann bei diesem Ansatz selbst dann normativ gewollt sein, wenn davon empirisch nicht die Rede sein kann. Es bleibt also dabei: Testamentarische Bindung wäre beim gemeinschaftlichen Testament qua rechtsgeschäftlicher Selbstbindung möglich, wenn ein hierzu passendes Rechtsgeschäftsverständnis angelegt wird (und angelegt werden darf – was genau untersucht werden müßte109). Das Selbstbindungskonzept versagt auch nicht bei der Erklärung nachträglich herbeigeführter einseitiger Abhängigkeit. Korrespektiven Verfügungen kann nachträglich der Charakter der Wechselbezüglichkeit genommen werden. Dies ist der Fall, wenn der eine Ehegatte nach Abfassung des gemeinschaftlichen Testaments letztwillig deutlich macht, daß seine Verfügung auch dann gelten solle, wenn der andere Ehegatte anders testiert110. Der eine Ehegatte kann dann zwar zu Lebzeiten nicht neu testieren, solange er nicht widerruft, § 2271 I 2 BGB, und nach dem Tode des anderen Gatten bleibt er sowieso gebunden, § 2271 II BGB. Für den anderen tritt jedoch eine Bindung gem. § 2271 II BGB bei einer von dem einen Gatten nachträglich herbeigeführten einseitigen Abhängigkeit nach dem Tode des einen Gatten nicht mehr ein. Vor diesem Hintergrund könnte nun folgendes gegen das Selbstbindungskonzept angeführt werden: Es läge eine durch den 106 Vgl. zum Erfordernis eines Erklärungsbewußtseins nur Hübner, AllgT, § 24 IV 1 b, § 34 III 1 b; Canaris, Vertrauenshaftung, 427; Sonnenberger, Verkehrssitten, 138 ff.; H.Hübner, Festschrift Nipperdey, 373 ff.; Fabricius, JuS 1966, 7; Thiele, JZ 1969, 407; Staud-Coing, 11. Aufl., vor § 116 Rn. 1; Staud-Dilcher, vor § 116 Rn. 20; Ennecerus/Nipperdey, AllgT, § 145 II A 4. 107 Siehe nur BGHZ 91, 324 (328 ff.); 109, 171 (177); BGH, NJW 1995, 953. 108 Der innere Wille wird auch bei den Vertretern der vertrauenstheoretischen Grundlegung der Willenserklärung aus dem Tatbestand der Willenserklärung entfernt, vgl. nur Köhler, AllgT, § 36 I 2 c; Soergel-Hefermehl, vor § 116 Rn. 13; Palandt-Heinrichs, vor § 116 Rn. 17; Bydlinski, Privatautonomie, 162 ff.; ders., JZ 1975, 1 ff.; Kramer, Grundfragen, 144, 152, 169 ff.; Gudian, AcP 169, 232 ff.; Kellmann, JuS 1971, 609 ff.; Säcker, JurA 1971, 509 ff. Vgl. zu den Unterschieden zwischen dem Ansatz Heptings und den vertrauenstheoretischen Lehren Hepting, Ehevereinbarungen, 292 ff. 109 Das angelegte Rechtsgeschäftskonzept müßte mithin auch generell überzeugend sein. 110 Vgl. nur KG JFG 17, 44 ff.; Palandt-Edenhofer, § 2270 Rn. 3; RGRKJohannsen, § 2270 Rn. 12; allg. Buchholz, RPfleger 1990, 45 (46).

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Kap. 2: Die Bindungswirkung des Ehegattentestaments

Willen des einen Gatten ins Werk gesetzte und deshalb heteronome Freistellung des anderen Ehegatten von seiner Bindung vor. Diese sei mit dem Konzept einer autonomen Selbstbindung schlechthin unverträglich, da die autonome Selbstbindung des anderen Ehegatten zeitlich limitiert wird durch den Willen des einen, den anderen Gatten freistellenden Ehegatten. Autonome Bindung und heteronome Freistellung paßten deshalb nicht zusammen, so daß die Erklärungskraft des Selbstbindungskonzepts letztlich scheitern müßte. Gleichwohl kann diese Argumentation den Rekurs auf Selbstbindung nicht erschüttern. Denn die Freistellung des anderen Gatten wird mit dessen mutmaßlichen Willen begründet111 – und damit im Rahmen des dogmatischen Konzepts autonomer Willensbildung und -bindung. Gegen das Selbstbindungskonzept spricht jedoch die Überlegung, daß mit ihm nicht sämtliche anerkannte Wertungen aus dem Recht testamentarischer Bindung qua gemeinschaftlichen Testaments erklärt werden können, so daß seine geltungstheoretische Reichweite notwendigerweise defizitär wird. So kann mittels des Selbstbindungstopos nicht erklärt werden, wie es möglich ist, von der Bindung des § 2271 II BGB per Änderungsvorbehalt zu befreien und gleichzeitig von einer Wechselbezüglichkeit der Verfügung gem. § 2270 im übrigen auszugehen112; Bindung i. S. § 2271 II BGB und Abhängigkeit i. S. § 2270 BGB müssen ja nicht immer gleichzeitig gegeben sein. Der Selbstbindungsgedanke führt dann zu der Notwendigkeit, Wechselbezüglichkeit und Bindung je verschieden zu erklären. Letztendlich versagt das Selbstbindungskonzept – und dies ist der ausschlaggebende Kritikpunkt – in der Erklärung der zeitlichen Dimension der Bindung. Mittels Selbstbindung läßt sich nicht erklären, wieso gerade das Versterben des anderen, also ein äußeres Ereignis, zur Bindung führt, obwohl es keinen sinnvollen Bezug zwischen Selbstbindung und Tod gibt. Eine geradlinig durchgeführte Selbstbindung müßte auch die Entscheidung über den Bindungszeitpunkt konsequenterweise mit umfassen. Die gesetzliche Entscheidung für Bindung ab Versterben des anderen Teils ist dann aus der Perspektive des sich autonom Bindenden willkürlich gewählt, was auf die Erklärungskraft der Theorie durchschlagen muß: Es ist nicht mehr erklärbar, wieso zu Lebzeiten beider Ehegatten diese sich nur in der Form des Erbvertrags binden können.

111 Vgl. BGHZ 30, 261 (266); KG, DR 1939, 1443 (1444) mit Verweis auf LG, JFG 15, 229 (230); KG, DNotZ 1943, 276 (277); KG, OGLZ 1966, 503 (504 f.). 112 Vgl. zu dieser Konstellation etwa BGH NJW 1964, 2065; KG JR 1925, 1180; OLG Stuttgart, MDR 1986, 674; BayObLG FamRZ 1991, 1488; 1999, 814 (816); OLG Köln, FamRZ 1993, 242; Huber, RPfleger 1981, 41 (42); Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266 (1272); MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 31; RGRK-Johannsen, § 2270 Rn. 8; Soergel-Manfred Wolf, § 2270 Rn. 10 f., § 2271 Rn. 23.

§ 4 Kritik bisheriger Ansätze

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Der Gedanke autonomer Selbstbindung kann nach all die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments nicht hinreichend erklären. Damit ist das Selbstbindungskonzept aber nicht in Gänze abzulehnen. Es wird gezeigt werden113, daß Selbstbindungsphänomene durchaus im Rahmen der kohärent angelegten Deutung testamentarischer Bindung eine gewichtige Rolle spielen. Nur wird es weniger eine Form (in tradierter Diktion) „autonomer“ Selbstbindung, sondern eine kraft sozialer Mechanismen hergestellte Form sozialer Selbstbindung sein, eine Selbstbindung, die rechtlich erst aufgrund eines normativen Gesichtspunkts zur testamentarischen Bindung führt, nämlich des Gesichtspunkts des schutzwürdigen Persönlichkeitsrechts des Erstversterbenden, eben der Personfunktionalität des gewillkürten Erbrechts. III. Ergebnis der Diskussion bisheriger Deutungen testamentarischer Bindung Die Durchsicht bisheriger Bindungsdeutungen hat gezeigt, daß die Bindungswirkung gemeinschaftlicher Testamente bisher nicht überzeugend erklärt worden ist. Die überkommenen Erklärungen betonen einseitig heteronom-objektive Momente (Zurechnung der Bindung über Äquivalenz und Solidarität im Kontext eines erbrechtlichen Familiarismus) oder heteronomsubjektive Faktoren (Vertrauen), deren Erklärungskraft entweder gering oder zu undifferenziert ist. Zudem wird der Gedanke der Vertragsähnlichkeit schon im Vorfeld auf ein rein ökonomisch-vermögensmäßiges Raster beschnitten; der Theorie des gemeinschaftlichen Testaments gehen so etwaige analytische Stärken von Vertragsähnlichkeit – ihre mögliche Funktion als theoretischer Bezugsrahmen – notwendig verlustig. Die Deutung der Bindungswirkung gemeinschaftlicher Testamente über das Konzept autonomer Selbstbindung schließlich konnte nicht überzeugen, da es nicht nur eine Korrespektivität ohne Bindung (nämlich bei einem testamentarischen Änderungsvorbehalt), sondern auch den Zeitpunkt des Bindungseintritts (den Tod des Erstversterbenden) und damit gerade die Verbindung zwischen Tod und testamentarischer Bindung nicht erklären konnte. Die geltungstheoretisch angelegte Erklärung des § 2271 II BGB bleibt mithin weiterhin aufgegeben.

113

Im folgenden unten § 5, § 6.

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Kap. 2: Die Bindungswirkung des Ehegattentestaments

§ 5 Vorüberlegungen: Reziprozität und Ehegattentestament I. Ausgangsproblematik Wie gezeigt werden konnte, kann die Bindungskraft gemeinschaftlicher Testamente mittels des Gedankens der Vertragsähnlichkeit, der Prinzipien von Äquivalenz und Solidarität, eines unspezifizierten Vertrauensschutztopos und der Vorstellung einer autonomen Selbstbindung nicht hinreichend erklärt werden. Eine geltungstheoretisch ausgerichtete Dogmatik kann sich in dieser Situation nicht damit zufrieden geben, bloß auf die Regelung des § 2271 II BGB zu verweisen, sondern muß weiter nach Möglichkeiten suchen, die bindende Kraft des Ehegattentestaments zu erklären. 1. These

Herkömmlich erscheint das Ehegattentestament zur Zeit seiner Errichtung idealiter als Ausdruck eines gemeinsamen und auf prinzipiell gleiche Ziele gerichteten Wollens114. Bei der Bindungswirkung des Ehegattentestaments geht es in dieser Sicht mithin letztlich um den Schutz der Motivierung des rechtsgeschäftlichen Testierwillens115. Die leitende These der folgenden Überlegungen ist nun, daß der Grund der heteronom durch § 2271 II BGB ins Werk gesetzten Bindung der Schutz der gemeinschaftlich in einer Intimbeziehung geleisteten Todesverarbeitung ist. Die Bindung des überlebenden Teils ist somit Ausdruck eines Schutzes desjenigen Persönlichkeitsrechts des Erstversterbenden, welches dieser als „Sein zum Tode“ innig verbunden mit dem anderen Gatten in der letztwilligen Verfügung entfaltet hat – also Ausdruck eines persönlichkeitsrechtlichen Schutzes der zu Lebzeiten beider Gatten geleisteten und post mortem unwiederbringlich abgeschlossenen Todesverarbeitung116. Mit Blick auf diese These bleibt im folgenden zu klären: Wieso führt eine gemeinsame Todesverarbeitung überhaupt zur Bindung? Wieso führt nur eine durch Ehegatten geleistete gemeinsame Todesverarbeitung zur Bindung? Und wieso ist die eingetretene Bindung auf den ersten Anschein so überaus rigide, oder anders gesagt: Gibt es Flexibilisierungen in der Bindungsreichweite, die eine Lösung von einer eingetretenen Bindung möglich machen? Diese Fragen soll im weiteren anhand eines spezifischen Bezugsrasters zu beantworten versucht werden: Anhand austauschtheoretischer Vorstellungen wird geklärt werden, wie Bindungen im sozia114

BGH, NJW 1983, 256; Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266 (1267). So auch Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266 (1267). 116 Siehe zu diesem Ansatz allgemein oben § 2 I sowie Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 9 et passim. 115

§ 5 Vorüberlegungen: Reziprozität und Ehegattentestament

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len Handeln überhaupt entstehen, und mittels der Figur „Reziprozität“ wird erläutert werden, wie Bindungen in der Zeit Bestand haben. Hier wird sich erneut zeigen lassen, daß ein vertrauenstheoretischer Bindungsansatz sämtliche Fallgestaltungen testamentarischer Bindung nicht hinreichend erklären kann. Die personfunktionalen Gehalte des gewillkürten Erbrechts117 schließlich legen die normativen Gründe bereit, die zeigen, warum das Gesetz zur Figur testamentarischer Bindung greift: Die im gemeinschaftlichen Testament verkörperte Verklammerung der Todesverarbeitung beider Gatten bedingt einen Schutz des Persönlichkeitsrechts derjenigen letztwillig verfügenden Rechtsperson, die ihren Tod spezifisch verarbeitet hat, weil der andere Teil seinen Tod mit ihr innig verbunden spezifisch verarbeitet hat. Anhand der austauschtheoretischen Erörterungen wird schließlich auch gezeigt werden können, daß „Vertrauen“ nicht in sämtlichen Fällen testamentarischer Bindung für den Eintritt der Bindungswirkung vom Gesetz vorausgesetzt wird. Anders gesagt: Hinreichend präzise gefaßt kann der VertrauensTopos das Gesetz nicht in all seinen Fallgestaltungen geltungstheoretisch kohärent erklären. Dies wiederum ist erneut ein schlagendes Argument gegen ein vertrauenstheoretisches Bindungskonzept – ein Argument, welches freilich erst vor dem Hintergrund der noch folgenden Überlegungen einsichtig werden wird. Es sollte deshalb vorerst nicht abschrecken, daß alles reichlich kryptisch klingt. In einem ersten Zugriff auf die hiesig zur Erklärung der Bindungswirkung vorgeschlagenen Lösung soll näher geklärt werden, was es mit „austauschtheoretischen Vorstellungen“ und „Reziprozität“ nun genau auf sich hat. 2. Das Bezugsraster testamentarischer Bindung: Die Theorie des sozialen Austauschs

Bei einer unbefangenen Betrachtung des § 2271 BGB wird deutlich, daß beim gemeinschaftlichen Testament ein deutlicher Zusammenhang zwischen Bindung und Vermögensvorteil besteht118. Die Auslegungsregel des § 2270 II BGB veranschaulicht dies durch die Bezugnahme auf gegenseitige Zuwendungen. Auch das wechselbezügliche Testierverhalten gem. § 2270 I BGB deutet greifbar auf Gegenseitigkeitsvorstellungen hin. Derartige Gegenseitigkeitsvorstellungen können die testamentarische Bindung nicht hinreichend erklären, wenn das korrespektive Testierverhalten einer marktförmig an dem Medium Geld orientierten Lesart unterworfen wird, wie gezeigt wurde119. Bisher wurde aber – auch dies zeigten die bisherigen 117

Dazu oben § 2 und Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 2, § 11

VII. 118 119

Battes, Gemeinschaftliches Testament, 111. Oben § 4 II 1.

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Kap. 2: Die Bindungswirkung des Ehegattentestaments

Überlegungen – in der erbrechtsdogmatischen Diskussion noch nicht der Gedanke aufgegriffen, Leistung und Gegenleistung nicht in einem marktförmigen, sondern in einem anderen, die ganze Person thematisierenden Sinn zu interpretieren, der Aspekte der Bedürftigkeit und der Solidarität mitumfaßt120. In dieser unpräzisierten Form wäre der Leistungsbegriff jedoch in seiner Heuristik stark beschränkt, da nicht deutlich würde, wie genau beispielsweise gelebte Solidarität testamentarische Bindung generiert. In dieser Situation ist es ratsam, zunächst einmal genau zu beschreiben, wie überhaupt in personal gegründeten Verhältnissen durch Austauschprozesse eine Bindung des sozialen Handelns bewirkt wird, um dann zu prüfen, ob mittels normativer Erwägungen eine präzisere Vorstellung von testamentarischer Bindung gewonnen werden kann. Geklärt werden muß mithin, wie eigentlich soziale Bindung entsteht und über die Zeit hinweg Bestand hat. Eine derjenigen Ansätze, die sich explizit der Frage annehmen, wie in einer sozialen Interaktion soziale Bindung entstehen kann, ist die Theorie des sozialen Austauschs im Gefolge George C. Homans, Peter M. Blau, Alvin Gouldner und Marcel Mauss, die schon von Köndgen121 für die Dogmatik schuldrechtlicher Rechtsverhältnisse fruchtbar gemacht, bisher aber für die Deutung der Bindungskraft gemeinschaftlicher Testamente noch nicht näher thematisiert worden ist. Köndgen versucht, rechtliche Bindung in einem Modell quasi-obligatorischer Obligation zu erklären, ohne auf vertrags- und vertrauenstheoretische Vorstellungen zurückgreifen zu müssen. Ausgangspunkt ist für ihn ein latentes Spannungsverhältnis zwischen der Selbstbestimmung des autonomen Subjekts und der sozialen Selbstbindung des in der Gesellschaft lebenden und handelnden Menschen, welches es aufzulösen gelte. Vor diesem Hintergrund versteht Köndgen seinen Ansatz nicht nur als rechtssoziologisches Unterfangen, sich der sozialer Bindung so, wie sie ist, zu vergewissern, sondern auch als einen normativ orientierten Versuch, rechtsgeschäftlich begründete Ansprüche nicht durch den Willen der Parteien, sondern durch den berechtigten Grad der Erwartungen des jeweiligen Interaktionspartners zu rechtfertigen. Damit löst er den Geltungsgrund der Obligation von dem Gedanken der Privatautonomie ab und verortet ihn nicht mehr in der Person des Versprechenden, sondern in der des Versprechensempfängers. Köndgen distanziert sich damit deutlich sowohl von den willens- und den vertrauenstheoretischen Rechtsgeschäftslehren als auch von der Lehre von der Vertrauenshaftung122. Dies braucht an dieser Stelle freilich nicht weiter zu interessieren, weil im Kontext des gemeinschaftlichen Testaments Bindung ex lege angeordnet wird und es somit hier nur um die Erklärung dieser Bindungsanordnung geht. Anders gesagt, wird 120 121 122

Angedeutet bei Brox, Erbrecht, Rn. 223. Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, 1981. Vgl. nur Köndgen, Selbstbindung, 1 ff., 97 ff., 118 ff., 185 ff.

§ 5 Vorüberlegungen: Reziprozität und Ehegattentestament

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das Modell Köndgens nunmehr nicht als eine bestimmte Rechtsgeschäftslehre in der Ablösung des Vertrags zum Quasi-Vertrag gelesen123, sondern als Vorbild für ein methodisches Instrument gedeutet, wie in der sozialen Interaktion testamentarische Bindung generiert wird. Das durch Köndgen bereitgestellte dogmatische Gerüst von Selbstbindung (Entstehungsgründe von Bindungen) und Reziprozität (Bestandsfähigkeit von Bindungen) kann daher durchaus auch für das Testamentsrecht fruchtbar gemacht werden. II. Konkretisierung: Sozialer Austausch – Reziprozität Köndgen rückt als Schlüsselkonzept für die bindende Wirkung der Obligation – die er allein im Auge hat – nicht Wille und Konsens, sondern Selbstbindung als das in sozialen Interaktionen empirisch beobachtbare Verpflichtungsverhalten in den Vordergrund seines soziologisch unterfütterten Ansatzes124. 1. Der Ausgang: Selbstbindung und soziale Interaktion

Köndgen ersetzt den Begriff des Vertrauens durch den der legitimen125 Erwartung126; die Bezüge zur vertrauenstheoretischen Erklärung der Bindungskraft gemeinschaftlicher Testamente liegt auf der Hand. Das eingangs geschilderte empirisch beobachtbare Verpflichtungsverhalten hängt mit der Verfestigung derartiger Verhaltenserwartungen zusammen. Eine solche Verfestigung erfolgt im Rahmen sozialer Interaktionen, da es gesicherte soziologische Erkenntnis ist, daß jede soziale Selbstdarstellung zur – freilich graduell sehr verschieden starken – Selbstbindung führt127: Jede Interaktion, 123 Die Kritik aus rechtsgeschäftstheoretischer Perspektive kann daher hier auf sich gestellt bleiben; vgl. kritisch zu Köndgen nur Brüggemeier, AG 1982, 268 ff.; Canaris, FS Larenz zum 80. Geb., 27 (84, 93 f., 106); Singer, Selbstbestimmung, 89 ff.; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 214 ff.; Enderlein, Rechtspaternalismus, 118 f.; bezogen auf den Einbezug rollentheoretischer Erkenntnisse Paschke, RTh 1988, 523 (534 ff.); Breidenbach, Informationspflichten, 38 ff. 124 Köndgen, Selbstbindung, 156 ff. Zur Abgrenzung von einseitigen Festlegungen und isolierten Selbstbindungen ohne einen Sozialbezug im Verhalten siehe Köndgen, Selbstbindung, 161 ff. 125 Köndgen übernimmt hier systemtheoretisches Gedankengut: Legitim wird hier nicht in einem normativen Sinn gebraucht. Es geht nicht um eine normative Sinnbeziehung, wie sie beispielsweise mit dem Begriff der Rechtfertigung verbunden ist, sondern um ein wirkliches Geschehen durch Umstrukturierung von Erwartungen. Diese materielle Transformation von Begriffen führt unausweichlich zu Schwierigkeiten in der Rekonzeptualisierung des Köndgenschen Ansatzes, wenn „legitim“ hier mit normativen Konnotationen bedacht wird. Vgl. zur begrifflichen Problematik des Legitimations-Topos auch Luhmann, Soziologische Aufklärung, Bd. 3, 173. 126 Köndgen, Selbstbindung, 116.

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Kap. 2: Die Bindungswirkung des Ehegattentestaments

mit der man sich seinem Interaktionspartner präsentiert, Handlungssituationen definitorisch abklärt und seinen Erwartungshorizont bezüglich der Person des anderen strukturiert, erzeugt bei dem Partner legitime Erwartungen, deren Mißachtung jedenfalls gesellschaftlich sanktioniert wird. Diese Sanktionen besitzen eine sehr abgestufte Kraft. Rein äußerliches Verhalten von minderer Stärke und Intensität kann ohne stärkere soziale Sanktionen verändert werden128. Bei Selbstdarstellungsakten, die nicht bewußt dem Informationstransfer dienen129 (sog. „nicht-intensionale“ Akte), ist dies schon anders. Derartige nicht-intensionale Selbstdarstellungen erzeugen intensivere Bindungen, wenn sie – so der soziologische Sprachgebrauch Köndgens – „habitualisiert“, also über einen längeren Zeitraum wiederholt werden, ohne daß ihre symbolische Implikation vom Handelnden selbst in Frage gestellt wird. Das Spezifische an derartigen Habitualisierungen ist, daß durch ständiges Wiederholen oder Zeitablauf Kontinuitätserwartungen irgendwann vom Kognitiven ins Normative umschlagen130. Ist ein derartiger Umschlag erfolgt, werden die Erwartungen auch dann aufrechterhalten, wenn sie im Einzelfall enttäuscht werden131. Dieses Umschlagen, für das Köndgen den Begriff der „Normemergenz“ aufgreift, geschieht um so leichter, je mehr die einzelnen Identitäten in der sozialen Interaktion fixiert und in der Zeit institutionalisiert werden132. Normemergenz findet vor allem in langfristigen und auf ein Gleichgewicht im gegenseitigen Nehmen und Geben angelegten Sozialbeziehungen statt – prototypisch in der ehelichen Lebensgemeinschaft. Hier schließen die beiderseitigen Rollen Rechte wie Pflichten ein, normative Erwartungen werden in einem andauernden Prozeß informell ausgehandelt und kurzfristige Ungleichgewichtszustände können sich langfristig zumindest idealiter 127 Köndgen, Selbstbindung, 165, 167, im Anschluß an Luhmann, Rechtssoziologie, 74 f.; ders. Vertrauen, 69. Der tiefere Grund darin liegt in der auf George H. Mead zurückgehenden Einsicht, daß sich personale Identität nur im Rahmen sozialer Interaktion herstellt. Zusammen mit der universalen Vermutung für Kontinuität und Konsistenz im Verhalten eines Individuums wird dann deutlich, daß jede Selbstdarstellung über die Komplementarität des beiderseitigen Erwartens auch Bestandteil der Identität des anderen wird. Die Selbstdarstellung ist dann nicht mehr ohne Gefahr der Desavouierung des anderen veränderbar. Hierzu vgl. allg. nur Morel u. a., Soziologische Theorie, 51 ff. 128 Köndgen, Selbstbindung, 167. 129 Köndgen, Selbstbindung, 174. 130 Köndgen, Selbstbindung, 167 f. 131 Eine Erwartung, anhand derer zukünftiges Verhalten und Handlungen des Erwartenden oder des Erwartungsadressaten bewertet wird (so die Definition bei Köndgen, Selbstbindung, 116, in Anschluß an Galtung) ist kognitiv, wenn sie im Enttäuschungsfall neu definiert wird; sie ist normativ, wenn auch eine enttäuschte Erwartung weiter beibehalten wird. 132 Köndgen, Selbstbindung, 168.

§ 5 Vorüberlegungen: Reziprozität und Ehegattentestament

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ausbalancieren133. Bürgerlich-rechtlich sind normemergente Selbstbindungen nur sehr eingeschränkt institutionalisiert134. Die hier dann interessierende und im weiteren aufzugreifende Frage ist, ob eine Institutionalisierung der Selbstbindung aufgrund des Testierverhaltens gem. §§ 2270 f. BGB gelingt. Die stärkste Form der Selbstbindung wird schließlich durch intensionale Selbstdarstellungen erreicht, also bei solchen, bei denen die Interaktion von den Interaktionspartnern bewußt als Träger von Informationen eingesetzt wird135. Die Stabilität der Erwartung des einen Partners gründet hier darauf, daß er das Verhalten des anderen als freies, damit als bewußtes und vermutlich auch als vernünftiges Handeln ansieht136. Normative Verhaltenserwartungen werden jedoch nicht nur an Selbstdarstellungen, sondern auch an generalisierten Normen und Werten sowie an Rollen festgemacht137. Inhaltlich unterscheiden sich die jeweiligen normativen Verhaltenserwartungen je nachdem, ob man dem Interaktionspartner als Person gegenübertritt, ob man als Rollenträger gehandelt hat oder ob im jeweiligen Interaktionsfall das Erwarten von Normen oder von Werten abhängig ist138. Wird beispielsweise in der Interaktion eine Rolle übernommen, können die Beteiligten auf Rollenmuster und damit auf ein ganzes Konglomerat von Pflichten zurückgreifen139. Es werden dann automatisch diverse, mit der Rolle verbundenen Erwartungshaltungen bei dem Interaktionspartner ausgelöst. Die Stabilisierung von Verhaltenserwartungen wird damit erleichtert. Besonders augenfällig ist dies im Bereich des Wirtschaftslebens, bei dem nahezu ausschließlich nicht als Person, sondern in Rollen gehandelt wird. 133

Köndgen, Selbstbindung, 169. Köndgen nimmt auf Verwirkung, das Einvernehmen gem. § 1356 I BGB und die Hofübergabefälle Bezug, vgl. ders., Selbstbindung, 169 ff. 135 Köndgen, Selbstbindung, 174 ff. 136 Die Skala intensionaler Selbstdarstellungen reicht von der nicht verbalisierten Imagepflege bis zum Versprechen als Erklärung mit ganz spezifizierten Verpflichtungssinn (Köndgen, Selbstbindung, 175). Rechtlich sind Selbstbindungen aufgrund intentionaler Selbstbindung bsp. durch den börsenrechtlichen Anlegerschutz und durch das Vertragsrecht institutionalisiert. 137 Köndgen, Selbstbindung, 198, mit Bezug auf Luhmann, Rechtssoziologie, 85 ff. 138 Vgl. zu diesem vierstufigen Schema der Generalisierung normativer Verhaltenserwartungen Luhmann, Rechtssoziologie, 85 ff. 139 Zur weiteren Klärung von Bindungsphänomenen mittels des soziologischen Rollenkonzepts siehe Köndgen, Selbstbindung, 192 ff. Von der Integrierung von Erwartungszusammenhängen mittels Personvertrauens durch personale Selbstdarstellung unterscheidet sich Rollenvertrauen dadurch, daß einem Rollenträger ohne näheres Ansehen seiner individuellen Person Rollenverhalten zugerechnet wird. Das jeweilige Handeln führt daher mit der Rollenübernahme zwanglos zu einem ganzen Konglomerat von Pflichten, Köndgen, Selbstbindung, 200. 134

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Kap. 2: Die Bindungswirkung des Ehegattentestaments

Nun gründet Köndgen Bindungsphänomene kraft Rollenvertrauens auf einen positionalen Rollenbegriff, der übertragbare, standardisierte Verhaltensmuster bezeichnet und daher gerade für Zurechnungsprobleme des Schuldund Wirtschaftsrechts mit eng thematisierten, segmentären Interaktionen unter Fremden fruchtbar ist140. Für eine Analyse rollenbehafteten Bindungsverhaltens innerhalb affektiv-emotional angelegter Primärbeziehungen von längerer Dauer und normativ abgesicherter Existenz – wie der Ehe – ist ein derartiger Begriff in seiner analytischen Kraft freilich unbrauchbar141. Köndgens Modell bedarf hier ersichlich der Modifizierung. Im Rahmen der heutigen pluraldifferenzierten und sozialstaatlich ausdifferenzierten Gesellschaft mit ihrer fortschreitenden Individualisierung und dem daraus folgenden ausgesprochen individualistischen Ehe-Ideal142 wird der einzelne aus standardisierten Lebensformen weitgehender als früher freigesetzt. Die noch von Max Weber beobachtete Kontinuität sozialmoralischer Milieus in der Industriegesellschaft ist auseinandergebrochen und die Rollenteilung in der Kleinfamilie weitgehend aufgeweicht143. Dies manifestiert sich vor allem darin, daß die früher zu beobachtende „Einbindung der Frauen in ihr industriell erzeugtes ,Ständeschicksal‘ von Hausarbeitszuweisung und Eheversorgung“144 heute mehr und mehr durchlöchert ist145. Die Rollenanalyse kann hier daher allenfalls dazu dienen, mittels des interpretativen Rollenbegriffs der interaktionistischen Soziologie146 die auf Selbstdarstellung beruhenden Selbstbindungsphänomene zu untermauern147. Interpretativ heißt 140 Köndgen, Selbstbindung, 195. Zum rollengemäßen Handeln vgl. auch Miebach, Soziologische Handlungstheorie, 29 ff., 45 ff. Allg. zur Entwicklung der Rollentheorie vgl. Winnubst/TerHeine, Sociology 19 (1985), 598 ff. 141 Dies sieht auch Köndgen, Selbstbindung, 195, 205. 142 Dazu König, Familie, 51. 143 Vgl. zu dieser Entwicklung einer ständig fortschreitenden Individualisierung des einzelnen Beck, Risikogesellschaft, 134 ff. Gemäßigtere Modelle versuchen Individualisierungstendenzen in der Gesellschaft beispielsweise anhand von Konzepten der „sozialen Lagen“, „sozialen Milieus“ oder von Lebenslagen und typischen Lebensstilen aufzuarbeiten, vgl. dazu nur Hradil, Sozialstrukturanalyse, insbes. 139 ff.; allg. auch die Beiträge in Berger/Hradil (Hrsg.), Lebenslagen, 1990 und darin die Einführung von Berger/Hradil, ebda., 3 (insbes. 10 ff.). Allg. vgl. auch Vaskovics, SozWelt Sonderheft 3 (1994), 4 (10 ff.); Clason, SozWelt Sonderheft 3 (1994), 69 ff. 144 Beck, Risikogesellschaft, 174. 145 Gleichwohl bleibt das tradierte Modell der innerfamiliaren Arbeitsteilung mit seiner geschlechtsspezifisch unausgewogenen Arbeitsteilung und der häuslichen Zeitstruktur vorherrschend, vgl. nur Keddi/Seidenspinner, in: Bertram (Hrsg.), Familie, 159 (163 ff., 166 ff., 172 ff.). 146 Dazu vgl. nur Wiswede, Rollentheorie, 17 f.; Miebach, Soziologische Handlungstheorie, 49 ff., 76 ff.; Joas, Rollentheorie, 38 ff., 42 ff. 147 Die Kritik von Paschke, RTh 1988, 523 (536 ff.), die personunabhängige Konstitution des Rollenkonzepts durch Köndgen, aufgrund dessen Rollenverhalten

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hier, daß Rollen keine von den konkreten Interaktionspartner losgelöst verfestigte Verhaltensmerkmale aufweisen, sondern daß sich rollenhafte Verhaltensschemata erst im Laufe der gemeinsamen Interaktionsgeschichte einspielen148. Rollen sind damit nicht klar konturiert und müssen immer wieder neu definiert und modifiziert werden – was auf den rollenbezogenen Bindungseffekt zwischen den Interaktionspartner zurückschlägt; die Bindung wird hier geringer. Im Laufe des Ehelebens können die Ehegatten mithin interpretative Rollenmuster ausprägen, die ein Verhalten dann mit sozialer Bindung verknüpfen. Schließlich können auch interaktionistische Rollenphänomene ihre leitende Kraft verlieren, wenn die Eheleute sich in ihrem Testierverhalten derartig individuell verhalten, daß jegliche Rollenkonzepte an ihre Grenzen stoßen. Der Schwerpunkt der Erwartungsbildung liegt hier nicht mehr auf der Ebene rollenhafter, sondern auf der Ebene personaler Normidentifikation149 – es liegt auf der Hand, daß dies vor dem Hintergrund eines personfunktionalen Erbrechtsverständnisses, welches die je individuelle Todesverarbeitung normativ focussiert, eminent wichtig sein wird. Auch mit Blick auf das interpretative Rollenkonzept werden mithin die je konkret an den Tag gelegten Interaktionsgepflogenheiten der Ehegatten im Vordergrund stehen müssen. Insgesamt gesehen werden normative Verhaltenserwartungen somit durch einfache Selbstdarstellungsformen, durch habitualisiertes nicht-intentionales oder intentionales Verhalten oder durch Rollenübernahme implementiert. Offen blieb bisher noch, wie Verhaltenserwartungen zeitlich stabilisiert werden. Köndgen erläutert dies mit seinem Konzept der Reziprozität auf der Basis der soziologischen Theorie des sozialen Austauschs150. nicht einem individuellen Handlungsträger zugerechnet werden kann, sei als heteronome Setzung mit den Rechtsprinzipien der subjektiven Zurechenbarkeit der Vertrauens- oder Rollenerwartungen an den Vertrauensgeber bzw. Rollenträger unvereinbar, greift bei einem derartigen interpretativen Rollenbegriff ersichtlich nicht. 148 Dazu Luhmann, Vertrauen, 40 ff. 149 Vgl. dazu Luhmann, Rechtssoziologie, 85 f. 150 Köndgen knüpft an die insbes. von George C. Homans und Peter M. Blau begründete social exchange theory an, die von Grundannahmen des Utilitarismus und des Behaviorismus Skinnerscher Prägung ausgehend soziales Verhalten als Austausch von positiven und negativen Reizen, von Belohnungen und Strafen interpretiert. Die Parallelen zu wirtschaftswissenschaftlichen Gedankengängen sind offensichtlich; Köndgen selbst apostrophiert den Grundgedanken der Austauschtheorie als „Ökonomik des Tauschs“ (Selbstbindung, 241 Fn. 46) bei dem nur die Tauschgüter des Marktes durch Mittel des emotionalen und sozialen Tauschwerts, durch materielle wie immaterielle Güter ersetzt werden. Vgl. zu dieser engen Austauschtheorie nur Treibel, Soziologische Theorien, 92 ff.; Morel u.a., Soziologische Theorie, 31 ff.; Mikl-Horke, Soziologie, 228 ff.; Röhl, Rechtssoziologie, 133 ff. Köndgen entnimmt der Austauschtheorie einige Basisannahmen und reichert sie ansonsten mit

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Kap. 2: Die Bindungswirkung des Ehegattentestaments 2. Reziprozität als stabilisierendes Moment der Bindung

Reziprozität bedeutet nun nichts anderes als Gegenseitigkeit im weitesten Sinne. Sie geht über Entgeltlichkeit und über die im Rahmen synallagmatischer Verträge gemeinte Gegenseitigkeit weit hinaus: Das Konzept der Reziprozität nimmt sich nicht nur vermögensmäßiger, sondern auch emotionaler und sozialer Tauschwerte an151. Derartige Tauschwerte spielen im Entstehungszusammenhang und in der zeitlichen Stabilität von Austauschbeziehungen eine dominierende Rolle. Denn Reziprozität stellt nach der Theorie des sozialen Austauschs und nach den Erkenntnissen der Ethnologie eine ubiquitär feststellbare Bedingung für die Existenz von sozialen Beziehungen dar, die nur zustandekommen oder stabil bleiben, wenn beide Parteien sich Profit davon erwarten können152. Sie sei eines jener Essentialia sozialer Interaktionen, die geradezu universell gesellschaftlich präsent sind153. Reziprozität integriert soziale Beziehungen nicht nur – wie dies bei der Komplementarität subjektiver Rechte geschieht154 – auf der Ebene diffizileren Konzepten des sozialen Austauschs, namentlich von Gouldner und Mauss, an, die sich subtileren, sich nicht im unmittelbaren do-ut-des vollziehenden Austauschprozessen annehmen und die soziologische Theorie mit Gedanken einer universalen Ethik des sozialen Austauschs anreichern. Siehe ansonsten zum Prinzip der Reziprozität als Handlungsform schon Schelsky, JRR 1 (1970), 37 (70 ff.) mit Bezügen zu den Ethnologen Thurnwald, Malinowski und Radcliffe-Brown; darüberhinaus Walter Schmidt, Zur sozialen Wirklichkeit des Vertrages, 84 ff.; sowie die Skizze bei Thomas Raiser, Das lebende Recht, 224 f. 151 Vgl. dazu und zum Folgendem Köndgen, Selbstbindung, 240 ff. 152 Die Theorie des sozialen Austauschs findet ihr Menschenbild in der Vorstellung eines „social man“, der nicht nur nach wirtschaftlichen, sondern auch nach sozialen und emotionalen Gratifikationen strebt und in diesem Nexus Selbstverwirklichung auf allen Ebenen sucht, vgl. Köndgen, Selbstbindung, 246 mwNachw. 153 Siehe Gouldner, American Sociological Review 25 (1960), 161 (170). 154 Komplementarität ist ein Kennzeichen des subjektiven Rechts in komplexer werdenden Gesellschaften: Ego erwartet von Alter eine bestimmte Leistung. Wenn nun Alter seinerseits die eigene Leistung erwartet, mithin die Erwartung Egos annimmt und entsprechend handelt, liegt Komplementarität vor. Das subjektive Recht ermöglicht zwar Reziprozität in der Figur des synallagmatischen Vertrages, setzt sie aber nicht mehr voraus. Die in gering-komplexen Gesellschaften anzutreffenden lokalen Reziprozitäten lassen sich in komplexer werdenden Gesellschaften – zumindest nicht als ausschließliches Kennzeichen von Rechten – nicht durchhalten; der Bedarf für längere Ketten asymmetrischer Leistungszusammenhängen einerseits und für frei gewählte Reziprozität andererseits wird dann durch Komplementarität gedeckt. Vgl. allg. zu Komplexität, Reziprozität und Komplementarität nur Luhmann, Ausdifferenzierung des Rechts, 362 ff.; ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 2, 68 ff.; ders., Das Recht der Gesellschaft, 460 ff., 481 ff.; Fezer, Teilhabe und Verantwortung, 61 ff. Der Gedanke der Reziprozität wurde im übrigen schon von Durkheim dazu verwendet, die magisch-religiöse Bindungskraft früher Verträge im Rahmen seiner Untersuchungen zur Evolution des Vertragsrechts zu durchleuchten, dazu nur Gebhardt, Gesellschaftstheorie und Recht, 408 ff.

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der Erwartungen, sondern auch auf der Ebene der Leistung. Anders gesagt: Wer etwas gibt, erzeugt beim Nehmer das unterschwellige Bedürfnis, wiederzugeben. Die Interagierenden finden damit in der Abfolge ihrer Begegnungen zu einer Art von Symmetrie im Austauschvorgang, zu einer Art Ausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung. Sie eignet mithin insbesondere Beziehungen zwischen Personen, die in einem Gleichordnungsverhältnis stehen155. Ausbeute im austauschtheoretischen Sinne bedingt eine hohe Variabilität der getauschten Objekte156: transferiert werden vermögenswerte Leistungen wie Sachgeschenke oder instrumentelle Dienste, aber auch schwer faßbare psychische und soziale Gratifikationen und schließlich auch namentlich in Intimbeziehungen „innere Belohnungen“, die den Partnern nicht aus instrumentellen Handlungen des anderen (wie Geschenke, Hilfeleistungen oder soziale Anerkennung) zufließen, sondern als emotionale Bereicherung unmittelbar aus dem Vollzug der Interaktion, „aus dem Erlebnis der Sozialität selbst“157 geschöpft werden. Eine derartige Reziprozität ist im sozialen Austausch nur als spontan sich einstellende, unmittelbar erlebte Reziprozität möglich. Nun fehlt bei persongebundenen und hochgradig symbolischfunktionalen Leistungen das Reservemedium Geld, in das real verweigerte Reziprozität bei Markttransaktionen „übersetzt“ werden kann. Dieses Fehlen muß überbrückt werden. Hier kommen rechtliche Regeln zum Zuge. Rechtliche Mechanismen bewerkstelligen eine mittelbare Anerkennung der nichtvermögenswerten Erwiderungspflicht, indem das Recht „bei gescheiterter Reziprozität für die Rückgewähr erhaltener Vorleistungen sorgt, bei gelungener Reziprozität die Erwiderung als Grund für das Behaltendürfen der Vorleistung respektiert“158. Reziprozität verlangt in einem hohen Maße Vertrauen auf Rückvergütung gewährter Leistungen159. Bei langfristigen Beziehungen wird dieses Vertrauen durch längerfristige und situationsflexible Gegenseitigkeitserwartungen gesichert. Reziprozität wirkt im Rahmen derartiger solidarischer Dauerbeziehungen vor allem als Hintergrunderwartung, als eine Art generalisierter Gegenleistungserwartung160, bei der Reziprozitätserwartungen nicht erst 155

Siehe zur austauschtheoretischen Analyse der Ehe nur Hill/Kopp, Familiensoziologie, 92 ff. 156 Köndgen, Selbstbindung, 245 f. 157 Köndgen, Selbstbindung, 246. 158 Köndgen, Selbstbindung, 257, mit Verweis auf die §§ 527, 530 BGB. 159 Köndgen, Selbstbindung, 270. 160 Dazu und zum Folgendem Köndgen, Selbstbindung, 246 f. Siehe auch Reichold, in: Rechtsfortbildung jenseits klassischer Methodik, 63 (85). Die dabei drohende Reduktion eines gerechtigkeitstheoretischen Denkens auf den bloßen Verweis auf eher utilitaristisch angelegte Reziprozitäts-Vorstellungen (dazu Joas, Die

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durch Situationsdefinitionen geschaffen werden müssen. Reziprozität wirkt hier gleichsam gegenüber den eingespielten Status- und Rollenpflichten hintergründig als subsidiäre Erwartungshaltung mit relativ inhaltlicher Unbestimmtheit161, da konkrete Reziprozitäten zwischen Personen in einem längeren Prozeß zu einem System von Handlungs- und Erwartungsperspektiven zusammengefaßt werden, die für die Angehörigen der Gruppe, in der die Austauschvorgänge erfolgten, komplementäre Geltung beanspruchen162. Eine Äquivalenz der Leistungen läßt sich hier allenfalls langfristig und näherungsweise sowie idealtypisch anstreben. Unter welchen Voraussetzungen im übrigen eine stabile und rechtlich sanktionierte Bindung eintritt, hängt von dem jeweiligen sozialen Kontext ab, also von den größeren sozialen Handlungszusammenhängen, in welche soziale Interaktionen eingebettet sind. Innerhalb des Handlungszusammenhangs „Markt“ gelten deshalb andere Regeln als innerhalb des Sozialsystems „Familie“163. Reziprozität findet schließlich am intensivsten in personal angelegten Interaktionen von längerer Dauer statt, wie beispielsweise der Ehe164, die denn auch soziologisch oftmals in den Sinnhorizont der „Gabe“165 gestellt und als „Basisinstitution der Entstehung von Formen menschlicher Gegenseitigkeit“166 angesehen worden ist. Übertragen auf das Testamentsrecht: Der Rekurs auf Reziprozität trägt – zumindest bei langjährigen Ehen – der sozialen Wirklichkeit des Vererbens Rechnung: Nur auf dem ersten Blick erscheint die Erbschaft als eine einseitige Übertragung von Gütern in Form einer asymmetrischen, nicht-reziproken Tauschbeziehung. Realistischer ist es anzunehmen, daß die Erbschaft als eine Gabe in ein Netz von Austauschbeziehungen integriert ist, die über den gesamten Lebenslauf getätigt wurden167. In einem personfunktionalen Blickwinkel kommt dies auch darin zum Ausdruck, daß der letztwillig Verfügende sein „Sein zum Tode“168 im Moment des Testierens entfaltet, und

Entstehung der Werte, 293; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 68, 92 f., ) müsste freilich noch aufgearbeitet werden. 161 Köndgen verweist hierbei u. a. auf Ehegattenmitarbeit und ähnliche Problemfälle quasi-vertraglicher Reziprozität, siehe Selbstbindung, 260. 162 Dazu Gouldner, Reziprozität und Autonomie, 93. 163 Köndgen, Selbstbindung, 281, 271 ff. 164 Köndgen, Selbstbindung, 248. 165 Siehe nur Allert, Die Familie, 215 f. Die Gabe ist ein aus der Soziologie von Marcel Mauss stammender Begriff, mit dem die Leistung im Reziprozitätsverhältnis anschaulich verdeutlicht werden kann. 166 Allert, Die Familie, 280. 167 Marbach, in: Bien (Hrsg.), Eigeninteresse und Solidarität, 163 ff.; Lauterbach/Lüscher, KZfSoz-Sozpsy 1996, 66 (72). 168 Dazu oben § 2 I 2 und Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 9 II 3.

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dies heißt nichts anderes, als daß er mit Blick auf die Lebensbezüge, in denen er steht und stand, sich Rechenschaft darüber ablegt, welche Verfügungen er treffen soll169. Das überkommene gesetzliche Leitbild des Testaments sieht in der Entfaltung des reinen Willensdogmas den letztwillig Verfügenden als von jeglichen sozialen Kontexten gelöstes Rechtssubjekt und spiegelt dies rechtstechnisch in der Ausformung des Testaments als einseitige, nichtempfangsbedürftige Willenserklärung wider170. Beim gemeinschaftlichen Testament werden die Sphären des A-Sozialen auch für die tradierte Sicht aufgelöst, indem die gemeinschaftlichen Verfügungen zwar als rechtlich unabhängige, aber dennoch als aufeinander bezogene Verfügungen begriffen werden171. Rechtstechnisch kommt dies darin zum Ausdruck, daß herrschender Ansicht nach die Erklärung des einen Gatten wegen der Verkehrsgerichtetheit der Erklärung und wegen der Schutzbedürftigkeit des anderen Ehegatten nach dem erkannten und hilfweise nach dem erkennbaren Erklärungssinn analog § 157 BGB auszulegen ist172. Gerade beim gemeinschaftlichen Testament geht daher auch das Gesetz von Selbstdarstellungsakten der Ehegatten aus, die es dann unter bestimmten Umständen mit Bindung versieht. Im soziologischen Duktus gesprochen: Bei einem aufgrund Habitualisierung des ehelichen Gebarens und der hieraus resultierenden Normemergenz auf der einen oder aufgrund intentionaler Selbstdarstellung oder Rollenübernahme auf der anderen Seite als selbstbindend wirkenden Testierverhalten (§ 2270 I BGB) wird bei gescheiterter Reziprozität 169 Dazu nochmals oben § 2 I 2 und Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 9 IV 2. 170 Freilich ist dies nur das überkommene Leitbild. Zur Einsicht, daß auch das Testieren ein Vorgang ist, der nur mit Blick auf die Bedachten rechtlich verstehbar gemacht werden kann, siehe Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 10 VI. 171 Stets sei zu prüfen, ob ein nach dem Verhalten des einen Erblassers mögliche Auslegungsergebebnis auch dem Willen des anderen Teils entsprochen habe, vgl. BGH, NJW 1951, 959 (960); BGHZ 112, 229 (233); NJW 1993, 256; Dittmann/ Reimann/Bengel-Bengel, vor § 2265 Rn. 20 und § 2069 Rn. 14. 172 Vgl. BGH, NJW 1993, 256 (ohne direkten Bezug zur Wechselbezüglichkeit); BGH LM § 242 (A) Nr. 7; BayObLGZ 1962, 137 (142); BayObLG, FamRZ 1976, 549; RGRK-Johannsen, § 2084 Rn. 10; Staud-Kanzleiter, vor § 2265 Rn. 45; Palandt-Edenhofer, § 2084 Rn. 1 und vor § 2265 Rn. 12; Soergel-Loritz, § 2084 Rn. 51; MünchKomm-Leipold, § 2084 Rn. 24; Brox, Erbrecht, Rn. 223; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 413; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 33 III 7 b; Stumpf, Auslegung, 197. Danach differenzierend, ob der Verfügung eine Leistung gegenüber steht Brox, Irrtumsanfechtung, 160 f. Zum § 157 BGB vgl. auch Wolf/Gangel, JuS 1983, 663 (664). Bei einseitigen Verfügungen innerhalb gemeinschaftlicher Testamente wollen bei Verfügungen, die nicht ohne jede Bedeutung für den anderen Ehegatten sind, § 157 BGB anwenden Lange/Kuchinke, ebda., § 34 III 7 b; RGRK-Johannsen, § 2084 Rn. 10. Anders (keine Anwendung des § 157 BGB) Soergel-Loritz, § 2084 Rn. 51; MünchKomm-Leipold, § 2084 Rn. 24; Brox, Erbrecht, Rn. 224; Ebenroth, ebda., 413.

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der Widerruf des gemeinschaftlichen Testaments eröffnet (§ 2271 I BGB) und bei gelungener Reziprozität die reziproke Leistung des einen Ehegatten (die Verfügung) als Grund für die Bindung des anderen Ehegatten an die eigene Verfügung respektiert (§ 2271 II BGB). Rechtlich bleibt dann freilich noch zu fragen: Warum wird diese soziale Bindung auch rechtlich respektiert und rechtlich institutionalisiert? Nun wurde in der fortschreitenden gesellschaftlichen Entwicklung die Kategorie des subjektiven Rechts nicht mehr als etwas angesehen, was nur in einem reziprok strukturierten Rechte- und Pflichtenzusammenhang eingeordnet werden kann, vielmehr wurde das subjektive Recht als formale Komplementarität verortet173. Dies wiederum bedeutet, daß in der Entwicklung des Rechtsverständnisses man sich von der Vorstellung löst, daß jedem Recht ein Gegenrecht gegenüber stehen müsse, wie dies bei einem rein reziprok organisierten Recht der Fall ist. Wenn nun beim gemeinschaftlichen Testament dessen Reziprozität betont wird, wird diese Loslösung für das gemeinschaftliche Testament wieder zurückgenommen und die Inhalte wechselseitiger Verfügungen werden einander konkret zugeordnet – mit all den Folgen, die daraus resultieren, insbesondere wird die Analyse der Inhaltszuordnung, also der Feststellung der reziproken Abhängigkeit, zum Problem. Mit den bisherigen Überlegungen zum Grund sozialer Bindung (soziale Selbstdarstellung) und der Stabilisierung eingetretener sozialer Bindung in der Zeit (Reziprozität) ist der Boden dafür bereitet, den vertrauenstheoretischen Bindungsansatz nochmals einer genaueren Analyse zu unterziehen. Hier wird sich dann noch klarer als bisher zeigen, daß Vertrauensschutz – so wie er bisher verstanden wurde – als Telos des § 2271 II BGB untauglich ist. III. Nochmals: Kritik am Vertrauensgedanken als Grundlage testamenarischer Bindung 1. Bindung durch Selbstdarstellung

Bindung durch Selbstdarstellung verweist auf ein interaktives soziales Geschehen, auf Kommunikation zwischen den testierenden Ehegatten. Dies kann ersichtlich nur bei einer gemeinsamen Planung der künftigen Vermögensordnung post mortem im weitesten Sinne der Fall sein – womit es maßgeblich auf den Willen zur gemeinsamen Errichtung ankommt. Selbstdarstellung allein aufgrund dessen, daß sich die Ehegatten der Form des § 2265 bedienen, ohne indessen einen Willen zum gemeinsamen Testieren aufzuweisen174, dürfte ein eher unwahrscheinliches Phänomen sein. 173 Dazu nur Frey, Vom Subjekt zur Selbstreferenz, 14 ff., und schon oben § 5 II 2 Fn. 154.

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Erbrechtlich wird aus der Fülle möglichen Testierverhaltens heute fast einhellig175 ein spezifischer Kontext gemeinschaftlicher Verfügung herausgeschnitten, der sich vor allem durch subjektive Momente von ähnlichen Erscheinungsweisen abgrenzt: Es kommt auf den Willen der Erblasser an, gemeinschaftlich zu testieren176. Diese Gemeinschaftlichkeit des Testierens verkörpert in der Regel allenthalben ein Sozialverhalten, das Selbstdarstellung impliziert und daher zwangslos Selbstbindungsphänomene involviert, wenn die Ehegatten die Handlungssituation des gemeinsamen Testierens definitorisch abklären und die jeweiligen Erwartungshorizonte hinsichtlich der zukünftigen Vermögensordnung post mortem strukturieren177. In rechtsdogmatischen Kategorien wird dies zumeist dadurch ausgedrückt, daß für eine Wechselbezüglichkeit neben der Motivabhängigkeit zumindest die Billigung178 der jeweiligen Verfügung des einen durch den anderen Ehegatten erfolgen muß179. Das relevante Sozialverhalten muß nun 174 Hierin sieht bekanntlich RGZ 72, 204 (206), das Wesen des gemeinschaftlichen Testaments in einem rein objektiven, den Vorstellungen der gemeinrechtlichen Tradition folgenden (Coing, JZ 1952, 611 (613)) Verständnis gegründet. 175 Neben Jakobs, FS Bosch, 447 (451 ff.), der für die Auslegung des § 2265 BGB zu objektiven und für die Auslegung der §§ 2270 f. BGB zu subjektiven Kriterien greift, nähert sich MünchKomm-Musielak, vor § 2265 Rn. 9 ff.; ders., GedSchrift Riederer, 181 (183 ff.), objektiven Vorstellungen dadurch an, daß in der Erkennbarkeit des äußeren Errichtungszusammenhangs, also in der Gemeinschaftlichkeit der von den Testierenden abgegebenen Erklärung, das maßgebliche Kriterium für ein gemeinschaftliches Testament begriffen wird. Vorausgesetzt wird als Minimalforderung, daß jeder der Ehegatten die Verfügung des je anderen zumindest kennt. Dies allein genügt jedoch noch nicht für eine Interaktion mit Selbstdarstellungscharakter. 176 Vgl. zur subjektiven Theorie in der vermittelnden Ausprägung, nach der der gemeinschaftliche Testierwille aus den beiderseitigen Urkunden selbst erkennbar sein muß, BGHZ 9, 113 (115); BGH FamRZ 1977, 390 (392); BayObLG FamRZ 1994, 191 (194); 1993, 240; 1991, 1485 (1486); BayObLGZ 1959, 199; OLG Köln OLGZ 1968, 321; OLG Frankfurt OLGZ 1978, 267; OLG Hamm, OLGZ 1979, 262; OLG Celle, OLGZ 1969, 84 (87); Soergel-Manfred Wolf, vor § 2265 Rn. 7 f.; RGRK-Johannsen, § 2265 Rn. 7; Erman-Schmidt, vor § 2265 Rn. 1; Palandt-Edenhofer, vor § 2265 Rn. 2; Jauernig-Stürner, §§ 2266, 2267, Rn. 21. Vgl. zur strengen subjektiven Theorie, nach der die Maßgeblichkeit des Willens nicht im Testament angedeutet sein muß, OGHBrZ OGHZ 1, 333 (337); BayObLGZ 1959, 199 (208); OLG Frankfurt a. M. OLGZ 1978, 267; Staud-Kanzleiter, vor § 2265 Rn. 18; Lange/ Kuchinke, Erbrecht, § 24 III 2 b; Brox, Erbrecht, Rn. 174; Battes, Vermögensordnung, 175 ff., 284 ff.; Lutter, FamRZ 1959, 273 (274). Im übrigen vgl. zu den verschiedenen Ausprägungen der subjektiven Theorie nur Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266 (1269 f.). 177 Die Parallelen zum sozialen Aktsinn i. S. der von Hepting (dazu oben § 4 II 4 a) bemühten, in einen hermeneutisch ausgerichteten Theorienkontext eingebetteten Theorie der normativen Verbindlichkeit liegen auf der Hand. Hier wird nur die Versprechenskomponente ihrer explizit-expressiven Form entkleidet und in schmiegsame soziale Handlungszusammenhänge verwoben.

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nicht in einem dichten, zeitlich fest umrissenen Prozeß des Aushandelns mit seinen klaren intentionalen Bindungsphänomen bestehen. Nicht selten wird ein Ehegatte seine Verfügung erst allein niederlegen und dem anderen zeitlich verzögert180 einen Anschluß ermöglichen. Und wenn die Ehegatten ad hoc gemeinsam testieren, wird die soziale Selbstbindung aufgrund eines etwaigen partikularen Akts intentionaler Selbstdarstellung zwar recht gering, aber doch vorhanden sein. Stellenweise wird durch die Ehegatten auch im Vorfeld des eigentlichen Verfügungsverhaltens eher implizit und tentativ die künftige Vermögensordnung entworfen; in einem derartigen Handlungsfeld, in dem nicht-intentionale und intentionale Selbstdarstellungsakte unlösbar miteinander verwoben sind, werden Selbstbindungen „schleichend“ aufgebaut, die Beteiligten verstricken sich in ein implizites Rollenspiel, in eine „Dramaturgie“ des sozialen Handelns (Goffman), das die symbolischen Implikationen des anstehenden Testierverhaltens mehr und mehr aufgrund normemergenter Prozesse und der Fremdwahrnehmung des Handelns des anderen Ehegatten als freies, vernünftiges Handeln aufeinander abstimmt181. Wenn die jeweiligen Kontinuitätserwartungen dann vom Kognitiven ins Normative umgeschlagen sind und damit bei Enttäuschungen dennoch aufrechterhalten werden, kann sich der andere Ehegatte nur noch auf Kosten einer Irritation der Sozialbeziehung aus der Selbstdarstellung lösen – einer Irritation, die schlimmstenfalls zum Zerbrechen der Beziehung führen kann182. Selbstbindungen werden daneben auch durch die im Laufe der ehelichen Lebensgemeinschaft ausgehandelten Rollen erweckt; dadurch wird das Vertrauen des Ehegatten dahingehend geschützt, sein Partner würde sich entsprechend den bisher gehegten

178 Billigung natürlich nicht in dem Sinne, daß der eine Ehegatte nur testieren kann, wenn ihm der andere dies zubilligt. Billigung bedeutet hier vielmehr Billigung der Verfügung des anderen Gatten, soweit diese für die eigene Verfügung Bedeutung haben, also: Billigung als für sich selbst relevant, siehe Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 24 III 2 b. 179 Vgl. nur KG KGJ 29 A, 57; 25 A, 100; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 24 I 7 b, § 24 III 2 b. 180 Der Zeitraum muß freilich so beschaffen sein, daß ein Einverständnis des Ersttestierenden noch erwartet werden kann, vgl. Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 24 III 2 b und ebda. Fn. 83. 181 Oder auch nicht. Bekanntlich können nicht die jeweiligen Testamente, sondern nur Verfügungen in dem Verhältnis der Wechselbezüglichkeit stehen, so daß je nach Verfügung eine Habitualisierung mit möglichen normemergenten Prozessen des Umschlagens der kognitiven Verhaltenserwartungen in Normative gelingt oder nicht. 182 Unter statusgleichen Partnern wird der Versuch, aus selbstsüchtigen Motiven Leistungen zu erreichen, ohne dieselben zu erwidern, äußerstenfalls zum Beziehungsabbruch führen, vgl. Gouldner, For Sociology, 281; Homans, Elementarformen sozialen Verhaltens, 66 f.; Köndgen, Selbstbindung, 265.

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Sozialerwartungen sozialadäquat und der bisherigen Lebensgemeinschaft entsprechend konsistent und ohne inneren Bruch verhalten183. Derartige normemergente Prozesse verlangen freilich eine hohe Elastizität des Erwartens; die Destabilisierung der Norm ist erleichtert184. Das Erbrecht verweist hier die Interaktion der Ehegatten ganz auf soziale Prozesse, da es die rechtliche Stabilisierung normemergenter Prozesse im Vorfeld des eigentlichen Verfügungsverhaltens ausdrücklich negiert, § 2302 BGB, und die Beteiligten die Bindung zwar einschränken, nicht aber auf Tatbestände ausdehnen können, die im Gesetz nicht vorgesehen sind185. Eine rechtliche Stabilisierung dieser fragilen sozialen Selbstbindung wird erst durch Reziprozitätsmechanismen herbeigeführt, die durch die §§ 2270 f. BGB explizit rechtlich legitimiert werden. Die Frage, welcher normativer Grund für diese rechtliche Legitimationswirkung gegeben ist, ist freilich immer noch nicht beantwortet. 2. Bindungsstabilisierung durch Reziprozität

a) Erbrechtliche Reziprozität Reziprozitätsmechanismen stabilisieren die jeweiligen Erwartungen der Ehegatten durch vermögenswerte, soziale, psychische und namentlich in Intimbeziehungen durch „innere“ Gratifikationen. Für die Bindungswirkung korrespektiver Verfügungen eines gemeinschaftlichen Testaments reichen freilich nicht irgendwelche Gratifikationen für eine Bindung hin. Vielmehr muß ein näherer Bezug zum Testierverhalten des je anderen vorhanden sein. § 2270 I BGB verlangt ausdrücklich eine auf das gegenseitige Testieren bezogene Reziprozität; ob der eine Gatte nicht ohne eine Gratifikation durch den anderen verfügt, ist rechtlich unbeachtlich, solange kein Nexus zur Verfügung des anderen vorhanden ist. Dies ist ja auch einsichtig, da bei einem personfunktional verstandenen Erbrecht das Vermögen als derjenige Transmissionsriemen fungiert, welcher schlagkräftig gegen die überwältigende Kraft systemischer Imperative ins Feld geführt zu werden vermag186. 183 Hier zeigen sich Parallelen zum eherechtlichen Schriftum. Pawlowski und Streck, die beide zu den „interindividuellen“ Ehelehren (zu den Ehelehren vgl. nur die Übersicht bei Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 3; Hepting, Ehevereinbarungen, §§ 3–5) gerechnet werden können, nehmen vertrauenstheoretische pflichtenneutrale „Obliegenheiten“ der Ehegatten innerhalb der Ehe auf eine NichtEnttäuschung von berechtigten Sozialerwartungen oder auf ein Weiterleben der verwirklichten Lebensgemeinschaft entsprechend an, vgl. Pawlowski, Studium, 315, 323 ff.; Streck, Generalklausel, 70 ff. 184 Köndgen, Selbstbindung, 172. 185 KG FamRZ 1977, 485; Battes, Vermögensordnung, 302. 186 Dazu oben § 2 I 2 und Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 9 IV.

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Kap. 2: Die Bindungswirkung des Ehegattentestaments

Reziprozität mittels vermögensmäßiger, sozialer, psychischer oder innerer Belohnung gewinnt daher nicht schon dann rechtliche Bindungsrelevanz, wenn gerade die jeweilige spezifische Verfügung des einen Ehegatten beim anderen Ehegatten soziale, psychische oder innere, nicht aber vermögensbezogene Momente der Belohnung auslöst; Testamenta reciproca und Testamenta correspectiva wären ansonsten nicht mehr zu unterscheiden. Der Umschlag sozialer in rechtliche Bindung erfolgt erst, wenn die Interaktion und die damit verbundenen Selbstdarstellungen auf das von Todes wegen weiterzugebende Vermögen bezogen sind. Der Extremfall ist erreicht, wenn sich im vermögensbezogenen Austausch herkömmliche Gegenseitigkeitsvorstellungen marktförmigen Handelns realisieren. Dies wäre etwa der Fall, wenn die Ehegatten mit Rücksicht auf den wirtschaftlichen Wert des je anderen Vermögens verfügen und auf das Risiko spekulieren, selbst als Überlebender Nutznießer der Vermögensverteilung zu sein187 – das gemeinschaftliche Testament wäre dann ein Risikogeschäft mit dem Spekulationselement des Vorversterbens des anderen Teils. Solch ein Testierverhalten ist in einer expliziten Form wohl durchweg die Ausnahme; Überbleibsel eines derartigen vertragsähnlichen Denkens findet sich in der Rechtsprechung dann, wenn die Vermögenslosigkeit des eines Ehegatten zumindest als Anlaß genommen wird, die Korrespektivität der jeweiligen Verfügungen eingehend zu untersuchen188. Möglicherweise schwingen hier unterschwellig Vorstellungen der Art mit, daß bei einem „entgeltlichen“ Vorgang Rechtsbindung quasi selbstverständlich erscheint189 und Entgeltlichkeit sich automatisch in einer Wirtschafts- und Marktorientierung erschöpft. b) Nochmals: Die mangelnde Erklärungskraft des vertrauenstheoretischen Bindungskonzepts Soweit, so gut. Kann mit diesen austauschtheoretischen Präzisierungen des Vertrauens190 der Vertrauenstopos gerettet werden? Dies wiederum ist nur der Fall, wenn mit dem bisher gezeichneten schönen Bild der Theorie 187

Auf ein derartiges Testierverhalten spielt Jakobs, Festschrift für Bosch, 447 (456), an. 188 Vgl. nur RGZ 116, 148 (150); RG DR 1940, 723 (724 f.); BayObLG FamRZ 1984, 1154 (1155); 1986, 393 (394); 1995, 251 (253); 1995, 1022; RPfleger 1981, 282; OLG Brandenburg, FamRZ 1999, 1541 (1543); OLG Hamm, FamRZ 1995, 1022; OLG Köln, FamRZ 1993, 1371 (1372); OLG Saarbrücken, NJW 1990, 1285 (1286). 189 Die Entgeltlichkeitscausa in entgeltlichen Verpflichtungsverträgen beispielsweise wirkt als „Seriositätsindiz“ für eine Rechtsbindung, vgl. zu Seriositätsprinzipien bei der Abgrenzung von rechtsverbindlichen Geschäften und unverbindlichen Gefälligkeiten nur Zweigert, JZ 1964, 349; Hepting, Ehevereinbarungen, 411 ff.; MünchKomm-Kramer, Einl. vor § 241 Rn. 30.

§ 5 Vorüberlegungen: Reziprozität und Ehegattentestament

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der Eintritt testamentarischer Bindung für sämtliche Fallgestaltungen des praktischen Lebens erklärt werden kann, die § 2271 II BGB avisiert. Hieran bestehen durchschlagende Zweifel. Dies liegt an folgender Erwägung: Vertrauen stellt sich – dies war eines der Ergebnisse der vorangegangenen Überlegungen191 – erst ein, wenn gehegte Erwartungen auch dann aufrechterhalten werden, wenn sie im Einzelfall enttäuscht wurden. Hierfür wurde oben der Begriff der „Normemergenz“ aufgegriffen. Und es war ebenfalls schon die Rede davon, daß Normemergenz vor allem in langfristigen und auf Reziprozität angelegten Sozialbeziehungen stattfindet, in denen normative Erwartungen in einem andauernden Prozeß informell ausgehandelt werden. Ansonsten werden normative Verhaltenserwartungen an generalisierten Normen und Werten sowie an Rollen festgemacht. Gerade im Bereich des Wirtschaftslebens wird Erwarten erleichtert, weil die Beteiligten sich hier auf standardisierte Rollenmuster und damit auf ein ganzes Konglomerat von Pflichten sowie auf übertragbare, ent-persönlichte Verhaltensmuster stützen können. Derartige standardisierte Verhaltensmuster sind im Bereich ehelicher Interaktionen freilich – wie schon ausgeführt – für deren Deutung wenig brauchbar. Es wurde deshalb oben auf den interpretativen Rollenbegriff der interaktionistischen Soziologie zurückgegriffen, um Normemergenz in der Ehe faßbar zu machen. Nun wird bei einem derartigen Rollenbegriff davon ausgegangen, daß sich rollenhafte Verhaltensschemata erst im Laufe der gemeinsamen Interaktionsgeschichte einspielen. Normemergenz ist mithin erst dann möglich, wenn die Interaktionspartner schon eine gewisse Zeit miteinander interagieren. Auch soweit die Erwartung nicht auf ausgehandelte Rollen, sondern gerade auf der konkreten Person beruht, mit der interagiert wird, ist dies nicht anders. Die jeweilige individuelle Person kann zwar als Garant eines Zusammenhangs von Erwartungen dienen. Ein zuverlässiges und sicheres Erwarten ist jedoch erst dann möglich, wenn man die individuelle Person „persönlich“ kennt, was wiederum eine Geschichte gemeinsamer Interaktion voraussetzt, in deren Verlauf der andere sich dargestellt hat und die Chance bestand, den anderen näher kennenzulernen192. Wie man es auch dreht und wendet, Normemergenz – und damit Vertrauen – stellt sich erst ein, wenn die Interaktion sich an Normen oder Werte orientiert, hochgradig (wie im Wirtschaftsleben) standardisiert ist oder auf langfristigem Kontakt beruht. Der Einwand, der der vertrauenstheoretischen Bindungserklärung mithin adressiert werden kann, liegt nunmehr geradezu auf der Hand: Mit dem Re190 Vertrauen wurde in den bisherigen Überlegungen ja in die Form des Erwartens übersetzt und im Rahmen der Theorie des sozialen Austauschs näher untersucht. 191 Oben § 5 II 1. 192 Luhmann, Rechtssoziologie, 85 f.

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Kap. 2: Die Bindungswirkung des Ehegattentestaments

kurs auf Vertrauen kann nicht erklärt werden, wieso bei korrespektiven Verfügungen der Überlebende auch dann nach dem Tode des Erstverstorbenen gem. § 2271 II BGB gebunden ist, wenn die Ehe selbst nur von kurzer Dauer war (erster Fall) oder die Ehegatten schon sehr früh gemeinschaftlich testiert haben (zweiter Fall), also beidesmal zu einem Zeitpunkt, in der sich noch keine gemeinsame Interaktionsgeschichte hat herausbilden können, vor deren Hintergrund das eheliche Erwarten strukturiert werden kann. Mit anderen Worten: Wie soll denn überhaupt in diesen beiden Fallgestaltungen ein Vertrauen entstehen können, welches sodann § 2271 II BGB schützt? Wieso sollen die Ehegatten enttäuschungsfest überhaupt erwarten (also: vertrauen) dürfen, wenn schon die sozialen Vorgänge, nach denen Erwartungen gebildet werden, keine Enttäuschungsfestigkeit des Erwartens erlauben? Der Einwand gegen einen derartigen Vorhalt liegt freilich auf der Hand: Gemeinhin kennen sich die Ehegatten mehr oder weniger schon längere Zeit, ehe sie die Ehe schließen, so daß sich damit durchweg Erwartungsstrukturen auch bei einer kurzen Ehe sozial herausgebildet haben dürften. Nur ist dies bei Lichte betrachtet kein relevanter Einwand. Denn mit ihm wird die Erklärung der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Ehegattentestaments von einer sozialen Erscheinung vor der Ehe (nämlich dem Ausbilden gegenseitiger Erwartungszusammenhänge) abhängig gemacht. Dies ist aus mehreren Gründen unglücklich. Einmal ist die rechtlich für das gegenseitige Ausprägung eherelevanter Erwartungen vorgesehene, wenn auch sozial mehr und mehr weniger wichtige Form sozialer Interaktion das Verlöbnis. Es müßte mithin zumindest ein Wort darüber verloren werden, warum in der Bindungswirkung bei kurzen Ehen nicht zwischen Ehen mit und ohne vorausgegangenem Verlöbnis unterschieden werden soll. Dies wiederum erscheint geradezu abwegig. Darüberhinaus – und dies ist ungleich wichtiger – würde die Deutung testamentarischer Bindung von den Zufälligkeiten einer vorehelichen Interaktion abhängig gemacht. Die Bindungswirkung müßte dann um so weniger legitimiert, je kürzer die voreheliche Erwartungsbildung hat verlaufen können. Auch dies wiederum erscheint schlichtweg abwegig. Dies alles deutet darauf hin, daß für die Erklärung der Art und Weise, in der eheliche Erwartungen ausgeprägt werden, welche auf die Person des Interaktionspartners bezogen sind, es nicht auf das tatsächliche Interaktionsgeschehen ankommen darf, sondern auf das normative Bild, welches das Recht von dem Interaktionsgeschehen entwirft. Zu diesem Bild wiederum findet sich bei dem vertrauenstheoretischen Bindungsansatz kein Wort. Es bleibt mithin dabei, daß es mit dem Rekurs auf Vertrauen zumindest bei kurzen Ehen und bei frühzeitigem wechselseitigen Testieren nicht gelingt, Bindung zu erklären. Ein Einwand gegen dieses Verdikt bleibt dennoch: Es kann doch nicht bestritten werden, daß auch die eheliche Interaktion faktisch durch Normen,

§ 5 Vorüberlegungen: Reziprozität und Ehegattentestament

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Werte oder auch standardisierte Rollenmuster geleitet sein kann. Ist dem so, kann sich aber auch in einer kurzen Ehe oder zu einem frühen Zeitpunkt in der Ehe Normemergenz einstellen. Die Frage ist nur: Ist dies relevant? Hier hilft ein Blick auf das zentrale Ergebnis des Grundlegungs-Teils dieser Untersuchung weiter. Dort war die Rede davon, daß das normative Leitbild des Testierens darin besteht, daß der letztwillig Verfügende in der Verfügung sein „Sein zum Tode“ entfaltet, mithin seinen je individuellen Tod individuell verarbeitet193, mag auch die soziale Wirklichkeit anders aussehen und die von Todes wegen Verfügenden mit einer Todesverarbeitung nichts zu schaffen haben194 – wie gesagt, das Recht geht von einem normativen, nicht von einem empirisch abgesicherten Leitbild der Todesverarbeitung im Testieren aus195. Einem derartigen Leitbild widerspräche es aber, die mit dem Testament geleistete Todesverarbeitung mit irgendwelchen Standardisierungen zu verbinden. Genau solche Standardisierungen würden aber rechtliche Relevanz gewinnen, wenn es rechtlich beachtlich wäre, daß auch in der Ehe standardisierte Interaktionsvokabulare die Konsistenz des Erwartens sichern, ohne daß individuell ausgehandelte Handlungsroutinen die Festigkeit des Erlebens abfedern. Anders gesagt: Für die Frage, ob im Testieren vertraut wird, spielt es keine Rolle, daß in der Ehe auch einmal standardisierte Verhaltensmuster herrschen können. Ist dem so, schlägt die Erklärung der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments für die oben genannten zwei Fallgruppen fehl: Mittels Vertrauens kann weder in kurzen Ehen, noch bei einem gemeinschaftlich frühen Testieren erklärt werden, wieso Bindung eintritt. Die geltungstheoretische Reichweite der Vertrauenskategorie ist mithin merklich geschwächt. Wenn mit Blick auf diese Schwierigkeiten das vertrauenstheoretische Bindungskonzept mit der Erwägung gerettet werden soll, die Ehegatten dürften eben erwarten, steht sofort die Frage auf dem Plan, wieso sie das denn dürfen, wieso also der Übergang von einem empirisch angelegten auf ein rein normativiertes Vertrauenskonzept stattfinden darf. Ersichtlich wird in diesem „Dürfen“ dem geltungstheoretischen Erklärungsproblem nur ausgewichen. Warum versieht das Gesetz denn nun eigentlich auf den Tod gerichtete vermögensbezogene Selbstdarstellungsakte mit Bindung, andere hingegen nicht, und errichtet so einen normativen Markierungspunkt? Wo ist also der normative Grund, soziale Selbstbindung rechtlich zu unterstützen? Dabei soll hier kein Zweifel daran gelassen werden, daß die Ehegatten bei korre193

Oben § 2 I 2 und Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 11 VII. Oben § 2 I 2 und Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 9 IV 1, 2, § 11 VII, § 13 I. 195 Ebenso geht das Recht davon aus, daß jeder Mensch eine Person ist. Ob die im Personbegriff eingeschlossenen Eigenschaften auch jeder Mensch tatsächlich besitzt, spielt für die Zubilligung der Rechtspersonalität schlichtweg keine Rolle. 194

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Kap. 2: Die Bindungswirkung des Ehegattentestaments

spektiven Verfügungen durchaus erwarten dürfen, daß der überlebende Teil nicht mehr abweichend testiert, mag auch für eine derartige Erwartung faktisch keine Grundlage bestehen. Nur ist für dieses Dürfen nun eine geltungstheoretische Legitimation erforderlich. Und diese Legitimation besteht – dies sollte bei der Gesamtanlage dieser Untersuchung nicht weiter verwundern – in der Funktion des gewillkürten Erbrechts, in der testamentsgestützten Todesverarbeitung sein „Sein zum Tode“ in einer Interaktion mit innig verbundenen Dritten zu entfalten, was nunmehr nachgewiesen werden soll.

Man kann in Liebe nur so handeln, daß man mit genau diesen Erleben des anderen weiterleben kann. Handlungen müssen in die Erlebniswelt des anderen eingefügt und aus ihr heraus reproduziert werden; und sie dürfen doch ihre Freiheit, ihre Selbstgewähltheit, ihren Ausdruckswert für Dauerdispositionen dessen, der handelt, damit nicht verlieren. Sie dürfen gerade nicht als Unterwerfung (. . .) erscheinen. Mit einem „na meinetwegen“ ist keine Liebe zufrieden. Sie fordert, daß nur der, der liebt, so handeln kann. Niklas Luhmann196

§ 6 Testamentarische Bindung und gemeinschaftliche Todesverarbeitung I. Testamentarische Bindung und Todesverarbeitung 1. Der funktionale Gehalt des Testierens und das Verstehen einer Todesverarbeitung durch Dritte

Der tragende Legitimationsgrund der Testierfreiheit liegt in deren Funktion für den Testierenden, in der je individuellen Todesverarbeitung wirkmächtig seine Personalität entfalten zu können. Die Todesverarbeitung ist mithin der genuin rechtliche Ausdruck des Personalen. Im Testieren finden sich also persönlichkeitsrechtliche Wertungen wieder, die seinen normativen Rang verdeutlichen197. Nun ist der Prozeß der Verarbeitung des je eigenen Todes nach dem rechtlichen Leitbild des Testierens ein Prozeß, der von äußerster Individualität geprägt ist198. Ein Testieren des einen Gatten, weil gerade der andere Gatte so und nicht anders testiert, ist mithin in der recht196

Luhmann, Liebe als Passion, 219 f. Dazu nur oben § 2 I 3 und Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 11 VII. 197

§ 6 Testamentarische Bindung und gemeinschaftliche Todesverarbeitung

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lichen Wertung – faktisch mag dies wiederum anders sein, doch wie gesagt, das rechtliche Leitbild des Testierens wertet anders, eben kontrafaktisch – nur angängig, wenn die beiden Todesverarbeitungen so miteinander „verschmelzen“ und intern verknüpft sind, daß überhaupt sinnvoll die Rede davon sein kann, es bestünde ein Motivationsnexus im Sinne eines „weil“. Die Todesverarbeitungen beider Gatten müssen gewissermaßen verschmelzen und im Blick auf den Tod in ein Netzwerk gemeinschaftlichen Selbstverständnisses einfließen. Da die Todesverarbeitung für das Recht etwas überaus Individuelles ist, ist dies wiederum etwas, was nur von denjenigen geleistet werden kann, die die je individuelle Sprache des je letztwillig Verfügenden bis in die kleinsten Verästelungen zu lesen befähigt sind. Diese Einsichtnahme in das Höchstpersönliche wiederum ist gemeinhin Intimbeziehungen vorbehalten, mithin solchen Beziehungen, in denen prinzipiell und tendenziell alle Eigenschaften einer je individuellen Person bedeutsam werden und man für alles am anderen aufgeschlossen zu sein hat199. In derartigen Beziehungen findet sich jene starke Gefühlsbindung zwischen Menschen, die wechselseitig die Chance eröffnet, „sich so situationsvergessen und entspannt auf sich selber zu beziehen, wie es dem Säugling möglich ist, wenn er sich auf die emotionale Zuwendung der Mutter verlassen kann“200. Zwischen intim sich zugewandten Personen situieren deshalb symbolische Codes, mit deren Hilfe man sich darüber informieren kann, wie man gerade in dem Fall, in dem eine erfolgreiche Kommunikation eher unwahrscheinlich ist – und zwar unwahrscheinlich, weil der Kommunikationspartner seine ganze Persönlichkeit (wie beim Testieren) in die Kommunikation einbringt –, dennoch erfolgreich kommunizieren201 und den je anderen auch in seiner Affektnatur anerkennen kann202. Eines der besten Beispiele derartiger Codes ist Liebe203. 198

Dazu oben § 2 I 2 und Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 9 II 3, § 9 IV 2. 199 So die Definition der Intimbeziehung bei Luhmann, Liebe als Passion, 14. 200 Honneth, Kampf um Anerkennung, 169. 201 Luhmann, Liebe als Passion, 21 ff. Siehe zur Funktion der Familie, die Interaktionsteilnehmer als ganze Person zu behandeln, deren sämtliche Handlungen und Erfahrungen (also auch solche außerhalb der Familie) kommunikativ relevant werden können, ders., in: ders., Soziologische Aufklärung, Bd. 5, 196 ff. 202 Allgemein ist es sinnvoll, drei Formen der Anerkennung zu unterscheiden, wie dies besonders plastisch durch Honneth herausgearbeitet worden ist: „Im affektiven Anerkennungsverhältnis der Familie wird das menschliche Individuum als konkretes Bedürfniswesen, im kognitiv-formellen Anerkennungsverhältnis des Rechts wird es als abstrakte Rechtsperson und im emotional aufgeklärten Anerkennungsverhältnis des Staates wird es schließlich als konkret Allgemeines, nämlich als in seiner Einzigartigkeit vergesellschaftetes Subjekt anerkannt“, Honneth, Kampf um Anerkennung, 45 (Zitat), 151. Hier liegt mithin das affektive Anerkennungsverhältnis der Familie und Ehe vor.

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Kap. 2: Die Bindungswirkung des Ehegattentestaments

Vor allem in Intimbeziehungen wird daher ein Verständnis der je individuellen Todesverarbeitung des anderen Gatten durch den einen Gatten und umgekehrt möglich sein. Intimbeziehung sind demnach in einer sehr spezifischen Weise codiert: In ihr wird die Möglichkeit maximal entfaltet, daß die Gatten die individuellen Unterschiedlichkeiten, die jeder von ihnen besitzt, unterstreichen und gleichzeitig das Ansinnen hervorheben können, eine Gemeinsamkeit zwischen den ehelich verbundenen Personen zu stiften204: Jeder Gatte kann gewissermaßen zugleich ganz er selbst und ganz mit dem anderen verbunden sein. Der eine Ehegatte findet dann gewissermaßen in der Todesverarbeitung des anderen Gatten seine eigene Suche nach seinem „Sein zum Tode“ gespiegelt und bedient sich quasi des anderen, um gleichsam hermeneutisch-zirkulär in der gemeinsamen Suche sein personales Selbst mit Blick auf den Tod zu entfalten. Nur in Intimbeziehungen lokalisieren jene Kommunikationschancen, die eine derartige zirkuläre gegenseitige Verschleifung personaler Entfaltung möglich machen; nur in ihnen ist die Aussicht angelegt, daß dem einen Gatten die Personalität des anderen in seiner ganzen Individualität erfahrbar werden kann und umgekehrt. Der im Spiegel des Todes des je anderen Gatten fruchtbar werdende Blick auf den eigenen Tod erhält zudem in Intimbeziehungen eine das „Sein zum Tode“ geradezu zuspitzende Brisanz. Denn Intimbeziehungen sind ja mit dem Gedanken schlichtweg unverträglich, daß sie zeitlich irgendwann beendet sind – und sei es durch den Tod205. Sie sind deshalb durchweg auf eine (im Erleben implizit unterstellte) Unendlichkeit einer immer offenen Zukunft angelegt, in der das „Sein zum Tod“ deshalb nicht nur als solches, sondern auch im Hinblick auf den Wegfall des subjektiv als nichtersetzbar konstruierten Partners verarbeitet werden muß. Gerade in dieser Vorwegnahme der Endlichkeit des anderen Teils kommen „jene existentiellen Gemeinsamkeiten zu Bewußtsein, auf deren Basis sich beide (Gatten) reziprok als verletzbare und bedrohte Wesen zu betrachten“206 und damit auch den hohen Stellenwert der Todesverarbeitung des je anderen zu schätzen lernen. 203

Dazu Luhmann, Liebe als Passion, passim. Allert, Die Familie, 223. Der Vorzug der Familiensoziologie Allerts liegt in dem von ihm gewählten individualistischen Ansatz, der damit auch gerade die Eigenarten hoch-individualistischer Kommunikationen erfassen kann. Bei einer der einflußreichsten Hauptrichtungen innerhalb der Familiensoziologie, dem StrukturFunktionalismus, war dies eher nicht möglich, da dieser die in der Familie handelnden Akteure als eher fest umrissene Rollenträger analysiert und damit die individuellen Handlungsspielräume und variabel gestalteten Interaktionsmuster vernachlässigt. 205 Allert, Die Familie, 227. 206 Honneth, Kampf um Anerkennung, 81. Honneth bezieht diese Sentenz freilich nicht auf den je anderen Teil innerhalb der Gattenbeziehung, sondern auf den „Anderen“ als das jeweilige Gegenüber im zwischenmenschlichen Kontakt. 204

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Nun könnte gegen die Einsicht, mit Blick auf die eigene Todesverarbeitung könne ein vollständiges Verständnis der Todesverarbeitung Dritter grundsätzlich nur im Rahmen einer affektiv-intim gegründeten Sozialbeziehung stattfinden, eingewendet werden, dies widerspreche der gesetzlichen Anordnung, die Auslegung des letztwillig Verfügten auch dem Verständnis von Dritten anheimzustellen, die nicht intim mit dem Verfügenden verbunden sind, wie etwa dem auslegenden Richter. Bei Lichte betrachtet verschlägt dieser Einwand jedoch nicht. Einmal wird der Richter bei strittigem Parteivortrag über den Willen des Erblassers Beweisaufnahme anordnen; das Gesetz geht hierbei aus, daß die hiermit verbundenen verfahrensrechtlichen Sicherungen funktional die Codierung des Verstehens qua Intimität ersetzen. Zudem – und das ist ausschlaggebend – steht der Richter ja nicht vor der Situation, die Todesverarbeitung des anderen zu verstehen, um dieses Verständnis in seine eigene Todesverarbeitung einfließen zu lassen. Der Richter sieht sich mithin gerade nicht der Zumutung ausgesetzt, etwas Höchstpersönliches mit seiner eigenen Höchstpersönlichkeit zu verschwistern, vielmehr kann er sich selbst personal neutral geben – was sich in seiner richterlichen Unparteilichkeit widerspiegelt – und braucht nur dasjenige hermeneutische Wohlwollen an den Tag zu legen, welches ihm § 133 BGB auferlegt. 2. Todesverarbeitung und testamentarische Bindung

Es war eines der Ergebnisse der Diskussion der vertrauenstheoretischen Bindungserklärung, daß sich die Bindungswirkung korrespektiver Verfügungen mit dem Gedanken des Vertrauensschutzes nicht rechtfertigen läßt, solange die Ehegatten als selbstverantwortliche Rechtspersonen ernstgenommen werden. Der Vertrauensgedanke rechtfertigt allenfalls die Regelung des § 2270 I BGB, nicht aber die testamentarische Bindung nach § 2271 II BGB207. Die testamentarische Bindung blieb mithin ein Rätsel. Dies ändert sich, wenn der Gedanke in den Blick kommt, daß mit dem gemeinschaftlichen Testieren ein Einbau der durch den einen Ehegatten geleisteten Todesverarbeitung in die eigene Todesverarbeitung des anderen Gatten verbunden ist. Mit Blick auf diesen Einbau wird deutlich, warum das Gesetz Bindung bei korrespektiven Verfügungen anordnet: Korrespektivität führt dazu, daß der eine Ehegatte vom anderen Gatten quasi dessen Todesverarbeitung für die eigene Todesverarbeitung „geschenkt“ bekommt. Der eine Gatte wird nicht nur seine Vorstellungen hinsichtlich der gerechten Vermögensordnung post mortem an der Verfügung des anderen Teils orientieren. Vielmehr sieht er aufgrund der in der Intimbeziehung aufscheinenden Verschmelzung der Erlebnis- und Verstehenshorizonte der Gatten 207

Oben § 4 II 3 c und d.

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Kap. 2: Die Bindungswirkung des Ehegattentestaments

auch seinen eigenen Tod in der Thematisierung des Todes des anderen gespiegelt und kann sich damit um so besser der Verarbeitung des je eigenen Todes stellen. Freilich liegt hier der Einwand nahe, daß kaum einsichtig sei, wo der eine Gatte, der seine Verfügung schon errichtet hat, von dem anderen Gatten noch gratifiziert werden könnte. Diese Vorstellung wäre jedoch nicht prozeßhaft genug gedacht und zudem zu sehr auf das Schicksal des zu vererbenden Vermögens und nicht auf den Austausch psychischer und emotionaler Gratifikationen bezogen. Die Todesverarbeitung anhand der Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments ist ein verschlungener und manchmal sehr langwieriger Prozeß, an dessem Ende als quasi kulminierender rechtsgeschäftlicher Akt das Testament steht. In diesem Prozeß des gegenseitigen Gebens und Nehmens in der Verarbeitung der eigenen Sterblichkeit kommt dem rechtsgeschäftlich Akt der eigentlichen Festlegung der Vermögensordnung post mortem eine eher untergeordnete Bedeutung zu. Würde das vom Erstverstorbenen dem anderen Teil geleistete „Geschenk“ – die psychische und emotionale Gratifikation im Erleben der Gattenbeziehung während des Prozesses der gemeinsamen Todesverarbeitung – nach dem Tode des vorversterbenden „Schenkers“ durch eine Zweitverfügung des überlebenden Teils (die ja die Erstverfügung im Widersprechensfalle aufhebt, § 2258 I BGB) entwertet, wäre auch die Persönlichkeitsentfaltung, die in dem Testament des Erstversterbenden zum Ausdruck kommt, zunichte gemacht. Denn anders als der überlebende Teil kann der Erstversterbende ja die per gemeinschaftlichen Testament inszenierte208 Entfaltung seiner Persönlichkeit nach seinem Tode nicht mehr ändern – und zwar auch nicht durch eine weitere Verfügung für den Fall des Neutestierens des Überlebenden. Denn bei der Fertigung dieser weiteren Verfügung würde der Erstverstorbene seinem Tod ja nicht in intim codierter Verschwisterung mit der Todesverarbeitung des anderen Teils gegenüber treten. Vielmehr testiert er ja gerade nicht gemeinschaftlich. Im wechselbezüglichen Testieren aber hat der Erstverstorbene dem Überlebenden eine Leistung erbracht, die durch ein isoliertes Testieren nicht ersetzbar ist: Er hat ihm die Möglichkeit eröffnet, anhand einer (des Erstverstorbenen) testamentarischen Verfügung seinen eigenen Tod im Spiegel der Todesverarbeitung des erstversterbenden Gatten zu bewältigen und als sicher eintretendes Ereignis auszuhalten. Die Gabe des Erstverstorbenen an den Hinterbliebenen ist mithin nicht nur die Verfügung selbst, sondern auch die Chance, im Blick auf den Tod des intim Verbundenen den eigenen Tod besser ertragen zu lernen – ein Lerneffekt, der seine volle Wir208 Die Begrifflichkeit des Inszenierens weist hier mit Bedacht darauf hin, daß das gemeinschaftliche Testieren oftmals nur der Endpunkt eines Prozesses der Persönlichkeitsentfaltung miteinander darstellt, der durchaus etwas Szenisches an sich hat.

§ 6 Testamentarische Bindung und gemeinschaftliche Todesverarbeitung

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kung nur bei Primärbeziehungen wie der Ehe entfalten dürfte. In der Diktion der Theorie des sozialen Austauschs sind mithin psychische Gratifikationen ausgetauscht worden. Vermögensmäßige und psychische Gratifikationen, die vom Erstverstorbenen an den Überlebenden fließen, sind also untrennbar miteinander verschmolzen. Und es liegt auf der Hand, daß diese psychischen Gratifikationen durch keine letztwillige Verfügung wiedergeholt werden können, die für den Fall des Neutestierens des Überlebenden bedingt vom Erstverstorbenen getroffen werden (ceteris paribus für den Fall, daß das Erbrecht eine Bindung gem. § 2271 II BGB nicht kennen würde). Dessen Gabe wäre mithin unwiederbringlich entwertet, wenn nach dem ersten Todesfall keine Bindung eintreten würde. Das Gesetz hat hierauf reagiert und in § 2271 II BGB Bindung vorgesehen. Um es nochmals zu sagen: Allein das Vertrauen auf die Konstanz der durch das gemeinschaftliche Testament projektierten Vermögensordnung reicht nicht hin, die testamentarische Bindung zu begründen; hier würde schon die Regelung des § 2270 I BGB zum Vertrauensschutz ausreichen. Es muß deshalb ein Weiteres hinzukommen, damit § 2271 II BGB geltungstheoretisch als Recht erklärt werden kann. Und dieses Weitere ist der Aspekt der gemeinsamen Todesverarbeitung in intim codierter Kommunikation und der darin eingeschlossene Austausch von psychischen Gratifikationen. Diese Einsicht zeigt ein weiteres Mal die Fruchtbarkeit des hiesigen Ansatzes: Nachdem der Gedanke des Vertrauens und der erbrechtliche Familiarismus bei der Erklärung der Bindungswirkung korrespektiver Verfügungen weitgehend gescheitert sind, zeigt erst der Verweis auf die personalen Gehalte der Todesverarbeitung und die dort lokalisierten psychischen Phänomene, gekoppelt und präzisiert mit der Theorie des sozialen Austauschs und der hieraus anschaulich werdenden Bindungskraft psychischer Gratifikationen, warum das Gesetz die testamentarische Bindung des überlebenden Teils implementiert hat. Der Erstverstorbene hat in der Diktion der Vertrauenslehren gesprochen folglich eine unwiederbringliche Investition erbracht. Die Bindung des überlebenden Teils ist demnach Ausdruck des Schutzes der Persönlichkeit des Erstversterbenden in der besonderen Situation der gemeinschaftlichen Todesverarbeitung mit ihren vermögensmäßigen und psychischen Gratifikationen. Wie schon öfters gesagt: Gegen eine derartige personfunktionale Bindungsbegründung verschlägt kein Einwand, zumeist würden die Ehegatten schon nicht im Hinblick auf die eigene Todesverarbeitung testieren, um so weniger würden sie diese mit Blick auf die des anderen Gatten ins Werk setzen. Ein derartiger Einwand greift das tatsächliche Verfügungsverhalten auf und kann aus diesem Grunde nichts gegen das normative Leitbild des gewillkürten Erbrechts erinnern, welches anders wertet, um der Rechtsperson nicht ein zugkräftiges Mittel aus der Hand zu schlagen, sein personales

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Kap. 2: Die Bindungswirkung des Ehegattentestaments

Selbst im Widerstreit mit den funktionalen Imperativen der gesellschaftlichen Subsysteme eigenständig auszubilden und zu behaupten209. Es gilt also: Der Erstversterbende darf – in der Diktion vertrauenstheoretischer Bindungslehren gesagt – vertrauen, weil nur so seine Persönlichkeit in der Situation der todesverarbeitenden Interaktion mit innig verbundenen Dritten hinreichend geschützt wird210. Unerheblich ist hierbei, ob auch tatsächlich aufgrund der gegebenen Erwartungsstrukturen für die mit einem Vertrauen verbundenen Erwartungen kein Raum ist, weil für die eheliche Beziehung noch keine Zeit bestand, sich eine eigene Geschichte ehelicher Erwartungsstrukturen zu schreiben. Zudem dürfte auch klar geworden sein, warum der Erstversterbende nur dann geschützt wird, wenn der andere Gatte ihm eine auf das Vermögen bezogene Verfügung „schenkt“: Eine dauerhafte Bindung des Überlebenden wird nur durch eine zugleich neben der psychischen Gratifikation erfolgende vermögensbezogene Gratifikation implementiert, weil ja nur das Vermögen dasjenige ist, welches das personfunktionale Erbrecht als Mittel der Todesverarbeitung begreift211. Für eine testamentarische Bindung muß also beides zusammenkommen: Eine psychische und eine vermögensbezogene Gratifikation. Zugleich dürfte klar geworden sein, warum das Gesetz die testamentarische Bindung auf Erbeinsetzungen, Vermächtnisse und Auflagen beschränkt, § 2270 III BGB: Gerade in diesen Verfügungen lokalisiert ja hauptsächlich die Macht gegenüber den systemischen Imperativen der gesellschaftlichen Subsysteme, die in einer per Testament geleisteten Todesverarbeitung verborgen ist212. Wird mithin die Bindung des überlebenden Teils auf diese Verfügungen beschränkt, wird das Vertrauen des Erstversterbenden gerade soweit geschützt, wie es zum schlagkräftigen Schutz seiner Todesverarbeitung erforderlich ist, ohne zugleich die nach dem Tode des Erstversterbenden eventuell neu per Testament einsetzende Todesverarbeitung des Überlebenden all zu sehr einzuschränken. § 2270 III BGB implementiert mithin einen Vertrauensschutz auf einen die Persönlichkeitsrechte beider Gatten berücksichtigenden funktional angemessenen Niveau. Wendet im übrigen der vorversterbende Ehegatte dem anderen Gatten andere als vermögensmäßige, aber gleichwohl auf die Verarbeitung seines eigenen Todes bezogene Gratifikationen 209 Dazu oben § 2 I 2 und Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 9 III 3, § 9 IV 2. 210 Im Schutz der Persönlichkeitsrechte des Erstversterbenden lokalisieren demnach genau die Zwecke eines Vertrauensschutzes, die von der Rechtsgeschäftslehre (etwa bei Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 216) eingefordert werden, um berechtigtes von unberechtigtem Vertrauen scheiden zu können. 211 Siehe oben § 2 I 2, § 5 III 2 a und Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 9 IV, § 10 V 4 b dd. 212 Dazu oben § 2 I 2 und Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 9 II 3, § 9 IV 2.

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zu, tritt keine Bindung des Überlebenden ein, weil eine derartige Bindung außerhalb der personfunktionalen Gründung des Erbrechts liegt. 3. Testamentarische Bindung und Gattenbeziehung

Insgesamt gesehen verwundert es auch nicht, daß das Gesetz eine Bindung nur bei einer Ehegattenbeziehung vorsieht. Es setzt dabei voraus, daß gerade in einer Ehe jene Codierung von Intimität gelingt, welche oben als tragendes Merkmal eines gelingenden korrespektiven Verfügungsverhaltens herausgearbeitet worden ist. a) Die Codierung von Intimität in der ehelichen Verbindung Eine derartige gelungene Codierung setzt zweierlei voraus: Erstens darf das Eherecht einer expressiv-individuellen Codierung der Interaktion der Gatten nicht entgegenstehen; zweitens müssen Chancen vorhanden sein, eine derartige Codierung im sozialen Leben wirkmächtig implementiert zu sehen. Soweit es um den ersten Punkt geht, trägt das rechtliche Leitbild der Ehe einer ehelichen Intimität durchaus Rechnung. Zwar könnten dagegen institutionalistische Ehelehren sprechen, die traditionell vorgeprägte Eheinhalte den Ehegatten als lebbar vorgeben und damit den rechtlichen Zuschnitt der Ehe von den konkreten Konturen der je individuell ausgestalteten Eheinhalte ablösen wollen. Die in derartigen institutionellen Ehelehren verborgenen metaphysischen Vorgaben bezüglich des rechten „Wesens der Ehe“ und ihren vermeintlich „sittlichen Gehalten“ (das Savignysche Verständnis der Ehe als „sittliches Verhältnis“213) im Sinne einer „von dem Willen der Ehegatten unabhängigen sittlichen und rechtlichen Ordnung“214 stehen aber heute zumindest rechtlich wegen der erheblichen gesetzlichen Neuformungen des Eherechts seit der Kodifikation nicht mehr ernstlich zur Debatte215. Die Ehe wird mehr und mehr als offener Rahmen verortet216, der von den Ehegatten nach ihrer Überzeugung ausgestaltet wird217, als formale, inhaltsoffene Organisation218 oder schließlich (freilich ohne jede An213

Dazu v. Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd. 1, 345 ff. Mot. IV, 562. 215 Siehe zur Entwicklung des bürgerlichen Familienmodells nur Dörner, Industrialisierung und Familienrecht, 67 ff. Zur soziologischen, in der Parsonsschen Tradition stehenden Verortung der Familie als empirische Institution siehe nur F. X. Kaufmann, in: Lüscher u. a. (Hrsg.), Die postmoderne Familie, 391 (392); Tyrell, in: Lüscher u. a. (Hrsg.), ebda., 145 ff.; Hill/Kopp, Familiensoziologie, 67 ff. 216 Allg. zu den verschiedenen Ehelehren vgl. nur Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 3; Hepting, Ehevereinbarungen, §§ 3–5. 217 So Pawlowski, Studium, 326, als Vertreter der sog. interindividuellen Ehelehre. 214

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lehnung an metaphysisch-sittliche Substanzvorstellungen) als „rechtlich geregelte soziale Verhaltensform“, „die dem Anspruch des einzelnen auf soziale Verhaltensmuster . . . Genüge tun soll“219. Hinsichtlich des zweiten Punkts (der vollzogenen Implementation von Intimität in der ehelichen Interaktion) wäre es nun nicht verwunderlich, wenn hier eingewendet würde, nicht bei sämtlichen Ehen gelänge eine intime Zuwendung der Gatten zueinander. Dies wiederum hätte zur Folge, daß die Erklärungskraft des hiesigen Ansatzes ebenso sinken müßte, wie dies dem vertrauenstheoretischen Bindungskonzept beschieden ist220. Nun sollte in der Tat nicht in die Vorstellungswelten des 19. Jahrhunderts zurückgefallen werden, nach der die Ehe jene überindividuelle Instanz verkörpert, der die persönlichen Glücksverheißungen und damit auch das in der erfüllten Beziehung aufscheinende Glück ohne Wenn und Aber subsumiert werden kann221. Es ist jedoch zu fragen, ob sich der rechtsdogmatische Diskurs mit der Frage, ob tatsächlich auch heute noch die Ehe ein Ort codierter Intimität darstellt, überhaupt auseinandersetzen muß. Denn die Frage nach der empirischen Implementation von Intimität in der Ehe berücksichtigt ja die rechtlich gerade interessante Problematik nicht, daß rechtlich auch eine normative Implementation von Intimität als gewissermaßen regulative Idee hinreichend sein könnte, vor deren Hintergrund das Recht sich testamentarischer Bindungen annimmt und rechtlich anordnet. Die Ehe verbindet zwei Menschen nach der Vorstellung des Rechts zu einer Lebensgemeinschaft (§ 1353 I 2 BGB)222, von der Gernhuber und Coester-Waltjen zwar zu Recht sagen, daß sie als totale Gemeinschaft wohl stets mehr Idealvorstellung denn Realität war – eine Idealvorstellung, welche in der individualegoistischen Gegenwart mit ihrem Zug zur Individualisierung sowieso vollends verlorengegangen zu sein scheint223. Aber immerhin bleibt doch eine Idealvorstellung einer intim codierten Ehe auch dann bestehen, wenn der eheliche Alltag anders aussieht. Wo sonst, wenn nicht in der ehelichen Lebensgemeinschaft, sollte das Gesetz davon ausgehen dürfen, die soziale Interaktion innerhalb der Gemeinschaft würde auch solche Kommunikationen erfolgreich machen (sprich: zum gegenseitigen Verstehen führen), die außerhalb der Gemeinschaft unwahrscheinlich wären? Wo sonst, wenn nicht 218 So Pawlowski, Die „bürgerliche Ehe“ als Organisation, 1983; ders., JZ 1998, 1032 (insbes. 1034 ff.), der seine interindividuelle Ehelehre damit ein konturenschäferes Gesicht verleiht. Siehe auch ders., Methodenlehre, Rn. 882 ff. 219 So Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 3, 6. 220 Dazu oben § 4 II 3 c. 221 Dazu nur Ernst, Machtbeziehungen zwischen den Geschlechtern, 136 ff. 222 In den verfassungsrechtlichen Ehebegriff übernommen in ständiger Rechtsprechung seit BVerfGE 10, 59 (66). 223 Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 3, 1. und 9.

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in der Ehe, gewährt das Recht zwei Personen einen rechtlich geschützten Freiraum, in dem prinzipiell alle Eigenschaften beider Personen thematisiert werden können, in dem also die mit dem Ideal der „romantischen Liebe“ verbundene Idee affektiver Exklusivität und unbegrenzter Solidarität wirksam werden können? Die Regeln und Prinzipien des Familienrechts gründen doch vor allem auf der besonderen Rationalität des Privatlebens und seiner spontanen Normbildung: auf der „Vorstellung einer auf Liebesheirat gegründeten und trotzdem haltbaren, persönlich-intim verbundenen Lebensgemeinschaft, in der das Individuum für seine konkrete Eigenart Verständnis und Unterstützung finden kann“224. Seit der Kodifikation und zumal seit dem 1. EheRG nähert sich das Ehebild des Bürgerlichen Rechts mehr und mehr dem Bild der romantischen Ehe225. Das Gesetz geht demnach zu Recht von der Erwartung aus, die Ehe sei ein Ideal intim codierter Kommunikation, in der die Subjekthaftigkeit der Partner als zentrale Zurechnungsinstanz des gegenseitigen Austauschs bemüht wird. Freilich ist mit dieser Erwartung kein rechtlicher Zwang verbunden, sich ehelich personal-intim kommunikativ zuzuwenden226. Denn wie gesagt: Institutionelle Ehelehren entsprechen nicht mehr dem heutigen Recht und einer Vorstellung der Ehe als offener Rahmen, als inhaltsoffene Organisation oder als rechtlich geregelte soziale Verhaltensform widerspricht ein derartiger Zwang sowieso. Zudem ist der Einwand, eine intim codierte Interaktion sei in Ehen heute nicht mehr so selbstverständlich, durchaus mit empirischen Befunden angreifbar. Die Ehe wird durchweg zur Befriedigung emotionaler Bedürfnislagen eingegangen, was sich auch in der Ausgestaltung der Ehegattenbeziehung zeigt, die sich immer stärker an emotionalen Kriterien orientiert227. Gegenüber dieser stärkeren Orientierung der Gattenbeziehung an Liebe und Passion treten ökonomische Motive des Zusammenlebens eher zurück. Gerade die zunehmende Scheidungsquote belegt dies, da bei fehlgeschlagenen inneren Bindungen die Scheidungsziffern steigen, wenn diese innere Bindungen zur faktischen Grundlage der Ehe werden und damit der institutionelle Verpflichtungs- und Verbindlichkeitscharakter der Ehe tendenziell abnimmt228. Nun gedeihen Liebe und Passion nur in einem kommunikativen Klima, in dem jene Kommunikation gelingen wird, deren Erfolg außerhalb 224 Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, 980 (dort das Zitat); Teubner, ZfRSoz 1998, 8 (27). Siehe ansonsten zum personalen Eheverständnis in auch rechtshistorischer Perspektive Dieter Schwab, FamRZ 1981, 1151 (1154 ff.). 225 Dieter Schwab, FamRZ 1981, 1151 (1155). 226 Geschlechtlich mag dies zumindest für die Rechtsprechung anders sein, siehe BGH, NJW 1967, 1079. 227 Schumacher/Vollmer, in: Hondrich (Hrsg.), Soziale Differenzierung, 210 (263); Wagenitz/Barth, FamRZ 1996, 577 (578). 228 Dies zeigt sich schon seit längerer Zeit, siehe nur Nave-Herz, in: dies. (Hrsg.), Wandel und Kontinuität der Familie in der Bundesrepublik Deutschland, 61 (85).

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der affektiv verbundenen Beziehung wenig wahrscheinlich ist. Zumindest in der sozialen Typik bleibt die Ehe also auch heute noch ein Ort, in der durch den ehelichen Kommunikationsprozeß eine gemeinsame Wirklichkeit produziert wird, die zwar nie restlos gemeinsam ist, dennoch aber das Selbst- und das Weltbild der einzelnen Gatten in einem hohen Maße bestimmt229. Die Bindung qua Ehegattentestament basiert nach all dem für das Recht auf dem gesetzlichen Ehe-Ideal, in der Ehe gelänge eine intim codierte, auf den je individuellen Tod der Gatten bezogene Kommunikation. Soweit hier nochmals eingewendet wird, ein derartiges Ideal sei hoffnungslos realitätsfremd, kann darauf verwiesen werden, daß derartige Diskrepanzen zwischen Ideal und Realität schließlich auch sonst nichts außergewöhnliches sind – wie sonst, wenn nicht als realitätsfernes Idealbild, sollte etwa das rechtliche Konzept von Persönlichkeit weiterhin verteidigt werden können, wenn die durch den Strukturalismus entwickelte Einsicht als empirisch überzeugend begriffen wird, strukturale Verknüpfungen seien vor jeder subjektiven Aktion empirisch relevant230. Und wie sollte weiterhin einsichtig die Rede davon sein, der einzelne entfalte sich mit Blick auf seine Identität selbst, wenn die seit Freud tradierten Abgründe personaler Identität, vor deren Hintergrund die Person als Kunstprodukt a-personaler Prozesse widerscheint231, ernst genommen werden. Empirisch mögen derartige Erkenntnisse einleuchtend sein – normativen Folgerungen werden aber daraus nicht gleichsam präjudiziert, wenn wir uns von dem Kunstprodukt „Person“ eine Sicherung unserer Freiheit erhoffen. b) Der Grund für die Einschränkung der Bindungswirkung auf das gemeinschaftliche Testament von Ehegatten und Lebenspartnern Die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments beruht nach den bisherigen Überlegungen also nicht auf dem Schutz der Familienordnung und dem besonderen Gehalt der ehelichen Verbindung, wie dies etwa von Battes232 angenommen worden ist, sondern auf der gemeinschaftlichen 229 Siehe dazu nur die berühmte Studie im Kontext des Symbolischen Interaktionismus von Peter L. Berger und Hansfried Keller in: Dreitzel (Hrsg.), Recent Sociology No. 2, Patterns of Communicative Behavior, 49 ff.; sowie Morlok, Selbstverständnis, 99 f., der ebenfalls auf Berger/Keller Bezug nimmt. Siehe ansonsten nur Hill/Kopp, Familiensoziologie, 89 f., dort auch zu Berger/Keller. 230 Allg. zur Problematik Meyer-Drawe, Illusionen von Autonomie, etwa 14 ff., 30, 36 ff. und passim; sowie den vorzüglichen Überblick bei Wenzel, Berliner Journal für Soziologie 1 (1995), 113 ff. 231 Dazu siehe Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 10 IV 3 b.

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Todesverarbeitung zweier Menschen, die sich in intim codierter, auf den je individuellen Tod beider Teile bezogener Kommunikation ihrem „Sein zum Tode“ widmen. Damit steht sofort die Gegenfrage im Raum, warum das Gesetz eine auf den Tod bezogene, intim codierte Kommunikation und deren Niederschlag in einem gemeinschaftlichen Testament nur dann einer Bindungswirkung aussetzt, wenn die Kommunizierenden ehelich verbunden sind; schließlich ist Intimität nicht auf die Form der Ehe beschränkt, sondern auch in anderen Partnerschaften anzutreffen. Die Antwort auf diese berechtigte Frage kann allein in dem Aspekt der Rechtssicherheit gefunden werden: Ob eine Beziehung tatsächlich eine Intimbeziehung ist, bleibt notwendigerweise Dritten verschlossen und kann nur durch die intim Verbundenen selbst der Öffentlichkeit offenbart werden. Ganz ähnlich führt Dieter Schwab vor dem Hintergrund des schon angesprochenen233 Zugs der Zeit zu einem mehr und mehr romantischen Eheverständnis aus, daß diese Idee von der Ehe eigentlich erwarten lassen sollte, daß auch die Form der Zivilehe relativiert worden wäre – „warum soll (. . .) nicht auch eine wahre Ehe existieren können, ohne je die Gestalt ehelicher Legalität angenommen zu haben?“234 Der Grund für den Formzwang im Eheschluß verortet Schwab dann in dem „üppingen Normengeflecht, das auch und gerade in unserer Zeit den Tatbestand ,Ehe‘ zum Bezugspunkt nimmt“235. Ähnlich ist es auch bei der gemeinschaftlichen Todesverarbeitung intim einander zugewandter Personen. Auch dies ist ein Teil jenes Normgeflechts, welches um der Rechtssicherheit willen notwendig an einen klaren Fixpunkt anknüpft. Denn bei der Vielfalt intimer Codierung ist es ja schwer, ein normatives Leitbild auszubilden, welches von ähnlich sicherer Prägekraft ist wie jenes der Ehe. Damit liegen aber die rechtspolitischen Folgerungen gleichfalls auf der Hand: Falls der Gesetzgeber anderen Lebensgemeinschaften als der Ehe eine ebenfalls rechtssichere Plattform (etwa ein Register) zur Verfügung stellt, anhand derer sie der Gesellschaft mitteilen können, sie würden in ihrer Kommunikation die ganze Persönlichkeit des je anderen zum Thema machen (anders gesagt: sie seien eine Intimbeziehung), steht nichts entgegen, die durch das Ehegattentestament ins Werk gesetzte Bindungswirkung auf diese Partnerschaften auszudehen. Wieso sollte nur mit der Lebensform „Ehe“ eine testamentarische Bindungswirkung verbunden sein, wenn diese Bindung nicht in der „Form“ dieser Lebensform, sondern in ihrem angenommenen Eigensinn wurzelt, Abbild intimer Verbundenheit zu sein? Oder negativ formuliert: Wieso wird das Institut des Ehegattentestaments nicht aufgegeben, wenn intim verbundene 232 233 234 235

Dazu oben § 4 II 2. Oben § 6 I 3 a. Dieter Schwab, FamRZ 1981, 1151 (1155). Dieter Schwab, FamRZ 1981, 1151 (1156).

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Personen dem beiderseitigen Wunsch nach einer gegenseitigen Verflechtung ihrer Suche nach dem angemessenen individuellen „Sein zum Tode“ nicht auch durch die rechtssichere Form des Erbvertrags nachkommen können? Folgerichtig versperrt sich das Gesetz jeglichen Idealisierungen, die mit der Beschränkung der Bindungswirkung auf die Lebensform „Ehe“ verbunden wäre, und ordnet in § 10 IV 2 LPartG an, daß die §§ 2266–2273 BGB auf die eingetragene Lebenspartnerschaft anzuwenden sind. Dies ist ein Hinweis mehr, daß das gemeinschaftliche Testament mit der Lebensform „Ehe“ als solcher nichts zu tun hat, sondern mit den in intim codierten Partnerschaften lokalisierten Kommunikationschancen. Der mögliche Vorhalt, hier würde entgegen des Schutzgebots aus Art. 6 I GG das Institut der Ehe untergraben236, geht hier deshalb fehl, weil die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments nicht den Schutz der Ehe, sondern den Schutz des Persönlichkeitsrechts des Erstverstorbenen bezweckt, der in der intim codierten Kommunikation mit einer anderen Person sein „Sein zum Tode“ entfaltet hat. Wenn eine Regelung aber einen Eheschutz gar nicht avisiert, kann ihre Umgestaltung das Rechtsinstitut der Ehe auch nicht relevant tangieren. Zudem folgt nach der Rechtsprechung des BVerfG aus dem Fördergebot des Art. 6 I GG zu Recht kein Benachteiligungsgebot gegenüber anderen als ehelichen Lebensformen237. II. Einzelheiten testamentarischer Bindung 1. Einseitige Abhängigkeit und testamentarische Bindung

Vor dem Hintergrund der bisherigen Überlegungen ist die Frage leicht zu beantworten, wie es um einseitige Abhängigkeit bestellt ist, wenn also nur die Verfügung des einen Ehegatten von der des anderen abhängt, nicht aber umgekehrt238. Entgegen einigen Stimmen in Literatur239 und Rechtsprechung240 berechtigt die Enttäuschung des einseitig gebliebenen Motivs nicht nur zur Anfechtung gem. § 2078 BGB, sondern führt zwingend zur direkten241 oder analogen242 Anwendung der §§ 2270 f. BGB. Zwar scheint 236 Allg. zu derartigen Vorhalten siehe nur Rauscher, Reformfragen, 48 ff. siehe im übrigen ablehnend zum Abstandsgebot jüngst BVerfG, NJW 2002, 2543 (2548 f.). 237 BVerfG, NJW 2002, 2543 (2548). 238 Dazu eingehend Buchholz, RPfleger 1990, 45 ff., auf der Basis eines rein vertrauenstheoretischen Bindungsansatzes. 239 V. Lübtow, Erbrecht, Bd. 1, 491; Strohal, Bd. 1, 326 A.28, 331 A.9; Leonhard, § 2270 Anm. A.IV. 240 KG, KGJ 42, A 119 (122). 241 So etwa Buchholz, RPfleger 1990, 34 ff.; Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266 (1273 ff.); Erman-Hense/Schmidt, § 2270 Rn. 1.

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dagegen aus erster Sicht der Wille des historischen Gesetzgebers zu sprechen, da die zweite Kommission ausdrücklich zur Voraussetzung erhob, daß „jede der beiden Verfügungen mit Rücksicht auf die andere getroffen sei“243. Ist schon zweifelhaft, ob hierin wirklich eine Grundabsicht des Gesetzgebers zu erblicken ist244, so kann diese Äußerung der Kommission die Interpretation der §§ 2270 f. BGB schon deshalb nicht leiten, weil die Kommission das Recht des Testaments hier ersichtlich noch in den – damalig noch nicht, heute aber sehr wohl überwundenen245 – Kontext des Erbvertrags stellt und damit die testamentarische Bindung synallagmatisch begreift246. Demgegenüber ist die Struktur einseitiger und wechselseitiger Abhängigkeit durchaus ähnlich: Wenn der eine Teil testiert und der andere Gatte, gerade weil der eine so und nicht anders verfügt hat, auf diese Verfügung reagiert und spezifisch von Todes wegen verfügt, ist dem einen Gatten durch den anderen diese, des anderen Verfügung gratifiziert worden. Was diese Todesverarbeitung des anderen Gatten von der in wechselseitiger Korrespektivität gefundenen Verarbeitung unterscheidet, ist die Tatsache, daß es bei der einseitigen Abhängigkeit zu keinem Austausch psychischer Gratifikationen kommen muß. Denn der eine Teil hat die psychischen Gratifikationen des anderen Teils, die in dessen Verfügung verborgen sind, ja gerade nicht wahrgenommen und seiner eigenen Todesverarbeitung zugrundegelegt, da er nun einmal nur einseitig, also unabhängig vom anderen Teil verfügt hat. Ist der Austausch psychischer Gratifikationen aber der tiefere Grund der testamentarischen Bindung247, ist zweifelhaft, wieso es überhaupt zur einseitigen Abhängigkeit kommen kann; beide Teile haben sich ja gerade nicht jene Chancen für die eigene Todesverarbeitung zu nutze gemacht, die in der Verschmelzung der Verarbeitungshorizonte und der Spiegelung der jeweiligen Todesverarbeitung verborgen sind. Wieso sollte der Erstverstorbene also geschützt werden, wenn er dem überlebenden Teil nichts Relevantes geleistet und somit keine Vertrauensdispositionen erbracht hat und wenn sein Vertrauen auf den Bestand der Verfügung des Überlebenden schon durch § 2270 I BGB und durch ein für diesen Fall verfügtes 242 So etwa MünchKomm-Musielak, § 2270 Rn. 3; Staud-Kanzleiter, § 2270 Rn. 5; Kipp/Coing, Erbrecht, § 35 I 2, II 2. 243 Prot. V, 450. 244 Auch die Vertreter subjektivistischer Auslegungslehren müssen zugeben, daß allenfalls die grundlegenden Absichten des historischen Gesetzgebers, nicht jedoch dessen konkrete Normvorstellung methodisch relevant sein können, vgl. nur Larenz/ Canaris, Methodenlehre, 150. Ansonsten siehe zur Bedeutung der historischen Gesetzgebungsmaterialien nur oben § 1 II sowie Goebel, ARSP 2003, 372 (384 f.); ders., Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 1 III. 245 Dazu oben § 4 II 1. 246 Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266 (1274). Vgl. zur historischen Entwicklung nur Battes, Vermögensordnung, 48 ff. 247 Siehe oben § 4 II 3 c, § 5 III 2 b, § 6 I.

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zweites Testament geschützt werden kann?248 Nun wäre die durch diese Frage hindurchschimmernde Sicht hinsichtlich der geleisteten psychischen Gratifikationen denn doch etwas zu eng. Denn der Erstverstorbene leistet ja auch dann dem anderen Teil im Wege der psychischen Gratifizierung etwas, wenn er ihm die Chance anbietet, in intim codierter Kommunikation die eigene Todesverarbeitung im Spiegel der des anderen zu entfalten. In der Darbietung dieser Chance liegt mithin die erforderliche psychische Gratifikation. Bei bloß einseitiger Korrespektivität hat der andere Teil diese Chance nicht aufgegriffen, sondern zwar gemeinschaftlich, aber doch einseitig testiert. Es verwundert, daß der andere Teil gleichwohl gebunden sein soll, obwohl an sich eine „aufgedrängte“ Gratifikation vorliegt und derartige aufgedrängte Vorteile gemeinhin nicht zu irgendwelchen Nachteilen (wie eine testamentarische Bindung) führen. Der Grund, daß schon die Darbietung dieser Chance zur testamentarischen Bindung führt, kann wiederum nur in dem besonderen Verhältnis der Ehegatten untereinander gefunden werden. In intim codierten Primärbeziehungen darf jeder der Beteiligten erwarten, daß der andere Teil sich schon durch die Gewährung von Hilfsangeboten, nicht erst durch die Hilfe selbst gratifiziert sieht. Das Angebot zur Hilfe wird in das Geflecht ehelicher Austauschvorgänge von psychischen, emotionalen, sozialen und vermögensmäßigen Gratifikationen eingestellt, welches die soziale Primärbeziehung über die Zeit hinweg stabilisiert und ihr Zerbrechen hindert. Dieses Netz wird typischerweise als Moment des Rückblicks auf den gemeinsam verbrachten Lebensabschnitt auch den Tode des Erstversterbenden überdauern; im Affekt personaler Trauer kristalliert sich dies in besonders prägnanter Weise. Die testamentarische Bindung rechtfertigt sich mithin aus dem Einfließen des Unterstützungsangebots in dieses Austauschgeflecht. Hieraus folgt freilich zugleich, daß keine Veranlassung besteht, den Erstversterbenden zu schützen, solange für den Überlebenden die Darbietung der Chance, gemeinschaftlich den Tod zu verarbeiten, nicht hinreichend deutlich geworden ist. Ansonsten hat der Erstverstorbene ja wiederum keinerlei Anlaß, erwarten zu dürfen, daß der andere Teil nicht mehr neu testiert. Unabdingbare Voraussetzung für die Anerkennung einseitiger Abhängigkeit ist nicht nur, daß der Erstverstorbene spezifisch verfügt hat, weil der Überlebende so und nicht anders verfügt hat, sondern auch, daß der Überlebende tatsächlich erkannt hat, daß dies der Fall ist. Nur dann kann der Erstverstorbene im Zeitpunkt des gemeinschaftlichen Testierens erwarten, daß der andere Teil ihm signalisiert, er solle nicht darauf bauen, daß er nach dem ersten Todesfall nicht abweichend verfüge. Fahrlässige Unkennt248

Siehe zum Schutz des Erstverstorbenen durch § 2270 I BGB oben § 4 II 3 c.

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nis des Überlebenden von der Gratifikationsabsicht des Erstverstorbenen reicht nicht aus, da nichts ersichtlich ist, wie die Pflicht begründet werden soll, die den Fahrlässigkeitsvorwurf trägt. Insgesamt gesehen wird mit diesem Konzept auch der Baustein geliefert, welcher denjenigen Lehren fehlt, die in den §§ 2270 f. BGB einen gesetzlich geregelten Fall der Maßgeblichkeit einer bestimmten subjektiven Geschäftsgrundlage für die Weitergeltung eines Rechtsgeschäfts erblicken wollen249. Nach dieser Lehre ist die einseitige Korrespektivität eine Auswirkung des Umstands, daß ein Motiv schon dann zur Geschäftsgrundlage werden kann, wenn es zwar einseitig ist, aber der anderen Seite erkennbar und von ihr nicht beanstandet wird250. Doch woher sollte die Obliegenheit kommen, das Motiv zu beanstanden? Und warum sollte Erkennbarkeit des Motivs schon hinreichend sein? Der Geschäftsgrundlagenansatz ist hier genauso wenig aussagekräftig wie die vertrauenstheoretischen Bindungslehren251. Erst der Blick auf die Darbietung psychischer Gratifikationen und das eheliche Austauschgeflecht hilft hier weiter. Ein beachtlicher Wertungsunterschied ist nach all dem zwischen einseitig und wechselseitig abhängigen Verfügungen im Lichte reziproker Formen der Todesverarbeitung zumindest dann nicht zu erkennen, wenn – erste Voraussetzung – einer der Gatten mit Rücksicht auf die Verfügung des anderen verfügt, der andere Gatte – zweite Voraussetzung – hiervon Kenntnis hat und – dritte Voraussetzung – nicht zu erkennen gibt, daß er trotz der Verfügungsmotivation des einen Gatten sich den Weg nicht verschließen will, künftig abweichend zu testieren. 2. Die formale Bindung zu Lebzeiten beider Gatten: § 2271 I BGB

a) Die Begründung des lebzeitigen Widerrufsrechts Bisher war nur von der rechtlichen Bindung des Überlebenden nach dem Tode des Erstversterbenden die Rede. Das Gesetz bindet die korrespektiven Verfügenden zu Lebzeiten beider jedoch auch an gewisse Formen einer formellen Lösung von einer drohenden Bindung des überlebenden Teils, indem es für den Widerruf einer korrespektiven Verfügung die Form des Rücktritts vom Erbvertrag anordnet, § 2271 I 1 BGB. Diese Widerrufsmöglichkeit zu Lebzeiten beider Gatten scheint merkwürdig zu sein, da ja ge249 So Pfeiffer, FamRZ 1991, 1266 (1268); vorsichtige Andeutungen hinsichtlich eines Vergleichs mit der Geschäftsgrundlage bei Soergel-Manfred Wolf, § 2271 Rn. 15; Kuchinke, FS v. Lübtow, 283 (287). 250 So Pfeiffer, FamRZ 1991, 1266 (1275). 251 Zu diesen siehe oben § 4 II 3.

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meinhin unter Lebenden bei einem reziproken (also bei einem dem do-utdes entsprechendem) Geschäft die Zulässigkeit eines Widerrufs oder eines Rücktritts an Vertretenmüssen oder an gewichtige materielle Gründe geknüpft ist. Ein Wertungswiderspruch kann hierin freilich nicht gesehen werden. Bei einem personfunktional orientierten Verständnis des gewillkürten Erbrechts wird sofort einsichtig, warum eine lebzeitige Widerrufsmöglichkeit gesetzlich vorgesehen ist: Bei einem Widerruf des einen Ehegatten kann der andere Gatte die nunmehr entwertete Reziprozität dadurch auffangen, indem er, der andere Gatte, selbst wieder neu testiert. Sein Persönlichkeitsrecht wird durch einen Widerruf mithin nicht relevant verletzt. Durch die besondere Form des Widerrufs wird dem anderen Teil zudem die Ernsthaftigkeit der Aufkündigung der ehemals gemeinsam geleisteten Todesverarbeitung signalisiert und eindringlich vor Augen geführt, daß die einstmals gefundene Reziprozität entgültig zerbrochen ist. Es ist daher nur folgerichtig, daß jedem Teil qua Widerrufsrecht die Chance eingeräumt ist, sein eigenes „Sein zum Tode“ dort neu zu entfalten, wo Persönlichkeitsrechte anderer nicht relevant tangiert werden. Das Gesetz stellt damit ein flexibles Instrumentarium bereit, nicht nur die aus der neuesten sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen zu ziehenden Erwägungen zu überdenken252, sondern auch der Fortentwicklung der Person im Laufe ihres Lebens Rechnung zu tragen. Die Kombination von formaler (Widerruf) und materieller Bindung stabilisiert daher die testamentarische Bindung auf dem für den Schutz der Todesverarbeitung funktional angemessensten Niveau. b) Die rechte Form des Widerrufs Der Widerruf nach § 2271 I 1 BGB ist gegenüber dem anderen Ehegatten zu erklären, §§ 2271 I 1 i.V. m. § 2296 II 1 BGB, und bedarf der notariellen Beurkundung, §§ 2271 I 1 i.V. m. § 2296 II 2 BGB. Die Rechtsprechung verlangt zur Formwahrung den Zugang der Urschrift oder einer notariellen Ausfertigung und läßt eine beglaubigte Abschrift mit der Begründung nicht genügen, diese beweise im Rechtsverkehr nur die Übereinstimmung der Abschrift mit der Urkunde, stelle aber selbst nicht die Erklärung dar, die deshalb bei einem Zugang nur der beglaubigten Abschrift auch nicht zugehen könne253. Mit dieser formalistischen Argumentation wird freilich der Formzweck auch unter dem Aspekt des Schutzes der Persönlichkeit des Testierenden in einem nicht mehr gerechtfertigten Ausmaß überzogen254 und damit der Schutz reziprok erwiesener Gratifikation und in 252 Auf diese Bereiche beschränkt Battes, Vermögensordnung, 246 f., den Sinn des Widerrufs. 253 Vgl. nur BGHZ 31, 5 (7); 26, 201 (204); 48, 374 (378); OLG Hamm, FamRZ 1991, 1486.

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der Folge der Schutz der sich im „Sein zum Tode“ entfaltenden Persönlichkeit des Testierenden auf einem dysfunktionalen Niveau stabilisiert. Das Verhältnis von Rechtsgeschäft und gesetzlicher Form kann heute nicht mehr als Einheit eines Formalgeschäfts verstanden werden255. Dementsprechend werden heute selbstverständlich die Zwecke der notariellen Beurkundung des Widerrufs im Übereilungsschutz, in der rechtlichen Beratung sowie in der Beweisfunktion gesehen256. Diese wiederum werden auch bei dem Zugang einer bloß beglaubigten Abschrift gewahrt. Die harrschen Formerfordernisse der Rechtsprechung sind mit Blick hierauf demnach nicht einsichtig. Es kann auch keine Rede davon sein, eine angemessene Sicherung des vertrauenden Teils sei nur vorhanden, wenn die Urschrift oder eine Ausfertigung des Widerrufs zuginge. Denn eine Kontinuität im Erwarten kann faktisch auch durch andere Formen der Interaktion abgebrochen werden. Die Hauptsache ist ja, daß enttäuschungsfest stabilisierte Erwartungen überhaupt ihre Enttäuschungsfestigkeit verlieren, was wiederum gegeben ist, wenn dem Erwartenden klar und deutlich signalisiert wird, er möge seine Erwartungen ändern. Genau dies leistet aber auch der Zugang einer beglaubigten Abschrift des Widerrufs. Allerdings begründet die Rechtsprechung ihre Ansicht, der Zugang einer beglaubigten Abschrift der Erklärung reiche zur Formwahrung nicht hin, mit der Erwägung, normalerweise werde eine beglaubigte Abschrift im Rechtsverkehr nicht als Verkörperung der Erklärung selbst angesehen; ginge nur die beglaubigte Abschrift zu, sei die Erklärung selbst nicht zugegangen. Diese Erwägung ist gegenüber den gerade skizzierten materiellen Vertrauensgesichtspunkten eher sekundär. Denn es müßte ja zuerst einmal geklärt werden, welcher Personenkreis unter den Begriff „Rechtsverkehr“ zu verstehen ist: Ist „Rechtsverkehr“ die „Sozietät insgesamt“? Ist es nur die Gesamtheit oder auch nur ein Teil der „rechtlich relevant Handelnden“? Oder wenn es nur ein Teil ist, nach welchen Kriterien setzt er sich zusammen? Richtigerweise kann es nicht darauf ankommen, worin die genannten Personenkreise die Verkörperung der Widerrufserklärung sehen. Vielmehr muß der Begriff „Rechtsverkehr“ einen einsichtigen Bezug zur Teleologie des § 2271 II 1 BGB aufweisen. Denn gesetzt den Fall, es würde der Ansicht desjenigen Kreises gefolgt, der gemeinhin mit „Rechtsverkehr“ bezeichnet wird und nach dem eine beglaubigte Abschrift zur Formwahrung nicht hinreicht. Der mittels Zugangs einer beglaubigten Abschrift versuchte Wiederruf würde dann fehlschlagen. In diesem Falle hätte also Auffassungen Dritter einen Vertrauensschutz auch dort implementiert, wo empirisch von 254 Vgl. auch Battes, Vermögensordnung, 121. Form degeneriert hier zum Selbstzweck, so auch Dilcher, Anm. zu BGHZ 48, 474, JZ 1968, 188 (189). 255 Dazu schon oben § 4 II 3 b bb. 256 Nachweise siehe oben § 4 II 3 b bb.

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einem Vertrauen keine Rede sein kann. Für eine derartige Normativierung des Vertrauensschutzes braucht man allerdings wertende Zurechnungsgesichtspunkte. Diese sind aber nirgendwo ersichtlich. Denn für den in § 2271 II BGB niedergelegten Persönlichkeitsschutz dürfte es hinlänglich gleichgültig sein, in welcher Art und Weise die Erklärung dem Erklärungsgegner offenbart wird. Wird mithin der „Rechtsverkehr“ auf die Beziehung zwischen den beiden Gatten zugeschnitten, ist offensichtlich, daß der Zugang einer beglaubigten Abschrift für die Formvorschrift der §§ 2271 II 1 i.V. m. 2296 II 2 BGB hinreichend ist. III. Die partikularen Interaktionsgepflogenheiten der Ehegatten im Lichte gesetzlicher Typisierung: Die Begründung der gesetzlichen Auslegungsregeln Sowohl die sozialen Mechanismen der Selbstdarstellung als auch die Phänomene reziproker Gratifikation und die hiermit verbundene Verflechtung der jeweiligen Todesverarbeitungen werden durch konkrete Interaktionen der Ehegatten gesteuert. Diese Erkenntnis ist durchaus nicht banal, da nicht jegliche soziale Interaktionen zu der „Gemeinsamkeit im Motiv“ führt, die herkömmlich die Wechselbezüglichkeit gem. § 2270 I BGB zur Folge haben soll; bei der Gemeinsamkeit im Motiv steht ja gerade nicht eine symbolisch vermittelte Kommunikation innerhalb eines sozialen Kontexts257, sondern allein der Abgleich höchstpersönlicher Willensäußerungen in Rede. 1. Typisierte Auslegungsregeln: Die Ehe als normativer Realtypus

Konkrete Interaktionen verweisen auf die konkrete Ausgestaltung der partnerschaftlichen, auf Exklusivität, Intimität und affektive Verbundenheit gründenden Beziehung zwischen den Ehegatten, auf deren konkreten Interaktionsgepflogenheiten. In der Ermittlung dieser Gepflogenheiten treten freilich gerade bei Testamenten immer wieder Schwierigkeiten auf, auf die das Gesetz mit einer materiellrechtlich eingekleideten Absenkung der Substantiierungslast und des Beweismaßes reagiert, da Reziprozität nur „anzunehmen“ zu sein braucht258. Das Auslegungsziel liegt dann darin, mittels einer wertenden Feststellung die Relevanz der Verfügung des einen Gatten 257 Vgl. dazu beispielsweise nur Miebach, Soziologische Handlungstheorie, 56 ff. Die Rechtsgeschäftslehre würde bei symbolisch vermittelten Kommunikationen innerhalb eines sozialen Kontexts (etwa: im Markt) auf die Grundsätze zur Auslegung empfangsbedürftiger konkludenter Willenserklärungen verweisen, vgl. nur Lüderitz, Auslegung, 309 ff., 321 ff.; Hepting, Ehevereinbarungen, 241 ff. 258 Vgl. auch Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266 (1268).

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für die Verfügungsmotivation des anderen Teils zu ermitteln: Es kommt darauf an, ob die Verfügung des einen für die Verfügung des anderen zumindest wesentlich mitbestimmend und nicht nur eine angenehme Begleiterscheinung des ansonsten schon feststehenden Testierwillens war259, so daß letztlich die Verfügung mit der anderen zusammen „stehen und fallen“260 soll. a) Der Prozeß der Interaktionsrekonstruktion: Allgemeines Nun geht es sowohl bei der erläuternden als auch bei der ergänzenden Auslegung immer nur um die Ermittlung eines hypothetischen Willens, da im hermeneutischen Prozeß der Sinnermittlung immer – auch bei der erläuternden Auslegung – notwendig hypothetische Willensannahmen untersucht werden, anhand derer das Verfügte zu einem Sinnganzen generiert werden soll261. Willensfiktion, erläuternde und ergänzende Auslegung unerscheiden sich folglich nur nach dem Maß der Wahrscheinlichkeit dieses hypothetischen Willens, der als Auslegungshypothese belegt werden soll. Soll eine Willensfiktion vermieden werden, muß sich die Auslegung im Rahmen der wahrscheinlichen und nachvollziehbaren Planung der Erblasser halten262, insbesondere dürfen sich Redlichkeits- und Vernunftserwägungen nicht verselbständigen. Vor allem darf die richterliche Rekonstruktion des ehelichen Interaktionsprozesses nicht zu früh abbrechen, weil der Richter von einem allzu typisierten Ehebild ausgeht. Dies würde dem oben dargelegten rechtlichen Leitbild der Ehe widersprechen, sich gerade keine metaphysischen Wesensannahmen über das rechte eheliche Verhalten zu eigen zu machen, wie dies bei den institutionalistischen Ehelehren der Fall ist. Die Rechtsprechung folgt dem mit ihren Auslegungsgrundsätzen freilich mehr oder weniger schon lange. So stellte schon das Reichsgericht263 auf Auslegungsindizien wie das gute Verhältnis der Ehegatten untereinander, ihre konkrete Auffassung von dem „sittlichen Wert der Ehe“ und ihr konkretes Verhalten und damit genuin auf die partikulare Interaktion der Ehegatten ab264, und 259

Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266 (1272), mit Verweis auf OLG Hamm, FamRZ 1992, 478 (zu dem vergleichbaren Fall des § 2268 II BGB). 260 So – im Anschluß an die Materialien (Prot. V, 451) – die ständige Formel der Rechtsprechung, vgl. nur RGZ 116, 148 (149); BayObLG, FamRZ 1987, 638 (639); FamRZ 1985, 1287 (1288). 261 Dies wurde eingehend von Hepting, Ehevereinbarungen, 241 ff., beschrieben, ansonsten siehe nur Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 11 II 1 c dd. 262 Vgl. nur Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 34 III 4. 263 DR 1940, 723 (724). 264 Vgl. auch BayObLG 21 A, 90 (93 f.); BayObLG, RPfleger 1982, 285 (286); FamRZ 1992, 1102 (1103); KG, JFG 14, 288 (290); OLG Dresden, HRR 1940, Nr. 541.

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betonte damit nichts anderes als die je individuell zwischen den Gatten gepflegte Interaktion. b) Äquivalenz und Solidarität in der Ehe als Auslegungsmittel Bei der Ausbildung der normativen Realtypen ehelicher Interaktionsgepflogenheiten haben dann auch die von Battes265 in die Diskussion eingebrachten Prinzipien von Äquivalenz und Solidarität ihren genuinen Platz. Äquivalenz meint hierbei, „daß jeder Leistung eine Gegenleistung oder doch wenigstens eine gleiche Leistung des anderen entsprechen und gemeinsam angesammeltes Vermögen auch gemäß dem Beitrag des einzelnen geteilt werden soll“, während Solidarität im Verhältnis enger Familienangehöriger die Momente von Bedürftigkeit, wechselseitiger Anteilnahme und gegenseitiger, als legitim erfahrener Hilfe in Anschlag bringt, bei denen „Leistungen geschuldet werden, für die der Leistende keinen oder wenigstens keinen wirtschaftlich faßbaren Gegenwert erwarten kann“266. Äquivalenz und Solidarität dienen hier als sehr grobe, fast schon „freihändig“ im Prozeß der Testamentsauslegung verwendbare Topoi, die den Rechtsanwender wegen ihrer Inhaltsleere ein erhöhtes Maß an Verantwortung aufbürden. Mit Rücksicht auf den personfunktionalen Gehalt des Testierens kann deshalb insgesamt gesehen nicht genug betont werden, daß von derartig typisierenden Vorstellungen ein überaus zurückhaltender Gebrauch gemacht werden darf und daß sie nur in der Situation in Betracht kommen, in der andere Auslegungsmöglichkeiten versagt haben. Denn ansonsten bestünde die Gefahr, daß die im Testament zum Ausdruck kommende individuelle Entfaltung der Person unter der Hand auf das Durchschnittsmaß typisierter Kohorten zurechtgestutzt wird. c) Typen ehelicher Interaktion? Freilich folgt aus dem bisher Gesagten nicht, daß es keine allgemeinen Regeln gäbe, die Schlüsse auf eine bestimmte Willensrichtung oder Interessenlagen der Testierenden zuließen267. Denn anders als durch einen Rekurs auf Erfahrungsregeln, welche von der konkreten Ausgestaltung der jeweili265 Battes, Vermögensordnung, 25, 220 ff., 225 ff., und passim. Dies muß hier auf sich beruht bleiben. 266 Battes, Vermögensordnung, 25, dort beide Zitate. Kurt Bayertz, in: ders. (Hrsg.), Solidarität, 11 (12 f.), macht darauf aufmerksam, daß Solidarität anders als andere „Großbegriffe“ wie Gerechtigkeit, Freiheit oder Gleichheit, nur selten zum Gegenstand vielfältiger Theoriebildung gemacht worden ist. 267 Dazu Palandt-Edenhofer, § 2270 Rn. 5 f.; MünchKomm-Musielak, § 2270 Rn. 6 ff.; Kipp/Coing, Erbrecht, § 35 II 2.

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gen Ehe abstrahieren (wie etwa der Verweis auf die Lebenserfahrung268), kann ja im gerichtlichen Verfahren gar nicht weitergearbeitet werden, wenn sich die partikularen Interaktionsgepflogenheiten der Eheleute nun beim besten Willen nicht mehr genau ermitteln lassen. In dieser Situation darf durchaus angenommen werden, die Gattenbeziehung wäre im Rahmen von Typen einer ehelichen Gemeinschaft verlaufen – und zwar von Typen, die als normativer Realtypus269 aus dem Fundus der sozialen Wirklichkeit abstrahierend ermittelt werden270. Hier käme es dann durchaus auch auf die Vorstellung bestimmter Bevölkerungsgruppen an. So wird zumeist mangels entgegenstehendem Anhaltspunkt im Testament angenommen, bei einer gegenseitigen Erbeinsetzung der Eheleute mit Einsetzung der gemeinsamen Kinder als Erben des je Überlebenden bestünde keine Wechselbezüglichkeit zwischen der Verfügung des einen Gatten zugunsten der Kinder und der Verfügung des anderen Gatten zugunsten der Kinder, da angenommen werden müsse, daß jeder Ehegatte auf jeden Fall und unabhängig von den Verfügungen des anderen die Kinder um ihrer selbst willen zum Erben einsetze271. Hier wird sehr deutlich, daß von der abstrahierend gebildeten Idealtypik einer Elternliebe ausgegangen wird, die im konkreten Fall jedoch durchaus auch fehlen kann. Ähnliches gilt für die Bewertung, bei einer ständigen Mitarbeit des unvermögenden Ehegatten im Betrieb des anderen sei davon auszugehen, daß die Ehegatten nach jahrzehntelanger Ehe der formalen Zuordnung des Vermögens zum Eigentum eines Ehegatten geringere Bedeutung zumessen als der gemeinsamen Erarbeitung des Vermögens, so daß die Vermögenslosigkeit des einen Gatten die Wechselbezüglichkeit der Verfügung nicht hindert272. Schließlich kann die 268 So bsp. KG, OLGZ 1993, 338 (401); FamRZ 1987, 638 (639); 1986, 392 (393); 1985, 1287 (1289); 1984, 211 (212). 269 Diese Denkfigur, mittels derer einzelne Sachverhaltselemente im Hinblick auf einen normativen Leitgedanken zusammengefaßt werden können, kann hier – trotz aller Kritik am typologischen Denken (dazu nur Kuhlen, Typuskonzeptionen, 1977; Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 73 ff., 209 f.) – anschaulich den Denkvorgang der Typusbildung auch begrifflich transparent machen. Zur Denkfigur des Typus siehe im übrigen nur Larenz/Canaris, Methodenlehre, 290 ff. 270 Auch die interindividuellen Ehelehren greifen innerhalb ihres theoretischen Verweisungszusammenhangs auf berechtigte Sozialerwartungen im Sinne konventioneller Meinungen und Zukunftserwartungen des durchschnittlichen Bürgers zurück, deren Enttäuschung Rechtsfolgen nach sich ziehen könne (so Pawlowski, Studium, 299 ff., 315, 341), oder rekurrieren auf sozialadäquates Verhalten im Kontext einer „Sozialmoral“ (so Streck, Generalklausel, 70 ff., 74 ff.), wenn die konkreten Interaktionsgepflogenheiten nicht sichbar werden oder nicht gebildet worden sind. 271 BayObLG, FamRZ 1996, 1041 (1042); Erman-Schmidt, § 2270 Rn. 2; MünchKomm-Musielak, § 2270 Rn. 12; Staud-Kanzleiter, § 2270 Rn. 28; Dittmann/Reimann/Bengel-Bengel, § 2270 Rn. 19; Kipp/Coing, Erbrecht, § 35 II 1; siehe auch Ritter, Konflikt, 98 f. 272 Vgl. OLG Hamm, FamRZ 1995, 1022.

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testamentarische Verfügung, in der die Ehegatten „im Falle eines gemeinsamen Ablebens“ eine Bekannte als alleinige Erbin einsetzen, durchaus erläuternd so verstanden werden, daß auch eine Erbeneinsetzung nach dem Tode des den Erstversterbenden dann allein beerbenden Längerlebenden verfügt worden ist273. Diese Willensrekonstruktion ist zwar hypothetisch, liegt aber nach den je konkreten Umständen des Falles oft nicht außerhalb des Wahrscheinlichen. d) Beispiele für verselbständigte Vernunftserwägungen Es gibt aber auch Beispiele, bei denen sich Vernunftserwägungen eher verselbständigen. So spricht bei einem gemeinschaftlichen Testament, bei dem sich die Gatten gegenseitig zu befreiten Vorerben und die gemeinsamen Kinder zu gleichen Teilen als Nacherben einsetzen, so ohne weiteres erst einmal nichts für die Annahme, in einer „intakten“ Familie dürfte die Vorstellung herrschen, daß das erwirtschaftete Vermögen vom längstlebenden Ehepartner auf die gemeinsamen Kinder übertragen werden soll, wenn gleichzeitig in der Entscheidung kein Wort über die tatsächliche familiare Situation – die „Intaktheit“ der „intakten“ Familie – verloren wird274. Eine verselbständigte Vernunfterwägung läßt auch dann die Testamentsauslegung fehl gehen, wenn schon im Rahmen der erläuternden Auslegung einer Klausel eines gemeinschaftlichen Testaments die erbrechtliche Auslegungsregel des § 2102 II BGB herangezogen wird275, obwohl diese doch erst dann zum Tragen kommt, wenn der Prozeß der erläuternden Auslegung nicht mehr weiter kommt und deshalb Zweifel verbleiben276. Es kommt eben oft zu Willensfiktionen, wenn die erbrechtlichen Auslegungsregeln als Ausdruck des mutmaßlichen Erblasserwillens gedeutet werden277. So ist es auch hier, wenn schon die Verfügung anhand von Auslegungsregel erläuternd zu einem Zeitpunkt ausgelegt wird, an dem Auslegungsregeln eigentlich noch gar nicht angewendet werden können, weil das gesamte Spektrum der Möglichkeiten, den tatsächlichen Erblasserwillen zu ermittlen, noch nicht ausgeschöpft sind. Diskrepanzen sind auch zu beobachten, wenn eine letztwillige Verfügung mit Rücksicht auf ein „gesetzliches Leitbild“ der Erbfolge nach Stämmen ausgelegt wird. Dieses Leitbild nimmt dann in der Art eines – pointiert ge273 LG München I; FamRZ 1999, 61 (62). Siehe auch BayObLGZ 1979, 427 (432); 1982, 332 (337); 1986, 426 (429); BayObLG, FamRZ 1990, 563 (564); KG, FamRZ 1968, 217; 1970, 148 f.; OLG Frankfurt, FamRZ 1998, 1393 (1393 f.). 274 So bei OLG Oldenburg, FamRZ 1999, 1537 (1538). 275 So bei BayObLG, FamRZ 1998, 324 (325). 276 MünchKomm-Grunsky, § 2102 Rn. 5. 277 Dazu Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 11 II 1 c dd.

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sagt – „erbrechtlichen Auslegungsfamiliarismus“ schon auf die Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments selbst und nicht nur über die Auslegungsregel des § 2069 BGB278 Einfluß279; die Figur des gesetzlichen Leitbilds überlagert hier ohne Not die konkrete Testamentsauslegung erheblich. Mehr in die Richtung einer fiktiven, unwahrscheinlichen Willensrekonstruktion tendiert auch die Auslegung einer in einem gemeinschaftlichen Testament aufgenommenen Klausel folgenden Inhalts: „Dem überlebenden Teil soll es möglich sein, diejenige Person, die den Ehegatten im Alter die notwendige Hilfe angedeihen ließ, vorab leistungsgerecht ohne Rücksicht auf ein bestehendes Erbrecht abzufinden“. Wenn hier aus dem Zusatz „ohne Rücksicht auf ein bestehendes Erbrecht“ im Umkehrschluß vom Gericht gefolgert wird, ansonsten seien eben wegen des Zusatzes andere Verfügungen wechselseitig280, wird gerade die für einen Umkehrschluß erforderliche zusätzliche Argumentations-Prämisse281 verschwiegen und Bindung quasi zum im Zweifel anzunehmenden Regelfall erhoben. e) Die Wiederverheiratung Geschiedener als Beispiel Wenig einsichtig ist unter dem Gesichtspunkt, ob der im Prozeß der Auslegung gefundene Wille wahrscheinlich ist, auch die Behandlung des Falles, daß die Gatten ein gemeinschaftliches Testament errichten, sich sodann scheiden lassen, danach erneut heiraten und der überlebende Teil nach dem Tode des Erstversterbenden seinen neuen Lebenspartner als Alleinerben einsetzt. Die Lösung dieses Falles ist streitig. Stellenweise wird vertreten, eine Verfügung geschiedener Eheleute bliebe auch im Falle der Wiederverheiratung nichtig282. Demgegenüber wird teilweise davon ausgegangen, das gemeinschaftliche Testament sei schon deshalb nicht unwirksam, weil § 2077 I, II BGB für den Fall der Wiederverheiratung Geschiedener seinem Sinn und Zweck nach im Wege teleologischer Reduktion nicht anzuwenden sei283. Schließlich wird die Wirksamkeitsfrage als ein Problem der Auslegung des an sich qua Scheidung (§§ 2268 I, 2077 I BGB) unwirksamen gemeinschaftlichen Testaments i. S. § 2068 II BGB verstanden284. Bei dieser Auslegung wertet die Rechtsprechung den während der Zweitheirat geäußerten Willen der Ehegatten, das ersteheliche Testament solle weiterhin wirksam sein, als Indiz für den entsprechenden hypothetischen Willen zum 278 279 280 281 282 283 284

Dazu BayObLG, FamRZ 1995, 251; OLG Frankfurt, FamRZ 1998, 772 (773). So anscheinend bei BayObLG, FamRZ 1998, 388. So bei BayObLG, FamRZ 1997, 251 (253). Dazu nur Koch/Rüßmann, Begründungslehre, 260 f. So KG, FamRZ 1968, 217 (218). So MünchKomm-Leipold, § 2077 Rn. 18; Soergel-Loritz, § 2077 Rn. 17. So BayObLG, FamRZ 1996, 123 (124).

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Zeitpunkt der Testamentserrichtung285; die beiden Ehen seien „letztlich als Einheit“286 zu begreifen. Die Literatur ist hier stellenweise großzügiger und geht grundsätzlich davon aus, daß der mutmaßliche Erblasserwille zur Zeit der Errichtung der Verfügung davon ausginge, daß die Scheidung der Ehe bedeutungslos sein soll, wenn es zu einer Wiederverheiratung der Geschiedenen komme287. Bei der Problemlösung ist einmal die Anwendbarkeit des § 2077 BGB zu thematisieren, sodann das Feld der hypothetischen Auslegung aufzurollen und schließlich die Frage der Wechselbezüglichkeit zu entscheiden, wenn sich im Einzelfall zeigt, daß das gemeinschaftliche Testament nicht unwirksam sein sollte. Für die Ansicht, § 2077 BGB sei im Fall der Wiederverheiratung Geschiedener nicht anwendbar, werden als Argumente Bedürfnisse der Praxis und der Sinn und Zweck des § 2077 BGB vorgetragen288. Nach diesem Zweck sei eine Unwirksamkeit der Verfügung nicht statthaft, da mit der Zweitehe „eine der Art nach gleiche, wenn auch nicht formal identische familienrechtliche Bindung“289 wie bei der Erstehe gegeben sei. Beiden Argumenten kann nicht beigepflichtet werden. Das im gemeinschaftlichen Testament gewährte Vertrauen wurde bei der Scheidung enttäuscht, die einstmals gewährte Reziprozität weitgehend entwertet. Da eine Scheidung nur bei einer zerrütteten Ehe zulässig ist, § 1565 I BGB, wurden die in der erstehelichen Interaktionsgeschichte aufgebauten Erwartungsstrukturen zerstört. Es ist mithin gerade nicht so, daß „eine der Art nach gleiche, wenn auch nicht formal identische familienrechtliche Bindung“290 gegeben ist. Es wird mithin bei der Zweitheirat nicht die alte Ehe wiederhergestellt, sondern eine neue geschlossen291 – und diese Einsicht ist keineswegs formal, sondern den geänderten ehelichen Interaktionsroutinen mit ihren notwendig dann anders ausgeprägten Erwartungsstrukturen geschuldet. Soweit gegen diese Unterscheidung „alt gegen neu“ vorgetragen wird, sie übergehe die Bedürfnisse der Praxis292, überzeugt dies schon deshalb nicht, weil Bedürfnisse der Praxis ja nicht die erbrechtlich für letztwillige Verfügungen vorgesehenen Formvorschriften aushebeln können. Genau dies würde aber geschehen, wenn die Zweitehe mit der Erstehe als material einheitlich angese285

So BayObLG, FamRZ 1996, 123 (124 f.). Zu derartigen auf spätere Umstände gestützte Rückschlüsse auf den hypothetischen Erblasserwillen zur Zeit der Testamentserrichtung siehe BGH, FamRZ 1960, 28 (29); 1961, 364; BayObLG, FamRZ 1996, 760 (762). 286 BayObLG, FamRZ 1996, 123 (125). 287 So Staud-Otte, § 2077 Rn. 22. 288 MünchKomm-Leipold, § 2077 Rn. 18. 289 MünchKomm-Leipold, § 2077 Rn. 18. Ebenso Soergel-Loritz, § 2077 Rn. 17. 290 MünchKomm-Leipold, § 2077 Rn. 18. 291 So auch BayObLG, FamRZ 1996, 123; KG, FamRZ 1968, 217. 292 So MünchKomm-Leipold, § 2077 Rn. 18.

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hen werden dürfte293. Denn ein Wille, seine Persönlichkeit mit Blick auf den Tod zu entfalten, wird gemeinhin nur dann rechtlich relevant, wenn er in der gehörigen Form, nämlich testamentarisch oder erbvertraglich, geäußert worden ist. Es kommt deshalb nicht auf den hypothetischen Willen zum Todeszeitpunkt294, sondern auf den zur Zeit der Errichtung der gemeinschaftlichen Verfügung an295. Zudem ist der Rekurs auf die Bedürfnisse der Praxis auch doppelbödig. Denn wieso sollen derartige Bedürfnisse darüber entscheiden dürfen, ob die Eheleute ihr „Sein zum Tode“, welches sie gemeinschaftlich in einem Prozeß erstehelich intim codierter Interaktion nach denjenigen Erwartungshaltungen ausgeprägt haben, die in der Erstehe herrschten, auch nach einer Wiederverheiratung vor dem Hintergrund einer durchlebten Scheidung weiterhin so entfalten wollen, wie sie dies einstmals an den Tag gelegt haben? Dies ist eine Frage des rechten Persönlichkeitsschutzes und keine, die nach Bedürfnissen der Praxis verhandelt werden kann. Zudem richtet sich die Berücksichtigungsfähigkeit der Bedürfnisse der Praxis danach, ob diese schutzwürdig sind. Dies wiederum ist eine Frage, die nach der Teleologie der testamentarischen Bindungswirkung abzuklären ist. Für die vertrauenstheoretischen Bindungslehren muß demnach gefragt werden, ob die Ehepartner eigentlich zu Recht erwarten dürfen, die in der Erstehe plazierten Selbstdarstellungsakte seien für die Zweitehe weiterhin relevant. Dies wiederum dürfte bei Lichte betrachtet weder zu bejahen noch zu verneinen sein, da ein Votum der wiederverheirateten, ehedem geschiedenen Gatten für einen Vorrang der in der Erstehe gemeinsam konstruierten Interaktionsgeschichte genauso wahrscheinlich ist, wie ein Votum für den Vorrang der nach der Zweitheirat aufgebauten neuen Erwartungsstrukturen, dem sie dann durch eine erneute gemeinschaftliche Verfügung gerecht werden müßten. Auch das hiesige Konzept, die testamentarische Bindung auf den Persönlichkeitsschutz des Erstversterbenden zu gründen, gibt keinen Fingerzeig. Es müßte gefragt werden, ob der durch die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments geleistete Persönlichkeitsschutz des Erstversterbenden auch nach der Scheidung bestehen bleiben soll. Hierfür wiederum spricht genauso viel dafür wie dagegen. Denn die Ehegatten haben ihre 293 So auch BayObLG, FamRZ 1996, 123; KG, FamRZ 1968, 217 (218); Kuchinke, DNotZ 1996, 306 (306 f.). 294 So aber v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 1, 293; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 34 III 6 a; Keuk, Der Erblasserwille post testamentum, 53 Fn. 1. Siehe auch Kuchinke, DNotZ 1996, 306 (312). 295 Ebenso BGH, FamRZ 1960, 28 (29); 1961, 364 (366); BayObLG, FamRZ 1983, 839; FamRZ 1995, 1088; FamRZ 1996, 760 (762); Staud-Otte, § 2077 Rn. 22; Soergel-Loritz, § 2077 Rn. 17; MünchKomm-Leipold, § 2077 Rn. 17.

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Kap. 2: Die Bindungswirkung des Ehegattentestaments

Persönlichkeit ja im gemeinschaftlichen Testament mit Blick auf die intakte Ehe entfaltet. Es kann sein, daß diese Persönlichkeitsentfaltung auch nach der Erfahrung der Zerrüttung weiterhin aufrechterhalten wird. Es kann jedoch auch genauso gut anders sein. Es geht nicht an, derartige Fragen personaler Entfaltung nach den Bedürfnissen der Praxis zu entscheiden. Nach all dem scheidet mithin eine teleologische Reduktion des § 2077 I, II BGB aus. Sedes materiae des Problems, was es mit dem Problem der Wiederverheiratung Geschiedener auf sich hat, ist mithin die Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments, § 2268 II BGB. Schon hier gilt es, das Spektrum der Ereignisse, welche darauf befragt werden müssen, ob diese dafür sprechen, daß der Erblasser die Verfügung trotz der Scheidung aufrechterhalten hätte, genau zu umreißen und die Frage zu stellen, „welcher Zeitpunkt im Fluß der Ereignisse darüber entscheidet, eine zu tage getretene bestimmte Willensrichtung als Anhaltspunkt für den hypothetischen Willen bei Testamentserrichtung gelten zu lassen“296. Sicherlich besteht dieses Spektrum nicht allein aus solchen Umständen, die bereits im Zeitpunkt der Testamentserrichtung hervorgetreten sind. Und sinnvollerweise kann dieses Spektrum auch nicht einfach mit dem Ereignis der Wiederverheiratung der Geschiedenen abbrechen. Vielmehr sind sämtliche Ereignisse bis zum Zeitpunkt des Erbfalls als Auslegungsgrundlage relevant, da zum einen jede Auswahl willkürlich erscheint und zum anderen hierfür das in einem personfunktional verstandenen Erbrecht hochrangige Prinzip der Letztwilligkeit spricht297. Eine Unwirksamkeit des während der Erstehe errichteten gemeinschaftlichen Testaments dürfte mithin dann nicht in Frage kommen, wenn die Ehegatten nach der Wiederverheiratung erkennbar davon ausgegangen sind, ihr „Sein zum Tode“ und die einstmals gemeinschaftlich geäußerte personale Entfaltung habe sich trotz der Scheidung nicht geändert298. Eine allgemeine Auslegungsregel, das gemeinschaftliche Testament sei grundsätzlich bei einer erneuten Heirat wirksam, ist hingegen nicht angängig, da für die Frage, ob die ehedem entfaltete Persönlichkeit auch weiterhin so entfaltet werden soll, keine überwiegenden Wahrscheinlichkeiten für die bejahende oder die verneinende Antwort gefunden werden können, solange nicht Fingerzeige dafür erkennbar sind, daß die Ehegatten davon ausgegangen sind, die frühere Entfaltung sei auch die jetzige. Es gilt also: Erst wenn Fingerzeige der gerade beschriebenen Art vorliegt, ist das gemeinschaftliche Testament der ersten Ehe bei Wiederheirat der Geschiedenen nicht gem. § 2270 I BGB unwirksam. 296 297 298

Kuchinke, DNotZ 1996, 306 (307 f.), Hervorhebung getilgt. Kuchinke, DNotZ 1996, 306 (308). Im Ergebnis ebenso BayObLG, FamRZ 1996, 123 (124 f.).

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Wenn nach diesen Maßgaben im Einzelfall die gemeinschaftlich getroffenen Verfügungen trotz Scheidung weiterhin wirksam sind, ist mit dieser Feststellung aber noch nichts zur Frage gesagt, ob die Gattenverfügungen auch noch weiterhin im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit zueinander stehen. Kuchinke299 und Muscheler300 haben zu Recht darauf hingewiesen, daß die besondere Wirksamkeitsverknüpfung gemeinschaftlicher Testamente und die korrespektiven Verfügungen inne wohnende testamentarische Bindungswirkung nicht Gegenstand der Regelung des § 2268 II BGB sind. Das Gesetz sieht lediglich davon ab, für den Fall der Wiederverheiratung Geschiedener das Testament neu zu errichten, wenn dies dem hypothetischen Willen entspricht. Da allein Ehegatten die Korrespektivität als besondere Verknüpfungsform letztwilliger Verfügungen offensteht, ist es ihnen auch nicht gestattet, für die Zeit nach der Auflösung der Ehe über ihren hypothetischen Willen Verfügungen in das Verhältnis der Wechselbezüglichkeit zu setzen301. Aus der Unterstellung, die Verfügung würde von den Ehegatten trotz Scheidung aufrechterhalten, läßt sich daher nicht auch die Aufrechterhaltung der Wechselbezüglichkeit ableiten302. Es gilt mithin, daß die aufgrund eines hypothetischen Aufrechterhaltungswillens gem. § 2268 II BGB weiter geltenden Verfügungen von den Ehegatten jederzeit widerrufen werden können. 2. Der mutmaßliche Wille der Ehegatten: Beispiele für Auslegungsregeln

a) Beispiel I: Die Besserstellung des Ehegatten bei Schlechterstellung des Endbedachten Nach durchaus herrschender Meinung sind neue Verfügungen ohne förmlichen Widerruf insbesondere dann zulässig, wenn sie den überlebenden Ehegatten rechtlich besser stellen303, als er nach dem gemeinschaftlichen 299

Kuchinke, DNotZ 1996, 306 (310). Muscheler, DNotZ 1994, 733 (741 ff.). 301 Muscheler, DNotZ 1994, 733 (741 ff.); Kuchinke, DNotZ 1996, 306 (310). 302 Kuchinke, DNotZ 1996, 306 (311). 303 BGH NJW 1959, 1730; BayObLZ 1966, 242 (245); KG JW 1938, 680 (681); DR 1943, 697; DNotZ 1943, 276; OLG Braunschweig, DNotZ 1951, 374; StaudKanzleiter, § 2270 Rn. 5, 16 f.; § 2271, Rn. 21, 36; MünchKomm-Musielak, § 2270 Rn. 3; § 2271 Rn. 12, 19; RGRK-Johannsen, § 2271 Rn. 28; Soergel-Manfred Wolf, § 2270 Rn. 16; Palandt-Edenhofer, § 2271 Rn. 15 f.; Kipp/Coing, Erbrecht, § 35, 2; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 24 VI 4 a; Schlüter, Erbrecht, Rn. 370. Der Streit, ob bei § 2289 I 2 BGB nur eine rein rechtlich zu beurteilende oder auch eine wirtschaftliche Schlechterstellung das Beieinträchtigungsmerkmal erfüllt (dazu nur Siebert, FS Hedemann, 237 (250, 256 ff.); MünchKomm-Musielak, § 2289 Rn. 10, für die rechtliche Betrachtungsweise und Soergel-Manfred Wolf, § 2289 Rn. 3, für die wirtschaftliche Betrachtungsweise), ist hier ohne Belang. 300

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Kap. 2: Die Bindungswirkung des Ehegattentestaments

Testament stehen würde, mögen auch im Endeffekt die Endbedachten schlechtergestellt werden304. Begründet wird dies zumeist305 mit dem mutmaßlichen306, auf eine Analyse der Interessenlage zurückgeführten Willen der Ehegatten307; für Vertrauen ist dann nur hinsichtlich der Verhinderung einer Schlechterstellung Raum. So plausibel das auf den ersten Blick klingt, dennoch ist bei derartigen Ausführungen durchaus Vorsicht angebracht. Denn die Einheitlichkeit und Folgerichtigkeit der gemeinschaftlich geplanten erbrechtlichen Gesamtregelung bricht ja bei einer nachträglich einseitigen Besserstellung des anderen Gatten durch den einen Gatten weg308. Wenn sich bsp. die Gratifikation des Ehegatten gerade darauf bezieht, daß die Endbedachten mit Sicherheit die auch im Wert ungeschmälerte Erbenstellung erlangen, würde deren Schlechterstellung bei gleichzeitiger Besserstellung des überlebenden Teils Reziprozität entwerten. Es muß mithin immer genau geprüft werden, ob die Ehegatten nicht die gemeinschaftlich avisierte Vermögensordnung post mortem auf jeden Fall implementiert sehen wollten. Es gilt deshalb folgende Auslegungsregel: Auslegungsregel 6.1: Neue Verfügungen sind im Zweifel auch ohne förmlichen Widerruf zulässig, wenn sie den überlebenden Ehegatten rechtlich besser stellen, mögen auch die Endbedachten schlechter gestellt sein, es sei denn, den Ehegatten war gerade daran gelegen, die geplante Vermögensordnung post mortem als Ganzes Wirklichkeit werden zu lassen.

304

BGHZ 30, 261; KG, JW 1938, 680; KG, KGJ 42, 123; KG, OLGZ 1966, 503; OLG München, HRR 1942, Nr. 839; Staud-Kanzleiter, § 2271 Rn. 21, 36; MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 17; Palandt-Heinrichs, § 2271 Rn. 15. 305 Das KG begründet dies in JFG 17, 44 (47), mit dem Sinn und Zweck des § 2271 BGB. 306 Der Vorwurf, hier würde ein Wille bloß unterstellt (so Bärmann, NJW 1960, 142 (143)) geht nur dann nicht ins Leere, wenn der hypothetische Wille, der dem mutmaßlichen Willen zugrundeliegt, vollkommen irreal ist, dazu siehe oben § 6 III 1 a. 307 Vgl. bsp. BGHZ 30, 261 (266); KG DNotZ 1943, 276. 308 Vgl. auch Kuchinke, FS v. Lübtow, 283 (286). Insoweit erscheint die Entscheidung des BayObLG (BayObLGZ 1966, 242 (245)), in der von einem mutmaßlichen Willen nicht mehr die Rede ist, sondern der Rekurs auf die Auslegungsregel nur noch anhand des in den Entscheidungsgründen zitierten Entscheidungsmaterials erkennbar ist, in einem durchaus zwiespältigem Licht.

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b) Beispiel II: Der Kreis des von der Bindungswirkung erfaßten Vermögens Auch anhand eines weiteren Beispiels können die Gefahren, die in einem zu harrschen Rekurs auf einen „mutmaßlichen Willen“ verborgen sind, skizziert werden. So soll sich nach weitaus herrschender Ansicht die Bindungswirkung auch auf die Vermögenswerte erstrecken, die der Überlebende erst nach dem Tod des anderen Teils unter Lebenden oder sogar von Todes wegen erwirbt309. Hauptbeispiele sind größere Schenkungen an den überlebenden Teil oder dessen Vermögenserwerb durch Erbschaft. Hier bezieht die opinio iuris Erwartung nicht auf eine präsumierte familiare Vermögensordnung, die beide Gatten im Projekt ihrer Todesverarbeitung als deren Ergebnis avisiert haben, sondern ganz unspezifisch auf das Schicksal des gesamten Vermögens des überlebenden Teils. Der beispielhaft genannte schenk- oder erbschaftsweise Erwerb würde für die herrschende Meinung also schon deshalb von der Bindungswirkung des § 2271 II BGB erfaßt, weil der Erwerb zum Vermögen des Überlebenden im Zeitpunkt seines Todes zählen würde (wenn er noch vorhanden ist). Dies ist aus zwei Gründen erstaunlich. Denn – erster Grund – die vermögensmäßige Solidarität der Ehegatten, die unter anderem in der Zugewinngemeinschaft ihren rechtlichen Ausdruck findet, zerbricht mit dem Tode eines der Ehegatten. Im Intestaterbrecht kommt es zum pauschalierten Ausgleich des solidarisch vermehrten Vermögens durch den Zugewinnausgleich im Todesfall gem. §§ 1371 I, 1931 III BGB. Nun könnte man daran denken, daß bei einem gemeinschaftlichen Testament die Ehegatten zumeist zugleich zu verstehen geben, daß sie den Zugewinn ihrer Ehe nach ihren spezifischen Vorstellungen zu verteilen gedenken. Dies kann sich sinnvollerweise nur auf den Bestand des zu Lebzeiten beider vorhandenen Vermögens beschränken, da der zukünftige Vermögenserwerb post mortem von ehelichen Wirkungen prima facie nicht mehr erfaßt werden kann. Nach den Wertungen des ehelichen Güterrechts wäre die Bilanz in der Vermögensabwicklung beider Ehegatten demnach ausgeglichen. Wieso darf also der Erstversterbende davon ausgehen, daß sich seine Erwartungen nicht nur auf das Vermögen des Überlebenden zum Zeitpunkt seines, des Erstversterbenden Todes richten dürfen? An der h. M. bestehen also zumindest Zweifel. Ausschlaggebend ist jedoch ein anderes Argument. Die gemeinschaftlich ihren Tod verarbeitenden Ehegatten können notwendigerweise ihr „Sein 309

So schon RG JW 1915, 1121; KG DR 1939, 1443 (1444); v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 1, 503; Staud-Kanzleiter, § 2271 Rn. 30; MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 15; Dittmann/Reimann/Bengel-Bengel, § 2271 Rn. 29. Anders – jedoch mit nicht tragfähiger Begründung – soweit ersichtlich nur Helfrich, Grenzen der Bindungswirkung, 9.

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zum Tode“ nur vor dem Hintergrund ihres gegenwärtigen Erlebens ausprägen. Dieses Erleben wird durchweg gekennzeichnet sein von dem Stand des Vermögens, welches die Ehegatten während ihrer Ehe besitzen, da ein relevanter Vermögenszuwachs nach dem Tode des Erstversterbenden dessen Todesverarbeitung und das Maß der jeweils gewährten psychischen Gratifikation regelmäßig unberührt lassen wird, solange der Zuwachs nicht zu seinen Lebzeiten als sicher erwartet wurde. Ein Zuwachs des ererbten oder des dem überlebenden Teil im Zeitpunkt des ersten Todesfalls gehörenden Vermögens (etwa durch Kapital- oder Mietertrag) wird durchweg im Grundsatz erwartet werden310. Wurde der Zuwachs hingegen nicht erwartet (etwa bei schenkweisen Zuwendungen an den überlebenden Teil) oder konnte er nicht erwartet werden (etwa bei einem durch Erbschaft nach dem Tode des Erstversterbenden erlangten Vermögenszuwachs des Überlebenden), kann er für die Todesverarbeitung des Erstversterbenden auch nicht relevant geworden sein. Ist dem so, besteht aber auch kein Grund, den überlebenden Teil hinsichtlich der Verfügung über das post mortem Erworbene gem. § 2271 II BGB zu binden. Er wird daher in diesem Fall zumindest ein Vermächtnis in Höhe des Vermögenszuwachses zugunsten bisher nicht bedachter Dritter aussetzen dürfen, mag auch der Erwerb der gemeinschaftlich Endbedachten – wenn der Umfang dieses Erwerbs auf das Gesamtvermögen im Zeitpunkt des Todes des überlebenden Teils bezogen wird – im Endeffekt damit geschmälert werden311. Etwas anderes gilt ausnahmsweise allenfalls für den eher seltenen Fall, daß der Erstversterbende sein Erwarten ganz allgemein auf das Vermögen zum Zeitpunkt des Todes des überlebenden Teils bezogen hat. Nach all dem hat die angemessene Auslegungsregel demnach grundsätzlich zum Inhalt, daß sich die Bindung des überlebenden Teils in der Regel nur auf diejenigen Vermögenszuwächse erstreckt, deren Erwerb der Erstverstorbene erwartet hat. Bestehen hinsichtlich der Erwartungsstrukturen des Erstversterbenen Zweifel, kann davon ausgegangen werden, daß er nicht erwartet hat, da wahrscheinlicher ist, daß jemand seinen Tod anhand seines gegenwärtigen Lebens verarbeitet, als daß er mit Blick auf die Zeit nach seinem Tode sich genau diesem widmet. Es gilt deshalb folgende Auslegungsregel: Auslegungsregel 6.2: Haben die Ehegatten im gemeinschaftlichen Testament keine ausdrücklichen Anordnungen dahingehend getroffen, daß ein Vermögenszuwachs des überlebenden 310 Werden die Erwartungen aufgrund nicht vorhersehbarer grundlegender Umstände enttäuscht, kommt eine im Wege ergänzender Testamentsauslegung ermittelte Freistellungsklausel in Betracht, siehe unten § 8 I 1. 311 Siehe zu den hierbei auftretenden Schwierigkeiten hinsichtlich einer Vermeidung einer beeinträchtigenden Wirkung bei den korrespektiv Endbedachten unten § 9 III 1.

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Teils, welcher nicht mit den Mitteln des vom Erstversterbenden Ererbten oder des dem überlebenden Teil im Zeitpunkt des Erstversterbens gehörenden Vermögens erworben wurde, das erbrechtliche Schicksal des ererbten Vermögens teilen soll, fällt der Vermögenszuwachs im Zweifel nicht unter die Bindung des § 2271 II BGB.

c) Beispiel III: Beschwerung kraft sittlicher Pflicht oder aus Anstand Die Notwendigkeit, den typisierten Ehegattenwillen immer wieder neu zu prüfen, kann zudem an der umstrittenen Frage verdeutlicht werden, ob der überlebende Ehegatte auch ohne ausdrückliche Bestimmung im gemeinschaftlichen Testament befugt ist, den durch eine wechselbezügliche Verfügung Endbedachten durch eine letztwillige Verfügung zu beschweren, mit der einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprochen wird312. Wenn der BGH dies mit der Begründung verneint, anders als bsp. in den §§ 1425 II, 1641 S.2, 1804 S.2 und 2113 II 2 BGB mache § 2271 BGB keine diesbezügliche Ausnahme und zudem sei ansonsten die Rechtssicherheit bedroht313, so ist dies nicht überzeugend. Falls das Gesetz die testamentarische Bindung an dem Schutz von Erwartungen ausrichtet – und daß es dies tut, dürfte mittlerweile einsichtig sein –, anerkennt es, daß Erwartungen durchaus flexibel sind. Rechtssicherheits-Erwägungen sind demnach von vornherein limitiert durch die flexible Natur menschlichen Erwartens. Die Anknüpfung an die §§ 1425 II, 1641 S.2, 1804 S.2 und 2113 II 2 BGB verschleiert dieses Problem, da es dort nicht um Erwarten, sondern um ganz andere Zusammenhänge geht. Allein der Hinweis auf die Rechtssicherheit würde demnach die Entscheidung des BGH tragen. Doch werden keine Kriterien angegeben, die die unterschiedliche Behandlung zwischen den §§ 1425 II, 1641 S.2, 1804 S.2 und 2113 II 2 BGB auf der einen und § 2271 II BGB auf der anderen Seite rechtfertigen. Beides mal geht es letztlich um die rechtliche Zuordnung von Gütern, und Aspekte der Rechtssicherheit spielen hier gleichermaßen eine Rolle. Der BGH wählt mithin für seine Auslegungsregeln einen verqueren Ausgangspunkt: Er müßte eigentlich fragen, ob die Ehegatten in eine Beschwerung aus sittlicher Pflicht oder Rücksichtnahme mutmaßlich eingewilligt haben oder nicht. Für diese Frage spielt eine systematisch-vergleichende Betrachtung diverser Normen des geltenden Rechts ersichtlich keine Rolle. 312 Vgl. verneinend BGH NJW 1978, 423; Staud-Kanzleiter, § 2271 Rn. 33; mit Rücksicht auf eine stillschweigende Ermächtigung bejahend OLG Köln, LZ 1928, 1710; KG OLGZ 1977, 457 (463); v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 1, 501; Soergel-Manfred Wolf, § 2271 Rn. 25; einschränkend MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 18. 313 BGH NJW 1978, 423.

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Letztlich hängt die Entscheidung, ob der überlebende Ehegatte auch ohne ausdrückliche Bestimmung im gemeinschaftlichen Testament den Endbedachten mit Rücksicht auf eine sittliche Pflicht oder auf „Anstand“ letztwillig beschweren kann, wiederum von der Frage ab, wie es um den Bezug derartiger sittlicher Pflichten und von Anstand auf die Todesverarbeitung beider Gatten bestellt ist. Wäre der überlebende Teil hier gebunden, hieße dies nichts anderes, als daß er der Sozietät signalisieren muß, er entfalte seine Personalität in der Weise, daß er nicht gewillt sei, einer sittlichen Verpflichtung oder dem sozial erwarteten Anstand nachzukommen. Hinzunehmen ist dies nur, falls beide Gatten zum Zeitpunkt der gemeinschaftlichen Todesverarbeitung (also im Zeitpunkt des Testierens) sich Rechenschaft über ihre sittlichen Pflichten und über die sozialen Zwänge des Anstands ablegt haben. Haben sie im gemeinschaftlichen Testieren den sittlichen Pflichten und dem geforderten Anstand nicht entsprochen, obwohl beides schon im Zeitpunkt des Testierens bewußt möglich gewesen wäre, bleibt der überlebende Ehegatte gebunden. Kommen auf den überlebenden Teil hingegen sittliche Pflichten zu, die im Zeitpunkt des Testierens noch gar nicht überblickbar waren (weil sich bsp. die sozialen Verhältnisse mittlerweile geändert haben), wird hingegen im Zweifel davon auszugehen sein, daß der Überlebende der sittlichen Pflicht und dem Anstand gemäß verfügen und damit sich im Gegensatz zum gemeinschaftlichen Testament stellen darf. Denn ansonsten würde der Sozietät durch die letztwillige Verfügung signalisiert, daß im Zweifel der Überlebende sein personales Selbst entgegen sittlicher Pflichten und entgegen den Gepflogenheiten des sozialen Anstands ausbilden will. Er darf dies sicherlich. Nur dürfte ein derartiges abweichendes Verhalten ein Ausdruck expressiver und ungezügelter Individualität darstellen, deren Häufigkeit schon aufgrund der den einzelnen abrichtenden Kraft der sozialen Genese des Selbst im Prozeß der Sozialisation durchweg geringer sein wird, als die Erfüllung sittlicher Pflichten. Ist dem so, wäre die umgekehrte Zweifelsregelung (also im Zweifel Bindung trotz sittlicher Pflicht) hart am Rande einer irrealen Willensfiktion und kommt deshalb als Ausdruck eines hypothetischen Willens nicht in Betracht. Derartige irreale Willensfiktionen müssen vermieden werden. Dies gilt auch für die Frage, ob die Gatten im Zeitpunkt des Testierens ihre damaligen sittlichen Pflichten tatsächlich überblickt haben. Nur falls für die Ehegatten konkrete Anhaltspunkte hinsichtlich der sittlichen Pflicht bestanden haben und sie ihr gleichwohl nicht nachgekommen sind, tritt Bindung auch hinsichtlich der Erfüllung dieser Pflicht ein. Insgesamt gesehen sollte also davon ausgegangen werden, daß konkrete Anhaltspunkte (in oder außerhalb der Verfügung) gefunden werden müssen, die Ehegatten möchten sich auch für den Fall gebunden sehen, daß der überlebende Teil sich einer sittlichen Pflicht oder durch Gepflogenheiten des Anstands in Anspruch genommen sieht.

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Es gilt deshalb folgende Auslegungsregel: Auslegungsregel 6.3: Haben die Ehegatten im gemeinschaftlichen Testament keine ausdrückliche Bestimmung darüber getroffen, ob der überlebenden Teil befugt ist, nach dem ersten Todesfall den durch eine wechselbezügliche Verfügung Bedachten durch eine letztwillige Verfügung zu beschweren, mit der einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprochen wird, ist er im Zweifel hierzu befugt. Umgekehrtes gilt, wenn sich die Inanspruchnahme des Überlebenden durch Gepflogenheiten sittlicher Pflichten oder des Anstands schon im Zeitpunkt des gemeinschaftlichen Testierens für die Gatten konkret abgezeichnet hat. 3. Die gesetzliche Auslegungsregel des § 2270 II BGB

a) Typisierende Einschränkungen der Typisierung des § 2270 II BGB? Die Rekonstruktion der ehelichen Interaktion wird schließlich durch die gesetzliche Auslegungsvorschrift des § 2270 II BGB überlagert. § 2270 II BGB folgert aus einem gegenseitigen Bedenken der Gatten (erster Fall) oder aus dem Umstand, daß der eine Gatte den anderen bedenkt und dieser andere wiederum letztwillig zugunsten Dritter verfügt, die mit dem einen Gatten verwandt sind oder diesem nahestehen (zweiter Fall) bestimmte Motivlagen und deren Verknüpfungen (nämlich Korrespektivität). Diese Typizität reicht jedoch nicht immer zur Annahme einer bindungsbewirkenden Reziprozität und damit zur Wechselbezüglichkeit hin; § 2270 II BGB zeichnet dies nach, indem diese Vorschrift Korrespektivität nicht fingiert, sondern nur als typische Auslegung annimmt314 oder vermutet315. Die in § 2270 II BGB niedergelegte Typik kann mithin durch die in einzelnen Lebensbereichen herrschende Typizität unterlaufen werden. Sehr deutlich zeigt dies der häufige Fall, daß die Ehegatten M und F einander zu Alleinerben und das gemeinsame Kind als Schlußerben des Überlebenden berufen (Einheitslösung) oder sich gegenseitig als Vorerben und das Kind als Nacherbe des Erstversterbenden und als Ersatzerben des Längstlebenden einsetzen (Trennungslösung). Nach ganz h. M.316 liegt bei der Trennungslösung Wechselbezüglichkeit zwischen den Vorerbeneinsetzungen durch die Ehegatten, zwischen der Einsetzung des M als Vorerbe der F und der Einsetzung des K als Nacherbe des M und schließlich zwischen der Einsetzung der F als Vor314

Siehe nur Soergel-Manfred Wolf, § 2270 Rn. 7. Die Rechtsnatur des § 2270 II BGB ist streitig. Als Vermutung sieht MünchKomm-Musielak, § 2270 Rn. 9, die Vorschrift an. 316 BayObLGZ 1964, 94; Dittmann/Reimann/Bengel-Bengel, § 2270 Rn. 19; MünchKomm-Musielak, § 2270 Rn. 12; Staud-Kanzleiter, § 2270 Rn. 28; SoergelManfred Wolf, § 2270 Rn. 9; Kipp/Coing, Erbrecht, § 35 II 1. Vgl. zu dem Fall auch Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266 (1274 f.). 315

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erbin des M und der Einsetzung des K als Nacherbe der F und umgekehrt. Da nun nicht anzunehmen sei, daß ein Ehegatte das gemeinsame Kind nur deshalb bedenke, weil der andere ebenso verfüge317, läge hingegen keine Wechselbezüglichkeit zwischen der Einsetzung des K als Nacherbe des M und der korrespondierenden Einsetzung als Nacherbe der F. Bei der Einheitslösung läge Wechselbezüglichkeit zwischen der Einsetzung des M durch die F und der des F durch die M, zwischen der Einsetzung des M durch die F und der des K durch den M sowie schließlich zwischen der Einsetzung der F durch den M und der des K durch die F, nicht hingegen zwischen der Berufung des K durch den M und der des K durch die F vor318. Anders gesagt: Mit Ausnahme der Verfügungen, durch die jeder Elternteil die gemeinschaftlichen Abkömmlinge zu Erben einsetzt, sind herrschender Ansicht nach sämtliche Verfügungen sowohl bei der Einheits- als auch bei der Trennungslösung wechselbezüglich. Es fragt sich nur, ob dieser Zuschnitt der Wechselbezüglichkeit dem normativen Realtypus ehelicher und familiarer Verbundenheit in jeder Beziehung entspricht. Die h. M. überdehnt die Sozialtypik, soweit sie davon ausgeht, daß die F ihr Kind K in der Regel deshalb zum Schluß- oder Nacherben einsetzt, weil M die F als Voll- bzw. Vorerbin eingesetzt habe und umgekehrt. Denn es kann auch durchaus in der Regel in einigen Fallgestaltungen anders sein. Typischerweise sind familiare Ausgleichsbeziehungen über Generationen zwar in ein Netz von über den gesamten Lebenslauf getätigten Austauschbeziehungen integriert319. In der konkreten Verknüpfung der Verfügungen zugunsten des gemeinsamen Kindes und der eigenen Einsetzung durch den anderen Gatten ist ein Austauschverhältnis jedoch eher lebensfremd. Die h. M. ist hier noch zu sehr von zweiseitigen Abhängigkeitsverhältnissen geprägt320: Die Einsetzung des K durch M wird zwar für die F Anlaß sein, dem M zu ihrem Vorerben einzusetzen; hier liegt mithin Wechselbezüglichkeit vor. Entgegen der h. M. setzt M sein Kind aber nicht deshalb ein, weil er von seiten der F als deren Vorerbe eingesetzt worden ist, sondern wird es auf jeden Fall eingesetzt haben wollen. Die Wechselbezüglichkeit liegt mithin nicht umgekehrt vor321. § 2270 II Alt. 2 BGB greift demnach zwar seinen Voraussetzungen nach, dennoch kommt die grobe Ty317 BayObLG, RPfleger 1985, 445; Dittmann/Reimann/Bengel-Bengel, § 2270 Rn. 19; MünchKomm-Musielak, § 2270 Rn. 12; Staud-Kanzleiter, § 2270 Rn. 28; Erman-M. Schmidt, § 2270 Rn. 2; Kipp/Coing, Erbrecht, § 35 II 1; Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266 (1274 f.). 318 Staud-Kanzleiter, § 2270 Rn. 28; MünchKomm-Musielak, § 2270 Rn. 12; Kipp/Coing, Erbrecht, § 35 II 1. 319 Marbach, in: Bien (Hrsg,), Eigeninteresse und Solidarität, 163 ff.; Lauterbach/Lüscher, KZfSozSoz-psy 25 (1996), 66 (72). Dazu schon oben § 5 II 2. 320 So auch Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266 (1275). 321 So auch Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266 (1275).

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pik des § 2270 II BGB aufgrund der vorrangigen Typizität des familiaren Nahbereichs nicht zum Tragen. Es bestehen mithin richtigerweise bei der Trennungslösung folgende Abhängigkeitsverhältnisse: Die Einsetzung

hängt ab von der Einsetzung

des M als Vorerbe der F

der F als Vorerbe des M

des M als Vorerbe der F

des K als Nacherbe der F und Ersatzerbe des M

der F als Vorerbin des M

des M als Vorerbe der F

der F als Vorerbin des M

des K als Nacherbe des M und Ersatzerbe der F

Die Einsetzung

hängt nicht ab von der Einsetzung

des K als Nach- und Ersatzerbe des M

des M als Vorerbe der F

des K als Nach- und Ersatzerbe der F

der F als Vorerbe des M

Bei der Einheitslösung gilt gleiches: Die Einsetzung

hängt ab von der Einsetzung

des M als Alleinerbe der F

der F als Alleinerbe des M

des M als Alleinerbe der F

des K als Schlußerbe des M

der F als Alleinerbin des M

des M als Alleinerbe der F

der F als Alleinerbin des M

der K als Schlußerbe der F

Die Einsetzung

hängt nicht ab von der Einsetzung

des K als Schlußerbe des M

des M als Alleinerbe der F

des K als Schlußerbe der F

der F als Alleinerbin des M

Der eine Gatte wird die Einsetzung des gemeinsamen Kindes als Nacherben durch den anderen Teil typischerweise nicht als Folge der durch ihn erfolgten Bedenkung des anderen Gatten als Vorerben ansehen und sieht sich damit insoweit auch keinen Erwartungen des anderen ausgesetzt. Die Wirkungen sind durchaus praktisch relevant. Gesetzt den Fall von den Kindern K1 und K2 sei K1 von F über seinen gesetzlichen Erbteil hinaus bedacht worden, etwa in der Erbquote gegenüber K2 begünstigt oder sogar als Alleinerbe unter bewußter Beschränkung des K2 auf den Pflichteil. Wenn nun M die Einsetzung der F zu seiner Vorerbin zu Lebzeiten wirksam widerruft, wäre nach den Prämissen der h. M. die Einsetzung des K1

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Kap. 2: Die Bindungswirkung des Ehegattentestaments

als Nach- und Ersatzerbe der F unwirksam. K1 wäre demnach nicht quotal gegenüber K2 bevorzugter, testamentarischer Ersatzerbe oder Ersatz-Alleinerbe der F und wäre auf die gesetzliche Erbfolge verwiesen. Dies wiederum entspricht ersichtlich nicht dem Willen der F, wenn K1 – wie hier – über das gesetzliche Erbteil hinaus eingesetzt war und F nicht mehr neu testiert322. Zwar ist allein die Tatsache, daß nicht neu testiert worden ist, weil sich F dieser Notwendigkeit nicht bewußt war, noch kein Grund, die F zu schützen323. Es kann ja erwartet werden, daß F als selbstverantwortliche Rechtsperson sich über etwaige Testiernotwendigkeiten ihrerseits Rechenschaft ablegt324. Der Grund für die bloß einseitige Abhängigkeit der Einsetzung als Vorerbe von der des Kindes als Nach- und Ersatzerbe liegt vielmehr darin, daß typischerweise jeder Elternteil unabhängig von seiner eigenen Bedenkung durch den je anderen Teil gerade mit Blick auf seinen eigenen Tod seinen Abkömmling bedacht sehen will. Die Lehren, welche aus diesem Beispiel gezogen werden können, lauten demnach, daß § 2270 II BGB zwar in die eheliche Interaktion die beschriebenen typischen Routinen einziehen will, diese Routinen können jedoch durch gleichfalls durch den Rechtsanwender in der sozialen Wirklichkeit aufgefundene Typizitäten gleichsam ihrer prägenden Kraft so entkleidet werden, daß § 2270 II BGB im jeweiligen Fall nicht angewendet werden kann. § 2270 II BGB steht demnach nicht nur unter dem Vorbehalt einer anderen Regelung im konkreten Fall, sondern auch unter dem Vorbehalt, daß sich keine typisierend gefundenen Interaktionsmuster finden lassen, die der Vermutungsregelung widerstreiten. Der normative Grund für diese Überlagerung des § 2270 II BGB durch eheliche Interaktionstypen besteht in dem Schutz der Todesverarbeitung der Gatten. Dürfte die sehr grobe Typik des § 2270 II BGB nicht durch sonstig gefundene feinmaschigere Interaktionstypen unterlaufen werden, wäre die ja als äußerst individuelle Leistung vom Gesetz avisierte Todesverarbeitung in einem sehr starken Maße ent-individualisierten Handlungsmustern unterworfen. Dies widerspräche aber der personfunktionalen Gründung des gewillkürten Erbrechts. b) Der Begriff der Verwandten und des Nahestehens i. S. § 2270 II BGB Die herrschende Meinung versteht unter „verwandten Personen“ i. S. § 2270 II BGB sämtliche Verwandte gem. § 1589 BGB, ohne eine Nähebeziehung des Verwandten zum Erblasser vorauszusetzen325. Überzeugend ist dies nicht. Gesetzt den Fall, eine Bedenkung eines Verwandten 322 323 324

Vgl. auch Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266 (1275). Anders wohl Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266 (1275). Siehe dazu oben § 4 II 3 c.

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führt nach der h. M. zu einer Bindung des Testierenden nach § 2271 II BGB i.V. m. § 2270 I, II BGB. Wo liegt der rechtfertigende Grund für eine derartige Einschränkung personaler Entfaltung? Gemeinhin braucht die Rechtsperson nur mit Verpflichtungen (etwa aufgrund eingetretener Unterhaltspflichten) zu rechnen, wenn es um die nähere Verwandtschaft geht. Zudem sind erbrechtlich Verwandtschaftsinteressen nur über das Pflichtteilsrecht geschützt, das als einziges Signum erbrechtlicher Familiarität 326 familiare Beziehungen im Erbrecht schützt. Außerhalb derartiger Regelungen ist Verwandtschaft zuerst einmal nichts als ein bloß genetisches Band zwischen Personen. Ausschlaggebend gegen den Einbezug des in § 1589 BGB aufgeführten Personenkreises in § 2270 II BGB spricht jedoch, daß dieser Personenkreis keinen inneren Bezug zum Sinn und Zweck der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments aufweist. Dieser Sinn liegt im Schutz des Persönlichkeitsrechts des Erstversterbenden. Es bleibt unerfindlich, wieso dieser typischerweise Wert darauf legen soll, daß der überlebende Teil nicht neu testiert, nur weil dieser einen Verwandten des Erstverstorbenen letztwillig bedacht hat, mit dem den Erstverstorbenen abgesehen vom genetischen Band nichts verbindet. Dem Erstverstorbenen wäre die Bindung des Überlebenden doch typischerweise allenfalls dann wichtig, wenn der Verwandte ihm, dem Erstverstorbenen, nahe gestanden hätte. Genau dies ist für die h. M. jedoch irrelevant. Nach all dem kann es mithin nur darauf ankommen, ob der von dem einen Gatten bedachte Verwandte dem anderen Teil nahesteht. Der Gesetzeswortlaut spricht nicht gegen diese Auslegung. Der Begriff „sonst“ kann nicht nur beiordnend, sondern auch über-unterordnend verstanden werden, so daß der Fall der Verwandtschaft einen Unterfall des Nahestehens bildet327. Es bleibt freilich zu erklären, warum das Gesetz dann überhaupt noch Verwandtschaft und Nahestehen unterscheidet. Dies wiederum dürfte mit Nachweisproblemen zu erklären sein. Typischerweise werden als Verwandte ja nicht irgendwelche sehr entfernt verwandte Personen bedacht, sondern etwa Nichten oder Neffen des Erstversterbenden328. Eine Nähebeziehung dürfte hier zumeist anzunehmen sein. Die Differenzierung des Gesetzes zwischen Verwandten und Nahestehenden ergibt vor diesem Hintergrund dann Sinn, wenn diese Differenzierung eine Zweifelsrege325

BayObLG, DNotZ 1977, 40 (42); KG, RPfleger 1983, 26; MünchKomm-Musielak, § 2270 Rn. 13; Erman-Schmidt, § 2270 Rn. 5; Palandt-Edenhofer, § 2270 Rn. 8; Soergel-Manfred Wolf, § 2270 Rn. 7; RGRK-Johannsen, § 2270 Rn. 18. 326 Dazu unten § 42 II. 327 So auch Ritter, Konflikt, 104 f. 328 Dieses Beispiel ist deshalb gewählt, weil § 2270 II BGB richtigerweise für gemeinsame Kinder ja nicht greift, siehe oben § 6 III 3 a.

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lung in der Art beinhaltet, daß im Sinne von § 2270 II BGB bedachte Verwandte dem Erblasser im Zweifel auch nahestehen. Der überlebenden Teil wird mithin darauf verwiesen, bei einer Bedenkung von Verwandten den Gegenbeweis des Nicht-Nahestehens zu führen, um seine Testierfreiheit wieder zu erlangen. Es bleibt der Begriff der „nahestehenden Person“. Hierzu müssen nach der h. M. unter Anlegung eines strengen Maßstabs329 solche engen persönlichen Beziehungen bestehen, die mindestens dem üblichen Verhältnis zwischen Verwandten entsprechen330. Nun bleibt unklar, welches dieses „übliche Verhältnis“ denn nun genau ist. Unter Verwandten können sowohl sehr enge als auch gar keine Beziehungen bestehen, da das empirische Faktum eines genetischen Bandes ja keine Aussagen zum Grad personaler Verbundenheit trifft – zu einer Verbundenheit zudem, hinsichtlich der sich Üblichkeiten in einer ausdifferenzierten und individualisierten Gesellschaft sowieso wenig ausmachen lassen, wenn nicht das Leitbild einer bürgerlichen Familie allen Familien als Leitbild anempfohlen werden soll. Die richtige Richtung weist auch hier wieder der Bezug zwischen „Nahestehen“, dem Persönlichkeitsschutz des Erstversterbenden und dem Persönlichkeitsschutz des überlebenden Teils, welcher eventuell nochmals sein „Sein zum Tode“ letztwillig zu entfalten wünscht. Eine zu weite Handhabe des Begriffs „nahestehende Person“ würde zu einer weitgehenden Aushöhlung der Testierfreiheit des Überlebenden führen. Der Begriff muß deshalb zu Recht eng ausgelegt werden. Was im weiteren dann unter Nahestehen begriffen werden muß, zeigt wiederum ein Blick auf den Sinn und Zweck der testamentarischen Bindung. Eine Person steht dem Erstversterbenden nach Sinn und Zweck der testamentarischen Bindung nahe, wenn sie für dessen Todesverarbeitung eine ausschlaggebende Bedeutung hat. Es kommt also nicht primär auf „besonders gute persönliche Beziehungen und innere Bindungen“ an, „die über das normale Maß des verträglichen Miteinanderauskommens hinausgehen“331, sondern auf das Gewicht des jeweilig Drittbedachten zur Todesverarbeitung des Erstversterbenden. Für diese können auch juristische Personen äußerst wichtig sein, so daß nicht nur natürliche Personen die Auslegungsregel des § 2270 II BGB erfüllen können332. Pointiert gesagt, 329 BayObLG, DNotZ 1977, 42; FamRZ 1984, 1154 (1155); 1985, 1287 (1289); 1991, 1232 (1234); 1994, 191 (193); 1999, 1541 (1543); KG, FamRZ 1993, 1251; MünchKomm-Musielak, § 2270 Rn. 13; Staud-Kanzleiter, § 2270 Rn. 31; SoergelManfred Wolf, § 2270 Rn. 7. 330 BayObLG, RPfleger 1983, 155; 1985, 240; FamRZ 1986, 604 (606); KG, FamRZ 1993, 1251 (1253); MünchKomm-Musielak, § 2270 Rn. 13; Staud-Kanzleiter, § 2270 Rn. 31; Soergel-Manfred Wolf, § 2270 Rn. 7; Bengel, DNotZ 1977, 5 (8). 331 Soergel-Manfred Wolf, § 2270 Rn. 7, dort beide Zitate. 332 So aber Staud-Kanzleiter, § 2270 Rn. 31.

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kann im Ruhrgebiet die durch den einen Gatten vorgenommene Bedenkung eines Taubenzüchtervereins für die Todesverarbeitung des anderen Teils genauso ausschlaggebend sein, wie die Bedenkung der Carl-Zeiss-Stiftung durch Ehegatten, die in Jena leben. Das „Nahestehen“ braucht demnach kein Nahestehen i. S. einer personalen Verbundenheit oder einer inneren Bindung zwischen Menschen sein. Entscheidend ist allein der Bezug des Drittbedachten zur Todesverarbeitung des Erstversterbenden. Es kann deshalb auch sein, daß zwischen einander entfremdeten Eltern und Kindern genau jenes Maß an „Nahestehen“ nicht vorhanden sein kann, welches die Vermutungsregel des § 2270 II BGB trägt. 4. Die Entscheidung in Zweifelslagen

Soweit die Auslegungsregel des § 2270 II BGB nicht greift, entscheidet das Gericht nach seiner freien Überzeugung über das Vorliegen der Wechselbezüglichkeit, § 286 ZPO. Nach allgemeinen Beweislastgrundsätzen trifft die Beweislast denjenigen, der aus der Wechselbezüglichkeit Rechte herleiten will333. Doch auch materiell-rechtlich ist es einsichtig, im Zweifel von einer fehlenden Wechselbezüglichkeit auszugehen. Denn alles andere würde dazu führen, daß im Zweifel eine im Persönlichkeitsschutz gegründete Erwartung geschützt ist, obwohl damit ohne Zweifel ein Eingriff in Persönlichkeitsrechte Dritter (nämlich in die Testierfreiheit des Überlebenden) verbunden ist. Dritte müssen Eingriffe in ihre Rechte jedoch nur hinnehmen, wenn der Eingriffstatbestand in vollem Umfang gegeben ist; Zweifel reichen hier regelmäßig nicht hin. Daran ändert auch die Einsicht nichts, daß das gemeinschaftliche Testament bei Lichte betrachtet unter Persönlichkeitsrechtsgesichtpunkten eine Art „Risikogeschäft“ darstellt, da zumindest bei wechselseitiger Wechselbezüglichkeit der Erstverstorbene praktisch „gewonnen“ hat, nämlich einen postmortalen Schutz seiner Persönlichkeit. Dieser Einwurf ist nicht relevant. Das übernommene Risiko steht ja immer unter dem Vorbehalt, daß es auch tatsächlich übernommen worden ist. Das Gesetz hat im übrigen die Nachweisschwierigkeiten hinsichtlich der Wechselbezüglichkeit gesehen und auf sie – wie schon ausgeführt – mit einer materiellrechtlich eingekleideten Absenkung der Substantiierungslast und des Beweismaßes reagiert, da Reziprozität nur „anzunehmen“ zu sein braucht334. Es bleibt also dabei: Bei Zweifeln ist eine Verfügung nicht wechselbezüglich.

333 BayObLG, FamRZ 1980, 505; 1985, 1287 (1289); 1986, 392 (395); 1991, 1232 (1234); Soergel-Manfred Wolf, § 2270 Rn. 8; siehe auch MünchKomm-Musielak, § 2270 Rn. 9. 334 Siehe oben § 6 III 1.

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Kap. 2: Die Bindungswirkung des Ehegattentestaments 5. Gemeinschaftliches Testament und Erbvertrag

Beim Erbvertrag fühlen sich die Ehegatten typischerweise durch die Willenserklärung des je anderen belohnt. Erbvertragliche Verfügungen müssen zwar nicht wechselbezüglich sein; der Erbvertrag ist gleichwohl in seiner Struktur natürlich reziprok angelegt, da im Vertragsschluß Willenserklärungen gewissermaßen „ausgetauscht“ werden. Nur tritt die bindende Wirkung des Erbvertrags aufgrund der rechtlichen Bindungswillen ein335. Der Unterschied des gemeinschaftlichen Testament mit korrespektiven Verfügungen zum Erbvertrag liegt somit gerade nicht in der vermeintlich nur beim wechselbezüglichen Ehegattentestament bestehenden Notwendigkeit einer Gratifikation (beim Erbvertrag gratifiziert ja schon die jeweilige vertragliche Willenserklärung des einen den anderen), sondern allenfalls im Formprivileg, in dem schon mit Vertragsschluß336 eintretenden Schenkungs- und Beeinträchtigungsschutz der §§ 2287 f. BGB und schließlich in der ex lege statuierten Widerrufsmöglichkeit des gemeinschaftlich Verfügten zu Lebzeiten, während erbvertraglich derselbe Erfolg nur bei einem vereinbarten Rücktrittsvorbehalt eintreten kann. Nun kommt es bei wechselbezüglich Verfügtem strenggenommen zu einer Bindung, die – in vertragsrechtliche Kategorien übersetzt – auf eine positive Erfüllungshaftung hinauslaufen würde337, obwohl beim Vertrauensschutz zumeist nur ein auf das negative Interesse gerichteter Schutz für angemessen erachtet wird338. Zwar könnte man eine positive „Erfüllungshaftung“ des überlebenden Teils noch mit der Irreversibilität der Vertrauensdisposition post mortem339 (nämlich mit der Entwertung der geleisteten psychischen Gratifikation) oder des Verzichts des Vertrauenden auf Vorteile unwägbarer Art340 begründen, doch dies entlastet nicht von der Aufgabe, daß durchschlagende normative Gründe für einen Übergang des Willens335 Hier bestätigt sich die eingangs § 4 II 3 a getroffene Vermutung, das gemeinschaftliche Ehegattentestament könnte hinsichtlich der Erklärung seiner Bindungswirkung in die Begründungsstrukturen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre eingeordnet werden. Denn hierzu bestehen dann gute Chancen, wenn die Bindung an die Obligation letztlich auf Vertrauen gegründet (vgl. dazu die Nachweise oben § 4 II 3 a) und Vertrauen in Erwartung rückübersetzt wird. 336 Siehe Nieder, Handbuch der Testamentsgestaltung, Rn. 585. 337 Wie sie im Bereich der vermögensrechtlichen Vertrauenshaftung bsp. von Kramer, Grundfragen, 204 ff.; v. Craushaar, Vertrauen, 45 f.; Meier-Hayoz, Vertrauensprinzip, 87 f., 112, 122 ff.; Drexelius, Irrtum, 7 ff.; Soergel-Hefermehl, § 119 Rn. 2, befürwortet wird. 338 Vgl. nur Singer, Selbstbestimmung, 91 ff. 339 Wie dies auch im Bereich der vermögensrechtlichen Vertrauenshaftung von denjenigen vorgeschlagen wird, die ansonsten einen negativen Schutz vorziehen, vgl. nur Canaris, Vertrauenshaftung, 295 f., 299 f., 531; Singer, Selbstbestimmung, 112 ff.

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auf das Vertrauensprinzip gefunden werden müssen; gilt doch die letztwillige Verfügung für die Vertreter eines Erbrechtsverständnisses, die das Erbrecht als fortgesetztes Eigentum verorten, als ein genuiner Ausdruck einer privatautonomen Selbstbestimmung jenseits aller vertrauenstheoretischer Zurechnung. Wie läßt sich also erklären, daß dieselben Rechtsfolgen, für die sonst ein Akt schöpferischen Parteiwillens erforderlich ist, nun auf Grund einer Norm eintreten, die ein bestimmtes Verhalten für rechtlich relevant erklärt und dies mit Bindung sanktioniert – und dies vor dem Hintergrund, daß der Gesetzgeber nicht willkürlich von der rechtlich anerkannten autonomen Bindung kraft Testierfreiheit (paradigmatisch: Erbvertrag) zur heteronomen Bindung kraft Erwartungsschutz (paradigmatisch: wechselbezügliches Ehegattentestament) greifen darf341? Anders gesagt: Wie ist es um das Verhältnis zwischen Errichtungszusammenhang und Form und damit um das Verhältnis von Bindung kraft gemeinschaftlichen autonomen Willen (Erbvertrag) und kraft heteronomen Vertrauen (Ehegattentestament) bestellt? Nun ist es schwierig zu erklären, wieso ein vor dem Notar errichtetes gemeinschaftliches Testament mit korrespektiven Verfügungen nur einen Erwartungsschutz und diesen auch nur nach dem Ableben des Erstversterbenden (abgesehen von dem durch die Formvorschrift des § 2271 I BGB begründeten formalen Schutz) begründet, während der in ebenfalls notarieller Form geschlossene Erbvertrag auch ohne konkret gewährtes Vertrauen schon kraft privatautonomen Willens bindet342; allein die bloße Bezeichnung des Geschäftstyps dürfte bei gleichem Errichtungszusammenhang ja kaum ausreichen, wenn die Verfügungen inhaltlich identisch sind343. Die Unterscheidung zwischen den beiden Verfügungsarten könnte prima facie zuallererst nach dem Willen der Ehegatten erfolgen: wenn Bindung gewollt ist, läge ein Erbvertrag vor, wenn ein Zusammenhang im Motiv, ein ge340 Mit diesem Topoi begründet Stoll, FS Flume I, 741 (757), daß die Vergütung des materiellen Vertrauensschadens oftmals unzureichend sei. 341 Die parallele Frage stellt Bydlinski, Privatautonomie, 61 f., für den Bereich des Vertragsrechts. 342 Die Akzente würden freilich dann anders gesetzt, wenn der Grund der vertraglichen Bindung primär im Vertrauen angesiedelt wird, dazu Bydlinski, Privatautonomie, 67 ff., 136; Radbruch, Rechtsphilosophie, 245; Larenz, Methode, 485; Bassenge, Versprechen; Comes, Rechtsfreie Raum, 47 f.; v. Craushaar, Vertrauen, 36 ff., 51 ff., 58 ff., 62 ff. Vgl. dazu auch Jürgen Schmidt, Vertragsfreiheit, 88 f.; Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen, 169 ff. 343 So auch Battes, Vermögensordnung, 259; vgl. auch Bosch, FamRZ 1977, 275. Hier kommt es nur auf die Frage nach dem Bindungsgrund an. Die Unterschiede, welche zwischen gemeinschaftlichem Testament und Erbvertrag hinsichtlich der jeweiligen Vor- und Nachteilen der Gestaltung verbunden sind (dazu nur Nieder, Handbuch der Testamentsgestaltung, Rn. 583 f., 585 f.), spielen für diese Frage nach dem Grund rechtlicher Bindung keine Rolle.

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meinschaftliches Testament. Doch ist eine solche Differenzierung angesichts der Errichtung vor einem beratenden Notar ganz unpraktisch. Zudem würde bei dieser Differenzierung gerade von der impliziten Prämisse ausgegangen, ein Bindungswille könne nicht auch im Kontext des gemeinschaftlichen Testaments auftreten, ohne zu verhindern, daß eben ein solches vorläge; genau dies geht aber nicht an, da ein gemeinsamer Bindungswille durchweg indizieren wird, jeder der Gatten habe verfügt, weil der andere so und nicht anders verfügt habe. Als Grund käme weiter die verschiedene Bindungswirkung zwischen gemeinschaftlichem Testament und Ehegattenerbvertrag zu Lebzeiten in Frage. Doch auch hier führt ein mangelnder Bindungswille zu Lebzeiten nicht automatisch zur Annahme eines gemeinschaftlichen Testaments, da auch ein erbvertraglicher Rücktrittsvorbehalt vereinbart sein könnte. Der Unterschied zwischen Erbvertrag und gemeinschaftlichem Testament schrumpft hier hinsichtlich der Bindungswirkung zu Lebzeiten auf die Unzulässigkeit eines Totalvorbehalts beim Erbvertrag344. Es bleibt mithin immer die Frage offen, warum vom Willens- auf das Vertrauensprinzip übergegangen werden darf. Richtigerweise sollte bei der Beantwortung dieser Frage wie folgt differenziert werden: In beiden Verfügungsformen steht zwar ein reziprok strukturierter Austausch von sozialen Leistungen in Rede, und zwar beim Erbvertrag die jeweils „ausgetauschten“ Willlenserklärung und beim wechselbezüglichen Ehegattentestament nicht nur die symbolischen Implikationen des gemeinschaftlichen Verfügens, sondern auch die wechselseitige Beeinflussung der jeweiligen Todesverarbeitung. Dem Erbvertrag kommt damit zwar immer ein reziproker Charakter zu, er muß aber nicht immer auch wechselbezügliche Verfügungen enthalten. Enthält er derartige Verfügungen aber nicht – wie beim einseitigen Erbvertrag –, läßt der nicht letztwillig verfügende Vertragspartner auch nicht die Todesverarbeitung des erbvertraglich verfügenden Erblassers in seine eigene Todesverarbeitung als grundlegendes Moment der Ausprägung seines personalen Selbsts einfließen, da er ja gerade nicht letztwillig verfügt und damit seinen eigenen Tod erbvertraglich nicht verarbeitet. Will der Erblasser gleichwohl gebunden sein, leistet dies nur das vertragliche Willensprinzip. Schwierig wird es demnach nur, wenn sowohl der Ehegattenerbvertrag als auch das notarielle gemeinschaftliche Testament wechselbezügliche Ver344 So zumindest die herrschende Meinung, vgl. BGHZ 26, 204 (208); BGH, MDR 1958, 223; BGH, WM 1970, 482; BGH, NJW 1982, 441 (442 f.); MünchKomm-Musielak, § 2278 Rn. 16; Staud-Kanzleiter, § 2278 Rn. 12; Soergel-Manfred Wolf, § 2278 Rn. 7. Für Zulässigkeit eines Totalvorbehalts hingegen v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 1, 427; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 25 VI 4. Zum Streitstand siehe jüngst Ritter, Konflikt, 179 ff.

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fügungen enthalten. Nur hier stellt sich mithin die Frage, wieso ein Übergang vom Willens- zum Vertrauensprinzip statthaft sein soll, obwohl sich die Geschäfte bei Lichte betrachtet nur in der Bezeichnung und in der Unzulässigkeit eines erbvertraglichen Totalvorbehalts unterscheiden. Nun hat bereits der historische Gesetzgeber herausgestellt, daß zwischen einem gemeinschaftlichen Testament und einem unter Rücktrittsvorbehalt abgeschlossenen Erbvertrag kein wesentlicher Unterschied bestünde345. Der Grund für die gesetzlich vorgesehene „Verdopplung der Rechtsform“ wurde im Psychologischen gefunden: Ehegatten würden erbvertraglich kaum einen Rücktrittsvorbehalt erklären, so daß ihnen mit dem gemeinschaftlichen Testament ein quasi-Vertragstypus bereitgestellt werden müsse, der zu Lebzeiten beider Gatten einen Rücktritt nicht ex lege verschließt346. Und in der Tat läßt sich mit dieser Erwägung ein Übergang vom Willens- zum Vertrauensprinzip rechtfertigen. Denn soweit die Ehegatten sich durch tradierte Handlungsroutinen des gemeinhin gepflegten ehelichen Sozialverhaltens typischerweise gehindert sehen, selbst für einen lebzeitigen Schutz der Ausprägung ihres „Seins zum Tode“ per Erbvertrag Sorge zu tragen347, ist es nur folgerichtig, daß das Gesetz das Willensprinzip durch das mit Blick auf die Bindungswirkung funktional äquivalente Vertrauensprinzip dort ersetzt, wo der Rekurs auf den Willen faktisch versagt. Ansonsten bestünde die Gefahr, daß die Todesverarbeitung intim zugewandter Personen schlechter geschützt wäre als die jener, welche sich in einem geringeren Maße affektiv verbunden fühlen und deshalb von vornherein auf den Erbvertrag ausweichen348. Die rechtliche Sorge um den faktisch wirksamen Schutz personaler Rechte hat hier das Gesetz geleitet. Der Übergang vom Willenszum Vertrauensprinzip gründet mithin im Persönlichkeitsschutz des Erstversterbenden.

345

Vgl. Prot., Mugdan V., 724. Prot., Mugdan V., 726. 347 Zur Einsicht, daß bei tiefen sozialen Beziehung der Rekurs auf Recht oftmals zur Irritation der Beziehung, wenn nicht sogar zum Beziehungsabbruch führen kann, siehe nur Goebel, Zivilprozeßrechtsdogmatik und Verfahrenssoziologie, 133 ff. (bezogen auf das gerichtliche Verfahren). Ein ähnlicher Bezug auf das Recht liegt vor, wenn ein Ehegatte auf einen erbvertraglichen Rücktrittsvorbehalt insistiert und damit mangelndes Vertrauen dem anderen Teil gegenüber signalisiert. 348 Deshalb liegt auch kein Widerspruch in der obigen Argumentation vor, nach der eine vertrauenstheoretische Gründung der testamentarischen Bindung u. a. auch mit Erwägungen zum Testierverhalten kritisiert worden ist. Dort ging es um die Begründung der Bindung, hier um die Begründung der Loslösung von der Bindung – und hier können Testiergewohnheiten relevant sein, da ein Rechtseingriff (wie bei der Bindung) nicht in Rede steht (sondern nur eine Entwertung von Erwartungen). 346

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IV. Der relevante Verständnishorizont bei der Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments Bei der Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments weicht die herrschende Meinung von dem für Testamente gemeinhin geltenden Willensdogma des § 133 BGB ab. Es soll vielmehr auf den gemeinsamen Willen beider Ehegatten ankommen, so daß stets zu prüfen sei, ob ein nach dem Verhalten des einen Erblassers mögliches Auslegungsergebnis auch dem Willen des anderen Teils entsprochen habe349. Bei wechselbezüglichen Verfügungen wird zudem expressis verbis wegen der Verkehrsgerichtetheit der Erklärung und der Schutzbedürftigkeit des einen Ehegatten im Hinblick auf die Erklärung des anderen auf den erkannten und hilfsweise auf den erkennbaren Erklärungssinn die Regelung des § 157 BGB analog angewendet350. Demgegenüber soll bei nichtwechselbezüglichen Verfügungen nach überwiegender Ansicht351 das reine Willensdogma ohne Analogie zu § 157 BGB durchgeführt werden352. Der Verweis auf § 157 BGB ist freilich mißverständlich. Im Rahmen der Auslegung wechselbezüglicher Ehegattenverfügungen kann es nicht auf den normativen Maßstab eines verständigen Erklärungsempfängers mit einem spezifisch zugeschnittenen Verständnishorizont ankommen, wie er im Vertragsrecht die Auslegung von Willenserklärungen leitet353. Die Rechtsperson besitzt ja gerade nicht die Pflicht, ihre eigene Persönlichkeit so zu entfalten, daß Dritte diese verstehen. Es ist ja gerade rechtlich geschütztes Signum personaler Entfaltung, sich expressiv-unverständlicher Ausdrucksformen zu bedienen, sich höchst eigenwilligen Inszenierungen des Selbst hinzugeben und nicht zuletzt auch vor „Spinnerei“ nicht zurückzuschrekken354, deren Verständnis nicht jedermanns, erst recht nicht eines verständi349

BGH NJW 1951, 959 (960); BGHZ 112, 229 (233); NJW 1993, 256; Dittmann-Reimann-Bengel, vor § 2265 Rn. 20 und § 2069 Rn. 14. 350 Vgl. BGH NJW 1993, 256 (ohne direkten Bezug zur Wechselbezüglichkeit); RGRK-Johannsen, § 2084, Rn. 10; Palandt-Edenhofer, § 2084 Rn. 1 und vor §§ 2265 ff. Rn. 12; Soergel-Loritz, § 2084 Rn. 51; MünchKomm-Leipold, § 2084 Rn. 24, § 2269 Rn. 15; Brox, Erbrecht, Rn. 223; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 413; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 33 III 7 b.; danach differenzierend, ob der Verfügung eine Leistung gegenüber steht Brox, Irrtumsanfechtung, 160 f. Zum § 157 BGB vgl. auch Wolf/Gangel, JuS 1983, 663 (664). 351 Vgl. nur Soergel-Loritz, § 2084 Rn. 51; MünchKomm-Leipold, § 2084, Rn. 24, § 2269 Rn. 15; Brox, Erbrecht, Rn. 224; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 413. 352 Dazu siehe schon oben § 4 II 3 b dd; sowie Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 3 IV, § 11 II 1. Auch bei einseitigen Verfügungen, die nicht ohne jede Bedeutung für den anderen Ehegatten sind, soll § 157 BGB zur Anwendung kommen nach Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 34 III 7 b; RGRK-Johannsen, § 2084, Rn. 10. 353 Dazu nur Larenz/Manfred Wolf, AllgT, § 28 Rn. 23 ff.

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gen Dritten Sache sein müssen. Verarbeiten mithin zwei sich intim verbundene Personen ihren Tod gemeinsam, können beide zwar erwarten, daß sich jeder auf den anderen einstellt. Es kann jedoch gerade wegen der Intimität der Verbindung ebenso erwartet werden, daß die von dem einen Teil gepflegte Expressivität im rechtsgeschäftlichen Ausdruck von dem anderen Teil soweit verstanden wird, wie dies im zwischenmenschlichen Bereich überhaupt angängig ist. Es darf jeder demnach erwarten, daß der andere Teil seinen Verständnishorizont auf sein Gegenüber einstellt. Gelingt dies jedoch nicht, kann der andere Teil mit Blick auf den angemessenen Persönlichkeitsschutz nicht erwarten, daß nunmehr sein Horizont für das Verständnis der Persönlichkeitsentfaltung des einen Gatten relevant ist. Denn dies wäre ja bei einer Entfaltung des individuellen personalen Selbst ein Widerspruch in sich. Es muß also „ein ,gemeinsamer‘ (d.h. inhaltlich gleicher) Wille“355 gebildet werden, für dessen Verständnis die konkrete Situation bei der Abfassung des gemeinschaftlichen Testaments356 und nicht irgendwelche Redlichkeitserwägungen eines abstrakt zugeschnittenen Verkehrsteilnehmers relevant ist. Schlägt die Bildung eines derartig inhaltlich gleichen Willens fehl, bleibt es bei der Auslegung der Willenserklärungen nach § 133 BGB – mit durchschlagenden Folgen: Meistenteils wird dann zugleich nicht mehr angenommen werden können, die Verfügungen stünden im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit. Denn falls der eine Teil die Verfügung des anderen nicht hat verstehen können, hat er grundsätzlich sein eigenes „Sein zum Tode“ nicht mit Blick auf diese Verfügungen, sondern mit Blick auf dasjenige entfaltet, von dem er annahm, sein Gatte habe es so und nicht anders verfügt. Warum soll dann aber der Überlebende gebunden sein, wenn nicht seine Verfügung, sondern das vom erstverstorbenen Teil angenomme Abbild seiner Verfügung tatsächlich letzteren motiviert hat? Das Risiko, das die Essenz dessen, wie man sich personal entfaltet hat, auch beim Interaktionspartner zur Geltung kommt, trägt nun einmal jeder der Gatten selbst. Beiden kommt demnach die Obliegenheit zu, die Todesverarbeitung des je anderen Teils genau zu ermitteln, damit die interne „Verschmelzung“ der Todesverarbeitung Beider gelingt. Eine Ausnahme kann allenfalls für den Fall gemacht werden, daß es dem einen Teil eigentlich nicht so genau darauf ankam, was der andere denn nun genau verfügt – doch warum sollten dann die Gatten überhaupt noch motiviert sein, gemeinschaftlich und dann auch noch wechselbezüglich zu verfügen? Im Grundsatz bleibt es mithin dabei, daß bei einem „fehlgeschlagenen“ Verständnis der Verfügung des je anderen die Wechselbezüglichkeit entfallen ist. Darüber hinaus ist die (nun354 355 356

Dazu Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 10 V 3 a. MünchKomm-Musielak, § 2269 Rn. 15, kursive Hervorhebung nicht i.O. Soergel-Loritz, § 2084 Rn. 51.

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mehr bloß noch einseitige) Verfügung auch anfechtbar, wenn der Ehegatte bei Kenntnis seines Irrtums seine Verfügung so nicht getroffen hätte. V. Ergebnis 1. Der Zentralgedanke der testamentarischen Bindung: Die Gabe der besseren Todesverarbeitung als psychische Gratifikation

Zusammenfassend kann nunmehr notiert werden: Die Überlegungen haben gezeigt, daß sich die Bindungswirkung korrespektiver Verfügung mit dem Gedanken des Vertrauensschutzes nicht rechtfertigen läßt, solange die Ehegatten als selbstverantwortliche Rechtspersonen ernstgenommen werden. Das Vertrauen des Erstversterbenden, der überlebende Teil würde die ihm gewährten vermögensmäßigen Gratifikationen (seine letztwillige Bedenkung und möglicherweise die des Endbedachten) nicht durch eine erneute Verfügung nach dem ersten Todesfall entwerten, wird nicht durch § 2271 II BGB, sondern durch § 2270 I BGB geschützt357. Das vermögensbezogene Vertrauen könnte der Erstverstorbene auch durch eine auf den Fall der Zweitverfügung des Überlebenden nach dem ersten Todesfall bedingte einseitige Verfügung schützen; dies kann ihm selbstverantwortlich auferlegt werden. Der Grund für die testamentarische Bindung kommt erst dann in den Blick, wenn das gemeinschaftliche Testieren als ein Mittel begriffen wird, mit dem der eine Ehegatten seine Todesverarbeitung mit der des anderen Gatten verbinden kann; beide Todesverarbeitungen werden quasi in die je andere gleichsam „eingebaut“: Jeder der Gatten sieht aufgrund der in der Intimbeziehung aufscheinenden Verschmelzung der Erlebnis- und Verstehenshorizonte der Gatten auch seinen eigenen Tod in der Thematisierung des Todes des anderen gespiegelt und kann sich damit um so besser der Verarbeitung des je eigenen Todes stellen. Falls dieses „Geschenk“ nach dem Tode des vorversterbenden „Schenkers“ durch eine Zweitverfügung des überlebenden Teils entwertet würde, wäre auch die Persönlichkeitsentfaltung, die in dem Testament des Erstversterbenden zum Ausdruck kommt, zunichte gemacht, da ja der Erstverstorbene seine im gemeinschaftlichen Testament inszenierte Entfaltung seiner Persönlichkeit nach seinem Tode nicht mehr ändern kann. Selbst eine weitere Verfügung für den Fall des Neutestierens des Überlebenden hilft hier nicht; eine derartige Verfügung wäre ja nur einseitig möglich. Indem der Erstverstorbene dem Überlebenden die Möglichkeit eröffnet hat, anhand einer (des Erstverstorbenen) testamentarischen Verfügung seinen eigenen Tod im Spiegel der Todesverarbei357

Oben § 4 II 3 c und d.

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tung des erstversterbenden Gatten zu bewältigen und als sicher eintretendes Ereignis auszuhalten, erbringt er dem Überlebenden eine Gabe – und zwar die Gabe, daß dieser im Blick auf den Tod des intim Verbundenen den eigenen Tod besser zu ertragen lernt. Er gibt dem Überlebenden mithin psychische Gratifikationen hin. Im gemeinschaftlichen Testament sind somit vermögensmäßige und psychische Gratifikationen, die vom Erstverstorbenen an den Überlebenden fließen, untrennbar miteinander verschmolzen. Es gilt also, daß für eine testamentarische Bindung beides zusammenkommen muß, eine psychische und eine vermögensbezogene Gratifikation.

2. Der Reziprozitätsmechanismus der §§ 2270 f. BGB

Vor diesem Hintergrund ist der in den §§ 2270 f. BGB implementierte Reziprozitätsmechanismus rechtlich klar auskonturiert. § 2270 I BGB spielt auf mögliche Erwartungsenttäuschungen im Falle fehlgeschlagener Reziprozität an, da bei einer nichtigen oder widerrufenen Verfügung des einen Gatten die mit der Verfügung verbundene vermögensmäßige, soziale, psychische oder innere Gratifikation des anderen Gatten entfällt und damit die Elastizität des Erwartens wiederhergestellt werden muß. Allein in dieser Vorschrift – und nicht, wie dies die vertrauenstheoretischen Bindungslehren erklären, in § 2271 II BGB – ist der Schutz jenes Vertrauens verankert, das sich einstellt, wenn der eine Gatte verfügt, weil der andere verfügt. § 2270 II BGB nimmt sich der häufig vorkommenden Fallgestaltung rein vermögenswerter (§ 2270 II Alt. 1 BGB) und gemischt vermögenswert-sozialer Gratifikation (§ 2270 II Alt. 2 BGB) als typisches Reziprozitätsphänomen im wechselbezüglichen Testierverhalten an. Zu Lebzeiten beider Gatten wird eine Erwartungsenttäuschung durch den Widerruf des gemeinschaftlich Verfügten gem. § 2271 I BGB eröffnet, um auf geänderte Aspekte im Leben oder auch auf eine neue Einschätzung der Ausgeglichenheit des Reziprozitätssaldos zu reagieren. § 2271 II 1 HS 1 BGB führt zu einer enttäuschungsfesten Konsolidierung der testamentarischen Verhaltenserwartung, da ansonsten die dem Überlebenden durch den Erstverstorbenen gewährte psychische Gratifikation entwertet würde. Diese psychische Gratifikation besteht in der Leistung, die in der Verschmelzung der Todesverarbeitungen zweier Menschen in intim codierter Kommunikation für die Todesverarbeitung des je anderen Teils verborgen ist. Unzweifelhaft tritt die testamentarische Bindung grundsätzlich heteronom ex lege ein, da Bindung auch dann zustandekommt, wenn der eine Ehegatte zwar die Gratifikationen des anderen anzunehmen gewillt ist, sich jedoch über die Bindungsfolgen als solche keine Gedanken macht. Eine heteronom angelegte Bindung ist unzweifelhaft schon deshalb notwendig, weil der soziale Mechanismus der Reziprozität alleine Selbstbindungen schon bei-

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Kap. 2: Die Bindungswirkung des Ehegattentestaments

spielsweise aufgrund etwaiger Machtungleichgewichte der Ehegatten nicht dauerhaft stabilisieren kann. Denn die Reziprozitätsbilanz kann auch schon mal unausgeglichen sein; nur idealiter ist die ausgehandelte Ordnung von wirklicher Reziprozität der Leistungen geprägt. Auch in der ehelichen Beziehung kann Reziprozität durch Machtungleichgewichte innerhalb der dann unsymmetrischen Beziehung überlagert und damit sozial destabilisiert werden358. § 2271 II 2 BGB endlich führt zum Bindungsverlust, weil in diesen Fällen der Reziprozitätsmechanismus empfindlich gestört ist, weil bei einer personal verstandenen Partnerschaft, wie sie die Ehe darstellt, Reziprozität typischerweise entfällt, wenn die Reziprozitätsbilanz aufgrund des Verhaltens des Bedachten vom Positiven ins Negative umschlägt. Gleiches gilt schließlich und endlich auch bei einer zerbrochenen Ehe, § 2268 I BGB. Sieht die gemeinschaftlich geleistete Todesverarbeitung die gewährte Reziprozität auch für den Zerbrechensfall gleichwohl nicht entwertet, schlägt die soziale Bindungskraft eines reziproken Austauschs nicht fehl, was das Gesetz folgerichtig mit dem Fortbestehen der Bindung des überlebenden Teils honoriert, § 2268 II BGB. Der normative Grund schließlich, warum das Erbrecht überhaupt sozial durch Reziprozität stabilisierte Verhaltenserwartungen auch rechtlich schützt, liegt in der Einsicht, daß in der internen Verklammerung der Todesverarbeitung beider Gatten, die im wechselbezüglichen gemeinschaftlichen Testament verkörpert ist und welche durch die expressiv-individuelle Codierung der Interaktion der intim verbundenen Gatten geleistet wird, jenes Moment durchschimmert, um dessen willen das gewillkürte Erbrecht so ungemein auf die Kraft des Testierwillens Wert legt: Indem die zu Lebzeiten mit Blick auf den Tod gehegten Erwartungen des Erstversterbenden post mortem enttäuschungsfest geschützt werden, werden zugleich diejenigen personalen Gehalte des Rechts aktiviert, die dem gewillkürten Erbrecht seinen personfunktionalen Charakter verleihen. Es geht auch beim gemeinschaftlichen Ehegattentestament deshalb um nichts anderes als um den Schutz des Persönlichkeitsrechts des erstversterbenden Testierenden. Das gemeinschaftliche Ehegattentestament steht deshalb beispielhaft für dasjenige Instrumentarium eines rechtlichen Persönlichkeitsschutzes, welches Personen zu teil wird, die sich entschließen, ihren Tod gemeinschaftlich per Testament zu verarbeiten. Mit der gerade skizzierten Anlage des Gesetzes wird zugleich der Kreis des Schutzes derjenigen Personen geschlossen, welche von der testamentarischen Todesverarbeitung des Erblassers betroffen sein können: Der Schutz der von Todes wegen Bedachten wird über die Sittenwidrigkeitsprüfung der letztwilligen Verfügung nach § 138 I BGB geleistet359. Die Todesverarbei358

Köndgen, Selbstbindung, 172, 265.

§ 6 Testamentarische Bindung und gemeinschaftliche Todesverarbeitung

153

tung dieser Bedachten wiederum wird über die Dreißigjahresfristen der §§ 2109, 2162 und 2210 BGB geschützt360. Und falls zwei Personen gemeinschaftlich ihr „Sein zum Tode“ entfalten wollen, greift für den Erstversterbenden der Schutzmechanismus der §§ 2270 f. BGB. Es bleibt der Schutz des überlebenden Teils, der nach dem Tode des Erstversterbenden erneut sein „Sein zum Tode“ suchen und damit einen weiteren Schritt im Prozeß seiner Todesverarbeitung zurücklegen will. Die hiermit angesprochene Frage nach der Lösung aus einer testamentarischen Bindung wird noch zu behandeln sein. In typisierenden Auslegungsregeln konnte schließlich der Aspekt der Ehegattensolidarität verkörpert werden, der gerade bei der gemeinschaftlichen Todesverarbeitung zwischen Ehegatten oftmals die Testiermotivation bestimmen wird. Der Topos „Solidarität“ bringt hierbei diejenigen Momente von Bedürftigkeit, wechselseitiger Anteilnahme und gegenseitiger, als legitim erfahrener Hilfe in Anschlag, die der eine Gatte dem anderen (und umgekehrt) erbringt, ohne hierfür einen wirtschaftlich faßbaren Gegenwert zu erwarten. In Reziprozitätskategorien übersetzt bedeutet Solidarität mithin eine Gratifikation der Bemühungen des einen Gatten durch emotionale und psychische Zuwendungen des anderen Teils. Die unter Ehegatten zirkulierenden Solidaritätsroutinen haben sich bei der Erklärung der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments als die einzigen Einsatzpunkte eines erbrechtlichen Familiarismus gezeigt. Eine Verfügungsmotivation aufgrund solidarischer Verbundenheit mit dem Schicksal der Ehegatten läßt sich jedoch ohne weiteres in den Erklärungszusammenhang eines personfunktional verstandenen Erbrechts einordnen, da ja vieles dafür spricht, daß persönlich-intim sich zugewandte Personen ihren Tod je mit Rücksicht auf das Schicksal des je anderen verarbeiten werden. Es spricht mithin nichts dafür, das gemeinschaftliche Testament als Signum eines erbrechtlichen Familiarismus zu begreifen. Es wird noch gezeigt werden361, daß bei Lichte betrachtet ein Verständnis des Erbrechts als fortgesetztes Familienrecht sich sowieso nur im Pflichtteilsrecht niederschlägt. Mit Blick hierauf bleibt es dabei, daß sich die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Ehegattentestaments nach § 2271 II BGB als Ausdruck eines Persönlichkeitsschutzes des Erstversterbenden erweist, der als Frucht einer gemeinschaftlich geleisteten Todesverarbeitung zweier sich persönlich-intim zugewandter Personen vom Gesetz implementiert worden ist, um das Personale im Recht ein weiteres Mal zu sichern. 359 Siehe zu den rechtstechnisch in § 138 I BGB niedergelegten Wertungen der Anerkennung Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 10 VI, § 11 V 1 sowie unten § 15 II 2. 360 Dazu Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 11 V 2 c. 361 Unten § 42 II.

Kapitel 3

Die Loslösung von der testamentarischen Bindungswirkung § 7 Einführung zur Lösung von der testamentarischen Bindung Bei wechselbezüglichen Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Ehegattentestament muß der testamentarisch gebundene Gatte, welcher erneut testieren will, zu Lebzeiten beider Teile seine korrespektive Verfügung notariell beurkundet widerrufen. Ansonsten ist seine Zweitverfügung nicht wirksam, § 2271 I BGB. Von dieser hier sog. formellen Bindungswirkung1 ist die Einschränkung der Testierfreiheit zu unterscheiden, die den Überlebenden nach dem Tode des Erstversterbenden gem. § 2271 II 1 HS 1 BGB trifft und die hier als sog. materielle Bindung2 bezeichnet worden ist. Dieser zufolge ist der überlebende Gatte nach dem ersten Todesfall an die wechselbezügliche Verfügung des gemeinschaftlichen Testaments gebunden. Der Grund für diese materielle Bindung liegt im Schutz des Persönlichkeitsrechts des erstversterbenden Gatten, der sein „Sein zum Tode“ spezifisch mit Rücksicht auf die Verfügung des anderen Teils ausgebildet hat. Würde das Gesetz keine Bindung anordnen, wäre der reziproke Zusammenhang zwischen den wechselbezüglichen Verfügungen und damit die einstmals in intim codierter Interaktion gemeinschaftlich geleistete Todesverarbeitung beider Teile entwertet. Dies war das Ergebnis der vorangegangenen Überlegungen zur materiellen Bindungswirkung des Ehegattentestaments3. I. Einführung Nach Eintritt der formellen Bindung kann der Ehegatte zwar mittels Formalia erschwert, aber doch immerhin wirksam neu testieren. Beim Eintritt materieller Bindung ist dem überlebenden Teil auch dies versagt. Diese Bindung wiederum bedeutet nichts anderes, als daß er seinen Tod nicht 1 2 3

Zu dieser Begriffsprägung siehe oben § 4 I. Oben § 4 I. Oben § 4 bis § 6.

§ 7 Einführung zur Lösung von der testamentarischen Bindung

155

mehr abermals mit den Mitteln des Rechts (hier: Testament, Erbvertrag) verarbeiten kann. 1. Das Konfliktpotential testamentarischer Bindung

Der überlebende Teil sieht sich mithin aufgrund der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments an der weiteren Inanspruchnahme seiner Persönlichkeitsrechte gestört. Diese Störung ist durchweg konfliktträchtig. Es muß nicht einmal zu größeren Veränderungen oder wandelnden Umständen während der Verwitwung kommen, vielmehr kann allein schon das Vorversterben des einen Ehegatten für den überlebenden Teil eine zu Lebzeiten beider Gatten nicht bedachte Neuorientierung in der Lebensgestaltung, in der Lebensperspektive und in der Weltsicht nach sich ziehen4, die häufig Anlaß zu einer Neubewertung der dem ursprünglichen Testament zugrundeliegenden Motive gibt. Die Bindungswirkung gem. §§ 2270, 2271 BGB wird hier oft als Einengung empfunden. Insofern war das gemeinschaftliche Testament schon immer ein Rechtsgeschäft mit einem hohem Streitrisiko, wenn der Überlebende nach dem Tode des Erstversterbenden zu Lasten der gemeinschaftlich Endbedachten erneut testiert, da diese die neue Verfügung oft nicht hinnehmen5. Die gegenläufigen Interessen der Ehegatten (hier das Interesse an einer fortbestehenden Bindung, dort jenes an einer Wiedergewinnung der Testierfreiheit) haben schon die Gesetzesverfasser gesehen6. Nach der gesetzlichen Regelung ist der überlebende Teil nicht mehr gebunden, wenn er – erster Fall – das ihm Zugewendete ausschlägt (§ 2271 II 1 HS 2 BGB), wenn er – zweiter Fall – seine korrespektive Verfügung wegen Irrtums, Drohung oder Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten analog den erbrechtlichen Anfechtungsvorschriften der §§ 2281 ff. BGB i.V. m. §§ 2078, 2079 BGB angefochten hat, wenn – dritter Fall – der Endbedachte der Verschwendung 4

Shamgar-Handelman, in: Nave-Herz/Markefka (Hrsg.), Handbuch der Familienund Jugendforschung, Bd. 1, 423 (429 f.), hat die im Rahmen von Vorstellungen einer sozialen Konstruktion der Wirklichkeit angesiedelten These aufgestellt, daß für den überlebenden Teil nach dem Prozeß der unmittelbaren Trauerverarbeitung kaum eine Rückkehr auf den alten Stand der emotionalen Weltverarbeitung und der sozialen Weltkonstruktion möglich ist. Vielmehr befände er sich in einer absolut neuen sozialen Realität im Vergleich zu der, die der Überlebende vor der Verwitwung konstruierte; die jeweiligen Wertprioritäten, Maßstäbe und Selbsteinschätzungen differierten stark. Ob diese These in dieser Allgemeinheit überzeugend ist, soll hier dahingestellt bleiben. 5 Vgl. nur Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266; Musielak, FS Kegel, 433 (434 f.). 6 Siehe zur eingehenden Erörterung des Interessenkonflikts in den Protokollen: Mugdan V, 718 f., 721 ff. Zur damaligen Diskussionslage vor und während der Kodifikation siehe Battes, Vermögensordnung, 51 ff.

156

Kap. 3: Die Loslösung von der testamentarischen Bindungswirkung

oder der Überschuldung anheimgefallen ist (§ 2271 III BGB i.V. m. § 2289 II BGB), wenn – vierter Fall – sich der Endbedachte einer Verfehlung schuldig gemacht hat, die dem Erblasser zur Entziehung des Pflichtteils berechtigt oder berechtigen würde, wenn der Bedachte ein Pflichtteilsberechtiger wäre (§ 2271 II 2 BGB i.V. m. § 2294 BGB), wenn – fünfter Fall – die Verfügung gegenstandslos wird, die zu derjenigen Verfügung, die geändert werden soll, im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit steht, oder wenn schließlich – sechster Fall – die korrespektiv verfügenden Ehegatten für die Zeit nach dem Tode des Erstversterbenden eine Freistellungsklausel hinsichtlich der einseitig vom Überlebenden ins Werk gesetzten Aufhebung oder Abänderung seiner, des Überlebenden wechselbezüglichen Verfügungen vorgesehen haben. Daneben könnte es sein – siebter Fall –, daß sich der überlebende Gatte auch in weiteren Fällen aus der Bindung befreien kann. Schießlich und endlich wird die vom gemeinschaftlichen Testament implementierte Vermögensordnung auch durch die analoge Anwendung der erbvertragsrechtlichen Bereicherungsvorschriften der §§ 2287 f. BGB geschützt. Dieser Schutz betrifft zwar nicht die Einschränkung der Testierfreiheit des überlebenden Teils und kann damit nicht in die Reihe der soeben angesprochenen sieben Fällen gestellt werden, in denen eine Lösung von der testamentarischen Bindung zulässig ist. Er trägt jedoch Funktionen wie die testamentarische Bindung: Schutz der Erwartungen des Erstversterbenden und damit Schutz von dessen Persönlichkeitsrecht. 2. Die Hauptgründe zur Loslösung von der Bindungswirkung

Wenn die soeben aufgezeigten Fälle, in denen eine Lösungsmöglichkeit von der materiellen Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments eintritt (Fälle 1 bis 6) oder noch diskutiert werden muß (Fall 7), einmal kreuztabellarisch erfaßt werden, ist ein deutlicher Zusammenhang zwischen den Wertungen, die eine Lösung von der Bindung auf den ersten Blick rechtfertigen, und den soeben skizzierten sieben Lösungsfällen erkennbar7:

7 Der Terminus „Vermögensordnung post mortem“ bezeichnet die von den gemeinschaftlich testierenden Gatten für die Zeit nach dem Tode des Erstversterbenden und nach dem Tode Beider vorgesehene Vermögensordnung.

§ 7 Einführung zur Lösung von der testamentarischen Bindung

Vermögensverlust beim Überlebenden?

Fall 1: § 2271 II 1 HS 2 BGB

„Versagen“ bei den Endbedachten?

157

Wertausgleich Rechtfertigung zum Erhalt der Lösung der Vermögens- von der testaordnung post mentarischen mortem? Bindung

(+)

(–)

(–)

Fehlschlag der Vermögensordnung aus Sicht beider Gatten

(+)

(–)

(–)

dto.

Fall 3: § 2271 III BGB

(–)

(+)

(–)

dto.

Fall 4: § 2271 II 2 BGB

(–)

(+)

(–)

dto.

Fall 5: Wegfall der Verfügung

(–)

(–)

(–)

dto.

Fall 6: Freistellungsklausel

(–)

(–)

(–)

Wille beider Gatten

(–)

Fehlschlag aus Sicht nur des Überlebenden: noch offenes Problem

Fall 2: §§ 2281 ff. BGB analog

Fall 7: Lösung kraft Willens des Überlebenden?

(–)

(–)

Anhand dieser sieben Fälle läßt sich leicht erkennen, daß auf den ersten Blick eine Lösung von der testamentarischen Bindung scheinbar nur bei zwei Gestaltungen in Frage kommt. Einmal – erste Gestaltung – kommt es zur Lösung, wenn ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Loslösung von der testamentarischen Bindung und eines Fehlschlags hinsichtlich der Implementation der gemeinschaftlich erdachten Vermögensordnung besteht, die nach dem Tode des Erstversterbenden und des überlebenden Teils errichtet werden sollte. Der Fehlschlag selbst beruht jeweils auf einem Verlust der im gemeinschaftlichen Testament ins Werk gesetzten „Austauschordnung“ zwischen den korrespektiven Verfügungen8, mithin auf fehlge8

Siehe zum Austauschcharakter des gemeinschaftlichen Testaments oben § 5.

158

Kap. 3: Die Loslösung von der testamentarischen Bindungswirkung

schlagener Reziprozität. Diese Austauschordnung kann in zwei Weisen zusammengebrochen sein: Einmal – erster Fall – kann es zum Wegfall einiger Beteiligter kommen (Fall 5). Zudem können korrespektive Verfügungen kraft Anfechtung der Verfügung des Überlebenden unwirksam werden, sei es, daß nur die angefochtene Verfügung unwirksam wird, sei es, daß auch die wechselbezügliche Verfügung des Erstversterbenden durch die Anfechtung der Verfügung des Überlebenden nach §§ 2281 ff. BGB analog in Folge des § 2270 I BGB entfällt (Fall 2). Hinzukommt eine Entwertung der postmortalen Vermögensordnung durch untragbare Vermögensrisiken (Fall 3) oder gewichtige personale Gründe (Fall 4), welche in der Person des Endbedachten jeweils eintreten. Da diese beiden Fälle 3 und 4 in der Praxis durchweg weniger relevant sind, werden sie im weiteren nicht mehr näher angesprochen. Sodann kann – zweiter Fall – die Austauschordnung durch ein Vermögensopfer entwertet sein. Dieses Vermögensopfer erbringt der überlebende Ehegatte oder – richtiger Ansicht nach – ein bedachter Dritter im Fall der Ausschlagung (Fall 1). Im Fall der Entwertung der Vermögensordnung post mortem scheint ein Schutz des Persönlichkeitsrecht des Erstverstorbenen schon deshalb nicht mehr erforderlich zu sein, weil zum einen das mit diesem Schutz Gewollte wegen des Zusammenbruchs der Vermögensordnung nicht mehr erreicht werden kann und zum anderen wegen des Verlusts einstmals gemeinschaftlich gewährter Reziprozität auch der „gute Name“ des Erstverstorbenen nicht mehr vom Überlebenden entwürdigt werden kann, der sich in der ehedem avisierten Vermögensordnung niedergeschlagen hatte und der den sozialen Achtungsanspruch betrifft, welcher der Erstverstorbene aufgrund seiner letztwilligen Verfügungen in der Sozietät zu perpetuieren oder zu implementieren erhofft hat. Darüberhinaus ist für eine Lösung von der Bindung – zweite Gestaltung – erforderlich, daß die Möglichkeit, sich von der testamentarischen Bindung zu lösen, dem Willen beider Gatten entspringt, wie dies im Fall 6 gegeben ist. Zu prüfen bleibt noch, ob nicht auch ausnahmsweise der Überlebende seine Testierfreiheit wiedergewinnt, wenn er dies beim Vorliegen bestimmter Umstände so will (Fall 7). Alles in allem scheint eine Loslösung von der testamentarischen Bindung mithin vorauszusetzen, daß (1) die gemeinschaftlich avisierte Vermögensordnung wegen fehlgeschlagener Reziprozität entwertet ist oder daß (2) die Lösungsmöglichkeit auf dem Willen beider Teile beruht. Die interessierende Frage ist dann: Sind dies sämtliche Fälle? Oder gibt es noch die weitere, im Fall 7 angesprochene Möglichkeit, sich der testamentarischen Bindung zu entziehen? Und vor allem: Spiegeln sich in dieser auf den ersten Blick so einsichtigen Unterteilung tatsächlich die Wertungen wider, die eine Entbindung des Überlebenden erlauben? Sind die inneren Gründe der Entbindung wirklich nur die Entwertung der Vermögensordnung post mortem und der Wille beider Gatten?

§ 7 Einführung zur Lösung von der testamentarischen Bindung

159

Es wird sich zeigen, daß eine sinnvollere Untergliederung möglich ist, welche gleichsam ein Abbild der die Lösung von der Bindung tatsächlich tragenden Wertungen darstellt. Die testamentarische Bindung ist Folge einer Verausgabung psychischer Gratifikationen auf Seiten des Erstverstorbenen, die in den Reziprozitätskonnex eingewoben werden, der die testamentarische Bindung generiert9. Zur letztendlich eintretenden Bindung muß neben diesen psychischen Gratifikationen noch eine vermögensbezogene Gratifikation hinzutreten, da in einem personfunktional verstandenen Erbrecht das Vermögen dasjenige Mittel darstellt, von dem sich die Rechtsordnung den besten Schutz der personalen Entfaltung auf den Tod hin verspricht10. Nur der Zusammenklang von psychischer und vermögensbezogener Bindung erzeugt also eine testamentarische Bindung. Es darf daher erwartet werden, daß das Gesetz den Überlebenden aus seiner Bindung entläßt, wenn einer der beiden Gratifikationskomponenten entwertet ist. Eine weitere Bindung dürfte das Persönlichkeitsrecht des Überlebenden über Gebühr ohne jeden Grund einschränken. Die Entbindungstatbestände sind in dieser Sicht mithin Tatbestände zum Schutz des Persönlichkeitsrechts des überlebenden Teils. Eine Entbindung müßte daher stattfinden, wenn die vom Erstverstorbenen dem Überlebenden für dessen eigene Todesverarbeitung gewährten psychischen Gratifikationen ohne jeden Wert mehr sind. Es gibt nur einen Fall, in dem dies beobachtet werden kann: der Fall der Wiederverheiratung des Längstlebenden (dazu unten § 11) Dieser Fall wird im weiteren unter dem Stichwort „entwertete Reziprozität“ diskutiert. Dies ist das eine. Der Überlebende dürfte daneben auch dann seine Testierfreiheit wieder zurückgewinnen, wenn die vermögensbezogene Gratifikation des Erstverstorbenen wertlos geworden ist. Dies wiederum dürfte dann eintreten, wenn die gemeinschaftlich ersonnene Vermögensordnung post mortem zerbrochen ist – was in sämtlichen der oben tabellarisch skizzierten Fälle außer dem Fall der Freistellungsklausel und der Wiederverheiratung gegeben ist. Da die testamentarische Bindung auf einer gesetzlichen Bewertung der Interessen des Erstverstorbenen beruht, dürfte für diesen Fall erwartet werden, daß diese Interessen in Situationen zurückstehen müssen, in denen ein gehöriger Interessenschutz nicht mehr einsichtig erscheint – und genau dies ist bei einer zerbrochenen Vermögensordnung der Fall. Hier müssen die Interessen des Überlebenden gegenüber denen des Erstverstorbenen an einer erneuten Ausübung seines Persönlichkeitsrechts vorrangig gewichtet werden. Das Gesetz hat diese Notwendigkeit, die gegenstrebenden Interessen beider Gatten (hier Interesse an Bindung, dort an Entbindung) auszubalancieren, gese9 Dazu ausführlich oben § 5, § 6 zur Bindungskraft psychischer Gratifikationen insbes. oben § 5 III 2, § 6 I. 10 Dazu siehe oben § 2 I, § 5 III 2 a, § 6 I 2.; und Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 9 IV, § 10 V 4 b dd.

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Kap. 3: Die Loslösung von der testamentarischen Bindungswirkung

hen und eine Lösung von der testamentarischen Bindung dort angeordnet, wo die Interessen des Überlebenden an einer Wiedergewinnung seiner Testierfreiheit stärker zu bewerten sind als die des Erstverstorbenen an der Bindung11. Es ist möglich, daß sich eine Entbindungsmöglichkeit sowohl unter dem Gesichtspunkt des Überlebendenschutzes als auch unter der Perspektive entwerteter Reziprozität betrachten läßt. Dies ist etwa bei dem Lösungsinstrument der Anfechtung der Fall. Mit der Anfechtung wird einerseits die Testierfreiheit des Überlebenden geschützt12. Falls andererseits der Überlebende seinen Testierwillen irrtumsbedingt gebildet hat, könnte durchaus gesagt werden, für den Überlebenden sei die ihm vom Erstverstorbenen durch den Akt des gemeinschaftlichen Testierens gewährte psychische Gratifikation von vornherein nicht verausgabt gewesen, da sie ja auf sein Testierverhalten wegen des Irrtums nicht relevant eingewirkt hätte. Da in einem personfunktionalen Blickwinkel der Schutz der Testierfreiheit im Vordergrund steht, wird der Anfechtungsfall im weiteren unter dem Stichwort „Überlebendenschutz“ und nicht unter dem der entwerteten Reziprozität verbucht. Schließlich und endlich darf erwartet werden, daß eine Lösung von der Bindung dort möglich ist, wo diese Lösung dem Willen beider Gatten oder zumindest dem Willen des Erstverstorbenen entspricht. Das Gesetz hat auch dies gesehen und der Kautelarjurisprudenz die Gelegenheit eröffnet, anhand Freistellungsklauseln dem Überlebenden in den durch die Klausel erfaßten Fällen seine Testierfreiheit wieder zu verschaffen13. Es dürfte nach all dem zu erwarten sein, daß der Überlebende in drei Fallgestaltungen seine Testierfreiheit wieder zurückgewinnt: im Fall entwerteter psychischer Gratifikation, im Fall einer entwerteten Vermögensordnung post mortem und schließlich im Fall, wo die Entbindung auf dem Willen beider Gatten oder zumindest dem Willen des Erstverstorbenen beruht. Bevor all dies der Gegenstand der weiteren Überlegungen sein wird, soll noch ein kurzer Blick auf die typischen Fallgestaltungen und auf die Interessenlage geworfen werden, die der Diskussion zugrundegelegt werden kann. II. Typische Fallgestaltungen und Interessenlage 1. Typische Fallgestaltungen

Im gemeinschaftlichen Testament sind drei Fallgestaltungen weit verbreitet, die schon näher besprochen worden sind14: Die Ehegatten setzen sich 11

Dazu unten § 9. Zum telos der erbrechtlichen Anfechtungsvorschriften Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 11 II 2. 13 Dazu unten § 8. 12

§ 7 Einführung zur Lösung von der testamentarischen Bindung

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bei der Trennungslösung gegenseitig als Vorerben und einen Dritten (meist die gemeinsamen Abkömmlinge) als Nach- und Ersatzerben ein. Sie bedenken sich bei der Einheitslösung gegenseitig als Vollerben und einen Dritten als Ersatzerben. Oder sie setzen bei der Vermächtnislösung das Vermächtnis eines Erbschaftsnießbrauchs an den überlebenden Teil aus und bedenken einen Dritten mit der Vollerbschaft. Nach dem Tode des Erstversterbenden kann dem verwitweten Teil schon allein deshalb an einer Wiedergewinnung seiner Testierfreiheit gelegen sein, weil er die Situation, in der er lebt, neu einschätzt und bewertet oder auch in seinem Erleben neu konstruiert. Oftmals wird dem Wunsch, neu zu testieren, aber eine Wiederverheiratung des Überlebenden zugrundeliegen, der ein Interesse daran hat, seinen zweiten Gatten und die möglicherweise gezeugten Kinder aus zweiter Ehe nicht enterbt zu sehen. Der verwitwete und nunmehr neu verheiratete Teil wird in diesem Zusammenhang auch das Verhältnis zu den durch das ersteheliche gemeinschaftliche Testament endbedachten Dritten (meist die Abkömmlinge aus erster Ehe) überdenken und hier eventuell Korrekturen anbringen wollen. Von der Frage, ob sich der überlebende Teil von der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments wieder befreien kann, sind also vier Interessen betroffen: die Interessen des Erstversterbenden, die Interessen des Überlebenden, die Interessen des neuen Ehegatten und der neuen Kinder und schließlich die Interessen der gemeinschaftlich Endbedachten. 2. Die beteiligten Interessen

a) Die Interessen des Erstverstorbenen und des Überlebenden Die Interessen des Erstverstorbenen liegen auf der Hand: Ihm geht es darum, seine gemeinschaftlich mit seinem Ehegatten geleistete Todesverarbeitung gewahrt zu sehen, was nichts anderes bedeutet, daß er seine Persönlichkeit zu schützen gedenkt. Dieses Interesse ist durch § 2271 II 1 BGB im Grundsatz rechtlich geschützt. Inwieweit von diesem Grundsatz Ausnahmen anzuerkennen sind, ist Gegenstand der weiteren Überlegungen. Dem Überlebenden steht einmal das Versorgungsinteresse gegenüber seinem neuen Gatten und etwaiger neuer gemeinschaftlicher Abkömmlinge zur Seite. Dieses Versorgungsinteresse ist schon deshalb rechtlich schützenswert, weil das Unterhaltsrecht (§ 1360 BGB, §§ 1601 ff. BGB) Solidarität im vermögensrechtlichen Bereich anordnet und weil das gesetzliche Erbrecht des Ehegatten (§§ 1371, 1931 BGB) und der Abkömmlinge (§ 1924 BGB) die Versorgung der Überlebenden rechtlich prämiert. Ob das Versorgungsinteresse tatsächlich im konkreten Fall geschützt ist, ist Gegenstand rechtlicher Wertung und wird daher im weiteren noch diskutiert werden 14

Siehe zu diesen gängigen Fallgestaltungen schon oben § 4 I.

162

Kap. 3: Die Loslösung von der testamentarischen Bindungswirkung

müssen; die Frage nach dem tatsächlichen Interessenschutz kann und darf im Rahmen der Analyse der Interessenlage ja nicht vorentschieden werden. Neben dem Versorgungsinteresse hat der überlebende Teil auch ein Testierinteresse. Dieses Testierinteresse kann – im Fall der Wiederverheiratung – durch das Versorgungsinteresse motiviert sein, muß es aber nicht, da der Überlebende ja auch allein schon durch das Erlebnis des Versterbens seines ehelichen Partners eine Neudefinition seiner Lebenssituation an den Tag legen kann, die ihm eine neue Verfügung von Todes wegen ratsam werden läßt15. Auch dieses Interesse ist rechtlich durchaus schützenswert – ob es tatsächlich geschützt ist, ist wiederum nicht Gegenstand der Interessenanalyse. Nun könnte gegen die Schutzwürdigkeit des Testierinteresses eingewendet werden, diese sei zumindest dann nicht gegeben, wenn erstens der überlebende Teil gewußt hat oder gewußt haben müßte, daß er sich qua korrespektiven Verfügens rechtlich bindet und wenn zweitens der Wille zum Neutestieren nicht durch den Wunsch nach einer Versorgung des neuen Gatten oder der Abkömmlinge aus der Zweitehe, sondern durch versorgungsfremde „Affektionsinteressen“ motiviert sei – eben durch solche Interessen, die allein einer Neudefinition der Lebenssituation während der Zeit der Verwitwung erwachsen sind. Bei derartigen Affektionsinteressen sei eine Befreiung von einer bewußt oder fahrlässig unbewußt eingegangenen testamentarischen Bindung nicht berechtigt, weil dieser Befreiung der Wille des Überlebenden (volitives Moment) oder sein Wissen um die Bindung (kognitives Moment) oder seine Verantwortung zur Prävention vor einer möglichen Bindung (Moment der Selbstverantwortung) entgegenstünde. Diesem Einwand gegen die Schutzwürdigkeit des Testierinteresses kann freilich nicht gefolgt werden. Der Verweis auf kognititve, volitive oder verantwortungstheoretische Momente bemühen Zurechnungstopoi aus dem Gebiet des Vertrags- und Vermögensrechts. Dort bindet in der Tat der Wille und kann Wissen zu Nachteilen führen; ebenso wird der Gedanke der Selbstverantwortung als genuines Zuweisungskriterium für diverse Risiken begriffen. Derartige vertragstheoretische Anleihen stellen aber in einem Recht wie dem gewillkürten Erbrecht, welches sich dem Schutz der Persönlichkeit verpflichtet weiß, einen Fremdkörper dar. Unter Lebenden kann sich die Rechtsperson nur in den Formen des Erbvertrags rechtlich in ihrer Testierfreiheit binden. Verpflichtungsgeschäfte auf Verfügungen von Todes wegen sind gesetzlich untersagt, § 2302 BGB. Und die durch das gemeinschaftliche Ehegattentestament herbeigeführte Bindung tritt nicht etwa ein, weil sie gewollt ist oder gewußt wird, sondern um des Schutzes des Persönlichkeitsrechts des Erstversterbenden willen16. Würde mithin das Testierinteresse in den Fällen reiner Affektion für nicht schutzwürdig erachtet, 15 16

Siehe dazu oben § 7 I 1. Siehe oben § 6 I.

§ 7 Einführung zur Lösung von der testamentarischen Bindung

163

würde man im Endeffekt der Rechtsperson das Interesse, die einstmals (nämlich im gemeinschaftlichen Testament) entfaltete Persönlichkeit fortzuentwickeln und weiter zu entfalten (nämlich durch eine neue Verfügung von Todes wegen), nur deshalb absprechen, weil die Bindung gewußt oder fahrlässig nicht gewußt wurde. Dies ist aber persönlichkeitsrechtlich ein Unding, da der Rechtsperson gemeinhin auch dann eine veränderte Entfaltung ihrer selbst zugebilligt wird, wenn sie den Wunsch nach einer künftigen geänderten Entfaltung zu einem früheren Zeitpunkt nicht bedacht hat, obwohl sie ihn hätte bedenken können. Mithin bleibt es dabei, daß das Testierinteresse des überlebenden Teils auf jeden Fall schützenswert ist – inwieweit es tatsächlich geschützt wird, wird sich erst in der weiteren Diskussion erweisen. b) Die Interessen des neuen Gatten und der Kinder aus der zweiten Ehe Dem neuen Gatten sowie den Kindern aus der Zweitehe steht – spiegelbildlich zum überlebenden Teil – wiederum ein Versorgungsinteresse zur Seite. Dieses Interesse geht dahin, nach dem Tode des Überlebenden-Zweitgatten-Elternteils wirtschaftlich durch den Erwerb von Vermögenswerten aus dessen Nachlaß gehörig abgesichert zu sein. Mit Blick auf die Wertungen des Unterhaltsrechts ist ein Versorgungsinteresse schützenswert – ob es tatsächlich geschützt wird, ist wiederum eine andere Frage. Daneben steht für den neuen Gatten das besondere Testierinteresse zur Rede, gemeinschaftlich mit dem anderen Teil (dem Überlebenden) in intim codierter Kommunikation das jeweilige „Sein zum Tode“17 zu entfalten. Dieses Interesse ist als besondere Art und Weise, seine Persönlichkeit zu entfalten, schützenswert. Ob es bloß unbeachtliche Affektion oder rechtlich geschützte Rechtsausübung ist, wird noch zu klären sein. Schließlich kann der neue Gatte ein Partizipationsinteresse am Nachlaß des überlebenden Teils artikulieren. Dieses Interesse ist auf eine Teilhabe an dem nachgelassenen Vermögen auch für den Fall gerichtet, daß es gar nicht um Versorgung, sondern um reine Wertpartizipation geht. Eine Partizipation an einem Vermögen allein um der Partizipation willen ist rechtlich durchweg nicht schutzwürdig. Grundsätzlich müssen Zurechnungsgründe hinzukommen, die ein Interesse an der Partizipation an einem fremden Vermögen nicht als bloß unbeachtlichen Affekt auszeichnen, wie etwa vertragliche Beziehungen oder eine Anspruchsberechtigung18. Derartige Zurechnungsgründe stützen 17

Dazu oben § 2 I 2 und Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 9 II 3. Warum soll etwa das Interesse der Person A an einer Partizipation am Vermögen der Person B rechtlich schützenswert sein, ohne daß A und B irgendetwas verbindet? 18

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Kap. 3: Die Loslösung von der testamentarischen Bindungswirkung

mithin und begrenzen zugleich die Schutzwürdigkeit des Partizipationsinteresses. Derartige Zurechnungsgründe können hier allein familiaristischer Natur sein; den neuen Gatten verbindet mit dem überlebenden Teil ja das Band der Ehe. Solange es um eine Partizipation am Nachlaß trotz (hier ja kraft gemeinschaftlichen Testaments der ersten Ehe erst einmal vorliegender) Enterbung geht, kommt dieses Band erbrechtlich allein im Pflichtteilsrecht zum Ausdruck19. Demzufolge ist die Schutzwürdigkeit des Partizipationsinteresses durch das Pflichtteilsrecht des Ehegatten begrenzt. c) Die Interessen des Endbedachten Soweit schließlich die Interessen der vom gemeinschaftlichen Testament Endbedachten in Rede stehen, darf nicht außer acht gelassen werden, daß die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments ausschließlich im Interesse des erstverstorbenen Ehegatten, nicht aber im Interesse der durch korrespektive Verfügungen betroffenen Endbedachten angeordnet ist. Dies zeigt eine Analyse der erbrechtlichen Stellung der Endbedachten. Diese ist verschieden, je nachdem, ob die Ehegatten sich gegenseitig – wie bei der Einheitslösung – als Vollerben und den Dritten als Ersatzerben eingesetzt haben, oder ob sie – wie bei der Trennungslösung – gegenseitige Vorerbschaft und Nacherbschaft des Dritten sowie für den Fall, daß der andere Gatte zuerst versterben sollte, des Dritten Ersatzerbschaft verfügt haben20. Bei der Trennungslösung ist anerkannt, daß der Dritte bereits mit dem ersten Erbfall als Nacherbe ein Anwartschaftsrecht erwirbt. Dieses Anwartschaftsrecht bezieht sich nur auf das Vermögen des erstverstorbenen Gatten, da der Nacherbe ja nicht der Erbe des Vorerben, sondern ohne weiteres der des Erblassers – also des erstversterbenden Gatten – ist, § 2139 BGB21. Tritt der Nacherbfall mit dem Tode des Vorerben ein (§ 2106 I BGB) und hat der Vorerbe über den für ihn als Vorerben angefallenen Nachlaß von Todes wegen verfügt, wird die Verfügung hinsichtlich des Nachlasses gegenstandslos, der dem Nacherben als Erbschaft vom Erblasser nach § 2136 BGB anfällt22. Wenn aufgrund einer Loslösung von der testamentarischen Bindung der überlebende Gatte-Vorerbe bei der Trennungslösung neu testiert, kann mithin das nacherbschaftliche Anwartschaftsrecht nicht betroffen sein. Anders wäre dies nur, wenn die Lösung von der Bindung irgend19 20

Dazu unten § 42 II. Siehe zu den Hauptfallgestaltungen im Ehegattentestament oben § 4 I, § 7

II 1. 21 Der Vonselbsterwerb des Nacherben ist heute einhellige Ansicht, siehe BGHZ 44, 152 (153); MünchKomm-Grunsky, § 2139 Rn. 1; Soergel-Harder, § 2139 Rn. 1. 22 OLG Hamm, FamRZ 1986, 612 (613); Soergel-Harder, § 2100 Rn. 9.

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eine Auswirkung auf das Nacherbenrecht hat. Wenn die Bindungswirkung aufgrund Anfechtung der korrespektiven Verfügungen des Überlebenden entfällt, kann gleichzeitig die entsprechende Verfügung des Erstverstorbenen unwirksam geworden sein, § 2270 I BGB. Da diese Verfügung aber dem Endbedachten die Nacherbenstellung verschaffte, hat damit dieser nie ein nacherbschaftliches Anwartschaftsrecht erworben, womit zugleich ein schutzwürdiges Interesse des Endbedachten entfällt. Im Falle der Wiedergewinnung einer ungebundenen Testierfreiheit durch Ausschlagung des ihm Zugewendeten durch den Überlebenden tritt im Zweifel keine gesetzliche Erbfolge ein, vielmehr wird der Nacherbe gem. § 2102 I BGB Ersatzerbe i. S. § 2096 BGB; dessen Interesse ist mithin hinreichend geschützt. Verfügt der Längstlebende dann neu, tritt in der Regel die Unwirksamkeit der korrespektiven Verfügung des Erstversterbenden ein, § 2270 I BGB – womit wiederum die Nacherbenstellung des Dritten und damit irgendein schutzwürdiges Interesse des Dritten von Anfang an entfällt. Falls etwas anderes als Ersatzerbschaft des Drittbedachten bestimmt sein sollte, zeigt dies, daß dessen Erwerbsinteresse sowieso nie schützenswert waren. Für die Lösung von der testamentarischen Bindung kraft § 2271 II 2 BGB oder § 2271 III BGB ist ein schutzwürdiges Interesse des Endbedachten nicht ersichtlich, da er die Lösung selbst veranlaßt hat. Bei der Freistellungsklausel ist die Nacherbenstellung richtiger Ansicht nach bedingt durch den Umstand, daß der Überlebende nicht anderweitig verfügt23. Auch hier steht dem endbedachten Dritten also kein schutzwürdiges Interesse zur Seite. Es bleibt somit einzig die oben als Fall 724 geschilderte Gestaltung übrig, daß sich der Überlebende aus sonstigen Gründen der Bindung entledigen will. Die Frage nach der Schutzwürdigkeit etwaiger Nachlaßerwerbsinteressen des Endbedachten kann erst beantwortet werden, wenn die genaueren Umstände einer Lösung von der Bindung in diesem Fall näher aufgeklärt sind; hierauf sei an dieser Stelle verwiesen25. Soweit die Einheitslösung von den Ehegatten gewählt worden ist, kommt den Endbedachten vor dem zweiten Erbfall, also dem Tode des überlebenden Teils, keine gesicherte Rechtsposition am Nachlaß sowohl des Erstversterbenden als auch des Zweitversterbenden zu. Zwei Gründe sprechen hierfür. Einmal ist der Überlebende als Vollerbe selbst bei Beeinträchtigungsabsicht nicht gehindert, unter Lebenden über den Nachlaß des Verstorbenen und über Gegenstände seines Vermögens zu verfügen; der Endbedachte kann allenfalls nach dem Tode des überlebenden Gatten einen Ausgleichsanspruch gegen den Beschenkten geltend machen, §§ 2287 f. BGB analog. Die formelle Erbenstellung wird mithin durch lebzeitige Verfügungen des 23 24 25

Dazu siehe ausführlich unten § 8 V. Oben § 7 I 2. Unten § 10 II.

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Kap. 3: Die Loslösung von der testamentarischen Bindungswirkung

Erblassers keineswegs beeinträchtigt, da der universalsukzessive Vermögenstransfer unberührt vom wirtschaftlichen Wert des Vermögens vor sich geht26. Dies wurde schon früh zum Erbvertrag so gesehen27. Gleiches gilt für den in bindender Weise per gemeinschaftlichem Testament bedachten Dritten28; die hier und dort anzutreffende Kennzeichnung der Rechtsstellung des Endbedachten als „Anwartschaft“29 ist deshalb allein terminologischen, nicht jedoch sachlichen Gründen geschuldet. Die Vorteile, die die Bindungswirkung des gemeinschaftlichenen Testaments dem bindend bedachten Schlußerben verschafft, ist mithin bloßer Reflex des Interesses, das der überlebende Ehegatte an der Zuwendung des Erstverstorbenen nimmt30. Schließlich hat als zweiter Grund für eine fehlende gesicherte Rechtsstellung des Dritten – soweit es um das Vermögen des Überlebenden geht – dieser schon deshalb allenfalls eine Erwerbschance, weil er nicht sicher sein kann, den Ehegatten zu überleben. Aus all dem folgt, daß ein schutzwürdiges Interesse des Endbedachten bei der Einheitslösung nicht ersichtlich ist. Dessen Interessen werden allenfalls über den Bereicherungsausgleich nach § 2287 BGB geschützt. Da die etwaige familiare Verbundenheit des Endbedachten zum überlebenden Teil und zum Erstverstorbenen über das Pflichtteilsrecht eingefangen wird, bleiben sie mithin ansonsten ungeschützt. Insgesamt gesehen sind die Interessen des Endbedachten demnach sowohl bei der Einheits- als auch bei der Trennungslösung regelmäßig nicht schutzwürdig. III. Die Lösung von der testamentarischen Bindung als Folge einer auf die Todesverarbeitung bezogenen Erwartungsstörung Hauptsächlich geht es bei der Frage, ob sich der überlebende Teil von der Bindungswirkung korrespektiver Verfügungen lösen kann, um die Bewältigung von Störungen in den Erwartungen der Gatten, welche einstmals 26 So verweisen bsp. Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 25 V 11 a aE, darauf, daß sich die Rechtsstellung des Endbedachten nach Aufgabe der Rechtsprechung zur Aushöhlungsnichtigkeit noch stärker zu einer bloßen Aussicht auf das reduziert hat, was im Zeitpunkt des Erbfalls noch vorhanden ist; ähnlich bsp. MünchKomm-Musielak, § 2269 Rn. 32, § 2286 Rn. 3. Vgl. auch Häsemeyer, Abhängigkeit, 110 ff. 27 Dazu unten § 17 I 1. 28 BGHZ 37, 319 (322); MünchKomm-Musielak, § 2269 Rn. 32; Schlüter, Erbrecht, Rn. 372; Eckebrecht, Rechtsstellung, 144 f.; vgl. schon Oertmann, Entgeltliche Geschäfte, 115. 29 OLG Düsseldorf, NJW 1957, 266; ZEV 1996, 310 (312 f.); v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 2, 624 f.; Soergel-Manfred Wolf, § 2269 Rn. 23; RGRK-Johannsen, § 2269 Rn. 23; Jauernig-Stürner, § 2269 Anm. 5; Raiser, Dingliche Anwartschaften, 8. 30 Lange/Kuchinke, § 24 VI 6 a; Häsemeyer, Abhängigkeit, 196.

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im Zeitpunkt des gemeinschaftlichen Testierens gemeinschaftlich gehegt worden sind. Es ist deshalb durchaus berechtigt, von einem „Recht der auf die Todesverarbeitung bezogenen Erwartungsstörung“ zu sprechen. Zwei Fälle gilt es bei einem derartigen Recht der Erwartungsstörung zu unterscheiden. Im ersten Fall entwickeln sich die Umstände nicht so, wie von beiden oder von einem Gatten im Zeitpunkt des gemeinschaftlichen Testierens angenommen wurde. Im zweiten Fall hat sich nach dem Tode des Erstverstorbenen beim Überlebenden die Einschätzung der sich objektiv wie erwartet entwickelnden Umstände unvorhergesehen gewandelt. Damit hat sich auch die Erwartung verändert, die Einschätzung bleibe nach dem ersten Todesfall gleich. Beides mal steht die Bewältigung von einem Fehlschlag der gehegten Erwartungen im Raum. Die Rechtsordnung reagiert – wie noch gezeigt werden wird – auf diese beiden Fällen mit einer Lösung des Überlebenden von seiner testamentarischen Bindung, wenn die einstmals gemeinschaftlich avisierte Reziprozität entwertet ist, wenn nach dem Willen beider Gatten der Überlebende für den Fall der Erwartungsstörung von seiner testamentarischen Bindung freigestellt worden ist oder wenn schließlich eine Lösung wegen der Erwartungsstörung aus Gründen des Schutzes des überlebenden Teils erforderlich ist. Die Schwierigkeit, vor der sich jedes erbrechtliche Programm einer Störungsbewältigung gestellt sieht, liegen auf der Hand: Jede Erwartung verkörpert einen mehr oder weniger treffenden Vorgriff auf eine immer ungewisse Zukunft und ist damit notwendigerweise nicht nur mit der Hypothek belastet, fehl zu gehen; ihr Fehlgehen ist ihr quasi um so eher immanent, desto präziser die Erwartung gehegt wird. Im Leistungsstörungsrecht liegen die Dinge einfacher. Dort steht zumindest die Leistung im großen und ganzen fest. Das Störungsprogramm beschränkt sich hier bei feststehender Leistung „nur“ auf die Bewältigung von Abweichungen im Leistungsaustausch. Im Recht der erbrechtlichen Erwartungsstörung (also: die eingangs geschilderten sieben Fälle der Lösung von der testamentarischen Bindung) kann jedoch schon das rechte Maß des berechtigterweise Erwarteten selbst zum Problem werden. Erwartungen werden ja nur dann in die Zukunft hinein stabilisiert, wenn sie enttäuschungsfest werden, mithin auch bei Enttäuschungen beibehalten werden, welche bei einer anders als angenommen sich entwickelnden Zukunft auftreten. Ansonsten werden sie bei einer Erwartungsstörung eben fallengelassen. Die Störung wird dann dadurch bewältigt, daß fürderhin anders erwartet wird. Beim gemeinschaftlichen Testament wird die Frage, ob Erwartungen enttäuschungsfest stabilisiert sind, im Rahmen der Untersuchung der Wechselbezüglichkeit wichtig: Liegt letztere vor, ist die Erwartung für die Zukunft stabilisiert. Mit dieser Feststellung ist freilich nicht präjudiziert, daß die Erwartung gleichwohl bei Enttäuschungen stabilisiert bleibt; dies zeigt schon

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Kap. 3: Die Loslösung von der testamentarischen Bindungswirkung

ein Blick auf die Möglichkeit, im Wege ergänzender Testamentsauslegung Freistellungsklauseln verfügt zu sehen, die auch helfen können, einen grundlegenden Wandel in den erwarteten Umstände durch Destabilisierung der Erwartung selbst aufzufangen, indem der Überlebenden von der testamentarischen Bindung befreit wird31. Es wird dann rechtstechnisch ergänzend quasi in die Erwartung ein destabilisierendes Moment eingebaut, welches die Unsicherheit der Erwartung abfängt, indem bei Erwartungsenttäuschungen zur Freistellung von der Erwartung gegriffen wird. Beim Leistungsstörungsrecht wird im Falle der Leistungsstörung die Leistung selbst aber durchweg nicht verändert – sie mag allenfalls unmöglich geworden sein, doch ist dies der Auslöser der Leistungsstörung, nicht Mittel ihrer Bewältigung. Die eingangs32 vorgetragene, eher tentativ als systematisch angelegte kurze Skizze zum Recht der Erwartungsstörung beim gemeinschaftlichen Testament zeigt, daß eine sachgerechte Bewältigung der Erwartungsstörung ein durchaus schwieriges Unterfangen ist. Denn die einleitend33 aufgeführten sieben Fallgestaltungen einer Lösung von der testamentarischen Bindung müssen ja in ein kohärentes System rechtlicher Wertung eingebracht werden, damit sich die Lösungsmöglichkeiten von der Bindung nicht nur als Frucht reiner auctoritas, sondern als geltungstheoretisches Signum des Rechts erweisen, vor deren Folie die Bürger sich als gemeinsame Autoren desselben begreifen dürfen34. Nur dann kann von einer „sachgerechten“ Bewältigung von Erwartungsstörungen die Rede sein. Ein kohärentes System rechtlicher Wertung setzt voraus, daß die Wertungen in ein Bezugsfeld eingespannt werden können, welches ihre (bestehende oder mangelnde) Kohärenz und ihre (bestehende oder mangelnde) Konsistenz einsichtig werden läßt. Es wird sich zeigen lassen, daß sich Einsatzstellen eines Erwartungsstörungsprogramm lokalisieren lassen, die die Kohärenz und Konsistenz in der Wertung gewährleisten. IV. Weiteres Vorgehen Im weiteren werden die drei Hauptfallgestaltungen diskutiert, in denen eine Lösung von der testamentarischen Bindung in Betracht kommen. Es ist dies einmal der Fall entwerteter Reziprozität. Dieser tritt einzig im Falle der Wiederverheiratung auf. Hier geht es zum einen um dessen Möglichkeiten, sich von der testamentarischen Bindung zu befreien (dazu § 11), und 31

Dazu unten § 8 II. Oben § 7 I. 33 Oben § 7 I 2. 34 Dazu oben § 1 II, sowie Goebel, ARSP 2003, 372 (384 f.); ders., Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 1 III 1. 32

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zum anderen um das kautelarjurisprudentielle Regelwerk der Wiederverheiratungsklauseln, mit dem versucht wird, spezifische Risiken der Wiederverheiratung für den Erstverstorbenen beherrschbar zu gestalten (dazu § 12). Bei dem zweiten Hauptfall einer Lösung von der testamentarischen Bindung – der Schutz des überlebenden Teils im Falle einer entwerteten Vermögensordnung post mortem – lassen sich eher häufigere (dazu § 9) und eher seltenere (dazu § 10) Entbindungsfälle unterscheiden. Der Schutz des Überlebenden steht im Vordergrund, wenn die Ausschlagung des erbrechtlichen Erwerbs (dazu § 9 I) und die Entbindung wegen des Wegfalls des Endbedachten (dazu § 9 II) diskutiert werden. Darüberhinaus steht die Befreiung von der Bindung in Rede, wenn der testamentarische Wille, der der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments zugrundelag, irrtumsbehaftet gewesen ist (dazu § 9 III). Eher seltener wird die Möglichkeiten in Betracht kommen, daß sich der Überlebende aufgrund eines bereicherungsrechtlichen Anspruchs der Bindung entledigt (dazu § 10 I). Schließlich wird als letzter Punkt des Überlebendenschutzes erörtert, ob und bei welchen Gestaltungen der Überlebende seine Testierfreiheit aus dem Grunde wiedergewinnen kann, weil er aufgrund einer Umstandsänderung neu testieren will, die weder zur Anfechtung berechtigt, noch über die ergänzende Auslegung beachtlich werden kann (dazu § 10 II). Bevor all dies thematisiert wird, wird als dritte Lösungsmöglichkeit von der testamentarischen Bindung die Entbindung kraft des gemeinsamen Willens beider Gatten oder zumindest des Willens des Erstverstorbenen aufgegriffen. Sedes materiae dieser Entbindungsmöglichkeit sind die testamentarischen Freistellungsklauseln (dazu § 8). Beschlosssen wird die Diskussion der Lösungsmöglichkeiten von der testamentarischen Bindung mit einer kurzen systematischen Gesamtschau der bisherigen Überlegungen (dazu § 13), anhand dessen das innere System der Entbindung skizziert und auch ein kurzer Blick auf das wirtschaftlich mehr oder weniger funktionale Äquivalent zur Entbindung, nämlich auf den Vermögenstransfer unter Lebenden (dazu § 13 II), geworfen werden soll. Mit Rücksicht auf diese abschließende Gesamtschau sind den einzelnen Paragraphen keine Einzelzusammenfassungen eigens beigegeben.

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Kap. 3: Die Loslösung von der testamentarischen Bindungswirkung

§ 8 Entbindung qua Willen beider Gatten oder des Erstverstorbenen I. Freistellung und Ehegattenwillen 1. Allgemeines

Die durch das gemeinschaftliche Ehegattentestament herbeigeführte testamentarische Bindung korrespektiver Verfügungen beruht auf dem Schutz der Persönlichkeit des Erstverstorbenen und wird auch ohne den (freilich nicht gegen den) Willen und erst recht mit dem Willen der Gatten ins Werk gesetzt35. Wenn die Ehegatten mithin frei entscheiden können, ob ihre Verfügungen im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit stehen sollen oder nicht, können sie einander oder der eine Gatte zugunsten des anderen allgemeiner Meinung nach36 sich durch eine sog. Freistellungsklausel auch das Recht einräumen, eigene korrespektive Verfügungen nach dem ersten Erbfall aufzuheben oder abzuändern. Die Freistellung ist unbeschränkt möglich, kann aber auch mit beliebigen Beschränkungen verbunden werden. Sie kann sich etwa auf Rechtsgeschäfte von Todes wegen, aber auch nur auf Geschäfte unter Lebenden beziehen37, kann gegenständlich beschränkt sein, etwa nur auf Vermächtnisse oder nur auf die Vermächtnishöhe zu Gunsten einer ansonsten fest gelegten Person38, und kann schließlich auch von einer bestimmten Bedingung abhängig gemacht werden39. Eine Freistellungsmöglichkeit kann nur durch Verfügung von Todes wegen zugestanden werden40, da sie die durch eben solche Verfügungen qua Korrespektivität implementierte testamentarische Bindungswirkung betrifft. Die Freistellungsklausel schließt die Wechselbezüglichkeit der Verfügungen nicht schlichtweg aus, da ja immer noch die Notwendigkeit gewollt sein kann, in der Form des § 2271 I BGB zu Lebzeiten beider Gatten korrespektive Verfügungen widerrufen zu müssen; zudem kann die Wirksamkeitsabhängigkeit der Verfü35

Dazu siehe ausführlich oben § 6 I, § 6 II 1. BGHZ 2, 35 (37); 30, 261 (265); BGH, DNotZ 1987, 430 (432); BayObLG, FamRZ 1987, 638 (639); OLG Zweibrücken, NJW-RR 1992, 587 (589); OLG Hamm, FamRZ 1995, 146 (148); MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 31; RGRKJohannsen, § 2271 Rn. 29; Soergel-Manfred Wolf, § 2271 Rn. 22; Staud-Kanzleiter, § 2271 Rn. 56; Jauernig-Stürner, § 2271 Anm. 2 b bb; Kipp/Coing, Erbrecht, § 35 III 4 d; v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 1, 504; Schlüter, Erbrecht, Rn. 369; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 226; Leipold, Erbrecht, Rn. 353; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 24 VI 4 c. 37 Dazu BayObLG, FamRZ 1985, 209 (210); KG, JW 1936, 3264 (3265); MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 32; Soergel-Manfred Wolf, § 2271 Rn. 24. 38 Dazu RG, Recht 1914, Nr. 945; MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 32; Staud-Kanzleiter, § 2271 Rn. 62. 39 MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 33; Staud-Kanzleiter, § 2271 Rn. 56. 40 MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 31. 36

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gungen nach § 2270 I BGB weiterhin gewollt sein41. Die Grenze zu nichtwechselbezüglichen Verfügungen ist dort erreicht, wo die einseitige Aufhebung der Verfügung durch Änderungstestament schon zu Lebzeiten des anderen Teils in das Belieben des Gatten gestellt ist42. Ist eine Freistellungsklausel erklärt und will der überlebende Teil die Verfügung aufheben, braucht er hierzu nicht die Form der notariellen Beurkundung des § 2271 I 1 BGB wählen. Wie er stattdessen vorzugehen hat, ist indes umstritten. Teilweise wird die Form des Widerrufstestaments analog § 2297 BGB verlangt43, während andere die Widerrufsform des § 2255 BGB für hinreichend erachten44. Richtigerweise ist wie folgt zu differenzieren: Entfällt bei der Ausübung des Freistellungsvorbehalts auch die Unwirksamkeit der entsprechenden Verfügungen des Erstverstorbenen nach § 2270 I BGB – wovon im Zweifel auszugehen ist45 –, liegt allenfalls eine Wechselseitigkeit der Verfügung vor, deren Sinn darin besteht, zu Lebzeiten beider Gatten ein neues Testament erst bei formgerecht erklärtem Widerruf nach § 2271 I 1 BGB zu ermöglichen; nach dem ersten Todesfall soll eine Bindung ja gerade nicht eintreten. Ist dem so, ist kein Grund mehr ersichtlich, der die Analogie zu § 2297 BGB trägt, so daß ein Widerruf nach § 2255 BGB ausreicht. Wird jedoch die Verfügung des Erstverstorbenen bei einer Ausübung der Freistellungsklausel gem. § 2270 I BGB unwirksam, muß es bei dem Widerrufstestament bleiben. Ansonsten wäre der Wertungsgleichklang mit dem Recht des Erbvertrags nicht hergestellt. Die Änderungsbefugnis kann dem anderen Teil auch in der Art eingeräumt werden, daß der Erstverstorbene nachträglich einseitig letztwillig verfügt, seine Verfügungen seien nunmehr von der des anderen Gatten nicht mehr abhängig46. Eine derartige Aufhebung der Wechselbezüglichkeit kann schon darin liegen, daß der Erstverstorbene in einem einseitigen Testament seine in dem gemeinschaftlichen Testament getroffenen Verfügungen wiederholt und dabei zum Ausdruck bringt, eine Abhängigkeit seiner Verfügungen von der des anderen Gatten sei nicht mehr gegeben47. Damit ent41

Leipold, Erbrecht, Rn. 353; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 24 VI 4 c. Staud-Kanzleiter, § 2271 Rn. 56. 43 OLG Stuttgart, NJW-RR 1986, 632; OLG Hamm, NJW-RR 1996, 1095 f.; Palandt-Edenhofer, § 2271 Rn. 23; Soergel-Manfred Wolf, § 2271 Rn. 32. 44 Staud-Kanzleiter, § 2271 Rn. 63; Erman-Schmidt, § 2271 Rn. 9 (anders ders., ebda., § 2255 Rn. 10: Widerrufstestament analog § 2297 BGB); v. Lübtow, Erbrecht, Bd., 1, 505; Radke, Berliner Testament, 133 f. 45 Dazu unten § 8 II 2. 46 MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 31; RGRK-Johannsen, § 2271 Rn. 30; v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 1, 505. 47 MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 31 mit § 2270 Rn. 5. Zur Frage, ob eine durch den Erstverstorbenen einseitig testierte nachträgliche Besserstellung des Überlebenden diesen von der Bindung befreit siehe schon oben § 6 III 2 a. 42

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Kap. 3: Die Loslösung von der testamentarischen Bindungswirkung

fällt notwendigerweise die Notwendigkeit, dem erstversterbenden Teil einen Persönlichkeitsschutz gewähren zu müssen, da er hinsichtlich des anderen Teils keine Erwartungen mehr hegt, sehr wohl aber der andere gegenüber dem einen. Entfällt aber der Persönlichkeitsschutz des einen Gatten, gewinnt der überlebende andere Gatte seine Testierfreiheit zurück, nicht aber der eine Gatte, der den anderen Gatten nachträglich freigestellt hat, wenn der andere vorverstirbt. 2. Die Ermittlung einer Freistellungsklausel

Eine Freistellungsklausel muß nicht ausdrücklich niedergelegt sein, sondern kann auch stillschweigend vereinbart oder im Wege ergänzender Auslegung dem Testament entnommen werden48. Gleiches gilt für die Reichweite der Freistellung. Die Rechtsprechung hat auch bei der Freistellungsklausel zu Auslegungsregeln gefunden. So soll etwa die Tatsache, daß Ehegatten im Zeitpunkt des gemeinschaftlichen Testierens verhältnismäßig jung sind, für sich allein genommen kein Anzeichen für eine Freistellungsklausel sein49 – zu Recht, da beide Teile ja zu Lebzeiten immer noch in der gehörigen Form (§ 2271 I BGB) widerrufen und damit die Möglichkeit zurückgewinnen können, ihr „Sein zum Tode“ zu entfalten. Zudem bewahrt ein jugendliches Alter – selbstredend, wenn auch nicht immer bewußt – nicht vor einem frühen Tod50, so daß ein Persönlichkeitsschutz beider Teile auch in jungen Jahren Sinn macht. Freilich überzeugt nicht jede der von der Rechtsprechung statuierte Auslegungsanweisung. Es kommt durchweg zu so etwas wie einem impliziten Nachrang der Freistellung, wenn die typischen Anzeichen für eine korrespektive Verfügung ansonsten vorliegen. Anders gesagt: Liegt ein typischer Fall von Korrespektivität vor, hat es eine im Testament unklar zum Ausdruck gebrachte Freistellungsklausel schwer, sich gegen die Annahme einer unbeschränkten Wechselbezüglichkeit durchzusetzen. Ein Beispiel kann dies verdeutlichen. In einem gemeinschaftlichen Testament findet sich zumindest in den kautelarjurisprudentiellen Formelwerken für Freistellungsklauseln die häufige51 Sentenz, „Änderungen bleiben den Eltern (Ehegatten) vorbehalten“. Ist mit diesem Hinweis ein Änderungsvorbehalt zugunsten des Überlebenden nach dem ersten Todesfall implementiert – und zwar mit der Begründung, dann könne der Klausel wenigstens ein genuiner Sinn ab48 KG, OLGZ 1966, 504 f.; 1977, 457 (462); MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 31; Soergel-Manfred Wolf, § 2271 Rn. 24 f.; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 226; v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 1, 501. 49 So BayObLG, FamRZ 1995, 251 (253); Staud-Kanzleiter, § 2271 Rn. 57. 50 Dazu überaus prägnant Heidegger, Sein und Zeit, 258. 51 Radke, Berliner Testament, 127 f.

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gewonnen werden, da ein Verweis auf die Befugnis zur jederzeitigen Änderung des Testaments durch beide Gatten eigentlich überflüssig ist? Die Rechtsprechung folgt dem mit der Begründung nicht, bei juristischen Laien könne nicht ausgeschlossen werden, sie wüßten nicht, daß eine Änderung des Testaments im gegenseitigen Einvernehmen immer möglich sei52. Sie liegt damit auf der verbreiteten auslegungsrechtlichen Linie, daß bei der Ermittlung einer (insbesondere einer stillschweigenden) Freistellungsklausel zurückhaltend vorzugehen sei53. Bei derartigen Aussagen werden die Akzente nicht überzeugend gesetzt. Es kann genauso gut behauptet werden, die Freistellung sei für die jeweilige Verfügung, auf die sich die Freistellung bezieht, das Primäre und die Wechselbezüglichkeit hierzu das Sekundäre, so daß bei Anhaltspunkten für eine Freistellung im Ehegattentestament gerade umgekehrt von der Annahme einer Wechselbezüglichkeit zurückhaltenden Gebrauch zu machen sei und im Zweifel eine Freistellung vorläge. Wie sich Freistellung und Wechselbezüglichkeit zueinander verhalten, ist zuerst einmal eine Frage nach der rechten Perspektive. Diese darf grundsätzlich nicht faktisch mit der auslegungsrechtlichen Annahme eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses für die Wechselbezüglichkeit vorentschieden werden, solange hierfür keine Gründe vorgetragen werden. Diese Gründe wiederum können nur der rechten Gewichtung der im gemeinschaftlichen Testament verkörperten Persönlichkeitsbeiträge beider Gatten entnommen werden. Es müssen mithin – wie auch sonst bei der Prüfung der Wechselbezüglichkeit – genau die jeweiligen Reziprozitäten54 ermittelt werden, nach denen sich das Erwarten der Ehegatten bemißt. Haben diese nur erwartet, daß zu Lebzeiten beider Teile der Widerruf des gemeinschaftlich Verfügten in der Form des § 2271 I 1 BGB erfolgt oder daß eine Wirksamkeitsabhängigkeit nach § 2270 I BGB stattfinden soll, liegt Wechselbezüglichkeit bei gleichzeitiger Freistellungsklausel vor. Bestehen im gemeinschaftlichen Testament Anhaltspunkte für eine Freistellungsklausel, ohne daß das Erwarten der Gatten in der soeben geschilderten Weise begrenzt ist, ist – wie auch sonst – zu prüfen, ob die Verfügung des einen nicht ohne die des anderen getroffen sein würde (§ 2270 I BGB). Anzeichen für eine Freistellung sind hier wie sonst als Auslegungsmaterial zu werten. Eine unterschwellige Zurückhaltung ist hier fehl am Platz. Alles andere würde ja die allgemeine Regel55 zumindest inzident unterlaufen, daß ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Überlebenden nur gerechtfertigt ist, wenn die Wechselbezüglichkeit tatsächlich feststeht. 52 53 54 55

So BayObLG, NJW-RR 1989, 587 (588). So BayObLG, FamRZ 1991, 1488; MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 31. Dazu oben § 5 II. Dazu oben § 6 III 4.

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Kap. 3: Die Loslösung von der testamentarischen Bindungswirkung

Anders ist dies nur, wenn die Wechselbezüglichkeit aufgrund der Anwendung der Auslegungsregel des § 2270 II BGB angenommen wird, da in diesem Falle derjenige, der sich auf das Fehlen der Wechselbezüglichkeit beruft, die Beweislast hierfür trägt56. Ist dem so, ist nach der Wertung des Gesetzes auch die Freistellungsklausel als Ausnahme von der Wechselbezüglichkeit zu werten; der Aufruf, im Zweifel interpretatorische Zurückhaltung hinsichtlich der Klauselvereinbarung zu üben, ist dann folgerichtig. Für die o. g. Klausel „Änderungen bleiben den Eltern (Ehegatten) vorbehalten“ folgt hieraus, daß aus ihr allein sicherlich nicht automatisch gefolgert werden kann, es läge eine Freistellung des überlebenden Teils vor. Die Änderungsklausel kann sich dann beispielsweise auch nur auf Rechtsgeschäfte unter Lebenden beziehen57. Lassen sich aber keine Anhaltspunkte dafür finden, die Ehegatten hätte die Klausel ausschließlich im irrigem Glauben verfügt, sie könnten ansonsten nicht mehr gemeinsam das Testament ändern, und bleiben auch ansonsten Zweifel zurück, ob nicht tatsächlich eine Freistellung gemeint war, ist für eine Freistellung zu votieren. Es gilt mithin folgende Auslegungsregel: Auslegungsregel 8.1: Bleiben bei einer Klausel, nach der sich die Ehegatten Änderungen des gemeinschaftlichen Testaments vorbehalten, Zweifel zurück, ob die Ehegatten wechselbezüglich verfügt haben, ist von einer Freistellung des überlebenden Teils auszugehen, es sei denn, die Wechselbezüglichkeit ist nach der Auslegungsregel des § 2270 II BGB ermittelt worden.

II. Die Freistellungsklausel als Instrument zur Bewältigung von Erwartungsstörungen Im typischen Fall der ausdrücklich verfügten Freistellungsklausel bemühen sich die Ehegatten durchweg, auf die Entwicklung der Umstände nach dem ersten Todesfall schon im Vorfeld zu reagieren, welche im Zeitpunkt des Testierens nach der Einschätzung beider Seiten oder eines der beiden Gatten zwar erwartet, aber doch nicht als so sicher erwartbar eingeschätzt werden, daß eine Freistellung guten Mutes unterbleiben kann. Mit der Freistellungsklausel wird es daher möglich, wie mit der Anfechtung auf mögliche Abweichungen zwischen der Testiermotivation und der Entwicklung der Umstände zu reagieren, auf denen die Motivation beruht. Beide Instrumentarien sind mithin willensbezogene Modi zur Bewältigung von Erwartungsstörungen im gemeinschaftlichen Testament. Es gilt mithin zu klären, in welchem Verhältnis beide Instrumente zueinander stehen. 56 57

Soergel-Manfred Wolf, § 2270 Rn. 10. Siehe BayObLG, FamRZ 1985, 209 (210); KG, JW 1936, 3264 (3265).

§ 8 Entbindung qua Willen beider Gatten oder des Erstverstorbenen

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1. Freistellung und Anfechtung: Allgemeines

Im praktischen Ergebnis unterscheiden sich Freistellung und Anfechtung typischerweise nicht. Ein Beispiel mag dies erläutern: Beide Gatten haben sich wechselbezüglich als Alleinerben und einen Dritten als Schlußerben unter der Erwartung bedacht, dieser würde ein bestimtes Verhalten an den Tag legen. Zugleich haben sie für den Fall, daß die Erwartung enttäuscht wird, eine Freistellung des überlebenden Teils verfügt. In der Abwandlung des Grundfalls haben die Ehegatten keine Freistellungsklausel in das Testament implementiert. Die Erwartung wird enttäuscht. Im Grundfall kann der Überlebende zwar nicht anfechten, da er aufgrund der Freistellung nicht testamentarisch gebunden und somit die Voraussetzungen für eine Analogie zu den §§ 2281 ff. BGB nicht gegeben sind58. Er testiert mithin einfach neu und bringt damit die Altverfügung nach § 2258 I BGB zu Fall. In der Abwandlung könnte der überlebende Teil gem. § 2281 I BGB analog i.V. m. § 2078 II BGB mit der Nichtigkeitsfolge des § 142 I BGB anfechten und sodann neu testieren; die korrespektiven Verfügungen des Erstverstorbenen werden damit grundsätzlich ebenfalls unwirksam, § 2270 I BGB. Testiert im Grundfall hingegen der Überlebende – gedeckt von der Freistellungsklausel – widersprechend dem gemeinschaftlichen Testament neu, werden die früheren korrespektiven Verfügungen des Überlebenden in der Reichweite des Widerspruchs aufgehoben, § 2258 I BGB. In diesem Falle wird hinsichtlich der wechselbezüglichen Verfügungen des vorverstorbenen Teils zumeist angenommen, diese seien gem. § 2270 I BGB ebenfalls unwirksam59. Anfechtung und das Gebrauchmachen von der Freistellung können hier also zu dem gleichen Ergebnis führen: Vernichtung der korrespektiven Verfügungen beider Gatten, soweit die Anfechtung reicht und soweit von der Freistellung Gebrauch gemacht wird. Hat der Überlebende zu Lebzeiten von der Freistellung bewußt keinen Gebrauch gemacht, ist nach dessem Tode eine Anfechtung nach § 2078 II BGB grundsätzlich nicht zulässig. Dies liegt zwar nicht daran, daß aus dem unterlassenen Änderungstestament zurückgeschlossen werden kann, die Erheblichkeit der Erwartung des Umstandseintritts für die Erblassermotivation habe nicht vorgelegen. Denn die Verfügung einer Freistellungsklausel zeigt ja gerade, daß die enttäuschte Erwartung erheblich gewesen ist. Und die Entscheidung des Erblassers, an der Verfügung trotz Erwartungsenttäuschung festzuhalten, entkräftet die Erheblichkeit ja dann nicht, wenn diese Entscheidung auf geänderten Wertungen des Erblassers beruht, da die Erheblichkeit des Irrtums richtigerweise60 aufgrund der Vorstellungen des 58 59 60

Zu diesen Voraussetzungen unten § 9 III 1 a. Soergel-Manfred Wolf, § 2271 Rn. 28; Palandt-Edenhofer, § 2271 Rn. 23. Ganz h. M., siehe nur MünchKomm-Leipold, § 2078 Rn. 32, 47.

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Kap. 3: Die Loslösung von der testamentarischen Bindungswirkung

Erblassers zur Zeit der Testamentserrichtung zu beurteilen ist61. Der Ausschluß der Anfechtung beruht vielmehr auf der Untätigkeit des überlebenden Erblassers, der zu Lebzeiten von seiner Freistellung trotz Kenntnis vom Freistellungsgrund keinen Gebrauch hat. Damit liegt im Zweifel eine formlos mögliche (§ 144 II BGB) Bestätigung nach § 144 I BGB vor, § 2283 BGB analog62. Zwar reicht ein bloßes Untätigwerden trotz Kenntnis von der Erwartungsenttäuschung für eine Bestätigung regelmäßig nicht hin63. Im Falle der Freistellungsklausel ist der fragliche Umstand, hinsichtlich dessen ein Eintritt oder Nichteintritt erwartet wurde, aber so prominent aus dem Kreis des die letztwillige Verfügung tragenden Motivbündels hervorgehoben, daß aus dem Unterlassen des Erblassers zumindest dann im Zweifel der Wille hervorgehen wird, die Verfügung solle trotz Erwartungsenttäuschung gelten, wenn der Überlebende wußte, daß der Freistellungsfall eingetreten ist. Anfechtung und Freistellung müssen sich in den Wirkungen hinsichtlich der korrespektiven Verfügungen des Erstverstorbenen nicht immer decken. Denn die Auslegung des Freistellungsvorbehalts kann auch ergeben, daß bei einer Neutestierung kraft Freistellung die Folge des § 2270 I BGB für die Verfügungen des Erstverstorbenen nicht eintreten soll. Im eingangs genannten Beispielsfall würde danach die durch widersprechende Zweitverfügung bewerkstelligte Unwirksamkeit der Einsetzung des Dritten als Erben des Längstlebenden nicht dazu führen, daß dessen Einsetzung als Alleinerbe des Erstverstorbenen gem § 2270 I BGB unwirksam ist. Wenn dies so ist, folgt aus der Freistellungsklausel mithin, daß die Einsetzung des Schlußerben zumindest nach dem ersten Todesfall nicht wechselbezüglich sein soll64; der Freistellungsvorbehalt wäre nur ein besonderes Mittel, dies auszudrücken. Anfechtung und Freistellung müßen sich nicht nur in ihren Wirkungen nicht immer decken, sie müssen dies auch nicht in ihren Voraussetzungen. Einmal können Unterschiede in Form- und Fristfragen beobachtet werden. Bei der Freistellung wird man nicht davon ausgehen können, daß für sie die Formen und Fristen der Testamentsanfechtung gelten, bei der die 61 Andere Ansicht Keuk, Der Erblasserwille post testamentum, 108 ff.; Lange, JherJb 82 (1932), 1 (32). 62 Zur Anwendbarbeit des § 2283 BGB siehe nur Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 36 V 2. Auf den Streit, ob dem Erblasser das Recht zur Bestätigung einer anfechtbaren Verfügung nach § 144 BGB zusteht oder nicht (dazu verneinend nur BayObLGZ 1971, 147 (159); Kipp/Coing, Erbrecht, § 24 VII 1; Schlüter, Erbrecht, Rn. 246; und bejahend nur MünchKomm-Leipold, § 2078 Rn. 47; Staud-Otte, § 2080 Rn. 22; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 36 V 2), kommt es daher hier nicht an. 63 MünchKomm-Leipold, § 2078 Rn. 47. 64 Dazu BayObLGZ 1987, 23.

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§§ 2282 f. BGB analog greifen65. Dies ist auch sinnvoll. Für die Form der Anfechtung liegt dies auf der Hand. Diese wird bei einem Gebrauchmachen von der Freistellungsklausel funktional durch die Form der Testamentserrichtung ersetzt. Und die Anwendung der Anfechtungsfrist wäre bei einer Freistellung dysfunktional für die Ausprägung des Persönlichkeitsrechts des Überlebenden, da sie dessen Überlegungsfrist beschneiden würde, obwohl die Ehegatten die Freistellung vorgesehen und damit zu erkennen gegeben haben, daß der überlebende Teil in Ruhe und mit der Muße und Verantwortung, die der Verarbeitung des eigenen Todes notwendig inhärent ist, sich Rechenschaft ablegt, ob er von der Freistellung Gebrauch machen will66. Neben diesen Form- und Fristfragen müssen sich die Fälle, in denen die Freistellungsklausel greift, auch nicht mit den Gestaltungen decken, in denen die Anfechtung nach § 2078 II BGB statthaft ist. Oftmals wird der Freistellungsvorbehalt eingeräumt werden, damit der Überlebende einer im Zeitpunkt des Testierens noch nicht absehbaren Veränderung seiner Lebenssituation oder eines Wandels der Einschätzung dieser Situation hinreichend Rechnung tragen kann. Die Freistellungsklausel ist hier durchweg Ausdruck der Tatsache, daß die Ehegatten das gemeinschaftliche Testament vor dem Hintergrund erheblicher Zweifel über die künftige Entwicklung errichtet haben. In derartigen Fällen wird zu Recht gemeinhin die Anfechtung wegen Motivirrtums ausgeschlossen, da die Inkaufnahme des Risikos durch den Erblasser in dem gleichen Maße zu respektieren sei, wie seine sonstige Willensbildung67. Die Freistellungsklausel erhält hier mithin ein durchaus eigenes Gewicht. Nach all dem bleibt festzuhalten: Anfechtung und Freistellung können sich in ihren Anwendungsbereichen decken, soweit es um die Enttäuschung hinsichtlich des Eintritts oder des Nichteintritts eines Umstands geht. Soweit sie sich decken, unterscheiden sich beide Instrumente hinsichtlich ihrer Folgen für die korrespektiven Verfügungen des Erstverstorbenen zumeist nicht; bei der Freistellung kann jedoch öfters eine Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments in Frage kommen, bei der eine Unwirksamkeit nach § 2270 I BGB nicht stattfindet. Der Anwendungsbereich der Freistellung ist darüberhinaus weiter als der der Anfechtung, da die Freistellung auch dort eine Lösung von der Bindung erlaubt, wo eine Anfechtung wegen der bewußten Übernahme des den fraglichen Umstand betreffenden Risikos ausgeschlossen ist. Für die Freistellung gelten schließlich nicht die anfechtungsrechtlichen Form- und Fristregelungen.

65

Dazu unten § 9 III 1 a. Dazu ausführlich unten § 8 II 2. 67 MünchKomm-Leipold, § 2078 Rn. 22; Soergel-Loritz, § 2078 Rn. 13; StaudOtte, § 2078 Rn. 17. 66

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Kap. 3: Die Loslösung von der testamentarischen Bindungswirkung 2. Freistellung und ergänzende Auslegung

Die bisherigen Fallgestaltungen waren ersichtlich an einer ausdrücklich verfügten Freistellungsklausel und an positiven Vorstellungen von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines vergangenen, gegenwärtigen oder zukünftigen Umstands orientiert, welche den letztwilligen Verfügungen als Motiv zugrundelag. Schwieriger wird es, wenn es um die Bewältigung von Entwicklungen von Umständen geht, über die sich die Ehegatten keine Gedanken gemacht haben, die aber gleichwohl auf die Testiermotivation Einfluß gehabt hätten, wenn sie bedacht worden wären. Die Rechtsprechung gibt ein Anfechtungsrecht, wenn es um Umstände geht, deren Vorhandensein oder Fehlen die Ehegatten zumindest implizit anstandslos vorausgesetzt haben, die also so selbstverständlich sind, daß sie jederzeit abrufbar und in das Bewußtsein zu holen wären68. Die Literatur läßt ganz überwiegend bei dem Fehlgehen einer derartigen selbstverständlichen Erwartung69 ebenfalls die Anfechtung aus § 2078 II BGB zu70, wenngleich klarer die Rede davon ist, daß es nicht um „selbstverständliche Vorstellungen“, sondern um das Nichtbedenken vergangener, gegenwärtiger oder künftiger Umstände71 oder um das Fehlgehen einer konstruierten, hypothetischen Vorstellung72 geht73. Die Anfechtung wegen Motivirrtums ist also sehr weit eröffnet. Die Anfechtung ist freilich nicht die einzige Möglichkeit, den Eintritt oder den Nichteintritt des fraglichen Umstands rechtlich zu verarbeiten. In Frage – und vorrangig74 – kommt daneben noch die ergänzende Auslegung in Betracht. 68

Siehe nur aus der Fülle BGH, NJW-RR 1987, 1412 (1412 f.). Früher sprach die Rechtsprechung von „unbewußten Vorstellungen“ (etwa BGH, LM BGB § 2078 Nr. 4, 8; BayObLG, FamRZ 1984, 1270 (1271); OLG Hamm, FamRZ 1994, 849) – eine Begriffskreation, deren implizite Perplexität auf der Hand liegt. 70 Demgegenüber will Keymer, Anfechtung, 45 ff., 167 ff., 176 ff., anstelle der Anfechtung wegen „selbstverständlichen Vorstellungen“ auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage rekurrieren. Sachgerecht ist dies wegen der verschiedenen Zielsetzungen der involvierten Rechtsgebiete (gerechter Ausgleich bei angemessener Risikoverteilung im Vermögensrecht versus Willensherrschaft im Testamentsrecht) nicht. Kritisch zum Konzept der selbstverständlichen Vorstellungen zumindest bei der Anfechtung von Erbverträgen mit Rücksicht auf die §§ 2293 ff. BGB, die dann gegenstandslos würden, auch Stürzebecher, Rücktritt, 64 ff. 71 So MünchKomm-Leipold, § 2078 Rn. 29. 72 So Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 36 III 2 c. 73 Vgl. MünchKomm-Leipold, § 2078 Rn. 28 f. m.w.Nachw. in Fn. 51; SoergelLoritz, § 2078 Rn. 19; RGRK-Johannsen, § 2078 Rn. 49; Staud-Otte, § 2078 Rn. 23; Kipp/Coing, Erbrecht, § 24 II 2 b; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 36 III 3 c; v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 1, 321. 74 Siehe nur BGH, LM BGB § 2100 Nr. 1; NJW 1978, 264 (266); BayObLGZ 1966, 390 (394); BayObLG, FamRZ 1991, 982; MünchKomm-Leipold, § 2078 69

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Bei einer Änderung von „selbstverständlichen Umständen“ ist mithin zu fragen: (1) Kann für die Bewertung der Umstandsänderung, um deren Erheblichkeit es geht, eine Regelung des gemeinschaftlichen Testaments im Wege der ergänzenden Auslegung formuliert werden? Läßt sich per ergänzender Auslegung eine testamentarische Vorschrift entnehmen, die selbst die Umstandsänderung regelt? Ist dem so, ist die Umstandsänderung testamentsrechtlich bewältigt. Ist dem nicht so, ist zu fragen, ob (2) nicht wenigstens eine Freistellungsklausel im Wege ergänzender Auslegung in das Testament eingefügt werden kann, die die Bewältigung der Umstandsänderung zwar nicht selbst regelt, wohl aber der Regelung des Überlebenden im Wege einer neuen Verfügung von Todes wegen anvertraut. Scheidet auch dies aus, ist zu untersuchen, ob (3) beim Eintritt oder Nichteintritt des Umstands die Anfechtung nach § 2078 II BGB gegeben werden kann. Die ersten beiden Wege verwirklichen beide eine Anpassung der von beiden Gatten ersonnenen Vermögensordnung post mortem an die veränderten Umstände. Sie unterscheiden sich graduell nach dem Maß der Flexibilität, mit der auf die Umstandsveränderung reagiert werden kann: Mit dem ersten Weg wäre eine relativ konkrete Anpassung des gemeinschaftlichen Testaments an den fraglichen Umstand anhand der per ergänzender Auslegung gefundenen testamentarischen Regelung gewonnen, während eine Freistellungsklausel eine Anpassung in denkbar weitester Form ermöglicht, da sie die Anpassung dem freien Willen des überlebenden Teils anvertraut. Die Anfechtung vernichtet demgegenüber die Verfügung des Überlebenden und wegen § 2270 I BGB regelmäßig als Folge auch die des Erstverstorbenen. Ihr kommt mithin eine vornehmlich „negative“ Anpassungsfunktion zu, da die gemeinschaftliche Vermögensordnung im Regelfall zerstört wird. Wann also liegt welche dieser drei Möglichkeiten vor? Die Abgrenzung zwischen Anfechtung und ergänzender Auslegung wird im Fall des Fehlgehens selbstverständlicher Erwartungen richtigerweise in der Weise getroffen, daß gefragt wird, ob der Erblasser seine Verfügung auch bei Kenntnis der wirklichen Lage oder bei Vorausschau der Entwicklung der Umstände so getroffen hätte75. Bei der Ermittlung dieses hypothetischen Willens muß eine reine Willensfiktion vermieden werden, wie sie sich einstellt, wenn sich Redlichkeits- und Vernunftserwägungen verselbständigen76. Die Auslegung muß sich also im Rahmen der wahrscheinlichen und nachvollziehbaren Planung der Erblasser halten77. Kann dem TestaRn. 9; Palandt-Edenhofer, § 2078 Rn. 1; Soergel-Loritz, § 2078 Rn. 3; Staud-Otte, § 2078 Rn. 6; RGRK-Johannsen, § 2078 Rn. 27 f.; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 36 III 2 c; Kipp/Coing, Erbrecht, § 24 III 4 b; v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 1, 267. 75 Dazu näher unten § 10 II 1 b. 76 Dazu oben § 6 III 1 a sowie Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 11 II 1 c dd.

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ment in diesem Rahmen für die Regelung des fraglichen Umstands keine konkrete lückenergänzende Klausel entnommen werden, kommt notwendigerweise nur noch eine Freistellungsklausel oder die Anfechtung in Betracht. Welches dieser beiden Instrumentarium wiederum zur Umstandsanpassung vom Testamentsausleger wählbar ist, wird vornehmlich von den Rechtsfolgen abhängen, anhand derer sich Freistellung und Anfechtung unterscheiden. Es war schon die Rede davon, daß relevante Unterschiede in der Regel nur in der Anwendbarkeit der anfechtungsrechtlichen Form- und Fristregelungen der §§ 2282 f. BGB analog gefunden werden können, die bei der Freistellung nicht zum Tragen kommen78. Denn hinsichtlich des Schicksal der korrespektiven Verfügungen des Erstverstorbenen ist ein relevanter Unterschied durchweg nicht ausmachen: Bleibt trotz Anfechtung dessen Verfügung entgegen § 2270 I BGB ausnahmsweise wirksam, weil die Ehegatten dies so wollten (so daß eigentlich schon die Korrespektivität insoweit nicht gegeben ist), wird gleiches auch für den Fall der Freistellung gelten und umgekehrt. Mit Blick hierauf wird es grundsätzlich nicht zu verselbständigten Redlichkeits- und Vernunftserwägungen kommen, wenn sich die Annahme im Rahmen der wahrscheinlichen und nachvollziehbaren Planung der Erblasser hält, die Ehegatten hätten sich gegenseitig oder der Erstverstorbene den Überlebenden von der Beachtung der anfechtungsrechtlichen Form- und Fristregelungen suspendieren wollen. Ist dem so, wird im Wege ergänzender Auslegung dem gemeinschaftlichen Testament eine Freistellungsklausel entnommen werden können; die Klausel ist dann nur rechtstechnischer Ausdruck der wahrscheinlichen Planung der Gatten. Im Ergebnis kommt eine Selbstanfechtung durch den überlebenden Teil – die sonstigen Voraussetzungen der Anfechtung unterstellt – also nur in Betracht, wenn die Befreiung von der Form und der Frist der Anfechtung von der wahrscheinlichen Planung der Ehegatten oder der Planung des Erstverstorbenen nicht gedeckt ist, während umgekehrt die Freistellungsklausel zum tragen kommt, wenn die Suspendierung von der anfechtungsrechtlichen Form und Frist von der Planung gedeckt ist. Wann ist nun in der Regel was der Fall? Hinsichtlich der Form der Anfechtung (notarielle Beurkundung der Erklärung nach § 2282 III BGB) dürfte in den wenigsten Fällen die genannte Suspendierung nicht gewollt sein. Problematisch ist mithin allein die Anfechtungsfrist des § 2283 BGB. Es ist für den Regelfall nichts ersichtlich, daß die Ehegatten sich dazu motiviert sehen könnten, die Entschließungsfreiheit des überlebenden Teils in die Zwänge irgendeiner Frist einzubinden. Im Gegenteil entspricht es dem Leitbild einer intakten Ehe, daß jeder Gatte vom anderen Teil erwarten darf, jeder trage für den anderen Verantwortung, übe Beistand und Rücksicht und übernehme die gebo77 78

Vgl. nur Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 34 III 4. Oben § 8 II 1.

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tene Fürsorge – eine Typizität im Verhalten, welche § 1353 I HS 2 BGB aufgegriffen und als normatives Leitbild der Ehe ausdrücklich niedergelegt hat79. Wieso sollte daher nicht jeder der Gatten dem je anderen Teil die bestmögliche Chance verschaffen wollen, sein „Sein zum Tode“ anhand einer zweiten letztwilligen Verfügung auszuprägen, wenn der andere gerade mit diesen Verfügungen seine Persönlichkeit entfaltet? Die sonstigen Erwartungsstrukturen des Erstverstorbenen stehen dem ja nicht entgegen, da er sowohl im Falle der Freistellung als auch in dem der Anfechtung den Zusammenbruch der gemeinschaftlich erdachten Vermögensordnung nicht wird verhindern können und er für diesen Fall über § 2270 I BGB geschützt sein wird. Hinzukommt, daß richtigerweise der Lauf der Anfechtungsfrist erst beginnt, wenn der Erblasser seine Anfechtungsberechtigung positiv kennt80. Mit Blick hierauf ergibt es noch weniger Sinn anzunehmen, solidarisch und in Fürsorge einander zugetane Ehegatten seien davon ausgegangen, der Überlebende solle nur die Möglichkeit besitzen, innerhalb eines Jahres ab Kenntnis von der anfechtungsweisen Vernichtungsmöglichkeit seiner korrespektiven Verfügung sein „Sein zum Tode“ erneut zu entfalten. Insgesamt gesehen wird man daher für den Regelfall davon ausgehen können, daß sich die Suspension von den Mühen der Anfechtungsfrist und -form im Rahmen der wahrscheinlichen Planung der Gatten bewegt. Dies wiederum heißt nichts anderes, als daß im Regelfall eine Freistellungsklausel dem gemeinschaftlichen Testament im Wege der ergänzenden Auslegung wird entnommen werden können81. Hiergegen könnte freilich sprechen, daß verschiedentlich im Rahmen der Diskussion um die Anwendung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage im Erbrecht darauf hingewiesen wird, eine Anwendung dieses Instituts müsse schon deshalb scheitern, weil ansonsten die Anfechtungsregelungen mit ihren Frist- und Formvorschriften entgegen dem Willen des Gesetzgebers weitgehend sinnlos würden82. Spricht dieser Einwand auch gegen den hiesigen Vorschlag, im Regelfall von einer Freistellungsklausel auszugehen? Davon kann nicht ausgegangen werden. Die Freistellungsklausel wird im 79 Diese Einsicht ist unabhängig davon, daß § 1353 I HS 2 BGB eingeführt worden ist, um das Zustandekommen von Scheinehen zu bekämpfen, MünchKommWacke, § 1353 Rn. 12; Palandt-Brudermüller, § 1353 Rn. 4. Denn auch ohne die ausdrückliche Bestimmung des § 1353 I HS 2 BGB galt das Verantwortungsprinzip als eines der Inhalte der Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft, PalandtBrudermüller, ebda.; ansonsten siehe nur MünchKomm-Wacke, § 1353 Rn. 12, 17, 22. 80 Siehe unten § 11 IV 1 b. 81 Da die gefundene Auslegungsklausel der Willensrichtung des Erblassers typischerweise entspricht, ist die Freistellung auch formgerecht erklärt, zum Problem siehe nur MünchKomm-Leipold, § 2085 Rn. 45. 82 So Soergel-Manfred Wolf, § 2271 Rn. 33.

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Wege der ergänzenden Auslegung gefunden. Diese geht richtigerweise der Anfechtung vor, da sie die Verfügung nicht vernichtet und damit dem erbrechtlichen Willensdogma entgegenkommt83. Zwar könnte man hier dennoch ausnahmsweise am Vorrang der ergänzenden Auslegung zweifeln, da hinsichtlich der Vernichtung der Verfügung die Freistellung und die Anfechtung im Ergebnis funktional äquivalent sein dürften. Dennoch werden mit der Freistellungsklausel die erbrechtlichen Frist- und Formvorschriften nicht umgangen84. Denn wo sollte der Umgehungsvorwurf liegen, wenn die Freistellungsklausel mit Hilfe eines den Erblasserwillen zu Ende denkenden Instruments in das Testament implementiert worden ist? Die Freistellungsklausel ist dann Ausdruck der grundlegenden Wertungen des Erbrechts, nämlich Ausdruck seiner personfunktionalen Gründung. Formale Frist- und Formvorschriften können hiergegen nichts erinnern. Würde anders entschieden, würde dafür plädiert, daß die anfechtungsrechtlichen Form- und Fristregelungen im normativen Rang der Personfunktionalität des gewillkürten Erbrechts vorgingen, ohne daß dieses Plädoyer durch Gründe abgestützt würde – und derartige Gründe sind nirgens ersichtlich. Es bleibt nach all dem dabei: Die Selbstanfechtung ist letztlich auf den Ausnahmefall beschränkt, in dem die Ehegatten wahrscheinlich Wert darauf legen, daß sich die Persönlichkeitsentfaltung des Überlebenden nur im Rahmen der anfechtungsrechtlichen Form- und Fristvorschriften abspielen darf. Die Einsicht, dem gemeinschaftlichen Testament könne im Zweifel im Wege ergänzender Auslegung eine Freistellungsklausel entnommen werden, wurde bisher anhand des Fehlgehens sog. „selbstverständlicher Vorstellungen“ entwickelt. Tragender Grund war, daß im Zweifel die Ehegatten als Ausdruck der Gattensolidarität und der intim codierten Verbundenheit nicht wollen oder zumindest der Vorversterbende nicht will, daß der überlebende Teil – falls er seinen Testierwillen irrtumsverhaftet gebildet hat – nicht daran gehindert sein soll, sein „Sein zum Tode“ auch außerhalb der formalen erbrechtlichen Anfechtungs- und Formvorschriften durch eine neue Verfügung von Todes wegen auszuprägen. Diese Erwägung ist aber nicht nur auf das Fehlgehen selbstverständlicher Vorstellungen beschränkt, sondern greift in gleicher Weise auch für den Fall der Anfechtung wegen des Fehlgehens positiver Vorstellungen. Auch hier ist – zumindest für die Selbstanfechtung – nicht einsichtig, wieso der Überlebende an die erbrechtlichen 83 Siehe nur BGH, LM BGB § 2100 Nr. 1; NJW 1978, 264 (266); BayObLGZ 1966, 390 (394); BayObLG, FamRZ 1991, 982; MünchKomm-Leipold, § 2078 Rn. 9; Palandt-Edenhofer, § 2078 Rn. 1; Soergel-Loritz, § 2078 Rn. 3; Staud-Otte, § 2078 Rn. 6; RGRK-Johannsen, § 2078 Rn. 27 f.; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 36 III 2 c; Kipp/Coing, Erbrecht, § 24 III 4 b; v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 1, 267. 84 Anderer Ansicht Brox, Einschränkung der Irrtumsanfechtung, 159, der deshalb im Rahmen seines die ergänzende Auslegung weit ausdehnenden Ansatzes auf diese Auslegung die Fristen des Anfechtungsrechts (§ 2082 BGB) analog anwenden will.

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Form- und Fristvorschriften gebunden sein sollte. Die Ehegatten werden deshalb im Wege ergänzender Auslegung auch für den Fall, daß ein positiv erwarteter Umstand tatsächlich nicht eintritt, eine Freistellung des Überlebenden vorgesehen haben. In diesem Falle scheidet eine Selbstanfechtung wiederum mangels lebzeitiger Bindung aus. Schließlich ist bei einer im Wege ergänzender Auslegung in das Testament implementierten Freistellung eine Anfechtung gem. § 2078 II BGB nach dem Tode des Überlebenden im Zweifel durch Bestätigung auch dann nicht ausgeschlossen, wenn der Überlebende von der Freistellung hätte Gebrauch machen können. Denn anders als bei der ausdrücklichen Freistellung kommt dem Unterlassen des Freigestellten hier nicht der Erklärungswert zu, die Verfügung solle trotz Erwartungsenttäuschung gelten; dem Überlebenden wird ja regelmäßig die Freistellung zuerst einmal – ohne näheren rechtlichen Rat – nicht bewußt sein. Weiß der Überlebende freilich positiv von seiner Freistellung, wird auch bei der im Wege der Testamentsergänzung eingefügten Freistellung im Zweifel von einer Bestätigung der letztwilligen Verfügung auszugehen sein, wenn der überlebende Teil nicht neu verfügt, obwohl die Freistellung einschlägig geworden ist. Nach all dem gilt demnach folgende Auslegungsregel: Auslegungsregel 8.2: Könnte der Überlebende seine korrespektiven Verfügungen wegen Motivirrtums selbst anfechten, werden die Ehegatten oder zumindest der Erstverstorbene im Zweifel hinsichtlich des Umstands, dessen Fehlgehen den Irrtum begründet, eine Freistellungsklausel testamentarisch vorgesehen haben.

Die bisherigen Einsichten lassen sich wie folgt zusammenfassen: Lassen sich Erwartungsstörungen beobachten, kann das gemeinschaftliche Testament hierfür eine die Störung selbst regelnde Klausel vorgesehen haben, wobei diese Klausel dem Testament auch im Wege der ergänzenden Auslegung entnommen werden kann. Liegt eine derartige Klausel vor, ist es müßig, auf die Instrumente der Freistellung und der Anfechtung zu rekurrieren. Liegt eine derartige Klausel nicht vor, ist zu prüfen, ob eine ausdrückliche Freistellung vereinbart ist. Ist sie vereinbart und hat der überlebende Teil zu Lebzeiten von ihr keinen Gebrauch gemacht, obwohl er dies hätte tun können, ist nach seinem Tode eine Anfechtung nach § 2078 II BGB grundsätzlich nicht zulässig, da aus dem Unterlassen des Erblassers im Zweifel der Wille hervorgehen wird, die Verfügung solle trotz Erwartungsenttäuschung gelten. Ist eine ausdrückliche Freistellung nicht vereinbart, muß anhand der ergänzenden Auslegung untersucht werden, ob eine Freistellung ausbedungen ist. Im Zweifel wird dies der Fall sein, wenn ein Anfechtungsgrund wegen Motivirrtums gegeben ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Anfechtung wegen des Fehlgehens positiver oder „unbewußter“ Vorstellungen zulässig ist. Die Selbstanfechtung wegen

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Motivirrtums kommt nur in Betracht, wenn der überlebende Teil hinsichtlich der Regulierung der Erwartungsstörung den anfechtungsrechtlichen Form- und Fristregelungen unterworfen sein soll, während die Anfechtung nach dem Tode des Längstlebenden grundsätzlich trotz Freistellung nicht ausgeschlossen ist, es sei denn, der Überlebende hatte positive Kenntnis von seiner Freistellung und testierte gleichwohl nicht neu. Insgesamt gesehen kommt der im Wege der ergänzenden Auslegung ermittelten Freistellungsklausel mithin ein Anwendungsbereich zu, der bisher weitgehend übersehen wurde. III. Das Schicksal der korrespektiven Verfügung des Erstverstorbenen 1. Der Fall der ausdrücklichen Freistellungsklausel

Welches Schicksal nehmen nun die korrespektiven Verfügungen des Erstversterbenden, wenn der Überlebende von der Freistellungsklausel Gebrauch macht? Stellenweise wird hier angenommen, daß der in der widersprechenden Neuverfügung enthaltene Widerruf der korrespektiven Erstverfügung des Überlebenden im Grundsatz die entsprechenden Verfügungen des Vorverstorbenen gem. § 2270 I BGB beseitige, „es sei denn, daß (wie oft) ein entgegenstehender Wille der Eheleute ausdrücklich oder stillschweigend durch Testamentsauslegung festzustellen ist“85. Es wird also angenommen, daß rein tatsächlich zumeist die Unwirksamkeitsfolge des § 2270 I BGB nicht eintreten wird, daß aber gleichwohl in Zweifelsfällen die korrespektive Verfügung des Erstverstorbenen beseitigt sein wird. Von einer derartigen Zweifelsregelung kann nicht ausgegangen werden. Vielmehr ist gerade umgekehrt grundsätzlich im Zweifel bei einem Freistellungsvorbehalt die Wechselbezüglichkeit der Verfügungen nicht gewollt, soweit die Freistellung reicht86. Die Gründe, die für eine derartige Auslegungsregel sprechen, können nur der rechten Gewichtung der im gemeinschaftlichen Testament verkörperten Persönlichkeitsbeiträge beider Gatten entnommen werden. Es müssen mithin die jeweiligen Reziprozitäten87 ermittelt werden, nach denen sich das Erwarten der Ehegatten bemißt. Haben diese eindeutig nur erwartet, zu Lebzeiten beider Teile erfolge der Widerruf des gemeinschaftlich Verfügten in der Form des § 2271 I 1 BGB, scheidet 85 Palandt-Edenhofer, § 2271 Rn. 24, Wortverkürzungen gegenüber dem Original getilgt. Ebenso OLG München, JFG 15, 262. 86 So auch ohne nähere Begründung Staud-Kanzleiter, § 2271 Rn. 65; SoergelManfred Wolf, § 2271 Rn. 23, mit unklaren Verhältnis zur anderslautenden Ausführung in Rn. 28; Radke, Berliner Testament, 129 ff. 87 Dazu oben § 5 II.

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eine Wirksamkeitsabhängigkeit nach § 2270 I BGB aus. Bestehen im gemeinschaftlichen Testament Anhaltspunkte für eine Freistellungsklausel, ohne daß das Erwarten der Gatten in der soeben geschilderten Weise eindeutig begrenzt ist, ist – wie auch sonst – zu prüfen, ob die Verfügung des einen nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen sein würde (§ 2270 I BGB). Ob die Verfügungen gleichwohl wechselbezüglich sind, ist mit der Ermittlung, es läge eine Freistellung vor, also noch nicht entschieden. Nun liegt der Sinn der Unwirksamkeitsfolge nach § 2270 I BGB darin, das Erwarten des Erstverstorbenen hinsichtlich des Gelingens der Implementierung der avisierten Vermögensordnung post mortem zu schützen88. Fraglich ist daher, ob der Erstverstorbene im Zweifel trotz Freistellungsvorbehalt für den Freistellungsfall möchte, daß die von ihm avisierte Vermögensordnung post mortem vollends (nämlich auch hinsichtlich seiner, des Erstverstorbenen Verfügung) zerbricht, wenn aus ihr aufgrund der Zweitverfügung des Überlebenden auch nur ein Stück entfernt wird. Es ist schwierig zu klären, wie hier entschieden werden soll. Gegen die Wechselbezüglichkeit könnte sprechen, entsprechend dem Grundsatz der wohlwollenden Auslegung (§ 2084 BGB) dürfe davon ausgegangen werden, der Erstversterbende habe im Zweifel die Wirksamkeit seiner Verfügung gewollt, mithin nicht umgekehrt die auf der Wechselbezüglichkeit beruhende Unwirksamkeitsfolge des § 2270 I BGB. Diese Erwägung überzeugt nicht recht. Denn mit der benigna interpretatio soll die rechtswirksame Erreichung des vom Erblasser gewollten Ziels der Verfügung gesichert werden89. Dieses muß mithin feststehen – was hier wiederum zweifelhaft ist, da ja gerade danach gefragt wird, ob dem Erstverstorbenen die Unwirksamkeitsfolge des § 2270 I BGB nicht lieber wäre als die Wirksamkeit seiner Verfügung. Die Regel, daß im Zweifel eine Wechselbezüglichkeit bei einer ausdrücklich verfügten Freistellungsklausel zu verneinen ist, gründet denn auch auf einem anderen Gedanken. Wenn der Erstverstorbene dem anderen Teil eine Freistellung eröffnet hat, ist sein Erwartungsniveau hinsichtlich der Festigkeit der gemeinschaftlich erarbeiteten Vermögensordnung und damit auch jenes Maß an Reziprozität notwendigerweise abgesenkt, welches die Bindung des Überlebenden im Ablauf der Zeit sichert90 – warum sollte im Regelfall sonst eine Freistellung verfügt worden sein? Er muß demnach erwarten, daß die Vermögensordnung zerbricht. Testiert er trotz dieses Risikos, kann schwerlich gesagt werden, er testiert, gerade weil der andere von Todes wegen so und so verfügt. Bleiben aber Zweifel an diesem Nexus zurück, ist nach allgemeinen Regeln91 auf fehlende Abhängigkeit zu erken88 89 90

Siehe oben § 4 II 3 c. Siehe nur MünchKomm-Leipold, § 2084 Rn. 26. Siehe dazu oben § 5 II.

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nen. Eine weitere Erwägung stützt dieses Ergebnis. Der Erstverstorbene ist sich durchweg bewußt, daß der Überlebende im Lichte seiner Freistellung verfügt. Er kann daher grundsätzlich nicht erwarten, daß der andere Teil auch ohne Freistellung so verfügt hätte, wie er verfügt hat. Kann er dies nicht erwarten, ist aus Gründen des Schutzes des Überlebenden und als Ergebnis einer sachgerechten Bewertung des Erwartendürfens des Erstverstorbenen die Unwirksamkeitsfolge des § 2270 I BGB im Zweifel nicht sachgerecht; die Vereinbarung einer Freistellungsklausel ist im Zweifel eine Art actus contrarius zur Wechselbezüglichkeit. Ist eine Freistellungsklausel verfügt, greift mithin im Zweifel die Unwirksamkeitsfolge des § 2270 I BGB nicht ein. Dies gilt auch für die Fallgestaltungen, in denen die Auslegungsregel des § 2270 II BGB einschlägig ist. Es war schon die Rede davon, daß die recht groben Typisierungen, die diese Vorschrift an den Tag legt, durch feinmaschigere Typenbildungen seinerseits entkräftet werden können92. Eine derartige feinmaschigere Typisierung liegt hier vor. Aus dem zuvor Gesagten ergibt sich zugleich die Ausnahme von dem Grundsatz, daß bei einer Freistellung regelmäßig auch die Unwirksamkeitsfolge des § 2270 I BGB entfällt: Haben die Ehegatten eine Freistellung hinsichtlich des Eintritts eines Umstands (etwa ein bestimmtes Verhalten des Endbedachten) vorgesehen, der von ihnen gleichwohl als sicher erwartet wurde, ist das Erwartungsniveau des Erstverstorbenen hinsichtlich der Stabilität der gemeinschaftlich erarbeiteten Vermögensordnung und damit auch das Maß an Reziprozität gerade nicht abgesenkt. Dann greift aber auch die o. g. Zweifelregelung nicht, da diese ja darauf beruhte, das Erwartungsniveau sei typischerweise gedrosselt. Es muß mithin genau derjenige Erwartungsschutz greifen, den § 2270 I BGB verwirklicht. Da die Anfechtung nach § 2078 II BGB zulässig wäre, wenn die Freistellung nicht vorliegen würde93, kommt der Freistellungsklausel mithin nur die Funktion zu, den Überlebenden von der Last zu befreien, sich in den Formen und Fristen der Anfechtung vom gemeinschaftlichen Testament zu lösen94. Freilich wird der Fall, daß die Ehegatten eine Freistellung vorsehen, obwohl sie die fraglichen Umstand als sicher eintretend erachten, kaum praktisch relevant werden. Denn schon die Tatsache, daß der Überlebende freigestellt wird, deutet darauf hin, daß die Ehegatten den Eintritt oder den Nichteintritt des Umstands, der der Freistellung zugrunde liegt, für möglicherweise zwar hochwahrscheinlich, nicht aber für überaus sicher gehalten haben – wieso sollten sie eine sichere Erwartung mittels Freistellung absichern?

91 92 93 94

Dazu oben § 6 III 4. Oben § 6 III 1 a und c. Dazu siehe oben § 8 II 1. Diese gelten für die Freistellung ja nicht, siehe § 8 II 1.

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2. Der Fall der im Wege ergänzender Auslegung ermittelten Freistellung

Die soeben für den Fall der ausdrücklich von den Gatten vorgesehenen Freistellungsklauseln geltende Auslegungsregel fußt auf der Einsicht, das Erwartungsniveau des Erstversterbenden hinsichtlich der Festigkeit der gemeinschaftlich erarbeiteten Vermögensordnung und in der Folge das Maß an Reziprozität, welches die Bindung des Überlebenden im Ablauf der Zeit sichert, sei bei einer ausdrücklichen Freistellungsklausel grundsätzlich erheblich reduziert. Bei einer Freistellungsklausel, die im Wege der ergänzenden Auslegung dem Testament hinzugefügt worden ist, kann eine derartige Absenkung des Erwartungsniveaus und der Reziprozität nicht in dem gleichen Maße wie bei der ausdrücklichen Klausel angenommen werden. Denn die Freistellung wurde ja qua ergänzender Auslegung mit Blick auf die erbrechtlichen Form- und Fristregelungen für den Fall angenommen, daß auch der Anfechtungsgrund wegen Motivirrtums gegeben wäre. Die Erwartungsstörung ist hier keine andere als im Fall des Irrtums. Greift bei diesem aber § 2270 I BGB, kann dies bei der Freistellung nicht anders sein. Es kommt mithin wie bei der Anfechtung typischerweise keine Absenkung des Erwartungsniveaus in Betracht. Es muß dann bei der allgemeinen Regel des § 2270 I BGB bleiben, daß bei einer in Ansehung des Freistellungsvorbehalts erklärten widersprechenden Zweitverfügung des Überlebenden die korrespektive Verfügung des Erstverstorbenen unwirksam ist. Es gilt demnach folgende Auslegungsregel: Auslegungsregel 8.3: Liegt eine ausdrückliche Freistellungsklausel vor, ist im Zweifel davon auszugehen, daß die freigestellte Verfügung nicht wechselbezüglich ist, es sei denn, die Freistellung wurde hinsichtlich eines Umstands vorgesehen, dessen Eintritt oder Nichteintritt die Ehegatten nicht nur als hochwahrscheinlich, sondern als zweifelsfrei angesehen haben. Ist die Freistellungsklausel im Wege der ergänzenden Auslegung ermittelt worden, bleibt es im Zweifel bei der Unwirksamkeit der korrespektiven Verfügungen des Erstverstorbenen nach § 2270 I BGB. 3. Freistellung oder Wegfall der Geschäftsgrundlage?

Es war schon die Rede davon, daß das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nicht in erbrechtliche Zusammenhänge übertragen werden kann95. Gilt dieses Verdikt auch noch mit Blick auf die bisherigen Ausführungen zur Freistellungsklausel, einher mit der ergänzenden Auslegung und der Anfechtung wegen Motivirrtums? Immerhin geht es doch bei der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments bei Lichte betrachtet um einen gesetzlich geregelten Fall der Maßgeblichkeit einer bestimmten sub95

Siehe oben § 6 II 1.

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jektiven Motivlage als Geschäftsgrundlage für die Weitergeltung der letztwilligen Verfügung96. Hierbei kann durchaus auf die gebräuchliche subjektive Formel im Gefolge Oertmanns zurückgegriffen werden, da diese subjektive Formel ja in nuce die Gründung der Testierfreiheit im personfunktionalen Willensdogma nachzeichnet; ob die subjektive Formel auch im vermögensrechtlichen Leistungsstörungsrecht sinnvoll ist97, kann daher mit Blick auf das erbrechtliche Willensdogma dahingestellt bleiben. Andere Ansätze der Geschäftsgrundlagenlehre ergeben im Testamentsrecht denn auch erkennbar keinen rechten Sinn: der Grund testamentarischer Bindung kann nicht mittels objektiver Kautelen gewonnen werden, da Reziprozität entsprechend der partikularen Interaktionsgepflogenheiten der Ehegatten nur subjektiv bestimmt werden kann, so daß Folgerungen aus einem „Verfügungszweck“, der „wirtschaftlichen Bedeutung“ der Verfügung und ähnlichem98 nicht zulässig sind99. Auch eine Anknüpfung an der vertraglichen Risikoverteilung100 bleibt müßig, da dies im gewillkürten Erbrecht nur wieder auf das Willensdogma und damit auf den Begriff der subjektiven Geschäftsgrundlage zurückverweist. Nach der subjektiven Formel wird die Geschäftsgrundlage gebildet „durch die nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt erhobenen, aber bei dem Vertragsschluß zutage getretenen gemeinschaftlichen Vorstellungen beider Vertragsparteien oder die dem Geschäftsgegner erkennbaren und von ihr nicht beanstandeten Vorstellungen der einen Vertragspartei von dem Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt oder dem Fortbestand gewisser Umstände, auf denen sich der Geschäftswille der Parteien aufbaut“101. Es liegt auf der Hand, daß diese Formel abgewandelt werden müßte, um das ganze Spektrum der erbrechtlich relevanten Motivationen zu erfassen, da ja erbrechtlich auch ein Nichtbedenken erheblicher Umstände (die sog. „selbstverständlichen Vorstellungen“ der Rechtsprechung) ein beachtliches Motiv sein kann. Doch selbst wenn dies gelänge, änderte dies nichts daran, daß 96 Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266 (1268); vorsichtige Andeutungen auch bei SoergelManfred Wolf, § 2271 Rn. 15; Kuchinke, FS v. Lübtow, 283 (287). 97 Die Kritik an dem Oertmannschen Ansatz wird maßgeblich mitbestimmt durch den Vorwurf, der subjektive Ansatz könne die Geschäftsgrundlage nicht hinreichend in das System des Leistungsstörungsprogramms einordnen, vgl. nur Soergel-Teichmann, § 242 Rn. 208; Beuthien, Zweckerreichung, 55 f.; Koller, Risikozurechnung, 19 f., 25 f.; Köhler, Unmöglichkeit, 117 ff.; Fikentscher, Geschäftsgrundlage, 5 ff. 98 Zum objektiven Ansatz innerhalb der Geschäftsgrundlagenlehre vgl. nur MünchKomm-Roth, § 242 Rn. 209; Soergel-Teichmann, § 242 Rn. 479. 99 Abhängigkeit kann unbestritten nicht gegen den Willen der Beteiligten angeordnet werden, vgl. nur Battes, Vermögensordnung, 247 f. 100 Dazu vgl. nur MünchKomm-Roth, § 242 Rn. 483 f., 500 f.; Soergel-Teichmann, § 242 Rn. 214 ff.; Staud-Jürgen Schmidt, § 242 Rn. 889 ff. 101 BGHZ 25, 390 (392); 40, 334 (336); 61, 153 (160); 74, 370 (372 f.); 84, 1 (8 f.); 88, 226 (231).

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letztlich das vermögensrechtliche Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlagen nicht in erbrechtliche Kontexte verpflanzt werden sollte. Denn bei Lichte betrachtet ist im Erbrecht ein Erwartungsstörungsprogramm implementiert, welches sogar noch um einiges flexibler ist als das vermögensrechtliche Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Dies zeigt ein Blick auf die Rechtsfolgen eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Diese sind dichotom angelegt: Richterliche Anpassung des Vertrages nach dem Kriterium der Zumutbarkeit auf der einen und (nachrangig) Vertragsauflösung nach Rücktritt, (bei Dauerschuldverhältnissen) Kündigung oder (im Gesellschaftsrecht) Auflösungsklage auf der anderen Seite102. Das gewillkürte Erbrecht stellt ein sehr viel differenzierteres und zugleich die Willensherrschaft des Erblassers sehr viel stärker als das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage betonendes Instrumentarium bereit, welches damit die Personfunktionalität des Erbrechts unterstreicht: Regelung des fraglichen Umstands anhand einer im Wege der ergänzenden Auslegung ins Werk gesetzten Testamentsklausel, sodann Regelung des Umstands durch den Überlebenden auf der Grundlage einer wieder durch ergänzende Auslegung aufgestellten Freistellungsklausel, schließlich Anfechtung der Erstverfügung mit anschließender Neuverfügung. Das gewillkürte Erbrecht stellt damit ein weiteres Mal die Willensherrschaft der Rechtsperson stärker in den Vordergrund als das Vermögensrecht, und gibt damit ein weiteres Argument zur Hand, die Idee einer personfunktionalen Gründung des Erbrechts zu untermauern. Das Institut der Wegfall der Geschäftsgrundlage zeichnet in seiner dichotomen Rechtsfolgenstruktur die Flexibilität des Erbrechts mithin nicht hinreichend nach – zu verschieden sind ja auch die Zielsetzungen der beiden Rechtsgebiete: im Vermögensrecht gerechter Ausgleich bei angemessener Risikoverteilung versus Verwirklichung der Willensherrschaft im Testamentsrecht. Wenn dann noch bedacht wird, daß der Geschäftsgrundlagenansatz nicht erklären kann, wieso ein Motiv als Geschäftsgrundlage überhaupt relevant werden kann103, wird hinreichend deutlich, daß die Geschäftsgrundlagenlehre zu Recht im Erbrecht keine Anwendung findet und durch die ergänzende Auslegung kombiniert mit Anfechtung wegen Motivirrtums funktional äquivalent ersetzt wird104.

102

MünchKomm-Roth, § 242 Rn. 544 ff.; Soergel-Teichmann, § 242 Rn. 262 ff. Dazu schon oben § 6 II 1. 104 Siehe BGH, NJW 1993, 850; OLG Köln, DNotZ 1993, 215 f.; MünchKommLeipold, § 2078 Rn. 25; Soergel-Loritz, § 2078 Rn. 18; Staud-Otte, § 2078 Rn. 22. aA Keymer, Anfechtung, 45 ff., 167 ff., 176 ff. 103

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Kap. 3: Die Loslösung von der testamentarischen Bindungswirkung

IV. Beispielhafte Einzelfälle 1. Die fehlgeschlagene Versorgung des Überlebenden

Falls die Ehegatten zum Ausdruck gebracht haben, daß sie von dem Schlußerben die Versorgung des überlebenden Teils erwarten, wird in Rechtsprechung105 und Literatur106 angenommen, es sei naheliegend, der überlebende Ehegatte sei für den Fall zu einer anderweitigen letztwilligen Verfügung berechtigt, daß er annehmen darf, seine Versorgung durch den Endbedachten sei nicht mehr gewährleistet. Wenn die Einsetzung des Schlußerben durch das Versorgungsmotiv veranlaßt worden ist und der Schlußerbe durch seine Einsetzung zugleich zur Versorgung motiviert werden soll, stehen Erbeinsetzung und Versorgungsleistung zwar nicht rechtlich in einem Gegenseitigkeitsverhältnis, wohl aber faktisch. Das OLG Hamm führt hier zu Recht aus, daß die rechtliche Unverbindlichkeit der dem Endbedachten auferlegten Versorgung ihr Gegenstück in der freien Widerruflichkeit der Verfügung findet107. Ansonsten würde davon ausgegangen werden, daß der Erstverstorbene gerade dann dem Überlebenden seine Solidarität in der Versorgung hat entziehen wollen, wo seine Versorgung gefährdet ist. Wahrscheinlich ist eine derartige Annahme nicht. Rechtstechnisch kann die vom OLG Hamm zu recht vorgenommene Wertung daher über eine im Wege ergänzender Testamentsauslegung ermittelte Freistellungsklausel ins Werk gesetzt werden. Der Überlebende kann mithin bei einer fehlgeschlagenen Versorgung seine Sicherung im Alter in anderer Weise suchen und ggfls. neu testieren. Regelmäßig werden im Falle der anderweitigen Verfügung die Verfügungen des Erstverstorbenen nicht gem. § 2270 I BGB unwirksam werden. 2. Die vorrangige Prüfung der Wechselbezüglichkeit

Bei der Prüfung, ob eine Freistellungsklausel in Betracht kommt, muß freilich immer die Vorfrage beantwortet werden, ob überhaupt eine korrespektive Verfügung hinsichtlich des Umstands vorliegt, bei dem die Freistellung einschlägig sein soll. So wird in der Literatur mancherorts diskutiert, ob eine Freistellungsklausel nicht für die Fallgestaltungen angenommen werden sollte, daß der Überlebende etwa vermächtnisweise einer moralischen Verpflichtung nachkommen möchte, etwa bei einer Belohnung für langjährige oder besondere Dienstleistungen108. Richtigerweise wird regelmäßig in diesen Fällen schon die Wechselbezüglichkeit zu verneinen 105 106 107

OLG Hamm, FamRZ 1995, 1022 (1023). Staud-Kanzleiter, § 2271 Rn. 57. OLG Hamm, FamRZ 1995, 1022 (1023).

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sein, soweit die Erfüllung der moralischen Verpflichtung oder der Anstandspflicht in Rede steht109. Des weiteren hat die Rechtsprechung stellenweise einen Freistellungsvorbehalt bei einem nach dem ersten Todesfall eintretenden Vermögenserwerb beim Überlebenden angenommen, welcher die zu Lebzeiten beider Gatten vorhersehbare wirtschaftliche Situation grundlegend umgestaltet110. Richtigerweise entfällt wiederum auch hier zumindest in dem Fall schon die Bindung, wenn der Vermögenszuwachs nicht mit den Mitteln des Eigenvermögens des Überlebenden und ohne Einsatz des vom verstorbenen Gatten erworbenen Nachlasses erzielt wurde, wie dies etwa bei Schenkungen oder Erbschaften von dritter Seite nach dem ersten Todesfall zutrifft111. 3. Das Beispiel des unvorhersehbaren Vermögenszuwachses beim überlebenden Teil

Bei dem zuvor diskutierten Beispiel des unvorhersehbaren Vermögenserwerbs stellt sich die Frage nach dem Freistellungsvorbehalt mithin nur für den Erwerb, welcher mit den Mitteln des vom Erstverstorbenen von Todes wegen Erworbenen oder des Eigenvermögens des Überlebenden bewerkstelligt wurde. Es gilt die allgemeine Regel: Regelmäßig kann dem gemeinschaftlichen Testament hinsichtlich „selbstverständlicher“ Umstände, die zur Anfechtung wegen Motivirrtums berechtigen würden, ein Freistellungsvorbehalt entnommen werden112. Dies bedeutet hier: Ist im konkreten Fall nur eine normale Vermögensentwicklung als – gemessen an den gängigen anfechtungsrechtlichen Maßstäben – „selbstverständlich“ angenommen worden, so daß sich ein vom normalen Verlauf der Dinge abweichender Vermögenszuwachs (in welcher Höhe, sei zuerst einmal noch dahingestellt) als erhebliche Umstandsänderung erweist, läge der Anfechtungsgrund nach § 2078 II BGB vor. Im Zweifel wäre dann eine Freistellungsklausel hinsichtlich einer Zweitverfügung über den Zuwachs ausbedungen. So einsichtig dies auch auf den ersten Blick klingen mag, der Fall wird wohl eher theoretisch bleiben. Einmal ist schon fraglich, was denn das ist, ein „vom normalen Verlauf der Dinge abweichender Vermögenszuwachs“. Einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise dürften derartige, auf die „Normalität“ der wirtschaftlichen Abläufe bezogene Differenzierungen eher suspekt erschei108 Soergel-Manfred Wolf, § 2271 Rn. 25; dazu auch OLG Köln, LZ 1928, 1710; ablehnend etwas Staud-Kanzleiter, § 2271 Rn. 60. 109 Oben § 6 III 2 c. 110 So OLG Zweibrücken, NJW-RR 1992, 587; zustimmend Staud-Kanzleiter, § 2271 Rn. 58. 111 Siehe oben § 6 III 2 b. 112 § 8 III 2.

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nen. Zudem gilt nach den gegebenen normativen Zurechnungskriterien der Eigentumsverfassung die Leistung des Eigentümers als Legitimationsanker des Eigentums, mag auch tatsächlich in der vernetzten und vielfältig diversifizierten Wirtschaft das Zurechnungskriterium der eigenen Leistung mehr Fiktion als Realität darstellen und bei einem Vermögenszuwachs qua Kapitalertrag sowieso von vornherein nicht überzeugend sein – herrschend gilt immer noch, daß das Eigentum Frucht eigener Leistung und des intelligenten Einsatzes der eigenen Mittel sei113. Der Überlebende wird kraft seiner Sozialisation, die diese herrschende Legitimationssemantik des Eigentums in ihm verankert haben wird, durchweg davon ausgehen, daß ein Vermögenszuwachs seiner Schaffenskraft zuzurechnen und damit grundsätzlich erwartbar sein wird. Auf der anderen Seite dürfte die Leistungsfähigkeit des überlebenden Gatten auch dem Erstverstorbenen regelmäßig bekannt gewesen sein. Er wird deshalb auch einen ansehnlichen Vermögenszuwachs, welcher als Frucht der Leistung des anderen Teils gilt, zumeist in seine Erwartungsbildung einbezogen haben. Hat er aber so erwartet, scheidet eine Freistellungsklausel grundsätzlich aus. Wirklich exorbitante Vermögenszuwächse hingegen dürften durchweg von dem Überlebenden nicht als selbstverständlich erwartet werden, mag auch ansonsten im konkreten Fall davon ausgegangen worden sein, er würde sein Eigenvermögen nach Kräften mehren. In eng umgrenzten Extremfällen wird mithin eine Freistellungsklausel im Zweifel in Betracht kommen, die dem Überlebenden eine vom gemeinschaftlichen Testament abweichende Verfügung von Todes wegen über den Zuwachs eröffnet. Da das Erwartungsniveau bzgl. der Höhe des Vermögenszuwachses abgesenkt ist, werden die korrespektiven Verfügungen des Erstverstorbenen bei letztwilligen Zweitverfügungen des Überlebenden über den Vermögenszuwachs aus den gleichen Gründen nicht nach § 2270 I BGB unwirksam, die dies auch bei der ausdrücklichen Freistellungsklausel bewirkt haben114. Die Behandlung der Vermögenszuwächse nach dem Tode des Erstverstorbenen richtet sich mithin danach, ob ein „außerordentlich großer“ Zuwachs gegeben ist oder nicht. Dem Richter kommt ein gewisser Wertungsspielraum hinsichtlich der Annahme dessen zu, was berechtigterweise als „außerordentlich“ angesehen werden darf. Schädlich ist dies nicht. Dieser Spielraum ist nicht größer als sonst, wie er etwa im Bereich der ergänzenden Auslegung oder im Rahmen der Geschäftsgrundlagenlehre bei dem Wegfall der großen Geschäftsgrundlage gepflegt wird. Die bloße Tatsache des richterlichen Bewertungsspielraums spricht mithin nicht gegen die hier 113 Siehe zum Gesamtproblem der auf Locke zurückgehenden Arbeitstheorie des Eigentums, Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 6 I, II, III. 114 Zu diesen Gründen § 8 II 2.

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vorgeschlagene Lösung. Der Richter wird sich freilich zuvor fragen müssen, ob nicht den Verfügungen des Erstverstorbenen selbst eine Bewertung der Vermögensentwicklung im Wege der ergänzenden Testamentsauslegung entnommen werden kann115. V. Die Freistellungsklausel bei der Einheitsund bei der Trennungslösung Die Befugnis zur Änderung der letztwilligen Verfügung nach dem ersten Todesfall bezieht sich notwendigerweise nur auf die Verfügung des überlebenden Teils, § 2065 BGB116. Haben sich die Gatten – entsprechend der Auslegungsregel des § 2269 I BGB – gegenseitig zu Vollerben und den endbedachten Dritten zum Schlußerben eingesetzt (Einheitslösung), treten weiter keine Schwierigkeiten auf, da die Freistellungsklausel dem überlebenden Teil hier die Befugnis gibt, über seinen (des Überlebenden) Nachlaß zugunsten eines anderen Dritten frei zu verfügen. Problematisch wird es nur, wenn die Ehegatten sich gegenseitig zu Vorerben und den Dritten zum Nach- und Ersatzerben eingesetzt haben (Trennungslösung); die Erbenstellung erwirbt der Dritte ja aufgrund der Verfügung des Erstversterbenden, diese wiederum kann der Überlebende nicht ändern. Das Problem wird richtigerweise bei der Freistellungsklausel dadurch bewältigt, daß die Nacherbenstellung durch den Umstand bedingt ist, daß der Überlebende nicht anderweitig verfügt117. Diese Konstruktion ist nicht unumstritten. Stellenweise wird ihr mit der Begründung entgegengetreten, sie verstoße gegen das in § 2065 BGB niedergelegte Gebot der vollständigen und abschließenden Willensbildung, welches auch für die Nacherbeneinsetzung gälte118. Dieser Einwand überzeugt nicht. Der Sinn und Zweck des Prinzips der materiellen Höchstpersönlichkeit des Testaments kann weder in sachenrechtlichen Zuordnungsinteressen, in Verantwortungsgesichtspunkten oder in dem Familieninteresse, noch in Vorstellungen zur Richtigkeitsgewähr des letztwillig Verfügten, im 115

Dazu nur MünchKomm-Leipold, § 2084 Rn. 56. RG, DNotZ 1932, 348 (Nr. 14); MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 32; RGRK-Johannsen, § 2271 Rn. 31; Soergel-Manfred Wolf, § 2271 Rn. 28. 117 RGZ 95, 278 (279); RG, JW 1925, 2121 (2122 f.); RG, DNotZ 1942, 374 (375); BGHZ 2, 35 (36); 15, 199 (204); 59, 220 (222 f.); BayObLGZ 1965, 457 (463); 1982, 331 (341 f.); KG, DNotZ 1956, 195 (199); OLG Oldenburg, FamRZ 1991, 862 (863); MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 32; Soergel-Manfred Wolf, § 2271 Rn. 27; Soergel-Loritz, § 2065 Rn. 18 ff.; Staud-Otte, § 2065 Rn. 19 ff.; Kipp/Coing, Erbrecht, § 35 III 4 d; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 24 VI 4 b Fn. 175. 118 So MünchKomm-Leipold, § 2065 Rn. 10; v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 1, 141; Brox, FS Bartholomeyczik, 41 (56). BGH, NJW 1981, 2051 (2052), ließ offen, ob an der h. M. festzuhalten sei. 116

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Kap. 3: Die Loslösung von der testamentarischen Bindungswirkung

Schutz des Kernbereichs privatautonomer Entfaltung oder im Rekurs auf Mißbrauchsgefahren gefunden werden; ansonsten wäre nicht begreiflich, wieso das Gesetz eine drittbestimmte Erbeneinsetzung nicht, ein wirtschaftlich funktional äquivalentes, drittbestimmtes, nachlaßaufzehrendes Vermächtnis aber sehr wohl zuläßt119. § 2065 BGB kommt vielmehr die Bestimmung zu, der symbolischen Funktion der Erbenstellung im Rahmen der persönlichen Todesverarbeitung Rechnung zu tragen, da das kulturelle Bewußtsein die Eigenschaft, Erbe von jemandem zu sein, mit etwas Zeichenhaftem: der personalen Verbundenheit mit dem Erblasser, verbindet120. Die teleologische Reichweite des § 2065 BGB ist nach all dem limitiert durch das Verbot, das Symbolische der Erbenstellung nicht zu beschädigen. Es ist nicht ersichtlich, wie dies bei einer auf den Fall, daß der Vorerbe nicht anderweitig verfügt, bedingten Nacherbeneinsetzung geschehen soll. Darüberhinaus ist auch nach den eigenen Kriterien, die die abweichende Meinung an bedingte Nacherbeneinsetzungen anlegt, keine unzulässige Potestativbedingung gegeben. Potestativbedingungen lassen es generell zu, daß die Geltung einer letztwilligen Verfügung (auch einer Erbeneinsetzung) vom Willen eines Dritten abhängig gemacht wird. Die Grenze wird allgemein dort gesehen, wo eine Vertretung im Willen vorliegen würde; Potestativbedingungen sind damit zulässig, wenn der Erblasser seinen Willen vollständig gebildet hat und in die Willensbildung das Bedingungsereignis einbezogen hat121. Es soll „das Ereignis alleingenommen für den Entschluß des Erblassers und seine Vorstellungen Bedeutung haben, nicht lediglich der darin zum Ausdruck kommende Willen des Dritten als solcher“122. So ist es aber auch im strittigen Fall der bedingten Nacherbeneinsetzung. Dies zeigt folgender Vergleich: Eine Potestativbedingung, daß der als Erbe Bedachte nur aus einer ausgewählten Gruppe von Personen sich verheiraten darf, widrigenfalls er seine Bedenkung verliert, wird wohl durchgängig mit Blick auf das Prinzip materieller Höchstpersönlichkeit für zulässig erachtet123. Auch hier hat der Erblasser das Unterlassen eines Rechtsgeschäfts (die Heirat) focussiert und nur auf dieses Ereignis, nicht aber auf den darin 119 Dies kann hier nicht näher vertieft werden, siehe daher nur Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 11 III 3 a. 120 Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 11 III 3 b. 121 Siehe zur Grenze von Potestativbedingungen BGHZ 15, 199 (201 f.); BayObLG, FamRZ 1986, 606 (607); KG, JFG 20, 144, KG, OLGE 43, 394; OLG Hamm, OLGZ 1968, 80 (84); Raape, FS Zitelmann, 1 (18); MünchKomm-Leipold, § 2065 Rn. 5; Soergel-Loritz, § 2065 Rn. 13; RGRK-Johannsen, § 2065 Rn. 7; anders Staud-Otte, § 2065 Rn. 13 ff. 122 MünchKomm-Leipold, § 2065 Rn. 5. 123 Die Zulässigkeit derartiger Zölibatsklauseln wird allenfalls unter dem Gesichtspunkt der Sittenwidrigkeit, nicht unter dem der materiellen Höchstpersönlichkeit diskutiert.

§ 9 Entbindung aus Gründen des Schutzes des Überlebenden

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sich ausdrückenden Willen des Bedachten zum Zölibat seine Vorstellungen ausgerichtet. Der Unterschied zum strittigen Fall besteht allein darin, daß bei der Zölibatsklausel das mißliebige Rechtsgeschäft (die Heirat) kein solches von Todes wegen darstellt. Relevant sein kann dieser Unterschied indes nicht, da die Natur des Rechtsgeschäft des Bedachten, welches von der Bedingung erfaßt wird, ja keinen Bezug zum Telos materieller Höchstpersönlichkeit aufweist. Nach all dem bleibt es dabei: Der Weg der herrschenden Ansicht, über eine Potestativbedingung dem überlebenden Teil einen sachgerechten Gebrauch von einer Freistellungsklausel auch bei der Trennungslösung zu ermöglichen, ist tragfähig.

§ 9 Entbindung aus Gründen des Schutzes des Überlebenden: Die Hauptfälle Bisher war die Rede von der Entbindung des überlebenden Teils, die auf dem gemeinsamen Willen beider Gatten oder zumindest auf dem Willen des Erstverstorbenen fußt. Nunmehr soll die Lösung von der testamentarischen Bindung aus Gründen des wegen einer Entwertung der gemeinschaftlich avisierten Vermögensordnung post mortem erforderlichen Schutzes des überlebenden Teils im Mittelpunkt der weiteren Überlegungen stehen. Im Vordergrund geht es dabei um den Schutz seines Persönlichkeitsrechts, erneut nach dem ersten Todesfall von Todes wegen verfügen zu können. Praktisch relevant sind vor allem die Fallgestaltungen, in denen der Überlebendenschutz avisiert wird, weil ein Vermögensopfer beim überlebenden Ehegatten oder bei einem bedachten Dritten vorliegt (dazu § 9 I) oder weil der Endbedachte weggefallen ist (dazu § 9 II). Er soll zudem dort nicht gebunden sein, wo sein Testierwille schon bei der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments nicht irrtumsfrei gebildet worden ist (dazu § 9 III). Die Fälle des Fehlschlags der von beiden Ehegatten zu Lebzeiten geplanten Vermögensordnung durch untragbare Vermögensrisiken (§ 2271 III BGB) oder aufgrund gewichtiger personaler Gründe (§ 2271 II 2 BGB) bleiben im folgenden außen vor, da sie in der Praxis durchweg keine große Rolle spielen und rechtlich keine größeren Schwierigkeiten aufwerfen. I. Die Loslösung von der Bindung kraft Ausschlagung: Der Fall des § 2271 II 1 HS 2 BGB Die Voraussetzungen, unter denen der überlebenden Teil berechtigt ist, sich gem. § 2271 II 1 HS 2 BGB durch Ausschlagung von seiner Bindung zu entledigen, sind rechtsdogmatisch nicht unumstritten. Sowohl der Gegenstand der Ausschlagung als auch die rechte Person des Ausschlagenden sind Gegenstand heftiger Meinungsverschiedenheiten. Diese Meinungsver-

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Kap. 3: Die Loslösung von der testamentarischen Bindungswirkung

schiedenheiten sind mit ein Spiegelbild jener tiefgreifenden Unsicherheiten, denen sich der Bindungsgrund gemeinschaftlicher Testamente immer noch ausgesetzt sieht124. Mit Blick hierauf sei noch einmal in Erinnerung gerufen, daß nach den Ergebnissen der bisherigen Überlegungen der Bindungsgrund des § 2271 II BGB darin liegt, den erstversterbenden Teil davor zu bewahren, daß seine psychischen Gratifikationen entwertet werden, die er in der gemeinschaftlichen Todesverarbeitung in intim codierter Kommunikation und gegründet auf der Planung der postmortalen Vermögensordnung dem anderen Gatten geleistet hat125. Nun dürfte klar sein, daß die Lösung von der testamentarischen Bindung qua Ausschlagung sich nicht mit der Erwägung rechtfertigen läßt, die Verausgabung psychischer Gratifikationen sei im Falle der Ausschlagung mißlungen. Denn die durch diese Gratifikationen dem überlebenden Teil geleistete Hilfestellung bei seiner eigenen Todesverarbeitung ist ja unzweifelbar nicht davon abhängig, daß dieser das von Todes wegen vom Erstverstorbenen Erworbene ausschlägt. Anders gesagt: Der Erstverstorbene könnte trotz Ausschlagung weiterhin auf einer Bindung des Überlebenden insistieren, da ansonsten seine psychischen Gratifikationen ohne Grund ins Leere gingen. Der Grund für die Lösung von der Bindung im Falle der Ausschlagung kann daher nicht auf der Seite des Erstverstorbenen und damit nicht in einer Entwertung psychischer Gratifikationen gesucht, sondern muß allein in der Person des Überlebenden selbst festgemacht werden. Es gilt also zu prüfen: Warum rechtfertigen es Interessen des Überlebenden, von der testamentarischen Bindung befreit zu werden, wenn eine Ausschlagung des vom Erstverstorbenen Erworbenen gegeben ist? 1. Der Ausschlagungsgegenstand

Heftig umstritten ist, ob der überlebende Teil nur den ihm letztwillig zugewendeten Vermögensvorteil – also das „ihm Zugewendete“ i. S. § 2271 II 1 Hs 2 BGB126 – oder auch eine etwaige gesetzliche Erbenstellung ausschlagen muß, um seine Testierfreiheit durch eine Entledigung von der testamentarischen Bindung wieder zu erlangen. Der Wortlaut gibt augenscheinlich keinen Anhaltspunkt für die Entscheidung dieser Frage, da ja der gesetzliche Erbteil nicht zugewendet ist. Zudem läßt § 1948 I BGB es gerade zu, das testamentarisch Erlangte auszuschlagen, um als gesetzlicher Erbe die Erbschaft anzutreten. Gleichwohl erscheint der Weg, als „lachen124 Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266 (1278), fing dies in folgender treffender Sentenz ein: „wenn man den Grund einer Bindung nicht kennt, kann man über die Voraussetzungen ihrer Auflösung nur rätseln“. 125 Oben § 6 I. 126 Zur Definition siehe nur MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 21.

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der gesetzlicher Erbe“127 das ererbte Vermögen des Erstverstorbenen genießen zu dürfen und gleichzeitig von der Bindungswirkung des § 2271 II 1 BGB befreit zu sein, vielen als anrüchig. Die h. M. verwirft diesen Weg denn auch128. Die Begründungen hierzu sind freilich unterschiedlich. a) Streitstand Stellenweise wird verlangt, der überlebende Teil müsse einen hinreichend erheblichen Nachteil auf sich nehmen, um sich per Ausschlagung von der Bindungswirkung zu befreien; der gesetzliche Erbteil müsse mithin dem Werte nach „wesentlich“ oder „erheblich“ geringer129 sein als der testamentarische130. Gegen diese „Vermögensopfertheorie“ wurde eingewandt131, sie weise dem § 2271 II 1 HS 2 BGB eine Funktion zu, die im allgemeinen Schuldrecht die Vertragsstrafe erfülle; diese beruhe jedoch auf einem erhöhten Mißtrauen der Parteien oder auf einem besonderen Interesse am Erfüllungszwang, was beim gemeinschaftlichen Testament erkennbar nicht der Fall sei. Darüberhinaus sei die Abgrenzung zwischen einem erheblichen und einem unerheblichen Nachteil im Einzelfall zu schwierig, als daß er für § 2271 II 1 HS 2 BGB entscheidend sein dürfte. In der Tat sprechen die Abgrenzungsschwierigkeiten hinsichtlich des rechten Maßes des erwartbaren Vermögensverlusts gegen die Vermögensopfertheorie. Der Vergleich mit der Vertragsstrafe ist jedoch nicht überzeugend. Vielmehr versucht die Vermögensopfertheorie ja nichts anderes, als den Verlust der Vertrauensinvestition beim Erstversterbenden und den Verlust beim Überlebenden zu parallelisieren; letzterer soll nicht an einem Erwerb partizipieren und zugleich das Vertrauen des Erstverstorbenen in den Bestand der Vermögensordnung enttäuschen dürfen. Ist dem so, ist aber zugleich klar, warum die Vermögensopfertheorie nicht überzeugt. Denn mit dem Topos „Vertrauen in den Bestand der Vermögensordnung“ wird ein Gedanke als Problem des § 2271 II 1 HS 2 BGB angesprochen, welcher richtiger Ansicht nach in § 2270 I BGB geregelt ist: Nur § 2270 I BGB widmet sich ja den Folgen der Enttäuschung einstmals gewährten Vertrauens, welches sich allein auf die beidseitig ersonnene Vermögensordnung für die Zeit nach dem ersten und nach dem 127

Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266 (1278). BayObLG 15, 36 (38); KG, NJW-RR 1991, 330 (331); MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 25; Dittmann/Reimann/Bengel-Bengel, § 2271 Rn. 40; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 227; v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 1, 506; Kipp/Coing, Erbrecht, § 35 III 3 b.; angedeutet bei Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 24 VI 3 c b. 129 Beide Zitate bei KG, NJW-RR 1991, 330 (331). 130 So KG, NJW-RR 1991, 330 (331) unter Bezugnahme auf BayObLG, JFG 15, 36 (38); Dittmann/Reimann/Bengel-Bengel, § 2271 Rn. 40; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 227; wohl auch Soergel-Manfred Wolf, § 2271 Rn. 19. 131 Bei Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266 (1278). 128

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zweiten Todesfall bezieht132. § 2271 II 1 BGB hingegen nimmt sich des Austauschs psychischer Gratifikationen in jener Situation an, in der es den Gatten anhand von Vermögenswerten an der gemeinschaftlichen Bewältigung ihres „Seins zum Tode“ in intim codierter Kommunikation ging; diese wiederum sind trotz Ausschlagung nicht entwertet. Das in § 2270 I BGB geschützte Vertrauen des Erstverstorbenen auf Bestand der Vermögensordnung post mortem wird bei einer Ausschlagung nur des testamentarischen Erbteils nicht anders geschützt, als dies der Fall wäre, wenn auch der gesetzliche Erbteil ausgeschlagen würde. Denn egal was der Überlebende ausschlägt, die wechselbezüglichen Verfügungen werden damit noch nicht gem. § 2270 I BGB außer Kraft gesetzt; hierzu ist vielmehr der Widerruf (Widerrufstestament, widersprechendes Testament oder Erbvertrag) des überlebenden Teils erforderlich133. Dies ist auch folgerichtig. Denn der Erstversterbende hätte ja für den Fall der Ausschlagung ohne Widerruf der korrespektiven Verfügung des Überlebenden testamentarisch Vorsorge treffen können, indem er einen Ersatzerben bestimmt hätte – wie dies im übrigen zumeist der Fall ist, wovon noch zu handeln sein wird. Sein Interesse an der rechten Vermögensordnung post mortem wäre dann gewahrt. Hat er keine Regelung vorgesehen, muß er auch die Folgen (Weitergeltung seiner korrespektiven Verfügung) tragen134. Letztendlich fordert die Vermögensopfertheorie einen Vermögensnachteil des Überlebenden, obwohl dessen Persönlichkeitsrecht auch dann schützenswert ist, wenn bei ihm zwar kein derartiger Nachteil, wohl aber die gemeinschaftlich von den beiden Gatten zu Lebzeiten avisierte Vermögensordnung post mortem durch die Ausschlagung zerbrochen ist. Indem die Vermögensopfertheorie ihren Blick zu sehr auf den Schutz des Erstverstorbenen und dessen vermögensbezogene Gratifikationen und nicht auf den Schutz des Überlebenden richtet135, läuft sie ohne weiteres in die soeben skizzierte Falle des § 2270 I BGB: Für den Schutz des Erstverstorbenen ist ein Vermögensopfer des Überlebenden irrelevant, da dessen vermögensbezogenen Gratifikationen allein die testamentarische Bindung nicht generieren. Der Schutz des erstverstorbenen Teils beruht nun einmal nur auf der Verausgabung psychischer Gratifikationen. Die angemessene Lösung gewinnt man erst, wenn die Perspektive gewendet und der Schutz des Überlebenden focussiert wird. Dieser Schutz wiederum setzt schon dann ein, wenn die Vermögensordnung post mortem entwertet ist136. Diese Entwertung kann bei einem Vermögensopfer des Überlebenden 132

Siehe oben § 4 II 3 c. KG, KGJ 48, A 99; OLG Kiel, HEZ 2, 329; Staud-Kanzleiter, § 2271 Rn. 45. 134 Siehe zur Zurechnung der erwartbaren Selbstverantwortungsbeiträge an den Erstverstorbenen oben § 4 II 3 c. 135 Ausdrücklich focussiert etwa das KG, NJW-RR 1991, 330 (331), ausschließlich die Interessen des Erstverstorbenen. 136 Dazu sogleich § 9 I 1 b. 133

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vorliegen; ein Vermögensopfer ist aber für die Entwertung selbst keine notwendige Bedingung. Deshalb überzeugt die Vermögensopfertheorie nicht. Schließlich bleibt unklar, was für den Erstversterbenden mit einer Ausschlagung auch des gesetzlichen Erbteils eigentlich gewonnen wäre. Denn bei Enterbung erhält der überlebende Teil ja entsprechend der güterrechtlichen Lösung des § 1371 II BGB die Ausgleichsforderung aus dem Zugewinn und zusätzlich den kleinen Pflichtteil. Eine erhebliche wirtschaftliche Schlechterstellung und damit ein „Vermögensopfer“ wird damit regelmäßig nicht verbunden sein137. Insgesamt gesehen überzeugt die Vermögensopfertheorie deshalb nicht138. In der Literatur wurde statt des Rekurses auf ein Vermögensopfer vorgeschlagen, den Sinn des § 2271 II 1 HS 2 BGB im Verbot des venire contra factum proprium zu sehen. Der Ehegatte, der das testamentarisch Zugewendete ausschlage und den gesetzlichen Erbteil annehme, verhalte sich untragbar widersprüchlich139. Überzeugend ist dies nicht. Mit der Ausschlagung des testamentarisch Zugewendeten bei Annahme des gesetzlichen Erbteils erhält der Überlebende nicht mehr die Vorteile, die ihm das gemeinschaftliche Testament verschafft hat; vielmehr tritt die Rechtslage ein, die bestünde, wenn überhaupt nicht testiert worden wäre. Wo hier ein Widerspruch im Verhalten sein soll, ist nicht ersichtlich140. Besonders deutlich wird dies, wenn nochmals die Rechtslage betrachtet wird, die bei der Ausschlagung des gesetzlichen Erbteils eintritt. Als Folge einer Ausschlagung tritt nämlich die güterrechtliche Lösung nach § 1371 II BGB ein. Der Überlebende enthält mithin immer einen beachtlichen Vermögensvorteil aus dem Vermögen des Erstversterbenden, womit die Widersprüchlichkeit im Handeln noch weniger einsichtig ist. Schließlich setzt eine Widersprüchlichkeit im Verhalten immer ein Drittes (einen Bezugspunkt) voraus, vor dessen Hintergrund ein Verhalten von einem anderen Verhalten unterschieden und zudem ein Widerspruch im Verhalten ausgemacht werden kann. Nun ist fraglich, auf welchen Bezugspunkt hin der Überlebende, der nur das testamentarisch Ererbte ausschlägt, sich genau widersprüchlich verhalten soll. Ist Bezugspunkt die von beiden Gatten einstmals im gemeinschaftlichen Testament avisierte Vermögensordnung oder die Inanspruchnahme einer gesetzlich ausdrücklich vorgesehenen Option nach § 1948 I BGB? Ist 137

So auch Tiedtke, FamRZ 1991, 1259 (1262). Kritisch auch Battes, Vermögensordnung, 137 ff.; Tiedtke, FamRZ 1991, 1259 (1261 ff.). 139 Musielak, FS Kegel, 433 (449 f.). Auch Tiedtke, FamRZ 1991, 1259 (1262), gründet § 2271 II BGB auf dem venire-Verbot, anerkennt aber im Unterschied zu Musielak nicht, das es verletzt sei, wenn der Überlebende das testamentarische Erbe ausschlage und den gesetzlichen Erbteil annehme. 140 Tiedtke, FamRZ 1991, 1259 (1262). 138

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letzteres der Fall, scheidet ein widersprüchliches Verhalten aus, da ein solches nicht vorliegt, wenn ein Verhalten gesetzlich erlaubt ist141. Hieran ändert sich auch dann nichts, wenn die gesetzliche Erlaubnis des § 1948 I BGB – wie stellenweise vorgetragen142 – selbst als fragwürdig angesehen wird143, da Fragwürdigkeiten der Norm ihre verfassungsrechtliche Gültigkeit ja nicht untergraben können. Als Bezugspunkt der Widersprüchlichkeit kommt mithin nur die gemeinschaftlich projektierte Vermögensordnung in Betracht. Doch wo sollte hier ein widersprüchliches Verhalten zu sehen sein? Haben die Ehegatten die Vermögensordnung so aufgefaßt, daß der Überlebende nur etwas erhalten soll, wenn die gemeinsame Nachlaßregelung Bestand hat, so nehmen die Vertreter der venire-Lösung im Zweifel eine auf den Fall bedingte Enterbung durch den Erstversterbenden an, daß der Überlebende seine von der Verfügung des Erstverstorbenen abhängige Verfügung nach Ausschlagung widerruft144. Der Überlebende enthält dann nichts aus dem Nachlaß des Erstverstorbenen; die Frage des widersprüchlichen Verhaltens stellt sich schon nicht. Haben die Ehegatten hingegen nicht vorgesehen, daß der überlebende Teil nur etwas um des Bestands der gemeinsamen Vermögensordnung willen erhalten soll, scheidet nicht nur eine bedingte Enterbung aus. Es ist auch kein widersprüchliches Verhalten mehr ersichtlich, da die Ehegatten den Fall der Ausschlagung des testamentarischen bei Annahme des gesetzlichen Erbteils gerade nicht geregelt haben. Hinsichtlich des venire-Verbots liegen die Dinge dann klar: Man kann sich nicht widersprüchlich zu etwas verhalten, wenn ein Bezugspunkt der Widersprüchlichkeit nicht ersichtlich ist. Die „venire-Lösung“ muß mithin ausscheiden. Andere setzen am Begriff des „ihm Zugewendeten“ in § 2271 II 1 HS 2 BGB an. Danach ist in diesem Sinne zugewandt nicht nur der testamentarische Erbteil, sondern auch dasjenige, was der Erstversterbende dem Überlebenden „nicht durch Enterbung vorenthalten hat“145. Der Überlebende würde mithin nicht das ihm Zugewendete ausschlagen, wenn er nicht auch den gesetzlichen Erbteil abweist. Begründet wird dies damit, daß dem Überlebenden nicht das Risiko abgenommen werden dürfe, das er einginge, wenn er seine Verfügungen zu Lebzeiten beider Gatten widerrufe. Dieses Risiko wäre die Enterbung durch den anderen Teil. Würde mithin die Zuwendung i. S. § 2271 II 1 HS 2 BGB nicht auch die fehlende Enterbung beinhalten, könnte der Überlebende sich des Enterbungsrisikos zu Lebzeiten 141

Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266 (1278). Bei MünchKomm-Leipold, § 1948 Rn. 2; Staud-Otte, § 1948 Rn. 5; Holzhauer, Erbrechtliche Untersuchungen, 144 f. 143 Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266 (1278 f.). 144 Musielak, FS Kegel, 433 (448). 145 Staud-Otte, § 1948 Rn. 12. 142

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des Erstversterbenden entziehen und gleichwohl das Vermögen des anderen Teils entsprechend dem gesetzlichen Erbrecht nach dem ersten Todesfall erhalten. Darüberhinaus hätte diese Lösung des Ausschlagungsproblems auch den Gedanken der Rechtssicherheit für sich146. Die Lösung überzeugt nicht. Pfeiffer147 hat zu Recht darauf hingewiesen, daß gegen sie schon § 2270 III BGB spricht, der abschließend148 die Verfügungen nennt, die im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit stehen können. Die Nichtenterbung zählt nicht dazu – und zwar schon deshalb, weil sie (anders als die Enterbung, siehe § 1938 BGB) gar keine Verfügung darstellt. Da sie nicht unter § 2270 BGB fällt, gilt für sie aber auch nicht § 2271 II BGB. Zudem überzeugt das Risiko-Argument nicht recht. Denn hinsichtlich der vermögensbezogenen Vertrauensbeiträge könnte jeder der beiden Gatten zu Lebzeiten durch eine auf den Fall bedingte Verfügung Vorsorge treffen, daß der Überlebende das ihm testamentarisch Zugewandte ausschlägt. Daß ein Ehegatte dies unterläßt, weil er dem anderen Teil nicht mißtraut, entlastet ihn als selbstverantwortliche Rechtsperson nicht, da ja eine Überwälzung der Selbstverantwortung auf den anderen Gatten nicht statthaft ist, solange es die Regelung des § 2270 I BGB gibt149. Nochmals sei darauf hingewiesen, daß § 2271 II BGB gar nicht den Schutz desjenigen Vertrauens regelt, welches der Erstverstorbene hinsichtlich der postmortalen Vermögensordnung in das gemeinschaftliche Testament investiert hat; sedes materiae dieses Schutzes ist allein § 2270 I BGB. Auch die an § 2271 II 1 HS 2 BGB im Wege der Auslegung des Begriff des „Zugewendeten“ ansetzende Lösung kann mithin dahin gestellt bleiben. Ein anderer Vorschlag geht dahin, für § 2271 II 1 HS 2 BGB zwar eine Ausschlagung des testamentarisch Zugewandten hinreichen zu lassen. Es wäre für diesen Fall aber im Zweifel als Auslegungsregel davon auszugehen, daß das gemeinschaftliche Testament insofern eine bedingte Enterbung enthalte150. Eine derartige bedingte Enterbung kann verfügt sein, wenn das gemeinschaftliche Testament sich so auslegen läßt151. Ob das Testament so ausgelegt werden kann, ist aber eine für den Einzelfall zu entscheidende Frage, die nicht über die vorgeschlagene Auslegungsregel vorentschieden werden darf152. Bei Lichte betrachtet würde dem Erstversterbenden die je146

Zur Argumentation siehe Staud-Otte, § 1948 Rn. 12. Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266 (1279). 148 Soergel-Manfred Wolf, § 2270 Rn. 14. 149 Dazu ausführlich oben § 4 II 3 c. 150 MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 25; ders., FS Kegel, 433 (448); Holzhauer, Erbrechtliche Untersuchungen, 136 f. 151 Hierüber dürfte Einvernehmen herrschen, Soergel-Manfred Wolf, § 2271 Rn. 19; Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266 (1279); Tiedtke, FamRZ 1991, 1259 (1264). 152 Palandt-Edenhofer, § 2271 Rn. 17; Staud-Kanzleiter, § 2271 Rn. 43; Tiedtke, FamRZ 1991, 1259 (1264 f.); Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266 (1279). 147

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dem Ehegatten zukommende Selbstverantwortung, für den Fall der Ausschlagung durch eine bedingte Verfügung Vorsorge zu treffen153, durch die Auslegungsregel abgenommen. Dies wäre nur dann möglich, wenn die Wahrscheinlichkeit des der Auslegungsregel zugrundeliegenden (hypothetischen) Willens größer wäre als eine andere Auslegung154. Ansonsten wird eine Auslegungsregel zur nicht hinnehmbaren Fiktion. Für den typischen Fall der nicht zerrütteten Ehe ist es aber zweifelhaft, in der Regel davon auszugehen, die Gatten hätten sich zum gemeinschaftlichen Testament erst durch den wirtschaftlichen Druck einer Enterbung motivieren lassen155. Würde von einem derartigen Nexus zwischen Motivation und wirtschaftlichem Vorteil als Normalfall ausgegangen, würde man dem Ehegattentestament genau dasjenige den do-ut-des-Vorstellungen der schuldrechtlichen Vertragslehren verpflichtete Leitbild anempfehlen, das oben aus guten Gründen verworfen worden ist156. Es ist daher zweifelhaft, ob eine Ausschlagung des testamentarischen Erwerbs für den Erstverstorbenen Anlaß gewesen wäre, den überlebenden Teil zu enterben157. Menschliche Enttäuschungen dürften hier hochwahrscheinlich sein, erbrechtlich einschneidende Folgen eher nicht. Zudem bleibt auch hier wieder unklar, was für den Erstversterbenden mit einer bedingten Enterbung gewonnen wäre, da dem Ehegatten ja die güterrechtliche Lösung des § 1371 II BGB weiterhin offen bleibt und er sich demgemäß nicht ohne weiteres wirtschaftlich schlechter gestellt sehen muß als bei Eintritt der gesetzlichen Erbfolge158. Schließlich würde bei der Annahme einer Auslegungsregel übersehen, daß damit den korrespektiven Verfügungen eines gemeinschaftlichen Testaments über dem Weg der Auslegung eine Bindungswirkung angesonnen wird, die diesen nicht zukommt. Die Bindung, welche durch § 2271 II 1 BGB statuiert wird, ist eine schwache Bindung. Sie ist nicht durch ein Vertrauen auf die Festigkeit einstmals gewährter Vermögensdispositionen gerechtfertigt, sondern durch die psychische Gratifikation des anderen Teils im Moment gemeinschaftlicher Todesverarbeitung159. Möchten sich die Ehegatten stärker binden, müssen sie sich des Instituts des Erbvertrags bedienen160. Nach all dem scheidet auch der Weg über die erbrechtliche Auslegungsregel „im Zweifel bedingte Enterbung“ als Problembewältigung aus. 153

Zu dieser Selbstverantwortung siehe nochmals oben § 4 II 3 c. Dazu oben § 6 III 1 a; sowie Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 11 II 1 c dd. 155 Tiedtke, FamRZ 1991, 1259 (1264); Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266 (1279). 156 Siehe oben § 4 II 1. 157 So auch Tiedtke, FamRZ 1991, 1259 (1264); Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266 (1279). 158 Hierauf weist zu Recht Tiedtke, FamRZ 1991, 1259 (1264), hin. 159 Oben § 6 I. 160 So im Ergebnis auch Tiedtke, FanmRZ 1991, 1259 (1265). 154

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b) Eigene Lösung Wie hinsichtlich des Ausschlagungsgegenstands zu entscheiden ist, ergeben folgende Überlegungen: Die Ausschlagung des ihm Zugewendeten kann dem von Todes wegen Bedachten sinnvollerweise nicht verwehrt werden. Denn der Eintritt in die volle erbrechtliche Rechts- und Pflichtenstellung soll auch dem von seinem Ehegatten testamentarisch bedachten überlebenden Teil nicht gegen seinen Willen aufgedrängt werden. Wichtig ist dieser „Aufdrängungsschutz“ ja schon deshalb, weil der Umfang oder die Art der seit dem gemeinschaftlichen Testieren mittlerweile erworbenen Passiva zur Ausschlagung drängen können. Zudem können sich aus dem Verhältnis zum Erstverstorbenen oder zu den Ersatzerben Gründe für eine Ausschlagung ergeben haben161. Schließlich wäre es mit dem Willensprinzip nicht vereinbar, einer Zuwendung, der man zuvor nicht zugestimmt hat, ohne jede Gegenwehr entgegensehen zu müssen. Das Gesetz hat auf diese Interessenlage mit der Regelung der §§ 1942 I, 1948 I BGB reagiert. Mit Blick auf diese Erwägungen sollte § 2271 II 1 HS 2 BGB als eine Schutzvorschrift zugunsten des Überlebenden interpretiert werden. Da es um die Wiedergewinnung seiner Testierfreiheit geht, hieße dies nichts anderes, als daß sich § 2271 II 1 HS 2 BGB den Schutz des Persönlichkeitsrechts des überlebenden Teil anzunehmen gedenkt. Ein derartiger Persönlichkeitsschutz ist auch einsichtig. Denn mit der Ausschlagung fällt die dem Überlebenden vom erstverstorbenen Teil gewährte Auszeichnung gegenüber der Sozietät fort, er (der Überlebende) spiele im Rahmen der letztwilligen Ausprägung seines (des Erstverstorbenen) „Seins zum Tode“ eine gewichtige Rolle, da er ja von Todes wegen bedacht worden sei. Darüberhinaus findet ein ersatzloser Fortfall statt, da das gesetzliche Erbrecht ja nichts darüber aussagt, ob der Überlebende irgendeine Rolle im „Sein zum Tode“ des Erstverstorbenen gespielt hatte. Die gemeinschaftlich von beiden Gatten avisierte Vermögensordnung post mortem ist mit der Ausschlagung deshalb zerfallen. Wenn die per Bedenkung ins Werk gesetzte Auszeichnung des Überlebenden durch den vorverstorbenen Teil mithin entfällt, wäre aber nicht mehr einsichtig, warum der Überlebende auch für die Zukunft die Endbedachten in genau der Weise weiterhin ausgezeichnet lassen und den symbolischen Gehalt der Bedenkung weiterhin der Sozietät adressieren muß162, wie dies vor der Ausschlagung der Überlebende hinsichtlich des Vorverstorbenen an den Tag gelegt hat. In personfunktionaler Diktion gesagt: Der Sinn der Testierfreiheit liegt darin, dem Erblasser die Gelegenheit zu verschaffen, einen besonders wirkungsvollen, nämlich mit 161

Siehe allg. nur Staud-Otte, § 1942 Rn. 1. Nämlich durch die Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament, wenn die Testierfreiheit weiterhin gebunden wäre. 162

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Kap. 3: Die Loslösung von der testamentarischen Bindungswirkung

dem Vermögen geführten Schlag163 gegen die auf ihn einströmenden funktionalen Imperative der gesellschaftlichen Subsysteme zu führen, um damit dasjenige Maß an freiheitssichernder Distanz zum traditierten Ethos sozialer Sitten und überkommener Gebräuche zu gewinnen, welches die Chancen zur Ausprägung des je eigenen Selbst bemerkenswert erhöht. Warum soll dem überlebenden Erblasser die Gelegenheit für einen erneuten Schlag genommen werden, wenn der von dem Erstverstorbenen seinerseits ins Werk gesetzte Schlag (die Bedenkung des Überlebenden und der Endbedachten) zumindest teilweise wirkungslos wird, weil der Überlebende ausgeschlagen hat? Der Vorverstorbene darf nach all dem eine weitere Bindung schlechterdings nicht vom anderen Teil erwarten, wenn er (der Vorverstorbene) erwartet muß, daß der Überlebende ausschlagen darf. Das Ausschlagen selbst wiederum darf dem überlebenden Teil – und zwar ganz unabhängig von den Erwartungen des Erstverstorbenen – aus allgemeinen Gründen des Willensschutzes nicht verwehrt werden. Ist dem so, kann der Erstverstorbene nicht mehr davon ausgehen, der Überlebende sei weiterhin gebunden. § 2271 II 1 HS 2 BGB zeichnet genau dieses normative Erwartendürfen nach. Mithin reicht es aus, daß der Überlebende nur das ihm Zugewendete, nicht aber den gesetzlichen Erbteil ausschlägt. Bei dieser Lösung wird der Erstverstorbene hinreichend geschützt. Denn die testamentarische Bindung schützt nicht das Vertrauen des Erstversterbenden, daß seine auf den Todesfall getroffenen Vermögensdispositionen nicht entwertet werden164. Sedes materiae dieses Schutzes ist vielmehr – dies war das Ergebnis der Überlegungen zum Bindungsgrund korrespektiver Verfügungen165 – allein § 2270 I BGB. Für den Erstverstorbene ist damit gesichert, daß seine Vermögensdispositionen im Fall der Fälle wieder zurückgeholt werden können. Daß § 2271 II 1 HS 2 BGB als Schutzvorschrift zugunsten des Überlebenden verstanden werden muß, zeigt auch die Erwägung, daß der Erstverstorbene im Falle der Ausschlagung selbst dann nicht mehr erwarten darf, wenn er nach den allgemeinen Grundsätzen der testamentarischen Bindung tatsächlich erwartet hat – und zwar aus dem Blickwinkel des § 2271 II 1 HS 1 BGB eigentlich zu Recht erwartet hat, weil die psychischen Gratifika163

Aus diesem Rekurs auf das Vermögen folgt nicht etwa, daß nunmehr nicht mehr persönlichkeitsrechtlich, sondern vermögensrechtlich argumentiert wird. Denn das gewillkürte Erbrecht zeichnet sich ja gerade dadurch aus, daß es mit einem Segment, welches gemeinhin dem Vermögensrecht zugeordnet wird, persönlichkeitsrechtliche Wirkungen entfaltet. Das Vermögen ist das – aufgrund des Todes des Testierenden notwendige – Mittel zum Schutz des Persönlichkeitsrechts des von Todes wegen Verfügenden, siehe dazu oben § 2 I sowie Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 9 IV 1, 2. 164 Siehe hierzu nochmals oben § 4 II 3 c. 165 Oben § 4 II 3 c, § 5 III 2 b.

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tionen, welche dem anderen Teil im Zeitpunkt des gemeinschaftlichen Testierens für die Todesverarbeitung in intim codierter Kommunikation durch den Erstverstorbenen geleistet worden sind, ungeachtet der Ausschlagung immer noch verausgabt sein können, so daß aus Sicht der Erstverstorbenen trotz Ausschlagung eine Befreiung von der Bindung eigentlich nicht in Frage käme. Da der Überlebende bei Ausschlagung gleichwohl frei wird, kann dies somit nur an dem Schutz seiner Testierfreiheit liegen. Nach all dem reicht es für die Lösung von der testamentarischen Bindung hin, daß der überlebende Teil nur das testamentarisch Zugewandte, nicht aber den gesetzlichen Erbteil ausschlägt. Ob das bisher diskutierte Problem, ob auch der gesetzliche Erbteil ausgeschlagen werden muß, überhaupt in vielen Fällen praktisch relevant sein wird, ist durchaus fraglich166. Haben die Ehegatten die Trennungslösung gewählt und sich somit gegenseitig zu Vorerben und den Dritten zum Nacherben eingesetzt, führt die Ausschlagung der Vorerbenstellung i. S. § 1953 BGB grundsätzlich nicht zur gesetzlichen Erbfolge des Überlebenden, weil der Dritte als Nacherbe im Zweifel auch als Ersatzerbe des Vorerben nach § 2096 BGB eingesetzt ist, § 2102 I BGB. Im Fall der Einheitslösung des Berliner Testaments gilt gleiches, da der Schlußerbe auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung in der Regel zugleich Ersatzerbe ist167. Ist Dritter das gemeinschaftliche Kind, ist sowohl in der Trennungs- als auch in der Einheitslösung dessen Einsetzung nicht jeweils korrespektiv zueinander168. Verfügt der Überlebende nach der Ausschlagung mithin zu Lasten des gemeinschaftlichen Kindes, wird dessen Bedenkung durch den Vorverstorbenen nicht gem. § 2270 I BGB unwirksam; damit ist dessen Ersatzerbenstellung zugleich nicht berührt. Schlägt der Weg über die Ersatzerbschaft freilich aus welchen Gründen auch immer fehl, tritt nach der Ausschlagung gem. § 2271 II 1 HS 2 BGB gesetzliche Erbfolge nach dem Erstversterbenden ein. Ein Beispiel kann dies verdeutlichen. Gesetzt den Fall, als Endbedachte seien vom Erstverstorbenen E der dem Überlebenden Ü nahestehende A und umgekehrt von Ü der dem E nahestehende B eingesetzt. Die Einsetzung des A durch den E und des B durch den Ü stehen im Zweifel im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit, § 2270 II BGB. Schlägt Ü nach dem ersten Todesfall aus und testiert zugunsten eines Dritten zu Lasten des B neu, wird die im Zweifel erfolgte Einsetzung des A als Ersatzerbe des Ü nach § 2270 I BGB unwirksam. Es tritt dann gesetzliche Erbfolge zugunsten des Ü ein. 166

Dazu Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266 (1280). KG, OLGZ 1987, 1 (5); Dittmann/Reimann/Bengel-Bengel, § 2269 Rn. 32; Staud-Kanzleiter, § 2269 Rn. 18; Soergel-Manfred Wolf, § 2269 Rn. 4. 168 Siehe oben § 6 III 3 a. 167

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Kap. 3: Die Loslösung von der testamentarischen Bindungswirkung 2. Die Person des Ausschlagenden

a) Die ausschließliche Bedenkung eines Dritten Ob die Ausschlagung des erbrechtlichen Erwerbs den Überlebenden von der testamentarischen Bindung befreit, ist fraglich, wenn der erstverstorbene Ehegatte wechselbezüglich nicht den anderen Teil, sondern einen Dritten bedacht hat. Hier kann der überlebende Ehegatte nichts ausschlagen, da er nichts erlangt hat. Ob er gleichwohl gebunden bleibt, wenn der Dritte ausschlägt, ist umstritten. Herrschend wird davon ausgegangen, die Ausschlagung durch den Dritten löse den Überlebenden nicht von der testamentarischen Bindung169; der überlebende Teil sei auf das Anfechtungsrecht zu verweisen170. Andere werten – stellenweise beschränkt auf den Fall, daß der Dritte mit dem Überlebenden verwandt ist oder ihm sonst nahesteht171 – umgekehrt und lassen analog § 2271 II 1 HS 2 BGB172 eine Lösung von der Bindung zu173. Die h. M. überzeugt nicht. Ihr tragendes Argument lautet, beim überlebenden Gatten läge kein Vermögensopfer vor, welches das der Korrespektivität zugrundeliegende Gegenseitigkeitsverhältnis zerstöre174; zudem sei die Ausschlagung durch den Dritten dem in § 2271 II 1 HS 2 BGB avisierten Fall nicht gleichwertig, weil dem Dritten anders als dem Ehegatten der Vorwurf eines widersprüchlichen Verhaltens nicht gemacht werden könne175. Durchschlagend ist diese Erwägung indes nicht. Schon bei der Diskussion der Frage, ob der Überlebende auch das gesetzliche Erbrecht ausschlagen muß, wurde gezeigt, daß weder der Gedanke des Vermögensopfers, noch der des Verbots eines widersprüchlichen Verhaltens erklärt, warum sich der Überlebende gem. § 2271 II 1 HS 2 BGB von der Bindung per Ausschlagung lösen kann. Die Lösung gewinnt man auch hier wieder aus dem vor kurzem skizzierten Telos des § 2271 II 1 HS 2 BGB als Schutzvorschrift zugunsten des 169 Dittmann/Reimann/Bengel-Bengel, § 2271 Rn. 38; Erman-Schmidt, § 2271 Rn. 12; MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 23; ders., FS Kegel, 433 (443 ff.); Palandt-Edenhofer, § 2271 Rn. 12; RGRK-Johannsen, § 2271 Rn. 26; Staud-Kanzleiter, § 2271 Rn. 40; v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 1, 506 f.; Schlüter, Erbrecht, Rn. 367; Kegel, FS Jahrreiß, 141 (151). 170 MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 23; Schlüter, Erbrecht, Rn. 367. 171 Battes, Vermögensordnung, 139; Brox, Erbrecht, Rn. 192; Kipp/Coing, Erbrecht, § 35 III 3 b; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 227; im Ergebnis, nicht jedoch in der dogmatischen Diktion auch Pfeiffer, FamRZ 1991, 1266 (1280 mit Fn. 159). 172 Ebenroth, Erbrecht, Rn. 227. 173 Soergel-Manfred Wolf, § 2271 Rn. 20; Pfeiffer, FamRZ 1991, 1266 (1280). 174 Schlüter, Erbrecht, Rn. 367. 175 So MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 23; ders., FS Kegel, 433 (444 f.).

§ 9 Entbindung aus Gründen des Schutzes des Überlebenden

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Überlebenden. Der Grund für die Entbindung des Überlebenden bestand darin, daß der Erstverstorbene nicht erwarten darf, der Überlebende wäre weiterhin gebunden, obwohl die zu seiner Bindung führende korrespektive Verfügung des Erstverstorbenen wegen der Ausschlagung weggefallen ist. Begründet wurde dies damit, die Auszeichnung des Überlebenden als Erbe sei entfallen, so daß nicht einsichtig wäre, warum der Überlebende in jener Situation die Endbedachten weiterhin zwingend als seine Erben auszeichnen müsse, in der die Vermögensordnung post mortem, in der das vom Erstverstorbene entfaltete „Sein zum Tode“ sich kristallisiert hat, wegen der Ausschlagung entwertet worden ist176. Es spielt demnach keine Rolle, ob die korrespektive Bedenkung dem anderen Teil oder einem Dritten zuteil geworden ist, da dies den erforderlichen Schutz des Überlebenden ja nicht relevant berührt. An dem normativen Erwartendürfen des Erstverstorbenen ändert sich mithin nichts, wenn nur ein Dritter korrespektiv bedacht worden ist. Schlägt dieser aus, gehört der überlebende Teil von der Bindung befreit. Dies zeigt sich auch daran, daß nach h. M. ja auch der zu Lebzeiten des Überlebenden erfolgende ersatzlose Wegfall des korrespektiv endbedachten Dritten zu einer Lösung von der Bindung führt177. Auch hier kann der Vorverstorbene nicht erwarten, der Überlebende bliebe weiterhin gebunden. Wieso hier also eine Loslösung eintritt, im Fall der Ausschlagung durch einen korrespektiv bedachten Dritten hingegen nicht, muß der h. M. unerfindlich bleiben. Auch die Vermeidung eines Wertungswiderspruchs spricht mithin dafür, die Ausschlagung des Dritten mit einer Lösung von der Bindung beim Überlebenden zu koppeln178. Nach all dem kann es auch nicht darauf ankommen, ob der Destinator der wechselbezüglichen Verfügung dem überlebenden Teil nahestand oder mit ihm verwandt ist. Allerdings wird in diesen Fällen Anlaß sein, das Vorliegen der Korrespektivität besonders eingehend zu untersuchen179. b) Die Bedenkung des überlebenden Gatten und eines Dritten aa) Diskussionslage Sind sowohl der überlebende Ehegatte als auch ein Dritter bedacht, ist strittig, ob nur der Ehegatte180 oder neben diesem auch der Dritte181 aus176

Siehe oben § 9 I 1 b. Siehe nur MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 20; Staud-Kanzleiter, § 2271 Rn. 37. 178 So auch Pfeiffer, FamRZ 1991, 1266 (1280). 179 Pfeiffer, FamRZ 1991, 1266 (1280 Fn. 159), verneint für den Regelfall das Vorliegen der Wechselbezüglichkeit, wenn ein dem überlebenden Teil nicht verwandter oder ihm nicht nahestehender Dritter bedacht worden ist. 177

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Kap. 3: Die Loslösung von der testamentarischen Bindungswirkung

schlagen muß oder auch unter Umständen nur der Dritte182 ausschlagen kann, damit der Überlebende seine Testierfreiheit wiedergewinnt. Für die Ansicht, die Ausschlagung des Ehegatten reiche zur Wiedergewinnung von dessen Testierfreiheit hin, wird als weitgehend einziges Argument vorgetragen, daß es auf das Verhalten des endbedachten Dritten für § 2271 II 1 HS 2 BGB überhaupt nicht ankäme, da diese Regelung auf dem Verbot eines venire contra factum proprium des überlebenden Teils beruhe, welches für den Dritten ersichtlich ohne Belang sei183. Überzeugend ist dies nicht, da das venire-Verbot ja die Ausschlagungsregelung des § 2271 II 1 HS 2 BGB nicht erklären kann184. Die Diskussionslage ist ansonsten merkwürdig unklar, was sich etwa an Argumenten zeigt, die Ausschlagung des Dritten und des Ehegatten sei insgesamt „am ehesten überzeugend“185. Das Problem muß deshalb grundlegend aufgerollt werden. Dabei kann es sinnvollerweise nur um die Ausschlagung eines Dritten gehen, der im Interesse des Überlebenden vom Erstverstorbenen zu dessen Erben eingesetzt worden ist, der also dem Erstverstorbenen beispielsweise nahestand. Denn die Ansicht, auch der vom erstverstorbenen Teil in seinem eigenen Interesse eingesetzte Dritte müsse ausschlagen, damit der Überlebende seine Testierfreiheit wiedergewinnt, wäre ja ungereimt. Sie würde letztlich dazu führen, daß der Erwartungsschutz des Erstverstorbenen aufgrund § 2271 II 1 HS 2 BGB nur aufgehoben wäre, wenn auch der vom Erstverstorbenen in seinem Interesse eingesetzte Dritte seine Bedenkung verliert; dies liegt erkennbar nicht im Erwartungsbereich des Erstverstorbenen. Fraglich ist mithin nur, ob der Dritte ausschlagen muß, welcher vom Erstverstorbenen eingesetzt worden ist, weil der Überlebende seinerseits so und so testiert hat – wobei dieses „so und so“ oftmals darin bestehen wird, daß der Überlebende einen Dritten bedacht hat, dessen Bedenkung dem Erstverstorbenen am Herzen lag. Die sachgerechte Problemlösung kann anhand von Beispielen186 plastisch gemacht werden. Dabei sollen jeweils drei Lösungen unterschieden werden: Nach der Lösung 1 reicht es zur Wiedergewinnung der Testierfreiheit des Überlebenden hin, daß dieser ausschlägt, nach der Lösung 2 muß nur der endbedachte Dritte, der in dem gerade beschriebenen Sinn im Interesse des Überlebenden vom Erstverstorbenen ein180 So Dittmann/Reimann/Bengel-Bengel, § 2271 Rn. 39; Erman-Schmidt, § 2271 Rn. 12; MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 24; ders., FS Kegel, 433 (445 f.); Staud-Kanzleiter, § 2271 Rn. 41; Plack-Greiff, § 2271 Anm. IV 1 b y. 181 So Palandt-Edenhofer, § 2271 Rn. 17; Soergel-Manfred Wolf, § 2271 Rn. 20. 182 So Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266 (1280 f.). 183 Musielak, FS Kegel, 433 (445 f.). 184 Dazu siehe oben § 9 I 1 a, 2 a. 185 So Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266 (1280). 186 Dazu auch Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266 (1280).

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gesetzt worden ist, ausschlagen, und bei der Lösung 3 müssen beide, der überlebende Teil und der Dritte, ausschlagen. Diese Lösungen werden hier nicht anhand von Fallgestaltungen untersucht, bei denen der Dritte neben dem überlebenden Ehegatten etwa zur Hälfte als Erbe bestellt worden ist, sondern anhand der Bedenkung des Ehegatten mit der Bedenkung eines Dritten als dessen Schluß- und Ersatzerbe oder anhand der Bedenkung des Dritten als Nacherbe des Vorverstorbenen. Dies dürften die praktisch einschlägigeren Fälle darstellen187. bb) Die Rechtslage bei der Trennungslösung Gesetzt den Fall, die Ehegatten haben sich – wie bei der Trennungslösung – als Vorerben sowie eine dem erstversterbenden Teil nahestehende Person A und eine dem überlebenden Teil nahestehende Person B je zur Hälfte als Nacherben (und deshalb in der Regel auch als Ersatzerben) eingesetzt. Ceteris paribus ergäbe die Auslegung, daß wechselseitig zum einen die gegenseitigen Vorerbeneinsetzungen je zueinander und zum anderen die Nacherbeneinsetzungen je zueinander sind, nicht aber die Einsetzungen der Ehegatten jeweils zu der Einsetzung des A oder des B. In einer Abwandlung sei Wechselbezüglichkeit jeder der Verfügungen untereinander gegeben. Wie steht es mit dem Grundfall? Lösung 1: Würde die Ausschlagung des Längstlebenden zur Entbindung nach § 2271 II 1 HS 2 BGB hinreichen, würde im Falle der Ausschlagung A und B hälftige Ersatzerben nach dem Erstverstorbenen, §§ 1953 I, II, 2102 I BGB. Testiert der Überlebende (etwa zu Lasten von A) neu, wird die korrespektive Verfügung des Erstversterbenden zugunsten des B in diesem Zeitpunkt unwirksam, § 2270 I BGB. A würde mit der Errichtung des neuen Testaments des Überlebenden alleiniger Ersatzerbe des Erstverstorbenen. Lösung 2: Falls B die Nacherbschaft nach dem erstverstorbenen Teil ausschläge und falls schon allein diese Ausschlagung dem Überlebenden seine Testierfreiheit wiederverschaffte, wird A alleiniger Ersatznacherbe des Erstverstorbenen, da das in § 2094 BGB niedergelegte Anwachsungsrecht des A dem Anrecht des Vorerben aus § 2142 II BGB vorgeht188. Testiert der Überlebende nun zu Lasten des A neu, verschlägt dies nicht, da die Einsetzung des Überlebenden zum Vorerben des Erstverstorbenen im Grundfall nicht gem. § 2270 I BGB unwirksam wird, da diese Verfügung nicht korrespektiv ist zur Bedenkung des A durch den Überlebenden. Im Grundfall könnte bei der Lösung 2 mithin die einzige Folge der neuen Verfügung des Überlebenden die Unwirk187

Ebenso Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266 (1280). RG, Recht 1916 Nr. 488; BayObLG, FamRZ 1962, 538 (539); MünchKommGrunsky, § 2142 Rn. 5; Soergel-Harder, § 2142 Rn. 5; Staud-Behrends/Avenarius, § 2142 Rn. 7. 188

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samkeit der Bedenkung des B durch den Erstverstorbenen nach § 2270 I BGB sein; diese ist aber durch die Ausschlagung sowieso schon weggefallen. Die Vollerbschaft nach dem Erstverstorbenen erwirbt A also erst im Nacherbfall (Tod des Überlebenden). Lösung 3: Schlagen hingegen sowohl der Überlebende als auch der endbedachte B aus und reicht nur dies zur Wiedergewinnung der Testierfreiheit des Überlebenden hin, tritt A als Ersatzerbe des Erstverstorbenen dessen Vollerbschaft mit dessen Tode an, §§ 1953 I, II, 2094, 2102 I BGB. Die Ergebnisse sind mithin fast die gleichen wie bei der o. g. ersten Lösung; nur wird A auch dann alleiniger Ersatzerbe nach dem Erstverstorbenen, wenn der Überlebende nicht neu zu seinen Lasten testiert, zudem wird er alleiniger Ersatzerbe schon im Zeitpunkt des Todes des Erstverstorbenen und nicht erst im Zeitpunkt des Neutestierens des Überlebenden. Hieraus wird zugleich deutlich, warum eine Ausschlagung auch des Dritten neben dem Überlebenden nicht erforderlich sein kann, damit letzterer seine Testierfreiheit wiedergewinnt: Die Schlußerben A und B sind zugleich im Zweifel auch Ersatzerben des Erstverstorbenen189. Müßte auch der Dritte ausschlagen, wäre dies nur einsichtig, wenn die Erwartungen des Erstverstorbenen typischerweise darauf gerichet sind, daß (i) der A „automatisch“ (also ohne widersprechende Zweitverfügung des überlebenden Teils) die alleinige Ersatzerbschaft erhält und (ii) er nicht nur „automatisch“, sondern schon im Todeszeitpunkt des Erstversterbenden (und nicht erst mit der Errichtung eines weiteren Testaments durch den überlebenden Teil) dessen Alleinersatzerbe werden soll. Für derartige Erwartungen ist aber nichts ersichtlich. Ist dem so, verschlägt es für den Erwartungsschutz des Erstverstorbenen nichts, wenn nur der überlebende Teil, nicht aber der Dritte ausschlägt. Der praktische Unterschied zwischen der ersten und der zweiten Lösung besteht mithin zum einen im Zeitpunkt des Erwerbs der Vollerbschaft nach dem Erstverstorbenen. Während der Erwerb bei der ersten Lösung schon im Zeitpunkt der Errichtung des neuen Testaments durch den Überlebenden erfolgt, ist dies bei der zweiten Lösung erst im Zeitpunkt des Todes des Überlebenden der Fall. Zum anderen sind bei der ersten Lösung A und B schon im Zeitpunkt des Todes des Erstverstorbenen dessen Erben geworden, während bei der zweiten Lösung A die Alleinerbschaft nach dem Erstverstorbenen erst im Tode des Überlebenden erwirbt. Wie sind diese verschiedenen Zeitpunkte mit Blick auf den Erwartungsschutz des Erstverstorbenen zu bewerten? Falls die Lösung 1 für richtig erachtet wird, müßte der Überlebende die Vorerbschaft ausschlagen, um A zu enterben, obwohl im Grundfall die Verfügung des erstverstorbenen Teils zu seinen Gunsten nicht von seiner Verfügung zugunsten des A abhängt. Dies wiederum wäre mit Blick auf die Erwartungen des Erstverstorbenen ungereimt190, da dieser den 189

Siehe § 9 I 1 b.

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A geschützt sehen will. Um diesen Schutz zu bewerkstelligen, hat der Erstverstorbene den anderen Gatten mit der Einsetzung des und nur des B gratifiziert, die Einsetzung des anderen Teils als Vorerbe spielte hierfür im Grundfall ja keine Rolle191. Darüberhinaus würde es auch dem Sinn und Zweck des § 2271 II 1 HS 2 BGB widersprechen, wenn auch der Überlebende ausschlagen müßte. Denn diese Vorschrift sichert das Persönlichkeitsrecht des überlebenden Teils, wenn die ihn bindende korrespektive Verfügung aufgrund der Ausschlagung des Bedachten entfallen ist; der Erstverstorbene darf hier nicht erwarten, der Überlebende sei weiterhin gebunden192. Im Grundfall war der Überlebende aber nur deshalb an seine Bedenkung des A gebunden, weil der Erstverstorbene den B bedacht hat. Fällt die Bedenkung des B wegen Ausschlagung fort, ist kein Grund mehr ersichtlich, den Überlebenden weiterhin zu binden. Zumindest im Grundfall spricht also nichts dafür, auch die Ausschlagung des Überlebenden neben der des endbedachten B zu verlangen. Rechtstechnisch kann dem Rechnung getragen werden, indem § 2271 II 1 HS 2 BGB teleologisch zu reduzieren ist (als die Ausschlagung des dem Überlebenden Zugewendeten durch diesen verlangt wird) und analog auf den Fall der Ausschlagung des korrespektiv vom Erstverstorbenen endbedachten Dritten anzuwenden193. Wie sieht es bei der Abwandlung aus? Lösung 1: Wenn in der Abwandlung die Ausschlagung durch den Überlebenden für die Wiedergewinnung von dessen Testierfreiheit genügen würde und er ausschlägt, würden A und B hälftige Ersatzerben nach dem Erstverstorbenen, § 2102 I BGB. Testiert der überlebende Teil zu Lasten des A neu, würde die korrespektive Verfügung des Erstverstorbenen zugunsten des B zum Zeitpunkt der Errichtung des weiteren Testaments des Überlebenden gem. § 2270 I BGB unwirksam; A würde zu diesem Zeitpunkt alleiniger Ersatzerbe des Erstverstorbenen. Lösung 2: Das gleiche Ergebnis träte ein, falls die Ausschlagung durch den B zur Entbindung des Überlebenden hinreichen würde und dieser neu zu Lasten des A testiert. Denn der A wäre mit der Ausschlagung des B alleiniger Nacherbe des Erstverstorbenen geworden, § 2094 BGB. Wenn der Überlebende zu Lasten des A neu testiert, verliert er gem. § 2270 I BGB seine Vorerbenstellung nach dem Erstverstorbenen. A erwirbt dann als Ersatzerbe die Vollerbenstellung nach dem Erstverstorbenen, § 2102 I BGB. Lösung 3: Schlagen hingegen sowohl der Überlebende als auch der endbedachte B aus, sind die Ergebnisse die gleichen, nur daß A nicht erst im Nacherbfall, sondern schon im Zeitpunkt des Todes des Erstverstorbenen 190

Ebenso Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266 (1281). Im Grundfall stehen die gegenseitigen Einsetzungen als Vorerbe nicht im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit zur Einsetzung der Dritten jeweils als Nacherbe. 192 Siehe § 9 I 1 b. 193 Im Ergebnis auch Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266 (1281). 191

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Kap. 3: Die Loslösung von der testamentarischen Bindungswirkung

dessen Vollerbe wird. Die Notwendigkeit, daß sowohl der Überlebende als auch der diesem nahestehende endbedachte Dritte ausschlagen muß, kann deshalb aus den gleichen Gründen wie bei der Einheitslösung und bei dem Grundfall verworfen werden; hierauf sei verwiesen. Die Lösungen 1 und 2 unterscheiden sich in der Abwandlung mithin nicht in dem Zeitpunkt, in dem der A die Alleinerbenstellung nach dem Erstverstorbenen erhält; dies ist in beiden Lösungen der Zeitpunkt der Errichtung eines neuen Testaments durch den Überlebenden. Die Lösungen unterscheiden sich nur, soweit der Erwerb der hälftigen Mitvollerbenstellung des A zusammen mit dem B nach dem Erstverstorbenen zur Rede steht. Diese erwirbt A nur bei der Lösung 1, während er bei der Lösung 2 schon vor der Errichtung einer neuen Verfügung durch den Erstverstorbenen die alleinige Nacherbschaft erhält. Wie sind diese Unterschiede mit Blick auf den Erwartungsschutz des Erstverstorbenen zu bewerten? Auf den ersten Blick scheint es so zu sein, daß schon die Ausschlagung des B hinreicht, um dem Überlebenden seine Testierfreiheit wiederzuverschaffen, da in diesem Fall der A am umfassensten geschützt ist, da dieser in der Lösung 1 ja zuerst einmal nur die hälftige Ersatzerbenstellung mit B, in der Lösung 2 aber die alleinige Nacherbenstellung nach dem Erstverstorbenen erhält. Anders als im Grundfall stehen bei der Abwandlung aber sämtliche Verfügungen im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit zueinander. Der Erstverstorbene hat deshalb den anderen Teil mit seiner Einsetzung und der des B gratifiziert. Es liegt hier nahe, deshalb die Ausschlagung beider Teile, des Überlebenden und des B, zu verlangen, was jedoch schon vor kurzem ausgeschlossen wurde. Mithin wird es den Erwartungen des Vorverstorbenen am ehesten entsprechen, daß der Überlebende ausschlagen muß, damit dieser seine Testierfreiheit wieder erhält.

cc) Die Rechtslage bei der Einheitslösung Gesetzt den Fall, die Gatten haben sich – wie in der Einheitslösung – gegenseitig als Alleinerben sowie eine dem erstversterbenden Teil nahestehende Person A und eine dem überlebenden Teil nahestehende Person B je zur Hälfte als Schlußerben eingesetzt. Da A und B wegen ihrer Schlußerbenstellung regelmäßig auch Ersatzerben nach dem Vorverstorbenen sind, sind sie im Falle der Ausschlagung des Überlebenden auch durch den vorverstorbenen Teil von Todes wegen bedacht. Auch im Falle der Einheitslösung stellt sich deshalb durchaus die Frage, wer ausschlagen muß, damit der Überlebende seine Testierfreiheit wiedererlangt. Nun ergäbe weiter die Auslegung im Grundfall, daß nur die Einsetzungen des A und des B zum Schlußerben des je Überlebenden, nicht aber die Einsetzung jeweils zum Alleinerben des Erstverstorbenen mit der Einsetzung des dem anderen Teil

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Nahestehenden im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit stehen; in der Abwandlung sind hingegen sämtliche Verfügungen wechselbezüglich. Lösung 1: Reicht es zur Entbindung hin, wenn der Überlebende das Erbe des Erstverstorbenen ausschlägt, werden A und B sowohl im Grundfall als auch in der Abwandlung Ersatzerben des Erstverstorbenen. Testiert der Überlebende später zuungunsten des A, wird dessen Ersatzerbenberufung nach dem Erstverstorbenen wiederum sowohl im Grundfall als auch in der Abwandlung unwirksam; A wird mithin im Zeitpunkt der Errichtung des neuen Testaments194 Alleinersatzerbe des erstverstorbenen Teils. Lösung 2: Gewänne der Überlebende seine Testierfreiheit schon dann wieder, wenn einzig B die Ersatzerbschaft nach dem Erstverstorbenen ausschlägt195, ist zu unterscheiden: Testiert in der Abwandlung der Überlebende zu Lasten des A neu, würde seine Bedenkung durch den Erstverstorbenen gem. § 2270 I BGB unwirksam; der A erwürbe im Zeitpunkt der Errichtung des neuen Testaments durch den Überlebenden als alleiniger Ersatzerbe die Alleinerbschaft nach dem Erstverstorbenen, § 2094 BGB. Die Unterschiede zur ersten Lösung liegen bei der Abwandung also allein darin, daß A vor der Errichtung der neuen Verfügung des Überlebenden nicht schon zur Hälfte (in Miterbengemeinschaft mit B) die Ersatzerbschaft nach dem Erstverstorbenen angetreten hat. Im Unterschied zur Lösung 3 des Grundfalls und der Abwandlung bei der Trennungslösung kann hier der Erstverstorbene durchaus erwarten, der Überlebende bliebe weiterhin gebunden, wenn nicht auch er selbst ausschlägt. Denn der Erstverstorbene darf nur dann nicht mehr erwarten, daß der Überlebende gebunden sei, wenn die Bindung des Überlebenden auf der Bedenkung eines Dritten beruht, die dieser ausgeschlagen hat196. In der Abwandlung wird die Bindung des Überlebenden aber durch dessen Bedenkung des A bewirkt, so daß der überlebende Teil nur frei würde, wenn A ausschlüge. Eine Ausschlagung des B genügt gerade nicht. Die Lösung 2 überzeugt daher zumindest in der Abwandlung nicht. Im Grundfall würde sich bei der Lösung 2 an der Vollerbenstellung des Überlebenden durch die Ausschlagung auf Seiten des B nichts ändern. Testiert der Überlebende nun zu Lasten des A neu, verschlägt dies nicht, da die Einsetzung des Überlebenden zum Alleinerben des Erstverstorbenen im 194 Die Unwirksamkeit der korrespektiven Verfügungen nach § 2270 I BGB tritt im Fall der Anfechtung von Anfang an ein. Im Fall eines zur Unwirksamkeit führenden Widerrufs der im gemeinschaftlichen Testament enthaltenen Verfügung – wie hier – beginnt die Unwirksamkeit erst mit dem Widerruf, siehe nur Soergel-Manfred Wolf, § 2270 Rn. 18. 195 Zur Berechtigung des Ersatzerben, die Ersatzerbschaft nach dem Erbfall und vor dem Wegfall des Erstberufenen auszuschlagen, siehe nur MünchKomm-Schlichting, § 2096 Rn. 10. 196 Siehe § 9 I 1 b.

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Kap. 3: Die Loslösung von der testamentarischen Bindungswirkung

Grundfall nicht gem. § 2270 I BGB unwirksam wird, da diese Verfügung nicht korrespektiv ist zur Bedenkung des A durch den Überlebenden. Im Grundfall könnte bei der Lösung 2 mithin die einzige Folge der neuen Verfügung des Überlebenden die Unwirksamkeit der Bedenkung des B durch den Erstverstorbenen nach § 2270 I BGB sein; diese ist aber durch die Ausschlagung sowieso schon weggefallen. Der Überlebende könnte also zu Lasten des B neu testieren, obwohl sich für ihn nichts geändert hat; die Erwartung des Erstverstorbenen, der Erwerb von Todes wegen des B sei zumindest nach ihm hinreichend gesichert, ginge mithin ins Leere. Schon aus diesem Grund kommt auch im Grundfall und damit insgesamt gesehen bei der Einheitslösung die Lösung 2 nicht in Betracht. Lösung 3: Müßte der Überlebende seine Bedenkung und der drittbedachte B seine Ersatzerbschaft ausschlagen, damit der Überlebende erneut testieren kann, hätte A sowohl im Grundfall als auch in der Abwandlung auch ohne neue, dem gemeinschaftlichen Testament widersprechende Verfügung des Überlebenden die alleinige Ersatzerbenstellung nach dem Erstverstorbenen im Zeitpunkt von dessen Tode (§ 1953 I, II BGB) erlangt. Die Notwendigkeit, daß sowohl der Überlebende als auch der diesem nahestehende endbedachte Dritte ausschlagen muß, kann deshalb aus den gleichen Gründen wie bei der Trennungslösung verworfen werden: Es ist nicht ersichtlich, wieso es dem Willen des Erstverstorbenen typischerweise entsprechen soll, daß der A „automatisch“ (also ohne widersprechende Zweitverfügung des überlebenden Teils) und unmittelbar schon im ersten Todesfall die alleinige Ersatzerbschaft erhalten soll; genau das wäre aber die Konsequenz, wenn auch der B ausschlagen müßte. Nach all dem reicht es bei der Einheitslösung folglich zur Wiedergewinnung der Testierfreiheit des Überlebenden aus, wenn dieser ausschlägt. Auch bei der Einheitslösung kann die Lösung 3 mithin verworfen werden. dd) Ergebnis zur Ausschlagung bei Bedenkung des Überlebenden und eines Dritten Die bisherige Diskussion hat ergeben, daß sowohl bei der Einheits- als auch bei der Trennungslösung es grundsätzlich ausreicht, daß der überlebende Gatte seinen testamentarischen Erwerb ausschlägt; eine Ausschlagung durch den Dritten ist nicht erforderlich197 und alleine auch nicht hinreichend. Eine Ausnahme ist bei der Trennungslösung zu machen, soweit die Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments ergibt, daß im Verhältnis 197 Im Ergebnis ebenso Dittmann/Reimann/Bengel-Bengel, § 2271 Rn. 39; Erman-Schmidt, § 2271 Rn. 12; MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 24; ders., FS Kegel, 433 (445 f.); Staud-Kanzleiter, § 2271 Rn. 41; Plack-Greiff, § 2271 Anm. IV 1 b y.

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der Wechselbezüglichkeit nur die gegenseitigen Vorerbeneinsetzungen je zueinander und die Nacherbeneinsetzungen je zueinander stehen, nicht aber die Einsetzungen der Ehegatten jeweils zu der Einsetzung des A oder des B. Hier braucht der Überlebende nicht auszuschlagen, soweit derjenige endbedachte Dritte (typischerweise: eine dem Überlebenden nahestehende Person, in den o. g. Beispielsfällen jeweils der B) ausschlägt, den der Erstverstorbene bedacht hat, weil der Überlebende zugunsten eines anderen Dritten (typischerweise: eine dem Erstverstorbenen nahestehende Person, in den o. g. Beispielsfällen jeweils der A) letztwillig verfügt hat. § 2271 II 1 HS 2 BGB ist insofern teleologisch zu reduzieren ist (als die Ausschlagung des dem Überlebenden Zugewendeten durch diesen verlangt wird) und analog auf den Fall der Ausschlagung des korrespektiv vom Erstverstorbenen endbedachten Dritten anzuwenden198. II. Der Wegfall des Endbedachten Wird die Verfügung des einen Gatten, die mit einer des anderen Gatten im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit steht, gegenstandslos, entfällt die testamentarische Bindung. Es liegt auf der Hand, daß bei einem derartigen Wegfall der Überlebende seine Testierfreiheit aus den gleichen Gründen wiedergewinnt, die bei der Ausschlagung des ihm vom Erstverstorbenen Zugewendeten einschlägig sind199: Ist die Verfügung des Erstverstorbenen ins Leere gegangen und damit die Vermögensordnung post mortem zerbrochen, ist kein Grund mehr ersichtlich, den Persönlichkeitsschutz des Überlebenden weiterhin gegenüber dem des Erstverstorbenen nachrangig zu bewerten; der überlebende Teil gewinnt mithin seine Testierfreiheit zurück. 1. Der Wegfall der Bindung aufgrund Wegfalls des Endbedachten

Eine Gegenstandslosigkeit einer Verfügung von Todes wegen kommt insbesondere beim Tode des Bedachten (§§ 1923 I, 2160 BGB), bei der Ausschlagung der Zuwendung (§§ 1953 Abs. 1, 2180 III BGB), beim Erbverzicht (§§ 2346 ff. BGB) und bei der Erbunwürdigkeit (§§ 2339 ff. BGB) in Betracht200. Ein weiterer Fall ist die Pflichtteilsstrafklausel201. Bei derartigen Klauseln wird verfügt, daß ein Schlußerbe, der nach dem ersten Todesfall den Pflichtteil verlange, beim zweiten Todesfall ebenfalls nur den Pflichtteil erhalten solle. Wird der Pflichtteil verlangt, kann dies bewirken, 198

Im Ergebnis auch Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266 (1281). Oben § 9 I 1 b. 200 Dazu siehe nur den Überblick bei MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 20. 201 Zu derartigen Klauseln siehe nur die Übersicht zu den kautelarjurisprudentiellen Formelwerken bei Radke, Berliner Testament, 93 ff. 199

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Kap. 3: Die Loslösung von der testamentarischen Bindungswirkung

daß ein Bedachter wegfällt und die ihn begünstigende Verfügung gegenstandslos wird202. Herrschender Meinung nach ist Voraussetzung des Bindungsfortfalls, daß nicht ein anderer an die Stelle des Bedachten gem. §§ 2069, 2096, 2190 BGB tritt oder die Zuwendung einem anderen gem. §§ 2094, 2158 BGB zuwächst203. In der Mehrzahl der Sachverhalte dürfte nach dieser Ansicht eine Lösung von der Bindung kraft Wegfalls der Verfügung praktisch kaum eintreten. Dem ist zumindest für den Eintritt der Ersatzerbschaft i. S. § 2069 BGB mit der Begründung widersprochen worden204, aus § 2069 BGB folge zwar die Ersatzerbenstellung, keineswegs jedoch die Wechselbezüglichkeit derselben mit Verfügungen des anderen Teils. Als Argument wird angeführt, es existiere kein allgemeiner Erfahrungssatz des Inhalts, die Ehegatten, die unter gegenseitiger Bedenkung beispielsweise das einzige gemeinsame Kind als Schlußerben einsetzten, wollten zugleich auch jede Änderungsmöglichkeit bezüglich der Position des als Ersatzerben an die Stelle des weggefallenen Kindes tretenden Enkels nach dem ersten Todesfall ausschließen. Eine derartige Annahme einer Bindung zugunsten der Enkel sei schon deshalb nicht wahrscheinlich, weil die Entwicklung und Eignung der Enkel zumeist noch nicht hinreichend von den Ehegatten beobachtet und eingeschätzt werden könne; auch betreuerische Gründe könnten gegen eine Bindung sprechen205. Diese Überlegung überzeugt zumindest, soweit es darum geht, ob allein schon aus der Regelung des § 2069 BGB auf die Wechselbezüglichkeit der Ersatzerbeneinsetzung geschlossen werden kann206. Denn in der Tat müssen die Gründe, die für die Wechselbezüglichkeit der Verfügungen zugunsten der Endbedachten sprechen, nicht auf den Ersatzerben übertragbar sein. 2. Die Wechselbezüglichkeit der Verfügung hinsichtlich des Ersatzerben

Mit dieser soeben getroffenen Feststellung ist aber noch nicht zugleich der Schluß zutreffend, die Wechselbezüglichkeit sei nunmehr allein nach der allgemeinen Regel des § 2270 I BGB für den Ersatzerben neu zu prüfen207. Vielmehr ist zu fragen, ob nicht auch für die Ersatzerbschaft die 202

Siehe BayObLG, BayObLGZ 1960, 222; OLG Dresden, OLGE 40, 144. BayObLG, DNotZ 1935 BayBeil. 129; BayObLGZ 1960, 216 (222); ZEV 1994, 362 (364); OLG Frankfurt, FamRZ 1998, 772 (774); OLG Hamm, FamRZ 1982, 203; MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 20; Soergel-Manfred Wolf, § 2271 Rn. 29; Staud-Kanzleiter, § 2271 Rn. 39. 204 Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 24 V 2 b; Baumann, ZEV 1994, 351 (352 f.); Radke, Berliner Testament, 126 f. 205 Baumann, ZEV 1994, 351 (353). 206 So auch OLG Frankfurt, FamRZ 1995, 772 (774). 203

§ 9 Entbindung aus Gründen des Schutzes des Überlebenden

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Zweifelsregelung des § 2270 II BGB einschlägig ist, falls der Ersatzerbe – wie regelmäßig – mit den Gatten verwandt ist. Das OLG Frankfurt208 geht ohne weiteres davon aus, § 2270 II BGB sei auf den Ersatzerben anwendbar. Davon kann jedoch so ohne weiteres nicht die Rede sein. § 2271 II BGB folgert aus dem Umstand des Nahestehens auf die Motivlage der Abhängigkeit, wobei die Eigenschaft, mit dem Gatten verwandt zu sein, einen bloßen Unterfall des Nahestehens darstellt, und zwar ein solcher Unterfall, bei dem im Zweifel davon auszugehen ist, daß ein Nahestehen gegeben ist209. Nun ist der Begriff des Nahestehens in § 2271 II BGB wiederum eng auszulegen210. Mit Rücksicht hierauf wird die Zweifelsregelung, daß Verwandte des Gatten diesem auch nahestehen, nicht nur um so leichter zu entkräften sei, desto entfernter der Grad der Verwandtschaft ist. Vielmehr kann sie auch nur dann greifen, wenn es um die Verwandten des erstverstorbenen Teils geht, die im Testament ausdrücklich genannt oder ihm im Wege der erläuternden oder ergänzenden Auslegung entnommen werden können; sie greift aber nicht bei Verwandten, die im Wege von Auslegungsregeln als Bedachte gelten. Alles andere würde den teleologischen Grund, der § 2270 II BGB bei der Verwandtschaft einsichtig werden läßt (nämlich: das bei Zweifeln anzunehmende personale Nahestehen), durch eine doppelte „Zweifelsregelung“ (nämlich: im Zweifel als Erbe und im Zweifel als Nahestehend) dermaßen „ausdünnen“, daß die Auslegungsvorschrift teleologisch ad absurdum geführt würde. Die Frage, ob der Ersatzerbe wechselbezüglich bedacht worden ist, ist nach all dem grundsätzlich nach § 2270 I BGB und nicht nach § 2270 II BGB zu beurteilen, es sei denn, der Ersatzerbe stünde dem anderen Teil tatsächlich im konkreten Falle nahe. III. Die Lösung von der Bindung qua Anfechtung 1. Die Selbstanfechtung durch den überlebenden Teil

a) Allgemeines Zu Lebzeiten beider Gatten ist eine Anfechtung wechselbezüglicher Verfügungen eines gemeinschaftlichen Testaments allgemeiner Meinung nach ausgeschlossen, da die Ehegatten jederzeit ihre Verfügungen nach § 2271 I BGB widerrufen können und deshalb ein Anfechtungsrecht nicht bedürfen, um neu testieren zu können211. Nach dem ersten Todesfall tritt die mate207

So aber wohl Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 24 V 2 b; Baumann, ZEV 1994, 351 (352 f.); Radke, Berliner Testament, 126 f. 208 OLG Frankfurt, FamRZ 1995, 772 (774). 209 Dazu oben § 6 III 3 b. 210 Dazu oben § 6 III 3 b.

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rielle Bindung der Testierfreiheit des Überlebenden gem. § 2271 II BGB ein. Obgleich im Gesetz auch für diesen Fall die Selbstanfechtung der eigenen wechselseitigen Verfügung nicht vorgesehen ist, wird sie gleichwohl für diese Verfügungen in analoger Anwendung der Vorschriften über den Erbvertrag (§§ 2281 ff. BGB i.V. m. §§ 2079 f. BGB) zugelassen, da nunmehr wie beim Erbvertrag der Schutz der Willensfreiheit des Erblassers zur Rede stünde und damit die Interessenlage hinsichtlich der Bindungswirkung in beiden Fällen gleich wäre212. Damit ist der zweite der eingangs213 genannten beiden Fälle der Lösung von der Bindung einschlägig: der Schutz des überlebenden Teils. Freilich ist umstritten, in welcher Stelle des Gesetzes dieser Schutz am ehesten zum Ausdruck kommt. So hat der BGH stellenweise statt einer Analogie zu den §§ 2281 ff. BGB auch auf die Regelung des § 2080 BGB rekurriert. Das Freiwerden von der Bindungswirkung soll für den gebundenen Erblasser als Vorteil i. S. dieser Vorschrift gelten können214. Dies ist schon deshalb nicht angängig, weil dann auf die notarielle Beurkundung der Anfechtungserklärung gem § 2282 III BGB analog verzichtet werden könnte. Wieso dies bei der Anfechtung korrespektiver Verfügungen zulässig sein soll, beim Erbvertrag hingegen nicht, bliebe unerfindlich215. Es bleibt mithin dabei: die §§ 2281 ff. BGB analog sind mit dem Eintritt der Bindungswirkung nach dem ersten Todesfall für den überlebenden Teil für dessen Verfügungen anwendbar. Der Anwendungsbereich der Selbstanfechtung sollte bei einem gemeinschaftlichen Testament nicht überschätzt werden. Denn richtigerweise werden – wie gezeigt wurde216 – die Ehegatten hinsichtlich eines Umstands, bei dem der Anfechtungsgrund wegen Motivirrtums vorliegt, im Zweifel im Testament eine Freistellungsklausel vereinbart haben, die im Wege ergänzender Auslegung in das testamentarische Erwartungsstörungsprogramm im211 Siehe RGZ 77, 165 (169), 87, 95 (97); MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 34; Soergel-Manfred Wolf, § 2271 Rn. 33; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 24 VI 7 a. 212 BGHZ 37, 331 (333); BGH FamRZ 1970, 79 (80); RGZ 77, 165 (168 ff.); 87, 95 (98); 132, 1 (4); RG JW 1917, 536; RG WarnR 1918, Nr. 213; WarnR 1931, Nr. 25; BayObLG, BayObLGZ 1989, 116 (119 f.); BayObLG, FamRZ 1995, 1024; KG, DNotZ 1933, 578 (580); OLG Kiel, HEZ 2, 329 (334); OLG Celle, OLGZ 1969, 85 (87); OLG Hamm, OLGZ 1972, 387 f.; MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 36; MünchKomm-Leipold, § 2078 Rn. 7; Soergel-Manfred Wolf, § 2271 Rn. 33 f.; Staud-Kanzleiter, § 2271 Rn. 69; Palandt-Edenhofer, § 2271 Rn. 27; RGRK-Johannsen, § 2271 Rn. 44; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 229; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 24 VI 7 a; Leipold, Erbrecht, Rn. 355; v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 1, 513 f.; Kipp/Coing, Erbrecht, § 35 III 4 b; Schlüter, Erbrecht, Rn. 371. 213 Oben § 7 I 1, § 7 III. 214 BGH, FamRZ 1991, 52 (55). 215 Kritisch deshalb auch Pfeiffer, FamRZ 1991, 1266 (1281). 216 Dazu siehe oben § 8 III 2 sowie unten § 11 IV 1 c.

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plementiert wird. Ist eine derartige Klausel vorgesehen, entfällt die bindende Wirkung des Testaments hinsichtlich des fraglichen Umstands. Damit scheidet aber nach allgemeinen Regeln eine Analogie zu §§ 2281 f. BGB und damit die Selbstanfechtung aus. Interessen des Erstverstorbenen spielen entgegen stellenweise anderslautender Ansicht217 bei der Selbstanfechtung durch den Überlebenden keinerlei Rolle218. Insbesondere kommt nicht in Betracht, die Anfechtung von einer objektiven Würdigung des Irrtums im Sinne einer Angemessenheitsprüfung unter Berücksichtigung der Interessen des Erstverstorbenen oder – ähnlich wie beim Wegfall der Geschäftsgrundlage die Rückabwicklung des Geschäfts – davon abhängig zu machen, daß das Festhalten an der Verfügung schlechthin unzumutbar wäre219. Alles andere wäre mit den personfunktionalen Gehalten der Testierfreiheit220 unvereinbar. Die Interessen des Erstverstorbenen werden durch § 2270 I BGB hinreichend geschützt221. Die Anfechtung ist selbst dann gestattet, wenn die sie begründenden Umstände erst vom Erblasser willkürlich herbeigeführt worden sind. Hierbei kommt es entgegen der herrschenden Meinung222 nicht immer darauf an, daß die Gründe wider Treu und Glauben vom Erblasser veranlaßt worden sind223. Zwei Fallgestaltungen gilt es hier zu unterscheiden. In der ersten hat der Erblasser in der letztwilligen Verfügung selbst die vermeintliche Treuwidrigkeit gesetzt – etwa durch eine besonders perfide erbrechtliche Auflage zu Lasten des Erben mit der Folge, daß dieser ein erwartetes Wohlverhalten nicht mehr zeigt. Ein Treuwidrigkeitsschutz ist hier selbst 217 OLG Hamm, NJW 1972, 1088 (1089 f.), ist der Auffassung, für die Frage, ob die Anfechtung wegen Übergehens eines Pflichteilsberechtigten nach § 2079 S. 1 BGB ausgeschlossen ist mit Rücksicht auf einen entgegenstehenden Willen, sei auf den Willen beider Ehegatten abzustellen. Siehe auch MünchKomm-Leipold, § 2078 Rn. 8; Erman-Schmidt, § 2271 Rn. 16; Battes, Vermögensordnung, 312 f. 218 So auch MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 36; Soergel-Manfred Wolf, § 2271 Rn. 34. In der dogmatischen Grundlegung auch Pfeiffer, FamRZ 1991, 1266 (1281), der aber zu Recht darauf hinweist, daß bei der Prüfung, ob der Erblasser nicht trotz Übergehens des Pflichtteilsberechtigten ebenso testiert hätte (§ 2079 S. 2 BGB), die Interessen des Erstversterbenden einfach deshalb oft einfließen, weil der Überlebende möglicherweise auf den anderen Teil Rücksicht genommen hätte. Es bleiben dann aber immer noch allein die Interessen des Anfechtungsberechtigten. 219 So aber Soergel-Loritz, § 2078 Rn. 2; ähnlich MünchKomm-Leipold, § 2078 Rn. 8, der hiervon jedoch letztlich Abstand nimmt, weil ein „Bruch mit der klaren Aussage des Gesetzes“ befürchtet wird. Ebenso Ritter, Konflikt, 117 f. 220 Dazu oben § 2 und Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 11 VII. 221 So auch MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 36. 222 Siehe nur BGHZ 4, 91; MünchKomm-Leipold, § 2078 Rn. 36; Soergel-Loritz, § 2078 Rn. 16. 223 Für einseitige, nicht aber für wechselseitige Verfügungen ebenso Staud-Otte, § 2078 Rn. 15; RGRK-Johannsen, § 2271 Rn. 62.

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dann nicht sachgerecht, wenn ein gemeinschaftliches Verfügungsverhalten von Ehegatten vorliegt. Sedes materiae eines Bedachtenschutzes im Wege der Inhaltskontrolle der letztwilligen Verfügung ist allein die Sittenwidrigkeitsprüfung des § 138 I BGB224. Und ein Vertrauensschutz der Gatten ist nur im Rahmen der §§ 2070 f. BGB angesiedelt und findet ansonsten wegen der Personfunktionalität der Testierfreiheit selbst dann nicht statt, wenn die Erblasser miteinander verheiratet sind. Der zweite Fall betrifft ein Verhalten des Erblassers, welches dazu führt, daß es zu einer Abweichung der Entwicklung von dem im gemeinschaftlichen Testament gehegten Vorstellung kommt. Ein Beispiel wäre der Fall, daß der Erblasser den Endbedachten nach dem ersten Todesfall so bösartig behandelt, daß dieser sein vom Erblasser im Verfügungszeitpunkt unter- oder vorgestelltes Wohlverhalten abstreift. Auch hier greift der Einwand eines treuwidrigen Verhaltens mit Rücksicht auf die Personfunktionalität des gewillkürten Erbrechts nicht ein, welches gerade das von tradierten Sitten und Ansichten über das gute und gerechte Leben abweichende Testierverhalten schützt. Ging daher der Erblasser beim Testieren entgegen allem Anschein (und damit entgegen tradierter Sitte) davon aus, der Bedachte würde – gleichgültig, was geschieht – sich so und so verhalten, darf ihm ein diesbezüglicher Irrtum nicht schaden. Freilich muß eingehend geprüft werden, ob der Erblasser tatsächlich von der Konstanz im Verhalten des Bedachten ausgegangen ist oder dessen Reaktion einkalkuliert hat. Ist letzteres der Fall, fehlt schon die Erheblichkeit des Irrtums225. b) Form- und Fristfragen Die Anfechtungserklärung muß analog § 2281 II BGB dem Nachlaßgericht gegenüber abgegeben werden226. Sie bedarf analog § 2282 III BGB der notariellen Beurkundung. Wegen des besonderen Erklärungsgegners ist eine Umdeutung einer neuen Verfügung des Überlebenden in eine Anfechtungserklärung ausgeschlossen. Während die Form der Anfechtung praktisch weniger problematisch ist, ergeben sich gewichtige Rechtsprobleme bei der Bestimmung der Anfechtungsfrist nach § 2283 BGB. Richtigerweise ist im Falle der Selbstanfechtung für die in § 2283 II 1 BGB für den Fristbeginn vorgesehene Kenntnis vom Anfechtungsgrund davon auszugehen, daß nicht nur die Kenntnis der Tatsachen, aus denen die Anfechtbarkeit hervorgeht, sondern auch das positive Wissen erforderlich ist, daß die 224

Staud-Otte, § 2078 Rn. 15. MünchKomm-Leipold, § 2078 Rn. 36. 226 MünchKomm-Leipold, § 2081 Rn. 5; Soergel-Loritz, § 2081 Rn. 5. Eine Differenzierung nach den in § 2081 BGB genannten Verfügungen und den dort nicht genannten Verfügungen, für die § 143 IV 1 BGB gilt, findet mithin nicht statt. 225

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Anfechtungsberechtigung besteht. Die Begründung für diese manchen sicherlich zu weit gehende Aussage kann besonderes lebensnah an dem Parallelproblem der Anfechtungsfrist bei der Anfechtung wegen der Übergehung eines Pflichtteilsberechtigen nach § 2079 BGB beispielhaft verdeutlicht werden. Auf die dortigen Ausführungen wird an dieser Stelle daher verwiesen227. 2. Die Anfechtung durch Dritte

Ein Anfechtungsrecht Dritter ist vor dem ersten Todesfall nicht228, wohl aber entsprechend den allgemeinen Regeln der §§ 2078 ff. BGB nach dem Tode des Längstlebenden gegeben, § 2080 I, II BGB229. Für die Anfechtung wechselbezüglicher Verfügung des Überlebenden gilt allgemeiner Meinung nach § 2285 BGB analog230. Eine Anfechtung durch Dritte ist mithin ausgeschlossen, wenn das Anfechtungsrecht des Überlebenden im Zeitpunkt seines Todes ausgeschlossen wäre. Für die Drittanfechtung der Verfügungen des Erstverstorbenen gilt § 2285 BGB hingegen nicht231, da der erstverstorbene Teil zu Lebzeiten seine Verfügungen nie anfechten konnte232. Das bloße Unterlassen der Anfechtung deutet demnach allenfalls darauf hin, daß der Erstverstorbene die Verfügung auch in Kenntnis der Sachlage erklärt hätte, so daß die Erheblichkeit des Irrtums fehlen mag233. Eine entsprechende Anwendung des § 2285 BGB auf die Verfügungen des erstverstorbenen Gatten ist somit zu Recht nicht veranlaßt. Die Anfechtungsfrist beginnt nicht vor dem Tode des Ehegatten, dessen Verfügung angefochten werden soll234. Kenntnis des Anfechtungsgrundes i. S. § 2082 II 1 BGB bedeutet im Falle der Drittanfechtung freilich nicht auch – wie bei der Selbstanfechtung –, daß das positive Wissen erforderlich ist, die Anfechtungsberechtigung bestünde. Richtigerweise muß hier zwi227

Unten § 11 IV 1 b. Siehe nur MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 34. 229 MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 40. 230 Dazu nur RGZ 77, 165; 87, 95; 132, 1; BayObLG, NJW-RR 1989, 587 (588); 1992, 1223 (1224); KG, NJW 1963, 766 (767); FamRZ 1968, 219; OLG Hamm, OLGZ 1971, 312 (313); MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 41; Erman-Schmidt, § 2271 Rn. 16; Jauernig-Stürner, § 2271 Anm. 2 d bb; Soergel-Manfred Wolf, § 2271 Rn. 38; Staud-Kanzleiter, § 2271 Rn. 67; RGRK-Johannsen, § 2271 Rn. 55; v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 1, 516 f. 231 Anders LG Karlsruhe, NJW 1958, 714. 232 Siehe nur MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 41; Soergel-Manfred Wolf, § 2271 Rn. 38; Staud-Kanzleiter, § 2271 Rn. 67. 233 MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 41. 234 So richtigerweise BayObLG, FamRZ 1977, 347 (349); MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 42; gegen OLG Frankfurt, MDR 1959, 393. 228

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Kap. 3: Die Loslösung von der testamentarischen Bindungswirkung

schen der Unkenntnis des Anfechtungsgrundes (kein Fristbeginn) und der des Anfechtungsrechts (unschädlich für Fristbeginn) differenziert werden. Die näheren Gründe für diese Ansicht werden auch hier wiederum erst im Rahmen der Anfechtung nach § 2079 BGB erläutert; auf diese Ausführungen sei daher an dieser Stelle verwiesen235.

§ 10 Entbindung qua Schutz des Überlebenden: Seltener einschlägige Fälle Nachdem bei den bisherigen Überlegungen die hauptsächlich einschlägigen Instrumente diskutiert wurden, mit deren Hife der Überlebende seine Testierfreiheit wiedergewinnen kann, wird nun zu überlegen sein, ob nicht ausnahmsweise dem Überlebenden ein Kondiktionsanspruch gegen den Endbedachten zur Verfügung steht, der ihm im Ergebnis wieder zu seiner Testierfreiheit verhilft (dazu § 10 I). Freilich muß genau untersucht werden, welchen praktischen Nutzwert aus der Kondiktion gezogen werden kann. Sodann ist zu untersuchen, ob nicht ausnahmsweise unter noch näher darzulegenden Umständen eine Loslösung von der Bindung allein deshalb in Frage kommt, weil der überlebende Teil dies so will (dazu § 10 II). I. Die Loslösung von der Bindung kraft Kondiktion 1. Einführung in die Problematik

Ceteris paribus sei einmal davon ausgegangen, die Ehegatten hätten ein gemeinschaftliches Testament nach der Einheits- oder der Trennungslösung errichtet und als Endbedachten wechselbezüglich einen Dritten eingesetzt, damit dieser durch die Bedenkung dazu veranlaßt wird, den überlebenden Teil gehörig zu versorgen236. In einer Abwandlung haben die Ehegatten sich von dem Dritten mit Blick auf dessen testamentarisch bindende Bedenkung die Versorgung schuldrechtlich zusagen lassen. Nach dem ersten Todesfall versorgt der Dritte den Überlebenden nicht, nur schlecht oder verzögerlich. Im Grundfall wollen die Ehegatten den Dritten mithin durch die Bedenkung zu etwas veranlassen, während in der Abwandlung eine Leistungsverpflichtung des Erblassers auf Erbeinsetzung des Dritten wegen § 2302 BGB ausgeschlossen ist. Nun stellen derartige Veranlassungsfälle oder der Fall, daß eine der Parteien – wie hier, § 2302 BGB – gesetzlich nicht zu ihrer Leistung verpflichtet werden kann, im allgemeinen Vermögensrecht geradezu klassische Beispiele dar, bei denen die condictio ob rem 235 236

Unten § 11 IV 2. Siehe zum parallelen Fall beim Erbvertrag unten § 16 I 2, 3.

§ 10 Entbindung qua Schutz des Überlebenden

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aus § 812 I 2 Alt. 2 BGB einschlägig sein kann. Es liegt deshalb nahe, für derartige Gestaltungen die Frage zu stellen, ob dem überlebenden Teil nicht ein Kondiktionsanspruch aus § 812 I 2 Alt. 2 BGB gegen den gemeinschaftlich testamentarisch Endbedachten auf Abschluß eines Zuwendungsverzichtsvertrags i. S. § 2352 BGB gegeben werden kann, wenn die gemeinschaftlich von den Ehegatten ihm gegenüber gehegte Versorgungserwartung enttäuscht wird. Ein derartiger Zuwendungsverzicht würde zum Wegfall des gemeinschaftlich Endbedachten führen. Die Rechtsfolgen eines derartigen Wegfalls sind im Hinblick auf mögliche Ersatzerben und auf eine eventuelle Anwachsung schon geklärt worden; auf die dortigen Ausführungen sei hier verwiesen237. Die Richtschnur ist, daß die qua Zuwendungsverzicht relevant werdende Ersatzerbeneinsetzung grundsätzlich nicht wechselbezüglich ist. Die Ersatzerbenberufung hindert deshalb zumeist nicht, daß der überlebende Teil seine Testierfreiheit wiedergewinnt. Steht die Berufung dennoch einmal wie die Bedenkung des Zuwendungsverzichtenden im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit, so ist zu prüfen, ob nicht auch gegen den Ersatzerben die Kondiktion gegeben ist. In Literatur und Rechtsprechung blieb ein derartiger Bereicherungsanspruch bisher außerhalb des entgeltlichen Erbvertrages unerörtert. Gemeinhin deutet eine derartige Enthaltsamkeit darauf hin, daß die Erträge, die ein derartiger Anspruch für die Lösung von der testamentarischen Bindung erbringen kann, wohl eher gering einzuschätzen sind, und daß deshalb es zu einer Art Askese hinsichtlich der bereicherungsrechtlichen Implikationen der geschilderten Versorgungsfälle kommt. Gleichwohl darf sich eine dogmatisch orientierte Untersuchung einem derartigen asketischen Vorgehen nicht anschließen, da es immer noch reizvoll ist nachzuweisen, ob tatsächlich die Kondiktion dem testamentarische gebundenen Erblasser nicht weiterhilft: Es kann sinnvoll sein, zu zeigen, daß etwas praktisch nicht sinnvoll ist. Und dies ist etwas durchaus anderes, als nur zu behaupten, etwas sei nicht sinnvoll. Zudem steht einer recht verstandenen Dogmatik es immer gut an, sich um der Klarheit des dogmatischen Systems rechtlicher Wertungen willen auch solchen Fragen zuzuwenden, deren praktische Relevanz nicht recht einsichtig ist. Vor diesem Hintergrund wird im folgenden diskutiert werden, was es mit dem geschilderten Bereicherungsanspruch des Überlebenden auf sich hat. 2. Die condictio ob rem

Gemeinhin werden im Erbrecht bereicherungsrechtliche Fragen nur anhand des Problems thematisiert, wie Leistungsstörungen im Rahmen eines 237

§ 9 II und unten § 11 III 3.

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Kap. 3: Die Loslösung von der testamentarischen Bindungswirkung

entgeltlichen Erbvertrages zu beurteilen sind. In dieser Untersuchung wird das Kondiktionsrecht denn auch ausführlich anhand der Thematik diskutiert werden, wie der erbvertraglich gebundene Überlebende seine Testierfreiheit wiedergewinnen kann, wenn der vertragsmäßig Endbedachte seine Versorgungspflichten nicht gehörig erfüllt oder der Versorgungserwartung nicht nachkommt238. Auf diese Überlegungen kann an dieser Stelle nur hingewiesen und zugleich angeraten werden, zuvor die dortigen Gedankengänge nachzuvollziehen, ehe die folgenden Ausführungen weiterverfolgt werden. Die Überlegungen zum Erbvertrag haben – übertragen auf das gemeinschaftliche Testament – folgendes Ergebnis gezeitigt: Die causa einer erbrechtlichen Verfügung ist jedes Motiv, welches ihr zugrundeliegt239. Jedes erhebliche Motiv ist deshalb ein rechtlich relevanter Zweck der erbrechtlichen Bedenkung. Die Verknüpfung zwischen dieser Bedenkung (abstrakter gesagt: der Zuwendung) und dem Zweck ist kausal ausgestaltet und nicht abstrakt, da nach den causa-Lehren eine derartige kausale Verknüpfung vorliegt, wenn bei einer Zweckverfehlung die Zuwendung beispielsweise qua Anfechtung vernichtbar ist240. Beim gewillkürten Erbrecht ist dies ausweislich des § 2078 II BGB bei jedem erheblichen Motiv der Fall. Nun ist es zulässig, daß die Ehegatten die Verbindung zwischen Zuwendung und Zweck von einer kausalen in eine abstrakte Verknüpfung umwandeln241. Die Lösung von der testamentarischen Bindung bei einer abstrakten Verknüpfung zwischen Zuwendung und Zweck wurde bisher in Literatur und Rechtsprechung nicht erörtert, so daß es geradezu auf der Hand liegt, ob diese Leerstelle nicht schon aus Gründen eines dogmatischen Systembedürfnisses mit der Kondiktion belegt werden kann. Nun ist das Mittel zu einer gewillkürten Abstraktheit die Vereinbarung über den Zweck, welchem die Verfügung von Todes wegen dienen soll242. Im Ausgangsbeispiel ist dieser Zweck die Versorgung des Überlebenden durch den Endbedachten. Kennt der Dritte die Zweckvereinbarung und hat er nicht deutlich zu erkennen gegeben, daß er nicht daran denkt, dem avisierten Zweck genüge zu tun, wird er nach Treu und Glauben Partei der Zweckvereinbarung. Kennt er die Zweckvereinbarung nicht oder widerspricht er ihr, kann um seines Schutzes willen eine Kondiktion nicht greifen. Diese Wertung basiert auf der Einsicht, rechtlich sei dem Bedachten nur das Risiko der Anfechtung wegen Motivirrtums zugewiesen, nicht aber dasjenige, sich einem Anspruch ausgesetzt zu sehen. Letzteres ist dem Dritten daher nur anzusinnen, wenn er Partei der Zweckvereinbarung wird243. Ha238 239 240 241 242

Unten Unten Unten Unten Unten

§ § § § §

16 17 17 17 17

bis § 18. I 2. I 2 c. II 2. II 2.

§ 10 Entbindung qua Schutz des Überlebenden

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ben die Ehegatten gewußt, daß sie sich testamentarisch qua Korrespektivität binden und haben sie gerade um dieser Bindung willen den Endbedachten zur Versorgung veranlassen wollen oder hat dieser die Versorgung nur wegen der bindenden Bedenkung zugesagt, liegt eine bereicherungsrechtliche Leistung eines Vorteils vor244. Dieser Vorteil ist die bindende Bedenkung des Dritten und ein „etwas“ im Sinne des Bereicherungsrechts245. Wird nun nach dem ersten Todesfall der von den Ehegatten gemeinschaftlich vereinbarte Zweck der Zuwendung verfehlt, kann der Überlebende grundsätzlich von dem Endbedachten die testamentarische Bindung „kondizieren“ und die Einwilligung in einen Zuwendungsverzichtsvertrag verlangen246. Eine Ausnahme ist für den Fall zu machen, daß die Ehegatten eine Freistellungsklausel in ihr gemeinschaftliches Testament aufgenommen haben, da es hier schon an dem bereicherungsrechtlich relevanten „etwas“ fehlt und aus diesem Grunde eine Kondiktion ausscheiden muß247. Damit ist schon eine wichtige Vorentscheidung hinsichtlich der rechtlichen Relevanz der Kondiktion getroffen, da ja die Freistellung bei einer Motiventtäuschung nach dem hiesigen Ansatz der Regelfall sein wird248. Soviel zu den bereicherungsrechtlichen Grundlagen der condictio ob rem beim gemeinschaftlichen Testament. Die Zweckverfehlungskondiktion kommt mithin nur in Betracht, wenn die Ehegatten sich (i) über einen Zweck verständigt haben, den sie gemeinsam mit der Bedenkung des Dritten verfolgen, sie (ii) die testamentarische Bindung des Überlebenden kennen und im Hinblick auf diese dem Dritten die Zweckverfolgung antragen oder von ihm erwarten, sie (iii) keine Freistellung des Überlebenden für den Fall der Verfehlung anfechtungsrechtlich erheblicher Motive vorgesehen haben und falls schließlich (iv) der Dritte die Zweckvereinbarung kennt und nicht zum Ausdruck bringt, daß er ihr nicht zu folgen bereit ist. Liegen diese und die sonstigen „normalen“ Kondiktionsvoraussetzungen vor, kann der Überlebende von dem Endbedachten die Einwilligung in einen Zuwendungsverzichtsvertrag nach § 2352 S. 1 BGB verlangen. 3. Probleme des Leistungsbegriffs

Nach dem modernen Kondiktionsverständnis besteht der Leistungsbegriff aus einem finalen, einem kognitiven und einem volitiven Element: Leistung ist jede Zuwendung, welche auf eine bewußte und zweckgerichtete Vor243 244 245 246 247 248

Unten § 17 II 4. Unten § 18 II 1. Unten § 17 I 1. Unten § 18 II 2, III. Unten § 19 II. Dazu § 8 II 2.

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Kap. 3: Die Loslösung von der testamentarischen Bindungswirkung

teilsvermehrung gerichtet ist249. Das finale Element ist bei einer auf die Versorgung des Überlebenden gerichteten korrespektiven Bedenkung des Dritten nicht weiter problematisch; es liegt eben in der Versorgungsmotivation. Schwierigkeiten treten beim gemeinschaftlichen Testament beim kognitiven und volitiven Leistungselement auf. Bei der Leistungskondiktion muß der die Kondiktion geltend machende Ehegatte den Bindungsschematismus des gemeinschaftlichen Testaments erkannt (kognitives Element) und in Richtung auf eine zielgerichtete Steuerung der Vorteilsverschiebung an den Dritten gewollt haben (volitives Element), da sonst die testamentarisch bindende Bedenkung nicht geleistet sein kann. Nun tritt die Bindungsfolge des § 2271 I BGB ex lege unabhängig von der Vorstellung der Parteien – wenngleich nicht entgegen ihren geäußerten Willen – ein, so daß sich die Ehegatten im konkreten Fall der Bindungsfolge des gemeinschaftlichen Testierens aktuell und individuell tatsächlich überhaupt nicht bewußt gewesen sein müssen. Wenn ein derartiger Ausfall des kognitiven und volitiven Elements vorliegt, entfällt freilich zugleich auch die Zweckgerichtetheit des Güterbewegungsvorgangs250. Dies liegt ganz einfach daran, daß genau mit dem zugewendeten Vorteil der Zuwendende final etwas bewirken will251; es liegt auf der Hand, daß dies wiederum nur möglich ist, wenn Kenntnis und Wille gegeben sind. Die Probleme liegen beim gemeinschaftlichen Testament weniger in den Fällen eines deutlich fehlenden oder bestehenden Zuwendungsbewußtseins. Wenn dieses fehlt, entfällt auch das kognititve Element der Leistung und damit die Leistungskondiktion. Interessanter ist vielmehr, ob ähnlich wie in den Fallgestaltungen, in denen es die Motivation der Ehegatten nur anhand schwieriger Auslegungen des Parteiverhaltens zu ermitteln ist und eher typologische Zuordnungen von Parteiverhalten und Motivation die Regel sind, auch das kognitive und das volitive Element der Leistung ähnlich ermittelt werden kann. Dies wäre nichts Neues, wie schon der Flugreisefall BGHZ 55, 128 zeigt, in dem der BGH Bewußtsein und Wille als ein „generelles Leistungsbewußtsein“ und als einen „generellen Leistungswille“ verstanden hat. Die dieser Diskussion zugrundeliegenden Sachverhaltsgestaltungen waren jedoch durch ein Handeln des „Leistenden“ gekennzeichnet, welches am Markt mit seinen rollenhaften Austauschvorgängen stattfand. In diesen Fällen war der Schluß am ehesten gerechtfertigt, der „Leistende“ bediene sich bei seinem typischen Handeln der marktförmig gängigen Formen (hier: des Vertrages) und leiste also. Ob dieser Schluß im allgemeinen Vermögensrecht berechtigt ist, mag dahingestellt bleiben; an Kritik hat es jedenfalls nicht gefehlt252. Nun besteht die Funk249 250 251

Hierzu siehe wiederum die Darstellung beim Erbvertrag unten § 18 II 1. Reuter/Martinek, Bereicherungsrecht, § 4 II 1 b. Vgl. nur Klinke, Causa, 71, 87 f.

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tion des subjektiven Erfordernisses der Leistung darin, eine Vorteilsverschiebung demjenigen als Leistung zuzurechnen, welcher die Transaktion vornimmt253. Es geht also darum, Privatautonomie zu aktualisieren254. Die Leistungsfähigkeit des Leistungsbegriffes ist hierbei freilich umstritten255; dies ändert jedoch nichts daran, daß angesichts des Rekurs auf die Privatautonomie kein Anlaß besteht, hinsichtlich des Bestehens des kognitiven und volitiven Elements der Zuwendung andere Kriterien anzulegen, als dies beim finalen Element (hier: der Versorgungsmotivation) der Fall ist; eine unterschiedliche Behandlungsweise ist durch nichts zu rechtfertigen. Auch das Leistungsbewußtsein und der Leistungswille kann daher bei typischen Fallgestaltungen unter Umständen als bestehend angenommen werden. Nur: Bei welchen typischen Fällen ist dies der Fall? Nun sind in den hier zur Diskussion anstehenden Fallgestaltungen, in denen das Leistungsbewußtsein nicht deutlich ermittelt werden kann, die Ehegatten gleichwohl davon ausgegangen, sie könnten den Dritten durch die Bedenkung dazu motivieren, den Überlebenden zu versorgen. Die Frage, warum sie das überhaupt erwartet haben, wo doch das Wissen weit verbreitet ist, daß Testamente gemeinhin jederzeit widerruflich sind, kann dann nur so beantwortet werden, daß sie wohl gewußt haben werden, daß sie den Dritten nur mit einer bindenden Bedenkung relativ sicher dazu veranlassen können, eine gehörige Versorgung sicherzustellen. Es dürfte deshalb die Auslegungsregel zulässig sein, daß das Leistungsbewußtsein typischerweise gegeben ist, wenn die Ehegatten den Dritten durch seine Bedenkung zu einem Verhalten veranlassen wollten. Die diesem Schluß zugrundegelegte Hypothese, die Ehegatten würden davon ausgehen, daß das Verhalten des Dritten zwar auch durch die bloße Bedenkung, jedoch darüberhinaus auch durch die Form einer stabilisierten, bindenden Zuweisung einer Erbchance motiviert wird, erscheint wahrscheinlich und dürfte den zu Ende gedachten Willen der Ehegatten nach typischerweise entsprechen. Sobald Anhaltspunkte für ein mangelndes Leistungsbewußtsein der Ehegatten gegeben sind, scheidet eine Leistung freilich zwingend aus. Die Frage ist dann: Greift eine Nichtleistungskondiktion?

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Kritisch bsp. Reuter/Martinek, Bereicherungsrecht, § 4 II 1 b mwNachw. Reuter/Martinek, Bereicherungsrecht, § 4 II 1 b. Vgl. auch Welker, Bereicherungsausgleich, 26 f. 254 Staud-Lorenz, 13. Bearb., § 812 Rn. 5; v. Caemmerer, Festschrift Rabel, 333 (350 f.). 255 Dazu nur Kupisch, Gesetzespositivismus, passim; ders., JZ 1985, 101 ff., 163 ff. 253

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Kap. 3: Die Loslösung von der testamentarischen Bindungswirkung 4. Die allgemeine Abschöpfungskondiktion des § 812 I 1 Alt. 2 BGB

a) Allgemeines Bei den Nichtleistungskondiktionen taucht sofort eine Schwierigkeit auf. Eingangs256 war davon die Rede, daß die Ehegatten die causa der erbrechtlichen Verfügung durch eine Zweckvereinbarung von einer kausalen Verknüpfung von Zuwendung und Zweck auf eine abstrakte Verknüpfung umstellen und damit den Weg zur Kondiktion ebnen können. Nun scheint zumindest in dem Fall, daß eine Zweckvereinbarung nicht gegeben ist, in denen sich die Ehegatten also nicht gemeinschaftlich darauf geeinigt haben, daß der Zweck der Bedenkung des Dritten darin liegt, beispielsweise die Versorgung des Überlebenden sicherzustellen, eine Nichtleistungskondiktion schon deshalb zwingend auszuscheiden, weil eine Kondiktion die Abstraktheit der Vorteilsverschiebung voraussetzt. Ein derartiger Gedanke würde jedoch einer schwerwiegenden Kategorienverwechselung unterliegen: Die Begriffe abstrakt und kausal bilden die Formen ab, in denen ein Rechtsgrund auf eine Vorteilsverschiebung einwirkt257. Sie sind Begrifflichkeiten der causa-Lehren, und diese wiederum handeln von Zuwendungen, ihren Zwekken und den Folgen einer Zweckstörung. Bei den Nichtleistungskondiktionen geht es jedoch nicht um derartige Fragen der „Zweckverfehlung“ einer Leistung, sondern schlagwortartig um die Frage, ob ein Erwerb nach der für den Einzelfall geltenden rechtlichen Güterzuordnung nicht bei dem Empfänger verbleiben soll, sondern einem anderen gebührt258. Es spielt daher bei Nichtleistungskondiktionen keine Rolle, ob die Vorteilsverschiebung im Kontext der causa-Lehren als kausal ausgestaltet begriffen werden muß. Vielmehr besteht das allen Bereicherungen „in sonstiger Weise“ gemeine Merkmal darin, daß dem Bereicherungsschuldner ohne Leistung Vorteile zugeflossen sind, die ihm nicht gebühren, weil ihre Einordnung in seine Vermögenssphäre der materiell-rechtlichen Zuweisungsordnung zuwiderläuft259, 260. Über die Eingrenzung der zuweisungshaltigen Positionen besteht in den Randfeldern zwischen rechtlichen Befugnissen, jemanden von 256 257

§ 10 I 2. Krawielicki, Grundlagen, 9; vgl. auch Westermann, Causa, 95; Klinke, Causa,

81 ff. 258

Reuter/Martinek, Bereicherungsrecht, § 7 I 3. Zur heute herrschenden Zuweisungstheorie im Gefolge Hecks (SchuldR, 421 ff.), Wilburgs (Ungerechtfertigte Bereicherung, 27 ff.) und v. Caemmerer (Festschrift Rabel, 333 (353 ff.)) vgl. nur statt vieler mit Unterschieden im einzelnen Staud-Lorenz, § 812 Rn. 23 ff.; RGRK-Heimann-Trosien, § 812 Rn. 41; MünchKomm-Lieb, § 812 Rn. 205, 207 ff.; Soergel-Mühl, § 812 Rn. 132 ff.; Erman-Westermann, § 812 Rn. 65; Reuter/Martinek, Bereicherungsrecht, § 7 II 2; Koppenstein/Kramer, Bereicherungsrecht, § 9 I 4; Loewenheim, Bereicherungsrecht, 74 ff.; Larenz/Canaris, SchuldR II/2, § 69 I 1 b; Esser/Weyers, § 50 I 1. 259

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dem Genuß eines Rechts auszuschließen, auf der einen und bloßen immateriellen Positionen oder Affektionsinteressen sowie wirtschaftlichen Chancen auf der anderen Seite noch Uneinigkeit. Unumstritten ist jedoch, daß den klassischen absoluten Rechten, denen eine Ausschlußfunktion und die Möglichkeit kapitalmäßiger Nutzung inhärent ist und auf die nach klassischer Lehre der Zuweisungsgehalt beschränkt werden solle261, ein relevanter Zuweisungsgehalt zukommt262. Demgegenüber knüpfen neuere Ansätze an dem durch § 823 I BGB, aber auch durch § 823 II BGB gewährleisteten Deliktsschutz263, an der Verbietungsmöglichkeit von Zugriffen auf ein Gut264 oder an der kommerziellen Verwertungsmöglichkeit, also der Marktgängigkeit von Rechtspositionen an265. Die Einzelheiten können dabei auf sich beruhen, da der Zuweisungsgehalt des hier betroffenen Guts (der Testierfreiheit) in Anlehnung an die Zuweisung bei den absoluten Rechten ermittelt werden kann.

260 Bekanntlich ist die Zuweisungstheorie nicht unumstritten und wird vor allem durch die auf Fritz Schulz zurückgehende, in neuerer Zeit von Kellmann, Horst Heinrich Jakobs, Hartmut Haines und Jan Wilhelm vertretene sog. „Rechtswidrigkeitstheorie“ kritisiert, nach der der Erwerb ungerechtfertigt ist, der auf eine – je verschieden in den jeweiligen Ansätzen verstandene – widerrechtliche Handlung des Bereicherten zurückgeführt werden kann, vgl. als Überblick nur MünchKomm-Lieb, § 812 Rn. 199 ff. Das Meinungsspektrum beschränkt sich nicht auf derartige Zuweisungs- oder Rechtswidrigkeitslehren, vielmehr sind auch Ansätze jenseits von Zuweisung und Rechtswidrigkeit zu verzeichnen, für die hier paradigmatisch nur auf Joerges verwiesen werden soll, der im Kontext seines wirtschaftsrechtlichen Ansatzes anhand einer „wirtschaftsrechtliche(n) Transformation der bereicherungsrechtlichen Dogmatik“ (AK-Joerges, vor § 812 Rn. 28; ders., Bereicherungsrecht als Wirtschaftsrecht, 61 ff.) zu anders ausdifferenzierten Lösungen gelangt, vgl. nur AKders., § 812 Rn. 48 ff. 261 Vgl. nur v. Caemmerer, Festschrift Rabel, 333 (397 f.), aber anders insbes. für das Warenzeichenrecht. 262 Vgl. nur Reuter/Martinek, Bereicherungsrecht, § 7 III 1; Larenz/Canaris, SchuldR II/2, § 69 I 1 c. 263 So (mit Beschränkung durch die Entgeltfähigkeit des betreffenden Gutes als Voraussetzung der Kondiktion) Larenz/Canaris, SchuldR II/2, § 69 I 1 c. 264 So Kleinheyer, JZ 1970, 471 (474 ff.); ihm folgend Koppenstein/Kramer, Bereicherungsrecht, § 9 I 4. 265 So die h. L., vgl. nur statt vieler MünchKomm-Lieb, § 812 Rn. 211 ff.; Reuter/Martinek, Bereicherungsrecht, § 7 III 2 c, d bb; Esser/Weyers, § 50 I 1; Loewenheim, Bereicherungsrecht, 69 ff.; als ein Kriterium unter anderen bei Erman-Westermann, § 812 Rn. 66.

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Kap. 3: Die Loslösung von der testamentarischen Bindungswirkung

b) Der Zuweisungsgehalt der Testierfreiheit in Anlehnung an die Rechtslage bei den klassischen absoluten Rechten Das durch die ex lege eintretende Bindungswirkung des § 2271 II BGB betroffene Rechtsgut ist die Testierfreiheit des überlebenden Gatten. Die Testierfreiheit ist nun zweifellos kein absolutes Recht; gilt es doch als Hauptkennzeichen absoluter Rechte, ihrem Inhalt nach ein Bündel von Unterlassungsansprüchen gegenüber jedermann zu eröffnen; ihnen wohnt gleichsam ein exklusiver Bereich in Substanz und Ertrag inne. Dennoch steht die Testierfreiheit einem absoluten Recht gleich, weil sie rechtlich so stark geschützt ist, daß sie nicht „eingriffsfähig“ ist: Private Dritte können sie nicht beeinträchtigen; die §§ 2078 II, 2302, 313 BGB geben hier die maßgeblichen Stichworte vor. Plakativ formuliert, schützt die Rechtsordnung die Testierfreiheit nicht erst, indem sie bei Eingriffen dem Rechtsinhaber einen Unterlassungsanspruchs (wie in § 1004 BGB bei den absoluten Rechten) gibt; vielmehr läßt sie es schon ausweislich der §§ 2078 II, 2302, 313 BGB nicht zu, daß es schon zu Beeinträchtigungen kommen kann. Der der Testierfreiheit zukommene Zuweisungsgehalt liegt somit in der „Willensmäßigkeit“ ihrer Ausübung, eben ihrem personfunktionalen Gehalt – es wäre ja auch reichlich merkwürdig, der Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht keinen Zuweisungsgehalt zukommen zu lassen, dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aber sehr wohl. Gegen die Annahme eines Zuweisungsgehalt der Testierfreiheit könnte nun eingewendet werden, mangels eines deliktisch möglichen Eingriffs schiede eine Kondiktion zwingend aus266. Schlüssig ist dies freilich nicht. Die bereicherungsrechtliche Relevanz des Merkmals eines deliktischen Eingriffs liegt im Kontext der o. g. Rechtswidrigkeitstheorie darin, daß von dem deliktischen Schutz auf den Zuweisungsgehalt des jeweiligen Rechts oder Rechtsguts zurückgeschlossen wird. Gerade ein derartiger Rückschluß geht dann ins Leere, wenn ein Eingriff nur deshalb ausgeschlossen ist, weil in das Recht selbst – eben aufgrund seiner starken Ausgestaltung – nicht eingegriffen werden kann; aus der Unmöglichkeit eines Eingriffs läßt sich dann kein Argument gegen einen Zuweisungsgehalt gewinnen. Gegen die Zubilligung eines Zuweisungsgehalts an die Testierfreiheit kann weiter nicht eingewendet werden, sie sei aufgrund der §§ 2302, 313 BGB nicht entgelt- und damit auch nicht marktfähig, was jedoch Voraussetzung einer Nichtleistungskondiktion sei267. Die Testierfreiheit ist jedoch durchaus – wenn nicht zu einer synallagmatischen Verknüpfung von Leistungen gegriffen wird – entgelt- und marktfähig268. Zudem ist sie auch marktgängig, wie 266 So könnte man vor dem Hintergrund der o. g. Lehre argumentieren, die den Zuweisungsgehalt an den deliktischen Schutz binden.

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schon die Existenz entgeltlicher Erbverträge zeigt. Einwände gegen einen kondiktionsrechtlich relevanten Zuweisungsgehalt der Testierfreiheit könnten freilich noch darin bestehen, daß die Testierfreiheit funktional als Ausdruck personaler Freiheit begriffen werden muß, um ihr in toto gerecht zu werden – und an der Einbindung personenrechtlicher Güter in eine Vorteilsabschöpfung qua Kondiktion, also an der Zubilligung eines vermögensrechtlichen Zuweinungsgehalts wird vielfach Anstoß genommen269. Dennoch hindert die personale Funktionalität der Testierfreiheit nicht, ihr einen vermögensrechtlichen Zuweisungsgehalt zuzubilligen, da die Rechtsordnung in der auf Verpfründungsverträge bezogenen Regelung des § 2295 BGB anerkannt hat, daß der Testierfreiheit ein Markt eröffnet ist. c) Präzisierung: Zuweisungsgehalt und Legalerwerb Der Zuweisungsgehalt der Testierfreiheit ist bisher nur skizzenhaft mit „Willensgemäßheit“ umrissen worden; dies gilt es nun zu präzisieren. Die Bindung des überlebenden Ehegatten wird ex lege statuiert. Bei derartigen Legalerwerbsvorgängen wird gemeinhin der Zuweisungsgehalt des betroffenen Rechts dahingehend konkretisiert, ob mit der Vorteilsverschiebung das Gesetz eine endgültige Neuordnung der Güterlage herbeiführen will270. Nun weist das Gesetz die Bindung des überlebenden Gatten als endgültig aus, solange die Entbindungstatbestände der § 2271 II 1 HS 1, 2, III BGB, der §§ 2078 ff. BGB, § 2077 BGB, ein Änderungsvorbehalt oder die sonstigen Entbindungsmöglichkeiten271 nicht greifen. Ist nach diesen Tatbeständen eine Entbindung möglich, liegt ein Zuweisungsgehalt der Testierfreiheit vor. Ist eine Entbindung hingegen nicht mehr möglich (weil beispielsweise die Anfechtungsfrist versäumt worden ist), scheidet ein Zuweisungsgehalt aus. Ist beispielsweise die Anfechtung verfristet und greift auch sonst kein Entbindungstatbestand, kann keine Zuweisungswidrigkeit der Bindung des 267 So könnte man vor dem Hintergrund des oben gestreiften Ansatzes argumentieren, der an der kommerziellen Verwertungsmöglichkeit des betroffenen Guts den Zuweisungsgehalt festmachen will. 268 Siehe dazu ausführlich unten bei der Kondiktion im Rahmen des entgeltlichen Erbvertrages § 17 I 1. 269 Zur Diskussionslage vgl. nur Reuter/Martinek, Bereicherungsrecht, § 7 IV 2 a; Koppenstein/Kramer, Bereicherungsrecht, § 9 I 4 c; MünchKomm-Lieb, § 812 Rn. 218 f.; Erman-Westermann, § 812 Rn. 69; sowie ausführlich Götting, Persönlichkeitsrechte als Vermögensrechte, passim. 270 Staud-Lorenz, § 812 Rn. 28; Erman-Westermann, § 812 Rn. 80; Reuter/Martinek, § 9 I, II. 271 Hierzu zählt die bisher noch nicht angesprochene Möglichkeit, sich in Wertungsanlehnung an § 138 I BGB von der testamentarischen Bindung zu lösen, siehe dazu sogleich § 10 II.

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Kap. 3: Die Loslösung von der testamentarischen Bindungswirkung

Überlebenden angenommen werden. Falls die Bindung zuweisungswidrig ist, hat der überlebende Ehegatte dann die Kondiktion gegen den bindend Endbedachten – und zwar eine Kondiktion, die man als „Legalerwerbskondiktion“272, als „allgemeine Abschöpfungskondiktion“273 oder durch sonstige Kondiktionstypen benennen könnte, die im Rahmen der Nichtleistung durch den Modus des Erwerbs des Vorteils unterschieden werden274? Davon sollte nicht ausgegangen werden. Denn der Endbedachte sähe sich im Falle, daß eine Nichtleistungskondiktion gegeben wird, unvermutet einem Anspruch des Überlebenden ausgesetzt, obwohl dieser auch ohne eine bereicherungsrechtliche Anspruchsberechtigung die Vorteilsverschiebung durch die ihm zur Verfügung stehenden Lösungstatbeständen rückgängig machen könnte. Für einen derartigen Übergang von einseitigen Entbindungsmöglichkeiten zu einem Anspruch müßten Gründen ersichtlich sein, da ein Anspruch den Endbedachten stärker belastet als die sonstigen Instrumente, mit denen der Überlebende seine Testierfreiheit zurückgewinnen kann. Im Recht der Leistungskondiktion ist dies Anlaß, nur bei dem Vorliegen eines bestimmten subjektiven Tatbestands beim Endbedachten die Leistungskondiktion zuzulassen275. Der Endbedachte kann damit einer Anspruchsberühmung durch den Überlebenden etwas entgegensetzen. Bei der Nichtleistungskondiktion wäre ihm dies nicht möglich. Mit Blick hierauf dürften die gesetzlich vorgesehenen Lösungsmöglichkeiten außerhalb der Nichtleistungskondiktion diese als Spezialregelungen ausschließen. 5. Ergebnis zur Kondiktion

Im Ergebnis kommt die condictio ob rem nur in Betracht, wenn die Ehegatten keine Freistellungsklausel für den Fall der Zweckverfehlung vereinbart haben. Da sie dies regelmäßig getan haben werden, ist der Anwendungsbereich der Zweckverfehlungskondiktion denkbar gering. Liegt ausnahmsweise keine Freistellungsklausel vor, greift die Anfechtung wegen Motivirrtums. Die praktischen Vorteile der Kondiktion liegen in diesem Falle bestenfalls in der Ersparnis von Beurkundungskosten und in gewissen Beweisvorteilen. Hierzu wird wiederum auf die Ausführungen zum Erbvertrag verwiesen276. Die Abschöpfungskondiktion könnte allenfalls einschlägig 272

Dazu nur MünchKomm-Lieb, § 812 Rn. 224 ff. So der Versuch bei Reuter/Martinek, Bereicherungsrecht, § 9 II, III. Dezidiert kritisch für die Kategorie einer Abschöpfungskondiktion Larenz/Canaris, SchuldR II/2, § 69 IV 2 b. 274 Larenz/Canaris, SchuldR II/2, § 69 IV 2 a; Reuter/Martinek, Bereicherungsrecht, § 3 III 2, § 9 I. 275 Dazu siehe ausführlich unten § 17 II 4. 276 Unten § 19 II, siehe aber auch § 19 III. 273

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sein, wenn der überlebende Teil noch abgesehen von der Kondiktion rechtliche Möglichkeiten besäße, seine Testierfreiheit wiederzugewinnen. Ansonsten hat der korrespektiv bedachte Dritten die bindende Bedenkung nicht zuweisungswidrig erlangt. Es zeigt sich mithin, daß die Abschöpfungskondiktion keinerlei eigenständigen Anwendungsbereich besitzt und schon deshalb im Rahmen der Dogmatik des gemeinschaftlichen Testaments eigentlich vernachlässigt werden kann. Die Nichtleistungskondiktion kann jedoch nicht nur vernachlässigt werden; sie ist sogar aus Konkurrenzerwägungen mit den sonstigen Möglichkeiten, die dem Überlebenden zur Verfügung stehen, um seine Testierfreiheit wiederzugewinnen, ausgeschlossen. Denn ansonsten würde sich der bindend Endbedachte einer Anspruchsberühmung und damit einer Verschlechterung seiner Rechtsposition gegenüber sehen, was erkennbar ein Systembruch wäre. Da im praktischen Ergebnis auch die Leistungskondiktion zumindest im Recht des gemeinschaftlichen Testaments wenig praktische Relevanz aufweisen dürfte, kann unter einem praktischen Blickwinkel die condictio auf sich beruht bleiben. II. Die Lösung von der Bindung aufgrund des Willens des Überlebenden Die bisherigen Fallgestaltungen, in denen eine Lösung von der testamentarischen Bindung zulässig war, hatten gemein, daß der überlebende Teil von der Bindungswirkung wegen des Willens beider Gatten oder des Willens des Erstverstorbenen die Möglichkeit, sich zu lösen, erhalten soll (Fall: Freistellungsklausel) oder aufgrund des Schutzes des überlebenden Teils von der Bindung befreit worden ist, weil ein derartiger Schutz aufgrund eines Bruchs der gemeinschaftlich von beiden Gatten avisierten Vermögensordnug post mortem notwendig ist (Fälle: Anfechtung, Ausschlagung, Wegfall des Endbedachten und Kondiktion). Wie steht es mit einer Loslösung, wenn diese aufgrund des Willens des Überlebenden stattfinden soll? 1. Fälle: Anschauungswandel und irrtumsrechtlich irrelevante Umstandsänderung

a) Allgemeines Bisher war die Thematik nicht Gegenstand der Betrachtung, ob der überlebende Gatte sich unter gewissen Umständen von der Bindung aus dem Grunde lösen kann, weil sich nach dem ersten Todesfall Umstände verwirklichen, die weder zur Anfechtung wegen Irrtums berechtigen noch zum Gegenstand einer Freistellungsklausel gemacht worden sind und die auch nicht über die ergänzende Testamentsauslegung unmittelbar eingefan-

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gen werden können. Es können mithin nur Umstände im weiteren sein, deren Verwirklichung zum einen die ergänzende Auslegung nicht tragen oder welche zum anderen nicht schon im Zeitpunkt des gemeinschaftlichen Testierens positiv oder als selbstverständlich angenommen worden sind oder von deren Irrtumsrelevanz das Gesetz im Zweifel – wie bei der Wiederverheiratung – ausgeht. Die prägantesten Beispiele sind der erhebliche Anschauungswandel nach Testamentserrichtung oder der Eintritt nicht positiv bedachter, aber auch nicht als selbstverständlich beim Testieren angenommene Ereignisse, die beide folglich den Überlebenden auch nicht zu seinen korrespektiven Verfügungen motiviert haben können. Eine Irrtumsanfechtung und eine ergänzende Auslegung kommen hier deshalb nicht in Betracht277. Analytisch kann also die Trennlinie zwischen dem nachtestamentarischen Anschauungswandel und der irrtumsrechtlich irrelevanten Umstandsänderung auf der einen Seite und den Umständen, die zur Anfechtung oder zur Freistellungsklausel führen oder die ergänzende Auslegung leiten können, auf der anderen Seite scharf gezogen worden. Leider ist das nur analytisch so. In der Praxis wird die Abgrenzung von der Frage entschieden werden, ob nicht doch im Einzelfall der Erblasser von der selbstverständlichen Erwartung ausgegangen ist, er würde seine im Zeitpunkt der Testamentserrichtung gehegte Einstellung hinsichtlich eines bestimmten Umstands nicht ändern. Ein Beispiel: Politisch eng verbundene, kinderlose Ehegatten setzen in ihrem gemeinschaftlichen Testament sich gegenseitig zu Alleinerben und korrespektiv eine politische Partei zum Schlußerben des Längstlebenden ein. Nach dem ersten Todesfall ändert der Erblasser seine politische Einstellung. Kann hier davon ausgegangen werden, der Erblasser sei, als er seine Verfügung traf, von der selbstverständlichen Erwartung ausgegangen, er werde seine einstmals gehegte politische Einstellung nach dem ersten Todesfall nicht mehr ändern? Der BGH bejaht dies für die Anfechtung nach dem Tode des letztwillig Verfügenden278, während die Literatur mit teleologischen Gründen bestreitet, es läge eine anfechtungsrechtlich relevante hypothetische Vorstellung vor279.

277 Siehe zur Unanwendbarkeit der erbrechtlichen Anfechtungsvorschriften auf spätere Fehlvorstellungen, die nicht auf eine positive oder als selbstverständlich unterstellte Motivlage im Zeitpunkt des Testierens zurückgehen, nur BGHZ 42, 327 (332); OLG Hamm, FamRZ 1994, 1062 (1064); MünchKomm-Leipold, § 2078 Rn. 32. 278 BGH, LM BGB § 2078 Nr. 4. 279 MünchKomm-Leipold, § 2078 Rn. 39.

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b) „Selbstverständliche Vorstellungen“ – Anfechtung – ergänzende Auslegung Das Beispiel zeigt sehr schön, welche Funktion dem anfechtungsrechtlichen Kriterium der „Selbstverständlichkeit“ einer Vorstellung in der Dogmatik der Lösung von der testamentarischen Bindung zukommen kann: Es kann durchaus als ein gewissermaßen abgedunkeltes Zurechnungsmodul fungieren, mit dem ohne klare Begründung dem Überlebenden eine Entbindung ermöglicht werden kann, wenn nicht offen gelegt wird, warum die Zurechnung eines Umstands zum Kreis des Selbstverständlichen im konkreten Fall erfolgt. Wenn die Rechtsprechung beispielsweise die Konstanz der politischen Einstellung für selbstverständlich der Testiermotivation inhärent erachtet, kann dies als Ausdruck des republikanischen Sinnbilds begriffen werden, der Bürger sei zu jedem Zeitpunkt ein gewissenhafter citoyen, der seine politische Einstellung als Ausprägung des ureigenen politischen Selbst begreift. Erbrechtlich einsichtig wäre dies freilich so einfach erst einmal nicht. Denn der Umstand, die Konstanz der politischen Einstellung würde immer als selbstverständlich angesehen, ist hier eben nur das Abbild einer politischen Konzeption der Person und hätte mit den erbrechtlichen Vorgaben, die an die Ermittlung eines hypothetischen Willens gemeinhin gestellt werden, nur mehr wenig zu tun280. Die Problematik kann weiter gesponnen werden: Können auch Affekte „selbstverständliche“ Umstände sein oder ist eine Änderung im Affekthaushalt des Erblasser regelmäßig irrelevant? Ist es angängig zu behaupten, die Konstanz der affektiven Zuneigung, welche vom überlebenden Teil gegenüber dem Erstverstorbenen gehegt wird, habe dem Überlebenden als selbstverständlich vorgeschwebt, mithin berechtige ein Erkalten der Affektion nach dem ersten Todesfall zur Anfechtung, so daß folgerichtig für diesen Fall eine Freistellungsklausel ausbedungen oder zumindest eine Anfechtung nach § 2078 II BGB zulässig wäre281? Oder werden Affekte als zu „flüchtig“ angesehen, als daß sie die Testiermotivation „selbstverständlich“ tragen können? Hängt die „Selbst280 Die Literatur kritisiert denn auch am Ansatz der Rechtsprechung, mit dem Kriterium des „selbstverständlichen Willens“ sei überhaupt keine Begrenzung des Motivirrtums erreichbar, so etwa Soergel-Loritz, § 2078 Rn. 19. 281 Das BayObLG hat noch jüngst in FamRZ 2000, 1053 (1054) judiziert, daß bei einem einseitigen Erbvertrag die Erwartung, daß zwischen dem Erblasser und dem Bedachten bis zum Tode eines der beiden Vertragsteile Eintracht herrschen und der Bedachte alles vermeiden werde, was dem Erblasser Schwierigkeiten bereiten könnte, nicht allgemein oder auch nur für den Normfall unterstellt werden könne, was sicherlich einsichtig ist. Es fährt sodann jedoch fort, „besondere Umstände des Einzelfalles“ müßten die Annahme der geschilderten Erwartung rechtfertigen. Wieso es hier auf „besondere“ Einzellfallumstände und nicht einfach auf Einzelfallumstände ankommen soll, läßt sich wohl nur mit der affektiven Natur der Erwartung erklären.

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verständlichkeit“ eines Umstands von seiner Vernünftigkeit ab – was entschieden zweifelhaft wäre, da ein personfunktionales Erbrecht ja nicht zwischen der Vernunft- und der Affektnatur des Menschen normativ trennt282. Wird die „Selbstverständlichkeit“ etwa implizit nur nach objektiv-normativen Kriterien bestimmt283? Die Fragen zeigen, daß das Konzept der „selbstverständlichen Vorstellungen“ bei Lichte betrachtet für eine rechtspraktische Anwendung wenig tauglich ist. Die Literatur hat mit Blick auf die Schwierigkeiten, welche in dem Ansatz an „selbstverständlichen Vorstellungen“ verborgen sind, denn auch andere Vorschläge vorgestellt, um den Anwendungsbereich des Motivirrtums sachgerecht zuzuschneiden. Leipold und Otte etwa sprechen anstelle von „selbstverständlichen Vorstellungen“ von dem Nichtbedenken vergangener, gegenwärtiger und zukünftiger Umstände. Die erforderliche Eingrenzung eines solchen Nichtbedenkens wird über das Kriterium der „Erheblichkeit“ zu leisten versucht, an das im Verhältnis zur Gesamtwertung des Erblassers strenge Anforderungen gestellt werden solltenn; hier sei dann zu untersuchen, ob sich die gesamte Motivation nicht mehr als tragfähig erweise284. Kuchinke verortet demgegenüber die Anfechtung wegen Fehlgehens „selbstverständlicher Vorstellungen“ als Gegenstück zur ergänzenden Auslegung und rekurriert infolgedessen in Anlehnung an Heinrich Lange auf den hypothetischen Willen des Erblassers; es sei zu fragen, ob dieser die Verfügung bei Kenntnis der wirklichen Lage oder bei Vorausschau der Entwicklung der Umstände so, wie geschehen, getroffen hätte285. Beide Ansätze gehen bei der Prüfung, ob eine Anfechtung zulässig ist, mithin übereinstimmend davon aus, daß zuerst eine weite Hypothese vorzuschlagen ist (Nichtbedenken von Umständen), die dann im weiteren auf ihre Erheblichkeit untersucht werden muß. Ob sich diese Erheblichkeit richtigerweise an dem Maßstab der „Tragfähigkeit der Gesamtmotivation“ wie bei Leipold und Otte oder an dem des „hypothetischen Erblasserwillens“ wie bei Kuchinke überprüfen läßt, dürfte im praktischen Ergebnis bei den sich hier eher nuancierend, denn differenzierend voneinander abgrenzenden Lehren kaum entscheidend sein. Im Endeffekt dürfte dem Ansatz an dem hypothetischen Erblasserwillen der Vorzug zu geben sein. Er findet ein wertungsmäßiges Spiegelbild zur ergänzenden Auslegung. Damit optimiert er das innere System des Rechts als ein kohärentes (nämlich auf das erbrechtliche Willensdogma bezogenes) und konsistentes (nämlich wegen der Spie282

Dazu Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 10 V 4 b cc. So der Vorwurf bei Keymer, Anfechtung, 66. 284 MünchKomm-Leipold, § 2078 Rn. 29, 38; Staud-Otte, § 2078 Rn 23; ähnlich Soergel-Loritz, § 2078 Rn. 19. 285 Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 36 III 2 c; zu Lange siehe ders., JherJb 82 (1932), 1 (26 ff., 35 f.); ähnlich Kipp/Coing, Erbrecht, § 24 II 2 b, c. 283

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gelbildlichkeit zur ergänzenden Auslegung das System des Willensschutzes abrundendes) System rechtlicher Wertung und befriedigt damit dogmatische Systembedürfnisse. Zudem ist der Ansatz am hypothetischen Willen auch in der Wertung einsichtig. Denn es geht ihm nicht darum zu fragen, welche andere Verfügung der Erblasser ohne Irrtum errichtet hätte, und ob die errichtete, aber anfechtbare Verfügung dem Erblasserwillen noch besser entspricht als die bei der Anfechtung eintretende gesetzliche Erbfolge286. Sondern mit dem Rekurs auf den hypothetischen Willen wird nur präziser herausgestellt, welches Kriterium für die Entscheidung über die Anfechtbarkeit wertungsmäßig das einzig relevante ist: die Erblassermotivation. Hinter dem Leipoldschen Diktum, es müsse geprüft werden, ob sich die gesamte Motivation nicht mehr als tragfähig erweise, verbirgt sich bei Lichte betrachtet im Großen und Ganzen deshalb nichts anderes als die Kuchinkesche Frage, ob der Erblasser seine Verfügung bei Kenntnis der wirklichen Lage oder bei Vorausschau der Entwicklung der Umstände so, wie geschehen, getroffen hätte287. Der Ansatz am hypothetischen Erblasserwillen hat aber den Vorzug, das innere System rechtlicher Wertung konstruktiv abzurunden und dadurch zu schließen, indem die Anfechtung wegen Motivirrtums als klares Gegenstück zur ergänzenden Auslegung konstruiert wird. Ihm sollte deshalb der Vorzug gegeben werden. Es gilt also: Hat der Überlebende im Zeitpunkt des gemeinschaftlichen Testierens nicht bedacht, daß nach dem ersten Todesfall ein bestimmter Umstand eintreten kann, so ist hinsichtlich der Relevanz dieses Umstands für die Lösung des Längstlebenden von der testamentarischen Bindung wie folgt zu unterscheiden: Falls der überlebende Gatte seine Verfügung auch bei Vorausschau der Entwicklung der Umstände zweifelsfrei so, wie geschehen, getroffen hätte, entfällt eine Anfechtung wegen Motivirrtums. Hätte der Gatte die Verfügung nicht getroffen, muß untersucht werden, wie er testiert hätte, wenn er die Entwicklung in ihren wesentlichen Zügen bedacht hätte. Läßt sich dies nicht beantworten, kommt im Zweifel eine Freistellungsklausel, ansonsten eine Anfechtung in Betracht. Läßt sich hingegen angeben, wie die Verfügung wohl ausgesehen hätte, ist weiter zu prüfen, ob sich dies als Weiterentwicklung der getroffenen Verfügung darstellen läßt288. Diese Einschränkung der ergänzenden Auslegung ist herrschender Ansicht nach erforderlich, um die Grenze zur richterlichen Testamentskorrektur289 oder zur sog. berichtigenden Auslegung290 zu vermeiden. Ist diese Grenze überschritten oder läßt sich nicht feststellen, wie der Erblasser hypothetisch verfügt hätte, ist eine Berücksichtigung des 286 Diesen Vorwurf adressieren MünchKomm-Leipold, § 2078 Rn. 38, und Soergel-Loritz, § 2078 Rn. 25, an die Langesche Lehre. 287 So i. E. auch Keymer, Anfechtung, 66 f. 288 Siehe nur MünchKomm-Leipold, § 2084 Rn. 47.

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Kap. 3: Die Loslösung von der testamentarischen Bindungswirkung

fraglichen Umstands über die ergänzende Auslegung nicht möglich; in Frage kommt nur die Freistellung oder die Anfechtung. Es verbleiben mithin nur die Fälle, in denen nicht zweifelsfrei entschieden werden kann, ob der Überlebende auch bei Bedenkung des Umstands so, wie geschehen, nicht verfügt hätte. Nach allgemeinen Regel scheidet hier die Anfechtung aus291. Kann dem Längstlebenden nicht doch noch in Ausnahmefällen gleichwohl geholfen werden? 2. Die Wertungsparallelität zur Sittenwidrigkeit einer letztwilligen Verfügung

a) Der Ausgang: Gewichtung der Interessen beider Gatten Dem überlebenden Teil kann in der Tat für den soeben herausgearbeiteten Fall bei noch näher darzulegenden Umständen geholfen werden. Dies liegt an folgender Überlegung: Die Frage, ob der überlebende Teil nach dem ersten Todesfall von seiner testamentarischen Bindung befreit werden kann, obwohl die ausdrücklich geregelten gesetzlichen Befreiungstatbestände nicht vorliegen, kann sich nur nach dem geschützten Maß jener Erwartungen richten, welche der Erstverstorbene im gemeinschaftlichen Testieren an den Tag gelegt hat. Die Schutzwürdigkeit der Erwartung ist dabei eine Frage normativer Gewichtung der Interessen beider Gatten. Nunmehr steht die Gewichtungsfrage für den Fall auf dem Plan, in dem der Überlebende wegen einer anfechtungsrechtlich irrelevanten und auslegungsrechtlich nicht verwertbaren Umstandsänderung nach dem ersten Todesfall nicht mehr gebunden sein will. Es geht also um die Frage, ob und in welchen Begebenheiten der testamentarisch Gebundene sich entbinden kann, weil er – und nur er – es so will. b) Der Wertungsabgleich mit § 138 I BGB Die Antwort auf diese Frage gibt ein Blick auf die gesetzliche Wertung, in bestimmten Fällen sei eine letztwillige Verfügung wegen Sittenwidrigkeit gem. § 138 I BGB nichtig. Die Regelung des § 138 I BGB ist auf die testamentarische Bindung nicht anwendbar, da diese Bindung gesetzliche Folge 289 Eine solche schlägt hingegen v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 1, 303 f., vor. Er sieht hierin ausdrücklich keinen Fall der ergänzenden Auslegung, sondern eine richterliche Korrektur. 290 Für eine solche Brox, Einschränkung der Irrtumsanfechtung, 144 ff., mit folgerichtig analoger Anwendung der anfechtungsrechtlichen Fristenregelungen auf die ergänzende Auslegung, siehe ders., ebda., 159. 291 MünchKomm-Leipold, § 2078 Rn. 49 aE; Soergel-Loritz, § 2078 Rn. 32.

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der Rechtsgeschäfte (des gemeinschaftlichen Testaments), nicht aber Inhalt dieser Rechtsgeschäfte selbst ist. Es ist ja unsinnig zu behaupten, die korrespektive Verfügung des Erstverstorbenen sei sittenwidrig, weil sie als Baustein in dem gesetzlichen Programm dient, welches die testamentarische Bindung des Überlebenden generiert. Dies ist das eine. Das andere ist die Überlegung, daß richtigerweise die Einsicht, eine Verfügung von Todes wegen sei sittenwidrig, nicht als Makel oder als Vorwurf verstanden werden darf. Vielmehr geht es bei der Sittenwidrigkeitsprüfung im Testamentsrecht in dem Fall, daß dem Bedachten beispielsweise mittels erbrechtlicher Potestativbedingungen ein bestimmtes Verhalten auferlegt worden ist, vornehmlich darum, ihm vor allzu viel Druck auf jenes Handeln zu bewahren, welches herkömmlich als Ausdruck einer freien Willensentscheidung begriffen wird292. Damit soll gewährleistet werden, daß nicht diejenigen Mindestanforderungen unterschritten werden, welche das Recht voraussetzt, damit die Allgemeinheit seiner selbst gewahrt bleibt – die das Recht mithin implizit unterstellt, damit Rechte überhaupt ausgeübt werden können293. Bei Rechtsgeschäften von Todes wegen wird mithin der Bedachte unter gewissen Voraussetzungen geschützt. Er wird zudem sogar geschützt, obwohl das Verhalten, zu dem er mittels Potestativbedingungen motiviert werden soll, rechtlich vom Erblasser nicht erzwingbar ist. Beim sittenwidrigkeitsrechtlichen Bedachtenschutz reicht mithin ein untragbarer faktischer Druck schon aus, um die Verfügung des Erblassers entsprechend zu vernichten. Beim gemeinschaftlichen Testament ist jedoch der Druck, welcher auf dem überlebenden Teil lastet, weil er neu testiert will, sich daran aber aufgrund seiner Bindung gehindert sieht, nicht nur faktischer Natur. Denn der Erblasser kann sich der Bindung ja nicht entziehen, während der bedingt Bedachte sich gleichwohl von dem auf ihn wegen der bedingten Bedenkung ruhenden Druck frei machen könnte, wenn er nur will. Der durch die Bindungswirkung erzeugte Druck ist demnach von durchaus rechtlicher Qualität. Der Überlebende kann sich mithin in einer noch stärker belastenden Situation befinden, wie der in sittenwidriger Weise bedingt Bedachte. Nun wäre das nicht weiter schlimm, wenn sich die Belastung selbst ausschließlich als Folge einer gesetzlichen Wertung (etwa als Folge eines Schutzes objektiver Interessen des allgemeinen Wohls) darstellen ließe, da ja der Rechtsperson gemeinhin zugemutet wird, gesetzlich auferlegte Belastungen zu ertragen, soweit nicht das Maß des verfassungsrechtlich Erträglichen überschritten ist. Doch so ist es hier ja nicht. Die durch die Bindungswirkung ins Werk gesetzte Belastung beruht nicht auf Allgemeininteressen, sondern dient dem Schutz der Erwartungen des Erstverstorbenen und ist zugleich durch diese begrenzt. Es steht mithin genau diejenige Konstellation 292 293

Dazu ausführlich unten § 15 II 2. Siehe unten § 15 II 2 c cc.

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Kap. 3: Die Loslösung von der testamentarischen Bindungswirkung

in Rede, in der auch die Sittenwidrigkeitsprüfung situiert. Ist dem so, darf um der Vermeidung eines Wertungswiderspruchs zur Rechtslage bei Rechtsgeschäften und der dort möglichen Sittenwidrigkeitsprüfung willen der Erwartungsschutz des Erstverstorbenen nicht rigide jegliche Lösung von der Bindung des Überlebenden in einer Situation verhindern, in der die gesetzlichen Entbindungstatbestände nicht einschlägig sind. Anders formuliert: Gesetzt den Fall, der Überlebende wäre unter der Bedingung als Alleinerbe eingesetzt, daß dieser sein Testament zugunsten eines Dritten nicht mehr ändert. Eine Sittenwidrigkeitsprüfung käme hier dogmatisch selbstverständlich in Betracht. Doch warum sollte dies anders sein, wenn ein noch stärkerer Effekt – nämlich die rechtliche Bindung, der sich der Überlebende auch nicht kraft seines Willens entziehen kann – den Längstlebenden abhält, nach dem ersten Todesfall neu zu testieren? Bei der bedingten Erbeinsetzung ist die Motivation eine rechtsgeschäftlich relevante, bei dem testamentsrechtlichen Erwartungsschutz des § 2271 II BGB eine rechtsgeschäftlich irrelevante294. Gleichwohl liegen in beiden Fällen auf das gleiche Ziel gerichtete, den Überlebenden belastende Motivationen als Grund eben der Belastung vor. Hinsichtlich des Schutzes des überlebenden Teils ist es aber unbeachtlich, wie die Motivation des Erstverstorbenen nach den Kategorien der Rechtsgeschäftslehre einzuordnen ist. Warum soll also die Bindung des Überlebenden ohne jede weitere Prüfungsmöglichkeit bestehen bleiben, wenn andererseits dessen bedingte Bedenkung einer Sittenwidrigkeitsprüfung unterzogen werden könnte? Wieso sollten Erwartungen sich stärker gegenüber widerstreitenden Interessen Dritter durchsetzen dürfen als der rechtsgeschäftliche Willen? Und: Da durch § 138 I BGB gesichert wird, daß der Erblasser den Bedachten als Rechtsperson anerkennt295, wieso soll sich der Erstverstorbene dieser Anerkennung des Überlebenden als Rechtsperson dadurch entziehen dürfen, daß er seine Motivation nicht rechtsgeschäftlich äußert, sondern nur als bloße Erwartung an den Tag legt? Die Antwort kann nur sein, daß hinsichtlich der Lösung von einer qua Erwartungsschutz bewerkstelligten rechtlichen Bindung und der Befreiung von einer per Potestativbedingung herbeigeführten faktischen Bindung ein normativer Gleichklang erzeugt werden muß. Es bleibt noch ein einziger Einwand: Es könnte noch angeführt werden, ein relevanter Unterschied zwischen der Potestativbedingung und dem Erwartungsschutz bestünde dennoch, da anders als bei der Potestativbedingung beim Erwartungsschutz nach § 2271 II BGB der Überlebende doch immerhin einmal das gewollt habe, was er als seinen letzten Willen für richtig hielt, während von einem 294 Rechtsgeschäftlich irrelevant ist die Motivation freilich nur, wenn das entsprechende Rechtsgeschäftskonzept angelegt wird, siehe dazu ausführlich oben § 4 II 4. 295 Siehe zur Einsicht, daß § 138 I BGB in Anerkennungsverhältnissen gründet, Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 10 VI.

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derartigen Wollen beim bedingt Bedachten keine Rede sein könne. Dieser Einwand überzeugt nicht. Denn die Rede, der Bedachte habe seiner mit der Potestativbedingung verbundenen Belastung nie zugestimmt, ist durchaus ungereimt. Richtigerweise hat der Bedachte die Zustimmung zur Verfügung durch eine unterlassene Ausschlagung signalisiert296. Man wird hier trotz dieses Signals dennoch durchweg davon ausgehen, die unterlassene Ausschlagung deute darauf hin, der Bedachte habe ausschließlich seiner bedingungslosen Bedenkung, nicht aber auch der Bedingung „zugestimmt“. Nur sollte dann auch beim Erwartungsschutz davon ausgegangen werden, der Überlebende habe zwar seiner Verfügung, nicht aber seiner Bindung implizit „zugestimmt“. Privatautonom relevant binden kann sich der Erblasser nun einmal einzig in den Formen des Erbvertrags297, § 2302 BGB. Ansonsten kann er seine Verfügungen von Todes wegen grundsätzlich (Ausnahme: Erbvertrag, korrespektive Verfügung) jederzeit aufheben, § 2253 BGB. Der Vergleich der testamentarischen Bindung mit der Potestativbedingung bleibt mithin tragfähig. Der Wertungsabgleich mit § 138 I BGB zeigt nach all dem, daß ein weiterer Fall der Lösung von der testamentarischen Bindung durchaus in Frage kommt. Konstruktiv bekommt man diesen Fall durch einen Blick auf das schutzwürdige Erwartungsniveau des Erstverstorbenen in den Griff. Dieses ist in den im folgenden darzulegenden Fallgestaltungen normativ abgesenkt. Darüberhinaus ist in den dort skizzierten Fallgestaltungen auch die dem Überlebenden durch den Erstverstorbene gewährte psychische Gratifikation, die die Bindung nach § 2271 II BGB letztlich normativ begründet298, nur mehr in residualen Beständen greifbar. Nach all dem gilt: Darf der Erstverstorbene – wie hier – nicht mehr relevant erwarten, besteht kein Grund mehr für eine Bindung des Überlebenden nach § 2271 II BGB. Das Ergebnis entspricht schließlich auch den gängigen Wertungen des Persönlichkeitsrechts, als dessen Ausdruck das gewillkürte Erbrecht richtigerweise ja begriffen werden muß: Auch in der persönlichkeitsrechtlichen Abwägungssemantik gibt es Schwellen, jenseits derer ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht schlechterdings nicht mehr geduldet wird. Es wäre verwunderlich, wenn ähnliches nicht auch bei der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments beobachtet werden könnte. Daß dies beobachtet werden kann, gibt mithin ein weiteres Argument für das hiesige Projekt an die Hand, das gewillkürte Erbrecht personfunktional zu interpretieren. 296 Siehe zu diesem interaktionistischen Verhältnis Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 10 VI 3 b. 297 Auch die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments kann ja nicht auf einen privatautonomen Selbstbindungswillen zurückgeführt werden, siehe oben § 4 II 4. 298 Dazu oben § 5 III 2, § 6 I 2.

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Kap. 3: Die Loslösung von der testamentarischen Bindungswirkung

c) Einsatzpunkte einer Lösung von der Bindung in Anlehnung an § 138 I BGB Es bleibt das Problem, bei welchem Sachverhalt eine Lösung von der Bindung in Anlehnung an die Wertungen des § 138 I BGB zulässig wäre. Da die Voraussetzungen zur Entbindung auf einem Wertungsabgleich mit der Sittenwidrigkeitsprüfung nach § 138 I BGB fußen, kommen nur solche Gestaltungen in Betracht, bei denen eine bedingte Einsetzung des überlebenden Gatten sittenwidrig wäre, wenn die Bedingung darin besteht, der Überlebende ändere sein Testament nicht mehr. Es gelten mithin die allgemeinen Regeln der sittenwidrigkeitsrechtlichen Prüfung von erbrechtlichen Potestativbedingungen: Die Bindung gilt als gesetzlich nicht angeordnet, wenn sie für den Überlebenden nicht nur schwer durchzuhalten, sondern geradezu untragbar wird299. Mit dieser weiten Formulierung ist freilich für die praktische Rechtsanwendung nicht all zu viel gewonnen. Eine erste Präzisierung erhält man, wenn die sonstigen Möglichkeiten betrachtet werden, sich von der Bindung zu lösen. Beruht der Wille des Überlebenden, neu zu testieren, auf einer Veränderung im Verhalten der Endbedachten, so kommt ein Versuch, sich wegen dieser Umstandsänderung über einen Wertungsabgleich mit § 138 I BGB von der Bindung zu lösen, nicht in Betracht. Einmal wird beim Fehlgehen eines konkret avisierten Wohlverhaltens der Endbedachten oftmals die Anfechtung/Freistellung oder die ergänzende Auslegung weiter helfen können. Ist dies nicht möglich, regelt das Gesetz in den §§ 2271 II 2, 2271 III BGB abschließend die Möglichkeiten, sich wegen solcher Umstände von der Bindung zu befreien, die auf Seiten der Endbedachten eintreten. Der abschließende Charakter dieser Vorschriften folgt hierbei aus dem Gedanken, daß in den §§ 2271 II 2, 2271 III BGB auch Möglichkeiten zur Entbindung vorgesehen sind, bei denen der Druck auf den Überlebenden nicht so stark wäre, als daß er eine Lösung von der Bindung kraft eines Wertungsabgleichs mit § 138 I BGB rechtfertigen würde. Das abgestufte System der § 2271 II 2, 2271 III BGB darf mithin nicht unterlaufen werden. Gleiches gilt für die Umstandsänderung, daß ein Pflichtteilsberechtigter nach dem ersten Tode hinzugekommen ist. Auch dies wird allein über § 2079 BGB oder die entsprechende Freistellungsklausel geregelt. Ein Rückgriff auf den Wertungsabgleich mit § 138 I BGB erübrigt sich hier aus den gleichen Gründen, wie bei der Entbindung kraft §§ 2271 II 2, 2271 III BGB. Relevant werden können (nicht: sind) nach all dem allenfalls Umstandsänderungen, die nicht durch ein Verhalten der Endbedachten oder etwa durch eine Wiederverheiratung ausgelöst worden sind. In Frage käme bei299 Siehe dazu die entsprechenden Ausführungen zur Sittenwidrigkeit erbrechtlicher Potestativbedingungen unten § 15 II 2 d.

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spielsweise der Wandel der politischen Einstellung oder des religiösen Bekenntnisses, wenn die Ehegatten ein Vermächtnis nach dem Tode des Längstlebenden zugunsten einer bestimmten politischen Partei oder einer religiösen Vereinigung vorgesehen haben. Derartige Umstandsänderungen sind relevant (vorausgesetzt, eine erläuternde Auslegung, eine Freistellung oder eine Anfechtung kommen nicht in Betracht) und führen dann dazu, daß hinsichtlich des Vermächtnisses der Überlebende nach dem ersten Todesfall neu testieren kann, wenn andernfalls es für den Überlebenden unzumutbar wäre, sein „Sein zum Tode“ nicht mehr erneut auszuprägen. Die Unzumutbarkeitsschwelle wird hierbei um so niedriger liegen, desto stärker der Umstand zu denjenigen Bereichen zählt, die herkömmlich einer freien Entscheidung der Rechtsperson reserviert bleiben sollen. Zudem sind auch graduelle Abstufungen denkbar: Die Zumutbarkeitsschwelle wird um so mehr steigen, je umfangreicher der Überlebende entbunden werden will. Bei der erforderlichen Abwägung in Anlehnung an § 138 I BGB darf zudem nicht unterschlagen werden, daß die testamentarische Bindung beileibe nichts geringfügiges ist, sondern eine weitere Ausformung des „Seins zum Tode“ unterbindet. Eine Dogmatik, die den Sinn des Testierens vornehmlich im Familiarismus verortet300 oder den Blick auf die Bedachten lenkt301, wird hier die Akzente sicherlich anders setzen wollen. Daß dies nicht der sachgerechte Ansatz ist, die Wertungen des gewillkürten Erbrechts zu entschlüsseln, ist aus hiesiger Perspektive unabweislich. Der Erblasser wird mithin von der testamentarischen Bindung hinsichtlich des Vermächtnisses analog § 138 I BGB frei. Ein Beispiel kann die erforderliche Abwägung verdeutlichen: Hat der Überlebende korrespektiv im gemeinschaftlichen Testament einer rechtsradikalen Partei ein Vermächtnis ausgesetzt, ist die Bedenkung in der Regel trotz des Begünstigten nicht sittenwidrig302. Wandelt der Erblasser nach dem ersten Todesfall seine politische Einstellung – nach Teilen der Literatur kommt hier eine Anfechtung nicht in Betracht303 – und wen300 Paradigmatisch MünchKomm-Leipold, § 2078 Rn. 1 ff. Ähnlich Staud-Boehmer, 11. Aufl., Einl zum Erbrecht, § 17 Rn. 1 f., 3; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 9 I 1 a; v. Lübtow, Erbrecht, 17; Häsemeyer, Abhängigkeit, 122 ff.; Linker, Neubestimmung, 11, 59 f.; Papantoniou, AcP 173 (1973), 385 (393 ff.); Heinrich Lange, JherJb 82 (1932), 1 (12); Zawar, DNotZ-Sonderheft 1989, 116 (131); Zopfs, ZEV 1995, 309 (312); und schon Otto von Gierke, Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs, 507; ähnlich auch Ebenroth, Erbrecht, Rn. 180; angedeutet bei Staud-Otte, Einl. zum Erbrecht Rn. 55; siehe im übrigen nur Prot. V, 493 f. Zu einer derartigen familiaristischen Deutung der Testierfreiheit siehe ablehnend Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 3 II–IV. 301 Paradigmatisch Keuk, FamRZ 1972, 9 (14 f.); Windel, Modi, 244 ff. mit 1 ff. Kritisch dazu Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 7 II. 302 Der Lösungsweg, der von MünchKomm-Leipold, § 2078 Rn. 39, aufgewiesen worden ist (nämlich die Prüfung, ob die Verfügung des Erblassers sittenwidrig ist), ist deshalb hier nicht hilfreich.

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Kap. 3: Die Loslösung von der testamentarischen Bindungswirkung

det sich einer demokratischen Partei zu304, wäre es unzumutbar, daß er weiterhin der Sozietät adressieren muß, er übe eine rechtsradikale Gesinnung – denn was sonst, wenn nicht dieses, wird jedermann annehmen, der von dem Vermächtnis erfährt. Die Umstandsänderungen weisen bei den bisherigen Beispielen einen Bezug zum gemeinschaftlichen Testament auf. Sie müssen dies aber nicht. So kann auch umgekehrt der Überlebende das Bedürfnis verspüren, aufgrund einer nach dem ersten Todesfall erwachten Religiösität seiner Religionsgemeinschaft ein Vermächtnis auszusetzen. Sollte diese Umstandsänderung relevant sein, muß freilich ein wirklich extremer Fall vorliegen, bei dem von einem Zerbrechen des Überlebenden die Rede sein kann, wenn er nicht neu testieren darf. Denn ist der Umstandsänderung kein Bezug zum gemeinschaftlichen Testament eigentümlich, kann noch nicht einmal erwartet werden, daß der Erstverstorbene seine Erwartungen, die er dem anderen Teil gegenüber hegt, an dessen Persönlichkeitsentwicklung anpaßt; er hat dafür ja überhaupt keinen Anlaß – was bei einem Vermächtnis zugunsten einer politischen Partei selbstredend anders ist. Fehlt aber auf Seiten des Erstverstorbenen ein derartiger Anlaß, seine Erwartungen zu überdenken, fehlt es in der Regel an der oben305 beschriebenen Situation, die einen Wertungsabgleich mit § 138 I BGB einsichtig macht. Nach dem bisher Gesagten dürfte es auf der Hand liegen, daß dem Richter bei der Entbindung über einen Wertungsabgleich mit § 138 I BGB zwar nicht eine Testamentskorrektur (der Überlebende muß ja immer erst noch erneut testieren, wenn er von seiner Bindung befreit ist), wohl aber eine wertende Gestaltungsmacht an die Hand gegeben wird, mit der er die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments entsprechend den Wertungen des inneren Systems des Rechts in Ausnahmefällen auf das Maß des Zumutbaren beschneiden kann. Eine derartige richterliche „Abwägungsmacht“ ist hier – ebenso wie bei § 138 I BGB – nichts Schlechtes, sondern notwendig mit einem Rechtssystem verbunden, welches sich nicht als ein maschinenhaftes Formalrecht versteht, sondern das System der inneren Wertungen seiner selbst in den Vordergrund stellt. 3. Das Schicksal der Verfügungen des Erstverstorbenen

Hat die Abwägung ergeben, daß der Überlebende ganz oder teilweise von seiner testamentarischen Bindung befreit ist, und testiert er im Ausmaß 303

Siehe nur MünchKomm-Leipold, § 2078 Rn. 39. Die Rechtsprechung nimmt hier Anfechtung wegen Motivirrtums an, siehe BGH, LM BGB, § 2078 Nr. 4, zur Kritik hierzu § 10 II 1 a, b. 305 § 10 II 2 b. 304

§ 10 Entbindung qua Schutz des Überlebenden

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der Befreiung abweichend vom gemeinschaftlichen Testament erneut, werden die korrespektiven Verfügungen des Erstverstorbenen nicht gem. § 2270 I BGB unwirksam sein. Das Erwartungsniveau des erstverstorbenen Gatten wurde als Ergebnis der zugunsten des Überlebenden ausgegangenen Abwägung normativ abgesenkt. Er durfte also selbst dann nicht erwarten, wenn er tatsächlich erwartet hat. Anders gesagt: Er ist nicht schutzwürdig. Mithin braucht ihm auch nicht der Schutz des § 2270 I BGB zuteil werden; er soll bedingt für den Fall, daß der Überlebende nach dem ersten Todesfall ein Testament errichtet, allein testieren, um sich damit für alle Eventualitäten abzusichern.

Kapitel 4

Das Sonderproblem Testierfreiheit und Wiederverheiratung § 11 Entbindung im Fall der Wiederverheiratung I. Interessenlage und Grundfälle Die Wiederverheiratung des überlebenden Teils führt bei diesem oftmals zu einer Neubewertung der dem gemeinschaftlichen Testament zugrundeliegenden Motivation. Der Überlebende kann daran interessiert sein, auch seinen zweiten Ehegatten und etwaige aus zweiter Ehe resultierende Abkömmlinge von Todes wegen zu bedenken. Gleichzeitig wird das Interesse des Erstverstorbenen, seinen längstlebenden Gatten nach dem ersten Todesfall hinreichend versorgt zu sehen, manchmal durch die vom zweiten Gatten geleistete Versorgung abgefangen; die Schutzwürdigkeit des Überlebenden zu Lebzeiten wäre damit merklich abgesenkt. Die testamentarische Bindungswirkung nach § 2271 II BGB, welche durch die einstmals mit dem vorverstorbenen Teil getroffenen korrespektiven Verfügungen ins Werk gesetzt worden ist, wird in der Situation der Neuverheiratung oftmals als nicht hinnehmbare Fessel empfunden. Dementsprechend wird nach Wegen gesucht, die Bindung zu lösen. Die Konkurrenz zwischen dem Testierwunsch des Überlebenden und dem Erwartungsschutz des Erstverstorbenen birgt nur schwer zu durchdringende Wertungsfragen; die Gewichtung der Schutzwürdigkeit des Neugatten und der Abkömmlinge aus zweiter Ehe auf der einen Seite und den durch das gemeinschaftliche Testament aus erster Ehe bedachten Dritten auf der anderen Seite kompliziert das Wertungsproblem noch einmal. Hierbei liegt es auf der Hand, daß die Interessen der Neufamilie und der gemeinschaftlich Endbedachten nicht als solche interessieren1, sondern primär über das rechte Verständnis des gemeinschaftlichen Testaments zwischen den Gatten aus erster Ehe relevant werden, etwa indem die schutzfähigen Erwartungen des Erstverstorbenen primär auf den Schutz seiner Abkömmlinge und nicht auf den der neuen Familie des Überlebenden ausgerichtet sind, während dieser gerade sein Versorgungsinteresse gegenüber seinem neuen Gatten und der Abkömmlinge aus zweiter Ehe betonen kann. Die Kautelarjurisprudenz hat auf das Problem der rech1

Siehe oben § 7 II 2 b, c.

§ 11 Entbindung im Fall der Wiederverheiratung

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ten Interessengewichtung durch die Ausprägung von Wiederverheiratungsklauseln reagiert. Diese werden noch einer eingehenden Betrachtung unterzogen werden2. Im folgenden Teil wird die Situation diskutiert, in der die gemeinschaftlich testierenden Ehegatten eine ausdrückliche Klausel für den Fall der Wiederverheiratung des Längstlebenden nicht vorgesehen haben. Im Rahmen einer die Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht focussierenden Arbeit wird hierbei die Lösung von der Bindungswirkung im Falle der Wiederverheiratung im Mittelpunkt der dogmatischen Betrachtung stehen. Denn die Wiederverheiratung wird regelmäßig einen derartig starken Einschnitt in die Lebensumstände einer Person darstellen, daß diese gewillt sein wird, ihr einstmals mit dem Vorverstorbenen gemeinschaftlich entfaltetes „Sein zum Tode“ aktuell zu überdenken und sich einen neuen Entwurf eines personalen Selbst zu eigen zu machen, welchen sie sodann der Sozietät als letztwillige Verfügung offenbart sehen will. Die Frage, ob und inwieweit sich der überlebende Teil von der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments wird lösen können, wird im folgenden für den typischen Fall diskutiert, daß zu den Abkömmlingen aus erster Ehe in der zweiten Ehe weitere Abkömmlinge des Überlebenden hinzutreten. Der Grundfall lautet demnach: Gesetzt den Fall, aus der ehelichen Verbindung zwischen dem Überlebenden und dem Erstverstorbenen entstammen gemeinsame Abkömmlinge. Nach dem Tode des Erstverstorbenen heiratet der überlebende Gatte erneut. Aus der zweiten Ehe entstammen wiederum Abkömmlinge. II. Die Position des neuen Ehegatten hinsichtlich der Vererbung seines Vermögens 1. Allgemeines

Der neue Ehegatte des Überlebenden kann über sein in die Ehe mitgebrachtes und während der Ehe erworbenes Vermögen ohne weiteres trotz eines gemeinschaftlichen Testaments zwischen den Gatten der ersten Ehe testieren. Dies gilt auch für den Fall, daß die neuen Gatten Gütergemeinschaft vereinbart haben. Vorverstirbt hier der neue Gatte, so gehört sein Anteil am Gesamtgut zum Nachlaß; der Verstorbene wird nach den allgemeinen Regeln (also testamentarisch oder per gesetzlicher Erbfolge) beerbt, § 1482 BGB. Ist fortgesetzte Gütergemeinschaft vereinbart, so setzen die gemeinsamen Abkömmlingen aus der Zweitehe die Gütergemeinschaft mit dem überlebenden Teil fort, § 1483 I BGB. Die nicht gemeinschaftlichen Abkömmlinge des Überlebenden aus erster Ehe sind am Erbfall nach dem neuen Gatten nicht beteiligt. Vorverstirbt der aus erster Ehe Überlebende, so werden dessen Abkömmlinge aus erster Ehe von der fortgesetzten Güter2

Unten § 12.

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Kap. 4: Das Sonderproblem Testierfreiheit und Wiederverheiratung

gemeinschaft ausgeschlossen und erben so, als ob sie nicht eingetreten wäre, § 1483 II BGB. Sie erben richtigerweise mithin zusätzlich zum Vorbehalts- und Sondergut auch aus dem Gesamtgut, indem sie in die Gesamthand eintreten3. Diese Entscheidung situiert in einem schwierigen Spannungsverhältnis zwischen zwei Regelungen. Auf der einen Seite steht die Forderung des § 1483 I BGB, nach dem über das nicht auseinandergesetzte Gesamtgut die Gesamthandsgemeinschaft nur zwischen dem überlebenden Gatten und den gemeinschaftlichen Abkömmlingen der zweiten Ehe fortgesetzt wird. Auf der anderen Seite ordnet § 1483 II BGB an, daß die Rechtsstellung des einseitigen Abkömmlings durch die Vereinbarung der fortgesetzten Gütergemeinschaft nicht tangiert sein soll. Nach einer Meinung soll dieses Spannungsverhältnis mit Rücksicht auf den Grundgedanken der fortgesetzten Gütergemeinschaft (dem Erhalt des Gesamtgutes in seiner Substanz) dadurch aufgelöst werden, daß den einseitigen Abkömmlingen des verstorbenen Gatten aus erster Ehe nur ein schuldrechtlicher Anspruch auf Teilauseinandersetzung zugebilligt wird, welcher zwar das Recht einschließt, Naturalteilung nach §§ 2042, 752 BGB zu verlangen, nicht aber das Recht, Teilungsversteigerung nach § 753 BGB zu begehren4. Begründet wird dies damit, die ehevertragliche Vereinbarung der Gütergemeinschaft erfülle die Erbvertragsform (§ 2276 II BGB). Wünsche der Erblasser in einer Form, die einer Verfügung von Todes wegen genügen würde, den Weiterbestand des Gesamtgutes bei seinem überlebenden Gatten und (nur) den gemeinschaftlichen Abkömmlingen, habe er damit zugleich die rechtliche Zurücksetzung seiner einseitigen Abkömmlinge in Kauf genommen5. Nun kann aber gerade dies nicht gemutmaßt werden, wenn ein bindendes gemeinschaftliches Testament aus erster Ehe vorliegt, da eine Zurücksetzung der erstehelichen Abkömmlinge gegen die Bindungswirkung verstoßen würde. Es kann mithin nur davon ausgegangen werden, daß gerade umgekehrt als sonst angenommen wird, der Überlebende wolle seine erstehelichen Abkömmlinge nicht zurücksetzen; es kommt also zu deren Eintritt in die Gesamthand. Vorverstirbt der neue Ehegatte und hat dieser entsprechend der Trennungslösung den Überlebenden zum Vorerben und die gemeinschaftlichen Abkömmlingen der zweiten Ehe zu Nacherben berufen, hindert das gemeinschaftliche Testament und die dort vorgesehene Erbrechtsordnung nicht den Anfall bei den Abkömmlingen der zweiten Ehe, wenn der Überlebende nachverstirbt. Denn als Nacherben erben diese Abkömmlinge ausschließlich von dem zweiten Gatten. Hat dieser entsprechend der Einheitslösung den 3

Staud-Thiele, § 1483 Rn. 21 f. So MünchKomm-Kanzleiter, § 1483 Rn. 14; Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 39 I 5; wohl auch Palandt-Brudermüller, § 1483 Rn. 3. 5 MünchKomm-Kanzleiter, § 1483 Rn. 14. 4

§ 11 Entbindung im Fall der Wiederverheiratung

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Überlebenden zum Alleinerben bestimmt, ist dieser auch in Ansehung des § 2271 II BGB nicht daran gehindert, hinsichtlich des vom neuen Gatten von Todes wegen erworbenen Vermögens zugunsten der gemeinschaftlichen Abkömmlingen aus zweiter Ehe zu testieren, mögen auch dadurch die Kinder aus erster Ehe nur einen Teil seines Gesamtvermögens erwerben, so daß eigentlich eine widersprechende Verfügung zu Lasten der gemeinschaftlich aus dem Testament der ersten Ehe Endbedachten vorhanden zu sein scheint. Bei Lichte betrachtet stellt sich schon gar nicht die Frage, ob hier der Überlebende ausnahmsweise sich von der Bindung lösen kann, da er richtigerweise hinsichtlich des von Todes wegen vom neuen Gatten Erworbenen nie gebunden war – dies war eines der Ergebnisse der Überlegungen zum Grund der testamentarischen Bindung6. Der Grund liegt darin, daß der Erstversterbende der ersten Ehe den erbweisen Vermögenszuwachs regelmäßig nicht in seine Erwartungsstrukturen eingebunden hat; Frucht dieser Einsicht war die Formulierung einer diese Erwartungsausrichtung widerspiegelnden Auslegungsregel. Haben die Gatten aus erster Ehe hingegen ausdrücklich vorgesehen, daß auch ein Vermögenserwerb des Überlebenden von Todes wegen unter die Bindungswirkung nach § 2271 II BGB fallen soll, bleibt der Überlebende gebunden. Dem zweiten Gatten ist dann zu raten, Vorerbschaft des Überlebenden und Nacherbschaft der gemeinschaftlichen Abkömmlinge aus der zweiten Ehe zu verfügen. Es bleibt nach all dem im folgenden noch zu klären, ob nicht doch noch eine Beeinträchtigung der Abkömmlinge aus erster Ehe gegeben sein kann. 2. Das Problem der Beeinträchtigung der Endbedachten aus erster Ehe

a) Fall 1: Einheitslösung im gemeinschaftlichen Testament der ersten Ehe Gesetzt den Fall, die Gatten aus erster Ehe haben sich gegenseitig zu Vollerben und die Endbedachten als Schlußerben des Längstlebenden eingesetzt. Setzt nun der Längstlebende nach der Wiederverheiratung und nach dem Tode des zweiten Gatten zu Lasten der erstehelichen Abkömmlinge die zweitehelichen Kinder als Miterben zu dem Anteil an seinem Gesamtvermögen ein, der dem von dem zweiten Gatten von Todes wegen erworbenen Vermögen entspricht, bilden die Kinder aus erster und aus zweiter Ehe eine Miterbengemeinschaft hinsichtlich des Nachlasses des Längstlebenden. Hierbei ist sicherzustellen, daß eine Beeinträchtigung der erstehelichen Abkömmlingen durch eine Beteiligungsquotelung entsprechend dem Verhältnis zwischen dem in den Nachlaß geflossenen Vermögen des zweiten Gatten und dem Rest des Nachlasses vermieden wird, da nur dann die 6

Dazu siehe oben § 6 III 2 b.

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Unwirksamkeitsfolge des § 2271 II BGB nicht eintritt7. Liegt eine derartige Beeinträchtigung dennoch nicht schon durch die Tatsache vor, daß nunmehr die Kinder aus beiden Ehen eine Miterbengemeinschaft bilden? Bei der Beurteilung, ob eine Beeinträchtigung der korrespektiv endbedachten Kinder aus erster Ehe gegeben ist, ist grundsätzlich eine auf den Sinn der Bindungswirkung bezogene, also „erwartungstheoretische“ Betrachtungsweise an den Tag zu legen. Denn anders als beim Erbvertrag, bei dem der erbvertraglich Endbedachte in einem Recht durch eine weitere letztwillige Verfügung rechtlich beeinträchtigt werden kann8, besitzen die in einem gemeinschaftlichen Testament endbedachten Dritten zumindest dann keinerlei Rechte vor dem letzten Todesfall, wenn sie nicht als Nacherben, sondern als Erben des Längstlebenden eingesetzt worden sind; und sind sie Nacherben, bezieht sich ihr Nacherbenschutz nur auf Verfügungen des Vorerben zu dessen Lebzeiten, §§ 2113 ff. BGB9. Mit Blick auf diese Rechtsstellung der korrespektiv Endbedachten richtet sich die Frage, wann sie beeinträchtigt sind, allein nach dem Schutz der berechtigten Erwartungen des Erstverstorbenen; der Beeinträchtigungsschutz dient ja nur diesem, nicht aber (allenfalls als unbeachtlicher Reflex) auch den Endbedachten. Regelmäßig wird der Erstverstorbene beim gemeinschaftlich mit dem anderen Teil projektierten Zuschnitt der Vermögensordnung post mortem nur darauf Wert gelegt haben, daß der Erbteil des von seiner Seite aus Endbedachten dem Wert nach nicht angegriffen wird. Eine Zuordnung einzelner Nachlaßobjekte zu einzelnen Erben wird durchweg ausscheiden, falls keine diesbezügliche Teilungsanordnung oder ein gegenstandsbezogenes Vorausvermächtnis verfügt ist. Haben die Ehegatten weder eine Teilungsanordnung, noch ein Vorausvermächtnis verfügt, ist nicht ersichtlich, wieso sich auf einzelne Nachlaßobjekte bezogene Erwartungen beim Erstverstorbenen herausgebildet haben sollen, die korrespektive Verfügung zugunsten der Endbedachten umfasse auch den Übergang des Gesamtnachlasses in eine Miterbengemeinschaft allein zwischen den im gemeinschaftlichen Testa7 Die testamentarische Bindung betrifft nur Verfügungen, die die Endbedachten beeinträchtigen, siehe BGH, NJW 1959, 1730; BayObLGZ 1966, 242 (245); MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 19; Palandt-Edenhofer, § 2271 Rn. 15 f.; Staud-Kanzleiter, § 2271 Rn. 33; RGRK-Johannsen, § 2271 Rn. 28; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 24 VI 3 c b. 8 Bei § 2289 I 2 BGB besteht Einigkeit, daß eine rechtliche Schlechterstellung auf jeden Fall das Beeinträchtigungsmerkmal erfüllt; strittig ist darüberhinaus nur, ob auch eine wirtschaftliche Schlechterstellung für eine Beeinträchtigung hinreicht, sofern sie eine rechtlich geschützte Position aus dem Erbvertrag betrifft. Siehe Siebert, FS Hedemann, 237 (250, 256 ff.); MünchKomm-Musielak, § 2289 Rn. 10; Staud-Kanzleiter, Rn. 14, für die rechtliche Betrachtungsweise und Soergel-Manfred Wolf, § 2289 Rn. 3, 10, für die auch wirtschaftliche Betrachtungsweise. 9 Dazu oben § 7 II 2 c.

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ment Endbedachten. Dementsprechend findet auch die Beurteilung der Beeinträchtigung gem. § 2270 I BGB wertbezogen und nicht objektbezogen statt. Die Existenz einer Miterbengemeinschaft beeinträchtigt Werterwartungen nicht, § 2047 I BGB. Dieser Grundsatz einer wertmäßigen Betrachtung gilt auch – wieso sollte dies nun anders sein – für den Fall, daß der überlebende Teil seine zweitehelichen Kinder am Gesamtnachlaß partizipieren läßt. Falls sich jedoch in dem Teil des Nachlasses des Überlebenden, der nicht vom vorverstorbenen zweiten Gatten stammt, ein Vermögensgegenstand befindet, bei dem der erstverstorbene Gatte der ersten Ehe erkennbar erwartete, daß er im Erbgang in objecto den Endbedachten des gemeinschaftlichen Testaments der ersten Ehe zukomme, wird eine Abweichung vom Grundsatz der wertbezogenen Beurteilung der Beeinträchtigung angezeigt sein. Ein Beispiel ist etwa ein vom vorverstorbenen ersten Gatten oder vom Überlebenden in die erste Ehe eingebrachtes oder während dieser Ehe aufgebautes Unternehmen, welches an die gemeinschaftlichen Abkömmlinge aus erster Ehe von Todes wegen weitergegeben werden soll. Hier darf der vorverstorbene Teil erwarten, daß der Überlebende keine Dritten in die Unternehmerstellung durch letztwillige Verfügung gelangen läßt, mögen auch die Endbedachten wirtschaftlich im Zeitpunkt des Todes des Längstlebenden hierdurch nicht schlechtergestellt sein. Der Grund für diese Erwartung besteht im Unternehmensbeispiel an der herausgehobenen Stellung dieses Nachlaßgegenstands für den Lebenserwerb der Endbedachten, der diesen deshalb gegenständlich erhalten bleiben soll. Auch bei einem Einfamilienheim wird regelmäßig der Erstverstorbene ein Interesse daran haben, daß es allein in das Eigentum seiner Abkömmlinge fällt und nicht Dritte an ihm partizipieren. Denn letzteres dürfte durchweg dazu führen, daß das Haus veräußert wird. Andere Gegenstände, die allein auf die Endbedachten des Testaments der ersten Ehe zukommen sollen, wären etwa solche, bei denen ein starkes Affektionsinteresse des Vorverstorbenen besteht. Ob ein solches Interesse besteht, ist Sache der Beweiserhebung. Läßt sich die Affektionslage nicht eindeutig klären, entfällt im Zweifel ein auf einen bestimmten Nachlaßgegenstand bezogenes Affektionsinteresse, da dies der allgemeinen Regel entspricht, daß die Beeinträchtigung der Endbedachten nicht objekt-, sondern wertbezogen beurteilt wird. Steht das Affektionsinteresse hingegen fest oder befand sich im Nachlaß ein Unternehmen, findet im Zweifel eine objektbezogene Betrachtungsweise hinsichtlich der Beeinträchtigung der gemeinschaftlich von den Gatten der ersten Ehe bedachten Abkömmlingen statt; technisch wird dies durch eine inzident verfügte Teilungsanordung oder durch Vorausvermächtnisse an die Abkömmlinge aus erster Ehe zu bewältigen sein. Mithin gilt: Es ist sicherzustellen, daß der Nachlaßwert, der den erstehelichen Kindern kraft des gemeinschaftlichen Testaments der Gatten der Erst-

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ehe zusteht, nicht geschmälert wird. Grundsätzlich reicht hierzu eine wertmäßige Nachlaßteilung entsprechend dem Verhältnis zwischen dem in den Nachlaß geflossenen Vermögen des Gatten der zweiten Ehe und dem Rest des Nachlasses aus. Nur ausnahmsweise (relevante Beispiele: bei einem Unternehmen, einem Einfamilienhaus und bei affektiv besetzten Gegenständen) findet eine Zuordnung einzelner Nachlaßgegenstände an die Kinder aus erster Ehe statt; die wertmäßige Teilung muß dann anhand des restlichen Nachlasses vollzogen werden. Der wiederverheiratete Überlebende wird mithin tunlichst ausdrücklich eine Teilungsanordnung gem. § 2048 BGB vorsehen, den Kindern aus der erster Ehe gegenstandsbezogene Vorausvermächtnisse gem. § 2150 BGB aussetzen oder die Erbquote nicht-beeinträchtigend gestalten, also den Kindern aus zweiter Höhe nur eine Nachlaßpartizipation in Höhe des vom zweiten Gatten im Wege des Erbgangs erworbenen Vermögens bewilligen. Soweit sich hierzu im zweiten Testament nichts ausdrücklich findet, wird anzunehmen sein, daß der Erblasser die entsprechende Erbquote implizit verfügt hat, um den testamentarischen Erwerb der Kinder aus zweiter Ehe nicht den Risiken der Unwirksamkeit gem. § 2271 II BGB auszusetzen. Schlägt eine derartige Auslegung fehl, ist die neue Verfügung des Überlebenden der ersten Ehe nicht gänzlich, sondern nur insoweit unwirksam, als sie tatsächlich die Endbedachten beeinträchtigt. Mit Blick hierauf wird analog § 2085 BGB10 die Verfügung zugunsten der zweitehelichen Abkömmlinge insoweit aufrechtzuerhalten sein, daß sie mit der richtigen, die Erbschaft der Endbedachten aus erster Ehe wertmäßig nicht schmälernden Erbquote eingesetzt sind11. Eines freilich scheint gegen die bisherigen Überlegungen zu sprechen, es sei nicht einsichtig, daß die Kinder aus der zweiten Ehe nur an dem Erbe des anderen Elternteils, nicht aber an dem möglicherweise nach dem Tode des Erstversterbenden eingetretenen, eventuell sehr erheblichen Vermögenszuwachs des Überlebenden partizipieren sollen. Es wird noch gezeigt werden12, daß die Kinder aus der zweiten Ehe sehr wohl auch am Vermögen des Überlebenden wenigstens zu einem Teil teilhaben können. Insofern werden auch – wenn die Ehegatten der zweiten Ehe dahingehend testieren wollen – die Interessen der zweitehelichen Kinder durchaus gewahrt. 10

Bei der Teilunwirksamkeit einer einheitlichen Verfügung wird richtigerweise § 2085 BGB analog angewendet, ein Rückgriff auf § 139 BGB entfällt, siehe MünchKomm-Leipold, § 2085 Rn. 9; Soergel-Loritz, § 2085 Rn. 11; Staud-Otte, § 2085 Rn. 11; Kipp/Coing, Erbrecht, § 21 VI; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 34 V 2 b; v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 1, 280 f.; Schlüter, Erbrecht, Rn. 199. 11 § 2085 BGB wird beim gemeinschaftlichen Testament für das Verhältnis der wechselbezüglichen Verfügungen der Ehegatten zueinander durch § 2270 I BGB ausgeschlossen, MünchKomm-Leipold, § 2085 Rn. 10. Doch gilt dies eben nur für diese korrespektiven Verfügungen. Diese stehen hier nicht in Rede. 12 Sogleich unten § 11 III.

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b) Fall 2: Trennungslösung im gemeinschaftlichen Testament der ersten Ehe Soweit schließlich die Gatten aus der ersten Ehe die Trennungslösung gewählt haben, also gegenseitige Vorerbschaft und Nacherbschaft der gemeinschaftlichen Abkömmlinge verfügt haben, werden im zweiten Todesfall die Kinder aus erster Ehe hinsichtlich des Nachlasses ihres erstverstorbenen Elternteils dessen Nacherben; die erstehelichen Abkömmlinge bilden daneben die Miterbengemeinschaften mit den zweitehelichen Kindern hinsichtlich des Gesamtnachlasses des nachverstorbenen Überlebenden. Hinsichtlich dieses Nachlasses gelten die Ausführungen zu Fall 1 entsprechend: Erbeinsetzung der Abkömmlinge aus zweiter Ehe nur nach der Quote, welcher dem Verhältnis des nach dem Tod des zweiten Gatten von diesem erworbenen Nachlaßwerts zum Gesamtnachlaß entspricht; ausnahmsweise Zuweisung einzelner Nachlaßgegenstände aus dem allein vom Überlebenden der ersten Ehe stammenden Nachlaßteil im Wege einer Teilungsanordnung oder eines Vorausvermächtnisses. III. Die Position des wiederverheirateten Längstlebenden I: Allgemeines 1. Übersicht

Die Möglichkeiten des überlebenden Ehegatten, nach der Wiederverheiratung neu – unter Umständen gemeinschaftlich mit dem zweiten Gatten – zu testieren, hängt davon ab, ob er sich von der testamentarischen Bindung lösen kann. Die Lösung kraft § 2271 II 1 HS 2 BGB wird durchweg ausscheiden, da die Ausschlagung des vom Erstverstorbenen testamentarisch Zugewendeten wegen Verfristung (§ 1944 I, II BGB) regelmäßig nicht mehr in Betracht kommen wird. Die Fallgestaltungen, bei denen eine Entbindung gem. § 2271 II 2, III BGB eintritt, weil die Abkömmlinge aus erster Ehe der Verschwendung oder der Überschuldung anheimgefallen sind oder sich einer Verfehlung schuldig gemacht haben, die zur Entziehung des Pflichtteils berechtigen, können vernachlässigt werden. Gleiches gilt für den Fall, daß die Abkömmlinge sämtlich ersatzlos vorversterben oder einer von ihnen ersatzlos wegfällt; hier wurde schon gezeigt, daß im Zweifel hinsichtlich des Erwerbs des Ersatzerben oder – im Falle der Anwachsung gem. §§ 2094, 2158 BGB – des Miterben in Höhe der Anwachsung keine Bindung gegeben ist13. Auch eine Freistellungsklausel verhilft den überlebenden Teil dazu, seine Testierfreiheit wiederzugewinnen, wenn sie verfügt worden ist; auf das oben14 Gesagte sei hierbei verwiesen. Zu diskutieren 13

§ 9 II.

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sind demnach noch folgende Fälle: (i) Die Endbedachten des Testaments der ersten Ehe stimmen der sie beeinträchtigenden Verfügung zu. (ii) Der Überlebende (oder ein Dritter) ficht die einer Bedenkung des neuen Gatten oder der Abkömmlinge aus zweiter Ehe entgegenstehende korrespektive Verfügung aus dem gemeinschaftlichen Testament der ersten Ehe wegen Irrtums gem. § 2079 BGB an. (iii) Schließlich bleibt zu prüfen, ob der überlebende Gatte auch in weiteren Fällen seine Testierfreiheit wiedergewinnen kann und welches Schicksal in diesen Fallgestaltungen die Verfügungen des Erstversterbenden haben. Bevor dies die leitende Thematik der folgenden Ausführungen sein wird, soll noch ein Blick auf den Zuschnitt des Vermögens geworfen werden, welches tatsächlich von der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments aus erster Ehe erfaßt wird. 2. Das von der Bindungswirkung erfaßte Vermögen des überlebenden Teils

a) Die zur Vererbung anstehenden Vermögensmassen beim Überlebenden Nach der h. M. wird von der testamentarischen Bindung das gesamte Vermögen des überlebenden Teils erfaßt. Die Bindung soll sich sogar auf das Vermögen erstrecken, welches der Überlebende erst nach dem Tod des anderen Teils unter Lebenden oder sogar von Todes wegen erwirbt15. Es war schon die Rede davon, daß dies aufgrund der gemeinhin gehegten Erwartungen des Erstversterbenden im Zweifel nicht für die Vermögenszuwächse gilt, die nicht aus Mitteln des vom Erstversterbenden ererbten Vermögens oder aus dem Vermögen des Überlebenden im Zeitpunkt des ersten Todesfalls stammen16. Bei einer Wiederverheiratung kann nun ebenfalls nicht die Rede davon sein, daß das gesamte Vermögen des Überlebenden von der testamentarischen Bindungswirkung erfaßt wird. Drei Vermögensmassen gilt es zu unterscheiden. Ist der überlebende Teil gemäß der Einheitslösung als Alleinerbe des zweiten Gatten eingesetzt und vorverstirbt dieser, wurde hinsichtlich des Nachlasses des zweiten Gatten – erste Vermögensmasse – schon klargestellt, daß hierüber im Zweifel keine Bindung nach § 2271 II BGB eintritt17. Ist der Überlebende nach den Vorgaben der Trennungslösung Vorerbe des vorverstorbenen zweiten Gatten, entfällt sowieso eine te14

Oben § 8. RG JW 1915, 1121; KG DR 1939, 1443 (1444); v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 1, 503; Staud-Kanzleiter, § 2271 Rn. 30; MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 15; Dittmann/Reimann/Bengel-Bengel, § 2271 Rn. 29. 16 Oben § 6 III 2 b. 17 Vgl. soeben und nochmals oben § 6 III 2 b und hinsichtlich der näheren Folgen § 11 II 2. 15

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stamentarische Bindung aus dem gemeinschaftlichen Testament der ersten Ehe, da die Abkömmlinge der zweiten Ehe im Nacherbfall unmittelbar vom zweiten Gatten erben. Bezüglich des von Todes wegen als Alleinerbe18 erworbenen Vermögens des Erstverstorbenen – zweite Vermögensmasse – tritt grundsätzlich (über Ausnahmen wird noch zu reden sein) die Bindungswirkung nach § 2271 II BGB ein, falls keine Lösung nach den §§ 2171 II 1 HS 2, III BGB und den sonstigen, nun schon öfters genannten19 Fallgestaltungen möglich ist. Es bleibt – dritte Vermögensmasse – das sonstige Eigenvermögen des Überlebenden ab dem ersten Todesfall (also sein Gesamtvermögen abzüglich des vom ersten und zweiten Gatten von Todes wegen Erworbenen). Diese dritte Vermögensmasse kann wiederum unterteilt werden in das im Zeitpunkt der Wiederverheiratung bestehenden Alt-Vermögens des überlebenden Teils sowie in das ab der Wiederverheiratung erworbene eigene Vermögen. Kann hinsichtlich zumindest eines Teils dieser dritten Vermögensmasse der Überlebende von Todes wegen frei verfügen, ohne testamentarisch gebunden zu sein? Die These lautet: Der Überlebende wird von der testamentarischen Bindung hinsichtlich eines Viertels der o. g. dritten Vermögensmasse frei, wenn er sich (i) wiederverheiratet, (ii) das gemeinschaftliche Testament der ersten Ehe für diesen Fall keine ausdrückliche Regelung vorgesehen hat und falls (iii) er mit seinem neuen Gatten wiederum gemeinschaftlich korrespektiv testiert. Soweit der Überlebende frei wird, kann er neu testieren. Testiert er hierbei in Widerspruch zu den korrespektiven Verfügungen des gemeinschaftlichen Testaments der ersten Ehe, tritt dennoch im Zweifel keine Unwirksamkeit der korrespektiven Verfügung des Erstverstorbenen nach § 2270 I BGB ein. Soweit die These. Im Beispiel: Gesetzt den Fall, in einem gemeinschaftlichen Testament hat A seinem Gatten B im Wege der Einheitslösung als Alleinerbe ein Haus, B dem A Wertpapiere im Wert von A 200.000,– vererbt, wobei Schlußerbe der Dritte D sein soll. Ceteris paribus stehen sämtliche Verfügungen im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit zueinander. A stirbt. B verheiratet sich mit C. B kann nun über ein Viertel seines Wertpapiervermögens frei – etwa zugunsten seines zweiten Gatten – verfügen. Die Verfügung des A wird gleichwohl im Zweifel nicht unwirksam.

18 Ist (wie bei der Trennungslösung) Vorerbschaft des anderen Gatten und Nacherbschaft der gemeinsamen Abkömmlinge abgeordnet, stellt sich die Frage nicht, ob der Überlebende über das vom Vorverstorbenen Ererbte letztwillig verfügen kann. Denn die Abkömmlinge erwerben als Nacherben im Nacherbfall (also im Tode des Überlebenden) unmittelbar vom Erstverstorbenen. Der Längstlebende kann also hier nichts vermachen. 19 Oben § 7 II 1.

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b) Die Testierfreiheit und das Eigenvermögen des Überlebenden aa) Die Limitierung des Erwartungsschutzes im Falle der Wiederverheiratung: Allgemeines Nun scheint bei Lichte betrachtet die soeben vorgestellte These ohne weiteres gegen § 2271 II BGB zu verstoßen, da der Wortlaut dieser Vorschrift den Anschein erweckt, als ob eine Bindung trotz Wiederverheiratung und Neutestierens unabweislich ist. Zweifel an dieser apodiktischen Antwort weckt ein Blick auf den Sinn und Zweck des § 2271 II BGB. Diese Vorschrift schützt die berechtigten Erwartungen, die der Erstverstorbene hegen darf und um deren Schutz willen das Gesetz die testamentarische Bindung anordnet. Die Regel lautet hier: Bindung gem. § 2271 II BGB wegen des Schutzes geleisteter psychischer Gratifikationen auf der einen und Schutz von vermögensbezogenen Erwartungen des Erstverstorbenen über § 2270 I BGB auf der anderen Seite20. Die testamentarische Bindung schützt mithin nicht einfach so die Erwartung des Erstverstorbenen, der Überlebende würde nicht mehr neu testieren. Vielmehr wird diese Erwartung nur aus dem Grunde geschützt, weil der Erstverstorbene den Überlebenden psychisch in dessen Todesverarbeitung durch die Implementation einer Vermögensordnung post mortem unterstützt hat. In der Diktion der Theorie des sozialen Austauschs gesagt tritt aufgrund des Reziprozitätsprinzips Bindung des einen Teils ein, weil der andere Teil ihn psychisch gratifiziert hat. Fällt die Relevanz dieser psychischen Gratifikation hingegen weg, tritt eine Lösung von der testamentarischen Bindung ein, soweit der Wegfall reicht. Denn es ist kein Grund mehr ersichtlich, den Überlebenden an einer erneut mit den Mitteln der letztwilligen Verfügung ins Werk gesetzten Todesverarbeitung zu hindern, wenn ein Interesse des Erstverstorbenen an dieser Verhinderung nicht mehr existiert. Die Bindung nach § 2271 II BGB ist ja kein Selbstzweck, sondern in ihrer Legitimation von den geschützten Erwartungen des Erstverstorbenen abhängig. Nun wäre es aber ein Unding anzunehmen, die durch den Erstverstorbenen dem anderen Teil geleistete psychische Gratifikation sei schon dann entwertet, wenn der andere Teil meint, die ihm während der gemeinschaftlichen Todesverarbeitung einstmals von dem einen Teil gewährte Unterstützung sei für ihn nunmehr nach dem ersten Todesfall ohne Wert. Denn mit einer derartigen Erwägung würde dem Erstverstorbenen jeglicher Schutz genommen, da nur noch der Wille des überlebenden Teils entscheidend wäre, um die Testierfreiheit wiederzugewinnen. Es sollte vielmehr darauf ankommen, ob dem Überlebenden ein funktionales Äquivalent zu genau jener Gratifikation zuteil wird, die der Erstverstorbene ihm geleistet hat, und 20

Siehe oben § 4 II 3 c, § 6 I.

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ob hinsichtlich dieses funktionalen Äquivalents der Erstverstorbene Erwartungen ausbilden konnte. Nur dann ist sowohl für den Überlebenden die einstmalige psychische Gratifikation durch den ersten Gatten tatsächlich zu einem gewissen Grade entwertet, als auch ein Schutz des erstverstorbenen Teils nicht mehr einsichtig, da dieser ja nicht erwarten darf, der andere Teil hätte auch so verfügt, wie er verfügt hat, wenn die psychische Gratifikation für ihn, den anderen Teil, keinen Wert mehr hat, weil sie funktional adäquat ersetzt worden ist. Nun gibt es nur einen einzigen Fall, in dem dies eintritt: der Fall der Wiederverheiratung des Überlebenden. Allein hier kann es nochmals zu einer funktional der gemeinschaftlichen Todesverarbeitung der Gatten der ersten Ehe äquivalenten Verschmelzung der Todesverarbeitungen zweier Menschen in intim codierter Kommunikation kommen, die das Gesetz mit einer Bindung des je Überlebenden aufgrund des Austauschs psychischer Gratifikationen prämiert. Und die Wiederverheiratung selbst muß der Erstverstorbene in sein Erwartungskalkül einbinden. Denn die Verheiratung gehört zu jenen Essentialia personaler Entfaltung, hinsichtlich deren Eintritt oder Nichteintritt irgendwelche Erwartungen Dritter nicht schutzwürdig sind. Der Erstverstorbene muß also davon ausgehen, daß es zur Wiederverheiratung kommt. Ihm muß dann zweierlei bewußt werden: Einmal muß er erwarten, daß bei der Auflösung der zweiten Ehe ein Teil des Vermögens des Überlebenden als Zugewinnausgleich verloren gehen kann, sei es, daß die Ehe geschieden wird, sei es, daß sie durch Tod aufgelöst wird, § 1371 BGB. Der Erstverstorbene darf also keine Erwartungen hinsichtlich des Schicksals des Vermögens hegen, welches im Zeitpunkt des Todes des Überlebenden als Zugewinnausgleich anfällt. Als zweites muß ihm aber auch bewußt sein, daß sein eigener Beitrag zur Todesverarbeitung des Überlebenden (nämlich die psychische Gratifikation) keine große Rolle mehr spielen kann. Etwas anderes gilt nur, wenn der Überlebende ihm im Akt des gemeinschaftlichen Testierens signalisiert hat, daß er die ihm vom anderen Teil gewährte psychische Gratifikation auch für den Fall der Wiederverheiratung als nicht entwertet erachtet. Im Zweifel wird dies aber nicht der Fall sein. Es bleibt mithin festzuhalten: Für den Fall der Wiederverheiratung sind die Erwartungen des Erstverstorbenen limitiert – es fragt sich nur, wieweit die Limitierung reicht. Dies hängt von dem Maß der Entwertung der psychischen Gratifikation ab:

bb) Reziprozität und Wiederverheiratung Es bleibt die Frage, ob bei einem gemeinschaftlichen Testament zwischen den Gatten der zweiten Ehe die dem Überlebenden durch den Erstverstorbenen gewährte psychische Gratifikation vollständig oder nur teil-

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weise entwertet wird. Richtigerweise ist sie nur zu einem Teil entwertet und nur hinsichtlich dieses Teils wird der Überlebende von seiner testamentarischen Bindung befreit. Denn durch das gemeinschaftliche Testieren der Ehegatten der zweiten Ehe wird die durch den Erstverstorbenen geleistete psychische Gratifikation ja nicht vollends hinfällig, sondern ist in den Erfahrungsschatz des überlebenden Teils als erlebtes memento mori eingegangen, in dem es aus Sicht beider Gatten der ersten Ehe weiterhin eine hilfreiche Wirkung im Prozeß der Todesverarbeitung entfalten kann. Aus dieser Tatsache des weiteren Fortwirkens der psychischen Gratifikation folgt nun nicht aber auch umgekehrt, daß die Bindung gänzlich erhalten bleibt. Denn das Gesetz läßt eine testamentarische Bindung nur einsetzen, wenn zu der psychischen auch eine vermögensmäßige Gratifikation hinzukommt, da ja das Vermögen das Mittel ist, welches das personfunktionale Erbrecht als Mittel der Todesverarbeitung begreift. Das Gesetz geht folgerichtig davon aus, daß die dem Überlebenden durch den Erstverstorbenen gewährte psychische Gratifikation vollständig entwertet ist, wenn die gemeinsam erdachte Vermögensordnung post mortem sich vollends nicht mehr realisieren läßt. In den Fällen der §§ 2271 II 2, III BGB ist dies offensichtlich der Fall. Dabei bedeutet „Unmöglichkeit einer Realisierung der Vermögensordnung post mortem“ nicht, daß der Endbedachte aus Rechtsgründen nicht mehr die Erbenstellung erhalten kann. Dies zeigt schon der Fall des § 2271 III BGB i.V. m. § 2289 II BGB. Dort kann der Endbedachte durchaus noch Erbe werden, es bietet sich aber aus Gründen der wirtschaftlichen Vernunft nicht mehr an. Die Frage, wann eine Vermögensordnung entwertet ist, muß also aus einer wirtschaftlichen Perspektive her betrachtet werden – und entscheidend wird hier sein, daß der Erstverstorbene erwarten mußte, daß es zum Zugewinnausgleich nach der Beendigung der zweiten Ehe kommt, denn dann kann er auch in dieser Höhe keine vermögensbezogenen Erwartungen mehr ausbilden. Nun scheint diese wirtschaftliche Betrachtungsweise aber der allgemein geteilten Einsicht zu widersprechen, daß Ausgleichspflichten unter Lebenden – und zu solchen gehört auch die Erblasserschuld aus §§ 1371 II, 1378 I BGB – mit den auf den Todesfall bezogenen Geschäften des Erstverstorbenen (also mit dem gemeinschaftlichen Testament) erst einmal nichts zu tun haben. Die Trennung gründet letztlich in der Einsicht, die letztwillige Bedenkung beziehe sich nicht auf den Nachlaß oder gar einzelne Nachlaßgegenstände, sondern auf den Erwerb der formellen Erbenposition der Endbedachten. Diese wiederum wird durch eine Verpflichtung zum Zugewinnausgleich nicht relevant berührt. Der hiesigen Lösung könnte mithin folgender Einwand entgegengesetzt werden: Würde die Schutzwürdigkeit des Erwartens des Erstverstorbenen davon abhängig gemacht, daß im Fall der Wiederverheiratung ein Vermögensverlust in Höhe des hälftigen Zugewinns beim Tode des Längstlebenden stattfindet, käme es zu einem nicht gerecht-

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fertigten Durchbruch dieses Grundsatzes der Trennung zwischen dem Nachlaß und dessen Gegenständen auf der einen und dem Erwerb der formellen Erbenposition auf der anderen Seite. Die testamentarische Bindung beziehe sich nur auf den Schutz eben der formellen Erbenposition. Diese wird aber rechtlich (wenn auch nicht wertmäßig) durch einen Zugewinnausgleich nicht tangiert, da ja die Erbenstellung der Endbedachten auch bei einem vermögenslosen Nachlaß im zweiten Todesfall weiterhin erworben würde und eben hierauf (auf diesen Erwerb) die Erwartung des Erstverstorbenen gerichtet sei. Zudem würde ja auch sonst nicht gesagt, bei Risiken, welche im Zeitpunkt des gemeinschaftlichen Testierens der Gatten aus erster Ehe für den Erstverstorbenen absehbar waren, sei die testamentarische Bindung von vornherein um den kapitalisierten Betrag des Risikos vermindert, so daß über die diesem Betrag entsprechende Erbquote der Überlebende frei verfügen könne. Eine Erwartungsbildung sei nun einmal selbst ein riskantes Unterfangen; es käme nicht auf die Erwartbarkeit eines wirtschaftlichen Risikos, sondern auf die Erwartbarkeit des rechtlichen Risikos an, daß der Überlebende nicht mehr neu testiere, was schon aus dem Wortlaut des § 2271 II BGB folge. Wieso sollte im Fall der Wiederverheiratung mit folgendem Zugewinnausgleich etwas anderes gelten? Der Einwand wiegt schwer, greift aber letztlich nicht durch. Zuzugeben ist, daß es für die Frage, ob eine relevante Entwertung der Vermögensordnung post mortem vorliegt, nicht darauf ankommt, daß das Vermögen des Überlebenden sich durch irgendwelche Ereignisse zwischen dem ersten und dem zweiten Todesfall verringert hat. Dies zeigen die Lösungstatbestände des § 2271 II 1 HS 2 BGB auf der einen und des § 2271 II 2, III BGB auf der anderen Seite: Bei § 2271 II 1 HS 2 BGB geht es um eine Veränderung in der einstmals gemeinschaftlich ersonnenen Vermögensordnung unmittelbar im Anschluß an den Tod des Erstversterbenden (§ 1944 I, II BGB), während bei den Fällen des § 2271 II 2, III BGB die wirtschaftliche Zerstörung der Vermögensordnung (im Fall des § 2271 III BGB) oder ihre „moralische“ Zerstörung (Fall des § 2271 II 2 BGB) in Rede steht. Sowohl der Fall des § 2271 II 1 HS 2 BGB als auch die Fälle des § 2271 II 2, III BGB stehen mithin in einem unmittelbaren Todesbezug. Dies ist auch einsichtig, da ein personfunktional verstandenes Erbrecht ja den Tod als einen der wichtigsten Bezugspunkte für normative Differenzierungen in den Blick nimmt. Veränderungen im Vermögensbestand des Überlebenden, die zwischen dem ersten und dem zweiten Todesfall stattfinden, widmen sich folgerichtig allein die Regelungen der §§ 2287 f. BGB analog. Was folgt aus all dem für den Fall der Wiederverheiratung? Nach den §§ 1372 ff. BGB wird im Scheidungsfall der Regelgüterstand der Zugewinngemeinschaft durch den Zugewinnausgleich abgewickelt. Gleiches gilt für den Ausgleich des Zugewinns für den Fall der Auflösung der Ehe durch

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Tod nach § 1371 II BGB i.V. m. §§ 1373 ff. BGB. Dieser Fall wiederum ist dann gegeben, wenn der Überlebende trotz Wiederverheiratung von seiner testamentarischen Bindung nicht befreit wird und er deshalb den zweiten Gatten zwangsläufig enterben muß. Beim Tod des Längstlebenden findet ohne Scheidung der zweiten Ehe der Ausgleich des Zugewinns somit gem. § 1371 II BGB statt. Ob diese hälftige Wertbeteiligung am Zugewinn nach den §§ 1373 ff. BGB sachgerecht ist und sich geltungstheoretisch als Recht erweisen kann21, steht hier nicht zur Debatte. Eine abstrahierende Betrachtung, die den Blick nicht auf die Idee gemeinsamen Erwirtschaftens oder auf die Funktionsteilung der Familie lenkt, sondern das Prinzip der Gleichberechtigung der Geschlechter als Wertungsgrundlage des Zugewinnausgleichs focussiert22, wird zwar einen den Zugewinnausgleich tragenden Gedanken liefern, dennoch aber die bedenkliche Zufälligkeit eines manchen Ergebnisses nicht legitimieren können23. Letztlich können diese Mißliebigkeiten im geltenden Güterrecht – das Fehlen schon der „Verheißung“ gerechter Ergebnisse, wenn die Ansätze der Rechtsprechung betrachtet werden24 – hier offen gelassen werden: Der Zugewinnausgleich ist unbestritten wenn nicht schon Recht, so doch bindendes Gesetz und fordert als Gesetz hinsichtlich seines Wertungsgrundsatzes der hälftigen Wertbeteiligung am Zugewinn Beachtung ein. In Höhe des Zugewinnausgleichs läßt sich folglich die ehemals gemeinschaftlich geplante Vermögensordnung entweder aufgrund Scheidung oder aufgrund des Todes des Längstlebenden nicht mehr realisieren. Gemeinhin sind derartige Vermögensverluste für die Frage, ob die Vermögensordnung post mortem relevant entwertet worden ist, tatächlich (wie dies auch der oben vorgetragene Einwand konstatiert) ohne weiteren Belang. Beim Zugewinnausgleich aufgrund Eheauflösung durch den Tod des überlebenden Gatten ist dies aber entscheidend anders. Denn dieser Ausgleich ist von Gesetzes wegen untrennbar mit dem Tode des Längstlebenden verknüpft und tritt sicher ein, wenn die Wiederverheiratung erfolgt. Und da er von Gesetzes wegen an den Tod geknüpft ist, stellt er ein ebenso todesbezogenes Ereignis dar, wie die Fälle der §§ 2271 II 1 HS 2, 2271 II 2, III BGB. Damit schließt sich der Kreis: Ist der Zugewinnausgleich gem. § 1371 II BGB auf den Tod bezogen, ist in seiner Höhe die gemeinschaftlich einstmals auf den Weg gebrachte Vermögensordnung post mortem für beide Gatten der ersten 21

Aus der überbordenen Kritik siehe nur Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 34 I. 22 Dazu Dieter Schwab, FS Söllner, 1079 (1085), mit Bezug auf BGH, FamRZ 1977, 124. 23 Siehe zu einzelnen Fallgestaltungen Dieter Schwab, FS Söllner, 1079 (1085 ff.). 24 So Dieter Schwab, FS Söllner, 1079 (1093).

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Ehe ebenso entwertet, wie dies bei den §§ 2271 II 1 HS 2, 2271 II, III BGB der Fall ist. Aus der Todesbezogenheit des Zugewinnausgleichs nach § 1371 II BGB folgt mithin, daß guten Gewissens der Überlebende in Höhe des Zugewinnausgleichs25 von der testamentarischen Bindung befreit ist. Man mag hiergegen einwenden, auch die Pflichtteilsansprüche etwaiger Abkömmlinge aus der zweiten Ehe entstünden mit dem Tode des Überlebenden, gleichwohl sei dieser nicht in Höhe dieser Ansprüche schon zu Lebzeiten von seiner testamentarischen Bindung befreit, wenn er nicht gem. § 2079 BGB anficht. Der Einwand verfängt nicht. Denn die psychischen Gratifikationen haben für den Überlebenden nur dann keinen Wert mehr, wenn sie durch das gemeinschaftliche Testieren mit dem neuen Gatten funktional äquivalent ersetzt werden. Gerade dies ist aber bei Ansprüchen nicht der Fall, die bei dem Tode des Überlebenden eben nur wegen dieses Todes eingreifen. Es bleibt mithin dabei: Nur beim Wiederverheiratungsfall tritt sicher ein teilweiser Vermögensverlust des Überlebenden im Zeitpunkt seines Todes und die Möglichkeit ein, daß die dem Überlebenden durch den Erstverstorbenen gewährten psychischen Gratifikationen funktional äquivalent durch ein neues gemeinschaftliches Testament mit dem Gatten der zweiten Ehe ersetzt werden können, so daß sie ihre Bindungskraft verlieren. Hierauf kann nur die teilweise Entbindung die Antwort sein. Mit Blick auf all dies verschlägt es auch nicht, daß der während der Zweitehe aufgetretene Zuwachs des Vermögens des Überlebenden zu drei Vierteln an die Endbedachten des gemeinschaftlichen Testaments der Erstehe fällt. Die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments schützt die in der letztwilligen Verfügung niedergelegte Persönlichkeitsausprägung des Erstverstorbenen. Die Endbedachten der zweiten Ehe können gegenüber diesem Persönlichkeitsschutz keine rechtlich relevanten Interessen einwenden. Es ist nichts ersichtlich, was hier für eine Limitierung der Erwartungsbildung des Erstverstorbenen und damit für eine Beschränkung seines Erwartungsschutzes sprechen könnte. Hierin zeigt sich einmal mehr, daß es beim gewillkürten Erbrecht um den Schutz der Persönlichkeit des Testierenden geht, gegenüber dem Vermögensinteressen Dritter nachrangig sind. Dies erweist sich auch in der Einsicht, daß auch die Interessen der Endbedachten des erstehelichen Testaments ja nicht als solche geschützt sind, sondern nur als Reflex des Persönlichkeitsschutzes des Erstverstorbenen26.

25 26

Es wird noch die Rede davon sein, wie hoch die Entbindung genau ist. Dazu oben unter § 7 II 2 c.

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cc) Das Maß der Loslösung von der testamentarischen Bindung Ist die Vermögensordnung post mortem in Höhe des Zugewinnausgleichs nach § 1371 II BGB entwertet, liegt es nahe, auch eine Lösung von der testamentarischen Bindung in eben der Höhe des tatsächlichen Zugewinns gem. §§ 1373 ff., 1390 BGB zu geben. Dennoch ist dies nicht ratsam. Denn setzt der Überlebende seinen zweiten Gatten in einem neuen Testament zu einem Bruchteil als seinen Erben ein, wird der zweite Gatte nicht nur schuldrechtlich am Nachlaß als Nachlaßgläubiger, sondern auch dinglich als Miterbe beteiligt. Mit dem öffentlichen Interesse an einer rechtssichernden Zuordnung des Nachlasses wäre es aber kaum vereinbar, wenn erst in schwierigen Berechnungen der tatsächliche Zugewinn ermittelt und dieser sodann ins Verhältnis zum Gesamtvermögen gesetzt werden müßte, um die Erbquote zu bestimmen. Sachgerechter ist es daher, den Überlebenden von vornherein in einem festen Vermögensbruchteil von seiner testamentarischen Bindung zu lösen. In Frage käme hier eine Anlehnung an die Regelung des Ausgleichs des Zugewinns im Todesfalle. Stirbt der Überlebende und wäre kein Testament vorhanden, würde der Ausgleich des Zugewinns durch eine Erhöhung des gesetzlichen Erbteils des Gatten um ein Viertel der Erbschaft bewirkt; als Ausgleichpauschale für den Zugewinn wird dem zweiten Gatten also ein Viertel des Nachlasses des Überlebenden als das Mindestmaß dessen zugebilligt, was das Gesetz als Ausgleich für den beendeten Güterstand für angemessen hält. Dieses Maß sollte aus Gründen der Rechtssicherheit auch für den Grad der Entbindung des überlebenden Teils gewählt werden, der dann hinsichtlich eines Viertels seines Vermögens, von dem vorab das letztwillig vom Erstverstorbenen Erworbene abzuziehen ist, wieder neu testieren könnte. Zwar ist die Regelung des § 1371 I BGB in ihrer Sinnhaftigkeit und Legitimität mehr als nur umstritten. Sie gilt weithin als vollständig verfehlt, da ihr ehegüterrechtlich eher grobes Raster den tatsächlichen Zugewinn wohl kaum je treffen wird27 und da die Schwierigkeiten im Hinblick auf die Bewältigung internationalprivatrechtlicher Fallgestaltungen aufgrund der in § 1371 I BGB zu findenden Verquickung von Güter- und Erbrecht bekannt sind28. Diese Problemstellungen können jedoch auch hier wieder auf sich beruhen, weil es hier nicht um die güterrechtliche Unsinnigkeit der 27 Siehe zur bekannten ehegüterrechtlichen Krux des § 1371 I BGB nur v. Olshausen, Konkurrenz, insbes. 72 ff.; Rauscher, Reformfragen, 65 ff.; Leipold, AcP 180 (1980), 160 (176); und aus der Kommentarliteratur nur MünchKomm-Koch, § 1371 Rn. 3 ff. 28 Zur diesbezüglichen Problemerörterung siehe v. Olshausen, Konkurrenz, 91 ff. Aus der überbordenden Kritik an § 1371 I BGB siehe ansonsten nur Leipold, AcP 180 (1980), 160 (176); Rauscher, Reformfragen, Bd. 1, 242 ff., Bd. II/1, 58 ff.; Plate, Die Auflösung der Ehe durch den Tod, 91 ff.

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erbrechtlichen „Lösung“ der Güterstandsabwicklung durch § 1371 I BGB, sondern darum geht, einen Anhaltspunkt für die Entbindung des Überlebenden zu gewinnen. Letztlich hätten sämtliche Lösungen der Frage, in welchem Maß der Überlebende seine Testierfreiheit wiedergewinnt, etwas durchaus gewaltsames an sich. Der Weg über die Viertellösung des § 1371 I BGB hat aber immerhin den Vorteil einer rechtssichernden Handhabe für sich. Aus all dem folgt, daß in Höhe eines Viertels seines Vermögens der Überlebende im Fall seiner Wiederverheiratung frei wird, wenn die neuen Gatten gemeinschaftlich korrespektiv testieren. Es ist mithin möglich, den zweiten Gatten nicht nur schuldrechtlich über den Zugewinnausgleich oder den Pflichtteil, sondern auch dinglich als Miterben am Nachlaß des Überlebenden zu beteiligen. Kommt es zur Scheidung der zweiten Ehe, lebt die Bindung aus dem ersten gemeinschaftlichen Testament wieder auf, da dieses nicht gem. § 2270 I BGB insoweit unwirksam geworden ist, als der Überlebende abweichend neu testiert hat, wie noch gezeigt werden wird. Das Wiederaufleben findet nicht statt, wenn das zweite Testament gem. § 2268 II BGB trotz Scheidung weiterhin wirksam ist. Denn dann hat sich für den Überlebenden die ihm von seinem zweiten Gatten gewährte psychische Gratifikation nicht erledigt. Schließlich bleibt noch zu sagen, daß in das Vermögen, zu dessen viertel Teil der Überlebende von der testamentarischen Bindung frei wird, nicht der vom Erstverstorbene ererbte Nachlaß fällt. Bei der Trennungslösung ist dies schon wegen der Trennung der Nachlasse der Fall, da die Endbedachten unmittelbar vom Erstverstorbenen erben. Bei der Einheitslösung folgt dies einmal schon aus der Tatsache, daß ein Vermögenserwerb von Todes wegen nach den Wertungen des Gesetzes selbst dann nicht zum Zugewinn gerechnet wird, wenn der Erwerb während der Ehe stattfindet, § 1374 II BGB. Zwar gilt diese Norm nur für den Ausgleich des Zugewinns nach dem § 1371 II BGB und nicht für die erbrechtliche Lösung des Zugewinnausgleichs nach § 1371 I BGB. Schädlich ist dies nicht. Denn die hier vorgeschlagene Viertellösung der testamentarischen Bindung in Anlehnung an § 1371 I BGB wurde ja nur aus Gründen einer rechtssichernden Handhabe gewählt, obwohl sich eigentlich das Maß der Entbindung nach dem Verhältnis des Zugewinnausgleichsanspruch nach § 1371 II BGB zum Gesamtvermögen des Überlebenden bestimmen müßte. Die Orientierung an der Halbteilung nach § 1371 I BGB hindert mithin nicht, daß Wertungen des § 1371 II BGB i.V. m. §§ 1373 ff. BGB in die Bestimmung des Vermögens einfließen, auf den der Halbteilungsgrundsatz angewendet wird. Darüber hinaus folgt die Abrechnung des ererbten Eigenvermögens des Erstverstorbenen vom Gesamtvermögen des Überlebenden aus der Tatsache, daß eine Entwertung der psychischen Gratifikation hinsichtlich des Eigenvermögens des

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Erstverstorbenen bei einer Wiederverheiratung des Überlebenden bei Lichte betrachtet nicht stattfindet. Denn das Vorbild, welches der Überlebende für sein eigenes memento mori aus dem letztwilligen Handeln des Erstverstorbenen hat gewinnen können, bleibt dem Überlebenden ja voll erhalten; die Verfügung des Erstverstorbenen bleibt ja wirksam. Der Überlebende kann sie seinem eigenen neuen memento mori durchaus weiterhin als Vorbild zugrundelegen. In dieser Funktion bleibt die dem Überlebenden durch den Erstverstorbenen geleistete Gratifizierung weiterhin wirksam, so daß entsprechend dem Prinzip der Reziprozität auch künftig Bindung gegeben ist. c) Die Lösung von der Bindung und § 2270 I BGB § 2270 I BGB schützt das Vertrauen des Erstverstorbenen, daß seine Vermögensdispositionen nach seinem Tode erhalten bleiben und nicht entwertet werden29. Dieses Vertrauen wird vom Gesetz freilich nur soweit geschützt, wie eine Bindung des Überlebenden überhaupt besteht. Fehlt sie zumindest teilweise – wie im Falle der Wiederverheiratung –, greift § 2270 I BGB nicht ein. Bei Lichte betrachtet kommt es im Fall der Wiederverheiratung mit gemeinschaftlichem Testament der Gatten der zweiten Ehe gar nicht zu einer Loslösung von der Bindung. Vielmehr ist für diesen Fall im Zweifel nie eine Wechselbezüglichkeit der Verfügungen in Höhe der Hälfte des Eigenvermögens des Überlebenden (wiederum unter Vorabzug des Nachlasses des Erstverstorbenen) gegeben, wenn man einmal die Bindung zu Lebzeiten an die Form des notariellen Wiederrufs gem. § 2271 I BGB außer Acht läßt. Dies zeigt folgende Überlegung: Regelmäßig darf im Rahmen der typischen Erwartungsstrukturen einer intakten Ehe jeder Gatte vom anderen Teil Verantwortung, Beistand und Fürsorge erwarten30. Dürfte der überlebende Teil nun vom Erstverstorbenen nicht erwarten, daß dieser seine Erwartungen auf den Fall seiner, des Überlebenden Wiederverheiratung anpaßt, dürfte er nicht davon ausgehen, sein Gatte aus erster Ehe sei auch post mortem an seinem Wohlergehen interessiert, wenn dieses Wohlergehen darin besteht, seinerseits Solidarität und Fürsorge dem zweiten Gatten angedeihen lassen zu können. Mit ehelicher Fürsorge und solidarischem Beistand hätte dies wenig zu tun. Will sich der Erstverstorbene für den Fall der Wiederverheiratung des Überlebenden absichern, kann er zum kautelarjurisprudentiellen Mittel der Wiederverheiratungsklausel greifen31. Tut er dies nicht, soll er sich nicht wundern, daß der Überlebende von ihm Solidarität und Beistand für den Fall der Wiederverheiratung einfordert32. Dem erstversterbenden Gatten wird daher zumindest kein erheblicher Nachteil 29 30 31

Siehe oben § 4 II 3 c. Dazu schon oben § 8 II 2. Zu diesen unten § 12.

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zugefügt, wenn der Überlebende erwarten darf, der Erstverstorbene würde erwarten, daß der Überlebende seinerseits zu Recht erwartet, er könne Solidarität und Fürsorge gegenüber einem etwaigen zweiten Gatten hegen. Nun könnte gegen eine derartige Erwartungshaltung des überlebenden Teils sprechen, dieser dürfe schon deshalb keine Solidaritätsbekundungen des Erstverstorbenen erwarten, die auf die Zeit nach dessen Tode gerichtet ist, da für diese Zeit die erste Ehe durch den Tod eines der Gatten aufgelöst worden sei; eheliche Solidarität und Fürsorge würden aber nach der Auflösung der Ehe nicht mehr geschuldet. Dieser Einwand geht fehl. Auch ansonsten wird davon ausgegangen, die todesbedingte Eheauflösung führe nicht dazu, daß rein formal von einer Erwartung der Gatten nicht mehr ausgegangen werden dürfe, der je andere würde sich um die nach dem ersten Todesfall eintretende Situation des Gegenübers einfach deshalb nicht mehr sorgen, weil die Ehe dann nicht mehr formal existiere. Dies gilt ansonsten zu Recht absurd, so ist es auch hier. Insgesamt gesehen findet im Zweifel mithin eine Beschränkung schon in der Erwartungsbildung des Erstverstorbenen statt. Ist dies so, stand die Verfügung des Erstverstorbenen mit der des Überlebenden im Zweifel nicht im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit, soweit ein Viertel seines Vermögens unter Vorabzug des vom Erstverstorbenen von Todes wegen Erworbenen betroffen ist. Will der Erstverstorbene gleichwohl die Wechselbezüglichkeit, soll er dem anderen Gatten dies mitteilen und um Bestätigung der gehegten Erwartung als zu Recht gehegt bitten. Diese Zurechnungserwägungen zeigen wieder einmal33, daß es im Recht des gemeinschaftlichen Testaments nur bedingt fruchtbar ist, in den §§ 2270 f. BGB einen gesetzlich geregelten Fall zu sehen, in dem eine bestimmte subjektive Geschäftsgrundlage für die Weitergeltung eines Rechtsgeschäfts maßgeblich ist34. Zwar 32 Das AmtsG Nettetal, FamRZ 1998, 1331 (1332), folgert aus dem Umstand, daß die Gatten erster Ehe keine Regelung für den Fall der Wiederverheiratung des Überlebenden getroffen hätten, beide hätten den Willen gehabt, daß ihre Verfügungen auf jeden Fall Gültigkeit haben sollen, unabhängig davon, ob der Überlebende wieder heiraten würde oder nicht. Dem kann nicht gefolgt werden. Wiederverheiratungsklauseln werden typischerweise gewählt, um die Endbedachten so abzusichern, wie sich dies der Erstverstorbene vorstellt, siehe unten § 12 I. Hier wird gerade im Interesse der Endbedachten ein geringeres Maß an Solidarität mit dem Überlebenden gezeigt als im Falle des Fehlens einer Wiederverheiratungsklausel. Denn Solidarität würde ja gerade bedeuten, daß der Erstversterbende dem Überlebenden nach seiner Verwitwung einen Neuanfang qua Wiederverheiratung nicht durch rigide vermögensrechtliche Maßnahmen (wie bsp. einer Wiederverheiratungsklausel) erschweren will. In einer funktionierenden Ehe dürfte aber im Zweifel von gelebter Solidarität ausgegangen werden. Das AmtsG Nettetal wertet gerade umgekehrt, ohne hierfür Argumente vorzutragen. Ähnlich wie das AmtsG Nettetal auch etwa BayObLG, FamRZ 1995, 251 (253). 33 Siehe zu weiteren Fällen oben § 6 II 1.

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mag hier durchaus von einer Geschäftsgrundlage gesprochen werden können35. Aber die Einordnung einer Motivation als Geschäftsgrundlage beantwortet ja noch nicht die Frage, wann die Motivation auch tatsächlich maßgeblich ist. Hier helfen nur die soeben vorgetragenen Zurechnungserwägungen hinsichtlich des erwartbaren Maßes an einer sachgerechten Erwartungsbildung weiter. Es gilt deshalb folgende Auslegungsregel: Auslegungsregel 11.1: Im Zweifel steht die Verfügung des überlebenden Teils für den Fall (sic!) und insoweit, als der Überlebende im Falle der Wiederverheiratung von der testamentarischen Bindung gelöst wird, schon nicht im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit mit der Verfügung des Erstverstorbenen, soweit es um die Zeit nach dem ersten Todesfall geht. Testiert der Überlebende in dem Maße seines Freiwerdens neu, ist daher im Zweifel die korrespektive Verfügung des Erstverstorbenen nicht gem. § 2270 I BGB unwirksam.

d) Zusammenfassung Im Rückblick bestätigt sich nach all dem die Eingangsthese: Der Überlebende darf hinsichtlich eines Viertels seines eigenen Vermögens, von dem zuvor das vom Erstverstorbenen ererbte Vermögen abgerechnet worden ist, trotz eines gemeinschaftlichen Testaments mit korrespektiven Verfügungen frei von Todes wegen verfügen, wenn er sich (i) wiederverheiratet, (ii) das Testament für diesen Fall keine ausdrückliche Regelung vorgesehen hat und falls (iii) er mit seinem neuen Gatten wiederum gemeinschaftlich korrespektiv testiert. Die Restriktionen, die sich der Überlebende bei einer Wiederverheiratung hinsichtlich einer weiteren Entfaltung seines „Seins zum Tode“ gegenüber sieht, die er gemeinschaftlich mit seinem neuen Gatten in intim codierter Interaktion ins Werk zu setzen trachtet, haben sich daher zu einem Großteil entschärft. Es ist eine tragfähige Balance gefunden worden zwischen den berechtigten Belangen des Erstverstorbenen und denen des Überlebenden. Der zweite Gatte kann nach der hier vorgeschlagenen Lösung durch Erwerb von Todes wegen vom Überlebenden mehr erhalten, als er erhalten würde, wenn es zum Zugewinnausgleich gem. § 1371 II BGB und zur Auskehr des Pflichtteils gekommen wäre. Er kann aber auch weniger erhalten. In diesem Fall kann er nach § 1373 III BGB vorgehen. Die „Viertellösung“ von der Bindung bestätigt inzident zudem die hohe Wertigkeit des letztwilligen Verfügens: Ist nicht einsichtig, wieso die Rechtsperson an einer weiteren Entfaltung ihrer Persönlichkeit gehin34 35

So aber Pfeiffer, FamRZ 1991, 1266 (1268). Dazu oben § 8 III 3.

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dert werden sollte, hebt das Erbrecht eine Einschränkung der Testierfreiheit auf. Daß sich dies im Wortlaut der §§ 2070 f. BGB nicht so deutlich wiederspiegelt, schadet nicht, solange das innere System des Rechts – wie hier – den richtigen Weg weist. 3. Die Zustimmung der erstehelichen Abkömmlinge zur beeinträchtigenden Verfügung

Die neue letztwillige Verfügung des überlebenden Teils, welche die korrespektiv bedachten Dritten beeinträchtigt, wird nicht dadurch wirksam, daß die Dritten der neuen Verfügung formlos zustimmen. Hierüber dürfte zu Recht weitgehend Einigkeit bestehen36. Ansonsten würden die Formvorschriften des § 2352 S. 3 BGB i.V. m. § 2348 BGB unterlaufen. Haben die Ehegatten der ersten Ehe die Einheitslösung gewählt, gilt folgendes: Da die Endbedachten hier als Schlußerben des zuvor als Alleinerben vom Erstverstorbenen eingesetzten Überlebenden bestellt sind, müssen sie mithin einen formgerechten Zuwendungsverzichtsvertrag gem. § 2352 S. 1 BGB mit dem überlebenden Teil abschließen. Der große Vorteil eines Zuwendungsverzichts gegenüber einer Anfechtung aus § 2079 BGB liegt darin, daß im Gegensatz zur Anfechtung der Zuwendungsverzicht durch den Schlußerben die korrespektive Verfügung des Erstversterbenden (also die Alleinerbeneinsetzung des anderen Teils) unberührt läßt. Die korrespektive Verfügung wird ja durch den Verzicht nicht aufgehoben oder unwirksam, vielmehr verhindert entsprechend § 2346 I 2 BGB der Verzicht nur den Anfall der Zuwendung beim Verzichtenden, wie wenn er den Erbfall nicht erlebt hätte37. Die Alleinerbeneinsetzung des Überlebenden durch den erstverstorbenen Teil wird somit nicht gem. § 2270 I BGB unwirksam. Trotz Zuwendungsverzichts wird gleichwohl die korrespektive Verfügung nicht ohne weiteres gegenstandslos werden. Denn die Schlußerben aus dem ersten, dem gemeinschaftlichen Testament können ihren Verzicht nicht auf ihre Abkömmlinge erstrekken. § 2352 BGB verweist ja nicht auf die Regelung des § 2349 BGB aus dem Recht des Erbverzichtsvertrags. Die Abkömmlinge der Verzichtenden werden aber regelmäßig als Ersatzerben berufen sein, § 2069 BGB38, so daß diese nunmehr in die Rechtsstellung der einstmals Endbedachten eintreten. Richtigerweise bewirkt dieses Eintreten gem. § 2069 BGB aber noch nicht, daß die Ersatzerbenbedenkung auch korrespektiv verfügt ist; dies gilt es erst 36 BGH, FamRZ 1969, 207 (208); OLG Hamm, OLGZ 1982, 272 (276); OLG Köln, FamRZ 1983, 837; Soergel-Manfred Wolf, § 2271 Rn. 17; Soergel-Damrau, § 2352 Rn. 4. 37 MünchKomm-Strobel, § 2352 Rn. 12. 38 OLG Hamm,. MDR 1982, 320; MünchKomm-Strobel, § 2352 Rn. 13; SoergelManfred Wolf, § 2271 Rn. 17; Soergel-Damrau, § 2352 Rn. 2, 4.

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noch nach § 2270 I BGB (im Zweifel nicht gem. § 2270 II BGB) zu prüfen39. Liegt danach Korrespektivität dennoch vor, müßten die Abkömmlinge der einstmals Endbedachten grundsätzlich selbständig auf ihre testamentarische Zuwendung verzichten. Etwas anderes wird im Wege der ergänzenden Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments nur anzunehmen sein, wenn gegen eine vollständige Abfindung der erstehelichen Abkömmlingen verzichtet worden ist40. Doch wird hier regelmäßig die Motivation zum Zuwendungsverzichtsvertrag beim Überlebenden entfallen, da die vollständige Abfindung dem Wert nach einer vorgezogenen Erbfolge gleichkommt, so daß zumindest dem Wert nach der Überlebende seinen neuen Ehegatten und die neuen Abkömmlingen der zweiten Ehe in der Regel nicht besserstellen kann, als sie stünden, wenn der Verzichtsvertrag nicht geschlossen wäre. Der Überlebende wird hier darauf verwiesen sein, bei den Abkömmlingen aus erster Ehe dafür zu werben, daß sie zumindest hinsichtlich eines Viertels seines Vermögens unter Vorabzug des vom Erstverstorbenen Erworbenen von der Bindung qua Zuwendungsverzicht freigestellt wird41. Denn in dieser Höhe kann – wie gezeigt wurde42 – der überlebende Teil sowieso nach einer Wiederverheiratung letztwillig frei verfügen, ohne testamentarisch gebunden zu sein; ein derartig beschränkter Zuwendungsverzicht wird daher der Streitvermeidung dienen. Bei der Trennungslösung haben die Abkömmlinge aus erster Ehe die Stellung von Nacherben erlangt. Nach dem Tode des Erstverstorbenen scheidet ein Zuwendungsverzicht nach § 2352 BGB aus, da der hierfür erforderliche Vertrag mit dem Erblasser aufgrund von dessen Tod nicht mehr geschlossen werden kann. Will der Nacherbe mithin der Beeinträchtigung „zustimmen“, bleibt ihm nichts anderes übrig, als die Nacherbschaft auszuschlagen oder die Nacherbenanwartschaft an den Vorerben zu übertragen, womit das Nacherbenrecht erlöschen würde43. § 2142 I BGB stellt klar, daß die Ausschlagung schon nach dem Tode des erstverstorbenen Teils zulässig ist; der Nacherbfall muß mithin nicht abgewartet werden44. Freilich ist in beiden Fällen (Ausschlagung oder Übertragung der Nacherbschaft) wiederum das Recht etwaiger Ersatznacherben nach §§ 2142 II, 2096 BGB zu beachten, wenn der Erstverstorbene Ersatznacherben berufen hat45. Falls 39

Dazu § 9 II. Siehe zu diesem Fall BGH, NJW 1974, 43 (44); BayObLG, NJW-RR 1997, 1027; OLG Düsseldorf, DNotZ 1974, 367; MünchKomm-Strobel, § 2352 Rn. 14; Palandt-Edenhofer, § 2352 Rn. 6; Soergel-Damrau, § 2349 Rn. 2. 41 Ein beschränkter Verzicht auf einen ideellen Bruchteil ist zulässig, siehe nur MünchKomm-Strobel, § 2352 Rn. 4; Soergel-Damrau, § 2352 Rn. 1. 42 Unten § 11 III 2 b. 43 Soergel-Harder, § 2142 Rn. 1. 44 MünchKomm-Grunsky, § 2142 Rn. 1. 40

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Ersatznacherben nicht vorhanden sind, bliebe immer noch das Anwachsungsrecht etwaiger Mitnacherben gem. §§ 2142 II, 2094 BGB im Zweifel unberührt. Doch auch hier wieder gilt, daß im Zweifel die Einsetzung der durch eine Auslegungsregel als Ersatzerben Berufenen nicht wechselbezüglich sein wird46. Ist sie gleichwohl gem. § 2270 I BGB wechselbezüglich, müßten die Mitnacherben und die Ersatznacherben entweder ebenfalls die Ersatznacherbschaft ausschlagen oder ihre Anwartschaft an den Vorerben übertragen. Der nunmehr als Alleinerbe handelnde überlebende Teil könnte dann frei verfügen. IV. Die Position des wiederverheirateten Längstlebenden II: Die Anfechtung gem. § 2079 BGB 1. Die Selbstanfechtung durch den Überlebenden

a) Der Anfechtungsgrund Der überlebende Teil kann sich von der testamentarischen Bindung befreien, wenn er seine korrespektive Verfügung zu Fall bringt. Diese Möglichkeit eröffnet sich ihm im Falle der Wiederverheiratung durch eine auf eine analoge Anwendung der §§ 2281, 2079 BGB gestützte47 Selbstanfechtung seiner eigenen Verfügung wegen der Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten, nämlich des zweiten Gatten oder der etwaig der zweiten Ehe entstammenden Abkömmlinge (§ 2303 BGB). Nach dem zweiten Todesfall bleibt die Anfechtung gem. § 2079 BGB nach § 2080 III BGB den Pflichtteilsberechtigten vorbehalten. Bei nichtwechselbezüglichen Verfügungen entfällt die Selbstanfechtungsbefugnis des Erblassers, da der Testierende die Verfügung jederzeit widerrufen kann, § 2253 BGB. Es war eines der Ergebnisse der bisherigen Überlegungen, daß im Zweifel eine Wechselbezüglichkeit der Verfügungen des Überlebenden mit denen des Erstverstorbenen in Höhe eines Viertels des Eigenvermögens des Überlebenden (wiederum unter Vorabzug des Nachlasses des Erstverstorbenen) im Falle der Wiederverheiratung des überlebenden Teils nicht gegeben ist, da sich hier keine relevanten Erwartungsstrukturen beim erstverstorbenen Gatten herausgebildet haben48. Da in dieser Höhe mithin nur ein einseitiges Testament gegeben ist, erstreckt sich die Anfechtung nach § 2079 S. 1 BGB nur auf das restliche Dreiviertel. 45

Soergel-Harder, § 2142 Rn. 5 f., § 2100 Rn. 13 mit § 2102 Rn. 11. § 9 II. 47 Allgemeine Meinung, siehe nur RGZ 77, 165 (172); BGHZ 37, 331 (333); Staud-Kanzleiter, § 2271 Rn. 69; Soergel-Manfred Wolf, § 2271 Rn. 34. 48 Siehe § 11 III 2 c. 46

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Der Anfechtungsgrund nach § 2079 S. 1 BGB schützt die Testierfreiheit des Erblassers49. Bei der Selbstanfechtung aus § 2079 BGB erlangt der Erblasser seine Fähigkeit zurück, über die veränderte Sachlage sein „Sein zum Tode“ neu zu entfalten50. Die Interessen des Pflichtteilsberechtigten an einer Partizipation am Nachlaß des Überlebenden sind ausschließlich über das Pflichtteilsrecht geschützt51. § 2079 S. 1 BGB ist folglich eine der zahlreichen erbrechtlichen Vorschrift, mit der der personfunktionale Gehalt des gewillkürtem Erbrechts zur Geltung gebracht wird. Die Anfechtung gem. § 2079 S. 1 BGB gibt dem Erblasser ein einfaches Instrument in die Hand, sich von der testamentarischen Bindung gänzlich zu befreien. Die Schneidigkeit des § 2079 S. 1 BGB liegt vor allem in dessen Eigenschaft, schon aus der Unkenntnis des Pflichtteilsrechts und der Übergehung des Pflichtteilsberechtigten zu folgern, daß die einstmalige Motivation zur Verfügung nicht tragfähig ist52. Die Erheblichkeit des Irrtums muß mithin nicht konkret festgestellt werden, sondern kann gerade umgekehrt ausnahmsweise gem. § 2079 S. 2 BGB entfallen53. Hierin liegt auch die Bedeutung gegenüber § 2078 II BGB, dessen Anwendungsbereich ansonsten den Fall des Übergehens eines Pflichtteilsberechtigten ohnedies abdeckt. Ein relevantes Übergehen i. S. des § 2079 S. 1 BGB liegt vor, wenn der Pflichtteilsberechtigte nicht vom Erblasser bedacht, aber auch nicht von der Erbfolge ausgeschlossen worden ist54. Danach wird im Falle der Wiederverheiratung regelmäßig ein Übergehen eines Pflichtteilsberechtigten i. S. des § 2079 S. 1 BGB gegeben sein, da dem Überlebenden die Person seines 49 Der Sinn und Zweck des Anfechtungsrechts aus § 2079 S. 1 BGB ist ansonsten umstritten. Während stellenweise davon ausgegangen wird, diese Regelung solle primär das gesetzliche Erbrecht des übergangenen Pflichteilsberechtigten vor einer nicht fehlerfrei motivierten Verfügung und – bei der Selbstanfechtung – daneben auch noch die Testierfreiheit des Erblassers schützen (so Soergel-Loritz, § 2079 Rn. 1; Ritter, Konflikt, 118 f.; auch BGH, NJW 1970, 279 f., geht davon aus, daß das Anfechtungsrecht „zumindest auch dem eigenen Interesse des Erblassers dient“), wird andernorts der Telos der Norm zumindest bei der Selbstanfechtung allein im Schutz der Testierfreiheit verankert (So bei MünchKomm-Leipold, § 2079 Rn. 2, aA ders., ebda., Rn. 2 bei der Anfechtung einseitiger Verfügungen durch den übergangenen Pflichtteilsberechtigten selbst). 50 Ähnlich MünchKomm-Leipold, § 2079 Rn. 2, der aber davon spricht, die Anfechtung ermögliche eine „gerechtere“ Gestaltung der letztwilligen Verfügung. Dies steht erkennbar im Zusammenhang mit seiner allgemeinen Ansicht, der Zweck der Testierfreiheit läge in der gerechtigkeitsorientierten Anpassung des gesetzlichen Erbrechts auf den familiaren Einzelfall. Zur Kritik an dieser Auffassung siehe ausführlich Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 3 II–IV. 51 Oben § 7 II 2 b. 52 MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 1. 53 Staud-Otte, § 2079 Rn. 1; MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 1. 54 RGZ 59, 60 (62); BayObLG, FamRZ 1971, 147 (151); BayObLGZ 1993, 389 (394 ff.); Soergel-Loritz, § 2079 Rn. 3; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 307.

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zweiten Gatten im Zeitpunkt des gemeinschaftlichen Testierens oftmals nicht bekannt sein wird. Schon deshalb wird weder eine Bedenkung, noch eine Enterbung verfügt sein, da nicht anzunehmen ist, der Überlebende habe schon „vorsorglich“ implizit einen etwaigen Gatten enterben wollen55. Wenn die Person des zweiten Gatten dem Überlebenden schon im Zeitpunkt des gemeinschaftlichen Testierens mit dem ersten Gatten bekannt war und ihm letztwillig etwas zugewendet worden ist56, schadet dies grundsätzlich nicht. Es reicht mithin aus, daß dem Erblasser im Zeitpunkt der Testamentserrichtung die aktuelle oder potentielle Pflichtteilsberechtigung des Begünstigten nicht bekannt war57. Diese subjektive Betrachtungsweise ist gegenüber einem rein objektiv ausgerichteten Übergehensbegriff vorzugswürdig. Nach diesem objektiven Übergehensbegriff hindert schon jede letztwillige Zuwendung an einen Pflichtteilsberechtigten die Anwendbarkeit des § 2079 S. 1 BGB, und zwar unabhängig davon, ob die Bedenkung vor oder nach der Erlangung der Pflichtteilsberechtigteneigenschaft erfolgte und ob der Erblasser sich der aktuellen oder potentiellen Pflichtteilsberechtigung nun bewußt war oder nicht58; stellenweise wird hiervon eine Ausnahme gemacht, wenn die Zuwendung ganz geringfügig war59. Der überlebende Teil wäre dann auf die Anfechtung nach § 2078 II BGB verwiesen60. Gegen diese objektive Betrachtung spricht ausschlaggebend, daß die Triftigkeit der gesetzlichen Vermutung des § 2079 S. 1 BGB, die Unkenntnis des Erblassers von der Pflichtteilsberechtigung sei für den Testamentsinhalt kausal gewesen, nicht davon abhängt, ob der Erblasser ohne Kenntnis der Pflichtteilsberechtigung den späteren Berechtigten überhaupt nicht oder als Nicht-Pflichtteilsberechtigten bedacht hat. Denn wird eine Zuwendung nicht 55 Der Erblasser kann im Testament zum Ausdruck bringen, daß die Verfügung ohne Rücksicht auf etwaige noch folgende spätere Pflichtteilsberechtigte gelten soll. § 2079 S. 1 BGB ist damit nicht mehr einschlägig. Siehe Staud-Otte, § 2079 Rn. 3; RGRK-Johannsen, § 2079 Rn. 6 f. 56 Das klassische Beispiel ist das des Vermächtnisses zugunsten der Haushälterin, die der Überlebende nach dem ersten Todesfall heiratet. 57 So MünchKomm-Leipold, § 2079 Rn. 6; Soergel-Loritz, § 2079 Rn. 3; Lange/ Kuchinke, Erbrecht, § 36 III 4 b b; Brox, Erbrecht, Rn. 229; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 307; Ritter, Konflikt, 119 f.; Jung, AcP 194 (1994), 42 (70 ff.). 58 So RGZ 50, 238 (239 f.); 148, 218 (223); RG, JW 1925, 2756; BayObLG, FamRZ 1994, 1066; OLG Karlsruhe, ZEV 1995, 454 (455 f.); OLG Celle, OLGZ 1968, 84 (86); Palandt-Edenhofer, § 2079 Rn. 3; Staud-Otte, § 2079 Rn. 5; RGRKJohannsen, § 2079 Rn. 10; v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 1, 324; Kipp/Coing, Erbrecht, § 24 II 2 d; Schubert/Czub, JA 1980, 257 (261). 59 So OLG Karlsruhe, ZEV 1995, 454 (456); Palandt-Edenhofer, § 2079 Rn. 3; obiter andeutend auch BayObLG, ZEV 1994, 106 (108). 60 Mit Rücksicht hierauf billigt Brox, Erbrecht, Rn. 229, dem Streit keine große Bedeutung zu. Die in § 2079 BGB niedergelegte Umkehr der Behauptungs- und Beweislast hinsichtlich der Irrtümlichkeit sollte aber auch nicht unterschätzt werden, siehe hierzu etwa den Fall OLG Karlsruhe, ZEV 1995, 454 (456).

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im Hinblick auf die Stellung als pflichtteilsberechtigter Erbe gemacht, ist die Motivation des Erblassers trotz der Bedenkung in genau dem Maße unvollständig, von dem § 2079 S. 1 BGB ausgeht. Hierbei kann auch nicht danach differenziert werden, ob die Zuwendung unter dem gesetzlichen Erbteil geblieben ist (so daß nur dann § 2079 S.1 BGB einschlägig sein soll) oder nicht61. Ist die Motivation regelmäßig unvollständig, widerspricht es der personfunktionalen Gründung des gewillkürten Erbrechts, die Annahme, daß die Unvollständigkeit doch nicht mehr regelmäßig vorliegt, davon abhängig zu machen, daß die Bedenkung des späteren Pflichtteilsberechtigten zufällig in Höhe des späteren gesetzlichen Erbrechts erfolgt ist; die Motivation, den künftigen Pflichtteilsberechtigten gegenüber den bisherig Berechtigten zu bevorzugen, ist nun einmal genauso wahrscheinlich, wie die Annahme, er würde benachteiligt werden. b) Die Form und die Frist der Anfechtung Die Anfechtung muß analog § 2281 II BGB stets dem Nachlaßgericht gegenüber erklärt werden62 und bedarf analog § 2282 III BGB der notariellen Beurkundung. Wegen des besonderen Erklärungsgegners ist eine Umdeutung einer neuen Verfügung des Überlebenden in eine Anfechtungserklärung ausgeschlossen. Eine der praktischen Hauptschwierigkeiten bei der Anfechtung liegt in der rechten Bestimmung der Anfechtungsfrist nach § 2283 BGB. Entscheidend ist das Verständnis des Begriffs des „Anfechtungsgrundes“ i. S. § 2283 II 1 BGB: Wird der Begriff weit interpretiert, wird dem Anfechtungsinteresse des Erblassers verstärkt Rechnung getragen, umgekehrt bei enger Interpretation dem Bestandsinteresse der Endbedachten63. Die Problematik kann anhand vier typischer Beispiele verdeutlicht werden. Erster Fall: Der überlebende Teil hält sich durch das gemeinschaftliche Testament für schlechthin gebunden und ficht schon aus diesem Grunde nicht an, weil er dies für folgenlos hält. Zweiter Fall: Der Überlebende geht davon aus, daß das gemeinschaftliche Testament bei einer Wiederverheiratung automatisch unwirksam sei und hält aus diesem Grunde eine Anfechtung nicht für erforderlich64. Dritter Fall: Der überlebende Teil 61 So aber MünchKomm-Leipold, § 2079 Rn. 6; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 36 III 4 b b. 62 MünchKomm-Leipold, § 2081 Rn. 5; Soergel-Loritz, § 2081 Rn. 5. Eine Differenzierung nach den in § 2081 BGB genannten Verfügungen und den dort nicht genannten Verfügungen, für die § 143 IV 1 BGB gilt, findet mithin nicht statt. 63 Siehe MünchKomm-Leipold, § 2082 Rn. 5. Präziser wäre es freilich, von den Bestandschancen der Endbedachten zu sprechen, da ihnen ja richtigerweise keine schutzwürdigen Interessen im Rahmen der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments zukommen, siehe oben § 7 II 2 c. 64 Beispielsfälle: RGZ 107, 192; BayObLG, FamRZ 1992, 1102.

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meint zwar nicht, daß das gemeinschaftliche Testament wegen der Wiederverheiratung unwirksam geworden sei, er hält sich aber für nicht mehr gebunden, widerruft daher seine damaligen Verfügungen und testiert ohne Anfechtung neu. Vierter Fall: Der überlebende Teil hat vergessen, daß ein gemeinschaftliches Testament existiert, hält sich deshalb auch nicht für gebunden und testiert nach dem ersten Todesfall neu. Nach der h. M. ist unter dem Anfechtungsgrund i. S. § 2283 II 1 BGB der Komplex aller für das Anfechtungsrecht wesentlichen Tatsachen zu verstehen, die der Erblasser kennen muß, damit er die Sachlage richtig beurteilen und über die Anfechtung entscheiden kann65. Welche Tatsachen für die Kenntnis vom Anfechtungsgrund „wesentlich“ sind, ist wiederum umstritten. Stellenweise – erste „Unteransicht“ innerhalb der h. M. – werden nur die Tatsachen berücksichtigt, die den Anfechtungsgrund selbst bilden. Dieser Anfechtungsgrund wird hierbei durchweg weit verstanden. Er soll nicht nur den Anfechtungsgrund i. S. der Anfechtungstatbestände (hier also die Übergehung des pflichtteilsberechtigten zweiten Ehegatten) umfassen, sondern auch diejenigen Tatsachen, aus denen sich das Vorliegen einer (anzufechtenden) wirksamen Verfügung von Todes wegen und die Anfechtungsberechtigung ergibt66. Nach dieser Ansicht sei es erheblich, daß der Überlebende vergißt, daß die ersteheliche Verfügung existiert; eine Kenntnis des Anfechtungsgrundes läge hier noch nicht vor67. Es sei aber sehr wohl unerheblich, daß der Erblasser von der Existenz der erstehelichen Verfügung weiß, aber nicht deren Bindungswirkung kennt oder von deren Wegfall in Folge der Wiederverheiratung ausging68. In den drei ersten der o. g. Fällen könnte allein wegen des dort aufgetretenden Irrtums eine Kenntnis des Anfechtungsgrundes daher nicht verneint werden. Andere69, insbesondere die Rechtsprechung70, – zweite „Unteransicht“ innerhalb der h. M. – ziehen den Umfang der für die Kenntnis des Anfechtungsgrunds wesentlichen Tatsachen weiter. Danach soll eine Kenntnis des 65 RGZ 115, 27 (30); 132, 1 (4); BGH, FamRZ 1970, 79 (81); BayObLG, NJW 1964, 205 (206); OLG Köln, OLGZ 1967, 496 (497); Erman-Schmidt, § 2283 Rn. 2; Jauernig-Stürner, § 2283 Anm. 1 b; MünchKomm-Musielak, § 2283 Rn. 3; Soergel-Manfred Wolf, § 2283 Rn. 2; Staud-Kanzleiter, § 2283 Rn. 6. 66 So MünchKomm-Leipold, § 2082 Rn. 5 f.; jeglicher Rechtsirrtum für unbeachtlich halten auch Schubert/Czub, JA 1980, 334 (336). 67 MünchKomm-Leipold, § 2082 Rn. 6; ders., ZEV 1995, 99 (100). 68 So explizit MünchKomm-Leipold, § 2082 Rn. 6, 8. 69 Dittmann/Reimann/Bengel-Bengel, § 2283 Rn. 6; Erman-Schmidt, § 2082 Rn. 2; Jauernig-Stürner, § 2283 Anm. 1 b; MünchKomm-Musielak, § 2283 Rn. 4; RGRK-Kregel, § 2283 Rn. 2. 70 RGZ 132, 1 (4); BGH, FamRZ 1970, 79 (80 f.); BayObLGZ 1975, 6 (10); BayObLG, FamRZ 1990, 95 (99 ff.); OLG Köln, OLGZ 1967, 496 (497); KG, FamRZ 1968, 218 (219).

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Anfechtungsgrundes i. S. § 2283 II 1 BGB nicht nur bei der Unkenntnis der Tatsachen fehlen, aus denen die Anfechtbarkeit hervorgeht, sondern auch bei einem Rechtsirrtum gegeben sein, der die Unkenntnis der die Anfechtung begründenden Tatsachen zur Folge habe. Nur der „bloße Rechtsirrtum“, bei dem es sich lediglich um eine rechtsirrtümliche Beurteilung des Anfechtungstatbestands selbst handele, soll demnach die Kenntnis des Anfechtungsgrundes nicht hindern können. Nach diesen Grundsätzen hätte der Überlebende im zweiten und vierten der o. g. drei Fälle keine Kenntnis vom Anfechtungsgrund gehabt71, in den beiden anderen Fällen hindert der (bloße) Rechtsirrtum die Kenntnis nicht72. Hinsichtlich des vierten Falles führt das BayObLG aus, daß die für den Beginn der Anfechtungsfrist bedeutsame Kenntnis fehle, wenn das gemeinschaftliche Testament soweit aus der Erinnerung des Erblassers entschwunden sei, daß es selbst bei der Nachlaßregelung der zweiten Ehe nicht in sein Bewußtsein zurückgerufen worden ist73. Demgegenüber wollen Teile der Literatur anders als die h. M. den Begriff des „Anfechtungsgrundes“ gem. § 2283 II 1 BGB weitgehend von der herrschend tradierten Dichotomie von Tatsachen- und Rechtsirrtum lösen und schlagen vor, zwischen der Kenntnis oder der Nichtkenntnis des Anfechtungsgrundes und der des Anfechtungsrechts zu unterscheiden74. Danach ist „ein Rechtsirrtum nur beachtlich, wenn er sich auf den Anfechtungsgrund bezieht und dazu führt, daß der Anfechtende irrtümlich annimmt, es liege kein Anfechtungsgrund vor, nicht aber, wenn der Anfechtende über das Erfordernis irrt, den Anfechtungsgrund im Wege der Anfechtung geltend zu machen“75. Das weitestgehende Verständnis des Begriff des Anfechtungsgrundes ist schließlich erreicht, wenn die Anfechtungsfrist erst zu laufen beginnen soll, wenn der überlebende Teil positiv weiß, daß er gem. § 2079 S. 1 BGB anfechten kann und muß, um seine korrespektive Verfügung aus dem gemeinschaftlichen Testament der ersten Ehe zu Fall zu bringen; der Anfechtungsberechtigte muß hiernach auch die rechtliche Bedeutung der Anfechtungstatsachen erkannt haben76. Die Fristvorschrift des § 2283 II 1 BGB scheint dem ersten Blick nach primär einen Gegenstand eher formalen Charakters zu regeln. Schon früh 71

Siehe RGZ 107, 192 (194). Vgl. RGZ 132, 1 (5), für den Fall, das gemeinschaftliche Testament habe wegen der Wiederverheiratung seine bindende Wirkung verloren. 73 BayObLG, ZEV 1995, 105 (106). 74 So RGZ 107, 192 (194); OLG Hamm, ZEV 1994, 109 (111); Soergel-Loritz, § 2082 Rn. 6; Staud-Otte, § 2082 Rn. 11; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 24 VI 7 d Fn. 199 mit § 36 VI 4 a; v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 1, 333 ff. Zum Problem siehe auch J. Mayer, Der Rechtsirrtum, 267. 75 Soergel-Loritz, § 2082 Rn. 6. 76 So jüngst Ritter, Konflikt, 127 ff. 72

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hat Battes zu Recht darauf verwiesen, daß sich hinter dem Streit um die sachgerechte Auslegung der Fristregelung gewichtige Wertungsprobleme verbergen, und zwar sowohl das Problem, inwieweit dem Willen des überlebenden Gatten Rechnung zu tragen ist, als auch die altbekannte Schwierigkeit, daß die Annahme der Irrelevanz des Rechtsirrtums dazu führen kann, rechtsungewandte Bürger zu benachteiligen77. Die von der h. M. vorgenommene Differenzierung nach Rechts- und Tatsachenirrtum ist nicht überzeugend. Im Rahmen eines personfunktional verstandenen gewillkürten Erbrechts und der damit verbundenen Focussierung des Testierens als genuiner Ort personaler Entfaltung wird das Ansinnen des Erblassers so weit wie möglich geschützt, sich von seiner Selbstdarstellung gegenüber der Sozietät per Anfechtung distanzieren zu wollen, wenn diese Selbstdarstellung auf einer fehlerhaften Annahme hinsichtlich des Eintritts oder des Nichteintritts eines Umstands beruht, solange diese Annahme für die Motivation zur Ausprägung des personalen Selbst erheblich war. Ein zu enges Verständnis des Begriffs des „Anfechtungsgrundes“ i. S. § 2283 II 1 BGB widerstreitet dieser gesetzlichen Teleologie, da eine verfristete Anfechtungsbefugnis dazu führt, daß der Erblasser der Sozietät eine Selbstdarstellung adressieren muß, die er nicht mehr vertritt. Persönlichkeitsrechtlich wäre ein derartiges Festhalten allenfalls dann erträglich, wenn die Rechtsperson im vollen Bewußtsein der Folgen handelt, wenn sie nicht anficht. Den Anfechtungsgrund bilden im Erbrecht mithin all jene auf den jeweiligen Anfechtungsgrund bezogenen Kriterien, welche für die Entscheidung des Erblassers, seine einstmals im gemeinschaftlichen Testament gezeigte personale Selbstdarstellung zu dementieren, relevant sind. Es ist deshalb nicht nur die Kenntnis der Tatsachen, aus denen die Anfechtbarkeit hervorgeht, sondern auch das positive Wissen erforderlich, daß die Anfechtungsberechtigung besteht. Gegen ein derartiges Verständnis des § 2283 II 1 BGB scheint freilich der Wortlaut zu sprechen, der auf die Kenntnis des Anfechtungsgrunds, nicht auf die der Anfechtungsberechtigung abstellt78. Bei Lichte betrachtet wiegt dieser Einwand jedoch nicht schwer. Es liegt allenfalls eine semantische Ungenauigkeit des Gesetzestexts vor, die der Ansicht geschuldet sein wird, das Erbrecht sei als fortgesetztes Eigentum zu begreifen. Dies zeigt ein Blick auf die vermögensrechtlichen Irrtumsregelungen. Hier gibt die Unterscheidung von Rechts- und Tatsachenirrtum im Bereich des § 119 I BGB einen guten Sinn. Denn falls die Rechtsfolge, auf die sich der Irrtum bezieht, gerade nicht diejenige ist, auf deren Herbeiführung die Erklärung nach ihrem Inhalt unmittelbar gerichtet ist79, würde für den Fall, daß die 77

Battes, Vermögensordnung, 325 f. Hierauf weist MünchKomm-Leipold, § 2082 Rn. 5, hin. 79 In diesen Fällen bejaht die h. M. ein Anfechtungsrecht aus § 119 I BGB wegen Rechtsfolgenirrtums, siehe nur Larenz/Wolf, AllgT, § 36 Rn. 81 ff. 78

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Anfechtung gegeben wird, dem Anfechtungsgegner das Risiko zugerechnet, daß sein Vertragspartner hinreichende Rechtskenntnisse aufweist. Dessen Rechtskenntnisse haben jedoch erkennbar keinen Bezug auf das jeweilige Geschäft; das Risiko fehlender Rechtskenntnisse hat mithin der Anfechtungsgegner auch keineswegs übernommen. Im Erbrecht ist dies alles anders. Den Endbedachten kommen keine schutzwürdigen Interessen zu, daß ihnen ihre Erbchance nicht durch die Anfechtung wieder entzogen wird80. Und die Interessen des Erstverstorbenen sind über die Regelung des § 2270 I BGB hinreichend geschützt, da er damit seine dem Überlebenden gewährte vermögensmäßige Gratifikation wieder „zurückholen“ kann. Seine dem anderen Teil geleistete psychische Gratifikation ist zu Recht entwertet, da wegen der Unwirksamkeit der korrespektiven Verfügungen des gemeinschaftlichen Testaments nach § 2270 I BGB er von Todes wegen testamentarisch nichts erwirbt, so daß eine dem § 2271 II 1 HS 2 BGB wirtschaftlich identische Situation gegeben ist. Insgesamt gesehen spielen Interessen des Erstversterbenden bei der Anfechtung also keine Rolle. Die Abgrenzung zwischen relevantem und irrelevantem Irrtum richtet sich nach alldem allein nach den geschützten Interessen des Anfechtungsberechtigten – und geschützt sind dessen Interessen, soweit sie Ausdruck der Personfunktionalität des gewillkürten Erbrechts sind. Mit Blick hierauf muß auch der Begriff „Anfechtungsgrund“ und das darauf bezogene o. g. Wortlautargument in einem anderen Licht erscheinen. Denn der Grund der Anfechtung liegt im Motivirrtum, dessen Relevanz wiederum im Persönlichkeitsschutz des Erblassers zu finden ist. Ist dem so, ist der tiefere Anfechtungsgrund die Notwendigkeit, im konkreten Fall die Persönlichkeit des letztwillig Verfügenden zu schützen. Kenntnis des Anfechtungsgrundes heißt dann nichts anderes als Kenntnis von dieser Notwendigkeit – und damit Kenntnis des Anfechtungsrechts selbst. Es bleibt mithin dabei: Der überlebende Teil muß die Umstände kennen, aus denen sich sein Anfechtungsrecht ergibt, und die Tatsache, daß er anfechten kann und muß, um seine korrespektiven Verfügungen zu vernichten81. c) Selbstanfechtung und Freistellungsklausel Es war eines der Ergebnisse der bisherigen Überlegungen, daß dem gemeinschaftlichen Testament im Zweifel im Wege der ergänzenden Auslegung eine Freistellungsklausel entnommen werden kann, wenn dem Erblasser – das Fehlen der Klausel unterstellt – ein Anfechtungsgrund wegen Motivirrtums zur Seite steht82. Auf die Anfechtung käme es in diesem Falle 80 81

Siehe oben § 7 II 2 c. Im Ergebnis ebenso Ritter, Konflikt, 128 f.

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samt den damit verbundenen Form- und Fristproblemen nicht an. Für den Wiederverheiratungsfall kann nun nicht Gleiches allein schon mit der Begründung angenommen werden, als Folge der Wiederverheiratung sei regelmäßig die Anfechtung wegen der Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten als gesetzlich geregelter Fall eines Motivirrtums zulässig. Dies begründet noch nicht die Annahme, eine Freistellung sei im Wege der ergänzenden Auslegung testiert. Denn ansonsten würde die in § 2079 BGB niedergelegte Umkehr der Darlegungs- und Beweislast dazu benutzt, eine Willensrichtung festzustellen. Die oben aufgestellte Zweifelsregelung hinsichtlich der Freistellungsklausel wurde aber nur im Rahmen einer bestehenden Willensrichtung für ein Fehlgehen der mit dieser Richtung avisierten Umstände entwikkelt. Mithin bleibt es für den Fall der Wiederverheiratung dabei: Eine Freistellung des Überlebenden kann im Zweifel nur angenommen werden, wenn im konkreten Fall ein Anfechtungsgrund nach § 2078 II BGB wegen der Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten bestünde; ob ein Anfechtungsgrund nach § 2079 S. 1 BGB vorliegt, ist hingegen unbeachtlich. 2. Die Anfechtung durch die Pflichtteilsberechtigten

Nur am Rande sei erwähnt, daß nach dem Tode des Überlebenden – nicht vorher83 – der neue Ehegatte zur Anfechtung nach § 2079 BGB befugt ist, § 2080 III BGB. Bei der Anfechtung korrespektiver Verfügungen des Überlebenden gilt § 2285 BGB entsprechend84, so daß die Anfechtung durch den zweiten Gatten ausgeschlossen ist, wenn das Selbstanfechtungsrecht des Überlebenden zum Zeitpunkt seines Todes erloschen war. Die Anfechtung durch den Pflichtteilsberechtigten unterliegt – anders als beim überlebenden Teil – keinem Formzwang, da nicht § 2282 BGB, sondern § 2081 BGB greift85. Für die Anfechtungsfrist ist allein auf die Kenntnis des zweiten Gatten nach dem zweiten Erbfall abzustellen86, da ein Fristlauf nicht in Betracht kommt, bevor die Anfechtungsbefugnis überhaupt der Rechtsperson eingeräumt worden ist87.

82

§ 8 III 2. KG, FamRZ 1968, 218 (219); MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 40; SoergelManfred Wolf, § 2271 Rn. 37. 84 BayObLG, NJW-RR 1989, 587 (588); 1992, 1223 (1224); KG, NJW 1963, 766 (767); KG, FamRZ 1968, 219; OLG Hamm, OLGZ 1971, 312 (313); MünchKommMusielak, § 2271 Rn. 41; Soergel-Manfred Wolf, § 2271 Rn. 38; Staud-Kanzleiter, § 2271 Rn. 67; RGRK-Johannsen, § 2271 Rn. 55; v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 1, 516 f. 85 MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 42; Soergel-Manfred Wolf, § 2282 Rn. 3. 86 Anders OLG Frankfurt, MDR 1959, 393: Zum Fristbeginn führe schon die etwaige Kenntnis des Pflichtteilsberechtigten nach dem ersten Todesfall. 87 MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 42. 83

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Die relevante Kenntnis des zweiten Gatten kann sich freilich nicht mehr – wie bei der Selbstanfechtung des Erblassers – auf die Kenntnis auch des Anfechtungsrechts selbst beziehen; dem zweiten Gatten steht ja nicht wie dem Selbstanfechtenden selbst die Notwendigkeit zur Seite, seine personelle Entfaltung durch die Anfechtung zu schützen, mit der oben das weite Verständnis des Begriffs des Anfechtungsgrundes hergeleitet worden ist. Vielmehr schützt die Anfechtungsberechtigung nach § 2079 BGB hier nur den Gedanken familiarer Verbindung88. Ist dem so, ist richtigerweise beim zweiten Gatten zwischen der Unkenntnis des Anfechtungsgrundes (kein Fristbeginn) und der des Anfechtungsrechts (unschädlich für Fristbeginn) zu unterscheiden89. Falls der Anfechtende also über die Unumgänglichkeit irrt, den erkannten Anfechtungsgrund im Wege der Anfechtung geltend zu machen, hat dies auf den Fristbeginn keinen Einfluß. Mit dieser vermittelnden Meinung werden zum einen die kaum einsichtigen und in sich widersprüchlichen Abgrenzungen vermieden, welche die o. g. zweite „Unteransicht“ innerhalb der h. M.90 vorschlägt91. Zum anderen werden auch die zu engen Restriktionen der ersten „Unteransicht“ innerhalb der h. M.92 fallengelassen. Danach sollten auch solche Rechtsirrtümer für den Fristbeginn irrelevant sein, die sich auf Tatsachen beziehen. Bei derartigen Irrtümer ist aber das Risiko, daß die Appelfunktion der Anfechtungsfrist verfehlt wird, in gleichen Maße wie bei einem hergebrachten Tatsachenirrtum existent. Mithin darf die Unkenntnis des Anfechtungsgrundes hier gleichermaßen nicht schädlich sein wie bei einem reinen Tatsachenirrtum93 3. Der Ausschluß der Anfechtung gem. § 2079 S. 2 BGB

Die h. M. läßt aus der Tatsache, daß der Überlebende trotz Kenntnis von der Pflichtteilsberechtigung das Testament „geflissentlich“ bestehen läßt, den Schluß zu, gem. § 2079 S. 2 BGB könnte die Anfechtbareit ausgeschlossen sein, weil der Erblasser die Verfügung auch bei Kenntnis ebenso hätte errichten wollen94. Bei der Anfechtung durch den Erblasser dürfte die88

Dazu unten § 42 II. So allgemein auch RGZ 107, 192 (194); OLG Hamm, ZEV 1994, 109 (111); Soergel-Loritz, § 2082 Rn. 6; Staud-Otte, § 2082 Rn. 11; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 24 VI 7 d Fn. 199 mit § 36 VI 4 a; v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 1, 333 ff. 90 Dazu siehe oben § 11 IV 1 b. 91 Kritisch hierzu auch Soergel-Loritz, § 2082 Rn. 5; Staud-Otte, § 2082 Rn. 8; MünchKomm-Leipold, § 2082 Rn. 7. 92 Dazu siehe § 11 IV 1 b. 93 Kritisch zur h. M. auch Soergel-Loritz, § 2082 Rn. 5. 94 RGZ 77, 165 (170); BGH, LM BGB § 2079 Nr. 1; BayObLGZ 1971, 147 (151 f.); 1980, 42 (50); BayObLG, FamRZ 1983, 952 (953); OLG Frankfurt, FamRZ 1995, 1522. 89

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ser Ansatz kaum je relevant werden. Denn es wäre wertungswidersprüchlich, einerseits die Frist für die Anfechtung gem. § 2283 II 1 BGB erst ab Kenntnis sowohl der Umstände, aus denen sich das Anfechtungsrecht ergibt, als auch des Anfechtungsrechts und seiner Bedeutung laufen zu lassen und andererseits den obigen Schluß für sinnvoll zu erachten. Die Kenntnis der Pflichtteilsberechtigung als solche und eine gleichwohl zu beobachtende Untätigkeit reicht für einen Schluß nach § 2079 S. 2 BGB nicht hin. Denn falls der Überlebende sich innerhalb der Anfechtungsfrist von einem Jahr (§ 2283 I BGB) nicht weiter rührt, hat sich die Anfechtungsproblematik nach Fristablauf sowieso erledigt. Und allein aus dem Umstand, daß der Erblasser innerhalb der Frist nicht sogleich die Anfechtung erklärt, kann nicht gefolgert werden, er habe vornherein die Verfügung auch bei Kenntnis von der Pflichtteilsberechtigung errichtet. Die Anfechtungsfrist ist auch eine Frist, innerhalb der der Erblasser sich frei Rechenschaft ablegen soll, ob er tatsächlich die einstmals mit dem Erstverstorbenen gefundene Todesverarbeitung per Anfechtung vernichtet oder nicht. Dies darf nicht durch ein eher Willensfiktionen bemühendes Vorgehen nach § 2079 S. 2 BGB unterlaufen werden. Auch im Fall der Anfechtung durch den Pflichtteilsberechtigten wird grundsätzlich nichts anderes gelten, da sich hier die Frage, wie der Erblasser bei Kenntnis entschieden hätte, nicht anders zu beurteilen ist. 4. Die Wirkung der Anfechtung nach § 2079 S. 1 BGB

a) Die Wirkung hinsichtlich des Testaments des Überlebenden Nach überwiegender Ansicht – erste Meinung – vernichtet die Anfechtung nach § 2079 BGB im Gegensatz zu der Anfechtung nach § 2078 BGB vorbehaltlich der Einschränkung nach § 2079 S. 2 BGB das Testament seinem ganzen Umfange nach95. Einsichtig ist dies nicht. Der Rekurs auf die Entstehungsgeschichte96 überzeugt als Argument hier ebensowenig, wie der Verweis auf die Tatsache, daß in § 2079 S. 1 BGB im Unterschied zu § 2078 II BGB der einschränkende Begriff „soweit“ fehlt97. Die Entstehungsgeschichte gibt für eine vollständige Vernichtung der Verfügung keinen klaren Hinweis98. Und das Wortlaut-Argument trägt eine derartig weitreichende Vernichtung einer letztwilligen Verfügung nicht. Denn es wäre 95 RGZ 59, 60 (63); BayObLGZ 1971, 147 (152); 1975, 6 (9); 1980, 42 (49); BayObLG, FamRZ 1983, 952 (954); 1985, 534 (535); OLG Frankfurt, FamRZ 1995, 1522; OLG Hamburg, FamRZ 1990, 910 (912); Kipp/Coing, Erbrecht, § 24 III 1 b; Lange/Kuchinke, Erbrecht, v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 1, 339; Schlüter, Erbrecht, Rn. 247; Reinicke, NJW 1971, 1962 (1963). 96 So Reinicke, NJW 1971, 1962 (1963). 97 Anders BayObLGZ 1971, 147 (151). 98 Dazu siehe nur Staud-Otte, § 2079 Rn. 13.

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ein Wertungswiderspruch zu einem personfunktional gegründeten Erbrecht, wenn auch die Anordnung einer Testamentsvollstreckung, eine Enterbung, eine familienrechtliche Anordnung oder ein Vermächtnis, welches lediglich einen Miterben beschwert, bei einer Anfechtung nach § 2079 BGB vernichtet werden, obwohl diese Verfügungen mit dem Übergehen des Pflichtteilsberechtigten nichts zu schaffen haben brauchen. Die Entscheidung über die Unwirksamkeit derartiger Verfügungen ist dem Erblasser überantwortet, der ja hinsichtlich dieser Verfügungen auch zumeist wegen § 2270 III BGB testamentarisch durchweg nicht gebunden sein wird. Eine Einschränkung des Umfangs der Anfechtungswirkung ist deshalb erforderlich. Einschränkungen der Anfechtungswirkung sind denn auch vorgeschlagen worden. Einige – zweite Meinung – sehen das Testament des Überlebenden nur insoweit als nichtig an, als der übergangene Pflichtteilsberechtigte von seinem gesetzlichen Erbrecht ausgeschlossen sei99. Stellen in der Literatur – dritte Ansicht – stimmen dem für die Anfechtung nach dem zweiten Todesfall zu und votieren für die volle Nichtigkeit nur für den Fall der Selbstanfechtung durch den Überlebenden100. Andere – vierte Ansicht – nehmen an, Erbeinsetzungen und Vermächtnisse seien soweit nichtig, wie sie das Erbrecht des Pflichtteilsberechtigten schmälern, welches sich bei völliger Vernichtung des Testaments ergäbe, es sei denn, der Erblasser habe die Beeinträchtigung der Pflichtteilsberechtigten in Kauf genommen101. Schließlich wird – fünfte Ansicht – eine Orientierung an dem hypothetischen Erlasserwillen vorgeschlagen102. Die einzelnen Vorschläge sind zumindest bei der Anfechtung durch den Pflichtteilsberechtigten durchaus praktisch relevant. Dies zeigt der Fall, daß die kinderlosen Ehegatten der ersten Ehe sich gegenseitig als Alleinerben und die Pflegemutter des erstverstorbenen Gatten zur alleinigen Schlußerbin eingesetzt haben. Die Einsetzung der Pflegemutter steht hier im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit zur Einsetzung des Überlebenden durch den erstverstorbenen Teil, § 2270 II BGB. Wird das Testament des Längstlebenden später von dem zweiten Gatten nach § 2079 BGB angefochten oder ficht 99 OLG Köln, NJW 1956, 1522; LG Darmstadt, NJW-RR 1988, 262; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 309; Jung, AcP 194 (1994), 42 (77 ff.); wohl auch Staud-Otte, § 2079 Rn. 12 ff., der sich aber zum Fall der Selbstanfechtung beim gemeinschaftlichen Testament nicht explizit verhält. 100 So MünchKomm-Leipold, § 2079 Rn. 19 f.; für den Erbvertrag ebenso MünchKomm-Musielak, § 2281 Rn. 18. 101 So Soergel-Loritz, § 2079 Rn. 9. Loritz bildet als Beispiel für die Ausnahme den Fall, daß der Erblasser seiner Haushälterin ein Bild als Andenken vermacht hat. Hier sei davon auszugehen, daß generell alle (auch die noch nicht bekannten oder die neuen) Pflichtteilsberechtigten hinsichtlich des Bilddes zurückgesetzt sein sollten. 102 So bei Brox, Erbrecht, Rn. 238; wohl auch Staud-Kanzleiter, § 2281 Rn. 36.

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der Überlebende selbst an, kommt aber nicht mehr dazu, neu zu testieren, wäre nach der h. M. die Erbeinsetzung in vollem Umfang nichtig, so daß gesetzliche Erbfolge eintreten würde (Erbquote zu zugunsten des neuen Gatten; die Pflegemutter ginge leer aus). Nach der zweiten Ansicht bliebe die Einsetzung der Pflegemutter zumindest zur Hälfte des Nachlasses unberührt, da hinsichtlich der anderen Hälfte die Erbfolge des Pflichtteilsberechtigten in Höhe seines gesetzlichen Erbrechts eintritt. Die Vertreter der dritten Ansicht votieren ebenso für den Fall der Anfechtung durch den neuen Ehegatten, lassen aber bei der Selbstanfechtung die Einsetzung der Pflegemutter (wie die Vertreter der h. M.) entfallen und votieren vollens für gesetzliche Erbfolge. Die vierte Ansicht führt hier ebenfalls zur gesetzlichen Erbfolge des neuen Gatten zu und belassen die andere Hälfte des Nachlasses der Pflegemutter. Die fünfte Ansicht bleibt eher im Unklaren, wenn sich nicht mehr gem. § 2079 S. 2 BGB aufklären läßt, wie der Erblasser bei Kenntnis der Umstände entschieden hätte. Das Beispiel zeigt, daß bei der zweiten und vierten Ansicht der Erblasser trotz der Anfechtung nach § 2079 BGB weiterhin an die korrespektive Bedenkung der Pflegemutter gebunden wäre. Dies gibt einen Hinweis, wie richtigerweise zu entscheiden ist. Nach dem Sinn und Zweck der Anfechtung nach § 2079 BGB soll dem Erblasser die Möglichkeit eröffnet werden, seine letztwilligen Verfügungen mit Blick auf den neuen Pflichtteilsberechtigten neu zu überdenken103. Von diesem Überdenken können auch nicht nur gesetzliche Erbrechte, sondern auch Verfügungen zugunsten Dritter betroffen sein. Wäre er hier weiterhin an seine korrespektiven Verfügungen gebunden, wäre dies unter personfunktionaler Betrachtung des gewillkürten Erbrechts nicht einsichtig. Der Erstverstorbene ist durch § 2270 I BGB hinreichend geschützt104. Dies gilt um so mehr, als der Überlebende den neuen Ehegatten hinsichtlich eines Viertels seines Eigenvermögens (bei Vorabzug des vom ersten Gatten letztwillig Erworbenen) sowieso von Todes wegen bedenken kann, ohne gegen seine testamentarische Bedenkung ansonsten zu verstoßen105. Das Ergebnis lautet mithin: Erbeinsetzungen, Vermächtnisse und Auflagen werden grundsätzlich von der Anfechtungswirkung bei einer Anfechtung nach § 2079 BGB erfaßt. Bei sonstigen Anordnungen ist die Nichtigkeitsfolge schon deshalb nicht veranlaßt, weil hier keine Bindung nach § 2271 II BGB eintreten kann (§ 2270 III BGB) und der Erblasser daher nicht geschützt werden muß. Würde anders entschieden, würden auch solche Anordnungen von Todes wegen aufgrund der Anfechtung nichtig sein, die der Erblasser hat aufrechterhalten wollen und deshalb nicht geändert hat, obwohl er dies mangels Bindungswirkung (§ 2270 III BGB) hätte 103 104 105

Dazu siehe nur Soergel-Loritz, § 2079 Rn. 1. Dazu oben § 4 II 3 c und 3, § 5 III 2 b, § 6 I 2. Siehe § 11 III 2.

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tun können. Die Nichtigkeitsfolge greift schließlich auch für den Fall der Anfechtung durch den Pflichtteilsberechtigten nicht. Es ist nicht ersichtlich, wieso hier der Anfechtungsberechtigte nicht nach § 2078 II BGB vorgehen und konkret darlegen und beweisen soll, daß der Erblasser tatsächlich die Verfügungen nicht für den Fall getroffen habe, daß unvorhergesehen ein Pflichtteilsberechtigter auftritt. b) Die Wirkungen hinsichtlich der korrespektiven Verfügungen des Erstverstorbenen Verfügungen des erstverstorbenen Teils, welche mit der angefochtenen Verfügung im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit stehen, werden gem. § 2270 I BGB grundsätzlich im vollen Umfang nichtig. Rückwirkend auf den ersten Todesfall wird damit in der Regel gesetzliche Erbfolge eintreten106, falls nicht der Erstverstorbene für den Fall der Unwirksamkeit seiner korrespektiven Verfügungen durch ein auf diesen Fall bedingtes einseitiges Testament Vorsorge getroffen hat107. Gesetzliche Erbfolge wird gleichfalls vermieden, wenn ein wegen der wechselbezüglichen Verfügungen unwirksames späteres Testament aufgrund ihrer Nichtigkeit nach § 2270 I BGB wirksam wird108; die testamentarische Bindungswirkung erfaßt ja nicht die Testierfähigkeit des gebundenen Teils, sondern nur dessen Testierfreiheit, so daß eine der wechselbezüglichen Verfügung widersprechende einseitige Verfügung nicht nichtig, sondern nur unwirksam ist109. § 2270 I BGB statuiert selbst eine Auslegungsregel. Läßt sich ausnahmsweise feststellen, daß der Erstverstorbene seine Verfügungen auch bei Kenntnis der sich aus der Anfechtung ergebenden Unwirksamkeit der Verfügungen des anderen Teils getroffen haben würde, ist insoweit die Wechselbezüglichkeit zu verneinen; die Verfügungen des Erstverstorbenen behalten in diesem Falle ihre Wirksamkeit110. Der überlebende Teil wird in Höhe eines Viertels seines Eigenvermögens unter Vorabzug des vom Erstverstorbenen letztwillig Erworbenen von seiner testamentarischen Bindung frei, falls er sich wiederverheiratet und mit seinem neuen Gatten gemein106 MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 43; Palandt-Edenhofer, § 2271 Rn. 34; Staud-Kanzleiter, § 2271 Rn. 73; v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 1, 515 f. 107 Siehe zur Selbstverantwortung eines jeden Ehegatten, für den Fall des § 2270 I BGB Vorsorge zu treffen, oben § 4 II 3 c. 108 RGZ 65, 275; 130, 213 (214); MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 43; RGRK-Johanssen, § 2271 Rn. 51; Staud-Kanzleiter, § 2271 Rn. 76; v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 1, 515 f. 109 Siehe nur Soergel-Manfred Wolf, § 2271 Rn. 31. 110 OLG Hamm, NJW 1972, 1088 (1089); Dittmann/Reimann/Bengel-Bengel, § 2271 Rn. 61; MünchKomm-Musielak, § 2271 Rn. 44; Palandt-Edenhofer, § 2271 Rn. 34; RGRK-Johannsen, § 2271 Rn. 50; Soergel-Manfred Wolf, § 2271 Rn. 39.

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schaftlich testiert111. In Höhe dieser Quote fand im Zweifel schon keine Wechselbezüglichkeit der Gattenverfügungen statt. Im Ergebnis wird deshalb die gesetzliche Erbfolge regelmäßig nur für ein Dreiviertel des Nachlasses des vorverstorbenen ersten Gatten eintreten.

§ 12 Die Wiederverheiratung im Lichte kautelarjurisprudentieller Klauseln I. Problemstellung 1. Kautelarjurisprudentielles Regelungsangebot

Die Wiederverheiratung des überlebenden Teils führt – wie gezeigt wurde112 – auf der Ebene der Wiedergewinnung seiner Testierfreiheit zu schwierigen Rechtsproblemen, wenn für den Wiederverheiratungsfall nicht eigens testamentarisch Vorsorge getroffen worden ist. Dem Erstverstorbenen kann daher daran gelegen sein, für den Fall der Wiederverheiratung besondere Vorkehrungen hinsichtlich des Schicksals seines eigenen Vermögens zu treffen. In Ehegattenerbverträgen oder -testamenten113 ist dies häufig der Fall. Das Abfließen des Vermögens an die Angehörigen der neuen Familie vor allem durch Rechtsgeschäfte unter Lebenden oder durch ein Hinzutreten neuer Pflichtteilsberechtigter soll verhindert und zugleich den Endbedachten des Erstverstorbenen, also regelmäßig den gemeinsamen Abkömmlingen aus erster Ehe, ihr Anteil am Erbe gesichert werden114. Ähnliche Problemlagen ergeben sich – ausgenommen die Pflichtteilsberechtigungen – bei der Eingehung einer nichtehelichen Partnerschaft. Die kautelarjurisprudentiell gebräuchlichen Klauseln reichen vom Verlust des Erbrechts des sich wiederverheiratenden Ehegatten zugunsten der Abkömmlinge aus der Ehe mit dem Erstverstorbenen, über die Anordnung der Nacherbfolge durch die als Schlußerben vorgesehenen Abkömmlinge und dem Gebot der Auseinandersetzung nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge, bis zur Aussetzung von 111

Siehe § 11 III 2 b. Dazu oben § 11. 113 Gemeinschaftliche Testamente und Erbverträge müssen dabei im Hinblick auf die zu vergegenwärtigenden dogmatische Probleme nicht einer je eigenständigen Betrachtung unterzogen werden, so auch Buchholz, Erbfolge, 13 f.; vgl. auch Battes, Gemeinschaftliches Testament, 19 ff. 114 Vgl. zum Schutzzweck der gebräuchlichen Wiederverheiratungsklauseln nur MünchKomm-Musielak, § 2269 Rn. 45; Palandt-Edenhofer, § 2269 Rn. 16; Lange/ Kuchinke, Erbrecht, § 24 IV 3 a; v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 2, 918; Kipp/Coing, Erbrecht, § 79 IV 1; Leipold, Erbrecht, Rn. 356; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 237; Nieder, Testamentsgestaltung, Rn. 607; Zawar, NJW 1988, 16; Dippel, AcP 177 (1977), 349 (351 f.); Haegel, RPfleger 1976, 73 f.; Hurst, MittRhNotK 1962, 435 (436). 112

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auf den Wiederverheiratungsfall bedingten Vermächtnissen in Gestalt von Geld- oder Herausgabevermächtnissen zugunsten der Endbedachten des gemeinschaftlichen Testaments der ersten Ehe115. Die gewählten Gestaltungen werden dabei in die jeweils ausersehene dogmatische Grundform der Ehegattenverfügung – also in die Trennungs- und die Einheitslösung116 – eingebunden. Wollen die Ehegatten vor allem die Interessen der Endbedachten gewahrt sehen und wählen daher die Trennungslösung – also Vor- und Nacherbschaft –, so wird regelmäßig als das den Nacherbfall auslösende Ereignis die Wiederverheiratung oder die Aufnahme einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft festgesetzt. Im einzelnen unterscheiden sich die je gewählten Lösungen zwar von Fall zu Fall117. Größere Probleme hinsichtlich der dogmatischen Grundlegung entstehen hier jedoch nicht118. Besondere Probleme werfen Wiederverheiratungsklauseln jedoch auf, wenn die Interessen des Überlebenden im Vordergrund stehen und deshalb die Ehegatten die Einheitslösung gem. § 2269 BGB gewählt und sich gegenseitig zu Vollerben eingesetzt haben und zudem präzise weitere Angaben in der letztwilligen Verfügung fehlen. Hier liegen bewußt ehegattenbegünstigende Anordnungen vor; Wiederverheiratungsklauseln stellen dann ein Korrektiv dar, welches die Zweitehe als unvorhersehbares lebensgeschichtliches Ereignis erb- und kautelarrechtlich kalkulierbar machen soll119. Im Fall der Wiederverheiratung entfällt oftmals das Versorgungsinteresse des Überlebenden und das Motiv wechselseitiger Ehegattenbegünstigung schlägt für den Erstverstorbenen in einen je nach Gestaltung abgestuften erbrechtlichen Vorrang der gemeinsamen Abkömmlinge um, damit ein Abfließen wesentlicher Vermögensteile aus dem Nachlaß des Erstversterbenden an Familienfremde vermieden wird120. Vor dem Hintergrund dieses 115 Vgl. nur Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 24 IV 3 a; Dippel, AcP 177 (1977), 349 (352); Buchholz, Erbfolge, 18; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 237; MünchKomm-Musielak, § 2269 Rn. 48 ff.; Staud-Kanzleiter, § 2269 Rn. 39 f.; Haegele, JurBüro 1968, Sp. 87 (Sp. 88 ff.); ders., RPfleger 1976, 73 (74); Jünemann, ZEV 2000, 81 (81 f.); Simshäuser, FamRZ 1972, 273 (273 f.); Forster, Wiederverheiratungsklauseln, 54 f.; Strötz, Wiederverheiratungsklausel, 5 ff. Vgl. zu einzelnen Kautelen auch Buchholz, ebda., 19 ff. 116 Zu diesen oben § 7 II 2 c. 117 Vgl. nur Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 24 IV 3 a; Nieder, Testamentsgestaltung, Rn. 608; Radke, Darstellung, 62 f. 118 Leipold, Erbrecht, Rn. 357; Palandt-Edenhofer, § 2269 Rn. 21; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 24 IV 3 b; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 238; Dittmann/Reimann/ Bengel-Bengel, § 2269 Rn. 40; Nieder, Testamentsgestaltung, Rn. 607; Dippel, AcP 177 (1977), 349 (358 f.); Buchholz, Erbfolge, 16, 18 f. 119 Buchholz, Erbfolge, 16. 120 Hurst, MittRhNotK 1962, 435 (435 f.); Buchholz, Erbfolge, 16; Otte, AcP 187 (1987), 603; Dippel, AcP 177 (1977), 349 (360, 369); Haegele, JurBüro 1968, Sp. 87; ders., RPfleger 1976, 73 f.

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Motivwandels sehen die gebräuchlichen Klauseln deshalb in der Regel vor, daß der überlebende Ehegatte bei einer Eheschließung den Nachlaß des Erstverstorbenen an die gemeinsamen Kinder herauszugeben, sich mit ihnen nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge auseinanderzusetzen oder ein Vermächtnis auszukehren habe121. Die Regelungsziele der Hauptverfügung (Einheitslösung) und der ergänzenden Anordnung (Wiederverheiratungsklausel) stehen folglich naturgemäß in einem gewissen Gegensatz: hier Hervorhebung der Interessen des Überlebenden, dort dessen Hintanstellen und Betonung der Interessen der Abkömmlinge der ersten Ehe. 2. Dogmatische Problemstellungen

Es ist mit Blick auf den gerade festgestellten Gegensatz nicht verwunderlich, daß die dogmatischen Problemlagen und die konstruktiven Schwierigkeiten zunehmen, je stärker sich die Hauptverfügung der reinen Einheitslösung nähert122. Die Hauptschwierigkeiten einer Kombination von Vollerbeneigenschaft des überlebenden Ehegatten und einer Wiederverheiratungsklausel liegen darin, daß die Erbeinsetzung des überlebenden Gatten selber in ihrem Charakter von den ursprünglichen Intentionen des Erblassers (Ehegattenschutz durch grundsätzlich unbeschränkte Vollerbenstellung) abgelöst wird. Bei der Einheitslösung steht die Eigenwertigkeit, Individualisierung und soziale Autonomie der Gattenbeziehung im Vordergrund und nicht nur eine Form letztwilliger Vermögensverteilung, sondern vor allem das vermögensrechtliche Abbild einer affektiv vorgeprägten Stufenfolge der Familienbeziehung in der Generationenfolge zur Rede123. Die hier zum Ausdruck kommende Alterssolidarität (Versorgungsgedanke) vor dem Hintergrund einer gemeinschaftlichen Lebensleistung verträgt sich kaum mit konkurrierenden Nachlaßinteressen, die dem lebzeitigen oder erbrechtlichen Verfügungsinteresse des Überlebenden – wie bei der Wiederverheiratungsklausel – entgegengesetzt werden124. Diesen Konflikt zwischen dem Überlebenden und konkurrierenden Nachlaßinteressen gilt es auszubalancieren. Für dem Fall, daß mit Eintritt eines bestimmten Zeitpunktes oder Ereignisses der Erstbedachte sein Erbrecht verlieren soll und den Nachlaß an einen anderen herauszugeben hat, stellt das Gesetz diese Balance her, indem es 121 Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 24 IV 3 a; Palandt-Edenhofer, § 2269 Rn. 16; Dippel, AcP 177 (1977), 349 (352); Buchholz, Erbfolge, 18; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 237; MünchKomm-Musielak, § 2269 Rn. 48 ff.; Staud-Kanzleiter, § 2269 Rn. 39 f.; Forster, Wiederverheiratungsklauseln, 54 f.; Haegele, JurBüro 1968, Sp. 87 (Sp. 88 ff.); ders., RPfleger 1976, 73 (74); Simshäuser, FamRZ 1972, 273 (273 f.). 122 Buchholz, Erbfolge, 17. 123 Buchholz, Erbfolge, 32 f. 124 Vgl. auch Buchholz, Erbfolge, 36.

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von Gesetzes wegen kraft erbrechtlicher Typenbildung eine Vor- und Nacherbfolge und damit einen Wechsel in der Erbeneigenschaft des Überlebenden anordnet, der vom Voll- zum bloßen Vorerben wird, § 2103 BGB. Nichts anderes gilt für eine Wiederverheiratungsklausel, bei der für den Fall der Wiederverheiratung eine Auseinandersetzung nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge angeordnet wird. Das ungewisse Ereignis der Wiederverheiratung wird bei der Wiederverheiratung also auch im Falle der Einheitslösung über das Bedingungsrecht in die Gestaltung eingebunden: Die Erbeinsetzung des überlebenden Ehegatten kann auflösend (§§ 158 II, 2075 BGB) bedingt für den Fall der Wiederverheiratung oder aufschiebend bedingt (§§ 158 I, 2074 BGB) für den Fall der Nichtwiederverheiratung gestaltet werden. Das konstruktive Gegenstück zur Vermeidung einer subjektlosen Erbschaft125, also die komplementäre Rechtsstellung desjenigen, der bei Bedingungseintritt oder -ausfall Erbe sein soll, liegt dann in der Anordnung einer aufschiebend oder auflösend bedingten Nacherbschaft nach dem Erstverstorbenen zugunsten der Abkömmlinge der ersten Ehe und damit verbunden126 die bedingte Vorerbenberufung des je überlebenden Ehegatten127. Zwangsläufig tritt beim Erstberufenen nach der noch näher zu besprechenden Lösung der h. M. eine Verdoppelung der Rechtsstellung ein: er wird zum Vollerben und zum Vorerben, je durch eine Bedingungskonstruktion mit dem Ereignis der Wiederverheiratung verknüpft128. Die Nacherbfolge ist dann – und nach herrschender Meinung zumeist aufschiebend – bedingt; der überlebende Ehegatte ist nach der unten noch näher skizzierten h. M. auflösend bedingter Vollerbe und aufschiebend bedingter Vorerbe. Dieses dogmatische Gerüst einer Verbindung von Einheitslösung und Wiederverheiratungsklausel aus Vollerbschaft, Bedingungslehre und Vor- und Nacherbschaft129 hat zu zahlreichen dogmatischen Streitfragen geführt, die von der Erörterung des Verhältnisses der Testierfreiheit zum Nacherbenschutz über die Frage, ob bei einer Wiederverheiratungsklausel im Falle der Wiederverheiratung der Überlebende automatisch auch ohne ausdrückliche Anordnung seine Testierfreiheit wiedererlangt, bis hin zum Verhältnis von Eheschließungsfreiheit und der über eine Zölibatsklausel gesteuerten Vermögensfürsorge für die Abkömmlinge von kalter Hand, und hier insbesondere zur Frage nach der Zulässigkeit erbrechtlicher Potestativbedingungen, reichen. 125 Dazu Raape, AcP 140 (1935), 233 (237); MünchKomm-Leipold, § 1942 Rn. 2. 126 Nacherben ohne Vorerben sind bekanntlich gesetzlich nicht vorgesehen, vgl. Asbeck, MDR 1959, 897; Buchholz, Erbfolge, 23. 127 Buchholz, Erbfolge, 22 f. 128 Buchholz, Erbfolge, 23; vgl. auch die Nachw unten Fn. 137 bis Fn. 139. 129 Buchholz, Erbfolge, 23.

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Die Schwierigkeiten, die mit der in der Wiederverheiratungsklausel verborgenen Beeinträchtigung der Eheschließungsfreiheit des überlebenden Teils verborgen sein können, werden erst im Zusammenhang mit der Sittenwidrigkeit letztwilliger Verfügungen diskutiert130. Im Vordergrund der folgenden Ausführungen stehen vielmehr folgende mit der Wiederverheiratungsklauseln verbundenen Rechtsfragen: Einmal ist wichtig, welche Rechte der Überlebende bis zum Wiederverheiratungsfall hat. Schwierig ist hier aus den schon genannten Gründen131 vor allem ein gemeinschaftliches Testament, welches nach dem Vorbild der Einheitslösung errichtet worden ist. Auf diese Lösung wird deshalb unter § 12 II ein besonderes Augenmerk gelegt. Sodann muß geklärt werden, wie es um die Rechtslage nach der Wiederverheiratung bestellt ist und welche Einbußen hier der überlebende Teil zu vergegenwärtigen hat (dazu § 12 III). Bei den folgenden Erörterungen darf nicht aus den Augen verloren werden, daß die dogmatischen Wertungsprobleme, welche Wiederverheiratungsklauseln aufwerfen, oftmals in konstruktive Schwierigkeiten eingekleidet sind. Es wird sich zeigen lassen, daß bei aller Konstruktion die Wertungsfragen überwiegen und gerade den scheinbar so einfach zu handhabenden Wiederverheiratungsklauseln ihr ganz eigenes Gepräge geben. II. Die Situation vor der Wiederverheiratung bei der Einheitslösung: Die Konkurrenz zwischen der lebzeitigen Rechtmacht des Überlebenden und dem Schutz der Nacherben 1. Die dogmatische Konstruktion hinter einer Wiederverheiratungsklausel

Materiell steht hinter der Frage nach der dogmatischen Konstruktion der Wiederverheiratungsklausel das Problem zur Rede, welche Rechtsmacht dem Überlebenden über die Erbschaft bis zur Wiederheirat zugestanden werden soll132. Wie schon gesagt, wird überwiegend – dem Kammergericht gebührt hier die Vorreiterrolle133 – aus einer Wiederverheiratungsklausel in einem Testament mit Einheitslösung der Schluß gezogen, daß die Vollerbschaft des Überlebenden sowie die Vor- und Nacherbschaft nur bedingt angeordnet sei. Zugleich trete mit der Wiederheirat der Nacherbfall ein. Hieraus ergeben sich bei der Einheitslösung gewichtige Probleme. Wenn für den Wiederverheiratungsfall beispielsweise vorgesehen ist, daß der überlebende Ehegatte sich mit den Abkömmlingen nach den Regeln der gesetzlichen 130

Siehe unten § 15 II. Oben § 12 I 1. 132 So auch Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 24 IV 3 c aE. 133 KG, JW 1937, 2520; KGJ 33 Abt. A 176 (177); 40 Abt. A 174 (175); 42 Abt. A 109 (114); KG, DNotZ 1943, 137; FamRZ 1972, 96 (97 f.). 131

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Kap. 4: Das Sonderproblem Testierfreiheit und Wiederverheiratung

Erbfolge auseinandersetzen soll, entsteht Vorerbschaft hinsichtlich des bei Wiederverheiratung den Abkömmlingen zufallenden Teils und Vollerbschaft hinsichtlich des Rests134, regelmäßig also für die Hälfte des Nachlasses nach dem Erstverstorbenen, §§ 1371, 1931 BGB. Der Überlebende kann hier der Höhe seiner Vollerbquote entsprechend Nachlaßgegenstände aus dem mit der Teilnacherbschaft beschwerten Nachlaß herauslösen, indem die Nacherben gem. § 2120 BGB verpflichtet sind, in die gegenständliche Teilung einzuwilligen135. Das genaue Verhältnis von Voll-, Vor- und Nacherbschaft im übrigen ist hingegen umstritten: In der ersten – herrschenden – Variante wäre der Überlebende bis zu seiner eventuellen Wiederheirat auflösend bedingter Vollerbe und zugleich aufschiebend bedingter Vorerbe, da er mit seiner Wiederheirat die Rechtsstellung des Vollerben verliert und gleichzeitig durch Eintritt der Nacherbfolge der Nachlaß ganz oder teilweise136 auf Dritte übergeht. Der Nacherbe ist dann unter der aufschiebenden Bedingung eingesetzt, daß der Überlebende wieder heiratet137. Andere wollen – zweite Variante – umgekehrt auflösend bedingte Vor- und Nacherbschaft und auf134 BayObLGZ 1961, 200 (205); BayObLG FamRZ 1967, 695 (696); KG JW 1937, 2520 (2521); KG JFG 13, 155 (156 f.); KG KGJ 40 Abt. a, 174 (175); KG FamRZ 1968, 331 (332); 1972, 323 (324); Forster, Wiederverheiratungsklauseln, 119; Haegele, RPfleger 1976, 73 (76 f.). Vgl. allg. zur Zulässigkeit der Nacherbfolge in einen Bruchteil BGH RPfleger 1980, 95; BayObLGZ 1958, 109; 1961, 205; KG OLGZ 39, 17; Soergel-Harder, § 2100 Rn. 5; MünchKomm-Grunsky, § 2100 Rn. 16; Palandt-Edenhofer, § 2100 Rn. 5; Asbeck, MDR 1959, 897 (899). Vorerbschaft bzgl. des gesamten Nachlasses und Mitnacherbschaft in Höhe des gesetzlichen Erbteils nehmen hingegen an v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 2, 920; Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen, 258. 135 BGHZ 26, 378; BayObLGZ 1958, 109; Staud-Behrends/Avenarius, § 2120 Rn. 6; Soergel-Harder, § 2120 Rn. 5; Palandt-Edenhofer, § 2120 Rn. 2; kritisch zur Begründung Hurst, MittRhNotK 1962, 435 (447); einschränkend Forster, Wiederverheiratungsklauseln, 129 ff. 136 Ein teilweiser Übergang etwa liegt vor, wenn für den Fall der Wiederverheiratung eine Auseinandersetzung nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge angeordnet ist. 137 So die herrschende Ansicht, die mangels näherer präziser Angaben im Testament zu einer derartigen typisierenden Testamentsauslegung greift. Vgl. nur RGZ 156, 172 (180 f.); BGHZ 96, 198 = DNotZ 1986, 541 (mit abl. Anm. Zawar) = JR 1986, 155 (mit zust. Anm. Bökelmann) = JuS 1986, 565 (mit Anm. Hohloch); BGH FamRZ 1961, 275 (276); BayObLGZ 1961, 200 (205); BayObLG FamRZ 1967, 695 (696); OLG Hamm, DNotZ 1972, 96 (97); OLG MÜnchen, HRR 1937 Nr. 563. Aus dem Schrifttum vgl. nur Meier-Kraut, NJW 1992, 143 (146 f.) (aufschiebend bedingte Vor- und Nacherbschaft); Haegele, RPfleger 1976, 73 (75); Simshäuser, FamRZ 1972, 273 (274); Hurst, MittRhNotK 1962, 435 (439); Buchholz, Erbfolge, 55 ff.; Staud-Kanzleiter, § 2269 Rn. 41; Staud-Behrends/Avenarius, § 2100 Rn. 27; Jauernig-Stürner, § 2269 Anm. 6 a; Dittmann/Reimann/Bengel-Bengel, § 2269 Rn. 41; Palandt-Edenhofer, § 2269 Rn. 17; RGRK-Johannsen, § 2269 Rn. 19;

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schiebend bedingte Vollerbschaft annehmen138. In einer dritten Variante wird schließlich darauf abgestellt, daß je nach dem durch Auslegung zu ermittelnden Erblasserwillen entweder der eine oder der andere Weg in Betracht kommt139. Andere wiederum lehnen derartige Bedingungskonstruktionen ab und rekurrieren ausschließlich auf unbedingte Vor- und Nacherbfolge140. Für die lebzeitige Rechtsmacht des Überlebenden entscheidend ist, daß ganz überwiegend – jenseits aller konstruktiver Erwägungen – die §§ 2113 ff. auch für den nur bedingten Vorerben gelten sollen. Überwiegend141 wird hierzu bei Fehlen entgegenstehender Umstände die Auslegungsregel142 aufgestellt, es läge befreite Vorerbschaft vor. Dabei wird entweder von einer vollständigen Befreiung ausgegangen; begründet wird dies durch das in der Einheitslösung generell zum Ausdruck kommenden gegenseitigen Vertrauen der Eheleute in die Wirtschaftsführung des Überlebenden143. Oder das Maß der Befreiung wird von dem Maß des gegenseitig gewährten Vertrauens abhängig gemacht144. Wie dem auch im einzelnen sei, aus der Anordnung der Vorerbschaft folgt, daß der ursprüngliche Ordnungsplan der Gatten, den überlebenden Teil durch eine weitreichende eiKipp/Coing, Erbrecht, § 79 IV 1; Brox, Erbrecht, Rn. 189; Schlüter, Erbrecht, § 26 VI 3; Strötz, Wiederverheiratungsklausel, 65 ff. 138 Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen, 258 f.; v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 2, 918 ff. (wobei die aufschiebend bedingte Vollerbschaft nicht ausdrücklich erwähnt wird). 139 Soergel-Manfred Wolf, § 2269 Rn. 26; MünchKomm-Musielak, § 2269 Rn. 55; Leipold, Erbrecht, Rn. 358; Forster, Wiederverheiratungsklausel, 97 ff., 112, 120 f.; Meier-Kraut, NJW 1992, 143 (145 ff.); Hilgers, MittRhNotK 1962, 381 (388 f.); Ripfel, RPfleger 1951, 578. 140 So mit Unterschieden im einzelnen Wilhelm, NJW 1990, 2857 (2860 f.); Zawar, NJW 1988, 16 (18); ders., DNotZ 1986, 544 (545 f.); Asbeck, MDR 1959, 897 (898); Jünemann, ZEV 2000, 81 (82 ff.); Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 24 IV 3 c.; Nieder, Testamentsgestaltung, Rn. 609; Otte, AcP 187 (1987), 603 (605). 141 Gegen eine typisierende Auslegung OLG Stuttgart, JFG 6 (1929), 162 ff.; LG Mannheim, MDR 1960, 497. Siehe auch KG JW 1936, 395 (396). 142 BayObLGZ 1966, 227 (233). 143 So die ganz überwiegende Ansicht RGZ 156, 172 ff.; BGH FamRZ 1961, 275 (276); BayOlGZ 1961, 200 (204); 1966, 227; KGJ 42, Abtl. A, 109 (114 f.); KG Recht 1930, Nr. 322; KG JW 1936, 395; KG JW 1938, 2748; OLG Hamm, DNotz 1972, 96 (97); Kipp/Coing, Erbrecht, § 79 IV 1; Leipold, Erbrecht, Rn. 358; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 239; Schlüter, Erbrecht, § 62 VI 3; RGRK-Johannes, § 2269 Rn. 19; Palandt-Edenhofer, § 2269 Rn. 18; Erman-Schmidt, § 2269 Rn. 12; Simshäuser, FamRZ 1972, 273 (274); Zawar, NJW 1988, 16 (18); Ripfel, RPfleger 1951, 578 (579 f.); Hilgers, MittRhNotK 1962, 381 (390); Weihe, DNotZ 1939, 9 (11 f.); Hurst, MittRhNotK 1962, 435 (441 ff.); Dippel, AcP 1987, 349 (361); Haegele, RPfleger 1976, 73 (76). Offengelassen in BGHZ 96, 198 (204 f.). 144 So BGH FamRZ 1961, 275 (277); Staud-Kanzleiter, § 2269 Rn. 44.

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Kap. 4: Das Sonderproblem Testierfreiheit und Wiederverheiratung

genbestimmte Vermögensherrschaft stark zu schützen, durch eine Vorerbenstellung des Überlebenden mit der Geltung der §§ 2111 ff., 2136 BGB und hier vor allem des § 2113 II BGB konterkarriert wird. Der Grund hierfür wird zumeist in der Schutzwürdigkeit des bedingten Nacherben gefunden, die im erbrechtlichen Typenzwang der Vor- und Nacherbfolge mit ihren gesetzlichen Beschränkungen der §§ 2100 ff. BGB ihren gesetzlichen Niederschlag gefunden habe145. Die Testierfreiheit wird hier somit einem Drittschutz im Form einer wertmäßigen Nachlaßerhaltungspflicht nachgeordnet. Die nunmehr interessierende Frage ist daher die, inwieweit der erstverstorbene Erblasser den skizzierten Ordnungsplan durchsetzen kann, wenn dieser vor dem Hintergrund einer gewachsenen Alterssolidarität primär an einer unbeschränkten Herrschaft des Überlebenden vor der Wiederverheiratung orientiert ist. 2. Testierfreiheit und Nacherbenschutz im Kontext der erbrechtlichen Typenordnung: Formalbegründungen aus dem Bedingungsrecht

Ein derartiger Ordnungsplan einer primär unbeschränkten Herrschaft des Überlebenden vor der Wiederheirat setzt voraus, daß die §§ 2113 ff. BGB im Fall der Einheitslösung mit Wiederverheiratungsklausel so weitgehend wie erforderlich und gesetzlich zulässig nicht angewendet werden. Hierzu gilt es zu differenzieren: Wenn der Erblasser den Überlebenden als durch die Wiederheirat auflösend bedingten Vorerben und aufschiebend bedingten Vollerben eingesetzt hat, gelten die §§ 2113 ff. BGB von vornherein ex lege unmittelbar146. Bei unterbliebener Wiederheirat – also eine juristische Sekunde vor dem Tod des Zweitversterbenden – endigt die Vorerbschaft und der Überlebende wird zum Vollerben mit der Folge, daß alle zunächst gegen die §§ 2113 ff. BGB verstoßenden Verfügungen und Vollstreckungsmaßnahmen analog § 185 II BGB mit Wirkung ex nunc147 wirksam werden148. Sehr viel problematischer ist die Situation, wenn die Wiederverheiratung in der Weise mit der Erbeinsetzung verknüpft wird, daß der Überlebende als auflösend durch die Wiederheirat bedingter Vollerbe und aufschiebend bedingter Vorerbe, der Endbedachte entsprechend als aufschiebend beding145

Vgl. nur Zawar, NJW 1988, 16 (19); Stürner, JZ 1983, 148 (149); Nieder, Testamentsgestaltung, Rn. 533; Staud-Kanzleiter, § 2269 Rn. 42. 146 Vgl. nur MünchKomm-Musielak, § 2269 Rn. 52 f.; Soergel-M.Wolf, § 2269 Rn. 26; ders., FS v. Lübtow, 325 (326); Meier-Kraut, NJW 1992, 143 (147). 147 Dazu vgl. BGH WM 1978, 1406; Wolf, FS v. Lübtow, 325 (326). 148 Vgl. nur MünchKomm-Musielak, § 2269 Rn. 53; Wolf, FS v. Lübtow, 325 (326).

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ter Nacherbe eingesetzt wird. Die herrschende Ansicht wendet auch auf diesen Fall – entgegen einiger Stimmen im Schriftum149 – die §§ 2113 ff. BGB an150, was schon aus formalen Gründen in einem erhöhtem Maße begründungsbedürftig ist: Die Vorwirkungen einer bedingten Rechtsstellung werden allein durch die §§ 158, 161 BGB geregelt – und zuerst einmal nicht durch die §§ 2113 ff. BGB, welche erst bei Eintritt der Bedingung eingreifen151. Lebzeitige Verfügungen des Vollerben über einzelne Nachlaßgegenstände hindern ja nicht den Eintritt des aufschiebend bedingten Nacherben in die Erbenstellung. § 161 II BGB greift hier nicht: Der Nacherbe wird Erbe, selbst wenn kein Nachlaßvermögen mehr vorhanden ist; und die Erbenstellung wird durch letztwillige Verfügungen des Erblassers und nicht durch lebzeitige Verfügungen des Voll- und Vorerben bestimmt152. Formal könnte eine direkte Geltung der §§ 2113 ff. BGB demnach allein dadurch begründet werden, daß die Zulässigkeit einer aufschiebend bedingten Vor- und Nacherbschaft bestritten und darauf verwiesen wird, es könne allenfalls eine auflösend bedingte Nacherbschaft und eine aufschiebend bedingte Vorerbschaft geben: Nacherbschaft sei per definitionem aufschiebend bedingte oder befristete, Vorerbschaft auflösend bedingte oder befristete Erbeinsetzung153. Weitere Bedingungen würden nur die Bedingung für die Erbeinsetzung anreichern, so daß die Rede von einem aufschiebend bedingten Nacherben letztlich irreführend und pleonastisch sei154. Bei einer Wiederverheiratungsklausel bei Verfügungen mit Einheitslösung läge demnach eine unbedingte Nacherbschaft vor, zu deren Schutz die §§ 2113 ff. dann automatisch gelten würden. Der Anordnung einer aufschiebend bedingten Vorerbschaft wird also vorgeworfen, sie sei pleonastisch. Eine derartige Argumentation ist aus vielerlei Gründen angreifbar155. Gewichtiger ist jedoch, 149 Die §§ 2113 ff. wollen ausschließen je für den Fall, daß dies dem Willen der Ehegatten entspricht, Buchholz, Erbfolge, 55; Forster, Wiederverheiratungsklauseln, 97 ff., 120; Meier-Kraut, NJW 1992, 143 (145); MünchKomm-Musielak, § 2269 Rn. 55; wohl auch Leipold, Erbrecht, Rn. 358, der aber regelmäßig eine auflösend bedingte Vorerbschaft annimmt. Schon früher wollten Löffers, Berliner Testament, 64, und Merkel, Gemeinschaftliches Testament, 101 f., die §§ 2113 ff. BGB hier ausschließen. 150 Vgl. nur Zawar, NJW 1988, 16 (19); Stürner, JZ 1983, 148 (149); Nieder, Testamentsgestaltung, Rn. 533; Staud-Kanzleiter, § 2269 Rn. 43. 151 MünchKomm-Musielak, § 2269 Rn. 56; Meier-Kraut, NJW 1992, 143 (145 f.); Wilhelm, NJW 1990, 2857 (2861 f.); Buchholz, Erbfolge, 45 ff.; Forster, Wiederverheiratungsklauseln, 83 f.; zuneigend für den Fall, daß die letztwillige Verfügung als auflösend bedingter Vollerbe und aufschiebend bedingter Vorerbe aufzufassen ist auch Leipold, Erbrecht, Rn. 358. 152 Wolf, FS v. Lübtow, 325 (327). 153 So Wilhelm, NJW 1990, 2857 (2860 ff.); zustimmend Radke, Darstellung, 69. 154 Wilhelm, NJW 1990, 2857 (2862). 155 Vgl. dazu nur Meier-Kraut, NJW 1992, 143 (145).

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daß mit dem Pleonasmus-Vorwurf das Wertungsproblem nicht bewältigt ist: Wenn der Schutz des überlebenden Gatten u. a. durch dessen freie Eigentümerstellung gewährleistet werden soll, stellt sich automatisch die Frage, wie sich dieser Schutz dann gegenüber den konkurrierenden, durch die §§ 2113 ff. BGB geschützten Nachlaßinteressen der Endbedachten und den Haftungsinteressen der Nachlaßgläubiger der Nacherben verhält – und nur darum geht es. Hinter dem Streit um die Geltung der §§ 2113 ff. BGB verbirgt sich somit augenscheinlich weniger ein Konstruktionsproblem des erbrechtlichen Bedingungsrechts der Vor- und Nacherbschaft, sondern vor allem ein Wertungsproblem. Wie soll dieses für den Fall bewältigt werden, daß der Überlebende als auflösend durch die Wiederheirat bedingter Vollerbe und aufschiebend bedingter Vorerbe eingesetzt ist? 3. Die Konkurrenz zwischen Ehegattenschutz und Nachlaßinteressen

a) Der Ausgangspunkt: Die Widersprüchlichkeit im gesetzlichen System Wenn die soeben vorgestellte Formalbegründung aus dem Bedingungsrecht ernst genommen wird, kann bei einer Einsetzung des überlebenden Teils als auflösend bedingter Vollerbe und aufschiebend bedingter Vorerbe von einer unmittelbaren Geltung der §§ 2113 ff. BGB nicht ausgegangen werden156, da die Bedingung noch nicht eingetreten ist und die Vorwirkungen einer bedingten Rechtsstellung unmittelbar nur in den §§ 158 ff. BGB geregelt sind157. Nach dem Regelungszusammenhang des Gesetzes soll der Nacherbe gegen lebzeitige Verfügungen über Nachlaßgegenstände zumindest durch eine wertmäßige Beteiligung (§ 2111 BGB) und durch die Verfügungsbeschränkungen des § 2113 II BGB geschützt sein. Wenn die Nacherbenstellung nun selbst wiederum bedingt ist, verschiebt sich das Schutzproblem formal in die allgemeinen Regeln des Bedingungsrechts (also in die §§ 158 ff. BGB) und läuft dort naturgemäß leer: Funktional wird der Nacherbenschutzmodus bei einer Gesamtrechtsnachfolge zwar von den §§ 2113 ff. BGB übernommen, die für die Verwaltung des Nachlasses bei Vor- und Nacherbfolge das Problem regeln, welches für die bedingte oder befristete Verfügung über einen Einzelgegenstand § 161 BGB klärt158; es wurde aber schon darauf hingewiesen, daß rein formal gesehen die 156 Insofern ist MünchKomm-Musielak, § 2269 Rn. 56, und Meier-Kraut, NJW 1992, 143 (145), zuzustimmen. 157 So auch MünchKomm-Musielak, § 2269 Rn. 55; Leipold, Erbrecht, Rn. 369; ders., FamRZ 1988, 352 (353); Meier-Kraut, NJW 1992, 143 (145); Wilhelm, NJW 1990, 2857 (2861 f.); Buchholz, Erbfolge, 45 f.; als konsequent bezeichnet dies auch Nieder, Testamentsgestaltung, Rn. 533. Kritisch aber Soergel-M. Wolf, § 2269 Rn. 19; John, FamRZ 1983, 1090 (1093). 158 Insofern kann Wilhelm, NJW 1990, 2857 (2862) gefolgt werden.

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§§ 2113 ff. BGB bei einer aufschiebend bedingten Vorerbschaft nicht greifen und daher der Schutz des Nacherben weitgehend leerläuft, da ihm § 161 II BGB nicht hilft159. Ob sich gegenüber dieser Formalbegründung ein Rekurs auf die Teleologie der §§ 2113 ff. BGB oder des § 161 BGB160 und damit eine analoge Anwendung dieser Vorschriften durchsetzen kann, hängt davon ab, ob sich der gesetzliche Regelungszusammenhang in seinen Wertungen hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Ehegattenschutz und drittbezogenen Nachlaßinteressen (Endbedachte; Nachlaßgläubiger der Endbedachten) unter Einbezug der kautelarjurisprudentiell entwickelten doppelt bedingten Erbeneinsetzung (bedingte Vor- und Nacherbschaft) bei einer rein formalen Betrachtung als widersprüchlich erweisen würde – und damit gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstieße161. Der Gesetzgeber hat augenscheinlich dieses Wechselspiel zwischen den §§ 158 ff. BGB und §§ 2113 ff. BGB im Falle der bedingten Anordnung einer bedingten Erbenstellung, also der bedingten Nacherbschaft nicht hinreichend berücksichtigt – so daß ein Wertungswiderspruch naheliegt. Einem derartigen Wertungswiderspruch wird jedoch vor allem mit zwei Argumenten entgegengetreten. Das erste Argument rekurriert auf die Schutzwürdigkeit der Endbedachten. Vorgetragen wird, der Erblasser hätte auch ganz von einer Regelung für den Fall der Wiederheirat absehen können; hier wären die Endbedachten gar nicht geschützt162. Was ist von diesem Argument zu halten? Das Argument bindet die Schutzbedürftigkeit der Endbedachten an die Intentionen des Erblassers, was durchaus folgerichtig ist. Denn falls der Erblasser die Endbedachten völlig eines Schutzes entkleiden kann, so kann er ihnen auch nach einem bestimmten Ereignis, bsp. der Wiederverheiratung, einen gewissen Schutz gewähren, ohne indes spiegelbildlich auch zu einem Schutz vor Ereigniseintritt wertungsmäßig verpflichtet zu sein. Freilich ist dies noch lange keine überzeugende Überlegung. Die Anknüpfung an den Erblasserwillen wird nicht folgerichtig zu Ende gedacht: Es wird völlig abstrahiert von den konkreten Intentionen des Erblassers, dem im Einzelfall auch an dem Schutz gerade der Endbedachten auch vor Wiederverheiratung gelegen sein kann. Das Argument, der 159

Siehe gerade oben § 12 II 2. Soergel-Manfred Wolf, § 2269 Rn. 26; ders., FS v. Lübtow, 325 (326), und Jauernig-Stürner, § 2269 Anm. 6a, wollen die §§ 2113, 161 II ihrem Schutzzweck nach auf lebzeitige Verfügungen des Voll- und Vorerben über einzelne Nachlaßgegenstände anwenden. 161 Vgl. zu den Ausgangsbedingungen einer Analogie Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 475. Die herrschende Methodenlehre würde hier auf das Erfordernis einer planwidrigen Gesetzeslücke rekurrieren, vgl. nur Larenz/Canaris, Methodenlehre, 191 ff. 162 MünchKomm-Musielak, § 2269 Rn. 55, 59; vgl. auch Forster, Wiederverheiratungsklauseln, 89. 160

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Erblasser hätte auch ganz von einer Regelung für den Fall der Wiederheirat absehen können, deutet demnach eher auf die Notwendigkeit von Differenzierungen und damit auf eine Fallgruppenbildung hin. Es reicht so abstrakt, wie es bisher formuliert worden ist, zur Begründung einer wertungskonsistenten Lösung nicht hin. Neben dem ersten Argument wird als zweites eine historische Begründung bemüht: Buchholz163 verweist auf die historischen Bezüge der Vor- und Nacherbschaft. Danach sei die Anordnung der Vor- und Nacherbschaft , welche beispielsweise bei einer aufgrund einer Wiederverheiratungsklausel aufgegebenen Herausgabepflicht des Nachlasses an Dritte gesetzlich vorgesehen sei, einzig der erbrechtlichen Typenbindung geschuldet. Nach Buchholz entspricht bei einer Wiederverheiratungsklausel mit Einheitslösung dieser Typenbindung jedoch kein materialer Schutzzweck. Vielmehr könne die Typenbindung nur als eine bloß konstruktiv-formale Rechtserscheinung gedeutet werden164. Es sei daher nicht veranlaßt, zum Schutze des aufschiebend bedingten Nacherben die §§ 2113 ff. BGB analog anzuwenden165. Mit derartigen Erwägungen wird das Wertungsproblem jedoch nicht gelöst, sondern in der Charakterisierung der Typenbindung als rein konstruktiv-formal eingeschlossen – doch ob dies der Fall ist, ist gerade die Frage. b) Nacherbenschutz und Erblasserwille Das Wertungsproblem (also: wie steht es um den Nacherbenschutz?) bleibt demnach noch offen. Es kann auch nicht mit dem Gedanken bewältigt werden, die Kautelarjurisprudenz solle sich wegen der schwierigen Rechtsfragen angewöhnen, den überlebenden Ehegatte als Testamentsvollstrecker oder Generalbevollmächtigten der Nacherben einzusetzen; wegen dessen Zustimmungsmöglichkeiten zu Verfügungen166 wäre der überlebende Teil dann praktisch der Beschränkungen seiner bedingten Vorerbenstellung entledigt. Hier würden allenfalls die Nacherbenschutzvorschriften ohne innere materielle Berechtigung umgangen167; die Anordnung einer Testamentsvollstreckung kann dem Testamentsvollstrecker-Vorerben nicht mehr Befugnisse einräumen, als er schon als Vorerbe selbst hat168. Das Wertungs163

Buchholz, Erbfolge, 49 ff. Buchholz, Erbfolge, 55. 165 Buchholz, Erbfolge, 55. 166 Die eine Beeinträchtigung des Rechts der Nacherben ausschließe, vgl. RGZ 65, 129. 167 RGZ 177, 177 (178); KG JFG 11, 126; MünchKomm-Grunsky, § 2136 Rn. 5; RGRK-Johannsen, § 2136 Rn. 2; Soergel-Harder, § 2136 Rn. 1; Staud-Behrends/ Avenarius, § 2136 Rn. 12; Erman-M. Schmidt, § 2136 Rn. 1; Palandt-Edenhofer, § 2136 Rn. 1; Kipp/Coing, Erbrecht, § 67 I 9d. 168 MünchKomm-Grunsky, § 2136 Rn. 5; Soergel-Harder, § 2136 Rn. 1. 164

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problem muß daher an den §§ 2113 ff. BGB unmittelbar ansetzen: an der Frage nach ihrer analogen Anwendung und an der Suche nach differenzierten Ausgestaltungsmöglichkeiten des Nacherbenschutzes. Der sachgerechte Ausgangspunkt liegt in dem folgenden Gedanken: Sollen Wertungswidersprüche vermieden werden, müssen die §§ 2113 ff. BGB auch bei aufschiebend bedingter Vor- und Nacherbschaft gelten, wenn nach dem Gesamtplan des Gesetzes ein Schutz drittbezogener Nachlaßinteressen (Endbedachte und ihrer Nachlaßgläubiger) wertungsmäßig nicht allein davon abhängig gemacht werden kann, ob die Nacherbenstellung bedingt ist oder nicht. Dieser Gedanke wird die folgenden Erwägungen leiten. aa) Die beiden relevanten Kriterien zur Entscheidung des Konkurrenzproblems Nun hätte der Erblasser – hierauf wurde schon hingewiesen169 – auch ganz von einer Regelung für den Wiederverheiratungsfall und damit von einem Schutz der Endbedachten und ihrer Nachlaßgläubiger absehen können. Genausowenig wie der Nacherbe ein Recht darauf hat, überhaupt als Nacherbe eingesetzt zu werden, ist hier auch sein bloßes Vermögensinteresse nicht schützenswert, den Nachlaß in seiner wertungsmäßigen Substanz und in seinem ursprünglichen Kernbestand zu erhalten170. Ähnliches gilt für die Gläubiger, die im Nacherbfalle Nachlaßgläubiger des Nacherben wären: Da ihr Schutz dem Nacherbenschutz akzessorisch ausgestaltet ist, ist ihr Befriedigungsinteresse vor dem Nacherbfall dann nicht schützenswert, wenn das Vermögensinteresse der Nacherben nicht anerkannt wird171. Der Erblasserwillen ist für die Verteilung der Schutzwürdigkeit der jeweiligen Interessen daher durchaus zuerst einmal relevant. Diese Einsicht kann auch nicht mit dem argumentum ad absurdum angegriffen werden, daß dann auch bei einer unbedingten Vor- und Nacherbschaft die Geltung des § 2136 BGB durch den Erblasserwillen relativiert werden könnte. Mit diesem Argument wird gerade ein wichtiger Unterschied ausgeblendet: die auf dem Erblasserwillen beruhende Potestativbedingung. Bei der Wiederverheiratungsklausel hängt die Berechtigung der Endbedachten im Unterschied zum unbedingten Nacherben eben von einer Willensentscheidung des Überlebenden und damit von einem Fremdinteresse (nämlich des des Überlebenden an einer Wiederverheiratung) ab und wird durch dieses maßgeblich mediatisiert. Der Interessenschutz des Endbedachten ist nach dem Willen des Erblassers also akzessorisch zum Fremdinteresse. Es kommt dann nur noch 169

Oben § 12 II 3 a. Wolf, FS v. Lübtow, 325 (328). 171 Die Einwände von Wolf, FS v. Lübtow, 325 (328 ff.), der Schutz der Nachlaßgläubiger verlange eine Anwendung der §§ 2113 ff. BGB, laufen somit leer. 170

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auf den Grad der Akzessorietät an, den der Erblasser differenziert ausgestalten kann172. Einem personfunktional verstandenen Erbrecht steht es gut an, die Lösung des Konkurrenzproblems zwischen der dem Überlebenden eingeräumten Rechtsmacht und dem Schutz der Nacherben nicht von vornherein in einer Analogie zu diversen gesetzlichen Regelungen zu suchen, sondern der Entscheidung des Erblassers anzuvertrauen, wenn schon die §§ 2113 ff. BGB bei einer aufschiebend bedingten Nacherbschaft tatbestandsmäßig nicht gelten. Der Rahmen zwingender gesetzlicher Wertentscheidungen muß dabei freilich beachtet werden. Neben dem Erblasserwillen muß deshalb selbstverständlich auch die systematische Wertungseinheit der Erbrechtsordnung gewahrt sein, damit die Gesamtabstimmung mit dieser nicht fehlschlägt. Dies bedeutet, daß auch sonstige erbrechtliche Fingerzeige für parallele Interessenkonflikte einbezogen werden müssen. Wird der Erblasserwille relevant, hilft häufig eine Fallgruppenbildung weiter, anhand derer Auslegungsregeln für typische Fälle gewonnen werden können. Zweckmäßigerweise orientiert sich die Fallgruppenbildung im Fall der Wiederverheiratungsklauseln danach, in welchem Maße der Erblasser dem anderen Ehegatten vertraut, und welches Mindestmaß an Sicherungen zugunsten der (bedingt berufenen) Nacherben er herbeiführen wollte, d.h. welches Sicherungsbedürfnis der Endbedachten der Erblasser als berechtigt anerkannt hat, wenn schon eine Wiederverheiratungsklausel vorgesehen wurde173. Diese Fallgruppenbildung wird im weiteren versucht. bb) Fallgruppenbildung Der Normalfall – Fallgruppe 1 – ist die bei der Einheitslösung vorliegende Vollerbeneinsetzung des überlebenden Teils. Grundsätzlich zeigt sich in dieser Vollerbeneinsetzung ein hohes Maß an Vertrauen zwischen den Eheleuten in die alleinige Verantwortung des je Überlebenden für den Nachlaß. Die Wiederverheiratungsklausel beruht hier nicht auf einem Mißtrauen in die Wirtschaftsführung des Überlebenden. Diese Konstellation entspricht in ihren grundlegenden Wertungen der Situation eines grundsätzlich befreiten Vorerben und eines unbedingten Nacherben: ein Sicherungsbedürfnis der Letztbedachten und ein hohes Maß an Eigenfürsorge des Überlebenden ist vom Erblasser selbst anerkannt worden. Aus dieser Interessenlage folgt zweierlei: Einmal entspricht es dem Erblasserwillen, daß der gesetzlich vorgesehene Nacherbenschutz durch 172

So andeutend auch Leipold, FamRZ 1988, 352 (353). Hiervon ausgehend auch Leipold, FamRZ 1988, 352 (353). Ähnlich will Staud-Kanzleiter, § 2269 Rn. 44, anhand des jeweils zum Ausdruck gebrachten Maßes an Vertrauen die Frage entscheiden, ob und inwieweit der Überlebende von den Beschränkungen der §§ 2113 ff. BGB gem. § 2136 BGB befreit ist. 173

§ 12 Die Wiederverheiratung im Lichte kautelarjurisprudentieller Klauseln 297

Analogiebildung zu den §§ 2113 ff. BGB grundsätzlich greift. Zweitens kann dieser Schutz nur der Interessenlage gemäß differenziert ausgestaltet werden. Dies wiederum heißt, daß zwar angenommen werden darf, die Ehegatten hätten den Überlebenden von all den Beschränkungen analog § 2136 BGB befreien wollten, die seine alleinige Verantwortung für den Nachlaß einschränken (analog §§ 2113 I, 2114, 2116–2119, 2127–2131 BGB). Der Erblasser hat jedoch durch die Anordnung einer Wiederverheiratungsklausel auch die Substanzerhaltungsinteressen der Nacherben in ihrer Berechtigung anerkannt. Die Beschränkungen, die den Übergang der Substanz des vom Erstverstorbenen Hinterlassenen sichern wollen (analog §§ 2113 II, III, 2133, 2134 BGB) bleiben daher grundsätzlich anwendbar174. Dies ist im Zweifel auch dann so, wenn konkrete Vorgaben zu der Anwendbarkeit der gesetzlichen Regelungen zur Substanzerhaltung in der letztwilligen Verfügung fehlen. Denn zum einen geht das gesetzlich vorgesehene Bild der Ehe von einem gegenseitigen Vertrauensverhältnis zwischen den Ehegatten und nicht von einer zerrütteten Ehe aus, so daß die dem Ehegatten aufgrund seiner Vertrauensstellung zugewiesene Verantwortung für den Nachlaß rechtlich wertungsmäßig den Normalfall darstellen darf. Zum anderen stellt diese Auslegungsregel das Ergebnis einer vernünftigen Interessenabwägung dar und dürfte daher den Normalfall hinreichend sicher typologisch abbilden. Bei dieser Auslegungsregel (also: im Zweifel befreite Vorerbschaft des Überlebenden mit Substanzsicherung zugunsten des Nacherben analog §§ 2113 II, III, 2133, 2134 BGB) schimmert der Gedanke ehelicher Solidarität durch und kommt das Vertrauen in die Wirtschaftsführung des Überlebenden und zugleich das Interesse des Erstverstorbenen an einer adäquaten und schutzwürdigen Sicherung des überlebenden Ehegatten zum Ausdruck. Dies gilt insbesondere für die Verfügungsbeschränkung des § 2113 II BGB. Gerade unter dem Aspekt der Sicherung seines Auskommens kann der Überlebende an der unentgeltlichen Weggabe von Vermögenswerten kein schutzwürdiges Interesse haben, da bei einer unentgeltlichen Veräußerung von Nachlaßgegenständen die wirtschaftliche Sicherung des Längstlebenden mangels eines äquivalenten Vermögenszuflusses gefährdet ist. Daneben wird aber bei der skizzierten Auslegungsregel auch den vom Erblasser als berechtigt anerkannten Interessen der Endbedachten entsprochen. Die Stellung eines auflösend bedingten Voll- und Vorerben ist daher kein Pleonasmus, sondern markiert den formalen Ausdruck einer materialen Ehegattenund Familiensolidarität, die zugleich sowohl auf dem Vertrauens- und dem Sicherungsgedanken hinsichtlich des Ehegatten als auch auf dem Interessenschutz der Endbedachten beruht. 174

So auch Staud-Kanzleiter, § 2269 Rn. 44.

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In der letztwilligen Verfügung können auch – zweite Fallgruppe – Anhaltspunkte (wirtschaftliche Verhältnisse der Ehegatten, die Person des Letztberufenen und ähnliches) für eine andere Auslegung des Testaments, also vollständig befreite oder nicht befreite Vorerbschaft vorhanden sein. Das Maß der Beschränkungen des Überlebenden wird hier zwischen den beiden materialen Polen eines sehr weitgehenden Vertrauens und eines sehr hohen Sicherungsbedürfnisses auch für die Endbedachten angesiedelt und muß anhand der Auslegung der letztwilligen Verfügung im Einzelfall aufgedeckt werden. Falls sich bei der Auslegung beispielsweise Anzeichen ergeben, daß bei einem Nachlaß, der u. a. aus zahlreichen Wertpapieren besteht, der Erstverstorbene gerade hinsichtlich dieser Papiere den Nacherben besonders geschützt sehen wollte, kann durchaus die Anwendbarkeit der §§ 2116 f. BGB angeordnet sein, nicht hingegen die der §§ 2113 I, 2114, 2118 f., 2127–2131 BGB. Der Auslegung stellt sich hier eine besonders verantwortungsvolle Aufgabe. Falls nach dem Willen des Erstverstorbenen – Fallgruppe 3 – auch die Substanz des Nachlasses eindeutig vornehmlich dem Überlebenden zugewendet werden sollte, oder der Erblasser sogar ausdrücklich auch von den Beschränkungen des § 2113 II BGB analog suspendieren wollte, mithin: wenn eindeutig völliges Vertrauen vorherrscht und das Sicherungsinteresse der Endbedachten sehr weitgehend vom Erblasser negiert wird175 – bsp. wenn die zu Erben berufenen Dritten mit den Eheleuten überhaupt nicht oder nur entfernt verwandt sind und auch kein persönliches Näheverhältnis besteht –, tritt das Konkurrenzproblem zwischen Ehegatten- und Nacherbenschutz voll zu Tage. Die h. M. löst dieses Konkurrenzproblem durch einen gleichsam a-priori-Vorrang des Nacherbenschutzes176. Mit diesem Vorschlag wird aber nur dem schon angesprochenen Problem aus dem Weg gegangen, ob der bei einer unbedingten Vor- und Nacherbfolge bestehende, in den §§ 2113 ff. BGB zum Ausdruck kommende Nacherbenschutz auch bei einer aufschiebend bedingten Nacherbfolge immer und ohne jeden Abstrich angenommen werden kann. Die analoge Anwendung der §§ 2113 ff. BGB wird aus zwei Gründen zugelassen177. Einmal, weil die §§ 2113 ff. BGB bei einer Gesamtrechtsnachfolge als funktionales Äquivalent zu den §§ 158 ff. BGB dienten. Und zweitens hätte der Erblasser den Endbedachtenschutz überhaupt in seine Verfügung mit einbezogen. Ohne einen derartigen gewillkürten Einbezug wäre nicht klar, warum vor Eintritt oder Ausfall 175 Eine Wiederverheiratungsklausel ergibt in dieser Fallgruppe schon deshalb Sinn, weil damit der Stamm des Vermögens nicht irgendwelchen Personen zukommt, mit denen der Erstverstorbene nichts zu schaffen haben möchte. 176 Vgl. nur Stürner, JZ 1983, 149 (150); Staud-Kanzleiter, § 2269 Rn. 42 f.; MünchKomm-Grunsky, 2113 Rn. 16; Palandt-Edenhofer, § 2269 Rn. 18. 177 Dazu oben § 12 II 3 a.

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der Bedingung die Endbedachten überhaupt schützwürdig sind. In der hier diskutierten Fallvariante 3 überzeugen derartige Erwägungen aber nicht recht. Denn in dieser Fallvariante versagt der Erblasser den Endbedachten von Todes wegen letztlich sehr weitgehend den Schutz. Bei Lichte betrachtet ist das Schutzinteresse des Erblassers bei der Fallgruppe 3 allein darauf gerichtet, daß der Endbedachte die Erbenstellung erhält und der Nachlaß nicht in irgendwelche fremden Hände gerät; vor dem zweiten Todesfall soll der Überlebende aber zu Lebzeiten schalten und walten können, wie er will. Die Endbedachten würden also vom Erstverstorbenen nur als bloßer Reflex dieses „Ausschlußinteresses“ geschützt. Wieso sollten dann aber die §§ 2113 ff. BGB analog gelten? Man könnte nun daran denken, daß die §§ 2113 ff. BGB schon deshalb auch bei der Fallgruppe 3 angewendet werden müßten, weil sie als zwingendes Recht von Dispositionen des Erblassers unabhängig seien178. Doch damit handelt man sich allenfalls den Vorwurf einer typischen petition principii ein, sind doch die §§ 2113 ff. BGB unmittelbar nicht anwendbar und steht ihre analoge Anwendung unter der Voraussetzung der Vermeidung widersprüchlichen Rechts. Und zu diesem Recht gehört auch die Willensherrschaft des Erblassers. Wie also soll entschieden werden? Hier hilft ein Blick auf gesetzliche Regelungskomplexe, die ähnliche Gestaltungen regeln und deshalb als Wertungsvorbild modellhaft herangezogen werden können. 4. Der Nacherbenschutz für den Fall einer klaren Bevorzugung des Überlebenden vor den Nacherben: Der Bezug auf ähnliche gesetzliche Wertungsmodelle

a) Der Ansatzpunkt: Lebzeitiges Eigeninteresse des Vorerben Dem Wertungsproblem in der soeben skizzierten Fallvariante 3 kann man nicht dadurch ausweichen, daß der Erblasser auf die Einräumung eines bloß aufschiebend bedingten Universal- oder Quotenvermächtnisses179 verwiesen wird. Dieses dürfte vom Erblasser typischerweise in dieser Situation zumeist nicht gewollt sein; der eindeutig angestrebte Schutz des Familienvermögens vor Familienfremden oder sonstigen Personen wäre dann nur obligatorisch und nicht dinglich gesichert. Wenn im übrigen darauf verwiesen wird, der Erblasser habe jeglichen Nacherbenschutz negiert, so daß es wer178 Nach allgemeiner Meinung ist § 2113 II zwingendes Recht, vgl. nur MünchKomm-Grunsky, § 2113 Rn. 20; Palandt-Edenhofer, § 2113 Rn. 9; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 28 IV 5 d. 179 Diesen Weg schlug 1924 schon Rode vor, vgl. ders., LZ 1924, Sp. 716 ff. Vgl. auch BGH FamRZ 1974, 652 f.; LG Köln, FamRZ 1975, 289; Weihe, DNotZ 1939, 9 (13); Asbeck, Betrieb 1961, 869 (870); Hurst, MittRhNotK 1962, 435 (454); Haegele, RPfleger 1976, 73 (77).

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tungswidersprüchlich wäre, die Endbebachten mittels einer Analogie zu den §§ 2113 ff. BGB noch zu schützen, so ist auch dieser Schluß voreilig gezogen. Denn dann wird zu rasch allein auf die Testierfreiheit des Erblassers abgestellt, ohne daß sonstige Fingerzeige der Rechtsordnung bei parallelen Interessenkonflikten zur Entscheidung herangezogen worden wären. Ein an der Interessenlage und der gesetzlichen Regelung paralleler Interessenkonflikte orientierter und dem Willen des Erblassers gerecht werdender Nacherbenschutz muß daher anhand derjenigen erbrechtlichen Regelungskomplexe entwickelt werden, die sich ähnlicher Interessenkonflikte annehmen. Einen ersten Orientierungspunkt gewinnt man, wenn ein Blick auf die erbrechtlichen Modelle geworfen wird, bei denen Dritte vor lebzeitigen unentgeltlichen Verfügungen geschützt werden (nur um die Zulässigkeit dieser geht es ja in der Fallvariante 3) und die eine zumindest wertmäßige Bindung des Nachlasses erreichen: dies sind einmal die §§ 2113 II, 2136 BGB, dann § 2287 BGB aus dem Recht des Erbvertrages und § 2205 S. 3 BGB aus dem Recht der Testamentsvollstreckung und schließlich der Pflichtteilsergänzungsanspruch des § 2325 BGB. Die Art und Weise, in denen der zu Schützende bei diesen Regelungen vor lebzeitigen Verfügungen bewahrt wird, ist je verschieden: im Vor- und Nacherbenrecht wird der Nacherbenschutz über die Zustimmungspflicht zu einer ordnungsgemäßen Verwaltungsmaßnahme (§ 2120 BGB), im Erbvertragsrecht der Schutz des Vertragserben über das subjektive Element der Beeinträchtigungsabsicht und im Recht der Testamentsvollstreckung der Erbenschutz durch die Zustimmungsmöglichkeit derjenigen Personen, zu deren Schutz das Verfügungsverbot besteht180, der Interessenlage angepaßt. Im Pflichtteilsergänzungsrecht kommen demgegenüber die Interessen des Pflichtteilsberechtigten voll zum Zuge kommen181. Diese Sonderstellung des Pflichtteilsrechts ist auch einsichtig, da der Pflichtteilsberechtigte sich in einer sehr schwachen, bloß obligatorischen Position befindet und sich nicht noch bsp. mit bestimmten subjektiven Intentionen des Verstorbenen (wie der Vertragserbe im Falle des § 2287 BGB) auseinandersetzen soll. Das Pflichtteilsrecht sollte deshalb als Wertungsvorbild für das hiesige Problem außer Betracht bleiben. Das gilt auch für das Recht der Testamentsvollstreckung. Denn bei der Testamentsvollstreckung ist die Interessenkonstellation eine ganz andere als bei der Vor- und Nacherbenkonkurrenz: nicht verschiedene, sukzessiv folgende Vollrechtsinhaber konkurrieren, sondern die Vollrechtsinhaber mit dem Verfügungsbefugten. 180 Vgl. BayObLG FamRZ 1987, 104; Palandt-Edenhofer, § 2205 Rn. 35; MünchKomm-Brandner, § 2205 Rn. 61. 181 Eine Beeinträchtigungsabsicht ist bei § 2325 bekanntlich nicht erforderlich, MünchKomm-Frank, § 2325 Rn. 7; Staud-Ferid/Cieslar, § 2325 Rn. 37; Lange/ Kuchinke, Erbrecht, § 37 IX 1 b.

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Es bleibt somit ein Vergleich der Schutzmodi des Nacherben- und des Erbvertragsrechts: Im Recht des Erbvertrages werden nach nunmehr herrschender Ansicht nach Verabschiedung der Lehre von der Aushöhlungsnichtigkeit unentgeltliche Verfügungen des Erblassers unter Lebenden nur dann nicht gem. §§ 2286, 2287 BGB zum späteren Ausgleich gebracht, wenn ein lebzeitiges Eigeninteresse des Erblassers zum Ausdruck kommt. Diese Formel vom lebzeitigen Eigeninteresse bezeichnet genau den Interessenkonflikt182, den die verfügenden Ehegatten mit einer Verbindung von Vollerbeneinsetzung und Wiederverheiratungsklausel unter weitgehendem Vorrang des Überlebenden lösen wollten183. Es liegt daher nahe, die beiden Schutzmodi des § 2113 II BGB und des § 2287 BGB aufeinander abzustimmen: Hiernach wäre eine unentgeltliche Verfügung über Nachlaßgegenstände durch den Überlebenden bei der Fallgruppe 3 zulässig, wenn dem Verfügenden ein lebzeitiges Eigeninteresse zur Seite steht. Diese Einschränkung dürfte bei der Fallvariante 3 typischerweise dem Willen des Erblassers entsprechen. Ob ein lebzeitiges Eigeninteresse vorhanden ist, entscheidet sich aus einer Abwägung der Interessen des Überlebenden an seiner Verfügungsfreiheit mit den Erhaltungsinteressen der Endbedachten184. Es muß untersucht werden, ob nach dem Urteil eines objektiven Beobachters die Beweggründe des Überlebenden angesichts der gegebenen Umstände so sind, daß die Endbedachten sie anerkennen und ihre Benachteiligung durch die lebzeitige Verfügung hinnehmen müssen185. Ein Mißbrauch der Verfügungsfreiheit entfällt somit dann, wenn die Lebensplanung und Lebensgestaltung sich im Rahmen des der Persönlichkeit des Überlebenden Angemessenen hält und das Interesse der Endbedachten nicht aus den Augen verloren geht186. Hierzu kann im Näheren auf die bisher zu § 2287 ergangene Rechtsprechung und auf die Fallgruppenbildung im dortigen Schriftum zurückgegriffen werden. Eine unentgeltliche Verfügung ist bsp. dann aufgrund eines lebzeitigen Eigeninteresses zulässig, wenn die Schenkung dem Bemühen des Überlebenden entspringt, seine Altersversorgung zu verbessern187 oder 182

Insoweit ist Buchholz, Erbfolge, 40, Recht zu geben. Insofern sprechen auch die Motive von einem Schutz des Nacherben vor einer willkürlichen Vereitelung des Rechts des Nacherben, vgl. Mot. V, 114 = Mugdan, Materialien V, 61. 184 So für das Erbvertragsrecht MünchKomm-Musielak, § 2287 Rn. 10; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 273; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 25 V 5 d (1); Spellenberg, NJW 1986, 2351 (2356); je zu § 2287. Kritisch gegenüber dem Kriterium des „lebzeitigen Eigeninteresses“ Speckmann, NJW 1976, 341 ff.; Staud-Kanzleiter, § 2287 Rn. 13; dazu vgl. nur Spellenberg, aaO, 2535 ff. 185 BGHZ 83, 44, zu § 2287, für das Erbvertragsrecht. 186 Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 25 V 5 d (4), zu § 2287. 187 BGHZ 66, 8; BGH FamRZ 1977, 539; WM 1979, 442; BGHZ 82, 274; 83, 44 (46); 97, 188 (196); OLG Düsseldorf, NJW-RR, 1986, 806; OLG München, NJW-RR 1987, 1484; bezogen auf das Bedürfnis, zwecks Betreuung und Pflege im 183

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Schenkungen aus ideellen Zwecken oder aus persönlicher Rücksicht zu tätigen188. Eine zulässige Verfügung liegt weiter dann vor, wenn die Schenkung darauf zielt, eine aus besonderen Leistungen, Opfern und Versorgungszusagen des Beschenkten an den Überlebenden oder ihm nahestehenden Personen folgende sittliche Verpflichtung des Überlebenden einzulösen189. In diesem Rekurs auf ein lebzeitiges Eigeninteresse liegt eine sachgerechte Entscheidung des Konkurrenzproblems in der Fallvariante 3190. Die Sachgerechtigkeit einer Problemlösung allein reicht jedoch dann nicht zu einer recht verstandenen Dogmatik hin, wenn ein dogmatisch-konstruktiver Weg zur Problemlösung nicht gangbar ist. Wie steht es damit? b) Dogmatisch-konstruktive Bewältigung: Zustimmungspflicht des Nacherben Dogmatisch-konstruktiv kann die soeben getroffene Bewertung der Konkurrenz zwischen den Interessen des Überlebenden und denen der Nacherben in der Fallgruppe 3 auf verschiedenen Wegen erfolgen: Einmal kann bei einer Wiederverheiratungsklausel, bei der die Schutzwürdigkeit des Sicherungsinteresses der Endbedachten gegen lebzeitige Verfügungen des Überlebenden durch die Ehegatten negiert worden ist (also eben bei der o. g. Fallgruppe 3) ein Vermächtnis dergestalt verfügt werden, daß die Nacherben durch den Erblasser verpflichtet werden, Schenkungen zu genehmigen, wenn ein lebzeitiges Eigeninteresse des Überlebenden vorliegt (hier sog. Vermächtnislösung)191. Daneben könnte zu dem Weg gegriffen werden, dem Nacherben eine Zustimmungspflicht gem. § 2120 BGB analog bei Vorliegen eines lebzeitigen Eigeninteresses anzusinnen (hier sog. Zustimmungslösung). Schließlich könnte bei Vorliegen eines lebzeitigen Eigeninteresses bei dem aufschiebend bedachten Nacherben eine Analogie zu § 2113 II BGB unter Verweis auf die in dem § 2287 BGB niedergelegte parallele Regelung eines ähnlichen Interessenkonflikts verneint werden Alter seinen jüngeren Ehegatten an sich zu binden BGH, NJW 1992, 2630. Ein Eigeninteresse verneint OLG Oldenburg, OLGZ 1994, 434, wenn die Altersbetreuung schon sichergestellt ist. 188 BGHZ 66, 8 (16); 83, 44 (46); OLG Köln, FamRZ 1992, 607. 189 OLG Köln, FamRZ 1992, 607 ff. 190 Zu den einzelnen Fallgruppen siehe oben § 12 II 3 b bb. 191 Vgl. zur strittigen Frage, ob der Nacherbe durch Vermächtnis verpflichtet werden kann, die Verfügung zu genehmigen: bejahend Kipp/Coing, Erbrecht, § 51 III 1b; Staud-Behrends/Avenarius, § 2136 Rn. 7; Palandt-Edenhofer, § 2136 Rn. 11; RGRK-Johannsen, § 2136 Rn. 5, 7; Wolf, FS v. Lübtow, 325 (330); verneinend: MünchKomm-Grunsky, § 2137 Rn. 9; Soergel-Harder, § 2136 Rn. 2. Wenigstens für den hier vorliegenden Fall einer Veräußerung mit lebzeitigem Eigeninteresse des Längstlebenden dürfte von einem zulässigen Vermächtnis auszugehen sein.

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(hier sog. analogieeinschränkende Lösung)192. Die letztere Lösung entspricht zwar durchaus den Interessen der Beteiligten; dennoch sind die Vermächtnis- und die Zustimmungslösung interessenadäquater: Die analogieeinschränkende Lösung gibt dem Überlebenden das Recht, ohne vorherige Abstimmung mit den Endbedachten unentgeltlich bei einem lebzeitigen Eigeninteresse über Erbschaftsgegenstände zu verfügen193. Demgegenüber erscheint es interessengerechter, vor der unentgeltlichen Veräußerung von Nachlaßgegenständen das Gespräch mit den Endbedachten zu suchen, wie dies bei der Vermächtnis- und der Zustimmungslösung der Fall ist. Dies entspricht schon deshalb eher den Interessen, weil der Erblasser in der Fallvariante 3 trotz Wiederverheiratungsklausel zwar den Überlebenden so weit wie möglich freistellen möchte und hierzu den Endbedachten einen jeglichen materiellen Schutz bei Veräußerungen mit lebzeitigen Eigentinteresse entziehen wollte. Da der Erblasser auf der anderen Seite jedoch überhaupt für den Fall der Wiederverheiratung Vorsorge getroffen hat, anerkennt er zumindest ein ganz schwaches Schutzinteresse der Endbedachten – und dieses kann sich am besten verwirklichen, indem der Überlebende das Gespräch mit dem Endbedachten sucht, um von ihm die Zustimmung nach der Vermächtnis- oder Zustimmungslösung zu erhalten. Für eine derartige Bewältigung des Wertungsproblems von Ehegatten- und Drittschutz über eine Vermächtnis- oder Zustimmungslösung spricht auch, daß hier derselbe Gedanke greift, der den BGH dazu bewogen hat, bei einer befreiten Vorerbschaft dem Nacherben nur den Anspruch auf den Überrest, aber keinen Anspruch auf ordnungsgemäße Verwaltung durch den Erben zuzubilligen194. Wenn im übrigen ein Vermächtnis durch den Erblasser nicht ausgesetzt wurde, verbleibt die Zustimmungslösung, die als gesetzlich eingeräumtes Modell auch dann greift, wenn von Zustimmungsfragen in der letztwilligen Verfügung selbst keine Rede ist. Falls kein Vermächtnis der beschriebenen Art vorliegt, ist der Nacherbe also analog § 2120 BGB verpflichtet, der unentgeltlichen Verfügung des Überlebenden über Nachlaßgegenstände zuzustimmen, wenn diesem ein anerkennenswertes lebzeitiges Eigeninteresse zur Seite steht. Bei dieser Zustimmungspflicht wird die in § 2120 BGB angesprochene „Ordnungsge192

Ähnlich Harder, DNotZ 1994, 822 (829 ff.), der bei einer Zustimmungspflicht gem. § 2120 BGB die Regelung des § 2113 BGB auf die betroffenen Verfügungen nicht anwenden will. 193 Das in praxi eine Abstimmung mit den Endbedachten faktisch bei immobiliaren Vermögenswerten schon wegen des grundbuchrechtlichen Nacherbenvermerks (dazu nur Haegele, RPfleger 1976, 73 (81 f.); gegen einen Nacherbenvermerk spricht sich Buchholz, Erbfolge, 56, aus) erfolgt, hindert diese Einschätzung nicht, da zumindest bei Mobilien eine Abstimmung gänzlich entfällt. 194 BGH, ZEV 1994, 45 (46) gegen RGZ 148, 385 (391); Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 28 IV 4 c.

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mäßheit der Verwaltung“ quasi doppelt subjektiviert: einmal wird die Zustimmungspflicht auf den Willen des Erblassers gegründet, den überlebenden Ehegatten weitreichend freizustellen und dem Überlebenden dann auch die näheren Maßstäbe für eine ordnungsgemäße Verwaltung anheimzustellen; sodann wird die Zustimmungspflicht auf die lebzeitigen Eigeninteressen des Überlebenden als nicht zu übersteigende Grenze für die Ordnungsgemäßheit der Verwaltung bezogen. Auch hier schimmert wieder eheliche Solidarität durch, da typischerweise die jeweiligen lebzeitigen Eigeninteressen des Überlebenden von der vergangenen, aber doch gemeinsamen Lebenswelt der Ehegatten, von ihren gemeinsamen Lebensentwürfen und Handlungsroutinen abhängig sein dürften, so daß damit zumeist die Maßstäbe der ehelichen Lebensverhältnisse post mortem weiter erstreckt werden. Es gilt also: Falls beispielsweise der überlebende Ehegatte eine unentgeltliche Verfügung über Nachlaßgegenstände trifft, die nicht ersichtlich der Wahrung eigener Vermögensbelange, sondern nur einer Benachteiligung der Erberwartungen der Endbedachten dient, kommt es zu einer rechtsmißbräuchlichen Ausübung195 der durch die Vollerbenstellung verbürgten Freiheit, und eine Zustimmungspflicht entfällt. Gegen die hier vertretene Lösung einer Zustimmungspflicht der Endbedachten zu unentgeltlichen Verfügungen des Überlebenden bei einem lebzeitigen Eigeninteresse analog § 2120 BGB könnte freilich noch eingewendet werden, der Sinn und Zweck der Verpflichtung des Vorerben zur ordnungsgemäßen Verwaltung diene in erster Linie dem auf Substanzerhaltung und -erlangung gerichteten Erbschaftsinteresse des Nacherben196, so daß im Normalfall unentgeltliche Verfügungen nie zustimmungspflichtig seien197. Bei der hier diskutierten Fallgruppe 3 dient die zur bedingten Vor- und Nacherbschaft führende Wiederverheiratungsklausel jedoch primär dem Schutz des Erblasserinteresses, den Endbedachten die Erbenstellung, nicht jedoch den Nachlaß auch dem Werte nach zu sichern. Ist dem so, geht der Einwand, unentgeltliche Verfügungen seien grundsätzlich nicht zustimmungspflichtig, hier ins Leere.

195 Vgl. BGHZ 59, 343 (350, 352); 82, 274 (282); 83, 44; BGH, NJW-RR 1987, 2; BGH, NJW 1992, 564 (566); 92, 2630 (2631); OLG München, NJW-RR 1987, 1484 (1485); je zu § 2287. 196 Vgl. BGH, NJW 1993, 1582 (1583); Palandt-Edenhofer, § 2120 Rn. 2. Vgl. auch die Überlegungen bei Wolf, FS v. Lübtow, 325 (326 f.), zur Anwendung des § 161. 197 MünchKomm-Grunsky, § 2120 Rn. 4; Soergel-Harder, § 2120 Rn. 4.

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c) Flexibilisierung des Nacherbenschutzes und erbrechtlicher Typenzwang Gegen die hier vorgeschlagene Lösung für die Fallgruppe 3198 kann auch nicht angeführt werden, der erbrechtliche Typenzwang stünde einer derartigen Handhabung des Gesetzes entgegen199. Zwar kann danach der Erblasser nur solche Verfügungen von Todes wegen treffen, die im Gesetz ausdrücklich als zulässig anerkannt sind oder deren Zulässigkeit sich aus dem Inhalt der gesetzlichen Bestimmungen zumindest durch Analogie ergibt200. Der Grund hierfür liegt – ähnlich wie im Sachenrecht201 – in der inter-omnesWirkung erbrechtlicher Verfügungen, so daß mit Rücksicht auf Dritte, insbesondere auf Nachlaßgläubiger, eine klare und zwingende Ausgestaltung der vom Erblasser geschaffenen Rechtslage notwendig ist202. Insofern dient der erbrechtliche Typenzwang dem Funktionieren einer auf Privateigentum aufbauenden Marktwirtschaft, da eine aus einer unüberschaubaren Anzahl von Marktteilnehmern bestehende Wirtschaft nach kalkulierbaren, für alle gleichen Spielregeln auch für den Fall eines universalsukzessiven Vermögensübergangs verlangt203 – Erbrecht ist hier eindeutig auch funktionales Vermögensrecht. Damit liegt jedoch auf der Hand, warum der Typenzwang204 gegen die hier entwickelte Lösung nichts erinnern kann: Die 198

Zu dieser Fallgruppe siehe oben § 12 II 3 b bb. Bsp. Zawar, NJW 1988, 16 (19), weist auf den erbrechtlichen Typenzwang hin, der einer Flexibilisierung des § 2136 BGB entgegenstehen soll. 200 Staud-Otto, Vorbem. § 1937 Rn. 14; Planck-Flad, Vorbem. § 1937 Nr. 2a; Kipp/Coing, Erbrecht, § 20 I; Leipold, Erbrecht, § 12 I 1; Strothmann, Jura 1982, 349 (350 ff.); v. Lübtow, 110 f.; AK-Däubner, Einl. Rn. 17. 201 Vgl. zum sachenrechtlichen Typenzwang Staud-Seiler, 13. Aufl., Einl. zu § 854 Rn. 38 ff.; Soergel-Mühl, Einl. Sachenrecht, Rn. 21; Heck, Sachenrecht, § 23. Ausführlich Wiegand, FS Kroeschell, 623 ff.; sowie unten § 35 II 2. 202 Vgl. Kipp/Coing, Erbrecht, § 20 I; Strothmann, Jura 1982, 349 (352); v. Lübtow, 111. 203 AK-Däubner, Einl. Rn. 17 f. 204 Hinter dem Typenzwang verbergen sich grundsätzlich – ähnlich wie im Sachenrecht – in den Worten Wiegands (FS Kroeschell, 623) „grundlegende, zu Axiomen verfestigte und geschrumpfte Wertungsprozesse“. In der Entwicklung des Sachenrechts wurden – basierend auf der Savignyschen Unterscheidung von Sachenund Obligationenrecht – unter dem Signum der Autonomie der Sachenrechtsordnung alle „relativ-dinglichen“ Mischformen zwischen Sachen- und Obligationenrecht verworfen und obligatorischen Rechtsverhältnissen die Drittwirkung versagt. Die privatautonome Gestaltung dinglicher Rechte ist ja nichts anderes als eine Einwirkung obligationsrechtlicher Abreden auf die sachenrechtlichen Rechtsverhältnisse (Wiegand, ebda., 634). Mit dieser Entscheidung wird die Verkehrsfähigkeit der Waren der Parteidisposition entzogen und eine Grundlage für eine funktionsfähige Marktwirtschaft gelegt (Wiegand, ebda., 637; vgl. auch Wieacker, Industriegesellschaft, 28, 37 f.). Für den erbrechtlichen Typenzwang stehen derartige Überlegungen derzeitig noch aus. 199

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Kap. 4: Das Sonderproblem Testierfreiheit und Wiederverheiratung

Rechtsicherheit wird durch die hier vorgestellte Lösung nicht weiter beeinträchtigt, da die ohne Zustimmung, jedoch mit Zustimmungspflicht des Nacherben getroffene Verfügung des Vorerben zuerst einmal auf den Zeitpunkt des Nacherbfalls hinausgeschoben205 unwirksam ist206. 5. Testierfreiheit und Nacherbenschutz: Ergebnis

Es zeigte sich, daß Wiederverheiratungsklauseln bei einem Testament nach dem Vorbild der Trennungslösung keine größeren Schwierigkeiten aufweisen. Diese Klauseln konnte daher weitgehend vernachlässigt werden. Es stand deshalb das Wertungsproblem der Konkurrenz zwischen Ehegattenschutz und drittbezogenen Nachlaßinteressen bei letztwilligen Verfügungen mit Einheitslösung im Mittelpunkt der bisherigen Überlegungen207 – und zwar vor allem die Gestaltung, daß eine aufschiebend für den Fall der Wiederverheiratung bedingte Vorerbschaft des Überlebenden angeordnet worden ist. Dieses Konkurrenzproblem allein durch einen a-priori-Vorrang des Drittschutzes zu bewältigen, wie dies bei der herrschenden Meinung geschieht208, unterschlägt die privatautonomen Wertungen des Erblassers, der den Schutz drittbezogener Nachlaßinteressen durchaus differenziert ausgestalten kann. Auf der anderen Seite überzeugen auch die Lösungen nicht, die vor allem aufgrund des formalen Verhältnisses zwischen den §§ 2113 ff. BGB und den §§ 158 ff. BGB bei aufschiebend bedingter Vorund Nacherbschaft und auflösend bedingter Vollerbschaft einen Vorrang des Ehegattenschutzes annehmen209. Bei diesem Vorschlag wird das Wertungsproblem, um das es hier geht: die interessengerechte Ausbalancierung des Ehegattenschutzes auf der einen und der Nachlaßinteressen der Endbedachten und der Haftungsinteressen der Nachlaßgläubiger auf der anderen Seite, negiert und auf Kosten einer nur vermeintlich wertneutralen Argumentation aus dem Problemzusammenhang entfernt. Als Ausgangspunkt der vor diesem Hintergrund aufzunehmenden Überlegungen muß das Gebot einer Widerspruchsfreiheit der Erbrechtsordnung dienen: das Problem konkurrierender Schutzinteressen muß dergestalt bewältigt werden, daß der Grundsatz der Gleichbehandlung gewahrt bleibt210 – dies zwingt grundsätzlich zu einer Analogie zu den § 2113 ff. BGB211. Eine derartige Analogie muß freilich den Differenzierungskriterien des 205 206 207 208 209 210 211

Vgl. Lange/Kuchinke, § 28 IV 4 c. MünchKomm-Grunsky, § 2120 Rn. 1. Vgl. dazu oben § 12 II 1 Vgl. § 12 II 1. Vgl. § 12 II 2. Vgl. § 12 II 3 a. Vgl. § 12 II 3 b.

§ 12 Die Wiederverheiratung im Lichte kautelarjurisprudentieller Klauseln 307

rechtlichen Wertungseinklangs gerecht werden: weder darf die Argumentation losgelöst von den relevanten Wertungstopoi und damit überabstrakt noch unter Zuhilfenahme historisch-formaler Gesichtspunkte erfolgen212. Erkenntnisleitend ist hier eine Fallgruppenbildung, die an dem jeweiligen typologisch gebündelten Erblasserwillen ansetzt213. In dem mangels anderer Anhaltspunkte zu vermutenden Normalfall, bei dem der Erblasser das vorrangige Interesse des Überlebenden an einer alleinigen Verantwortung für den Nachlaß, aber auch das Interesse der Endbedachten an der Teilhabe an der Substanz des vom Erstverstorbenen Hinterlassenen anerkannt hat, ist der Überlebende analog § 2136 BGB von den Vorschriften befreit, die seine alleinige Verantwortung für den Nachlaß einschränken (§§ 2113 I, 2114, 2116–2119, 2127–2131 BGB analog), während das Substanzerhaltungsinteresse der Endbedachten dadurch gesichert wird, daß eine Befreiung von den §§ 2113 II, 2133, 2134 BGB analog nicht gewährt wird. Falls aufgrund verschiedener Anhaltspunkte wie bsp. den wirtschaftlichen Verhältnissen der Ehegatten, der Person des Letztberufenen etc. eine andere Willensrichtung des Verfügenden angenommen werden darf, kann die Auslegung auch eine vollständig befreite oder auch gar nicht befreite Vorerbschaft ergeben. Falls jedoch der Erblasser die Interessen des Überlebenden klar in den Vordergrund stellt und das Sicherungsinteresse der Endbedachten weitgehend negiert, weil nur ein Abwandern des Nachlasses in fremde Hände nach der Wiederverheiratung verhindert werden soll, muß eine differenziertere Austarierung der Wertung geschehen. In dieser Fallgruppe soll nach dem Willen des Erblassers der Überlebende auch zu unentgeltlichen Verfügungen über Nachlaßgegenstände berechtigt sein. Andererseits soll ihm auch nicht völlige Verfügungsfreiheit zukommen, da ansonsten von einer Wiederverheiratungsklausel überhaupt abgesehen worden wäre. In diesem Wertungsproblem kann an die verschiedenen Modelle angeknüpft werden, mit denen die Erbrechtsordnung Dritte vor lebzeitigen unentgeltlichen Verfügungen schützt214. In Frage kommt hier nur der Schutz des Vertragserben vor beeinträchtigenden lebzeitigen Verfügungen des Vertragspartners gem. § 2287. Dieses Wertungsmodell regelt genau den Interessenkonflikt, dessen Bewältigung hier angezeigt ist. Eine unentgeltliche lebzeitige Verfügung über Nachlaßgegenstände durch den Überlebenden ist daher bei dieser Fallgruppe dann zulässig, wenn ihm ein lebzeitiges Eigeninteresse hierfür zur Seite steht. Dogmatisch-konstruktiv kann diese Interessenlage dadurch abgebildet werden, daß die Endbedachten im Falle eines derartigen Interesses zur Zustimmung zur unentgeltlichen Verfügung analog § 2120 BGB ver212 213 214

Vgl. § 12 II 3 a. Vgl. § 12 II 3 b. Vgl. § 12 II 4 a.

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Kap. 4: Das Sonderproblem Testierfreiheit und Wiederverheiratung

pflichtet sind215. An einer derart differenzierten Ausformung des Wertungsproblems hindert auch der erbrechtliche Typenzwang nicht: die Rechtssicherheit, die vornehmlich den Typenzwang begründen kann, wird durch die hier vorgestellte Lösung nicht beeinträchtigt216 III. Die Rechtslage nach Wiederverheiratung 1. Das Problem der Bindungswirkung

Nach der Wiederverheiratung zerbricht der bei der Einheitslösung vorgesehene Zusammenhang des Vermögens des vorverstorbenen und des überlebenden Gatten. Der Nachlaß des Vorverstorbenen wird abgesondert und fällt ganz oder teilweise je nach Klausel den gemeinsamen Kindern zu. Bei der Trennungslösung erlischt aufgrund des nunmehr eingetretenen Nacherbfalles die Zuweisung des Vermögens des Erstversterbenden an den Überlebenden. Vor diesem Hintergrund und angesichts des hinzugetretenen zweiten Gatten und etwaiger aus der Zweitehe hervorgegangener Kinder besteht für den Überlebenden häufig das Bedürfnis, hinsichtlich seines eigenen Nachlasses neu zu testieren. Ob der Überlebende hierzu berechtigt ist, ist durchaus fraglich. Bei gemeinschaftlichen Testamenten der hier behandelten Art, also Testamenten mit Einheits- oder Trennungslösung, bedenken sich die Ehegatten gegenseitig und verfügen zugleich zugunsten ihrer gemeinsamen Kinder als Erbe des Längstlebenden (Einheitslösung) oder als Nacherbe des Erstverstorbenen und Erbe des Überlebenden (Trennungslösung). Derartige Verfügungen sind nicht nur gegenseitig, sondern in der Regel (§ 2270 II BGB) auch hinsichtlich der Verfügung zugunsten der gemeinsamen Kinder217 korrespektiv218 und damit nach dem ersten Todesfall mit bindender Wirkung (§ 2271 II 1 BGB) ausgestattet. Bei der dogmatischen Untersuchung von Wiederverheiratungsklauseln stand für die Zeitspanne vor der Wiederverheiratung weniger die Bindung hinsichtlich der Verfügungen zugunsten der gemeinsamen Kinder als die Rechtsmacht des Überlebenden im Spannungsverhältnis zwischen einerseits Freiheit und Bindung des überlebenden Gatten und andererseits den Erberwartungen der 215

Vgl. § 12 II 4 b. Vgl. § 12 II 4 c. 217 Vgl. zur Frage, ob auch gemeinsame Kinder Verwandte i. S. § 2270 II BGB darstellen, nur RGZ 88, 330 (332); 116, 148 (150); BayObLGE 19, 143 ff.; BayObLG DNotZ 1977, 40 (41); MünchKomm-Musielak, § 2270 Rn. 11; StaudKanzleiter, § 2270 Rn. 28; Palandt-Edenhofer, § 2270 Rn. 8; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 24 V 2; Battes, Gemeinschaftliches Testament, 161. 218 Dazu siehe oben § 6 III 1 c, dort auch zur Einsicht, daß die Einsetzung des eigenen Kindes gemeinhin nicht korrespektiv ist zur Einsetzung der eigenen Person als Erben des anderen Teils. 216

§ 12 Die Wiederverheiratung im Lichte kautelarjurisprudentieller Klauseln 309

Endbedachten nach dem vorverstorbenen Gatten zur Rede. Nach der Wiederverheiratung kann diese Frage nach der Rechtsmacht des Überlebenden zu lebzeitigen Verfügungen über den Nachlaß nach dem Erstverstorbenen ausgeblendet werden, da die bedingte (Einheitslösung) oder unbedingte (Trennungslösung) Nacherbfolge eingetreten ist oder das bedingte Vermächtnis zugunsten der Kinder wirksam wird (Vermächtnislösung) und damit die auf den vorverstorbenen Elternteil bezogenen Erberwartungen der Kinder sich erfüllt haben. Nunmehr verändert sich die problemleitende Perspektive: Nicht mehr die lebzeitige Rechtsmacht des Überlebenden über den Nachlaß des Erstverstorbenen, sondern dessen gesetzlich gem. § 2271 II 1 BGB vorgesehene Bindungswirkung wird zum Problem. Die allgemeine Frage, wie der Überlebende im Falle seiner Wiederverheiratung seine Testierfreiheit wiedergewinnen kann, wurde schon diskutiert; auf die bisherigen Überlegungen – insbesondere zur Anfechtung nach § 2079 S. 1 BGB – sei hier daher nur verwiesen219. An dieser Stelle gilt es nur zu klären, ob sich aus einer Wiederverheiratungsklausel ein neuer Aspekt für die Lösung von der testamentarischen Bindung des überlebenden Teils gewinnen läßt. Wiederverheiratungsklauseln enthalten zumeist keine Regelung hinsichtlich der Testierfreiheit des Überlebenden nach seiner Wiederverheiratung, so daß man daran denken könnte, der Überlebende sei einerseits an seine Verfügungen zugunsten der gemeinsamen Kinder gebunden und könne andererseits dem zweiten Gatten und etwaigen aus der Zweitehe hervorgehenden Kindern außerhalb des oben nachgezeichneten Rahmens220 nichts testamentarisch zuwenden. Durchweg werden Wiederverheiratungsklauseln jedoch auch ohne ausdrückliche Regelung weitergehende Rechtsfolgen hinsichtlich der Wiedergewinnung der Testierfreiheit des Überlebenden zugeschrieben, als sie gemeinhin ohne eine derartige Klausel eintreten können. Zwei Problemebenen sind hier zu unterscheiden: Zum einen gilt zu klären, inwiefern die Bindung an das gemeinschaftliche Testament entfällt (dazu § 12 III 2). Sodann muß die Frage beantwortet werden, welches Schicksal die Verfügungen des Überlebenden zugunsten der gemeinsamen Kinder nimmt, ob sie also im Wiederverheiratungsfall automatisch unwirksam werden oder nicht (dazu § 12 III 3). Zu beiden Fragestellungen sind unterschiedliche Antworten gefunden worden.

219

Oben § 11. Siehe zum Umfang des Vermögens des Längstlebenden, welches von der testamentarischen Bindungswirkung erfaßt wird, oben § 11 III 2. 220

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Kap. 4: Das Sonderproblem Testierfreiheit und Wiederverheiratung 2. Testamentarische Bindung und Wiederverheiratungsklausel

a) Entwicklung einer typisierenden Auslegungsregel Hinsichtlich der Frage, wie es um die testamentarische Bindung des Überlebenden bei korrespektiven Verfügungen im Falle einer Wiederverheiratungsklausel und dem eingetretenen Wiederverheiratungsfall bestellt ist, übernahm auch hier wieder die Rechtsprechung des Kammergerichts eine Leitfunktion in der Problembewältigung. Nachdem das Kammergericht anfangs einen Bindungswegfall nur bei einem diesbezüglich hinreichend deutlich vorgesehenen Willen der Eheleute annahm221, wandelte es seine Rechtsprechung später durchgreifend und ging umgekehrt von einer auf dem typisierten hypothetischen Willen eines als vernünftig und verständnisvoll gedachten Erblassers gründenden Auslegungsregel222 des Inhalts aus, daß aufgrund der Wiederverheiratungsklausel die letztwilligen Verfügungen ihren Charakter als wechselbezügliche verlieren und somit die Gebundenheit des Überlebenden im Zeitpunkt der Wiederverheiratung enden würde223. Diese Erkenntnis wurde schon bald von der Rechtsprechung übernommen224 und fand auch in der Literatur einen zumeist positiven Widerhall225 – wenngleich stellenweise für differenziertere Lösungen des Pro221

KG OLGZ 37, 261 (263). Kritisch gegenüber einer überbordenen ergänzenden Auslegung Buchholz, Erbfolge, 97. 223 Die Wende in der kammergerichtlichen Rechtsprechung wurde mit einem unveröffentlichten Beschluß aus dem Jahre 1934 (1 b X 450/34) eingeleitet, auf den das KG in JW 1937, 2520 (2521), hinwies. KG JW 1938, 2748 = HRR 1938, 1338, erweiterte diese Annahme sodann auf die Bindung beim Erbvertrag und zudem auf Verfügungen mit Trennungslösung. Vgl. sodann nur KG NJW 1957, 1073; FamRZ 1968, 331 (332). OLG Freiburg, NJW 1961, 1410, und BayObLGZ 1962, 137 (140), erweitern die Auslegungsregel schließlich auf Verfügungen mit Vermächtnislösung. 224 OLG München, HRR 1938, Nr. 881; OLG Kiel, SchlHA 1940, 73 (76); OLG Karlsruhe, NJW 1961, 1410 (zum Erbvertrag); BayObLGZ 1962, 137 (139); OLG Zweibrücken, OLGZ 1973, 217 (219 f.); OLG Köln, FamRZ 1976, 552; OLG Hamm, FamRZ 1995, 250 (251). 225 Staud-Kanzleiter, § 2269 Rn. 45; Erman-Schmidt, § 2269 Rn. 14; PalandtEdenhofer, § 2269 Rn. 19; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 24 IV 3d; MünchKommMusielak, § 2269 Rn. 59; Dittmann/Reimann/Bengel-Bengel, § 2269 Rn. 42; Soergel-M.Wolf, § 2269 Rn. 30; Jauernig-Stürner, § 2269 Anm. 6b; v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 2, 920 f.; Nieder, Testamentsgestaltung, Rn. 612; Kipp/Coing, Erbrecht, § 35 II 2c; § 38 III 2; Schlüter, Erbrecht, § 21 V 4; Brox, Erbrecht, Rn. 189; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 240; Leipold, Erbrecht, Rn. 359; ders., FamRZ 1988, 352 (354); Forster, Wiederverheiratungsklauseln, 140 ff.; Hankel, Neuere Rechtsprechung, 169 f.; Lüderitz, Auslegung, 382; Huken, DNotZ 1965, 729 (73o f.); Hurst, MittRhNotK 1962, 450 (452 f.); Hilgers, MittRhNotK 1962, 381 (390); Haegele, JurBüro 1968, Sp. 87 (Sp. 90); ders., RPfleger 1976, 73 (78); Simshäuser, FamRZ 1972, 273 222

§ 12 Die Wiederverheiratung im Lichte kautelarjurisprudentieller Klauseln 311

blems von Bindungsfortfall und Bindungsbestand plädiert226 und vereinzelt sogar mit Rücksicht auf den Schutz der erstehelichen Kinder von einer grundsätzlich fortbestehenden Bindung ausgegangen wurde227. Die kautelarjurisprudentiellen Klauselwerke sehen zumeist einen Bindungswegfall vor228 – ein Hinweis darauf, daß die Regel des Kammergerichts auch in der Praxis überzeugt. b) Die Diskussion der Auslegungsregel des Kammergerichts Begründet wurde die Auslegungsregel des Kammergerichts vor allem mit einem Verlustargument229: Wer die Voll- oder Vorerbenstellung einbüße, soll auch an seine korrespektive Verfügung nicht mehr gebunden sein, da mit der Nachlaßherausgabepflicht der innere Grund für die wechselbezügliche Bindung entfallen sei. Gegen dieses Verlustargument wurde eingewandt, Verlustgesichtspunkte könnten bei der Beantwortung der Frage, ob der Überlebende von seiner testamentarischen Bindung befreit wird, keine Rolle spielen, weil im Spannungsfeld zwischen den das gemeinschaftliche Testament beherrschenden Äquivalenz- und Solidaritätsgedanken die Ausstrahlungskraft des Gegenleistungsprinzips auf die Korrespektivität notwendigerweise begrenzt sei230. Überzeugend ist dieser Einwand nicht. Zwar ist durchaus zuzugeben, daß es bei der Bindung nicht nur um ein materielles Leistungsverhältnis im Sinne eines austauschvertraglichen do ut des, sondern vornehmlich um einen Komplex von immateriellen Momenten und ideellen Motiven geht231. Es geht jedoch nicht an, das Ehegattentestament als Ausprägung eines gemeinschaftlichen rechtlichen Wollens und Handelns in toto dem Sozialgebilde Ehe zuzuordnen, und es damit auch an den Strukturbedingungen der ehelichen Lebensgemeinschaft mit einem je spezifischen Kräfte- und Spannungsfeld in Form des Wechselspiels von Äquivalenz und Solidarität teilnehmen zu lassen232. Auf diese Weise würde das gewillkürte Erbrecht in seinen Wertungsgrundlagen als vornehmlich fortge(277). Bei Testamenten mit Trennungslösung de lege ferenda auch Battes, Gemeinschaftliches Testament, 370. 226 Bei Buchholz, Erbfolge, 96 ff.; Dippel, AcP 177 (1977), 362 (369 f.); RGRKJohannsen, § 2269 Rn. 20; Staud-Kanzleiter, § 2269 Rn. 46 f.; Strötz, Wiederverheiratungsklausel, 96 f. De lege ferenda bei Testamenten mit Einheitslösung auch Battes, Gemeinschaftliches Testament, 354 ff. (Prinzip der Halbteilung). 227 Bei Domke, JW 1937, 2521 f. 228 Siehe die Zusammenstellung bei Radke, Darstellung. 84. 229 KG, JW 1937, 2520 (2521). 230 So Buchholz, Erbfolge, 86 ff. 231 Dazu ausführlich oben § 4 II 1. Insofern ist Buchholz, Erbfolge, 88, Recht zu geben. 232 Wie dies bei Buchholz, Erbfolge, 88 ff., geschieht.

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Kap. 4: Das Sonderproblem Testierfreiheit und Wiederverheiratung

setztes Familienrecht begriffen und damit eines seiner wichtigsten Charakteristika entkleidet, nämlich Ausdruck des Persönlichkeitsrechts des Testierenden zu sein233. Die richtige Antwort auf die Frage, ob eine Lösung von der testamentarischen Bindung angenommen werden kann, eröffnet ein Blick auf den Grund, warum das Gesetz überhaupt eine derartige Bindung anordnet. Dieser Grund wurde im Rahmen dieser Untersuchung in dem Gedanke der durch Gratifikationen abgestützten Reziprozität gesehen234. Es konnte gezeigt werden, daß es bei der Bindungswirkung nach § 2271 II 1 BGB nicht darum geht, den Erstverstorbenen zu schützen, weil er mit Blick auf die letztwilligen Verfügungen des anderen Gatten selbst Anordnungen von Todes wegen getroffen hat. Ein derartiges vermögensbezogenes Vertrauen wird vielmehr nicht über § 2271 II 1 BGB, sondern allein durch die Regelung des § 2270 I BGB geschützt235. Bei der Bindung nach § 2271 II 1 BGB steht im Gegenteil nicht der Schutz vermögensmäßiger Gratifikationen, sondern der Schutz psychischer Gratifikationen im Vordergrund. Was heißt das? Im Prozeß der gemeinschaftlichen Todesverarbeitung, die ihren rechtsgeschäftlichen Niederschlag in dem gemeinschaftlichen Testament gefunden hat, gewährt der Erstverstorbene dem überlebenden Teil eine Hilfe bei seiner eigenen Todesverarbeitung durch psychische und emotionale Unterstützungen (diese wurden als sog. „psychische Gratifikationen“ bezeichnet), die aus der personalen Nähebeziehung zwischen den Gatten erwachsen und in dieser – nicht im Institut der Ehe – ihren Sitz haben. Das Gesetz ordnet die testamentarische Bindung zwar nur bei der Ehe und der eingetragenen Lebenspartnerschaft an. Dies geschieht jedoch nur deshalb, weil zum einen vermutet werden darf, hier sei eine personal-affektive Verbundenheit typischerweise gegeben, und weil zum anderen der Gedanke der Rechtssicherheit für eine Anknüpfung an formalisierte Gemeinschaften spricht236. Solidaritätsaspekte und ähnliches spielen demgegenüber eine geringere Rolle. Der Grund für die gesetzliche Wertung, einstmals gewährte psychische Gratifikationen rechtfertigen die testamentarische Bindung, liegt in der Einsicht, daß gerade derartige Gratifikationen als Zeichen des Persönlichkeitsrechts des Ehegatten, der sein „Sein zum Tode“ verarbeitet, begriffen werden können. Letztlich gründet die testamentarische Bindung mithin im Persönlichkeitsrecht des Erstverstorbenen. Soweit mit Blick auf diese Teleologie des 233

Siehe zur Einsicht, daß das gemeinschaftliche Testament wenig mit der Form der Ehe, viel jedoch mit den in intim codierten Partnerschaften lokalisierten Kommunikationschancen und den damit verbundenen Möglichkeiten der eigenen Persönlichkeitsentfaltung zu tun hat, oben § 6 I 3 b. 234 Dazu ausführlich oben § 5, § 6 I. 235 Siehe dazu § 4 II 3 c, § 5 III 2 b. 236 Dazu oben § 6 I 3.

§ 12 Die Wiederverheiratung im Lichte kautelarjurisprudentieller Klauseln 313

§ 2271 II 1 BGB die Lösung von der testamentarischen Bindung im Falle der Wiederverheiratung zur Rede steht, wurde schon ausgeführt, daß die psychischen Gratifikationen, die der Erstverstorbene dem Überlebenden im gemeinschaftlichen Testieren gewährt hat, für den überlebenden Teil entwertet sind, wenn dieser sich erneut verheiratet237. Eine Lösung von der testamentarischen Bindung ist deshalb im Falle der Wiederverheiratung grundsätzlich die sachgerechte Antwort. Auch in hergebrachter Sicht wird dies so sein. Denn auch soweit in Kategorien familiarer Solidarität gedacht wird, ist eine Lösung von der Bindung die richtige Antwort auf die Wiederverheiratung, wenn eine Wiederverheiratungsklausel vorliegt. Unter Solidaritätsgesichtspunkten wird angenommen, beim gemeinschaftlichen Testament ginge es den Ehegatten vor allem um die bedürfnisgerechte Versorgung und Sicherung des Überlebenden. Dies gelte jedoch nicht auch für die Zeit nach der Wiederverheiratung. Hier ändere sich vielmehr die Interessenlage238. Aufgrund der Vereinbarung einer Wiederverheiratungsklausel schlüge das Motiv wechselseitiger Ehegattenbegünstigung und damit auch das Moment solidarischer Verantwortung füreinander in einem je nach Gestaltung abgestuften Vorrang der gemeinsamen Abkömmlinge um, die dann durch den Eintritt des Nacherbfalles begünstigt werden239. Werden die Abkömmlinge so begünstigt, entspricht dem die Lösung von der Bindung. Auch nach Ansicht eines erbrechtlichen Familiarismus ist daher bei der Wiederverheiratung die Entbindung des Überlebenden die sachgerechte Antwort. Gewinnt der Überlebende also bei der Wiederverheiratung seine Testierfreiheit im Zweifel wieder, wenn die Ehegatten der ersten Ehe im gemeinschaftlichen Testament eine Wiederverheiratungsklausel vorgesehen haben? Obgleich schon nach den bisherigen Überlegungen viel dafür spricht, bleibt ein Einwand noch zu diskutieren. Denn besteht durch die Auslegungsregel des Kammergerichts, die nun einmal nicht nach Fallgruppen gegliedert ist, nicht die Gefahr, daß diejenigen Differenzierungen eingeebnet werden, die das Gesetz bei den allgemeinen Entbindungsinstrumentarien anordnet, welche dem Schutze des Überlebenden dienen240? Aus Gründen des Schutzes des Überlebenden ordnet § 2272 II 1 HS 2 BGB dessen Entbindung an, wenn er das ihm Zugewendete ausschlägt241. Soweit dem Überlebenden bei Wiederheirat die von Todes wegen vom Erstverstorbenen erworbenen Vorteile vollständig oder nahezu vollständig entzogen werden, greift genau dieser Schutzgedanke des § 2271 II 1 HS 2 BGB242; der Überlebende wird also von der testamentarischen Bindung zu Recht gänzlich befreit. Aber gilt 237 238 239 240 241

Dazu oben § 11 III 2 b aa. Zur Interessenlage vgl. nur Dippel, AcP 177 (1977), 349 (369). Das sieht auch Buchholz, vgl. Erbfolge, 16. Zu diesen Instrumentarien siehe oben § 9, § 10. Dazu oben § 9 I.

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Kap. 4: Das Sonderproblem Testierfreiheit und Wiederverheiratung

dies auch dann in dieser Weite, soweit der überlebende Gatte bei Wiederheirat das aus dem Nachlaß des Erstverstorbenen Erlangte nur zum Teil herausgeben muß? Hier wird stellenweise vertreten, der hypothetische Wille beider Ehegatten ginge grundsätzlich nur auf einen nur teilweisen Wegfall der Bindung an die wechselbezüglichen Anordungen243. Denn nur so würde sowohl das Sicherungsinteresse des Erstverstorbenen an einer möglichst weitgehenden Bedenkung der im gemeinschaftlichen Testament Berufenen als auch das Partizipationsinteresse des Überlebenden an der möglichst weitgehend Bedenkung des zweiten Ehegatten und der Abkömmlinge aus zweiter Ehe angemessen berücksichtigt. Wenn sich bsp. der überlebende Ehegatte bei Wiederheirat mit den erstehelichen Abkömmlingen nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge auseinandersetzen muß, steht zwar ausdrücklich nur die Erbfolge nach dem Erstverstorbenen an; die Ehegatten hätten sich aber darauf eingelassen, daß auch beim Tode des Zweitversterbenden den Abkömmlingen der ersten Ehe ein Anteil in Höhe ihres gesetzlichen Erbteils verbleibe244. Eine derartige abgestufte Lösung überzeugt nicht. Mit ihr wird übersehen, daß mit der Anordnung des Erstverstorbenen, der Überlebende möge sich im Wiederverheiratungsfall mit den Abkömmlingen aus erster Ehe beispielsweise nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge auseinandersetzen, der erstverstorbene Teil genau die Verantwortung wahrnimmt, die im Rahmen dieser Untersuchung dazu bewogen hat, den Schutz der auf den intergenerationalen Vermögenstransfer bezogenen Erwartungen des Erstverstorbenen nicht durch § 2271 II 1 BGB, sondern allein durch § 2270 I BGB gewährleistet zu sehen245. Für die Frage, ob psychische Gratifikationen entwertet sind, spielt es wegen dieser Verantwortungstragung des erstverstorbenen Teils keine Rolle, in welcher Höhe den Abkömmlingen aus erster Ehe Nachlaßbestandteile nach dem Erstverstorbenen zugewendet werden; dies zeigt ja schon das Selbstanfechtungsrecht aus § 2079 S. 1 BGB246. Zwar könnte durchaus daran gedacht werden, der Überlebende hätte wegen des Vorliegens der Wiederverheiratungsklausel seine Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament der ersten Ehe auch dann errichtet, wenn er von der Wiederverheiratung Kenntnis gehabt hätte, so daß die Anfechtung oft gem. § 2079 S. 2 BGB ausgeschlossen sein wird. Ein derartiger hypothetischer 242 Zumindest für diesen Fall ebenso OLG Hamm, FamRZ 1995, 250 (251); JR 1987, 376 (377). 243 Vgl. Staud-Kanzleiter, § 2269 Rn. 48. 244 So im Ergebnis Staud-Kanzleiter, § 2269 Rn. 49; Buchholz, Erbfolge, 106; ähnlich Dippel, AcP 177 (1977), 348 (370). 245 Hierzu sei eindringlich auf die Ausführungen oben § 4 II 3 c, § 5 III 2 b verwiesen. 246 Dazu oben § 11 IV.

§ 12 Die Wiederverheiratung im Lichte kautelarjurisprudentieller Klauseln 315

Wille wird jedoch nur dann anzunehmen sein, wenn sich die Lage des Überlebenden gegenüber der Situation eines Testaments ohne Wiederverheiratungsklausel nicht verschlechtern würde. Denn ansonsten würde ja unverständlicherweise gemutmaßt, der Überlebende würde trotz Klausel bei seiner erneuten Verheiratung seine Zurücksetzung aufgrund des Eintritts des Nacherbfalls und einen Verlust seines Anfechtungsrechts aus § 2079 S. 1 BGB hinnehmen. Letzteres kann er nur akzeptieren, wenn bei einer Wiederverheiratung eben wegen der hierauf bezogenen Klausel angenommen werden kann, die testamentarische Bindung sei beendet. Aus all dem folgt, daß die o. g. Auslegungsregel des Kammergerichts zumindest nach dem bisherigen Stand der Erörterungen überzeugt. Das Kammergericht hat neben dem gerade diskutierten Verlustargument auch ein Billigkeitsargument bemüht: Es wäre unbillig, den zweiten Ehegatten und etwaige aus der Zweitehe erwachsene Kinder von der Beteiligung am Nachlaß gänzlich – auch mit Rücksicht auf das nach dem Vorversterbensfall mit Hilfe des Zweitgatten möglicherweise erworbenen Vermögens – auszuschließen. Und dazu käme es allein deshalb schon zumeist, da die Anfechtung der bindenden Verfügung oftmals zu langwierig sei, über Maß die Verwandtschaftsbeziehungen belaste und häufig nicht rechtzeitig geltend gemacht würde247. Das Billigkeitsargument kann in zweierlei Spielarten gelesen werden. Einmal kann es auf eine Vorstellung objektiver, vernünftiger Billigkeit zielen und hiermit auf eine der Bindungsnorm des § 2271 II BGB möglicherweise inhärenten Verpflichtung zur ausgleichenden Gerechtigkeit im Kontext des geltenden Privatrechts. Dies ergibt jedoch keinen rechten Sinn, da dann die Bindungswirkung des § 2271 II BGB von Billigkeitserwägungen abhängig gemacht und damit ein sehr unbestimmtes Moment die rechtliche Stabilisierung gewährter Reziprozität, die die Bindung ja trägt248, untergraben würde. Daneben kann Billigkeit aber auch auf die Privatautonomie der Testierenden bezogen werden. Billigkeit verweist in diesem Falle auf die partikularen Interaktionsgepflogenheiten der Ehegatten249 und darauf, wie sie die Billigkeit im Wiederverheiratungsfall verteilt wissen wollen. Wenn das Billigkeitsargument in diesem Sinne verstanden wird – und das kann es nur, nachdem die erste Variante ausgeschieden ist –, kann dies aber nichts anderes bedeuten, als daß die Ehegatten unter einer Billigkeitsperspektive im Ergebnis ebenso entschieden haben werden wie unter dem gerade skizzierten250 Gesichtspunkt des Vermögensverlusts. Schließlich spricht für die Auslegungsregel des Kammergerichts auch der Gedanke, daß der Bindungsfortfall nicht dem mit dem gemeinsamen Testament intendierten 247 248 249 250

KG, JW 1937, 2520 (2521). Siehe nochmals oben § 5. Dazu oben § 6 III. Oben § 12 III 2 b.

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Kap. 4: Das Sonderproblem Testierfreiheit und Wiederverheiratung

Schutz der endbedachten Kinder entgegensteht. Denn Wiederverheiratungsklauseln sollen nur verhindern, daß die Endbedachten den Nachlaß des Erstverstorbenen mit weiteren Pflichtteilsberechtigten teilen sollen; der Nachlaß des Überlebenden ist aber in diese Schutzrichtung nicht einbezogen251. Gegen die Auslegungsregel des Kammergerichts und für eine differenzierte Sicht der Bindungsproblematik spricht sich Buchholz252 aus. Er deutet die Bindung des Überlebenden als Fortwirkung der Verfügung des Erstverstorbenen. Buchholz geht davon aus, daß die Frage der Bindungswirkung nach Wiederheirat zu den Punkten voraussehbarer und kalkulierbarer Realität gehört, die durch die Testamentsklausel zu regeln war und sich daher auch mit den Mitteln der erläuternden Auslegung als Regelungsgegenstand aus der Gesamtstruktur der Erblasserverfügungen erschließen lasse253. Die Verfügungen zugunsten der gemeinsamen Kinder könnten aufgrund einer sachgerechten Betrachtung der Korrespektivität immer nur als Verfügungen über den Gesamtnachlaß verstanden werden – der Erstversterbende habe daher zugleich so über den Gesamtnachlaß verfügt, als ob er der Überlebende wäre254. Überzeugend ist dieser Gedanke nicht. Denn selbst wenn von einem hypothetischen Willen des Erstverstorbenen ausgegangen würde, er habe über den Gesamtnachlaß verfügen wollen, folgt hieraus nichts für die Bindungsfrage. Hierzu sei nochmals daran erinnert, daß der Schutz des Erstverstorbenen hinsichtlich des Schicksals seines Nachlasses nicht in § 2271 II 1 BGB, sondern in § 2270 I BGB situiert. Buchholz bemüht also einen Gesichtspunkt, der schon für den Eintritt der Bindung allein nicht beachtlich ist. Nach all dem bleibt es also dabei: Die Auslegungsregel des Kammergerichts überzeugt. Der Überlebende wird somit entgegen zahlreicher Stimmen in der Literatur255 im Falle der Wiederverheiratung von der testamentarischen Bindung befreit, wenn eine Wiederverheiratungsklausel vorliegt.

251

Forster, Wiederverheiratungsklauseln, 142. Erbfolge, 96 ff. 253 Buchholz, Erbfolge, 97 f. 254 Buchholz, Erbfolge, 103 ff. 255 Siehe Dippel, AcP 177 (1977), 349 (369 f.); Staud-Kanzleiter, § 2269 Rn. 46 f.; Buchholz, Erbfolge, 106 ff.; andeutend auch Soergel-Manfred Wolf, § 2269 Rn. 30. 252

§ 12 Die Wiederverheiratung im Lichte kautelarjurisprudentieller Klauseln 317 3. Wiederverheiratungsklausel und der Fortfall der Verfügung des Überlebenden

a) Im Zweifel: Fortfall der Verfügung? Wenngleich der überlebende Ehegatte aufgrund der soeben skizzierten Auslegungsregel von der Bindung an das gemeinschaftliche Testament frei wird, ist damit das Schicksal der gemeinschaftlichen Verfügung im übrigen noch ungeklärt. Die relevante Frage ist: Wird die Verfügung des Überlebenden aus dem Testament der ersten Ehe mit der Wiederverheiratung automatisch unwirksam? Grundsätzlich setzt der Fortfall einer letztwilligen Verfügung einen wirksamen Erlöschensgrund oder einen förmlichen Widerruf (§ 2254 BGB) voraus. Stellenweise wird jedoch angesichts einer Wiederverheiratungsklausel angenommen, daß die wechselbezügliche Verfügung des Überlebenden bei Wiederverheiratung nicht nur ihrer Bindungswirkung entkleidet, sondern automatisch ohne ausdrücklichen actus contrarius entfallen solle. Dogmatisch-konstruktiv wurde dies entweder mittels einer Analogie zu § 2270 I BGB256 oder durch eine aufgrund einer ergänzenden Testamentsauslegung gewonnnen Auslegungsregel herbeigeführt: Grundsätzlich sei die Erbeinsetzung der gemeinsamen Kinder durch die Wiederverheiratung entweder auflösend bedingt257 oder es liege ein durch die Wiederverheiratung bedingter Widerruf der gegenseitigen Erbeinsetzung mit der Folge des § 2270 I258 BGB vor. Daneben wurde auch ein zunächst zur Aufhebung der Korrespektivität führender und sodann den Widerruf gestattender Vorbehalt angenommen259. Mit diesen Konstruktionsangeboten sind auch etwaige Bedenken hinsichtlich der dogmatisch-konstruktiven Stringenz des Verfügungsfortfalls260 ausgeräumt. Auslösender Wegweiser zur Problembewältigung war wiederum das Kammergericht mit einer Entscheidung aus dem Jahre 1957261; es sprach sich für ein Gegenstandsloswerden der 256 Leipold, Erbrecht, Rn. 359; OLG Hamm, FamRZ 1995, 250 (251); andeutungsweise auch in KG, NJW 1957, 1073 (1074). 257 So Hankel, Neuere Rechtsprechung, 169 ff. Angedeutet in KG, NJW 1957, 1073 (1074); KG FamRZ 1968, 331 (332). Vgl. zum Problem Buchholz, Erbfolge, 74, 76. Zweifelnd Hurst, MittRhNotK 1962, 435 (452 f.); Huken, DNotZ 1965, 729 (730). 258 So Simshäuser, FamRZ 1972, 273 (277). Ähnlich Dippel, AcP 177 (1977), 349 (366). 259 Darauf weist Buchholz, Erbfolge, 81, hin. 260 Vgl. Hurst, MittRhNotK 1962, 435 (452 f.); Hilgers, MittRhNotK 1962, 381 (390); Huber, RPfleger 1981, 41 (44); Huken, DNotZ 1965, 729 (730, 732 f.); Forster, Wiederverheiratungsklauseln, 142 f.; Dittmann/Reimann/Bengel-Bengel, § 2269 Rn. 42; Erman-M. Schmidt, § 2269 Rn. 14. 261 KG NJW 1957, 1073 f. Das Gericht folgt hierbei der Meinung Hankels, Neuere Rechtsprechung, 169 ff. Der Entscheidung schlossen sich an KG FamRZ 1968,

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Kap. 4: Das Sonderproblem Testierfreiheit und Wiederverheiratung

Verfügung des Überlebenden aus. Begründet wurde dies mit einem Interessenargument, einem Schutzargument und einem Willkürargument. Es wird sich zeigen lassen, daß alle drei Argumente den automatischen Verfügungsfortfall nicht durchgreifend begründen können. b) Verfügungsfortfall und Ehegatteninteressen Das Interessenargument rekurriert auf das wohlverstandene Interesse der Eheleute, die bei der Vereinbarung einer Wiederverheiratungsklausel selbstverständlich davon ausgingen, daß durch eine etwaige Zweitehe weitere Erbberechtigte dem Überlebenden gegenüber treten, denen verständigerweise eine Beteiligung am Nachlaß des Zweitversterbenden nicht abgeschlagen werden könne. Dieser besonderen Willensrichtung der Ehegatten entspreche jedoch die Gegenstandslosigkeit der Verfügung nach Wiederheirat am ehesten. Dem muß freilich widersprochen werden. Die Ehegatten errichten ein gemeinschaftliches Testament, weil sie ihr Vermögen einem gemeinsamen Schicksal unterwerfen wollen. Die Ungewißheit hinsichtlich des eigenen Überlebens und damit auch hinsichtlich der Möglichkeit zur Wiederverheiratung ist hier prägend. Angesichts dessen kommt es zu einer Dichotomie zwischen den redlicherweise bestehenden hypothetischen Willen der Ehegatten: Sehen sich die Ehegatten jeweils als Erstversterbende, so wird die Vorstellung, daß das beiderseitige Vermögen trotz Wiederverheiratung letztlich doch noch rechtlich (Einheitslösung) oder wirtschaftlich (Trennungslösung) ungeteilt an die gemeinsamen Kinder fließen wird, in der Regel nicht aufgegeben262. Anders stellt sich dies dar, wenn sich der Ehegatte jeweils als Überlebender versteht. Hier wird ein vernünftig denkender Erblasser davon ausgehen, die Erstverfügung habe sich erledigt, da nur dann – aufgrund des Eintritts der gesetzlichen Erbfolge – eine Differenzierung zwischen Familienmitgliedern aus erster und zweiter Ehe nicht mehr erfolgt. Die Interessenlage der Ehegatten gibt daher aufgrund der Verschiedenheit der Interessen je nach Perspektive des Überlebens oder des Erstversterbens für die Frage nach dem Verfügungsfortfall recht besehen 331; OLG Hamm, FamRZ 1995, 250 (251); Jauernig-Stürner, § 2269 Anm. 6a; Leipold, Erbrecht, Rn. 359; ders., FamRZ 1988, 352 (355); Haegele, JurBüro 1968, Sp. 87 (Sp. 90); Dippel, AcP 177 (1977), 349 (367 f.); Soergel-M.Wolf, § 2269 Rn. 31; offengelassen in BGH FamRZ 1985, 1123 (1124). Einschränkend nur, wenn im Einzelfall ein Wille auf Verfügungsfortfall konkret ermittelt werden könne PalandtEdenhofer, § 2269 Rn. 19; MünchKomm-Musielak, § 2269 Rn. 59; Erman-Schmidt, § 2269 Rn. 14; Staud-Kanzleiter, § 2269 Rn. 46 ff. De lege ferenda für die Hälfte des Vermögens des überlebenden Ehegatten auch Battes, Gemeinschaftliches Testament, 364 ff. 262 Forster, Wiederverheiratungsklauseln, 143; Huken, DNotZ 1965, 729 (730 f.). Anders Hankel, Neuere Rechtsprechung, 170.

§ 12 Die Wiederverheiratung im Lichte kautelarjurisprudentieller Klauseln 319

nichts her: Jeder der Gatte wird, wenn er sich als Erstversterbenden sieht, gegen den Verfügungsfortfall sein und genau anders entscheiden, wenn er die Perspektive des Überlebenden einnimmt. c) Verfügungsfortfall und Schutz der erstehelichen Kinder Die weiteren Argumente des Kammergerichts können ebenfalls nicht überzeugen. Wieso der Schutz der Kinder aus erster Ehe von einer automatischen Gegenstandslosigkeit nicht berührt werde263, ist nicht recht einsichtig. Zwar ist die bindende Wirkung des gemeinschaftlichen Testaments aufgehoben, so daß der Überlebende jederzeit neu – auch zu Lasten der gemeinsamen Kinder aus erster Ehe – testieren kann. Dazu muß der Überlebende jedoch erst einmal Initiative zeigen. Es kommt also darauf an, ob das Risiko einer fehlenden Initiative – also einer fehlenden Neuverfügung – durch die Ehegatten der Erstehe jemandem zugewiesen worden ist. Wiederum geben die Interessen der Ehegatten für diese Frage vor dem Hintergrund einer ungewissen Zukunft zur Zeit des gemeinschaftlichen Testierens nichts her: Die Interessen der gemeinschaftlich testierenden Ehegatten sind in der Perspektive des Vorversterbens darauf gerichtet, die erstehelichen Kinder so weitgehend zu sichern, wie dies bei dem Hinzutreten neuer Pflichtteilsberechtigter redlicherweise dem überlebenden Ehegatten angesonnen werden kann. Aus dieser Sicht spricht dann alles für die Aufrechterhaltung der Verfügung: Nur so werden die erstehelichen Kinder weitestgehend gesichert, ohne daß der Zweitfamilie jeder Schutz genommen wird. Wenn die Ehegatten jedoch die Perspektive des Überlebenden einnehmen, sind die Interessen nicht auf einen weitestgehenden Schutz allein der Endbedachten, sondern auch auf einen gleich starken Schutz der neuen Familie und damit auf den Verfügungsfortfall gerichtet. Auch das Schutzargument gibt daher aufgrund des Interessenpatts nichts weiter her. Soweit schließlich darauf verwiesen wird264, durch die Gegenstandslosigkeit würde vermieden, daß die Erbfolge nach dem Überlebenden von der Zufälligkeit abhängig gemacht wird, ob der Überlebende neu testiert oder etwa aufgrund Unkenntnis über die Rechtslage oder – doch dies wohl eher im Ausnahmefall265 – aufgrund Nachlässigkeit eine Verfügung nicht mehr errichtet, so kommt es hier wiederum zum Interessenpatt: Die Ehegatten hoffen angesichts der geschilderten Ungewißheit, wer zuerst verstirbt, in der Perspektive des Erstversterbenden, daß eine erneute letztwillige Verfü263

KG, NJW 1957, 1073 (1074). KG, NJW 1957, 1073 (1074); KG FamRZ 1968, 331 (332); zustimmend Dippel, AcP 177 (1977), 349 (368); Simshäuser, FamRZ 1972, 273 (277). 265 Staud-Kanzleiter, § 2269 Rn. 50; Simshäuser, FamRZ 1972, 273 (277). Mit Auswertung der Rechtsprechung auch Battes, Gemeinschaftliches Testament, 364 f. 264

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Kap. 4: Das Sonderproblem Testierfreiheit und Wiederverheiratung

gung des Überlebenden – aus welchen Gründen auch immer – unterbleibt und ersparen dem Überlebenden nicht jegliche Zumutung und Verantwortung für ein etwaiges Neutestat, die ansonsten den Kindern aus erster Ehe aufgebürdet würden. Etwaige Zufälligkeiten im Testierverhalten sind aus dieser Sicht her von den Ehegatten selbst für unbeachtlich angesehen worden. Den Interessen aus der Perspektive des Überlebens korrespondiert hingegen die Gegenstandslosigkeit der Verfügung, da nur so das Risiko eines fehlenden Testats von den Angehörigen der Zweitfamilie genommen wird. Es liegt damit wiederum ein Interessenpatt vor. d) Verfügungsfortfall und Ehegattensolidarität Ist aus den bisherigen Erörterungen der Schluß zu ziehen, mangels hinreichender gegenteiliger Anhaltspunkte in der Verfügung müsse von einer weiterhin bestehenden, gültigen Verfügung des Überlebenden ausgegangen werden? In der Tat wird dies so gesehen266. Wie ist zu entscheiden? Da es bei der Frage nach der Weitergeltung der Verfügung des Überlebenden nicht um die Entwertung psychischer Gratifikationen geht, kann der mutmaßliche Wille der Gatten an dem Gesichtspunkt festgemacht werden, der ansonsten oft im Mittelpunkt der Auslegung von Ehegattentestamenten steht: dem Gedanken der Ehegattensolidarität. Eine Fallgruppenbildung ist hier hilfreich. (1) Wenn die Ehegatten sich für den Wiederverheiratungsfall vollständig von der Erbfolge ausgeschlossen haben – Fallgruppe 1 –, ist die Ehegattensolidarität in der Regel zusammengebrochen. Der Überlebende darf sich dann in einer weitgehenden solidarischen Verbundenheit zur Zweitfamilie wähnen und wird zudem seiner solidarischen Verantwortung für die Kinder aus erster Ehe aufgrund ihrer uneingegrenzten Erbfolge nach dem Erstverstorbenen weitgehend entkleidet. Vor diesem Hintergrund verfängt das Argument nicht mehr, der dem gemeinschaftlichen Testament zugrundeliegende Gedanke der Einheit des Vermögens spreche für den Willen, das gemeinsame Vermögen für die gemeinsamen Abkömmlinge zusammenzuhalten267. Die Ehegatten zeigen vielmehr angesichts einer zerbrochenen Ehegattensolidarität, daß der Einheitsgedanke nunmehr aufgegeben worden ist, so daß ihren Interessen ein automatischer Wegfall der gemeinschaftlichen Verfügung am ehesten entspricht268. In der Fallgruppe 1 kommt es also zu einem grundsätzlichen Wegfall der Verfügung des Überlebenden im Wiederverheiratungsfall. 266 v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 2, 921; Kipp/Coing, Erbrecht, § 35 II 2c; Dittmann/ Reimann/Bengel-Bengel, § 2269 Rn. 45; Huken, DNotZ 1965, 729 (731 f.); Huber, RPfleger 1981, 41 (44). Für Auslegung im Einzelfall OLG Hamm, JR 1987, 376 (377). 267 Huken, DNotZ 1965, 729 (730 f.).

§ 12 Die Wiederverheiratung im Lichte kautelarjurisprudentieller Klauseln 321

Gegen diese Lösung wird eingewandt, der wirkliche Wille des Überlebenden würde nicht stets verwirklicht269. Überzeugend ist dies nicht: Der Verfügungsfortfall gründet sich auf einer typisierten Auslegungsregel. Zeigt sich im Einzelfall ein dieser Typisierung nicht entsprechender Wille, ist nach diesem zu entscheiden. Die Anfechtung gem. § 2078 II BGB wegen eines etwaigen Irrtums über die Gegenstandslosigkeit der Verfügung, die von der Gegenansicht, welche eine Aufrechterhaltung der Verfügung favorisiert270, propagiert wird, ist demnach gar nicht erforderlich; schon eine sachgerechte Auslegung kann hier entsprechend dem Vorrang der Auslegung vor der Anfechtung helfen. Die Gegenansicht und die hier vertretene Meinung unterscheiden sich freilich in der Verteilung der Beweislast: Nach der hier vertretenen Lösung muß derjenige, der Rechte aus der Verfügung der Erstehegatten geltend machen will, die Umstände beweisen, die für den ausnahmsweise bestehenden Willen der Ehegatten auf Aufrechterhaltung der Verfügung sprechen. Nach der Gegenansicht ist ihm dies erlassen; hingegen müssen die Mitglieder der Zweitfamilie einen Irrtum gem. § 2078 II BGB beweiskräftig dartun. Diese Unterschiede in der Beweislast sind auch gerechtfertigt, da die hier durch ergänzende typisierte Auslegung gewonnene Regel grundsätzlich willensnäher ist, so daß durch sie typischerweise den Willen der Ehegatten am ehesten gerecht wird. Wenn die Ehegatten dennoch im Einzelfall von einer Aufrechterhaltung der Erstverfügung ausgehen, müssen dafür konkrete Anhaltspunkte vorhanden sein271. (2) Falls der überlebende Ehegatte sich im Fall der Wiederverheiratung hingegen mit den Kindern aus erster Ehe nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge auseinandersetzen soll – Fallgruppe 2 –, so haben die Ehegatten mit dieser Regel gezeigt, daß familiäre Solidarität auch weiterhin eine Rolle spielen soll. Derartige Solidaritätsreste geben damit den Nachlaßinteressen der Kinder aus erster Ehe ein besonderes Gewicht, so daß im Zweifel das gemeinsam Verfügte – also die Beteiligung der Kinder aus erster Ehe mindestens im Umfang ihres gesetzlichen Erbrechts – aufrechterhalten bleibt. Dem Überlebenden ist dann aufgegeben, gegebenenfalls erneut zu verfügen. Verbleibt dem überlebenden Ehegatten für den Fall der Wiederverheiratung ein den Pflichtteil übersteigender Erbteil und den Kindern aus erster Ehe eine die gesetzliche Nachlaßquote übersteigende Erbbeteiligung

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So bereits Weihe, DNotZ 1939, 247 (248); Hurst, MittRhNotK 1962, 435 (443); Simshäuser, FamRZ 1972, 273 (277), je zumindest für die hier diskutierte Fallgruppe. 269 Staud-Kanzleiter, 12. Aufl., § 2269 Rn. 48. 270 Staud-Kanzleiter, 12. Aufl., § 2269 Rn. 48; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 24 IV 3d. 271 Im Ergebnis für diese Fallgruppe ebenso Simshäuser, FamRZ 1972, 273 (277).

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Kap. 4: Das Sonderproblem Testierfreiheit und Wiederverheiratung

– Fallgruppe 3 –, entfällt die Verfügung aufgrund der durch die Ehegatten gemeinsam anerkannten Nachlaßinteressen der Kinder aus erster Ehe und aufgrund der noch weitgehend vorhandenen familiären Solidarität zwischen den Mitgliedern der Erstfamilie ebenfalls nicht automatisch. Falls dem Überlebenden im Wiederverheiratungsfall nur eine Nachlaßbeteiligung eingeräumt worden ist, die geringer als der Pflichtteil ist – Fallgruppe 4 –, sind die Nachlaßinteressen der erstehelichen Kinder zwar auch deutlich hervorgehoben; aufgrund der die gesetzliche Mindestbeteiligung unterschreitenden Erbquote des Überlebenden zeigen die Ehegatten jedoch, daß jegliche familiäre Solidarität zerbrochen ist, so daß eine Privilegierung der Nachlaßinteressen der Kinder nicht mehr einsichtig erscheint: die Verfügung des Überlebenden entfällt hier automatisch in vollem Unfang. Es zeigt sich mithin, daß differenziert je nach dem jeweiligen Fall zu entscheiden ist, ob im Zweifel die Verfügung des Überlebenden bei der Wiederverheiratung automatisch wegfällt oder ob er erst neu testieren muß.

IV. Ergebnis zu Wiederverheiratungsklauseln Bei den Wiederverheiratungsklauseln stehen zwei Probleme im Mittelpunkt des dogmatischen Interesses: Zum einen geht es um die Frage, welche Rechtsmacht dem Überlebenden zu lebzeitigen Verfügungen über das vom Erstverstorbenen Erworbene gegenüber den Nachlaßinteressen der gemeinschaftlich Endbedachten aus erster Ehe zukommt, wenn der Überlebende Alleinerbe des Erstverstorbenen ist, mithin also ein gemeinschaftliches Testament nach dem Vorbild der Einheitslösung vorliegt. Zum anderen steht die Wiedergewinnung der Testierfreiheit des überlebenden Teils im Raum, wenn – wie zumeist – korrespektive Verfügung in dem Testament der ersten Ehe enthalten sind. Hinsichtlich der ersten Frage wurde eine nach Fallgruppen differenzierende Lösung vorgeschlagen: Im Grundsatz kommt es zu einer analogen Anwendung der §§ 2113 ff. BGB. Der Überlebende ist hierbei analog § 2136 BGB von den Vorschriften befreit, die seine alleinige Verantwortung für den Nachlaß einschränken (§§ 2113 I, 2114, 2116–2119, 2127–2131 BGB analog), während das Substanzerhaltungsinteresse der Endbedachten analog §§ 2113 II, 2133, 2134 BGB gesichert ist. Falls die Interessen des Überlebenden jedoch eindeutig gegenüber den Endbedachten im Vordergrund stehen und die Endbedachten allein das erhalten sollen, was vom Nachlaß noch übrig ist, kann der Überlebende zu Lebzeiten über den als Alleinerbe erworbenen Nachlaß des Erstverstorbenen unentgeltlich verfügen, wenn ihm hierzu ein lebzeitiges Eigeninteresse zur Seite steht. Hinsichtlich des zweiten Problemkreises konnte die vom Kammergericht gefundene Auslegungsregel bestätigt werden, daß der Überlebende von sei-

§ 12 Die Wiederverheiratung im Lichte kautelarjurisprudentieller Klauseln 323

ner testamentarischen Bindung befreit wird, wenn eine Wiederverheiratungsklausel vorliegt und der Verheiratungsfall eintritt. Zudem konnte gezeigt werden, daß die Verfügung des Überlebenden aus dem Testament der ersten Ehe im Zweifel wegfällt, wenn die Ehegatten sich für den Wiederverheiratungsfall vollständig von der Erbfolge ausgeschlossen haben oder falls dem Überlebenden nur eine Nachlaßbeteiligung eingeräumt worden ist, die geringer als der Pflichtteil ist. Die Verfügung aus dem Testament der ersten Ehe bleibt jedoch im Zweifel aufrechterhalten, falls der überlebende Ehegatte sich im Fall der Wiederverheiratung mit den Kindern aus erster Ehe nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge auseinandersetzen soll oder ihm ein den Pflichtteil übersteigender Erbteil und den Kindern aus erster Ehe eine die gesetzliche Nachlaßquote übersteigende Erbbeteiligung eingeräumt worden ist.

Kapitel 5

Zusammenfassung zur testamentarischen Entbindung § 13 Das System der Lösung von der testamentarischen Bindung I. Zusammenfassung der tragenden Entbindungsmöglichkeiten 1. Die drei tragenden Wertungen einer Lösung von der testamentarischen Bindung

Die Erörterungen zum Recht der Loslösung von der testamentarischen Bindung haben gezeigt, daß eine Entbindung zulässig ist, wenn drei Gründe vorliegen. Der erste Grund behandelt den Fall, bei dem die psychischen Gratifikationen, die der Erstverstorbene im Prozeß des gemeinschaftlichen Testierens dem Überlebenden einstmals gewährt hat und die allein die testamentarische Bindung nach § 2271 II 1 BGB zu generieren vermögen, zu Recht entwertet sind. Es ist dies einzig der Fall der Wiederverheiratung des Überlebenden. Der zweite Grund rekurriert auf den Willen beider Gatten oder zumindest auf den Willen des Erstverstorbenen, die oder der auf eine Lösung von der Bindung des Überlebenden gerichtet sind oder ist, wenn zu einer Freistellung des überlebenden Teils gegriffen worden ist. Der dritte Grund schließlich schneidet ein etwaig tatsächlich gehegtes Erwarten des erstverstorbenen Gatten normativ aus Gründen des Schutzes des Überlebenden auf ein Erwartendürfen zurück, vor deren Folie eine weitere Bindung des überlebenden Teils nicht mehr zulässig erscheint. Der Grund hierfür konnte darin verortet werden, daß eine weitere Bindung des überlebenden Teils dort nicht mehr angezeigt ist, wo die ehemals von beiden Gatten avisierte Vermögensordnung post mortem zerbrochen ist, wie dies etwas in den § 2271 II 1 HS 2, § 2271 II 2, § 2271 III, §§ 2281 ff. BGB analog oder beim Wegfall der Endbedachten gegeben ist. Die eingangs1 gehegte Vermutung, die Lösung von der testamentarischen Bindung gründe auf drei Wertungen: der entwerteten psychischen Gratifikation, den gemeinschaftlichen Willen beider Gatten oder zumindest des Willens des Erstverstorbenen und des Schutzes des überlebenden Teils, hat sich damit bestätigt. Dabei ist es durchaus einsichtig, daß eine zerbrochene Reziprozität zur Entbindung 1

Oben § 7 I 1, § 7 III.

§ 13 Das System der Lösung von der testamentarischen Bindung

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führen muß. Denn basiert schon die testamentarische Bindung auf jeweils zwischen den Gatten gewährter Reziprozität, ist bei einer verloren gegangenen Reziprozität kein Grund mehr für eine dann sinnlos gewordene weitere Bindung ersichtlich. Daneben würde eine Bindung des Längstlebenden auch dort nicht überzeugen, wo diese dem gemeinschaftlichen Willen beider Gatten oder dem Willen des Erstverstorbenen entspricht. Denn die testamentarische Bindung ist kein Selbstzweck, sondern gründet in dem Erwartungsschutz des Erstverstorbenen. Haben die Ehegatten oder der Erstverstorbene einen Erwartungsschutz nicht für erforderlich erachtet, scheidet eine Bindung notwendig aus. Schließlich wäre es zudem ungereimt, eine Bindung auch dann weiterhin anzunehmen, wenn Interessen des Überlebenden auftreten, welche aufgrund der zerbrochenen Vermögensordnung post mortem gegenüber dem Erwartungsschutz des Erstverstorbenen als schutzwürdiger einzuschätzen sind. Eine Entbindung ist dann die logische Folge einer sachgerechten Ausbalancierung der Interessen des Erstverstorbenen und des Überlebenden. Auch hier zeigt sich wieder, daß die Testierfreiheit zu Recht als funktionales Persönlichkeitsrecht begriffen werden muß. Denn persönlichkeitsrechtlich gedacht wäre es sehr merkwürdig, wenn die Rechtsperson eine Möglichkeit, ihre Persönlichkeit in einer besonderen Weise zu entfalten (hier: das Testieren), verlieren würde, ohne daß dieser Verlust ausnahmsweise durch gewichtige Interessen einer anderen Rechtsperson oder durch Allgemeininteressen aufgehoben werden könnte.

2. Testamentarische Entbindung und Erwartungsstörung

Die gesetzlichen Wertungen, die zur Lösung von der testamentarischen Bindung führen, können auch anhand eines anderen Kriteriums und damit aus einem anderen Blickwinkel verdeutlicht werden als mit dem gerade vorgetragenen Verweis auf entwertete Reziprozität, den Willen der Gatten oder des Schutzes des Überlebenden. Es sind dies zum einen das Kriterium der Enttäuschung tatsächlich gehegter Erwartungen, zum anderen das Kriterium normativer Begrenzungen derartiger Erwartungen des Erstverstorbenen. a) Entbindung und tatsächlich gehegte Erwartungen Tatsächlich gehegte Erwartungen werden – mit der Folge der Entbindung des überlebenden Teils – nicht mehr geschützt , wenn die vom Erstverstorbenen geleisteten Erwartungsinvestitionen verloren gehen, wobei dieser Verlust auf das Zerbrechen der einstmals gemeinschaftlich mit dem überlebenden Teil geplanten Vermögensordnung post mortem zurückgeführt werden kann. Das Gesetz gibt hier dem Längstlebenden seine Testierfreiheit in

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Kap. 5: Zusammenfassung zur testamentarischen Entbindung

einer Situation wieder, in der eine weitere Bindung keinen rechten Sinn mehr ergeben würde. Diese Sinnlosigkeit einer weiteren Bindung kann auf drei Ebenen bezogen sein: auf die Ebene der Bedachten, auf die Ebene der Geschehnisse zwischen dem ersten und dem zweiten Todesfall und auf die Ebene der gemeinschaftlichen Planung selbst, also auf die Zeit vor dem ersten Todesfall. Auf der ersten Ebene findet eine Entbindung des überlebenden Teils wegen Veränderungen auf Seiten der Bedachten statt2. Die Bedachten können einmal ersatzlos wegfallen. Zudem können sie entweder den an sie als künftige verantwortungsbewußte Vermögensträger herangetragenen Erwartungen nicht gerecht werden oder sie enttäuschen im zwischenmenschlichen Bereich jene personalen Hoffnungen, die sie als Bedachte würdig erweisen ließen; das Gesetz hat auf die Erwartungsstörung mit den § 2271 II 2, 2271 III BGB reagiert. Die zweite Ebene greift Veränderungen zwischen dem ersten und dem zweiten Todesfall auf. Falls hier die von beiden Gatten avisierte Vermögensordnung zerbricht, reagiert hierauf die Rechtsordnung mit einem Verlust an testamentarischer Bindung. Besonders augenscheinlich wird dies im Fall des § 2271 II 1 HS 2 BGB3. Selbst wenn der überlebende Teil nur das testamentarisch Erworbene, nicht aber den gesetzlichen Erbteil ausschlägt, gewinnt er richtigerweise seine Testierfreiheit zurück. Der Grund hierfür liegt nicht in einem Opfer auf Seite des Ausschlagenden, sondern in der sachgerechten Bewertung einer Situation, in der ein Erwartungsschutz auf Seiten des Erstverstorbenen nicht mehr einsichtig erscheint, da dasjenige, welches er erwartet hat, selbst dann nicht mehr eintreten kann, wenn der überlebende Gatte auch seinen gesetzlichen Erbteil ausschlüge. Auf einer dritten Ebene findet das Gesetz zu einer Lösung von der testamentarischen Bindung, wo diese bei Lichte betrachtet entweder nicht den Erwartungen des Erstverstorbenen entspricht oder schon keine sachgerechte gemeinschaftliche Planung vorliegt. Ersteres ist grundsätzlich bei Vermögenszuwächsen des Überlebenden der Fall, die auf Schenkung oder auf einem erbrechtlichen Erwerb beruhen4 oder die in ihrem Umfang außerordentlich umfangreich sind5; zudem ist der Überlebende in aller Regel nicht gebunden, soweit seine letztwillige Verfügung nach dem ersten Todesfall einer moralischen Verpflichtung oder sittlichen Gebräuchen entspringt6. Eine gemeinsame Planung kann entsprechend der personfunktionalen Gründung des gewillkürten Erbrechts nur gegeben sein, wenn die Motivlage, auf 2 3 4 5 6

Dazu § 9 II. Dazu § 9 I. Dazu oben § 6 III 2 b. Siehe § 8 IV 3. Dazu § 6 III 2 c.

§ 13 Das System der Lösung von der testamentarischen Bindung

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der die gemeinschaftliche Planung beruht, irrtumsfrei gebildet worden ist. Ist dies nicht der Fall, stehen dem überlebenden Teil die Entbindungsmechanismen der Freistellungsklausel7 und der Anfechtung8 zur Seite. Gerade diese beiden Werkzeuge geben dem Überlebenden ein schneidiges Instrumentarium zur Hand, mit dem er auf Veränderungen in der Vermögensordnung post mortem reagieren kann. Freistellung und Anfechtung überschneiden sich in ihrem Anwendungsbereich, wenn eine Enttäuschung von Motiven vorliegt, welche für die Verfügung des Überlebenden erheblich sind. Überschneiden sie sich, sind sie funktional austauschbare Entbindungsmittel, wobei der Vorzug der Freistellung darin liegt, eine Lösung von der Bindung grundsätzlich auch dort zu ermöglichen, wo eine Anfechtung unzulässig ist, weil die Anfechtungsfrist überschritten ist. b) Normative Begrenzungen der Erwartungen des Erstverstorbenen Das Erwarten des Erstverstorbenen wird auch durch normative Kriterien eingeschränkt. Liegen derartige Kriterien vor, darf er selbst dann nicht erwarten, wenn er tatsächlich erwartet hat. Zwei Punkte gilt es hier festzuhalten. Erstens konnte notiert werden, daß das Erwartendürfen des Erstverstorbenen auch ausnahmsweise von Gegeninteressen des Überlebenden abhängig sein kann. Diskutiert wurde dies anhand eines Wertungsvergleichs mit der Sittenwidrigkeit von letztwilligen Verfügungen9 und der Situation der Wiederverheiratung10. Frucht dieser Überlegungen war, daß einmal das Erwarten des Erstverstorbenen ausnahmsweise durch sehr gewichtige Rechtsgüter des Überlebenden eingeschränkt werden kann. Darüberhinaus ist das Erwarten eingeschränkt, wenn es zur Wiederverheiratung kommt, da hinsichtlich eines Viertels des während der zweiten Ehe errungenen Vermögens (unter Vorabzug des vom Erstverstorbenen von Todes wegen Erworbenen) eine testamentarische Bindung nicht in Betracht kommt. In dieser Einschränkung des faktischen Erwartens des Erstverstorbenen durch Gegeninteressen des Überlebenden schimmert zugleich die personfunktionale Gründung des gewillkürten Erbrechts durch. Zweitens kann nicht nur der über § 2271 II BGB, sondern auch der über § 2270 I BGB geleistete Erwartungsschutz von vornherein limitiert sein durch das Maß des überhaupt einsichtigen Erwartens. Anders gesagt: Der Schutzmechanismus des § 2270 I BGB tritt überall dort zurück, wo eine berechtigte Erwartungshaltung des Erstverstorbenen sich nicht hat entwik7

Dazu § 8. Dazu § 9 III. 9 Dazu § 10 II. 10 Dazu § 11. 8

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Kap. 5: Zusammenfassung zur testamentarischen Entbindung

keln dürfen. Relevant wurde dieser Gedanke vor allem bei der Wiederverheiratung11 und bei der Entbindung kraft gewichtiger Gegenrechte des Überlebenden12. Würde die Verfügung des Erstverstorbenen hier gleichwohl unwirksam werden, würde er vom anderen Teil erwarten dürfen, daß dieser erwartet, er, der Erstverstorbene, würde die unter Gatten geschuldete Solidarität nicht aufbringen wollen. Da er nicht so erwarten darf, sind seine trotz der unberechtigten Erwartung aufgewendeten Gratifikationen nicht schutzwürdig, so daß eine Entbindung des Überlebenden ohne Unwirksamkeit der korrespektiven Verfügung des Erstversterbenden i. S. § 2270 I BGB die logische Folgerung ist. Ein anderes Beispiel sind die Erwartungsstrukturen bei einer Freistellungsklausel. Bei dieser ist das Erwarten des Erstverstorbenen abgesenkt, weil er erwarten muß, daß der andere Teil nur verfügt, weil er freigestellt ist; ist dem so, darf aber der Erstverstorbene von vornherein nur eingeschränkt erwarten, so daß ein Schutz über § 2270 I BGB nicht veranlaßt ist13. II. Das wirtschaftliche Äquivalent zur Entbindung: Vermögensübertragung durch lebzeitige Rechtsgeschäfte 1. Allgemeines

Oftmals wird der Überlebende versuchen, die testamentarische Bindung durch Schenkungen unter Lebenden – etwa an seinen neuen Ehegatten oder an sonstige Dritte – wirtschaftlich zu unterlaufen. Auf die rechtliche Beurteilung derartiger Austauschvorgänge werden bei bindend gewordenden wechselbezüglichen Verfügung in gemeinschaftlichen Testamenten die erbvertraglichen Regelungen der §§ 2287 f. BGB wegen der gleichen Interessenlage allgemeiner Meinung nach entsprechend angewandt14. Es ist hier nicht der Ort, den Stand der Dogmatik des § 2287 BGB umfassend zu diskutieren. Aus der Fülle der Problemstellungen sollen vielmehr nur zwei Gegenstände herausgegriffen werden, die praktisch häufig relevant sein dürften: dies ist einmal die rechtliche Behandlung unbenannter Zuwendungen an den Gatten der zweiten Ehe, sodann die Problematik, wann eine Bereicherungsabsicht i. S. § 2287 I BGB vorliegt.

11

Dazu § 11 III 2 c, § 11 IV 4 b. Dazu § 10 II 3. 13 Dazu § 8 II 2. 14 RGZ 58, 64 (65); 77, 5 (6); BGHZ 26, 274 (278 f.); 59, 343 (348); MünchKomm-Musielak, § 2269 Rn. 34, § 2271 Rn. 45, § 2287 Rn. 2; Soergel-Manfred Wolf, § 2269 Rn. 20, § 2271 Rn. 46; Staud-Kanzleiter, § 2271 Rn. 86. 12

§ 13 Das System der Lösung von der testamentarischen Bindung

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2. § 2287 BGB und unbenannte Zuwendungen unter Ehegatten

Nach der Rechtsprechung des BGH15 rechnen unbenannte Zuwendungen unter Ehegatten regelmäßig16 zumindest dann zu den Schenkungen i. S. § 2287 I BGB, wenn sie objektiv unentgeltlich sind; letzteres wiederum soll nicht gegeben sein, wenn die erbrachte Zuwendung unterhaltsrechtlich geschuldet wurde oder falls ihr eine ganz oder teilweise vergütete Gegenleistung von einigermaßen konkretem Charakter gegenüberstand. Diese Ansicht blieb nicht unwidersprochen. Der zweite Gatte habe am ehelichen Vermögenserwerb nach den Wertungen des ehelichen Güterrechts gemeinsam mit dem überlebenden Teil einen Beitrag geleistet, so daß dessen Teilhabe im angemessenen Umfang sicherzustellen sei. Paradebeispiel ist das Schicksal eines in zweiter Ehe erworbenen Familienheims. Zwar sei ein derartiger Erwerb im typischen Fall der ehelichen Lebensverhältnisse unterhaltsrechtlich nicht geschuldet, da der Wohnungsbedarf auch durch die Anmietung einer Wohnung sichergestellt werden könne; dennoch sei der Erwerb kein beliebiger Akt der Vermögensbildung, sondern meistens Ausdruck der Verwirklichung der ehelichen Lebensgemeinschaft17. Der Ansatz der Rechtsprechung wird deshalb nur als Beginn einer noch im einzelnen weiter auszugestaltenden Entwicklung angesehen18. Doch wie geht es weiter? Richtigerweise stellen unbenannte Zuwendungen unter Ehegatten kein gewichtiges Problem dar. Der überlebende Teil wird als Folge güterrechtlicher Wertungen hinsichtlich eines Viertels seines Eigenvermögens (unter Vorabzug des Nachlasses des Erstverstorbenen) im Fall seiner Wiederverheiratung von seiner testamentarischen Bindung befreit, wenn die neuen Gatten gemeinschaftlich korrespektiv testieren19. Dem Gedanken einer Teilhabe des neuen Gatten am zweitehelichen Vermögenszuwachs wird damit schon auf der Ebene der Entbindung Rechnung getragen. Damit entfällt aber in Höhe des Umfangs der Entbindung (also bzgl. des o. g. Viertels des Eigenvermögens des Überlebenden) ein Anspruch der Endbedachten aus § 2287 BGB sowieso, da die Voraussetzungen einer Analogie zu den §§ 2287 f. BGB (nämlich die Bindung) nicht mehr vorliegen. Gleiches sollte für § 2287 BGB gelten, wenn die Gatten der zweiten Ehe nicht gemeinschaftlich testieren. Denn aus Sicht der Endbedachten ist dies kein re15 BGHZ 116, 167; BGH, NJW-RR 1996, 133; zustimmend Erman-Schmidt, § 2287 Rn. 3; Palandt-Edenhofer, § 2287 Rn. 5; § 2325 Rn. 15; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 1361. 16 BGHZ 127, 48 (50 ff.), geht demgegenüber davon aus, die Zuwendung seien regelmäßig nicht unentgeltlich. 17 Langenfeld, NJW 1994, 2133 (2135). 18 MünchKomm-Musielak, § 2287 Rn. 4. 19 Dazu siehe ausführlich unten § 11 III 2 b cc.

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Kap. 5: Zusammenfassung zur testamentarischen Entbindung

levanter Umstand, der zu einem Bereicherungsanspruch führen könnte. Falls der zweiteheliche Vermögenszuwachs im übrigen auch oder nur mit den Mitteln des Nachlasses des Erstverstorbenen erbracht worden ist, ist mit dem BGH genau zu prüfen, ob die lebzeitige Zuwendung des Überlebenden an den zweiten Gatten sich nicht beispielsweise als Ausdruck einer angemessenen Alterssicherung oder als nachträgliche Vergütung für während der zweiten Ehe geleistete langjährige Dienste erweist20. Vor diesem Hintergrund relativiert sich das Problem unbenannter Zuwendungen erheblich. 3. Die Beeinträchtigungsabsicht

Nach Meinung der Rechtsprechung21 und ganz überwiegender Ansicht des Schriftums22 ist nach der Aufgabe der „Aushöhlungs“-Rechtsprechung für die Frage, ob eine Beeinträchtigungsabsicht i. S. § 2287 I BGB vorliegt, trotz ernst zu nehmender Kritik23 darauf abzustellen, ob dem Erblasser ein lebzeitiges Eigeninteresse zur Seite steht, welches die unentgeltliche Zuwendung rechtfertigt. Die nähere Ausformung und die dogmatische Berechtigung dieser Figur, welche zu einer umfassenden Bewertung der beteiligten Interessen herangezogen wird, sollen hier nicht weiter thematisiert werden. Im Rahmen eines Systems der Tatbestände, mit denen der Überlebende sich von der testamentarischen Bindung befreien kann, reizen nur die Bezüge zwischen dem lebzeitigen Eigeninteresse und den bisher beschriebenen Entbindungsmöglichkeiten. Also: Liegt ein berechtigtes lebzeitiges Eigeninteresse immer schon dann vor, wenn ein Entbindungstatbestand gegeben ist? Die Antwort gibt ein Blick auf die einzelnen Entbindungstatbestände. Wendet der Überlebende mit Rücksicht auf schwere Verfehlungen des Endbedachten einem Dritten lebzeitig unentgeltlich etwas zu, wird stellenweise verneint, daß ihm ein berechtigtes Interesse i. S. § 2287 I BGB zur Seite stehen könne24. Begründet wird dies mit der Erwägung, der Erblasser dürfe den Endbedachten nicht durch die unentgeltliche Weggabe von Vermögensgegenständen bestrafen, wenn die Voraussetzungen des § 2294 BGB 20

Dazu MünchKomm-Musielak, § 2287 Rn. 4. Ständige Rspr. seit BGHZ 59, 343 (349 f.). 22 Vgl. aus der Kommentar- und Lehrbuchliteratur jeweils m. w. Nachw. nur Erman-Schmidt, § 2287 Rn. 4; Jauernig-Stürner, § 2287 Anm. 1 c; MünchKomm-Musielak, § 2287 Rn. 13; Palandt-Edenhofer, § 2287 Rn. 13; Soergel-Manfred Wolf, § 2287 Rn. 13; Brox, Erbrecht, Rn. 158; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 273; Kipp/Coing, Erbrecht, § 38 IV 2 a; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 25 V 5 c; Schlüter, Erbrecht, Rn. 266. 23 So etwa bei Staud-Kanzleiter, § 2287 Rn. 13. 24 So OLG Koblenz, OLGZ 1991, 235 (237); MünchKomm-Musielak, § 2287 Rn. 19, je für den Erbvertrag. 21

§ 13 Das System der Lösung von der testamentarischen Bindung

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nicht vorliegen würden. Dem dürfte ohne weiteres zuzustimmen sein. Anders ist es aber, wenn der Erblasser sich von der testamentarischen Bindung gem. § 2271 II 2 BGB tatsächlich lösen könnte. Die Behauptung, er könne sich auch in diesem Fall nicht auf ein lebzeitiges Eigeninteresse berufen, liefe auf eine rein formale Argumentation hinaus. Denn der Überlebende könnte wegen § 2271 II 2 BGB ja neu testieren und dem Dritten damit die wirtschaftliche Chance entziehen, von Todes wegen ein Vermögen zu erwerben. Ist dessen Erwerbschance aber schon entwertet, kann es ihm gleichgültig sein, ob der Erblasser ihm die Chance letztwillig oder unter Lebenden entzieht; hinsichtlich der Form des Entzugs der Chance – ob durch Testament oder durch lebzeitiges Rechtsgeschäft – besitzt er keinerlei schutzwürdige Interessen. Andererseits stehen dem Überlebenden sehr wohl schutzwürdige Interessen zur Seite. Denn die Ansicht, es müsse neu testiert werden, zwingt den Erblasser praktisch ja, eine Verfügung von Todes wegen zu errichten. Er müßte dann aber den Endbedachten beispielsweise enterben oder ihm sonst signalisieren, daß er ihn auch im Tode zurückzuweisen gedenke. Er kann dies sicherlich tun. Es ist aber nicht ersichtlich, warum er dies tun muß, um das wirtschaftliche Ziel einer Beeinträchtigung des Endbedachten zu erreichen. Denn die Enterbung oder die sonstige testamentarische Zurückstellung des Endbedachten hat ja etwas Zeichenhaftes an sich; es ist quasi Signum der Tatsache, daß die Verfehlung so schwerwiegend ist, daß der Erblasser sie in seine Todesverarbeitung einbezieht. Für den Endbedachten könnte die lebzeitige unentgeltliche Zuwendung an sonstige Dritte mithin sogar weniger belastend sein als die Enterbung. Der Einwurf, der Erblasser müsse erst neu testieren und könne nicht unter Lebenden unentgeltlich verfügen, ist deshalb nicht so arglos, wie er auf den ersten Blick wirkt. Nach all dem muß davon ausgegangen werden, daß es hinreicht, daß der Erblasser unter Lebenden verfügt, wenn die Voraussetzungen einer Lösung von der Bindung nach § 2271 II 2 BGB ansonsten gegeben sind. Das Beispiel kann verallgemeinert werden: Überall dort, wo der Überlebende sich von der testamentarischen Bindung lösen könnte und solange er dies könnte, kann der Erblasser unentgeltlich unter Lebenden einem Dritten etwas zuwenden, ohne daß eine Beeinträchtigungsabsicht i. S. § 2287 I BGB vorliegt. Alles andere ließe unerklärt, wieso der Erblasser auf eine neue Verfügung von Todes wegen verwiesen werden soll, obwohl damit ein faktischer Zwang ausgeübt wird, sein „Sein zum Tode“ erneut auszuprägen, und obwohl Interessen des Endbedachten hinsichtlich der Form seiner Beeinträchtigung (Schenkung oder Testament) nicht erkennbar sind, da im wirtschaftlichen Ergebnis sowohl die Beeinträchtigung qua Schenkung als auch die qua Testament identisch sind.

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Kap. 5: Zusammenfassung zur testamentarischen Entbindung

III. Schlußbetrachtung 1. Ein zehnstufiges Untersuchungsschema

Vor dem Hintergrund der bisherigen Überlegungen kann mithin folgendes Untersuchungsschema entwickelt werden, anhand dessen im einzelnen geprüft werden kann, ob eine Lösung von der testamentarischen Bindung des Überlebenden angängig ist: 1. Besteht dem Grunde nach eine korrespektive Verfügung? Hier ist darauf zu achten, daß die Vermutungsregel des § 2270 II BGB nicht nur im Einzelfall, sondern auch in typisierten Fällen eventuell nicht greifen kann25. Ist die Wechselbezüglichkeit mit Rücksicht auf die Bedenkung von verwandten Personen gem. § 2270 II BGB begründet worden, ist es zudem zulässig, im Einzelfall den Nachweis zu führen, daß der bedachte Verwandte tatsächlich dem anderen Teil nicht nahegestanden hat26. Darüberhinaus ist auch bei der Anwendung des § 2270 I BGB darauf zu achten, daß bei der Ermittlung des Willens der Ehegatten nicht zu verselbständigten Vernunftserwägungen gegriffen wird, die sich allein vor dem Hintergrund eines gewissen, im genaueren eines bürgerlichen Familienbildes, nicht aber anhand der konkreten Gepflogenheiten des jeweiligen Ehepaares rechtfertigen lassen27. Wenn dem Grunde nach eine testamentarische Bindung besteht, ist weiter zu prüfen: 2. Liegt eine Wiederverheiratungsklausel vor und ist der Wiederverheiratungsfall eingetreten? In diesem Falle wird der Überlebende richtigerweise von seiner testamentarischen Bindung vollends befreit28. Folge für die korrespektive Verfügung des Erstverstorbenen: keine Unwirksamkeit gem. § 2270 I BGB

Falls keine Wiederverheiratungsklausel gegeben oder der Wiederverheiratungsfall nicht eingetreten ist, ist weiter zu prüfen: 3. Würden die Erberwartungen der aus dem gemeinschaftlichen Testament Endbedachten durch die zweite Verfügung von Todes wegen des Überlebenden beeinträchtigt werden? Ist dies nicht der Fall, steht der Wirksamkeit der zweiten Verfügung nichts entgegen. Das gemeinhin hierzu angeführte Beispiel ist die nach25 26 27 28

Dazu Dazu Dazu Dazu

oben § 6 III 2. oben § 6 III 3 b. oben § 6 III 1 d. siehe oben § 12 III 2, 3.

§ 13 Das System der Lösung von der testamentarischen Bindung

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trägliche Aufhebung der im gemeinschaftlichen Testament angeordneten Testamentsvollstreckung29. Folge für die korrespektive Verfügung des Erstverstorbenen: keine Unwirksamkeit gem. § 2270 I BGB

Werden die Erberwartungen der Endbedachten hingegen beeinträchtigt, ist weiter zu prüfen: 4. Liegt eine Ausschlagung nach § 2271 II 1 HS 2 BGB vor? Hier muß beachtet werden, daß der überlebende Teil nur den testamentarischen Erwerb, nicht jedoch den gesetzlichen Erbteil ausschlagen muß, um seine Testierfreiheit wiederzuerlangen30. Ist nicht der überlebende Ehegatte, sondern ein Dritter testamentarisch bedacht, reicht es für die Lösung von der Bindung des Ehegatten aus, wenn der Dritte ausschlägt31. Ist der Überlebende und ein Dritter bedacht, braucht nur der Ehegatte auszuschlagen. Soweit bei einem Testament nach dem Vorbild der Trennungslösung dessen Auslegung im Falle der Bedenkung sowohl des Gatten als auch Dritter allerdings ergibt, daß im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit zueinander nur die gegenseitigen Vorerbeneinsetzungen je zueinander und die Nacherbeneinsetzungen je zueinander sind, nicht aber die Einsetzungen der Ehegatten jeweils zu der Einsetzung des je anderen Endbedachten, braucht hingegen noch nicht einmal der Überlebende auszuschlagen, soweit derjenige endbedachte Dritte ausschlägt, den der Erstverstorbene bedacht hat, weil der Überlebende zugunsten eines anderen Dritten letztwillig verfügt hat; § 2271 II 1 HS 2 BGB ist insofern teleologisch zu reduzieren ist und analog auf den Fall der Ausschlagung des korrespektiv vom Erstverstorbenen endbedachten Dritten anzuwenden32. Folge für die korrespektive Verfügung des Erstverstorbenen: Unwirksamkeit nach § 2270 I BGB

Falls eine nach diesen Regeln beachtliche Ausschlagung vorliegt, entfällt eine weitere Bindung. Ist dies nicht der Fall, ist weiter zu prüfen: 5. Sind die Endbedachten so weggefallen, daß eine Lösung von der Bindung eintritt? Relevante Fälle sind der Tod des Bedachten (§§ 1923 I, 2160 BGB), die Ausschlagung der Zuwendung (§§ 1953 Abs. 1, 2180 III BGB), der Erbverzicht (§§ 2346 ff. BGB) und die Erbunwürdigkeit (§§ 2339 ff. BGB) sowie schließlich die Einschlägigkeit einer Pflichtteilsstrafklau29 30 31 32

Siehe Siehe Siehe Siehe

nur Soergel-Manfred Wolf, § 2271 Rn. 16. oben § 9 I 1 b. oben § 9 I 2 a. oben § 9 I 2 b bb.

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Kap. 5: Zusammenfassung zur testamentarischen Entbindung

sel33. Die Lösung von der Bindung hat nicht zur Voraussetzung, daß kein anderer an die Stelle des Bedachten gem. §§ 2069, 2096, 2190 BGB tritt oder die Zuwendung einem anderen gem. §§ 2094, 2158 BGB zuwächst34. Denn die Regelung etwa des § 2069 BGB sagt nur etwas hinsichtlich der Erbfolge, nicht aber hinsichtlich der einer etwaig auf diese Ersatzerbfolge bezogene Korrespektivität aus. Die Ermittlung der Korrespektivität hinsichtlich der Ersatzerbfolge richtet sich dabei richtigerweise nicht nach § 2270 II BGB, sondern nach § 2270 I BGB, es sei denn, der Ersatzerbe stünde dem anderen Teil tatsächlich im konkreten Falle nahe35. Folge für die korrespektive Verfügung des Erstverstorbenen: Sind die Endbedachten sämtlich weggefallen, ohne daß ein „korrespektiv eingesetzter Ersatz“ gegeben ist, scheidet eine Unwirksamkeit nach § 2270 I BGB aus.

Sind die Endbedachten nicht ersatzlos weggefallen und ist der Überlebende auch künftig gebunden, ist weiter zu prüfen: 6. Falls der Überlebende nur hinsichtlich eines Teils seines nicht vom Erstverstorbenen von Todes wegen erworbenen Vermögens neu zu testieren gedenkt, unterliegt dieser Teil der testamentarischen Bindung? Hier ist darauf zu achten, daß bei einigen Vermögensbestandteilen von vornherein eine testamentarische Bindung im Zweifel schon „tatbestandsmäßig“ nicht stattfindet. Dies ist einmal bei einem Vermögenszuwachs der Fall, welcher von dem Erstverstorbenen in der Regel nicht erwartet wird (etwa bei schenkweisen Zuwendungen an den überlebenden Teil) oder nicht erwartet werden kann (etwa bei einem durch Erbschaft nach dem Tode des Erstversterbenden erlangten Vermögenszuwachs des Überlebenden)36. Denn ein derartiger Vermögenszuwachs kann für die Todesverarbeitung des Erstversterbenden nicht relevant geworden sein. Der Überlebende wird daher im Zweifel zumindest ein Vermächtnis in Höhe des Vermögenszuwachses zugunsten bisher nicht bedachter Dritter aussetzen dürfen. Darüberhinaus ist zu berücksichtigen, daß eine Bedenkung kraft sittlicher Pflicht oder aus Anstand ebenfalls von vornherein nicht unter den Kreis des von der Bindungswirkung erfaßten Vermögens fällt37. Ein weiterer Teil des Eigenvermögens unterfällt im Falle der Wiederverheiratung nicht der testamentarischen Bindung. Der Überlebende 33 34 35 36 37

Dazu Dazu Dazu Dazu Dazu

oben § 9 II 1. oben § 9 II 1. oben § 9 II 2. siehe oben § 6 III 2 b. oben § 6 III 2 c.

§ 13 Das System der Lösung von der testamentarischen Bindung

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darf hinsichtlich eines Viertels seines eigenen Vermögens, von dem zuvor das vom Erstverstorbenen ererbte Vermögen abgerechnet worden ist, frei von Todes wegen verfügen, wenn er sich (i) wiederverheiratet, (ii) das Testament für diesen Fall keine ausdrückliche Regelung vorgesehen hat und falls (iii) er mit seinem neuen Gatten wiederum gemeinschaftlich korrespektiv testiert38. Schließlich fällt bei einer Wiederverheiratung mit Vorversterben des zweiten Gatten dessen Vermögen zwar oft wenigstens zum Teil in den Nachlaß des Überlebenden der ersten Ehe. Dennoch wird dieser Erwerb nicht von der testamentarischen Bindungswirkung im Grundsatz erfaßt; wegen der Details wird auf die obigen Überlegungen verwiesen39. Folge für die korrespektive Verfügung des Erstverstorbenen: Keine Unwirksamkeit nach § 2270 I BGB40.

Unterfällt das Vermögen, über das der Überlebende von Todes wegen verfügen möchte, nicht den soeben genannten Vermögensmassen, ist weiter zu prüfen: 7. Sind die Erwartungen enttäuscht worden, welche der Überlebende hinsichtlich der Entwicklung der Geschehnisse nach dem ersten Todesfall hegt und auf deren Eintritt der Testierwille aufbaute? Bei der Erwartungsenttäuschung sind mehrere Fälle zu unterscheiden. Einmal kann ein erheblicher Motivirrtum des Überlebenden kraft Enttäuschung positiven Wissens gegeben sein. Sodann kann ein erheblicher Motivirrtum kraft Enttäuschung sog. „selbstverständlicher Vorstellungen“41 einschlägig sein. Schließlich kann sich der Überlebende den Eintritt oder den Nichteintritt eines Umstands nur als wahrscheinlich vorgestellt und gleichwohl testiert haben. In diesen Fällen ist wie folgt zu entscheiden42: Lassen sich Erwartungsstörungen beobachten, kann das gemeinschaftliche Testament hierfür eine die Störung selbst regelnde Klausel vorgesehen haben, wobei diese Klausel dem Testament auch im Wege der ergänzenden Auslegung entnommen werden kann. Liegt eine derartige Klausel vor, regelt sich nach dieser die weitere Bewertung des Falls. Liegt eine derartige Klausel nicht vor, ist zu prüfen, 38

Dazu oben § 11 III 2. Oben § 11 II. 40 Hierzu siehe zum speziellen Fall der Wiederverheiratung oben § 11 III 2 c. 41 An diese Begrifflichkeit wird hier nur der Kürze halber angeknüpft, richtigerweise handelt es sich ja gerade nicht um „Vorstellungen“, siehe oben § 8 II 2, § 9 II 1 b. 42 Dazu oben § 8 II, § 9 III, § 11 IV. 39

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Kap. 5: Zusammenfassung zur testamentarischen Entbindung

ob eine ausdrückliche Freistellungsklausel vereinbart ist. Ist sie vereinbart und hat der überlebende Teil zu Lebzeiten von ihr keinen Gebrauch gemacht, obwohl er dies hätte tun können, ist nach seinem Tode eine Anfechtung nach § 2078 II BGB grundsätzlich nicht zulässig, da aus dem Unterlassen des Erblassers im Zweifel der Wille hervorgehen wird, die Verfügung solle trotz Erwartungsenttäuschung gelten. Ist eine ausdrückliche Freistellung nicht vereinbart, muß anhand der ergänzenden Auslegung untersucht werden, ob nicht dennoch eine Freistellungsklausel in das Testament eingefügt worden ist. Im Zweifel wird dies der Fall sein, wenn ein Anfechtungsgrund wegen Motivirrtums gegeben ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Anfechtung wegen des Fehlgehens positiver oder „selbstverständlicher“ Vorstellungen zulässig ist. Bei der Freistellung wird man schließlich nicht davon ausgehen können, daß für sie die Formen und Fristen der Testamentsanfechtung gelten, bei der die §§ 2282 f. BGB analog greifen43. Im Ergebnis kommt es also grundsätzlich zu einem Vorrang der Freistellung vor der Anfechtung. Dies entspricht allgemeinen Regeln, da die Freistellung Frucht der Auslegung ist, die wiederum der Anfechtung vorgeht. Die Selbstanfechtung wegen Motivirrtums kommt nach all dem nur in Betracht, wenn der überlebende Teil hinsichtlich der Regulierung der Erwartungsstörung den anfechtungsrechtlichen Formund Fristregelungen unterworfen sein soll. Hierbei ist zu beachten, daß die Anfechtungsfrist erst beginnt, wenn der Überlebende Kenntnis von seiner Anfechtungsberechtigung hat44. Nach dem Tode des Längstlebenden ist hingegen die Anfechtung grundsätzlich trotz Freistellung nicht ausgeschlossen, es sei denn, der Überlebende hatte positive Kenntnis von seiner Freistellung (was bei einer im Wege der ergänzenden Testamentsauslegung ermittelten Freistellungsklausel durchweg nicht der Fall sein wird) und testierte gleichwohl nicht neu. Der Freistellung kommt gegenüber der Anfechtung dann ein eigenes Gewicht zu, wenn diese nicht zulässig wäre. Dies ist in der Regel bei den eingangs genannten Gestaltungen der Fall, bei denen der Eintritt oder der Nichteintritt eines Umstands nur als wahrscheinlich vorgestellt und gleichwohl testiert wurde45. Folgen für die korrespektive Verfügung des Erstverstorbenen: Die Folgen sind verschieden je nachdem, auf welchen Umstand die Lösung des Überlebenden von der testamentarischen Bindung beruht. Liegt eine ausdrückliche Freistellungsklausel vor, ist im Zweifel die Wechselbezüglichkeit der Verfü-

43 44 45

Dazu siehe § 8 II 1. Dazu oben § 9 III 1 b. Dazu oben § 8 II 1.

§ 13 Das System der Lösung von der testamentarischen Bindung

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gungen nicht gewollt, soweit die Freistellung reicht; eine Unwirksamkeit nach § 2270 I BGB scheidet dann aus46. Ist die Freistellung im Wege der ergänzenden Auslegung ermittelt worden oder findet die Anfechtung statt, verbleibt es hingegen bei der Unwirksamkeitsfolge des § 2270 I BGB47.

Ist keine Freistellung verfügt und kann der Überlebende anfechten, will er aber nicht anfechten, ist weiter zu prüfen: 8. Steht dem Überlebenden die condictio ob rem zur Seite? Unter gewissen, zumeist mit der Anfechtungsberechtigung parallel laufenden Umständen kann der Überlebende von den korrespektiv Endbedachten verlangen, daß diese einer erneuten Verfügung von Todes wegen, die ihre Erberwartungen beeinträchtigt, per Zuwendungsverzicht zustimmen. Voraussetzung ist immer eine Verständigung der Ehegatten, daß die Bedenkung des Dritten einem bestimmten Zweck (etwa der Versorgung des überlebenden Teils) dient und daß der Dritte hiervon Kenntnis hat und den Ehegatten nicht zu erkennen gibt, daß er nicht gewillt ist, dem Zweck nachzukommen48. Die Vorteile, die die condictio gegenüber der Anfechtung eröffnen, sind relativ marginal. Sie bestehen in dem Ersparnis von Beurkundungskosten und gewissen verfahrensrechtlichen Beweisvorteilen49 Folgen für die korrespektive Verfügung des Erstverstorbenen: War den Ehegatten an der Erreichung des gemeinschaftlich verfolgten Zwecks aus Gründen des Schutzes des Überlebenden gelegen, wird die korrespektive Verfügung des Erstversterbenden im Zweifel nicht gem. § 2270 I BGB unwirksam sein. Regelmäßig wird hier aber zu fragen sein, ob überhaupt eine Korrespektivität gegeben ist50.

Greift die condictio nicht oder will der Überlebende sie nicht geltend machen, ist weiter zu prüfen: 9. Kommt eine Lösung von der testamentarischen Bindung ausnahmsweise kraft Wertungsvergleichs mit der Sittenwidrigkeit von Rechtsgeschäften in Betracht? Dies ist um der Vermeidung eines Wertungswiderspruchs willen der Fall, wenn die weitere Bindung entsprechend den sittenwidrigkeitsrechtlichen Grundsätzen hinsichtlich der Bewertung erbrechtlicher Potestativbedingungen für den Überlebenden nicht nur schwer durchzuhalten, sondern geradezu untragbar wird51. 46 47 48 49 50

Dazu oben § 8 III 1. Dazu oben § 8 III 2, § 11 IV 4 a. Siehe oben § 10 I. Dazu oben § 10 I 5. Dazu siehe unten § 18 III 3.

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Kap. 5: Zusammenfassung zur testamentarischen Entbindung Folgen für die korrespektive Verfügung des Erstverstorbenen: Hat die Abwägung ergeben, daß der Überlebende ganz oder teilweise von seiner testamentarischen Bindung befreit ist, und testiert er im Ausmaß der Befreiung abweichend vom gemeinschaftlichen Testament erneut, werden die korrespektiven Verfügungen des Erstverstorbenen nicht gem. § 2270 I BGB unwirksam sein52.

10. Was gilt nun? Greift auch die zuletzt beschriebene Möglichkeit nicht, dem Überlebenden seine Testierfreiheit wieder zu verschaffen, bleibt er testamentarisch gem. § 2271 II 1 BGB gebunden. 2. Entbindung als Persönlichkeitsschutz

Die Diskussion hat mithin gezeigt, daß ein zehnstufiges Schema einschlägig ist, mit dessen Hilfe im jeweiligen Einzelfall ermittelt werden kann, ob der überlebende Teil seine Testierfreiheit wiedergewinnen kann. Insbesondere das Fristproblem der Anfechtung, welches erst jüngst wieder als eines der Hauptschwierigkeiten bei den Entbindungstatbeständen des gemeinschaftlichen Testaments identifiziert worden ist53, wird bei der hier vorgeschlagenen Lösung über Freistellungsklauseln erheblich entschärft. Das Gesamtspektrum des Instrumentariums zur Lösung von der testamentarischen Bindung zeigt, daß das Gesetz es sich nicht leicht gemacht hat, die Testierfreiheit einer Rechtsperson zu binden, steht doch immerhin auf dem Spiel, daß sie ihr „Sein zum Tode“ nicht mehr ausprägen und der Sozietät als Ausdruck ihres ureigenen Selbst von Todes wegen adressieren kann. Auch in der Entbindung von Bindung scheint demnach dasjenige auf, welches den Kern der Testierfreiheit ausmacht: der Schutz der Persönlichkeit des Testierenden.

51 52 53

Dazu oben § 10 II 2. Dazu siehe oben § 10 II 3. Bei Ritter, Konflikt, 76, 127 und öfters.

Abschnitt 2

Der Schutz sonstiger personaler Rechte des überlebenden Ehegatten Kapitel 6

Personaler Ehegattenschutz und personfunktionales Erbrecht Es ist ein Gemeinplatz, daß der Erblasser in seinem Testament Verfügungen vorsehen kann, die sich bei näherer Prüfung als sittenwidrig herausstellen. Kein Gemeinplatz ist hingegen, wann dies der Fall ist. Die Relevanz dieser Frage gerade für den Schutz des überlebenden Ehegatten liegt auf der Hand, ist doch die Sittenwidrigkeitsklausel neben dem erbrechtlichen Typenzwang und dem Pflichtteilsrecht eine der greifbarsten und einschneidendsten Beschränkungen erbrechtlicher Willkür. § 138 I BGB bietet oftmals den letzten Ausweg, personale Rechte des überlebenden Teils dort gegen eine überbordende, den längstlebenden Gatten gleichsam überwältigende Entfaltung des erblasserischen „Seins zum Tode“ ins Feld zu führen, wo andere erbrechtliche Instrumente versagen. Indes scheint gerade für ein Erbrecht, welches die Testierfreiheit als Ausprägung personaler Rechte des Erblassers focusiert, eine über § 138 I BGB ins Werk gesetzte Beschränkung erbrechtlicher Willkür ein normativer Affront sondergleichen zu sein. Dieser vermeintliche Schein einer kaum hinnehmbaren Brüskierung erbrechtlicher privatautonomer Entfaltung kann freilich wiederlegt werden, damit eine Wertungswidersprüchlichkeit eines Rechts vermieden wird, welches nun einmal die Sittenwidrigkeitsprüfung letztwilliger Verfügungen kennt. Diese beiden Aspekte – also das Verhältnis zwischen der personfunktional verstandenen Testierfreiheit und der Sittenwidrigkeitsklausel auf der einen und zwischen den Rechten des überlebenden Teils und der Testierfreiheit des Erblassers auf der anderen Seite – stecken deshalb den Rahmen der nun folgenden Erörterungen ab. Zunächst wird kurz skizziert werden, was Sittenwidrigkeit noch bedeuten kann, wenn das gewillkürte Erbrecht personfunktional gedeutet wird (dazu § 14). In einem zweiten Teil wird sodann überlegt werden müssen, wie sich der Überlebende gegen eine letztwillige Verfügung seines vorverstorbenen Gatten zur Wehr setzen kann, wenn er meint, dieser habe dasjenige Maß an personaler Achtung missen

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Kap. 6: Personaler Ehegattenschutz und personfunktionales Erbrecht

lassen, welches Rechtspersonen gemeinhin untereinander rechtlich schulden und nicht nur nach den tradierten Sitten und Gebräuchen der Sozietät einander angedeihen lassen sollten (dazu § 15).

§ 14 Sittenwidrigkeit und personfunktionales Erbrecht I. Streitstand Was unter den Begriff der Guten Sitten im Rahmen des § 138 I BGB zu verstehen ist, ist verschieden beantwortet worden. Vornehmlich drei Ansätze lassen sich unterscheiden. Nach weitaus herrschender Ansicht – erster Ansatz – gewinnen über das Sittengebot des § 138 I BGB außerrechtliche Normen juristische Relevanz, indem die Guten Sitten an die herrschende Rechts- und Sozialmoral gekoppelt wird. Damit werden diejenigen gesellschaftlichen Verhaltenserwartungen für die Anwendung des § 138 BGB fruchtbar gemacht, die durch Eingewöhnung und ganz überwiegende Anerkennung Gültigkeit in der Gesellschaft erlangt haben und die durch die normativ gewordene Übung des Gruppenverhaltens stabilisiert sind1. Die Rechtsprechung greift dabei zunehmend auf eine sorgfältige rechtliche Analyse der Einzelfälle mit rechtlichen Argumenten zurück. Rechtsprinzipien verfassungsrechtlicher und einfachgesetzlicher Art, dogmatische Argumente, policy-Erwägungen, Folgen- und Normbereichsanalysen in die notwendige rechtliche Wertung, Interessenabwägung und Fallgruppenbildung werden für die Sittenwidrigkeitsprüfung fruchtbar gemacht2. Werden im Einzelfall doch einmal außerrechtliche Verhaltensnormen herangezogen, werden diese einer innerrechtlichen Rezeptionskontrolle unterworfen3; die Sittenwidrigkeitsklausel verweist dann nur auf diejenigen Normen der Sozialmoral, die aus der Sicht des Rechts verbindlich sein sollen4. Alles in allem verschwindet also zwar mehr und mehr die Bedeutung außerrechtlicher Sollensordnungen in der Dogmatik des § 138 I BGB. Zugleich wird aber explizit auch weiterhin darauf bestanden, daß auf den Rekurs auf außergesetzliche Rechtsüberzeugungen nicht verzichtet werden könne5. 1 Statt vieler Henkel, Rechtsphilosophie, 133 ff.; Soergel-Hefermehl, § 138 Rn. 9; Larenz, JurJb 7 (1966/67), 98 (106 ff.). 2 Vgl. nur Soergel-Hefermehl, § 138 Rn. 8; MünchKomm-Mayer-Maly, § 138 Rn. 11; Staud-Sack, § 138 Rn. 39 ff.; Bydlinski, in: Rechtsdogmatik und praktische Vernunft, 189 (203 f.). 3 BGHZ 67, 48 (51 ff.); Teubner, Generalklauseln, 90 ff. (modifiziert später in ders., in: Bedürfnisse, Werte und Normen im Wandel, 87 (90 ff.)); Soergel-Hefermehl, § 138 Rn. 9; Sack, NJW 1985, 761 (768); H.Dreier, Universitas 1993, 247 (253 ff.). 4 Sack, NJW 1985, 761 (768); AK-Damm, § 138 Rn. 11.

§ 14 Sittenwidrigkeit und personfunktionales Erbrecht

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Nach der ganz herrschenden Meinung bleibt also das Recht weiterhin für den Einbezug außerrechtlicher Sollensordnungen bei aller Betonung der juristischen Kontrolle dieses Einbezugs zumindest der theoretischen Grundlegung nach klar und deutlich offen. Begreift der erste Ansatz die Gute-Sitten-Klausel als Transformationsriemen für gesellschaftliche Sollensordungen (von sozialen Moralen) in das Recht, steht dem diametral gegenüber der zweite Ansatz. Dieser Ansatz begreift § 138 I BGB als Verweisungsnorm auf ungeschriebene Verbotsgesetze (und § 134 BGB entsprechend als Verweisungsnorm auf ausdrückliche gesetzliche Verbote), die mit außerrechtlichen Sollensordnungen nichts zu schaffen haben6. Anders gesagt: § 138 I BGB verweist nach diesem zuletzt genannten Ansatz nicht mehr auf die herrschenden Wertvorstellungen der Sozietät (und „herrschend“ heißt: notwendigerweise Wertvorstellungen, die nicht allen Bürgern gemein sind), sondern ausschließlich auf die Allgemeinheit des Rechts (und „allgemein“ heißt: der Normenkomplex, der allen Bürgern gemein ist). Der Inhalt des § 138 I BGB soll im weiteren dann aus dem Sinn oder dem Zusammenhang der Rechtsordnung ohne Verweis auf eine außerrechtliche Sozialmoral gewonnen werden. Paradigmatisch für einen Mittelweg zwischen den beiden zuvor skizzierten Vorschlägen steht der dritte Ansatz. Danach muß der Begriff der guten Sitten zum einen als „ordre public“ übersetzt und als rechtlicher Zusammenhang von positivem Gesetzesrecht, richterlichem Fallrecht und grundgesetzlichen Wertungen, also als Zusammenhang allgemeiner Rechtsprinzipien begriffen werden. Soweit aber die Bereiche des Intimlebens, der Familie und der Sexualität in Rede stehen, müsse eine sitten- und moralbezogene Bewertung unter Bezugnahme auf die Vorstellungen der Sozietät erlaubt sein7. Je nach Lebensbereich schlägt der dritte Ansatz mithin entweder eine rein innerrechtliche Beurteilung oder eine auch außerrechtliche Bezugnahme auf Sozialmoralen vor.

5 Vgl. bsp. Staud-Sack, § 138 Rn. 45; Bydlinski, in: Rechtsdogmatik und praktische Vernunft, 189 (208). 6 So Pawlowski, Allgemeiner Teil, Rn. 498 b; ders., Methodenlehre, Rn. 189; ders., Rechtswissenschaft, 117 ff.; ders., ARSP 1964, 503 (513); Smid, NJW 1990, 409 (413); Kraft, FS Bartholomeyczik, 223 (234); Windel, Der Staat 1998, 385 (407 f.); Staud-Sack, § 138 Rn. 26. Vgl. auch AK-Damm, § 138 Rn. 26, 56; ders., JZ 1986, 913 134 Rn. 22. (918 f.). Gernhuber führt einerseits in FamRZ 1960, 326 (335) ausdrücklich aus, § 138 BGB sei „nichts anderes als ein Anwendungsfall des § 134 BGB“ und versteht andererseits in ebda., 333, die Gute-Sitten-Klausel als eine Norm, „die eine gelebte Sittenordnug beruft“. 7 So Simitis, Gute Sitten und ordre public, 166 ff., 175 ff., 180 ff., 195 f. Vgl. dazu auch Esser/Stein, Werte und Wertewandel, 35 ff.; Wiethölter, Rechtswissenschaft, 197.

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Kap. 6: Personaler Ehegattenschutz und personfunktionales Erbrecht

II. Gute Sitten und Testierfreiheit Andernorts8 konnte gezeigt werden, daß § 138 I BGB nicht als eine Norm verstanden werden darf, die auf außerrechtliche Sollensordnungen der „billig und gerecht Denkenden“ verweist, wenn die Sittenwidrigkeit von Verfügungen von Todes wegen in Rede steht. Die Einsicht, § 138 I BGB rezipiere nicht soziale Moralen, fußt u. a. auf verfassungsrechtlichen Wertungen in einem weltanschaulich neutralen Staat9 und sodann auf der grundlegenden Entscheidung des Gesetzes, die Testierfreiheit personfunktional auszurichten10. Es ist danach ausgeschlossen, in der Sozietät tradierte und herrschende Wertungen für die Beurteilung einer Verfügung von Todes wegen heranzuziehen. Folge der personfunktionalen Gründung des gewillkürten Erbrechts ist zudem, daß bei der Sittenwidrigkeitsprüfung die Motivation des Erblassers (in anderer Diktion: dessen Gesinnung) nicht als Argument verwendet werden darf zudem, die Sittenwidrigkeit einer Verfügung von Todes wegen zu bejahen – auch dies konnte an anderer Stelle ausführlich geklärt werden11. Eine Ausnahme von der Irrelevanz der erblasserischen Gesinnung für das Sittenwidrigkeitsverdikt besteht allein dann, wenn die erblasserische Motivation auf eine Beeinträchtigung der Menschenwürde irgendeiner Rechtsperson oder auf eine Diskriminierung aus Gründen der Rasse gerichtet ist12.

§ 15 Der Schutz personaler Rechte des Überlebenden Das Ergebnis der bisherigen Überlegungen sei nochmals notiert: § 138 I BGB muß als eine Vorschrift begriffen werden, die zumindest hinsichtlich der Beurteilung der Verfügungen von Todes wegen nicht auf die herrschende Sozialmoral verweist. Ist dem so, gewinnen notwendigerweise diejenigen Normbestände innerhalb der Dogmatik des § 138 I BGB erheblich an Gewicht, die zumeist als die „der Rechtsordnung selbst immanenten ethischen Prinzipien und Wertmaßstäbe“13 bezeichnet werden, nämlich vor allem die Grundrechte Dritter. Im Folgenden gilt es deshalb kurz aufzuzeigen, wie Grundrechte konstruktiv Einfluß im Rahmen des § 138 I BGB gewinnen (dazu § 15 I 1). Sodann muß untersucht werden, welche Eingriffsintensität ein Rechtsgeschäft auf Grundrechte Dritter aufweisen muß, um es 8

Siehe ausführlich Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 12. Dazu Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 12 III. 10 Dazu Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 12 IV. 11 Siehe Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 12 IV. 12 Dazu unten § 15 II 2 c dd. 13 Zitat bei Larenz/Wolf, AllgT, § 41 Rn. 18. Ähnliche Umschreibungen finden sich in großer Zahl andernorts. 9

§ 15 Der Schutz personaler Rechte des Überlebenden

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als sittenwidrig beurteilen zu können (dazu unten § 15 I 2). Schließlich muß geklärt werden, wie es um die Sittenwidrigkeitsprüfung von Verfügungen von Todes wegen bestellt ist (dazu § 15 II). I. Grundrechte Dritter und Sittenwidrigkeit: Allgemeines 1. Das Konstruktionsproblem: Die Art der Einwirkung der Grundrechte

a) Problemstand Heute besteht sowohl bei denjenigen, die § 138 BGB an außerrechtliche Maßstäbe anbinden als auch bei denjenigen, die § 138 BGB allein mit dem objektiven Recht verknüpfen, Einigkeit, daß die Grundrechte des Grundgesetzes im Rahmen des § 138 I BGB Anwendung finden. Der ehedem mit großem Aufwand geführte Streit um die unmittelbare oder mittelbare Grundrechtswirkung wird weithin nur noch ein eher einer historischen Reminiszenz vergleichbares Randproblem heutiger Grundrechtsdogmatik angesehen14; nicht zu Unrecht ist von einer „beispiellosen Akzeptanz“ der Lehre von der mittelbaren Grundrechtswirkung gesprochen worden15. Auch die dogmatische Konstruktion grundrechtlicher Drittwirkung ist mittlerweile mit dankenswerter Klarheit herausgearbeitet worden: Um die Grundrechte, die als staatliche Abwehrrechte zuerst einmal nur an den Staat adressiert sind, innerhalb des § 138 I BGB überhaupt anwenden zu können, müssen sie von ihrem jeweiligen personalen Träger gelöst werden16. Hierzu liegen inzwischen zwei Begründungsstränge vor, von denen der ältere (Grundrechte als Werte) mittlerweile in Form einer Prinzipientheorie von unhaltbaren Annahmen gereinigt worden ist und der jüngere (Grundrechte als Schutzgebote) sich mehr und mehr als der zukunftsträchtigere Ansatz erweisen dürfte. Nach diesem jüngeren Ansatz17 wird die Einflußnahme der 14 So auch die Einschätzung bei Böckenförde, Der Staat 1990, 1 (10); Oeter, AöR 119 (1994), 529 (530); Pietzcker, FS Dürig, 345 (347 ff.); MünchKomm-Säcker, Einl., Rn. 55 f. Anders bsp. Hager, JZ 1994, 373 (374 und öfters), dazu Canaris, Grundrechte und Privatrecht, 35, 45 ff. Vgl. zur unmittelbaren und mittelbaren Grundrechtswirkung im übrigen nur Alexy, Theorie der Grundrechte, 480 ff. 15 Bei Zöllner, AcP 196 (1996), 1 (7). 16 Dazu nur Alexy, Der Staat 1990, 49 ff. 17 Siehe Canaris, AcP 184 (1984), 201 (228 f.); ders., JuS 1989, 161 (162); ders., Grundrechte und Privatrecht, 23 ff., 32 ff., 37 ff.; Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1560, 1572 ff.; Rüfner, in: Hdb. des Staatsrecht, Bd. V, § 117 Rn. 54 ff.; Jarass, AöR 110 (1985), 363 (369, 378 ff.); Pietzcker, FS Dürig, 345 (349 ff.); Enderlein, Rechtspaternalismus, 171 f.; Floren, Grundrechtsdogmatik im Vertragsrecht, 37 ff.; Hermes, Grundrecht auf Schutz, 49 ff.; Höfling, Vertragsfreiheit, 48 ff.; Oeter, AöR 119 (1994), 529 (535 ff., 549 ff.); Ricardi, FS Schwarz, 781 (786 ff.); im Kontext der ökonomischen Analyse Eidenmüller, Effiziens als Rechtsprinzip, 481 ff. Kri-

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Grundrechte im Privatrecht zunehmend über die Verbindung verschiedener Grundrechtsfunktionen bewältigt: Soweit die Normen des Privatrechts an den Grundrechten gemessen werden, wirken Grundrechte in ihrer klassischen Funktion als Eingriffsverbote und Abwehrrechte (Grundrechte als Interventionsverbote); soweit dagegen privatautonome Akte von Rechtssubjekten auf ihre Vereinbarkeit mit Grundrechten untersucht werden, ist deren Funktion als Schutzgebot einschlägig: dem Staat wird nach der Maßgabe eines freilich einen weiten Gestaltungsspielraum18 umfassenden Verbots eines verfassungswidrigen Schutzdefizits (Untermaßverbot) die Pflicht angesonnen, den Grundrechtsträger vor Verletzungen durch andere Bürger zu schützen (Grundrechte als Interventionsgebote)19. Dieser Schutz besteht in der Abgrenzung der Sphären gleichgeordneter Rechtssubjekte20 sowie der Durchsetzung dieser Abgrenzung und wird neben dem ganzen Komplex privatrechtlicher Normen gerade auch durch die Einflußnahme der Grundrechte auf Rechtsgeschäfte über die Guten-Sitten-Klausel gewährleistet21. b) Die Schwierigkeiten eines grundrechtlichen Wertedenkens Dieser Rekurs auf grundrechtliche Schutzpflichten ist jüngeren Datums. Anfangs wurde eher der Weg über die seit Rudolf Smend häufig bemühte Konstruktion der Grundrechte als Werte oder gar Grundwerte gesellschaftlicher oder rechtlicher Art22 – wohl möglich noch in einem materialisierten tisch gegenüber einer verschieden ausgeprägten Wirkungsweise der abwehrrechtlichen und der schutzpflichtbezogenen Grundrechtsdimensionen Hagen, JZ 1994, 373 (378 ff., 381 ff.). 18 Dazu nur Alexy, Theorie der Grundrechte, 421 ff.; Rüfner, in: Hb. des Staatsrechts, Bd. V, § 117 Rn. 75; Oeter, AöR 119 (1994), 529 (549 ff.). Zum Problemkreis Gestaltungsspielraum – grundrechtliche Abwehrfunktion – Schutzgebot vgl. Alexy, ebda., 427 f.; Hager, JZ 1994, 373 (381 ff.); Pietzcker, FS Dürig, 345 (358 ff.). 19 Die dogmatische Einordnung der Schutzpflichtfunktion ist dabei höchst unterschiedlich und reicht über die Zuordnung zur Teilhabe- oder Leistungsdimension der Grundrechte bis zu ihrer Konzeptualisierung als Ausdruck der grundrechtlichen Abwehrfunktion. Der herrschende Begründungsansatz rekurriert auf Art. 1 III GG. Vgl. dazu umfassend Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1560 f., 1572 ff.; Rüfner, in: Hdb. des Staatsrecht, Bd. V, § 117 Rn. Rn. 50 ff. Selbstverständlich fehlen auch nicht kritische Stimmen, vgl. bsp. nur Preu, JZ 1991, 265 ff. 20 Alexy, Theorie der Grundrechte, 410. 21 Kategorisch ablehnend gegenüber der Annahme von staatlichen Schutzpflichten demgegenüber Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 213 ff., der das Dreieck aus den rechtlichen Beziehungen zwischen den Bürgern und zwischen diesen und dem Staat auflösen und durch eine Rekonstruktion der Eingriffsperspektive ersetzen will. Dazu vgl. nur Alexy, Theorie der Grundrechte, 416 ff., 482 f.; Höfling, Vertragsfreiheit, 50 ff.; Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1550 ff., 1562; Canaris, AcP 184 (1984), 201 (217 ff.).

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phänomenologisch-ontologischen Verständnis23 – beschritten, die dann im Privatrecht vornehmlich24 über die Generalklauseln Einfluß gewinnen. Mit dem Instrument einer „objektiven Wertordnung“ wird gleichsam versucht, durch eine „staatlich verwaltete Hochethik“ die „internen Zerfallsbedrohungen einer demokratischen Republik dadurch zu bannen, daß der Staat als gegenüber der Gesellschaft relativ autonomer Träger von Werten etabliert wird“25. Ob eine derartige, hier und da als „Zivilreligion“26 bezeichnete Vorstellung staatstheoretisch überzeugt, ist Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen27 – was hier nicht näher interessiert, da die Voraussetzungen staatlicher Integration für die Erkenntniszwecke dieser Untersuchung nicht weiter relevant sind. Gewichtiger ist die Frage, ob mit dem auf eine objektive Werteordnung gestützten Drittwirkungsverständnis nicht Gefahren verbunden sind, die es letztlich untragbar machen. Nun stehen in der Tat dem grundrechtlichen Werteverständnis gewichtige Kritikpunkte28 gegenüber, die die Überzeugungskraft des Werteansatzes empfindlich schwächen: Ein Wertverständnis des Rechts führt tendenziell zur Relativierung grundrechtlicher Freiheit, wenn der werttheoretisch immanenten Logik des Auf- und Abwertens mit ihrer unausgewiesenen Einflußnahme des geistig-kulturellen Wertbewußtseins der jeweiligen Zeit, der Differenzierungslogik zwischen wertverwirklichendem und wertgefährdendem Freiheitsgebrauch und der Durchsetzungslogik vermeintlich höherer Werte auf Kosten rangniedriger nicht entgegengetreten wird29 – die Arbeit mit ontologisch begriffenen Werten mündet mithin zwangsläufig in Werthierarchien bsp. nach Art der phänomenologischen Wertethik oder in Zweck-Mittel-Schemata30. Diese dem Wertevoka22 Paradigmatisch Rüthers, Rechtsordnung und Wertordnung, 22: Jede Rechtsnorm sei Ausdruck eines Werturteils, das Recht insgesamt die „normative Verfestigung bestimmter Wertmaßstäbe“, vgl. auch Isensee, NJW 1977, 545 ff. 23 Wie dies bsp. bei Zippelius, Das Wesen des Rechts, 96 ff., der Fall ist. Allgemein zum Begriff des Werts vgl. nur Alexy, Theorie der Grundrechte, 127 ff.; Pawlowski, FS Duden, 349 (350 ff.). 24 Für andere Einbruchstellen vgl. Rüfner, in: Hdb. des Staatsrechts, Bd. V, § 117 Rn. 73; Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1557 f., 1584 f.; Hager, JZ 1994, 373 (376); Canaris, AcP 184 (1984), 201 (223 ff.). Für die Einflußnahme allein über Generalklauseln votiert demgegenüber bsp. Mikat, FS Nipperdey, Bd. 1, 581 (587); Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 356; Flume, AllgT II, § 1, 10 b. 25 Frankenberg, Die Verfassung der Republik, 146, dort beide Zitate. 26 Frankenberg, Die Verfassung der Republik, 144; Luhmann, in: ders., Soziologische Aufklärung, Bd. 3, 293. 27 Siehe aus der überbordenden Literatur hier nur Frankenberg, Die Verfassung der Republik, 144 ff. 28 Vgl. dazu nur den Überblick bei Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 912 ff., 1557. 29 All dies ist plakativ von Carl Schmitt im Anschluß an einen von Nicolai Hartmann geprägten Begriff als „Tyrannei der Werte“ beschrieben worden ist.

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bular gleichsam inhärenten Schwächen sind freilich nach dem Umbau der axiologischen Wertetheorie, welche von nicht nachvollziehbaren Prämissen ausgeht31, in eine deontologische Prinzipientheorie32 abgeschwächt worden33. Unter Prinzipien waltet nicht jene Eigenlogik des Wertedenkens, welche tendenziell freiheitszerstörend wirken kann. Die Prinzipientheorie bemüht nicht den dunklen Topos von Werten oder Grundwerten, sondern ist in eine Theorie des argumentativen Auseinandersetzung eingebettet34 und macht sich damit in der Arbeit am Prinzip eine argumentative Rationalität zu eigen, die bei einem axiologischen Werteverständnis mit der ihm eigenen Wertelogik höchstens affirmativ, meist jedoch nur unter der Gefahr verdeckter Wertung erreicht werden kann35. Mag auch die Prinzipientheorie mit der Wertetheorie der Grundrechte strukturell übereinstimmen36, so unterscheiden sie sich deswegen doch erheblich37. Für diejenigen, die überhaupt einem Denken auch in Prinzipien kritisch gegenüber stehen, mag freilich auch all dies noch zu viel sein. So wenden bsp. Pawlowski und Smid kritisch gegen ein Wertedenken ein38, mit diesem 30 Luhmann, Zweckbegriff und Systemrationalität, 37; ders., Soziale Systeme, 433 f. 31 Dazu nur Alexy, Theorie der Grundrechte, 134 ff. Eine sehr schöne Übersicht zu den Problemen einer jeden Rede von „Werten“ findet sich bei Lenk, Von Deutungen zu Wertungen, 161 ff. 32 Wie dies bei Alexy, Theorie der Grundrechte, passim, geschieht. Dazu nur Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 914 ff. 33 Ähnlich Seelmann, Rechtsphilosophie, § 5 Rn. 6. 34 Dazu nur Alexy, Theorie der Grundrechte, 493 ff. Gerade dies wurde stellenweise auch kritisch angesehen, siehe etwa jüngst Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, 214 ff., 229 ff, mit dem Vorwurf, der Sache nach verbleibe es auch bei der Prinzipientheorie bei einem Wertedenken. 35 Vgl. kritisch zu einem Werteverständnis im Recht nur die Beiträge von Wagner, in: Rechtsstaat und Christentum, Bd. 1, 63 ff.; Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, 129 ff.; Ryffel, Rechtsphilosophie, 362 ff.; Goerlich, Wertordnung und Grundgesetz, 1973. 36 Siehe Alexy, Der Staat 1990, 49 (55). Aus diesem Grunde schätzt Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, 17, 26, ein Werte- und ein Prinzipienkonzept weithin für äquivalent ein, ähnlich Somek, Rechtssystem und Republik, 211 Fn. 373; Windel, Der Staat 1998, 385 (389). 37 Siehe auch Seelmann, Rechtsphilosophie, § 5 Rn. 6. Die ausufernde rechtstheoretische Diskussion um den Stellenwert und die Struktur von Rechtsprinzipien kann und braucht hier nicht näher aufgegriffen zu werden, siehe daher nur grundlegend Sieckmann, Regelmodelle und Prinzipienmodelle des Rechtssystems, 1990; Günther, Der Sinn für Angemessenheit, 269 ff., 299 ff., 335 ff.; Somek, Rechtssystem und Repubik, 206 ff.; sowie jüngst Martin Borowski, Grundrechte als Prinzipien, 1998; Nils Jansen, Die Struktur der Gerechtigkeit, 75 ff. 38 Vgl. Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 850 ff.; ders., ARSP 1996, 26 (29 ff.); ders., Der Staat 1989, 353 (364 ff.); ders., in: Die praktische Philosophie Schellings, 13 (24 ff.); ders., FS Wildenmann, 172 (178 ff.); Smid, Rechtsphilosophie,

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würde der – wie sie es nennen – Staat der Glaubensfreiheit negiert und das autonome Individuum nicht mehr als Selbstgesetzgeber begriffen, sondern als Objekt eines staatlichen Schutzes als Wert verortet, der der Abwägung unterläge. Die Berufung auf Grundwerte löse unter diesem Blickwinkel „die Autonomie der Moral der Bürger auf, deren Herstellung ein Verdienst Kantischer Aufklärung war“39 – ein Einwand, der in seiner grundlegenden Stoßrichtung selbstverständlich auch gegen ein Prinzipiendenken in Anschlag gebracht werden kann. Der Vorwurf lautet dann in etwas pointierter Fassung, daß das Prinzipiendenken das kantische Projekt der in öffentlicher Aufklärung und Deliberation wurzelnden Republik und die hierin eingeschlossene Vorstellung einer allgemein konsentierten abstrakt-generellen Abgrenzung der Freiheitssphären der Bürger hintertreibe40, indem es zur Abwägung im Einzelfall verführe. Doch was ist das alternative Theorienangebot, welches als Ersatz für ein Prinzipiendenken angesonnen wird? Es ist dies der Verweis auf ein institutionelles Rechtsverständnis, im Spiegel dessen die Wirklichkeit der Freiheit im Recht beschrieben werden soll41. Überzeugend ist ein derartiger Verweis trotz des dahinter hervorscheinenden Impetus, die gesellschaftlichen Institutionen im Sinne des Prinzips der Freiheit und der Idee immanenter Vernünftigkeit durchgestaltet zu wissen, freilich nicht. Denn Institutionen sind nichts anderes als „geronnene Prinzipienabwägungen“, die nur deshalb als verfestigt gedacht werden können, weil sie von dem stillgestellten Meta-Sprachspiel einer rigiden Rechtsprechungsmacht als hintergründig gesichert dargestellt werden. Worin bei dieser Rechtsprechungsmacht der Vorteil hinsichtlich des Gebots der Gleichbehandlung der Bürger, welches hinter dem Verdikt gegen ein Prinzipiendenken aufscheint, zu sehen sein soll, wird nicht ganz klar42. Dies gilt vor allem, wenn bedacht wird, daß richtigerweise im Zivilprozeß der Richter mit den Parteien das Rechtsgespräch darüber zu suchen hat, wie die Normen des objektiven Rechts sinnvollerweise in der Situation seiner Anwendung im konkreten Prozeß zu verstehen sind43. Auch der hintergründige Sicherungscharakter von Institutionen geht nicht so weit, daß die interne Verschleifung von genereller Norm und konkreter Anwendung im Prozeß 51 ff., 125; ders., Der Staat 1985, 3 (6 ff.); siehe auch Windel, Der Staat 1998, 385 (407 f.). 39 Smid, Der Staat 1985, 3 (7). 40 Zu diesem Projekt siehe kurz oben § 1 sowie Goebel, ARSP 2003, 372 (373 ff., 384 f.); ders., Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 1 II 2. 41 Dazu nur Smid, Rechtsphilosophie, 179 ff.; ders., NJW 1990, 409 (415) mit dem Rekurs auf Recht als Institutionenordnung. 42 Die Kritik an Pawlowski und Smid kann an dieser Stelle nicht näher ausgeführt werden, siehe deshalb nur Goebel, Rechtsgespräch und kreativer Dissens, 105 ff., 135 ff., 150 ff. 43 Dazu umfassend Goebel, Rechtsgespräch und kreativer Dissens, passim.

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entfallen könnte, welche bei einer jeden prozessualen Situation zu beobachten ist, in der abstrakt-generelle Normen angewendet werden müssen44. Dem Prinzipienansatz sollte deshalb trotz aller Kritik letztlich gefolgt werden. Grundrechtliche Prinzipien wirken dann sowohl im Rahmen zivilrechtlicher Gesetzgebung und Rechtsprechung als auch in der Relation zwischen Privatrechtssubjekten45. Die Prinzipientheorie und der Schutzgebotsansatz sind inhaltlich ergebnisäquivalent: Es geht jeweils um die Bewältigung von Grundrechtskollisionslagen im Sinne einer Optimierung von Freiheitssphären. Die genaue Konstruktion der Loslösung der Grundrechte von ihren Rechtsträgern und ihre Einordnung als Prinzipien kann letztlich hier auf sich beruhen46. c) Der wiederaufgelebte Streit um die Grundrechtswirkung im Privatrecht Dem eingangs erzeugten Eindruck, die Drittwirkungsdebatte sei einmütig nur noch ein Residuum vergangener dogmatischer Gefechte, ist dezidiert entgegengetreten worden. Besonders eindringlich Windel47 macht sich jüngst die zuvor schon von Diederichsen48 und Zöllner49 vorgetragene, weit früher schon im Rahmen des Ordoliberalismus etwa von Mestmäcker50 apostrophierte und kürzlich von Oechsler51 wieder aufgegriffene Auffassung zu eigen, von einer schneidigen Grundrechtswirkung auf der Ebene des einfachen Privatrechts könne nicht gesprochen werden – einer Auffassung, der jüngst Canaris52 als Reaktion eine ebenfalls entschiedene Absage erteilt hat. Der Streit kreist um zwei Problematiken, von denen die erste – nämlich die Frage, ob die Normen des Privatrechts an den Grundrechten der Verfassung gemessen werden können – auf einer anderen Ebene als das Drittwirkungsthema liegt und daher hier auf sich beruhen kann. Für die Anwendung der Gute-Sitten-Klausel sehr viel gewichtiger ist der klassisch zur Drittwirkungsproblematik rechnende Gegenstand, ob die Grundrechte innerhalb dieser Generalklausel als Argument dienen dürfen, die Sittenwidrigkeit eines 44

Siehe Goebel, Rechtsgespräch und kreativer Dissens, 134 ff., 185 ff. Alexy, Theorie der Grundrechte, 484 ff. 46 Im Detail wird allenfalls noch um die Begründung der subjektiv-rechtlichen Seite insbesondere des Werte-Ansatzes gerungen, vgl. nur Canaris, AcP 184 (1984), 201 (224 f.); Alexy, Theorie der Grundrechte, 485 ff. 47 Windel, Der Staat 1998, 385 ff. 48 Diederichsen, AcP 198 (1998), 171 ff.; ders., in: Starck (Hrsg.), Rangordnung der Gesetze, 39 ff. 49 Zöllner, AcP 196 (1996), 1 ff. 50 Mestmäcker, AcP 168 (1968), 235 (239 f.). 51 Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 141 ff. 52 Canaris, Grundrechte und Privatrecht, 1999. 45

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Rechtsgeschäfts zu begründen – eine Frage, bei der das gerade skizzierte Verständnis der Grundrechte als objektive Wertordnung oder als verfassungsrechtliche Prinzipien und die funktionale Ausrichtung der Grundrechte als staatliche Schutzpflichten die dogmatischen Markierungspunkte vorgeben. Während die Interpretation der Grundrechte als objektive Wertordnung nach der oben vorgetragenen Kritik nicht mehr ernstlich überzeugt, steht im Mittelpunkt der Debatte die Einbruchstelle der Grundrechte über ihre funktionale Neuinterpretation als Schutzpflichten. Die Hauptstoßrichtung der Gegner der bisherigen Dogmatik grundrechtlicher Drittwirkung kann an einem von Oechsler im Zusammenhang mit der Schutzpflichtproblematik vorgetragenen Argument deutlich gemacht werden. Oechsler macht darauf aufmerksam, daß die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten in ihrer derzeitigen Ausprägung zahlreiche alte Streitfragen nur schwer bewältigen kann. Er verweist beispielhaft auf das alte Problem des gerechten Preises. Nach der Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten könnte der Richter bei einem Vortrag, der ausbedungene Preis sei zu hoch, zu einer Preiskontrolle verpflichtet sein, wenn der Preis tatsächlich zu drastisch sei und daher die Verurteilung des Zahlungspflichtigen in dessen Recht aus Art. 14 I GG eingreifen würde53 – ein Ergebnis, was zeige, daß die für das Problem des angemessenen Preises entscheidende Frage, nach welchen tatsächlichen Merkmalen Sachverhalte als gleich oder ungleich beurteilt werden können, im Privatrecht selbst thematisiert würde; das Verfassungsrecht sei hier zu wenig differenzierungsscharf54. Freilich überzeugt auch dieser Einwand nicht recht, da die Ausgangsbasis nicht überzeugt, es gäbe gleichsam außerhalb des Prozesses eine Norm, der entnommen werden könne, daß der Preis zu hoch sei. Eine prozessuale Sicht würde hier klären, daß sich für den Richter das Problem der Grundrechtsverletzung so nicht stellt und auch gar nicht stellen kann55. Sehr viel gewichtiger ist der Oechslersche Einwand, die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten würde das Differenzierungspotential des Privatrechts ständig unterlaufen. Dieser Einwand lokalisiert auf einer theoretischen Ebene, auf der quasi die Grundverständnisse des modernen Privatrechts verhandelt werden. Denn desto stärker im Zuge der herrschenden Wertungsjurisprudenz das System rechtlicher Normen mehr und mehr zu einem bloßen Produkt der Abstimmung von Elementen einer differenzierten Rechtssemantik von Werten, Prinzipien und Interessen56 umgebaut wurde, in dem die Begriffe des äußeren Systems des Rechts im Vorgang der Rechtsanwendung und der rechtsdogmatischen Rechtsproduktion zu Ele53

Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 141. Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 142 f. 55 Dazu umfassend Goebel, Rechtsgespräch und kreativer Dissens, § 11 bis § 13; ders., ZZP 113 (2000), 49 (51 ff., 66 ff.). 54

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menten von Abwägungen verflüssigt werden57, desto weniger überzeugt der Rekurs auf ein hohes Differenzierungspotential des privatrechtsdogmatischen Denkens. Ein derartiges Potential kommt dem Privatrecht dann nur noch zu, wenn dessen Materialisierungstendenzen als möglichst zu vermeidender Weg eskamotiert werden, es deshalb eher formal begriffen58 und in der Vorstellung verortet wird, Recht solle gleichsam „mechanisch“ wirken, um die Gleichförmigkeit seiner Funktionsweise zu sichern59. Wird das Privatrecht so verstanden, trifft sich der Oechslersche Einwurf mit dem oben60 gegen ein Prinzipienverständnis der Grundrechte bemühten Einwand, ein grundrechtliches Prinzipiendenken würde die Gleichheit und Autonomie der Bürger hintertreiben. Die Debatte um das Verhältnis zwischen grundrechtlichen Schutzpflichten und den Wertungen des Privatrechts kann daher insgesamt gesehen auch so gelesen werden, daß dort um den rechten Stellenwert der Rechtsperson, ihrer Freiheit und des Rechts überhaupt gerungen wird61. Schon früh ist dies in dem Diktum widergespiegelt worden, auf alten Systemgrundlagen – eben im Rahmen der liberalistischen Formalität des privaten Rechts – könne dessen Durchdringung von der Verfassung her nicht geleistet werden, so daß als „Zauberersatzwort“ die Drittwirkungslehre dienen müsse62.

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Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze, 1988; Canaris, Systembegriff, 90 ff. Insbesondere die strukturtheoretischen Kategorien von „Regel“ und „Prinzip“ waren hier wegweisend. 57 Zu diesem Umbau siehe nur Somek, Rechtssystem und Republik, 193 ff., 197 ff. 58 Es verwundert daher nicht, daß die Arbeit von Oechsler in ihrer gesamten Anlage diese formale Rationalität des Privatrechts stark in den Vordergrund stellt und daß Oechsler sich bei der Frage grundrechtlicher Schutzpflichten im Ergebnis die Auffassung Mestmäckers zu eigen gemacht hat, da dieser ja als Ordoliberaler ebenfalls der formalen Rationalität des Rechts einen hohen Stellenwert abgewinnen kann. 59 Siehe zu dieser „Maschinenmetapher“ des Rechts nur Smid, Einführung in die Philosophie des Rechts, 152 ff. 60 Oben § 15 I 1 b. 61 Zu den hiesigen Überlegungen steht es nicht im Widerspruch, daß an anderer Stelle (Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 12 III 2 c) davon die Rede ist, das überkommene Privatrecht besitze einen erheblichen freiheitssichernden Eigenwert. Diese Einsicht wird mit der nunmehrigen Erwägung nicht zurückgenommen, das System rechtlicher Normen gerate der Wertungsjurisprudenz mehr und mehr zu einem Produkt der Abstimmung konkurrierender Werte im Rahmen einer Abwägungssemantik. Denn der obige Verweis auf den freiheitssichernden Charakter des überkommenen Privatrechts diente der Abgrenzung zwischen diesem und den innerhalb der Sozietät zirkulierenden Sozialmoralen. Diese Abgrenzung wird aber auch durch ein Recht geleistet, dessen Einheit sich nur noch in einer Abwägungssemantik finden kann, wie dies bei der Wertungsjurisprudenz der Fall ist. 62 So schon bei Wiethölter, Rechtswissenschaft, 196 f. (197 das Zitat).

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Es liegt auf der Hand, daß diese Debatte über das rechte Verständnis des Privatrechts im Rahmen dieser Untersuchung nicht in der Breite aufgegriffen werden kann, die notwendig wäre, um eine überzeugende Stellungnahme zu erarbeiten, die sich nicht nur einfach einem der bestehenden Theorienangebote anschließt. In die Debatte muß aber auch gar nicht näher eingegriffen werden. Denn das spannungsreiche Hauptproblem grundrechtlicher Drittwirkung – inwiefern leiden privatrechtliche Differenzierungen unter einem Einbezug grundrechtlicher Wertungen in das Privatrecht? – stellt sich im gewillkürten Erbrecht so überhaupt nicht. Hier besteht weitgehend Einigkeit, daß nicht jede erblasserische Verfügung, welche dem erbrechtlichen Typenzwang entspricht, wirksam sein soll, sondern daß es das Korrektiv der Gute-Sitten-Klauseln gibt. Diese Klausel ist aber nicht nur ein, sondern das einzige Korrektiv. Hier liegt der große Unterschied zum Vermögensrecht: Bei der über § 138 I BGB ins Werk gesetzten grundrechtlichen Drittwirkung im Bereich des gewillkürten Erbrechts kann gar kein privatrechtliches Differenzierungspotential eingeebnet werden, weil es ein solches nämlich in den Fällen gar nicht gibt, bei denen § 138 I BGB herangezogen wird. Die Alternative zum Einbezug der Grundrechte bei der Inhaltskontrolle der Verfügungen von Todes wegen wäre deshalb kein Verlust der differenzierten Ordnungsfunktion des Rechts, sondern allenfalls eine erhöhte Belastung des Bedachten, der sich des großen Schutzpotentials der Sittenwidrigkeitsprüfung beraubt sieht. Denn falls soziale Moralen als möglicher Inhalt der Guten-Sitten-Klausel weggefallen sind und dieses Schicksal auch die Grundrechte der Verfassung ereilen sollte, bliebe kaum mehr etwas übrig, was der Bedachte zu seinen Schutz anführen könnte. Zumindest im Sonderfall des gewillkürten Erbrechts ist daher die vor allem von Canaris63 für den Gesamtbereich des Privatrechts herausgearbeitete grundrechtliche Schutzfunktion einschlägig, ohne daß dem mittels Einwände aus der Formalität des Rechts entgegengetreten werden kann, wie sie sich etwa in dem o. g. vertragsrechtlichen Beispiel des gerechten Preises widerspiegeln. Ob auch generell der grundrechtlichen Drittwirkung zugesprochen werden kann, kann deshalb offen bleiben. 2. Das Kollisionsproblem: Der Umfang der Einwirkung der Grundrechte

a) Möglichkeiten der Präzisierung des § 138 I BGB Es bleibt nach dem zuvor Gesagten also dabei, daß die Grundrechte des Bedachten über § 138 I BGB der erbrechtlichen Verfügung dem Grund nach entgegengesetzt werden können. Mit diesem Verständnis des § 138 I 63 Canaris, AcP 184 (1984), 201 (228 f.); ders., JuS 1989, 161 (162); ders., Grundrechte und Privatrecht, 23 ff., 32 ff., 37 ff.

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BGB ist noch nicht die Frage präjudiziert, welche Anforderungen an die Verletzung der Grundrechte Dritter zu stellen sind, damit sie als Sittenwidrigkeitsmaßstab die Verfügung von Todes wegen hinfällig machen können. In welchem Ausmaß muß also in Grundrechte Dritter eingegriffen sein, damit das eingreifende Rechtsgeschäft als sittenwidrig gilt? Im Bereich des Vertragsrechts wird ein ganzes Spektrum von Lösungsmöglichkeiten hierzu angeboten, deren Übertragbarkeit auf letztwillige Verfügungen zu überprüfen sich durchaus anbietet. Im Vertragsrecht sind freilich die Schwerpunkte der Diskussion auf das angemessene normative Reaktionsniveau der Rechtsordnung angesichts komplexer und zum Teil tiefgreifender sozialer und ökonomischer Konfliktlagen gerichtet, während im Kontext letztwilliger Verfügungen im bisherigen Fallmaterial das Schwergewicht der Sittenwidrigkeitsproblematik eher mit den Topoi Persönlichkeitseingriff, Diskriminierung und familiare Verbundenheit skizziert werden kann. Es lassen sich zwei Extrempole unterscheiden, die bisher die Diskussion des rechten Verständnisses des Tatbestands der Guten-Sitten-Klausel bestimmt haben. Auf der einen Seite wird das Eingriffsniveau des § 138 I BGB auf einen auf Extremfälle beschränkten, die äußerste Toleranzgrenze der Rechtsgeschäfte aufzeigenden Minimalschutz begrenzt. Es geht dann um die Unerträglichkeit eines Verstoßes gegen Sozialmoralen64, im Kontext der grundrechtlicher Drittwirkung auf Eingriffe in den Kernbereich der Grundrechte65. Auf der anderen Seite wird das Eingriffsniveau weitestmöglich auf bloße Rechtswidrigkeit des rechtsgeschäflichen Handelns abgesenkt66 – ein Vorschlag, welcher nicht recht überzeugt, da ansonsten das 64 So BAG JZ 1975, 737 (738): „besonders krasse Fälle“; BGH ZIP 1994, 121: „schwerwiegende Verstöße gegen das Anstandsgefühl“ (im Rahmen des § 826 BGB); Canaris, AcP 184 (1984), 201 (241, 244); ders., FS Larenz, 27 (49 f.): „auf Extremfälle beschränkten Minimalschutz“; dazu auch Wieacker, JZ 1961, 337 (339 f.); Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, 18: „Evidenzmaßstab“, 20: „äußerste Toleranzgrenze“; Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht, 83: „äußerste Grenzen der rechtsgeschäftlichen Privatautonomie“; Coester-Waltjen, AcP 190 (1990), 1 (15, 31): „schwerwiegende kronkrete Einzelfälle“; Bydlinski, in: Rechtsdogmatik und praktische Vernunft, 189 (207): „massive Anstößigkeit des Verhaltens“; MünchKomm-Mayer-Maly, § 138 Rn. 1, 132, 138: „Unerträglichkeit“; relativierend ders., AcP 194 (1994), 105 (139): „nicht mehr nur schlechthin unerträgliche, sondern auch der Verfasungsordnung nicht angepaßte Rechtsgeschäfte“; angedeutet bei Soergel-Hefermehl, § 138 Rn. 7: „grobe Mißbräuche der Privatautonomie“. Der Rekurs auf unerträgliche Verstöße gegen die Sozialmoral müßte unter dem hier vertretenen Signum der Allgemeinheit des Rechts freilich bsp. in „unerträgliche Rechtswidrigkeit“ umformuliert werden. 65 Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen, 61 ff. 66 Angedeutet bei Reuter, ZGR 1987, 489 (498). Vgl. auch Brüggemeier, Deliktsrecht, Rn. 360 ff.; Wiethölter, Rechtswissenschaft, 197. Mayer-Maly will in AcP 194 (1994), 105, Damm, JZ 1986, 913 (918), ebenfalls zu den Befürwortern der Gleichung Sittenwidrigkeit gleich Rechtswidrigkeit rechnen; wenngleich die etwas

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ausdifferenzierte System rechtlicher Reaktionen auf Normverstöße ausgehebelt würde und bsp. die Differenzierungen im Rahmen des § 134 BGB mit seinem Normzweckvorbehalt unterlaufen würden. Mittelwege werden durch Qualifizierungen der Rechtswidrigkeit des jeweiligen Rechtsgeschäfts beschritten. Hier findet sich dann etwa die Auffassung, generell (und nicht nur, soweit Verfügungen von Todes wegen beurteilt werden) verweise § 138 I BGB ausschließlich auf ungeschriebene Verbotsgesetze67. Darüberhinaus68 wird beispielsweise im Kontext des Wettbewerbsrechts darauf verwiesen, Sittenwidrigkeit müsse mit Systemwidrigkeit des rechtsgeschäftlichen Handelns vor dem Hintergrund eines normativ-funktional begriffenen Freiheitsverständnisses übersetzt werden69. Die Gleichung „Sittenwidrigkeit gleich Rechtwidrigkeit“ wurde schon kritisiert. Das andere Extremverständnis: Sittenwidrigkeit als Unerträglichkeit, ist nicht so einfach von der Hand zu weisen. Zweierlei wurde in der bisherigen Diskussion darunter verstanden: Zum einen soll Unerträglichkeit vorliegen, wenn das Rechtsgeschäft, um dessen Sittenwidrigkeitsprüfung es geht, in den Kernbereich eines Grundrechts eingreift. Zum anderen mag sich das Verdikt der „Unerträglichkeit“ vor dem Hintergrund der Pluralität moderner Gesellschaften verstehen, die allenfalls noch Minimalethiken ubiquitär ihr eigen nennen können70.

unbefangene Formulierung Damms in diese Richtung deutet, wird doch augenfällig, daß Damm Sittenwidrigkeit mit dem Verstoß gegen ungeschriebene Verbotsgesetze und damit nicht schlechthin mit Rechtswidrigkeit gleichsetzt, vgl. nur Damm, ebda., 919; AK-ders., § 138 Rn. 26, 56. 67 Pawlowski, Allgemeiner Teil, Rn. 498 b; ders., Methodenlehre, Rn. 189; ders., Rechtswissenschaft, 117 ff.; ders., ARSP 1964, 503 (513); Smid, NJW 1990, 409 (413); Gernhuber, FamRZ 1960, 326 (335); Honsell, JA 1986, 573 (576); Kraft, FS Bartholomeyczik, 223 (234); Staud-Sack, § 138 Rn. 26 ders., WRP 1985, 1 (2 ff.); ders., RdA 1975, 171 (176 f.), Windel, Der Staat 1998, 385 (407 f.). Vgl. auch AKDamm, § 138 Rn. 26, 56; ders., JZ 1986, 913 (918 f.); Larenz/Canaris, SchuldR II/ 2, § 78 II 1 a. 68 Die von Erwin Deutsch, Haftungsrecht, Bd. 1, Köln u. a., 1976, 232, vorgenommene Charakterisierung der Sittenwidrigkeit als „gesteigerte Rechtswidrigkeit“ findet sich in ders., Allgemeines Haftungsrecht, 2. Aufl., 1996, Rn. 290, nicht mehr. 69 Vgl. dazu Mestmäcker, FS Böhm, 383 (383 ff., 392 ff., 410 ff.). Mit Unterschieden im einzelnen folgen insbes. Ludwig Raiser, Claus Ott, Bernd Rebe und Volker Emmerich der durch Franz Böhm und Ernst-Joachim Mestmäcker begründeten funktionalistisch verstandenen Delegationslehre des § 1 UWG, nach der der Richter quasi zu einer sachgerechten Politik durch rechtsetzende Rechtsprechung ermächtigt sei. 70 So bsp. Bydlinski, in: Rechtsdogmatik und praktische Vernunft, 189 (207); dazu Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 12 III 1.

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b) Sittenwidrigkeitsprüfung und Kernbereich der Grundrechte Insbesondere Thielmann will die Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts, welches anhand eines zu starken Eingriffs in Grundrechte Dritter begründet wird, nur dann annehmen, wenn in den Kernbereich eines Grundrechts eingegriffen worden sei71, was nach seinem Dafürhalten dann der Fall ist, wenn Nachteile oder Behinderungen bei der Ausübung von Grundrechten „prohibitiv wirken, d.h. wenn sie einen durchschnittlich standhaften Charakter von der Ausübung abhalten“72. Abgesehen von dem hiermit verbundenen Verständnis eines absoluten grundrechtlichen Kernbereichs73 kann dem schon deshalb nicht gefolgt werden, weil Sittenwidrigkeit dann allein mit einem unerträglichen Normverstoß korreliert wird. Wie noch gezeigt werden wird74, wird damit die ganze Bandbreite der Guten-Sitten-Klausel nur rudimentär erfaßt75. Grundrechtliche Kollisionslagen sind vielmehr anerkanntermaßen nach dem Prinzip des „schonendsten Ausgleichs“ oder der „praktischen Konkordanz“76 und damit ohne Bezug zu absoluten Größen zu bewältigen77. Insgesamt gesehen scheidet also ein Rückschnitt der Sittenwidrigkeitsprüfung auf den grundrechtlichen Kernbereich zumindest insoweit aus, soweit dieser absolut verstanden wird. Ist mit dieser Entscheidung zugleich der Weg zu einer Abwägungs-Hyperthrophie zwischen widerstreitenden Grundrechten eröffnet78? Dem wird im allgemeinen Vermögensrecht auszuweichen versucht, indem Sittenwidrigkeit mit Unerträglichkeit gleich71

Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen, 61 ff. Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen, 68. 73 Vgl. dazu, daß die dichotome Gegenüberstellung von absoluten und relativen Theorien des grundrechtlichen Kernbereichs in dieser Form das Sachproblem nicht angemessen widerspiegeln, Alexy, Theorie der Grundrechte, 269 ff. 74 Unten § 15 I 2 c. 75 Auch Otto, Personale Freiheit, 142 f., kritisiert den Thielmannschen Ansatz zutreffend mit der Bemerkung, eine Mißachtung der Grundrechte solle für sich allein zur Sittenwidrigkeit schon dann führen, wenn von einer Verletzung des Wesensgehalts noch nicht gesprochen werden kann – und verweist damit auf die Bewertung des Einzelfalls. 76 Grundlegend Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, Köln u. a., 1961; Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 72. Allgemein zu den damit verbundenen Wertungsfragen vgl. nur Alexy, Theorie der Grundrechte, 78 ff., 143 ff., 152, 298. 77 Vgl. allg. nur Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 928 ff., 1577. Im Kontext der Debatte um Grundrechtswirkungen im Privatrecht nur Canaris, JuS 1989, 161 (163). 78 Bei der grundrechtlichen Drittwirkung werden Abwägungsmodalitäten geradezu hypertrophen Ausmasses beklagt, so etwa bei Canaris, JuS 1989, 161 (169). Es muß freilich nicht zu Auswüchsen kommen. Bei Vorliegen eines hinreichend vielfältigen Abwägungsmaterials können durchaus klar umrissene Schutzbereiche herausgearbeitet werden, die bsp. beim Problem der deliktischen Verletzung des Persönlichkeitsrecht wieder eine Indikationswirkung zulassen könnten, vgl. dazu nur Canaris, ebda., 170; Steindorff, Persönlichkeitsschutz im Zivilrecht, 16 ff., 27 ff.; 72

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gesetzt wird. In diesen Unerträglichkeits-Ansatz geht dann auch weitgehend der Kernbereichs-Ansatz auf, soweit der Kernbereich eines Grundrechts nicht als absolute, sondern als relative Größe verstanden wird c) Unerträglichkeit des Eingriffs in Rechte Dritter? Um die Übersetzung von Sittenwidrigkeit in Unerträglichkeit nachvollziehen zu können, ist ein Blick auf den Wirkungskontext ertragreich, in den Sittenwidrigkeit als Unerträglichkeit eingebettet ist. Hierbei können die Überlegungen von Canaris79 paradigmatisch als Ausgangspunkt genommen werden. Seine Beschränkung des § 138 I BGB auf Extremfälle im Sinne eines Minimalschutzes ist nur verständlich vor einem System differenzierter Tatbestände, mit denen nach Auffassung von Canaris die Privatrechtsordnung auf die von ihm analysierten grundrechtlichen Schutzpflichten vor dem Hintergrund eines verfassungsrechtlichen Untermaßverbots reagiert. Canaris erwägt ein an den Geboten des schonendsten Ausgleichs und der praktischen Konkordanz orientiertes abgestuftes Kontinuum grundrechtlichen Schutzes insbesondere personaler Grundrechte, in das mehrere Markierungspunkte eingebaut seien: angefangen vom Ausschluß der Zwangsvollstreckung analog § 888 II ZPO als Minimalschutz für personale Grundrechte im Rahmen eines schonendsten Eingriff in die Privatautonomie mit gleichzeitiger Verpflichtung zum etwaigen Ersatz des Erfüllungsinteresses, über die Beschränkung der Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts auf das untragbare Übermaß, also dessen bloße Teilnichtigkeit bzw. dessen geltungserhaltende Reduktion bsp. (im Kontext der Berufsfreiheit) analog § 74 a I HGB, und über die Entwicklung eines Rücktrittsrechts zum Schutz nichtkommerzieller Entscheidungen bei der Einschränkung personaler Grundrechte analog § 42 UrhG mit Ersatz des Vertrauensschadens analog §§ 42 III UrhG, 122, 1298 BGB bis hin zur Annahme der Totalnichtigkeit des Rechtsgeschäfts bei Extremfällen gem. § 138 BGB und schließlich bis zum Ausschluß verschiedener personaler Entfaltungsgebiete (bsp. Religionsfreiheit, Ehe- und Familienfreiheit) aus dem Bereich möglicher privatautonomer Einschränkung überhaupt. Hinter der Differenzierungslogik von Canaris schimmert die Einsicht durch, daß primär der Gesetzgeber zur Konkretisierung praktischer Konkordanzen im Grundrechtsbereich aufgerufen ist80. und Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 789 ff. (freilich vor dem Hintergrund seiner rechtstheoretisch begründeten Zweifeln an Abwägungsmetaphoriken überhaupt). 79 Vgl. Canaris, AcP 184 (1984), 201 (223 ff., 232 ff., 240 ff.); ders., JuS 1989, 161 (164 ff.); ders., Grundrechte und Privatrecht, 71 ff. Vgl. auch ders., FS Steindorff, 519 (567 ff.). 80 Zum Problem der Abgrenzung grundrechtlich geschützter Rechtssphären durch den Gesetzgeber vgl. nur BVerfGE 30, 173 (199); 52, 131 (153); 79, 174 (201 f.); Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 951 f., 1577 ff.; Enders, AöR 1990, 610; Preu, JZ

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Diese Prärogative darf judiziell nicht unterlaufen werden: Der Richter kann zwar die grundrechtliche Schutzfunktion – abgesehen selbstverständlich vom Weg des Art. 100 I GG – im Wege verfassungskonformer Auslegung zur Geltung bringen, hierbei muß er jedoch strikt die legislativen Wertungen und Rechtsgüterabwägungen der Privatrechtsnormen beachten81. Bei Grundrechten ohne oder mit nur geringem personalem Gehalt bedeutet dies u. a., daß eine Verhältnismäßigkeitskontrolle im Rahmen der Austarierung praktischer Konkordanz im Grundsatz ausscheiden muß, da man ansonsten im Ergebnis zu einer allgemeinen Angemessenheits- und Billigkeitskontrolle von wirtschaftlich ausgerichteten Rechtsgeschäften, insbes. schuldrechtlicher Verträge, letztlich zur Institutionalisierung eines iustum pretium käme82. Das BVerfG bsp. umreißt bei Rechtsgeschäften des Wirtschaftslebens die Grenzen privatautonomer Gestaltung mit den Topoi einer einseitig „ungewöhnlichen Belastung“ und einer „strukturell ungleichen Verhandlungsstärke“83. Erbrechtliche Zusammenhänge sind freilich durchweg komplexer gewoben. Ein wirtschaftliches, einer nutzenmaximierenden Eigenlogik gehorchendes Handeln im Kontext eines do-ut-des liegt – wenn überhaupt – nur im Bereich des entgeltlichen Erbvertrages vor. Selbst hier dürften wirtschaftliche Motive für die rechtliche Bewertung des Erbvertrages nicht ausschlaggebend sein, vielmehr verschmelzen auch beim entgeltlichen Erbvertrag wirtschaftliche und ideelle Motive zu einem nur schwer zu durchdringenden Konglomerat personaler und vermögensbezogener Zukunftsgestaltung. Und generell gilt ja für das gewillkürte Erbrecht, daß die Verfügung von Todes wegen nicht als ein Rechtsgeschäft des Wirtschaftslebens, sondern als Ausdruck personaler Entfaltung begriffen werden muß. Nun ist der Ansatz von Canaris ersichtlich von schuldrechtlichen Problemlagen beeinflußt, so daß er sich in dieser Form sicherlich nicht auf letztwillige Verfügungen übertragen läßt, die sich primär sachenrechtlicher Zuständigkeitsänderungen und nicht eines dynamischen Leistungsaustauschs annehmen. Hieraus folgt jedoch noch lange nicht, daß der Grundgedanke des Canarisschen Konzepts: die Verdeutlichung verschiedener rechtlicher Instrumente, mit denen die Rechtsordnung unter den Vorgaben praktischer Konkordanz mit anderen betroffenen Rechtsgütern auf solche Grundrechts1991, 265; Wahl/Masing, JZ 1990, 553; Höfling, Vertragsfreiheit, 54 f.; Oeter, AöR 119 (1994), 529 (537 f.). 81 BVerfGE 39, 1 (46 f.); Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1583 ff.; Hesse, Verfassungsrecht und Privatrecht, 27 ff., 35 ff. 82 Vgl. die Bemerkungen von Canaris, AcP 184 (1984), 201 (242 f.), zur Orientierung der Verhältnismäßigkeitsprüfung von Verträgen nicht am Maßstab der Angemessenheit und Billigkeit, sondern an dem des „auffälligen Mißverhältnisses“ (§ 138 II BGB) einher mit zusätzlichen Umständen, wie einer beeinträchtigten Vertragsparität. 83 BVerfGE 81, 242 (255); BVerfG NJW 1994, 36 (39).

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gefährdungen reagiert, die durch die Zulassung der Privatautonomie entstehen84, nicht auch für das Erbrecht fruchtbar gemacht werden kann – es müßten dann nur die primär erbrechtlichen Instrumente herausgearbeitet werden. So wird – parallel zum Versuch von Canaris, diverse Sphären des Personalen aus dem Bereich möglicher Gegenstände privatautonomer Rechtsgeschäfte zu verweisen – versucht, die Reichweite der Testierfreiheit auf vermögensbezogene Anordnungen zu beschränken85. Wie dem auch sei, insgesamt gesehen überzeugt die Canarissche Stufenlösung zumindest im Erbrecht nicht. Canaris kann „Unerträglichkeit“ vor allem deshalb einen Sinn abgewinnen, weil er Sittenwidrigkeit (i) mit außerrechtlichen Moralen verbindet und damit eine rechtliche Reaktionsmöglichkeit offeriert, die allein innerrechtlich scheinbar nicht zur Verfügung steht, (ii) Unerträglichkeit vor der Fülle abgestufter rechtlicher Reaktionen entwirft, vor deren ausdifferenzierten Folie Sittenwidrigkeit in der Tat als zu scharfe und zu plumpe86 und daher auf Extremfälle beschränkte Waffe erscheinen muß und (iii) schließlich die Rechtsfolge des § 138 I BGB in ein rigides binäres Schema von Nichtigkeit und Wirksamkeit einkleidet. Soweit es um die Sittenwidrigkeit erbrechtlicher Verfügungen geht, überzeugt der Rekurs auf Unerträglichkeit des Sittenverstoßes nicht. Einmal fehlt im Erbrecht schon ein abgestuftes Instrumentarium, wie es das Vermögensrecht auszeichnet. Hier steht allein § 138 I BGB zur Verfügung, wenn es um die Inhaltskontrolle der Verfügung von Todes wegen geht. Das Erbrecht unterscheidet sich hier stark von dem allgemeinen Vermögensrecht. Mit Blick hierauf besteht auch nicht die Gefahr, daß von vornherein diejenigen Differenzierungen im Recht eingeebnet werden, die Canaris mit seinem skizzierten abgestuften Instrumentarium gewahrt sehen will, wenn im Erbrecht das Unerträglichkeits-Dogma nicht zum Ausgang der Sittenwidrigkeitsprüfung genommen wird. Dies ist das eine. Darüberhinaus – und dies ist wichtiger – kann § 138 I BGB im Rahmen des gewillkürten Erbrechts ja nicht als eine Norm verstanden werden, die auf soziale Moralen verweist. Der Rekurs auf Unerträglichkeit kommt dann von vornherein in eine andere Lage. Denn dann sind ja statt sozialer Moralen innerrechtliche Maßstäbe der Sitz der Sittenwidrigkeitsprüfung. Liegt ein Verstoß gegen einen derartigen innerrechtlichen Maßstab vor, kommt es nicht darauf an, ob der Verstoß selbst unerträglich ist, sondern nur darauf, ob er gegeben ist. Allenfalls der innerrechtliche Maßstab selbst kann in seinem Tatbestand auf Unerträglichkeit und ähnliches abstellen – und genau dies wird auch noch zu prüfen 84

Canaris, AcP 184 (1984), 201 (225 ff.). Vgl. Keuk, FamRZ 1972, 9 (15); siehe auch Mikat, FS Nipperdey, 581 (599). Kritisch zum Keukschen Ansatz Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 7 II. 86 So Canaris, JuS 1989, 161 (164). 85

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sein. Nach all dem sollte die Gute-Sitten-Klausel daher zumindest im Erbrecht nicht von vornherein auf unerträgliche Fälle begrenzt werden. II. Die beiden Hauptfälle des sittenwidrigkeitsrechtlichen Bedachtenschutzes 1. Einführung

Die bisherigen Erörterungen haben gezeigt, daß im Rahmen der Gute-Sitten-Klausel einerseits Verfügungen von Todes wegen nicht einer Überprüfung anhand sozialer Moralen unterzogen werden dürfen und daß andererseits die Gesinnung des Erblassers kein relevantes Kriterium ist, mit dem die Sittenwidrigkeit einer letztwilligen Verfügung begründet zu werden vermag. Es stellte sich heraus, daß § 138 I BGB zumindest insoweit nicht als ein Verweis auf soziale Moralen zu verstehen ist, als es um die Prüfung erbrechtlicher Verfügungen geht. Zudem wurde kurz skizziert, daß für die Frage, was dann als Prüfungsmaßstab dienen kann, die Grundrechte Dritter im Rahmen ihrer mittelbaren Drittwirkung herangezogen werden können. Nunmehr gilt es, dies näher zu spezifizieren. Zwei praktisch relevante Fälle sollen dabei nur focussiert werden. In dem einen Fall versucht der Erblasser, über letztwillig verfügte erbrechtliche Potestativbedingungen die Lebensführung des Bedachten nach seinem Versterben mittelbar zu steuern, indem der endgültige Erwerb des letztwillig Zugewendeten von bestimmten Handlungen oder Unterlassungen des Bedachten per Bedingungsverknüpfung abhängig gemacht wird. Hier wird in genau dem Maße, in dem derartige Bedingungen die Kontexte von Personalität und Identität des Bedachten berühren, zunehmend die Grenze der rechtlichen Zulässigkeit der Bedingung zum Problem. Als Beispiel kann etwa die Bedingung genannt werden, im Falle der Wiederverheiratung nur aus einem ausgewählten Personenkreis den künftigen Ehepartner zu wählen87. Ähnlich könnte dem überlebenden Gatten auferlegt werden, sein religiöses Bekenntnis nicht zu wechseln oder für einen bestimmten Zeitraum ehrenamtlich tätig zu sein. Hier gilt es, das Verhältnis vom Erblasserwillkür und personaler Freiheit des Bedachten zu thematisieren (dazu § 15 II 2). In dem zweiten Fall auferlegt der Erblasser dem Bedachten nicht mittels erbrechtlicher Potestativbedingungen ein Verhalten oder ein Unterlassen. Vielmehr verfügt er so, daß ein Konflikt mit der Familienordnung in Rede stehen kann (dazu § 15 II 3).

87 Zu dem Verhältnis zwischen der Eheschließungsfreiheit und erbrechtlichen Potestativbedingungen siehe Goebel, FamRZ 1997, 656 ff.

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2. Die Sittenwidrigkeit erbrechtlicher Potestativbedingungen

a) Das Denken in Anerkennungsverhältnissen und grundrechtliche Drittwirkung Es ist nur scheinbar konsequenter Ausdruck eines personfunktional verstandenen gewillkürten Erbrechts zu meinen, der Erblasser dürfe darauf insistieren, er könne den Bedachten per Potestativbedingung all das auferlegen, was er sich nur vorstellt, da ja gerade dies als Ausdruck seiner personalen Entfaltung begriffen werden müsse. Vielmehr ist in die recht verstandene Testierfreiheit selbst schon die Notwendigkeit eingelassen, die Rechte der Bedachten zu respektieren und anzuerkennen: Der Erblasser als Rechtsperson steht mit dem Bedachten insofern in Anerkennungsverhältnissen, als er sich nicht rechtsgeschäftlicher Mittel (nämlich der letztwilligen Verfügung) bedienen und sich damit im Bereich des Rechts bewegen kann, ohne zugleich seinerseits den Bedachten als mit subjektiven Rechten ausgestattete Rechtsperson anzuerkennen88. Und gleiches gilt für den Bedachten, der als Rechtsperson für sich in Anspruch nehmen darf, in seinem persönlichen Memento mori seinen eigenen Tod von Todes wegen verarbeiten zu dürfen. Auch seiner eigenen Testierfreiheit ist daher das Moment inhärent, die Todesverarbeitung des Erblassers und damit seine nur unter der inkrimierten Potestativbedingung stattfindende Bedenkung als Ausdruck der erblasserischen Persönlichkeit anzuerkennen. Es bleibt mithin festzuhalten, daß die personfunktionale Gründung des gewillkürten Erbrechts nicht daran hindert, im Rahmen der mittelbaren Drittwirkung die grundrechtliche Verfastheit der Bedachten der erblasserischen Willkür entgegenzusetzen. b) Streitstand zur Sittenwidrigkeit erbrechtlicher Potestativbedingungen Das Meinungsspektrum zur Sittenwidrigkeit erbrechtlicher Potestativbedingungen ist weit gefächert. Neuere Bestrebungen in der Literatur halten eine Potestativbedingung dann für unzulässig, wenn in der Intensität der Persönlichkeitsbeeinträchtigung ein unzulässiger Druck auf dasjenige persönlichkeitsbezogene Verhalten gerichtet ist, das hergebracht einer freien inneren Überzeugung entspringen soll89. Demgegenüber wird stellenweise nicht mehr nach der Eingriffsintensität, sondern nur noch nach dem Grad des Persönlichkeitsbezugs differenziert. Zwei Extrempositionen sowie di88 Dies kann hier nicht eigens dargelegt werden, siehe vielmehr ausführlich Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 9 IV 3, § 10 VI 2. 89 Staud-Otte, § 2074 Rn. 31; Soergel-Loritz, § 2074 Rn. 22; MünchKomm-Leipold, § 2074 Rn. 14 (teilw anders aber Rn. 15); Schlüter, Erbrecht, Rn. 217; Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen, 115 ff.; Otto, Personale Freiheit, 199 ff.

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verse vermittelnde Meinungen können hier unterschieden werden. Bei dem einen Extrempunkt sind Potestativbedingungen dann sittenwidrig, wenn das zur Bedingung gemachte Verhalten ganz allgemein die Privat- und nicht die Vermögenssphäre des Bedachten betrifft, mag der Grad der Beeinträchtigung auch gering sein90. Diese Ansicht wird nochmals radikalisiert, wenn die Bedingung unter bestimmten Umständen schon gar nicht der Sittenwidrigkeitsprüfung unterworfen, sondern von vornherein aus dem Kreis möglicher Anordnungen entfernt wird. Nach dieser Ansicht soll es aus dem Begriff der Universalsukzession abgeleitete immanente Schranken der erblasserischen Gestaltungsfreiheit geben. Bindende Willensentscheidungen des Erblassers würden deshalb dem Erben gegenüber nur dann ohne weiteres fortwirken, wenn sie im hinterlassenen Vermögen einen objektiven Niederschlag gefunden hätten. Sei dies nicht der Fall, müßten für die Potestativbedingung durch den Erblasser legitime Gründen angeführt werden91. Bei dem anderen Extrempunkt verfällt eine Potestativbedingung dann dem Sittenwidrigkeitsverdikt, wenn der Erblasser durch sie auf persönlichkeitsprägende, identitätsbestimmende Merkmale des Bedachten, wie die in Art. 3 III GG genannten Charakteristika, seine Gefühlswelt oder sein äußeres Erscheinungsbild, einwirken will92. Eine mittlere Linie wird von der älteren Rechtsprechung93 und Lehre94 eingenommen. Danach ist Sittenwidrigkeit gegeben, wenn durch die Inaussichtstellung von Vermögensvorteilen ein Verhalten gesteuert werden soll, das hergebracht einer freien inneren Überzeugung entspringen soll. Das gleiche Ergebnis wird dann erzielt, wenn der Bereich des derart ausgeformten Personalen gänzlich aus dem Komplex des rechtsgeschäftlich möglichen Handelns ausgespart und damit auch ohne Rekurs auf § 138 I BGB dieses Verhalten durch privatautonome Anordnungen nicht gebunden werden kann95.

90

Keuk, FamRZ 1972, 9 (14 f.). Windel, Modi, 244 ff mit 1 ff. 92 Schlitt, Klassische Testamentsklauseln, 68 ff. 93 RG, SeuffArch 69 Nr. 48; BGH, JZ 1956, 279 (280); BayObLG, SeuffArch 50 Nr. 97; OLG Rostock, SeuffArch 49 Nr. 4. 94 Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, 9. Aufl., 1906, Bd. 1, § 94; v. Lübtow, Erbrecht, 348 m. w. Nachw. zur älteren Lit.; Kipp/Coing, Erbrecht, § 16 III 1 b; Flume, AllgT II, § 18, 2 b cc; Brox, Erbrecht, Rn. 258; Soergel-Stein, § 1937 Rn. 30. 95 So bsp. allg. im Vertragsrecht Flume, ebda., § 18, 2 b bb; Canaris, AcP 184 (1984), 201 (223 ff., 240 ff.). 91

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c) Diskussion aa) Kritik der bisherigen Ansätze Sämtliche der gerade skizzierten Ansichten vermögen nicht zu überzeugen. Soweit Sittenwidrigkeit schon dann in Anspruch genommen wird, wenn die Privatsphäre des Bedachten betroffen ist, geht dies fehl. Denn als Argument hierfür wird vorgebracht, der Erblasser habe nach dem Erbfall kein schützenswertes Interesse mehr am Verhalten des Bedachten, da er die Früchte seiner letztwilligen Anordnungen nicht mehr genießen könne96. Dieses Argument läßt die Personfunktionalität des gewillkürten Erbrechts außer Acht und kann die Testierfreiheit nur in Kategorien einer fortgesetzen Eigentümerfreiheit begreifen – was aus Sicht eines personfunktionalen Erbrechts sich notgedrungen in Wertungswidersprüche mit dem gegebenen erbrechtlichen Normbestand verwickeln muß97; gleiches gilt für den noch extremeren Ansatz, nach dem nichtvermögensbezogene Anordnungen von vornherein aus dem Kreis der regelmäßig respektablen Verfügungen zu entfernen seien98. Zudem spricht gegen die von Keuk vertretene Ansicht, daß mit einer derartigen Argumentation das gewillkürte Erbrecht insgesamt delegitimiert würde, da nun einmal auch bei rein vermögensbezogenen Verfügungen der Erblasser die Früchte seiner vermögensbezogenen Anordnungen post mortem nicht mehr genießen kann. Er hätte dann aber in der Diktion Keuks auch kein Interesse mehr am Schicksal seines Vermögens99 mit der Folge, daß der gewillkürte intergenerationale Vermögenstransfers in toto nicht zu rechtfertigen wäre. Dies läßt sich ja auch kaum vermeiden, wenn das Erbrecht – wie klar bei Keuk – als fortgesetztes Eigentum verstanden wird100. Auch die Meinung, die die persönlichkeitsprägenden, identitätsbestimmenden Merkmale des Bedachten als Differenzierungskriterium heranzieht, überzeugt nicht recht. Der Bereich personaler Identität wird hier anhand der in Art. 3 III GG niedergelegten Merkmale und anhand der Privat- und Intimsphäre des Bedachten101 umrissen. Personale Identität wird mithin so verstanden, als gäbe es gewissermaßen objektiv feststehende Räume oder Sphären, die es zum Schutz des Bedachten vor dem Erblasser zu schützen gelte. Dahinter steht wohl die Vorstellung, höchstpersönliche Grundrechts96

Keuk, FamRZ 1972, 9 (14 f.). Dazu siehe Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 7 II. 98 Zur Kritik Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 4 III 3. 99 Staud-Otte, § 2074 Rn. 32. 100 Kritisch zu einer eigentumstheoretischen Gründung der Testierfreiheit Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 5, § 6. 101 Schlitt, Klassische Testamentsklauseln, 69 ff. 97

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güter könnten nur dann entfaltet werden, wenn ihre Träger ihren Wert autonom selbst bestimmen und nicht an einen Markt delegieren; würden höchstpersönliche Güter einer marktmäßigen Verwertung geöffnet, würde der einzelne verlernen, sich selbst außerhalb eines Kosten-Nutzen-Zusammenhangs zu stellen102. Parallel könnte vorgetragen werden, daß zwar bei einer erbrechtlichen Potestativbedingung keine Urteile über die Wertigkeit der höchstpersönlichen Entscheidung an einen Markt delegiert werden, daß es aber sehr wohl dazu komme, daß der Bedachte seine höchstpersönliche Entscheidung in einen reinen Kosten-Nutzen-Zusammenhang stelle – und hiervor gelte es ihn zu bewahren. Damit teilt diese dogmatische Konstruktion den gleichen Ansatzpunkt wie die ältere Rechtsprechung, die auf Bereiche innerer Freiheit rekurriert, die als von sämtlichen ökonomischen Zwängen (wie sie in einem Erwerb von Todes wegen begründet sein können) befreit gedacht werden. Beide Ansichten geraten damit jedoch in die gleiche Schieflage. Denn durch den Rekurs auf fest umrissene Sphären oder Räume kommt man gar nicht umhin, überlieferte Lebensformen ohne Bezug zu dem freiheitlichen Moment zu tradieren, aufgrund dessen die Vorherrschaft der inneren Überzeugung oder der Schutz freiheitlicher personaler Sphären überhaupt erwägenswert ist. Sowohl die Literatur als auch die ältere Rechtsprechung erweisen sich damit als Agens eines gänzlich entsubjektivierten und insofern nicht überzeugenden institutionellen Rechtsdenkens: Bereiche innerer Freiheit können nicht von dem jeweiligen Rechtssubjekt gänzlich abgekoppelt und in festen, normativen Lebensweisevorstellungen gleichsam neutralisiert werden. Genau hier setzen diejenigen ein, die nicht so sehr – wie die ältere Lehre – die Vermischung des Ideellen mit dem Materiellen, sondern den ungerechtfertigten Druck auf die Entschließungsfreiheit des Bedachten als sittenwidrig reklamieren. Danach kann auch im wirtschaftlichen Bereich eine letztwillige Anordnung sittenwidrig sein, wenn sie einen ungerechtfertigten Druck auf den Bedachten ausübt. Den bisherigen Ansichten, die die Sittenwidrigkeitsprüfung primär auf die Bereiche des Personalen focussierten, muß der Schutz der wirtschaftlichen Bedachtenfreiheit eher fremd bleiben. Wann nun genau eine unzulässige Beeinträchtigung der Bedachtenfreiheiten gegeben ist, wird bei dieser neueren Lehre durch einen Rekurs auf die Umstände des Einzelfalles ermittelt. Das klingt nicht besonders originell, läßt sich aber bei einer Sittenwidrigkeitsprüfung nicht vermeiden. Einschlägig sind dann Kriterien wie Umfang der und Angewiesenheit auf die Zuwendung, Vorentschlossenheit des Bedachten und ähnliches103. Die Perspektive wird insofern auf den Bedachten gelenkt – doch gerade hierin lie102

So bsp. im Vertragsrecht Floren, Grundrechtsdogmatik im Vertragesrecht, 194. Vgl. zu den einzelnen Umständen nur Staud-Otte, § 2074 Rn. 34 ff. Hinsichtlich der Eheschließungsfreiheit ders., ebda., Rn. 41 ff. 103

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gen die Schwächen dieser Ansicht. Was bei der älteren Lehre fehlte, wird hier überbewertet: Die Perspektivenverschiebung vom Schutz feststehender Lebensformen zu der Person des bedingt Bedachten gerät zu rigoros, da allein Belange des Bedachten berücksichtigt werden. Dabei bleibt im Unklaren, wie überhaupt dessen Belange mit der Testierfreiheit des Erblassers verknüpft sind; die neuere Lehre addiert quasi nur die von der älteren Lehre thematisierten Bereiche innerer Freiheit mit einem Eingriffsmoment aus Sicht des Bedachten – und behandelt damit das dritte hier auftretende Moment: die in der letztwilligen Verfügung zum Ausdruck kommende Testierfreiheit, nur als blinden Fleck. Der rechten Lösung näher kommt man, wenn einmal näher angeschaut wird, welche Art von Druck eigentlich bei einer erbrechtlichen Potestativbedingung zu Tage tritt. Potestativbedingungen verpflichten rechtlich zu gar nichts. Der durch sie ausgeübte Druck findet mithin vornehmlich auf der sozialen Ebene statt: Es geht um dasjenige soziale Verhalten, was auch als „Standhaftigkeit“ zu bezeichnen gepflegt wird. Die o. g. „Druck-Theorie“ setzt diese soziale Bindung einer rechtlichen Bindung quasi gleich. Genau hierin liegt aber das Problem. Denn wie gesagt, auf der einen Seite verpflichtet die Bedingung zu nichts und auf der anderen Seite war der Erblasser nicht gehalten, dem Bedachten überhaupt etwas zuzuwenden. Der Bedachte hat kein Recht auf das Vermögen des Testators und ist zuerst einmal darauf verwiesen, sich den Zumutungen des sozialen Lebens und damit auch dem durch die letztwillige Verfügung aufgebauten sozialen Druck selbst gewachsen zu zeigen104. Zeigt sich der Bedachte dem sozialen Druck nicht gewachsen, sondern ist an dem Vermögenserwerb von Todes wegen interessiert, ist deshalb unklar, was der Erblasser mit der mangelnden Standfestigkeit des Bedachten gegenüber der Verknüpfung seines personalen Selbst mit dem ökonomischen Bereich des Vermögenserwerbs zu schaffen haben soll?105 Will der Bedachte den Druck bewältigen, stellt ihm die Rechtsordnung hierzu auch ein probates Instrument bereit, nämlich die Ausschlagung des Zugewendeten gem. §§ 1943, 2180 BGB. Diese ist das rechtlich für die „Druckbewältigung“ prima vista vorgesehene Mittel – so eigenartig dies auch auf den ersten Blick klingen mag.

104 Auch sonst wird schließlich nicht behauptet, bsp. eine aus primär wirtschaftlichen Motiven eingegangene Ehe sei im rechtlichen Sinne sittenwidrig, dazu vgl. schon v. Gierke, Recht und Sittlichkeit, 24.; und im übrigen nur Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen, 220. 105 Das Argument ist alles andere als neu. Keuk, FamRZ 1972, 9 (13), weist darauf hin, daß mit dieser Begründung schon Thibaut 1831 die Unwirksamkeit derartiger Potestativbedingungen abgelehnt hatte.

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bb) Der Schwenk in der Perspektive: Anerkennungsverhältnisse im Erbrecht Der durch die bedingte Verfügung entstandene Druck auf den Bedachten braucht den Erblasser somit erst einmal überhaupt nicht zu interessieren – freilich nur zunächst. Wenn die Perspektive, unter der der Druck auf den Bedachten betrachtet wird, geändert und die des Erblasser eingenommen wird, ändert sich das Bild. Denn dann geht das Argument augenscheinlich ins Leere, daß der Erblasser dem Bedachten ja auch gar nichts hätte zuwenden können. Warum sollte er ihm etwas zuwenden und zugleich auch noch per Potestativbedingung ein bestimmtes Verhalten oder Unterlassen einfordern, wenn nicht gerade die Person des Bedachten dem Erblasser wichtig war. Die Bedenkung zeigt ja, daß für den Erblasser bei Lichte betrachtet die Enterbung keine Alternative war. Zudem muß er den Bedachten auch als Rechtsperson anerkennen, der nicht nur Rechte zur Seite stehen, sondern die obendrein auch in das gesamte Wertungsgeflecht des Rechts eingebette ist. Der Schutz des Bedachten ist für ihn daher nichts, was ihm fremd wäre, sondern Ausdruck seiner Testierfreiheit selbst. Im Vertragsrecht ist ein derartiges Denken in Anerkennungsverhältnissen schon länger Gemeingut. Auch in der vertragsrechtlichen Imparitäts-Debatte106 geht es um die Bewältigung „situativer Asymmetrie“107 und um die „rechtlich gewährleistete Möglichkeit zu Selbstbestimmung und zur Chance auf einen gerechten Vertragsschluß“108. Auch dort hat der andere Teil vor dem Vertragsschluß keinerlei Rechte an dem begehrten Gut – und doch wird Imparität auf verschiedenen Ebenen thematisiert. Dies ist nur möglich, weil die Parteien sich im vertraglichen Kontext immer zugleich als Rechtspersonen begreifen. Beim rechtsgeschäftlich-erbrechtlichen Handeln gilt gleiches. cc) Präzisierung: Sittenwidrigkeit trotz eines bloßen Angebots an den Bedachten? Der soeben geschilderte Schwenk in der Perspektive hin zu Anerkennungsverhältnissen im Erbrecht hat den Vorteil. genau begründen zu können, warum in einem personfunktional gegründeten Erbrecht überhaupt von einer Sittenwidrigkeit einer Verfügung von Todes wegen die Rede sein kann. Er dient also der Herstellung von Konsistenz und Kohärenz im System rechtlicher Wertung. Er ändert aber nichts daran, daß materiell in der Wertung im106 Vgl. allg. zur Imparitätsdebatte nur Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, 1982. 107 Ausdruck nach Suhr, Entfaltung, 109. 108 So die Definition von Vertragsparität bei Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, 3 f.

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mer noch aussteht, die Sittenwidrigkeit einer Potestativbedingung zu begründen. Diese Begründung ist bei Lichte betrachtet schwierig. Denn gegen die o. g. modifizierte „Druck-Theorie“ scheint zu sprechen, diese ginge schon deshalb fehl, weil der Erblasser auf den Bedachten doch überhaupt keinen rechtlich relevanten Druck ausüben könne, da jener diesem nur ein Angebot (die Erbschaft) unterbreite, welches dieser ablehnen könne oder auch nicht. Hinter diesem Vorhalt ist ein sehr tiefgehender Einwand verborgen, den jüngst Thomas Gutmann109 und davor schon Muscheler110 eindringlich vorgetragen hat. Die o. g. bisherigen Ansätze begründen deren Sittenwidrigkeit durchweg mit dem Aspekt eines unzulässigen Eingriffs in Rechte des Bedachten. Genau diese Möglichkeit eines Rechtseingriffs bestreitet Gutmann. Er hält dafür, der Erbanwärter, der nichts oder nur etwas bedingt erhält, könne in keinem Falle in einer Rechtsposition, die ihm zusteht, negativ betroffen sein111. Auf der Grundlage einer tiefgehenden Auseinandersetzung mit vor allem aus dem Umfeld der analytischen Philosophie stammenden Ansätzen zu den Problemen von Freiwilligkeit, Freiheit und Autonomie, aber auch vor dem Hintergrund wirkmächtiger Gedankengebäuden aus der rechtsphilosophischen Ideengeschichte112 kommt er zu dem Schluß, daß unter einer Freiheitsbeschränkung sinnvoll nur eine solche Einflußnahme von Menschen auf das Handeln anderer Menschen verstanden werden könne, welche die Zahl wählbarer Optionen der Betroffenen vermindere113. Die Unterbreitung eines Angebots – und sei es auch das einer bedingten Erbeinsetzung – sei mithin eine Weise der Einflußnahme auf den Bedachten, die unter Freiheitsgesichtspunkten schon deshalb keiner Rechtfertigung bedürfe, weil der Handlungsspielraum des Betroffenen vergrößert würde. Würde gleichwohl bei einigen erbrechtlichen Potestativbedingungen angenommen, diese könnten zu einem Rechtseingriff beim Erbanwärter führen, sei diese Überlegung mit dem entscheidenden Fehler behaftet, den wesentlichen Unterschied zwischen einem Eingriff in Freiheitsrechte auf der einen und dem Versuch, jemanden zu einem bestimmten Gebrauch seiner Rechte zu motivieren, auf der anderen Seite einzuebnen114. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, daß Gutmann sämtliche Versuche verwirft, dennoch von der Möglichkeit einer Sittenwidrigkeit erbrechtlicher Potestativbedingungen aufgrund eines unzulässigen Rechtseingriffs auszugehen. So wendet er gegen die Erwägung ein, es gelte einen 109

Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 2001. Muscheler, ZEV 1999, 151 (152). 111 Gutmann, Freiwilligkeit, 208. 112 Gutmann, Freiwilligkeit, Erster Teil. 113 Siehe dazu und zum folgenden die Zusammenfassung bei Gutmann, Freiwilligkeit, 209 ff. 114 Gutmann, Freiwilligkeit, 214 f., 219 f. 110

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Bereich persönlicher Handlungen zu schützen, der hergebracht einer freien inneren Überzeugung ohne jegliche Kommerzialisierungstendenzen entspringen solle115, hier würde dem intrinsischen Wert der motivationalen Reinheit der Entscheidung, der „Sittlichkeit“ des Entschlusses und einer paternalistischen Zensur von Motiven das Wort geredet, „die eine bestimmte, tradierte symbolische Ordnung des Sozialen auf Kosten des Selbstbestimmungsrechts des Betroffenen aufrecht erhält“116. Auch den Rekurs auf einen unzulässigen Druck auf die Entscheidung des Erbanwärters117 verwirft er mit dem Vorwurf, auch hier wieder ginge es bei Lichte betrachtet allein um die „schiere Attraktivität überobligationsmäßiger Vorteile und Anreize“118, der jedoch wegen ihres reinen Angebotscharakters jegliche Zwangswirkung abgesprochen werden müsse, womit ein Eingriff in geschützte Freiheitsrechte entfiele – und zwar folgerichtig unabhängig von der wirtschaftlichen Bedeutung des in Aussicht gestellten Erwerbs119. Der Gutmannsche Einwand ist schwerwiegend, greift aber letztlich nicht gegen das hier vertretene Konzept. Er kommt nur zum tragen, wenn die Sittenwidrigkeit erbrechtlicher Potestativbedingungen allein unter der Begrifflichkeit von Zwang, Angebot und Eingriff in subjektive Rechte diskutiert wird. Das hiesige Konzept der Sittenwidrigkeit ist mit dieser Nomenklatur jedoch nicht berührt. Die Alternativen sind von Gutmann zu rigoros gewählt. Weder geht es darum, im Sinne eines harrschen Institutionalismus einen festumrissenen Bereich des persönlichen Verhaltens von jeglicher vermögensorientierter Motivation freizuhalten, damit Freiheit und Sittlichkeit intern zu verschalten und etwa das romantische Ideal der bürgerlichen Liebensheirat oder die Authentizität des religiösen Bekenntnisses zu behüten. Noch steht im Raum, unter dem Signum eines gewissen Familiarismus sozial tradierte Erwartungen von solchen Erbanwärtern zu beschirmen, die sich aufgrund familiärer Beziehungen zum Erblasser, seiner bisherigen Lebensgestaltung oder vor dem Hintergrund überkommener Vorstellungen eines rechten Familienbewußtseins auf die Zuwendung von Todes wegen eingerichtet haben120. Vielmehr steht in Rede, bestimmte Formen der erblasserischen Einflußnahme auf den Erbanwärter deshalb zu unterbinden, weil sie diejenigen Mindestanforderungen unterschreiten, die das Recht voraussetzt, damit die Allgemeinheit seiner selbst gewahrt bleibt – die das Recht mithin implizit unterstellt, damit Rechte überhaupt ausgeübt werden können. Die 115

Siehe zu einem derartigen Ansatz oben § 15 II 2 b. Gutmann, Freiwilligkeit, 217 ff., 223 f. (Zitat auf S. 218). 117 Dazu oben § 15 II 2 b. 118 Gutmann, Freiwilligkeit, 220. 119 Gutmann, Freiwilligkeit, 220 f. 120 Zu letzterem so aber Staud-Otte, § 2074 Rn. 34; überzeugend hiergegen Gutmann, Freiwilligkeit, 225. 116

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Existenz derartiger impliziter Voraussetzungen wird ein streng libertäres Denken mit Verve bestreiten und darauf verweisen, daß der Wille des einzelnen unbeschränkt sei, wenn ihm nicht durch das Recht selbst, insbesondere durch Rechte Dritter, Grenzen gesetzt würden. Nach diesem Denken grenzt allein das formale Privatrecht Freiheitssphären der Bürger untereinander ab, so daß es auf irgendwelche Sicherungen, die vorausgesetzt werden müssen, damit diese Abgrenzung von Freiheitssphären in praxi funktioniere, nicht ankommen könne; ansonsten würde genau jener Freiheitsimpetus hintertrieben, der in der Formalität des Rechts aufscheine121. Diese Einschätzung ändert sich freilich mit der Einsicht, daß hier die Formalität des Privatrechts nur einseitig aus der Perspektive eines Rechtsträgers her konstituiert wird, der als isolierte Rechtsperson gedacht wird. Die Bürger müssen einander jedoch Rechte zubilligen, wollen sie nicht die Allgemeinheit eines solchen Rechts verfehlen, welches die Entfaltung seiner Bürger vornehmlich in der zwischenmenschlichen Interaktion zwischen ihnen, also als „Freiheit als Geselligkeit“ wirklich werden läßt122. Sie stehen in Anerkennungsverhältnissen123. Oder in anderen Worten: Wenn kraft der Allgemeinheit des Rechts einem jeden unteilbar Freiheit zukommt, sind die Menschen füreinander je Medien der eigenen Entfaltung und die Akte der Entfaltung solche wechselseitigen Interferierens und Durchdringens124. Es besteht mithin ein Nexus von Wechselwirkungen der Rechte des einen auf das Entfaltungsrecht des anderen und umgekehrt125. Dieser Nexus wiederum beruht auf impliziten Mindestvoraussetzungen, die das Recht gewährleisten muß, soll es nicht die Möglichkeit einer erträglichen Wechselwirkung der Rechte untergraben126. § 138 I BGB kann dann als einer der 121 In diese Richtungen gehen etwa Beiträge zur Rechtsprechung des BVerfGs zur gestörten Vertragsparität, siehe etwa Adomeit, NJW 1994, 2467 ff.; Singer, JZ 1995, 1133 ff. 122 Dazu nur Suhr, Entfaltung, 87 ff., 108 ff., 113 ff.; ders., Gleiche Freiheit, 14 ff., 24 ff. 123 Dazu ausführlich Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 10 VI. 124 Im Sinne einer derartigen „Pendelbewegung“ kann durchaus auch die kantische Definition des Rechts als der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen unter einem allgemeinen Gesetz der Freiheit vereinigt werden kann, zumindest dann gelesen werden, wenn man das Schwergewicht der Interpretation nicht auf die wechselseitige Beschränkung der Willkür, sondern auf die Wechselseitigkeit der Rechte bezieht, die Personen gegeneinander haben, wie dies bei Suhr, Entfaltung, 134, zum Ausdruck kommt. Schließlich sollte beachtet werden, daß es bei dem Bild einer „interferierenden Entfaltung“ nicht darum geht, eine den Freiheitsrechten immanente Teleologie zu entwickeln (es geht also nicht um ein „Wozu“ der Freiheit), sondern um das „Wodurch der Freiheit“ (Suhr, ebda., 87). 125 Suhr, Entfaltung, 135. 126 Zumindest im Ausgangspunkt ähnlich (Rekurs auf die „Mindestanforderungen an symbolische Formen des kommunikativen Handelns der Bürger untereinander“),

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Transmissionsriemen gelesen werden, mit dem derartige normative Prämissen, auf denen die Rechtsausübung beruht, geltend gemacht werden können. Rechtstechnisch sind diese Anforderungen dann als ungeschriebene Verbotsgesetze zu begreifen. Ein gutes Beispiel für den Rekurs auf derartige Mindestanforderungen, welche das Recht dem Handeln der Bürger zugrundelegen muß, wenn es nicht seine Allgemeinheit verlieren will, bietet die Imparitätsrechtsprechung im Vertragsrecht, bei der Figuren wie „situative Asymmetrie“ oder die „Chance auf einen gerechten Vertragsschluß“ Losungen bereitstellen, auf die Sittenwidrigkeit einer Vertragsklausel oder gar des Vertrages zu erkennen127. Besonders plastisch läßt sich die Notwendigkeit eines gesicherten Bestands von Minimalanforderungen der Rechtsausübung an den gängigen Heiratsklauseln zeigen. Heiratet hier der Bedachte entgegen der erblasserischen Bedingung, entfällt wegen Bedingungseintritt regelmäßig seine Bedenkung. Er hat sich dann zwar standhaft gezeigt. Er hat damit aber die Belastung auf sich genommen, in seinem Erleben die eingegangene Ehe und das mit ihr gemeinhin verbundene Ideal der romantischen Liebe mit der Hypothek zu belasten, den vermögensmäßig vorteilhaften Erwerb von Todes wegen vereitelt zu haben128. Kein Problem wird hier der sehen, der der Emotionalisierung der internen Beziehungen der Ehegatten keinen rechten rechtlichen Eigenwert abgewinnen kann und damit auch bestreiten muß, daß die aufgrund der Gefühle wechselseitiger Zuneigung bestehende Fragilität der Gattenbeziehung rechtlich relevant ist. So wird Gutmann einwenden, daß es jedem freistünde, bei der Partnerwahl kraft Art. 6 I GG im rechten ethischen Gebrauch der eigenen praktischen Vernunft zu versagen und hinter den Anforderungen des (möglicherweise) richtigen, guten und gelungenen Lebens zurückzubleiben – und damit nicht aus romantischen Gründen, sondern dem wirtschaftlichen Kalkül der erbrechtlichen Zuwendung verpflichtet den Ehegatten zu wählen129. Dies mag auch durchaus so sein. Nur geht es bei Lichte betrachtet gar nicht um den Eingriff etwa in das Recht der freien Partnerwahl. Vielmehr muß im Mittelpunkt der rechlichen Diskussion das rechte Insverhältnissetzen von Angebot und sozialem Druck stehen. Die Frage lautet dann, ab welchem Punkt die jeweilige Potestativbedingung für den Erbanwärter ein wenngleich hinsichtlich der Entfaltungskategorie ablehnend Gutmann, Freiwilligkeit, 244. Bei Lichte betrachtet nimmt von der Einsicht, der Rechtsausübung lägen implizite normative Prämissen zugrunde, ohne die das Recht seine Allgemeinheit verfehle, auch die Diskussion um die Formalisierung und Materialisierung des Privatrechts ihren Ausgangspunkt. 127 Dazu siehe kurz oben § 15 II 2 c bb am Ende. 128 Honneth, Das Andere der Gerechtigkeit, 197 ff. 129 Dazu Gutmann, Freiwilligkeit, 218.

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derartiges Druckpotential entfaltet, bei dem er Gefahr läuft, dasjenige Mindestmaß an wechselseitiger Anerkennung dem potentiellen Gatten gegenüber vermissen zu lassen, welches notwendig ist, damit das menschliche Individuum sich weiterhin als ein emotional auf den Intimpartner angewiesenes Bedürfniswesen begreifen kann130 – jene Anerkennung mithin, „in der die individuelle Bedürfnisnatur selber durch Zuwendung Bestätigung erhält“131. Dies ist nicht nur sozial wichtig, wie man auf den ersten Blick einwenden möchte, sondern auch rechtlich relevant. Denn in diesem Umstand der Anerkennung spiegelt sich wieder, daß die Ehebeziehung im Laufe des 19. Jahrhunderts zunehmend im Liebesverhältnis verankert wird. Eben darin aber gelingt es unter anderem, eine aus der Gesellschaft ausgegliederte Privatsphäre zu institutionalisieren und die Ausbildung von Formen privater Autonomie zu unterstützen132. Hinter dem Druck-Topos scheint mithin nichts anderes auf als der auf den Schutz der Grundlagen der Rechtsausübung gerichtete Freiheitsimpetus des modernen Privatrechts133. Es kommt also nicht darauf an, in einem bestimmten Bereich menschlichen Handelns die „Reinheit“ der Motivation durch das Gebot einer Inkommensurabilität der Sphären des Ideelen und des Materiellen sicherzustellen und so Freiheit und Sittlichkeit ineins zu schalten, sondern darauf an, unerträgliche situative Asymmetrien in den emotionalen Anerkennungsverhältnissen der Familie zu vermeiden. Oder anders gesagt: Wenn man die Autonomie der Rechtsperson u. a. als (Mit-) Autorenschaft des eigenen Lebens begreift134, muß das Recht auch die Minimalanforderungen im Blick haben, nach denen die Rechtsperson ihre umfassenden Lebensziele und Beziehungen so wählen kann, daß die moralische und biographische Integrität des eigenen Lebensentwurfs bewahrt bleibt135. Kein anderes Anliegen liegt bei Lichte betrachtet auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur gestörten Vertragsparität136 zugrunde. All dies bedeutet nicht, daß hier inzident das romantische Ideal der bürgerlichen Liebesheirat 130 Dazu siehe Honneth, Kampf um Anerkennung, 45, sowie Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 10 VI 2 b bb. Als weiteren Versuch, die Ehe als Modell nicht-rechtlicher Solidarität zu interpretieren, siehe etwa Wildt, Autonomie und Anerkennung, 1982. 131 Honneth, Das Andere der Gerechtigkeit, 204. 132 Dazu wiederum eindringlich Honneth, Das Andere der Gerechtigkeit, 197 ff. 133 Auch für das Vertragsrecht gilt ja, daß das Subjekt nur dort zur Verwirklichung seiner besonderen Interessen gelangen kann, „wo es seine Mitmenschen als Vertragspartner anerkennt, die zur Einhaltung der vertragsinternen Verpflichtungen normativ in der Lage sind“, Honneth, Leiden an Unbestimmtheit, 118. 134 So etwa Raz, The Morality of Freedom, 154 f., 204 ff. 135 Siehe Raz, The Morality of Freedom, 152. Auf ähnliche Konzepte von Benn, Weinstein und Gert macht Gutmann, Freiwilligkeit, 184 ff., aufmerksam. 136 BVerfGE 81, 242 ff.; 89, 214 ff.; BVerfG, NJW 1994, 36; 94, 2749; 96, 2021.

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als die Grundform der bürgerlichrechtlichen Ehe ausgegeben wird. Denn falls die Ehegatten nicht aus Liebe, sondern etwa aus pekuniären Gründen heiraten, ist dies selbstverständlich zulässig und muß in den Beurteilungsprozeß einfließen, ob ihr emotionales Band tatsächlich unerträglich mit der Hypothek belastet wird, die Eheschließung mit dem Verlust der Bedenkung von Todes wegen erkauft zu haben. Nur falls die Ehegatten ihre Beziehung in emotionaler Exklusivität und gegenseitiger Intimität gründen wollen, begreifen sie ihre Ehe in der Form des auf Bedürfnisse abstellenden wechselseitigen Anerkennungsverhältnisses der Familie. Kurz gesagt kommt es mithin darauf an, den Binnenraum der Ehe vor einer Überwältigung durch die eigenen Handungslogiken des Erblassers zu schützen, damit destruktive Diskurskonflikte zwischen Familie (Teil: Bedachte) und Gesellschaft (Teil: Erblasser) bewältigt werden können137. Die Einbruchstelle derartiger Erwägungen, ein derartiges Anerkennungsverhältnis bedürfe unter Umständen des Schutzes aus § 138 I BGB, sind nun gerade die mittelbar im Rahmen des Art. 138 I GG wirkenden Grundrechte – etwa die in Art. 6 I GG lokalisierte Eheschließungsfreiheit als Prinzip138. Nur insoweit wird die Drittwirkungsdebatte hier relevant: Man muß ja erst Rechte auffinden können, bevor es um die Sicherung der impliziten Voraussetzungen ihrer Ausübung geht. Nach all dem wird deutlich, daß sich der Erblasser nicht der Person des Bedachten instrumentell bedienen kann, ohne zugleich die Anforderungen zu beachten, die der grundrechtlichen Rechtsausübung zugrundeliegen. Wie gesagt: Es steht hier nicht die Bewertung eines Eingriffs in Grundrechte in Rede – was ja in der Tat angesichts des Angebotscharakters der Bedenkung von Todes wegen nur mit Mühe begründbar wäre –, sondern das rechte Insverhältnissetzen der erbrechtlichen bedingten Bedenkung und den Mindestanforderungen, die Bürger einander um der Allgemeinheit des Rechts willen gewähren müssen und die eben über die nun objektivrechtlich wirkende Drittwirkung der Grundrechte rechtliche Relevanz erfahren. Es geht also um das Vorfeld eines Rechtseingriffs. Mit dem bloßen Verweis auf die Einsicht, bloße Anreize zu einem Verhalten „vermögen den Freiheitsraum des Adressaten nicht negativ zu berühren und können als solche keinen Ein137 Auch bei der Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit ruinöser Angehörigenbürgschaften geht es bei Lichte betrachtet ja darum, den grundrechtlich geschützten Binnenraum der Ehe mit den dort lokalisierten Normen der Solidarität und der gegenseitigen Opferbereitschaft vor seiner Korruption durch wirtschaftlich rationales Handeln zu bewahren, damit die eheliche Kommunikation in bestimmten existenzgefährdenden Situationen von einem ökonomischen Druck freigehalten werden kann, siehe Teubner, KritV 2000, 388 ff. 138 Vgl. zur aus Art. 6 I GG fließenden Eheschließungsfreiheit nur BVerfGE 28, 324 (347); 29, 166 (175); 31, 58. Zahlr weitere Nachweise siehe bei MünchKommMüller-Gindullis, 3. Aufl., vor § 1 EheG Rn. 22.

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griff in geschützte Freiheitsrechte darstellen“139, wird dies unterschlagen. Bei Lichte betrachtet ist es auch irrelevant, ob es sich um eine bedingte Verfügung von Todes wegen oder um ein bedingtes Angebot unter Lebenden handelt140. Denn das Gebot, die emotionalen Anerkennungsverhältnisse der Familie nicht zu mißachten, stellen sich der Rechtsperson nicht nur von Todes wegen, sondern immer. Sachlich werden in der Praxis die Kollisionslagen zwischen der Verwirklichung des Persönlichkeitsrechts des Erblassers und dem Recht auf Anerkenung der Grundlagen des ehelichen Verhältnisses im Vorfeld eines Rechtseingriffs nach dem Prinzip des „schonendsten Ausgleichs“ oder der „praktischen Konkordanz“ traktiert141. Hierbei kann durchaus auf die bisher schon entwickelten Abwägungsmodalitäten zurückgegriffen werden, bsp. auf den Umfang der Zuwendung, auf die Art, in der der Bedachte auf die Zuwendung angewiesen ist, auf die Vorentschlossenheit des Bedachten und auf die Zumutbarkeit des erstrebten Verhaltens142. Wenn man all diese Erwägungen unter dem Topos eines „unzulässigen Drucks“ auf den heiratswilligen Bedachten zusammenfaßt, wird deutlich, daß diesem „Druck-Konzept“ eine eminent normative Komponente eignet, die sich nicht auf eine psychologische Zwangslage reduzieren läßt143. Bei den erbrechtlichen Heiratsklauseln dürften insgesamt gesehen im Ergebnis die Sittenwidrigkeit der Potestativbedingung freilich nur schwer begründbar sein, da die genannten Mindestanforderungen wirklich nur einen Minimalbestand der Rechtsausübung betreffen (dazu sogleich). dd) Leitlinien der Abwägung Bei der Abwägung ist im weiteren noch zweierlei zu beachten. Einmal darf dem Erblasser bei der Herstellung praktischer Konkordanz grundsätzlich nicht zum Nachteil gereichen, aus welchen Motiven auch immer er die Potestativbedingung angeordnet hat144. Eine Ausnahme ist nur dann veranlaßt, wenn die Motivation auf die Verletzung der Menschenwürde oder auf eine Diskriminierung ausschließlich aus Gründen der Rasse gerichtet ist. 139

Gutmann, Freiwilligkeit, 220. Muscheler, ZEV 1999, 151 (152), geht demgegenüber davon aus, bei den erbrechtlichen Potestativbedingungen ginge es um Fallgestaltungen, bei denen unter Lebenden wohl kaum an eine Sittenwidrigkeit der Bedingung eines Rechtsgeschäfts gedacht würde. Nur: Vielleicht liegt gerade hierin der Wertungswiderspruch. 141 Dazu oben § 15 I 2 b. 142 Vgl. zu den einzelnen Kriterien nur Staud-Otte, § 2074 Rn. 34 ff.; MünchKomm-Leipold, § 2074 Rn. 15 f.; Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen, 119 ff. 143 So aber wohl Gutmann, Freiwilligkeit, 112 ff. 144 Oben § 14 II und Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 12 III, IV. 140

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Dies folgt schon daraus, daß selbst ein personfunktional ausgestaltetes Erbrecht derartige Auswüchse nicht tolerieren kann; methodisch folgt dies aus einem Wertungsabgleich der die Personfunktionalität stützenden Normen des einfachen Gesetzesrecht145 mit der positivierten Basis der gesamten bundesdeutschen Rechtsordnung, dem Art. 1 I GG. Schließlich geht es angesichts der historischen Erfahrungen nicht an, daß Rechtspflegeorgane einer Diskriminierung ausschließlich aus Gründen der Rasse eine rechtliche Anerkennung zuteil werden lassen müßten; auf eine derartige Diskriminierung gerichtete Verfügungen von Todes wegen sind deshalb gem. § 138 I BGB nichtig146. Zweitens folgt aus der personfunktionalen Ausgestaltung des gewillkürten Erbrechts, daß nur krasse Verstöße gegen die erblasserische Obliegenheit, den Bedachten als Rechtsperson anzuerkennen, die Sittenwidrigkeitsfolge begründen. Anders gesagt: Das vom Bedachten per Potestativbedingung eingeforderte Verhalten oder Unterlassen muß für den Bedachten nicht nur schwer durchzuhalten, sondern geradezu unzumutbar sein. Hierfür spricht einmal, daß der Erblasser vor Gericht seine Todesverarbeitung und die hierin möglicherweise aufscheinende expressive Eigenwilligkeit nicht mehr im Wege des rechtlichen Gehörs147 (im Falle eines Erbscheinsverfahrens) oder im Wege des prozessualen Rechtsgesprächs148 (im Falle eines Zivilprozesses) über das rechte Verständnis und die angemessene Anwendung der Gute-Sitten-Klausel verteidigen kann. Der Vortrag des die Anordnungen des Erblassers verteidigenden Beklagten ist ja beileibe kein funktional äquivalenter Ersatz, da wegen der Unvertretbarkeit der individuellen Entfaltung des „Seins zum Tode“ die Einlassungen des Beklagten notwendig defizitär sein werden. Ist dem so, muß schon zum Schutz der erblasserischen Todesverarbeitung auf die Notwendigkeit, erkannt werden, daß nur eine unerträgliche Belastung des Bedachten den Tatbestand des § 138 I BGB erfüllt. Zudem wäre ohne die Unerträglichkeits-Annahme die Gefahr zu groß, daß dem Erblasser wiederum das schneidige Instrumentarium der letztwilligen Verfügung aus der Hand geschlagen würde, welches er gegen die Übermacht systemischer Imperative der Sozietät ins Feld zu führen gedenkt. Denn die Schneidigkeit dieses Instrumentariums wird sich zu einem Großteil auch daran erweisen, inwiefern der Erblasser „von kalter Hand“ 145

Dazu oben § 2 I 3 und Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 11. Ebenso Mikat, FS Nipperdey, 581 (597 f.); Soergel-Stein, § 1937 Rn. 29; Staud-Otte, vor § 2064 Rn. 157. 147 Zu den Verbindungen zwischen der Figur eines Rechtsgespräch und Art. 103 I GG siehe Goebel, Rechtsgespräch und kreativer Dissens, 189 ff. 148 Siehe zur verfahrensrechtlichen Implementierung eines Rechtsgesprächs im Zivilprozeß § 139 I ZPO i. d. F. des ZPO-Reformgesetzes 2002; sowie Goebel, Gedanken zur materiellen Prozeßleitung nach der ZPO-Reform 2002; ders., Rechtsgespräch und kreativer Dissens, 184 ff. und passim. 146

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das Schicksal des Nachlasses über verhaltenssteuernde Maßnahmen – wie eine Potestativbedingung – beeinflussen kann. Um so leichter eine Potestativbedingung dem Sittenwidrigkeitsurteil verfällt, um so eher wäre dem Erblasser eine eigenwillige Ausprägung seines „Seins zum Tode“ nicht mehr möglich. Dies wiederum würde einen Wertungswiderspruch zur grundlegenden Entscheidung des Gesetzes nach sich ziehen, die Testierfreiheit personfunktional auszugestalten. Insofern unterscheidet sich die Sittenwidrigkeitsbeurteilung einer Verfügung von Todes wegen streng von der Prüfung, ob auf dem Gebiet des Vertrages ein nicht hinzunehmendes Ungleichgewicht der Kräfte vorliegt: Mit der Verfügung von Todes wegen ist die „normative Imparität“149 zum Bedachten als solche (also die Berechtigung, einseitig eine Regelung in Geltung zu setzen) untrennbar als Ausdruck der Persönlichkeitsausübung des Erblassers verbunden – mit durchschlagenden Folgen: Die Unzumutbarkeitsschwelle für den Bedachten ist außerordentlich hoch anzusetzen – in der Praxis werden sich kaum Fällen finden lassen, in dem mit Recht die Sittenwidrigkeit der Bedingung anzunehmen ist. Freilich scheint gegen diese Einsicht zu sprechen, es stünde dem Erblasser nicht zu, gerade mittels eines angestrebten Verhaltens oder Unterlassens des Bedachten den Schlag gegen die systemischen Imperative zu führen; er solle seine Persönlichkeit von Todes wegen gefälligst rein innerlich entfalten. Gegen einen derartigen Einwand sprechen zwei Argumente. Einmal – erstes Argument – können sich diese Imperative ja gerade darin widerspiegeln, daß der Bedachte das angestrebte Handeln oder Unterlassen verweigern will. Dies könnte beispielsweise bei einem vom Erblasser angestrebten Heiratsverhalten der Fall sein. Insistiert der Erblasser auf die Bedeutung einer bestimmten Familientradition, vor deren Hintergrund er dem Bedachten ein bestimmtes Heiratsverhalten per Potestativbedingung anempfiehlt, so ist es durchaus nicht abwegig, zu behaupten, in der Weigerung des Bedachten, der Tradition nachzukommen, spiegele sich die gesellschaftliche Zumutung des Zeitgeists wider, sich als individualisiertes, traditionalen Bindungen entwundenes Selbst nach außen zu geben. Will der Erblasser sich gerade gegen derartige gesellschaftliche Zumutungen wehren und gibt sich deshalb betont konservativ, kann er dies nur anhand einer letztwilligen Potestativbedingung150. Zudem würde – zweites Argument – ein Verweis des Erblassers auf eine reine „Innerlichkeit“ des „Seins zum Tode“ geradewegs die systemischen Imperative reproduzieren, um deren willen das Gesetz die Testierfreiheit so ungemein stark geführt hat. Es ist ja ein sehr wichtiger 149

Gutmann, Freiwilligkeit, 236. Dies war beispielsweise so in dem vom BayObLG, FamRZ 1997, 705, entschiedenen Fall, in dem es um die Sittenwidrigkeit adeliger Heiratsusancen und den sozialen Geltungsanspruch einer Familie innerhalb ihrer sozialen Bezugsgruppe ging, dazu Goebel, FamRZ 1997, 656 (657 f.). 150

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Imperativ der gesellschaftlichen Reproduktion, die Todesverarbeitung des einzelnen zu individualisieren und dem Individuum als etwas zuzuweisen, was es rein innerlich mit sich selbst auszumachen habe151. Im Ergebnis kommt es deshalb sehr wohl auf „Unerträglichkeit“ an – freilich nicht auf eine Unerträglichkeit des Sittenverstoßes oder auf die Gewichtigkeit der inkriminierten Sozialmoral i. S. allgemein anerkannter Elementargebote sittlichen Handelns152, sondern auf die individualbezogene Unerträglichkeit für den Bedachten. Im Ergebnis unterscheiden sich die hiesigen Erwägungen daher durchaus von der allgemeinen Dogmatik der Sittenwidrigkeitsklausel: Soweit in dieser Arbeit auf Unerträglichkeit abgestellt wird, steht allein der Bedachte im Mittelpunkt des dogmatischen Focus – Unerträglichkeiten i. S. eines Verstoßes gegen soziale Moralen bleiben mithin auch hier außen vor. d) Ergebnis Die Untersuchung hat gezeigt, daß ein Rekurs auf Gesinnung vor dem Hintergrund eines sachgerechten Verständnisses der Guten-Sitten-Klausel nicht sachgerecht ist. Doch auch die ansonsten in Literatur und Rechtsprechung vorgetragenen Konzeptionen, die das in einer erbrechtlichen Potestativbedingung niedergelegte Verhältnis zwischen personalen Freiheitsrechten des Bedachten und der Testierfreiheit des Erblassers thematisieren, überzeugen nicht. Entweder ist der jeweilige Ansatz zu objektivistisch und unterschlägt damit den Bezug der Sittenwidrigkeitsproblematik zu subjektiven Freiheitsrechten, oder er ist zu subjektivistisch auf den Bedachten bezogen, indem die Testierfreiheit des Erblassers außer Acht gelassen wird, der letztlich den Bedachten auch in toto hätte enterben können. Erst ein auf Anerkennungsverhältnisse bezogenes, insofern quasi „interaktionistisches“ Verständnis von Testierfreiheit, das die objektivistischen und subjektivistischen Verkürzungen bisheriger Theorie in ein stimmiges Konzept wendet, vermag dem in den Potestativbedingungen zum Ausdruck gebrachten Wertungsproblem eine einsichtige Unterfütterung zu geben. Das Sittenwidrigkeitsurteil gibt demnach ganz und gar keine „regelmäßig ganz unbehelfliche“ Regelung an die Hand153. Inhaltlich führt die Gute-Sitten-Klausel dann zur Sittenwidrigkeit der Bedingung, wenn das vom Bedachten per Potestativbedingung eingeforderte Verhalten oder Unterlassen für den Bedachten nicht nur schwer durchzuhalten, sondern geradezu unzumutbar ist. Sicherlich sind dem Richter hier Abwägungsspielräume eröffnet. Damit ist keine Gefahr 151

Dazu Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 9 III 1, 2. Wie dies die h. M. annimmt, siehe oben § 15 I 2 c und Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 12 III 1. 153 So aber Windel, Modi, 245 f. (ebda., 246 Fn. 8, das Zitat). 152

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verbunden, daß der Freiheitsraum des Erblassers durch richterliche Billigkeitserwägungen dahingehend ersetzt wird, „ob eine letztwillige Verfügung bestimmte soziomoralische Beziehungswerte optimiert oder nicht“154. Denn eine Abwägung ist nichts Unvernünftiges, solange sie sich in eine Kultur der juristischen Argumentation einbettet, von der sie zugleich ihre Konturen und ihre Richtung erfährt155. Indem die Zulässigkeit von Potestativbedingungen unter dem Gesichtspunkt eines unzulässigen Drucks auf den Bedachten untersucht wird, zeigt sich ein weiteres Mal das Gesetz als Ausdruck einer inneren Einheit von Wertungen – und damit als Recht. 3. Testierfreiheit und Familienordnung

a) Grundsatz: Vorrang der Testierfreiheit Oftmals setzt der Erblasser den anderen Gatten letztwillig zurück und verfügt zugunsten anderer Personen. Es besteht Einigkeit darüber, daß die Testierfreiheit durch das Bestehen familiärer Bindungen grundsätzlich nicht beschränkt wird156. Die Enterbung des überlebenden Gatten ist deshalb in der Regel bedenkenlos zulässig. Der Familienordnung und dem Partizipationsinteresse des überlebenden Teils trägt das Gesetz über das Pflichtteilsrecht Rechnung157; ein Noterbrecht des Ehegatten oder naher Angehöriger ist dem Gesetz fremd. Auch § 1371 II BGB wird dem enterbten Ehegatten häufig helfen. Die Testierfreiheit ist selbst dann geschützt, wenn die Enterbung Ausdruck einer „familienfeindlichen“ Gesinnung sein sollte, da die Motivation des Erblassers ja nicht dazu verwendet werden darf, einer letztwilligen Verfügung mit Rücksicht auf § 138 I BGB die Geltung zu versagen158. Auch eine „kränkende Zurücksetzung“ auf Seiten des überlebenden Ehegatten reicht nicht aus, die Sittenwidrigkeit zu begründen. Dessen vermögensmäßiges Partizipationsinteresse am Nachlaß ist über das Pflichtteilsrecht geschützt159. Relevant sein könnte deshalb allenfalls die Affektion, 154

So aber Gutmann, Freiwilligkeit, 224 f., Fn. 1110. Siehe hier in grundrechtlichen Zusammenhängen Alexy, Theorie der Grundrechte, 143 ff., 498 ff. 156 BGHZ 53, 369 (374); BGH, FamRZ 1994, 162 (162 f.); FamRZ 1999, 580 (582); Palandt-Heinrichs, § 138 Rn. 49; Staud-Sack, § 138 Rn. 437; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 35 IV 3 b. 157 Siehe nur BGH, FamRZ 1954, 195 (197); FamRZ 1994, 162 (162 f.); FamRZ 1999, 580 (582); OLG Düsseldorf, FamRZ 1997, 1506 (1507); FamRZ 1998, 583; OLG Frankfurt, FamRZ 1995, 1026 (1027); Staud-Sack, § 138 Rn. 437, 442; Erman-Schmidt, Vorbem. §§ 2064 ff., Rn. 15; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 290; Flume, AllgT II, § 18, 5; dazu siehe ausführlich unten § 20 III. 158 Siehe oben § 14 II und ausführlich Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 12 IV. 155

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von dem verstorbenen Gatten zurückgesetzt worden zu sein. Damit steht aber wiederum die sittenwidrigkeitsrechtlich irrelevante Motivation des Erblassers zur Rede, der für sich gute Gründe gefunden haben mag, im Angesicht seines Todes dem gesellschaftlichen Imperativ der Gattenachtung nicht entsprochen zu haben. Der überlebende Teil ist mithin grundsätzlich – über Ausnahmen wird sogleich zu handeln sein – darauf verwiesen, etwaig empfundene Kränkungen als eigenverantwortliche Person psychisch selbst zu verarbeiten. Der praktisch wichtigste Fall, in dem ein Verstoß einer Erbeinsetzung gegen § 138 I BGB diskutiert wurde und immer noch wird – wenngleich nicht mehr mit der Intensität wie früher –, ist die Einsetzung einer anderen Person als den Ehegatten, mit der der Erblasser geschlechtliche Beziehungen pflegte. Hier entspricht es der ganz h. M., von einer Sittenwidrigkeit auszugehen, wenn die Bedenkung ausschließlich als Belohnung oder zum Anreiz für derartige Beziehungen diente160. Wenngleich ein derartiger Fall eher selten praktisch werden dürfte, nahm die Rechtsprechung mit stellenweise geradezu kuriosen Auswüchsen bis zum Ende der 60er Jahre an, daß aus der bloßen Existenz sexueller Kontakte regelmäßig folge, diese seien auch das alleinige oder zumindest das bestimmende Motiv der Bedenkung gewesen161; erst Anfang der 70er Jahre trat hier eine Kehrtwende ein162 – freilich nicht weit genug. Immer noch „verstrickt sich die Rechtsprechung (. . .) erneut in die Probleme persönlicher Moral“163. Die Lösung gibt auch an dieser Stelle wieder ein Blick auf die personfunktionale Gründung des gewillkürten Erbrechts. Auch hier wieder gilt: Die Motivation des Erblassers zur Bedenkung ist sittenwidrigkeitsrechtlich grundsätzlich irrelevant. Eine Ausnahme ist nur zu machen, soweit der Erblasser auf eine Beeinträchtigung der Menschenwürde abzielt164. Eine Bedenkung von Todes wegen, welche ausschließlich zum Anreiz oder zur Belohnung geschlechtlicher Beziehungen, ist daher nur dann sittenwidrig, wenn in dieser Verbindung zwischen Vermögen und personaler Entfaltung auf der Ebene des Geschlechtlichen ein Verstoß gegen die Menschenwürde gesehen wird165. Ist dem so, kann es auch keine Rolle spielen, ob der Zurückgesetzte mit dem Erblasser verheiratet war. 159

Ebenso Soergel-Stein, § 1937 Rn. 32. BGHZ 53, 369 (376); OLG Düsseldorf, FamRZ 1998, 583; MünchKommMayer-Maly, § 138 Rn. 53; Soergel-Stein, § 1937 Rn. 31; Staud-Otte, vor §§ 2064– 2086 Rn. 140 ff. m. w. Nachw. 161 Siehe etwa BGH, NJW 1964, 764. 162 BGHZ 53, 369. 163 Dieter Schwab, Einführung in das Zivilrecht, Rn. 606. 164 Oben § 15 II 2 c dd. 165 Einen Menschenwürdeverstoß sehen Staud-Otte, vor § 2064 Rn. 150; Schlitt, Klassische Testamentsklauseln, 27 f. 160

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b) Ausnahme: Schutz des Gefühlszustands des Überlebenden in unerträglichen Fällen Praktisch wichtiger dürften die Fallgestaltungen sein, in denen ein Motivbündel aus Bedenkung wegen geschlechtlicher Beziehung und wegen personaler Nähe besteht. Hier ist zu unterscheiden: Das Interesse des Überlebenden an der Partizipation am Nachlaß des Verstorbenen wird – hiervon war soeben die Rede – nur über das Pflichtteilsrecht geschützt und ist daher für § 138 I BGB nicht relevant. Dies gilt auch für diejenigen Fälle, in denen die Rechtsprechung eine Sittenwidrigkeit der Verfügung wegen einer materiellen Zurücksetzung des Gatten angenommen hat, die in einer unzumutbaren Ungleichheit der Vermögensverteilung gesehen wurde166. Otte hat darauf aufmerksam gemacht, daß die Rechtsprechung den Gesichtspunkt der Ungleichheit der Vermögensverteilung regelmäßig nur bei Zuwendungen an außereheliche Partner ins Spiel gebracht hat167. Der Rechtsprechung geht es daher eigentlich um den Schutz derjenigen Interessen des Überlebenden, der sich durch die außerehelichen Beziehungen des Verstorbenen in seinem Gefühlszustand unangenehm berührt sieht. Dieses auf den Schutz der Emotionen bezogene Interesse hat jedoch mit einer Ungleichheit der Vermögensverteilung nichts zu tun. Soweit das Versorgungsinteresse des überlebenden Teils in Rede steht, ist die Gute-Sitten-Klausel nicht der richtige Anknüpfungspunkt für den Ehegattenschutz. Oftmals wird der überlebende Gatte auf das Pflichtteilsrecht verwiesen, welches nach dem ersten Todesfall die Unterhaltsfunktion ersetzen solle168. Andere halten dem entgegen, das Pflichtteilsrecht regele in pauschalierender Weise typische Normalfälle, während die unterhaltsrelevante Bedürftigkeit einen besonderen Umstand darstelle, der rechtliche Ausnahmeregelungen erlaube und daher im Pflichtteilsrecht nicht gut, im Sittenwidrigkeitsrecht aber sehr wohl aufgehoben sei169. Bei Lichte betrachtet wird das Versorgungsinteresse aber weder ausschließlich über das Pflichtteilsrecht noch über das Instrument der Sittenwidrigkeitskontrolle geschützt. Vielmehr steht hier eine dezidiert versorgungsrechtliche Frage zur Beantwortung an, die auch mit versorgungsrechtlichen Mitteln gelöst werden kann, worauf noch zurückzukommen sein wird170. Es bleiben mithin nur sonstige Interessen eher emotionaler Art und jenseits von Nachlaßpartizipation und gehöriger Versorgung übrig, die dem überlebenden Gatten zur Seite stehen und zur Sittenwidrigkeit der Verfü166

Siehe nur BGHZ 53, 369 (377 f.). Otte, JA 1985, 192 (197). 168 Siehe nur Simshäuser, Sittenwidrigkeit, 49; Gernhuber, FamRZ 1960, 326 (333); Ramm, JZ 1970, 129 (132). 169 So etwa Staud-Sack, § 138 Rn. 443; Otte, JA 1985, 192 (198). 170 Siehe dazu unten § 21. 167

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gung führen können. Insofern kommt es darauf an, ob der Erblasser in unerträglicher Weise in schutzwürdige Grundrechtspositionen171 des überlebenden Teils eingegriffen hat. Bei der durch den Tod aufgelösten Ehe wird dies aber aus Sicht der Familienordnung nur ausnahmsweise der Fall sein. Ein einschlägiges Beispiel für eine Ausnahme wäre allenfalls die Gestaltung, daß der Überlebende die Erinnerung an die einstmalige eheliche Verbundenheit pflegt und die Enttäuschung über die (wegen der außerehelichen Partnerschaft) nicht mehr vorhandene Exklusivität der intim-affektiven Primärbeziehung zum Verstorbenen verarbeiten muß. Wenn hier die Zumutungen des Verstorbenen für den Überlebenden ein unerträglich hohes Maß erreicht haben, kann durchaus in äußersten Ausnahmefällen ein im Rahmen des Art. 6 I GG schützenswertes Interesse im Sinne einer quasi nachwirkenden Ehewirkung gesehen werden. Nun hat der Erblasser schützenswerte Grundrechtsinteressen zu achten und deshalb von ihrer Beeinträchtigung abzusehen, falls er sie unerträglich belastet172. In der Literatur wird stellenweise diskutiert, eine Sittenwidrigkeit der den außerehelichen Teil bedenkenden Verfügung anzunehmen, wenn durch die Verfügung der überlebende Ehegatte faktisch zu laufenden persönlichen Kontakten mit dem als Allein- oder als Miterben eingesetzten außerehelichen Partner gezwungen würde, worin eine nicht zu tolerierende ideelle Kränkung des Überlebenden zu erblicken sei173. Als Beispiele werden genannt, daß der Ehegatte in dem Haus weiterhin zu wohnen genötigt ist, welches der außereheliche Partner geerbt hat, oder daß der Gatte mit diesem in einem vererbten Unternehmen zusammenarbeiten müsse174. Dem kann unter den Prämissen zugestimmt werden, daß erstens der überlebende Gatte gegen die letztwillige Verfügung vorgeht, weil er seine affektive Verarbeitung des ehelichen Zusammenlebens gefährdet sieht, daß zweitens ein persönliches Zusammentreffen mit dem außerehelichen Partner dem Ehegatten tatsächlich diese Verarbeitung unmöglich machen würde und daß schließlich drittens derartige Kontakte tatsächlich für den überlebenden Gatten unerträglich sind – § 138 I BGB gibt ja kein Instrument zur Hand, bloße Empfindlichkeiten vor der Unerträglichkeitsschwelle zu schützen. Insgesamt gesehen dürften derartige Fallgestaltungen sehr selten vorkommen; dies liegt auf der richtigen Linie, mit dem Urteil des unzumutbaren Kontakts zwischen dem Ehegatten und dem neuen Partner äußerst zurückhaltend umzugehen175. 171

Genauer: Ob der Erblasser die der Rechtsausübung vorgelagerten Mindestbestände vernachlässigt, die das Recht implizit voraussetzt, dazu siehe soeben. 172 Siehe oben § 15 II 2 c. Diese Erwägungen gelten auch hier. 173 So Staud-Otte, vor § 2064 Rn. 169; ders., JA 1985, 192 (197, 200 f.); StaudSack, § 138 Rn. 443. 174 Hier sind etwa Fälle, wie die der aufgeteilten Arztpraxis (RG, WarnR 28, 432), einschlägig.

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Gegen diese Lösung wurde eingewandt, sie prämiere den überlebenden Gatten, obwohl die Last des persönlichen Zusammentreffens sowohl diesen als auch den außerehelichen Partner treffe176. Hiergegen spricht jedoch, daß das Argument gleicher Lastentragung nur dann trifft, wenn nicht das gerade skizzierte, aus Art. 6 I GG fließende Interesse des überlebenden Ehegatten berührt ist. Denn ist es nicht berührt, spricht in der Tat nichts dafür, bei der Bewertung der emotionalen Interessen beider Teile – also sowohl des ehelichen, als auch des außerehelichen Partners – das Interesse des Gatten vorzuziehen, da den Gatten ja rechtlich von dem außerehelichen Partner dann nichts mehr unterscheidet, wenn sein emotionales Interesse (sein „Affektions“-Interesse) nicht über Art. 6 I GG besonders geschützt ist. Darüberhinaus wurde vorgetragen, ein Insistieren auf der affektiven Belastung des überlebenden Teils als sittenwidrigkeitsrechtlich relevantes Moment ginge auch deshalb fehl, weil mit diesem Gedanken wohl kaum die Bedenkung solcher Personen angegriffen würde, deren Kontakt dem überlebenden Gatten ebenfalls nicht genehm ist; letztlich würde unterschwellig doch wieder nur auf die vermeitliche Verletzung der Sexualmoral verwiesen177. Der Einwand geht fehl. Denn selbstverständlich müßte theoretisch auch eine Bedenkung solcher, dem überlebenden Gatten mißliebigen Personen geprüft werden, die nicht in einer außerehelichen Beziehung mit dem Erblasser standen – Einsatzpunkt der Sittenwidrigkeitsprüfung ist ja nicht die Sexualmoral, sondern der Grad der Belastung schutzwürdiger Interessen des Überlebenden. Die Sittenwidrigkeitsprüfung wird aber allenfalls dann zur Nichtigkeit der mit der Bedingung ins Werk gesetzten Belastung führen, wenn diese unter den oben skizzierten drei Voraussetzungen zu einer sittenwidrigkeitsrechtlich einschlägigen Beeinträchtigung des überlebenden Teils führen würde. Nur dürfte beim besten Willen keine praktische Gestaltung ersichtlich sein, in der dies jemals der Fall sein dürfte, da das Maß der affektiven Belastung des Überlebenden unmittelbar von dem Grad der zwischen dem Erblasser und dem bedachten Teil gepflegten, die ganze Person umgreifenden Intimität abhängig sein wird. Dieses Maß wird bei Bedachten regelmäßig gering sein, die dem Erblasser nicht außerehelich verbunden waren.

175 Zur äußersten Zurückhaltung ruft auch Erman-Schmidt, Vorbem. §§ 2064 ff., Rn. 15, auf. 176 So Soergel-Stein, § 1937 Rn. 32. 177 Soergel-Stein, § 1937 Rn. 32.

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Kap. 6: Personaler Ehegattenschutz und personfunktionales Erbrecht 4. Einzelfragen

a) Der Zeitpunkt der Beurteilung der Sittenwidrigkeit Vor dem Hintergrund der bisherigen Überlegungen ist die Frage relativ einfach zu entscheiden, auf welchen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit abzustellen ist. Die Rechtsprechung178 rekurriert im Einklang mit Teilen des Schrifttums179 entgegen zahlreichen anderen Stimmen180 zumeist auf den Zeitpunkt der Vornahme der letztwilligen Verfügung. Dies ist allenfalls dann einsichtig, wenn in der Gesinnung des rechtsgeschäftlich Handelnden einer der maßgeblichen Gründe gesehen wird, mit denen die Sittenwidrigkeit einer Verfügung aufgezeigt werden kann. Denn dann kann es augenscheinlich nur auf die Motivierung des Verfügenden zur Zeit der Vornahme des Rechtsgeschäfts ankommen181. Dies ändert sich jedoch zwangsläufig, wenn für die Begründung der Sittenwidrigkeit die Beeinträchtigung personaler Rechte auf Seiten des Bedachten im Sinne eines unzulässigen „Drucks“ im Vordergrund steht: Ob eine Beeinträchtigung gegeben ist, läßt sich nur zum Zeitpunkt des Erbfalles beurteilen – auf diesen ist daher die Sittenwidrigkeitsprüfung zu beziehen182. Rechtstechnisch kann diese Wertung in der Weise ins Werk gesetzt werden, daß mit Bartholomeyczik das Tatbestandsmerkmal „Rechtsgeschäft“ i. S. des § 138 I BGB erst mit dem Tode des Erblassers voll als erfüllt angesehen wird183. Für diese Lösung spricht, daß das Sittenwidrigkeitsurteil das Rechtsgeschäft als Regelung erfaßt184 – eine Regelung, die für die Sittenwidrigkeit 178

Vgl. nur BGHZ 7, 11; 20, 71; 100, 359; 107, 96. Erman-Schmidt, vor § 2064 Rn. 13; RGRK-Krüger-Nieland/Zöller, § 138 Rn. 24; Smid, NJW 1990, 409 (410). 180 Auf den Zeitpunkt des Erbfalls stellen ab OLG Hamm, FamRZ 1979, 1074 (bei Wandeln der Sittenwidrigkeitsanschauungen); MünchKomm-Mayer-Maly, § 138 Rn. 17, 114; Soergel-Hefermehl, § 138 Rn. 44; Soergel-Stein, § 1937 Rn. 28; StaudSack, § 138 Rn. 87; Erman-Brox, § 138 Rn. 52; Flume, AllgT II, § 18,6 aE; Larenz/Manfred Wolf, AllgT, § 41 Rn. 32; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 292; v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 1, 312 f.; Kipp/Coing, Erbrecht, § 16 III 1 a; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 35 IV 6 b; Keuk, Der Erblasserwille post testamentum, 21 ff.; Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen, 154 ff.; Bartholomeyczik, FS OLG Zweibrücken, 26 (63, 68); Eckert, AcP 199 (1999), 337 (357); Gernhuber, FamRZ 1960, 326 (334); wohl auch Erman-Schmidt, Vorbem. §§ 2064 ff., Rn. 15; nach Vertrauensschutzgrundsätzen differenziert Schmoeckel, AcP 197 (1997), 1 (40 ff. 64 ff.). Der BGH ließ diese Frage kürzlich offen, siehe BGH, FamRZ 1999, 580 (582); ebenso OLG Stuttgart, FamRZ 1998, 260 (261). 181 Siehe nur Eckert, AcP 199 (1999), 337 (344). 182 Vgl. auch Flume, AllgT II, § 18, 6; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 35 IV 6b; Staud-Sack, § 138 Rn. 87. 183 Bartholomeczik, FS OLG Zweibrücken, 26 (63); aA MünchKomm-MayerMaly, § 138 Rn. 114. 179

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relevant sein kann, entfaltet eine Verfügung von Todes wegen aber nur im Tode des Erblassers. b) Ein subjektiver Tatbestand bei § 138 I BGB? Aus dem gleichen Grunde, der schon bei der Diskussion des Zeitpunkts der Sittenwidrigkeitsprüfung dafür sprach, auf den Zeitpunkt des Erbfalls abzustellen, ist der Gute-Sitten-Klausel – zumindest soweit die Prüfung von Verfügungen von Todes wegen ansteht – kein subjektiver Tatbestand inhärent185. Demgegenüber wird oft von der Notwendigkeit ausgegangen, die Beteiligten müßten zwar kein Bewußtsein der Sittenwidrigkeit besitzen186, sie müßten jedoch zumindest in den Fallgestaltungen alle sittenwidrigen Tatumstände gekannt oder sich deren Kenntnis bewußt verschlossen oder entzogen haben187, in denen ein sittenwidriges Verhalten gegenüber Dritten oder der Allgemeinheit in Rede steht und bei denen sich das Sittenwidrigkeitsurteil aus einer zusammenfassenden Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck des Rechtsgeschäfts ergebe188. Es ist jedoch nicht ersichtlich, wieso der über § 138 I BGB ins gewillkürte Erbrecht implementierte Bedachtenschutz davon abhängig sein soll, daß ein subjektiver Befund auf Seiten des Erblassers vorhanden sein soll. Mit dem hier gewählten Zuschnitt der Sittenwidrigkeitsprüfung und der ihr inhärenten Entdramatisierung der Gute-Sitten-Klausel ist ein Abschied von diversen Vorwürfen bsp. einer gewissen „Unanständigkeit“ des Sittenwidrigkeitsverstoßes189 verbun184

Flume, AllgT II, § 18, 2a; Soergel-Hefermehl, § 138 Rn. 19. Einen subjektiven Tatbestand halten allgemein bei § 138 I BGB insoweit für nicht notwendig, wenn sich nicht im konkreten Einzelfall die Sittenwidrigkeit gerade aus der Verwirklichung eines subjektiven Elements ergebe, AK-Damm, § 138 Rn. 77 ff., 84 ff.; Erman-Brox, § 138 Rn. 30, 34, 36 f.; MünchKomm-Mayer-Maly, § 138 Rn. 111 ff.; ders., Bewußtsein der Sittenwidrigkeit, 25 ff.; Staud-Sack, § 138 Rn. 61 ff.; ders., NJW 1985, 761 (765, 768); Flume, AllgT II, § 18, 3; Larenz, AllgT, § 22 III c; ders., JurJb 7 (1966/67), 98 (119 f., 122); Heinrich, Formale Freiheit, 383; Lindacher, AcP 173 (1973), 124 (126 ff.). 186 So die neuere Rechtsprechung, siehe BGHZ 94, 268 (272 f.); BGH, NJW 1988, 1373 (1374); NJW 1994, 187 (188); BGH, WM 1993, 1189 (1191). 187 RGZ 97, 253 (255); 120, 144 (148); BGHZ 80, 153 (160 f.); BGH, NJW 1980, 2407 (2408); 1982, 1455; 1988, 1373 (1374); 1994, 187 (188); BGH, NJWRR 1998, 510. 188 Bei Rechtsgeschäften, die schon nach ihrem objektiven Inhalt sittenwidrig sind, verzichtet auch die Rechtsprechung auf einen subjektiven Tatbestand, siehe nur BGHZ 94, 268 (272 f.); aus der Literatur siehe etwa aus der Fülle Larenz/Manfred Wolf, AllgT, § 41 Rn. 27 ff.; Soergel-Hefermehl, § 138 Rn. 31 ff. 189 Sittenwidrigkeit wird mit „Gesinnungsgemeinheit“, „Gewissenlosigkeit“, „Unanständigkeit“, der Vorstellung eines „Makels“, eines „Brandmals“ oder gar eines „moralischen Bannfluchs“ bsp. verbunden bei RGZ 58, 219 (220, 223); RG JW 1914, 83, Nr. 14; 1921, 1363 (1364); 1932, 938; RGZ 136, 293 (297); 144, 242 185

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den190. Denn einmal wird das Sittenwidrigkeitsurteil anhand einer Bewertung von Umständen erarbeitet, die aus Sicht des Bedachten gewonnen worden sind. Und zum anderen ist ein Vorwurf untrennbar verbunden mit dem Tadel, nicht die rechte Gesinnung gezeigt zu haben – eine Vorhaltung, der in einem personfunktionalen Erbrecht von vornherein ins Leere geht. Eine Umstandsittenwidrigkeit kann bei Verfügungen von Todes wegen nicht Platz greifen191. Dem Erblasser wird mithin kein Vorwurf adressiert, wenn sich herausstellt, daß seine Verfügung von Todes wegen wegen § 138 I BGB nichtig ist. Ist dem so, trägt auch das an sich achtenswerte Vorhaben nicht, zum Schutzes des Erblassers in § 138 I BGB ein subjektives Element einzuziehen. c) Die Rechtsfolgenseite der Guten-Sitten-Klausel Offen blieb bisher noch die Frage, wie es im Zwiespalt zwischen „richterlichem Moderationsrecht und Totalnichtigkeit“192 um die Rechtsfolgenseite des § 138 I BGB in erbrechtlichen Fallgestaltungen bestellt ist. Ganz überwiegend wird als Regelrechtsfolge des Sittenwidrigkeitsurteils im Vermögensrecht die Totalnichtigkeit des Rechtsgeschäfts angesehen, wobei § 139 BGB im übrigen angewendet werden soll193. Stellenweise wird demgegenüber auch angenommen, die Rechtsfolge des § 138 I BGB gehöre insofern modifiziert, als ein dem § 134 HS 2 BGB entsprechender Normzweckvorbehalt eingebaut werden müsse, so daß auch die Möglichkeit einer bloßen Teilnichtigkeit konzediert werden könne194. Der Sache nach liegt (245); 150, 1 (5); BGHZ 3, 270 (279); 14, 294 (303); 52, 17 (20); NJW 1968, 932 ff.; 1970, 1273 (1275); 1979, 365 (366); Canaris, AcP 184 (1984), 201 (234); ders., FS Larenz, 27 (32); Baumbach, JW 1930, 1643 (1645); Zimmermann, JR 1985, 48 (51); Vogt, NJW 1976, 729 (731). 190 Ablehnend gegenüber derartigen „Makel“-Annahmen bsp. Staud-Sack, § 138 Rn. 30; ders., NJW 1985, 761 (766); Soergel-Hefermehl, § 138 Rn. 19; Flume, ALLgT II, § 18, 1; Mayer-Maly, AcP 194 (1994), 105 (172). 191 Dazu Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 12 III 3. 192 Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht oder Totalnichtigkeit, 1979. 193 So BGHZ 44, 158 (162); 52, 24; 68, 204 (207); 72, 308 (315); 105, 220; 107, 355; BGH NJW 1972, 1459; 1979, 1605 (1606); 1983, 1420 (1423); 1989, 26; WM 1973, 357; ZIP 1987, 519; Soergel-Hefermehl, § 138 Rn. 46 ff.; MünchKommMayer-Maly, § 138 Rn. 132 ff.; Palandt-Heinrichs, § 138 Rn. 19; Flume, AllgT II, § 18, 9; Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht, insbes. 80 ff. und passim. 194 Staud-Sack, § 138 Rn. 93 ff.; ders., RdA 1975, 171 (176 ff.); ders., WRP 1 (11 f.); AK-Damm, § 138 Rn. 87 ff.; ders., JZ 1986, 913 (919 f.); Hager, Gesetzesund sittenkonforme Auslegung, 87 ff., 145 ff.; ders., JuS 1985, 264; Lindacher, AcP 173 (1973), 125 (131); Roth, JZ 1989, 411. Auch Canaris, Gesetzliches Verbot und Rechtsgeschäft, 34, will Modifikationen der Rechtsfolge des § 138 BGB entgegen dem Wortlaut zwecks Vermeidung rechtlicher Wertungswidersprüche (insbes. beim Wucher) im Wege richterlicher Rechtsfortbildung zulassen und kommt so zu einem

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hierin entweder eine restriktive Auslegung des § 138 BGB, dessen Wortlaut auch so verstanden werden kann, daß ein Rechtsgeschäft nichtig ist, soweit es gegen die guten Sitten verstößt195. Oder die Gute-Sitten-Klausel wird teleologisch reduziert und einem Normzweckvorbehalt unterworfen196 – ein insoweit fehlender, dem § 134 HS 2 BGB entsprechender Hinweis197 verliert nach dieser Ansicht seine normative Bedeutung198. Soweit § 138 I BGB als Verweis auf ungeschriebene Verbotsgesetze interpretiert wird, läge es zudem nahe, wie bei § 134 BGB mancherorts vorgeschlagen nach dem Personenkreis derer zu differenzieren, die sich auf die Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts berufen dürfen, und insofern eine absolute199 und eine relative200 Nichtigkeit zu unterscheiden. Dies läge auf einer Linie mit dem Einbringen eines dem § 134 HS 2 BGB entsprechenden Normzweckvorbehalts in die Gute-Sitten-Klausel: Da es jenseits des Zwecks der das Sittenwidrigkeitsurteil tragenden Norm keine Nichtigkeit geben kann, kann die Nichtigkeit auch nur relativ sein, wenn gerade nur dies dem Zweck dieser die Sittenwidrigkeit anordnenden Norm entspricht. Und soweit es um die amtswegige Wahrnehmung der Sittenwidrigkeit im Prozeß und um die Abgrenzung des Kreises derer geht, die sich auf § 138 BGB berufen dürfen, kann es nicht darauf ankommen, ob ein jeder Beteiligter oder erst der Richter die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts bewertet; in diesem Sinne muß § 138 I BGB absolut wirken201. Wie steht es gegenüber diesem breiten Kreis von Meinungen im Vermögensrecht um die Rechtsfolge bei der Sittenwidrigkeit letztwilliger Verfügungen? Richtigerweise ist wie folgt zu entscheiden: Es entspricht der ganz überwiegenden Ansicht, die Möglichkeit der Teilnichtigkeit einer Verfügung zumindest bei quantitativer Teilbarkeit zu bejahen202. Das Gesetz zeigt in Grundsatz halbseitiger Teilnichtigkeit in verschiedenen Fallgruppen, dazu auch Larenz/Canaris, SchuldR II/2, § 68 I 3 a Fn. 10. 195 Lindacher, AcP 173 (1973), 124 (131); Staud-Sack, § 138 Rn. 93. 196 So bsp. Staud-Sack, § 138 Rn. 95 ff.; ders., RdA 1975, 171 (177); ders., WRP 1985, 1 (11 f.); Roth, JZ 1989, 411 (417 ff.). 197 Auf diesen Unterschied zwischen § 134 BGB und § 138 I BGB wird zumeist die Ablehnung einer Teilnichtigkeit bei § 138 I BGB gestützt, vgl. nur BGH LM Nr. 14 zu § 139 BGB; RGZ 168, 91 (97); 168, 307 (312); vgl. auch Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht, 116. 198 Dazu nur Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung, 150 f.; Damm, JZ 1986, 913 (915). 199 So die fast allgemeine Meinung, vgl. nur RGZ 150, 181 (186); 160, 52 (56); BGHZ 27, 172 (180); 60, 102 (105); Staud-Sack, § 138 Rn. 91; MünchKommMayer-Maly, § 138 Rn. 130; Palandt-Heinrichs, § 138 Rn. 21. 200 Dazu vgl. im Rahmen des § 134 U. Hübner, FS H. Hübner, 487 (499 ff.). 201 MünchKomm-Mayer-Maly, § 134 Rn. 93. 202 Staud-Otte, vor § 2064 Rn. 184; MünchKomm-Leipold, § 2085 Rn. 9; Lange/ Kuchinke, Erbrecht, § 35 IV 5, je m. w. Nachw.

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§ 2085 BGB, daß es eine Verfügung von Todes wegen soweit wie möglich aufrechterhalten will. Dieser Erhaltungsgedanke entspricht der personfunktionalen Gründung des gewillkürten Erbrechts und trägt eine Analogie zu § 2085 BGB bei der Teilunwirksamkeit einer einheitlichen, quantitativ teilbaren Verfügung; § 139 BGB wird mithin entgegen einiger Stimmen203 nicht angewendet204. Der Erhaltungsgedanke kann jedoch nur soweit tragen, als ihm nicht zwingendes Recht entgegensteht. Ab dem oben beschriebenen Grad einer Beeinträchtigung (regelmäßig Unerträglichkeit) der Rechte des Bedachten steht der Testierfreiheit zwingend das Sittenwidrigkeitsurteil des § 138 I BGB entgegen. Die Zuwendung ist mithin insoweit nichtig, wie das Sittenwidrigkeitsurteil reicht. Dies wird zur Folge haben, daß Zuwendungen, die wegen der Verursachung unzumutbarer tatsächlicher Verhältnisse sittenwidrig sind – etwa wegen eines unerträglichen Kontakts des überlebenden Ehegatten zu dem außerehelichen Partner des Erblassers –, in der Regel im vollen Umfang nichtig sein werden, da nur so die Unerträglichkeit beseitigt werden kann205. Gleiches wird für die Sittenwidrigkeit erbrechtlicher Potestativbedingungen gelten, da hier schon eine Teilbarkeit der Bedingung selbstredend nicht möglich ist. Die vom Gesetz nicht eigens geregelte Frage, ob bei einer sittenwidrigen Potestativbedingung die Verfügung als unbedingte weiterbestehen bleiben kann, wird richtigerweise nach § 140 BGB zu entscheiden sein. Bei einer Potestativbedingung handelt es sich nicht um einen abtrennbaren Teil eines Rechtsgeschäfts i. S. § 139 BGB oder § 2085 BGB206. Vielmehr stellt die Verfügung samt der Bedingung nach dem Willen des Erblassers eine Einheit dar. Dies gilt entgegen vordringender Stimmen in der Literatur207 auch für auflösende Bedingungen. Hier läßt sich gerade nicht eindeutig eine typische Willensrichtung der Art ausmachen, der Erblasser habe zunächst einmal den Rechtserfolg unabhängig davon gewollt, ob die Bedingung eintritt oder nicht208. Denn falls dem Erblasser so viel an dem mit der Potestativbedingung anzureizenden Verhalten oder Unterlassen des Bedachten gelegen war, daß er dies im Wege eines Bedingungszusammenhangs mit der Zuwendung verknüpft hat, wird oftmals der Erblasser die Verfügung ohne die Bedingung gerade nicht gewollt haben209. Die Zweifelsregelung des § 2085 BGB ist deshalb nicht 203

RG, SeuffA 75 Nr. 36; RGRK-Johannsen, § 2085 Rn. 7. Ebenso KG, JW 1938, 2746 (2747); MünchKomm-Leipold, § 2085 Rn. 9; Staud-Otte, § 2085 Rn. 11; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 34 V 2 b; Kipp/Coing, Erbrecht, § 21 VI; v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 1, 280 f.; Schlüter, Erbrecht, Rn. 199; wohl auch BGH, NJW 1983, 277 (278). 205 Ebenso Staud-Otte, Vorbem. § 2064 Rn. 185. 206 Soergel-Loritz, § 2074 Rn. 33, § 2085 Rn. 12. 207 Staud-Otte, § 2085 Rn. 13 f. 208 So aber Staud-Otte, § 2085 Rn. 14. 209 MünchKomm-Leipold, § 2074 Rn. 17. 204

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angängig. Es läge in dieser Situation ein Ausweg auf die Umdeutungsvorschrift des § 140 BGB nahe210, so daß der hypothetische Wille des Erblassers im Einzelfall darüber entscheiden würde, ob die Verfügung als unbedingte fortbesteht oder nicht. Dann kommt man aber in die mißliche Lage, im Ergebnis den Schutz des Bedachten, der schlagkräftig nur durch eine Unwirksamkeit allein der Bedingung ins Werk gesetzt werden kann, gerade dem Erblasserwillen anzuvertrauen. Richtigerweise muß nach dem Zweck der Norm entschieden werden, die dem Sittenwidrigkeitsurteil zugrundeliegt. Danach soll der Bedachte vor einem unzulässigen Eingriff in seine Freiheitsrechte bewahrt werden. Ist dem so, entspricht es dem Sinn und Zweck des § 138 I BGB, zumindest im Bereich des gewillkürten Erbrechts die Zuwendung ohne die sittenwidrige Bedingung aufrecht zu erhalten211.

III. Zusammenfassung Es bleibt festzuhalten: Der Erblasser ist trotz der ihm zur Seite stehenden Testierfreiheit von Rechts wegen gehalten, den überlebenden Gatten als mit Rechten ausgestattete Rechtsperson anzuerkennen212. Das rechtstechnische Medium, mittels dessen die Wertungen der Anerkennung umgesetzt werden, ist die Gute-Sitten-Klausel des § 138 I BGB. Bei ihrer Anwendung darf zweierlei nicht außer acht gelassen werden: Als Ausfluß der Personfunktionalität des gewillkürten Erbrechts kann – erster Punkt – zumindest insoweit, wie die Sittenwidrigkeitsprüfung von Verfügungen von Todes wegen ansteht, die Motivation des Erblassers nicht als Argument verwendet werden, um die Sittenwidrigkeit der Verfügung zu begründen213. Darüberhinaus kann – zweiter Punkt – § 138 I BGB im Rahmen des gewillkürten Erbrechts nicht als eine Norm begriffen werden, die auf die herrschende Sozialmoral verweist. Vielmehr darf das Sittenwidrigkeitsurteil nur rein innerrechtlich aus Normen der Rechtsordnung selbst abgeleitet werden214. Einschlägig sind hier insbesondere die Grundrechte des Bedachten, die dem Erblasser im Wege der Drittwirkung oder im Wege der grundrechtlichen Schutzpflicht entgegengesetzt werden können215, wenn durch die Verfügung 210

So Palandt-Edenhofer, § 2074 Rn. 4; v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 1, 352; Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen, 196. 211 Ebenso MünchKomm-Leipold, § 2074 Rn. 18; Flume, AllgT II, § 38, 4 d; Otto, Personale Freiheit, 121, 201; Keuk, FamRZ 1972, 9 (15); Lindacher, AcP 175 (1975), 257 (259). 212 Oben § 15 II 2 a sowie Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 9 IV 3, § 10 VI 2. 213 Oben § 14 II und ausführlich Goebel, ebda., § 12 IV. 214 Oben § 14 II und ausführlich Goebel, ebda., § 12 III, IV. 215 Oben § 15 I.

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Kap. 6: Personaler Ehegattenschutz und personfunktionales Erbrecht

in unerträglicher Weise in ein grundrechtlich geschütztes Interesse eingegriffen worden ist. Paradigmatisch herausgearbeitet wurde letzteres anhand des einen der beiden wichtigen Fälle, in denen § 138 I BGB einschlägig ist, der Gültigkeit erbrechtlicher Potestativbedingungen216. Rechtlich relevant ist hier ein zu starker, unerträglicher Druck auf dasjenige Verhalten, welches hergebracht einer freien Überzeugung entspringen soll217. Ist die Bedingung sittenwidrig, bleibt regelmäßig die Verfügung als unbedingte wirksam218. Der zweite der beiden zumeist praktisch wichtigen Fälle ist die Wirksamkeit einer Enterbung oder Zurücksetzung des überlebenden Gatten zugunsten eines außerehelichen Partners des Erblassers. Hier konnte gezeigt werden, daß unter eng umgrenzten Umständen aus Gründen des Ehegattenschutzes (nicht also: des Eheschutzes) die Verfügung sittenwidrig ist219. Schließlich wurde dargelegt, daß zum einen der Erbfall der Zeitpunkt ist, der für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit anzulegen ist, und daß zum anderen der Gute-Sitten-Klausel kein subjektiver Tatbestand inhärent ist220. Beides folgte aus der Einsicht, daß nach der Entdramatisierung der GuteSitten-Klausel das Sittenwidrigkeitsurteil zumeist auf der Grundlage eines Bedachtenschutzes getroffen wird. Über den rechten Bedachtenschutz kann aber erst im Erbfall befunden werden. Insgesamt gesehen konnte die Diskussion der Sittenwidrigkeit letztwilliger Verfügungen ein weiteres Mal dazu dienen, die Fruchtbarkeit eines personfunktional angelegten Erbrechtsverständnisses aufzuzeigen.

216 217 218 219 220

Oben Oben Oben Oben Oben

§ § § § §

15 15 15 15 15

II II II II II

2 2 4 3 4

c. c, d. c. b. a, b.

Abschnitt 3

Die Versorgung des überlebenden Ehegatten im Privatbereich Der Gegenstand der bisherigen Untersuchungen war der Schutz des überlebenden Teils, soweit dessen personale Rechte in Rede stehen. Hier wurde vor allem die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments focussiert, die einer erneuten Entfaltung des „Seins zum Tode“ des Überlebenden im Wege stehen kann. Sodann wurde thematisiert, wie der hinterbliebene Gatte sich gegen solche erbrechtlichen Anordnungen des Vorverstorbenen zur Wehr setzen kann, die von dem Überlebenden ein bestimmtes Verhalten fordern und all zu sehr in dessen persönliche Rechte eingreifen. Der Schutz des überlebenden Ehegatten im personalen Bereich ist aber nur die eine Seite der Medaille. Auch die Sicherung der materiellen Lebensgrundlagen des überlebenden Teils wird für den Erblasser mit im Mittelpunkt seiner Überlegungen stehen. Mit dem Komplex der Gattenversorgung ist ein außerordentlich weites Gebiet angesprochen, in dem der Erblasser durch eine Vielfalt von Anordnungsmöglichkeiten post mortem für den Unterhalt seines Gatten Vorsorge treffen kann. Dieses Gebiet wird im Rahmen dieser Studie nicht ausgreifend handbuchartig behandelt. Vielmehr sollen exemplarisch nur zwei Problempunkte aufgegriffen werden, die praktisch häufig relevant werden dürften. Der eine Problempunkt ist die Behandlung von Leistungsstörungen bei einem Erbvertrag, welcher auf die Versorgung des Ehegatten gerichtet ist (dazu § 16 bis § 19). Der zweite Problempunkt nimmt sich des bedürftigen und enterbten Ehegatten an. Hier wird gefragt werden, ob diesem nicht ausnahmsweise mit unterhaltsrechtlichen Mitteln geholfen werden kann, wenn andere Instrumente versagen (dazu unten § 20 bis § 21).

Kapitel 7

Verpfründung und Veranlassung § 16 Die Bewältigung von Leistungsstörungen im Erbvertrag Mit einer Zuwendung von Todes wegen kann der Erblasser versuchen, den Bedachten zu einem bestimmten Verhalten zu bewegen. Dieses Verhalten kann darin bestehen, dem Erblasser zu seinen Lebzeiten wiederkehrende Leistungen, insbesondere Unterhalt und Versorgung, zu gewähren. Der Zweck der Verfügung von Todes wegen besteht dann darin, die Versorgung des Erblassers sicher zu stellen. Hat nun der Erblasser bindend – etwa mittels einer erbvertraglichen Bedenkung – verfügt und erbringt der Bedachte die in Ansehung seiner Bedenkung ausbedungenen Versorgungsleistungen nicht oder schlecht, stellt sich für ein personfunktional ausgerichtetes Erbrecht vor allem die Frage, wie sich der Erblasser vom Erbvertrag lösen kann, wie er also seine Testierfreiheit wieder erhält. I. Fälle: Verpfründung und Veranlassung 1. Testamentarische Verpfründung und Veranlassung

Das der Versorgung zur Seite gestellte erbrechtliche Geschäft kann ein Testament oder ein Erbvertrag sein. Zu der vom Erblasser gewünschten Versorgung kann sich der Bedachte mittels einer Versorgungsabrede rechtsgeschäftlich verpflichtet haben. Man kann diesen Fall als „Verpfründung“ bezeichnen; der paradigmatische Fall ist der Verpfründungsvertrag i. S. § 2295 BGB. Eine Versorgungsabrede muß freilich nicht vorliegen. Vielmehr kann der Erblasser auch versuchen, den Bedachten zu der erhofften Handlung (nämlich: die Versorgung) zu motivieren, indem er ihn zum Erben einsetzt oder ein Vermächtnis zuwendet. Man kann dies als „Veranlassung“ bezeichnen. Mithin gilt es vier Fälle zu unterscheiden, wenn die Paare Testament und Erbvertrag auf der einen und Verpfründung und Veranlassung auf der anderen Seite übereinander gekreuzt werden: zum einen testamentarische Verpfründung und testamentarische Veranlassung, zum anderen erbvertragliche Verpfründung und erbvertraglich Veranlassung. Die testamentarische Verpfründung kann im weiteren vernachlässigt werden. Wenn eine Person nur testamentarisch – und damit jederzeit widerruflich, § 2253 BGB – von Todes wegen bedacht worden ist, wird sie kaum das Risiko eingehen wollen, welches mit einer rechtsverbindlichen Versor-

§ 16 Die Bewältigung von Leistungsstörungen im Erbvertrag

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gungszusage und der ihr inhärenten notwendigen „Vorleistung“ verbunden ist. Auch bei einem gemeinschaftlichen Testament wird dies nicht anders sein, da jeder der Gatten zu Lebzeiten beider seine Verfügung in der Form des § 2271 I BGB widerrufen und nach dem ersten Todesfall der Überlebende sich zumindest per Ausschlagung gem. § 2271 II 1 HS 2 BGB von der mittlerweile eingetretenen testamentarischen Bindung befreien kann. Demgegenüber kann der Fall der testamentarischen Veranlassung durchaus praktisch werden, man denke nur an die (relativ häufige) Begebenheit, daß eine Person Leistungen erbringt, weil sie testamentarisch als Erbe eingesetzt worden ist. Oftmals werden im Hinblick auf diese Einsetzung Leistungen erbracht, obwohl der Erblasser zwischenzeitlich anderweitig von Todes wegen verfügt hat. Bei derartigen Fallgestaltungen stellt sich regelmäßig die (arbeits- oder bereicherungsrechtliche) Frage, wie der Leistende seine Aufwendungen von den Erben zurückholen kann1. Das Beispiel zeigt, daß hier weniger der Schutz des überlebenden Teils im Vordergrund steht als der Schutz des rechtsgrundlos Leistenden; dieser Schutz wiederum ist zwar nicht unwichtig, liegt aber nicht im Focus der hiesigen Untersuchung. Falls schließlich die Ehegatten ein gemeinschaftliches Testament errichtet haben, dessen Bindungswirkung letzten Endes dem korrespektiv Bedachten zugute kommt, ist die Störung in der Versorgung des überlebenden Teils2 ein rechtlich nicht weiter schwieriges Terrain, da nur die Lösung von der testamentarischen Bindungswirkung des Überlebenden ins Werk zu setzen bleibt, um diesen so angemessen, wie rechtlich mangels Versorgungsabrede möglich, zu schützen3. Nach all dem kann auch der Fall der testamentarischen Veranlassung im folgenden vernachlässigt werden. Im Focus der weiteren Überlegungen steht mithin der Erbvertrag. Der Erbvertrag ist eine Rechtsfigur mit einer hohen praktischen Relevanz. Gerade in Zeiten, in denen die Vererbung sehr hoher Vermögenswerte zur Rede steht, stellt er ein probates Mittel bereit, verschiedene divergierende Interessen im Rahmen der Vererbung miteinander auszugleichen. Ein wichtiges Anwendungsfeld findet der entgeltliche Erbvertrag dabei vor allem im Bereich der Unternehmensnachfolge von Todes wegen. Hier wird schon deshalb häufig zu einer vertraglichen Verfügung von Todes wegen gegriffen, da bei mehreren Abkömmlingen einige nicht in die Unternehmerstellung nachfolgen sollen und somit als Erben weichen müssen. Der Abkömmling wird sich regelmäßig hierauf nur im Rahmen eines Erbverzichts 1 Siehe etwa die Fallgestaltungen bei BGHZ 44, 321; BGH, NJW 1965, 1224; BAG, AP Nr. 28 zu § 612 BGB. 2 Versorgungsausfall durch Nichterfüllung, Schlechtleistung, Verzug – je gemessen an den Erwartungen der Gatten, da eine Versorgungsabrede, die den Leistungsgegenstand festlegen könnte, ja in den Veranlassungsfällen nicht vorliegt. 3 Siehe dazu oben § 9 III 1.

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Kap. 7: Verpfründung und Veranlassung

mit lebzeitigem Ausgleich einlassen – ein Erbverzicht, der auch durchweg den Interessen des Unternehmers dienlich sein wird, der die Gefahr eines Auszehrens der Kapitalbasis des Unternehmens durch Abfindungszahlungen zu vermeiden trachtet. Doch sind dies nur besonders prominente Anwendungsbeispiele des Erbvertrages. Im Mittelpunkt der weiteren Überlegungen soll ein Erbvertrag stehen, der abgeschlossen worden ist, um die Versorgung des Erblassers zu sichern. Im weiteren soll daher vor allem der Schutz desjenigen focussiert werden, dessen Versorgung aufgrund des Erbvertrages gesichert werden soll. Um welche Hauptfälle geht es hierbei? 2. Erbvertragliche Verpfründung und Veranlassung: Hauptfälle

In der Ausgangskonstellation setzten sich die beiden Gatten erbvertraglich zu Erben ein und bestimmen einen Dritten (regelmäßig die gemeinsamen Abkömmlinge) zum Endbedachten. In welcher Weise genau verfügt wird, hängt im übrigen in der Regel davon ab, ob die Gatten die Einheitsoder die Trennungslösung gewählt haben; hierzu sei auf das oben Gesagt verwiesen4. Die Ehegatten gehen dabei nicht davon aus, daß der Dritte irgendein Verhalten zeigen soll. Die Gestaltung dieser Ausgangskonstellation ist die Grundlage, um nunmehr die Fälle näher zu verdeutlichen, bei denen die erbvertragliche Bedenkung des Dritten deshalb geschieht, um die Versorgung beider Gatten oder des überlebenden Teils zu sichern. Mit Blick hierauf verfügen im ersten Fall die Ehegatten wie in der Ausgangskonstellation, nur schließen sie mit dem Dritten eine Abrede des Inhalts, daß dieser verpflichtet ist, zu Lebzeiten beider Gatten und oder (auch oder nur) nach dem ersten Todesfall Versorgungsleistungen (gleich welcher Art) zu erbringen. Der Dritte wird sich hierzu zumeist in Erwartung der erbrechtlichen Bedenkung bereit erklärt haben. Ist der Dritte einer von mehreren gemeinschaftlichen Abkömmlingen, werden die Gatten mit den anderen Abkömmlinge zumeist einen Erbverzichtsvertrag mit oder ohne Vorausabfindung abgeschlossen haben. Der Fall 2 gestaltet sich wie der erste Fall, nur fehlt hier die schuldrechtliche Versorgungsabrede. Die Ehegatten schließen vielmehr zugunsten des Dritten einen Erbvertrag, weil sie diesen zu einem bestimmten Verhalten – konkret: etwa zur Pflege, zum Unterhalt, zur Rentenzahlung oder zur Bereitstellung von Verpflegung – veranlassen wollen. Im Fall 3 haben die Ehegatten zu Lebzeiten beider weder gemeinschaftlich testiert noch einen Erbvertrag geschlossen. Hingegen schließt der Überlebende mit einem Anderen einen Erbvertrag und setzt den Anderen zu seinem Erben ein; der Andere verpflichtet sich zudem, dem Überlebenden zu dessen Lebzeiten wiederkehrende Leistungen, insbesondere Unterhalt, zu gewähren. Dies ist der typische Fall des erbvertraglichen Verpfründungsver4

Oben § 7 II 2.

§ 16 Die Bewältigung von Leistungsstörungen im Erbvertrag

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trages i. S. § 2295 BGB5. Besteht die schuldrechtlich ausbedungene Leistung des Dritten nicht in wiederkehrenden Leistungen, wird ein Erbvertrag, der mit dem schuldrechtlichen Vertrag in der Art verbunden ist, daß mit Rücksicht auf die im Erbvertrag enthaltenen Verfügungen von Todes wegen die Verpflichtung eingegangen wird, in wenngleich nicht glücklicher, so doch tradierter Weise als „entgeltlicher“ Erbvertrag bezeichnet 6. In einer Variante des Falles 3 schließt der Ehegatte mit dem Dritten einen Erbvertrag, um ihn damit zu einem bestimmten Verhalten (nämlich der Versorgung des Erbvertragserblassers) zu veranlassen; eine Versorgungsverpflichtung wird nicht eigens ausbedungen. Im vierten und fünften Fall schließlich haben die Ehegatten und ein Dritter einen Erbvertrag geschlossen; der Dritte ist zum Erben des Längstlebenden (Einheitslösung) oder zum Nacherben des Erstverstorbenen und Ersatzerben des Überlebenden (Trennungslösung) eingesetzt. Im Fall 4 verpflichtet sich der Dritte den Ehegatten gegenüber zur Erbringung von Versorgungsleistungen an den Überlebenden, während im Fall 5 eine derartige Versorgungsabrede wiederum fehlt und die Ehegatten den Dritten zur Versorgung nicht (aus welchen Gründen auch immer) verpflichten, sondern nur veranlassen wollen. 3. Die Hauptprobleme bei einer gestörten Versorgung des Überlebenden

Dogmatische Problemlagen, die bei erbvertraglicher Verpfründung oder Veranlassung zu vergegenwärtigen sind, lassen sich in beträchtlicher Zahl ausmachen. So kann beim entgeltlichen Erbvertrag schon der rechtliche Zusammenhang, welcher zwischen der schuldrechtlichen Verpflichtung und der vertraglichen Verfügung von Todes wegen besteht, Gegenstand tiefgreifender Meinungsverschiedenheiten sein. Derartige Fragen interessieren hier nicht als solche, sondern nur, soweit sie bei den beiden Hauptproblemen relevant werden, die bei der erbvertraglichen Verpfründung oder Veranlassung regelmäßig im Vordergrund stehen. a) Problem 1: Die erbvertragliche Bindung Dem Erbvertrag eignet eine Bindungswirkung. Diese Bindung ist freilich von einer gänzlich anderen Art als etwa die Bindung, die von einem schuldrechtlichen Vertrag ausgeht. Dort hindert beispielsweise ein Kaufvertrag den Verkäufer nicht daran, nochmals einen weiteren Kaufvertrag über den selben Kaufgegenstand zu schließen. Der Kaufvertrag hat also keine Auswirkungen auf die Freiheit, einen Kaufvertrag abschließen zu können. 5

Nieder, Handbuch der Testamentsgestaltung, Rn. 1051. Oertmann, Entgeltliche Geschäfte, 110; BGHZ 36, 65 (70 f.); MünchKommMusielak, § 2270 Rn. 29; v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 1, 404. 6

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Kap. 7: Verpfründung und Veranlassung

Bei dem Erbvertrag ist das anders. Nach § 2289 I 2 BGB sind nachfolgende Verfügungen von Todes wegen unwirksam, soweit sie das Recht des vertragsmäßig Bedachten beeinträchtigen würden; diese Unwirksamkeitsfolge erstreckt sich sogar nach § 2289 I 1 BGB auf beeinträchtigende frühere Verfügungen. Der Vertragserblasser wird also in seiner Testierfreiheit gebunden. Das eine im weiteren zu diskutierende Hauptproblem besteht mithin darin, wie der überlebende Teil seine Testierfreiheit wieder zurückerhält, wenn der Dritte (i) die rechtsgeschäftlich ausbedungene oder (ii) per Veranlassung erwartete Versorgung (a) nicht, schlecht oder verzögerlich erbringt oder (b) falls sich herausstellt, daß der Vertrag nichtig ist, auf dem die Obligation des Dritten beruht. Ein Beispiel wäre etwa der Fall, daß der erbvertraglich bedachte Dritte nach einiger Zeit seine ausbedungenen Pflegeleistungen nicht mehr gehörig erbringt, weil er selbst aufgrund körperlicher Gebrechen hierzu nicht mehr in der Lage ist7. b) Problem 2: Ansprüche gegen den Überlebenden Neben diesem ersten Problem wird rechtsdogmatisch die weitere Frage diskutiert, mit welchen Ansprüchen sich der Überlebende konfrontiert sieht, wenn sich zeigt, daß der Erbvertrag, vor dessen Hintergrund der Dritte Versorgungsleistungen erbracht hat, nichtig oder unwirksam geworden ist, und der Überlebende den Dritten nicht mehr erneut erbvertraglich bedenken will. Diese zuletzt genannte Frage soll im weiteren nicht weiter aufgegriffen werden. Für eine die Versorgung qua Erbvertrag focussierende Untersuchung steht bei einem Verlust der Testierfreiheit, wie er bei vertraglichen Verfügungen in einem Erbvertrag gegeben ist, im Vordergrund, wie der in seinem letzten Willen gebundene Teil seine Testierfreiheit wiedergewinnen kann. Hat er sie nie verloren (etwa weil der Erbvertrag nichtig oder unwirksam geworden ist) und hat ein Dritter dem Überlebenden Versorgungsleistungen erbracht, sind damit nicht spezifisch erbrechtliche Probleme des Schutzes der Testierfreiheit des überlebenden Teils angesprochen, sondern solche des allgemeinen Vermögensrechts, die nach allgemeinen Regeln zu entscheiden sind. II. Lösungsvorschläge bei einer gestörten Versorgung des Überlebenden Im folgenden sollen Leistungsstörungen im „entgeltlichen“ Erbvertrag im Vordergrund stehen. Zur Erinnerung: Ein „entgeltlicher“ Erbvertrag ist ein solcher, bei dem ein Erbvertrag und eine schuldrechtliche Abrede vorliegt, irgendwelche Leistungen (etwa die Versorgung des Erblassers oder eines 7

So ähnlich war der Fall gelagert in LG Köln, DNotZ 1977, 685.

§ 16 Die Bewältigung von Leistungsstörungen im Erbvertrag

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Dritten) zu erbringen. Die Frage war: Wie erhält der überlebende Teil seine durch die Bindungswirkung des § 2289 I 2 BGB eingeschränkte Testierfreiheit wieder zurück, wenn der Dritte die rechtsgeschäftlich ausbedungene Versorgung nicht, schlecht oder verzögerlich erbringt oder falls sich herausstellt, daß der Vertrag, auf dem die Versorgungsobligation des Dritten beruht, nichtig ist. Dies wird im weiteren im Mittelpunkt stehen. Das Problem, daß zwar kein schuldrechtlicher Versorgungsvertrag geschlossen worden ist, sondern der Erblasser mit der Bedenkung von Todes wegen den Bedachten zu einem bestimmten Verhalten motivieren wollte und dieses Verhalten ausbleibt oder in einer nicht erwarteten Art und Weise erbracht wird, wird im Anschluss an die Überlegungen zu Leistungsstörungen im „entgeltlichen“ Erbvertrag angesprochen werden. 1. Übersicht über bisherige Lösungsvorschläge

Um die gerade genannten Fragen beantworten zu können, muß streng zwischen dem Schicksal des schuldrechtlichen Versorgungsvertrages auf der einen Seite und dem der erbvertraglichen Bedenkung unterschieden werden. a) Der Fall der anfänglichen Nichtigkeit der Versorgungszusage Ist die Versorgungszusage von Anfang an nichtig, wird stellenweise nach Sinn und Zweck des § 2295 BGB ein Rücktritt vom Erbvertrag nach § 2295 BGB zugebilligt 8. Andere geben mit Rücksicht auf den Wortlaut des § 2295, der von „Aufhebung“ spricht, nur das Anfechtungsrecht nach den §§ 2281 ff., 2078 II BGB9 und konzedieren gleichzeitig, daß regelmäßig nach § 139 BGB die Nichtigkeit der Versorgungszusage die Unwirksamkeit auch der vertragsgemäßen Verfügung von Todes wegen des Erblassers nach sich ziehen dürfte, weil zumindest der Erblasser den für § 139 BGB erforderlichen Einheitlichkeitswillen habe und der andere Erbvertragspartner diesen Willen erkennen und billigen wird10. Für den Fall der anfänglichen Nichtigkeit des schuldrechtlichen Geschäfts erhält der erbvertraglich gebundene Erblasser damit über den Rücktritt oder die Anfechtung der Verfügung von Todes wegen oder über § 139 BGB seine Testierfreiheit wieder zurück. 8 Soergel-Manfred Wolf, § 2295 Rn. 3; Jauernig-Stürner, § 2295 Anm. 1 b; Palandt-Edenhofer, § 2295 Rn. 2; Brox, Erbrecht, Rn. 154; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 264. 9 So MünchKomm-Musielak, § 2295 Rn. 6; Staud-Kanzleiter, § 2295 Rn. 6; Erman-Schmidt, § 2295 Rn. 4; RGRK-Kregel, § 2295 Rn. 3; Knieper, DNotZ 1968, 331 (333). 10 Siehe allg. BGH, NJW 1976, 1931 f.; ansonsten MünchKomm-Musielak, § 2295 Rn. 6; Erman-Schmidt, § 2295 Rn. 5; v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 1, 408 f.; Lüke, Vertragliche Störungen, 16 ff., 29, 55 f.

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b) Der Fall der Schlechterfüllung, des Verzugs oder der Nichterfüllung der Versorgungszusage Im Falle der Schlechterfüllung, des Verzugs oder der Nichterfüllung der schuldrechtlichen Versorgungszusage kann der Erblasser selbstverständlich auch auf Erfüllung klagen oder versuchen, sein Versorgungsinteresse in den schuldrechtlichen Sekundäransprüchen zu befriedigen, da es sich bei der Pflege- oder Versorgungszusage um einen einseitig verpflichtenden Vertrag handelt. Da es im Rahmen dieser Studie aber primär um die Lösung von der erbvertraglichen Bindung geht, steht diese Möglichkeiten im folgenden nicht weiter zur Debatte. 2. Streitstand: Leistungsstörungen des Versorgungsvertrages und Testierfreiheit

a) „Synallagma-Lösungen“ Soweit es um diese Wiedergewinnung der Testierfreiheit geht, ist herrschender Ansicht nach ein Rücktritt des Erblassers vom Erbvertrag gem. § 2295 BGB ausgeschlossen, da die Verpflichtung zur Leistung zuerst einmal unverändert bleibe11. Die Vorschrift soll auch nicht analog anwendbar sein12. Zudem steht herrschender Ansicht nach die erbrechtliche Zuwendung und die schuldrechtliche Verpflichtung nicht in einem Gegenseitigkeitsverhältnis i. S. der §§ 320 ff. BGB, so daß ein Recht zum Rücktritt vom Erbvertrag aus § 323 I BGB nicht in Frage käme13. Anders lautende Stimmen in der Literatur sehen genau dies anders. Wenn die erbvertragliche Verfügung bereits errichtet und der schuldrechtliche Vertrag keine Verpflichtung zu einer Verfügung von Todes wegen enthalte, wird es für zulässig erachtet, die erbvertragliche Verfügung kausal mit der Versorgungszusage zu verknüpfen. Da in diesem Falle ein synallagmatisches Verhältnis zwischen erbvertraglicher Verfügung und schuldrechtlicher Leistung 11 BayObLG, RPfleger 1988, 520; OLG Hamm, DNotZ 1977, 751 (755); Dittmann/Reimann/Bengel-Bengel, § 2295 Rn. 6; MünchKomm-Musielak, § 2295 Rn. 5; Soergel-Manfred Wolf, § 2295 Rn. 3; Staud-Kanzleiter, § 2295 Rn. 7; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 264. 12 Lüke, Vertragliche Störungen, 53, will § 2295 BGB analog anwenden, „soweit es an den Voraussetzungen eines schuldrechtlichen Dauerschuldverhältnisses mangelt“. 13 Vgl. zu § 326 I 2 BGB a. F. nur Staud-Kanzleiter, § 2295 Rn. 8; MünchKommMusielak, vor § 2274 Rn. 21, 29; Dittmann/Reimann/Bengel-Bengel, vor §§ 2274 ff. Rn. 8; Palandt-Edenhofer, § 2295 Rn. 1; RGRK-Kregel, § 2295 Rn. 1, 3; AK-Finger, § 2295 Rn. 1; Planck-Greiff, 4. Aufl., vor § 2274 Anm. 2; Lange/ Kuchinke, § 25 X 1, 2 b; Kipp/Coing, § 36 IV 1; v. Lübtow I, 404; Ebenroth, Rn. 255; Brox, Rn. 154; Schlüter, Rn. 261; Leipold, Rn. 369; Endemann, Bd. III, § 81 II b; Crome, Bd. V, § 657 I; Lüke, Vertragliche Störungen, 12 ff.; Hellwig, Verträge, 604 ff.

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rechtlich möglich sei, könne § 323 I BGB zumindest analog angewendet werden14. Diese „erbrechtliche Synallagma-Lösung“ wird zumeist mit Rücksicht auf § 2302 BGB abgelehnt15. Die Figur des Synallagmas spielt für die h. M. allenfalls in den Fällen eine Rolle, in denen der Erblasser seinerseits eine schuldrechtliche Verpflichtung übernommen habe, die mit der des erbvertraglich Bedachten im Synallagma steht. Dann könne er – so die h. M. – nach § 323 I BGB vom schuldrechtlichen Vertrag mit der Folge zurücktreten, daß nunmehr auch der Rücktritt vom Erbvertrag nach § 2295 BGB eröffnet sei16. Man kann dies im Gegensatz zur „erbrechtlichen SynallagmaLösung“ als „schuldrechtliche Synallagma-Lösung“ bezeichnen. Diese Lösung entspricht zwar einerseits durchaus den allgemeinen Regeln des Schuldrechts und ermöglicht über § 2295 BGB die Wiedergewinnung der Testierfreiheit. Andererseits betrifft sie nur den eher untypischen Fall, in denen nicht nur der Bedachte, sondern auch der Erblasser sich schuldrechtlich synallagmatisch verpflichtet. Weit kommt man mit der Lösung also nicht. b) Die Anfechtungslösung: Anfechtung wegen Motivirrtums Wenn der „erbrechtlichen Synallagma-Lösung“ nicht gefolgt wird und auch der Erblasser sich seinerseits nicht schuldrechtlich synallagmatisch verpflichtet, werden zumeist zwei Wege vorgeschlagen, die dem Erblasser eine Lösung von der erbvertraglichen Bindung ermöglichen. Stellenweise – erster Weg – wird vertreten, in den meisten Fällen würde die Anfechtung wegen Motivirrtums gem. §§ 2078, 2281 BGB in Betracht kommen, da der Erblasser regelmäßig nach dem Konzept der „selbstverständlichen Vorstellungen“17 bei dem Abschluß des Erbvertrages davon ausgegangen sei, der Vertragserbe würde seine Leistungen gehörig erfüllen18. Für die herrschende Meinung stellt die Anfechtung wegen Motivirrtums gleichsam den „Königsweg“ dar, mit dem der Erblasser regelmäßig seine Testierfreiheit wird zurückgewinnen können. Nicht selten werden die Vertragsparteien des Erbvertrages aber die Anfechtung nach § 2078 II BGB ausgeschlossen haben19. In diesem Falle bleibt zu prüfen, ob sich der Anfechtungsausschluß auch auf den Umstand der Schlecht- oder Nichterfüllung der Versorgungs14 So zu § 326 I BGB a. F. Stürzebecher, Rücktritt, 69 ff.; ders., NJW 1988, 2717 (2719); Soergel-Manfred Wolf, § 2295 Rn. 4. 15 Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 25 X 2 b; Lüke, Vertragliche Störungen, 12 ff. 16 So zu § 326 I 2 BGB a. F. Staud-Kanzleiter, § 2295 Rn. 9; Soergel-Manfred Wolf, § 2295 Rn. 4. 17 Dazu oben § 10 II 1. 18 BGHZ 4, 91 (94 f.); MünchKomm-Musielak, § 2295 Rn. 5; Soergel-Manfred Wolf, § 2295 Rn. 3; Kipp/Coing, Erbrecht, § 36 IV 1; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 25 X 2 b.

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zusage bezieht. Oftmals muß dies bejaht werden, wenn aus dem Gesamtzuschnitt des erbrechtlichen und des schuldrechtlichen Versorgungsvertrages ersichtlich ist, daß die Parteien ein ausgewogenes Austauschverhältnis implementieren wollten. Würde der Anfechtungsausschluß sich nicht auf die Umstände der Erfüllung der Versorgungszusage erstrecken, könnte diese Ausgewogenheit umgangen werden. Denn es könnte ja möglich sein, daß die Parteien den Konflikt nicht auf der Ebene der Anfechtung des Erbvertrages, sondern auf der Ebene der gegenüber dieser Anfechtung differenzierteren Leistungsstörungsregeln des Schuldrechts austragen wollen. Mithin könnte durchaus der Fall wahrscheinlich sein, daß dem erbvertraglich gebundenen Erblasser die §§ 2281 ff., 2078 II BGB nicht weiterhelfen werden. c) Die Stufenlösung Scheidet die Anfechtung (aus welchen Gründen auch immer) aus, bleibt das Problem der Lösung von der erbvertraglichen Bindung bestehen. Hier greift der zweite der beiden o. g. Wege ein. Bei diesem Weg wird quasi zweistufig vorgegangen. Auf der ersten Stufe sollen hinsichtlich der Schlechterfüllung, des Verzugs oder der Nichterfüllung der Versorgungszusage die schuldrechtlichen Regelungen des Leistungsstörungsrechts fruchtbar gemacht werden, um den Versorgungskonflikt möglicherweise schon hier beizulegen. Oftmals würde als Ergebnis der ersten Stufe die Versorgungszusage weggefallen sein. Auf einer zweiten Stufe ginge es dann darum, anhand dieses Wegfalls dem Erblasser seine Testierfreiheit (über § 2295 BGB) wieder zu verschaffen. Vor diesem Hintergrund gelte es auf der ersten Stufe zu prüfen: Da die Versorgungszusage ein Dauerschuldverhältnis darstellt (sei es mit dienstvertraglichem Einschlag etwa bei einer Pflegevereinbarung, sei es mit rentenmäßigem Einschlag etwa bei der Vereinbarung einer monatlichen Rentenzahlung, sei es mit Mischformen), müsse untersucht werden, ob ein Recht auf Kündigung der Versorgungszusage aus wichtigem Grund nach § 314 I BGB besteht20 oder ob Schadensersatz nach § 280 I, III i.V. m. § 281 I 2 BGB verlangt werden kann, wenn Interessewegfall und Fristsetzung vorlägen21. Wenn die Versorgung in der Leistung von Arbeit und nicht nur in der Gewährung von Sachleistungen

19 Siehe etwa § 4 III des Vertragsentwurfs bei Münchener Vertragshandbuch-Nieder, Vertrag XV.31. 20 Siehe so zu den allgemein für Dauerschuldverhältnisse geltenden Grundsätzen des alten Schuldrechts LG, Köln, DNotZ 1978, 685; Leipold, Erbrecht, Rn. 400 Fn. 58. 21 So zu § 286 II BGB a. F. (der Erblasser müsste also den Verpflichteten in Verzug gesetzt haben und die Leistung dürfte wegen des Verzugs für ihn nicht mehr von Interesse sein) Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 25 X 2 b; v. Lübtow, Erbrecht, 410.

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oder Rentenzahlungen besteht, werden keine Ansprüche aus Verzug, sondern die besonderen Regelungen des Arbeitsrechts eingreifen. Denn das BAG22 hat in den Fällen, in denen der Empfänger von Diensten dem Dienstverpflichteten eine erbrechtliche Verfügung zugesagt hat, den Arbeitsvertrag trotz § 2302 BGB bestehen gelassen und judiziert, es sei die taxmäßige Vergütung gem. § 612 II BGB geschuldet; gleiches gelte für die Leistung von Diensten in Erwartung der erbrechtlichen Bedenkung. Nach den Regeln des Arbeitsrechts wird eine Arbeitsleistung grundsätzlich als unmöglich angesehen, wenn die Arbeitsleistung (wie im Regelfall) zu einer fest bestimmten Zeit oder innerhalb eines solchen Zeitraumes geschuldet ist, und dieser Zeitpunkt oder Zeitraum verstrichen ist, ohne daß die Arbeitsleistung erbracht wurde23. Anstelle des Rücktritts vom Versorgungsvertrag gem. § 326 V BGB greife die Kündigung gem. §§ 620 ff. BGB als spezielle Regelung24. Da die Versorgung zumeist auf Lebenszeit des Erblassers zugesagt wurde, kommt eine ordentliche Kündigung des schuldrechtlichen Vertrages nach § 620 II, §§ 621 f. BGB nicht in Betracht. Vielmehr steht dem Erblasser nur die Kündigung aus wichtigem Grunde gem. § 626 I BGB zur Seite, da die beharrliche Weigerung, die Versorgung gehörig oder überhaupt fortzuführen, die weitere Fortsetzung des Vertrages als unzumutbar erscheinen lassen kann25. Die §§ 620 ff. BGB werden stellenweise auch analog für den Fall angewendet, daß wegen der besonderen Umstände des Falles kein Arbeitsvertrag vorliegt, sondern ein Vertrag eigener Art26. Mit dem Wegfall der Versorgungszusage sei dann – zweite Stufe – der Rücktritt vom Erbvertrag nach § 229527 oder zumindest analog § 2295 BGB28 eröffnet, während genau dies überwiegend mit der (wenig überzeugenden) Begründung bestritten wird, bei einer Kündigung des schuldrechtlichen Versorgungsvertrages läge keine „Aufhebung“ i. S. § 2295 BGB vor29. 22 Siehe BAG, AP Nr. 15, 20, 21, 22, 24 je zu § 612 BGB; kritisch mit Blick auf § 2302 BGB zu Recht die Lit., siehe nur Soergel-Raab, § 612 Rn. 28; Lieb, Ehegattenmitarbeit, 86 ff. 23 Siehe nur MünchKomm-Müller-Glöge, § 611 Rn. 15; Soergel-Kraft, § 611 Rn. 96; Staud-Richardi, § 611 Rn. 460, für das alte Schuldrecht; Palandt-Ergänzungsband-Heinrichs, § 286 Rn. 5, für das neue Schuldrecht. 24 Lüke, Vertragliche Störungen, 50. 25 Leipold, Erbrecht, Rn. 400; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 25 X 2 b; Lüke, Vertragliche Störungen, 50. 26 Es käme hier zu der schon oben angesprochenen Kündigung aus wichtigem Grund entsprechend den allgemein für Dauerschuldverhältnisse geltenden Grundsätzen, siehe befürwortend LG Köln, DNotZ 1978, 685 (686); Knieper, DNotZ 1968, 331 (336); Lüke, Vertragliche Störungen, 50. 27 Siehe LG Köln, DNotZ 1978, 685; Soergel-Manfred Wolf, § 2295 Rn. 3; RGRK-Kregel, § 2295 Rn. 3; Leipold, Erbrecht, Rn. 400; v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 1, 410; Lüke, Vertragliche Störungen, 50. 28 Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 25 X 2 b; Hohmann, Rechtsfolgen von Störungen, 99 ff.

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d) Die Kondiktionslösung Schließlich und endlich billigt ein Teil der Literatur dem Erblasser einen Kondiktionsanspruch aus § 812 I 2 Alt. 2 BGB zu, wenn der zur Versorgung Verpflichtete seine Pflichten nicht rechtzeitig oder schlecht erfülllt habe30. Wenn allein der Bedachte und der Erblasser Parteien des Erbvertrages sind31, geht die Kondiktion dabei auf Zustimmung des Bedachten zur Aufhebung der vertragsmäßigen Verfügung. Bei einem (oft zweiseitigen) Erbvertrag ausschließlich zwischen den Ehegatten oder zwischen diesen und dem Endbedachten hilft diese Zustimmung des endbedachten Dritten hingegen nicht weiter, da der Dritte als Nichtvertragspartei (beim Vertrag nur zwischen den Ehegatten) oder als nur eine von drei Parteien nicht bei einer Vertragsaufhebung mitwirken kann. Ist der Bedachte nicht allein neben dem Erblasser Partei des Erbvertrages32, geht die Kondiktion deshalb auf die Zustimmung des erbvertraglich Bedachten zu einer ihn i. S. § 2289 I 2 BGB beeinträchtigenden neuen Verfügung von Todes wegen. Diese bereicherungsrechtlich orientierte Lösung wird freilich überwiegend abgelehnt. Bereicherungsrechtliche Ansprüche sollen aus Gründen des Leistungsbegriffs oder wegen bereicherungsrechtlichen causa-Problemen nicht einschlägig sein33. 3. Zusammenfassung

Auf welchen Wegen der erbvertraglich gebundene Erblasser seine Testierfreiheit wiedergewinnt, ist umstritten. Stellenweise werden Lösungen vorgeschlagen, die den Erbvertrag und die schuldrechtliche Versorgungszusage nach den Regeln des schuldrechtlichen Synallagmas verklammern und von dieser Warte dem Erblasser helfen wollen. Weit überwiegend wird dies abgelehnt und bei einer Störung der zugesagten Versorgung die Anfechtung der erbvertraglichen Verfügung wegen Motivirrtums als Königsweg empfohlen. Als weiterer Weg wird befürwortet, die schuldrechtliche Versorgungszusage über die allgemeinen schuldrechtlichen Instrumentarien zu Fall zu bringen und sodann dem Erblasser über § 2295 BGB seine Testierfreiheit wieder zu verschaffen. Schließlich wird ein Kondiktionsanspruch aus 29 So Dittmann/Reimann/Bengel-Bengel, § 2295 Rn. 6; Staud-Kanzleiter, § 2295 Rn. 7; Kipp/Coing, Erbrecht, § 40 I 2 b; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 264; Knieper, DNotZ 1968, 331 (333). 30 Dittmann/Reimann/Bengel-Bengel, § 2295 Rn. 8; RGRK-Kregel, § 2295 Rn. 3; Staud-Kanzleiter, § 2295 Rn. 8; Planck-Greiff, § 2295 Anm. 4; Lange/ Kuchinke, Erbrecht, § 25 X 2 b; Knieper, DNotZ 1968, 331. 31 Also in dem o. g. Fall 2, oben § 16 I 2. 32 Also in den restlichen der o. g. Fällen, oben § 16 I 2. 33 Dazu unten § 17 I 3.

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§ 812 I 2 Alt. 2 BGB als richtiger Weg angesehen, den erbvertraglich gebundenen Erblasser von seiner Bindung zu befreien. Im weiteren wird zu diskutieren sein, welche Wege sich als tragbar erweisen. III. Synallagmatische Verknüpfung zwischen Erbvertrag und Versorgungszusage? Soeben war schon die Rede davon, daß die weitaus überwiegende Ansicht34 davon ausgeht, eine synallagmatische Verbindung zwischen Erbvertrag und Versorgungszusage könne nicht bestehen. Demgegenüber wollen Stöcker und Stürzebecher Leistungsstörungen mit Hilfe der §§ 320 ff. BGB bewältigen35. Ein derartiger Versuch ist nicht neu36, vermag jedoch immer noch nicht zu überzeugen. Für Stöcker besteht ein Erbvertrag aus einer einseitigen Verfügung von Todes wegen und aus einem schuldrechtlichen Grundgeschäft, das das Synallagma gewährleiste37. Zur Begründung seines – durchaus als „modifizierte Testamentstheorie“38 bezeichnungsfähigen – Ansatzes zieht Stöcker einmal ein historisches Argument heran. Dieses Argument geht dahin, die Gesetzesverfasser hätten vor dem Hintergrund der von lebzeitigen Wirkungen eines Erbvertrags ausgehenden, weitverbreiteten Regelungen des Allgemeinen Preußischen Landrechts und des sächsischen BGB von 1863 mit dem Erbvertrag mehr verbunden als eine Verfügung von Todes wegen39. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob das historische Argument tragfähig ist; Zweifel verbleiben allemal. Denn ausschlaggebend sind für Stöcker weniger die Überlegungen der Ersten und Zweiten Kommission im Kontext ihrer Zeit als eine Wortlautinterpretation der §§ 2278, 2290 I und 2293 BGB, bei der der Begriff der „Vertragsmäßigkeit“ als „Vertragsgemäßheit“ gelesen und so auf die Existenz eines schuldrechtlichen Grundgeschäfts zurückgeschlossen wird40. Überzeugend ist dies nicht. 34 Staud-Kanzleiter, § 2295 Rn. 8; MünchKomm-Musielak, vor § 2274 Rn. 21, 29; Dittmann/Reimann/Bengel-Bengel, vor §§ 2274 ff. Rn. 8; Palandt-Edenhofer, § 2295 Rn. 1; RGRK-Kregel, § 2295 Rn. 1, 3; AK-Finger, § 2295 Rn. 1; PlanckGreiff, 4. Aufl., vor § 2274 Anm. 2; Lange/Kuchinke, § 25 X 1, 2 b; Kipp/Coing, § 36 IV 1; v. Lübtow I, 404; Ebenroth, Rn. 255; Brox, Rn. 154; Schlüter, Rn. 261; Leipold, Rn. 369; Endemann, Bd. III, § 81 II b; Crome, Bd. V, § 657 I; Lüke, Vertragliche Störungen, 12 ff.; Hellwig, Verträge, 604 ff. 35 So zu den §§ 320 ff. BGB a. F. Stöcker, WM 1980, 482 (485 ff.); Stürzebecher, Rücktritt, 69 ff.; ders., NJW 1988, 2717. 36 Die §§ 320 ff. BGB will auch Fischer-Henle-Titze, § 2295 Anm. 3, bemühen. 37 Stöcker, WM 1980, 482 (486). 38 Siehe zu den Versuch, den Erbvertrag als eine Verbindung aus Testament und einer daneben bestehenden vertraglichen Vereinbarung zu begreifen, Werneburg, DNotZ 1916, 209 (215 ff.); siehe auch Hellwig, Die Verträge auf Leistung an Dritte, 597 ff.; dazu siehe auch unten § 17 I 3. 39 So Stöcker, WM 1980, 482 (485 f.).

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Stöcker bedenkt den Wertungskontext nicht hinreichend, in den die §§ 2278, 2290 I und 2293 BGB gestellt sind41. Vor diesem Hintergrund hilft Stöcker auch nicht sein Hinweis auf die Gesetzgebungsgeschichte42. Denn wenn es die Gesetzesverfasser ausdrücklich der Wissenschaft überlassen haben, den Erbvertrag näher zu analysieren43, sind die Passagen in den Motiven, die auf die Stöckersche Ansicht hinzudeuten scheinen, eben ohne Aussagewert. Stürzebecher unternimmt den Versuch, den Ansatz am Synallagma zu retten. Er beschränkt den Erbvertrag auf Verfügungen von Todes wegen, nimmt jedoch ein vom Erbvertrag verschiedenes schuldrechtliches Grundgeschäft an. Die diesem inhärente Verpflichtung des Erblassers zur Errichtung eines bestimmten Erbvertrags verstoße dann nicht gem. § 2302 BGB, wenn diese Verpflichtung zugleich erfüllt werde44. Auch diese Konstruktion überzeugt nicht. Stürzebecher45 bemüht als Argument einmal eine vielzitierte Wendung der Protokolle, die von einem „Erbvertrag auf Grund eines gegenseitigen Vertrags“ sprechen46. Dieses Argument ist jedoch wegen der schon erwähnten Zurückhaltung der Gesetzesverfasser hinsichtlich der Struktur des Erbvertrags nicht aussagekräftig47. Die These von Stürzebecher steht und fällt daher allein mit seiner einschränkenden Interpretation des § 2302 BGB. Diese Regelung hindert nach Stürzebecher keinen Vertrag, bei dem die erbrechtliche Verfügung gleichzeitig mit der Verpflichtung erfolge. Denn § 2302 BGB erfasse nur ein „künftiges Leistensollen“, nicht aber auch die Vereinbarung eines Rechtsgrundes für das „Behalten“ der Leistung, also die Vereinbarung einer „Behaltenscausa“48. Falls im konkreten Fall der Verpflichtungsvertrag einmal vor dem Erbvertrag geschlossen worden sei, wäre die Obligation zwar gem. § 2302 BGB unwirksam. Sie würde aber bei Abschluß des Erbvertrags geheilt49. Die letztere Behauptung wird von Stürzebecher freilich nicht weiter begründet; er scheint sich hier an die 40

Stöcker, WM 1980, 482 (486 f.). Aus diesem Grund ebenfalls kritisch Nolting, JA 1993, 129 (130); van Venrooy, JZ 1987, 10 (14 Fn. 46); Lüke, Vertragliche Störungen, 11; Hohmann, Rechtsfolgen, 82 ff. 42 Stöcker, WM 1980, 482 (488). 43 Mot. V, 312. 44 Stürzebecher, Rücktritt, 69, 74 ff. 45 Stürzebecher, Rücktritt, 82 f. 46 Prot. V, 411. 47 Ebenso v. Lübtow I, 464 Fn. 169; Hohmann, Rechtsfolgen, 87 ff. 48 Stürzebecher, Rücktritt, 74 ff.; ders., NJW 1988, 2717 (2719). Ebenso Welker, Bereicherungsausgleich, 109 f.; Fenn, Mitarbeit, 229 f.; inzident auch Söllner, AcP 163 (1963), 20 (39). Leipold, Rn. 369 Fn. 2, billigt Stürzebecher zumindest gute Gründe zu, wenngleich er das Ergebnis mißbilligt. 49 Stürzebecher, Rücktritt, 69. 41

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Möglichkeiten der Heilung einer Formnichtigkeit durch Erfüllung anzulehnen. Aus diesen läßt sich jedoch kein allgemeiner Grundsatz der Heilung ableiten50. Zudem ist eine Übertragung einzelner Heilungsregelungen auf ein dem Erbvertrag folgendes Verpflichtungsgeschäft nicht veranlaßt, da § 2302 BGB Verbotsnorm und keine Formvorschrift ist51. Mit diesem Argument ist freilich noch nicht die These widerlegt, § 2302 BGB hindere nicht zeitgleiche Verpflichtungs- und erbrechtliche Verfügungsgeschäfte. Stürzebecher ist zuzugeben, daß gegen seine These nicht eingewendet werden kann, der telos des § 2302 BGB – der Schutz der Testierfreiheit52 – stünde ihr entgegen53. Dies kann zumindest bei einem zeitgleich mit der erbvertraglichen Verfügung von Todes wegen geschlossenen Verpflichtungsgeschäft in dieser Grundsätzlichkeit nicht richtig sein, weil bei den erbvertraglichen und damit bindenden Verfügungen sich der Erblasser seiner Testierfreiheit privatautonom begeben hat, der Schutztopos daher seinen legitimierenden Focus verliert – vor wem soll denn Schutz gewährt werden, wenn das zu schützende Substrat privatautonom veranlaßt nicht mehr „existiert“ 54? Eine andere Beurteilung wäre nur dann veranlaßt, wenn der telos des § 2302 BGB objektivistisch auf den Schutz des Instituts der Testierfreiheit und nicht allein auf den Schutz der individuellen Testierfreiheit bezogen werden könnte – wofür jedoch nichts spricht. Neben diesem Ansatz an der Testierfreiheit wird der Telos des § 2302 BGB auch darin verankert, daß die für das gemeinschaftliche Testament und den Erbvertrag geltenden Form-, Anfechtungs- und Rücktrittsvorschriften sowie die Anforderungen an Klarheit und Bestimmtheit der Willensäußerung durch obligatorische Vereinbarungen nicht unterlaufen werden dürften55. Bei diesem Telos könnte durchaus der Eindruck entstehen, der These von Stürzebecher könne zumindest teleologisch nichts entgegengesetzt wer50

Vgl. nur Flume, AllgT II, § 15 III 3 b. Lange/Kuchinke, § 25 X 2 b. 52 Auf den Schutz der Testierfreiheit als Telos des § 2302 BGB rekurriert die h. M., vgl. nur RGZ 75, 34 (35); BGH, NJW 1959, 625; 1977, 950; MünchKommMusielak, § 2302 Rn. 1; Soergel-Wolf, § 2302 Rn. 1; Palandt-Edenhofer, § 2302 Rn. 1; Kipp/Coing, § 16 I 3; Ebenroth, Rn. 48, 181; Schlüter, Rn. 138. 53 So aber bsp. Lange/Kuchinke, § 25 X 2 b; Lüke, Vertragliche Störungen, 14; Leipold, Rn. 369. 54 Battes, AcP 178 (1978), 337 (344 f.), verweist mit der Wendung, daß der Testierfreiheit „in unserem Recht kein Verfassungsrang zukomme“, darauf, daß § 2302 BGB nicht als eine interpretatorisch gegenüber den Bindungsmodi des gemeinschaftlichen Testaments und des Erbvertrages „höherrangige“ Norm ausgewiesen werden könne. Letzteres ist zwar richtig; ob der Testierfreiheit kein Verfassungsrang zukommt, ist jedoch eher zweifelhaft, da diese Ausprägung des Persönlichkeitsrechts des Testierenden ist (dazu umfassend oben § 2 I 3, sowie Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, passim) – und dem Persönlichkeitsrecht der Rechtsperson kommt ein hoher verfassungsrechtlicher Rang zu. 51

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den. Doch täuscht dies. Gerade aus Gründen des Schutzes der Testierfreiheit ist ein Rekurs auf die Grundsätze des funktionellen Synallagmas nicht zulässig56. Als Beispiel: Wenn der Erblasser als „Gegenleistung“ beispielsweise einen verschlechterungs- oder untergangsfähigen Gegenstand erhalten hat, bleibt ihm bei einem Untergang oder einer Verschlechterung der übergebenen Sache zwar nicht mehr der Rücktritt versagt; er ist aber nach § 346 II S. 1 Nr. 3 BGB grundsätzlich zum Wertersatz verpflichtet – und dies, obgleich die Zulässigkeit der Anfechtung nach den §§ 2281 ff., 2078 II BGB zeigt57, daß er sich unbelastet von irgendwelchen Gegenansprüchen von der testamentarischen Bindung soll befreien können. Der Wertersatz nach § 346 I BGB wäre mit dieser Wertung unvereinbar. Es gibt in dieser Situation nur zwei Lösungsmöglichkeiten. Einmal könnten die Regelungen des funktionellen Synallagmas so eingeschränkt interpretiert werden, daß der Wertungsgleichklang mit dem erbrechtlichen Anfechtungsrecht gewahrt bleibt. Dem stünde jedoch entgegen, daß dann § 2302 BGB und die Regelungen des funktionellen Synallagmas teleologisch reduziert werden müßten – doch wo wäre angesichts der erbrechtlichen Anfechtungstatbestände, die zu denselben Rechtsfolgen führen, die für eine derartige doppelte teleologische Reduktion erforderliche verdeckte Gesetzeslücke? Bei der zweiten Lösungsmöglichkeit verbliebe es dabei, daß sich der Erblasser zwar über die Anfechtung, nicht aber – wegen der etwaigen Wertersatzpflicht – über den Rücktritt von seiner Bindung befreien könnte. Praktisch käme es also zu einer Weiterwirkung der Verpflichtung58, ohne daß dies privatautonom noch weiter gewollt sein braucht – eine Anfechtung wäre ja möglich. Dann würde aber der tragende Grund für die These von Stürzebecher: die fehlende Schutzbedürftigkeit des Erblassers dort, wo er sich seiner Testierfreiheit begeben hat, wegfallen. Ein derartiger Wertungswiderspruch zwischen 55 So Battes, AcP 178 (1978), 337 (344 ff., 358 f.); ähnlich van Venrooy, JZ 1985, 609 (611). 56 Im alten Schuldrecht galt: Dort könnte der Erblasser laut Stürzeberger nur nach den §§ 325 f., 327 S. 1, 346, 2290 BGB zurücktreten (so Stürzebecher, Rücktritt, 93 f.); das darin zum Ausdruck kommende funktionelle Synallagma verlängerte also den funktionellen Verbund von Leistung und Gegenleistung in die Abwicklung von Zweckstörungen (vgl. nur Esser/Schmidt, SchuldR I, § 12 III) – die §§ 351, 437 BGB und die Saldotheorie im Rahmen des § 818 III BGB geben die notwendigen Stichworte vor. 57 Selbstverständlich kann die Anfechtung vertraglich ausgeschlossen sein – und daß wird sie zum Schutz des endbedachten Dritten auch oftmals. Das ändert aber nichts daran, daß die bei der Grundstruktur erbrechtlicher Geschäfte (und das sind solche mit zulässiger Anfechtung) möglichen Wertungswidersprüche auf Friktionen in der stimmigen Begründung der Ansicht von Stürzebecher hinweisen können. 58 Selbstverständlich wird der Erblasser anfechten können. Nur ändert dies nichts daran, daß die fehlende Entbindung bei den von Stürzebecher dafür vorgesehenen Regelungen zeigt, daß diese offenbar für eine Rückabwicklung nicht geeignet sind.

§ 16 Die Bewältigung von Leistungsstörungen im Erbvertrag

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Rücktritts- und Anfechtungsrecht muß die These von Stürzebecher zu Fall bringen. Die §§ 320 ff. BGB lassen sich nach all dem eben nicht ohne weiteres in erbrechtliche Wertungszusammenhänge einordnen59. Und wenn man dennoch aufgrund teleologischer Erwägungen die Rückabwicklungsmodi qua Rücktritt und qua Anfechtung so konturiert, daß sie ergebnisgleich sind, wäre Rücktritt und Kondiktion funktional äquivalent. Doch stellt sich dann wiederum die Frage einer verdeckten Gesetzeslücke. Es bleibt demnach dabei, daß die Anwendung der §§ 320 ff. BGB nicht in Frage kommt. IV. Weiteres Vorgehen Die kurze Skizze des Diskussionsstands hat gezeigt, daß bei einem entgeltlichen Erbvertrag die rechtlichen Verbindungslinien zwischen der Störung in der Versorgung und der Wiedergewinnung der Testierfreiheit des Erblassers von eher diffiziler Natur sind. Es sind Stichworte wie „Synallagma“, „causa“ und „Irrtum“ gefallen, mit denen ein mehr oder weniger unwegsames Terrain in der Dogmatik des Erbvertrages abgesteckt wird. Nachdem der Vorschlag kritisiert worden ist, ein Synallagma zwischen der erbvertraglichen Verfügung und der Versorgungsverpflichtung anzunehmen, bietet es sich an, anhand eines theoretischen Konzepts einen Zugriff auf das Problemfeld „Leistungsstörungen im entgeltlichen Erbvertrag“ zu versuchen, welches die verbleibenden Stichworte „causa“ und „Irrtum“ unter einem Blickwinkel einheitlich focussiert. Und da das Erbrecht entsprechend dem erbrechtlichen Willensdogma die Zwecke in den Vordergrund stellt, die der Erblasser mit der Verfügung von Todes wegen verfolgt, sollte das Konzept seinerseits für den Blickwinkel „Zweck“ optieren. Das Konzept, welches diesen beiden Erfordernissen – einheitlicher Blickwinkel und auf den Verfügungszweck bezogener Blickwinkel – gerecht wird, sind die causa-Lehren des Vermögensrechts. Mit diesen kann das Problemfeld der Leistungsstörung im entgeltlichen Erbvertrag zweckmäßig strukturiert werden. Da die Auslegungsprobleme des § 2295 BGB, soweit es um dessen Anwendbarkeit auf gekündigte oder per Rücktritt abzuwickelnde Versorgungszusagen geht, wenig vertrackt sind, bietet es sich zudem an – wenn schon der Blickwinkel der causa-Lehren gewählt wird –, das Problemfeld nicht aus der Perspektive des erbrechtlichen Anfechtungsrechts, sondern aus dem Blickwinkel des Kondiktionsrechts aufzurollen. Nur wenn die bereicherungsrechtlichen Grundlagen eines Anspruchs des Erblassers gegen den Vertragserben auf Zustimmung zur Aufhebung der erbvertraglichen Bin59 Von dieser Perspektive her verliert dann auch die schon von v. Caemmerer, FS Rabel, 333 (346 f.), reklamierte Behandlung der zu § 2302 BGB diskutierten Fälle nach den Regeln der Schuldgeschäfte viel von ihrer Plausibilität.

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dung untersucht worden sind, können die Möglichkeit und Chancen eingeschätzt werden, die der o. g. Kondiktionsanspruch aus § 812 I 2 Alt. 2 BGB dem Erblasser bietet. Stehen diese fest, kann untersucht werden, wie es um die anderen vorgeschlagenen und oben angesprochenen Instrumente steht, mit denen der Erblasser seine Testierfreiheit wiedergewinnen können soll. Der aussichtsreichste Kandidat, anhand dessen die Entbindungsprobleme im entgeltlichen Erbvertrag dogmatisch durchdrungen werden können, ist mithin das Kondiktionsrecht – was nicht bedeutet, daß letztlich für den Vertragserblasser die Bereicherungsansprüche auch die praktisch schlagkräftigsten Ansprüche sein werden.

§ 17 Leistungsstörungen und condictio ob rem I. Allgemeines zum Bereicherungsanspruch des Überlebenden Es gilt mithin zu prüfen: Steht dem Vertragserblasser ein Kondiktionsanspruch gegen den Vertragserben oder Vertragsvermächtnisnehmer auf Zustimmung zur Aufhebung der vertragsmäßigen Verfügung von Todes wegen aus § 812 I 2 Alt. 2 BGB zu, wenn der zur Versorgung Verpflichtete seine Pflichten nicht rechtzeitig oder schlecht erfülllt hat oder falls der erbvertragliche Bedachte zwar nicht zur Versorgung schuldrechtlich verpflichtet war, der Erblasser ihn zu einer Versorgung aber durch die erbvertragliche Bedenkung von Todes wegen veranlassen wollte? Kurz (und sicherlich verkürzend, aber eben prägnant) gesagt: Kann der Erblasser unter den genannten Voraussetzungen seine erbvertragliche Bindung kondizieren? 1. Das Zuwendungssubstrat: Die stabilisierte Erberwartung als Kondiktionsgegenstand

a) Die Erberwartung als Vermögensgegenstand Bei der Diskussion eines Kondiktionsanspruchs des Erblassers stellt sich bereits die Frage, ob überhaupt ein bereicherungsrechtlich relevanter Austausch zwischen dem Erblasser und dem Vertragserben oder dem Vertragsvermächtnisnehmer vorliegt60. Falls Bereicherungsrecht als ein reines Vermögensrecht begriffen würde, wäre eine Kondiktion der erbvertraglichen Bindung des überlebenden Ehegatten nur diskutabel, wenn man konzediert, die Bindung habe einen Vermögenswert. Anders wäre dies, falls man das 60 Da die bereicherungsrechtlichen Probleme sich in gleicher Weise für den Vertragserben wie für den Vertragsvermächtnisnehmer stellen, wird im folgenden nur noch vom „Vertragserben“ die Rede sein. Die Ausführungen gelten aber in gleicher Weise auch für den Vertragsvermächtnisnehmer.

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Bereicherungsrecht in einer gegenstandsorientierten Betrachtungsweise als ein Recht versteht, welches von Vorteilsabschöpfungen handelt. Ein Vorteil muß nicht von vermögensmäßiger Natur sein. Solange der andere Teil einen erlangten Vorteil herauszugeben in der Lage ist, ist dessen Vermögensmäßigkeit irrelevant und würde allenfalls im Rahmen des § 818 II, III BGB zum Problem. Nun ist die Frage nach der Vermögens- oder der Gegenstandsorientierung des Bereicherungsanspruchs für einen bereicherungsrechtlichen Zugriff auf den Vertragserben durchaus relevant. Denn was hat dieser erlangt? Hier gilt es zwischen dem Erwerb der formellen Erbenstellung, der Beziehung des Endbedachten zu den einzelnen Nachlaßgegenständen und der Rechtsstellung des Endbedachten aufgrund der rechtlichen Bindung des Erblassers zu unterscheiden. Der Vertragserbe hat zuerst einmal die formelle Erbenstellung erworben. Diese wird durch lebzeitige Verfügungen des Erblassers nun keineswegs beeinträchtigt, da der universalsukzessive Vermögenstransfer unberührt vom wirtschaftlichem Wert und der genauen Zusammensetzung des Vermögens vor sich geht61. Dies wurde schon frühzeitig so gesehen. Schon zum gemeinen Recht ging das Reichsgericht62, in der Literatur Hasse sowie später Beseler davon aus, Gegenstand des Erbvertrages sei nicht der Nachlaß oder gar einzelne Nachlaßgegenstände, sondern der Erwerb der formellen Erbenposition63. Die Formalität dieser Rechtsstellung wird in dem fehlenden rechtlichen Bezug zu den Nachlaßgegenständen gesehen: Dem erbvertraglich Endbedachten stehe vor dem Tod des Überlebenden weder ein Recht – auch nicht in Form eines künftigen Anspruchs – noch ein rechtlich gesichertes Anwartschaftsrecht64, sondern lediglich eine tatsächliche Erwerbs61 So verweist bsp. Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 25 V 11 a aE, darauf, daß sich die Rechtsstellung des Endbedachten nach Aufgabe der Rechtsprechung zur Aushöhlungsnichtigkeit noch stärker zu einer bloßen Aussicht auf das reduziert hat, was im Zeitpunkt des Erbfalls noch vorhanden ist; ähnlich bsp. MünchKomm-Musielak, § 2269 Rn. 32, § 2286 Rn. 3. Vgl. auch Häsemeyer, Abhängigkeit, 110 ff. 62 RGZ 4, 171. 63 Beseler, Erbverträge II/1, 183, zu Hasse vgl. Battes, Gemeinschaftliches Testament, 29 f. 64 Von einem Anwartschaftsrecht des Vertragserben sprechen hingegen Knieper, DNotZ 1968, 331 (334); Mattern, BWNotZ 1962, 229 (234), für den Fall, daß der Bedachte selbst Vertragspartei ist. Ablehnend demgegenüber die ganz überwiegende Meinung: BGHZ 12, 115 (118) zum Vertragsvermächtnisnehmer; BGH, DNotZ 1962, 497 (499); BGHZ 37, 319 (323), zum gemeinschaftlichen Testament; BayObLGZ 1952, 289 (290); OLG Hamm, DNotZ 1956, 151 (153); OLG Karlsruhe, FamRZ 1989, 1351; Staud-Kanzleiter, § 2269 Rn. 14; vor § 2274 Rn. 5; MünchKomm-Musielak, § 2269 Rn. 32; § 2286 Rn. 3; Palandt-Edenhofer, vor § 2274 Rn. 6; Erman-Schmidt, § 2269 Rn. 1; 2286 Rn. 3; RGRK-Kregel, vor § 2274 Rn. 5; AK-Finger, § 2286 Rn. 4; Soergel-M. Wolf; Dittmann/Reimann/Bengel-Bengel, vor § 2274 Rn. 4; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 24 VI 6 a; § 25 VI 11 a; Schlüter, Rn. 262 (für Vertragserben), Rn. 372 (für das gemeinschaftliche Testa-

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aussicht ohne vermögensrechtliche Rechtsposition zu65. Besitzt danach die bloße Erberwartung keinen Vermögenswert? Die Antwort hängt von den beiden Gesichtspunkten ab, die erforderlich sind, damit ein Gegenstand einen Vermögenswert besitzen kann: Ist die Erbchance marktfähig (darf sie also gehandelt werden)? Und ist sie marktgängig (gibt es also einen Markt für Erbchancen)? Die Markt- bzw. Entgeltfähigkeit der Erbchance ist gegeben: Die Regelung des § 312 BGB, nach dem ein Vertrag über den Nachlaß eines noch lebenden Dritten nichtig ist, bezieht sich – solange nicht praktisch sämtliche Nachlaßaktiva erfaßt sind66 – nicht auf Verträge über einzelne Nachlaßgegenstände67, so daß rechtlich der Vermarktung der Erberwartung insoweit nichts entgegenstünde. Die Marktfähigkeit der Erbchance ist auch nicht wegen § 2302 BGB ausgeschlossen, solange der Erblasser sich nicht zur Errichtung einer Verfügung von Todes wegen verpflichtet, was bei einem Erbvertrag erkennbar nicht der Fall ist. Fraglich ist damit nicht die Marktfähigkeit, sondern die Marktgängigkeit der Erbchance. Manche verbinden mit ihr einen Vermögenswert68. Jedoch ist dies wohl eher spekulativ, wenn nicht zugleich nachgewiesen wird, wo der Markt sein soll, der der Chance einen Wert überhaupt erst verschaffen könnte. Man könnte nun einen Vermögenswert der Erbchance darin verkörpert sehen, daß das zum Erwerb der Erbchance spiegelbildliche Rechtsgeschäft, der Erbverzicht, zumeist nur entgeltlich abgeschlossen zu werden pflegt, so daß der Vermögenswert der Erberwartung marktförmig in dem Entgelt für den Erbverzicht zum Ausdruck zu kommen scheint69. Doch geht dies schon deshalb nicht an, weil hier der ment: Anwartschaft); Brox, Rn. 144; Lange, FS Nottarp, 119 (121); Häsemeyer, Abhängigkeit, 106 ff. 65 BGHZ 12, 115 (119) (bzgl. Vertragsvermächtnisnehmer); 37, 319 (321 ff.) BayObLGZ 1952, 289 (290); Staud-Marotzke, § 1922 Rn. 14; Staud-Kanzleiter, § 2286 Rn. 6; Soergel- M. Wolf, § 2286 Rn. 2; MünchKomm-Musielak, § 2286 Rn. 3; RGRK-Kregel, § 2286 Rn. 1; Erman-Schmidt, § 2286 Rn. 3; Dittmann/Reimann/Bengel-Bengel, § 2286 Rn. 6; Lange/Kuchinke, § 24 VI 6 a und b, § 25 V 11 a; ders., FS Henckel, 475 (481 f.); Ebenroth, Rn. 248; Schlüter, Rn. 262; Lange, FS Nottarp, 119 (121); Lüke, Vertragliche Störungen, 52. 66 BGH LM Nr. 3 zu § 312 BGB; OGH, NJW 1949, 623. Zur a. A. vgl. nur Staud-Wufka, 13. Bearb., § 312 Rn. 11. 67 Ständige Rspr., vgl. nur RG, LZ 24, 587; BGH LM Nr. 3 zu § 312 BGB; OGH, NJW 1949, 623. 68 Lange/Kuchinke, § 7 I 4 a Fn. 20 aE, nimmt zumindest die Möglichkeit an, daß Erbchancen einen Vermögenswert haben können. Einen realen Vermögenswert billigt Lange, FS Nottarp, 119 (121), der gegenwärtigen Erbchance zu. 69 Dabei spielt die Frage, ob beim entgeltlichen Erbverzicht der Erblasser durch den Verzicht nichts erlangt habe, so daß dem Verzichtenden die gewährte Abfindung schenkweise zugewendet würde (so bsp. MünchKomm-Frank, § 2325 Rn. 14; Staud-Schotten, § 2346 Rn. 124; ablehnend die h. M. Lange/Kuchinke, § 7 V 2b, 3), hier keine Rolle, da dies auf die Bewertungsfragen im Markt keine Auswirkungen

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Markt ohne durchgreifende Begründung auf den Kreis der Pflichtteilsberechtigten beschränkt würde. Selbst bei den bindenden Bedenkungsformen spricht die weitaus überwiegende Ansicht angesichts des Überlebensriskos des Endbedachten und den weitreichenden Entbindungsmöglichkeiten beim Erbvertrag durch Rücktritt und Anfechtung wirtschaftlich nur von einer substanzlosen Hülle70 und verneint damit implizit die Marktgängigkeit der Erbchance. Der Unterschied zu der nichtbindenden Bedenkungsform des einfachen Testaments wird dann nicht in vermögensmäßigen, sondern in rechtlichen Kategorien gefaßt; man spricht dann von einer erbrechtlich gesicherten Anwartschaft71. Derlei Begriffsgefechte72 helfen jedoch nicht weiter. Die Vermögensmäßigkeit der durch die erbvertragliche Bindung stabilisierten Erbchance bleibt mithin weiter zweifelhaft. Bei einer reinen Vermögensorientierung des Bereicherungsrechts, also bei einer Beschränkung des Erlangten auf den Saldo eines Vermögensvergleichs mit und ohne Bereicherung, wäre es nach all dem zumindest schwierig, von einem erlangten „Etwas“ beim Vertragserben zu sprechen73.

hat. Gleiches gilt auch für die Frage, ob Gegenstand des Erbverzichts das künftige Erbrecht (sp bsp. Staud-Schotten, 13. Bearb., Einl. §§ 2436 ff. Rn. 23) oder die gegenwärtige Erbchance ist (so bsp. Lange/Kuchinke, § 7 IV 1). Schließlich kann nicht daraus, daß der Verzicht nur mittelbar über das Erbrecht auf die einzelnen Nachlaßgegenstände einwirkt, abgeleitet werden, auch hier sei ein Zuwendungsgegenstand nicht erkennbar (so Häsemeyer, Abhängigkeit, 102 f.); der Markt wertet anders. 70 So auch BayObLG JZ 1953, 242 f.; Lange/Kuchinke, § 25 V 11 a; RGRK-Kregel, § 2286 Rn. 1; Erman-Schmidt, § 2286 Rn. 3; vgl. auch Dittmann/Reimann/ Bengel-Bengel, § 2286 Rn. 4; Lange, NJW 1963, 1571 (1573); Johannsen, WM 1969, 1222 (1223). 71 Vgl. bsp. Palandt-Edenhofer, vor § 2274 Rn. 6 und § 2269 Rn. 11 (Bejahung einer Anwartschaft) einerseits und § 1922 Rn. 4 (Verneinung eines Anwartschaftsrechts) andererseits; Soergel-Manfred Wolf, vor § 2274 Rn. 9; v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 1, 433, 439, Bd. 2, 622 ff.; für die Stellung des Schlußerben eines unwiderruflichen gemeinschaftlichen Testaments BGHZ 37, 319 (322); Schlüter, Erbrecht, Rn. 372, widersprüchlich Rn. 262; für den entgeltlichen Erbvertrag Oertmann, Entgeltliche Geschäfte, 115. Vgl. auch Eckebrecht, Rechtsstellung, passim. Ablehnend bsp. Lange/Kuchinke, § 25 V 11 a; Häsemeyer, Abhängigkeit, 100 ff. (für den Erbvertrag). 72 Zu Recht verweist MünchKomm-Musielak, § 2269 Rn. 32, auf die bloß terminologische Relevanz des Meinungsstreits, da über die Rechte des Endbedachten weitgehende Einigkeit besteht. Daß es für das Sachproblem völlig uninteressant ist, ob die Rechtsmacht des Endbedachten Anwartschaft genannt wird oder nicht, betont auch Stürzebecher, Rücktritt, 76, 108; ders., NJW 1988, 2717 (2718). 73 Selbst bei einer tatsächlich sicheren Erwerbsaussicht verneint die Erlangung eines tauglichen Kondiktionsobjekts etwa MünchKomm-Lieb, § 812 Rn. 297; vgl. aus der älteren Lit. nur Crome V, § 657 I Fn. 10.

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b) Die Gegenstandsorientierung des Bereicherungsrechts Nun wird gemeinhin der Gegenstand des bereicherungsrechtlichen Herausgabeanspruchs schlagwortartig mit dem Topos „Vermögensgegenstand“ oder „vermögenswerter Vorteil“ umschrieben74. Scheinbar einhellig wird damit für eine reine Vermögensorientierung des Bereicherungsrecht gefochten. Doch mehr als eine grobe Richtungsweisung für den Normalfall kann darunter nicht verstanden werden75. Eine rein vermögensorientierte Betrachtungsweise des „Bereicherungs“-gegenstandes ist nicht sachgerecht76. Freilich ist diese Einsicht nicht Allgemeingut und unter dem Schlagwort „Vermögensorientierung des Bereicherungsrechts“77 vehement – vornehmlich unter historischen Gesichtspunkten – angegriffen worden. Und in der Tat entspricht die Vermögensorientierung der Kondiktion gerade derjenigen Lehre, die auf die Entstehung des bürgerlichrechtlichen Bereicherungsrechts wegweisend wirkte, nämlich der gemeinrechtlichen Savignyschen Rekonstruktion des Bereicherungsrechts am Muster des Sacheigentums vor dem Hintergrund des Sozialmodells der Eigentumsmarktgesellschaft, nach dem die Kondiktion als funktionaler Ersatz für die verloren gegangene Vindikation dient78. Einer derartigen reinen Vermögensorientierung des Bereicherungsrechts kann jedoch nicht gefolgt werden. Denn ungeachtet der nur in 74 So bsp. BGH in ständiger Rspr., vgl. nur BGH NJW 1995, 53 (54); NJW 1971, 609; BGHZ 20, 345 (355); 26, 349 (353); aus der Literatur vgl. nur PalandtThomas, § 812 Rn. 16; RGRK-Heimann-Trosien, § 812 Rn. 1. 75 Vgl. auch Esser/Weyers, SchuldR BT, § 51 I 2. 76 Anders noch die ältere Rspr., die deutlich von einer Vermögenssaldierung ausging, vgl. bsp. nur RGZ 54, 137 (141); 94, 253 (254); 105, 29 (31); 114, 342 (344); 118, 185 (187); 170, 65 (67); BGHZ 1, 75 (81); 9, 33 (335). Im Bereich des Immateriellen hatte die Rechtsprechung verstärkt Bedenken, eine Vermarktung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch die Zubilligung von Bereicherungsansprüchen zu dekretieren, vgl. nur BGHZ 20, 345 (355); 26, 349 (351 ff.). Mittlerweile neigt der BGH einer gemischt vermögens- und gegenstandsorientierten Betrachtung zu, paradigmatisch die Flugreiseentscheidung des BGH, der dort im Grundsatz der Vermögensorientierung bekräftigt (BGHZ 55, 128 (131) und zugleich in der materiellen Wertung gegenstandsorientiert argumentiert (BGHZ 55, 128 (133 ff.). Ansonsten vgl. nur BGH, NJW-RR 1986, 155; NJW 1995, 53 (54: es bestünde Einigkeit, daß „jedenfalls“ bei Vermögensbezug ein erlangtes Etwas vorhanden sei). 77 Das Anwendungsgebiet des § 812 BGB auf den Bereich des Vermögensrechts beschränken Flume, FS Niedermeyer, 103 (147 f.); Jakobs, Eingriffserwerb, 18 ff.; Wilhelm, Rechtsverletzung, 62 ff.; Esser, SchuldR BT, § 100 I; Palandt-Thomas, § 812 Rn. 16. 78 Zur v. Savignyschen Grundlegung des Bereicherungsrecht vgl. insbes. v. Savigny, System, Bd. 5, 523 ff.; zur strittigen Einordnung der Lehre v. Savignys vgl. im übrigen nur Wilhelm, Rechtsverletzung, 19 ff.; Joerges, Bereicherungsrecht als Wirtschaftsrecht, 14 f., 19 ff.; AK-ders., vor §§ 812 ff. Rn. 4 ff.; Reuter/Martinek, Bereicherungsrecht, § 1 I 3, II 1; Loewenheim, Bereicherungsrecht, 3 f.; J. Wolf, Stand der Bereicherungslehre, 3 ff.; Hammen, Die Bedeutung Friederich Carl v. Sa-

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Details relevanten Frage, ob statt einer reinen Vermögensorientierung eine reine Gegenstandsorientierung, Mischformen beider Positionen oder eine Unterscheidung nach Kondiktionsarten vorzugswürdig sind79, kommt als bereicherungsrechtlicher Herausgabegegenstand schlagwortartig – zumindest im Bereich der Leistungskondiktion80 – all das in Frage, was nach dem Parteiwillen Gegenstand des Austausches ist, mit anderen Worten, was sie als für sich wertvoll einschätzen81. Dies liegt daran, daß das Gesetz nicht nur das allgemeine Vermögens- sondern auch das Gegenstandsinteresse des Gläubigers schützt82. Bei dieser vorzugswürdigen primär gegenstandsorientierten Betrachtung der Bereicherungshaftung wird das Interesse des Bereicherungsschuldners, keine Minderung des eigenen Vermögens hinzunehmen, Rechnung getragen, da der bereicherungsrechtliche Anspruch nur auf Zustimmung zur Aufhebung der vertragsmäßigen Verfügung geht und damit das Vermögensbestandsinteresse des Schuldners nicht berührt ist. Im Bereich der Leistungskondiktion ist Bereicherungsrecht also nicht mehr bloß funktionaler Ersatz für die Vindikation, sondern dient der Rückabwicklung der Kausalgeschäfte (hier: des dem Erbvertrag zugrundeliegenden Kausalgeschäfts83) – und nimmt damit auf deren Gegenstand Bezug. Der primären Gegenstandsorientierung des insofern im Kontext der Leistungskondiktionen als quasi-kontraktuell verstandenen Bereicherungsrechts entspricht es daher, auch die Verschaffung bloßer Chancen als mit der Leistungskondiktion kondizierbar anzusehen84. Die Frage, ob die Chance im konkreten Fall (hier: die Chance zum Erwerb der Bedenkung) tatsächlich vignys für die allgemeinen dogmatischen Grundlagen des Deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches, 1983, 24 ff., 108 ff. und insbes. 184 ff. 79 Grundlegend für eine gegenständliche Betrachtungsweise von Caemmerer, FS Rabel, 333 (368). Vgl. ferner den Überblick bei Reuter/Martinek, Bereicherungsrecht, § 14 I, und – mit Unterschieden im einzelnen – MünchKomm-Lieb, § 812 Rn. 284 ff.; ders., Ehegattenmitarbeit, 98 ff.; ders., NJW 1971, 1289 f.; Erman-H. P. Westermann, § 812 Rn. 3, § 818 Rn. 24 ff.; Larenz/Canaris, SchuldR II, § 71 I 1; ders., JZ 1971, 560 (561); Esser/Weyers, SchuldR Bd. 2, § 50 I 1 e und f, § 51 I 1, 2, 3 b; Koppensteiner/Kramer, Ungerechtfertigte Bereicherung, § 12 I, V b § 13 I a; Loewenheim, Bereicherungsrecht, 15 ff.; aus dem vielfältigen Schriftum nur Kleinheyer, JZ 1961, 473 (474); Gursky, JR 1972, 279 ff.; Goetzke, AcP 173 (1973), 289 (309 ff.). Differenzierend zwischen Eingriffs- und Leistungskondiktion Reuter/Martinek, Bereicherungsrecht, § 3 I 2, § 14 I 3, § 15 I 2, II; Staud-Lorenz, 13. Bearb., § 812 Rn. 65 ff. 80 Auf die es hier – wie wir noch sehen werden – allein ankommt. 81 Von Cammerer, FS Rabel, 333 (348, 378); Staud-Lorenz, 13. Bearb., § 812 Rn. 65; vgl. auch Hepting, Ehevereinbarungen, 322; Beuthien, Zweckerreichung, 283 f. 82 Vgl. nur MünchKomm-Lieb, § 812 Rn. 285. 83 Hierzu ausführlich unten § 17 I 2 c. 84 Vgl. zur Begründung der reinen Gegenstandsorientierung von Caemmerer, FS Rabel, 335 (348, 377, 379) zur Leistungskondiktion.

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vermögensorientiert ist, kann damit dahingestellt bleiben. Der Weg zur Kondiktion ist mithin geöffnet. Fraglich ist dann im weiteren, welches die causa des Erbvertrags ist. 2. Die causa des Erbvertrags

a) Diskussionslinien Gemeinhin werden causa-Probleme beim entgeltlichen Erbvertrag85 an den Fragen diskutiert, ob dieser abstrakt sei86 oder nicht87, und ob der Erblasser unter bestimmten Voraussetzungen nach Kondiktionsrecht vom Vertragspartner die Aufhebung des Erbvertrages verlangen könne88. Beide Fragen sind nicht deckungsgleich; insbesondere lehnen die Kritiker eines Bereicherungsanspruchs89 die Kondiktion oft nicht ab, weil eine causa bei erbrechtlichen Verfügungen nicht erkennbar sei, sondern wegen des Fehlens sonstiger Voraussetzungen der Kondiktion, bsp. wegen des Fehlens einer „Leistung“90, oder wegen grundsätzlicher Konkurrenzerwägungen91. Eine gesicherte Stellungnahme zu den einzelnen Ansichten ist schwierig, da die 85 Bei einem „entgeltlichen Erbvertrag“ will der Erblasser sicherstellen, daß er Leistungen von seinem Erbvertragspartner empfängt, und setzt ihn dafür zum Erben ein, vgl. nur Lange/Kuchinke, § 25 X 1, sowie oben § 16 I 1, 2. 86 So Staud-Kanzleiter, vor § 2274 ff. Rn. 3, 7; Staud-Ferid, 10./11. Aufl., vor § 2346 Rn. 41; Planck-Greiff, 4. Aufl., vor §§ 2274 ff. Anm. 2; Stürzebecher, Rücktritt, 80; zumindest inzident RGRK-Kregel, § 2295 Rn. 3; Soergel-M. Wolf, § 2295 Rn. 2; Lange/Kuchinke, § 25 X 2 b; Knieper, DNotZ 1968, 331 (335). 87 So v. Lübtow I, 399; Crome, Bd. V, § 657 Anm. 10; Dernburg, Bd. V, § 95 III; Kipp/Coing, § 36 IV 1; Häsemeyer, Abhängigkeit, 128. 88 Für condictio ob rem Staud-Dittmann, 10./11. Aufl., § 2295 Rn. 6; RGRKKregel, § 2295 Rn. 3; Planck-Greiff, 4. Aufl., § 2295 Anm. 4; v. Lübtow I, 406 f., 463 f., Lange/Kuchinke, § 25 X 2 b; Cosack, Bürgerliches Recht II, § 388 VII 2; Lüke, Vertragliche Störungen, 28 f.; für condiction indebiti Soergel- M. Wolf, § 2295 Rn. 2; Knieper, DNotZ 1968, 331. Für eine Kondiktion ohne Abstraktheit des erbrechtlichen Geschäfts Leonhard, AllgSchuldR, 378 ff. Für eine Kondiktion aufgrund einer „ausdehnenden Auslegung“ Staud-Kanzleiter, 12. Aufl., § 2295 Rn. 8; Dittmann/Reimann/Bengel-Bengel, § 2295 Rn. 6. 89 BayObLGZ 28, 634 (636); Erman-Schmidt, § 2295 Rn. 8; Palandt-Edenhofer, § 2295 Rn. 2; MünchKomm-Musielak, § 2295 Rn. 5 Fn. 12; Endemann, Erbrecht, 58 Fn. 20; Crome, Bd. V, § 657 I; v. Tuhr, AllgT II/2, § 74; Hellwig, Verträge, 607 Fn. 247; Häsemeyer, Abhängigkeit, 96, 99 ff.; inzident Kipp/Coing, § 36 IV 1; Strohal, Erbrecht Bd. 1, § 47 Anm. 1. 90 So bsp. Erman-Schmidt, § 2295 Rn. 8. Fehlen einer Leistung bejahen ebenfalls Staud-Kanzleiter, 12. Aufl., § 2295 Rn. 8; Dittmann/Reimann/Bengel-Bengel, § 2295 Rn. 6, dennoch Kondiktion aufgrund einer „ausdehenden Auslegung“. Die ältere Literatur (bsp. Endemann III, § 58 Fn. 20; Crome V, § 657) kann hier mit Rücksicht auf die Fortentwicklung der Bereicherungsrechtsdogmatik zum modernen Leistungsbegriff nur mit Vorsicht herangezogen werden.

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Diskussion über die causa erbrechtlicher Geschäfte selbst bei einem auf den Erbvertrag beschränkten Gegenstand unter terminologischen Unklarheiten leidet. Wenn bsp. die fast allgemeine Meinung bei einem entgeltlichen Erbvertrag das Bestehen eines gegenseitigen Vertrages ablehnt92 und dies sowohl von den Befürwortern93 als auch den Gegnern94 einer Möglichkeit der Verknüpfung des Erbvertrages mit einer „äußeren“ causa95 je für sich als Argument für ihre Ansicht ins Feld geführt wird, so kann diese Diskussionslage nur damit begründet werden, daß der jeweilig verwendete Begriff der „Gegenseitigkeit“ ein je anderer ist. Die Diskussion wird weiter ob des Umstands erschwert, daß sich schon der Begriff der causa in seiner historischen Genese als vielschichtig und schillernd erweist96, so daß gesicherte Befunde nur bei einem klaren begrifflichen Bezugsrahmen möglich sind. Schließlich werden Probleme der causa oft allein im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Verkehrsgeschäften unter Lebenden besprochen. Paradigmatisch hierfür können beispielsweise die Ausführungen von Kegel97 genannt werden, der den Wirkungskreis der causa-Lehre auf Zuwendungen beschränkt und diese wiederum in Verpflichtung, sachenrechtliche Verfügung und tatsächliche Leistungshandlung auffächert. Wenn Kegel sodann 91 V. Tuhr, AT II/2, § 74; Crome, Bd. V, § 657 I; vgl. auch Beseler, Erbverträge, Bd. II/1, 209. 92 Vgl. nur Staud-Kanzleiter, § 2295 Rn. 8; MünchKomm-Musielak, vor § 2274 Rn. 21, 29; Dittmann/Reimann/Bengel-Bengel, vor §§ 2274 ff. Rn. 8; Palandt-Edenhofer, § 2295 Rn. 1; RGRK-Kregel, § 2295 Rn. 1, 3; AK-Finger, § 2295 Rn. 1; Planck-Greiff, 4. Aufl., vor § 2274 Anm. 2; Lange/Kuchinke, § 25 X 1, 2 b; Kipp/ Coing, § 36 IV 1; v. Lübtow I, 404; Ebenroth, Rn. 255; Brox, Rn. 154; Schlüter, Rn. 261; Leipold, Rn. 369; Endemann, Bd. III, § 81 II b; Crome, Bd. V, § 657 I; Lüke, Vertragliche Störungen, 12 ff.; Hellwig, Verträge, 604 ff. 93 Vgl. etwa Lange/Kuchinke, § 25 X; Planck-Greiff, 4. Aufl., § 2295 Anm. 1. 94 Vgl. etwa Palandt-Edenhofer, § 2295 Rn. 2. 95 Unter einer „äußeren causa“ verstehen manche im Gefolge von Siber den Rechtsgrund und den Zweck der Leistung, während die „innere causa“ der geschäftsinterne Zweck der Verpflichtung sei; die Begrifflichkeit ist hier stellenweise etwas verworren, vgl. dazu nur Westermann, Causa, 17 f. Der Begriff der „äußeren causa“ wurde hier nur gewählt, um die in der Literatur stellenweise tradierte Begrifflichkeit nicht zu verwischen. Ansonsten bleibt es dabei, daß die Unterscheidung zwischen innerer und äußerer causa wenig zweckdienlich ist. Vielmehr besitzt jede Zuwendung – auch die Verpflichtung – eine causa mit beiden Funktionen (dazu mehr unten § 17 II 3 b bb), also einen subjektiv-final orientierten „inneren“ und einen objektiv-normativ rechtfertigenden „äußeren“ Rechtsgrund, vgl. für ein derartig umfassendes Verständnis der causa-Lehren nur Hepting, Ehevereinbarungen, 325 f.; Klinke, Causa, 82; Westermann, Causa, 18; Ehmann, Gesamtschuld, 168; und im Gefolge von Kress Weitnauer, FS v. Caemmerer, 255 (264 ff.). 96 Vgl. zur Begriffsgenese nur Westermann, Causa, 1 ff.; und die kurzen Darstellungen zur Begriffsgeschichte bei Flume, AllgT II, § 12 II; Staud-Coing, Einl zu §§ 104 Rn. 51 ff.; Ehmann, Gesamtschuld, 132 f.; Mayer-Maly, FS Wilburg, 243 ff. 97 So bsp. Kegel, FS Mann, 57 (59 ff.).

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Verfügungen von Todes wegen als Ernennung eines Rechtsnachfolgers beim Tod begreift und sie – berechtigterweise – aus dem Kreis der Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäfte aussondert, kann die causa der erbrechtlichen Verfügungen nicht mehr erfaßt werden. Das heißt nicht, daß es sie nicht „gäbe“. Da Kegel aber nur von Rechtsgeschäften unter Lebenden spricht98, befinden sie sich im theoretischen Bezugsfeld der Kegelschen Lehre in einem blinden Fleck und werden von ihr nicht behandelt. Es bestünde mithin weiter Unklarheit, wie es um die causa des Erbvertrags nun genau bestellt ist, so daß auch eine Aussage zur Kondiktion aus § 812 I 2 Alt. 2 BGB nicht möglich wäre. Es bleibt mithin aufgegeben, den Rechtsgrund des entgeltlichen Erbvertrages zu entschlüsseln. b) Das Bezugsfeld der causa-Lehren Die Begriffe des „Rechtsgrundes“, „abstrakt“ und „kausal“ sind Kategorien der causa-Lehren. Im Recht des Vermögensaustauschs dienen die causa-Lehren als relativ abstraktes Bezugsfeld, verschiedene Erscheinungen des bürgerlichen Rechts, wie Anfechtung, Unmöglichkeit, Wegfall der Geschäftsgrundlage und Kondiktion als Ausdruck einer inneren Einheit von Wertungen zu generieren und unter Zweck-Kategorien in der Weise zu verstehen, inwieweit unsere Rechtsordnung von den Zwecken Kenntnis nimmt, die sich hinter einer Vorteilsverschiebung99 verbergen. Causa-Lehren dienen insoweit als eine Art Metaprogramm, welches von der Therapie von Zweckstörungen im weitesten Sinne handelt100. Damit wiederum ist genau jenes Thema angesprochen, welches vor dem Hintergrund des erbrechtlichen Willensdogmas im Erbrecht eine so gewichtige Rolle spielt. Denn auch bei den mit einer konkreten Verfügung von Todes wegen gehegten Erwartungen geht es bei einer Enttäuschung der Erwartung um so etwas wie eine „Zweckverfehlung“. Ein Rekurs auf die causa-Lehren verspricht mithin, die Einsatzstellen eines Erwartungsstörungsprogramm genau zu lokalisieren, die erforderlich sind, um Kohärenz und Konsistenz in der Wertung zu gewährleisten. 98

Die Wendung „Ernennung eines Rechtsnachfolgers“ spielt bei Kegel insofern eine Rolle, als er in dieser Weise Rechtsgeschäfte unter Lebenden und von Todes wegen abgrenzt, vgl. nur ders., Zur Schenkung von Todes wegen, 34 ff. 99 Der Begriff der Vorteilsverschiebung soll hier nur dazu dienen, nicht den herkömmlich tradierten Begriff der „Vermögensverschiebung“ im Bereicherungsrecht aufzugreifen. Er hat mit dem von Ernst Wolf, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. 2, Besonderer Teil, Köln u. a. 1978, 433 f., in die Diskussion eingebrachten Begriff nichts gemein. 100 Vgl. zu diesem weiten Verständnis der causa-Lehren nur Westermann, Causa, 95.

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Probleme der causa werden gemeinhin im Kondiktionsrecht und – damit zusammenhängend – allenfalls noch bei den abstrakten Verpflichtungen der §§ 780, 781 BGB thematisiert. Ansätze darüber hinaus finden sich nur selten101; eine umfassende causa-Lehre gehört jedenfalls nicht zum Standardrepertoire bürgerlichrechtlicher Rechtsdogmatik102. Dies kommt nicht von ungefähr. Denn soweit es um die Obligation geht, wird eine vornehmlich voluntaristisch orientierte Lehre ihren theoretischen Fluchtpunkt mehr im Willensprinzip und weniger in causa-Grundsätzen sehen103. Diese Einschätzung der causa-Lehren braucht hier nicht weiter zu interessieren. Denn unabhängig von einer willenstheoretisch ausgerichteten Bewertung der causaLehren spannen diese zumindest für die Therapie von Zweckstörungen im weitesten Sinne ein sachgerechtes Bezugsraster auf, da sie sich ja auch der willenstheoretisch zumeist nicht explizit focussierten Frage widmen, inwieweit Motiventtäuschungen und deren rechtliche Folgen nun genau rechtstechnisch verknüpft sind. Mit Blick hierauf muß in dieser Untersuchung denn auch nicht die gesamte Komplexität der causa-Lehren entfaltet werden. Ausreichend ist vielmehr ein Bezug auf erbrechtliche Verfügungen von Todes wegen, da die in erbrechtlichen Zusammenhängen auftretenden causa-Probleme durchweg von niedriger Komplexität sind als bsp. im Schuld- oder etwa im Familienrecht104. Als dogmatisch relevante Größe kommt die causa einer Verfügung von Todes wegen erst dann in den Blick, wenn die causa – wie heute zumeist – als eine Kategorie der Lehre von den Zuwendungen verstanden wird. Her101 Aus der älteren Literatur seien die ausführlichen Erörterungen bei von Tuhr, AllgT, Bd. II/1, § 72, bei Kress, AllgSchuldR, 35 ff., der eine allgemeine schuldrechtliche Zwecklehre entwickelt, und – beschränkt auf bereicherungsrechtliche Fragen, jedoch wegweisend auch für die allgemeine causa-Lehre – bei Krawielicki, Grundlagen des Bereicherungsanspruchs, passim, erwähnt. Aus neuerer Zeit sei nur auf die Untersuchungen von H. P. Westermann, Causa, passim, Klinke, Causa und genetisches Synallagma, passim, Kegel, FS Mann, 57 ff., und Hepting, Ehevereinbarungen, 2. Kap., sowie auf die Bemühungen zum Aufbau einer allgemeinen causaLehre auf der Basis der Kress’schen Ansätze bei Weitnauer, FS v. Caemmerer, 255 ff.; ders., NJW 1974, 1729 ff.; ders., NJW 1979, 2008; und Ehmann, Gesamtschuld, 130 ff.; ders., JZ 1968, 549; ders., NJW 1969, 398 ff., verwiesen. 102 So auch die Einschätzung bei Hepting, Ehevereinbarungen, 321. 103 In der Aussage deutlich und immer noch paradigmatisch Zweigert, JZ 1964, 349 (353), der meint, willenstheoretisch ausgerichtete Lehren würden die Fortschrittlichkeit des Willensprinzips vor der vermeintlichen Archaik der causa-Lehren für sich reklamieren. 104 So brauchen im Kontext des entgeltlichen Erbvertrages bsp. nicht die Probleme gelöst werden, die im Familienrecht unter dem Stichwort „Ehegattenzuwendungen“ traktiert werden, und zu deren Bewältigung die causa-Lehren einen gewichtigen Beitrag leisten können, der die familienrechtliche „Blindheit“ schuldrechtlicher Kategorien aufzubrechen hilft, wie dies anschaulich Hepting, Ehevereinbarungen, 2. Kap., gezeigt hat.

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kömmlich wird im Rahmen dieser Lehre der Zuwendungsbegriff – parallel zu dem breit gefaßten Begriff des „etwas“ im Sinne des Kondiktionsrechts – denkbar weit gezogen und als jede willentliche und bewußte Vorteilsmehrung begriffen105. Vom Zuwendungsbegriff werden damit auch die Verfügungen von Todes wegen erfaßt. Nun ist im Schriftum106 in neuerer Zeit von der causa einer Zuwendung in doppelter Hinsicht die Rede, einmal als subjektiv-finaler „Zweck“ und sodann als objektiv-normativer „Rechtsgrund“. Wird sie als subjektiv-finaler „Zweck“ der Zuwendung betrachtet, ist die causa bei Zuwendungen der rechtserhebliche Zweck eines Rechtsgeschäfts107 oder einer Leistungshandlung. Rechtserheblich ist ein Zweck im Gegensatz zum rechtlich unbeachtlichen Motiv, wenn er qua rechtsgeschäftlicher Vereinbarung oder nach Maßgabe des objektiven Rechts zum Inhalt des Rechtsgeschäfts geworden ist108. Hier geht es also um angestrebte rechtlich relevante Zwecke. Wird die causa als objektiv-normativer „Rechtsgrund“ angesehen, geht es um den für jede Zuwendung erforderlichen rechtlichen Grund, welcher bei einem Zuwendungsgeschäft die Zuwendung als Rechtens rechtfertigt109. Causa ist hier grundsätzlich der erreichte rechtlich relevante Zweck110. Erst wenn die Rechtsordnung in den soeben beschriebenen beiden Weisen von Zwecksetzungen Kenntnis genommen hat, stellt sich die Frage, in welchen rechtstechnischen Formen sich diese Kenntnisnahme ausdrückt. Mit diesen Formen ist die Dichotomie von „Abstraktheit“ und „Kausalheit“ angesprochen: Abstrakt oder kausal sind „Begriffe für die Form, in der ein Rechtsgrund auf eine Vorteilsverschiebung einwirkt“111 – daß er überhaupt einwirkt, ist eine Frage der Umbil105 Vgl. nur von Tuhr, AllgT II/2, 49 ff.; Flume, AllgT II, § 12 I 1; Rother, AcP 169 (1969), 1 (6); Hepting, Ehevereinbarungen, 322. 106 Hepting, Ehevereinbarungen, 323 f. 107 Jeder „Zweck“ eines Handelns ist seinem Wesen nach zugleich „Motiv“, vgl. nur Westermann, Causa, 99 f.; Klinke, Causa, 21; Hepting, Ehevereinbarungen, 324; Kegel, FS Mann, 57 (59); Köhler, Unmöglichkeit, 5 ff. 108 Kegel, FS Mann, 57 (59); vgl. auch Larenz, AllgT, § 18 II 3 d; Westermann, Causa, 78 ff.; Klinke, Causa, 31 ff. Von dieser Warte aus verwundert es nicht, daß die causa-Lehre für diejenigen eine Zentralstellung im Recht der Güterbewegung einnehmen muß, die im Gefolge eines letztlich utilitaristischen Rechtsverständnisses die Zweckkategorie zum Ausgangspunkt ihres Schuldrechtsverständnisses nehmen, so im Gefolge von Kress, Allg SchuldR, § 5; vornehmlich Weitnauer, in: Ungerechtfertigte Bereicherung, 25 (51 ff.); ders., FS v. Caemmerer, 255 ff.; Ehmann, Gesamtschuld, 130 ff., 192; Schnauder, Grundfragen, 18 f. 109 Flume, AllgT II, § 12 I 1; Pinger, AcP 179 (1979), 301 (315); Westermann, Causa, 18, 82; Krawielicki, Grundlagen, 3; Klinke, Causa, 61; Hepting, Ehevereinbarungen, 322. 110 Klinke, Causa, 60 ff.; Esser, SchR, § 101 II, § 4 I; Pinger, AcP 179 (1979), 301 (315); Weitnauer, FS v. Caemmerer, 255 (263); ders., NJW 1974, 1729 (1730); Ehmann, NJW 1969, 398 (398, 400), ders., Gesamtschuld, 167; Westermann, Causa, 18, 83, 201 f.; Kress, AllgSchR, § 5.

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dung eines zuerst einmal unbeachtlichen Motivs in eine rechtlich beachtliche causa. Bei Vermögensverschiebungen, die kraft Gesetzes erfolgen, ist schließlich ein Rekurs auf eine causa i. S. der soeben ausgeführten Zwecklehre sinnlos, während die Dichotomie von kausal oder abstrakt auch hier greift112. Das Mittel – hier die Verfügung von Todes wegen – kann ganz allgemein gesehen in dreifacher Weise vom rechtlich relevanten Zweck mehr oder weniger stark abhängen: Ist die causa mangelhaft, so kann die Zuwendung als Mittel nichtig, durch Anfechtung vernichtbar oder gültig, aber im Wege der Kondiktion rückforderbar sein. Das sind zunächst einmal rein analytische Kategorien, die noch keinen Rückschluß auf dogmatisch relevante Wertungen zulassen. Die analytische Trennung zwischen Nichtigkeit, Rückforderbarkeit und Vernichtbarkeit ergibt nur dann Sinn, wenn der Zuwendungsbegriff denkbar weit gezogen und nicht auf „reale“ Zuwendungen beschränkt wird. Denn hat die Zuwendung etwa die Verschaffung einer Sache zum Gegenstand, ist es ja reichlich unsinnig zu sagen, die Zuwendung (also die Sachverschaffung) würde nichtig. Zudem ist die analytische Trennung auch nur dann sinnvoll, wenn die Kategorie der causa nicht allein – wie zumeist – als eine Rechtsfigur im Verhältnis zwischen dem schuldrechtlichen Kausal- und dem ihm entsprechenden abstrakten Verfügungsgeschäft angesehen wird113. Dieses Verhältnis zwischen Grundgeschäft und Verfügung ist jedoch aus Sicht der causa-Lehren nur ein, wenn auch wichtiger Fall einer Verknüpfung von causa und Zuwendung. Die Unterscheidung zwischen Nichtigkeit, Vernichtbarkeit und Rückforderbarkeit der Zuwendung als Reaktion auf einen Wegfall der causa liegen also auf einer abstrakteren Ebene als der des realen Güteraustauschs: Sie betreffen auch noch den Wegfall der causa der causa der realen Zuwendung, also bsp. den Wegfall der causa des Kaufvertrags, welcher als causa dem realen Güteraustausch zugrundeliegt; hier führt der Wegfall der causa des Grundgeschäfts durchweg zu dessen Nichtigkeit oder Vernichtbarkeit. Nunmehr kann geklärt werden, was es mit den Begriffen von „kausal“ und „abstrakt“ auf sich hat: Ist eine Zuwendung nur im Wege der Rückforderbarkeit mit der causa verknüpft, ist sie auch ohne das Erreichen der rechtlich relevanten Zwecke wirksam. Sie ist also „abstrakt“. Demgegenüber sind Zuwendungen, welche bei einer mangelhaften causa nichtig (oder schwebend unwirksam) werden oder die bei einer mangelhaften causa 111 Krawielicki, Grundlagen, 9; vgl. auch Westermann, Causa, 95; Klinke, Causa, 81 ff. Mißverständlich Häsemeyer, Abhängigkeit, 73 f. 112 Vgl. nur Krawielicki, Grundlagen, 8 f.; Jahr, AcP 168 (1968), 9 (14 f.); Klinke, Causa, 81; aA v. Tuhr, AllgT II/2, § 73 I. 113 Auch im erbvertraglichen Schriftum findet sich das causa-Verständnis mancherorts hierauf beschränkt, so etwa bei Lüke, Vertragliche Störungen, 14.

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(mittels Anfechtung, Rücktritt oder – nach altem Schuldrecht – vollzogener Wandlung) vernichtbar sind, „kausal“ mit dem Zweck verknüpft114, 115. Bei einer kausalen Zuwendung gehört daher die causa notwendig und untrennbar zum Tatbestand des kausalen Rechtsgeschäfts116. Wann eine abstrakte und wann eine kausale Abhängigkeit vorliegt, ergibt sich hierbei nicht kraft sachlogischen Zusammenhangs oder einzig aus Parteiwillen, sondern aufgrund einer normativen Entscheidung, die das objektive Recht aufgrund einer Interessenabwägung trifft117. Als klassisches Beispiel für eine kausale Verknüpfung: Wird der eine Vertragsteil von seiner Leistung aufgrund Unmöglichkeit frei (§ 275 Abs. 1 BGB), wird auch der andere frei (§ 326 I 1 BGB). Im funktionellen Synallagma spiegelt sich in diesem Fall mithin die Art und Weise der Verknüpfung von causa und Zuwendung wider118. Ein schönes Beispiel für eine in den Vorschriften über das genetische Synallagma geregelte kausale Verknüpfung von Zuwendung und Zweck119 liegt in dem Fall vor, daß die auf die Erlangung eines nicht nur rechtlichen Vorteils gerichtete Willenserklärung des minderjährigen Käufers aufgrund der Verweigerung der Genehmigung durch den Sorgeberechtigten endgültig unwirksam geworden ist. Der Geschäftspartner des Minderjährigen hat hier diesem seine Verkäuferverpflichtung zugewendet, um den Anspruch auf die Gegenleistung des minderjährigen Käufers zu erreichen. Ist dieser Anspruch nicht entstanden und damit der Verkäuferzweck verfehlt, entfällt die Zuwendung des Verkäufers; rechtstechnisch gilt sie als noch nicht einmal geleistet, § 154 BGB. Ein anderes Beispiel für eine kausale Verknüpfung von Zuwendung und Zweck ist die Verbürgung auf eine Nichtschuld. Die causa der Bürgenverpflichtung ist die Sicherung der fremden Schuld120. Fällt die Sicherung weg, weil die fremde Schuld hinfällig geworden ist, wird die Bürgenverpflichtung unwirksam, § 767 I BGB.

114 Krawielicki, Grundlagen, 7; Westermann, Causa, 95 f.; Klinke, Causa, 19, 81; Kegel, FS Mann, 57 (57, 65); Rother, AcP 169 (1969), 1 (5 f.); Flume, AllgT II, § 12 I 2; Kress, AllgSchuldR, § 5; v. Tuhr, AllgT II/2, § 73. 115 Während die Behaltensberechtigung der abstrakten Geschäfte im Bereicherungsrecht geregelt ist, gehört die Behaltensberechtigung der kausalen Verpflichtung – zumindest im synallagmatischen Vertrag – zur Synallagmalehre, vgl. nur von Thur, AllgT II/2, § 72 I; Klinke, Causa, 61 f. 116 Klinke, Causa, 81; Jahr, AcP 168 (1968, 9 (16 m. w. Nachw.); Westermann, Causa, 17; Krawielicki, Grundlagen, 25 f., 40, 43. 117 V. Tuhr, AllgT II/2, § 73, S. 104; Kegel, FS Mann, 57 (69, 78 ff.); Flume, AllgT II, § 12 III 3; Klinke, Causa, 82 f.; Hepting, Ehevereinbarungen, 327 f.; für den Grundsatz ebenso Westermann, Causa, 183; gerade umgekehrt Krawielicki, Grundlagen, 10. 118 Dazu siehe auch näher Kegel, FS Mann, 57 (67 ff.). 119 Dazu allgemein Kegel, FS Mann, 57 (66 f.). 120 Kegel, FS Mann, 57 (62).

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c) Der Erbvertrag als grundsätzlich kausales Rechtsgeschäft Vor dem Hintergrund der soeben gewonnenen Einsichten ist es erheblich einfacher zu untersuchen, ob überhaupt ein Kondiktionsanspruch auf Zustimmung zur Aufhebung der erbvertraglichen Bindung bestehen kann. Auf den ersten Blick erscheint die Lage unkompliziert: Wenn (i) die causa in ihrem objektiv-normativem Sinn, also als „Rechtsgrund“, der erreichte rechtlich relevante Zweck eines Rechtsgeschäfts ist, (ii) der rechtliche „Normal“-Zweck des Erbvertrags gem. §§ 1941, 2278 II BGB in der Erbeinsetzung oder der Anordnung von Vermächtnissen oder Auflagen besteht121 und (iii) erbrechtlich auch die weitaus meisten Motive des Erblassers aufgrund der Zulässigkeit der Anfechtung wegen Motivirrtums nach §§ 2281 ff., 2078 II BGB zum rechtlich beachtlichen Zweck geworden sind, so ist der Erbvertrag anfechtbar (§§ 2078 f. BGB) oder nichtig (§ 2077 BGB), wenn die Motive enttäuscht werden. Mithin ist der Erbvertrag im oben vorgestellten Verständnis der causa-Lehren grundsätzlich ein kausales und kein abstraktes Rechtsgeschäft122. Die sich aus diesem Befund zwangsläufig ergebende Frage liegt dann auf der Hand: Wie kann ein kausal mit seinen Zwecken verbundenes Geschäft irgendetwas mit den §§ 812 ff. BGB zu schaffen haben? Von diesem Problem wird noch zu handeln sein. Das Ergebnis dieser Überlegungen (die erst dann voll verständlich und deshalb auch erst dann erörtert werden, wenn die causa des Erbvertrags geklärt ist) wird sein, daß kraft privatautonomen Willens durch bloßes Hinzufügen eines zweiten rechtsgeschäftlichen Rechtsgrundes eine gesetzlich kausale Zuwendung zu einer gewillkürt abstrakten und damit kondizierbaren Zuwendung gemacht werden kann123. Die im folgenden zu diskutierende Frage lautet denn auch: Können die Parteien des Erbvertrags diesen zu einer gewillkürt abstrakten Zuwendung machen? Und welches ist die causa einer derartigen Zuwendung? d) Die Art der causa erbrechtlicher Zuwendungsgeschäfte jenseits der Dichotomie von Verpflichtung und Verfügung Mit ein Grund für die bisher eher am Rande der erbrechtsdogmatischen Diskussion liegende Erörterung der causa erbrechtlicher Zuwendungsgeschäfte dürfte in dem immer noch nachwirkenden Einfluß124 der gemein121

Vgl. v. Lübtow I, 399, mit etwas zu rigider Formulierung. Vgl. auch Krawielicki, Grundlagen, 35 f. 123 Dazu ausführlich unten § 17 II 2. 124 Die in der römischen Rechtstradition wurzelnde Kategorie der causa hat die Rechtsentwicklung in sehr vielfältiger und komplexer Weise beeinflußt. Der dogmengeschichtliche Wirkungskontext im einzelnen kann und braucht hier nicht wei122

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rechtlichen causa-Typologie zu suchen sein, in der die causa-Lehre auf die Dichotomie von Obligation und Verfügung ausgerichtet war125. Die drei gemeinrechtlichen Haupttypen der causa wurden den Gegensatzpaaren „Entgeltlichkeit – Unentgeltlichkeit“ und „Verpflichtung – Erfüllung“ zugeordnet; man erhielt so bei den entgeltlichen Verträgen die causa aquirendi oder credendi126 und bei den Schenkungen die causa donandi, die beide wiederum als Verpflichtungs-causae – causa obligandi – der causa solvendi, also der Erfüllungs-causa, gegenübergestellt wurden127. In dieser Trichotomie sind die drei causae auch heute noch Bestandteil der juristischen Nomenklatur. Daneben entwickelte sich auf der Ebene der Verpflichtungsgeschäfte eine Vielzahl anderer causa-Typen, bei denen die causa mit dem jeweiligen Vertragstypus übereinzustimmen scheint128. Die gemeinrechtliche causa-Typologie wirkt gleichwohl auch heute noch – verstärkt durch die von v. Savigny beeinflußte Ausbildung von Trennungs- und Abstraktionsprinzip in der Pandektistik129 – nach, indem die Unterscheidung von Verpflichtungs- und Leistungsgeschäften zu einem gleichsam apriorischen Axiom wurde und im Gefolge dessen das causa-Verständnis bei Verpflichtungs- und Leistungsgeschäften eine jeweils verschiedenartige Entter aufgezeigt zu werden, vgl. dazu nur Staudinger-Coing, Einl. zu §§ 104 Rn. 51 ff.; Flume, AllgT, § 12 II; und ausführlicher Fritz Schwarz, Die Grundlagen der condictio im klassischen römischen Recht, 1952; und Alfred Söllner, Die causa im Kondiktionen- und Vertragsrecht des Mittelalters bei den Glossatoren, Kommentatoren und Kanonisten, Zeitschrift der Savigny-Stiftung, Rom. Abt., 77 (1960), 182 ff. 125 Paradigmatisch hierfür sind die Erörterungen von Kegel, FS Mann, 57 ff., der Probleme der causa nur im Hinblick auf Verpflichtung, Verfügung und tatsächliche Leistungshandlungen anspricht und damit die Verfügungen von Todes wegen notwendig aussparen muß. Auch die Ausführungen bsp. von Häsemeyer, Abhängigkeit, 70 ff., 90 f., und Lüke, Vertragliche Störungen, 14 f., zeigen, daß kausale Verbindungen von Mittel und Zweck paradigmatisch auf Verpflichtungsgeschäfte beschränkt werden, so daß Verfügungen von Todes wegen zwangsläufig aus diesem Schema herausfallen. 126 Die causa aquirendi betraf Geschäfte zum Zwecke des Kaufs von Herrschaftsrechten an Personen oder Sachen, die causa credendi Geschäfte zum Zwecke der Darlehnsbegründung, vgl. Kunkel, Römisches Recht, § 53, 2 a–c. 127 Die Funktion dieser drei Haupttypen und ihr Verhältnis zueinander ist noch nicht hinreichend geklärt, vgl. Westermann, Causa, 57 f. 128 Vgl. zu derartigen Austausch-, Gegenseitigkeits-, Unentgeltlichkeits-, Sicherungs-, Ersetzungs-, Verwendungs- oder Kapitalüberlassungs-Causae die Übersicht bei Esser/Schmidt, SchuldR AT, § 3 IV 5; Hepting, Ehevereinbarungen, 336 f. 129 Dazu nur Kegel, FS Mann, 57 (73 ff.), und ausführlich Wilhelm Felgentraeger, Friedrich Carl v. Savignys Einfluß auf die Übereignungslehre, Leibzig 1927; und Filippo Ranieri, Die Lehre der abstrakten Übereignungen in der deutschen Zivilrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, in: Coing/Wilhelm (Hrsg.), Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Bd. 2, Frankfurt a. M. 1977, 90 ff.

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wicklung nahm130. Es ist daher nicht verwunderlich, daß sich erbrechtliche Zuwendungsgeschäfte, und hier insbesondere Erbeinsetzungen, nur schwer in die an den Dichotomien von Verpflichtung und Leistung (causa obligandi versus causa solvendi) sowie von Entgeltlichkeit und Unentgeltlichkeit (causa aquirendi versus causa donandi) orientierten causa-Lehre einordnen lassen. Sollen causa-Grundsätze überhaupt für erbrechtliche Zuwendungsgeschäfte von Belang sein, muß die causa-Lehre auf die Besonderheiten der erbrechtlichen Kategorien reagieren – also (i) auf die Verpflichtungsfeindlichkeit erbrechtlicher Verfügungsfreiheit und (ii) auf den Liberalitätscharakter letztwilliger Zuwendungen, der beim entgeltlichen Erbvertrag freilich durch die vertragliche Bindung überlagert und durch die Leistung des Vertragserben unterlaufen wird. Wenn diese erbrechtlichen Besonderheiten beachtet werden, besteht kein Anlaß, das vertraute Verständnis der causa zugunsten neuerer causa-Lehren aufzugeben. So führen neuere Versuche, auf der Grundlage einer allgemeinen, für das Zivilrecht schlechthin zentralen Zwecklehre die causa einheitlich sowohl für Verpflichtungen als auch für sachenrechtliche Verfügungen als „Zweckvereinbarung und Zweckerreichung“ zu definieren131, schon deshalb erbrechtlich nicht weiter, weil diese Lehre sich auf die funktionale Übereinstimmung im Zusammenspiel von geschäftsinternen (inneren) und äußeren Rechtsgrund beschränkt und inhaltlich auch weiterhin zwischen den vertragstypischen Verpflichtungscausae und der causa solvendi der Leistungsgeschäfte unterscheidet132. Für die causa-Problematik erbrechtlicher Geschäfte bringt diese Zweck-Theorie daher keinen Fortschritt. Dies gilt auch für das durch Westermann133 allgemein für das Schuldund Bereicherungsrecht und im Gefolge hiervon durch Hepting134 für das Ehe- und Familienrecht ins Werk gesetzte wirtschaftliche causa-Verständnis, das die causa auf das wirtschaftliche Gesamtgeschäft des jeweiligen Austauschvorganges bezieht und den Gegensatz von Verpflichtung und Leistung insofern aufbricht. Auch Westermann übersetzt „causa“ mit „Zweck“135, nur bezieht er ihn auf das aus dem Grundgeschäft (mit seinen Hilfsgeschäften wie Sicherung und Änderung) und dem Leistungsgeschäft 130

Vgl. nur Hepting, Ehevereinbarungen, 337 ff. So dezidiert Ehmann, Gesamtschuld, 167; ders., NJW 1969, 398 ff. Weitnauer, FS v. Caemmerer, 255 (260, 273); ders., NJW 1974, 1729; Schnauder, Grundfragen, 36; je auf der Grundlage von Kress, AllgSchuldR, § 5, 2c; vgl. auch Kegel, Festschrift Mann, 57 (60, 65). Zur Kritik vgl. nur Weber, JZ 1989, 25 (30). 132 Hepting, Ehevereinbarungen, 339 f. 133 Causa, 78 ff., und passim. 134 Ehevereinbarungen, 340 ff. 135 Vgl. dazu und zum folgenden Westermann, Causa, 78 ff. 131

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bestehende wirtschaftliche Gesamtgeschäft, also gewissermaßen auf den wirtschaftlichen Enderfolg. Nach diesem Ansatz besitzen sowohl die Zuwendungen kraft Grundgeschäft als auch die kraft Leistungsgeschäft ihre causa in dem jeweiligen Bezug der Zuwendung zum Gesamtgeschäft; causa ist hier damit „die Funktion eines Einzelgeschäfts im Rahmen eines Gesamtgeschäfts“136; die Funktion selbst wird durch den Parteiwillen festgelegt137. Bei Leistungen kommt es dann darauf an, „ob der vereinbarte oder typische Zweck der Leistung im Rahmen der wirtschaftlichen Güterbewegung erreicht worden ist“138. Folglich wird im gegenseitigen Vertrag nicht nur solvendi causa, sondern auch um der Gegenleistung willen geleistet, während umgekehrt sich auch das Verpflichtungsgeschäft nicht nur auf das Gegenversprechen, sondern auch auf die Gegenleistung bezieht139. Es wird mithin der durch die tradierte Lehre zerrissene Sinnzusammenhang des Gesamtgeschäfts gewahrt und die Figur des Schuldverhältnisses als ein System von weitgespannten Handlungen und Erwartungen bereicherungsrechtlich fruchtbar gemacht. Nun ist für das (einfache) Testament ein derartiges wirtschaftliches causa-Verständnis von nur geringem heuristischen Wert, da das in diesem Kontext vorhandene wirtschaftliche Gesamtgeschäft nur aus der universalsukzessiven Vermögensübertragung besteht und hiervon Einzelgeschäfte nicht zu sondern sind. Diese Einschätzung scheint sich jedoch dann zu wandeln, sobald komplexere erbrechtliche Verfügungsstrukturen wie der (insbes. entgeltliche) Erbvertrag ins Blickfeld geraten. Der Verfügung von Todes wegen sind hier aber per definitionem immer „überschießende“ Zweckvorstellungen angekoppelt (etwa: Versorgung des Erblassers). Sind derartige „überschießende“ Zweckvorstellungen vorhanden, bleibt es zwar dabei, daß im Erbvertrag eine bestimmte Vermögensordnung post mortem als wirtschaftlicher Gesamtzweck der Verfügung von Todes wegen ohne Gegenleistung statuiert wird. Diese Feststellung muß aber nicht für eine reine Liberalität der Zuwendung des Vermögens von Todes wegen sprechen, da ja die Zuwendung im entgeltlichen Erbvertrag häufig zwar nicht in einem rechtlichen, wohl aber in einem faktischen Gegenleistungsverhältnis steht. Das wirtschaftliche causa-Verständnis scheint insofern etwas Licht in die Art der causa der erbrechtlichen Zuwendungsgeschäfte zu bringen. Dennoch ist kein Anlaß, dieses causa-Verständnis der Analyse erbrechtlicher Zuwendungsgeschäfte zugrundezulegen. Ob dies in anderen Zusammenhängen sinnvoller ist, mag 136

Westermann, Causa, 79. Westermann, Causa, 79 f. Kritisch zu einer derartigen Objektivierung der causa ohne hinreichende Abstimmung zur allgemeinen Vertragstheorie Joerges, Bereicherungsrecht als Wirtschaftsrecht, 12. 138 Westermann, Causa, 82. 139 Hepting, Ehevereinbarungen, 341. 137

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dahin gestellt bleiben. Denn anders als bsp. im Eherecht, in der die typologisch erfaßbare Vielfalt von stillschweigenden Ehevereinbarungen die Heuristik der Westermannschen Lehre anschaulich werden läßt, wäre dieselbe Lehre im Erbrecht „überkapazitär“: Sie wäre zu komplex, da auch das tradierte causa-Verständnis zur Analyse dann taugt, wenn die inzidente Dichotomie von Verpflichtung und Leistung aufgebrochen wird140. Daß dies möglich ist, zeigt die folgende Analyse. 3. Einwände gegen eine causa-Fähigkeit der Verfügung von Todes wegen

Die Einordnung erbrechtlicher Verfügungen in kondiktionsrechtliche Zusammenhänge ist nicht unwidersprochen geblieben. Die Möglichkeit einer kondiktionsrechtlich relevanten Verbindung des erbrechtlichen Geschäfts mit der Leistung des Vertragserben wird bsp. von Hellwig bestritten, wenn er die causa-Fähigkeit eines Erbvertrages mit der etwas dunklen Begründung leugnet, der Erbvertrag sei keine Form der Zuwendung, die auf verschiedenen Rechtsgründen beruhen könne141. Im Näheren zeigt sich aber, daß Hellwig hiermit nur die Form einer (für die Frage nach der Kondiktion nicht relevanten) synallagmatischen Verknüpfung zwischen Erbvertrag und den Leistungen des Vertragserben ausschließen wollte. Formen142 einer konditionalen Verknüpfung – die mit Rücksicht auf die §§ 2074 ff. BGB unbestritten als zulässig anerkannt und deshalb nicht weiter zu problematisieren ist – oder einer solchen Verbindung, bei denen der Erblasser eine Leistung gewährt, weil oder damit der Empfänger einen Erfolg bewirkt, zu dessen Herbeiführung er nicht verpflichtet ist, thematisiert er hingegen 140 Bei erbrechtlichen Zuwendungsgeschäften wird zumeist eine Zweckvereinbarung zusammen mit der erbrechtlichen Verfügung getroffen, so daß praktisch ein „Handgeschäft“ vorliegt. Vor diesem Hintergrund mag durchaus Hepting, Ehevereinbarungen, 342 f., zugegeben werden, daß die überkommene Lehre vor allem bei der Analyse der causa von Handgeschäften zu etwas lebensfremden Konstruktionen gezwungen ist. Dies schadet jedoch zumindest dann nicht, wenn die Konstruktion keine Wertungen vorwegbestimmt – was nicht der Fall ist. 141 Hellwig, Verträge, 604 f. 142 Vgl. dazu schon Oertmann, Entgeltliche Geschäfte, 108 ff.; v. Lübtow I, 405 ff., 407 ff. Allg. zu den Arten der Verknüpfung von Mittel und Zweck MünchKomm-Thode, § 305 Rn. 10; MünchKomm-Emmerich, vor § 320 Rn. 11 f.; ErmanBattes, vor § 320 Rn. 7; Palandt-Heinrichs, vor § 320 Rn. 7; Welker, Bereicherungsausgleich, 80 ff.; Klinke, Causa, 70 f., 86 ff. Zur Einordnung der promissio ob rem im Rahmen der causa-Lehre vgl. Westermann, Causa, 119 f. Synallagmatische Geschäfte können gegenüber der allgemeinen Finalstruktur entgeltlicher Geschäfte dadurch gekennzeichnet werden, daß ihre Zuwendungen in Verpflichtungen, die causae ihrer Zuwendung in der jeweiligen Verpflichtung des Gegners bestehen und die Abhängigkeit der Zuwendung von ihrer causa kausal ausgestaltet ist, vgl. nur Klinke, Causa, 94. Vgl. im übrigen zu den verschiedenen Erklärungsversuchen zum Synallagma nur Klinke, ebda., 103 ff.; Dubischar, FS Raiser, 99 (109 ff.).

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nicht. Der Einwurf von Hellwig hilft daher beim Problem, wie es um die causa des entgeltlichen Erbvertrags bestellt ist, nicht recht weiter. Wie steht es mit anderen Erwägungen? Mancherorts wird darauf verwiesen, der Erbvertrag entspräche außer in Entstehung und Widerruflichkeit dem Testament, bei dem eine bereicherungsrechtliche causa jedoch nicht angenommen werden könne143. Diese Überlegung greift nicht durch. Mit ihr wird die vertragliche Natur des Erbvertrages ohne Not und ohne nähere Begründung negiert und überholten Vorstellungen des Erbvertrags als Testament mit Widerrufsverzicht144 Raum gegeben. Zudem bleibt immer noch die Frage offen, ob nicht doch dem Testament eine causa zugrundeliegen kann. Gegen eine Verbindung der Kategorie der causa mit dem Erbvertrag wurde des weiteren vorgebracht, die Erbeinsetzung sei etwas „zu Großes“, als daß sie mit causa-Fragen in Verbindung gebracht werden könne145. Auch dies überzeugt nicht. Das Argument nährt sich wohl aus einer römisch-rechtlich geprägten Abneigung gegen bindende Erbeinsetzungen zu Lebzeiten des Erblassers146 und tradiert veraltete Vorstellungen einer Vererbung von dessen Stellung und Stand147, die nicht zu rechtfertigen sind. Der plakative Verweis auf „Größe“ verdeckt nur rechtliche Wertungen. Schwerer gegen die Vorstellung, der Erbvertrag könne bereicherungsrechtlich relevant mit einer causa verbunden sein, wiegt demgegenüber das Argument, der Rekurs auf die causa erbrechtlicher Geschäfte ergebe keinen rechten Sinn. Das Argument tritt in mehreren Facetten und zumeist in der Art eines argumentum ad absurdum auf. In der ersten Variante wurde darauf verwiesen, daß die causa einer entgeltlichen Zuwendung von Todes wegen nicht die von der anderen Seite versprochene Leistung sei. Vielmehr erfolge die Zuwendung – wie immer – mortis causa148. Zwei Lesarten dieser ersten Variante sind möglich. In der ersten wird das Argument wörtlich verstanden. Dann ist mit ihm jedoch nichts gewonnen, da nur gesagt ist, daß Verfügungen von Todes wegen immer von Todes wegen, eben mortis causa, erfolgen. In der zweiten Lesart wird das Argument so verstanden, daß erbrechtliche Verfügungen keiner causa-Beziehung fähig seien149. Ein 143

So etwa Hellwig, Verträge, 607; den Vergleich mit dem Testament zieht auch Häsemeyer, Abhängigkeit, 96 f. 144 So die Lehre insbes. von Hartmann, Zur Lehre von den Erbverträgen, 10. Dazu nur Battes, Gemeinschaftliches Testament, 41 ff. Ältere Literatur ist weiter nachgewiesen bei von Schmitt, in: Schubert (Hrsg.), Die Vorlagen der Redaktoren, Bd. 1, 606 ff., Bd. 2, 940 ff. Spätere Literatur findet sich bei Werneburg, DNotZ 1916, 209 (215 ff.). 145 So etwa Crome, Bd. V, § 657 I. 146 Dernburg, Bd. V, § 95 III; Hohmann, Rechtsfolgen, 46. 147 Hohmann, Rechtsfolgen, 46. 148 Vgl. nur Strohal, Erbrecht Bd. 1, § 47 I; Hellwig, Verträge, 605; Kipp/Coing, § 36 IV 1; Kress, AllgSchuldR, § 5, 4b.

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Argument ist dies freilich nicht, sondern die Behauptung eines Ergebnisses, welches erst noch herzuleiten ist. Ähnlich unergiebig ist die zweite Variante des Arguments. Hier wird darauf insistiert, daß erbrechtliche Rechtsgeschäfte – wie familienrechtliche Statusgeschäfte (bsp. Eheschließung, Adoption) – außerhalb des Funktionszusammenhangs stünden, der abstrakte Rechtsgeschäft mit ihrer causa verbinde150. Kurz gesagt: Es wird unterstellt, daß niemand „ernsthaft behaupten“ wolle, das Testament (und man muß wohl ergänzen: auch der Erbvertrag) könne einen Rechtsgrund haben151. Doch auch hier kann die Argumentation nicht überzeugen. Soweit ein Vergleich zu familienrechtlichen Statusgeschäften gezogen wird, können diese zwar zu den kondiktionsfreien Vorgängen gerechnet werden152. Daraus folgt jedoch noch nicht, sie stünden außerhalb eines causa-relevanten Zusammenhangs. Die Kondiktionsfreiheit rührt vielmehr daher, daß bei den Statusgeschäften überhaupt keine Leistung i. S. § 812 BGB vorliegt153 – im Gegensatz zu den erbvertraglichen Zuwendungsgeschäften, in denen es um final ausgerichtete Vorteilsverschiebungen (erbvertragliche Bindung!) geht. Im übrigen wirken bei dieser Argumentation wohl die gemeinrechtlichen causa-Typen und die daraus tradierte Dichotomie von Verpflichtungscausa und causa solvendi nach, die in der Tat auf erbrechtliche Zuwendungsgeschäfte nicht angewendet werden kann154. Auch mag die schon angesprochene Savignyschen Rekonstruktion des Bereicherungsrechts am Muster des Sacheigentümers155 den Fokus auf primär schuld- und sachenrechtliche Vorgänge gelenkt haben. Insgesamt gesehen hindert der Verweis auf familienrechtliche Statusgeschäfte jedoch nicht, eine causa des Erbvertrags anzunehmen. In der dritten Variante des Arguments, der Rekurs auf die causa erbrechtlicher Geschäfte ergebe keinen rechten Sinn, wird eine „Kondiktion der Bindung“ mit der Begründung abgelehnt, das Kondiktionsrecht sei auf Rechtsgeschäfte unter Lebenden beschränkt156. Mit einem derartigen Vorhalt wird nur wieder die Frage erneut formuliert, was erbrechtliche Verfügungen mit einer causa zu schaffen haben, die Frage selbst aber nicht beantwortet. Soweit schließlich in der vierten Argumentationsvariante darauf 149

So die Interpretation bei Häsemeyer, Abhängigkeit, 96. So ausdrücklich Häsemeyer, Abhängigkeit, 95 f., 129; inzident Kipp/Coing, § 36 IV 1. Für den Erbvertrag ebenso schon Crome, Erbrecht, § 664 I; Hellwig, Verträge, 604; Strohal, Erbrecht, Bd. 1, § 59. 151 Häsemeyer, Abhängigkeit, 96 f. 152 Vgl. Krawielicki, Grundlagen, 43. 153 So ebenso schon Krawielicki, Grundlagen, 43, freilich auf der Grundlage des vormodernen Leistungsverständnisses. 154 Dazu vgl. oben § 17 I 2 d. 155 Dazu oben § 17 I 1. 156 So von Tuhr, AllgT II/2, § 74. 150

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hingedeutet wird, eine – für einen Bereicherungsanspruch ja notwendige157 – abstrakte Verknüpfung von Rechtsgrund und Zuwendungsgeschäft widerspreche dem nach §§ 1941, 2278 II BGB möglichen Inhalt eines Erbvertrages158, so überzeugt dies nicht. Es war schon kurz die Rede davon, daß der Erbvertrag grundsätzlich ein kausales Rechtsgeschäft darstellt159. Schon aus diesem Grunde scheidet ein Anspruch auf „Kondiktion der erbvertraglichen Bindung“ wegen der Schlechterfüllung der schuldrechtlichen Versorgungszusage zuerst einmal aus. Es muß etwas zu dem Erbvertrag hinzukommen, was diesen zu einem abstrakten Rechtsgeschäft werden läßt – es muß also so etwas rechtlich zulässig sein wie eine „gewillkürte Abstraktheit“, mithin eine durch den Parteiwillen herbeiführbare abstrakte Verknüpfung von Rechtsgrund und Erbvertrag. Es wird sogleich gezeigt werden, daß derartiges zulässig ist, wenn die Parteien des Erbvertrages eine Zweckvereinbarung schließen. Diese ist zwar ein Rechtsgeschäft und kann zu einer gewillkürten Abstraktheit der erbrechtlichen Zuwendungsgeschäfte führen. Dieses Rechtsgeschäft wird aber deshalb noch lange nicht zum Bestandteil des erbrechtlichen Zuwendungsgeschäfts: Es ist von diesem getrennt, eben „abstrakt“. Das Argument, eine abstrakte Verknüpfung von Rechtsgrund und Zuwendungsgeschäft widerspreche dem möglichen Inhalt eines Erbvertrages, muß deshalb umformuliert werden. Es heißt nun, eine gewillkürte Abstraktheit des Erbvertrages sei unvereinbar mit dessen möglichen Inhalten. Dieses Argument steht freilich zu anerkannten rechtlichen Wertungen des gemeinschaftlichen Testaments in einen Widerspruch. Es wird ja nicht behauptet, der Motivzusammenhang i. S. § 2270 I BGB, der aufgrund der kausalen Verbindung zum gemeinschaftlichen Testament zum Inhalt des erbrechtlichen Zuwendungsgeschäfts gehört, wäre „nicht möglich“, da § 2270 III BGB den zulässigen Inhalt des gemeinschaftlichen Testaments beschränke. Auch das gemeinschaftliche Testament besitzt demnach ohne Verstoß gegen § 2270 III BGB eine causa – nur eben eine mit dem Rechtsgeschäft nicht abstrakt, sondern kausal verbundene. Denn es gilt ja: Im Kontext der causa-Lehren rechnet jedes Motiv erbrechtlich zum Inhalt der Verfügung von Todes wegen, wie ihn die causa-Lehren verstehen, da das Motiv kausal mit dem Rechtsgeschäft verbunden ist. Dies deutet daraufhin, daß mit dem skizzierten Einwand denn wohl auch etwas anderes bestritten wird: Nämlich nicht das Vorliegen einer causa als solcher, sondern die Möglichkeit, den Erbvertrag abstrakt mit seinem Rechtsgrund zu verknüpfen. Davon wird sogleich zu handeln sein.

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Siehe oben § 17 I 2 b. So Hellwig, Verträge, 607; Endemann III, 252 Fn. 25; Crome V, § 657 I; Planck-Greiff, 3. Aufl., § 2295 Anm. 4. 159 Oben § 17 I 2 c. 158

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Schließlich wurde gegen eine causa-Fähigkeit erbrechtlicher Verfügungen eine bestimmte Variante der – schon oben widerlegten160 – Ansicht vorgebracht, der bindend bedachte Dritte habe durch die Bedenkung nichts erlangt. Häsemeyer versteht die Wirkungen erbrechtlicher Verfügungen ausschließlich in der Änderung der gesetzlichen Erbrechtsordnung; erbrechtliche Verfügungen stünden insofern Rechtssetzungsakten näher als Verkehrsgeschäften161. Auch dies ist kein Einwand gegen die causa-Fähigkeit erbrechtlicher Verfügungen. Denn bei Verkehrsgeschäften geht es um subjektive Rechte. Die Kategorie des subjektiven Rechts ist jedoch durchaus mit der des Rechtssetzungsakts verträglich. Seit Eugen Bucher162 ist es nichts Überraschendes mehr, das subjektive Recht als Normsetzungsbefugnis aufzufassen. Nur ist es die Frage, ob eine derartige Rekonstruktion des Verhältnisses von objektivem und subjektiven Recht sinnvoll ist163. Da Häsemeyer derartige Überlegungen jedoch vermeidet, meint er denn wohl auch nur, daß erbrechtliche Verfügungen zu Lebzeiten des Erblassers den endbedachten Dritten nichts zuwenden, vielmehr nur „Recht gesetzt“ wird. Dies ist zweifelhaft. Einmal hat der erbvertraglich Bedachte durchaus etwas erlangt164. Und zudem hat er dies bei bestimmten Fallgestaltungen auch per Leistung erlangt, wie noch gezeigt werden wird165. Ist dem so, kann das Häsemeyersche Argument allenfalls noch so verstanden werden, daß bestritten wird, es könne eine abstrakte Verknüpfung von Rechtsgrund und Erbvertrag jemals vorliegen. Dies wiederum wird eines der leitenden Themen der folgenden Überlegungen sein. Als Ergebnis kann daher festgehalten werden, daß einem Einbezug erbrechtlicher Geschäfte in die causa-Lehre nichts Durchgreifendes entgegensteht, wenn geklärt ist, wie es um die abstrakte Verknüpfung von Rechtsgrund und Erbvertrag bestellt ist. 4. Weiteres Vorgehen

Welche Rechtsfolgen bei einer Verfehlung des Zwecks bei Verfügungen von Todes wegen auftreten, richtet sich danach, ob die Zuwendung kausal (Rechtsfolge: Anfechtbarkeit oder Nichtigkeit) oder abstrakt (Rechtsfolge: Kondiktion) ausgestaltet ist. Es gilt die Regel: Grundsätzlich sind Verfügungen von Todes wegen kausal mit ihrem rechtlich relevanten Zweck verbunden, wie die §§ 2281 ff., 2078 II BGB zeigen. Kann der Erblasser oder können die Parteien des Erbvertrages nun eine abstrakte Verbindung von 160 161 162 163 164 165

§ 17 I 1. Häsemeyer, Abhängigkeit, 121 ff. Das subjektive Recht als Normsetzungsbefugnis, Tübingen, 1965. Zur Kritik vgl. nur Fezer, Teilhabe, 346 f. Oben § 17 I 1. Unten § 18 II 1.

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rechtlich relevanten Zweck und Erbvertrag bewirken? Wie steht es also mit der „gewillkürten Abstraktheit“ von Erbverträgen? Bei der Beantwortung dieser Frage steht man vor der Schwierigkeit, daß mehrere Problemschichten in der Weise ineinander greifen, daß die je eine schon begriffen sein muß, um die andere zu verstehen und umgekehrt. Diese Problemschichten sind die Fragen, welches zum einen der richtige Kondiktionstyp ist, der bei Leistungsstörungen im entgeltlichen Erbvertrag überhaupt einschlägig sein kann, und zum anderen, wie es um die Zulässigkeit „gewillkürt-abstrakter“ Erbverträge bestellt ist. Bei diesem zuletzt genannten Punkt tritt zudem noch die Schwierigkeit hinzu, daß bei der Untersuchung der Zulässigkeit der gewillkürten Abstraktheit noch ein Wort zum Schutz des erbvertraglich Endbedachten verloren werden muß. Mithin stehen drei Problemschichten im Raum: Welche Kondiktion ist einschlägig? Ist die Figur einer „gewillkürten Abstraktheit“ zulässig? Wird bei dieser Figur der Schutz des erbvertraglich Endbedachten gewahrt? Da die Klärung des richtigen Kondiktionstyps durchaus die nach der Zulässigkeit einer gewillkürten Abstraktheit besser verständlich werden lassen kann, sei mit der Untersuchung der Kondiktionsarten begonnen. II. Die drei Hauptprobleme des Bereicherungsanspruchs 1. Mögliche Kondiktionen

a) Condictio indebiti Mancherorts wird in der Literatur bei Leistungen im entgeltlichen Erbvertrag eine datio solvendi causa des Erblassers und damit für die Bewältigung von Leistungsstörungen die ihr zugeordnete condictio indebiti166 des 166 Stellenweise wird in der Literatur in Fortführung gemeinrechtlicher Kategorien die Rückforderung wegen Nichtschuld (§ 812 I 1 Alt. 1 BGB) in die beiden Kondiktionstypen der condictio sine causa und der condictio indebiti aufgefächert, wobei die condictio indebiti die Fälle einer Leistung auf eine nicht bestehende Verpflichtung aufnehmen solle, während die condictio sine causa für die Fälle des Verfehlens des Erfüllungszwecks bei bestehendem Kausalverhältnis, des Verfehlens des Leistungszwecks der Begründung eines vertraglichen oder gesetzlichen Schuldverhältnisses entsprechend der datio credendi causa und der datio donandi causa und schließlich für die Fälle des Dissenses über das Kausalverhältnis oder beim Leistungsvollzug über das in Bezug genommene Kausalgeschäft zuständig sein solle, vgl. nur RGRK-Heimann-Trosien, § 812 Rn. 75, 76 f.; nur bzgl Dissens Westermann, Causa, 210 ff. Ein heuristischer Erkenntniswert kann dem nicht abgewonnen werden, kritisch auch Reuter/Martinek, Bereicherungsrecht, § 5 I 1; Staud-Lorenz, 13. Bearb., § 812 Rn. 78; Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 702; Koppensteiner/ Kramer, Ungerechtfertigte Bereicherung, § 7 I 1; Westermann, Causa, 202 ff., 210 ff.

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§ 812 I 1 Alt. 1 BGB generell als einschlägige Kondiktion befürwortet167. In dieser Weite überzeugt dies nicht. Bei Lichte betrachtet kommt eine condictio indebitit des Erblassers nur bei den folgenden Fallgestaltungen in Betracht: Die Parteien schließen einen gegenseitig verpflichtenden Vertrag des Inhalts, daß der Erblasser sich zum Abschluß eines Erbvertrages und der andere Teil sich zur Leistung bestimmter Güter oder Dienste (etwa Versorgung des Überlebenden) verpflichtet. Die Verpflichtung des Erblassers ist nach ganz überwiegender Ansicht gem. § 2302 BGB nichtig168. Falls dies nun den Beteiligten nicht bewußt war, soll die condictio indebiti in Betracht kommen169. Das Vorliegen eines derartigen subjektiven Tatbestands ist eine rein tatsächliche Frage und wird wegen der notariellen Beurkundung des Erbvertrages und auch sonst wohl in der Mehrzahl der Fälle zumeist nicht vorliegen. Wenn den Beteiligten bewußt war, daß eine Verpflichtung zur Errichtung einer Verfügung von Todes wegen nicht besteht, ist zu unterscheiden: Hat der Erblasser – was der seltenste Fall sein dürfte – keine weiteren Zwecke über die Erbeinsetzung oder die Anordnung von Vermächtnissen oder Auflagen hinaus verfolgt, schadet die Kenntnis der Nichtigkeit der Verpflichtung schon deshalb nicht, weil hier eine rein kausal mit dem Zweck verknüpfte Verfügung von Todes wegen vorliegt und daher eine eine abstrakte Verknüpfung zwischen Zweck und Rechtsgeschäft voraussetzende „Kondiktion der Bindung“ schon aus diesem Grunde zwingend ausgeschlossen ist. Und falls der Erblasser „überschießende“ Zwecke verfolgte, seine mangelnde Verpflichtung kannte und gleichwohl zur Verfügung von Todes wegen schritt, würde die „Rückforderung der Bindung“ an sich an § 814 BGB scheitern – es sei denn, dem Erblasser stünde nicht die condictio ob rem des § 812 I 2 Alt. 2 BGB zur Verfügung, auf die § 814 BGB nicht anzuwenden ist170, 171. Es gilt also: Die condictio indebiti 167

Für eine condictio indebiti votieren Soergel-M. Wolf, § 2295 Rn. 2; Lieb, Ehegattenmitarbeit, 111 Fn. 8 aE; in MünchKomm-Lieb, § 812 Rn. 168, ist nur der Anspruch des anderen Teils (d.h. hier des Vertragserben) angesprochen; wohl auch Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 691. Knieper, DNotZ 1968, 331 (335), will beim entgeltlichen Erbvertrag schon eine bloße Zweckvereinbarung der condictio indebiti deshalb unterfallen lassen, weil die Trennung von Entgeltsvereinbarung und Erbvertrag nur formal sei. Dies ist freilich wenig überzeugend. Einmal findet die vermeintlich formale Trennung ihren materiellen Grund in § 2302 BGB. Und schließlich wird durch den Rekurs auf eine bloße „Form“ ohne nähere Begründung das diffizile Verständnis der Leistungskondiktionen im Gefolge der neueren Trennungslehren ohne Not eingeebnet. 168 Ein Vertrag, mit dem sich der Erblasser verpflichtet, eine Verfügung von Todes wegen zu errichten an, würde in herkömmlichen causa-Kategorien dem Erbvertrag als causa zugrundeliegen. Die fast allgemeine Ansicht nimmt die Nichtigkeit eines derartigen Vertrages an. Zur Gegenansicht, die Nichtigkeit gem. § 2302 BGB würde bei einem Erbvertrag unter bestimmten Annahmen geheilt, vgl. oben § 16 II 2. 169 Battes, AcP 178 (1978), 337 (373).

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kommt nur in den wegen der notariellen Beratung eher seltenen Fällen in Betracht, daß die Parteien einen Verpflichtungsvertrag auf Errichtung einer Verfügung von Todes wegen geschlossen haben und dem Erblasser die Nichtigkeit dieses Vertrages gem. § 2302 BGB nicht bewußt war. Ansonsten (also bei Kenntnis der Nichtigkeit des besagten Verpflichtungsvertrages) kommt allenfalls die condictio ob rem in Frage. b) Condictio ob rem Der hauptsächlich einschlägige causa-Typus ist nach dem zuvor Gesagten zumeist die condictio ob rem. Nun ist nicht unumstritten, wann eine datio ob rem vorliegen kann. Der Anwendungsbereich der ihr zugeordneten condictio ob rem war lange Zeit unklar172. Verständlicher wird diese Kondiktion173, wenn man sich das aktionenrechtlich-formale System der römischrechtlichen Klassik vor Augen ruft. Nach diesem System konnte derjenige, welcher im Rahmen eines außerhalb des aktionenrechtlichen Numerus clausus der klagbaren Vertragstypen liegenden Geschäfts vorleistet, sein Erfüllungsinteresse bei Ausbleiben der Gegenleistung nicht über eine Erfüllungsklage befriedigen, sondern seine Vorleistung allein mit der condictio ob rem zurückerlangen. Die condictio ob rem trägt daher dogmengeschichtlich ihre Rechtfertigung in der vertragslosen datio ob rem und in ihrer Ergänzungsfunktion zur condictio indebiti im Bereich der kontraktlosen Leistungen174. Mit dem Wegfall des Numerus clausus der Konsensualverträge 170 Vgl. nur Reuter/Martinek, Bereicherungsrecht, § 6 I 1; Erman-Westermann, § 814 Rn. 1; MünchKomm-Lieb, § 814 Rn. 4; RGRK-Heimann-Trosien, § 814 Rn. 1; Soergel-Mühl, § 814 Rn. 1; Palandt-Thomas, § 814 Rn. 1 f.; Larenz/Canaris, SchuldR II/2, § 68 III 1. 171 Daneben kommt noch in Frage, daß § 814 BGB stellenweise (Staud-Lorenz, § 814 Rn. 8, § 812 Rn. 110; Welker, Bereicherungsausgleich, 102 ff.; Weber, JZ 1989, 25 (29)) mit Rücksicht auf seinen Charakter eines gesetzlich normierten Fall des Verbots eines venire factum proprium teleologisch reduziert derart verstanden wird, daß eine der unten noch näher beschriebenen, von der h. M. der condictio ob rem zugewiesenen Fallgruppen (nämlich die Vorleistungsfälle) über die condictio indebiti abgewickelt werden, ohne daß § 814 Alt. 1 BGB dem entgegenstünde. Dies soll hier auf sich beruhen. 172 Vgl. zur Ausgangslage nur von Caemmerer, FS Rabel, 333 (345 ff.). 173 Dogmengeschichtliche Funktionsanalysen können – entgegen Welker, Bereicherungsausgleich, 16 – auch im Bereich der condictio ob rem wichtige Hinweise auf ein sachgerechtes Verständnis des Rechtsinstituts geben, vgl. dazu nur Dilcher, AcP 184 (1984), 247 ff.; ansonsten vgl. zur Bedeutung rechtshistorischer Analysen schon oben § 1 II sowie Goebel, ARSP 2003, 372 (385 f.); ders., Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 1 III 2, 3. 174 Zum dogmengeschichtlichen Hintergrund der condictio ob rem vgl. nur Zimmermann, Law of the Obligation, 843 f.; Reuter/Martinek, Bereicherungsrecht, § 5 III 1 a; Söllner, AcP 163 (1963), 20 (23 ff.); Simshäuser, AcP 172 (1972), 19

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waren Abgrenzungsschwierigkeiten damit vorprogrammiert. In Abgrenzung zur condictio indebiti, zum Leistungsstörungsrecht und zu unbeachtlichen Motiventtäuschungen wird der condictio ob rem im Zeichen der schuldrechtlichen Vertragsfreiheit nach der Abkehr von einem gemeinrechtlichen Aktionendenken heute daher ein fester eigener Anwendungsbereich im Gesamtspektrum der Leistungskondiktionen zumindest dort zugewiesen, wo ihre klassisch-römischrechtliche Funktion auch gegenwärtig noch weitgehend unstrittig relevant ist. Dies sind die Vorleistungs- und die Veranlassungsfälle175. In den Vorleistungsfällen wird eine Leistung auf ein noch fehlendes Rechtsverhältnis in der Erwartung erbracht, daß es später zustande kommt; der bezweckte Erfolg besteht hier in dem Äquivalent, welches durch die causa aquirendi vorgenommene Leistung erbracht werden sollte176. In den Veranlassungsfällen bezweckt der Leistende vergeblich, den Leistungsempfänger aufgrund der Leistung zu einem bestimmten Verhalten zu veranlassen, zu dem sich der Empfänger nicht verpflichten kann oder will177. Damit liegt die entscheidende Frage auf der Hand: Wie steht es mit der condictio ob rem, wenn der Erblasser den Bedachten nicht nur zu einem Verhalten (etwa der Versorgung) veranlassen wollte, sondern wenn zwischen beiden Teilen eine schuldrechtliche Versorgungszusage geschlossen worden ist. Greift auch in diesem Fall – und unter welchen Um(23 ff.); Liebs, JZ 1978, 697 (698 f.); Weber, JZ 1989, 25 (26 f.); Flume, AllgT, § 12 II 1. 175 Vgl. nur Söllner, AcP 163 (1963), 20 (29); und im übrigen nur Reuter/Martinek, Bereicherungsrecht, § 5 III 1 b, c; Koppensteiner/Kramer, Ungerechtfertigte Bereicherung, § 7 III 1; Larenz/Canaris, SchuldR II/2, § 68 I 3 a; Esser/Weyers, SchuldR II, § 49 II; MünchKomm-Lieb, § 812 Rn. 158, 162; Erman-Westermann, § 812 Rn. 52; ders., Causa, 215 ff. Diesen Anwendungsfall übersieht bsp. Batsch, Zum Bereicherungsanspruch bei Zweckverfehlungen, NJW 1973, 1639 (1640), der der condictio ob rem deshalb keinen Anwendungsbereich mehr zubilligt, weil jedwede subjektive Leistungsmotivation heute zum Inhalt eines Schuldvertrages erhoben werden könne – doch gerade dies ist nicht der Fall. 176 Einen funktional äquivalenten Weg gehen diejenigen (Welker, Bereicherungsausgleich, 102 ff.; AK-Joergens, § 812 Rn. 46), die mit Rücksicht auf den Telos des § 814 Alt. 1 BGB (Ausprägung des Verbots des venire contra factum proprium) § 814 Alt. 1 BGB einschränkend auslegen und daher hier zur condictio indebiti kommen. 177 Vgl. zu derartigen Veranlassungsfällen nur einige typische Fälle aus der Rechtsprechung: RGZ 98, 237 (240); 118, 338; BGH NJW 1976, 237; WM 1980, 104 f.; WM 1990, 819; OLG Stuttgart, NJW 1977, 1779; OLG Köln, NJW-RR 1994, 1026; sowie ansonsten nur Söllner, AcP 163 (1963), 20 (bes. 30 ff.); Reuter/ Martinek, Bereicherungsrecht, § 5 III 1 c bb; Koppenstein/Kramer, Bereicherungsrecht, § 7 III 1; Loewenheim, Bereicherungsrecht, 51; Larenz/Canaris, SchuldR II/ 2, § 68 I 3 b; Esser/Weyers, SchuldR II, § 49 II; Soergel-Mühl, § 812 Rn. 207, 215 ff.; MünchKomm-Lieb, § 812 Rn. 158; RGRK-Heimann-Trosien, § 812 Rn. 92; Erman-Westermann, § 812 Rn. 53; Staud-Lorenz, 13. Bearb., § 812 Rn. 108; AKJoerges, § 812 Rn. 47.

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ständen – die condictio ob rem? Der Beantwortung dieser Frage kommt man näher, wenn ein Blick auf das Problem geworfen wird, ob der Erblasser die in der Regel kausal angelegte Verknüpfung zwischen der erbvertraglichen Zuwendung und ihrem Hauptzweck (hier: Versorgung) zu einer abstrakten Verknüpfung wandeln kann. 2. Die Zulässigkeit einer gewillkürten Abstraktheit von erbrechtlichen Verfügungen

a) Problementfaltung Im Vermögensrecht wird stellenweise die Ansicht vertreten, die Parteien könnten kraft privatautonomen Willen durch bloßes Hinzufügen eines zweiten rechtsgeschäftlichen Rechtsgrundes gesetzlich kausale Zuwendungen zu gewollt abstrakten und damit kondizierbaren machen178. Dieser These ist vorgeworfen worden, sie sei zu undifferenziert179. Das Vereinbaren eines weiteren Zwecks über den gesetzlich vorgesehenen Zuwendungszweck hinaus besage hinsichtlich der etwaigen Abstraktheit der Zuwendung nichts, sondern mache erst einmal aus einem unbeachtlichen Motiv eine relevante causa; der Parteiwille entscheide nur über die rechtliche Relevanz der Parteimotivation, nicht jedoch über die Rechtsfolgen der Verfehlung relevanter Sekundärzwecke. Sei dem so, würden die Rechtsfolgen von Sekundärzweckstörungen je nach Standpunkt und je nachdem, ob der Zweck der Gegenleistung oder der der eigenen Leistung verfehlt worden ist, im Unmöglichkeitsrecht, ggf. kombiniert mit Gewährleistungsrecht, im Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage oder in der Kondiktion verortet. Ob dieser Einwand für das allgemeine Vermögensrecht zutreffend ist, kann dahingestellt bleiben; der Einwand greift jedenfalls nicht bei der Frage nach der rechtlichen Relevanz erbrechtlicher Motive und nach den Folgen ihrer Verfehlung. Erbrechtlich ist wegen der in § 2078 II BGB weit zugelassenen Anfechtung wegen Motivirrtums schon jedes Motiv180 eine rechtlich beachtliche causa der Zuwendung, nur ist die Zuwendung hiervon im Falle der Zweckverfehlung wegen der aufgrund der Anfechtbarkeit bestehenden 178

So bsp. Krawielicki, Grundlagen, 42 ff., 155 f.; Ehmann, Gesamtschuld, 155 ff., 188; Kegel, FS Mann, 57 (70); Klinke, Causa, 19, 84 ff.; Schnauder, Grundfragen, 49, 52 ff.; implizit auch Kress, AllgSchuldR, § 5, 4b; Westermann, Causa, 95, 183, vgl. aber auch 53 f. 179 Zur Kritik vgl. nur Hepting, Ehevereinbarung, 361 ff. 180 Wie schon erwähnt, genügt dabei die Annahme der bloßen Wahrscheinlichkeit der Zweckerreichung nicht zur Anfechtung hin, insofern ist der Ausdruck „jedes Motiv“ an sich verfehlt. Die Begrifflichkeit „jedes Motiv“ soll hier und auch im folgenden denn auch nur in der anfechtungsrechtlich relevanten Bedeutung verwendet werden.

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Vernichtbarkeit der Zuwendung kausal abhängig181. Wenn man sich nun einmal die aus dem allgemeinen Vermögensrecht tradierte Dichotomie von Primär- und Sekundärcausa vor Augen hält182, wird unter der Primärcausa einer Zuwendung eine solche causa verstanden, welche auf einen bestimmten rechtlichen Zweck gerichtet ist. Dieser rechtliche Zweck ist im Grundgeschäft entweder die Unentgeltlichkeit oder die Zuwendung in den drei Möglichkeiten von Verpflichtung, Verfügung sowie der tatsächlichen Leistung, während bei den Abwicklungsgeschäften der rechtliche Zweck die drei Abwicklungszwecke Erfüllung, Sicherung, Surrogation umfaßt. Die Primärcausa ist insofern i. S. eines numerus clausus beschränkt. Die Sekundärcausa ist demgegenüber auf einen wirtschaftlichen oder sonstigen individuell gesetzten, rechtlich relevanten Zweck bezogen. Diese überkommene Dichotomie von Primär- und Sekundärcausa gibt Auskunft über Risikoverteilungen, welche an der Verfehlung rechtlich beachtlicher Motive anknüpft. Sie paßt daher nicht bei einem Rechtsgebiet, in dem – wie im Erbrecht – die Risiken einer Zweckverfehlung wegen der Beachtlichkeit jedes Motivs des Zuwendenden vollständig dem Zuwendungsempfänger zugewiesen werden. Eine Zweckvereinbarung kann im Erbrecht daher allenfalls den Abwicklungsmodus bei Zweckstörungen, nicht aber die gesetzliche Risikoverteilung verändern. Die These der gewillkürt zulässigen Abstraktheit ist im Erbrecht deshalb nicht zu undifferenziert, sondern allenfalls begründungsbedürftig, da – wie schon ausgeführt – die Abstraktheit von Zuwendungen grundsätzlich auf eine normative Entscheidung zurückgeht, die das objektive Recht aufgrund einer Interessenabwägung trifft183. Im weiteren gilt es daher zu diskutieren, ob das objektive (Erb-)Recht dem Parteiwillen die Kraft zumißt, die Art der Verknüpfung von Zweck und Zuwendungen zu verändern; genauer: ob der erbvertraglich Verfügende den Grad der Abhängigkeit einer Zuwendung von ihren Zweckvorstellungen (also: ob abstrakte oder kausale Verknüpfung) privatautonom bestimmen kann.

181

Siehe oben § 17 I 2. Zum Folgenden vgl. nur Klinke, Causa, 50 ff.; Köhler, Unmöglichkeit, 3 ff., 10 ff.; Koller, Risikozurechnung, 2; Esser/Schmidt, § 3 IV (Unterscheidung zwischen struktur-typischen Geschäftszweck als Primärcausa und sonstige Motivationen als Sekundärcausae); Ehmann, Gesamtschuld, 171 ff. (in der Terminologie von Kress, AllgSchuldR, § 5: angestaffelte Zwecke als Sekundärcausae); Weitnauer, FS v. Caemmerer, 255 (260 f.). 183 V. Tuhr, AllgT II/2, 104; Kegel, FS Mann, 57 (69, 78 ff.); Flume, AllgT II, § 12 III 3; Klinke, Causa, 82 f.; Hepting, Ehevereinbarungen, 327 f. 182

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b) Die dogmatische Unfruchtbarkeit einer Parallele zu schuldrechtlichen Zweckverfehlungsfällen Ein starkes Argument für die Zulässigkeit einer gewillkürten Abstraktheit wäre dann gewonnen, wenn die Art und Weise, wie die Verfehlung von abstrakt mit dem erbrechtlichen Zuwendungsgeschäft verknüpften Zwecken, auf denselben Wertungsgrundlagen beruhen würde wie bei einer kausalen Verknüpfung. Zur Problemschärfung bietet sich wieder eine Konfrontierung mit den allgemeinen vermögensrechtlichen Kategorien zur Bewältigung von Zweckstörungsfällen an. Im allgemeinen Vermögensrecht sind die Fälle heftig umstritten, in denen ein über die Erfüllung der Verbindlichkeit hinausgehender weiterer Zweck verfehlt worden ist184. Überwiegend wird die Verfehlung solcher rechtlich relevanter Zwecke, die über den Anspruch auf die Gegenleistung hinausgehen, mit heteronomen, zudem zumeist mit einer kausalen Verknüpfung von Zweck und Zuwendung operierenden Werkzeugen bewältigt. Es wird (in Verwirklichung des funktionellen Synallagmas) auf das Unmöglichkeits- kombiniert mit Gewährleistungsrecht auf der einen oder auf das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage auf der anderen Seite rekurriert185. Demgegenüber greifen andere zu einer abstrakten Verknüpfung von Zweck und Zuwendung und plädieren deshalb für die Kondiktion186. Es heißt dann, ein derartiger Zweck sei dem normalen Zweck des Vertrages „angestaffelt“ und stünde außerhalb des Synallagmas der erzwingbaren Leistungen, so daß der Weg zur condictio ob rem187 eröffnet sei188. 184

Bei genauerer Betrachtung liegt auch bei der Vereinbarung weiterer Zwecke zu kausalen Zuwendungsgeschäften eine Anstaffelung vor, wie dies bsp. Schnauder, Grundfragen, 51 f., im Kontext der Zweckstaffelungstheorie für den Fall zeigt, daß eine akzessorische Sicherheit aufgrund einer vorgängigen Verpflichtung bestellt wird. 185 Siehe als Übersicht nur Ehmann/Sutschet, Modernisiertes Schuldrecht, 176 ff.; sowie zum alten Schuldrecht Staud-Lorenz, § 812 Rn. 105 ff.; MünchKomm-Lieb, § 812 Rn. 165 ff. 186 So die ältere Rspr.: RGZ 66, 132 (134); 106, 93 (98); 132, 238; RG, JW 1925, 1751; BGH, NJW 1952, 61; 1973, 612 (613), und ein Teil der Lit., bsp. Liebs, JZ 1976, 697 ff. Anders die neuere Rechtsprechung: BGH, NJW 1975, 776; 1992, 2690, mit Anwendung der Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage. 187 Zu dieser siehe noch ausführlich unten § 18 II. 188 So die ältere Rspr.: RGZ 66, 134 ff.; 132, 238 ff.(„Festungsbaufall“); aus der Literatur: Westermann, Causa, 217; Erman-ders., § 812 Rn. 52; Welker, Bereicherungsausgleich, 113 f.; Liebs, JZ 1978, 697 ff.; Koller, Risikozurechnung, 371 ff.; sowie die Vertreter eines streng zweck-orientierten Schuldrechtsverständnisses im Gefolge von Hugo Kress, Weitnauer, FS Caemmerer, 255 (260 f.); ders., in: Ungerechtfertigte Bereicherung, 25 (35 f., 53); Ehmann, Gesamtschuld, 173 f., 186 ff.; Schnauder, Grundfragen, 28 ff., 50 ff. Aus der älteren Literatur Krückmann, Kalkulationsirrtum und ursprüngliche Sinn-, Zweck- und Gegenstandslosigkeit, AcP 128

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Im allgemeinen Schuldrecht wurde gegenüber dieser zuletzt genannten Ansicht nicht an Kritik gespart189. Beim entgeltlichen Erbvertrag spielt dieses vermögensrechtliche Problem der Zulässigkeit einer Zweckanstaffelung jedoch keine Rolle. Werden die mit einem Erbvertrag verfolgten Zwecke verfehlt, reagiert das Recht hierauf mit Instrumenten, welche die Autonomie des Erblassers zu sichern suchen: Die Anwendung der §§ 323 ff. BGB scheidet wegen des Fehlens synallagmatischer Pflichten aus, und als funktionales Äquivalent zum Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage dient die ergänzende Auslegung kombiniert mit Anfechtung wegen Motivirrtums190. Entscheidend ist, daß Zweckverfehlungsstörungen jeglicher Art erbrechtlich durch Rekurs auf den privatautonomen Willen mittels Auslegung oder Anfechtung (damit verbunden: Kausalheit der Zuwendung) bewältigt werden – und zwar sehr viel stärker als im Vermögensrecht. Ist dem so, steht zuerst einmal nichts der Erwägung entgegen, daß der Erblasser zu einer gewillkürten Abstrakheit der Zuwendung greifen kann191. Einer derar(1928), 157 (160 ff.); Locher, Geschäftsgrundlage und Geschäftszweck, AcP 121 (1921), 1 (48 ff., 107), mit seiner Interpretation des § 812 I 2 Alt. 2 BGB als Ausprägung des Rechtsinstituts des Wegfalls der Geschäftsgrundlage; Scheyhing, Leistungskondiktion und Bereicherung „in sonstiger Weise“, AcP 157 (1958(1959), 371 (378 f.). 189 Kritisch zur Zweckanstaffelungstheorie v. Caemmerer, FS Rabel, 333 (345 f.); Söllner, AcP 163 (1963), 20 (43 ff.); Weber, JZ 1989, 25 (27 f.); Hepting, Ehevereinbarungen, 368; Köhler, Unmöglichkeit, 188 f.; MünchKomm-Lieb, § 812 Rn. 165 f.; Larenz/Canaris, SchuldR II/2, § 68 I 3 d; Reuter/Martinek, Bereicherungsrecht, § 5 III 2 c; Koppenstein/Kramer, Bereicherungsrecht, 58 f.; Christoph Schmidt, Die sogenannte Akzessorietät der Bürgschaft, 137 ff. 190 Zur Abgrenzung von causa und Geschäftsgrundlage ist die Sentenz gebräuchlich, daß die causa der qua Vereinbarung rechtlich relevante (also dem Vertragsinhalt zugehöriger), die Geschäftsgrundlage hingegen der qua heteronomer Zuweisung rechtlich relevante (also außerhalb des Vertrags liegender) Zweck sei (dies greift auch im neuen Schuldrecht, siehe nur Ehmann/Sutschet, Modernisiertes Schuldrecht, 169 ff.). Mehr als eine unbestimmte, von Esser/Schmidt, SchuldR I, § 5 IV 4, als Floskel bezeichnete Formel ist dies freilich nicht, gilt doch gerade die Ermittlung des Vereinbarten als schwierig, so daß die Formel nicht mehr aussagt, als daß ein sachgerechtes Konzept der Risikoverteilung zu finden ist. Das Problem, in welchem Verhältnis condictio ob rem und Wegfall der Geschäftsgrundlage zueinander stehen (dazu nur Klinke, Causa, 36 ff.; Westermann, Causa, 107 ff.; Reuter/Martinek, Bereicherungsrecht, § 5 III; Hepting, Ehevereinbarungen, 362 ff., 385 ff.), wird in erbrechtlichen Zusammenhängen freilich auch dann nicht relevant, wenn Geschäftsgrundlage durch erläuternde Auslegung und Anfechtung ersetzt wird: Die der Geschäftsgrundlagenlehre oft zugebilligte Flexibilität wird erbrechtlich durch die ergänzende Auslegung gewährleistet. Und diese ist selbstverständlich bereicherungsrechtlichen Sachfragen vorgängig, so daß erbrechtlich die Kondiktion greift, wenn ihre Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen; ein Konkurrenzproblem stellt sich dann nicht. 191 Siehe zum weiteren Problem einer nachträglichen Zweckvereinbarung unten § 18 I 4.

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tigen gewillkürten Abstraktheit könnten allenfalls Interessen des erbvertraglich Bedachten entgegenstehen. Denn dieser sieht sich ja bei der Zulässigkeit einer gewillkürten Abstraktheit möglicherweise – anders als bei der Nichtigkeit des Erbvertrages qua Anfechtung – einem Anspruch des Erblassers ausgesetzt. In dem Schutz des Endbedachten liegt eines der drei Hauptprobleme des Bereicherungsanspruchs des Erblassers verborgen. Aufgrund der Schwere des Wertungsproblems wird dieser Schutz noch detailliert erörtert werden192. An dieser Stelle sei notiert, daß die gewillkürte Abstraktheit allenfalls dann zulässig ist, wenn schutzwürdige Interessen des Endbedachten ihr nicht entgegenstehen. Wie sieht es weiter trotz dieser einschränkenden Bemerkungen für die Zulässigkeit der gewillkürten Abstraktheit aus? Beim Erbvertrag greifen auch die sonstigen Argumente nicht, die im allgemeinen Vermögensrecht gegen die bereicherungsrechtliche Relevanz angestaffelter Zwecke ins Feld geführt worden sind. So wurde im allgemeinen Vermögensrecht befürchtet, bei einer Relevanz angestaffelter Zwecke käme es zu einer Erweiterung der auf Verkehrswesentlichkeit und Marktbezogenheit des rechtsgeschäftlichen Handelns beschränkten Anfechtung wegen Motivirrtums193. Im Erbrecht kommt es aber nicht zu einer derartigen Erweiterung, da wegen der umfassenden Anfechtung wegen Motivirrtums jedes die Verfügung bestimmende Motiv rechtlich beachtlich ist. Auch schadet es nicht, daß bei angestaffelten Zwecken verschiedene Leistungszwecke nebeneinander bestehen, was stellenweise wegen mangelnder Bestimmtheit des finalen Konnexes als unzulässig angesehen wird194. Denn die kausale Verknüpfung eines Zwecks mit dem jeweiligen Mittel, also ein Bedingungszusammenhang, wird unstrittig als zulässig erachtet. Dann kann es jedoch nicht angehen, bei den angestaffelten Zwecken anders zu entscheiden, wenn der angestaffelte Zweck nur klar hervortritt195; recht besehen führt die condictio ob rem beim Erbvertrag also nicht zu einer Zweckverdoppelung in Haupt- und Nebenzweck, sondern zu einer Zwecküberlagerung durch den angestaffelten Zweck196 – und dies gibt es auch bei „einstöckigen“ Erbverträgen, wie der Bedingungszusammenhang zeigt. Wenn schließlich im allgemeinen Vermögensrecht vertreten wird, bei angestaffelten Zwecken ruhe der Rechtsgrund für die Leistung teils in der erzwingbaren Gegenleistung, teils in den überschießenden Zwecken, so daß der rechtliche Grund auch nur partiell entfalle, was zu bestimmten Korrekturen in der Rückabwicklung führen müsse197, ver192

Unten § 17 II 4. Weber, JZ 1989, 25 (28); Reuter/Martinek, Bereicherungsrecht, § 5 III 2 c. 194 Bsp. von Köhler, Unmöglichkeit, 188 f.; Reuter/Martinek, Bereicherungsrecht, § 5 III 2 c. 195 Klinke, Causa, 130; vgl. auch Westermann, Causa, 211. 196 Weber, JZ 1989, 25 (28). 193

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bleibt es zumindest in erbrechtlichen Kontexten bei der Rückabwicklung der gesamten Zuwendung, also der „Bindung“. Andernfalls käme es zu einem Widerspruch zur gesetzlichen Wertung, einen jeden Motivirrtum (mit der Folge einer Totalnichtigkeit des Verfügten bei Anfechtung) als rechtlich relevant zu erachten. Und soweit letztlich die Zulässigkeit einer Zweckanstaffelung mit der Begründung bestritten wird, ansonsten würde das gesetzlich ausdifferenzierte Programm zur Bewältigung sekundärer Zweckstörungen, insbesondere das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, unterhöhlt198, so greift dieses Argument erbrechtlich wiederum wegen der weit zugelassenen Anfechtung nicht, die zusammen mit der ergänzenden Auslegung im Erbrecht funktional das herkömmliche Zweckstörungsprogramm ersetzt. Es kommt nach all dem – der noch zu untersuchende Schutz der Interessen des Endbedachten sei einmal außen vor gelassen – beim Erbvertrag grundsätzlich199 genau zu der von Canaris für das allgemeine Vermögensrecht behaupteten Irrelevanz des Problems angestaffelter Zwecke200. Zumindest in den Modi, wie die Rechtsordnung erbrechtliche Zweckverfehlungen bewältigt, ist daher ein Gleichklang in den Wertungsgrundlagen von kausaler und abstrakter Verknüpfung von Zuwendung und Motivation gegeben. Eine gewillkürte Abstraktheit widerspricht damit nicht den Wertungen des rechtlich vorgesehenen „Normalweges“ der Bewältigung von Zweckverfehlungen, also der Anknüpfung an den Parteiwillen kraft ergänzender Auslegung oder Anfechtung, sondern aktualisiert ebenfalls diese Wertung – womit ein starkes Argument für die Zulässigkeit der gewillkürten Abstraktheit gegeben ist.

197 So rechnet bsp. Koller, Risikozurechnung, 372 ff., dem Kondiktionsgläubiger und -schuldner – entsprechend seiner allgemeinen Risikozuweisungstheorie – verschiedene Risiken zu, nach denen sich die Rückabwicklung partiell aufgestörter Schuldverhältnisse richte, während bsp. Söllner, AcP 163 (1963), 20 (44 f.)., für das allgemeine Vermögensrecht die Grundsätze insbes. gemischter Schenkungen anwenden will, wenn eine verpflichtungsfeindliche Gegenleistung Inhalt des Rechtsgeschäfts geworden ist. Zu diesem Problem vgl. auch Klinke, Causa, 131. 198 So bsp. Hepting, Ehevereinbarungen, 367 f.; Reuter/Martinek, Bereicherungsrecht, § 5 III 2 c; Koppenstein/Kramer, Bereicherungsrecht, § 7 III 1. 199 Zu einer gewichtigen Ausnahme siehe allerdings bei nachträglich vereinbarten Zwecken unten § 18 I 4. 200 Canaris leugnet die Relevanz des Problems angestaffelter Zwecke insofern, als er eine sachgerechte Auslegung der Parteierklärungen anmahnt. Diese würden entweder zur Klagbarkeit der Zweckvereinbarung führen oder es sei eine Lücke vorhanden, die durch ergänzende Vertragsauslegung zu schließen sei; diese führe dann entweder zu einem ungeschriebenen Rücktrittsrecht oder zu einer auflösenden Bedingung, vgl. Larenz/Canaris, SchuldR II/2, § 68 I 3 d.

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c) Gewillkürte Abstraktheit und die Rechtssicherheit einer perpetuierten Antizipation der dinglichen Zuständigkeitsänderung Noch ein weiterer Grund spricht für die Zulässigkeit einer gewillkürten Abstraktheit. Aufgrund der erbrechtlichen Zulässigkeit von Bedingungen kann der Erblasser im Bereich kausaler Zuwendungen die Stärke der Abhängigkeit von Zuwendung und Motiv von Vernichtbarkeit kraft Ausübung eines Gestaltungsrechts (Anfechtung) in Nichtigkeit ex lege (wenn er den Zweck als Bedingung mit der Zuwendung verknüpft hat) verschieben, also den Abhängigkeitsgrad verstärken. Wenn der Parteiwille bei einer Verstärkung des Abhängigkeitsgrads für relevant erachtet wird, muß die Rechtsordnung den Parteien ebenfalls die Verschiebung der Abhängigkeit kraft Gestaltungsrecht (Kausalheit) in eine solche kraft Anspruch (Abstraktheit), also bei einer Abschwächung des Abhängigkeitsgrads von Zweck und Zuwendung, eröffnen, wenn Dritt- oder Bedachteninteressen nicht berührt sind – wovon noch zu handeln sein wird. Sind Dritt- oder Bedachteninteressen nicht berührt, wäre nicht einsichtig, daß die Verschiebung der Abhängigkeit in die eine, nicht aber in die andere Richtung zulässig sein soll. Anders gesagt: Wenn die Gründe, die im allgemeinen Vermögensrecht gegen die Abschwächung des Abhängigkeitsgrads von Zweck und Zuwendung angeführt werden, beim Erbvertrag nicht ersichtlich sind, warum sollte dann dort diese Abschwächung unzulässig sein? Wenn es keine derartigen Gründe gibt, ist eine gewillkürte Abstraktheit daher schon deshalb zulässig, weil die Parteien des Erbvertrages auch innerhalb einer kausalen Verknüpfung von Zweck und Motiv die Abhängigkeitsstärke beider verschieben dürfen. Für die Frage nach der Zulässigkeit einer Abschwächung des Grades der Abhängigkeit zwischen Zuwendung und Motiv läßt sich nichts daraus entnehmen, daß im allgemeinen Vermögensrecht die Abstraktheit von Zuwendungen zum Schutz von Sicherungsinteressen und des Verkehrs, insbes. zum Schutz von mittelbar betroffenen Dritten (Gläubigern und Zweiterwerbern) normativ angeordnet ist201. Drittinteressen – auch solche des Rechtsverkehrs – spielen bei der hier allein relevanten Zuwendung „erbrechtliche Bindung“ schon deshalb keine Rolle, weil vor dem Todesfall eine Veränderung in der sachenrechtlichen Zuständigkeitsordnung noch gar nicht eingetreten ist. Zudem wären selbst dann, wenn dies der Fall ist (also nach dem Tode des Erblassers), eine eingetretene Zuordnungsänderungen wieder vernichtbar und von Anfang an nichtig, wenn die Verfügung von Todes wegen angefochten wird. Indem die Rechtsordnung also bei dinglichen Zuständigkeitsveränderungen in erbrechtlichen Kontexten (hier: Universalsukzession 201 Zum rechtspolitischen Streit um den Sinn dieser Anordnung vgl. statt vieler nur Kegel, FS Mann, 57 (78 ff.).

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kraft Erbfalls) wegen der Möglichkeit einer Anfechtung wegen eines jeden Motivirrtums eine sehr weitgehende kausale Verknüpfung von Zuwendung und Parteimotivation zuläßt, ist nichts ersichtlich, was aus Sicht des Rechtsverkehrs gegen eine abstrakte Zuordnung von Zweck und Zuwendung zu Lebzeiten des Erblassers eingewendet werden könnte. Schutzwürdige Drittinteressen stehen einer gewillkürten Abstraktheit nach all dem also nicht entgegen – es bleiben die noch näher zu betrachtenden Interessen des Endbedachten. d) Zusammenfassung zur Zulässigkeit einer gewillkürten Abstraktheit Das Fazit der bisherigen Überlegungen zur gewillkürten Abstraktheit lautet: Sie ist unter der Voraussetzung ohne weiteres zulässig, daß ihr schutzwürdige Interessen des Endbedachten nicht entgegenstehen. Die Zulässigkeit der gewillkürten Abstraktheit folgt aus der erbrechtlich sehr viel weiter als im Vermögensrecht zugelassenen Anfechtung wegen Motivirrtums. Die im Vermögensrecht sich stellenden Abgrenzungsprobleme zwischen dem Anfechtungsrecht, dem Unmöglichkeitsrecht, dem Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage und dem Kondiktionsrecht sind im Erbvertragsrecht daher nicht weiter entscheidend für die Frage der gewillkürten Abstraktheit. Zudem stehen ihr Interessen Dritter nicht entgegen. Es gilt also: Die Parteien des Erbvertrages können Zwecke des Erblassers abstrakt mit der Zuwendung von Todes wegen verknüpfen. Es fragt sich dann nur noch, wie dies im einzelnen geschieht und wie es um die Interessen des Endbedachten bestellt ist. Dies wiederum ist ein Problem der bereicherungsrechtlich relevanten Zweckvereinbarung. 3. Exkurs zur bereicherungsrechtlichen Zweckvereinbarung

a) Einführung in die Problematik Es war schon die Rede davon, daß die typischen Fälle der condictio ob rem in der Vorleistung oder in der Veranlassung ohne jeweils vorliegenden schuldrechtlichen Verpflichtungsvertrag liegen202. Diese Konstellation entspricht den Fallgestaltungen203, daß der Bedachte durch die erbvertragliche Bedenkung von Todes wegen dazu veranlaßt werden soll, den Überlebenden angemessen zu versorgen. Bei anderen Fällen wurde jeweils eine schuldrechtliche Versorgungsabrede zwischen den beiden Gatten und dem erbvertraglich Endbedachten oder zwischen diesem und einem Gatten und 202

Oben § 17 II 1 b. Siehe zu den fünf Hauptfällen, die bei einem auf die Versorgung des Überlebenden ausgerichteten Erbvertrag unterschieden werden können, oben § 16 I 2. 203

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mit Blick hierauf der Erbvertrag entweder zwischen den beiden Gatten, zwischen diesen und dem Dritten oder zwischen diesem und einem Gatten geschlossen. In beiden Fallgruppen ist das Instrumentarium, mittels dessen die kausale Verknüpfung von Zweck und Zuwendung auf eine abstrakte Verbindung umgestellt werden kann, das Instrument der „Zweckvereinbarung“. Typischerweise kennt in allen Fallgestaltungen der endbedachte Dritte regelmäßig die auf die Versorgung des Erblassers oder des Überlebenden gerichtete Motivation des oder der Erblasser – warum sollten ansonsten die Ehegatten den Dritten zur Versorgung motivieren können –; manchmal haben der Dritte und die Gatten oder der Dritte und einer der Gatten die Motivation sogar zum Gegenstand einer schuldrechtlichen Versorgungsabrede gemacht. Es sind nun analytisch folgende Möglichkeiten denkbar, zwischen welchen Personen eine Zweckvereinbarung zustande kommen kann: nur zwischen den Ehegatten, zwischen ihnen und dem Dritten, zwischen einem Ehegatten und dem Dritten oder – als Extremfall – als einseitig durch nur einen Gatten aufgestellte Zweck-“Vereinbarung“. Bevor näher geprüft wird, welche dieser analytischen Möglichkeiten rechtlich zulässig von den Parteien ergriffen werden können, muß noch die bisher noch ausgeklammerte Vorfrage beantwortet werden, was man sich eigentlich unter einer Zweckvereinbarung vorzustellen hat. Dies wird zuerst allgemein geklärt, um sich dann etwaigen erbrechtlichen Besonderheiten zu widmen. Erst wenn dies geleistet ist, lassen sich die relevanten Zuordnungen und Wertungen genau plazieren. b) Vermögensrechtlicher Exkurs: Die Zweiseitigkeit der Zweckvereinbarung aa) Die Zweckvereinbarung im allgemeinen Vermögensrecht Im allgemeinen Vermögensrecht haben Zweckvereinbarungen i. S. § 812 I 2 Alt. 2 BGB den Sinn, aus eigentlich unbeachtlichen Motiven rechtlich beachtliche Zwecke zu machen. Nun kann die Abgrenzung zwischen der rechtlichen Erheblichkeit und der Unmaßgeblichkeit von Zwecken nicht psychologisch vonstatten gehen. Die Abgrenzung ist vielmehr eine normative Frage204. Dem dürften auch all die zustimmen, die nicht – wie Ehmann ebenso wie Weitnauer im Gefolge von Hugo Kress – das Zivilrecht weitgehend utilitaristisch an den Zwecken der rechtlich Handelnden ausrichten. Normativ lassen sich nun zwei Modi voneinander abheben, in der rechtlich erhebliche und rechtlich unerhebliche Zwecke unterschieden werden können: Zum einen kann ein Motiv kraft vielfältiger Erwägungen rechtlich be204 Vgl. nur Ehmann, Gesamtschuld, 142; Westermann, Causa, 100; Klinke, Causa, 32 ff.; Rother, AcP 169 (1969), 1 (6 f.).

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achtlicher Zweck werden. Hier sind die Rechtsinstitute des Wegfalls der Geschäftsgrundlage und der Anfechtung (insbesondere wegen Motivirrtums gem. § 119 II BGB, erbrechtlich: §§ 2281 ff., 2078 II BGB) angesprochen. Zum anderen kann ein Motiv rechtlich relevanter Zweck werden, wenn die Motivation willentlich205 Bestandteil eines Rechtsgeschäfts wird – das rechtliche Störungsprogramm bedient sich dann u. a. neben dem Recht der Leistungsstörungen auch der Leistungskondiktion, die insofern funktional zum Recht der Güterbewegung gehört und als Annex zum Vertragsrecht verstanden werden muß206. Der Motivzusammenhang, der der datio ob rem zugrundeliegt, gewinnt seine rechtliche Erheblichkeit also durch den Konsens der Zuwendungspartner, der auf die Rechtsfolge der vorläufigen Behaltensberechtigung des Zuwendungsgegenstandes intendiert ist. In Abgrenzung zur causa der datio solvendi causa wird der Leistungsempfänger durch die Zweckvereinbarung freilich zu nichts verpflichtet. Mithin kann die Zweckvereinbarung als ein zweiseitiges Rechtsgeschäft im Sinne einer „zwischen Motiv und rechtsgeschäftliche(r) Verpflichtung angesiedelte(n) ,Rechtsgrundabrede‘ “207 verstanden werden208. Es genügt somit keineswegs, daß der Zuwendungspartner die Motivation des anderen Teil nur kennt209. Denn ansonsten würde jede Unterscheidung zur Geschäftsgrundlage hinfällig und zudem die überwundene, alte Windscheidsche Lehre von der Voraussetzung wiederbelebt210. Sowohl die Zweiseitigkeit als auch die rechtsgeschäftliche Qualität der Zweckvereinbarung werden jedoch nicht immer deutlich. So behauptet bsp. Wieling, die der datio ob rem zugrundeliegende Zweckvereinbarung sei eine einseitige Zweckbestimmung211 – und führt folgerichtig aus, die einseitige Zweckbestimmung des Leistenden entspräche Windscheids Voraussetzung innerhalb dessen Lehre von der Voraussetzung212. Wäre die Zweck205

Zur Frage, wieviel Zurechnung möglich und nötig ist, um den privatautonomen Willen nicht als nur psychologisches Ereignis, sondern als rechtlich in bestimmter Weise erheblichen Faktor zu begreifen, wird noch einzugehen sein (unten § 18 I 2). 206 Dazu nur Larenz/Canaris, SchuldR II/2, § 67 I 2 b. 207 Zitat bei Reuter/Martinek, Bereicherungsrecht, § 5 III 1 b. 208 Siehe nur Söllner, AcP 163 (1963), 20 (29); von Tuhr, AllgT II/2, § 72 III; Reuter/Martinek, Bereicherungsrecht, § 5 III 1 b; Koppenstein/Kramer, Bereicherungsrecht, § 7 III 1; MünchKomm-Lieb, § 812 Rn. 162; Soergel-Mühl, § 812 Rn. 206; Palandt-Thomas, § 812 Rn. 86; Erman-Westermann, § 812 Rn. 51; Esser/ Weyers, SchuldR II/2, § 49 II; Larenz/Canaris, SchuldR II/2, § 68 I 3 a. 209 Vgl. nur Flume, AllgT, § 12 II 4 c. 210 Vgl. dazu nur Simshäuser, AcP 172 (1972), 19 ff.; Westermann, Causa, 41 ff.; Scheel, Entwicklung, 71 ff. 211 So dezidiert Wieling, JuS 1978, 801 (802 Fn. 24); ders., Bereicherungsrecht, § 3 III 3 b. 212 Vgl. Wieling, Bereicherungsrecht, § 3 III 3 b.

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vereinbarung eine einseitige Zweckbestimmung, wäre das Problemfeld der Kondiktion beim entgeltlichen Erbvertrag erheblich entschärft, da die Zentralfrage des Schutzes des erbvertraglich Endbedachten praktisch beantwortet wäre: Ist die Zweck-„Vereinbarung“ einseitig durch den Erbvertragserblasser als Zweckbestimmung aufstellbar, spielen Interessen des Endbedachten selbstredend keine Rolle mehr. Die Frage, ob die Zweckvereinbarung zweiseitig ist oder einseitig sein kann, ist mithin wichtig. Die Erwägung, die Zweck-„Vereinbarung“ sei als einseitige Zweckbestimmung zulässig, überzeugt schon im allgemeinen Vermögensrecht nicht. Gegen sie spricht, daß Risiken des rechtsgeschäftlichen Verkehrs verschoben werden, sobald Zweckvorstellungen der Parteien bereicherungsrechtlich relevant werden213. Denn dann trägt ja das Risiko, daß die mit einer Leistung verbundenen Zwecke verfehlt werden, nicht mehr der Leistende, sondern der Leistungsempfänger, der sich auf einmal einem Kondiktionsanspruch ausgesetzt sieht. Nun enthält die condictio ob rem als einzige der Leistungskondiktionen selbst eine materielle Regelung der Behaltensberechtigung214. Ihr kommt also ein quasi-kontraktueller Charakter zu. Die Verschiebung des Risikos auf den Leistungsempfänger, das Geleistete wieder herausgeben zu müssen, weil ein rechtlich beachtlicher Zweck verfehlt worden ist, kann nicht ohne schwerwiegenden Wertungswiderspruch zu diesem quasi-kontraktuellen Charakter der condictio ob rem auf einen einseitigen volitiven Akt zurückgeführt werden, da gemeinhin für die beschriebene Risikoüberwälzung ein Vertrag vonnöten ist. Vor diesem Hintergrund muß – entsprechend der überkommenen causa-Lehre – konstruktiv zwischen Plan (Geschäftszweckvereinbarung) und seinem Vollzug (Leistung) unterschieden werden215. Seitdem auf der Grundlage der Arbeiten von Caemmerers das Savignysche Verständnis der Leistungskondiktion als Ersatz für die verlorengegangene Vindikation abgelöst und durch ein Verständnis als schuldrechtliche Rückabwicklung gescheiterter Austauschvorgänge ersetzt worden ist, ist diese Trennung zwischen Planungsgrundlage und Leistungsvollzug nur konsequent. In ihr wird zum Ausdruck gebracht, daß sich der Dispositionsakt des Gläubigers von vornherein auf die Zuordnung einer Güterbewegung zu einem Schuldverhältnis beschränkt; das Leistungsverhältnis kann dann nicht mehr mit dem Kausalverhältnis gleichgestellt werden, sondern umfaßt nunmehr diesen Zuordnungsakt216. 213 Zur Risikoüberwälzung qua Zweckvereinbarung vgl. nur Fikentscher, Geschäftsgrundlage, 31; Kegel, FS Mann, 57 (59, 71); Klinke, Causa, 30 f. 214 Vgl. dazu nur Welker, Bereicherungsausgleich, 37 f., 72; Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung bei Geschäftsgrundlagenstörungen, 82 ff.; Reuter/Martinek, Bereicherungsrecht, § 5 III 1 b aE; Fikentscher, SchuldR, § 99 III 1. 215 Diese Unterschiede sind bei Wieling, Bereicherungsrecht, § 3 III 3 b, gegenüber seinen Ausführungen ebda., § 3 II 3 g, zumindest verwischt. 216 Siehe klarsichtig Joerges, Bereicherungsrecht als Wirtschaftsrecht, 26, 29 f.

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Die Planungsgrundlage (also bsp. im Rahmen der datio solvendi causa die Verpflichtung oder im Rahmen der datio ob rem die Rechtsgrundabrede) verändert Risikozuweisungen und bedarf daher des Parteikonsenses. Hiervon zu trennen ist die Leistungszweckbestimmung, die die Leistung der jeweiligen Planungsgrundlage oder dem sonstigen Leistungszweck beim Vollzugsakt (Handgeschäft) zuordnet217. Hier ist es allerdings streitig, ob ein zweiseitiges Rechtsgeschäft218, ein einseitiger nicht-rechtsgeschäftlicher Akt in Form einer natürlichen Willensäußerung219, eine rechtsgeschäftsähnliche Erklärung220 oder eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung221 vorliegen muß222. Nur berührt dieser Streit nicht die Frage nach der Rechtsnatur der Zweckvereinbarung der datio ob rem und kann daher auf sich gestellt bleiben: Die Zweckvereinbarung selbst steht außerhalb des Leistungsvollzugs, sie gehört zur Planungsgrundlage des Gesamtgeschäfts. Soweit die Rechtsgrundabrede als Planungsgrundlage mit dem Leistungsakt – wie meist bei der datio ob rem – koinzidiert, enthält sie auch die Zweckbestimmung des Leistenden223. Und soweit schließlich der BGH von einer „tatsächlichen“ Einigung spricht, die nicht den Charakter einer vertraglichen Bindung haben darf224, so leugnet er damit nicht den rechtsgeschäftlichen Charakter der Zweckvereinbarung, sondern verweist nur – sprachlich allerdings insofern mißglückt – einerseits auf die Grundsätze konkludenten rechtsgeschäftlichen Handelns und andererseits auf das Fehlen eines voll ausgebildeten Verpflichtungsvertrags225. Es bleibt nach all dem also dabei: Die Zweckvereinbarung i. S. der datio ob rem ist im allgemeinen Vermögensrecht ein zweiseitiges Rechtsgeschäft. 217 Vgl. nur Reuter/Martinek, Bereicherungsrecht, § 4 II 3 a; von Tuhr, AllgT II/ 2, § 72 III; Klinke, Causa, 42. 218 So die Vertreter eines streng zweck-orientierten Schuldrechtsverständnisses im Gefolge von Hugo Kress, Weitnauer, FS Caemmerer, 255 (262 f.); ders., NJW 1974, 1729 (1730); Ehmann, Gesamtschuld, 164 ff.; ders., NJW 1969, 398 (400); Schnauder, Grundfragen, 38 ff. 219 So bsp. Westermann, Causa, 187 ff.; Erman-ders., § 812 Rn. 13; SoergelMühl, § 812 Rn. 4; Koppenstein/Kramer, Bereicherungsrecht, § 4 I 3. 220 So bsp. BGHZ 106, 163 (166); 111, 382; RGRK-Heimann-Trosien, § 812 Rn. 16; Gernhuber, Erfüllung, § 5 III 2; Beuthien, Zweckerreichung, 292 ff. 221 So bsp. Reuter/Martinek, Bereicherungsrecht, § 4 II 3 c, d; Larenz/Canaris, § 67 II 1 d; ders., FS Larenz, 799 (827), Weitnauer, in: Ungerechtfertigte Bereicherung, 25 (54); ders., FS v. Caemmerer, 255 (262).; Schnauder, Grundfragen, 59 f. 222 Vgl. Reuter/Martinek, Bereicherungsrecht, § 4 II 3 a, zum Streitstand im übrigen und zum Abgleich des Streits mit den Erfüllungstheorien, dazu auch Gernhuber, Erfüllung, § 5 II, III. 223 Vgl. nur Reuter/Martinek, Bereicherungsrecht, § 4 II 3 d; § 5 III b. 224 BGHZ 44, 321 (328); BGH, NJW 1989, 2745 (2747); NJW 1992, 2690. 225 So auch Larenz/Canaris, SchuldR II/2, § 68 I 3 a Fn. 13; Welker, Bereicherungsausgleich, 110.

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bb) Die causa der datio ob rem Die Zweckvereinbarung i. S. des § 812 I 2 Alt. 2 BGB darf im übrigen nicht als rechtsgeschäftliche Vereinbarung einer durch die Gewährung der Gegenleistung auflösend bedingten causa für das Behaltendürfen der Leistung charakterisiert werden, wie dies gelegentlich geschieht226. Die Zweckvereinbarung selbst ist nicht die causa der datio ob rem. Dies würde einem überwundenen objektivistischen Rechtsgrundverständnis227 entsprechen, welches die causa mit dem der Zuwendung zugrundeliegenden schuldrechtlichen Kausalverhältnis identifiziert, genauer: mit dem daraus folgenden Anspruch228. Vielmehr ist die causa der datio ob rem die einseitige Leistungszweckbestimmung des Zuwendenden, die die Leistung mit der bereicherungsrechtlichen Zweckvereinbarung verbindet229. Nur dies entspricht dem herrschenden subjektivistischen, auf die allgemeinen causaLehren reflektierenden Rechtsgrundverständnis230. Wenn die einseitige Leistungszweckbestimmung dann fehlschlägt231, steht der Weg zur condictio offen. Nun liegt ein derartiges Fehlschlagen ohne weiteres dann vor, wenn keine wirksame Zweckvereinbarung vorliegt. Im Ergebnis kann daher

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So bsp. bei Lieb, Ehegattenmitarbeit, 112; MünchKomm-ders., § 812 Rn. 164. Wie es folgerichtig ja auch von Lieb vertreten wird, vgl. nur MünchKommLieb, § 812 Rn. 138. Vg. ansonsten bsp. nur Flume, AllgT, § 12 I 1; Palandt-Thomas, § 812 Rn. 68; Welker, Bereicherungsausgleich, 32 ff., 42 ff. Vgl. zum Streit um objektivistische und subjektivistische Theorien zum Rechtsgrund ausführlich Christoph Schmidt, Die sogenannte Akzessorietät der Bürgschaft, 122 ff. 228 Entsprechend kann beispielsweise beim Kaufgeschäft nicht im Kaufvertrag die causa der Übereignung der Kaufsache gesehen werden. Allenfalls verkürzend kann davon die Rede sein, der Kaufvertrag sei die causa der auf ihn aufbauenden Erfüllungsvorgänge. 229 Vgl. zum Überblick über den Streitstand nur Reuter/Martinek, Bereicherungsrecht, § 4 II 4; und erhellend Kupisch, NJW 1985, 2371 ff., (aus Sicht seiner Radikalkritik am teleologisch ausgerichteten Leistungsbegriff, dazu ders., Gesetzespositivismus, passim). 230 Vgl. nur Reuter/Martinek, Bereicherungsrecht, § 4 II 4 b; Koppenstein/Kramer, Bereicherungsrecht, § 4 II; Loewenheim, Bereicherungsrecht, 46 f.; Erman-Westermann, § 812 Rn. 1, 44; ders., Causa, 201 ff.; RGRK-Heimann-Trosien, § 812 Rn. 74; Schnauder, Grundfragen, 35 ff.; Kegel, FS Mann, 57 (64); Klinke, Causa, 64 ff.; und selbstverständlich die Vertreter eines zweck-zentrierten Schuldrechtsverständnisses Ehmann, NJW 1969, 398 ff.; Weitnauer, FS v. Caemmerer, 255 (274). Weitere Nachw. seien aufgrund der redundanten Diskussionslage erlassen. 231 Hierbei ist freilich zu bedenken, daß ein Bereicherungsanspruch dann ausscheidet, wenn der bezweckte Erfolg zunächst eingetreten, später dann jedoch wieder entfallen ist. Ausnahmsweise ist die condictio bei derartigen Konstellationen nur zulässig, wenn der Erfolg nach den Vorstellungen der Zweckvereinbarungspartnern dauerhaft sein soll, RGZ 169, 249. Bei den erbrechtlichen Veranlassungsfällen ist dies zu beachten. 227

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durchaus verkürzt gesagt werden, die causa i. S. der condictio ob rem sei dann entfallen, wenn keine Zweckvereinbarung gegeben ist. 4. Der Schutz des endbedachten Dritten über die Zweckvereinbarung im Dreieck

Die bisherigen Überlegungen betrafen die allgemeinen Grundsätze der condictio ob rem im Vermögensrecht. Bisher ungeklärt blieb im Kontext erbrechtlicher Zuwendungsgeschäfte, ob und inwiefern der erbvertraglich Endbedachte durch einen Kondiktionsanspruch des Vertragserblassers in seinen schutzwürdigen Interessen verletzt wird. Hier gilt es, vier Gestaltungen zu unterscheiden. a) Gestaltung 1: Der endbedachte Dritte lehnt die Zweckvereinbarung ab Ceteribus paribus sei einmal davon ausgegangen, die Ehegatten hätten nach dem Vorbild der Einheitslösung einen Erbvertrag zugunsten des Dritten als Endbedachten (also als Erben allein des Längstlebenden) geschlossen. Neben diesem Erbvertrag würden sie sich darüber einigen, daß mit der erbvertraglichen Bedenkung des Dritten dieser dazu veranlaßt werden soll, den Überlebenden zu versorgen. Man kann also sagen, eine Zweckvereinbarung liegt zwischen den Ehegatten, nicht jedoch zwischen diesen oder einem von ihnen und dem Dritten vor. Diese Vereinbarung muß nicht unbedingt eine Zweckvereinbarung i. S. des § 812 I 2 Alt. 2 BGB darstellen (ob sie dies darstellt, wird ja gerade geprüft), sondern kann auch einfach nach außen hin die Motive der Ehegatten verdeutlichen. Bei einer derartigen bloß zweiseitigen Zweckvereinbarung zwischen den Ehegatten, stellt sich zwangsläufig das Problem, was der Dritte mit ihr und einer etwaigen Motiventtäuschung bei den Ehegatten zu schaffen hat, oder genauer: Wieso soll er sich einem Kondiktionsanspruch aus § 812 I 2 Alt. 2 BGB ausgesetzt sehen? Wäre er Kondiktionsschuldner, wäre er zu einem rechtsgeschäftlichen Handeln232 verpflichtet. Eines dürfte bei der Beantwortung dieser Frage klar sein: Lehnt der Dritte die Zweckvereinbarung ausdrücklich ab, ist nichts ersichtlich, wieso die Ehegatten es in der Hand haben sollten, das 232

Nämlich: Zustimmung zur Aufhebung seiner erbvertraglichen Bedenkung (wenn er und der überlebende Teil allein Partei des Erbvertrages sind) oder (wenn nur die Ehegatten oder diese und der Dritte den Erbvertrag geschlossen haben und einer der Gatten vorverstorben ist, so daß eine Aufhebung des Vertrages nicht in Betracht kommt) Zustimmung zur Einwilligung in eine neue Verfügung von Todes wegen des Überlebenden, um die Folgen des § 2289 I 2 BGB aus dem Weg zu räumen.

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gesetzlich vorgesehene Instrumentarium zur Behebung von Zweckverfehlungen (nämlich: die Anfechtung wegen Motivirrtums) so umzustellen, daß dem erbvertraglich Bedachten nicht nur (wie bei der Anfechtung) etwas entzogen wird (nämlich: die Zuweisung der Erbchance als Bedachter), sondern daß dies auch noch in der Weise eines gegen den Bedachten gerichteten Anspruchs (nämlich: Kondiktion) geschieht. Für die Notwendigkeit, daß die Stellung des Endbedachten in dieser Weise auch gegen seinen Willen verschlechtert wird, müßten durchschlagende Gründe gefunden werden. Interessen der Ehegatten können es nicht sein, da sie wegen Motivirrtums anfechten können, wenn der avisierte Zweck verfehlt wird. Und falls die Anfechtung einmal erbvertraglich ausgeschlossen sein sollte, deutet die Zweckvereinbarung zwischen den Ehegatten-Erbvertragsparteien daraufhin, daß dieser Ausschluß zumindest für die in der Zweckvereinbarung angesprochenen Zwecke nicht gilt – wieso hätten die Ehegatten sonst eine Zweckvereinbarung treffen sollen? Lehnt der Dritten, der selbst nicht Partei des Erbvertrages ist, die Zweckvereinbarung mithin ausdrücklich ab, ist es mithin tatsächlich so, daß die erbvertragliche Zuwendung außerhalb des Lebensbereichs steht, dessen sich das Kondiktionsrecht annimmt; der Dritte hat seinen Vorteil (die „Bindung“) dann mit einem Rechtsgrund erworben, der in der jeweiligen Verfügung von Todes wegen kausal verankert ist; Vorstellungen einer überschießenden gewillkürten Abstraktheit haben hier keinen Platz. Anders gesagt: Es liegt zwar eine – möglicherweise anfechtungsrechtlich relevante – Zweckvereinbarung, nicht aber eine Zweckvereinbarung im bereicherungsrechtlichen Sinne vor. Der Grund, warum der Erbvertrag hier außerhalb des Kondiktionsrechts steht, blieb in der bisherigen Diskussion unausgesprochen: Es ist der Schutz des erbvertraglich Endbedachten. Die bisher gegen eine Verbindung von Erbvertrag und Kondiktion vorgetragenen Erwägung233 greifen also auch jetzt nicht. b) Gestaltung 2: Der endbedachte Dritte stimmt ausdrücklich der Zweckvereinbarung zu Bei einer ausdrücklichen bereicherungsrechtlichen Zweckvereinbarung zwischen dem Dritten und den Ehegatten hat der erbvertraglich Endbedachte der Zweckverfolgung zugestimmt. Da die Zweckvereinbarung selbst als eine „zwischen Motiv und rechtsgeschäftliche(r) Verpflichtung angesiedelte ,Rechtsgrundabrede‘ “234 begriffen werden kann, läge gleichwohl keine Versorgungsabrede vor. Die Abgrenzung ist eine Frage der Auslegung 233 234

Oben § 17 I 3. So Reuter/Martinek, Bereicherungsrecht, § 5 III 1 b.

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und wird im Einzelfall durchaus schwierig sein. Es wird darauf ankommen, ob eine bloß „tatsächlichen“ Einigung vorliegt, die – so der BGH – nicht den Charakter einer vertraglichen Bindung aufweisen darf235. Zumeist wird freilich zugleich eine Versorgungsabrede vorliegen, wenn ein entsprechender Rechtsbindungswillen gegeben ist236. Hat der Endbedachte der Zweckvereinbarung zugestimmt, ist es für ihn aufgrund der quasi-kontraktuellen Natur der condicito ob rem nicht schädlich, daß er sich einem Bereicherungsanspruch ausgesetzt sieht, wenn die sonstigen Voraussetzungen der condictio vorliegen; seine ihm durch die erbvertragliche Bedenkung gewährte Erbchance würde er ja zumeist schon deshalb verlieren, weil die Anfechtung wegen Motivirrtums gegeben wäre. Es ist hier daher kein Grund ersichtlich, ihn vor den Folgen einer gewillkürten Abstraktheit zu schützen. Als Partei der Zweckvereinbarung muß er – wie auch sonst im Bereicherungsrecht – die Folgen einer Zweckverfehlung tragen. Es fragt sich nur, wann eine ausdrückliche Zustimmung vorliegt. Hier gilt es zu unterscheiden. Haben die Ehegatten oder der Überlebende mit dem Dritten eine Versorgungsabrede geschlossen, wird in dieser Abrede zugleich auch die Zustimmung zu der bereicherungsrechtlichen Zweckvereinbarung i. S. der condictio ob rem zu sehen sein. Denn ansonsten könnte ja der Fall auftreten, daß der endbedachte Dritte die Zweckbestimmung der erbvertraglichen Zuwendung (als da ist: die Versorgung des überlebenden Teils) einmal ablehnt (nämlich: soweit es um die bereicherungsrechtliche Zweckvereinbarung geht) und ihr einmal zustimmt (nämlich: soweit es um die Versorgungsabrede geht). Hiervon kann jedoch nicht ausgegangen werden. Falls daher eine Versorgungsabrede vorliegt237, ist deshalb im Zweifel auch eine auf die Versorgung als Motivation der erbvertraglichen Bedenkung gerichtete Zweckvereinbarung zwischen den Parteien des Erbvertrages und dem endbedachten Dritten zustande gekommen. c) Gestaltung 3: Der Dritte kennt die Veranlassungsmotivation des Erblassers nicht In der dritten Gestaltung haben die Ehegatten untereinander oder auch mit dem Dritten einen Erbvertrag geschlossen. Die Ehegatten haben sich dabei darauf geeinigt, daß sie mit der erbvertraglichen Endbedenkung des Dritten diesen zu einem Verhalten (nämlich: der Versorgung) veranlassen wollen. Eine weitere Spielart liegt darin, daß allein der überlebende Teil (nicht jedoch zuvor auch der Erstverstorbene) mit dem Dritten einen Erb235 236 237

Dazu oben § 17 II 3 b aa. Weiteres sogleich im Text. Vgl. zu den möglichen Fällen oben § 16 I 2.

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vertrag zu dem Zweck geschlossen hat, der Dritte möge ihn gehörig versorgen. In sämtlichen Fällen habe der Dritte der Zweckvereinbarung der Ehegatten bzw. der Zweckbestimmung des Überlebenden nicht ausdrücklich zugestimmt und habe sie auch nicht ausdrücklich abgelehnt. Der Dritte ist also weder erkennbar Partei noch eindeutig keine Partei der Zweckvereinbarung geworden. Das Besondere an der Gestaltung Nr. 3 ist, daß der Dritte die Zweckvereinbarung der Gatten und die Zweckbestimmung des Überlebenden nicht kennt. Nun kann dem Dritten sein gewährter Vorteil (nämlich: die Erbchance) auch dann entzogen werden, wenn die Kondiktion nicht greifen würde, da dem Erblasser durchweg die Anfechtung des Erbvertrages offensteht. Der einzige Nachteil, welchen der Dritte erleiden kann, wenn er in die Zweckvereinbarung einbezogen wird, liegt mithin darin, daß er seine Erbchance nicht nur qua Anfechtung verliert, sondern sich einem Kondiktionsanspruch ausgesetzt sieht. Er wäre also zu einem rechtsgeschäftlichen Handeln verpflichtet. Mit Blick hierauf kann es – ebensowenig wie in der Gestaltung 1 – nicht angehen, daß der die Motivation des oder der Erblasser nicht kennende Dritte einem bereicherungsrechtlichen Anspruch ausgesetzt wird. Denn bei der Anfechtung des Erbvertrages hätte es der Endbedachte in der Hand, bei erklärter Anfechtung auch einmal nichts zu tun, die Anfechtung samt einer Zweitverfügung hinzunehmen und das Nachlaßgericht entscheiden zu lassen, ob eventuell ein Erbschein erteilt wird. Wegen dieses Belastungsunterschieds zwischen Kondiktion und Anfechtung muß eine Kondiktion bei Unkenntnis des Dritten von der Erblassermotivation zwingend ausscheiden. Zwar kann im Normalfall der Verfügung von Todes wegen der Zuwendende den Zweck einseitig bestimmen238. Dies heißt aber noch nicht, daß das der datio ob rem zugrundeliegende Rechtsgeschäft als ein durch den oder die Ehegatten ins Werk gesetztes Geschäft begriffen werden kann, bei dem der Dritte nicht Partei ist. Ansonsten würde sich die condictio ob rem nicht nur sehr weit von ihren historischen Ursprüngen lösen. Vielmehr würde man dem Dritten ein Handeln (nämlich: die besagte Zustimmung) zumuten, ohne daß dies durch den quasi-kontraktuellen Charakter der condictio ob rem gedeckt wäre. Der Dritte würde mithin nicht Partei der Zweckvereinbarung, so daß schon aus diesem Grund eine condictio ob rem ausscheiden würde. Gegen dieses Zwischenergebnis könnte um der Vermeidung von Wertungswidersprüchen willen freilich ein Vergleich mit der bereicherungsrechtlichen Abwicklung eines gestörten echten Vertrags zugunsten Dritter sprechen. Der Gedankengang würde dann folgendermaßen lauten: Die Fallgestaltung der erbvertraglichen Bedenkung des Dritten würde insofern ei238

Dazu Klinke, Causa, 49.

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nem echten Vertrag zugunsten Dritter ähneln239, als dieser aufgrund seiner bindenden Bedenkung zwar keinen Leistungsanspruch gegen den „versprechenden“ Vertragserblasser erwirbt, wohl aber eine Rechtsmacht, die in den Rechtsfolgen wie ein Anspruch auf Unterlassen wirkt, da der Endbedachte den Eintritt der vom Überlebenden privatautonom gewollten Rechtsfolgen dadurch hindern kann, daß er seine Zustimmung zu einer weiteren Verfügung von Todes wegen verweigert, welche gem. § 2289 I 2 BGB für die Wirksamkeit der Zweitverfügung erforderlich wäre. Man könnte weiter vortragen, daß ein derartiger Vergleich mit den Wertungen des echten Vertrags zugunsten Dritter durchaus einsichtig sei. Denn die Rechtsordnung würde nur deshalb die Unwirksamkeit derjenigen Verfügungen von Todes wegen, welche nach dem Abschluß des Erbvertrages errichtet worden sind und den Dritten beeinträchtigen, gem. § 2289 I 2 BGB anordnen und nicht die Konstruktion eines Anspruchs des Dritten auf Unterlassen weiterer Verfügungen von Todes wegen wählen, weil eine derartige Anspruchskonstruktion dem erbrechtlichen, in § 2302 BGB kondensierten Grundsatz zuwiderlaufen würde, nach dem die Testierfreiheit in jeder Form verpflichtungsfeindlich ist. Vor diesem Hintergrund könnte – so könnte weiter argumentiert werden – eine Kondiktion gegen den Dritten deshalb greifen, weil damit eine Wertungsparallele zur bereicherungsrechtlichen Behandlung des gestörten echten Vertrags zugunsten Dritter hergestellt wird. Denn erstens komme es bei einem im Deckungs- und nicht im Valutaverhältnis gestörten Vertrag zugunsten Dritter herrschender Ansicht nach zumindest dann zu einem Durchgriff auf den Dritten, wenn der wesentliche wirtschaftliche Erfolg der vom Versprechenden zu erbringenden Leistung im Zuwendungs- und nicht im Dekkungsverhältnis eintritt, was wiederum bei einer unentgeltliche Zuwendung an den Dritten der Fall ist240. Und zweitens würde der gerade geschilderte Fall eines unentgeltlichen Vertrags zugunsten Dritter den erbrechtlichen Zuwendungsfällen ähnlich sein: Im „Valutaverhältnis“ zwischen dem überlebenden Ehegatten und dem Dritten läge eine Zuwendung qua Liberalität vor241 und das „Deckungsverhältnis“ zwischen den Ehegatten – die Zweckvereinbarung – sei durch die Zweckverfehlung aufgestört. 239 Selbstverständlich liegt ein solcher bei einem gemeinschaftlichen Testament nicht vor; die Rechtsmacht des Dritten steht ihm quasi nur als Reflex zu, der zwar von den Testierenden zumeist gewollt sein wird (wenn die Bindungswirkung erkannt wird), aber ausschließlich von ihrem Interesse getragen wird, vgl. nur Lange/Kuchinke, § 24 VI 6 a. 240 Herrschende Ansicht, vgl. die Leitentscheidung BGHZ 58, 184, und zum Streitstand nur MünchKomm-Gottwald, § 334 Rn. 15 f.; MünchKomm-Lieb, § 812 Rn. 110 ff.; Erman-Westermann, § 812 Rn. 35; Staud-Lorenz, 13. Bearb., § 812 Rn. 37 ff.; Reuter/Martinek, Bereicherungsrecht, § 12 IV. 241 In der hier diskutierten Fallgestaltung hat sich der Dritte ja zu nichts verpflichtet, da eine Versorgungszusage ja nicht gegeben wurde.

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Diese Argumentation klingt nur auf den ersten Blick plausibel. Sie ist es aber nicht. Derlei Wertungsparallelitäten zum echten Vertrag zugunsten Dritter gehen schon deswegen nicht an, weil bei der bereicherungsrechtlichen Abwicklung des gestörten echten Vertrags zugunsten Dritter Wertungsfragen eine Rolle spielen, die in erbrechtlichen Kontexten entweder irrelevant sind (wie die angemessene Verteilung des Insolvenzrisikos oder das Problem des Einwendungserhalts) oder die nicht sinnvoll parallel zum Vertrag zugunsten Dritter diskutiert werden können242. Es entfällt damit der maßgebliche Anknüpfungspunkt, im Hinblick auf den ein Wertungsvergleich mit der Dogmatik des Vertrags zugunsten Dritter sinnvoll ist, nämlich die Vermeidung eines Wertungswiderspruchs. Mithin bleibt es bei der einfachen Frage: Darf der die Motivation des oder der Ehegatten nicht kennende Dritte, der nicht Partei einer Zweckvereinbarung ist und der einseitigen Zweckbestimmung des Überlebenden auch nicht zugestimmt hat243, einem Bereicherungsanspruch ausgesetzt werden, obwohl dieser Anspruch seine Legitimation aufgrund des quasi-kontraktuellen Charakters der condictio ob rem gerade in der Zustimmung zu einer Zweckvereinbarung findet? Da keine weiteren Argumente für eine Kondiktion gegen den endbedachten Dritten trotz dessen fehlender Kenntnis von der Motiviation des oder der Ehegatten ersichtlich sind, muß es bei dem vor kurzem gefundenen Zwischenergebnis bleiben: Eine condictio ob rem scheidet mangels Zweckvereinbarung aus, wenn der endbedachte Dritte die Verfügungszwecke des oder der Ehegatten, ihn durch die erbvertragliche Bedenkung zur Versorgung des überlebenden Teils zu motivieren, nicht kannte. d) Gestaltung 4: Der Dritte kennt die Veranlassungsmotivation des Erblassers Der Sachverhalt der Gestaltung 4 ist gleich dem der Gestaltung 3, nur kennt der Dritte die Zweckvereinbarung der Gatten oder die Zweckbestimmung des Überlebenden. Nun kommt es nach den von der Rechtsprechung entwickelten Regeln zur Zweckvereinbarung der condictio ob rem darauf an, ob der Zuwendungsempfänger die Motive des Leistenden kannte und 242 Wie bsp. der Rekurs auf das – schlagwortartig formuliert – richtige Verhältnis von Leistung und Kausalverhältnis bei Zuwendungsvorgängen im Vertrag zugunsten Dritter, vgl. die Argumentation bsp. bei Hadding, Bereicherungsausgleich, 77 ff.; Hassold, Leistung, 271 ff.; und Bayer, Vertrag zugunsten Dritter, 356 ff.; oder der ebenfalls nicht in den erbrechtlichen Zuwendungsfällen ohne weiteres zu parallelisierende Rekurs auf eine quasi gedoppelte Zweckverfolgung beim Leistenden durch die Vertreter eines streng zweck-orientierten Schuldrechtsverständnisses im Gefolge von Hugo Kress: Weitnauer, FS v. Caemmerer, 255 (288 f.); Schnauder, Grundfragen, 229 ff. 243 Zu den Fällen siehe nochmals oben § 16 I 2.

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die Annahme der Zuwendung nach Treu und Glauben als Billigung der Zweckbestimmung gewertet werden muß244. Schon wenn ein derartiges „schlüssiges Einigsein über die Erwartung einer Gegenleistung“245 vorliegt, nimmt die Rechtsprechung eine Zweckvereinbarung auch mit dem Dritten an. Nun geht es im allgemeinen nicht an, allein von einem kognitiven Moment auf den privatautonomen Willen einer Rechtsperson auf Abschluß eines Vertrages zu schließen, da dies faktisch zu Erklärungsobliegenheiten führen und damit dem allgemeinen Grundsatz widersprechen würde, daß Schweigen ohne weitere Begleitumstände grundsätzlich keinen Erklärungsgehalt besitzt246. Dem bloßen Wissen kommt regelmäßig kein dem privatautonomen Erklären ähnelnder phänotypischer Aktsinn zu, dem die Rechtsordnung die Bedeutung einer Willenserklärung beimisst. Ansonsten würde das hinter dem Rechtsbegriff der Willenserklärung verborgene normative Substrat der Selbstbestimmung negiert und die hier eigentlich auftretenden heteronomen Zurechnungsvorgänge unter dem Signum privater Autonomie verdeckt. Trotz dieser im allgemeinen berechtigten Kritik wird in der Gestaltung 4 der Dritte dennoch Partei der Zweckvereinbarung, wenn er die Motivation der Ehegatten oder des überlebenden Teils, ihn zur Versorgung des Überlebenden zu veranlassen, kennt und gleichwohl den Erbvertrag schließt, ohne der Motivation zu widersprechen, oder zwar nicht Partei des Erbvertrages wird, sich aber zu der erkannten Motivation nicht ablehnend äußert. Der Grund für diesen Einbezug des Dritten in die Zweckvereinbarung beruht auf einer Bewertung seiner Schutzwürdigkeit – ein Kriterium, welches ja auch die Rechtsprechung an die Beurteilung anlegt, ob eine Zweckvereinbarung mit dem Zuwendungsempfänger geschlossen worden ist, wenn sie prüft, ob die Annahme der Zuwendung nach Treu und Glauben als Billigung der Zweckbestimmung gewertet werden kann. Nun war schon die Rede davon, daß der einzige Nachteil, welcher der Dritte zu befürchten hat, wenn er in die Zweckvereinbarung einbezogen wird, darin zu sehen ist, daß er seine Zuwendung – also die Erbchance – nicht nur qua Anfechtung des Erbvertrages, sondern qua Anspruch auf Zustimmung zu dessen Aufhebung oder zu ihn beeinträchtigenden Zweitverfügungen von Todes wegen verliert. Erleidet der Dritte aber nur diesen Nachteil, ist es regelmäßig so, daß von ihm auch angesichts des Liberalitätscharakters der erbvertraglichen Zuwendung nach Treu und Glauben verlangt werden kann, er möge deutlich 244 Vgl. die Leitentscheidung BGHZ 44, 321 ff. = NJW 1966, 540; sowie zustimmend nur bsp. Staud-Lorenz, 13. Aufl., § 812 Rn. 108; MünchKomm-Lieb, § 812 Rn. 161, 169; kritisch bsp. Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 693. 245 Reuter/Martinek, Bereicherungsrecht, § 5 III 1 b. 246 Vgl. nur MüKo-BGB-Kramer, vor § 116 Rn. 23; Soergel-Hefermehl, 12. Aufl., vor § 116 Rn. 32.

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machen, daß er von der Versorgungsmotivation nichts hält. Letztlich kann daher eine Obliegenheit des Dritten angenommen werden, klar und deutlich den oder dem Ehegatten zu signalisieren, daß er sich trotz der erbvertraglichen Endbedenkung nicht dazu veranlaßt sieht, für die Versorgung des überlebenden Teils Sorge zu tragen. Wird dieses Signal trotz Kenntnis der Erblassermotivation nicht gegeben, steht mithin nichts entgegen, den Dritten in die Zweckvereinbarung als Partei einzubeziehen. Es liegt dann eine dreiseitige Zweckvereinbarung zwischen den Ehegatten und dem Dritten oder – bei einem Erbvertrag allein zwischen dem Überlebenden und dem Dritten – eine zweiseitige Zweckvereinbarung zwischen diesen beiden vor.

e) Ergebnis zum Schutz des Dritten Als Ergebnis kann mithin notiert werden: Haben die Ehegatten untereinander oder mit dem Dritten einen Erbvertrag geschlossen oder liegt ein Erbvertrag zwischen dem überlebenden Teil und dem Dritten vor, ist hinsichtlich des bereicherungsrechtlichen Problems der Zweckvereinbarung wie folgt zu entscheiden: Gesetzt den Fall, die Ehegatten haben sich untereinander darüber geeinigt, daß mit der erbvertraglichen Bedenkung des Dritten dieser zu der Versorgung des überlebenden Teils motiviert werden soll, oder der überlebende Teil hat einen derartigen Zweck bei dem Abschluß des Erbvertrages mit dem Dritten verfolgt. Ist dem so, wird der Dritte Partei der Zweckvereinbarung der Ehegatten oder schließt mit dem überlebenden Teil eine Zweckvereinbarung ab, wenn folgendes gegeben ist: Haben die Ehegatten mit dem Dritten oder der überlebenden Teil mit diesem eine Versorgungsabrede getroffen, wird der Dritte im Zweifel qua Zustimmung zur Zweckvereinbarung Partei dieser Vereinbarung. Das gleiche gilt, wenn zwar keine Versorgungsabrede vorliegt, der erbvertraglich endbedachte Dritte dem Versorgungszweck aber ausdrücklich zustimmt. Ansonsten ist anhand kognitiver Momente zu entscheiden. Kennt der Dritte die Motivation der oder des Ehegatten, ihn durch die erbvertragliche Bedenkung zur Versorgung des überlebenden Teils zu veranlassen, und gibt er gleichwohl nicht deutlich zu erkennen, daß er dieser Versorgung nicht nachkommen will, wird er Partei der Zweckvereinbarung. Kennt der Dritte die Motivation der Ehegatten hingegen nicht, besteht keine Möglichkeit, ihn in die Zweckvereinbarung hineinzuziehen oder ihm diese zuzurechnen. Es gilt also: Liegt keine Versorgungsabrede vor und kennt der erbvertraglich endbedachte Dritte nicht die Versorgungsmotivation des oder der Ehegatten, scheidet eine condictio ob rem des Überlebenden gegen den Dritten auf Zustimmung zur Aufhebung des Erbvertrages oder auf Zustimmung zu ihn beeinträchtigenden weiteren Verfügungen von Todes wegen aus. Zudem dürfte klar geworden sein, daß eine etwaige Versorgungsabrede von der be-

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reicherungsrechtlichen Zweckvereinbarung streng zu trennen ist: Erstere ist das schuldrechtliche Grundgeschäft, auf dessen Basis im Versorgungsfalle Leistungen erbracht werden. Letztere ist die bereicherungsrechtliche causa, die aufgrund der gewillkürten Abstraktheit des Erbvertrages diesem nunmehr zugrundeliegt.

§ 18 Einzelfragen zur condictio ob rem I. Einzelfragen zur Zweckvereinbarung 1. Die Form der Zweckvereinbarung als erbrechtliches Problem

Die kondiktionsrechtliche Zweckvereinbarung ist – wie ausgeführt: verkürzend gesagt – die causa des Zuwendungsgeschäfts. Ist das Zuwendungsgeschäft ein Erbvertrag, stellt sich zwangsläufig die Frage, ob die Zweckvereinbarung den für die Verfügungen von Todes wegen geltenden Formvorschriften unterliegt. Davon kann nicht ausgegangen werden. Direkt sind die erbrechtlichen Formvorschriften sicherlich nicht anwendbar. Die Zweckvereinbarung stellt ja keine Verfügung von Todes wegen dar, da mit ihr der Erblasser nicht rechtsgeschäftlich bindend bestimmt, was nach seinem Tode mit seinem Nachlaß geschehen soll oder was im Hinblick auf Rechtsverhältnisse, die nicht zum Nachlaß gehören, zu veranlassen ist247. Auch gehört die Zweckvereinbarung nicht zu den vom positiven Recht den Verfügungen von Todes wegen ausdrücklich zugeordneten und damit den erbrechtlichen Formzwang unterfallenden Rechtsgeschäften248. Gegen die erbrechtliche Form von Zweckvereinbarungen spricht auch der Grundsatz, daß die Gültigkeitsvoraussetzungen rein äußerlich mit der Verfügung von Todes wegen verbundener, nicht-erbrechtlicher und auch nicht vom positiven Recht den Verfügungen von Todes wegen zugeordneter Rechtsgeschäfte sich nicht nach erbrechtlichen Normen richten249. 247

So die Umschreibung der charakteristischen Merkmale der Verfügung von Todes wegen bei v. Lübtow I, 97 mwNachw. 248 Anordnungen nicht-erbrechtlicher Art werden vom Gesetz oft ausdrücklich als Verfügungen von Todes wegen bezeichnet, vgl. nur die Errichtung einer Stiftung, § 83 BGB, die Benennung des Leistungsempfängers beim echten Vertrag zugunsten Dritter (§ 332 BGB) oder des Bezugsberechtigten bei einer Kapitallebensversicherung (§ 166 VVG), die familienrechtlichen Anordnungen der § 1418 II Nr. 2 BGB, § 1486 I BGB, § 1509 BGB, §§ 1511–1515 BGB, §§ 1638 f BGB, § 1777 III BGB, § 1782 II BGB, § 1792 IV BGB, § 1797 III BGB, § 1803 BGB, § 1856 BGB, § 1917 BGB und letztwillige Schiedsklauseln; vgl. dazu nur die Übersicht bei MünchKomm-Leipold, § 1937 Rn. 10 ff. 249 OLG Köln, NJW 1950, 702 (bzgl. Vollmachtserteilung); Erman-Schlüter, § 1937 Rn. 1; Staud-Otte, vor § 1937 Rn. 11; MünchKomm-Leipold, § 1937 Rn. 31 f.

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Auch eine analoge Anwendung der Formvorschriften auf die Zweckvereinbarung ist nicht veranlaßt. Dies zeigt schon die Teleologie der erbrechtlichen Formvorschriften, die im allgemeinen in einem Schutz gegen Übereilung, in der Erzielung eines klaren, äußerlich abgegrenzten und endgültigen Willensausdrucks, in der Sicherung und der Erleichterung des Beweises, in der Ermöglichung öffentlicher Kontrolle und beim Erbvertrag zudem in der Beratung gesehen wird250. Ein derartiger Schutz ist bei der kondiktionsrechtlichen Zweckvereinbarung nicht notwendig, da diese für den Erblasser nur von Vorteil ist und erbrechtliche Verfügungen selbst nicht enthält. Der Erblasser gewinnt gegenüber einem zweckvereinbarungslosen Zustand nur etwas dazu, nämlich eine weitere Lösungsmöglichkeit von der kraft privatautonomer Einigung bestehenden erbrechtlichen Bindung. Zwar geschieht dies unter einer Belastung des erbvertraglich endbedachten Dritten, der sich einem Kondiktionsanspruch gegenüber gestellt sieht. Diese Belastung ist für die Formfrage aber irrelevant, da die erbrechtliche Form den Endbedachten ja nicht schützt, wie die gerade umrissenen Teleologien der Form zeigen. Zudem wäre nicht einsichtig, was für den Dritten bei einer Formbedürftigkeit der Zweckvereinbarung gewonnen wäre, da er den Verlust seiner Bedenkung bei einer Zweckverfehlung wegen der möglichen Anfechtung des Erbvertrages nicht hindern kann. Schließlich würde eine Unterstellung der Zweckvereinbarung unter die erbrechtliche Form zu einem Wertungswiderspruch zum Anfechtungsrecht führen. Denn die Ausübung dieses Rechts ist zwar formbedürftig, § 2282 III BGB. Die Motive selbst sind aber auch dann erheblich, wenn nicht in den erbrechtlichen Formen erklärt worden ist, die Verfügung sei durch dieses oder jenes Motiv motiviert. Auch die Ermittlung eines erheblichen Motivs macht in der Praxis Schwierigkeiten, gleichwohl wird nicht verlangt, ein Motiv könne nur dann erheblich sein, wenn zuvor formgerecht festgehalten worden ist, daß es erheblich ist. Die Formfrage kann aber bei der Zweckvereinbarung nicht anders gelöst werden als bei der Anfechtung, und das heißt: Für die der datio ob rem zugrundeliegende Zweckvereinbarung ist die Einhaltung erbrechtlicher Formen nicht notwendig.

250 Vgl. zu den Formzwecken nur Soergel-Harder, vor § 2229 Rn. 1; Lange/Kuchinke, § 16 IV 3; v. Lübtow I, 116; Ebenroth, Rn. 193; Leipold, Rn. 218; Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, 201 ff.; Häsemeyer, Gesetzliche Form, 164 ff.; Stumpf, Auslegung, 227 ff.; vgl. auch Grundmann, AcP 187 (1987), 429 (439 ff.).

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2. Die Ermittlung der Zweckvereinbarung

a) Die Situation im allgemeinen Vermögensrecht Bisher wurde die für die Praxis wohl dringendste Frage ausgespart, wann ein bereicherungsrechtlich relevanter Zweck von den Ehegatten vereinbart worden ist, wenn – wie dies zumeist der Fall sein dürfte – ausdrückliche Zweckvereinbarungen nicht vorliegen. Zudem dürften ausdrückliche Vereinbarungen auch durchweg auf die Übereinkunft über einen Änderungsvorbehalt hindeuten251, so daß die Bedeutung der Kondiktion gänzlich in den Bereich stillschweigender Übereinkunft verschoben sein dürfte252. Hier stellen sich der Praxis nun keineswegs schier unüberwindliche Probleme. Ein Vergleich mit der Lage im allgemeinen Vermögensrecht mag dies näher verdeutlichen. Dort entscheidet sich die Frage, ob eine implizite Zweckvereinbarung vorliegt, anhand eines Rekurses auf „typische Zwecke“ des jeweiligen Austauschvorganges, die eine Vermutung für den vereinbarten Zweck begründen253. Dies hat seinen Grund gleicherweise in der Typizität wirtschaftlicher Austauschvorgänge auf der einen und dem sprachlich vorgegebenen Apriori jeder Willensermittlung auf der anderen Seite: Willensermittlung ist ein zirkulärer hermeneutischer Prozeß, aufgrund dessen der Wille – in der Sprache der Hermeneutik formuliert – als Gegenstand des geistigen Seins nicht erkannt werden kann, sondern in Annäherung an den psychologischen Willen des Erklärenden verstanden werden will254. Bei diesem Verstehen wird nie der jeweilige Wille des Erklärenden ermittelt, sondern immer nur versucht, eine Hypothese über diesen Willen so gut wie möglich als richtig zu erweisen. Es geht also immer (auch bei der erläuternden Auslegung) um die Ermittlung eines hypothetischen Willens. Bei dieser Ermittlung wird man sich um so eher dem psychologischen Willen annähern, je plausibler das Sinngefüge aus Gesamtverhalten, äußeren Umständen und ermittelten Willen ist255. Zu diesem Wahrscheinlichkeitsurteil treten objektivierende Redlichkeits- und Vernunftserwägungen hinzu. Fiktion, einfache 251

Siehe Westermann, Causa, 54, 104 f., 106 ff., für das allgemeine Vermögens-

recht. 252

So auch die Bewertung bei Westermann, Causa, 56, allg. für die causa-Lehre. Vgl. nur Westermann, Causa, 54: „. . . die causa (hat) ihren Hauptsitz gar nicht bei den vereinbarten, sondern bei den typischen Zwecken . . .“ (Zusatz vom Verf.); van den Daele, Probleme, 15 f., 22; Hepting, Ehevereinbarungen, 381 ff.; Rother, AcP 169 (1969), 1 (6 f.); Kegel, FS Mann, 57 (59). 254 Vgl. zum Verhältnis von Rechtsgeschäftsauslegung und allgemeiner Hermeneutik nur Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, 8 ff.; vgl. auch den Überblick bei Hepting, Ehevereinbarungen, 241 ff. Die Verwendung einer hermeneutischen Theoriensprache dient hier nur dazu, an eine im Rechtsdiskurs vertrautere Sprache anzuschließen, siehe ansonsten zum hermeneutischen Verständnis von Sprache Goebel, Rechtsgespräch und kreativer Dissens, 48 ff., 78 ff., 82 ff. 253

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und ergänzende Auslegung unterscheiden sich hierbei durch den Grad der Wahrscheinlichkeit des durch eine Hypothese erschlossenen Willens256: Die einfache Auslegung stellt den hypothetischen Willen fest, der angesichts des objektiven Erklärungsverhaltens und aller Umstände psychologisch wahrscheinlich real existiert und auch – im allgemeinen Vermögensrecht – normativ gem. § 157 BGB dem Erklärenden zugeordnet werden kann257. Die einfache Auslegung ordnet dem letztwillig Erklärten einen Sinn zu, entschlüsselt aber keinen schon vorher gegebenen Sinn258. Die ergänzende Auslegung führt zu einem Willen, der als psychische Realität unwahrscheinlich ist, dessen Inhalt aber mit dem Verhalten des Erklärenden insofern harmonisiert, daß er dessen „realen“ Willen gleichsam „zu Ende denkt“259. „Fiktiv“ ist nur der in jeder Hinsicht unwahrscheinliche Wille, der zum Erklärungsverhalten keinerlei Beziehung mehr hat und der zumeist durch verselbständigte Redlichkeits- und Vernunftserwägungen oder durch zu starke Abstraktion der Willenshypothesen von mehr kasuistischen Wahrscheinlichkeitsmodellen zustande kommt260. Eines der vorzüglichsten hermeneutischen Hilfsmittel zur Bildung des Wahrscheinlichkeitsurteils liegt nun in dem Wechselspiel zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen261, welches stattfindet, wenn Zwecke typisiert werden: Der typischerweise mit einem Verhalten verfolgte Zweck dient zumeist als Grundlage des hermeneutischen Schlusses, wonach der in einem gleichgelagerten Fall übliche, typische Wille auch entweder der im konkreten Fall wahrscheinliche und damit „reale“ (einfache Auslegung) oder der zwar unwahrscheinliche, aber aufgrund normativer Erwägungen der weiteren rechtliche Beurteilung zugrundezulegende (ergänzende Auslegung) rechtsgeschäftliche Wille ist. Wenn der passende Typus ermittelt ist, kann dann gefolgert werden, daß der typische Zweck auch der „real“ gewollte ist: Die normative Wirkung der Zwecktypik läßt sich so mehr oder weniger zwanglos auch in eine rechtsgeschäftlich konzipierte causa-Lehre einbinden262.

255 Hepting, Ehevereinbarungen, 243 ff.; Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, 321; Hepting, Ehevereinbarungen, 243 f. 256 Hepting, Ehevereinbarungen, 246 ff. 257 Letzteres übergeht Hepting, Ehevereinbarung, 246 f., der die auch bei der einfachen Auslegung zu beachtende Zuordnung von psychologisch wahrscheinlichen Willen und dem normativierten „Willen-Dürfen“ nicht hinreichend beachtet. 258 Zum Nachweis dieser These, einem jeden Text wohne kein Sinn inne, vielmehr würde Sinn jedem Text durch den Interpreten zugeordnet, siehe nur Goebel, Rechtsgespräch und kreativer Dissens, §§ 2 bis 5. 259 Nach der Formulierung bei Larenz, AllgT, § 29 I. 260 Hepting, Ehevereinbarungen, 249 ff. 261 Dazu Engisch, Konkretisierung, 238.

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Die Betonung liegt hier freilich auf „mehr oder weniger zwanglos“, werden doch mit der soeben beschriebenen Ermittlung des Zwecks Grundfragen der Privatrechtsdogmatik aufgeworfen. Denn das Verständnis des rechten Verhältnisses von Zweck und dessen Normativierung ändert sich ja in dem Maße, in dem im allgemeinen Vertragsrecht das Prinzip privatautonomer Selbstbestimmung auf der einen und der Regelungsgehalt normativer Ordnung auf der anderen Seite nicht mehr als Antagonismen begriffen werden263, sondern die Kategorie der Selbstbestimmung mit Aspekten einer normativen Ordnung verschwistert wird – eine Verschwisterung, die letztlich die reine Idee eines gänzlich autonomen Rechtssubjekts, bei dem es objektiv-normativ nichts als „privatautonomen Willen“ dem Subjekt zuzurechnen gibt, ablöst. In dem Maße, in dem es zu solchen Verschwisterungen kommt, muß zwangsläufig auch die Kapazität der bereicherungsrechtlichen Zweck-Kategorie zur Aufnahme objektiver Topoi steigen, da ja einer Materialisierung des Vertragsrechts eine Materialisierung auch des spiegelbildlichen Abwicklungsrechts – also des Bereicherungsrechts – entspricht. Die Feststellung der parteigewollten Zwecke wird dann mehr und mehr auch als Problem der objektiven Zurechnung, als Problem der Integration objektivrechtlicher Elemente in den „Zweck“ der Leistung begriffen. Es ist offensichtlich, daß dies bei den Vertretern eines utilitaristischen Schuldrechtsverständnisses auf Ablehnung stößt264. Freilich müssen auch utilitarische Ansätze eine Objektivierung der bereicherungsrechtlichen Zweck-Kategorie zwangsläufig zulassen, da ansonsten oftmals keine Feststellung des jeweilig verfolgten Zwecks möglich wäre, mithin: auch hier geht es um das Einordnen von Vorgängen in normative Realtypen265 – objektive Zurechnungen tauchen dann auf im Gewand von Methodenfragen. Nun kann man sich über Einzelheiten derartiger Entwicklungen streiten, beispielsweise über die Frage, ob schon bei der v. Caemmererschen Schule eine Abkehr von der reinen Idee des gänzlich autonomen Rechtssubjekts zu verzeichnen ist266. Dies kann hier dahingestellt beiben. Denn auch soweit es um die Ermittlung der bereicherungsrechtlichen Zweckvereinbarung geht, gilt auch hier: Wenn einer Rechtsperson im Wege einer zu weit gespannten objektiven Zurechnung ein „Zweck“ als von ihr verfolgter Zweck zugerechnet werden 262 Vor diesem Hintergrund wird dann deutlich, warum Westermann, Causa, 54, die causa bei den typischen Zwecken verortet und die vereinbarten Zwecke eher marginalisiert. 263 Wie bsp. deutlich bei Schnauder, Grundfragen, 115: Dichotomie von bereicherungsrechtlichen objektiv-rechtlichen Zurechnungslehren und der auf der Privatautonomie beruhenden Lehre vom Zweck. 264 Vgl. bsp. die deutliche Kritik bei Weitnauer, FS v. Caemmerer, 255 (274), sowie bei Schnauder, Grundfragen, 85 ff., an der Position von Canaris. 265 Ansätze dazu etwa bei Ehmann, Gesamtschuld, 140 f. 266 So bsp. Joerges, Bereicherungsrecht als Wirtschaftsrecht, 31.

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soll, wird die Grenze zur Zweck-Fiktion erreicht. Dann kann diese objektive Zurechnung nicht mehr plakativ als Ausdruck eines hinter der ZweckKategorie stehenden Prinzips der Selbstbestimmung legitimiert werden. Hier würde man sich von den die Legitimation tragende Wertungsgrundlagen lösen. Vielmehr müssen andere Legitimationskriterien gefunden werden, wie dies beispielsweise bei dem streng normativierten Ansatz von Joerges geschieht267, der die „Zwecksetzung“ durch Wertungen der Rechts- und Wirtschaftsordnung erfolgen läßt und daher von causa als einem auch „sozialen Zweck“ spricht268 – was denn auch von anderer Warte aus kritisch kommentiert worden ist269. Das ist die Situation im allgemeinen Vermögensrecht. Hier besteht in der Tat Anlaß, aus der Marktbezogenheit des rechtsgeschäftlichen Handelns und der damit verbundenen Übernahme verschiedener Rollen, die im Rechtsverkehr von den Marktteilnehmern zwangsläufig eingenommen werden270, typische Handlungszwecke zu isolieren, diese Zwecke dann mit normativen Erwägungen anzureichern und in weiteren in die Abwicklung des Güteraustauschs als bereicherungsrechtliche Zweckvereinbarung wieder einzuspeisen. In allgemeinen vermögensrechtlichen Zusammenhängen mag dies alles angehen, solange – wie gesagt – nicht die Grenze zur unzulässigen Fiktion überschritten wird271. Die Frage ist nur: Wie ist es beim Erwerb von Todes wegen, der ja auf der Grundlage personal geprägter Rechtsgeschäfte272 ins Werk gesetzt wird? b) Die Situation beim Erbvertrag Eines dürfte bei einem Erbvertrag einsichtig sein. Sind die Ehegatten davon ausgegangen, daß die erbvertragliche Bedenkung des Dritten dazu dienen soll, diesen zu motivieren, den überlebenden Teil zu versorgen, steht 267 AK-Joerges, vor §§ 812 ff. Rn. 8, 29; ders., Bereicherungsrecht als Wirtschaftsrecht, 40 ff., 61 ff. 268 Joerges., Bereicherungsrecht als Wirtschaftsrecht, 66. 269 Nicht verwunderlich die Kritik bei Schnauder, Grundfragen, 120 f. Vgl. allg. zu diesen Problemen nur Köndgen, Festgabe Josef Esser, 55 (64 f., 71); Hager, in: Ungerechtfertigte Bereicherung, 151 (160, 162 f.); Henke, Leistung, 90 f., 95 ff., 107 ff.; und dazu auch Esser/Weyers, SchuldR II/2, § 47, 3, § 48 II, III 1 d. 270 Dazu schon oben § 5 II 1. 271 Selbstverständlich differieren auch in allgemeinen vermögensrechtlichen Zusammenhängen die Meinungen darüber, inwiefern eine rechtsgeschäftliche Typik noch trägt. So wirft bsp. Köhler, Unmöglichkeit, 91 ff., der Unmöglichkeitslehre von Beuthien vor, diese überschreite mit ihrem Rekurs auf ein „sachtypisch zweckgebundenes Geschäft“ als Moment, das zur Anerkennung des weiteren Gläubigerzwecks durch den Schuldner führe, die Grenze zur Fiktion. 272 Dazu oben § 2; sowie Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, passim.

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nichts entgegen, nicht nur von einer Zweckübereinkunft, sondern auch von einer bereicherungsrechtlich relevanten Zweckvereinbarung auszugehen – freilich immer vorausgesetzt, die oben273 diskutierte Zustimmung des Dritten zur Zweckvereinbarung liegt vor. Denn mit einer Zweckvereinbarung werden die Möglichkeiten des überlebenden Teils, auf eine Zweckverfehlung reagieren zu können, erweitert, da er nicht nur den Erbvertrag anfechten, sondern gegen den Endbedachten auch mittels des Kondiktionsrechts vorgehen kann – immer unterstellt, sämtliche Voraussetzungen der Kondiktion liegen vor. Ist dem so, entspricht es dem mutmaßlichen Willen der Ehegatten, eine bereicherungsrechtliche Zweckvereinbarung zu schließen. Interessen des Dritten sind hierbei nicht relevant, wenn dieser – wie schon ausgeführt – die auf die Versorgung des Überlebenden gerichtete Motivation der Gatten kennt. Hat nur der Überlebende mit dem Dritten einen Erbvertrag geschlossen, um den Dritten zu einer gehörigen Versorgung zu veranlassen, gilt gleiches. Hier entspricht es dem mutmaßlichen Willen des Erblassers, zu einer Zweckvereinbarung zu gelangen; der Vertragserbe wird sich dem nach Treu und Glauben nicht entziehen können, wenn ihm die Motivation seines Vertragspartners bekannt ist274. Vor allem beim entgeltlichen Erbvertrag, bei dem der endbedachte Dritten die Versorgung des überlebenden Teils explizit zugesagt hat, wird daher regelmäßig inzident eine bereicherungsrechtliche Zweckvereinbarung anzunehmen sein. Ein Einwand gegen diese Überlegungen liegt freilich auf der Hand: Mit einer Zweckvereinbarung wird der Zweck der erbrechtlichen Zuwendung mit dieser nicht nur kausal, sondern auch abstrakt verknüpft. Ist dann nicht wegen dieser abstrakten Verknüpfung zwischen Zweck und Zuwendung eine kausale Verknüpfung und damit eine Anfechtung des Erbvertrags gem. §§ 2281 ff., 2078 II BGB ausgeschlossen? Wäre dies so, spräche nichts für den soeben angenommenen mutmaßlichen Willen des oder der Ehegatten, da ihnen eine Kondiktion nur etwas bringt, wenn ihnen daneben noch die Anfechtung verbleibt, es sei denn, diese sei ihnen aus sonstigen Gründen verschlossen – sie müßten ja ansonsten möglicherweise den mühseligen Weg beschreiten, den endbedachten Dritten auf Zustimmung zur Aufhebung des Erbvertrags oder auf Zustimmung zu einer erneuten letztwilligen Verfügung zu verklagen. Nun ändert die gewillkürte Abstraktheit nichts daran, daß für die Verfehlung solcher Zwecke, deren sich die Zweckvereinbarung annimmt, immer noch die Anfechtung wegen Motivirrtums in Frage kommt, wenn ein rechtlich erheblicher Irrtum vorliegt. Anders gesagt: Die gewillkürte Abstraktheit der erbrechtlichen Bedenkung ändert nichts daran, daß hinsichtlich derjenigen Zwecke, die nunmehr abstrakt mit der Bedenkung verknüpft sind, daneben noch eine kausale Weise der Verknüpfung 273 274

Oben § 17 II 4. Dazu oben § 17 II 4 d.

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von Zweck und Zuwendung gegeben ist. Denn anders als im allgemeinen Vermögensrecht ist ja im gewillkürten Erbrechts jedes Motiv rechtlich relevante causa der Zuwendung. Durch ein Nebeneinander von Kondiktion und Anfechtung werden also keine neuen Möglichkeiten geschaffen, die erbvertragliche Zuwendung zurückzuholen. Auch rechtstechnisch wäre ein derartiges Nebeneinander einsichtig. Denn bereicherungsrechtlich ist eine Zweckvereinbarung erforderlich, während anfechtungsrechtlich auf das einseitige Motiv abgestellt wird. Bei Lichte betrachtet wird also nicht die gleiche causa mal kausal und mal abstrakt mit der Zuwendung verknüpft, sondern verschiedene causae. Schließlich sprechen auch die Interessen des endbedachten Dritten nicht gegen ein Nebeneinander von Kondiktion und Anfechtung. Denn die Anfechtung erweist sich für ihn als die weniger einschneidende Maßnahme, da er sich ja bei erklärter Anfechtung keinem Bereicherungsanspruch mehr ausgesetzt sieht. Warum sollte also den oder dem Ehegatten die Anfechtung verschlossen sein? Es bleibt mithin dabei, daß Anfechtung und Kondiktion nebeneinander möglich sind, wenn eine Zweckvereinbarung vorliegt. Ist dem so, wird bei einer erbvertraglichen Bedenkung eines Dritten, die davon motiviert ist, diesen zur Versorgung des Überlebenden zu veranlassen, regelmäßig eine implizite Zweckvereinbarung anzunehmen sein. 3. Das Erfordernis der Gegenleistung

Ein Bedenken gegen die Anwendung der Zweckverfehlungskondiktion auf den einer Versorgungsmotivation entspringenden Erbvertrag wurde bisher noch nicht angesprochen: Die herrschende Ansicht setzt bei der Zweckverfehlungskondiktion voraus, die der datio ob rem zugrundeliegende Willenseinigung müsse darauf gerichtet sein, daß der Empfänger die Leistung nur im Hinblick auf die von ihm erwartete Gegenleistung, also insbesondere nicht unentgeltlich, erhalte275. Neben dem Rekurs auf die ansonsten zu befürchtende zu starke Entfernung vom historischen Vorbild276 wird dieses Gegenleistungserfordernis auch deshalb gefordert277, weil ansonsten Wer275 Vgl. nur aus Sicht der subjektiven Rechtsgrundtheorie Reuter/Martinek, Bereicherungsrecht, § 5 III 1 c. Die objektive Rechtsgrundtheorie wird hier den „bezweckten Erfolg“ in der avisierten Gegenleistung erblicken, vgl. nur MünchKommLieb, § 812 Rn. 158, 163, 169; Larenz/Canaris, SchuldR II/2, § 68 I 3 a; Esser/ Weyers, SchuldR II, § 49 II; Söllner, AcP 163 (1963), 20 (31 ff.); v. Caemmerer, FS Rabel, 333 (346 f.); Kupisch, JZ 1985, 163 (169); Welker, Bereicherungsausgleich, 84 ff.; Köhler, Unmöglichkeit, 189. 276 So bsp. die Argumentation bei Reuter/Martinek, Bereicherungsrecht, § 5 III 1 c cc aE. 277 Kritisch zum Gegenseitigkeitserfordernis bsp. Liebs, JZ 1978, 697 (700 mit Fn. 63), auf der Basis seines die condictio ob rem weit ausdehnenden Bereiche-

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tungswidersprüche entstünden, da die Rechtsordnung nur bei Nichterfüllung synallagmatischer Verpflichtungen Rückforderungsansprüche allein an den Nichteintritt eines Erfolges knüpfe278. Hier könnte nun vorgetragen werden, der i. S. des § 812 I 2 Alt. 2 BGB „bezweckte Erfolg“ (das gewollte Verhalten des Endbedachten) könne nicht ohne weiteres als Gegenleistung für die Leistung (Zuwendung der Bindung) begriffen werden. Denn es erschiene lebensfremd, daß die avisierte „Gegenleistung“ des Dritten, sein erwartetes Verhalten also, allein aufgrund der „Zuwendung der Bindung“ erfolge. Vielmehr sei typischerweise davon auszugehen, daß das Verhalten des Dritten nicht mit der Bindung des Erblassers, sondern mit seiner durch die Bindung relativ gefestigten Bedenkung in einem Gegenseitigkeitskonnex steht – die Bedenkung selbst kann jedoch zu Lebzeiten des Erblassers nicht zugewendet werden. Es liegt auf der Hand, daß das für das allgemeine Vermögensrecht vorgetragene Argument, die Rechtsordnung knüpfe nur bei Nichterfüllung synallagmatischer Verpflichtungen Rückforderungsansprüche allein an den Nichteintritt eines Erfolges, in erbrechtlichen Kontexten nicht recht paßt, da erbrechtlich der Erblasser bereits beim Nichteintritt des von ihm mit der Verfügung angestrebten Verfügungszwecks die erbvertragliche Bedenkung aufgrund einer erklärten Anfechtung wegen Motivirrtums wieder entfallen lassen kann; nur kommt es eben aufgrund der kausalen Verknüpfung zwischen Zweck und Zuwendung nicht zu einer Rückforderung, sondern bei erklärter Anfechtung zum automatischen Zuwendungsverlust durch Wegfall der Bedenkung. Wie dem auch sei, selbst wenn das Gegenseitigkeitserfordernis für die condictio ob rem für erforderlich gehalten wird, schadet dies hier nicht. Denn nichts hindert daran, bereicherungsrechtlich von einem Gegenseitigkeitsverhältnis auszugehen279. Den endbedachten Dritten wird eben nicht allein primär die erbrechtliche Bedenkung als solche, sondern vor allem die bindende Bedenkung dazu motivieren, den überlebenden Teil zu versorgen. Dies reicht für einen bereicherungsrechtlich relevanten Gegenseitigkeitskonnex zwischen der erwarteten Versorgung des überlebenden Teils durch den Endbedachten und dessen erbvertragliche Bedenkung aus.

rungsrechtsverständnisses bei gleichzeitiger Beschneidung des Instituts des Wegfalls der Geschäftsgrundlage. 278 Siehe nur Larenz/Canaris, SchuldR II/2, § 68 I 3 a. 279 Es ist zu beachten, daß dieses Gegenseitigkeitsverhältnis nichts mit dem oben § 16 I 2, angesprochenen Synallagma zu tun hat.

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Kap. 7: Verpfründung und Veranlassung 4. Das kondiktionsrechtliche Sonderproblem: Die nachträgliche Zweckvereinbarung

a) Ein originärer Einsatzpunkt der Kondiktion neben der Anfechtung? Im allgemeinen Vertragsrecht kann die Vereinbarung des Zwecks eines Mittels (Verpflichtung, sachenrechtliche Verfügung oder tatsächlichen Leistung) diesem nachgeschoben werden280. Nun könnte man vorschlagen, auch in den erbrechtlichen Veranlassungsfällen eine nachträgliche Zweckvereinbarung mit der Folge zulassen, daß bei Zweckverfehlung die Kondiktion griffe. Ein derartige nachträgliche Zweckvereinbarung wäre durchaus praktisch. Als Beispiel: Die Ehegatten haben einen Erbvertrag nach dem Muster der Einheitslösung geschlossen und den Dritten dementsprechend als Schlußerben des Längstlebenden eingesetzt. Sie gingen dabei nicht davon aus, daß der Dritte nach dem ersten Todesfall den Überlebenden versorgen solle, weil sie an diesen Fall nicht dachten und es auch nicht für selbstständlich hielten, daß der Dritte sich des Überlebenden versorgungsweise annimmt. Einige Zeit nach Abschluß des Erbvertrages finden die Ehegatten (sei es durch eine Veränderung der wirtschaftlichen Begleitumstände, sei es durch eine Verschlechterung des Gesundheitszustands der Gatten), eine Versorgung des überlebenden Teils durch den Endbedachten sei wünschenswert. Sie einigen sich dementsprechend formlos darauf, daß der Dritte nunmehr die erbvertragliche Bedenkung allein deshalb erhalten soll, damit er den Überlebenden versorge. Dies wird dem Dritten mitgeteilt. Dieser sagt hierzu nichts. Der erste Todesfall tritt ein. Der Endbedachte versorgt den Überlebenden nicht. Kann hier dem Überlebenden die condictio ob rem gegeben werden? Der Vorteil einer derartigen condictio liegt auf der Hand: Bei solchen Motiven, die auf die erbrechtliche Verfügung selbst nicht motivierend gewirkt haben und die auch nicht im Rahmen „selbstverständlicher“ Vorstellungen relevant werden können – die somit (wie im Beispielsfall) anfechtungsrechtlich nicht erheblich sind –, würde die Zulässigkeit einer nachträglichen Zweckvereinbarung die Relevanz jedes Motivs, welches den Inhalt dieser Vereinbarung darstellen würde, über den Modus der Kondiktion zur Folge haben. Wäre mithin die nachträgliche Zweckvereinbarung zulässig, wäre ein originärer Einsatzpunkt für die condictio ob rem gegeben, der sie über die Anfechtung hinaus zu einem Mittel zur Lösung von der erbvertraglichen Bindung werden ließe.

280

Vgl. nur Kegel, FS Mann, 57 (64).

§ 18 Einzelfragen zur condictio ob rem

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b) Die Zulässigkeit einer nachträglichen Zweckvereinbarung Gegen die Zulässigkeit einer derartigen nachträglichen Zweckvereinbarung scheint zu sprechen, daß mit einer derartigen jederzeit auch formlos möglichen Vereinbarung über die der vergangenen Verfügung zugrundeliegenden Motivation das Irrtumsrecht vollständig ausgehebelt würde. Von einer derartigen Aushebelung kann jedoch keine Rede sein. Die erbrechlichen Anfechtungstatbestände rekurrieren auf einen Irrtum des von Todes wegen Verfügenden, während die der Kondiktion zugrundeliegende Zweckvereinbarung die Verfehlung gemeinsam verfolgter Zwecke focussieren. Für die kondiktionsrechtlich relevante Zweckverfehlung ist also mehr erforderlich als nur ein erbrechtlich relevanter Irrtum. Es muß eine Willensübereinstimmung zwischen mehreren Personen hinzukommen. Für ein personfunktional verstandenes Erbrecht ist dieses Mehr so essentiell, daß ein Untergraben der erbrechtlichen Anfechtungstatbestände nicht in Frage kommt. Denn der Sinn und Zweck der erbrechtlichen Anfechtungstatbeständen liegt darin, ihrerseits den Sinn und Zweck der Testierfreiheit zu sichern, das personale Selbst des von Todes wegen Verfügenden mit Blick eben auf seinen Tod auszuprägen281. Die Wertungen erbrechtlicher Anfechtung und die Wertungen erbrechtlicher Personfunktionalität sind daher intern miteinander verschaltet. Nun müssen bei einer nachträglichen bereicherungsrechtlichen Zweckvereinbarung neben dem Erblasser noch andere Personen in quasikontraktueller Weise zusammenwirken, damit die Vereinbarung überhaupt zustande kommt. Bei der Zweckvereinbarung kann daher die – die Anfechtung tragende – Entfaltung des personalen Selbst des Erblassers nicht im Vordergrund stehen; vielmehr ruht die Zweckvereinbarung auf der QuasiKontraktualität ihrerselbst. Es liegt damit auf der Hand, daß die Wertungen, auf denen die Anfechtung fußt, von der nachträglichen Zweckvereinbarung nicht betroffen sein können. Damit scheidet notgedrungenermaßen ein Wertungswiderspruch zwischer der Zulässigkeit einer nachträglichen Zweckvereinbarung und dem erbrechtlichen Anfechtungsrecht aus. Es bleiben die von der Nachträglichkeit der Zweckvereinbarung berührten Interessen. Soweit die Interessen des Endbedachten in Rede stehen, bürgt dessen erforderliche Zustimmung282 dafür, daß die Nachträglichkeit der Vereinbarung seine Schutzinteressen nicht berührt. Dies gilt auch für den Fall, daß der Dritte von der nachträglichen Zweckvereinbarung Kenntnis erhält und ihr nicht widerspricht283. Wegen des Liberalitätscharakters der erbrechtlichen Zuwendung kann hier erwartet werden, daß er der nachträglichen Zweckvereinbarung widerspricht, wenn sie seinen Erwartungen 281 282 283

Dazu siehe Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 11 II 2 c. Dazu oben § 17 II 4. Siehe zu diesem Fall oben § 17 II 4 d.

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zuwiederläuft. Es kann auch nicht vorgetragen werden, eine nachträgliche Zweckvereinbarung stelle eine die Interessen des Endbedachten beeinträchtigende Verfügung von Todes wegen dar, welche ausweislich § 2289 I 2 BGB unwirksam sei. Der Zweckvereinbarung kommt ja kein erbvertraglicher Charakter zu284 und der beim Erbvertrag in § 2289 I 2 BGB implementierte Schutz des Endbedachten wird bei der nachträglichen Zweckvereinbarung dadurch realisiert, daß er der Vereinbarung zustimmen muß oder seine Zustimmung angenommen werden darf, damit sie kondiktionsrechtlich relevant wird. Darüberhinaus werden wegen des quasi-vertraglichen Charakters der Zweckvereinbarung auch die Interessen des Ehegatten gewahrt, wenn dieser Partei des Erbvertrages ist. Schließlich und endlich würde eine nachträgliche Zweckvereinbarung im Erbvertragsrecht auch kein ausgefeiltes Programm der Bewältigung von Zweckstörungen aushebeln, wie dies zum allgemeinen Schuldrecht befürchtet werden könnte285. Das letzte Argument, welches gegen eine nachträgliche Zweckvereinbarung ins Feld geführt werden könnte, wäre nach all dem der Einwand, diese würde Drittinteressen – vor allem solche des Rechtsverkehrs – unvertretbar aufstören. Doch auch dieses Argument verfängt nicht. Denn Drittinteressen könnten allenfalls dann negativ berührt sein, wenn durch eine nachträgliche Zweckvereinbarung ein nicht hinnehmbares Maß an Rechtsunsicherheit in der sachenrechtlichen Zuständigkeitsordnung eintreten würde. Dies ist jedoch nicht der Fall, da das Maß an zu vergegenwärtigender Rechtsunsicherheit nicht höher sein dürfte als dasjenige, was für den Bereich der Anfechtung als hinnehmbar erachtet wird. c) Ergebnis Als Ergebnis kann notiert werden: Wie im allgemeinen Vermögensrecht ist auch im Bereich des Erbvertrags eine nachträgliche Zweckvereinbarung zulässig. Damit ist der condictio ob rem ein originäres Anwendungsfeld in einem Bereich erschlossen, der der Anfechtung nicht offen steht. Freilich wird die condictio dennoch nicht immer praktisch werden, da ein gut beratener Endbedachte einer gegen ihn wirkenden nachträglichen Zweckvereinbarung oftmals mit der Folge widersprechen wird, daß sie kondiktionsrechtlich nicht relevant wird – womit ein Bereicherungsanspruch ausfallen wird.

284 285

Dazu oben § 18 I 1. Dazu oben § 17 II 2 b.

§ 18 Einzelfragen zur condictio ob rem

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II. Weitere Einzelfragen zum Tatbestand der Kondiktion 1. Die bereicherungsrechtlich relevante Leistung

Bisher wurde noch nicht eingehend untersucht, worin die bereicherungsrechtlich relevante Leistung an den Endbedachten bestehen soll. Im Gefolge des modernen Kondiktionsverständnisses286 kleidet die herrschende Meinung die bereicherungsrechtlich relevanten Wertungen und Zurechnungsmomente in eine mit einem finalen, einem kognitiven und einem volitiven Element chiffrierte hochabstrakte Begrifflichkeit. Danach wird die kondiktionsspezifische Leistung als jede auf eine bewußte und zweckgerichtete Vermögensmehrung (genauer: Vorteilsvermehrung)287 gerichtete Zuwendung288 beschrieben, die Leistung damit als Einheit von Zuwendung und Zweckbestimmung verstanden289. Mit dieser Begrifflichkeit sind gewisse Schwierigkeiten verbunden, da die Anforderungen an die Merkmale „bewußt“ und „zweckgerichtet“ durchaus nicht unumstritten sind. Denn hochkomplexe Problemkreise lassen sich nun einmal nicht mit einer niedrigkomplexen Begrifflichkeit bewältigen. Der Leistungsbegriff muß deshalb zwangsläufig mit Zusatzkriterien angereichert werden, damit sich die Komplexitätsniveaus von Problem und Norm angleichen. Ob damit gleich der Leistungsbegriff abgelöst werden muß290, kann hier dahingestellt bleiben. Denn vor dem Hintergrund eines normativierten Verständnisses von Privatautonomie lösen sich die innerhalb der Bereicherungsrechtsdogmatik ausgetragenen Kontroversen um die Leistungsfähigkeit des modernen Leistungsbegriffs oftmals auf. Wer – wie bsp. Weitnauer und Ehmann – die Zweckbestimmung der Leistung auf den faktischen Willen des Leistenden 286

Zur von Wilburg, von Caemmerer und Kötter ins Werk gesetzten Trennungslehre vgl. nur Reuter/Martinek, Bereicherungsrecht, § 2 II; AK-Joerges, vor §§ 812 ff. Rn. 15 ff. 287 Vermögensmehrung ist hier untechnisch zu verstehen und verweist nur auf den erlangten Vorteil, siehe etwa Hassold, Leistung, 5; Köhler, AcP 190 (1990), 496 (532). 288 In BGHZ 58, 184 (188) als nunmehr gefestigte Rspr bezeichnet; aus dem Schriftum vgl. nur die wegweisenden Ansätze bei Kötter, AcP 153 (1954), 193 ff.; v. Caemmerer, FS Rabel, 333 (350 f.); Westermann, Causa, 180 ff.; Vgl. im übrigen zum Stand der Diskussion nur Staud-Lorenz, § 812 Rn. 4 ff.; Erman-H. P. Westermann, § 812 Rn. 11 ff.; RGRK-Heimann-Trosien, § 812 Rn. 15 ff.; Soergel-Mühl, § 812 Rn. 3; Esser/Weyers, SchuldR II, § 48 II; Reuter/Martinek, Bereicherungsrecht, § 4 II 1; Koppenstein/Kramer, Bereicherungsrecht, § 4 I; Köndgen, in: Dogmatik und Methode, 55 (65 ff.). A.A. mit Abkehr vom herrschenden Leistungsbegriff mit Verzicht sowohl auf das Element der „bewußten“ als auch der zweckgerichteten Vorteilsmehrung bsp. Welker, Bereicherungsausgleich, 26, 49 ff. 289 So die Charakterisierung bei Hassold, Leistung, 5. 290 Bsp. durch eine sog. „Normative als-ob-Betrachtung“ durch Kupisch, Gesetzespositivismus, passim; ders., JZ 1985, 101 ff., 163 ff.

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zurückführt291 und zugleich einer Anreicherung der Zweckkategorie mit Elementen normativer Zurechnung nichts abgewinnen kann292, steht der Problembewältigungskapazität des Leistungsbegriffs positiver gegenüber. Und wer – bsp. wie Canaris – in Dreiecksverhältnissen auf Kriterien der Risikoverteilung und der Zurechnung anhand der Figur des „kondiktionsauslösenden Mangels“ zurückgreift und weniger von Leistung spricht293, verabschiedet sich nicht vom Leistungsbegriff, sondern beschränkt ihn nur vornehmlich auf Zweipersonenverhältnisse294 und sucht ansonsten die Hilfe in objektiven Zurechnungskriterien oder rekurriert auf das Prinzip der Selbstverantwortung295. Diese Überlegungen können hier jedoch auf sich beruhen, da sie vor allem Probleme der bereicherungsrechtlichen Leistung im Dreieck traktieren, die im Rahmen des entgeltlichen Erbvertrages erkennbar nicht relevant sind. Wichtiger ist die Frage, ob eine Leistung hier nicht deswegen ausscheiden muß, weil der Vorteil, den der Dritte durch seine erbvertraglich Bedenkung erhält, ihm nicht geleistet, sondern ihm von Gesetzes wegen (§ 2289 I 2 BGB) verschafft sein könnte. Nun wird gemeinhin der Regelung des § 2289 I 2 BGB keine konstitutive, sondern eher eine deklaratorische Bedeutung zugemissen. Überwiegend296 wird versucht, die Bindung des Erbvertragserblassers an seine Anordnungen für den Todesfall aus der Rechtsnatur des Erbvertrags selbst – aus der bindenden Kraft der Erklärung selbst – und nicht erst aus § 2289 I 2 BGB zu ermitteln297. Doch selbst wenn dies anders wäre, würde dies einer bereicherungsrechtlichen Leistung nicht entgegenstehen. Denn es schadet generell nicht, daß sich die Vorteilserlangung nicht in rechtsgeschäftlichen Formen vollzieht, sondern vom Gesetz als zwingende Rechtsfolge vorgesehen ist298, solange die Erlangung des Vorteils bewußt und zweckgerichtet herbeigeführt worden ist. Genau so ist es aber bei der um der Versorgung des überlebenden Teils willen erfolg291

Vgl. nur Weitnauer, FS v. Caemmerer, 255 (264); Ehmann, Gesamtschuld, 140 f.; Schnauder, Grundfragen, 82 ff. 292 Vgl. die Gegenüberstellung von Zweck und Zurechnung bei Weitnauer, FS v. Caemmerer, 255 (260); ders., NJW 1974, 1729 (1730); ders., in: Ungerechtfertigte Bereicherung, 25 (43); vgl. auch Ehmann, Gesamtschuld, 192, der auf den Wert eines utilitaristischen Denkens insistiert. 293 Larenz/Canaris, SchuldR II/2, § 70 VI 3; ders., FS Larenz, 799 ff. 294 Vgl. auch Canaris, WM 1980, 354 (370). 295 Im übrigen nicht verwunderlich, wenn der streng willensbezogene Ansatz von Canaris allgemein im Privatrecht bedacht wird. 296 Anderer Ansicht ist mit Rücksicht auf § 2302 BGB Dietmar Nolting, Änderungsvorbehalt, 72 ff.: § 2289 I 2 BGB komme eine konstitutive Bedeutung zu. 297 Siehe BGHZ 26, 204 (208); OLG Köln, NJW-RR 1994, 651 (652); MünchKomm-Musielak, § 2289 Rn. 2. 298 Siehe nur Reuter/Martinek, Bereicherungsrecht, § 4 II 1 b.

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ten erbvertraglichen Bedenkung des Dritten: Die Ehegatten werden wissen, daß sie sich rechtlich bei dem Abschluß eines Erbvertrages binden und zu Lebzeiten nicht mehr einseitig so von Todes wegen verfügen können, daß der Dritte beeinträchtigt wird. Und sie werden dies auch wollen, da ihnen bewußt sein wird, daß der Dritte dann in einem hohem Maße zur Versorgung motiviert sein wird, da er andernfalls das Risiko eingeht, seiner Bedenkung verlustig zu gehen. Damit liegen die Merkmale des bereicherungsrechtlichen Leistungsbegriffs vor: Die Leistung liegt in der bewußten und auf die Motivation zur Versorgung ausgerichteten Zuwendung der erbvertraglichen Anwartschaft an den Dritten, also in der Zuwendung „der erbvertraglich bindenden Bedenkung“. 2. Der Wegfall der causa bei der condictio ob rem des § 812 I 2 Alt. 2 BGB

Bisher wurde ebenfalls noch nicht deutlich angesprochen, wann die causa im Sinne der Zweckverfehlungskondiktion mit der Folge weggefallen ist, daß der Vertragserblasser kondizieren kann. Wenn die Eingangsfrage ins Gedächtnis zurückgerufen wird299, sollte geprüft werden, ob die condictio ob rem dem überlebenden Teil einen Weg eröffnet, für den Fall der Schlechterfüllung, des Verzugs oder der Nichterfüllung der schuldrechtlichen Versorgungszusage oder der erwarteten Versorgung, zu der der Vertragserbe durch die Bedenkung veranlaßt werden sollte, seine Testierfreiheit wieder zurückzugewinnen. Die relevante Frage lautet also: Ist die causa in den besagten Fällen der Schlechterfüllung, des Verzugs oder der Nichterfüllung entfallen? Und wann genau ist dies jeweils der Fall? a) Problemskizze Die Schwierigkeiten, die bei der Beantwortung dieser Fragen auftreten, liegen darin, daß der bezweckte Erfolg in einem dauerhaften Handeln des Endbedachten (nämlich: der Versorgung des Überlebenden) besteht. Wenn bei solchen zeitlich gestreckten Vorgängen einzelne Leistungskomponenten einmal nicht, schlecht oder verzögert erbracht worden sind, ist es schwierig zu entscheiden, ob der angestrebte Zweck entfallen ist oder nicht. Bei der condictio ob rem wird durch die Zweckvereinbarung die Versorgung mit der bindenden Bedenkung des Vertragserben zwar mangels der Erzwingbarkeit einer erbvertraglichen Bedenkung (§ 2302 BGB) nicht in ein Synallagma im rechtlichen Sinne, wohl aber in eine Art faktisches Gegenseitigkeitsverhältnis gebracht300. In der Literatur wird deshalb die condictio ob 299 300

Dazu oben § 16 II 1, 3. Dazu oben § 18 I 3.

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rem mit ihrem materiellen Gehalt durchaus als Parallelvorschrift zu den § 323 III, 325 I 3 BGB a. F. verstanden301; nach der Schuldrechtsreform wäre funktional trotz des nunmehrigen Verweises auf das Rücktrittsrecht § 326 IV BGB einschlägig. Folgt hieraus, daß eine einmalige bloße Nicht-, Schlecht- oder verzögerliche Leistung die causa der Zweckverfehlungskondiktion nicht wegfallen läßt? Und wie ist die Rechtslage, wenn die Versorgung des Überlebenden ausbedungen wurde, so daß damit grundsätzlich die besonderen Regelungen des Arbeitsrechts eingreifen, nach denen eine verzögert erbrachte, aber für eine festbestimmten Zeitpunkt oder für einen derartigen Zeitraum geschuldete Arbeitsleistung grundsätzlich als unmöglich angesehen wird? Fällt die causa der datio ob rem schon bei einer derartigen Teilunmöglichkeit weg? Und greift nicht bei einer ausbedungenen Versorgung auf der schuldrechtlichen Ebene des auf die Versorgung gerichteten Arbeits- oder Dienstvertrages die Kündigung gem. §§ 620 ff. BGB, so daß – da die Versorgung zumeist auf Lebenszeit des Erblassers zugesagt wurde – eine ordentliche Kündigung des schuldrechtlichen Vertrages nach § 620 II, §§ 621 f. BGB nicht in Betracht kommt? Der Erblasser wäre dann auf die Kündigung aus wichtigem Grunde gem. § 626 I BGB mit der Folge verwiesen, daß erst die beharrliche Weigerung, die Versorgung gehörig oder überhaupt fortzuführen zu einer Kündigung des Versorgungsvertrages führen könnte302. Ist dem so, entfällt nicht auch erst dann die causa der datio ob rem, wenn der vertragsmäßig Endbedachte sich beharrlich und ernsthaft weigert, den überlebenden Teil wie ausbedungen zu versorgen? Anders gesagt: Muß nicht um der Vermeidung von Wertungswidersprüchen willen die Entscheidung, ob der bezweckte Erfolg bereicherungsrechtlich entfallen ist, nicht parallel dazu entschieden werden, ob die Versorgungszusage weiterhin besteht oder wegen Kündigung (bei einer Versorgung durch Arbeitsleistung) oder Verzug oder Unmöglichkeit (bei einer Versorgung durch Leistung von Sachgütern) ins Leere gegangen ist? Richtigerweise entscheiden sich diese Fragen allein nach dem Inhalt der Zweckvereinbarung, da ja nur diese die erbrechtliche Bedenkung und die Versorgung rechtlich verknüpft. Mehrere Fälle müssen unterschieden werden: b) Fall 1: Versorgung qua Versorgungszusage Geht die Zweckvereinbarung rigide davon aus, der vertragsmäßig Endbedachte möge ohne jede Schlechtleistung oder verzögerliche Leistung den 301 So etwa zu §§ 323 III, 325 I 3 BGB a. F. bei Larenz/Canaris, SchuldR II/2, § 68 I 3 a; Reuter/Martinek, Bereicherungsrecht, § 5 III 1 b; Hausmann, Nichteheliche Lebensgemeinschaften, 462; Kupisch, JZ 1985, 163 (169); ähnlich schon v. Caemmerer, FS Rabel, 333 (346 f.). 302 Dazu oben § 16 II 2 c.

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Überlebenden versorgen, läßt jede Schlechtleistung und jede verzögerliche Leistung diesen Zweck entfallen; der Weg zur Kondiktion wäre geöffnet. In den weitaus meisten Fällen wird eine derartig rigide Vereinbarung nicht ausbedungen sein. Dann gilt es zu unterscheiden: Liegt eine Versorgungszusage vor, entspricht es dem mutmaßlichen Willen der Erbvertragsparteien, zumindest implizit eine Zweckvereinbarung zu schließen. Diese Zweckvereinbarung wird mangels anderer Anhaltspunkte die Versorgungspflichten des Vertragserben nicht enger, aber auch nicht weiter ziehen als die Versorgungszusage selbst. Ist dem so, wird auch die Frage, ob die causa der datio ob rem weggefallen ist, so zu entscheiden sein, als ob die Versorgung und die Bedenkung von Todes wegen synallagmatisch i. S. der §§ 320 ff. BGB verknüpft wären. Man kommt also gewissermaßen zu einer „normativen Als-Ob-Betrachtung“ hinsichtlich des synallagmatischen Verhältnisses zwischen der Versorgungszusage und der erbrechtlichen Bedenkung303. Besteht die geschuldete Versorgung in der Leistung von Diensten, ist die causa der datio ob rem mithin erst dann entfallen, wenn die Voraussetzungen der Kündigung aus wichtigem Grunde gem. § 626 I BGB vorliegen304, wenn sich also der vertragsmäßig Endbedachte ohne Grund beharrlich und ernsthaft weigert, den überlebenden Teil der Zusage entsprechend zu versorgen. Besteht die Versorgung in der fortlaufenden Gewährung von Sachgütern, ist die causa bei verzögerlicher Leistung dann entfallen, wenn sich der überlebende Teil von dem Dauerlieferungsvertrag aufgrund einer Kündigung aus wichtigem Grunde nach § 314 I BGB lösen könnte; diese Kündigung ersetzt ja bei Dauerschuldverhältnissen die Totalrechte aus § 323 BGB305. Besteht die Versorgung schließlich in der Gewährung einer Leibrente nach § 759 BGB, ist die Versorgungszusage schon erfüllt, wenn das Rentenstammrecht bestellt ist306. Ein Verzug mit der Zahlung einzelner Rentenraten oder die Nichtleistung derartiger Raten gibt deshalb richtigerweise keine Rechte aus den §§ 323, 326 BGB307; vielmehr greifen die §§ 281 I 2, 283 S. 2 BGB. Die causa der datio ob rem ist daher dann entfallen, wenn

303 Wobei eine „Als-Ob-Betrachtung“ selbstverständlich gerade nicht davon ausgeht, rechtlich läge zwischen der Versorgungszusage und der erbvertraglichen Bedenkung tatsächlich ein synallagmatisches Verhältnis vor. 304 Dazu oben § 16 II 2 c. 305 Dazu nur Regierungsentwurf, BT-Drs. 14/6040, S. 177; Huber/Faust-Huber, Schuldrechtsmodernisierung, Kap. 9 Rn. 17. Zu den §§ 325 f. BGB a. F. nur Palandt-Heinrichs, § 276 Rn., Einf. v. § 305 Rn. 34. 306 Siehe zur Leibrente unten § 27 I. 307 Siehe für §§ 325 f. BGB a. F. BGH, NJW-RR 1991, 1035; RGZ 106, 93 (95 ff.); OLG Hamburg, MDR 1964, 414; Anders aber OLG Celle, NJW-RR 1990, 1490 (1491); MünchKomm-Pecher, § 759 Rn. 24; Anwendung der Grundsätze über Dauerschuldverhältnisse bei Staud-Amann, Vorbem. §§ 759 ff. Rn. 27. Gegen das OLG Celle der BGH ebda.

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nach Mahnung des Rentenverpflichteten die weitere Ratenzahlung für den Überlebenden kein Interesse mehr hat. Ob ein Interessenwegfall oder ein wichtiger Grund vorliegt, wird großzügig zu entscheiden sein. Denn der Liberalitätscharakter der Zuwendung bleibt ja rechtlich (wenngleich nicht wirtschaftlich) weiterhin trotz eines faktischen Gegenseitigkeitsverhältnisses zwischen der Versorgung und der Bedenkung von Todes wegen erhalten. Und ein weitergehender Schutz des Endbedachten ist nicht veranlaßt, da dieser Partei der Zweckvereinbarung ist. Nach all dem gilt also: Ein Wegfall der causa der datio ob rem ist im Fall, daß eine Versorgungszusage des endbedachten Dritten vorliegt, gegeben, wenn (bei einer Versorgung, die in der Leistung von Diensten oder die in der fortlaufenden Gewährung von Sachleistungen besteht) die Voraussetzungen einer Kündigung aus wichtigem Grund vorliegen oder wenn (bei einer Versorgung durch Gewährung einer Leibrente) das Interesse an der weiteren Rentenzahlung weggefallen ist. Hierbei ist jeweils ein großzügiger Maßstab anzulegen.

c) Fall 2: Versorgung aufgrund Veranlassung Liegt keine Versorgungszusage des Dritten vor, sondern sollte dieser durch die vertragsmäßige Bedenkung zur Versorgung veranlaßt werden, ist die causa der datio ob rem entfallen, wenn die Erblassermotivation enttäuscht ist. Dies wiederum hängt selbstredend von der Art der Motivation ab. Ist diese nur nebelhaft darauf gerichtet, der Dritte würde dem Überlebenden irgendetwas zur Versorgung zuwenden, ist der Rechtsgrund erst entfallen, wenn klar ist, daß selbst das erwartete Mindestmaß an Versorgung nicht mehr geleistet werden wird. Oftmals wird der Erblasser oder werden die Ehegatten aber konkretere Versorgungsbeiträge des Dritten erwartet haben. Hier ist die Entscheidung, wann diese Erwartung entgültig enttäuscht wird, einfacher zu treffen als bei einer sehr unkonturierten Erwartung. Sind regelmäßige Versorgungsleistungen erwartet worden, wird das Ausbleiben, das verzögerliche oder schlechte Erbringen einer oder mehrerer Leistungen zur Erwartungsenttäuschung führen, falls die weitere Leistung für den überlebenden Teil nicht mehr von Interesse ist. Dies wird vor allem dann der Fall sein, wenn er seine Testierfreiheit wiedergewinnen will, um eine andere Person als den bisher Endbedachten zur weiteren Versorgung zu motivieren, weil er das Vertrauen gegenüber dem bisher Endbedachten verloren hat, dieser würde ihn auch künftig gehörig versorgen. Auch hier wieder dürfen wegen des rechtlichen Liberalitätscharakters der vertraglichen Bedenkung nicht zu starke Anforderungen an den Interessenwegfall gestellt werden. Im übrigen dürften die Schwierigkeiten bei der Entscheidung über den Fortfall des Rechtsgrundes nicht größer sein als bei der Prüfung, ob ein

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zur Anfechtung berechtigender erheblicher Motivirrtum gegeben ist. Hier wie dort kommt es darauf an, möglicherweise sehr unkonkret gebliebene Motive ins rechte Verhältnis zu konkret auftretenden Sachverhaltsgestaltungen zu setzen, um zu untersuchen, ob das Motiv im jeweiligen Fall tatsächlich enttäuscht worden ist. III. Fragen der Rechtsfolgen der condictio ob rem 1. Was wird vom endbedachten Dritten verlangt?

a) Einführung in die Problematik Als Rechtsfolge der condictio auf rem kann der Überlebenden vom endbedachten Vertragserben verlangen308, daß dieser – wenn allein er und der Überlebende Parteien des Erbvertrages sind – in die Aufhebung des Erbvertrags einwilligt oder daß er – in den anderen Fällen – in die ihn beeinträchtigende erneute Verfügung von Todes wegen des überlebenden Ehegatten zustimmt; diese Zustimmung soll die Unwirksamkeitsfolge des § 2289 I 2 BGB entfallen lassen. Letzterem kann eine gewisse Evidenz nicht abgesprochen werden; die werbende Kraft der alten, auch im Kontext des § 2289 I 2 BGB bemühten309 Parömie „volenti non fit iniuria“ tut ihr übriges. Dennoch ist es nicht ohne weiteres klar, daß die Zustimmung zu einer neuen Verfügung von Todes wegen die Unwirksamkeitsfolge des § 2289 I 2 BGB außer Kraft setzt310. Schon die rechte Form, in der die Zustimmung erklärt werden muß, ist nicht leicht zu ermitteln. Nur vereinzelt wird zumindest bis zum Tode des Vertragserblassers für eine formlose Zustimmung plädiert, während nach dessem Tode die für die Ausschlagung geltenden Bestimmungen analog angewendet werden sollen311. Vielmehr entspricht es herrschender Ansicht, die Zustimmung einer notariellen Form zu unterwerfen; im weiteren wird je nach Fallgestaltung ein notarieller Aufhebungsvertrag gem. § 2290 BGB, eine notariell beurkundete einseitige Zustimmung des Bedachten analog § 2291 II BGB, ein notarieller Zuwendungsverzichtsvertrag gem. §§ 2352 S.2, 2348 BGB oder Kombinationen dieser Formen für erforderlich erachtet312. 308

Oben § 16 II 2 d. So bsp. von Brox, Erbrecht, Rn. 162. 310 Hierzu sein nur auf die überzeugenden Ausführungen von Stumpf, FamRZ 1990, 1057 ff., verwiesen. 311 RGZ 148, 325 (327); Brox, Erbrecht, Rn. 162. Siebert, FS Hedemann, 237 (261 ff.), verlangt bis zum Todes des Vertragserblassers für die Zustimmungserklärung die Form der Ausschagung, nach dem Tode zudem auch die Einhaltung der Ausschlagungsfrist. Wie Siebert ebenso Soergel-Manfred Wolf, § 2289 Rn. 14, falls der erbvertraglich Bedachte nicht zugleich Partei des Erbvertrages ist. 309

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Doch nicht nur die rechte Form der Zustimmung, auch ihre Zulässigkeit überhaupt liegt nicht ohne weiteres auf der Hand. Cornelia Stumpf313 hat zu Recht darauf hingewiesen, daß eine Zustimmung nach § 182 BGB eine schwebend unwirksame Willenserklärung (wie die erneute Verfügung von Todes wegen des Überlebenden) nur dann wirksam machen kann, wenn dies eine besondere gesetzliche Ermächtigung so vorsieht; ansonsten wären die zahlreichen gesetzlichen Zustimmungsermächtigungen weitgehend funktionslos. Gesetzliche Unwirksamkeitsanordnungen enthalten mithin grundsätzlich zwingendes Recht. Eine Zustimmung geht also in der Regel ins Leere, wenn nicht anderes gesetzlich vorgesehen ist. Aus der gesetzlichen Vorschrift, welche die Unwirksamkeitsfolge anordnet – hier: aus § 2289 I 2 BGB –, müßte sich somit ergeben, daß eine nachträgliche Zustimmung die Unwirksamkeit der vor der Zustimmung errichteten Verfügung hindert. Bedenken hieran könnten sich aus der Überlegung ergeben, daß wegen der erbvertraglichen Bindungswirkung die Aufhebungstatbestände der §§ 2290 ff. BGB für die Parteien des Erbvertrages und die Regelungen über den Erbverzicht (hier: § 2302 S. 2 BGB) für den vertragsmäßig Bedachten, der nicht Partei des Erbvertrages ist, abschließend die Möglichkeiten regeln, in der die bindende Wirkung des Erbvertrags qua Zustimmung aus der Welt geschafft werden kann314. Bei Lichte betrachtet können die Vorschriften über die Aufhebung des Erbvertrags und über den Erbverzicht jedoch nur soweit die Art und Weise regeln, in der eine Lösung des Erbvertragserblassers von der vertraglichen Bindung in Betracht kommt, wie diese Bindung eben reicht315. Vor diesem Hintergrund hat Stumpf316 vorgeschlagen, die Frage, welches der rechte Zustimmungsmodus ist, von der Interessenlage und Auslegung der Verfügung her zu beantworten. Es soll deshalb je nach Auslegung des Erbvertrages (i) die einseitige Zustimmung des Bedachten, des Vertragspartners oder beider, (ii) ein Aufhebungsvertrag mit dem Vertragspartner und ein Zuwendungsverzichtsvertrag mit dem nicht in den Erbvertrag einbezogenen Endbedach312 Vgl. zum Problem nur BGHZ 108, 252 ff.; OLG Köln, NJW-RR 1994, 651; OLG Hamm, NJW 1974, 1774 (1775); Staud-Kanzleiter, § 2289 Rn. 19; MünchKomm-Musielak, § 2289 Rn. 18; Dittmann/Reimann/Bengel-Bengel, § 2289 Rn. 24; Jauernig-Stürner, § 2289 Anm. 2b; Lange/Kuchinke, § 25 VI 3; Kipp/Coing, § 37 III 6; v. Lübtow I, 422; Ebenroth, Rn. 257; Schlüter, Rn. 277. 313 Stumpf, FamRZ 1990, 1057, mit Bezug auf MünchKomm-Thiele, vor § 182 Rn. 12. 314 Einen abschließenden Charakter der §§ 2290 ff. nimmt BayObLGZ 1974, 401 (404 m. w. Nachw.) an, während Staud-Ferid/Cieslar, 12. Aufl., Einl. zu §§ 2346 ff., Rn. 41, den numerus clausus der Verzichtsarten betonen; vgl. auch Staud-Schotten, 13. Bearb., Einl. zu §§ 2346 Rn. 18. 315 Ähnlich Stumpf, FamRZ 1990, 1057 (1058). 316 Stumpf, FamRZ 1990, 1057 (1058 f.).

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ten, (iii) ein Aufhebungsvertrag mit dem Vertragspartner und eine einseitige Zustimmung des Bedachten und schließlich (iv) ein Zuwendungsverzichtsvertrag mit einseitiger Zustimmung des Vertragspartners gegeben sein. Ob dies überzeugt, ist noch zu klären. Einstweilen bleibt festzuhalten, daß vor der Klärung der Frage, in welcher Form die Zustimmung des erbvertraglich Bedachten zu erklären ist, zu entscheiden ist, ob die Zustimmung überhaupt zulässig ist und in welcher Art und Weise sie erklärt werden kann317. Auch im Rahmen der bereicherungsrechtlich erforderlichen Zustimmung des Endbedachten erübrigt sich dieses Problem nicht, da der Bereicherungsanspruch ja nicht auf etwas gehen kann, was gesetzlich nicht zulässig ist. b) Die Art und Weise der Zustimmung Soweit es um die Art und Weise der Zustimmung geht, ist zu unterscheiden. Wenn der endbedachte Dritte nicht Partei des Erbvertrages ist, stellt sich die Frage, ob sich die kondiktionelle Verpflichtung des Endbedachten darauf richtet, eine Willenserklärung zum Abschluß eines Zuwendungsverzichtsvertrags nach den §§ 2352, 2348 BGB abzugeben, wie dies die h. M.318 für die Normalfälle einer Zustimmung des nicht in den Vertrag eingebundenen Endbedachten annimmt. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Es gibt keinen allgemeinen Grundsatz, daß der Verzicht auf ein Recht vertraglich erklärt werden muß319. Für die gesetzliche Anordnung der vertraglichen Form eines Verzichts gibt es immer gute Gründe. Beim Erbverzicht werden als Gründe zumeist genannt, dem Erblasser solle eine sachgerechte Mitentscheidungsbefugnis zugebilligt werden, zudem seien die Beteiligten vor einer Übereilung zu bewahren, schließlich unterscheide der vertragliche Charakter des Erbverzichts diesen von der bloß einseitigen, widerruflichen Enterbung und rechtfertige damit die Funktionalität dieses Rechtsinstituts320. Im Fall der Kondiktion greifen diese Gründe jedoch nicht: Übereilungsschutz ist Aufgabe der gesetzlichen Form, nicht des vertraglichen Zustimmungsmodus321; eine Mitentscheidung des Erblassers ist schon dadurch ge317

So auch Stumpf, FamRZ 1990, 1057 (1059). Vgl. nur Kipp/Coing, § 38 III 6; MünchKomm-Musielak, § 2289 Rn. 18; Palandt-Edenhofer, § 2289 Rn. 5; Ebenroth, Rn. 256. 319 Man denke nur an die Ausschlagung der Erbschaft (§§ 1944 ff. BGB) oder eines Vermächtnisses (§ 2180 II BGB) und die sachenrechtlichen einseitigen Aufhebungen des Eigentums (§ 959 BGB), des Nießbrauchs (§ 1064 BGB) oder eines Pfandrechts (§ 1255 BGB). 320 Staud-Schotten, 13. Bearb., Einl. zu §§ 2346 ff. Rn. 16; Staud-Ferid/Cieslar, Einl. zu §§ 2346 ff. Rn. 17. 321 Stumpf, FamRZ 1990, 1057 (1059). 318

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währleistet, daß er den Bereicherungsanspruch ja nicht geltend machen muß; der Verweis auf die Vertragskategorie gibt bei Ansprüchen des Überlebenden keinen rechten Sinn und soweit es um die Bindung des Verzichtenden geht, wird diese nach Erlaß der ihn beeinträchtigenden zweiten Verfügung von Todes wegen durch § 183 BGB gesichert322. Soweit schließlich im Kontext des erbrechtlichen Typenzwangs auf einen numerus clausus der Erbverzichtsarten mit der Folge der zwingenden Natur der Normen über den Erbverzicht insistiert werden sollte323, so daß auch bei der condictio die Zustimmung des Dritten im Modus des Erbverzichts zu erfolgen habe, wäre dies eine allenfalls zirkuläre Begründung: Es ist doch gerade die Frage, ob bei der condictio nicht ein besonderer Typus des Zuwendungsverzichts einschlägig ist – hier wie auch sonst324 unterschlägt das Argument, ein Rechtsinstitut regele einen Lebenssachverhalt abschließend, die Wertung, warum dies so sein soll. Nun wurde gerade gezeigt, daß die Argumente, die ansonsten für eine vertragliche Art und Weise des Erbverzichts sprechen, bei der Kondiktion nicht greifen. Hieraus kann nur der Schluß gezogen werden, daß hinsichtlich der condictio die Wertung eben nicht überzeugt, das Rechtsinstitut des Erbverzichts regele die Art und Weise der Zustimmung des vertragsgemäß Bedachten in den Verlust seiner Bedenkung abschließend. Die condictio ob rem des Ehegatten ist nach all dem auf eine einseitige Zustimmung des Endbedachten in die Beeinträchtigung seiner aus den bindenden Verfügungsformen fließende Rechtsstellung gerichtet, wenn dieser nicht in den Erbvertrag als Partei eingebunden ist. Wenn der Endbedachte hingegen allein mit dem Überlebenden Partei des Erbvertrages ist, scheint § 2290 I BGB einem Anspruch auf bloß einseitige Zustimmung zur Beeinträchtigung zumindest bei Erbeinsetzungen (vgl. § 2291 I 2 BGB) entgegenzustehen. Der Bereicherungsanspruch ginge dann auf Abschluß eines Aufhebungsvertrages. Ein Aufhebungsvertrag ist in den hiesigen Bereicherungsfällen indes nicht notwendig. Zwar kennzeichnet die systematische Stellung des § 2290 BGB und das inhaltliche Zusammenspiel mit den Erleichterungsmöglichkeiten der §§ 2291 f. BGB den Aufhebungsvertrag – entsprechend allgemeinen Grundsätzen des Vertragsrechts – als den Regeltatbestand der Lösung von der vertraglichen Bindung325. Doch gilt dies nur für eine Lösung des Vertrages unter Beteiligung des anderen Vertragspartners. Denn ansonsten gäbe es ja den anderen Grundtatbestand 322

Stumpf, FamRZ 1990, 1057 (1059). Den numerus clausus der Verzichtsarten betonen Staud-Ferid/Cieslar, Einl. zu §§ 2346 Rn. 41; vgl. auch Staud-Schotten, 13. Bearb., Einl. zu §§ 2346 Rn. 18. 324 Zum Parallelproblem des Umkehrschlusses, vgl. nur Larenz/Canaris, Methodenlehre, 209 f.; Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 488 f. 325 Stumpf, FamRZ 1990, 1057; MünchKomm-Musielak, § 2290 Rn. 1; StaudKanzleiter, § 2290 Rn. 2. 323

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der Entbindung, die Anfechtung, nicht. Zudem liegt der Sinn eines Aufhebungsvertrages darin, die privatautonome Selbstbestimmung des erbvertraglich Bedachten zu schützen. Bei der „Kondiktion der Bindung“ ist ein derartiger Schutz aber nicht erforderlich. Die Kondiktion kommt unter dem Aspekt des Schutzes der Selbstbestimmung des Bedachten eher dem Entbindungstatbestand der Anfechtung nahe, so daß das Erfordernis eines Aufhebungsvertrages dysfunktional erscheint. Es reicht demnach eine einseitige Zustimmungserklärung aus. Der ganze Streit scheint auf dem ersten Blick von reichlich akademischer Natur zu sein, da der vertragsmäßig Bedachte ja nur auf Aufforderung eine Verzichtserklärung abgeben wird. Nach allgemeinen Regeln könnte in dieser Aufforderung durch den Vertragserblasser samt sodann erklärter Zustimmung durch den Endbedachten ein Vertrag gesehen werden. Dennoch ist es nicht praktisch irrelevant, in welcher Art und Weise die Zustimmung des Endbedachten zu erfolgen hat. Denn wäre ein Verzichtsvertrag erforderlich, bedürfte dieser gem. §§ 2352 S. 2, 2348 BGB der notariellen Beurkundung, während bei einer bloß einseitigen Erklärung des Endbedachten allenfalls diese formbedürftig wäre. Dies ist nunmehr zu untersuchen. c) Die Form der Zustimmung Die Art und Weise, in der als Rechtsfolge der condictio das Erlangte herauszugeben ist, besteht somit immer in der einseitigen Zustimmung des Endbedachten zu einer erneuten Verfügung von Todes wegen, die ihn beeinträchtigt. In welcher Form hat diese Zustimmung zu erfolgen? Im Grundsatz sind Rechtsgeschäfte ohne Einhaltung einer Form wirksam; eine Form ist nur dort erforderlich, wo sie das Gesetz vorschreibt326. Für die bereicherungsrechtliche Zustimmung ist nichts ausdrücklich angeordnet, so daß eine Formbedürftigkeit allenfalls aufgrund einer analogen Anwendung von erbrechtlichen Formvorschriften angebracht wäre. Soweit soeben327 für den durch einen Erbvertrag bedachten Dritten die Notwendigkeit eines Zuwendungsverzichtsvertrags ausgeschlossen und auf eine einseitige Zustimmung plädiert wurde, wird stellenweise in der Literatur328 die Zustimmungserklärung der Form des § 2291 II BGB, also der notarielle Beurkundung, unterworfen. Wie steht es um diesen Vorschlag? Der gesetzliche Normbestand selbst gibt in der Formfrage keine klare Handhabe329 und ist insofern lückenhaft. In dieser Situation kann nur der 326 Vgl. zum Regel-Ausnahme-Verhältnis von Formfreiheit und Formbedürftigkeit nur Larenz, AllgT, § 21 I; Soergel-Hefermehl, vor § 125 Rn. 1; Flume, AllgT II/2, § 15 I 2; MünchKomm-Förschler, § 125 Rn. 1; Staud-Dilcher, § 125 Rn. 2, 3. 327 Oben § 18 III 1 b. 328 So Stumpf, FamRZ 1990, 1057 (1060).

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erbrechtliche Normbestand ermittelt werden, der die teleologischen Prämissen vorgibt, anhand derer die Formfrage entschieden werden kann. Diesem Vorgehen steht trotz aller Achtung vor dem das gesamte Erbrecht beherrschende Prinzip der Formenstrenge die Rigidität der rechtlichen Form nicht entgegen, da ja erst geprüft werden muß, ob diese überhaupt einschlägig ist. Da die Zustimmung zur Beeinträchtigung wie eine partielle Aufhebung einer erbvertraglichen Zuwendung wirkt, könnte einmal die Teleologie des § 2276 BGB einschlägig sein; und da der Zustimmende faktisch auf seine Zuwendung verzichtet, könnte auch die des §§ 2348 BGB i.V. m. § 2352 BGB in Betracht kommen. Beide Male geht es sowohl um den Schutz von Parteiinteressen: Schutz durch sachkundige Beratung und Belehrung durch den Notar (Schutzfunktion) und Warnung vor übereiltem Handeln (Warnfunktion), als auch um den Schutz von Verkehrsinteressen: Klarstellung der Existenz und des Inhalts des Rechtsgeschäfts (Beweisfunktion)330. Die Parteiinteressen geben für die Formfrage keinerlei Wertungsprämissen vor, da Schutz- und Warninteressen des Endbedachten aufgrund des Anspruchscharakters der Kondiktion nicht geschützt sind. Die Formbedürftigkeit der Zustimmungserklärung des Endbedachten wird aber durch die Verkehrsinteressen zwingend gefordert, da der Verkehr wegen der in der sachenrechtlichen Zuständigkeitsänderung liegenden Drittwirkung erbrechtlicher Verfügungen qua Universalsukzession nicht nur über Entstehung und Inhalt einer Verfügung von Todes wegen, sondern auch über die Zulässigkeit ihrer Aufhebung Klarheit erfordert. Dieser Verkehrsschutzaspekt wird von denjenigen, die eine formlose Zustimmung des Endbedachten für zulässig erachten331, nicht hinreichend beachtet. Eine notarielle Beurkundung der Zustimmungserklärung ist daher zwingend notwendig. Demgegenüber ist ein notariell beurkundeter Vertrag zwischen Bereicherungsgläubiger und -schuldner nicht angezeigt. Denn die aufgezeigten Formzwecke sind schon durch die notarielle Beurkundung der Zustimmungserklärung befriedigt. Die Vertragsform könnte mithin nur dann erforderlich sein, wenn die Zustimmung des Vertragsbedachten als solche nicht die rechte Art und Weise wäre, in der der Vertragserblasser seine Testierfreiheit wiedergewinnen kann. Dies wurde aber schon verneint332. Es bleibt also dabei: Die Zustimmungserklärung des Bedachten zu beeinträchtigenden Verfügungen von Todes wegen des Vertragserblassers bedarf analog § 2291 II BGB der notariellen Beurkundung. 329

Dazu schon oben § 18 III 1 a. Vgl. zu den Formzwecken nur Staud-Schotten, 13. Bearb., § 2348 Rn. 2; MünchKomm-Strobel, § 2348 Rn. 1; MünchKomm-Musielak, § 2276 Rn. 1; StaudKanzleiter, § 2276 Rn. 17; ders., DNotZ 1990, 776 (779). 331 Siehe etwa Brox, Erbrecht, Rn, 162; siehe auch BGH, DNotZ 1958, 495 (496 f.). 332 Oben § 18 III 1 b. 330

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d) Die Kosten der notariellen Beurkundung der Zustimmungserklärung Es bleibt das Problem, wer im Innenverhältnis zwischen Kondiktionsschuldner und -gläubiger die gem. §§ 46 II analog, 141 KostO anfallenden Beurkundungskosten zu tragen hat. Eine analoge Anwendung des § 46 II KostO ist in Anlehnung an die Grundsätze des Anfechtungsrechts gegenüber dem nicht auf erbrechtliche Vorgänge zugeschnittenen § 36 I KostO sachgerechter und auch zulässig, da dem Gesetzgeber planwidrig die Möglichkeit eines kondiktionellen Zugriffs auf die erbvertragliche Bindung nicht bewußt war. Im Außenverhältnis fallen die Beurkundungskosten grundsätzlich gem. § 2 Nr. 1 KostO beim Erklärenden, also dem Endbedachten, an. Bestünde hier kein Kostenübernahmeanspruch des Vertragsbedachten gegen den Bereicherungsgläubiger, könnte man auf die Idee kommen, daß dies durchaus mißlich sei, da die Bedenkung des Dritten ohne oder sogar gegen seinen Willen erfolgen kann und eine Ausschlagung des Zugewendeten vor dem Tod des Erblassers nicht zulässig ist (§ 1946 BGB). Das damit angesprochene Problem der aufgedrängten Bereicherung läßt sich hier zweifellos nicht mit den herkömmlichen Instrumentarien einer subjektivierten Bestimmung des „Wertes“ i. S. § 818 II BGB, einer analogen Anwendung des § 814 BGB, der Zubilligung verschiedener Einreden oder der Konstruktion einer aus den §§ 687 II, 996 BGB kondensierten oder aus den § 242 BGB, analog § 254 II 2 BGB folgenden Kondiktionssperre bewältigen333. Verschiedene Lösungen bieten sich an. Einmal könnte im Außenverhältnis zum beurkundenden Notar daran gedacht werden, im Wege einer Rechtsfortbildung des § 2 Nr. 1 KostO mit Rücksicht auf das rechtsethische Prinzip des Aufdrängungsschutzes des Bereicherungsschuldners334 die Kostenlast dem Bereicherungsgläubiger aufzubürden. Nun könnte diesem Weg die Überlegung entgegenstehen, daß sich dann mit dem Austausch des Kostenschuldners auch das vom Kostengläubiger, also dem Notar, übernommene Konkursrisiko hinsichtlich der Kostenbeitreibung verändere, was nach allgemeinen Grundsätzen unzulässig sei. Dieser Einwand verfängt freilich schon deshalb nicht, weil der Notar die Übernahme des Konkursrisikos des Kondiktionengläubigers aufgrund des aus § 15 BNotO fließenden Urkundsgewährungsanspruchs nicht privatautonom verweigern kann. Dennoch findet im Ergebnis keine Überwälzung der Kostenlast im Außenverhältnis auf den Bereicherungsgläubiger statt, da mit der Technizität des Kostenrechts eine derartige Auswechselung des Kostenschuldners nicht vereinbar ist. Scheidet damit eine Lösung des Kostenproblems im Außenverhältnis aus, hilft nur 333 Zu den verschiedenen Lösungsansätze zum Problemfeld der aufgedrängten Bereicherung vgl. nur Larenz/Canaris, SchuldR II/2, § 72 IV; MünchKomm-Lieb, § 812 Rn. 258 ff.; Reuter/Martinek, Bereicherungsrecht, § 15 III 2. 334 Zur Rechtsfortbildung mit Rücksicht auf ein rechtsethisches Prinzip vgl. nur Larenz/Canaris, Methodenlehre, 240 ff.

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noch ein Ausgleich im Innenverhältnis zwischen dem Bereicherungsgläubiger und -schuldner. Hier wäre es in der Tat unerträglich, wenn der Bereicherungsschuldner Beurkundungskosten tragen sollte, obwohl er zur Notwendigkeit der Beurkundung keinerlei Veranlassung gegeben hat. Bei Lichte betrachtet wird jedoch offenbar, daß es sich bei der Frage, ob nicht im Innenverhältnis der Bereicherungsgläubiger die Beurkundungskosten zu übernehmen hat, um ein Scheinproblem handelt. Denn das Problem taucht nur dann auf, wenn man unterstreicht, daß der vertragsmäßig Bedachte sich ja gegen seine Bedenkung nicht wehren kann, wenn er nicht Partei des Erbvertrages ist. Doch darauf kommt es gar nicht an. Für den Bereicherungsanspruch ist allein entscheidend, ob der Dritte Partei der Zweckvereinbarung geworden ist, die als causa der erbvertraglichen Bedenkung abstrakt zugrundeliegt. Ist er dies, soll er auch die Beurkundungskosten tragen. Er mußte ja nicht Partei der Zweckvereinbarung werden, sondern hätte sich dem auch verweigern können. Letztlich hat er die Notwendigkeit der Beurkundung denn doch selbst veranlasst. Im Ergebnis verbleibt es mithin bei der Kostenfrage bei den allgemeinen Regeln: Der vertragsmäßig Endbedachte ist Kostenschuldner der notariellen Beurkundung der Zustimmungserklärung gem. § 2 Nr. 1 KostO. 2. Form- und Fristfragen

a) Die Form, in der die Kondiktion geltend zu machen ist Kausal mit einer Verfügung von Todes wegen verknüpfte Modi der Bewältigung von Zweckstörungen (Anfechtung, Rücktritt) können grundsätzlich nur unter Beachtung diverser Fristen und Formen zur Aufhebung der testamentarischen oder erbvertraglichen Bindung führen. So ist die Anfechtung der eigenen letztwilligen Verfügung in einem gemeinschaftlichen Testament nach dem Todes des erstversterbenden Gatten oder der eigenen erbvertraglichen Verfügung ein höchstpersönliches335, auf ein Jahr nach Kenntnis vom Anfechtungsgrund befristetes336 und der notariellen Beurkundung unterworfenes337 Gestaltungsrecht, das gegenüber dem für den Todesfall des Erstverstorbenen zuständigen338 Nachlaßgericht oder – falls der endbedachte Dritte Partei des Erbvertrags ist – gegenüber diesem auszuüben ist339. Der nach Maßgabe der §§ 2293, 2294, 2295 BGB gegebene Rücktritt 335

§ 2282 I 1 BGB. § 2283 I, II BGB. 337 § 2282 III BGB. 338 § 73 FGG. Zur Zuständigkeit vgl. MünchKomm-Musielak, § 2281 Rn. 21; Palandt-Edenhofer, § 2281 Rn. 6; RGRK-Kregel, § 2281 Rn. 7; v. Lübtow I, 455; Nieder, Testamentsgestaltung, Rn. 672. 336

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muß in der Form der notariellen Beurkundung gegenüber dem anderen Vertragsschließenden erfolgen340. Für die Geltendmachung des Bereicherungsanspruchs auf Einwilligung in die Beeinträchtigung der erbrechtlichen Rechtsstellung des Endbedachten durch letztwillige Zweitverfügungen des Überlebenden gelten diese Formund Fristregelungen zweifellos nicht unmittelbar. Da die Kondiktion jedoch wirtschaftlich zu dem gleichen Ergebnis wie Anfechtung und Rücktritt führt, liegt ein Analogieschluß zu den zitierten Vorschriften zumindest nahe; der Überlebende müßte dann notariell beurkundet innerhalb eines Jahres nach Kenntnis von der Zweckverfehlung den Bereicherungsanspruch geltend machen. Dennoch ist ein derartiger Analogieschluß nicht veranlaßt. Da die mit den Formvorschriften verfogten Zwecke341 hier ausfallen, würde das Sistieren auf die Form der notariellen Beurkundung die Form zum Selbstzweck wandeln: Der durch die Form verfolgte Schutz der Interessen des Anfechtenden oder Zurücktretenden (Warnung, Schutz vor Übereilung, Gültigkeitsgewähr des Erklärten, Belehrungsfunktion) ist bei der Ausübung eines unwiderruflichen Gestaltungsrechts schon deshalb erforderlich, weil die Gestaltung mit der Erklärung eintritt und nicht mehr aus der Welt geschafft werden kann. Bei der Kondiktion fordert der Vertragserblasser aber von dem Endbedachten erst einmal nur etwas, er gestaltet nicht. Bei der Geltendmachung eines Anspruchs vergeht Zeit. Die notarielle Beurkundung der Zustimmung signalisiert dem Anspruchssteller zudem, daß es sich hier nicht um einen leicht zu nehmenden, alltäglichen Vorgang handelt. Schließlich untersteht die Geltendmachung eines Anspruchs regelmäßig keinen Formvorschriften. Aus all dem kann nur folgen, daß bei der Kondiktion der Schutz des Vertragserblassers schon durch die Art und Weise gegeben ist, mit der er seine Testierfreiheit wiedergewinnen kann: eben indem er einen Anspruch besitzt (und nicht ein Gestaltungsrecht). Soweit schließlich die Interessen des Anfechtungs- oder Rücktrittsgegners, der „wissen muß, woran er ist“342, in Rede stehen, werden diese bei der Kondiktion durch die Anspruchsberühmung und seiner etwaig erfolgreichen Anspruchsabwehr oder erklärten Zustimmung zur Beeinträchtigung ge339 § 143 II BGB. § 2281 II BGB gilt insofern nicht, vgl. MünchKomm-Musielak, § 2281 Rn. 21; Staud-Kanzleiter, § 2281 Rn. 22; Soergel-M. Wolf, § 2281 Rn. 12; RGRK-Kregel, § 2281 Rn. 7; Dittmann/Reimann/Bengel-Bengel, § 2281 Rn. 21; Jauernig-Stürner, § 2281 Anm. 3a; Palandt-Edenhofer, § 2281 Rn. 6; Lange/ Kuchinke, § 25 IX 2 a; v. Lübtow I, 448. 340 § 2296 II BGB. 341 Dazu nur MünchKomm-Musielak, § 2282 Rn. 1, § 2296 Rn. 2 i.V. m. § 2276 Rn. 1; Staud-Kanzleiter, § 2282 Rn. 4, § 2296 Rn. 7. 342 Mot V, 343.

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wahrt. Und soweit schließlich der Rechtsverkehr berechtigterweise auf Authentizität, Beweisbarkeit und Klarheit des Erklärten dringt, wird dies durch die notarielle Beurkundung der Zustimmungserklärung gewahrt: Die Unwirksamkeit der alten Verfügung von Todes wegen wird regelmäßig erst durch eine neue Verfügung herbeigeführt werden, deren Form dann die Interessen des Rechtsverkehrs sichert, der zudem aufgrund der notariell beurkundeten Zustimmungserklärung des Dritten von der Wirksamkeit des neu von Todes wegen Verfügten ausgehen kann und darf. Im Ergebnis ist mithin eine bestimmte Form, in der die Anspruchsberühmung stattzufinden hat, nicht erforderlich. b) Die Frist, in der die Kondiktion geltend zu machen ist aa) Analoge Anwendung des § 2283 I, II 1 BGB auf die Kondiktion Für Ansprüche gelten die jeweils gesetzlich vorgesehenen Verjährungsund Ausschlußfristen343, für bereicherungsrechtliche Ansprüche damit im Grundsatz die dreijährige Frist des § 195 BGB. Vor allem im Recht der Leistungskondiktion kommt es jedoch oftmals zu einer Angleichung der kondiktionsrechtlichen an die vertragliche Verjährung oder zu einer sonstigen Dominanz des vertraglichen Abwicklungsrechts344. Wie steht es mit der Kondiktion im Rahmen des Erbvertrages? Ein Hinweis gibt die Anfechtungsfrist. Die Anfechtung des Erbvertrags ist dem überlebenden Ehegatten nur binnen eines Jahres nach Kenntnisnahme von dem Anfechtungsgrunde möglich, § 2283 I, II 1 BGB. Nun wird verschiedentlich im Rahmen der Diskussion um die Anwendung des Instituts des Wegfalls der Geschäftsgrundlage im Erbrecht darauf hingewiesen, daß eine Anwendung dieses Rechtsinstituts schon deshalb scheitern muß, weil ansonsten die Anfechtungsregelungen mit ihren Frist- und Formvorschriften entgegen dem Willen des Gesetzgebers weitgehend sinnlos würden345. Allein der Verweis auf ein Leerlaufen der Anfechtungsfrist zwingt freilich nicht dazu, die Kondiktion einer Frist zu unterwerfen und das Verjährungsrecht teleologisch zu reduzieren, sofern nicht mindestens zugleich die Funktionalität der jeweiligen Rechtsinstitute identisch ist, wie der Vergleich zum ähnlich gelagerten Fall der unterschiedlichen Verfristung der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung und der Ansprüche aus culpa in contrahendo zeigt346. Nun war 343 Als Bsp. für Ausschußfristen vgl. die §§ 561 II, 651 g I, 801 I 1, 864 BGB, § 13, 12 ProdHaftG, §§ 26, 160 HGB, 736 II BGB. 344 Vgl. zu dieser Problematik nur Reuter/Martinek, Bereicherungsrecht, § 25 I; MünchKomm-Lieb, § 812 Rn. 334; Palandt-Thomas, Einf v § 812 Rn. 24. 345 So Soergel-Manfred Wolf, § 2271 Rn. 33. Zur Problematik siehe schon oben § 6 II 1, § 8 II 2, § 8 III 3, § 9 III 1 c.

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schon die Rede davon, daß die erbrechtlichen Anfechtungstatbestände und die condictio ob rem durchaus verschiedene Zwecke verfolgen, hier der Schutz der erblasserischen Persönlichkeit, dort das Abstellen auf eine Zweckverfehlung auf der Basis einer Quasi-Kontraktualität der condictio347. Von dieser Warte aus scheint ein Gleichlaufen der kondiktionellen und der anfechtungsrechtlichen Verjährungsfristen nicht ohne weiteres zwingend zu sein. Gleichwohl muß im Ergebnis bei der condictio ob rem des § 812 I 2 Alt. 2 BGB eine Anpassung der Verjährungsfrist an die Jahresfrist des § 2283 I, II 1 BGB erfolgen. Denn beide reagieren – wenngleich aus unterschiedlichen Gründen348 – auf Zweckverfehlungen: bei der condictio ob rem auf das Mißlingen einer Zweckvereinbarung und bei der Anfechtung auf die Verfehlung erheblicher Motive. Die Dreijahres-Frist des § 195 BGB würde in den hier diskutierten relevanten erbrechtlichen Fallgestaltungen zudem die Teleologie der Verjährung (Schutz des Anfechtungs- oder Anspruchsgegners und Wahrung von Rechtsfrieden und Rechtssicherheit)349 verfehlen, so daß eine Angleichung an die Jahresfrist des Anfechtungsrechts sachgerecht ist. Schließlich kann gegen eine analoge Anwendung der § 2283 I, II 1 BGB auch nicht die Fristlosigkeit des vorbehaltenen Rücktritts nach den §§ 2293 ff. BGB350 ins Feld geführt werden. Der Rücktritt ist in seiner Wirkung Ausdruck einer kausalen und damit zugleich sehr starken Verbindung von Mittel (erbrechtliche Verfügung) und Zweck, auf die sich die Vertragsparteien und der Rechtsverkehr typischerweise aufgrund der Ausdrücklichkeit des Rücktritts besser einstellen können, so daß die Anordnung einer Befristung nicht notwendig erscheint. Alles in allem ist eine kurze Verjährungsfrist auch bei der condictio angemessen. Der Kondiktionsanspruch verjährt deshalb analog der Fristen des § 2283 I, II 1 BGB innerhalb eines Jahres ab Kenntnis der Tatsachen, die das Kondiktionsrecht begründen. Was heißt dies nun genau? Hierzu ist ein weiterer Vergleich mit der Frist des § 2283 I, II 1 BGB hilfreich.

346 So will der BGH die culpa in contrahendo deswegen nicht der Frist des § 124 BGB unterwerfen, weil ein Spezialitätsverhältnis aufgrund der unterschiedlichen Funktionalität der Rechtsinstitute zu verneinen sei, vgl. BGH, NJW 1962, 1196 (1198). 347 Dazu oben § 18 I 4 b. 348 Wie gesagt: Bei der Anfechtung steht der Schutz der erblasserischen Persönlichkeit im Vordergrund, bei der condictio ob rem die Zweckverfehlung auf der Basis einer Quasi-Kontraktualität. 349 Zum Telos der Verjährung vgl. nur Palandt-Heinrichs, Überbl v. § 194 Rn. 4; Larenz, AllgT, § 14 III a; in eher historischer Perspektive Peters/Zimmermann, in: Gutachten und Vorschläge, 77 (112 ff.). 350 MünchKomm-Musielak, § 2294 Rn. 8.

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bb) Die Relevanz von Stundung und Kondiktionsanerkenntnis Die Frist des § 2283 I, II 1 BGB ist eine Ausschlußfrist, auf die die Vorschriften über die Hemmung und Unterbrechung der Verjährung nicht anzuwenden sind und die im Prozeß von Amts wegen zu beachten ist351. Die Anfechtungsfrist wird gewahrt durch die formgerechte Erklärung gegenüber dem zuständigen Nachlaßgericht oder – falls der endbedachte Dritte Partei des Erbvertrags ist – gegenüber diesem. Nun besitzt die Kondiktion ja keinen Gestaltungs- sondern einen Anspruchscharakter, so daß zwangsläufig die Fragen aufgeworfen werden, (i) ob für die Fristwahrung auf die formlose Anspruchsberühmung allein oder zudem auch auf die formgerechte Zustimmungserklärung abzustellen ist, und (ii) ob die Verjährung der Kondiktion auch hinsichtlich der Hemmung und Unterbrechung an das erbrechtliche Anfechtungsrecht mit seinen Ausschlußfristen anzupassen ist. Die Antwort auf die erste Frage ist einfach: Allein die formlose Anspruchsberühmung reicht zur Fristerfüllung nicht hin, da ein anderes im Ergebnis praktisch doch wieder zu einer unzulässigen Umgehung der Teleologie des § 2283 BGB führen würde. Zudem entspricht es allgemeinen Grundsätzen, bei der Entscheidung über die Verfristung von Ansprüchen auf den Zeitpunkt der Anspruchserfüllung abzustellen. Schwieriger ist die Beantwortung der zweiten Frage. Die Verjährung von Ansprüchen und die erbrechtlichen Anfechtungsausschlußfristen bei Gestaltungsrechten unterscheiden sich nicht in ihrer Teleologie und auch weniger auf prozessualem Gebiet352, sondern vor allem in den Möglichkeiten der Hemmung und der Ablaufhemmung der Verjährung sowie des Neubeginns des Fristlaufs: § 2283 II 2 BGB läßt nur ein Berufen auf die Fälle der §§ 206 und 210 BGB zu, während verjährungsrechtlich die Verjährung der Kondiktion im Grundsatz nach den allgemeinen Regeln gehemmt, ablaufgehemmt oder neu beginnen kann. Wichtig sind diese Unterschiede bei der Klageerhebung. Zwar wird diese kaum je praktisch werden, da der Ehegatte lieber zur Anfechtung greifen wird, ehe er den Klageweg beschreitet. Falls die Anfechtung jedoch erbvertraglich ausgeschlossen ist, könnte der Klageweg zur Durchsetzung der Kondiktion durchaus einmal wichtig werden. Darüber hinaus ist die Anwendbarkeit der § 205 BGB und § 212 I Nr. 1 BGB durchaus von praktischer Brisanz: Eine Verfristung der Reaktion des überlebenden Erblassers auf Zweckverfehlungen schiede schon dann aus, wenn der Überlebende sich eines Kondiktionsanspruchs gegenüber dem 351 MünchKomm-Musielak, § 2283 Rn. 2; Erman-M. Schmidt, § 2283 Rn. 1; RGRK-Kregel, § 2283 Rn. 1; Staud-Kanzleiter, § 2283 Rn. 3; Lange/Kuchinke, § 25 IX 2 b. 352 Dazu nur Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 104 II 3.

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endbedachten Dritten berühmt und dieser ihm gegenüber formlos gestundet worden ist353 oder der Dritte ihn formlos anerkennt354. Was gilt also? Bei der condictio ob rem müssen die §§ 205 BGB und § 212 I Nr. 1 BGB BGB weiter anwendbar sein. Eine andere Entscheidung könnte sich nur vor dem Hintergrund einer auf die Wertung des § 2283 I BGB abgestellten teleologischen Reduktion ergeben. Diese ist jedoch nicht angängig. Der vertragsmäßig Bedachte wird nur Partei der Zweckvereinbarung, wenn er Kenntnis von ihr hat. Und der Bereicherungsgläubiger leistet nur, wenn er ein Leistungsbewußtsein besitzt. Sämtliche Beteiligten sind sich daher mehr oder weniger der Vorteilsverschiebung bewußt. Bei der Vereinbarung einer Stundung und beim Anerkenntnis konsentiert der Schuldner zudem, daß er die „verdunkelnde Macht der Zeit“355 nicht für so tragfähig hält, daß sich die Gefahr einer etwaigen Verschlechterung seiner Beweisposition realisieren oder das Maß der Einschränkung seiner Dispositionsfreiheiten hinsichtlich der bisher noch rechtlich stabilisierten Erberwartung übermäßig ansteigen könnte. Hat der vertragsmäßig Endbedachte durch die Stundung oder das Anerkenntnis seine Interessen selbstdefiniert, ist er als Bereicherungsgläubiger auch nicht schutzwürdig, ein Sistieren auf Verfristung mithin sinnlos. Die Frist des § 2283 I, II 1 BGB dient jedoch auch den Belangen der sonstigen Nachlaßinteressenten an einer beschleunigten Klarstellung der Rechtslage sowie – wie das Verjährungsrecht – auch dem dispositionsfeindlichen öffentlichen Interesse an der Wahrung des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit. Im Verjährungsrecht wirken demgegenüber Stundungen und Anerkenntnisse nach Beginn der Verjährung hemmend oder neubeginnend; zudem war zum alten Recht des § 225 BGB a. F. weitgehend anerkannt, daß solche schon vor Verjährungsbeginn abgeschlossene Rechtsgeschäfte, die nur mittelbar – soweit also nicht die durch die Parteien festgelegten Primärzwecke betroffen sind356 – auf die Verjährung einwirken, nicht gegen diese Regelung verstoßen, weil eine ausdehnende Auslegung des die Vertragsfreiheit beschränkenden § 225 BGB a. F. nicht statthaft sei357. Für die Neuregelung des § 202 II BGB kann nichts anderes gelten. 353 Eine Stundung des Kondiktionsanspruchs, welcher der Erblasser erhebt, um seine Testierfreiheit wiederzuerlangen, kann durchaus praktisch werden: Wenn nämlich die Beteiligten sich noch einmal Rechenschaft ablegen wollen, wie es im Streite nun weitergehen soll und ob eine gütliche Einigung möglich erscheint. Der Erblasser wird sich hierauf um so eher einlassen, als ihm keine Rechtsnachteile durch Verjährung drohen. 354 Für § 208 BGB genügt ein formloses Verhalten, Larenz/Wolf, AllgT, § 17 Rn. 39. 355 Mot I, 512. 356 BGH, NJW 1984, 289 (290).

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Dieser Unterschied zwischen Verjährung und Ausschlußfrist rührt daher, daß es bei der Anfechtung von Erbeinsetzungen im Gegensatz zur Verjährung von Ansprüchen um unmittelbar wirkende Änderungen in der dinglichen Zuständigkeitsordnung geht; das Gesetz trägt dem im Erbvertragsrecht durch § 2281 II BGB und – besonders deutlich – im allgemeinen erbrechtlichen Anfechtungsrecht durch § 2081 I BGB Rechnung. Bei der Kondiktion greifen derartige Erwägungen jedoch nicht. Der Rechtsfrieden bleibt durch die einverständliche Stundung oder das Anerkenntnis gewährleistet; die Rechtssicherheit wird schon deshalb nicht beeinträchtigt, weil die Rechtsfolge der Kondiktion – die Zustimmungserklärung – die dingliche Zuordnung selbst nicht berührt und weil der Rechtssicherheit zudem durch eine formgerechte Zweitverfügung hinreichend Rechnung getragen ist. Die Belange der sonstigen Nachlaßinteressenten sind hier deshalb nicht geschützt, weil das privatautonome Zusammenwirken zwischen dem überlebenden Ehegatten und dem Dritten (Stundung oder Anerkenntnis) eine rasche Abwicklung der Kondiktion verspricht. Im Ergebnis ist daher bei der condictio ob rem dann nicht die Jahresfrist des § 2283 I 1 BGB analog einzuhalten, wenn innerhalb der Frist der überlebende Ehegatte und der endbedachte Dritte formlos Stundung vereinbaren oder der Dritte den Bereicherungsanspruch i. S. § 208 BGB formlos anerkennt. Eine sachgerechte Interpretation des für die Kondiktion geltenden Verjährungsrechts in Abstimmung zum erbrechtlichen Anfechtungsrecht zeigt nach all dem, daß es bei der Verjährung des Kondiktionsanspruchs bei den für die Verjährung von Ansprüchen geltenden allgemeinen Regeln bleibt, nur beträgt die Verjährungsfrist ein Jahr ab Kenntnis der Tatsachen, die das Kondiktionsrecht begründen. 3. Die Folgen für die korrespektive Verfügung des Erstversterbenden bei einem korrespektiven zweiseitigen Erbvertrag

Wenn der überlebende Ehegatte seinen Kondiktionsanspruch durchgesetzt hat, wird er regelmäßig neu von Todes wegen verfügen. Verfügungen des erstverstorbenen Ehegatten, die zu Verfügungen des Überlebenden im Verhältnis der Korrespektivität stehen, werden bei einer Zweitverfügung des Überlebenden, die dem erbvertraglich wechselbezüglich Verfügten widerspricht, unwirksam, §§ 2298 I BGB. Freilich gilt dies nicht, solange ein anderer Wille des Erstversterbenden anzunehmen ist, § 2298 III BGB. Kann in der Regel ein derartiger anderer Willen angenommen werden, wenn die Ehegatten eine auf die Versorgung des Überlebenden gerichtete 357 BGH, NJW 1984, 289 (290) für das Hinausschieben der Fälligkeit; NJW 1985, 1711 (1712) allgemein; NJW 1986, 1608 für die Stundung; NJW 1995, 2282 (2283) für die Vereinbarung einer aufschiebenden Bedingung.

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bereicherungsrechtliche Zweckvereinbarung geschlossen haben und die Versorgungserwartung enttäuscht wird, so daß – wenn die sonstigen Voraussetzungen gegeben sind358 – die Kondiktion greift? Greift die condictio ob rem, liegt bei einem Erbvertrag zwischen den Ehegatten immer auch eine Verfehlung der Zwecke des Erstverstorbenen vor, so daß das bereicherungsrechtliche Vorgehen des Überlebenden – anders als bsp. bei der Anfechtung aufgrund eines einseitig beim Überlebenden auftretenden Motivirrtums – immer auch den Willen des Erstversterbenden aktualisiert. Indem die Ehegatten die Zweckvereinbarung geschlossen haben, zeigen sie, daß ihnen daran liegt, die Versorgung des überlebenden Teils so gut wie möglich zu sichern. Sie wünschen mithin zumindest bei der Trennungslösung nicht, daß der Überlebende seine erbvertraglichen Bedenkung gem. § 2298 I BGB verliert, wenn sie dies nicht deutlich vorgesehen haben. Bei der Einheitslösung wird so zu entscheiden sein, daß der Überlebende seine wiedergewonnene Testierfreiheit nur dazu benutzen darf, wiederum seine lebzeitige Versorgung durch eine Bedenkung anderer Personen sicherzustellen. Ansonsten wäre ja eventuell gar keine Vorkehrung möglich, das Abwandern des Vermögens des Erstverstorbenen, welches der Überlebende bei der Einheitslösung ja als Alleinerbe von Todes wegen erworben hat, in ein familienfremdes Vermögen zu verhindern. Dies wäre besonders mißlich, wenn die Versorgung des Überlebenden durch einen von mehreren gemeinsamen Abkömmlingen erfolgen sollte und dazu die anderen Abkömmlinge von Todes wegen zurückgesetzt wurden. Es dürfte dem mutmaßlichen Willen des Erstverstorbenen entsprechen, daß der Überlebende sich die Versorgung von dem neuen Schlußerben zumindest schuldrechtlich bindend zusagt. Ansonsten (also bei den bloßen Veranlassungsfällen) wäre die Mißbrauchsgefahr der wiedergewonnenen Testierfreiheit zu groß. Sind diese Vorkehrungen beachtet, wird auch bei der Einheitslösung im Zweifel gem. § 2298 III BGB die korrespektive Vertragsverfügung des Erstversterbenden nicht unwirksam, wenn der Überlebende seine Vertragsverfügung wegen einer Störung in der Versorgung aufhebt. Genau besehen wird freilich die Korrespektivität in den Fällen, in denen die vertragsmäßige Bedenkung des Dritten der Versorgung des überlebenden Teils dient, sehr genau zu prüfen sein. Die Ehegatten setzen ja nicht einander zu Voll- oder Vorerben ein, weil der je andere den Dritten von Todes wegen bedenkt; vielmehr wird der Dritte bedacht, um den Überlebenden zu versorgen. Eine korrespektive Verfügung trotz Versorgungsmotivation wird allenfalls dann vorliegen, wenn aus einem Motivbündel neben dem Versorgungsmotiv noch ein Motiv isoliert und nach dem Parteiwillen bewertet werden kann. Ist der Dritte beispielsweise ein gemeinschaftlicher 358

Etwa Kenntnis des Dritten von der Zweckvereinbarung.

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Abkömmling beider Gatten dürfte davon auszugehen sein, daß der eine Gatte den Dritten nicht deshalb zum Schlußerben einsetzt, weil er von dem anderen Gatten zum Alleinerben bestimmt worden ist, da er ja seinen Abkömmling wohl auf jeden Fall bedacht hätte. Wohl aber setzt er den anderen Gatten zu seinem Erben ein, weil dieser den Dritten seinerseits zu dessen Schlußerben macht359. Kommt nun die Versorgungsmotivation hinzu, ist zu prüfen, ob die Gatten den Dritten wegen der Versorgungsfrage nicht auf jeden Fall eingesetzt hätten, um die Versorgung des Überlebenden – möglicherweise unter Hintanstellen der Interessen des Dritten als Abkömmling – bestmöglichst zu sichern. Ist dies nicht der Fall, liegt Korrespektivität trotz Versorgungsmotivation vor. IV. Überleitende Bemerkungen Was ist mit den detaillierten Überlegungen zur Kondiktion beim Erbvertrag gewonnen? Das Ziel war es, das rechtliche Regelungsprogramm beim entgeltlichen Erbvertrag sowie bei solchen Erbverträgen zu entschlüsseln, bei denen der Vertragserbe durch die Bedenkung zu einer Versorgung des überlebenden Teils veranlaßt werden soll. Im folgenden sollen die Ergebnisse der bereicherungsrechtlichen Untersuchungen nochmals kurz zusammengefaßt werden, um dann genauer zu klären, welche Normen bei einer Leistungsstörung (Versorgungsausfall durch Nichterfüllung, Schlechtleistung, Verzug) herangezogen werden können.

§ 19 Ergebnis zu Leistungsstörungen beim entgeltlichen Erbvertrag I. Zusammenfassende Bemerkungen zur condictio ob rem Für folgende Fallgestaltungen wurde diskutiert, ob die condictio ob rem aus § 812 I 2 Alt. 2 BGB dem überlebenden Teil einen Anspruch gegen den erbvertraglich Endbedachten auf Zustimmung zu einer ihn beeinträchtigenden neuen Verfügung von Todes wegen gibt360: Fallgruppe 1: Die Ehegatten schließen einen Erbvertrag des Inhalts ab, daß sie sich – entsprechend der Einheitslösung – gegenseitig zu Vollerben und einen Dritten zum Schlußerben des Längstlebenden einsetzen. Sie können auch einen Erbvertrag nach der Trennungslösung beschloßen haben. Sie wünschen, daß der Dritte den Überlebenden versorgt. Hierzu können sie mit dem Dritten eine 359 Siehe dazu die parallele Wertung der h. M. beim gemeinschaftlichen Testament, oben § 6 III 3 a. 360 Zu den Fallgestaltungen siehe oben § 16 I 2.

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Versorgungszusage eingehen. Sie können aber auch ohne eine derartige Zusage versuchen, den Dritten durch die vertragsmäßige Bedenkung dazu zu veranlassen, den überlebenden Teil gehörig zu versorgen. Fallgruppe 2: Es kann auch sein, daß zu Lebzeiten beider Gatten diese weder gemeinschaftlich testiert, noch einen Erbvertrag geschlossen haben. Hier kann der Überlebende versuchen, mittels eines Erbvertrages mit einem Dritten seine Versorgung sicherzustellen. Er kann hierzu wiederum den Weg über die Versorgungszusage oder über die Veranlassung zur Versorgung wählen. Fallgruppe 3: Schließlich können die Ehegatten und ein Dritter einen Erbvertrag nach dem Vorbild der Einheits- oder der Trennungslösung geschlossen haben, während der Dritte auch hier wieder die Versorgung schuldrechtlich bindend zusagen kann oder anhand der Bedenkung zur Versorgung veranlaßt werden soll. Für alle Fallgruppen: Es tritt sodann der Versorgungsfall ein. Der Dritte versorgt den Überlebenden nicht, schlecht oder verzögerlich. Die Frage war, ob und wie der überlebende Teil in dieser Situation seine Testierfreiheit wiedergewinnen kann. Nach der h. M. kann der Erblasser einen Erbvertrag, der durch die Erwartung einer gehörigen Versorgung motiviert worden ist, aus Gründen des Motivirrtums gem. §§ 2281 ff., 2078 II BGB anfechten, wenn die Versorgung nicht, schlecht oder verzögert erbracht wird361. Andere wollen die Regelungen über das funktionelle Synallagma anwenden; dies scheitert aber daran, daß die erbvertragliche Bedenkung und die Versorgungszusage in keinem Gegenseitigkeitsverhältnis stehen362. Im weiteren wurde diskutiert, wie es um die causa des Erbvertrages bestellt ist. Hier konnte gezeigt werden, daß die erbvertragliche Bedenkung zwar in der Regel in kausaler Weise mit den rechtlich relevanten Zwecken verbunden ist363, wobei rechtlich relevant im Erbrecht anders als im allgemeinen Vermögensrecht jedes der Verfügung von Todes wegen zugrundeliegende Motiv ist364. Gleichzeitig können die Erbvertragsparteien aber auch eine abstrakte Verknüpfung zwischen der Bedenkung und den damit verfolgten Zwecken erreichen, indem sie sich über eine Zweckvereinbarung i. S. der condictio ob rem nach § 812 I 2 Alt. 2 BGB verständigen365. Haben sie dies getan, sind zwei der ureigenen Anwendungsbereiche der condictio ob rem einschlägig, nämlich zum einen der Fall, daß der Leistende den Leistungsempfänger mit der Leistung zu einem bestimmten Verhalten veranlassen will, zu dem sich der Empfänger nicht rechtlich verpflichtet hat, zum anderen der Fall, daß der Leistende sich zu seiner Leistung nicht rechtlich verpflichten kann366. Die 361 362 363 364 365

Zur h. M. siehe oben § 16 II 1. Dazu oben § 16 II 1, 2. Oben § 17 I 2 c. Oben § 17 I 2 c. Oben § 17 II 2.

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condictio indebiti wird demgegenüber in den seltensten Fällen in Frage kommen367. Des weiteren konnte gezeigt werden, daß zum Schutz des erbvertraglich Endbedachten die Zweckvereinbarung nur dann zu einer gewillkürten Abstraktheit des Erbvertrages und damit zur condictio führt, wenn der Dritte von der Versorgungsmotivation des oder der Gatten Kenntnis hat und nicht ausdrücklich klar stellt, daß er nicht gewillt ist, der Erwartung zu entsprechen368. Schließlich bleibt hinsichtlich der gehörigen Form und der Ermittlung der Zweckvereinbarung festzuhalten, daß sie formlos möglich ist369 und aus Gründen des mutmaßlichen Willens des oder der Gatten im Zweifel vorliegen wird, wenn dieser oder diese die Versorgung des überlebenden Teils mit der Bedenkung des Dritten sicherstellen wollen370. Was die bereicherungsrechtlich relevante Leistung angeht, konnte geklärt werden, daß diese in der bewußten und gewollten Verschaffung einer rechtlich relativ gesicherten Rechtsposition besteht, nämlich der erbvertraglichen Anwartschaft des Endbedachten371, die ein „Etwas“ im Sinne des Bereicherungsrechts darstellt372. Die causa der datio ob rem ist im Falle einer Versorgungszusage entfallen, wenn in dem Fall, daß eine synallagmatische Verknüpfung zwischen Bedenkung und Versorgung rechtlich möglich wäre, der Erblasser seinen geleisteten Vorteil (die bindende Bedenkung) zurückfordern könnte. Der Wegfall der causa bestimmt sich mithin in Anlehnung an die Regeln des funktionellen Synallagmas. Im Ergebnis bedeutet dies, daß die causa zumeist und je nach Fall bei Interessenwegfall oder dem Vorliegen eines wichtigen Grundes entfallen ist373. Besteht hingegen keine schuldrechtliche Versorgungszusage – liegt also der Fall der Veranlassung zur Versorgung vor –, entfällt der Rechtsgrund, wenn die Erblassermotivation enttäuscht ist. Hierbei gilt, daß im Falle, daß regelmäßige Versorgungsleistungen erwartet worden sind, das Ausbleiben der oder das verzögerliche oder schlechte Erbringen einer oder mehrerer Leistungen zur Erwartungsenttäuschung führt, wenn die weitere Leistung für den Überlebenden nicht mehr von Interesse ist374. Ist der Rechtsgrund für die Leistung des Erblassers entfallen, hat dieser gegen den Endbedachten einen Anspruch auf Zustimmung zu einer erneuten Verfügung von Todes wegen, und zwar unabhängig davon, ob die er366 367 368 369 370 371 372 373 374

Zum Anwendungsbereich der condictio ob rem § 17 II 1 b. Dazu oben § 17 II 1 a. Oben § 17 II 4. Dazu oben § 18 I 1. Siehe oben § 18 I 2. Oben § 18 II 1. Siehe oben § 17 I 1. Oben § 18 II 2 b. Oben § 18 II 2 c.

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neute Verfügung die Rechtsstellung des Endbedachten beeinträchtigt375. Schon mit der Zustimmung ist die Rechtsfolge des § 2289 I 2 BGB ausgeräumt; ein Zuwendungsverzichtsvertrag nach § 2352 S. 2 BGB ist nicht erforderlich376. Dafür bedarf aber die Zustimmungserklärung des Bedachten der notariellen Beurkundung377. Bei der Geltendmachung der Kondiktion hat der Überlebende darauf zu achten, daß die Verjährungsfrist des Anspruchs ein Jahr ab Kenntnis der Tatsachen beträgt, die das Kondiktionsrecht begründen378. II. Das Verhältnis von Kondiktion, Änderungs- und Rücktrittsvorbehalt und Selbstanfechtung 1. Allgemeines

Greift die condictio ob rem, haben die Erbvertragsparteien immer eine Zweckvereinbarung abgeschlossen, die die erbvertragliche Bedenkung des Dritten mit dem Versorgungszweck bereicherungsrechtlich verknüpft. Bei der Sachverhaltsgestaltung, bei der die condictio zum Zuge kommt, liegt mithin immer auch eine Verfehlung der Zwecke der Vertragsparteien vor. Vor diesem Hintergrund gilt es daher besonders sorgfältig zu prüfen, ob der Abschluß einer Zweckvereinbarung darauf hindeutet, daß ausnahmsweise die Ehegatten für den Fall des Erstversterbens und der Verfehlung der gemeinschaftlich vereinbarten Zwecke den Überlebenden einen Änderungsvorbehalt oder sogar einen Rücktrittsvorbehalt i. S. § 2293 BGB vorgesehen haben379. Auch im allgemeinen Vermögensrecht wird ja stellenweise – davon war schon kurz die Rede380 – für das Problem angestaffelter Zwecke geleugnet, daß hier bereicherungsrechtliche Instrumente weiterführend wären, da entweder eine sachgerechte Auslegung der Parteierklärungen zur Klagbarkeit der Zweckvereinbarung führen würde oder eine Lücke vorhanden sei, die durch ergänzende Vertragsauslegung zu schließen sei; diese führe dann zu einem ungeschriebenen Rücktrittsrecht oder zu einer auflösenden Bedingung381. Ist es hier nicht genauso? Muß eine sachgerechte Auslegung des Erbvertrages nicht zumindest zur Vereinbarung eines Ände375

Siehe oben § 18 III 1 b. Dazu oben § 18 III 1 b. 377 Oben § 18 III 1 c. 378 Siehe oben § 18 III 2 b. 379 Das genaue Verhältnis zwischen Freistellungsklausel, Bindung des Erblassers und Vertragsgemäßheit der Verfügung kann dahin gestellt bleiben. Siehe zu den einzelnen Konzepten nur die Übersicht bei Dietmar Nolting, Änderungsvorbehalt, 104 ff., 144 ff.; sowie oben § 8. 380 Oben § 17 II 2 b. 381 So Larenz/Canaris, SchuldR II/2, § 68 I 3 d. 376

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rungsvorbehalts führen, wenn schon eine Zweckvereinbarung vorliegt? Ein Bedingungszusammenhang zwischen der erbvertraglichen Bedenkung und der Zweckverfehlung wird zumeist nicht den Willen des oder der Ehegatten entsprechen, da diese sich ja wegen § 158 II BGB nicht mehr entscheiden können, ob sie nicht trotz der Verfehlung die Bedenkung des Dritten weiterhin aufrechterhalten sollen. Also: Freistellung statt Kondiktion? Eine erbvertragliche Änderungsklausel ist erbrechtlich zulässig382, bedarf der Form des § 2276 BGB383 und ist auch stillschweigend möglich384. Gleiches gilt für den Rücktrittsvorbehalt385. Gerade in der Möglichkeit der stillschweigenden Vereinbarung eines Änderungsvorbehalts bei einer ansonsten ausdrücklich formulierten erbrechtlichen Bindung liegt die Brisanz einer solchen Klausel386; diese wird verstärkt, wenn die Klausel im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung ermittelt wird. Ob in jedem Falle, in dem eine Zweckvereinbarung vorliegt, auch ein Änderungs- oder Rücktrittsvorbehalt vereinbart sein wird, ist fraglich. Nach der hinsichtlich der Annahme von Änderungsvorbehalten recht weitreichenden Ansicht Coings ist ein solcher bereits dann zu bejahen, wenn es den Parteien darum geht, daß ein in der Vertragsurkunde von ihnen klar benannter Vertragszweck trotz einer wesentlichen Änderung der persönlichen und sachlichen Umstände erreicht wird387. Der Versorgungszweck wird sich der Urkunde aber oft nicht so klar und deutlich entnehmen lassen; die Zweckvereinbarung ist ja gerade nicht Bestandteil des erbrechtlichen Geschäfts. Bei Lichte betrachtet wird hinsichtlich der Vereinbarung eines Änderungsvorbehalts wie folgt zu entscheiden sein: Läßt sich der Versorgungszweck dem Vertrag nach allgemeinen Auslegungsregeln entnehmen, kommt es darauf an, ob nur die Ehegatten oder auch der endbedachte Dritte Partei des Erbvertrages sind. Sind nur die Ehegatten Partei, entspricht es dem Bindungsinteresse beider Gatten, daß bei einer Zweckvereinbarung auch ein 382 Zur Zulässigkeit eines Änderungsvorbehalts siehe nur BGHZ 26, 204 (208); Coing, NJW 1958, 689 (691); MünchKomm-Musielak, § 2278 Rn. 15; Soergel-Manfred Wolf, § 2278 Rn. 7, § 2289 Rn. 12; sowie die Übersicht bei Dietmar Nolting, Änderungsvorbehalt, 51 ff. 383 BGHZ 26, 204 (210); Coing, NJW 1958, 689 (691); Staud-Kanzleiter, § 2289 Rn. 17. 384 BGHZ 26, 204 (210); Coing, NJW 1958, 689 (691); ausführlich hierzu Dietmar Nolting, Änderungsvorbehalt, 200 ff. 385 Siehe nur Soergel-Manfred Wolf, § 2293 Rn. 4. 386 Siehe nur Coing, NJW 1958, 689 (691). Die Begrifflichkeit „stillschweigend vereinbart“ und „ansonsten vorliegenden Bindung“ ist erkennbar an die Zwei-Stufen-Theorie Coings angelehnt, nach der auf der ersten Stufe ermittelt werden muß, ob eine erbvertragliche Bindung vorliegt, während auf der zweiten Stufe es um Einschränkungen dieser Bindung durch einen Änderungsvorbehalt geht. 387 Coing, NJW 1958, 689 (691).

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Änderungs- oder sogar ein Rücktrittsvorbehalt zugunsten des Überlebenden ausbedungen ist, falls sich nach dem ersten Todesfall zeigt, daß der Versorgungszweck nicht mehr erreicht werden kann. Ob eine bloße Änderung oder ein Rücktritt eröffnet werden soll, wird zum einen davon abhängen, wie stark die Rechtsstellung des Vertragserben trotz Verfehlung des Versorgungszwecks gesichert sein soll, und zum anderen davon, ob die sonstigen vertragsmäßigen Verfügungen trotz Zweckverfehlung aufrecht erhalten bleiben sollen. Soll der Dritte auf jeden Fall etwas erben, wird nur ein Änderungsvorbehalt dem Vertrag entnommen werden können. Dies könnte etwa der Fall sein, daß die Gatten den Dritten, der den Überlebenden versorgen sollte, als gemeinsamen Abkömmling gegenüber anderen gemeinsamen Abkömmlingen zu einer erheblich günstigeren Erbquote eingesetzt haben und dem Überlebenden im Zweckverfehlungsfalle eine Verschiebung der Erbquoten zugunsten der einstmals Zurückgesetzten möglich sein soll (nicht aber mehr). Soll es dem Überlebenden jedoch überlassen bleiben, ob er den Dritten weiterhin bedacht sehen will, wird ein Rücktrittsvorbehalt für den Fall der Versorgungsstörung gegeben sein. Ist hingegen auch der Dritte Partei des Erbvertrages, wird es dessen Bindungsinteresse gemeinhin nicht entsprechen, daß ein stillschweigender Änderungs- oder Rücktrittsvorbehalt für den Fall der Verfehlung des Versorgungszweckes ausbedungen sein wird. Es verbleiben dann nur die Kondiktion und die Anfechtung. 2. Der Änderungs- und Rücktrittsvorbehalt und der Tatbestand der Kondiktion

Falls eine Änderungsklausel vorliegt, könnte es zweifelhaft sein, ob in diesem Falle trotz Zweckvereinbarung die Kondiktion überhaupt tatbestandsmäßig gegeben ist. Denn diese liegt nur vor, wenn dem Endbedachten etwas geleistet wurde. Dieses „Etwas“ ist die durch § 2289 I BGB ins Werk gesetzte bindende Bedenkung, eben die erbvertragliche Anwartschaft388. Entfällt nicht gerade diese Bindung und damit das bereicherungsrechtliche „etwas“, wenn der Änderungsvorbehalt einschlägig ist? Nun vertritt in der Tat ein Teil der Rechtsprechung und Literatur die Meinung, soweit ein Änderungsvorbehalt reiche, hindere der Vorbehalt die Einschlägigkeit insbesondere des § 2289 I 2 BGB389. Ob dies erbvertragsrechtlich 388

Siehe oben § 17 I 1. So OLG Köln, NJW-RR 1994, 651 (652); Erman-Schmidt, § 2278 Rn. 4; MünchKomm-Musielak, § 2278 Rn. 16; Staud-Kanzleiter, § 2289 Rn. 17; Brox, Erbrecht, Rn. 160; v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 1, 427; Hülsmeier, Die bindende Wirkung, 96 ff.; ders., NJW 1986, 3115 (3116); Dietmar Nolting, Änderungsvorbehalt, 153 ff.; Siebert, FS Hedemann, 237 (246); Weiler, DNotZ 1994, 427 (431 ff.). 389

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überzeugt, kann letztlich dahingestellt bleiben. Denn die erbvertragsrechtliche Frage nach dem Verhältnis der Regelung des § 2289 I BGB zum vertraglichen Änderungsvorbehalt muß von der bereicherungsrechtlichen Frage nach dem relevanten „etwas“ unterschieden werden. Bereicherungsrechtlich erlangter Vorteil ist all dasjenige, was nach dem Parteiwillen Gegenstand des Austausches ist, mit anderen Worten, all das, was sie als für sich wertvoll einschätzen390. Was ist Gegenstand des Austauschs bei einer erbvertraglichen Bedenkung des Dritten, die unter einem Änderungsvorbehalt steht? Man kommt der Beantwortung dieser Frage näher, wenn bei einer derartigen Bedenkung ein Blick auf die Feststellungslast im Erbscheinsverfahren geworfen wird. In den hiesigen Fällen war die Bedenkung des Dritten ausdrücklich vertragsgemäß ausbedungen, während der Änderungsvorbehalt regelmäßig nur als stillschweigende Klausel angenommen werden konnte. Nun ist die Ermittlung des rechtlich geltenden Inhalts einer Verfügung von Todes wegen per Auslegung keine Tatsachenfeststellung, sondern „richterliche Tätigkeit im Bereich der Rechtsanwendung“391. Soweit es aber um die Erhebung der Umstände geht, die für die Auslegung eine Rolle spielen, gelten die verfahrensrechtlichen Vorschriften über die Tatsachenfeststellung392. Können für die Auslegung bedeutsame Tatsachen nicht bewiesen werden, handelt es sich mithin um eine Feststellungsfrage; es gelten dann die allgemeinen prozesualen Grundsätze über die Feststellungslast393. Nun läßt die Nichterweislichkeit einer rechtshindernden Tatsache die Feststellung des Erbrechts unberührt394. Kann allenfalls ein stillschweigender Änderungsvorbehalt greifen und kann dieser – in Anwendung der soeben ermittelten Grundsätze – im konkreten Fall allein aufgrund des Umstands angenommen werden, daß der Dritte den Überlebenden versorgen soll, so führt die Nichterweislichkeit einer auf die Versorgung des überlebenden Teils gerichteten Motivation der Erbvertragsparteien, daß ein Änderungsvorbehalt nicht angenommen werden kann; das Erbrecht bliebe weiterhin festzustellen. Dieser verfahrensrechtliche Umstand birgt für den Dritten einen nicht zu unterschätzenden Vorteil, wenn die Ehegatten mit ihm keine Versorgungszusage geschlossen haben, sondern ihn durch die Bedenkung zur Versorgung bloß veranlassen wollten. Ist vor diesem Hintergrund dem Dritten bereicherungsrechtlich ein Vorteil zugewendet worden?

390

Siehe ausführlich oben § 17 I 1. BGH, WM 1978, 377 (378); MünchKomm-Leipold, § 2084 Rn. 82 (dort das Zitat); Soergel-Loritz, § 2084 Rn. 79. 392 MünchKomm-Musielak, § 2084 Rn. 82; Soergel-Loritz, § 2084 Rn. 79. 393 MünchKomm-Musielak, § 2084 Rn. 83; Soergel-Loritz, § 2084 Rn. 79. 394 MünchKomm-Promberger, § 2359 Rn. 10. 391

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Davon wiederum kann keine Rede sein. Denn der Beweisvorteil, der dem Dritten eventuell zukommt, soll nach dem Willen der Ehegatten ja keineswegs Gegenstand des bereicherungsrechtlich relevanten Austausches sein. Hieraus folgt, daß im Falle eines (möglicherweise auch erst im Rahmen einer ergänzenden Vertragsauslegung) ermittelbaren Änderungsvorbehalts ein bereicherungsrechtlich relevantes „Etwas“ entfallen ist, soweit der Vorbehalt reicht. Und kann ein Änderungsvorbehalt nicht festgestellt werden, ist die Frage von eher theoretischer Natur, ob ein „Etwas“ nicht möglicherweise doch nicht geleistet worden ist, weil unabhängig von der prozessualen Situation die Parteien doch einen Änderungsvorbehalt vereinbart hätten, der nur nicht erwiesen werden könne. Schließlich spricht gegen eine Inkompatibilität von Änderungsvorbehalt und Kondiktion auch nicht, daß der Änderungsvorbehalt erst praktisch relevant wird, wenn der Änderungsfall eingetreten ist. Es ist ungereimt, deshalb zu behaupten, vorher habe der Endbedachte durchaus ein bereicherungsrechtliches Etwas (nämlich die bindende Bedenkung) erlangt. Wieso sollte dies bereicherungsrechtlich relevant sein, wenn nun einmal im Fall der Zweckverfehlung (und damit des Wegfalls des rechtlichen Grundes) das „Etwas“ wieder entfällt, da dann ja die Änderungsklausel greifen würde? Im Ergebnis kann deshalb notiert werden, daß sich ein Änderungsvorbehalt und die Kondiktion tatbestandsmäßig ausschließen. 3. Die Selbstanfechtung und der Tatbestand der Kondiktion

Soeben wurde dargelegt, daß sich ein Änderungsvorbehalt und die Konditkion tatbestandsmäßig ausschließen, weil dann ein Vorteil, der bereicherungsrechtlich relevant dem Endbedachten geleistet werden kann, ausgeschlossen werden kann. Gilt gleiches auch für die Anfechtung? Diese vernichtet ja ebenfalls die Bedenkung des Dritten und greift tatbestandsmäßig gerade im Falle der Verfehlung der schon im Zeitpunkt des letztwilligen Verfügens bestehenden Versorgungsmotivation. Von dem Verhältnis zwischen Anfechtung und Kondiktion war schon im Zusammenhang mit dem Beziehung zwischen einer kausalen und einer abstrakten Verknüpfung von Zuwendung und Zweck die Rede395. An dieser Stelle steht nun nicht diese Beziehung, sondern der Tatbestand der Kondiktion als solcher zur Debatte. Richtigerweise schließt die Anfechtungsmöglichkeit die Kondiktion nicht aus. Dies zeigt schon ein Vergleich mit dem allgemeinen Vermögensrecht. Wenn ein Verpflichtungsgeschäft aufgrund einer arglistigen Täuschung eingegangen worden ist und es unter Einfluß der Täuschung durch eine Verfügung erfüllt worden ist, ist auch das Erfüllungsgeschäft nach § 123 I BGB anfechtbar396. Solange das letztere noch nicht angefochten ist, bleibt aber 395

Oben § 18 I 2 b.

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Kap. 7: Verpfründung und Veranlassung

immer noch die Kondiktion eröffnet, wenn das Verpflichtungsgeschäft qua Anfechtung entfällt. Darüberhinaus wird auch sonst nicht behauptet, die Anwartschaft des vertragsmäßig Bedachten aus § 2289 I BGB reiche nur soweit, wie die Anfechtung nicht greift. Schließlich tritt auch kein Wertungswiderspruch zur gegenteiligen Entscheidung beim Änderungsvorbehalt ein. Bei einem Änderungsvorbehalt legen die Parteien dar, daß sie sich bei Lichte betrachtet keiner vertraglichen Bindung unterwerfen sehen wollen, wenn der Vorbehaltsfall eintritt. Bei der bloßen Anfechtbarkeit fehlt diese Klarheit im Willen. Es gilt also: Die Anfechtbarkeit der vertragsmäßigen Bedenkung hindert nicht, daß dem Dritten etwas zugewendet worden ist. III. Der Sonderfall der nachträglichen Zweckvereinbarung Es konnte auch gezeigt werden, daß im Bereich des Erbvertrags ebenso wie im allgemeinen Vermögensrecht eine nachträgliche Zweckvereinbarung zulässig ist397. Gegen diesen Befund kann nicht angeführt werden, damit würde wertungswidersprüchlich auf die Beschränkung der Anfechtungstatbestände reagiert, die die Anfechtung nun einmal auf die Verfehlung solcher Motive beschränken, die für die Verfügung von Todes wegen bestimmend waren. Denn Anfechtung und Kondiktion verfolgen unterschiedliche Zwecke; geht es hier um den Schutz des personalen Selbst des Verfügenden, stehen dort Reaktionen auf Zweckverfehlungen auf der Basis einer quasi-kontraktuellen Vereinbarung in Rede398. Mit der Zulässigkeit nachträglicher Zweckvereinbarungen ist der condictio ob rem ein originäres Anwendungsfeld in einem Bereich erschlossen, der der Anfechtung nicht offen steht. Voraussetzung bleibt jedoch – wie auch sonst –, daß der Endbedachte der Zweckvereinbarung zustimmt oder daß seine Zustimmung angenommen werden darf. Oftmals wird hieran eine Zweckvereinbarung scheitern.

396 Zu diesem Fall der Fehleridentität siehe nur Dieter Schwab, Einführung in das Zivilrecht, Rn. 612. 397 Siehe oben § 18 I 4. 398 Dazu oben § 18 I 4 b.

§ 19 Ergebnis zu Leistungsstörungen beim entgeltlichen Erbvertrag

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IV. Ergebnis: Die Bewältigung von Leistungsstörungen beim entgeltlichen Erbvertrag und der Sinn der Kondiktion 1. Der Anwendungsbereich und die praktische Bedeutung der Kondiktion

a) Der Normalfall Frucht der bisherigen Überlegungen ist die Einsicht, daß der condictio ob rem zwar ein durchaus weiter Anwendungsbereich beschieden ist, soweit zur Rede steht, wie der Überlebende bei der Nichterfüllung, Schlechterfüllung oder verzögerten Leistung der zugesagten oder erwarteten Versorgung seine Testierfreiheit wiedergewinnen kann. Sie ist zumindest dann eröffnet, wenn die Ehegatten den Dritten bedacht haben, um die Versorgung des überlebenden Teils durch ihn sicherzustellen, falls der Dritte Partei des Erbvertrages ist und die Versorgungsmotivation der Gatten kennt. Die Kondiktion ist auch einschlägig, wenn der Erbvertrag nur zwischen dem überlebenden Teil und dem Dritten von dem Überlebenden zu dem Zweck seiner Versorgung geschlossen wurde und der Dritte diesem nicht klar zu verstehen gegeben hat, daß er der Zweckbestimmung nicht nachzukommen gedenkt. Ist der Dritte hingegen nicht Partei des Erbvertrages, wird im Zweifel ein Änderungsvorbehalt für den Fall der Störung in der Versorgung mit der Folge vorliegen, daß die Kondiktion tatbestandsmäßig ausgeschlossen ist399. Der Anwendungsbereich der Kondiktion ist rechtstechnisch gesehen also alles in allem doch noch relativ erheblich. Gleichwohl wird der condictio eine praktisch relativ geringe Rolle zukommen, wenn es um die Verfehlung einer Motivation geht, die schon die Verfügung von Todes wegen tragend bestimmt hat. Denn neben der Kondiktion wird durchweg dem Überlebenden die Anfechtung seiner vertragsmäßigen Verfügung nach §§ 2281 ff., 2078 II BGB möglich sein. Selbst wenn – wie häufig bei einem Verpfründungsvertrag400 – die Parteien die Anfechtung wegen Motivirrtums ausgeschlossen haben werden, bedeutet dies noch lange nicht, daß nunmehr die Kondiktion greift. Denn nach dem Willen der Parteien wird der Anfechtungsausschluß auch auf die Kondiktion durchschlagen. Diese beruht ja darauf, daß Motive zu rechtlich erheblichen Zwecken aufgrund einer Zweckvereinbarung erhoben und abstrakt mit der Zuwendung verbunden werden. Wollen die Parteien wegen des Anfechtungsausschlusses jedoch, daß keinerlei Motive in der Abwicklung des Vererbungsvorganges relevant werden, kann dies nicht über den Umweg der Kondiktion unterlaufen werden. Und läßt sich der Anfechtungsausschluß so 399 400

Siehe soeben § 19 II 2. Dazu schon oben § 16 II 1.

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Kap. 7: Verpfründung und Veranlassung

auslegen, daß für den Fall der Leistungsstörung in der Versorgung eine Anfechtung doch in Betracht kommt, wird damit zwar auch die Kondiktion gegeben sein, aber wiederum nur neben der Anfechtung. Insgesamt gesehen kann der überlebende Teil seine Testierfreiheit auch per Anfechtung und per Geltendmachung der condictio ob rem wiedergewinnen. Gleichwohl finden sich dennoch praktische Unterschiede zwischen Kondiktion und Anfechtung. Einmal trägt bei der Kondiktion der Bedachte ohne Rückgriffsmöglichkeit im Innenverhältnis zum Überlebenden die Beurkundungskosten seiner Erklärung zur Zustimmung in die erneute Verfügung von Todes wegen401. Bei der gem. § 2282 III BGB notariell zu beurkundenden Anfechtung trägt die Beurkundungskosten im Außenverhältnis zum Notar jedoch der Anfechtungsberechtigte, also der Überlebende, § 2 Nr. 1 KostO. Ob er sich diese von dem Dritten wieder zurückholen kann, entscheidet sich nach deren Verhältnis. Liegt nur ein Veranlassungsfall vor, scheidet ein Rückgriff regelmäßig aus, da vertragliche Beziehungen zwischen dem Ehegatten und dem Dritten fehlen. Liegt hingegen eine Versorgungszusage des Dritten vor, müssen die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs gegeben sein, damit ein Rückgriff auf den Dritten Erfolg hat. Man sieht also, daß sich hinsichtlich der Kostenfrage Anfechtung und Kondiktion durchaus unterscheiden. Darüberhinaus – und dies ist ungemein wichtiger als die Kostenfrage – heben sich Kondiktion und Anfechtung auch in einem praktisch durchaus manchmal bedeutsamen Punkt voneinander ab. Denn die Rechtsfolge der Kondiktion geht auf Zustimmung zu einer erneuten Verfügung von Todes wegen. Diese Zustimmung wird notariell beurkundet402. Hat der Dritte die Zustimmungserklärung abgegeben, ohne vorher zur Zustimmung mit dem Ziel des § 894 ZPO verklagt gewesen zu sein, hat im Falle der erneuten Verfügung von Todes wegen der neue Erbe des Überlebenden einen durchaus gewichtigen prozessualen Vorteil erlangt. Denn leitet der neue Erbe das Erbscheinsverfahren ein, kann er sich hinsichtlich der für die Wirksamkeit seiner Bedenkung ja ausschlaggebenden Zustimmung des Dritten auf die Beweiskraft notarieller Urkunden berufen, § 15 FGG i.V. m. § 415 I ZPO analog403. Meint der Dritte dann, er sei zur Zustimmung dennoch nicht verpflichtet gewesen, muß er seinerseits versuchen, sie zu kondizieren. Es ist dann aber seine Sache nachzuweisen, daß die Voraussetzung der Kondik401

Oben § 18 III 1 d. Siehe oben § 18 III 1 c. 403 Richtigerweise besitzen öffentliche Urkunden auch im Erbscheinsverfahren die ihnen nach den §§ 415 ff. ZPO zukommende Beweiskraft, siehe nur BayObLGZ 1968, 268 (272); Keidel-Schmidt, § 15 FGG Rn. 53; Firsching-Graf, Nachlaßrecht, Rn. 4.249; MünchKomm-Promberger, § 2359 Rn. 9; anders RGRK-Kregel, § 2359 Rn. 2. 402

§ 19 Ergebnis zu Leistungsstörungen beim entgeltlichen Erbvertrag

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tion seinerzeit nicht vorgelegen haben. Gesetzt den Fall, ohne Anfechtung wäre das gemeinschaftliche Testament zur Überzeugung des Gerichts bindend und würde zur Unwirksamkeit widersprechender Zweitverfügungen führen, hätte es bei dem Weg über die Anfechtung der Dritte aber erst einmal in der Hand, von dem neuen Erben den Nachweis zu verlangen, daß die Verfügung irrtumsbedingt und der Irrtum zudem erheblich ist404. Mißlingt der Nachweis, kann die Erbberechtigung des neuen Erben nicht aufgezeigt werden. In der Vermeidung dieses prozessualen Risikos liegt daher der Vorteil der Kondiktion. Freilich liegt auf der Hand, daß auch dieser Vorteil nicht immer praktisch werden wird. Denn oft wird sich der Dritte vom Überlebenden zur Zustimmung verklagen lassen. Ein prozessualer Vorteil der Kondiktion für den neuen Erben wäre dann nicht gegeben. b) Der Sonderfall: Nachträgliche Zweckvereinbarung Der condictio ob rem ist über die Anfechtung hinaus ein Anwendungsbereich eröffnet, wenn die Parteien des Erbvertrages dem Vertrag nachträglich eine andere Zweckrichtung unterlegen und damit eine nachträgliche Zweckvereinbarung abschließen und wenn der Endbedachte dieser Vereinbarung zustimmt oder von seiner Zustimmung ausgegangen werden darf405. In derartigen Fällen ist bei einer Zweckverfehlung die Anfechtung ausgeschlossen. Helfen kann hier dann die condictio. 2. Der Rücktritt vom Erbvertrag gem. § 2295 BGB

Es war schon die Rede davon, daß im Falle der Schlechterfüllung, des Verzugs oder der Nichterfüllung der schuldrechtlichen Versorgungszusage herrschender Ansicht nach ein Rücktritt des Erblassers vom Erbvertrag gem. § 2295 BGB ausgeschlossen ist406. Nichts spricht jedoch dagegen, für den Fall, daß die Versorgungsverpflichtung wegen Kündigung (bei einem Dauerschuldverhältnis oder bei Leistung von Diensten) oder wegen Verzugs bei Interessenwegfall erloschen ist, dem Überlebenden entgegen einiger Stimmen407 ein Recht auf Rücktritt vom Erbvertrag nach § 2295 BGB zu gewähren408. Der Wortlaut des § 2295 BGB, der von „aufheben“ spricht, ist insofern mißverständlich. Der Gesetzgeber ging davon aus, der in seinen 404

Siehe allg. zur Feststellungslast im Erbscheinsverfahren Keidel-Kayser, § 12 FGG Rn. 194. 405 Dazu oben § 18 I 4; § 19 III. 406 Oben § 16 II 1. 407 So Dittmann/Reimann/Bengel-Bengel, § 2295 Rn. 6; Staud-Kanzleiter, § 2295 Rn. 7; Kipp/Coing, Erbrecht, § 40 I 2 b; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 264; Knieper, DNotZ 1968, 331 (333).

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Kap. 7: Verpfründung und Veranlassung

Erwartungen enttäuschte Vertragserblasser könne auf jeden Fall kondizieren und so die Zustimmung in die Aufhebung des Erbvertrages verlangen. Bei einer Aufhebung der Leistungsverpflichtung solle zur Verkürzung ein besonderes Rücktrittsrecht (eben nach § 2295 BGB) eingerichtet werden409. Wie gezeigt wurde, kommt eine Kondiktion nicht immer in Frage. Im Interesse eines einheitlichen Ansatzpunktes zur Wiedergewinnung der Testierfreiheit ist es deshalb besser, sämtliche Fälle des Wegfalls der schuldrechtlichen Versorgungszusage einheitlich unter § 2295 BGB zu subsumieren. Hiergegen verschlägt nicht der Einwand, eine extensive Auslegung des § 2295 BGB sei wegen des Bindungsinteresses des Vertragserben nicht sinnvoll, so daß die Vorschrift auf eine einverständliche Aufhebung des schuldrechtlichen Geschäfts beschränkt sei410. Gibt das Leistungsstörungsrecht dem Überlebenden Instrumente, die Versorgungszusage wegfallen zu lassen, ist das Bindungsinteresse des Dritten genauso wenig schützenswert, als ob dieser in die Aufhebung der Versorgungszusage eingewilligt hätte. Hingegen kann auf § 2295 BGB auch nicht im Wege der Analogie zurückgegriffen werden, wenn eine Versorgungszusage nicht vorliegt, sondern der Dritte durch die vertragsmäßige Bedenkung zur Versorgung nur veranlaßt werden sollte. Soweit § 812 I 2 Alt. 2 BGB greift, fehlt es schon an einer Lücke im Gesetz411. Zwar greift die condictio ob rem nicht, wenn gesetzliche Regelungen der Zweckverfehlung vorhanden sind412 – und hier könnte man der Meinung sein, es sei eine derartige Regelung qua Analogie zu § 2295 BGB auszumachen. Da aber die condictio zumindest ein rechtskonstruktiv klares Gerüst bereitgestellt, anhand dessen die Entbindung des Erblassers plausibel überprüft werden kann, bietet es sich an, statt auf § 2295 BGB analog auf die condictio ob rem abzustellen. Die Frage ist sowieso wenig relevant, da die Frage, ab welchem Grad der Zweckstörung ein Rücktritt möglich wäre und die Kondiktion greift, identisch entschieden werden muß, wenn es nicht zu einem Wertungswiderspruch kommen soll. Soweit die Kondiktion nicht gegeben ist, wird oft ein vertraglicher Änderungs- oder Rücktrittsvorbehalt vereinbart sein. Für die restlichen Fälle ist nicht ersichtlich, wieso statt der Anfechtung der 408 Ebenso LG Köln, DNotZ 1978, 685; Soergel-Manfred Wolf, § 2295 Rn. 3; RGRK-Kregel, § 2295 Rn. 3; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 25 X 2 b; Leipold, Erbrecht, Rn. 400; v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 1, 410; Lüke, Vertragliche Störungen, 50; Hohmann, Rechtsfolgen von Störungen, 99 ff. 409 Siehe Prot. V, 411. 410 So Bengel, DNotZ 1978, 687 (688). 411 Demgegenüber sieht ohne Begründung die §§ 2295 ff. BGB gegenüber der condictio ob rem als vorrangig an Weber, JZ 1989, 25 (29). 412 Dazu nur MünchKomm-Lieb, § 812 Rn. 158; allg. zum Verhältnis der Kondiktion zum gesetzlichen Rücktrittsrecht Reuter/Martinek, Bereicherungsrecht, § 19.

§ 19 Ergebnis zu Leistungsstörungen beim entgeltlichen Erbvertrag

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Rücktritt stattfinden soll. Auch hier ist deshalb wegen den §§ 2281 ff. BGB keine Lücke ersichtlich413. 3. Fazit

Neben der Kondiktion wird fast immer die Anfechtung wegen Motivirrtums dem Überlebenden die Testierfreiheit zurückgegeben. Die praktisch zu vernachlässigende Ausnahme liegt vor, wenn die Anfechtung ausgeschlossen, darüberhinaus auch kein Änderungs- oder Rücktrittsvorbehalt ausbedungen und gleichwohl eine relevante Zweckvereinbarung gegeben ist. Ein derartiger Fall dürfte in praxi kaum je vorkommen. Daneben wird dem Überlebenden für den Fall, daß eine Versorgungszusage abgeschlossen worden ist und der Überlebende diese Zusage kraft der ihm zur Verfügung stehenden Rechte bei Leistungsstörungen zum Wegfall gebracht hat, auch das Rücktrittsrecht des § 2295 BGB zur Seite stehen. Außer den oben beschriebenen414 Vorteilen (Beurkundungskosten, Beweisvorteil) kommt der condictio daher ein praktisch relevanter Gehalt nur zu, wenn eine nachträgliche Zweckvereinbarung vorliegt und der Endbedachte ihr zugestimmt hat oder von seiner Zustimmung ausgegangen werden darf. Das gefundene Ergebnis mag manchen enttäuschen. Manchem mag auch der Aufwand, mit der hier der Katharsis der Bereicherungsdogmatik sich zu nähern versucht wurde, übertrieben erscheinen. Doch mit der Einsicht in die – bis auf die nachträgliche Zweckvereinbarung – weitgehende praktische Irrelevanz einer Möglichkeit, sich von der erbvertraglichen Bindung zu lösen, ist nicht nichts gewonnen. Vielmehr sind die Instrumente, die dem Überlebenden zur Verfügung stehen, um seine Testierfreiheit wiederzugewinnen, deutlicher konturiert und eine Schneise ins Dickicht der dogmatischen Streitigkeiten im Recht des entgeltlichen Erbvertrages geschlagen worden. Für eine recht verstandene Dogmatik ist auch dies ein sinnvolles Ergebnis.

413 Lüke, Vertragliche Störungen, 51 Fn. 203; und Hohmann, Rechtsfolgen von Störungen, 101, sehen das Verhältnis zwischen Rücktritt und Anfechtung eher umgekehrt. 414 Oben § 18 III 1.

Kapitel 8

Versorgung – Pflichtteilsrecht – Unterhaltsrecht § 20 Die herkömmliche Versorgung des zurückgesetzten Ehegatten Die Versorgung des überlebenden Ehegatten wurde bislang auf der Ebene des entgeltlichen Erbvertrages oder der Fallgestaltungen diskutiert, bei denen der Bedachte durch seine erbvertragliche oder bindend per korrespektiver Verfügung ins Werk gesetzte Bedenkung zur Versorgung des Überlebenden veranlaßt werden soll1. Hier stand allerdings nicht die Versorgung selbst im Mittelpunkt der Überlegungen, sondern die rechtlichen Instrumente, die dem Ehegatten zur Verfügung stehen, wenn der schuldrechtlich zur Versorgung verpflichtete oder zur Versorgung veranlaßte Bedachte die Versorgung nicht, nur schlecht oder verzögerlich erbringt. Nunmehr steht die Versorgung des Überlebenden selbst auf dem Tableau. Die Ehegatten können hierzu von Todes wegen ihren Beitrag leisten, indem sie etwa den Überlebenden als Alleinerben einsetzen, ihm Vermächtnisse aussetzen oder ihn auflagenweise absichern. Die Kautelarjurisprudenz hat hier ein reichhaltiges Reservoir an Regelungen erarbeitet; auf dieses sei hier verwiesen2. Interessanter und rechtlich ungleich schwieriger sind die Fallgestaltungen, in denen einerseits die Ehegatten zu Lebzeiten keine Vorsorge für die Versorgung des je Überlebenden getroffen haben und in denen andererseits der Erstverstorbene den anderen Teil nur in Höhe seines gesetzlichen Erbteils oder geringer bedacht, auf den Pflichtteil gesetzt oder sogar gänzlich enterbt hat. Ist der Überlebende hier bedürftig, steht in Rede, wie ihm geholfen werden kann. Nun wird eine unentziehbare Mindestbeteiligung nächster Angehöriger am Vermögen des Erblassers durch das Pflichtteilsrecht gewährleistet. Der Pflichtteil kann als eine primär unterhaltsäquivalente und die Personalität der ehelichen und familiaren Beziehung verkörpernde Nachlaßpartizipation verstanden werden. Zudem kann im Pflichtteil nicht nur die grundsätzlich (abgesehen von den §§ 2333 ff. BGB) unentziehbare, sondern darüberhinaus die ausschließliche Mindestbeteiligung am Erblasservermögen gesehen werden. Vor diesem Hintergrund lautet die nunmehr zu 1

Siehe oben § 16 bis § 19. Siehe nur das umfangreiche Werk von Langenfeld, Testamentsgestaltung, Kap. 5 und 6. 2

§ 20 Die herkömmliche Versorgung des zurückgesetzten Ehegatten

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untersuchende Frage, ob auch jenseits des Pflichtteilsrechts die Rechtsordnung Instrumentarien bereitstellt, einer grob unbilligen Nichtversorgung des überlebenden Ehegatten entgegenzutreten. I. Der Ansatz der Rechtsprechung: Sozialmoral-gesteuerter Ehe- und Familienschutz 1. Motivierung, Inhalt und Zweck als Agens einer Gesamtwürdigung des letztwillig Verfügten

Der Ausgangsfall, um den es im folgenden gehen soll, stellt sich typischerweise wie folgt dar: Der Erstverstorbene hat den anderen Teil enterbt, auf den Pflichtteil gesetzt oder in Höhe seines gesetzlichen Erbteils oder geringer bedacht und zugunsten eines Dritten, etwa eines außerehelichen Partners verfügt. Der bedürftige Überlebende sieht sich seiner privaten Versorgung beraubt und möchte dem Abhilfe verschaffen. Die Rechtsprechung verwies ihn grundsätzlich auf den Pflichtteil oder den Zugewinnausgleich nach § 1371 II BGB und fand allenfalls in der Bedenkung des außerehelichen Partners verwerfliche Momente, die zur Nichtigkeit der letztwilligen Verfügung führen könnten3, und kompensierte dadurch die Notlage des Überlebenden. Den entscheidenden Grund für die Sittenwidrigkeit der letztwilligen Verfügung sieht die Rechtsprechung auch hier wieder in der unredlichen Gesinnung des Erblassers, wie sie in dem Rechtsgeschäft4 zum Ausdruck komme und eine Verwirklichung anstrebe; es komme daher allein auf den sich aus Inhalt, Beweggrund und Zweck ergebenden Gesamtcharakter des Rechtsgeschäfts an, der an der Sittenordnung zu messen sei5. Bei nicht 3 Die Thematik Ehe, Familie und außereheliche Partnerschaft im Kontext der Sittenwidrigkeit letztwilliger Verfügungen ist schon vielfältig untersucht worden, so daß die Ausführungen hier auf das Notwendigste beschränkt werden können. Vgl. als Überblick über die feinteilig verästelte Rechtsprechung insbesondere Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen, 213–254; Simshäuser, Sittenwidrigkeit, 1971; StaudOtte, vor § 2064 Rn. 148 ff.; ders., JA 1985, 192 (195 ff.); Staud-Sack, § 138 Rn. 438 ff.; Erman-Schmidt, vor § 2064 Rn. 15 ff.; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 35 IV 3 a, b; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 290 f.; Nieder, Testamentsgestaltung, Rn. 328 ff. Ansonsten siehe zur Sittenwidrigkeitsproblematik schon oben § 15 II 3. 4 Seit der grundlegenden Entscheidung des BGH vom 31. März 1970 (BGHZ 53, 369 ff.) ist die Anknüpfung des Sittenwidrigkeitsverdikts an das letztwillige Rechtsgeschäft und nicht an das Verhalten des Verfügenden ständige Entscheidungspraxis, vgl. nur BGHZ 53, 369 (375); NJW 1973, 1645 (1646); 1983, 674 (675); 1984, 2150 (2151); BayObLG FamRZ 1985, 1082 (1083); 1984, 1153 (1154). Freilich befreite sich die Rechtsprechung erst in der Entscheidung vom 10. November 1982 (NJW 1983, 674) gänzlich von einer moralisierenden Bewertung des Verhaltens des Erblassers. 5 BGHZ 53, 369 (375) mit Bezug auf BGHZ 20, 71 (73 f.); BGH NJW 1983, 674; BayObLG RPfl 1987, 359.

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Kap. 8: Versorgung – Pflichtteilsrecht – Unterhaltsrecht

ausschließlich geschlechtlich motivierten Zuwendungen trat das Gesinnungsmoment freilich etwas zurück; im Vordergrund stand hier mehr im wesentlichen der Inhalt der Verfügung unter Einschluß seiner Auswirkungen6. Die erforderliche Gesamtwürdigung aller Umstände7 umfaßt beispielsweise Fragen nach der Art der Beziehung des Erblassers zur bedachten Person (graduelle Abstufung von einer ausschließlich sexuell motivierten8 bis hin zu einer auf Dauer angelegten und von einer inneren Bindung getragenen Beziehung9), nach dem Familienstand des Erblassers oder der Bedachten, nach dem Grund und der Art und Weise der letztwilligen Zuwendung, nach der Person des Zurückgesetzten, den Beziehungen zwischen ihm und dem Erblasser (Grad der Verwandtschaft; aufopferungsvolle Pflege oder sonstiges erhebliches Opfer des Zurückgesetzten zugunsten des Erblassers), nach den insbesondere wirtschaftlichen Auswirkungen der Verfügung auf die zurückgesetzte Person sowie nach der Beteiligung der Ehefrau des Erblassers am Erwerb des letztwillig Zugewendeten10. Die Zurücksetzung solle hierbei um so schwerer wirken, je enger das familienrechtliche Verhältnis war, in dem die Zurückgesetzten zu dem Erblasser standen11. Eine derartige nicht hinzunehmende unzumutbar12 kränkende Zurücksetzung naher Angehöriger fand die Rechtsprechung insbesondere in einer unzumutbaren Ungleichheit der Vermögensverteilung13 mit der Folge einer anteilsmäßigen Beteiligung der Übergangenen an der Erbenstellung auf der Basis der Teilnichtigkeit der letztwilligen Verfügung14, in der Zuweisung einer von 6

BGHZ 53, 369 (377). BGH NJW 1964, 764; BGHZ 52, 17 (20); 53, 369 (377). 8 RG LZ 1922, 556; LG Berlin, DNotZ 1942, 111. 9 BGHZ 77, 55 (59); BayObLG FamRZ 1984, 1153. 10 BGHZ 53, 369 (377 f.). 11 BGHZ 53, 369 (377). 12 BGH NJW 1968, 932 (934). 13 Vgl. zu einzelnen, nicht nur auf den zurückgesetzten Ehegatten beschränkten Fallgruppen: Übergehen eines Kindes zugunsten nicht-pflichtteilsberechtiger Personen mit der vom Erblasser gewollten oder nur infolge von Gleichgültigkeit übersehenen Folge, daß das Kind bedürftig im Sinne des Unterhaltsrechts bleibt oder wird: BGH NJW 1984, 2150 f. Sicherung der Nachlaßbeteiligung pflichtteilsberechtiger Angehöriger in krassen Fällen: BGH NJW 1983, 674; BGHZ 111, 36 (40). Keine Sittenwidrigkeit bei Übergehung der finanziell angesicherten Ehefrau durch Einsetzung des Freundes: BayObLG FamRZ 1986, 1248; 1992, 226. Mögliche Sittenwidrigkeit einer Verfügung, in der Geschwister oder entferntere Verwandte, die für den Erblasser besondere Opfer erbracht hatten oder zu ihm in einem besonderen Vertrauensverhältnis stande, gegenüber der außerehelichen Partnerin zurückgesetzt wurden: Obiter dictum in BGHZ 53, 369 (377 f., 382). Vermächtnis eines bedeutsamen Vermögensgegenstandes an die außereheliche Partnerin unter Übergehung der Ehefrau und Kinder: BGH NJW 1983, 674. Unausgewogene Teilungsanordnungen: BGH LM § 138 BGB (Cd) Nr. 2. Zuweisung der von den Familienangehörigen noch zu erarbeitenden Rente an die Geliebte: RGZ 166, 395 (398). 7

§ 20 Die herkömmliche Versorgung des zurückgesetzten Ehegatten

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dem außerehelichen Partner abhängigen15 oder zumindest zum ständigen Kontakt mit dem Partner nötigenden16 Rechtsstellung der nächsten Angehörigen und schließlich in der Zuwendung von Gegenständen von besonderen lebenspraktischen Wert an familienfremde Personen17. 2. Objektivierungstendenzen im Kontext von Ehe und Familie?

Motivierung, Inhalt und Zweck der letztwilligen Verfügung geben somit nach dem Guten-Sitten-Modell der Rechtsprechung die Orientierungsdaten vor, auf die die Würdigung des Verhaltens und der Beziehungen aller beteiligten Personen ausgerichtet werden soll. Gegen die Rechtsprechung ist vorgetragen worden, die von ihr bemühte Ehe- und Geschlechtsmoral gehöre tendenziell mehr und mehr objektiviert und ihrer subjektiven Komponente entkleidet, so daß im Vordergrund der Sittenwidrigkeitsprüfung zunehmend verbindliche objektive Standards eines geordneten Zusammenlebens in einer bestimmten gesellschaftlichen Situation nach Kriterien der Angemessenheit, Vernünftigkeit und Unabdingbarkeit im Sinne einer public policy stehen müßten18. Zudem erwecke die Rechtsprechung, die weiterhin den Topos einer „unredlichen19“ oder „familienfeindlichen20 Gesinnung“ bemüht, 14 Für die Rückführung des letztwillig Verfügten auf das rechtlich zulässige Maß votieren BGHZ 52, 17; 53, 369; FamRZ 1963, 287; OLG Karlsruhe, FamRZ 1967, 691. Im einzelnen: Drittelparität der beiden Kinder des Erblassers neben der Geliebten in der Erbenstellung: BGH FamRZ 1963, 287. Halbteilung des Nachlasses entsprechend Pflichtteilsgrundsätzen zwischen der Ehefrau und sieben Kindern auf der einen und der Geliebten auf der anderen Seite: BGHZ 52, 17 (23 f.). 15 Berufung der Geliebten zur Testamentsvollstreckerin: BGH LM § 138 BGB (Cd) Nr. 2. 16 Einsetzung der Geliebten als Alleinerbin mit der Folge, daß Ehefrau und Kinder sich zur Geltendmachung ihrer Pflichtteilsansprüche an sie wenden müssen: BGH FamRZ 1963, 287 (289); BGHZ 52, 17 (22 f.). Hingegen keine Sittenwidrigkeit bei dem bloßen Zustandekommen einer Erben- oder Miteigentümergemeinschaft: BGH LM § 138 BGB (Cd) Nr. 2, BGHZ 52, 17 (21 f.); 53, 369 (382 f.). Anders RG JW 1929, 33 f. bei einer hälftigen Zuwendung einer Arztpraxis je an die Geliebte und an die Tochter des Erblassers. Nießbrauchsvermächtnis an die Geliebte mit der Folge, daß die (geschiedene) Ehefrau mit ihr als ihrer Hausherrin im selben Gebäude hätte wohnen müssen: BGHZ 20, 71; OLG Köln OLGZ 68, 489. Zu derartigen Fällen siehe oben § 15 II 3 b. 17 Zuweisung des Mobiliars, der Kleidung und der Wäsche an die neben den Kindern zur Miterbin eingesetze Freundin des Erblassers: BGH LM § 138 BGB (Cd) Nr. 2. 18 Finger, JZ 1983, 608 (610). Zu den Objektivierungstendenzen der Rechtsprechung vgl. auch Simshäuser, Sittenwidrigkeit, 34 ff. Für eine Objektivierung der Nichtigkeitsprüfung generell Gernhuber, FamRZ 1960, 326 (334), vgl. aber auch ders., ebda., 330 (Objektivierung der Erforschung der Willensbildung des Erblassers); Ramm, JZ 1970, 129 (131); Rauscher, Reformfragen, 265 f. Kritisch insoweit Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen, 141 ff., 165 ff.

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Kap. 8: Versorgung – Pflichtteilsrecht – Unterhaltsrecht

den Anschein, sie rücke das rechtsgeschäftliche Handeln des Erblassers in die Nähe sittlicher Verfehlung und Anstößigkeit und überdehne damit die Gute-Sitten-Klausel in Richtung eines sozial-moralischen Unwertgehalts. All dies kann hier dahingestellt bleiben. Denn auch angesichts der Diagnose von Objektivierungstendenzen in der Anwendung der Guten-SittenKlausel im Kontext von Ehe und Familie bleibt der Ausgangspunkt immer noch eine bestimmte partikulare Ehe- und Geschlechtsmoral, vor deren Folie das normative Muster der Guten-Sitten-Klausel entfaltet wird. Es wird nur nicht mehr so unvermittelt an die Rigidität sexual-bezogener Sozialmoralen gekoppelt, wie es der BGH früher glaubte rechtlich annehmen zu dürfen. Deutlich wird der Einfluß einer Ehe- und Geschlechtsmoral schon daran, daß der BGH allein das Bestehen einer außerehelichen Beziehung zum Anlaß nimmt, auf weitere Aufklärung zur Sache zu insistieren21 – ein Verlangen, daß nur verständlich ist, wenn eine außereheliche Beziehung überhaupt als etwas Bemerkenswertes aus der Fülle der Falldaten identifiziert zu werden vermag. Dies gelingt eben nur vor einem bestimmten normativen Hintergrund, der das Geschlechtsleben als solches und das in einer Ehe im besonderen spezifisch auszeichnet und damit die Darlegungen im Sittenwidrigkeitskontext eigentümlich modelliert. Nun wurde schon gezeigt, daß die Gute-Sitten-Klausel zumindest bei der Prüfung letztwilliger Verfügungen nicht als ein Verweis auf soziale Moralen interpretiert werden darf. Ein derartiges Verständnis des § 138 I BGB hat vor der Pluralität und Normativität der grundgesetzlich verfaßten Gesellschaft und vor dem Hintergrund einer personfunktionalen Fassung des gewillkürten Erbrechts keinen Bestand22. Es ist deshalb zunächst einmal gänzlich unbeachtlich, ob der Erblasser mit oder ohne besonderen „achtbaren“ Grund den Ehegatten enterbt23. Gerade das Insistieren auf die Vernünftigkeit, Achtbarkeit und Einsichtigkeit einer erblasserischen Motivation ist ja dort ganz ungereimt, wo diese Motivation Abbild der höchstpersönlichen Verarbeitung des je eigenen Todes ist und deshalb vor der normativen Überwältigung durch gesellschaftliche Vorstellungen eines guten Lebens geschützt werden muß. Der Weg, über die Sittenwidrigkeitsprüfung der Ver19

BGHZ 53, 369 (375). BGH NJW 1983, 674 (676). 21 Der BGH hat eine Sache, bei der nichts vorgetragen war, was die Sittenwidrigkeit der Verfügung positiv ergeben hätte, angesichts des Bestehens einer außerehelichen Beziehung an das OLG zurückgewiesen, BGH NJW 1983, 674. Kritisch hierzu Otte, JA 1985, 192 (196), vgl. auch Nieder, Testamentsgestaltung, Rn. 331. 22 Siehe oben § 14 II und ausführlich Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht § 12 III, IV. 23 So dezidiert aber Bosch, FamRZ 1986, 1250, und BGHZ 53, 369 (381) mit Rekurs auf „achtbare Motive“. 20

§ 20 Die herkömmliche Versorgung des zurückgesetzten Ehegatten

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fügung des Erstverstorbenen dem Versorgungsanliegen des Überlebenden Rechnung zu tragen, führt daher insgesamt gesehen meist nicht weiter. II. Kompensation einer grob unbilligen Nichtversorgung des überlebenden Ehegatten? Nun scheint der bedürftige überlebende Teil jeglichen Schutzes beraubt zu sein, wenn die Inhaltskontrolle einer Verfügung von Todes wegen über § 138 I BGB ihm nicht weiter hilft, gilt doch gemeinhin der Rekurs auf die Gute-Sitten-Klausel gerade als einzige und letzte Möglichkeit, den überlebenden Ehegatten vor unbilligen Härten in Folge einer familienfeindlichen letztwilligen Verfügung zu behüten, damit Parität in der Familienerbfolge zu bewahren und die immanente Teleologie des Erbrechts zu verwirklichen, welches sowohl der individuellen Testierfreiheit des Vermögensträgers als auch der kollektivistischen Teilhabe nächster Familienangehöriger am Nachlaß verpflichtet zu sein scheint. Ein derartig resignativer Schluß braucht jedoch nicht gezogen zu werden. Es kann vielmehr gezeigt werden, daß dem bedürftigen Überlebenden über die Inanspruchnahme des Pflichtteils hinaus in bestimmten Fällen geholfen werden kann. 1. Unterhaltsrechtliche versus erbrechtliche Korrektur der Bedürftigkeit des überlebenden Ehegatten post mortem: Thesen zu zwei Lösungswegen

Zwei Wege, ein unterhaltsrechtlicher und ein erbrechtlicher, bieten sich an, dem enterbten oder auf den Pflichtteil gesetzten Ehegatten dort zu helfen, wo seine Bedürftigkeit nach rechtlicher Hilfe verlangt. Unterhaltsrechtlich käme ein Anspruch auf rentenmäßige Versorgung gemäß noch näher zu spezifizierenden Unterhaltsgrundsätzen gegen den Erben in Frage. Die These hierzu lautet: Dem bedürftigen Ehegatten steht ein Unterhaltsanspruch gegen den Erben zu, wenn von dem überlebenden Ehegatten aus schwerwiegenden Gründen keine Erwerbstätigkeit erwartet werden kann, die Versagung einer Versorgung unter Berücksichtigung der Belange sowohl des Ehegatten als auch des Erben grob unbillig wäre und dem Erben keine Gründe zur Seite stehen, die seine Verpflichtung als grob unbillig erscheinen lassen. Bedürftigkeit läge im übrigen nur dann vor, wenn der Differenzbetrag zwischen dem dem Ehegatten unentziehbar zukommenden Pflichtteil, Rentenansprüchen, dem Zugewinn und sonstigen Vermögenswerten auf der einen und dem gesetzlichen Erbteil auf der anderen Seite nicht ausreicht, um die nach unterhaltsrechtlichen Grundsätzen zu ermittelnde Bedürftigkeit auszuschließen, spürbar zu mindern oder ihren Eintritt aufzuschieben – was ersichtlich weder bei geringfügigen noch bei sehr umfang-

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reichen Nachlässen, sondern nur bei einem mittelgroßen Nachlaßwert der Fall sein kann24. Der Sache nach geht es um eine teleologische Reduktion der § 1360 a III BGB i.V. m. § 1615 I BGB, verbunden mit einer analogen Anwendung des § 1576 S.1 BGB und des § 1586 b I 1 BGB auf den enterbten oder auf den Pflichtteil gesetzten Ehegatten. Bei diesem unterhaltsrechtlichen Weg würde der Überlebende schuldrechtlich und nicht dinglich am Nachlaß beteiligt, wenn ihm testamentarisch nicht doch noch eine wertmäßig geringe Erbenstellung zugebilligt wurde. Neben diesem unterhaltsrechtlichen Weg könnte dem Überlebenden möglicherweise auch mit erbrechtlichen Instrumentarien geholfen werden. Die These hierzu lautet: Die letztwillige Verfügung wäre unter denselben Voraussetzungen gem. § 138 BGB (teil-) nichtig, in denen nach dem soeben Gesagten ein Unterhaltsanspruch gegenüber dem Erben bestünde. Der überlebende Ehegatte würde in diesem Falle in Höhe einer noch näher zu umschreibenden Quote an dem Nachlaß dinglich partizipieren. Der Unterschied zur unterhaltsrechtlichen Lösung liegt hier vor allem in der Rechtsfolge: bei dem unterhaltsrechtlichen Weg kommt es zu einer schuldrechtlichen, rentenmäßigen und damit den möglicherweise wechselnden Verhältnissen des Einzelfalles schmiegsam angepaßte Nachlaßpartizipation, während bei der erbrechtlichen Lösung eine dingliche, scharf umrissene Nachlaßbeteiligung ohne Rücksicht auf einen Bedarf des Berechtigten und auf später eintretende Änderungen seiner Bedürfnislage zur Rede steht – ein Manko des Pflichtteilsrechts (wenn es denn als Unterhaltserssatz aufgefaßt wird), welches immer mehr in den Blickpunkt rechtspolitischer Reformanfragen gerät25. Mit dieser unterhalts- oder erbrechtlichen Lösung des Paritätsproblems ist ein ganz anderer normativer Zuschnitt der Lösung des Problems erbrechtlich zurückgesetzter Gatten verbunden: Dieses Problem rückt schon dann in den Blick, wenn der Erblasser zugunsten Dritter von Todes wegen verfügt hat. Ob zu diesen Dritten der Erblasser geschlechtliche Beziehungen unterhielt, ist im Grundsatz genauso irrelevant wie die Motivierung und die Zweckvorstellungen des Erblassers, die allenfalls im Rahmen der Unbilligkeitsprüfung relevant werden können. Bestenfalls dort, wo die geschlechtliche Zuwendung einen reinen Entgeltcharakter annimmt, ist eine andere Beurteilung angezeigt26. All dies klingt auf den ersten Blick recht abenteuer24

Vgl. zu dieser Differenzierung auch Staud-Otte, vor § 2064 Rn. 159. Siehe etwa nur MünchKomm-Frank, § 2303 Rn. 4, der darauf hinweist, daß insbesondere im anglo-amerikanischen Recht, im nordischen Rechtskreis und in den ehemals sozialistischen Ländern das Pflichtteilsrecht immer stärker vom Bedarf des Berechtigten abhängig gemacht wird, dazu auch Rauscher, Reformfragen, Bd. 2, Halbbd. 2, 7 ff., 21 ff. 26 Dazu siehe oben § 15 II 3. 25

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lich, da anscheinend sehr inhomogene normative Strukturen aus verschiedenen unterhalts- und vermögensrechtlichen Beziehungen der Ehegatten gerade dort ineinander verwoben werden, wo dies der den jeweiligen Bestimmungen zugrundeliegende normative Gesetzessinn augenscheinlich nicht zuzulassen vermag. In der Tat ist – wie sich zeigen lassen wird – eine erbrechtliche Bewältigung des Versorgungsproblems nicht sinnvoll und der Begründungsaufwand für den unterhaltsrechtlichen Weg immer noch beträchtlich; im Vordergrund der folgenden Überlegungen wird daher die o. g. erste, zum unterhaltsrechtlichen Weg formulierte These stehen. Da die Problembewältigung sich insgesamt an dem inneren System des Familien- und Erbrechts orientiert, wird sich zeigen, daß die Gefahr der Kombination weitgehend inkommensurabel erscheinender Rechtsgedanken letztlich gebannt werden kann. 2. Problemmodellierung

Das Ansinnen, einen rentenmäßigen Versorgungsanspruch gegen die Erben (unterhaltsrechtlicher Weg) oder eine Nachlaßpartizipation über das Pflichtteilsrecht hinaus zu begründen (erbrechtlicher Weg), wird freilich als dogmatisches Problem nur vor einem normativen Hintergrund bewußt, der ein bestimmtes Verständnis darüber einfordert, in welchem Maße der überlebende Ehegatten post mortem überhaupt gesichert werden soll. Erst angesichts eines derartigen normativen Versorgungsentwurfs können planwidrige Lücken27 im Gesetz diagnostiziert und schließlich mittels der methodologischen Instrumentarien des Rückgangs auf ein im Gesetz angelegtes Prinzip oder der Analogie auf der einen und der teleologischen Reduktion auf der anderen Seite geschlossen werden28. Rechtliche Relevanz gewinnt das hiesige Versorgungsanliegen freilich nicht schon durch eine aus den gegebenen 27 Hier kann offen bleiben, ob für den Beginn einer Analogie oder teleologischen Reduktion eine Lückenfestellung unabweislich ist (so paradigmatisch Larenz/Canaris, Methodenlehre, 191 ff., 202 ff.) oder ob der Anlaß zur Analogie oder Reduktion in der Feststellung besteht, daß sich das Recht sonst als widersprüchlich erweisen würde und damit gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstieße (so paradigmatisch Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 457, 475). Die maßgebenden Wertungsfragen, also das Streben nach der Vermeidung von Wertungswidersprüchen vor dem Hintergrund eines im Gesetz angelegten Prinzips und damit angesichts der immanenten Teleologie des Gesetzes, bleiben gleich (vgl. nur Larenz/Canaris, Methodenlehre, 195). Auch die von Pawlowski vertretene stufenweise Beschränkung bis zum Ausschluß der Analogie je nachdem, ob dem Gesetz eine Normativfunktion, eine Verbesserungsfunktion oder eine Planungsfunktion zukommt (vgl. ders., ebda., Rn. 508 f.), entfaltet nur den Gleichbehandlungsgrundsatz, freilich auf einer anderen Ebene. 28 Dazu vgl. allg. nur Klug, FS Nipperdey, 71( 79 ff.); Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 254.

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sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen begründete normative Forderung29, sondern nur als Ausdruck der dem Gesetz immanenten Teleologie; ansonsten liegt nur eine möglicherweise rechtspolitische Fehlerhaftigkeit des Gesetzes vor30. Anders gesagt: Schon der Begriff der „Lücke“ setzt einen verfügbaren Bezug zur Gerechtigkeit – und nicht zum rechtspolitisch Wünschbaren – voraus31. Geltungstheoretisch kondensiert sich in der Republik Gerechtigkeit rechtsdogmatisch aber vornehmlich im kohärenten und konsistenten System rechtlicher Wertung. Das Vorhaben, eine wertmäßige, nicht gewillkürt zugewiesene Nachlaßbeteiligung in unterhalts- oder erbrechtlicher Form über das Pflichtteilsrecht hinaus zu gewähren, setzt vor diesem methodischen Hintergrund zunächst zweierlei voraus: a) Die Beziehung von Unterhalt und Pflichtteil: strenge Äquivalenz, weiche Äquivalenz und Neutralität Als erstes darf das Gesetz für die unterhaltsmäßige oder erbrechtliche Versorgung des überlebenden und bedürftigen Gatten post mortem keine Regel enthalten, die auf das Versorgungsproblem anwendbar wäre, obgleich es seiner eigenen Teleologie nach eine solche Regel enthalten müßte. Dies ist nur dann der Fall, wenn das Pflichteilsrecht seiner (objektiven) Anlage nach nicht bereits das Ziel einer abschließenden Unterhaltssicherung verfolgt, damit alleinig unterhaltsrechtliche Funktionen wahrnimmt und auf diese Weise die normative Grenze markiert, die dem Ehegatten auch unter Versorgungsgesichtspunkten äußerstenfalls zukommt. Man könnte ein derartiges Ansinnen als „strenge These der funktionalen Äquivalenz von Unterhalt und Pflichtteil“, kurz „strenge Äquivalenzthese“, bezeichnen. Auf der anderen Seite kann das Feld jenseits der strengen Äquivalenzthese vielfältige Abschattierungen umfassen: angefangen von dem Widerpart der strengen Äquivalenzthese, nach dem das Pflichtteilsrecht keineswegs eine Unterhaltssicherung verfolgt und der hier daher als „Neutralitätsthese“ bezeichnet werden soll, bis hin zur These, daß das Pflichteilsrecht seiner (objektiven) Anlage zwar durchaus das Ziel einer Unterhaltssicherung anstrebt, nur eben nicht abschließend, so daß auch über den Pflichtteil hinaus der Unterhaltsgedanke eine Nachlaßpartizipation zumindest nicht prima facie ausschließt. Dies kann als „weiche Äquivalenzthese“ bezeichnet werden. Diese kann zwar in zwei Formen auftreten, je nachdem, ob neben der Unterhaltssicherungsfunktion auch andere Zweckvorstellungen dem Pflichtteilsrecht vindiziert werden (weite Fassung) oder ob Unterhaltssicherung der alleinige Zweck dar29

So aber allgemein Binder, Philosophie des Rechts, 984. Vgl. zu den Voraussetzungen einer planwidrigen Gesetzeslücke nur Canaris, Lücken im Gesetz, § 3 und §§ 20 ff.; Larenz/ders., Methodenlehre, 194 f. 31 Friedrich Müller, Juristische Methodik, Rn. 146. 30

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stellt (enge Fassung); dies braucht jedoch nicht weiter zu interessieren, da die weiche Äquivalenzthese in beiden Fassungen eine versorgungsbegründete Nachlaßpartizipation über den Pflichtteil hinaus nicht hindert. b) Die Sperre des § 1615 BGB Als zweites muß gezeigt werden können, daß angesichts der immanenten Teleologie des Gesetzes die erbrechtliche Sperre des § 1615 S.1 BGB i.V. m. §§ 1360 a III und 1361 IV 4 BGB überwunden – dies wäre eine der Voraussetzungen des unterhaltsrechtlichen Wegs –, oder in ihrem normativen Gehalt gemindert werden kann – dies ist eine der Voraussetzungen des erbrechtlichen Wegs. Voraussetzung für eine Überwindung der Sperre des § 1615 BGB wäre die Einsicht, daß diese Vorschrift für die Versorgung des bedürftigen Ehegatten post mortem zwar eine Regelung enthält, diese aber nach der ratio legis hier nicht paßt, weil sie die für die Wertung gerade dieses Falles relevante Besonderheit außer Acht läßt32. Im unterhaltsrechtlichen Weg geschähe die Füllung dieser verdeckten Gesetzeslücke durch eine teleologische Reduktion des § 1615 S.1 BGB, während in der erbrechtlichen Lösung das der Beschneidung der Wirkungskraft des § 1615 BGB zugrundeliegende Rechtsprinzip im Rahmen der Entwicklung des der GuteSitten-Klausel zugrundeliegenden ungeschriebenen Verbotsgesetzes entfaltet würde. III. Äquivalenzformen von Unterhalt und Pflichtteil in historischer Perspektive 1. Funktionen des Pflichtteilsrechts

Es muß nach dem soeben Gesagten also nachgewiesen werden, daß das Pflichtteilsrecht post mortem nicht ausschließlich die Funktionen des Unterhaltsrechts unter Lebenden erfüllt und damit die äußersten Grenzen markiert, die unter Versorgungsgesichtspunkten den nächsten Angehörigen des Erblassers gezogen sind. Eine beachtliche Meinung im Schrifttum nimmt freilich genau dies: eine funktionale Ausschließlichkeits-Korrelation von Pflichtteil und Unterhalt, an und formuliert damit die oben sogenannte strenge Äquivalenzthese: Das Pflichteilsrecht erfülle von vornherein seiner rechtspolitischen Funktion wie seinem materialen Gehalt nach die Aufgabe familiärer Versorgung, die im Vermögensrecht unter Lebenden den familienrechtlichen Unterhalts- und Beitragspflichten zukomme; darüber hinaus 32 Vgl. allg. zu offenen und verdeckten Lücken nur Larenz/Canaris, Methodenlehre, 198.

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seien Vermögensinteressen der nächsten Angehörigen nicht berücksichtigungsfähig33. Der dem Pflichtteilsrecht immanente Telos wird freilich nicht nur ausschließlich in einem Unterhalts- und Versorgungsgedanken gesehen34. Das Pflichtteilsrecht wird auch in dem Gedanken der Familiengebundenheit des Vermögens gegründet35 oder durch die Vorstellung gerechtfertigt, der überlebende Ehegatte sei am Erwerb des Erblasservermögens nun einmal beteiligt gewesen36. Daneben findet sich die Idee einer Selbstbindung des Erblassers durch Heirat und Kinderzeugung37. Schließlich wird auch der Gedanke bemüht, es gelte aus wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Gründen eine notwendige Abwehr von Oligarchienbildungen zu leisten38. Dennoch scheint gerade die These einer funktional strengen Äquivalenz von Unterhalt und Pflichtteil bestechend zu sein – freilich nur auf den ersten Blick. 2. Die Regelungsabsicht des historischen Gesetzgebers: Der Wert der Materialien

Ein zweiter Blick darf sich nicht rechtsphilosophischen oder -politischen Funktionsbetrachtungen des Pflichtteils verschreiben, sondern muß auf die immanente Teleologie des Pflichtteilsrechts, auf dessen heute rechtlich 33 So ausdrücklich oder zumindest inzident Braga, AcP 153 (1953), 144 (145); sowie aus neuerer Zeit Gernhuber, FamRZ 1960, 326 (329); Ramm, JZ 1970, 129 (132); Reinike, NJW 1969, 1344; Simshäuser, Sittenwidrigkeit, 49; Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen, 214 f., 233, 241, 249; Schlitt, Testamentsklauseln, 32; Grziwotz, ZEV 1994, 267 (269 f.). Boehmer, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte, Bd. 2, 401 (416). Staud-Boehmer, 11. Aufl., Einl. Erbrecht, § 23 Bem. 14, auf den sich Gernhuber, ebda., beruft, legt zwar Parallelen zwischen Unterhalts- und Pflichtteilsrecht offen, votiert jedoch keineswegs für eine versorgungsbezogene Ausschließlichkeit des Pflichtteilsrechts und nimmt eher für die Äquivalenzthese in ihrer weichen Fassung, und dies obendrein in ihrer weiten Form, Stellung. 34 Vgl. zu den verschiedenen Funktionsbestimmungen ansonsten nur den Überblick bei Soergel-Stein, Einl. § 1922 Rn. 74 f.; Oechsler, AcP 200 (2000), 603 (604 ff.). 35 So bsp. Staud-Boehmer, 11. Aufl., Einl. Erbrecht, § 17 Rn. 4; vgl. auch Erman-Schlüter, vor § 2303 Rn. 1 f. 36 So bsp. Stöcker, WM 1970, 774 (780). 37 So der Redaktor des ersten Erbrechtsentwurfs, Gottfried Schmitt, vgl. Mertens, Entstehung, 84. Heute noch so bsp. Stöcker, FamRZ 1971, 609 (617 f.). 38 So insbes. Reuter, JuS 1971, 289. Vgl. auch Schiemann, ZEV 1995, 197 (199); Soergel-Stein, Einl. zu §§ 1922 ff. Rn. 74. Kritisch dazu nur Dieckmann, in: Verh. 49. DJT, K 145; Rauscher, Reformfragen, 173; Stöcker, FamRZ 1971, 609 (617); vgl. aber auch dens., WM 1979, 214 (219, 221). Vgl. zum Funktionsverlust des Erbrechts hinsichtlich der Verhinderung wirtschaftlicher Machtkonzentration auch Schröder, in: Mohnhaupt (Hrsg.), Zur Geschichte des Familien- und Erbrechts, 281 (289 ff., 293 f.).

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maßgeblichen, also dem normativen Sinn des Rechtsinstituts zugreifen. Dieser wird heute zumeist darin gesehen, einen Kompromiß herzustellen zwischen der individualistischen Testierfreiheit und der Familienbindung, der der Erblasser gleichwohl unterliegt. Inwiefern eine derartige Funktionsbeschreibung berechtigt ist, klärt sich für die h. M. erst anhand der Regelungsabsicht des historischen Gesetzgebers, welche zusammen mit den Fragen der heutigen Zeit und den wandelbaren objektiven Daten des sozialen Lebens die Richtung weise, auf die der normative Sinn eines Rechtsinstituts gerichtet sei39. Der nun folgende historische Überblick dient dazu, die These zu stützen, daß zumindest der historische Gesetzgeber nicht von einer strengen funktionalen Äquivalenz von Unterhalt und Pflichtteil ausgegangen ist. Es geht also nicht darum, das „Wesen“ des Pflichtteilsrechts zu ergründen – dies wäre ja sowieso ein bloß kryptoargumentatives Unterfangen, es sei denn, das „Wesen“ eines Rechtsinstituts wird anhand einer dogmatisch-induktiven Zusammenschau seiner normativen Regelungen hergeleitet40. Zur Debatte steht vielmehr, die Grundabsicht des historischen Gesetzgebers zu entschlüsseln. Zur rechtlichen Funktion des Pflichtteilsrechts geben die Gesetzesmaterialien kaum Auskunft; sowohl die Kommission als auch der Redaktor des den Beratungen der ersten Kommission zugrundegelegten Teilentwurfs zum Erbrecht, Gottfried Schmitt, handelten weitgehend so, als ob es allgemein im Erbrecht nur um die Kodifikation des schon geltenden Rechts ginge41. Im Vordergrund stand weniger die rechtliche Funktionalität des Rechtsinstituts, sondern dessen konkrete Ausformung, technisch-rationale Fragen inerhalb einer als scheinbar unwandelbar vorgegebenen privaten Erbrechtsordnung, insbesondere die Entscheidung zwischen einem bloß schuldrechtlichen Geldpflichtteil und einem dinglich wirkenden materiellen Noterbrecht42. Diese Unergiebigkeit der Gesetzesmaterialien darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß doch erhebliche Fragen Gegenstand heftiger politischer Auseinandersetzungen insbesondere zwischen den verschiedenen Leitbildern von kollektivistischer Familienverantwortlichkeit und individualistischer Dispositionsfreiheit waren, die sich in den Materialien selbst kaum widerspiegeln. So war schon die Legitimation privater Erbfolge brüchig geworden, die je nach den verschiedenen politisch-sozialen Standorten eine institutionelle Absicherung durch die Anknüpfung an Familienstruktur, Willensautonomie und Eigentumsfreiheit erfuhr43. Derartige rechts- und gesellschaftspolitische 39

Dazu vgl. nur Larenz/Canaris, Methodenlehre, 139 f., 150 ff., 157 ff., 170 ff. Vgl. dazu in erbrechtlichen Zusammenhängen nur die kurzen Bermerkungen bei Staud-Boehmer, 11. Aufl., Einl. Erbrecht, § 4 Rn. 1 f. 41 Kipp/Coing, § 8 II. 42 Vgl. Mot. V, 385 ff. 43 Dazu vgl. umfassend Schröder, Abschaffung oder Reform, 1981. 40

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Erwägungen haben allerdings in der Gesetzgebungsgeschichte des 19. Jahrhunderts nur geringe Spuren hinterlassen; der Wert der Materialien ist insofern beschränkt44, so daß ihre oben bemerkte Unergiebigkeit nicht überraschen kann. Eine Antwort auf die Ausgangsfrage: nach der rechtlichen Funktionalität des Pflichtteilsrechts aus der Perspektive des historischen Gesetzgebers, ist daher nur zu erwarten, wenn der historische Kontext beleuchtet wird, in dem die Kodifikation des Erbrechts angesiedelt ist. 3. Der historische Kontext des Pflichtteilsrechts

Im positiven Recht finden wir historisch gesehen einen Kompromiß aus verschiedenen erbrechtlichen Ausgangspositionen45. Gerade das Pflichtteilsrecht war ein Ordnungsrahmen von einer derart substantiellen Bedeutung, daß es den geeigneten Ansatzpunkt bot, die konträren erbrechtlichen Grundpositionen von kollektivistischer Familienverantwortlichkeit und individualistischer Dispositionsfreiheit miteinander zu vermitteln46. Die Genese dieser beiden erbrechtlichen Prinzipien kann damit dazu dienen, die durch den historischen Gesetzgeber dem Pflichtteilsrecht vindizierte Teleologie zu rekonstruieren47. Die Entwicklungsgeschichte des Erbrechts erscheint aus heutiger Sicht als eine Auseinandersetzung zweier Prinzipien: dem Schutz der Familie auf der einen und der Testierfreiheit des Erblassers auf der anderen Seite48. Im positiven Recht finden wir historisch gesehen einen Kompromiß aus diesen verschiedenen erbrechtlichen Ausgangspositionen zwischen Familien und Eigentum49, in dem die konträren erbrechtlichen 44 Schröder, Abschaffung oder Reform, 506; Buchholz, in: Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. 3, 1627 (1680). 45 Vgl. nur den Überblick bei Staud-Boehmer, 11. Aufl., Einl. zum Erbrecht §§ 12 ff.; Klippel, ZRG Germ. Abt. 101 (1984), 117; Heuberger, Geschichtliche Entwicklung des Pflichtteilsrechts, 1912; Beneke, Pflichtteilsrecht, 1939; Mertens, Entstehung, 30 ff.; Hattenhauer, Grundbegriffe, 183 ff. Dazu ausführlich Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 5 II, III. 46 Buchholz, in: Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. 3, 1627 (1681 f.); Tschäppeler, Testierfreiheit, 72 ff. 47 Die kurze, eher flüchtige und auf dem ersten Blick sich rechtsgeschichtlich gebende Skizze zum Entwicklungsgang des Erbrechts sollten weniger als eine primär rechtsgeschichtliche Darlegung verstanden werden. Dafür wäre die Darlegung zu abstrakt. Es geht vielmehr darum, exemplarische und in der Genese des Erbrechts wirkmächtige Gedanken der politischen Philosophie im Ergebnis so zu lesen, was sie uns heute für unser Recht sagen können. Die Perspektive ist hier also keine historische, sondern eine systematische. 48 Dazu ausführlicher Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 5 II. 49 Vgl. nur den Überblick bei Staud-Boehmer, 11. Aufl., Einl. zum Erbrecht §§ 12 ff.; Klippel, ZRG Germ. Abtl. 101 (1984), 117; Heuberger, Geschichtliche

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Grundpositionen von kollektivistischer Familienverantwortlichkeit und individualistischer Dispositionsfreiheit im Pflichtteilsrecht miteinander vermittelt sind50. Anfang des 19. Jahrhunderts gelang eine dichotom ausgerichtete theoretische Neubegründung von Testierfreiheit und Familienerbrecht, die bis in das Erbrechtsverständnis der Kodifikation des BGB wirkmächtig war; Familie und Erbrecht auf der einen und Eigentum und Erbrecht wurden die grundlegenden Losungen der Zeit. Das von einer personalen Nähebeziehung her verstandene Familienerbrecht und die individualistisch gegründete Testierfreiheit erscheinen nunmehr nebeneinander als je entgegengesetzte Prinzipien des Erbrechts, deren Ausgleich die Rechtsphilosophie des 19. Jahrhunderts ohne Schwierigkeiten in einem Pflichtteils- oder Noterbrecht fand51 – wie schon die Mehrzahl der partikularen Erbrechtsregelungen des 19. Jahrhunderts, deren grundsätzliche Entscheidung zugunsten einer an Willensautonomie und Eigentumsfreiheit orientierten Erbfolgekonzeption keineswegs einem doktrinär-liberalen Absolutheitsanspruch entsprach52. Der Familiarismus blieb einer der Legitimationsstränge des Erbrechts, obwohl die sozial-integrative Kraft des christlich-patriarchalischen, transpersonalen Familienverbandes gegenüber einer zunehmend individualistisch konzipierten Gesellschaft mehr und mehr verloren gegangen war. Nachdem aber in der Philosophie Hegels die Familie als eine konkrete Institution der Sittlichkeit verortet worden war53, welche neben der bürgerlichen Gesellschaft und dem Staat stünde, gelang es, eine Neubegründung sowohl des Intestaterbrechts als auch der Testierfreiheit von einem personal verstandenen Familiengedanken her ins Werk zu setzen54. Das Familienerbrecht wurde hier nicht mehr auf dem vormodernen Gedanken eines germanischen Familienverbands55, sondern auf der naturgegebenen persönlichen VerbunEntwicklung des Pflichtteilsrechts, 1912; Beneke, Pflichtteilsrecht, 1939; Mertens, Entstehung, 30 ff.; Hattenhauer, Grundbegriffe, 183 ff. 50 Gerade das Pflichtteilsrecht war ein Ordnungsrahmen von einer derart substantieller Bedeutung, daß es hierfür den geeigneten Ansatzpunkt bot, dazu Buchholz, in: Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. 3, 1627 (1681 f.); Tschäppeler, Testierfreiheit, 72 ff. 51 Klippel, ZRG Germ. Abtl. 101 (1984), 117 (167 f.). Vgl. allg. zum Einfluß rechtsphilosophischer Rechtfertigungen auf den Redaktor des Erbrechts, Gottfried Schmitt, nur Schröder, Abschaffung oder Reform, 401 ff., 430 ff., 437 ff., 493 ff. 52 Buchholz, in: Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. 3, 1627 (1681). 53 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, §§ 158 ff. 54 Vgl. zum sich hier niederschlagenden Einfluß insbes. der Hegelschen Philosophie nur Rauscher, Reformfragen, 222 ff., 225 ff.; Schröder, Abschaffung oder Reform, 437 ff.; Mertens, Entstehung, 32; Staud-Boehmer, 11. Aufl., Einl. Erbrecht, § 4 Rn. 11. 55 Dazu nur Mitteis/Lieberich, Deutsches Privatrecht, Kap. 54 II 2, 58 I; Wegmann, Begründung, 3; Hesse, Einfluß, 11; Hattenhauer, Jura, 1983, 9 (10).

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denheit der Familienmitglieder gegründet56. Die Idee personaler Verbundenheit erschien als das primäre Moment, familiäre Bezüge im Erbrecht sicherzustellen57. Ein derartiges Denken hält sich bis in die Vorstellungswelten des historischen Gesetzgebers durch. Denn wenngleich in den Motiven personale familiäre Verbundenheit stellenweise auf die Blutsverbindung als natürlich erbrechtsbegründendes Band qualitativ reduziert wird58, bedeutet dies nicht eine Abkehr vom personal verstandenen Leitbild, da der historische Gesetzgeber durch den Einbezug des Ehegatten in den Kreis der Pflichtteilsberechtigten zeigt, daß er nicht willens ist, sich von einer personalistischen Begründung des Erbrechts zu lösen59. Der historische Gesetzgeber hat ansonsten davon Abstand genommen, für eine dezidierte Rangfolge zwischen gesetzlicher und gewillkürter Erbfolge zu votieren60, so daß zumindest konstitutionstheoretisch ein erbrechtlicher Familiarismus als Legitimation auch der Testierfreiheit nicht mehr begründungsfähig ist. Die Verknüpfung von Erbrecht und Familie ist nur der eine Wertungsstrang des erbrechtlichen Legitimationsdiskurses. Der andere ist die Anbindung der Testierfreiheit an die Freiheit des Eigentümers61. An den Arbeiten am BGB ging all dies nicht unbemerkt vorüber. Obwohl der Redaktor des ersten Erbrechtsentwurfs, Gottfried Schmitt, im Widerstreit der beiden rechtspolitischen Begründungen des Erbrechts dem Erblasserwillen den Vorrang gab62, enthielt sich die erste Kommission einer prinzipiellen Entscheidung über die ideellen Grundlagen des Erbrechts63, die zweite Kommission tat es ihr gleich64. Es verwundert daher nicht, daß auch die Reichskodifikation, das BGB, die Vermittlung der dichotomen Prinzipien in einem obligatorischen, quotenmäßig beschränkten Pflichtteilsrecht verwirklicht sah65. Der historische Gesetzgeber wollte mit dieser Ent56 Vgl. dazu nur Klippel, ZRG Germ. Abtl. 101 (1984), 117 (160 ff.); Rauscher, Reformfragen, 225 ff.; Tschäppeler, Testierfreiheit, 64 ff. 57 Dazu nur Rauscher, Reformfragen, 221 ff., 225 ff. Die soziologischen Voraussetzungen dieses Wandels der Familiemmetaphorik von einem primär wirtschaftlich orientierten zu einem personal verstandenen Familienbild hat Dörner, Industrialisierung und Familienrecht, 67 ff., eingehend nachgezeichnet. 58 Mot. V, 366. 59 Vgl. auch Mertens, Entstehung, 102 f. 60 Mertens, Entstehung, 39 f. 61 Dazu Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 5, § 6. 62 Mertens, Entstehung, 34 ff. 63 Mertens, Entstehung, 37, 40. 64 Mertens, Entstehung, 39 f. 65 Buchholz, in: Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. 3, 1627 (1683 f.); Mertens, Entstehung, 94; vgl. auch Hattenhauer, Jura 1983, 68 (75); ders., Grundbegriffe, 204; Tschäppeler, Testierfreiheit, 5 f.

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scheidung jedoch weder die Familie noch den Erblasserwillen als Berufungsgrund jeweils materiell bevorzugen66. Insbesondere wurde familiäre Solidarität nicht auf rein ökonomische Kategorien zurückgeschnitten und auf die Höhe des Pflichtteils entsprechend der strengen Äquivalenzthese rigide beschränkt verstanden. Schon der Redaktor des ersten Erbrechtsentwurfs, Gottfried Schmitt, konnte das Pflichtteilsrecht nicht mit Alimentationsgedanken verbinden67. Die erste Kommission bezog sich einmal vornehmlich auf Tradition: auf die weite Verbreitung des Pflichtteilsrecht in den Partikularrechten und in anderen Rechtsordnungen, und daneben auf die berechtigten Interessen der nächsten Verwandten und wollte vor diesem Hintergrund einem Pflichtteilsrecht nicht entsagen68. Die zweite Kommission beschäftigte sich mit derartigen Fragen schon gar nicht mehr, sondern wandte sich sofort Einzelfragen des Pflichteilsrechts zu69. Nur im Rahmen unterhaltsrechtlicher Überlegungen wird das Pflichtteilsrecht mit Unterhalt korreliert: Im Rahmen der Beratungen des § 1615 BGB wurde auch deshalb von einer Vererblichkeit von Unterhaltsansprüchen abgesehen, weil die Berechtigten durch die gesetzlichen Erb- und Pflichtteilsrechte hinlänglich ihren Unterhalt würden bestreiten können70. Größere Bedeutung kann dem freilich nicht zugemessen werden, da erkennbar rein praktische Fragen der wirtschaftlichen Versorgung, nicht jedoch solche der dem Gesetz immanenten Teleologie angesprochen wurden; eine Vererblichkeit von Unterhaltsansprüche wurde ja nicht für rechtlich unsinnig, sondern nur für praktisch nicht erforderlich erachtet – ändert sich die praktische Erforderlichkeit, verschlägt das Votum der Materialien nicht mehr. Insgesamt gesehen erscheinen Familie und Erbrecht auf der einen und Eigentum und Erbrecht auf der anderen Seite demnach in der historischen Genese erbrechtlicher Prinzipien als je eigenständige Begründungselemente des Erbrechts. 4. Ergebnis der historischen Skizze

Die flüchtige historische Skizze hat gezeigt, daß sich im Pflichtteilsrecht zwar ein familienfreundlicher Versorgungscharakter des Erbrechts im Zwiespalt zwischen Familienversorgung und Eigentümerfreiheit herauskristallisierte71. Solidarität in der Versorgung war jedoch nicht das ausschließliche 66 Mot. V, 2; vgl. auch Mot. V, 386; Prot. V, 493 ff. Dazu auch Mertens, Entstehung, 37 ff.; Schröder, Abschaffung oder Reform, 23 ff.; Leipold, AcP 180 (1980), 160 (191); MünchKomm-ders., Einl. Erbrecht Rn. 10. 67 Mertens, Entstehung, 83. 68 Mertens, Entstehung, 84 ff. 69 Mertens, Entstehung, 87 f. 70 Mot. IV, 711. 71 Den Charakter des Pflichtteilsrechts als Versorgung der Familie betont bsp. Hattenhauer, Jura 1983, 68 (75). Im zeitgenössischen Kontext vgl. paradigmatisch

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Moment der Verankerung des Familiengedankens im Erbrecht über das Pflichtteilsrecht. Dem historischem Gesetzgeber waren die Begründungen seiner Zeit, die die personale Nähebeziehungen der Kleinfamilie für die Begründung des Pflichtteilsrechts aufgreifen, selbstverständlich bekannt. Er hätte in den Materialien daher zum Ausdruck gebracht, daß er das Pflichtteilsrecht nicht als Abbild personaler Nähe, sondern ausschließlich als formalisiertes Moment rein wirtschaftlich ausgerichteter Versorgung begreift. Anders gesagt: Er hätte ausdrücklich für die strenge Äquivalenzthese plädiert. Sein Schweigen hierzu ist daher um so beredter. Wirkungsmächtiger war daher die Begründung des Familienerbrechts, und damit auch die Teilhabe nächster Verwandter am Nachlaß über Pflichtteilsrechte, aus einer personalen Nähebeziehung der Kleinfamilie. Die historischen Begründungsmetaphern von personaler Nähe und wirtschaftlicher Solidarität sind jedoch als Agenda strenger Äquivalenz untauglich und tragen nicht die These, das Pflichtteilsrecht widme sich ausschließlich der Versorgung der Berechtigten. Denn auch wirtschaftliche Solidarität versteht sich als Agens personaler Verbundenheit, gibt keinerlei Richtschnur für eine quotenmäßig (wie im Pflichtteilsrecht) feste Abbildung personaler Verbundenheit in wirtschaftlichen Kategorien und muß sich ihrer Idee nach jeglicher Einschränkung auf fest umrissene Größen (etwa festen Pflichtteilen) enthalten. Das größenmäßig fest umrissene Pflichtteilsrecht des BGB erscheint vor dieser Folie nur als rechtspolitischer Niederschlag und als rechtspraktisch vor dem Hintergrund einer rechtssicherheitswahrenden Anwendung des Erbrechts notwendiger Ausdruck des Kompromisses zwischen Familie und Eigentum. Hierbei mag ihm durchaus Unterhaltsfunktionen zukommen; der historische Kontext der Kodifikation kann jedoch nicht dazu dienen, den Gedanken wirtschaftlicher Solidarität in seiner Wirkungskraft im Sinne einer strengen Äquivalenzthese zu beschneiden: Der Regelungsabsicht des historischen Gesetzgebers hinsichtlich der Funktionalität des Pflichtteilsrechts entspricht die strenge These jedenfalls nicht. IV. Äquivalenzformen von Unterhalt und Pflichtteil in systematischer Perspektive Mit einer Kodifikation ist kein statisches Verharren verbunden; Funktionswandel der Rechtsinstitute, der Einfluß der Verfassungsgrundsätze und die Berücksichtigung heute anerkannter Rechtsprinzipien geben die Stichworte vor, die den historischen Telos eines Rechtsinstituts auf den systematischen Zusammenhang des heutigen Rechts dynamisch fortschreiben lassen72, so daß sich das Gesetz den Herausforderungen der jeweiligen Zeit für eine Betonung des Familiengedankens nur Gierke, Die soziale Aufgaben des Privatrechts, 29 f.

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gewachsen zeigen und sich geltungstheorisch als Recht erweisen kann73. Die Einsicht, daß dem Pflichtteilsrecht zumindest historisch keine Teleologie im Sinne einer strengen funktionalen Äquivalenz von Unterhalt und Pflichtteil vindiziert werden kann, muß sich daher auch vor dem systematischen Gesamtzusammenhang des heutigen Rechts als überzeugend erweisen lassen. Insofern sollen die folgenden Ausführungen nunmehr zeigen, daß auch unter den Bedingungen des heutigen Rechts nicht von einer strengen Äquivalenzthese74 ausgegangen werden kann. 1. Familienideologische Einkleidung der Testierfreiheit und strenge Äquivalenzthese

Boehmer75, der die am stärksten familienideologisch geprägte Auffassung vertritt, kann als Beispiel dafür dienen, daß auch unter den Bedingungen des geltenden Rechts die Anbindung des Pflichtteilsrechts an den Kompromiß zwischen Familie und Eigentum selbst dann nicht zur strengen, sondern allenfalls zur weichen Äquivalenzthese führt, wenn a) dem Pflichtteilsrecht die gleiche Funktion zugebilligt wird, die für das Vermögensrecht unter Lebenden den familienrechtlichen Unterhalts- und Beitragspflichten zukommt, und wenn b) gleichzeitig die Familie als das gegenüber dem Eigentum im Kontext des Erbrechts Primäre verstanden wird. Die Testierfreiheit wird von Boehmer – freilich mit wenig Aussicht auf Konsens76 und geltungstheoretisch sowieso nicht überzeugend77 – im Gefolge der familienzentrierten Sicht Gierkes ihrer individualistischen Komponente entkleidet, in eine kollektivistisch verstandene, deutsch-rechtliche Familienideologie eingebunden und pflichtgebunden als letzter Rest einer germanischen Vermögensverfassung begriffen. Die letztwillige Verfügungsbefugnis erscheint hier nur als „familienideologisch vinkuliertes Regelungs72 Damit soll keine Stellungnahme dazu getroffen werden, inwieweit der historische Wille des Gesetzgebers überhaupt relevant ist, dazu vgl. nur Larenz/Canaris, Methodenlehre, 137 ff., der die Gemeinsamkeiten zwischen einen subjektiven und objektiven Interpretationsansatz nachzeichnet, sowie Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 363 Fn. 100; 429, 437, 454, 462, 505; ders., Einführung, Rn. 174, 182, der die Bedeutung des durch den Gesetzgeber der Gegenwart geschaffenen Systems von Vorentscheidungen hervorhebt. Ansonsten siehe oben § 1 II, sowie Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 1 III. 73 Zum hiesigen geltungstheoretischen Ansatz, der auf die gemeinsame Autorenschaft der Bürger in der Republik abstellt, siehe oben § 1 II; sowie Goebel, ARSP 2003, 372 (373 ff.); ders., Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 1 II. 74 Zur Begrifflichkeit „Äquivalenzthese“ siehe oben § 20 II 2 a. 75 Boehmer, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte, Bd. 2, 401 (416). 76 Zur Kritik vgl. nur Rauscher, Reformfragen, 223, 261. 77 Dazu Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 3, § 11.

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instrument“78 zum Zwecke der Anpassung der gesetzlichen Erbfolge an die besondere Lage des Einzelfalles79 und verliert sogar ihren Charakter als individuelles Freiheitsrecht angesichts ihrer Integration in das germanistische Bild eines kollektivistisch zu wahrenden Familienvermögens80. Damit ist jedoch nicht gesagt, daß das Pflichtteilsrecht ausschließlich und abschließend das Versorgungsinteresse des Überlebenden befriedigen will. Boehmer vindiziert dem Pflichtteil den Charakter eines unentziehbaren Anteils der nächsten Angehörigen am Vermögen des Erblassers81, läßt jedoch keinen Zweifel daran, daß Unentziehbarkeit nicht mit Ausschließlichkeit korreliert. Das liegt zudem auf einer Linie mit den teleologischen Implikationen des erbrechtlichen Familiarismus überhaupt. Denn es wäre kaum einsichtig, daß dieser einen Schutz des Ehegatten gerade dort auf das Pflichtteilsrecht beschränken läßt, wo praktisch gesehen dieser Schutz aufgrund einer besonders gelagerten Bedürftigkeit wenig hilfreich ist. 2. Die technische Ausgestaltung des Pflichtteilsrechts

Der strengen Äquivalenzthese wurde stellenweise in der Literatur schon allein unter dem Hinweis widersprochen, die notgedrungen schematische Regelung des Pflichteilsrechts könne keine Rücksicht auf individuelle Lebenslagen nehmen und erfasse daher das Sachproblem nicht angemessen, um das es hier ginge, nämlich die Bewältigung individueller materieller Not des überlebenden Ehegatten82. Diese Einsicht führt zwar durchaus in die richtige Richtung, reicht jedoch als Begründung für eine wertmäßige Nachlaßbeteiligung über das Pflichteilsrecht hinaus nicht hin, da es dem Gesetz unbenommen bleibt, materielle Not sehr schematisch und wenig einzelfallfreundlich zu erfassen. Die technische Ausgestaltung des Pflichtteilsrechts mit seiner rigiden Pauschalierung der Vermögensteilhabe deutet jedoch stark darauf hin, daß dem Pflichtteil kein alleiniger unterhaltsersetzender Versorgungscharakter zukommt83: Das Pflichtteilsrecht geht weder von der Bedürftigkeit des Berechtigten aus84 noch konzipiert es angesichts des Ausschlusses der dritten Parentel aus dem Kreis der Berechtigten die Pflicht78 So die Charakterisierung des Ansatzes von Boehmer bei Rauscher, Reformfragen, 33. 79 So Staud-Boehmer, 11. Aufl., Einl. Erbrecht § 17 Rn. 1 ff. Siehe zu derartigen Vorschlägen Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 3 I. 80 So Staud-Boehmer, 11. Aufl., Einl. Erbrecht § 17 Rn. 1 ff., mit Bezug auf Gierke. Zum Einfluß Gierkes vgl. auch Mertens, Entstehung, 38 f. 81 Boehmer, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte, Bd. 2, 401 (416). 82 So Otte, JA 1985, 192 (196), Staud-ders., vor § 2064 Rn. 159, je hinsichtlich Kindesunterhalt, Rn. 162 hinsichtlich Ehegattenunterhalt. 83 Vgl. auch Schiemann, ZEV 1995, 197 (199).

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teilsberechtigung analog der Unterhaltsberechtigung unter Lebenden und läßt damit keinerlei Berücksichtigung der jeweiligen Facetten des Einzelfalles zu – ein unter Unterhaltsgesichtspunkten recht außergewöhnlich unschmiegsames Verständnis von Bedürftigkeit85. Doch wie schon gesagt: Allein der Verweis auf diese technische Ausgestaltung des Pflichtteilsrecht reicht nicht hin, eine Äquivalenz von Unterhalt und Pflichtteil auszuschließen; auch sonst ist der Rechtsordnung ja nicht unbekannt, stark pauschaliert Vermögensbeteiligungen jenseits individueller Abschichtungen zuzuweisen, obwohl dem ersten Anschein nach eine Berücksichtigung individueller Lagen sachgerechter wäre. Eines der bekanntesten Beispiele für eine derartig typisierende Vermögenszuweisung findet sich im ehelichen Güterrecht, das grob pauschaliert die Beteiligung am Ehegewinn durch die Hälftigkeitsregelung des § 1378 I BGB nachzeichnet – und dies, obwohl dem Zugewinnausgleich entgegen vielfach geäußerten Stimmen86 nicht87 oder zumindest nicht nur88 der Gedanke der wirtschaftlichen Mitverursachung des in der Ehe Erworbenen zugrundeliegt, sondern vor allem das Prinzip der Gleichberechtigung der Geschlechter89, welches sich in den Versorgungs- und Sicherungserwartungen desjenigen Ehegatten niederschlägt, der aufgrund des durch die eheliche Funktionsteilung verursachten Verzichts auf eigenen Erwerb auf die eigene wirtschaftliche Vorsorge für den Fall der Ehe verzichtet hat90. Freilich sind derartige gesetzliche Pauschalierungen oftmals mit dem Makel behaftet, schon der „Verheißung“ gerechter Ergebnisse entbehren zu 84 Gerade dies veranlaßte den Redaktor des den Beratungen der ersten Kommission zugrundegelegten Teilentwurfs zum Erbrecht, Gottfried Schmitt, von einer Rechtfertigung des Pflichtteilsrecht mit der Alimentationspflicht der Eltern gegenüber ihren Kindern abzusehen, vgl. Mertens, Entstehung, 83. 85 Auch Kühne, JR 1972, 221 (225 f.), rügte schon, daß der Unterhaltsgedanke, auf den er das Pflichtteilsrecht weitgehend zurückführt, die Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse verlangt und daß von dieser Perspektive her das geltende starre Pflichtteilsrecht überprüfenswert ist. Freilich zieht er daraus nicht den naheliegenden Schluß, daß die Korrelation des Pflichtteilsrechts mit dem Unterhaltsgedanken zur Erklärung und Verständnis des heute geltenden Rechts nur bedingt tragfähig ist. 86 BVerfGE 53, 257 (296); BVerfG, FamRZ 1989, 939 (941); BGH FamRZ 1980, 768 (769); 1981, 239 (240 mwNachw); 1981, 755 (756); Schwab-Schwab, Scheidungsrecht, 4. Aufl., Teil VII Rn. 3. 87 Lieb, Ehegattenmitarbeit, 180 ff.; Staud-Thiele, vor § 1371 Rn. 5; vgl. zur Ausstrahlung in erbrechtlichen Zusammenhängen Rauscher, Reformfragen, 233 ff. 88 So beispielsweise Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 34 I 2, 5; MünchKomm-Gernhuber, vor § 1363 Rn. 8 f.; Johannsen/Henrich-Jaeger, vor § 1372 Rn. 4 f.; Diederichsen, FamRZ 1992, 1 (9). 89 Dazu Dieter Schwab, FS Söllner, 1079 (1085), mit Bezug auf BGH, FamRZ 1977, 124. 90 Dazu nur Lieb, Ehegattenmitarbeit, 183 f. Zur Teleologie des Zugewinnausgleichs vgl. schon oben § 11 III 2 b bb.

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müssen91 – ein Gedanke, der dafür spricht, derartige Pauschalierungen nicht gerade als Wertungsvorbild zu nehmen. Die geringe Schmiegsamkeit des Pflichtteilsrechts ist daher zwar kein hinreichendes Argument gegen die strenge Äquivalenzthese, wohl zeigt sie aber die Richtung auf, daß eine strenge Äquivalenz zwischen Unterhalt und Pflichtteil kaum eine sachgerechte Antwort auf die Bedürnislagen des Überlebenden ist. 3. Familienerbrecht und Gesellschaft

a) Einwirkungen sozialer Sicherungssysteme Gegen eine Ausdehnung der Ehegattenversorgung wertmäßig über das Pflichtteilsrecht hinaus wurden auch Argumente angeführt, die zwar nicht die weiche Äquivalenz- oder die Neutralitätsthese entkräftigen, wohl aber eine wertmäßige Beteiligung des Überlebenden am Nachlaß über den Pflichtteil hinaus selbst dann nicht zulassen wollen, wenn sich die strenge Äquivalenzthese nicht bewahrheiten würde – d.h. auch in Fällen weicher Äquivalenz92. Hier wurde vor allem auf darauf hingewiesen, daß faktisch heutzutage eine pflichtteilsübersteigende, einen Unterhaltsanspruch bemühende Ehegattenversorgung sowieso nicht erforderlich wäre. Die Unterhaltssicherung würde heute funktional weitgehend durch soziale Sicherungssysteme wahrgenommen, so daß für eine private Vorsorge über das Pflichtteilsrecht hinaus kein Bedürfnis bestünde93. Selbst wenn der Rekurs auf die abnehmende Bedeutung privater Vorsorge überzeugend wäre94, im normativen Kontext der Teleologie des Pflichtteilsrechts ist er irrelevant. Schon der Gedanke einer einfachen Koppelung von Versorgung und Erbschaft ist zu unpräzise gefaßt: Intergenerationell findet etwa gegenüber der nächstfolgenden Parentel heute die früher eher einsichtige Versorgungsfunktion der Erbschaft kaum noch statt. Vielmehr wird die vermögensmäßige Verantwortung für die kommende Generation in subtileren Formen wahrgenommen, bsp. durch die Finanzierung der Ausbildung95. Doch auch abgesehen von derar91

So Dieter Schwab, FS Söllner, 1079 (1093), für den Zugewinnausgleich. Zur Begrifflichkeit „weiche Äquivalenz“ siehe oben § 20 II 2 a. 93 So Schlitt, Testamentsklauseln, 32; Husmann, NJW 1971, 404 (408). Vgl. zum Kontext von sozialrechtlicher Absicherung und erbrechtlicher Vermögensbeteiligung auch Fuchs, Zivilrecht und Sozialrecht, 320 ff., 329 ff.; Schröder, in: Mohnhaupt (Hrsg.), Zur Geschichte des Familien- und Erbrechts, 281 (282, 292 f.). 94 Zwar ist auf die zunehmende Bedeutung kollektiver Sicherungssysteme vielfach hingewiesen worden, vgl. nur Coing, in: 49. DJT 1972, Bd. 1, A 1 (A 15); Leipold, AcP 180 (1980), 160 (188 f.); Schiemann, ZEV 1995, 197 (199); Fuchs, Zivilrecht und Sozialrecht, passim. Dennoch besteht zumindest dann an dieser Diagnose ein Anlaß zum Zweifel, wenn – wie derzeit – die Systeme kollektiver sozialer Sicherheit mehr und mehr zurückgeschnitten werden. 92

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tigen Subtilitäten: Das Verhältnis zwischen Sozialrecht und Erbrecht kann nicht als Verdrängung, sondern nur als Koexistenz und Komplementarität beider Rechtsmaterien angemessen beschrieben werden96. Bedürfnislagen können auch jenseits der Versorgungsrenten und anderer Sozialleistungen faktisch dann entstehen, wenn Sozialleistungen nur ein Existenzminimum garantieren. Die Sozialhilfe geht rechtlich sogar entsprechend dem sozialhilferechtlichen Nachrangprinzip (§ 9 SGB I, § 2 BSHG) davon aus, daß Bedürfnislagen vornehmlich durch andere Instrumente, vor allem privater Tätigkeit und Wertschöpfung, befriedigt werden sollen; der Verweis auf ein mangelndes Versorgungsbedürfnis neben dem sozialrechtlichen Instrumentarium gerät so zu einer klassischen petitio principii. Der Verweis auf die Bedeutung der großen Systeme sozialer Sicherung kann daher nicht gegen die weiche Äquivalenzthese gewendet werden, sondern verstärkt diese eher, da sich der Pflichtteilsanspruch angesichts der heutigen Versorgungssicherung zumindest empirisch-soziologisch von Versorgungsfunktionen weitgehend befreit hat. Freilich kann in vielen Fällen auch erbrechtlich aufgrund der Dürftigkeit des Nachlasses der familiären Not nicht abgeholfen werden. Hieraus folgt jedoch nicht, daß eine wertmäßige Nachlaßbeteiligung des notleidenden Ehegatten über den Pflichtteil hinaus sinnlos wäre. Denn auch ansonsten wird zum Unterhaltsrecht nicht behauptet, dieses sei illegitim, da es faktisch trotz Bedürftigkeit häufig zu Versorgungsausfällen käme, weil der Unterhaltsschuldner nicht leistungsfähig sei. Es bleibt mithin dabei, daß die Existenz sozialer Sicherungssysteme weder rechtlich noch praktisch dagegen spricht, eine Versorgung des überlebenden Teils über den Pflichtteil hinaus zu versuchen. b) Funktionswandel der Familie Es wurde schon gezeigt, daß im historischen Kontext der Kodifikation das Familienerbrecht – und damit auch das Pflichtteilsrecht als dessen Abstimmung mit der nunmehr als Freiheitsrecht verstandenen Testierfreiheit – primär auf die personale Verbundenheit und erst sekundär auf wirtschaftliche Solidarität gegründet wurde97. Personale Verbundenheit macht als Leittopos des Pflichtteilsrechts auch angesichts heutiger Lebensverhältnisse noch Sinn. Die Familie hat ihre Funktion als Produktionsgemeinschaft weitgehend verloren und sich mehr und mehr zu einer Konsumgemeinschaft ge95 Zur abnehmenden Bedeutung der Versorgung der nächsten Parentel durch Vererbung vgl. im übrigen nur Papantoniou, AcP 173 (1973), 385 (397); Zawar, DNotZ-Sonderh. 1989, 116 (122). 96 Fuchs, Zivilrecht und Sozialrecht, 329 ff. 97 Vgl. oben § 20 III 3; sowie Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 5 II 1.

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wandelt98; dem entspricht die „Ausgliederung der Familie ins Private“ (Schelsky), die Freisetzung der Ehe von einer ökonomisch limitierten Bindung zu einer personal begriffenen Beziehung, die beide Gatten aus dem ökonomischen Zusammenhang vollständig löst99. Die familiensoziologisch schon häufig beschriebene Kontraktion vormoderner pluraler Familientypen zu dem Typus der Gattenfamilie100 verstärkt diesen Trend zur Intimisierung und Verinnerlichung familiarer Lebensgemeinschaften: Versorgung wird in der postindustriellen Gesellschaft sowohl aus der Familie als auch aus dem Problemkreis erbrechtlicher Regelungen zunehmend ausdifferenziert und anderen Systemen zugewiesen101. Auch aus dem sozialen Kontext, in den die moderne Familie und Ehe gestellt ist, kann daher nichts für die strenge Äquivalenzthese angeführt werden. 4. Verfassungsrechtliche Aspekte strenger Äquivalenz

Auch die Vorgaben des Verfassungsrechts geben nichts dafür her, die Unterhaltsfunktion für den Todesfall ausschließlich dem Pflichtteilsrecht zuzuweisen. Im Gegenteil wird sich zeigen lassen, daß eine strenge Äquivalenz von Unterhalt und Pflichtteil verfassungsrechtlich eher fragwürdig ist. a) Pflichtteilsübersteigende Versorgung und Diskriminierung Verschiedentlich ist verfassungsrechtlich zwar nicht für eine strenge Äquivalenz von Unterhalt und Pflichtteil votiert worden. Doch im Ergebnis wurde das gleiche Ergebnis erzielt, wenn einer Nachlaßpartizipation über das Pflichtteilsrecht hinaus mit der Behauptung entgegengetreten wurde, dies laufe auf die Privilegierung einer bestimmten Vermögensschicht hinaus, da faktisch eine derartige Nachlaßbeteiligung allenfalls bei einem mittelgroßen Nachlaßwert in Frage kommen könnte102. Von einer Diskriminierung 98 Dies ist häufig beschrieben worden, vgl. aus dem juristischen Schriftum nur Dörner, Industrialisierung, 66 ff.; Leipold, AcP 180 (1980), 160 (174 f.); Zawar, DNotZ-Sonderh. 1989, 116 (119); Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 1 I 3. 99 Dazu nur Rauscher, Reformfragen, 231 ff. Die Verinnerlichung des Ehebildes hat schon in den Motiven seinen Ausdruck gefunden: Die Motive sprechen von der Ehe als „innige und vollständige“ Lebensgemeinschaft, Mot. V, 368. Zum Ehebild der Kodifikation vgl. nur Dörner, Industrialisierung, 66 ff. Ansonsten siehe zum Ehebild nur oben § 6 I 3. 100 Statt eines Verweises auf das familiensoziologische Schriftum siehe nur Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 1 I. 101 Schröder, in: Mohnhaupt (Hrsg.), Zur Geschichte des Familien- und Erbrechts, 281 (293). 102 So Schlitt, Testamentsklauseln, 33.

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kann jedoch nicht die Rede sein. Eine pflichtteilsüberschreitende Versorgung des Überlebenden wird bei der hier vertretenden Lösung u. a. an die Leistungsfähigkeit des Erben und an die verfassungsrechtliche Grenze des Zugriffs auf das unabdingbar Notwendige gekoppelt103. Unter diesem Signum ist es jedoch gerechtfertigt, daß faktisch der hiesige Vorschlag verschiedene Vermögensgruppen unterschiedlich trifft, da verschiedene Grade der Leistungsfähigkeit und des Eingriffs in die Testierfreiheit zwangsläufig nach einer differenzierten Anwendung des unterhalts- und erbrechtlichen Instrumentariums verlangen. Auch sonst wird schließlich nicht behauptet, die fehlende Leistungsfähigkeit sozial Schwacher würde im Vergleich zu leistungsfähigeren Personengruppen eine nicht hinzunehmende Diskriminierung derartiger Gruppen nach sich ziehen, sobald unterhaltsrechtliche Fragen zur Rede stehen. Eine verfassungsrechtlich nicht hinnehmbare Diskriminierung verschiedener Bevölkerungsgruppen liegt demnach nicht vor, wenn dem Überlebenden nach dem hiesigen Vorschlag geholfen werden soll. b) Erbrechtsgleichheit und Bedürftigkeit Ist nach dem zuvor Gesagten das der strengen Äquivalenzthese entsprechende Ergebnis verfassungsrechtlich nicht aus Gründen des Diskriminierungsverbots geboten, so kann darüberhinaus auch gezeigt werden, daß ein derartiges Ergebnis nicht nur nicht geboten, sondern verfassungsrechtlich sogar fragwürdig wäre. Verfassungsrechtlich steht die Pflichtteilsberechtigung nach ganz überwiegender Ansicht104 unter dem Schutz der Erbrechtsgarantie des Art. 14 I 1 GG; inhaltlich wird dieser Schutz maßgeblich durch die dem Art. 6 I GG105 entnommenen Wertungen geprägt. Nun beruht das Pflichtteilsrecht auf einer verfassungsrechtlich notwendigen Abwägung der Erblasserfreiheit und der verfassungsrechtlich geschützten Positionen potentieller Erben, im genaueren der nächsten Abkömmlinge und des Ehegatten106. Als Maßstab im Rahmen dieser Abwägung kommt nicht die 103

Zur hiesig vertretenen These siehe oben § 20 II 1. Vgl. zum verfassungsrechtlichen Schutz der Pflichtteilsberechtigung nur BGH NJW 1987, 124; JZ 1990, 697 (699 f.); offen gelassen von BVerfGE 67, 329 (341); Maunz/Dürig-Papier, Art. 14 Rn. 244, 246; v. Münch-Bryde, Bd. 1, Art. 14 Rn. 47; Leisner, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, § 150 Rn. 20; MünchKomm-Leipold, Einl. Erbrecht, Rn. 18; Staud-Otte, Einl. zu §§ 1922 ff. Rn. 71, 91; StaudBoehmer, 11. Aufl., Einl. Erbrecht, § 23 Rn. 16; Brox, Erbrecht, Rn. 24; v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 1, 21; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 60; Leipold, JZ 1990, 700 (702); Rauscher, Reformfragen, 90 ff.; Leisner, Verfassungsrechtliche Grenzen, 48 ff. Ablehnend gegenüber jeglichen verfassungsmächtigen Schutz des Pflichtteilsrechts hingegen RGRK-Kregel, Einl. zum Erbrecht Rn. 4. 105 Auf Art. 6 I GG allein stellen hingegen Soergel-Stein, Einl. zum Erbrecht Rn. 7 f.; Staud-Ferid-Cieslar, Einl. zu §§ 2303 ff. Rn. 22; und wohl auch Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 2 IV 3 c i.V. m. § 2 IV 2 b, ab. 104

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staatsgerichtete Erbrechtsfreiheit der Erben, sondern nur die dem Schutzgut des Art. 14 I GG ebenfalls zugehörige107 Erbrechtsgleichheit in Betracht. Hier liegt der entscheidende Punkt: die Anknüpfung der Erbrechtsgleichheit an Art. 14 I GG statt an Art. 3 I GG108. Art. 3 I GG eröffnet eine Flexibilisierung der Erbrechtsgleichheit bis zur Grenze willkürlichen gesetzlicher Gestaltung, während die Garantie aus Art. 14 I GG die Auswahl der jeweils als sachgerecht anzusehenden Differenzierungstopoi auf vermögensbezogene Gründe begrenzt: Jede Anknüpfung einer Pflichtteilsgewährleistung an Bedürftigkeitserwägungen und sonstige unterhaltsrechtliche Argumentationsformen verbietet sich unter dem Signum des Art. 14 I GG; Erbrechtsgleichheit ist Gleichheit formaler, nicht-abgestufter Egalität 109. Vor diesem Hintergrund verliert die Vorstellung, dem Pflichtteilsrecht könne eine Unterhaltsfunktion vindiziert werden, jede Evidenz. Zwar könnte Bedürftigkeit aufgrund des gerade im Erbrecht immer wieder wirkmächtigen Zwangs zu rechtssicherheitswahrenden Problemlösungen typisierend erfaßt und schematisch in Pflichtteilssätzen verortet werden. Erbrechtsgleichheit und Bedürftigkeit wären dann zumindest der Idee nach miteinander versöhnt. Dies würde freilich mit einer über alle Maßen wirklichkeitsfremden Reaktion auf Bedürftigkeitslagen und zudem mit einem Systembruch erkauft: der Übergang von den feinteilig ziselierten Unterhaltstatbeständen des Familienrechts auf die groben Unterhaltssicherungsstrukturen im Erbrecht ist mit Rechtssicherheitserwägungen alleine nicht erklärbar. Die Erbrechtsgleichheit der Pflichtteilsberechtigten spricht mithin in hohem Maße dagegen, entsprechend der strengen Äquivalenzthese ausschließlich im Pflichtteilsrecht den Unterhalt des überlebenden Teil verwirklicht zu sehen. c) Gleiche Vermögensteilhabe und personale Verbundenheit Mit der Anbindung des Pflichtteilsrechts an die Erbrechtsgleichheit aus Art. 14 I GG ist ein neuer Begründungsstrang des Pflichtteilsrechts eröff106 Rauscher, Reformfragen, 89. Auch Mertens, Entstehung, 88, und Tschäppeler, Testierfreiheit, 73, sehen im Pflichtteilsrecht einen Kompromiß zwischen Freiheit des Erblassers und Gleichheit der Nachkommen verwirklicht. Hierbei spielt es keine Rolle, ob – entgegen der ganz überwiegenden Ansicht (vgl. nur BVerfGE 58, 377 (398); 67, 329 (341); BGH NJW 1980, 2583; Maunz/Dürig-Papier, Art. 14 Rn. 241) – die Erblasserfreiheit als individuelles Recht auf freie Entschließung dem Eigentumsgrundrecht zugerechnet wird, wie dies bei Rauscher, ebda., 32 ff., und Stöcker, WM 1979, 214 (220), der Fall ist, siehe zum Verhältnis von Testierfreiheit und Eigentum ausführlich Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 5, § 6. 107 Stöcker, WM 1979, 214 (216 ff.); Rauscher, Reformfragen, 18 ff. 108 Auf Art. 3 I GG stellt bsp. Staud-Otte, Einl. zu §§ 1922 ff. Rn. 82 ab. 109 Steffen, DRiZ 1972, 263 (267); Stöcker, WM 1979, 214 (218 ff.); Rauscher, Reformfragen, 92; vgl. auch Däubler, ZRP 1975, 136 (143).

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net. Das Pflichtteilsrecht spiegelt verfassungsrechtlich dann primär das Recht auf Vermögensteilhabe am Nachlaß und weniger familiare Nähe- und Solidargedanken wider110. Ein Wertungsbruch mit der in der historischen Skizze aufgewiesenen Teleologie des Pflichtteilsrechts, die nicht familiare wirtschaftliche Solidarität, sondern personale Verbundenheit als das für den Pflichtteil Primäre ansieht111, liegt mit diesem Befund nicht vor. Personale Verbundenheit kann im Pflichtteilsrecht nur typisierend erfaßt werden, da der Erblasser durch seine letztwillige Verfügung einer personalen Verbundenheit zwar positiv durch die Zuweisung von Vermögenswerten und erbrechtlichen Rechtsstellungen Ausdruck verleihen kann, negativ jedoch nicht: in der Enterbung sind sich alle Angehörigen gleich. Freilich scheint der Gedanke personaler Verbundenheit nur eine graduelle Abstufung des Pflichtteils nach dem noch vorhandenen Rest an personaler Zusammengehörigkeit zu tragen, so daß eine Differenzierung zwischen Pflichtteilsberechtigten und keine Zuteilung fester Pflichtteilsquoten als sachgerechte Folge anmutet. Eine derartige Überlegung verfängt jedoch nicht. Wenn die personale Verbundenheit zwischen dem Erblasser und den Pfilchtteilsberechtigten aufgrund zerrütteter Beziehungsstrukturen zerbricht, so daß es zur Enterbung kommt, ebnet das Erbrecht sämtliche Differenzierungen nach dem Grad des Bruchs in den Beziehungsstrukturen ein und bildet die personale Beziehung zwischen dem Erblasser und den Berechtigten in einer festen Quote ab. Diese Einebnung ist nur verständlich als Kompromiß zwischen dem vermögensrechtlich ausgerichteten und verfassungsrechtlich geschützten, differenzierungsfeindlichem Recht auf freie und gleiche Nachlaßpartizipation und dem familiar ausgerichteten differenzierungsfreundlichen Gedanken einer personalen Verbundenheit. Hier gibt dann – anders als bei Fragen der Bedürftigkeit – eine typisierende und schematische Widerspiegelung personaler Nähe in festen Pflichtteilsquoten einen Sinn: Personale Nähe besitzt als Faktor innerhalb sozialer Beziehungen anders als wirtschaftliche Bedürfnislagen kein faktisches Substrat, an der man sie fest machen könnte. Sie ist damit nicht von der Zuteilung von Gütern abhängig und kann deshalb auch in typisierenden Mustern – wie festen Pflichtteilsquoten – widergespiegelt werden. Wenn die personale Verbundenheit in einem derartig hohem Maße fehlt, daß die Entziehung des Pflichtteils gem. §§ 2333 ff. BGB gerechtfertigt ist, schimmert ausnahmsweise der Gedanke personaler Nähe auch in dem Kompromiß zwischen gleicher Vermögensteilhabe und familiarer Verbundenheit besonders prägnant durch. Das gänzliche Fehlen personaler Nähe rechtfertigt hier sogar eine Zurücksetzung des Gedankens familiarer Nachlaßpartizipation. All dies spricht dafür, im 110

Vgl. auch Stöcker, WM 1979, 214 (219 f.). Oben § 20 III 2 bis 4; sowie Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 5 II 1. 111

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Kap. 8: Versorgung – Pflichtteilsrecht – Unterhaltsrecht

Pflichtteilsrecht aus verfassungsrechtlicher Sicht weniger Wertungen ehelicher oder familiarer Solidarität, sondern primär den Gedanken einer verfassungsrechtlich angemessenen, erbrechtsgleichen und die personale Beziehung zwischen den Beteiligten widerspiegelnde Teilhabe am Vermögen des Erblassers verwirklicht zu sehen. Geht es dem Pflichtteilsrecht jedoch primär um den Gedanken einer gleichen Partizipation familiar mit dem Erblasser verbundenen Personen, kann schlechterdings nicht davon ausgegangen, es regele abschließend Unterhaltsfragen des überlebenden Teils. 5. Vergleich mit dem Güterrecht: Durchbrechungen des Prinzips der Ausschließlichkeit des Zugewinnausgleichs

Schließlich sei nur noch darauf hingewiesen, daß auch ansonsten oftmals eine für den Regelfall als abschließend klassifizierte Regelung in geeigneten Ausnahmefällen durch sonstige Instrumentarien ergänzt wird. Schon im ehelichen Güterrecht findet sich ein derartiger Fall. Hier wird von der Rechtsprechung – parallel zur strengen Äquivalenzthese – angenommen, das familienrechtliche Ausgleichsinstrument des Zugewinnausgleichs sei gegenüber den allgemeinen vermögensrechtlichen Ansprüchen abschließend. Die Rechtsprechung des BGH unterlegt dem Zugewinnausgleich daher ein Ausschließlichkeitsprinzip und mißt ihm die Stellung einer lex specialis gegenüber individuell zugeschnittenen allgemein-vermögensrechtlichen Ansprüchen aus Kondiktion und Wegfall der Geschäftsgrundlage zu112. Die Kritik, die an dieser Rechtsprechung geübt worden ist, interessiert hier im einzelnen nicht. Insbesondere kann der Einwand außen vor bleiben, die güterrechtlichen Ausgleichsansprüche beträfen weder den gleichen Regelungsbereich noch hätten sie die gleiche Funktion wie ein vermögensrechtlicher Ausgleich über den Wegfall der Geschäftsgrundlage, so daß ein Ausgleich nicht den harschen Beschränkungen des BGH unterliegen könne113. Denn interessanter ist, wie der BGH vorgeht, um für unerträglich angesehene Ergebnisse zu vermeiden: Er führt die Ausschließlichkeit nicht rigide durch, was sich beispielsweise bei der Ausgleichung unbenannter Zuwendungen zeigt, bei denen der Ausschließlichkeitsgrundsatz fallengelassen wird, wenn der güterrechtliche Ausgleich schlechthin unangemessen und die Beibehaltung der durch die Zuwendung an den anderen Gatten herbeigeführten Vermögensverhältnisse nicht zuzumuten ist114. Und auch in erbrechtlichen Kontexten sperrt sich der BGH grundsätzlich gegen eine Anerkennung von 112

BGHZ 65, 320; 68, 299; 82, 227; 89, 137; 115, 132. Vgl. nur Soergel-Lange, vor § 1363 Rn. 8; MünchKomm-Gernhuber, vor § 1363 Rn. 20 ff.; ders., § 19 V 5; Staud-Thiele, § 1363 Rn. 14; Erman-Heckelmann, § 1363 Rn. 4; Holzhauer, JuS 1983, 830 (834 ff.); Rauscher, AcP 186 (1986), 529 (547 ff.); Lipp, JuS 1993, 89 (94 ff.). Für die Ehegattenmitarbeit vgl. nur Lieb, Ehegattenmitarbeit, 180 ff., 185 ff. 113

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Ausgleichsansprüchen neben dem Pflichtteilsrecht und will nur ausnahmsweise „in besonders schwerwiegenden Ausnahmefällen“115 – somit quasi unter dem gleichen Signum wie im Güterrecht – über die Gute-Sitten-Klausel eine Nachlaßbeteiligung der Angehörigen sichern. Der hiesige Weg ist also im Ergebnis gar nicht so befremdlich, wie er auf den ersten Blick den Eindruck macht. Er wird sich allerdings als dogmatisch einsichtiger begründet erweisen als der Rekurs auf die Gute-Sitten-Klausel, mit dem zudem der Bedarfslage beim Überlebenden nur sehr grob Rechnung getragen werden kann. 6. Ergebnis: Die strenge Äquivalenzthese als Arcanum des Pflichtteilsrechts

Nach all dem bestätigt sich unter dem Signum des Verfassungsrechts der historisch ermittelte Befund: Die strenge Äquivalenzthese kann nicht dem Pflichtteilsrecht als dessen immanente Teleologie unterlegt werden. Das Pflichtteilsrecht gründet vielmehr auf einem doppelten Kompromiß: Historisch muß das Pflichtteilsrecht als Kompromiß zwischen der Testierfreiheit und dem Familiengedanken begriffen werden; der Familientopos selbst konnte primär in personale Verbundenheit übersetzt und erst sekundär mit wirtschaftlicher Solidarität gleichgesetzt werden, so daß Bedürfnisstrukturen und damit auch der Unterhaltsgedanke im Sinne der strengen Äquivalenzthese in den Hintergrund treten. Systematisch konnte für die strenge Äquivalenzthese nichts angeführt werden, was ihre Plausibilität darlegen könnte; weder eine familienideologische Einkleidung der Testierfreiheit noch eine Sicht auf die technische Ausgestaltung des Pflichtteilsrechts oder ein Blick auf die gesellschaftliche Einkleidung der Familie gaben hier Anhaltspunkte. Im Verfassungsrecht fanden sich schließlich durchschlagend gegen die Äquivalenzthese in ihrer strengen Fassung sprechende Hinweise: Die klare Konturierung des Pflichtteilsrechts mit festen Größen muß als Ausdruck des Kompromisses zwischen dem Gedanken familiarer Verbundenheit und dem verfassungsrechtlichen Recht auf zumindest ein Mindestmaß umfassende und gleiche Nachlaßpartizipation verstanden werden, die eine Anbindung des Pflichtteilsrechts streng an Bedürfnisstrukturen nicht zuläßt. Ob unterhaltsrechtliche Aspekte im Sinne der weichen Äquivalenzthese im Pflichtteilsrecht zum Tragen kommen, kann dabei hier dahingestellt bleiben. Die bisher vorgetragenen Argumente gegen strenge Äquivalenz können nicht gegen weiche Äquivalenzformen eingewendet werden. Da zudem weiche Äquivalenz auch durch Typisierungen mit klaren pflichtteilsrechtlichen Zuteilungsquoten noch in Einklang gebracht werden kann, spricht einiges 114 BGHZ 65, 320 (324 f.); 68, 299 (302 ff.); 82, 227 (232 ff.); 84, 361 (365); 115, 132 (138); BGH FamRZ 1982, 778 (779); 1994, 503; 1994, 1167. 115 So BGH NJW 1983, 674; BGHZ 111, 36 (40).

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dafür, dem Pflichtteil auch Unterhaltsfunktionen zuzubilligen. Letztlich braucht dies jedoch nicht näher aufgegriffen zu werden, da gegen das hiesige Vorhaben, der Bedürftigkeit des überlebenden Teils mit Mitteln außerhalb des Pflichtteilsrechts entgegenzutreten, einzig die strenge und nicht die weiche Äquivalenzthese angeführt werden kann. Die erste Sperre, die der hier vertretenen These116 entgegenstand: nämlich der Gedanke, daß das Pflichtteilsrecht das Unterhaltsinteresse des Überlebenden abschließend regele, ist damit aus dem Weg geräumt. V. Die Sperre des § 1615 BGB 1. Problemstand

Einer pflichtteilsübersteigenden Nachlaßpartizipation des Ehegatten, welche Unterhaltsfunktionen übernimmt, könnte freilich noch der Rechtsgedanke des § 1615 BGB entgegenstehen, nach dem die Unterhaltspflicht mit dem Tode des Verpflichteten erlischt. Diese Vorschrift ist im ehelichen Versorgungsrecht über die § 1360 a III BGB und § 1361 IV 4 BGB auch im Familien- und Trennungsunterhaltsrecht anwendbar. Demgegenüber geht beim Geschiedenenunterhalt gem. § 1586 b I 1 BGB die Unterhaltspflicht beschränkt auf den hypothetischen Pflichtteil des Geschiedenen (§ 1586 b I 3 BGB) auf den Erben als Nachlaßverbindlichkeit über. Auch sonst ist im Scheidungsfolgenrecht Vererblichkeit nicht ausgeschlossen: Im Versorgungsausgleich kann der versorgungsrechtliche Ausgleichsanspruch in der öffentlich-rechtlichen (§ 1587 e IV BGB) anders als in der schuldrechtlichen (§ 1587 k BGB)117 Variante des Versorgungsausgleichs bei einem Scheidungsurteil vor Entscheidung über die Folgesache (§ 628 ZPO) nach dem Tode des Verpflichteten gegen die Erben geltend gemacht werden. Der die Unvererblichkeit von Unterhaltsansprüchen begründende Gedanke wird oftmals in der Höchstpersönlichkeit des Anspruchs gesehen118, während andere daneben119 oder ausschließlich120 die Unvererblichkeit mit dem Wegfall von Anspruchsvoraussetzungen121, dem Entfallen des unterhaltsrechtlichen Grundverhältnisses122 oder dem Grundsatz der Gegenwartsbezogenheit des Unterhalts123 begründen. Der Rekurs auf Höchstpersönlich116

Dazu oben § 20 II 1. Umstritten, vgl. nur MünchKomm-Maier, § 1587 k Rn. 8. 118 So bsp. Soergel-Häberle, § 1615 Rn. 1; MünchKomm-Köhler, § 1615 Rn. 2; Palandt-Diedrichsen, § 1615 Rn. 1. 119 MünchKomm-Köhler, § 1615 Rn. 1. 120 Staud-Kappe, § 1615 Rn. 4; Erman-Holzhauer, § 1615 Rn. 1 f. 121 Staud-Kappe, § 1615 Rn. 4. 122 Erman-Holzhauer, § 1615 Rn. 1 f. 117

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keit hat auf den ersten Blick einiges für sich, insbesondere wenn die Unterhaltspflicht als sich ständig erneuernde Verpflichtung begriffen wird, die in der verwandtschaftlichen Beziehung zweier Personen wurzele und die daher mit dem Tode der einen oder der anderen zwangsläufig entfallen müsse124. Es scheint also ausweislich des § 1615 BGB so zu sein, daß Unterhaltsansprüche – abgesehen vom Fall des Geschiedenenunterhalts, § 1586 b I 1 BGB – mit dem Tod des Unterhaltsverpflichteten untergehen125. 2. Vergleich mit Geschiedenenunterhalt, Versorgungsausgleich und den Gesetzesmaterialien

Das mit der Höchstpersönlichkeit des Unterhaltsanspruchs suggerierte Bild einer fast naturwüchsigen Begrenzung der unterhaltsrechtlichen Pflichtigkeit verliert jedoch seine Evidenz, wenn das Recht des Geschiedenenunterhalts betrachtet wird. Unterhaltsansprüche wurzeln zwar im Familienrecht, sind aber auf vermögenswerte Leistungen gerichtet, so daß ihre Vererblichkeit zuerst einmal nicht ihrer Natur nach ausgeschlossen sind: Die vom Gesetzgeber als Nachwirkung der Ehe126 begriffene Unterhaltspflichtigkeit der Geschiedenen wurzelt ebenso in einer ehemaligen exklusiv-einmaligen personalen Nähebeziehung, gleichwohl ist Vererbung möglich, § 1586 b I 1 BGB. Wie immer man zu § 1586 b I BGB mit seiner nicht sehr systemgerechten Ausgestaltung im Kontext des Scheidungsfolgenrechts auch stehen mag127 – als Stichworte seien kurz der mittelbare Zugriff auf den gem. § 1374 II BGB vom Zugewinnausgleich ausgesparten privilegierten Erwerb und auf das Vermögen statt auf die laufenden Einkünfte gem. § 1581 BGB genannt –, so wird doch deutlich, daß über die Vererblichkeit von Unterhaltsansprüchen weniger nicht weiter begründete Kategorien der Höchstpersönlichkeit als Interessenerwägungen entscheiden, die sich in geschrumpfter Form regelmäßig auch hinter dem Rekurs auf Höchstpersönlichkeit verbergen und die sich bsp. bei vermögenswerten Rechtspositionen in den Topoi „höchstpersönlicher Zweck“, „individuelles Bedürfnis“ oder „untrennbare Verknüpfung mit der Person des Erblassers“ niederschla123

MünchKomm-Köhler, § 1615 Rn. 1. So Gernhuber/Coestern-Waltjen, Familienrecht, § 45 XII 1. 125 Seht deutlich in diese Richtung etwa Frenz, ZEV 1997, 450, der explizit ausführt, daß Unterhaltsansprüche immer mit dem Tode des Verpflichteten erlöschen und daß die Ausnahme von diesem Grundsatz allein § 1586 b BGB bilde – eine so erst einmal unbegründete Zurichtung eines Grundsatz-Ausnahme-Verhältnisses, deren Implizitheit geradezu auf der Hand liegt. 126 Vgl. BT-Drucks 7/650. 127 Vgl. zur Kritik an § 1586 b I BGB nur Roessink, FamRZ 1990, 924 (insbes. 927 f.); Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 30 XII 2; Erman-Dieckmann, § 1586 b Rn. 1. 124

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gen128. Bei dem Unterhaltsanspruch des Geschiedenen lassen sich derartige untrennbare Verbindungen zur Person des Erblassers nicht feststellen; die Belastung der Erben mit der Versorgung ist hier ausweislich der Gesetzesmaterialien ein Resultat der Gewichtung der Interessen des sozial schwächeren Unterhaltsbedürftigen und der Erben129, welches im Gesamtzusammenhang des Scheidungsfolgenrechts bedenklich sein mag130, jedoch nun einmal dazu führt, daß der Unterhaltsanspruch des Geschiedenen nicht prima facie ausschließlich als untrennbar mit der Persönlichkeit des Erblassers verknüpft erscheint. Gleiches gilt für die Vererblichkeit des versorgungsrechtlichen Ausgleichsanspruchs gem. § 1587 e IV BGB: Der Versorgungsausgleich beruht seiner Konzeption nach allein131 auf dem Gedanken des Unterhalts des sozial Schwächeren oder auch auf dem der Versorgung und der Lebensleistung132 und ist damit zugleich mit dem exklusiven personalen Netzwerk der Ehe verknüpft. Trotzdem ist der Anspruch vererblich – und zwar aus Gründen, die in der Interessenlage wurzeln: eine ungerechtfertigte Entlastung des Rentenversicherungsträgers und des Erben durch die Zufälligkeit des Todes soll vermieden werden133. Unterhalt und Höchstpersönlichkeit sind demnach zu unterscheidende Kategorien; die Interessenbewertung durch den Gesetzgeber gibt allein die Richtschnur für die Vererblichkeit von Unterhaltsansprüchen vor. Das Verhältnis von § 1615 BGB und § 1586 b I 1 BGB kann daher nicht auf ein einfaches Verhältnis von Grundsatz und Ausnahme134 zurückgeschnitten werden; diese Vorschriften müssen vielmehr als Ausprägungen typischer Bedürfnislagen verstanden werden. Ein Zugriff auf die Materialien des § 1615 BGB bestätigen diesen Befund. Die Erste Kommission sah zwar eine Verbindung zwischen Unterhalt und der Person des Verpflichteten, zugleich wurde dieses Verhältnis aber 128 Vgl. nur Staud-Marotzke, § 1922 Rn. 115; MünchKomm-Leipold, § 1922, Rn. 17 ff.; allg. dazu vgl. auch Dietzel, Untergang statt Fortbestand, passim. 129 Im genaueren soll der geschiedene Ehegatte, der keine erbrechtlichen Ansprüche kraft Gesetzes hat, auch über den Tod des Verpflichteten hinaus gesichert werden, solange die Voraussetzungen eines Unterhaltstatbestands vorliegen und er bedürftig ist. Eine derartige Vorsorge für den sozial Schwächeren in Nachwirkung der Ehe erschien auch deshalb unabweisbar, weil regelmäßig die Bedürftigkeit ehebedingt sei. Vgl. BT-Drucks 7/650, 151. Allg. zur Gesetzgebungsgeschichte vgl. auch Roessink, FamRZ 1990, 924 (925). 130 Vgl. Roessink, FamRZ 1990, 924 (927 f.). 131 So BGH NJW 1979, 1289 (1290 ff.); FamRZ 1988, 935. 132 Zur Kombination des Unterhaltsgedankens mit dem güterrechtlichen Aspekt des Zugewinnausgleichs vgl. bsp. nur Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 28 I 1. 133 Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 28 V 10. 134 Im übrigen ist entgegen überholter Rechtsparömien in den Grenzen des Grundgedankens einer Ausnahmevorschrift ihre analoge Anwendung sehr wohl statthaft; dazu nur MünchKomm-Säcker, Einl. Rn. 102 ff. mwNachw.

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nicht als die Vererblichkeit des Unterhaltsanspruchs quasi naturwüchsig ausschließende Beziehung verstanden, vielmehr wurden volkswirtschaftliche Erwägungen und damit Interessenbewertungen in den Vordergrund gerückt135. Auch die Motive136 griffen im Kontext des § 1615 BGB den Höchstpersönlichkeitstopos auf, indem sie den Wegfall des Unterhaltsanspruchs mit der persönlichen Grundlage der Unterhaltspflicht korrelierten und auf die gleiche Regelung im Gemeinen Recht, einigen Partikularrechten sowie dem sächsischen Gesetzbuch verwiesen. Gleichzeitig wurde aber auch auf die schon im Gemeinen Recht umstrittene, vom Reichsgericht aber angewandte137 Regelung des römischen Rechts aufmerksam gemacht, nach der ein „höchstbedürftiger“ Vater gegenüber den Erben seiner Kinder Unterhalt geltend machen konnte. Eine abschließende Stellungnahme wurde vor diesem Hintergrund vermieden; man rekurrierte eher auf Zweckmäßigkeitserwägungen: für die Vererbung des Unterhaltsanspruchs bestünde angesichts der gesetzlichen Erb- und Pflichtteilsrechte kein Bedürfnis138. Auch nach den Materialien zu § 1615 BGB ist der Unterhaltsanspruch mithin nicht von höchstpersönlicher Natur. 3. Ergebnis

Der Rekurs auf die Vererblichkeit der unterhaltsähnlichen versorgungsrechtlichen Ausgleichsansprüche und der Unterhaltsansprüche im Recht des Geschiedenenunterhalts sowie ein Blick auf die Gesetzesmaterialien hat gezeigt, daß bei Unterhaltsansprüchen trotz ihrer Verwurzelung im Familienrecht die vermögensrechtliche Komponente durchschlägt: Unterhaltsansprüche sind nicht aufgrund einer quasi metarechtlichen Kategorie der Höchstpersönlichkeit unvererblich, sondern im Gegenteil dann vererblich, wenn der Gesetzgeber die Interessenlage spezifisch so bewertet hat, daß primär die Versorgungsinteressen des Unterhaltsbedürftigen befriedigt werden sollen. Bei den §§ 1615, 1360 a III und 1361 IV 4 BGB wurde – anders als bei § 1586 b I BGB und § 1587 e IV BGB – offenbar kein Bedürfnis für eine Vererblichkeit gesehen. Aus der Regelung der §§ 1615, 1360 a III und 1361 IV 4 BGB kann daher dann keine Sperre für eine pflichtteilsübersteigende Nachlaßpartizipation erwachsen, wenn eine Analyse der Interessenlage sowie der gesetzlichen Regelung der ehelichen Nachwirkungen zeigt, daß eine das Versorgungsinteresse befriedigende Nachlaßpartizipation trotz ihres Charakters als Unterhaltsersatz erforderlich ist – wenn somit gezeigt 135

Protokolle der 1. Kommission, S. 7591; bei Jakobs/Schubert (Hrsg.), Die Beratungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 271. 136 Mot. IV, 710 f. 137 RGZ 4, 208 (211 f.). 138 Mot. IV, 711. Dem wurde in den Protokollen beigepflichtet, Prot. IV, 515.

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werden kann, daß die genannten Vorschriften ihrer ratio legis nach, also im Rekurs auf Bedürfnislagen, hier nicht eingreifen. Eine derartige Beschneidung des § 1615 BGB auf Versorgungslagen ohne Unterhaltsbedürftigkeit kann freilich nicht so weit gehen, daß § 1615 BGB schon dann aufgrund teleologischer Reduktion nicht griffe, wenn eine Bedürftigkeit i. S. des § 1577 BGB vorläge. § 1615 BGB wäre in diesem Falle funktionslos, da § 1615 BGB dann sowohl bei vorliegender als auch bei fehlender Bedürftigkeit nicht angewendet würde, da ja bei fehlender Bedürftigkeit ein Unterhaltsanspruch nicht gegeben und damit das Problem seiner Vererblichkeit nicht einschlägig und folgerichtig auch § 1615 BGB nicht virulent würde – ein derartige Reduktion einer Vorschrift auf Null dürfte kaum den Vorstellungen des Gesetzgebers entsprechen. Bedürftigkeit darf daher nicht im Sinne der Regelung des § 1577 BGB, sondern muß anders verstanden werden – wie, wird noch gezeigt werden139. Im folgenden (unten § 21) wird versucht, anhand einer Analyse der Interessenlage sowie der gesetzlichen Regelung der ehelichen Nachwirkungen herauszuarbeiten, daß eine Versorgung nach dem ersten Todesfall erforderlich ist, so daß die Vorschrift des § 1615 BGB ihrer ratio nach nicht greift und damit dem hiesigen Vorhaben auch nicht entgegenstehen kann. Schon in Vorfeld sei nochmals der Methodenehrlichkeit halber betont, daß es hier nicht darum geht, contra legem ein aus der ein oder anderen Sicht wünschenswertes Ergebnis in das Gesetz hineinzutragen, ohne daß dies durch eine vertretbare Lesart des Gesetzes gedeckt sei. Vor allem der Wortlaut des § 1615 BGB scheint auf dem ersten Blick derartig klar zu sein, daß das hiesige Vorhaben schon aus diesem Grunde in sich zusammenzubrechen scheint. Dem ist jedoch beileibe nicht so. Zwei Dinge gilt es festzuhalten. Einmal gibt es so etwas wie einen feststehenden „Wortlaut“ eines Gesetzes nicht140. Es gibt noch nicht einmal einen dem Gesetz inhärenten „Sinn“, der hermeneutisch dem Gesetzestext entborgen werden könnte141. Ein jeglicher Sinn wird einem Text vielmehr erst durch die Gepflogenheiten des Sprechens – durch die soziale Praxis des Sprechens über das Recht – zugeschrieben142. Ob daher einem Gesetzestext ein feststehender Sinn als „Wortlaut“ zugeschrieben wird, entscheidet sich nach der Art und Weise, in der über das Gesetz gesprochen wird – nach dem Grad, in der die soziale Praxis des Sprechens über das Recht starr und fest in sich geschlossen ist143. Der Grad dieser Festgefügtheit wiederum ist nichts anderes, als ein Abbild der Gepflogenheiten, die innerhalb des juristischen Diskurses herr139 140 141 142 143

Vgl. unten § 21 II 1. Dazu nur Goebel, Rechtsgespräch und kreativer Dissens, 86 f. Goebel, Rechtsgespräch und kreativer Dissens, 49 f., 81 f. Goebel, Rechtsgespräch und kreativer Dissens, 109 ff. Dazu Goebel, Rechtsgespräch und kreativer Dissens, 122 ff., 125 ff.

§ 21 Versorgung des zurückgesetzten Ehegatten über das Unterhaltsrecht 531

schen144. Er ist also nichts Methodisches und zuerst einmal nichts Normatives, sondern etwas, was unter die Rubrik „Übliches“ und „Tradiertes“ fällt. Falls man also von vornherein – ohne weitere Argumentation – darauf insistiert, der Wortlaut des Gesetzes gebe dieses oder jenes Ergebnis nicht her, rekurriert man nur auf die Festgefügtheit einer sozialen Praxis, vor deren Hintergrund man meint, über das Recht eben nur so und nur so sprechen zu können. Ob diese Festgefügtheit der Sprech-Praxis ihrerseits normativ überzeugt, wird nicht näher thematisiert. Sobald also eine Auslegungsthese vorgestellt und mit Argumenten untermauert wird – wie hier –, kann dieser These notwendigerweise nicht mit einem Wortlaut-Argument begegnet werden. Man muß sich vielmehr auf andere Argumente zurückziehen, will man sich nicht sofort den Einwand einhandeln, man ziehe sich auf die rechtlich nicht als zulässig ausgewiesene Harschheit einer sozialen Praxis und damit auf die bloße auctoritas des Üblichen und Tradierten zurück. Dies ist das eine. Hinzukommt eine zweite Überlegung145. Die kristalline Struktur des rechtlichen Systems trat zunehmend zurück, als im Zuge der Ausbildung der herrschenden Wertungsjurisprudenz das System rechtlicher Normen mehr und mehr zu einem bloßen Produkt der Abstimmung von Elementen einer differenzierten Rechtssemantik von Werten, Prinzipien und Interessen146 umgebaut wurde, in dem sich die Begriffe des äußeren System des Rechts zu Elementen von Abwägungen verflüssigen147. Feste Regeln können daher durchaus durch Prinzipien in der Art überlagert sein, daß Prinzipien auf die Auslegung der Regeln Einfluß gewinnen. Auf § 1615 BGB übertragen bedeutet dies, daß die vermeintliche Harschheit dieser Regel mit Blick auf gewichtige Prinzipien des Rechts durchaus zurücktreten kann. Dies zu zeigen, dienen die folgenden Ausführungen.

§ 21 Die Versorgung des zurückgesetzten Ehegatten über das Unterhaltsrecht Die bisherigen Überlegungen haben gezeigt, daß dem Pflichtteilsrecht nicht die Teleologie vindiziert zu werden vermag, es regele abschließend die Versorgung des überlebenden Ehegatten. Darüber hinaus konnte nachgewiesen werden, daß auch die Regelung der §§ 1615, 1360 a III und 1361 IV 4 BGB nicht als Beleg dafür angeführt werden können, eine unterhalts144

Goebel, Rechtsgespräch und kreativer Dissens, 116 ff. Dazu auch Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 1 II 3 a. 146 Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze, 1988; Canaris, Systembegriff, 90 ff. Insbesondere die strukturtheoretischen Kategorien von „Regel“ und „Prinzip“ waren hier wegweisend. 147 Zu diesem Umbau siehe nur Somek, Rechtssystem und Republik, 193 ff., 197 ff. 145

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Kap. 8: Versorgung – Pflichtteilsrecht – Unterhaltsrecht

äquivalente Versorgung des überlebenden Ehegatten post mortem sei nicht zulässig, wenn gezeigt werden kann, daß diese Regelungen ihrer ratio legis nicht eingreifen. Nunmehr gilt es, vor dem Hintergrund dieses Befunds und der Interessenlage der Beteiligten die Wertungen des Familienrechts daraufhin durchzumustern, ob sich aus ihnen nicht Hinweise dafür ergeben, daß dem bedürftigen Überlebenden ein – nicht ausdrücklich geregelter – Unterhaltsanspruch gegen die Erben des Erstverstorbenen unter noch näher zu beschreibenden Umständen zur Seite steht. Dieses Vorhaben setzt zweierlei voraus. Zum einen muß festzustellen versucht werden, daß das Gesetz nicht nur rechtspolitisch fehlerhaft, sondern seinen eigenen Intentionen nach eine Regelungslücke aufweist (dazu unten § 21 I). Sodann muß man sich behutsam an die Wertungen zur Lückenfüllung vortasten, um darzulegen, wie und inwieweit dem vom Erstverstorbenen zurückgesetzten, bedürftigen überlebenden Gatten gehofen werden kann. I. Lückenfeststellung: Postmortale Nachwirkungen der Ehe Mit dem Abbau der normativen Sperre des Pflichtteilsrechts und der rechten Einordnung des § 1615 BGB ist noch keineswegs der Nachweis erbracht, daß die gesetzliche Regelung lückenhaft ist. Wie schon ausgeführt wurde148, wird das Ansinnen, eine Nachlaßpartizipation über das Pflichtteilsrecht hinaus zu begründen, als Problem nur vor einem normativen Hintergrund bewußt, der ein bestimmtes Verständnis darüber einfordert, in welchem Maße der überlebende Ehegatten post mortem überhaupt gesichert werden soll. Und nur wenn ein derartiger normativer Versorgungsentwurf Ausdruck der dem Gesetz immanenten Teleologie ist, liegt nicht nur eine rechtspolitische Fehlerhaftigkeit des Gesetzes, sondern eine Gesetzeslücke vor. 1. Das Problem: Der normative Ordnungsrahmen einer pflichtteilsübersteigenden Nachlaßpartizipation

Die erbrechtliche Sonderstellung des überlebenden Ehegatten schimmert durch zahlreiche erbrechtliche Vorschriften durch. Neben dem gesetzlichen Erbrecht aus § 1931 BGB sind hier vor allem der gesetzliche Voraus des § 1932 BGB, der Anspruch auf Unterhalt und privilegierte Wohnungsnutzung aus § 1969 BGB, die Anfechtungsmöglichkeit wegen Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten gem. § 2079 BGB, die Formerleichterungen und Bindungswirkungen des gemeinschaftlichen Ehegattentestaments gem. §§ 2265 ff. BGB, die ehegattenprivilegierende Auslegungsregel des § 2280 BGB und die Pflichtteilsberechtigung aus § 2303 II BGB zu nennen. Hier148

Dazu vgl. oben § 20 II 2 vor a.

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aus allein ist jedoch zweifellos noch keine normative Ordnung erkennbar, vor deren Folie eine gesetzliche Regelung überquotaler Nachlaßpartizipation des Ehegatten zu erwarten wäre. Eheliche Nachwirkungen sind jedoch nicht nur erbrechtlich, sondern auch familienrechtlich geregelt. Hier ist es zweckmäßig, zwischen der Beendigung der Ehe durch Tod und zu Lebzeiten zu differenzieren. Bei der Beendigung einer Ehe durch Tod eines Ehegatten findet die Verbindung erb- und familienrechtlicher Wertungen ihren ausdrucksstärksten Niederschlag in einem vornehmlich induktiv anhand tradierter Wertungen zum Ehegattentestament gewonnenen Verständnis des Erbrechts als fortgesetzes Familienrecht und nicht als eines primär technizistischen Rechts zum universalsukzessiven Vermögenstransfer post mortem. Das gemeinschaftliche Ehegattentestament wird bei dieser Sicht dem Sozialgebilde Ehe und damit auch den Strukturbedingungen der ehelichen Lebensgemeinschaft mit ihrem je spezifischen Kräfte- und Spannungsfeld in Form des Wechselspiels von Äquivalenz und Solidarität zugeordnet149. Das damit gefallene Stichwort „Solidarität“ als Wertungstopos im Rahmen dieses familiaristischen Verständnisses der §§ 2265 ff., 2274 ff. BGB deutet daraufhin, daß eheliche Solidarität post mortem nicht nur fragmentarisch als Ausdruck vereinzelter gesetzlicher Wertungen, sondern umfassender verstanden werden kann und muß – wenn denn einem derartigen erbrechtlichen Familiarismus gefolgt werden könnte, was nicht der Fall ist150. Aufschlußreicher für das hiesige Problem der Lückenfeststellung erscheint denn auch die Versorgungslage bei einer Lösung der Ehe zu Lebzeiten durch die Gewährung nachehelichen Unterhalts zu sein. Und genau hier ist der normative Ansatzpunkt zu suchen, anhand dessen die solidarischen Nachwirkungen der Ehe post mortem näher entfaltet werden können. Die auf den ersten Blick recht kühne These lautet daher: Die Wertungsgrundlagen des Scheidungsunterhalts lassen zusammen mit dem erbrechtlichen Voraus und der Regelung des § 1933 BGB den normativen Ordnungsrahmen erkennen, vor dessen Hintergrund die fehlende gesetzliche Nachlaßpartizipation des unterhaltsbedürftigen Ehegatten über den Pflichtteil hinaus als Gesetzeslücke erscheint. 2. Normative Differenzierungen: Tod – Scheidungsantrag – Scheidung?

Die Zuweisung einer nur pflichtteilsgemäßen Nachlaßpartizipation, also bei Enterbung oder bei einer wertmäßig den Pflichtteil unterschreitenden Bedenkung, kann vielerlei Gründe haben. Nun kann es Gründe geben, die 149 Dies geschieht bei Battes, Gemeinschaftliches Testament, 218 ff. und passim, sowie auf dessen Basis bsp. bei Buchholz, Erbfolge, 88 ff. 150 Zur Kritik an einem erbrechtlichen Familiarismus im Recht des gemeinschaftlichen Ehegattentestaments siehe oben § 4 II 2.

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es dem Erblasser als ratsam erscheinen lassen, den Überlebenden trotz eines weiterhin bestehenden personalen Bandes nur pflichtteilsgemäß zu berücksichtigen; dies dürfte freilich regelmäßig die Ausnahme darstellen. a) Formale Ausdrucksformen ehelicher Zerrüttung Typischerweise dürfte sich in einer nur pflichtteilsgemäßen Nachlaßbeteiligung eine auch personale Entfremdung der Ehegatten widerspiegeln. Damit liegt das Wertungsproblem auf der Hand: Bei lebzeitiger Scheidung einer zerrütteten Ehe wird auf Grund enumerativ bestimmter Tatbestände eine Versorgung des anderen Ehegatten geschuldet. Erbrechtlich scheint dies anders zu sein, erfüllt doch das Pflichtteilsrecht seinem immanenten Telos nach primär keine Unterhaltsfunktion. Wenn jedoch die formell in der Scheidung zum Ausdruck gekommene Zerrüttung unter Lebenden enumerativ zur Versorgung des eigentlich auf sich selbst gestellten und auf seine Eigenverantwortung verwiesenen ehemaligen Ehegatten durch eine andere Person (nämlich den geschiedenen Gatten) führt, muß wertungsmäßig einsichtig sein, wieso dies post mortem bei gleicher Bedürfnislage und bei gleicher faktisch bestehender Zerrüttung, die sich in der Enterbung widerspiegelt, nicht der Fall sein soll. Und ist der überlebende Ehegatte nicht enterbt, sondern entsprechend seinem gesetzlichen Erbteil oder geringer bedacht, so daß von einer ehelichen Zerrüttung nicht als Regelfall ausgegangen werden kann, stellt sich erst Recht die Frage, wieso bei einer intakten Ehe nach dem ersten Todesfall eine unterhaltsmäßige Versorgung ausscheiden soll, bei einer zerrütteten Ehe aber nicht. Das Problem verschärft sich, wenn das Pflichtteilsrecht nicht als ausschließlicher Regelungskomplex für den Unterhalt des überlebenden Gatten verstanden werden kann, was ja der Fall ist151. Die Frage lautet dann konkret: Wieso wird das Versorgungsinteresse bei einer geschiedenen Ehe geschützt und bei einer faktisch zerrütteten, durch den Tod eines der Gatten aufgelösten Ehe nur rudimentär? Ein Anknüpfen allein an den Todesfall erscheint nicht angängig, da eheliche Solidarität auch dann nachwirkt, wenn einer der Gatten verstorben ist. Wenn Solidarität als ein Interaktionsverhältnis verstanden wird, „in dem die Subjekte wechselseitig an ihren unterschiedlichen Lebenswegen Anteil nehmen, weil sie sich untereinander auf symmetrische Weise wertschätzen“152, wird sehr deutlich, daß sich die Beständigkeit der Anteilnahme am Lebensweg des anderen kaum mit dem eigenen Tod erschöpft, sondern daß ein richtig verstandenes Mitempfinden an der Bedürfnisnatur des je anderen nicht vom Zufall des je eigenen Todes abhängig sein kann. Diese Verbundenheit ist im Pflichtteilsrecht seiner historischen und systematischen An151 152

Dazu oben § 20 III, IV. So der Begriffsvorschlag bei Honneth, Kampf um Anerkennung, 208.

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lage nach zwar primär, nicht jedoch alleine kristallisiert, da das vermögensmäßige Abbild personaler Verbundenheit nicht auf die Höhe des Pflichtteils entsprechend der strengen Äquivalenzthese beschränkt verstanden werden kann, wie vor kurzem im Rahmen der Funktionsanalyse des Pflichtteilsrechts gezeigt wurde. Vor dem Hintergrund fortbestehender Solidarität erscheint der Tod jedoch zwangsläufig als rein zufälliges Ereignis, das allenfalls graduelle Abstufungen im Ausdruck ehelicher Verbundenheit, nicht jedoch den Ausschluß jeglicher personaler Momente markieren kann, mit denen eine postmortale Versorgung des Überlebenden bisher vornehmlich (etwa im Rahmen der Sittenwidrigkeitsprüfung von Verfügungen, die den Ehegatten zurücksetzten153) angemahnt wurde. Auch die Regelung des § 1933 S. 3 BGB i.V. m. § 1586 b BGB gibt keinen Anlaß, dem hiesigen Ansinnen von vornherein eine Absage zu erteilen, die Möglichkeit eines Unterhaltstatbestands nach dem ersten Todesfall bei der nicht geschiedenen Ehe zu prüfen. Die Stellung eines Scheidungsantrags154 muß zwar typischerweise als Folge einer zerrütteten Ehe verstanden werden; die mittels des Verweises auf § 1586 b BGB angeordnete enumerativ geschuldete Versorgung durch die Erben erscheint dann als folgerichtige Auswirkung. Und vor allem: Die in den §§ 1933 S.3, 1586 b I 3 BGB angeordnete Beschränkung auf eine Nachlaßpartizipation äußerstenfalls bis zur Höhe des Pflichtteils, welcher dem Überlebenden zustünde, wenn die Ehe nicht geschieden worden wäre, scheint darauf hinzuweisen, daß das geringe Maß an Solidarität, welches die Gatten einander auch bei einer zerrütteten Ehe schulden, sich in der Höhe nach dem ersten Todesfall allein am Pflichtteil orientiert. Doch auch dieser Schluß wäre zu vordergründig, kann doch der Scheidungsantrag auch als formaler Ausdruck einer rechtssicherheitswahrenden Handhabung des Unterhalts- und Erbrechts verstanden werden, der gerade wegen seiner Formalität erst hinreichend sichere Hinweise auf den hypothetischen Willen des Erblassers gibt, den Überlebenden an die Folgen einer geschiedenen Ehe zu binden und damit dessen Unterhalt der Höhe nach auf den Pflichtteil zu beschränken155: Al153

Dazu oben § 20 I. Mit dieser Formulierung soll nicht Stellung im Streit genommen werden, ob der Ausschluß des Ehegattenerbrechts schon mit Antragstellung oder mit der herrschenden Meinung erst mit Antragszustellung erfolgt, dazu nur Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 12 II 2 b. 155 Der mutmaßliche Wille des Erblassers ist hier auf die Scheidungsfolgen bezogen und nicht auf die Begründung des gesetzlichen Erbrechts. Der Streit, ob § 1933 BGB mittels eines Rekurs auf den mutmaßlichen Erblasserwillen richtig verstanden werden kann (vgl. nur bejahend BT-Drucks 7/4361, S. 52; Staud-Werner, § 1933 Rn. 3; Palandt-Edenhofer, § 1933 Rn. 1; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 12 II 2 d; Brox, Erbrecht, Rn. 56; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 140, auf der einen und verneinend MünchKomm-Leipold, § 1933 Rn. 2; Battes, FamRZ 1977, 433 (437), auf der anderen Seite), spielt daher hier keine Rolle. 154

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lein der klaren Form des Scheidungsantrags korreliert eine sichere materiell-rechtliche Beschränkung auf den Pflichtteil156. b) Der immanente Telos des Scheidungsunterhalts Die Scheidung ist rechtlich Ausdruck einer zerrütteten Ehe, § 1565 I BGB. Nun ist es ein Gemeinplatz, daß nicht jede zerrüttete Ehe geschieden wird. Die Frage liegt daher nahe, wieso auf der einen Seite der Unterhaltsanspruch des Geschiedenen vererblich und auf der anderen Seite dem überlebenden Gatten einer tatsächlich zerrütteten Ehe, bei der der Überlebende als Signum der Zerrüttung auf den Pflichtteil gesetzt ist, ein jeglicher auf die einstmalige, durch den Tod aufgelösten Ehe bezogener Unterhaltsanspruch verwehrt zu sein scheint. Ob die hier zum Ausdruck kommende Differenzierung haltbar ist, erweist sich erst vor dem Forum der dem Scheidungsunterhalt zugrundeliegenden Prinzipien. Freilich setzt dies voraus, daß die Wertungsgrundlagen des Scheidungsunterhalts dessen rechtsethische Legitimität hinreichend tragen, was stellenweise bestritten wurde157. Überzeugt diese Kritik, wäre der Anwendungsbereich des der gesetzlichen Regelung zugrundeliegenden Prinzips nicht sinnvoll zu konturieren, da ein solches eben nicht zu erkennen wäre; die in sich mißlungenen Wertungsgrundlagen des Scheidungsunterhalts böten unter diesen Vorzeichen kaum einen geeigneten Ausgangspunkt, sinnvoll als Ausdruck einer normativen Ordnung verstanden zu werden, die sich ehelicher Verbundenheit auch post mortem in Form einer wirtschaftlichen über den Pflichtteil hinausgehenden Solidarität verpflichtet weiß. Derartig pessimistisch brauchen die Wertungsgrundlagen des Scheidungsunterhalts jedoch keineswegs eingeschätzt zu werden. Immerhin kann der Kritik an der Überzeugungskraft der Wertungsgrundlagen des nachehelichen Unterhaltsrechts einiges zugestanden werden. So führt die Verknüpfung des nachehelichen Unterhalts mit dem Aufopferungsgedanken158 dort nicht weiter, wo Unterhalt auch ohne Rekurs auf etwaig entgangene Erwerbschancen geschuldet ist159. Neben diesem Aufopferungsgedanken hat ein Teil der Lehre160 und stellenweise auch der historische Gesetzgeber161 den nachehelichen Unterhalt zumindest der Tendenz 156 Auf die Verbindung zwischen Verfahrenshandlung und erbrechtlicher Folge spielt auch BGH NJW 1990, 2382; BayObLG FamRZ 1975, 514 (515), an. 157 So bsp. von RGRK-Cuny, vor § 1569 Rn. 8; Dieckmann, FamRZ 1984, 946 (950), der die Wertungsgrundlagen des Scheidungsunterhalts in dem Gedanken des Abhelfens von Bedürftikeit ohne weitere rechtsethische Legitimation abbildet. 158 So Roth, FamRZ 1970, 111. 159 Diederichsen, NJW 1993, 2265 (2266 f.). 160 Bsp. Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 30 I 2 (mit kritischer Tendenz hinsichtlich der ratiionalen Erklärungskraft); MünchKomm-Richter, § 1569 Rn. 2; Soergel-Häberle, § 1569 Rn. 6; Johannsen/Henrich-Voelskow, vor §§ 1569–

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nach auf den Gedanken des Ausgleichs ehebedingter Bedürfnislagen zurückgeführt. Auch im Gesetzgebungsverfahren wurde dieser Gedanke nachdrücklich hervorgehoben162. Überzeugend ist der Bedürfnisgedanke hingegen nicht. Freilich spricht gegen ihn noch nicht, daß der Ausgleich altersoder krankheitsbedingter Nachteile sowie die Verbindung von Unterhalt und allgemeinem Arbeitsmarktrisiko typischerweise nicht auf den Gedanken des Ausgleichs ehebedingter Bedürfnislagen zurückgeführt werden können163. Dies allein untergräbt noch nicht die auf dem Bedürfnisgedanken gegründete Legitimation des Geschiedenenunterhalts als solchen, da bei Legitimationsdefiziten hier immer noch die Korrekturmöglichkeit der negativen Billigkeitsklausel des § 1579 BGB164 einspringen könnte165. Schlagkräftiger ist es, den Bedürfnisgedanken als solchen in Frage zu stellen. Konsequenterweise würde ein derartiger Gedanke voraussetzen, daß zwischen der anspruchsbegründenden Bedürfnislage und der ehelichen Lebensgemeinschaft ein kausaler Zusammenhang bestünde – was ersichtlich nicht der Fall ist166. Der Rekurs auf das Kriterium „Bedürfnis“ trägt den Geschiedenenunterhalt 1586 b Rn. 15; Schumacher, MDR 1976, 881; Diederichsen, FamRZ 1992, 1 (10); vgl. auch Schuchmann, Unterhaltsrecht, 152 ff. 161 Vgl. BT-Drucks 7/650, S. 151. 162 So bsp. vom Diskussionsentwurf des BMJ, BT-Drucks 6/2577, S. 34 ff., und von der Mehrheit des Rechtsausschusses, BT-Drucks 7/4361, S. 16. Ob der RegE von 1973, BT-Drucks 7/650, S. 121 ff., an dem Gedanken der ehebedingten Bedürftigkeit oder der nachwirkenden Solidarität anknüpft, ist hingegen umstritten, vgl. nur Schwab, Scheidungsrecht, 1. Aufl., Rn. 236, einerseits und RGRK-Cuny, vor §§ 1569 Rn. 8 andererseits. Die Minderheit des Rechtsausschusses votierte hingegen für eine Anknüpfung des nachehelichen Unterhalts an dem Gedanken der fortwirkenden personalen Verantwortung, vgl. BT-Drucks 7/4361, S. 17; eine Einigung über die Legitimationsgrundlagen des Geschiedenenunterhalts ist daher im Gesetzgebungsverfahren nicht erzielt worden. 163 Unter diesem Gesichtspunkt kritisiert bsp. Dieckmann, FamRZ 1984, 946 (949), die Gründung nachehelichen Unterhakts auf dem Gedanken des Ausgleichs ehebedingter Nachteile. Allg. so auch Schwab, Scheidungsrecht, 1. Aufl., Rn. 236. 164 Darauf weist bsp. Diederichsen, FamRZ 1992, 1 (10); MünchKomm-Richter, § 1569 Rn. 2, hin. 165 Vgl. nur MünchKomm-Richter, § 1569 Rn. 2; Soergel-Häberle, § 1569 Rn. 6; Johannsen/Henrich-Voelskow, vor §§ 1569–1586 b Rn. 15; Diederichsen, FamRZ 1992, 1 (10). 166 Diederichsen, NJW 1993, 2265 (2267 f.); Schwab, Scheidungsrecht, 1. Aufl., Rn. 236; Müller-Freienfels, FS Beitzke, 311. Der BGH hat dies dadurch zum Ausdruck gebracht, daß er explizit das Erfordernis ehebedingter Bedürftigkeit in dem Sinne, daß ein nachehelicher Unterhaltsanspruch nur bestünde, wenn der geschiedene Ehegatte ohne die Ehe nicht ebenfalls bedürftig wäre, nicht zu den Voraussetzungen eines Unterhaltsanspruchs rechnet, vgl. nur BGH FamRZ 1980, 931 (983). Auf graduelle Abstufungen in der Anknüpfung des Gesetzes an den Grundsatz ehebedingten Bedürfnisausgleichs weist auch Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 30 I 2, hin.

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mithin nicht. Mit Blick hierauf ist versucht worden, den Geschiedenenunterhalt anders dogmatisch einsichtig zu legitimieren. Sowohl das BVerfG167 als auch der BGH168 gründen mit Stimmen in der Literatur169 die rechtsethische Legitimität des Scheidungsunterhalts neben dem Prinzip der Eigenverantwortlichkeit der Ehegatten entweder allein oder in Verbindung mit dem Grundsatz des Ausgleichs ehebedingter Bedürfnislagen vor allem auf den Gesichtspunkt der fortwirkenden personalen Verantwortung der Ehegatten zueinander, anders gesagt: der nachehelichen Solidarität170. c) Konkretisierung: Scheidungsunterhalt, Solidarität und Vertrauen Freilich scheint auch der Gedanke nachehelicher Solidarität den nachehelichen Unterhalt mehr schlecht als recht zu tragen, wenn bezweifelt wird, daß Solidarität auch in der Zerrüttungsphase noch erwartet werden kann. Es verwundert daher nicht, daß stellenweise verlangt worden ist, Solidarität nur dann als unterhaltsrechtlich einsichtigen Legitimationstopos zuzulassen, wenn die in der Zerrüttung zum Ausdruck kommende Entsolidarisierung auf Verschuldensmomente zurückgeführt wird, die das Scheitern des ursprünglichen Lebensplanes einem Ehegatten zurechnen, so daß rechtlich Solidarität trotz faktischer Entsolidarisierung noch erwartbar sein darf171. Ohne die Einbindung derartiger normativer Kategorien172 würde das Solidaritätskonzept zwangsläufig gegenüber Unterhaltserwartungen des geschiedenen Ehegatten versagen, der selbst eheliche Solidarität nicht gewahrt hat173. Wenn Solidarität perspektivisch jedoch auf die intakte Ehe zurückbezogen wird, in der Solidarität erwartet werden darf, und von hier aus die Zerrüttungsphase betrachtet wird, verlieren derartige Anknüpfungen an Verschul167

BVerfGE 57, 361 (380, 389); FamRZ 1980, 215 ff. BGH, NJW 1981, 1782 (1783); FamRZ 1980, 981 (983); FamRZ 1981, 1163; 1982, 892 (893); 1983, 800 (801); 1986, 443 (444); 1987, 459 (461); 1990, 260 (265). 169 Vgl. zu diesem Verständnis des nachehelichen Unterhaltsrechts Schwab, Scheidungsrecht, 1. Aufl., Rn. 236; Mikat, Scheidungsrechtsreform, 44 ff.; Lüderitz, Gutachten zum 48. DJT, B 111; Beitzke/ders., § 20 III. 170 In der Literatur wird zumeist auf Solidarität rekurriert, während in der Rechtsprechung Solidarität und Verantwortung zwar getrennt, jedoch ohne weitgehende Bedeutungsunterschiede verwendet werden. Solidarität und Verantwortung sind freilich dann strikt zu trennen, wenn Solidarität auf Vertrauen, Verantwortung aber auf die Personwürde des bedürftigen Ehegatten zurückgeführt wird. Dazu sogleich. 171 So Diederichsen, NJW 1993, 2265 (2267). 172 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Pawlowski, ZRP 1985, 62, mittels vertragsrechtlicher Überlegungen. Kritisch dazu Limbach, ZRP 1985, 129 (131); Wiegmann, ZRP 1985, 64 ff. 173 Dieckmann, FamRZ 1984, 946 (950); Erman-ders., vor § 1569 Rn. 14; Knöpfel, AcP 191 (1991), 107 (114); vgl. auch Diederichsen, NJW 1977, 353 (358). 168

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denskategorien ihre Plausibilität. Eheliche Solidarität wirkt nicht deshalb nach, weil eine faktische Entsolidarisierung in der Zerrüttungsphase mit Verschuldenskategorien aufgefangen und damit in normativ erwartbare Solidarität gewendet wird, sondern weil die Ehegatten mit der Eheschließung ihr Schicksal in hohem Maße aneinander gebunden, ihre Lebensgestaltung unter Abweisung anderer Lebenschancen aufeinander eingerichtet und damit gemeinhin zu einer weitestgehenden Solidarität füreinander im personalen und weithin auch im wirtschaftlichen Bereich gefunden haben174. Dies alles geschieht nicht voraussetzungslos; die soziale Genese personaler Solidarität findet immer vor dem Hintergrund konkreter sozialer Interaktionen statt, mit denen die Ehegatten innerhalb ihrer affektiv-emotional angelegten Primärbeziehung ihre Erwartungshorizonte strukturieren, ihre eigenen Identitäten fixieren und damit mehr und mehr ihre kognitiven Verhaltenserwartungen enttäuschungsfest festschreiben und auf diese Weise ins Normative wenden. Zugleich werden derartige Erwartungen durch den Aufbau von Reziprozitäts-Kontexten zeitlich stabilisiert und in der „Vertragsethik“ von sozialen Intimbeziehungen, bei denen Reziprozität als eine Art generalisierter Gegenleistungserwartung hintergründig-sichernd Verhaltenserwartungen einlösbar gestaltet, auf Dauer gestellt175. Im sozialen Regelfall werden Verhaltenserwartungen daher auf den Bestand der ehelichen Beziehung gerichtet sein. Solidarität steht unter diesen Vorzeichen dann für nichts anderes als für das legitime Erwarten zukünftigen Verhaltens – und damit für den etwas unbestimmteren Topos des Vertrauens176. Den Ehelehren sind derartige Vorgänge freilich schon seit längeren nicht verborgen geblieben. Abgesehen von den durch das 1. EheRG weitgehend überwundenen177 institutionellen Eheverständnissen wird Vertrauenskategorien mehr oder weniger stark und verschieden konturiert Aufmerksamkeit geschenkt. Während in der soziologisch-pragmatischen Ehelehre Gernhubers Vertrauen an weitgehend vorfindliche soziale Verhaltensmuster gebunden wird178, knüpfen interindividuelle Ehelehren, die die Strukturierung des eheinternen Raumes durch rechtliche Pflichten im Prinzip ablehnen und auf die Autonomie der Gattenbeziehung 174

Schwab, Scheidungsrecht, 1. Aufl., Rn. 236. Dazu siehe ausführlich oben § 5 I 2, II. 176 Auch Schwab, Scheidungsrecht, 1. Aufl., Rn. 236, gründet eheliche Solidarität letztlich auf Vertrauen. Mit dem Bezug auf Vertrauen verliert auch der Einwand von Knöpfel, AcP 191 (1991), 107 (110 ff.), seine Überzeugunskraft, der Gedanke der nachehelichen Verantwortung sei weder aus dem Wesen der Ehe noch aus dem Eheversprechen – auch nicht in Verbindung mit der ehelichen Lebensgemeinschaft – zu rechtfertigen: Knöpfel übersieht die Rechtfertigung aus Vertrauen, das zu Dispositionen im individuellen Lebensentwurf geführt hat. 177 Hepting, Ehevereinbarungen, 65 ff.; Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 3, 3. 178 Vgl. Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 3, 6; MünchKomm-Wacke, § 1353 Rn. 2. 175

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rekurrieren, Vertrauen in graduell unterschiedlicher Weise an vorfindliche soziale Sachsubstrate an: Bei Pawlowski wird Vertrauen mit berechtigten Sozialerwartungen im Sinne konventioneller Meinungen und Zukunftserwartungen des durchschnittlichen Bürgers korrelliert, deren Enttäuschung Rechtsfolgen nach sich ziehen kann179, während Streck Vertrauen in sozialadäquates Verhalten im Kontext der Sozialmoral und in durch die Ehegatten konkret vorgeprägte Erwartungshaltungen ausdifferenziert180. Wenn Solidarität in dieser Weise in Vertrauenskategorien übersetzt wird, verfängt auch nicht mehr der gegen den Solidaritätsansatz vorgebrachte Einwand, dieser könne Unterhaltsansprüche von Ehegatten nicht erklären, die von einer Konkretisierung eines gemeinsamen Lebensplanes völlig abgesehen hätten181: Selbstverständlich können die Ehegatten eheintern ihre Erwartungen in mannigfacher Weise durch Konsensbildung formen und daher auch ganz von einem genauer spezifizierten, gemeinsamen Lebensplan absehen; dies wird sogar relativ häufig der Fall sein. Selbst interindividuelle Ehelehren würden hier, wo konkrete, die Ehe gestaltende Vorentscheidungen von den Gatten nicht getroffen worden sind, das Vertrauen an sozialübliche Verhaltensmuster binden182. Doch selbst ein derartiger Zugriff auf Sozialüblichkeit erscheint noch etwas vorschnell, da sich ja auch implizite Verhaltenserwartungen in jeder sozialen Interaktion bilden und im sozialen Austausch durch Reziprozitätsmechanismen stabilisiert werden183. Wenn in diesem Sinne die Erwartungshorizonte der Ehegatten vorgeprägt worden sind, sind Lebensdispositionen erbracht worden, die im Zeitpunkt der Zerrüttung als verloren erscheinen184; § 1579 Nr. 1 BGB bringt dieses zeitliche Moment durch den Ausschluß kurzer Ehen vom Scheidungsunterhalt sinnfällig zum Ausdruck. Gemeinhin verstärken Dispositionen ein zurechenbar gesetztes Vertrauen in Richtung eines Anspruchs – und dies ist hier der Unterhaltsanspruch. Der Rekurs auf das im Scheidungszeitpunkt gleichwohl noch vorhandene und schutzwürdige Vertrauen auf den Schutz geleisteter Lebensdispositionen macht daher die Wertung transparent, die die unvermittelte Gewährung solidarisch fundierter Leistungen (Unterhalt) trotz zerbrochener Solidarität (eheliche Zerrüttung) letztlich doch noch einsichtig machen. Die179 Vgl. Pawlowski, Studium, 299 ff., 315 ff. Die Bezugnahme auf den Erwartungstopos bei Pawlowski sollte im übrigen hier nur das Problembewußtsein schärfen; ein etwaiger Einwand, gerade Unterhaltspflichten habe Pawlowski nicht mittels der Grundgedanken seines interindividuellen Ansatzes, sondern als Rechtspflichten qua öffentlichen Interesses begründet (Pawlowski, ebda., 326), verfängt daher nicht. 180 Vgl. Streck, Generalklausel, 70 ff., 74 ff. 181 So Diederichsen, NJW 1993, 2265 (2267). 182 Vgl. Streck, Generalklausel, 70 ff., 74 ff. 183 Dazu oben § 5 I 2, II. 184 So deutlich auch Schwab, Scheidungsrecht, 1. Aufl., Rn. 236; Mikat, Scheidungsrechtsreform, 44 f.

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sem interaktionstheoretisch gegründeten Befund entsprechen die durch Jan Schapp ins Werk gesetzten rechtsphänomenologisch orientierten Abbildungen des Geschehens: Mit der Scheidung entfällt die im Laufe der Ehe verfestigte Identifikation des nicht erwerbstätigen Ehegatten mit der „Ehewelt“ im Gegensatz zum im Kontext seiner Berufswelt weiterhin verfangenen Berufstätigen; dieses Opfer innerhalb lebensweltlicher Zusammenhänge sei durch den erwerbstätigen Ehegatten durch finanzielles Engagement mitzutragen185. Der phänomenologische Rekurs auf die Vorgegebenheit der Sachstrukturen gründet Unterhalt letztlich im Seelisch-Geistigen, während der pragmatisch-soziologische Verweis auf Erwartungsverfestigung und Lebensdisposition Unterhalt mit allgemeinen Vertrauensgrundsätzen verknüpft. Der Gesichtspunkt der fortwirkenden personalen Verantwortung der Ehegatten zueinander scheint somit als Zurechnungsgrund für die Unterhaltsansprüche der ehemaligen Ehegatten untereinander im allgemeinen durchaus hinzureichen, so daß eine Wertungsplattform vorliegen mag, die als Ordnungsrahmen den weiteren Überlegungen zugrunde gelegt werden könnte. Doch wäre dies zu voreilig gedacht. Denn der Rekurs auf Solidarität allein läßt ja die Frage nach dem Maß der konkret geschuldeten Solidarität weithin ohne Antwort186. In die Sprache der Vertrauenslehren übersetzt hieße dies, daß der Grad der Schutzwürdigkeit des Vertrauens noch eigens thematisiert werden müßte, um den Vertrauensgedanken überhaupt anwendbar zu gestalten. Ein derartiger Einwand demontiert den Solidaritäts-Ansatz jedoch nicht, sondern mahnt allenfalls einen Konkretisierungs-Bedarf an. Freilich wäre ein derartiges Konkretisierungsunterfangen dann nutzlos, wenn die Schutzwürdigkeit des ehelichen Vertrauens generell bestritten werden könnte. Genau dies wird vorgetragen. Es heißt dann, nach der durch das 1. EheRG ins Werk gesetzten Umstellung der Scheidungsvoraussetzung von Schuld auf Zerrüttung würde jede Ehe im Bewußtsein der jederzeitigen Scheidbarkeit und damit auch ohne hinreichende Vertrauensgrundlage hinsichtlich der Möglichkeit einer lebenslangen ehebedingten Versorgung geschlossen187. Überzeugend ist dieser Einwand nicht. Schon empirisch leuch185

Schapp, FamRZ 1980, 215 (217). Schapp nimmt innerhalb der Begründungsversuche zum nachehelichen Unterhaltsrechts insofern eine Sonderstellung ein, als er nur verstehbar ist vor dem Hintergrund seines allgemeinen rechtsphänomenologischen Ansatzes. Zu diesem Ansatz vgl. allg. ders., Subjektives Recht, insbes. 9 ff. 186 Vgl. Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 30 I 2; Diederichsen, NJW 1993, 2265 (2267); Rolland, 1. EheRG, § 1589 Rn. 6; van Els, FamRZ 1992, 625 (628); Schapp, FamRZ 1980, 215 (216). Daß die Frage nach dem Maß geschuldeter Solidarität die Kernfrage des Unterhaltsrechtsverhältnis darstellt und der Gedanke ehelicher Solidarität dieses Maß noch keineswegs bestimmt, konzedieren auch die Vertreter des Solidaritäts-Ansatzes, vgl. nur Mikat, Scheidungsrechtsreform, 45; Schwab, Scheidungsrecht, 1. Aufl., Rn. 236; ders., Tendenzen, 12. 187 Diederichsen, NJW 1993, 2265 (2274 f.).

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tet er nicht ein188. Die Bedingungen der Ehestabilität variieren sehr stark mit dem jeweiligen Ehejahrgang. Auch hat sich gezeigt, daß in der Entwicklung seit der Nachkriegszeit sozialstrukturelle Faktoren weder zunehmend stärker, noch schwächer mit der Ehestabilität assoziiert sind. Genauere empirische Untersuchungen zur Korrelation zwischen der Ehestabilität und des Faktors, nach dem die Unauflöslichkeitsnorm von Ehen zunehmend bedeutungslos sein soll, liegen noch nicht vor; allenfalls anhand der abnehmenden Erklärungskraft der Kirchenmitgliedschaft für das Scheidungsverhalten und anhand von Stadt-Land-Differenzen läßt sich eine Vermutung aufstellen, daß diese Korrelation besteht. Allein aus dieser Vermutung den Schluß zu ziehen, empirisch würde kein Vertrauen in die Beständigkeit der ehelichen Verbindung mehr geschenkt, erscheint nicht angängig zu sein. Hierzu müßte eine Einschätzung getroffen werden, daß trotz unvollständiger Informationen über den Heiratsmarkt und über potentielle Partner sozial wirksam die Erwartung aufgebaut wird, Ehen würden sehr häufig geschieden. Hierfür ist aber nichts ersichtlich. Soweit nicht aus empirischen Gründen, sondern normativ die Schutzwürdigkeit des Vertrauens bestritten wird, ist dies im Hinblick auf das gesetzliche Leitbild der Ehe auf Lebenszeit, § 1353 I 1 BGB, eherechtlich kaum nachvollziehbar. Das ausdrückliche Bekenntnis des Gesetzes zur Lebenszeitehe versteht sich als Gegengewicht gegen die erleichterte Scheidungsmöglichkeit nach dem 1. EheRG189, wahrt den grundsätzlichen Fortbestand der Ehe bis zum Tod eines Ehegatten auch vor dem verfassungsrechtlichen Hintergrund des Art. 6 I GG als Regel190 und weist daher auf die generelle Schutzwürdigkeit des Vertrauens auf den Ehebestand nachdrücklich hin. Generell bleibt Vertrauen als Rechtfertigung der §§ 1569 ff. BGB daher nicht nur für Altehen191, sondern auch für Neuehen tauglich. Freilich bleibt zuzugeben, daß das Vertrauensmoment in Randzonen brüchig werden kann. Einer Ergänzung durch die Prinzipien des gegenseitigen Achtens mit dem Verweis auf die Personwürde des bedürftigen Ehegatten und der hierauf spezifisch bezogenen personalen Verantwortung zueinander, der Selbstbe188 Siehe dazu und zum folgenden nur Wagner, Scheidung in Ost- und Westdeutschland, 116 ff., 207 ff., und den gesamten Teil III. 189 MünchKomm-Wacke, § 1353 Rn. 10. 190 Vgl. BVerfGE 53, 224 (252 f.); MünchKomm-Wacke, § 1353 Rn. 10; Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 3, 8, § 5 I 2, § 24 II 1; Diederichsen, NJW 1977, 217 (218); Giesen, JZ 1982, 817 (819). 191 So aber Diederichsen, NJW 1993, 2265 (2275). In FamRZ 1992, 1 (10 f.), und in FS Larenz, 127 (155), stellt Diederichsen demgegenüber auf die Tragfähigkeit des Vertrauensgedankens für jede Ehe ab und differenziert eher nach verschiedenen Unterhaltstatbeständen und deren Merkmalen und rekurriert ansonsten allenfalls noch auf Unterhalt als Ausdruck des Prinzips der Teilhabe (FS Larenz, 127 (157)).

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stimmung und Selbstbindung, der Gegenseitigkeit und Äquivalenz sowie schließlich der Teilhabe192 mag hier Abhilfe schaffen; die letztendliche Gründung des nachehelichen Unterhalts auf Vertrauen wird durch diesen Rekurs auf die genannten Prinzipien nicht berührt. Schließlich wird der Vertrauenstopos auch nicht dadurch entwertet, daß die Enttäuschung von Vertrauen in rein ökonomischen Kategorien (nämlich durch die Gewährung eines barmäßigen Unterhaltsanspruchs) vergolten wird. Man mag in der Verknüpfung ehelicher Nachwirkungen mit dem dem Wirtschaftssystem zugehörigen Medium Geld eine Pervertierung des personalen Ehebildes zu einer wirtschaftlichen Nachschußpflicht auf vordem genossenes und nunmehr gescheitertes Glück erblicken193. Vor dem Hintergrund des seit der Romantik tradierten glücksbezogenen Ehebildes im Kontext von Intimität und Personalität194 ist es in der Tat merkwürdig, den Verlust von Intimität mit der Zuweisung von Geld zu korrelieren. Nur ist dieser Einwand in dieser Abstraktheit unbeachtlich, da eine derartige Korrelation nun einmal denjenigen rechtlichen Schutzmechanismen entsprechen, mit denen de lege lata das Unterhaltsvertrauen des Überlebenden am schlagkräftigsten geschützt wird, eben durch die Gewährung von Geldrenten195. Im Schutz des geschiedenen Gatten über die Gewährung von Geldrenten findet sich auch nicht automatisch ein institutionelles Ehebild wieder196. Dies zeigt schon die Tatsache, daß auch die Vertreter der interindividuellen Ehelehren die nacheheliche Unterhaltspflicht durchaus begründen können197. Es bleibt mithin dabei: Der Legitimationsanker des nachehelichen Unterhalts besteht im Schutz des Vertrauens der Gatten, in der Eingehung und im Verlauf der Ehe nicht Lebensdispositionen zu erbringen, die sich im Scheidungszeitpunkt als völlig entwertet darstellen könnten. 3. Der normative Ordnungsrahmen des nachehelichen Versorgungsvertrauens

a) Vertrauendürfen und der Wertungsabgleich zur Sittenwidrigkeitsprüfung Hinter dem Rekurs auf das gerade geschilderte Vertrauen stand bisher implizit immer der Gedanke, daß dieses Vertrauen auch nach dem ersten Todesfall eine Versorgung des überlebenden Teils rechtfertigen könnte. 192 193 194 195 196 197

Vgl. zu diesen Prinzipien Diederichsen, NJW 1993, 2265 (2268 ff.). So Rauscher, Reformfragen, 235; Stöcker, NJW 1972, 553 (557). Dazu vgl. nur Luhmann, Liebe als Passion, 167 ff., 185 ff. Dies anerkennt auch Rauscher, Reformfragen, 249 ff. So aber Rauscher, Reformfragen, 237. Siehe nur Pawlowski, Studium, 304.

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Hier könnte eingewendet werden, nach der Gesamtanlage des Erbrechts sei dies mit Blick auf den Pflichtteil nicht mehr der Fall. Ein derartiger Einwand wäre nicht überzeugend. Denn dann müßten ja diejenigen, die bei der Bedenkung eines außerehelichen Partners unter Zurücksetzung des überlebenden Ehegatten diesem durch § 138 I BGB unter gewissen Umständen helfen wollen198, auch bei der Sittenwidrigkeitsprüfung in gleicher Weise zugeben, der Ehegatte könne aufgrund seiner Pflichtteilsberechtigung nicht vertrauen, daß die Familienordnung gewahrt bliebe. Denn wieso sollte die Familienordnung stärker geschützt sein, als das auf die Erwartung gerichtete Vertrauen des Überlebenden, eheliche Solidaritätsreste seien weiterhin normativ wirksam? Ist dem so, müßte entweder auch das auf die unerträgliche Zurücksetzung des Überlebenden gestützte Sittenwidrigkeitsurteil korrigiert werden, so daß überhaupt kein schlagkräftiger Schutz des Ehegatten jenseits des Pflichtteilsrechts mehr in Frage käme, oder es muß zugegeben werden, daß trotz des Pflichtteilsrechts das Vertrauen des Überlebenden weiterhin schützenswert ist, die durch Eingehung der Ehe investierten Lebensdispositionen seien nicht entwertet. b) Fortwirkendes Vertrauen als typisiertes empirisches Faktum Es wurde oben gezeigt199, daß das Versorgungsvertrauen unter Lebenden auf Verhaltenserwartungen beruht, die sozial durch beständige Übung enttäuschungsfest innerhalb eines zeitlichen Rahmens (§ 1579 Nr. 1 BGB) festgeschrieben, durch den Aufbau von Reziprozitäts-Kontexten auf Dauer gestellt und rechtlich enumerativ in den §§ 1569 ff. BGB geschützt werden. Derartige Erwartungen auf ein künftiges Verhalten (Versorgung) wirken auch zum Zeitpunkt des Todes eines der Ehegatten typischerweise noch, da das Versorgungsvertrauen gemeinhin nicht nach den Ursachen von Versorgungsmißständen differenziert. Unter Versorgungsgesichtspunkten ist der Tod des unterhaltsverpflichteten Ehegatten ein zufälliges Ereignis, das den Vertrauenszusammenhang zunächst einmal nicht unterbricht. Typischerweise wird der Überlebende darauf vertrauen, daß der Erstverstorbene ihn nicht von Todes wegen schutzlos stellen wird. Es geht nicht an, derartigen Verhaltenserwartungen empirisch ihre Wirksamkeit unter Hinweis auf die angesichts des Enterbens des Überlebenden bestehende faktische Zerrüttung der Ehe zu bestreiten. In unterhaltsrechtliche Kategorien übersetzt käme dies dem Einwand gleich, nachehelich bestünde kein Unterhaltsanspruch, weil die Scheidung Zerrüttung der Ehe voraussetzt, Zerrüttung aber mangelndes Vertrauen bedingt und perpetuiert und Unterhalt nur bei Vertrauen geschuldet ist – ein absurder Gedanke. Vertrauen wird vom Gesetz zurück198 199

Hierzu siehe oben § 20 I. Oben § 21 I 2 b, c.

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bezogen auf die Phase der ungestörten ehelichen Beziehung – auf die durch die Ehe eingegangenen Lebensdispositionen – und von dieser Warte aus unter Lebenden gem. §§ 1569 ff. BGB geschützt. Wieso empirisch dies von Todes wegen anders sein soll, wenn die eheliche Beziehung zerrüttet gewesen ist, ist nicht einsichtig. Und wenn – ganz atypisch – ausnahmsweise empirisch kein Vertrauen vorgeherrscht hat, mag dies im Rahmen der Lükkenfüllung eine Rolle spielen und ist zuerst einmal irrelevant, da zunächst die Erkenntnis eines normativen Ordnungsrahmens zur Rede steht, vor dessen Hintergrund sich die gesetzliche Regelung der ehelichen Versorgung post mortem als lückenhaft erweist. c) Der dogmatische Ausgangspunkt des normativen Ordnungsrahmens Ein derartiger Ordnungsrahmen ist erkennbar: Wenn das Versorgungsvertrauen zu Lebzeiten beider Ehegatten durch die Regelungen des Scheidungsunterhalts geschützt worden ist, kann dasselbe Vertrauen post mortem nur dann nicht mehr schützenswert sein, wenn gerade der Tod eines der Ehegatten einen normativ relevanten Unterschied in der Schutzwürdigkeit des Vertrauens eröffnet. Anhand der Interessen des Überlebenden kann ein derartiger Unterschied nicht begründet werden, im Gegenteil ebnet ihn sein Versorgungsbedürfnis eher ein. Somit kann allenfalls das Testierinteresse des Verfügenden normativ das sich im Vertrauen abbildende Unterhaltsinteresse des Überlebenden post mortem entwerten. Auf diesem abstrakten Niveau reformuliert die so abgebildete Interessenlage den schon zu § 138 I BGB skizzierten Gegensatz zwischen Testierfreiheit und Familienordnung. Ist dem so, wird für die weitere Argumentation als herrschend anerkannte Wertung folgender Ausgangspunkt zugrundegelegt: Eine Verfügung, mit der der überlebende Ehegatte enterbt oder nur bis zur Höhe des gesetzlichen Erbteils bedacht worden ist, kann ohne Rücksicht auf den in § 1615 BGB zum Ausdruck kommenden Gedanken der grundsätzlichen Unvererblichkeit von Unterhaltsansprüchen sittenwidrig sein, wenn der Gatte dadurch in materielle Not gerät200. Das Versorgungsinteresse des Überlebenden wird hier gegenüber der Testierfreiheit des Verstorbenen höher gewichtet. Dies ist der dogmatische Angelpunkt, anhand dessen etwaige Wertungswidersprüche ausgemacht werden können. Nun zeigt ein Blick auf mehrere gesetzliche Regelungen, daß der Gegensatz zwischen der Testierfreiheit und der Familienordnung zu einem bestimmten Zeitpunkt so gelöst wird, daß das Versorgungsinteresse des Über200 Vgl. dazu nur den Überblick bei Staud-Otte, Vorbem. § 2064 ff., Rn. 159, 162. Interessanterweise nimmt Otte ebda., Rn. 162, die Unterhaltstatbestände und die §§ 1361 III, 1579 BGB als Wertungsmaßstäbe im Rahmen der Guten-SittenKlausel!

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lebenden auf den Pflichtteil beschränkt wird. So geht aus den §§ 1933 S. 3, 1586 b I 3 BGB hervor, daß der Erblasser dann seinen Ehegatten auf eine auf die Höhe des Pflichtteils eingeengte Nachlaßpartizipation (§ 1586 b I 3 BGB) beschränken kann, wenn er den Scheidungsantrag stellt (§ 1933 S. 1 BGB). § 1933 BGB könnte daher den Punkt markieren, an dem sich die Schutzwürdigkeit des Versorgungsvertrauens im Maß auf den Pflichtteil beschränkt. d) Argumente gegen eine Entwertung des Versorgungsvertrauens des Überlebenden qua Scheidungsantrag Gegen die Inanspruchnahme des § 1933 BGB als normativen Markierungspunkt könnte freilich eingewendet werden, die Versorgungsinteressen der Geschiedenen zu Lebzeiten, des Geschiedenen nach dem ersten Todesfall (§ 1586 b I 1 BGB) und des überlebenden Teils seien identisch, da sie auf dem Gedanken der Verausgabung von Lebensdispositionen gegründet wären – und wäre dem so, wäre auch für den Überlebenden eine Begrenzung von seinem Versorgungsinteresse entsprechend dem Rechtsgedanken des § 1586 b I 3 BGB von vornherein auf den Pflichtteil angeordnet. Der Einwand wiegt schwer. Gleichwohl greift er nicht durch. Mit ihm würde übersehen, daß zwar Interessenidentität vorliegen mag, jedoch die Schutzintensität zwischen den Versorgungsinteressen des Geschiedenen und des Überlebenden durchaus unterschiedlich ausgestaltet sein kann. Denn der rechtliche Schutz der Gatten in einer bestehenden Ehe untereinander ist grundsätzlich stärker ausgeprägt als der Schutz der geschiedenen Eheleute untereinander – hier gegenseitige Verpflichtung201 zur umfassenden ehelichen Lebensgemeinschaft, Schutz des räumlich-gegenständlichen Bereichs der Ehe und der wirtschaftlichen Grundlagen der Ehegatten sowie familienbezogener Zuschnitt des Familienunterhalts, dort Kristallisation einstmals personaler Verbundenheit in rein monetäre Unterhaltspflichten unter Auflösung jeglicher Bindungen zur personalen Gemeinschaft. Zudem rekurriert § 1586 b I 3 BGB nach Meinung des historischen Gesetzgebers auf den mutmaßlichen Willen des Erblassers202. Ist dem so, spricht noch weniger dafür, die Beschränkung des Geschiedenenunterhalts der Gesamthöhe nach auf den Pflichtteil gegen das hiesige Vorhaben zu wenden, den bedürftigen Überlebenden über den Pflichtteil hinaus an dem Nachlaß partizipieren zu lassen. Denn dann würde ja ohne weiteres für einen Vorrang des in § 1586 b I 3 BGB als mutmaßlicher Wille niedergelegten Erblasserwillens im Kon201 Mit diesem Terminus soll nicht inzident Stellung bezogen werden im Streit zwischen interindividuellen, institutionellen und soziologisch-pragmatischen Ehelehren. 202 Vgl. BT-Drucks 7/650, S. 153; Soergel-Häberle, § 1586 b Rn. 7.

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flikt zwischen diesem und der Familienordnung plädiert, ohne daß hierfür Argumente angeführt würden – was ja auch schwerfallen würde, da bei dem herkömmlich von der h. M. zum Schutz des Überlebenden beschrittenen Weg über die Gute-Sitten-Klausel ja auch nicht davon ausgegangen wird, aus dem Gesamtzusammenhang des Erbrechts ergebe sich nun einmal, daß das Partizipationsinteresse des überlebenden Ehegatten auf den Pflichtteil beschränkt sei. Wieso soll dies auf einmal anders sein, wenn es um den Schutz des Versorgungsvertrauens über den unterhaltsrechtlichen Weg203 geht? Gegen eine Anknüpfung hinsichtlich der Schutzwürdigkeit des Versorgungsvertrauens des Überlebenden an § 1933 BGB spricht weiter auch nicht, daß die normativ eigentlich relevante Grenze nicht bei der Stellung des Scheidungsantrags, sondern schon bei der Trennung der Ehegatten angesetzt werden müsse, da zwischen Trennungs- und Geschiedenenunterhalt nach Ansicht vieler nun einmal Identität bestünde. Nun können aber aus dem Grundsatz der Identität zwischen Trennungs- und Geschiedenenunterhalt nicht rechtliche Folgen gezogen werden, ohne zuvor die Gründe zu betrachten, die die Literatur204 zur Annahme einer Identität bewogen haben. Es sind dies vornehmlich Argumente, die auf Grundsätze der Prozeßwirtschaftlichkeit und auf Gesetzessystematik, auf Kosteninteressen und auf Rechtsfrieden, und vor allem auf die identische Grundstruktur und den identischen Versorgungszweck der Regelungen rekurrieren, nie jedoch auf Schutzwürdigkeitsgesichtspunkte eingehen. Die die Identität der Ansprüche zumeist ablehnende Rechtsprechung macht sich denn auch genau derartige materielle Schutzwürdigkeitsaspekte zu eigen, wenn daraufhingewiesen wird, der dem ehelichen wie dem nachehelichen Unterhaltsanspruch zugrundeliegenden Gedanke der mit der Eheschließung übernommenen Verantwortung sei durch den in § 1569 BGB verankerten Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit merklich abgeschwächt, so daß von einer Identität keine Rede mehr sein könne205. Nicht die Trennung, sondern allein die Stellung 203

Zu den beiden Wegen zum Ehegattenschutz, die hier untersucht werden, siehe oben § 20 II 1. 204 Für eine Identität der Unterhaltstatbestände votieren bsp. Gernhuber/CoesterWaltjen, Familienrecht, § 30 I 3; Rolland, 1. EheRG, § 1569 Rn. 9; MünchKommRichter, § 1569 Rn. 8 f.; Johannsen/Henrich-Jaeger, vor § 1569 Rn. 17. Aus der Rechtssprechung ebenso KG, FamRZ 1978, 420; OLG Hamm, FamRZ 1980, 797. 205 BGH NJW 1981, 978; NJW 1980, 2811 (zu §§ 58 ff. EheG); 1982, 1286; 1986, 1875; FamRZ 1992, 920 (921); aus der Rspr. der OLG: OLG Hamm, FamRZ 1983, 206; 1988, 402; OLG Düsseldorf, FamRZ 1980, 793; OLG Köln, FamRZ 1980, 796; OLG Oldenburg, FamRZ 1980, 1002; OLG Bamberg, FamRZ 1981, 163. Aus der Literatur ebenso Brüggemann, in: 2. Familiengerichtstag, 71 (73 ff.), auf den sich der BGH ausdrücklich bezieht; Schwab-Borth, Handbuch des Scheidungsrechts, 4. Aufl., IV Rn. 135; Soergel-Häberle, § 1569 Rn. 9; Palandt-Diederichsen, vor § 1569 Rn. 10; RGRK-Cuny, vor § 1569 Rn. 9.

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des Scheidungsantrages sollte daher eine normative Neubewertung des Versorgungsvertrauens markieren. e) Argumente für eine Entwertung des Versorgungsvertrauens des Überlebenden qua Scheidungsantrag Für den Scheidungsantrag als Punkt, jenseits dessen ein schutzwürdiges Vertrauen des Überlebenden nicht mehr gerechtfertigt werden kann, sprechen vor allem vier Gründe. Fingerzeige auf eine derartige Ausformung des Vertrauensschutzes des Überlebenden geben – erster Grund – die das gesamte Eherecht durchziehenden Grundsätze des gegenseitigen Achtens und der Anerkennung der Personwürde des anderen Gatten206, die nicht nur im rechtsfreien Raum an die Gatten appellieren, sondern als Signum dafür stehen, daß die Personhaftigkeit des Menschen in rechtliche Kategorien umschlagen kann: Jeder Ehegatte darf erwarten, daß zu Lebzeiten beider und während bestehender Ehe der andere Gatte ihn anerkennt – und das heißt auch, daß er seine Versorgungsinteressen in toto, also gem. den §§ 1360, 1360 a, 1360 b, 1361 BGB nur begrenzt durch Bedürftigkeit und Leistungsfähigkeit, auch monetär respektiert, worauf auch § 1360 b BGB hindeutet207. Folgerichtig zerstört der Scheidungsantrag einen derartig umfassenden Schutz des Versorgungsvertrauens und löst ihn in enumerativ bestimmte Tatbestände unter Verweis auf eigenverantwortliches Handeln im übrigen auf. Auf die Frage der postmortalen Wirkung der Prinzipien des Achtens und des Anerkennens kommt es dabei – zweites Argument – nicht an, da es im unterhaltsrechtlichen Weg208 um die lebzeitige Begründung postmortal wirkender Ansprüche und bei dem erbrechtlichen Weg um die Wirksamkeit der letztwilligen Verfügung selbst geht. Bei der letztwilligen Verfügung (der Enterbung oder der pflichtteilsunterschreitenden Bedenkung) handelt es sich zwar um ein rechtsgeschäftliches Handeln, das seinem intendierten Sinn nach postmortal ausgerichtet ist und dessen Rechtswirkungen zudem erst im Todesfall eintreten. Zugleich geschieht der rechtsgeschäftliche Akt jedoch zu Lebzeiten – und damit innerhalb der Bindungen der bestehenden Ehe. Hiergegen den Grundsatz der Testierfreiheit einzuwenden überzeugt nicht, da diese ja bei dem unterhaltsrechtlichen Weg nicht betroffen ist und bei dem erbrechtlichen Weg gerade über § 138 I BGB eingeschränkt wird209. 206

Dazu nur Diederichsen, FS Larenz, 127 (145 ff.). Die h. M. begründet § 1360 b BGB damit, daß angesichts der Lebenserfahrung und des Wesens der ehelichen Lebensgemeinschaft im Zweifel der Zuvielleistende keinen Rückforderungswillen hat, BGHZ 50, 266 (270); MünchKommWacke, § 1360 b Rn. 1. 208 Zu den beiden Wegen, die hier untersucht werden, siehe oben § 20 II 1. 207

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Der Rekurs auf die Prinzipien des Achtens und der Anerkennung bringt schließlich – drittes Argument – auch die Gesichtspunkte der Verläßlichkeit und der Wahrhaftigkeit des eigenen Handelns zur Sprache – und damit den Gedanken des Verbots des venire contra factum proprium210, mit dem gemeinhin die in der Vergangenheit gezeigte Beständigkeit des Verhaltens einer Rechtsperson als normative Sollensanforderung angesichts des Schutzinteresses des gutgläubigen und irreversibel disponierenden Verkehrsteilnehmers211 in der Zukunft normativ absichert wird. Wer vor diesem Hintergrund einwenden mag, der vertrauende Ehegatte habe sich vorrangig um eine privatautonome Sicherung seiner Kontinuitätserwartungen mittels Erbvertrag zu bemühen, so daß ein Vertrauensschutz nicht in Frage komme212, muß dartun, daß die rechtsethischen Grundlagen der Bildung und Absicherung von Kontinuitätserwartungen und deren oben angesprochenen sozialen Mechanismen nicht oder etwa nur in einem eingeschränkten Sinne das hiesige Vorhaben tragen, eine gesetzliche Lücke im rechtlichen Ehegattenschutz zu sichten – was im Hinblick auf die Gewichtigkeit dieser Begründungselemente schwerfällt und auch noch nicht ins Werk gesetzt worden ist213. Soweit schließlich eingewendet werden mag, der Rekurs auf § 1933 BGB als Einsatzpunkt zur Bewertung der Schutzwürdigkeit des ehelichen Vertrauens bewirke faktisch einen Zwang zur Ehescheidung, was mit der Bedeutung des auch als Interpretationsmaßstab des einfachen Gesetzesrechts fungierenden Art. 6 I GG214 nicht vereinbar sei, so führt ein derartiges Argument nur in ein argumentatives Patt: Der postmortale Schutz des 209

Zu den beiden Wegen siehe nochmals oben § 20 II 1. Die Verbindung zwischen dem Venire-Verbot und Elementarsätzen des gerechten Handelns, die auf den Rechtswerten der Verläßlichkeit und Wahrhaftigkeit als Elemente der persönlichen Gerechtigkeit gründen, wurde erstmals von Wieacker, Präzisierung, 19, 27 f., eingehend herausgearbeitet. Zur „constantia“ als tragenden Grundsatz des Venire-Verbots vgl. auch zustimmend Dette, venire, 49; Teichmann, JA 1985, 497 (500); Canaris, Vertrauenshaftung, 293; BGHZ 94, 344 (354). Dabei spielt es für das hier anstehende Problem keine Rolle, ob die normativen Grundlagen des venire-Verbots mit einer Parallele zu rechtsgeschäftlichen Bindungen (so bsp. Wieacker, ebda., 27; Dette, venire, 47 f.) oder unter Bezugnahme auf außerrechtsgeschäftliche Begründungsstrukturen, bsp. auf Verkehrsinteressen (so bsp. Singer, Widersprüchliches Verhalten, 75 ff.) begründet wird. 211 Dazu Singer, Widersprüchliches Verhalten, 79 f. 212 Die Frage, wieso ein Vertrauenstatbestand im Ergebnis zu einer Bindung führen kann, die der Selbstbindung kraft Rechtsgeschäfts vergleichbar und häufig sogar gleichwertig ist, wird bsp. von Bydlinski, Privatautonomie, 161 f., 174, gestellt. Vor diesem Hintergrund stuft Wieling, AcP 176 (1976), 334 (335); 187 (1987), 95 (98 ff.), das so gegründete Venire-Verbot als rechtsgeschäftliches Verhalten ein und beschneidet es sodann auf die dogmatische Rechtfertigung der Saldotheorie und der Obliegenheitsverletzungen (ders., AcP 176 (1976), 334 (344 ff.). 213 Vgl. allg. dazu nur Singer, Widersprüchliches Verhalten, 313 f. 214 Dazu nur Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 5 II 5. 210

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Kap. 8: Versorgung – Pflichtteilsrecht – Unterhaltsrecht

Überlebenden ist Ausdruck der ehelichen Verbindung und kann daher in gleichem Maße den Schutz des Art. 6 I GG für sich reklamieren, der auf den ersten Anschein beim Rekurs auf die normative Markierung des § 1933 BGB zu verloren gehen drohte; es steht dann verfassungsrechtlicher Eheschutz gegen verfassungsrechtlichen Eheschutz. Bisher wurde vornehmlich mit eherechtlichen Gründen argumentiert, um eine gesetzliche Lücke im Ehegattenschutz festzustellen. Der gesetzliche Schutz der Versorgungsinteressen des Überlebenden kann jedoch auch erbrechtlich und damit in einem vierten Begründungsstrang verdeutlicht werden: Die wirtschaftliche Existenz, die Gefühlswelt und der Persönlichkeitsbereich des überlebenden Ehegatten werden durch den gesetzlichen Schutz des äußeren Rahmens der ehelichen Lebensgemeinschaft in den §§ 1932, 569 a, 569 b BGB nach Parentelgraden abgestuft privilegiert gesichert215. Zwar greift der erbrechtliche Schutz des Voraus nicht bei Enterbungen des Überlebenden durch den Erstverstorbenen. Dennoch tritt im voraus zumindest die gesetzliche Wertung zutage, daß die Versorgung des Überlebenden post mortem gesetzlich gewünscht ist. Dies gilt um so mehr, als der Voraus nicht durch einen mutmaßlichen Willen des Erstversterbenden, sondern mit Verweis auf die berechtigten Interessen des überlebenden Gatten begründet wird; die Entziehbarkeit des Voraus durch Verfügung von Todes wegen erscheint unter diesen Vorzeichen als Systembruch216, vor dessen Hintergrund die dispositive Ausgestaltung des Voraus dessen Bedeutung als gesetzliche Entscheidung zur privilegierenden Versorgung des Überlebenden nicht mindern kann. Doch nicht nur der Voraus gibt Fingerzeige für erbrechtlich begründete postmortale Nachwirkungen. Auch die Gesetzesmaterialien erkennen im Grundsatz eheliche Nachwirkungen an, nur wird das Anspruchsniveau des Überlebenden deutlich unter das der Ehe abgesenkt217. Die vorgetragenen vier Argumente lassen damit deutlich erkennen, daß das Gesetz der Stellung eines Scheidungsantrages eine vertrauensschutzmindernde Wirkung beimißt. Der eine Ehegatte darf somit gem. § 1933 BGB erwarten, daß der andere Ehegatte seine Versorgungsinteressen erst durch einen formellen Akt, den Scheidungsantrag, entwertet.

215 Vgl. zum Telos des Voraus und der §§ 569 a, 569 b BGB nur MünchKommLeipold, § 1932 Rn. 1, 12. 216 MünchKomm-Leipold, § 1932 Rn. 1. Vgl. auch Däubler, ZRP 1975, 136 (138, 141). 217 Vgl. Mot. V, 368.

§ 21 Versorgung des zurückgesetzten Ehegatten über das Unterhaltsrecht 551 4. Ergebnis: Der normative Ordnungsrahmen überquotaler Nachlaßpartizipation

Wenn der Überlebende erwarten darf, der andere Ehegatte entwerte seine Versorgungsinteressen erst durch einen formellen Akt, den Scheidungsantrag, dann lassen sich keine normativen Gründe mehr anführen, die einen ungleichen Schutz des Versorgungsinteresses des Überlebenden zu Lebzeiten und post mortem zulassen; das Vertrauen des Überlebenden in die constantia des Handels des Erstversterbenden ist zu Lebzeiten und postmortal vielmehr gleichgewichtig geschützt: Eine Gewährung nachehelichen Unterhalts zu Lebzeiten beider Gatten und eine Nichtanerkennung des auf das gleiche Vertrauen gegründeten Versorgungsinteresses des Überlebenden würde einen Wertungswiderspruch nach sich ziehen, der auch unter Verweis auf § 1586 b I 3 BGB nicht ausgeräumt werden kann, wie oben218 gezeigt wurde. Bislang wurde dies anhand des enterbten Ehegatten und der sich hierin widerspiegelnden faktischen Zerrüttung der Ehe gezeigt, muß aber erst recht auch für die nicht zerrüttete Ehe gelten, bei der der Erstverstorbene den anderen Teil entsprechend dem gesetzlichen Erbteil oder geringer bedacht hat. Ausgangspunkt war der Wertungsvergleich mit dem herkömmlich zum Schutze des Überlebenden beschrittenen Weg, der Sittenwidrigkeitsprüfung der Verfügung des Erstversterbenden. Mit diesem Ausgangspunkt ist zugleich die Grenze markiert, bis zu der äußerstenfalls ein Unterhalt nach dem ersten Todesfall gewährt werden kann, weil ansonsten das Gesetz hinreichend Vorsorge getroffen hat und damit keine Lücke mehr vorliegt: Der Gesamtbetrag des geschuldeten Unterhalts darf die Höhe des gesetzlichen Erbteils nicht übersteigen. Der gesetzliche Erbteil ist die Grenze, die das Gesetz für eine Nachlaßpartizipation für angemessen hält, wenn der Erblasser nicht anders verfügt hat. Dies darf auch durch unterhaltsrechtliche Instrumentarien nicht unterlaufen werden. Gegen die bisherigen Überlegungen könnte eingewendet werden, der herkömmlich zum Schutze des Überlebenden beschrittene Weg, die Sittenwidrigkeitsprüfung der Verfügung des Erstversterbenden, zeige, daß eine Lücke im gesetzlichen Normbestand gerade nicht existiere. Der Einwand wiegt nur auf den ersten Blick überzeugend. Denn es ist ja gerade mehr als zweifelhaft, ob der Weg über § 138 I BGB auch der sachgerechte Weg ist219. Zudem müßten durchschlagende Gründe angeführt werden, warum die Rechtsordnung zu Lebzeiten beider Gatten das Versorgungsvertrauen des 218

Vgl. oben § 21 I 2 a und § 21 I 3. Dazu siehe unten § 21 II 2. Der Verweis auf die sachgerechte Lückenfüllung im Rahmen der Lückenfeststellung zeigt, daß beides – Lückenfeststellung und -schließung – in sich verwobene Gedankengänge darstellen, mit denen die Gleichbehandlung der Bürger sichergestellt werden soll und die eigentlich Zusammengehörendes trennen. 219

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Kap. 8: Versorgung – Pflichtteilsrecht – Unterhaltsrecht

bedürftigen Gatten bei Vorliegen eines Unterhaltstatbestands schuldrechtlich über eine Geldrente und damit genau entsprechend dem Maß der Bedürftigkeit sichert und nach dem ersten Todesfall auf eine über § 138 I BGB und den hiermit verbundenen gesetzlichen Erbteil ins Werk gesetzte, starr festgelegte dingliche Nachlaßbeteiligung übergeht. Auf die Regelung des § 1615 BGB kann hier ja nicht einfach verwiesen werden220. Gründe für den skizzierten Übergang sind nicht ersichtlich. Einmal wird der Weg über § 138 I BGB die Interessen des Erben stärker belasten als der unterhaltsrechtliche Weg, da dann dem Ehegatten auf jeden Fall sein gesetzliches Erbteil zugewiesen wird, während bei dem unterhaltsrechtlichen Weg das Maß der Nachlaßpartiztipation sich nach dem Grad der Bedürftigkeit richtet und durch den Wert des gesetzlichen Erbteils gedeckelt ist. Dem Erblasser kann sowieso nicht am erbrechtlichen Weg über § 138 I BGB gelegen sein. Denn falls er den anderen Gatten enterbt hat, verschafft der erbrechtliche Weg dem Überlebenden die Erbenstellung, so daß dieser auch die mit ihr verbundenen symbolischen Implikationen in Anspruch nehmen kann. Und wenn der Erblasser den Ehegatten unterhalb des gesetzlichen Erbteils entsprechend bedacht hat, wollte er eben, daß es so ist. Schließlich spricht auch das Versorgungsinteresse des Überlebenden gegen den erbrechtlichen Weg. Denn diesem wird nur bei dem unterhaltsrechtlichen Weg paßgenau Rechnung getragen, während bei dem erbrechtlichen Weg wegen der starren Erbquote die Gefahr besteht, daß es auch übermäßig befriedigt werden kann. Nichts spricht deshalb dafür, in § 138 I BGB schon eine Regelung für das hiesige Versorgungsproblem zu sehen. Ist dem so, verbleibt es bei den bisher gefundenen Grundsätzen: In der Schutzwürdigkeit des Versorgungsvertrauens post mortem verkörpert sich der gesuchte normative Ordnungsrahmen postmortaler Nachwirkungen der ehelichen Verbindung, vor dessen Hintergrund die fehlende gesetzliche Umhegung dieses Vertrauens sich als ungewollte Gesetzeslücke und nicht nur als rechtspolitische Fehlerhaftigkeit des Gesetzes erweist. II. Lückenfüllung Die soeben getroffene Feststellung, das Gesetz sei planwidrig lückenhaft, gibt allein noch keine konkreten Fingerzeige, wie die Lücke rechtlich gefüllt werden kann. Mit der Lückenfeststellung sind freilich die normativen Momente (hier: Vertrauensschutz) aufgedeckt worden, deren Wertungen auch die Lückenschließung weitgehend bestimmt221.

220 221

Dazu oben § 20 V. Dazu nur Larenz/Canaris, Methodenlehre, 220 f.

§ 21 Versorgung des zurückgesetzten Ehegatten über das Unterhaltsrecht 553 1. Konkretion der Lückenfüllung: Das Maß des konkret geschützten Vertrauens

Nunmehr steht im Vordergrund also das konkrete Maß des rechtlichen Schutzes des Versorgungsvertrauens; der Rekurs auf Vertrauen allein läßt die Frage nach dem Maß der konkret geschuldeten Solidarität ja ohne Antwort222. Der Schutz des Versorgungsvertrauens unter Lebenden hat sich in den einzelnen Unterhaltstatbeständen der §§ 1570 ff. BGB, den Leistungsfähigkeits- und Rangfolgevorschriften der §§ 1581 ff. BGB, den Gestaltungsregelungen der §§ 1585 ff. BGB und schließlich in den Beendigungstatbeständen der §§ 1586 ff. BGB niedergeschlagen. Wenn das Versorgungsvertrauen nun auch nach dem Tode des Erstverstorbenen weiterhin geschützt ist, müssen post mortem grundsätzlich dieselben Schutzmaßstäbe gelten, die unter Lebenden Versorgungsvertrauen umhegen. Eine analoge Anwendung der §§ 1570 ff. BGB und den oben genannten Folgenormen scheint daher ihrem Inhalte223 nach unausweichlich zu sein. Zweifel hieran könnten sich freilich aus der normativen Funktion des Erbrechts im allgemeinen und aus der Struktur der dem Konflikt zwischen Versorgung und Testierwillkür zugrundeliegenden Normen im Besonderen ergeben. Der Inhalt des letztwillig Verfügten ist in einem personfunktionalen Erbrecht ein Ausdruck der Persönlichkeit des Erblassers, der in dem spezifisch modellierten Entwurf einer Vermögensordnung post mortem nicht nur Vermögenswerte verteilt, sondern in ihnen auch sein persönliches Verständnis einer gerechten Ordnung abzubilden versucht. In diesem Verständnis des gewillkürten Erbrechts als funktionales Persönlichkeitsrecht erscheint die rechtlich zwingend bei den bisherigen Überlegungen avisierte wirtschaftliche Nachlaßpartizipation durch Versorgung des Überlebenden 222 Hier stellt sich das gleiche Problem, das auch bei der Begründung des nachehelichen Unterhalts durch Solidarität und damit durch Vertrauen zum Ausdruck kam, vgl. dazu nur Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 30 I 2; Diederichsen, NJW 1993, 2265 (2267); Rolland, 1. EheRG, § 1589 Rn. 6; van Els, FamRZ 1992, 625 (628); Schapp, FamRZ 1980, 215 (216). Daß die Frage nach dem Maß geschuldeter Solidarität die Kernfrage des Unterhaltsrechtsverhältnis darstellt und der Gedanke ehelicher Solidarität dieses Maß noch keineswegs bestimmt, konzedieren auch die Vertreter des Solidaritäts-Ansatzes, vgl. nur Mikat, Scheidungsrechtsreform, 45; Schwab, Scheidungsrecht, 1. Aufl., Rn. 236; ders., Tendenzen, 12. 223 Die analoge Anwendung zu den §§ 1570 ff. BGB gibt nur den normativen Inhalt der Lückenfüllung vor; damit ist noch keine Entscheidung darüber getroffen, mittels welchen rechtlichen Instrumentariums dieser normative Inhalt in die Rechtsanwendungswirklichkeit transportiert werden wird – wie gesagt, stehen zwei Wege (ein unterhaltsrechtlicher und ein erbrechtlicher) zur Diskussion, siehe oben § 20 II 1. Dies ist eine konstruktive Frage, die die §§ 1570 ff. BGB so ohne weiteres nicht vorgeben und deren Beantwortung daher aus dem Gesamtzusammenhang der Erbrechtsordnung gefunden werden muß, dazu siehe unten § 21 II 2.

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als mittelbare Beeinträchtigung der Erblasserpersönlichkeit. Die Beeinträchtigung personaler Rechtsgüter ist jedoch an das Verhältnismäßigkeitsprinzip gebunden224. Und dieses wiederum scheint mit der starren Anbindung des Versorgungsinteresses an die §§ 1570 ff. BGB unverträglich zu sein – freilich nur auf den ersten Blick, da die §§ 1570 ff. BGB als rechtstechnische Konkretisierung der gebotenen Verhältnismäßigkeit verstanden werden können und Korrekturen im Einzelfall möglich bleiben225. Es darf ja nicht das offene Gepräge der §§ 1570 ff. BGB verkannt werden, die den Ausgleich der beteiligten Interessen keineswegs einem unbeweglichen rigor iuris unterwerfen, sondern vielmehr in schmiegsame unbestimmte Rechtsbegriffe zwischen Billigkeit, Angemessenheit und Nachhaltigkeit einkleiden. Die persönlichkeitsbezogene Funktionalität des Erbrechts steht einer analogen Anwendung der §§ 1570 ff. BGB daher dem Grunde nach nicht entgegen. Damit scheinen die einzig verbliebenen Gründe ausgeräumt zu sein, die einer Lückenfüllung mittels der nachehelichen Unterhaltsvorschriften im Wege hätten stehen können. Das Ergebnis ließe freilich aufhorchen: Die §§ 1570 ff. BGB wären dann auch post mortem ohne Abstriche anwendbar – was angesichts der oben226 angesprochenen Sperrwirkung der §§ 1360 a III, 1361 IV 4, 1615 BGB in dieser Weite als Rechtsfortbildung contra legem erscheint, wofür – dies wurde schon angemerkt – kaum die Voraussetzungen227 gegeben sein dürften. Vor diesem Hintergrund liegen die beiden Pole auf der Hand, zwischen denen sich die Lückenfüllung bewegen kann: Da auf der einen Seite der volle Schutz der §§ 1570 ff. BGB wegen der Sperrwirkung der §§ 1360 a III, 1361 IV 4, 1615 BGB dem Versorgungsvertrauen wohl kaum zuteil werden kann, auf der anderen Seite dem Versorgungsinteresse ein rechtlicher Schutz jedoch nicht gänzlich versagt werden darf, kommen nur graduelle Abstufungen zwischen den §§ 1570 ff. BGB und einer Schutzversagung in Frage. Und hier bietet sich die positive Billigkeitsklausel des § 1576 BGB geradezu zwingend an. Zwar ist der Rekurs auf § 1576 BGB aus Sicht der gerade erbrechtlich in einem hohen Maße favorisierten Rechtssicherheit bedenklich – gerade der Rechtssicherheit entspräche eine strukturelle Einkleidung des Interessenkonflikts zwischen Versorgung und Testierwillkür in die zwar nicht fest umrissenen, aber doch relativ zur ausschließlich billigkeitsbezogenen Abwägung stärker konturierten Unterhaltstatbestände der §§ 1570 ff. BGB eher als der bloße 224

Vgl. zur Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Zivilrecht nur Canaris, AcP 184 (1984), 201 (insbes. 240 ff.); ders., JuS 1989, 161 (164 ff.). 225 Vgl. zur Verfassungsmäßigkeit des nunmehrigen Scheidungsfolgenrecht und zur Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes BVerfGE 57, 361. 226 Oben § 20 V. 227 Dazu nur Larenz/Canaris, Methodenlehre, 245 ff.; Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 261 f.

§ 21 Versorgung des zurückgesetzten Ehegatten über das Unterhaltsrecht 555

Verweis auf die grobe Unbilligkeit in § 1576 BGB. Dennoch muß es bei einem Rekurs auf § 1576 BGB sein Bewenden haben, da zwischen einem Schutzübermaß in Anwendung der §§ 1570 ff. BGB in toto und einem Schutzuntermaß durch einen Ausschluß jeglicher Versorgung post mortem neben § 1576 BGB kein normatives Material zur Verfügung steht, an das angeknüpft werden könnte. Demgegenüber liegen die Vorzüge der positiven Billigkeitsklausel auf der Hand: § 1576 BGB senkt auf der einen Seite das Anspruchniveau des bedürftigen Ehegatten auf Härtefälle mit Ausnahmecharakter ab und will Unterhalt nur dort gewähren, wo dessen Ablehnung dem Gerechtigkeitsempfinden in unerträglicher Weise widersprechen würde228 – was bsp. dann fraglich sein kann, wenn der Überlebende im Einzelfall kein Versorgungsvertrauen aufgebaut und ein solches daher auch nicht in Lebensdispositionen objektiviert hat. Auf der anderen Seite kommt die Vorschrift den gerechtfertigten Belangen des Erblassers entgegen, indem in die Abwägung nach § 1576 BGB auch solche zum Ausschluß des Unterhalts führende Umstände einfließen können, die der in § 1579 BGB geforderten Gewichtigkeit noch nicht entsprechen229. § 1576 BGB bildet daher in quasi dialektischen Billigkeitskautelen zwischen individualisierender und generalisierender Gerechtigkeit230 den Konflikt zwischen Versorgung und Testierwillkür in einer derart abgewogenen Weise, in praktischer Konkordanz, ab, daß diese Vorschrift zwischen den beiden oben genannten Polen die Stelle markiert, an denen Versorgung und Testierwillkür sachgerecht und schmiegsam ausgeglichen erscheinen und der Überlebenden nicht – wie bei den §§ 1570 ff. BGB oftmals – auf Statusidentität und Milieukonstanz pochen kann. § 1576 BGB bedarf freilich in diesem Zusammenhang insofern einer kleinen, teleologisch folgerichtigen Korrektur seiner Subsidiarität gegenüber den §§ 1570–1575 BGB, als auch die in den anderen Unterhaltstatbeständen normierten Unterhaltsanknüpfungen in die Billigkeits-Topoi des § 1576 BGB einfließen dürfen, was sonst ja nicht zulässig ist231. Im übrigen stellt die Rechtsprechung schon des öfteren auf objektivierende Billigkeit ab – wenn auch noch in den hergekommenen Begründungsstrukturen des § 138 BGB. So spricht bsp. das BayObLG bei der Prüfung der Sittenwidrigkeit einer letztwilligen Verfügung an, ob der Überle228 BGH FamRZ 1983, 800 (801 mwNachw); MünchKomm-Richter, § 1576 Rn. 15; Johannsen/Henrich-Voelskow, § 1576 Rn. 1, 5; Schwab-Borth, Scheidungsrecht, 4. Aufl., Teil IV Rn. 369; Köhler/Luthin, Unterhaltsrecht, Rn. 410. 229 BGH NJW 1984, 1538; MünchKomm-Richter, § 1576 Rn. 15; Johannsen/ Henrich-Voelskow, § 1576 Rn. 9.; Palandt-Diederichsen, § 1576 Rn. 6; SchwabBorth, Scheidungsrecht, 4. Aufl., Teil IV Rn. 375. 230 Gernhuber, in: Tradition und Fortschritt im Recht, 193 (195); ders., in: Summum ius, summa iniuria, 205 ff. 231 Vgl. zur Subsidiarität des § 1576 BGB nur BGH NJW 1984, 1538 zu § 1570 BGB; Schwab-Borth, Scheidungsrecht, 4. Aufl., Teil IV Rn. 365.

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Kap. 8: Versorgung – Pflichtteilsrecht – Unterhaltsrecht

bende durch die Verfügung in eine „wirkliche Notlage“ gekommen sei, und stellt zumindest die Frage, ob trotz Pflegebedürftigkeit dem Überlebenden nur der Pflichtteilsanspruch verbleiben könne232. Nur am Rande sei vermerkt, daß die Anwendung des § 1576 BGB nicht im luftleeren Raum erfolgt. Auch hier markieren Bedürftigkeit und Unterhaltsmaß zusammen mit den Vorschriften über die Gestaltung und das Ende des Unterhaltsanspruchs die Grenzen, denen sich der Versorgungsinteressierte gegenüber gestellt sieht. Allein schon der dem Überlebenden auszukehrende Pflichtteil wird hier zusammen mit dem zumeist nach § 1371 II BGB sich berechnenden Zugewinnausgleich, den sozialversicherungsrechtlichen Rentenansprüchen, etwaigen Einkünften des überlebenden Ehegatten und dem Verzehr eventuell vorhandenen Eigenvermögens die Bedürftigkeit des Überlebenden wenn nicht ausschließen, so doch mindern. 2. Konstruktion der Lückenfüllung: Gesetzliche Erbfolge – Erblasserschuld – Kapitalisierung

Die bisherige Untersuchung hat gezeigt, daß das postmortale Versorgungsinteresse in der positiven Billigkeitsklausel des § 1576 BGB seine Konkretisierung fand. Der konstruktive Weg, auf dem der so konkretisierte Schutz des Versorgungsinteresses ins Werk gesetzt werden kann, bleibt damit jedoch noch offen: Es muß noch eine Verständigung darüber gesucht werden, ob eine schuldrechtliche oder eine dingliche Nachlaßpartizipation erbrechtlich angelegt ist. Dies hängt mit der schon oben233 erwähnten Unterscheidung zwischen einem unterhaltsrechtlichen und einem erbrechtlichen Weg in der Konstruktion des rechtlichen Schutzes des Versorgungsinteresses zusammen. a) Konstruktive Wege zur Ehegattenversorgung: Schuldrechtliche oder dingliche Nachlaßpartizipation? Beim unterhaltsrechtlichen Weg wird Versorgung durch eine analoge Anwendung des § 1576 BGB und der §§ 1585 ff. BGB und damit schuldrechtlich gewährleistet; der Versorgungsanspruch wäre eine Erblasserschuld. Beim erbrechtlichen Weg würde dem Versorgungsvertrauen durch die Inanspruchnahme des klassischen Instrumentariums des § 138 I BGB und daraus aufbauend einer dinglichen Nachlaßpartizipation Rechnung getragen. Bei § 138 I BGB müßte die oben herausgearbeitete Wertung des Gesetzes, 232 BayObLG FamRZ 1992, 226 (227 f.); vgl. auch BayObLG FamRZ 1986, 1248 (1250). 233 Vgl. oben § 20 II 1.

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über § 1576 BGB analog dem Überlebenden eine Versorgung zuzubilligen, als ungeschriebenes Verbotsgesetz i. S. des § 138 I BGB aufgefaßt werden234, welches es untersagt, durch einseitiges Rechtsgeschäft, mithin auch durch letztwillige Verfügung, oder durch einen Erbvertrag, an dem der überlebende Ehegatte nicht beteiligt ist, den aus § 1576 BGB folgenden Unterhaltsanspruch zu unterlaufen235. Die den Überlebenden zurücksetzende Verfügung von Todes wegen wäre dann insoweit nichtig, als dem Ehegatten sein gesetzliches Erbrecht vorenthalten bleibt236. Welcher Weg ist der sachgerechte, der über eine dingliche Nachlaßbeteiligung und damit der Weg über die Gute-Sitten-Klausel oder der unterhaltsrechtliche Weg? b) Friktionen einer dinglichen Nachlaßbeteiligung Das Versorgungsvertrauen selbst und § 1576 BGB als normativer Ordnungsrahmen für seinen Schutz präjudiziert keineswegs einen der beiden Wege. Auf der einen Seite steht der unterhaltsrechtliche Ansatz den gesetzlichen Wertmaßstäben des Geschiedenenunterhalts und damit auch dem hier herausgearbeiteten normativen Ordnungsrahmen näher, anhand dessen die Lückenhaftigkeit der gesetzlichen Versorgungsregelungen identifiziert worden ist, da unmittelbar unterhaltsrechtliche Normen angewendet werden und in der Rechtsfolge die Schmiegsamkeit einer schuldrechtlichen, grundsätzlich rentenmäßigen Nachlaßpartizipation das Versorgungsinteresse am ehesten abbildet. Der erbrechtliche Weg scheint auf der anderen Seite demgegenüber gerade die genuin erbrechtlichen Strukturen zu ihrem Recht kommen zu lassen, in denen sich grundlegende erbrechtliche Wertentscheidungen kondensieren: Rechtssicherheit und Typizität des Zugriffs auf den Nachlaß durch klaren Rekurs auf die gesetzliche Erbfolge im Grundsatz. Gerade vor dem Hintergrund dieser erbrechtlichen Strukturentscheidungen scheint ein Votum für den erbrechtlichen Ausgangspunkt angesichts der mit dem unterhaltsrechtlichen Weg verbundenen normativen Folgen unausweichlich zu sein: Beim unterhaltsrechtlichen Ansatz wäre der Nachlaß mit Ansprüchen auf rentenmäßige Versorgung belastet, die bei wechselnden Bedürfnislagen des überlebenden Gatten durchaus in der Höhe schwanken können und die im Streitfall regelmäßig über die Abänderungsklage des 234 Siehe zur Einsicht, daß § 138 I BGB rein innerrechtlich verstanden werden muß und keineswegs zumindest hinsichtlich der Beurteilung der Verfügungen von Todes wegen auf soziale Moralen verweist, oben § 14 II und ausführlich Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 12 III, IV. 235 Zu den Anforderungen, die an ein Verbotsgesetz zu stellen sind, vgl. nur Staud-Sack, 13. Bearb., § 134 Rn. 30 ff.; MünchKomm-Mayer-Maly, § 134 Rn. 38 ff. 236 Siehe zur Rechtsfolgenseite der Guten-Sitten-Klausel oben § 15 II 4 c.

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§ 323 ZPO geltend gemacht werden müßten – ein unter Rechtssicherheitsgesichtspunkten wenig erfreuliches Ergebnis. Trotzdem kann gezeigt werden, daß der unterhaltsrechtliche Weg den gesetzlichen Vorgaben eher gerecht wird als die konstruktive Lösung über das Erbrecht einher mit einer Sittenwidrigkeitsprüfung. Der erbrechtliche Weg führt zur (Teil-)Nichtigkeit der letztwilligen Verfügung gem. § 138 I BGB – und damit offensichtlich zu einer übermäßigen Befriedigung des Versorgungsinteresses. Denn bei Nichtigkeit der Verfügung greift die gesetzliche Erbfolge, die nun das Maß des Versorgungsinteresses auf eine feste Quote verzerrt abbildet – und dies, obwohl das konkret in Anspruch genommene Versorgungsvertrauen auch das Maß der dinglichen Nachlaßbeteiligung limitieren müßte. Einen Ausweg scheint hier der Normzweckvorbehalt des § 138 BGB237 bieten: Das ungeschriebene Verbotsgesetz, welches das Versorgungsinteresse i. S. des § 1576 BGB schützt, limitiert seinem Sinn und Zweck nach Nichtigkeit durch die Höhe des Versorgungsinteresses. Dieses kann nicht nur verrentet, sondern gem. § 1585 II BGB auch kapitalisiert ausgedrückt werden. Nun kann eine dingliche Nachlaßbeteiligung nicht wertsummenmäßig, sondern nur nach Bruchteilen ausgedrückt werden. Insofern entspräche der Limitierung des Versorgungsinteresses, daß die gesetzliche Erbquote des Überlebenden auf das Verhältnis des kapitalisierten Rentenwerts des Unterhalts i. S. des § 1585 II BGB zum Gesamtwert des Nachlaßes, wertmäßig begrenzt auf den gesetzlichen Erbteil, beschränkt würde. Im Ergebnis würde eine Miterbengemeinschaft nach je unterschiedlichen Quoten entstehen. Einer derartig quotalen Nachlaßpartizipation stünden zwar nicht die durchgreifenden Bedenken entgegen, die die frühere Rechtsprechung des BGH zu „Mätressen“-Testamenten in ihrer Willkür so angreifbar gemacht hatten, dennoch sind auch hier Friktionen zu verzeichnen. Dingliche Nachlaßbeteiligungen führen regelmäßig zur Haftung für Nachlaßverbindlichkeiten, § 1967 BGB; bei der Nachlaßbewertung dürften damit die Passiva des Nachlasses nicht berücksichtigt werden. Mit diesem Zuschnitt wäre aber die genaue Abbildung des Versorgungsinteresses in die Erbquote weitgehend obsolet, da Versorgung zwar kapitalisiert zu den Nachlaß-Aktiva ins rechte Verhältnis gesetzt worden wäre, zugleich aber mit einer Haftung gekoppelt wäre. Versorgung korreliert jedoch unter Lebenden nie mit Haftung. Derartige Schwierigkeiten könnten nur dann verhindert werden, wenn das Versorgungsinteresse zum um die Passiva bereinigten Nachlaßwert ins Verhältnis gesetzt würde. Dem müßte dann 237

Oben § 15 II 4 c wurde dargestellt, daß im Rahmen der Interpretation der Guten-Sitten-Klausel als ungeschriebene Verbotsgesetze inkorporierende Norm die Rechtsfolge des § 138 BGB in Richtung eines Normzweckvorbehalts flexibilisiert werden kann und muß. Zum Normzweckvorbehalt ansonsten vgl. nur Staud-Sack, 13. Bearb., § 134 Rn. 57 ff.; MünchKomm-Mayer-Maly, § 134 Rn. 89 ff.

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jedoch auch eine Befreiung von jeglicher Haftung für Nachlaßverbindlichkeiten im Außenverhältnis entsprechen, so daß im Ergebnis ein nicht haftender Anteil am Gesamthandsvermögen geschaffen würde – ein Systembruch zu Lasten der Interessen der Nachlaßgläubiger, für dessen Berechtigung angesichts der §§ 2058 ff. BGB auch nicht ansatzweise Fingerzeige im Gesetz vorhanden sind. Eine Außenhaftung kombiniert mit einem Innenrückgriff innerhalb einer Erbengemeinschaft238 würde zwar den Systembruch einer dinglichen Nachlaßbeteiligung ohne Außenhaftung vermeiden. Zudem könnte leicht dem etwaigen Einwand begegnet werden, im Fall der Außenhaftung mit Innenregreß würde sich das Versorgungsinteresse nur rechnerisch, nicht aber wirtschaftlich in der Erbteilquote widerspiegeln, da der überlebende Ehegatte im Innenregreß mit dem Insolvenzrisiko seiner Miterben belastet würde, mit deren Bonität er nichts zu schaffen habe. Dies stimmt schon deshalb nicht, weil ein Anspruch auf Innenregreß einem Vorausvermächtnis auf Freistellung von der Außenhaftung im Innenverhältnis gleichkommt; die wirtschaftliche Durchsetzungskraft des Regreßanspruchs wäre dann auf die Bonität des Nachlasses bezogen, die der Überlebende jedoch zweifellos zu tragen hat. Dennoch befriedigt auch dieser erbrechtliche Weg einer Außenhaftung mit Innenregreß nicht. Zwar stünden diesem Weg nicht mehr die Interessen der Nachlaßgläubiger gegenüber, wohl aber der erbrechtliche Grundsatz einer rechtssicherheitswahrenden Zuweisung der gesetzlichen Erbquoten, der bsp. in den §§ 1924 ff., 2066 ff., 2071 ff., 2088 ff., 2091, 2093 f. BGB zum Ausdruck kommt und sich indirekt auch in den weicheren Zuweisungsformen der §§ 2151 ff. BGB bei schuldrechtlichen Nachlaßbeteiligungen widerspiegelt. Bei dem erbrechtlichen Weg müßte das kapitalisierte Versorgungsinteresse ins Verhältnis gesetzt werden zum Nachlaßwert. Schon der Nachlaßwert ist jedoch regelmäßig schwierig festzustellen. Bei dinglichen Nachlaßbeteiligungen sind derartig unsichere Kautelen, wie sie mit dem erbrechtlichen Weg verbunden sind, kaum hinzunehmen. Darüberhinaus würde in der dinglichen Beteiligung am Nachlaß als Unterhaltsersatz eine Partizipationsform gewährt, die im Vergleich zum Unterhaltsrecht unter Lebenden mit seinen schuldrechtlichen Beteiligungsformen ein Novum darstellen würde. Schließlich käme der Miterbenstellung nicht das Pfändungsprivileg des § 850 b I Nr. 2 ZPO mit seinem Rekurs auf Billigkeit gem. § 850 b II ZPO zugute; ein Ergebnis, das aufgrund der unterhalts-funktionalen Äquivalenz der dinglichen Erbbeteiligung und des daraus folgenden Gleichmaßes der gesetzlichen Schutzmechanismen bedenklich ist. 238 Gestützt auf die Rückgriffsansprüche des Überlebenden-Miterben gegen seine Miterben bsp. aus § 426 I BGB und § 426 II BGB, und zwar – da gesetzlich als Ausdruck des Verbotsgesetzes i. S. des § 138 I BGB etwas anderes bestimmt ist – nicht im Verhältnis ihrer Erbteile, §§ 2038 II, 748 BGB, sondern auf Vollregreß.

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Kap. 8: Versorgung – Pflichtteilsrecht – Unterhaltsrecht

Nach all dem kann der erbrechtliche Weg daher nicht als gesetzeskonform angesehen werden. c) Vorzüge der schuldrechtlichen Nachlaßbeteiligung Es bleibt der unterhaltsrechtliche Weg, der – wie oben beschrieben – punktgenau das Versorgungsinteresse post mortem abbildet, indem die wertmäßige Nachlaßpartizipation auf das Versorgungsinteresse und damit der Eingriff in den Nachlaß auf das erforderliche Maß beschränkt wird. Zugleich ist die rentenmäßige Ausformung des Unterhalts gem. § 1585 I BGB mit dem ihr immanenten Risiko von Abänderungsschwankungen nicht unbedenklich, so daß es wieder zu einer Konfrontation mit erbrechtstypischen Rechtssicherheitsvorstellungen zu kommen scheint. Dies ist aber nur auf den ersten Blick der Fall. Auch sonst wird bei ratenweise zu tilgenden Erblasserschulden kein erbrechtlicher Systembruch angenommen. Friktionen könnten sich hier daher nur durch die klageweise gem. § 323 ZPO geltend zu machenden Abänderungsmöglichkeit wegen Wegfalls der Anspruchsvoraussetzungen oder der Bedürftigkeit ergeben. Derartige Widrigkeiten dürften jedoch regelmäßig nicht zu einer unzumutbaren Belastung der Erben führen. Zudem steht dem Erben kein schutzwürdiges Interesse zur Seite, das gegen die abänderungsfähige Ratenzahlung eingewendet werden könnte. Dies zeigt schon ein Verweis auf § 1585 II BGB: allein der Berechtigte darf Kapitalisierung wählen und damit den Verpflichteten von den höhenmäßig eventuell schwankenden Ratenzahlungen befreien. Interessen des Verpflichteten spielen bei der Wahl zwischen Verrentung oder Kapitalisierung nur bei der Ausformung der Kapitalisierung selbst eine Rolle, die den Verpflichteten nicht unbillig belasten darf. Der Verpflichtete kann sich daher nur gegen die zur Kapitalisierung führende Ausübung der facultas alternativa wehren, nichts aber gegen die Regelform der Unterhaltsgestaltung mittels Verrentung einwenden. Warum dies post mortem auf einmal anders sein soll, ist nicht ersichtlich; die Verrentung der Versorgung ist nur die konsequente Folge der über § 1576 BGB gesteuerten Austarierung des Verhältnisses von gewillkürtem Erbrecht und Familienordnung und kann daher nicht ins Leere fallen. Eine Beschneidung des Versorgungsinteresses auf den kapitalisierten Betrag i. S. § 1585 II BGB als Regelform der post mortem geschuldeten Versorgung ex lege ist daher nicht angezeigt. Wenn der Überlebende die Kapitalisierung wählt – etwa weil er mit den Erben nicht für längere Zeit schuldrechtlich verbunden sein will239 – ist dies ohne weiteres möglich. Die Kriterien der unbilligen Belastung 239 Der BGH hat des öfteren den notwendigen Kontakt des überlebenden Ehegatten zum nichtehelichen Partner des Erstversterbenden zur Realisierung der Pflichtteilsansprüche zum Anlaß genommen, die Sittenwidrigkeit der Verfügung in dieser

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i. S. § 1585 II BGB müssen hierbei auf die Person des Erben als des nunmehr Verpflichteten bezogen werden. Hier dürfte die Kapitalisierung den Erben regelmäßig nicht unbillig belasten, da der kapitalisierte Anspruch aus § 1576 BGB analog auf den unentgeltlich ihm zugefallenen Nachlaß beschränkt ist. Zudem spielen auch sonst in der Auseinandersetzung einer Erbengemeinschaft oder der Auskehrung eines Vermächtnisses Unbilligkeiten auf Seiten des Verpflichteten grundsätzlich keine Rolle und werden allenfalls im Rahmen des § 242 BGB virulent. Unbilligkeiten i. S. § 1585 II BGB liegen demnach nur dann vor, wenn der Erfüllung der Versorgungsverpflichtung als Vermächtnis gedacht ausnahmsweise Belange des Verpflichteten entgegenstehen. Schließlich kann ein wichtiger Grund i. S. § 1585 II BGB nicht schon deshalb verneint werden, weil Umstände in der Person des Erben-Unterhaltsschuldners vorliegen, die unter Lebenden beendend oder kürzend auf die Unterhaltsverpflichtung einwirken würden, wie bsp. schleichender Vermögensverfall oder Wiederverheiratung des Erben240. Die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten bezieht sich im Rahmen des § 1576 BGB analog auf die Person des Erblassers. Dies ergibt sich zwangsläufig aus der Natur der Versorgung als Erblasserschuld, deren Tatbestandsvoraussetzungen immer auf die Person des Erblassers bezogen werden. Da zudem mit dem Tode des Erstverstorbenen die Möglichkeit entfällt, daß er seinen eigenen angemessenen Unterhalt gefährdet, müssen die Beschränkungen des § 1581 BGB insofern wegfallen; § 1586 b I 2 trägt dem Rechnung. Im übrigen könnten in der Person des Erben aufgrund des unentgeltlichen Erwerbs mit der Möglichkeit der Haftungsbeschränkung auf den Nachlaß sowieso keine Gründe vorliegen, die unter Lebenden zum Wegfall der Leistungsfähigkeit i. S. § 1581 BGB führen könnten. d) Sonderfragen: Interessenbezug, Ehebedingtheit, Einsatzzeitpunkt, wertmäßige Anspruchslimitierung, Vermögenseinsatz Die Billigkeitserwägungen, die zugunsten der Person des Unterhaltsverpflichteten im Rahmen des § 1576 BGB angeführt werden können, müssen auf die Person des Vorverstorbenen bezogen werden – und nicht auf die Erben. Mögliche Abwehrinteressen des vorverstorbenen Gatten und etwaige Vertrauensinvestitionen des überlebenden Teils sind damit post mortem perBegegnungskomponente zu verorten, vgl. nur BGH FamRZ 1963, 287 (299); BGHZ 52, 17 (22 f.). 240 Dazu nur Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 30 XI 2; Rolland, 1. EheRG, § 1585 Rn. 6; MünchKomm-Richter, § 1585 Rn. 6. Zur personbezogenen Ausrichtung des wichtigen Grundes i. S. § 1585 II BGB im übrigen vgl. Gernhuber/ Coester-Waltjen, Familienrecht, § 30 XI 2; Johannsen/Henrich-Voelskow § 1585 Rn. 5; MünchKomm-Richter, § 1585 Rn. 6; RGRK-Cuny, § 1585 Rn. 7 ff.; SchwabBorth, Scheidungsrecht, 4. Aufl., Teil IV Rn. 1200.

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Kap. 8: Versorgung – Pflichtteilsrecht – Unterhaltsrecht

petuiert und können deshalb nicht mehr durch mögliche Gegeninteressen der Erben desavouiert werden. Es käme daher nur noch auf sich entwikkelnde grobe Unbilligkeiten beim Überlebenden an, die dann mit den – quasi aus der Vergangenheit in die Bedürfnissituation transportierten – Gegeninteressen des Verstorbenen abzuwägen wären. Hinsichtlich des Einsatzzeitpunkts des Anspruchs und der Frage nach der Ehebedingtheit der Bedürftigkeit sind ebenfalls keine Abweichungen von der Rechtslage unter Lebenden zu verzeichnen. Die Versorgung des überlebenden Ehegatten beruht auf einer analogen Anwendung der §§ 1576, 1577 ff., 1585 ff., 1586 ff. BGB. Anwendbar ist damit auch § 1586 b I 1 BGB analog, der ausdrücklich bestimmt, daß der Versorgungsanspruch als Nachlaßverbindlichkeit übergeht. Damit sind die Schwierigkeiten ausgeräumt, die § 1967 BGB mit seiner Anknüpfung der Verbindlichkeiten an das Vermögen des Erblassers durch den Topos des „Herrührens“ gem. § 1967 II BGB eröffnen könnte – wäre ein derartiges „Herrühren“ bei nicht ehebedingter Bedürftigkeit und bei einem unterhaltsrechtlichen Einsatzzeitpunkt weit nach der Beendigung der Ehe durch Tod doch zumindest zweifelhaft. Die postmortale Versorgungssituation gibt daher keine Vorgaben hinsichtlich des Streits um den richtigen Einsatzzeitpunkt241 und um die Notwendigkeit einer ehebedingten Bedürftigkeit242. Der Unterhaltsschuldner ist gem. § 1581 S.1 BGB grundsätzlich auch zum Verwerten des Vermögensstamms (also des von Todes wegen erworbenen Nachlasses und nicht nur von dessen Erträge) verpflichtet, es sei denn, diese Verwertung sei unwirtschaftlich oder unbillig, § 1581 S. 2 BGB. Im 241 Für einen zeitlich unbeschränkten Einsatzzeitpunkt: MünchKomm-Richter, § 1576 Rn. 18; Soergel-Häberle, § 1576 Rn. 7; Rolland, 1. EheRG, § 1576 Rn. 18. Hierbei wird konzediert, daß die Unterhaltsbegründung mehr und mehr schwieriger würde, da im Ablauf der Zeit sowohl die Abwehrinteressen als auch das Vertrauen des geschiedenen Ehegatten auf Verschonung vor Inanspruchnahme tendenziell schützenswerter werden. Als Einsatzzeitpunkt wollen Beendigung der Ehe oder den Zeitpunkt des Eintritts eines der in § 1571 Nr. 1, 3, § 1572 Nr. 2,3 und 4 BGB genannten Ausschlußtatbestände ansehen RGRK-Cuny, § 1576 Rn. 10; Schwab, Scheidungsrecht, 1. Aufl., Rn. 294. 242 Für eine Ehebezogenheit der „schwerwiegenden Gründe“ i. S. § 1576 BGB Im Grundsatz Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 30 VII 2; Palandt-Diederichsen, § 1576 Rn. 1; MünchKomm-Richter, § 1576 Rn. 1 (mit Einschränkung: nicht unbedingt erforderlich); Erman-Dieckmann, § 1576 Rn. 6; ders., FamRZ 1977, 97 (98). Verneinung einer Ehebedingtheit bei BGH FamRZ 1083, 800 (802); OLG Düsseldorf FamRZ 1981, 1070; OLG Bamberg, FamRZ 1980, 587; Soergel-Häberle, § 1576 Rn. 3. Auf das Bestehen eines sachlichen und zeitlichen Zusammenhangs der Bedürfnislage mit der Ehe insistieren Schwab-Borth, Scheidungsrecht, 4. Aufl., Rn. 365 (nur sachlicher Zusammenhang) und Johannsen/Henrich-Voelskow, 2. Aufl., § 1576 Rn. 1 (sachlicher und zeitlicher Zusammenhang); anders nun Johannsen/ Henrich-Büttner, 3. Aufl., § 1576 Rn. 3.

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Rahmen der dortigen Billigkeitserwägungen 243 ist auf die Verhältnisse der Erben und nicht auf die des Erblassers abzustellen, da die Vorschrift ansonsten kaum Sinn ergeben würde. Bei der Abwägung ist zu berücksichtigen, daß der Vermögenserwerb für den Erben grundsätzlich unentgeltlich erfolgt, jedoch auch als Ausgleich für lebzeitig geleistete Dienste (wie etwa Versorgung und Pflege) vom Erblasser gedacht sein kann. Es ist daher besonders aufmerksam zu prüfen, ob dem Erben Billigkeitserwägungen ausnahmsweise helfen können. Schließlich bleibt noch die Frage zu klären, ob der Versorgungsanspruch aus § 1576 BGB analog wertmäßig beschränkt ist. Im erbrechtlichen, auf § 138 I BGB insistierenden Weg würde aufgrund der (Teil-)Nichtigkeit des letztwillig Verfügten die gesetzliche Erbfolge mit einer durch das Verhältnis von Nachlaßwert und kapitalisierten Versorgungsinteresse limitierten Erbquote greifen. Hierzu wurde schon im Rahmen der Diskussion, ob das Gesetz eine planwidrige Lücke aufweist, ausgeführt, daß richtigerweise eine Lücke nur vorhanden ist, wenn der Ehegatte auf den gesetzlichen Erbteil gesetzt, geringer bedacht oder sogar gänzlich enterbt worden ist244. Das Versorgungsvertrauen des Überlebenden findet im Wert seines gesetzlichen Erbteils seine Grenze. Wenn der Erstverstorbene überhaupt nicht von Todes wegen verfügt hätte, bliebe der Überlebende auch auf den gesetzlichen Erbteil verwiesen. Er könnte hier gegenüber den Miterben nicht geltend machen, er sei im Unterhalt notleidend. Wieso etwas anderes gelten sollte, wenn der andere Teil von seiner Testierfreiheit Gebrauch macht, ist nicht ersichtlich. Es bleibt mithin dabei, daß der Wert des gesetzlichen Ehegattenerbteils die äußerste Grenze dessen markiert, was der überlebende Ehegatte unterhaltsmäßig vom Erben verlangen kann. III. Ergebnis 1. Zusammenfassende Bemerkungen zum bisherigen Gedankengang

Die bisherigen Überlegungen haben gezeigt, daß einer über den Pflichtteil hinausreichenden schuldrechtlichen Nachlaßpartizipation des überlebenden Ehegatten aus Versorgungsgründen nichts im Wege steht. Konstruktiv konnte dies durch eine analoge Anwendung der §§ 1576, 1577 ff., 1585 ff., 1586 ff. BGB ins Werk gesetzt werden245, nachdem (i) die auf den ersten Blick dem entgegenstehenden Hindernisse des § 1615 BGB246 und des vermeintlich abschließend das Unterhaltsinteresse des Überlebenden regelnden 243 244 245 246

Dazu nur MünchKomm-Maurer, § 1581 Rn. 46 ff. Oben § 21 I 4. Vgl. § 21 II. Vgl. § 20 V.

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Kap. 8: Versorgung – Pflichtteilsrecht – Unterhaltsrecht

Pflichtteilsanspruchs247 ihrer Sperrwirkung entkleidet und auf ihren eigentlichen immanenten Telos hin zugeschnitten wurden und (ii) die Lückenhaftigkeit des Gesetzes – und nicht dessen rechtspolitische Fehlerhaftigkeit – trotz der Existenz des § 138 I BGB nachgewiesen wurde248. Zugleich wurde darauf hingewiesen, daß eine Lücke nur ersichtlich ist, wenn der Ehegatte von Todes wegen in Höhe des gesetzlichen Erbteils, geringer oder gar nicht bedacht worden ist249. Das Versorgungsvertrauen des Überlebenden wird durch die Stellung des Scheidungsantrags gem. § 1933 BGB zerstört; der überlebende Gatte bleibt dann auf den Pflichtteil verwiesen, §§ 1933, 1586 b I 3 BGB analog. Der Versuch, den Überlebenden über die Guten-Sitten-Klausel zu helfen und damit eine dingliche Nachlaßbeteiligung zu verschaffen, mußte demgegenüber ins Leere gehen250. Die von Boehmer geäußerte Befürchtung, der Versorgungsgedanke könne letztlich nur einen Unterhaltsanspruch des Ehegatten gegen den Nachlaß begründen251, bewahrheitet sich damit zwar; nur besteht kein Anlaß, dies angesichts der Friktionen einer dinglichen Nachlaßpartizipation als unangemessen anzusehen. Mit dem hier gefundenen schuldrechtlich angelegten Versorgungssystem kann an gegenüber der Guten-Sitten-Klausel durchweg präzisere Tatbestandselemente und an bisher schon vorliegende Judikate angeschlossen und damit ein größeres Maß an „Anschlußrationalität“ 252 erzielt werden. 2. Zusammenfassende Bemerkungen zum Schutz des Versorgungsinteresses des überlebenden Teils

Bei Bedürftigkeit des Überlebenden steht diesem somit dann ein Versorgungsanspruch zur Seite, wenn von dem überlebenden Ehegatten aus schwerwiegenden Gründen keine Erwerbstätigkeit erwartet werden kann, die Versagung einer Versorgung unter Berücksichtigung der Belange sowohl des Ehegatten als auch des Erstverstorbenen grob unbillig wäre und letzterer sich auf nichts hätte berufen können, was seine Verpflichtung als grob unbillig erscheinen ließe. Insgesamt gesehen ist der Gesamtbetrag des dem Unterhaltsberechtigten zu leistenden Unterhaltsbetrags limitiert durch den Wert seines gesetzlichen Erbteils. Bei der Billigkeitsprüfung muß beachtet werden, daß in dem hier vorliegenden Kontext anders als sonst zu den in § 1576 BGB relevanten Gründen 247

Vgl. § 20 III, IV. Vgl. § 21 I. 249 Oben § 21 I 4. 250 Vgl. § 21 II 2. 251 Boehmer, Vorschläge, 112. 252 Zum Konzept der Anschlußrationalität siehe Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 835, 890 ff.; Smid, Philosophie des Rechts, 47 f., 57 f. 248

§ 21 Versorgung des zurückgesetzten Ehegatten über das Unterhaltsrecht 565

auch solche der in §§ 1570 ff. BGB beschriebenen Art in das durch § 1576 BGB vorgezeichnete Wertdiagramm der Billigkeit einfließen können253. Zudem kann stellenweise an die Rechtsprechung zu § 138 I BGB angeknüpft werden, wenn diese sich mit den Billigkeitsstrukturen des § 1576 BGB verträgt. Die von der Rechtsprechung254 angeführten Umstände: die Art der Beziehung des Erblassers zur bedachten Person, der Familienstand des Erblassers oder der Bedachten, der Grund und die Art und Weise der letztwilligen Zuwendung, die Person des Zurückgesetzten, die insbesondere wirtschaftlichen Auswirkungen der Verfügung auf den überlebenden Ehegatten insbesondere das Entstehen einer wirklichen Notlage aufgrund der letztwilligen Verfügung255 sowie die Beteiligung der Ehefrau des Erblassers am Erwerb des letztwillig Zugewendeten, können daher durchaus auch weiterhin eine Rolle spielen. Es darf nur keine moralisierende Bewertung des letztwillig Verfügten stattfinden – der hier verfolgte Ansatz ist insofern objektivierend. Ob dem Erblasser die wirtschaftliche Belastung des Überlebenden daher bewußt war, ist damit entgegen dem BGH256 nur im Rahmen des Wertungsdiagramms des § 1576 BGB und damit nicht ohne weiteres relevant – nicht ein sittlicher Vorwurf an die Person des Erblassers, sondern eine billige Versorgung zu Gunsten des Überlebenden steht zur Rede; auch der Rekurs auf eine in der letztwilligen Verfügung zum Ausdruck kommenden „unredliche und deshalb verwerfliche Gesinnung“257 ist daher unbeachtlich. Letztlich führt der Rekurs auf § 1576 BGB im Kern dazu, die Möglichkeit zu eröffnen, den herkömmlichen, von den Ehegatten gemeinsam autonom geschaffenen Ordnungsrahmen der noch nicht zerrütteten Ehe post mortem zu tradieren und damit die Vermögensinteressen zu schützen258, die der personalen Verbindung in der Gattenbeziehung gegenständlich entsprechen.

253

Vgl. § 21 II 1. BGHZ 53, 369 (377 f.); 77, 55 (59); BayObLG FamRZ 1984, 1153. 255 BayObLG FamRZ 1986, 1248 (1250); 1992, 226 (227 f.). 256 So bsp. BGH NJW 1983, 674 (676). 257 So bsp. BGHZ 53, 369 (375); BGH NJW 1983, 674 (675); BayObLG FamRZ 1984, 1153 (1154); 1985, 1082 (1083); 1986, 1248 (1249 ff.). 258 Die Schutzwürdigkeit gerade dieser Interessen betonen de lege ferenda auch Rauscher, Reformfragen, 242; Jung, RPfl 1984, 165 (170 f.). 254

Kapitel 9

Zusammenfassung zum ersten Teil § 22 Zusammenfassung zum Schutz des Überlebenden im Privatbereich Im folgenden werden nicht abermals die einzelnen Befunde zum Schutz des überlebenden Ehegatten im Privatbereich zusammengefaßt. Hierzu sei auf die einzelnen Resümées verwiesen, die den jeweiligen Teilen beigefügt worden sind. Hier geht es vielmehr darum, das Ausmaß des Ehegattenschutzes einmal im Zusammenhang zu zeigen, wie er sich in einem personfunktional verstandenen Erbrecht darbietet. I. Der Schutz des todesbezogenen Persönlichkeitsrechts des Überlebenden Die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Ehegattentestaments konnte mit einem Blick auf den hohen Stellenwert der mit dem Testament ins Werk gesetzten Todesverarbeitung des Erblassers probat geltungstheoretisch erklärt werden. Aufgrund der in der Intimbeziehung aufscheinenden Verschmelzung der Erlebnis- und Verstehenshorizonte der Gatten kann ein jeder der Beteiligten seinen eigenen Tod in der Thematisierung des Todes des anderen gespiegelt sehen und sich damit um so besser der Verarbeitung des je eigenen Todes stellen. In der im gemeinschaftlichen Testament zum Ausdruck kommenden internen Verklammerung der Todesverarbeitung beider Gatten, welche durch die expressiv-individuelle Codierung ihrer Interaktion geleistet wird, kommt damit jenes Moment zum Tragen, welches dem gewillkürten Erbrecht in der Wertung Richtung und Halt verleiht: die personalen Gehalte des Rechts im allgemeinen und die personfunktionalen Gehalte des Erbrechts im besonderen. Es geht auch beim gemeinschaftlichen Ehegattentestament deshalb um nichts anderes als um den Schutz des Persönlichkeitsrechts des erstversterbenden Testierenden – vor allem nicht um den Schutz der Familie. Da der Überlebende in seiner Testierfreiheit aufgrund des gemeinschaftlichen Testierens gebunden ist, tritt zugleich die Frage auf den Plan, wie ihm geholfen werden kann, wenn er nach dem ersten Todesfall nochmals von Todes wegen verfügen will. Aus der Sicht eines personfunktionalen

§ 22 Zusammenfassung zum Schutz des Überlebenden im Privatbereich

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Erbrechts liegt hier ein zentrales Problem verborgen, da dem Überlebenden bei fortbestehender Bindungswirkung ein prägnantes Mittel genommen wird, sein „Sein zum Tode“ rechtsgeschäftlich zu entfalten und sich seinem Tode zu stellen. Es konnte aufgezeigt werden, daß die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments bei weitem nicht so streng ist, wie dies zumeist angenommen wird. Vor allem bei der Wiederverheiratung des überlebenden Teils stehen diesem zahlreiche Instrumente zur Verfügung, mit deren Hilfe er seine Testierfreiheit wiedererlangen kann. Die rechtsdogmatische Entfaltung dieses Instrumentariums stellt dabei ein besonders schönes Beispiel für die Kraft, die einem personfunktionalen Erbrechtsdenken innewohnt. II. Der Schutz sonstiger personaler Rechte des Überlebenden Neben dem soeben skizzierten Schutz der Todesverarbeitung des Überlebenden muß diesem auch ein angemessener Schutz gewährt werden, soweit dessen sonstige personalen Rechte durch eine letztwillige Anordnung des Erblassers – wie etwa einer Potestativbedingung oder einer erbrechtlichen Auflage – beeinträchtigt werden können. Das hierbei auftretende Wertungsproblem liegt freilich gleichsam zum greifen nahe: Da auch die Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht begriffen werden muß, stehen sich Persönlichkeitsrecht und Persönlichkeitsrecht – mal des Erblassers und mal des Überlebenden – gegenüber. Gerade mit einem personfunktionalen Erbrechtsdenken konnte hier der Weg gewiesen werden, wie beide Rechte bestmöglichst geschützt werden können. Hier gilt es zweierlei zu notieren: Aus dem Gedanken der Personfunktionalität des gewillkürten Erbrechts folgt, daß es um der Vermeidung eines Wertungswiderspruchs willen bei Verfügungen von Todes wegen nicht angängig ist, im Rahmen der Sittenwidrigkeitsprüfung auf soziale Moralen zu rekurrieren oder die Gesinnung des Erblassers als Argument für die Sittenwidrigkeit in die Prüfung einfließen zu lassen. Vielmehr darf das Sittenwidrigkeitsurteil nur rein innerrechtlich aus Normen der Rechtsordnung selbst abgeleitet werden. Dies ist das eine. Ein personfunktionalistisches Erbrecht konstruiert den Erblasser darüberhinaus nicht als ein der Sozietät quasi entwurzeltes Wesen. Vielmehr ist er trotz der ihm zur Seite stehenden Testierfreiheit von Rechts wegen gehalten, den überlebenden Gatten als mit Rechten ausgestattete Rechtsperson anzuerkennen. Sedes materiae derartiger Anerkennungsverhältnisse ist § 138 I BGB; bei krassen Verstößen gegen die personalen Rechte des Überlebenden ist die jeweilige Anordnung von Todes wegen dann nichtig. Dies ist das andere. Einem personfunktionalen Erbrechtsdenken gelingt es damit, den Schutz des Überlebenden intern als mit dem Persönlichkeitsrecht des Erblassers verknüpft zu verstehen. Mit diesem Ansatz ist es sehr viel einfacher möglich zu erklären, wieso der Erblasser die Rechte des Überleben-

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Kap. 9: Zusammenfassung zum ersten Teil

den überhaupt bei seinen letztwilligen Verfügungen beachten soll. Der Gedanke der Personfunktionalität führt demnach auch hier zu einer geltungstheoretisch sachgerechten Erklärung anerkannter Vorentscheidungen der Rechtsordnung und kann diese damit als Recht ausweisen. III. Der Schutz der Versorgung des Überlebenden Soweit schließlich die Versorgung des Überlebenden in Rede steht, bleibt zweierlei festzuhalten. Es konnte einmal gezeigt werden, daß bei der Versorgung des überlebenden Teils über die Mittel erbrechtlicher Verpfründung und Veranlassung der stellenweise avisierte Rekurs auf das Kondiktionsrecht bei Leistungsstörungen wenig fruchtbar ist. Damit konnten die Wege einfacher aufgezeigt werden, die dem erbvertraglich gebundenen Ehegatten zur Verfügung stehen, um seine Testierfreiheit wiederzugewinnen, wenn der Erbvertragspartner die ausbedungene oder veranlaßte Versorgung nicht gehörig, nicht rechtzeitig oder überhaupt nicht erbringt. Soweit schließlich der Erblasser den bedürftigen Überlebenden enterbt oder auf den Pflichtteil setzt und damit gerade nicht gewillt war, Solidarität nach dem Tode zu zeigen, konnte dem Überlebenden mit unterhaltsrechtlichen Mitteln geholfen werden. Es erwies sich, daß unter bestimmten Voraussetzungen dem Überlebenden ein Unterhaltsanspruch auch noch nach dem Tode des Erstverstorbenen zukommt. Insgesamt gesehen ist damit das Spektrum, innerhalb dessen der Überlebende im Privatbereich geschützt wird, beträchtlich. Der nunmehr folgende Blick auf die Versorgung des überlebenden Teils in jener Situation, in der der Erblasser ein einzelkaufmännischer Unternehmer oder ein vollhaftendes Mitglied einer Personengesellschaft war, wird die Thematik „Testierfreiheit und Ehegattenschutz“ abrunden. Es wird sich zeigen lassen, daß auch im Unternehmensbereich der Ehegatte probat geschützt werden kann, wenn das gewillkürte Erbrecht personfunktional interpretiert wird und damit die rechtlichen Gehalte aktiviert werden, den Wert des Persönlichkeitsschutzes auch in anderen Rechtsgebiete gehörig zur Geltung kommen zu lassen.

Zweiter Teil: Der Schutz des überlebenden Ehegatten im Unternehmensbereich

Kapitel 10

Einleitung zum zweiten Teil § 23 Die Versorgung des Überlebenden im Unternehmensbereich I. Die beiden Hauptprobleme des letztwillig verfügenden Unternehmers 1. Der Kreis der erfaßten Unternehmen

Die Überlegungen des zweiten Teils dieser Arbeit greifen die Frage auf, wie der überlebende Ehegatte gehörig versorgt werden kann, wenn der Erstverstorbene als Unternehmer den bisherigen Unterhalt gesichert hat. Um das Spektrum der Lebenssachverhalte, die im weiteren untersucht werden sollen, näher skizzieren zu können, muß vorab festgelegt sein, was unter einer unternehmerischen Tätigkeit verstanden werden soll. Die Beantwortung dieser Frage muß an Zweckmäßigkeitsüberlegungen orientiert sein, da es ja nicht um die Festlegung eines Rechtsbegriffs, sondern darum geht, aus der Fülle möglicher Lebenssachverhalte einen Untersuchungsgegenstand herauszuschneiden. Nun hängt die Frage, was es sinnvollerweise bedeutet, als Unternehmer tätig zu sein, von zwei Merkmalen ab, dem Unternehmen und dem Tätigsein. Als Unternehmen soll im weiteren der Umstand verstanden werden, daß jemand am Markt selbständig, planmäßig, auf Dauer ausgerichtet, anbietend und entgeltlich rechtsgeschäftlich tätig wird1. Diese Begriffsbestimmung umfaßt sowohl die Tätigkeit einzelkaufmännischer Unternehmen und der privatrechtlichen Zweckvereinigungen2 (als da sind: Kapital- und Personengesellschaften) als auch diejenige freier Berufe. Sie ist damit hinreichend weit, um das relevante Spektrum der einschlägigen Lebenssachverhalte zu erfassen. Unter dem „jemand“, welcher am Markt tätig wird, kann wiederum eine einzelne natürliche Person oder eine privatrechtliche Zweckvereinigung verstanden werden. Soweit eine einzelne natürliche Person tätig wird, sind ihre im Wirtschaftsleben durchweg am häufigsten gegebenen unternehmerischen Tätigkeitsfelder das einzelkaufmännische Unternehmen und die Ausübung eines freien Berufs. Die weiteren 1 Übernommen worden ist hier der handelsrechtliche Unternehmensbegriff in der Ausprägung durch Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 4 I 2 b. 2 Begrifflichkeit nach Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 3 I 1.

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Kap. 10: Einleitung zum zweiten Teil

Überlegungen focussieren primär den Einzelkaufmann, versuchen aber auch, hin und wieder die Sonderprobleme des freiberuflich Tätigen einzubeziehen. Soweit eine privatrechtliche Zweckvereinigung am Markt auftritt, kann eine Personengesellschaft oder eine Kapitalgesellschaft vorliegen. Durchweg im Mittelpunkt der weiteren Überlegungen wird dabei die Beteiligung des Erblassers an einer Personengesellschaft stehen, nur akzidentiell werden auch GmbH-Beteiligungen diskutiert und zwar nur insoweit, als die GmbH & Co. KG in Rede steht. 2. Hauptproblem I: Die Versorgung des überlebenden Teils

Soweit der Erblasser unternehmerisch tätig ist und seine Nachfolge avisiert, wird er sich typischerweise sowohl der Versorgung des überlebenden Ehegatten und der Abkömmlinge widmen als auch versuchen, für eine reibungslose Unternehmensnachfolge ohne Probleme in der Unternehmensleitung und gefährliche Liquiditätsverluste bsp. aufgrund von Abfindungen weichender Erben im Rahmen der Erbauseinandersetzung Sorge zu tragen. Nun tritt der Wunsch, den Überlebenden nach dem ersten Todesfall angemessen versorgt zu sehen, in überaus zahlreichen Facetten auf und kann mittels ebenso ungezählter Instrumentarien verwirklicht werden. Dies fängt schon mit dem rechten Verständnis dessen an, was unter „Versorgung“ sinnvollerweise verstanden werden soll: Sich der Versorgung einer Person zu widmen, kann auch heißen, ihr ein hinreichend großes Maß an sozialer Bindung und emotionaler Zuwendung garantieren zu wollen. In Zusammenhängen des Rechts wird Versorgung meist anders verstanden. Rechtlich steht weniger die Absicherung des Überlebenden als sozial geborgenes Wesen im Vordergrund, wenngleich das Recht sich auch diesem Problemkreis widmet (Stichwort Sozialrecht). Vielmehr geht es gerade im bürgerlichen Recht darum, dem Überlebenden seine materiellen Lebensgrundlagen zu erhalten und einer ökonomisch verstandenen Bedürftigkeit entgegenzutreten. Zu einer derart verstandenen Versorgung des Überlebenden hat die Kautelarjurisprudenz zahlreiche Lösungsvorschläge sowohl im Bereich der einzelkaufmännischen Unternehmen als auch bei Beteiligungen an Kapital- und Personengesellschaften erarbeitet, angefangen beim schuldrechtlichen Ertragsvermächtnis über Nießbrauchsvermächtnisse in ganz unterschiedlichen Formen – Grundstücksnießbrauch, quotaler Ertragsnießbrauch, Nießbrauch an Personengesellschaftsanteilen und an GmbH-Anteilen – bis hin zum Rentenvermächtnis und Versorgung qua stille Beteiligung oder Unterbeteiligung3. Welche Gestaltung der Erblasser im einzelnen wählt, hängt naturge3 Vgl. aus der reichhaltigen Literatur nur die Übersichten bei Langenfeld, Ehegattentestament, Rn. 457 ff.; sowie Fasselt, Nachfolge in Familienunternehmen, insbes. Rn. 54 ff., und passim.

§ 23 Die Versorgung des Überlebenden im Unternehmensbereich

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mäß von der Interessenlage ab. Oft wird ihm daran gelegen sein, daß der andere Gatte an dem Gewinn des von einem Dritten, gemeinhin des Erben, geführten Unternehmens oder dem Ertrag einer Gesellschaftsbeteiligung partizipieren kann, ohne mit den Schwierigkeiten des unternehmerischen Handelns belastet zu sein. Oft wird der Erblasser zudem nicht nur auf irgendeine Partizipation am Ertrag, sondern auf eine sichere Teilhabe zielen. In diesem Falle soll der überlebende Teil an dem Unternehmens- oder dem Beteiligungsgewinn so teilhaben können, daß er auch gegenüber Nachfolgern in der Unternehmensträgerschaft oder in die Gesellschaftsbeteiligung, gegenüber Gläubigern des Unternehmers und gegenüber in das Unternehmen deliktisch eingreifende Dritte hinreichend geschützt ist. Die ihm hierzu zur Verfügung stehenden rechtsgeschäftlichen Instrumente unterscheiden sich je nachdem, ob dem Erblasser ein Erbe in die Einzelunternehmerstellung nachfolgt oder ob der Erblasser Beteiligungen an Personenhandelsgesellschaften vererbt. Beidesmal steht die Frage im Vordergrund, wie der Erblasser eine relativ gesicherte Versorgung des überlebenden Ehegatten erzielen kann. Die nachfolgenden Überlegungen greifen nicht das Gesamtspektrum der im Rahmen der Unternehmensnachfolge zu vergegenwärtigenden Schwierigkeiten auf. Vielmehr steht primär die Versorgung des Überlebenden in Rede, wenn ein Dritter in die Unternehmensträgerschaft oder in die Gesellschaftsbeteiligung nachfolgt. Der zweite große Problemkomplex, der sich dem seine Nachfolge vorbereitenden Unternehmer stellt, ist zunehmend die Gewinnung geeigneter Nachfolger. Sind außerhalb der nicht nachfolgewilligen Familienangehörigen keine geeigneten Kandidaten in Sicht, sieht sich der Einzelunternehmer oder Gesellschafter oftmals vor schlichtweg unüberbrückbare Schwierigkeiten gestellt, die Unternehmung post mortem zu perpetuieren. Falls ein geeigneter Drittnachfolger gefunden worden ist, greift die Kautelarjurisprudenz mehr und mehr aus vielfältigen Gründen auf Instrumentarien zurück, die auf dem Gebiet der vorweggenommenen Erbfolge qua Unternehmens- oder Beteiligungsnachfolge unter Lebenden angesiedelt sind. Bei diesem Nachfolgeweg sind sicherlich außerordentlich reizvolle dogmatische Aufgabe zu lösen und hochkomplexe Lebenslagen rechtlich zu bewältigen. Dennoch bleibt im Rahmen dieser Untersuchung die lebzeitige Nachfolge in das Unternehmen oder in die Gesellschaftsbeteiligung im weiteren außen vor. Die vorliegende Studie widmet sich den Bezügen zwischen der Testierfreiheit und dem Schutz des überlebenden Ehegatten. Unternehmensrechtliche Nachfolgeinstrumente, welche schon zu Lebzeiten des Unternehmers greifen, liegen deshalb außerhalb des hiesigen Erkenntnisinteresses.

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Kap. 10: Einleitung zum zweiten Teil 3. Hauptproblem II: Der frühzeitige Tod des Unternehmers

Freilich bleibt eine Situation zurück, welche sinnvollerweise nur mit den Mitteln einer Unternehmensnachfolge von Todes wegen gelöst werden kann. Es ist dies die Vorsorge für den Fall des frühzeitigen, nicht vorhersehbaren Ablebens des Unternehmers, der einen Gatten mit zumeist noch minderjährigen Abkömmlingen zurückläßt. Im Mittelpunkt derartiger Fälle steht durchweg die Frage, wie der Unternehmer seine Nachfolge sachgerecht gestalten kann, obwohl er die Nachfolgewilligkeit und Qualifikation seiner noch minderjährigen Kinder noch nicht gesichert prognostizieren kann. Häufig wird die Vorsorge für den überlebenden Teil und die Abkömmlinge in der letztwilligen Anordnung der schnellstmöglichen Unternehmensveräußerung bestehen4. Der Versorgung der Familie wird dann durch den Gewinn aus der Veräußerung gesichert. Häufig soll jedoch das Unternehmen weitergeführt werden5. Das erste dann zumeist auftretende Problem liegt darin, aus der Anzahl möglicher Unternehmensnachfolger eine sachgerechte Auswahl treffen zu können. Der Unternehmer-Erblasser muß einem Dritten eine Befugnis zur Bestimmung des Nachfolgers einräumen, was erkennbar mit Blick auf § 2065 II BGB Probleme aufwirft. Das zweite Problem, dessen man sich bei der Unternehmensfortführung trotz frühzeitigen Ableben des Unternehmers vergegenwärtigen muß, ist die Weiterführung des Unternehmens in der Übergangszeit zwischen dem Tod und den Antritt des Nachfolgers. Hier muß das Unternehmen durch einen Fremdgeschäftsführer (bei der GmbH), den überlebenden Gatten oder einen Testamentsvollstrecker weitergeführt werden6. Parallele Probleme ergeben sich bei der Personengesellschaft. Während die Weiterführung des Unternehmens durch den Ehegatten keine größeren rechtlichen Schwierigkeiten aufwirft, ist dies bei der Interimsführung durch den Testamentsvollstrecker anders. Im weiteren werden daher für den Fall des frühzeitigen Ablebens des Unternehmers nur die beiden Probleme diskutiert, wie eine Drittbestimmung des eigentlichen Unternehmensnachfolgers erbrechtlich bewerkstelligt werden kann und welche dogmatischen Erschwernisse bei der Testaments4

So etwa Langenfeld, Testamentsgestaltung, Rn. 372. Die Suche nach einer geeigneten Nachfolgekandidatin oder einem geeigneten Nachfolgekandidaten in die Unternehmensführung steht mit im Zentrum der Unternehmensnachfolge gerade in mittelständisch strukturierten Familienunternehmen. Die „Erfahrung lehrt, daß Familiengesellschaften in den meisten Fällen deshalb untergehen, weil es nicht gelingt, dem Unternehmen eine Führungsstruktur zu verschaffen, die sie am Leben hält“, so aus der Fülle der Literatur jüngst Brösztl, FS Sigle, 3 (13). 6 Siehe dazu etwa Langenfeld, Testamentsgestaltung, Rn. 395. 5

§ 23 Die Versorgung des Überlebenden im Unternehmensbereich

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vollstreckung im Unternehmensbereich zu vergegenwärtigen sind. Soweit im Fall des frühzeitigen Unternehmertodes die Versorgung des Überlebenden in Rede steht, wird diese Frage – wenn die interimistische Unternehmensleitung und spätere Unternehmensnachfolge bewältigt ist – kaum anders zu beantworten sein, wie dies der Fall wäre, wenn der Unternehmer einen Nachfolger gefunden hat und mit Blick hierauf die Versorgung des anderen Gatten sicherstellen will. Die Versorgungsfrage wird demnach bei der Fallgestaltung „frühzeitiger Unternehmertod“ nicht eigens diskutiert. Bevor später (Abschn. 6) die mit dem frühzeitigen Tod des Unternehmers verbundenen Schwierigkeiten angegangen werden, soll zuvor ein kurzer Blick auf die Möglichkeiten und Interessen geworfen werden, die bei der Versorgung des überlebenden Teils eine Rolle spielen. II. Ein analytisches Schema der Versorgung des Überlebenden 1. Risikoaverse Versorgung versus risikopartizipative Versorgung

Der Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen ist der Wille des vorversterbenden Ehegatten-Unternehmers, den Überlebenden nach dem ersten Todesfall angemessen zu versorgen. Versorgung bedeutet in bürgerlichrechtlichen Zusammenhängen, die materiellen Lebensgrundlagen abzusichern. Typischerweise will der Erblasser dem überlebenden Teil eine angemessene Versorgung in monatlich ratenweise wiederkehrenden Beträgen sichern. Ihm ist zugleich daran gelegen, den Ehegatten vor bestimmten Markt- und Lebensrisiken zu schützen, die mit dem Übergang der Unternehmensträgerschaft auf den Erben verbunden sind. Hierzu stehen dem vorversterbenden Ehegatten-Unternehmer zahlreiche Instrumentarien zur Verfügung. Ein Instrument der Ehegattenversorgung wäre sicherlich, dem Überlebenden die Stellung des einzelkaufmännischen Unternehmers zu verschaffen. Nur wird dies zumeist weder im Interesse des Erblassers liegen, dem an einer auch nach seinem Versterben weiterhin auf lange Sicht prosperierenden Unternehmung gelegen sein wird – ein Wunsch, dem nicht jeder Ehegatte gewachsen ist –, noch wird dies dem Wunsch des Überlebenden entsprechen, der von den Mühen des unternehmerischen Handelns soweit wie möglich verschont sein will. Die Versorgung des Überlebenden muß deshalb auf andere Weise sichergestellt werden. Die Kautelarjurisprudenz ordnet üblicherweise typischen Interessen und Lebenssachverhalte typische Gestaltungen zu und versucht damit, der Versorgung des überlebenden Gatten gerecht zu werden. Dieser Weg wird im weiteren nicht beschritten. Vielmehr wird versucht, die Versorgung des Überlebenden aus einer Perspektive her zu erfassen, die in der bisherigen rechtsdogmatischen Diskussion weniger im Mittelpunkt des Interesses stand. Es ist dies die Perspektive, die die Versorgung des Überlebenden mit dem Aspekt des unter-

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Kap. 10: Einleitung zum zweiten Teil

nehmerischen Risikos verknüpft. Anders gesagt: Soll die Versorgung des Überlebenden von der Ertragslage des vererbten einzelkaufmännischen Unternehmens abhängen und damit bei einem ungünstigen Gewinnverlauf auch einmal ausfallen? Oder soll versucht werden, den Ehegatten – soweit, wie dies wirtschaftlich machbar ist – unabhängig von der Prosperität des Unternehmens versorgt zu sehen? Auf diese beiden Fragen wird im weiteren versucht, durch die Skizze zweier Versorgungsvarianten eine Antwort zu geben, anhand derer die Versorgungsgerechtigkeit – anders gesagt: der Versorgungstauglichkeit – einer jeden Lösung überprüft werden kann. Wenn die Versorgung an die wirtschaftliche Entwickung des Unternehmens gekoppelt ist, ist weiter zu überlegen, ob das hiermit verbundene Risiko für den Überlebenden nicht aufgefangen werden kann. Dies ist ein bisher dogmatisch stark vernachlässigtes, gleichwohl aber äußerst reizvolles und unter Versorgungsgesichtspunkten sehr wichtiges Gebiet rechtlicher Gestaltung. Es wird daher mit im Mittelpunkt der weiteren Überlegungen stehen. a) Risikoaverse Versorgungsinstrumente In der einen Versorgungsvariante ist dem Erblasser daran gelegen, daß der andere Teil nicht an dem unternehmerischen Risiko teilhabt. Er möchte ihn daher durch eine festgesetzte Leibrente gesichert sehen. Dieser Schutz vor dem unternehmerischen Risiko ist nicht nur Chance, sondern zugleich selbst wieder Risiko, indem der überlebende Teil an einer prosperierenden Entwicklung des Unternehmens nicht ohne weiteres durch eine entsprechende Erhöhung seiner Rente teil hat. Die Versorgung des Ehegatten kann deshalb bei der ersten Variante einer möglichen Versorgung in Anlehnung an einen Sprachgebrauch der ökonomischen Analyse7 als „risikoavers“ bezeichnet werden. Mit „Risikoaversion“ wird gemeinhin ein Verhalten bezeichnet, bei dem der Handelnde die hohen Risiken scheut, mit denen das eine Handeln verbunden ist, und daher ein anderes Handeln vorzieht, bei dem das Handlungsrisiko geringer und für ihn daher akzeptabler ist. Eine risikoaverse Versorgung ist wiederum in zwei Ausgestaltungen möglich. In der ersten Ausgestaltung wird dem Ehegatten nur ein Leibrentenvermächtnis ausgesetzt ohne dingliche Sicherung dieser obligatorischen Verpflichtung des Erben. In der zweiten Ausgestaltung wird dem Ehegatten zusätzlich zur Leibrente in Vollzug eines darauf gerichteten Vermächtnisses eine dingliche Sicherung eingeräumt. Beiden Gestaltungen ist gemein, daß der Erblasser auf die Art und Weise des unternehmerischen Handelns des Erben keinerlei rechtlich abgesicherten Einfluß hat. 7 Siehe etwa Adams, Ökonomische Analyse des Zivilprozesses, 66 ff., 93 ff.; ders., Ökonomische Analyse der Gefährungs- und Verschuldenshaftung, 210 f.; sowie grundlegend Kenneth J. Arrow, Essays in the Theory of Risk Bearing, 29 f.

§ 23 Die Versorgung des Überlebenden im Unternehmensbereich

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b) Risikopartizipative Versorgungsinstrumente In der zweiten Versorgungsvariante nimmt der überlebende Teil hingegen am unternehmerischen Risiko teil und partizipiert zu einer bestimmten Quote am unternehmerischen Gewinn. Die Versorgung ist insofern nicht nur Risiko, sondern – gegenüber der ersten Variante nur spiegelverkehrt – auch Chance, indem der Ehegatte an einer prosperierenden Entwicklung des Unternehmens ohne weiteres teil hat. Die Versorgung des überlebenden Teils kann in dieser zweiten Variante insofern als „risikopartizipativ“ bezeichnet werden. Nun kann der Erblasser die mit der Risikopartizipation für seinen Ehegatten verbundenen Risiken in gewisser Weise dadurch auffangen, daß er das unternehmerische Handeln seines Erben zum Teil oder zur Gänze unter die Handlungsmaxime stellt, eine angemessene Versorgung des überlebenden Teils auch bei den jeweils anstehenden unternehmerischen Entscheidungen von Investition und Konsum zu berücksichtigen. Dem Erblasser kann bsp. daran gelegen sein, daß der Erbe seines Personengesellschaftsanteils innerhalb der unternehmenstragenden Personengesellschaft im Rahmen des gesellschaftsrechtlich Zulässigen darauf drängt, die Gesellschaftspolitik versorgungsadäquat auszugestalten, etwa durch eine entsprechende Art und Weise der Ausübung des Stimmrechts. Entsprechendes gilt für ein einzelkaufmännisches Unternehmen. Hier kann beispielsweise der Erblasser wollen, daß weitreichende kapitalintensive und erst vermutlich nach dem Tode des überlebenden Teils profitable Investitionen nicht zu Lebzeiten des Ehegatten getätigt werden, wenn das Unternehmen dies ohne größeren Nachteil verkraften kann. Auch die Bilanzpolitik des Unternehmens kann von dem Erben-Unternehmer durchaus so ausgestaltet werden, daß die Bilanzierung der Geschäftsvorgänge nur zu seinem, nicht jedoch auch zum Vorteil des Überlebenden gereicht. Durch derlei Maßnahmen kann der Unternehmer erreichen, daß der Gewinn des Unternehmens bilanziell geringer ausfällt, so daß – falls der Ehegatte mit einer Quote an dem Gewinn beteiligt ist – entsprechend die Versorgung des Überlebenden negativ betroffen ist. Hier gilt es, dem Überlebenden ein gewisses Maß an Einflußnahmemöglichkeiten zu verschaffen. Die Risiken einer risikopartizipativen Versorgung können abgefedert werden, indem der überlebende Teil durch eine bestimmte Pflichtenstellung des Erben hinsichtlich dessen unternehmerischen Handelns gesichert ist. Dieses Handeln wird – so kann man sagen – „versorgungsgerecht“ ausgerichtet und unter die „Aufsicht“ des Ehegatten gestellt. Die Frage liegt natürlich auf der Hand, wie dies im einzelnen geschehen soll. Die Beantwortung dieser Frage steht im Mittelpunkt der weiteren Überlegungen.

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c) Risikopartizipative Versorgung insbesondere beim einzelkaufmännischen Unternehmen Ein „Aufsichtsinstrument“ der gerade skizzierten Art läge beispielsweise vor, wenn dem Überlebenden ein rechtliches Werkzeug zur Hand gegeben wird, mit dem er bsp. die Bilanzpolitik des Unternehmens beeinflussen kann, falls diese eindeutig die Grenzen des versorgungsmäßig Erträglichen übersteigt. Betriebswirtschaftlich gesehen ginge es um eine rechtlich abgesicherte normative Steuerung des dispositiven Faktors der betrieblichen Produktionsfaktoren8, für den sich zunehmend der Begriff „Management“ eingebürgert hat. Einfach gesagt: Dem Überlebenden soll – als Beispiel – ein rechtlich abgesicherter Einfluß auf die Managemententscheidungen eingeräumt werden, damit er für seinen gehörigen Unterhalt auch dort Sorge tragen kann, wo etwa eine auf eine langfristige Unternehmensentwicklung setzende Unternehmensleitung in der Gegenwart eher auf Gewinnverzicht durch Thesaurierung plädieren würde. Das Beispiel zeigt, worum es geht: Es gilt, die betriebswirtschaftliche Zielfunktion einer marktwirtschaftlich orientierten Unternehmung von einer langfristigen Gewinnorientierung auf eine Gewinnorientierung umzustellen, die auch den Interessen des Überlebenden Rechnung trägt. Je nach dem Interesse des Erblassers kann diese Gewinnorientierung ausschließlich oder teilweise auf die Versorgung des Ehegatten gerichtet. Ist sie ausschließlich auf die Versorgung gerichtet, muß der Unternehmer für eine Gewinnmaximierung zu Lebzeiten des überlebenden Teils sorgen, ohne auf langfristige Renditeinteressen Rücksicht nehmen zu können. Bei einer nur teilweise der Versorgung des Überlebenden dienenden Unternehmung ist die Unternehmenspolitik dann während der Lebenszeit des Ehegatten von einer gemischt mittel- und langfristig ausbalancierten maximalen Gewinnschöpfung geprägt9. Die gerade beschriebenen Gewinnausrichtungen stellen insofern das neue Leitziel der strategischen Unternehmensführung bereit. Es liegt auf der Hand, daß eine derartige Unternehmensstrategie durchweg nur bei dem einzelhandelskaufmännischen Unternehmen eine durchsetzungsmächtige Rolle spielen wird, da bei den Personengesellschaft schon das Eigeninteresse der anderen Gesellschafter einer strikt versorgungsgerechten Ausrichtung des gesamten Unternehmens Grenzen setzen wird. Dennoch steht dem Erblasser – wie noch gezeigt werden wird – auch bei 8

Dazu nur Wöhe, Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 97 ff. Insofern geht es hier nicht darum, daß im Rahmen des betrieblichen „Zielsystems“ (dazu Bamberg/Coenenberg, Betriebswirtschaftliche Entscheidungslehre, 25 ff.) das Ziel der Ehegattenversorgung in seiner Gewichtung als ein Ziel unter anderen, also als Nebenbedingung zur Haupt-Zielfunktion der Gewinnmaximierung, austariert wird, sondern um die Veränderung der auf langfristige Gewinnmaximierung angelegten Zielfunktion selbst. 9

§ 23 Die Versorgung des Überlebenden im Unternehmensbereich

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einer Personengesellschaftsbeteiligung ein Instrumentarium zur Hand, mit dem er eine risikopartizipative Versorgung seines anderen Gatten mit einer gewissen „Aufsicht“ über die Ausübung der Mitgliedschaftsrechte des Erben-Personengesellschafters koppeln kann. Falls der Nachfolger in die Stellung des Unternehmers zu den gemeinschaftlichen Abkömmlingen der Gatten gehört, wird dem Versorgungsanliegen des überlebenden Teils oftmals schon durch die zwischen ihm und dem Erben-Abkömmling bestehenden affektiven Beziehungen, durch die in der Generationenfolge tradierten Normen und den vom Erben-Abkömmling zumeist respektierten Wunsch des Erblassers, Solidarität in der Gatten-Beziehung über den Tod hinaus zu zeigen, hinreichend Rechnung getragen und insofern die Unternehmenspolitik der risikopartizipativen Versorgung sachgerecht angepaßt werden. Indem der Erblasser die risikopartizipative Versorgung mit diversen, unten noch näher zu diskutierenden Instrumentarien koppelt, mittels derer der Überlebende auf die Unternehmenspolitik einen auch rechtlich gesicherten Einfluß erhält, verschafft er dem Versorgungsanliegen des überlebenden Teils ein sehr viel stärkeres Gewicht, als er dies würde, wenn er einzig auf familiare Solidarität und affektive Verbundenheit bauen würde. Freilich kann er dies auch nur um eines gewissen, in der unternehmensrechtlichen Literatur zumeist nicht näher aufgegriffenen Preises. Denn die familieninterne, auf das Unternehmen bezogene Kommunikation unterscheidet sich von den Entscheidungsroutinen herkömmlicher Organisationen durchweg. Die familiare Weise des Umgangs zwischen den Familienmitgliedern prägt auch das Gebaren innerhalb der Unternehmensleitung – und zwar selbst dann, wenn diese allein in der Hand eines Familienmitglieds liegt10, da über das Familienunternehmen selbstverständlich auch in dem Fall innerhalb der Familie gesprochen wird, wenn das Unternehmen nur einem Familienmitglied gehört. Verschafft der Erblasser dem überlebenden Teil eine rechtlich gesicherte Mitbestimmung in der Unternehmensleitung, besteht die Gefahr, daß die familiare Kommunikation verrechtlicht wird – mit all den negativen Folgen, die dies für affektive Primärbeziehungen mit sich bringen kann, wie etwa ihr Zerbrechen11. 2. Die unternehmerische Befähigung des Ehegatten als Richtschnur der Gattenversorgung: Ein analytisches Schema

Bei den bisherigen Überlegungen ist davon ausgegangen worden, daß es sinnvoll ist, eine risikopartizipative Versorgung des überlebenden Teils unter Umständen mit einer Einflußnahmemöglichkeit des Überlebenden auf 10

Siehe etwa bezogen auf Konfliktsituationen Voigt, Familienunternehmen, 116. Siehe zu Problemen der Verrechtlichung sozialer Beziehungen nur Goebel, Zivilprozeßrechtsdogmatik und Verfahrenssoziologie, 133 ff. m.w. zahlr. Nachw. 11

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die unternehmerische Politik des einzelkaufmännischen Erben-Unternehmers oder des Erben-Personengesellschafters zu koppeln. Mit dieser Kopplung würden die Schwäche, die einer risikopartizipativen Versorgung immanent ist (nämlich die Schwäche, aufgrund einer nichtversorgungsgerechten Unternehmenspolitik nicht gehörig versorgt zu sein), wenigstens teilweise aufgefangen, und die Chancen, die mit einer derartigen Versorgung gleichfalls verknüpft sind (nämlich die Chance, an einer prosperierenden Unternehmensentwicklung Anteil zu haben), zumindest partiell erhöht. Wenn jemand auf die Leitung eines Unternehmens Einfluß ausüben kann, sollte er idealiter je nach dem Maß der Einflußnahme seine wirtschaftlichen Entscheidungen überblicken und hinterfragen können. Anders gesagt, sollte der einflußnehmende Teil zu einem hinreichenden Maße unternehmerisch befähigt sein. Von dem überlebenden Ehegatten kann nicht immer behauptet werden, ihm sei diese Fähigkeit gegeben. Ein wirtschaftlich vernünftig denkender Erblasser wird deshalb sinnvollerweise das Maß der seinem Gatten zugestandenen unternehmerischen Einflußnahmemöglichkeiten an das Maß der unternehmerischen Fähigkeiten des anderen Teils ketten. Vor diesem Hintergrund sollen die weiteren Überlegungen dazu dienen, ein analytisches Schema der Ehegattenversorgung im Unternehmensbereich zu entwerfen, welches diese Verkettung einsichtig macht. Bei diesem Schema gilt es zu beachten, daß es analytisch ist. Es konzipiert wünschenswerte Einflußnahmemöglichkeiten des Ehegatten und bringt diese in einen Zusammenhang mit seinen unternehmerischen Fähigkeiten, ohne zuvor darauf zu achten, ob die Einflußnahmemöglichkeiten auch tatsächlich rechtlich zulässig sind. Die Frage nach dem rechtlich Zulässigen gilt es ja erst noch zu beantworten – was erst durchführbar ist, wenn zuvor die richtigen Fragen formuliert sind. Hierzu soll das analytische Schema dienen. Bei der risikopartizipativen Versorgung muß der Erblasser sich nach all dem überlegen, welches Bild von den unternehmerischen Fähigkeiten des überlebenden Teils er seinen letztwilligen Gestaltungen zugrundelegen will. Er kann die unternehmerischen Fähigkeiten seines Gatten als sehr gering, als gemischt schwach-stark oder als stark einschätzen. Diesen unterschiedlich ausgeprägten unternehmerischen Fähigkeiten des überlebenden Teils entspricht eine je verschieden rechtlich institutionalisierte Pflichtenstellung des unternehmerisch Tätigen. Einem unternehmerisch schwachen Ehegatten korreliert eine versorgungsgerecht ausgerichtete Pflichtenstellung des jeweiligen Unternehmensträgers. Der Erblasser muß mithin nach rechtlichen Instrumentarien suchen, die für den Fall der Unternehmensveräußerung es ermöglichen, daß die versorgungsgerecht orientierte Pflichtenstellung auf den Erwerber übergeht. Wie er dies sichern kann, bleibt den späteren Ausführungen vorbehalten, da es hier ja zuerst nur darum geht, ein analytisches Schema der Ehegattenversorgung im Unternehmensbereich zu gewinnen. Schätzt der Erblasser den anderen Teil hingegen als unternehmerisch stark

§ 23 Die Versorgung des Überlebenden im Unternehmensbereich

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ein, kann er ihm einen größeren Einfluß auf wichtige unternehmerische Entscheidungen einräumen und ihm zudem zutrauen, im Fall der Unternehmensveräußerung oder des Ablebens des Erben-Abkömmlings seine Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen. Voraussetzung ist nur, daß der Ehegatte gegenüber Nachfolgern in die Unternehmensträgerschaft ein Recht am Unternehmen entgegensetzen kann und er insofern „dinglich“ gesichert ist. Bei einem unternehmerisch mittelmäßig begabten Gatten muß der Erblasser schließlich einen Mittelweg zu beschreiten versuchen, bei dem dem Überlebenden ein gewisser Einfluß auf das Unternehmen über die versorgungsgerechte Pflichtenstellung des Unternehmers hinaus gewahrt bleibt. Kurz gesagt: Desto geringer die unternehmerischen Fähigkeiten des überlebenden Teils sind, desto weniger soll er selbst in die Geschicke des Unternehmens eingreifen dürfen und desto stärker muß die Unternehmenspolitik durch normative Vorgaben (etwa durch eine Pflichtenstellung des Unternehmers) auf eine gehörige Versorgung ausgerichtet sein. Bei allen Varianten kann dem Erblasser schließlich daran gelegen sein, auf ein durch das Gesetz bereitgestelltes „Regelungspaket“ zuzugreifen, um den Mühen einer rechtsgeschäftlichen Ausgestaltung im einzelnen zu entgehen. Insofern gilt es als Leitlinie des zweiten Teils der Untersuchung, die beiden Aspekte des Risikozuschnitts der Versorgung post mortem (risikoavers oder risikopartizipativ) und der graduell abgestuften unternehmerischen Handlungskraft des überlebenden Teils aufeinander zu beziehen und ihnen jeweils verschiedene Modi versorgungsgerechter Gestaltungsformen zuzuordnen12. Der Ehegatte erhält bei den risikopartizipativen Versorgungsvarianten ein gewisses Maß an Einflußnahme auf die Unternehmensführung. Er wäre demnach zumindest dann als (Mit-)Unternehmer zu bezeichnen, wenn unter einem Unternehmer derjenige verstanden wird, der darüber entscheidet, mit welchen Zielsetzungen und in welcher Weise ein Unternehmen wirtschaftlich tätig wird13. Um jedoch nicht mißverstanden zu werden: Bei einer risikopartizipativer Gestaltung liegt das eindeutige Schwergewicht der unternehmerischen Entscheidung unzweideutig auf der Seite des Erben; der Ehegatte wird auf eine eher kontrollierende Funktion beschränkt, wie die folgenden Überlegungen zeigen werden. Eine (Mit-)Unternehmerstellung des Ehegatten scheidet damit aus.

12 Insbesondere steht hier nicht zur Debatte, quasi handbuchartig das Gesamtspektrum möglicher Versorgungsformen von Todes wegen aufarbeiten zu wollen. 13 So etwa Fasselt, Nachfolge, Rn. 2.

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Kap. 10: Einleitung zum zweiten Teil 3. Die Versorgungsinteressen des Überlebenden: Ein weiteres analytisches Schema

Will der Erblasser eine gehörige Versorgung seines Gatten bewerkstelligen, wird ihm daran gelegen sein, Risiken, die bei der Versorgung auftreten können, wenigstens teilweise zu minimieren. Die Versorgungsrisiken des überlebenden Teils liegen im Haftungsbereich, im Bereich der Unternehmensführung und in der Sicherung des rentenmäßigen Finanzflusses im Fall der Unternehmensnachfolge. Auch hier steht ein analytisches Schema zur Debatte, welches die Versorgungsinteressen des überlebenden Teils transparent macht. Dessen Interessen können auf eine Gestaltung der Unternehmensnachfolge gerichtet sein, die rechtlich nicht möglich ist. Dennoch ist es sinnvoll, diese rechtlich nicht schützbaren Interessen zuvor zu skizzieren. Denn wiederum gilt es, die richtigen Fragen zu stellen, um den Interessenschutz soweit wie möglich ausloten zu können. a) Die Haftung des überlebenden Ehegatten Der Erblasser möchte durchweg, daß der überlebende Teil vor einer Haftung gegenüber den Geschäftsgläubigern soweit verschont bleibt, wie dies rechtlich zulässig und wirtschaftlich angängig ist. Dieses Interesse an einer Haftungsverschonung ist in dreierlei Arten ausgeprägt. Einmal soll der überlebende Gatte nicht mit seinem Privatvermögen für unternehmerische Schulden haften. Dieses Interesse wird im folgenden als sog. „unternehmensbezogener Haftungsschutz“ bzw. „unternehmensbezogenes Haftungsverschonungsinteresse“ bezeichnet. Daneben wünscht der Erblasser, daß es dem Überlebenden möglich sein soll, denjenigen Teil des Unternehmensertrages, auf dessen Ausschüttung sein Anspruch gerichtet ist, dem Zugriff sonstiger Gläubiger des Unternehmers so weitgehend zu entziehen, daß seine Versorgung gesichert bleibt. Bei einigen der risikoaversen Versorgungsmodi werden sich ihm hierfür durchaus Chancen eröffnen, wie noch gezeigt werden wird. Bei den risikopartizipativen Ehegattenversorgungen kommt es jedoch – soviel sei das Ergebnis schon hier vorweggenommen – nicht in Betracht, daß der Überlebende den ihm gebührenden Teil am Unternehmensgewinn dem Zugriff der Gläubiger des Unternehmens vorenthalten kann. b) Unternehmensführung Der Erblasser wird oftmals ohne nähere rechtliche Vorgaben die Unternehmensführung von Todes wegen seinem Nachfolger guten Vertrauens überlassen, daß dieser das Unternehmen so führt, daß sowohl der Bestand des Unternehmens als auch eine gehörige Versorgung des anderen Gatten

§ 23 Die Versorgung des Überlebenden im Unternehmensbereich

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gesichert bleibt. Es war schon die Rede davon14, daß dem Erblasser aber auch daran gelegen sein kann, dem überlebenden Gatten eine Einflußnahme auf die Unternehmensführung zu geben, damit er seine gehörige Versorgung sichern kann. In diesem Fall soll der überlebende Teil vor dem in der Person des unternehmerisch tätigen Erben liegenden Risiko geschützt sein, daß sich dieser einer prosperierenden Entwicklung des Unternehmens zu Lebzeiten des Überlebenden abgeneigt zeigt und hierdurch die Rendite vermindert. Der Erbe kann bsp. das Unternehmen einstellen oder restrukturieren wollen, weil das ererbte Unternehmen im derzeitigen Zuschnitt wirtschaftlich nicht gesund ist. Dem Interesse des Ehegatten steht dies dann nicht entgegen, wenn dadurch sein erzielbarer Ertrag optimiert und Marktrisiken vermindert werden. Steht das Unternehmen freilich schon zur Zeit des Erbfalls ohne Aussicht auf Sanierung auf tönernden Füßen, wird demgegenüber schon eine risikopartizipative Versorgung als solche nicht die angemessene Versorgungsform darstellen. Wie dem auch sei, der Erblasser ist an einer – hier noch nicht näher beschriebenen – Pflicht des Erben-Unternehmers interessiert, das Unternehmen auf – hier ebenfalls noch sehr unscharf umrissenen – „ansehnlichen“ Gewinn bedacht zu führen. Bei der Personengesellschaft müßte der Erben-Personengesellschafter entsprechend seine Gesellschafterstellung versorgungsgerecht ausüben. Das wirtschaftliche Risiko, überhaupt einen Ertrag zu erwirtschaften, bleibt dabei natürlich bestehen. Bei den risikopartizipativen Versorgungsvarianten geht es das Interesse des Erblassers und das des Überlebenden denn auch nur darum, die Unternehmenspolitik, mit der der Ertrag erwirtschaftet wird, versorgungsgerecht auszugestalten. Kurz gesagt: Das Interesse geht auf eine „versorgungsgerechte Unternehmenspolitik“. Mit diesem Schlüsselbegriff wird im weiteren der Gegenstand des gerade skizzierten Interesses umrissen. Der Erblasser wird sein Augenmerk jedoch nicht nur auf dieses Interesse des überlebenden Teils richten. Er wird auch die Situation in seine Überlegungen einbeziehen, daß sich – beim einzelkaufmännischen Unternehmen – der Unternehmensträger aufgrund Veräußerung des Unternehmens durch den Erben-Unternehmer oder aufgrund dessen Versterbens ändert oder daß – bei der Personengesellschaft – in der Person des Gesellschafters Veränderungen eintreten. In diesem Fall der Nachfolge in die Unternehmerstellung des Erben-Unternehmes kann dem Erblasser bei risikopartizipativen Versorgungsgestaltungen daran gelegen sein, daß auch der Unternehmenserwerber oder der neue Personengesellschafter auf eine versorgungsgerechte Unternehmenspolitik verpflichtet ist. Diese Verpflichtung soll gleichsam an das Unternehmen oder den Anteil selbst gebunden sein. Anders gesagt, soll die Verpflichtung, einen versorgungsgerechten Ertrag zu erwirtschaften oder die Rechte des Personengesellschafters entsprechend auszuüben, nicht nur 14

Oben § 23 II 1 b, c.

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Kap. 10: Einleitung zum zweiten Teil

schuldrechtlich dem Erben-Unternehmer auferlegt sein, sondern als dingliche Pflicht oder – in anderem Sprachgebrauch – subjektiv-dingliche Pflicht bzw. Realobligation15 auch gegenüber dem jeweiligen Unternehmensnachfolger oder Anteilserwerber wirken. Eine versorgungsgerechte Unternehmenspolitik soll mithin auch in der Unternehmersukzession gesichert sein. Insofern soll im weiteren von einem „Versorgungsschutz in der Unternehmernachfolge“ gesprochen werden. Bei der Unternehmernachfolge wird dem Erblasser zudem daran gelegen sein, daß der überlebende Teil weiterhin auf den Ertrag zugreifen kann. Dies ist dann möglich, wenn der Überlebenden von dem jeweiligen Unternehmer – sei es der Einzelkaufmann, sei es der Personengesellschafter – die Auskehrung des ihm zukommenden Ertrags verlangen kann. Anders gesagt muß so etwas wie eine „dingliche Ertragszuordnung“ gewährleistet sein. c) Die Relevanz ökonomischer Rationalität in einem personfunktionalen Erbrecht Es wird sich im weiteren zeigen lassen, daß das rechtliche Instrumentarium, mit dem das gerade beschriebene Projekt, eine versorgungsgerechte Unternehmenspolitik generell und in der Unternehmernachfolge zu sichern, ins Werk gesetzt werden kann, dem Nießbrauchs- und dem Testamentsvollstreckerrecht entstammt. Dem Unternehmer wird quasi ein Nießbraucher oder ein Testamentsvollstrecker „vor die Nase gesetzt“. Nun wird mancher einwenden wollen, das hiesige Vorhaben sei durchweg kein tauglicher Ansatzpunkt, um den Ehegatten versorgungsgerecht angemessen abzusichern, da eine versorgungsgerechte Unternehmenspolitik nach einer gewissen „Aufsicht“ über unternehmerische Entscheidungen verlange, die mit Blick auf das für eine prosperierende Unternehmung erforderliche weite unternehmerische Ermessen wirtschaftlich nicht sinnvoll sei. Zudem setzt eine „Aufsicht“ des Ehegatten über die unternehmerische Politik voraus, daß in das einzelkaufmännische Unternehmen eine Unternehmungsverfassung implementiert wird, bei der mehrere Personen (der Unternehmer und der an seiner gehörigen Versorgung interessierte Ehegatte) sich über die rechte Unternehmenspolitik verständigen müssen. Ähnlich würde in die Personengesellschaftsbeteiligung eine Struktur eingezogen, mit der der überlebende Teil die Ausübung der mit der Mitgliedschaft verbundenen Gesellschafterrechte beeinflussen kann. 15

Vgl. zur Begrifflichkeit nur Dimopoulos-Vosikis, AcP 167 (1967), 515 (519 f.). Ohne Belang ist, ob derartige Pflichtigkeiten als „dingliche Pflicht“ bezeichnet werden. Relevant ist nur, ob mit dem dinglichen Rechtsinstitut die beschriebenen Interessen befriedigt werden, mögen die Mechanismen der Interessenbefriedigung denn auch anders als „dingliches Recht“ benannt werden.

§ 23 Die Versorgung des Überlebenden im Unternehmensbereich

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Der Vorhalt, der dem damit avisierten Vorhaben, das Nießbrauchs- und Testamentsvollstreckerrecht in Richtung einer Mitsprachemöglichkeit des Ehegatten über die unternehmerische Politik dezidiert auszubauen, gemacht werden kann, liegt dann auf der Hand: Ein derartiges Projekt sei ein Signal in eine ganz und gar falsche Richtung, baue es doch in die interne Verfassung des Unternehmens ein geradezu eminentes Streitpotential ein und lege damit den Grundstein für seine Zerstörung aus sich selbst heraus. Aus einer rein betriebswirtschaftlichen Sicht mag man dies durchaus so sehen und auf rechtliche Möglichkeiten nachsinnen, den Einfluß des überlebenden Ehegatten auf das weitere Schicksal des Unternehmens möglichst klein zu halten. Der Erblasser kann jedoch als Ausdruck seiner personfunktionalen Testierfreiheit auch anders werten. Oftmals wird er gleichwohl den Vorgaben eines ökonomisch-rationalen Denkens folgen und von dieser Warte aus den Einfluß des Überlebenden auf die Unternehmenspolitik kritischer beurteilen. Wenn er sich aber für eine risikopartizipative Versorgung entscheidet und diese mit einer Einflußnahme des anderen Gatten auf die Unternehmenspolitik koppelt, wird er sich von dieser Kopplung versprechen, daß die für den überlebenden Ehegatten sowohl risiko- als auch chancenreiche Risikopartizipation in ihren Risiken abgefedert wird. Hierbei mag der Erblasser in Kauf nehmen, daß seine Gestaltung tendenziell streitfördernd wirken kann. Oftmals wird nach seiner Einschätzung dieses Streitrisiko aber bsp. aufgrund der sozialen Beziehungsstruktur der Familie beherrschbar oder angesichts der ökonomischen Realität der Unternehmung hinnehmbar erscheinen. Und im Nachhinein mag sich herausstellen, daß die Einschätzung des Erblassers wohl etwas zu optimistisch gewesen ist. Gleichwohl sollte nicht all dies zum Anlaß genommen werden, dem Erblasser von vornherein eine Gestaltung zu verwehren, bei der er eine risikopartizipative Versorgung mit dem Gedanken verbinden kann, daß der andere Gatte die Unternehmensführung beeinflußt. Die Implementation einer derartigen Gestaltung in das Unternehmen wäre eine erblasserische Entscheidung, die in der Perspektive ökonomischer Lehren rational sein mag oder nicht. Rechtlich ist dies im Kontext eines personfunktional verstandenen gewillkürten Erbrechts ohne jeden Belang. Denn würde von vornherein nicht weiter dogmatisch untersucht, ob, inwieweit und mit welchen Instrumentarien eine Einflußnahme des Ehegatten auf die Unternehmenspolitik möglich ist, weil dies prima vista nicht sinnvoll erscheint, würde implizit die Sinnhaftigkeit erblasserischer Entscheidungen von sehr gewichtigen Systemimperativen abhängig gemacht, nämlich denen des Wirtschaftssystems. Gerade darin würde sich aber die Überwältigung des „Seins zum Tode“ widerspiegeln, dem das gewillkürte Erbrecht seine personfunktionale Ausrichtung entgegensetzt16. Einem Denken allein in wirtschafts- und unternehmensrechtlichen Kategorien bleiben derartige Zusammenhänge verschlossen. Erst ein Wechsel in eine genuin erbrechtliche Perspektive läßt

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die Wertungen in den Blick kommen, anhand derer das Recht auch diejenigen erblasserischen Entscheidung für richtig und sachgerecht hält, die ökonomisch weniger überzeugen könnten. d) Zusammenfassung Dem Erblasser kann daran gelegen sein, hinsichtlich der Versorgung des überlebenden Teils folgende Interessen des Ehegatten gewährleistet zu sehen. Ob diese Interessen rechtlich geschützt sind und wie sie rechtlich geschützt werden können, ist dabei noch nicht geprüft, da es sich nur um eine Auflistung der Gatteninteressen in analytischer Absicht handelt. Es wird sich im weiteren durchaus zeigen, daß einzelne Interessen letztlich in einigen Fallgestaltungen nicht geschützt werden können. Analytisch bleiben folgende Interessen des überlebenden Ehegatten festzuhalten: – ein Schutz des Überlebenden vor einer Haftung für Unternehmensschulden; – seine Partizipation an einem Teil des unternehmerischen Ertrags ohne Zugriffsmöglichkeiten der Unternehmensgläubiger auf diesen Ertrag; – ein Schutz des Überlebenden vor einem Zugriff seiner Eigengläubiger auf den Teil des Unternehmensertrags, an dem er versorgungsweise partizipiert; – ein Schutz dahingehend, daß der einzelkaufmännische Erben-Unternehmer sein Unternehmen versorgungsgerecht führt oder daß der Erben-Personengesellschafter seine Gesellschafterrechte versorgungsgerecht wahrnimmt; – einen Versorgungsschutz in der Unternehmernachfolge. Hierunter fällt zum einen das Interesse des Gatten, daß der jeweilige einzelkaufmännische Unternehmer sein Unternehmen versorgungsgerecht führt oder daß der jeweilige Personengesellschafter seine Gesellschafterrechte versorgungsgerecht wahrnimmt. Zum anderen soll auch in der Unternehmernachfolge gesichert sein, daß der jeweilige einzelkaufmännische Unternehmer oder der jeweilige Personengesellschafter einen Teil des Ertrags des Unternehmens an den Überlebenden auskehrt. In dieses Interessenspektrum werden im folgenden die jeweiligen Gestaltungsvarianten eingespannt und von dieser Warte her das Maß der bereitgestellten Versorgungsgerechtigkeit der jeweiligen Gestaltung untersucht.

16 Dazu oben § 2 und Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 9 III, § 9 IV, § 11 VII.

§ 23 Die Versorgung des Überlebenden im Unternehmensbereich

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4. Gewichtungen in den weiteren Gedankengängen

Wenn der Erblasser-Unternehmer seinen Gatten dazu befähigt hält, unternehmerisch voll und ganz tätig zu sein, also etwa als Einzelkaufmann am Markt aufzutreten, kann er den überlebenden Teil selbstverständlich zum Erben seines einzelkaufmännischen Unternehmens bestellen oder – soweit dies gesellschaftsrechtlich möglich ist – zur Nachfolge in die personengesellschaftliche Mitgliedschaft vorsehen. Auch kann er etwa Vorerbschaft seines Gatten mit Nacherbschaft der Abkömmlinge anordnen – eine Gestaltung, die oftmals relevant wird, wenn noch minderjährige und deshalb zur Nachfolge in die Unternehmensträgerschaft noch ungeeignete Kinder oder volljährige Abkömmlinge vorhanden sind, die sich noch in der Ausbildung befinden17. Wenn die Nacherbschaft unter der auflösenden Bedingung angeordnet ist, daß der Vorerbe einen der Nacherben zu seinem Erben einsetzt, kann der Überlebende aus dem Kreis der Nacherben den ihm geeignet erscheinenden Unternehmensnachfolger auswählen. Der Vorerbe wird mit dem Eintritt der Bedingung unbeschränkter Vollerbe. Gegebenfalls kann er den Betrieb schon zu Lebzeiten dem Nachfolger übergeben. Das Beispiel zeigt, daß vielfältigen Regelungsmotiven18 ebenso vielfältige inhaltliche Gestaltungen der Verfügungen von Todes wegen entsprechen, die die Kautelarjurisprudenz mittlerweile erarbeitet hat. Ein Teil dieser Gestaltungsmöglichkeiten wird besprochen, soweit das Sachproblem zur Rede steht, wie bei dem frühzeitigem Tode des Unternehmers der richtige Unternehmernachfolger ausgewählt werden kann. Soweit hingegen die Versorgung des überlebenden Teils thematisiert wird, wird im weiteren nicht davon ausgegangen, daß der Erblasser dem anderen Gatten eine Nachfolge in das einzelkaufmännische Unternehmen oder in die Mitgliedschaft als Erbe verschafft. Denn erbt der Ehegatte die Unternehmerstellung, wird für seinen Unterhalt schon durch diese Stellung hinreichend Vorsorge getroffen sein. Im weiteren stehen daher hinsichtlich des Versorgungsproblems nur Lebenssachverhalte in Rede, bei denen der Erblasser seinen anderen Gatten nicht für befähigt hält, das einzelkaufmännische Unternehmen allein zu leiten oder die personengesellschaftliche Mitgliedschaft selber auszufüllen. In diesem Falle wird der Erblasser dem Überlebenden durchweg mittels Vermächtnisse zu einer sachgerechten Versorgung verhelfen. Vermächtnislösungen stehen deshalb bei der Versorgungsfrage im Mittelpunkt der weiteren Überlegungen.

17 Zu derartigen Fallgestaltung siehe etwa Langenfeld, Testamentsgestaltung, Rn. 481. 18 Als Überblick über typologisch erfaßte Erblassermotivationen siehe nur Nieder, Handbuch der Testamentsgestaltung, Rn. 1022 ff., 1058 ff.

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Kap. 10: Einleitung zum zweiten Teil

III. Zivilrechtliche Gestaltung und steuerrechtliche Vorgaben In die Untersuchung sind steuerrechtliche Aspekte bewußt nicht einbezogen worden. Dies hat zweierlei Gründe. Einmal sollte der „Fetisch ,Steuerersparnis‘ “19 für den letztwillig Verfügenden nicht die alleinige Richtschnur der Wahl einer zivilrechtlichen Gestaltung sein20. Obwohl in der kautelarjurisprudentiellen Praxis selbstverständlich der Gesichtspunkt der Steuerersparnis besonders prominent hervorgehobenen wird, sollte dieser Aspekt dennoch nicht als Leitmaxime der zivilrechtlichen, eine Nachfolge von Todes wegen regelnde Gestaltung dienen, weil eine derartige Konzentration auf einen primär wirtschaftlichen Aspekt dem personfunktionalen Blickwinkel widerstreiten würde, den diese Untersuchung als Leitmaxime des gewillkürten Erbrechts bisher herausgearbeitet hat. In dem Insistieren auf steuerrechtlichen Vorgaben als ein für die zivilrechtliche Gestaltung primär zu verfolgendes Ziel spiegelt sich ein Verständnis der Testierfreiheit als bloße Verlängerung der Eigentumsfreiheit wider und wird der Erblasser als bloßer Eigentümer rechtlich rekonstruiert und damit tendenziell von den Aspekten affektiver Verbundenheit, personaler Nähe und vernunftvergessener Irrationalität gesondert. Diese „vergessenen Seite“ der Testierfreiheit wird völlig eingeebnet, wenn die Steuerersparnis den zivilrechtlichen Instrumenten gleichsam als unverrückbares Datum der Gestaltung vorgegeben wird. Im Vordergrund des hiesigen Anliegens steht demgegenüber die Personalität des Erblassers, der sich der Entfaltung seines „Seins zum Tode“ auch in Ansehung seines Unternehmens oder seiner persongesellschaftlichen Mitgliedschaft stellen möchte. In dieser Perspektive gilt es, dem Erblasser einen ganzen Fundus von Gestaltungen anzubieten. Sind ihm die steuerrechtlichen Folgen einer konkreten Gestaltung nicht genehm, kann er diese immer noch ablehnen und anders verfügen. Es geht jedoch nicht an, das dogmatische Rüstzeug der Zivilrechtswissenschaft von vornherein auf steuerrechtliche Sachzwänge auszurichten, ohne zuvor den Gestaltungsreichtum auszuloten, den das moderne Zivilrecht dem Unternehmer-Erblasser bietet. Schließlich und endlich könnten steuerrechtliche Fragen auch nur rudimentär einbezogen werden, damit die Untersuchung nicht überlastet wird. Auch dies spricht dagegen, die im weiteren vorzustellenden Gestaltungen mit steuerrechtlichen Fragen anzureichern.

19 20

Nieder, Handbuch der Testamentsgestaltung, Rn. 1076. So auch dezidiert Nieder, Handbuch der Testamentsgestaltung, Rn. 1076.

Abschnitt 4

Die Ehegattenversorgung beim einzelkaufmännischen und beim freiberuflichen Unternehmen Kapitel 11

Risikoaverse Versorgungsmodi § 24 Risikoaverse Mittel zur Versorgung des Überlebenden I. Risikoaverse Versorgung des Ehegatten auf der Grundlage einer obligatorischen Leibrentenverpflichtung Falls der Erblasser dem überlebenden Teil vermächtnisweise eine Leibrente nach den §§ 759 ff. BGB aussetzt, kann der risikoaverse Ehegatte sich ohne weiteren Verwaltungsaufwand und ohne Teilhabe am unternehmerischen Risiko auf den Zufluß fester Beträge einstellen, die durch die letztwillig vorgesehene Bestimmung der Rentenhöhe durch einen Dritten – zumeist einen Testamentsvollstrecker – gem. § 2156 BGB oder durch eine testamentarische Wertsicherungsregelung in Form eines Leistungsvorbehalts, einer Spannungsklausel oder einer gem. § 2 Preisangaben- und Preisklauselgesetz genehmigungspflichtigen und im Vorfeld der letztwilligen Verfügung durch ein Negativattest der Landeszentralbanken absicherbaren Wertsicherungsklausel der Veränderung des Geldwertes und der Lebenshaltungskosten angepaßt werden kann1.2. Bei einer Leibrente sind nach ganz h. M. drei Komponenten zu unterscheiden: die schuldrechtliche Verpflichtung zur Leibrentenbestellung, die Bestellung des Leibrentenstammrechts als eines einheitlich nutzbaren Rechts sowie die Verpflichtung zu den einzelnen Rentenleistungen als Erträge des Leibrentenstammrechts3. Dement1 Einzelheiten zur Wertsicherung siehe bei Langenfeld, Testamentsgestaltung, Rn. 166 ff. 2 Zum Rentenvermächtnis siehe nur Langenfeld, Testamentsgestaltung, Rn. 164 ff. 3 Siehe etwa RGZ 67, 204 (208 ff.); 80, 208 (209); 91, 6 (7 f.); 106, 93 (95 f.); BGH, FamRZ 1991, 918; Palandt-Sprau, § 759 Rn. 1; Langenfeld, Testamentsgestaltung, Rn. 165; kritisch im Hinblick auf diese Konstruktion eines abstrakt bestehenden und als Erfüllung eines kausalen Schuldverhältnisses begründeten Leib-

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Kap. 11: Risikoaverse Versorgungsmodi

sprechend muß der Erblasser in einem Leibrentenvermächtnis das Vermächtnis selbst als Schuldgrund für die Verpflichtung des Erben zur Leibrentenbestellung und die Bestellung des im Zweifel auf Lebenszeit des Berechtigten gehenden (§ 759 I BGB) Leibrentenstammrechts vorsehen sowie die Zahlungsmodalitäten regeln, wie Monatsbetrag der Rente und die Anordnung einer monatlichen Vorausszahlung4. Die Vorteile der Leibrente liegen auf der Hand: Der Ehegatte sieht sich keinerlei Ansprüchen der sonstigen Unternehmensgläubiger ausgesetzt. Sein unternehmensbezogenes Haftungsverschonungsinteresse wird damit befriedigt. Zudem ist der Erbe zur Rentenzahlung auch dann im Grundsatz verpflichtet, wenn der Unternehmensertrag diese eigentlich nicht decken würde. Das rechtliche Risiko, das seine Rente sinkt, wenn die Ertragslage des Unternehmens nicht günstig ist, ist ihm damit genommen, wenngleich dies nicht darüber hinwegtäuschen darf, daß das Unternehmen die Leibrente erwirtschaften muß, so daß der Ehegatte weiterhin das wirtschaftliche Risiko trägt, daß Zahlungen ausbleiben können. Falls die Erwirtschaftung der Leibrente zumindest teilweise unterbleibt, weil das Unternehmen bsp. kapitalintensive Investitionen getätigt hat, die den Gewinn des gegenwärtigen und der künftigen Jahre schmälern, kann bei der einfachen Leibrentengestaltung der Ehegatte dem nichts entgegensetzen, da er bei den risikoaversen Gestaltungsformen auf die Geschäftspolitik keinen Einfluß erhält. Sein Interesse, über eine Einflußnahme auf die Unternehmenspolitik die Gewinne des Unternehmens so zu steuern, daß zumindest zu seinen Lebzeiten ein gehöriger Ertrag für seine Versorgung übrig bleibt, fällt mithin aus. Das funktionale Äquivalent für dieses ausfallende Interesse an einer versorgungsgerechten Unternehmenspolitik ist die feste Ratenmäßigkeit der Leibrente und ihre etwaige Wertsicherung über Wertsicherungsklauseln. Das Leibrentenversprechen stellt damit den Prototyp für die Versorgung desjenigen Ehegatten bereit, der sich risikoavers zeigt, damit am unternehmerischen Risiko nicht partizipieren will und zugleich auch nicht die unternehmerischen Fähigkeiten aufweist, die eine derartige Partizipation erst erträglich erscheinen läßt. Neben dem Ausfall des Interesses, die Unternehmenspolitik in Richtung Versorgungsgerechtigkeit beeinflussen zu können, befriedigt die Leibrentengestaltung auch nicht das Interesse, daß der Ehegatte vor einem Zugriff seiner Eigengläubiger auf seinen rentenmäßigen Unterhalt geschützt ist. Auch das eigengläubigerbezogene Haftungsverschonungsinteresse fällt also aus. rentenstammrechts als Relikt aus den Zeiten des kanonischen Zinsverbots MünchKomm-Pecher, § 759 Rn. 3; ablehnend auch auf der Basis seiner schuldrechtlichen Zwecklehre Kress, Schuldrecht II, 73; ansonsten siehe kritisch nur Medicus, SchuldR II, Rn. 540. 4 Langenfeld, Testamentsgestaltung, Rn. 165.

§ 24 Risikoaverse Mittel zur Versorgung des Überlebenden

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Das gleiche gilt für das Interesse, zudem in der Unternehmernachfolge weiterhin einer gesicherten Leibrentenzahlung entgegenzusehen. Da die Leibrente nicht dinglich gesichert ist, bleibt im Falle der Unternehmernachfolge der Erbe weiterhin zur Zahlung verpflichtet, ohne indes auf die kontinuierliche Erwirtschaftung der Rente durch das Unternehmen zurückgreifen zu können. Will der Erblasser die schuldrechtliche Zahlungsverpflichtung des Erben absichern, kann der Rentenfluß durch die Unterwerfung des Erben unter die Zwangsvollstreckung i. S. § 794 I Nr. 5 ZPO, durch eine Reallast oder Grundpfandrechte sowie schließlich durch ein Kapitalwahlrecht für den Fall unpünktlicher Rentenzahlung gesichert werden (dazu im folgenden § 24 II); durch die Sicherung über das reallastbelastete Grundstück oder durch Grundpfandrechte an Grundstücken des Betriebsvermögens wird dann zumindest mittelbar auch ein Versorgungsschutz in der Unternehmernachfolge gewährleistet. II. Risikoaverse Versorgung des Ehegatten auf der Grundlage dinglicher Sicherung 1. Herkömmliche dingliche Sicherungsmittel

Dem Erblasser stehen zahlreiche Möglichkeiten zur Seite, mittels derer er schuldrechtliche rentenmäßige Versorgungsansprüche des überlebenden Teils über dingliche Sicherungsrechte absichern kann. Hierzu wird von Teilen der Literatur neben den Grundpfandrechten, der Sicherungsübereignung und der Sicherungszession auch der Sicherungsnießbrauch an den unternehmerischen Einzelgegenständen gerechnet5. Der Sicherungsnießbrauch, dessen Zulässigkeit seit langem außer Streit steht6, dient auch heutzutage dann und wann noch zur Sicherung von Altenteilsansprüchen, Unterhalts- oder Rentenzahlungen7. Die Sicherungskraft dieser Kreditsicherungsmittel wird auf dem Kreditmarkt durchaus – vor allem hinsichtlich des Mobiliarkredits – zwiespältig beurteilt8; zumindest für Grundpfandrechte und die Reallast dürften diese Bedenken nicht greifen, soweit die Versorgung des Überlebenden zur Rede steht. Nicht jedes dieser Sicherungsmittel ist bei jedem Unternehmen ein taugliches Mittel zur Gattenversorgung. Zwar wirken die Sicherungsinstitute als dingliche Rechte gegen jedermann und befriedigen daher 5

So etwa Bökelmann, Nutzungen, 53. Dazu nur Staud-Frank, § 1030 Rn. 66 m. w. Nachw. 7 Aufgrund der Entwicklungen im Hypothekenrecht dient der Sicherungsnießbrauch nicht mehr als Mittel des Realkredits zur Sicherung der Hypothekengläubiger, zur früheren rechtstatsächlichen Verbreitung des Sicherungsnießbrauchs siehe Nussbaum, Das Nießbrauchsrecht des BGB unter dem Gesichtspunkt der Rechtstatsachenforschung, 1919, 20 ff. 8 Dazu nur Dorndorf, Kreditsicherungsrecht und Wirtschaftsordnung, passim. 6

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Kap. 11: Risikoaverse Versorgungsmodi

das Interesse des Ehegatten an einer gesicherten Versorgung auch in der Unternehmernachfolge. Auch wird selbstverständlich sein Haftungsverschonungsinteresse gewährleistet, da der Eigentümer weiterhin Unternehmensträger bleibt. Damit hören die Vorteile der Sicherungsrechte aber schon auf. Aus mehreren Gründen ist ihre Versorgungsgerechtigkeit im Einzelfall vermindert: Erstens ist nicht erklärlich, wie es bei einem geringen Anlagevermögen überhaupt zu einer gehörigen Sicherung kommen soll. Die eigentliche wirtschaftliche Bezugsgröße für die Rentenzahlung ist durchaus nicht das Betriebsvermögen, sondern die wirtschaftliche Kraft des Unternehmens, das die Erwirtschaftung der Rente überhaupt oft erst erlaubt. Nicht jedem Unternehmensvermögen muß ein renditefähiges Grundstück eingefügt sein. Und das bewegliche Anlagevermögen mag durchweg zur Sicherung anderer Ansprüche übereignet sein. Derlei realkreditäre Gegebenheiten können die dingliche Sicherungsmöglichkeit des überlebenden Teils empfindlich mindern. Von dieser Warte aus sollte ein Mittel gegeben sein, die dingliche Sicherung auf das Unternehmen und nicht auf sein Anlagevermögen zu beziehen. Es wird noch gezeigt werden, daß ein derartiges Mittel in den verschiedenen Formen des Unternehmens(ertrags)nießbrauchs gefunden werden kann. Die Sicherung der Gattenversorgung erfolgt bei einer nießbrauchsrechtlichen Sicherung am Unternehmen notwendigerweise nicht realkreditär, sondern wird auf die unternehmerische Leistung bezogen. Die Risikoneigung des überlebenden Teils wird dann von einer Risikoaversion auf eine Risikopartizipation umgestellt. Zweitens ist es wirtschaftlich zumeist sinnvoll, dem Unternehmer die Verfügungsmacht über sämtliche dem Unternehmen zugeordnete Gegenstände zu eröffnen. Wenn nun der Erblasser dem ihm nachfolgenden ErbenUnternehmer die Verfügungsmacht über sämtliche Gegenstände des Betriebsvermögens erhalten und zugleich den Ehegatten dinglich gesichert sehen will, muß er vermächtnisweise die Löschung dinglicher Rechte nach § 875 BGB bei gleichzeitiger Neubestellung an anderen betrieblichen Gegenständen vorsehen. Dies ist ein derart umständliches Verfahren, daß es kaum praxistauglich eingesetzt werden kann. Daß realkreditäre Sicherungen je nach Zuschnitt des Unternehmens auch dessen wirtschaftliche Leistungsfähigkeit mindern und damit mittelbar die Wahrscheinlichkeit eines gehörigen Rentenflusses senken können, ist schließlich kein Nachteil allein des Realkkredits, sondern ist einer jeglichen dinglichen Sicherung der Versorgung inhärent, da diese notwendig das Unternehmen oder Teile des Unternehmens für eine anderweitige Kreditsicherung sperrt. Schließlich ist drittens das Interesse des Gatten, auf eine versorgungsgerechte Unternehmenspolitik des jeweiligen Unternehmers Einfluß nehmen zu können, nicht befriedigt. Auf die Qualität der unternehmerischen Tätig-

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keit hat der überlebende Ehegatten bei den realkreditären Sicherungsformen keinen Einfluß. Auch im Fall des Unternehmernachfolge unter Lebenden sind die Nachfolger an keinerlei unternehmerische Führungsvorgaben rechtlich gebunden. Bei einer hinreichend starken dinglichen Sicherung mag dieses Risiko insbesondere dort vernachlässigbar sein, wo das für eine rentenmäßige Versorgung erforderliche Deckungskapital mutmaßlich Ergebnis der Verwertung der dinglichen Rechte sein wird. Falls zur dinglichen Sicherung allein Gegenstände des Anlagevermögens zur Verfügung stehen und falls der Unternehmenswert und der Wert des Anlagevermögen weit auseinanderklaffen, kann es jedoch dazu kommen, daß dem Ehegatten auch dingliche Sicherungen nicht mehr helfen. Zwei Lebenssachverhalte sind hier zu unterscheiden. Bei dem ersten wird das Unternehmen wirtschaftlich notleidend und gerät in die Nähe der Insolvenz. Hier kann dem Ehegatten nichts mehr behilflich sein, wenn seine dingliche Sicherungen am Unternehmensvermögen nicht ausreichen: Wo kein Ertrag erwirtschaftet werden kann, kann auch keine Leibrente ausgekehrt werden. Anders ist die Situation aber in dem zweiten Lebenssachverhalt. Hier ist das Unternehmen durchaus prosperierend, nur erwirtschaftet es gleichwohl nur einen geringen Ertrag, weil die Unternehmenspolitik versorgungsfeindliche Entscheidungen trifft, um damit unter Ertragsverzicht zu Lebzeiten des überlebenden Gatten auf lange Zeit gesehen den unternehmerischen Gewinn zu maximieren oder das Unternehmen am Markt neu zu positionieren. Hier könnte ein Gewinn erzielt werden, wenn dies das Unternehmen denn nur wollte. Hilfreich ist hier allein ein Instrument, welches dem Ehegatten eine Einflußnahme auf die unternehmerische Politik ermöglicht, um sich gegen eine versorgungsfeindliche, aber wirtschaftlich langfristig durchaus sinnvolle, da gewinnmaximierende Unternehmensführung zu wappnen. Ein derartiges Interesse an einer versorgungsgerechten Unternehmenspolitik ist mithin gerade dort vonnöten, wo der Wert des Unternehmens den der Anlagegegenstände erheblich übersteigt. 2. Insbesondere die Reallast

Die Reallast ist ein dingliches Verwertungsrecht9 an einem Grundstück, aufgrund dessen wiederkehrende Leistungen aus dem Grundstück an den Berechtigten zu entrichten sind. Daneben tritt akzessorisch grundsätzlich der Anspruch aus § 1108 I BGB, für den der Eigentümer persönlich mit seinem gesamten Vermögen haftet. Ist die Reallast zudem als Sicherungsreallast vereinbart, fügt sich noch der schuldrechtliche Anspruch gegen den Vertragspartner des Rentenberechtigten, hier also gegen den Erben, auf 9 Die Reallast ist insbes. kein Nutzungsrecht, zum Streitstand siehe MünchKomm-Joost, § 1105 Rn. 6, sowie Rn. 5 ff. allg. zur Einordnung der Reallast.

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Kap. 11: Risikoaverse Versorgungsmodi

Leibrentenzahlung aus § 759 I BGB an. In Form der auf Geldzahlung in wiederkehrenden Beträgen10 bezogenen subjektiv-persönlichen Reallast gem. § 1105 I BGB wird in der Reallast ein probates Mittel gesehen, regelmäßig wiederkehrende Versorgungsleistungen11 zugunsten des überlebenden Ehegatten – eventuell kombiniert mit einer Grundschuld zur Sicherung des bei Verzug mit der Rentenratenzahlung fälligen kapitalisierten Rentenbetrages – dinglich abzusichern12. Dies gilt selbstverständlich nur, wenn im Betriebsvermögen ein zur Sicherung hinreichend großes Grundvermögen vorhanden ist. Wenn dies nicht der Fall ist, gilt auch hier wieder, daß eine Reallast für eine gehörige Ehegattenversorgung wenig tauglich ist. Sinnvollerweise müßte nach einem anderen Sicherungsgegenstand Ausschau gehalten werden. Bei einem ertragsreichen Unternehmen ohne größeres Immobiliarvermögen liegt auch hier wieder nahe, die Sicherung auf den Gegenstand „Unternehmen“ zu beziehen. Es fragt sich dann, ob nicht auch bei dem Belastungsgegenstand „Unternehmen“ das Recht der Reallast einschlägig sein könnte. Denn immerhin wird von Teilen der Literatur vorgetragen, der Ertragsnießbrauch an einem Unternehmen13 decke sich weitgehend mit der Reallast14. Die Frage liegt dann auf der Hand, wieso die Rechtsfortbildung zu einem Unternehmensertragsnießbrauch nach h. M. zulässig sein soll, die zu einer Unternehmensreallast aber nicht. Von dieser Warte aus liegt es nahe, zumindest einmal die Frage anzuschneiden, ob reallastfähige Gegenstände nicht nur Grundstücke, sondern entgegen der ganz überwiegenden Meinung15 auch Unternehmen sein können. Sicherlich kennt das deutsche Sachenrecht auf den ersten Blick keine Unternehmensreallast. Denoch sollte diese Einschätzung nicht davon abhalten, zu untersuchen, ob dies tatsächlich so ist. Es stellen sich dann zwei Fragen: Erstens muß die Unternehmensreallast überhaupt versorgungsgerecht sein. Zweitens muß eine Rechtsfortbildung des Sachenrechts in Richtung einer Unterneh10 Solche Reallasten sind auch landesrechtlich (§§ 113 ff. EGBGB) durchweg erlaubt, dazu den Überblick bei Staud-Amann, Einl. Zu § 1105 Rn. 2 ff. 11 Hingegen ist eine Reallast im Sinne einer dauernden Last, bei der die Leistungen zwar auf Lebenszeit, aber nicht gleichmäßig, sondern abänderbar, etwa gewinnabhängig oder in Anlehnung an die Grundsätze des § 323 ZPO erbracht werden, mit Rücksicht auf § 92 ZVG nur dann zulässig, wenn die dauernde Last in ihrem Umfang bestimmbar, also in einen Geldbetrag umwandelbar ist, vgl. dazu nur StaudAmann, § 1105 Rn. 11. Für eine Anknüpfung an § 323 ZPO ohne weitere Vorgaben hinsichtlich Voraussetzung und Maßstab der Rentenanpassung ablehnend BayObLG, NJW-RR 1993, 1171. 12 Etwa bei Langenfeld, Ehegattentestament, Rn. 472. 13 Dazu unten § 28, § 29. 14 Bökelmann, JR 1974, 202 (203); Stürner, JuS 1972, 653 (657 ff.); Schön, Nießbrauch, 322; umfassend Gösele, Nießbrauch, 49 ff., 52, 54. 15 Zur Kritik siehe Bökelmann, JR 1974, 202 (203); Stürner, JuS 1972, 653 (657 ff.); Schön, Nießbrauch, 322; umfassend Gösele, Nießbrauch, 49 ff., 52, 54.

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mensreallast überhaupt angängig sein. Das Ergebnis vorwegnehmend, ist letzteres nicht der Fall. Die Unternehmensreallast wäre durchaus versorgungsgerecht. Offensichtlich würde der Ehegatte verschont, für geschäftliche Schulden in irgendeiner Weise haften zu müssen, sein Haftungsverschonungsinteresse wäre damit befriedigt. Auch könnte aufgrund der Dinglichkeit des Rechts zwar nicht der Leibrentenanspruch aus § 759 I BGB, wohl aber der Duldungsanspruch aus § 1105 I BGB und der persönliche Zahlungsanspruch aus § 1108 I BGB auch dem Unternehmernachfolger entgegengesetzt werden. Zudem läge es in der Konsequenz der Rechtsfortbildung, desgleichen für das Interesse an einer versorgungsgerechten Unternehmenspolitik vorzusehen. Wie noch ausgeführt werden wird16, wird eine solche dadurch erzielt, daß der Unternehmer gegenüber dem Ehegatten zu einem versorgungsgerechten unternehmerischen Handeln verpflichtet ist. Nun sei ceteris paribus als „Gedankenexperiment“ davon ausgegangen, diese Obliegenheit könne Inhalt der Reallast werden17. Das bürgerliche Recht setzt nun einmal dem reallastfähigen Leistungsinhalt keine Schranken (§ 1105 I BGB)18, sofern nur die Leistung in Geldbeträge umwandelbar ist19. Auch könnte schließlich die Pflicht zur Abführung des dem Ehegatten zukommenden Teils des unternehmerischen Gewinns in den Inhalt der Reallast einbezogen werden, so daß auch bzgl. der Gewinnauskehrung der Ehegatte dinglich gesichert wäre20. Im Ergebnis wäre damit die Unternehmensreallast ein durchaus taugliches Mittel, den Ehegatten versorgungsgerecht abzusichern. 16

Unten § 28 IV. Die Schwierigkeiten, die mit Blick auf den sachenrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz hier zu vergegenwärtigen sind, dürften auf der Hand liegen. Da im Ergebnis die Reallast an einem einzelkaufmännischen Unternehmen aber abgelehnt werden wird, muß dies hier nicht näher vertieft werden. 18 Zudem kommt es hier nicht auf die Frage an, ob die stellenweise früher geforderte Beziehung zwischen Leistungsinhalt und reallastbelasteten Gegenstand gegeben ist (dazu nur Staud-Amann, § 1105 Rn. 16), da dies bei der Unternehmensreallast der Fall wäre. 19 Hinsichtlich der Obliegenheit des Unternehmers zu einer versorgungsgerechten Unternehmung könnte eine Umwandlung dadurch erfolgen, daß der Wert der Bewirtschaftungsobliegenheit mit einem durchschnittlichen „kapitalisierten“ Geschäftsführergehalt der jeweiligen Branche angesetzt wird. Die Pflicht zur Bewirtschaftung eines auf dem Grundstück gelegenen Betriebs ist denn auch wiederholt schon von der reichsgerichtlichen Rechtsprechung als möglicher Inhalt einer Reallast anerkannt worden, RG, Seuff.Arch. 79 Nr. 149; der BGH hat erst kürzlich eine persönliche Pflegepflicht als reallastfähig angesehen, BGHZ 130, 342. 20 Immer wären aber die landesrechtlichen Vorbehalte gegen beständige Leistungen mit Ausnahme fester Geldrenten (so bsp. in Nordrhein-Westfalen) zu beachten. Insofern müßte die Pflicht zur Gewinnauskehrung auf die Lebenszeit des Ehegatten beschränkt erfolgen, was erkennbar gewollt wäre. 17

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Kap. 11: Risikoaverse Versorgungsmodi

Dennoch muß eine Unternehmensreallast im Ergebnis zwingend ausscheiden. Ob dies schon daran liegt, daß die Prämissen einer Rechtsfortbildung hinsichtlich der Voraussetzungen der Reallast nicht vorliegen, mag hier dahin gestellt sein. Denn sie sind zumindest auf der Rechtsfolgenseite der Reallast nicht gegeben. Die Reallast gibt kein Recht zur Nutzziehung, sondern zur Verwertung21. Ein Vergleich mit der Grundstücksreallast macht die bei einer Unternehmensreallast auf der Rechtsfolgenseite zu vergegenwärtigenden Schwierigkeiten deutlich. Dort erlischt grundsätzlich in der Zwangsversteigerung das Recht des Reallastgläubigers, wenn das Recht des die Versteigerung betreibenden Gläubigers der Reallast im Range vorgeht oder gleichsteht oder er selbst die Zwangsversteigerung betreibt, §§ 44 ff., 52, 91 I ZVG22. Aus dem Versteigerungserlös ist dann das am Kapitalmarkt nach Wahl des Reallastgläubigers anzulegende Deckungskapital zu entnehmen (§§ 92 II, 121 ZVG), das zusammen mit den erwirtschafteten Zinsen rentenmäßig in Höhe des Jahreswertes der Reallastleistungen an ihn ausgekehrt wird, § 92 II ZVG. Derartige Rechtsfolgen passen aber nicht auf den Fall eines reallastbelasteten Unternehmens. Zudem müßte eine doppelte Analogie statthaft sein, was doch mehr als zweifelhaft ist: Es wären einmal die §§ 1105 ff. BGB auf das Unternehmen analog anzuwenden und sodann die §§ 172 ff. ZVG oder die §§ 180 ff. ZVG mit Ausnahme des § 181 II ZVG. Daß dies im gesetzlichen Wertungsspielraum einer Rechtsfortbildung liegt, ist aber nicht ersichtlich. Denn die „Zwangsversteigerung des Unternehmens“ hätte tendenziell dessen Zerschlagung zur Folge. Nun können außerhalb der Insolvenz Geschäftsgläubiger des Unternehmers nur auf die Einzelgegenstände des Betriebsvermögens und nicht auf das Unternehmen als ganzes zugreifen, wenn sie sich vollstreckungsweise befriedigen wollen; es gilt auch beim Vollstreckungszugriff der Spezialitätsgrundsatz23. Ein Zugriff auf das Unternehmen insgesamt ist den Gläubigern nur in den durch die InsO bereitgestellten Weisen eröffnet. Dies ist auch sachgerecht. In der Insolvenzordnung sind diverse Bündel von Maßnahmen verortet, um im Interesse einer sachangemessenen Steuerungs- und Ordnungsfunktion des Wirtschaftsprivatrechts die sinnvolle rechtliche Ordnung des Marktaustritts oder des wirtschaftlichen Umbaus von am Markt versagenden Wirtschaftseinheiten zu gewährleisten24. Die Einzelzwangsvollstreckung verfolgt solche Anliegen eher nicht. Wäre daher ein unmittelbarer Verwertungszugriff 21

Zum Streitstand siehe MünchKomm-Joost, § 1105 Rn. 5 ff. Siehe hierzu Amann, DNotZ1993, 222 ff.; Staud-ders., Einl. Zu § 1105 Rn. 22 f., § 1105 Rn. 24, mit Vorschlag auf nachträgliche Aufspaltung der Reallast in rangverschiedene Teile i. S. §§ 879, 880 II 1 BGB. 23 Zum älteren Diskussionsstand siehe Gösele, Nießbrauch, 38 ff. 24 Vgl. zu diesem wirtschaftspolitischen Impetus des neuen Insolvenzrechts nur Frankfurter Kommentar-Schmerbach, vor §§ 1 ff. InsO Rn. 20 ff.; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 5.01 ff. 22

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auf das Unternehmen im Wege der reallastbegründeten Einzelzwangsvollstreckung möglich, würden die durch die InsO gewährleisteten Sicherungen entfallen. Sicherlich ist es konsequent, den Spezialitätsgrundsatz nicht greifen zu lassen, wenn ein Unternehmenspfandrecht zulässig wäre und das realpfandbelastete Unternehmen „versteigert“ werden könnte. Nur dürfte eine derartige Entscheidung, den Spezialitätsgrundsatz bei der Einzelzwangsvollstreckung fallen zu lassen, den Gesetzgeber überlassen bleiben. Solange dieser am Spezialitätsgrundsatz festhält, kann es nicht gewollt sein, daß in ein Unternehmen einzelzwangsvollstreckt werden könnte, obgleich die Sicherungen der InsO nicht greifen. Ist dem so, muß eine Unternehmensreallast zwingend ausscheiden. Wenn kein ausreichender Grundbesitz für die Sicherung der Leibrente über eine Reallast vorhanden ist – und nur für diesen Fall wurde die Unternehmensreallast ja diskutiert –, ist damit insgesamt die Reallast kein taugliches Mittel, die Versorgung des Überlebenden zu sichern. Demgegenüber spielt es eine eher sekundäre Rolle, daß eine Unternehmensreallast oft nur wenig dem Willen des Erblassers entsprechen wird, der sich eine dinglich gesicherte und an den Erträgen des Unternehmens orientierte Versorgung des überlebenden Teils wünscht, gleichzeitig aber sein Unternehmen in der Generationenfolge zumindest insofern perpetuiert sehen will, als sein Erbe es als Unternehmensträger fortführt. Ein die Versorgung sicherndes dingliches Recht am Unternehmen, welches im Verwertungsfall tendenziell seine Zerschlagung, zumindest aber die Überantwortung der Unternehmensträgerschaft auf den Ersteigerer bewirken würde, wäre damit zwar versorgungsgerecht, würde aber den Perpetuierungsbestrebungen des Erblasser zumeist zuwiderlaufen. Manchem Erblasser wird dies nicht schrecken – an der sachenrechtlichen Unzulässigkeit der Unternehmensreallast ändert dies nichts.

Kapitel 12

Die Versorgung des unternehmerisch nicht oder gut befähigten Überlebenden § 25 Die Versorgung des unternehmerisch nicht befähigten Ehegatten I. Gründung einer GmbH, einer KG oder einer Stillen Gesellschaft Eine sichere Partizipation am unternehmerischen Ertrag ohne persönliche Haftung im Außenverhältnis ist dem Ehegatten eröffnet, wenn er Gesellschafter einer noch zu gründenden GmbH wird, in die das bisherige einzelkaufmännische Unternehmen eingebracht wird. Auch kann dem Ehegatten die Stellung eines Kommanditisten im Rahmen einer zu gründenden KG eingeräumt werden – die Stellung eines Komplementärs oder eines Gesellschafters einer OHG kommt ja durchweg nicht in Frage, wenn der Ehegatte nicht selbst mit seinem Privatvermögen für die Unternehmensschulden haften soll. Der Erbe kann von Todes wegen aufgrund einer letztwilligen Gesellschaftsgründungsklausel, also per Auflage, je nach Einzelfall zudem verbunden mit einer Teilungsanordnung und eventuell einzelnen Vorausvermächtnissen1, zur Gründung einer Gesellschaft angehalten werden. Darüber hinaus lassen sich auch durch Betriebsaufspaltungen in ein Besitzpersonenunternehmen und eine Betriebs-Kapitalgesellschaft die Versorgungsbedürfnisse des überlebenden Teils durch den Zufluß der Einkünfte des Besitzunternehmens befriedigen2. Die gesellschaftsrechtlichen Gestaltungsformen im einzelnen sind im übrigen vielfältig3. Schließlich kann der Erblasser auch zu einer stillen Beteiligung des Ehegatten am einzelkaufmännischen Unternehmen in Form der Stillen Gesellschaft nach §§ 230 ff. HGB unter Ausschluß der Verlustbeteiligung nach § 231 II HS 1 HGB greifen4. Nun ist 1 Vgl. zur letztwilligen Gesellschaftsgründungsklausel nur York Strothmann, Die letztwillige Gesellschaftsgründungsklausel, 16 ff. 2 Siehe dazu etwa Esch/Schulze zur Wiesche, Handbuch der Vermögensnachfolge, Rn. 1413. 3 Fragen der Wahl der angemessenen Gesellschaftsform sind gut aufbereitet, vgl. aus dem zahlreichen Schriftum nur Esch/Schulze zur Wiesche, Handbuch der Vermögensnachfolge, Rn. 860 ff.; Westermann, Handbuch der Personengesellschaft II, Rn. 38 ff.

§ 25 Die Versorgung des unternehmerisch nicht befähigten Ehegatten

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die Stille Gesellschaft ein Schuldverhältnis, keine Rechtserwerbs- und Verpflichtungsgemeinschaft5. Die stille Beteiligung ist daher ebenso versorgungsgerecht, wie die Leibrente6, nur kann der Stille auch an dem Erfolg des Unternehmens beteiligt werden. Die Versorgung des Ehegatten über die Gründung einer Gesellschaft ist für den Erblasser dann kein sachgerechtes Instrument, wenn er im Einzelfall sein Handelsgeschäft als einzelkaufmännisches Unternehmen weitergeführt sehen will. Es besteht daher überhaupt kein Anlaß, die Relevanz der im folgenden zu besprechenden Gestaltungsvorschläge schon allein deshalb zu bestreiten, weil der Erblasser zu einer letztwilligen Gesellschaftsgründungsklausel hätte greifen können. Auch hier wieder gilt in einer personfunktionalen Perspektive: Wenn der Erblasser keine letztwillige Gesellschaftsgründungsklausel verfügen will, ist sein Wille zu achten und die Suche nach anderen Gestaltungsmöglichkeiten aufgegeben. II. Die Gewährleistung des Interesses an einer versorgungsgerechten Unternehmenspolitik Der Tendenz nach ist eine gesellschaftsrechtliche Beteiligungen an einer KG durchweg risikopartizipativ und eignet sich daher ohne Kombination mit einer Leibrentenverpflichtung nicht für einen risikoaversen Ehegatten, der zwar an der Steigerung der Erträge des Unternehmens, nicht aber an Verlusten teilnehmen möchte, die seine Versorgung unter die Schwelle der Leibrente drücken würden. Das funktionale Äquivalent für die fehlende dingliche Sicherung des Finanzflusses soll bei risikopartizipativen Versorgungsmodi durch die Gewährleistung einer versorgungsgerechten unternehmerischen Politik bereitgestellt werden7. Im Rahmen personengesellschaftsrechtlicher Beteiligungen stehen mit Blick hierauf eine Einflußnahme auf die Geschäftsführung und auf die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung zur Rede. Während bsp. der Ehegatte als Kommanditist zwar von der Geschäftsführung gem. § 164 S. 1 HGB ausgeschlossen ist, kann er auf die Geschicke der Gesellschaft durch das Recht Einfluß nehmen, gem. §§ 164 S. 1 HS 2, 116 II HGB an der Billigung des Jahresabschlusses und damit der Gewinnverwendung teilzunehmen, mag auch die Ausübung des bilanziellen Ermessens selbst allein Sache des geschäftsführenden Erben-Kom4 Im Kontext der Ehegattenversorgung dazu nur Langenfeld, Testamentsgestaltung, Rn. 391 ff. 5 Baumbach-Hopt, § 230 Rn. 2; Koller/Roth/Morck-Koller, § 230 Rn. 1, 3; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 62 I 1. 6 Dazu oben § 24 I. 7 Siehe dazu oben § 23 II 1 b, c, sowie § 23 II 3 b.

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Kap. 12: Der unternehmerisch nicht oder gut befähigte Überlebende

plementärs sein8. Falls der Ehegatte Minderheitsgesellschafter ist, wird er sich durchweg in einer schwachen Lage befinden. Nun verbürgt zwar das gesellschaftsrechtliche Innenrecht durchaus mit seinem minderheitenschützenden Instrumentarium im Grundsatz eine loyale Ausübung des Mehrheitsstimmrechts des Erben und sucht den Ehegatten vor dem Verfolgen von Sondervorteilen durch den Erben zu schützen, indem es ein illoyales Stimmrechtsverhalten als Verstoß gegen die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht wertet; im Einzelfall kann sich die Treuepflicht sogar zu einer positiven Stimmpflicht verdichten9. Nur hilft dies dem Ehegatten wenig, der gerade auf die Befriedigung seines Sonderinteresses: einer versorgungsgerechten Unternehmenspolitik, Wert legt und damit sogar im Einzelfall angesichts der möglichen Gewinneinbußen, die potentiell mit einer versorgungsgerechten Unternehmenspolitik auf lange Sicht verbunden sein könnten, treuepflichtwidrig handeln könnte. Dem Erblasser stehen hier zwei Auswege offen. Einmal kann er in der letztwilligen Gesellschaftsgründungsklausel vorgeben, daß der Gesellschaftszweck versorgungsgerecht ausgestaltet wird. Eine versorgungsgerechte Gesellschaftspolitik wäre dem Erben-Unternehmer-Mitgesellschafter dann gesellschaftsrechtlich als Zweckverfolgung aufgegeben. Als zweiten Weg könnte der Erblasser zu schuldrechtlichen Stimmbindungsverträgen greifen, deren Abschluß er dem Erben und dem Ehegatten ebenso wie die Gesellschaftsgründung per Auflage letztwillig aufgibt und die den Erben zu einer Ausübung seines Stimmrechts verpflichten, die dem Versorgungsinteresse des Ehegatten entspricht10. Derartige Stimmbindungen wirken nur schuldrechtlich und bedürfen der Durchsetzung im Wege der Leistungsklage mit Vollstreckung gem. § 894 ZPO11. Entsprechendes kann er dem Erben als Maxime seiner Geschäftsführung auferlegen. Dem Erben wird hierbei ein großer Ermessensspielraum zukommen. Größere Probleme bei der Justiziabilität der Versorgungsgerechtigkeit der Unternehmenspolitik entstehen hier nicht anders als bei der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht im allgemeinen; hier wie dort ist die zunehmende Unbestimmtheit des Rechts Folge seiner privatautonom durch die Vorgabe der Stimmbindung gewollten Materialisierung. Durch die letztwillige Vorgabe einer schuldrechtlichen Stimmbindung des Erben als Mehrheitsgesellschafters sichert der Erblasser, daß das Stimm8 BGH, BB 1980, 121; Baumbach-Hopt, § 164 HGB Rn. 3 f.; Koller/Roth/ Morck-Koller, § 164 HGB Rn. 4, § 116 HGB Rn. 2, § 114 Rn. 2. 9 Dazu nur Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, §§ 20 IV, 21 II 3. 10 Zu schuldrechtlichen Stimmbindungen siehe nur Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 21 II 4. 11 Vgl. nur BGHZ 48, 163 (166 ff.); Karsten Schmidt, GesR, § 21 II 4 b aa; Heymann-Martens, 2. Aufl. 1996, § 119 HGB Rn. 27; MünchKomm-Ulmer, § 717 Rn. 26; Zöllner, ZHR 155 (1992), 168 (185 f.).

§ 26 Die Versorgung des unternehmerisch starken Ehegatten

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recht nicht versorgungsfeindlich ausgeübt und nicht beispielsweise zu wenig versorgungsgerechten, da erst nach dem Tode des überlebenden Teils Früchte tragenden Gewinnthesaurierungen gegriffen wird. Das Interesse des Ehegatten an einer versorgungsgerechten Unternehmenspolitik ist damit befriedigt. Zwar hilft dies nicht weiter, wenn das Unternehmen keinen hinreichenden Ertrag abwirft. Doch um die Bewältigung dieses Risikos geht es hier ja auch nicht12, sondern nur darum, bei einem gesunden Unternehmen dem Ehegatten eine Versorgung zu gewährleisten, die etwa wegen einer bestimmten Bilanzpolitik gefährdet wäre. Aufgrund der rein schuldrechtlich zwischen dem Erben und den Ehegatten wirkenden Stimmrechtsbindung kommen auf den Ehegatten jedoch Probleme zu, wenn die Mehrheitsbeteiligung veräußert wird, da der Anteilserwerber nicht unbedingt der schuldrechtlichen Stimmbindung unterliegt. Wenn der Erblasser dies für sachgerecht ansieht, sollte er deshalb anordnen, daß der Gesellschaftsvertrag für den Fall der Beteiligungsveräußerung vorsieht, daß diese nur stattfinden darf, wenn ein Interesse des Ehegatten an einer versorgungsgerechten Unternehmenspolitik weiterhin – etwa über schuldrechtliche Stimmbindungsverträge mit dem Erwerber der Beteiligung – gewährleistet ist. Allerdings wird in diesem Fall der Gesellschaftsanteil wohl durchweg keinen Erwerber finden, da er wirtschaftlich kaum interessant sein wird.

§ 26 Die Versorgung des unternehmerisch starken Ehegatten I. Bestellung eines Unternehmensnießbrauchs mit anschließender Unternehmensverpachtung 1. Ausgestaltung

Eine besondere Gestaltungsvariante zur Befriedigung der Versorgungsinteressen des Ehegatten stellt eine gemischt dinglich-schuldrechtliche Konstruktion mit nießbrauchs- und pachtrechtlichen Elementen bereit. Bei einer derartigen Konstruktion wird dem Ehegatten durch den Erben ein Unternehmensnießbrauch aufgrund eines Vermächtnisses eingeräumt13. Aufgrund des Unternehmensnießbrauchs erhält der Ehegatte die Stellung des Unternehmers und das Unternehmen14. Der Erblasser gibt dem anderen Teil von Todes wegen auf, das Unternehmen an den Erben-Eigentümer zu verpachten. Der Erbe wird Unternehmensträger15; der Ehegatte im Gegenzug von den 12

Siehe zur Interessenlage oben § 23 II 1 b, c sowie § 23 II 3 b. Zur Zulässigkeit und zur Ausgestaltung des Unternehmensnießbrauchs siehe ausführlich unten § 27. 14 Dazu näher unten § 27 II 1. 13

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Kap. 12: Der unternehmerisch nicht oder gut befähigte Überlebende

Mühen unternehmerischen Handelns entlastet. Im Außenverhältnis wäre zudem die für den Ehegatten entscheidende Haftung des Erben und nunmehrigen Unternehmensträgers hergestellt. Eine Haftung und Haftungsrisiken des Ehegatten für handelsgeschäftliche Altschulden sind nicht gegeben16. Der Pachtzins kann als quotale Beteiligung am unternehmerischen Ertrag oder auch als summenmäßig feste Größe vereinbart werden. Im ersten Fall läge eine risikopartizipative, im zweiten Fall eine risikoaverse Gestaltung vor. Das Eigentum am Umlaufvermögen wird von vornherein lastenfrei gestellt und nicht mit einem Einzelnießbrauch belastet; über das Inventar am nießbrauchsbelasteten Anlagevermögen kann der Erbe analog § 582 a I 2 BGB verfügen17. Das Interesse des Überlebenden an einer versorgungsgerechten Unternehmenspolitik kann durchweg nur durch obligatorische Instrumente befriedigt werden. So kann im Pachtvertrag vorgesehen und von Todes wegen verbindlich als versorgungsgerechte Obliegenheit des Erben-Pächters angeordnet werden, daß der Unternehmenspächter den unternehmerischen Ertrag nach den Regeln einer ordnungsgemäßen Wirtschaft gehörig zu optimieren hat und hierbei das Versorgungsinteresse des überlebenden Teils nicht außer Acht lassen darf. Falls der Erblasser die ungewöhnliche Konstruktion eines zwingend auf Verpachtung angelegten Unternehmensnießbrauchs zugunsten seines überlebenden Teils überhaupt wählt, gibt er damit im Zweifel zu erkennen, daß ihm an einer versorgungsoptimalen Ausgestaltung des Pachtverhältnisses gelegen ist. Er wird daher im Zweifel eine versorgungsgerechte Obliegenheit des Erben-Pächters vorgesehen haben. Es gilt demnach folgende Auslegungsregel: Auslegungsregel 26.1: Falls der Erblasser dem Ehegatten einen zwingend auf Verpachtung angelegten Unternehmensnießbrauch vermächtnisweise zuwendet, gibt er im Zweifel per erbrechtlicher Auflage vor, daß in dem Pachtvertrag, welcher in Vollzug des Vermächtnisses abzuschließen ist, vorgesehen wird, der Erbe-Unternehmenspächter 15

Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 6 III 2 a. Eine Haftung des Ehegatten für die Altschulden gem. § 25 I HGB entfällt mangels Unternehmensfortführung durch den Ehegatten, eine Haftung aus § 27 I HGB mangels Erbenstellung. Wenn das Unternehmen das wesentliche Vermögen des Erben ausmacht, schiede nach altem Recht zudem eine Haftung des Ehegatten aus besonderen Verpflichungsgrund gem. § 25 III HGB i.V. m. § 419 I BGB (analog) aus, da im Aktivvermögen des Erben-Bestellers der ihm letztwillig zugewendete Anspruch auf Einräumung eines Pachtverhältnisses gegen den Ehegatten-Nießbraucher anzusetzen ist und zudem die Nießbrauchseinräumung hier praktisch wie eine die Haftung aus § 419 BGB nicht auslösende (BGHZ 54, 103 (104)) Bestellung eines Nutzungspfandrechts wirkt. Im übrigen ist § 419 BGB durch Art. 33 Nr. 16 EGInSO aufgehoben worden. 17 Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 6 III 2 a, zur normalen Unternehmenspacht. 16

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müsse den unternehmerischen Ertrag nach den Regeln einer ordnungsgemäßen Wirtschaft gehörig optimieren und dürfe hierbei das Versorgungsinteresse des überlebenden Teils nicht außer Acht lassen. 2. Vorteile der Gestaltung

Die Vorteile dieser etwas umständlich wirkenden Verbindung schuld- und sachenrechtlicher Elemente sind nicht auf den ersten Blick ersichtlich. Merklich werden sie erst bei einem erneuten Wechsel der Unternehmensträgerschaft oder bei größeren Umschichtungen im Anlagevermögen. Es geht hier nicht um die Unternehmensnachfolge auf den Erben von Todes wegen. Im Fall des Versterbens des Erben wird gem. §§ 584 a II, 569 BGB mit den Erbeserben das Pachtverhältnis fortgesetzt. Die versorgungsgerechte Ausrichtung der Unternehmenspolitik bleibt den Erbeserben insofern weiterhin aufgegeben, sodaß das Vorversterben des Erben kein ernstliches Problem darstellt. Belangvoll ist vielmehr einmal die Unternehmernachfolge unter Lebenden und hier insbesondere der Fall der Kündigung des Pachtverhältnisses durch den Erben oder durch den Ehegatten-Unternehmensnießbraucher und dem in diesen Situationen relevant werdenden Wunsch des Ehegatten nach einem hinreichenden Versorgungsschutz in der Unternehmernachfolge. Ist der Pachtvertrag gekündigt, kann der Ehegatte als Unternehmensnießbraucher das Unternehmen selbst fortführen oder es erneut an Dritte verpachten und hierbei in den anstehenden Vertragsverhandlungen auf eine versorgungsgerechte Ausgestaltung des Pachtvertrages drängen. Beide Male muß der Ehegatte ein gewisses Format unternehmerischen Handelns zeigen, so daß sich diese Gestaltung für unternehmerisch schwache Ehegatten von selbst verbietet. Neben diesem Problem der Unternehmensnachfolge unter Lebenden hilft die Gestaltung auch bei erforderlichen größeren Umschichtungen im Anlagevermögen. Aufgrund der dinglichen nießbrauchsrechtlichen Berechtigung ist der Ehegatte hier vor unzulässigen Verfügungen des Erben weitgehend geschützt; die Möglichkeit des gutgläubig lastenfreien Erwerbs (§ 936 BGB) bleibt ihm freilich nicht erspart. Die Vorteile des Unternehmensnießbrauchs kombiniert mit einer Unternehmensverpachtung liegen nach alldem in einer angemessenen Sicherung des unternehmerisch gewandten Ehegatten für den Fall der Sukzession sowohl in die Unternehmensträgerschaft unter Lebenden als auch in die Eigentümerstellung von Gegenständen des Anlagevermögens.

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Kap. 12: Der unternehmerisch nicht oder gut befähigte Überlebende

II. Bestellung eines Unternehmensnießbrauchs mit anschließender Ausübungsüberlassung 1. Ausgestaltung

Der Unternehmensnießbraucher kann seinen Nießbrauch einem anderen zur Ausübung schuldrechtlich18 überlassen, § 1059 S. 2 BGB. „Anderer“ i. S. dieser Vorschrift kann auch der Eigentümer sein19. Man könnte daher auch daran denken, statt des Pachtvertrages mit dem Nießbraucher eine gemischt ausübungsüberlassungs- und nießbrauchsrechtliche Konstruktion zu wählen. Der Erblasser würde insofern dem überlebenden Ehegatten vermächtnisweise einen Unternehmensnießbrauch mit der Maßgabe zuwenden, dem Eigentümer-Erben die Ausübung des Nießbrauchs zu einem vorab bestimmten Teil des Ertrags zu überlassen, und zugleich den Erben mit der Auflage beschweren, in die Ausübungsüberlassung einzuwilligen. Was wäre – auch gegenüber der Unternehmensverpachtung – gewonnen? Dies wiederum hängt von der näheren Ausformung der Ausübungsüberlassung ab. Hierzu werden zwei Varianten diskutiert. Nach der einen, hier sog. vertretungsrechtlichen Variante übt der Ausübungsberechtigte die aus dem Nießbrauch fließenden Rechte namens des Nießbrauchers, aber für eigene Rechnung aus20. Nach der anderen, hier sog. ermächtigungsrechtlichen Spielart liegt bei der Ausübungsüberlassung i. S. § 1059 S. 2 BGB eine Ermächtigung des Ausübungsberechtigten durch den Nießbraucher vor, die aus dem Nießbrauch fließenden Rechte im eigenen Namen und für eigene Rechnung wahrzunehmen21. 2. Vorteile der Gestaltung

a) Allgemein Beiden Varianten ist gemein, daß der Erbe gegen den Ehegatten im Innenverhältnis den schuldrechtlichen Anspruch erhielte, die Nießbrauchsausübung zu dulden und die Geltendmachung der sich aus dem Nießbrauch 18 Die Überlassung der Ausübungsbefugnis hat richtigerweise schuldrechtlichen Charakter, vgl. nur Staud-Frank, § 1059 Rn. 18 mit zahlr weiteren Nachw. 19 RG, Recht 1911 Nr. 2438; BGHZ 55, 111. 20 RGZ 101, 5 (7); MünchKomm-Petzoldt, § 1059 Rn. 5; Palandt-Bassenge, § 1059 Rn. 3. 21 So Gösele, Nießbrauch, 81 ff., der die Ausübungsüberlassung als Ausübungsermächtigung versteht. Für den Fall der Geltendmachung von abgetretenen Rechten ähnlich Soergel-Stürner, § 1059 Rn. 3. Von einer Geltendmachung von Rechten im eigenen Namen oder mit Ermächtigung des Nießbrauchers spricht Staud-Frank, § 1059 Rn. 18, und rekurriert dabei augenscheinlich auf den Fall der Ermächtigung nach § 185 BGB.

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ergebenden Befugnissen zu ermöglichen22. Zudem treffen sich beide Versionen darin, daß dem Ehegatten die Last des unternehmerischen Handelns genommen wird und das Interesse des Ehegatten an einer versorgungsgerechten Ausgestaltung der Unternehmenspolitik sowie ein Versorgungsschutz in der Unternehmernachfolge nur schuldrechtlich mit den bekannten, soeben zur Unternehmensverpachtung diskutierten Folgen (Verhandlungszwang bei der Kündigung der Ausübungsüberlassung aus wichtigem Grund) befriedigt werden kann. Nun scheidet die vertretungsrechtliche Variante schon deshalb als versorgungsgerechte Gestaltung aus, da sie eine Haftung des Ehegatten für Unternehmensschulden mit sich brächte. Denn das unternehmerische Handeln des ausübungsberechtigten Erben namens des Nießbrauchers als Unternehmensträger hätte ja entgegen dem Haftungsverschonungsinteresse des Ehegatten die unbeschränkte und nicht auf den Nießbrauch beschränkbare Haftung des Ehegatten zur Folge. Bei der ermächtigungsrechtlichen Variante der Ausübungsberechtigung ist die Beurteilung der Versorgungsgerechtigkeit der Gestaltung schwieriger. Da der Ausübungsberechtigte im eigenen Namen handelt, realisiert sich die Schuldenhaftung ähnlich der noch später zu erörternden23 Außenhaftung bei der Treuhandschaft des Testamentsvollstreckers über den Unternehmensnießbrauch: Haftung des Erben gem. § 1967 BGB und – mit Ausschlußmöglichkeit gem. § 25 II HGB – gem. § 25 I HGB für die geschäftlichen Alt-Schulden mit auf den Nießbrauchsgegenstand beschränkten Innenregreß auf den Nießbraucher aufgrund des Ausübungsüberlassungsvertrages; Haftung des Ausübungsberechtigten für geschäftliche Neuschulden nach allgemeinen Regeln aufgrund Handels im eigenen Namen, wiederum mit auf den Unternehmensnießbrauch beschränkte ausübungsvertragliche Rückgriff gegen den Ehegatten; keine Haftung des Unternehmensnießbrauchers nach § 25 I HGB mangels Fortführung des Handelsgeschäfts. Vor diesem Hintergrund wäre das Haftungsverschonungsinteresse des Ehegatten gewahrt. Die Ausübungsüberlassung in der ermächtigungsrechtlichen Variante befriedigt ansonsten nicht sämtliche Versorgungsinteressen des überlebenden Teils. Zwei Argumente können hierfür angeführt werden. Das erste Argument ist eher formal und spricht das Verhältnis zwischen Ausübungsberechtigung und Ertragszuweisung an: Der ausübungsberechtigte Erbe kann aufgrund der Ausübungsüberlassung auf die Erträge als die dem Nießbrauch zugeordneten Nutzungen zugreifen und damit die Versorgung gänzlich hin22 MünchKomm-Petzoldt, § 1059 Rn. 4; Staud-Frank, § 1059 Rn. 18; PalandtBassenge, § 1059 Rn. 3. Zum schuldrechtlichen Charakter der Ausübungsüberlassung siehe nur Staud-Frank, § 1059 Rn. 18 m. w. Nachw.; zur älteren Lit. siehe den Überblick bei Gösele, Nießbrauch, 78 ff. 23 Unten § 32 III 1 a, § 32 III 2 b.

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dern, da die Nutzziehung dem Ehegatten ja nicht mehr im Verhältnis zum Erben zugeordnet ist. Die Auskehrung der Erträge an den Ehegatten wäre damit ins Belieben des Erben gestellt. Verhindert werden könnte dies einmal, wenn die – auf einzelne Nutzungen beschränkbare24 – Ausübungsberechtigung nicht nur auf einen Teil der Nutzungen, sondern ohne Beschränkung auf einzelne Nutzungen auf einen Teil des unternehmerischen Ertrags beschnitten werden könnte. Doch wäre dies keine Beschränkung einzelner Nutzungen mehr, sondern die Zuordnung eines Teils der einheitlichen Nutzung „Ertrag“ an den Ausübungsberechtigten. Dies stellt bei Lichte betrachtet aber zumindest dann keine nutzungsbeschränkte Ausübungsberechtigung dar, wenn die Nutzziehung, also das unternehmerische Handeln selbst, dem Erben aufgrund der Ausübungsberechtigung ungeteilt in toto zugewiesen ist, da ein Genuß nur eines Teil der Nutzungen nicht möglich ist, wenn die Nutzziehung selbst nicht auch aufgeteilt wird. Wenn der Ausübungsberechtigte daher nur an einem Teil des Ertrags partizipieren soll, müßte also der Ehegatte-Unternehmensnießbraucher auch einen Teil seiner unternehmerischen Stellung beibehalten, was erkennbar versorgungsdysfunktional und nicht gewollt ist; er würde zwangsläufig zum Mitunternehmer25. b) Der sog. „stille Nießbrauch“ An dieser Mißlichkeit würde nur dann etwas geändert, wenn – und hier kommt das zweite Argument gegen die Versorgungsgerechtigkeit der Ausübungsüberlassung ins Spiel – zusätzlich zur Nießbrauchsbestellung und der Ausübungsüberlassung zwischen Unternehmensnießbraucher und ErbenAusübungsberechtigten ein obligatorischer Vertrag des Inhalts geschlossen würde, der Erbe, der ja aufgrund der Ausübungsüberlassung Inhaber des Unternehmens ist, müsse das Unternehmen ordnungsgemäß bewirtschaften und einen Teil des unternehmerischen Ertrags an den Nießbraucher abführen. In der Literatur ist diese Gestaltung stellenweise als „stiller Nießbrauch“ bezeichnet worden26. Die oben schon beschriebenen Folgen für den Fall der Kündigung der Ausübungsüberlassung aus wichtigem Grund bleiben zwar auch bei diesem „stillen Nießbrauch“ erhalten. Es wird jedoch gelegentlich angenommen, daß der Ehegatte vor Vollstreckungsmaßnahmen der Geschäftsgläubiger in das Betriebsvermögen geschützt sei. Der Ehegatte könne sich mit der Drittwiderspruchsklage des § 771 ZPO wehren, da aufgrund der Nießbrauchsbelastung eines jeden Gegenstands des Betriebsvermögens dem Vollstreckungszugriff die Absolutheit des dinglichen Nutzungsrechts (§ 1065 BGB) entgegen gesetzt werden könne27. Wäre dem so, 24 25 26

Staud-Frank, § 1059 Rn. 10. Gesellschaftsrechtliche Folgeprobleme bleiben hier außer Betrachtung. So bei Gösele, Nießbrauch, 71, 85.

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wäre der „stille Nießbrauch“ gegenüber der oben geschilderten Verpachtungskonstruktion überaus vorteilhaft. Die entscheidende Frage lautet daher, ob der „stille Nießbrauch“ tatsächlich haftungsrechtlich so vorteilhaft für den Ehegatten ist oder ob nicht letztlich doch zwischen dem „stillen Nießbrauch“ und der mit einem Unternehmensnießbrauch kombinierten Unternehmensverpachtung keine relevanten Unterschiede bestehen. Nun mögen die für den „stillen Nießbrauch“ geschilderten Vollstrekkungsvorteile vordergründig bei Mobiliarvermögen gegeben sei. Aber schon bei der Immobiliarvollstreckung ist dies mit Rücksicht auf die §§ 44, 52, 91 f. ZVG anders. Zudem ist auch bei der Fahrnisvollstreckung im übrigen praktisch der Vollstreckungszugriff der Geschäftsgläubiger auf das Betriebsvermögen nicht gehindert. Denn der Geschäftsgläubiger wird zugleich in den Ausübungsüberlassungsanspruch des Erben-Geschäftsschuldners gem. § 857 ZPO vollstrecken, da die Ausübungsüberlassung selbst übertragbar und damit pfändbar ist28. Das Vollstreckungsgericht kann in diesem Fall entsprechend § 857 IV 1 ZPO auch ohne besonderen Antrag des Gläubigers29 besondere Anordnungen erlassen30. Es wird hier dem vollstreckenden Gläubiger die Ausübungsbefugnis nur insoweit überweisen, daß er auf einen genau bestimmten Gegenstand zugreifen, also bsp. in Betätigung der Ausübungsbefugnis eine Geschäftsforderung einziehen, sich eine Mobilie übereignen oder am Markt veräußern kann. Eine Drittwiderspruchsklage scheidet dann aus, da die Ausübungsunterlassung die Geltendmachung der sich aus dem Nießbrauch ergebenden Befugnisse einschließt31 und deshalb der Nießbraucher den Ausübungsberechtigten nicht – wie es § 771 ZPO voraussetzt32 – an der Veräußerung des Gegenstands hindern könnte; § 1048 I BGB gilt ja auch für den Unternehmensnießbraucher33. Es wäre damit noch nicht einmal der Umweg erforderlich, neben der Pfändung der 27 Gösele, Nießbrauch, 86 f. Die hierdurch eintretende Minderung der Sicherheit der Geschäftsgläubiger sei ihnen zumutbar, da der Rechtsverkehr nicht damit rechnen dürfe, das dem unternehmerischen Handeln dienende Vermögen stünde im unbelastetem Eigentum seines Vertragspartners, solange dieser nur persönlich unbeschränkt und unbeschränkbar haftet. 28 Dazu nur MünchKomm-Petzoldt, § 1059 Rn. 7. 29 § 844 I ZPO gilt im Rahmen des § 857 IV ZPO ja nicht. 30 Beim Zugriff eines Gläubigers auf die Ausübungsüberlassung wäre dieser berechtigt, den Nießbrauch auszuüben. Er müßte jedoch gleichzeitig wohl auch die mit dem Nießbrauch verbundenen Verpflichtungen übernehmen (dazu RGZ 56, 388 (391)). Beides ist hier nicht sachgerecht, da der Zugriff weiterer Gläubiger dann Schwierigkeiten bereiten würde, der erstvollstreckende Geschäftsgläubiger an einer Ausübung des ganzen Nießbrauchs nicht interessiert sein wird und er zudem dann praktisch übersichert wäre. § 857 IV ZPO ist demnach hier analog anzuwenden. 31 So auch Gösele, Nießbrauch, 84. 32 Siehe nur BGHZ 55, 20 (26). 33 Dazu siehe unten § 27 I 3 a.

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Ausübungsberechtigung einen Gegenstand zu pfänden, sich bsp. den Versteigerungserlös auskehren zu lassen und einen im Wege der dinglichen Surrrogation fortsetzenden am Erlös fortsetzenden Nießbrauch34 dadurch entgegenzutreten, daß als Ausdruck der Ausübung der Ausübungsbefugnis die Erlösauskehr wie eine private Zahlung des Ausübungsberechtigten an den vollstreckenden Gläubiger anzusehen ist, so daß eine Surrogation ausscheidet35. Allerdings obliegt dem Unternehmensnießbraucher die gehörige Bewirtschaftung des Unternehmens analog § 1036 II BGB und nur in diesem Rahmen kann die Ausübungsüberlassung ausgeübt werden. Im Grundsatz stellt die Befriedigung titulierter Forderungen zweifellos eine ordnungsgemäße Unternehmensbewirtschaftung dar. Dennoch mag eine Veräußerung von Gegenständen des Betriebsvermögens im Einzelfall dem Ausübungsberechtigten gem. § 1036 II BGB nicht gestattet sein; hier könnte dann auch der Unternehmensnießbraucher eine Fahrnisvollstreckung ausnahmsweise durch Klage nach § 771 ZPO hindern. Der Unternehmensnießbraucher müßte demnach nachweisen, daß die Ertragskraft des Unternehmens durch die Einzelvollstreckungsmaßnahme so geschmälert ist, daß die Grenze des § 1036 II BGB überschritten oder eine übermäßige Bewirtschaftung analog § 1039 BGB gegeben ist36. Praktisch dürfte dies nur bei für den Unternehmensbetrieb wesentlichen Gegenständen des Anlagevermögens oder bei einem Zugriff zahlreicher Geschäftsgläubiger auf zahlreiche Einzelgegenstände werden. In diesem Falle wäre die Liquidität des Unternehmens aber zumeist schon derart gefährdet, daß der Unternehmensnießbrauch wirtschaftlich die Ehegattenversorgung nicht mehr hinreichend sichern dürfte. Entweder können die Geschäftsgläubiger somit auf das Geschäftsvermögen ohne Abwehrmöglichkeit durch den Unternehmensnießbraucher zugreifen. Oder die Abwehr ist dem Nießbraucher zwar eröffnet, da dies aber durchweg in einer tendenziell schwachen wirtschaftlichen Solvenz des Unternehmens der Fall ist, bringt die Vollstreckungsabwehr kaum mehr etwas. Ein Schutz des Nießbrauchers über eine Vollstreckungssperre in das nießbrauchsbelastete Betriebsvermögen ist damit im Grundsatz bei der Ausübungsüberlassung insgesamt gesehen praktisch nicht gegeben. Damit unterscheidet sich die ausübungsüberlassungsrechtliche Gestaltung nicht wesentlich von der gemischt nießbrauchs- und pachtrechtlichen Konstruktion. Wesentliche Vorteile oder gewichtige Unterschiede sind nicht ersichtlich. 34

Zöller-Stöber, § 817 Rn. 8; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 452. Dahinter steckt die Banalität, daß bei Zahlungen des Ausübungsberechtigten sich der Nießbrauch selbstverständlich nicht fortsetzt. 36 Ein bloß allgemein gehaltener Vortrag, aufgrund der Einzelvollstreckung sei die Ertragskraft des Unternehmens geschmälert, reicht damit entgegen Gösele, Nießbrauch, 86, gerade nicht aus. 35

Kapitel 13

Die Versorgung des unternehmerisch gering befähigten Gatten Mit den bisherigen Überlegungen kamen Gestaltungsmöglichkeiten zur Versorgung des überlebenden Gatten in den Blick, die entweder rein risikoaverse Versorgungsweisen (vornehmlich auf der Grundlage einer – möglicherweise dinglich gesicherten – Leibrente oder einer Reallast an Grundstücken des Betriebsvermögens des einzelkaufmännischen Unternehmens) thematisierten oder risikopartizipative Versorgungsmodi aufgriffen, welche zur Versorgung eines unternehmerisch nicht befähigten oder eines unternehmerisch stark befähigten Überlebenden sinnvoll eingesetzt werden können. Zu diesen risikopartizipativen Gestaltungen eines unternehmerisch nicht befähigten Gatten gehörte die Gründung einer GmbH, einer KG oder einer stillen Gesellschaft, wobei der Überlebende als Kommanditist oder als Stiller auftritt. Als eine risikopartizipative Möglichkeit, welche zur Versorgung einer unternehmerisch starken Ehegatten tauglich ist, hat sich der Unternehmensnießbrauch mit anschließender Unternehmensverpachtung erwiesen. Nunmehr steht die Versorgung eines Ehegatten zur Rede, dessen unternehmerische Fähigkeiten der Erblasser zwar nicht als besonders stark oder mittelmäßig, aber auch nicht als nicht vorhanden eingeschätzt hat. Vielmehr erachtet er seinen Gatten für unternehmerisch eher gering befähigt. Es wird sich zeigen lassen, daß dieser Einschätzung ein besonderer Versorgungsmodus entspricht – und zwar der Ertragsnießbrauch an einem einzelkaufmännischen Unternehmen. Ein derartiger Nießbrauch gilt weithin als ein probates Mittel, dem zu versorgenden Teil die Möglichkeit zu eröffnen, ohne Belastung mit der Last unternehmerischen Handelns an dem Ertrag des von einem Dritten, gemeinhin des Erben, geführten Unternehmens mit dinglicher Wirkung zu partizipieren. Der Ertragsnießbrauch an einem Unternehmen ist eine durchaus komplizierte Rechtsfigur. Schon seine Zulässigkeit ist umstritten. Dies gilt auch für den gesamten Zuschnitt dieses dinglichen Rechts. Die Verhältnisse werden noch dadurch komplexer, in sich verflochtener und verwickelter, weil der Ertragsnießbrauch an einem Unternehmen eine besondere Spielart des Unternehmensnießbrauchs darstellt, dessen Zulässigkeit und Ausgestaltung wiederum hochumstritten ist. Der Ertragsnießbrauch kann daher seiner ganzen Anlage nach nicht verstanden werden, wenn nicht vorab ein Blick auf den Unternehmensnießbrauch als solcher geworfen wird. Dieser „Blick vorab“ bietet sich auch deshalb an, weil nach

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der Diskussion des Ertragsnießbrauchs eine weitere Möglichkeit zur Versorgung des Überlebenden dargelegt werden wird, die auf dem Recht des Unternehmensnießbrauchs beruht. Das Recht des Unternehmensnießbrauch ist gleichsam ein „Allgemeiner Teil“ der zuvor vor die Klammer der folgenden Überlegungen gezogen werden muß.

§ 27 Vorüberlegungen zum Unternehmensnießbrauch I. Die Bestellung des Unternehmensnießbrauchs: Nießbrauch „am Unternehmen“? 1. Streitstand

Nach ganz h. M. scheidet eine Bestellung des Unternehmensnießbrauch durch einen einheitlichen Rechtsakt aus. Der Unternehmensnießbrauch wird vielmehr nach dem sachenrechtlichen Spezialitätsprinzip an den einzelnen Sachen und Rechten des Unternehmens nach den hierfür geltenden Vorschriften bestellt1. Sobald der Nießbraucher darüber hinaus in den unternehmerischen Tätigkeitsbereich eingewiesen worden ist, spricht die h. M. von einem Nießbrauch „am Unternehmen“ als ganzem2. Mit der Einweisung in den Tätigkeitsbereich geht die Unternehmensinhaberschaft auf den Nießbraucher über3. Schön hat demgegenüber vorgeschlagen, den Unternehmensnießbrauch nicht als Nießbrauch an der sachenrechtlichen Einheit „Unternehmen“, sondern als Nießbrauch an den zum Unternehmen gehörenden Einzelgegenständen zu begreifen und zu konstruieren4. Er entgeht damit weitgehend den Einwänden, die gegen den als dingliches Recht an einem einheitlichen Gegenstand „Unternehmen“ verstandenen Unternehmensnießbrauch vorgebracht worden sind5. Schon deshalb wäre er unter dogmatisch-konstruktiven Aspekt vorzugswürdig, da ein Nießbrauch an einem „Unternehmen“ eine sachenrechtliche Rechtsfortbildung darstellt, die methodisch unzulässig ist, wenn der Schönsche Weg gangbar wäre. Anders wäre dies freilich, wenn der Vorschlag von Schön nicht die mit der Konstruktion eines Unternehmensnießbrauchs verbundenen Vorteile realisieren würde. Es bleibt folglich zu prüfen, ob der Schönsche Vorschlag tatsächlich gegenüber dem der h. M. einen Fortschritt bringt. 1 Siehe nur RGZ 70, 226 (232); Staud-Frank, Anh zu §§ 1068, 1069 Rn. 25 m. w. Nachw. in Rn. 29 Fn.*; aA ersichtlich nur Ehrenberg-Pisko, Handbuch des gesamten Handelsrechts, Bd. 2 1. Abteilg., 195 (229). 2 Etwa Staud-Frank, Anh zu §§ 1068, 1069 Rn. 29; MünchKomm-Petzoldt, § 1085 Rn. 9, je mit zahlrwNachw. 3 Etwa Staud-Frank, Anh zu §§ 1068, 1069 Rn. 26. 4 Schön, Nießbrauch, 100 f. 5 Zu diesen Einwänden siehe unten § 36.

§ 27 Vorüberlegungen zum Unternehmensnießbrauch

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2. Vorteile der herrschenden Meinung?

Einer der Vorteile des Unternehmensnießbrauchs liegt darin, daß der good will und der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb vor Eingriffen Dritter geschützt ist. Bei dem Schönschen Vorschlag wäre beides gewahrt, da der Schutz des good will und des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs von der dinglichen Rechtslage am Unternehmen unabhängig ist6. Der Unternehmensnießbraucher ist bei einem Unternehmensnießbrauch des weiteren davor geschützt ist, daß ihm der Eigentümer-Besteller den unternehmerischen Tätigkeitsbereich durch eine Veräußerung des Unternehmens entzieht. Der gleiche Schutz würde bei dem Schönschen Ansinnen durch das dingliche Nutzungsrecht an den Einzelgegenständen gewährt, da ein potentieller Unternehmenserwerber das Unternehmensvermögen ja nicht nutzen und damit dem Nießbraucher auch nicht den unternehmerischen Tätigkeitsbereich streitig machen könnte. Dies zeigt sich auch darin, daß die Widmung, die die einzelnen Unternehmensgegenstände anhand eines übergreifenden Unternehmenszwecks zu einer einheitlichen Vermögensmasse zusammenfaßt, gem. § 1036 II BGB in die „wirtschaftliche Bestimmung“ der Einzelgegenstände eingeht und diese in der Hand des Nießbrauchers zu einer funktionsfähigen Einheit zusammenfaßt7. 3. Die praktischen Hauptprobleme eines Nießbrauchs „am Unternehmen“

Eine jede Konstruktion eines Nießbrauchs am Unternehmen muß zwei praktisch relevante Probleme bewältigen. Einmal muß gesichert sein, daß bei einem etwaig im Fortschritt des unternehmerischen Handelns notwendig werdenden Austausch von Einzelgegenständen des Anlagevermögens, welche ja im Eigentum des Bestellers stehen8, der Nießbrauch „am Unternehmen“ fortbesteht. Daneben muß gewährleistet sein, daß die Nießbrauchskonstruktion für ein jedes einzelkaufmännisches Unternehmen gleich welchen Zuschnitts tauglich ist. Sind beide Probleme sowohl bei dem Schönschen als auch bei dem herrschenden Vorschlag bewältigt? a) Das erste Problem: Die Nießbrauchsbelastung des Neuerwerbs von Gegenständen des Anlagevermögens Soweit das erste der beiden soeben geschilderten Probleme in Rede steht, will die h. M. den Nießbrauch dadurch sichern, daß der Nießbrauch die 6

Insofern muß Schön, Nießbrauch, 100, gefolgt werden. Schön, Nießbrauch, 101. 8 Staud-Frank, Anh zu §§ 1068, 1069 Rn. 39; MünchKomm-Petzoldt, § 1085 Rn. 11; sowie unten § 27 II 1 a. 7

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marktbezogene Einheit aus sachlichen Mitteln und tätigkeitsbezogenem Geschäftsbetrieb – eben das Unternehmen9 – belaste10. Der Neuerwerb von Gegenständen des Anlagevermögens würde dann ipso iure mit dem Erwerb nießbrauchsbelastet. Schön will hier mit einer aus der Zweckbestimmung des unternehmerischen Vermögens hergeleiteten Analogie zur Surrogationsvorschrift des § 1048 BGB abhelfen11. Wie steht es mit der Heuristik dieser beiden Vorschläge? Diese Frage kann erst dann beantwortet werden, wenn zuvor ein Blick auf die Eigentumslage hinsichtlich des Anlagevermögens geworfen wird. Das Anlagevermögen bleibt im Alleineigentum des Erben-Bestellers. Aus der Zweckbestimmung des unternehmerischen Vermögens folgt, daß der Nießbraucher zugleich zu Verfügungen über das bewegliche Anlagevermögen analog § 1048 I BGB nach den Regeln einer ordnungsgemäßen Wirtschaft berechtigt ist. Bei Immobilien wäre es demgegenüber nicht tragbar, den Rechtsverkehr mit Zweifelsfragen hinsichtlich der in § 1048 I BGB niedergelegten Beschränkung der Verfügungsberechtigung auf Maßnahmen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft zu behelligen. Eine Verfügungsbefugnis analog § 1048 I BGB kommt daher für das Immobiliarvermögen nicht in Betracht. Der Eigentümer ist jedoch analog § 2120 S. 1 BGB zur Einwilligung in die anstehende, einer ordnungsgemäßen Wirtschaft entsprechenden Verfügung verpflichtet12. Ersatzgüter fallen aufgrund dinglicher Surrogation gem. § 1048 I 2 HS 2 BGB analog wieder in das Eigentum des Bestellers13. All dies ist – solange der Unternehmensnießbrauch überhaupt für zulässig erachtet wird – im wesentlichen unstreitig. Merkwürdigerweise findet sich jedoch in Literatur und Rechtsprechung – soweit ersichtlich – kein Hinweis darauf, wie es um den Nießbrauch bestellt ist, wenn es zum Einverleiben i. S. § 1048 I BGB kommt. Der Unternehmensnießbraucher wäre ohne einen Nießbrauch an den neuerworbenen Gegenständen des Anlagevermögens nicht hinreichend geschützt; er könnte insbes. nicht bei Verfügungen des Eigentümers dem Erwerber seine Rechte 9

Zum Unternehmensbegriff siehe unten § 36 V. So etwa Staud-Frank, Anh zu §§ 1068, 1069 Rn. 30. 11 Schön, Nießbrauch, 205; ebenso BGH, MDR 1975, 225; Staud-Frank, Anh zu §§ 1068, 1069 Rn. 39; MüchKomm-Petzoldt, § 1085 Rn. 11; Düringer/HachenburgHoeniger, § 25 HGB Rn. 35; Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 6 III 3 a. 12 So auch Schön, Nießbrauch, 93 f. 13 BGH, MDR 1975, 225; Staud-Frank, § 1048 Rn. 2, Anh zu §§ 1068, 1069 Rn. 39; Soergel-Stürner, § 1048 Rn. 2, offener in § 1085 Rn. 8; MünchKomm-Petzoldt, § 1048 Rn. 2, § 1085 Rn. 11; Palandt-Bassenge, § 1048 Rn. 2, § 1085 Rn. 6; Großkomm-Würdinger, § 22 HGB Rn. 51; Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 6 III 3 a; für das Betriebsvermögen insgesamt Schön, Nießbrauch, 205; zur älteren Lit. vgl. die Nachweise bei Bökelmann, Nutzungen, 35 Fn. 62. Zur Rechtslage bei Grundstücken siehe Schön, ebda., 93 f. 10

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aus dem Grundgeschäft entgegenhalten. Es stellt sich damit zwangsläufig die Frage, ob der Nießbraucher ex lege oder erst im Wege einer privatautonomen Bestellung den Nießbrauch am Neuerwerb erlangt. Die These lautet: Richtig ist allein ein Nießbrauchserwerb ex lege. Das heißt: Der Eigentümer wird Gläubiger der Kaufpreisforderung bei Verkauf einer Sache des Anlagevermögens und Sacheigentümer beim Erwerb für das Anlagevermögen; der Nießbraucher erwirbt ohne Durchgang durch den Eigentümer im Wege des Direkterwerbs zugleich aufgrund der Nießbrauchsverhaftetheit des Unternehmens den Nießbrauch an diesen Gegenständen. Diese These hat ein – sekundäres – konstruktives und ein – primäres – wertendes Moment. aa) Konstruktion: Nießbrauchsbelastung des Neuerwerbs ex lege Konstruktiv sind dreierlei Weisen denkbar, mit denen ein Direkterwerb stattfinden könnte: erstens ein Erwerb aufgrund einer Anordnung des objektiven Rechts ohne weitere privatautonome Akte, zweitens ein Erwerb kraft Erwerbsermächtigung, drittens ein Erwerb infolge einer antizipierten Globalbestellung und eines Besitzkonstituts am künftigen Neuerwerb. Die zweite Konstruktion – die Erwerbsermächtigung – scheidet aus, weil sie sich nicht in die herkömmlichen Formen rechtsgeschäftlichen Handelns einfügt. Bei den verbleibenden beiden konstruktiven Formen wäre bei dem zuletzt genannten, also dem dritten Weg, nur ein Direkterwerb wirtschaftlich sinnvoll. Nur müßte dann begründet werden, warum es in Abweichung von den seitens der h. M. angenommenen parallelen Regeln der Globalzession14 nicht zu einem Durchgangserwerb kommen soll, obwohl der Grund des Erwerbs nicht schon bei der antizipierten Globalbestellung bestand15. Einfa14 Die h. M. nimmt bei einer Vorausabtretung Durchgangserwerb an, wenn der Grund der Forderung bei der Zession noch nicht gelegt war, siehe etwa Erman-H. P. Westermann, § 398 Rn. 12; Larenz, SchuldR I, § 34 III. 15 Eine dem Direkterwerb ähnliche Rechtsfolge würde auch durch die analoge Anwendung des Kommittentenschutzes des § 392 II HGB erzielt. Danach würden Neu-Forderungen im Verhältnis zwischen dem Eigentümer-Besteller auf der einen und dem Unternehmensnießbraucher und dessen Geschäftsgläubigern auf der anderen Seite schon vor der Abtretung – also innerhalb der „logischen Sekunde“ des Durchgangserwerbs – als mit einem Nießbrauch belastete Forderungen des Eigentümer-Bestellers gelten. Nur ist dieser Weg über § 392 II HGB schon deshalb nicht gangbar, weil er gegenüber dem Direkterwerb in der Wertung auf der einen Seite nicht einfacher, auf der anderen Seite aber schwieriger zu begründen wäre, da es sich mit dem Einwand auseinanderzusetzen gelte, § 392 II HGB sei nicht analogiefähig, dazu nur RGZ 58, 273 (276 f.). Ob dieser Einwand zu Recht besteht (dazu nur Grundmann, Treuhandvertrag, 311 Fn. 69, 420, weitere Nachw 414 Fn. 210; Canaris, FS Flume, 371 (420, siehe aber auch 406 ff.); Hager, AcP 180 (1980), 239 (255 ff.)), soll daher hier dahingestellt bleiben.

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cher erscheint deshalb ein Rückgriff auf die erste Konstruktion, also der Weg über eine Belastung des Neuerwerbs ex lege. Dieser Weg würde dem Institut des Unternehmensnießbrauchs eine fest umrissene Form geben und damit dem Gedanken der Orientierungssicherheit dinglicher Rechte16 Rechnung tragen. Zugleich würde aber – anders als bei der Annahme einer antizipierten und global umrissenen Nießbrauchsbestellung, bei der diese ja zuerst einmal ausbedungen sein muß – der Neuerwerb automatisch nießbrauchsverhaftet. Die Frage ist, ob die Parteien des Nießbrauchs in der Nießbrauchsbestellung die Automatik der Nießbrauchsverhaftung auch einmal ausschließen können. Daß dies tatsächlich nach dem geltenden Nießbrauchsrecht nicht möglich ist, zeigt ein Blick auf den nießbrauchsrechtlichen Regelungsbestand der §§ 1036 ff. BGB. Nach den Kategorien der h. M. entscheidet sich die Dispositivität dieser Vorschriften anhand der Frage, ob die vertraglich ausbedungene Modifikation des gesetzlichen nießbrauchsrechtlichen Schuldverhältnisses die begriffswesentliche Grenze zwischen Nießbrauch und Eigentum verletzt oder gegen das „Wesen“ des Nießbrauchs verstößt17. Nun ist dieses Kriterium beim Unternehmensnießbrauch offensichtlich untauglich, für oder gegen die Zulässigkeit privatautonomer Modifikationen des gesetzlichen Schuldverhältnisses zu votieren; steht doch gerade die interessengerechte Fortentwicklung des Nießbrauchsrechts im Unternehmensbereich zur Debatte. In dieser Situation hilft daher kein Wesensargument aus dem Verhältnis von Nießbrauch und Eigentum weiter, sondern nur, sich auf den Gedanken zu besinnen, der die Grundlage für eine sinnvolle Trennung des zwingenden vom nichtzwingenden Nießbrauchsrecht legt. Wie Schön mit Blick auf die Teleologie der sachenrechtlichen Typenfixierung und des numerus clausus dinglicher Rechte nachgewiesen hat, ist dies das Allgemeininteresse an einer optimalen Gesamtnutzung der Sache18. Dieses Allgemeininteresse läßt es nicht zu, daß die automatische Nießbrauchsverhaftetheit des Neuerwerbs bei der Nießbrauchsbestellung privatautonom ausgeschlossen würde. Denn dem Nießbraucher wäre ja eine gefahrlose Bewirtschaftung seines Unternehmens genommen, wenn nicht in das Grundgeschäft, welches der Nießbrauchsbestellung zugrundeliegt, eine Verpflichtung des Eigentümers aufgenommen würde, daß bei einem Neuerwerb von Gegenständen des Anlagevermögens der Eigentümer in die Bestellung eines Nießbrauchs an diesen einzuwilligen hat. Nun ist schon zweifelhaft, warum die Parteien auf der einen Seite eine automatische Nießbrauchsbelastung des Neuerwerbs ausschließen und 16

Dazu § 35 II. Etwa BGH, NJW 1981, 31 f.; KG, RPfl 1992, 14 ff.; BayObLGZ 1979, 273 ff.; OLG Hamm, RPfl 1983, 144 f.; BayObLG, DNotZ 1986, 151 ff.; StaudFrank, Vorbem zu §§ 1030 ff. Rn. 12; MünchKomm-Petzoldt, vor § 1030 Rn. 14. 18 Schön, Nießbrauch, 247 f. 17

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auf der anderen Seite eine schuldrechtliche Verpflichtung zur Nießbrauchsbestellung vorsehen sollten. Wenn die Parteien eine automatische Nießbrauchsbelastung ausgeschlossen haben, werden sie auch regelmäßig keine derartige schuldrechtliche Verpflichtung vorsehen. In diesem Fall könnte der Unternehmensnießbraucher aber kaum guten Gewissens Gegenstände des Anlagevermögens erwerben, da der Neuerwerb nur nießbrauchsverhaftet würde, wenn der Eigentümer im Einzelfall gewillt ist, in die Belastung einzuwilligen. Ist er dies nicht, könnte im Laufe der Zeit das Unternehmen sein Anlagevermögen verlieren. Interessen der Beteiligten, warum dies einmal sinnvoll sein könnte, sind nicht ersichtlich. Ist dem so, widerspricht es dem Allgemeininteresse an einer optimalen Gegenstandsnutzung, die automatische Nießbrauchsbelastung des Neuerwerbs am Anlagevermögen der Parteidisposition zu öffnen. Es gehört damit zum zwingenden konstruktiven Bestand des Unternehmensnießbrauchs, daß am Neuerwerb des Anlagevermögens ex lege ein Nießbrauch entsteht.

bb) Wertung: Der Grund für den Direkterwerb Mit dieser konstruktiven Weichenstellung ist jedoch noch nichts über die Zulässigkeit einer automatischen, ex lege eintretenden Nießbrauchsbelastung am Neuerwerb gesagt. Das Ergebnis vorweggenommen: Unzulässig ist die Belastung nicht. Weder stehen ihr überwiegende Interessen der Betroffenen (Nießbraucher, Eigentümer-Besteller, Geschäftsgläubiger) entgegen, noch steht der Direkterwerb im Widerspruch zu anerkannten Grundsätzen des Bürgerlichen Rechts. Drei Argumente seien genannt. Einmal besteht ein großes Interesse an einer auf die ex-lege-Belastung des Neuerwerbs gerichtete Rechtsfortbildung des Sachenrechts. Denn nur so wird das soeben skizzierte Allgemeininteresse gesichert, daß der Unternehmensnießbraucher nicht langsam sein Anlagevermögen verliert, was erkennbar nicht sinnvoll wäre. Zum zweiten ist der Direkterwerb des Nießbrauchs das Ergebnis interessengerechter Überlegungen zum Schutz des Unternehmensnießbrauchers vor Zwischenverfügungen des Eigentümers, welches die wirtschaftliche Einheit des Nießbrauchsgegenstands „Unternehmen“ wahrt und nicht durch die sachfremde Belastung bsp. mit Pfandrechten oder sogar durch den Verlust des Eigentums an Gegenständen des Anlagevermögens durch Übereignungen an Dritte seitens des Eigentümer-Bestellers zerstört. Interessen der Geschäftsgläubiger werden durch den Direkterwerb sowieso nicht berührt, da der mit dem Direkterwerb verbundene Ausschluß belastender Zwischenverfügungen des Eigentümers ihnen eine rangsichere Vollstreckung in den Nießbrauch ex lege eröffnet. Es bleiben allenfalls die Interessen der Eigengläubiger des Eigentümers. Doch auch sie werden im Ergebnis nicht relevant betroffen. Sie können in das bestehende Anlagever-

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mögen wegen seiner Nießbrauchsbelastung nicht vollstrecken. Treten zu dem bestehenden Anlagevermögen Gegenstände hinzu und würden diese nicht direkt ex lege nießbrauchsbelastet, könnten die Eigengläubiger des Eigentümers grundsätzlich in den Neuerwerb vollstrecken, solange ein Nießbrauch nicht eigens bestellt ist und sie sich nicht rangwahrend gesichert haben. Diese Vollstreckungschance wäre jedoch Folge einer Ausübung der Unternehmenspolitik, nämlich der Entscheidung, überhaupt neues Anlagevermögen zu erwerben. Mit dieser Entscheidung und mit dem Entscheidenden (nämlich dem Unternehmensnießbraucher) haben die Eigengläubiger des Eigentümers aber nicht zu schaffen; der Neuerwerb darf ihnen daher nicht zum Vorteil gereichen. Nach all dem ist eine automatische Nießbrauchsbelastung der neu erworbenen Gegenstände des Anlagevermögens sinnvoll. Eine derartige automatische Nießbrauchsbelastung scheint aber gegen das Offenkundigkeitsprinzip zu verstoßen. Dies ist jedoch letztlich nicht der Fall. Denn aus den gleichen Gründen, aus denen in dem Parallelfall des Erwerbs durch den Testamentsvollstrecker für den Nachlaß bei der Treuhandlösung im Rahmen der Testamentsvollstreckung über das Einzelhandelsgeschäfts kein Verstoß gegen sachenrechtliche Prinzipien ersichtlich ist, ist dies auch hier nicht der Fall. Allerdings hat erst jüngst wieder Muscheler vorgetragen, bei der Unternehmenstestamentsvollstreckung sei der Erwerb für den Nachlaß mit gewichtigen sachenrechtlichen Prinzipien nicht vereinbar19. Dieser Vorwurf greift letztlich nicht durch. Warum dies so ist, ist allerdings kaum mit ein paar Worten zu zeigen. Um nicht unnötige Wiederholungen zu provozieren und weil die Argumentationslage am besten im Sachzusammenhang mit dem Testamentsvollstreckerrecht dargelegt und plastisch gemacht werden kann, sei deshalb auf die Ausführungen im Rahmen der Diskussion der Treuhandlösung verwiesen20. Die gleichen Argumente, die dort für den Direkterwerb für den Nachlaß vorgetragen sind, sprechen in gleicher Weise auch für die automatische Nießbrauchsbelastung der neu erworbenen Gegenstände des Anlagevermögens. cc) Die Folgerungen für das Problem „Nießbrauchsbelastung des Neuerwerbs“ Eine automatische Nießbrauchsbelastung der neu erworbenen Gegenstände des Anlagevermögens wäre mithin in der Wertung tragbar. Fraglich ist dann nur, welches Nießbrauchsverständnis diese Wertung angemessen widerspiegelt, ob also die automatische Nießbrauchsbelastung konstruktiv 19 20

Muscheler, Haftungsordnung, 321 ff. und öfters. Unten § 32 III 2 a.

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besser mit der Figur eines Nießbrauchs „am Unternehmen“ oder auch mit dem Schönschen Gebilde eines Nießbrauchs an den Einzelgegenständen des Betriebsvermögens abgebildet werden kann. Die Antwort kann nur lauten, daß beide Vorschäge hierfür geeignet sind. Denn ist in der Wertung die automatische Nießbrauchsbelastung des Neuerwerbs überzeugend, spricht nichts dagegen, § 1048 I BGB zu einem umfassenden Surrogationstatbestand auszubauen. Der Schönsche Ansatz würde dann insoweit ergänzt, daß § 1048 I BGB analog nicht nur den geschäftlichen Neuerwerb am Anlagevermögen ins Eigentum des Bestellers fallen, sondern auch umgekehrt an diesem Neuerwerb ipso iure einen Nießbrauch entstehen läßt. Diese Rechtsfortbildung des § 1048 I BGB muß genauso zulässig sein, wie die Schöpfung der Rechtsfigur „Unternehmensnießbrauch“ als solche. Hinsichtlich des Neuerwerbs von Gegenständen des Anlagevermögens wäre der erweiterte Schönsche Vorschlag entgegen anderslautender Einwände im Schriftum21 also ebenso funktionsgerecht, wie ein Nießbrauch an einen einheitlichen sachenrechtlichen Gegenstand „Unternehmen“22. Wie soll in diesem „Patt“ entschieden werden? Sowohl mit dem Vorschlag der h. M. als auch mit dem erweiterten Schönschen Konzept wird eine ungeschriebene Norm (nämlich: die automatische Nießbrauchsbelastung des Neuerwerbs) als eine Norm des geltenden Rechts behauptet23. Diese Behauptung basiert auf identischen Wertungen, unterscheidet sich aber hinsichtlich der Konstruktion, mit der diese Wertung umgesetzt wird (nämlich: mal über die Schöpfung eines sachenrechtlichen Gegenstands „Unternehmen“, mal über eine Rechtsfortbildung des § 1048 I BGB). Die Vorschläge sind damit nicht nur normvorschlagende Theorien, sondern auch konstruktive bzw. qualifikatorische Theorien. Konstruktive bzw. qualifikatorische Theorien betreffen die Einordnung eines rechtlichen Phänomens (nämlich: Das Schicksal des Neuerwerbs von Gegenständen des Anlagevermögens) in das System der juristischen Begriffe24. Die h. M. will das Phänomen „Unternehmensnießbrauch“ in der Weise in dieses System einordnen, daß sie den Rechtsgegenstand „Unternehmen“ kreiert, um die Systemreinheit des an der Dichotomie von Sachen und Rechten orientierten Sachenrechts25 nicht zu gefährden. Dies ist ohne Zweifel ein konstruktivrechtssystematischer Vorteil gegenüber dem erweiterten Schönschen Vor21

Bsp. Staud-Frank, Anh zu §§ 1068, 1069 Rn. 30. Schön, Nießbrauch, 101; ähnlich Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 6 III 3 a. Bei der Erörterung des Ertragsnießbrauchs wird dies nochmals klar zum Ausdruck kommen, siehe unten § 36 III, IV. 23 Beide Vorschläge sind damit normvorschlagende Theorien in der Diktion Ralf Dreiers, siehe ders., Recht – Moral – Ideologie, 74. 24 Dreier, Recht – Moral – Ideologie, 74. 25 Dazu nur Walz, KritV 1986, 131 ff.; sowie unten § 36 III, IV. 22

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schlag. Es fragt sich nur, ob dies ausschlaggebend für die h. M. spricht. Eine gelungene Konstruktion ist zweifellos dann ein gewichtiges Argument für einen Ansatz, wenn mit der Konstruktion auf bewährte Rechtsstrukturen zurückgegriffen wird26, die man im Vermögensrecht einsetzt, um Freiheit und klare Zuständigkeiten zu begründen27. So wäre es beispielsweise wenig vorteilhaft, wenn mit dem Schönschen Vorschlag die Festigkeit der Sachenrechtsordnung aufgelöst würde28. Doch so ist es ja nicht. Auch das Konzept von Schön kann sich ebenso wie das der h. M. in die bewährten Strukturen des Sachenrechts einordnen. Da letztlich die entscheidenden Wertungsfragen von beiden Ansätzen äquivalent gelöst werden und die Klarheit der Rechtsstrukturen beidesmal gewahrt ist, ist mithin die Unterschiedlichkeit beider Ansätze, die auf ihren verschiedenen konstruktiv-theoretischen Gehalt zurückgeführt werden können, kein Argument, welches für oder gegen eines der beiden Konzepte angeführt werden kann. Soweit das erste, der beiden hier diskutierten Probleme in Rede steht (nämlich die Erklärung der automatischen Nießbrauchsbelastung des Neuerwerbs von Gegenständen des Anlagevermögens) vermögen also sowohl die h. M. als auch der erweiterte Schönsche Vorschlag zu überzeugen. Es bleibt das zweite der o. g. beiden Schwierigkeiten. b) Das zweite Problem: Die Tauglichkeit der Nießbrauchskonstruktion für ein jedes einzelkaufmännisches Unternehmen Eine sachgerechte dogmatische Konzeption eines Nießbrauchs hinsichtlich des Unternehmens muß nicht nur die Nießbrauchsbelastung des Neuerwerbs bewältigen, sondern auch dafür Sorge tragen, daß die Nießbrauchskonstruktion für ein jedes einzelkaufmännisches Unternehmen gleich welchen Zuschnitts tauglich ist. Mit Blick hierauf könnte gegen das Schönsche Ansinnen, einen Nießbrauch nur an den Gegenständen des Betriebsvermögens hinreichen zu lassen, sprechen, daß damit nicht mehr die ganze Fülle der mittlerweile entstandenen Unternehmensarten erfaßt werden könne. In der Tat ist dies so und bringt letztlich das Konzept von Schön zu Fall. Denn der Ansatz am Betriebsvermögen, dessen Gegenstände nießbrauchsrechtlich erfaßt werden, setzt eben eines voraus, welches in der heutigen entwickelten vernetzten Marktwirtschaft nicht mehr ohne weiteres unterstellt werden 26 Die heuristische Leistung einer Theorie, für die Verträglichkeit einer Lösung mit dem System des geltenden Rechts zu sorgen, wird oftmals als Gütekriterium eines Ansatzes genannt (so etwa bei Canaris, JZ 1993, 377 (378); ders., FS Kitagawa, 59 (64 f.)). 27 Okko Behrends, in: Rechtsdogmatik und praktische Vernunft, 138 (152). 28 Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 82 f., sieht gerade im Sachen- und Erbrecht feste Ordnungen verwirklicht, die nicht in bewegliche Systeme aufgelöst werden könnten.

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kann: einen bestimmten Zuschnitt des Betriebsvermögens insbesondere im Anlagebereich. Zu denken wäre hier an einen Unternehmenszuschnitt, bei dem die Tätigkeit dermaßen im Vordergrund steht, daß das an den Einzelgegenständen begründete nießbrauchsrechtliche Element und der darin eingeschlossene Widmungsbezug zum Unternehmen kaum mehr tragfähig begründen kann, wieso allein aufgrund des Nießbrauchs an eben diesen Gegenständen die Pflichtenstellung aus §§ 1036 ff. BGB und die Fortdauer des Nießbrauchs im Laufe der Zeit erfolgen soll. Insofern muß man hier gar nicht erst das Lehrbuchbeispiel des Maklers mit Kundenbuch bemühen. Denn neue schützenswerte Wirtschaftsgüter, die weder Waren- noch Dienstleistungscharakter haben, zwingen zu einer grundlegenden Revision des Problemansatzes. In der postindustriellen Informationsgesellschaft löst sich nicht nur das Eigentumselement aufgrund der immer stärkeren Ausdifferenzierung der Kapitalmärkte mehr und mehr vom Ertragsinteresse29, sondern es entwickeln sich auch Formen des Güteraustausches mit dematerialisierten Rechtsgütern wie Information, Kenntnisse über Fertigungs- und Vermarktungsprozeduren und Kundenlisten, die sich der waren- und dienstleistungsbezogenen Austauschlogik tradierter Warenmärkte widersetzen30. Gerade diesen zukunftsträchtigen Entwicklungen muß aber eine versorgungsgerechte Rechtsgestaltung hinreichend Rechnung tragen und darf nicht auf dem überkommenen Bild des mittelständigen, güteraustauschenden Unternehmers verharren. Bei betriebsvermögensarmen Dienstleistern schließlich überzeugt der Schönsche Ansatz sowieso nicht. Es bleibt mithin festzuhalten, daß der Vorschlag der h. M., einen Nießbrauch an einem einzelkaufmännischen Unternehmen zuzulassen, sachgerechter ist. 4. Ergebnis

Der Ausgangspunkt der h. M., im Wege der Rechtsfortbildung einen Rechtsgegenstand „Unternehmen“ zu kreieren, an dem ein Nießbrauch bestellt wird, ist gegenüber dem Schönschen Vorschlag nach dem zuvor Gesagten der sachgerechtere Weg. Freilich ist damit noch nicht gesagt, daß die Rechtsfortbildung als solche zulässig ist. Wäre sie es nicht, wäre zweifellos auch dem Konzept von Schön die Grundlage entzogen, da dieses ja auf der 29 Vgl. dazu die Beiträge in D. B. Crane u. a. (Hrsg.), The Global Financial System – A Functional Perspective, Boston, 1995. 30 Vgl. dazu nur Hoeren, GRUR 1997, 866 ff.; ders, Beilage zu MMR H. 9, 1998, 6; ders., NJW 1998, 2849 ff.; sowie bsp. Grundmann, Treuhandvertrag, 103 ff., 111 f., 112 ff., 116 ff., im Rahmen der Treuhandschaft; und allgemein Druey, Informationen als Gegenstand des Rechts, insbes. 77 ff.; Spinner, Die Wissensordnung, 1994. Diese Überlegungen sind unabhängig von der Problematik, inwieweit der Sachbegriff des BGB auf neue Herausforderungen reagieren kann, dazu nur jüngst Peter Bydlinski, AcP 198 (1998), 287 ff.

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gleichen Wertung beruht, die auch die h. M. trägt. Ob die Rechtsfortbildung angängig ist, kann an dieser Stelle noch nicht untersucht werden. Vielmehr muß zuvor geklärt sein, welches denn genau die Figur ist, die mit einem „Unternehmensnießbrauch“ bezeichnet wird. Erst wenn dessen Konturen geklärt sind, kann die Rechtsfortbildungs-Frage guten Gewissens angegangen werden. Hierzu sei hier daher verwiesen31. Einstweilen sei für die weiteren Überlegungen davon auszugehen, daß die Möglichkeit besteht, an einem einzelkaufmännischen Unternehmen einen Nießbrauch zu bestellen. II. Die Ausgestaltung des Unternehmensnießbrauchs Beim Unternehmensnießbrauch kommt es mit Blick auf dessen Eigenart und wirtschaftlichen Zweck zu gewissen Modifikationen bei der Anwendung des nießbrauchsrechtlichen Normbestands32, die hier aber nur im Hinblick auf die Versorgungsgerechtigkeit der Gestaltung interessieren. Für die Beurteilung dieser Versorgungsgerechtigkeit wichtig sind vor allem die Eigentumslage am Betriebsvermögen, die Forderungszuständigkeit für alte und neu erworbene Geschäftsforderungen, die Schuldnerschaft hinsichtlich alter und neu erworbener Geschäftsverpflichtungen sowie schließlich der Umfang der aus dem Unternehmen ziehbaren und dem Nießbraucher zugewiesenen Nutzungen. Mit Blick auf diese Themen ist der Unternehmensnießbrauch wie folgt ausgestaltet: 1. Eigentumsverhältnisse und Belastung

a) Anlagevermögen Es war schon die Rede davon33, daß das Anlagevermögen im Alleineigentum des Erben-Bestellers verbleibt und daß aus der Zweckbestimmung des unternehmerischen Vermögens die Berechtigung des Nießbrauchers zu Verfügungen über das bewegliche Anlagevermögen analog § 1048 I BGB nach den Regeln einer ordnungsgemäßen Wirtschaft folgt, während bei Immobilien der Eigentümer analog § 2120 S. 1 BGB zur Einwilligung in eine anstehende, einer ordnungsgemäßen Wirtschaft entsprechenden Verfügung verpflichtet ist. Ersatzgüter fallen aufgrund dinglicher Surrogation gem. § 1048 I 2 HS 2 BGB analog wieder in das Eigentum des Bestellers34. Die Einverleibung i. S. § 1048 I BGB selbst ist im übrigen im Normalfall des 31

Unten § 36. Dazu vgl. nur die Übersicht bei Staud-Frank, Anh zu §§ 1969, 1068 Rn. 38 ff.; Schön, Nießbrauch, 204 ff., 207 ff. 33 Oben § 27 I 3 a. 34 Oben § 27 I 3 a. 32

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§ 1048 I BGB Realakt und besteht in der Herstellung eines räumlichen Verhältnisses zum Grundstück oder zum sonstigen Inventar35. Die Vorschrift ist damit prima vista ersichtlich an der Veräußerung beweglicher Sachen im Rahmen der überschaubaren Bewirtschaftung eines einzigen Grundstücks orientiert. Sie focussiert eher ein überkommenes wirtschaftliches Idyll und konnte deshalb schon zur Zeit der Kodifikation kaum mehr als Paradigma eines auch industriell geprägten Handelns dienen. Der dem § 1048 I BGB zugrundeliegende Gedanke weist demgegenüber in eine modernere Richtung. Danach soll die aus Hauptsache und Zubehör gebildete wirtschaftliche Einheit nach Maßgabe der wirtschaftlichen Bestimmung und der Grundsätze einer ordnungsgemäßen Wirtschaft erhalten werden36. Schließt der Nießbraucher als Unternehmer einen Vertrag, wird bei einem Unternehmensnießbrauch die wirtschaftliche Einheit des Nießbrauchsgegenstands nur dann erhalten, wenn der Nießbraucher schon mit Vertragsschluß die hierbei entstehende Forderung seinem Unternehmen „einverleibt“. Einverleiben i. S. § 1048 I BGB analog ist also bei einem Unternehmensnießbrauch schon der Vertragsschluß unter der Firma des Unternehmens selbst. Kommt es zur Einverleibung, wurde schon geklärt, daß sich als Ausdruck der Belastung des Gegenstands „Unternehmen“ der Nießbrauch an den einverleibten Gegenständen fortsetzt37. b) Umlaufvermögen: Eigentumsübergang an den Nießbraucher Beim Umlaufvermögen sind die Auffassungen hinsichtlich der Eigentumslage geteilt. Während die herrschende Meinung für einen Eigentumserwerb des Nießbrauchers entsprechend § 1067 BGB plädiert38, empfiehlt Schön auch hier die Anwendung des Surrogationstatbestands des § 1048 I BGB39. Letztlich überzeugt der Verweis auf § 1048 BGB für das Umlaufvermögen nicht. Zwar sei Schön zugegeben, daß das Umlaufvermögen eines Unternehmens nicht lediglich eine Ansammlung verbrauchbarer Sachen gem. § 92 BGB darstellt, sondern in einem unternehmerischen Funktionszusammenhang steht40. Nur erzwingt dieser Funktionszusammenhang keineswegs die Analogie zu § 1048 BGB, sondern eher umgekehrt zu der den 35

Staud-Frank, § 1048 Rn. 7; MünchKomm-Petzoldt, § 1048 Rn. 5. Schön, Nießbrauch, 154. 37 Oben § 27 I 3 a. 38 BGH, WM 1974, 1219 (1220); Staud-Frank, § 1067 Rn. 2, Anh zu §§ 1068, 1069 Rn. 39; MünchKomm-Petzoldt, § 1085 Rn. 11; Soergel-Stürner, § 1085 Rn. 8; RGRK-Rothe, § 1067 Rn. 1; Erman-Michalski, § 1085 Rn. 9; Palandt-Bassenge, § 1085 Rn. 6; Wieling, Sachenrecht, § 14 III; Schwab/Prütting, § 80 IV; Bökelmann, Nutzungen, 39 f. 39 So Schön, Nießbrauch, 205, 209 f. 40 Schön, Nießbrauch, 205; vgl. auch Wieland, Handelsrecht, § 27 a III. 36

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uneigentlichen Nießbrauch betreffenden Regelung des § 1067 BGB. Der Normzweck des § 1067 BGB liegt darin, bei solchen Sachen, bei denen der bestimmungsgemäße Gebrauch gerade im Verbrauch oder in der Veräußerung besteht, zu einer zweckmäßigen Modifikation des nießbrauchsrechtlichen Grundsatzes zu gelangen, nach dem dem Nießbraucher der Eingriff in und die Verfügung über die Sachsubstanz untersagt ist41. Einem Unternehmen ist aber gerade eine wertschöpfende Tätigkeit am Markt inhärent; Verbrauch, Veräußerung und Verarbeitung des Umlaufvermögens ist Teil dieser Tätigkeit. Gerade der unternehmerische Funktionszusammenhang spricht daher für eine analoge Anwendung des § 1067 BGB. Der Nießbraucher erwirbt also analog § 1067 BGB das Eigentum an den neu erworbenen Gegenständen des Umlaufvermögens von Gesetzes wegen. Das ist mit dem nießbrauchsrechtlichem Verbot des Substanzeingriffs durchaus vereinbar. Denn „das Dogma von der Unverzichtbarkeit der ,Substanz‘ ist bloßer Reflex des gesamtwirtschaftlichen Interesses, die Sachnutzung insgesamt zu optimieren“42. Gerade eine derartige Optimierung erfolgt, wenn § 1067 BGB auf den Neuerwerb von Gegenständen des Umlaufvermögens analog angewendet wird. 2. Forderungszuständigkeit – Haftungsordnung

Forderungszuständigkeiten: Der Nießbraucher wird Gläubiger der bei einem ordnungsgemäßen Geschäftsbetrieb neu entstehenden Geschäftsforderungen43. Für sonstige neue Geschäftsforderungen gilt § 1039 BGB analog44. Der Nießbraucher wird demnach zwar im Außenverhältnis Inhaber der außerhalb eines ordnungsgemäßen Geschäftsbetriebs entstandenen Forderungen. Er ist aber gem. § 1039 I 2 HS 1 BGB bei der Beendigung des Nießbrauchs zumindest zum Wertersatz regelmäßig in Höhe des Nennwerts der Forderung verpflichtet und kann bei Verschulden darüber hinaus haften45. Bei Nießbrauchsbeginn bestehende Geschäftsforderungen müssen in Ausführung des der Nießbrauchsbestellung zugrundeliegenden, im Zweifel so auszulegenden Grundgeschäfts auf den Ehegatten-Nießbraucher durch den Besteller übertragen werden46. Mithin ist der Nießbraucher grundsätzlich Gläubiger der Geschäftsforderungen. 41

MünchKomm-Petzoldt, § 1067 Rn. 1. Schön, Nießbrauch, 257. 43 Staud-Frank, Anh zu §§ 1068, 1069 Rn. 39; Erman-Michalski, § 1085 Rn. 9; MünchKomm-Petzoldt, § 1085 Rn. 11; Bökelmann, Nutzungsrecht, 41. 44 Düringer/Hachenburg-Hoeniger; § 25 HGB Anm. 35. 45 Siehe allg. MünchKomm-Petzoldt, § 1039 Rn. 3. 46 Vgl. zur überwiegenden Praxis, in Ausführung des der Nießbrauchsbestellung zugrundeliegenden Verpflichtungsgeschäfts die bestehenden Forderungen zu übertragen, Staud-Frank, Anh zu §§ 1068, 1069 Rn. 39; Erman-Michalski, § 1085 Rn. 9; 42

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Haftungsordnung: Bei Fortführung des Geschäfts unter der bisherigen Firma haftet der Nießbraucher gem. § 25 I BGB für die Geschäftsschulden des früheren Inhabers den Alt-Geschäftsgläubigern gegenüber persönlich mit seinem gesamten Vermögen mit der Möglichkeit des Haftungsausschlusses gem. § 25 II HGB47. Es bleibt die Frage des Regresses im Innenverhältnis zum Besteller. Im Zweifel wird das dem Nießbrauch zugrundeliegende Kausalgeschäft vorsehen, daß der Besteller verpflichtet ist, den Nießbraucher durch rechtzeitige Befriedigung der Gläubiger von Geschäftsschulden zu befreien48. Für die während des Nießbrauchs eingegangenen Geschäftsforderungen haftet der Nießbraucher mit seinem gesamten Vermögen49; der Besteller-Erbe haftet erst nach Beendigung des Nießbrauchs unter den Voraussetzungen des § 25 I BGB50. 3. Auskehrfähiger Gewinn

Für die Versorgung des überlebenden Gatten besonders wichtig ist die Frage, welcher Gewinn bei einem Unternehmensnießbrauch überhaupt auskehrfähig ist. Auf den Zuschnitt des dem Nießbraucher gebührenden Ertrags51 ist daher ein besonderes Augenmerk zu legen. Die Rechtslage ist beim Unternehmensnießbrauch bedauerlicherweise nicht klar. Herrschender Meinung nach gebührt dem Nießbraucher hinsichtlich der Nutzungen des Unternehmens mangels besonderer letztwilliger Regelung in sinngemäßer Anwendung der §§ 99 ff. BGB52 der nach den Regeln ordnungsgemäßer MünchKomm-Petzoldt, § 1085 Rn. 11; RGRK-Rothe, § 1085 Rn. 4; Palandt-Bassenge, § 1085 Rn. 6; Großkomm-Würdinger, § 22 HGB Anm. 45, 51; aA Bökelmann, Nutzungen, 41, der anscheinend § 1067 I BGB analog anwenden will. 47 H.M., RGZ 133, 318 (322 f., zur Pacht); MünchKomm-Petzoldt, § 1085 Rn. 12; Staud-Frank, Anh zu §§ 1068, 1069 Rn. 42; Soergel-Stürner, § 1085 Rn. 8; Palandt-Bassenge, § 1085 Rn. 6; Schön, Nießbrauch, 206. Die §§ 1086, 1088 BGB bleiben freilich zu beachten, Staud-Frank, Anh zu §§ 1068, 1069 Rn. 42. 48 Staud-Frank, Anh zu §§ 1068, 1069 Rn. 43; MünchKomm-Petzoldt, § 1085 Rn. 12; Soergel-Stürner, § 1085 Rn. 8; Großkomm-Würdinger, § 22 HGB Rn. 51; v. Godin, Nutzungsrecht, 23; Bökelmann, Nutzungen, 56 f. 49 Staud-Frank, Anh zu §§ 1068, 1069 Rn. 44; Soergel-Stürner, § 1085 Rn. 8. 50 RGZ 133, 113 (123); Staud-Frank, Anh zu §§ 1068, 1069 Rn. 44; SoergelStürner, § 1085 Rn. 8; MünchKomm-Petzoldt, § 1085 Rn. 16; Erman-Michalski, § 1085 Rn. 10; Palandt-Bassenge, § 1085 Rn. 6; Schön, Nießbrauch, 206; aA v. Godin, Nutzungsrecht, 22. 51 Normalerweise wird unter Gewinn die Differenz zwischen Ertrag und Aufwand verstanden. Der Begriff „Ertragsnießbrauch“ wäre damit ungenau. Nun ist dieser Begriff aber gut eingeführt. Im weiteren werden daher durchweg die Begriffe „Ertrag“ und „Gewinn“ bedeutungsgleich verwendet. 52 Im einzelnen differieren die Zuordnungen, angewendet wird zumeist § 99 II BGB, manchmal auch § 99 I BGB, wenn nicht unmittelbar zu § 100 BGB gegriffen wird, vgl. die Übersicht bei Schön, Nießbrauch, 211 f.

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Wirtschaft i. S. § 1036 II BGB erzielte 53 und bilanzmäßig ausgewiesene Reingewinn abzüglich der gem. §§ 1041, 1047 BGB erhaltungsnotwendigen Aufwendungen, Abschreibungen und Rückstellungen54. Den Gewinn dürfen nach h. M. jedoch zwei Posten nicht mindern55: Soweit zum einen der Gewinn geschmälert ist, weil die unter der Inhaberschaft des Bestellers erwirtschafteten Verluste früherer Geschäftsjahre den durch den Nießbraucher erworbenen Ertrag späterer Jahre dezimieren, darf dies bei der Gewinnberechnung nicht zum Nachteil des Nießbrauchers gereichen. Das gleiche gilt, soweit der Gewinn durch Wertverluste am Anlagevermögen vermindert worden ist, welche trotz ordnungsgemäßer Bewirtschaftung zufallsbedingt eingetreten sind (etwa Enteignungen, Brandschäden). Das Risiko des zufälligen Untergangs von Gegenständen des Anlagevermögens weist die h. M. also gemäß der Gefahrtragungsregel „casum sentit dominus“ dem Eigentümer zu56. An dieser Nutzungsberechnung der h. M. sind durchschlagende Zweifel angebracht. Die h. M. löst aus dem bilanzmäßig als reine Rechenziffer sich darstellenden Unternehmensgewinn einzelne Positionen heraus und bearbeitet diese normativ sodann aufgrund der im gesetzlichen Schuldverhältnis der §§ 1036 ff. BGB niedergelegten Risikoverteilung mal zum Vorteil des Nießbrauchers und mal zugunsten des Bestellers besonders. Schön57 hat zu Recht darauf aufmerksam gemacht, daß ein derartiges Vorgehen nicht angängig ist. Die Eigenart eines Unternehmens liegt darin, mit seinem ihm gewidmeten Vermögen am Markt als ein einheitliches Funktionssystem aufzutreten. Sämtliche Gegenstände des Betriebsvermögens sind einem einheitlichen Unternehmenszweck untergeordnet. Der Unternehmensgewinn kann mit Blick hierauf nicht gesondert für das Umlauf- und das Anlagevermögen berechnet werden. Die Nutzungsberechnung der h. M. löst den funktionalen unternehmerischen Zusammenhang ohne nähere Begründung weitgehend auf und ruft gewichtige Ungereimtheiten hervor. Als Beispiel für derartige Ungereimtheiten kann der Umstand dienen, daß die h. M. das Eigentum am Umlaufvermögen dem Nießbraucher zuweist58 und aus dieser sachenrechtli53

RGZ 153, 29; Staud-Frank, Anh zu §§ 1068, 1069 Rn. 46. Staud-Frank, Anh zu §§ 1068, 1069 Rn. 46 f.; Soergel-Stürner, § 1085 Rn. 8; MünchKomm-Petzoldt, § 1085 Rn. 14; Erman-Michalski, § 1085 Rn. 9; GroßkommWürdinger, § 22 HGB Anm. 51; Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 6 III 3 a; im einzelnen Bökelmann, Nutzungen, 63 ff., 94, 116 ff., 130, 166 ff.; vgl. auch die Übersicht bei Schön, Nießbrauch, 207 f. 55 Vgl. zu dieser Unterscheidung zwischen „echten Betriebsverlusten“, die der Nießbraucher zu tragen hat, und zufallsbedingten echten Minderungen am Anlagevermögen, die den Eigentümer im Verhältnis zum Nießbraucher treffen, nur StaudFrank, Anh zu §§ 1068, 1069 Rn. 48. 56 Vgl. nur Staud-Frank, Anh zu §§ 1068, 1069, Rn. 39. 57 Schön, Nießbrauch, 209 f. 54

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chen Zuständigkeitszuweisung allein zugleich schon für die Berechnung des dem Nießbraucher zukommenden Gewinns den Schluß zieht, Wertveränderungen am Umlaufvermögen träfen den Nießbraucher, ergo mindere sich der ihm ausweislich des dinglichen Nutzungsrechts zugewiesene Ertrag. Überzeugend ist dies nicht, da selbstverständlich auch das Umlaufvermögen in die funktionale Verklammerung „Unternehmen“ eingestellt ist. Zudem kann die bloße Tatsache, daß das Anlagevermögen länger dem Betrieb zu dienen bestimmt ist, nichts mit der Zuweisung des Risikos des zufälligen Untergangs an den Eigentümer und damit nichts mit einer Gefahrtragung zu tun haben59. Sinnvoller ist es deshalb zwischen der individuellen, durch Vereinbarung zwischen den Beteiligten getroffenen subjektiven Risikoverteilung auf der einen und den den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft entsprechenden, tendenziell eher objektiven Pflichten des Nießbrauchers auf der anderen Seite zu trennen. Die Berechnung des „Reingewinns“ des Nießbrauchers wird dann von dem Problem seiner Verhaltenspflichten unterschieden. In diesem Sinne ist „Nutzung“ eines Unternehmens (und zwar in Form der Gebrauchsvorteile i. S. § 100 BGB analog60) – wie Schön61 herausgearbeitet hat – dann nichts anderes als der „Reingewinn“ eines Unternehmens im Sinne des handelsrechtlichen Betriebsvermögensvergleichs mit den Bezugspunkten Vermögenslage zu Beginn und am Ende der Nutzungszeit. Wieviel aus diesem Reingewinn dem Nießbraucher dann der Bestimmung des Nießbrauchs gemäß i. S. §§ 99 II, 100 BGB analog als Nutzungen zukommt, hängt dann davon ab, inwieweit der Nießbraucher sich bei der Ausübung des Nutzungsrechts im Rahmen der wirtschaftlichen Bestimmung des Unternehmens gehalten hat. Bestimmungsgemäße Gewinnrealisierungen stehen daher ebenso dem Nießbraucher zu, wie ihm solche Verluste zur Last fallen, die dem bestimmungsgemäßen unternehmerischen Handeln inhärent sind. Diese kann der Nießbraucher auch nicht durch den Nachweis fehlenden Verschuldens auf den Eigentümer abwälzen62. Die durch das gesetzliche Schuldverhältnis der §§ 1036 ff. BGB festgelegten Verhaltens- und Finanzierungspflichten des Nießbrauchers modifizieren also entgegen der h. M. nicht den soeben umrissenen Reingewinn des 58 Staud-Frank, § 1048 Rn. 2, Anh zu §§ 1068, 1069 Rn. 39; Soergel-Stürner, § 1048 Rn. 2, offener in § 1085 Rn. 8; MünchKomm-Petzoldt, § 1048 Rn. 2, § 1085 Rn. 11; Palandt-Bassenge, § 1048 Rn. 2, § 1085 Rn. 6; Großkomm-Würdinger, § 22 HGB Rn. 51; Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 6 III 3 a. 59 Schön, Nießbrauch, 209 f. 60 Vgl. zur Übersicht über die strittige Einordnung des unternehmerischen Ertrags im Rahmen der §§ 99 f. BGB nur Staud-Dilcher, § 99 Rn. 11, § 100 Rn. 7. 61 Schön, Nießbrauch, 211 ff. 62 Schön, Nießbrauch, 214 f.

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Nießbrauchers, sondern beschneiden allenfalls vorläufig gewisse Entnahmerechte des Nießbrauchers und begründen bei Liquiditätsmängeln Einlagepflichten63. So darf bsp. der Nießbraucher den Jahresgewinn analog § 122 I HGB nicht entnehmen, wenn die Grundsätze ordnungsgemäßer Wirtschaftsführung dem entgegenstehen; der Gewinn selbst kommt ihm dennoch im Verhältnis zum Eigentümer zu und kann bei Beendigung des Nießbrauchs – ähnlich beim Ausscheiden eines Gesellschafters – als Abfindung gegenüber dem Eigentümer beansprucht werden64. Für den lebenslänglich angelegten Nießbrauch kann im Grundsatz nichts anderes gelten. Auch hier lösen liquiditätsbedingte Einlagepflichten des Nießbrauchers keine Vorschußpflicht des Eigentümers aus. Nur wird der Erblasser – wie noch gezeigt werden wird – im Zweifel bei einer auf die Versorgung des überlebenden Teils ausgerichteten Gestaltung ausnahmsweise durch entsprechende Anordnungen von Todes wegen zu Modifikationen dieser grundsätzlichen Lastenverteilung greifen. Da ab einer gewissen Größe der Unternehmung die Einstellung eines fremden Geschäftsführers grundsätzlich einer ordnungsgemäßen Wirtschaftsführung entspricht, ist der Nießbraucher folgerichtig im Grundsatz außerhalb besonderer wirtschaftlicher Krisenlagen als berechtigt, als das Mindestmaß dessen, was ihm gebührt, ein angemessenes Geschäftsführergehalt zu entnehmen65.

§ 28 Die Versorgung über den Ertragsunternehmensnießbrauch Nachdem die Grundzüge des Unternehmensnießbrauchs erörtert worden sind, ist der Boden bereitet, um sich der Dogmatik des Ertragsnießbrauchs an einem einzelkaufmännischen Unternehmen zu vergewissern. Ein derartiger Nießbrauch gilt weithin – davon war schon kurz die Rede – als ein probates Mittel, mit dem der zu versorgende Teil an dem Ertrag des von einem Dritten, gemeinhin des Erben, geführten Unternehmens mit dinglicher Wirkung partizipieren kann, ohne mit den Schwierigkeiten der Unternehmensführung belastet zu sein. Nachdem zuerst die Bestellung des Ertragsnießbrauchs diskutiert worden ist (§ 28 I), wird der Schwerpunkt der folgenden Erörterungen auf der inhaltlichen Ausgestaltung dieses dinglichen Rechts liegen. Hier kommen näher die Vorzüge in den Blick, die die Rechtsfigur des Ertragsnießbrauchs gerade für die Versorgung eines unternehmerisch nur gering befähigten Ehegatten tauglich machen (§ 28 II bis § 28 IV). 63

Schön, Nießbrauch, 215 ff. Schön, Nießbrauch, 216. 65 So zu Recht Schön, Nießbrauch, 219; aA die hM: Staud-Frank, Anh zu §§ 1068, 1069 Rn. 47; Grunsky, BB 1972, 585 (588); enger (nur bei einem Ertragsnießbrauch für den Unternehmer) Bökelmann, Nutzungen, 199. 64

§ 28 Die Versorgung über den Ertragsunternehmensnießbrauch

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Die Diskussion der Versorgungsgerechtigkeit des Ertragsnießbrauchs hängt auch von seinen Rechtsfolgen ab. Mit einen Blick auf diese werden die Erörterungen zur Dogmatik dieses dinglichen Rechts zuerst einmal beschlossen werden (§ 29). Die Frage, warum der Ertragsnießbrauch als Ergebnis einer Rechtsfortbildung überhaupt zulässig ist, muß noch einstweilen zurückgestellt werden. Sie kann erst aufgegriffen werden, wenn das Gesamtspektrum der rechtlichen Instrumentarien zur Versorgung des überlebenden Teils diskutiert worden sind. Erst nach dem Durchgang durch die noch zu erörternde Testamentsvollstreckung an einem Unternehmensnießbrauch (§ 30 bis § 34) kann daher die Frage beantwortet werden, was es mit der rechtlichen Zulässigkeit des Ertragsnießbrauchs auf sich hat (§ 35 bis § 36). I. Gestaltung und Streitstand Der Ertragsnießbrauch an einem einzelkaufmännischen Unternehmen ist eine Rechtsfigur, die mit einer Fülle rechtlicher – auch persönlichkeitsrechtlicher – Probleme behaftet ist. Nach dem Konzept der herrschenden Meinung zum Ertragsnießbrauch an einem einzelkaufmännischen Unternehmen sind die Nutzziehung und dessen Bewirtschaftung getrennt; eine Teilhabe des überlebenden Ehegatten zwar am unternehmerischen Risiko, nicht aber am unternehmerischen Handeln gewollt66 und ein dinglich gesicherter Fruchtgenuß angestrebt, welcher ohne unternehmerische Tätigkeiten des Ehegatten anfallen soll. Der Nießbrauchsbesteller bleibt Geschäftsinhaber und Unternehmer und ist weiterhin zum Besitz des Geschäftsvermögens berechtigt. Damit die Höhe des auskehrungsfähigen Betrags streitvermindernd zumindest in einem Mindestmaß feststeht, ist anzuraten, die Höhe des Ertragsnießbrauchs in Form einer monatlichen Rente letztwillig bsp. nach Maßgabe der letzten Jahresbilanz festzulegen67. Mit diesem Zuschnitt des Nießbrauchs ist ein anderes Verständnis des in den §§ 1036 ff. BGB implementierten gesetzlichen Schuldverhältnisses zwischen Nießbraucher und Besteller notwendig, als es bei einem normalen Unternehmensnießbrauch oder Sachnießbrauch der Fall ist. Beim normalen 66 Oft wird gesagt, mittels des Ertragsnießbrauchs solle vermieden werden, daß der überlebende Ehegatte in das unternehmerische Risiko einbezogen wird, so etwa Gösele, Nießbrauch, 2. Dies ist so sicherlich ungenau, da der Ertragsnießbrauch ja gerade auf Teilhabe am unternehmerischen Ertrag geht. Dieser Ertrag ist aber Frucht der risikobehafteten unternehmerischen Tätigkeit am Markt und fällt insofern – gerade anders als bei der Reallast – nicht in gleichförmigen Beträgen an. Stimmig wird der Verweis auf ein fehlendes unternehmerisches Risiko nur dann, wenn dies als Synonym für den angestrebten Ausfall einer Außenhaftung des Ehegatten angesehen wird. 67 Dazu nur Langenfeld, Testamentsgestaltung, Rn. 384.

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Kap. 13: Die Versorgung des unternehmerisch gering befähigten Gatten

Nießbrauch achtet der Eigentümer nach Maßgabe der §§ 1036 ff. BGB darauf, daß die Sachsubstanz nicht angetastet wird. Bei dem Ertragsnießbrauch ist dies so nicht möglich, da ja gerade der Eigentümer das Unternehmen bewirtschaftet und daher die Rollen (Eigentümerstellung hier, tätiger Sachnutzer dort) vertauscht sind. Die Interessenlage zwischen dem Unternehmer-Besteller und dem Ertragsnießbraucher ist also eine ganz andere als beim Unternehmensnießbrauch. Das Interesse des Ertragsnießbrauchers geht dahin, daß der unternehmerisch handelnde Eigentümer einen möglichst hohen Ertrag erwirtschaftet, der nicht investiv im Unternehmen angelegt, sondern als Gewinn ausgeschüttet wird. Demgegenüber wird das Interesse des Unternehmer-Bestellers gerade darauf gerichtet sein, das Unternehmen so zu führen, daß vor allem nach der Beendigung des Nießbrauchs der unternehmerische Ertrag maximiert wird, mag auch zu Lebzeiten des Ertragsnießbrauchers der Gewinn eher mager ausfallen. Der Ertragsnießbraucher befindet sich gegenüber dem Unternehmer-Eigentümer mithin in genau der Lage, die bei einem normalen Nießbrauch der Eigentümer zum Sachnießbraucher einnimmt: Er bedarf eines Kontrollinstruments gegenüber dem Handeln des Unternehmer-Bestellers. Anders gesagt: Der Ertragsnießbraucher muß über die gleichen Kontrollrechte verfügen, die gewöhnlich dem Eigentümer gegenüber dem Nießbraucher zustehen. Möglich wäre dies, wenn das gesetzliche Schuldverhältnis der §§ 1036 ff. BGB mit gleichsam umgekehrten Vorzeichen versehen werden kann68: Schuldner müßte also der Unternehmer-Eigentümer, Gläubiger der Nießbraucher sein. Ob ein derartiges Rechtsinstitut zulässig ist, ist heftig umstritten. Befürworter69 und Gegner70 halten sich in etwa die Waage. Die ablehnenden Stimmen geben dem Ertragsnießbraucher nur einen schuldrechtlichen Anspruch gegen den Betriebsinhaber auf Auszahlung des von diesem erwirtschafteten Reingewinns und ggfls. noch gewisse Kontrollrechte – und zwar nicht gegen den jeweiligen Betriebsinhaber, sonder nur gegenüber dem Vertragspartner des Ertragsnießbrauchers. Diese Frage nach der Zulässigkeit des Ertragsnießbrauch kann erst – davon war schon eingangs soeben die Rede – beantwortet werden, wenn sämtliche Versorgungsinstrumente ange68

Vgl. nur Beyerle, JZ 1955, 257 (259). BayObLGZ 1973, 168 ff.; Beyerle, JZ 1955, 257 ff.; Staud-Frank, Anh. Zu §§ 1068 f. Rn. 33; RGRK-Rothe, vor § 1085 Rn. 4; Palandt-Bassenge, § 1085 Rn. 4; Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 6 III 3 a Fn. 92; Wehrens, Das Einzelunternehmen, Rn. 411; wohl auch Langenfeld, Testamentsgestaltung, Rn. 384; SoergelStürner, § 1085 Rn. 6, in Abkehr von ders., JuS 1972, 653 (657 mit Fn. 38). 70 Gösele, Nießbrauch, 49 ff., mit Übersicht zur älteren, den Ertragsnießbrauch zumeist ablehenden Literatur auf S. 48 ff.; Bökelmann, JR 1974, 202 (203); Walter, BB 1983, 1151; Schön, Nießbrauch, 310; Jansen/Jansen, Nießbrauch, Rn. 52; Nieder, Testamentsgestaltung, Rn. 571; Langenfeld/Gail IV Rn. 99; wohl auch ErmanMichalski, § 1085 Rn. 11; Wieling, Sachenrecht, § 14 III vor a. 69

§ 28 Die Versorgung über den Ertragsunternehmensnießbrauch

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sprochen worden sind. Im weiteren steht daher zuerst einmal die nähere Ausgestaltung des Ertragsnießbrauchs im Mittelpunkt der Überlegungen. Auch diese erweist sich bei näherer Betrachtung als ein noch relativ wenig belichtetes Desiderat rechtlicher Dogmatik. II. Die Ausgestaltung des Ertragsnießbrauchs 1. Die Dinglichkeit des Ertragsnießbrauchs

Es ist nicht ganz klar, was genau unter einem Ertragsnießbrauch als ein dingliches Recht zu verstehen ist. In der Dogmatik des dinglich wirkenden Ertragsnießbrauchs an einem einzelkaufmännischen Unternehmen ist ein merkwürdiger Bruch zu verzeichnen. Der auf den Ertrag beschränkte Nießbrauch wird zwar als Nießbrauch mit dinglicher Wirkung bezeichnet71. So heißt es, der Unternehmensnießbrauch könne „in eingeschränkter Form mit der Maßgabe bestellt werden, daß dem Nießbraucher, unbeschadet seiner dinglichen Berechtigung, lediglich der Ertrag zusteht, während der Besteller weiterhin das Unternehmen leitet“72. Andernorts findet sich der Hinweis, daß beim Ertragsnießbrauch der Eigentümer das Unternehmen eigenverantwortlich weiterführe und der Nießbraucher zwar „dinglich berechtigt, jedoch auf gewisse Kontrollrechte und den Ertrag beschränkt“ sei73. Oder man liest, der Ertragsnießbraucher sei wirtschaftlich mit einem stillen Gesellschafter vergleichbar, „dessen Position jedoch dinglich abgesichert“ und der mithin am Unternehmen „entsprechend seiner Quote dinglich berechtigt“ sei74. Unmittelbar auf den Ertrag schließlich wird die Dinglichkeit des Ertragsnießbrauchs mit der Wendung bezogen, der Ertragsnießbrauch gewähre das „dingliche Recht auf den Reinertrag“ und insofern – anders als ein bloß schuldrechtlicher Gewinnbeteiligungsanspruch – ein „originäres Erwerbsrecht“75; der Ertragsnießbrauch sei damit ein „dingliche(r) Nießbrauch() an den einzelnen Unternehmensgegenständen“, der „jedoch nur auf den Ertrag gerichtet“ sei76. Worin diese dingliche Wirkung aber nun genau zu sehen ist und in welchem Verhältnis der Ertragsnießbrauch zur lex scripta nun genau steht, bleibt eher verborgen. Nach den Kategorien des allgemeinen Vermögensrechts wird ein subjektives Recht als ein dingliches Recht angesehen, wenn es dingliche Wirkun71

So etwa bei Staud-Frank, Anh zu §§ 1068, 1069 Rn. 33. RGRK-Rothe, vor § 1085 Rn. 4 (Hervorhebung nicht i.O.). 73 Erman-Michalski, § 1085 Rn. 11 (Hervorhebung nicht i.O.). 74 MünchKomm-Petzoldt, § 1085 Rn. 8 (Hervorhebung nicht i.O.). 75 Beide Zitate bei Wehrens, Das Einzelunternehmen, Rn. 411. 76 Bengel/Reimann-Mayer, Handbuch der Testamentsvollstreckung, Kap. 5 Rn. 309 (beide Zitate). 72

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gen zeitigt, mithin dem Recht Ausschließlichkeit der Nutzung mit Klagschutz gegenüber jedermann, Vorrangrechte in der Zwangsvollstreckung und in der Insolvenz sowie schließlich Verfügungs- und Versorgungsschutz eines Unterberechtigten gegen Verfügungen eines Oberberechtigten zugeordnet sind77. Nun kann aber eine Geldsumme als solche oder ein Wertbetrag – und damit auch der Ertrag eines Unternehmens – mit Rücksicht auf seine fehlende Individualisierbarkeit und Bestimmbarkeit nie Gegenstand einer Aussonderung oder einer Drittwiderspruchsklage sein78. Eine dingliche Berechtigung am unternehmerischen Ertrag als solchem ist daher nicht möglich. Die dem Ertragsnießbrauch kritisch gegenüber stehenden Stimmen formulierten dies in der Einsicht, daß ein Ertragsnießbrauch schon deshalb scheitern müsse, weil der Einzelunternehmer keinen Gewinnanspruch gegen sich selbst besäße, mithin auch kein Recht bestünde, an dem ein Nießbrauch bestellt werden könne79. Die dingliche Berechtigung des Ertragsnießbrauchers darf daher nicht auf den Ertrags selbst, sondern muß auf eine andere Zuordnungseinheit bezogen werden. Diese Zuordnungseinheit ist – wie bei dem normalen Unternehmensnießbrauch – das einzelkaufmännische Unternehmen selbst80. Welche Auswirkungen hat ein Ertragsnießbrauch nun hinsichtlich der Eigentumslage und Forderungszuständigkeit hinsichtlich der einzelnen Gegenstände des Betriebsvermögens des Handelsgeschäfts sowie hinsichtlich des unternehmerischen Tätigkeitsbereichs? Beim normalen Unternehmensnießbrauch gestaltete sich die Eigentumslage wie folgt81: (i) Das Anlagevermögen verbleibt im Eigentum des Bestellers, während das Umlaufvermögen in das Eigentum des Nießbrauchers analog § 1067 BGB übergeht. (ii) Der Nießbraucher kann über das Anlagevermögen analog § 1048 I 1 BGB entsprechend den Regeln einer ordnungsgemäßen Wirtschaft verfügen; (iii) Anlageersatzgüter fallen aufgrund dinglicher Surrogation (§ 1048 I 2 HS 2 BGB) wieder in das Eigentum des Bestellers; (iv) Neuerwerb des Anlagevermögens wird automatisch im Wege des Direkterwerbs mit einem Sachoder Rechtsnießbrauch belastet82. Offensichtlich ist diese Eigentumslage beim Ertragsnießbrauch nicht sachgerecht, da der Nießbraucher dort das Unternehmen nicht führen und damit von der Unternehmensleitung frei gestellt 77

Dazu nur Baur/Stürner, Sachenrecht, § 2 A I 2; Soergel-Mühl, Einl. Sachenrecht Rn. 8; Canaris, FS Flume, 371 (373 f.). 78 BGHZ 58, 257 (258). 79 So etwa Petzoldt, BB 1975, Beil. 6, 10; Jansen/Jansen, Nießbrauch, Rn. 52. 80 Dies kann erst – wie schon ausgeführt – erst nachgewiesen werden, wenn sämtliche Versorgungsinstrumente diskutiert worden sind. Siehe deshalb einstweilen hier nur unten § 36. 81 Dazu oben § 27 II. 82 Das unternehmerische Handeln als solches stellt damit schon die „Einverleibung“ i. S. § 1048 I BGB dar.

§ 28 Die Versorgung über den Ertragsunternehmensnießbrauch

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sein soll. Die Regelung des § 1067 BGB paßt damit ihren ganzen Zuschnitt nach nicht. Der Besteller bleibt daher auch hinsichtlich des Umlaufvermögens Eigentümer und Forderungsinhaber. Zudem muß er analog § 1048 I BGB zur lastenfreien Verfügung unter Untergang des dinglichen Nutzungsrechts berechtigt sein – also quasi spiegelbildlich zum normalen Unternehmensnießbrauch, beim dem der Nießbraucher verfügungsberechtigt ist. Obendrein erwirbt der Ertragsnießbraucher am Neuerwerb auch hier wieder im Wege des Direkterwerbs einen Nießbrauch. Schließlich darf der Ertragsnießbraucher trotz des ihm zustehenden Nießbrauchs bsp. an einer Geschäftsforderung nicht gem. § 1074 S. 1 BGB zur Forderungseinziehung berechtigt oder gem. § 1074 S. 2 BGB verpflichtet sein. Mit dem gewollten Zurückziehen aus der Geschäftsführung wäre eine derartige Befugnis unverträglich. Etwas anderes gilt auch nicht für den Fall, daß der Unternehmer seiner Verpflichtung zur Ertragsauskehr unberechtigterweise nicht nachkommt. Stünde dem Ertragsnießbraucher in diesem Falle die Einziehungsbefugnis zu, wäre eine sachenrechtliche Befugnis im Außenverhältnis von Störungen im Innenverhältnis abhängig gemacht. Sinnvoll wäre dies nicht. Die eigentliche und unter Gesichtpunkten der Versorgungsgerechtigkeit im Mittelpunkt stehende Rechtsfolge des Ertragsnießbrauchs darf nun nicht vornehmlich in diesen Verfügungsberechtigungs- und Erwerbstatbeständen gesehen werden. Diese sind natürlich auch für die Absicherung des Ertragsnießbrauchers wichtig. Wichtiger für die Versorgung des Überlebenden ist aber, daß das Interesse des Ehegatten an einer gehörigen versorgungsgerechten Unternehmenspolitik sowohl gegenüber dem Erben-Besteller als auch gegenüber etwaigen Nachfolgern in der Unternehmerstellung gewahrt wird. Es wird noch gezeigt werden, daß zur Sicherung des zuletzt genannten Interesses des überlebenden Teils dem jeweiligen Unternehmer eine Pflicht zu einem versorgungsgerechten Wirtschaften analog § 1036 II BGB obliegt. Die Begründung und die Ausgestaltung dieser Pflicht wird mit im Mittelpunkt der weiteren Überlegungen stehen. Bevor dies näher aufgegriffen wird, soll noch zuvor ein Blick auf die Stellung des Ertragsnießbrauchers gegenüber den Geschäftsgläubigern geworfen und die Frage gestellt werden, wie gesichert sich der Nießbraucher gegenüber den Gläubigern des Handelsgeschäfts überhaupt fühlen darf.

2. Dinglichkeit als Schutz gegenüber Geschäftsgläubigern?

a) Die Haftung des Ertragsnießbrauchers für Geschäftsschulden Der Ertragsnießbraucher haftet nicht den geschäftlichen Altgläubigern des Erblassers. Eine Haftung aus § 27 I HGB entfällt schon deshalb, weil der Nießbraucher nicht Vorerbe ist. Die letztwillige Verfügung kann auch

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nicht so ausgelegt werden, als ob der Überlebende Vorerbe geworden sei. Dies verbietet sich eben wegen der dann möglicherweise eintretenden Haftung nach § 27 I HGB83. Der Ertragsnießbraucher führt auch nicht das Unternehmen gem. § 25 I HGB weiter, da der Erbe-Besteller als Unternehmer am Markt auftritt. Schließlich ist Gläubiger der wiederkehrenden Leistungen und der Zinslasten aus Altforderungen weiterhin der Erbe-Besteller-Unternehmer. Anders wäre dies nur, falls § 1088 BGB analog angewendet werden könnte. Dies ist jedoch selbst dann nicht der Fall, wenn das Unternehmen das wesentliche Vermögen des Erben84 oder den größten Anteil der Erbschaft (Rechtsgedanke des § 1089 BGB) ausmacht85. Der Grund hierfür liegt darin, daß § 1088 gerade für die Begleichung der dort genannten Lasten annimmt, ein ordentlicher Wirt würde hierfür auf die laufenden Erträge zurückgreifen. Das Gesetz weist folgerichtig auch die Haftung dem nutzziehenden Nießbraucher zu, um ihn zu einem ökonomisch sinnvollen Nutzung anzuhalten86. Wo derartige Anreizmechanismen aber schon aufgrund der Struktur des dinglichen Rechts – wie beim Ertragsnießbrauch – nicht greifen können, da der Nießbraucher selbst nicht wirtschaftet, fällt die Teleologie des § 1088 BGB und damit auch dessen analoge Anwendung ins Leere. Zudem verbleibt die Bewirtschaftung beim Unternehmer; damit hat sich diesbezüglich die Risikotragung für wiederkehrende Leistungen und für Zinslasten aus Altforderungen nicht verändert87. Auch Gläubigerinteressen sprechen daher nicht für eine analoge Anwendung des § 1088 BGB. Nach all dem entfällt somit eine Haftung des Ertragsnießbrauchers für Altschulden des Handelsgeschäfts. Eine Haftung entfällt aber nicht nur für diese, sondern auch für die geschäftlichen Neuschulden, da der Erbe-Unternehmer im eigenen Namen handelt. Der Ertragsnießbraucher haftet damit insgesamt gesehen nicht persönlich den Geschäftsgläubigern. 83 Siehe Beyerle, JZ 1955, 257. Die Abgrenzung zwischen Vorerbschaft und Nießbrauchsvermächtnis richtet sich daher zumindest beim Unternehmen als Nachlaßgegenstand nur als ein eher sekundäres Kriterium danach, ob der Bedachte die einzelnen Nachlaßgegenstände entsprechend ihrer bisherigen wirtschaftlichen Bestimmung bewirtschaften oder ohne Rücksicht auf die bisherige Bewirtschaftung die Erhaltung und Steigerung des Werts für den Gesamtnachlaß anstreben soll, so aber Schön, Nießbrauch, 104. Bei einer Haftung des Ehegatten mit seinem Privatvermögen würde dessen gesicherte Versorgung vollends zusammenbrechen, so daß nur ein Nießbrauchsvermächtnis in Frage kommt. 84 Zur Anwendbarkeit des § 1088 BGB ansonsten in diesem Falll siehe nur Staud-Frank, § 1085 Rn. 17 ff. 85 Von den subjektiven Anforderungen des § 1088 BGB abgesehen, dazu Schön, Nießbrauch, 189 f. 86 Dazu ausführlich Schön, Nießbrauch, 192 ff. 87 Das ansonsten verbleibende Risiko der Insolvenz des Bestellers deckt § 1086 BGB ab.

§ 28 Die Versorgung über den Ertragsunternehmensnießbrauch

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b) Die negatorischen Rechte des Ertragsnießbrauchers und die Stellung der Geschäftsgläubiger Eine Gläubiger-Schuldner-Beziehung ist zwischen Nießbraucher und Geschäftsgläubigern mithin nicht gegeben. Hieraus folgt freilich noch nicht, daß überhaupt keine rechtliche Verbindung zwischen beiden besteht. Nach § 1065 BGB besitzt der Nießbraucher die negatorischen Abwehrrechte, wenn sein dingliches Recht beeinträchtigt wird. Die naheliegende Frage lautet daher, ob der Ertragsnießbraucher eines einzelkaufmännischen Unternehmens den Vollstreckungszugriff der Geschäftsgläubiger auf die nießbrauchsbelasteten Gegenstände des Betriebsvermögens mit Rücksicht auf § 1065 BGB hindern kann. Könnte er dies, würde er gleichsam dinglich am Ertrag auch gegenüber den Geschäftsgläubigern partizipieren. Der Ertragsnießbraucher kann sich jedoch nicht auf § 1065 BGB gegenüber den Geschäftsgläubigern berufen. Den Gläubigern des Unternehmers gegenüber darf der Ertragsnießbraucher nicht anders als ein rein schuldrechtlich berechtigter Leibrentenberechtigter gestellt werden. Auch in der Insolvenz des Unternehmers kann der Ertragsnießbraucher nicht gem. § 47 InsO zur Aussonderung berechtigt sein88. Alles andere wäre aus fünf Gründen nicht zu begründen. Mit welcher Berechtigung sollte bsp. der Ertragsnießbraucher die von dritter Seite gepfändete Forderung nutzen dürfen? Sein dingliches Recht geht – erstes Argument – auf Partizipation am unternehmerischen Ertrag und nicht auf den Einzug des konkreten Zinsertrags geschäftlicher Einzelforderungen; die Nutzung der einzelnen Forderung ist hier für sich gesehen dem Ertragsnießbraucher nicht zugewiesen. Wenn dem Ertragsnießbraucher der Rekurs auf § 1065 BGB gegenüber den Geschäftsgläubigern zur Verfügung stünde, wäre es ihm darüber hinaus möglich, den Gläubigern den Zugriff auf das Geschäftsvermögen zu entziehen. Der Ertragsnießbrauch hätte damit primär Sicherungscharakter. Eine derartige Sicherung ist aber – zweites Argument – abzulehnen. In ihr wäre strukturell eine ständige Übersicherung des dinglich Berechtigten angelegt, der ja nur an dem Ertrag (und das heißt: am Reingewinn unter Vorabzug der Geschäftsschulden) partizipieren soll. Eine Übersicherung des Ehegatten dürfte auch in den wenigsten Fällen den Interessen des Erblassers entsprechen, dem zwar eine probate Versorgung des überlebenden Teils angelegen ist, der aber zugleich seinem Erben-Unternehmer nicht aufgrund einer Dritten gegenüber wirkenden dinglichen Berechtigung des Ehegatten die Möglichkeit verbauen will, auf übliche Formen des Warenkredits zurückzugreifen oder die Kapital88 Der normale Nießbraucher ist in der Insolvenz des Eigentümers zur Aussonderung berechtigt, siehe nur Staud-Frank, Vorbem zu §§ 1030 ff. Rn. 101; MünchKomm-Petzoldt, Vor § 1030 Rn. 35; Jaeger/Lent, § 43 KO Rn. 26; Kuhn/Uhlenbruck, § 43 KO Rn. 58; Frankfurt Kommentar-Joneleit/Imberger, § 47 InsO, Rn. 46.

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Kap. 13: Die Versorgung des unternehmerisch gering befähigten Gatten

struktur des Unternehmens auf dem Kreditmarkt durch die Aufnahme von Fremdkapital umzuschichten. Wozu sollte er sonst dem Erben überhaupt die Unternehmerstellung eingeräumt haben? Ferner besteht – drittes Argument – kein schutzwürdiges Interesse des Ehegatten an einer dinglichen Sicherung auch gegenüber den Geschäftsgläubigern. Titulierte Forderungen zeigen, daß der Ertrag zu Recht verrringert ist; einer Beschränkung der Partizipation am Unternehmen auf eine quotale Beteiligung am Ertrag entspricht damit ein Nachrang gegenüber den Geschäftsgläubigern. Die Geschäftsgläubiger hier auf das Privatvermögen des Unternehmers zu verweisen, hieße bei Lichte betrachtet nichts anderes, als ein Handelsgeschäft ohne haftendes Geschäftsvermögen, aber mit haftendem Privatvermögen zu institutionalisieren. Als Strukturmerkmal eines dinglichen Rechts wäre dies ein derartig krasser Ausnahmefall im Unternehmensrecht, daß nicht davon ausgegangen werden kann, dies läge innerhalb des gegebenen Rahmens rechtlicher Wertung. Abhilfe aus Sicht des Unternehmers könnte nur geschaffen werden, wenn ihm der Rückgriff gegenüber dem belasteten Geschäftsvermögen eröffnet würde – etwa gem. §§ 670, 257 BGB aus dem der Nießbrauchsbestellung zugrundeliegenden Grundverhältnis. Doch damit würde zugleich die dingliche Sicherung des Nießbrauchers zusammenbrechen, da die Geschäftsgläubiger sich den Rückgriffsanspruch pfänden und überweisen lassen könnten. Dies ist umständlich und wenig praktikabel. Es kann nicht angenommen werden, daß eine derartige unpraktikable Handhabe struktureller Bestandteil des Ertragsnießbrauchs sein soll – vor allem, wenn schützenswerte Interessen davon nicht abhängig sind. Wenn der Ertragsnießbraucher gegenüber den Geschäftsgläubigern sich nicht auf § 1065 BGB berufen kann, kann obendrein auch – viertes Argument – die Zulässigkeit der dinglichen Surrogation analog § 1048 I BGB besser begründet werden. Denn greift § 1065 BGB nicht, sind Dritte grundsätzlich89 von dem Nießbrauch nicht betroffen. Ist dem so, kann aus Publizitäts- und Offenkundigkeitsgründen nichts gegen die ex lege eintretende Belastung angeführt werden90. Schließlich ist – fünftes Argument – nicht einsehbar, wieso der Ertragsnießbraucher besser gestellt sein soll als der normale Unternehmensnießbraucher, der sich auch nicht unter Verweis auf sein dingliches Nutzungsrecht einer Haftung gegenüber seinen Geschäftsgläubigern entziehen kann – und dies angesichts des § 1086 BGB selbst nicht für geschäftliche Altforderungen, wenn das Unternehmen das ganze Vermögen des Bestellers ausmacht. Aus all dem kann nur folgen: Will der Erblasser den Ehegatten in der Unternehmensinsolvenz oder Einzelzwangsvollstreckung dinglich gesichert wissen, mag er ihm Grundpfand89

Die Ausnahme bildet die lebzeitige Unternehmernachfolge. Siehe allgemein zum Drittschutz im Rahmen dinglicher Surrogation nur Strauch, Mehrheitlicher Rechtsersatz, 144 ff., 179 f. 90

§ 28 Die Versorgung über den Ertragsunternehmensnießbrauch

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rechte einräumen lassen oder zum Mittel der Sicherungsübereignung oder der Globalzession greifen. Im Verhältnis zu den Geschäftsgläubigern kann daher insgesamt gesehen von einer „Dinglichkeit“ des Ertragsnießbrauchs keine Rede sein. c) Die Dinglichkeit des Ertragsnießbrauchs und die Verfügungsbefugnis des Unternehmers Die Dinglichkeit des Ertragsnießbrauchs findet auch ihre Grenze, soweit die Verfügungsbefugnis des Unternehmers analog § 1048 I BGB in Rede steht. Nach herrschender und zutreffender Ansicht schützt beim normalen Nießbrauch § 1048 I BGB auch den guten Glauben an die Verfügungsmacht. Dem Erwerber gereicht daher trotz Kenntnis des Nichteigentums des Nießbrauchers ein etwaiges Überschreiten der erlaubten Grenzen der Ordnungsgemäßheit dann nicht zum Nachteil, wenn ihm die fehlende Ordnungsgemäßheit nicht bekannt war und ihm auch nicht bekannt sein mußte91. Beim Ertragsnießbrauch kann dies nur bedeuten, daß die nicht ordnungsgemäße Verfügung des Unternehmers selbst dann zum lastenfreien Erwerb des Dritten führt, wenn der Erwerber hinsichtlich der Ordnungsgemäßheit gutgläubig war, mag ihm auch die dingliche Belastung selbst bekannt gewesen sein. Dies geht weit über die Möglichkeiten eines lastenfreien Erwerbs gem. § 936 BGB und den dort vorgesehenen Einschränkungen nach Maßgabe der § 936 I 2 und 3, III BGB und vor allem der auf das Bestehen der Belastung bezogenen Gutgläubigkeit nach § 936 II BGB hinaus. Die Dinglichkeit des Ertragsnießbrauchs kann nach all dem nur als etwas verstanden werden, was allein im Rahmen der Unternehmensnachfolge Wirkung zeitigt: Der jeweilige Unternehmensnachfolger wird kraft des dinglichen Nutzungsrechts ex lege in die Rentenverpflichtung und in die sonstige, aus dem Ertragsnießbrauch fließende Rechts- und Pflichtenstellung des Erstunternehmers eingebunden. Man kann hier insofern durchaus von „dinglichen Pflichten“ sprechen92.

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Dazu nur Staud-Frank, § 1048 Rn. 5. Gerade in der Einbindung des Einzelrechtsnachfolgers in eine die Sache betreffende schuldrechtliche Verpflichtungen bei Veräußerung der Sache wird das Bedürfnis für die Kategorie der dinglichen Pflicht gesehen, vgl. bsp. Dimopoulos-Vosikis, AcP 167 (1967), 515 (517, siehe aber auch 528 f.). Auch hier zeigt sich, daß eine Rekonstruktion der rechtlichen Erscheinung „Dinglichkeit“ über Ansprüche zwischen Personen vieles einfacher klärt, als ein Rekurs auf Zuordnung oder Herrschaft, dazu unten § 36 IV. 92

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Kap. 13: Die Versorgung des unternehmerisch gering befähigten Gatten 3. Übersicht zu den beiden Hauptproblemen des Ertragsnießbrauchs

Es war schon die Rede davon, daß das nießbrauchsrechtliche gesetzliche Schuldverhältnis der §§ 1036 ff. BGB zur herkömmlich in den §§ 1036 ff. BGB vorgegebenen Konstruktion mit quasi umgekehrten Vorzeichen zu versehen ist93: Schuldner im gesetzlichen Schuldverhältnis ist der Erbe-Besteller, Gläubiger der Nießbraucher. Bei dem Ertragsnießbrauch kommt es demnach zu so etwas wie einer aus § 1036 II BGB fließenden Verpflichtung des Erben-Bestellers, das Unternehmen gehörig zu bewirtschaften. Darüber hinaus wird der wirtschaftliche Erfolg eines unternehmerischen Schaffens (nämlich: der Unternehmensertrag) zumindest teilweise einer anderen Person dinglich zugeordnet. Diese beiden Rechtsfolgen eines Ertragsnießbrauchs an einem einzelkaufmännischen Unternehmen sind zum Anlaß genommen worden, die Zulässigkeit des Rechtsinstitut insgesamt zu bestreiten. So ist schon bestritten worden, daß eine dingliche Zuordnung der Erträgnisse unternehmerischen Handelns an eine dritte Person zulässig ist. Die Aufgabe der folgenden Erörterungen ist es deshalb einmal, die generelle Zulässigkeit einer Partizipation Dritter an den Erträgnissen unternehmerischen Handelns aufzuzeigen (dazu im folgenden § 28 II 4). Zudem wird stellenweise die Zulässigkeit einer dinglichen (und deshalb auch gegenüber dem Unternehmernachfolger wirkenden) Pflicht des Unternehmers, für eine gewinnbringende Bewirtschaftung des Unternehmens analog § 1036 II BGB Sorge zu tragen, schlicht als Unding bestritten – womit zugleich reklamiert wird, ein Ertragsnießbrauch gewähre keine zur Versorgung des überlebenden Ehegatten taugliche dingliche Sicherung94. Insofern gilt es darzulegen, daß gegen eine dingliche Pflicht zu einer gehörigen Unternehmensbewirtschaftung analog § 1036 II BGB keine sachgerechten Erwägungen vorgebracht werden können, und zwar weder allgemein (dazu im folgenden § 28 II 5 a), noch aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes (dazu im folgenden § 28 II 5 b), wobei auf Sonderfälle eigens eingangen werden wird (dazu im folgenden § 28 II 5 b cc und dd). Ist dem so, ist die Zulässigkeit einer derartigen Pflicht die sachgerechte Folge der Zulässigkeit des Ertragsnießbrauchs an einem Unternehmen überhaupt. Ist dieser daher zulässig, ist es die Bewirtschaftungspflicht analog § 1036 II BGB auch. Mit Rücksicht hierauf wird die Erörterung, ob die Bewirtschaftungspflicht analog § 1036 II BGB legitim ist, erst im Rahmen der Diskussion um die generelle Statthaftigkeit des Ertragsnießbrauchs aufgegriffen. Im Vordergrund stehen an dieser Stelle der Untersuchung deshalb nur Fragen nach Inhalt und Umfang der dinglichen Bewirtschaftungspflicht (dazu im folgenden § 28 III und § 28 IV). 93

Vgl. oben § 28 I sowie nur Beyerle, JZ 1955, 257 (259). So Westermann, Sachenrecht, 5. Aufl. 1966, § 121 III 2; Stürner, JuS 1972, 653 (657). 94

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4. Die Zulässigkeit einer Partizipation des Ehegatten am unternehmerischen Ertrag

Ob es rechtlich möglich ist, einem Dritten den Ertrag des eigenverantwortlichen Schaffens einer Person dinglich zuzuweisen, ist nicht unumstritten. Insbesondere Gösele hat dies dezidiert verneint. Gösele begründet seine Kritik nicht mit allgemeinen Erwägungen zum Gehalt und zur Reichweite des persönlichkeitsrechtlichen Schutzes unternehmerischen Handelns, sondern mit der Überlegung, daß die Rechtsordnung außerhalb der ehelichen Gütergemeinschaft die Erträge eigenverantwortlichen Schaffens dem Handelnden selbst zuweise. Die Rechtsordnung bilde damit die Stellung der selbstverantwortlich auf den Markt tätigen Persönlichkeit in spezifischer Weise derart aus, daß ein Ertragsnießbrauch diesen vorgegebenen Wertungen widerspräche95. Gösele baut dieses Verdikt auf einer Durchsicht verschiedener gesetzlicher Regelungen auf. Diese Regelungen versteht er als gesetzliche Vorgaben, die die Wertungen deutlich machen, wie die Rechtsordnung das Verhältnis zwischen einer wirtschaftenden Tätigkeit und der Zuweisung des aus ihr folgenden Ertrags konstruiert. Gösele kann aber mit der von ihm geleisteten Durchsicht nicht nachweisen, daß ein Ertragsnießbrauch an einem Unternehmen unzulässig wäre. Nach Ansicht Göseles spricht einmal die Vorschrift des § 950 BGB dafür, daß die Rechtsordnung die Erträgnisse eines Unternehmens allein dem Unternehmer zuordne. Dies ergebe sich e contrario aus der Einsicht, das Gesetz sehe bei der Stoffverarbeitung durch den Arbeitnehmer den Grund für die Zuweisung des Eigentums an den Stoffeigentümer-Arbeitgeber gem. § 950 BGB darin, daß der Arbeitnehmer hier nicht eigenverantwortlich handele96. Ersichtlich ist dies kein Argument dafür, daß die unternehmerischen Erträge regelmäßig allein dem Unternehmer zugeordnet werden können. Denn ist der unternehmerisch Tätige in eine Pflichtenstellung analog § 1036 II BGB auf Erfüllung eines den Regeln einer ordnungsgemäßen Wirtschaft genehmen Unternehmertums eingebunden (und dies ist ja zunächst einmal mit dem Rekurs auf § 950 BGB nicht bestritten), kann man sein Handeln kaum eigenverantwortlich i. S. eines ungebundenen Unternehmertums nennen. Schon deshalb geht ein Verweis auf § 950 BGB ins Leere. Gösele verweist des weiteren darauf, daß auch die Entgeltforderung aus dem Arbeitsverhältnis allein dem Arbeitnehmer zugeordnet sei; ein Dritter könne hieran nicht partizipieren97. Hieraus folgt nichts gegen den Ertragsnießbrauch. Es ist nicht ohne weiteres ausgemacht, ob die Entgeltforderung des Arbeitnehmers nicht doch unmittelbar mit dinglicher Wirkung einem 95 96 97

Gösele, Nießbrauch, 57 ff. Gösele, Nießbrauch, 58. Gösele, Nießbrauch, 59 f.

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Dritten zumindest dann zugeordnet wird, wenn sie im voraus abgetreten wird – es ist ja umstritten, ob die Entgeltforderung per Direkterwerb dem Zessionar zugeordnet oder zuerst einmal kraft Durchgangserwerbs der Person des Arbeitnehmers zugeordnet wird98. Doch kommt es bei Lichte betrachtet auf derartige konstruktive Fragen nicht an. Denn selbstverständlich kann der Ertrag der arbeitnehmerischen Leistung dinglich einem Dritten mittels eines Rechtsnießbrauchs an dem pfändbaren (§ 1069 II BGB i.V. m. § 400 BGB, § 850 ZPO) Teil der Entgeltforderung zumindest in der Art zugeordnet werden, daß der Dritte zur Forderungseinziehung zwecks Nutzziehung an der Forderung berechtigt ist, § 1074 BGB. Da diese Zuweisung der Nutziehung an den Nießbraucher aber voraussetzt, daß der Forderungsinhaber das aufgrund der bedienten Entgeltforderung entstandene Kapital selbst nicht schmälert, ist damit auch die von Gösele unterstellte klare Wertungsvorgabe der Rechtsordnung, der Erfolg eigenverantwortlicher Leistung würde grundsätzlich dem Urheber dieser Leistung zugeordnet, verwischt. Zudem ergibt ein Wertungsabgleich mit der Entgeltregelung im Arbeitsverhältnis, daß der dingliche Zugriff des Ertragsnießbrauchers auf den durch die unternehmerische Tätigkeit erwirtschafteten Ertrag keineswegs rechtlich negativ bewertet ist. Durch das Verdikt Göseles, der Ertrag eigenverantwortlicher Tätigkeit könne nicht dinglich einem Dritten zugeordnet werden, schimmert bei Lichte betrachtet das Persönlichkeitsrecht des wertschöpfend Tätigen hindurch. Bezogen auf dieses Persönlichkeitsrecht ist es aber einerlei, ob die Wertschöpfung einer Tätigkeit dinglich oder obligatorisch einer anderen Person, als dem wertschöpfend Tätigen, zugeordnet ist. Anders gesagt, stellen aus der Sicht des Persönlichkeitsrechts die Dinglichkeit des Nießbrauchs und der obligatorische Charakter des Arbeitsverhältnisses funktional äquivalente Mechanismen der Ertragszuweisung dar: Die Dinglichkeit wirkt primär gegenüber Dritte, ändert aber nichts an der Leistungspflicht des wirtschaftlich Tätigen. Dem Persönlichkeitsrecht des abhängig Beschäftigten wird daher nicht dadurch Rechnung getragen, daß es unzulässig wäre, den Ertrag einer Tätigkeit dinglich einem Dritten zuzuordnen, sondern durch sehr viel differenziertere Instrumentarien – wie bsp. das Vollstreckungsrecht (§ 888 II ZPO), das Arbeitnehmererfindungsrecht, die Regelung des § 123 I BGB, das rechte Verständnis arbeitsrechtlicher Treuepflichten etc. Für die Einsicht, daß mit der Dinglichkeit des Nießbrauchs kein Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht des Unternehmers verbunden ist, spricht zudem, daß der Nießbrauch unübertragbar ist (§ 1059 S. 1 BGB) und sogar die Ausübungsübertragung mit dinglicher Wirkung99 untersagt werden kann. Der Unternehmer ist im Hinblick auf die Person seines Gläubigers damit sogar geschützter als der Arbeitnehmer (§ 613 a BGB). 98 99

Vgl. zum Streitstand nur Palandt-Heinrichs, § 398 Rn. 12. Staud-Frank, § 1059 Rn. 9; MünchKomm-Petzoldt, § 1059 Rn. 8.

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Doch davon abgesehen vermag die Vorstellung einer unantastbaren Unternehmerpersönlichkeit, der es widersprechen soll, daß der unternehmerische Ertrag dinglich einer anderen Person zuordbar sein soll, auch aus anderen Gründen nicht zu überzeugen. Sie zeichnet das Bild einer bürgerlich-liberalen Wirtschaftsgesellschaft der Kleinproduzenten nach, in der der Unternehmer in einem überschaubaren Markt unmittelbar seine Persönlichkeit einbringen und insofern den Gewinn als das Ergebnis des eigenen, kreativen Schaffens für sich reklamieren konnte. Das Wirtschaftssystem hat sich aber strukturell grundlegend gewandelt. Die unternehmerische Entscheidung ist so stark in ein Netz von unternehmerunabhängigen (rechtlichen und wirtschaftlichen) Einflußmechanismen eingebunden100, daß die Annahme, das Unternehmen könne nur als Ausfluß des Wirkungskreises schöpferischtätiger Eigentümer-Unternehmer zu verstehen sein, als wirklichkeitsfremde Apologie eines Ideals weder überzeugt noch wahrnehmen will, daß die soziale Vernetzung101 des in individuelle und soziale Funktionszusammenhänge eingebundenen Unternehmens sich im Topos der unternehmerischen Persönlichkeit im Grundsatz auch normativ nicht angemessen wiederfindet. Das Kurzschließen von „Unternehmerpersönlichkeit“ und „unternehmerischem Ertrag“ in eine einfache Ursache-Folge-Beziehung formuliert eher eine sozialphilosophischen Kategorien geschuldete regulative Idee. Diese wiederum ist so, wie sie daherkommt, viel zu abstrakt. Sie kann daher schwerlich einfach der Rechtsanwendung zugrundelegt werden, ohne daß die Gefahr auftritt, daß rechtliche Differenzierungen eingeebnet werden102. Ein ähnliches Vorgehen wurde schon diskutiert: Es ist dies die Ansicht, das Eigentum könne gerechtfertigt werden durch die Arbeit, die in es investiert wurde. Daß diese Auffassung auch rechtlich (außerhalb verfassungsrechtlicher Dogmatik) kaum überzeugt, wurde anderweitig dargelegt103. Ebenso ist es hier. Der unternehmerische Ertrag kann daher im Grundsatz nicht als Ausdruck gerade des unternehmerischen Handelns ausgezeichnet werden. Wenn somit gesagt wird, ein dingliches Recht an dem unternehmerischen Ertrag sei eigentlich nichts anderes als ein Recht an der Persönlichkeit des Unternehmerns, gerinnt dies zu einem unausgewiesenen Kürzel zu einer 100 Man denke etwa an Lieferanten- und Abnehmerorganisationen, Banken, Berufs- und Interessenverbände, das Aufkommen ungemein marktmächtiger Organisationen, die Ausdifferenzierung der Kapital- und Finanzmärkte, die Regelungskomplexe der Arbeitsbedingungen, die wirtschaftsrechtlichen und subventionspolitischen Vorgaben, die zunehmende Rolle von Vernetzungen zwischen Verträgen bsp. im Zulieferer- und Finanzierungsbereich und nicht zuletzt die Rolle des Wissens in einer vielfältig vernetzten Welt, vgl. dazu nur Ladeur, in: Dieter Hart (Hrsg.), Privatrecht im „Risikostaat“, 137 ff.; ders., Negative Freiheitsrechte, 171 ff., 204 ff. 101 Dazu immer noch instruktiv Wiethölter, in: Teubner (Hrsg.), Dilemmas of Law in the Welfare State, 221 ff. 102 Hierzu vgl. nur Raisch, Geschichtliche Voraussetzungen, 86 ff. 103 Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 6.

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nicht ausgewiesenen sozialphilosophischen Normativierung der Wirtschaftsverfassung. Etwas anderes mag nur für diejenigen Unternehmer gelten, die in einem eher überschaubaren Rahmen der wirtschaftlichen Verflechtung einer Tätigkeit nachgehen, die gemeinhin als Ausdruck eines eigenverantwortlichen, freien und persönlichkeitsgeprägten Handelns gewertet und verstanden wird. Freilich sind dies keine Einzelkaufleute, sondern etwa Ärzte, Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer und sonstige Vertreter freier Berufe. Das unternehmerische Handeln wird bei diesen Tätigkeiten in die normative Bezugsreferenzen eines „Stands“ mit einem dazugehörigen besonderen Berufsrecht eingeordnet, dem ein ökonomisches Effizienzdenken aus Sicht des Rechts eher fremd sein sollte. Hier mag in der Tat der Ertrag des Handelns tendenziell eher auf das Persönlichkeitsrecht des unternehmerisch Tätigen zurückgeführt werden können. Doch auch aus diesem Befund läßt sich im Grundsatz nichts gegen den Ertragsnießbrauch einwenden. Dafür ist der Einwand zu abstrakt. Dies zeigt ein Blick auf das Recht der erbrechtlichen Potestativbedingungen. Der Erblasser kann dem Erben durch letztwillige Auflage aufgeben, das nachgelassene Unternehmen den Regeln einer ordnungsgemäßen Wirtschaft gemäß zu führen. Diese Bedingung ist zuerst einmal wirksam. Sie kann allenfalls der Sittenwidrigkeitsprüfung nach § 138 I BGB unterzogen werden; an der generellen Zulässigkeit der Auflage änderte sich dadurch aber nichts. Nicht anders kann es beim Ertragsnießbrauch sein. Es kann also keine Rede davon asein, beim Ertragsnießbrauch an einem Unternehmen sei unzulässigerweise ein „Recht an der Unternehmerpersönlichkeit“ begründet worden. Schließlich trägt Gösele gegen einen Ertragsnießbrauch noch vor, eine dingliche Partizipation am Unternehmergewinn könne nach der im Gesetz ausdrücklich vorgesehenen Weise nur in gesamthänderisch gebundenen Vermögensmassen der Personengesellschaften entstehen104. Dies mag so sein, ist aber für die Zulässigkeit des Ertragsnießbrauchs ersichtlich kein Argument, da ja nichts anderes gesagt wird, als daß ausdrückliche Regelungen einer dinglichen Gewinnpartizipation fehlten. Einer Weiterentwicklung des Nießbrauchsrechts zu einem Ertragsnießbrauch steht dies damit selbstredend nicht im Wege. Aus all dem folgt, daß die Vorstellung Göseles, eine dingliche Teilhabe an der Wertschöpfung einer Person könne es rechtlich nicht geben, unzutreffend ist. Ist dem so, könnte gegen einen Ertragsnießbrauch noch eingewandt werden, die ihm inhärente dingliche Leistungspflicht sei dem deutschen bürgerlichen Recht fremd. Die weiteren Überlegungen werden zeigen, daß dies nicht der Fall ist.

104

Hierauf stellt Gösele, Nießbrauch, 60, ab.

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5. Dingliche Leistungspflicht im Nießbrauchsrecht?

a) Sachenrechtliche Einwände gegen eine dingliche Leistungspflicht im Nießbrauchsrecht Dingliche Leistungspflichten sind angesichts der Reallast dem geltenden Recht nicht von vornherein fremd105. Darüber hinaus zeigen die mit Wirkung für und gegen den jeweiligen Grundstückseigentümer ausgestatteten, insofern „dinglichen“ Leistungspflichten des Eigentümers aus dem gesetzlichen Begleitschuldverhältnis der Grunddienstbarkeit, daß sukzessionsgeschützte Leistungspflichten zumindest als auxiliare Nebenpflichten eines dinglichen Rechts selbst dann nicht rechtlich negativ bewertet sind, wenn eine positive Leistungspflicht im übrigen nicht Gegenstand des dinglichen Rechts sein kann106. Beim Ertragsnießbrauch wird aber genau dies: eine positive Bewirtschaftungspflicht, als zentraler Inhalt des dinglichen Nutzungsrechts vorgesehen. Dies forderte von dieser Warte aus selbstverständlich den Einwand heraus, schon deshalb könne der Ertragsnießbrauch als Servitut nicht begründet werden; dem Schutzbedürfnis des zu versorgenden Teils könne allenfalls durch eine Reallast Rechnung getragen werden107. Der Einwand überzeugt nicht. Ihm liegt der Gedanke zugrunde, die Zulässigkeit einer positiven Bewirtschaftungspflicht würde das ökonomische Sachenrechtskonzept des Bürgerlichen Rechts stören. Nach diesem Konzept soll der Landesgesetzgeber gem. Art. 115 EGBGB die Möglichkeit einschränken können, den Inhaber eines Grundstücks per Reallast zu wiederkehrenden Tätigkeiten zu verpflichten. Damit soll verhindert werden können, daß überkommene Hand- und Spanndienste wiederaufleben. Wenn derartige Vorbehalte im Recht der Dienstbarkeiten in dieser Allgemeinheit fehlten, käme – so der Vorwurf – darin die gesetzliche Entscheidung zum Ausdruck, durch eine Beschränkung der Dienstbarkeiten auf Duldungs- und Unterlassungspflichten einer übermäßigen Inanspruchnahme des Eigentümers entgegenzuwirken108. Diese Argumentation trägt eine Unzulässigkeit einer dinglichen Leistungspflicht analog § 1036 II BGB nicht. Mag auch die Landesgesetzgebung Reallasten regelmäßig verschiedenartigen, vor allem zeitlichen und inhaltlichen Beschränkung unterworfen haben109, so ist dies doch für einen Ertragsnießbrauch am Unternehmen ohne Belang. Denn die dingliche Leistungspflicht analog § 1036 II BGB geht auf ordnungsge105

Dazu auch Dimopoulos-Vosikis, AcP 167 (1967), 515 (529 ff.). Zur Grunddienstbarkeit siehe nur Staud-Ring, § 1018 Rn. 3, 45, 65. Ausführlich Amann, DnotZ 1989, 531 ff. 107 So etwa Schön, Nießbrauch, 320, 322. 108 So Schön, Nießbrauch, 322 f. 109 Siehe den Überblick bei Staud-Amann, Einl zu §§ 1105–1112 Rn. 4 ff. 106

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mäßes Wirtschaften und aktualisiert damit nur ein ökonomisch sinnvolles Leitbild unternehmerischer Tätigkeit. Übermäßige Beanspruchungen des Unternehmers sind mit Blick hierauf und aufgrund des breiten Ermessensspielraums, der dem Unternehmer im wirtschaftlichen Handeln zukommt, nicht zu befürchten; die Beschränkung des Nießbrauchs auf die Lebenszeit des Berechtigten gem. § 1061 S. 1 BGB tut ihr Übriges. Damit bricht aber auch der tragende Gedanke zusammen, der einer Ablehnung der dinglichen Bewirtschaftspflicht aus § 1036 II BGB zugrundeliegt. Die Pflicht ist daher sachenrechtlich zulässig. Einwände könnten allenfalls noch aus persönlichkeitsrechtlicher Perspektive formuliert werden: b) Ertragszuweisung und Unternehmerpersönlichkeit aa) Allgemeines Neben den gerade skizzierten sachenrechtlich intendierten Einwänden forderte die im Ertragsnießbrauch verankerte dingliche Pflicht des Unternehmers, nach den Regeln einer ordnungsgemäßen Wirtschaft analog § 1036 II BGB für eine ordentliche unternehmerische Tätigkeit Sorge zu tragen, auch eine persönlichkeitsrechtlich orientierte Kritik heraus, die in dieser Pflicht einen nicht hinnehmbaren Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht des unternehmerisch tätigen Nießbrauchsbestellers und des etwaigen Nachfolgers in der Unternehmensträgerschaft verortete110. Das Argument trat auch in sachenrechtlicher Einkleidung auf, wenn der Nutzungsbegriff und hier speziell der Begriff der Gebrauchsvorteile in der herkömmlichen Ausprägung111 thematisiert und insofern in etwas sarkastischer Zuspitzung 110 So dezidiert Gösele, Nießbrauch, 55 ff.; implizit – für den Unternehmensnießbrauch – auch Bökelmann, JR 1974, 202 (203). Das Argument weist ersichtlich in die Richtung, das Recht am Unternehmen als Teil eines neben dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht stehenden „wirtschaftlichen Persönlichkeitsrechts“ zu etablieren (so Fikentscher, Wirtschaftsrecht II, § 21 III 3, 22 I 2) oder zu einem Recht auf freie Berufsausübung umzubauen (so Soergel-Zeuner, § 823 Rn. 97, 129 ff.). Zudem liegt ihm unterschwellig ein doppelseitig als Einheit von Unternehmer und Unternehmensgegenstand, von Wirken und Werk verstandener Unternehmensbegriff zugrunde, wie ihn schon früh Schönfeld (dazu Raisch, Geschichtliche Voraussetzungen, 135) und später unter noch stärkerer Betonung des Unternehmens als „Willensakt“ Brecher, Unternehmen, 121 ff., entwickelt hat. Zu den Bezügen zum Immaterialgüterrecht siehe sogleich. Ein Nachhall zum Labandschen Petitum, die Verselbständigung des Unternehmens sei ein Angriff auf die Integrität des Persönlichkeitsbegriffs (dazu Raisch, ebda., 85 f.), mag ebenfalls nicht ganz auszuschließen sein. 111 Die Einordnung des Unternehmensgewinn unter die Nutzungstatbestände der §§ 99 f. BGB ist umstritten, die Vorschläge reichen von einer Subsumtion unter den Sachfruchbegriff des § 99 I BGB, einer Einordnung unter Rechtsfrüchte i. S. § 99 II

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nach den durch den Nießbraucher ziehbaren „Gebrauchsvorteilen an der Person des Unternehmers“ gefragt wird. Auch der BGH unterscheidet Nutzungen eines Gewerbebetriebs, die auf persönlichen Leistungen oder Fähigkeiten des Betriebsinhabers beruhen, von sonstigen Nutzungen des Unternehmens112. Nun hilft ein derartiges begriffliches Verwirrspiel um die rechte Nomenklatur der §§ 99 f. BGB nicht recht weiter, wenn nicht zugleich das allein entscheidende Wertungsproblem angesprochen wird, wie es um das Verhältnis von unternehmerischer Persönlichkeit und nießbrauchsrechtlicher Pflichtenstellung genau bestellt ist. Folgt aus dem persönlichkeitsrechtlichen Schutz des schöpferischen Gestaltungsvermögens der Unternehmerpersönlichkeit, daß ein Ertragsnießbrauch an einem Unternehmen unzulässig ist? Der Rekurs auf das Persönlichkeitsrecht des Unternehmers ist ein zwiespältiges Argument. In der Entwicklung der Immaterialgüterrechte wurde gerade in der schöpferischen Persönlichkeit des Unternehmers ein Anhaltspunkt gesehen, dem Verständnis des Unternehmens als Immaterialgüterrecht den Boden zu bereiten, wie noch gezeigt werden wird113. Der Rekurs auf die Unternehmerpersönlichkeit führte hier geradewegs zur Vergegenständlichung des Unternehmens als ein marktgängiges Gut. Wie dem auch sei, festzuhalten bleibt folgendes: Eine Verpflichtung zu einem unternehmerischen Handeln ist rechtlich selbstverständlich nicht unzulässig – wieso wären ansonsten etwa Geschäftsführerverträge oder die Dienstverträge der Vorstände diverser Aktiengesellschaften rechtmäßig? Fraglich ist nicht, ob eine Pflicht zur Unternehmensbewirtschaftung aus § 1036 II BGB wegen eines Verstoßes gegen das Persönlichkeitsrecht des Unternehmers generell unzulässig ist, sondern allein, ob nicht ausnahmsweise eine derartige Pflicht aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen im Einzelfall einmal unzulässig sein kann. Dies ist in der Tat möglich. Drei Punkte sind zu unterscheiden: bb) Bewirtschaftungspflicht und Insolvenznähe Beim normalen Nießbrauch ist weder der Eigentümer noch der Nießbraucher im Rahmen des dinglichen Rechtsverhältnisses verpflichtet, außergewöhnliche Verwendungen zu tätigen, da das Gesetz für den Bereich der Instandhaltung das individuelle Interesse an einer gerechten Verteilung der Vor- und Nachteile zwischen Eigentümer und Nießbraucher dem gesamtwirtschaftlichen Interesse an einer optimalen Bewirtschaftung der Sache vorzieht114. Auch beim Ertragsnießbrauch kann dies mit Blick auf diese BGB bis hin zu Gebrauchsvorteilen gem. § 100 BGB, dazu nur die Übersicht bei Schön, Nießbrauch, 211 ff. 112 BGHZ 7, 208 (218); BGH, NJW 1978, 1578; 92, 892. 113 Unten § 36 II.

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Wertentscheidung nicht anders sein. Bei einem insolvenzgefährdeten Unternehmen ist dem Unternehmer daher nicht durch § 1036 II BGB analog auferlegt, risikoreiche Konsolidierungsmaßnahmen zu ergreifen, statt den Weg der Insolvenz zu gehen. Auch hierin kann ein Stück Persönlichkeitsschutz des Unternehmers gesehen werden. Im einzelnen besteht freilich auch hier ein weiter Bereich unternehmerischen Ermessens, so daß ein Testamentsvollstrecker als Schiedsrichter von Todes wegen vorgesehen werden sollte. Die Insolvenz wird häufig – anders als in zahlreichen Fällen des Sachnießbrauchs, in denen die nicht erfolgte außergewöhnliche Instandsetzung nicht zum Untergang der Sache führt – die Liquidation des nießbrauchsbelasteten Gegenstands zur Folge haben. Dies liegt in der Konsequenz dieses Gegenstands selbst, der im wesentlichen wertschöpfende Tätigkeit am Markt ist und damit notwendig untergeht, wenn die Tätigkeit eingestellt wird. Der Ertragsnießbrauch würde sowieso durchweg als unentgeltlicher Erwerb von Todes wegen im Wege der Anfechtung gem. §§ 322, 134 I, 129 I, 143 II InsO zur Masse gezogen. cc) Einschränkungen in der sachlichen Dimension Eine dingliche Pflicht zur Bereitstellung des gesamten unternehmerischen Ertrags ist mit dem Erfordernis einer persönlichkeitsrechtswahrenden Ausgestaltung des Ertragsnießbrauchs unvereinbar. Ansonsten müßte der Unternehmer seine Leistung ohne jede Gegenleistung erbringen115 – und dies obendrein ohne Kündigungsmöglichkeit. Die Veräußerung des Unternehmens ist wegen seiner Nießbrauchsverhaftetheit und den hieraus resultierenden Folgen am Markt keine ernsthafte Alternative für den Besteller-Unternehmer, um seinen Pflichten aus dem nießbrauchsrechtlichen gesetzlichen Schuldverhältnis zu entgehen. Eine Stillegung des Unternehmens dürfte schließlich nur in Zeiten seines dauerhaften wirtschaftlichen Niedergangs den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft entsprechen. Aus diesem Befund können wichtige Folgerungen gezogen werden: Einmal darf der Ertragsnießbrauch nur dazu führen, daß lediglich ein Teil des unternehmerischen Ertrages an den Nießbraucher abzuführen ist. Zulässig ist daher bloß ein Quotennießbrauch oder ein Bruchteilsnießbrauch. Ein Quotennießbrauch belastet zwar das ganze Unternehmen, ist aber nur auf die Auskehr einer festgelegten Quote des Unternehmensertrags gerichtet. Ein Bruchteilsnießbrauch belastet von vornherein nur einen Teil des Unternehmens, so 114

Schön, Nießbrauch, 120 f. Der BGH hat etwa einen Verlagsvertrag, der dem Verleger ein Optionsrecht für alle künftigen Werke des Autors ohne angemessene Gegenleistung einräumt, aufgrund nicht duldbarer Knebelung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit als sittenwidrig bewertet, BGHZ 22, 347 (354). 115

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daß auch der Nießbraucher nur auf einen Teil des Ertrags zugreifen kann. Im Zweifel wird der Erblasser einen Quotennießbrauch und keinen Bruchteilsnießbrauch vermacht haben. Denn in einem Quotennießbrauch spiegelt sich die Bewirtschaftungspflicht in Ansehung des gesamten belasteten Gegenstands besser wider als bei einem Bruchteilsnießbrauch. Es gilt demnach folgende Auslegungsregel: Auslegungsregel 28.1: Im Zweifel wird der Erblasser einen Quotenertragsnießbrauch und keinen Bruchteilsertragsnießbrauch vermacht haben.

Das Mindestmaß des dem Besteller-Unternehmer verbleibenden Ertrags hängt im übrigen vom Einzelfall ab. Leitlinie der Entscheidung ist hier eine Ausbalacierung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit des unternehmerisch Tätigen auf der einen mit dem Versorgungsinteresse des überlebenden Teils und dem Willen des Erblassers auf der anderen Seite. Die Abwägung kann sich an dem vorliegenden Rechtsprechungsmaterial zur sittenwidrigen Knebelung im Wirtschaftsbereich orientieren, welche maßgeblich auf den objektiven Umfang der Freiheitsbeschränkung abstellt116. Die unterste Grenze des nichtauskehrfähigen Ertrags wird im Grundsatz nicht durch ein typisches Geschäftsführergehalt der jeweiligen Branche gezogen, vielmehr muß dem Besteller-Unternehmer mehr verbleiben. Ähnlich der Berechnung des Honorars des Testamentsvollstreckers117 müßte dem Ertragsnießbraucher zumindest ein gewisser Abschlag aufgrund der Belastung des Unternehmers mit dem unternehmerischen Risiko angesonnen werden. Besonderheiten des Einzelfalles mögen auch hier bei Ausnahmeerscheinungen eine andere Bewertung rechtfertigen. Praktisch relevant sein dürfte das Problem insgesamt ohnehin nicht, da eine risikopartizipative Versorgung des überlebenden Teils wenig sinnvoll sein wird, wenn dem Unternehmer ein hinreichender finanzieller Anreiz genommen ist, sich extrinsisch zu einer tatkräftigen Unternehmensleitung zu motivieren. dd) Einschränkungen in der zeitlichen Dimension Wegen der fehlenden Kündigungsmöglichkeit muß der Ertragsnießbrauch nicht nur in der Sachdimension auf eine Quote beschränkt, sondern zum Schutz der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit des Unternehmers auch in der zeitlichen Dauer begrenzt sein; Leitlinie der Entscheidung kann auch hier die Judikatur zur sittenwidrigen Knebelung im Bereich des wirtschaftlichen Handelns sein. Feste Grenzen verbieten sich bei einem Versorgungs116 Siehe etwa MünchKomm-Mayer-Maly, § 138 Rn. 64 ff.; Soergel-Hefermehl, § 138 Rn. 116 ff.; Staud-Sack, § 138 Rn. 258 ff.; Palandt-Heinrichs, § 138 Rn. 39. 117 Dazu siehe oben § 34 III 1.

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zwecken dienlichen Ertragsnießbrauch von vornherein, da dem unternehmerisch Tätigen das frühzeitige Versterben des dinglich Berechtigten zugleich menschliche Bürde, aber auch wirtschaftliche Chance ist. Abzuwägen sein wird die anstehende Belastung des Unternehmers mit den Interessen des Versorgungsberechtigten. Geht die Abwägung zugunsten des Unternehmers aus, ist die Sittenwidrigkeit des Ertragsnießbrauchs die Folge. Damit scheinen einschneidende Folgen für den Überlebenden verbunden zu sein, da seine Versorgung zusammenzubrechen droht. Letzteres ist jedoch nicht der Fall. Denn der Nießbrauch wird ja durchweg für sittenwidrig erachtet, weil beispielsweise wegen einer besonders langen erwartbaren Lebensdauer des Überlebenden dem Unternehmer ab einem gewissen Zeitraum die Bewirtschaftungspflicht aus § 1036 II BGB analog unzumutbar ist. Der Ertragsnießbrauch ist also aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen wegen der Bewirtschaftspflicht nur nach dem Ablauf eines bestimmten Zeitraums und nicht wegen der Verpflichtung zur Auskehr des unternehmerischen Ertrags als solcher unzulässig. Ist dem so, steht nichts entgegen, dem Persönlichkeitsrecht des Unternehmers so Rechnung zu tragen, daß dieser zwar von der Bewirtschaftspflicht nach dem Ablauf des besagten Zeitraums befreit wird. Er muß jedoch den kapitalisierten Nießbrauchswert der Zeitspanne, zu der er von der Bewirtschaftungspflicht befreit ist, an den Ehegatten auskehren. Mit einer derartigen Lösung wird eine praktische Konkordanz zwischen den Persönlichkeitsrechten des Unternehmers und den Versorgungsinteressen des Überlebenden erreicht. Die Lösung liegt zudem auf einer Linie mit neueren Bestrebungen, im Rahmen der Flexibilisierung der Rechtsfolgenseite der Guten-SittenKlauseln in diese einen Normzweckvorbehalt einzubauen und keine Totalnichtigkeit des Rechtsgeschäfts mehr als Regelrechtsfolge vorzusehen118. Zugegebenermaßen sind Berechnungsschwierigkeiten bei der Kapitalisierung nicht von der Hand zu weisen. Die hier zu erwartenden Schwierigkeiten bei der Berechnung sind aber nicht ungewöhnlicher, als die Abwägung in Anlehnung an die Grundsätze der sittenwidrigen Knebelung überhaupt. Der hohe Wert praktizierter Solidarität post mortem mag im übrigen tendenziell die Zumutbarkeit der Belastung des Bewirtschaftungspflichtigen erhöhen; Sterbestatistiken und ähnliche Mittel das Maß der Belastung rechenfähig werden lassen. Freilich scheint gegen die hier vorgeschlagene Lösung auf den ersten Blick zu sprechen, daß nach dem Ablauf der Bewirtschaftungspflicht der Nießbrauch keinen rechten wirtschaftlichen Wert mehr zu haben scheint; die o. g. Auskehr würde dann mangels auskehrfähigen Werts ins Leere gehen. Ein derartiger Vorhalt würde jedoch fehlgehen. Die Kombination einer 118

Siehe oben § 15 II 4 c.

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zeitlich begrenzten Bewirtschaftungspflicht mit einer Auskehr des kapitalisierten Nießbrauchswerts dient dazu, der Sittenwidrigkeit des Nießbrauchs zu entgehen. Die zeitliche Begrenzung der Pflichtigkeit ist daher auf diesen Telos beschränkt. Wegen dieser teleologischen Beschränkung muß die Berechnung des auskehrfähigen, kapitalisierten Nießbrauchswerts so von statten gehen, daß der Wert des Nießbrauchs so angesetzt wird, wie er wäre, wenn die Bewirtschaftungspflicht weiter bestünde. Ansonsten würde der Persönlichkeitsschutz des Unternehmers teleologisch überschießend gegenüber den Interessen des Nießbrauchers prämiert, ohne daß dies einsichtig gerechtfertigt werden könnte. Es gilt also: Insgesamt gesehen wird mit der hier vorgeschlagenen Lösung ein Instrumentarium bereitgestellt, mit dem sowohl den persönlichkeitsrechtlichen Interessen des Erben-Unternehmers Rechnung getragen werden kann, als auch die Versorgung des Überlebenden weiterhin gesichert bleibt. III. Der erste Bestandteil des Handlungsrahmens des Unternehmers: Die wirtschaftliche Bestimmung des Betriebsvermögens Bisher war nur die Rede davon, daß der Besteller-Unternehmer bei einem Ertragsnießbrauch an einem einzelkaufmännischen Unternehmen nach § 1036 II BGB analog dazu verpflichtet ist, das Unternehmen den Regeln einer ordnungsgemäßen Wirtschaft gemäß gehörig zu führen. Was darunter genau zu verstehen ist, blieb bislang offen. Was genau die Pflichtenstellung des Unternehmers aus § 1036 II BGB analog beinhaltet, hängt von der Beantwortung zweier Fragen ab: Welches ist die wirtschaftliche Bestimmung des Betriebsvermögens, dessen Wahrung dem Unternehmer aufgegeben ist? Und: Nach welchen Kriterien richtet sich die Ordnungsgemäßheit des Wirtschaftens, die der Unternehmer als normative Richtschnur seinem Handeln zugrunde legen muß? Die Beantwortung dieser Fragen sind für das Institut des Ertragsnießbrauchs von einer nicht zu unterschätzenden Brisanz. Denn an ihnen wird sich zum einen erweisen, daß sich der Ertragsnießbrauch ausweislich des § 1036 II BGB analog zwar einerseits durchaus auch als ein Instrument zur Versorgung eines geschäftlich unerfahrenen Ehegatten eignet. Andererseits findet er aber seinen besonderen Charme gerade auch darin, dem versorgungsnachfragenden Teil einen gewissen Einfluß auf geschäftlich wichtige Entscheidungen der Unternehmenspolitik und der Unternehmensfinanzierung zu eröffnen. Der Ertragsnießbrauch ist deshalb ein Versorgungsinstrument für einen unternehmerisch zumindest gering befähigten Überlebenden. Zum anderen wird sich zeigen lassen, daß § 1036 II BGB analog den Unternehmer bei einem zu Versorgungszwecken vermächtnisweise zugewandten Ertragsnießbrauch im Zweifel nicht auf irgendeine unternehmerische Politik, sondern im Grundsatz auf ein versorgungsgerechtes unternehmerisches Handeln verpflichtet.

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Kap. 13: Die Versorgung des unternehmerisch gering befähigten Gatten 1. Streitstand

Was unter der „wirtschaftlichen Bestimmung“ i. S. § 1036 II BGB zu verstehen ist, ist umstritten. Während sich nach der einen, objektiv ausgerichteten Ansicht die wirtschaftliche Bestimmung der nießbrauchsbelasteten Sache nicht nach dem Willen des Eigentümers, sondern nach den zur Zeit der Bestellung objektiv gegebenen Umständen richtet119, rücken andere subjektive Aspekte in den Vordergrund und halten vorrangig den erklärten Eigentümerwillen und nur bei dessen Fehlen die objektiven Umstände für die Widmung des belasteten Gegenstands relevant120. Eine Variante dieses subjektiven Ansatzes gibt darüber hinaus dem Nießbraucher ein Bestimmungsrecht, zusätzliche Nutzungsarten über die vom Eigentümer gewollten einzuführen, wenn dadurch die vom Eigentümer bisher oder künftig verfolgte Nutzung bei Beendigung des Nießbrauchs nicht Schaden nehmen kann und die vom Eigentümer erfolgte wirtschaftliche Bestimmung des belasteten Gegenstands nicht wesentlich verändert wird121. Die herrschende Meinung nimmt hier den Mittelweg. Nach ihrer gemischt subjektiv-objektiven Lösung ist die bisherige wirtschaftliche Bestimmung diejenige, die der Eigentümer der Sache gegeben hatte und die zur Zeit der Nießbrauchsbestellung bestand122. Ansonsten ist man sich weitgehend einig – nur der objektive Ansatz sieht dies anders –, daß durch eine Verfügung von Todes wegen der Handlungsrahmen des Nießbrauchers erweitert werden könne123. Der Wille des Erblassers ersetzt dann quasi die Widmung des Gegenstands durch den Erben-Eigentümers, der ja verpflichtet ist, das Vermächtnis zu erfüllen124. Wenn der Zweck, dem das Unternehmen zu dienen bestimmt ist, festgelegt ist, steckt diese Unternehmenswidmung nach dem zuvor Gesagten also den Rahmen ab, innerhalb dessen sich das unternehmerische Handeln bewegen darf; nur der objektivistische Ansatz sieht dies anders. All dies klingt auf den ersten Blick einleuchtend. Die Rechtslage ist aber – wie noch demonstriert werden wird – um vieles komplizierter, als man den ersten Anschein nach glauben mag. Übertragen auf einen vermächtnisweise zugewandten Ertragsnießbrauch könnte der Erblasser also nach allen Meinungen – abgesehen vom objektivistischen Ansatz – dem Erben-Unternehmer den Rahmen, innerhalb dessen 119

Soergel-Stürner, § 1036 Rn. 3. MünchKomm-Petzoldt, § 1036 Rn. 5; Dernburg, Bürgerliches Recht III, § 187, 2; Müller, Sachenrecht, Rn. 3018. 121 Schön, Nießbrauch, 59 f. 122 Staud-Promberger, 12. Aufl., § 1036 Rn. 11; Staud-Frank, § 1036 Rn. 13; RGRK-Rothe, § 1036 Rn. 4; tendenziell auch KG, RPfl 1992, 14 ff. 123 Staud-Frank, § 1036 Rn. 13; RGRK-Rothe, § 1036 Rn. 4; MünchKomm-Petzoldt, § 1036 Rn. 6. 124 Staud-Frank, § 1036 Rn. 13. 120

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er sein Geschäft nur führen darf, von Todes wegen vorgeben und insofern das Betriebsvermögen in den Dienst der Versorgung des überlebenden Teils stellen. Das Unternehmen könnte also der Ehegattenversorgung gewidmet werden. Wenn eine derartige Widmung vorliegt, wäre dies für den Ertragsnießbrauch sehr wichtig; hängt doch die Ordnungsgemäßheit des unternehmerischen Handelns von der Zweckbestimmung des Unternehmens ab, wie noch gezeigt werden wird. Der Unternehmer wäre bei einem der Versorgung gewidmeten Unternehmen gehalten, vor allem seine Bilanzierungsentscheidungen darauf auszurichten, daß der zu Lebzeiten des Ehegatten erwartbare Gewinn nicht auf Kosten langfristig, erst nach dem Versterben des überlebenden Teils ertragswirksam werdender investiver Vorgaben geschmälert wird. Der Unternehmer müßte also eine Gewinnmaximierung zu Lebzeiten des Ehegatten im Blick haben und sein langfristig angelegtes Eigeninteresse tendenziell eher vernachlässigen. Voraussetzung ist aber immer, daß der Erblasser die Widmung des Betriebsvermögens tatsächlich derartig versorgungsgerecht letztwillig bestimmen kann. Wie schon gesagt, bestreitet eine eher objektivistisch orientierte Ansicht dies vehement. Im folgenden wird gezeigt werden, daß diese Ansicht nicht überzeugt. Hieraus kann freilich noch nicht der Schluß gezogen werden, der Erblasser könne dem Erben-Unternehmer alles mögliche per Unternehmenswidmung vorgeben. Vielmehr sieht er sich – soviel im Vorgriff auf das Folgende – einer gewissen Angemessenheitskontrolle seiner Unternehmenswidmung ausgesetzt. 2. Nießbrauchsrechtliche Widmung als objektive Gegebenheit?

Eine versorgungsgerechte Widmung des Betriebsvermögens schiede unzweifelhaft dann aus, wenn entsprechend der objektivistischen Ansicht subjektive Momente bei der Festlegung der „wirtschaftlichen Bestimmung“ i. S. § 1036 II BGB irrelevant wären. Dafür ist aber nichts ersichtlich. Schön hat herausgearbeitet 125, daß dem nießbrauchsrechtlichen Bewirtschaftungsverständnis tendenziell das Prinzip zugrundeliegt, die belasteten Wirtschaftsgüter müßten gesamtwirtschaftlich optimal ausgenutzt werden. Es entspricht den Regeln marktwirtschaftlichen Handelns, die Entscheidung, welcher Mitteleinsatz letztlich effizient ist, regelmäßig dem Eigentümer zu überlassen: eine nicht selbstverantworteten Maximen und eigennützigen Interessen gehorchende Nutzenmaximierung ist nach ökonomischen Kriterien grundsätzlich kein ökonomisch sinnvolles Handeln und führt zu gesamtwirtschaftlich negativen Effekten. Diesem nießbrauchsrechtlichen Optimierungsprinzip trägt die objektivistische Ansicht nicht hinreichend Rechnung126. Sie läßt es zu, daß dem Eigentümer nach Beendigung des Nieß125

Schön, Nießbrauchsrecht, 23 ff., 31 ff., 39 ff.

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brauchs eine Nutzung angesonnen werden kann, die seiner Vorstellungen von einem ökonomisch effizienten Einsatz der einstmals belasteten Sache zuwiderläuft. Aus diesem Grunde muß eine Anknüpfung der „wirtschaftlichen Bestimmung“ i. S. § 1036 II BGB an objektive Kriterien ausscheiden. Schließlich kann gegen das hiesig vertretene subjektive Konzept des § 1036 II BGB nicht eingewendet werden, mit ihm sei eine Dritten gegenüber wirkende Abänderung des gesetzlichen Schuldverhältnisses verbunden, die jedoch Offenkundigkeit der Abänderung voraussetze, welche wiederum allenfalls beim Grundstücksnießbrauch ausweislich des Grundbuches hergestellt werden könne127. Der Ertragsnießbrauch wird nach dem sachenrechtlichen Spezialitätsprinzip an den einzelnen Sachen und Rechten des Unternehmens nach den hierfür geltenden Vorschriften bestellt128. Das Publizitätsprinzip ist daher für den Belastungsgegenstand selbst kein relevantes Datum, sondern allenfalls für die in diesen Gegenstand ihrerseits inkorporierten Gegenstände. Ein Dritter ist damit nicht in seinem guten Glauben hinsichtlich des Inhalts des gesetzlichen Schuldverhältnisses geschützt. 3. Nießbrauchsrechtliche Nutzungsoptimierung und erbrechtliche Personfunktionalität

Die „Bestimmung“ i. S. § 1036 II BGB richtet sich also durchaus im Grundsatz nach subjektiven Kriterien – es fragt sich nur wessen: die des Erben-Eigentümers oder die des Erblassers. Die soeben angesprochenen Aspekte gesamtwirtschaftlich optimaler Ressourcennutzung sprechen für die Bestimmungsmacht des Erben-Eigentümers, da dieser sich im Versterbensfall des überlebenden Ehegatten mit einer Nutzung konfrontiert sehen mag, die seinen Vorstellungen zuwiderläuft. Gerade in dezidiert gesamtwirtschaftlicher Perspektive wurde denn auch unter primär ordoliberalistischem Blickwinkel eine Perpetuierung des Erblasserwillens im Unternehmensbereich – und um nichts anderes handelt es sich ja, wenn von kalter Hand die Widmung i. S. § 1036 II BGB festgezurrt ist – kritisch betrachtet129. Einem derartigen Generalangriff gegen eine Steuerung der unternehmerischen Politik von Todes wegen kann nicht gefolgt werden. Mit ihm würde unterschlagen, daß das moderne Privatrecht in seinen Wertungen sehr viel differenzierter und pluralistischer angelegt ist, als es der ordoliberalistische Ansatz wahrnehmen will130. Eines der besten Beispiele hierfür ist ja die person126

Schön, Nießbrauch, 58. So etwa generell Janssen/Nickel, Unternehmensnießbrauch, 26. 128 Siehe oben § 27 I 1. 129 Dazu nur Reuter, Privatrechtliche Schranken, insbes. 54 ff., 59 ff., und passim; ders., AcP 181 (1981), 1 ff.; ders., ZGR 1991, 467 ff.; dazu Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 6 IV. 127

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funktionale Gründung des gewillkürten Erbrechts. Zudem trägt das Ansinnen, auch die Unternehmenswidmung dürfe allein durch den Erben-Unternehmer erfolgen, Wertungen aus dem Bereich des Rechts der Wettbewerbssicherung (insbesondere des Kartellrechts) mit quasi usurpatorischer Tendenz auch in solche Rechtsgebiete, deren Eigenwertungen einer Dominanz von Imperativen ökonomischer Provinienz entgegenstehen. So ist es im personfunktional verstandenenen Erbrecht, so ist es auch in anderen Rechtsgebieten131. Nun entspricht es sicherlich einem personfunktionalen Erbrechtsdenken, nicht den Willen des Erben-Unternehmer, sondern den des Erblassers für die Bestimmung der Unternehmenswidmung als relevant anzusehen. Aus dieser erbrechtlichen Wertung kann jedoch noch nicht so einfach der Schluß gezogen werden, auch sachenrechtlich sei nunmehr allein dessen Wille für die Unternehmenswidmung relevant. Daß auch sachenrechtlich allein der Erblasserwille zählt, folgt vielmehr erst aus folgender Überlegung: Der Erblasser könnte von Todes wegen dem Erben im Rahmen des Nießbrauchsvermächtnisses auflagen- oder vermächtnisweise eine versorgungsgerechte unternehmerische Linie vorgeben, die er seinem künftigen geschäftlichen Handeln zugrundelegen muß. Die Verpflichtung zu einem versorgungsgerechten unternehmerischen Handeln obliegt hier freilich allein dem Erben-Unternehmer, nicht auch einem potentiellen Nachfolger in dessen Unternehmerstellung. Anders gesagt: Die vermächtnisweise Verpflichtung wirkt nur schuldrechtlich, nicht „dinglich“. Der Erblasser könnte dem Erben-Unternehmer aber für den Fall der Unternehmensveräußerung durch eine erbrechtliche Auflage vorgeben, das Unternehmen nur zu veräußern, wenn in dem Veräußerungsvertrag festgelegt ist, daß das Unternehmen weiterhin versorgungsgerecht zu bewirtschaften ist. Der Erblasser könnte sogar vorgeben, daß der Unternehmenserwerber sich dazu verpflichten muß – widrigenfalls das Unternehmen nicht veräußert werden darf –, seinerseits wiederum bei einer weiteren Unternehmensveräußerung darauf zu insistieren, daß der Erwerber sich verpflichtet, das Unternehmen versorgungsgerecht zu führen. Zwar mag sich der Versorgungscharakter des Unternehmen um so stärker abschwächen und durchhalten lassen, je mehr sich die bloß schuldrechtlichen Verpflichtungen auf eine versorgungsgerechte Unternehmenspolitik bei hintereinandergeschalteten Erwerbsketten verflüchtigen. Derartige Erwerbsketten dürften aber jenseits typischer praktischer Fallgestaltungen zu finden sein und können hier deshalb eher vernachlässigt wer130 Dazu Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 1 II 4, § 6 IV 2. Allgemein zum Ordoliberalismus siehe ders., Der Nießbrauch an Personengesellschaftsanteilen, § 10. 131 Zur Kritik am ordoliberalen Ansatz siehe aus einem personfunktionalistischen Blickwinkel Goebel, Der Nießbrauch an Personengesellschaftsanteilen, § 10 III, IV.

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den. Der Erblasser kann sich also nach all dem eines erbrechtlichen Instrumentariums bedienen, bei dem es im Ergebnis zu einer versorgungsgerechten Unternehmenswidmung mit Wirkung auch gegenüber den Unternehmernachfolgern kommt. Auch ohne Einsatz des sachenrechtlichen Instrumentariums könnte im Endeffekt das Unternehmen mithin so gewidmet werden, als ob dessen Ausrichtung auf die Versorgung des Überlebenden die „wirtschaftliche Bestimmung“ i. S. § 1036 II BGB darstellen würde. Dies wiederum zeigt, daß sachenrechtliche Wertungen nicht der erbrechtlichen Wertung entgegenstehen, den Willen des Erblassers für die Unternehmenswidmung für allein entscheidend zu halten. Damit liegt auch das die Auslegung des § 1036 II BGB im weiteren leitende Wertungsmuster fest: Wenn der Erblasser zu Recht auch über erbrechtliche Mittel die auf die Versorgung bezogene Widmung des Unternehmens im Regelfall trotz Widerspruch zum gesamtwirtschaftlichen Gedanken einer optimalen Güternutzung festzurren könnte, ist nicht einzusehen, warum er dies allein deswegen nicht könnte, weil er sich nur einer anderen Art und Weise: der nießbrauchsrechtlichen Widmung gem. § 1036 II BGB analog, bedient. Oder umgekehrt: Das nießbrauchsrechtliche Optimierungsprinzip fordert keine allein ökonomischen Maximen geschuldete Nutzungsoptimierung, sondern nur eine Optimierung im Rahmen des rechtlich Möglichen. Mit Blick hierauf ist es rechtlich von vornherein verfehlt, die Relevanz des Erblasserwillens für die Unternehmenswidmung mit dem Argument zu bestreiten, hier käme es zu gesamtwirtschaftlich unerwünschten Effekten. Nach den Kriterien des Wirtschaftssystems mag dies so sein. Nach den Prüfsteinen des Rechtssystems ist ein etwaiger wirtschaftlich mißliebiger Effekt gerade nicht „unerwünscht“. Nach all dem ist daher von dem grundsätzlichen Vorrang des Erblasserwillens für die Gegenstandswidmung i. S. § 1036 II BGB analog auszugehen, da typischerweise – soviel hat die bisherige Diskussion ergeben – das nießbrauchsrechtliche Optimierungsprinzip nicht rechtlich relevant angetastet ist. Eine dem Versorgungsinteresse des überlebenden Ehegatten dienende Widmung des unternehmerischen Betriebsvermögens auf der Grundlage der letztwilligen Verfügung ist daher im Grundsatz durchaus zulässig. Hieraus folgt zweierlei: Zum einen wird im Zweifel der Erblasser das Betriebsvermögen von Todes wegen der Versorgung des Ehegatten gewidmet haben wollen, da dadurch die Versorgung des überlebenden Teils abgesichert wird. Zum anderen hat der Erblasser nicht nur einen Ertragsnießbrauch dem Ehegatten vermächtnisweise ausgesetzt, sondern zugleich den überlebenden Teil von der Unternehmensführung ausgeschlossen. Durch die Übertragung der Unternehmensträgerschaft an den Erben zeigt er zugleich, daß unternehmerische Interessen des Erben nicht immer und ohne weiteres dem Versorgungsansinnen nachrangig sind. Er wird daher dem Erben im Zweifel

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nur eine solche Widmung angesonnen haben, die ihm den notwendigen Raum für ein sinnvolles unternehmerisches Handeln eröffnet. Dem Erben ist daher als Frucht einer sachgerechten Auslegung der Unternehmenswidmung anhand der letztwilligen Verfügung bsp. eine solche unternehmerische Politik möglich, die auf lange Sicht gesehen ein wirtschaftlich schwankendes Unternehmen konsolidiert, mag dadurch im Endeffekt auch die zu Lebzeiten des Ehegatten erwartbare Gewinnaussicht tendenziell marginal sein. Im Endeffekt steht dem Unternehmer damit im Zweifel ausweislich § 1036 II BGB nur eine solche Unternehmenspolitik offen, die zu einem sachgerechten Ausgleich zwischen seinem eigennützigen Nutzenmaximierungsinteresse und dem Versorgungsinteresse des Ehegatten findet. Es muß zu so etwas wie einen „nachvollziehbaren“ Ausgleich beider Interessen kommen. Wegen des Streitpotentials ist dem Erblasser zu raten, als Schiedsrichter einen Testamentsvollstrecker einzusetzen. Eine derartige Widmung ist schließlich mit Rücksicht auf die Bedeutung öffentlichen Glaubens und des Schutzes etwaiger Rechtsnachfolger des Unternehmers, der möglicherweise auch Immobiliareigentümer ist, grundbuchrechtlich eintragungsfähig132. Es gilt demnach folgende Auslegungsregel: Auslegungsregel 28.2: Im Zweifel hat der Erblasser das Unternehmen sowohl dem eigennützigen Nutzenmaximierungsinteresse des Erben als auch dem Versorgungsinteresse des Ehegatten gewidmet. 4. Die Schranken einer ausschließlich versorgungsgerechten Unternehmenswidmung

Das Ergebnis der bisherigen Erörterungen war, daß im Zweifel der Erblasser das Unternehmen sowohl dem Versorgungsinteresse des Überlebenden als auch dem Nutzenmaximierungsinteresse des Erben gewidmet haben wird. Es kann im Einzelfall aber auch so sein, daß der Erblasser das Unternehmen primär allein der Versorgung des Überlebenden zu dienen bestimmt sehen möchte. Die Unternehmenspolitik soll dann nicht nur versorgungsgerecht in eine tragfähige Balance mit den Interessen des Erben-Unternehmers gebracht, sondern versorgungsoptimal unter Hintanstellen der Erbeninteressen ausgerichtet werden. Für diesen Fall liegt die Frage nahe, wie hier der Erbe vor einem zu weitgehenden Zurückstutzen seiner Interessen geschützt werden kann. Hier bleibt zweierlei festzuhalten: Einmal kann der Erbe-Unternehmer die von Todes wegen vorgenommene Widmung und die damit verbundene Pflicht zu einer versorgungsoptimal 132 Schön, Nießbrauch, 60 f. Ggfls. durch Bezugnahme auf die Bewilligung, allg. dazu Haegele/Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, Rn. 1381.

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zugeschnittenen Ausübung des dinglichen Nutzungsrechts unter Umständen angreifen. Die Unternehmenswidmung wirkt wie eine erbrechtliche Auflage, das Unternehmen versorgungsoptimal zu führen. Sie muß dann aber auch den Maßstäben standhalten, denen allgemeinhin erbrechtliche Auflagen entsprechend den Wertungen nach § 138 I BGB unterworfen sind. Die Widmung ist demnach nach den gleichen Maßstäben unzulässig, unter denen eine entsprechende erbrechtliche Auflage wegen einer unzulässigen Beschränkung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit des Erben-Unternehmers sittenwidrig wäre. Wann dies der Fall ist, entscheidet sich – wie allgemein bei einer Sittenwidrigkeitsprüfung – nach den Umständen des Einzelfalles anhand einer Abwägung der Interessen des Überlebenden und des ErbenUnternehmers133. Zweifelsohne trägt eine derartige Inhaltskontrolle der Widmung ein gewisses Moment der Unsicherheit in die Anwendung des Nießbrauchsrechts hinein. Derartige Schwierigkeiten sind jedoch der Anwendung des § 1036 II BGB generell nicht fremd134. Mit Blick hierauf ist es nicht angängig, die Zulässigkeit einer Widmung des Unternehmens ausschließlich zu Versorgungszwecken mit der Begründung zu bestreiten, dadurch würde die rechtssichere Handhabung des Sachenrechts hintertrieben. Gegen den hier verfolgten Ansatz einer versorgungsgerechten Ausrichtung der Unternehmenswidmung steht die Möglichkeit einer Inhaltskontrolle mithin nicht entgegen. Eine zweite Schranke findet eine rigide durchgehaltene Versorgungswidmung, welche ausschließlich die Versorgung des Überlebenden dem Unternehmen als Richtschnur vorgibt, auch in einer insolvenznahen Unternehmenskrise. Im Laufe der Zeit kann sich herausstellen, daß eine strikt versorgungoptimale Führung des Unternehmens das Handelsgeschäft mehr und mehr entsprechend den Realitäten des Marktes in eine insolvenznahe Krise bringt. Eine rigide Durchführung der unternehmerischen Zweckbestimmung würde damit tendenziell das Unternehmen zerstören und damit die Versorgung letztlich verhindern. Das Unternehmen und damit die Versorgung des Überlebenden könnte mithin allenfalls gerettet werden, wenn der Unternehmer eine Unternehmenspolitik verfolgt, die nach den Kriterien, die für ein wirtschaftlich prosperierendes Unternehmen gelten würden, nicht versorgungsoptimal ist. Eine derartige Unternehmenspolitik ist durchaus widmungsgerecht. Denn die Alternative wäre ja nur, den Marktaustritt des Unternehmens zu erreichen. Damit wäre dem Versorgungsinteresse des Überlebenden aber überhaupt nicht geholfen. Bei Lichte betrachtet wird bei einer insolvenznahen Krise eines ausschließlich der Versorgung des Überlebenden gewidmeten Unternehmens dieses daher schon dann widmungsgerecht geführt, wenn unternehmerische Entscheidungen getroffen werden, die das 133 134

Dazu allg. oben § 15 I, § 15 II 2. Vgl. bsp. RGZ 80, 229 (232 f.).

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Unternehmen aus der Krise herausführen, mag dabei auch letztlich das Versorgungsinteresse des Überlebenden gänzlich oder teilweise ausfallen. 5. Causa und dingliches Nutzungsrecht

Gängiger Ansicht nach ist der „Zweck“ der gewidmeten Sache i. S. § 1036 II BGB von dem Geschäftszweck des nießbrauchsrechtlichen Grundgeschäfts ebenso streng zu trennen wie der Inhalt des dinglichen Nutzungsrechts vom Bestand seiner causa135. Der Nießbrauch ist danach „nicht als solcher Versorgungsnießbrauch“, vielmehr verdeutlicht „erst die zugrundeliegende causa (. . .) den subjektiven Zweck, der mit der Zuwendung (. . .) des Nießbrauchs verfolgt wird“136. Diesem Befund scheint die hiesig vorgeschlagene Ausrichtung der Unternehmenswidmung auf die Versorgung des überlebenden Teils zu widersprechen. In der Tat wird mit der Unternehmenswidmung zu Versorgungszwecken dem ersten Anschein nach ein Element der causa des dinglichen Nutzungsrechts in das dingliche Recht selbst gezogen. Dies scheint schon deshalb mißlich zu sein, weil causa nichts anderes ist als – verkürzt gesagt – der rechtserhebliche Zweck eines Rechtsgeschäfts137. Bei Lichte betrachtet kommt es jedoch bei einem der Versorgung des Überlebenden dienenden Ertragsnießbrauchs zu keiner Verwischung zwischen causa und dinglichem Recht. Eine Widmung des belasteten Gegenstands ist für die Ausübung eines jeden Nießbrauchs unentbehrlich, da ansonsten nicht klar wäre, wie der Gegenstand überhaupt benutzt werden könnte. Überspitzt gesagt, ist sowieso schon jeder Gegenstand zumindest implizit irgendeinem Zweck gewidmet, da er ansonsten schon gar nicht als „Gegenstand“ identifiziert werden kann. Kommt es zu einer ausdrücklichen Widmung des Gegenstands, die mit dem Zweck übereinstimmt, der mit dem schuldrechtlichen Grundgeschäft des nießbrauchsrechtlichen Bestellungsakts verfolgt wird, bedeutet dies deshalb nicht, daß es zu der besagten Verwischung von causa und dinglichem Recht kommt, sondern durchweg nur, daß das dingliche Recht überhaupt so bestellt wird, daß es als Erfüllung des schuldrechtlichen Grundgeschäfts angesehen werden kann. Denn eine Zweckausrichtung des belasteten Gegenstands, die dem mit dem Grundgeschäft verfolgten Zweck zuwiderläuft, wird regelmäßig dazu führen, daß das Grundgeschäft nicht gehörig erfüllt sein wird. Ist dem so, spricht auch die Einsicht, daß der Ertragsnießbrauch kein „Versorgungsnießbrauch“ im Sinne der causa-Lehren sein kann, mithin nicht gegen die hier vorgeschlagene Lösung, über die Unternehmenswidmung das Unternehmen auf eine Versorgung des Überlebenden auszurichten. 135 136 137

So etwa Schön, Nießbrauch, 72, 250. Schön, Nießbrauch, 250. Vgl. oben allg. § 17 II 2 b.

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IV. Der zweite Bestandteil des Handlungsrahmens des Unternehmers: Die wirtschaftliche Ordnungsgemäßheit des unternehmerischen Handelns 1. Allgemeines

Als zweiten Bestandteil des rechtlichen Rahmens, innerhalb dessen sich die unternehmerische Tätigkeit bewegen darf, nennt § 1036 II BGB die „Regeln einer ordnungsgemäßen Wirtschaft“. Maßgeblich sind richtigerweise hierbei nicht die subjektiven Vorgaben des Eigentümers. Dessen Bewirtschaftungsregeln müssen nicht immer mit einer optimalen Gegenstandsnutzung übereinstimmen und können damit gegen das schon genannte nießbrauchsrechtliche Optimierungsprinzip verstoßen138. Einschlägig sind vielmehr die Regeln, die ein im wohlverstandenen Eigeninteresse handelnder Eigentümer – beim Ertragsnießbrauch: Unternehmer – seinem Handeln zugrundelegen würde139. Ein derartiger Eigentümer würde die Sache regelmäßig bewirtschaften. Insofern trifft allgemein anerkannt beim normalen Nießbrauch den Nießbraucher, beim Ertragsnießbrauch dementsprechend den Unternehmer die Pflicht zur aktiven Bewirtschaftung, soweit die Regeln einer ordnungsgemäßen Wirtschaft dies erfordern140. Da ein Unternehmen ohne werbende Tätigkeit am Markt untergehen wird, ist eine Pflicht zur aktiven geschäftlichen Tätigkeit des Unternehmers im Regelfall außerhalb der Insolvenznähe folglich generell Ausfluß des Ertragsnießbrauchs. Die Anwendung der Regeln ordnungsgemäßen Wirtschaftens als solche bewegt sich innerhalb des Rahmens, der durch die wirtschaftliche Bestimmung i. S. § 1036 II BGB des belasteten Unternehmens gezogen ist. Dies ist nicht unbestritten. So wird stellenweise davon ausgegangen, die Regeln ordnungsgemäßen Handelns seien der wirtschaftlichen Gegenstandsbestimmung vorrangig. Infolgedessen könne der wirtschaftlich Handelnde die wirtschaftliche Bestimmung des belasteten Gegenstands während der Nutzungszeit ändern, wenn die Regeln ordnungsgemäßen Wirtschaften dies erforderten141. Verständlich wäre dies freilich nur, wenn zugleich die wirtschaftliche Bestimmung ebenfalls nach objektiven Kriterien gefaßt werden könnte142. Gerade dies wurde eingangs abgelehnt. Der Grund hierfür lag in der Einsicht, daß die subjektive Bestimmung der Widmung des belasteten Gegenstands durch den Besteller das Allgemeininteresse an einer optimalen 138

Dazu ausführlich Schön, Nießbrauch, 79 ff. Schön, Nießbrauch, 82. 140 Siehe nur BayObLGZ 1972, 366; MünchKomm-Petzoldt, § 1036 Rn. 7; RGRK-Rothe, § 1036 Rn. 5; Staud-Frank, § 1036 Rn. 15; Schön, Nießbrauch, 82. 141 Soergel-Stürner, § 1036 Rn. 3; Müller, Sachenrecht, Rn. 3020. 142 So auch Schön, Nießbrauch, 84. 139

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Gegenstandsnutzung fördert143. Dies wiederum könnte hintertrieben werden, wenn der Nutzer des belasteten Gegenstands die Widmung während der Nutzungszeit ändern könnte, weil hierfür gute wirtschaftliche Gründe sprechen. Die subjektive Gegenstandswidmung muß demnach den Rahmen abstecken, innerhalb dessen die Regeln ordnungsgemäßen Wirtschaftens angewendet werden. Einsichtiger ist daher die herrschende Ansicht, die unter der Ordnungsgemäßheit i. S. § 1036 II BGB diejenige Wirtschaftsmethode versteht, die nach objektiven Kriterien zur Verwirklichung der jeweiligen Gegenstandswidmung am besten geeignet ist144 – der Unternehmer müßte bei dem ausschließlich auf die Versorgung ausgerichteten Ertragsnießbrauch seinem geschäftlichen Handeln insofern im Innenverhältnis zum Nießbraucher diejenige objektive Leitschnur zugrundelegen, die das Versorgungsinteresse des Ehegatten optimal befriedigt. Im Normalfall des Ertragsnießbrauchs, bei dem das Unternehmen sowohl dem Versorgungsinteresse des Überlebenden als auch dem Eigeninteresse des Erben-Unternehmers zu dienen bestimmt ist, muß er die dieser Mischung entsprechende Leitlinie an den Tag legen. Entsprechend hierzu ist dem Unternehmer im Außenverhältnis zum Markt auch nur eine solche Ausübung der Verfügungsbefugnis analog § 1048 BGB eingeräumt, die den gerade beschriebenen Unternehmenswidmungen gerecht wird145. 2. Die Bestimmung der Regeln ordnungsgemäßer Wirtschaft bei nach dem Tode des Ehegatten mutmaßlich erst ertragswirksam werdenden Investitionen

Greift der Unternehmer-Erbe zu investiven Maßnahmen, die mutmaßlich erst nach dem Tode des überlebenden Teils ertragswirksam werden, wird bei einem ausschließlich der Versorgung des Überlebenden zu dienen be143

Oben § 28 III 2. Planck-Brodmann, § 1036 Rn. 4; Staud-Frank, § 1036 Rn. 15; Schön, Nießbrauch, 84 ff.; siehe auch OLG Zweibrücken OLGZ 1984, 460 ff. 145 Dem Rechtsverkehr kann das Überschreiten dieser Grenzen nicht entgegengehalten werden kann, wenn ihm die Mißachtung dieser Schranke weder bekannt noch hätte bekannt sein müssen, dazu nur Staud-Frank, § 1048 Rn. 5. Dem Unternehmer steht daher im Außenverhältnis durchaus eine größere Rechtsmacht als im Innenverhältnis zu. Die Rechtsstellung des Unternehmers hat deshalb einen treuhandrechtlichen Einschlag. Nur spielen die im Treuhandrecht diskutierten Problemkreise [Schutz des Treugebers gegen treuwidrige Verfügungen des Treuhänders und gegen den Zugriff Dritter auf das Treugut; Beschränkung der Rechtsposition des Treuhänders aus Gründen des Gläubigerschutzes der Parteien des Treuhandverhältnisses; zu diesen Punkten siehe nur Henssler, AcP 196 (1996), 37 (46); ausführlich Grundmann, Treuhandvertrag, 296 ff.] im Ertragsnießbrauchsrecht ersichtlich keine Rolle; die Einordnung des Ertragsnießbrauchs in Treuhandkategorien ist daher hier ohne näheren Erkenntniswert. 144

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stimmten Ertragsnießbrauch zumindest im Grundsatz ein Verstoß gegen die Grundsätze ordnungsgemäßer Wirtschaft anzunehmen sein. Anders ist dies nur, wenn der Unternehmer Gründe vorträgt, nach denen die Investition erforderlich ist, damit das Unternehmen auch noch zu Lebzeiten des Ehegatten nenneswerte Erträge abwirft. Dies kann etwa der Fall sein, wenn die dem Unternehmen kreditgewährenden Banken eine wirtschaftlich planvolle Investitionslinie verwirklicht sehen möchten und andernfalls dem Unternehmen die Kreditlinie zusammen streichen. Hier wird der Unternehmer auch zu erst nach dem zweiten Todesfall ertragswirksam werdenden Investitionen ausnahmsweise greifen dürfen – dies aber nicht, weil es in seinem, des Unternehmers Interesse läge, sondern weil die Interessen des überlebenden Ehegatten die Investition erfordern, weil das Unternehmen ansonsten notleidend würde. Liegen derartige Ausnahmesituationen aber nicht vor, muß der Unternehmer zu anderen Maßnahmen der Investitionsentscheidung finden. Allerdings dürfte gemeinhin eine jede voll erst nach dem mutmaßlichen Ableben des Überlebenden ertragswirksam werdende Investition auch zu Lebzeiten des überlebenden Teils die wirtschaftliche Lage Unternehmens stärken. Mit Rücksicht hierauf wird das unternehmerische Investitionshemmnis trotz einer ausschließlich der Versorgung des Überlebenden zu dienen bestimmten Unternehmen eher die Ausnahme bleiben; tendenziell wird dem Erben-Besteller eher eine Begründungslast aufgebürdet, warum er so und nicht anders unternehmerisch entscheidet. Auch dies kann dem Überlebenden schon helfen. Bei einem Nießbrauch, welcher sowohl das Versorgungsinteresse als auch das Eigeninteresse des Erben-Bestellers befriedigen soll, kommt es zu einer Abwägung zwischen dem Eigeninteresse des Unternehmers und dem Versorgungsinteresse des Ehegatten, ohne daß ein unternehmerisches Ermessen hier eine Rolle spielte. Zweifelsregelungen zugunsten des Ehegatten helfen auch an dieser Stelle dem Rechtsanwender. Im einzelnen sei hier auf die Regeln verwiesen, die in dieser Studie entwickelt worden sind, um die Versorgungsgerechtigkeit der Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch sicherzustellen146. Diese Regeln gelten bei einem Unternehmensnießbrauch analog, bei dem der Ehegatten-Nießbraucher das Unternehmen selbst nicht führt.

146

Siehe unten § 34 I 3 c bb.

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3. Der Ausgleichsanspruch des Ertragsnießbrauchers bei „untermäßiger“ Bewirtschaftung des Unternehmens

a) Der Inhalt des Ausgleichsanspruchs Beim normalen Nießbrauch trennt § 1039 BGB die dem Nießbraucher zukommende Aktionsberechtigung, also „sein Tun oder Unterlassen in bezug auf den Gegenstand“ von der Vermögensberechtigung, die „den Umfang der ihm gebührenden Nutzungen“147 absteckt148: Sofern es „infolge eines besonderen Ereignisses notwendig geworden“ oder infolge ordnungswidriger Wirtschaft geschehen ist, muß der Nießbraucher den Wert der gezogenen Übermaßfrüchte nach Ablauf des Nutzungsrechts herausgeben. Da beim Ertragsnießbrauch die Rollen in dem gesetzlichen Schuldverhältnis der §§ 1036 ff. BGB gleichsam spiegelbildlich mit „umgekehrten Vorzeichen“ zu versehen sind und der Nießbrauchsbesteller-Unternehmer all das schuldet, zu dem ansonsten der Nießbraucher verpflichtet ist149, ist ausgleichspflichtig nach § 1039 I BGB der Handelnde, also der Erben-Unternehmer. Der Anspruch aus § 1039 BGB muß – davon war gerade die Rede – bei einem Ertragsnießbrauch mit gleichsam „umgekehrten Vorzeichen“ angewendet werden. Streng durchgeführt hieße dies, daß sich diese Regelung nicht der übermäßigen, sondern der „untermäßigen“ Fruchtziehung des Unternehmers annehmen würde – sprich, der Nießbraucher könnte Ersatz verlangen, weil der Unternehmer sich bsp. nicht gehörig „angestrengt“ hat, sein Unternehmen bestmöglich zu bewirtschaften. In dieser Weise darf der Anspruch aus § 1039 BGB freilich beim Ertragsnießbrauch regelmäßig nicht verstanden werden, da ja das rechte Maß der „Anstrengung“ kaum je einfach ermittelt werden kann. Der Anspruch aus § 1039 BGB gibt vielmehr einen Ausgleich für ein unternehmerisches Handeln, welches nicht den Regeln ordnungsgemäßen Wirtschaftens i. S. § 1036 II BGB entsprach150. Er stellt mithin einen Sekundäranspruch dar, falls die klageweise Geltendmachung der Primäransprüche auf ein Unterlassen eines unsachgerechten unternehmerischen Handelns analog § 1053 BGB151 zu spät gekommen ist. Eine „übermäßige Fruchtziehung“ findet daher dann statt, falls der Unternehmer nicht die ihm durch § 1036 II BGB gesetzten Grenzen seines unternehmerischen Handelns beachtet hat.

147 148 149 150 151

Schön, Nießbrauch, 78 (beide Zitate). Dazu Schön, Nießbrauch, 78 f., 86 f. Dazu oben § 28 I. MünchKomm-Petzoldt, § 1039 Rn. 2; Staud-Frank, § 1039 Rn. 1. Dazu unten § 29 I.

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b) Die Versorgungsgerechtigtkeit des Ausgleichsanspruchs Soweit scheint der Ausgleichsanspruch wegen übermäßig gezogener Gebrauchsvorteile keine großen Schwierigkeiten zu bereiten. Der Eindruck täuscht jedoch. Da bei dem dem Überlebenden zu Versorgungszwecken bestellten Ertragsnießbrauch der Ablauf des dinglichen Nutzungsrechts mit dem Tod des Berechtigten zusammenfällt, hätte der Überlebende nichts mehr von einem Wertersatz nach § 1039 BGB, da er schon verstorben wäre. Der Wertersatz nach § 1039 BGB wäre also für den Überlebenden weitgehend wertlos; sein lebzeitiges Partizipationsinteresse an dem Wert der übermäßig gezogenen Nutzungen würde letztlich leerlaufen. Dies ist schon deshalb besonders mißlich, weil der Unternehmer in den Fällen des § 1039 BGB die entgegen dem Versorgungsinteresse des Ehegatten getroffenen unternehmerische Entscheidungen durchweg zumeist schon vollzogen haben wird, ohne daß der Überlebende sich vorweg auf dem Klageweg hat wehren können. In den Fällen des § 1039 I 1 Alt. 2 BGB war dieser Vollzug sogar aufgrund besonderer Marktlagen notwendig. Das Partizipationsinteresse des Überlebenden könnte also faktisch zu seinen Lebzeiten kaum je befriedigt werden. In der Fälligkeit des Wertersatzes nach § 1039 BGB scheint demnach ein, wenn nicht das Schlüsselproblem zur Versorgungsgerechtigkeit des Ertragsnießbrauchs verborgen zu sein. Nun könnte man daran denken, im Wege einer gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung den Fälligkeitszeitpunkt des Wertausgleichs nach § 1039 I BGB versorgungsrecht in der Weise zu modifizieren, daß er zu dem Zeitpunkt zeitlich vorgezogen wird, in dem der Ersatz wirtschaftlich baldmöglichst statthaft ist, was sich wiederum nach den Regeln ordnungsgemäßen Wirtschaftens und damit u. a. in Ansehung des Versorgungsinteresses des Nießbrauchers entscheiden könnte. Gleichwohl ist eine derartige Rechtsfortbildung nicht angängig. Denn bei Lichte betrachtet entfällt das für eine Rechtsfortbildung erforderliche Bedürfnis. Der überlebende Teil kann zum einen analog § 1051 BGB eine Sicherheitsleistung in Höhe des geschuldeten Wertersatzes gem. § 1039 I 2 BGB vom Besteller-Unternehmer verlangen, ohne daß er ihm ein Verschulden nachweisen muß. Über diesen Weg wird zwar das Partizipationsinteresse des Überlebenden nicht unmittelbar befriedigt, wohl aber mittelbar, als aufgrund der Sicherheitsleistung der Anreiz für den Unternehmer entfällt, nicht versorgungsgerecht zu wirtschaften. Zum anderen kann der überlebende Teil vom Unternehmer analog § 1039 I 3 BGB verlangen, daß der wertauszugleichende Betrag in das Unternehmen fließt, um dessen Ertrag letztlich wieder zu erhöhen. Schließlich steht bei Vertretenmüssen dem Nießbraucher gem. § 280 I BGB ein Schadensersatzanspruch wegen einer Verletzung des nießbrauchsrechtlichen Schuldverhältnisses zur Seite. Durch diesen Dreiklang – Sicherheitsleistung, Wiederherstellung, Schadensersatz – steht dem Nießbraucher ein sachgerechtes Instru-

§ 28 Die Versorgung über den Ertragsunternehmensnießbrauch

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mentarium zur Seite, den Unternehmer zu einem versorgungsgerechten Handeln mittelbar zu motivieren. Damit wird wieder einmal dem Ehegatten ein probates Instrument in die Hand gegeben, auf den Besteller-Unternehmer in Richtung Versorgungsgerechtigkeit der Unternehmenspolitik einzuwirken. Es wird über § 1039 BGB zudem gleichsam eine „Kultur des Gesprächs“ in die nießbrauchsbelastete Einzelunternehmung implementiert. Anders gesagt: Der einzelkaufmännische Unternehmer kann trotz §§ 1036 II, 1039 BGB noch recht viel ohne Ausgleich an den Ehegatten ins Werk setzen; er muß aber notfalls gegenüber dem Ehegatten seine Gründe offen legen, die ihn zu seiner Entscheidung motiviert haben, und um Verständnis für diese Entscheidung werben. Auch hierdurch wird ein Baustein bereitgestellt, den Ehegatten vor undurchschaubaren Winkelzügen des Unternehmers zumindest ansatzweise zu schützen. V. Nochmals: Die Versorgungsgerechtigkeit einer Gestaltung und die Bedürfnisse wirtschaftlichen Handelns Es liegt auf der Hand, daß die bisherigen Ergebnisse dieser Studie von seiten wirtschaftlichen Denkens manchen Widerspruch provozieren wird. Durchweg dürfte zu erwarten sein, daß man aus betriebswirtschaftlicher Sicht heraus auf rechtliche Möglichkeiten nachsinnen wird, den Einfluß des überlebenden Ehegatten auf das weitere Schicksal des Unternehmens möglichst klein zu halten152. Dies kann durchaus sinnvoll sein. Das Ziel der bisherigen Erörterungen war es denn auch nicht, zu zeigen, daß eine rechtlich abgesicherte normative Steuerung des dispositiven Faktors der betrieblichen Produktionsfaktoren – also des Managements – durch den überlebenden Teil geradezu den Königsweg unternehmerisch sinnvollen Handelns darstellt. Das Gegenteil wird häufig der Fall sein. Das Privatrecht sollte sich jedoch keinem unternehmerischen Ansinnen verschließen, welches eben genau umgekehrt wertet und dem überlebenden Teil einen Einfluß auf das Unternehmen verschaffen will. Andernfalls würde ein derartig starker Rechtspaternalismus herrschen, der die personfunktionalen Gehalte des Erbrechts geradewegs auf vermögensrechtliche Kautelen zurechtschneiden würde. Dem Gedanken einer wertungswiderspruchsfreien Rechtsordnung gemäß wäre dies keineswegs. Eine Rechtsdogmatik, welche die Wertentscheidungen des Erbrechts erstnimmt und demgemäß der Personalität des Erblassers Respekt zollt, sollte sich deshalb auch einem ökonomisch unsinnigem Handeln nicht entgegenstemmen.

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Dazu schon oben § 23 II 3 c.

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§ 29 Die Rechtsfolgen des Unternehmensertragsnießbrauchs I. Die Rechtsfolgen eines nicht versorgungsgerechten unternehmerischen Handelns beim Unternehmensertragsnießbrauch Der Unternehmer wirtschaftet nicht ordnungsgemäß, wenn er das Versorgungsinteresse des Ehegatten-Nießbrauchers entsprechend den bisher entwickelten Regeln153 mißachtet, obwohl dies nicht durch besondere Ereignisse zwingend i. S. § 1039 I BGB analog notwendig ist. Er betreibt in diesem Falle in der nießbrauchsrechtlichen Nomenklatur „Raubbau“ am Unternehmen. § 1036 II BGB analog gibt dem Ehegatten hier das Recht, dem Unternehmer ein derartiges unternehmerisches Handeln zu untersagen154. Zudem findet eine analoge Anwendung des § 1039 I 2 BGB für den Fall „untermäßiger“ Bewirtschaftung statt; der Unternehmer ist zum Wertausgleich bei Beendigung des dinglichen Nutzungsrechts, vorher zur Sicherheitsleistung oder zur Investition des wertauszugleichenden Betrages in das Unternehmen verpflichtet155. Handelt der Unternehmer zudem schuldhaft, kann der Nießbraucher Schadensersatz aus Delikt oder einer Verletzung der Pflichten aus dem nießbrauchsrechtlichen gesetzlichen Schuldverhältnisses nach § 280 I BGB geltend machen156. Der Schadensersatz geht nach allgemeinen Regeln nicht nur auf den Ersatz des entgangenen Gewinns157, sondern auch auf Ersatz des weiteren Schadens, da der entgangene Gewinn schon über den Wertausgleich analog § 1039 I 2 BGB erstattet wird158. Damit der Überlebende die Versorgungsgerechtigkeit des unternehmerischen Handelns sichern kann, steht ihm zudem ein dreifach gestuftes Modell zur Verfügung: auf der ersten Stufe analog § 1053 BGB Klage auf Unterlassung nach Abmahnung, auf der zweiten Stufe Leistungsklage auf ein konkretes unternehmerisches Handeln und auf der dritten Stufe analog § 1054 BGB Entziehung der Unternehmerstellung durch gerichtliche An153

Siehe oben § 28 IV 2 mit § 34 I 3 c bb. So beim normalen Nießbrauch allgemeine Meinung, etwa Staud-Frank, § 1036 Rn. 15. 155 Siehe soeben § 28 IV 3 b. 156 So für den normalen Nießbrauch – freilich mit Umkehrung der Pflichtenstellung (Berechtigter: Eigentümer; Schuldner: Nießbraucher) h. M., siehe etwa StaudFrank, § 1036 Rn. 16; MünchKomm-Petzoldt, § 1036 Rn. 4; Erman-Michalski, § 1036 Rn. 2; RGRK-Rothe, § 1036 Rn. 4. 157 Hier findet der § 287 ZPO ein genuines Anwendungsfeld. 158 Hier stellen sich mithin ähnliche Schwierigkeiten, wie sie auch die Abgrenzung zwischen der actio negatoria des § 1004 I BGB und deliktischen Schadensersatzansprüchen bestimmen. Dies kann hier nicht näher problematisiert werden. 154

§ 29 Die Rechtsfolgen des Unternehmensertragsnießbrauchs

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ordnung der Verwaltung über das Unternehmen. Die zweite Stufe scheint hierbei auf den ersten Blick gegen § 1053 BGB zu verstoßen, der nur eine Klage auf Unterlassung vorsieht. § 1053 BGB ist jedoch nur hinsichtlich des Erfordernis einer Abmahnung lex speciales zu der actio negatoria159. Ansonsten steht dem Nießbraucher die actio gem. §§ 1065, 1004 BGB auch gegenüber dem Eigentümer160 trotz § 1053 BGB offen. Es liegt auf der Hand, daß eine Klage zu einem versorgungsgerechten unternehmerischen Handeln Schwierigkeiten aufwirft, die aus der Natur des eingeforderten Verhaltens selbst resultieren. Für die Beurteilung der Praktikabilität der Leistungsklage ist mit Rücksicht auf diese Schwierigkeiten wie folgt nach Fallgruppen getrennt zu unterscheiden. In der ersten Fallgruppe greift der Ehegatte kein investiven Maßnahmen des Unternehmers an, die erst mutmaßlich nach seinem Tode ertragswirksam zu Buche schlagen werden, sondern wendet sich aus anderen Gründen gegen das unternehmerische Handeln. Seine Klage wird zumeist wenig Erfolg haben, da dem Erben-Unternehmer ein breiter Spielraum unternehmerischen Ermessens zu gute kommt. Dennoch bleiben Fälle, in denen eine Klage erfolgreich sein kann. Im Gesellschaftsrecht zeigen die positiven Stimmpflichten aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht161, daß Gebote, in bestimmter Weise unternehmerisch zu handeln, in Ausnahmefällen durchaus justiziabel sind. In der zweiten Fallgruppe geht es demgegenüber um die o. g. investiven, erst nach dem Tode des Ehegatten ertragswirksam werdenden Maßnahmen. Der Ehegatte wird sein Versorgungsinteresse durchsetzen können, wenn der Unternehmer die Regeln ordnungsgemäßen Wirtschaftens i. S. § 1036 II BGB verletzt hat. Dies wiederum ist der Fall, wenn er das Versorgungsinteresse des überlebenden Gatten zu sehr hintangestellt hat. Im einzelnen kann auch hier wieder auf die schon des öfteren angesprochenen Regeln verwiesen werden, nach denen ein Verstoß gegen § 1036 II BGB untersucht werden kann162. Ein dem Ehegatten zusprechendes Urteil dürfte hier kein unwahrscheinliches Phänomen sein. Das Vollstreckungsrecht setzt freilich dem Ehegatten selbst dann Grenzen, wenn dieser die Klage gewonnen hat. Soweit das geschuldete Handeln des Erben-Unternehmers in der Abgabe einer Willenserklärung besteht, entstehen zwar wegen § 894 ZPO keine größeren Probleme. Ansonsten dürfte der Praktikabilität einer Klage auf ein konkretes unvertretbares unternehmerisches Handeln aber durchweg § 888 II ZPO analog entgegenstehen, da der Unternehmer nicht schlechter stehen 159 Prot. III, 399; Staud-Frank, § 1053 Rn. 1; RGRK-Rothe, § 1053 Rn. 1; Schön, Nießbrauch, 203. 160 Siehe nur Staud-Frank, § 1065 Rn. 17. 161 Dazu nur Karsten Schmidt, GesR, § 21 II 3 c.; Winter, Mitgliedschaftliche Treuebindungen, 167 ff. 162 Siehe § 28 IV 2 mit § 34 I 3 c bb.

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darf als ein Dienstverpflichteter. Die dritte Stufe des Ehegattenschutzes, bei der analog § 1054 BGB dem Erben-Unternehmer die Unternehmerstellung durch gerichtliche Anordnung der Verwaltung über das Unternehmen entzogen wird, ist wenig praktikabel, da es zwingend zu einer gerichtlichen Aufsicht über den Verwalter analog § 1052 II 1 BGB, §§ 153 ff. ZVG kommt. Eine derartige Aufsicht kann das Unternehmen stark an einer prosperierenden Entfaltung hindern, was auch wenig im Versorgungsinteresse des Ehegatten liegen dürfte. II. Besitzfragen Bei einem Ertragsnießbrauch an einem Unternehmen wird der Nießbraucher regelmäßig von dem unmittelbaren Besitz an den Gegenständen des Betriebsvermögens ausgeschlossen. Dies hat Kritik herausgefordert. Es wurde moniert, der mit einem Ertragsnießbrauch verbundene Ausschluß des Rechts auf den unmittelbaren Besitz an dem und auf unmittelbare Einwirkung auf den belasteten Gegenstand sei nicht zulässig163. Diese Kritik geht schon deshalb fehl, weil ausweislich der §§ 1030 II, 1032 S. 2, 1052 und 1059 S. 2 BGB nicht erforderlich ist, daß der Nießbraucher den unmittelbaren Besitz erhält164. Kann der Ertragsnießbraucher aber nicht zumindest als mittelbarer Besitzer besitzen? Dies scheint schwierig zu sein165. Denn da der Eigentümer grundsätzlich als Eigenbesitzer besitzt, könnte vorgetragen werden, der Eigentümer könne dem Ertragsnießbraucher den mittelbaren Besitz nur dann mitteln, wenn er zugleich aufgrund der dinglichen Belastung in Ansehung des Ertragsnießbrauchs als unmittelbarer Fremdbesitzer für den Ertragsnießbraucher besitzen könnte. Nun verneint der BGH die Möglichkeit eines solchen ungleichstufigen Mitbesitzes mit der Begründung, ein Eigenbesitz des Besitzmittlers verhindere eine Herrschaftsbeziehung des Oberbesitzers zur Sache166. Mittelbarer Besitz wäre dann nur möglich, wenn der Eigentümer seinen Eigenbesitzwillen aufgäbe – was auf den ersten Blick schwierig erscheint, da der Unternehmer mit Rücksicht auf den bloß quotal zulässigen Ertragsnießbrauch auf 163

Gösele, Nießbrauch, 51. BGH, DNotZ 1954, 399. Siehe aber auch Schön, Nießbrauch, 106 ff., 316. 165 Zumeist wird hier kein genuines Problem gesehen, vgl. etwa Staud-Frank, Anh zu §§ 1068, 1069 Rn. 33, der als Argument für die Zulässigkeit des Ertragsnießbrauchs anführt, es sei kein unmittelbarer Besitz des Nießbrauchers erforderlich. Die Problematik, ob mittelbarer Besitz überhaupt rechtlich möglich ist, wird dabei ausgespart. 166 BGH, NJW 1983, 568 (569), unter Verweis auf RGZ 135, 75 (79), für die Teilabtretung von Briefgrundpfandrechten ohne Bildung eines Teilbriefs; aA Soergel-Mühl, § 866 Rn. 4. Zum Streitstand siehe nur Staud-Bund, § 866 Rn. 21 f.; MünchKomm-Joost, § 866 Rn. 10. 164

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einen Teil des Gewinns noch zugreifen darf und dies auf die Art seines Besitzes durchschlagen könnte. Andererseits sind die unternehmerischen Sachen nicht auch nur bruchteilsweise, sondern in toto nießbrauchsrechtlich belastet. Aus dieser Perspektive stünde der Eigentümer besitzrechtlich daher in einer ähnlichen Lage wie ein Vermieter-Eigentümer, der die vermietete Sache vom Mieter im Wege der Untermiete zurückmietet. Eine Besitzmittlung liegt hier aber nicht außerhalb des rechtlich Zulässigen. Letztlich kommt es auf derartige dogmatisch-konstruktive167 Fragen aber nicht an. Ein Fehlen des Besitzes ist für die Zulässigkeit eines Ertragsnießbrauch unschädlich und würde zumindest nicht eine erforderliche Rechtsfortbildung ausschließen. Denn das Besitzrecht des § 1036 I BGB soll den Nießbraucher in die Lage versetzen, sämtliche Handlungen vorzunehmen, die zur Nutzziehung erforderlich sind168. Die Nutzziehung besteht beim Ertragsnießbrauch aber im Zugriff auf den unternehmerischen Gewinn. Funktional entsprechen dem Besitz daher die Einsichtsrechte des Nießbrauchers in die Bilanz, in die Gewinn- und Verlustrechnung und in die Geschäftsbücher169 sowie der Anspruch aus § 1036 II BGB analog. Mit Blick auf diese funktionalen Äquivalente ist ein Insistieren auf das Besitzerfordernis daher nicht weiter einsichtig. Aus dem etwaigen Fehlen des mittelbaren Besitzes des Ertragsnießbrauchers kann daher nichts gewonnen werden, was gegen die Zulässigkeit eines Ertragsnießbrauchs sprechen könnte. III. Die Berechnung des auszukehrenden Ertrags 1. Die Ertragsberechnung während des Nutzungsrechts

Bei einem Unternehmensnießbrauch berechnet die h. M. den dem Nießbraucher zustehenden Gewinn nach komplizierten Zurechnungskriterien in Anlehnung an die in den §§ 1036 ff. BGB niedergelegten Wertungen. Hierbei soll zwar im Grundsatz der „Reingewinn“ des Unternehmens dem Nießbraucher zustehen. Gleichzeitig wird dies aber modifiziert durch die Leitlinie, daß Vermögensverluste oder -gewinne bei den Gegenständen des Anlagevermögens dem Eigentümer zukommen, und durch die Vorgabe, daß der Nießbraucher entsprechend seiner Pflicht zur ordnungsgemäßen Wirtschaft über die planmäßigen Abschreibungen hinaus freie Rücklagen als Finanzierungsgrundlage für Neuinvestitionen, zum Inflationsausgleich sowie als Liquiditätsreserve zu bilden hat und die entsprechenden Finanzmittel sich nicht als Gewinn zuschreiben lassen darf170. Vorgeschlagen wird bsp. die 167 Zu recht billigt Staud-Bund, § 866 Rn. 21, dem Meinungsstreit einen eher dogmatisch-konstruktiven Charakter zu. 168 Siehe nur Schön, Nießbrauch, 106 m. w. Nachw. 169 Zum Informationsrecht des Ertragsnießbrauchers unten § 29 III 4.

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Hälfte des Jahresgewinns als fester Sperrbetrag für Kapitalerhaltung, Wachstum und Liquidität171. Dementsprechend werden aus dem Unternehmensgewinn einzelne Posten herausgelöst, die dann zum Teil dem Nießbraucher, zum Teil dem Eigentümer zugewiesen werden. Es wurde schon dargelegt, daß an diesem Berechnungsmodell durchschlagende Zweifel angebracht sind172. Denn die durch das gesetzliche Schuldverhältnis der §§ 1036 ff. BGB festgelegten Verhaltens- und Finanzierungspflichten modifizieren richtiger Ansicht nach nicht den Reingewinn des Nießbrauchers, sondern begründen allenfalls gewisse Entnahmerechte und Einlagepflichten, die bei Beendigung des Nießbrauchs zum Ausgleich zu bringen sind173. Es ist offensichtlich, daß die Gewinnberechnungsweisen, die bei dem Unternehmensnießbrauch zum Anschlag kommen, auf den Ertragsnießbrauch nicht ohne weiteres angewendet werden können. Der Ertragsnießbraucher ist ja nicht in die aus §§ 1036 ff. BGB folgende Pflichtenstellung eingebunden. Zudem erfolgt das Investment in das Unternehmen durch den Erben. Darüber hinaus wäre es wenig sinnvoll, bei einem lebenslänglichen Versorgungsertragsnießbrauch eine Ausgleichung der Entnahmen und Einlagen bei Beendigung des Nießbrauchs erst mit dem Tod des Ehegatten stattfinden zu lassen. Ein anderer Berechnungsmodus muß daher gefunden werden. Wirtschaftlich ähnelt hinsichtlich der Partizipation am erwirtschafteten Gewinn die Lage des Ertragsnießbrauchers im Innenverhältnis zum Unternehmer der eines Kommanditisten oder eines stillen Gesellschafters174. Aus diesem Fingerzeig kann die Lösung hinsichtlich der sachgerechten Gewinnberechnung gewonnen werden. Beim laufenden Betrieb des Unternehmens will der Erblasser den überlebenden Teil am Betriebsgewinn nach Maßgabe der Handelsbilanz teilnehmen lassen. Wertsteigerungen am Anlagevermögen kämen ihm allenfalls dann zu gute, wenn sie aufgedeckt werden und der Erblasser eine Partizipation des Ehegatten am Anlagevermögen gewollt hat, was im Zweifel wieder aus Versorgungsgründen der Fall sein wird. Die ordnungsgemäße Gewinnberechnung bleibt schwierig. Die Probleme hier durch einen einfachen Zugriff des Ertragsnießbrauchers auf den Gewinn qua Handelsbilanz zu lösen, hieße letztlich die Probleme zu verdecken. Bilanzierungsentscheidungen, wie die Bildung offener Rücklagen, zusätzlicher Abschreibungen nach § 253 Abs. 4 HGB, Aufwandsrückstel170 Vgl. die Übersichten bei Staud-Frank, Anh zu §§ 1068, 1069 Rn. 45; Bökelmann, Nutzungen, 63 ff.; v. Godin, Nutzungsrecht, 27 ff., 32 ff.; Schön, Nießbrauch, 206 ff., der selbst aber das Vorgehen der h. M. kritisiert. 171 Bökelmann, Nutzungen, 116 ff.; dazu Grunsky, BB 1972, 585 (588). 172 Siehe oben § 27 II 3. 173 Siehe Schön, Nießbrauch, 208 ff., und schon oben § 27 II 3. 174 So auch MünchKomm-Petzoldt, § 1085 Rn. 8; Bökelmann, JZ 1974, 202 (203); angedeutet schon bei Beyerle, JZ 1955, 257 (260 Fn. 18).

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lungen nach § 249 I 3, II HGB oder die Bildung steuerlicher Sonderabschreibungen, sind der Sache nach Ergebnisverwendungen175. Ausschüttungsinteressen, Bedürfnisse nach Selbstfinanzierung oder Rückgriff auf den Kapitalmarkt und Aspekte der Zukunftssicherung des Unternehmens bilden hier ein in sich versponnenes Wertungskonglomerat, welches grundsätzlich einen Ausfluß der unvertretbaren unternehmerischer Entscheidungen darstellt und welches zugleich in Grenzen darauf hin untersucht werden kann, ob die Kriterien wirtschaftlicher Ordnungsgemäßheit (§ 1036 II BGB) gewahrt sind. Nun ist der Gewinn eines Unternehmens analog § 100 BGB dessen Gebrauchsvorteil176. Welche Vorteile ein Unternehmen gewähren kann, ist durch die Unternehmenswidmung bestimmt177. Die nach Maßgabe des erblasserischen Willens im Zweifel auch auf die Versorgung des Überlebenden ausgerichtete Unternehmenswidmung ist damit nicht nur zur Bestimmung der unternehmerischen Verhaltenspflichten analog § 1036 II BGB, sondern auch für den Umfang des dem Ehegatten zugewiesenen Ertrags maßgeblich. Da sich dieser Gewinn nach Maßgabe der Handelsbilanz errechnet, kann der Ertragsnießbraucher also analog § 100 BGB die Bilanzierungsentscheidungen des Erben durchaus beeinflussen178. Hier gelten wiederum die oben geschilderten Grundsätze zur Überprüfung der wirtschaftlichen Ordnungsgemäßheit des unternehmerischen Handelns179. Im Endeffekt greifen damit die Kriterien, die für die im laufenden Geschäftsbetrieb ausschlaggebenden unternehmerischen Verhaltensrichtlinien analog § 1036 II BGB relevant sind, auch für die Bilanzpolitik. Wenn sich die in Bilanzierungsentscheidungen wie Teilwertabschreibungen, Rückstellungen und ähnliches verborgenen möglichen positiven Wertverschiebungen erst nach dem Tod des Nießbrauchers – und damit faktisch zu seinen Lasten – realisieren, wird daher analog § 100 BGB mit Wirkung gegenüber dem Ertragsnießbraucher zu Recht der Gewinn zumindest dann gemindert, wenn der Unternehmer die hinter diesen Bilanzierungen verborgenen unternehmerischen Entscheidungen auch in Ansehung der für ihn geltenden Regeln ordnungsgemäßen Un175 Sie müssen daher in einer Handelsgesellschaft von allen Gesellschaftern gemeinschaftlich getroffen werden, BGH NJW 1996, 1455. 176 Siehe zur stritten Einordnung des unternehmerischen Gewinns in die Kategorien der §§ 99 f. BGB die Übersicht bei Schön, Nießbrauch, 211 f. 177 Schön, Nießbrauch, 66 ff., für den normalen Nießbrauch. 178 Die damit einhergehende Bewältigung von Interessengegensätzen wird auch in der kautelarjurisprudentiellen Literatur immer wieder angemahnt, vgl. bsp. Hennerkes/May, NJW 1988, 2761 (2764). 179 Oben § 28 III, § 28 IV. Zu eng daher Gösele, Nießbrauch, 56, der dem Ertragsnießbraucher nur einen Anspruch gegen den Unternehmer gibt, an der Feststellung des Gewinns mitzuwirken, um dann dem Nießbraucher die Entnahme zu ermöglichen.

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ternehmertums hätte durchsetzen können. Kann der Erbe-Unternehmer seine Bilanzpolitik nicht hinreichend dem Versorgungsinteresse des Überlebenden gegenüber rechtfertigen, ist der Gewinn gem. § 100 BGB analog geschuldet, der bei einer ordnungsgemäßen Bilanzierung berechnet worden wäre. Das Prüfrecht des Ertragsnießbrauchers ist freilich auch hier nicht gerade streitmindernd. Wenn der Erblasser Vorsorge treffen oder seinen geschäftlich nicht so erfahrenen Ehegatten schützen will, sollte er einen Testamentsvollstrecker als Schiedsrichter vorsehen180. 2. „Aufwendungen“ auf das Unternehmen

Das Gesetz trifft ausweislich der §§ 1036 II, 1041, 1043 und 1049 BGB eine detaillierte Lastenverteilung hinsichtlich der im Laufe der Bewirtschaftung anfallenden Ausbesserungs- und Erneuerungsarbeiten an der belasteten Sache. Die Richtschnur ist hier, daß der Nießbraucher die Instandhaltungsarbeiten insoweit übernehmen muß, als diese zum gewöhnlichen Sachunterhalt zu rechnen sind, § 1041 S. 2 BGB. Sind außergewöhnliche Maßnahmen zu besorgen, kann er sie gegen Aufwendungsersatz durch den Eigentümer selbst vornehmen, §§ 1042, 1049 I BGB, §§ 951, 812 BGB. Für solche Verwendungen, die entsprechend den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft nicht geboten sind, ihnen aber auch nicht widersprechen, kann der Nießbraucher gem. §§ 1049 I, 684 S. 2, 812 ff. BGB lediglich Bereicherungsausgleich vom Eigentümer verlangen, wenn dieser den Kostenersatz für derartige nützliche Verwendungen ansonsten abgelehnt hat. Zudem kann der Eigentümer die Vornahme nützlicher Verwendungen untersagen, wenn die Maßnahme sich als wesentliche Veränderung oder Umgestaltung i. S. § 1037 I BGB darstellt181. a) Der Vergleich mit den Regelungen des Sachnießbrauchsrechts Wie grenzen sich nun gewöhnliche von außergewöhnlichen Maßnahmen ab? Im Sachnießbrauchsrecht wird die „Gewöhnlichkeit“ der Maßnahme zumeist davon abhängig gemacht, ob sie nach dem normalen Lauf der Dinge von Zeit zu Zeit in kürzeren Abständen notwendig werden182. Hinter dieser Formulierung verbergen sich drei Verständnisweisen von „Gewöhnlichkeit“: Gewöhnlichkeit i. S. von „Vorhersehbarkeit“ oder „Berechenbarkeit“, Gewöhnlichkeit i. S. einer zu erwartenden Amortisation des Aufwands während 180

So auch Langenfeld, Testamentsgestaltung, Rn. 384. Vgl. zum Verwendungsersatz im Nießbrauchsrecht ausführlich Schön, Nießbrauch, 110 ff. 182 So im Anschluß an die Motive (Mot. III, 511) Staud-Frank, § 1041 Rn. 5; MünchKomm-Petzoldt, § 1041 Rn. 2; Soergel-Stürner, § 1041 Rn. 3. 181

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der Nutzungszeit oder Gewöhnlichkeit i. S. einer bestimmten qualitativen Beziehung zwischen Häufigkeit und Umfang der Aufwendung183. Sämtliche drei Aspekte (Vorhersehbarkeit, Amortisationsdauer, Maß des Aufwands) prägen das Verständnis der h. M. von der „Gewöhnlichkeit“ der Ausbesserung i. S. § 1041 BGB184. Das rechte Mischungsverhältnis zwischen diesen drei Aspekten ist richtigerweise eine Frage der systematischen und teleologischen Interpretation des Begriffs der „Gewöhnlichkeit“. Die Leitlinien für diese Interpretation können sich nur aus den teleologischen Grundkonzepten ergeben, die im Nießbrauchsrechts verwirklicht sind185. Das eine Grundkonzept ist das von Schön186 herausgearbeitete und auch im Rahmen dieser Studie favorisierte ökonomische Modell des Nießbrauchs187, daß dem nießbrauchsrechtlichen Bewirtschaftungsverständnis tendenziell das Prinzip zugrundeliegt, die belasteten Wirtschaftsgüter gesamtwirtschaftlich optimal zu nutzen188. Entsprechend diesem gesamtwirtschaftlichen Interesse an einer optimalen Nutzung der Sachgüter wird eine notwendige Erhaltungsmaßnahme auch dann erfolgen, wenn sie nicht vorhersehbar oder regelmäßig (also: gewöhnlicherweise) vorzunehmen ist. Maßgeblich für das Handeln der sachbewirtschaftenden Person ist nach den Vorgaben dieses ersten Grundkonzepts allein, ob ein einsichtiger Eigentümer nach den Regeln ordnungsgemäßer Wirtschaft Aufwendungen auf die Sache tätigen würde189. Nun geht aus der Regelung des § 1042 BGB hervor, daß das Gesetz innerhalb dieser Aufwendungen, die ein einsichtiger Eigentümer in die Sache investieren würde, außergewöhnliche und gewöhnliche unterscheidet. Hieraus folgt zwingend, daß eine Aufwendung nicht schon dann als „gewöhnliche“ qualifiziert werden kann, wenn sie durch die Grundsätze einer ordnungsgemäßen Wirtschaft geboten sind190. Für die Abgrenzung von gewöhnlicher und außergewöhnlicher Aufwendung ist deshalb das erstgenannte Grundkonzept untauglich. Hilfreich ist hier das zweite Grundkonzept, welches dem Nießbrauch zugrundeliegt. Nach diesem zweiten Konzept soll der Nießbrauch nach dem Parteiwillen dem Nießbraucher stets ein regelmäßiges Einkommen aus der Sache zu gewähren191. Ist dem so, wird der Nießbraucher nur vorhersehbare Aufwendungen erbringen 183

Schön, Nießbrauch, 113. Schön, Nießbrauch, 113. 185 Vgl. dazu und zum Folgenden Schön, Nießbrauch, 114 ff. 186 Schön, Nießbrauchsrecht, 23 ff., 31 ff., 39 ff. 187 Zu diesem Modell siehe auch Goebel, Der Nießbrauch an Personengesellschaftsanteilen, § 7 II 1, § 13 I 2 b aa. 188 Dazu siehe oben § 28 III 2. 189 Schön, Nießbrauch, 114. 190 Schön, Nießbrauch, 114. 191 Schön, Nießbrauch, 114 f. 184

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müssen – diese sind dann „gewöhnlich“. Ansonsten wäre die von den Parteien bei der Nießbrauchsbestellung antizipierte Nutzenverteilung gefährdet, nach der das dem Nießbraucher aus dem Nutzungsrecht zustehende Einkommen sich ex ante gesehen als Summe der sich aus der ordnungsgemäßen Bewirtschaftung der belasteten Sache ergebenden Vorteile ergibt. Erste Voraussetzung für die „Gewöhnlichkeit“ einer Aufwendung ist mithin, daß die Parteien sie bei Begründung des Nießbrauchs voraussehen und in ihre Willensbildung aufnehmen konnten192. Nun sind durchaus auch solche Aufwendungen vorhersehbar, die sich aufgrund ihres Umfangs erst nach Beendigung des Nutzungsrechts voll amortisieren. Wären dies auch „gewöhnliche“ Aufwendungen, wäre der Nießbraucher zu einem Werttransfer in die Sache verpflichtet, ohne daß dies durch ziehbare Vorteile aus der Sachnutzung aufgehoben würde. Schön hat daher zu Recht darauf aufmerksam gemacht, daß dem Nießbraucher nur solche Kosten aufgebürdet werden dürfen, die in einem inneren Zusammenhang mit den ihm zustehenden Nutzungen stehen, wie dies bsp. in § 994 I 2 BGB angesprochen ist193. Man kann dies kurz und bündig als „Konnex von Nutzung und Aufwand“ bezeichnen. Ein derartiger Konnex kann beim Sachnießbrauch sinnvollerweise nur darin gesehen werden, daß dem Nießbraucher all die vorhersehbaren Aufwendungen auferlegt sind, die sich vornehmlich während der Dauer seines Nutzungsrechts amortisieren werden194. Bestätigt wird dies durch die Überlegung, daß die Erstattungsnorm für außergewöhnliche Aufwendungen (§ 1049 I BGB) auf die Regeln über die Geschäftsführung ohne Auftrag verweist, die aber ein Eigeninteresse des Eigentümers an der Vornahme der Aufwendung voraussetzen; dieses wiederum kann nur darin gesehen werden, daß die Aufwendungen deutlich über die Zeit des Nutzungsrechts hinaus wirken195. Nach all dem bestimmt sich die „Gewöhnlichkeit“ einer Aufwendung nach ihrer Voraussehbarkeit und ihrer Amortisation während der Laufzeit des Nutzungsrechts. Dies ist die Rechtslage beim Sachnießbrauch. Was gilt nun beim Ertragsunternehmensnießbrauch? b) Konsequenzen für den Ertragsnießbrauch Beim normalen Unternehmensnießbrauch wird die Grenze der „gewöhnlichen Aufwendungen“, die der Nießbraucher zu tragen hat, sehr weit gezogen. So hat der Unternehmensnießbraucher bsp. auch die notwendigen Er192 193 194 195

Schön, Schön, Schön, Schön,

Nießbrauch, Nießbrauch, Nießbrauch, Nießbrauch,

115. 116. 117 f. 119.

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neuerungen an im Eigentum des Bestellers stehenden Gegenständen des Anlagevermögens zu finanzieren und hat auf die Gegenstände des Betriebsvermögens die betriebswirtschaftlich erforderlichen Abschreibungen zu machen oder – wenn er die dem Eigentümer gehörenden Gegenstände des Betriebsvermögens in seiner Bilanz nicht führt – zu Lasten des ihm gebührenden Gewinns entsprechend Rückstellungen zu machen196. Verständlich wird dies, wenn die gerade geschilderten Regelungen des Sachnießbrauchsrechts sinngerecht auf den Belastungsgegenstand „Unternehmen“ modifiziert werden; mit Blick hierauf sind die betriebswirtschaftlich erforderlichen Abschreibungen durchaus vorhersehbar und stehen zur Amortisation während des Nutzungsrechts im Verhältnis. Wenn nun diese Grundsätze auf den Ertragsnießbrauch entsprechend der Grundregel übertragen werden, die §§ 1036 ff. BGB seien mit quasi umgekehrten Vorzeichen auf den Ertragsnießbraucher und Unternehmer anzuwenden, kann dann der Unternehmer gegen den Ertragsnießbraucher einen Ausgleich für solche kapitalintensiven Maßnahmen am Markt entsprechend der Quote des ihm gebührenden Ertrags geltend machen, die bsp. das insolvenznahe Unternehmen stabilisieren und damit quasi außergewöhnliche Aufwendungen „auf das Unternehmen“ darstellen, da sie durchweg nicht vorhersehbar sein dürften? Und falls der Unternehmer sich unvorhersehbar neue Märkte erschließt, ohne daß dies durch die Regeln der ordnungsgemäßen Wirtschaft geboten wäre, ihnen aber auch nicht zuwiderläuft, kann er dann entsprechend der Ertragsquote nach Bereicherungsgrundsätzen vom Ehegatten Ausgleich verlangen? Von all dem kann indes keine Rede sein. Der Unternehmer kann vom Ehegatten unter keinen Umständen einen Ausgleich verlangen. Der Grund hierfür liegt in folgender einfacher Überlegung. Bei einem auch der Versorgung des Überlebenden dienenden Ertragsnießbrauch obliegt nach den Regeln einer ordnungsgemäßen Wirtschaft dem Unternehmer im Regelfall ein Handeln, das sowohl sein eigennütziges Nutzenmaximierungsinteresse als auch das Versorgungsinteresse des Ehegatten optimiert197. Es muß im Idealfall eine praktische Konkordanz beider Interessen hergestellt werden. Bloß nützliche Verwendungen werden durchweg innerhalb des Rahmens fallen, bei dem eine derartige Konkordanz beider Interessen angenommen werden kann. Sie dürften daher als vorhersehbar gelten198. Beim 196 Siehe etwa Staud-Frank, Anh zu §§ 1068, 1069 Rn. 47, 50; Schön, Nießbrauch, 119 f.; OLG Zweibrücken, OLGZ 1984, 460 ff. 197 Siehe oben § 28 IV. 198 Man kommt also gewissermaßen zu einem normativen Begriff der Vorhersehbarkeit, welcher auf die Unternehmenswidmung bezogen wird. Das kann auch gar nicht anders sein. Die Vorhersehbarkeit eines Ereignisses ist ebenso wie dessen Beherrschbarkeit das Ergebnis eines kulturellen Zuschreibungsprozesses, der normative Schnitte je nach der Eigenlogik des jeweilig zuschreibenden gesellschaftlichen Teilsystems legt. Die Interpretation eines Ereignisses als „vorhersehbar“ ist also Ertrag

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Ertragsnießbrauch spielen nützliche Verwendungen daher keine Rolle, sondern gehen in das Gesamtspektrum des unternehmerischen Handelns als gewöhnliche Maßnahme ein. Es verbleibt das Problem außergewöhnlicher Verwendungen bsp. zur Konsolidierung des insolvenzgefährdeten Unternehmens, wenn der Unternehmer das Einzelhandelsgeschäft nicht einstellen und auch nicht zum Insolvenzantrag greifen mag. Der Unternehmer wird in derartigen Fällen nur dann der Insolvenz entgehen, wenn er die Eigenkapitalbasis durch Zufuhr privaten Kapitals aufstockt. Bei einem normalen Nießbrauch hätte der Sachnießbraucher bei außergewöhnlichen Verwendungen einen Aufwendungsersatzanspruch nach §§ 1042, 1049 I BGB, §§ 951, 812 BGB. Wie ist es hier? Kommt es zu einer Zufuhr privaten Kapitals, um die Insolvenz des Unternehmens zu verhindern, dient die Kapitalzufuhr auch dem Versorgungsinteresse des Ehegatten, da das Unternehmen und damit die Versorgungsgrundlage des Ehegatten erhalten bleibt. Gleiches gilt, wenn der Erbe die Eigenkapitalbasis des ererbten, finanziell soliden Unternehmens durch Zufuhr eigener Mittel aufstockt, weil er sich bsp. neue Märkte erschließen oder ganz allgemein die wirtschaftliche Durchsetzungsfähigkeit des Unternehmens am Markt erhöhen will. Das Versorgungsinteresse des Ehegatten wird in diesem Fall schon deshalb gestärkt, da die Marktkraft des Unternehmens wächst. Gleichwohl verbietet sich ein auf die Quote der Ertragsbeteiligung beschränkter Rückgriff auf den Ehegatten nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag analog § 1049 I BGB. Der Ehegatte würde damit mittelbar für die Schuldenhaftung des Unternehmens in Anspruch genommen, was erkennbar nicht seinem Haftungsverschonungsinteresse dient, dessen Schutz der Ertragsnießbrauch nach dem Willen des Erblassers und damit der Beteiligten des dinglichen Nutzungsrechts zu dienen u. a. bestimmt ist. Ein Rückgriff analog § 1049 I BGB scheidet schon deshalb aus. Dessenungeachtet ist es nicht angängig, den Ehegatten weiterhin vollens am unternehmerischen Gewinn partizipieren zu lassen. Denn der Unternehmer bringt ja in das Handelsgeschäft privates Kapital ein. Bei der Aufnahme von außenfinanziertem Fremdkapital würde sich als Folge der Nießbrauchsverhaftetheit des Unternehmens am aufgenommenen Kapital der Nießbrauch fortsetzen. Für den Zufluß privaten Kapitals des Unternehmers kann dies freilich nicht gelten. Es ist nicht einzusehen, wieso an diesem Kapital analog § 1048 I BGB ein Nießbrauch entstehen soll, wenn die Verbreiterung der Eigenkapitalbasis des Unternehmens nicht aus dem betrieblichen Umsatzprozeß aufgrund Gewinnthesaurierung resultiert, sondern der Unternehmer private Mittel im Wege der Außenfinanzierung zuschießt. Der Vermögenswert dieses Kapitalzuflusses ist nicht Frucht des ererbten Unternehnormativer Zurechnung, die so, aber auch anders ausfallen kann. Dazu bzgl. des topos „Beherrschbarkeit eines Risikos“ unten § 34 I 3 c aa.

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mens und damit nicht das Ergebnis einer tätigen Inanspruchnahme des nießbrauchsbelasteten Betriebsvermögens. Die Quote, zu der der Ehegatte am unternehmerischen Ertrag beteiligt ist, ist daher relativ zum Maß des Kapitalzuflusses zu verringern. Falls es zum Kapitalzufluß kommt, um das Unternehmen vor der Insolvenz zu retten, liegt freilich der Einwand nahe, in diesem Falle müsse notwendigerweise die Beteiligungsquote des Ehegatten am Ertrag gänzlich auf Null gesetzt werden, da allein der Zufluß des privaten Kapitals des Erben-Unternehmers das Handelsgeschäft vor der Insolvenz gerettet habe und daher der Ertrag wertungsmäßig eben nur als Frucht des Einsatzes eben dieses privaten Kapitals erscheine. Auch das zugeführte Kapital bindet sich in das wirtschaftliche Netzwerk des Unternehmens ein und realisiert mit ihm eine untrennbare Wertschöpfung. Der Ertrag ist daher wertungsmäßig gleichfalls weiterhin auch Ergebnis der Tätigkeit am belasteten bisherigen Betriebsvermögen. Was das alles bedeutet, zeigt ein Beispiel: Wenn der Erblasser dem Ehegatten bei einem Wert des Betriebsvermögens zum Bilanzstichtag der Nießbrauchsbestellung von 100 eine Gewinnbeteiligungsquote von 25% ausgesetzt hat, so kann bei einer Zufuhr privater Mittel durch den Erben in Höhe von 10 bei Beginn des Geschäftsjahrs der Ehegatte am Ende des Geschäftsjahres nicht einen Ertrag in Höhe von 2,5, sondern nur in Höhe von 2,25 verlangen, wenn am Ende des Geschäftsjahres der Gewinn 10 beträgt. Denkt man in der gesellschaftsrechtlichen Kategorie des Kapitalanteils, der die Vermögensbeteiligung der Gesellschafter möglichst genau abbilden soll199, so hätte sich demgemäß der Kapitalanteil des Erben von 75% auf 77,27% erhöht und entsprechend der Anteil des Nießbrauchers verringert. 3. Nutzungen zwischen Vermächtnisanfall und Bestellung des dinglichen Rechts

Falls ein bestimmter nachlaßzugehöriger Gegenstand vermacht worden ist, bestimmt § 2184 BGB, daß der Erbe unabhängig von jedem Verschulden die Früchte des Vermächtnisses herauszugeben hat, die er zwischen Anfall und Erfüllung des Vermächtnisses gezogen hat. Die dem Ehegatten zukommende Quote am Ertrag des Unternehmens, den der Erbe in dieser Interimszeit erwirtschaftet hat, scheint daher ohne weiteres an diesen auszukehren sein. Die ganz h. M. in Rechtsprechung und Literatur sieht dies jedoch für den Nießbrauch anders. Früchte der Sache seien erst vom Zeitpunkt der Bestellung des Nießbrauchs Früchte des Vermächtnisgegenstands; der Vermächtnisnehmer sei nur nach Maßgabe der allgemeinen Vorschriften über Verzug und Kondiktion geschützt200. Die Vermächtnisanordnung 199

Dazu nur Karsten Schmidt, GesR, § 47 III 2 c.

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könne aber so ausgelegt werden, daß die Sachfrüchte vom Erbfall an mitvermacht seien201. Die h. M. ist nicht unwidersprochen geblieben, insbes. Schön202 ist ihr dezidiert entgegengetreten. Beim Ertragsnießbrauch an einem Unternehmen handelt es sich freilich bei Lichte betrachtet um ein Scheinproblem. Der Ertragsnießbrauch ist dem Ehegatten zum Zwecke seiner Versorgung vermächtnisweise zugewandt worden. Im Zweifel will der Erblasser den überlebenden Teil auch für die Zeit zwischen seinem Vorversterben und der Bestellung des dinglichen Rechts gesichert wissen und ihm daher ein Vermächtnis auf eine bestimmte Quote des unternehmerischen Ertrags vom Erbfall an ausgestellt haben. Will er ausnahmsweise den Ehegatten in dieser Zwischenzeit nicht absichern – wofür gemeinhin nichts spricht – würde er auch den von Schön reklamierten Herausgabeanspruch nach § 2184 BGB vermächtnisweise zugunsten des Erben ausgeschlossen haben. Ein relevantes Absicherungsproblem gibt es damit für den Ehegatten in keinem Fall. Es gilt demnach folgende Auslegungsregel: Auslegungsregel 29.1: Im Zweifel will der Erblasser den überlebenden Teil auch für die Zeit zwischen seinem Vorversterben und der Bestellung des dinglichen Rechts gesichert wissen und hat ihm daher ein Vermächtnis auf eine bestimmte Quote des unternehmerischen Ertrags vom Erbfall an ausgestellt. 4. Informations- und Kontrollrechte des Ertragsnießbrauchers

Informations- und Kontrollrechte des Ertragsnießbrauchers gegenüber dem Unternehmer sind von entscheidender Bedeutung, um dem Ertragsnießbraucher die Wahrnehmung seiner Rechte aus § 1036 II BGB analog sowie die Überprüfung der Bilanz am Ende des Geschäftsjahres zu ermöglichen. Nun sind aber derartige Rechte ebenso wie Informations- und Kontrollrechte des Eigentümers gegenüber dem Nießbraucher im Nießbrauchsrecht nicht eigens geregelt. Dennoch bestehen derartige Rechte des Ertragsnießbrauchers. Sie folgen – wie sogleich gezeigt werden wird – aus einem Wertungsabgleich mit wertungsmäßig ähnlich gelagerten Fallgestaltungen, in denen das Gesetz dem Beteiligten, der berechtigterweise auf Informationen angewiesen ist, einen Informationsanspruch zubilligt. Zu prüfen ist, ob der Informationsanspruch des Nießbrauchers (i) aus der Pflicht zur Rechen200 KG, NJW 1964, 1808 f.; Staud-Otte, § 2184 Rn. 2; MünchKomm-Schlichting, § 2183 Rn. 4; RGRK-Johannsen, § 2184 Rn. 7; Erman-M. Schmidt, § 2184 Rn. 1; Soergel-Manfred Wolf, § 2183 Rn. 5. 201 BGH, WM 1977, 416; Staud-Otte, § 2184 Rn. 2; RGRK-Johannsen, § 2184 Rn. 7. 202 Schön, Nießbrauch 392 f.

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schaftslegung gem. § 259 I BGB, (ii) aus dem Kontrollrecht des Kommanditisten aus § 166 HGB und des stillen Gesellschafters nach § 233 HGB, (iii) aus dem Kontrollrecht des OHG-Gesellschafters oder Komplementärs aus § 118 HGB und des BGB-Gesellschafters gem. § 716 BGB, (iv) aus der Auskunfts- und Rechenschaftspflicht des Beauftragten aus § 666 BGB sowie schließlich (v) aus dem allgemeinen Rechtsgrundsatz folgt, daß derjenige, der zugleich fremde und eigene Angelegenheiten besorgt, rechenschaftspflichtig ist203. Die Ansprüche aus § 118 HGB und § 716 BGB sind sicherlich am weitestgehenden, da der Anspruchsberechtigte hier nicht nur den Jahresabschluß einschließlich der Gewinnverwendung einsehen und sich hierbei eines Sachverständigen bedienen kann, sondern auch auf die Geschäftsbücher und sonstige geschäftliche Unterlagen zugreifen und die Geschäftsräume und Betriebseinrichtungen betreten kann; zudem steht ihm richtigerweise auch ein Auskunftsrecht zu204. Auf der anderen Seite steht der Ertragsnießbraucher hinsichtlich der Ertragsbeteiligung einem Kommanditisten oder einem stillen Gesellschafter nahe, so daß für ihn die Regelungen der §§ 166, 233 HGB besser zu passen scheinen; zudem steht er nicht in einem Treuepflichtverhältnis zum Unternehmer, dessen Bindungen die weiten Informationsrechte des von der Geschäftsführung befreiten OHG-Gesellschafters oder Komplementärs für die Personengesellschaft und die anderen Gesellschafter erst erträglich machen. Nun steht das Unternehmen in weiten Fällen unter dem Signum einer sowohl an dem Nutzenmaximierungsinteresse des Erben als auch an dem Versorgungsinteresse des Ehegatten orientierten Unternehmenspolitik. Anders als bei der KG und bei der stillen Gesellschaft ist damit dezidiert auch das auf eine gehörige Versorgung ausgerichtete Partikularinteresse des von der Geschäftsführung befreiten, am Ertrag partizipierenden Teils Richtschnur unternehmerischen Handelns. Im Hinblick auf die Art und Weise der Unternehmenspolitik steht der Ertragsnießbraucher demnach nicht einem Kommanditisten oder einem stillen Gesellschafter gleich. Sein Informationsbedürfnis wäre insofern durch die Kontrollrechte des Kommanditisten oder des Stillen nicht erfüllt. Hinzukommt, daß die Wahrnehmung der Versorgungsinteressen durch den Unternehmer tendenziell auftragsähnlichen oder geschäftsbesorgenden Charakter hat. Die weiten Rechenschaftspflichten des o. g. allgemeinen Rechtsgrundsatzes, daß derjenige, der zugleich fremde und eigene Angelegenheiten besorgt, rechen203 Zu diesem allgemeinen Rechtsgrundsatz siehe nur RGZ 73, 286 (288); 110, 1 (16); 164, 348 (350); BGHZ 10, 385; sowie MünchKomm-Keller, § 259 Rn. 8 ff.; Soergel-Manfred Wolf, § 259 Rn. 8 ff. 204 Hierzu siehe nur Karsten Schmidt, GesR, § 21, § 47 V 3, § 59 III 3 c; sowie allgemein Weipert, Informationsrechte, in: MünchHdb-GesR, Bd. 1, 1995, § 52; Karsten Schmidt, Informationsrechte in Gesellschaften und Verbände, 1984; Wohlleben, Informationsrechte des Gesellschafters, 1989.

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schaftspflichtig ist, und der weite Zuschnitt des § 666 BGB sprechen daher ebenfalls gegen einen Verweis des Ertragsnießbrauchers auf die Rechte des Stillen oder des Kommanditisten. Im Hinblick auf die regelmäßig auch der Befriedigung des Versorgungsinteresses geschuldeten Unternehmensführung spricht daher ein Vergleich mit den Wertungen der § 118 HGB und § 716 BGB, daß der Ertragsnießbraucher die dort vorgesehenen Auskunftsrechte hat, falls der Erblasser dem Erben-Unternehmer überhaupt eine auch dem Kriterium der gehörigen Ehegattenversorgung geschuldete Unternehmenswidmung vorgegeben hat, was im Zweifel ja der Fall ist205. Die fehlende Treuebindung des Nießbrauchers dem Erben-Unternehmer gegenüber kann hierbei vernachlässigt werden, da der Nießbraucher dem Unternehmer ein funktionales Äquivalent aus dem gesetzlichen Schuldverhältnis des Ertragsnießbrauchs schulden wird und Drittinteressen – bsp. andere Gesellschafter – nicht berührt sind. § 118 HGB greift daher hinsichtlich des Informationsinteresses des Ehegatten analog. Dies gilt erst recht, wenn der Erbe ausnahmsweise allein auf die Optimierung der Versorgungsinteressen des Ehegatten verpflichtet ist. Falls der Erblasser den Unternehmer nicht auf eine derartige Versorgungsorientierung qua Widmung des Betriebsvermögens eingeschworen hat, würde ein den § 118 HGB und § 716 BGB angelehntes Informations- und Auskunftsrecht das wohlverstandene Informationsbedürfnis des Nießbrauchers übersteigen. Hier steht er zweifellos einem Kommanditisten oder einem Stillen näher. Der Ertragsnießbraucher ist daher in diesem Falle nur berechtigt, analog § 166 I HGB eine abschriftliche Mitteilung des Jahresabschlusses (Bilanz sowie Gewinn- und Verlustrechnung, § 242 III HGB) zu verlangen und dessen Richtigkeit unter Einsicht der Bücher und Papiere zu prüfen. Darüber hinaus steht ihm analog § 166 III HGB bei Vorliegen eines wichtigen Grundes ein weitergehendes Recht auf Auskunft zu, da richtiger Ansicht nach206 im Wege der Rechtsfortbildung die Kommanditistenrechte aus § 166 III HGB auch ohne gerichtliche Anordnung greifen. 5. Unternehmensveräußerung

Veräußert der Erben-Unternehmer das Unternehmen, setzt sich am Unternehmen als nießbrauchsbelasteten Gegenstand das dingliche Nutzungsrecht fort. Damit wird der Unternehmernachfolger in das gesetzliche Schuldverhältnis eingebunden. Dies gilt auch für die auf die gehörige Versorgung des 205

Dazu siehe oben § 26 I 1 (Regel 26.1) und § 28 III 3 (Regel 28.2). Karsten Schmidt, GesR, § 53 III 3 b; ders., Informationsrechte in Gesellschaften und Verbände, 68 ff.; Baumbach-Hopt, § 166 Rn. 8; Wiedemann, GesR I, § 7 II 2 a bb. 206

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Überlebenden ausgerichtete Widmung des Unternehmens selbst. Ein guter Glaube des Erwerbers findet hier nicht statt207. Mit der Unternehmensveräußerung ist somit eine rechtliche Verschlechterung der Position des überlebenden Teils durchweg nicht verbunden. IV. Ergebnis Damit ist die nähere rechtliche Ausgestaltung des Ertragsnießbrauchs deutlich geworden: Der Unternehmer bestellt in Vollziehung des dies vorsehenden Nießbrauchsvermächtnisses an den einzelnen Gegenständen des Betriebsvermögens einen Nießbrauch zugunsten des überlebenden Ehegatten. Der Nießbrauch gibt dem Ehegatten einen Anspruch, monatliche Beträge nach Maßgabe des auf der Grundlage der letzten Jahresbilanz ermittelten Gewinns dem Unternehmen zu entnehmen. Bei der Bilanzierung steht dem Ertragsnießbraucher zwar kein Mitspracherecht zu, wohl kann er aber analog § 100 BGB auf die Bilanzierungsentscheidungen Einfluß nehmen, wenn diese einem gehörigen unternehmerischen Handeln widersprechen. Im Zweifel ist ein derariges Handeln ein solches, sowohl das das Versorgungsinteresse des Ehegatten als auch das eigennützige Nutzenmaximierungsinteresse des Unternehmers bestmöglichst fördert. Dem Unternehmer kommt hier jedoch ein breites Ermessen zu. Im übrigen kann der Ertragsnießbrauch aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen zwingend nur als Quotennießbrauch bestellt werden. Geht der Erblasser hierüber hinaus, steht dem Erbe der Rekurs auf § 138 I BGB offen. In Frage kommt freilich nur eine Reduktion des Nießbrauchs auf den rechtlich zulässigen Teil der dinglichen Belastung. Der Ertragsnießbrauch ist ein um die Unternehmensführungsberechtigung und -verpflichtung kupierter Unternehmensnießbrauch, der sich sachenrechtlich nicht nur in Form von Einzelnießbräuchen an den Unternehmensaktiva, sondern auch in einer Verfügungsermächtigung des Unternehmers zum lastenfreien Dritterwerb und dinglicher Surrogation analog § 1048 BGB widerspiegelt. Dem Ertragsnießbraucher steht eine Einziehungsbefugnis der nießbrauchsbelasteten Geschäftsforderungen nicht zu. Dem dem normalen Unternehmensnießbrauch inhärenten Zugriff auf den unternehmerischen Tätigkeitsbereich entspricht beim Ertragsnießbrauch die dinglich wirkende Pflicht des Unternehmers zum gehörigen unternehmerischen Handeln analog § 1036 II BGB. Auch hier wieder gilt, daß der Unternehmer im Zweifel nur dann ordnungsgemäß i. S. § 1036 II BGB handelt, wenn er zu solchen Maßnahmen greift, die sowohl sein Nutzenmaximierungsinteresse als auch das Versorgungsinteresse des Ehegatten bestmöglichst befriedigen. Falls der Erbe ausnahmsweise allein dem Versorgungsinteresse des überlebenden 207

Dazu oben § 28 III 2.

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Teils verpflichtet ist, kann er sich dieser Verpflichtung entziehen, wenn seine wirtschaftliche Handlungsfreiheit nach der Maßgabe eingeschränkt ist, die eine vergleichbare erbrechtliche Auflage sittenwidrig erscheinen ließe. Im übrigen greift das gesetzliche Schuldverhältnis der §§ 1036 ff. BGB mit quasi umgekehrten Rollen; Schuldner ist jeweils der Besteller, Gläubiger jeweils der Ertragsnießbraucher. Der Ertragsnießbrauch wirkt indes nicht im Verhältnis zu den Geschäftsgläubigern. Der Nießbraucher kann weder einen Zugriff in der Einzelzwangsvollstreckung verhindern, noch Ab- oder Aussonderungsrechte in der Insolvenz des Unternehmers geltend machen. Möchte der Erblasser dies vermeiden, mag er dem Ehegatten dingliche Sicherungsrechte des Real- oder Mobiliarkredits einräumen lassen. Insgesamt gesehen ist der Ertragsnießbrauch an einem Unternehmen ein solches risikopartizipatives Mittel, die Versorgung des überlebenden Teils sicherzustellen, zu welchem dem Erblasser nur geraten werden sollte, wenn sein Gatte zumindest ein Minimun am geschäftlichem Können und Durchsetzungsstärke aufweist. Ansonsten kann der Ehegatte seine ihm zustehenden Möglichkeiten aus § 1036 II BGB analog und § 100 BGB analog kaum sachgerecht ausüben. Kann er dies nicht, würde sein wichtigstes Instrument kraftlos werden, mit dem er auf die Unternehmenspolitik des Erben-Unternehmers (insbesondere hinsichtlich der Investitions- und Bilanzierungsentscheidungen) so einwirken kann, daß sein Versorgungsinteresse nicht notleidend wird. Nachdem bisher von risikoaversen und risikopartizipativen Versorgungsmodi die Rede war, die auf einen unternehmerisch nicht befähigten, unternehmerisch starken oder unternehmerisch gering befähigten Ehegatten zugeschnitten waren, kommt im folgenden eine Versorgungsmöglichkeit in den Blick, die für die Versorgung eines unternehmerisch mittelmäßig befähigten Ehegatten eine sinnvolle Option darstellen könnte: die Testamentsvollstrekkung des Erben-Unternehmers über den Unternehmensnießbrauch des überlebenden Ehegatten an einem einzelkaufmännischen Unternehmen.

Kapitel 14

Die Versorgung des mittelmäßig befähigten Überlebenden § 30 Versorgung und Testamentsvollstreckung: Vorüberlegungen I. Erkenntnisinteresse Bei den risikopartizipativen Versorgungsmodi interessiert im Rahmen der vorliegenden Studie vor allem, wie das besondere Versorgungsinteresse des Überlebenden befriedigt werden kann, so auf die Unternehmenspolitik des Erben-Unternehmers einzuwirken, daß sie möglichst versorgungsgerecht ausgestaltet wird1. Die bisher diskutierten risikopartizipativ angelegten Gestaltungen sicherten dieses Interesse auf schuldrechtlicher Grundlage (gemischt unternehmensnießbrauchs- und pacht- bzw. ausübungsüberlassungsrechtliche Konstruktion) oder – wenn der Erblasser sein einzelkaufmännisches Unternehmen in eine zu gründende Personengesellschaft eingebracht sehen will – anhand gesellschaftsrechtlicher Kautelen, wie des Mittels schuldrechtlicher Stimmbindung. Erst mit dem Ertragsnießbrauch an einem einzelkaufmännischen Unternehmen kam ein dingliches Recht in den Blick, welches schon seinem Inhalt nach durch ein „gesetzliches Gesamtpaket“ dem Ehegatten ein schneidiges Instrumentarium zur Verfügung stellt, mit dem er auf eine versorgungsgerechte Unternehmenspolitik insistieren kann, ohne daß der Erblasser selbst detailliert Regelungen letztwillig vorgeben muß. Bei keiner der bisher angesprochenen risikopartizipativen Versorgungsmodi konnte aber verhindert werden, daß die Eigengläubiger des Ehegatten pfändungsweise auf den Unternehmensnießbrauch zugreifen können2. Nunmehr soll eine Gestaltung diskutiert werden, die bisher kautelarjurisprudentiell nicht beachtet worden ist. Es ist dies die Testamentsvollstrekkung durch den Erben zu Lasten des dem Überlebenden vermächtnisweise zugewendeten Unternehmensnießbrauch über das einzelkaufmännische Unternehmen. Zumeist hat es gute Gründe, die die Kautelarjurisprudenz dazu bewogen haben, eine Gestaltung nicht näher aufzugreifen. Es liegt daher die Vermutung nahe, daß die Testamentsvollstreckung über den Unterneh1

Siehe oben § 23 II 1 b, c, 3 b. Siehe zur Pfändung des Nießbrauchs gem. § 857 III ZPO nur Staud-Frank, § 1059 Rn. 27 ff. 2

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mensnießbrauch praktisch wenig für die Versorgung des Überlebenden bringt. Mit den folgenden Überlegungen soll daher untersucht werden, wie es um die Versorgungstauglichkeit dieser besonderen Testamentsvollstrekkung bestellt ist und was mit ihr gewonnen wird. Dies ist freilich beileibe nicht der einzige Grund, der eine Erörterung der Vollstreckung über den Unternehmensnießbrauch ratsam werden läßt. Denn ist es hochinteressant zu untersuchen, ob sich im Testamentsvollstreckerrecht nicht Regelungen finden, die ähnlich wie im Ertragsnießbrauchsrecht dem Ehegatten ein Instrument bereitstellen, mit dem er sein auf eine versorgungsgerechte Unternehmenspolitik gerichtetes Interesse gehörig befriedigen kann. Und wenn dies der Fall ist, bleibt zu prüfen, welches die Unterschiede zu der ertragsnießbrauchsrechtlichen Gestaltung sind. Selbst falls sich nur marginale Unterschiede finden lassen, bliebe die Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch ein untersuchungswertes Mittel erbrechtlicher Gestaltung. Denn der Testamentsvollstrecker ist quasi der „Diener“ des Erblasserwillens. Will der Erblasser, daß der Vollstrecker das Versorgungsanliegen des Überlebenden betreut, greift er mit der Anordnung der Testamentsvollstreckung zu einem Mittel, dem ein gänzlich anderer symbolischer Wert gegenüber dem bloßen Ertragsnießbrauch zukommt: Der Erblasser verdeutlicht allein schon durch die Personidentität zwischen Erben und Testamentsvollstrecker, wie sehr ihm die Versorgung des Überlebenden am Herzen liegt und wie sehr er wünscht, auch post mortem eheliche Solidarität zu zeigen. Die Gestaltung „Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch“ ist damit zumindest im Rahmen eines personfunktional verstandenen Erbrechts ein genuines Mittel, den Ehegatten zu versorgen. Im übrigen sind die rechtlichen Rahmenbedingungen der Testamentsvollstreckung über einzelkaufmännische Unternehmen Gegenstand überaus zahlreicher Untersuchungen. Derzeit im Mittelpunkt steht u. a. die rechtliche Zulässigkeit der echten Testamentsvollstreckung, die denn auch im Rahmen dieser Arbeit noch näher geklärt zu werden versucht wird3. Ansonsten ist es angesichts des bisherigen Diskussionsstandes dogmatisch eher reizvoller, die Testamantsvollstreckung über ein dingliches Nutzungsrecht zu studieren als den zahlreichen Diskussionsbeiträgen einen angesichts des zur Verfügung stehenden Raumes sowieso nur kursorisch möglichen weitern Überblick über die Testamentsvollstreckung über einen einzelkaufmännisches Unternehmen hinzuzufügen. Schließlich und endlich ist es schon um der Systemreinheit eines nach dem Grad der unternehmerischen Fähigkeiten des Überlebenden abgestuften Systems der Ehegattenversorgung sachdienlich, sich einem Versorgungsmodi zu vergewissern, welcher an einer bisher noch nicht diskutierten Stelle das System der Gattenversorgung rechtlich kohärent schließt. Davon wird noch die Rede sein4. 3

Dazu unten § 40.

§ 30 Versorgung und Testamentsvollstreckung: Vorüberlegungen

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II. Die typische Fallgestaltung Im weiteren sollen zuerst diejenigen Gestaltungen im Vordergrund stehen, bei denen die Testamentsvollstreckung als Mittel eingesetzt werden kann, das besondere, auf eine versorgungsgerechte Unternehmenspolitik ausgerichtete Versorgungsinteresse des Überlebenden zu befriedigen. Es sei folgende Gestaltung gegeben: Das Einzelhandelsgeschäft des Erblasser wird an den Erben vererbt, der es als Alleinunternehmer weiterführt. Zugleich wird das Unternehmen zugunsten des überlebenden Ehegatten vermächtnisweise mit einem Unternehmensnießbrauch belastet und Testamentsvollstreckung über diesen Unternehmensnießbrauch angeordnet. Der ErbeEigentümer wird als Vollstrecker eingesetzt, dem zudem mittels einer erbrechtlichen Auflage oder Potestativbedingung angetragen wird, das Testamentsvollstreckeramt anzunehmen5. Schließlich wird der Erblasser typischerweise vorsehen, daß an den Ehegatten eine bestimmte Quote des jährlichen Ertrags des Unternehmens – monatlich auf der Grundlage der letzten Jahresbilanz – auszukehren ist6. Dies ist das Grundgerüst der im folgenden auf ihre Versorgungsgerechtigkeit zu untersuchenden Gestaltung. Diese Gestaltung unterscheidet sich von der herkömmlich gewählten, geradezu spiegelverkehrten Regelung, bei der der Nießbrauchsvermächtnisnehmer zugleich auch der Testamentsvollstrecker ist7. Es wirkt daher auf den ersten Blick als eine eher ungewohnte Anordnung von Todes wegen. Die Anordnung einer Personalunion zwischen dem Nießbrauchsvermächtnisnehmer und dem Testamentsvollstrecker dient jedoch durchweg anderen Zwecken. Sie wirkt wie eine Vor- und Nacherbschaft, bei der die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ausschließlich und umfassend (mit Ausnahme von un-

4

Siehe unten § 34 V. Zur Zulässigkeit derartiger Auflagen vgl. nur Staud-Reimann, § 2202 Rn. 27 f.; Kipp/Coing, Erbrecht, § 67 II 1; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 31 IV 4 Fn. 107. 6 Insofern besteht eine Anordnung des Erblassers, die von der grundsätzlichen Richtschnur der Testamentsvollstreckung abweicht, einen Anspruch des Erben oder Vermächtnisnehmers auf Herausgabe der Nutzungen der Erbschaft oder des Vermächtnisgegenstands gegen den Vollstrecker nur dann zu haben, wenn die Herausgabe mit den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Verwaltung vereinbar ist (§ 2216 I BGB) und der Erbe bzw. Vermächtnisnehmer die Nutzungen für sich oder zur Erfüllung ihn treffender gesetzlicher Unterhaltspflichten benötigt, siehe BGH, NJWRR 1986, 1069; RG, Recht 1922, Nr. 615; LZ 1918, 1268 (1269); MünchKommBrandner, § 2216 Rn. 7 mit § 2217 Rn. 4; Staud-Reimann, § 2216 Rn. 9 mit § 2209 Rn. 19; Soergel-Damrau, § 2216 Rn. 5; Krampe, AcP 191 (1991), 526 (546). 7 Eine derartige Gestaltung ähnelt der Vor- und Nacherbschaft. Die Unterschiede liegen im wesentlichen in der strengeren Bindung des Erstbedachten im Innenverhältnis gegenüber dem Zweitbedachten (§ 2216 BGB, §§ 1036 II, 1037, 1041 BGB) bei gleichzeitiger Verfügungsfreiheit im Außenverhältnis (§§ 2205, 2209 BGB), vgl. Nieder, Handbuch der Testamentsgestaltung, Rn. 567. 5

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Kap. 14: Die Versorgung des mittelmäßig befähigten Überlebenden

entgeltlichen Verfügungen) bei dem Testamentsvollstrecker liegt, dem zugleich auch als Nießbraucher die Nutzungen zustehen8. Eine derartige Gestaltung kommt also nur für den überlebenden Ehegatten in Frage, der selbst unternehmerisch tätig werden will. Dieser Lebenssachverhalt wiederum befindet sich außerhalb des Erkenntnisinteresses der vorliegenden Studie. Bei dem Unternehmensnießbrauch des Ehegatten mit Testamentsvollstreckung des Erben-Eigentümers liegen die Dinge aber anders. Hier handelt der Überlebende gerade nicht als Unternehmer. Im Folgenden wird sich zeigen, daß das Grundgerüst von Unternehmensnießbrauch und Testamentsvollstreckung durch zahlreiche Auslegungsregeln flankiert wird, die es zu einem „Gesamtpaket“ einer interessengerechten Ehegattenversorgung formen. Die auf den ersten Blick kaum erkennbare Versorgungsgerechtigkeit der Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch wird am Schluß der Überlegungen klar ersichtlich sein.

§ 31 Die Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch Es wurde schon gezeigt, daß ein Nießbrauch an einem einzelkaufmännischen Unternehmen als dingliches Nutzungsrecht an dem Gegenstand „Unternehmen“ sachgerecht und bestellfähig ist9. Zugleich wurden die Rechtsfolgen eines derartigen dinglichen Rechts einschließlich des auskehrfähigen Gewinns geklärt10. Soweit Fragen zum Unternehmensnießbrauch als solche in Rede stehen, sei daher auf die obigen Ausführungen verwiesen. Im weiteren interessiert die Verknüpfung zwischen dem Unternehmensnießbrauchsrecht und dem Testamentsvollstreckerrecht. I. Die Schwierigkeiten einer Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch Der Unternehmensnießbrauch des Überlebenden, kombiniert mit Testamentsvollstreckung zu seinen Lasten durch den Erben-Besteller, ist eine rechtlich schwierige Gestaltung. Es kommt in der Nachfolge auf den Erblasser zu einem verschlungenen Zusammenspiel zwischen der Inhaberschaft des Betriebsvermögens und der Verfügungsbefugnis über dessen Gegen8 Vgl. zu einer derartigen Gestaltung RG, LZ 1917, 536; KG, JW 1937, 43; KGJ 30, A 92; 32, A 87; OLG München, DNotZ 1938, 171; BayObLGZ 25, 193; 1967, 230; BayObLG, NJW 1960, 1765; RPfl 1981, 64; siehe auch BayObLG, FamRZ 1992, 1354; MünchKomm-Petzoldt, vor § 1030 Rn. 10; Petzoldt, BB 1975, Beil. 6, 1 (4); Muscheler, Haftungsordnung, 88 f. 9 Oben § 27 I, § 27 I 4 mit § 36. 10 Oben § 27 II.

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stände. Dieses Zusammenspiel wird zudem noch dadurch unübersichtlich, daß die Vermögensinhaberschaft und die Verfügungsbefugnis nicht immer parallel derselben Person zukommen und daß das jeweilige Haftungsregime unterschiedlich ist. So wechselt bei der Erbfolge die Entscheidungsbefugnis und die Vermögensinhaberschaft unter den beiden Haftungsordnungen des Erb- (§§ 1967 ff. BGB) und des Handelsrechts (§ 27 HGB) auf den Erben (§ 1922 I BGB). Falls der Erbe sodann einen Unternehmensnießbrauch bestellt, ändert sich die Vermögensinhaberschaft für das Anlagevermögen nicht, sondern – wie näher noch gezeigt werden wird – analog § 1067 I BGB nur für das Umlaufvermögen, das in das Eigentum des Nießbrauchers übergeht, während die Entscheidungsbefugnis hinsichtlich des Handelsgeschäfts – verkürzt gesagt – auf den Nießbraucher wechselt (§ 1030 I BGB), dies freilich auch nur unter Wahrung gewisser Rechte des Bestellers (§§ 1036 ff. BGB). Wenn nun noch die Testamentsvollstreckung hinzutritt, kommt es zu einem weiteren, im Falle der Vollstreckung durch den Alleinerben allerdings nur formalen Auseinanderfallen von Vermögensinhaberschaft und Entscheidungsbefugnis (§§ 2205 ff., 2211, 2216 ff. BGB), die nunmehr wiederum auf den schon von Todes wegen als Alleineigentümer berufenen Erben-Vollstrecker übergeht und sich daher materiell zumindest hinsichtlich des Anlagevermögen in der Hand des Vermögensinhabers (nämlich beim Anlagevermögen: des Erben) wieder vereinigt. Schließlich sind diffizile Folgeproblemen im testamentsvollstreckerrechtlichen Haftungsregime zu vergegenwärtigen (§§ 1975, 2214 BGB; §§ 25 ff. BGB). Die Testamentsvollstreckung im Unternehmensrecht erweist sich damit auch beim Unternehmensnießbrauch als ein schwieriges Instrument privatautomer Gestaltung. II. Die Zulässigkeit einer Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch mit dem Erben als Vollstrecker Die Testamentsvollstreckung des Alleinerben an den Unternehmensnießbrauch des überlebenden Gatten muß testamentsvollstreckerrechtlich zulässig sein. Zwei Problemkreise gilt es hier zu unterscheiden: Ist der vermächtnisweise zugewendete Unternehmensnießbrauch ein tauglicher Gegenstand der Testamentsvollstreckung? Und: Kann der Alleinerbe Testamentsvollstrecker über den Unternehmensnießbrauch sein? 1. Der Unternehmensnießbrauch als tauglicher Vollstreckungsgegenstand

Ein Vermächtnisgegenstand kann nach Erfüllung des Vermächtnisses entsprechend § 2209 BGB weiter im Wege der Dauervollstreckung vom Ver-

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mächtnisvollstrecker verwaltet werden, da § 2223 BGB dies inzident voraussetzt11. Die der leitenden Entscheidung des Bundesgerichtshofs zugrundeliegende Fallgestaltung betraf einen letztwillig zugewendeten Nießbrauch an dem gesamten Nachlaß, wobei über letzteren Testamentsvollstreckung angeordnet war12 – die Parallelen zu dem hiesigen Fall der Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch sind damit augenfällig. Dennoch ist die Entscheidung in einem bemerkenswerten Punkt unscharf. Sie geht mit keinem Wort auf die Frage ein, ob eine Vermächtnisvollstreckung nicht etwa deshalb ausscheidet, weil der in Ausführung des auf die Nießbrauchsbestellung gerichteten Vermächtnisses bestellte Unternehmensnießbrauch selbst nie zum Nachlaß gehörte und die Testamentsvollstreckung wegen mangelnder hinreichender Verbindung zum Nachlaß13 deshalb unzulässig sein könnte. Die Argumente, die der BGH vorbringt, sagen über diesen Fall nichts aus: die Motive14 gehen zwar für den Fall einer Vermächtnisvollstreckung nach § 2223 BGB von der entsprechenden Anwendung der Bestimmungen über den Testamentsvollstrecker aus, lassen damit aber den hiesigen Fall gerade im Unklaren; und die Regelung des § 2338 I 2 Halbsatz 1 BGB, auf die sich der BGH sodann beruft, sieht nur eine Verwaltungsvollstreckung eines Vermächtnisses bei der Beschränkung des Pflichtteilsberechtigten ausdrücklich vor, von einer Vollstreckung über einen nachlaßfremden Gegenstand ist dort nicht die Rede. Auch ansonsten kommt in Rechtsprechung und Literatur nicht zur Sprache, warum eine Testamentsvollstreckung über einen erst noch zu bestellenden Nießbrauch erbrechtlich zulässig sein soll. Bevor dies nicht geklärt ist, hängt die gesamte Konstruktion im luftleeren Raum. Das Ergebnis vorwegnehmend: Die Vermächtnisvollstreckung ist auch beim vermächtnisweise zugewendeten Unternehmensnießbrauch zulässig. Warum dies so ist, wird anhand folgender Überlegung deutlich: Gesetzt den Fall, der Erblasser verpflichtet den Erben durch eine Auflage, auch die Verwaltung solcher Vermögensgegenstände durch den Testamentsvollstrecker zu dulden, die mit dem Nachlaß in keiner Verbindung stünden. Insofern würde der Erblasser den Vermächtnisnehmer mit der durch den Testamentsvollstrecker auszuführenden Auflage beschweren, die Vollstreckung zu dul11 BGHZ 13, 203 (206); BayObLGZ 1986, 34 (38 ff.); BayObLG, FamRZ 1991, 490; vgl. aus der Literatur nur MünchKomm-Brandner, § 2223 Rn. 2; Staud-Reimann, § 2223 Rn. 8; Soergel-Damrau, § 2223 Rn. 1; Palandt-Edenhofer, § 2223 Rn. 2; Nieder, Testamentsvollstreckung, Rn. 679. Anderer Ansicht ist ersichtlich nur Planck-Flad, § 2223 Anm. 3. 12 BGHZ 13, 203 (203 f.). 13 Nach herrschender Ansicht kann der Testamentsvollstrecker nicht solche Maßnahmen für die Erben treffen, die mit dem Nachlaß in keiner Verbindung stehen, siehe etwa Staud-Reimann, § 2203 Rn. 10. 14 Mot. V 246.

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den. Eine konstruktive Verbindung der Testamentsvollstreckung zum Nachlaß wäre hier geschaffen. Nun hätte eine derartige Konstruktion über eine Auflage zur Vollstreckungsduldung zweifellos etwas Zirkuläres an sich, da die Auflage gerade in der Duldung der Vollstreckung besteht, die sie zugleich erst zu begründen hilft. Nun schaden zirkulär angelegte Rechtsinstitute zumindest dann nicht, wenn ihre paradoxale Gründung15 durch eine rechtliche Wertung unterbrochen wird und damit nicht mehr als ein Problem der Logik des Rechts, sondern seiner Normativität begriffen werden kann16.17. Auch bei der soeben geschilderten Auflage zur Duldung der Testamentsvollstreckung bliebe daher trotz der mit ihr ins Werk gesetzten konstruktiven Verbindung zwischen Vollstreckung und Nachlaß weiterhin zu begründen, warum auch in der Wertung die Auflagenkonstruktion eine hinreichende Verbindung zwischen Nachlaß und Testamentsvollstreckung stiften soll. Wenn dem so ist, darf es bei der Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch nicht schaden, daß die konstruktive Verbindung zwischen Nachlaß und Nießbrauch nicht gegeben ist, solange in der Wertung einsichtig gemacht werden kann, daß gleichwohl eine Testamentsvollstrekkung zulässig sein kann. Denn eine derartige konstruktive Verbindung 15 Vgl. allg. zur Grundlegung des Rechts in Paradoxien nur Teubner, Recht als autopoietisches System, 11 ff. 16 Zu diesem Aufbrechen einer vermeintlich logischen Zirkularität durch die Hinzufügung eines Zusatzsinns in bezug auf den tautologischen Sinn nur Teubner, Recht als autopoietisches System, 15 f. und passim; Friedrich Müller, Juristische Methodik, Rn. 372 f.; Wacke, FS der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, 325 (364). 17 Wie dies auch bei anderen Problemlagen ein durchaus vertrautes Vorgehen ist, man denke nur an das Recht der Anteilsvererbung von Personengesellschaften und der strittigen Zuordnung des aufgrund einer einfachen oder qualifizierten erbrechtlichen Nachfolgeklausel vererbten Anteils zum Nachlaß. Bekanntlich wird hier diskutiert, ob die Anteile kraft der ihnen eigentümlichen Sondererbfolge am Nachlaß vorbei vererbt werden und in den Nachlaß nur die gem. § 171 S. 2 BGB abspaltbaren Vermögensrechte auf den Gewinn und auf das zukünftige Auseinandersetzungsguthaben fallen. Mehr und mehr wird eine derartige Abspaltung der Gesellschaftsanteile vom Nachlaß unter Rekurs auf mangelnde schützenswerte Interessen des Gesellschafter-Erben, seiner Mitgesellschafter, der Gesellschaft und sonstiger Nachlaßbeteiligten sowie unter Verweis auf die Ordnung des Haftungszugriffs der Eigengläubiger des Erbens und der Nachlaßgläubiger kritisch angegangen (dazu nur BGHZ 98, 48 (53 ff.), und zur Rspr. des 2. Senats BGHZ 108, 187 ff., für Kommanditanteile); die Rechtsfolgen der Sonderrechtsnachfolge insoweit teleologisch auf die diesem Prinzip zugrundeliegenden Zwecke beschränkt (deutlich Ebenroth, Erbrecht, Rn. 867). Folgerichtig verlagert sich die Diskussion auf das eigentliche Sachproblem, wie der Vorrang der Nachlaßgläubiger vor den Privatgläubigern bei der Sonderrechtsnachfolge gesichert werden kann. So ist Ulmer mittlerweile von seiner Abspaltungsthese abgerückt und verschiebt die Problematik in diese Frage, vgl. Ulmer/Schäfer, ZHR 160 (1996), 413 (422 ff.).

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könnte ja ohne weiteres über die skizzierte Auflage hergestellt werden, was aber ein unnötiger Aufwand wäre. Es gilt also zu zeigen: Besteht in der Wertung eine einsichtige Verbindung zwischen Nachlaß und dem nie zum Nachlaß gehörenden Unternehmensnießbrauch? Wenn dies bejaht werden kann, wäre eine Testamentsvollstreckung über einen vermächtnisweise eingeräumten und erst in Vollzug des Vermächtnisses bestellten, insofern nicht mehr zum Nachlaß gehörenden Unternehmensnießbrauch analog § 2209 BGB zulässig. Gegen eine Verbindung zwischen dem Nachlaß und dem Unternehmensnießbrauch scheint die in der privatrechtlichen Grundnorm des § 137 S. 1 BGB niedergelegte grundlegende gesetzliche Entscheidung für eine durch Rechtsgeschäft nicht beschränkbare Verfügungsmacht zu sprechen, die bei einer Testamentsvollstreckung eingeschränkt würde. Der BGH wendet gegen diesen Vorhalt ein, die §§ 2205 und 2209 BGB würden als Spezialregelungen Vorrang vor § 137 S. 1 BGB genießen18. Dieses Argument ist offensichtlich zirkulär, da ja gerade untersucht wird, ob diese Regelungen überhaupt analog angewendet werden können. Der BGH führt als weiteres Argument gegen den Verweis auf § 137 S. 1 BGB an, das Recht des Vermächtnisnehmers gehe nur auf die Erfüllung des Vermächtnisanspruchs und die Verfügung über diesen Anspruch würde ihm durch die Anordnung der Verwaltungsvollstreckung nicht genommen, so daß § 137 S. 1 BGB schon tatbestandsmäßig nicht einschlägig sei19. Überzeugend ist dieser Einwand nicht. Er zeigt, daß der BGH das Problem, um das es hier geht, nur unscharf erkannt hat. Es geht doch gar nicht um die Verfügung über den Vermächtnisanspruch, sondern um Verfügungen über das in Erfüllung dieses Anspruchs Erlangte. Wenngleich die Begründung des BGH nicht überzeugt, ist ihm im Ergebnis dennoch beizupflichten. Entscheidend ist allein die Teleologie des § 137 S. 1 BGB. Diese Vorschrift duldet als Eckpfeiler der systematischen Grundentscheidung des Gesetzgebers für ein vom Schuldrecht abstraktes Sachenrecht den dinglich wirkenden Entzug von Gegenständen aus dem Rechtsverkehr nicht20. Gerade dies findet bei der Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch aber nicht statt, da nur die Verfügungsberechtigung anders zugeteilt, nicht aber die Verfügungsmöglichkeit als solche generell beschnitten wird. Gegen die Testamentsvollstreckungstauglichkeit des vermächtnisweise zugewendeten Unternehmens18

BGHZ 13, 203 (206). BGHZ 13, 203 (206). 20 Dies ist eine der tragenden Gründe für § 137 S. 1 BGB, vgl. nur Larenz/Manfred Wolf, AllgT, § 23 Rn. 47. Vgl. dazu und zu den weiteren Zwecken des § 137 S. 1 BGB nur Mugdan III, 42 f.; MünchKomm-Mayer-Maly, § 137 Rn. 5; Canaris, FS Flume I, 371 (420); Liebs, AcP 175 (1975), 1 (17, 26, 32 f.); ausführlich Wagner, AcP 194 (1994), 451 ff. 19

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nießbrauchs spricht schließlich auch nicht die Wertungsvorgabe, daß eine Ausdehnung der Befugnisse des Testamentsvollstreckers über das gesetzlich vorgesehene Höchstmaß hinaus nicht statthaft ist21. Es geht hier nicht um die Ausdehnung der vollstreckungsrechtlichen Befugnisse, sondern um die Begründung der Amtsstellung des Vollstreckers als solche. Durchschlagende Einwände gegen eine Anwendung des § 2206 BGB lassen sich also nicht finden. Dies heißt aber noch nicht, daß die Vollstrekkung zulässig wäre. Um dies positiv zu begründen, müssen weitere Argumente angeführt werden. Für eine Anwendung des § 2206 BGB kann die Interessenlage angeführt werden. Einmal werden die Interessen des Nießbrauchers befriedigt, dem an einer versorgungsgerechten Ausgestaltung erbrechtlicher Institute gelegen ist. Denn der Nießbraucher ist nur dann von den Mühen eines eigenen unternehmerischen Handelns befreit, wenn es – wie bei der Testamentsvollstreckung – zu einer Beschränkung seiner Verwaltungsbefugnis kommt22. Darüber hinaus wird auch die Ordnung des Haftungszugriffs der Eigengläubiger des Erben, der Nachlaßgläubiger und der Privatgläubiger des Nießbrauchers durch die Analogie – soviel sei hier im Vorgriff auf Folgendes gesagt – nicht gestört. Schließlich stellt die Testamentsvollstreckung über den vermächtnisweise dem Überlebenden zugewandten Unternehmensnießbrauch für den Erblasser ein probates Mittel bereit, seinem überlebenden Gatten versorgungsweise zu schützen. Genaueres hierzu kann naturgemäß erst erläutert werden, wenn die mit der Nießbrauchstestamentsvollstreckung verbundenen Vor- und Nachteile herausgearbeitet sind, was wiederum voraussetzt, daß deren Voraussetzungen und ihre Ausgestaltung vorab hinreichend geklärt ist. Ist die Nießbrauchstestamentsvollstreckung aber ein probates Mittel, die Versorgung des Überlebenden zu bewältigen und damit familiare Solidarität gegenüber dem überlebenden Teil zu zeigen, optimiert sie zugleich die Personfunktionalität des gewillkürten Erbrechts des Erblassers, der zur Testamentsvollstreckung greift. Der Testamentsvollstreckungslösung liegt nach alldem demnach ein tauglicher Gegenstand zugrunde: der Unternehmensnießbrauch selbst.

21 Mot. V, 241; Prot. V, 308; MünchKomm-Brandner, § 2203 Rn. 3, § 2208 Rn. 15; Staud-Reimann, § 2203 Rn. 6, § 2208 Rn. 22; Soergel-Damrau, § 2203 Rn. 8, § 2208 Rn. 8. 22 Der Besorgnis etwaiger Interessenbeeinträchtigung des Nießbrauchers-Vermächtnisnehmers durch das wirtschaftliche Handeln des Testamentsvollstrecker-Erben kann durch das funktional einer erbrechtlichen Regelung des Interessenwiderstreits äquivalente gesetzliche Schuldverhältnis zwischen Nießbraucher und ErbenEigentümer Rechnung getragen werden.

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Kap. 14: Die Versorgung des mittelmäßig befähigten Überlebenden 2. Die Eignung des Alleinerben zum Vollstreckeramt

a) Rechtliche Eignung des Alleinerben zum Vollstreckeramt Die zweite Schwierigkeit bei einer Testamentsvollstreckung am Unternehmensnießbrauch liegt in der Eignung des Alleinerben zum Vollstreckeramt. Herkömmlich soll der Alleinerbe zum Testamentsvollstrecker untauglich sein23; eine Ausnahme wird für den Fall der Vermächtnisvollstreckung gem. § 2223 BGB angenommen, da hier die Testamentsvollstreckung nicht den Erben, sondern nur den Vermächtnisnehmer beschränkt24. Für den Fall der Vermächtnisvollstreckung am Unternehmensnießbrauch scheint die Wahrnehmung des Vollstreckeramtes durch den Alleinerben daher zulässig zu sein. So einfach ist die Sachlage aber nicht. Zwischen dem Nießbrauchstestamentsvollstrecker und dem Vermächtnisnehmer besteht ein Interessengegensatz, da der Vollstrecker zugleich auch Eigentümer des Anlagevermögens ist und an ihn das Unternehmen bei Beendigung des Nießbrauchs zurückfällt. Bei der normalen Testamentsvollstreckung ist ein derartiger Interessengegensatz nicht vorhanden. Nun gibt es Fallgestaltungen, bei denen gerade ein Interessengegensatz der gerade beschriebenen Art zum Anlaß genommen wurde, dem Erben die Eignung zum Testamentsvollstreckeramt zu versagen. Paradigmatisch hierfür steht die nach ganz herrschender Meinung unzulässige25 Anordnung der Nacherbenvollstreckung i. S. § 2222 BGB durch den alleinigen Vorerben zu Lasten des Nacherben. Hier soll der alleinige Vorerbe nicht amtstauglich sein, weil „er damit in einen so schroffen Interessenwiderstreit hineingestellt (wäre), daß von einer gedeihlichen Führung des Amtes (§ 2202 BGB), die vor allem Unbefangenheit des Amtsträgers voraussetzt, nicht die Rede sein könne. Das Verhältnis wäre um so unleidlicher, als der Nacherbe durch den Testamentsvollstrecker nach dem Grundsatze des § 2211 BGB von der eigenen Wahrnehmung seiner Rechte völlig ausgeschlossen wäre“26. Muß vor diesem Hintergrund nicht auch die Nießbrauchstestamentsvollstreckung durch den Erben-Eigentümer unzulässig sein? 23 Vgl. zur Grundregel, daß der Erbe nicht zugleich Testamentsvollstrecker sein kann RGZ 77, 177 (178); 163, 57 (58); MünchKomm-Brandner, § 2197 Rn. 11; Staud-Reimann, § 2197 Rn. 53; kritisch zur h. M. Adams, ZEV 1998, 321 ff. 24 KGJ 38, A 129 (133); 46, 141 (143); Staud-Reimann, § 2197 Rn. 53; SoergelDamrau, § 2197 Rn. 10; Lange/Kuchinke, § 31 IV 3 a Fn. 85. 25 Dazu nur RGZ 77, 177 (178); KGJ 52, 78; BayObLGZ 1959, 129; OLG Karlsruhe, MDR 1981, 943; MünchKomm-Brandner, § 2197 Rn. 11, § 2222 Rn. 4; Staud-Reimann, § 2197 Rn. 54, § 2222 Rn. 14; Soergel-Damrau, § 2197 Rn. 11, § 2222 Rn. 6; Kipp/Coing, § 67 I 9 d; Lange/Kuchinke, § 31 IV 3 a Fn. 85. 26 So RGZ 77, 177 (178). Siehe ansonsten OLG Karlsruhe, MDR 1981, 943; MünchKomm-Brandner, § 2197 Rn. 11; Soergel-Damrau, § 2197 Rn. 11; Staud-

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Davon ist nicht auszugehen. Zwischen dem Nießbraucher-Ehegatten und dem Erben-Eigentümer besteht zwar zweifellos ein vielschichtiger Interessengegensatz. Letztlich hindert dieser die Amtstauglichkeit des Erben-Eigentümers aber nicht. Ein Blick auf die verschiedenen Interessenschichten zeigt dies. Einmal wird der Erbe als unternehmerisch tätiger Testamentsvollstrecker einer Bewirtschaftung des Unternehmens typischerweise zugeneigt sein, welche tendenziell die Erfüllung seiner Interessen als Erben-Eigentümer maximiert. Dies reicht aber nicht hin, seine Amtsuntauglichkeit zu begründen. Unbefangenheit und altruistisches Handeln sind nicht konstitutive Elemente des Testamentsvollstreckeramtes. Dies zeigt schon die dem Vollstrecker nach allgemeiner Meinung27 zugebilligte Möglichkeit des Selbstkontrahierens, wenn ihm dies der Erblasser analog § 181 BGB gestattet hat. Die Grenze weist hier allein die auch nicht zur Disposition des Erblassers stehende (§ 2220 BGB) Pflicht des Testamentsvollstreckers zur ordnungsgemäßen Verwaltung (§ 2216 I BGB) und kein irgendwie gearteter Interessenwiderstreit, mag er im Einzelfall auch schwerwiegend sein, oder ein Handeln allein im Sonderinteresse des Vollstreckers vorliegen28. Zudem kann der Erblasser den Vollstrecker auch zu Handlungen im eigenen Interesse ermächtigen, etwa durch postmortale Vollmacht unentgeltliche Verfügungen zulassen – ein Ergebnis, das mit der Annahme des Interessenwiderstreits als eines selbständigen Hinderungsgrunds für das Handeln des Vollstreckers unverträglich ist29. Schließlich wird die Testamentsvollstreckung des Nacherben zu Lasten des Vorerben allseits für zulässig erachtet30, obwohl möglicherweise der Nacherbe seine Verwaltung eher so ausübt, daß das Unternehmen nach dem Nacherbfall wirtschaftlich besonders gut dasteht, indem er entgegen den tendenziell eher konsumtiv ausgerichteten Interessen des Vorerben zu dessen Lebzeiten eine eher investiv angelegte Unternehmenspolitik verficht. Eigentlich dürfte nach all dem daher der Erbe-Eigentümer amtstauglich sein. Dagegen könnte aber noch ein Interessenwiderstreit sprechen, der nur bei der Testamentsvollstreckung über einen Nießbrauch zu Tage tritt: Der Reimann, § 2197 Rn. 54; Bengel/Reimann-ders., Handbuch der Testamentsvollstreckung, Kap. 2 Rn. 180; Kipp/Coing, § 67 I 9 d; Lange/Kuchinke, § 31 IV 3 a Fn. 85. 27 Vgl. nur BGHZ 30, 67 ff.; Staud-Reimann, 13. Bearb. § 2205 Rn. 59 ff.; MünchKomm-Brandner, § 2205 Rn. 73 ff.; Soergel-Damrau, § 2205 Rn. 67 ff. 28 RGZ 61, 139 (142), und KGJ 27 A, 194, lassen es zwar zu, daß ein Testamentsvollstrecker Handlungen vornimmt, die gleichzeitig für ihn vorteilhaft sind, beschränken dies aber zugleich bei Fällen, in denen der Vollstrecker ausschließlich in seinem Interesse tätig wird. 29 Rohlff, DNotZ 1971, 518 (520). 30 BayObLG, NJW 1959, 1920; Staud-Reimann, § 2197 Rn. 54; MünchKommBrandner, § 2197 Rn. 11.

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Vermächtnisgegenstand „Nießbrauch“ erlischt im Unterschied zu den typischen Fällen der Vermächtnisgegenstände nach dem Tode des Berechtigten. Der Eigentümer erhält im Falle des Erlöschens wieder ein unbelastetes Eigentum, § 1061 S. 1 BGB. Der Nießbraucher erscheint mit Blick auf § 1069 S. 1 BGB besonders schützenswert, da der Erwerb des unbelasteten Eigentums den Interessengegensatz mit dem Erben-Eigentümer noch verstärkt. Doch auch dieser Interessenwiderstreit hindert bei Lichte betrachtet die Testamentsvollstreckung durch den Alleinerben nicht. Dies zeigt ein Vergleich mit der von der herrschenden Meinung getroffenen Wertung, daß der Unternehmens-Nießbraucher zum Testamentsvollstrecker gem. § 2209 BGB zu Lasten des Erben ernannt werden kann31. Es müßte begründet werden, warum umgekehrt der Alleinerbe nicht als Vollstrecker zu Lasten des Nießbrauchers tauglich sein soll. Die herrschende Meinung begründet ihr Votum für den Nießbraucher-Testamentsvollstrecker – wenn überhaupt – mit der Überlegung, daß die Praxis den Miterben als Vollstrecker und den Alleinerben als Mitvollstrecker zuläßt und damit zugleich anerkennt, daß eigene Vermögensbeteiligungen am Nachlaß – und damit Sonderinteressen – einem Testamentvollstreckeramt nicht entgegenstehen32. Mit diesem Gedanken bricht aber zugleich ihre tragende Begründung weg33. Denn die herrschende Meinung ist nun augenscheinlich gezwungen, zwischen hinnehmbaren und nicht mehr tolerierbaren Interessengegensätzen zu differenzieren. Bei der Testamentsvollstreckung durch den Alleinerben zu Lasten des Nießbrauchers geschieht aber genau dies nicht. Ein Interessenwiderstreit ist aber sowohl bei der Testamentsvollstreckung durch den Nießbraucher zu Lasten des Erben als auch bei der Nießbrauchsvollstreckung durch den Erben-Eigentümer zu Lasten des Nießbrauchers vorhanden. Das Maß, in dem der je Belastete geschädigt werden kann, ist beide Male gleich: Dem Nießbraucher-Testamentsvollstrecker wird daran gelegen sein, in primär konsumtiver Absicht seinen Gewinn zu Lebzeiten zu maximieren, mag das Unternehmen nach seinem Tode auch ruiniert sein, während der ErbenTestamentsvollstecker in eher investiver Absicht das Unternehmen über den Generationenwechsel prosperierend halten will. Ist der Interessenwiderstreit aber gleich gelagert, sollte er auch gleich bewertet werden34. Dies heißt: Falls der Nießbraucher zum Testamentsvollstrecker zu Lasten des Erben31 OLG München, JFG 16, 306 ff.; BayObLGZ 1988, 42 (46, einschränkend 50, je für Nießbrauch am Nachlaß); Soergel-Stürner, § 1089 Rn. 2; Staud-Reimann, § 2197 Rn. 59; Staud-Frank, § 1089 Rn. 6; MünchKomm-Petzoldt, vor § 1030 Rn. 10; Rohlff, DNotZ 1971, 518 (519 ff.); Petzoldt, BB 1975, Beil. 6, 4. 32 Petzoldt, BB 1975, Beil. 6, 4; Rohlff, DNotZ 1971, 518 (520). 33 Ablehnend aus Gründen eines problematischen Interessengegensatzes daher Kipp/Coing, § 67 II 9 e; Schön, Nießbrauch, 389, der jedoch als funktionales Äquivalent den dinglichen Dispisitionsnießbrauch als zulässige Modifikation der §§ 1030 ff. BGB anerkennt.

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Eigentümers berufen ist, wird in den Bindungen des Innenverhältnisses, die der Testamentsvollstrecker-Nießbraucher gem. §§ 2216 BGB, §§ 1036 II, 1037, 1041 BGB unterliegt, ein angemessenes Sicherungsinstrument gesehen. Es ist nicht einzusehen, wieso die anders sein soll, wenn der vermächtnisweise zugewendete Unternehmensnießbrauch mit der Testamentsvollstreckung durch den Erben-Eigentümer belastet wird. Es wird sich noch zeigen, daß der Nießbraucher bei der Vermächtnisvollstreckung durch den Alleinerben durch eine testamentsvollstreckerische Pflicht zur ordnungsgemäßen Verwaltung (§ 2216 BGB) geschützt ist35. Schließlich würden bei der Vermächtnisvollstreckung durch den ErbenEigentümer auch keine Normen des zwingenden Rechts umgangen, wie dies bei der Vorerben-Testamentsvollstreckung zu Lasten des Nacherben mit Blick auf § 2136 BGB vorgetragen wurde36. Derartige Normen sind im Verhältnis zwischen Erben und Nießbraucher-Vermächtnisnehmer nicht in Sicht. Es bleibt nach all dem festzuhalten, daß insgesamt nichts gegen die Eignung des Erben-Eigentümers zur verwaltungsmäßigen Testamentsvollstreckung gem. § 2223 BGB, analog § 2209 BGB zu Lasten des Vermächtnisnehmer-Nießbrauchers vorgetragen werden kann. b) Die faktische Eignung des Alleinerben zum Vollstreckeramt Der soeben beschriebene Interessengegensatz zwischen Alleinerben-Vollstrecker und Ehegatten-Unternehmensnießbraucher hindert mit Rücksicht auf die Pflichtenstellung des Vollstreckers aus § 2216 II BGB die Vollstrekkung grundsätzlich nicht. Aber auch diese Erkenntnis führt noch nicht dazu, die Eignung des Alleinerben für das Testamentsvollstreckeramt zu bejahen. Denn nach herrschender Rechtsprechung dient das Vollstreckeramt begrifflich einem außerhalb der Person des Vollstreckers liegenden Interessenkreis; der Vollstrecker stünde rechtlich im Gegensatz zum Erben37. Soweit damit gesagt werden soll, der Erbe sei Herr des Nachlasses und könne sich als Testamentsvollstrecker nicht selbst beschränken38, überzeugt dies schon deshalb nicht, weil eine derartige Argumentation deutlich begriffsju34 So für den Vorerben-Testamentsvollstrecker auch Rohlff, DNotZ 1971, 518 (528). 35 Unten § 34 I. 36 Vgl. zum Vorwurf, die Vorschriften des Vor- und Nacherbschaftsrechts zum Schutz des Nacherben würden durch eine Vorerben-Testamentsvollstreckung weitgehend ausgehöhlt, nur RGZ 77, 177 (178); vgl. demgegenüber Rohlff, DnotZ 1971, 518 (528 ff.). 37 RGZ 77, 177, st. Rspr.; vgl. nur KGJ 48, A 141 (142); KG OLGZ 67, 361. 38 RGZ 77, 177 (178); 163, 57 (58); OLG München, JFG 14, 428 (433); KGJ A 48, 141 (142); Soergel-Damrau, § 2197 Rn. 10; MünchKomm-Brandner, § 2197 Rn. 11.

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ristische Züge trägt39. Die Rechtsordnung kennt schließlich auch sonst Rechte, die durch Rechte eingeschränkt werden, deren Inhaber wiederum der Träger des eingeschränkten Rechts ist, man denke nur an die Zuerkennung beschränkter dinglicher Rechte an den Eigentümer als Eigenrechte. Selbst ein Eigennießbrauch, der wegen seiner Befugnisstruktur einer Testamentsvollstreckung durch den Alleinerben noch am ähnlichsten ist, ist bei einem anerkennungswertes Eigeninteresse zulässig40. Relevante Wertungsunterschiede zur Testamentsvollstreckung sind angesichts der Möglichkeit derartiger Rechte nicht ersichtlich. Gegen die Sinnlosigkeit einer Testamentsvollstreckung durch den Alleinerben wurde weiter vorgetragen, er sei als Erbe doch schon zu all dem befugt, wozu ihn das Vollstreckeramt erst befähigen solle41. Nun mag dies schon für die Nachlaßvollstreckung mit Blick auf § 2213 II BGB, aufgrund dessen der Erbe schon vor der Erbschaftsannahme für Nachlaßschulden in Anspruch genommen werden kann, und § 2214 BGB, der die Bildung eines den Eigengläubigern des Erben entzogenen Sondervermögens ermöglicht, mehr als zweifelhaft sein; für die Vermächtnisvollstreckung greift dieser Einwurf wegen der unterschiedlichen Rechtsmacht von Vollstrecker und Erbe offensichtlich nicht. Insgesamt gesehen laufen damit etwaige gegen eine Testamentvollstreckung durch den Alleinerben zu Lasten des Nießbraucher-Vermächtnisnehmer vorzutragende Einwände ins Leere42. III. Die Lösungswege bei der Testamentsvollstreckung über ein einzelkaufmännisches Unternehmen Die Dogmatik der Testamentsvollstreckung im Bereich des Handelsrechts wird durch das an dieses Institut anzulegende Haftungsregime dominiert. Die h. M. optiert seit der wegweisenden Entscheidung des Reichsgerichts vom 26.3.193143 im Rahmen der Haftungsdogmatik u. a. im Vollzug einer 39

Die Argumentation einschränkend denn auch OLG Karlsruhe, MDR 1981,

943. 40 Vgl. zur Zulässigkeit eines Eigentümernießbrauchs bei einem berechtigten wirtschaftlichen oder ideellen Interesse BGHZ 41, 209; BGH NJW 1988, 2363; BayObLGZ 1985, 292; BayObLG, DNotZ 1992, 366 (bzgl. Beschränkte persönliche Dienstbarkeit und Wohnrecht), und zur Lit. MünchKomm-Petzoldt, § 1030 Rn. 21; aA Staud-Frank, § 1030 Rn. 31; Schön, Nießbrauch, 224 f., je m. w. Nachw. (Zulässigkeit eines jeden Eigentümernießbrauchs). 41 So etwa RGZ 163, 57 (58); allein hierauf abstellend KG JW 1933, 2915. 42 Gegen die Testamentsvollstreckereignung des alleinigen Vorerben wurden noch beweisrechtliche Einwände ins Feld geführt (siehe OLG Karlsruhe, MDR 1981, 943), die aber bei der Vermächtnisvollstreckung in den Nießbrauch durch den Alleinerben nicht greifen, da eine dem § 2120 BGB entsprechende Vorschrift, auf die das OLG Karlsruhe seinen Einwand maßgebliche stützte, im Nießbrauchsrecht nicht vorhanden ist.

§ 31 Die Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch

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vermeintlich in § 2 EGHGB getroffenen Vorrangstellung des Handels- vor dem Erbrecht für eine Dominanz handelsrechtlicher Wertungen. Infolgedessen wird die gem. § 2206 I BGB auf den Nachlaß beschränkte Haftung des Erben mit dem im deutschen Unternehmensrecht nach ganz überwiegender Ansicht verwirklichten Grundsatz der unbeschränkten Haftung des Kaufmanns beim Betrieb eines einzelkaufmännischen Unternehmens für unvereinbar erachtet, die echte verwaltende Testamentsvollstreckung dementsprechend verworfen und für die Ersatzkonstruktionen „Treuhandlösung“ und „Vollmachtlösung“ plädiert44. Die bisherigen Überlegungen haben gezeigt, daß der Erbe-Eigentümer zum Testamentsvollstrecker über den Unternehmensnießbrauch des überlebenden Gatten berufen werden kann. Nunmehr gilt es, das Vermögenszuständigkeits-, Haftungs- und Gewinnzuschreibungsregime des herkömmlichen Unternehmensnießbrauchs mit der Herrschaftszuständigkeit und der besonderen Haftungsordnung des Testamentsvollstreckers abzustimmen. Dies ist ein schwieriges Unterfangen. Die Verwaltungsvollstreckung über ein Handelsgeschäft ist eine der umstrittensten Figuren innerhalb des Verhältnisses von Handels- und Erbrecht. Die Dogmatik unterscheidet – wie schon gesagt – eine Treuhand-, eine Vollmachtsund eine echte Testamentsvollstreckerlösung, mit denen insbesondere die Haftungsordnung der Unternehmenstestamentsvollstreckung bewältigt werden soll. Es wird noch gezeigt werden, daß die bisherigen Angriffe gegen die echte Testamentsvollstreckung durchaus zurückgewiesen werden können45. Dies muß nicht jeden überzeugen. Um die Überzeugungskraft der folgenden Überlegungen zu erhöhen, wird deshalb versucht, die Testamentsvollstreckung an dem Unternehmensnießbrauch für die Treuhand- und die echte Testamentsvollstreckungslösung in die jeweiligen Lösungen einzuordnen, um dann die Folgen für den Nießbraucher aufzuweisen, die sich aus den jeweiligen Einordnungen ergeben. Es wird sich zeigen, daß die jeweilig der Unternehmenstestamentsvollstreckung zugrundegelegten Lösungen in ihrer Versorgungsgerechtigkeit als äquivalent zu beurteilen sind. Bei der Vollmachtlösung wird das Handelsgeschäft durch den Vollstrekker auf Grund einer besonders erteilten Bevollmächtigung46 namens des Erben oder des Vermächtnisnehmers und unter dessen persönlicher Haftung weitergeführt47. Wegen dieser Haftung des Erben oder des Vermächtnisneh43 RGZ 132, 138 ff.; vgl. zur Entwicklung der Rechtsprechung Muscheler, Haftungsordnung, 287 ff., 290 ff. 44 Vgl. zu den herrschenden Ersatzlösungen für eine „reine“ Testamentsvollstrekkung nur Bengel/Reimann-Mayer, Handbuch der Testamentsvollstreckung, Kap. 5 Rn. 119 ff. 45 Unten § 40 IV. 46 Vgl. zu den Unterformen der vollstreckungsersetzenden und der vollstrekkungsergänzenden Vollmacht nur ausführlich Muscheler, Haftungsordnung, 345 ff.

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Kap. 14: Die Versorgung des mittelmäßig befähigten Überlebenden

mers kann in versorgungsorientierter Perspektive die Vollmachtslösung im weiteren außer Betracht bleiben. Zudem wird sie zu Recht mit Blick auf die mitunter schwerwiegenden Konsequenzen für die wirtschaftliche Handlungsfreiheit des dem Stellvertreter unentrinnbar ausgesetzten Erben oder Vermächtnisnehmers kritisch betrachtet, da der ihr inhärente Zwang zur Selbstentmündigung48 durchweg zur Sittenwidrigkeit der Vollmachtslösung führen wird49. Hat der Erblasser daher Testamentsvollstreckung über den Nießbrauch angeordnet, wird er damit zugleich im Zweifel wegen der ansonsten zu befürchtenden Haftung des Überlebenden die Vollmachtlösung ausgeschlossen haben50; der Vermächtnisnehmer-Nießbraucher könnte die gleichen Rechtsfolgen, wie sie die Vollmachtslösung zeitigt, allenfalls im Zusammenwirken mit dem Testamentsvollstrecker durch Vollmachtserteilung an diesen bewirken. Es gilt demnach folgende Auslegungsregel: Auslegungsregel 31.1: Hat der Erblasser Testamentsvollstreckung über den vermächtnisweise dem Ehegatten zugewendeten Unternehmensnießbrauch angeordnet, hat er damit zugleich im Zweifel die Vollmachtlösung ausgeschlossen.

§ 32 Treuhänderische Testamentsvollstreckung und Unternehmensnießbrauch I. Bestellung – Vermögenszuordnung – Firma – Registerfragen Bei der Treuhandlösung im Rahmen der Vollstreckung über ein Handelsgeschäft betreibt der Testamentsvollstrecker das Handelsgeschäft nicht als Vollstrecker, sondern als Inhaber im eigenen Namen unter eigener unbe47 Zur Vollmachtlösung im einzelkaufmännischen Unternehmen vgl. aus der Rechtsprechung: 172, 199 (205); BGHZ 12, 100 (103 f.); 35, 13 (15 f.); KG, NJW 1959, 1086 (1088); OLG Hamm, NJW 1963, 1554; BayObLGZ 1969, 138 (141 f.); BayObLG, DB 1978, 933; zur Übersicht über die Rechtsprechung vgl. Muscheler, Haftungsordnung, 342 ff.; aus der Literatur vgl. nur Staud-Reimann, § 2205 Rn. 97 ff. 48 So John, BB 1980, 757 (758). 49 Vgl. zur Kritik an der Vollmachtslösung ausführlich Muscheler, Haftungsordnung, 356 ff., 358 ff.; sowie MünchKomm-Brandner, § 2205 Rn. 24 b; ders., FS Stimpel, 991 (1002 f.); MünchKomm-HGB-Lieb, § 27 Rn. 24; Canaris, Handelsrecht, § 9 II 1; Lorz, Testamentsvollstreckung, 62 ff.; Dauner-Lieb, Unternehmen, 276 ff.; Windel, Modi, 264; Baur, FS Dölle, Bd. 1, 249 (257 f.); Brandner, FS Stimpel, 993 (1001 ff.); Diederichsen, AcP 193 (1993), 407 (411); John, BB 1980, 757 (758). 50 So für den Regelfall auch Soergel-Damrau, § 2205 Rn. 19; Staud-Reimann, § 2205 Rn. 100; Nieder, Handbuch der Testamentsgestaltung, Rn. 705.

§ 32 Treuhänderische Testamentsvollstreckung und Unternehmensnießbrauch 695

schränkter persönlicher Haftung; im Außenverhältnis tritt er dementsprechend im eigenen Namen als Treuhänder auf, während er im Innenverhältnis zum Erben auf dessen Rechnung tätig wird51. Der Testamentsvollstrekkervermerk ist richtigerweise entgegen der noch h. M.52 in das Handelsregister eintragungsfähig53, da registerrechtlich auch solche Eintragungen eintragungsfähig sind, an deren Offenlegung der Rechtsverkehr ein berechtigtes Interesse hat54. Ein solches ist mit Rücksicht auf die noch darzulegenden Surrogationserscheinungen und Haftungsfolgen der Treuhandschaft gegeben. Die Rechtsprechung begreift die testamentsvollstreckungsrechtliche Treuhand über das einzelkaufmännische Unternehmen nicht als Vollrechtstreuhand55, sondern als Ermächtigungstreuhand, da ein Handelsgeschäft auch ohne eine Übertragung des Eigentums am Betriebsvermögen geführt werden könne56. Der Treuhänder-Testamentsvollstrecker wird mithin nicht Eigentümer des Unternehmensvermögens. Terminologisch trägt all dies durchaus zur Verwirrung bei, da die Rechtsprechung ansonsten unter einem Treuhänder nur eine Person versteht, der von einem Treugeber zu vollem Recht einen Vermögensgegenstand zu treuen Händen übertragen erhält57. Die Verwirrung wird durch den Umstand gesteigert, daß sie – soweit 51 Vgl. nur RGZ 132, 138 (142 ); BGHZ 12, 100 (104); 24, 106 (112); BGH, NJW 1975, 54; KG, JW 1936, 1137; 1939, 104; NJW 1959, 1086; OLG Hamm, NJW 1963, 1554. 52 Siehe nur RGZ 132, 138 (141 ff.); KG, ZEV 1996, 67; Staud-Reimann, § 2205 Rn. 96. 53 Richtigerweise kann der Vollstreckervermerk auch bei der Treuhandschaft in das Handelsregister eingetragen werden, siehe Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 5 I 1; Bengel/Reimann-Reimann, Kap. 2 Rn. 263; Erman-Schmidt, § 2205 Rn. 22; Holzhauer, Erbrechtliche Untersuchungen, 62 ff.; Lorz, Testamentsvollstreckung, 33 (siehe aber 73); für die Vollstreckung über Gesellschaftsanteile Ulmer, NJW 1990, 73 (82); Weidlich, Testamentavollstreckung, 90 f.; Planck, ZEV 1998, 325 (327 ff.); sowie auf der Grundlage der Testamentsvollstreckerlösung Canaris, Handelsrecht, § 9 Rn. 38; Baur, FS Dölle, Bd. 1, 249 (259 f., 264); MünchKomm-Brandner, § 2205 Rn. 22; Kipp/Coing, § 68 III 3 a; Muscheler, Haftungsordnung, 418 ff.; Schiemann, FS Medicus, 513 (527). Nur bei der Vollmachtslösung Schaub, ZEV 1994, 71 (72); LG Konstanz, NJW-RR 1990, 716. 54 Siehe BGHZ 105, 324 (341), zur Eintragung eines Unternehmensvertrags in das Handelsregister. 55 So aber generell John, BB 1980, 757 (760 f.); siehe auch Canaris, Handelsrecht, § 9 II 2. Zur Kritik an der Vollrechtstreuhand vgl. nur Muscheler, Haftungsordnung, 331 ff. 56 Besonders deutlich etwa BGH, NJW 1975, 54 (55); als Ausgangspunkt siehe KG, JW 1939, 104 (105); ansonsten siehe nur Muscheler, Haftungsordnung, 298 f. Zu den Ausnahmen beim Handelsgeschäft und bei der Firma siehe sogleich. Brandner, FS Stimpel, 991 (1000), führt die Zurückhaltung des BGH gegenüber der Vollrechtstreuhand auf eine besondere Konstellation des der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalts zurück. 57 Etwa BGH, WM 1964, 179.

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die Treuhandlösung bei der Testamentsvollstreckung über einem vollhaftenden Gesellschaftsanteil in Rede steht – die Treuhandschaft als Vollrechtstreuhand ansieht. Treuhandart bei der Vollstreckung über ein Handelsgeschäft ist mithin die Verwaltungs- und Ermächtigungstreuhand58. Muscheler zieht zu Recht im Bereich der Treuhandschaft über ein Handelsgeschäft den Vergleich mit dessen Verpachtung; hier wie dort wird der Testamentsvollstrecker-Treuhänder und der Pächter zwar Inhaber des Handelsgeschäfts, beide werden aber – vorbehaltlich vertraglicher Regelungen – nicht als Eigentümer der Geschäftsgrundstücke in das Grundbuch eingetragen59. Die Treuhand am Unternehmensnießbrauch wird wie folgt begründet: Der Erbe bestellt an den einzelnen Gegenständen des Betriebsvermögens den Nießbrauch zugunsten des überlebenden Ehegatten und überträgt sodann, von den Beschränkungen des § 181 BGB zumindest stillschweigend befreit, auf der einen Seite als Testamentsvollstrecker, auf der anderen Seite im eigenen Namen handelnd, den Nießbrauch an dem Immaterialgüterrecht der Firma60 auf sich selbst61 und schließt in der gleichen Weise einen Treuhandvertrag zwischen sich und dem Nießbraucher ab, auf den grundsätzlich die Bestimmungen der §§ 662 ff. BGB anwendbar sind62. Der Erbe behält das Eigentum am Anlagevermögen. Hinsichtlich des Umlaufvermögens ist zu unterscheiden: Der Neuerwerb von Umlaufvermögen fällt nach allgemeinen Regeln in das Eigentum oder in die Forderungszuständigkeit des Vollstreckers-Treuhänders, da dieser das Handelsgeschäft nach außen im eigenen Namen als Unternehmer führt. Der Treuhandvertrag wird hierauf reagieren und den Erwerb des Vollstrecker-Treuhänders im Innenverhältnis zum Nießbraucher billigen. Mit Blick hierauf könnte hinsichtlich des Neuerwerbs an Umlaufvermögen durchaus von einer Vollrechtstreuhand die Rede sein. Der Altbestand an Umlaufvermögen fiele analog § 1067 I BGB bei einem herkömmlichen Unternehmensnießbrauch in das Eigentum oder in die Vermögenszuständigkeit des Nießbrauchers63. Bei 58

Zur Ermächtigungstreuhand siehe nur Grundmann, Treuhandvertrag, 83 f.; Coing, Treuhand, 96. 59 Muscheler, Haftungsordnung, 297 f. 60 Die Gegenstände des Anlagevermögens bleiben beim Unternehmensnießbrauch im Eigentum des Bestellers, siehe oben § 27 II 1 a, so daß es hier nur um die Übertragung des Nießbrauchs an der Firma gehen kann. 61 Hinsichtlich des Nießbrauchs an der Firma liegt mithin keine Ermächtigungs-, sondern Vollrechtstreuhand vor; gleiches gilt für das „Handelsgeschäft als solches“, siehe allg. für die Testamentsvollstreckung am einzelkaufmännischen Unternehmen Muscheler, Haftungsordnung, 301 f. 62 Vgl. Muscheler, Haftungsordnung, 301 ff. Nahezu einhellig wird im übrigen davon ausgegangen, daß die §§ 662 ff. BGB das Innenrecht der Treuhandverhältnisse regeln, siehe nur RGZ 116, 330 (331); 127, 341 (345); BGHZ 32, 67 (70); BGH WM 1974, 53 (54); Coing, Treuhand, 2, 16, 111; RGRK-Steffen, § 662 Rn. 7 f.; umfassend Grundmann, Treuhandvertrag, 2. Teil.

§ 32 Treuhänderische Testamentsvollstreckung und Unternehmensnießbrauch 697

dem unter Testamentsvollstreckung stehenden Unternehmensnießbrauch wäre dies eminent unpraktisch, da der Erbe-Testamentsvollstrecker mit dem Altbestand arbeiten muß und hierfür eine divergierende Eigentumslage hinsichtlich des Alt- und Neubestands des Umlaufvermögens mehr als nur hinderlich wäre. Nun wäre es nicht zulässig, allein schon aus Rücksicht auf einen erbrechtlichen Tatbestand (hier: die Testamentsvollstreckung) und das hieraus resultierende praktische Bedürfnis den Zuschnitt des dinglichen Nutzungsrechts zu ändern und das Umlaufvermögen daher aufgrund der Testamentsvollstreckung ebenfalls in das Eigentum des Erben fallen zu lassen. Darum geht es hier aber nicht. § 1067 ist nach allgemeiner Meinung dispositiv64. Im Zweifel wird der Erblasser – wenn er zugleich Testamentsvollstreckung vorsieht – wegen der Unpraktikabilität des § 1067 I BGB daher einen Unternehmensnießbrauch vermächtnisweise zugewandt haben, bei dem § 1067 I BGB für das Umlaufvermögen abbedungen ist. Der Altbestand an Umlaufvermögen verbleibt mithin im Eigentum des Erben-Vollstreckers. Insgesamt gesehen ist damit hinsichtlich des Eigentums an Umlaufvermögen ein Gleichklang hinsichtlich des Alt- und des Neubestands erzielt. Es gilt demnach folgende Auslegungsregel: Auslegungsregel 32.1: Bei einem dem überlebenden Ehegatten vermächtnisweise zugewendeten und mit einer Testamentsvollstreckung durch den Alleinerben belasteten Unternehmensnießbrauch wird der Erblasser im Zweifel den gem. § 1067 I BGB analog stattfindenden Eigentumsübergang auf den Nießbraucher für das Umlaufvermögen ausgeschlossen haben, wenn er zur Treuhandlösung greift.

Bei einem normalen Unternehmensnießbrauch wird der Nießbraucher Eigentümer der Gegenstände des Umlaufvermögens65. Eine Belastung des Neuerwerbs mit dem dinglichen Nutzungsrechts braucht hier mithin nicht zu erfolgen. Bei der treuhänderischen Fortführung des nießbrauchsbelasteten Unternehmens durch den Vollstrecker-Treuhänder ist dies anders. Da dieser Eigentümer des Neuerwerbs an Umlaufvermögen ist, wird jenes ex lege aufgrund der Belastung des Handelsgeschäfts mit dem dinglichen Nutzungsrecht nießbrauchsverhaftet. Es ist nicht einzusehen, warum hier anderes gelten solle als bei den neu erworbenen Gegenständen des Anlagevermögens, bei denen es qua Gesetz zu einer Nießbrauchsbelastung kommt66. Gleichzeitig ist der Vollstrecker-Treuhänder analog § 1048 I BGB verfügungsbefugt. 63 64 65 66

Siehe Siehe Siehe Siehe

oben § 27 II 1 b. nur Staud-Frank, § 1067 Rn. 10. oben § 27 II 1 b. dazu oben § 27 I 3 a.

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Kap. 14: Die Versorgung des mittelmäßig befähigten Überlebenden

Im übrigen gilt: Da das Handelsgeschäft als Tätigkeit am Markt67 nur in Form einer faktischen Einweisung und nicht wie ein Recht abtretungsweise übertragen werden kann, ist eine Übertragung des Handelsgeschäfts auf den Vollstrecker nicht notwendig, weil er schon als Vermächtnisvollstrecker das Recht hat, sich in den Besitz des gesamten Vermächtnisgegenstands zu setzen. Er kann damit auf die zum Handelsgeschäft gehörenden tatsächlichen Verhältnisse schon von Amts wegen zugreifen68. Der Vollstrecker meldet sodann den Inhaberwechsel zum Handelsregister unter Bezugnahme auf das Testamentsvollstreckerzeugnis als öffentliche Urkunde i. S. § 12 II 2 HGB an und wird sodann als Inhaber – und zwar richtigerweise mit Hinweis auf seine besondere Stellung – im Register eingetragen. Die Fortführung der Firma steht ihm, solange der Erblasser nichts anderes verfügt hat, mit oder ohne Nachfolgezusatz frei. Schließlich bleiben auch bei der Treuhandschaft die vollen Wirkungen der Testamentsvollstreckung und damit die Entziehung der Verfügungsbefugnis des Erben erhalten69. Die mit der Treuhandkonstruktion verbundenen Schwierigkeiten im handesgeschäftlichen Haftungsregime werden bei der Testamentsvollstreckung des Erben zu Lasten des Vermächtnisnehmer-Nießbrauchers noch verstärkt. II. Die Haftung des Erben-Testamentsvollstreckers bei der Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch 1. Die Haftung für Alt-Verbindlichkeiten

Der Erbe-Testamentsvollstrecker haftet im Ergebnis für sämtliche geschäftlichen Altverbindlichkeiten persönlich, aber beschränkbar. a) Die Haftung für Alt-Verbindlichkeiten als Erbe: Das erbrechtliche Haftungsregime Er haftet einmal als Erbe beschränkbar auf den Nachlaß (§§ 1975, 1973 f., 1990 BGB) für die Alt-Geschäftsverbindlichkeiten des Erblassers im Außenverhältnis, § 1967 I BGB. Dem vollen Vollstreckungszugriff steht dabei freilich nur der nießbrauchsfreie Nachlaß zur Verfügung, da in den 67

Siehe zum Unternehmensbegriff unten § 36 V. Ungenau daher Muscheler, Haftungsordnung, 303. 69 Für die Testamentsvollstreckung über das Unternehmen wird dies gelegentlich bestritten, siehe etwa Reimann, Testamentsvollstreckung in der Wirtschaftsrechtspraxis, 69, nach dem die Vollstreckung als solche das einzelkaufmännische Unternehmen gerade nicht erfasse; ebenso etwa Bengel/Reimann-Mayer, Handbuch der Testamentsvollstreckung, Kap. 5 Rn. 121. Dazu nur Lorz, Testamentsvollstreckung, 87. 68

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nießbrauchsbelasteten Nachlaß regelmäßig nur nach Maßgabe des dinglichen Nutzungsrechts vollstreckt werden kann. So kann bsp. die Zwangsverwaltung nur als beschränkte Verwaltung durchgeführt werden, die die Rechte des Nießbrauchers nicht beeinträchtigen darf und sich daher im wesentlichen auf die Wahrnehmung der dem Eigentümer zustehenden Überwachungsbefugnisse beschränkt70. Wenn das Unternehmen den wesentlichen Teil des Nachlasses ausmacht, könnte man zwar daran denken, die geschäftlichen Alt-Gläubiger so zu stellen, als ob das Unternehmen nicht nießbrauchsbelastet wäre. Die Alt-Gläubiger hätten dann ein unmittelbares Zugriffsrecht auf die nießbrauchsbelasteten Gegenstände des Betriebsvermögens im Wege der Vollstreckungsduldung durch den Nießbraucher. Dafür müßten die Regelungen, die für einen Nießbrauch an einem Vermögen gelten – also die §§ 1086, 1088 BGB – angewendet werden können71. Eine direkte Anwendung scheidet aus, da es sich bei einem Nießbrauch an einem Handelsgeschäft nicht um einen von § 1086 BGB vorausgesetzten Nießbrauch an einem Vermögen handelt. Auch eine analoge Anwendung der Regelung ist nicht möglich72. Die §§ 1086, 1088 BGB gewährleisten bei einem Nießbrauch an einem Vermögen den Gläubigerschutz73, indem für die Gläubiger des Bestellers die ursprüngliche Haftungsmasse weiter als unbelastet gilt. Eine Ausdehnung dieser spezifischen Regelung ist nicht angezeigt, weil derselbe gesetzliche Schutzzweck außerhalb des Vermögens- und Erbschaftsnießbrauchs in der Form des außer- oder innerinsolvenzrechtlichen Anfechtungsrechts gewährleistet ist. Eine Analogie würde daher diese gesetzlichen Weisen des Gläubigerschutzes ohne Grund übergehen. An eine Ausnahme könnte allenfalls dann gedacht werden, wenn es sich bei dem nießbrauchsbelasteten Handelsgeschäft tatsächlich um den Großteil des Vermögens handeln würde. Man käme dann zu einer Differenzierung hinsichtlich des Gläubigerzugriffs je nach der Art der Zusammensetzung des Erblasservermögens. Diese Differenzierung würde jedoch eine zu große Unsicherheit in die Möglichkeiten des Vollstreckungszugriffs der Alt-Gläubiger bringen; § 1086 BGB hat darauf reagiert und den Gläubigerzugriff von der formalen Voraussetzung eines Nießbrauchs „an dem Vermögen“ (§ 1085 BGB) abhängig gemacht. Eine Lücke im gesetzlichen Normenbestand ist daher nicht ersichtlich. Zudem liegt den §§ 1086, 1088 BGB ein ähnlicher Gedanke zugrunde wie der Parallelregelung des § 419 BGB; beidesmal geht es darum, dem 70

Vgl. nur Staud-Frank, Vorbem. Zu §§ 1030 ff. Rn. 85. So wohl Palandt-Bassenge, § 1085 Rn. 6, wonach Altgläubigern anscheinend schlechthin die Rechte aus § 1086 BGB zustehen sollen. 72 Staud-Frank, Vorbem. Zu §§ 1085–1089 Rn. 7. 73 Prot. III, 430 ff., VI 348; MünchKomm-Petzoldt, § 1086 Rn. 1; Staud-Frank, Vorbem. Zu §§ 1085–1089 Rn. 3; Schön, Nießbrauch, 186. 71

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Gläubiger seine Vollstreckungsgrundlage zu erhalten. Zwar verwirklichte § 419 BGB diesen Schutztelos personal, indem der Gläubigerschutz rechtstechnisch über die persönliche Haftung des Vermögensübernehmers hergestellt wird, während demgegenüber nach § 1086 BGB ein Alt-Gläubiger in das belastete Vermögen lediglich ohne Rücksicht auf den Nießbrauch vollstrecken kann und eine persönliche Haftung des Vermögensnießbrauchers, welche nicht schon aus anderen Gründen bestand, nicht eintritt. Beim Vermögensnießbrauch wird der Gläubigerschutz mithin nicht personal, sondern objektbezogen erzeugt. Relevant sind diese Unterschiede jedoch nicht; sowohl beim personal als auch beim objektbezogenen Gläubigerschutz geht es darum, die Alt-Gläubiger vor den Risiken zu schützen, die entstehen, wenn sich Dritte des gesamten Vermögens des Schuldners zu bemächtigen gedenken, sei es durch dessen Übernahme, sei es durch dessen Belastung mit einem dinglichen Nutzungsrecht, welche das Eigentum als bloße leer Hülse zurückläßt. Nun ist § 419 BGB durch Art. 33 Nr. 16 EGInSO aufgehoben worden, weil die insolvenzrechtliche Diskussion gezeigt hat, daß das insolvenzrechtliche Anfechtungsrecht die angemessenere Regelungsmaterie bereitstellt74. Diese Einsicht sollte aber dann auch nicht durch eine analoge Anwendung der §§ 1086, 1088 BGB auf den Unternehmensnießbrauch wieder unterlaufen werden. Erbrechtlich haftet der Erbe-Testamentsvollstrecker nach all dem mithin für Altschulden beschränkbar auf den Nachlaß; dabei kann in den nießbrauchsbelasteten Nachlaßbestandteil nicht voll vollstreckt werden, solange nicht der erbrechtliche Erwerb des Unternehmensnießbrauchs durch den überlebenden Ehegatten nach den Regelungen des insolvenzrechtlichen Anfechtungsrechts (§§ 322, 134 I, 143 II InsO) angefochten worden und im Gefolge dessen der Unternehmensnießbrauch wieder zur Nachlaßmasse gezogen worden ist. b) Die Haftung für Alt-Verbindlichkeiten als Testamentsvollstrecker: Das handelsrechtliche Haftungsregime Eine persönliche Haftung des Erben aus § 27 I HGB in seiner Eigenschaft als Erbe scheidet aus, da das Handesgeschäft nicht durch den Erben, sondern durch den Testamentsvollstrecker fortgeführt wird75. Daneben haf74

Dazu siehe nur Karsten Schmidt, ZIP 1989, 1025 ff. RGZ 132, 138 (140); BGHZ 35, 13 (17). Es ist daher nicht erst der Umweg erforderlich, die Übernahme des Betriebs durch den Testamentsvollstrecker sei die Einstellung des durch den Erben fortgeführten Betriebs (so aber bsp. Haegele-Winkler, Testamentsvollstrecker, Rn. 306; Bengel/Reimann-Mayer, Handbuch der Testamentsvollstreckung, Kap. 5 Rn. 124; Lorz, Testamentsvollstreckung, 73; Großkomm-Hüffer, § 27 HGB Rn. 49; John, BB 1980, 757 (758)), wie hier Muscheler, Haftungsordnung, 305; Baur, Festschrift Dölle, Bd. 1, 249 (252); Lange, JuS 1970, 101 (104); Heymann-Emmerich, § 27 HGB Rn. 6; Düringer/Hachenburg-Hoeniger, 75

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tet der Erbe aber als Testamentsvollstrecker mit seinem Privatvermögen für die geschäftlichen Erblasserschulden nach § 25 I HGB76. Dabei steht ihm der Haftungsausschluß nach § 25 II HGB offen77. Zwar könnte hiergegen sprechen, daß der Vollstrecker sich in Ausübung seines Amtes direkt des Handelsgeschäfts bemächtigt. Er überträgt ja das Unternehmen nicht zuvor auf den Nießbraucher. Es findet folglich auch kein Kettenerwerb des Unternehmens mit Zwischenerwerb des Erben und des Nießbrauchers sowie mit Enderwerb beim Vollstrecker statt. Dies ist aber nach sämtlichen dem § 25 HGB unterlegten Teleologien für die Haftungsfrage irrelevant. Daß der Haftungsausschluß im übrigen für die Alt-Gläubiger mißlich ist, hindert den Ausschluß gleichwohl nicht78. Das Problem der Rest-Solvenz des AltSchuldners ist der handelsrechtlichen Firmennachfolge immanent und hat mit erbrechtlichen Wertungen nichts zu tun. Eine Haftung des Vollstreckers nach § 27 I HGB79 scheidet aus, da der Vollstrecker des Schutzes des § 27 II HGB schon deshalb nicht bedarf, weil ihm (als Testamentsvollstrecker) das Handelsgeschäft nicht wie beim insofern schützenswerten Erben automatisch zufällt80. Hiergegen scheint zu sprechen, daß die Geschäftsinhaberschaft durch einen erbrechtlichen Rechtsgrund erfolgt ist81. Die amtsmäßige Geschäftsfortführung durch den Testamentsvollstrecker steht jedoch einer Fortführung durch den Erben i. S. § 27 I HGB nicht gleich82.

§ 27 HGB Anm. 2; Schlegelberger-Hildebrandt/Steckhan, § 27 Rn. 4. Für automatische Haftung kraft Erbfalls auch ohne Fortsetzung der Unternehmenstätigkeit Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 8 IV 2 c. 76 RGZ 132, 138 (144); KG, JW 1937, 2599; Heymann-Emmerich, § 27 HGB Rn. 19; Großkomm-Hüffer, § 27 HGB Rn. 48; Schlegelberger-Hildebrandt/Steckhan, § 27 HGB Rn. 4; Jauernig-Stürner, § 2205 Anm. 1 c; Muscheler, Haftungsordnung, 305 f. 77 Für die Zulässigkeit einseitiger Erklärungen des Fortführers über den Haftungsausschluß siehe nur Canaris, Handelsrecht, § 7 I 3 f m. w. Nachw. 78 Selbst Karsten Schmidt sieht die Grenzen einer den § 25 II HGB schon de lege lata derogierenden Rechtsfortbildung, siehe ders., Handelsrecht, § 8 I 5 b. 79 Befürwortet für die Testamentsvollstreckung über ein Handelsgeschäft von Baumbach/Hopt, § 1 HGB Rn. 23, § 27 Rn. 3; Soergel-Damrau, § 2205 Rn. 19; Staud-Reimann, § 2205 Rn. 95; Erman-M. Schmidt, § 2205 Rn. 23; Rieper, Testamentsvollstreckung, 48. 80 Auf die mit dem Erben vergleichbare Schutzbedürftigkeit des Vollstreckers rekurriert hingegen für den Normalfall der Testamentsvollstreckung über ein Handelsgeschäft bsp. Hueck, ZHR 108 (1941), 1 (29). 81 Wegen einer derartigen Gleichheit begründet bsp. Bengel/Reimann-Mayer, Handbuch der Testamentsvollstreckung, Kap. 5 Rn. 125, die Anwendung des § 27 I HGB. 82 Muscheler, Haftungsordnung, 306.

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Kap. 14: Die Versorgung des mittelmäßig befähigten Überlebenden 2. Haftung für Neu-Verbindlichkeiten

Der Unternehmensnießbraucher haftet für die geschäftlichen Neuschulden mit seinem Privatvermögen, wenn keine Testamentsvollstreckung angeordnet wäre83. Ist diese angeordnet und findet sie in der Weise der Treuhandschaft statt, haftet für die geschäftlichen Neuschulden der im eigenen Namen auftretende Vollstrecker nach allgemeinen Regeln nach der h. M. ohne Beschränkung auf das Treugut84 mit seinem gesamten Privatvermögen85. Zwar könnte dies mit Rücksicht auf die durch Dölle86 ins Werk gesetzte Lehre vom neutralen Handeln im Rechtsverkehr anders gesehen werden. Nach dieser Lehre handelt der Vermögensverwalter weder im eigenen, noch im fremden Namen, sondern neutral im Wege der Erwerbs- und Verpflichtungsermächtigung zugunsten und zu Lasten des verwalteten Vermögens. Für die hiesigen Fallgestaltungen kann dem jedoch nicht gefolgt werden. Einmal wäre die Treuhandlösung dann eigentlich verlassen und zur echten Testamentsvollstreckung gegriffen – was man machen kann, wenn man sich den dann zu vergegenwärtigenden Problemen stellt87. Darüber hinaus liegt bei der Testamentsvollstreckung im Handelsrecht aber rechtstatsächlich weniger ein neutrales, sondern ein gemischt neutrales-eigennütziges Handeln vor88. Damit wäre aber auch nach der Lehre vom neutralen Handeln eine Beschränkung von Erwerb und Verpflichtung auf das verwaltete Vermögen nicht mehr angängig. III. Die Haftung des Nießbrauchers-Vermächtnisnehmers Für die Untersuchung der Versorgungsgerechtigkeit der Vollstreckungslösung ungleich wichtiger als die Haftung des Vollstreckers ist die Haftung des Nießbraucher-Vermächtnisnehmers. Die These lautet: Der Nießbraucher-Vermächtnisnehmer haftet für die dem Geschäftsbetrieb entstammenden Alt- und Neuschulden im Ergebnis nur mit seinem Nießbrauch und auch dies nur im Verhältnis zum Erben-Testamentsvollstrecker. Ein Zugriff seiner Privatgläubiger auf den Vermächtnisgegenstand entfällt, §§ 2214, 2223 BGB89.

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Siehe oben § 27 II 2. So aber Canaris, Handelsrecht, § 9 II 2; Coing, Die Treuhand kraft privaten Rechtsgeschäfts, 174; dazu Muscheler, Haftungsordnung, 311 f. 85 Siehe nur Lorz, Testamentsvollstreckung, 73. 86 Dölle, FS Fritz Schulz II, 268 (273 ff.); positiv hierzu bsp. Coing, Treuhand, 51 ff. 87 Dazu unten § 33. 88 So auch Lorz, Testamentsvollstreckung, 76. 84

§ 32 Treuhänderische Testamentsvollstreckung und Unternehmensnießbrauch 703 1. Haftung für Alt-Schulden

a) Haftung im Außenverhältnis zu den Geschäftsgläubigern Eine Haftung im Außenverhältnis des Nießbrauchers nach § 25 I HGB für die geschäftlichen Altschulden scheidet aus. Der Nießbraucher hat das Handelsgeschäft nicht selbst fortgeführt, da es vom Erben in der Person des Erben-Testamentsvollstreckers unmittelbar erworben worden ist90. Andere Tatbestände für eine Haftung des Ehegatten im Außenverhältnis für geschäftliche Altverbindlichkeiten sind nicht ersichtlich. Das Gesetz sieht den Schutz der Alt-Gläubiger (i) über die §§ 322, 327 I Nr. 1 InsO und § 5 AnfG, die ihnen einen Zugriff auf den Vermächtnisgegenstand zumindest innerhalb von vier Jahren nach der Bestellung des dinglichen Nutzungsrechts (§ 134 InsO, § 4 I AnfG) eröffnen, (ii) über die Außenhaftung des Erben gem. § 1967 BGB und des Testamentsvollstreckers nach § 25 I HGB sowie (iii) über die Vollstreckung in den – im folgenden zu besprechenden – Rückgriffsanspruch des Vollstreckers aus dem Innenverhältnis zum Nießbraucher-Vermächtnisnehmer als hinreichend an91. b) Das Innenverhältnis zwischen Ehegatten und Erben-Testamentsvollstrecker Im Innenverhältnis zum Vermächtnisnehmer-Nießbraucher ist die Haftungslage komplizierter. Zu trennen ist hier das Innenverhältnis zwischen Vollstrecker und Vermächtnisnehmer auf der einen und zwischen Erben-Besteller und Nießbraucher auf der anderen Seite. aa) Die Haftung des Ehegatten für Alt-Schulden als Vermächtnisnehmer Im Innenverhältnis zwischen Vollstrecker und Vermächtnisnehmer billigt die h. M. dem treuhänderisch für Rechnung des Vermächtnisnehmers tätig89 § 2214 BGB gilt auch für die Vermächtnisvollstreckung, vgl. nur MünchKomm-Brandner, § 2223 Rn. 4. Zur Fürsorgefunktion der Testamentsvollstreckung siehe im übrigen nur Lorz, Testamentsvollstreckung, 2 ff. 90 Siehe zum ähnlich gelagterten Fall der alsbaldigen Weiterveräußerung, Weiterverpachtung oder Einbringung in eine Gesellschaft RGZ 73, 71 (72); 143, 368 (370 ff.); 169, 133 (140); MünchKomm-HGB-Lieb, § 25 Rn. 59; Baumbach-Duden, § 25 HGB Rn. 6; Heymann-Emmerich, § 25 HGB Rn. 20; Großkomm-Hüffer, § 25 HGB Rn. 45. 91 Für die durch den Erblasser begründeten Dauerschuldverhältnisse, insbes. Arbeitsverhältnisse und § 613 a BGB, siehe ausführlich Muscheler, Haftungsordnung, 307 ff.

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werdenden Vollstrecker einen Regreß auf Befreiung von seiner unbeschränkten Haftung nach Auftragsrecht (§§ 2218 (h. M.), 670, 257 BGB) zu92. Für den Fall der Testamentsvollstreckung zu Lasten des vermächtnisweise dem Ehegatten zugewandten Unternehmensnießbrauchs überzeugt dies nicht. Ein derartiger Regreß findet zumindest für Alt-Schulden des Unternehmens nicht statt. Erstens haftet der Testamentsvollstrecker ja schon als Erbe für die Alt-Verbindlichkeiten93. Beschränkt er seine Haftung nicht gem. § 25 II HGB, ist er nicht schutzwürdig. Zweitens würde bei einer regreßbedingten Ersatzhaftung des Vermächtnisnehmers dieser im Ergebnis mittelbar über den Regreß haften, ohne daß ihm die Rechtswohltat des § 25 II HGB zugute kommen könnte. Drittens verlangen auch Interessen der AltGläubiger, die ja möglicherweise in den Regreßanspruch des Testamentsvollstreckers vollstrecken könnten94, nach keinem Innenregreß. Die AltGläubiger sind nicht schutzwürdiger als bei einem Direkterwerb des Handelsgeschäfts unter Lebenden, bei dem der Erwerber seine Haftung für Altschulden nach § 25 II HGB ausgeschlossen hat95. Zwar steht den Alt-Gläubigern im Normalfall bei einer Unternehmensveräußerung unter Lebenden der Zugriff auf die sich im Vermögen des Alt-Unternehmers befindliche Gegenleistung des Erwerbers durchweg offen, was bei dem Erwerb des Handelsgeschäfts von Todes wegen ja notgedrungen ausscheidet. Schädlich ist dies jedoch nicht. Denn bei dem von Todes wegen angeordneten, unentgeltlichen Übergang des Handelsgeschäfts auf den Testamentsvollstrecker wird das Vertrauen der Alt-Gläubiger in den wertmäßigen Erhalt ihrer Haftungsgrundlage vom Gesetz nicht soweit geschützt, daß ein Innenregreß unabweislich wäre. Dies zeigt ein Blick auf das Zusammenspiel des § 25 I HGB mit dem vollstreckungsrechtlichen Anfechtungsrecht: Mag auch der rechtspolitische Sinn des § 25 II HGB manchen nicht einleuchten96 und der Gehalt des § 25 I HGB darin gesehen worden sein, den Haftungsfond, welcher den Gläubigern bisher zur Verfügung stand, über den Wechsel des Unternehmensträgers hinaus zu tradieren97, fest steht de lege lata doch, daß im Falle des § 25 II HGB den Alt-Gläubigern nur – wie hier, § 1967 BGB – 92 BGHZ 24, 100 (104); Staud-Reimann, § 2205 Rn. 95; MünchKomm-Brandner, § 2205 Rn. 24 d; Bengel/Reimann-Mayer, Handbuch der Testamentsvollstreckung, Kap. 5 Rn. 127. Richtigerweise ist Grundlage des Freistellungsanspruchs aber nicht §§ 2218, 670 BGB, sondern allein § 670 BGB, da der Treuhänder seine Aufwendungen nicht in Ausübung seiner Amtsfunktion macht, richtig daher Muscheler, Haftungsordnung, 315. 93 Siehe oben § 32 II 1 a. 94 Zu diesem Problem siehe sogleich § 32 III 1 b bb. 95 Der bsp. von MünchKomm-Brandner, § 2205 Rn. 24 d, auch für Altschulden vorgesehene Regreß ist daher zumindest für den Erben-Testamentsvollstrecker nicht überzeugend. 96 Siehe etwa Karsten Schmidt, ZHR 145 (1981), 2 (25); ders., Handelsrecht, § 8 I 5 b.

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die um das Handelsgeschäft gekürzte vormalige Kreditgrundlage des Erblassers in Form des Nachlasses zur Verfügung steht. Sie tragen damit auch in Ansehung der Unentgeltlichkeit des erbrechtlichen Erwerbs des Unternehmens durch den Testamentsvollstrecker genau das Risiko, das ihnen durch das insolvenzrechtliche Anfechtungsrecht des § 322 InsO und durch den insolvenzrechtlichen Nachrang gem. § 327 I Nr. 1 InsO sowie gem. §§ 5, 4 I AnfG zugewiesen worden ist98. Es besteht daher kein Anlaß, ihnen über eine eventuell mögliche Vollstreckung in den Rückgriffsanspruch des Testamentsvollstreckers einen Zugriff auf das Privatvermögen des Vermächtnisnehmers zu eröffnen. Mit Blick auf diese drei Argumente scheitert ein Innenregreß für die AltSchulden an der mangelnden Erforderlichkeit der Aufwendung gem. § 670 BGB. Dies gilt auch dann, wenn der Testamentsvollstrecker in dem der Treuhand zugrundeliegenden Geschäftsbesorgungsvertrag einen Innenregreß für Alt-Schulden vorgesehen hat. Im Ergebnis haftet der Ehegatte als Vermächtnisnehmer für geschäftliche Alt-Schulden im Innenverhältnis nicht. Dies bedeutet nicht, daß er überhaupt nicht haftet. Er könnte ja immer noch aufgrund seiner Stellung als Unternehmensnießbraucher für die geschäftlichen Alt-Schulden geradestehen müssen. bb) Die Haftung des Ehegatten für Alt-Schulden als Unternehmensnießbraucher Soweit die Haftung des Ehegatten als Nießbraucher in Rede steht, kann dem Erben im Ergebnis der Rückgriff gegen den Nießbraucher nicht versagt werden. Wie noch näher ausgeführt werden wird99, ist der Nießbraucher im Innenverhältnis zum Besteller nach dem der Bestellung zugrundeliegenden Kausalgeschäft im Zweifel verpflichtet, ihn durch rechtzeitige Befriedigung der Gläubiger von Alt-Geschäftsschulden zu befreien. Nichts anderes gilt beim vermächtnisweise zugewendeten Unternehmensnießbrauch. Hier hat der Erblasser dem Erben im Zweifel ein Vermächtnis gegen den Vermächtnisnehmer zugewendet, ihn von geschäftlichen Alt-Schulden – beschränkbar auf den Nießbrauch, §§ 2187 I, III, 1992 BGB – freizustellen. Auf den ersten Blick scheint dies freilich merkwürdig zu sein. Man wird einwenden wollen, bei einem zu Versorgungszwecken zugewendeten 97 So die Haftungsfondstheorie, die aber schon daran scheitert, daß in § 25 HGB die Haftung nicht auf den übernommenen Fonds beschränkt und zudem nicht zwingend ist, siehe nur Canaris, Handelsrecht, § 7 I 2 d. 98 Vg. Zum Zusammenhang mit den §§ 25 ff. HGB und den insolvenzrechtlichen Anfechtungsvorschriften nur Karsten Schmidt, ZIP 1989, 1025 ff. 99 Siehe unten § 32 III 2 b aa.

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und mit einer Testamentsvollstreckung belasteten Nießbrauch wird der Erblasser im Zweifel gerade umgekehrt einen derartigen Innenregreß ausgeschlossen haben, da es ihm doch primär als Ausdruck praktizierter Solidarität zwischen den Gatten um den Schutz des überlebenden Teils auch zu Lasten des Erben gehen würde. Aber gerade dies kann nicht vermutet werden. Ansonsten käme es zu Haftungslagen, die im Ergebnis nicht versorgungsgerecht wären. Die geschäftlichen Alt-Gläubiger wären auf das Privatvermögen des Erben und – wegen des dinglichen Nutzungsrechts – auf den nießbrauchsfreien Nachlaß verwiesen. In den nießbrauchsbelasteten Nachlaß können sie wegen des dinglichen Nutzungsrechts nicht vollstrecken; der Unternehmensnießbrauch ist dem Testamentsvollstrecker-Treuhänder ja nicht zu vollem Recht, sondern nur ermächtigungsweise in Form der Ermächtigungstreuhand übertragen worden. Mithin wird der nießbrauchsfreie Nachlaß wegen der Unentgeltlichkeit des Nießbrauchserwerbs und wegen der häufig zu erwartenden Tatsache, daß der Wert des Nachlasses neben dem ererbten Handelsgeschäft oft gering sein dürfte, den geschäftlichen AltGläubigern kaum eine hinreichende Haftungsgrundlage bieten. Stellt mithin das Handelsgeschäft wertmäßig den Großteil des Nachlasses dar, käme es ohne Innenregreß möglicherweise wegen Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung des Nachlasses (§ 320 InsO) sehr viel leichter zur Nachlaßinsolvenz und damit auch zumindest für den Zeitraum von vier Jahren ab Nießbrauchsbestellung zum etwaigen Fortfall des dinglichen Nutzungsrechts für den Ehegatten qua Insolvenzanfechtung (§§ 322, 134 I, 143 II InsO), von der Anfechtungsmöglichkeit außerhalb des Insolvenzverfahrens nach §§ 5, 4 I AnfG ganz abgesehen. Zudem würde sich die Haftungslage des Erben derart drastisch verschlechtern, daß dem Erblasser, dem an einer motivierten Unternehmensführung gelegen sein wird, kaum unterstellt werden kann, er habe dies im Zweifel so gewollt. Hinzukommt, daß der Rückgriff gegen den Ehegatten-Unternehmensnießbraucher sich auf den Vermächtnisgegenstand beschränkt, wie sogleich noch näher gezeigt werden wird. Seine Haftung geht mithin – siehe sogleich – nur darauf, die Zwangsvollstreckung in den Vermächtnisgegenstand zu dulden. Der Ehegatte muß demnach nicht mit seinem Eigenvermögen haften. In der Zubilligung eines Rückgriffs des Erben liegt schließlich auch kein Wertungswiderspruch zum Ausschluß des Regresses des Vollstreckers gegen den Vermächtnisnehmer. Der Testamentsvollstrecker kann seine Haftung gem. § 25 II HGB sofort in toto ausschließen, während dies dem Erben als Erben erst nach dem Eintritt der Haftungsbeschränkung auf den Nachlaß möglich ist. Der Erbe-Testamentsvollstrecker ist folglich als Erbe schutzwürdiger als der Vollstrecker, von dem familiaren Aspekt des Schutzes des Ehegatten vor einem zu früh insolvenzreifen Nachlaß ganz abgesehen.

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Es gilt demnach folgende Auslegungsregel: Auslegungsregel 32.2: Beim vermächtnisweise zu Versorgungszwecken zugewendeten Unternehmensnießbrauch hat der Erblasser bei der Treuhandlösung dem Erben im Zweifel ein Vermächtnis gegen den Vermächtnisnehmer zugewendet, ihn von geschäftlichen Alt-Schulden – beschränkbar auf den Nießbrauch, §§ 2187 I, III, 1992 BGB – freizustellen.

Den Alt-Gläubigern ist somit zumindest außerhalb von Nachlaßverwaltung und Nachlaßinsolvenz der mittelbare Zugriff auf den Vermächtnisgegenstand durch Pfändung des Rückgriffsanspruchs und Überweisung zur Einziehung gegeben. Nach Eintritt der Haftungsbeschränkung des Erben steht ihnen dieser Weg nicht mehr offen, da das dem Erben zugewendete Vermächtnis auf Rückgriff gegen den Nießbraucher nicht in den Nachlaß fällt. Die Alt-Gläubiger müssen daher die insolvenzrechtliche Anfechtung suchen, um den vermächtnisweise zugewendeten Nießbrauch wieder zum Nachlaß zu ziehen. Ist ihnen dies aufgrund des Ablaufs der vierjährigen Frist der §§ 322, 134 I InsO, §§ 5, 4 AnfG nicht mehr möglich, ist ihnen der Zugriff auf den Nießbrauch vollens versperrt. Dies mag manchen als zu hart erscheinen100, steht aber in der Logik der Insolvenzrechtsreform, die gerade in der Ausdehnung der insolvenzrechtlichen Anfechtungsfristen von einem Jahr auf vier Jahre die Interessenkonflikte bei unentgeltlichen Verfügungen angemessen geregelt sieht101. Beim Innenregreß ist richtigerweise die Haftung des Nießbrauchers auf den Vermächtnisgegenstand (den Unternehmensnießbrauch) beschränkt, welcher ja der Nießbraucher aufgrund der bloßen Ermächtigungstreuhandschaft des Testamentsvollstreckers noch inne hat. Fraglich ist nur, aufgrund welcher gesetzlicher Regelung diese Beschränkung eintritt. Dem Vermächtnisnehmer ist der Weg über die §§ 1975, 1990 BGB versperrt; er ist ja kein Erbe. Es ist jedoch nicht einzusehen, warum dem Erben bei ansonsten gleicher Interessenlage die Haftungsbeschränkung auf den Nachlaß gegeben und dem Vermächtnisnehmer die Beschränkung auf den Vermächtnisgegenstand verwehrt sein soll. Die Vorschrift über die beschränkte Haftung des Vermächtnisnehmers hinsichtlich der ihm auferlegten Beschwerungen (§§ 2187, 1992 BGB) ist daher für die Rückgriffshaftung analog anzuwenden102. Im Ergebnis kann der Vermächtnisnehmer daher die Erfüllung des 100 So Muscheler, Haftungsordnung, 255 und öfters, zu §§ 3 a AnfG, 222 KO, die aber noch von engeren Fristen ausgingen. 101 Vgl. Begründung des RegE zu § 134 InsO, in: Kraemer (Bearb.), Das neue Insolvenzrecht, 289. 102 So auch die allg.M. für die Verwaltungsvermächtnisvollstreckung bei der Eingehung neuer Verbindlichkeiten, vgl. nur Soergel-Damrau, § 2223 Rn. 3 f., 5; Staud-Reimann, § 2223 Rn. 8; MünchKomm-Brandner, § 2223 Rn. 4; Trageser,

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Anspruchs aus dem Innenregreß verweigern, soweit das ihm zugewandte Vermächtnis nicht ausreicht, §§ 2187 III, 1992, 1990 I 1 BGB analog. Er ist dabei zur Inventarerrichtung weder verpflichtet, noch berechtigt, sondern über das Vermächtnis auskunfts- und rechenschaftspflichtig nur nach den §§ 1991, 1978, 681, 666 BGB103. Aufgrund dieser Pflichtenstellung tritt analog § 2005 BGB zur Vermeidung von Wertungswidersprüchlichkeiten mit der Haftung des Erben seine unbeschränkte Haftung ein, wenn er absichtlich unvollständig oder mit Benachteiligungsabsicht unrichtig Auskunft und Rechenschaft erteilt. Haftet der Vermächtnisnehmer nur beschränkt, muß er die Zwangsvollstreckung in den Vermächtnisgegenstand dulden, §§ 2187 III, 1992, 1990 I 2 BGB analog. 2. Die Haftung für Neu-Schulden und dingliche Zuordnung des Neuerwerbs

Auch für geschäftliche Neuschulden, die im Fortgang der unternehmerischen Tätigkeit nach dem Tode des Erblassers eingegangen worden sind, haftet der Nießbraucher nach der Treuhandlösung im Ergebnis nur mit seinem Sondervermögen „Nießbrauch“. Die Begründung für diese einfache Feststellung ist kompliziert. Drei Fragen stellen sich hier. Welcher Art ist die Haftung des Nießbrauchers: Haftet er unmittelbar den Geschäftsgläubigern oder können sich diese nur an den Vollstrecker-Unternehmer halten und insofern allenfalls mittelbar über den Zugriff auf einen etwaigen Rückgriffsanspruch des Treuhänders gegen den Nießbraucher am Nießbrauch partizipieren? Und zweitens: Was steht den Neu-Gläubigern als Haftungsmasse zur Verfügung; anders gesagt: Wie steht es mit der dinglichen Zuordnung neu erworbener Gegenstände? Drittens schließlich und vor allem: Haftet der Nießbraucher auch mit seinem Privatvermögen für geschäftliche Schulden? a) Dingliche Zuordnung des Neuerwerbs bei der Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch an einem einzelkaufmännischen Unternehmen Hinsichtlich der dinglichen Zuordnung des im Fortgang des unternehmerischen Handelns fortlaufend veränderten Unternehmensvermögens wurde schon herausgearbeitet, daß für den Altbestand des Betriebsvermögens zur Zeit der Nießbrauchsbestellung beim testamentsvollstreckungsbelasteten Die Verwaltungsvollstreckung bei Vermächtnissen, 47 ff., 96; Muscheler, Haftungsordnung, 256, m. w. Nachw. in 254 Fn. 21 zur älteren Lit., siehe auch unten zum Parallelproblem bei der echten Testamentsvollstreckerlösung § 33 II 2 b. 103 Vgl. nur Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 29 III 1 b Fn. 78.

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Unternehmensnießbrauch richtiger Ansicht nach sowohl das Anlage- als auch das Umlaufvermögen im Eigentum des Bestellers verbleibt. Zwar kommt der Altbestand des Umlaufvermögens bei einem normalen Unternehmensnießbrauch analog § 1067 BGB dem Unternehmensnießbraucher zu104. Bei einem Unternehmensnießbrauch, der Versorgungszwecken dient und deshalb unter Testamentsvollstreckung steht, hat der Erblasser aber im Zweifel letztwillig angeordnet, § 1067 I BGB abzubedingen105. Da der Testamentsvollstrecker zugleich Erbe ist, muß das Eigentum am Altbestand des Umlaufvermögens mithin nicht eigens unter Lebenden vom Erben an den Unternehmensnießbraucher und von diesem an den Vollstrecker übertragen werden; vielmehr verbleibt es von vornherein in der Hand des Vollstrecker-Erben. Der Neuerwerb von Umlaufvermögen fällt nach allgemeinen Regeln in das Eigentum oder in die Forderungszuständigkeit des nach außen im eigenen Namen auftretenden Testamentsvollstreckers und wird ex lege nießbrauchsverhaftet. Desgleichen wurde schon vermerkt, daß im Normalfall des Unternehmensnießbrauchs der Nießbraucher über das Anlagevermögen nach den Regeln einer ordnungsgemäßen Wirtschaft analog § 1048 BGB verfügen kann, wobei der Neuerwerb im Wege dinglicher Surrogation analog § 1048 I 2 HS 2 BGB wieder in das Eigentum des Bestellers fällt und aufgrund des Nießbrauchs „am Unternehmen“ zugleich ex lege im Wege des Direkterwerbs nießbrauchsverhaftet wird106. Bei der Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch ist der Vollstrecker zugleich Eigentümer des Anlagevermögens. Der Erben-Eigentümer kann aufgrund der Nießbrauchsbelastung hierüber gleichwohl nicht als solcher verfügen, sondern darf dies nur gem. §§ 2205 ff. BGB als Testamentsvollstrecker; wird verfügt, wird der Neuerwerb am Anlagevermögen wiederum ex lege nießbrauchsverhaftet107. Die Treuhandschaft ändert an diesem Ausgangstatbestand zuerst einmal nichts; sie ist ja als Verwaltungs- und Ermächtigungstreuhand und nicht als Vollrechtstreuhand ausgestaltet108. Es bleibt also festzuhalten: Im Laufe des unternehmerischen Handelns findet ein Eigentumserwerb des Erben an den neu erworbenen Gegenständen des Betriebsvermögens und hieran wiederum ein Nießbrauchserwerb des Ehegatten statt.

104 105 106 107 108

Siehe oben § 27 II 2 b. Oben § 32 I. Siehe oben § 27 I 3 a. Siehe dazu allgemein oben § 27 I 3 a. Siehe oben § 32 I.

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aa) Modifikationen der allgemeinen Regeln der Treuhandlösung durch die Vollstreckung in den Unternehmensnießbrauch Die Folgefrage, die sich hier sofort anschließt, liegt für die Treuhandschaft des Erben dann auf der Hand: Für welche seiner Vermögensmassen erwirbt der Treuhänder, für den Nachlaß, für sein Eigenvermögen oder für das unter Testamentsvollstreckung stehende Vermögen? Als Ausgangspunkt für die Beantwortung dieser Frage hilfreich ist ein Blick auf die normale treuhänderische Testamentsvollstreckung über ein Einzelhandelsgeschäft. Dort handelt im Außenverhältnis nicht der Erbe, sondern der Vollstrecker als Unternehmer im eigenen Namen ohne Offenlegung des Amtes. Nun ist für die unternehmerische Treuhandschaft des Testamentsvollstreckers umstritten, ob eine dingliche Surrogation des Neuerwerbs in den Nachlaß stattfindet. Während die einen eine Analogie zu den erbrechtlichen Surrogationsnormen befürworten (sog. Surrogationslösung)109, verwerfen andere110 wegen der für die Geschäfts- und Eigengläubiger des Treuhänders zu erwartenden Konsequenzen die dingliche Surrogation und greifen statt dessen zu den Regeln der mittelbaren Stellvertretung. Danach findet kein Erwerb unmittelbar dinglich für den Nachlaß statt. Vielmehr müssen die neu erworbenen Gegenstände erst auf den Nachlaß übertragen werden. Erst nach dieser Übertragung können die Eigengläubiger des Treuhänders nicht mehr auf sie zugreifen (sog. Übertragungslösung)111. Bei der Vermächtnistestamentsvollstreckung kann der Testamentsvollstrecker Verbindlichkeiten nur in bezug auf das Vermächtnis eingehen112. Bei der Vermächtnisvollstreckung zu Lasten des Unternehmensnießbrauchs müssen diejenigen, die entsprechend der Surrogationslösung bei der Testamentsvollstreckung über ein Handelsgeschäft die dingliche Surrogation annehmen, die Surrogationstatbestände analog § 2041 BGB und analog § 1048 I 2 BGB (für das Anlagevermögen) verbinden: § 1048 I 2 BGB 109 Baur, FS Dölle, Bd. 1, 249 (251); Scheel, Testamentsvollstrecker, 65 ff.; v. Godin, Nutzungsrecht, 109; Lorz, Testamentsvollstreckung, 78. Siehe allgemein zum Streitstand zur Frage, ob und in welcher Weise § 2041 BGB bei einem Erwerb durch den Testamentsvollstrecker angewendet wird, nur die Nachweise bei Lorz, ebda., 41 Fn. 40 und 41. 110 Gegen eine Analogie zu § 2041 BGB oder zu den §§ 2019, 2111 BGB bei der Treuhandlösung Meyke, Der Testamentsvollstrecker als Unternehmer, 81; John, BB 1980, 757 (760); Hamann, Die Rechtsmacht des Testamentsvollstreckers, 72, 75; Muscheler, Haftungsordnung, 321 ff. 111 Vgl. ausführlich Muscheler, Haftungsordnung, 327 ff.; siehe allgemein etwa Coing, Treuhand, 124 f. 112 So die ganz h. M., MünchKomm-Brandner, § 223 Rn. 4; Soergel-Damrau, § 223 Rn. 3; Staud-Reimann, § 2223 Rn. 8; Trageser, Verwaltungsvollstreckung, 47 ff., 96. Anders Muscheler, Haftungsordnung, 254 ff., der auch den Nachlaß verpflichtet sehen will. Dazu siehe auch näher unten § 32 III 2 b aa, cc.

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analog stellt dann klar, daß der Neuerwerb in das Vermögen des Treuhänders fällt, während § 2041 BGB analog gewährleistet, daß der Neuerwerb nicht in irgendein Vermögen des Treuhänders – insbesondere nicht in dessen Privatvermögen –, sondern trotz des Handelns des Erben-Testamentsvollstreckers im eigenen Namen in das unter dessen Vollstreckung stehende Vermögen, also dem Betriebsvermögen des nießbrauchsbelasteten Handelsgeschäfts fällt. Diejenigen, die für die Übertragungslösung plädieren und damit nur die Grundsätze über die mittelbare Stellvertretung anwenden wollen, stehen nun vor der Schwierigkeit, daß eine Übertragung des Neuerwerbs vom Treuhänder auf das Vermächtnisvermögen i. S. der sachenrechtlichen Erwerbstatbestände aufgrund der Personenidentität von Treuhänder und Nachlaßinhaber ausscheidet. Schädlich ist dies derweil nicht, da der Neuerwerb zum Betriebsvermögen des Handelsgeschäfts rechnet. Welche Lösung ist nun vorzugswürdig? bb) Die Zulässigkeit dinglicher Surrogation: Offenkundigkeit versus Bestimmbarkeit Die Surrogationslösung ist gegenüber der Übertragungslösung vorzugswürdig. Hierfür spricht zum einen die Interessenlage (dazu sogleich (1)). Zum anderen verstößt die Surrogationslösung nicht gegen übergreifende Prinzipien des Bürgerlichen Rechts (dazu sogleich (2)). (1) Auch bei dem nicht unter Testamentsvollstreckung stehenden Unternehmensnießbrauch erwirbt gem. § 1048 I 2 BGB analog der Besteller aufgrund des rechtsgeschäftlichen Handelns des Nießbrauchers das Sacheigentum am Anlagevermögen, ohne daß dies nach außen ersichtlich ist. Für den Erwerb ist daher die fehlende Publizität der sachenrechtlichen Rechtsänderung nicht schädlich. Aspekte sachenrechtlicher Publizität sind, wie sogleich unter (2) gezeigt werden wird, sowieso nicht relevant berührt. Ist für den Erwerb am Anlagevermögen die fehlende Publizität nicht abträglich, kann hinsichtlich des Schutzes der Interessen sowohl der privaten Eigengläubiger des Testamentsvollstreckers als auch der Geschäftsgläubiger nicht anders gewertet werden, wenn bei der Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch der Neuerwerb am Umlaufvermögen in das unter Testamentsvollstreckung stehende Vermögen fließt. Denn aus Sicht der Gläubiger ist es irrelevant, ob unternehmensintern ein betrieblicher Vermögensgegenstand dauerhaft dem Unternehmen gewidmet oder zum Umschlag bestimmt ist. Bliebe der Erwerb im Eigenvermögen des Treuhänders, wäre für die privaten Eigengläubiger des Vollstreckers zudem nichts gewonnen, da in der Nachlaßinsolvenz der Insolvenzverwalter den Nießbrauch zur Masse ziehen wird (§§ 322, 134 I, 129 I, 143 I InsO). Und dem geschäft-

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lichen Neugläubiger ist sowieso auch der Nachlaß verhaftet, wie noch dargelegt werden wird113. Stehen Gläubigerinteressen damit einerseits dem skizzierten Erwerb zugunsten des Nachlasses nicht entgegen, wäre doch andererseits das rechtliche Gefüge der Nachlaßvollstreckung arg gestört, wenn kein Erwerb für den Nachlaß stattfinden würde. Die Interessenlage spricht daher für die Surrogationslösung. (2) Das aus der Interessenlage gewonnene Votum für die Surrogationslösung ist unbeachtlich, wenn der Erwerb für den Nachlaß gegen übergreifende Prinzipien des Bürgerlichen Rechts verstoßen würde. Dies ist jedoch nicht der Fall. Ein Vergleich mit parallelen Erscheinungen in den allgemeinen Lehren zum Recht der Treuhandschaft mag dies verdeutlichen. Dort gibt das Treugut in Zwangsvollstreckung und Insolvenz sowohl des Treuhänders als auch des Treugebers Absonderungs- und Aussonderungsrechte, obwohl einem derartigen Rekurs auf die „wirtschaftlichen Rechtsinhaberschaft“ die sachenrechtliche Eigentumslage an sich widersprechen würde114. Nun gibt es verschiedene Ansätze, derartige quasidingliche Wirkungen der Treuhand zu begrenzen115. So forderte schon das Reichsgericht116 für die Anerkennung der quasidinglichen Wirkung, daß der Treuhänder „unmittelbar“ vom Treugeber erwirbt – ein Kriterium, das ersichtlich für den Fluß des Neuerwerbs in das unter Testamentsvollstreckung stehende Vermögen117 nicht paßt und zudem auch allgemein nicht überzeugen kann118. Demgegenüber verorten andere stattdessen die Eingrenzung des Treugeberschutzes im Offenkundigkeitsprinzip119, greifen zum insolvenzrechtlichen Merkmal der Bestimmbarkeit des Treuguts120 oder wollen in Parallelität zu den Grundsätzen des Vertrags mit Lastwirkung gegen Dritte den Treugeberschutz bewältigen121. Diese drei Ansätze finden Antworten auf Fragen, die auch der hiesigen Problematik aufgegeben sind: Der 113

Unten § 32 III 2 b cc. Dazu nur Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 11.03 ff., 11.15 ff. 115 Überblick bei Grundmann, Treuhandvertrag, 312 ff.; Henssler, AcP 196 (1996), 37 (48 ff., 54 ff.). 116 RGZ 84, 214 (216); 91, 12 (16); 127, 340 (344 f.); 133, 84 (87); 153, 366 (369 f.); 160, 52 (59); so zunächst auch der BGH, siehe BGH, NJW 1959, 1223 (1224); WM 1964, 179; jetzt bsp. noch OLG Köln, ZIP 1984, 473 (475); aus der Lit. etwa Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann-Hartmann, § 771 ZPO Rn. 22. 117 Zur Begrifflichkeit siehe oben § 32 III 2 a aa. 118 Zur Kritik nur Henssler, AcP 196 (1996), 37 (55). 119 So etwa BGH, ZIP 1993, 213 (214); aufgegeben in BGH, NJW 1993, 2622; Canaris, FS Flume, 371 (417 ff.). 120 Etwa Blaurock, Unterbeteiligung und Treuhand an Gesellschaftsanteilen, 248; Coing, Treuhand, 178 f.; Einsele, JZ 1990, 1005 (1010 ff.); Henssler, AcP 196 (1996), 37 (58 f.); Walter, Unmittelbarkeitsprinzip, 150 ff.; siehe auch Schless, Treuhand, 76 ff. 121 So Grundmann, Treuhandvertrag, insbes. 296 ff. 114

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Rekurs auf den Vertrag mit Lastwirkung gegen Dritte formuliert diese Problematik aus Sicht der Eigengläubiger des Testamentsvollstreckers-Treuhänders schärfer122; der Fingerzeig auf das Offenkundigkeitsprinzip setzt dem Fluß des Neuerwerbs in das unter Testamentsvollstreckung stehende Vermögen den schärfsten Einwand entgegen und der Verweis auf die Bestimmbarkeit des Treuguts reklamiert – wie noch herausgearbeitet wird – die äußersten Grenze zulässiger Surrogation. Was heißt das genau? Es gilt folgendes: Eine dingliche Surrogation stößt dort schnell auf ihre Grenzen, wo sie mit dem sachenrechtlichen Publizitätsprinzip in Verbindung gebracht wird. Es verwundert daher nicht, daß der testamentsvollstreckerrechtlichen Treuhandlösung der Vorwurf gemacht wurde, sie verstoße gegen das sachenrechtliche Publizitätsprinzip, weil sie all zu sehr auf Surrogationen setze123. Überzeugend ist dies nicht. Außerhalb wertpapierrechtlich verbriefter Forderungen ist bei dem Neuerwerb von Forderungen der Gedanke fehlender Publizität kein relevantes Thema. Soweit der Neuerwerb von Sachgut zur Rede steht, zeigt ein Vergleich mit den Wertungen des Zwangsvollstrekkungs- und Insolvenzrechts, daß eine Publizität des sachenrechtlichen Erwerbs für den hier allein interessierenden Schutz des Vollstreckungszugriffs der Geschäftsgläubiger nicht erforderlich ist. Denn vollstreckungsrechtlich ist das Vertrauen der Gläubiger, ein bestimmter Gegenstand gehöre zum schuldnerischen Vermögen, eben nicht geschützt124; § 51 Nr. 1 InsO bestätigt diese Wertung. Wie im Recht der Treuhandschaft kann es bei den für die Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch einschlägigen Tatbeständen der dinglichen Surrogation nur darauf ankommen, daß die Gegenstände, die in das Vermögen des Unternehmensnießbraucher oder in den Nachlaß surrogieren, bestimmbar sind. Denn die funktionale Entsprechung zur sachenrechtlichen Publizität ist im Vollstreckungs- und Insolvenzrecht der der Rechtsklarheit dienende insolvenzrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz. Dies liegt daran, daß nur für individuell bestimmte oder zumindest bestimmbare Gegenstände bsp. die Instrumente der Drittwiderspruchsklage ohne Verringerung an Rechtsklarheit eingesetzt werden kön122 Vgl. zum Erkenntniswert des Ansatzes ansonsten Henssler, AcP 196 (1996), 37 (60 f.). 123 So etwa Muscheler, Haftungsordnung, 322, 325; John, BB 1980, 757 (760); Lorz, Testamentsvollstreckung, 76. 124 Dazu nur BGH, NJW 1993, 2633; Beuthien, ZGR 1974, 26 (69); Blaurock, Unterbeteiligung und Treuhand an Gesellschaftsanteilen, 248; Eden, Treuhandschaft an Unternehmen und Unternehmensbeteiligungen, 95; Henssler, AcP 196 (1996), 37 (57); Kötz, Hein, Trust und Treuhand, 111 f.; Scharrenberg, Die Rechte des Treugebers in der Zwangsvollstreckung, 153; Schless, Mittelbare Stellvertretung und Treuhand, 79; Walter, Das Unmittelbarkeitsprinzip bei der fiduziarischen Treuhand, 63; siehe auch Grundmann, Treuhandvertrag, 320 f., 420.

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nen. Diese Abkehr vom Prinzip der Offenkundigkeit hin zur Maßgeblichkeit des Bestimmtheitsgrundsatzes ist vom Gesetz für die allgemeine Treuhandlehre zudem – wie Henssler125 zu Recht bemerkt – nunmehr in § 292 InsO bestätigt worden. Vor diesem Hintergrund kann bei der Treuhandschaft der Gedanke der Offenkundigkeit auch für diejenigen nicht mehr eine leitende Richtschnur der Treuhanddogmatik sein, die diesen Grundsatz ansonsten bei sachenrechtlichen Zuständigkeitsänderungen zu Recht für ein maßgebliches Prinzip der Sachenrechtsordnung halten126. Gerade § 292 InsO würde dem entgegenstehen. Mag auch vor der Insolvenzrechtsreform mit durchaus guten Gründen anders gewertet worden sein, so ist dies nunmehr ausgeschlossen. § 292 InsO gibt insofern ein Beispiel für eine Neubewertung von Publizität im Recht der Treuhandschaft. Relevant ist somit nicht Publizität, sondern Bestimmbarkeit der vermögensrechtlichen Zuordnung. Der Testamentsvollstrecker-Treuhänder wird diesem Bestimmtheitsgebot durch eine getrennte Kontenführung und Vermögenstrennung entsprechen können und aufgrund seiner treuhänderischen Rechtsstellung im Innenverhältnis zum Unternehmensnießbraucher auch zu entsprechen haben127. Wird die Vermögenstrennung durchgeführt, gibt die dingliche Surrogation im Unternehmensnießbrauchsrecht somit keinen Anlaß, in ihr einen Verstoß gegen grundlegende Prinzipien des Bürgerlichen Rechts zu verorten. Abstriche an dieser grundsätzlichen Entscheidung gegen das Publizitätserfordernis müssen auch nicht bei Immobilien erfolgen128. Die maßgebliche Wertung gibt hier § 2041 BGB vor, nach dem eine Beziehungssurrogation bei Grundstücken nicht von irgendwelchen registerrechtlichen Publizitätsakten, sondern von der objektiven Beziehung zum Nachlaß abhängt129. Warum sollte dies bei der Treuhandschaft anders sein müssen? Nach all dem fällt der Neuerwerb sowohl des Anlage- als auch des Umlaufvermögens auch bei der Treuhandschaft über den Unternehmensnießbrauch in das Vermögen, über welches die Testamentsvollstreckung stattfindet, eben in das Vermächtnisvermögen130. 125

AcP 196 (1996), 37 (59). Wie etwa Canaris, FS Flume, 371 (417 ff.). 127 Vgl. zur Bezeichnungs- und Vermögenstrennungspflicht des Treuhänders Grundmann, Treuhandvertrag, 345 ff. Zur insolvenzrechtlichen Bedeutung des Trennungsprinzips siehe nur Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 11.04 f. Der Treugeber wird Insolvenzgläubiger, wenn der Treuhänder das Gut von seinem eigenen Vermögen nicht getrennt gehalten hat, BGH, ZIP 1993, 213. 128 Zur Rechtslage bei der Treuhandschaft im allgemeinen siehe Henssler, AcP 196 (1996), 37 (59 f.). 129 KG, JW 1937, 2199; Staud-Werner, § 2041 Rn. 7 f.; MünchKomm-Dütz, § 2041 Rn. 32. 130 Diese mit der Treuhandschaft verbundenen Folgen sind sehr weitgehend. Sie entsprechen aber einer in sich konsistenten Weiterentwicklung der Treuhandlösung. 126

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cc) Der Schutz des Ehegatten-Nießbrauchers bei der Surrogation des Neuerwerbs Durch die soeben aufgezeigte Surrogation des Neuerwerbs in den Nachlaß werden auch die erwirtschafteten Gewinne erfaßt. Für den EhegattenNießbraucher kann dies unter Versorgungsgesichtspunkten durchaus prekär werden. Zwar wird auch der Neuerwerb etwa an Forderungen nießbrauchsbelastet. Wird jedoch im Falle der Nachlaßinsolvenz der Nießbrauch als Vermächtnisgegenstand qua Insolvenzanfechtung (§§ 322, 134 I, 143 II InsO) zum Nachlaß gezogen, hat die Surrogation des Neuerwerbs in den Nachlaß für den Ehegatten zur Folge, daß er sämtliche an ihn ausgekehrten Gewinne herausgeben müßte, soweit er noch bereichert ist, § 143 II 1 InsO i.V. m. § 818 III BGB. Er muß sämtliche ausgekehrten Gewinne herausgeben, wenn er wußte oder hätte wissen müssen, daß das Vermächtnis die Nachlaßgläubiger benachteiligen kann, § 143 II 2 InsO. Die InsO schützt mithin zwar den guten Glauben des Ehegatten-Nießbrauchers an die Rechtsbeständigkeit des Erlangten. Der Ehegatten muß jedoch immer noch seine Bereicherung herausgeben. Das ist für ihn besonders prekär, wenn er nur die Gewinne erlangt hat, die in der Höhe dem Betrag entsprechen, den er als Unterhalt bekommen hätte, wenn der Erblasser noch leben würde. Denn dann hat der Ehegatte durch die Gewinnzuwendung Ausgaben erspart, die er notwendigerweise auch sonst gehabt hätte. Grundsätzlich ist nach h. M. für derartige Ausgaben ein Wegfall der Bereicherung nicht ersichtlich131. Freilich wird auch hier auf den Einzelfall verwiesen und bei einem einkommens- und vermögenslosen Empfänger einer rechtsgrundlosen Versorgungsleistung geringer Höhe angenommen, der Leistungsempfänger könne sich in der Regel auf den Wegfall der Bereicherung berufen132. Sind die ausgekehrten Gewinne aber in einer gewissen Höhe angefallen, ist zweifelhaft, ob dem Ehegatten die Rechtswohltat des § 818 III BGB zur Seite steht. Zudem dürfte es durchweg nicht der Regelfall sein, daß der Ehegatte weitgehend einkommens- und vermögenslos ist. Sobald der Ehegatte-Nießbraucher hätte erkennen können, daß die Nachlaßinsolvenz kurz bevor steht, Gewisse Unstimmigkeiten sollen daher aufgrund des hier gewählten Ansatzes, die Vermächtnisvollstreckung über einen Unternehmensnießbrauch nur inzident aus den vertretenen Lösungen zur Testamentsvollstreckung über ein Handelsgeschäft ohne nähere Auseinandersetzung mit diesen Lösungen selbst zu entwicklen, außen vor bleiben. Vgl. zu den mit der Treuhandlösung verbundenen Schwierigkeiten für die Geschäftsgläubiger daher ausführlich nur Muscheler, Haftungsordnung, 321 ff., 262 ff. 131 Siehe nur BGHZ 118, 383 (386 ff.); Palandt-Thomas, § 818 Rn. 34; ErmanH. P. Westermann, § 818 Rn. 35; MünchKomm-Lieb, § 818 Rn. 73 f. 132 Siehe allg. BGH, LM § 818 III Nr. 7; sowie aus dem Bereich des Unterhaltsrechts BGH, BJW 1981, 2183 (2184); OLG Hamm, FamRZ 1994, 1119.

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haftet er sowieso streng, § 143 II 2 InsO i.V. m. §§ 143 I 2 InsO, 819 I, 818 IV, 292 I, 989, 990 BGB. Damit wäre ein jeglicher Versorgungsgedanke hinfällig. In der Regelung des § 143 InsO ist zusammen mit der Surrogation des Neuerwerbs in den Nachlaß mithin aus Versorgungsgesichtspunkten ein gewichtiges Problem verborgen. Bei der echten Testamentsvollstreckung tritt eine gleiche Schwierigkeit auf. Die Problematik wird daher insgesamt zu bewältigen versucht, wenn die echte Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch dargelegt worden ist. Da die Problematik zudem die Versorgungsgerechtigkeit der Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch berührt, wird sie auch erst dort weiter aufgegriffen. Auf die dortigen Überlegungen133 sei an dieser Stelle daher verwiesen. b) Die Haftung des Unternehmensnießbrauchers für geschäftliche Neuschulden aa) Grundlagen Welcher Art ist nun die Haftung des Nießbrauchers bei der Treuhandschaft über den Nießbrauch? Dies hängt von dem Weg ab, mit dem eine Haftung überhaupt begründet werden kann. Hilfreich ist auch hier wieder ein Blick auf die treuhänderische Testamentsvollstreckung über den Nachlaß. Hier sind zwei Wege aufgezeigt worden, mit dem eine Haftung des Nachlasses erreicht werden kann. Nach dem einen Weg verpflichtet der Testamentsvollstrecker bei einem Handeln im eigenen Namen auch den Nachlaß134. Andere sehen hierin zutreffenderweise regelmäßig eine unzulässige Verpflichtungsermächtigung und optieren für einen zweiten Weg. Bei diesem begründe der im eigenen Namen auftretende Vollstrecker-Treuhänder keine Nachlaßverbindlichkeiten. Die Neugläubiger müßten daher auf den Vollstrecker-Treuhänder zugreifen; ein direkter Zugriff auf den Nachlaß sei ihnen verwehrt. Um auf das Geschäftsvermögen zurückgreifen zu können, müssen die Neugläubiger deshalb einen Titel gegen den Vollstrecker erwir-

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Unten § 34 III 3. Die Ansicht, der Vollstrecker könne bei Verpflichtungsgeschäften auch dann den Nachlaß verpflichten, wenn er persönlich handelt, kommt besonders deutlich bei KG, JW 1939, 104, zum Ausdruck; ebenso aus der Lit. etwa MünchKommBrandner, § 2205 Rn. 24 c (im Rahmen der Beschreibung der Treuhandlösung); Staud-Reimann, § 2205 Rn. 94; v. Godin, Nutzungsrecht, 111; Bengel/ReimannMayer, Handbuch der Testamentsvollstreckung, Kap. 5 Rn. 126. Allgemein für die Zulässigkeit einer Verpflichtungsermächtigung etwa Bettermann, JZ 1951, 321 ff.; Dölle, FS Schulz II, 268 (277); Ennererus/Nipperdey, Allgemeiner Teil, § 204 I 3 b; Thiele, Die Zustimmung in der Lehre vom Rechtsgeschäft, 211 ff.; MünchKommders., § 185 Rn. 46. 134

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ken. Auf dessen Grundlage können die Geschäftsgläubiger den nach h. M. bestehenden Freistellungsanspruch des Vollstreckers gegen den Erben aus §§ 2218, 670, 257 BGB135 pfänden und sich zur Einziehung überweisen lassen136; der Freistellungsanspruch verwandelt sich in ihrer Hand dann in einen Zahlungsanspruch137. Wenn die Geschäftsgläubiger für den gepfändeten Anspruch einen weiteren Titel erwirkt haben (entweder gegen den Erben oder den Testamentsvollstrecker in seinem Amt, § 2213 I BGB), können sie dann direkt in den Nachlaß vollstrecken138. Nun geht bei der Vermächtnistestamentsvollstreckung der nicht treuhänderisch handelnde Testamentsvollstrecker Verbindlichkeiten für den Vermächtnisgegenstand ein139. Er würde mithin auch den Unternehmensnießbrauch „verpflichten“, womit den Geschäftsgläubigern der Zugriff auf das nießbrauchsbelastete Geschäftsvermögen eröffnet wäre. Entsprechend zu den obigen Überlegungen zur treuhänderischen Nachlaßtestamentsvollstrekkung und dem Problem der Verpflichtungsermächtigung und eingedenk der Tatsache, daß keine Vollrechtstreuhand vorliegt140, ist dem im eigenen Namen handelnden Vollstrecker-Treuhänder eine derartige „Verpflichtung“ des Nießbrauchs versperrt. Um in das nießbrauchsbelastete Geschäftsvermögen vollstrecken zu können, könnten die Geschäftsgläubiger den Anspruch des Eigentümers auf Herausgabe nach Nießbrauchsende (§ 1055 BGB) pfänden, was wirtschaftlich freilich wenig sinnvoll ist. Sie müßten mithin erreichen, 135 Dazu BGHZ 24, 100 (104); Staud-Reimann, § 2205 Rn. 95; MünchKommBrandner, § 2205 Rn. 24 d; Bengel/Reimann-Mayer, Handbuch der Testamentsvollstreckung, Kap. 5 Rn. 127. Richtigerweise ist Grundlage des Freistellungsanspruchs aber nicht §§ 2218, 670 BGB, sondern allein § 670 BGB, da der Treuhänder seine Aufwendungen nicht in Ausübung seiner Amtsfunktion macht, richtig daher Muscheler, Haftungsordnung, 315. 136 So Canaris, Handelsrecht, § 9 II 2; Lorz, Testamentsvollstreckung, 76 f.; sowie ausführlich Muscheler, Haftungsordnung, 203 f., 312 ff., 315, dort auch Nachweise zur älteren Lit. in 314 Fn. 80. 137 BGHZ 7, 244 (246). 138 Genau diesen auf den Regreßanspruch beschränkten Zugriff der Neugläubiger nimmt Muscheler zum Anlaß, die fehlende Praktikabilität der Treuhandlösung zu beklagen, vgl. ders., ebda., 317 ff., 329 f. Es geht hier im übrigen um den Regreßanspruch des Vollstreckers für geschäftliche Neuschulden, nicht um den oben abgelehnten Rückgriff des Vollstreckers wegen geschäftlichen Altschulden. Beides ist streng zu trennen. 139 Ob daneben auch der Nachlaß verpflichtet wird, ist umstritten. Die ganz h. M. nimmt bei der Verwaltung eines Vermächtnisgegenstands durch einen Testamentsvollstrecker an, daß der Vollstrecker Verbindlichkeiten nur in bezug auf das Vermächtnis eingehen könne, siehe etwa MünchKomm-Brandner, § 223 Rn. 4; SoergelDamrau, § 223 Rn. 3; Staud-Reimann, § 2223 Rn. 8; Trageser, Verwaltungsvollstreckung, 47 ff., 96. Anders Muscheler, Haftungsordnung, 254 ff., der auch den Nachlaß verpflichtet sehen will. 140 Siehe oben § 32 I.

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daß der Testamentsvollstrecker in Ausübung seiner Verwaltungsbefugnis für den Nießbraucher das Geschäftsvermögen frei gibt. Hierzu müßten sie auf den Nießbrauch zwangsvollstreckungsweise zugreifen141. Diesen Zugriff wiederum können sie letztlich über eine Vollstreckung in den o. g. Freistellungsanspruch des Vermächtnisvollstreckers gegen den Vermächtnisnehmer erreichen. Der Erblasser kann den Zugriff der Neugläubiger auf diesen Freistellungsanspruch nicht durch eine letztwillige Anweisung an den Testamentsvollstrecker hindern, bei dem Abschluß des der Treuhandschaft zugrundeliegenden Geschäftsbesorgungsvertrages mit dem Vermächtnisnehmer den gegen diesen gerichteten Regreßanspruch auf Freistellung von Neuschulden auszuschließen. Es mag schon fraglich sein, ob das Erbrecht dem Erblasser überhaupt einen Verfügungstypus bereitstellt, anhand dessen er solche Ansprüche des Testamentsvollstreckers an der Entstehung hindern oder wieder vernichten könnte, die nicht in Ausübung seiner Amtsfunktion, sondern in Ausübung der über seine Amtsbefugnisse hinausgehenden Treuhandschaft begründet wurden142. Derartige Rückgriffssperren würden jedenfalls im Ergebnis zu einem Handelsgeschäft mit einer auf das Privatvermögen des Erben-Testamentsvollstreckers und den Nachlaß beschränkten Haftung ohne Zugriff auf das Anlagevermögen führen. Daß damit der Treuhandlösung ihre rechtfertigende Grundlage entzogen wäre, liegt auf der Hand. Wenn der Treuhandlösung überhaupt gefolgt wird, wäre ein derartiger Rückgriffsausschluß daher als Verstoß gegen ein ungeschriebenes Verbotsgesetz nichtig143. bb) Beschränkung auf den Vermächtnisgegenstand? Mit den bisherigen Überlegungen ist noch keine Aussage zu der unter dem Gesichtspunkt der Versorgungsgerechtigkeit eminent wichtigen Frage 141

Die Rechtsprechung bejaht die Pfändbarkeit des Nießbrauchs, BGHZ 62, 133; BayObLG, RPfleger 1989, 69, wobei die Verwertung nach §§ 857 IV, 844 ZPO durch Verwaltung erfolgt, siehe OLG Düsseldorf, RPfleger 1997, 315. 142 Es geht hier nicht um Beschränkungen der Befugnisse des Vollstreckers gegenüber den Erben im Rahmen der Verwaltungsvollstreckung, sondern um die Beschränkung von Ansprüchen, die im Gefolge der ansonsten unbeschränkten Verwaltungsvollstreckung in der Person des Vollstreckers aufgrund des der Treuhandschaft zugrundeliegenden Geschäftsbesorgungsvertrages entstanden sind. 143 Dem Erblasser bleibt es freilich unbenommen, dem Vermächtnisnehmer seinerseits einen Anspruch auf Freistellung von Regreßansprüchen unter der Bedingung zuzuwenden, daß der Zugriff der Neugläubiger auf den Nießbrauch durch Pfändung und Überweisung des Regreßanspruchs des Vollstreckers zur Einziehung nicht gehindert ist. Freilich ist damit schnell der Einwirkungskreis des § 138 I BGB erreicht.

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getroffen, ob die im Wege des Rückgriffs der Geschäftsgläubiger auf den Freistellungsanspruch des Vollstreckers ins Werk gesetzte Haftung des Ehegatten auf den Nießbrauch beschränkt bleibt – wäre sie es nicht, wäre den Geschäftsgläubigern der Weg ins Privatvermögen des Ehegatten eröffnet. Im Ergebnis haftet der Ehegatte nur mit dem Nießbrauch. Dies zeigt ein Vergleich mit der Testamentsvollstreckung über den Erben. Zwar ist dem Vermächtnisnehmer der Weg über die §§ 1975, 1990 BGB versperrt. Dennoch ist es nicht einsichtig, wieso der Erbe sein Privatvermögen soll schützen dürfen, der Vermächtnisnehmer hingegen nicht. Es gilt also: Wer annimmt144, der Vollstrecker-Treuhänder würde Nachlaßverbindlichkeiten eingehen, muß konzidieren, daß der mit der Testamentsvollstreckung belastete Erbe seine Haftung auf den Nachlaß beschränken kann. Bei der Verwaltungsvermächtnisvollstreckung gem. § 2223 BGB kann hinsichtlich der Haftungsbeschränkungsmöglichkeit nichts anderes gelten. Der Sache nach käme es zu einer Analogie zu § 2187 BGB. Kraft dieser Analogie haftet der Vermächtnisnehmer nur mit dem Vermächtnisgegenstand für die Verbindlichkeiten, wenn er sich auf die Haftungsbeschränkung beruft145. Nach der Meinung, die bei der treuhänderischen Testamentsvollstreckung über den Nachlaß keine Nachlaßverbindlichkeiten entstehen läßt, sondern den Geschäftsgläubigern den Zugriff auf den Nachlaß nur über eine Vollstreckung in den Freistellungsanspruch des Vollstrecker-Treuhänders gegen den Erben eröffnet146, ist die Rechtslage komplizierter. Der BGH begreift den Regreßanspruch des Vollstreckers nicht als eine reine Nachlaßverbindlichkeit, sondern als eine Nachlaßerbenschuld, für die der Erbe nicht nur auf den Nachlaß beschränkbar, sondern auch persönlich einzustehen habe147. Dabei wird aber übersehen, daß im Recht der Testamentsvollstrekkung über ein einzelkaufmännisches Unternehmen die Treuhandschaft nur eine konstruktive Figur darstellt, um dem Dogma von der notwendigen Existenz eines unbeschränkt und unbeschränkbar haftenden Zurechnungssubjekts für Geschäftsverbindlichkeiten beim einzelkaufmännischen Unternehmen Rechnung tragen zu können148. Die Treuhandschaft ist in diesem Sinne teleologisch-funktional begrenzt. Soweit das Dogma berücksichtigt 144

Dazu siehe oben § 32 III 2 b aa. Dazu siehe schon oben § 32 III 1 b bb. 146 Dazu siehe oben § 32 III 2 b aa. 147 BGHZ 12, 100 (104); für nicht beschränkte Haftung auch Soergel-Damrau, § 2205 Rn. 34; Brandner, FS Stimpel, 993 (1004 f.). Wie Muscheler, Haftungsordnung, 299 Fn. 15, zu Recht ausführt, ergibt sich dies implizit aus dem vom Gericht gezogenen Vergleich mit der Vollmachtlösung. Wie der BGH Erman-M. Schmidt, § 2205 Rn. 9; AK-Finger, § 2205 Rn. 37; Haegele/Winkler, Der Testamentsvollstrecker, Rn. 308; Bengel/Reimann-Mayer, Handbuch der Testamentsvollstreckung, Kap. 5 Rn. 127; Brandner, FS Stimpel, 993 (1004 f.); weitere Nachw. siehe Muscheler, Haftungsordnung, 315 Fn. 84. 145

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ist, besteht kein Anlaß, Nachlaßerbenschulden allein schon aus dem Grunde anzunehmen, weil eine Treuhandschaft vorliegt. Zudem wären ansonsten auch nicht gerechtfertigte Privilegierungen der Neugläubiger zu erwarten. Denn diese könnten – wenn die Meinung des BGH richtig wäre – in den um das Geschäftsvermögen geschmälerten Nachlaß, in das Privatvermögen des Vollstreckers und kraft mittelbarer, über den Vollstreckerregreß ins Werk gesetzter Haftung des Erben in dessen Privatvermögen vollstrecken. Dies wäre ein derartig großer Schutz, der teleologisch von der Treuhandlösung nicht eingefordert ist149. Bei der Nachlaßvollstreckung ist die Haftung des Erben für den Rückgriff des Treuhänders richtigerweise daher auf den Nachlaß beschränkbar150. Da relevante Unterschiede zwischen Nachlaßund Vermächtnisvollstreckung hier nicht ersichtlich sind, gilt auch hier wieder, daß analog § 2187 BGB um der Vermeidung eines Wertungswiderspruchs willen bei einer Vermächtnisvollstreckung eine Haftungsbeschränkungsmöglichkeit angenommen werden muß. Auch hier würde die Möglichkeit der Neugläubiger, sowohl in das Privatvermögen des Treuhänders, als auch mittelbar in den Vermächtnisgegenstand des Nießbrauchers und in dessen Privatvermögen zu vollstrecken, die Neugläubiger ohne jeden Sachgrund privilegieren – Folge: Entprivilegierung der Neugläubiger durch eine Haftungsbeschränkung des Nießbrauchers auf den Vermächtnisgegenstand analog § 2187 BGB. Schließlich müßten bei einem Zugriff der Geschäftsneugläubiger auf das Privatvermögen auch umgekehrt die Eigengläubiger des Vermächtnisnehmers auf den Nießbrauch zugreifen können, da nicht einsichtig wäre, warum diesen verwehrt, was den anderen eingeräumt sein soll. Dem stünden jedoch die §§ 2214, 2223 BGB entgegen151. Nach all dem muß es bei der entsprechend dem Rechtsgedanken des § 2187 BGB getroffenen Wertung und damit bei der Beschränkungsmöglichkeit der Haftung auf den Vermächtnisgegenstand bleiben152.

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Zu diesem die Testamentsvollstreckerrechtsdogmatik weithin im Unternehmensrecht leitenden Lehrsatz siehe nur BGHZ 12, 100 (102); 24, 106 (112); 35, 13 (15 f.). 149 So auch Muscheler, Haftungsordnung, 316; siehe auch Holzhauer, Erbrechtliche Untersuchungen, 61; Lorz, Testamentsvollstreckung, 86. 150 So auch Soergel-Damrau, § 2205 Rn. 20, 34; Hueck, OHG, § 28 II 5 Fn. 52; Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 5 I 1 d bb; Langenfeld/Gail, Handbuch der Familienunternehmen, IV Rn. 144; Holzhauer, Erbrechtliche Untersuchungen, 61; Lorz, Testamentsvollstreckung; Muscheler, Haftungsordnung, 316. 151 § 2214 BGB gilt auch für die Vermächtnisvollstreckung, vgl. nur MünchKomm-Brandner, § 2223 Rn. 4. 152 Ebenso Staud-Reimann, § 2205 Rn. 95; MünchKomm-Brandner, § 2205 Rn. 24 d, anders noch ders. in FS Stimpel, 991 (1004 f.); Soergel-Damrau, § 2205 Rn. 20, 34; Großkomm-Ulmer, § 139 HGB Rn. 78; MünchKomm-ders., § 705 Rn. 92; Muscheler, Haftungsordnung, 315 f. m. w. Nachw. in Fn. 83.

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cc) Sonderproblem I: Nachlaßinsolvenz Die Haftungslage scheint damit einigermaßen klar zu sein. Sie ist es aber noch nicht. Bisher war nur die Rede von der auf den Nießbrauch beschränkbaren Haftung des Nießbrauchers analog §§ 2187 I, III, 1992 BGB, welche zur Folge hat, daß der Nießbraucher zur Befriedigung des Freistellungsanspruchs des Testamentsvollstrecker-Treuhänders nicht auf sein Privatvermögen zurückgreifen muß. Gleiches gilt dann selbstverständlich auch für den Fall der Vollstreckung in den Freistellungsanspruch durch die Geschäftsgläubiger. Der Fall der Nachlaßinsolvenz wurde bisher bei der treuhänderischen Vermächtnisvollstreckung noch nicht eigens betrachtet. Nach dem neuen Insolvenzrecht ist – und dies ist gerade bei unternehmerisch geführten Nachlässen wichtig – nicht erst die Überschuldung des Nachlasses, sondern schon dessen eingetretene und – bei Beantragung durch den Erben, den Nachlaßverwalter oder dem Testamentsvollstrecker – auch drohende Zahlungsunfähigkeit Insolvenzgrund, § 320 InsO. Ein Insolvenzverfahren über den Nachlaß kann daher sehr viel schneidiger eröffnet und damit der Entzug wertvoller Vermögensgegenstände per Einzelvollstreckung durch Nachlaßgläubiger besser vermieden werden, als dies bei der langwierigen Überschuldungsprüfung nach altem Recht der Fall war153. Der o. g. Zugriff der Neu-Gläubiger auf den Vermächtnisgegenstand über die Pfändung und Überweisung des Freistellungsanspruchs des Vollstrecker-Treuhänders aus §§ 2218 (h. M.), 670, 257 BGB geht bei der Vermächtnistestamentsvollstreckung beim insolventen Nachlaß aber weitgehend ins Leere. Denn beim insolventen Nachlaß wird der Nachlaßinsolvenzverwalter – so dies noch möglich ist, §§ 322, 134 InsO – den Vermächtnisgegenstand „Unternehmensnießbrauch“ zur Masse ziehen und ihn damit für solche Gläubiger sperren, die keine Nachlaßverbindlichkeiten geltend machen, §§ 325, 91 I InsO; alle nicht beendeten Vollstreckungsmaßnahmen aus der Zeit zwischen dem Erbfall und der Eröffnung des Nachlaßinsolvenzverfahrens sind unwirksam (§ 321 InsO) und mittels Vollstreckungserinnerung (§ 766 ZPO) aufhebbar154. Genau hier sitzt das Problem: Der Rückgriffsanspruch des Treuhänders gegen den Vermächtnisnehmer ist keine Nachlaßverbindlichkeit. Insbesondere stellt er keinen gem. § 324 I Nr. 1 InsO als Masseforderung privilegierten Aufwendungsersatzanspruch oder einen in gleicher Weise gem. § 324 I Nr. 6 InsO privilegierten Rückgriffsanspruch des Vollstreckers155 gegen den Nachlaß dar, da der Testamentsvollstrecker-Erbe 153 Dies stellt auch eines der Motive der Gesetzesverfasser dar, siehe Kraemer (Bearb.), Das neue Insolvenzrecht 1995, 520. 154 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 33.20. 155 Für den Fall der Nachlaßvollstreckung so aber Muscheler, Haftungsordnung, 318, 143; aA Jaeger/Weber, § 224 KO Rn. 13.

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nicht den Nachlaß, sondern einen Vermächtnisgegenstand verwaltet hat; werbende Tätigkeiten des Testamentsvollstreckers wären zudem nach verbreiteter156 und zutreffender157 Meinung sowieso nicht der Nachlaßverwaltung i. S. § 324 I Nr. 1 InsO zuzurechnen. Und im Außenverhältnis zu den Neu-Gläubigern hat der Treuhänder keine Nachlaßverbindlichkeiten begründet, da er mit ihnen einmal nicht in Ausübung seiner Amtsfunktion, sondern in Ausübung der über seine Amtsbefugnisse hinausgehenden Treuhandschaft kontrahiert hat158, und zudem selbst ein Handeln in Amtsfunktion nicht den Nachlaß verpflichtet haben kann, da nur Vermächtnisvollstreckung angeordnet ist159. Der mittelbare Zugriff auf den Vermächtnisgegenstand über Pfändung und Überweisung des Rückgriffs des Testamentsvollstreckers aus §§ 2218 (h. M.), 670, 257 BGB befriedigt deshalb im Falle der Nachlaßinsolvenz nicht die Gläubigerinteressen. Es lebt zwar der Vermächtnisanspruch des Ehegatten aus § 2174 BGB gem. § 144 I InsO mit der Rückgewähr des Unternehmensnießbrauchs an die Masse mit Nachrang gem. § 327 I Nr. 2 InsO wieder auf. Gerade wegen dieses Nachrangs wird zumeist die Insolvenzforderung des Vermächtnisnehmers ausfallen. Gleiches gilt, wenn man – was eher zweifelhaft ist – annimmt, daß dem Ehegatten wegen der Nachlaßinsolvenz noch ein etwaiger Anspruch aus Nichterfüllung des Vermächtnisses nach allgemeinen Regeln und im Nachrang nach § 327 I Nr. 2 InsO zusteht160. Auf diesen Anspruch könnte der Treuhänder rückgriffsweise zugreifen; mittelbar stünde dieser Anspruch auch den Neu-Gläubigern offen, die sich den Rückgriffsanspruch des Treuhänders zur Einziehung haben überweisen lassen. Viel wäre damit aber nicht gewonnen. Denn der Rückgriff des Treuhänders ginge seinerseits wieder darauf, in den Sekundäranspruch des Vermächtnisnehmers wegen Nichterfüllung des Vermächtnisses zu vollstrecken. Nach allgemeinen Regeln setzt dieser Sekundäranspruch aber grundsätzlich Vertretenmüssen der Nichterfüllung beim Erben voraus und wird damit allenfalls bei einer schuldhaft herbeigeführten Nachlaßinsolvenz gegeben sein – ein vernachlässigbarer Fall. Praktisch käme es somit letztendlich zu einer persönlichen Haftung des Treuhänders gegenüber den Geschäftsneugläubigern, ohne daß dieser für diese Haftung zumindest mittelbar auf das nießbrauchsbelastete Anlagever156

Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 33.18. Dazu siehe unten § 40 III 2 c. 158 Siehe zur Ablehnung von Nachlaßerbenschulden oben § 32 III 2 b. 159 Eine Verpflichtung auch des Nachlasses bei der Verwaltungstätigkeit des Vermächtnistestamentsvollstreckers nimmt hingegen an Muscheler, Haftungsordnung, 255 f. 160 Vgl. allg. nur Staud-Otte, § 2174 Rn. 29; MünchKomm-Schlichting, § 2174 Rn. 11. 157

§ 32 Treuhänderische Testamentsvollstreckung und Unternehmensnießbrauch 723

mögen regreßweise Zugriff nehmen könnte – sein Freistellungsanspruch gegen den Vermächtnisnehmer ist ja gerade keine Nachlaßverbindlichkeit. Und die Neu-Gläubiger können nicht in den Nachlaß vollstrecken. Sie machen ebenfalls keine Nachlaßverbindlichkeiten geltend, weil nach dem bisher Vorgetragenen der Vollstrecker-Treuhänder Verbindlichkeiten eben nur für das Vermächtnis, nicht aber für den Nachlaß eingehen kann. Anders wäre dies nur, wenn er nicht nur als Testamentsvollstrecker, sondern auch als Erbe handeln könnte – Vollstrecker und Erbe sind ja personenidentisch. Hiervon wiederum kann nicht ausgegangen werden. Denn der Erbe kann bei der unternehmerischen Tätigkeit vor der Nachlaßinsolvenz nicht als Erbe handeln, da das Nießbrauchsvermächtnis bereits erfüllt ist und er damit allenfalls für den Vermächtnisnehmer handeln könnte. Die Lage ähnelt insgesamt gesehen dem bekannten Problem, wie es um die Haftung des Erben bestellt ist, der ein ererbtes einzelkaufmännisches Unternehmen fortführt, wenn die erbrechtlichen Haftungsbeschränkungen eintreten161. Hier wird über die Lehre von der Nachlaßeigenschuld, der Lehre von der Identitätsumwandlung des nachlaßzugehörigen in ein nachlaßfreies Handelsgeschäft oder durch andere Vorschläge162 eine unbeschränkbare Haftung des unternehmensfortführenden Erben erreicht163. Im Kontext der Treuhandlösung ist dieses Problem – soweit ersichtlich – noch nicht bedacht worden. Aufgabe ist daher, das Problem von der Sachlogik der Treuhandlösung her zu lösen. Von dieser Warte aus scheint eines klar zu sein: Den Neu-Gläubigern darf im Falle der Nachlaßinsolvenz nicht gerade entgegen dem Ansinnen der Treuhandlösung die Haftungsgrundlage entzogen werden. So klar ist dies aber nicht. Denn gegen die Forderung, den Neu-Gläubigern dürfe nicht die Haftungsgrundlage entzogen werden, könnte eingewandt werden, Geschäftsgläubiger könnten angesichts der Verbreitung des Kredisicherungsmittels Sicherungseigentum und dem daraus folgenden Absonderungsrecht in der Insolvenz nach § 51 Nr. 1 InsO nicht darauf vertrauen, daß die nach außen vermeintlich als haftbares Geschäftsvermögen auftretenden sächlichen Mittel des Unternehmens ihnen als Haftungsgrundlage zur Verfügung stünden. Hier schimmert in der Tat eine leitende Wertentscheidung des geltenden Insolvenz- und Vollstreckungsrechts durch. Die Publizität der Sicherungsrechte dient weniger dem Schutz ungesicherter Gläubiger als der Vermeidung einer Kollision von Sicherungsrechten164. Dürfen deshalb bei der Treuhandlösung die Neu-Gläubiger tatsäch161

Dazu ausführlich unten § 40 III 2 a, b. Bsp. der Zuordnung des ererbten Unternehmens zum Erbeneigenvermögen nach Ablauf der Frist des § 27 II HGB oder mit Umfirmierung, so Ernst, Haftung, 99 ff. 163 Dazu nur Ernst, Haftung, 52 ff., 77 ff., sowie ausführlich unten § 40 III 2 a bb. 162

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lich nicht davon ausgehen, weiterhin eine gediegene Haftungsgrundlage zu besitzen? Das Gegenteil ist der Fall. Ansonsten wäre in das Institut „testamentsvollstreckerrechtliche Treuhandschaft“ von vornherein das Risiko eingebaut, daß die Neu-Gläubiger ihre Forderungen im Falle der Nachlaßinsolvenz nicht durchsetzen können, obwohl bei einer testamentsvollstreckungsfreien Geschäftsfortführung durch den Alleinerben die Neu-Gläubiger über die gerade schon genannten Figuren165 auch auf den Nachlaß zugreifen könnten. Zudem dient die Absonderung des Nachlasses vom sonstigen Vermögen des Erben, welche mit der Nachlaßinsolvenz und dem damit verknüpften Rückfall des Unternehmensnießbrauchs zur Masse verbunden ist, nach dem Sinn und Zweck des erbrechtlichen Haftungssystems dem Schutz des Erben, der seine Haftung gegenständlich beschränken können soll166. Im vorliegenden Fall der Testamentsvollstreckung durch den Alleinerben widerstreitet die Vermögensabsonderung jedoch zugleich den Interessen des mit dem Erben personenidentischen Treuhänders. Auch dieser Gedanke spricht dafür, den Neu-Gläubigern einen Zugriff auf den Nießbrauch im Fall der Nachlaßinsolvenz zu eröffnen. Wie kann diese soeben begründete Wertung, den Neu-Gläubigern zu helfen, rechtlich umgesetzt werden? Wie noch erörtert werden wird, tritt ein ähnliches Problem auch bei der echten Testamentsvollstreckerlösung auf. Es wird dort so gelöst, daß der Vermächtnisvollstrecker in – erkennbarer – Ausübung seines Amtes neben den Vermächtnisgegenstand auch den Nachlaß gem. § 2206 BGB verhaftet167. Diese einfache Lösung steht bei der Treuhandschaft nicht ohne weiteres zur Verfügung, da dort der Testamentsvollstrecker nicht nach außen als solcher rechtsgeschäftlich handelt168. In Frage kommt aber eine (doppelt) analoge Anwendung des § 2206 BGB – doppelt analog, da es einmal zur Verhaftung auch des Nachlasses neben dem Vermächtnisgegenstand kommt und daneben § 2206 BGB analog auch auf den Treuhänder angewendet wird169. Mit dieser Analogie besteht in der Tat ausnahmsweise für den Fall der Vermächtnisvollstreckung eine Verpflichtungsermächtigung des Treuhänders zu Lasten des Nachlasses. Im Er164

Dies hat eingehend Dorndorf, Kreditsicherungsrecht und Wirtschaftsordnung, 1986, gezeigt. Siehe auch Drobnig, in: 51. DJT, Bd. 1, F1 (F58); und den Überblick bei Drukarczyk, Unternehmen und Insolvenz, 183 f. 165 Lehre von der Nachlaßeigenschuld, die Lehre von der Identitätsumwandlung des nachlaßzugehörigen in ein nachlaßfreies Handelsgeschäft oder durch Zuordnung des ererbten Unternehmens zum Erbeneigenvermögen nach Ablauf der Frist des § 27 II HGB oder mit Umfirmierung, dazu nur Ernst, Haftung, 52 ff., 77 ff., 99 ff. 166 Vgl. nur Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 46 I 2, 3. 167 Dazu siehe unten § 33 II 2. 168 Siehe nur Muscheler, Haftungsordnung, 312, 203 f. 169 Im Ergebnis ebenso für die normale verwaltende Vermächtnistestamentsvollstreckung Muscheler, Haftungsordnung, 255 f.

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gebnis wird damit ein Gleichklang mit einer von der Rechtsprechung und einem Teil der Literatur für die Nachlaßvollstreckung favorisierten Wertung herbeigeführt. Bei dieser wird angenommen, der TestamentsvollstreckerTreuhänder verpflichte auch bei einem Handeln im eigenen Namen den Nachlaß170. Nun liegt darin sicherlich ein Systembruch, da das geltende Recht im Grundsatz keine Verpflichtungsermächtigung kennt, da diese die Trennung zwischen indirekter und direkter Stellvertretung aufheben würde171. Man mag sich trösten, daß der aufgrund der Verpflichtungsermächtigung verdeckt gewonnene Schuldner mit dem erkennbaren Vertragspartner personenidentisch ist, so daß es bei Lichte betrachtet nicht um Offenkundigkeit im Hinblick auf den Schuldner, sondern um Offenkundigkeit im Hinblick auf die der Schuld verhafteten Vermögensmasse geht. Zudem ist die Analogie zu § 2206 BGB teleologisch auf den Schutz der Neu-Gläubiger begrenzt. Die aus dieser Analogie resultierenden Nachlaßverbindlichkeiten können daher nur im Fall der Nachlaßinsolvenz oder -verwaltung geltend gemacht werden. Daß sie eingegangen werden müssen, ist klar. Nur dies liegt in der inneren Sachlogik der Treuhandlösung. dd) Sonderproblem II: Die Eigeninsolvenz des Treuhänders Das Nachlaßinsolvenzverfahren ist ein Partikularverfahren. Daneben ist die Eigeninsolvenz des Erben durchaus möglich172; sie führt nur nicht dazu, daß der Nachlaß vom Eigenvermögen isoliert wird173. Zwei gewichtige Punkte gilt es festzuhalten: Einmal gehört nach h. M. der Befreiungsanspruch des Gemeinschuldner-Treuhänders aus §§ 2218 (h. M.), 670, 257 BGB gegen den Vermächtnisnehmer zur Insolvenzmasse und verwandelt sich in der Hand des Insolvenzverwalters in einen Zahlungsanspruch in Höhe des vollen Betrages der Schuld des Gemeinschuldners und nicht bloß der dem Drittgläubiger gebührenden Konkursquote174. Zahlungen des Be170

Siehe oben § 32 III 2 b aa. Auch unter Zugrundelegung dieser, oben im Grundsatz als nicht sachgerecht bezeichneter Ansicht wäre es konstruktiv am saubersten, wenn der Testamentsvollstrecker nicht nur über das Vermächtnis, sondern auch über den Nachlaß ernannt worden wäre. Diese Konstruktion scheidet hier mit Rücksicht auf die Personendidentität von Vollstrecker und Erben sicherlich aus. 171 Siehe nur Flume, AllgT, § 57 1 d. Canaris, Handelsrecht, § 9 II 2, verwirft auch vor allem deshalb die Treuhandlösung. 172 Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch zur Insolvenzordnung, Kap. 10 Rn. 90. 173 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 33.06. 174 RGZ 71, 363 (366); 81, 250 (252); 93, 209 (212); 139, 315 (321); BGHZ 57, 78 (81); Gerhardt, Der Befreiungsanspruch, 99 ff.; MünchKomm-Keller, § 257 Rn. 8; Jaeger/Henckel, § 1 KO Rn. 88; Kuhn/Uhlenbruck, § 1 KO Rn. 38; KilgerKarsten Schmidt, § 1 KO Anm. 2 E d (mit weitergehender Differenzierung); Muscheler, Haftungsordnung, 318; Lorz, Testamentsvollstreckung, 79; aA Gursky, KTS 1973, 27 (29 ff.); Hager, AcP 180 (1980), 239 (252).

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freiungsschuldners, also des Nießbrauchers, direkt an den Drittgläubiger sind folglich ausgeschlossen. Die Privatgläubiger des Treuhänders partizipieren damit im Grundsatz über die Erhöhung der Insolvenzquote an der Werthaltigkeit des Freistellungsanspruchs des Treuhänders. Ob dies aufgrund der Erwägung, wer das Risiko der Treuhandschaft mittrage, solle auch an ihren Vorteilen teilnehmen dürfen175, zu Recht geschieht, spielt hingegen praktisch weniger eine Rolle. Dies zeigt ein Blick auf den zweiten Punkt: Die Neu-Gläubiger des einzelkaufmännischen Unternehmens müssen Zugriffe der Altgläubiger-Nachlaßgläubiger auf das Eigenvermögen des Treuhänders dulden. Falls keine Testamentsvollstreckung angeordnet ist, versucht die Praxis, bei der Insolvenz des Erben ein Insolvenzverfahren auch über den Nachlaß zu eröffnen, in dem der Insolvenzverwalter anstelle des Erben die Eröffnung des Nachlaßinsolvenzverfahrens beantragt176. Dies hilft in der Regel auch den Neu-Gläubigern. Denn der Insolvenzverwalter kann den Unternehmensnießbrauch zumeist (vier Jahre lang) wieder zum Nachlaß ziehen. Die wirtschaftlichen Interessen der geschäftlichen NeuGläubiger sind dann in gleicher Weise geschützt wie die der Alt-Gläubiger, da ihnen – wie kürzlich aufgezeigt wurde – im Falle der Nachlaßinsolvenz analog § 2206 BGB auch der Nachlaß verhaftet ist. Sie können damit am Nachlaßinsolvenzverfahren teilnehmen. Damit relativiert sich auch der Vorteil für die Privatgläubiger des Treuhänders, qua Erhöhung der Insolvenzquote aufgrund Teilhabe an der Werthaltigkeit des Freistellungsanspruchs an den Vorteilen der Treuhandschaft zu partizipieren. Denn falls der Insolvenzverwalter den Nießbrauch wieder zum Nachlaß zieht, fällt der Freistellungsanspruch ins Leere, da er auf den Vermächtnisgegenstand beschränkt war und das Privatvermögen des Nießbrauchers nicht verhaftete. Die Privatgläubiger des Treuhänders können dann nur auf den Nachlaß zugreifen, wenn sie zugleich Gläubiger von Nachlaßerbenschulden sind. IV. Das Haftungsregime der Treuhandlösung: Zusammenfassung Zusammengefaßt stellt sich das Haftungsregime der Treuhandlösung wie folgt dar: Der Erbe haftet beschränkbar auf den Nachlaß für die geschäftlichen Altschulden. Ihm steht hierbei der Innenregreß auf den Nießbraucher zu, der seinerseits hierfür beschränkt auf den Vermächtnisgegenstand, also den Unternehmensnießbrauch, haftet. Im Ergebnis kommt es damit zum mittelbaren Zugriff der geschäftlichen Alt-Gläubiger auf den Nießbrauch 175 So zu Recht Muscheler, Haftungsordnung, 319; tendenziell kritisch hingegen Lorz, Testamentsvollstreckung, 79. 176 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 33.06; Jaeger/Weber, §§ 217–220 KO Rn. 12, § 234 KO Rn. 4 je m. w. Nachw.

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über Pfändung und Überweisung des Freistellungsanspruchs des Testamentsvollstreckers. Eine Haftung des Erben aus § 27 I HGB für Alt-Schulden scheidet sowohl für seine Funktion als Erbe als auch für seine Funktion als Testamentsvollstrecker aus, während eine Haftung des Erben als Testamentsvollstrecker aus § 25 I HGB in Betracht kommt, die allerdings gem. § 25 II HGB ausschließbar ist. Für Neuschulden haftet der Testamentsvollstrecker mit seinem Privatvermögen nach allgemeinen Regeln. Der Nießbraucher-Vermächtnisnehmer haftet im Ergebnis weder den geschäftlichen Neu-, noch den Altgläubigern, sondern nur dem Erben. Der Erbe kann von dem Vermächtnisnehmer im Innenverhältnis die Begleichung der Alt-Schulden und als Testamentsvollstrecker Ausgleich für die Inanspruchnahme für Neu-Schulden verlangen. Die Haftung des NießbrauchersVermächtnisnehmers beschränkt sich beidemale auf den Nießbrauch. Im Falle der Nachlaßinsolvenz oder -verwaltung können die Neu-Gläubiger ihre Geschäftsforderungen gegen den Nachlaß geltend machen, zu dessen Masse der Verwalter den Vermächtnisgegenstand gezogen hat, da beim rechtsgeschäftlichen Handeln des Treuhänders nicht nur Eigenverbindlichkeiten, sondern gem. § 2206 BGB analog Nachlaßverbindlichkeiten entstehen, die die Neu-Gläubiger im Falle der Nachlaßinsolvenz oder -verwaltung geltend machen können. V. Die Pflicht des Treuhänder-Testamentsvollstreckers zur versorgungsgerechten Bewirtschaftung des Unternehmens Bei der in der Weise der Treuhandlösung ins Werk gesetzten Testamentsvollstreckung an einem einzelkaufmännischen Unternehmen handelt der Vollstrecker auch als Treuhänder. Die Pflicht zum gehörigen Wirtschaften177 folgt hier insoweit aus dem der Treuhandschaft zugrundeliegenden Geschäftsbesorgungsverhältnis, nach dem der Treuhänder die Interessen des Treugebers unbedingt wahrnehmen und im Gefolge dessen seiner Tätigkeitspflicht interessengerecht nachkommen muß178. Der Erblasser kann – und er wird dies im Zweifel aufgrund der damit optimierten Versorgungsgerechtigkeit der von ihm gewählten Gestaltung gewollt und angeordnet haben – den Vollstrecker per Auflage verpflichten, seinen Pflichtenkranz aus dem Geschäftsbesorgungsverhältnis versorgungsgerecht auszustalten. Der Testamentsvollstrecker ist daher auch bei seiner Tätigkeit als Treuhänder zu einer versorgungsgerecht ausgerichteten Unternehmenspolitik verpflichtet. Was das genau bedeutet, muß an dieser Stelle noch offen bleiben. Denn die 177

Dazu siehe unten § 34 I. Allgemein dazu nur ausführlich Grundmann, Treuhandvertrag, 133 ff., 192 ff., mit umfassender Darlegung des Stands der Diskussion. 178

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Pflicht des Testamentsvollstreckers zu einer versorgungsgerecht ausgerichteten Unternehmenspolitik tritt auch bei der Testamentsvollstreckung nach der echten Testamentsvollstreckungslösung auf den Plan. Es bietet sich daher an, die Pflicht erst näher zu thematisieren, wenn die einzelnen Vorschläge hinsichtlich der rechten Gestaltung der Testamentsvollstreckung an einem einzelkaufmännischen Unternehmen diskutiert worden sind, um sich ihr dann vor dem Hintergrund sämtlicher Lösungen zur Testamentvollstreckung über ein Handelsgeschäft zu widmen. Einstweilen bleibt daher nur übrig, auf spätere Ausführungen zu verweisen179. Es gilt demnach folgende Auslegungsregel: Auslegungsregel 32.3: Ordnet der Erblasser Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch nach den Regeln der Treuhandschaft durch den Alleinerben an, so gebietet er dem Vollstrecker im Zweifel qua letztwilliger Auflage zugleich, das der Treuhandschaft zugrundeliegende Geschäftsbesorgungsverhältnis so auszugestalten, daß er verpflichtet ist, das Unternehmen versorgungsoptimal zu führen.

§ 33 Die echte Testamentsvollstreckung und Unternehmensnießbrauch Die Vollmacht- und Treuhandlösungen der h. M. sind nicht unumstritten. Mehr und mehr gewinnen auch Vorschläge an Boden, die eine echte Testamentsvollstreckung über ein Handelsgeschäft zulassen wollen180. Es wird noch näher gezeigt werden181, daß die echte Testamentsvollstreckung bei einem Handelsgeschäft durchaus ein dogmatisch gangbarer Weg darstellt. Aus Sicht des auf gehörige Versorgung pochenden Ehegatten ist relevant nunmehr nur noch, wie hoch die Versorgungsgerechtigkeit dieser Gestaltung ist. Im Mittelpunkt steht hierbei das Haftungsregime des Ehegatten. I. Bestellung – Vermögensmassen – Registerfragen Bei der echten Testamentsvollstreckerlösung ist der Nießbraucher als neuer Inhaber des Handelsgeschäfts in das Handelsregister einzutragen, §§ 31 I, 29 HGB. Die Testamentsvollstreckung ist dabei analog § 53 HGB eintragungsfähig182 und wegen der mit der Testamentsvollstreckung verbun179

Unten § 34. Namentlich Muscheler, Haftungsordnung, 392 ff.; MünchKomm-Brandner, § 2205 Rn. 19 ff., 22; Baur, FS Dölle, Bd. 1, 249 ff. 181 Unten § 40 IV. 182 Muscheler, Haftungsordnung, 418 ff. m. w. Nachw.; MünchKomm-Brandner, § 2205 Rn. 23; Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 5 I 1 d bb (für die Treuhandlö180

§ 33 Die echte Testamentsvollstreckung und Unternehmensnießbrauch

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denen Haftungsbeschränkung auch eintragungspflichtig183. Der Vollstrecker leitet das Unternehmen unter Ausschluß des Nießbrauchers und zeichnet unter der Firma, wobei er zur Vermeidung der persönlichen Haftung das amtsmäßige Handeln als Testamentsvollstrecker zum Ausdruck bringen muß184. Im übrigen gilt auch hier, daß eine Übertragung des Handelsgeschäfts durch den Nießbraucher-Ehegatten auf den Vollstrecker nicht notwendig ist. Denn das Handelsgeschäft ist eine Tätigkeit am Markt185 und kann daher nur in Form einer faktischen Einweisung und nicht wie ein Recht abtretungsweise übertragen werden. Eine derartige faktische Einweisung wird praktisch durch die Inbesitznahme des Unternehmens durch den Vermächtnisvollstrecker ersetzt, der als solcher schon das Recht hat, sich in den Besitz des gesamten Vermächtnisgegenstands zu setzen. Er kann damit auf die tatsächlichen Verhältnisse, die das Handelsgeschäft ausmachen, schon von Amts wegen zugreifen. Das Eigentum oder die Forderungszuständigkeit am Anlagevermögen gebührt nach allgemeinen Nießbrauchsregeln dem Erben als Nießbrauchsbesteller186. Das Umlaufvermögen fällt analog § 1067 I BGB wie bei einem herkömmlichen Unternehmensnießbrauch und anders als bei der Treuhandlösung in das Eigentum oder in die Forderungszuständigkeit des Nießbraucher-Ehegatten. Der Grund hierfür liegt einfach darin, daß geschäftliche Rechte und Pflichten nicht in der Person des Vermächtnisvollstreckers, sondern in der des Vermächtnisnehmers begründet werden, wenn der Vollstrecker als solcher, also erkennbar in seiner fremdnützigen Stellung, einen Vertrag über einen Gegenstand des Geschäftsvermögens schließt187. Bei Veräußerung eines Geschäftsgegenstands unterliegt der Neuerwerb im Wege dinglicher Surrogation analog § 2041 BGB grundsätzlich der Verwaltung des Vollstreckers, wenn das Rechtsgeschäft sachlich mit dem verwalteten Nachlaßvermögen in Beziehung gebracht werden kann188. Bei der sung); siehe ansonsten für die handelsregisterrechtliche Eintragungsfähigkeit der Testamentsvollstreckung Canaris, Handelsrecht, § 9 Rn. 38; Baur, FS Dölle, Bd. 1, 249 (259 f., 264); MünchKomm-Brandner, § 2205 Rn. 22; Kipp/Coing, § 68 III 3 a; Muscheler, Haftungsordnung, 418 ff.; Kick, Haftung, 157 (für die Vollstreckung über einen Personengesellschaftsanteil); Schiemann, FS Medicus, 513 (527). Anders die h. M., siehe nur RGZ 138, 138; KG, ZEV 1996, 67 f. 183 Canaris, Handelsrecht, § 9 Rn. 38; Holzhauer, Erbrechtliche Untersuchungen, 65 ff. 184 MünchKomm-Brandner, § 2205 Rn. 22. 185 Siehe zum Unternehmensbegriff unten § 36 V. 186 Dazu siehe oben § 27 II. 187 Für die Nachlaßvollstreckung vgl. nur allg. RGZ 59, 361 (366); 68, 257 (258); 76, 125 (126). 188 Zur Beziehungssurrogation analog § 2041 BGB siehe nur den Überblick bei MünchKomm-Dütz, § 2041 Rn. 13 ff.; die Analogie zu § 2041 BGB bei der Testamentsvollstreckung vertreten bsp. seit dem „schüchternen“ Vorstoß (Strauch, Mehr-

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Vermächtnisvollstreckung kann nichts anderes gelten. Bei der unternehmerischen Tätigkeit des Testamentsvollstreckers ist eine derartige Beziehung zum Vermächtnisgegenstand schon dann gegeben, wenn der Vollstrecker unter der Firma des Unternehmens Rechtsgeschäfte tätigt. Ersatzgüter fallen hier demnach auf der einen Seite analog § 2041 BGB unter die Verfügungsmacht des Vollstreckers und auf der anderen Seite analog § 1048 I 2 HS 2 BGB in das Eigentum des Bestellers mit Nießbrauchsbelastung ex lege aufgrund der Nießbrauchsverhaftetheit des Unternehmens (Anlagevermögen) oder analog § 1067 I BGB in das Eigentum des Unternehmensnießbrauchers (Umlaufvermögen). II. Die Haftungsordnung im einzelnen 1. Alt-Schulden

Der Erbe haftet für Alt-Schulden beschränkbar auf den Nachlaß gem. § 1967 BGB. Auch hier gilt: Im Zweifel wird der Erblasser dem Erben wie bei der Treuhandlösung189 ein Vermächtnis gegen den Vermächtnisnehmer zugewendet haben wird, ihn von geschäftlichen Alt-Schulden – beschränkbar auf den Nießbrauch, §§ 2187 I, III, 1992 BGB – freizustellen. Der Grund liegt auch hier wieder in der ansonsten – wie sogleich näher gezeigt werden wird – zu besorgenden nicht versorgungsgerechten Haftungslage, die der Erblasser im Zweifel nicht gewollt haben wird. Zudem haftet der Nießbraucher auch hier wieder wie bei der Treuhandlösung nur mit dem Vermächtnisgegenstand190. Es gilt demnach folgende Auslegungsregel: Auslegungsregel 33.1: Beim vermächtnisweise zu Versorgungszwecken zugewendeten Unternehmensnießbrauch hat der Erblasser dem Erben bei der echten Testamentsvollstreckungslöheitlicher Rechtsersatz, 188) des Reichsgerichts in RGZ 138, 132 (134): BGH, MDR 1958, 670; WM 1991, 205 (206); BayObLG, FamRZ 1992, 604 m. Anm. Damrau; Soergel-Damrau, § 2205 Rn. 10; Staud-Reimann, § 2205 Rn. 15; MünchKomm-Dütz, § 2041 Rn. 22; Kipp/Coing, § 68 III 1. Ob hier Muscheler, Haftungsordnung, 260, 262 f., gefolgt werden kann, der § 1638 II BGB analog anwenden will und damit eine Surrogation nur dann stattfinden läßt, wenn neben der objektiven Beziehung zum Nachlaß der Vollstrecker den Willen gehabt hat, für den Nachlaß tätig zu werden, muß hier ebenso auf sich beruhen bleiben, wie die Frage, ob statt § 2041 BGB nicht §§ 2019, 2111 BGB der sachgerechtere Anknüpfungspunkt für die Analogie bieten, wie dies Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 41 VI 3, vertritt. Dies hängt von der Dogmatik der Beziehungssurrogation im allgemeinen ab und soll hier nicht weiter interessieren. 189 Oben § 32 III 1 b bb. 190 Parallel zur Treuhandlösung, siehe oben § 32 III 2 b bb.

§ 33 Die echte Testamentsvollstreckung und Unternehmensnießbrauch

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sung im Zweifel ein Vermächtnis gegen den Vermächtnisnehmer zugewendet, ihn von geschäftlichen Alt-Schulden – beschränkbar auf den Nießbrauch, §§ 2187 I, III, 1992 BGB – freizustellen.

Eine Haftung des Vermächtnisnehmers analog § 27 I HGB191 entfällt aus denselben Gründen, die schon bei der Treuhandlösung dem Anspruch entgegenstanden: Die amtsmäßige Geschäftsfortführung durch den Vollstrecker steht einer Fortführung durch den Erben gem. § 27 I HGB nicht gleich – von den durchschlagenden Zweifeln an der analogen Anwendung des § 27 I HGB auf den Vermächtnisnehmer ganz abgesehen192. Es bleibt die Inanspruchnahme aus § 25 I HGB, unmittelbar oder analog193. Was bedeutet bei der echten Testamentsvollstreckung über ein einzelkaufmännisches Unternehmen der Begriff „Fortführen des Handelsgeschäfts“: Führt der Nießbraucher oder der Vollstrecker das Geschäft fort? Kein relevanter Gesichtspunkt für die Beantwortung dieser Frage ist der Gedanke, die Fortführung des Handelsgeschäfts durch den Vollstrecker müsse dem Nießbraucher als eigenes Handeln zugerechnet werden, ist doch gerade ungewiß, ob eine derartige Zurechnung statthaft ist. Wenig weiterführend wäre es auch, das maßgebliche Wertungskriterium im Vertrauen des Rechtsverkehrs in die durch das Handelsregister ersichtliche Unternehmensträgerstellung des Nießbrauchers zu sehen, da § 25 I HGB richtiger Ansicht nach keinen Rechtsscheinstatbestand regelt194. Ansatzpunkte für eine Lösung werden gewonnen, wenn der Schutz der Haftungserwartungen des Verkehrs195 bemüht oder auf die Haftungskontinuität des jeweiligen Unternehmensträgers als unternehmensrechtliches Prinzip196 abgestellt wird. Danach ist nicht der Testamentsvollstrecker, sondern der Nießbraucher als Fortführer des Handelsgeschäfts i. S. § 25 I HGB anzusehen. Das ist auch interessengerecht. Das Haftungsverschonungsinteresse des Nießbrauchers ist durch die Möglichkeit des Haftungsausschlusses 191

So, soweit ersichtlich, nur Smeets, Die Vererbung eines Handelsunternehmens,

34. 192

Dazu nur Friedrich, Haftung, 48. Je nachdem, ob die Erfüllung eines Vermächtnisanspruchs als Erwerb unter Lebenden oder von Todes wegen erblickt wird, wird § 25 I HGB unmittelbar oder analog angewendet, dazu nur die Nachw. bei Friedrich, Haftung, 48 Fn. 35–37. 194 Zur Kritik der Rechtsscheintheorie in Rahmen des § 25 HGB siehe nur Canaris, Vertrauenshaftung, 183 ff.; ders., Handelsrecht, § 7 I 2 c; Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 8 I 2 a bb. 195 So bsp. Großkomm-Hüffer, § 25 Rn. 27; hiervon ebenfalls ausgehend, freilich grundsätzlich unter dem Signum der Sinnlosigkeit des § 25 I HGB Canaris, Handelsrecht, § 7 I 2 f. Zur Kritik hieran siehe nur Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 8 I 2 a dd. 196 So Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 8 I 3, der die §§ 25 und 28 HGB bekanntlich als funktional auf die Kompensation der Nichtrechtsfähigkeit des Unternehmens bezogene Normen versteht. 193

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Kap. 14: Die Versorgung des mittelmäßig befähigten Überlebenden

nach § 25 II HGB197 hinreichend geschützt. Den Haftungsinteressen der Alt-Gläubiger wird über § 25 I HGB hinreichend Rechnung getragen. Einen stärkeren Zugriff auf den Nießbraucher können sie nicht verlangen. Denn über die Haftung des Nießbrauchers aus § 25 I HGB hinaus können sie ja noch auf den nießbrauchsfreien Nachlaß zugreifen, da ihnen der Erbe weiterhin nach § 1967 I BGB für die Alt-Schulden haftet. Zudem können sie sich – außerhalb von Nachlaßinsolvenz- und verwaltung – den vermächtnisweise dem Erben zugewendeten Rückgriffsanspruch gegen den Nießbraucher pfänden und überweisen lassen. Die erblasserische Haftungsgrundlage steht ihnen damit weiterhin zur Verfügung – und zudem unter Ausschluß der Privatgläubiger des Nießbrauchers, § 2214 BGB. Zwar geht der Zugriff auf das Privatvermögen des Nießbrauchers und auf dessen vermächtnisweise eingeräumten Nießbrauch im Fall der Haftungsbeschränkung nach § 25 II HGB ebenso ins Leere, wie die Pfändung des Rückgriffsanspruchs im Fall der erbrechtlichen Haftungsbeschränkung, da das Rückgriffsvermächtnis ja nicht zum Nachlaß zählt. Relevant ist dies aber nicht. § 25 II HGB ist nun einmal geltendes Recht198. Zudem gilt ansonsten auch hier wieder – wie schon oben zur Treuhandlösung vermerkt –, daß die Logik der Insolvenzrechtsreform, die die Risiken des unentgeltlichen Erwerbs des dinglichen Nutzungsrechts gem. § 322 InsO, § 5 AnfG den Alt-Gläubigern zuweist, Härten für die Alt-Gläubiger mit sich bringen kann, die man bedauern mag, die aber gleichwohl gesetzlich als tragbar bewertet worden und daher hinzunehmen sind. Der Nießbraucher haftet nach all dem daher im Grundsatz nach § 25 HGB für geschäftliche Alt-Schulden. Der Nießbraucher kann seine Haftung gem. § 25 II HGB ausschließen; die Alt-Gläubiger sind damit auf einen auf den Nachlaß beschränkbaren Zugriff gegen den Erben verwiesen. Schon ein Vergleich mit der Haftungssituation des Erben zeigt, daß ein derartiger Haftungsausschluß nach § 25 II HGB bestehen muß. Nach h. M. kann der Erbe bei eigener Fortführung des Geschäfts seine persönliche unbeschränkte Haftung ausschließen, indem er auch ohne besondere Legitimierung durch den Erblasser mit einseitiger Erklärung nach § 25 II HGB vorgeht199. Die Argumente der h. M., warum § 25 II HGB einschlägig ist, sind bekannt: § 27 I HGB verweise schlecht197

Dazu siehe die gleich im Anschluß folgenden Überlegungen. Selbst Karsten Schmidt sieht die Grenzen einer den § 25 II HGB schon de lege lata derogierenden Rechtsfortbildung, siehe ders., Handelsrecht, § 8 I 5 b. 199 KG, JW 1937, 2599; KG, JFG 22, 70; Baumbach-Hopt, § 27 HGB Rn. 8; Heymann-Emmerich, § 27 HGB Rn. 17; Großkomm-Hüffer, § 27 HGB Rn. 21 ff.; Erman-Schlüter, § 1967 Rn. 11; Jauernig-Stürner, § 1967 Anm. 4 a; MünchKommSiegmann, § 1967 Rn. 62; Soergel-Stein, vor § 1967 Rn. 19; Staud-Marotzke, § 1967 Rn. 59; Canaris, Handelsrecht, § 7 IV 3 d; ders., Vertrauenshaftung, 187; Friedrich, Haftung, 90 f., mit Übersicht über den Streitstand in 57 ff.; Muscheler, Haftungsordnung, 396 m. w. Nachw. 198

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hin auf § 25 HGB; die Haftungserwartungen des Verkehrs seien durch gehörige Bekanntmachung der Ausschlußerklärung in nicht geringerer Weise zerstört als bei einem lebzeitigen Erwerb; mit dem ansonsten dem Erben nur zur Verfügung stehenden Mittel der Firmenaufgabe (§ 27 II HGB) sei den Gläubigerinteressen nicht gedient, da sie dann mit den Firmenwert eines der wichtigste Haftungssubstrate ihres Schuldners verlören; die durch § 25 II HGB geforderte „Vereinbarung“ solle einander widersprechende Erklärungen von Veräußerer und Erwerber verhindern, was beim Erwerb von Todes wegen erkennbar nicht möglich sei. Nun ist zwar die Anwendung des § 25 II HGB im Rahmen des § 27 HGB ein ebenso altes wie hoch umstrittenes Problem und wird stellenweise gänzlich200 oder doch zumindest bei fehlender Anordnung des Erblassers201 abgelehnt. Ob der h. M. gefolgt werden kann, soll denn auch hier dahingestellt bleiben. Nur wenn ihr gefolgt und damit dem Erben der Weg über § 25 II HGB eröffnet wird, darf dem Vermächtnisnehmer nicht verwehrt sein, seine Haftung für Alt-Schulden zu beschränken. Sicherlich ist die Stellung des Erben und des Vermächtnisnehmers auch vor dem Hintergrund der nur für den Erben geltenden nachlaßverwaltungs- und insolvenzrechtlichen Vorschriften nicht in allen Punkten wertungsmäßig gleich. Soweit es um die Zugriffsmöglichkeiten der AltGläubiger geht, nimmt sich das Gesetz dieser Unterschiede aber im Rahmen der insolvenzrechtlichen Anfechtungsregeln an (§ 322 InsO). Außerhalb dieser Vorschriften muß die Stellung des Erben und des Vermächtnisnehmers aber gleich bewertet werden, soweit es um den Problemkreis „Zugriffsbeschränkung auf Sondervermögen“ geht. Im Ergebnis haftet demnach der Nießbraucher im Falle eines Haftungsausschlusses nach § 25 II HGB den Alt-Gläubigern überhaupt nicht. Vor diesem Hintergrund wird ein auf eine strikte Versorgungsgerechtigkeit seiner Gestaltung bedachter Erblasser die Haftungsrisiken des überlebenden Teils im Rahmen des rechtlich Zulässigen minimieren wollen und daher einen Haftungsausschluß des Ehegatten gem. § 25 II HGB verbindlich auflageweise gegenüber dem Vermächtnisnehmer und dem Vollstrecker im Zweifel vorgeschrieben haben. Es gilt demnach folgende Auslegungsregel: Auslegungsregel 33.2: Im Zweifel hat der die echte Testamentsvollstreckung durch den Alleinerben über den Unternehmensnießbrauch des Ehegatten anordnende Erblasser dem überlebenden Teil und dem Vollstrecker auflageweise aufgegeben, für einen unverzüglichen Haftungsausschluß gem. § 25 II HGB Sorge zu tragen. 200 So vor allem Karsten Schmidt, ZHR 157 (1993), 600 (615); ders., Handelsrecht, § 8 IV 3 b; ders., NJW 1985, 2785 (2790); Reuter, ZHR 135 (1971), 511 ff.; MünchKomm-HGB- Lieb, § 27 Rn. 50; Schlegelberger-Hildebrandt/Steckhan, § 27 HGB; Lange/Kuchinke, § 47 VI 1 b; weitere Nachw bei Muscheler, Haftungsordnung, 396 Fn. 33. 201 Düringer/Hachenburg-Hoeniger, § 27 HGB Anm. 6.

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Kap. 14: Die Versorgung des mittelmäßig befähigten Überlebenden 2. Neu-Schulden

a) Allgemeines Für Neu-Schulden haftet der Nießbraucher, wenn der Testamentsvollstrekker für den Rechtsverkehr erkennbar als Amtswalter gehandelt hat; eine persönliche Haftung des Vollstreckers entfällt insoweit202. Im Regelfall der Vollstreckung muß es sich zudem um Verbindlichkeiten handeln, von denen der andere vertragsschließende Teil annimmt und annehmen darf, daß die Eingehung zur ordnungsgemäßen Verwaltung erforderlich sei203 (§ 2206 BGB)204. Für in diesem Sinne nicht erforderliche Verbindlichkeiten haftet der Vollstrecker als falsus procurator nach § 179 BGB persönlich205. In den Normalfällen der Verwaltungsvollstreckung wird dies nur bei einem objektiv unvertretbaren Management relevant werden, da der unternehmerisch Tätige angesichts der ihm aufgebürdeten Last, Entscheidungen unter Ungewißheitsbedingungen als prognostisches Urteil fällen zu müssen, einen großen Ermessensspielraum besitzt, soweit es um die „Richtigkeit“ seiner einzelnen Maßnahmen geht206. Soweit sich die Ordnungsgemäßheit der Verwaltung i. S. § 2206 BGB nach den Anordnungen des Erblassers und nicht nach den Usancen der Wirtschaft richtet – was zulässig ist, § 2216 II BGB207 –, stellt sich das Problem der Ordnungsgemäßheit der Verwaltungsmaßnahme freilich häufiger. Dies wird später noch näher präzisiert wer202 Vgl. nur RGZ 80, 416 (418); Staud-Reimann, vor § 2197 Rn. 15; SoergelDamrau, § 2206 Rn. 4; Palandt-Edenhofer, vor § 2197 Rn. 2; MünchKomm-Brandner, § 2206 Rn. 14; Lange/Kuchinke, § 31 VI 3 d; Schlüter, Erbrecht, Rn. 805 (analog § 164 II BGB); Brox, Erbrecht, Rn. 391; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 665; Muscheler, Haftungsordnung, 203 ff.; Lorz, Testamentsvollstreckung, 27; Baur, FS Dölle, Bd. 1, 249 (263); ausführlich Trees, Begründung, 64 ff.; aA für den Allgemeinfall ersichtlich nur Dölle, FS F. Schultz, Bd. 2, 268 (279); Jahr, FS F. Weber, 275 (297 ff.). 203 Richtigerweise ist diese Beurteilung der Erforderlichkeit aus Sicht des nicht fahrlässig urteilenden Geschäftspartners des Vollstreckers zum Verkehrsschutz notwendig, so auch die ganz h. M., vgl. nur Prot. V, 528, 530, 544; RGZ 74, 215 (219 f.); 83, 348 (352 f.); 130, 131 (134); BGH, NJW 1983, 40 (41); Staud-Reimann, § 2206 Rn. 11; MünchKomm-Brandner, § 2206 Rn. 7; RGRK-Kregel, § 2206 Rn. 1; Soergel-Damrau, § 2206 Rn. 3; Jauernig-Stürner, § 2206 Anm. 1; ErmanM. Schmidt, § 2206 Rn. 1; Lange/Kuchnike, § 31 VI 3 c; Kipp/Coing, § 68 III 7 a; aA soweit ersichtlich heute vor allem Frotz, Verkehrsschutz im Vertretungsrecht, 602 ff., 611 ff., zu älteren abweichenden Meinungen vgl. die Nachw. bei Muscheler, Haftungsordnung, 173 Fn. 1. 204 § 2206 BGB gilt auch bei der Vermächtnisvollstreckung, vgl. nur Staud-Reimann, § 2223 Rn. 8; MünchKomm-Brandner, § 2223 Rn. 4. 205 Siehe nur MünchKomm-Brandner, § 2206 Rn. 7; Soergel-Damrau, § 2206 Rn. 4. 206 Überzeugend hierzu Dauner-Lieb, Unternehmen, 20 ff., 25 ff. 207 Dazu nur MünchKomm-Brandner, § 2216 Rn. 15 ff.

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den208; hier sollen einstweilen nur die Grundlagen geklärt werden. Im Zweifel wird der Erblasser dem Vollstrecker um der Optimierung des Ehegattenschutzes willen trotz § 2209 S. 2 BGB keine Befreiung i. S. § 2207 BGB erteilt haben209. Denn nur so wird dem Ehegatten ein schneidiges Instrument zur Seite gestellt, mit dem er einer überbordenden Testamentsvollstreckermacht begegnen kann. Bei der Testamentsvollstreckung über den Nachlaß entstehen für den Erben Nachlaßverbindlichkeiten gem. § 1967 BGB, für die er auf den Nachlaß beschränkbar haftet210. Entsprechend kann auch der Nießbraucher seine Haftung analog §§ 2187 III, 1992 BGB auf den Nießbrauch beschränken211, da die Verpflichtungsbefugnis des Vermächtnistestamentsvollstreckers aus § 2206 BGB auf den unter Testamentsvollstreckung stehenden Vermächtnisgegenstand begrenzt ist und da nicht einzusehen ist, warum hier anders als beim Erben der Umfang der Verpflichtungsbefugnis nicht mit dem Ausmaß der der Verpflichtung korrespondierenden Schuldenhaftung übereinstimmen soll. Gegen die Beschränkbarkeit der nießbraucherischen Haftung könnte allenfalls eingewendet werden, eine derartige Haftungsbeschränkung nach außen sei bei einem unternehmerischen Handeln nicht vorgesehen. Freilich setzt dieses Argument zum einen voraus, daß die Nachteile der Haftungsbeschränkbarkeit nicht dadurch kompensiert werden, indem den Geschäftsgläubigern ein Zugriff auf den Nachlaß eröffnet wird – wovon später sogleich noch die Rede sein wird212. Zum anderen formuliert der Einwand, die Haftungsbeschränkungsmöglichkeit des Nießbrauchers sei unternehmensrechtlich nicht vorgesehen, bei Lichte betrachtet keine Bedenken ge208

Siehe unten § 34 I 3. Es überzeugt hingegen nicht, wenn Muscheler, Haftungsordnung, 546 Fn. 56, für den Normalfall der echten Testamentsvollstreckung über einen OHG-Anteil davon ausgeht, diese sei nicht zulässig, wenn der Erblasser die erweiterte Verpflichtungsbefugnis des Vollstreckers nach § 2207 BGB ausgeschlossen habe. Denn falls die echte Testamentsvollstreckung zu Recht eine besondere Möglichkeit der legalen Haftungsbeschränkung darstellt – was ja bekanntlich umstritten, richtigerweise aber zu bejahen ist (dazu unten § 40 IV) –, müssen Gründe angeführt werden, die dafür sprechen, aus dem Rechtsstatut dieser Haftungsbeschränkungsmöglichkeit einzelne Figuren (wie die Möglichkeit einer beschränkten Verpflichtungsbefugnis nach § 2206 BGB) herauszunehmen. Derartige Gründe könnten hier nur in den Interessen des Handelsverkehrs gefunden werden. Diese werden jedoch schon über die falsusprocurator-Haftung nach § 179 BGB hinreichend geschützt. 210 Siehe dazu nur MücnKomm-Brandner, § 2206 Rn. 14. 211 Allgemein siehe Soergel-Damrau, § 2223 Rn. 3 f., 5; Staud-Reimann, § 2223 Rn. 8; MünchKomm-Brandner, § 2223 Rn. 4; Trageser, Die Verwaltungsvollstrekkung bei Vermächtnissen, 47 ff., 96; Muscheler, Haftungsordnung, 256, m. w. Nachw. in 254 Fn. 21 zur älteren Lit. 212 Siehe unten § 33 II 2 b. 209

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gen diese Beschränkungsmöglichkeit selbst, sondern allenfalls gegen die (handelsrechtliche) Zulässigkeit der echten Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch überhaupt und sollte daher auch nur dort behandelt werden. Das Für und Wider der echten Testamentsvollstreckung über ein Handelsgeschäft als gesetzlich vorgesehene Form der legalen Haftungsbeschränkung wiederum wird erst später aufgegriffen werden213. Neben diese vertragliche Haftung des Nießbrauchers tritt seine deliktische analog § 31 BGB. Warum dies so ist, wird einsichtig, wenn der Zweck der Verwaltungsvollstreckung betrachtet wird. Diese ist auf eine aktive und dauerhafte, nicht bloß – wie bei der Abwicklungsvollstreckung – vorübergehende Teilnahme am Rechtsverkehr ausgerichtet. Sie ist damit in ihrem Organisationsgefüge wie juristische Personen, OHG und KG primär außenorientiert. Nun wird bei jeder Außenorientierung die Gefahr einer „Außenschädigung“ erhöht. Wo der Primärzweck einer Handlungsorganisation – wie der der Verwaltungstestamentsvollstreckung – sich aber nur durch ein außenorientiertes Handeln erreichen läßt, darf das verwaltete Vermögen nicht nur die Vorteile dieser Außenorientierung genießen, sondern muß auch die Gefahrerhöhung für Dritte kompensieren214. Der Vermächtnisnehmer haftet daher auf den Nießbrauch beschränkbar wegen der in der Vollstreckung liegenden Gefahrerhöhung analog § 31 BGB für ein deliktisches Handeln des Vollstreckers215. Wenn der Nießbraucher durch den Testamentsvollstrecker verpflichtet worden ist, können sich die geschäftlichen Neu-Gläubiger zudem einen etwaigen Schadensersatzanspruch des Nießbrauchers gegen den Vollstrecker nach § 2219 pfänden und überweisen lassen; etwaige unmittelbare deliktische Ansprüche gegen den Vollstrecker bleiben ihnen daneben unbenommen. Sie sind schließlich nach der Testamentsvollstreckerlösung auch dadurch geschützt, daß die Eigengläubiger des Vermächtnisnehmers auf den Nießbrauch wegen § 2214 BGB nicht zugreifen können. Freilich sind Schutzlücken denkbar. So kann beispielsweise der Vollstrekker den Vermächtnisgegenstand schuldhaft schlecht verwaltet haben, ohne dem Vermächtnisnehmer selbst einen Schaden zuzufügen. Derartige Schutzlücken können durch eine Ausdehnung der Ersatzhaftung nach § 2219 BGB in der Art geschlossen werden, daß der Ersatzanspruch des Vermächtnisnehmers richtigerweise in Anlehnung an die Grundsätze der Drittschadensliquidation auf die Interessen der Gläubiger ausgerichtet ist216. Zudem kann 213

Unten § 40. Ausführlich Muscheler, Haftungsordnung, 237 ff., 243 f. 215 Muscheler, Haftungsordnung, 243 f., 406; ebenso MünchKomm-Brandner, § 2219 Rn. 18; Staud-Reimann, § 2219 Rn. 28 (ohne Bezug zu § 31 BGB); dagegen Soergel-Damrau, § 2219 Rn. 8. Die h. M. wendet hingegen § 278 BGB direkt oder analog an, siehe nur Lorz, Testamentsvollstreckung, 25 m. w. Nachw. 214

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sich der Vollstrecker gegen die Inanspruchnahme versichern, so daß den Neu-Gläubigern ein leistungsfähiger Schuldner zur Verfügung steht217. Es gilt demnach folgende Auslegungsregel: Auslegungsregel 33.3: Im Zweifel hat der Erblasser bei der echten Testamentsvollstreckungslösung dem Vollstrecker trotz § 2209 S. 2 BGB keine Befreiung i. S. § 2207 BGB erteilt.

b) Zugriff auf den Nachlaß neben dem Zugriff auf den Vermächtnisgegenstand? Beschränkt der Nießbraucher seine Haftung analog §§ 2187 III, 1992 BGB auf den Nießbrauch, haftet er den Neu-Gläubigern gegenüber nur mit diesem218. Die ganz überwiegende Ansicht läßt es hierbei auf sich bewenden und will den Neu-Gläubigern nicht daneben noch einen Zugriff auf den Nachlaß geben. Die Begründung hierfür ist, aus § 2206 BGB ergebe sich, daß die Befugnis des Vollstreckers zur Eingehung von Verbindlichkeiten für den Nachlaß an die Verwaltungsbefugnis des Nachlasses geknüpft sei, welche dem nach § 2223 BGB ernannten Vermächtnisvollstrecker nicht zustehe219. Das Problem ist kürzlich ausführlich von Muscheler220 aufgegriffen und diskutiert worden. Er hält zu Recht die von der h. M. vertretene Zugriffssperre auf den Nachlaß aus Gründen des Gläubigerschutzes für bedenklich. Blickt man auf die Interessen, widerspricht die Zugriffssperre auf den Nachlaß den Interessen der geschäftlichen Neu-Gläubiger, kommt aber den Interessen des Erben entgegen. Gegen die Zugriffssperre auf den Nachlaß lassen sich drei Argumente anführen. Einmal spricht gegen die Sperre, daß die h. M. bei einer Testamentsvollstreckung, welche auf einen im Alleineigentum des Alleinerben stehenden Nachlaßgegenstand beschränkt ist, den gesamten Nachlaß verhaften will221. Dem entsprechend wollte schon die Subkommission für die Testamentsvollstreckung bei § 2206 I BGB auch die beschränkte Vollstreckung erfaßt sehen, so daß der Verwalter trotz der Beschränkung den gesamten Nachlaß verpflichte222. Es sind aber hin216

Muscheler, Haftungsordnung, 223 ff., 405. Dazu Muscheler, Haftungsordnung, 405 Fn. 69. 218 Dazu siehe oben § 33 II 2 a. 219 Soergel-Damrau, § 2223 Rn. 3 f.; Staud-Reimann, § 2223 Rn. 8; MünchKomm-Brandner, § 2223 Rn. 4; Trageser, Die Verwaltungsvollstreckung bei Vermächtnissen, 47 ff., 96. 220 Muscheler, Haftungsordnung, 255 f. 221 Vgl. nur MüchKomm-Brandner, § 2208 Rn. 9; Staud-Reimann, § 2208 Rn. 10; Kipp/Coing, Erbrecht, § 69 I 2; Palandt-Edenhofer, § 2208 Rn. 5; SoergelDamrau, § 2206 Rn. 6; ausführlich Muscheler, Haftungsordnung, 249 ff. 222 Prot. V, 530; dazu siehe nur Muscheler, Haftungsordnung, 247 f. 217

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sichtlich der Befugnis, für den gesamten Nachlaß Verbindlichkeiten einzugehen, keine Unterschiede ersichtlich zwischen einem Vermächtnisvollstrekker und einem Testamentsvollstrecker, der nur einen Nachlaßgegenstand verwalten darf. Beides mal bezieht sich die testamentsvollstreckungsrechtliche Verwaltungsbefugnis nicht auf den ganzen Nachlaß, gleichwohl soll nur der eine der beiden Vollstrecker den gesamten Nachlaß verpflichten dürfen – warum? Aus Sicht des Erben ist es doch einerlei, ob der Vollstrecker einen Vermächtnisgegenstand oder einen Nachlaßgegenstand verwaltet; ihm ist wichtig, daß sein testamentsvollstreckungsfreies Erbe nicht verhaftet wird. Was dem einen Vollstrecker eröffnet ist, kann von der Interessenlage her daher dem anderen nicht verwehrt sein. Zudem ginge – zweites Argument – ohne Begründung von Nachlaßverbindlichkeiten im Fall der Nachlaßinsolvenz den geschäftlichen Neu-Gläubigern ihr Haftungssubstrat in toto verloren, wenn der Nachlaßinsolvenzverwalter gem. § 322 InsO den Vermächtnisgegenstand zur Masse zieht, und sie sich damit noch nicht einmal an der Nachlaßinsolvenz beteiligen dürften, § 325 InsO. Eine derartige Folge dürfte untragbar sein223. Würde der Vermächtnisvollstrecker nicht den Nachlaß verpflichten, würde mithin den Neu-Gläubigern gar nichts mehr haften – der Vermächtnisnehmer selbst haftet persönlich ja nicht, wenn er seine beschränkbare Haftung gem. § 2187 III, 1992 BGB geltend macht. Es käme der Sache nach dann im Fall der Nachlaßinsolvenz bei einer echten Testamentsvollstreckung über ein vermächtnisweise zugewendetes Unternehmen zu einem verwalteten Vermögensinbegriff, welcher der Haftung für Neuschulden entzogen ist. Dies ist trotz der richtigerweise anzunehmenden Zulässigkeit der echten Testamentsvollstreckung über ein einzelkaufmännisches Unternehmen nicht angängig. Denn bei dieser steht immerhin der gesamte Nachlaß als Haftungssubstrat zur Verfügung, während den Neu-Gläubigern hier ihre Haftungsmasse sämtlich entzogen würde. Ihnen muß deshalb der Weg eröffnet werden, an der Nachlaßinsolvenz teilzunehmen; ansonsten wäre eine echte Testamentsvollstreckung über ein vermächtnisweise zugewendetes einzelkaufmännisches Unternehmen kaum tragbar. Der Gesetzgeber hat dieses Problem augenscheinlich planwidrig nicht gesehen. Diese Lücke sollte daher geschlossen werden. Was nunmehr noch gegen eine Schließung der Lücke spricht, sind die Interessen des Erben, den Nachlaß vor einem Zugriff der geschäftlichen Neu-Gläubiger zu schützen. Diese Interessen sind indes – drittes Argument – nicht schützenswert. Denn der Erbe erwirbt von Todes wegen. Dies ist ein gegenüber dem Erwerb unter Lebenden außerordentlich anders einzuschätzender Erwerb. Die Rechtsmacht des Erben leitet sich allein von der 223

So auch Muscheler, Haftungsordnung, 254 f.

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letztwilligen Verfügung des Erblassers ab, die wiederum – recht verstanden – als Ausdruck seiner Persönlichkeit begriffen werden muß. Die Testierfreiheit ist funktional nichts anderes als ein Persönlichkeitsrecht, welches sich den herkömmlichen Kategorien des Vermögensrechts verschließt224. Ist dem so, ist das weitere dann einfach: (i) Der Erblasser hat ein Vermächtnis an seinem Unternehmen ausgesetzt und hierüber echte Testamentsvollstreckung angeordnet. (ii) Würde der Vermächtnisvollstrecker nicht zugleich auch den Nachlaß verpflichten können, wäre die Anordnung der Testamentsvollstrekkung möglicherweise unzulässig, weil es zu einem der Haftung für Neuschulden entzogenen verwalteten Vermögensinbegriff kommen könnte. (iii) Stünden diesem Verdikt einzig Interessen des Erben entgegen, müssen diese notgedrungen gegenüber den Interessen des Erblassers (der ja die Vermächtnisvollstreckung will) zurückstehen. Ansonsten würde der erbrechtlichen Wertung nicht hinreichend Rechnung getragen, nach der der Erwerb des Erben funktional auf die Entfaltung der Persönlichkeit des Erblassers gerichtet ist. Die auf den Nachlaß bezogenen Interessen des Erben werden gegenüber dem Erblasser nun einmal allein über die Sittenwidrigkeitsprüfung der Verfügung von Todes wegen nach § 138 I BGB geschützt225, während dem Schutz des Privatvermögens des Erben über dessen beschränkbare Erbenhaftung Rechnung getragen wird. Nach all dem verschlagen Interessen des Erben nicht, einen Zugriff auf den Nachlaß zu sperren. Aus all dem folgt: Der Vermächtnisvollstrecker verpflichtet – wenn man der echten Testamentsvollstreckungslösung überhaupt folgen will – analog § 2206 BGB neben dem Vermächtnisgegenstand gem. § 2206 BGB auch den Nachlaß226. Kommt es zum Haftungsfall, haften der Erbe und der Vermächtnisnehmer den geschäftlichen Neu-Gläubigern gesamtschuldnerisch227. Hat der Vermächtnisnehmer seine Haftung noch nicht beschränkt, treffen ihm im Innenverhältnis zum Erben die Geschäftsschulden allerdings voll, da sich aus der Natur der Sache eine andere als die in § 426 Abs. 1 BGB vorgesehene Haftung zu gleichen Teilen ergibt228. Kommt es zur Haftungsbeschränkung auf den Vermächtnisgegenstand, scheidet freilich ein jeglicher Regreß im Innenverhältnis aus. Ansonsten könnte der Erbe unbeschränkt auf das Privatvermögen des Vermächtnisnehmers zugreifen, wovor diesen gerade die Haftungsbeschränkung analog §§ 2187 III, 1992 BGB schützen sollte. Unbillig ist diese Zugriffssperre für den Erben nicht. Denn er muß nunmehr

224 225 226 227 228

Dazu oben § 2 I sowie Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, passim. Dazu Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 12. Ebenso Muscheler, Haftungsordnung, 256. Muscheler, Haftungsordnung, 256. Im Ergebnis so auch Muscheler, Haftungsordnung, 256.

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auf den Nachlaß bis zu dessen Erschöpfung zurückgreifen und kann sein Privatvermögen durch seine Haftungsbeschränkungsmöglichkeiten schützen. Letztlich wird damit der Nachlaß haftungsrechtlich quasi wie eine Einheit behandelt. Nur so werden zum einen die Haftungsbeschränkungsmöglichkeiten aller gewahrt, die von Todes wegen erworben haben. Und nur so wird zum anderen dem Umstand Rechnung getragen, daß die letztwilligen Anordnungen des Erblassers nicht aufgrund von Einwänden als unzulässig angesehen werden, welche sich aus den Interessen der von Todes wegen Erwerbenden ergeben – und gerade dies liegt auf der Linie eines recht verstandenen personfunktionalen Erbrechts.

3. Zusammenfassung zur Haftungsordnung

Zusammenfassend stellt sich die Haftungsordnung bei der echten Testamentsvollstreckerlösung daher wie folgt dar. Der Erbe haftet für Alt-Schulden beschränkbar auf den Nachlaß gem. § 1967 BGB und kann wiederum im Zweifel einen ihm vermächtnisweise zugewendeten Anspruch auf Freistellung von Alt-Schulden gegenüber dem auch hier nur beschränkbar auf den Vermächtnisgegenstand haftenden Nießbraucher geltend machen, in den die Alt-Gläubiger außerhalb von Nachlaßverwaltung- und insolvenz vollstrecken können. Eine Haftung des Erben aus § 27 I HGB entfällt. Der Nießbraucher führt das Handelsgeschäft i. S. § 25 I HGB fort. Ihm steht die Haftungsbeschränkungsmöglichkeit des § 25 II HGB zu; der Erblasser wird die Haftungsbeschränkung auflageweise im Zweifel angeordnet haben. Etwaige Härten für die Alt-Gläubiger sind vom Gesetz (§ 322 InsO, § 5 AnfG) als tragbar bewertet worden und sind daher hinzunehmen. Für Neu-Schulden haftet der Nießbraucher nur, wenn der Vollstrecker für den Rechtsverkehr erkennbar als Vollstrecker gehandelt hat. Zudem muß es sich grundsätzlich um Verbindlichkeiten handeln, von denen der andere vertragsschließende Teil annimmt und annehmen darf, daß die Eingehung zur ordnungsgemäßen Verwaltung erforderlich sei (§ 2206 BGB). Für nicht erforderliche Verbindlichkeiten haftet der Vollstrecker persönlich. Neben die vertragliche Haftung des Nießbrauchers tritt seine deliktische analog § 31 BGB. Die Haftung des Nießbrauchers ist auch für die Neu-Gläubiger entsprechend dem Rechtsgedanken des § 2187 BGB auf den Nießbrauch beschränkbar (analog §§ 2187 III, 1992 BGB). Der Vermächtnisvollstrecker verpflichtet aber neben den Vermächtnisgegenstand gem. § 2206 BGB analog auch den Nachlaß. Das erste und vornehmste Ziel einer versorgungsgerechten Gestaltung, also die Entlastung des Ehegatten von jeglicher, über den Vermächtnisgegenstand hinausreichende persönliche Haftung mit dem Privatvermögen, wird durch die Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch nach all dem somit gewährleistet.

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§ 34 Die Versorgungstauglichkeit der Testamentsvollstreckung Die bisherige Diskussion hat gezeigt, daß sowohl die Testamentsvollstreckung über den Nießbrauch an einem einzelkaufmännischen Unternehmen in der Weise der Treuhandschaft als auch die Vollstreckung nach dem Vorbild der echten Testamentsvollstreckungslösung zu einer Haftung des Ehegatten führt, welche auf den Nießbrauch beschränkbar ist. Der Überlebende haftet also nicht mit seinem Privatvermögen, wenn er die erbrechtlichen Haftungsbeschränkungen gem. § 2187 III BGB analog herbeiführt. Die Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch ist damit eine versorgungsgerechte Gestaltung, soweit die Befriedigung des Haftungsverschonungsinteresses des Ehegatten in Rede steht. Um die Versorgungsgerechtigkeit der Gestaltung insgesamt beurteilen zu können, muß ein Blick auf die sonstigen Interessen des Ehegatten über das Haftungsverschonungsinteresse hinaus geworfen werden229. Hier wird sich zeigen, daß die Testamentsvollstreckung zu Lasten des Unternehmensnießbrauchs sämtliche Versorgungsinteressen des Ehegatten befriedigt, vorausgesetzt, der Ehegatte ist geschäftlich nicht vollkommen ungewandt. Vor diesem Hintergrund wird sich auch klären lassen, für welche Fallgestaltungen die Testamentsvollstreckung überhaupt das probate Mittel einer versorgungsgerechten postmortalen Ehegattensicherung bereitstellt. Bei all dem geht es – neben anderen Interessen – vor allem um zwei Interessen des Gatten: Er will zum einen, daß der Erbe-Testamentsvollstrecker das Unternehmen nicht so führt, daß sein Versorgungsinteresse auf der Strecke bleibt. Der Erbe-Testamentsvollstrecker soll also verpflichtet sein, eine versorgungsgerechte Unternehmenspolitik an den Tag zu legen. Zum anderen ist dem Ehegatten wichtig, daß er im Falle einer Unternehmensveräußerung hinreichend geschützt ist. I. Das Interesse des Ehegatten an einer versorgungsgerechten Unternehmenspolitik 1. Allgemeines

Der Testamentsvollstrecker ist dem Ehegatten gegenüber verpflichtet, das Unternehmen gehörig zu bewirtschaften. Bei der echten Testamentsvollstreckerlösung ergibt sich dies aus dem Anspruch des Vermächtnisnehmers gegen den Testamentsvollstrecker auf gehörige Erfüllung seiner Pflicht zur ordnungsgemäßen Verwaltung gem. § 2216 I BGB, flankiert durch die Sekundäransprüche auf Schadensersatz (§ 2219 BGB). § 2216 I BGB gibt einen Anspruch sowohl hinsichtlich der Vornahme ordnungsgemäßer als auch auf Unterlassung ordnungswidriger Maßnahmen; der Vermächtnisnehmer 229

Zu diesen Interessen siehe die Zusammenstellung oben § 23 II 3.

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muß sich nicht mit den Rechten aus §§ 2219, 2227 BGB begnügen230. Bei der Treuhandlösung gilt Gleiches, da der Treuhänder aus dem zugrundliegenden Treuhandverhältnis zu einer gehörigen Bewirtschaftung verpflichtet ist. Der Testamentsvollstrecker ist in beiden Fällen also zu einer unternehmerischen Tätigkeit231 verpflichtet, die dem Kriterium der „Ordnungsgemäßheit“ genügen muß. Was bedeutet dies für die Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch? Gemein heißt es, der genaue Inhalt und Umfang dieser in die Form eines unbestimmten Rechtsbegriffs232 gekleideten Pflicht zum ordnungsgemäßen Handeln würden durch die dem Vollstrecker vom Erblasser übertragene Aufgabe (§ 2203 BGB) und etwaige Verwaltungsanordnungen des Erblassers gem. § 2216 II 1 BGB bestimmt233. Innerhalb des vom Erblasser vorgesehenen Rahmens bestimme sich die Verwaltungspflicht nach dem objektiven Nachlaßinteresse, dieses wiederum durch die allgemeinen Regeln der Wirtschaftlichkeit234. Das Nachlaßinteresse diene zudem als Schranke für zu weitgehende Anordnungen des Erblassers hinsichtlich des gem. § 2220 BGB indisponiblen § 2216 I BGB235. Bei der Verwaltungsvollstreckung nach § 2209 BGB sei die Verwaltung auf Nutzbarmachung des Nachlasses gerichtet im Sinne der Erhaltung, Sicherung, Nutzung und Mehrung des jeweils verwalteten Gegenstands oder Vermögens236 nach den allgemein gültigen wirtschaftlichen Regeln unter Beachtung des erblasserischen Willens und der berechtigten Interessen des Erben237. Steht die Testamentsvollstreckung über ein Unternehmen in Rede, heißt es, Verwaltung sei „eine unternehmerische Entscheidung, die Wettbewerbspositionen sichern und ausbauen sowie Marktpotentiale und Investitionschancen nutzen muß“238. 230 Zur Anspruchsnatur des § 2216 BGB siehe nur RGZ 73, 26 (28); BGHZ 25, 275 (280, 283); BGH, NJW 1983, 40 (41); Palandt-Edenhofer, § 2216 Rn. 1, Einf § 2197 Rn. 5; MünchKomm-Brandner, § 2216 Rn. 3, 11. 231 Werbende Tätigkeiten können als solche durchaus der Nachlaßverwaltung zugeordnet werden, wenngleich dies bsp. im Insolvenzrecht auch anders gesehen wird, freilich erklärbar vor dem Hintergrund der dort geltenden Wertentscheidungen, siehe etwa Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 33.18. 232 BayOBLG, FamRZ 1996, 1013 (1015). 233 BayObLG NJW 1976, 1692; Staud-Reimann, § 2216 Rn. 4, 19; Soergel-Damrau, § 2216 Rn. 3; MünchKomm-Brandner, § 2216 Rn. 2; RGRK-Kregel, § 2216 Rn. 2. 234 MünchKomm-Brandner, § 2216 Rn. 2. 235 Vgl. zu dem flexiblen Instrument des „objektiven Nachlaßinteresses“ als Ausgleichsmodus zwischen § 2220 BGB und § 2216 II 1 BGB nur MünchKommBrandner, § 2216 Rn. 1; Soergel-Damrau, § 2216 Rn. 3; Ebenroth, Rn. 681. 236 So allgemein Siber, JhJerJb 67, 81 (107); siehe auch Waldherr, Der Begriff der „ordnungsgemäßen Verwaltung“ im BGB, 31 f.; Dauner-Lieb, Unternehmen, 235 ff. 237 Staud-Reimann, § 2216 Rn. 4; Holtz, Die verwaltende Testamentsvollstrekkung, 28 ff.

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Dem Begriff der Ordnungsmäßigkeit wird also mit dem Rekurs auf ein objektives Nachlaßinteresse eine objektive Ausrichtung verliehen239. Doch gilt dies nur für die „normalen“ Testamentsvollstreckungen. Bei der Unternehmenstestamentsvollstreckung wird diese Objektivierung sogleich mit Rücksicht auf die erforderliche „besondere Eigeninitiative“240 des Testamentsvollstreckers zurückgenommen. Dem Vollstrecker wird ein breiter Ermessensspielraum eingeräumt, innerhalb dessen eine ordnungsgemäße Verwaltung möglich ist, ohne daß er zur objektiv günstigsten Maßnahme verpflichtet wäre. Dementsprechend wird der Einfluß des Kriteriums der „allgemein gültigen wirtschaftlichen Regeln“ auf die Beurteilung des Ordnungsgemäßheit des Vollstreckerhandelns in zweifacher Weise modifiziert: Die Entscheidungen des Testamentsvollstrecker müssen zum einen nur „nachvollziehbar“ sein. Zum anderen denaturieren die „wirtschaftlichen Regeln“ zu bloßen topoi unter mehreren innerhalb einer komplexen Abwägung. Es heißt dann, der Vollstrecker müsse bei seiner Entscheidung „allgemeine, nachvollziehbare wirtschaftliche Gesichtspunkte“241 beachten242. Verschlagwortet wird diese tendenzielle Entpflichtung des unternehmerisch tätigen Testamentsvollstreckers schließlich in der Metaphorik eines „dynamischen Kaufmanns“, der um der Chancen am Markt willen auch spekulative Risiken eingeht und eingehen darf, falls eine Schädigung des verwalteten Gegenstands nicht absehbar ist und die Risiken selbst tendenziell abwägbar sind243. Jüngst ist durch Waldherr versucht worden, dieses Leitbild durch eine Trennung zwischen den in einer konkreten Situation möglichen unternehmerischen Handlungsalternativen auf der einen und der allein im Ermessen des Vollstreckers stehenden Auswahlentscheidung der konkreten Alternative 238

Waldherr, Der Begriff der „ordnungsgemäßen Verwaltung“ im BGB, 219. Staud-Reimann, § 2216 Rn. 4. 240 Staud-Reimann, § 2216 Rn. 7. 241 Bengel/Reimann-Schaub, Handbuch der Testamentsvollstreckung, Kap. IV Rn. 27. 242 Allgemein zum Ermessensspielraum des Unternehmers Dauner-Lieb, Unternehmen, 20 ff., 25 ff. 243 BGHZ 25, 275 (280, 283); BGH, WM 1967, 25 (27); BGH, NJW 1987, 1070 (1071); ZEV 1995, 110; BayObLGZ 1990, 177; Staud-Reimann, § 2216 Rn. 7; Erman-M. Schmidt, § 2216 Rn. 3; MünchKomm-Brandner, § 2216 Rn. 2 Fn. 10; Bengel/Reimann-Schaub, Handbuch der Testamentsvollstreckung, Kap. IV Rn. 27; Haegele/Winkler, Der Testamentsvollstrecker, Rn. 167 a; Schmidt-Kessel, WM 1988 Sonderbeilage 8, 13. Das Fallmaterial und die Literatur entwickelte sich durchweg anhand der Frage, welches Risikos bei Anlageentscheidungen des Testamentsvollstreckers bei der Verwaltung des zum Nachlaß gehördenden Geldes noch akzektabel ist; die hier getroffenen dogmatischen Vorentscheidungen sind auf Maßnahmen anderer Art mit unternehmerischen Einschlag übertragbar, so auch Waldherr, Der Begriff der „ordnungsgemäßen Verwaltung“ im BGB, 212. 239

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selbst auf der anderen Seite zu präzisieren. Ob eine Handlungsalternative überhaupt zur Verfügung steht, stünde – so heißt es – nicht im Ermessen des Vollstreckers, sondern entscheide sich vor dem Forum der nach objektiven Regeln wirtschaftlichen Handelns zu beurteilenden und darüber hinaus einer interessenbezogenen Einzelfallbetrachtung zu unterwerfenden Ordnungsgemäßheit der möglichen Handlung244. Die Waldherrsche Unterscheidung ist ersichtlich an einem ökonomischen Entscheidungskalkül orientiert, das in der ökonomischen Entscheidungstheorie seine reifste Ausprägung erfahren hat und das im theoretischen Verweisungszusammenhang der Mikroökonomik eine der tragenden Grundlagen des ökonomischen Handlungsmodells bereitstellt. Ökonomische Modelle sind aber nur Modelle und damit vereinfachende und abstrahierende Abbildungen der Wirklichkeit, welche zudem an einer rein wirtschaftlichen Vernunft im Kontext zweckrationalen Handelns orientiert sind. Ob ökonomische Modelle zutreffend gewählt worden sind, ist keine Frage von richtig oder falsch, sondern eine solche der Zweckmäßigkeit245. Es ist durchaus zweifelhaft, ob die Option für eine rigide Trennung zwischen der Möglichkeit einer Handlungsalternative und der Vertretbarkeit ihrer Wahl insofern zweckmäßig ist. Sicherlich kann dem Vollstrecker ebensowenig ein Ermessen zugebilligt werden, wenn ihm eine einzige ordnungsgemäße Handlungsmöglichkeit verbleibt, wie ihm unzweifelhaft ein Ermessen zukommt, wenn er seine Aufgabe auf mehreren ordnungsgemäß gangbaren Wegen zu bewältigen vermag246. In den weitaus meisten Fallgestaltungen des hochkomplexen Handlungszusammenhangs unternehmerischer Entscheidungen stellt sich die Frage, ob ordnungsgemäß gehandelt wurde, aber durchweg nicht in dieser Klarheit. Dies ist vielmehr nur im Rahmen des entscheidungstheoretischen ökonomischen Modells der Fall. Die Heuristik der Waldherrschen Trennung ist daher eher gering zu veranschlagen. Es bleibt also dabei, daß grundsätzlich bei der Unternehmensvollstrekkung die Frage, ob das Handeln des Testamentsvollstreckers ordnungsgemäß ist, sich anhand eines Gespinsts aus „Dynamik“, „Nachvollziehbarkeit“, „Wirtschaftlichkeit“ und „Abwägung“ entscheidet. Es scheint deshalb einigermaßen verwegen, den Schutz des überlebenden Ehegatten in dem Topos „Ordnungsgemäßheit des unternehmerischen Handelns“ zu verorten, da dieser dem Testamentsvollstrecker weniger Richtschnur im Handeln als Bollwerk gegenüber zu intensiven Mitbestimmungsbemühungen des auf seine Versorgung bedachten Ehegatten sein dürfte. Gleichwohl ist es sinn244 Waldherr, Der Begriff der „ordnungsgemäßen Verwaltung“ im BGB, insbes. 43 ff., 51 f., 122 ff., 125 f., 139 ff., 163 ff., 179 f., 222 ff. und passim. 245 Dazu nur Homann, Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie 7 (1988), 99 (118). 246 Staud-Reimann, § 2216 Rn. 2; MünchKomm-Brandner, § 2216 Rn. 1.

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voll, über einen Rekurs auf § 2216 I BGB das Interesse des überlebenden Teils an einer versorgungsgerechten Unternehmenspolitik zu befriedigen: Es gilt, § 2216 I BGB versorgungsgerecht auszubauen. Dieser Ausbau wird im folgenden anhand zweier Weichenstellungen von statten gehen. Einmal wird gezeigt, daß das Unternehmen auf die Versorgung des überlebenden Teils überhaupt ausgerichtet werden kann. Darüber hinaus wird versucht, den soeben skizzierten Grundansatz der h. M., mit dem die Ordnungsgemäßheit der Handlungen des Vollstreckers im Unternehmensbereich untersucht wird, zu modifizieren. Es wird für ein präziseres Modell eines normativen Rahmens des unternehmerischen Handelns votiert, der die Versorgungsgerechtigkeit der hier zur Debatte stehenden Gestaltung prägnant hervortreten läßt. 2. Die versorgungsgerechte Ausrichtung der Unternehmenspolitik

Das vererbte Unternehmen wird zumindest dann versorgungsgerecht geführt, wenn die Unternehmensführung und -politik einen sachgerechten Ausgleich sowohl zwischen dem Eigeninteresse des Erben an einer langfristigen Maximierung des unternehmerischen Ertrags auch über den Tod des Überlebenden hinaus als auch dem Versorgungsinteresse des Ehegatten an einer Maximierung des Ertrags zu seinen Lebzeiten herstellt247. Wenn der Unternehmer auf diesen Ausgleich verpflichtet ist, ist das Unternehmen an eine unternehmensexterne Leitidee gebunden und normativ spezifisch ausgerichtet. Diese Ausrichtung entspricht im Zweifel dem Willen des Erblassers, der eine Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch angeordnet hat. Denn warum sollte er sonst zu einer derartigen Konstruktion greifen? Der einzige Sinn, der in ihr erblickt werden kann, liegt in der Gewährleistung einer sachgerechten Versorgung des Überlebenden. Es gilt also: Schon durch die Anordnung der Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch zeigt der Erblassser, daß mit der unternehmerischen Tätigkeit ein sachgerechter Ausgleich zwischen dem Eigeninteresse des Erben und dem Versorgungsinteresse des Ehegatten bewerkstelligt werden soll. Mit welchen Instrumenten kann dieser erblasserische Wille in die Tat umgesetzt werden? Einmal können implizite Anordnungen nach § 2216 II BGB angenommen werden, die die Ordnungsgemäßheit unternehmerischen Handelns bestimmen. Die Wahl der Gestaltung Unternehmensnießbrauch zugunsten des Ehegatten mit Testamentsvollstreckung durch den Alleinerben ist typischerweise der risikopartizipativen Versorgung des überlebenden Teils geschul247 Dazu siehe oben allgemein § 23 II 1 b, c, 3 b sowie zum Ertragsnießbrauch § 28 III 3.

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det. Die Wahl dieser Gestaltung gibt darüber hinaus zu erkennen, daß dem Erblasser an einem bestimmten Mischungsverhältnis zwischen Ehegatteneinfluß und unternehmerischem Freiraum gelegen ist. Das Maß dieses Einflusses wiederum bestimmt § 2216 I BGB. Es bedarf vor diesem Hintergrund keiner größerer interpretatorischer Phantasie, gem. § 2084 BGB die eine Vermächtnisvollstreckung durch den Alleinerben zu Lasten des Unternehmens-Nießbrauchers anordnende letztwillige Verfügung in dem Sinne auszulegen, daß das Unternehmen auf eine dem Versorgungsbedürfnis des überlebenden Teils ausgerichtete Unternehmensführung und -politik letztwillig festgezurrt worden ist. Das Ziel des unternehmerischen Handelns des Vollstreckers ist daher kraft erblasserischer Anordnung – zunächst – die Optimierung der Versorgung des überlebenden Teils. Dies kann jedoch in dieser Weite nicht stehen bleiben. Der Erblasser hat nicht nur dem überlebenden Teil einen Unternehmensnießbrauch zugewendet, sondern zugleich eine Testamentsvollstreckung durch den Alleinerben angeordnet und dadurch inzident zu erkennen gegeben, daß die Interessen des Erben nicht immer und ohne weiteres dem Versorgungsansinnen des Ehegatten nachrangig sind. Die Erbeninteressen sind demnach von dem Erblasser durchaus als schützenswert eingeschätzt worden und sollten daher auch geschützt werden. Dieser Schutz wird über das Nießbrauchsrecht bewerkstelligt. Denn Akte ordnungsgemäßer Verwaltung i. S. § 2216 I BGB dürfen nicht den dem Vermächtnisnehmer vorgegebenen Bindungen widersprechen. Zu derartigen Bindungen gehört die nießbraucherische Pflichtenstellung aus § 1036 II BGB, die der Testamentsvollstrecker daher gem. § 2216 BGB wahrzunehmen hat; § 2216 I BGB und § 1036 II BGB laufen insofern parallel248. Wie bei der Diskussion des Ertragsnießbrauchs dargelegt worden ist249, kann in § 1036 II BGB eine normative Handlungsroutine implementiert sein, nach der der Unternehmer sowohl sein Nutzenmaximierungsinteresse als auch das Versorgungsinteresse des Ehegatten bei seinen unternehmerischen Entscheidungen berücksichtigen muß. Man kann von einer gemischt versorgungsgerecht-erbenorientierten Ausrichtung des Unternehmens sprechen. Zwar ist diese gemischte Ausrichtung des Unternehmens oben nur mit Blick auf den Ertragsnießbrauch aufgegriffen und begründet worden. Die dort vorgetragenen Überlegungen und Argumente greifen aber auch bei dem unter Testamentsvollstreckung stehenden Unternehmensnießbrauch. Hieraus folgt, daß das „objektive Vermächtnisinter248 Zwar legt § 2216 I BGB den Vollstrecker auf die Regeln einer „ordnungsgemäßen Verwaltung“ fest, während § 1036 II BGB von den Regeln einer „ordnungsgemäßen Wirtschaft“ spricht. Sachliche Unterschiede sind hierin aber nicht zu erblicken, dazu nur Waldherr, Der Begriff der „ordnungsgemäßen Verwaltung“ im BGB, 30 f., 41, 44, 47 f., 51 f. 249 Siehe oben § 28 III, § 28 IV.

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esse“ auf die Einhaltung der aus § 1036 II BGB folgenden Verhaltensmaximen gerichtet ist, bei der Ausgestaltung der Unternehmenspolitik sowohl dem Versorgungsinteresse des Überlebenden als auch dem Eigeninteresse des Erben gerecht zu werden. Das Unternehmen muß also so geführt werden, daß in der Ertragslage ein sachgerechter Ausgleich zwischen dem tendenziell langfristig auch auf die Zeit nach dem Versterben des überlebenden Teils angelegten Eigeninteresse des Erben und dem auf lebzeitige Gewinnausschüttung gerichtete Versorgungsinteresse des Ehegatten hergestellt wird. Nun scheint gegen die vorgeschlagene Lösung, den Ausgleich der Erbenund Ehegatteninteressen über ein Zusammenspiel des Testamentsvollstrekker- und des Nießbrauchsrechts zu gewährleistet, die Regelung des § 2220 BGB zu sprechen. Nach dieser Vorschrift kann der Erblasser den Vollstrekker nicht von dem ihn gem. § 2216 I BGB obliegenden Verpflichtungen befreien. Es wurde schon ausgeführt250, daß die Indisponibilität des § 2216 I BGB von der h. M. so verstanden wird, daß der Erblasserwille seine Grenze in der Figur eines „objektiven Nachlaßinteresses“ finde. Dieses dient als Schranke für Anordnungen des Erblassers hinsichtlich der aus § 2216 I BGB fließenden Pflichtenstellung des Vollstreckers. Bei Lichte betrachtet steht § 2220 BGB der hiesigen Lösung gleichwohl nicht entgegen. Denn auch die „Regeln einer ordnungsgemäßen Wirtschaft“ i. S. § 1036 II BGB sind tendenziell objektiv zu verstehen251. Damit bleibt der Sicherungszweck der §§ 2220, 2216 I BGB gewahrt. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß der Maßstab, auf den die „Ordnungsgemäßheit“ der Wirtschaft i. S. § 1036 II BGB zu beziehen ist, der wirtschaftliche Zweck ist, dem das Unternehmen zu dienen bestimmt ist, und daß dieser Zweck wiederum durch den Erblasser bestimmt werden kann252. Der Erblasser kann also vorgeben, daß das Unternehmen nießbrauchsrechtlich sowohl der Versorgung des Überlebenden als auch den Eigeninteresse des Erben zu dienen bestimmt ist. Die Objektivität der bei der Unternehmenstätigkeit zu beachtenden Regeln ist nicht dadurch gehindert, daß die Setzung des Unternehmenszwecks subjektiv erfolgt. Dies kann gar nicht anders sein. Unternehmen sind zweckgebundene Veranstaltungen am Markt, somit „subjektive“ Veranstaltungen und nur in diesem Rahmen einer objektiven Betrachtung zugänglich. Pflichtgebundenheit und Interessenschutz als Kennzeichen einer ordnungsgemäßen Verwaltung253 bleiben demnach auch dann gewahrt, wenn 250

Oben § 34 I 1. Schön, Nießbrauch, 79 ff.; Staud-Frank, § 1036 Rn. 15. 252 Richtigerweise kommt es für die wirtschaftliche Bestimmung des mit dem Nießbrauch belasteten Gegenstands auf den erklärten Willen des Eigentümers an, siehe Schön, Nießbrauch, 56 ff.; MünchKomm-Petzoldt, § 1036 Rn. 5; Staud-Frank, § 1036 Rn. 15; aA (objektive Gesichtspunkte) Soergel-Stürner, § 1036 Rn. 3. 253 So Waldherr, Der Begriff der „ordnungsgemäßen Verwaltung“ im BGB, 48. 251

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der Erblasser das Unternehmen auch zur Versorgung des Überlebenden gewidmet hat. Es gilt demnach folgende Auslegungsregel: Auslegungsregel 34.1: Der Erblasser hat im Zweifel gem. § 2216 II 1 BGB angeordnet, daß der Vollstrecker sein Amt entsprechend den aus den §§ 1036 ff. BGB resultierenden Pflichten ausübt. 3. Präzisierung

a) Informationsrechte des Ehegatten Ein jeglicher sachgerechter Ehegattenschutz setzt voraus, daß der Überlebende sich über die Situation des Unternehmens informieren kann. Diese Möglichkeit steht ihm zur Verfügung: Der Ehegatte hat als unter Testamentsvollstreckung stehender Vermächtnisnehmer die Auskunftsrechte nach §§ 2218 I, 666 BGB und den Anspruch auf jährliche Rechenschaftslegung gem. § 2218 II BGB. Die dem Unternehmensnießbraucher zur Seite stehenden Informationsrechte stehen als Kontrollrechte des verwalteten Rechts unter der Verwaltungsbefugnis des Testamentsvollstreckers und können daher nicht vom Ehegatten ausgeübt werden. Im Ergebnis schadet dies nicht, da der Ehegatte sich über die erbrechtlichen Auskunftsrechte nach § 2218 BGB in die Lage versetzen kann, sich über die unternehmerischen Entscheidungen, die in der Bilanz ihren Niederschlag gefunden haben, zu informieren, um sie möglicherweise verstehen zu können. b) Zwei Fallgruppen Die kürzlich thematisierte versorgungsgerechte Ausrichtung des dispositiven Faktors des Unternehmens hat für die wirtschaftliche Handlungsfreiheit des unternehmerisch tätigen Testamentsvollstreckers einschneidende Konsequenzen. Zwei Fallgruppen sind hier des näheren zu unterscheiden. In der ersten Fallgruppe stehen diejenigen unternehmerischen Entscheidungen zur Rede, von denen angenommen werden darf, daß sie auf lange Sicht gesehen prosperitätssteigernd wirken, wenngleich zu Lebzeiten des überlebenden Teils mutmaßlich der Ertrag verringert wird. Die unternehmerische Entscheidung wirkt insofern nicht versorgungsgerecht. Es bleibt zu überlegen, wie der Ehegatte bei dieser Fallgestaltung geschützt werden kann. In der zweiten Fallgruppe geht es demgegenüber um die „normalen“ unternehmerischen Maßnahmen, bei denen eine negative Beeinflussung auf die Ertragsauskehr des Ehegatten nicht ersichtlich ist. In dieser Fallgruppe bedarf der Ehegatte keines Schutzes. Das unternehmerische Ermessen kann daher frei

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ausgeübt werden, solange nicht die Grenze zur ersten Fallgruppe überschritten worden ist. Im weiteren wird daher nur der Schutz des Ehegatten bei Fallgestaltungen diskutiert, die der ersten Fallgruppe entsprechen. c) Langfristig erst ertragswirksam werdende investive und bilanzpolitische Maßnahmen aa) Fallgestaltungen Der Erbe-Testamentsvollstrecker kann in vielfacher Weise eine Unternehmenspolitik betreiben, in der die Versorgungsinteressen des Überlebenden nicht angemessen berücksichtigt werden254. So kann er beispielsweise eine kurz- und mittelfristig ertragsmindernde, auf lange Sicht, insbesondere nach dem Tode des Ehegatten aber potentiell das Gewinninteresse des Erben maximierende materielle Bilanzpolitik verfolgen. Er kann den zu Lebzeiten des Überlebenden möglichen Ertrag etwa durch folgende Maßnahmen mindern: durch eine nicht versorgungsgerechte Festlegung des Passivierungsund Auflösungszeitpunkts von Rückstellungen sowie ihrer Bemessung, durch eine nicht versorgungsgerechte Abgrenzung von Herstellungs- und Erhaltungsaufwand, durch eine bloß am Eigeninteresse orientierte Bemessung der Abschreibungen auf den zukünftigen Wert bei Wertschwankungen im Umlaufvermögen und der Bemessung von Pauschal- und Einzelwertberichtigungen zu Forderungen sowie schließlich durch eine dem Versorgungsinteresse widerstreitende Wahrnehmung faktischer und gesetzlicher Wahlrechte für die Bewertung, Aktivierung und Passivierung sowie hinsichtlich der hierzu einschlägigen Methodenwahl255. Gerade die Ausfüllung der zuletzt genannten Wahlrechte mit den hieraus resultierenden Schätzungstolerenzen mit vertretbaren Schätzwerten hat in der Praxis ein hohes Gewicht für den Vermögens- und Erfolgsausweis des Unternehmens in der Bilanz256 – als Stichwort: die Bilanz als „Kunstwerk, ein phantastischer Rangierbahnhof“257. Eine rechtliche Gestaltungsform zur Versorgung des überlebenden Teils, die diesem für eine versorgungsorientierte Begleitung der Bilanzpolitik keine schlagkräftigen Instrumentarien bereitstellt, hat bei einer risikopartizipativ ausgerichteten Versorgung versagt. Der Erbe-Testamentsvollstrecker kann neben dieser Einflußnahme auf die Bilanzpolitik die Auskehrung eines gehörigen Ertrags an den Ehegatten auch durch investive Maßnahmen verhindern. Er kann beispielsweise solche 254 255 256 257

Dazu schon oben § 23 II 1 c. Dazu nur Winnefeld, Bilanzhandbuch, Rn. C 70 ff., C 660 ff. Winnefeld, Bilanzhandbuch, Rn. C 90. Hans Magnus Enzensberger, FAZ v. 4. September 2002, S. 35.

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Investitionsentscheidungen treffen, die auf der Grundlage fremdfinanzierten Kapitals oder der Thesaurierung des erwirtschafteten Gewinns, dank der Bildung stiller Rücklagen durch bewußte Nutzung bilanzpolitischer Möglichkeiten oder infolge außerplanmäßiger Umschichtungen des betrieblichen Vermögens ins Werk gesetzt werden können. Grundsätzlich liegt hierin ein genuines Anwendungsfeld unternehmerischen Ermessens. Gegen die unternehmerische Entscheidung ist daher grundsätzlich nichts einzuwenden. Aus der Sicht des Versorgungsinteresses des Überlebenden wird es aber kritisch, wenn die Investitionen voraussichtlich erst nach seinem Tode ertragswirksam zu Buche schlagen und damit mangels Ertragsauskehr seine Versorgung tendenziell hindern werden. In diese Bedrängnis kann der Überlebende sowohl bei einer größeren investiven Einzelmaßnahme als auch bei einer Investitionskette geraten, bei der erst die Summierung der Einzelfaktoren eine nicht versorgungsgerechte Tendenz der unternehmerischen Politik erkennen läßt. Bei beiden Fallgestaltungen – versorgungsfeindliche Bilanzpolitik und versorgungsfeindliche Investitionspolitik – kann oft nur schwerlich nachgewiesen werden, ob tatsächlich eine versorgungsfeindliche Politik vorliegt. In der Praxis unternehmerischen Handelns schlagen ja zahlreiche, auch gefühlsmäßige Faktoren zu Buche, die einer Maßnahme des Unternehmers zugrundeliegen. Die für den Schutz des Versorgungsinteresse des Gatten entscheidende Frage ist, wer die Prognosekompetenz besitzt (i) erstens hinsichtlich der „Ertragsentwicklung“, also hinsichtlich des mutmaßlichen Zeitpunkts, in der die unternehmerische Maßnahme ertragswirksam zu Buche schlägt, und (ii) zweitens hinsichtlich des voraussichtlichen Versterbenszeitpunkts des überlebenden Teils. Müssen zwischen zwei Personen Entscheidungen herbeigeführt werden, lassen sich idealtypisch – neben dem hier zu vernachlässigenden Zufallsprinzip, etwa durch Losverfahren – zwei Organisationsprinzipien unterscheiden, anhand derer es zu der Entscheidung kommen kann, nämlich das Konsensprinzip und das Prinzip autoritärer Entscheidung. Innerhalb des letzteren wiederum kann unterschieden werden nach der autoritären Entscheidung einer der beiden Personen und eines Dritten, etwa eines Richters. Das Konsensprinzip entspricht sowohl unseren Freiheitsvorstellungen am sinnkräftigsten als auch dem Paretoprinzip der ökonomischen Analyse am nachhaltigsten. Sinnvollerweise werden sich Ehegatte und der Testamentsvollstrecker daher über die sachgerechte Unternehmenspolitik einigen. Kommt es jedoch nicht zur Einigung, muß entschieden werden. Wegweisend für den Inhalt der Entscheidung ist die Frage, wer die Kompetenz besitzt, die o. g. Prognosen zu treffen, der Unternehmer-Erbe-Testamentsvollstrecker, der Ehegatte oder der Richter, den der Ehegatte anruft, wenn er sein Versorgungsinteresse nicht angemessen in der Unternehmenspolitik gewahrt sieht.

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Die Entscheidung dieser Frage ist außerordentlich schwierig. Eine jede unternehmerische Entschließung findet im Rahmen einer „bounded rationality“ (H. A. Simon) im Kontext eines immer nur limitierten Wissens258 und vor dem Hintergrund einer nur imperfekt möglichen Entscheidung statt. Erst jüngst hat deshalb Dauner-Lieb dezidiert die Frage entschieden verneint, ob unternehmerische Entscheidungen in irgendeiner Weise durch Dritte überprüfbar seien259. Sie findet sich mit diesem Votum nicht allein260. Folgt aus dieser Einsicht, daß das hiesige Projekt, § 2216 I BGB zu einem Schutzinstrument zugunsten des Ehegatten auszubauen, von vornherein zum Scheitern verurteilt ist? Davon kann keine Rede sein. Dauner-Lieb thematisiert nur den Normalfall des unternehmerisch Tätigen. Der Maßstab seines unternehmerischen Handelns ist nach der Eigenlogik des Wirtschaftssystems die Gewinnmaximierung, die er in einer Atmosphäre der Unsicherheit im „richtigen“ Handeln anstrebt. Er nimmt hierzu Risiken auf sich, die in der Tat nicht beherrschbar sind261. Zudem trifft der Unternehmer Entscheidungen unter Un258 Vgl. zur Relevanz lokalen praktischen Wissens nur Gray, Hayek on Liberty, 29 ff.; Baecker, Die Form des Unternehmens,192 ff.; im übrigen siehe instruktiv Ladeur, Das Umweltrecht in der Wissensgesellschaft, 31 ff., 51 ff.; ders., Negative Freiheitsrechte, passim. Zur rechtsdogmatischen Diskussion der „bounded rationality“ (dazu nur Eidenmüller, Effizienz, 36 ff.) jüngst Dauner-Lieb, Unternehmen, 23 f., 25 ff.; Mutter, Unternehmerische Entscheidungen, 176 ff. 259 Siehe Dauner-Lieb, Unternehmen, 302 ff., 304 ff., 184 ff., 197 f., 25 ff., die dieses Problem anhand des Anspruchs aus § 2219 BGB entwickelt, dazu siehe auch unten § 40 III. 260 Siehe nur Reuter, ZHR 135 (1971), 511 (520 ff.); Sobich, Erbengemeinschaft, 104 ff.; Ernst, Haftung, 26 ff; Schön, ZHR 158 (1994), 229 (260) für die Ordnungsgemäßheit der Verwaltung eines Unternehmens im Rahmen des Nießbrauchsrechts. 261 In systemtheoretischer Perspektive wird deutlich, daß die Verknüpfung von sozialem Handeln und Risikobeherrschung das Ergebnis eines kulturellen – besser: systeminternen, und damit auch: pluralen – Zuschreibungsprozesses darstellt, der normative Schnitte je nach der Eigenlogik des jeweilig zuschreibenden gesellschaftlichen Teilsystems legt. Die Interpretation eines Risikos als „unbeherrschbar“ ist also nicht Ergebnis ontologischer Voraussetzungen des Handelns selbst, sondern Ertrag normativer Zurechnung, die so, aber auch anders ausfallen kann. Darüber hinaus gibt es allerdings auch im Innern des ökonomischen Diskurses Zuschreibungen der Art, ein Risiko sei „beherrschbar“. Dies sind nicht nur normative Setzungen. Diese Zuschreibungen finden vielmehr auch eine materielle Basis in den handfesten sozialen Praktiken des Wirtschaftslebens selbst, in denen die Unterscheidung zwischen Beherrschbarkeit und Unbeherrschbarkeit des Risikos als spezifische Ordnungsleistung des Ökonomischen eingeschrieben ist. Zudem gründen die Zuschreibungen in den Reflexionstheorien der ökonomischen Wissenschaften (zu derartige Reflexionstheorien als Selbstbeschreibungen der Teilsysteme der Gesellschaft siehe nur Luhmann, Die Wissenschaft der Gesellschaft, 469 ff.), aus denen sie nicht nur ihre theoretische Rechtfertigung und den Anspruch universaler Geltung beziehen, sondern auch ihre Überhöhung als Ausdruck einer spezifischen Vernunft erleiden, nämlich der ökonomischen Rationalität.

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gewißheitsbedingungen262. Er trifft aber nicht nur Entscheidungen, sondern entscheidet im Anschluß an getroffene Entscheidungen. In die neue Entscheidung wird damit jenes Maß an Unsicherheit, welches durch die vorangegangene Entscheidung absorbiert worden ist, gleichsam verdeckt weitergereicht. Zugleich werden neue Ungewißheiten geschaffen. Der Unternehmer erbringt damit eine spezifische Leistung: die gleichzeitige Reduktion und Steigerung bzw. Erzeugung von Ungewißheit (Kontingenz) und schafft es damit, überhaupt „zu einem Abschluß zu kommen, indem Aufmerksamkeiten enggeführt und Konflikte abgefedert werden und für Korrekturanläße vorgesorgt wird“263. In ihrer „doppelten Leistung von Thematisierung und Reduktion der Kontingenz“ reagieren Unternehmer sehr sensitiv auf den Kontext, in den ihre Unternehmung gestellt ist264. Das unternehmerische Handeln ist daher tatsächlich unvertretbar. Dies alles kann nicht sinnvoll bestritten und sollte daher Dauner-Lieb durchaus zugestanden werden265. Doch geht es darum hier gar nicht. Bei § 2216 I BGB steht ja – bei entsprechenden Vorgaben des Erblassers – nicht die nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen anzustrebende Gewinnmaximierung in Raum, sondern die Fragen, ob a) gerichtlich über die rechtliche (nicht also: wirtschaftliche) Richtigkeit der Entscheidung des Unternehmers überhaupt sinnvoll befunden werden kann und ob b) dem Richter hierbei nicht seinerseits kraft § 2216 I BGB ein Beurteilungsspielraum zur Seite steht, in dessen Rahmen er die Verwaltungsentscheidungen des Testamentsvollstreckers beurteilen kann; beidesmal gilt es zu beachten, daß Richtschnur des unternehmerischen Handelns eben nicht die Grundsätze betriebswirtschaftlicher Gewinnmaximierung darstellen, sondern die Vorgaben des Erblassers, auch das Versorgungsinteresse in der Unternehmenspolitik zu berücksichtigen. Prozessual geht es darum, ob der Ehegatte etwa auf Unterlassung einer bestimmten für ihn nachteiligen Bilanzierungs- oder Investitionsentscheidung oder sogar – falls sich das unternehmerische Ermessen auf die Ausübung einer einzigen Entscheidung reduziert hat – auf Vornahme einer bestimmten Bilanzierungs- oder Investitionsentscheidung klagen kann. Richtigerweise besitzt die Prognosekompetenz sowohl hinsichtlich der Ertragsentwicklung als auch hinsichtlich des mutmaßlichen Versterbenszeitpunkts des Ehegatten im Streitfall nicht der Testamentsvollstrecker. Die Entscheidung, ob das Versorgungsinteresse gewahrt ist, muß vielmehr im Streitfall dem Richter überantwortet werden. Zwar stehen auf der einen Seite einem derartigen Rekurs auf das Prinzip der autoritären Drittentschei262 263 264 265

Dazu und zum folgenden Baecker, Die Form des Unternehmens, 192 ff. Baecker, Die Form des Unternehmens, 195. Baecker, Die Form des Unternehmens, 196, dort auch das Zitat. Überzeugend daher Dauner-Lieb, Unternehmen, 20 ff., 25 ff.

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dung durchaus gewichtige Gründe entgegen, besteht doch nicht nur die Gefahr, daß der Entscheidungsberechtigte sein eigenes Interesse verfolgt und sei es auch nur sein Bequemlichkeitsinteresse. Vielmehr muß doch sehr bezweifelt werden, daß richterliche Autorität und weitblickende Wirtschaftlichkeit immer Hand in Hand gehen. Auf der anderen Seite darf nicht vergessen werden, daß sowohl der Erbe als Testamentsvollstrecker als auch der Ehegatte als Unternehmensnießbraucher eine Berechtigung hinsichtlich des Unternehmens aufweisen. Die unternehmerische Alleinverantwortlichkeit des Testamentsvollstreckers ist damit nicht quasi naturhaft gegeben. Würde nun statt durch die autoritäre Drittentscheidung durch den Richter das Prognoseproblem durch eine autoritäre Selbstentscheidung des Testamentsvollstreckers bewältigt, könnte der Unternehmer praktisch jeglichen Schutz des Ehegatten unter Verweis auf das ihm zukommende, nicht überprüfbare Ermessen vereiteln. Ein derartiger Ausfall des Ehegattenschutzes bei einer risikopartizipativen Gestaltung kann angesichts der geschilderten Mißbrauchsgefahr vor dem Hintergrund des vom Erblasser gewollten Ehegattenschutzes nicht hingenommen werden. Für eine Prüfungskompetenz des Richters spricht auch folgender Gedanke: In praxi dürfte es durchweg nicht einfach sein zu erkennen, ob es zu einer „versorgungsfeindlichen Tendenz“ in der unternehmerischen Entscheidung gekommen ist. Falls nun irrtümlich auf das Vorliegen einer derartigen Tendenz erkannt worden wäre, müßte der Vollstrecker unter sogleich266 näher geschilderten Umständen zu Unrecht von seinem unternehmerischen Vorhaben ablassen. Er wäre dann auf andere Wege der Gewinnerzielung verwiesen, ohne von einer Gewinnerzielung gänzlich lassen zu müssen. Anders gesagt: Es käme nicht zum Ausfall des unternehmerischen Interesses, sondern nur zu einer langfristig wirksam werdenden Verminderung des Ertrags. Würde umgekehrt von keiner versorgungsdysfunktionalen Tendenz ausgegangen, obwohl diese tatsächlich vorläge, bestünde von vornherein die Gefahr, daß das Versorgungsinteresse nicht nur gemindert, sondern tendenziell ausfällt. Für den Unternehmer-Vollstrecker steht mithin weniger auf dem Spiel als für den Ehegatten; sein Interesse fällt anders als das Versorgungsinteresse des Ehegatten tendenziell im Grundsatz weniger aus, wenn es als nachrangig behandelt wird. Der Erbe wird nur darauf verwiesen, den Tode des Überlebenden abzuwarten oder neue Gründe vorzutragen. Der Ehegatte ist daher schutzwürdiger. Im übrigen gilt bei fortschreitenden Lebensalter des überlebenden Teils, daß jede Gewinnthesaurierung mehr und mehr mutmaßlich erst nach dem Tode des Ehegatten ertragswirksam wird. Insofern gilt, daß bei fortschreitendem Lebensalter des Ehegatten die Wahrscheinlichkeit steigt, daß die unternehmerische Maßnahme nicht versorgungsgerecht ist. Unstimmig ist dies angesichts der zu erwartenden Folgen einer im Laufe 266

Siehe sogleich § 34 I 3 c bb.

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der Zeit immer stärker werdenden Überprüfungsmöglichkeit des unternehmerischen Entscheidens nicht: Zunehmendes Lebensalter korreliert durchweg mit einem erhöhten Versorgungsbedürfnis. Auch dies spricht für den hiesigen Ansatz. Schließlich können etwaige Befürchtungen, der Unternehmer-Vollstrecker würde anhand des § 2216 I BGB zu stark in seiner Entfaltung gehindert – was sich ja auch zum Nachteil des Ehegatten entwickeln kann –, dadurch gemindert werden, daß bei Zweifeln, ob die Maßnahme ordnungsgemäß ist, davon auszugehen ist, daß Ordnungsgemäßheit vorliegt. Nach all dem kann nicht die Rede davon sein, es sei „schlechthin unmöglich, an unternehmerisches Handeln den Maßstab ,ordnungsgemäßer Verwaltung‘ anzulegen“267. Ein derartiges Urteil geht unterschwellig davon aus, es gäbe so etwas wie die „einzig richtige“ unternehmerische Entscheidung, die zudem noch einzig nach der Eigenlogik wirtschaftlichen Handelns beurteilt werden könne und müsse. Eine solche Entscheidung gibt es in der Tat nur dann, wenn man sich – gleich einem Dworkinschen Herkules in der Rechtstheorie – einen Beobachter vorstellt, der, mit einem vollkommenen Wissen über die Handungsmittel und Handlungsbedingungen in der empirischen Wirklichkeit ausgestattet, die künftigen Ereignisse im Wirtschaftssystem unter Nutzenmaximierungskriterien punktgenau prognostizieren kann. Derartige überbordenden Idealisierungen sind für die Belange der Praxis unbrauchbar. Das Bild ändert sich freilich dann, wenn – wie gerade geschildert – die Bezugspunkte ausgewechselt werden und nicht mehr die Rede von der „einzig richtigen“ „wirtschaftlichen“ Entscheidung ist, sondern es um die Versorgungsgerechtigkeit des unternehmerischen Handelns geht, bei deren Beurteilung prognostische Kompetenzen nicht nur beim Unternehmer, sondern auch beim Richter eingelagert sind. Die richterliche Prüfungskompetenz ist so, wie sie bisher geschildert wurde, freilich für die Belange der Praxis unbrauchbar aufbereitet. Die genauen Details der richterlichen Überprüfung werden daher gleich im folgenden anhand eines Schemas einer mehrstufigen Interessenkontrolle noch entwickelt werden. Hier soll vorerst nur der Grundsatz formuliert werden, welcher lautet: Eine Überprüfung der unternehmerischen Entscheidung durch den Richter ist gem. § 2216 I BGB möglich. bb) Mehrstufige Interessenkontrolle Der Erblasser hat das Unternehmen in seiner Zielrichtung auch auf die Versorgung des Überlebenden ausgerichtet268. Er hat damit die Regeln der ordnungsgemäßen Wirtschaft i. S. § 1036 II BGB beeinflußt, welche der 267 268

So aber dezidiert Schön, ZHR 158 (1994), 229 (260). Siehe oben § 34 I 2.

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Vollstrecker gem. § 2216 BGB wahrzunehmen hat. Der Erbe-Testamentsvollstrecker ist damit letztlich kraft des Willens des Erblassers gehalten, in seiner Unternehmenspolitik zu einem gesunden Mischungsverhältnis zwischen der Befriedigung seines Eigeninteresses und des Versorgungsinteresses des Ehegatten zu gelangen. Bei langfristig erst ertragswirksam werdenden und für einen gewissen Zeitraum (oft zu der gesamten verbleibenden Lebenszeit des Gatten) den Ertrag zuerst einmal mindernden investiven Maßnahmen führt eine Investition in dem gewissen Zeitraum immer zu einer Minderung der Versorgung. Bei dem Erbe-Testamentsvollstrecker ist dies zwar zu Lebzeiten des Ehegatten nicht anders, da auch er sich aufgrund der langfristig erst ertragswirksam werdenden Investition zuerst einmal in Konsumverzicht üben muß. Insofern könnte man durchaus eine nachvollziehbare Mischung zwischen beiden Interessen wenigstens zu Lebzeiten des Ehegatten im Grundsatz ausmachen. Trägt die Investition nach einiger Zeit Früchte – was bei langfristigen Investitionen oft erst nach dem Tode des Überlebenden der Fall ist – kann der Erbe-Vollstrecker jedoch eine kräftige Ertragssteigerung verzeichnen. Demzufolge kann der Erbe – anders als der Ehegatte – seine zeitweilig geminderte Interessenbefriedigung wieder kompensieren. Mit Rücksicht auf diese Sachlage entfällt grundsätzlich bei erst nach dem Tode des Gatten mutmaßlich ertragswirksam werdenden Investitionen von einigen Gewicht eine versorgungsgerechte Unternehmensführung, da eine ausbalancierte Interessenmischung prima facie ausfällt. Insofern kann gerade nicht angenommen werden, daß die bei der unternehmerischen Tätigkeit gezogenen Gebrauchsvorteile, die zum Unterhalt des Ehegatten nicht benötigt werden, ohne weiteres qua Alleinentscheidung des Testamentsvollstreckers thesauriert werden können269. Die Entscheidung, welcher Unterhalt des Ehegatten notwendig ist, hat der Erblasser aufgrund seiner Wahl einer risikopartizipativen Gestaltung schon getroffen: Einer Risikopartizipation entspricht gerade eine Teilhabe an den steigenden Erträgnissen eines prosperierenden Unternehmens. Auszukehren ist damit nicht irgendein, insbesondere kein der Höhe nach festgelegter Unterhalt, sondern ein solcher, der der vermächtnisweise ausgesetzten Ertragsquote entspricht. Eine ausbalancierte Interessengewichtung kann daher nur angenommen werden, wenn der Unternehmer Gründe vorträgt, die die an sich unausgewogene Interessenmischung akzeptabel erscheinen lassen. Für diese Begründung reicht es nun nicht aus, entsprechend den allgemeinen Regeln einer ökonomischen Vernunft auf die nachvollziehbare Sachgerechtigkeit einer konkreten Investition oder Bilanzentscheidung zu verweisen. Damit würde nur gezeigt, daß die anstehende Maßnahme das Nutzenmaximie269 So aber RG, Recht 1922, Nr. 615; zustimmend Waldherr, Der Begriff der „ordnungsgemäßen Verwaltung“ im BGB, 143.

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rungsinteresse des Erben-Unternehmers nachvollziehbar fördert. Dies ist aber nur eine notwendige, nicht aber eine hinreichende Bedingung für die Zulässigkeit der Wahl der konkreten Maßnahme. Denn Gründe für die Tatsache, daß die Folgen einer anstehenden unternehmerischen Entscheidung dem unternehmerischen Eigeninteresse wenigstens für die Zeit nach dem Ableben des Ehegatten entsprechen, sind sowieso für eine sachgerechte Unternehmensführung erforderlich. Sie können daher nicht die Begründung ersetzen, warum es zu einer Verringerung des Versorgung kommen darf. Es kann also nicht allein auf die ökonomische Sachgerechtigkeit der Entscheidung – auf ihre „Wirtschaftlichkeit“ – ankommen. Der Testamentsvollstrekker muß vielmehr auch Gründe jenseits einer ökonomischen Zweckrationalität oder einer instrumentell auf Nutzenmaximierung am Markt bezogenen Vernunft vortragen. Diese Gründe müssen um so gewichtiger sein, desto stärker das Versorgungsinteresse des Ehegatten durch die unternehmerische Maßnahme beeinträchtigt ist. Hinter einer derartigen Abstufung in der Begründungspflicht steht der Gedanke, daß das Gewicht der betroffenen Interessen nicht an sich oder absolut bestimmbar ist, sondern sich nur relativ zueinander ergeben kann270. Er darf die das Versorgungsinteresse beeinträchtigende unternehmerische Maßnahme treffen, wenn das Versorgungsinteresse nicht sein Handlungsinteresse überwiegt. Abwägungsschwierigkeiten sind damit selbstverständlich nicht ausgeschlossen. Das hier vorgeschlagene Abwägungsmodell ist dennoch nicht wertlos, da es klarstellt, was zu begründen ist: Sätze über Beeinträchtigungs- und Wichtigkeitsgrade271, die die Präferenz bsp. für das Eigeninteresse des Erben begründen. Würde bei der anstehenden Investition das Versorgungsinteresse stark beeinträchtigt, muß der Testamentsvollstrecker mithin Umstände vortragen, deren Nichteintritt in einem ähnlich starken Ausmaß oder sogar noch stärker als der teilweise Ausfall des Versorgungsinteresses sein eigenes Leben negativ beeinflussen. Er könnte bsp. vortragen, sein unternehmerischer Lebensentwurf schließe eine kapitalintensive Branchenänderung oder -ausweitung ein, vor deren Hintergrund sich die Investition als notwendig erweise. Zugegebenermaßen sind bei einem derartigen Rekurs auf die Personalität des unternehmerisch Handelnden selbstverständlich Manipulationen nicht ausgeschlossen. Der Vollstrecker ist hier auf Wahrhaftigkeit und Konsistenz der Darstellung verwiesen, die der Begründungslast in diesen Fällen zugleich ihr tieferes Gepräge gibt. Der Erben-Unternehmer kann bei der richterlichen Überprüfung seiner Maßnahme schließlich auch nicht einwenden, die konkrete unternehmeri270 Siehe zu dem hier durchschimmernden „Abwägungsgesetz“ Alexy, Theorie der Grundrechte, 146 ff. 271 Allg. dazu Alexy, Theorie der Grundrechte, 150.

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sche Entscheidung sei grundsätzlich Ausdruck seines weiten unternehmerischen Ermessens und von dieser Warte aus prinzipiell unangreifbar. Bei der richterlichen Überprüfung geht es ja nicht um eine an ökonomischen Krieterium orientierten Beurteilung, ob die unternehmerische Maßnahme wirtschaftlich sinnvoll ist. Vielmehr steht in Rede, vor dem Hintergrund eines ganzen Kranzes möglicher Gründe Interessen gegeneinander abzuwägen. Wegen dieses abwägenden Charakters der richterlichen Überlegung geht es um so etwas wie „Billigkeit“ der unternehmerischen Entscheidung. Diese ist daher – wie dies auch in anderen Fällen nicht ungewöhnlich ist, siehe etwa § 315 III BGB – mittels des gerade beschriebenen Abwägungsmodells vollständig gerichtlich überprüfbar. Der Ehegatte wird also durch die Last des Erben-Testamentsvollstreckers geschützt, für die Erforderlichkeit seines Handelns gute Gründe anzuführen, die sodann gegen sein Versorgungsinteresse abgewogen werden. Stehen dem Vollstrecker keine derartigen, das Versorgungsinteresse überwiegende guten Gründe zur Seite, darf er die unternehmerische Maßnahme nur durchführen, wenn der Ehegatte ihr zustimmt. Einen Sonderfall gilt es noch zu beachten: Falls im Einzelfall der ErbeUnternehmer-Vollstrecker überzeugend vorträgt, die anstehende Investition führe – wenn sie ihm verwehrt würde – langfristig zu einer Auszehrung des Unternehmens und in seinen Ruin, ist besonders sorgfältig zu prüfen, ob gleichwohl ausnahmsweise das Versorgungsinteresse vorrangig ist. Es müssen schon sehr gewichtige Gründe vorgetragen werden, angesichts derer in diesem Falle das Versorgungsinteresse überwiegt. Denn ansonsten bestünde nicht nur die Gefahr, daß das Eigeninteresse des Unternehmers gänzlich ausfällt. Vielmehr kann es ja auch sein, daß der Richter sich in der Prognose hinsichtlich des mutmaßlichen Versterbenszeitpunkts des Ehegatten irrt. Fiele das Unternehmen zu Lebzeiten des Ehegatten in die Insolvenz, weil der Erbe die ehemals avisierte unternehmerische Maßnahme wegen eines Vorrangs des Ehegatteninteresses nicht hat vollziehen können, bestünde mithin die Gefahr, daß die Versorgung gänzlich wegfällt. Dies kann der Erblasser nicht i. S. § 2216 II BGB gewollt haben. Insgesamt gesehen wird bei den soeben erörterten Fällen die doch sehr ungewöhnliche und lange währende Machtfülle des Testamentsvollstreckers erheblich beschnitten. Vor dem Hintergrund der bisherigen Überlegungen kann ein mehrfach gestuftes Modell der Überprüfung der Versorgungsgerechtigkeit der unternehmerischen Entscheidung des Testamentsvollstreckers formuliert werden: 1. Stufe: Liegt eine versorgungsfeindliche Entscheidung des Unternehmers vor? Dies ist eine solche investive und bilanzpolitische Maßnahme, die erst langfristig und potentiell erst nach dem Tode des

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Ehegatten ertragswirksam wird272. Falls nein, ist die Entscheidung zulässig. Falls die Frage zu bejahen ist, ist weiter zu prüfen: 2. Stufe: Trägt der Unternehmer Gründe vor, die zu einem Vorrang seines Eigeninteresses vor dem Versorgungsinteresse des Ehegatten führen? Falls ja, ist die Entscheidung zulässig; falls nein, ist sie unzulässig. Ein unternehmerisches Ermessen besteht hier nicht, die Frage ist vielmehr vollständig gerichtlich überprüfbar. Ist die Maßnahme unzulässig, ist weiter zu prüfen: 3. Stufe: Führt das Untersagen der unternehmerischen Maßnahme zur Auszehrung und tendenziell zur Insolvenz des Unternehmens? Falls die Frage bejaht wird, ist die Maßnahme zulässig, es sei denn, der Ehegatte trägt außerordentlich gewichtige Gründe vor, die dazu führen, daß sein Versorgungsinteresse als überwiegend gewichtet werden muß. cc) Der Raum zur Kompatibilisierung der Binnenrationalitäten von Wirtschaft und Familie Mit diesem Stufenschema werden die Abwägungsprobleme zwischen dem Ehegatten- und dem Erbeninteresse zwar strukturiert, sie werden aber selbstverständlich nicht weniger schwierig. Schädlich ist dies nicht. Mit dem hier auf der Grundlage des § 2216 I BGB vorgeschlagenen Abwägungsmodell wird die Hoffnung gehegt, daß sich in der Weise eines „reflexiven Rechts“273 jener Raum schaffen läßt, in welchem sich die verschiedenen Binnenrationalitäten von Ökonomie und Familie kompatibilisieren lassen. Das Recht kann hier keine harschen Vorgaben nach der Art einer festen Regel geben, sondern kann die Beteiligten nur auf die genannten Abwägungsprozesse verweisen. Es kommt gewissermaßen von einer „objektiven Regelvorgabe zur lockeren Koordination und Kompatibilisierung von Sprachspielen“274. Genauer soll mit dem hiesig unterbreiteten Abwägungsmodell eine Diskussionsarena geschaffen werden, in dem der Ehegatte und der Erbe-Unternehmer unter der ständigen Drohung mit dem Recht (§ 2216 I BGB) sich darüber Rechenschaft jeweils abgeben, warum eine vom Unternehmer geplante, beim Ehegatten auf Kritik stoßende unternehmerische Maßnahme stattfinden soll oder nicht. Wird dem Ehegatten bei diesen Verhandlungen nicht ein rechtliches Instrument (nämlich: das Insistieren auf § 2216 I BGB) in die Hand gegeben, mit dem er den Eigenlogiken des 272

Nur um solche Maßnahmen ging es bisher ja. Dazu Teubner, Recht als autopoietisches System, 87. 274 Ladeur, ARSP 69 (1983), 462 (471); siehe auch ders., Postmoderne Rechtstheorie, 160 f. 273

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familiaren Systems auch gegenüber einem betriebswirtschaftlichen Denken zu ihrem Recht verhelfen kann, wird er sich in einer denkbar schlechten Ausgangsposition finden, von dem Unternehmer ein versorgungsgerechtes Verhalten fordern zu können, da dieser sofort den Gegenschlag führen würde, wirtschaftlich gesehen sei das Begehren des Ehegatten nun einmal grober Unsinn. Das in dieser Studie vorgetragene Abwägungsmodell trägt damit den Eigenlogiken sowohl des Wirtschafts- als auch des familiaren Systems Rechnung. Da die Ökonomie vom Recht stets eine Berücksichtigung des wirtschaftlich „Vertretbaren“ verlangt275, wird mit dem Abwägungsmodell somit vermieden, daß das berechtigte Versorgungsanliegen des Ehegatten gleichsam in die „Zange“ ökonomischer Sachzwänge genommen wird. Schließlich ist mit dem o. g. Abwägungsmodell eines nicht verbunden: die gerichtliche Verwaltung über ein Unternehmen. Denn das Eingreifen des Richters wird nur in denjenigen Ausnahmefällen erforderlich sein, in denen der Ehegatte um seine gehörige Versorgung zu Recht bangen muß. Falls schließlich der Erblasser davon ausgeht, aufgrund des Abwägungsmodells sei ein dem Unternehmen nicht zumutbarer Streit vorprogrammiert, sollte er einen Dritt-Testamentsvollstrecker einsetzen, der im Falle eines nicht beilegbaren Konflikts zwischen dem Erbe-Testamentsvollstrecker und dem Ehegatten entscheidet, wie unternehmerisch zu verfahren ist. d) Sonstige Fälle unternehmerischen Entscheidens In den sonstigen Fällen unternehmerischer Entscheidung, bei denen keine versorgungsfeindliche Tendenz im oben beschriebenen Sinne im Raume besteht, verbleibt es bei der Grundregel, daß der Testamentsvollstrecker ein weites unternehmerisches Ermessen für sich reklamieren kann und der Ehegatte auf die Nachvollziehbarkeit des unternehmerischen Handelns nach den Regeln der „wirtschaftlichen Vernunft“276 verwiesen bleibt. Insbesondere kann es hier nicht zu einer Abwägung zwischen den Interessen des Vollstreckers und des Ehegatten kommen. Denn ein nicht versorgungsfeindliches unternehmerisches Handeln befriedigt ja regelmäßig beide Interessen und trägt damit dem Willen des Erblassers hinreichend Rechnung. Insgesamt gesehen sind hinsichtlich der Abgrenzung des versorgungsfeindlichen von dem sachgerechten Unternehmerhandeln schwierige Wertungsfragen vorprogrammiert. Dies mag man bedauern; angesichts der unbestimmten Fassung des § 2216 I BGB ist dies aber zugleich hinzunehmen. 275 Siehe nur Teubner, in: Kübler (Hrsg.), Verrechtlichung von Wirtschaft, Arbeit und sozialer Solidarität, 289 (323). 276 Dazu nur Waldherr, Der Begriff der „ordnungsgemäßen Verwaltung“ im BGB, 36.

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Schließlich schadet nicht, daß einer ordnungsgemäßen Verwaltung widrige rechtsgeschäftliche Handlungen des Vollstreckers im Außenverhältnisse grundsätzlich wirksam sind277 und nur zur schuldrechtlichen Inanspruchnahme des Vollstreckers im Innenverhältnis zum Vermächtnisnehmer-Ehegatten gem. § 2219 I Alt. 2 BGB führen278. Alles andere wäre mit dem Schutz des Rechtsverkehrs nicht zu vereinbaren. Das Versorgungsinteresse des Ehegatten wird insofern zumindest indirekt durch das Interesse des Vollstreckers geschützt, welches auf die Vermeidung seiner Haftung gerichtet ist. 4. Die Stärkung des Versorgungsinteresses durch § 2214 BGB

Mittelbar wird das Interesse des Ehegatten an seiner gehörigen Versorgung auch durch die Regelung des § 2214 BGB gestärkt. Danach ist der Vermächtnisgegenstand vor den Eigengläubigern des Ehegatten gesichert, da diese wegen § 2214 BGB nicht in den Nießbrauch279, sondern nur in die Erträgnisse vollstrecken können. Dem Unternehmen bleibt damit die Nutzung des nießbrauchsbelasteten Betriebsvermögens erhalten, ohne daß die Eigengläubiger des Überlebenden dessen nießbrauchsrechtlichen Rechte (insbesondere zur versorgungsgerechten Ausgestaltung des Unternehmenspolitik) in Anspruch nehmen können. Hierin kann im Einzelfall durchaus eine unabweisbare Voraussetzung für einen Erfolg eines auf die Erwirtschaftung eines gehörigen Ertrags ausgerichteten unternehmerischen Handelns zu sehen sein. 5. Unternehmensstillegung?

Im Normalfall darf der Testamentsvollstrecker ein von ihm verwaltetes Unternehmen stillegen, veräußern oder verpachten280. Bei einer Unterneh277 Eine etwaig letztwillig angeordnete Beschränkung der Rechte des Testamentsvollstreckers gem. § 2208 BGB auf eine Befugnis zum nur ordnungsgemäßen Wirtschaften, die nach hM auch gegenüber Dritten, also dinglich wirkt (so BGH NJW 1984, 2464; BGHZ 56, 275; Staud-Reimann, § 2208 Rn. 17; enger MünchKommBrandner, § 2208 Rn. 7, § 2205 Rn. 81; ganz ablehnend Lehmann, AcP 188 (1988), 1 (18)), ist nicht versorgungsgerecht, da bei dem hier interessierenden Fallgestaltungen der Ehegatte gerade von den dann unweigerlich zu erwartenden Entscheidungen in wirtschaftlichen Einzelfragen verschont bleiben sollte. 278 Dazu nur BGHZ 30, 67 (71); BGH, NJW 1983, 40 (41); RGZ 75, 299 (301 f.); 130, 131 (134 f.); KG, RJA 10, 114; KGJ 40, A 210; Staud-Reimann, 13. Bearb. § 2216 Rn. 17; MünchKomm-Brandner, § 2216 Rn. 13. 279 Durch Pfändung des Stammrechts, nicht nur der Ausübungsberechtigung, so richtigerweise die heute h. M., siehe nur Staud-Frank, § 1059 Rn. 27; MünchKommPetzoldt, § 1059 Rn. 9. Vgl. zu den Vorteilen des § 2214 BGB ansonsten ausführlich Muscheler, Haftungsordnung, 95 ff.

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mensstillegung würde die Befriedigung des Versorgungsinteresses des Ehegatten ausfallen. Nun kann der Erbe als Testamentsvollstrecker nur die Befugnisse des Unternehmensnießbrauchers besitzen. Dieser wiederum ist nach § 1036 II BGB grundsätzlich zur Fortführung des Unternehmens verpflichtet281. Schon aus diesem Grunde kann der Erbe-Testamentsvollstrekker das Handelsgeschäft nicht willkürlich stilllegen. Einer Anordnung des Erblassers derart, daß der Vollstrecker das Unternehmen nicht stillegen darf, falls keine unabweisbaren wirtschaftlichen Gründe hierfür vorliegen, ist daher nicht erforderlich. II. Das Verhältnis zwischen den Geschäftsgläubigern und der Ertragsbeteiligung des Überlebenden Es konnte bisher gezeigt werden, daß die Testamentsvollstreckung über den dem überlebenden Gatten vermächtnisweise zugewiesenen Unternehmensnießbrauch das Gatteninteresse an einer versorgungsgerechten Unternehmenspolitik angemessen befriedigt. Wie ist nun das Verhältnis zwischen den Geschäftsgläubigern und dem Ertragsfluß an den Ehegatten. Hat dieser gegenüber den Geschäftsgläubigern einen bevorrechtigten Zugriff auf den Ertrag? Dies ist nicht der Fall. Alles andere wäre auch nicht zu erwarten, da die Testamentsvollstreckung den Ehegatten-Unternehmensnießbraucher primär vor den Unannehmlichkeiten des unternehmerischen Handelns und der unternehmerischen Haftung bewahren möchte. Der Unternehmensnießbraucher soll risikopartizipativ am Reinertrag teilhaben. In diesem sind aber eben die Geschäftsschulden schon berücksichtigt. Will der Erblasser den überlebenden Teil auch gegenüber den Geschäftsgläubigern sichern, mag er zu den dinglichen Sicherungsmitteln der risikoaversen Versorgungsmodi greifen. Die Interessenlage ist hier nicht anders als beim Ertragsnießbrauch282. III. Der Zugriff auf die Unternehmenserträge Auf einer ganz anderen Ebene ist die Frage angesiedelt, ob der Nießbraucher ohne weiteres auf die Unternehmenserträge zugreifen kann. Gerade dem steht jedoch die Testamentsvollstreckung am dinglichen Nutzungsrecht entgegen – und zwar sowohl bei der Treuhand- als auch bei der echten Testa280

Siehe nur Staud-Reimann, § 2205 Rn. 103. Soweit hier Bedenken im Einzelfall im Hinblick auf einen damit etwaig verbundenen unzulässigen Eingriff in die wirtschaftliche Handlungsfreiheit des Vollstreckers gegeben sind, gelten die diesbezüglichen Ausführungen im Rahmen des Ertragsnießbrauchs für den Testamentsvollstrecker sinngemäß, oben § 28 II 5. 282 Dazu oben § 28 II 2. 281

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mentsvollstreckerlösung. Diese stellen ja nur Ersatzlösungen für bestimmte Schwierigkeiten im Außenverhältnis des einzelkaufmänischen Unternehmens bereit, ändern aber nichts an der Testamentsvollstreckerbefugnis im Innenverhältnis zum Nießbraucher. Nun wird von der Rechtsprechung und einem Teil der Literatur vorgetragen, bei der Verwaltungsvollstreckung über den Nachlaß sei der Vollstrecker ohne besondere Anordnung des Erblassers und abgesehen vom Fall des § 2338 I 2 BGB grundsätzlich nicht verpflichtet, die Erträge des verwalteten Sondervermögens alljährlich an den Rechtsinhaber auszukehren, sondern könne sie auch thesaurieren283. 1. Rücklagenbildung und Neuinvestitionen zu Lasten des Ehegatten – Vollstreckervergütung

In dieser Breite kann dies allerdings auch für die Vermächtnistestamentsvollstreckung nicht richtig sein. Rücklagenbildung und Neuinvestitionen sind dem Vollstrecker nicht eo ipso, sondern gem. § 2216 I BGB (bei der echten Vollstreckungslösung) oder aufgrund des Geschäftsbesorgungsvertrages (bei der Treuhandschaft) nur nach Maßgabe der Regeln einer auch die Versorgung des überlebenden Teils berücksichtigenden ordnungsgemäßen Bewirtschaftung erlaubt284. Zahlreiche Faktoren spielen in die Beantwortung der Frage hinein, welche Erträge der Testamentsvollstrecker vor diesem Hintergrund dem Nießbraucher auskehren kann und muß. Es gilt, die durch das dingliche Nutzungsrecht vorgegebenen Ertragszuweisungen, mögliche letztwillige Modifikationen derartiger Ertragszuweisungen im Rahmen des dispositiven Sachenrechts und die Verwaltungsbefugnisse des Vollstreckers aufeinander zu beziehen. Es wurde oben285 schon festgestellt, daß dem Unternehmensnießbraucher richtigerweise der Reingewinn des Unternehmens gebührt und daß das gesetzliche Schuldverhältnis der §§ 1036 ff. BGB allenfalls zu gewissen Entnahmerechten und Einlagepflichten des Nießbrauchers führt. Derartige Einlagepflichten muß der den Nießbrauch verwaltende Vollstrecker erfüllen. Er kann sich nicht darauf berufen, § 2216 I BGB gebe ihm etwas anderes, nämlich strengere Einlage- und Rückstellungspflichten und damit ein erhöhtes Maß an erst nach dem Tode des überlebenden Teils ertragswirksam werdenden Investitionen vor. Einer derartige Einlassung des Vollstreckers kann schon deshalb nicht gefolgt werden, weil der Vollstrecker bei der unternehmerischen Tätigkeit ja das Versorgungsinteresse des Ehegatten nicht außer Acht lassen darf286. Er muß als 283 RG, JR 1929 Nr. 1652; BGH, RPfl 1986, 434; FamRZ 1988, 279; Staud-Reimann, § 2209 Rn. 19. 284 Siehe oben § 34 I, siehe auch für den Allgemeinfall MünchKomm-Brandner, § 2209 Rn. 12. 285 Oben § 27 II 3.

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Ausfluß seiner Pflichtenstellung nach § 2216 BGB im Grundsatz sowohl das auf lange Sicht angelegte Gewinnmaximierungsinteresse des Erben als auch das auf seine überblickbare Lebenszeit angelegte Gewinnmaximierungsinteresse des Ehegatten und damit die Entscheidungen zwischen Investition und Konsum miteinander ausbalancieren287. Damit wären aber mutmaßlich erst nach dem Tode des überlebenden Teils ertragswirksam werdende Maßnahmen nur vereinbar, wenn das Eigeninteresse des VollstreckerUnternehmers das Versorgungsinteresse des Ehegatten überwiegt288. Für investive Vorhaben des Testamentsvollstreckers gilt im übrigen, daß er diese zwar tätigen darf, wenn sie unternehmerisch angezeigt sind. Dem Vollstrecker steht jedoch grundsätzlich kein Aufwendungsersatzanspruch gegen den Ehegatten aus § 2218, 670 BGB zur Seite, wenn er eigene private Mittel in das Unternehmen schießt, da der Erblasser insofern im Zweifel dem Ehegatten ein Vermächtnis auf Freistellung von derartigen Ansprüchen zugewendet haben wird. Ansonsten wäre ein Zugriff auf das Privatvermögen des Ehegatten nicht ausgeschlossen, was im Zweifel dem Willen des Erblasser aber nicht entsprechen würde. Ansonsten gelten die Ausführungen im Rahmen des Ertragsnießbrauchs hier sinngemäß289; im Falle der Zuführung privater Kapitalmittel kommt es damit zu einer relativ auf die Kapitalzufuhr zu berechnenden Verminderung der Quote, mit der der Ehegatte am Ertrag des Unternehmens partizipieren darf. Es gilt demnach folgende Auslegungsregel: Auslegungsregel 34.3: Der Erblasser hat im Zweifel den Ehegatten vermächtnisweise von solchen Ansprüchen des Vollstreckers gem. §§ 2218, 670 BGB freigestellt, die dem Vollstrekker aufgrund der Aufstockung der Eigenkapitalbasis des Unternehmens kraft Zuführung privaten Kapitals zustehen könnten.

Nach all dem gilt also für die Ertragsauskehr: Einlage- und Rücklagenpflichten hat der Vollstrecker nach Maßgabe des § 2216 BGB und damit letztlich der §§ 1036 ff. BGB zu erfüllen. Wenn nach diesen Grundsätzen eine Einlagepflicht nicht angezeigt ist, wird der Erblasser im Zweifel auch ohne ausdrückliche letztwillige Anordnung implizit verfügt haben, daß der von ihm bestimmte Teil des Ertrags zwingend an den Ehegatten auszukehren ist. Den hierüber überschießenden Ertrag, der nicht notwendig investiert oder in Rücklagen eingebracht werden muß, wird der Erblasser im Zweifel dem Erben als Vollstreckervergütung zugewendet haben290; der Vollstrecker kann ihn sich daher in Ausübung seines Amtes selbst auskehren. Falls der 286 287 288 289

Siehe oben § 34 I 2, 3. Dazu oben § 34 I. Siehe oben § 34 I 3 c. Oben § 29 III 2.

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Erblasser keinen besonderen Teil des Ertrages dem Ehegatten zugewiesen hat, wird er ihm den vollen Ertrag zukommen lassen; der Vollstrecker kann dann gem. §§ 2223, 2221 BGB291 eine angemessene Vergütung verlangen. Zumindest wird man ihm ein angemessenes Geschäftsführergehalt zuzüglich eines Risikozuschlags für das Haftungsrisiko des Vollstreckers gegenüber dem Nießbraucher für eine verfehlte Unternehmensführung geben müssen292. Es gilt demnach folgende Auslegungsregel: Auslegungsregel 34.4: Der Erblasser hat im Zweifel gem. § 2216 II BGB letztwillig angeordnet, daß er den für den Ehegatten bestimmten Ertrag an den überlebenden Teil auszukehren hat, falls keine Gewinnthesaurierung nach den Regeln ordnungsgemäßer Verwaltung angezeigt ist. 2. Die Teilhabe am Ertrag im Fall der Nachlaßinsolvenz

Im Fall der Nachlaßinsolvenz muß der Nießbrauch bei Anfechtung der vermächtnisweisen Bestellung des dinglichen Nutzungsrechts gem. § 143 I 1 InsO ebenso wie bei der Anfechtung außerhalb des Insolvenzverfahrens nach § 5 AnfG an den Nachlaß zurückgewährt werden. Hinzukommen im Grundsatz die Sekundäransprüche auf Herausgabe der bisher gezogenen Nutzungen, § 143 I 2 InsO i.V. m. §§ 819 I, 818 IV, 292 I, 987 BGB293. Zum Schutz des unentgeltlich Erwerbenden müssen beim unentgeltlich erworbenen Vermächtnisnießbrauch die gezogenen Nutzungen nur ersetzt werden, soweit der Ehegatte noch bereichert ist, § 143 II 1 InsO i.V. m. § 818 III BGB; es sei denn, ihm war bekannt oder grob fahrlässig unbekannt294, daß eine Gläubigerbenachteiligung vorlag, § 143 II 2 InsO. Für die in der Vergangenheit getätigte Teilhabe am unternehmerischen Ertrag wird der Ehegatte daher zumeist keinen Ersatz an die Masse leisten müs290 Übersteigt diese die Grenze der Angemessenheit, ist nach BayObLG, RPfl 1982, 227; Palandt-Edenhofer, § 2221 Rn. 1; Staud-Reimann, § 2221 Rn. 55, der überstehende Betrag als Vermächtnis anzusehen. 291 § 2221 BGB ist bei der Vermächtnisvollstreckung entsprechend anwendbar, Staud-Reimann, § 2223 Rn. 16. 292 Bei einer Beteiligung am Reingewinn werden Prozentsätze von etwa 10% genannt, vgl. BGH, DNotZ 1964, 168 (171); MünchKomm-Brandner, § 2221 Rn. 14; Staud-Reimann, § 2221 Rn. 53; ausführlich Möhring/Beisswingert/Klingelhöffer, Vermögensverwaltung in Vormundschafts- und Nachlaßsachen, 231 ff.; Offergeld, Die Rechtsstellung des Testamentsvollstreckers, 171 ff.; Bengel/Reimann-Eckelskemper, Handbuch der Testamentsvollstreckung, Kap. 10 Rn. 96 ff. 293 Die schon zum alten Konkursrecht vertretene Pflicht zur Herausgabe von Nutzungen (RGZ 24, 141 (145); 80, 1 (4); Jager-Henckel, § 37 Rn. 118; Kuhn-Uhlenbruck, § 37 Rn. 4), findet damit ihre positivrechtliche Regelung.

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sen. Für die Zukunft ist er hingegen nicht geschützt. Verwunderlich ist dies angesichts der mit dem unter Testamentsvollstreckung stehenden Unternehmensnießbrauch verbundenen Risikopartizipation nicht: Bei einer risikopartizipativen Versorgung muß der Erblasser dem überlebenden Teil dingliche Verwertungs- und Sicherungsrechte einräumen, wenn er ihn auch in der Nachlaßinsolvenz für die Zukunft gesichert sehen will.

3. Nochmals: Gewinnauskehr an den Ehegatten und Nachlaßinsolvenz

a) Problem Es war schon die Rede davon, daß der vom Vollstrecker erwirtschaftete Neuerwerb einschließlich der erzielten Gewinne in den Nachlaß surrogiert295. Und gleichfalls wurde schon aufgezeigt, daß diese Gewinnsurrogation für den Ehegatten nicht unproblematisch ist, da dieser in die Situation kommen kann, den zur Sicherung des Unterhalts ausgekehrten Gewinn an den insolventen Nachlaß wieder zurückzugewähren, §§ 322, 134 I, 143 II InsO296. Bei der echten Testamentsvollstreckung über ein einzelkaufmännisches Unternehmen besteht ein ganz ähnliches Problem. Auch dort surrogieren die Gewinne in den Nachlaß und auch dort besteht die Gefahr, daß der Erbe, an den die Gewinne ausgekehrt worden sind, diese im Falle der Nachlaßinsolvenz wieder – und zwar gem. § 1978 I BGB – zurückgewähren muß297. Zwar findet eine Gewinnsurrogation bei der Testamentsvollstreckung eigentlich nicht statt298. Dennoch ist sie zumindest bei der echten Testamentsvollstreckung über ein einzelkaufmännisches Unternehmen erforderlich, da die echte Testamentsvollstreckung ansonsten nicht zulässig wäre. Wie später299 noch gezeigt werden wird, ist die Notwendigkeit, wenigstens im Grundsatz eine Gewinnsurrogation in den Nachlaß anzunehmen, das Ergebnis einer praktischen Konkordanz zwischen der Personfunktionalität des gewillkürten Erbrechts und des darin eingeschlossenen Interesses des Erblassers an der Zulässigkeit der echten Testamentsvollstreckung und den berechtigten Haftungserwartungen des Geschäftsverkehrs. Frucht dieser praktischen Konkordanz ist gleichzeitig die Einsicht, daß zumindest die angemessene Versorgung des überlebenden Gatten dem Erblasser mög294

Richtigerweise ist der subjektive Tatbestand des § 143 II 2 InsO u. a. als grobe Fahrlässigkeit zu verstehen, siehe nur Wolfram Henckel, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 645 (677); unklar Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.96. 295 Oben § 32 III 2 a bb. 296 Siehe dazu oben § 32 III 2 a cc. 297 Siehe unten § 40 III 1 c. 298 Dazu unten § 40 III 1 c cc. 299 Unten § 40 III 3.

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lich sein soll. Der Gatte sollte zumindest denjenigen an ihn ausgekehrten Gewinn im Falle der Nachlaßinsolvenz behalten dürfen, der in der Höhe dem entspricht, was er an Unterhalt begehren könnte, wenn der Erblasser noch leben würde300 – auf die Ausführungen weiter unten sei hier nochmals verwiesen301. b) Problemlösung: Ausnahmsweise keine Gewinnsurrogation in den Nachlaß Bei der Testamentsvollstreckung über einen Unternehmensnießbrauch kann es zu keiner anderen Lösung als bei der Vollstreckung über ein einzelkaufmännisches Unternehmen kommen302. Der Gewinn ist daher in Höhe des soeben genannten Unterhaltsbetrags im Falle der Nachlaßinsolvenz nicht an den Nachlaß zurückzugewähren. Warum ist dies so? Die Rückgewährpflicht des Ehegatten fehlt nicht etwa deshalb, weil die insolvenzrechtliche Rückgewährvorschrift des § 143 InsO beispielsweise teleologisch reduziert oder sonstwie anders als normal ausgelegt würde. Vielmehr surrogiert richtigerweise in Höhe des oben genannten Unterhaltsbetrags der an den Ehegatten-Nießbraucher ausgekehrte Gewinn schon gar nicht in den Nachlaß, so daß schon deshalb im Falle der Nachlaßinsolvenz nichts zurückgewährt werden muß. Denn findet bei einer Verwaltungsvollstreckung über ein einzelkaufmännisches Unternehmen keine Gewinnsurrogation hinsichtlich des genannten Unterhaltsbetrags statt, kann dies bei der Verwaltungsvollstreckung über einen Unternehmensnießbrauch nicht anders sein. Ansonsten käme es zu einem nicht zu rechtfertigenden Wertungswiderspruch. Ist der Gewinn aber nicht in den Nachlaß surrogiert, wurde aus diesem auch nichts ausgekehrt, so daß an ihn auch nichts gem. § 143 InsO zurückzugewähren ist. c) Die besondere Versorgungstauglichkeit des testamentsvollstreckungsbelasteten Unternehmensnießbrauchs Die bisherigen Erörterungen haben gezeigt, daß eine Rückgewähr des Gewinns in Höhe des Betrags, welcher dem überlebenden Ehegatten als Unterhalt gebühren würde, wenn der Erblasser noch leben würde, nicht stattfindet. Ist der Ehegatte nicht bösgläubig i. S. § 143 II 2 InsO, muß er darüber hinaus wegen seiner wenig strengen Bereicherungshaftung nach § 143 II 1 InsO i.V. m. § 818 III BGB auch nicht diejenigen Gewinne zu300 301 302

Unten § 40 III 3. Unten § 40 III 3. Dazu nochmals unten § 40 III 3.

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rückgewähren, die den gerade genannten Unterhaltsbetrag übersteigen, wenn er das Empfangene für solche Dinge oder Geschehnisse verwendet hat, die er sich ansonsten nicht verschafft hätte. Bei derartigen Luxusausgaben wird regelmäßig eine Entreicherung angenommen303. Schließlich braucht der Ehegatte gar nichts mehr zurückzugewähren, wenn seit der Bestellung des Unternehmensnießbrauchs vier Jahre verstrichen sind. Denn dann ist die Erfüllung des Vermächtnisses nicht mehr anfechtbar, §§ 322, 134 I InsO. Insgesamt gesehen ist gerade der vermächtnisweise zugewandte Unternehmensnießbrauch daher auch unter insolvenzrechtlichen Aspekten eine Gestaltung, der eine besonders hohe Versorgungsgerechtigkeit zugebilligt werden kann. Die insolvenzrechtliche Stellung des überlebenden Ehegatten ist bei einem derartigen Unternehmensnießbrauch sehr viel besser ausgestaltet als die des Erben, wenn über das einzelkaufmännische Unternehmen Testamentsvollstreckung angeordnet worden wäre304. Wertungswidersprüchlich kann dies allenfalls für den sein, der das Erbrecht rein als funktionales Vermögensrecht betrachtet. Wird es hingegen personfunktionalistisch gedeutet, wird einsichtig, warum ein Wertungswiderspruch ausscheiden muß: Der überlebende Gatte erhält bei einem Nießbrauchsvermächtnis nicht die Stellung des Erben. Er nimmt damit auch nicht an den symbolischen Implikationen teil, die mit der Erbenstellung verbunden sind, und die das Gesetz immerhin für so zwingend erachtet, daß es mit der Implementation des Prinzips der materiellen Höchstpersönlichkeit reagiert hat305. §§ 322, 134 I InsO sprechen folglich mit dafür, für ein personfunktionalistisches Verständnis des gewillkürten Erbrechts zu streiten, da mit einem derartigen Verständnis leicht erklärt werden kann, warum der Ehegatte als Vermächtnisnehmer stärker geschützt wird, als er dies wäre, wenn er die Erbenstellung einnehmen würde: Er erkauft sich diesen stärken Schutz durch den Verlust der symbolischen Implikationen der Erbenstellung. IV. Die sonstigen Aspekte der Versorgungsgerechtigkeit der Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch 1. Der Versorgungsschutz in der Unternehmernachfolge

Der Testamentsvollstrecker über ein Unternehmen kann das von ihm verwaltete Unternehmen veräußern oder verpachten306. Bei der Vollstreckung über einen Unternehmensnießbrauchs ist dies anders. Vollstreckungsgegen303 304 305 306

Siehe nur BGH, MDR 1959, 109; Palandt-Thomas, § 818 Rn. 35. Zu ihrer Zulässigkeit siehe unten § 40 IV. Dazu Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 11 III 3 b. Staud-Reimann, § 2205 Rn. 103.

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stand ist der Unternehmensnießbrauch. Da der Unternehmensnießbraucher das Unternehmen nicht veräußern darf, sondern es tätig betreiben muß (§ 1036 II BGB), und da die Rechte des Vermächtnistestamentsvollstreckers nicht weiter reichen können als diejenigen des Vermächtnisnehmers, kann damit im Ergebnis der Testamentsvollstrecker als solcher das Unternehmen nicht veräußern. Veräußern kann vielmehr nur der Erbe mit Zustimmung des Testamentsvollstreckers, welcher dieser für den Nießbraucher erklärt. Mithin gilt es zu klären, wie der Ehegatte vor einer untunlichen Zustimmung des Testamentsvollstreckers geschützt werden kann. Im Innenverhältnis muß die Zustimmung den Regeln einer ordnungsgemäßen Wirtschaft entsprechen. Das einzelkaufmännische Unternehmen unterliegt nach der Veräußerung nicht mehr der Vollstreckung, da nach allgemeinen Regeln wirksam veräußerte Nachlaßgegenstände aus dem Nachlaß ausscheiden und damit nicht mehr dem Verwaltungsrecht des Vollstreckers unterliegen307 und dies bei der Vermächtnisvollstreckung nicht anders ist. Wird das Unternehmen nicht lastenfrei veräußert, setzt sich der Unternehmensnießbrauch am Unternehmen fort. Der Ehegatte wäre dann auf Verhandlungen mit dem Erwerber verwiesen, wie die weitere Art und Weise der Zusammenarbeit ausgestaltet sein soll. Freilich wird sich bei einer nicht-lastenfreien Veräußerung das Unternehmen größtenteils als nicht marktgängig erweisen; das Verhandlungsproblem wird sich für den Ehegatten daher durchweg nicht stellen. Bei einer lastenfreien Unternehmensveräußerung setzt sich der Nießbrauch am erlangten Surrogat, regelmäßig also an der Gegenleistung, kraft den Regeln der dinglichen Surrogation bei der Testamentsvollstreckung fort. Dem Ehegatten wäre damit die Teilhabe an einer ertragssteigernden Entwicklung des Unternehmens genommen. Der Testamentsvollstrecker könnte so leicht bsp. durch verdeckte Strohmanngeschäfte die Versorgung des Ehegatten von einer Risikopartizipation auf eine riskoaverse Versorgung mittels Teilhabe am erlösten Kapital umstellen und damit den vom Erblasser gewählten Versorgungsmodus hintertreiben. Die Alternative wäre eine letztwillige Beschränkung des Verwaltungsrechts nach § 2208 I BGB i. S. eines Verbots der Zustimmung zu einer Unternehmensveräußerung, die dem Erblasser sicherlich offensteht. Zwar entspricht eine derartige Anordnung nicht immer den Regeln wirtschaftlicher Vernunft; der Erblasser kann dem jedoch vorbeugen durch die Einsetzung eines weiteren Testamentsvollstreckers neben dem Alleinerben für die Situation „Unternehmensveräußerung“. Wenn insofern dem Erblasser an der risikopartizipativen Versorgung des überlebenden Teils gelegen ist und er hierzu zum Mittel des Unternehmensnießbrauchs mit Vermächtnisvollstrekkung durch den Alleinerben greift, wird er im Zweifel gem. § 2208 I BGB 307

Staud-Reimann, § 2205 Rn. 84.

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dem Vollstrecker untersagen, einer Veräußerung des Unternehmens unter Lebenden zuzustimmen. Damit wäre dem Versorgungsinteresse des Ehegatten auch in der Unternehmernachfolge Rechnung getragen. Schließlich findet der Schutz des Überlebenden vor einer sein Versorgungsinteresse hintertreibenden Unternehmensveräußerung auch auf einer anderen Ebene statt. Der Nießbraucher kann gem. § 1059 S. 2 BGB die Ausübung des Nießbrauchs einem anderen mit obligatorischer Wirkung308 und einzelne aus dem Nießbrauch fließende Rechte dem Ausübungsberechtigten auch dinglich mit der Folge überlassen309, daß der Ausübungsberechtigte die Nutzung aus der mit dem Nießbrauch belasteten Sachen ziehen kann. Dies könnte gem. § 2205 S. 2 BGB zu Lasten des Nießbrauchers auch der Testamentsvollstrecker. Verschafft der Vollstrecker einem Dritten aber die Ausübungsbefugnis am Unternehmensnießbrauch, könnte der Ehegatte nicht mehr auf den erwirtschafteten Unternehmensertrag zugreifen, sondern müßte sich ggfls. an die Gegenleistung halten, die der Ausübungsberechtigte gezahlt hat, um die Berechtigung zu erlangen. Dem auf eine risikopartizipative Versorgung des Überlebenden ausgelegten Willen des Erblassers würde dies typischerweise nicht gerecht werden. Im Zweifel wird daher der Erblasser gem. § 2208 I BGB dem Vollstrecker von Todes wegen neben der Befugnis zur Zustimmung zur Unternehmensübertragung implizit auch die Befugnis zur Übertragung der Ausübungsberechtigung entzogen haben, wenn er überhaupt zur Vermächtnisvollstreckung gegriffen hat. Hierin kann im Einzelfall eine nur schwer erträgliche Beschwerung des Erben-Testamentsvollstreckers liegen, der ein Unternehmen zwar nach Maßstäben der Versorgunsgerechtigkeit führen muß, hierin aber für sich selber keinen rechten Sinn sieht. Zwar kann der Testamentsvollstrecker sein Amt durchaus niederlegen. Der Erblasser wird ihn hierdurch aber oftmals durch eine erbrechtliche Potestativbedingung faktisch gehindert haben310. Insofern stellt sich das Problem der Einschränkung der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit auch für den Testamentsvollstrecker in aller Schärfe. Beim Ertragsnießbrauch findet sich ein ähnliches Problem, welches den ErbenUnternehmen und dessen unternehmerischer Freiheit betrifft311. Die dort gefundenen Lösungen zum Schutz des letztlich unternehmerisch Handelnden können auch auf den Testamentsvollstrecker angewendet werden, da dieser gleichfalls kraft Amtes verpflichtet ist, unternehmerisch tätig zu sein. Im Einzelfall kann daher hier wie dort die Untersagung der Zustimmung zur Übertragung des Unternehmens oder der Ausübungsberechtigung gegen 308

Ganz h. M., vgl. nur die Nachw bei Staud-Frank, § 1059 Rn. 18. Zu letzteren nur Staud-Frank, § 1059 Rn. 19; MünchKomm-Petzoldt, § 1059 Rn. 4. 310 Dazu siehe auch unten § 34 IV 3. 311 Oben § 28 II 5 b. 309

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§ 138 I BGB verstoßen. Eine maßvolle Bewertung ist hier freilich unumgänglich. Es bleibt dem Erblasser unbenommen, die wirtschaftliche Entwicklung des Nachlasses in eine bestimmte Richtung, und sei es eine versorgungsgerechte Bewirtschaftung des Unternehmens, zu lenken. Die Grenze ist freilich dann erreicht, wenn die unternehmerische Initiative des Erben-Testamentsvollstreckers nahezu völlig ausgeschaltet oder ihm eine ruinös wirkende Bindung auferlegt würde312. Hierzu ist freilich in den Regelfällen bei der versorgungsgerecht ausgerichteten Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch nichts ersichtlich. Es gilt daher folgende Auslegungsregel: Auslegungsregel 34.5: Im Zweifel hat der Erblasser gem. § 2208 I BGB dem Vollstrecker von Todes wegen neben der Befugnis der Zustimmung zur Unternehmensübertragung implizit auch die Befugnis zur Übertragung der Ausübungsberechtigung entzogen, wenn er überhaupt zur Vermächtnisvollstreckung gegriffen hat. 2. Nochmals: Haftungsschutz

Der Schutz des Nießbrauchers, nicht für geschäftliche Schulden mit dem Privatvermögen in Anspruch genommen zu werden, ist schließlich bei der Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch gleichfalls gewährleistet. Einmal liegt dies schon daran, daß Eigengläubiger des Nießbrauchers wegen § 2214 BGB nicht in den Nießbrauch, sondern nur in die Erträgnisse vollstrecken können. Darüber hinaus hat sich bei der Diskussion der testamentsvollstreckerrechtlichen Haftungsordnung gezeigt, daß sowohl bei der Treuhand- als auch bei der echten Testamentsvollstreckerlösung immer nur der Vermächtnisgegenstand und nie auch das Privatvermögen des Ehegatten verhaftet wird. Dem Ehegatten ist diese Haftungslage zweifellos zuzumuten. Ein dem Vollstreckungszugriff der Gläubiger entzogener Vermögensgegenstand ist seit dem Ende des Instituts des Fideikommiß unstatthaft; und daß er als Nießbraucher überhaupt nicht haftet und damit den Geschäftsgläubigern das Geschäftsvermögen als Haftungsgrundlage entziehen kann, kann er nicht ernstlich erwarten. Der Ehegatte muß allerdings die beschränkte Haftung im Prozeß einredeweise geltend machen und sie sich gem. § 786 ZPO im Urteil vorbehalten lassen. Zudem muß er seiner Haftungsbeschränkung bei einer Zwangsvollstreckung in unverhaftete Gegenstände durch Vollstreckungsabwehrklage Nachdruck verleihen, §§ 767, 770, 785, 786 ZPO. Dies setzt wie jede gerichtliche Rechtsdurchsetzung ein bestimmtes Maß an sozialem Handlungswissen und Handlungskompetenzen voraus, die nicht von jedem Ehegatten erwartet werden können. Dem Testa312

Siehe allgemein Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen, 278.

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mentsvollstrecker könnte zwar – in Vertretung des Ehegatten – die Führung der Abwehrklage aufgegeben werden. Ratsam ist dies aber nicht, da die Befriedigung des Haftungsverschonungsinteresses des Ehegatten in diesem Falle der Entscheidung eines Dritte, eben des Testamentsvollstreckers, überantwortet wird. Sicherlich mag dem Ehegatten der Rückgriff gegen den ihn im Prozeß vertretenen Vollstrecker zustehen, wenn dieser schuldhaft die Haftungsbeschränkung nicht einredeweise geltend macht. Versorgungsgerecht ist dies aber schon deshalb nicht, weil der Ehegatte in Ansehung dieses Rückgriffs nicht dinglich gesichert ist. Das Haftungsverschonungsinteresse könnte dann ausfallen. Einem angemessenen unternehmensbezogenen Haftungsschutz korreliert daher bei der Vermächtnisvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch das normative Bild eines wehrbereiten Ehegatten, der sich bestimmten unternehmerischen Problemlagen gewachsen zeigt. 3. Vorzeitige Beendigung der Testamentsvollstreckung?

Endlich ist die Vermächtnisvollstreckung auch deshalb versorgungsgerecht, weil der Ehegatte die Testamentsvollstreckung nicht abwenden kann. Anders als der mutwillige Erbe, für den das Recht auf Antrag der Nachlaßverwaltung ohne jede Einschränkung gegeben ist (§ 1981 I BGB) und der daher allein durch Beantragung der Nachlaßverwaltung dem vom Erblasser eingesetzten Testamentsvollstrecker den Nachlaß zumindest zeitweise entziehen kann313, steht dem Vermächtnisnehmer ein Recht auf „Vermächtnisverwaltung“ nicht zu, sondern nur die Dürftigkeitseinrede des § 1990 I BGB, vgl. §§ 2187 I, III analog, 1992, 1991 I BGB. Einer optimalen Versorgungsgerechtigkeit der Gestaltung stünde freilich das aus § 2226 BGB fließende Recht des Vollstreckers entgegen, jederzeit, nur nicht zur Unzeit (§§ 2226 S. 2, 671 II BGB) das Amt zu kündigen. Der Erblasser kann die Kündigung des Amtes durch den Testamentsvollstrecker zwar nicht ausschließen, wohl aber dadurch erschweren, daß er seine Erbenstellung für den Fall der Kündigung auflösend bedingt gestaltet314. Die Bedingung optimiert die Versorgungstauglichkeit der Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch. Gleichwohl wird der Erblasser nicht im Zweifel zugleich inzident die Erbenstellung des Erben auflösend auf die Kündigung des Testamentsvollstreckeramtes bedingt bestimmt haben. Die Verlust der Erbenstellung ist eine derartig schwere Folge für den Erben, daß sie schwerlich allein schon aufgrund der Anordnung der Testamentsvollstrek313 Das Verwaltungsrecht des Vollstreckers ruht für die Zeit der Nachlaßverwaltung, siehe RG LG 1919, 875; MünchKomm-Brandner, § 2205 Rn. 86; Staud-Reimann, § 2205 Rn. 151; Palandt-Edenhofer, § 1985 Rn. 1, § 2205 Rn. 5. 314 Siehe allgemein zur Testamentsvollstreckung hierzu nur Staud-Reimann, § 2226 Rn. 1; MünchKomm-Brandner, § 2226 Rn. 1.

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kung des Erben über den Nießbrauch des Ehegatten angenommen werden kann. Zudem ist ja gar nicht gesagt, daß eine derartige inzidente Bedingung für den Ehegatten unter Versorgungsgesichtpunkten vorteilhaft wäre, wenn nicht zugleich ein Ersatzerbe bestimmt würde. Zur Absicherung des Versorgungsinteresses des Ehegatten könnte der Erblasser mithin ausdrücklich die Erbenstellung wie beschrieben auflösend bedingt gestalten und für den Fall der Niederlegung des Vollstreckeramtes einen Ersatzerben benennen. Zum Schutz des Ehegatten könnte der Erblasser diesem auch ein auf die Niederlegung des Amtes bedingtes Vermächtnis der Art aussetzen, daß der Erbe an den Überlebenden eine gewisse Geldsumme zu zahlen hat, aus dem dieser dann seinen weiteren Unterhalt bestreiten kann. 4. Der wehrbereite Ehegatte

Dem Ehegatten steht das Antragsrecht aus § 2227 I BGB gerichtet auf Entlassung des Testamentsvollstreckers zu, wenn dieser seine unternehmerischen Pflichten grob verletzt hat. Ein wichtiger Grund i. S. § 2217 I BGB liegt allgemein dann vor, wenn ungeachtet eines Verschuldens ein begründeter Anlaß zu der Annahme besteht, ein längeres Verbleiben des Vollstreckers im Amt sei (i) der Ausführung des letzten Willens des Erblassers hinderlich, führe (ii) zu einer Schädigung oder (iii) erheblichen Gefährdung der Interessen der an den Ausführung und am Nachlaß Beteiligten, sei (iv) angesichts eines vom Vollstrecker veranlaßten und auf Tatsachen beruhenden Mißtrauens des Erben in die unparteiische Amtsführung oder schließlich (v) aufgrund eines erheblichen Interessengegensatzes zwischen Vollstrecker und Erben nicht mehr angezeigt315. Aufgrund des breiten Ermessensspielraums, dem ein Unternehmer seinem Handeln zugrundelegen darf, wird eine grobe Pflichtverletzung freilich normalerweise nur bei einem jedem einleuchtenden, also evidenten unternehmerischen Fehlverhalten angenommen316. Ein derartiger Rekurs auf Evidenz ist jedenfalls bei einer sowohl auf das Versorgungsinteresse des Überlebenden als auch auf das Eigeninteresse des Erben bezogenen Widmung des Unternehmens nicht angezeigt. Der Maßstab ist vielmehr weniger streng anzusetzen. Denn weitgehend wird davon ausgegangen, daß es bei der notwendigen Abwägung des Entlassungsinteresses des mit der Testamentsvollstreckung Beschwerten mit dem Fortführungsinteresse des Vollstreckers eine Rolle spielt, ob bsp. ein Mißtrauen des Beschwerten in die Unternehmensführung des Vollstreckers durch Tatsachen begründet sind, die bei einem objektiven Betrachter die begründete 315 BayObLGZ 1957, 317; 1976, 67; 1985, 298 (302); BayObLG, ZEV 1995, 366 (367 f.). 316 BayObLGZ 1990, 177 (182 f.).

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Besorgnis hervorrufen, daß der Testamentsvollstrecker die von ihm mit zu berücksichtigenden Interessen des Beschwerten schädigt oder erheblich gefährdet317. Falls der Vollstrecker des öfteren gegen seine Pflichtenstellung aus § 2216 I BGB verstoßen hat, liegt zumeist eine derartige Besorgnis vor. Insbesondere falls der Vollstrecker öfters pflichtwidrig solche Investitionen tätigt, die mutmaßlich erst nach dem Tode des überlebenden Teils ertragswirksam werden, kann der Schluß nahe liegen, das Versorgungsinteresse des Ehegatten sei generell künftig gefährdet. Die praktische Bedeutung des § 2227 BGB wird also gesteigert. Da der Ehegatte als Unternehmensnießbraucher nach der Entlassung des Testamentsvollstreckers das Unternehmen selbst führt, setzt die Möglichkeit, den Unternehmensvollstrecker abzulösen, freilich implizit unter Versorgungsgesichtspunkten voraus, daß der Ehegatte für das weitere Wohl des Unternehmens am Markt hinreichend durch ein gewisses Format unternehmerischen Handelns selbst Sorge tragen kann. Ist der Ehegatte hierzu nicht befähigt, ist von der Gestaltungsform „Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch“ abzuraten, falls der Erblasser nicht einen Ersatzvollstrecker entweder nach § 2197 II BGB selbst oder per Drittbestimmung nach § 2198 I BGB eingesetzt hat. 5. Die Kontrolle des Testamentsvollstreckers durch das Prozeßgericht

Die gesetzliche Zuständigkeitsverteilung zwischen Nachlaß- und Prozeßgericht legt einen Schnitt zwischen der Entlassung des Vollstreckers nach § 2227 BGB (Zuständigkeit des Nachlaßgerichts; Entscheidung durch den Richter, § 16 I Nr. 5 RPflG) und der Klage gegen den Vollstrecker auf Erfüllung der ihm obliegenden Pflichten oder Unterlassung pflichtwidriger Maßnahmen gem. § 2216 I BGB (Zuständigkeit des Prozeßgerichts). Nach hM ist die Entlassung zudem nicht im Wege einstweiligen Rechtsschutzes durchsetzbar318. Dies erscheint auch angesichts der Regelung des § 24 III FGG und der ansonsten im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit vertretenen Auffassung als sachgemäß, die einstweilige Anordnung sei zumindest für die Fälle als allgemeines Institut zuzulassen, bei denen ein dringendes Bedürfnis nach einem unverzüglichen Einschreiten bestehe319. Ansonsten käme es zwar weniger zu unvertretbaren Schwebezuständen im Hinblick auf die Frage, wem während der Zeit bis zur Entscheidung in der Hauptsache die Verwaltung über den Nachlaß oder das Vermächtnis zustünde320. 317 So allg. bsp. BayObLGZ 1976, 67; BayObLG, RPfl 1988, 265; ZEV 1995, 366; OLG Stuttgart, OLGZ 1968, 457; OLG Hamm, NJW 1968, 800; OLG Köln, RPfl 1969, 207; OLG Zweibrücken, RPfl 1977, 306. 318 OLG Köln, OLGZ 1987, 280; siehe auch OLG München, DFG 1937, 42; Staud-Reimann, § 2227 Rn. 33; ders., FamRZ 1995, 588 (590); Soergel-Damrau, § 2227 Rn. 19; MünchKomm-Brandner, § 2227 Rn. 14. 319 Habscheid, Freiwillige Gerichtsbarkeit, § 20 II 4 b.

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Denn richtigerweise ginge die Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis auf den Ersatzvollstrecker oder den Erben über321. Ein derartiger Übergang würde jedoch mutmaßlich nicht den Intentionen des Erblassers entsprechen. Dem Anspruch aus § 2216 I BGB steht hingegen der einstweilige Rechtsschutz nach §§ 935 ff. ZPO zur Seite322. Die Versorgungsgerechtigkeit der Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch wird dadurch gesteigert. Nun ist die Zuständigkeit des Nachlaßgerichts nach den §§ 2197 ff. BGB ausschließlich. Der BGH hat mit Blick hierauf bei Maßnahmen, die in einem Verfahren nach § 2227 BGB zu einer Entlassung des Vollstreckers führen könnten, erkannt, daß „die Berechtigung des Vorgehens des Testamentsvollstreckers (. . .) in der Regel nur im Rahmen der Entscheidung eines Antrags auf Entlassung des Testamentsvollstreckers nach § 2227 BGB“323, also nur durch das Nachlaßgericht und zudem – als notwendige Folge – ohne die Möglichkeit einstweiligen Rechtsschutzes überprüft werden dürfe. Das Prozeßgericht stünde außen vor, da es ansonsten „in einer vom Gesetz nicht gewollten Weise die Tätigkeit des Vollstreckers überwachen und unter Umständen hemmen würde“324. Daraus wird in der Literatur verbreitet der Schluß gezogen, Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes durch das Prozeßgericht schieden dort aus, wo der Anwendungsbereich des § 2227 BGB beginne; die prozeßgerichtliche Kontrolle des Vollstreckers verbleibe daher im überwiegend reaktiven Bereich325. Dem muß dezidiert widersprochen werden. Die Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch konnte – dies haben die bisherigen Überlegungen hinlänglich gezeigt – so ausgebaut werden, daß der Ehegatte Einfluß auf die Unternehmensführung nehmen konnte, um sein Versorgungsinteresse besser abzusichern. Insofern ist eine schneidige und schnelle Überwachung des Vollstreckers vom Gesetz im Gegensatz zur Festellung des BGH nicht ungewollt, sondern durchaus angestrebt. Wäre der einstweilige Rechtsschutz hier tendenziell um so eher unstatthaft, desto stärker der Bereich des dem Antrag zugrundeliegenden Lebenssachverhalts in den Bereich des § 2227 BGB ragt, würde der Ehegatten um so eher seines zügigen Schutzes durch den einstweilig durchgesetzten § 2216 I BGB beraubt, desto mehr er auf ihn angewiesen wäre. Der Grad der Schutzbedürftigkeit korrelierte dann umgekehrt proportional mit dem Grad des einstweilig gewährten Schutzes. 320

So aber Reimann, FamRZ 1995, 588 (590). MünchKomm-Brandner, § 2227 Rn. 14. 322 So wohl inzident OLG Köln, OLGZ 1987, 280 (281); dazu Reimann, FamRZ 1995, 588 (590); MünchKomm-Brandner, § 2216 Rn. 3, § 2227 Rn. 14 Fn. 47. 323 BGHZ 25, 275 (284). 324 BGHZ 25, 275 (284). 325 So Reimann, FamRZ 1995, 588 (590). 321

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Daß dies gegen die gesetzliche Konzeption des § 2216 I BGB als Sicherungsmodul des Versorgungsinteresses verstößt, dürfte offensichtlich sein. Dem Ehegatten steht demnach im ganzen Bereich des § 2216 I BGB der einstweilige Rechtsschutz zur Seite. V. Die Testamentsvollstreckung im Vergleich zu den sonstigen Modi der Ehegattenversorgung 1. Allgemeines

Welche Vorteile weist vor dem Hintergrund der bisherigen Erörterung die Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch im Vergleich zu den sonstigen Möglichkeiten, den Ehegatten abzusichern, überhaupt auf? Man könnte meinen, die Vollstreckung entspräche im wesentlichen der schon besprochenen326 Einräumung eines Unternehmensnießbrauchs zugunsten des Ehegatten mit anschließender Unternehmensverpachtung an den Erben mit ertragsorientierter Rentenverpflichtung, bei der der Einfluß des Ehegatten auf die Unternehmenspolitik schuldrechtlich abgesichert worden ist – nur mit dem Unterschied, daß die Testamentsvollstreckung in der Regelungsstruktur ungemein kompliziert und aufgrund der vielfältigen Auslegungsregeln auch sehr fragil sich des Versorgungsinteresses des Ehegatten annimmt. Vorteile sind dennoch vorhanden. Auf den ersten Blick fällt die dingliche Wirkung der Testamentsvollstreckung ins Auge. Allein sie sichert den Vermächtnisgegenstand einmal ausweislich des § 2214 BGB vor den Eigengläubigern des Ehegatten und kombiniert damit eine dingliche Beteiligung am Unternehmen mit einem Ausschluß privater Gläubiger des Ehegatten zwar nicht hinsichtlich des unternehmerischen Ertrags, wohl aber hinsichtlich der belasteten Gegenstände des Anlagevermögens (Treuhandlösung) und des Betriebsvermögens (echte Testamentsvollstreckerlösung). Zudem ist nur bei der Testamentsvollstreckung eine dinglich gesicherte Verfügungsbefugnis des Vollstreckers unter Ausschluß des Ehegatten möglich. Und dies ist ein durchaus relevanter Faktor. Bei der o. g. Verpachtungsgestaltung hat der Ehegatte den Nießbrauch an den Einzelgegenständen des Betriebsvermögens inne. Diese dinglichen Nutzungsrechte sind zwar unveräußerlich, § 1059 S.1 BGB. Der Ehegatte könnte aber die Ausübung einem Dritten überlassen, § 1059 S.2 BGB. Der Dritte wäre von den obligatorischen Beziehungen zwischen dem Ehegatten-Nießbraucher und dem Erben-Eigentümer zwar nicht berührt327. Dennoch könnte der Dritte in das Unternehmen ein nicht zu unterschätzendes Streitpotential einbringen. Der Erbe könnte hier zudem nicht nach den Nießbrauchsvorschriften gegen 326 327

Oben § 26 II. Staud-Frank, § 1059 Rn. 17.

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den Ausübungsberechtigten vorgehen; insbesondere hat er den Anspruch aus § 1054 BGB nur gegen den Nießbraucher328. Allein der testamentsvollstreckerrechtliche Ausschluß des Überlebenden von der Verfügungsbefugnis über die ererbten Gegenstände schützt mit Wirkung gegenüber jedermann vor einer Überlassung der Ausübungsberechtigung an einen Dritten durch den Überlebenden. Die Testamentsvollstreckung wirkt insofern streitvermindernd – für ein mittelständisches Unternehmen ein durchaus ernst zu nehmender Vorteil. Letztlich wäre all dies freilich eher marginal, die eine Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch allein kaum rechtfertigen würden. Die Vorteile der Testamentsvollstreckung liegen denn auch auf einer anderen Ebene. Denn die Kompliziertheit der Regelungsstruktur der Gestaltung und ihrer Handhabe ist nicht nur Risiko, sondern zugleich auch Chance. Bei der Verpachtung muß der Erblasser detailliert die Versorgungsgerechtigkeit seiner Gestaltung von Todes wegen vorgeben, will er nicht Gefahr laufen, die Versorgungsinteressen des überlebenden Teils zu verfehlen. Ein gehöriges Maß an privatautonomer Gestaltungskraft ist hier nicht nur Ausdruck personaler Freiheit, sondern dem Erblasser zugleich als Moment solidarischer Vorsorge verantwortlich aufgegeben. Bei der Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch ist er von dieser Sorge aber entlastet. Das gesetzliche Regime der §§ 2197 ff. BGB und der §§ 1030 ff. BGB stellt ein brauchbares Gerüst bereit, welches anhand von Auslegungsregeln versorgungsoptimal aufbereitet und sodann dem Erblasser als „Versorgungspaket“ angeboten werden kann. Er sollte nur noch die Quote vorgeben, zu deren Höhe er eine Partizipation des Ehegatten am unternehmerischen Gewinn stattfinden lassen will. Und wenn er dies ausnahmsweise nicht regelt oder gar übersieht, stellt auch hier die Testamentsvollstreckung eine probate Lösung bereit, indem sie den Vollstrecker auf ein Geschäftsführergehalt mit Risikozuschlag verweist und den unternehmerischen Ertrag ansonsten dem Ehegatten zukommen läßt. Der Erblasser findet also in der Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch eine probate Gestaltung, mit der er von dem Ehegatten ein gewisses Format unternehmerischen Denkens und Handelns abverlangen kann. Diese „Komplettgestaltung“ kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Gerade für den nicht hinreichend beratenen oder für den unter Zeitnot letztwillig verfügenden Erblasser ist die Testamentsvollstreckung daher primär Chance, denn Risiko. Indem er dem überlebenden Teil einen Einfluß auf die Unternehmensführung verschafft und von ihm damit zugleich ein gewisses Maß an unternehmerischem Potential abverlangt, findet der Erblasser mit der Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch zu ei328

Staud-Frank, § 1059 Rn. 25.

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nem besonderen Mischungsverhältnis zwischen der Eigenverantwortlichkeit des Ehegatten und dessen dinglicher Teilhabe am Unternehmen. Die Gestaltung bietet sich daher für einen Erblasser an, der Solidarität post mortem gegenüber seinem überlebenden Ehegatten zeigen, ihm aber zugleich eine gewisse Beweglichkeit in der Kontrolle des Erben zumuten will. Falls die Ehegatten zu Lebzeiten daher eine gewisse Eigenverantwortlichkeit im Handeln ihrem eigenen Eheverständnis zugrundegelegt und dies auch in einer gewissen Partizipation des nicht-unternehmerisch tätigen Teils an der Unternehmenspolitik materialisiert haben, stellt die Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch eine erbrechtliche Gestaltungsform bereit, in der die Ehegatten ihr individuelles Eheverständnis auch post mortem ohne großen Aufwand weiter tradieren können. Die erbrechtliche Gestaltung stellt dann nicht nur die ökonomische Versorgung des überlebenden Teils sicher, sondern bettet diese ein in die größeren lebensweltlichen Zusammenhänge seines Selbstverständnisses von Ehe, Eigenverantwortung und Solidarität. 2. Der Vergleich mit der Vorerbschaft

Der Erblasser kann den Ehegatten auch zum Vorerben sowie – eventuell kombiniert mit einer Wiederverheiratungsklausel – den Abkömmling zum Nacherben bestimmen und den Nacherben sodann zum Testamentsvollstrecker zu Lasten der Vorerbschaft bestellen329. Bei dieser Gestaltung haftet der überlebende Teil aufgrund der Testamentsvollstreckung ebenfalls nur mit dem Nachlaß für geschäftliche Schulden. Zudem wird durch die Pflichtenstellung des Vollstreckers aus § 2216 BGB anscheinend das gleiche Maß an einer versorgungsgerechten Unternehmenspolitik gewährleistet, wie es die Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch bereitstellt; der Interessengegensatz zwischen Vorerbe und Nacherbe ist ja in der Struktur der gleiche wie die im Unternehmensnießbrauch angelegte Spannung zwischen Nießbraucher und Eigentümer-Besteller330. Schließlich laufen auch die Ertragsberechnungsmodi weitgehend parallel331. Wieso wird vor diesem Hintergrund dann überhaupt die Testamentsvollstreckung zu Lasten des Unternehmensnießbrauchs vorgestellt, wenn eine anerkannte Gestaltung dem ersten Blick nach das gleiche Maß an Versorgungsgerechtigkeit bietet? 329 Der Nacherbe kann zum Testamentsvollstrecker für den Vorerben bestellt werden, BayObLG, NJW 1959, 1920; MünchKomm-Brandner, § 2197 Rn. 11; StaudReimann, § 2197 Rn. 54. 330 Siehe etwa Bengel/Reimann-Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung, Kap. 2 Rn. 83. 331 Petzoldt, BB 1975, Beil. 6, 1 (10).

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Die Gestaltungsvariante der Vollstreckung zu Lasten des Unternehmensnießbrauchs stellt eine ernstzunehmende Alternative zur Vollstreckung des Nacherben zu Lasten der Vorerbschaft dar. So darf der Vorerbe Nutzungen zwar nur im Rahmen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft ziehen; andererseits ist er aber nicht wie der Nießbraucher zur Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen Bestimmung des Unternehmens verpflichtet332. Nach diesen Vorgaben richtet sich dann auch die Pflichtenstellung des Vollstreckers nach § 2216 I BGB. Der Erblasser kann hier aufgrund der Indisponibilität des § 2216 I BGB (§ 2220 BGB) in einem geringerem Maße die Ordnungsgemäßheit der Bewirtschaftung i. S. § 2216 I BGB und damit das Unternehmen auf die Befriedigung der Versorgungsinteressen des Ehegatten ausrichten, als dies beim Unternehmensnießbrauch der Fall ist, bei dem der Vollstrecker ex lege die Pflichten des Ehegatten aus § 1036 II BGB wahrnehmen muß. Der Erblasser muß hier vielmehr einzig die Schranke des „objektiven Nachlaßinteresses“333 wahren. Die Testamentsvollstreckung über den Vorerben stellt damit gerade nicht das gleiche Maß an einer versorgungsgerechten Unternehmenspolitik bereit, wie sie die Vollstreckung über den Unternehmensnießbrauch in sich birgt. Schließlich hilft die Vorerbschaft des Überlebenden mit der Testamentsvollstreckung durch den Nacherben dann nicht weiter, wenn der Erblasser mehrere einzelkaufmännische Unternehmen vererbt, den Ehegatten aber nur am Ertrag eines Unternehmens partizipieren lassen will. Das gleiche gilt, wenn der Nachlaß insgesamt auch ohne Ansehung des Unternehmens so umfangreich ist, daß eine Vorerbenstellung des Ehegatten dem Erblasser nicht angängig erscheint. Im übrigen gilt auch für die Vorerbschaft des Ehegatten wiederum: Die Einräumung der Erbenstellung ist von einem durchaus symbolischen Gehalt, der freilich nur als dogmatisch relevanter Posten in den Blick kommt, wenn das gewillkürte Erbrecht personfunktional verstanden wird. Dem Erblasser kann daher im Einzelfall schon aus Gründen der affektiven Verbundenheit mit seinem Nachfolger in die Unternehmensträgerschaft daran gelegen sein, dem überlebenden Gatten nicht die Vorerbenstellung zu verschaffen. In diesem Falle verbleibt ihm nur die Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch.

332

Petzoldt, BB 1975, Beil. 6, 1 (10). Vgl. BGHZ 25, 275 (280); BGH WM 1967, 25 (27); MünchKomm-Brandner, § 2216 Rn. 1; Soergel-Damrau, § 2216 Rn. 3; Ebenroth, Rn. 681. 333

Kapitel 15

Nochmals: Die Zulässigkeit des Ertragsnießbrauchs Nach der Diskussion der Testamentsvollstreckung durch den Erben zu Lasten des dem Überlebenden vermächtnisweise eingeräumten Unternehmensnießbrauchs ist der Kreis der für die risikopartizipative Versorgung des Ehegatten in Frage kommenden Gestaltungen abgesteckt. Bei der bisherigen Erörterung blieb die rechtliche Zulässigkeit des Ertragsnießbrauchs an einem einzelkaufmännischen Unternehmen noch ungeklärt. Ob die Voraussetzungen für eine Rechtsfortbildung des Sachenrechts vorliegen, kann erst geklärt werden, nachdem sämtliche einschlägige Versorgungsmodi dargelegt worden ist. Nachdem dies der Fall ist, ist nunmehr der Boden dafür bereitet, sich der Legitimität des Ertragsnießbrauchs als dingliches Nutzungsrechts näher zu widmen.

§ 35 Die Zulässigkeit des Ertragsnießbrauchs an einem Unternehmen I. Der Unternehmensertragsnießbrauch als Produkt einer Rechtsfortbildung Die rechtliche Ausgestaltung des Ertragsnießbrauchs weicht erheblich – wie gezeigt wurde1 – von der des normalen Unternehmensnießbrauchs ab, von dem gewöhnlichen Sach- und Rechtsnießbrauch ganz zu schweigen. Die Frage nach der Zulässigkeit dieser Gestaltung wird damit verschärft gestellt. Es kann nicht mehr nur darum gehen, eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes durch das Instrumentarium der Analogie oder der teleologischen Reduktion zu bewältigen. Der hierfür notwendige sachenrechtliche Regelungszusammenhang ist ersichtlich nicht erkennbar2, da von einer „planwidrigen Unvollständigkeit“ des Sachenrechts schwerlich die Rede sein kann. Um den Ertragsnießbrauch als zulässige Rechtsfigur im Bestand der dinglichen Rechte zu verankern, muß man sich vielmehr des methodischen Instrumentariums einer gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung extra legem bedienen, die sich Wertentscheidungen der Gesamtrechtsordnung und 1 2

Oben § 28, § 29. Dazu nur Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 194 ff.

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Kap. 15: Nochmals: Die Zulässigkeit des Ertragsnießbrauchs

die ihr zugrundeliegenden Rechtsprinzipien zu eigen macht. Nun hängt das Verhältnis von Rechtsfortbildung, Analogie und „herkömmlicher“ Rechtsanwendung von der jeweiligen rechtstheoretischen Grundlegung ab3: Was dem einen noch normale Rechtsanwendung ist, erreicht für andere schon den Bereich der Rechtsfortbildung und mag sich wieder für andere nur als Analogie oder teleologische Reduktion darstellen. Mit Blick hierauf könnte man nun ausgreifende Exkurse zu der Frage anstellen, ob der Ertragsnießbrauch tatsächlich nur als Produkt einer Rechtsfortbildung erwiesen werden kann oder ob er als Rechtsfigur auftritt, deren Zulässigkeit mittels des „normalen“ methodischen Rüstzeugs hinreichend begründbar ist. Sinnvoll wäre ein derartiger Exkurs freilich nicht. Hinreichend ist es vielmehr, in rein forschungspragmatischer Absicht gleich zu versuchen, mittels der für eine Rechtsfortbildung anerkannten Vorgaben die Zulässigkeit des Ertragsnießbrauchs zu untersuchen – und zwar zweckmäßigerweise anhand der von der herrschenden Wertungsjurisprudenz entwickelten Vorgaben, um für einen größtmöglichen Konsens in der methodischen Grundlegung Sorge zu tragen. Denn ist er nach diesen Vorgaben gestattet, werden ihn auch diejenigen als dingliches Recht anerkennen, die eher den Weg der Analogie beschreiten würden. Die genaue dogmatische Einordnung des Ertragsnießbrauchs als Produkt einer Rechtsfortbildung oder als ein besonderes Recht in Analogie zu den bestehenden dinglichen Rechten kann mithin durchaus offen bleiben. Im folgenden wird sich zeigen lassen, daß der Ertragsnießbrauch als sachgerechte Fortbildung des geltenden Sachenrechts gut begründbar ist. Der weitere Ansatz ist damit vorgegeben: Die Topoi „unabweisbares Bedürfnis des Rechtsverkehrs“ auf der einen und „Einklang mit den leitenden Prinzipien der Gesamtrechtsordnung“ auf der anderen Seite geben die Kriterien vor, die eine Rechtsfortbildung extra legem, aber intra ius leiten4. Soweit der Einklang mit leitenden Prinzipien der Gesamtrechtsordnung in Rede steht, soll zuerst der Blick auf Besonderheiten des Sachenrechts gelenkt werden. Die Frage lautet dann: Verstößt der Ertragsnießbrauch nicht gegen unabdingbar erforderliche Prinzipien der Sachenrechtsordnung, insbesondere gegen den numerus clausus dinglicher Rechte?

3 Dazu nur instruktiv Friedrich Müller, Juristische Methodik, Rn. 142 ff.; ders., „Richterrecht“, 41 ff.; ders./Christensen/Sokolowski, Rechtstext und Textarbeit, 1997; Somek, Rechtssystem und Republik, 1992; ders., Der Gegenstand der Rechtserkenntnis, 1996; ders./Forgó, Nachpositivistisches Rechtsdenken, 1996. 4 Dazu nur Larenz/Canaris, Methodenlehre, 232 ff.

§ 35 Die Zulässigkeit des Ertragsnießbrauchs an einem Unternehmen

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II. Der Ertragsnießbrauch und die Typizität und der numerus clausus dinglicher Rechte 1. Der Ertragsnießbrauch und die Systematik des Sachenrechts

Der Ertragsnießbrauch muß sich auch als Produkt einer Rechtsfortbildung in den Gesamtrahmen sachenrechtlicher Wertung einordnen. Beyerle, auf den maßgeblich das Rechtsinstitut des Ertragsnießbrauchs zurückgeht, schlägt vor, den Ertragsnießbrauch deshalb für zulässig zu halten, weil er eine konsequente Fortentwicklung des Systems der beschränkten dinglichen Rechte darstelle5. Er unterscheidet einmal in weiter Auslegung der §§ 1018 ff., 1090 ff. BGB die tätig nutzenden und die nur am Ertrag beteiligten Dienstbarkeiten auf der einen und sodann die unbeschränkten und die auf bestimmte Inhalte eingegrenzten Arten beschränkter dinglicher Rechte auf der anderen Seite. Vor diesem Hintergrund führt Beyerle aus, daß vom BGB in Gestalt der Reallast ein Gegenstück zu den beschränkten Dienstbarkeiten vorgesehen wäre6, während ein auf den Ertrag beschränktes Gegenstück zum Nießbrauch als dem Grundtypus des unbeschränkten Nutzungsrechts nicht ausdrücklich normiert worden sei. Das grundlegende Argument Beyerles für die Zulässigkeit eines Ertragsnießbrauchs ist nun, daß eine derartige Differenzierung weder durch Interessen des Rechtsverkehrs, noch durch die normative Kraft bestimmter faktischer Vorgegebenheiten des Realkredits gerechtfertigt sei. Vielmehr müsse schutzwerten Zielen die ihnen gemäße Regelung zuteil werden. Dies wiederum bedeute, daß der Nießbrauch auch auf den Ertrag beschränkbar, die tätig nutzenden und die bloß am Ertrag beteiligten Arten der Dienstbarkeit auch im Nießbrauchsrecht anwendbar sein. Diese Überlegung ist nicht ohne Kritik geblieben. So wird vorgetragen, dem Anliegen Beyerles, wertungsmäßig nicht hinnehmbare Differenzierungen in dem von ihm skizzierten System der beschränkten dinglichen Rechte auszuschalten, könne auch dadurch Rechnung getragen werden, daß die Reallast auf Unternehmen ausgedehnt wird. Beyerle möchte aber die Reallast auf eine reine Grundstücksbelastung beschränkt wissen, ohne dies näher zu begründen. Nun mag letzteres aus Sicht der Beyerleschen Systematik in der Tat eine offene Flanke seiner Argumentation darstellen. Insofern mag auch das Beyerlesche System selbst angreifbar sein7. Nur folgt aus 5

Vgl. hierzu und zum folgenden Beyerle, JZ 1955, 257 (259 f.). Die Reallast wird von Beyerle als hybrides Gebilde mit nutzungs- und verwertungsrechtlichen Zügen verstanden. Zum Streit um die nutzungsrechtliche oder verwertungsrechtliche Natur der Reallast vgl. nur die Nachweise bei Westermann, Sachenrecht II, 6. Aufl., § 140 II 3. 7 So die Kritik bei Gösele, Nießbrauch, 49. Und man könnte zur Kritik hinzufügen, daß dem Weg Beyerles zum Ertragsnießbrauch schon deshalb nicht gefolgt 6

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diesen Vorwürfen nichts gegen den Ertragsnießbrauch. Die Reallast bietet nun einmal als dingliches Verwertungsrecht nicht den gleichen Grad an Versorgungsgerechtigkeit, der den Ertragsnießbrauch als dingliches Nutzungsrecht so anziehend gestaltet8. Insofern focussiert Beyerle sachlich zu Recht allein das Nießbrauchsrecht. Ob schließlich das Beyerlesche System in sich stimmig ist, kann dahingestellt sein, sobald der Ertragsnießbrauch an einem Unternehmen ohne Rekurs auf das Beyerlesche System begründbar ist. Es wird im weiteren gezeigt werden, daß genau dies bewerkstelligt werden kann. Zuvor gilt es, einen der wichtigsten gegen den Ertragsnießbrauch sprechenden Einwände aus den Weg zu räumen: 2. Die Vorgaben sachenrechtlicher Typizität und numerischer Beschränkung

Hinter der Kritik an den Überlegungen Beyerles, die dieser auf der Basis seiner sachenrechtlichen Systematik anstellt, schimmert das maßgebliche sachenrechtliche Argument durch, welches – so es überzeugen würde – dem Ertragsnießbrauch, der ja auf einer Rechtsfortbildung des Sachenrechts beruht, ein Ende bereiten würde. Dieses Argument geht dahin, daß eine rechtsfortbildende Arbeit am Sachenrecht, welche unabweislichen Bedürfnissen, Gründen dogmatischer Systemgerechtigkeit und dem Gedanken der Gleichbehandlung des wesentlich Gleichen geschuldet sei, im Sachenrecht nur in dem Maße erträglich wäre, solange die durch die sachenrechtliche Typenfixierung und dem numerus clausus der dinglichen Rechte statuierten gesetzlichen Wertentscheidungen nicht unterlaufen würden. Gerade dies sei bei dem Ertragsnießbrauch aber der Fall, da bei Lichte betrachtet der Ertragsnießbrauch nichts anderes als eine dem BGB fremde Dienstbarkeit an beweglichen Sachen und Rechten darstelle oder sich weitgehend mit der Reallast decke, die das BGB aber wiederum nur an Grundstücken kenne9. Die Kritik wiegt schwer, greift aber nicht durch. Der Ertragsnießbrauch ist sowohl mit dem numerus clausus der dinglichen Rechte als auch mit der werden könne, weil dieser Weg gegenüber der Marschroute einer auf sämtliche Gegenstände geöffneten Reallast mit höheren dogmatischen Kosten verbunden, insofern nicht vorzugswürdig wäre, da auch das gesamte gesetzliche Schuldverhältnis zwischen Nießbraucher und Eigentümer modifiziert werden müßte. Nun sind aber die Verwertungsrisiken für den Reallastgläubiger nicht ohne weiteres im Vergleich mit dem Ertragsnießbrauch vernachlässigbar, vgl. dazu nur Amann, DNotZ 1993, 222 ff. Zudem ist gerade das gesetzliche Schuldverhältniss nach §§ 1036 ff. BGB analog für den Ehegatten wichtig. Insofern bestehen an der funktionalen Äquivalenz zwischen Reallast und Nießbrauch doch Zweifel. 8 Siehe dazu oben § 24 II 2. 9 Bökelmann, JR 1974, 202 (203); Stürner, JuS 1972, 653 (657 ff.); Schön, Nießbrauch, 322; umfassend Gösele, Nießbrauch, 49 ff., 52, 54.

§ 35 Die Zulässigkeit des Ertragsnießbrauchs an einem Unternehmen

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sachenrechtlichen Typenfixierung durchaus vereinbar. Hierfür sprechen folgende Überlegungen: Die rechtsgeschäftlichen Handlungsmöglichkeiten auf dem Gebiet des Sachenrechts sind sowohl auf die im Gesetz genannten dinglichen Rechte beschränkt (numerus clausus dinglicher Rechte) als auch auf den gesetzlich umrissenen Inhalt eben dieser Rechte determiniert (Typenfixierung dinglicher Rechte)10. Sachenrechtlicher Numerus clausus und sachenrechtliche Typizität sind dabei keine subsumtionsfähige Regeln, sondern schmiegsame Prinzipien, hinter denen sich „grundlegende, zu Axiomen verfestigte oder geschrumpfte Wertungsprozesse“11 verbergen, die den Charakter des Sachenrechts entscheidend prägen. Wie Wiegand12 gezeigt hat, wurde in den Vorarbeiten zum Bürgerlichen Gesetzbuch auf der Grundlage der Savignyschen Unterscheidung von Sachen- und Obligationenrecht unter dem Signum der Autonomie der Sachenrechtsordnung allen „relativ-dinglichen“ und obligatorischen Rechtsverhältnissen eine Drittwirkung versagt. Dies hatte zur Folge, daß eine privatautonome Gestaltung dinglicher Rechte ausschied, da in der Einwirkung obligatorischer Abreden auf ein sachenrechtliches Rechtsverhältnis mittelbar aufgrund des Sukzessions-, Zwangsversteigerungs- und Insolvenzschutzes des dinglichen Rechts eine Drittwirkung verborgen ist. Mit dieser Entscheidung wurde – und hierin liegt die historische Teleologie sachenrechtlicher Typizität – die Verkehrsfähigkeit der Waren der Parteidisposition entzogen und neben der Mobilisierung des Grundeigentums13 eine der Grundlagen einer der Warenzirkulation offenstehenden und funktionsfähigen Marktwirtschaft gelegt14. Nun ist die numerische Beschränktheit dinglicher Rechte kein Selbstzweck. Vielmehr reagierte der historische Gesetzgeber mit ihr auf die Verkehrsverhältnisse und Verkehrsbedürfnisse zur Zeit der Kodifikation, nachdem die den Warenverkehr betreffenden Rechtsinstitute des späten Naturrechts nicht mehr als zeitgemäß empfunden wurden. Ist dem so, kann der Kreis der im BGB implementierten dinglichen Rechte wegen ihrer Eigenschaft, bloße Reaktionen des historischen Gesetzgebers auf bestimmte historische Marktlagen zu sein, nicht als Begründung dafür genommen werden, eine die vorhandene Zahl der dinglichen Rechte übersteigende Rechtsfortbildung sei auf dem Gebiet des Sachenrechts trotz Änderungen in der Struktur des Markts und seiner Ver10 So die herkömmliche Beschreibung, siehe dazu nur Staud-Seiler, Einl. zu § 854 Rn. 38 ff. 11 Wiegand, FS Kroeschell, 623. 12 Wiegand, FS Kroeschell, 623 (631 ff., 634 f., 637 f.). 13 Dazu nur Wiegand, in: Coing/Wilhelm (Hrsg.), Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Bd. 3, 118 ff.; Mayer-Maly, in: Ansprüche, Eigentums- und Verfügungsrechte, 25 ff. 14 Das Privatrecht des 19. Jahrhundert ist vor allem „Verkehrsrecht“, Wiegand, AcP 190 (1990), 112 (119); Coing, Europäisches Privatrecht, Bd. 2, 89 f.

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kehrsformen nicht statthaft. Demzufolge ist der numerus clausus der dinglichen Rechte eine gesetzliche Entscheidung nur für das Prinzip der Beschränkung als solches und keine Entscheidung, daß ausschließlich die im BGB genannten dinglichen Rechte rechtlich zulässig seien15. Der numerus clausus hat demnach kein Verbot der Rechtsfortbildung zur Folge, solange bei einer Rechtsfortbildung nur die Orientierungssicherheit des Rechtsverkehrs überhaupt gewahrt bleibt, schützenswerte Dritt- oder Allgemeininteressen nicht entgegenstehen und privatautonom nicht beliebige drittwirksame Rechtspositionen begründet werden16. Die Typenfixierung beruht daher angesichts dieses Zugs zu einer „Verschuldrechtlichung der Vermögensverfassung“17 ebenso wie der numerus clausus der dinglichen Rechte auf dem Allgemeininteresse an einer ökonomisch sinnvollen Ausgestaltung der verkehrsfähigen Gegenstände. Mit diesem Befund ist nicht notwendig verknüpft, den rechtfertigenden Grund der sachenrechtlichen Typenfixierung primär im materiellen Gedanken einer gerechten Güterzuordnung und weniger in dem eher formellen Gedanken der Rechtsklarheit und Rechtsvereinfachung zu verorten18. Rechtsklarheit und Rechtsvereinfachung sind im Grundsatz durchweg gerade auch bei der Neuentwicklung sachenrechtlicher Typen Prämissen einer sinnvollen Ausgestaltung des Rechts der Verkehrsfähigkeit marktgängiger Gegenstände; die formelle Legitimation der Typenfixierung trifft sich daher zumeist mit der materiellen19.

15

Wiegand, FS Kroeschell, 623 (641). Wiegand, FS Kroeschell, 623 (640 ff.); ders., AcP 190 (1990), 112 (134 f.); Canaris, FS Flume, Bd. 1, 371 (376 f.); Liebs, AcP 175 (1975), 1 (26); Berger, Verfügungsbeschränkungen, 89; Raiser, Dingliche Anwartschaften, 54 ff.; Schön, Nießbrauch, 243 f.; Staud-Seiler, Einl. zu § 854 Rn. 38 f. Die Rechtsentwicklung zeigt im Rahmen der Treuhandverhältnisse aber auch, daß als quasi neuer Typus rechtsgeschäftlichen Handelns der obligatorischen Bindung des Treuhandvermögens zunehmend Drittwirkung zugestanden wird. Die Insolvenzrechtsreform hat hieraus die gesetzlichen Konsequenzen gezogen (§ 51 InsO). 17 So AK-Dubischar, vor §§ 241 ff. Rn. 14. Wiegand, AcP 190 (1990), 112 (131 ff.), spricht in Anschluß an Hattenhauer von einer „Obligatorisierung des Sachenrechts“. Die Flexibilisierung des Sachenrechts bindet sich ein in einen fortschreitenden Prozeß der Materialisierung des Privatrechts, dazu auf das Sachenrecht bezogen siehe Stürner, AcP 194 (1994), 265 (275 ff.), zur Inhaltskontrolle dinglicher Positionen. 18 Für primär formelle Legitimation bsp. Stürner, AcP 194 (1994), 265 (276 f.). Auch die wohl h. M. sieht den tragenden Grund der Legitimation der sachenrechtlichen Typizität und numerischer Beschränkung in der Aufgabe des dinglichen Rechts, die absolute Zuordnungsfunktion für jeden Dritten leichter erkennbar zu machen, und bindet die Legitimation damit an das Publizitätsprinzip, so bsp. Westermann, Sachenrecht, § 3 III; Baur/Stürner, Sachenrecht, § 1 II 2; Müller, Sachenrecht, Rn. 67 f.; Staud-Seiler, vor § 854 Rn. 38; Walz, KritV 1986, 131 (153). 19 So auch Stürner, AcP 194 (194), 265 (276). 16

§ 35 Die Zulässigkeit des Ertragsnießbrauchs an einem Unternehmen

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Daher gilt: Treten neue Bedürfnisse auf, stehen einer methodengerechten behutsamen Anpassung bestehender Typen oder der Entwicklung neuer Rechtstypen im Grundsatz die sachenrechtliche Typenfixierung und der numerus clausus der dinglichen Rechte zumindest dann nicht entgegen, wenn der gesetzliche Ordnungsrahmen nicht überschritten wird, und dies heißt hier: Wenn zumindest die durch den sachenrechtlichen numerus clausus vorgegebene Orientierungssicherheit überhaupt gewahrt bleibt, schützenswerte Dritt- oder Allgemeininteressen nicht entgegenstehen und privatautonom nicht beliebige drittwirksame Rechtspositionen begründet werden – solange also das Allgemeininteresse an einer ökonomisch sinnvollen Ausgestaltung der verkehrsfähigen Gegenstände nicht berührt wird. Beim Ertragsnießbrauch spielt hier mehreres zusammen. Drittinteressen in Form der Gläubigerinteressen – so viel wurde schon gesagt – werden durch die Dinglichkeit des Ertragsnießbrauchs nicht berührt. Drittwirksam ist der Ertragsnießbrauch nur in der Einzel- und Gesamtrechtsnachfolge in das Unternehmen. Hier ist nichts ersichlich, was zur Unverträglichkeit des Ertragsnießbrauchs mit der Teleologie sachenrechtlicher Typizität und numerischer Beschränkung führen würde. So wird dem Unternehmen durch den Ertragsnießbrauch nicht die Marktgängigkeit genommen, so daß das Allgemeininteresse, die Rechtsgegenstände verkehrsfähig zu halten, nicht berührt ist. Denn ein potentieller Unternehmenserwerber wird die Möglichkeit des Ertragsnießbrauchers, auf einen Teil des Ertrags zugreifen zu können20, im Preis kalkulieren können und deshalb wegen des Ertragsnießbrauchs nicht unbedingt vom Erwerb des Unternehmens absehen; der Unternehmenserwerb wäre für den Erwerber wegen der Unklarheit über den Versterbenszeitpunkt des Überlebenden ein typisches Risikogeschäft. Zudem ist der Inhalt des Ertragsnießbrauchs so deutlich umrissen, daß der Aspekt der Orientierungssicherheit des Rechtsverkehrs nicht negativ beeinträchtigt ist. Schließlich können auch Aspekte sachenrechtlicher Publizität – soviel im Vorgriff auf die sogleich im Anschluß folgenden Überlegungen – gegen einen Ertragsnießbrauch nichts erinnern. Vor diesem Hintergrund ist aus der Typenfixierung und dem sachenrechtlichen numerus clausus nichts gegen den Ertragsnießbrauch einwendbar. 3. Ertragsnießbrauch und Publizität

Extra omnes wirkende Sachenrechte sollen im Rechtsverkehr als solche erkennbar sein. Diese Einsicht gilt weithin als gesicherter Bestand sachenrechtlicher Wertung und kommt im Publizitätsprinzip dinglicher Rechte 20 Der Ertragsnießbrauch an einem Unternehmen ist ja nur zulässig, soweit der Nießbraucher nur auf einen Teil des Ertrages zugreifen kann, siehe oben § 28 II 5 b cc.

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zum Ausdruck21. Eine derartige „Öffentlichkeit der Rechtsverhältnisse“22 ist beim Ertragsnießbrauch aufgrund der Grundbucheintragung allenfalls bei Immobilien strikt gewährleistet, während sie beim betrieblichen Mobiliareigentum und bei Forderungen ganz entfällt. Bei Forderungen ist dies nicht weiter schädlich, da selbst bei einem Nießbrauch an Rechten § 1069 I BGB vorsieht, daß die Nießbrauchsbestellung nach den Regeln der Rechtsübertragung erfolgt. Bei Forderungen genügt daher im Hinblick auf die §§ 398 ff. BGB ein formloser Bestellungsvertrag. Einer Benachrichtung des Schuldners bedarf es im Unterschied zur Verpfändung einer Forderung hingegen nicht, da § 1070 BGB hinreichend Schutz gewährt23. Der Ausfall der Erkennbarkeit der Nießbrauchverhaftung ist bei den beweglichen Gegenständen des Betriebsvermögens schon einschneidender. Beim Ertragsnießbrauch würde selbst ein mittelbarer Besitz an den Mobilien, welcher ansonsten durchaus den Anforderungen der Publizität entspricht, keine hinreichende Publizitätsgrundlage für das Bestehen des dinglichen Nutzungsrechts bereitstellen24. Denn eine lastenfreie Veräußerung betrieblicher Gegenstände ist dem Eigentümer schon nach Maßgabe des § 1048 BGB analog erlaubt; die verstärkte Berücksichtigung der traditio beim lastenfreien gutgläubigen Erwerb durch Besitzkonstitut (§§ 930, 936 I 3 BGB) spielt insofern praktisch keine Rolle. Nach außen erweckt der Unternehmer daher typischerweise den Eindruck eines lastenfrei agierenden Geschäftsherrn – und dies ist in der Struktur des dinglichen Rechts selbst angelegt. Bei einem betrieblichen Vermögen ohne Grundeigentum ist der Ertragsnießbrauch somit nach außen grundsätzlich nicht erkennbar. Nun ist dieser weite Ausfall sachenrechtlicher Publizität für die Geschäftsgläubiger ohne Belang, da der Ertragsnießbrauch ihnen den Zugriff auf das Geschäftsvermögen in keiner Weise schmälert25. Für den Unternehmenserwerber wird die fehlende Publizität jedoch zum Problem, dem er sich angesichts des nießbrauchsbelasteten Forderungsbestands des Betriebsvermögens auch nicht durch die Möglichkeit lastenfreien Erwerbs des betrieblichen Mobiliareigentums wird entziehen 21 Zum Publizitätsprinzip nur Staud-Seiler, Einl. §§ 854 ff. Rn. 56 ff.; Staud-Wiegand, Anh zu §§ 929–931 Rn. 42 ff.; sowie ausführlich Martinek, AcP 188 (1988), 573 ff.; Picker, AcP 188 (1988), 511 ff. 22 Mot. III, 9. 23 Siehe nur Staud-Frank, § 1069 Rn. 2; MünchKomm-Petzoldt, § 1069 Rn. 2. 24 So man einen derartigen mittelbaren Besitz beim Ertragsnießbrauch überhaupt für möglich hält, dazu oben § 29 II. 25 Siehe oben § 28 II 2 b. Ob zudem in ökonomisch-analytischer Perspektive die Publizität für die Gläubiger bei der Bonitätsprüfung kein relevantes Kriterium darstelle, wie dies Adams, Ökonomische Analyse der Sicherungsrechte, 179 ff.; Dorndorf, Kreditsicherungsrecht und Wirtschaftsordnung, 33 f., entgegen anderen Stimmen aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht (kritisch gegenüber Adams bsp. Drukarczyk, Unternehmen und Insolvenz, 195 f.) vertreten, kann hier auf sich beruht bleiben.

§ 35 Die Zulässigkeit des Ertragsnießbrauchs an einem Unternehmen

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können. Führt dies letztlich zur Unzulässigkeit des Ertragsnießbrauchs? Dies scheint in der Tat so zu sein. Denn gerade die Tatsache, daß der Erwerber eines Gegenstands weit verbreitete Sicherungsrechte nicht erkennen kann, wurde zum Anlaß genommen, die ökonomische Sinnhaftigkeit bsp. des Sicherungseigentums zu bestreiten – fehlende Markttransparenz, damit verbundene ineffiziente Erhöhung der Transaktionskosten der Absicherungsgeschäfte und in der Folge Wohlfahrtsverluste geben die leitenden Stichworte vor26. Diese negativen Begleiterscheinungen fehlender Publizität werden beim Unternehmenserwerb unter Lebenden27 aber kaum praktisch relevant werden, da typischerweise der Erwerber im Zuge der Verkaufsverhandlungen im Vorfeld der Transaktion von dem Ertragsnießbrauch Kenntnis erhalten wird. Der Erwerber ist damit durch das typische soziale Handeln bei Verkaufverhandlungen abgesichert, was zwar der Charakteristik der Publizität widerspricht, die auf faktische Gegebenheiten des Sachzugriffs (Besitz) oder der abstrakt möglichen Einsichtnahme in Register (Grundbuch) und nicht auf erwartbare Handlungsroutinen der Beteiligten beruht. Für die ökonomisch-analytische Argumentation sind aber erwartbare Handlungsroutinen bei Verkaufsverhandlungen und die Publizitätsmodi wie Besitz und Register um so eher funktional-äquivalente Mittel, Transaktionskosten und Wohlfahrtsverluste zu minimieren, je mehr das soziale Handeln gerechtfertigterweise und konsistent erwartet werden darf. Gerade letzteres dürfte beim Unternehmenserwerb hochberechtigt der Fall sein. Eine ihre Regelungskriterien an typische Konstellationen ausrichtende Dogmatik wird daher bei der Unternehmensnachfolge kein unter Publizitätsgesichtspunkten relevantes Problem verzeichnen. Falls ungeachtet dieser Relativierungen des Publizitätsproblems Bedenken bleiben, folgt trotzdem aus der zumeist fehlenden Publizität des Ertragsnießbrauchs nichts gegen dessen Zulässigkeit. Gründe fehlender ökonomischer Sinnhaftigkeit sind nicht ohne weiteres das gegenüber dem Gedanken solidarischer Versorgung primäre Kriterium für die rechtliche Bewertung einer sachenrechtlichen Gestaltung. Vertrags- und Sachenrecht sind nicht nur Recht der Markttransaktionen und der wirtschaftlichen Disposition, „Privatrechtsgesellschaft“ und „ökonomische Rationalität“ nicht die einzigen Leitbilder eines Privatrechts, das sich nicht mehr ausschließlich von seiner Nähe zur Ökonomie her definieren kann, sondern seine normativen Impulse von einer engen Affinität zur gegenwärtigen Diskurspluralität der verschiedenartigsten autonomen Sektoren der Zivilgesellschaft wie Familie, Erziehung, Medien, Kunst oder Religion bezieht und sich von dieser Warte aus seiner internen Rationalität ebenso wie seiner internen Nor26

Adams, Ökonomische Analyse der Sicherungsrechte, 184 ff. Der Erwerber von Todes wegen ist hinsichtlich der dinglichen Belastungen des Erworbenen sowieso nicht geschützt. 27

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Kap. 15: Nochmals: Die Zulässigkeit des Ertragsnießbrauchs

mativität versichert28. Das Recht muß sich dafür offen halten, auf spontane Normbildungen in den Überschneidungssegmenten von wirtschaftlichem und solidaritätsorientiertem Handeln reagieren zu können. Es muß „responsiv“ sein. Es bleibt also festzuhalten: Der Ertragsnießbrauch verstößt zumindest dann nicht gegen das Prinzip sachenrechtlicher Publizität, wenn er als Versorgungsinstitut hinreichend gerechtfertigt werden kann. Dies bleibt weiterhin zu prüfen. 4. Das Verhältnis von Nutzziehung und Lastentragung

Einer Rechtsfortbildung des Sachenrechts hin zu einem Ertragsnießbrauch könnte ein weiterer Gedanke entgegenstehen, der aus dem System der dinglichen Rechte gewonnen wird. Nach § 1030 II BGB kann der Inhalt des dinglichen Nutzungsrechts durch einen Ausschluß einzelner Nutzungen modifiziert werden. Genau diese Möglichkeit wurde sowohl als Argument für die Zulässigkeit des Ertragsnießbrauchs ins Feld geführt29 als auch zum Anlaß genommen, dem Ertragsnießbrauch kritisch zu begegnen. Es heißt dann, von einem Nießbrauch könnten zwar einzelne Nutzungen ausgenommen werden; er sei aber nicht auf einzelne Nutzungen – wie etwa auf den bloßen Ertragszugriff – beschränkbar30. Diese Annahme fußt auf einer zuerst nicht leicht verstehbaren Vorstellung, wie die verschiedenen Arten der nutzenden Dienstbarkeiten sachgerecht voneinander abgegrenzt werden können. Richtschnur der Abgrenzung soll sein, daß der gesetzlich vorgesehenen Harmonie zwischen dem Umfang der mit dem jeweiligen beschränkten dinglichen Recht verbundenen Nutzungsmöglichkeit und der Lastentragung im Zuschnitt der dinglichen Rechte hinreichend Rechnung getragen werden müsse. Bei dem Ertragsnießbrauch sei diese Harmonie gestört. Denn so wie bei einer zu starken Ausdehnung der Nutzungskomponente bei einer Dienstbarkeit ein Nießbrauch in Dienstbarkeitsform geschaffen würde, ohne daß die Lastentragungspflichten nach §§ 1036 ff. BGB greifen würden, käme es bei einer weitreichende Verringerung der Nutzungsmöglichkeiten des Nießbrauchs (wie sie beim Ertragsnießbrauch vorläge) zu einer Dienstbarkeit in Nießbrauchsform mit den Lastentragungspflichten nach §§ 1036 ff. BGB, ohne daß dem eine umfassende Nutzung des Inhabers des dinglichen Nutzungsrechts entspräche31. Hieraus folge, 28 Zum sachgerechten Verständnis des Privatrechts innerhalb eines rechtspluralistischen Problemzugriffs siehe Goebel, ARSP 2003, 372 (379 ff.); ders., Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 1 II 4, vgl. zum ganzen auch bezogen auf rechtliche Argumentationen ökonomischer Provinienz Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 452 ff., 463 ff., 476 ff.; Goebel, Zivilprozeßrechtsdogmatik, 319 ff. m. w. Nachw.; Grundmann, Treuhandvertrag, 44 ff. 29 So etwa bei Staud-Frank, Anh zu §§ 1068, 1069 Rn. 33. 30 So etwa bei Stürner, JuS 1972, 653 (657 Fn. 36).

§ 35 Die Zulässigkeit des Ertragsnießbrauchs an einem Unternehmen

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daß dem Nießbraucher nicht nur eine einzige Nutzung (wie der Ertragszugriff) verbleiben dürfe. Nun ist dem Nutzungsberechtigten beim Ertragsnießbrauch sicherlich nur noch eine einzige Nutzung eröffnet, nämlich der Zugriff auf den unternehmerischen Gewinn. Dies kollidiert offensichtlich mit der Entscheidung der h. M.32, den Begriff der „einzelnen Nutzung“ bei § 1030 II BGB anders als im Recht der Dienstbarkeit (§ 1018 BGB) nicht materiell, sondern formell zu verstehen33, und infolgedessen einen Nießbrauch dann als unzulässig zu erachten, wenn die Nutzung lediglich auf eine einzelne Nutzungsart beschränkt ist, mag auch materiell die Nutzungsmöglichkeit der Sache ausgeschöpft sein. Falls diesem formellen Verständnis des Begriff der „einzelnen Nutzungen“ gefolgt werden müßte, wäre der Ertragsnießbrauch mithin kaum begründbar. Weiterzuhelfen scheint deshalb allein die materielle Betrachtung34. Letztlich kann dies aber dahingestellt bleiben. Denn bei einem Ertragsnießbrauch an einem Unternehmen greift der eingangs skizzierte Einwand nicht, dieses dingliche Nutzungsrecht würde die gesetzlich vorgesehene Harmonie zwischen dem Umfang der Nutzungsmöglichkeit und dem der Lastentragung stören. Bei einem Ertragsnießbrauch ist eine Lastentragung des Ertragsnießbrauchers aus dem gesetzlichen Schuldverhältnis ja nicht statthaft, da die §§ 1036 ff. BGB – wie schon des öfteren ausgeführt – mit spiegelverkehrten Rollen für und gegen den Eigentümer-Unternehmer gelten. Es kommt damit schon gar nicht zu der befürchteten Störung hinsichtlich der Verteilung von Nutzung und Lasten. Der Ertragsnießbrauch steht bei Lichte betrachtet zwar dem Institut der Dienstbarkeit durchaus näher als dem Nießbrauch. Schädlich ist dies jedoch nicht; insbesondere ist eine analoge Anwendung der §§ 1018 ff. BGB auf das Unternehmen nicht sachgerecht. Denn in den §§ 1018 ff. BGB fehlt ein dem nießbrauchsrechtlichen gesetzlichen Schuldverhältnis vergleichbarer Regelungskomplex. Dies ist für den Ertragsnießbrauch mißlich, weil der Nutzungsberechtigte ja nicht irgendeinen, vernachlässigbaren Nutzen ziehen, sondern auf den unternehmerischen Ertrag zugreifen kann, der für die Beteiligten des dinglichen Rechts – Unternehmer und Nießbraucher – im Zentrum ihrer beider Berechtigungen und Anstrengungen steht. Beide werden daher in der analo31

Stürner, AcP 194 (1994), 265 (270); siehe auch Schön, Nießbrauch, 305 ff. Etwa Staud-Frank, § 1030 Rn. 55; MünchKomm-Petzoldt, § 1030 Rn. 30; Soergel-Stürner, § 1030 Rn. 10 m. w. Nachw., nunmehr aufgegeben in ders., AcP 194 (1994), 265 (282). 33 Die Bezeichnungen „formelles Verständnis“ und „materielles Verständnis“ des Begriffs der „einzelnen Nutzungen“ sind hierbei je nach Perspektive austauschbar, so bezeichnet Schöner, DNotZ 1982, 416 (419), genau jene Meinung als „formell“, die Stürner, AcP 194 (1994), 264 (270 f.), als „materiell“ kennzeichnet. 34 Etwa BayObLGZ 1987, 359 (361 f.); BayObLG, NJW-RR 1990, 208; Schöner, DNotZ 1982, 416 (420 f.); Stürner, AcP 194 (1994), 265 (282). 32

790

Kap. 15: Nochmals: Die Zulässigkeit des Ertragsnießbrauchs

gen Anwendung der §§ 1036 ff. BGB die bessere Lösung ihrer Interessenkonflikte sehen. Aus dem Verweis auf das rechte Verhältnis von Dienstbarkeit und Nießbrauch können für die Zulässigkeit der Rechtsfortbildung des Nießbrauchsrechts hin zum Ertragsnießbrauch dennoch wichtige Fingerzeige gewonnen werden. Denn die oben beschriebene Harmonie zwischen Nutzung und Last will verhindern, daß eine Dienstbarkeit ermöglicht wird, aus der dem beschränkt dinglich Berechtigten nur die Vorteile, aber keine Nachteile erwachsen und in deren Vollzug eine ordnungsgemäße Bewirtschaftung der belasteten Sache kaum wahrscheinlich wäre35. Mit Rücksicht hierauf muß bei einem Ertragsnießbrauch der Unternehmer noch auf eine solche Quote des Gewinns zugreifen dürfen, bei der eine ordnungsgemäße Bewirtschaftung des Unternehmens wahrscheinlich ist. Der Ertragsnießbrauch ist daher nicht nur aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes36, sondern auch aus dezidiert sachenrechtlichen Motiven nur als Quotennießbrauch rechtlich zulässig. Das Maß der Quote dürfte sich an die Regelung anlehnen, die aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen eine Quotierung des Ertragsnießbrauchs erzwungen hat37. III. Die Versorgungsgerechtigkeit der bisher diskutierten Sicherungsinstitute Die Frage, ob ein Ertragsnießbrauch als Frucht einer sinnvollen Rechtsfortbildung zulässig ist, wurde bisher mit Blick auf einige grundlegende Wertungen der Sachenrechtsordnung – im genaueren: den numerus clausus dinglicher Rechte und das System der beschränkten dinglichen Rechte – diskutiert. Eine weitere Voraussetzung einer Rechtsfortbildung ist, daß diese durch ein unabweisbares Bedürfnis des Rechtsverkehrs gerechtfertigt ist. Für den Ertragsnießbrauch an einem einzelkaufmännischen Unternehmen liegt ein derartiges Bedürfnis dann nicht vor, wenn die sonstigen Instrumente, mit denen die Versorgung des überlebenden Teils gesichert werden kann, für diesen Versorgungszweck hinreichend sind. Notwendig ist daher eine vergleichende Betrachtung der bisher diskutierten Versorgungsmodi:

35 36 37

Schön, Nießbrauch, 305 f. Dazu oben § 28 II 5 b cc. Siehe oben § 28 II 5 b cc.

§ 35 Die Zulässigkeit des Ertragsnießbrauchs an einem Unternehmen

791

1. Vergleichende Übersicht – zugleich Zusammenfassung der bisherigen Erkenntnisse

Die bisherige Diskussion der Versorgungsgerechtigkeit ausgewählter Sicherungsinstrumente kann in einer Übersicht zusammengefaßt werden: 1 Art des Sicherungsmittels

Verpachtung kombiniert mit Unternehmensnießbrauch Stille Beteiligung Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch i. S. der Treuhandlösung

2

3

Zulässigkeit Verschonung des Sicherungs- vor Untermittels nehmensführung

4

5

Haftungsverschonung

gesetzlich geregelter Einfluß des Ehegatten auf die Unternehmenspolitik Nein, nur privatautonom

(+)

ev. problematisch bei Kündigung des Pachtvertrages

(+)

(+)

(+)

(+)

ev. problematisch bei Niederlegung des TV-Amtes

nur auf Einrede

nach Maßgabe des Treuhandvertrags i.V. m. Auslegungsregeln

ev. problematisch bei Niederlegung des TV-Amtes

nur auf Einrede

(+) i.V. m. Auslegungsregeln

(+)

Nein, nur privatautonom

Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch i. S. der echten TV-Lösung

(+)

Dingliche Sicherungen an Grundstücken des Betriebsvermögens

(+)

(+)

(+)

Nein

Unternehmensreallast

Nein

(+)

(+)

Nein

Zu prüfen

(+)

(+)

(+)

Ertragsnießbrauch

792

Kap. 15: Nochmals: Die Zulässigkeit des Ertragsnießbrauchs

1

6

7

8

Art des Versorgungs- wie Spalte 5, Schutz vor Sicherungsschutz in nur bezogen den Eigenmittels der Unter- auf den Un- gläubigern nehmerternehmerdes nachfolge nachfolger Ehegatten

9

10

risikoSchutz vor Verfügungen partizipative Versorgung des Ehegatten

Verpachtung kombiniert mit Unternehmensnießbrauch

Verhandlungssache bei Neuverpachtung

Verhandlungssache bei Neuverpachtung

Nein

Nein

(+)

Stille Beteiligung

Verhandlungssache

Nein

Nein

(+)

(+)

TestamentsVerhandVerhandvollstreklungssache lungssache kung über mit dem mit dem den UnterUnterUnternehmensnehmensnehmensnießbrauch erwerber, erwerber, i. S. der falls TV sein falls TV sein TreuhandAmt nieder- Amt niederlösung gelegt hat gelegt hat

(+)

(+)

(+)

TestamentsVerhandVerhandvollstreklungssache lungssache kung über mit dem mit dem den UnterUnterUnternehmensnehmensnehmensnießbrauch erwerber, erwerber, i. S. der falls TV sein falls TV sein echten Amt nieder- Amt niederTV-Lösung gelegt hat gelegt hat

(+)

(+)

(+)

Dingliche Sicherungen an Grundstücken des Betriebsvermögens

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

Unternehmensreallast

(+)

Nein

Nein

Nein

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Ertragsnießbrauch

(+)

(+)

Nein

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(+)

§ 35 Die Zulässigkeit des Ertragsnießbrauchs an einem Unternehmen

793

Das Schema zeigt, daß ein rechtlich gesicherter Einfluß des Ehegatten auf die Unternehmenspolitik nur bei einer risikopartizipativen, nie jedoch bei einer risikoaversen Gestaltung gegeben ist. Der Erblasser muß sich daher entscheiden, ob er auf eine dingliche Sicherung der Ertragsauskehr (etwa über Grundschulden oder Reallasten) oder auf eine Einflußnahme seines Gatten auf die Unternehmenspolitik Wert legt; beides zusammen ist mit dem ihm zur Verfügung stehenden Akttypen privatautonomer Gestaltung in einem Typus nicht zu erreichen. Falls der Erblasser insofern dem überlebenden Teil einen gesicherten Vermögenswert zuwenden will, der auch dem Zugriff der Geschäftsgläubiger entzogen ist, muß er ihm – eventuell kombiniert mit den anderen Gestaltungsmitteln – dingliche Verwertungsrechte wie Hypothek, Grundschuld oder Reallast eintragen lassen oder zu Sicherungsmitteln wie Sicherungsübereignung und Globalzession greifen. Falls der Erblasser aber die Einflußnahme auf die Art und Weise des unternehmerischen Handelns als vorrangig ansieht und den überlebenden Teil insofern am unternehmerischen Risiko, aber auch an den unternehmerischen Chancen partizipiert sehen möchte, wird er die dinglichen Sicherungen herkömmlicher Art verwerfen. Auch die Verpachtungslösung und die stille Gesellschaft werden für ihn in diesem Falle weniger interessant sein, da bei diesen Gestaltungen der jeweilige Unternehmer eine versorgungsgerechte Unternehmensführung nur kraft ausdrücklicher Vereinbarung schuldet und der Ehegatte daher im Falle der Unternehmensnachfolge oder der Kündigung des Pachtvertrages durch den Erben mit potentiellen Interessenten in die Unternehmensträgerschaft erst hierüber verhandeln muß. Insbesondere die Verpachtungslösung ist daher nur eine Gestaltungsweise, die für einen unternehmerisch starken Ehegatten in Frage kommt. Falls der Erblasser nicht nur dem Erben, sondern jedem potentiellen Unternehmenserwerber die Pflicht zu einem gehörigen versorgungsgerechten unternehmerischen Handeln auferlegen will, wird er die Verpachtungslösung mithin ebenso verwerfen wie die stille Beteiligung. Es bleibt damit die Testamentsvollstreckung am Unternehmensnießbrauch durch den Alleinerben, die den ersten Anschein nach ein ähnlich hohes Maß an Versorgung bereitstellt, die das Institut des Ertragsnießbrauchs so anziehend macht. Nur: Wenn dies tatsächlich der Fall wäre, entfiele ein unabweisbares Bedürfnis für den Ertragsnießbrauch und damit einer der tragenden Bestandteile einer Rechtsfortbildendung. Der Ertragsnießbrauch wäre dann unzulässig. Mit Blick auf diese Einsicht erklärt sich auch die Ausführlichkeit, mit der oben die Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch diskutiert worden ist: Das Maß ihrer Versorgungsgerechtigkeit entscheidet die Zulässigkeit des Ertragsnießbrauchs.

794

Kap. 15: Nochmals: Die Zulässigkeit des Ertragsnießbrauchs 2. Das konkurrierende Modell: Die Testamentsvollstreckung am Unternehmensnießbrauch

Der Ertragsnießbrauch und die Testamentsvollstreckung am Unternehmensnießbrauch unterscheiden sich schwerpunktmäßig in der Art und Weise, in der der Ehegatte auf die Unternehmenspolitik Einfluß nehmen kann. Die Pflicht des Unternehmers zu einer versorgungsgerechten Bewirtschaftung des Unternehmens ist bei dem Ertragsnießbrauch Inhalt des gesetzlichen Schuldverhältnisses der §§ 1036 ff. BGB analog und folgt bei der Testamentsvollstreckung in Form der echten Vollstreckerlösung aus § 2216 BGB, während sie sich bei der Testamentsvollstreckung in Form der Treuhandlösung nach Maßgabe des Treuhandvertrags ergibt. Sicherlich wird im Zweifel der Erblasser eine den Erfordernissen des § 2216 BGB parallele Ausgestaltung des Treuhandvertrags angeordnet haben, so daß im Ergebnis zumeist keine Unterschiede zu vergegenwärtigen sind. Dennoch ist hier das Risiko zu vergegenwärtigen, daß die Pflicht zu einem versorgungsrechten Unternehmerhandeln auch tatsächlich entsprechend privatautonomen verankert wird. Dieses Risiko ist beim Ertragsnießbrauch von Gesetzes wegen (§ 1036 II BGB) vermieden. Allein dieses Risiko dürfte aber denkbar gering und deshalb unter Versorgungsgesichtspunkten zu vernachlässigen sein; ein unabweisbares Bedürfnis des Rechtsverkehrs auf Zulässigkeit des Ertragsnießbrauch ließe sich daher so nicht begründen. Eine Sicherung des auf eine gehörige Einflußnahme auf die Unternehmenspolitik gerichtete Versorgungsinteresse ist bei der Testamentsvollstrekkung aber nicht immer in der Unternehmensnachfolge auf den Erben von Todes wegen oder unter Lebenden gegeben, da die Pflichtenstellung aus § 2216 BGB und aus dem Treuhandvertrag nur für und gegen den Testamentsvollstrecker wirkt. Zwar kann der Erblasser den Testamentsvollstrekker ermächtigen, gegenüber dem Nachlaßgericht Nachvollstrecker zu ernennen, §§ 2198 I, 2199 II BGB. Doch wird dies dem Ehegatten nicht helfen, da im Falle des Vorversterbens des Erben und bei der Unternehmensveräußerung das Unternehmen nicht mehr Gegenstand des Nachlasses des Erblassers und damit insofern nicht mehr vollstreckungsfähig ist. Zwar könnte der Erblasser dem Erben durch eine kaptatorische Verfügung in Form einer letztwilligen Potestativbedingungen aufgeben38, seinerseits den Erbeserben als Testamentsvollstrecker zu Lasten des Unternehmensnießbrauchs einzusetzen. Doch hilft dies dem Ehegatten nicht, wenn der Erbe nicht der Bedingung gemäß testiert; ein Schutz, der vom Willen eines Dritten abhängt, ist jedoch auch dann von minderer Qualität, wenn dieser Wille praktisch 38 Der Weg, seinen Erben mittels Auflage zur Bestellung eines Testamentsvollstrecker für dessen Nachlaß anzuhalten, ist dem Erblasser analog § 2302 BGB verschlossen, siehe etwa MünchKomm-Musielak, § 2302 Rn. 3 m. w. Nachw.

§ 35 Die Zulässigkeit des Ertragsnießbrauchs an einem Unternehmen

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wegen der kaptatorischen Verfügung gebeugt ist. In der Unternehmernachfolge unter Lebenden ist der Ehegatte schließlich sowohl bei der Treuhandals auch bei der echten Testamentsvollstreckerlösung davon abhängig, daß der Erbe vertraglich eine Verpflichtung des Unternehmenserwerber zu einer versorgungsgerechten Unternehmenspolitik aushandelt, die seinem bisherigen Schutz gleichkommt. Wenn der Testamentsvollstrecker sein Amt niederlegt, kann der Ehegatte zudem in die Lage geraten, aufgrund seines Unternehmensnießbrauchs als Unternehmer auftreten zu müssen – die Folge wäre eine Haftung auch mit seinem Privatvermögen. Dieselben Folgen, die bisher für die Unternehmensveräußerung geschildert wurden, wären zudem auch im Falle des Einbringens des einzelkaufmännischen Unternehmens in eine zu gründende Personengesellschaft mit Beteiligung von dritter Seite zu befürchten. Auch hier müßte der Erbe letztwillig angehalten werden, den Gesellschaftsvertrag versorgungsgerecht zuzuschneiden und auf eine versorgungsbezogene Unternehmenspolitik zu insistieren. Um diese etwaigen negativen Folgen einer Unternehmensnachfolge unter Lebenden oder bei Gründung einer Personengesellschaft auszuschließen, könnte der Erblasser dem Erben zwar auflagenweise zu Lebzeiten des überlebenden Teils eine Unternehmensveräußerung oder Gesellschaftsgründung untersagen und den Ehegatten hierzu als Testamentsvollstrecker einsetzen. Damit hätte er dem Unternehmer aber zugleich ein gewisses Maß an wirtschaftlicher Beweglichkeit genommen, was nicht immer interessengerecht sein kann. Man soll nicht einwenden, die Unternehmensveräußerung nach dem Tode des Erblassers sei rechtstatsächlich ein zu vernachlässigbares Phänomen. Selbst wenn dies so wäre, folgt hieraus nichts, wenn – wie hier – die mit einer Unternehmensveräußerung verbundenen möglichen Nachteile für den Gatten hoch sind, mag auch die Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts gering sein. Zudem ist die Veräußerung eines ererbten Unternehmens ein durchaus bekanntes Phänomen. Eine der größten Befürchtung des unternehmerisch Tätigen ist es, daß nach dem Übergang der Unternehmensträgerschaft auf den Nachfolger die erste Tat des Neuunternehmers der Verkauf des Unternehmens sein könnte39. Wenn der Erblasser zumindest seinen als unternehmerisch schwach eingeschätzten Ehegatten gesichert sehen will, sollte gerade diese Angst ernstgenommen werden. Die Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch ist daher primär ein Mittel für den wirtschaftlich beweglichen, einsichtigen und kompetenten Ehegatten, der seine Eigeninteressen in den wirtschaftlichen Risikolagen der Unternehmensveräußerung durchaus dezidiert wahrnehmen kann. Dies wird auf einer ganz anderen Ebene bestätigt. Die Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch findet gegenüber dem Ertrags39 So Manfred Riedel, in: Ingrid Brunner, Zeit für die Wachablösung, Süddeutsche Zeitung Nr. 1 v. 2./3. Januar 1999.

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nießbrauch zu einem anderen Mischungsverhältnis zwischen reiner Ertragspartizipation auf der einen und Eingriffen ins Unternehmen auf der anderen Seite. Denn bei der Testamentsvollstreckung kann ein der Unternehmensführung nicht abgeneigter Ehegatte bei Vorliegen eines wichtigen Grundes eine Entlassung des Vollstreckers gem. § 2227 BGB herbeiführen, die der Erblasser nicht von Todes wegen ausschließen kann40. Der Ehegatte kann damit durchaus in die Lage kommen, selbst für das weitere Wohl des Unternehmens Sorge tragen zu müssen – und zwar nicht, obwohl er dies nicht will, sondern gerade weil er es will. Beim Ertragsnießbrauch ist ein Zugriff des Ehegatten auf die Unternehmensführung demgegenüber immer ausgeschlossen. Weniger schädlich gegenüber dem Ertragsnießbrauch ist schließlich die Tatsache, daß der Ehegatte bei der Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch sein Haftungsverschonungsinteresse einredeweise reklamieren muß. Zwar setzt dies ein erhöhtes Maß an sozialem Handlungswissen über einen rein passiven Konsum des Ertrags hinaus voraus. Dennoch ist der Unterschied zum Ertragsnießbrauch unter diesem Aspekt nicht beachtlich, da auch vom Ertragsnießbraucher-Ehegatten ein gewisses Maß an unternehmerischer Einsicht und Kompetenz verlangt wird, um seine Rechte aus § 1036 II BGB analog überhaupt ordentlich ausfüllen zu können. Der Unterschied zwischen der Testamentsvollstreckergestaltung und dem Ertragsnießbrauch liegt nach all dem vor allem in dem unternehmerischen Format, das dem Ehegatten angesonnen wird. Bei der Testamentsvollstrekkergestaltung wird ihm tendenziell ein höheres Maß an unternehmerischer Kompetenz, Gewandtheit und Einsicht abverlangt als beim Ertragsnießbrauch. Zudem stellt der Ertragsnießbrauch dem Erblasser quasi ein „Versorgungspaket“ bereit, während er bei der Testamentsvollstreckergestaltung auf eigene privatautonome Vorgaben oder auf die geschäftliche Gewandtheit des überlebenden Teils verwiesen ist. Zwischen dem Ertragsnießbrauch und der Testamentsvollstreckung zu Lasten des Unternehmensnießbrauchs lassen sich deshalb durchaus gewichtige Unterschiede feststellen. 3. Rechtsfortbildungssperre aufgrund Nutzungsgemeinschaftsrechts?

Eine Rechtsfortbildung wäre dennoch nicht statthaft, falls die durch den Ertragsnießbrauch bereitgestellte Versorgungsgerechtigkeit nicht doch noch durch eine sich weniger von dem geschriebenen gesetzlichen Regelungsbestand entfernende Gestaltung gewährleistet und damit das unabweisbare Bedürfnis für die Rechtsfortbildung entfallen würde. Schön hat vorgeschlagen, die bisher als Ertragsnießbrauch bezeichnete Rechtsfigur einer quotalen 40

MünchKomm-Brandner, § 2227 Rn. 1.

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dinglichen Beteiligung am unternehmerischen Gewinn so zu verstehen, daß eine Nutzungsgemeinschaft zwischen dem Erben-Eigentümer und dem Ehegatten-Unternehmensnießbraucher vorläge. Eine derartige Gestaltung sieht nach dem Schönschen Vorschlag folgendermaßen aus: Zuerst einmal müßte dem Ehegatten vermächtnisweise der Unternehmensnießbrauch zugewendet werden; hierbei kann das Unternehmen so gewidmet werden, daß es auch den Versorgungsinteressen des Überlebenden zu dienen bestimmt ist41. Nach der Bestellung des dinglichen Nutzungsrechts einigen sich Unternehmensnießbraucher und Eigentümer sodann nach § 745 BGB in Vollziehung einer hierauf gerichteten erbrechtlichen Auflage auf eine Bewirtschaftung durch den Eigentümer42. Das Problem der Schönschen Nutzungsgemeinschaft liegt damit auf der Hand: Die Aufhebung der Gemeinschaft gem. § 749 I BGB kann bei Vorliegen eines wichtigen Grundes als Ausdruck eines allgemein für Dauerschuldverhältnisse geltenden Grundsatzes auch nicht durch letztwillige Vorgaben ausgeschlossen werden, § 749 II, III BGB. Im Falle der Aufhebung der Gemeinschaft stellt sich zwangsläufig für den Ehegatten-Unternehmensnießbraucher die Frage, wie es mit der weiteren Unternehmensführung bestellt ist. Relevant werden könnte dieses Problem schon bei einer tiefgreifenden Störung des gegenseitigen Vertrauens, wenn hierdurch die Gemeinschaft unmittelbar berührt wird und die Nutzungsgemeinschaft nicht zumutbar mehr fortgesetzt werden kann; denn schon dann kann die Nutzungsgemeinschaft zumindest nach der Rechtsprechung des BGH gekündigt werden43. Der Ehegatte wäre im Kündigungsfalle als Unternehmensnießbraucher darauf verwiesen, mit Dritten über die Überlassung der unternehmensnießbrauchsrechtlichen Ausübungsbefugnis zu verhandeln, wenn er das Unternehmen nicht selbst fortführen möchte. Derartige Verhandlungen mögen ihm gelingen oder auch nicht; das damit verbundene Risiko sollte einem als unternehmerisch schwach eingeschätzten Ehegatten aber gerade abgenommen werden. Hieraus ergibt sich, daß der Schönsche Vorschlag gerade nicht das Maß an Versorgungsgerechtigkeit bereitstellt, welches in dem Ertragsnießbrauch an einem Unternehmen verborgen ist. Mit dem Verweis auf die Möglichkeit einer Nutzungsvereinbarung zwischen dem Erben und dem Unternehmensnießbraucher kann das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Rechtsfortbildung somit nicht bestritten werden.

41

Dazu oben § 28 III, § 28 IV. Schön, Nießbrauch, 320 Fn. 239. Der Nießbrauch wird von Schön hier wiederum als Nießbrauch an den unternehmerischen Einzelgegenständen, nicht an einem sachenrechtlichen Gegenstand „Unternehmen“ aufgefaßt. 43 Siehe bsp. BGH, WM 1984, 873; zustimmend Erman-Aderhold, § 749 Rn. 9; Soergel-Hadding, § 749 Rn. 9; Staud-Huber, § 749 Rn. 78; MünchKomm-Karsten Schmidt, § 749 Rn. 10. 42

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Kap. 15: Nochmals: Die Zulässigkeit des Ertragsnießbrauchs 4. Das unabweisbare Bedürfnis für einen Ertragsnießbrauch

Die Grundlage für eine rechtsfortbildende Arbeit am Recht ist mit dem bisher Gesagten damit gelegt. Der Ertragsnießbrauch widerspricht – soviel hat die Diskussion um seine nähere Ausgestaltung gezeigt – nicht den durch das Sachenrecht und sonstige Wertungsprärogativen allgemein errichtete Anforderungen an eine Rechtsfortbildung44. Einschränkungen erfolgten in sachlicher und zeitlicher Hinsicht45. Dieser Befund zieht aber nicht die Einsicht nach sich, daß der Ertragsnießbrauch nun automatisch zulässig ist. Es bedarf vielmehr eines zusätzlichen Legitimationsgrunds für den Ertragsnießbrauch. Soweit eine Rechtsfortbildung in Rede steht, wird gemeinhin ein unabweisbares Bedürfnis des Rechtsverkehrs und damit ein Moment der Sozialdimension genannt46. Die bisherige Diskussion hat ergeben, daß ein unabweisbares Bedürfnis überhaupt nur für die Fallgestaltungen in den Blick kommt, bei denen der Ehegatte nicht ein so hohes Maß an unternehmerischer Kompetenz und Gewandtheit zeigt, wie dies bei dem Versorgungsinstitut der Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch der Fall sein muß, um den in diesem Modell eingebauten Schwierigkeiten zu begegnen. Ob hier allgemein ein unabweisbares Bedürfnis zu Tage tritt, scheint auf der einen Seite fraglich zu sein. So kann dem unter Testamentsvollstreckung stehenden Unternehmensnießbraucher sicherlich gemessen an den Anforderungen der Gesamtrechtsordnung zugemutet werden, selbständig für die Wahrung seines Haftungsverschonungsinteresse durch eine sachgerechte Prozeßführung Sorge zu tragen47. Ein derartiges Risiko ist dem im Rechtsverkehr Handelnden oftmals ohne Rücksicht auf seine soziale Handlungskompetenz rechtlich zugewiesen und daher im Grundsatz nichts Ungewöhnliches. Der Unternehmensnießbraucher mag es daher hier wie auch sonst tragen; die anwaltliche Prozeßvertretung wird das ihrige zum Schutz des Überlebenden beisteuern. Die Möglichkeit, daß der Erblasser die Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch des Ehegatten anordnen kann, spricht daher gegen die Zulässigkeit des zu Versorgungszwecken dem Überlebenden vermächtnisweise zugewandten Ertragsnießbrauchs. Die Gesamtrechtsordnung zeigt auf der anderen Seite aber auch, daß ihr an einfachen und praktikablen Lösung gelegen ist. Die Testamentsvollstrek44

Oben § 35 II. Siehe oben § 28 II 5 b, cc und dd, § 35 II 4. 46 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 233 ff. 47 Siehe dazu, daß bei der Testamentsvollstreckung über den Unternehmensnießbrauch der Ehegatte im Prozeß seine fehlende Haftung gegenüber den Geschäftsgläubigern einredeweise geltend machen muß, um sein Haftungsverschonungsinteresse zu befriedigen, oben § 34 IV 2. 45

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kung über einen Unternehmensnießbrauch kann nur in Maßen als ein einfaches Gebilde rechtlicher Gestaltung bezeichnet werden. Dies gilt insbesondere für die Geschäftsgläubiger, die manche Einschränkung in ihrem Zugriff auf das Geschäftsvermögen in Kauf nehmen müssen. An der rechtlichen Zulässigkeit der Testamentsvollstreckung ändert dies alles zwar nichts. Wohl aber spricht dies für ein Bedürfnis des Rechtsverkehrs nach anders gelagerten, einfacher und praktikabler gestalteten Versorgungsinstrumenten. Es gibt also durchaus ein Bedürfnis für den Ertragsnießbrauch. Ob dieses Bedürfnis aber auch unabweisbar ist, ist demgegenüber eine andere, schwierige Frage. Entschieden werden muß sie in der Allgemeinheit hier nicht. Denn die Rechtsordnung zeigt, daß sie unter bestimmten Umständen gewillt ist, Solidarität zu prämieren und die Schutzbedürftigkeit des Ehegatten zu optimieren. Exemplarisch gezeigt werden konnte dies im Rahmen dieser Untersuchung an dem Problem, wie der bedürftige überlebende Ehegatte außerhalb des Unternehmensbereichs gehörig seinen Unterhalt sichern kann48. Was sollte also das Sachenrecht abhalten, dem Gedanken der Gattensolidarität dort zu seinem Recht zu verhelfen, wo es seine eigenen Wertungen der Orientierungssicherheit und des grundsätzlichen Verbots einer dinglich wirkenden Obligation, wie es in der sachenrechtlichen Typenfixierung zum Ausdruck kommt49, gewahrt sieht? Insofern sollte es hinsichtlich der Versorgung des überlebenden Ehegatten von Todes wegen möglich sein, daß der Ehegatte unbeschwert am Ertrag eines Unternehmens partizipieren kann, ohne für die allseitige Befriedigung seiner Versorgungsinteressen in dem hohen Maße selbständig handelnd Sorge zu tragen, wie dies bei der Testamentvollstreckung der Fall ist. Wo ein Schutz der Versorgungsinteressen als „Paket“ von Gesetzes wegen als Inhalt eines dinglichen Rechts bereitgestellt wird, wird Solidarität post mortem auch für den schwachen Teil optimal gesichert. Freilich scheint gegen diesen Gedanken der Einwand auf der Hand zu legen, mit einer derartigen Begründung sei einer Aushebelung des zwingenden Rechts überall dort der Weg geebnet, wo eine Rechtsfortbildung der Versorgung des überlebenden Ehegatten dienlich ist. Eine derartige Kritik greift jedoch nicht durch. Sie geriete zu abstrakt. Der Verweis auf die Notwendigkeit, den überlebenden Ehegatten nach dem ersten Todesfall probat zu versorgen, ist kein omnipotentes Gestaltungsmittel außerhalb des Wertungsgefüges der Gesamtrechtsordnung. Einer Rechtsfortbildung steht zuvor – wie hier – eine eingehende Analyse der funktionalen Äquivalente der Gattenversorgung an, in der sich mancher Einwand gegen einen zu forschen Griff zum rechtsfortbildenden Instrumentarium rasch klären wird. Zudem entlastet der Rekurs auf die Versorgungsnotwendigkeit beim 48 49

Dazu oben § 21. Dazu oben § 35 II 2.

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Überlebenden nicht von der Berücksichtigung sonstiger, außerhalb des Sachenrechts angesiedelter Wertungen der Rechtsordnung. Von einer unvernünftigen Aushebelung des zwingenden Rechts kann daher keine Rede sein. Schließlich braucht an dieser Stelle auch nicht entschieden werden, ob der Ertragsnießbrauch – in der Sprache der causa-Lehren50 – kausal mit den Aspekten der Gattensolidarität und der Versorgungsgerechtigkeit verknüpft ist, ob also ein Ertragsnießbrauch nur zulässig ist, wenn er der Versorgung familiar verbundener Personen dient. Denn hier geht es nur um einen Ertragsnießbrauch, der der Versorgung des überlebenden Teils zu dienen bestimmt ist, so daß sich die Frage nach der generellen Zulässigkeit eines auf Ertragsauskehr gerichteten dinglichen Nutzungsrechts nicht stellt. 5. Auswirkungen in der Rechtsfolge des Ertragsnießbrauchs: Gewinnabführungspflicht des Unternehmers?

Der Gedanke der Gattensolidarität gibt auch für die Rechtsfolgenseite des Ertragsnießbrauchs wichtige Fingerzeige. Nach Auffassung Göseles ist der Unternehmer dem Ertragsnießbraucher gegenüber lediglich verpflichtet, an der Feststellung des Gewinns mitzuwirken, um so dem Nießbraucher die Entnahme zu ermöglichen; eine Gewinnabführungspflicht des Unternehmers scheide aus51. Gösele begründete seinen Ansatz vor dem Hintergrund der oben52 schon vorgestellten persönlichkeitsrechtlichen Debatte um den Ertragsnießbrauch. Eine Gewinnabführungspflicht des Unternehmers sei – so Gösele – vom Begriff der Unternehmensnutzung her gedacht insofern ein Fremdkörper, als Eingriffe in Persönlichkeitsrechte des unternehmerisch Tätigen durch eine bloße Mitwirkungspflicht zur Gewinnfeststellung minimiert werden könnten53. Dem kann so nicht gefolgt werden. Daß das persönlichkeitsrechtliche Argument schon als solches wenig tragfähig ist, wurde schon festgestellt54. Die Belastung des Unternehmers aufgrund einer Gewinnabführungspflicht ist nur marginal größer. Ihm wird zudem im Ergebnis nur interessieren, daß sein Gewinn durch den Ertragsnießbrauch gemindert ist. Der Weg hierzu – Gewinnabführungspflicht oder Mitwirkungspflicht zur Gewinnfeststellung – interessiert ihn weniger. Für den Ehegatten ist der Unterschied aber von großer Bedeutung. Eine selbständige Gewinnentnahme ist von einem anderen Zuschnitt als die bloße Entgegennahme des Gewinns. Dem Erben-Unternehmer obliegt mithin eine Pflicht zur Gewinnabführung. 50 51 52 53 54

Dazu oben § 17 I 2 b. Gösele, Nießbrauch, 56. Oben § 28 II 5 b. Gösele, Nießbrauch, 56. Oben § 28 II 5 b.

§ 36 Nießbrauch an einem Gegenstand „Unternehmen‘‘?

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§ 36 Nießbrauch an einem Gegenstand „Unternehmen“? Die bisherigen Überlegungen haben nachgewiesen, daß der Ertragsnießbrauch weder gegen sachenrechtliche Wertungen, noch gegen sonstige Prinzipien der Rechtsordnung verstößt und daß ihm auch ein unabweisbares Bedürfnis des Rechtsverkehrs beisteht. Dies alles wurde bislang aber nur diskutiert, soweit die Fortbildung des Unternehmensnießbrauchs zu einem auf die reine Ertragsauskehr orientierten dinglichen Nutzungsrechts in Rede steht. Die Zulässigkeit des Nießbrauchs an der Einheit „Unternehmen“ wurde noch nicht eigens aufgegriffen und auf seine Begründbarkeit hin thematisiert. Dies steht nunmehr an. I. Der Nießbrauch am Unternehmen als konstruktives Phänomen Die bisherige Diskussion hat ergeben, daß es sachgerecht wäre, das Unternehmen selbst als nießbrauchsverhaftet anzusehen. Nur so ist es angängig, für ein jedes Unternehmen ein dingliches Nutzungsrecht zu bestellen, da die Alternative – ein Nießbrauch nur an den Gegenständen des Betriebsvermögens – bei jenen Unternehmen nicht sachgerecht ist, die über kein größeres Betriebsvermögen verfügen55. Zudem obliegt dem Unternehmensnießbraucher ja auch die Verpflichtung zur gehörigen Bewirtschaftung des Unternehmens aus § 1036 II BGB. Bei einem reinen Dienstleistungsunternehmen, bei dem die Wertschöpfung primär in der Arbeitskraft des unternehmerisch Handelns selbst und nicht erst vermittelt über die Ausnutzung der Produktionsmittel ihren Grund findet, erscheint es sehr gekünstelt zu behaupten, aufgrund des Nießbrauchs bsp. am Literaturbestand des Anwalts und der darin verankerten Zweckbestimmung der Literaturnutzung sei dieser gehalten, seiner Berufung als Anwalt ordentlich nachzugehen. In anderen Worten: Die Einbindung des Unternehmens in individuelle und gesellschaftliche Funktionszusammenhänge und die hieraus resultierenden besonderen Anforderungen an eine Unternehmensführung de lege artis bildet ein allein an den Gegenständen des Betriebsvermögens bestellter Nießbrauch nicht sachgerecht ab. Aus diesem Befund darf nun nicht etwa die Folgerung gezogen werden, ein Nießbrauch „am Unternehmen“ sei grundsätzlich nur bei reinen Dienstleistungsunternehmen zulässig. Denn der Begriff des Dienstleistungsunternehmens ist zu unbestimmt, als daß er Differenzierungen tragen könnte, die dinglichen Rechten zugrundegelegt werden könnten. Schließlich wäre bei einer Beschränkung des Unternehmensnießbrauchs auf reine Dienstleister auch ungelöst, wie bei einer schleichenden Branchenänderung oder bei Investitionen in das Betriebsvermögen, welche getätigt 55

Siehe genauer oben § 27 I 3 b.

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werden, um sich auf anderen Dienstleistungsmärkten zu positionieren, mit dem Unternehmensnießbrauch zu verfahren wäre. Diese Argumente scheinen auf den ersten Blick durchschlagend für die Zulässigkeit des Unternehmensnießbrauchs zu sprechen. Dennoch braucht nicht abschließend entschieden zu werden, ob der Unternehmensnießbrauch als ein Nießbrauch am „Unternehmen“ oder nur als ein Nießbrauch an den Gegenständen des Betriebsvermögens bestellt werden kann. Dies ist eine eher konstruktive Frage, die für die Wertungsfrage, ob das Rechtsinstitut des Unternehmensnießbrauch überhaupt zulässig ist, ebenso irrelevant ist wie für die Art und Weise der Nießbrauchsbestellung. Für letzteres bestünde zwischen einem Nießbrauch am „Unternehmen“ und einem Nießbrauch an den Gegenständen des Betriebsvermögens sowieso kein Unterschied, da die Bestellungsakte beidesmal identisch sind. Im folgenden soll gezeigt werden, wieso die durch die Frage „Nießbrauch am Unternehmen?“ gestellte Alternative auf ein in wertungsjurisprudentieller Perspektive nicht relevantes Problem rein konstruktiven Charakters verweist, welches denn auch mit konstruktiven Mitteln einfach bewältigt werden kann. Oder in anderen Worten: Mit der Frage „Nießbrauch am Unternehmen?“ wird die dogmatisch falsche Frage gestellt, um zu entscheiden, ob eine Sachenrechtsfolge anwendbar ist. II. Ausgangspunkt der herrschenden Fragestellung Dennoch wurde die gerade genannte Frage gestellt, ob tatsächlich an der Einheit „Unternehmen“ ein Sachenrecht bestellt werden kann. Die Tauglichkeit des Unternehmens als Nießbrauchsgegenstand und damit die Möglichkeit eines Nießbrauchs an einem Unternehmen im Sinne eines einheitlichen, dinglichen, auch Dritten gegenüber wirkenden Rechts am Unternehmen ist im Gesetz bewußt nicht ausdrücklich geregelt56. Der Streit, ob ein dingliches Recht am Unternehmen zulässig ist, ist damit vorprogrammiert. Diskutiert wird diese Frage zumeist im Rahmen des normalen Unternehmensnießbrauchs, nicht also im Recht des Ertragsnießbrauchs. Während sich hier die ältere Rechtsprechung, vornehmlich des Reichsgerichts57, und gewichtige Stimmen in der Literatur58 gegen ein solches dingliches Recht am Unternehmen als Ganzes aussprechen, steht die herrschende Meinung59 einer derartigen Rechtsfigur positiv gegenüber. Danach erfolgt die 56

Vgl. Johow, Begründung,1356 f.; Mot. III, 559 f. RGZ 59, 22 (32); 70, 226 (232); 95, 235 (237). 58 Bökelmann, JR 1974, 202 (203); zum Unternehmensnießbrauch ders., Nutzungen, 20 ff., 28 ff.; Enn.-Nipperdey, § 133 III; Grunsky, BB 1972, 585; AK-Ott, § 1085 Rn, 3; Düringer/Hachenburg-Hoeniger, § 25 HGB Anm. 32; Wieling, Sachenrecht, § 14 III b; kritisch auch Schön, Nießbrauch, 99 ff. 57

§ 36 Nießbrauch an einem Gegenstand „Unternehmen‘‘?

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Bestellung des Nießbrauchs am Unternehmen gemäß dem Spezialitätsprinzip durch gesonderte Rechtsakte am gegenständlichen Unternehmensvermögen und analog § 1032 BGB60 durch Einweisung des Nießbrauchers in den good will, also in die faktischen, im Firmenwert verkörperten Vorteile des Unternehmens61. Auf den ersten Blick verwundert der Streit, da das Gesetz sich in § 22 II HGB und in § 151 II 1 VVG ausdrücklich der Diktion einer Übertragung oder Übernahme eines Handelsgeschäfts oder eines Unternehmens „auf Grund eines Nießbrauchs“ bedient. Hieraus wird oft gefolgert, ein Unternehmensnießbrauch würde zumindest vom Gesetz wenn schon nicht ausdrücklich, so doch zumindest inzident vorausgesetzt62. Ein zweiter Blick auf § 22 HGB und § 151 VVG belehrt freilich, daß diesen Regelungen nicht eindeutig entnommen werden kann, ein dinglicher Unternehmensnießbrauch läge der gesetzlichen Sachenrechts-Konzeption zumindest implizit zugrunde. Der Wortlaut des § 22 HGB und § 151 VVG läßt vielmehr auch die Lesart zu, daß ein nur an den einzelnen Sachen und Rechten des Unternehmens bestellter Nießbrauch dazu führen kann, daß das Unternehmen in einem weiteren, den Nießbrauchsbestellungen nachfolgenden Akt selbst faktisch übernommen wird63. Wie § 22 HGB und § 151 VVG letztlich zu verstehen sind, kann mithin erst dann geklärt werden, wenn zuvor festgestellt worden ist, ob der Nießbrauch am „Unternehmen“ zulässig ist. Mit anderen Worten: § 22 HGB und § 151 VVG setzen kein Ausgangsdatum für die Be59 BayObLGZ 1973, 168 (171 f.); sowie auch BGH WM 1974, 1219 (1220); BFH, BStBl 1981 II, 396 (397); aus der Literatur etwa MünchKomm-Petzoldt, § 1085 Rn. 9; Soergel-Stürner, § 1085 Rn. 6; Erman-Michalski, § 1085 Rn. 8; Staud-Promberger, 12. Aufl., Anh § 1068 Rn. 29; Staud-Frank, Anh § 1068 Rn. 29; RGRK-Rothe, vor § 1085 Rn. 4; Jauernig-Jauernig, § 1085 Rn. 3; Palandt-Bassenge, § 1085 Rn. 4; Baumbach-Hopt, Einl. Vor § 1 HGB Rn. 50; SchlegelbergerKarsten Schmidt, Vorbem. § 335 Rn. 4; ders., Handesrecht, § 6 III 3; HeymannHorn, Einl. V Rn. 20; Düringer Hachenburg-Geiler, HGB, Allg Einl Anm. 75; J. v. Gierke, Handelsrecht, 74; Langenfeld/Gail, Handbuch der Familienunternehmen IV Rn. 96; Jansen/Jansen, Der Nießbrauch im Zivil- und Steuerrecht, Rn. 42; Gösele, Nießbrauch, 12; aus der älteren Literatur vgl. nur Ehrenberg-Pisko, Handbuch II 1, 229; v. Godin, Nutzungsrecht, 8; Beyerle, JZ 1955, 257 (259). 60 Gierke/Sandrock, Handels- und Wirtschaftsrecht, 227. 61 Vgl. nur Staud-Frank, Anh zu §§ 1068, 1069 Rn. 25 f.; RGRK-Rothe, § 1085 Rn. 4; Palandt-Bassenge, § 1085 Rn. 5; Erman-Michalski, § 1085 Rn. 8; MünchKomm-Petzoldt, § 1085 Rn. 9. 62 So etwa Staud-Frank, 13. Bearb. Anh zu § 1068 Rn. 24; als einziges Argument bei Jansen/Jansen, Der Nießbrauch im Zivil- und Steuerrecht, Rn. 42. 63 Das Reichsgericht kleidet diese Lesart in die Formulierung, aus § 22 HGB ergebe sich, daß ein Handelsgeschäft in gewisser Weise Gegenstand eines Nießbrauchs sein kann, daß aber der eigentliche Nießbrauch an einem Erwerbsgeschäft dem BGB fremd sei, vgl. RGZ 59, 22 (32). Aber gerade in diesem Spannungsverhältnis zwischen der „gewissen Weise“ und der „Eigentlichkeit“ liegt das Problem.

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weisführung hinsichtlich der Zulässigkeit eines Unternehmensnießbrauchs, sondern verhalten sich zu dieser Zulässigkeitsfrage neutral. Nun wurden um der Systemreinheit des Sachenrechts und der damit verbundenen Einordnung in die Trichotomie von Rechtssubjekt, Recht und Rechtsobjekt willen erhebliche Anstrengungen auf den Nachweis verwendet, das Unternehmen selbst oder zumindest den unkörperlichen Unternehmenskern als ein Rechtsobjekt zu verstehen. Der Hintergrund bildete zweifellos die Vorstellung, das System sachenrechtlicher Wertungen dekretiere, daß einem dinglichen Recht ein Gegenstand zugeordnet sein müsse. Bei einem derartigen Sachenrechtsverständnis gibt es zwei Wege, auf denen ein Unternehmensnießbrauch als dingliches Recht implementiert werden kann: Entweder muß das System der Gegenstände jenseits der Kategorien Sachen und Rechte durch die weitere Klasse der Unternehmenspertinenz erweitert werden; das Unternehmen – genauer: die faktischen Ertragschancen – wäre dann ein einheitliches Rechtsobjekt64. Oder das Unternehmen – genauer der unternehmerische Tätigkeitsbereich – wird aufgrund eines Wertungsabgleichs mit bestehenden Rechtsinstituten der Kategorie „Recht“ zugeordnet65. Bei diesem Wertungsabgleich müßte dann auf Ähnlichkeiten der Unternehmensträgerschaft zur Eigentümerstellung verwiesen werden – das Unternehmen erschiene dann als ein eigentumsähnliches Recht – oder es müßten Parallelen zwischen der Inhaberschaft des Unternehmens und den Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechten aufgezeigt werden. Hier wiederum könnte das Unternehmen als Immaterialgüterrecht, als eigentumsgleiches Immaterialgüterrecht oder als „Hülle“ eines besonderen Persönlichkeitsrechts erscheinen. Derartige kategoriale Neubildungen oder Objekttransformationen sind schwierig. So wird bsp. der Parallele zum Immaterialgüterrecht vorgeworfen, diese gehe schon deshalb fehl, weil das Unternehmen als ein Wirkungs- und Tätigkeitsprozeß sich gerade nicht gegenständlich wie bsp. ein Kunstwerk etc. materialisiere. Zudem sei mit der Unternehmensträgerschaft keine Ausschlußfunktion gegenüber Dritte verbunden, da sich der Bestand des Unternehmen in einem mitunter aggressiven Markt bewähren müsse66. Zu dieser Kritik wäre einiges zu sagen. Das Verständnis des Unternehmens als Immaterialgut sollte nicht so ohne weiteres abgelehnt werden. Es dürfte mit Blick auf ein besonderes Schutzbedürfnis des unternehmerisch Handelnden in einer historischen Situation ins Werk gesetzt worden sein, in der der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb noch nicht in der Breite, wie dies heute der Fall ist, als schutzfähi64 So ersichtlich als einziger nur Ehrenberg-Pisko, Handbuch des gesamten Handelsrechts, Bd. 2 1. Abteilg., 195 (197, 201 f.). 65 Vgl. dazu den Überblick bei Bökelmann, Nutzungen, 19 f. 66 Zur Kritik siehe Bökelmann, Nutzungen, 23 ff.; Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 4 IV 2 b; Soergel-Mühl, vor § 90 Rn. 16; Staud-Dilcher, vor § 90 Rn. 24.

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ges Rechtsgut im Rahmen des Deliktsrechts angesehen und durch Sonderprivat- und Wirtschaftsrechte in spezifischer Weise umhegt worden ist. Im deliktischen Schutz des Gewerbebetriebs soll aber gerade die Willensbetätigung des Gewerbetreibenden im eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ihre gegenständliche Verkörperung gefunden haben67 und die wirtschaftliche Handlungsfreiheit auch jenseits der §§ 826, 823 II BGB geschützt sein68. Das immaterialgüterrechtliche Verständnis des Unternehmens und die Wertungsgrundlagen der Gewerbebetriebsrechtsprechung weisen daher auffallende Parallelen auf69. Wie dem auch sei. Letztlich interessiert der Streit um das immaterialgüterrechtliche Verständnis des Unternehmens nicht, da zu guter Letzt die Frage nach der Sachenrechtsgegenständlichkeit der Einheit „Unternehmen“ nicht so abstrakt beantwortet zu werden braucht, wie diese Frage bisher gestellt worden ist. Dies gilt es, nunmehr zu zeigen: III. Der verfehlte Zuschnitt in der Dogmatik des Unternehmensnießbrauchs Bei der Diskussion um die Zulässigkeit des Unternehmensnießbrauchs wurde immer wieder die Frage zu beantworten gesucht, ob das Unternehmen als solches das Rechtsobjekt darstellen könne, welches dem dinglichen Nutzungsrecht zugeordnet werden kann. Die Frage, ob diese erkenntnisleitende Perspektive der Heuristik der dinglichen Rechte dient, blieb dabei aber weitgehend ungestellt. Dies kann anhand einiger Argumente gezeigt werden, die gegen die Zulässigkeit eines Unternehmensnießbrauchs ins Feld geführt worden sind. 1. Der Einwand gegen den Unternehmensnießbrauch aufgrund der Nießbrauchsbestellung

Gegen den Unternehmensnießbrauch wurde der Einwand angeführt, die mit der Bestellung eines Unternehmensnießbrauchs verbundene Trennung von Bestellungsakt (Bestellung des Nießbrauchs an den Einzelgegenständen) und dem hieraus sich ergebenden Rechtsverhältnis (Nießbrauch am Unternehmen) sei nicht überzeugend, da es einen Nießbrauch an Rechtsgesamtheiten nicht gäbe70. Es liegt auf der Hand, daß dieses Argument auch 67

RGZ 58, 24 (27 ff.). So die Einschätzung bei Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 81 I 1 b. 69 Die Kritik am deliktischen Schutz des Gewerbebetriebs greift denn auch teilweise genau die Argumente auf, die auch gegen das immaterialgüterrechtliche Verständnis des Unternehmens vorgetragen wurden, siehe nur Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 81 II 1, IV. 68

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gegen den Ertragsnießbrauch in gleicher Weise zwingend wäre. Dem Einwand kann aber nicht gefolgt werden. Die Art und Weise der Bestellung des Unternehmensnießbrauchs betrifft eben nur die Bestellung des dinglichen Rechts selbst und deutet auf keine Eigenarten seiner Rechtsnatur hin71. Gemeinhin wird nur gesagt, daß der umgekehrte Weg, also die Übertragung einer Mehrheit von Gegenständen in einem Rechtsakt oder zumindest als dessen Folge, exklusiv den Tatbeständen der Universalsukzession des Erb- sowie des Umwandlungs- und Verschmelzungsrechts, im Personengesellschaftsrecht beim Gesellschafterwechsel zudem noch den Instituten der An- und Abwachsung vorbehalten wäre72. Darum geht es aber bei der Nießbrauchsbestellung am Unternehmen gerade nicht. Die monierte Trennung zwischen dem Bestellungsakt (Bestellung an den einzelnen Gegenständen des Betriebsvermögens) und dem hieraus entstehenden Rechtsverhältnis (Nießbrauch am „Unternehmen“) deutet demgegenüber sogar eher auf die Zulässigkeit des Nießbrauchs am Unternehmen hin. Denn die Trennung entspricht zumindest insofern sachenrechtlichen Wertungen, als die Nießbrauchsbestellung an jedem einzelnen Gegenstand des Betriebsvermögens den teleologischen Prämissen des sachenrechtlichen Publizitätsprinzips entgegenkommt. Wenig hilfreich ist es ebenso zu dekretieren, es gäbe keinen Nießbrauch an Rechtsgesamtheiten. Diese Feststellung ist viel zu abstrakt und führt nur dazu, die Bemühungen, einen Unternehmensnießbrauch zu begründen, all zu früh abzubrechen73. Schließlich folgt aus der Tatsache, daß das Gesetz die Übertragung und Belastung eines Handelsgeschäfts durch einen einheitlichen Rechtsakt nicht eigens ausgebildet hat, nichts gegen die Anerkennung des Handelsgeschäfts als nießbrauchsrechtliche Rechtseinheit, da es ja gerade die Frage ist, ob das Gesetz die Belastung eines Handelsgeschäfts als rechtsgeschäftlichen Aktstypus vorsieht oder nicht74. Anders gesagt: Der Verweis auf die Art und Weise der Nießbrauchsbestellung als Argument gegen die Zulässigkeit des Unternehmensnießbrauchs setzt voraus, was es erst zu begründen gilt.

70 So die Kritik bei Schön, Nießbrauch, 99 f.; Wieling, Sachenrecht, § 14 III b; RGZ 70, 226 (231 f.). 71 So zu Recht Bökelmann, Nutzungen, 30. 72 Vgl. nur Heymann-Horn, Einl HGB V Rn. 14. 73 Auch beim deliktischen Schutz des Gewerbebetriebs wird der Kritik, ein Unternehmen könne nicht Gegenstand eines einheitlichen subjektiven Rechts sein, entgegnet, hierin liege eine rein begriffsjuristische petitio principii, so bsp. Larenz/ Canaris, Schuldrecht II/2, § 81 II 1. 74 So auch v. Godin, Nutzungsrecht, 12; Soergel-Stürner, § 1085 Rn. 6.

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2. Einwände aufgrund des Vergleichs mit anderen Sachgesamtheiten

Ein weiteres, wiederum auch gegen den Ertragsnießbrauch anführbares Argument gegen den Unternehmensnießbrauch sucht den Wertungsabgleich mit der sachenrechtlichen Behandlung nichtunternehmerischer Sachgesamtheiten wie bsp. Kunstsammlungen, deren Wert ähnlich wie beim Unternehmen erst durch den Sinnzusammenhang, in denen sie stehen, gebildet werden. Hier sei nicht einzusehen – so der Einwand –, daß nur beim Unternehmen, nicht aber auch bei den sonstigen Sachgesamtheiten ein Nießbrauch möglich sein solle; dem wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen den einzelnen Gegenständen der Sachgesamtheit könne insofern auch auf schuldrechtlicher Ebene Rechnung getragen werden75. Es liegt auf der Hand, daß diese Überlegungen nicht als Einwand gegen den Unternehmensnießbrauch dienen kann. Denn die konsequente Folge der Kritik müßte ja sein, auch nichtunternehmerische wirtschaftliche Einheiten von Sachen und Rechten in den Kreis der nießbrauchstauglichen Gegenstände zu ziehen, nicht aber, das Unternehmen aus diesem Kreis zu entfernen. Auch sonst wäre der Verweis auf nichtunternehmerische Gesamtheiten nur wenig einsichtig. Denn ersichtlich wird mit ihm implizit die wirtschaftspolitische Sinnhaftigkeit eines dinglichen Rechts an dem Unternehmen als ganzem bestritten. Nun kann aber kaum geleugnet werden, daß bei der rechtlichen Behandlung des Unternehmens eine wirtschaftliche Betrachtungsweise von einem ganz anderen Gewicht ist als bei sonstigen Rechts- und Sachgesamtheiten76 – wie wäre sonst die kaum zu übersehbare Materie des Unternehmensrechts zu erklären? Es kommt daher entscheidend auf die Sinnhaftigkeit der sachenrechtlichen Klassifikation von Rechts- und Sachgesamtheiten an. Nun ist dies nicht primär eine wirtschaftspolitische, sondern eine Frage des Wertungsabgleichs mit rechtlichen Vorentscheidungen. Aus den zahlreichen Fingerzeigen des Unternehmensrechts soll hier nur ein Wertungsvorbild herausgegriffen werden. Die Rechtsfigur des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs lehrt – so man ihr überhaupt zugeneigt ist77 –, daß rechtlich die Kategorie des Unternehmens von anderen Gesamtheiten oftmals unterschieden wird. Dabei ist es unschädlich, daß es bei dieser Rechtsfigur um die Frage des deliktischen Schutzes des Handelsgeschäfts, genauer78: der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit über den Schutz der §§ 823 II, 826 BGB hinaus, geht; selbstverständlich ist die 75

So Grunsky, BB 1972, 585 (586 f.). MünchKomm-Petzoldt, § 1085 Rn. 9. 77 Die Kritik ist bekanntlich Legion, vgl. nur Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, § 81 IV; von Caemmerer, FS 100 Jahre Deutscher Juristentag, Bd. 2, 49 (89 f.); aus ideologiekritischer Sicht Wiethölter, KritJ 1970, 121 ff. 78 Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, § 81 I 1 b. 76

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Rechtsfigur insoweit teleologisch determiniert und kann nicht in sachenrechtliche Zusammenhänge getragen werden. Doch darum geht es hier nicht. Denn die allein interessierende Argumentationsart ist die gleiche: Gründe wirtschaftlicher Vernunft derogieren nach Ansicht vieler die fehlende Rechtsgegenständlichkeit des um deliktischen Schutz ersuchenden Marktteilnehmers79. Der Verweis auf die sachenrechtliche Behandlung nichtunternehmerischer Sach- und Rechtsgesamtheiten ist daher nicht ungefährlich: Man müßte dann auch zu umfangreichen Restrukturierungen im Deliktsrecht bereit sein80. Andere, nichtunternehmerische Sachgesamtheiten taugen mithin zwar nicht als Gegenstand eines dinglichen Nutzungsrechts. Gleichwohl kann nach all dem aus einem Vergleich mit dieser fehlenden Tauglichkeit nichts gegen den Unternehmensnießbrauch gewonnen werden. 3. Das Unternehmen als Nießbrauchsgegenstand: Zirkuläres Denken?

Das soeben erörterte Argument taucht in einem anderen Gewande wieder auf, wenn ein Unternehmensnießbrauch mit der Begründung abgelehnt wird, ein derartiger Nießbrauch sei selbst dann nicht möglich, wenn das Unternehmen als eine sachenrechtliche Einheit, an der das beschränkte dingliche Recht bestellt würde, verstanden würde. Denn dann – so der Einwand weiter – würde nach vollzogener Nießbrauchsbestellung von dieser sachenrechtlichen Einheit „Unternehmen“ nichts mehr übrig bleiben, da ja dieses eben aufgrund des Nießbrauchs an den Nießbraucher übertragen würde81. Es liegt auf der Hand, daß beim Ertragsnießbrauch dieser Einwurf schon deshalb leerläuft, weil dort die Unternehmerstellung beim Besteller verbleibt. Doch auch beim Unternehmensnießbrauch überzeugt der Einwand nicht, weil er offensichtlich einer Kategorienverwechselung oder sogar einer Selbstbezüglichkeit seiner Prämissen82 erliegt. Zwar wird dem Nießbraucher das übertragen, was landläufig Unternehmerstellung genannt wird. 79 Karsten Schmidt spricht davon, daß die praktische Notwendigkeit eines deliktsrechtlichen Unternehmensschutzes wohl unbestritten sei, vgl. Handelsrecht, § 7 V 1 a. Hiergegen entschieden Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 81 IV 1 a. 80 Folgerichtig stellt Grunsky, BB 1972, 585 (587), im Zusammenhang mit der Diskussion um den Unternehmensnießbrauch denn auch die Frage nach der Rechtfertigung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. 81 So Bökelmann, Nutzungen, 29 f. 82 Oder in anderen Worten: Der Einwand wirft der Begründung des Unternehmensnießbrauchs einen vermeintlich unzulässigen Ausgang von einer Paradoxie vor, ähnlich den bekannten Beispielen der Rückwirkung der Genehmigung nach § 184 I BGB im bereicherungsrechtlichen Ausgleich nach § 816 I 1 BGB im Falle einer gestohlenen und weiterveräußerten Sache oder der sog. qualifizierten Prozeßvoraussetzungen bei doppelt relevanten Tatsachen. Dazu vgl. nur Wacke, in: FS der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, 325 (350 ff., 353 ff.).

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Doch dies braucht nicht auch zugleich die sachenrechtliche Einheit zu sein, an der der Nießbrauch bestellt worden ist. Das Eigentum am Anlagevermögen verbleibt nun einmal beim Besteller83. Nichts hindert in dieser Situation deshalb – entgegen vielfach geäußerten Kritik84 – daran, dem Nießbrauch einen sachenrechtlichen Gegenstand gedanklich zuzuordnen, wenn der Unternehmensnießbrauch ansonsten begründbar ist85. Dies deutet darauf hin, daß der Begründungspfad für den Unternehmensnießbrauch nicht vom Nießbrauchsgegenstand her, sondern von den leitenden Wertungskonglomeraten zu erfolgen hat, die den Unternehmensnießbrauch als sinnvolles Rechtsinstitut ausweisen. Bei Lichte betrachtet geschieht auch beim normalen Sachnießbrauch nichts anderes. Auch hier ist der Nießbraucher zur vollständigen Nutzung unter Ausschluß des Eigentümers berechtigt. Das Eigentum wird beim Nießbrauch praktisch zu einer nuda proprietas degradiert, die Rechtsstellung des Eigentümers und damit der Nießbrauchsgegenstand ist praktisch auf eine dem Nießbrauch zugeordnete „Nullstelle“ beschränkt – ähnlich einem Platzhalter zur Aufrechterhaltung der Systemreinheit im System der eben nur beschränkten dinglichen Rechte. Sachenrechtlich vorgegeben ist im wesentlichen nur, daß nach Beendigung des Nießbrauchs dem Eigentümer wieder alle Befugnisse des Nießbrauchers zufallen86. Eine derartige Konsolidationslage besteht aber auch beim Unternehmensnießbrauch.

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Siehe oben § 27 II 1 a. Bökelmann, JR 1974, 202 (203); zum Unternehmensnießbrauch ders., Nutzungen, 20 ff., 28 ff.; Grunsky, BB 1972, 585 (586); Schön, Nießbrauch, 99 ff.; Westermann, Sachenrecht I, 6. Aufl., § 76, 5; Wieling, Sachenrecht, § 14 III b; Enn.Nipperdey, § 133 III; Düringer/Hachenburg-Hoeniger, § 25 HGB Anm. 32; AK-Ott, § 1085 Rn. 3; RGZ 59, 22 (32); 70, 226 (232); 95, 235 (237). 85 Rechtstheoretisch ist ein derartiges Vorgehen oft gerechtfertigt worden. Besonders eindringlich ist hier – bei aller Kritik an seinem Ansatz im übrigen – Brecher (in: FS Heinrich Lange, 123 (129 f.)) zu einem Problem der Dogmatik des § 419 BGB: „Ist die Personstelle nicht besetzt bei Funktion oder Vermögen, werden sie als um ihrer selbst willen, um des ihnen innewohnenden Zwecks willen bestehend gedacht, dann treibt die isolierte Objektivität dialektisch die Fiktion einer Person aus sich hervor, macht sich selbst zur Person und füllt damit jenes Vakuum aus. (. . .) Neben die objektbildende Kraft des Subjekts tritt die subjektbildende Kraft der objektiven Ganzheit. Das Vermögen, das die Person, der es zugeordnet war, verloren hat, projiziert gewissermaßen Personenelemente des bisherigen Inhabers in den Übernehmer hinein.“. 86 Vgl. Schön, Nießbrauch, 9 ff., 14 ff. 84

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IV. Die Umkehrung des Problemzuschnitts: Vom Nießbrauchsgegenstand zu den leitenden rechtlichen Wertungsvorgaben Die soeben diskutierten drei Argumente gegen die Zulässigkeit eines Unternehmensnießbrauchs deuten schon darauf hin, daß die Zulässigkeitsfrage nicht anhand des herkömmlichen Verständnisses des Nießbrauchs angegangen werden sollte, der als Sach- oder Rechtsnießbrauch ein vergegenständlichtes Substrat des Rechts voraussetzt und selbst den Nießbrauch an einem Inbegriff von Sachen nach § 1035 BGB oder an einem Vermögen nach § 1085 BGB als Nießbrauch an den Einzelgegenständen konstruiert. Bei dem herkömmlichen Nießbrauchsverständnis ist man sofort geneigt, so diffizile Dinge wie das Verhältnis von Rechtsobjekt und dinglichem Nutzungsrecht zu erörtern, um den Unternehmensnießbrauch de lege artis begründen zu können. Es ist aber nicht ratsam, die Problematik des Unternehmensnießbrauchs mit der kritischen Bemerkung anzugehen, das Unternehmen sei kein nießbrauchstauglicher Gegenstand87. Das Tableau möglicher Rechtsgegenstände wird durch die Rechtsordung genauso spezifisch geformt, wie bsp. das Eigentum durch die rechtliche Vorgabe von Inhaltsbestimmungen erst spezifisch zugeschnitten wird88. Der Ausgang von der Kategorie „Rechtsgegenstand“ wäre damit primär Ausdruck eines tendenziell begriffsjuristischen Kategorien verhafteten Denkens, das der Begrifflichkeit und Konstruktion den Vorrang vor Wertung und teleologischer Determination auch dort einräumt, wo mit dem Verweis auf den hochabstrakten Begriff „Rechtsgegenstand“ entweder nur dessen inhaltliche Leere reproduziert wird, wenn nicht die hinter den Begriffen stehenden Teleologien in die Argumentation einbezogen werden, oder der Begriff des Rechtsgegenstands naturalistisch gefaßt und damit seiner normativen Funktion entkleidet wird. Wird die Zulässigkeit des Unternehmensnießbrauchs also von der Frage her diskutiert, ob das Unternehmen ein tauglicher Rechtsgegenstand sein könnte, käme es allenfalls zu einer Scheinbefriedigung eines zu rigiden Systembedürfnisses. Wenn sich gezeigt hat, daß ein Ertrags- und ein Unternehmensnießbrauch mit den sachenrechtlichen und sonstigen Wertungen der Rechtsordnung verträglich ist, ist die Frage nach dem rechtsgegenständlichen Substrat, das diesem Nießbrauch zugrundeliegt, sekundär. Denn verstößt ein derartiges dingliches Nutzungsrechts nicht gegen die Wertungen der Rechtsordnung und besteht für es ein Bedürfnis, verfängt es nicht, dem Unternehmensnießbrauch ein dingliches Analogon zur Sache oder zum Recht auf der Rechts87

So bsp. Bökelmann, Nutzungen, 21 ff.; Schön, Nießbrauch, 100. Dazu nur Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 899; von Münch-Bryde, Art. 14 Rn. 11. 88

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voraussetzungsseite zu unterlegen. Dem Unternehmensnießbrauch würde dann um der Systemreinheit des Sachenrechts willen konstruktiv das Unternehmen als Rechtsgegenstand zugeordnet. Unter den allein entscheidenden Wertungsgesichtspunkten sind derartige konstruktive Fragen vernachlässigbar. Mit anderen Worten: Es gilt, die Frage der Zulässigkeit des Unternehmensnießbrauchs von der rechtlichen Wertung zum Nießbrauchsgegenstand hin zu entfalten und nicht umgekehrt. Die sachenrechtstheoretischen Vorgaben, die mit einem derartigen Problemzugriff verbunden sind, sollte man nicht unter- aber auch nicht überschätzen. Der Problemzugang mag ungewöhnlich sein. Unzulässig ist er aber nicht. Insbesondere entwertet er nicht die Kategorie des dinglichen Rechts und die in diese eingeschlossenen sachenrechtlichen Wertungen. Der hiesige Problemzugang scheint aber insofern die Kategorie der Dinglichkeit89 umzuformen, als das herkömmliche Verständnis des dinglichen Rechts als unmittelbare Sachherrschaft oder sachenrechtliche Zuordnung90 tendenziell um so eher metaphorischen Charakter zu gewinnen scheint, je mehr der dem dinglichen Recht zugeordnete Gegenstand als ein – um dem Systembedürfnis des geltenden Sachenrechts konstruktiv entgegenzukommen – bloß gedachter Zuordnungspunkt des dinglichen Rechts verstanden wird. Zwar kann selbstverständlich auch das Unternehmen beherrscht werden. Diese Herrschaft verliert aber ihre Anschaulichkeit und vor allem ihre prima facie vermeintlich einsichtigen Grenzen, die durch die Körperlichkeit der Sache für den Rechtsverkehr ohne weiteres, für die unternehmerische Handlungsfreiheit aber nur mit Mühe gewährleistet zu sein scheinen. Nicht ohne Grund gewährleistet der BGH im Deliktsrecht den Unternehmensschutz nur nach Maßgabe der Unmittelbarkeit und Betriebsbezogenheit des Eingriffs auf der Grundlage einer Güter- und Interessenabwägung. Und nicht ohne Grund sucht bsp. die Rechtsprechung in diesem Kontext nach einer „gegenständlichen Verkörperung“ der unternehmerischen Betätigung und findet sie im Gewerbebetrieb91. Einsichtiger als die Pflege derartig naturalistisch angereicherter Parallelen zur Körperlichkeit der Sache ist es, demgegenüber darauf abzustellen, ob der Gewerbebetrieb seinem Inhaber mit Ausschlußfunktion gegenüber Dritten zugewiesen ist92. Denn damit 89 Dinglichkeit und dingliches Recht werden hier als zwei Seiten derselben Medaille verstanden: Das dingliche Recht betont mehr die Berechtigung des Rechtsträgers, während die Kategorie der Dinglichkeit mehr die mit der Berechtigung verbundenen Erscheinungen des objektiven Rechts abbildet. 90 Dazu nur den Überblick bei Aicher, Eigentum als subjektives Recht, 64 ff.; Fabricius, AcP 162 (1963), 456 (467 ff.); Kühne, AcP 140 (1935), 1 (11 ff.); Walz, KritV 1986, 131 (140 ff.); Soergel-Mühl, Einl. Sachenrecht Rn. 8. 91 RGZ 58, 24 (30); dazu nur Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, § 81 II 1. 92 So etwa Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, § 81 II 1.

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wird ein unmittelbarer Konnex zur Teleologie des deliktischen Schutzes geschlagen. Im Sachenrecht gilt ähnliches. Nun stellt die Kategorie des „dinglichen Rechts“ bei Lichte betrachtet nichts anders dar, als einen Abstraktionsbegriff des äußeren Systems des Rechts, welcher die tragenden Sinn- und Wertungszusammenhänge, in die es gestellt ist, mehr verdunkelt als erhellt. Fruchtbarer ist es daher, in einer Art relationaler Konzeption93 das dingliche Recht aus Gründen der Heuristik als Bündel von Einzelrechten zu begreifen, welches Verhältnisse zwischen Rechtssubjekten regelt und vor dessem Hintergrund die Sache selbst nur ein Tatbestandsmerkmal etwaiger Verhaltenspflichten der Normadressaten darstellt94. Objekt des dinglichen Rechts ist dann die Verhaltenspflicht aller, dieses Recht nicht zu stören95; Grundeinheit des dinglichen Rechtsschutzes insofern keine Sache, sondern eine im Streitfall rechtlich sanktionierte Handlungsbefugnis96. Dann wird deutlicher97, worum es geht: Die in der Begrifflichkeit der Lehre von der Herrschaft oder Zuordnung formulierte und unter der erkenntnisleitenden Perspektive eines Subjekt-DingVerhältnisses gestellte Frage, mit welchem Recht die Rechtsfolgen des Nießbrauchs auf das Unternehmen angewendet werden, muß in rechtsdogmatischer Hinsicht transformiert werden in die auf das Verhältnis zwischen den Rechtssubjekten zugreifende Problematik, wieso es Dritten (hier: des potentiellen Unternehmensnachfolgers) zugemutet werden darf, mit den dinglichen Rechtsfolgen des Nießbrauchs auch in Ansehung des Unternehmens konfrontiert zu werden. Und diese Frage wurde schon beantwortet: Man darf dies98. Der Rest ist Konstruktion – fast wäre man geneigt zu sagen: Ästhetik. Die in der Körperlichkeit der Sache eingeschlossene Eigengesetzlichkeit des herkömmlichen Verständnisses des dinglichen Rechts löst 93

Dazu Ladeur, Postmoderne Rechtstheorie, 197 ff. So bsp. Walz, KritV 1986, 131 (150); Schwerdtner, Verzug im Sachenrecht, 59 ff.; Aicher, Eigentum als subjektives Recht, 77 f.; Hadding, JZ 1986, 926 (927); vgl. auch Gotthold, ZHR 144 (1980), 545 (546 f.); Pawlowski, AcP 165 (1965), 395 (402 ff.); Heinz, RTh 1993, 435 (457); Dieter Schwab, Einführung in das Zivilrecht, Rn. 177; Larenz/Wolf, AllgT, § 13 Rn. 14; Fezer, Teilhabe, 213 Fn. 51; Rittstieg, Eigentum als Verfassungsproblem, 206, 316; AK-GG-ders., Art. 14/15 Rn. 65, und aus der älteren Literatur Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, 201 ff.; Oertmann, JherJb 31 (1892), 415 (427 ff.); Schlossmann, JherJb 45 (1903), 289 (313 ff.); und auf der Grundlage der Imperativentheorie Thon, Rechtsnorm und subjectives Recht, 161 ff., 288 ff. Dazu siehe auch schon oben § 27 I 3 a cc. 95 Deutlich insofern Schwerdtner, Verzug im Sachenrecht, 59. 96 Walz, KritV 1986, 131 (150). 97 Insofern wird hier nur auf die Heuristik der Kategorie des dinglichen Rechts als Bündel von Einzelrechten gegenüber anderen Rechtssubjekten angespielt. Bei Lichte betrachtet sind die herkömmlichen Auffassungen der Dinglichkeit mit den weiteren Überlegungen verträglich. 98 Siehe oben § 35 II. 94

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sich deshalb auf in ein Bündel normativer Rechtspflichten99. In rechtsmethodischer Hinsicht gilt es insofern, den Nießbrauch über das bloße Tatbestandselement „Sache“ hinaus im Wege der Rechtsfortbildung zu öffnen. Die sachenrechtlichen Wertungsfragen werden mit dem hiesigen Weg insofern transparenter, als man nicht mehr der Gefahr eines impliziten sachenrechtlichen Naturalismus zu erliegen droht, der in dem Petitum zum Ausdruck kommt, das Unternehmen sei kein tauglicher Sachenrechtsgegenstand. Mit dem hiesigen Vorschlag, das dingliche Recht als ein Bündel von Einzelrechten zu begreifen, welches Verhältnisse zwischen Rechtssubjekten regelt, wird schließlich zugleich das Abstraktionsniveau des herkömmlichen Verständnisses des dinglichen Rechts zurückgenommen. Die Problemdurchdringung mußte daher zu Recht nicht von den tatbestandlichen Voraussetzungen des Nießbrauchs her (die dem zugeordnete Frage lautet: Ist das Unternehmen ein Sachenrechtsgegenstand?), sondern von den sachenrechtlichen Wertungen her erfolgen, um dann den Bezug zu den Bedürfnissen zu suchen, denen ein dingliches Nutzungsrecht am Unternehmen zu dienen bestimmt sein soll. Es mußte insofern ein Wertungsabgleich zu dogmatischen Vorentscheidungen und verschiedenen sachenrechtlichen Entwicklungen erfolgen, vor dessen Hintergrund – und sei es durch Rekurs auf ein neues dingliches Recht – die sachenrechtliche Typik und Formenvielfalt mit den rechtsexternen Bedürfnissen in Einklang gebracht werden kann. Die genaue rechtliche Würdigung des unternehmerischen Tätigkeitsbereichs – ob er ein Sachenrechtsgegenstand ist oder nicht – kann in dieser Perspektive für die Konstruktion des Unternehmensnießbrauchs dahingestellt bleiben. Bei Lichte betrachtet liegt dies auch auf einer Linie mit dem herkömmlichen Verständnis der dinglichen Rechte. Die diesem Verständnis zugrundeliegende dogmatische Regel lautet, daß dem Sachenrecht ein belasteter Gegenstand zugeordnet werden muß. Eine jede dogmatische Regel reicht aber nur so weit, wie die durch sie intendierten Anwendungen dies zulassen; anders gesagt: Die intendierten Anwendungen einer Regel stecken zugleich auch ihren Anwendungsbereich ab100. Hat die bisherige Diskussion über den Unternehmensnießbrauch aber gezeigt, daß dieser Anwendungsbereich gar nicht berührt ist, wird um so besser einsichtig, daß das herkömmliche Sachenrechtsverständnis bei der Diskussion um den Unternehmensnießbrauch wenig weiterführend ist. Aus all dem kann als Ergebnis nur vermerkt werden, daß das Unternehmen durchaus als tauglicher Gegenstand einem Nießbrauch zugeordnet werden kann.

99 100

Schwerdtner, Verzug im Sachenrecht, 60. Dazu nur Canaris, JZ 1993, 377 (379).

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V. Der sachgerechte Unternehmensbegriff beim Unternehmensnießbrauch Die bisherigen Ausführungen haben erkennen lassen, daß mit der Frage, ob das Unternehmen Gegenstand eines Ertragsnießbrauchs sein kann, ein primär konstruktives Problem ohne überschießenden Wertungsgehalt traktiert wird. Wer mag, kann daher letzten Endes durchaus von einem Ertragsnießbrauch an einem Unternehmen sprechen. Es stellt sich dann aber ein begriffstechnisches Problem ein: Welches ist der dem Ertragsnießbrauch zugrundeliegende Begriff des Unternehmens? Es ist durchaus unklar, was unter einem Unternehmen genau zu verstehen ist. Einen allgemeinen und einheitlichen, für die gesamte Rechtsordnung geltenden Rechtsbegriff des Unternehmens gibt es nicht101. Der Unternehmensbegriff ist vielmehr „teleologisch determiniert“102 und deshalb kryptoargumentativen Wendungen aus dem „Wesen“ eines Instituts nicht zugänglich. Ansonsten käme man zu einem verdinglichenden Begriffsverständnis, nach dem der Begriff des Unternehmens so etwas wie ein Objekt der sinnlich erfahrbaren Außenwelt repräsentiert. Ein derartiges Unternehmensverständnis entbehrt jede Plausibilität, wenn die Verschiedenheit der Aufgabenstellung in den Blick kommt, deren Bewältigung der Rechtsbegriff des Unternehmens im einzelnen dient. Denn dann erweist sich eine einheitliche Begriffsbestimmung des Unternehmens als weitgehend wertlos, da eine solche abstrakte Begrifflichkeit notwendigerweise von den teleologischen Bezügen der Unternehmensbegriffe des Konzern-, Kartell-, Mitbestimmungs-, Publizitäts- und Handelsrechts abstrahieren müßte. Insofern hilft es auch nicht weiter, den für den Nießbrauch tauglichen Unternehmensbegriff dadurch zu gewinnen, daß man auf einen dem Recht vorgegebenen sozialen Tatbestand der industriell geprägten Gesellschaft verweist und das Unternehmen als eine Einheit von Produktion und Distribution wirtschaftlicher Güter versteht103. Wegen der 101 Dies wird oft betont, so bsp. bei Gieseke, FS Heymann 112 (118); Raisch, Geschichtliche Voraussetzungen, 120; Bökelmann, Nutzungen, 16 m. w. Nachw.; Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 4 I 1 a; GroßKomm-Hüffer, vor § 22 Rn. 3. 102 So die allgemeine, aus dem funktionalen Zuschnitt der Begriffe im Konzernund Kartellrecht abgeleitete Auffassung, vgl. nur Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 4 I 1 a. 103 Zu einem derartigen außerrechtlichen Begriff des Unternehmens vgl. nur Heymann-Horn, Einl. V Rn. 1; ders., in: Sozialwissenschaften im Studium des Rechts Bd. 1, 117 ff., der in betriebswirtschaftlich ausgerichteter Sicht unter einem Unternehmen vornehmlich eine organisierte Einheit versteht, in der persönliche und sachliche Mittel zwecks wirtschaftlicher Wertschöpfung planvoll kombiniert werden. Ein derartiger betriebswirtschaftlicher Ausgang ist nicht ohne weiteres unproblematisch. Auch außerrechtlich gibt es nicht das Unternehmen, sondern in den Blick kommt nur, was die jeweilig angelegte soziologische oder ökonomische Theorie als Wirklichkeit aufgreift und konstruiert. Unternehmen werden bsp. in der Perspektive der

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teleologischen Determination des Unternehmensbegriffs ist es ebenso wenig hilfreich, einen Idealtypus des Unternehmens zu konstruieren, der aus den verschiedenen Unternehmensbegriffen „herausdestilliert“ werden könnte104, da auch hier das den jeweiligen Unternehmensbegriffen zugrundeliegende teleologisch-normative Substrat zu weitgehend verblaßt105. Der Rekurs auf die im jeweiligen Unternehmensbegriff eingeschlossenen Teleologien ist dennoch hilfreich. Denn soweit der Schutz des überlebenden Ehegatten thematisch im Vordergrund steht, interessiert nicht der Unternehmens- und der Ertragsnießbrauch und damit der Begriff des Unternehmens als ein von einem konkreten praktischen Problem gelöstes Phänomen, sondern der Nießbrauch als ein rechtliches Instrument zur probaten Versorgung des überlebenden Ehegatten nach dem ersten Todesfall. Nun entspricht es typischerweise dem Interesse des Erblassers und des Überlebenden, den Unternehmens- und den Ertragsnießbrauch in seinem rechtlichen Erscheinungsbild möglichst so zugeschnitten zu bekommen, daß größere Probleme im Vollzug der aus dem Nießbrauch resultierenden Versorgung nicht zu erwarten sind. Der dem Nießbrauch zugrundeliegende Unternehmensbegriff sollte vor diesem Hintergrund mit dem Begriff übereinstimmen, der bsp. im Handelsrecht vor dem Hintergrund der neueren Tendenzen in Richtung eines Außenprivatrechts für (Einzel)unternehmen106 bestimmend ist. Nur dann ist eine problemlose Abstimmung des Ertragsnießbrauchs bsp. mit den handelsrechtlichen Bewertungs- und Bilanzierungsvorschriften oder mit Haftungs- und Verkehrsschutzregelungen möglich. Insofern ist es aus in den Ehegatteninteressen liegenden Gründen sinnvoll, dem Unternehmens- und dem Ertragsnießbrauch den handelsrechtlichen Unternehmensbegriff zuökonomischen Theorie der Firma in Netzwerke von Austauschverträgen zwischen den Ressourcenträgern aufgelöst (dazu nur Köndgen, in: Ott/Schäfer (Hrgs.), Ökonomische Analyse des Unternehmensrecht, 128 ff.; Kirchner, in: Ott/Schäfer, ebda., 196 ff.), nach Art politischer Theorien als „private government“ thematisiert (so im Ansatz Ott, Recht und Realität der Unternehmensorganisation, 1977), organisationssoziologische aufbereitet (so Thomas Raiser, Das Unternehmen als Organisation, 1969), systemtheoretisch im Hinblick auf den im Wirtschaftssystem gebräuchlichen Kommunikationscode der Zahlung zugeschnitten (so Luhmann, Die Wirtschaft der Gesellschaft, 249) oder schließlich als ein Wissen generierendes heterarchisches Beziehungsnetzwerk aufgefaßt (so Ladeur, in: Hart (Hrsg.), Privatrecht im „Risikostaat“, 137 (135); ders., Negative Freiheitsrechte, 204 ff.). Es stellt sich dann auch bei außerrechtlichen Begrifflichkeiten immer auch die Frage nach der ihr immanenten Teleologie. 104 Dazu Raisch, Geschichtliche Voraussetzungen, 120. 105 Deutlich bsp. in der spezifisch wirtschaftsrechtlich ausgerichteten Begrifflichkeit bei Rittner, Wirtschaftsrecht, § 7 A I 2 und § 7 B III 1 a, der unter einem Unternehmen jede selbständige wirtschaftliche Produktionseinheit versteht. 106 Dazu Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 3; ders., Das HGB und die Gegenwartsaufgaben des Handelsrechts, 1983; kritisch bsp. Canaris, Handelsrecht, § 1 III; Zöllner, ZGR 1983, 82.

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grundezulegen. Danach ist das Unternehmen jede anbietende, entgeltliche, selbständige, planmäßige und auf Dauer ausgerichtete rechtsgeschäftliche Tätigkeit am Markt107. Mit diesem Unternehmensbegriff werden die rechtlichen Wertungen, die die rechtsfortbildende Entwicklung des Unternehmensund des Ertragsnießbrauchs tragen, nicht konterkarriert. Er kann daher dem Unternehmens- und dem Ertragsnießbrauch ohne weiteres zugrundegelegt werden. VI. Gesamtergebnis Die Diskussion hat gezeigt, daß eine Rechtsfortbildung des Sachenrechts hin zu einem Nießbrauch an einem „Unternehmen“ sowohl als genuiner Unternehmensnießbrauch als auch als Ertragsnießbrauch zulässig ist. Mit dieser Bemerkung sollen die Untersuchungen, wie eine sachgerechte Versorgung des überlebenden Ehegatten nach dem Tode des einzelkaufmännischen Unternehmers bewerkstelligt werden kann, abgeschlossen werden. Eine nochmalige Zusammenfassung der bisherigen Ergebniss würde Redundanzen erzeugen, die nicht gewollt sein können. Wer an einer kurzen Übersicht über die Versorgungsmodi interessiert ist, sei daher auf die kreuztabellarische Zusammenfassung oben in § 35 III 1 verwiesen.

107 So die Definition des handelsrechtlichen Unternehmens bei Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 4 I 2 b. Vgl. auch umfassend Raisch, Geschichtliche Voraussetzungen, 105 ff.

Abschnitt 5

Die Ehegattenversorgung im Falle der Mitgliedschaft des Erblassers in einer Personenhandelsgesellschaft Kapitel 16

Ehegattenversorgung und Personenhandelsgesellschaft § 37 Einführung – Erkenntnisinteresse I. Allgemeines Nachdem im 4. Abschnitt dieser Studie die Versorgung des überlebenden Teils für den Fall in Rede stand, daß der Erblasser der Inhaber eines einzelkaufmännischen Unternehmens ist, soll nunmehr die Sicherung der materiellen Existenz des Überlebenden focussiert werden, dessen vorverstorbener Gatte Mitglied einer Personengesellschaft war. Wiederum wird den eingangs getroffenen Bemerkungen1 folgend der Schwerpunkt der Untersuchung darauf gelegt, risikoaverse von risikopartizipativen Versorgungsweisen zu unterscheiden. Die einschlägigen risikoaversen Versorgungsmodi wurden schon in § 24 eingehend diskutiert; auf die dortigen Ausführungen sei daher hier nochmals verwiesen. Im 5. Abschnitt werden deshalb nur noch die risikopartizipativen Arten besprochen, mit denen dem Versorgungsinteresse des Überlebenden Rechnung getragen werden kann. Typisch ist hierbei folgender Fall: Der Erblasser ist Mitglied in einer offenen Handelsgesellschaft und hält daher einen nach außen voll haftenden (§ 128 HGB) Anteil an einer Personengesellschaft. Er verstirbt und hinterläßt seinen versorgungsbedürftigen Ehegatten. Er vererbt seine Mitgliedschaft entsprechend den gängigen Vererbungsklauseln2 an einen Dritten, zumeist seinen Abkömmling, da der überlebende Gatte nicht Mitglied der OHG werden soll. Dies wird vielmehr allein der Erbe. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Versorgungsfrage. Im 4. Abschnitt wurden mehrere Möglichkeiten 1

Oben § 23 II 1. Diese werden hier nicht näher besprochen, da sie die Art und Weise regeln, in der der Erbe Gesellschafter wird. Im weiteren wird aber davon ausgegangen, daß er Gesellschafter geworden ist. 2

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Kap. 16: Ehegattenversorgung und Personenhandelsgesellschaft

diskutiert, wie das Versorgungsinteresse des überlebenden Teils im Falle des Todes des Unternehmers geschützt werden kann. Diese Möglichkeiten waren daran ausgerichtet, ob der Überlebende mehr oder weniger befähigt ist, unternehmerisch zu handeln. Diskutiert wurde die Gründung einer GmbH, einer KG oder einer stillen Gesellschaft3. Daneben wurde die Bestellung eines Unternehmensnießbrauchs mit anschließender Unternehmensverpachtung aufgegriffen4 und sodann eingehend die Testamentsvollstreckung des Alleinerben über den dem Ehegatten vermächtnisweise eingeräumten Unternehmensnießbrauch erörtert5. Schließlich wurde der Ertragsnießbrauch an einem einzelkaufmännischen Unternehmen besprochen6. Von diesen Gestaltungsmöglichkeiten bietet sich bei der Versorgung im personengesellschaftsrechtlichen Bereich an, die Testamentsvollstreckung des Erben über den Nießbrauch an der persongesellschaftlichen Mitgliedschaft sowie den Ertragsnießbrauch an der Mitgliedschaft zu diskutieren. Um die Untersuchung nicht über Gebühr zu überlasten, soll im 5. Abschnitt jedoch nur der Nießbrauch an der Mitgliedschaft aufgegriffen werden. Alles andere würde den Rahmen all zu sehr sprengen. Damit ist die Leitlinie der folgenden Untersuchung vorgezeichnet: Es gilt, den Nießbrauch an der Mitgliedschaft als ein geeignetes Instrument auszuweisen, mit dem das Versorgungsinteresse des überlebenden Teils gehörig befriedigt werden kann. Schließlich muß die Versorgungsfrage des Überlebenden auch unter dem Aspekt des frühzeitigen Ablebens des Unternehmers diskutiert werden. Hier gilt es, mit der Testamentsvollstreckung über das einzelkaufmännische Unternehmen oder über die personengesellschaftliche Mitgliedschaft eine Möglichkeit zu erörtern, daß das Unternehmen weitergeführt wird, ohne daß der Überlebende als Unternehmer tätig werden muß. Zudem muß die Bestimmung des künftigen Nachfolgers thematisiert werden, wenn nachfolgewillige und -befähigte Abkömmlinge wegen des frühzeitigen Todes des Unternehmers noch nicht in Sicht sind. Diese Fragen werden eigens in einem sechsten Abschnitt aufgegriffen, da sie sowohl für das einzelkaufmännische Unternehmen als auch für die Mitgliedschaft in Personengesellschaften relevant sind.

3 4 5 6

Oben Oben Oben Oben

§ § § §

25. 26. 30 bis § 34. 27 bis § 29, § 35.

§ 37 Einführung – Erkenntnisinteresse

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II. Risikopartizipative Versorgung durch einen Nießbrauch an der Mitgliedschaft des Erben 1. Motivlagen

Das Herrschaftsrecht des Nießbrauchs beinhaltet die Befugnis, die Nutzungen aus dem belasteten Gegenstand zu ziehen, § 1030 I BGB (Sachnießbrauch), §§ 1068 II, 1030 I BGB (Rechtsnießbrauch). Damit dem Nießbraucher dies möglich ist, erhält er das Recht, die Sache zu bewirtschaften, § 1036 I BGB. Dabei hat er die bisherige Bestimmung des Belastungsgegenstands aufrechtzuerhalten und nach den Regeln einer ordnungsgemäßen Wirtschaft zu verfahren, § 1036 II BGB. Mit Blick auf diese Befugnisse sind die Motive einer Nießbrauchsbestellung am Anteil7 einer Personengesellschaft vielfältig. Herkömmlich werden vier Gestaltungsmotive unterschieden8: der Vorbehalts- und der Versorgungsnießbrauch, der Sicherungsnießbrauch sowie der Nießbrauch zwecks Ertragsverlagerung. Interessant ist hier allein der Versorgungsnießbrauch. Dieser wird zumeist vermächtnisweise angeordnet. Der zu Versorgende soll in erster Linie materiell gesichert sein, ohne zugleich – wie beim Vorbehaltsnießbrauch typischerweise angestrebt – durch Mitwirkungs- und Verwaltungsrechte auf die Gesellschaft Einfluß nehmen zu können. Der Versorgungsnießbrauch an einem Personengesellschaftsanteil gilt insofern weitgehend als ein probates und in praxi taugliches Mittel zur Versorgung des unternehmerisch selbst nicht tätigen überlebenden Ehegatten durch eine dinglich gesicherte Zuweisung eines Teils der Erträge des Anteils9. Der Versorgungszwecken dienende Nieß7 Steht der Inbegriff der mitgliedschaftlichen Rechte und damit die gesamte Beteiligung des Gesellschafters an der Personengesellschaft in Rede, kann Mitgliedschaft auch als „Gesellschaftsanteil“ übersetzt werden. Von diesem Gesellschaftsanteil ist der Vermögensanteil als das Spiegelbild der vermögensmäßigen Beteiligung an der Gesellschaft, von diesem wiederum der Kapitalanteil als Rechnungs- oder Bilanzziffer, die Aufschluß über den Vermögensanteil geben soll, streng zu unterscheiden. Insofern benennen Vermögens- und Kapitalanteil nur die sich mit einem Gesellschaftsanteil verbindenden kontentechnisch darzustellenden Vermögenspositionen. Im Rahmen dieser Untersuchung wird nicht nur die Begrifflichkeit „Nießbrauch an einer Mitgliedschaft“, sondern der Kürze halber auch die Bezeichnung „Anteilsnießbrauch“ verwendet. Nur der Form halber sei darauf verwiesen, daß damit keineswegs ein Nießbrauch an dem Vermögens- oder an dem Kapitalanteil angesprochen ist. 8 Dazu und zum folgenden nur Bechtold, Nießbrauch, 3 ff.; Mentz, Nießbrauch, 37 f.; Großkomm-Ulmer, § 105 Rn. 117; MünchHdb-GesR-Rodin, § 30 Rn. 7 ff.; Blaurock, Unterbeteiligung, 76 f.; Bunke, DNotZ 1968, 5; Finger, DB 1977, 1033; Huber, Vermögensanteil, 417; Fleck, FS Fischer, 107 (108); Kreifels, Festgabe für Hengeler, 158; Sudhoff, NJW 1974, 2205; umfassend zum Vorbehaltsnießbrauch Dippel, Der Nießbrauchsvorbehalt bei der Übertragung des OHG-Anteils, diss. iur. Regensburg, 1974.

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Kap. 16: Ehegattenversorgung und Personenhandelsgesellschaft

brauch wird häufig angeordnet, um der besonderen Nachfolgesituation in die Mitgliedschaft des Erblassers Rechnung zu tragen. Oftmals soll nur ein Erbe in die Stellung des Verstorbenen einrücken. Der Erblasser wird dies durch sog. qualifizierte erbrechtliche Nachfolgeregelungen10 sicherstellen. In dieser Nachfolgesituation bietet sich der Nießbrauch an der Mitgliedschaft an, um weichende Erben an den Wert des Anteils partizipieren zu lassen, damit deren Versorgung sichergestellt ist. Der überlebende Teil soll dabei keinerlei Einfluß auf die Geschicke der Gesellschaft qua gesellschaftsrechtlicher Mitwirkungs- und Verwaltungsbefugnisse erlangen. Die Betonung liegt freilich auf der gesellschaftsrechtlichen Einflußnahme. Eine ganz andere – und bisher nicht weiter aufgegriffene – Frage ist es, ob der Versorgungsnießbraucher zwar nicht kraft Gesellschaftsrechts, wohl aber kraft Nießbrauchsrechts auf die unternehmerischen Entscheidungen des Erben-Gesellschafters Einfluß nehmen kann. Gerade in der nießbrauchsrechtlichen Einflußnahme auf den Gesellschafter des nießbrauchsbelasteten Anteils lokalisiert ein Gutteil des bei einer risikopartizipativen Versorgung wie dem Ertragsnießbrauch erforderlichen Versorgungsschutzes des Ehegatten. Da der Nießbrauch an der Mitgliedschaft der Versorgung des Überlebenden dienen soll, wird es durchweg nicht so sein, daß der Nießbrauch sämtliche Erträgnisse der Mitgliedschaft erfaßt. Vielmehr wird regelmäßig nur ein Quotennießbrauch bestellt sein. Ein solcher Nießbrauch belastet die ganze Mitgliedschaft, geht aber nur auf die Auskehr eines Teils der Erträge, eben einer Quote. 2. Anlage der weiteren Untersuchung

Im weiteren wird die Dogmatik des Anteilsnießbrauchs nicht ausführlich dargelegt. Dies ist anderweitig11 geschehen; auf die dortigen Überlegungen wird hier daher um der Vermeidung von Wiederholungen willen verwiesen. Im Rahmen dieser Studie bleibt nur, den Ertrag der andernorts ins Werk gesetzten Überlegungen insbesondere hinsichtlich der rechtlichen Instrumentarien zusammenfassend darzulegen, mit denen der Überlebende sein 9 Während Teichmann vor bald 30 Jahren der Bestellung eines Nießbrauchs an Gesellschaftsanteilen eine bloß untergeordnete Rolle zugemessen hatte (ZGR 1972, 1), wird später zumeist die große praktische Bedeutung dieser Gestaltung betont, so etwa bei Schlegelberger-Karsten Schmidt, vor § 335 HGB Rn. 3; GroßkommUlmer, § 139 Anm. 82; ders., FS Fleck, 383 (386); Blaurock, Unterbeteiligung, 76; Bechtold, Nießbrauch, 15 f.; Fleck, FS Fischer, 107 (108). Repräsentative rechtstatsächliche Untersuchungen zur Praxisrelevanz des Nießbrauchs fehlen – soweit ersichtlich – bisher; die Untersuchung von Mentz, Nießbrauch, 60 ff., ist nicht repräsentativ. 10 Grundlegend BGHZ 68, 225 (236 ff.). 11 In Goebel, Der Nießbrauch an Personengesellschaftsanteilen, passim.

§ 38 Der Nießbrauch an einem OHG-Anteil

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Versorgungsinteresse schlagkräftig wahren kann. Dabei wird sich zeigen, daß der Nießbrauch an einer vollhaftenden Mitgliedschaft in einer Personengesellschaft hinsichtlich der Befriedigung der Versorgungsmotivation des letztwillig verfügenden Teils sehr viel flexibler angelegt ist, als es die bisherigen Deutungen dieses sachenrechtlichen Rechtsinstituts wahrhaben wollen: Er läßt sich durchaus als das bestgeeigneste dingliche Recht bezeichnen, welches eine risikopartizipative Versorgung und zugleich schmiegsamste Möglichkeiten bereitstellt, auf die versorgungsgerechte Ausübung der Mitgliedschaftsrechte des belasteten Anteils Einfluß zu nehmen.

§ 38 Der Nießbrauch an einem OHG-Anteil I. Die allgemeinen Grundlagen des Anteilsnießbrauchs Die Mitgliedschaft stellt als solche einen mit einem dinglichen Nutzungsrecht belastungsfähigen Gegenstand dar; der Nießbrauch ist damit als echter Anteilsnießbrauch rechtlich zulässig12. Ersatzlösungen wie der Nießbrauch an den vermögensrechtlichen Bezügen, die Treuhandschaft oder der Nießbrauch am Gewinnstammrecht sind nicht erforderlich13. Einer der Schlüssel für das Verständnis des Anteilsnießbrauchs folgt – wie schon beim Unternehmensnießbrauch – wieder einmal aus der Einsicht, daß der Belastungsgegenstand „Mitgliedschaft“ ein durch und durch teleologisches Gebilde darstellt, welches versorgungsgerechten Widmungen offensteht14. Wie beim Unternehmensnießbrauch lassen sich auch beim Anteilsnießbrauch über die Widmung der belasteten Mitgliedschaft zahlreiche Affekte erzielen, die dieses Rechtsinstitut als ein hochflexibles Instrument zur Nutzziehung erweisen. II. Versorgungsgerechte Gestaltung über die Zuordnung des Stimmrechts Das Stimmrecht ist ein Gebrauchsvorteil der belasteten Mitgliedschaft15. Es steht ohne anders lautende Vereinbarungen zwischen Besteller-Gesellschafter und Nießbraucher im Regelfall dem Nutzungsberechtigtem gem. § 1030 I BGB zu. Dies gilt aber nur für Beschlußgegenstände außerhalb der Grundlagengeschäfte. Bei Grundlagengeschäften findet eine Vergemeinschaftung des Stimmrechts zwischen den Parteien des dinglichen Nutzungs12

Dazu siehe Goebel, Der Nießbrauch an Personengesellschaftsanteilen, § 2. Dazu siehe Goebel, Der Nießbrauch an Personengesellschaftsanteilen, § 2 II. 14 Dazu siehe Goebel, Der Nießbrauch an Personengesellschaftsanteilen, § 3 III. 15 Dazu und zum folgenden siehe Goebel, Der Nießbrauch an Personengesellschaftsanteilen, § 12 I. 13

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Kap. 16: Ehegattenversorgung und Personenhandelsgesellschaft

rechts statt. Zudem entfällt ausnahmsweise bei Vorliegen eines wichtigen Grundes sowohl bei Grundlagen- als auch bei sonstigen Geschäften eine Stimmrechtsausübung durch den Nießbraucher; für den jeweilig zur Entscheidung anstehenden Beschlußgegenstand ist dann der Besteller-Gesellschafter allein stimmberechtigt. Voraussetzung einer Stimmrechtszuordnung an den Nießbraucher ist regelmäßig, daß der belastete Anteil auch der Erfüllung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht zu dienen gewidmet ist; über eine derartige Widmung wird der Nießbraucher gleichsam qua Nießbrauchsrecht (§ 1036 II BGB) in die gesellschaftsrechtliche Treuepflichtigkeit einbezogen. Diese Stimmrechtszuordnung – alleiniges Stimmrecht des Nießbrauchers im Bereich der Geschäftsführung, Stimmrechtsvergemeinschaftung im Bereich der Grundlagengeschäfte, alleiniges Stimmrecht des Besteller-Gesellschafters bei Vorliegen eines wichtigen Grundes – ist die Regelzuordnung bei einem Anteilsnießbrauch. Von dieser Regelzuordnung können die Parteien durch einen privatautonomen Ausschluß einzelner Nutzungen gem. § 1030 II BGB abweichen. Sie können das Stimmrecht dem Nießbraucher in Geschäftsführungsangelegenheiten etwa nur bis zu einem bestimmten Geldbetrag zuordnen oder auch für die Beschlußfassung über Maßnahmen der Geschäftsführung eine Stimmrechtsvergemeinschaftung vorsehen. Ausgeschlossen ist nur eine alleinige Stimmrechtszuordnung an den Nießbraucher im Bereich der Grundlagengeschäfte und ein privatautonomer Ausschluß der Rückholbarkeit des dem Nießbraucher im Grundsatz zugeordnetem Stimmrechts bei Vorliegen eines wichtigen Grundes. Innerhalb dieser Grenzen steht die Stimmrechtszuordnung der Parteivereinbarung offen. Der Erblasser kann dem überlebenden Teil mithin über eine genaue Vorgabe der Stimmrechtszuordnung einen erheblichen Einfluß auf eine versorgungsgerechte Ausübung des Stimmrechts verschaffen. Er wird hierzu freilich nur greifen, wenn er seinem Gatten eine entsprechende Ausübungskompetenz zubilligen kann und zumuten will und falls er seinen Mit-Gesellschaftern eine in das gesellschaftliche Internum hineinreichende Mitbestimmungsbefugnis seines Ehegatten aufbürden möchte.

III. Versorgungsgerechte Gestaltung über die versorgungsgerechte Widmung des belasteten Anteils Falls der Erblasser-Gesellschaftern seinen Mit-Gesellschaftern nicht die Last aufbürden will, sich wegen einer spezifischen Stimmrechtszuordnung nach seinem Tode sowohl mit seinem Erben als auch mit dem überlebenden Teil koordinieren zu müssen, und falls er gleiches auch seinem Gatten nicht ansinnen möchte, kann er das rechtliche Instrumentarium, mit dem der Überlebende sein Versorgungsinteresse wahren kann, auch in das Innen-

§ 38 Der Nießbrauch an einem OHG-Anteil

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verhältnis zwischen den Beteiligten des dinglichen Nutzungsrechts verlegen. Denn ob und in welcher Weise dem überlebenden Teil welche Mitverwaltungsrechte eingeräumt werden sollen, wird der Erblasser nach dem Maß der unternehmerischen Handlungsfähigkeit seines Gatten und dem Grad seiner Belastbarkeit einschätzen. Will er etwa den Ehegatten ganz aus unternehmerischen Entscheidungszusammenhängen fern halten, kann er den Überlebenden auf einen reinen Ertragsnießbrauch an dem Anteil setzen. Bei einem derartigen Anteil ist der Erbe-Gesellschafter aufgerufen, den Anteil analog § 1036 II BGB versorgungsgerecht zu bewirtschaften, wenn die Mitgliedschaft entsprechend gewidmet ist16. Der Überlebende kann also im Innenverhältnis zum Besteller des dinglichen Nutzungsrechts über dessen dingliche Leistungspflicht analog § 1036 II BGB auf die Geschicke der Gesellschaft – etwa auf die Entscheidung über Gewinnausschüttung und -thesaurierung – Einfluß nehmen. Das Interesse des Gatten, nur gemäß seiner Fähigkeiten und des Maßes seiner Schutzbedürftigkeit an der Führung der Gesellschaft beteiligt zu sein, wird mithin beim Anteilsnießbrauch beispielhaft gestillt. Schließlich werden die Interessen des Überlebenden auch bei einer Veräußerung des Anteils gewahrt. Denn der Anteilserwerber kann ja von vornherein nur die mit dem dinglichen Nutzungsrecht belastete Mitgliedschaft erwerben. Er muß dementsprechend insbesondere die dingliche Leistungspflicht aus analog § 1036 II BGB in Person erfüllen. IV. Versorgungsgerechtigkeit und Haftungsordnung Schließlich läßt sich zeigen, daß eine Haftung des Nießbrauchers für die Außenhaftung des Besteller-Gesellschafters nach § 128 HGB im Außenverhältnis zu den Gesellschaftsgläubigern ausscheidet. Der Nießbraucher ist gegenüber dem Besteller-Gesellschafter intern verlustausgleichspflichtig, wenn ihm ein nicht ordnungsgemäßes Wirtschaften als Verletzung des gesetzlichen nießbrauchsrechtlichen Schuldverhältnisses zur Last gelegt werden kann, wenn diese Verletzung schuldhaft erfolgt. Notwendigerweise setzt der Verlustausgleich daher voraus, daß die Mitverwaltungsrechte dem Nießbraucher zugeordnet sind. Eine verschuldensunabhängige Verlustausgleichspflicht läßt sich indes nicht begründen. Für die durch ordnungsgemäßen Gebrauch entstehende Abnutzung des belasteten Gegenstands ist der Nießbraucher also nicht verantwortlich17. Insgesamt gesehen wird durch die Haftungsordnung des Anteilsnießbrauchs daher das Haftungsverschonungsinteresse des Überlebenden sehr gut verwirklicht.

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Dazu siehe Goebel, Der Nießbrauch an Personengesellschaftsanteilen, § 15. Dazu siehe Goebel, Der Nießbrauch an Personengesellschaftsanteilen, § 14 III.

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Kap. 16: Ehegattenversorgung und Personenhandelsgesellschaft

V. Exkurs: Der Anteilsnießbrauch bei der GmbH & Co. KG Die GmbH & Co. KG ist eine überaus weit verbreitete Form gesellschaftsrechtlicher Gestaltung. Die Zulässigkeit und die Ausgestaltung eines Nießbrauchs an einem GmbH-Anteil ist nicht anders zu beurteilen, als bei einem dinglichen Nutzungsrecht an einer vollhaftenden Beteiligung an einer Personengesellschaft18. Damit kann bei der GmbH & Co. KG eine sachgerechte Abstimmung des nießbrauchsrechtlichen Rechtsregimes bei der Belastung eines Persongesellschaftsanteils und eines Kapitalgesellschaftsanteils ins Werk gesetzt werden. Es ist den Beteiligten der dinglichen Nutzungsrechte und – bei einem vermächtnisweise zugewendeten Nießbrauch – dem Erblasser mithin zu raten, um der Abstimmung innerhalb der GmbH & Co. KG willen, im Umfang weitgehend gleiche Nießbräuche zu bestellen, wenn ein abgestimmtes Nutzungsregime in der GmbH & Co. KG gewährleistet sein soll. Selbstverständlich bleibt den Beteiligten unbenommen, für die GmbH und für die KG einen jeweils unterschiedlichen Zuschnitt des dinglichen Nutzungsrechts vorzugeben.

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Dazu Goebel, Der Nießbrauch an Personengesellschaftsanteilen, § 16.

Abschnitt 6

Die Schwierigkeiten bei einem frühzeitigen Ableben des Unternehmers Die bisherigen Überlegungen waren der Frage gewidmet, wie der überlebende Ehegatte des unternehmerisch Tätigen gehörig versorgt werden kann, wenn dessen Tod typischerweise am Ende eines erfüllten Unternehmerlebens eintritt. Dem Tode eignet jedoch die Gewißheit, daß er jeden Augenblick möglich ist. Die rechtsgeschäftliche Vorsorge für den unerwarteten oder frühen Tod des Unternehmers ist daher oftmals ein besonderes Anliegen der Ehegatten, welches die kautelarjurisprudentielle Praxis in ihren Formularwerken auch berücksichtigt1. Durchweg stehen hierbei zwei Probleme im Vordergrund. Einmal wird sich häufig noch nicht hinreichend klar abzeichnen, welche Person als Unternehmernachfolger in Frage kommt. Der Hauptfall ist, daß die Abkömmlinge des Unternehmers sich noch in der Schul- oder Berufsausbildung befinden und ihre unternehmerische Eignung daher noch nicht abschließend beurteilt werden kann. Hier gilt es zu klären, inwiefern eine Bestimmung des Unternehmensnachfolgers durch Dritte erbrechtlich zulässig ist. Als zweites Problem stellt sich häufig die Frage, wie das Unternehmen nach dem plötzlichen Tode des Unternehmers weitergeführt werden kann. Sicherlich kann der Unternehmer von Todes wegen anordnen, daß der überlebende Ehegatte die Vorerbenstellung und die gemeinsamen Abkömmlinge die Nacherbschaft erwerben. Eine derartige Anordnung ist durchweg nur für Fallgestaltungen relevant, in denen der Ehegatte zur Unternehmensfortführung befähigt ist und minderjährige Kinder vorhanden sind, die deshalb zur Nachfolge in die Unternehmensträgerschaft noch ungeeignet sind2. Die Anordnung der Nacherbschaft kann durch die auflösende Bedingung ergänzt werden, daß der Vorerbe einen der Nacherben zu seinem Erben einsetzt. Der Überlebende-Vorerbe macht sich dadurch zum unbeschränkten Vollerben und kann den Betrieb sodann zu Lebzeiten dem Nachfolger übergeben3. Der überlebende Teil könnte also für eine Übergangszeit als Unter1

Siehe etwa nur Langenfeld, Testamentsgestaltung, Rn. 372 ff. Zu dieser Fallgestaltung siehe etwa Langenfeld, Testamentsgestaltung, Rn. 481. 3 Nieder, Handbuch der Testamentsgestaltung, Rn. 534; Langenfeld, Testamentsgestaltung, Rn. 378. 2

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Kap. 16: Ehegattenversorgung und Personenhandelsgesellschaft

nehmer arbeiten und im Zuge der Zeit aus seinen heranwachsenden Kinder den geeigneten Nachfolger auswählen. Daneben sind zahlreiche Regelungsmotive denkbar, denen ebenso zahlreiche kautelarjurisprudentiellen Gestaltungen zur Seite gestellt werden können4. Eine nähere Analyse des ganzen Spektrums möglicher Gestaltungen kann und braucht hier nicht geleistet zu werden. Im Vordergrund des Interesses steht vielmehr der Fall, daß eine unternehmerische Tätigkeit dem überlebenden Gatten selbst nicht angesonnen werden kann. Stellenweise wird in diesem Falle der Ausweg darin gesehen, die schnellstmögliche Veräußerung des Unternehmens oder – wenn der Verstorbene Gesellschafter einer Personengesellschaft war – des Anteils an der Personengesellschaft von Todes wegen anzuordnen, um den Überlebenden wenigstens den Verkehrswert des Unternehmens oder das Abfindungsguthaben zukommen zu lassen5. Falls der Erblasser das Unternehmen oder die Gesellschaftsbeteiligung jedoch in der Familie belassen will, ist die Unternehmens- oder Beteiligungsveräußerung keine ernsthafte Alternative. Es gilt dann, einen Interims-Unternehmer zu suchen. In der Praxis wird häufig auf die Testamentsvollstreckung ausgewichen. Diese wiederum bereitet in Bereich der Unternehmen und Unternehmensbeteiligungen erhebliche rechtliche Probleme, die in dieser Untersuchung daher zumindest teilweise aufgearbeitet werden müssen.

4 Als Überblick über typologisch erfaßte Erblassermotivationen siehe nur Nieder, Handbuch der Testamentsgestaltung, Rn. 1022 ff., 1058 ff. 5 So etwa Langenfeld, Testamentsgestaltung, Rn. 372.

Kapitel 17

Die Drittbestimmung des künftigen Unternehmers § 39 Materielle Höchstpersönlichkeit und Drittbestimmung des Unternehmers I. Der Streitstand und die Regelungsangebote der Kautelarjurisprudenz Die Errichtung eines Testaments und der Abschluß eines Erbvertrags stellt auf Seiten des Erblassers ein höchstpersönliches Geschäft dar6. Dementsprechend ist die Stellvertretung (§§ 2064, 2274 BGB), eine Drittbestimmung der Geltung des letztwillig Verfügten, des bedachten Personenkreises und des Gegenstands der Bedenkung (§ 2065 BGB, § 2256 II BGB, §§ 2282 I, 2284, 2290 II 1, 2296 I 1 BGB) von Gesetzes wegen nicht möglich. Nun kann der Erblasser das weitere Schicksal des Vermögenstransfers nach seinem Ableben durchaus vom Willen Dritter abhängig machen – sei es in Gestalt erbrechtlicher Potestativbedingungen (§ 2074 f. BGB), sei es durch die Vorgabe, die abschließende Konkretisierung der Verfügung der Entscheidung anderer Personen zu überantworten. Letzteres kann erfolgen bei der Benennung von Vermächtnisnehmern (§ 2151 BGB), bei der Bestimmung des Vermächtnisnehmers beim Wahlvermächtnis (§ 2252 BGB), bei der Zweckbestimmung beim Zweckvermächtnis (§ 2156 BGB), bei der Bestimmung des Begünstigten bei einer zweckgebundenen Auflage (§ 2193 BGB), bei der Auswahl des Testamentsvollstreckers (§§ 2198, 2200 BGB) oder schließlich bei Teilungsanordnungen (§ 2048 S. 2 BGB). Das Gesetz findet mithin zu einem Mischungsverhältnis zwischen materieller Höchstpersönlichkeit und der Drittbestimmung des Bedachten und changiert mithin zwischen einem klaren Votum für eine materielle Höchstpersönlichkeit (§§ 2065, 2279 I, 2299 II 1 BGB) und dem genau umgekehrten Votum für eine materielle Drittbestimmungsbefugnis (§§ 2074 f., 2151, 2156, 2193, 2198, 2200, 2048 S. 2 BGB). Das Reichsgericht versteht den Grundsatz der materiellen Höchstpersönlichkeit praxisfreundlich. Nach ihm kann der Erblasser die Erbenbestimmung nicht auf einen Dritten in der Weise delegieren, daß dieser den Erben 6

Dazu Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 11 III 1.

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Kap. 17: Die Drittbestimmung des künftigen Unternehmers

bestimme. Es läßt aber zu, daß ein Dritter nach von dem Erblasser festgelegten Maßstäben aus einem vorgegeben Personenkreis eine Person nach Ermessen als Erben bezeichnet, solange für eine reine Willkür des Dritten kein Raum bleibt7. Dieser Ansicht des RG schloß sich der überwiegende Teil des Schrifttums an8, welches stellenweise auch über das Reichsgericht hinausging und eine weitergehende Entscheidungsbefugnis des Dritten für zulässig hielt9. Demgegenüber erachtet der Bundesgerichtshof10 mit einem Teil des Schrifttums11 eine wenn auch begrenzte Ermessensentscheidung eines Dritten mit der Regelung des § 2065 II BGB für unvereinbar. Die Bezeichnung des Erben müsse vielmehr von jeder genügend sachkundigen Person ohne Ermessensausübung nach objektiven Merkmalen erkennbar sein. Anders gesagt: Ein Dritter darf nach Meinung des BGH nur dazu berufen werden, den objektiv feststellbaren Willen des Erblassers festzustellen; er darf jedoch nicht an Stelle des Erblassers eine echte Ermessensentscheidung an den Tag legen. Die Rechtsprechung der Instanzgerichte hat sich stellenweise dem BGH zumindest dem Wortlaut nach und in der Zitierweise gebeugt, in der Sache sich aber den Richtlinien des Reichsgericht angenähert. So hält es das OLG Köln12 für mit § 2065 II BGB für vereinbar, wenn der Erblasser die Befähigung zur Unternehmensführung als Bedingung für die Erbeinsetzung ansieht, da sich diese Befähigung ohne Willkür durch eine sachkundige Person feststellen lasse. Die Kautelarjurisprudenz greift vor dem Hintergrund der Rechtsprechung insbesondere des BGH angesichts der Disponibilität des § 2087 BGB oftmals zu dem Ausweg, wirtschaftlich bedeutende Vermögensgegenstände wie etwa Unternehmen, die den Wert des Nachlasses im wesentlichen aufzehren, mit einer Bestimmung gem. § 2151 BGB vermächtnisweise zuzuwenden, solange nur eindeutig zum Ausdruck gekommen ist, daß es sich um ein Vermächtnis handele13.

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RGZ 159, 296 (299). MünchKomm-Leipold, § 2065 Rn. 17 f.; Soergel-Damrau, § 2065 Rn. 30; Staud-Otte, § 2065 Rn. 35; Brox, Erbrecht, Rn. 104; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 186; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 27 I 4, 6; unklar Palandt-Edenhofer, § 2065 Rn. 4 f., der sich sowohl auf das RG als auch auf den BGH bezieht. 9 Siehe die Überlegungen bei Grossfeld, JZ 1968, 113 ff.; Sens, Erbenbestimmung, 47 ff., 97 ff.; H. Westermann, FS Möhring, 183 (195). 10 BGHZ 15, 199 (202 f.); zustimmend BayObLG, FamRZ 1991, 610 (611); 1999, 331; OLG Celle, FamRZ 1965, 459; OLG Hamm, DNotZ 1951, 369 (370). 11 Kipp/Coing, Erbrecht, § 18 III 4 b; v. Lübtow, Erbrecht Bd. 1, 145; Schlüter, Erbrecht, Rn. 142; Erman-M. Schmidt, § 2065 Rn. 8; in der Sache ebenso Zimmermann, „Quos Titius voluerit“, 56 f.; wohl auch Hermann, FamRZ 1995, 1396 (1399 ff.). 12 OLG Köln, OLGZ 1984, 299 (303 f.); auf das RG bezieht sich ausdrücklich OLG Köln, FamRZ 1995, 57 (58). 8

§ 39 Materielle Höchstpersönlichkeit und Drittbestimmung des Unternehmers 829

II. Der Ausweg: Besinnung auf die symbolischen Gehalte der Erbenstellung 1. Die bisherigen Begründungen des Prinzips materieller Höchstpersönlichkeit

Die Frage, inwiefern § 2065 II BGB einer letztwilligen Anordnung entgegensteht, nach der aus dem Kreis der Abkömmlinge des Unternehmers von einem oder mehreren namentlich bezeichneten Dritten nach einem bestimmten Kriterium (etwa unternehmerische Eignung) der rechte Unternehmensnachfolger als Erbe ausgewählt werden kann, kann nur mit Blick auf den Sinn und Zweck des Prinzips materieller Höchstpersönlichkeit beantwortet werden. Dieses Prinzip wird im wesentlichen auf sechs Gedanken zurückgeführt: (i) Einmal heißt es, die §§ 2065, 2279 I, 2299 II 1 BGB wollen zusammen mit dem erbrechtlichen Anfallprinzip zum einen eine klare sachenrechtliche Zuständigkeitsordnung hinsichtlich des ererbten Vermögens im Zeitpunkt des Erbfalls eben durch die Bestimmung des Erben für genau diesen Zeitpunkt sicherstellen14 und zum anderen das Vermögen schon im Zeitpunkt des Todes des Erblassers nicht des Schutzes berauben, den eine dingliche Rechtsstellung nun einmal verleihe15. Stichwort: Sicherung einer sinnvollen sachenrechtlichen Zuständigkeitsordnung. (ii) Sodann soll durch die materielle Höchstpersönlichkeit des Testaments gewährleistet werden, daß der Erblasser seine Verfügungen im vollen Umfang durchdenkt und sich einen abschließenden Willen bildet, damit dessen Verantwortung – sei sie höchstpersönlicher Art16 oder Verantwortung vor dem Gewissen17 – für seine Verfügung gewährleistet sei18. Flankiert wird dies stellenweise mit dem Gedanken, eine verantwortungsvolle Vermögensweitergabe sei nur bei demjenigen zu erwarten, der sich seiner Verantwortung als Vermögensinhaber selbst hat bewußt werden können19. Stichwort: personale Verantwor13 Siehe nur MünchKomm-Leipold, § 2065 Rn. 2; Soergel-Wolf, § 2151 Rn. 1; Staud-Otte, § 2151 Rn. 2; Palandt-Edenhofer, § 2151 Rn 1; Windel, Modi, 242 f.; Haegele, BWNotZ 1972, 74 (77 ff.); Klunzinger, BB 1970, 1197 (1199 ff.); Mayer, ZEV 1995, 247 (248 f.); als Übersicht Keim, Höchstpersönliche Struktur, 138 ff. 14 Eben deshalb wird die römischrechtliche Rechtsfigur einer hereditas iacet weitgehend für nicht wünschenswert erachtet, siehe Mot. V, 486 f.; sowie aus der Literatur nur MünchKomm-Leipold, § 1942 Rn. 2 f.; Soergel-Stein, § 1922 Rn. 9, vor § 1942 Rn. 4; Staud-Otte, § 1942 Rn. 3; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 8 I 3. Andere Ansicht nur v. Lübtow, Erbrecht Bd. 2, 651 ff., 656 ff.; dagegen nur Windel, Modi, 198 f. 15 Lange/Kuchinke, § 27 I 3; Windel, Modi, 237. 16 So MünchKomm-Leipold, § 2065 Rn. 1. 17 BGHZ 15, 199 (200). 18 BGHZ 15, 199 (200); MünchKomm-Leipold, § 2065 Rn. 1; Brox, Erbrecht, Rn. 103; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 182; Schlüter, Erbrecht, Rn. 141 f.; Keim, Höchstpersönliche Struktur, 28. 19 Staud-Otte, § 2065 Rn. 1.

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Kap. 17: Die Drittbestimmung des künftigen Unternehmers

tung. (iii) Des weiteren wird das Prinzip materieller Höchstpersönlichkeit auch in Bezug gesetzt zu familiaristischen Wertungen. Danach soll dem Erblasser die Befugnis zur Außerkraftsetzung der gesetzlichen Erbfolge nur zustehen, wenn er selbst einen eigenen festen Entschluß über Geltung und Inhalt seiner Anordnungen gefaßt habe20; § 2065 BGB zeige so, daß die gesetzliche Erbfolge als eine prinzipiell schützenswerte Position zu verstehen sei und daß insofern das Gesetz auf das familiare Verantwortungsbewußtsein des Erblassers baue21. Zudem sei dem Erblasser die Testierfreiheit als materiell-höchstpersönlich auszuüben zugewiesen, weil er den besten Einblick in die familiären Verhältnisse besitze; nur deshalb könne die gesetzliche Erbfolge überhaupt zurückstehen22. Stichwort: familiares Interesse. (iv) Ferner sei die Testierfreiheit dem einzelnen höchstpersönlich anvertraut, damit dieser eine überindividuelle, gerechte Ordnung herbeiführen könne23. Stichwort: gerechte Ordnung. (v) Weiterhin soll durch die Vorgabe materieller Höchstpersönlichkeit auch der Kern unverzichtbarer Privatautonomie vor einer Verletzung geschützt werden24; letztere läge vor, wo die Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf einen Dritten weder kontrolliert, noch rückgängig gemacht werden könnte25. Stichwort: Sicherung privatautonomer Selbstbestimmung. (vi) Schließlich ist das Erfordernis materieller Höchstpersönlichkeit auch mit der Gefahr begründet worden, die in der Ansammlung familiären Vermögens in der Generationenfolge begründet sei; diese Gefahr würde verstärkt, wenn dem Erblasser durch die Implementierung einer Drittbestimmungsbefugnis eine Flexibilisierung der Erbfolge in Richtung des wirtschaftlich Sinnvollsten ermöglicht werden könne26. Stichwort: Vermeidung einer Konzentration familiären Vermögens. Diese Kernbegründungen werden ergänzt mit Erwägungen zum Risikopotential, welches in einer Entscheidungsbefugnis des Dritten für den Erblasser und Dritte gegründet sei; hier wäre die Mißbrauchsgefahr zu groß27. 2. Materielle Höchstpersönlichkeit und personfunktionales Erbrecht

Andernorts wurde dargelegt, daß all diese dem § 2065 II BGB untergelegten Teleologien nicht überzeugend sind28. Die einzelnen Theorie-Ange20

Staud-Otte, § 2065 Rn. 1; v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 1, 139; Keim, Höchstpersönliche Struktur, 35. 21 MünchKomm-Leipold, § 2065 Rn. 1. 22 Linker, Neubestimmung, 11. 23 Grossfeld, JZ 1968, 113 (116 f.); Sens, Erbenbestimmung, 85 ff.; Keim, Höchstpersönliche Struktur, 28 ff. 24 Lange/Kuchinke, § 27 I 3; Keim, Höchstpersönliche Struktur, 26 ff. 25 Lange/Kuchinke, § 27 I 3. 26 Grossfeld, JZ 1968, 113 (118 f.); Keim, Höchstpersönliche Struktur, 42 ff. 27 So Wagner, Der Grundsatz der Selbstentscheidung, 47 f.; inzident Soergel-Loritz, § 2064 Rn. 2.

§ 39 Materielle Höchstpersönlichkeit und Drittbestimmung des Unternehmers 831

bote verstricken sich durchweg in Wertungswidersprüche oder gehen von nicht haltbaren Prämissen aus. Andernorts wurde ebenfalls ausführlich begründet, daß das Prinzip materieller Höchstpersönlichkeit richtigerweise mit Blick auf die personfunktionalistische Gründung des gewillkürten Erbrechts und auf den ihr inhärenten Rekurs auf die je individuelle Todesverarbeitung des Testierenden zu verstehen ist, von dessen Warte aus es einen überaus einsichtigen Charakter erhält29: § 2065 BGB trägt der symbolischen Funktion der Erbenstellung Rechnung und hält das Bewußtsein an ihre kulturell tradierte Zeichenhaftigkeit wach. Die teleologische Reichweite des § 2065 BGB ist daher limitiert durch die Erwägung, daß bei einer drittbestimmten Erbeinsetzung der symbolische Gehalt der Erbenstellung nicht angegriffen wird. Diesem Wert des Symbolischen wird nicht Rechnung getragen, wenn einem Dritten eine freie Entscheidungsbefugnis eingeräumt worden ist, die Person des Erben zu bestimmen30. Bei einer Unternehmensvererbung kann aber keine Rede davon sein, der symbolische Wert der Erbenstellung sei schon deshalb entwertet, weil der Erblasser denjenigen zu seinem Erben bestimmt, den ein Dritter „als den geeignetsten erachten werde, unter den heutigen schwierigen Verhältnissen (das Unternehmen) zu bewirtschaften und in sozialem Geiste zu wirken“31. In einschränkender Interpretation des § 2065 II BGB wird daher eine Drittbestimmungsbefugnis anzunehmen sein, wenn der Dritte sich hierbei an dem Kreis der vom Erblasser aufgestellten objektiven Merkmalen orientiert, so daß kein Raum für eine Willkürentscheidung gegeben ist32. Im Ergebnis überzeugt daher die Ansicht des Reichsgerichts zur Drittbestimmung, welche von der Möglichkeit ausgeht, daß einem Dritten zwar kein freies, wohl aber ein gebundenes Ermessen eingeräumt werden kann. Damit das sachenrechtliche Interesse an einer klaren Rechtszuständigkeit innerhalb der Eigentumsordnung gewahrt bleibt, ist eine Drittbestimmung des Erben, welche nicht zeitlich eng nach dem Erbfall erfolgt, freilich nur zulässig, wenn für die Übergangszeit bis zur Erbenbestimmung ein Testamentsvollstrecker ernannt wird, welcher den Nachlaß für den noch zu bestimmenden Erben verwaltet33.

28 Dazu sei um der Vermeidung von Wiederholungen willen verwiesen auf Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 11 III 3 a. 29 Dazu siehe wiederum zur Vermeidung von Wiederholungen ausführlich Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 11 III 3 b. 30 Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 11 III 3 b. 31 RGZ 159, 296 (299), Klammerzusatz durch Verfasser. 32 So im Ergebnis auch RGZ 159, 296 (299); OLG Köln, OLGZ 1984, 299 (301 f.); MünchKomm-Leipold, § 2065 Rn. 19; Soergel-Loritz, § 2065 Rn. 30; Staud-Otte, § 2065 Rn. 35; RGRK-Johannsen, § 2065 Rn. 16; Lange/Kuchinke, § 27 I 4; je mit Darstellung des Streitstands. 33 Dazu Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 11 III 3 a aa.

Kapitel 18

Die Testamentsvollstreckung im Unternehmensrecht Die Testamentsvollstreckung im Handelsrecht war schon Gegenstand ausführlicher Erörterungen, soweit es um die Testamentsvollstreckung des Erben zu Lasten eines vermächtnisweise dem überlebenden Ehegatten zugewendeten Nießbrauch an dem einzelkaufmännischen Unternehmen des Erblassers ging1. Nunmehr steht entsprechend den Intentionen dieses Abschnitts der Untersuchung ganz allgemein die Frage an, wie es um die Testamentsvollstreckung im Bereich von Unternehmen und Unternehmensbeteiligungen bestellt ist, wenn diese Vollstreckung dazu dienen soll, für eine Übergangszeit bis zur Übernahme des Unternehmerstellung durch einen geeigneten Nachfolger die unternehmerische Tätigkeit durch eine dritte Person ausüben zu lassen.

§ 40 Einzelkaufmännisches Unternehmen und Testamentsvollstreckung Die Testamentsvollstreckung über ein einzelkaufmännisches Unternehmen ist eine rechtliche Figur von einer bemerkenswerten Komplexität. Im Rahmen dieser Untersuchung können und sollen daher nicht sämtliche Einzelfragen aus dem Recht der Testamentsvollstreckung im Handelsrecht erörtert werden. Mit Blick auf das Versorgungsinteresse des Überlebenden interessanter ist vielmehr die Frage, ob eine Vollstreckung über ein Einzelhandelsgeschäft in der klassischen Form der echten Testamentsvollstreckung überhaupt zulässig ist. Nur diese Frage wird im weiteren erörtert. Hinsichtlich der Bestellung, der Registerfragen und ähnliches wird auf die obigen Ausführungen zur Testamentsvollstreckung zu Lasten des Unternehmensnießbrauchs verwiesen2.

1

Dazu siehe oben §§ 30 ff. Oben § 32 I, § 33 I. Nachzutragen ist nur noch folgendes: Seitdem der BGH die Testamentsvollstreckung an Kommanditanteilen anerkennt, wird die Eintragung eines Testamentsvollstreckervermerk mehrheitlich befürwortet; siehe nur Staud-Reimann, vor §§ 2197 ff. Rn. 102; ders., DNotZ 1990, 190 (194); Karsten Schmidt, GesR, § 45 V 7 c; Heymann-Horn, § 177 HGB Rn. 14; Schlegelberger-Karsten Schmidt, § 177 HGB Rn. 34; Brandner, FS Kellermann, 37 (49). 2

§ 40 Einzelkaufmännisches Unternehmen und Testamentsvollstreckung

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I. Streitstand zur Testamentsvollstreckung über ein einzelkaufmännisches Unternehmen Es war schon die Rede davon, daß die Dogmatik der Testamentsvollstrekkung im Bereich des Handelsrechts durch das an dieses Institut anzulegende Haftungsregime dominiert wird3. Die leitenden Wegscheidungen der ganz herrschenden, mancherorts als „allgemeine Meinung“4 bezeichneten Ansicht5 sollen nochmals kurz skizziert werden: (i) Vorrang handelsrechtlicher vor erbrechtlichen Wertungen; (ii) Unvereinbarkeit des handelsrechtlichen Prinzips unbeschränkter Haftung mit der auf den Nachlaß beschränkbaren Erbenhaftung; deshalb (iii) Verwerfung der echten Verwaltungsvollstreckung über das Handelsgeschäft und (iv) Votum für konstruktive Ersatzlösungen wie Treuhandschaft und Vollmacht. Gerade in diesen konstruktiven Ersatzlösungen liegt die praktische Problematik der Testamentsvollstreckung über ein einzelkaufmännisches Unternehmen begründet: Die Vollmachtslösung sieht sich dem schlagenden Einwand ausgesetzt, daß eine unwiderrufliche und verdrängende Vollmacht mit Blick auf die unübersehbaren Haftungsrisiken des Vollmachtgebers auch freiwillig nicht erteilt werden kann6. Zudem entspricht sie nicht dem Versorgungsinteresse des überlebenden Teils7. Demgegenüber wird die Treuhandlösung dem Versorgungsinteresse gerade gerecht. Sie kann dies aber nur um des Preises willen erkaufen, daß sich wegen des mit ihr für den Testamentsvollstrecker verbundenen Haftungsrisikos und der ihr inhärenten Zuweisung des unternehmerischen Ertrags an den Treugeber kaum jemand finden lassen wird, der gewillt sein wird als Treuhänder am Markt aufzutreten8. Gerade für die 3

Siehe oben § 31 III. So etwa bei Staud-Reimann, § 2295 Rn. 91. 5 Siehe nur RGZ 132, 138 ff.; grundlegend für die Rechtsprechung des BGH: BGHZ 12, 100 (102); 24, 106 (112); 35, 13 (15 f.); zur Rechtsprechung der Obergerichte siehe nur BayObLGZ 1969, 138 (141); KG, NJW 1959, 1086 (1087 f.); KG, JW 1939, 104. Aus dem Schrifttum siehe nur Erman-M. Schmidt, § 2205 Rn. 21; RGRK-Kregel, § 2205 Rn. 7; Soergel-Damrau, § 2205 Rn. 16; Staud-Reimann, § 2205 Rn. 91; Haegele/Winkler, Testamentsvollstrecker, Rn. 293; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 31 V 7 b; v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 2, 992, 1142; Schlüter, Erbrecht, Rn. 837; Bengel/Reimann-Mayer, Handbuch der Testamentsvollstreckung, Kap. 5 Rn. 112 f.; Heymann-Emmerich, § 1 HGB Rn. 27 ff.; Großkomm-Hüffer, vor § 22 HGB Rn. 74 f.; MünchKomm-HGB-Lieb, § 27 Rn. 23 ff.; Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 5 I 1 d bb; Richardi, Verwaltungsrecht, 26 f.; Windel, Modi, 264. 6 Dazu schon oben § 31 III, sowie Canaris, Handelsrecht, § 9 Rn. 32; siehe schon John, BB 1980, 757 (758). 7 Siehe oben § 31 III. 8 Besonders eindringlich hierzu Canaris, Handelsrecht, § 9 Rn. 34; ebenso MünchKomm-Brandner, § 2205 Rn. 24 d; Heymann-Emmerich, § 1 HGB Rn. 31; die praktische Schwierigkeit, einen Treuhänder zu finden, beklagt schon Baur, FS Dölle, 249 (251). 4

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Kap. 18: Die Testamentsvollstreckung im Unternehmensrecht

Vorsorge für den frühzeitigen Tod des Unternehmers ist dies besonders mißlich, da die Vorsorgegestaltung per Testamentsvollstreckung notgedrungen zusammenbricht, wenn sich kein Vollstrecker finden läßt. Diese Probleme vermeiden einige wenige Stimmen in der Literatur, welche handelsrechtlich eine echte Verwaltungsvollstreckung über ein Handelsgeschäft durchaus für zulässig erachten. Sie sehen keineswegs, daß – wie das Reichsgericht im Jahre 1931 ausführte – die Testamentsvollstreckung über ein einzelkaufmännisches Geschäft „völlig unvereinbar mit den Bedürfnissen eines geordneten und sicheren Handelsverkehrs wie auch den Vorschriften des Gesetzes, insbesondere mit den §§ 25, 27 HGB“9 sei10. Als Argumente gegen die echte Testamentsvollstreckung über ein Handelsgeschäft werden im wesentlichen drei Gedanken angeführt. Erstens: Die unbeschränkte Haftung des Unternehmensinhabers sei erforderlich, um dem Unternehmer eine gehörige Leistung in Ansehung seiner persönlichen Haftung anzusinnen. Zweitens: Die persönliche Haftung des Inhabers trete an die Stelle des Haftungsfonds der Kapitalgesellschaften mit seinem gesetzlichen Garantiekapital oder ersetze das kapitalgesellschaftsrechtliche System der Normativbestimmungen, welches den sachgerechten Gläubigerschutz gewährleiste; fehle die unbeschränkte Haftung ohne die geschilderten kapitalgesellschaftsrechtlichen Vorkehrungen sei dem Rechtsverkehr eine Teilnahme des nur beschränkt haftenden Unternehmers am Markt nicht zuzumuten. Drittens: Das handelsrechtliche Prinzip der unbeschränkten Haftung des einzelkaufmännischen Unternehmers ginge gem. § 2 EGHGB erbrechtlichen Prinzipien vor.

9

So RGZ 132, 138 (144). Als Ausgangspunkt für die Zulässigkeit einer echten Testamentsvollstreckung über ein Einzelhandelsgeschäft wird meist Baur, FS Dölle I, 249 (260), zitiert. Ansonsten siehe Muscheler, Haftungsordnung, 295 ff., 416; Canaris, Handelsrecht, § 9 Rn. 37; Thöne, Verwaltung, 143 ff.; Schiemann, FS Medicus, 513 (526 ff.); Winkler, FS Schippel, 519 (524 ff.); MünchKomm-Brandner, § 2205 Rn. 21 f.; anders noch ders., FS Stimpel, 995 (1005). Baur zustimmend Kipp/Coing, Erbrecht, § 68 III 3 a; Diederichsen, AcP 193 (1993), 391 (411 f.). Vor Baur schon Buchwald, AcP 154 (1955), 22 (29 f.); Christopeit, Haftung, 94 ff., 104.; einschränkend auf die Fälle der exheredatio bona mente des § 2338 BGB sowie der Vermögensfürsorge für einen noch nicht 30jährigen Erben und ohne Haftungsbeschränkung Holzhauer, Erbrechtliche Untersuchungen, 62 f. 10

§ 40 Einzelkaufmännisches Unternehmen und Testamentsvollstreckung

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II. Bewertung der gegen die echte Testamentsvollstreckung vorgetragenen Argumente 1. Einheit von Herrschaft und Haftung

Die Argumente, welche die fast allgemeine Meinung gegen die echte Verwaltungsvollstreckung über ein Handelsgeschäft vortragen, überzeugen nicht. Einmal ist nicht stichhaltig, daß das Gesetz die persönliche Haftung und die Entscheidungsbefugnis im Unternehmen immer miteinander verkoppelt. Andernorts konnte nachgewiesen werden, daß die Haftungsproblematik mit der Herrschaftsfrage im Unternehmen nichts zu tun hat und daß eine Einheit von Herrschaft und Haftung rechtlich in die Unternehmensverfassung nicht implementiert ist11. Besonders klar läßt sich dies im Personengesellschaftsrecht ablesen. Dort kennt das geltende Rechte keinen notwendigen Zusammenhang zwischen unternehmerischer Leitungsmacht und gesellschaftsrechtlicher Verantwortung12. Gläubigerinteressen erzwingen einen derartigen Zusammenhang keineswegs; insbesondere ist nicht ohne weiteres ausgemacht, daß ein etwaiges Vertrauen der Gläubiger Schutz verdient, Leitungsmacht und unbeschränkte Haftung sei in der Person des gesellschaftsrechtlich Handelnden vereinigt. Hierauf hat schon früh Karsten Schmidt im Zusammenhang mit der unbeschränkten Haftung des Gesellschafters mit dem Privatvermögen aufmerksam gemacht13. Hier wie dort verdient das Vertrauen der Gläubiger nur Schutz, wenn der Zusammenhang von Herrschaft und Haftung tatsächlich ein Satz des geltenden Rechts ist; der Satz selbst kann daher nicht mit Interessen der Gläubiger begründet werden.14 Im übrigen hat ebenfalls schon früh Harm Peter Westermann auf die Unstimmigkeiten verwiesen, in die die Annahme eines notwendigen Zusammenhangs zwischen Unternehmensleitung und Haftung gerät, wenn etwa eine bis zum Kernbereich der Mitgliedschaft ausgedehnte Stimmrechtsbeschränkung des unbeschränkt haftenden Gesellschafters und dessen Ausschluß von der Geschäftsführung oder beispielsweise das sehr variationsreiche Mischungsverhältnis von Einfluß und Haftungsbeschränkung 11 Dazu ausführlich Goebel, Der Nießbrauch an Personengesellschaftsanteilen, § 5 VI 3, § 6 III, § 10 IV 3, § 11 I 2 b. 12 Ablehnend etwa BGHZ 45, 204 für die Auszeichnung der Einheit von Herrschaft und Haftung als wirtschaftsverfassungsrechtlichen Grundsatz; ansonsten siehe nur Karsten Schmidt, Stellung der oHG, 103 ff.; Teichmann, Gestaltungsfreiheit, 125 f.; Westermann, Vertragsfreiheit, 273 ff.; Wiedemann, Übertragung, 328; Blaurock, FS Stimpel, 553 (554 ff.). 13 Karsten Schmidt, Stellung der oHG, 106 f.; abgeschwächt in ders., GesR, § 14 II 2 e; ders., Gedächtnisschrift Knobbe-Keuk, 307 (315). 14 Allg. zum nicht tragfähigen Rekurs auf den Gläubigerschutz zur Begründung des Zusammenhangs von Haftung und Herrschaft siehe im übrigen nur ausführlich Weber, Privatautonomie, 184 ff.

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Kap. 18: Die Testamentsvollstreckung im Unternehmensrecht

beim Kommanditisten in den Blick kommt15 – der auch vom Gesetz in §§ 19 II, 125 a I, 129 a, 130 a, 130 b, 172 VI, 172 a, 177 a HGB anerkannte Strukturwandel der KG zur GmbH & Co. KG tut das übrige16. Ist dem so, kann auch nicht gegen die Testamentsvollstreckung über das Handelsgeschäft angeführt werden, die fehlende unbeschränkte Haftung des Vollstreckers führe zu einem möglicherweise unsachgerechten unternehmerischen Handeln, welches das Gesetz durch die Einheit von Herrschaft und Haftung ausgeschlossen sehen möchte. Das erste Argument der h. M. ist damit zusammengebrochen. 2. Die implizite Option der herrschenden Meinung für handelsrechtliche Wertungen: Ungereimtheiten in der Auflösung einer Prinzipienkollision

Auch das zweite von der h. M. vorgetragene Argument greift nicht. Es mag durchaus so sein, daß die persönliche Haftung des Inhabers an die Stelle des gesetzlichen Garantiekapitals tritt und das kapitalgesellschaftsrechtliche System der Normativbestimmungen ersetzt. Nur folgt hieraus nicht so einfach, daß diese handels- und gesellschaftsrechtlichen Topoi der unbeschränkten Haftung, des Haftungsfonds und des Systems der Normativbestimmungen dazu zwingen, die Testamentsvollstreckung über ein Handelsgeschäft als gesetzeswidrig abzulehnen. a) Die der Annahme einer zwingend unbeschränkten Haftung vorgelagerte Frage Bei Lichte betrachtet ist der Wertung, der Handelsverkehr bedürfe des unbeschränkt haftenden Unternehmers und deshalb sei die echte Verwaltungsvollstreckung unzulässig, eine gewichtige implizite Entscheidung vorgelagert, die zumeist nicht explizit gemacht wird: Es ist dies die Entscheidung, daß die Interessen des Handelsverkehrs höher zu gewichten sind, als das Interesse des Erblassers, aus Gründen familiarer Solidarität für eine Übergangszeit das Unternehmen unter die Testamentsvollstreckung zu stellen, damit es seiner Familie erhalten bleibt. Anders gesagt: Die h. M. gewichtet unumwunden ökonomische Interessen vor solchen familiarer Solidarität, die sich der Erblasser in Ausübung seines Persönlichkeitsrechts zu eigen gemacht hat, ohne darzulegen, warum dies überzeugend sein soll. Ein Erbrechtsverständnis, welches das Erbrecht als bloß fortgesetztes Eigentum versteht, wird hier freilich wenig Schwierigkeiten haben, für einen Vorrang 15

Westermann, Vertragsfreiheit, 276 f. Siehe zu diesem alten Argument gegen den Satz „keine Herrschaft ohne Haftung“ nur Weber, Privatautonomie, 183. 16

§ 40 Einzelkaufmännisches Unternehmen und Testamentsvollstreckung

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der ökonomischen Interessen zu plädieren, da dieser Vorrang ja schon in der Ausrichtung des Erbrechts auf das Vermögensrecht implizit eingeschlossen ist. In einem personfunktionalistischen Blickwinkel, welcher an das gewillkürte Erbrecht angelegt wird, ändert sich freilich das Bild durchschlagend17. Das Ansinnen des Erblassers, familiare Solidarität auch gegen ökonomische Interessen post mortem weiterhin zu tradieren, erscheint dann als ein Anliegen, welches die Erbrechtsordnung überaus positiv goutiert, da das Recht den Testierwillen ja vor allem deshalb so stark schützt, damit er die Rechtsperson gegen die Überwältigung durch systemische Imperative etwa des Wirtschaftssystems schützen kann18. Personfunktional gedacht, stellt sich mithin bei der Testamentsvollstreckung über ein Handelsgeschäft in voller Schärfe der Konflikt zweier Prinzipien: der Personfunktionalität des gewillkürten Erbrechts auf der einen und des handelsrechtlichen Schutzes von Verkehrsinteressen auf der anderen Seite – ein Konflikt, für den die h. M. wegen ihrer impliziten Ausrichtung des gewillkürten Erbrechts auf das Eigentum noch nicht einmal die Instrumente hat, um ihn überhaupt wahrzunehmen. Wenn daher für den Fall der Testamentsvollstreckung über ein Unternehmen ausgeführt wird, der „Erblasser könne (dann) gleichsam ein Unternehmen mit beschränkter Haftung schaffen, ohne die gesetzlich vorgesehenen und für den Rechtsverkehr erkennbaren Rechtsformen (GmbH, AG) zu verwenden“19, so setzt dieses Diktum erst voraus, was es noch zu begründen gilt: nämlich daß das Gesetz tatsächlich keine Testamentsvollstreckung über ein Unternehmen vorsieht – was ja in der Tat so ist, wenn von vornherein implizit allein die Sicht des Handels- und Gesellschaftsrecht angelegt und nicht von einer Bewältigung der geschilderten Prinzipienkollision ausgegangen wird, die möglichst beiden Prinzipien in einer Art praktischer Konkordanz zu ihrem Recht verhelfen will. b) Die Auflösung der Prinzipienkollision Es besteht kein Anlaß, die Prinzipienkollision so aufzulösen, daß unumwunden für einen Vorrang handelsrechtlicher Wertungen plädiert wird. Einmal wird der Rechtsverkehr schon dadurch geschützt, daß richtigerweise die Testamentsvollstreckung in das Handelsregister eingetragen werden kann20; die Testamentsvollstreckung ist damit erkennbar. Zudem sollte 17

Zum personfunktionalistischen Erbrechtsverständnis oben § 2; sowie Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, passim. 18 Oben § 2 I 2; sowie Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 9 III, IV. 19 So Staud-Reimann, § 2205 Rn. 90. 20 Dazu oben § 33 I.

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Kap. 18: Die Testamentsvollstreckung im Unternehmensrecht

auch der durch die §§ 2058 ff. BGB für den Rechtsverkehr bewerkstelligte Schutz nicht unterschätzt werden. Ob die §§ 30 ff. GmbHG hier tatsächlich die besseren Schutzregelungen bereitstellen oder ob nicht der erbrechtlich besonders „gezähmte“ Nachlaß nicht ein ebenso gutes Haftungspotential bereitstellt wie das Grundkapital bei den Kapitalgesellschaften, ist durchaus fraglich21. Darüber hinaus hat das Gesellschaftsrecht die GmbH & Co. KG sowie die Ein-Mann-GmbH zugelassen. Hier haftet nur eine gebundene Vermögensmasse, was rechtstechnisch durch den Kunstgriff der juristischen Person erreicht wird22. Der Unterschied zur echten Testamentsvollstreckung über ein Handelsgeschäft liegt einzig in den für die Kapitalgesellschaften geltenden Regelungen über die Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung sowie über Unterkapitalisierungsverbote und Insolvenzantragspflichten23. Dieser Unterschied ist jedoch nicht gravierend. Denn das Erbrecht hält in den §§ 2197 ff. BGB gleichfalls einen Normkomplex vor, der dazu anhält, das Geschäftsvermögen in seinem Bestand zu erhalten24. Man könnte sogar etwas pointiert-provozierend formulieren, daß der durch die §§ 2197 ff. BGB bewerkstelligte Schutz für die Geschäftsgläubiger eine durchaus bessere Sicherung darstellt als die persönliche Haftung des unternehmerisch Tätigen25. Karsten Schmidt etwa verweist in anderen Zusammenhängen darauf, daß die persönliche Haftung nicht immer die Sicherung per „Kapital“ und die Vorkehrungen ausgleichen kann, welche durch die allgemeinen Kapitalsicherungsregelungen des Kapitalgesellschaftsrechts ins Werk gesetzt werden26. Es läuft also alles darauf hinaus, den kapitalgesellschaftsrechtlichen Kapitalaufbringungs- und sicherungsschutz ins Verhältnis zu setzen zu der erbrechtlichen Verfassung der Testamentsvollstreckung, um sich dann die Frage zu stellen: Welche Haftungsregelungen reichen für welches Bedürfnis des Rechtsverkehrs aus? Dies wiederum ist ein Zurechnungsproblem, welches man so, wie im Kapitalgesellschaftsrecht geschehen, welches der Gesetzgeber aber auch anders lösen kann. Anders gesagt: Die Testamentsvollstreckung kann handelsrechtlich durchaus – wie dies prägnant Canaris27 ausführt – als eine „besondere Möglichkeit legaler Haftungsbeschränkung“ neben denen des Kapitalgesellschaftsrechts begriffen werden. Canaris28 ver21

So auch Schiemann, FS Medicus, 513 (528). Baur, FS Dölle, Bd. I, 249 (262 Fn. 44). 23 Siehe zum Gläubigerschutz durch das Recht der Kapitalgesellschaften aus der Fülle nur Karsten Schmidt, GesR, § 18 IV 1 b bb. 24 Hierauf weist insbes. Muscheler, Haftungsordnung, 398 f., hin. 25 Dezidiert anderer Ansicht Dauner-Lieb, Unternehmen, 323 ff. 26 Karsten Schmidt, GesR, § 18 IV 2 c. Kritisch zur Abwertung der persönlichen Haftung als wichtiges Garantiemittel für die Geschäftsgläubiger Dauner-Lieb, Unternehmen, 322 ff. 27 Canaris, Handelsrecht, § 9 Rn. 37. 22

§ 40 Einzelkaufmännisches Unternehmen und Testamentsvollstreckung

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weist im übrigen zu Recht darauf, daß die minimalen Anforderungen an das Grundkapital der GmbH für deren Bonität keine nennenswerte Rolle spielt. Den Schutz des Verkehrs sieht er in der sachgerechten Information über die Haftungsbeschränkung, wie sie das Firmenrecht (§ 19 II HGB) gewährleistet, und nicht in dem System der Kapitalsicherung aufgehoben. Nach diesem Ansatz, in dem ein grundlegender Zweifel an der Effektivität und Tragfähigkeit des kapitalgesellschaftsrechtlichen Systems der Kapitalsicherung durchschimmert, wäre es für den Verkehrsschutz hinreichend, wenn der Testamentsvollstrecker als solcher im Verkehr auftritt – was er ja bei der echten Testamentsvollstreckung macht –, da dann jedermann mit der Haftungsbeschränkung rechnen muß, weil diese der Aufgabe und der Funktion der Testamentsvollstreckung entspricht. Wer hier Probleme sieht, mag nicht mit dem unter Vollstreckung stehenden Einzelhandelskaufmann kontrahieren. Schließlich zeigen die Tendenzen, auch bei der unternehmenstragenden Erbengemeinschaft29 und bei der Haftung minderjähriger Unternehmensträger30 zu einer Haftungsbeschränkung zu gelangen, daß der von der h. M. vorgetragene Grundsatz, außerhalb der Kapitalgesellschaften müsse ein Unternehmer unbeschränkt haften, viel zu abstrakt formuliert und mit den diffizilen Wertungen des Rechts31 kaum vereinbar ist32. Ganz deutlich zeigt sich dies, wenn – wie bei Dauner-Lieb33 – die Existenz der GmbH & Co. KG, auf die sich die o. g. Skepsis von Canaris an der Effektivität der gesellschaftsrechtlichen Kapitalsicherung vornehmlich gründet, schlichtweg als Randerscheinung verstanden wird. Vielmehr gilt es doch gerade umgekehrt, die GmbH & Co. KG geltungstheoretisch in das System rechtlicher Wertung einzubauen. Daß dies nur geht, wenn Abstriche an dem tradierten Vokabular der Kapitalsicherung gemacht werden, liegt geradezu auf der Hand: Wer die GmbH & Co. KG auch nach der Einführung des § 19 V HGB a. F. und nach der weiteren Bestätigung dieser Rechtsform in § 19 II HGB n. F. weiterhin als „bedauerlichen Sündenfall“ brandmarkt34, verschließt sich einer geltungstheoretisch ausgerichteten Interpretation des 28 Canaris, Handelsrecht, § 9 Rn. 7 ff., im Zusammenhang mit der unternehmenstragenden Erbengemeinschaft. 29 Dazu Canaris, Handelsrecht, § 9 Rn. 7 ff. 30 Hierzu BVerfGE 72, 155; dazu das Minderjährigenhaftungsbeschränkungsgesetz aus 1998 (BGBl. 2487) und die damit eingeführte Regelung des § 1629 a I BGB; siehe ansonsten unten § 41 VI. 31 In diesem Zusammenhang weisen Muscheler, Haftungsordnung, 389 ff.; sowie Winkler, FS Schippel, 519 (526), zu Recht darauf hin, daß bsp. Vorschriften des öffentlichen Wirtschaftsrechts wie die § 46 I GewO und § 10 GastG die Fortführung eines Unternehmens durch einen Testamentsvollstrecker voraussetzen. 32 Siehe Muscheler, Haftungsordnung, 401 f.; Canaris, Handelsrecht, § 9 Rn. 37. 33 Dauner-Lieb, Unternehmen, 326. 34 So Dauner-Lieb, Unternehmen, 326.

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Kap. 18: Die Testamentsvollstreckung im Unternehmensrecht

Rechts – von den angesichts der so überaus weitgehenden Verbreitung der GmbH & Co. KG zu erwartenden Friktionen einmal abgesehen. Nach all dem bestehen schon große Schwierigkeiten, eine Prinzipienkollision zwischen Handels- und Erbrecht überhaupt auszumachen. Höchstens falls die o. g. Zurechnungsfrage, ob die §§ 2197 ff. BGB funktional hinreichend äquivalent die Kapitalaufbringungs- und sicherungsregelungen ersetzen, verneint wird – wie dies etwa bei Dauner-Lieb der Fall ist35 –, könnte eine Prinzipienkollision bejaht werden. Ob diese Zurechnungsfrage zu Recht verneint wird, braucht im Rahmen dieser Studie nicht weiter diskutiert zu werden. Denn selbst wenn sie zu Recht verneint werden könnte, hieße dies nicht, daß die echte Verwaltungsvollstreckung über ein Einzelhandelsgeschäft unzulässig wäre. Denn dann käme es zuerst einmal nur zu der o. g. Prinzipienkollision. Diese müßte im Wege praktischer Konkordanz aufgelöst werden. Diese Auflösung sollte so erfolgen, daß die verwaltende Testamentsvollstreckung über ein einzelkaufmännisches Unternehmen zumindest dann zugelassen wird, wenn der Erblasser einsichtige Gründe vorträgt, warum er zur Vollstreckung gegriffen hat. Durch eine derartige Begründungslast kann verhindert werden, daß der Erblasser einzig aus dem Grunde die Testamentsvollstreckung anordnet, um ein Unternehmen mit gleichsam beschränkter Haftung zu schaffen. Auf der anderen Seite ist – immer vorausgesetzt, die kürzlich angesprochene Zurechnungsfrage, ob die §§ 2197 ff. BGB den Schutz des Kapitalgesellschaftsrechts hinreichend ersetzen, wird verneint – nicht ersichtlich, daß die Vollstreckung auch ohne eine erblasserische Begründungslast zugelassen werden sollte36. Dann würde nur für die eine – diesmal die erbrechtliche – Seite des Prinzipienkonflikts votiert und die berechtigten Interessen des Handelsverkehrs implizit abgewertet. Gleiches gilt, wenn die Vollstreckung radikal untersagt wird. Denn auch dann wird nur für eine der beiden Seiten des Prinzipienkonflikts – diesmal der des Handelsrechts – optiert. Dies wiederum wäre besonders deshalb mißlich, weil Argumente und Interessenbewertungen, welche aus dem Umfeld des Wirtschaftssystems stammen und welche sich daher auch dessen Systenmimperative unterschwellig zu eigen gemacht haben, der Testierfreiheit entgegengesetzt werden würden, die sich eines genuin erbrechtlich vorgesehenen Instruments bedienen will, eben der Testamentsvollstreckung. Die Grenzen der Testierfreiheit würden der Eigenlogik gesellschaftlicher Subsysteme unterworfen, obwohl gerade dies das gewillkürte Erbrecht zu verhindern trachtet37. Ist dem so, bliebe unerfindlich, wieso als Ergebnis der Bewältigung der skizzierten Prinzipienkollision nur 35

Dauner-Lieb, Unternehmen, 323 ff. So aber jüngst Schiemann, FS Medicus, 513 (526 ff.). 37 Dazu siehe oben § 2 I 2; Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 9 III, IV. 36

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übrig bleiben soll, daß entweder für einen Vorrang der Testierfreiheit auch gegen einen wirtschaftlichen Interessenschutz (Folge: generelle Zulässigkeit der Testamentsvollstreckung), oder gerade umgekehrt für einen wirtschaftlichen Interessenschutz auch gegen die Testierfreiheit plädiert werden sollte (Folge: generelle Unzulässigkeit der Testamentsvollstreckung). Wo sind hier Abschattierung, die zu einer wirklich praktischen Konkordanz führen? Da das Gesetz in sich kohärent und konsistent zu einem System rechtlicher Wertung gelingen soll, kommt eine geltungstheoretisch orientierte Dogmatik38 nur dann zu einer wirklich praktischen Konkordanz, wenn darauf insistiert wird, daß das gewillkürte Erbrecht dem Handelsrecht und das Handelsrecht dem gewillkürten Erbrecht entgegenkommt. Genau dies geschieht, wenn dem Erblasser angesonnen wird, nicht überaus expressiv-individualistisch zu testieren, sondern gute Gründe vorzutragen, warum er die Vollstreckung angeordnet hat. Aus Sicht eines personfunktionalistischen Erbrechts ist dies für die Ausübung der Testierfreiheit ein gewaltiger Schritt. Denn der Erblasser wird darauf festgelegt, wirtschaftlich einsichtig zu machen, warum es eine Testamentsvollstreckung über ein Unternehmen akzeptieren soll. Dies wiederum ist erbrechtlich ein enormes Entgegenkommen gegenüber wirtschaftsrechtlichen Anforderungen. Denn das personfunktionale Erbrechtsverständnis zeigt39, daß in die Eigenlogik des Rechts ein Ort implementiert ist, an dem die personale Sinngebung des Todes wieder in der Weise relevant werden kann, daß die an den einzelnen gestellten gesellschaftlichen Forderung eine sozial zu respektierende, insofern verbindliche individuelle Sinngebung des Todes eben genau des sinngebenden Individuums nicht hindern kann. Das Recht besteht deshalb gerade nicht darauf, dem einzelnen eine bestimmte Form oder einen bestimmten Inhalt der Verarbeitung seines Todes vorzugeben. Ansonsten würde es die individuelle Todesverarbeitung ja hintertreiben. Nun werden die rationalisierten Eigenlogiken vor allem der Subsysteme Recht und Wirtschaft versuchen, die individuell gefundene Todesverarbeitung des einzelnen systemintern zu interpretieren. Die der Todesverarbeitung des einzelnen drohende Gefahr liegt mithin darin, nicht nur nicht respektiert zu werden, sondern schon darin, vor dem Hintergrund der nach rationalen Mustern arbeitenden systemischen Eigenlogiken in Fragen verwickelt zu werden, warum denn so (etwa: wirtschaftlich gedacht sinnlos) und nicht anders (etwa: wirtschaftlich sinnvoll) testiert worden sei. Derartige Fragen in der Art des „Warum so und nicht anders“ wiederum wären ganz ungereimt. Denn es gibt kein „besseres Argument“ bezüglich der rechten Verarbeitung des je eigenen Todes oder 38 Dazu oben § 1 II; Goebel, ARSP 2003, 372 (384 ff.); ders., Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 1 III. 39 Dazu und zum folgenden Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 9 III 4 b.

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so etwas wie dessen existentielle Versprachlichung, die argumentativ aufarbeitbar wäre. Normalerweise muß der Erblasser also nie begreiflich machen, warum er so und so von Todes wegen verfügt hat, sondern braucht nur darauf zu verweisen, daß es eben so sei, wie es ist. Gerade dies ist bei der Testamentsvollstreckung über ein einzelkaufmännisches Handelsgeschäft anders. Nun stehen im konkreten Fall der Vorsorge für das frühzeitige Ableben dem Erblasser gewichtige Gründe familiarer Solidarität zur Seite, die die Anordnung der Vollstreckung einsichtig machen. Sollte daher nicht zumindest für diesen Fall die Auflösung der geschilderten Prinzipienkollision so erfolgen, daß eine Verwaltungsvollstreckung über ein einzelkaufmännisches Unternehmen für zulässig erachtet wird? Diese Frage kann noch nicht beantwortet werden. Denn sie hängt davon ab, was genau zu dem Sondervermögen rechnet, auf welches die Haftung des einzelnen Unternehmers wegen der Testamentsvollstreckung beschränkt sein soll. Genau gefragt: In welches Vermögen fließen die durch den Testamentsvollstrecker erwirtschafteten Gewinne, in den der Testamentsvollstreckung unterliegenden Nachlaß oder in das vollstreckungsfreie Erbeneigenvermögen? Dies ist eine schwierige erbrechtliche Frage. Eines scheint nur festzustehen: Der Testamentsvollstrecker kann den Erben nicht so verpflichten, daß dieser mit seinem Eigenvermögen haftet. Die Geschäftsgläubiger sind daher auf den Zugriff auf den Nachlaß angewiesen. Würden die mit der unternehmerischen Tätigkeit des Vollstreckers erzielten Gewinne nicht in den Nachlaß surrogieren, stünden ihnen nach und nach immer so viel weniger an Betriebsvermögen zur Verfügung, in das sie vollstrecken könnten, als Ertrag aus laufender Geschäftstätigkeit an den Erben ausgekehrt würde. Käme es mithin zu keiner Gewinnsurrogation in den Nachlaß, wäre die Testamentsvollstreckung über ein Einzelhandelsgeschäft wohl für die Geschäftsneugläubiger unzumutbar. Es bleibt also festzuhalten: Die Testamentsvollstreckung über ein einzelkaufmännisches Unternehmen ist nach dem bisherigen Diskussionsstand zumindest dann zulässig, wenn (i) der Erblasser für die Anordnung der Vollstreckung einen einsichtigen Grund vorträgt und wenn (ii) die durch die Tätigkeit des Vollstreckers erzielten unternehmerischen Gewinne in den Nachlaß surrogieren. Letzteres soll erst später40 im Zusammenhang mit den erbrechtlichen Einwänden gegen die Testamentsvollstreckung thematisiert werden. Ist dem so, braucht auch nicht mehr untersucht zu werden, ob der kürzlich von Muscheler unternommene Versuch überzeugt, mit Hilfe von Analogien und teleologischen Reduktionen eine erbrechtliche Haftungsordnung zu entwickeln, in der entweder der Erbe oder der Testamentsvollstrecker den Gläu40

Unten § 40 III 3.

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bigern des einzelkaufmännischen Geschäfts haftet41. Gleichzeitig zeigt er, daß das von der h. M. so unterstrichene Prinzip der unbeschränkten Haftung des Einzelunternehmers durchaus seitens der Rechtsprechung durch zahlreiche Durchbrechungen mittlerweile durchbrochen worden ist42. Mit Blick auf diese Überlegungen sieht er die herrschenden Dogmen nicht weiter als überzeugend an und plädiert für die Zulässigkeit der echten Verwaltungsvollstreckung über das Unternehmen. Diese ist nach dem hiesigen Vorschlag schon deshalb zulässig, weil der Erblasser mit der Vollstreckung für sein frühzeitiges Ableben aus einsichtigen Gründen Vorsorge treffen will. Gegen den hiesigen Vorschlag, daß mit Hilfe einer Begründungslast die Prinzipienkollision zwischen Erbrecht und Handelsrecht aufgelöst werden könnte, scheint freilich § 2 I EGHGB zu sprechen. Nach dieser Vorschrift kommen in Handelssachen die Vorschriften des BGB nur insoweit zur Anwendung, als nicht im HGB oder im EGHGB etwas anderes bestimmt ist. Der Vorrang des Handelsrechts vor dem Bürgerlichen Recht greift mithin nur, wenn das Handelsrecht eine andere Regelung „bestimmt“, als sie im BGB vorhanden ist. Das Handelsrecht bestimmt hinsichtlich der Zulässigkeit der Testamentsvollstreckung nichts. Soweit das Reichsgericht auf die §§ 25, 27 HGB verweist43, ist hier nur von der Haftung des Erben für frühere Geschäftsverbindlichkeiten die Rede, die dieser zudem durch entsprechende Registereintragung richtigerweise hinfällig machen kann44. Für die Haftungsfrage für Neuschulden weist Muscheler45 zu Recht darauf hin, daß der Grundsatz der unbeschränkten Haftung nichts allein dem Handelsrecht Eigentümliches ist, sondern im Grundsatz schon dem bürgerlichen Recht inhärent ist. Ist dem so, regelt das HGB hinsichtlich der Haftung nichts Abweichendes46. Es kann sich dann aber auch nicht zu der für die Testamentsvollstreckung in § 2206 BGB für die Haftung gemachte Ausnahme verhalten. Darüber hinaus wäre es wertungswidersprüchlich, daß die h. M. bei Unternehmen, welche nicht dem HGB unterfallen (wie etwa land- und forstwirtschaftliche Unternehmen), die Testamentsvollstreckung zuläßt und sie gleichzeitig für ein kaufmännisches Unternehmen verbietet, obwohl die Haftungsrisiken für den Verkehr identisch sind47. Nach all dem gibt § 2 41

Muscheler, Haftungsordnung, insbes. 392 ff. Muscheler, Haftungsordnung, insbes. 398 ff. 43 RGZ 132, 138 (144). 44 Hierauf verweisen ebenfalls Muscheler, Haftungsordnung, 395 ff.; Baur, FS Dölle, Bd. I, 249 (261); Winkler, FS Schippel, 519 (526). Für die Haftungsbeschränkungsmöglichkeit des Erben gem. §§ 27 I, 25 II HGB siehe ausführlich oben § 33 II 1. 45 Muscheler, Haftungsordnung, 397 f. 46 Ebenso Christopeit, Haftung, 104 f.; Meyke, Testamentsvollstrecker, 32; Baur, FS Dölle, Bd. I, 249 (263); Buchwald, AcP 154 (1955), 22 (30); Nolte, FS Nipperdey, Bd. 1, 667 (675). 42

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EGHGB für die Haftungsproblematik bei Lichte betrachtet nichts her. Damit ist der letzte Einwand gefallen, der gegen die Testamentsvollstreckung über ein einzelkaufmännisches Unternehmen aus handelsrechtlicher Sicht angeführt werden kann. Freilich bedeutet dies noch nicht, daß die Vollstreckung rechtlich zulässig ist. Dauner-Lieb hat jüngst vorgetragen, eine Testamentsvollstreckung über ein Handelsunternehmen wäre nicht nur unternehmensrechtlich nicht haltbar. Vielmehr sei sich schon nicht erbrechtskonform48. III. Erbrechtliche Grenzen einer Testamentsvollstreckung über ein Einzelhandelsgeschäft? 1. Das Problem: Die Abstimmung der §§ 1978 ff. BGB zu den §§ 2197 ff. BGB

a) Die vermeintliche Schutzlücke des § 2219 BGB Die Grundthese von Dauner-Lieb ist, daß dem Gesetz kein in sich konsistentes Konzept der §§ 2197 ff. BGB i.V. m. den §§ 1978 ff. BGB entnommen werden könne, vor deren Hintergrund die Testamentsvollstreckung an einem einzelkaufmännischen Unternehmen als erbrechtlich zulässige Gestaltung erscheinen könnte49. Ihr Ausgangspunkt ist ein Vergleich der Haftungssituation der Nachlaßalt- und neugläubiger bei einer Testamentsvollstreckung über einen Nachlaß, in dem sich kein Unternehmen befindet, mit der Vollstreckung über einen Nachlaß mit Unternehmen50. Die Anordnung der Testamentsvollstreckung führt generell zu einer Haftungssonderung. Der verwaltungsunterworfene Nachlaß wird gem. § 2214 BGB gegenüber dem Erben und seinen Eigengläubiger abgeschottet. Der verwaltungsunterworfene Nachlaß ist demnach von vornherein vor Eingriffen seitens des Erben geschützt. Verwaltet der Vollstrecker den Nachlaß nicht ordnungsgemäß, haftet der Erbe nach §§ 1978, 1980 BGB i.V. m. § 278 BGB für ein Vertretenmüssen des Vollstreckers. Seine Haftung ist dabei auf den Nachlaß beschränkbar, da der Vollstrecker den Erben nicht als Inhaber seines Eigenvermögens, sondern nur in seiner Eigenschaft als Träger des Nachlasses verpflichten kann51. Die hierbei entstehende Schutzlücke liegt auf der 47 Muscheler, Haftungsordnung, 398; Canaris, Handelsrecht, § 9 Rn. 36; Baur, FS Dölle, Bd. I, 249 (263); Brandner, FS Stimpel, 991 (994). 48 Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, insbes. 298 ff. 49 Dauner-Lieb, Unternehmen, 300 ff. 50 Dazu und zum folgenden Dauner-Lieb, Unternehmen, 258 ff. 51 Erman-Schlüter, § 1978, Rn. 4; MünchKomm-Dieckmann, § 1978 Rn. 9; Staud-Marotzke, § 1978, Rn. 13; Soergel-Stein, § 1978 Rn. 6.

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Hand: Für die Ansprüche der Nachlaßgläubiger auf Ausgleich von Wertverlusten, welche durch eine mangelhafte Verwaltung des Nachlasses entstanden sind, haftet wiederum nach den §§ 1978 ff. BGB nur der wertgeminderte Nachlaß. Die Schutzlücke wird mehr oder weniger52 durch die Regelung des § 2219 I BGB geschlossen, nach der der Erbe seinerseits Schadensersatz vom Testamentsvollstrecker verlangen kann53. Dauner-Lieb sieht die Schutzlücke aber nur dann hinreichend geschlossen an, wenn dem Nachlaß kein Unternehmen angehört54. Bei einer Testamentsvollstreckung über ein Unternehmen könne das gesetzliche Leitbild der §§ 1978 ff. BGB, den Nachlaßgläubigern ihre Haftungsmasse zu gewährleisten, nicht mehr gewahrt werden. Denn die ihnen reservierte Haftungsmasse könne faktisch nicht mehr durch den Schadensersatzanspruch nach § 2219 I BGB aufgefüllt werden, da die unternehmerische Tätigkeit durchweg keiner objektiven Richtigkeitskontrolle zugänglich sei. Dies würde durch die Tatsache noch verschärft, daß einzelne Rechtsgeschäfte nicht aus der unternehmerischen Gesamtstrategie herausgelöst und singulär auf ihre Ordnungsgemäßheit bewertet werden könnten. Der Schadensersatzanspruch aus § 2219 I BGB ginge daher bei der Testamentsvollstreckung über ein Unternehmen durchweg mangels Verschuldens ins Leere. Die Folgen seien beträchtlich: Der Erbe könne sich für die für ihn durch den Testamentsvollstrecker nach den §§ 2206, 2207, 2209 BGB begründeten neuen Geschäftsverbindlichkeiten55 gemäß §§ 1978 III, 670, 257 BGB beim Nach52 Dauner-Lieb, Unternehmen, 301 f., weist darauf hin, daß der Verschuldensmaßstab hinsichtlich der Ordnungsgemäßheit der Verwaltung in den §§ 1978 ff. BGB und in § 2219 I BGB jeweils ein anderer ist. Die §§ 1978 ff. BGB richten sich nach dem Interesse der Nachlaßgläubiger an einer Erhaltung und Konservierung des Nachlasses als der ihnen reservierten Haftungsmasse, während für den für § 2219 BGB relevanten Pflichtenkreis des Vollstreckers die Vorgaben des Erblassers einschlägig sind. Sie möchte deshalb die erblasserische Befugnis zur Ausgestaltung der testamentsvollstreckerrechtlichen Pflichten eingrenzen und nur solche Anordungen als wirksam anerkennen, die die Interessen der Nachlaßgläubiger nicht gefährden, ebda., 267 ff. Muscheler, Haftungsordnung, 223 ff., will demgegenüber unter Rückgriff auf die Grundsätze über die Drittschadensliquidation den Nachlaßgläubigern helfen, dazu schon oben § 33 II 2 a. 53 Dauner-Lieb, Unternehmen, 259 f. 54 Dazu und zum folgenden Dauner-Lieb, Unternehmen, 302 ff., 304 ff., 184 ff., 197 f., 25 ff. Auf die Schwierigkeiten, die jeweiligen erb-, prozeß- und insolvenzrechtlichen Vorschriften aufeinander abzustimmen hat im übrigen schon früh Meyke, Testamentsvollstrecker, 273 f., aufmerksam gemacht. 55 Bei der Fortführung ererbter Unternehmen tritt die Frage auf, ob und unter welchen Voraussetzungen der Erbe neue Nachlaßverbindlichkeiten über den in § 324 I Nr. 2 bis 4 InsO hinaus genannten Fällen begründen kann. Das Problem ist gewichtig, mindert doch jeder neu hinzugetretende Nachlaßgläubiger die Haftungsmasse der Altnachlaßgläubiger. Die Dogmatik arbeitet hier mit der Lehre von der sog. Nachlaßeigenschuld, der Lehre von der Identitätsumwandlung des nachlaßzuge-

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laß schadlos halten, und zwar – und dies ist entscheidend – mit insolvenzrechtlichen, Vorrang vor den Nachlaßgläubigern gem. § 324 I Nr. 1 InsO. Dieser Gleichlauf von Außenhaftung des Erben und Aufwendungsersatz gegen den Nachlaß wiederum bedeute nichts anderes, als daß die Nachlaßgläubiger erst zum Zuge kämen, wenn alle Forderungen der neuen Geschäftsgläubiger beglichen seien; diese würden praktisch mittelbar zu bevorrechtigten Insolvenzgläubigern. Das unternehmerische Risiko würde mithin im vollen Umfang von den Nachlaßgläubigern getragen. Diese Argumentation Dauner-Liebs überzeugt durchaus. In der Tat besitzt der unternehmerisch Tätige angesichts der ihm aufgebürdeten Last, Entscheidungen unter Ungewißheitsbedingungen als prognostisches Urteil fällen zu müssen, einen großen Ermessensspielraum, soweit es um die „Richtigkeit“ seiner einzelnen Maßnahmen geht56. Die Frage ist nur: Was folgt aus dieser Einsicht für die Zulässigkeit der Testamentsvollstreckung an einem einzelkaufmännischen Unternehmen? b) Bisherige Versuche zur Bewältigung der vermeintlichen Schutzlücke des § 2219 BGB Verschiedene Vorschläge versuchen, angesichts der soeben geschilderten Situation zu einem sachgerechten Schutz der Nachlaßaltgläubiger zu kommen57. Muscheler etwa bemüht sich, den Anwendungsbereich des § 324 I Nr. 5 InsO dadurch teleologisch zu reduzieren, daß der Vorrang nur für die Neuverbindlichkeiten gilt, die in ordnungsgemäßer Verwaltung eingegangen worden sind58. Weit kommt man damit allerdings nicht, da wegen des weiten Ermessensspielraums des Unternehmers nicht ordnungsgemäß begründete Verpflichtungen nur Frucht eines objektiv unvertretbaren Managements sein werden – eine Fallgestaltung, die nicht gerade im Brennpunkt des Interesses steht59. Andere Stimmen plädieren demgegenüber dafür, die Verwaltungsvollstreckung ganz aus dem Anwendungsbereich des § 324 I Nr. 5 InsO auszunehmen60. Damit wäre zweifellos die Privilegierung der Fordehörigen in ein nachlaßfreies Handelsgeschäft oder durch andere Vorschläge, wie etwa der Zuordnung des ererbten Unternehmens zum Erbeneigenvermögen nach Ablauf der Frist des § 27 II HGB oder mit Umfirmierung, siehe als Übersicht nur Ernst, Haftung, 52 ff., 77 ff., 99 ff. Bei der Testamentsvollstreckung über ein Handelsgeschäft stellen sich diese Fragen so nicht. Hier erlauben die §§ 2206, 2207, 2209 BGB die Begründung neuer Nachlaßverbindlichkeiten. Zur Problematik siehe im übrigen ausführlich unten § 40 III 2 a. 56 Überzeugend daher die Ausführungen bei Dauner-Lieb, Unternehmen, 20 ff., 25 ff. 57 Dazu die Übersicht bei Dauner-Lieb, Unternehmen, 306 ff. 58 Muscheler, Haftungsordnung, 141 ff. 59 So auch Dauner-Lieb, Unternehmen, 306.

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rungen der Nachlaßneugläubiger als Masseschulden verhindert. Zudem wäre die zumindest ungewöhnliche Erscheinung vermieden, daß im Fortgang der Testamentsvollstreckung im Laufe der Zeit sämtliche Geschäftsschulden unter § 324 I Nr. 5 InsO fielen, so daß es in der Nachlaßinsolvenz nach vorheriger Testamentsvollstreckung nur noch Masseschulden gäbe61. Dauner-Lieb hält diesen Weg gleichwohl nicht für gangbar62. Sie moniert, mit dem Wegfall der insolvenzrechtlichen Privilegierung nach § 324 I Nr. 5 InsO entfalle für die neuen Geschäftsgläubiger der einzige Ausgleich für den Nachteil, daß ihnen faktisch (der Anspruch aus § 2219 BGB greift ja zumeist nicht) nur der Nachlaß und damit ein Sondervermögen hafte. Überzeugend ist dieser Einwand freilich nicht, da die Verhaftung nur eines Sondervermögens ja durchaus im Schnittpunkt von Erb- und Unternehmensrecht ertragbar ist, wenn die Testamentsvollstreckung aus einem einsichtigen Grund angeordnet ist63. Daneben überzeugt nach Dauner-Lieb die teleologische Reduktion des § 324 I Nr. 5 InsO aber auch deshalb nicht, weil die Alt-Gläubiger sich den Nachlaß immer noch mit den neu hinzugetretenen Geschäftsgläubigern – wenngleich im gleichen Rang – teilen müßten; die Alt-Gläubiger müßten daher immer noch im Gegensatz zur ratio der §§ 1975 ff. BGB, die ihnen die Haftungsmasse im Bestand sichern wollen, das unternehmerische Risiko mit tragen, da sie damit rechnen müßten, in der Nachlaßinsolvenz schlechter zu stehen als im Zeitpunkt des Erbfalls. Dies ist ein Argument, welches in dieser Weise nicht überzeugt. Bevor dies näher thematisiert wird, soll noch ein kurzer Blick auf einen weiteren Vorschlag geworfen werden, mit dem den Nachlaßaltgläubigern zu helfen versucht wird. Nach weit verbreiteter, stellenweise als allgemeiner Auffassung apostrophierter64 Meinung fallen bei einer Dauertestamentsvollstreckung die Erlöse aus der Veräußerung von Nachlaßgegenständen sowie die Aktiva, welche mit Mitteln des Nachlasses erworben worden sind, analog § 2041 BGB wieder in den Nachlaß und in die Verwaltungszuständigkeit des Vollstreckers65. Damit wird vermieden, daß im Laufe der Zeit sich das verwaltungsunterworfene Sondervermögen langsam auflöst und in das verwaltungsfreie Vermögen des Erben hinüberwächst. Aus diesem Befund zieht 60 So (wohl de lege ferenda) Holzhauer, Erbrechtliche Untersuchungen, 38, für § 224 I Nr. 5 KO. 61 Meyke, Testamentsvollstrecker, 59 f.; Dauner-Lieb, Unternehmen, 308. 62 Siehe Dauner-Lieb, Unternehmen, 308. 63 Dazu oben § 40 II. 64 Bei Lorz, Testamentsvollstreckung, 41. 65 MünchKomm-Dütz, § 2041 Rn. 3; MünchKomm-Brandner, § 2205 Rn. 15; RGRK-Kregel, § 2041 Rn. 8; Soergel-Damrau, § 2205 Rn. 9; Staud-Reimann, § 2205 Rn. 15.

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Muscheler die Konsequenz, der Erbe müsse im Falle der Nachlaßinsolvenz all das wieder zur Masse zurückgewähren, was ihm im Zuge der Vollstreckung ausgekehrt worden sei, also insbesondere auch die ihm zugewendeten Gewinne aus dem Unternehmen66. Damit wäre letztlich den NachlaßAltgläubigern sehr weitreichend geholfen. Der Vorschlag ist von einiger Brisanz und sollte daher etwas näher betrachtet werden: c) Rückgewähr der ausgekehrten Gewinne im Falle der Nachlaßinsolvenz? aa) Einwände gegen die Rückgewährpflicht des Erben Dauner-Lieb67 macht mit Recht darauf aufmerksam, daß mit der von Muscheler propagierten Gewinnabschöpfung im praktischen Ergebnis die Sachgerechtigkeit der Verwaltungsvollstreckung über ein Unternehmen zumindest aus Sicht des Erben zusammenbricht. Denn dieser muß immer – auch lange Zeit nach dem Erbfall – damit rechnen, daß er die ihm gewährten unternehmerischen Erträgnisse wieder herausgeben muß. Dies wiederum ist nicht nur mit dem Sinn und Zweck des Systems der beschränkbaren Erbenhaftung zumindest wirtschaftlich unvereinbar. Die Rückgewährspflicht an die Masse läuft auch der Zielsetzung des Erblassers zuwider, dem Erben einen angemessenen Unterhalt zu sichern, ohne ihn mit den Mühen unternehmerischen Handelns zu belasten, da der Erbe die Gewinne nicht verbrauchen, sondern ansammeln müßte, um eines Zugriffs auf sein Privatvermögen zu entgehen. Zudem widerspricht die Rückgewähr dem grundlegenden unternehmensrechtlichen Prinzip, daß Gewinnausschüttungen, welche auf der Basis ordnungsgemäßer Rechnungslegung und Bilanzierung stattfinden, im Falle der Insolvenz des Unternehmens nicht zurückverlangt werden können, um die Insolvenzmasse zu verbreitern68. Rechtlich entscheidend gegen die Rückgewährspflicht des Erben hinsichtlich der an ihn von dem Testamentsvollstrecker ausgekehrten Unternehmensgewinne spricht jedoch folgender Gedanke: Die Erlöse aus der Veräußerung von Nachlaßgegenständen sowie die mit Mitteln des Nachlasses erworbenen Aktiva surrogieren zwar „in den Nachlaß“69. Bei dieser Surrogation „in den Nachlaß“ müssen aber – was zumeist nicht explizit geschieht – zwei Dinge scharf auseinandergehalten werden, was Manfred Wolf70 und 66

Muscheler, Haftungsordnung, 395. Dauner-Lieb, Unternehmen, 310 f. 68 Dauner-Lieb, Unternehmen, 311. 69 Dazu siehe nochmals MünchKomm-Dütz, § 2041 Rn. 3; MünchKomm-Brandner, § 2205 Rn. 15; RGRK-Kregel, § 2041 Rn. 8; Soergel-Damrau, § 2205 Rn. 9; Staud-Reimann, § 2205 Rn. 15. 70 Wolf, JuS 1975, 710 (715). 67

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später umfassend Muscheler71 herausgearbeitet und jüngst Dauner-Lieb72 erneut aufgegriffen hat: die Frage der Kompetenzsurrogation einerseits und die der materiellen Surrogation andererseits. Wenn der Testamentsvollstrekker erkennbar als Verwalter handelt, erwirbt er unstreitig für den Erben. Dauner-Lieb führt zu Recht aus, daß dies mit Surrogation nichts zu tun hat, sondern Ausfluß dessen ist, daß der Vollstrecker der Inhaber der gesetzlichen Erwerbsermächtigung ist73. Vielmehr stellt sich hier die Frage, ob der durch den Testamentsvollstrecker bewerkstelligte rechtsgeschäftliche Neuerwerb auch dessen Verwaltungskompetenz unterliegt und damit der Verfügungsbefugnis des Erben entzogen ist. Unterfällt der Neuerwerb der Verwaltungskompetenz des Vollstreckers, hat Muscheler hierfür den prägnanten Begriff der „Kompetenzsurrogation“ geprägt74. Eine andere Frage ist demgegenüber, ob ein Erwerb, der nach den allgemeinen Regeln des Vertrags- und Stellvertretungsrechts dem Vollstrecker persönlich zukommen würde – im Falle also, daß der Vollstrecker sein Amt nicht offenlegt –, ohne Durchgangserwerb und ohne Rücksicht auf den Willen der am Rechtsgeschäft Beteiligten materiell in den Nachlaß fließt. Muscheler nennt dies bejahendenfalls eine „materielle Surrogation“75. Für eine derartige materielle Surrogation bei der Testamentsvollstreckung votieren nur einige wenige Stimmen in der Literatur76. Durchweg meint man ansonsten nur die Kompetenzsurrogation, wenn von einer Surrogation des rechtsgeschäftlichen Neuerwerbs „in den Nachlaß“ analog § 2041 BGB bei der Testamentsvollstreckung die Rede ist77. Nunmehr kann klar formuliert werden, was Muscheler voraussetzen muß, damit die von ihm skizzierte Pflicht des Erben zur Rückgewähr der an ihn ausgekehrten Unternehmensgewinne an den Nachlaß im Falle der Nachlaßinsolvenz greift: Die Begriffe „Nachlaß“ in den §§ 2206, 2207, 2209 BGB und in den §§ 1975 ff. BGB müßten identisch sein. Anders gesagt: Muscheler zählt zum Nachlaß i. S. der §§ 1975 ff. BGB all das, was über kurz oder lang kraft Kompetenzsurrogation in die Verwaltungsbefugnis des Testamentsvollstreckers gefallen ist, selbst wenn es der Vollstrecker irgendwann 71

Muscheler, Haftungsordnung, 257 ff. Dauner-Lieb, Unternehmen, 242 ff. 73 Dauner-Lieb, Unternehmen, 242; dazu auch Muscheler, Haftungsordnung, 258; Strauch, Mehrheitlicher Rechtsersatz, 219; M. Wolf, JuS 1975, 710 (715). 74 Muscheler, Haftungsordnung, 257 Fn. 3. Der Begriff ist aufgegriffen worden durch Dauner-Lieb, Unternehmen, 242. 75 Muscheler, Haftungsordnung, 257. 76 Boehmer, Erbfolge, 39; Strauch, Mehrheitlicher Rechtsersatz, 220; JaegerWeber, § 214 KO Rn. 28; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 41 VI 3; M. Wolf, JuS 1975, 710 (715). 77 Dies haben überzeugend Muscheler, Haftungsordnung, 258; Dauner-Lieb, Unternehmen, 243 f., nachgewiesen. 72

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einmal freigegeben hat78. Dies ist nicht überzeugend. Die Kompetenzsurrogation zielt darauf ab, die Einheit des Nachlasses als Sondervermögen zu wahren, damit der Vollstrecker weiterhin sein Amt ausüben kann. Es soll verhindert werden, daß sich die Vollstreckung im Laufe der Zeit von selbst entledigt, was der Fall sein könnte, wenn der rechtsgeschäftliche Neuerwerb mehr und mehr in das vollstreckungsfreie Eigenvermögen des Erben abwandern könnte. Mehr ist durch die Kompetenzsurrogation nicht zu erreichen79. Würde man sich anders entscheiden, käme man für den Bereich der Testamentsvollstreckung zu einem anderen Verständnis der für die Verantwortlichkeit des Erben geltenden Vorschriften der §§ 1978 ff. BGB, wenn dieser selbst das ererbte Unternehmen fortführt. Um dies zu zeigen, muß etwas länger ausgeholt werden. bb) Gewinnabschöpfung bei der Unternehmensfortführung durch den Erben? Nach den §§ 1978 ff. BGB ist für die Zuordnung von Nachlaßeinkünften, welche der Erbe an sich ausgekehrt hat, wie folgt zu differenzieren: Der Erbe muß gem. §§ 1978 i.V. m. 667, 668 BGB diejenigen Nutzungen zurückgewähren und für den Verbrauch Ersatz leisten, die nicht auf seine Geschäftstätigkeit zurückgehen, bei denen es sich also gleichsam um „Vermehrungen des Nachlasses aus sich selbst heraus“80 handelt. Derartige Vermehrungen fallen automatisch mit „dinglicher Wirkung“ in den Nachlaß. Hierüber besteht Einigkeit81. Bei einem mit Nachlaßmitteln bewerkstelligten rechtsgeschäftlichen Erwerb des Erben ist die Haftungslage des Erben hingegen grundlegend anders. Hier kommt es – anders als in den Fällen der §§ 2019 I, 2041 und 2111 I BGB – nach ganz herrschender Meinung82 gerade nicht zu einer materiellen dinglichen Surrogation des Neuerwerbs einschließlich des mit dem Erwerbsgeschäft erwirtschafteten Gewinns in den Nachlaß. Vielmehr stehen den Nachlaßgläubigern gem. § 1978 I BGB nur schuldrechtliche Ausgleichsansprüche auf Ersatz der verwendeten Nachlaßmittel zu. Eine Ausnahme wird von einer im Schrifttum weit verbreiteten Meinung83 nur dann gemacht, wenn der Erbe das Erwerbsgeschäft mit dem 78

Dauner-Lieb, Unternehmen, 247. So auch Dauner-Lieb, Unternehmen, 247. 80 Mot. V, 627. 81 Dazu siehe insbes. Jaeger-Weber, § 214 KO Rn. 25 f.; MünchKomm-Siegmann, § 1978 Rn. 6; Soergel-Stein, § 1978 Rn. 4; Staud-Marotzke, § 1978 Rn. 15; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 1136. 82 BGH, FamRZ 1989, 1070 (1072); Jaeger-Weber, § 214 KO Rn. 26; ErmanSchlüter, § 1978 Rn. 3; MünchKomm-Siegmann, § 1978 Rn. 6 a; Palandt-Edenhofer, § 1978 Rn. 3; RGRK-Johannsen, § 1978 Rn. 6; Soergel-Stein, § 1978 Rn. 4; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 41 VI 2. 79

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Willen tätigt, für den Nachlaß zu erwerben. Dann würde der durch das Rechtsgeschäft des Erben erworbene Gegenstand – und damit der etwaige Gewinn – Nachlaßbestandteil. Stellenweise wird zusätzlich gefordert, dieser Erwerbswille für den Nachlaß müsse für den Geschäftspartner erkennbar sein84. Eine dingliche Surrogation analog § 2041 BGB nimmt einzig Marotzke85 an, um die Nachlaßgläubiger im Falle der Erbeninsolvenz stärker zu schützen. Bei dieser dinglichen Surrogation würden die mit den Nachlaßmitteln erwirtschafteten Gewinne in den Nachlaß fließen. Wie ist hier zu entscheiden? Mit einer jeden unternehmerischen Tätigkeit sind – anders als bei der Verwaltung eines „statischen“ Nachlasses – unweigerlich Risiken verbunden, die der Unternehmer eingehen muß, da er ansonsten auf dem Markt nicht reüssieren und über kurz oder lang aus diesem austreten müßte. Die Eingehung derartiger Risiken ist daher durchweg ordnungsgemäß86. Die Verteilung der mit dem unternehmerischen Handeln verbundenen Risiken und Chancen stellt das entscheidende Wertungsproblem bei der Vererbung des Unternehmens dar87. Dauner-Lieb88 stellt zu Recht klar, daß das Auftragsrecht, auf welches § 1978 I 1 BGB verweist, auf das Problem der Zuordnung des mit Nachlaßmitteln bewerkstelligten rechtsgeschäftlichen Erwerbs (und damit auch der Gewinne und der etwaig erzielten Steigerung des Unternehmenswerts) zum Nachlaß keine klare Antwort gibt. Denn im Normalfall der Unternehmensfortführung durch den Erben tätigt dieser die unternehmerischen Geschäfte durchweg nicht mit einem Erwerbswillen für den Nachlaß, sondern mit Eigengeschäftsführungswillen. Der Erbe handelt im eigenen Interesse; ihm werden die verwickelten Regelungen der Nachlaßinsolvenz zumeist nicht bekannt sein, so daß sie ihn auch nicht dazu motivieren können – wenn sie dies überhaupt tun –, für den Nachlaß zu erwerben. In das Vokabular des Auftragsrechts übersetzt, bedeutet dies, daß der Erbe die ihm vom Auftraggeber („dem Nachlaß“) überlassenen Mittel für eigene Zwecke einsetzt. Die §§ 662 ff. BGB enthalten keine Regelung, welche sich einer solchen eigennützigen Mittelverwendung durch den Auftragnehmer annimmt. Der Auftraggeber wird hier nach 83

Jaeger-Weber, § 214 KO Rn. 26; MünchKomm-Siegmann, § 1978 Rn. 6 a; Planck-Flad, § 1978 Anm. 2 b; Staud-Marotzke, § 1978 Rn. 17; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 1136; Ernst, Haftung, 82; Muscheler, Haftungsordnung, 349 f. Fn. 20. Vom BGH, FamRZ 1989, 1070 (1072), wurde dies offengelassen. 84 Ebenroth, Erbrecht, Rn. 1136; Muscheler, Haftungsordnung, 349 f. Fn. 20; Staud-Marotzke, § 1978 Rn. 17. 85 Staud-Marotzke, § 1978 Rn. 17; siehe auch v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 2, 1169. 86 Dazu schon oben § 34 I 1. 87 Dies hat grundlegend Reuter, ZHR 135 (1971), 511 ff., herausgearbeitet worden. Ansonsten siehe zum Problem nur Windel, Modi, 78 ff.; Friedrich, Haftung,136 f.; Dauner-Lieb, Unternehmen, 155 f. 88 Dauner-Lieb, Unternehmen, 105 ff., 100.

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Kap. 18: Die Testamentsvollstreckung im Unternehmensrecht

den allgemeinen Regeln des Schadensersatzrechts (insbesondere positive Forderungsverletzung sowie das Deliktsrecht i.V. m. dem Strafrecht) geschützt89. Ob er demgegenüber auch den vom Auftragnehmer erzielten Gewinn herausverlangen kann, ist durchaus zweifelhaft. Nach den Regeln der angemaßten Eigengeschäftsführung nach § 687 II 1 BGB findet eine Gewinnabschöpfung als Strafsanktion für einen rechtswidrigen Eingriff in fremdes Vermögen nur bei Bösgläubigkeit statt, §§ 687 II, 681 S. 2, 667 BGB. Auch im Recht der Eingriffskondiktion ist bei einem Eingriff bsp. in fremde Immaterialgüterrechte oder gewerbliche Schutzrechten sehr umstritten, ob die Ersatzpflicht des Eingreifenden nach § 818 II BGB auch den erzielten Gewinn umfaßt oder auf den Wertersatz beschränkt ist90. Für das rechtsgeschäftlich begründete Auftragsverhältnis wird denn auch davon ausgegangen91, § 667 Alt. 2 BGB sei nicht anwendbar, wenn der Auftragnehmer für eigene Rechnung gehandelt habe; rechtskonstruktiv kann dies dadurch begründet werden, daß das vom Beauftragten besorgte Geschäft sich außerhalb der vertraglichen Abmachungen mit dem Auftraggeber bewegt habe, so daß der Beauftragte nichts „aus der Geschäftsbesorgung“ erlangt habe, was aber § 667 Alt. 2 BGB voraussetzt92. Entsprechend wird auch der Verweis des § 1978 I 1 BGB auf § 667 BGB so verstanden, § 667 Alt. 2 BGB sei nicht anwendbar, wenn der Erbe mit Eigengeschäftsführungswillen gehandelt habe93. Das ist auch einsichtig. Denn der Erbe hat i. S. §§ 1978 I 1, 667 BGB nach dem gesetzlichen Leitbild der Nachlaßverwaltung zu besorgen, den Nachlaß zu erhalten94. Dieser Zielsetzung wird schon dann Rechnung getragen, wenn der Erbe die von ihm eigennützig verwendeten Nachlaßmittel an den Nachlaß zurück gewähren muß. Es wäre aber nicht mehr einsichtig, warum die Nachlaßgläubiger über den Ersatz von Nachlaßminderungen hinaus noch an den geschäftlichen Erfolgen des Erben (wie den erzielten Gewinnen oder der Steigerung des Unternehmenswerts) partizipieren sollen, 89

Dazu nur Erman-Ehmann, § 665 Rn. 4; MünchKomm-Seiler, § 665 Rn. 37. Siehe dazu nur MünchKomm-Lieb, § 818 Rn. 20, auf der einen und Larenz/ Canaris, SchuldR II/2, § 72 III 3 c, auf der anderen Seite. 91 Dazu Dauner-Lieb, Unternehmen, 106 f. 92 MünchKomm-Seiler, § 665 Rn. 39. 93 BGH, FamRZ 1989, 1070 (1072); Erman-Schlüter, § 1978 Rn. 3; MünchKomm-Siegmann, § 1978 Rn. 6 a; RGRK-Johannsen, § 1978 Rn. 6; Soergel-Stein, § 1978 Rn. 4; Ernst, Haftung, 82; Friedrich, Haftung, 150; Muscheler, Haftungsordnung, 439 f. Fn. 20. Demgegenüber geht Kilger-Karsten Schmidt, § 214 KO Anm. 2, davon aus, der Erbe habe alles in Fortführung des Geschäfts Erlangte (also auch die Erträgnisse) gem. § 1978 I BGB an die Nachlaßmasse herauszugeben. 94 Grundlegend hierzu Boehmer, Erbfolge, 152 ff., 159 ff.; siehe ansonsten nur MünchKomm-Siegmann, § 1978 Rn. 1; Soergel-Stein, § 1978 Rn. 1. 95 Dauner-Lieb, Unternehmen, 108. 90

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die dieser unter Einsatz seiner Arbeitskraft erzielt hat95. Eine Gewinnabschöpfung zugunsten der Nachlaßgläubiger und die damit verbundene Verbreiterung ihrer Haftungsmasse würde also gegen die ratio der §§ 1978 ff. BGB verstoßen. Hinzukommt, daß der endgültige Alleinerbe als Universalsukzessor in alle Rechte und Pflichten des Erblassers eintritt und bis zur Nachlaßsonderung vollberechtigter Inhaber des Nachlasses ist. Sein Tätigwerden ist daher mit dem eines angemaßten Eigengeschäftsführers, bei dem regelmäßig eine Gewinnabschöpfung bei Bößgläubigkeit stattfindet, nicht vergleichbar96. Nach all dem verbleiben den Nachlaßgläubigern nur Ersatzansprüche in Höhe der vom Erben eigennützig verwendeten Nachlaßmittel. Dies wiederum bedeutet, daß sich im Zuge der Zeit der Nachlaß nach und nach auflöst, soweit darunter der Inbegriff der jeweiligen Nachlaßgegenstände verstanden wird. Die einzelnen Nachlaßgegenstände stehen den Nachlaßgläubigern dann nicht mehr „dinglich“ zur Verfügung. Vielmehr werden sie durch die beschriebenen schuldrechtliche Ersatzansprüche auf Rückgewähr der verwendeten Nachlaßmittel ersetzt. Dies wiederum bedeutet, daß die Nachlaßgläubiger mehr und mehr mit dem Insolvenzrisiko des Erben belastet werden und in der Erbeninsolvenz möglicherweise nur auf die Quote hoffen können. Gerade hiervor wollte Marotzke sie ja mit der von ihm vertretenen dinglichen Surrogation des rechtsgeschäftlichen Neuerwerbs in den Nachlaß bewahren. Dennoch kann ihm letztlich nicht gefolgt werden, weil es ansonsten zu der beschriebenen Gewinnabschöpfung käme und damit der Erbe wie ein angemaßter Eigengeschäftsführer i. S. § 687 II 1 BGB behandelt würde, obwohl dies seiner Stellung als endgültiger Alleinerbe widerspricht97. Als Zwischenergebnis bleibt mithin festzuhalten, daß die mit Nachlaßmitteln erwirtschafteten Gewinne des Erben nicht in den Nachlaß fließen. cc) Nochmals: Gewinnabschöpfung bei der Testamentsvollstreckung? Es konnte gezeigt werden, daß bei einer Unternehmensfortführung durch den Erben die von diesem mit Nachlaßmitteln erwirtschafteten Gewinne nicht in den Nachlaß fallen. Die Nachlaßgläubiger sind auf einen Wertersatzanspruch in Höhe der verwendeten Nachlaßmittel beschränkt. Nunmehr kann der oben98 zurückgestellte Faden wieder aufgegriffen werden: Die von Muscheler für die Testamentsvollstreckung behauptete materielle Surrogation der Gewinne in den Nachlaß setzt voraus, daß bei der Testamentsvollstreckung von einem anderen Verständnis des „Nachlasses“ i. S. der 96

Dauner-Lieb, Unternehmen, 108 f. Dauner-Lieb, Unternehmen, 113 f.; zudem ebda., 148 ff., weitere Überlegungen zum Schutz der Nachlaßgläubiger in der Erbeninsolvenz. 98 Oben am Ende von § 40 III 1 c aa. 97

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Kap. 18: Die Testamentsvollstreckung im Unternehmensrecht

§§ 1978 ff. BGB ausgegangen wird als es bei der Unternehmensfortführung durch den Erben der Fall wäre, bei dem die Gewinnsurrogation ja nicht stattfindet. Rechtfertigen ließe sich ein derartiges anderes Verständnis des Nachlaßbegriffes mit dem Gesichtspunkt des Nachlaßgläubigerschutzes. Da dieser Schutzgedanke aber bei der Erbenverwaltung nicht zu einer Gewinnsurrogation führt, kann der Gedanke des Nachlaßgläubigerschutzes nur dann relevant sein, wenn sich dies aus der Funktion der Testamentsvollstreckung ergeben könnte. Nach Dauner-Lieb ist dies nicht der Fall, da die Testamentsvollstreckung nicht den Interessen der Nachlaßgläubiger zu dienen bestimmt sei99. Sie folgert hieraus, auch bei einem der Testamentsvollstreckung unterliegenden Unternehmen könnten die mit den Nachlaßmitteln erwirtschafteten Gewinne nicht dem Nachlaß zugeordnet werden, womit der Muschelersche Ansatz, über eine Surrogation der Gewinne in den Nachlaß den Altnachlaßgläubigern zu helfen, zusammengebrochen sei. Was ist von dieser Argumentation zu halten? In der Tat dient die Testamentsvollstreckung nicht den Interessen der Nachlaßgläubiger, sondern denen des Erblassers. Sie stellt ein probates Mittel dar, im Interesse des Erblassers dessen Prozeß der Todesverarbeitung in besonderer Weise zu untermauern100. Aus diesem Befund folgt jedoch nicht, daß die Gewinne nicht in den Nachlaß i. S. §§ 1975 ff. BGB surrogieren könnten. Denn wäre bei fehlender Gewinnsurrogation die Testamentsvollstreckung unzulässig, könnte sie ihrer Funktion nicht mehr gerecht werden, dem Erblasser bei seiner Todesverarbeitung zu helfen. Anders gesagt: Wenn dem Erblasserinteresse nur dadurch geholfen ist, daß die Interessen der Nachlaßgläubiger geschützt werden, kann aus der Funktion der Testamentsvollstreckung kein Argument gegen den Nachlaßgläubigerschutz gewonnen werden. Vielmehr wäre das Gegenteil der Fall: Vermittelt über das Erblasserinteresse werden – quasi zu dessen Schutz – auch mittelbar die Nachlaßgläubigerinteressen durch die §§ 2206, 2207, 2209 BGB i.V. m. §§ 1975 ff. BGB geschützt. Hieraus folgt ein wichtiges Zwischenergebnis: Es wäre rechtlich durchaus möglich, daß die vom Testamentsvollstrecker erzielten Gewinne in den Nachlaß gelangen und den Nachlaßgläubigern zur Befriedigung zur Verfügung stehen. Ob dies zwingend so sein muß, sei einstweilen noch zurückgestellt. Zuerst soll noch ein Blick auf die Folgerungen geworfen werden, die Dauner-Lieb aus ihren Überlegungen angesichts der von ihr angenommenen Unzulässigkeit der Gewinnsurrogation in den Nachlaß zieht:

99 100

Dauner-Lieb, Unternehmen, 310. Dazu Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 11 IV 3.

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d) Ergebnis: Unzulässigkeit der echten Testamentsvollstreckung wegen eines ansonsten unzureichenden Schutzes der Nachlaßaltgläubiger? Dauner-Lieb zieht aus dem bisher skizzierten Befund die Lehre, daß die echte Testamentsvollstreckung über ein Unternehmen erbrechtlich unzulässig ist101. Sie begründet dies mit dem Schutz der Nachlaßaltgläubiger, den die §§ 1978 ff. BGB intendierten und der durch die §§ 2197 ff. BGB nicht eingelöst werden könne, nachdem die insolvenzrechtlichen Vorschläge nicht überzeugend seien, über eine teleologische Reduktion des § 324 I Nr. 5 InsO die Altgläubiger den geschäftlichen Neugläubigern gleichzustellen. Im Interessendreieck zwischen den Nachlaßaltgläubigern, den geschäftlichen Neugläubigern und dem Erben sei keine Regelung im Gesetz erkennbar, welche nicht wertungswidersprüchlich sei und welche der Dauertestamentsvollstreckung an einem Unternehmen ein in sich konsistentes Fundament geben könne. Sie will daher die §§ 2197 ff. BGB insofern teleologisch reduzieren, als eine Testamentsvollstreckung an einem Vermögen von diesen Vorschriften nicht erfaßt sei102. Damit wäre diese Art der Vollstreckung aus erbrechtlichen Gründen unzulässig. Überzeugt die von Dauner-Lieb in kaum zu überbietenden Prägnanz vorgetragene und luzide begründete Argumentation? 2. Lösungsvorschlag: Rückbesinnung auf das ausgeblendete Dritte: den Tod

Dauner-Lieb geht das Problem der Testamentsvollstreckung über ein Handelsgeschäft nicht – wie dies bei der bisherigen unternehmensrechtlich ausgerichteten Diskussion der Fall war – von den Risiken für die neuen Geschäftsgläubiger aus an, sondern wählt die Perspektive des Schutzes der alten Nachlaßgläubiger103. Sie wendet gegen die bisher die Diskussion beherrschende unternehmensrechtliche Sicht zu Recht ein, die Haftungserwartungen der neuen Geschäftsgläubiger seien über die §§ 1978 III BGB i.V. m. § 324 I Nr. 1 InsO optimal geschützt104. Das Dogma, auf dem ihre Überlegungen ruhen, lautet dabei: Dem erbrechtlichen System der Erbenhaftung läge die „ganz selbstverständliche und völlig unbestrittene Zielvorstellung zugrunde, daß Erben und Nachlaßgläubiger nach dem Erbfall nicht 101

Dauner-Lieb, Unternehmen, 312 ff. Dauner-Lieb, Unternehmen, 314. 103 Der Befund, daß die Unternehmensfortführung wegen der insolvenzrechtlichen Rechtslage die Nachlaßaltgläubiger benachteiligt, ist nicht neu, siehe schon Reuter, ZHR 135 (1971), 511 ff.; Sobich, Erbengemeinschaft, 97 ff.; worauf Dauner-Lieb, Unternehmen, 188, selbst aufmerksam macht. 104 Dauner-Lieb, Unternehmen, 187. 102

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Kap. 18: Die Testamentsvollstreckung im Unternehmensrecht

besser und nicht schlechter gestellt werden dürfen, als sie vor dem Erbfall standen“105. Das ist zweifellos ein Satz, dem jedermann gewillt ist auf der Stelle zuzustimmen. Er ist sicherlich auch im Grundsatz ein überaus einsichtiger und zustimmungsfähiger Satz106. Gleichwohl läßt sich auf ihn nicht das Verdikt bauen, die Testamentsvollstreckung über ein einzelkaufmännisches Unternehmen sei immer unzulässig. Vielmehr steht unter bestimmten, im folgenden zu entwickelnden Voraussetzungen einer derartigen Testamentsvollstreckung erbrechtlich nichts im Wege. Der Begründungspfad hinsichtlich der Zulässigkeit der Testamentsvollstreckung verläuft dabei zweispurig. Zuerst einmal wird herausgearbeitet, welches zusätzliche Risiko für die Nachlaßaltgläubiger bei einer Testamentsvollstreckung tatsächlich gegenüber der Unternehmensfortführung durch den Erben besteht. Sodann muß untersucht werden, ob etwaige Nachteile erbrechtlich gerechtfertigt werden können. a) Der Vergleich mit der Unternehmensfortführung durch den Erben aa) Das Problem: Der insolvenzrechtliche Nachrang der Nachlaßaltgläubiger Gegen eine Testamentsvollstreckung über ein Unternehmen wäre zumindest dann nichts aus Sicht der Nachlaßgläubiger einzuwenden, wenn sich bei ihr nur genau dasjenige Risiko verwirklichen würde, welches sie auch bei der Unternehmensfortführung durch den Erben tragen würden. Mit diesem Verweis auf die Unternehmensfortführung durch den Erben wird freilich ein äußerst komplexes und undurchsichtiges Terrain betreten, welches sich zudem durch überaus umstrittene Wertentscheidungen auszeichnet und welches jüngst von Dauner-Lieb107 einer eingehenden Analyse unterzogen worden ist. Die h. M.108 behandelt das vom Erben forgeführte ererbte Unternehmen wie einen normalen Nachlaßgegenstand. Die Geschäftsfortführung durch den Erben wird als „Verwaltung des Nachlasses“ i. S. § 1978 BGB angesehen. Da eine dingliche Surrogation des rechtsgeschäftlichen Neuerwerbs in den Nachlaß abgelehnt wird109, wächst das Betriebsvermögen des Erben also nach und nach aus dem Nachlaß in sein Eigenvermögen über. Im Falle der Nachlaßinsolvenz muß der Erbe nur den Altbe105

Dauner-Lieb, Unternehmen, 74, Hervorhebung getilgt. Siehe nur grundlegend Boehmer, Erbfolge, 152 ff., 159 ff.; ansonsten siehe nur Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 46 I 3. 107 Dauner-Lieb, Unternehmen, 152 ff. 108 Dazu und zum folgenden siehe Jaeger-Weber, § 214 KO Rn. 29; MünchKomm-Siegmann, § 1985 Rn. 5. 109 Dazu oben § 40 III 1 c bb. 106

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stand des gegenständlich noch vorhandenen Geschäftsvermögens herausgeben und für die nicht mehr vorhandenen Aktiva Wertersatz nach den § 1978 I BGB leisten110. Geht der Erbe anläßlich des Geschäftsbetriebs Verbindlichkeiten ein, begründet er herrschender Meinung nach und der ihr inhärenten Lehre von der Nachlaßeigenschuld sowohl eine eigene Schuld als auch eine Verpflichtung für den Nachlaß111. Die Nachlaßaltgläubiger konkurrieren damit mit den neu hinzutretenden Neu-Gläubigern, ohne daß sie auf die mit der unternehmerischen Tätigkeit verbundenen Chancen zugreifen könnten, da die erwirtschafteten Gewinne ja nicht in den Nachlaß surrogieren. Die Konkurrenz zwischen beiden Gläubigergruppen findet dabei nicht auf der gleichen insolvenzrechtlichen Ebene statt. Vielmehr kann der Erbe gem. §§ 1978 III, 670, 257 BGB als Masseschuld gegen den Nachlaß (§ 324 I Nr. 1 InsO) Befreiung von denjenigen Verbindlichkeiten verlangen, die er im Zuge der Unternehmensführung mit der Folge persönlicher Haftung eingegangen ist. Der insolvenzrechtliche Vorrang der geschäftlichen Neugläubiger liegt nicht auf der Hand. Denn falls man in Anlehnung an den normalen Aufwendungsbegriff, nach dem unter dem Begriff der Aufwendung nur die Hingabe von Vermögenswerten im Interesse eines anderen, nicht aber im eigenen Interesse fällt112, den Begriff der „Aufwendung“ in § 324 I Nr. 1 InsO versteht, scheint es schwer einzusehen, daß das mit eigener Gewinnerzielungsabsicht getätigte Eingehen geschäftlicher Verbindlichkeiten insolvenzrechtlich unter § 324 I Nr. 1 InsO fallen soll. In der Tat wird dies im unternehmensrechtlichen Schrifttum mit genau der Begründung bestritten, es lägen keine Aufwendungen vor113; die Neuschulden wären damit auf den 110

Dazu oben § 40 III 1 c bb. Seit der Grundsatzentscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahre 1917 (RGZ 90, 91) ist kaum noch bestritten, daß Verbindlichkeiten, die der Erbe vom Standpunkt eines ordentlichen Verwalters aus in ordnungsgemäßer Verwaltung des Nachlasses eingeht, einen Doppelcharakter als Eigenschuld und als Nachlaßverbindlichkeit besitzen, dazu nur MünchKomm-Siegmann, § 1967 Rn. 26 f., 58, 63; SoergelStein, vor 1967 Rn. 20, § 1967 Rn. 13; Staud-Marotzke, § 1967 Rn. 5 ff., 39 ff.; MünchKomm-HGB-Lieb, § 27 Rn. 40; Canaris, Handelsrecht, § 7 Rn. 100; Ernst, Haftung, 22 ff.; Friedrich, Haftung, 112 ff.; Lorz, Testamentsvollstreckung, 22 ff. Seit den grundlegenden Arbeiten Boehmers (etwa Erfolge, 117 ff.) hat sich für derartige Schulden die Begrifflichkeit „Nachlaßerbenschulden“ oder „Nachlaßeigenschulden“ eingeprägt. Ansonsten siehe auch den Überblick bei Ernst, Haftung, 9 ff., 13 ff.; Dauner-Lieb, Unternehmen, 120 ff., die selbst der Lehre von der Nachlaßeigenschuld aber sehr kritisch gegenüber steht, siehe dies., ebda., 142 ff. Zur historischen Entwicklung der seit Jahrzehnten diskutierten Frage siehe Ernst, Haftung, 13 ff.; Friedrich, Haftung, 112 ff. 112 Dazu nur MünchKomm-Keller, § 256 Rn. 2; Soergel-Manfred Wolf, § 256 Rn. 3. 113 So Manfred Wolf, AcP 181 (1981), 480 (504, 507); zustimmend Strothmann, ZIP 1985, 969 (974); Hahn, Mehrere Erben, 108 ff.; i. E. ebenso Häsemeyer, Insol111

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gleichen Rang zurückgestuft wie die Altschulden114. Gleichwohl hat der Vorrang der Neugläubiger für die herrschende erbrechtliche Meinung gute Gründe. Denn käme es bei dem Aufwendungsersatzanspruch nach § 1978 III BGB auf einen Fremdgeschäftsführungswillen des Erben an, könnte dieser sein Eigenvermögen regelmäßig auch dann nicht entlasten, wenn die von ihm getätigte Investition sinnvoll war und daher auch den Nachlaßgläubigern zugute gekommen ist115. Erbrechtlich wird daher überwiegend zum Schutz der Erbeninteressen nur verlangt, daß der Erbe aus Sicht eines sorgfältigen Fremdverwalters objektiv ordnungsgemäß gehandelt hat116, mag er auch subjektiv im Eigeninteresse tätig geworden sein117. Wie kann in dieser Situation den Nachlaßaltgläubigern geholfen werden? bb) Lösungsvorschläge zum Schutz der Nachlaßaltgläubiger (1) Die h. M.118 will die Nachlaßaltgläubiger durch eine Ausgliederung des Unternehmens aus dem Nachlaß schützen119. Das Unternehmen soll in das nachlaßfreie Eigenvermögen des Erben übergehen, wenn ab dem Erbfall ein derartig langer Zeitraum verstrichen ist, daß das Unternehmen maßgeblich durch die Leistung und durch die Persönlichkeit des Erben geprägt ist, so daß es nicht mehr das ist, was es zum Zeitpunkt des Erbfalls einmal war. Ab dieser Ausgliederung wird eine Befugnis des Erben nicht mehr anerkannt, durch die Begründung neuer Geschäftsverbindlichkeiten entsprechend der Lehre von der Nachlaßeigenschuld auch den Nachlaß zu belasten und damit die Befriedigungschancen der Nachlaßaltgläubiger entsprechend zu vermindern. Da der Nachlaß durch diesen Übergang in das Eigenvermögen gemindert wird, wird eine Wertersatzpflicht gem. § 1978 I BGB angevenzrecht, Rn. 33.18, mit der Begründung, werbende Tätigkeiten seien nicht der Nachlaßverwaltung zuzurechnen. 114 Manfred Wolf, AcP 181 (1981), 480 (507 f.). 115 So das klassische Argument des Reichsgerichts, siehe RGZ 90, 91 (94). 116 Es ist freilich strittig, ob zum Schutz der Nachlaßaltgläubiger tatsächlich das Merkmal einer „ordnungsgemäßen Verwaltung“ erforderlich ist, um Nachlaßeigenschulden bejahen zu können oder ob neu begründete Geschäftsverbindlichkeiten nicht generell den privilegierten Status einer Nachlaßverbindlichkeit zuzubilligen ist, zum Problem siehe nur Friedrich, Haftung, 139 ff.; Ernst, Haftung, 70 ff.; Dauner-Lieb, Unternehmen, 164 ff. 117 Siehe nur Erman-Schlüter, § 1967 Rn. 6; Soergel-Stein, § 1978 Rn. 9; StaudMarotzke, § 1978 Rn. 26; Dauner-Lieb, Unternehmen, 189 (in ihrer Kritik zum Ansatz von Manfred Wolf). 118 Siehe nur Ernst, Haftung, 78 ff.; Friedrich, Haftung, 144 ff. 119 Siehe zur Analyse der Beweggründe der h. M., der es ursprünglich darum ging, die Interessen des Erben zu schützen, der seine Persönlichkeit in die unternehmerische Tätigkeit einbringe, während nunmehr mehr die Interessen der Nachlaßgläubiger im Vordergrund stehen, Dauner-Lieb, Unternehmen, 177 ff.

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nommen, die auch den good will umfassen soll120. Das Unternehmen wird also als ein „Nachlaßgegenstand auf Zeit“121 behandelt, der über kurz oder lang in das Erbeneigenvermögen übergeht. Die gegenständlich noch vorhandenen und vom Erblasser stammenden Gegenstände des Betriebsvermögens bleiben dabei nach überwiegender Ansicht122 Nachlaßbestandteil123. Wann es genau zum Übergang in das Erbeneigenvermögen kommt, soll herrschender Meinung nach vom Einzelfall abhängen124. Es wird auf Anzeichen der Art zurückgegriffen125, ob die Unternehmensaktiva, die Kundenbeziehungen oder die Kenntnisse hinsichtlich der Bezugs- und Absatzquellen noch vom Erblasser stammen oder ob sich der Erbe selbst neue Quellen erschlossen hat. Andere stellen nicht auf den Einzelfall ab, sondern nehmen – wie Friedrich126 – präziser eine persönliche Prägung erst an, wenn die zum Eigenvermögen zählenden Geschäftsgegenstände die nachlaßzugehörigen erstmals überwiegen, oder – wie Reuter127 – schon an, wenn der Erbe eine neue Firma wählt, sich – wie nach dem Vorschlag Mückenbergers128 – nach Ablauf der Einstellungsfrist des § 27 II HGB als neuer Inhaber in das Handelsregister eintragen läßt oder – als weitestgehender, von Ernst entwickelter und von Dauner-Lieb weitgehend übernommener Ansatz – das Unternehmen im eigenen Interesse, also nicht nur zur Abwicklung des Nachlasses fortführt129. In diesem Konzept des Unternehmens als „Nachlaßgegenstand auf Zeit“ wird zumeist eine dogmatische Figur gesehen, die den Konflikt zwischen den Nachlaßaltgläubigern, den Nachlaßneugläubigern und dem Erben sachgerecht entschärft130. Der Interessenausgleich wird gleichsam „verzeitlicht“: 120 MünchKomm-Siegmann, § 1985 Rn. 5; Jaeger-Weber, § 214 KO Rn. 29. Kritisch hierzu Dauner-Lieb, Unternehmen, 210 f. 121 Siehe dazu nur Ernst, Haftung, 77 ff.; Friedrich, Haftung, 144 ff. 122 OLG Braunschweig, OLGE 19, 231 (232); Jaeger-Weber, § 214 Rn. 29; MünchKomm-Siegmann, § 1985 Rn. 5; Friedrich, Haftung, 144 ff. 123 Anderer Ansicht Ernst, Haftung, 109 ff.; Reuter, ZHR 135 (1971), 511 (516 f.), die nicht zwischen „Unternehmenshülle“ und gegenständlichem Unternehmensvermögen trennen wollen und dementsprechend annehmen, das Unternehmen schiede als Ganzes aus dem Nachlaß aus; entsprechend erhöht sich der Wertersatzanspruch nach § 1978 I BGB. 124 Jaeger-Weber, § 214 KO Rn. 29; MünchKomm-Siegmann, § 1985 Rn. 5; Windel, Modi, 81. 125 Siehe Jaeger-Weber, § 214 KO Rn. 29. 126 So Friedrich, Haftung, 144 ff., 153: Ausgliederung aus dem Nachlaß mit Abschluß des Geschäftsjahres, in dem dies Überwiegen auftritt. 127 So Reuter, ZHR 135 (1971), 511 (516). 128 So Mückenberger, Konkurs- und Treuhandwesen 1936, 100 (101); der Tendenz nach ebenso Sobich, Erbengemeinschaft, 124 ff. 129 So Ernst, Haftung, 99 ff.; Dauner-Lieb, Unternehmen, 211 f., 214 ff., 219 f. 130 Deutlich so etwa bei Friedrich, Haftung, 144, 146.

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Kap. 18: Die Testamentsvollstreckung im Unternehmensrecht

Im Ablauf der Zeit können die Nachlaßaltgläubiger immer stärker auf das Sondervermögen „Nachlaß“ zugreifen, ohne den insolvenzrechtlichen Vorrang neu hinzutretender Geschäftsneugläubiger erdulden zu müssen. Es bleibt jedoch dabei, daß bis zum Ausscheiden des Nachlasses die Konkurrenz zwischen Alt- und Neugläubigern fortbestehen bleibt. Die Nachlaßaltgläubiger werden daher nur partiell geschützt. Gleichzeitig muß der Erbe immer stärker vergegenwärtigen, persönlich mit seinem Eigenvermögen zu haften, ohne auf den Nachlaß gem. § 1978 III HGB Rückgriff nehmen zu können. Dies ist für ihn besonders deshalb prekär, weil nach dem Konzept der h. M. für ihn nicht klar erkennbar ist, wann es zum Hinüberwachsen des Unternehmens in sein Eigenvermögen kommt. Diese Unklarheiten vermeiden zwar die anderen Vorschläge hinsichtlich des Zeitpunkts des Hinüberwachsens. So weiß bei dem Vorschlag von Friedrich der Erbe genau, wann er woran ist. Die anderen Vorschläge erkaufen die Klarheit über den Zeitpunkt des Unternehmensübergangs aber zumeist damit, daß dem Erben recht früh (ab Ablauf der Frist des § 27 II HGB oder ab Unternehmensfortführung im eigenen Interesse) sein Aufwendungsersatzanspruch gegen den Nachlaß gem. § 1978 III BGB zunichte gemacht wird. Gemildert wird dies nur dann, wenn – wie bei Ernst – nicht nur die „Unternehmenshülle“ aus dem Nachlaß in das Erbeneigenvermögen hinüber geht, sondern das gesamte Unternehmen als Einheit mit einer entsprechend erhöhten Wertersatzpflicht an den Nachlaß gem. § 1978 I BGB131. Der Erbe hat hier „die Position eines Unternehmenskäufers, allerdings mit dem Unterschied, daß er den Kaufpreis nicht sofort mit Übernahme des Unternehmens begleichen müßte, sondern erst im Fall der amtlichen Nachlaßliquidation“132. Damit entfernt man sich zugunsten der Geschäftsgläubiger stark von dem erbrechtlichen Petitum, den Erben durch die Möglichkeit seiner beschränkbaren Haftung zu schützen: Der Erbe würde für sämtliche Neuschulden persönlich unbeschränkbar haften, ohne daß ihm ein Inventarvergehen zur Last fiele133. Die nach dem Hinauswachsen des Unternehmens aus dem Nachlaß neu hinzugekommenen Geschäftsneugläubiger schließlich müssen damit leben, daß in der Insolvenz des Unternehmers der Wertersatzanspruch aus § 1978 I BGB, den der Nachlaß wegen des Entzugs des Unternehmens gegen den Erben besitzt, die Insolvenzquote mindert; auf die Unternehmensgegenstände, die noch aus dem Nachlaß stammen, können sie herrschender Ansicht nach sowieso nicht zugreifen. Diese insolvenzrechtliche Lage trifft spiegelbildlich auch die Nachlaßgläubiger, da der Wertersatzanspruch an 131 Deshalb dem Ansatz von Ernst zustimmend Dauner-Lieb, Unternehmen, 211 f., 214 ff., 219 f. 132 Dauner-Lieb, Unternehmen, 211. 133 Kritisch zum Vorschlag der sofortigen Ausgliederung des Unternehmens aus dem Nachlaß daher auch Friedrich, Haftung, 142.

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den Nachlaß aus § 1978 I BGB ihnen keine dinglich gesicherte Position verschafft134. Als Fazit gilt also: Nach dem Konzept der h. M. werden sämtliche Interessen mal mehr, mal weniger beeinträchtigt. Entscheidend ist dabei, daß kein tragender Grund angegeben werden kann, warum die Beeinträchtigung welchen Interesses mal so und mal anders ausfällt. (2) Andere Vorschläge, wie den Nachlaßaltgläubigern geholfen werden kann, setzen nicht an der allmählichen Ausgliederung des Unternehmens aus dem Nachlaß an, sondern auf der handelsrechtlichen Ebene des § 27 I HGB135. Sie bauen § 27 I HGB zu einer umfassenden Regelung aus, welche die durch die §§ 1978 ff. BGB hervorgerufenen haftungsrechtlichen Nachteile der Nachlaßaltgläubiger dadurch kompensiert, daß ihnen über § 27 I HGB der Zugriff auf das Eigenvermögen des Erben eröffnet wird. Flankiert wird dies dadurch, daß der Erbe seiner persönlichen Haftung nur nach Unternehmenseinstellung innerhalb der Frist des § 27 II HGB, nicht jedoch durch Firmenwechsel entgehen kann; § 27 HGB wird demnach als Rechtsfolgenverweisung verstanden136. Zudem wird die von der h. M.137 zugestandene Möglichkeit des Haftungsausschlusses gem. §§ 27 I, 25 II HGB abgelehnt138 und § 27 HGB analog auf Kleingewerbetreibende und freiberufliche Unternehmen erstreckt139. Im Ergebnis wird damit erreicht, daß es zumindest hinsichtlich der haftenden Vermögensmassen zu der Situation kommt, die auch bei der Unternehmensführung des Erblassers bestand: das gegenwärtige und künftige Vermögen des Unternehmens steht für die geschäftlichen Nachlaßaltgläubiger als Haftungsfond zur Verfügung. Damit liegt die Krux dieses Vorschlags auf der Hand: Für die privaten Nachlaßaltgläubigern bleibt es bei dem insolvenzrechtlichen Vorrang der Neugläubiger gem. § 1978 III BGB, § 324 I Nr. 1 InsO140. Und ein Einbezug der privaten Nachlaßaltgläubiger in den Anwendungsbereich des § 27 I HGB käme nicht ernstlich in Betracht141. Freilich wird darauf verwiesen, die Benachteiligung der privaten Nachlaßgläubiger sei Ausdruck der zu re134 Dies bemängelt Friedrich, Haftung, 142, an dem Vorschlag von Ernst. Zur Kritik an diesem Vorhalt siehe Ernst, Haftung, 113 ff.; Dauner-Lieb, Haftung, 214 ff. 135 Reuter, ZHR 135 (1971), 511 ff.; MünchKomm-HGB-Lieb, § 27 Rn. 1 ff. 136 So bei MünchKomm-HGB-Lieb, § 27 Rn. 32. Reuter muß diese Konsequenz nicht teilen, da er mit Firmenwechsel das Unternehmen aus dem Nachlaß ausgliedert, wovon kürzlich die Rede war. 137 Dazu oben § 33 II 1. 138 Reuter, ZHR 135 (1971), 511 (524 f.); MünchKomm-HGB-Lieb, § 27 Rn. 50. 139 MünchKomm-HGB-Lieb, § 27 Rn. 47. 140 Canaris, Handelsrecht, § 7 Rn. 103 f.; Dauner-Lieb, Unternehmen, 194 f., 206 f.; Friedrich, Haftung, 84 f. Windel, Modi, 79, sieht zu Recht in der Konkurrenz der privaten Nachlaßgläubiger mit den Geschäftsneugläubigern eines der Grundprobleme der Erbenhaftung.

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spektierenden Entscheidung des Gesetzgebers, diese für weniger schutzbedürftig zu halten als die Geschäftsaltgläubiger142 – ein Argument, welches nicht überzeugt, weil ein historischer Konsens über die ratio des § 27 HGB nicht ersichtlich ist143; zudem überzeugt ein Verweis auf eine gesetzgeberische Entscheidung sowieso nur dann, wenn man nicht geltungstheoretisch144 argumentieren will, was aber angesichts der republikanischen Gehalte des Rechtlichen nicht einsichtig wäre145. Zudem gewichtet der Vorschlag vor allem die Interessen der Nachlaßaltgläubiger stark und billigt dem Erben – entsprechend dem allgemeinen unternehmensrechtlichen Dogma, ein Unternehmen sei außerhalb der kapitalgesellschaftsrechtlichen Rechtsformen nun einmal mit unbeschränkter persönlicher Haftung zu führen – keinerlei schutzwürdiges Interesse zu, seine Haftung zu minimieren. Als Fazit gilt also: Lieb und Reuter setzen die Interessen der privaten Nachlaßaltgläubiger und die des Erben zurück, ohne einen Grund anzugeben, warum dies sein darf – abgesehen bei den Erbeninteressen entsprechend dem o. g. unternehmensrechtlichen Dogma. (3) Von dem Vorschlag, § 324 I Nr. 1 InsO insoweit zu verstehen, daß unter diesen insolvenzrechtlichen Vorrang nicht die im unternehmerischen Eigeninteresse eingegangenen Geschäftsneuverbindlichkeiten fallen, war schon die Rede146. Und gleichfalls wurde an gleicher Stelle schon angesprochen, welche Kosten damit für den Erben verbunden sind: Er kann für die bei der Unternehmensfortführung im eigenen Namen eingegangenen Verbindlichkeiten keinen Ersatz aus dem Nachlaß mehr erhalten, was sich nicht mit seiner beschränkbaren Erbenhaftung verträgt. Das insolvenzrechtliche Lösungsmodell stellt damit die Interessen des Erben sehr weitgehend zurück, der auf eigene Gefahr und zu Lasten seines Eigenvermögens wirtschaftlich tätig sein muß.

141 Siehe zu den Problemen, die mit einem derartigen Einbezug verbundenen wären, insbes. zu der erforderlichen Anpassung der Antragsfristen zur Nachlaßinsolvenz gem. §§ 1981 II 2 BGB, § 319 InsO, Dauner-Lieb, Unternehmen, 209 ff., 218 f. 142 So i. E. MünchKomm-HGB-Lieb, § 27 Rn. 45. 143 Dazu nur Dauner-Lieb, Unternehmen, 195 f. 144 Dazu oben § 1 II; sowie Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 1 III. 145 Dazu Goebel, ARSP 2003, 372 (381 ff.); ders., Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 1 II. 146 Oben am Ende von § 40 III 2 a aa.

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b) Die Todesvergessenheit bisheriger Dogmatik als Schlüssel zum Problem der Unternehmensvererbung aa) Der Verlust systematischer Kohärenz im bisherigen Erbrechtsdenken Als Fazit kann aus der Diskussion, wie die Interessengewichtung bei der Unternehmensfortführung durch den Erben erfolgt, die Einsicht gewonnen werden, daß bei jedem der soeben vorgetragenen Modelle für jedes der beteiligten Interessen eine jede Lösung aus dem ein oder anderen Grunde nachteilig ist. Dauner-Lieb weist etwa darauf hin, daß das von ihr unter Verwertung der Konzeption von Ernst vorgeschlagene Modell zwar nicht „dogmatisch ,unangreifbar‘ “, wohl aber „wertungsmäßig stimmig“ sei147. Übersehen wird dabei, daß mit ihrem Modell, das Unternehmen aus dem Nachlaß in das Erbeneigenvermögen einzugliedern, sobald das Unternehmen im eigenen Interesse und nicht nur zur Nachlaßabwicklung geführt wird, die Interessen des Erben arg zurückgestellt werden, der natürlich an einer weitreichenden Haftungsbeschränkung interessiert ist. Die Schutzwürdigkeit dieses Interesses wiederum ist für Dauner-Lieb kein Thema, da es ja gegen das unternehmensrechtliche Dogma einer unbeschränkten Haftung des Einzelhandelskaufmanns verstößt. Nur: Dieses Dogma kann aus guten Gründen bestritten werden148. Dauner-Lieb muß sich also dem Vorhalt stellen, warum die Erbeninteressen so harsch zurückgestellt werden. Dies geschieht jedoch nicht. Insgesamt gesehen wird also bei der dogmatischen Behandlung der Unternehmensfortführung durch den Erben nicht deutlich, aus welchen Gründen in dem Interessenparallelogramm zwischen den geschäftlichen und privaten Nachlaßaltgläubigern, den neuen Geschäftsgläubigern und dem Erben welches Interesse, warum wann zurückgesetzt wird. Anders gesagt: Es werden nicht die tragenden Gründe aufdeckt, warum welches Interesse so und so gewichtet worden ist. Dieser Befund kommt nicht von ungefähr. In ihm schimmert ein grundlegendes Problem durch, welches die vermögensrechtliche Durchdringung der Unternehmensvererbung zeitigt: das Problem der Todesvergessenheit bisheriger Erbrechtsdogmatik – ein Problem, dessen Existenz ein vermögensrechtlich ausgerichtetes Denken als absurd bestreiten und welches wohl weit überwiegend als wirklichkeitsvergessen und praxisuntauglich gebrandmarkt werden wird. Dies ändert aber nichts daran, daß in der Todesvergessenheit bisheriger Dogmatik der Schlüssel zum Problemkomplex der Unternehmensvererbung zu finden ist. Seltsamerweise wird im hergebrachten Erbrechtsdenken der genuine Vorgang, welcher mit dem Erbrecht verbunden ist und dessen Regelungsproblematik erst aufwirft, aus dem Rechtsdiskurs als ausgeschlossenes Drittes 147 148

Dauner-Lieb, Unternehmen, 216. Oben § 40 II.

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vollkommen ausgespart: der Tod und das Sterben als überaus wichtige anthropologische Ereignisse in der Genese des konkreten menschlichen Daseins. Was dem herrschenden Diskurs bleibt, sind Fragen der weitgehend als Vermögensfreiheit begriffenen Testierfreiheit, des Erben- und Gläubigerschutzes, der erbrechtlichen Umhegung des familiaren Gedankens und dem Sinn oder Unsinn einer Staatspartizipation am erbrechtlichen Erwerb. Der Tod wird in dem herkömmlichen dogmatischen Aussagengeflecht als ein rein technischer Einsatzpunkt im Rahmen des intergenerationalen Vermögenstransfers begriffen und damit seiner anthropologischen Bedeutung weitgehend entkleidet. Das hergebrachte Erbrechtsdenken interpretiert den Tod mithin als eine bloß technisch zu bewertende Zäsur innerhalb einer auf Dauer angelegten Eigentumsverfassung, die allein den Sterbenden betreffe und die für andere Personen gänzlich ohne jeden Belang sei149. Die h. M. kann dem Tod keinen rechten dogmatischen Eigenwert abgewinnen. Kurz gesagt: Was hat ein Gläubiger mit dem Tod seines Schuldners zu tun? Die gängige Antwort lautet: Nichts! Am prägnantesten kommt dies in dem Dogma zum Ausdruck, die Nachlaßgläubiger dürften nach dem Erbfall nicht schlechter gestellt werden, als sie vor dem Erbfall standen. Wäre dies anders, würde in dem hergebrachten Vokabular des Vermögensrechts sofort die Frage aufgeworfen, wieso die Nachlaßgläubiger das Risiko des Todes des Erblasser tragen müßten150. Innerhalb des vermögensrechtlichen Paradigmas und im Kontext einer interessenausgerichteten Wertungsjurisprudenz kann diese Frage nur und nur so aufgeworfen werden: Was kümmert der Tod des Schuldners dessen Gläubiger? Und sie kann nur und nur so beantwortet werden: Nichts! Entsprechend wird das besagte Dogma formuliert. Der Tod ist so das „ausgeblendete Dritte“ tradierter Dogmatik, welches dogmatikintern abgeschattet gehalten wird, um die Einheit des Erbrechts als genuines Vermögensrecht zu wahren. Die gesellschaftliche Verdrängung des Todes151 findet hier in nuce unmittelbar ihre dogmatische Entsprechung: 149

Dazu Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 8 II. Entsprechend werden die drei Haftungssysteme, die sich geschichtlich entwikkelt haben (dazu nur Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 46 I 3), – also die Haftung cum viribus, die Haftung pro viribus und die unbeschränkte Haftung – aus dem Blickwinkel der Verteilung vermögensmäßiger Risiken diskutiert. 151 In der intersubjektiven Sinnkonstruktion der Moderne fehlt eine plausible symbolische Sinngebung des Todes. Die Sicht zum Tod wird nicht mehr durch ein die ganze Fülle der Erlebnisverarbeitung umspannendes Wissen aufgefangen, welches den Tod intersubjektiv verstehbar und akzeptierbar machen könnte, wie dies ehedem durch das durch Religion bereitgestellte Wissen der Fall war. Der Grund hierfür liegt in der Entwicklung hin zu einer in Subsysteme ausdifferenzierten modernen Gesellschaft mit den dort aufscheinenden Kennzeichen der Standarisierung, der Bürokratisierung und der lebensweltlichen Pluralisierung. Eine gesellschaftsweite Thematisierung und Verarbeitung der so überaus problematischen Grundtatsache des Todes würde die ungestörte Reproduktion der Systemimperative empfind150

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Der Tod ist gänzlich privatisiert und braucht niemanden etwas anzugehen – am allerwenigsten die Nachlaßgläubiger. Der dogmatische Preis, mit dem diese Abdunkelung des Todes bezahlt werden muß, ist hoch: Es ist keinerlei rechtlicher Fluchtpunkt mehr ersichtlich, welcher der Aufgabe dogmatischer Interessengewichtung als Richtschnur dienen könnte – der Ansatz an den Interessen funktioniert ja augenscheinlich nicht, wenn keine der bisher vorgetragenen Lösungen allseits befriedigt. Für eine geltungstheoretisch ausgerichtete Dogmatik, die das Recht unter dem Aspekt analysiert, daß die Bürger sich als seine Autoren begreifen können152, ist dies doppelt prekär: Nicht nur der Halt in der Interessengewichtung geht verloren, sondern auch die interne Kohärenz der Dogmatik. Das hat durchschlagende Folgen: Zwar ließe sich ein konsistentes System rechtlicher Wertung entwickeln, wenn der Tod abgeschattet und das Erbrecht rein als funktionales Vermögensrecht interpretiert wird; hierauf weist ja auch Dauner-Lieb etwa hin153. Es könnte sich aber kein System rechtlicher Wertung mehr entwickeln, welches der Kohärenz seiner Wertungen verpflichtet wäre. Damit wäre aber eine geltungstheoretisch ausgerichtete Dogmatik verabschiedet. Ein kohärentes System rechtlicher Wertung ist ein solches System, dem eine hinreichend komplexe symbolische Struktur in dem Sinne inhärent ist, daß sie über die Widerspruchsfreiheit des Normsystems hinaus (Konsistenz) das Recht einer rationalen Rechtfertigung im Sinne einer gegenseitigen Stützung und Ergänzung der Rechtsprinzipien überhaupt erst zugänglich macht154. Salopp gesagt: Recht kann geltungstheoretisch nur verstanden werden, wenn es zu einem widerspruchsfreien System (Aspekt der Konsistenz) im Hinblick auf ein „sinnvolles Ganzes“ (Aspekt der Kohärenz) entfaltet wird. Nunmehr wird deutlich, warum die tradierte Erbrechtsdogmatik nicht recht deutlich machen kann, warum mal dieses, mal jenes Interesse so oder so gewichtet wird: Sie unterlegt dem lich stören, da eine intersubjektive Sinngebung des Todes durch den Verlust der totalitär-sinngebenden Kraft der Religion ja weggebrochen ist. Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit der Moderne konstruiert deshalb quasi eine gesellschaftliche Unwirklichkeit des Todes und weist die Aufgabe der Todesverarbeitung den einzelnen Individuen zu, die sie als Moment je personaler Sinngebung erfahren. Die gesellschaftliche Verabseitigung des Todes in der Moderne gründet zudem auch auf den Prozeß der Modernisierung selbst. Durch eine zu starke affektive Auseinandersetzung mit dem Tod würden die gesellschaftlichen Verflechtungsbeziehungen gestört; der Tod wurde deshalb mit einem Zivilisationstabu belegt und seine Verarbeitung als Moment reiner Innerlichkeit ausgegeben. Dazu ausführlich Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 9 III. 152 Dazu oben § 1 II; Goebel, ARSP 2003, 372 (373 ff., 384 ff.); ders., Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 1 II. 153 Dauner-Lieb, Unternehmen, 216. 154 Siehe zum hiesigen normativen Begriff der Kohärenz kurz oben § 1 II; sowie Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 1 II 3 a.

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Erbrecht die symbolische Struktur, allein dem Ausgleich von Vermögensinteressen zu dienen bestimmt zu sein, und geht davon aus, innerhalb dieser Struktur die Interessenkonflikte darstellen zu können. Daß sie damit nicht weit kommt und zu Inkohärenzen neigt, wurde dargelegt155. Wenn aber das Recht tatsächlich das o. g. Dogma implementiert haben sollte, die Stellung der Nachlaßgläubiger müßte vor und nach dem Tode des Erblassers identisch sein, wäre zu erwarten, daß der erbrechtliche Normbestand vor dem Hintergrund dieses Dogmas einfach zu interpretieren wäre, weil er sich eben unproblematisch zu einem kohärenten und konsistenten System rechtlicher Wertung schließen lassen würde. Genau dies ist aber nicht der Fall. Warum wird dann nicht die Frage gestellt: Wie weit kommt man, wenn das Dogma zumindest teilweise verabschiedet wird? Wenn man das Dogma verabschiede und dann ein System rechtlicher Wertung erhielte, welches in sich kohärent und konsistent geschlossen wäre, wäre das Dogma de lege lata nicht mehr zu halten, da es eben ein System inkohärenten Rechts voraussetzen würde. bb) Der Rückgriff auf die symbolische Struktur des Erbrechts: die Todesbewältigung In dieser Situation sollte auf die symbolische Struktur zurückgegriffen werden, auf die das gewillkürte Erbrecht ausgerichtet ist: auf die Bewältigung des Todes. Der Tod ist das einzige Ereignis außer der Geburt, welches allen Menschen gemein ist. Zudem ist er für den einzelnen ein Ereignis, welches jederzeit eintreten kann. Dieser Befund klingt banal. Er ist es aber nicht. Ein Beispiel macht dies deutlich: Ein jeder unternehmerisch tätige Nachlaßgläubiger, der seinen insolvenzrechtlichen Nachrang vor den neu hinzutretenden Geschäftsgläubigern beklagt und nicht einsieht, warum der Erbe sich auf die Beschränkbarkeit seiner Haftung zurückziehen darf, muß damit rechnen, seinerseits in eben genau dem Zeitpunkt, in dem er dies beklagt, zu versterben. Für seine Erben wird er aber wünschen, sie mögen ihre Haftung beschränken können. Und selbst, wenn er sich die Haftungsbeschränkbarkeit für seine Erben nicht wünschen würde, sieht er sein Vermögen in genau der gleichen Lage, in der sich vor seinem Ableben dasjenige seines Geschäftsschuldners befindet. Aus diesem Gedanken wird eines deutlich: Die tradierte Erbrechtsdogmatik schneidet die Interessen der Nachlaßgläubiger so zu, als ob sie nie stürben. Denn sterben sie, ändert sich wohl ihre Interessenlage. Das Beispiel kann verallgemeinert werden: Der Tod seines Schuldners ist das einzige Phänomen, mit dem ein jeder Gläubiger jederzeit rechnen muß. Selbst der Insolvenzeintritt eines Unternehmens ist ja immer nur wahrscheinlich, nie aber gewiß. 155

Oben § 40 III 2 a bb.

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Ist dem so, kann ein jeder Gläubiger nicht mehr so unbefangen davon ausgehen, nach dem Tode seines Schuldners würde sich sein Risiko nicht verändern, wie er es könnte, wenn der Tod aus dem relevanten Spektrum rechtlicher Wertung ausgeblendet würde. Freilich ist dann immer noch nicht klar, warum er seine Interessen auf einen insolvenzrechtlichen Nachrang im Gefolge der §§ 1978 III BGB, 324 I Nr. 1 InsO zurückstellen müßte. Warum dies geradezu sinnfällig ist, zeigt erst ein Blick auf die rechtliche Funktion der Testierfreiheit, ihrerseits das rechtsgeschäftliche Medium zu sein, welches das Recht aus guten Gründen156 bereitstellt, um dem einzelnen mit den Mitteln seines Vermögens157 die Verarbeitung seines Todes zu erleichtern. Damit soll u. a. die gesellschaftliche Verdrängung aufgebrochen werden, in die sich der Tod gestellt sieht und die die Überwältigung des einzelnen durch systemische Imperative der gesellschaftlichen Subsysteme so treffsicher unterstützt158. Damit ist klar, warum die Frage, wieso die Nachlaßaltgläubiger das Risiko des Todes aufgrund des insolvenzrechtlichen Vorrangs der Neugläubiger nach § 1978 III BGB i.V. m. § 324 I Nr. 1 InsO tragen sollen, so erbrechtlich zuerst einmal falsch gestellt ist: Es ist eine Frage, die ganz und gar in der Rhetorik insbesondere wirtschaftlicher Denkweisen formuliert ist und daher in einem personfunktional aufgebauten Erbrecht notwendigerweise aneckt. Aus Sicht eines gewillkürten Erbrechts159, welches sich ja nur als funktionales Persönlichkeitsrecht kohärent und konsistent darstellen läßt160, stellt sich das Problem der Risikotragung hinsichtlich des Todes des Schuldners anders. Hier gilt: Die geschäftlichen Neugläubiger haben mit dem Tod des Erblassers nichts zu schaffen, da sie sich den Erben als Geschäftspartner ausgesucht haben. Sie können freilich jederzeit Nachlaßgläubiger werden, sobald der Erbe seinerseits verstirbt. Die Nachlaßneugläubiger sind daher schützenswert, soweit der Tod des Erblassers in Rede steht. Das Risiko seines Todes tragen sie daher nicht. Es bleiben die Interessen des Erben und der Nachlaßaltgläubiger. Würde § 324 I Nr. 1 InsO so verstanden, daß die geschäftlichen Neuverbindlichkeiten keine Aufwendungen im Sinne dieser Vorschrift darstellen161, würden die Interessen des Erben

156 Dazu oben § 2 I 2 und Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 9 II 3, III 1, 2. 157 Dazu oben § 2 I 2 und Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 9 IV. 158 Dazu oben § 2 I 2 und Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 9 II 2. 159 Die Nachfolge in ein Einzelhandelsunternehmen kraft gesetzlichen Erbrechts liegt außerhalb des Erkenntnisinteresses dieser Studie. 160 Dazu oben § 2 I und Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 11 VII et passim. 161 Dazu oben unter (3) § 40 III 2 a bb.

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gegenüber denen der Nachlaßaltgläubigern zurückgestellt, da er nunmehr für die Neuschulden gänzlich ohne Rückgriff auf den Nachlaß mit seinem Eigenvermögen haften würde. Der Grund hierfür könnte nur im vorrangigen Schutz der Nachlaßaltgläubiger gesehen werden. Doch warum sollen sie vor den Folgen eines Ereignisses im Leben eines Menschen geschützt werden (dem Tod ihres Schuldners), welches allgemein die Eigenschaft besitzt, als einziges immer und jederzeit eintreten zu können? Ihr Schutz und der Schutz des Erben ist eine Zurechnungsfrage, die man so oder anders regeln kann. Zwingende Gründe, sie in die eine (Schutz der Nachlaßaltgläubiger) oder in die andere (Schutz des Erben) Richtung zu regeln, sind nirgends ersichtlich. Vor allem kann nicht angeführt werden, der Erbe trete doch an die Stelle des Erblassers; folgerichtig dürften die Nachlaßaltgläubiger durch den Tod ihres Schuldners nicht negativ berührt werden. Mit einem derartigen Vorhalt würde man sich geradewegs in die Theorien einer Persönlichkeitsfortsetzung oder Persönlichkeitsersetzung einreihen162. Denn was soll es anderes bedeuten, wenn gesagt wird, der Erbe trete an die Stelle des Erblassers? Theorien der Persönlichkeitsfortsetzung oder der Persönlichkeitsersetzung sind aber mit dem Erbrecht nicht zu vereinbaren163. Damit kann der Satz, der Erbe trete an die Stelle des Erblassers, nur so verstanden werden, daß der Erbe als Zurechnungsendpunkt von Rechten und Pflichten fungiert, um die Einheit des Vermögensrechts zu wahren. Weitere Wertungen, insbesondere hinsichtlich der Stellung der Nachlaßgläubiger, kann dem Satz mithin nicht entnommen werden. Darüber hinaus ist auch das Dogma, die Stellung der Nachlaßgläubiger dürfe durch den Tod des Erblassers nicht negativ beeinträchtigt werden, in sich nicht schlüssig. Denn gemeinhin gewährt ein Gläubiger seinem Schuldner Kredit, wenn er entweder seiner Person oder seinen Vermögensverhältnissen ein besonderes Vertrauen entgegenbringt. Wechselt die gesamte Vermögenszuständigkeit bei einem Erbfall auf die Person des Erben, ist notwendigerweise dasjenige Kreditvertrauen zerstört, welches auf der Person des Schuldners gründete; insofern werden die Nachlaßaltgläubiger auch zwingend durch den Tod des Erblassers benachteiligt oder – wenn die Person des Erben ihnen eher zusagt – bevorzugt. Allenfalls hinsichtlich des auf die Vermögensverhältnisse bezogenen Vertrauens könnte die Rede davon sein, hier gelte es, dieses Vertrauen zu schützen. Dies setzt jedoch voraus, daß das Vertrauen hinsichtlich ihrer Stellung post mortem mit dem schutzwürdigen Vertrauen zu Lebzeiten des Erblassers korreliert wird. Dies geschieht aber nicht. Denn hätte dieser sein Vermögen lebzeitig unentgeltlich fortgegeben, träte keine Haftung des Vermögensübernehmers nach § 419 162 Zu ihnen siehe schon oben § 4 II 3 c bb und Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 4 I, II. 163 Dazu Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 4 III 2, 3.

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BGB mehr ein, da diese Regelung durch Art. 33 Nr. 16 EGInSO aufgehoben worden ist, weil die insolvenzrechtliche Diskussion gezeigt hat, daß das insolvenzrechtliche Anfechtungsrecht die angemessenere Regelungsmaterie bereitstellt164. Nach § 134 I InsO wäre die Vermögensübernahme nicht mehr anfechtbar, wenn vier Jahre zwischen Übernahme und Insolvenzantrag verstrichen sind. Der mögliche Vorhalt, derjenige, der weitgehend sein Vermögen unentgeltlich fortgebe, hafte weiterhin seinen Gläubigern unbeschränkbar, geht faktisch ins Leere, da diese Haftung wirtschaftlich nicht mehr realisiert werden kann. Parallel zu diesen Überlegungen müßte bei einer Unternehmensfortführung durch den Testamentsvollstrecker so gewertet werden, daß die Interessen der Nachlaßaltgläubiger zumindest dann nicht mehr schutzwürdig sind, wenn vier Jahre seit dem Erbfall vergehen. Denn ansonsten wären sie ja nach dem Tode des Erblassers stärker geschützt als zu dessen Lebzeiten. An diesen Überlegungen wird eines ersichtlich: Das besagte Dogma, die Nachlaßgläubiger dürften durch den Tod des Erblassers nicht in ihren Interessen negativ tangiert werden, ist viel zu abstrakt, als daß es eine genuine Richtschnur rechtlicher Wertung sein könnte. Schließlich greift ein weiterer Einwand gegen das Dogma: Der Gesetzgeber der InsO kannte das Problem des insolvenzrechtlichen Nachrangs der Nachlaßaltgläubiger gegenüber den Geschäftsneugläubigern. Er lehnte gleichwohl eine Differenzierung zwischen Nachlässen, denen ein Unternehmen angehört, und solchen, bei denen dies nicht der Fall ist, ab165. Hieraus kann nur der Schluß gezogen werden, daß eine Gleichrangigkeit beider Gläubigergruppen im Haftungsstatut nicht gewollt war. Zudem distanzierte er sich von der tradierten Betonung des Liquidationszwecks im Erbrecht und dem damit verbundenen Gedanken des Schutzes der Nachlaßaltgläubiger, indem erstmals dezidiert betont wird, daß der Nachlaß nicht nur als eine statische, in sich abgeschlossene Vermögensmasse verstanden werden dürfe. Es seien auch wesentliche Veränderungen des wirtschaftlichen Nachlasses möglich, wenn zu diesem ein Unternehmen gehöre, welches nach dem Erbfall fortgeführt werde166. Ob hieraus stellenweise zu Recht die Konsequenz gezogen wird, eine werbende Fortführung des Nachlasses solle in einem weiteren Umfang ermöglicht werden als bisher167, kann dabei dahingestellt bleiben168. Denn es kommt nur darauf an, daß der Fortführungszweck des Nachlasses durch den Gesetzgeber erstmals hervorgehoben wor164

Dazu siehe nur Karsten Schmidt, ZIP 1989, 1025 ff. Die Materialien zur InsO sind zu dieser Frage unergiebig, vgl. Kraemer (Bearb.), Das neue Insolvenzrecht 1995, 522 f.; siehe deshalb nur die entsprechenden Vorschläge der Kommission für Insolvenzrecht, Zweiter Bericht, LS 6.4.1, 164 f.; Karsten Schmidt, ZIP 1985, 713 (716 ff.). 166 Siehe die Begründung zu § 320 InsO bei Kraemer (Bearb.), Das neue Insolvenzrecht 1995, 520. 167 Häsemeyer, Insolvenzrecht, 1. Aufl., 804 Fn. 12. 165

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den ist. Es ist also nicht mehr so eindeutig, daß die Interessen der Nachlaßaltgläubiger gegenüber denen des Erben immer stärker geschützt sind. In dieser Situation hilft ein Rückgriff auf den erbrechtlichen Normbestand weiter. Hier ist der Befund einigermaßen klar: Der Erbe soll nur beschränkbar haften, §§ 1975 ff. BGB. Die gesetzliche Regelung der §§ 1975 ff. BGB ist zusammen mit dem Insolvenzrecht (§ 324 I InsO) darauf zugeschnitten, die Haftungsbeschränkung auf den Nachlaß im Interesse des Erben zu bewirken169. Wird hieraus die Folgerung gezogen, die Interessen der Nachlaßaltgläubiger sind gegenüber dem Interesse des Erben an der Haftungsbeschränkbarkeit nachrangig, ist die Kohärenz erbrechtlicher Wertung hergestellt und das System konsistent geschlossen: Der fehlende Schutz der Interessen aller (außer der dinglich gesicherten) Nachlaßaltgläubiger – der im übrigen von der herrschenden Erbrechtsdogmatik bisher auch noch nie sonderlich moniert worden ist – erscheint dann als Ausdruck der Wertung, daß das Gesetz den Tod nicht mehr gesellschaftlich verdrängt sehen möchte, sondern als eine Angelegenheit ansieht, die alle tragen, die mit dem anderen rechtlich – sei es vertraglich, sei es deliktisch, sei es in anderer Weise – verbunden sind. Anders gesagt: Nur wenn der Tod des einzelnen jedem etwas angeht, ist das Ziel des gewillkürten Erbrechts erreicht170, ihn aus seiner bisherigen Privatisierung zu entreißen. Die Zurücksetzung der Nachlaßaltgläubiger ist damit unmittelbar einsichtig, sobald das Erbrecht auf die Bewältigung des Todes bezogen wird. Da zudem der Tod das einzige Ereignis ist, welches jeden zu jeder Zeit treffen kann, steht ein jeder Gläubiger zu jeder Zeit vor dem Problem, daß sein Schuldner versterben kann. Ein jeder risikobewußter Geschäftsherrr kann mithin den Aspekt des Todes zum Anlaß nehmen, den Tod im Preis einzukalkulieren. Da ein jeder den Tod einkalkulieren kann, wird im Endergebnis niemand benachteiligt, wenn sich im Einzelfall das Todesrisiko realisiert. Freilich wird mit diesen Überlegungen der Boden eines personfunktionalen Erbrechts eher verlassen. Es steht bislang ja nicht der Aspekt der Ausbildung des personalen Selbst im Angesicht des Todes anhand des Testierens zur Debatte, sondern – in vermögensrechtlicher Diktion – eine Frage der Risikotragung in der universalsukzessiven Vermögensnachfolge. Aber auch dies hat seinen Grund. Denn indem das Erbrecht den Nachlaßaltgläubigern über den insolvenzrechtlichen Nachrang das Risiko des Todes des je anderen zuweist, leistet es mit einen Beitrag dazu, dem allgemeinen Zug zur Todesverdrängung etwas entgegenzusetzen. Damit wird eine für die Kohärenz des Rechts wichtige symbolische Struktur in das Recht eingezogen, 168 Ablehnend zur Annahme, der Liquidationszweck solle gegenüber dem Fortführungszweck gezweckt werden, Windel, Modi, 72. 169 Häsemeyer, Insolvenzrecht, 2. Aufl., Rn. 33.06. 170 Dazu Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 9 II 3, § 9 III 4.

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nämlich das Symbol, daß der Tod alle rechtlich mit dem Erblasser verbundene Personen etwas angeht. Damit wird zumindest mittelbar die Todesverarbeitung des einzelnen erleichtert, der sich gewissermaßen in seinem Tod nicht allein weiß. Damit schließt sich der Kreis: Im insolvenzrechtlichen Nachrang der Nachlaßaltgläubiger wird wieder ein Mosaikstein bereitgestellt, mit dem das Recht die Freiheit der Rechtsperson zu wahren gedenkt. Man kann daher durchaus sagen , daß die Altgläubiger das Risiko des Todes ihres Schuldners tragen171. Hinzukommt folgende Überlegung: Das Institut der Testamentsvollstreckung besitzt erbrechtlich einen hohen Stellenwert. Es gibt dem Erblasser ein besonders probates Instrument in die Hand, mit dem er seinen letzten Willen post mortem durchsetzen und damit die Relevanz seiner Todesverarbeitung bekräftigen kann172. Die auf den Nachlaß gem. § 2206 BGB beschränkte Verpflichtungsbefugnis ist genuiner Ausdruck dieser ratio der Testamentsvollstreckung und zugleich Kennzeichen des Erbenschutzes. Dem Erben kann es nicht zugemutet werden, daß ein von ihm nicht ernannter Dritter sein Privatvermögen verpflichtet kann, ohne einer Weisungsbefugnis zu unterliegen. Diesem Eigenwert der Testamentsvollstreckung kann die h. M. nichts abgewinnen. Sie läßt deshalb handelsrechtliche Wertungen tief in das Erbrecht einbrechen. Für ein personfunktional ausgerichtetes Erbrechtsdenken ist dies nicht einsichtig. Denn auch ansonsten wird nicht behauptet, wirtschaftliche Interessen hätten einen quasi immerwährenden prima-facie-Vorrang vor einer Entfaltung personaler Rechte. Für ein vermögensrechtlich ausgerichtetes Erbrechtsdenken ist dies alles freilich nicht nur ganz und gar abwegig und völlig unhaltbar, sondern geradezu abstrus, grotesk und aberwitzig173. Der hiesige Vorschlag wird auf mehr als nur ein Stirnrunzeln stoßen. Man wird darauf insistieren, daß die Nachlaßaltgläubiger mit dem Tod ihres Schudners nichts zu schaffen haben und damit auch nicht dessen Todesrisiko tragen müßten. Nur würde mit einem derartigen Hinweis übersehen, daß mit dem hergebrachten Erbrechtsverständnis der gesetzliche Normbestand eben nicht kohärent und konsistent begriffen werden kann. Man kann dieses Manko natürlich als irrelevant ausgeben. Nur sind die damit verbundenen Kosten sehr hoch: Das Erbrecht könnte nur noch als Gesetz – als Ausdruck einer überlegenen Macht und als Hobbessche Frucht reiner auctoritas –, nicht mehr aber als Recht begriffen werden, als dessen Autoren die Bürger sich berufen fühlen dür171

So auch Bartholomeyczik, DGWR 1938, 321 (323). Siehe Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 11 IV 3. 173 Siehe aber die Kritik von Canaris in Handelsrecht, § 9 Rn. 39 an dem Ansinnen Dauner-Liebs, allein aufgrund der Haftungssituation der Nachlaßaltgläubiger auf der Unzulässigkeit der echten Testamentsvollstreckung über ein einzelkaufmännisches Unternehmen zu insistieren. 172

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fen. Daß die Unternehmensvererbung kohärent und konsistent nur begriffen werden kann, wenn das Erbrecht den Tod explizit in seine Wertungen einbezieht und nicht nur technisch verabseitigt, ist mithin ein weiterer Hinweis, daß ein personfunktionales Erbrechtsverständnis sachgerecht ist. Das weitere ist dann relativ problemlos: Ein Unternehmen kann nicht auf unabsehbare Zeit als Nachlaßbestandteil weitergeführt werden. Dies wäre mit dem Persönlichkeitsschutz des Erben unvereinbar, der seine Kreativität und unternehmerische Phantasie in das Unternehmen eingebracht hat und in einem Prozeß der „schöpferischen Zerstörung“ seine persönliche Arbeitskraft in den unternehmerischen Ertrag einbringt174. Das Vorhaben der herrschenden Meinung, das Unternehmen als einen „Nachlaßgegenstand auf Zeit“ zu betrachten, ist daher im Grundsatz beizustimmen. Aus Gründen der Rechtssicherheit sollte dem Vorschlag Friedrichs175 gefolgt werden. Danach kann ein Abwandern des ererbten Unternehmens aus dem Nachlaß in das Erbeneigenvermögen mit Abschluß des Geschäftsjahres angenommen werden, in dem die zum Eigenvermögen zählenden Geschäftsgegenstände die nachlaßzugehörigen wertmäßig erstmalig überwiegen. Die Einzelheiten brauchen hier nicht weiter zu interessieren, da die Überlegungen zur Unternehmensfortführung durch den Erben ja nur dem Zweck dienten, die Bewertung der Testamentsvollstreckung über ein einzelkaufmännisches Geschäft wertungsmäßig vorzubereiten. Dies kann nunmehr angegangen werden. c) Der Wertungsabgleich zwischen der Unternehmensfortführung durch den Erben und durch den Testamentsvollstrecker Der Ausgangspunkt der Überlegungen zur Unternehmensfortführung durch den Erben war, daß gegen eine Testamentsvollstreckung über ein Unternehmen aus Sicht der Nachlaßgläubiger nichts einzuwenden ist, wenn sich bei ihr nur genau dasjenige Risiko verwirklicht, welches sie auch bei der Unternehmensfortführung durch den Erben tragen. Für das tradierte Erbrechtsdenken ist dies zweifellos nicht der Fall, da die Ausgliederung des Unternehmens aus dem Nachlaß während der Vollstreckung nicht stattfin174 Damit nicht zu verwechseln ist die Frage, ob ihm die Gewinne als Frucht seiner Arbeit zustehen. Dies ist eine eigentumsrechtliche Frage, die schwierig zu beantworten ist, solange nicht auf die gängigen Legitimationserzählungen zurückgegriffen wird, daß es so sei; siehe allg. zum Verhältnis von Eigentum und Arbeit Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 6 I bis III. 175 Friedrich, Haftung, 148 ff., 153. Zwar trägt Friedrich sein Konzept zum Schutz der Nachlaßaltgläubiger und nicht aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes des Erben-Unternehmers vor. Dies schadet jedoch nicht, da der Grundgedanke der Überführung des Unternehmens von der einen in die andere Vermögensmasse auch durch den Gedanken des Persönlichkeitsschutzes hinreichend begründet werden kann.

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det. Erhält der Tod hingegen seinen genuinen Platz im Kranz erbrechtlicher Wertungen, sieht dies grundsätzlich anders aus: Die Ausgliederung des Unternehmens aus dem Nachlaß und dessen Eingliederung in das Erbeneigenvermögen findet bei der Erbenselbstverwaltung seinen rechtfertigenden Grund in den Persönlichkeitsrechten des Erben und nicht in den Interessen der Nachlaßaltgläubiger. Bei der Testamentsvollstreckung über das Unternehmen wird der Erbe aber nicht selbst unternehmerisch tätig. Mithin brauchen auch seine in der unternehmerischen Tätigkeit sich kristallierenden Persönlichkeitsrechte nicht geschützt zu werden. Folglich ist eine Überführung des Unternehmens in sein Eigenvermögen nicht erforderlich. Ist dem so, verwirklichen sich bei der Testamentsvollstreckung über ein Unternehmen genau die Risiken für die Nachlaßaltgläubiger, die diese auch bei der Unternehmensfortführung durch den Erben tragen. Letztere wird aber von niemanden für unzulässig gehalten. Einzig eine Einschränkung ist noch zu machen. Bei der Unternehmensfortführung durch den Erben war der insolvenzrechtliche Vorrang der Geschäftsneugläubiger vor den Nachlaßaltgläubigern gem. § 324 I Nr. 1 InsO dadurch teleologisch limitiert, daß ohne diesen Vorrang der Erbe seine beschränkbare Erbenhaftung nicht schlagkräftig geltend machen konnte. Bei der Testamentsvollstreckung ist ein derartiger Vorrang nicht erforderlich, da der Vollstrecker nach § 2206 BGB sowieso nur den Nachlaß verpflichten kann. Der insolvenzrechtliche Vorrang nach § 324 I Nr. 5 InsO kann bei der Testamentsvollstreckung einzig deshalb einsichtig sein, weil in der Nachlaßinsolvenz die Nachlaßaltgläubiger im Wege des Rückgriffs den dem Erben zustehenden Anspruch aus § 2219 I BGB gegen den Amtswalter geltend machen können; der Anspruch ist dabei gegeben, wenn der Testamentsvollstrecker schuldhaft den Nachlaß schlecht verwaltet. Bei der Testamentsvollstreckung über ein einzelkaufmännisches Unternehmen geht dieser insolvenzrechtliche Rückgriff gegen den Vollstrecker aus § 2219 BGB aber regelmäßig ins Leere176. Damit ist aber auch kein Grund mehr gegeben, die Nachlaßaltgläubiger insolvenzrechtlich im Rang zurückzusetzen. Recht verstanden, umfaßt der Begriff „Geschäftsführung“ i. S. § 324 I Nr. 5 InsO daher keine werbende Tätigkeit des Testamentsvollstreckers in einem einzelkaufmännischen Unternehmen177. Daß der Gesetzgeber der Insolvenzordnung nicht zwischen Nachlässen mit und ohne Unternehmen trennen wollte178, spricht nicht gegen ein derartiges Verständnis des § 324 InsO. Denn erweist sich die unter konstitutionstheoretischen Gesichtspunkten179 wichtige Ansicht des historischen Gesetzgebers geltungstheoretisch 176

Dazu siehe oben § 40 III 1 a. Ebenso für die Geschäftsfortführung durch den Erben Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 33.18; (de lege ferenda) Holzhauer, Erbrechtliche Untersuchungen, 38. 178 Dazu oben § 40 III 2 b bb. 177

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als unhaltbar, kann aus ihr kein Argument für ein Verständnis des Gesetzes gezogen werden, welches dieses als ein in sich kohärentes und konsistentes System rechtlicher Wertung entfaltet180. Dem Einwand von Dauner-Lieb181, die Testamentsvollstreckung über ein Unternehmen sei erbrechtlich unzulässig, kann nach all dem daher nicht gefolgt werden, da ansonsten ein Wertungswiderspruch zur Zulässigkeit der Unternehmensfortführung durch den Erben zu vergegenwärtigen wäre. Die Aufgabe, der Dauertestamentsvollstreckung an einem Unternehmen ein solides Fundament zu geben, ist damit keineswegs „letztlich unlösbar“, wie Dauner-Lieb182 dies annimmt – sie könnte dies allenfalls sein, wenn dem Aspekt des Todes nicht der genuine Ort verschafft wird, der ihm geltungstheoretisch und damit auch dogmatisch gebührt.

3. Nochmals: Gewinnsurrogation in den Nachlaß?

Die bisherigen Überlegungen haben gezeigt, daß für die Zulässigkeit einer Testamentsvollstreckung über ein Einzelhandelsgeschäft nur noch eines fehlt183: der Nachweis, daß die vom Vollstrecker erzielten Geschäftsgewinne in den Nachlaß surrogieren, da ansonsten die Geschäftsgläubiger mehr und mehr im Laufe der Unternehmensfortführung schutzlos gestellt wären184. Genau diese Surrogation wird etwa von Dauner-Lieb nicht nur mit Rechtsgründen bestritten185. Vielmehr führt sie auch praktische Erwägungen an. Denn surrogierten die Gewinne in den Nachlaß, müßte der Erbe im Falle der Nachlaßinsolvenz die an ihn ausgekehrten Gewinne herausgeben, womit ein etwaig hinter der Testamentsvollstreckung durchschimmernde Versorgungsgedanke des Erben hinfällig wäre. Nun spricht alles dafür, mit Muscheler186 von einer Gewinnsurrogation auszugehen. Nur so wäre die Testamentsvollstreckung über ein einzelkaufmännisches Geschäft 179

Zur Begrifflichkeit „konstitutionstheoretisch“ siehe oben § 1 II sowie Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 1 III. 180 Dazu siehe oben § 1 II sowie Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 1 II, III. Die Meinung des historischen Gesetzgebers spielt daher zu Recht bei der Auslegung des § 324 I Nr. 5 InsO keine Rolle. Anders war dies oben § 40 III 2 b bb. Die Wichtigkeit des historischen Arguments, der Gesetzgeber habe bei der neuen InsO nicht zwischen Nachlässen mit und ohne Unternehmen trennen wollen, liegt dort auf der Hand: Es unterstützt das geltungstheoretische Verständnis des Rechts. 181 Dazu oben § 40 III 1 a. 182 Dauner-Lieb, Unternehmen, 313. 183 Dazu siehe oben § 40 II 2 b. 184 Siehe oben § 40 II 2 b. 185 Siehe oben § 40 III 1 c cc. 186 Dazu oben § 40 III 1 c.

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zulässig187. Die Gewinnsurrogation entspricht daher der Funktion des Instituts der Testamentsvollstreckung, dem Interesse des Erben zu dienen188. Hieraus ergibt sich ja auch der rechtfertigende Grund, bei der Testamentsvollstreckung gerade anders als bei der Unternehmensfortführung durch den Erben189 auf die Gewinnsurrogation in den Nachlaß zu insistieren. Der Erbe hat demnach im Ausgangspunkt „auch mit jenen aus dem Nachlaß stammenden Gegenständen einzustehen, die von Anfang an vollstreckungsfrei waren oder später aus der Vollstreckung freigegeben oder ihm als Ertrag aus laufender Geschäftstätigkeit ausgekehrt wurden“190. Freilich ist dies nur der Ausgangspunkt der weiteren Überlegungen. Die Notwendigkeit der Gewinnsurrogation in den Nachlaß ist das Ergebnis einer praktischen Konkordanz zwischen der Personfunktionalität des gewillkürten Erbrechts und des darin eingeschlossenen Interesses des Erblassers an der Zulässigkeit der echten Testamentsvollstreckung auf der einen und den berechtigten Haftungserwartungen des Geschäftsverkehrs auf der anderen Seite. Eine sachgerechte praktische Konkordanz zwischen beiden topoi wird nicht hergestellt, wenn letztlich das Interesse des Erblassers mehr oder weniger auf der Strecke bleibt, welches er mit der Anordnung der Vollstreckung verfolgt. Und genau dies wäre der Fall, wenn der ganze Gewinn in den Nachlaß surrogieren würde, da dann der Erbe letztlich den Gewinn nie für eigene Zwecke ausgeben dürfte, will er nicht Gefahr laufen, der Herausgabepflicht nach § 1978 I BGB nicht nachkommen zu können. Zumindest die angemessene Versorgung des überlebenden Gatten samt gemeinsamer Abkömmlinge sollte dem Erblasser daher zugebilligt werden können. Diese sollten zumindest diejenigen an sie ausgekehrten Gewinne im Falle der Nachlaßinsolvenz behalten dürfen, die in der Höhe dem entsprechen, was sie an Unterhalt begehren könnten, wenn der Erblasser noch leben würde. In diesem Falle wäre sowohl das Erblasserinteresse gewahrt, die Testamentsvollstreckung über sein Unternehmen anordnen zu können, als auch die Gläubigerinteressen befriedigt, weiterhin auf die Gewinne des Unternehmens zumindest im Grundsatz zugreifen zu können. Damit die Nachlaßgläubiger nicht das Insolvenzrisiko des Erben tragen, an dem Gewinne über den jeweilig zu veranschlagenden Betrag des Unterhalts hinaus ausgekehrt sind – womit die Rückgewährpflicht aus § 1978 I BGB im Falle der Nachlaßinsolvenz eintreten würde –, darf der Testamentsvollstrecker nicht verpflichtet sein, auf Aufforderung des Erben Gewinne über den genannten Betrag hinaus an ihn auszukehren. Hier hilft § 2217 I BGB weiter. Danach besteht keine Freigabeverpflichtung des Testamentsvollstreckers 187 188 189 190

Siehe oben § 40 II 2 b. Siehe oben § 40 III 1 c cc. Siehe oben § 40 III 1 c bb, cc. Muscheler, Haftungsordnung, 395.

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hinsichtlich der erwirtschafteten Gewinne über den Unterhalt des Ehegatten und der Abkömmlinge hinaus. Insgesamt gesehen befriedigt der hiesige Vorschlag sämtliche beteiligten Interessen mithin auf einem je bestmöglichen Niveau. Es wird zumindest für den Zweck die Testamentsvollstrekkung über ein Einzelhandelsgeschäft zugelassen, für eine Übergangszeit nach dem frühzeitigen Vorversterben des Unternehmers das Unternehmen unter Versorgung der zurückbleibenden Familie solange weiterhin am Markt zu halten, bis ein fähiger Nachfolger gefunden ist. IV. Ergebnis zur Zulässigkeit der Verwaltungsvollstreckung über ein Einzelhandelsgeschäft 1. Zusammenfassung

Wenn die bisherigen Überlegungen kurz zusammengefaßt werden, hat sich gezeigt, daß handelsrechtliche Prinzipien und erbrechtliche Regelungen bei Lichte betrachten einer Verwaltungsvollstreckung über ein einzelkaufmännisches Unternehmen zumindest dann nicht entgegenstehen, wenn der Erblasser für die Anordnung der Vollstreckung einen einsichtigen Grund vorlegt191. Bei der Anordnung der Vollstreckung aus Gründen des vorzeitigen Ablebens des Unternehmers, der damit verbundenen Unterhaltssicherung des Überlebenden und der gemeinsamen Abkömmlinge und der damit zusammenhängenden Sicherung der sachgerechten Unternehmensnachfolge liegt ein einsichtiger Grund regelmäßig vor.192 Darüber hinaus sollte an den Ehegatten nur derjenige Teil des unternehmerischen Gewinns ausgekehrt werden, der in der Höhe dem entspricht, was der Überlebende und dessen gemeinsamen Abkömmlinge mit dem Erblassers an Unterhalt begehren könnten, wenn der Erblasser noch leben würde; der sonstige Gewinn surrogiert in den Nachlaß193. Schließlich ist § 324 I Nr. 5 InsO so zu verstehen, daß unter „Geschäftsführung“ nicht die unternehmerische Tätigkeit des Testamentsvollstreckers fällt194. Der insolvenzrechtliche Vorrang der Geschäftsneugläubiger gegenüber den Nachlaßaltgläubigern ist damit beseitigt. 2. Das Verbot der Testamentsvollstreckung über ein Unternehmen als Gewohnheitsrecht

Eigentlich dürfte der Testamentsvollstreckung über ein Unternehmen unter den genannten Voraussetzungen daher nichts mehr im Wege stehen. 191 192 193 194

Dazu oben § 40 II 2 b. Oben § 40 II 2 b. Oben § 40 III 3. Oben § 40 III 2 c.

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Gleichwohl geht die fast allgemeine Meinung seit der Leitentscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahre 1931 davon aus, daß es zumindest aus handelsrechtlicher Sicht anders sei. Erst Fritz Baur setzte 1963 in seinem Beitrag für die Festschrift Dölle der bis dahin allgemeinen Meinung ein entschiedenes Nein entgegen195, nachdem zuvor schon Buchwald sich für die echte Testamentsvollstreckung ausgesprochen hatte196. Mehr als drei Jahrzehnte wurde demnach die Rechtsansicht des Reichsgerichts als gültig und richtig von der versammelten opinio iuris akzeptiert. Zudem hat sich die von Baur und Buchwald, später von Muscheler, Schiemann, Winkler und Coing sowie von Canaris und Brandner vertretenen Rechtsansicht auch nach weiteren vier Jahrzehnten seit dem Baurschen Vorstoß nicht ansatzweise durchsetzen können; mittlerweile wird durchweg in Rechtsprechung und Lehre die Entscheidung des RG wie ein gültiger Rechtssatz behandelt und eine tiefere Auseinandersetzung mit ihrer Gründung vermieden. Damit liegen die Voraussetzungen vor, unter denen gemeinhin von Gewohnheitsrecht gesprochen wird197. Bei Lichte betrachtet ist heute der Vorrang der handelsrechtlichen Wertungen vor den erbrechtlichen Instrumentarien ein Ausfluß gewohnheitsrechtlicher Rechtsbildung. 3. Teleologische Reduktion des gewohnheitsrechtlichen Verbots

Damit liegt aber auf der Hand, daß sich der gewohnheitsrechtliche Rechtssatz, eine Verwaltungsvollstreckung über ein Handelsgeschäft sei handelsrechtlich unzulässig, die geltungstheoretisch orientierte Frage gefallen lassen muß, ob er sich denn kohärent und konsistent in das Gesamtgefüge des Systems rechtlicher Wertung einordnen läßt. Anders gesagt: Er darf sich nicht nur als Ausdruck der auctoritas einer eingefahrenen Rechtssicht, sondern muß sich als Recht erweisen. Wenn dies wiederum nur um 195

Baur, FS Dölle, Bd. I, 249 ff. Buchwald, AcP 154 (1955), 22 ff. 197 Zu den Voraussetzungen, unter denen Gewohnheitsrecht angenommen werden kann, siehe nur Larenz/Canaris, Methodenlehre, 176 f., 258 f. Es scheint, daß mit diesem Rekurs auf Gewohnheitsrecht auch der hiesige Ansatz, das gewillkürte Erbrecht personfunktional zu interpretieren, in sich zusammenbricht. Denn es könnte ja vorgetragen werden, auch die Konstruktion der Testierfreiheit als verlängerte Eigentümerfreiheit sei gewohnheitsrechtlich anerkannt. Ein derartiger Vorhalt würde jedoch einer schwerwiegenden Kategorienverwechselung unterliegen. Die Personfunktionalität des gewillkürten Erbrechts wurde in Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, passim, anhand anerkannter Wertentscheidungen der Rechtsordnung begründet. Die Norm (weitgehender Schutz der Testierfreiheit) selbst war mithin anerkannt. Nur die geltungstheoretische Einordnung dieser Norm wurde dann aus dem Bezug zum Eigentum gelöst und im Persönlichkeitsrecht verortet. Die dogmatische Erklärung einer Rechtsnorm nimmt jedoch an irgendwelchen gewohnheitsrechtlichen Rechtsbildungstatbeständen nicht teil. 196

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des Preises möglich ist, daß der Gewohnheitsrechtssatz teleologisch reduziert wird, muß er eben reduziert werden. Genau dies ist bei dem Gewohnheitsrechtssatz der h. M. der Fall. Die ihn tragende Begründungen überzeugen ja nicht, wie dies gerade gezeigt wurde. Aus erbrechtlicher und handelsrechtlicher Sicht ist die Verwaltungsvollstreckung über ein Unternehmen zumindest dann zulässig, wenn dem Erblasser für die Anordnung der Testamentsvollstreckung einsichtige Gründe zu Seite stehen. Zudem gelten hinsichtlich der Gewinnsurrogation die kürzlich beschriebenen Regeln. Mithin muß der gewohnheitsrechtliche Ansatz der h. M. insoweit teleologisch reduziert werden, daß die Testamentsvollstreckung über ein einzelkaufmännisches Unternehmen nur dann ausgeschlossen ist, wenn der Erblasser keine hinreichenden Gründe vortragen kann, die nachvollziehbar machen, daß die Vollstreckung nicht nur dazu dient, eine Haftungsbeschränkung des unternehmerisch Tätigen herbeizuführen. Es ist zu erwarten, daß auch dieser Vorschlag durchweg auf wenig Wohlwollen stoßen wird. In dieser Situation bleibt es dem Erblasser unbenommen, die Ausgliederung des von ihm als Einzelkaufmann betriebenen Unternehmens nach den §§ 152 ff. UmwG und die Überführung in eine neugegründete GmbH anzuordnen198. Eine Verwaltungsvollstreckung hinsichtlich der GmbH-Anteile ist ohne weiteres möglich. Mit einer derartigen Gestaltungsoption für einen Rechtsformenwechsel wird die prekäre Unsicherheit über die Zulässigkeit der Testamentsvollstreckung über ein Unternehmen vermieden. Ob die GmbH-Lösung freilich immer die sachgerechte Rechtsform für das jeweilige Unternehmen bereitstellen wird, ist durchaus fraglich.

§ 41 Personengesellschaft und Testamentsvollstreckung I. Ausgangslage und Problemstellung Wenn ein Gesellschafter einer Personengesellschaft verstirbt, bestehen mehrere Möglichkeiten, wie sich dieses Ereignis auf den Gesellschafterbestand auswirkt. Einmal kann die Gesellschaft aufgelöst werden. Sodann kann sie unter den überlebenden Gesellschaftern fortgesetzt werden – zwar ohne oder mit dem Recht des Erben oder eines Dritten, in die Gesellschaft einzutreten. Darüber hinaus kann der Gesellschaftsanteil des Erblassers durch Rechtsgeschäft unter Lebenden oder von Todes wegen auf den Nachfolger beim Tode des Gesellschafters übergehen. Die Kautelarpraxis hat hierzu einen Kranz diverser Klauselwerke entwickelt. Als Stichworte 198 Siehe zum Rechtsformenwechsel nur MünchKomm-HGB-Lieb, § 27 Rn. 26; Soergel-Damrau, § 2205 Rn. 17; Großkomm-Hüffer, vor § 22 Rn. 74; Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 5 I 1 d bb; Schlüter, Erbrecht, Rn. 837; Lorz, Testamentsvollstreckung, 95 ff.; Dauner-Lieb, Unternehmen, 288 f.; Gayk, Sicherung, 139 ff.

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seien nur Fortsetzungsklausel, Eintrittsklausel sowie rechtsgeschäftliche oder erbrechtliche Nachfolgeklausel in der einfachen und der qualifizierten Fassung genannt199. Die Art und Weise der Nachfolge in eine Beteiligung an einer Personengesellschaft wird hier nicht weiter thematisiert. Vielmehr steht im Mittelpunkt der weiteren Überlegungen nur die Frage, ob eine Fremdverwaltung an vollhaftenden Beteiligungen einer Personengesellschaft rechtlich zulässig ist oder ob ihr unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen. Zu diesem Zweck wird der Einfachheit halber den weiteren Erwägungen ein typischer Fall der Nachfolge in einen Personengesellschaftsanteil zugrundegelegt: Ceteris paribus sei davon ausgegangen, daß eine vollhaftende Beteiligung gesellschaftsvertraglich vererblich gestellt worden ist und daß der Erblasser sie an einen seiner Erben von Todes wegen weitergegeben hat. Der Erblasser hat Testamentsvollstreckung über den Anteil angeordnet. Ist dies zulässig? Und wenn dies zulässig ist, inwieweit ist es zulässig? In der bisherigen Diskussion konnten bisher vor allem drei Gründe beobachtet werden, die gegen eine Fremdverwaltung des vollhaftenden Anteils an einer Personengesellschaft angeführt werden, welche mit Lorz200 schlagwortartig folgendermaßen umrissen werden können: Einmal wurde die Nachlaßzugehörigkeit der Beteiligung bestritten. Sodann wurden gesellschaftsrechtliche Gründe aus dem Individualcharakter der Mitgliedschaft angeführt. Schließlich soll das Haftungsrecht einer Testamentsvollstreckung über den vollhaftenden Anteil entgegenstehen. II. Die Nachlaßzugehörigkeit der Mitgliedschaft: Die Abspaltungsthese 1. Streitstand

Einer Testamentsvollstreckung kann nur ein Erwerb unterliegen, welcher von Todes wegen erfolgt und in den Nachlaß fällt201, § 2205 S. 1 BGB. Eine Nachfolge in die Mitgliedschaft, bei der diese durch einen Aufnahmevertrag mit den überlebenden Gesellschaftern durch den Nachfolgekandidaten qua Eintrittsklausel neu begründet wird, sowie die Steuerung der Mitgliedschaft am Nachlaß vorbei anhand einer rechtsgeschäftlichen Nachfolgeklausel fällt daher von vornherein nicht in den Anwendungsbereich der Testamentsvollstreckung202. Bei dem hier allein interessierenden203 Fall, daß die Mitgliedschaft von Todes wegen auf den Erben durch eine erb199 Siehe als Überblick aus dem überbordenen Schrifttum nur Muscheler, Haftungsordnung, § 16. 200 Lorz, Testamentsvollstreckung, 126. 201 Siehe zu der hierin liegenden Unschärfe schon oben § 31 II 1.

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rechtliche Nachfolgeklausel übergeht, scheint die Frage nach der Nachlaßzugehörigkeit des vererbten Anteils eher müßig zu sein. Dennoch wurde sie bestritten. Insbesondere Ulmer204 ging lange Zeit davon aus, die Beteiligung als solche und die mit ihr untrennbar verbundenen mitgliedschaftlichen Verwaltungsrechte rechneten nicht zum Nachlaß. Demgegenüber könnten der zukünftige Anspruch auf das Auseinandersetzungsguthabens, der Abfindungsanspruch bei einem vorzeitigen Ausscheiden des Gesellschafters und zumindest der bis zum Erbfall entstandene Gewinn als Vermögenswert der Beteiligung von dieser abgespalten werden. Sie ließen sich daher dem Nachlaß zuordnen und könnten der Vollstreckung unterstellt werden. Begründet wurde diese Abspaltungsthese mit dem Schutz der Gesellschafter, die aus Gründen persönlicher Verbundenheit an einer persönlichen Ausübung der mitgliedschaftsrechtlichen Gesellschafterrechte durch den nachfolgenden Erben selbst interessiert seien. Nachlaßverwaltenden Personen sollte mit der Abspaltungsthese schon auf der konstruktiven Ebene der Boden entzogen werden, unter denen sie eine Verwaltung ausüben könnten. Da aber die Abspaltungsthese nicht die erbrechtliche Haftungsordnung stören wollte und vor allem auf ein Interessengleichgewicht zwischen dem Erben und den Nachlaßgläubigern Wert legte, votierte sie für eine wertmäßige Zuordnung der Mitgliedschaft zum Nachlaß. Der Abspaltungsthese war ein relativ großer Erfolg zumindest in der Diskussion beschieden. Sie sah sich innerhalb kurzer Zeit sowohl einer (relativ schmalen) Rezeption im Schrifttum205 als auch einer starken Front ablehnender Stimmen206 gegenüber. Die Rechtsprechung des BGH war anfangs uneinheitlich. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung des für das Gesell202 Zu Berührungspunkten zwischen einer angeordneten Testamentsvollstreckung und der Ausübung von Eintrittsrechten vgl. Muscheler, Haftungsordnung, 451 ff.; Reimann, Testamentsvollstreckung, 84 f.; Weidlich, Testamentsvollstreckung, 112 f. 203 Siehe soeben § 41 I. 204 Ulmer, FS Schilling, 79 (89 ff.); ders., ZHR 146 (1982), 555 (560 ff.); ders., NJW 1984, 1496 (1500 ff.); ders., NJW 1990, 73 (74 f.). 205 Etwa RGRK-Kregel, § 2205 Rn. 8; Hüffer, ZHR 151 (1987), 396 (402); Koch, BB 1987, 2106 (2109 ff.). 206 Siehe nur MünchKomm-Leipold, § 1922 Rn. 38 a f.; Palandt-Edenhofer, § 2205 Rn. 20; Soergel-Stein, § 1922 Rn. 57; Staud-Marotzke, § 1922 Rn. 102; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 696, 867; Bengel/Reimann-Mayer, Handbuch der Testamentsvollstreckung, Kap. 5 Rn. 153, 158 ff.; Schlegelberger-Karsten Schmidt., § 177 HGB Rn. 29; ders., GesR, § 45 V 3 c; Heymann-Horn, § 177 HGB Rn. 14; Dörrie, Testamentsvollstreckung, 31 ff.; Friedrich, Testamentsvollstreckung, 51 ff.; Lorz, Testamentsvollstreckung, 128 ff.; Muscheler, Haftungsordnung, 470 ff.; Raddatz, Nachlaßzugehörigkeit, 39 ff.; Richardi, Verwaltungsrecht, 10 ff., 86; Wessels, Testamentsvollstreckung, 79 ff.; Brandner, FS Kellermann, 37 (40); Damrau, NJW 1984, 2785 (2786 f.); Flume, FS Müller-Freienfels, 113 (119 ff.); ders., ZHR 155 (1991), 501 (504 ff.); Marotzke, AcP 184 (1984), 541 (553); ders., JR 1988, 185 (185 f.); ders., JZ 1986, 457 (458 ff.); Reimann, MittBayNot 1986, 232 (233);

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schaftsrecht zuständigen zweiten Senats des BGH207 und in der Rechtsprechung der Obergerichte, namentlich des OLG Frankfurt208, des OLG Hamburg209 und des BayObLG210, wurde sie der richterlichen Erkenntnis zugrundegelegt, während sich der für das Erbrecht zuständige IVa (später IV)-Senat des BGH für die These nie erwärmen konnte211. 2. Kritik der Abspaltungsthese

Der Abspaltungsthese kann nicht zugestimmt werden. Sie ist nur haltbar, wenn (i) der Begriff „Erbschaft“ in § 1922 BGB und der Begriff „Nachlaß“ in § 2205 BGB unterschiedlich verstanden werden können und (ii) unterschiedlich verstanden werden müssen. Die Vertreter der Abspaltungsthese gehen davon aus, daß die Mitgliedschaft im Ausgangspunkt durchaus zur „Erbschaft“ i. S. § 1922 BGB gerechnet werden kann212. Sie gehöre aber nicht zum Nachlaß, da es nach fast schon gewohnheitsrechtlicher Rechtslage bei der Vererbung eines Personengesellschaftsanteils zu einer Sondererbfolge an den oder die zur Nachfolge berufenen Erben eines verstorbenen Gesellschafters komme; mit einer derartigen Sondererbnachfolge sei aber die gesamthänderische Nachlaßbindung bei der Vererbung an Miterben nicht vereinbar. Aus diesem den Erfordernissen des Gesellschaftsrechts geschuldeten Aspekt der Sonderrechtsnachfolge in den Anteil folgt aber keineswegs, daß das Gesetz zwischen „Erbschaft“ und „Nachlaß“ differenziert. Denn ansonsten würde mit der Abspaltungsthese die Sondererbfolge in den Anteil erbrechtlich verselbständigt, obwohl die Annahme einer Sondererbfolge Frucht gesellschaftsrechtlicher Wertungen ist und daher erbrechtliche Folgerungen nicht trägt213. Zudem beschränkt sich der Begriff des „Nachlasses“ nicht auf das gesamthänderisch verbundene Vermögen, was schon die Möglichkeiten des Alleinerben, seine Haftung nach §§ 1975 ff. BGB zu beschränken, und das Antragsrecht nach geteilter Miterbengemeinschaft nach § 316 II InsO zeigen214. Schon aus diesen Gründen kann eine DiffeWiedemann, JZ 1977, 689 (691); weitere umfangreiche Nachweise siehe bei Muscheler, Haftungsordnung, 469 f. Fn. 3. 207 BGHZ 91, 132 (135 f.). Bei BGH, JZ 1987, 880, wird die Abspaltung der vermögensrechtlichen Ansprüche der Mitgliedschaft und ihrer Zuordnung zum Nachlaß schon als „ständige Rechtsprechung“ bezeichnet. 208 OLG Frankfurt, NJW 1983, 1806. 209 OLG Hamburg, ZIP 1984, 1226 (1227). 210 BayObLGZ 1984, 225 (230); anders BayObLGZ 1990, 306. 211 BGHZ 98, 48 (53 f.); BGH, NJW 1996, 1284 (1285) (IV. Senat). 212 Siehe Ulmer, FS Schilling, 79 (85); ders., NJW 1984, 1496 (1497). 213 Siehe nur Ebenroth, Erbrecht, Rn. 867; Karsten Schmidt, GesR, § 45 V 3 c; Lorz, Testamentsvollstreckung, 130; Muscheler, Haftungsordnung, 471 ff.; Flume, FS Müller-Freienfels, 113 (120).

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renzierung nach „Erbschaft“ und „Nachlaß“ nicht erfolgen215. Zudem kann das Ziel der Abspaltungsthese – der Schutz der personal-mitgliedschaftsrechtlichen Stellung der Gesellschafter – auch ohne die Abspaltung der vermögensrechtlichen Befugnisse der Mitgliedschaft verwirklicht werden, wie noch gezeigt werden wird. Die Differenzierung zwischen „Erbschaft“ und „Nachlaß“ ist daher auch praktisch nicht erforderlich. Desgleichen hat Ulmer zwischenzeitlich die Abspaltungsthese vor dem Hintergrund der grundlegenden Entscheidung des Gesellschaftsrechtssenats des BGH zur Testamentsvollstreckung am Kommanditanteil aus dem Jahre 1989216 verworfen, da die mit ihr verfolgten Ziele auch auf anderen Wege erreichbar wären217. Kann dieses Ziel aber auch auf anderem Wege erreicht werden, bricht die Abspaltungsthese in sich zusammen – würde sie dennoch weiterhin tradiert, würde sie ein von ihren teleologischen Grundlagen getrenntes Eigenleben entwickeln, für das nichts sprechen würde. Auch der zweite Senat des BGH judiziert mittlerweile erfreulich klar, daß trotz der Sondererbfolge auch ein im Gesellschaftsvertrag als vererblich bestimmter Anteil an einer Personengesellschaft zum Nachlaß des Erblassers gehört218. Richtigerweise geht mithin der gesamte Anteil auf den Gesellschafter-Erben über – und zwar der gesamte Anteil im Wege der Sonderrechtsnachfolge unter Einschluß der Vermögensrechte219, da nur so unerfreuliche Verquickungen zwischen Erbund Gesellschaftsrecht vermieden werden220. Die Testamentsvollstreckung wird nach all dem nicht dadurch gehindert, daß der Anteil nicht zum Nachlaß i. S. § 2205 S. 1 BGB gerechnet werden könnte.

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BGHZ 98, 48 (53 f.); Soergel-Stein, § 1922 Rn. 57; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 867; Lorz, Testamentsvollstreckung, 129 f.; Muscheler, Haftungsordnung, 473; Raddatz, Nachlaßzugehörigkeit, 42; Marotzke, AcP 187 (1987), 223 (229); ders., JZ 1986, 457 (459); siehe auch Siegmann, Personengesellschaftsanteil, 136 ff. 215 Siehe auch Ulmer/Schäfer, ZHR 160 (1996), 413 (419 f.). 216 BGHZ 108, 189. 217 Ulmer/Schäfer, ZHR 160 (1996), 413 (419 f., 434). Auch im Schrifttum wird stellenweise die Abspaltungsthese nur mehr am Rande unter Hinweis auf BGHZ 108, 189 gestreift, so etwa bei Beck’sches Handbuch der PersonengesellschaftenTina Fiona Müller, § 8 Rn. 124. 218 BGH, NJW 1998, 1313 (1313 f.). 219 Anders der Gesellschaftsrechtssenat, der in BGHZ 108, 187 (192) die aus der Beteiligung erwachsenen, selbständig übertragbaren Vermögensrechte des Anteils der gesamthänderischen Bindung unterwirft. Ebenso Siegmann, Personengesellschaftsanteil, 185 ff. 220 So zumindest implizit BGHZ 98, 48 (51, 56 f.); ebenso Lorz, Testamentsvollstreckung, 133 f.; Raddatz, Nachlaßzugehörigkeit, 142; Flume, ZHR 158 (1991), 501 (503 f., 510 f.); Marotzke, AcP 187 (1987), 223 (232 f.); Ulmer/Schäfer, ZHR 160 (1996), 413 (420); Weidlich, ZEV 1994, 205 (206); ders., Testamentsvollstrekkung, 29 f.

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III. Testamentsvollstreckung und die personale Verbindung der Gesellschafter 1. Streitstand zu vollhaftenden Anteilen

Nach weit überwiegender Ansicht ist die Testamentsvollstreckung über einen vollhaftenden Anteil an einer Personengesellschaft zwar nicht schlechterdings ausgeschlossen, doch sei das Verwaltungsrecht des Vollstreckers aus im Gesellschaftsrecht wurzelnden Gründen begrenzt. Er könne zwar über die mit dem Gesellschaftsanteil verbundenen Vermögensrechte (insbesondere über den Anspruch auf das künftige Auseinandersetzungsguthaben) verfügen, „wegen der Besonderheiten der zwischen den Gesellschaftern gebildeten Arbeits- und Haftungsgemeinschaft jedoch nicht über solche Befugnisse, die unmittelbar die Mitgliedschaftsrechte der Erben berühren“221. Kurz gesagt: Die „Innenseite“ der Beteiligung, also die mitgliedschaftsrechtliche Rechtsposition des Erben, sei dem Verwaltungsvollstrecker entzogen, der demgemäß nur auf die „Außenseite“ des Anteils zugreifen und sich etwa der laufenden Gewinnansprüche widmen kann222. Die maßgeblichen Argumente lauten223: Erstens könne der Testamentsvollstrecker nach § 2206 BGB nur den Nachlaß verpflichten; dies widerspreche dem gesellschaftsrechtlichen Grundsatz der unbeschränkbaren Gesellschafterhaftung224. Mit diesem Vorhalt ist ein gewichtiger Einwand angesprochen, der später eigens aufgegriffen wird. Eingewandt wird weiter, in die persönlichkeitsbezogene Arbeits- und Haftungsgemeinschaft der Personengesellschaft könne ein Nichtgesellschafter nicht per Ausübung der mitgliedschaftlichen Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte eindringen225. 2. Stellungnahme

Soll der Testamentsvollstrecker auch mitgliedschaftsrechtliche Befugnisse wahrnehmen, ist zumindest aufgrund des personalen Charakters der Mitgliedschaft zu fordern, daß die Mitgesellschafter in die Vollstreckung eingewilligt haben226. Ansonsten hilft ein Blick auf die Rechtslage bei einer mit 221

BGH, NJW 1998, 1313 (1314). Dazu umfassend Lorz, Testamentsvollstreckung, 154 ff.; Dörrie, Testamentsvollstreckung, 138 ff. 223 Siehe nur Ebenroth, Erbrecht, Rn. 697 f. 224 BGHZ 108, 187 (195). 225 Siehe nur kürzlich BGH, FamRZ 1996, 407 (411) zur Testamentsvollstreckung über einen Anteil an einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, sowie aus der Fülle der Literatur Staud-Reimann, § 2205 Rn. 107; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 697. Umfangreiche Nachweise zu Rechtsprechung und Literatur bis zur Mitte der achtziger Jahre bei Muscheler, Haftungsordnung, 400 f. Fn. 130 und 131. 222

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einem Nießbrauch belasteten Mitgliedschaft in einer OHG weiter. Hier gilt folgendes: Wird ein vollhaftender Anteil einer Personengesellschaft mit einem Nießbrauch belastet, kann dem Nießbraucher zumindest außerhalb der Grundlagengeschäfte das Stimmrecht der belasteten Mitgliedschaft zugeordnet werden, ohne daß dem Erwägungen aus dem Abspaltungsverbot entgegenstünden227. Bei Grundlagengeschäften findet hingegen eine Vergemeinschaftung des Stimmrechts zwischen den Parteien des dinglichen Nutzungsrechts statt. Darüber hinaus entfällt ausnahmsweise bei Vorliegen eines wichtigen Grundes sowohl bei Grundlagen- als auch bei sonstigen Geschäften eine Stimmrechtsausübung durch den Nießbraucher; für den jeweilig zur Entscheidung anstehenden Beschlußgegenstand ist dann der BestellerGesellschafter allein stimmberechtigt. Zudem ist die Organfunktion der Mitgliedschaft nach herrschender Auffassung an diese gebunden. Nur folgt hieraus nicht, ohne weiteres schiede eine Zuordnung der Geschäftsführung an den Nießbraucher zwingend aus. Denn dem personengesellschaftsrechtlichen Verbot der Fremdorganschaft und dem Abspaltungsverbot liegen ähnliche Wertungsgrundlagen zugrunde. Hieraus konnte gefolgert werden, daß auch die Zuordnung der Geschäftsführung nicht in einem anderen Rahmen zulässig sein kann als die Zuordnung des Stimmrechts228. Die Ausübung des Stimmrechts war dem Nießbraucher nur dann gestattet, wenn er nach § 1036 II BGB über eine entsprechende Widmung des belasteten Anteils an die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht gebunden werden konnte229. Der Testamentsvollstrecker ist schon kraft seines Amtes an die Treuepflicht gebunden. Die nach dem Erbfall anstehenden Treuepflichten sind keine persönlichen Verbindlichkeiten des Erben, sondern Nachlaßverbindlichkeiten. Da der Erbe den Anteil nicht verwalten kann, muß diese Verbindlichkeit der Testamentsvollstrecker erfüllen230. Mithin muß der Amtswalter die dem Erben treffende gesellschafterliche Loyalitäts- und Rücksichtnahmepflichten wahren231. 226 Siehe auch BGHZ 68, 225 (241); 198, 187 (191); MünchKomm-Brandner, § 2205 Rn. 29; Soergel-Damrau, § 2205 Rn. 30; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 697, 703; Karsten Schmidt, GesR, § 45 V 7 c; Lorz, Testamentsvollstreckung, 135 m. w. Nachw. Die Dauertestamentsvollstreckung über die „Außenseite“ der Mitgliedschaft ist demgegenüber nicht zustimmungsbedürftig, siehe nur BGHZ 98, 48 (56 f.); Muscheler, Haftungsordnung, 478 ff.; Soergel-Damrau, § 2205 Rn. 32; Staud-Reimann, § 2205 Rn. 121. 227 Dazu Goebel, Der Nießbrauch an Personengesellschaftsanteilen, § 7 III 3, § 12 I. 228 Dazu Goebel, Der Nießbrauch an Personengesellschaftsanteilen, § 12 II. 229 Dazu Goebel, Der Nießbrauch an Personengesellschaftsanteilen, § 6 V 2 und öfters. 230 Muscheler, Haftungsordnung, 529. 231 Lorz, Testamentsvollstreckung, 138; Muscheler, Haftungsordnung, 529; Weidlich, Testamentsvollstreckung, 85.

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Wenn unter den geschilderten Maßgaben beim Anteilsnießbrauch nicht gegen personalistische Gebote des Gesellschaftsrechts verstoßen wird, kann bei gleichen Maßgaben bei der Testamentsvollstreckung nichts anderes gelten. Dem Testamentsvollstrecker ist daher die Ausübung des Stimmrechts des ererbten Anteils grundsätzlich gestattet. Bei den Grundlagengeschäften findet hingegen eine Stimmrechtsvergemeinschaftung statt232. Bei Vorliegen eines wichtigen Grundes übt das Stimmrecht allein der Erbe aus. Im Ergebnis steht deshalb unter den genannten Einschränkungen der personale Charakter der Mitgliedschaft der Testamentsvollstreckung über den Anteil nicht entgegen. IV. Testamentsvollstreckung und die unbeschränkte gesellschaftsrechtliche Haftung des Erben 1. Streitstand

Nach all dem bleibt allenfalls noch die Haftungsproblematik übrig, die gegen die Zulässigkeit einer Testamentsvollstreckung über vollhaftende Anteile ins Feld geführt werden könnte. Der herrschende, schon vom Reichsgericht233 formulierte, vom BGH234 aufgegriffene und in der Literatur einen starken Widerhall findende235 Einwand gegen die Testamentsvollstrekkung an vollhaftenden Anteilen lautet: Erstens: § 105 I HGB gehe von einer unbeschränkbaren Haftung des OHG-Gesellschafters gegenüber den Gesellschaftsgläubigern aus. Die auf den Nachlaß begrenzte Verpflichtungsbefugnis des Testamentsvollstreckers nach § 2206 BGB stünde dem ent232 Dafür, daß das Handeln des Testamentsvollstreckers seine Schranke im Kernbereich der Mitgliedschaft findet, votieren Karsten Schmidt, GesR, § 45 V 7 c; Schlegelberger-ders., § 139 Rn. 51; Hüffer, ZHR 151 (1987), 396 (403); Raddatz, Nachlaßzugehörigkeit, 173 ff.; Weidlich, Testamentsvollstreckung, 46 ff., 69 f.; anders hingegen MünchKomm-Brandner, § 2205 Rn. 32 (38 für den Kommanditisten); ders., FS Kellermann, 37 (44): die erbrechtlichen Befugnisse der Testamentsvollstreckung werden durch den Kernbereich der Mitgliedschaft nicht begrenzt. Ebenso MünchKomm-Ulmer, § 705 Rn. 89; Muscheler, Haftungsordnung, 506 f.; Siegmann, Testamentsvollstreckung, 240 f.; offengelassen von BGHZ 108, 187 (198). 233 RGZ 170, 392 (394) zur OHG; RGZ 172, 199 (202 f.), zur KG. 234 BGHZ 24, 106 (112 f.); 68, 225 (239); 91, 132 (137); 98, 48 ff.; 108, 187 (195); BGH, NJW 1985, 1953 (1954); 1998, 1313 (1313 f.); BGH, FamRZ 1996, 409 (411) (GbR). 235 Das Schrifttum ist fast unüberschaubar, siehe deshalb nur Soergel-Damrau, § 2205 Rn. 32 ff.; Staud-Reimann, § 2205 Rn. 107; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 698; Richardi, Verwaltungsrecht, 17 ff.; Wiedemann, Übertragung, 319 ff.; H. P. Westermann, Vertragsfreiheit, 365 ff.; Gayk, Sicherung, 93, 104. Ansonsten siehe nur die sehr ausführlichen Nachweise bei Muscheler, Haftungsordnung, 460 f. Fn. 130 und 131.

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gegen. Zweitens: Der Konflikt zwischen dem gesellschaftsrechtlichen Haftungsstatut und der erbrechtlichen Haftungsordnung sei zugunsten des Gesellschaftsrechts aufzulösen. Diese Weise der Auflösung des Haftungskonflikts wird nur vereinzelt kritisiert. Die Kritik läßt sich dabei idealtypisch in zwei Blöcke teilen. In dem einen Block wird davon ausgegangen, daß eine echte Testamentsvollstreckung über einen vollhaftenden Anteil zulässig sei, da § 2206 BGB durch die gesellschaftsrechtliche Haftungsordnung auf die eine oder andere Weise verdrängt würde236. Demgegenüber wird in dem anderen Block auf die erbrechtliche Haftungsbeschränkung nach § 2206 BGB bestanden und gleichwohl eine echte Testamentsvollstreckung für zulässig erachtet237. 2. Stellungnahme

Richtigerweise ist eine echte Testamentsvollstreckung über einen vollhaftenden Anteil zulässig, obwohl der Amtswalter den Erben-Gesellschafter gem. § 2206 BGB nur auf den Nachlaß beschränkt verpflichten kann, falls der Testamentsvollstrecker die erweitere Verpflichtungsbefugnis des § 2207 BGB besitzt238, wovon im Zweifel auszugehen ist, § 2209 S. 2 BGB. Die von der ganz überwiegenden Ansicht vorgetragenen Argumente für die gegenteilige Auffassung überzeugen nicht. Um dies nachzuweisen soll zuerst die Haftungslage geklärt wären, wie sie sich ergibt, wenn die Zulässigkeit der echten Testamentsvollstreckung unterstellt wird.

236 So Holzhauer, Erbrechtliche Untersuchungen, 26 ff.; Hüfner, Testamentsvollstreckung, 131 ff.; Siegmann, Personengesellschaftsanteil, 237 f.; Einmal, AcP 161 (1961), 29 (37); Emmerich, 132 (1969), 297 (309); Marotzke, JZ 1986, 457 (461); Weiler, DNotZ 1952, 283 (295). 237 So Muscheler, Haftungsordnung, 549 ff.; MünchKomm-Brandner, § 2205 Rn. 31. 238 Es überzeugt hingegen nicht, wenn Muscheler, Haftungsordnung, 546 Fn. 56, davon ausgeht, eine Testamentsvollstreckung über einen OHG-Anteil sei nicht zulässig, wenn der Erblasser die erweiterte Verpflichtungsbefugnis des Vollstreckers nach § 2207 BGB ausgeschlossen hat. Ist die Testamentsvollstreckung zu Recht eine besondere Möglichkeit der legalen Haftungsbeschränkung, müssen Gründe angeführt werden, die dafür sprechen, aus dem Rechtsstatut dieser Haftungsbeschränkungsmöglichkeit einzelne Figuren (wie die Möglichkeit einer beschränkten Verpflichtungsbefugnis nach § 2206 BGB) herauszunehmen. Derartige Gründe könnten hier nur in den Interessen des Handelsverkehrs gefunden werden. Diese werden jedoch schon über die falsus-procurator-Haftung nach § 179 BGB hinreichend geschützt, da der Vollstrecker, der sich außerhalb seiner Verpflichtungsbefugnis bewegt, aus § 179 BGB persönlich haftet, siehe nur MünchKomm-Brandner, § 2206 Rn. 8; Soergel-Damrau, § 2206 Rn. 4.

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a) Die Haftungslage bei unterstellter Zulässigkeit der Testamentsvollstreckung aa) Nicht überzeugende Haftungskonzepte Wie die Haftungslage ist, wenn die Zulässigkeit der Testamentsvollstrekkung einmal unterstellt wird, ist schwierig zu beantworten. Dies liegt einfach daran, daß innerhalb der o. g. Mindermeinung, welche die Testamentsvollstreckung über einen vollhaftenden Anteil für statthaft hält, überwiegend dafür votiert wird, auf Umwegen zu einem erbrechtlichen Haftungsstatut zu gelangen, bei dem der Erbe unbeschränkt haftet. Drei Konzepte hierzu können bisher beobachtet werden. (1) Nach dem ersten Konzept begründet der Testamentsvollstrecker keine Verbindlichkeiten für den Nachlaß, da er im Namen der Gesellschaft und nicht für die unter Vollstreckung stehende Mitgliedschaft als Nachlaßbestandteil auftrete239. Überzeugend ist dies nicht. Muscheler weist daraufhin, daß dieses Konzept mit ähnlichen Argumenten arbeitet, wie die vor dem Minderjährigenhaftungsbeschränkungsgesetz herrschende Lehre, die eine aufgrund des Handels des gesetzlichen Vertreters eintretende unbeschränkte Haftung des Minderjährigen, welcher einen OHG-Anteil geerbt hat, annahm240. Hier wurde durch den „ebenso richtigen, wie formalen Hinweis darauf, daß die Gesellschaft nicht zum Nachlaß gehöre, also auch nicht unter Testamentsvollstreckung stehe, (. . .) die Limitierungsfunktion des § 2206 BGB überspielt“241. Nachdem der Gesetzgeber in § 1629 a I BGB die Haftungsbeschränkung des Minderjährigen entgegen aller gesellschaftsrechtsdogmatischer Konstruktion durchgesetzt und damit eine formalistische Denkweise im Haftungssystem verabschiedet hat, spricht schon deshalb nichts dafür, den Formalismus weiterhin zu tradieren, welcher in dem Satz steckt, der Testamentsvollstrecker begründe keine Verbindlichkeiten für den Nachlaß, da er im Namen der Gesellschaft auftrete. Mit einem derartigen Formalismus wird der Prinzipienkonflikt, welcher in dem Aufeinanderprallen des erbrechtlichen und des gesellschaftsrechtlichen Haftungsregimes begründet ist, nicht mit materiellen Argumenten zu bewältigen versucht. Darüber hinaus würde – das erste Konzept konsequent zu Ende gedacht – durch das Handel des Vollstreckers keine Nachlaßverbindlichkeiten entstehen können242. Den Neugläubigern wäre damit der Zugriff auf den Nachlaß verwehrt243. 239 So Holzhauer, Erbrechtliche Untersuchungen, 30 f.; Hüfner, Testamentsvollstreckung, 131 ff.; Schultze, Verwaltung, 53 ff.; Siegmann, Personengesellschaftsanteil, 237 f.; Marotzke, JZ 1986, 457 (461). 240 Siehe nur RGZ 125, 380; BGHZ 38, 26 (30). 241 Muscheler, Haftungsordnung, 544.

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Schließlich weist Muscheler244 zu Recht daraufhin, daß schon innerhalb des ersten Konzepts eine Unschärfe verborgen ist, an dem es letztlich scheitern muß. Denn es wird durchweg nicht näher thematisiert, was es eigentlich genau heißt, der Testamentsvollstrecker träte für die Gesamthand auf. Die klassische Gesamthandslehre245 kennt kein Nebeneinander von Gesamthands- und Gesellschaftsschulden. Für sie versteht sich daher von selbst, daß der Tatbestand des § 2206 BGB nicht unanwendbar ist, wie dies das erste Konzept behauptet. Das erste Konzept wäre damit auch formal nur durchschlagend, wenn man mit der neueren Lehre eigene Schulden der Gesellschaft anerkannt246. Doch selbst dann würde das erste Konzept nicht überzeugen. Denn zum einen würde dann auf den oben schon als erbrechtlich nicht tragenden Formalismus in der Argumentation insistiert. Zum anderen übersieht das erste Konzept, daß es für die Verpflichtungswirkung des Vollstreckers nicht erheblich ist, ob er für die Gesellschaft oder für den Gesellschafter-Erben handelt. Er kann nun einmal als Amtswalter durch seine Rechtshandlungen nur Nachlaßverbindlichkeiten begründen247. Das erste Konzept läuft damit daraufhinaus, unter der Hand eine dingliche Erweiterung der Machtstellung des Vollstreckers anzunehmen248. Damit wird nicht einleuchtend eine tragende Basis der Testamentsvollstreckung zerschlagen. Nach all dem überzeugt das erste Konzept nicht. (2) Nach einen zweiten Konzept begründet der Testamentsvollstrecker zwar nur Nachlaßverbindlichkeiten. Der Erbe-Gesellschafter hafte gleichwohl nicht auf den Nachlaß beschränkbar, da er durch seine Entscheidung für die Stellung eines persönlich haftenden Gesellschafters nach § 139 HGB auf seine Haftungsbeschränkungsmöglichkeit verzichtet habe249. Das 242

Anders und daher inkonsequent Marotzke, JZ 1986, 457 (461). Lorz, Testamentsvollstreckung, 144; Muscheler, Haftungsordnung, 545. 244 Muscheler, Haftungsordnung, 545. 245 Vgl. zur Kernfrage nach der rechten Theorie der Gesamthand aus dem weitreichenden Schrifttum nur jüngst Th. Raiser, AcP 199 (1999), 104 ff.; ders., AcP 194 (1994), 495 ff.; Ulmer, AcP 198 (1998), 113 ff., sowie auf der einen Seite Karsten Schmidt, GesR, § 8 III; MünchKomm-Ulmer, § 705 Rn. 127 ff.; ders., AcP 198 (1998), 113 ff.; auf der anderen Seite Zöllner, FS Gernhuber, 563 ff.; ders., FS Kraft, 701 ff.; Weber-Grellet, AcP 182 (1982), 316 ff.; Hueck, FS Zöllner, 275 ff. Die neuere Gesamthandslehre sieht den Personenverband als solchen als Träger der gemeinschaftlichen Rechte und Pflichten an. Dieser Konzeption hat sich nunmehr für Außengesellschaften auch der II. Zivilsenat des BGH angeschlossen, siehe BGHZ 146, 341. 246 Muscheler, Haftungsordnung, 545. 247 Muscheler, Haftungsordnung, 545. 248 So in der Tat Weiler, DNotZ 1952, 283 (295); kritisch deshalb Lorz, Testamentsvollstreckung, 144; Muscheler, Haftungsordnung, 541. 249 So Emmerich, ZHR 132 (1969), 297 (304 ff.); ähnlich Einmal, AcP 160 (1961), 29 (36 ff.); Marotzke, JZ 1986, 457 (463). 243

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Fiktive an einer derartigen Annahme liegt auf der Hand. Aus einem Verhalten (Entscheidung für die Stellung eines OHG-Gesellschafters) wird auf eine Willenserklärung (Haftungsbeschränkungsverzicht) geschlossen. Der Grund hierfür liegt mutmaßlich darin, daß es wohl als anstößig empfunden wird, sich für die Stellung eines OHG-Gesellschafters zu entscheiden und gleichwohl auf die erbrechtliche Haftungsbeschränkung zu insistieren. Normalerweise kann hierin jedoch allenfalls ein Verstoß gegen das Verbot des venire contra factum proprium gesehen werden, nicht jedoch die Abgabe einer Willenserklärung. Nur fällt die Begründung für einen derartigen Verstoß gegen das venire-Verbot schwer. Denn gesetzt den Fall, die Haftung des Erben sei in der OHG beschränkt, würde niemand aus der Entscheidung für die Stellung eines OHG-Gesellschafters folgern, der Erbe wolle auf seine erbrechtliche Haftungsbeschränkung verzichten. Bei Lichte betrachtet ist das „Verzichts-Konzept“ daher zirkulär aufgebaut: Es setzt schon voraus, daß bei der OHG die erbrechtliche Haftungsbeschränkung nicht greift, da nur dann das Insistieren des Erben auf diese als treuwidrig begriffen werden könnte. Schon deshalb ist das zweite Konzept in sich zusammengebrochen. Zudem überzeugt es auch aus anderen Gründen nicht. Muscheler trägt zu Recht vor, daß es ausweislich des Handelns der zweiten BGB-Kommission kein erbrechtliches Instrument gibt, uno actu durch ein bloßes Unterlassen wirksam auch gegenüber künftigen Nachlaßverbindlichkeiten auf die Haftungsbeschränkungsmöglichkeit zu verzichten250. (3) Das dritte Konzept schließlich beruft sich auf die Wahlmöglichkeiten des § 139 HGB. Es wird gesagt, der Erbe hafte nach § 139 IV HGB für die bis zur Ausübung des Wahlrechts entstandenen Gesellschaftsschulden nur nach erbrechtlichen Grundsätzen, ergo sei e contrario anzunehmen, der Erbe hafte nach Ablauf der Dreimonatsfrist des § 139 III HGB und sobald er die Stellung eines OHG-Gesellschafters einnehme so, wie er haften würde, wenn er erbrechtlich keine Haftungsbeschränkbarkeit mehr geltend machen könnte251. Die aus dem Umkehrschluß aus § 139 IV HGB gewonnene Wertung sei gewissermaßen eine „andere Bestimmung“ i. S. des § 2 EGBGB und beseitige daher die Einschränkung der Verpflichtungsmacht des Vollstreckers nach § 2206 BGB252. Der Umkehrschluß ist aber nicht stimmig. Dabei soll die neuerdings umstrittene253, von der ganz h. M.254 aber positiv beantwortete Frage außer Acht bleiben, ob dem Erben bei an250

Muscheler, Haftungsordnung, 542. So Schultze, Verwaltun, 51 ff. 252 Holzhauer, Erbrechtliche Untersuchungen, 30. 253 Muscheler, Haftungsordnung, 546 ff., hält das Wahlrecht des § 139 III HGB erst nach der Beendigung der Testamentsvollstreckung für einschlägig. 254 RGZ 170, 292 (395); Erman-M. Schmidt, § 2205 Rn. 40; MünchKommBrandner, § 2205 Rn. 33; Soergel-Damrau, § 2205 Rn. 41. 251

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geordneter Testamentsvollstreckung tatsächlich das Wahlrecht aus § 139 HGB zusteht. Vielmehr soll einmal davon ausgegangen werden, daß es so sei. Selbst dann überzeugt der Umkehrschluß nicht. Denn die Nichtausübung des Wahlrechts ist wertungsmäßig nicht mit den Vorkommnissen vergleichbar, welche erbrechtlich zum Verlust der Haftungsbeschränkung führen. Die nicht rechtzeitige Inventarerrichtung (§ 1994 I 2 BGB), die Inventaruntreue (§ 2005 I BGB) oder die Verweigerung einer eidesstattlichen Versicherung (§ 2006 III BGB) knüpfen an ein vorwerfbares Verhalten des Erben an. Demgegenüber knüpft § 139 HGB an die Nichtausübung des Wahlrechts keinerlei ausdrücklich genannte Sanktionen255. Wieso die Nichtausübung des Wahlrechts zum Verlust der erbrechtlichen Haftungsbeschränkbarkeit führen soll, obwohl hierin in der Nichtausübung kein vorwerfbares Verhalten gesehen werden kann, bleibt unerfindlich. Es fehlt daher eine weitere Prämisse, welche den Umkehrschluß trägt. Letztlich ist daher auch das dritte Konzept in sich zirkulär aufgebaut: Die fehlende Prämisse kann nämlich nur darin gesehen werden, daß eine auf den Nachlaß beschränkbare Haftung eines OHG-Gesellschafters unzulässig sei. Gerade dies gilt es aber erst noch zu begründen. Damit ist auch das dritte Konzept zusammengebrochen256. bb) Das überzeugende Haftungskonzept Die Haftungslage stellt sich bei unterstellter Zulässigkeit der echten Testamentsvollstreckung vielmehr wie folgt dar: Wenn der Testamentsvollstrecker die Vertretungsbefugnis des Erben in der OHG ausübt, begründet er im Außenverhältnis zu den Geschäftsgläubigern neben Schulden der Gesellschaft, für die die Mit-Gesellschafter des Erben-Gesellschafters unbeschränkt persönlich haften, summenmäßig zwar unbeschränkte, aber haftungsmäßig auf den Nachlaß beschränkbare Nachlaßverbindlichkeiten des Erben257. Auch im Innenverhältnis zwischen dem Erben auf der einen und der OHG und den Mit-Gesellschaftern auf der anderen Seite gilt nichts anderes258. Denn die Zustimmung des Testamentsvollstreckers zu einer Maßnahme, die zur Begründung neuer Gesellschafterverbindlichkeiten im Innenverhältnis zur Gesellschaft oder zu den anderen Gesellschaftern führt, macht die Gesellschaft bzw. die Mit-Gesellschafter nur zu Nachlaßgläubigern. Dies gilt unabhängig davon, ob bei der entsprechenden Beschlußfas255 Siehe dazu Weidlich, Testamentsvollstreckung, 35; Lorz, Testamentsvollstrekkung, 145. 256 Im Ergebnis ebenso Lorz, Testamentsvollstreckung, 145; Muscheler, Haftungsordnung, 543; Weidlich, Testamentsvollstreckung, 34 ff. 257 Muscheler, Haftungsordnung, 545 f. 258 Dazu und zum folgenden Muscheler, Haftungsordnung, 546 mit 524 ff.

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sung die Haftungsbeschränkung auf den Nachlaß vereinbart worden ist259 oder ob die Zustimmung der Mit-Gesellschafter zur Testamentsvollstrekkung als stillschweigend vorweggenommene Einigung über die Haftungsbeschränkung anzusehen ist260. Entscheidend ist allein die Reichweite der Amtsbefugnis des Vollstreckers, die von Gesetzes wegen unabhängig vom Willen der Beteiligten gem. § 2206 BGB auf eine Verpflichtung des Nachlasses beschränkt ist261. Falls nicht der Testamentsvollstrecker, sondern ein Mit-Gesellschafter Schulden der Gesellschaft begründet hat, haftet der Erbe-Gesellschafter gleichwohl nur beschränkbar auf den Nachlaß. Denn das Widerspruchsrecht nach § 115 I HS 2 BGB übt der Vollstrecker aus. Unterläßt dieser einen Widerspruch, so wird – wie Muscheler zu Recht ausführt262 – dieses Unterlassen „kausal“ für die Gesellschaftsschuld, da es ansonsten nicht zu dem Geschäft gekommen wäre. Dann entspricht es aber auch der Wertung des § 2206 BGB, nur eine beschränkbare Haftung des Erben-Gesellschafters anzunehmen263. Soweit schließlich die Haftung für die vor dem Erbfall entstandenen Altschulden der Gesellschaft in Rede steht, behalten auch diese den Charakter von Nachlaßverbindlichkeiten. Falls dies mit dem Gedanken bestritten wird, e contrario § 139 IV HGB sei davon auszugehen, daß nach dem Ablauf der Dreimonatsfrist des § 139 III HGB der Erbe-Gesellschafter für die Alt-Schulden unbeschränkt hafte264, überzeugt dies nicht. Denn ein derartiger Umkehrschluß ist nur angängig, wenn zugleich die Prämisse geteilt wird, ein OHG-Gesellschafter könne nicht beschränkbar haften. Damit trifft – wie schon gezeigt wurde265 – der Umkehrschluß nur zu, wenn schon bewiesen ist, was es erst noch zu beweisen gilt: Daß OHG-Gesellschafter nur unbeschränkt haften. § 139 IV HGB wird nicht sinnlos, wenn der Umkehrschluß abgelehnt wird. Er behält seinen genuinen Anwendungsbereich für einen Erben, für dessen Anteil keine Testamentsvollstreckung angeordnet worden ist266. Nach all dem gilt: Für sämtliche Schulden der Gesellschaft haftet der Erbe-Gesellschafter – die Zulässigkeit der Testamentsvollstreckung unterstellt – nur beschränkbar auf den Nachlaß.

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So aber Ulmer, ZHR 146 (1982), 555 (566); ders., NJW 1990, 73 (89). Eine derartige inzidente Zustimmung nimmt an Friedrich, Testamentsvollstreckung, 131 f. Sie wird für den Regelfall verneint durch Richardi, Verwaltungsrecht, 28. 261 Muscheler, Haftungsordnung, 525. 262 Muscheler, Haftungsordnung, 546. 263 So auch Muscheler, Haftungsordnung, 546. 264 So wohl Lorz, Testamentsvollstreckung, 147 f. 265 Oben unter (3) § 41 IV 2 a aa. 266 Siehe ansonsten bedenkenswert Muscheler, Haftungsordnung, 546 ff. 260

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Kap. 18: Die Testamentsvollstreckung im Unternehmensrecht

b) Die sachgerechte Bewältigung der Prinzipienkollision zwischen Erb- und Gesellschaftsrecht Die entscheidende Frage, die noch verblieben ist, lautet vor dem Hintergrund der soeben dargelegten Haftungsordnung: Ist trotz der auf den Nachlaß beschränkbaren Erben-Gesellschafterhaftung eine echte Testamentsvollstreckung gesellschaftsrechtlich zulässig? Die h. M. verneint – wie schon ausgeführt267 – die Frage unter Verweis auf das Dogma von der zwingenden unbeschränkbaren Haftung eines OHG-Gesellschafters. Das ist aus mehrerlei Gründen nicht überzeugend. Das Dogma ist zum einen zu unscharf, zum anderen in seiner Rigidität zu schneidend. aa) Die Testamentsvollstreckung als eine besondere Weise legaler Haftungsbeschränkung Das Dogma ist zu unscharf, weil es vorgibt, aus § 105 HGB folge zwingend, es könne keinen nur beschränkbar haftenden OHG-Gesellschafter geben. Dies beruht auf einem grundlegenden Irrtum über die ratio des § 105 I HGB268. Diese Regelung macht die Unbeschränkbarkeit der Haftung zum Wesenskriterium der offenen Handelsgesellschaft, weil von vornherein gesellschaftsvertragliche Haftungsbeschränkungen ausgeschlossen sein sollen269. Der Schlußteil des § 105 I HGB ist richtigerweise deshalb so zu lesen, daß im Lichte des gesellschaftsrechtlichen Rechtsformzwangs die OHG die auf den Betrieb eines Handelsgewerbes gerichtete Gesellschaftsform darstellt, „wenn die Gesellschafter nicht durch die Wahl einer anderen zulässigen Rechtsform ihre Haftung beschränkt haben“270. Inkrimiert werden durch § 105 I HGB also keine gesetzlichen Haftungsbeschränkungen, sondern die vom Zweck des § 105 I HGB erfaßten vertraglichen Haftungsbeschränkungen. Muscheler verweist auf Fälle, in denen aufgrund besonderer gesetzlicher Regelung von einer unbeschränkten Haftung des OHG-Gesellschafters keine Rede sein kann. Ein Beispiel stellt etwa die Gesellschafterstellung eines in Gütergemeinschaft lebenden, das Gesamtgut nicht oder nicht allein verwaltenden Ehegatten dar, der einen OHG-Anteil geerbt hat271. Zudem haftet der Erbe-Gesellschafter nicht mit seinem gesamten Vermögen, wenn zwar nicht über den Anteil, wohl aber über den Rest des Nachlas267

Zum Streitstand siehe oben § 41 IV 1. Dazu und zum folgenden Muscheler, Haftungsordnung, 550. 269 Siehe nur Großkomm-Fischer, § 105 HGB Anm. 20 a; Karsten Schmidt, GesR, § 46 I 1 e. 270 Karsten Schmidt, GesR, § 46 I 1 e, unter Übernahme eines Antrags aus den ADHGB-Protokollen. 271 Dazu Muscheler, Haftungsordnung, 550 ff. 268

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ses Testamentsvollstreckung angeordnet ist. Hier steht § 2214 BGB einem Zugriff der Gesellschaftsgläubiger auf das gesamte Vermögen des OHG-Gesellschafters entgegen. Gleichwohl wird hier allgemeiner Meinung nach die Testamentsvollstreckung für zulässig erachtet – ein Ergebnis, dem eigentlich das o. g. Dogma von der unbeschränkten Gesellschafterhaftung entgegenstehen müßte272. Richtigerweise verstößt die Testamentsvollstreckung als eine „besondere Möglichkeit legaler Haftungsbeschränkung“273 (§ 2206 BGB) daher schon tatbestandsmäßig nicht gegen § 105 I HGB274. bb) Die Auflösung einer Prinzipienkollision zwischen Erb- und Gesellschaftsrecht Doch selbst, wenn dieser zuletzt vorgetragenen Einsicht kein Beifall gezollt werden sollte, verstößt die Testamentsvollstreckung über einen vollhaftenden Anteil nicht gegen das o. g. Dogma der unbeschränkten Haftung des OHG-Gesellschafters. Denn dieses Dogma ist einfach zu rigide formuliert. Dies zeigt ein Vergleich mit der Testamentsvollstreckung über ein einzelkaufmännisches Unternehmen. Auch dort wurde ein vermeintliches Dogma von der unbeschränkbaren Haftung des einzelkaufmännischen Unternehmers errichtet, obwohl dies letztlich in dieser Rigidität nicht nachgewiesen werden konnte275. Vielmehr ist eine Testamentsvollstreckung über ein einzelkaufmännisches Unternehmen zumindest dann statthaft, wenn dem Erblasser für ihre Anordnung ein einsichtiger Grund zur Seite steht, was bei einer zum Zwecke des Ehegatten- und Abkömmlingsschutz ins Werk gesetzten Vollstreckung anläßlich des frühzeitigen Vorversterbens des Unternehmers angenommen werden kann276. Dabei mußte § 324 I Nr. 5 InsO richtigerweise so verstanden werden, daß die unternehmerische Tätigkeit des Testamentsvollstreckers nicht erfaßt ist277, damit der inakzeptable insolvenzrechtliche Vorrang der Geschäftsneugläubiger vor den Nachlaßaltgläubigern beseitigt wird. Zudem müssen zum Schutz der Nachlaßaltgläubiger die Gewinne in den Nachlaß surrogieren. Hierbei werden solche Gewinnauskehrungen an den Erben oder den Ehegatten nicht erfaßt, die dem Betrag entsprechen, welcher der Überlebende und dessen gemeinsame Abkömmlinge von dem Erblasser an Unterhalt verlangen könnten, wenn dieser noch leben würde278. All dies war das Ergebnis einer praktischen Konkor272

Muscheler, Haftungsordnung, 553. Canaris, Handelsrecht, § 9 Rn. 37, für die Testamentsvollstreckung über ein einzelkaufmännisches Geschäft. 274 Ebenso Muscheler, Haftungsordnung, 553. 275 Dazu siehe oben § 40 II. 276 Siehe oben § 40 II 2 b. 277 Siehe oben § 40 III 2 c. 273

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Kap. 18: Die Testamentsvollstreckung im Unternehmensrecht

danz zwischen den Haftungsordnungen des Erb- und des Handelsrechts. Beim Personengesellschaftsrecht kann nicht anders gewertet werden279, da die einzigen Gründe, die eine Ungleichbewertung gegenüber dem Handelsgeschäft tragen würden – nämlich die personale Verbundenheit der Gesellschafter – nicht greifen, wenn die Gesellschafter der Vollstreckung zugestimmt haben280. Es gilt also: Die Testamentsvollstreckung über einen OHG-Anteil ist zumindest dann zulässig, wenn dem Erblasser ein einsichtiger Grund für die Anordnung der Testamentsvollstreckung zur Seite steht. Die als entnahmefähig gestellten Gewinne surrogieren dabei in den Nachlaß, wobei der o. g. Unterhaltsbetrag an den Ehegatten und die Abkömmlinge ausgekehrt werden kann. Der insolvenzrechtliche Vorrang der neuen Gesellschaftsgläubiger vor den Altgläubigern gem. § 324 I Nr. 5 InsO greift bei der werbenden Testamentsvollstreckung nicht. Falls ausnahmsweise schließlich einmal sämtliche Anteile unter Testamentsvollstreckung stehen, ist der Rechtsverkehr durch das Firmenrecht hinreichend geschützt, da es nach dem Inkrafttreten des Handelsrechtsreformgesetzes gem. § 19 II HGB n. F. eines Firmenzusatzes bedarf, wenn „keine natürliche Person persönlich“ – also unbeschränkt oder unbeschränkbar – haftet. V. Ergebnis zur Zulässigkeit der echten Testamentsvollstreckung über einen OHG-Anteil Die bisherigen Überlegungen haben gezeigt, daß eine Testamentsvollstreckung über einen OHG-Anteil unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist. Die drei maßgeblichen Argumente, die bisher gegen die Vollstrekkung angeführt wurden, konnten widergelegt werden. So ist die Vollstrekkung nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil der vererbte Anteil nicht zum „Nachlaß“ i. S. § 2205 S. 1 BGB zählt. Vielmehr ist er nachlaßzugehörig281. Darüber hinaus konnte dargelegt werden, daß auch aus der Einbindung der Mitgliedschaft in ein personales Verhältnis der Gesellschafter nichts gegen die Testamentsvollstreckung folgt282. Der Vollstrecker kann nicht nur die „Außenseite“ der Beteiligung ergreifen. Vielmehr kann er auch die mitgliedschaftlichen Befugnisse der Mitgliedschaft im Grundsatz ausüben. Eine Ausnahme ist bei den Grundlagengeschäften zu machen; hier findet eine Stimmrechtsvergemeinschaftung zwischen Testamentsvollstrekker und Erbe-Gesellschafter statt. Darüber hinaus entfällt ausnahmsweise 278 279 280 281 282

Siehe oben § 40 III 3. Ebenso Muscheler, Haftungsordnung, 553 f. Dazu oben § 41 III 2. Siehe oben § 41 II 2. Siehe oben § 41 III 2.

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bei Vorliegen eines wichtigen Grundes sowohl bei Grundlagen- als auch bei sonstigen Geschäften eine Stimmrechtsausübung durch den Vollstrecker; allein zuständig ist dann der Erbe-Gesellschafter. Für die Geschäftsführungsbefugnis gilt gleiches. Soweit die Zulässigkeit der Testamentsvollstreckung über einen OHG-Anteil mit der Haftungsordnung des Gesellschaftsrechts bestritten wird, konnte nachgewiesen werden283, daß ein vermeintliches Dogma der unbeschränkten Haftung des OHG-Gesellschafters einer Testamentsvollstreckung über den Anteil nicht entgegensteht, wenn der Erblasser für die Anordnung der Vollstreckung einen einsichtigen Grund anführen kann. Bei der Vollstreckung, welche angeordnet wird, um die Risiken eines frühzeitigen Ablebens des Gesellschafters abzufangen, liegt ein derartiger Grund vor. Insgesamt gesehen stellt das Institut der Testamentsvollstrekkung daher auch im Personengesellschaftsrecht ein schlagkräftiges Instrument bereit, mit dem der Erblasser auch gegen den Widerstand hergebrachter Sachzwänge des Wirtschaftslebens Solidarität unter Gatten tradieren und Verantwortung gegenüber seinen Abkömmlingen auch nach seinem Tode weiterhin zeigen kann. VI. Das Sonderproblem der Haftungsbeschränkung des minderjährigen Erben des Unternehmers Das BVerfG erklärte es im Jahre 1986 mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Minderjährigen für unvereinbar, daß Eltern ihre Kinder in Ausübung ihrer gesetzlichen Vertretungsbefugnis bei Fortführung eines ererbten Handelsgeschäfts in ungeteilter Erbengemeinschaft verpflichten konnten284. Der Gesetzgeber hat hierauf reagiert und mit dem Gesetz zur Beschränkung der Haftung Minderjähriger besondere haftungsrechtliche Vorkehrungen zum Schutze minderjähriger Personen getroffen285. Nunmehr beschränkt sich außerhalb der privaten Bedarfdeckung (§ 1629 a II BGB) gem. § 1629 a I 1 BGB die Haftung des Minderjährigen für Verbindlichkeiten, die die Eltern oder sonstige vertretungsberechtigte Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht für den Minderjährigen eingegangen sind, auf den Bestand seines bei Eintritt der Volljährigkeit vorhandenen Vermögens. Davon werden – vorbehaltlich des Tatbestands des § 112 BGB, siehe § 1629 II BGB – sämtliche Verbindlichkeiten erfaßt, die aus einem unternehmerischen Engagement des Minderjährigen herrühren286. Vertretungsbefugt i. S. § 1629 a I 1 BGB ist u. a. der Testamentsvollstrecker287. Vertre283 284 285 286 287

Siehe oben § 40 IV 2 b. BVerfGE 72, 155 (174). Gesetz vom 25.8.1998, BGBl. I, 2487. Habersack, FamRZ 1999, 1 (2 f.). Palandt-Diederichsen, § 1629 a Rn. 10; Habersack, FamRZ 1999, 1 (3).

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tung im Sinne dieser Vorschrift umfaßt auch die Begründung von Gesellschaftsschulden. Zwar wäre dies vom Wortlaut der Norm nicht gedeckt, wenn man mit der neueren Gesamthandlehre288 davon ausgehen würde, daß die Gesellschafter als organschaftliche Vertreter die Gesellschaft selbst als rechts- und verpflichtungsfähige Einheit und nicht den einzelnen Gesellschafter vertreten würde. Dennoch kann es nach dem Zweck der Regelung, den Minderjährigen zu schützen, nicht darauf ankommen, wie gesellschaftsrechtsintern die Theorie der Gesamthand zugeschnitten wird. Mithin fällt auch die Begründung von Gesellschaftsverbindlichkeiten unter den Anwendungsbereich des § 1629 a I 1 BGB289. Ist ein einzelkaufmännisches Unternehmen an einen Minderjährigen vererbt worden, kann es mit Eintritt der Volljährigkeit hinsichtlich der bis dahin angefallenen Verbindlichkeiten zur Geltendmachtung der Haftungsbeschränkung durch den Minderjährigen kommen. Für den Rechtsverkehr sollte dies erkennbar sein. Die nur für Gesellschaften geltende Vorschrift des § 19 II HGB ist daher richtigerweise auf den minderjährigen Einzelhandelskaufmann analog anzuwenden290. Insgesamt gesehen zeigt die Neuregelung der Minderjährigenhaftung wiederum, daß das Dogma der unbeschränkten Haftung des einzelkaufmännischen Unternehmers und des Gesellschafters einer OHG nicht so rigide durchgehalten wird, wie es die Gegner der echten Testamentsvollstreckung über ein Unternehmen oder über eine Unternehmensbeteiligung annehmen. Zwar war gegenüber den Vorentwürfen zum Minderjährigenhaftungsbeschränkungsgesetz davon die Rede, dieses breche mit dem numerus clausus der Verbandsformen, indem es unter unzumutbarer Zurückstellung der Interessen des Verkehrs einen Einzelkaufmann und eine OHG je „mit beschränkter Haftung“ einführe291. Übersehen wird mit derartigen Einwänden aber gerade die Schwierigkeit, den Bruch mit den numerus clausus der Verbandsformen diagnostizieren zu können292. Zudem spielt nach dem Inkrafttreten des Minderjährigenhaftungsbeschränkungsgesetzes der Einwand, es käme zu einem derartigen Bruch, keine Rolle mehr, da sich das neue Gesetz kohärent und konsistent einfach in die Gesamtrechtsordnung als eine neue Facette des Minderjährigenschutzes einbauen läßt. Daß hierbei aus gesellschaftsrechtlicher Sicht hier und da Kritik laut wird, verwundert nicht, da eine Verselbständigung ökonomischer Erwägungen gegenüber personenrechtlichen Wertungen für den Personenrechtler nichts Neues ist. Das BVerfG hatte die Beschränkbarkeit der Minderjährigenhaftung mit persön288

Zum Streitstand siehe die Nachweise oben § 41 IV 2 a aa. Habersack, FamRZ 1999, 1 (3). 290 Ebenso Habersack, FamRZ 1999, 1 (3 f.); Athanasiadis, Beschränkung, 200 f. 291 So Laum/Dylla-Krebs, FS Vieregge, 513 (533 ff.). 292 Siehe ansonsten zu Einwänden gegen kritische Überlegungen zum neuen Minderjährigenschutz die Übersicht bei Athanasiadis, Beschränkung, 185 ff. 289

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lichkeitsrechtlichen Erwägungen begründet. Hier schließt sich endgültig der Kreis: In einem personfunktional verstandenen Erbrecht ist der Rechtsperson die Testierfreiheit aus Gründen personaler Entfaltung eingeräumt. Damit wird deutlich, warum das Institut der Testamentsvollstreckung zu Recht als eine weitere Möglichkeit der legalen Haftungsbeschränkung verstanden wird: Ebenso wie das Gesetz zur Beschränkung der Haftung Minderjähriger aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes die unbeschränkte und unbeschränkbare Haftung unternehmerisch Tätiger einschränkt, beschneidet diese Haftung auch die Testamentsvollstreckung aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes des sein „Sein zum Tod“ entfaltenden Erblassers. Die hiesige Auffassung, der echten Testamentsvollstreckung im Unternehmensrecht wieder den Ort zu geben, welcher ihr erbrechtlich und unternehmensrechtlich gebührt, bindet sich damit wie das Minderjährigenhaftungsbeschränkungsgesetz in größere Bestrebungen der Rechtsordnung ein, die personalen Gehalte des Rechts gegenüber der Eigenlogik des Wirtschaftssystems ein weiteres Mal zu entfalten.

Schlußteil § 42 Statt einer Zusammenfassung Die Überlegungen zum Ehegattenschutz im gewillkürten Erbrecht sind nunmehr zu ihrem Ende gekommen. Der Durchgang durch die beiden Komplexe – der Schutz im Privatbereich und der Schutz im Unternehmensbereich – hat gezeigt, daß das Erbrecht und das sonstige Privatrecht die Bemühungen des Erblassers ausnehmend honorieren, auch nach seinem Ableben seinem überlebenden Gatten noch dasjenige Maß an Solidarität zukommen zu lassen, welches sich intim verbundene Angehörige einer Primärbeziehung gemeinhin gewähren und gemeinhin auch schulden. Zugleich konnte gezeigt werden, daß der Überlebende durchaus nicht ungeschützt ist, wenn sein vorverstorbener Ehegatte dieses Maß an Solidarität einmal nicht zeigen will und daher in die Rechte und Interessen des Überlebenden von Todes wegen eingreift. All dies braucht hier nicht nochmals kurz zusammenfaßt werden; hierzu sei auf die jeweiligen Zusammenfassungen verwiesen. Interessanter ist vielmehr, statt einer Zusammenfassung der Einzelergebnisse einen Blick auf die Testierfreiheit zu werfen und insofern zu schauen, welches die Einsatzpunkte eines erbrechtsfunktionalen Erbrechtsdenkens in dem Sachgebiet „Ehegattenschutz“ gewesen sind – um sich dann die Frage zu stellen: Ist dieses Erbrechtsdenken tatsächlich fruchtbar? Wie steht es also um die Heuristik einer Dogmatik, die das gewillkürte Erbrecht als ein Recht des Todes und die Testierfreiheit unter dem Aspekt des Persönlichkeitsschutzes thematisiert? I. Rückblick: Erbrecht als funktionales Persönlichkeitsrecht Im Rückblick bleibt folgendes zu notieren1: Die allgemeine Meinung in der Dogmatik des gewillkürten Erbrechts begreift dieses heute dichotom entweder als funktionales Familienrecht oder als funktionales Vermögensrecht, in dem das Erbrecht als fortgesetztes Eigentum begriff wird. In beiden kommt eines zum Ausdruck, welches sich für das geltungstheoretisch angemessene Verständnis der Wertentscheidungen des geltenden Erbrechts und ihrer Formung zu einem kohärenten und konsistenten System rechtlicher Wertung als fatal erwiesen hat: der normative Verlust der Todesproble1

Dazu oben § 2 I.

§ 42 Statt einer Zusammenfassung

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matik. Der Tod wird gleichsam rechtlich neutral als ein rein biologisches Phänomen abgekorkt, welches schlechthin rechtstechnisch als Tatbestandsmerkmal dient, damit die vermögensrechtliche Seite des Erbrechts einen Einsatzpunkt hat, um überhaupt in den intergenerationalen Vermögenstransfer einsteigen zu können. Mit einem derartigen Blick zum Tode kann der Normbestand des geltenden Rechts geltungstheoretisch nicht erklärt werden. Andernorts2 konnten im Durchgang durch den kulturellen Diskurs zum Tod und zur Todesverarbeitung wichtige Aspekte zur Todesproblematik auf existenzphilosophischer sowie gesellschaftstheoretischer Ebene skizziert werden, mit deren Hilfe der Bogen geschlagen werden konnte zu den tradierten Wertungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Diese Wertungen wiederum ließen erkennen, daß sich die Art und Weise, in der der einzelne seinen Tod verarbeitet, als rechtlicher Ausdruck des Personalen erweist. Erst wenn das gewillkürte Erbrecht funktional als ein Persönlichkeitsrecht begriffen wird, können dessen anerkannten Wertungen kohärent und konsistent erklärt werden. Dies wiederum bedeutet nichts anders, als daß in der Republik das gewillkürte Erbrecht sich nur dann als Recht – und nicht nur als Ausdruck einer überbordenden auctoritas – erweisen kann, wenn das Erbrecht personfunktional verstanden wird. Der erbrechtliche Personfunktionalismus erweist sich nach all dem zu Recht als normative Wertungsgrundlage des gewillkürten Erbrechts. II. Bemerkungen zu einem familiarfunktionalen Erbrechtsdenken Die Untersuchung hat ein weiteres wichtiges Ergebnis gezeitigt: Das gewillkürte Erbrecht kann nur in wenigen Aspekten als funktionales Familienrecht gedeutet werden. Dem gemeinschaftlichen Ehegattentestament liegt keineswegs der Gedanken zugrunde, als „Gestaltungsmittel für die Vermögensordnung der Familie“ zu dienen3. Vielmehr geht es bei der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments darum, daß in der dort verkörperten internen Verklammerung der Todesverarbeitung beider Gatten, welche durch die expressiv-individuelle Codierung ihrer Interaktion geleistet wird, jene Momente durchschimmern, um derentwillen das gewillkürte Erbrecht so ungemein auf die Kraft des Testierwillens Wert legt – nämlich diejenigen personalen Gehalte des Rechts, die dem gewillkürten Erbrecht seinen personfunktionalen Charakter verleihen. Es geht auch beim gemeinschaftlichen Ehegattentestament deshalb um nichts anderes als um den Schutz des Persönlichkeitsrechts des erstversterbenden Testierenden. Das gemeinschaftliche Testieren sollte daher als ein Mittel begriffen werden, 2

In Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, § 9. So aber Battes, Gemeinschaftliches Testament und Ehegattenerbvertrag als Gestaltungsmittel für die Vermögensordnung der Familie, 1974, dazu oben § 4 II 2. 3

900

Schlußteil

mit dem jeder der Gatten aufgrund der in der Intimbeziehung aufscheinenden Verschmelzung der Erlebnis- und Verstehenshorizonte der Gatten auch seinen eigenen Tod in der Thematisierung des Todes des anderen gespiegelt sieht und sich damit um so besser der Verarbeitung des je eigenen Todes stellen kann. Auch die Instrumentarien, welche dem Überlebenden zur Verfügung stehen, um sich von der testamentarischen Bindung zu lösen, konnten ohne jeden Rekurs auf familiaristische Wertungen geltungstheoretisch erklärt werden. Dies gilt auch für den Problemkontext der Sittenwidrigkeit letztwilliger Verfügungen. Auch hier konnten die oftmals unter Zuhilfenahme familiaristischer Überlegungen gelösten Fälle einzig durch einen Rekurs auf die Rechtsstellung des Bedachten bewältigt werden; für einen Rückgang auf den Gedanken der Familie war hier keine Notwendigkeit. Im weiteren zeigte sich zudem durchweg, daß der topos „Solidarität“ durchaus einen genuinen Platz innerhalb der Bewältigung der einzelnen Probleme gefunden hat. Mit „Solidarität“ ist aber keineswegs jene Solidarität angesprochen, die familienrechtlich ehelich verbundene Personen einander schulden. Vielmehr geht es allein um Solidarität, die der Erblasser seinem Gatten zukommen läßt, weil er es so will. Nirgendwo brauchte erbrechtlich (unterhaltsrechtlich ist dies selbstverständlich anders) eine Solidarität bemüht zu werden, die nicht auf dem Willen des Erblassers beruht, wenn es galt, das gewillkürte Erbrecht geltungstheoretisch als Recht zu verstehen. Das Erbrecht ist daher durchaus von Aspekten solidarischer Verbundenheit durchzogen – freilich nicht aus Gründen familienrechtlicher, sondern aus solchen erbrechtlich-personfunktionaler Wertung. Residuale Bestände eines erbrechtlichen Familiarismus können einzig in folgenden Bereichen ausgemacht werden: (i) im Pflichtteilsrecht, (ii) in den einzelnen erbrechtlichen Auslegungsregeln, die zugunsten von Familienangehörigen bei Zweifeln feststellen, daß eine familienfreundliche Regelung von Todes wegen eintritt, und schließlich (iii) in der erbrechtlichen Anfechtungsberechtigung nach § 2079 BGB, die das anfechtungsrechtlich erforderliche Pendant zur Pflichtteilsberechtigung darstellt. Weniger finden sich familiare Rudimente im gesetzlichen Erbrecht. Denn dieses kann ja mit dem Gedanken der Familie nur teilweise (nämlich in den ersten Parentel) erklärt werden. Bei weit entfernten Parentelen kann sinnvollerweise das Erbrecht nicht mehr auf den Gedanken der Familie gestützt werden, sondern nur noch auf den biologischen Befund genetischer Verbundenheit.

§ 42 Statt einer Zusammenfassung

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III. Einsatzpunkte eines personfunktionalen Erbrechtsdenkens 1. Übersicht

Im folgenden sollen nur noch einmal kurz die Einsatzpunkte eines personfunktionalen Erbrechtsdenkens stichwortartig aufgegriffen werden, um die Heuristik des hiesigen Ansatzes überblicksartig zu verdeutlichen: 1. Es war schon gerade die Rede davon, daß die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Ehegattentestaments geltungstheoretisch nur dann kohärent und konsistent erklärt zu werden vermag, wenn das gemeinschaftliche Testieren als ein Mittel begriffen wird, mit dem der eine Ehegatte seine Todesverarbeitung mit der des anderen Gatten verbinden kann, um sich dann um so besser dem Erleben der Vorgriffshaftigkeit des eigenen Todes stellen zu können. 2. In dem Instrumentarium, welches dem kraft eines gemeinschaftlichen Testaments gebundenen Überlebenden zur Verfügung steht, um seine Testierfreiheit nach dem ersten Todesfall wieder zu erlangen, schimmert in besonderer Weise die Heuristik eines personfunktionalen Erbrechtsdenkens durch. Erinnert sei hier nur an die Dogmatik der Freistellungsklauseln, an das rechte Verständnis der Ausschlagung als Modus zur Wiedergewinnung der Testierfreiheit, an die Interpretation der erbrechtlichen Anfechtungsregelungen, an die Auswirkungen auf die Lösung der Bindung im Wiederverheiratungsfall, an die Deutung der verbreiteten Wiederverheiratungsklauseln und schließlich an das sinnvolle Verständnis der rechtlichen Behandlung von lebzeitigen Verfügungen des testamentarisch gebundenen Erblassers. 3. Eine besonders intensive Heuristik konnte das personfunktionale Erbrechtsdenkens in der Dogmatik der Sittenwidrigkeitsprüfung letztwilliger Verfügungen an den Tag legen. Aus dem Gedanken der Personfunktionalität des gewillkürten Erbrechts folgt, daß es um der Vermeidung eines Wertungswiderspruchs willen bei Verfügungen von Todes wegen nicht angängig ist, im Rahmen der Sittenwidrigkeitsprüfung auf soziale Moralen zu rekurrieren oder die Gesinnung des Erblassers als Argument für die Sittenwidrigkeit in die Prüfung einfließen zu lassen. Vielmehr darf das Sittenwidrigkeitsurteil nur rein innerrechtlich aus Normen der Rechtsordnung selbst abgeleitet werden. Hierbei konnte gezeigt werden, daß das personfunktionalistische Erbrecht den Erblasser nicht als ein der Sozietät quasi entwurzeltes Wesen konstruiert. Vielmehr ist er trotz der ihm zur Seite stehenden Testierfreiheit von Rechts wegen gehalten, den überlebenden Gatten als mit Rechten ausgestattete Rechtsperson anzuerkennen. Sedes materiae derartiger Anerkennungsverhältnisse ist § 138 I BGB.

902

Schlußteil

4. Bei der Versorgung des überlebenden Teils im Privatbereich über die Mittel erbrechtlicher Verpfründung und Veranlassung wurde das Prinzip erbrechtlicher Personfunktionalität nicht unmittelbar relevant. Vielmehr konnte es als Basis verwendet werden, auf dem in die rechtliche Wertung der Aspekt der Gattensolidarität einfließen kann. Indem das Erbrecht auf die personfunktionalen Gehalte der Testierfreiheit insistiert, ebnet es zugleich den Weg, den hohen Wert eines solidarischen Verhaltens in die Interpretation des gegebenen Normbestands eingehen zu lassen. 5. Der soeben skizzierte Gedanke, Solidarität über das Persönlichkeitsrecht des Erblassers für das Recht wirkmächtig werden zu lassen, zeigte sich auch im Fall, daß der Erblasser den bedürftigen Überlebenden enterbt oder auf den Pflichtteil setzt und damit gerade nicht gewillt ist, Solidarität nach dem Tode zu zeigen. Das Recht löst dieses Problem nicht mit erbrechtlichen, sondern mit unterhaltsrechtlichen Mitteln, indem unter bestimmten Voraussetzungen dem Überlebenden ein Unterhaltsanspruch auch noch nach dem Tode des Erstverstorbenen zukommt. Indem das Gesetz hier auf das Unterhaltsrecht ausweicht, beweist es mit einmal mehr, daß der Gedanke erbrechtlicher Personfunktionalität zu Recht dem gewillkürten Erbrecht als interpretatorische Richtschnur geltungstheoretisch zugewiesen worden ist: Das Erbrecht weist dem Erblasser selbst dann keine Grenzen zu, wenn er das zu Lebzeiten der Gatten rechtlich geforderte Maß an Solidarität im Tode nicht mehr zeigen will. Gerade hierin erweist sich, daß die Testierfreiheit zu Recht als ein besonderes Persönlichkeitsrecht verstanden werden muß. Denn persönlichkeitsrechtlich ist auch ein solches Gebaren geschützt, welches in den sozialmoralischen Bewertungen der Sozietät gemeinhin als unsolidarisch und frevelhaft angesehen wird. 6. Soweit die Einsatzpunkte eines personfunktionalen Erbrechtsdenkens im Bereich des einzelkaufmännischen Unternehmens zur Rede stehen, soll nur auf drei wichtige Einzelpunkte hingewiesen werden. Die Personfunktionalität des gewillkürten Erbrechts kann einmal einem zu überschwenglichem ökonomischen Denken seine rechtlichen Grenzen aufzeigen, in dem es die personalen Gehalte des Rechts einmal mehr davor bewahrt, sich den vermeintlich naturrechtshaften Imperativen eines ökonomischen Funktionalismus auszuliefern. Dieser Grundgedanke konnte in zahlreichen Einzelproblemen des Unternehmensrechts fruchtbar gemacht werden. Eigens genannt werden soll die Zulässigkeit der echten Testamentsvollstreckung über ein einzelkaufmännisches Unternehmen und über vollhaftende Anteile an einer Personengesellschaft. Als zweiter Einzelpunkt soll nur auf die Einbruchstellen des Personfunktionalismus in die Interpretation des Sachenrechts hingewiesen werden. Mit dem

§ 42 Statt einer Zusammenfassung

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Verweis auf ein personfunktionales Erbrechtsdenken gelingt es, nicht nur die Zulässigkeit des Unternehmensertragsnießbrauchs zu erweisen. Vielmehr können auch zahlreiche nießbrauchsrechtliche Einzelfragen überzeugend bewältigt werden. In dem dritten Punkt, auf den hier noch hingewiesen werden soll, zeigte sich letzten Endes besonders deutlich, wie fruchtbar ein personfunktionaler Ansatz im Erbrecht ist. Allein ein Verständnis des Erbrechts als funktionales Persönlichkeitsrecht schärfte den Blick auf die innere ratio des Prinzips materieller Höchstpersönlichkeit und öffnete so den Weg, dieses zugleich unternehmensgerecht und persönlichkeitsgerecht zu interpretieren. 7. Die Diskussion des Ehegattenschutzes im Unternehmensrecht war schließlich bemerkenswert fruchtbar, wenn dem Erblasser eine Beteiligung an einer Personengesellschaft zustand. Hier konnte deutlich gemacht werden, daß die Selbstbestimmung des Besteller-Gesellschafters der Nießbrauchsbelastung eines vollhaftenden Anteils an einer Personengesellschaft nicht entgegensteht, wenn gewisse Vorkehrungen beachtet werden. Schließlich konnten die personfunktionalistischen Gehalte des gewillkürten Erbrechts in einer besonders probaten Weise in die Dogmatik der nießbrauchsrechtlichen Ertragszuweisung eingespeist werden. 2. Schlußbemerkung

Diese kurze Übersicht hat gezeigt, daß mit einem personfunktionalen Erbrechtsdenken zahlreiche rechtliche Probleme sachgerecht gelöst werden können und der geltende Normbestand geltungstheoretisch als Recht gedeutet werden kann. Hinter all dem steht letztlich der Blick auf den Tod. „Hinausgeschoben auf ein ,später einmal‘ “4 kommt er der herrschenden Erbrechtsdogmatik nicht in den Blick. Dies ändert sich erst, wenn das gewillkürte Erbrecht als ein genuines Recht des Todes entschlüsselt und das Testieren als ein Instrument ernst genommen wird, mit dem die Rechtsordnung es dem Menschen ermöglicht, sein „Sein zum Tode“ mit explizit rechtsgeschäftlichen Mitteln probat zu entfalten, damit ein weiteres Mosaiksteinchen dem Prozeß der je eigenen Todesverarbeitung hinzuzufügen und sich so dem eigenen Ableben stärker zu stellen. Wird das Erbrecht in dieser Weise als ein Recht des Todes aufgefaßt, würde auch für die Praxis manches einfacher werden. Denn die Rechtfertigung einer gerichtlichen Entscheidung bedarf solcher Gründe, „nach denen ihr Ergebnis im Hinblick auf seine Gerechtigkeit rational akzeptabel, d.h. konsensfähig ist“5. Auf eine derartige Konsensfähigkeit darf in einer Republik, in der sich die Bür4 5

Heidegger, Sein und Zeit, 258. Gottwald, ZZP 98 (1985), 113 (119).

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Schlußteil

ger als gemeinsame Autoren des Rechts verstehen dürfen, ein jeder hoffen, der versucht, das Gesetz geltungstheoretisch zu einem kohärenten und konsistenten System rechtlicher Wertung zu formen. Erst wenn der rechtliche Diskurs den Tod nicht mehr als ein natürliches Phänomen mit primär medizinisch-physiologischem Einschlag, sondern als eine Begebenheit des Lebens des Individuums konstruiert, auf das hin der einzelne sein „Sein zum Tode“ entfalten darf, wird es möglich, im geltenden Erbrecht jene Momente von Kohärenz und Konsistenz aufscheinen zu lassen, in deren Gestalt das Gesetz dann als dasjenige sichtbar wird, was es nur sein darf: als Recht.

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947

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Sachverzeichnis Abschöpfungskondiktion 228, 232–233 Abspaltungsthese 35, 685, 879–882 Anerkennungsverhältnisse 240, 359, 364, 367, 369, 371, 567, 901 Anfechtung, Verhältnis zur Kondiktion 23, 460 Anschauungswandel 17, 233–234 Äquivalenz 56–57, 94, 124, 311 Äquivalenz von Unterhalt und Pflichtteil 506–508, 513–516, 518, 520– 521, 524–525, 535 auctoritas 38, 40–41, 44, 51, 66, 168, 531, 871, 877, 899 Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments 130, 148, 177, 214, 268 Auslegung, ergänzende 453 Auslegungsregeln beim gemeinschaftlichen Testament 131 Ausschlagung des Erwerbs beim gemeinschaftlichen Testament 195, 197, 203 Ausübungsüberlassung 604–608 Bereicherungsrecht, Gegenstandsorientierung des 408 Betriebsaufspaltung 598 Bindung kraft Vertrauen 61–63, 65, 75, 81, 86–87, 96, 100–102, 107, 112, 116, 119, 129, 151 Bindung, vertragliche 78 Bindungswirkung wechselseitiger Verfügungen 7, 13, 15–16, 18–19, 49, 51–83, 104–116, 129, 131, 133, 141, 144, 146–147, 150, 153–156, 161, 164–166, 170, 187, 197, 202, 218, 230, 233, 239, 241, 244, 246, 248– 250, 254, 261, 272–273, 281–282 causa des Erbvertrags 410, 412, 417, 423

causa-Lehren 224, 228, 403, 411–417 condictio indebiti 426–429 Drittbestimmung des Erben 827 Drittwirkung der Grundrechte 348–349, 351–352

343,

Ehelehren 111 Einheitslösung 54, 137, 139, 164–165, 193, 205, 212, 214, 248–249, 254– 255, 263, 267, 284–287, 289–291, 294, 296, 306, 308, 311, 318, 322, 391, 443, 460, 483–484 Erbchance 227, 276, 406–407, 444– 446, 449 Erbrecht als fortgesetztes Eigentumsrecht 41, 76, 145, 275, 361, 836, 898 Erbrecht als funktionales Persönlichkeitsrecht 44, 325, 553, 867, 898, 903 Erbrecht, gewillkürtes 45, 270, 560 Erbvertrag und gemeinschaftliches Testament 144 Erbvertrag und Synallagma 399 Famlie, als Hort der Sittlichkeit 511 Familie, Funktionswandel der 25, 519 Freistellungsklausel 172–187, 189–193, 195, 218, 225, 232–233, 235, 237, 242, 253, 276, 327–328, 336, 487 Freistellungsklausel, Verhältnis zur Anfechtung 175, 180, 327 Freistellungsklausel, Verhältnis zur ergänzenden Auslegung 178 geltungstheoretisch 38, 40–42, 44, 49, 900–903

Sachverzeichnis gemeinschaftliches Testament, als Vermögensordnung der Familie 56, 72, 899, 906 Gemeinschaftliches Testament und Erbvertrag 144 Geschiedenenunterhalt 526–527, 537, 547 Gesellschaftsgründungsklausel, letztwillige 598–600 gewillkürte Abstraktheit einer Verfügung 224, 424, 426, 432, 434, 436– 437, 444–445, 451, 486 Gewinnsurrogation 32, 35, 765–766, 842, 854, 874–875, 878 Gratifikation 92–93, 99, 108–110, 117–120, 122, 132, 134, 144, 150– 151, 153, 159–160, 256–257, 261, 263 Grundrechte als Werte 343–344 Habitualisierung 88, 95, 98 Höchstpersönlichkeit, materielle 194, 827–829, 831, 903

44,

Individualisierung 43, 90, 112, 285

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Nahestehen i. S. § 2270 II BGB 140– 141, 217 Nießbrauch am Unternehmen 610–611, 801 Nießbrauch an einem OHG-Anteil 821 Nießbrauch, stiller 606–607 Normemergenz 88, 95, 99, 101, 103 numerus clausus dinglicher Rechte 614, 780–781, 783, 790 Ordoliberalismus 348, 651 Personfunktional 49 Personfunktionalität 45 Persönlichkeitsrecht 38–39, 41–46, 103–105, 110, 114, 342, 347, 350, 353–354, 357, 359, 361, 367, 371– 372, 374–375, 382, 385, 522–523, 531, 557, 567, 650–651, 864–872, 899, 902 Potestativbedingungen, erbrechtliche 239, 242, 286, 337, 358–359, 365– 366, 384, 386, 827 Prinzipientheorie des Rechts 343, 346, 348 Publizitätsprinzip dinglicher Rechte 785

Kohärenz des Rechts 40–41, 44–45 Kondiktion, Verhältnis zur Anfechtung 460 Konsistenz des Rechts 40 konstitutionstheoretisch 39–40 Korrespektivität 53, 65, 77, 83, 100, 107, 117–119, 131, 137, 170, 172, 180, 206–207, 225, 268, 311, 316– 317, 334, 337, 482–483 Korrespektivität, einseitige 116, 140

Rationalität, ökonomische 584 Reallast 593–596, 781–782 Regeln ordnungsgemäßen Wirtschaftens 656, 659–660, 663 Reziprozität 84–101, 158–160, 167– 168, 185–188, 257, 264, 312, 315, 324–325, 539 Risikoaversion 576, 609 Rollenvertrauen 90–91, 101

Lebenspartnerschaft, eingetragene 116 Leibrente, obligatorische 589, 599 Leistung, bereicherungsrechtliche 463 Leistungsbegriff, bereicherungsrechtlicher 225 Leistungsstörungen des entgeldlichen Erbvertrages 394

Scheidungsunterhalt 536, 538, 540 Schutzpflichten, grundrechtliche 349, 355 Sein zum Tode 42, 45, 49, 58, 70, 84, 94, 103–104, 106, 115–116, 120– 121, 129–130, 134, 142, 147, 149, 153–154, 163, 172, 181–182, 198, 203, 207, 243, 247, 266, 270, 312,

950

Sachverzeichnis

331, 338–339, 372–373, 387, 567, 585, 588, 903 Selbstanfechtung 180, 182–183, 217– 221, 269–270, 276, 278, 280–281, 336, 487, 491 Selbstbindung 76–78, 80, 82–84, 86– 94, 98–99, 103 Sittenwidrigkeit einer letztwilligen Verfügung 339–343, 348, 352–355, 357–359, 361, 364–366, 368, 370– 378, 380–381, 383–385, 499–503, 507–508, 525, 547, 555, 557, 560, 567 Sozialmodell 40–41 Sozialmoral 125, 340–342, 352, 374, 385, 540 Stimmbindung, schuldrechtliche 600, 679 Stimmpflicht, positive 600, 663 Surrogation, dingliche 612, 620, 630, 634, 677, 709–711, 713–714, 729, 851, 856 Synallagma und Erbvertrag 399 Testamentsvollstreckung über ein Einzelunternehmen, Allgemeines 682– 693, 832–834 Testamentsvollstreckung über einen OHG-Anteil, Allgemeines 878–885 Testieren und Tod 863 Testierfreiheit als fortgesetzte Eigentümerfreiheit 41 Testierfreiheit und Familienordnung 375, 545 Theorie des sozialen Austauschs 56, 85–86, 91–92, 101, 109, 256 Todesverarbeitung 42–45, 899, 901, 903 Trennungslösung 137, 139, 161, 164, 166, 193, 195, 205, 209, 213–214, 222, 248, 253–255, 263, 268, 284, 306, 308, 310–311, 318, 333, 390, 483–484 Treuepflicht 600, 663, 822, 884 Treuhandlösung bei der Testamentsvollstreckung 694

Typenfixierung dinglicher Rechte 783 Umstände, selbstverständliche 179 Umstandsänderung 169, 179, 191, 233–234, 238, 242, 244 Unternehmen, Begriff des 571, 814 Unternehmensnießbrauch 610–611, 801 Unternehmensnießbrauch, Ausgestaltung des 620 Unternehmensnießbrauch, auskehrfähiger Gewinn 623 Unternehmensnießbrauch, Eigentumsverhältnisse 620 Unternehmensnießbrauch, Forderungszuständigkeiten 622 Unternehmensnießbrauch, Haftungsordnung 622 Unternehmensreallast 594–597 Verhaltenserwartung 87, 89, 91, 98, 101, 151–152, 340, 539, 544 Vermächtnisvollstreckung 684, 688, 691–692, 703, 710, 715, 720–721, 724, 730, 734, 739, 746, 764, 768– 771 Verpfründung 387–388, 390–391, 568, 902 Verwendungen, außergewöhnliche 672 Voraussetzung, Windscheids Lehre von der 439 Vorstellungen, selbstverständliche 178 Wechselbezüglichkeit 54, 68, 76, 81– 82, 95, 97–98, 122, 125, 128, 131, 137–138, 143, 148–149, 156, 167, 170–174, 184–185, 190, 201, 205, 207, 209, 211–213, 215–216, 223, 255, 264–266, 269, 280, 282, 332– 333, 336 Wegfall der Geschäftsgrundlage 178, 181, 187, 189, 219, 412, 430, 432– 433, 435, 437, 439, 459, 478, 524 Widerruf einer korrespektiven Verfügung 119 Widmung, nießbrauchsrechtliche 647

Sachverzeichnis Wiederverheiratung Geschiedener und gemeinschaftliches Testament 127– 128, 130–131 Wiederverheiratung und gemeinschaftliches Testament 246,–283, 283–324 Wiederverheiratungsklausel 283–285, 287–288, 291, 293, 296, 306, 308– 310, 316–318, 322 Zugewinnausgleich 133, 257–260, 263, 266, 499, 517–518, 524, 527, 556 Zuweisungsgehalt der Testierfreiheit 230–231

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Zuwendungen, unbenannte 329 Zweckanstaffelung 433–435, 487 Zweckstörung 402, 412–413, 431, 435, 462, 476 Zweckvereinbarung, bereicherungsrechtliche 224–225, 228, 419, 421, 424, 427, 431, 433, 435, 437–453, 455–457, 460–462, 465–466, 468, 476, 479, 481, 483, 485, 487–489, 492–493, 495, 497 Zweckverfehlung 224, 228, 232, 412, 430, 432, 445, 447, 452, 457, 460– 461, 477, 479, 488–489, 491, 495– 496