Privatautonomie von Todes wegen: Verfassungs- und zivilrechtliche Grundlagen der Testierfreiheit im Vergleich zur Vertragsfreiheit unter Lebenden 9783161512070, 9783161491900

Inge Kroppenberg nimmt die gestiegene Bedeutung der Testierfreiheit in der 'Erbengesellschaft' zum Anlass, die

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German Pages 426 [427] Year 2008

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Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Erster Teil Friktionen und offene Fragen im Verhältnis von erbrechtlicher und lebzeitiger Gestaltungsbefugnis
§ 1 Die mittelbare Wiederentdeckung der Testierfreiheit unter der Geltung des Bürgerlichen Gesetzbuchs
A. Annäherung über das Pflichtteilsrecht
B. Annäherung über den Sittenwidrigkeitsmaßstab des § 138 Abs. 1 BGB
§ 2 Die verfassungsrechtlich geschützte Testierfreiheit in iure civili – eine zivilrechtsdogmatische Fehlanzeige
A. Verflüchtigung des Zivilrechts in der „Hohenzollern“- Entscheidung des Bundesgerichtshofs
B. Zivil- und verfassungsrechtliche Grenzgänge und -überschreitungen in der „Hohenzollern“-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
I. Zur Frage der Determination des Zeitpunkts der Sittenwidrigkeitsprüfung durch das Bundesverfassungsgericht
II. Der „Druck“-Topos zwischen Zivil- und Verfassungsrecht
1. „Druck“ und Intensität des Grundrechtseingriffs – zur verfassungsrechtlichen Adaption eines schillernden Topos
2. „Druck“ als vermeintlich zivilrechtliche Größe
C. „Usurpation“ der Testierfreiheit durch das Verfassungsrecht – unterschätzte Gefahren und zivilrechtliche Vermeidungsstrategien
I. Drittwirkung der Grundrechte durch Anerkennung des Bedachten (Goebel)
II. Nichtauslösung der Drittwirkung bei Zuwendungen mit „Antragscharakter“ (Gutmann)
§ 3 Die Testierfreiheit im Verhältnis zur Vertragsfreiheit unter Lebenden
A. Testierfreiheit als ursprüngliche und weniger entwickelte Ausprägung der Privatautonomie
I. Prinzip und Mythos – Zur Entwicklungsgeschichte von Vertrags und Testierfreiheit im 19. und 20. Jahrhundert
II. Meilensteine in der Diskussion der Vertragsfreiheit unter Lebenden – ein Überblick
III. Zur Frage der Normativierung der Testierfreiheit durch „Testamentsparität“ im Rahmen von § 138 Abs. 1 BGB
B. Testierfreiheit unter dem Primat der Privatautonomie unter Lebenden
I. Die Verwurzelung des Primats in aufklärerischem Rechts(gleichheits)denken
1. Lebzeitige Selbstbestimmung durch Wirkung und Gegenwirkung
2. Lebzeitige Hilfskonstruktionen zur formalen Aufhebung der „Fremdbestimmung“ im Erbrecht
II. Die Privatautonomie inter vivos als Positiv- und Negativfolie für die Gestaltungsbefugnis von Todes wegen – ein Überblick
1. Negative Abgrenzung vom Recht der Lebenden: Äquivalenz im Erbrecht am Beispiel der Grundsätze vom Wegfall der Geschäftsgrundlage
2. Positive Anknüpfungen an das Recht der Lebenden
a. Zur Zurückdrängung des erbrechtlichen Willensdogmas
b. Zur „Verlebzeitigung“ des Erbrechts
III. Die Frage der Entgeltlichkeit erbrechtlicher (Erwerbs-)Causae
IV. „Verhaltensbezogene“ Verfügungen von Todes wegen
1. Ideengeschichtlicher Kontext
2. Die juristischen Varianten
C. Testierfreiheit als aliud zur Privatautonomie unter Lebenden
I. Verschiedene Varianten als Ausdruck eines Prinzips privatautonomer Selbstbestimmung
II. Vertrags- und Testierfreiheit als zwei verschiedene Privatautonomien (Goebel)
1. Die Spaltung der Privatautonomie in Persönlichkeits- und Vermögensrechte
2. Affekt und ökonomische Vernunft als vermeintliche Gegenpole
§ 4 Die Testierfreiheit im Verhältnis zur lebzeitigen Verfügungsfreiheit
A. Kausalität des erbrechtlichen Erwerbs und erbrechtlicher Typenzwang aus lebzeitiger Sicht
B. Verfügungen unter Lebenden unter erbrechtlichem Regime – ein rechtshistorisches Lehrstück
§ 5 Zusammenfassung des Ersten Teils, Zielsetzung und weiterer Untersuchungsverlauf
A. Befund
I. Die Testierfreiheit des Bürgerlichen Gesetzbuchs als wirkmächtiges nudum ius
II. Verfassungsrechtlicher Legitimierungsversuch
III. Zivilrechtliche Erklärungsansätze
1. Intra-erbrechtliche Begründungen
2. Zwischen Bezugssystem und Definitionsprimat – Parameter eines Vergleichs zwischen dem Recht der Lebenden und dem Erbrecht
a. Begünstigende Umstände
b. Erschwerende Faktoren
aa. Entwicklungsgeschichtliche Vorprägungen auf das Recht der Lebenden
bb. Inkongruenz des tertium comparationis
cc. Mangelnder inhaltlicher Bezug im Einzelfall
dd. Verabsolutierung von Leitbildern der lebzeitigen und erbrechtlichen Privatautonomie
ee. Gegenläufige Entwicklungslinien und Annäherungstendenzen
B. Zielsetzung und weiteres Vorgehen
I. Der konservative Ansatz: Testier- und Vertragsfreiheit als gleichberechtigte Formen der Privatautonomie
II. Der emanzipatorische Ansatz: Entwicklung eigenständiger erbrechtlicher Lösungen
III. Untersuchungsverlauf
Zweiter Teil Verfassungsrechtliche Anlage und zivilrechtliche Struktur der Testierfreiheit als privatautonomes Prinzip
§ 6 Von der Engführung von Eigentum und Erbrecht zum Freiheitsrecht im wirtschaftlichen Bereich
A. Überkommene Ansätze in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung
B. Zur Parallelisierung von Eigentümer- und Testierfreiheit durch das Bundesverfassungsgericht
I. Die Testierfreiheit als Verfügungsbefugnis des Eigentümers über den Tod hinaus
II. Die Gestaltungsbefugnis von Todes wegen im Korsett der Eigentümerfreiheit
C. Plädoyer für eine verfassungsrechtliche Neujustierung der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen
I. Neue Impulse in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Testierfreiheit
II. Parallelen in der verfassungsrechtlichen Anlage von Testier- und Vertragsfreiheit
1. Vertrags- und Testierfreiheit als unbenannte normgeprägte Freiheitsrechte mit zivilrechtlicher Entfaltungsprärogative
a. Die Normprägung von Testier- und Vertragsfreiheit im Vergleich
aa. Grad und Qualität
bb. Normprägung und „natürliche“ Freiheit
b. Testier- und Vertragsfreiheit als unbenannte Freiheitsrechte
2. Zur personalen Natur von Vertrags- und Testierfreiheit – eine Grenzziehung zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht
3. Testier- und Vertragsfreiheit als wirtschaftliche Freiheitsrechte
4. Zum so genannten demokratischen Potenzial von Testier- und Vertragsfreiheit (Art. 20 Abs. 1 GG)
a. Das lebzeitige Idealbild: Die „demokratische“ Vertragsfreiheit
b. Das negative Andere: Die „undemokratische“ Testierfreiheit
c. (Rechts-)Machtneutralisierung mit erbrechtlichen Mitteln
d. Zur Organisation von Freiheit und Gleichheit im Recht der Lebenden und im Erbrecht
aa. Der zeitliche Aspekt: Simultanität im Recht der Lebenden versus erbrechtliche Linearität
bb. Die sachliche Konsequenz: Ergebniskontrolle statt „Richtigkeit durch Verfahren“
III. Wirkungen einer verfassungsrechtlichen Parallelisierung von Testier- und Vertragsfreiheit
1. Emanzipatorisches Signal auf Verfassungsebene
2. Normenhierarische Bereinigungseffekte und einfachgesetzliche Entwicklungspotenziale
§ 7 Das so genannte Recht des Erben, kraft Erbfolge zu erwerben – Grundrechtliche Anlage und zivilrechtliche Folgen für die Testierfreiheit
A. Erwerbsrecht des Erben als Reflex des Freiheitsrechts des Erblassers
I. Verfassungsrechtliche Konzeption
II. Zivilrechtliche Implikationen
B. Erwerbsrecht als selbstständiges Recht des Erben
I. Verfassungsrechtliche Konzeption
II. Zivilrechtliche Implikationen
1. Lebzeitige Umwertung der Testierfreiheit durch das verfassungsrechtliche Institut der „Erbrechtsfreiheit“
2. Das Erbenrecht als disparate zivilrechtliche Rechtsgesamtheit
a. Erbrechtliche Vermögensadministrationsrechte
b. Die Ausschlagung als Ausdruck der Privatautonomie des Erben
§ 8 Zusammenfassung des Zweiten Teils
Dritter Teil Die Testierfreiheit als besondere Ausprägung der Privatautonomie
§ 9 Essentialia und Akzidentia privatautonomen Handelns am Beispiel der Formfreiheit
A. Methodische Vorbemerkung
B. Zur Formfreiheit als Strukturelement privatautonomen Handelns im Recht der Lebenden
§ 10 Vornahme- und Beendigungsfreiheit als Strukturelemente lebzeitiger und erbrechtlicher Privatautonomie
§ 11 Inhaltsfreiheit als Strukturelement lebzeitiger und erbrechtlicher Privatautonomie
A. Typenfreiheit im Recht der Lebenden und im Erbrecht
I. Die Antinomie von lebzeitiger Typenfreiheit und erbrechtlichem Typenzwang – Kritik eines Mythos
II. Typenzwang als lebzeitige und nicht erbrechtliche Rechtsfigur
1. Nochmals: Anleihen beim sachenrechtlichen Typenzwang
2. §§ 1937–1941 BGB als freiheitserweiternde Befugnis oder freiheitsbeschränkende Ermächtigungsvorschriften
3. Typenzwang als Korrektiv für rechtsgeschäftliches Handeln zulasten Dritter
4. Typenzwang als Mittel zur Rekonstruktion des Willens eines Verstorbenen
III. Der zwingende Charakter des Erwerbsmodus im Verhältnis zur Inhaltsfreiheit
B. Typenentwicklungsfreiheit im Recht der Lebenden und der Verfügungen von Todes wegen
I. Inhaltsfreiheit als „evolutive Freiheit“ im Recht der Lebenden
II. Das so genannte Behindertentestament als Ausdruck „evolutiver Freiheit“
1. Entwicklungsgeschichte und kautelarjuristische Gestaltung eines besonderen Regelungsanliegens
2. Das so genannte Behindertentestament als typengemischtes Rechtsgeschäft
§ 12 Gestaltungsfreiheit als Strukturelement lebzeitiger und erbrechtlicher Privatautonomie
A. Die Organisation von Gestaltung und Geltung im Recht der Lebenden
I. Geltung durch Bindung: Das Larenz’sche Konzept der Geltungserklärung und seine Friktionen im Recht der Lebenden
II. Geltung durch Wirksamkeit: Spielarten und Kritik eines normativen Geltungsverständnisses
B. Die Organisation von Gestaltung und Geltung im Recht der Verfügungen von Todes wegen
I. Die Verengung privatautonom und normativ akzentuierter Bindungstheorien auf das Recht der Lebenden (Larenz, Hepting)
II. Ein lebzeitiges Bindungsmodell in erbrechtlicher Verkleidung: Abgestufte Bindung bei Erbverträgen und gemeinschaftlichen Testamenten (S. Loritz)
III. Testierfreiheit als unverbindliche Ausprägung der Privatautonomie113
1. Zur These vom mangelnden Vertrauensschutz im gewillkürten Erbrecht
a. Lebzeitige Vorprägungen und dogmatische Fehlschlüsse
b. Arten und Anwendungsfelder von spezifisch erbrechtlichem Vertrauen im Vergleich zum Recht der Lebenden
aa. Primärvertrauen des Erben in den Fortbestand seiner Rechtsposition
bb. Auswirkungen des Primärvertrauens im Recht der Auslegung und Anfechtung von erbrechtlichen Willenserklärungen
(1) Auslegung.
(2) Anfechtung.
cc. Sekundärvertrauen des Erben als Anknüpfungspunkt für eine so genannte culpa in testando des Erblasser
2. Kompensation der Unverbindlichkeit der Testierfreiheit mit lebzeitigen Mitteln
a. Zur qualifizierten Verfügungsunterlassungsabrede als tertium zwischen lebzeitigem und erbrechtlichem Rechtsgeschäft
b. Die so genannte materielle Verfügung von Todes wegen als rechtspolitisch überholtes Konzept
c. Die rechtskonstruktive Unstimmigkeit der so genannten materiellen Verfügung von Todes wegen
aa. Das Valutaverhältnis beim Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall
bb. Die postmortale Vollmacht
cc. Die so genannte qualifizierte Verfügungsunterlassungsabrede
IV. Inkompatibilität von bindungsbezogener Vertragsfreiheit und bindungsloser Testierfreiheit
1. Das Beispiel „übergreifender“ Konversion von erbrechtlichen und lebzeitigen Rechtsgeschäften
2. §§ 2302, 2301 BGB als gegenläufige Konzepte
V. Entkopplung der Seins- von der Wirkebene privatautonomer Rechtsgestaltung im Erbrecht
1. Problematische Anleihen beim lebzeitigen Leitbild: Testieren als Vorbereitungs- oder Dauerhandlung
2. Zur Gültigkeit als vorgelagertem normativen Maßstab im gewillkürten Erbrecht
3. Der Zeitpunkt der Sittenwidrigkeitsprüfung im Kontext rechtswirkungsrechtlichen Denkens
a. Gesinnungskontrolle im Errichtungszeitpunkt
b. Das objektive Modell von „Akt“ und „Regelung“ (Flume) – Erbrechtliches Entfaltungspotenzial und lebzeitige Vorprägungen
§ 13 Zusammenfassung des Dritten Teils und Schlussbetrachtung
A. Emanzipationsbedarf: Lebzeitige Vorprägungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs
B. Konsolidierungsstrategie: Entfaltung der Strukturprinzipien privatautonomen Handelns von Todes wegen
Literaturverzeichnis
Sachverzeichnis
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Privatautonomie von Todes wegen: Verfassungs- und zivilrechtliche Grundlagen der Testierfreiheit im Vergleich zur Vertragsfreiheit unter Lebenden
 9783161512070, 9783161491900

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I

JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 130

II

III

Inge Kroppenberg

Privatautonomie von Todes wegen Verfassungs- und zivilrechtliche Grundlagen der Testierfreiheit im Vergleich zur Vertragsfreiheit unter Lebenden

Mohr Siebeck

IV Inge Kroppenberg, geboren 1968, Studium der Rechtswissenschaft in Mainz, 2000 Promotion, 2005 Habilitation, Professorin an der Juristischen Fakultät der Universität Regensburg, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Römische Rechtsgeschichte und Privatrechtsgeschichte der Neuzeit.

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT. e-ISBN PDF 978-3-16-151207-0 ISBN 978-3-16-149190-0 ISSN 0940-9610 (Jus Privatum) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2008 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Computersatz Staiger in Rottenburg/N. aus der Garamond-Antiqua gesetzt, von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.

V

Vorwort Die Privatautonomie steht im Zentrum des Bürgerlichen Rechts. Für die Testierfreiheit als deren Ausprägung auf dem Gebiet des Erbrechts trifft das frühestens seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu. Als historisch umstrittene Freiheit wird sie zuvor an die familienerbrechtliche Leine gelegt. Auch später ist sie nicht frei von Deutungsmustern, die dem gesetzlichen Erbfolgemodus entstammen. Die vorliegende Schrift plädiert für ein dezidiert rechtsgeschäftliches Verständnis der Testierfreiheit. Als verfassungsrechtlich gehegtes Recht konsolidiert sich die Verfügungsbefugnis von Todes wegen unter der Herrschaft des Grundgesetzes als eigenständiger rechtsgeschäftlicher Gestaltungsraum des Erblassers. Aber der „Siegeszug“ der Testierfreiheit hat auch seine Schattenseiten. Zivilrechtliche Strukturen drohen in den Hintergrund zu treten, wo Verfassungsrecht und „einfaches“ Recht miteinander kurz geschlossen werden. Die vorliegende Arbeit plädiert für eine verfassungsrechtliche Neujustierung der Testierfreiheit, die deren originär zivilrechtlichen Charakter entfalten hilft. Die Testierfreiheit stand lange Zeit im Schatten der Vertragsfreiheit unter Lebenden. Die Dominanz des lebzeitigen Vertragsparadigmas als der zentralen rechtsgeschäftlichen Ausdruckform des Individuums in einer „Kontrakts- und Leistungsgesellschaft“ hat historisch und dogmatisch zu einer Delegitimierung der Testierfreiheit als undemokratische „Herrschaft aus dem Grabe“ oder „von kalter Hand“ geführt. Die vorliegende Arbeit analysiert lebzeitige Vorprägungen der Testierfreiheit und plädiert für eine originär erbrechtliche Lesart. Die Abhandlung wurde im Wintersemester 2005/2006 vom Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz als schriftliche Habilitationsleistung angenommen. Jüngere Rechtsprechung und Literatur habe ich bis zum Oktober 2007 eingearbeitet. Den Herren Professoren Dres. Andreas Roth und Ulrich Haas danke ich herzlich für Betreuung und Begutachtung, der VG Wort für die Übernahme der Druckkosten. Widmen möchte ich die Schrift meinem Ehemann, Dr. Jürgen Treber. Regensburg, im Oktober 2007

Inge Kroppenberg

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Inhaltsübersicht Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Erster Teil: Friktionen und offene Fragen im Verhältnis von erbrechtlicher und lebzeitiger Gestaltungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 1 Die mittelbare Wiederentdeckung der Testierfreiheit unter der Geltung des Bürgerlichen Gesetzbuchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 § 2 Die verfassungsrechtlich geschützte Testierfreiheit in iure civili – eine zivilrechtsdogmatische Fehlanzeige . . . . . . . . . . . 29 § 3 Die Testierfreiheit im Verhältnis zur Vertragsfreiheit unter Lebenden 57 § 4 Die Testierfreiheit im Verhältnis zur lebzeitigen Verfügungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 § 5 Zusammenfassung des Ersten Teils, Zielsetzung und weiterer Untersuchungsverlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Zweiter Teil: Verfassungsrechtliche Anlage und zivilrechtliche Struktur der Testierfreiheit als privatautonomes Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 § 6 Von der Engführung von Eigentum und Erbrecht zum Freiheitsrecht im wirtschaftlichen Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 § 7 Das so genannte Recht des Erben, kraft Erbfolge zu erwerben – Grundrechtliche Anlage und zivilrechtliche Folgen für die Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 § 8 Zusammenfassung des Zweiten Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 Dritter Teil: Die Testierfreiheit als besondere Ausprägung der Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 § 9 Essentialia und Akzidentia privatautonomen Handelns am Beispiel der Formfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 10 Vornahme- und Beendigungsfreiheit als Strukturelemente lebzeitiger und erbrechtlicher Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 11 Inhaltsfreiheit als Strukturelement lebzeitiger und erbrechtlicher Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 12 Gestaltungsfreiheit als Strukturelement lebzeitiger und erbrechtlicher Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 13 Zusammenfassung des Dritten Teils und Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

231 238 244 271 352

VIII

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Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Erster Teil Friktionen und offene Fragen im Verhältnis von erbrechtlicher und lebzeitiger Gestaltungsbefugnis § 1 Die mittelbare Wiederentdeckung der Testierfreiheit unter der Geltung des Bürgerlichen Gesetzbuchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 A. Annäherung über das Pflichtteilsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 B. Annäherung über den Sittenwidrigkeitsmaßstab des § 138 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 § 2 Die verfassungsrechtlich geschützte Testierfreiheit in iure civili – eine zivilrechtsdogmatische Fehlanzeige . . . . . . . . . . . . . . . . 29 A. Verflüchtigung des Zivilrechts in der „Hohenzollern“Entscheidung des Bundesgerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 B. Zivil- und verfassungsrechtliche Grenzgänge und -überschreitungen in der „Hohenzollern“-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 I. Zur Frage der Determination des Zeitpunkts der Sittenwidrigkeitsprüfung durch das Bundesverfassungsgericht . . . . . II. Der „Druck“-Topos zwischen Zivil- und Verfassungsrecht . . . 1. „Druck“ und Intensität des Grundrechtseingriffs – zur verfassungsrechtlichen Adaption eines schillernden Topos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. „Druck“ als vermeintlich zivilrechtliche Größe . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

C. „Usurpation“ der Testierfreiheit durch das Verfassungsrecht – unterschätzte Gefahren und zivilrechtliche Vermeidungsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 I. Drittwirkung der Grundrechte durch Anerkennung des Bedachten (Goebel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 II. Nichtauslösung der Drittwirkung bei Zuwendungen mit „Antragscharakter“ (Gutmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 § 3 Die Testierfreiheit im Verhältnis zur Vertragsfreiheit unter Lebenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 A. Testierfreiheit als ursprüngliche und weniger entwickelte Ausprägung der Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 I. Prinzip und Mythos – Zur Entwicklungsgeschichte von Vertrags- und Testierfreiheit im 19. und 20. Jahrhundert . . . . . . 57 II. Meilensteine in der Diskussion der Vertragsfreiheit unter Lebenden – ein Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 III. Zur Frage der Normativierung der Testierfreiheit durch „Testamentsparität“ im Rahmen von § 138 Abs. 1 BGB . . . . . . . 66 B. Testierfreiheit unter dem Primat der Privatautonomie unter Lebenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 I. Die Verwurzelung des Primats in aufklärerischem Rechts(gleichheits)denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 1. Lebzeitige Selbstbestimmung durch Wirkung und Gegenwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 2. Lebzeitige Hilfskonstruktionen zur formalen Aufhebung der „Fremdbestimmung“ im Erbrecht . . . . . . . . . 74 II. Die Privatautonomie inter vivos als Positivund Negativfolie für die Gestaltungsbefugnis von Todes wegen – ein Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 1. Negative Abgrenzung vom Recht der Lebenden: Äquivalenz im Erbrecht am Beispiel der Grundsätze vom Wegfall der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 2. Positive Anknüpfungen an das Recht der Lebenden . . . . . . . . 84 a. Zur Zurückdrängung des erbrechtlichen Willensdogmas . . . . . . . . . 84 b. Zur „Verlebzeitigung“ des Erbrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86

III. Die Frage der Entgeltlichkeit erbrechtlicher (Erwerbs-)Causae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87

Inhaltsverzeichnis

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IV. Verhaltensbezogene Verfügungen von Todes wegen . . . . . . . . . 94 1. Ideengeschichtlicher Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 2. Die juristischen Varianten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 C. Testierfreiheit als aliud zur Privatautonomie unter Lebenden . . . . . 104 I. Verschiedene Varianten als Ausdruck eines Prinzips privatautonomer Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vertrags- und Testierfreiheit als zwei verschiedene Privatautonomien (Goebel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Spaltung der Privatautonomie in Persönlichkeits- und Vermögensrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Affekt und ökonomische Vernunft als vermeintliche Gegenpole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

104 106 106 111

§ 4 Die Testierfreiheit im Verhältnis zur lebzeitigen Verfügungsfreiheit . . . 118 A. Kausalität des erbrechtlichen Erwerbs und erbrechtlicher Typenzwang aus lebzeitiger Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 B. Verfügungen unter Lebenden unter erbrechtlichem Regime – ein rechtshistorisches Lehrstück . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 § 5 Zusammenfassung des Ersten Teils, Zielsetzung und weiterer Untersuchungsverlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 A. Befund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 I. Die Testierfreiheit des Bürgerlichen Gesetzbuchs als wirkmächtiges nudum ius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfassungsrechtlicher Legitimierungsversuch . . . . . . . . . . . . . . III. Zivilrechtliche Erklärungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Intra-erbrechtliche Begründungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zwischen Bezugssystem und Definitionsprimat – Parameter eines Vergleichs zwischen dem Recht der Lebenden und dem Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Begünstigende Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Erschwerende Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa. Entwicklungsgeschichtliche Vorprägungen auf das Recht der Lebenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb. Inkongruenz des tertium comparationis . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc. Mangelnder inhaltlicher Bezug im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . dd. Verabsolutierung von Leitbildern der lebzeitigen und erbrechtlichen Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee. Gegenläufige Entwicklungslinien und Annäherungstendenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

B. Zielsetzung und weiteres Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 I. Der konservative Ansatz: Testier- und Vertragsfreiheit als gleichberechtigte Formen der Privatautonomie . . . . . . . . . . . 142 II. Der emanzipatorische Ansatz: Entwicklung eigenständiger erbrechtlicher Lösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 III. Untersuchungsverlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Zweiter Teil Verfassungsrechtliche Anlage und zivilrechtliche Struktur der Testierfreiheit als privatautonomes Prinzip § 6 Von der Engführung von Eigentum und Erbrecht zum Freiheitsrecht im wirtschaftlichen Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 A. Überkommene Ansätze in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 B. Zur Parallelisierung von Eigentümer- und Testierfreiheit durch das Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 I. Die Testierfreiheit als Verfügungsbefugnis des Eigentümers über den Tod hinaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 II. Die Gestaltungsbefugnis von Todes wegen im Korsett der Eigentümerfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 C. Plädoyer für eine verfassungsrechtliche Neujustierung der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 I. Neue Impulse in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 II. Parallelen in der verfassungsrechtlichen Anlage von Testier- und Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 1. Vertrags- und Testierfreiheit als unbenannte normgeprägte Freiheitsrechte mit zivilrechtlicher Entfaltungsprärogative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 a. Die Normprägung von Testier- und Vertragsfreiheit im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa. Grad und Qualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb. Normprägung und „natürliche“ Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Testier- und Vertragsfreiheit als unbenannte Freiheitsrechte . . . . .

167 167 171 174

2. Zur personalen Natur von Vertrags- und Testierfreiheit – eine Grenzziehung zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 3. Testier- und Vertragsfreiheit als wirtschaftliche Freiheitsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182

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4. Zum so genannten demokratischen Potenzial von Testier- und Vertragsfreiheit (Art. 20 Abs. 1 GG) . . . . . 187 a. b. c. d.

Das lebzeitige Idealbild: Die „demokratische“ Vertragsfreiheit . . . . Das negative Andere: Die „undemokratische“ Testierfreiheit . . . . (Rechts-)Machtneutralisierung mit erbrechtlichen Mitteln . . . . . . Zur Organisation von Freiheit und Gleichheit im Recht der Lebenden und im Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa. Der zeitliche Aspekt: Simultanität im Recht der Lebenden versus erbrechtliche Linearität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb. Die sachliche Konsequenz: Ergebniskontrolle statt „Richtigkeit durch Verfahren“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

187 190 193 195 195 198

III. Wirkungen einer verfassungsrechtlichen Parallelisierung von Testier- und Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 1. Emanzipatorisches Signal auf Verfassungsebene . . . . . . . . . . 201 2. Normenhierarische Bereinigungseffekte und einfachgesetzliche Entwicklungspotenziale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 § 7 Das so genannte Recht des Erben, kraft Erbfolge zu erwerben – Grundrechtliche Anlage und zivilrechtliche Folgen für die Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 A. Erwerbsrecht des Erben als Reflex des Freiheitsrechts des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 I. Verfassungsrechtliche Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 II. Zivilrechtliche Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 B. Erwerbsrecht als selbstständiges Recht des Erben . . . . . . . . . . . . . . . . 210 I. Verfassungsrechtliche Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zivilrechtliche Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Lebzeitige Umwertung der Testierfreiheit durch das verfassungsrechtliche Institut der „Erbrechtsfreiheit“ . . . . . 2. Das Erbenrecht als disparate zivilrechtliche Rechtsgesamtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

210 211 211 214

a. Erbrechtliche Vermögensadministrationsrechte . . . . . . . . . . . . 214 b. Die Ausschlagung als Ausdruck der Privatautonomie des Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215

§ 8 Zusammenfassung des Zweiten Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222

XIV

Inhaltsverzeichnis

Dritter Teil Die Testierfreiheit als besondere Ausprägung der Privatautonomie § 9 Essentialia und Akzidentia privatautonomen Handelns am Beispiel der Formfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 A. Methodische Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 B. Zur Formfreiheit als Strukturelement privatautonomen Handelns im Recht der Lebenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 § 10 Vornahme- und Beendigungsfreiheit als Strukturelemente lebzeitiger und erbrechtlicher Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 § 11 Inhaltsfreiheit als Strukturelement lebzeitiger und erbrechtlicher Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 A. Typenfreiheit im Recht der Lebenden und im Erbrecht . . . . . . . . . . . 244 I. Die Antinomie von lebzeitiger Typenfreiheit und erbrechtlichem Typenzwang – Kritik eines Mythos . . . . . . . . . II. Typenzwang als lebzeitige und nicht erbrechtliche Rechtsfigur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Nochmals: Anleihen beim sachenrechtlichen Typenzwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. §§ 1937–1941 BGB als freiheitserweiternde Befugnisoder freiheitsbeschränkende Ermächtigungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Typenzwang als Korrektiv für rechtsgeschäftliches Handeln zulasten Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Typenzwang als Mittel zur Rekonstruktion des Willens eines Verstorbenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

244 248 248

250 251 254

III. Der zwingende Charakter des Erwerbsmodus im Verhältnis zur Inhaltsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 B. Typenentwicklungsfreiheit im Recht der Lebenden und der Verfügungen von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 I. Inhaltsfreiheit als „evolutive Freiheit“ im Recht der Lebenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 II. Das so genannte Behindertentestament als Ausdruck „evolutiver Freiheit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260

Inhaltsverzeichnis

XV

1. Entwicklungsgeschichte und kautelarjuristische Gestaltung eines besonderen Regelungsanliegens . . . . . . . . . 260 2. Das so genannte Behindertentestament als typengemischtes Rechtsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 § 12 Gestaltungsfreiheit als Strukturelement lebzeitiger und erbrechtlicher Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 A. Die Organisation von Gestaltung und Geltung im Recht der Lebenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 I. Geltung durch Bindung: Das Larenz’sche Konzept der Geltungserklärung und seine Friktionen im Recht der Lebenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 II. Geltung durch Wirksamkeit: Spielarten und Kritik eines normativen Geltungsverständnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 B. Die Organisation von Gestaltung und Geltung im Recht der Verfügungen von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 I. Die Verengung privatautonom und normativ akzentuierter Bindungstheorien auf das Recht der Lebenden (Larenz, Hepting) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ein lebzeitiges Bindungsmodell in erbrechtlicher Verkleidung: Abgestufte Bindung bei Erbverträgen und gemeinschaftlichen Testamenten (S. Loritz) . . . . . . . . . . . . . III. Testierfreiheit als unverbindliche Ausprägung der Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zur These vom mangelnden Vertrauensschutz im gewillkürten Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Lebzeitige Vorprägungen und dogmatische Fehlschlüsse . . . . . . . b. Arten und Anwendungsfelder von spezifisch erbrechtlichem Vertrauen im Vergleich zum Recht der Lebenden . . . . . . . . . . . . . . aa. Primärvertrauen des Erben in den Fortbestand seiner Rechtsposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb. Auswirkungen des Primärvertrauens im Recht der Auslegung und Anfechtung von erbrechtlichen Willenserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

279

284 287 287 287 293 293

296 (1) Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 (2) Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300

cc. Sekundärvertrauen des Erben als Anknüpfungspunkt für eine so genannte culpa in testando des Erblassers . . . . . . . 304

2. Kompensation der Unverbindlichkeit der Testierfreiheit mit lebzeitigen Mitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304

XVI

Inhaltsverzeichnis a. Zur qualifizierten Verfügungsunterlassungsabrede als tertium zwischen lebzeitigem und erbrechtlichem Rechtsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Die so genannte materielle Verfügung von Todes wegen als rechtspolitisch überholtes Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c. Die rechtskonstruktive Unstimmigkeit der so genannten materiellen Verfügung von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa. Das Valutaverhältnis beim Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb. Die postmortale Vollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc. Die so genannte qualifizierte Verfügungsunterlassungsabrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

304 308 310 310 312 318

IV. Inkompatibilität von bindungsbezogener Vertragsfreiheit und bindungsloser Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 1. Das Beispiel „übergreifender“ Konversion von erbrechtlichen und lebzeitigen Rechtsgeschäften . . . . . . 325 2. §§ 2302, 2301 BGB als gegenläufige Konzepte . . . . . . . . . . . . 331 V. Entkopplung der Seins- von der Wirkebene privatautonomer Rechtsgestaltung im Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Problematische Anleihen beim lebzeitigen Leitbild: Testieren als Vorbereitungs- oder Dauerhandlung . . . . . . . . 2. Zur Gültigkeit als vorgelagertem normativen Maßstab im gewillkürten Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Zeitpunkt der Sittenwidrigkeitsprüfung im Kontext rechtswirkungsrechtlichen Denkens . . . . . . . . . .

338 338 341 344

a. Gesinnungskontrolle im Errichtungszeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . 344 b. Das objektive Modell von „Akt“ und „Regelung“ (Flume) – Erbrechtliches Entfaltungspotenzial und lebzeitige Vorprägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346

§ 13 Zusammenfassung des Dritten Teils und Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 A. Emanzipationsbedarf: Lebzeitige Vorprägungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 B. Konsolidierungsstrategie: Entfaltung der Strukturprinzipien privatautonomen Handelns von Todes wegen . . . . . . . . . 353 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401

1

Einleitung Die Testierfreiheit war unter der Geltung des Bürgerlichen Gesetzbuchs als Prinzip niemals ernsthaft gefährdet. Nicht mehr, muss man der historischen Genauigkeit halber hinzufügen, nachdem dem (Privat-)Erbrecht und mit ihm der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen1 im 19. Jahrhundert die Existenzberechtigung zuweilen insgesamt abgesprochen worden war. 2 Der Gesetzgeber des Bürgerlichen Gesetzbuchs ließ sich auf diese Tradition nicht ein, „ging [vielmehr] ganz selbstverständlich vom Prinzip der Testierfreiheit aus“3 und verzichtete weitgehend auf eine naturrechtliche oder rechtsphilosophische 4 Begründung. Die gerade erst überwundene Erschütterung der Testierfreiheit wirkt in der ebenso nüchternen wie selbstbewussten Feststellung Plancks nach, „die Befugnis des Erblassers, von Todes wegen zu verfügen, [lasse] sich nicht aus allgemeinen Grundsätzen ableiten, sondern beruhe auf den von der Rechtsordnung darüber getroffenen besonderen Vorschriften.“5 Nicht ein bestimmter weltanschaulicher Ansatz wird hier zur Begründung bemüht6; die Gewährung der Testierfreiheit wird vielmehr schlicht als der Ausdruck einer (selbst-)bewussten gesetzgeberischen Entscheidung vorgestellt – nämlich derjenigen, die Gestal1 Die Privaterbfolge ist notwendige Voraussetzung der Testierfreiheit. Sie gestaltet jene inhaltlich aus: BVerfGE 67, 329, 341; Hetmeier, S. 70, m.w.Nw. in Fn. 43, 86. 2 Umfassend dazu Schröder, S. 31 ff., 174 ff., 287 ff., 220 ff., 292 ff., 253 ff., 298 ff., 332 ff., 356 ff., 378 ff., 381 ff.; ders., in: Mohnhaupt, S. 281, 289 ff.; des Weiteren Hattenhauer, Jura 1983, 68, 74 ff.; Klippel, ZRG GA 101 (1984), 117, 137 ff., 163 ff.; Hetmeier, S. 38 ff.; Hofer, S. 106 f., Fn. 256; B. Bayer, S. 163 ff., 196 ff., 285 f., 296 ff., 307 ff.; Stagl, S. 154. S. auch Leisner, Gleichheitsstaat, S. 154 ff.; und aus soziologischer Perspektive Beckert, S. 66 ff., 71 ff. 3 Schröder, S. 145: „In den Vorberatungen der Ersten Kommission, in den Hauptberatungen und in den Beratungen der Zweiten Kommission spielte die Frage nach der Abschaffung des Erbrechts keine Rolle.“; s. auch ders., S. 17 ff.; H.-G. Mertens, S. 37, 39 f.; Hetmeier, S. 48 ff.; Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 83. Anders im erbrechtlichen Teilentwurf des Redaktors von Schmitt, der insoweit bei Baron, Angriffe auf das Erbrecht, 1877, reichlich Anleihen machte: Synopse bei Schröder, S. 137; Hetmeier, S. 42 ff. Inhaltlich war Barons Konzeption der Testierfreiheit (dazu Hofer, S. 150 f.) allerdings weitaus weniger auf den Willen des Erblassers bezogen als die von Schmitts. 4 Zu rechtsphilosophischen Einflüssen auf den Redaktor von Schmitt: Schröder, S. 389 ff., 425 ff., 430 ff., 487 ff. 5 §§ 1937–1942 Vorbem., Anm. 2. a. 6 Übersicht über die „ausrangierten“ historischen Ansätze zur Begründung der Testierfreiheit bei Schiemann, ZEV 1995, 197, 199.

2

Einleitung

tungsbefugnis von Todes wegen zur dritten tragenden Säule neben der Vertragsfreiheit unter Lebenden und dem freiem Eigentum auszubauen.7 Ebenso wie diese Prinzipien8 ließ sich auch die Testierfreiheit9 auf den ersten Blick zwanglos mit den Interessen des liberalen Besitzbürgertums assoziieren10 und prägte in diesem Sinne das personelle Leitbild des Bürgerlichen Gesetzbuchs mit.11 Als erste der Verfassungen, die in Deutschland galten, machte sich das Grundgesetz die zivilrechtliche Grundentscheidung zur Testierfreiheit zueigen.12 Neben das „Eigentum“ wurde das „Erbrecht“ ausdrücklich in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gerückt, als dessen „bestimmendes Element“ die Testierfreiheit stets betrachtet wurde.13 Aus dem existenziell bedrohten Recht war ein zivilrechtlich anerkanntes und verfassungsrechtlich „gehegtes“ Institut geworden.14 Zwar erwies sich diese „Doppelsicherung“ in der Folgezeit gerade aus zivilrechtlicher Sicht als nicht unproblematisch.15 Jedoch gemahnt sie daran, dass die Testierfreiheit historisch eine der fragilsten der genannten privatrechtlichen Freiheitsrechte war. Nicht umsonst stand im

7 Von Schmitt, S. 55; H.-G. Mertens, S. 108. W. Nw. bei Repgen, S. 522; Busche, S. 46. C. Paulus/Zenker, JuS 2001, 1, 1, und Martinek, S. 17, führen noch die Vereinigungsfreiheit an. Boehmer, in: Nipperdey, Grundrechte, Art. 154, S. 250 ff., zählt neben dem Erbrecht und der Vertragsfreiheit die Rechtsinstitute Eigentum, Ehe und elterliche Gewalt zu den „fünf großen Eckpfeilern“ der Privatrechtsordnung. Martinek, a.a.O., spricht von einer der „vier zivilrechtlichen Grundfreiheiten“. Ähnlich Dilcher, NJW 1960, 1040, 1040. W. Nw. bei Heinrich, S. 105, m. Fn. 216. 8 Allgemein zur Prinzipienbildung im Bürgerlichen Gesetzbuch Hofer, S. 13 ff.; HKK/ Rückert, vor § 1 Rn. 68 ff., dort auch zur Testierfreiheit als „kleinerem Prinzip“; zum grundsätzlichen Charakter der Privatautonomie Flume, BGB AT II 2, § 1, 1, S. 1; allgemein zu Prinzipienrelationen Alexy, Recht, S. 177 ff., 206 ff. Aus der grundrechtlichen Prinzipienlehre lässt sich für das Zivilrecht sicher ihr Charakter als normatives Optimierungsgebot übernehmen: Alexy, Grundrechte, S. 75 f.; s. auch Enderlein, S. 83 ff.; 131 ff.; und vor allem Larenz, Richtiges Recht, S. 23 ff., m.w.Nw. 9 Zur historischen Entwicklung der weiteren erbrechtlichen Prinzipien des Bürgerlichen Gesetzbuchs Muscheler, ErbR 2006, 34 ff. 10 Repgen, S. 522; Grziwotz, Fs. Schippel, S. 9, 17: „Das Modell der bürgerlichen Gesellschaft, das dem BGB mit seiner Vertrags-, Eigentums- und Testierfreiheit zugrunde liegt, ist eine Gesellschaft von Eigentümern […].“ 11 MünchKomm/Leipold, Einl. zu §§ 1922–2385 Rn. 12 f. Zweifelnd hinsichtlich dieses „individualisierungstheoretischen Zugangs“ aus soziologischer Sicht Beckert, S. 35. 12 Mit Ausnahme von Art. 60 Abs. 1 der Verfassung von Rheinland-Pfalz erwähnen die Länderverfassungen den besonderen Schutz des „Erbrechts“ nicht, ebenso wenig die Weimarer Reichsverfassung. Anders hielt es § 165 Abs. 1 Satz 1 der Paulskirchenverfassung: „Jeder Grundeigentümer kann seinen Grundbesitz unter Lebenden und von Todes wegen ganz oder teilweise veräußern.“ 13 BVerfG NJW 1998, 2964; BVerfGE 91, 346, 358; BVerfGE 67, 329, 341. 14 So auch die Einschätzung von Dauner-Lieb, Fs. Schwab, S. 19, 19 f.: „Das Erbrecht hat sich freilich als zählebig erwiesen: Es wird heute durch Art. 14 I GG in einer Kombination von Verwandtenerbrecht und begrenzter Testierfreiheit geschützt […]“. 15 Unten § 2 A., S. 29 ff.

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19. Jahrhundert sie – und nicht so sehr die Privatautonomie unter Lebenden16 – in ihrem Bestand zur Debatte. Der Neuanfang, den das Bürgerliche Gesetzbuch mit der Testierfreiheit gewagt hat, hat sich gelohnt. Die Gestaltungsbefugnis von Todes wegen ist ihrer neuen gewichtigen Rolle funktionell nicht minder gerecht geworden als die Vertragsfreiheit unter Lebenden. Zusammen mit ihr wird die Testierfreiheit als integrierender Bestandteil der „Privatrechtsgesellschaft“ angesehen.17 Anders als an der ratio des Pflichtteilsrechts hat man an der Berechtigung der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen über die Jahre nicht gezweifelt, 18 wohl weil an ihrer gesellschaftlichen Akzeptanz nicht zu rütteln und ein grundlegender sozialer Wandel, der allein den Gesetzgeber hätte auf den Plan rufen können, nicht zu verzeichnen war.19 Im Gegenteil: Die Testierfreiheit wird mittlerweile als eine der „elementaren Grundbedingungen einer privatautonomen Rechtsordnung“20 angesehen. Als Konzept ist die Verfügungsbefugnis von Todes wegen gerade in der heutigen Zeit so überzeugend, weil sie – um ein Diktum Schiemanns aufzugreifen – „dem Individualismus der gesamten Privatrechtsordnung, also der bestimmenden Kraft von Privateigentum und Vertragsfreiheit, unmittelbar entspricht.“21 Die befürchtete „Flucht in die erbrechtsunabhängige Sonderrechtsnachfolge von Todes wegen“, 22 insbesondere in den Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall, lässt sich empirisch nicht mit der notwendigen Aussagekraft belegen. Insbesondere kann ein Kausalzusammenhang zwischen einem Rückgang der Verfügungen von Todes wegen und einer Zunahme von lebzeitigen Rechtsgeschäften auf den Todesfall nicht erhärtet werden. Der erhebliche Zuwachs an abgeschlossenen Lebensversicherungsverträgen23 und die gestiegenen Spareinlagen 24 legen einen Erwerb am Nachlass vorbei und damit eine Minderung des vererbbaren Vermögens zwar nahe. Jedoch haben die Erblasser auch mehr Vermögen zu verteilen als in den ersten Jahren der Geltung des Bürgerlichen Gesetzbuchs. 25 Wie das Verfügungsverhalten davon real beeinflusst wird, bleibt 16 Hofer, S. 4 f. S. aber auch Mayer-Maly, AcP 194 (1994), 105, 153, zu kritischen Stimmen im Hinblick auf den Autonomiegedanken in der Privatrechtswissenschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts. 17 Canaris, Fs. Lerche, S. 873, 877 f.: Erbrecht und Testierfreiheit als „Strukturelemente der Privatrechtsgesellschaft“. 18 Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 21: „Die Legitimation der Testierfreiheit selbst steht nicht mehr ernstlich zur Debatte.“ 19 Zawar, DNotZ 1989, 116, 117. 20 Singer, Selbstbestimmung, S. 220. 21 Schiemann, ZEV 1995, 197, 199; ihm folgend Linker, S. 126. 22 Muscheler, Vonselbsterwerb, S. 101. Der Begriff „von Todes wegen“ ist in diesem Zusammenhang unglücklich. Er impliziert gerade eine erbrechtliche Zuwendung. 23 Leipold, AcP 180 (1980), 160, 207 f. 24 Umfangreiches Zahlenmaterial bei Staudinger/Haas, Vorbem. zu §§ 2303 ff. Rn. 26. 25 Otte, AcP 202 (2002), 317, 343 f.; s. des Weiteren Lange/Kuchinke, § 1 II, S. 3 f.: „Die

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letztlich offen. 26 Da Rechtsgeschäfte unter Lebenden auf den Todesfall nur für bestimmte Gegenstände des Erblasservermögens – wenn auch für besonders wertvolle27 – in Betracht kommen, bieten sie ohnehin keine „Gesamtlösung“. Mit einigem zeitlichen Abstand zu anders lautenden Äußerungen aus den Siebziger Jahren lässt sich heute sagen, dass von einem vollständigen „Funktionsverlust“28 der Testierfreiheit durch Etablierung eines „Nebenerbrechts“ unter Lebenden nicht die Rede sein kann.29 Ein modernes kautelarjuristisches estate planning kombiniert lebzeitige Gestaltungsmittel auf den Todesfall und erbrechtliche Instrumente im Interesse des Erblassers, aber auch der projektierten Zuwendungsempfänger.30 Allenfalls lässt sich mit Otte von einer „geringeren Angewiesenheit auf erbrechtlichen Erwerb“31 sprechen. Letztlich im Bereich des Spekulativen bewegt sich die Aussage von Lange/Kuchinke, der Errichtung von Verfügungen von Todes wegen stünden „psychologische Hemmungen“ entgegen, die bei lebzeitigen Rechtsgeschäften auf den Todesfall nicht aufträten.32 In Bedeutung des Erbrechts ist angesichts des Wachstums der privaten Vermögen […] erheblich gestiegen“; Schiemann, ZEV 1995, 197 ff.; Ann, S. 1 f., m.w.Nw.; s. auch Strätz, FamRZ 1998, 1353, 1353, m. Fn. 2: „Erb-Boom“; ders., DNotZ 2001, 452 ff.; Harder/Kroppenberg, S. V; Schmoeckel, NJW 1996, 1697, 1701: „Belastungsprobe für das Erbrecht“; Pfeiffer, FamRZ 1992, 1266, 1266: „Generation der Erben“. Die juristischen Beiträge enthalten kaum Zahlenmaterial (eine Ausnahme ist Schmoeckel, § 2, Rn. 7); außerhalb der juristischen Literatur findet es sich vor allem in soziologischen Studien wie dem so genannten AltersSurvey: Kohli/Künemund/Motel, S. 199 ff., 209 ff., mit den Tabellen 6–A3, 6–A4, 6–A5; dies./Szydlik, S. 56, 215 ff., mit den Tabellen 7–30, 7–31, 7–32. Zuletzt Nave-Herz, in: Röthel, Reformfragen, S. 23 ff. Zur gesellschaftlichen Verteilung des vererbten Vermögens s. Beckert, S. 26 ff.; Szydlik, KZfSS 1999, 80 ff., 84 ff., 100 f.; Kohli/Szydlik, Kursbuch 135, S. 33, 36 f.; Kosmann, Kursbuch 135, S. 73 ff. W. Nw. aus der soziologischen Literatur bei Goebel, DNotZ 2004, 102, 117, m. Fn. 72. Erbschaftssteuerrechtliche Folgerungen will Rittstieg, in: AK-GG, Art. 14/15 Rn. 145, ziehen, „um einem Rückfall in die Klassengesellschaft vorzubeugen.“ 26 Die empirischen Arbeiten von Guericke, J. Vollmer, Rotering und B. Schulte behandeln diesen Aspekt nicht. Zum Desiderat einer „Rechtstatsachenforschung auf erbrechtlichem Gebiet“: Otte, AcP 202 (2002), 317, 336. S. auch Buchholz, FamRZ 1987, 440, 440 Fn. 2. 27 Kollhosser, AcP 194 (1994), 231, 233: „Bei Familienunternehmen dürfte sie [die vorweggenommene Erbfolge] inzwischen eine Regel mit nur noch wenigen Ausnahmen sein.“ 28 So der Titel des Beitrags von Schröder, in: Mohnhaupt, S. 281 ff. 29 So aber Däubler, RuG 1974, 43 ff.; ders., ZRP 1975, 136, 144 ff.; zust.: E. Jung, FamRZ 1976, 134, 136. Dagegen Mayer-Maly, RuG 1974, 40. S. auch Gerken, Rpfleger 1989, 45, 47. Wie hier jüngst Schmoeckel, § 2, Rn. 7, m. Fn. 11. 30 Reimann, ZEV 1997, 129 ff. Der Begriff stammt aus dem US-amerikanischen Recht: F. L. Heiss, Kursbuch 135, 145 ff. Beispielhaft sind Schiemanns Ausführungen zur Vermögensnachfolge älterer Menschen (Fs. Otte, S. 313 ff.): Die Gestaltung letztwilliger Verfügungen steht neben der lebzeitiger Rechtsgeschäfte. S. auch Reimann, Fs. Otte, S. 285 ff., zur kautelarjuristischen Gestaltung der Unternehmensnachfolge. 31 AcP 202 (2002), 317, 344. Schmoeckel, § 3, Rn. 1, spricht von „Alternativen zum Erbrecht“. Zu Funktionsveränderungen des modernen Erbrechts aus soziologischer Sicht Beckert, in: Röthel, Reformfragen, S. 1, 5. 32 Lange/Kuchinke, § 33 I 3, S. 743.

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der Substanz ist jedenfalls das Recht, von Todes wegen zu verfügen, gegenwärtig keineswegs so angegriffen, als dass die Rechtsgeschäfte unter Lebenden auf den Todesfall in das Erbrecht zwingend „zurückgeholt“ werden müssten, wie Leipold das zu Beginn der Achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts noch als dringliches Reformanliegen formuliert hatte.33 Die Gefahr, die der Testierfreiheit in der heutigen Zeit droht, liegt weniger im bewussten und mehr oder weniger offen vollzogenen (System-)Wechsel des Erblassers vom Erbrecht in das Recht der Lebenden. Das zeigt sich schon daran, dass auch das umgekehrte Phänomen vorkommt.34 Vielmehr rückt das Recht der Lebenden selbst näher an das Erbrecht heran. Das geschieht auf subtile Weise, in dem lebzeitige Elemente und Argumentationslinien in erbrechtliche Strukturen implementiert werden. In der Tendenz ist eine schleichende „Verlebzeitigung“ der Rechtsgeschäfte von Todes wegen zu verzeichnen, die vielleicht nicht die Macht zur Implosion der spezifisch erbrechtlichen Ausprägung der Privatautonomie hat, der aber in jedem Fall erosives Potenzial eignet. Die Orientierung am Recht der Lebenden erfolgt nicht selten unbewusst, so dass sich der Befund nicht unmittelbar aufdrängt. Die Verfahrensweise hat jedoch durchaus Tradition und Methode. An der Oberfläche sehen die Dinge positiver aus. Vordergründig hat das totgesagte Erbrecht nicht nur „überlebt“, es hat sich ebenso wie die Testierfreiheit prima facie auch mehr als konsolidiert. Die Gestaltungsbefugnis von Todes wegen ist mit einigen spektakulären höchstrichterlichen Entscheidungen in den Focus der erbrechtlichen Judikatur zurückgekehrt. Auch das Bundesverfassungsgericht hat sich der Materie in jüngster Zeit gleich zwei Mal angenommen. Es hat die Grenzen der scheinbar schrankenlosen Testierfreiheit erneut abgesteckt, in dem es das Pflichtteils(entziehungs-)recht für verfassungsgemäß erachtet 35 und die Testierfreiheit als durch die Eheschließungsfreiheit nach Art. 6 Abs. 1 GG be-

33 Leipold, AcP 180 (1980), 160, 209; s. freilich heute ders., Rn. 85 a.E. Der Aufsatz aus den Achtziger Jahren war Anlass für die Studie von Olzen, Die vorweggenommene Erbfolge, 1984. Dem gegenüber hatte Coing, Gutachten 49. DJT, A 25, A 37, noch die Ermöglichung von Sondererbfolgen erwogen. Kritisch dazu Dieckmann, Gutachten 49. DJT, K 30 F. 34 Vom Recht der Lebenden wird kautelarjuristisch auf das Erbrecht vor allem dann ausgewichen, wenn es gilt, den Eintritt von Rechtswirkungen, die nur lebzeitige Rechtsgeschäfte auslösen können, zu verhindern. In der Rechtsprechung ist das für die Umgehung von Vorkaufsrechten dokumentiert: BGHZ 115, 335 ff.; dazu Grunewald, Fs. Gernhuber, S. 137 ff.; Schermaier, AcP 196 (1996), 256 ff.; sowie BGH NJW 1998, 2136 ff.; hierzu Harder, Fs. Kraft, S. 187 ff.; Sieker, S. 48, m.w.Nw. aus der Rechtsprechung in Fn. 9. 35 BVerfGE 112, 332 ff. Dazu Gaier, in: Röthel, Reformfragen, S. 161 ff.; ders., ZEV 2006, 2 ff., 5 ff.; Herzog, FF 2006, 86 ff.; Führ, MittBayNot 2006, 461 ff.; Weiler, MittBayNot 2006, 296–304; Kleensang, ZEV 2005, 277 ff.; K. W. Lange, ZERB 2005, 205 ff.; J. Mayer, FamRZ 2005, 1441 ff.; Otte, JZ 2005, 1007 ff.; Schöpflin, FamRZ 2005, 2025 ff.; Stüber, NJW 2005, 2122 ff. S. auch Bamberger/Roth/J. Mayer, § 2303 Rn. 3: „hinsichtlich vieler Details seltsam konturlos“.

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schränkt angesehen hat.36 Erste Stellungnahmen sagen voraus, dass dies „in der Gesamtschau den Auftakt für einen tief greifenden Wandel in der zivilgerichtlichen Judikatur“37 bilden könnte. Jedenfalls rücken die Entscheidungen das Verhältnis von Verfassungs- und Zivilrecht am Beispiel des Erbrechts erneut in den Blickpunkt der Diskussion. Ob der „Siegeszug“38 der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen auf diese Weise zu seinem schnellen Ende gekommen ist, ist derzeit eine offene Frage, zu deren Beantwortung Rechtsprechung und Wissenschaft aufgerufen sind. Letztere hat insoweit Nachholbedarf. Denn auf der Tagesordnung der Privatrechtswissenschaft steht die Testierfreiheit erst seit vergleichsweise kurzer Zeit. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit ihr hat mit Verzögerung begonnen und steht erst am Anfang. Im Vergleich zur ausgereiften Dogmatik der Privatautonomie unter Lebenden handelt es sich, wenn schon nicht mehr um terra incognita, so doch um eine Art „Versuchsfeld“, auf dem nicht selten extreme (Gegen-)Positionen ausprobiert werden. In ihrer inhaltlichen Überspitzung erscheinen sie auf den ersten Blick als miteinander nicht kompatibel. 39 Die unversöhnliche Polarität der vorgetragenen Auffassungen ruft Erinnerungen an die Anfänge der Diskussion um die Normativierung und Objektivierung der Privatautonomie unter Lebenden wach.40 Sie ist Anzeichen und Gradmesser dafür, dass und wie sehr die Materie noch im Fluss ist. Das Erbrecht vorrangig als „Vermögensrecht der (Über-)Lebenden“41 zu verstehen und die Testierfreiheit damit auf das Zustande bringen einer „mathematischen, reinen Wertsukzession“42 zu reduzieren, kann ebenso wenig überzeugen, wie das gewillkürte Erbrecht als Teil einer Todeskultur43, nämlich als „Recht des Todes“44 zu beschreiben und die Gestaltungsbefugnis von Todes wegen funktionell ausschließlich als thanatologischen „Todes- und Selbst-

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BVerfG FamRZ 2004, 765 ff., m. Anm. Staudinger. Staudinger, FamRZ 2004, 768, 771, für die „Hohenzollern“-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. 38 Leipold, Fg. BGH I, S. 1011, 1033, 1040, 1045. Ähnlich Falk, in: ders./Mohnhaupt, S. 451, 492: „Siegeszug der ‚grundrechtlich gewährleisteten Privatautonomie im Erbrecht‘“ (BGH NJW 1994, 249, 250, m.w.Nw.). 39 Moderne Antagonisten in diesem Sinne sind Windel, Über die Modi der Nachfolge in das Vermögen einer natürlichen Person beim Todesfall, 1998, der die Testierfreiheit freilich „durch die Brille“ der Universalsukzession betrachtet, und Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, 2004; ders., Testierfreiheit und Ehegattenschutz, 2004: Er begreift die Testierfreiheit als das rechtliche Instrument zur Todesverarbeitung des Erblassers. 40 Unten § 3 A. II., S. 62 ff. 41 Windel, S. 244. 42 Renner, S. 137. 43 Dass Testieren selbst ein „kultureller Akt“ ist (Groll, ZEV 2006, 1 f.), steht auf einem anderen Blatt. 44 Goebel, Ehegattenschutz, S. 898; ders., DNotZ 2004, 101, 116. 37

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erfahrungsraum“ der Erblasserpersönlichkeit zu begreifen.45 Es entsteht eine Unschärferelation, die jeweils einen von zwei integrierenden Bestandteilen der Testierfreiheit auf Kosten des anderen ausblendet. Auf diese Weise verstellt sich der Blick auf deren bestimmendes Merkmal: ihr Charakter als inhaltlich hybrides Recht, dem eine zeitliche Zweiteilung entspricht. Insbesondere diese objektive Zeitstruktur kennzeichnet Verfügungen von Todes wegen in besonderem Maße.46 Geteilt wird die Zeit durch ein Ereignis, das das Bürgerliche Gesetzbuch als den „Tod einer Person“ definiert und „Erbfall“ nennt (§ 1922 Abs. 1 BGB). Es bezeichnet einen Umstand, der außerhalb menschlicher Erfahrung liegt. Er markiert die Erkenntnisgrenze schlechthin47 und liegt damit unter anderem auch außerhalb rechtlicher Kategorien.48 Ein „Recht des Todes“ (Goebel) kann es nicht geben, weil der Tod gebenüber dem Leben an sich ein „gebietsfremdes“ Phänomen ist.49 In einem weiteren Sinne ist daher alles Recht, auch das Erbrecht, denknotwendig ein Recht der Lebenden, weil es rechtsfähige Normadressaten voraussetzt.50 Vor dem Erbfall ist das zunächst der lebende Erblasser, danach sind es die (Über-)Lebenden in ihrer Eigenschaft als Rechtsnachfolger des Verstorbenen. Damit steht zugleich fest, dass das (Erb-)Recht selbst zwingend eine immanente Materie ist. Der letzte Wille des Menschen mag transzendieren, die letztwillige Verfügung kann es nicht.51 Daraus den Schluss zu ziehen, dass das Recht oder seine Interpreten den Tod verdrängten,52 indem sie ihm „allenfalls in rechtstechnischer Manier eine Rolle in dem Sinne spielen ließen, dass der Erblasser nun einmal in einem eher physiologisch-medizinischen Sinne versterben muss, damit das Erbrecht einen 45 Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 167 ff., 172 ff., und passim. S. auch Edenfeld, DNotZ 2003, 4, 13: „postmortale Selbstverwirklichung“. 46 Zur objektiven Rechtszeit im Verhältnis und in Abgrenzung zur geschichtlichen Zeit Husserl, Recht und Zeit, S. 7, 31 f. S. auch sogleich S. 8, m. Fn. 58. 47 Selbst das Bild der Grenze verschwimmt. Einerseits setzt der Tod der Wahrnehmung und Erkenntnis unüberwindbare Grenzen. Andererseits beschreibt er eine Passage ohne deutliche Grenzmarkierung, also eine durchlässige Grenze. Im Einzelnen B. Schumacher, S. 169, m.w.Nw. Nicht nur in rechtlicher Hinsicht ist der Tod daher in der Tat ein „widerspenstiges Thema“ (Macho, in: Assmann, S. 89, 91). 48 B. Schumacher, S. 148 f., m.w.Nw. aus dem philosophischen Schrifttum. 49 B. Schumacher, S. 169, und passim. 50 Als solches muss es vom Recht der Lebenden im engeren, das heißt juristisch-konstruktiven Sinn unterschieden werden, dessen Gegenbegriff das Erbrecht ist. Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 171, m. Fn. 174, nennt als weitere „Rechtsmaterie des Todes“ das „Recht der Sepulchralkultur“. Auch das Begräbnisrecht ist jedoch ein Recht für die Lebenden. Es regelt ihren Umgang mit den Verstorbenen. 51 Auf den Unterschied zwischen den beiden Termini weist Paulus, S. 46 f., hin. Es nimmt nicht Wunder, dass Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 287, beide Begriffe zu Unrecht in eins setzt. 52 So der Vorwurf von Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 135 ff.: „Das bisher ausgeblendete Dritte: Der Tod.“, und S. 167 ff.

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,Einsatzpunkt‘ im Tatsächlichen hat“,53 geht am Kern der Dinge vorbei.54 Das Erbrecht kann, wie alles Recht, den Moment des Ablebens einer Person, weil nicht zum Leben gehörig, nur als „blinden Fleck“ oder „Leerstelle“ erfassen. Selbst Institute wie die Nottestamente, in denen sich das Ableben eines Erblassers mit Macht aktualisiert, können notwendig nur die Besorgnis des nahen Todes als Tatbestandsmerkmal erfassen (§§ 2249 Abs. 1, 2250 BGB), nicht den Tod selbst.55 Das Recht kann nicht anders, als sich vom Tod zurückziehen, in dem es ihn als den Verlust der Rechtsfähigkeit des Individuums und damit als das Ende von dessen Geborgenheit im Recht definiert. Ähnliches gilt für die Geburt, die das Bürgerliche Gesetzbuch erst ab ihrer Vollendung wahrnehmen kann (§ 1 BGB) und auf diese Weise im Leben verortet, 56 sowie für die Empfängnis, die im Fall des § 1923 Abs. 2 BGB so betrachtet wird, als habe die Geburt bereits stattgefunden. Mit einer Verdrängungsleistung hat das alles nichts zu tun. Was rechtlicher Betrachtung überhaupt und grundsätzlich entzogen ist, kann per definitionem nicht Gegenstand eines juristisch-dogmatischen „Verabseitungsprozesses“ sein.57 Die außerrechtliche Natur des Todes selbst besagt freilich nichts über dessen Wirkmächtigkeit in den erbrechtlichen Verhältnissen des lebenden Erblassers und des überlebenden Erben. Im Recht der Verfügungen von Todes wegen hat der Erbfall vielmehr eine äußerst zentrale und keinesfalls nur rechtstechnische Funktion.58 Er strukturiert die zeitliche Anlage einer erbrechtlichen 53 Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 5 (im Vorwort), S. 136: „Technisierung als bloßer Einsatzpunkt des erbrechtlichen Vermögenstransfers“, und S. 155: „Die herrschende Erbrechtsdogmatik behandelt den Tod in einer fast biologistischen Reduktion als einen rein natürlichen Vorgang, der weitgehend entpersonalisiert und entindividualisiert verstanden wird […]“. 54 Offenbar nimmt Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 176, diese Einschätzung selbst schon vorweg: „Diese Sicht auf das gewillkürte Erbrecht wird gewiss nicht unwidersprochen bleiben; man wird sagen, das sei alles etwas weit hergeholt und insbesondere die Verknüpfung von Vermögen und Todesverarbeitung sei Unfug und ein rechtlicher Aberwitz.“ 55 Zum Merkmal der nahen Todesbesorgnis beim Bürgermeister- und Dreizeugentestament Kappesser, S. 25 f., 31 f.; von der Beck, S. 74. 56 In der philosophischen Literatur werden neben dem Tod und der Empfängnis auch der Schlaf und die Ohnmacht als der eigenen Wahrnehmung entzogene „Grenzerfahrungen“ diskutiert (Schopenhauer und Landsberg), Nw. bei B. Schumacher, S. 146, 172 f. 57 So die Terminologie Goebels, Persönlichkeitsrecht, S. 163 f. Damit wird nicht verkannt, dass es „beim Erben nicht nur um eine ‚Technik‘ des Transfers von Eigentum [geht], sondern auch um die heftigen Gefühle, die diese Übertragungsvorgänge bei den Beteiltigten oftmals auslösen“ (Brakensiek, in: Generationengerechtigkeit?, S. 1, 3 ff.). 58 Das Recht ist wie alle „kulturell-sozialen Hervorbringungen notwendigerweise zeitgebunden“: allgemein Winkler, S. 546; insbesondere für das Recht der Verfügungen von Todes wegen: Edenfeld, DNotZ 2003, 4 ff. Es schafft sich aber zugleich seine eigene Rechtszeit: „Sie [die Zeit] ist auch eine reale und ideelle Hervorbringung des Rechts.“ Die Rechtszeit ist objektiver, nicht historischer Natur (oben S. 7, m. Nw. in Fn. 46), und hat mehrere Funktionen: Sie minimiert zum einen Unsicherheit, indem sie kontrafaktische Erwartungen stabili-

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Anordnung im Sinne einer „unmöglichen Gleichzeitigkeit“,59 einer „temporalen Asymmetrie“60 oder auch eines „Versteck“-Spiels.61 Solange der Erblasser Lebender unter Lebenden ist, ist der rechtsgeschäftlich zum Erben Berufene kein Erbe, und der Erblasser bleibt in weitem Umfang Herr seiner erbrechtlichen Angelegenheiten. Erst der Tod, der den Erblasser zu einem Rechtsunfähigen und endgültig zu einem Abwesenden macht, verschafft dem Überlebenden die Rechtsstellung eines Erben. Der tote Erblasser und der überlebende Erbe verfehlen sich in diesem Punkt notwendig. So gesehen ist das Prinzip der Koexistenz von Erblasser und Erbe im Moment des Todes (§ 1923 Abs. 1 BGB)62 – eben weil der Tod sich dem rechtlichen Zugriff per se entzieht – nicht mehr als ein juristisches Gedankenexperiment. Nicht so die erbrechtliche Willenserklärung des Erblassers, die Ausdruck und Ausübung seiner Testierfreiheit ist. Die Gestaltungsbefugnis von Todes wegen vereint in sich Elemente der materialen Gestaltungsfreiheit, die in der „Gültigkeitsphase“ der Verfügung von Todes wegen, mithin zu Lebzeiten des Erblassers zum Tragen kommen, mit den besonderen formellen Erfordernissen einer Willensfortgeltung aufgrund rechtlicher Anerkennung nach Eintritt des Erbfalls. Sie stellt sich für die Rechtsordnung als Authentifizierungsproblem dar, weil sie den Willen einer Person, die zu Lebzeiten unmittelbar keine Rechtspositionen begründen konnte, gerade in einem Zeitpunkt wirksam werden lässt, zu dem diese selbst nicht mehr rechtsfähig ist. Dass das Erbrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs von dieser Zweiteilung selbst ausgeht, lässt sich oberflächlich bereits daran ablesen, dass es Begriffspaare gebildet hat, die zwar inhaltlich dasselbe bezeichnen, jedoch aus jeweils unterschiedlicher Perspektive. Das gilt zum Beispiel für die Termini „Nachlass“ und „Erbschaft“. Der eine spricht „das von einem Verstorbenen hinterlassene Vermögen“ aus eben dessen Sicht an, der andere meint das „nachgelassene Vermögen einer Person, wenn dieses zugleich als mit einem bestimmten neuen Subjekte (Erbe), auf welches das Vermögen übergeht (= Erbfolge), in Beziehung stehend bezeichnet werden soll.“63 Über das Begriffliche hinaus liegt in der inhaltlichen Verzahnung beider Phasen das spezifisch Erbrechtliche der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen.64 Von diesem in der Testierfreiheit selbst angelegten und unauflösbaren Spannungsverhältnis handelt Friedman, wenn er schreibt: siert. So verringert eine Verwirkungsfrist die Enttäuschung darüber, was geschieht, wenn sie nicht eingehalten wird, beharrt aber andererseits auch auf deren Einhaltung. 59 B. Schumacher, S. 149, m.w.Nw. in Fn. 31, S. 170. 60 B. Schumacher, S. 195, m.w.Nw. in Fn. 13. 61 B. Schumacher, S. 149, m.w.Nw. in Fn. 32. 62 Harder/Kroppenberg, Rn. 351, m.w.Nw. in Fn. 2. 63 Motive V, S. 603 f. S. auch Harder/Kroppenberg, Rn. 42, m. Fn. 37; des Weiteren Ann, S. 174. 64 Krebber, AcP 204 (2004), 149, 162: „Dass eine Verfügung von Todes wegen erst mit dem Erbfall rechtliche Wirkung entfaltet, steht zudem mit der erbrechtlichen Privatautonomie

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„The conflict in principle between free testation and the stiff, formal pattern of rules in the law of succession is likely to continue indefinitely.“65

Deshalb müssen Vergleiche mit der Privatautonomie unter Lebenden, zu denen insbesondere die erste Phase einlädt, mit Vorsicht behandelt werden, eben weil der Erblasser im Zeitpunkt der Errichtung der Verfügung von Todes wegen (noch) lebt. Will man die Testierfreiheit verstehen, muss man deren Bezogenheit auf die Zeit nach dem Erbfall als vorgegeben akzeptieren und bei den einzelnen Sachfragen adäquat gewichten. Monokausale Erklärungsansätze, die diese Ianusköpfigkeit außer Betracht lassen, können das nicht leisten, weil ihnen das Vermögen zur Erfassung komplexer Zusammenhänge abgeht.66 Differenziertere, weniger antithetische juristische Erklärungsmodelle sind noch nicht ausgebildet worden. Sie zu entwickeln tut Not.

(Testierfreiheit) in einem engen Zusammenhang.“ Die Aussage trifft in ihrem ersten Teil uneingeschränkt freilich nur auf das Testament zu. Erbvertrag und gemeinschaftliches Testament entfalten bereits zu Lebzeiten erbrechtliche Bindungswirkung. 65 Friedman, Wisconsin LR 1966, 340, 370. 66 Ähnlich Beckert, S. 338.

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Erster Teil

Friktionen und offene Fragen im Verhältnis von erbrechtlicher und lebzeitiger Gestaltungsbefugnis

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§ 1 Die mittelbare Wiederentdeckung der Testierfreiheit unter der Geltung des Bürgerlichen Gesetzbuchs A. Annäherung über das Pflichtteilsrecht „Die Testierfreiheit steht gegenwärtig in noch viel stärkerem Maße als zur Zeit der Schaffung des BGB im Mittelpunkt des heutigen Erbrechts.“1 Wenn in der jüngeren Literatur von einer „Renaissance des Erbrechts“2 im Zivilrecht und einem „Funktionsgewinn des Erbrechts“3 gesprochen wird, dann trifft das zuallererst auf die Privatautonomie von Todes wegen zu. Die Rechtsprechung hat diese „Fundamentalnorm des Erbrechts“4 in den letzten Jahren für sich „wieder entdeckt“,5 und die Kommentatoren werden nicht müde, ihren „hohen Rang“ hervorzuheben, der „zur restriktiven Annahme der Sittenwidrigkeit zwinge“6: „Im Zweifel überwiegt die Testierfreiheit“.7 Der „mehr und mehr im Vordergrund stehenden gewillkürten Erbfolge“8 sei „soweit [als] möglich der Vorrang einzuräumen“,9 heißt es. Die Testierfreiheit scheint damit den prominenten Platz, den ihr das Bürgerliche Gesetzbuch von Anbeginn hatte einräumen wollen, endlich eingenommen zu haben.10 Doch ist Vorsicht geboten: Die Wiederbesinnung auf die Testierfreiheit ist weniger ein Bekenntnis zur Gestaltungsbefugnis von Todes wegen selbst, obgleich es an entsprechenden Beteuerungen nicht fehlt. Zum einen ist sie vielmehr die Folge einer (Dauer-)Krise des Familien- und Verwandtenerbrechts, zum anderen das Ergebnis einer immer zurückhaltenderen Handhabung des § 138 Abs. 1 BGB innerhalb der Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit von letztwilligen Verfügungen. Die angedeutete Entwicklung kann daher nicht 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Schiemann, ZEV 1995, 197, 199. So der Titel von Schiemanns Aufsatz (Fn. 1). Reimann, in: Henrich/Schwab, S. 33. Otte, ZEV 1997, 123, 124. Leipold, Fg BGH I, S. 1011, 1029. Schmoeckel, JZ 1999, 517, 519. Schmoeckel (o. Fn. 6). Martiny, Gutachten 64. DJT, A 63, m.w.Nw. in Fn. 324. Schlüter, Fg. BGHI, S. 1047, 1052. S. oben Einleitung, S. 1, m. Fn. 7.

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Erster Teil

zuvörderst als das Resultat einer positiven Neubestimmung der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen beschrieben werden. Das Bild von der erbrechtlichen Privatautonomie wurde bei Schaffung und erst recht unter der Geltung des Bürgerlichen Gesetzbuchs im Wesentlichen von der Diskussion um ihre Grenzen bestimmt, die strukturellen Eigenschaften der Testierfreiheit selbst eher gestreift. So ergibt sich das Paradoxon, dass ein ähnlich wirkmächtiges Grundprinzip des Bürgerlichen Gesetzbuchs wie die Privatautonomie unter Lebenden, die Gestaltungsbefugnis von Todes wegen, in ihren zivilrechtsdogmatischen Konturen bisher eher vage bleibt – und das, obwohl die Testierfreiheit als Grundsatz in der Reformdiskussion immer wieder mit aufgerufen wird und zumindest die Befürworter einer Modifikation des gesetzlichen Erb- und Pflichtteilsrechts gegenwärtig so gewillt sind wie nie, ihm durch „Deregulierung“11 mehr Raum zu verschaffen. Freilich hat das Bundesverfassungsgericht dem mit seiner jüngsten Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit des Pflichtteils(entziehungs) rechts eine Absage erteilt. Ob damit der bisherige Trend zur wirkmäßigen Entgrenzung der Testierfreiheit bereits zu einem frühen Ende gekommen ist, lässt sich gegenwärtig ebenso wenig vorhersagen, wie die Aussichten einer Restabilisierung familienerbrechtlicher Strukturen in der zukünftigen Zivilrechtsprechung. Man kann sie gegenwärtig immerhin als gut beurteilen. Rechtshistorisch würde damit an eine lange Kontinuitätslinie wieder angeknüpft, auf die sich das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung kursorisch bezieht.12 Sie hat sich für die Behandlung der Testierfreiheit selbst als wenig günstig erwiesen. Gerade anhand der verschiedenen Etappen der Diskussion um die Berechtigung der Familienerbfolge lässt sich aufzeigen, dass die zivilrechtliche Annäherung an das Institut der Testierfreiheit nicht selten mittelbar und sozusagen durch die Brille der gesetzlichen Erbfolge und der §§ 2303 ff. BGB erfolgte. Schon die Motive knüpften die Bedeutung der Testierfreiheit an die weitere Entwicklung des Pflichtteilsrechts: „Die Erweiterung der Testierfreiheit gegenüber dem geltenden Rechte in dem Sinne, dass das Pflichtheilsrecht völlig beseitigt wird, ist bereits abgelehnt. […] Wie von dem Juristentage auf den Gedanken einer Beseitigung des Pflichtheilsrechtes nicht eingegangen ist, so kann auch hier die Aufhebung nicht bestimmt werden. Von dem Standpunkte der Sozialpolitik aus ist die Frage nicht spruchreif.“13

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Das ist der Begriff, den Dauner-Lieb, DNotZ 2001, 460, 465, zur Diskussion stellt. BVerfGE 12, 332, 350 f.. Des Weiteren Stagl, S. 155 ff.; Kleensang, DNotZ 2006, 509,

510 ff. 13

Motive V, S. 382. S. auch Lauff, S. 12.

§ 1 Mittelbare Wiederentdeckung der Testierfreiheit

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Und in den Protokollen ist festgehalten: „[D]as Erbrecht beruhe auf der Familie und dieser müsse das Vermögen erhalten bleiben, die Testierfreiheit aber sei nur zugelassen, um den individuellen Verhältnissen des Einzelfalls Rechnung tragen zu können.“14

Der Grad an Testierfreiheit, den sich das junge Bürgerliche Gesetzbuch erlauben wollte, wurde, obwohl man sich zu ihr im Grundsatz bekannte,15 von Bestand und Entwicklung des Prinzips der Familienerbfolge – in Gestalt der gesetzlichen Erbfolge und des Pflichtteilsrechts sowie dessen Verhältnis zum Sozialrecht16 –, wenn nicht abhängig gemacht,17 so doch jedenfalls dazu in einen sachlichen Zusammenhang gerückt.18 Ähnlich gestaltete sich das methodische Vorgehen im Jahre 1938, wenn auch unter anderen Vorzeichen. Das Pflichtteilsrecht sollte – so insbesondere die Forderung Boehmers – zu einem materiellen Noterbrecht der nächsten Familienangehörigen verstärkt werden.19 Dem Anliegen war schon bei der Schaffung des Bürgerlichen Gesetzbuchs kein Erfolg beschieden gewesen.20 Es wurde aber nun als Gebot des Gemeinschaftsgedankens in einem neuen weltanschaulich-ideologischen Gewand präsentiert. 21 Der Erbrechtsausschuss folgte dem 14

Mugdan, Bd. 5, S. 522. In dieser Grundentscheidung wird der Einfluss des Redaktors deutlich, der den Geltungsgrund allen Erbrechts im Erblasserwillen verortete: von Schmitt, S. 39 ff.; dazu H.-G. Mertens, S. 83 f.; Herzog, S. 224 ff.; Stagl, S. 148 f.; des Weiteren Beckert, S. 76 f. 16 Im Kern geht die Diskussion auch heute noch um die Frage, ob eine Versorgungsfunktion des Erbrechts (noch) anzuerkennen ist. Bejahend Köbl, Fg. Söllner, S. 185, 203: „Pflichtteilsrecht […] als sozialstaatlich legitimierte Schranke der erbrechtlichen Privatautonomie“; Fuchs, S. 320 ff.; ders., JZ 2002, 785, 796; Neuner, S. 241. In der Tendenz ebenso Goebel, Ehegattenschutz, S. 525 f. Dagegen billigen Herzog, FF 2006, 86, 91; dies., S. 216 ff.; dies., FF 2003, 19 ff.; K. W. Lange, AcP 204 (2004), 804, 808 f.; Schlüter, Fg. BGH I, S. 1047, 1050, m.w.Nw. in Fn. 7; dem Pflichtteilsrecht heute keinen unterhaltsrechtlichen Charakter mehr zu. S. auch J. Mayer, FamRZ 2005, 1441, 1443, m.w.Nw.; Ebke, S. 83; Haas, ZEV 2000, 249, 252: „Die Versorgungsfunktion des Pflichtteilsrechts ist […] gemindert, nicht aber aufgehoben.“ Außerhalb des juristischen Schrifttums scheint die Einordnung von erbrechtlichen Zuwendungen wenn nicht als Beitrag zum Unterhalt, so doch zumindest als „intergenerationelle Unterstützungsleistung“ unproblematisch: Kohli/Künemund/Motel/Szydlik, S. 49, 56; s. aber auch Beckert, S. 31 f., im Anschluss an Schröder. 17 Rauscher I, S. 33: „familienideologisch vinkuliertes Regelungsinstrument zum Zwecke der Angleichung der starren gesetzlichen Erbfolge an die konkreten Verhältnisse“, s. auch S. 103 f. 18 Zu den Grundlagen eines familiär motivierten Erbrechts in der Rechtsphilosophie Hegels: Klippel, ZRG GA 100 (1984), 117, 160 ff.; des Weiteren Beckert, S. 69 f., 161 (dort zu Hegels Position in der Diskussion um die Auflösung der Familienfideikommisse). 19 AcP 144 (1938), 32 ff. = Ausgewählte Schriften, 274 ff. S. auch Staudinger/ders.11 , Einl., §§ 17, 22.; ders., Fg. Jung, S. 253, 256. 20 Motive V, S. 386 f.; Protokolle bei Mugdan, Bd. 5, S. 764 f. Dazu H.-G. Mertens, S. 91 f., 97 f., m.w.Nw.; Hütte, S. 200 f.; ihm folgend Ebke, S. 36. 21 Soweit, die Testierfreiheit abschaffen zu wollen, ging man freilich nicht. Überblick über die damalige Diskussion bei Hütte, S. 134 ff. 15

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Erster Teil

letztlich nicht, wollte das Verhältnis von Testierfreiheit und Familienerbfolge, wie es das Bürgerliche Gesetzbuch ausgestaltet hatte, nicht umstoßen.22 Der Entwurf zu einer Erbrechtsordnung vom Mai 1940 behielt den Geldpflichtteil denn auch bei. 23 Indirekt bestimmte die Debatte um die Rolle, die dem Pflichtteilsrecht im Gefüge der Familienerbfolge zukommen sollte, das Verständnis der Testierfreiheit. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle – so der Vorsitzende des Ausschusses Lange – diene die letztwillige Verfügung einer sinnvollen Ergänzung der für den konkreten Fall nicht geeignet erscheinenden gesetzlichen Erbfolge, sie erfolge in der Regel aus nachvollziehbaren Gründen, weswegen ein Geldanspruch den Familiengedanken ausreichend zur Geltung bringe. 24 Das war zwar gegenüber der ideologisch gefärbten Forderung nach dem Noterbrecht immer noch die differenziertere Betrachtungsweise.25 Dennoch bestimmte das zeitgebundene Verständnis vom Pflichtteilsrecht als Vehikel zur Stärkung des Gemeinschaftsgedankens im Recht die Sicht auf die Testierfreiheit. 26 Sie wurde – auch von den Befürwortern eines Geldpflichtteilsanspruchs im Ausschuss – funktionell auf die Rolle eines bloßen Akzidens zur gesetzlichen Erbfolge reduziert. Diese verstand Lange wiederum – insoweit ganz in der Tradition der Gesetzesmaterialien 27– als den regulären Haupterbfolgetypus, der nur in besonderen Fällen der punktuellen Korrektur durch letztwillige Anordnungen des Erblassers bedurfte. Als legislative Frucht dieser Anschauung lässt sich das Testamentsgesetz vom 31. Juli 193828 verstehen, das in seinem Vorspruch die Gebundenheit der Verfügungen von Todes wegen „zum Wohle von Familie, Sippe und Volk“ aussprach. 29 Die Gestaltungsbefugnis von Todes wegen wurde hier über das Prinzip der Familienerbfolge definiert, die gesetzliche Erbfolge materiell als „die richtige“ beschrieben. Am deutlichsten tritt das im bekannten § 48 Abs. 2 TestG hervor, wonach eine Verfügung von Todes wegen nichtig war, „soweit sie in einer gesundem Volksempfinden gröblich widersprechenden

22 Das kann durchaus als bewusste Abkehr von zeitgebundenen weltanschaulichen Auffassungen gedeutet werden: Hütte, S. 212. 23 §§ 28, 29 ErbRV, wiedergegeben bei Schubert, S. 403. Dort auch zur Geschichte des Entwurfs, S. XXXIV. 24 Lange, 2. Denkschrift, S. 213; ders., AcP 144 (1938), 188, 189. 25 Hütte, S. 210. 26 Beckert, S. 82 f., s. auch S. 81: „Gemeinschaftsideologie.“ 27 Oben S. 1. 28 RGBl. I, S. 973. 29 Im hier interessierenden Abschnitt lautet die Präambel (wiedergegeben bei Schubert, S. 288): „Ziel des Erbrechts ist es, überkommenes wie gewonnenes Gut des Erblassers weiterzuleiten und über seinen Tod hinaus wirken zu lassen zum Wohle der Familie, Sippe und Volk. In der Hand eines verantwortungsbewussten Erblassers dienen diesem Ziele auch Testament und Erbvertrag.“ Zu Entstehungsgeschichte und rechtspolitischem Hintergrund des Testamentsgesetzes Gruchmann, ZNR 1985, 53 ff., 59.

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Weise gegen die Rücksichten verstößt, die ein verantwortungsbewusster Erblasser gegen Familie und Volksgemeinschaft zu nehmen hat.“30 Im Gegensatz zur völkisch-gesellschaftlichen Komponente sind der Appell an das Verantwortungsgefühl des Erblassers und die Bindung an seine Familie dem Begriff der Testierfreiheit in der Nachkriegszeit eingeschrieben geblieben. Spuren davon finden sich bis heute. So wird in der verfassungsrechtlichen Literatur – unter ausdrücklicher Berufung auf Boehmer 31 – immer noch die besondere Bedeutung des Familienerbrechts betont, indem ihm ein gleichsam naturrechtlicher Charakter beigelegt wird, der in seinem „vorkonstitutionellen, wenn nicht vorstaatlichen Ursprung“32 zum Ausdruck komme. Das fügt sich gut zu zivilrechtlichen Versuchen, die Gestaltungsbefugnis von Todes wegen in der Tendenz eher zu marginalisieren, so wenn zu lesen ist, dass „die Testierfreiheit dem Erblasser [erlaubt], die Besonderheiten des einzelnen Falles durch individuelle Regelung zu berücksichtigen, während die gesetzliche Erbfolge einen generellen Maßstab anlegt und die nach Meinung des Gesetzgebers für den Normalfall sinnvolle Erbregelung enthält.“33 In methodischer Hinsicht wiederholte sich das Muster im Verlauf der Geschichte der Bundesrepublik noch mehrfach; zunächst im Jahre 1969, als ein grundlegender gesellschaftlicher Wandel der Familie als dem Personal des gesetzlichen Erb- und Pflichtteilsrechts behauptet wurde.34 Ausgehend vom Beschluss des V. Deutschen Bundestags35 standen die entsprechenden Gesetzesvorschriften erneut auf der Tagesordnung eines Deutschen Juristentags. Eine Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs wurde bekanntlich nicht empfohlen.36 Aufschlussreich ist jedoch einmal mehr die Behandlung der Testierfreiheit in den beiden Gutachten. Insbesondere die Stellungnahme Coings spannt sie argumentativ vor den Karren des Pflichtteilsrechts. 37 Er malt darin das Zerrbild38 vom leicht beeinflussbaren und von seinen Erbaspiranten bedrängten Erblasser, 30

Dazu Schmoeckel, NJW 1996, 1697, 1701. Stöcker, WM 1979, 214, 222, m. Fn. 76, 79. 32 Stöcker, WM 1979, 214, 222. 33 MünchKomm/Leipold, Einl. zu §§ 1922–2385 Rdnr. 13, mit Fn. 21, unter Hinweis auf Staudinger/Boehmer 11, Einl. § 17 Rn. 3; von Lübtow I, S. 17: Korrektur und Ergänzung der gesetzlichen Erbfolge. Aus der neueren Literatur: Linker, S. 122: Testierfreiheit als „notwendiges Mittel zur Korrektur der Regeln der gesetzlichen Erbfolge in Bezug auf den Einzelfall“; Belling, Jura 1986, 625, 625. S. auch Fuchs, S. 320 f: „Die vorrangige Behandlung der gesetzlichen Erbfolge bringt nach wie vor zum Ausdruck, dass darin das gesetzliche Leitbild einer vernünftigen Versorgungsregelung zu sehen ist.“ Ähnlich Hetmeier, S. 51 f.; w. Nw. bei Stagl, S. 154, Fn. 38. 34 Otte, AcP 202 (2002), 317, 335 f., weist darauf hin, dass das Argument häufig über den Charakter einer bloßen Leerformel nicht hinauskommt. 35 BT-Prot. v. 14.5.1969, S. 13018 A, 13025 C. 36 Staudinger/Haas, Vorbem. zu §§ 2303 ff. Rn. 10. 37 Gutachten 49. DJT, A. 47. 38 So auch Martiny, Gutachten 64. DJT, A 69. 31

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Erster Teil

der den Einflüsterungen seiner Umwelt erliegt und willkürliche, und das heißt in erster Linie familienfremde Verfügungen von Todes wegen aus einer flüchtigen Laune heraus errichtet: „Ich glaube persönlich nicht, dass die größere Freiheit, die das Gesetz dem Erblasser einräumen würde im Endergebnis immer nur verwendet würde, um eine berechtigte Fürsorgemaßnahme für einen fürsorgebedürftigen Angehörigen zu treffen; es scheint mir wahrscheinlicher, dass eine solche unbegrenzte Testierfreiheit viel eher im Sinne sehr subjektiver und übrigens wandelbarer Entscheidungen des Erblassers verwendet würde.“39

Das Argument trifft ebenso wenig zu wie die Annahme eines mutmaßlichen Willens des Erblassers, im Zweifel die gesetzliche, und das heißt die Familienerbfolge gelten lassen zu wollen.40 In einem Fall wird der Erblasser idealisiert, im anderen dämonisiert.41 Ihm werden „Pseudo-Eigenschaften“42 zugeschrieben, indem ihm einerseits Willkür und Verantwortungslosigkeit gegenüber seinen Angehörigen unterstellt und andererseits die Fürsorglichkeit des Typus43 eines „gerechten Hausvaters“44 oder – modern gesprochen – einer Art Familien(über)vaters überbetont wird.45 Beide Ansätze sind letztlich im Bereich der Fiktion angesiedelt.46 Sie können zum einen rechtshistorisch gedeutet werden, nämlich als inhaltliche Überspitzungen des Antagonismus’ zwischen der „individualistischen“ oder „materialistischen“ gewillkürten Erbfolge, die gemeinhin dem römischen Recht zugeschrieben wird, und der „familiensozialistischen“ gesetzlichen Erbfolge deutschrechtlicher Prägung.47 Zum anderen soll jedoch nicht verkannt 39

Coing, Gutachten 49. DJT, A 47. Stöcker, WM 1971, 609, 610 f.; Petersen, S. 30 f., Niedrée, S. 11. Zuletzt Martiny, Gutachten 64. DJT, A 69, m.w.Nw. in Fn. 360; ders., NJW 2003, Beilage Heft 23, S. 12 ff. Krit. MünchKomm/Leipold, Einl. zu §§ 1922–2385 Rn. 10; Michael Fischer, S. 210. Zur historischen Genese dieses Arguments Klippel, ZRG GA 101 (1984), 117, 128; ihm folgend Beckert, S. 68. 41 Besonders plakativ sprechen Lange/Kuchinke, § 1 I 2, S. 1, von den „dunklen Seiten“ des Erbrechts. 42 Oechsler, S. 165. 43 Leenen, S. 25 ff., 34 ff. 44 MünchKomm/Leipold, Einl. zu §§ 1922–2385 Rn. 31; ders., AcP 180 (1980), 160, 195. Ihm folgend Miserre, S. 235 f., m.w.Nw. in Fn. 779; Niedrée, S. 12. 45 Lange/Kuchinke, § 1 IV, S. 4: „Die Gestaltungsfreiheit von Todes wegen rechtfertigt jedoch auch die Erwartung, dass der Erblasser bei der Regelung seiner Vermögensverhältnisse für die Zeit nach seinem Tod, stärker als bei Rechtsgeschäften unter Lebenden, dem Pflichtgebot entspricht und im Gedanken an seinen Tod sein Haus pflichtbewusst bestellt.“; ihm folgend Fuchs, S. 337. S. auch Frank, § 1, Rn. 3: „Die Testierfreiheit ist Ausfluss der Privatautonomie. Sie entspricht der liberalen Grundausrichtung des BGB, setzt auf die Vernunft des Erblassers und erwartet von ihr die Herbeiführung einer letzten Endes sozial gerechten Ordnung.“ 46 Wie hier Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 45 ff., m.w.Nw. 47 In der Sache trifft diese „Frontstellung“ allenfalls in der Tendenz zu. Weder war dem römischen Recht der Pflichtteilsgedanke fremd – man denke an Institute wie die querela inofficiosi testamenti oder die bonorum possessio contra tabulas (dazu jüngst Zimmermann, in: 40

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werden, dass die Überzeichnung der Testierfreiheit als einer willkürlichen Freiheit im Erbrechtsdiskurs deutscher Prägung48 rechtspolitisch genau das geleistet hat, was ihr Ziel war: den Gedanken der Gefährdung der Familie durch die Testierfreiheit wach zu halten und den Erblasser zum Treuhänder eines „Sippeneigentums“ herabzustufen. Auch wenn das so heute nicht mehr vertreten wird, hat die Argumentation jedenfalls maßgeblich dazu beigetragen, den Anliegen und Strukturprinzipien der gesetzlichen Erbfolge im gewillkürten Erbrecht dauerhaft juristischen Raum zu verschaffen.49 Vom Standpunkt des geltenden Rechts sind sie schon deshalb keine aus sich selbst heraus tragfähigen Begründungsansätze für die Testierfreiheit, weil sie diese material aufladen und damit zweckgerichtet bestimmen. Das wird im Einzelnen zu zeigen sein.50 An dieser Stelle genügt es, festzuhalten, dass die Privatautonomie von Todes wegen als Mittel zum Zweck der Disziplinierung des Testierenden herhalten muss.51 Das ist nicht auf den ersten Blick zu erkennen, weil die personalisierende Argumentationsstrategie die sachliche InstrumentalisieRöthel, Reformfragen, S. 97 ff.) –, noch der Gedanke der Familienerbfolge. Das familiengebundene Vermögen war im römischen Recht sogar der Ausgangspunkt für die Entwicklung hin zur freien Verfügungsbefugnis von Todes wegen: Wieacker, Fs. Siber, S. 1, 19 ff.; Heuberger, S. 3; Grasmann, S. 3; De Waal, in: Visser, Essays, S. 300, 302, m.w.Nw. in Fn. 15. Die Testierfreiheit wurde hier ähnlich wie die Adoption „als Methode zur Fortsetzung der Familie angesehen“, keineswegs als Mittel zur persönlichen Entfaltung: Maine, S. 127, 142. Die Vorstellung vom „unsozialen römischen Recht“ trifft daher in dieser Allgemeinheit nicht zu (Schröder, S. 37 ff.). Umgekehrt gab es – vor allem unter dem Einfluss der katholischen Kirche – auch im deutschen Recht Testierfreiheit: De Waal, a.a.O., S. 311; Landau, SZ GA (1997), 56, 59 ff. Der Gegensatz zwischen römischer und germanischer Rechtsanschauung dürfte vielmehr als Teil der Auseinandersetzung zwischen den beiden rechtshistorischen Disziplinen des 19. Jahrhunderts um verschiedene Rechtsmodelle zu verstehen sein: Hofer, S. 49 ff., 143, Fn. 93, m.w.Nw.; Luig, in: Rückert/Willoweit, S. 95 ff.; s. auch Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 82 f.; Thiessen, in: Jahrbuch, S. 29, 36, m.w.Nw. in Fn. 43; eher ablehnend Klippel, ZRG GA 101 (1984), 117, 129 ff. In der nationalsozialistischen Zeit wurde insbesondere „germanisch-deutsches Rechtsdenken“ instrumentalisiert, um die gewillkürte Erbfolge auf Kosten eines angeblichen Sippen-, Pflichtund Gemeinschaftsgedankens in der gesetzlichen Erbfolge zu diskreditieren. Beispielhaft Strunck, S. 42, s. auch oben bei Fn. 20. Das Phänomen ist Teil eines größer angelegten, rechtshistorisch legitimierten „Kampfes gegen das subjektive Recht“. Im Einzelnen dazu Klippel, in: Rückert/Willoweit, S. 31, 39 ff. 48 In Frankreich wurde die Ausweitung der Testierfreiheit dagegen gerade umgekehrt als rechtliches Schutzinstrument der traditionellen Familie gedeutet: Beckert, S. 21, 56 ff., 329 f., 337. In der Anlage ähnelt die Argumentation hier römischem Rechtsdenken, soeben Fn. 47. 49 Ähnlich Beckert, S. 75, s. auch S. 19: „normativ abgelehnter grenzenloser Individualismus und damit zerstörerisch für die Sozialbeziehungen in der Familie und der Gesellschaft“. 50 Unten § 3 C. II. 2., S. 111 ff. 51 Ähnlich Muscheler, ZEV 1999, 152, zur Überprüfung der Sittenwidrigkeit von Verfügungen von Todes wegen gemäß § 138 Abs. 1 BGB (unten B., S. 25 ff.): „wahre Besserungsanstalt für Testatoren“. Deutlich wird dieses Denken auch im Ansatz Westermanns, Fs. Wiegand, S. 661, 663, der „Straf-“ und „Disziplinierungsmaßnahmen“ des Erblassers „nicht ohne besondere Gründe“ zu akzeptieren empfiehlt. Kritisch dazu Kroppenberg, DNotZ 2006, 86, 94 f.

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Erster Teil

rung verdeckt.52 Das Misstrauen gegen den Verfügenden kann scheinbar in eine Begründung für ein gesetzliches Noterbrecht oder wenigstens das Pflichtteilsrecht von nahen Angehörigen umgemünzt werden, weil die hier beschworene Verantwortungslosigkeit des Erblassers nach einer gesetzlichen Begrenzung zugunsten der übergangenen Familie geradezu verlangt. Der Ansatz leistet freilich nicht, was er verspricht, weil er einen Zusammenhang suggeriert, wo keiner besteht. Die Legitimation der §§ 2303 ff. BGB kann sich – wenn überhaupt – nur aus dem ihnen zugrunde liegenden Grundsatz, der Familienerbfolge, ergeben, nicht aus dem anders gearteten Prinzip der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen. Zur materiellen Begründung des Pflichtteilsrechts, dessen Personal bestimmte gesetzliche Erbberechtigte sind, können daher keine gedanklichen Anleihen bei der Testierfreiheit als Prinzip der rechtsgeschäftlichen Erbfolge von Todes wegen gemacht werden. Das wird dadurch bestätigt, dass gewillkürte und gesetzliche Erbfolge strukturell voneinander zu trennende Institutionen sind.53 Familienbindung und privatautonome Selbstbestimmung des Erblassers sind inhaltlich disparate Prinzipien und als solche nur aus sich selbst heraus zu begründen. Insbesondere stehen sie, weil sie auf unterschiedlichen Geltungsgründen beruhen, materiell nicht in einer Relation von Vorrang und Subsidiarität zueinander, wie das vielfach behauptet wird.54 Das Gesetz behandelt sie vielmehr „kollisionsrechtlich“, weil beide Modi zur Erbenbestimmung bereitstehen und es klar sein muss, aufgrund welchen Erbfolgetypus die Beerbung erfolgt. Allein diese rechtstechnische Überschneidung der beiden Erbfolgetypen wird zugunsten des rechtsgeschäftlichen gelöst. Nur insoweit lässt sich von einem „Vorrang der Willens- vor der Gesetzeserbfolge“55 und von der gesetzlichen Erbfolge als einer „Regelungsreserve“56 sprechen. Sie kommt nur zum Tragen, wenn tatsächlich eine Verfügung von Todes wegen vorliegt und sie eine vollständige, gültige und wirksame Regelung der Erbfolge enthält.57 Eine Stel52

Oechsler, S. 164 f. Windel, S. 221: „Strukturelle Trennung von gesetzlicher und gewillkürter Erbfolge.“ Er geht zwar zu Recht davon aus, dass das Pflichtteilsrecht methodisch als eine Art missing link zwischen gesetzlicher und gewillkürter Erbfolge fungiert (vgl. Schlüter, Fg. BGH I, S. 1047, 1051: „Schnittstelle“), verkennt aber, dass es inhaltlich kein tertium zu beiden bildet, sondern wie die gesetzliche Erbfolge der Familienerbfolge zuzuschlagen ist. Ähnlich Leipold, JZ 1996, 287, 288: „Pflichtteilsrecht als partielle Verfestigung des gesetzlichen Erbrechts“. 54 So aber die ganz herrschende Lehre Fuchs, JZ 2002, 785, 795; Lange/Kuchinke, § 1 V 1, S. 8: „Das BGB erhebt den Erblasser zum Herrscher des Erbrechts. Die gewillkürte Erbfolge hat Vorrang vor der gesetzlichen.“ Ähnlich Herzog, S. 205 f.: „Regel-Ausnahmeverhältnis“; Stagl, S. 153, m.w.Nw. in Fn. 37. 55 Von Schmitt, S. 155. Zum Verhältnis von gewillkürter und gesetzlicher Erbfolge im Erbrechtsentwurf F. Mommsens: Andres, S. 234 ff. 56 Isensee, DNotZ 2004, 754, 758. 57 Von Schmitt, S. 156: „Dass die Gesetzeserbfolge nur durch eine rechtsgültige und zur Wirksamkeit gelangende Erbeinsetzung ausgeschlossen wird, versteht sich von selbst.“ 53

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lungnahme zur materiellen Wertigkeit oder unterschiedlichen Bedeutung beider Erbfolgen zueinander ist das jedoch nicht – weder in die eine noch in die andere Richtung. Die Deutsche Einheit bildete schließlich im letzten Jahrzehnt den Anstoß für die dritte Reformdebatte des gesetzlichen Erb- und Pflichtteilsrechts. Die Literatur dazu ist mittlerweile Legion, die Argumente sind nicht neu58 und im Wesentlichen ausgetauscht59; sie sollen hier nicht noch einmal wiederholt werden. Denn das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 19. April 2005 die Verfassungsmäßigkeit des Pflichtteils- und Pflichtteilsentziehungsrechts bejaht und deren Verankerung in Art. 6 Abs. 1 GG eigens her vorgehoben,60 nachdem es diese Frage nach dem Verhältnis von Testierfreiheit und Verwandtenerbfolge in einem ersten Nichtannahmebeschluss noch ausdrücklich offen gelassen hatte.61 Das Gericht stellt nunmehr ausdrücklich fest, dass die Gestaltungsbefugnis des Erblassers von Verfassungs wegen grundsätzlich auch den durch die Abstammung begründeten familienrechtlichen Bindungen unterliegt und meint damit zu allererst das Pflichtteilsrecht. Auch hier steht mithin einmal mehr die Relation der gewillkürten zur Familienerbfolge im Mittelpunkt der Betrachtungen. Die Aussagen über die Testierfreiheit selbst halten sich dagegen in den gewohnten Bahnen der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zum Thema.62 Für die Testierfreiheit selbst hat auch dieser dritte Diskussionsabschnitt, der nunmehr mit der verfassungsgerichtlichen Entscheidung einen vorläufigen Abschluss gefunden haben dürfte, keinen neuen Impuls erbracht. Es lässt sich im Gegenteil sagen, dass sich das juristische Augenmerk auch nach drei Juristentagen63 – den Erbrechtsentwurf des Jahres 1940 nicht mitgerechnet – einmal mehr nicht oder nur reflexartig auf die Privatautonomie von Todes wegen selbst gerichtet hat. Die Diskussion dreht sich, wie schon zur Zeit der Schaffung des Bürgerlichen Gesetzbuchs und davor, über weite Strecken immer noch um die Legitimation und Konturierung der Familienerbfolge, wie sie de lege lata in den §§ 2303 ff. BGB ausgeprägt ist.64 Auch wenn die neueste Entscheidung des 58

Darauf weist auch Stagl, S. 157, hin. So auch die Feststellung Schröder, DNotZ 2001, 465, 467. Überblick über die rechtspolitische Diskussion mit umfangreichen Nw. aus der Lit.: J. Mayer, in: ders./Süß/Tanck/Bittler/Wälzholz, Rn. 18 f.; Herzog, S. 204 ff., 216 ff., 224 ff., 227 ff., 239 ff., 243 ff., und passim.; K. W. Lange, AcP 204 (2004), 804, 826 ff. 60 BVerfGE 112, 332, 352. S. die Nw. oben Einleitung, S. 5, Fn. 35. 61 BVerfG NJW 2001, 141. 62 Unten § 6 A., S. 153 ff., B., S. 159 ff. 63 14. DJT in Jena (1878): von Meyersburg, S. 50 ff.; Bruns, Gutachten 14. DJT, S. 71 ff. (dazu Schröder, S. 127 ff.); 49. DJT in Düsseldorf (1972): Coing, Gutachten 49. DJT, A 12 ff.; Referat von Dieckmann, Bd. 2, K 6 ff.; dazu auch Bosch, FamRZ 1972, 417 f.; 64. DJT in Berlin (2002): Martiny, Gutachten 64. DJT, A 7 ff. 64 Beckert, S. 83: „erstaunliche Kontinuität“; s. auch ders., S. 86: „Die erneuten Diskussionen um die Testierfreiheit und der vornehmlich eingenommene Standpunkt der Beibehal59

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Erster Teil

Bundesverfassungsgerichts insoweit eine gewisse Konsolidierung und Stabilisierung der §§ 2303 ff. BGB mit sich bringen dürfte65, stehen einmal mehr die Grenzen der Testierfreiheit im Mittelpunkt, nicht sie selbst. Es war die Frage der Reform des gesetzlichen Erb- und Pflichtteilsrechts, die – berücksichtigt man die Erfolglosigkeit der bisherigen Anläufe – wenn nicht „Jahrhundertaufgabe“,66 so jedenfalls „Jahrhundertthema“ des Erbrechts war. Demgegenüber hat die Testierfreiheit bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhundert hinein fast keine Rolle mehr gespielt.67 Als liberales Grundprinzip teilte sie das Schicksal anderer Grundsätze des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Es passte erst etwa ab den Sechziger Jahren in die gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnisse,68 die das Gesetzbuch schon im Zeitpunkt seines Inkrafttretens voraussetzte.69 Was die Behandlung der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen anbelangt, sind die Nachwirkungen dieser Entwicklung bis heute zu spüren. In der Diskussion um die Familienerbfolge kam die Testierfreiheit über die Funktion eines komplementären Prinzips kaum hinaus und bot über weite Strecken der Geltung des Bürgerlichen Gesetzbuchs nur eine Art Negativfolie, deren eigene dogmatische Konturen nicht selten verschwammen. Die Arbeit an einer eigenen zivilrechtlichen Dogmatik der Testierfreiheit wurde erst sehr spät aufgenommen. Dieser Befund steht auf den ersten Blick im Gegensatz zu der Beobachtung, dass die Krise des Familienbezugs des Erbrechts die Testierfreiheit in ihrem Wirkbereich wenn nicht gestärkt, so doch jedenfalls unmittelbarer in das Blickfeld hat rücken lassen – und das nicht nur rechtlich, sondern offenbar auch empirisch. Das lässt sich aus dem Umstand entnehmen, dass Verfügungen von Erblassern offenbar gerade deswegen zunehmen, weil das der gesetzlichen Erbfolge zugrunde liegende Familienbild zunehmend als unangemessen empfunden wird.70 Juristisch drückt sich dieser Zusammenhang bis zu einem gewissen tung des Pflichtteilsrechts zeigen die weitere Bedeutung der familienorientierten Argumentation im Erbrecht in Deutschland – angepasst an sich verändernde Familienstrukturen. Die Reformvorschläge reflektieren den Wandel familiärer Solidarität.“ 65 Zu den jüngsten Reformbestrebungen im Pflichtteilsrecht s. die Symposiumsbeiträge von Diwell, Martiny, Otte und Röthel in: dies., Reformfragen; S. 185 ff., 195 ff., 203 ff., 291 ff.; sowie den Tagungsbericht von Wiegand, DNotZ 2007, 97 ff.; des Weiteren K. W. Lange, DNotZ 2007, 84 ff.; 66 Bosch, FamRZ 1970, 497, 504; ders., FamRZ 1972, 417, m.w.Nw. in Fn. 1. 67 So auch die Beobachtung Beckerts, S. 85. 68 Das wird z.B. daran deutlich, dass das Urteil, mit dem der Bundesgerichtshof erstmals von der „Sittensprechung“ zum so genannten Geliebtentestament abging (BGHZ 52, 17 ff.), vom Ende der Sechziger Jahre, genauer dem 17. März 1969, datiert. Unten B., S. 22. 69 HKK/Rückert, vor § 1 Rn. 97, datiert die „späte Aussöhnung“ mit dem BGB (dazu Schulte-Nölke, in: Jahrbuch, S. 9, 16 f., 19 f.; ders., NJW 1996, 1705 ff., 1709 f.) auf die Jahre 1958/1960; s. auch Rückert, JZ 2003, 249 ff. 70 Staudinger/Haas, Vorbem. zu §§ 2303 ff. Rn. 2, unter Hinweis auf das Zahlenmaterial von Leipold, AcP 180 (1980), 160, 198 ff.; etwas anders akzentuiert Haas, ZEV 2000, 249, 253.

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Grad in dem „Spannungsverhältnis“71 aus, in das der Gesetzgeber die beiden materialen Grundsätze des Erbrechts, die Familienerbfolge und die Testierfreiheit, gestellt hat. Otte stellt die Beziehung als ein Prinzip von zwei kommunizierenden Röhren dar: „Das deutsche Recht kannte die Testierfreiheit nicht, und das rezipierte, dem BGB zugrunde liegende römische Erbrecht enthielt den Grundsatz der Testierfreiheit nur zusammen mit dem Pflichtteilsrecht.“72

Die Beschränkung des einen Grundsatzes bewirkt hiernach einen Bedeutungszuwachs des anderen und umgekehrt. Jedoch sollte dieser Zusammenhang aus zwei Gründen nicht überschätzt werden. Er trifft zum einen nur zu, wenn tatsächlich Pflichtteilsberechtigte durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen wurden und nicht andere Personen; wo das nicht der Fall ist, ist die Testierfreiheit das primäre Prinzip.73 Zum anderen gestaltet sich die Erbrechtsordnung des Bürgerlichen Gesetzbuchs selbst dort „materialistisch“, wo der Anwendungsbereich des Pflichtteilsrechts eröffnet ist. Denn der Berechtigte hat nur einen Geldanspruch gegen den möglicherweise familienfremden Erben.74 Dessen Berufung aufgrund Verfügung von Todes wegen wird vom Gesetz nicht angetastet.75 Martinys Aussage in seinem Gutachten zum 64. Deutschen Juristentag, dass die „individuelle Gestaltung [des Erblassers] behindert würde, wenn sich die „Ziele, [die der Verfügende mit seiner Gestaltung von Todes wegen verfolgt], nicht mit den zwingenden Vorgaben des Pflichtteilsrechts deckten“, trifft daher nicht zu. 76 Auch der willkürliche Gebrauch der Testierfreiheit, von dem bereits die Rede war,77 lässt sich – entgegen Martiny 78 – mit den Mitteln des Pflichtteilsrechts gerade Exemplarisch Ritter, S. 33: „Das Erbrecht nach dem BGB basiert in den zentralen Punkten der gesetzlichen Erbfolge und der Pflichtteilsberechtigung auf der sozialen Wirklichkeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts“. Die Gegenposition formuliert Otte, AcP 202 (2002), 317, 330 ff., 340 ff., m.w.Nw.; s. auch ders., ZEV 1994, 193, 197; ihm folgend Schiemann, Fs. Otte, S. 313, 327. 71 BVerfGE 112, 332, 355. 72 AcP 202 (2002), 317, 319 f. Henrich bringt die beiden Institute im Titel seiner Abhandlung „Testierfreiheit vs. Pflichtteilsrecht“ buchstäblich in Frontstellung. 73 Leipold, Fg. BGH I, S. 1011, 1039. 74 Vorsicht ist allerdings bei Michalskis Feststellung (Rn. 471) geboten, die Testierfreiheit sei „nur in dinglicher Hinsicht uneingeschränkt“. Die Aussage orientiert sich erkennbar an lebzeitigen, i. e. sachenrechtlichen Strukturmerkmalen. Unten § 4, S. 118 ff. 75 Es ist deshalb auch nicht richtig, von einer Selbstbindung der Testierfreiheit des Erblassers durch Eheschließung und/oder Kinderzeugung auf der Primärebene auszugehen. So aber von Schmitt, S. 54; s. auch H.-G. Mertens, S. 84; ähnlich Stöcker, FamRZ 1971, 609, 617; Huber, S. 52 f. Dagegen zutreffend Herzog, S. 224 ff. 76 Gutachten 64. DJT, A 72. Dazu Klingelhöffer, ZEV 2002, 293 ff. 77 Oben bei Fn. 38. 78 Gutachten 64. DJT, A 70, dem BVerfGE 112, 332, 353, in diesem Punkt folgt: „Relativierung der Möglichkeit zur Ungleichbehandlung von Kindern durch den Erblasser.“

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Erster Teil

nicht verhindern. Denn die enttäuschte Erberwartung pflichtteilsberechtigter Personen wird ausschließlich sekundär kompensiert. Die Verfügung von Todes wegen selbst bleibt wirksam. Im Verhältnis zum Pflichtteilsrecht – anders als zur gesetzlichen Erbfolge79 – hat daher die Testierfreiheit gegenüber der Familienerbfolge nach dem geltenden Recht das Übergewicht. 80 Schließlich handelt es sich bei der Testierfreiheit und der Familienerbfolge, auch in dem Fall, in dem sie das Gesetz tatsächlich aufeinander bezieht – nämlich, wenn der Erblasser Kinder, Ehegatten oder Eltern durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausschließt (§ 2303 Abs. 1 BGB) – immer noch um zwei verschiedene Rechtsprinzipien, deren Handlungslogiken nicht zwingend miteinander gleichzusetzen sind. Während es bei der Familienerbfolge stets um (reziproke) Formen von Solidarität unter nahen Angehörigen geht, ist dies bei der gewillkürten Erbfolge nur ein mögliches Motiv unter mehreren denkbaren, die den Erblasser bei der Errichtung einer Verfügung von Todes wegen leiten können. Beide Erbfolgetypen müssen daher aus sich selbst heraus verstanden und erläutert werden. Sie können nicht als Reaktion auf den jeweils anderen Grundsatz begriffen und konturiert werden.81 Bruns hat das schon früh zum Ausdruck gebracht: „Diese Freiheit der Verfügung ist also nicht eine Concession vom Familienprincipe, sondern selbständiges eigenes Recht des Individuums, ebenso wie umgekehrt das Recht der Familie nicht auf der ,voluntas praesumtiva‘ des Verstorbenen beruht, sondern selbständig auf der gattungsmäßigen Beziehung der Familie zu ihm.“82

Die Gestaltungsbefugnis von Todes wegen selbst wurde bisher aus zivilrechtsdogmatischer Sicht eher nur en passant behandelt.83 Das ist ein Manko, dem die vorliegende Untersuchung abhelfen möchte.

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Oben S. 20 f. Deshalb trifft die Einschätzung Stagls, S. 161, in der Frage sei eine „grundsätzliche Unentschiedenheit des deutschen Erbrechts“ zu vermerken, auf die lex lata nicht zu. 81 So aber Schlüter, Fg. BGH I, S. 1047, 1065. 82 Bruns, Kleinere Schriften II, S. 139, 155. Er plädiert an dieser Stelle nicht für die Abschaffung der Testierfreiheit. Gerungen wurde ausschließlich um die Frage, wie sehr sie das Gesetz einschränken sollte (ähnlich die Einschätzung Beckerts, S. 71). 83 Die Arbeit von Goebel, Persönlichkeitsrecht, bildet nur eine gewisse Ausnahme. Denn er verortet die Gestaltungsbefugnis von Todes wegen in erster Linie im außerrechtlichen Kriterium der Todesverarbeitung. Wo er sie aber dogmatisch beschreibt – als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nämlich –, entkleidet er die Testierfreiheit ihres spezifisch privatautonomen Rechtscharakters. Dazu im Einzelnen unten § 3 C. II. 1., S. 106 ff., und 2., S. 111 ff. 80

§ 1 Mittelbare Wiederentdeckung der Testierfreiheit

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B. Annäherung über den Sittenwidrigkeitsmaßstab des § 138 Abs. 1 BGB Die Engführung der Testierfreiheit mit dem Gedanken der erbrechtlichen Versorgung von Familie und Verwandten hat auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Sittenwidrigkeit von letztwilligen Verfügungen über längere Zeit dominiert. Es ist das Verdienst Falks84 und Leipolds,85 die Entwicklung und ihre Auflösung hin zur Betonung der Testierfreiheit im Einzelnen nachgezeichnet zu haben. In den Entscheidungen, die im Allgemeinen mit dem Stichwort des Geliebten- oder Mätressentestaments bezeichnet werden,86 hatte sich der Bundesgerichtshof den Schutz von Ehefrau und Familie des Erblassers sowie die Wahrung ihrer Vermögensinteressen auf die Fahne geschrieben. Sie waren von diesem Ansatz her fast unausweichlich moralisierend gehalten, weil sie im Rahmen der Sittenwidrigkeitsprüfung notwendig mit einem Unwerturteil, also mit einer richterlichen Wertung verbunden werden mussten.87 Setzt man die Bedenkung von Ehefrau und Familie als das sittengemäße Verhalten voraus, muss man die Abweichung hiervon – also die erbrechtliche Zuwendung an die Geliebte – zwingend als von den gesellschaftlichen Gepflogenheiten divergierendes, sittlich nicht akzeptables Verhalten des Erblassers kennzeichnen und kommt so kaum umhin, seine Gesinnung statt der letztwilligen Verfügung zu bewerten.88 Für die Behandlung der Privatautonomie von Todes wegen gilt in dieser ersten Phase der Rechtsprechung der bereits bekannte Befund: „Nicht die Testierfreiheit, sondern der Schutz von Ehe und Familie, konkret der Schutz der Erberwartungen, [stand] im Vordergrund.“89 Oder in den Worten Falks: „Die gesetzliche Testierfreiheit war durch moralisierende Richterfreiheit er-

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In: ders./Mohnhaupt, S. 451 ff., 482 ff., 490 ff. Fg. BGH I, S. 1011, 1023 ff. 86 Detaillierte Nw. aus der Rechtsprechung bei Falk, in: ders./Mohnhaupt, S. 451 ff., 470 ff., 476 ff., 490 ff. S. auch Johannsen, WM 1971, 918 ff.; A. Schmitt, S. 60 ff.; Karow, S. 68 ff., 77 ff., 104 ff., 108 f., 115 ff., 132 ff., 160 f., 163 ff. Überblick bei Kaden, S. 34 ff., 59 f.; Sasse, JA 1986, 160 ff. 87 Kritische Stimmen aus der älteren Literatur: Gernhuber, FamRZ 1960, 326, 328 ff.; Müller-Freienfels, JZ 1968, 441 ff., 448; Breithaupt, NJW 1968, 932 f.; Speckmann, JZ 1969, 733 ff.; w. Nw. bei Zeidler, Fs. Faller, S. 145, 161 Fn. 84. 88 Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 334: „Konservativ bärbeißige Moralvorstellungen“. Sein Anliegen, die Aufgabe dieser Rechtsprechung rechtstheoretisch zu begründen (S. 334) – insbesondere, den Umstand, dass das Recht von der Moral zu differenzieren ist (S. 335 ff.) –, wirkt heute, nachdem die Kehrtwendung wenn nicht ausdrücklich, so doch in der Sache (dazu Falk, in: ders./Mohnhaupt, S. 451, 490) bereits seit Jahrzehnten vollzogen ist, anachronistisch (vgl. auch Goebel, Ehegattenschutz, S. 490 ff.). Die „Mätressen-Testamente“ taugen heute nur noch als Lehrbeispiele. 89 Leipold, Fg. BGH I, S. 1011, 1025. 85

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Erster Teil

setzt worden.“90 In jedem Fall werden die dogmatischen Strukturen der Testierfreiheit nicht erörtert. Was sich nunmehr in der Rechtsprechung vollzieht,91 lässt sich als Verrechtlichungsprozess weg von der Beurteilung des Verhaltens des Erblassers hin zur Überprüfung des Inhalts seiner letztwilligen Verfügung beschreiben. Formal stellen die Entscheidungen die Privatautonomie von Todes wegen voran und betonen ihre Bedeutung unisono. Jedoch bleibt auch dies eine mittelbare Annäherung. Gesellschaftliche und rechtliche Veränderung nehmen dem moralisierenden Familienargument seine Berechtigung. Der Bundesgerichtshof verwendet es nicht mehr und zieht sich in den Lebenspartner-Fällen de facto aus der Sittenwidrigkeitsprüfung nahezu vollständig zurück.92 Wohl um die ausdrückliche Aufgabe seiner Rechtsprechung nicht aussprechen zu müssen, soll nur noch die Erbeinsetzung als Entlohnung für sexuelle Dienste unter § 138 Abs. 1 BGB fallen.93 Auch hier bleibt jedoch ein „Rest Verstrickung in die Probleme persönlicher Moral“,94 die angesichts neuer gesetzlicher Ansätze zur rechtlichen Behandlung „entgeltlicher Sexualität“ auch als Fallgruppe aufgegeben werden sollte.95 Es handelt sich ohnehin nur noch um ein rechtlich neutralisiertes Residuum, das kaum jemals zum Tragen kommen dürfte. Dazu tut schon die Beweislastverteilung, so wie der Bundesgerichtshof sie vornimmt, ihr Übriges.96 Auch außerhalb der bisher betrachteten Fälle wird fortan geradezu formelhaft betont, dass Sittenwidrigkeit von letztwilligen Verfügungen nur ganz ausnahmsweise, in jeweils nicht näher benannten „extremen“ Ausnahmefällen in Betracht komme.97

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Ders./Mohnhaupt, S. 451, 489. Mit den Entscheidungen BGHZ 52, 17; 53, 369, 374 f. S. auch OLG Düsseldorf, FamRZ 1998, 583 f. 92 So auch die Einschätzung Stagls, S. 150 Fn. 17. 93 Zeidler, Fs. Faller, S. 145, 162: „Hingabe für die Hingabe“. Aus rechtsvergleichender Sicht: Kötz, RabelsZ 58 (1994), 209, 212. 94 Schwab/Löhnig, Rn. 689; des Weiteren Goebel, Ehegattenschutz, S. 376. 95 Kroppenberg, DNotZ 2006, 86, 103, Fn. 93. Zum Ganzen Schwab/Löhnig, Rn. 691 f., im Hinblick auf das am 1.1.2002 in Kraft getretene „Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (Prostitutionsgesetz – ProstG)“ vom 20.12.2001 (BGBl. I 3983): „Für die Anwendung des § 138 Abs. 1 [BGB] bedeutet das Gesetz, dass nun weder die Annahme noch die Hingabe eines Entgelts für sexuelle Handlungen als sittenwidrig zu beurteilen sind.“ Für erbrechtliche Zuwendungen wird man nichts anderes gelten lassen können – zumal der Bedachte in der Regel keine Person ist, die sexuelle Leistungen kommerziell anbietet. Ebenso Bamberger/Roth/Litzenburger, § 2074 Rn. 7, m.w.Nw.; Paal, JZ 2005, 436, 437; Imgrund/Reese, Jura 2006, 565, 567, m.w. Nw. in Fn. 21. 96 Leipold, Fg. BGH I, S. 1011, 1032 f. Zur Entwicklung in diesem Punkt: Falk, in: ders./ Mohnhaupt, S. 451, 480 ff., 492: „Auf die Feinheiten und Tücken der Beweislastverteilung kommt es daher längst nicht mehr an.“ 97 BGHZ 111, 36, 39 f.; BGH NJW 1983, 674: „besonders hervorstechende Ausnahmefälle“. 91

§ 1 Mittelbare Wiederentdeckung der Testierfreiheit

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Es fragt sich, ob aus diesem Befund nicht auch rechtliche Konsequenzen für die Inhaltskontrolle von letztwilligen Verfügungen zu ziehen sind.98 Das kann aber nur beantwortet werden, wenn die Privatautonomie von Todes wegen in ihrem Gehalt zunächst einmal positiv bestimmt worden ist. Denn die Grenze eines Instituts kann nicht unabhängig von den Eigenschaften des zu begrenzenden Rechts bestimmt werden. Wenn das dennoch geschieht, bleibt davon zunächst nicht viel mehr als das Bekenntnis zu einem bloßen Blankett oder Programmsatz. Gerade am Rückzug der Rechtsprechung aus der „Sittensprechung“ der Lebenspartner-Fälle lässt sich das aufzeigen. Er versachlichte zum einen die Argumentation, bedeutete aber andererseits nur eine Entgrenzung der Testierfreiheit in ihrem Wirkbereich. Das Regelungsmodell des Bürgerlichen Gesetzbuchs mit seinem grundsätzlichen Bekenntnis zur Privatautonomie von Todes wegen kam dabei eher nebenbei in den Blick.99 Insoweit deckt sich der Befund mit der beschriebenen Entwicklungstendenz aus dem Pflichtteilsrecht.100 Der Rückzug fiel im Rahmen der Sittenwidrigkeitsprüfung leichter, weil nicht der Bedarf zur Reformierung von geltenden Rechtsvorschriften begründet, sondern lediglich eine moralisch aufgeladene Entscheidungsbegründung fallen gelassen werden musste. Dennoch lassen sich beide Diskussions- und Entwicklungsstränge auf dieselbe inhaltliche Wurzel zurückführen. Sie sind materiell aus gesellschaftlichen Veränderungen im Familienbild, und im Fall der Sittenwidrigkeit zusätzlich101 der Sexualmoral zu verstehen, die zum Teil auch rechtliche Folgen hatten.102 Es ist gerade diese um das sittliche Unwerturteil angereicherte, aber wiedererkennbare inhaltliche Kopplung von Wertungen des Pflichtteilsrechts an die „Sittensprechung“ alter Prägung, aufgrund deren man die faktische Aufgabe aus juristischer Sicht ohne Einschränkung begrüßen sollte. Sie implementierte jenseits des Pflichtteilsrechts die dem Prinzip der Familienerbfolge zugrunde liegenden Wertentscheidungen, wie sie in den §§ 1924 ff. BGB und dem Pflichtteilsrecht zum Ausdruck kommen, in die Sittenwidrigkeitsprüfung des § 138 98 Das klingt an bei Leipold, LM § 138 (Cd) BGB Nr. 30, Bl. 1012, im Hinblick auf die Diskriminierung des Erben als den Sittenwidrigkeitsgrund. Ähnlich Falk, in: ders./Mohnhaupt, S. 451, 491: „spezifisch erbrechtliches Phänomen“; Wanner, S. 15: „spezifische Problematik“. Am weitesten geht Otte, ZEV 2004, 394, 395, der zu Recht darauf hinweist, dass die „Zurückhaltung, die in anderen Zusammenhängen, z.B. der Vertragsfreiheit, deren Rang doch dem der Testierfreiheit nicht nachsteht, nicht zu beobachten ist, denn weder bei Sicherungsleistungen Familienangehöriger noch bei Zinsvereinbarungen in Ratenkreditverträgen beschränkt sich die Nichtigerklärung auf ,besonders schwerwiegende Ausnahmefälle‘.“ 99 Mit anderem Akzent Falk, in: ders./Mohnhaupt, S. 451, 491. 100 Oben A., S. 13 ff. 101 Leipold, Fg. BGH I, S. 1011, 1033. Aus der älteren Literatur: Rother, AcP 172 (1972), 498 ff. 102 In diesen Zusammenhang gehört etwa die Streichung des Ehebruchs- und des Homosexualitätsstraftatbestands aus dem StGB im Zuge der Strafrechtsreform des Jahres 1969 (Erstes Gesetz zur Reform des Strafrechts [1. StrRG] vom 25.6.1969, BGBl. I, 645).

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Erster Teil

Abs. 1 BGB.103 Das bedeutete eine unzulässige Dopplung, die auch in der Literatur aufgegeben werden sollte.104 Für die Privatautonomie von Todes wegen ergibt sich aus der beschriebenen Entwicklung in der Rechtsprechung real eine erhebliche Stärkung. Sie war jedoch in der Judikatur einmal mehr nur die Folge einer Neukonturierung ihrer Grenzen, weniger der Erklärung ihrer selbst.

103 MünchKomm/Mayer-Maly, § 138 Rn. 59: Die Rechtsprechung zum „Mätressen-Testament“ hat „lange Zeit die bedenkliche Nebenfunktion zu einer Erweiterung des Pflichtteilsrechts ausgefüllt“. Ähnlich schon Siegers, FamRZ 1965, 594, 598 f., in Bezug auf die Frage der Sittenwidrigkeit von letztwilligen Zuwendungen eines Vaters an sein nicht eheliches Kind. S. auch die Nw. bei Stagl, S. 151, Fn. 19. 104 Windel, S. 222, Fn. 26, unter Hinweis auf Leipold, AcP 180 (1980), 160, 195 ff.; MünchKomm/Leipold, Einl. zu §§ 1992–2385, Rdnr. 10.

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§ 2 Die verfassungsrechtlich geschützte Testierfreiheit in iure civili – eine zivilrechtsdogmatische Fehlanzeige A. Verflüchtigung des Zivilrechts in der „Hohenzollern“Entscheidung des Bundesgerichtshofs Es lässt sich nur vermuten, dass dem Bundesgerichtshof selbst nicht wohl war ob dieses neuen starken, aber letztlich „nackten“, weil nicht positiv begründeten Rechts. Jedenfalls wird der Testierfreiheit just in den Entscheidungen, in denen der von Leipold beschriebene Verrechtlichungsprozess voll zum Tragen kommt – in den beiden Urteilen zum so genannten Behindertentestament1 –, vorgeblich eine neue Legitimation beigegeben. Es wird eigens hervorgehoben, die das Erbrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs beherrschende Testierfreiheit stehe unter dem Schutz des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG, 2 und ihre Einschränkung bedeute einen Eingriff in die grundgesetzlich geschützte Privatautonomie im Erbrecht, der dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen muss.3 Bis zu den genannten Entscheidungen hatte dieser verfassungsrechtliche Ansatz in der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch unter der Geltung des Grundgesetzes keine wesentliche Rolle gespielt. Er wurde im Gegenteil nur gelegentlich und eher am Rande erwähnt,4 und wenn, dann blieb es bei der bloßen Rezeption verfassungsgerichtlicher Argumentationstopoi,5 keinesfalls aber wurde daraus eine eigenständige zivilrechtliche Begründung der 1

BGHZ 123, 368 ff.; 111, 36 ff. Aus dem Schrifttum Nieder, Rn. 266; Michalski, Rn. 413. 3 BGHZ 123, 368, 378, unter Hinweis auf BVerfGE 67, 329, 341. Zu den privatrechtlichen Dimensionen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Medicus, AcP 192 (1992), 35 ff.; Canaris, AcP 184 (1984), 201, 208. S. auch Oechsler, S. 141 f., für die Privatautonomie unter Lebenden. 4 Etwa in BGHZ 77, 348; 70, 313, 324 f.; BGH NJW 1977, 672 f. 5 Ein Beispiel ist BGHZ 118, 361, 365. In der Entscheidung wird die verfassungsgerichtliche Parallelisierung von Eigentum und Erbrecht aufgegriffen, die der aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bekannten Definition der Testierfreiheit als „Verfügungsbefugnis des Eigentümers über den Tod hinaus“ zugrunde liegt (ständige Rechtsprechung seit BVerfGE 67, 329, 341, unter Hinweis auf BVerfGE 26, 215, 222; 50, 290, 340. S. auch BVerfGE 91, 346, 358). Zur Problematik dieses Ansatzes unten § 6 A., S. 153 ff., B. I., S. 159 ff. 2

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Erster Teil

Gestaltungsbefugnis von Todes wegen daraus. Diese relativ neue Anschauung ist vielmehr Ausdruck einer zweiten Unzulänglichkeit in der zivilgerichtlichen Behandlung der Testierfreiheit. Mit dem Rekurs auf Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG sollte in den beiden Urteilen zum so genannten Behindertentestament „ersichtlich das Gewicht der Testierfreiheit verstärkt werden.“6 Ob das rechtlich gelungen ist, erscheint jedoch problematisch. Zunächst verwechselt der Bundesgerichtshof Ursache und Wirkung. Nicht der Hinweis auf das Verfassungsrecht trägt und erklärt die gestiegene Bedeutung der Privatautonomie von Todes wegen, sondern die oben beschriebene Krise ihrer Grenzen.7 Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG wird dem neu erstarkten Recht als Begründung gleichsam im Nachhinein untergeschoben. Doch dabei bleibt es nicht. In der zweiten Entscheidung zum so genannten Behindertentestament8 wird der grundrechtsorientierte Ansatz zu einem kompletten verfassungsrechtlichen Prüfungsprogramm um- und ausgebaut. Es kommt hier freilich noch nicht zum Einsatz, weil die Frage der Sittenwidrigkeit anhand einfachgesetzlicher Vorschriften des Sozial(hilfe)rechts erörtert wird.9 Eingelöst wird die Ankündigung einer grundrechtlichen Eingriffs-SchrankenPrüfung dagegen in der „Hohenzollern“-Entscheidung des Bundesgerichtshofs.10 Was hier im Rahmen der Diskussion von § 138 Abs. 1 BGB methodisch unternommen wird, ist die Herstellung praktischer Konkordanz durch Abwägung miteinander kollidierender Grundrechte, namentlich Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG und der Art. 3 Abs. 3 GG sowie Art. 6 Abs. 1 GG. Demgegenüber nimmt sich die Beteuerung des Bundesgerichtshofs, die Grundrechte nicht unmittelbar als Prüfungsmaßstab heranziehen zu wollen, sondern nur zur Konkretisierung der guten Sitten im Rahmen des § 138 Abs. 1 BGB,11 wie ein Lippenbekenntnis zur herrschenden Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht aus. Tatsächlich wird das Konzept inhaltlich gesprengt. Es geht nicht mehr um die zivilrechtliche Konkretisierung von einfachgesetzlichen Generalklauseln anhand grundrechtlicher Wertungen,12 mag diese auch im Einzelfall schwer von Lückenfüllung und richterlicher Rechtsfortbildung zu trennen sein oder in

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So die Einschätzung Leipolds, Fg. BGH I, S. 1011, 1040, s. auch S. 1045. Oben § 1 B, S. 25 ff. 8 BGHZ 123, 368, 377. 9 Die Einschätzung Rufferts, S. 396, Fn. 269, die Entscheidungen zum so genannten Behindertentestament „seien von verfassungsrechtlichem Einfluss weitgehend unberührt“ geblieben, spielt die Bedeutung der Entscheidungen als argumentative Vorstufe für die Entfaltung des verfassungsrechtlichen Ansatzes in der „Hohenzollern“-Entscheidung etwas zu sehr herunter. 10 BGHZ 140, 118 ff. 11 BGHZ 140, 118, 132. 12 Starck, Praxis, S. 68, m.w.Nw. in Fn. 92. 7

§ 2 Verfassungsrechtlich geschützte Testierfreiheit in iure civili

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diese übergehen.13 Es ist dieser Rechtsprechung auch nicht mehr – um eine andere Bezeichnung für denselben Zusammenhang zu verwenden14 – um die „Ausstrahlungswirkung“ von Grundrechten auf eine Falllösung nach bürgerlichem Recht zu tun.15 In der „Hohenzollern“-Entscheidung wird die zivilrechtliche Argumentation durch die verfassungsrechtliche vielmehr vollständig verdrängt und ersetzt. Aus dem nur subsidiären und ausnahmsweisen Rückgriff16 auf die Grundrechte, ihrer viel beschworenen „Notkompetenz“,17 wird ein regulärer erster Prüfungszugriff in der Sache. Das lässt sich nicht damit erklären, dass im Rahmen des Anwendungsbereichs von Generalklauseln wie § 138 Abs. 1 BGB und § 242 BGB die Konkretisierungsleistung des Gesetzgebers18 naturgemäß gering ist. Der Rückgriff auf allgemeine Rechtsprinzipien, und insbesondere auf die Grundrechte, erscheint hier als geradezu denknotwendig. Die verfassungsrechtliche Inhaltskontrolle des einfachen Rechts habe in diesen Fällen kaum greifbaren Gehalt.19 In dieser Allgemeinheit ist die Folgerung jedoch nicht zutreffend. Entscheidend ist eben, dass der Einfluss insbesondere verfassungsrechtlicher Wertungen im Rahmen der justiziellen Rechtsfortbildung methodisch behutsam, und das heißt in erster Linie im Sinne eines Vorrangs einfachgesetzlicher Begründungen, ausgestaltet werden muss. 20 Fragt man danach, „wie der Umfang im Einzelnen zu bestimmen ist, in dem Wertungen des Grundgesetzes […] zur Bejahung der Sittenwidrigkeit [gerade einer letztwilligen Verfügung] führen können“, 21 ist die Antwort notwendig eine graduelle: So viel einfaches Recht wie möglich, gerade so viel Verfassungsrecht wie nötig. 22 An eine vollumfängliche „Entsorgung“ des zivilrechtlichen zugunsten des verfassungsrechtlichen Normengefüges, wie sie der Bundesgerichtshof in der „Hohenzollern“-Entscheidung praktiziert, hat bisher jedoch 13

Hierzu T. Simon, AcP 204 (2004), 264, 273 ff. Zur Frage der inhaltlichen Übereinstimmung beider Topoi Ruffert, S. 37 ff., 65. 15 Zur Kritik dieses Begriffs Canaris, Grundrechte, S. 30 ff., 53 ff., 93. 16 Bei „Unklarheiten, Vagheiten und Widersprüchen“: Busche, S. 62; „grundrechtskonforme Ergänzung (des Zivilrechts) in den Fällen, in denen das Gesetz solcher Ergänzung bedarf oder sie gar voraussetzt“: Ruffert, S. 231 f., m.w.Nw. 17 T. Simon, AcP 204 (2004), 264, 276, m.w.Nw. in Fn. 52. 18 Begrifflichkeit bei Hermes, in: VVDStRL 61, 119, 143 f. 19 So offenbar Röthel, JuS 2001, 424, 427. 20 T. Simon, AcP 204 (2004), 264, 276, gegen Hager, JZ 1994, 373, 375: „Die Grundrechte sind […] direkter Prüfungsmaßstab privatrechtlicher Gesetze.“ 21 Leipold, Fg. BGH I, S. 1011, 1044, 1045. 22 Noch weitergehend Schlechtriem, in: 40 Jahre GG, S. 39, 49 f.: „Im Ganzen bleibt jedoch zu resümieren, dass das Grundgesetz im Bereich der Parteiautonomie, insbesondere für die Freiheit der Parteien zur inhaltlichen Ausgestaltung ihrer Verträge trotz der immer wieder zitierten Ausstrahlungswirkung der Grundrechte auf das Zivilrecht über die Generalklauseln [die Rede ist an dieser Stelle von § 138 Abs. 1 BGB] eher marginale Bedeutung hat.“ 14

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Erster Teil

noch niemand gedacht23 – auch nicht die Befürworter24 einer unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht25 oder diejenigen, die dafür gehalten werden. 26 Es handelt sich hier nicht mehr um die Abwehr von „Übergriffen“ aus dem Verfassungsrecht, sondern um dessen eigenständige Transmission in das Zivilrecht durch den Bundesgerichtshof selbst. 27 In gewisser Weise liegen die Dinge daher noch mehr im Argen, als dies Diederichsen und andere28 für die Privatautonomie unter Lebenden moniert haben. Gerügt wurde vor allem die Unsicherheit grundrechtlicher Wertungen,29 insbesondere der Lösung von Grundrechtskollisionen durch Abwägung, 30 die den privatrechtlichen Vertragsschluss zum einen auf den bloßen Grundrechtsvollzug reduziert31 und zum anderen gerade aufgrund ihrer fragmentarischen Offenheit32 und Vagheit33 „keine der Privatrechtsdogmatik an Sicherheit der Verhaltenssteuerung vergleichbare positivrechtliche Lösung“34 bietet.35 Damit die 23

Die Meinungen in der Literatur reichen von einer unmittelbaren Wirkung der Grundrechte beschränkt auf rassische und religiöse Differenzierungen nach Art. 3 Abs. 3 GG (Mikat, Fs. Nipperdey I, S. 581, 591 ff.; Leisner, Grundrechte, S. 359, m. Fn. 182), über die unmittelbare Drittwirkung im „Kernbereich“ des Art. 3 Abs. 3 GG und bei „sachwidrigem Handeln“ (Thielmann, S. 300 ff., 305, 307) bis hin zur völligen „Freiheit zur Willkür“ (Bezzenberger, AcP 196 [1996], 395, 418); ähnlich Isensee, DNotZ 2004, 754, 758: „legitime Willkür“, im Anschluss an Leisner, Hausrecht, S. 99 ff.; ders., Gleichheitsstaat, S. 154 ff.; Gutmann, S. 244 f., m. Fn. 1215. W. Nw. bei Otte, JA 1985, 192, 194. Des Weiteren Gaier, ZEV 2006, 2 ff.; Westermann, Fs. Wiegand, S. 661, 667 f. 24 Hager, JZ 1994, 373 ff. 25 Für den Bereich letztwilliger Verfügungen ist allein Kellenter, S. 98 ff., eine Ausnahme. 26 Diederichsen, AcP 198 (1998), 171, 213, interpretiert den Standpunkt Canaris’ insofern über. Dieser hat die Subsidiarität des Rückgriffs auf die Grundrechte stets betont, ders., Grundrechte, S. 50, 64, 81 ff., und Dürigs Einschätzung, die Lehre von der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte gefährde die Privatautonomie (Dürig, Fs. Nawiasky, S. 158 ff., 167 ff.) ausdrücklich beigepflichtet (Canaris, AcP 184 [1984], 201 ff., 205). Allerdings unterscheidet er zwischen „unmittelbarer Drittwirkung“, und der unmittelbaren Bindung des Privatrechtsgebers an die Grundrechte (Canaris, Grundrechte, S. 35, m. Fn. 35) 27 Das sehen selbst Befürworter der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung so: „Verschiebung der Gewichtung in den Beurteilungskriterien“ (Paal, JZ 2005, 436–444). S. auch Reimann, in: ders./Bengel/J. Mayer, Systematischer Teil A, Rn. 59a: „Verfassungsrecht als Schranke der Testierfreiheit verstärkt zu beachten“. 28 Oechsler, S. 141 ff; Windel, Der Staat 37 (1998), 385, 408. W. Nw. sogleich unter B., S. 34 ff. 29 Diederichsen, in: Starck, Rangordnung, S. 90 ff. 30 Diederichsen, AcP 198 (1998), 171 ff., 227 ff.: „Ubiquität von Grundrechtskollisionen“. Aus öffentlich-rechtlicher Sicht Leisner, NJW 1997, 636, 637 f., m.w.Nw. in Fn. 12. 31 Behrends, in: ders./Sellert, S. 9, 78. 32 Diederichsen, AcP 198 (1998), 171 ff., 214 ff. 33 Medicus, AcP 192 (1992), 35 ff., 55, formuliert das positiv: „Die im Grundgesetz genannten Grundrechte finden immer neue und teils überraschende Ausprägungen.“ 34 Diederichsen, AcP 198 (1998), 171 ff., 228; s. auch Schlechtriem, in: 40 Jahre GG, S. 39, 51. 35 Aus verfassungsrechtlicher Sicht Oeter, AöR 119 (1994), 529, 559; Hesse, S. 25.

§ 2 Verfassungsrechtlich geschützte Testierfreiheit in iure civili

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Abwägung im Zivilrecht ein „prädestiniertes Verfahren privatrechtlicher Regelbildung“ zur Beilegung von Konflikten gleichgeordneter Individualinteressen sein kann, müssen bestimmte „Rationalitätsbedingungen“ erfüllt sein, die insbesondere in der Bildung von geeigneten zivilrechtlichen Differenzierungskriterien bestehen. Einer verfassungsrechtlichen Güterabwägung gehen diese stabilen Präferenzregeln dagegen ab. 36 Adressat dieser appellativen Kritik ist in erster Linie das Bundesverfassungsgericht. Ihr Anliegen ist die Respektierung der Zivilrechtsdogmatik durch eine entsprechend zurückhaltende verfassungsgerichtliche Rechtsprechung.37 Das ist besonders in den Bereichen von Bedeutung, in denen Institute des Privatrechts – zum Beispiel das „Erbrecht“ im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG – verfassungsrechtlichen Schutz genießen. Hier stehen die (Einfalls-)Tore am weitesten offen.38 Das gilt – mit zum Teil unguten Konsequenzen für die Ausprägung einer zivilrechtlichen Dogmatik der Privatautonomie von Todes wegen – auch für die Behandlung der Testierfreiheit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wie noch zu zeigen sein wird.39 Die „Hohenzollern“-Entscheidung eignet sich das fremde verfassungsrechtliche Prüfprogramm im Gegensatz dazu selbstständig und insbesondere ohne Not an.40 Nur am Rande sei bemerkt, dass die Ausführungen des Bundesgerichtshofs auch nach verfassungsrechtlichen Kriterien nicht zweifelsfrei sind. Im Rahmen der Prüfung des Art. 3 Abs. 3 GG führt er ein subjektives Element ein, die besondere Absicht des Erblassers zur Diskriminierung des bedingt Bedachten. Dieses Merkmal erlaubt ihm, eine Abwägung vorzunehmen, um, wie es in der Entscheidung heißt, einen „schonenden“ Ausgleich zwischen den divergierenden Grundrechtspositionen zu finden. In der Sache ist das eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn (Übermaßverbot),41 in die subjektive Faktoren durchaus eingestellt werden dürfen. Knüpft der Erblasser jedoch wie hier seine Entscheidung objektiv an eines der unzulässigen Kriterien des Art. 3 Abs. 3 GG (Erstgeburt im Mannesstamm, Abstammung aus einer ebenbürtigen Ehe), kommt es auf eine solche Abwägung nicht mehr an.42 Bereits die objektive Differenzierung nach einem der in der Vorschrift aufgeführten Merkmale genügt, um den Grundrechtsverstoß zu begründen.

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Umfassend Röthel, S. 148 ff., 150 ff., 437, m.w.Nw. Diederichsen, AcP 198 (1998), 171 ff., 242. 38 Diederichsen, in: Starck, S. 39 ff., 43 f. 39 Unten B. II. 1., S. 34 ff. 40 Ähnliche Kritik an zivilgerichtlicher Rechtsprechung übt auch G. Lüke, NJW 1995, 173, 174 f.: „Bedenklich ist auch, dass Zivilgerichte auf das Grundgesetz zurückgreifen, ohne vorher das Zivilrecht voll ausgeschöpft zu haben.“ 41 So auch Staudinger, Jura 2000, 467, 471. 42 Ähnlich Leipold, Fg. BGH I, S. 1011, 1043 f. 37

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B. Zivil- und verfassungsrechtliche Grenzgänge und -überschreitungen in der „Hohenzollern“-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts I. Zur Frage der Determination des Zeitpunkts der Sittenwidrigkeitsprüfung durch das Bundesverfassungsgericht In der Auflösung der Grundrechtskollision und in den Obersätzen unterscheidet sich die Argumentation in der „Hohenzollern“-Entscheidung des Bundesgerichtshofs kaum von dem sie aufhebenden Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22. März 2004,43 auch wenn dieser inhaltlich entgegengesetzt entscheidet und die Argumentation ausschließlich auf einen verfassungswidrigen Eingriff in die Eheschließungsfreiheit des Bedachten stützt. Allein das ist ein Alarmsignal, weil sich zivil- und verfassungsrechtliche Rechtsprechung schon prima facie voneinander unterscheiden lassen sollten. Primär liegt das – wie bereits gesagt – in der methodischen Aufstellung der Entscheidung des Bundesgerichtshofs begründet.44 Aber auch das Bundesverfassungsgericht respektiert die Eigenständigkeit zivilrechtlicher Prüfungs- und Wertungskategorien im Beschluss nicht durchweg. Vielmehr fällt die Bilanz zwiespältig aus. Einer der zwei gedanklichen Ansätze, die das Gericht zur Begründung des Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 GG wählt, ist originär verfassungsrechtlicher Natur. Er war in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht erwähnt worden, die Vorinstanz hatte den Gesichtspunkt seinerzeit nur ganz allgemein behandelt.45 Das Bundesverfassungsgericht greift ihn nun wieder auf. Es geht um die Frage, ob das Prinzip der Ebenbürtigkeit in einer Republik zum Inhalt einer bedingten Erbeinsetzung gemacht werden kann. Der Hinweis auf diesen staatsorganisationsrechtlichen Aspekt wahrt ohne Zweifel die Grenzen zwischen zivilund verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung, auch wenn er inhaltlich mehr als angreifbar ist.46 Daran knüpft sich kein besonderer Entfaltungsauftrag an den Zivilgesetzgeber, schon deshalb nicht, weil das Sujet, die Frage der formellen Verfasstheit des Staates, kein zivilrechtlicher Regelungsgegenstand ist. Das lässt sich bereits daran ablesen, dass das Bürgerliche Gesetzbuch im Laufe seiner Geltung die Zivilrechtskodifikation in mehreren Staatsformen war.47 43

FamRZ 2004, 765 ff., m. Anm. Staudinger. So offenbar auch Michalski, Rn. 420a. Oben A., S. 29 ff. 45 OLG Stuttgart, ZEV 1998, 185, 187, m. Anm. Otte: „Die fehlende Standesmäßigkeit gehört zu den Kriterien, die nach Ansicht des Senats in so elementarem Widerspruch zu den Grundlagen einer auf demokratischer Gleichordnung beruhenden Rechtsordnung steht, dass sich auch das Privatrecht nicht mehr dazu hergeben darf, ihr rechtliche Beachtlichkeit zu verschaffen.“ 46 Dazu aus verfassungsrechtlicher Sicht Isensee, DNotZ 2004, 756, 757. 47 Zum Einfluss dieser verschiedenen Rechtswirklichkeiten auf das Gesetzbuch s. die Beiträge in Diederichsen/Sellert; des Weiteren HKK/Rückert, vor § 1 Rn. 113 ff., 117. 44

§ 2 Verfassungsrechtlich geschützte Testierfreiheit in iure civili

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Was allerdings im hiesigen Zusammenhang nicht unproblematisch ist, ist der Umstand, dass das Bundesverfassungsgericht eine äußerst umstrittene zivilrechtliche Frage,48 nämlich diejenige nach dem maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit einer Verfügung von Todes wegen,49 en passant – und gegen die bisher herrschende zivilgerichtliche Rechtsprechung50 – zu beantworten scheint. Das wird zwar nicht explizit ausgesprochen, immerhin aber durch die folgende Argumentationskette im Beschluss nahe gelegt: Die Darstellung der staatsrechtlichen Entwicklung setzt mit dem Deutschen Reich und Preußen ein. Im Anschluss wird der Wechsel der Staatsform von der Monarchie zur Republik durch die Weimarer Reichsverfassung51 und die Verfassung Preußens52 sowie die daraus folgende Gegenstandslosigkeit der Hausgesetze betont. Die beiden Daten liegen vor der Errichtung des Erbvertrags im Jahre 1938. Im Folgenden bezieht sich das Gericht zunächst auf das Verbot der Wiedereinführung der Monarchie in Artt. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 des später in Kraft getretenen Grundgesetzes, um daran die Feststellung anzuschließen, dass der Bundesgerichtshof hätte prüfen müssen, ob „eine mit der Wahrung des Ebenbürtigkeitsprinzips verknüpfte Erbeinsetzung noch53 Eingriffe in die Eheschließungsfreiheit eines Erben zu rechtfertigen vermag.“ Die Aussage, dass „dieses Prinzip heute54 seine ursprüngliche staatsrechtliche Funktion […] nicht mehr erfüllen kann“, scheint den Zeitpunkt der Sittenwidrigkeitsprüfung von der Errichtung der Verfügung von Todes wegen endgültig in die Jetztzeit verlegen zu wollen.55 Erhärtet wird diese Vermutung nicht zuletzt durch den zivilrechtlich problematischen Rekurs auf den „Druck“-Topos,56 den das Bundesverfassungsgericht zur Begründung seiner Entscheidung maßgeblich einsetzt. Er siedelt die Sittenwidrigkeitsprüfung zeitlich denknotwendig in der Gegenwart an.57 Ob die Eben48

Nw. bei Lange/Kuchinke, § 35 V 9, S. 835, Fn. 108, 109, S. 836, Fn. 113. S. nur einerseits Schmoeckel, AcP 197 [1997], 1, 78; und aus früherer Zeit: Birk, FamRZ 1964, 120 ff. (Errichtungszeitpunkt); andererseits Eckert, AcP 199 (1999), 337, 352 f., 357; Kaden, S. 56; aus dem älteren Schrifttum: Bartholomeyczik, Fs. OLG Zweibrücken, S. 1 ff. (Zeitpunkt des Erbfalls). W. Nw. bei Goebel, Ehegattenschutz, S. 380 Fn. 180; sowie unten § 12 B. V. 3., S. 344 ff. 50 Ständige Rechtsprechung seit BGHZ 20, 71 ff.; abweichend etwa OLG Hamm, FamRZ 1979, 1074, 1075. 51 Vom 11. August 1919, RGBl. S. 1383. 52 Vom 30. November 1920, Preußische Gesetzessammlung, S. 543. 53 Hervorhebung nicht im Original. 54 Hervorhebung nicht im Original. 55 Offen gelassen von Staudinger, FamRZ 2004, 768, 770. 56 S. unten II. 1., S. 39 ff., 2., S. 42 ff. Kritisch auch Gutmann, NJW 2004, 2347, 2348: „das unspezifisch psychologisierende, suggestive Wort ,Druck‘“. 57 Diese Konsequenz wird bezeichnenderweise gerade nicht gezogen. „Was der für die Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB maßgebliche Beurteilungszeitpunkt ist, ist keine Frage des Verfassungsrechts, sondern eine Frage der Auslegung des ,einfachen Rechts‘. Sie konnte das BVerfG nicht entscheiden, und es beabsichtigte das wohl auch nicht […]“ (Otte, ZEV 2004, 49

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Erster Teil

bürtigkeitsklausel eine unzulässige Beeinträchtigung der Entschließungsfreiheit des Begünstigten beinhaltet, lässt sich nur im Zeitpunkt des Erbfalls, genauer des Anfalls der Erbschaft an den Bedachten (§ 1942 Abs. 1 BGB) bestimmen.58 Doch dabei bleibt das Gericht nicht stehen. Es scheint den Zivilgerichten sogar aufgeben zu wollen, auch noch nach dem Erbfall liegende Umstände in die Bewertung mit einzubeziehen.59 Die zivilgerichtliche Rechtsprechung zur Frage ist derzeit im Fluss. Der Bundesgerichtshof hatte die Frage in seiner Entscheidung offen gelassen.60 Die Vorinstanz wollte die heutige Berufung auf die Ebenbürtigkeitsklausel nicht gelten lassen.61 Das Bayerische Oberste Landesgericht hatte dagegen in einem ähnlichen Fall62 geprüft, ob zum Zeitpunkt des Erbvertragsschlusses Sittenwidrigkeit vorlag. Interpretiert man die Ausführungen des Bundesverfassungs394, 396). Das Bundesverfassungsgericht greift schon deshalb nicht in das einfache Recht über, weil ihm das nicht obliegt. Die Begründung ist zirkulär: Es kann – um das berühmte Morgenstern’sche Diktum zu bemühen (Gesammelte Werke, S. 262, 263: „Die unmögliche Tatsache“) – nicht sein, was nicht sein darf. 58 Wie hier Goebel, Ehegattenschutz, S. 380. 59 In diese Richtung auch Paal, JZ 2005, 436, 444; Staudinger, FamRZ 2004, 768, 770. Deutlich Horsch, Rpfleger 2005, 285, 290: „fortdauernder mittelbarer Eingriff in die Eheschließungsfreiheit durch die erbrechtliche Potestativbedingung“. 60 So auch Probst, JR 1999, 508, 509. Hieraus zieht Otte, ZEV 2004, 394, 396, den Schluss, das Bundesverfassungsgericht sei gehalten gewesen, die Frage zu behandeln. Zwingend ist das nicht. Der BGH hatte seinerzeit nicht über den maßgeblichen Zeitpunkt der Sittenwidrigkeit entschieden, mit der Begründung, dass selbst wenn auf den Zeitpunkt des Erbfalls abzustellen sei, zu dem das Grundgesetz ja galt, die Testamentsklausel unbedenklich gewesen sei. Zur Aufhebung der Entscheidung hätte dem Bundesverfassungsgericht die Feststellung nach § 95 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 BVerfGG genügt, dass die angefochtene Entscheidung möglicherweise auf einem Verfassungsverstoß beruht (Stark, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 95 Rn. 45, m.w.Nw.). Begründet das Fachgericht seine Entscheidung wie hier alternativ, reicht es aus, wenn einer der beiden Begründungswege gegen die Verfassung verstößt. Dem Bundesverfassungsgericht ist es grundsätzlich verwehrt, die angefochtene Entscheidung darauf zu überprüfen, welcher der beiden Ansätze nach einfachem Recht der zutreffende ist. Das obliegt nicht ihm, sondern den zuständigen Fachgerichten. 61 OLG Stuttgart, ZEV 1998, 185, m. Anm. Otte. Goebel, Ehegattenschutz, S. 380 Fn. 180 a.E., ordnet die Entscheidung insoweit fehlerhaft unter solche ein, die die Frage offen lassen. 62 BayObLGZ 1996, 204, 227 f., m. krit. Anm. Otte, ZEV 1997, 123, 124. Es ging hier im Unterschied zur „Hohenzollern“-Entscheidung nicht um eine Ebenbürtigkeitsklausel im Erbvertrag (zur Schiedsklausel, die er enthielt, Otte, FamRZ 2006, 309 ff.), sondern um eine Ehekonsensentscheidung, die einer individuellen Person übertragen war. Ihr attestierte das Bundesverfassungsgericht eine weniger starke Beeinträchtigung der Eheschließungsfreiheit, weil sich aus ihr keine staatsrechtlichen Bedenken ableiten lassen: BVerfG NJW 2000, 2495 f. Krit. dazu Umbach, in ders./Clemens, GG, Art. 6 Rn. 27 f., gerade auch in Bezug auf die Frage des Grenzgangs zwischen Zivil- und Verfassungsrecht: „Bedauerlicherweise hat auch das BVerfG in hier ausgesprochen schwacher Argumentation die angefochtene Heiratsklausel aufrecht erhalten. Der Beschluss muss als handwerklich misslungen – weil im zentralen Punkt missverstehend und mit einfachem (Erb- und Pflichtteils-)Recht argumentierend [Hervorhebung nicht im Original] – kritisiert werden.“ S. auch Lange/Kuchinke, § 27 VI 2, S. 559 Fn. 83b, m.w.Nw.; Staudinger, FamRZ 2004, 768, 769.

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gerichts in die durch den Wortlaut und die Gedankenfolge evozierte Richtung, bleibt dem wieder mit der Sache befassten Landgericht Hechingen die Prüfungsvariante verschlossen, das Ebenbürtigkeitsprinzip sei aus staatsorganisationsrechtlichen Gründen möglicherweise bereits im Jahre 1938 als Bedingung für eine Erbeinsetzung ausgefallen. Inhaltlich vermag diese Anschauung keine wirkliche Alternative zur Beurteilung der Rechtslage aus heutiger Sicht zu bieten. Denn auch im Jahre 1938 war die erbliche Monarchie schon seit knapp zwanzig Jahren abgeschafft. Sollten die Erblasser der Verfügung von Todes wegen seinerzeit den spezifisch staatsrechtlichen Bedeutungshorizont beigelegt haben, von dem in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Rede ist – Ebenbürtigkeit zur Sicherung der Thronfolge –, dürfte dies damals auch schon die Sittenwidrigkeit der Verfügung von Todes wegen begründet haben. Immerhin denkbar ist, dass die betreffende Vertragsklausel zum damaligen Zeitpunkt noch von einem Fortwirken der gemäß Art. 155 Abs. 2 Weimarer Reichsverfassung von den Ländern aufzulösenden Familienfideikommisse gedeckt war.63 Allerdings war der Prozess im Jahre 1938 schon weit fortgeschritten.64 Die insoweit letzte gesetzgeberische Maßnahme datierte vom 6. Juni 1938 und ließ mit Wirkung vom 1. Januar 1939 alle noch bestehende Fideikommisse und die sie betreffenden Anwartschaften verfallen.65 Gerade der zeitliche Zusammenhang mit der Errichtung der Verfügung von Todes wegen legt nahe, dass die endgültige Aufhebung dieses überholten ständestaatlichen Instituts überhaupt den Anlass für den Erbvertragsschluss und die in ihm angeordnete Bindung des Familienvermögens mit den Regelungsinstrumenten des Bürgerlichen Gesetzbuchs bildete. Auch dieser Gesichtspunkt spricht demnach eher für den Verstoß gegen § 138 Abs. 1 BGB bereits zum Errichtungszeitpunkt.66 Allein der Umstand, dass es für die Frage der Sittenwidrigkeit der Ebenbürtigkeitsklausel, was deren möglichen staatsrechtlichen Bedeutungsgehalt betrifft, keinen Unterschied machen dürfte, welcher Zeitpunkt der Prüfung zu63

Im Einzelnen zum Auflösungsprozess seit der Weimarer Republik Eckert, S. 697 ff.,

741 ff. 64 Anders im Jahre 1925, dem Jahre der Errichtung des Erbvertrags im Parallelfall Bay ObLGZ 1996, 204, 215 f. Hier vollzog sich die Erbfolge teilweise noch nach dem an sich aufgehobenen Hausgesetz. Im Einzelnen Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 80 f., Fn. 139. Es liegt nahe, ein zeitlich befristetes Fortwirken der Familienfideikommisse und des mit dem Institut verbundenen ständestaatlichen Bedeutungsgehalts anzunehmen, das zum Ausschluss der Sittenwidrigkeit im damaligen Zeitpunkt führt. Im Nichtannahmebeschluss des BVerfG, NJW 2000, 2495 f., liest man von alldem allerdings nichts. 65 Gesetz über das Erlöschen der Familienfideikommisse und sonstiger gebundener Vermögen (FEG), RGBl. I. 1938, 825. Dazu Eckert, S. 748 ff.; Beckert, S. 185 f.; s. auch Probst, JR 1999, 508; des Weiteren Edenfeld, DNotZ 2003, 4, 6 f. 66 Wie hier Otte, ZEV 2004, 393, 395; Probst, JR 1999, 508, 510; Stagl, S. 151: „Der Sache nach handelt es sich […] um die Perpetuierung eines Familienfideikommisses in den Formen des Bürgerlichen Rechts.“

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grunde liegt wird, würde freilich eine diesbezügliche Festlegung durch verfassungsgerichtliche Rechtsprechung nicht erlauben. Denn das Urteil über die zeitliche Dimension der Sittenwidrigkeit67 einer Verfügung von Todes wegen ist eine originär zivilrechtliche Frage, die unmittelbar an die Beschaffenheit der Privatautonomie von Todes wegen rührt68 und Ausdruck eines grundsätzlichen Problems in der Behandlung der erbrechtlichen Gestaltungsbefugnis ist. Die Testierfreiheit ist inhaltlich kein Recht aus einem Guss. Sie gliedert sich zeitlich in zwei verschiedene Abschnitte, die sachlich zwar aufeinander bezogen sind, sich rechtlich aber grundlegend unterscheiden: die Phase der Errichtung der Verfügung von Todes wegen zu Lebzeiten des Erblassers und die „Wirksamkeitsphase“ nach seinem Tod. Die meisten der besonders umstrittenen Fragestellungen, die im Zusammenhang mit der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen auftauchen, werden nicht einheitlich in der einen oder anderen Phase verortet. Kennzeichnend für die Behandlung vieler Einzelprobleme ist vielmehr, dass sich zwei gegenläufige Begründungsansätze ausgebildet haben, die ihr argumentatives Potenzial jeweils aus den Besonderheiten des einen Teilbereichs zu ziehen versuchen. Die in Rechtsprechung und Literatur kontrovers diskutierte Bestimmung des Zeitpunkts der Sittenwidrigkeitsprüfung einer Verfügung von Todes wegen – Errichtung oder Eintritt des Erbfalls als Orientierungsmarken in der objektiven Zeitstruktur69 – ist ein Paradebeispiel dafür. Ob die Eigenart der Privatautonomie von Todes wegen in diesem dichotomen Argumentationsmodus stets sachgerecht erfasst werden kann, bedarf ebenso der Erörterung, wie die Frage, welche rechtlichen Wertungen und gedanklichen Muster jenseits der einzelnen Sachfrage mit den beiden Phasen inhaltlich codiert werden. Sie zu einem übergreifenden und kohärenten Konzept der Testierfreiheit zu verdichten, ist eine Aufgabe, die nur zivilrechtlich angegangen und mit den Mitteln des Zivilrechts gelöst werden kann. Jede verfassungsrechtliche Präjudizierung oder Vorprägung bedeutete in der Sache eine nicht akzeptable Überkonstitutionalisierung, 70 die hier ausnahmsweise einmal nicht durch die Grundrechte, sondern vermittelt über Vorschriften des Staatsorganisationsrechts an das Erbrecht herangetragen wird. Die „Hohenzollern“-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts liegt insoweit zumindest an der Grenze des normenhierarisch Zulässigen, wenn nicht gar jenseits davon. Von einem judicial self-restraint des Gerichts kann jedenfalls keine Rede sein.71 67 Staudinger, FamRZ 2004, 768, 770, weist zutreffend auf die „doppelte Zeitabhängigkeit“ hin: Sowohl die sittlichen Maßstäbe als auch die tatsächlichen Verhältnisse unterliegen der Veränderung. 68 Oben Einleitung, S. 7. 69 Oben Einleitung, S. 7, m. Fn. 46. 70 So die Begrifflichkeit bei Alexy, in: VVDStRL 61 (2002), 7, 13 f. 71 Das Gegenteil wird freilich auffallend häufig betont: Horsch, Rpfleger 2005, 285, 289; Otte, ZEV 2004, 394, 394.

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II. Der „Druck“-Topos zwischen Zivil- und Verfassungsrecht 1. „Druck“ und Intensität des Grundrechtseingriffs – zur verfassungsrechtlichen Adaption eines schillernden Topos In einem wesentlichen Punkt hat das Bundesverfassungsgericht in seiner „Hohenzollern“-Entscheidung die Abgrenzung zwischen verfassungsrechtlicher und zivilrechtlicher Rechtsprechung im Bereich der gewillkürten Erbfolge jedoch nicht unerheblich erleichtert. Es hat den durch die Ebenbürtigkeitsklausel entfalteten „mittelbaren“ und „unzumutbaren wirtschaftlichen“ Druck auf die Eheschließungs- und -auflösungsfreiheit des Bedachten als das maßgebliche Kriterium zur Begründung des Grundrechtsverstoßes eingesetzt. Der „Druck“-Topos wird hier erstmals verfassungsgerichtlich adaptiert. Er geht dabei mit der Intensität des Grundrechtseingriffs eine problematische Allianz ein. Zum einen ist der Grad des ausgeübten Drucks der Schlüssel, mit dem das Gericht seine eingehende Prüfungskompetenz in casu rechtfertigt. Zum anderen fügt sich der Ansatz in ein graduelles Modell der Druckentfaltung ein, dem verfassungsrechtlich die Schwere des Grundrechtseingriffs entspricht. Das Entwicklungspotenzial reicht von der „bloßen Einflussnahme“72 über die Schwelle einer verfassungsrechtlich nicht mehr zumutbaren Beeinträchtigung in die Grundrechtsverletzung hinein und ist in seiner Dynamik mit den Grundsätzen der Herstellung praktischer Konkordanz unmittelbar kompatibel, insbesondere mit dem Prüfungspunkt der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (Übermaßverbot).73 Die Leichtigkeit, mit der der Topos in verfassungsrechtliche Prüf- und Argumentationsmuster eingepasst werden kann, lässt Zweifel an dessen zivilrechtlicher Natur aufkommen. Als zivilrechtlich haben ihn die Vertreter der „Druck“-Theorie im Schrifttum jedoch stets verstanden, und auch ihre Kritiker haben sich mit dem Ansatz vornehmlich aus zivilrechtlicher Sicht auseinander gesetzt.74 Allerdings wird bisher kaum einmal problematisiert, ob „Druck“ auch in seiner unzumutbaren Erscheinungsform überhaupt eine zivilrechtliche Größe ist.75 Dagegen spricht zunächst der verfassungsrechtliche Ursprung des Topos im Erbrecht. Neu akzentuiert wurde er von Thielmann,76 der neben den Gesichtspunkt einer von materiellen Erwägungen freizuhaltenden personalen Sphäre

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Otte, ZEV 2004, 394, 396. Es handelt sich um ein problematisches cross-over von verfassungsrechtlichem Verhältnismäßigkeits- und zivilrechtlichem Zumutbarkeitsbegriff. Dazu Röthel, S. 234 ff., m.w.Nw. 74 Zuletzt Goebel, Ehegattenschutz, S. 361 ff.; Gutmann, S. 225. 75 In diese Richtung Goebel, Ehegattenschutz, S. 363: „Die o.g. ‚Druck-Theorie‘ setzt […] soziale Bindung mit einer rechtlichen Bindung quasi gleich.“ 76 S. 115 ff. 73

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die „ungerechtfertigte“,77 „unzulässige“78 oder „unzumutbare“79 Beeinflussung der Entschließungsfreiheit des Bedachten rückte.80 Otte empfahl in der Folgezeit, bei der Sittenwidrigkeitsprüfung nur den zweiten Aspekt zu verwenden. 81 In der Tat ist das Postulat eines rein ideellen Freiheitsraums ebenso fragwürdig wie die vom Recht der Lebenden geprägte Vorstellung, Verfügungen von Todes wegen müssten notwendig oder typischerweise freigebig sein, also jeder reziproken Komponente entbehren.82 In der Sache wurde damit die vermittelnde Position zwischen den beiden Polen der schrankenlosen Willens- und Bedingungsherrschaft des Erblassers und der generellen Unzulässigkeit von so genannten nicht vermögensbezogenen bedingten Verfügungen83 neu formuliert. Einerseits war nicht jede Bedingung per se sittenwidrig, sondern nur bestimmte; andererseits sollte die bedingte Verfügung rechtlich nicht schon deshalb exemt sein, weil sie von Todes wegen getroffen wurde.84 Gerade die Wertungs- und Einzelfallbezogenheit des Ansatzes scheint den Anforderungen des § 138 Abs. 1 BGB besonders gut gerecht zu werden.85 Der „Druck“-Topos im Erbrecht war jedoch von Anbeginn an auf das engste mit grundrechtlichen Erwägungen verzahnt. So rückt Thielmann das Kriterium der „Unwiderstehlichkeit“ des Drucks unmittelbar in den Kontext des Wesensgehalts im Sinne von Art. 19 Abs. 2 GG und will Druckentfaltung rechtlich nur im „Kernbereich“ des betroffenen Grundrechts erfassen,86 während Kellenter diesen „statischen“ Ansatz zu einem gleitenden System „druckinduzierter“ Eingriffsintensität um- und ausbaut. 87 Der Preis, der für diese weitgehende Anlehnung an die grundrechtliche Dogmatik gezahlt wird, ist die Verunmöglichung der Inhaltskontrolle einfachen Rechts wegen Verflüchtigung desselben. Die entscheidenden verfassungsrechtlichen Beurteilungsmaßstäbe werden schlicht dem einfachen Recht eingeschrieben. Es entsteht eine Art Ver77

Staudinger/Otte, § 2074 Rn. 31. Staudinger/Otte, § 2074 Rn. 34. 79 Otte, ZEV 2004, 393, 396 f. 80 Nw. aus dem älteren Schrifttum bei Staudinger/Otte, § 2074 Rn. 31. Des Weiteren Schlitt, S. 68 ff. 81 Staudinger/Otte, § 2074 Rn. 31; ihm folgend Paal, JZ 2005, 436, 440; Nieder, Rn. 265; Michalski, Rn. 415. Ähnlich Soergel/Loritz, § 2074 Rn. 22; MünchKomm/Leipold, § 2074 Rn. 14, s. aber auch Rn. 15; Smid, NJW 1990, 409, 416. 82 In diese Richtung offenbar Smid, NJW 1990, 409, 416. Zum Ganzen unten § 3 B. III., S. 87 ff. 83 Unten § 3 B. IV. 2., S. 99 f. 84 Es trifft deshalb nicht zu, dass „allein die Belange des Bedachten berücksichtigt würden“. So aber Goebel, Ehegattenschutz, S. 362. 85 Methodisch birgt die Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls (Staudinger/ Otte, § 2074 Rn. 34; Nieder, Rn. 265) die Gefahr, auf die Entwicklung abstrakt-genereller Entscheidungsregeln als Mittel der Normkonkretisierung zu verzichten und daher bei einer „Scheinkonkretisierung“ stehen zu bleiben. Im Einzelnen Röthel, S. 180 ff., 184 ff., 211 f. 86 S. 61 ff., 123 f. 87 S. 70, 83 f. Ihm folgend Badouvakis, S. 210 f., 218; Michalski, Rn. 416, m. Fn. 640. 78

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fassungsprivatrecht, dessen Vereinbarkeit mit dem Bestimmtheitsgebot für einfache Gesetze (Art. 20 Abs. 3 GG) zweifelhaft ist88 und das aufgrund der Anziehungskraft der verfassungsrechtlichen Abwägungsoption dazu einlädt, originär zivilrechtliche Ansätze aus dem Anwendungsbereich von § 138 Abs. 1 BGB wenn nicht zu verdrängen, so doch jedenfalls zu marginalisieren.89 Ein höheres Maß an Präzision in der Anwendung der Vorschrift lässt sich damit nicht erzielen. Statt die Generalklausel mit Erwägungen des einfachen Rechts zu konkretisieren und auf diese Weise erst justiziabel zu machen,90 findet ein bloßer Austausch von Generalklauseln statt91 – nämlich der zivilrechtlichen durch die verfassungsrechtliche. Das lässt sich gerade anhand der dogmatischen Entfaltung der „Druck“-Theorie bei letztwilligen Verfügungen gut studieren. Die Schwelle zum grundrechtlich bedeutsamen Druck teilt die Sittenwidrigkeit im Sinne von § 138 Abs. 1 BGB in eine verfassungsrechtlich begründete – Kellenter spricht von „Sittenwidrigkeit wegen Grundrechtsverletzung“92 – und eine so genannte „einfache“93 oder „schlichte“,94 die „im Schatten der Grundrechtswerte“95 wirke. Es sei, so fährt er fort, „regelmäßig vorteilhafter“, zunächst die Grundrechtsprüfung durchzuführen: „Sie ist […] leichter zu handhaben als die Überprüfung der ‚einfachen Sittenwidrigkeit‘, [der] im Bereich von bedingten Verfügungen von Todes wegen allerdings nur eine untergeordnete Bedeutung [zukommt]. Es geht nämlich fast immer um die Verknüpfung der Verfügung mit einem Verhalten des Bedachten. Wegen der herrschenden weiten Interpretation von Art. 2 Abs. 1 GG als allgemeines Freiheitsrecht werden die in Frage stehenden Verhaltensweisen häufig zumindest unter dieses Auffanggrundrecht fallen, so dass also vorrangig die Grundrechtsabwägung durchzuführen ist.“96

Die Überlagerung der zivilrechtlichen durch die verfassungsrechtliche Prüfung ist hier nicht nur mit Händen zu greifen, sie wird zum Programm erhoben. Der grundrechtlich aufgeladene „ungerechtfertigte“ oder „unzumutbare Druck“ auf die Entschließungsfreiheit des Bedachten wird als Trennscheide zwischen Zivil- und Verfassungsrecht innerhalb des § 138 Abs. 1 BGB eingesetzt, wodurch die Sittenwidrigkeit in eine zivil- und eine verfassungsrechtliche aufge88

Röthel, JuS 2001, 424, 427. Kritisch schon Lindacher, AcP 175 (1975), 257, 259. 90 Zur Methode Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662, 672 ff.; Ohly, AcP 201 (2001), 1, 9 ff. 91 Lorenz, JZ 1997, 277, 281 Fn. 66. Kritisch zu dieser Methode Röthel, S. 181 ff.: „Scheinkonkretisierungen.“ 92 S. 85. 93 Kellenter, S. 85. 94 Thielmann, S. 87 f. Das ist auch die Terminologie von Führ, MittBayNot 2006, 461, 465 f., der sich sonst freilich gegen die Vermengung von Zivil- und Verfassungsrecht verwahrt. 95 Thielmann, S. 87, m.w.Nw. in Fn. 177. 96 Kellenter, S. 85. 89

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spalten wird. Zugleich wird dieser der Vorrang gegenüber einem zivilrechtlichen Prüfungsansatz aus reinen Zweckmäßigkeitserwägungen heraus zugesprochen, weil die Grundrechtsabwägung „regelmäßig vorteilhafter“ und „leichter“ durchzuführen sei. Das ist genau die verlockende „Ubiquität“ von grundrechtlichen Wertungen, vor der Diederichsen und andere97 am Beispiel des Rechts der Lebenden so eindringlich gewarnt haben.98 Innerhalb des Sittenwidrigkeitsparagraphen suggeriert sie ein normenhierarchisches Rangverhältnis zwischen dem qualifizierten verfassungsrechtlichen und dem einfachen zivilrechtlichen Sittenverstoß, wo keines besteht. Es gibt nur eine bürgerlichrechtlich bestimmte Sittenwidrigkeit, die verfassungsrechtlichen Wertungen entweder entspricht oder nicht. Der „Druck“-Topos dient hier als Transmissionsriemen für ein Stück Verfassungsrecht in iure civili.

2. „Druck“ als vermeintlich zivilrechtliche Größe Die verfassungsrechtliche Tauglichkeit der „Druck“-Theorie als Argumentationsfigur in der „Hohenzollern“-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sei einmal dahingestellt.99 Im Zivilrecht ist sie schon aufgrund ihres multiplen Bedeutungsgehalts mehr als problematisch. Es ist nicht eindeutig feststellbar, ob der Topos als Faktor auf der normativen Ebene eingeführt werden soll, ob also – mit anderen Worten – „Druck“ als zivilrechtliche Größe verstanden wird. Für diese rechtlich-formale Anschauung100 spricht immerhin, dass mit dem wertungsbezogenen Merkmal der „Unzumutbarkeit“ ein notwendig normatives Element mit dem Topos in Zusammenhang gebracht wird.101 Die kon97 In Bezug auf die „Hohenzollern“-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts tut das eindrücklich Isensee, DNotZ 2004, 754, 765 f.: „Es [das Gericht] schaltet frei mit den Grenzmarkierungen, die es sich selbst gesetzt hat. Wenn schon der vorliegende Fall eine Inhaltskontrolle rechtfertigen soll – welcher zivilrechtliche Streit um die Auslegung von Rechtsgeschäften rechtfertigte sie nicht? Immerhin lässt sich jede privatrechtliche Position mühelos in eine grundrechtliche übersetzen, aus der Einbettung in ein relativ dichtes, gefestigtes Normensystem lösen und zu den diffusen Sphären metarechtlicher Werte und unkalkulierbarer Abwägungen emporheben.“ Ihm folgend Führ, MittBayNot 2006, 461, 466 f.; ablehnend Gaier, ZEV 2006, 2 ff. 98 Oben A., S. 32 f. 99 Berechtigte Zweifel daran hegt Isensee, DNotZ 2004, 754, 762: „Der Konflikt, an dem sich das BVerfG ausrichtet, hat keine grundrechtliche Qualität, sondern moralische. Das Kriterium des ,unzumutbaren Drucks‘, mit dem es arbeitet, ist juristisch belanglos.“ Ihm widerspricht Gaier, ZEV 2006, 2, 4 f., der den Druck-Topos unkritisch übernimmt. Ähnlich Weiler, MittBayNot 2006, 296, 303; Horsch, Rpfleger 2005, 285, 289. 100 Nach Enderlein, S. 78, ist damit eine Betrachtung von Privatautonomie gemeint, die „Freiheitsgegenstand und Freiheitshindernis rein rechtlich bestimmt“. Werden dagegen faktische Elemente eingeführt, ist von materialer Freiheit die Rede (a.a.O., S. 79 ff.). 101 Die Begriffe „ungerechtfertigt“ (Staudinger/Otte, § 2074 Rn. 31), „unzulässig“ (Staudinger/ders., § 2074 Rn. 34) und „unzumutbar“ (ders., ZEV 2004, 393, 396 f.) werden im Zusammenhang mit dem Terminus „Druck“ offenbar synonym verwendet, obwohl sie ob-

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struktive Alternative ist, das Kriterium vermittelt über tatsächliche Faktoren – wie insbesondere die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Bedachten in Relation zum Nachlass102 – im Rahmen einer Art erbrechtlichen Imparitätsbetrachtung in die Diskussion einzuführen. Von dem verfehlten Schlagwort der „Testamentsparität“ wird noch die Rede sein.103 Hier soll gezeigt werden, dass „Druck“ als solcher im Bürgerlichen Recht ein Fremdkörper ist, den die zivilgerichtliche Judikatur mit äußerster Zurückhaltung behandeln sollte. Das zeigt der Vergleich mit dem im anglo-amerikanischen Rechtskreis beheimateten Institut der undue influence. Auf den ersten Blick handelt es sich bei ihm um dieselbe Idee der unzulässigen Einflussnahme auf die Entscheidungsfreiheit einer anderen Person,104 die die Vertreter des „Druck“-Topos bei bedingten letztwilligen Verfügungen von Todes wegen nutzbar machen wollen. In beiden Fällen geht es um die Einflussnahme auf die Willensbildung bei der vom Bedachten oder dem anderen Teil abverlangten Entscheidung.105 Die Schwierigkeit in der Handhabung scheint hier wie dort in der Abgrenzung der zulässigen von der unzulässigen Druckentfaltung zu liegen. Gerade im Vergleich mit dem Institut der undue influence offenbaren sich jedoch bei näherer Betrachtung einige grundlegende Schwächen der „Druck“Theorie im Erbrecht. Hauptanwendungsgebiet106 der Rechtsschöpfung der equity-Rechtsprechung ist die unfaire Ausnutzung besonderer Vertrauensstellungen oder -lagen, seien sie institutionalisierter (relationships as a matter of law)107 oder situativer Natur (relationships of actual confidence).108 Dass sich aus der möglichen Angewiesenheit des Bedachten auf die erbrechtliche Zuwendung und der entsprechenden Erwartungshaltung – beides Abwägungsgesichtspunkte im

jektiv Verschiedenes meinen. „Zumutbarkeit“ beschreibt im Zivilrecht einen „Ausgewogenheitsmaßstab“ bei der Normkonkretisierung durch Abwägung (Röthel, S. 232 ff.), die Aussagen „gerechtfertigt“ oder „ungerechtfertigt“ bzw. „zulässig“ oder „unzulässig“ beziehen sich dagegen auf das Ergebnis des Wertungs- bzw. Abwägungsprozesses. 102 Die Größe des Nachlasses als solche soll allerdings keine Rolle spielen: Otte, ZEV 2004, 394, 397. 103 Unten § 3 A. III., S. 66 ff. 104 Undue influence wird gemeinhin gefasst als „any improper or wrongful constraint, machination or urgency of persuasion, whereby the will of a person is overpowered, and he is induced to do or forbear an act which he would not do, or would do if left to act freely.“ Definition bei Calamari/Perillo, Contracts, S. 351, zum US-amerikanischen Recht. S. auch Lorenz, S. 454, m.w.Nw. in Fn. 1399. 105 Lorenz, JZ 1997, 277, 281 f. 106 Zweigert/Kötz, § 31 VII, S. 425. Zur im anglo-amerikanischen Recht umstrittenen Fallgruppe der inequality of bargaining power, die im Wesentlichen mit der gestörten Vertragsparität vergleichbar sein dürfte: Treitel, S. 384 ff. 107 Teilweise überschneidet sich diese Fallgruppe mit dem Anwendungsbereich des § 138 Abs. 2 BGB, so, wenn ein Vormund die geschäftliche Unerfahrenheit seines Mündels ausnutzt. 108 Terminologie, Fallgruppen und Fallmaterial bei Treitel, S. 378 ff.; Lorenz, S. 457 ff.

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Rahmen des „Druck“-Topos – ein „Quasi-Anspruch auf das Erbe“109 aus § 138 Abs. 1 BGB nicht herleiten lässt, beruht unter anderem110 auf der besonderen Konstruktion des Erwerbs von Todes wegen durch das Bürgerliche Gesetzbuch. Es gibt keinen Anspruch auf Erwirkung einer (unbedingten) Erbenstellung kraft Vertrauensschutzes.111 Das gilt unabhängig davon, ob der Zuwendungsempfänger von einem solchen nur rechtsirrig ausgeht oder ob der Erblasser – was nur schwer mit dem Leitgedanken eines ius vigilantibus scriptum vereinbar sein dürfte112 – „wissentlich und willentlich die Angewiesenheit des Bedachten auf die Zuwendung (mit-)verursacht hat“.113 Zugleich verbietet sich bei erbrechtlichen Zuwendungen auch die rechtliche Erfassung von „Druck“ im Vorfeld oder im Bereich der Vorbereitung rechtsgeschäftlicher Betätigung. Freilich sollte mit dem Hinweis auf den mangelnden anspruchsbegründenden Charakter von Vertrauensschutzerwägungen der inhaltliche Schwerpunkt des Topos nicht verkehrt werden. Die Fälle, die mit der „Druck“-Theorie zivilrechtlich gelöst werden sollen, knüpfen weniger an der mißbilligenswerten Ausnutzung einer gewissen Prädisposition des Bedachten an, als am (unterstellten) Willen des Erblassers, auf die Entschließungsfreiheit des Begünstigten mittels „Drucks“ aktiv Einfluss zu nehmen. Ersetzt man den Begriff „Entschließungsfreiheit“ durch „Willensbildung“, wird deutlich, dass es in der Sache um den Tatbestand der Drohung geht, wenn auch um eine graduell mildere als die in § 123 Abs. 1 Fall 2 BGB angesprochene. Es geht nicht um die Ausübung psychischen Zwangs, aber immerhin doch um eine nicht gerechtfertigte Beeinflussung der willentlichen Betätigung des Bedachten. Dass diese Betrachtung 109 Gutmann, S. 225. Zustimmend Goebel, Ehegattenschutz, S. 366 Fn. 120. Anders Otte, ZEV 2004, 394, 397; Staudinger/ders., § 2074 Rn. 34. 110 Ein weiteres zivilrechtliches Bedenken ist das folgende: § 138 Abs. 1 BGB ist eine Einwendungsnorm, keine anspruchsbegründende Vorschrift. Bei Unwirksamkeit der Bedingung gilt die Erbeinsetzung, auch wenn man sie als im Sinne des „Druck“-Topos „verdient“ ansieht, nicht zwingend als unbedingte fort. Dementsprechend geht die Rechtsfolge der undue influence nur auf Lösung der vertraglichen Bindung. 111 Gutmann, S. 225. Auch unter Lebenden führt die schuldhafte Inanspruchnahme fremden Vertrauens nur zu einem Schadensersatz-, keinesfalls aber zu einem Erfüllungsanspruch. S. auch Lorenz, 484 f.; ders., JZ 1997, 277, 281, für den Rechtsverkehr unter Lebenden: „Undue influence als culpa in contrahendo“. Erbrechtlich lässt sie sich als „culpa in testando“ in Gestalt der „Verletzung eines gesetzlichen Schuldverhältnisses ohne primäre Leistungspflicht“ (Larenz, Schuldrecht AT, § 9 I, S. 106) konstruieren. Im Einzelnen Miserre, S. 247 ff., 104 f., m.w.Nw. Vor ihm bereits Battes, AcP 178 (1978), 337, 370 ff.; Stoll, Fs. Flume, S. 741, 772: „Nach deutschem Recht konnte das der Klägerin gegebene Versprechen einer letztwilligen Zuwendung schon wegen § 2302 BGB keine rechtsgeschäftliche Wirkung haben. Die Vorschrift schließt jedoch eine Vertrauenshaftung des Versprechenden m. E. nicht aus, mögen insoweit auch an das Erfordernis berechtigten Vertrauens strenge Anforderungen zu stellen sein.“ 112 In diese Richtung auch Isensee, DNotZ 2004, 754, 762, zur mangelnden verfassungsrechtlichen Brauchbarkeit des „Druck“-Topos: „Betulichkeit und Hyperempfindlichkeit“. 113 Otte, ZEV 2004, 394, 397, m.w.Nw. in Fn. 46.

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zivilrechtsdogmatisch ungereimt ist, zeigt schon ein Blick auf die Rechtsfolgen, die sich an die „Druckausübung“ knüpfen. Die weniger starke psychische Beeinflussung soll über § 138 Abs. 1 BGB die weitergehende Form der Unwirksamkeit, nämlich die Nichtigkeit der Verfügung von Todes wegen zur Folge haben, während die qualifizierte Form der Einflussnahme, die Drohung, nur die Anfechtbarkeit der Willenserklärung nach sich zieht (§ 123 Abs. 1 Fall 2 BGB).114 Die Asymmetrie auf der Rechtsfolgenseite ist ein Hinweis auf die Systemwidrigkeit des „Druck“-Topos im Bürgerlichen Recht. Das erhellt auch ein rechtsvergleichender Blick auf das Institut der undue influence. Hier hat das Opfer in der Tat nur eine Art Gestaltungsrecht zur Auflösung des unter unzulässiger Beeinflussung zustande gekommenen Rechtsgeschäfts (rescission), ipso iure tritt die Unwirksamkeit nicht ein. Im anglo-amerikanischen Rechtskreis ist das auch kohärent, weil der Begriff der Drohung im Common Law enger ist als der in § 123 Abs. 1 Fall 2 BGB. Duress meint ausschließlich Fälle, in denen der Bedrohte durch die Inaussichtstellung körperlicher Gewalt oder einer Freiheitsberaubung zur Abgabe einer Erklärung bestimmt wurde.115 Psychische Zwangs- oder Druckausübung können im Gegensatz zum Bürgerlichen Recht nicht unter den Tatbestand der Drohung subsumiert werden, so dass insoweit nur die equity-Rechtsprechung Abhilfe schaffen konnte.116 Gleiches gilt für die unfaire Ausnutzung einer Zwangslage, die in der Lehre von der undue influence weder dem Tatbestand noch der Rechtsfolge nach von der aktiven Beeinflussung der Entschließungsfreiheit des Bedachten unterschieden wird.117 Im deutschen Bürgerlichen Recht machen die Fälle der psychischen Beeinflussung dagegen, soweit diese Zwangscharakter annimmt, gerade den Kernbestand der widerrechtlichen Drohung im Sinne von § 123 Abs. 1 Fall 2 BGB aus.118 Entsprechende Rechtsgeschäfte sind anfechtbar. Hiervon zu unterscheiden sind die Fälle des § 138 Abs. 2 BGB, in denen die unbillige Ausnutzung einer Zwangslage mit der Rechtsfolge der Nichtigkeit des unter diesen Verhältnissen zustande gekommenen Rechtsgeschäfts belegt wird. Die Lehre von der Beeinflussung der Entschließungsfreiheit des Bedachten durch Entfaltung ungerechtfertigten oder unzumutbaren Drucks ist in diese dogmatische Strukturen nicht zu integrieren. Sie kombiniert systemwidrig einen nur graduell, nicht

114 Unter dem Regime des ius commune war das durchaus umstritten: R. Zimmermann, Law, S. 662, m.w.Nw. in Fn. 88. 115 R. Zimmermann, Law, S. 662; Zweigert/Kötz, § 31 VII, S. 425; Lorenz, S. 453 f.; ders., JZ 1997, 277, 281. 116 Lorenz, S. 455 f. 117 Zweigert/Kötz, § 31 VII, S. 425. 118 Bei physischem Zwang liegt schon gar keine Willenserklärung vor: Zweigert/Kötz, § 31 VII, S. 425.

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aber qualitativ unterhalb der Ausübung psychischen Zwangs anzusiedelnden „Druck“ mit dem Sittenwidrigkeitsverdikt.119 Dass das die „falsche“ Rechtsfolge ist, wurde bereits gesagt. Es ist jedoch auch nicht der Tatbestand, an den das Gesetz Rechtsfolgen knüpfen will. Psychische Beeinflussung, die sich weder zu einer Drohung verdichtet hat noch auf die unbillige Ausnutzung einer Zwangslage gerichtet ist, erreicht schon die Schwelle rechtlichen Eingreifens nicht und muss daher ausgehalten werden.120 „Druck“ als solcher, auch wenn er moralisch anrüchig, sozial bedenklich und in diesem Sinne als „ungerechtfertigt“ erscheinen mag, ist keine Kategorie des Bürgerlichen Rechts.121 Soweit das Kriterium grundrechtsdogmatisch adaptiert und in dieser Verfassungsunmittelbarkeit in § 138 Abs. 1 BGB implantiert wird, bleibt dieser Negativbefund auf der Ebene des einfachen Rechts nicht nur unberücksichtigt, vielmehr wird die Fehlanzeige in ihr Gegenteil verkehrt. Der nicht zivilrechtliche „Druck“-Topos zeigt zivilrechtliche Wirkungen. Das lässt sich symptomatisch an der bereits erörterten Festlegung des Zeitpunkts der Sittenwidrigkeitsprüfung auf den Erbfall ablesen.122 Es handelt sich um ein geradezu klassisches Beispiel für den drohenden Autonomieverlust des Privatrechts gegenüber dem Verfassungsrecht. Weitere zivilrechtliche Folgewirkungen, die man der „Hohenzollern“-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts beilegen könnte, sind gegenwärtig noch nicht vollständig absehbar. Jedoch ist die Gefahr nicht von der Hand zu weisen, dass sich in ihrem Gefolge Stimmen mehren werden, die einen so „festen Bestandteil der erbrechtlichen Kautelarjurisprudenz und Judikatur“123 wie die Wiederverheiratungsklausel in gemeinschaftlichen Testamenten und Ehegattenerbverträgen mit dem Argument kritisieren, dass auf den überlebenden Ehegatten ein mit Art. 6 Abs. 1 GG nicht vereinbarer, unzumutbarer und damit sittenwidriger Druck ausgeübt werde.124 Zwar ist das primäre Regelungsziel der Klau119 Der Vorbildcharakter von § 123 Abs. 1 Fall 2 BGB wird auch am normativen Kriterium des „ungerechtfertigten“ Drucks deutlich, das seine Parallele in der „Widerrechtlichkeit“ der Drohung hat. 120 Lorenz, JZ 1997, 277, 281; Heinrich, S. 364 f. S. auch R. Zimmermann, Law, S. 662, m.w.Nw. in Fn. 89. Im Ergebnis wie hier Goebel, Ehegattenschutz, S. 363. 121 S. auch Kroppenberg, DNotZ 2006, 86, 104: „Das Privatrecht ist keine druckfreie Zone.“ 122 Oben I., S. 31. 123 Buchholz, Erbfolge, S. 12. S. aber die Einschätzung Zawars, Fs. Schippel, S. 327, 340, der auf eine „deutliche Zurückhaltung der Notare [hinweist], eine Wiederverheiratungsklausel zu ,empfehlen‘“. 124 S. die Einschätzung Ottes, ZEV 2004, 394, 397: „Die generelle Billigung solcher Klauseln durch die Rechtsprechung, insbesondere des BGH, wird nach der ,Hohenzollern‘-Entscheidung des BVerfG nicht mehr zu halten sein.“ W. Nw. bei Staudinger/Otte, § 2074 Rn. 42 f.; ders., AcP 187 (1987), 603, 604 f., der selbst freilich nicht nach der Zielsetzung des Erblassers differenziert, sondern für die Sittenwidrigkeitsprüfung auf die „Auswirkungen der Verfügung“ abstellen will, der überlebende Ehegatte also „alles verlieren würde und auch

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sel in aller Regel nicht, die Wiederverheiratung des überlebenden Ehegatten zu verhindern,125 sondern das „Abwandern des Vermögens des Erstversterbenden in einen anderen Stamm“126 nach dem Wegfall des „Statussicherungszwecks“127 der gemeinschaftlichen letztwilligen Verfügung durch Wiederheirat des überlebenden Ehegatten. Insofern ist die Klausel legitimer Ausdruck einer willentlichen Verknüpfung von rechtsgeschäftlicher Erbfolge mit Strukturelementen der gesetzlichen.128 Aber ein entsprechender „mittelbarer Druck“, den auszuhalten die Rechtsordnung ihren Adressaten in jedem Fall zutraut und der nicht mehr als das Charakteristikum einer jeden abwägenden Entscheidung von einiger Tragweite ist, könnte sich in der Gedankenwelt der „Hohenzollern“-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts durchaus zu einem veritablen Verstoß gegen die Ehegattenwahlfreiheit des Art. 6 Abs. 1 GG auswachsen.129 Das gilt insbesondere, wenn man die Wiederverheiratungsklausel als Unterfall der Verwirkungsklausel einordnet130 und den zweifelhaften Topos von der Angewiesenheit auf den erbrechtlichen Erwerb mit heranzieht.131 Die Klausel fiele mit verfassungsrechtlicher Begründung der Sittenwidrigkeit anheim. Originär zivilrechtliche Ansätze, mit der Stoßrichtung, die Wiederverheiratung aus § 138 Abs. 1 BGB heseinen Pflichtteil nicht mehr verlangen könnte“. S. des Weiteren Riegel, in: Reithmann/Albrecht, Rn. 1210. 125 Wie hier Leipold, Rn. 448. 126 Zawar, Fs. Schippel, S. 327, 327 f., 340; Jünemann, ZEV 2000, 81, 81 f. Radke, S. 124 f., m.w.Nw., beschreibt diesen Effekt als „Benachteiligung der Schlusserben eines gemeinschaftlichen Testaments gegenüber Abkömmlingen des überlebenden Ehegatten aus zweiter Ehe oder gegenüber dem neuen Ehegatten“. Des Weiteren Goebel, Ehegattenschutz, S. 246 f., dort auch Überblick zu den verschiedenen konstruktiven Ansätzen, S. 283 ff.; s. auch MeierKraut, NJW 1992, 143, 144 ff.; dies. (unter dem Namen Forster), S. 45 ff., 48 ff.; Strötz, 31 ff. 127 Buchholz, Erbfolge, S. 37 f. 128 Sie ist ein Beispiel dafür, dass die beiden Erbfolgetypen zwar nicht aufeinander zurückgeführt werden können (oben § 1 A., S. 20 f.), aber eben auch „nicht beziehungslos nebeneinander stehen“ (Windel, S. 221 f.). Bindeglied kann dabei das Gesetz sein, wie im Fall der Auslegungsregeln, deren eigenständigen familienerbrechtlichen Wertungsgehalt Goebel, Ehegattenschutz, S. 900, zu gering einschätzt, wenn er sie als bloße „residuale Bestände eines erbrechtlichen Familiarismus“ einordnet (ähnlich ders., Persönlichkeitsrecht, S. 277; kritisch zur Abgrenzung so genannter besonderer Auslegungsregeln von „Ergänzungsnormen“ D. Vollmer, S. 211 ff.; Stagl, S. 141 ff.; Tappmeier, S. 4 ff., 219). Aber auch durch Rechtsgeschäft können die beiden Erbfolgen, wie die Wiederverheiratungsklausel zeigt, zueinander in Beziehung gesetzt werden. Zu weit geht allerdings der Vorschlag von Battes, S. 344 ff., für den Fall der Wiederverheiratung bei fehlenden anders lautenden Anordnungen bestimmte gesetzliche Auslegungsregeln zu formulieren, die dazu dienen sollen, die nahen Angehörigen des Letztversterbenden aus dessen früherer und späterer Ehe gleichmäßig zu versorgen. Dieses Anliegen bringt allein das Pflichtteilsrecht zur Geltung. Kritisch deshalb mit Recht Forster, S. 177. 129 Zur Gestaltung von Wiederverheiratungsklauseln nach der „Hohenzollern“-Entscheidung Scheuren-Brandes, ZEV 2005, 185 ff. 130 Buchholz, Erbfolge, S. 25. 131 Oben S. 44.

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raus zu halten,132 verlören ihre Berechtigung. Die Büchse der Pandora scheint geöffnet.

C. „Usurpation“ der Testierfreiheit durch das Verfassungsrecht – unterschätzte Gefahren und zivilrechtliche Vermeidungsstrategien I. Drittwirkung der Grundrechte durch Anerkennung des Bedachten (Goebel) Gemessen an diesen weit reichenden Implikationen ist von einem vergleichbaren Widerstand,133 wie ihn die zivilrechtliche Dogmatik gegen die „Usurpation im Sinne einer […] Prägung des Privatrechts durch die Grundrechte“134 gegen die übermäßige verfassungsrechtliche Inanspruchnahme der Privatautonomie unter Lebenden geleistet hat,135 in der erbrechtlichen Literatur auch nach der „Hohenzollern“-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts immer noch vergleichsweise wenig zu spüren. Teils mangelt es vollständig an Problembewusstsein, so wenn behauptet wird, zivilrechtliches Differenzierungspotenzial könne im Bereich des gewillkürten Erbrechts durch die Grundrechtsabwägung schon deswegen nicht verloren gehen, weil die Sittenwidrigkeitsprüfung das einzige Korrek-

132 Goebel, Ehegattenschutz, S. 242 f., mit dem überzeugenden Hinweis auf das abgestufte System der „Entbindung“ in §§ 2271 Abs. 2 Satz 2, 2271 Abs. 3 BGB, das für sich den Druck auf den Überlebenden minimiere und daher durch § 138 Abs. 1 BGB nicht konterkariert werden dürfe. 133 Dezidiert Diederichsen, AcP 198 (1998), 171 ff.; ders., in: Starck, S. 39 ff., 72; s. des Weiteren Medicus, AcP 192 (1992), 35 ff.; Zöllner, AcP 196 (1996), 1 ff., 4 ff. („Durchgriff der Verfassung auf das Privatrecht“); Radke, S. 16; für die Vertragsfreiheit im Gesellschaftsrecht jüngst Reul, DNotZ 2007, 184, 197. 134 Diederichsen, Jura 1997, 57; ders., in: Starck, S. 39 ff., 82 ff. 135 Anlässlich der „Handelsvertreterentscheidung“ (BVerfGE 81, 242 ff.; dazu Zöllner, AcP 196 [1996], 1 ff., 4 ff.; ihm folgend Ernst, in: Symposion, S. 205, 212; Hillgruber, AcP 191 [1991], 69 ff.) und der „Bürgschaftsentscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 89, 214 ff.; dazu Drexl, S. 266 ff.: „materielle Sicht der Privatautonomie“; von Westphalen, MDR 1994, 5 ff.; Drygala, in: Jahrbuch, S. 63 ff., m.w.Nw.; G. Lüke, NJW 1995, 173, 174 f.; Grunsky, S. 11 ff.; Lorenz, S. 254, m.w.Nw.; Teubner, KritV 2000, 388 ff.; aus verfassungsrechtlicher Sicht: Isensee, Fs. Großfeld, S. 485 ff.; Bäuerle, S. 122 f.; aus gesellschaftsrechtlicher Perspektive jüngst Reul, DNotZ 2007, 184, 192 ff., 195: „Eingriffe in die Vertragsfreiheit werden nicht rechtlich, sondern moralisch begründet.“). In die Reihe gehört auch die Entscheidung BVerfGE 72, 155 ff. zur Beschränkung der (rechtsgeschäftlichen) Haftung beschränkt Geschäftsfähiger, die Anlass des Minderjährigenhaftungsbeschränkungsgesetzes (MhBeG) war (vom 25.8.1998, BGBl. I 2487). Dazu Kroppenberg, S. 383 ff., m.w.Nw. S. auch T. Simon, AcP 204 (2004), 264 ff., zur nämlichen Problematik bei der deliktischen Verantwortlichkeit Minderjähriger.

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tiv einer Verfügung von Todes wegen sei.136 Es geht jedoch nicht um die Frage, ob der Testierfreiheit außerhalb des § 138 Abs. 1 BGB weitere zivilrechtliche Grenzen zu ziehen sind, was mit Blick auf die §§ 2303 ff. BGB im Übrigen zu bejahen ist. Entscheidend ist vielmehr, dass innerhalb der Gute-Sitten-Klausel durch die allzu weitgehende Übernahme grundrechtlicher Abwägungskriterien zivilrechtliche Ansatzpunkte ohne Not preisgegeben werden. Goebels Theorie vom Anerkennungsverhältnis,137 von der er sich eine „einfachere Bewältigung der Problematik der Drittwirkung der Grundrechte im Erbrecht“ im Rahmen des § 138 Abs. 1 BGB erhofft,138 ist zivilrechtlich aus mehreren Gründen nicht haltbar. Unter „Anerkennung“ wird die Achtung vor der Rechtspersönlichkeit und den unveräußerlichen Freiheitsräumen des Anderen, zum Beispiel der Eheschließungsfreiheit des Zuwendungsempfängers verstanden. Der Erblasser muss sie in seiner Verfügung obwalten lassen, weil er sich dafür entschieden hat, aus dem forum internum einer „isolierten Rechtsperson“139 heraus zu treten und sich auf der Ebene der rechtlichen Interaktion anderen Individuen mitzuteilen. Die Theorie wird multipel verortet, und jeder Ansatz – sowohl die angebliche kommunikative Anlage der Testierfreiheit wie auch der Verweis auf lebzeitige Paritätsvorstellungen und nicht zuletzt die Konstruktion einer „Freiheit in Geselligkeit“ unter Berufung auf das venire contra factum proprium – ist für sich problematisch. Sie werden im Verlauf der Untersuchung im Detail behandelt, so dass hier nur ein kurzer Vorgriff erlaubt ist. Die Fragwürdigkeit der kommunikativ-interaktionistischen Begründung liegt gerade bei erbrechtlichen Verfügungen in ihrem mangelnden Kundgabecharakter. Das Bürgerliche Gesetzbuch lässt dem Erblasser sein Recht auf Heimlichkeit; er muss zu Lebzeiten nicht mit seiner Umwelt kommunizieren, wenn er das nicht will.140 Indem das „Anerkennungsverhältnis“ auf dem kommunikativen Bezug besteht, unterlegt es jeder Rechtsbeziehung einen vom eigentlichen Inhalt losgelösten Subtext eines kaum justiziablen „Anti-Diskriminierungs-Verhältnisses“.141 Dieses geht insofern noch einen Schritt weiter als der bekannte „Druck“-Topos, als vom Erblasser nicht nur die Unterlassung unzulässiger Einflussnahme auf den Bedachten verlangt wird, sondern ein positiver Akt persönlicher Affirmation. Anders als jener ist die „Anerkennung“ ein recht grobes Instrument. Sie erfolgt entweder ganz oder gar nicht, graduelle Differenzierungen scheiden aus.142 Zudem wird die „Anerkennung“ 136

Goebel, Ehegattenschutz, S. 351. Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 249 ff.; ders., Ehegattenschutz, S. 364 ff. 138 Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 261, m.w.Nw. in Fn. 309. 139 Goebel, Ehegattenschutz, S. 367. 140 Im Einzelnen unten § 12 B. I., S. 281 f. 141 Ähnlich Gutmann, S. 225 Fn. 1110 a.E.: „Optimierung soziomoralischer Beziehungswerte durch letztwillige Verfügung.“ 142 Deshalb können auf die einzelnen Abwägungsfaktoren, die zum „Druck“-Topos entwickelt wurden (Umfang der Zuwendung; Grad der Angewiesenheit des Bedachten darauf; 137

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Erster Teil

als rechtliche Verhaltensanforderung des Handelnden bereits im „Vorfeld eines Rechtseingriffs“143 formuliert und postuliert. Abgesehen davon, dass man einige Schwierigkeiten hat, Rechtspflichten im vorrechtlichen Bereich überhaupt zu konstruieren, wird mit der hier vertretenen Anlage des Anerkennungsverhältnisses ein kommunikativer a-priori-Schutz eingeführt. Kooperativem Rechtsgeschäftsverständnis folgend begründet dieser eher vorgängige Aufklärungs-, Hinweis- und Beratungspflichten (mit entsprechenden Schadensersatzansprüchen),144 als dass er für die nachträgliche Inhaltskontrolle eines Geschäfts auf der Primärebene Pate stehen kann.145 Die konzeptionelle Berechtigung einer „Freiheit auf Gegenseitigkeit“, die Goebel im Anschluss an Suhr 146 bemüht,147 ist im Grundsatz sicher nicht zu bestreiten.148 Allerdings bezieht der Topos seine Überzeugungskraft vor allem aus dem lebzeitigen Paradigma des gegenseitigen (Austausch-)Vertrags und ist daher im Erbrecht grundsätzlich mit Zurückhaltung zu behandeln.149 Vor allem aber taugt der Rekurs auf die Argumentationsfigur des venire contra factum proprium nicht zur rechtskonstruktiven Fundierung eines auf Gegenseitigkeit angelegten Freiheitsbegriffs. Denn die Figur ist ihrer Anlage nach zunächst eine einseitige: Eine Person setzt sich durch unzulässige Rechtsausübung in Widerspruch zu ihrem eigenen Vorverhalten.150 Soweit der Topos aber einen über die widersprüchlich agierende Person hinausweisenden interpersonellen Bezug aufweist, liegt dieser im Vertrauensgedanken begründet und ist daher funktionell im Bereich der individuellen Missbrauchskontrolle des § 242 BGB angesiedelt,151 nicht aber in dem der Sittenwidrigkeitsprüfung nach § 138 Abs. 1 BGB. Bei der Kompensation „situativer Asymmetrie“ handelt es sich schließlich um eine Vorstellung, die Anleihen bei lebzeitigen Paritätsvorstellungen

Vorentschlossenheit des Bedachten; Zumutbarkeit des erstrebten Verhaltens), nicht ohne weiteres in das „Anerkennungsverhältnis“ transferiert werden. Gerade das schlägt jedoch Goebel, Ehegattenschutz, S. 371, vor. 143 Goebel, Ehegattenschutz, S. 370 f. 144 Zum Ansatz einer so genannten „culpa in testando“ wegen Verletzung von Aufklärungspflichten des Erblassers bezüglich einer „versprochenen“ erbrechtlichen Zuwendung, die sich später nicht realisiert, unten § 12 B. III. 1. b. cc., S. 304. 145 Grziwotz, Fs. Schippel, S. 9, 29 f. 146 Suhr, passim; ders., EuGRZ 1984, 529, 534. 147 Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 257, m. Fn. 287, 289, 290; ders., Ehegattenschutz, S. 367, m. Fn. 122, 124, 125; ders., FamRZ 1997, 656, 660 f., m. Fn. 48. 148 Neben den von Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 260 Fn. 303, Genannten, s. aus jüngster Zeit Kirchhof, Fs. Ulmer, S. 1211, 1212, m.w.Nw. in Fn. 3. Insbesondere im Verfassungsrecht ist die Bipolarität der grundrechtlichen Rechtsbeziehung anerkannt. Unten § 6 B. II., S. 165, m. Fn. 75. Anders Gutmann, S. 225, Fn. 1110 a.E. 149 S. auch Kroppenberg, DNotZ 2006, 86, 95 f. 150 Singer, Verbot, S. 25 ff. 151 Heinrich, S. 406 ff., m.w.Nw., sowie unten § 12 B. III. 1. b. aa., S. 293 ff.

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macht, die so im gewillkürten Erbrecht nicht vorkommen. Davon wird noch die Rede sein.152 Die „Anerkennung“ eines bestimmten Rechtsgeschäfts als rechtswirksam ist schließlich eine Leistung, die die Rechtsordnung zu erbringen hat, sie obliegt nicht den Parteien. Mit anderen Worten: das Recht beschränkt sich im Rahmen von § 138 Abs. 1 BGB nicht etwa nur darauf, die „Anerkennungsleistung“ der rechtsgeschäftlich handelnden Personen oder deren „Gefühlszustand“153 als sittenkonform nachzuvollziehen.154 Es geht um eine Bewertung des Inhalts des betreffenden Rechtsgeschäfts und nicht um die „Anerkennung der Anerkennung“. Erweist sich die Übereinstimmung des Geschäfts mit den guten Sitten, steht am Ende des Prozesses seine originäre „Anerkennung“ als rechtswirksam.

II. Nichtauslösung der Drittwirkung bei Zuwendungen mit „Antragscharakter“ (Gutmann) Die Abkehr von zivilrechtlichen Argumentationsmustern und die Hinwendung insbesondere der Rechtsprechung zu verfassungsrechtlichen Erwägungen ist für die „Hohenzollern“-Entscheidung auch im übrigen erbrechtlichen Schrifttum durchaus vermerkt worden – teils mit leichter Sorge, teils mit einer nicht zu überhörenden Resignation. Repräsentativ ist etwa die folgende Aussage Schmoeckels: „Die Abwägung der betroffenen Grundrechte ist in den letzten Jahren zunehmend und mit immer weiterer Übernahme verfassungsrechtlicher Dogmatik als Grundlage der Entscheidung in diesen Fällen vorgeschlagen worden.“155

Und bei Leipold findet sich die Einschätzung: „Die Argumentation des BGH ist weitgehend an den Grundrechten orientiert (notwendigerweise, wie man auch als eingefleischter Privatrechtler zugeben muss).“156

Nicht ganz so pessimistisch sieht Gutmann die Lage an. Seine These, bei Interaktionen mit Antragscharakter im Gleichstellungsverhältnis der Bürger untereinander, die Freiheitsgrundrechte als nicht tangiert und die Drittwirkung als nicht ausgelöst anzusehen,157 verortet die Problematik ihrem Schwerpunkt nach im Zi-

152

Unten § 3 A. III., S. 66 ff. Goebel, Ehegattenschutz, S. 377. 154 Unten § 12 A. II., S. 279. 155 JZ 1999, 517, 518. 156 LM § 138 (Cd) BGB Nr. 30, Bl. 1011. Optimistischer ders., Fg. BGH I, S. 1011, 1044: „Die Frage, ob die Sittenwidrigkeit einer Verfügung von Todes wegen unmittelbar aus dem Grundgesetz, inbesondere den Grundrechten hergeleitet werden kann, ist somit offen.“ 157 S. 236 ff., 240, 244 f.; ders., NJW 2004, 2347, 2348. 153

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vilrecht. Sie bezieht sich auf Überlegungen Zöllners158 und anderer,159 die die Vertragsfreiheit unter Lebenden zum Gegenstand haben.160 Hiernach sind Grundrechtskonkurrenzen zwischen Privatrechtssubjekten als Grundrechtsträgern deswegen ausgeschlossen, weil sie auf den verfassungsrechtlichen Schutz verzichten können161 und der Schutz vor sich selbst ihrer privatautonomen Verfasstheit gerade widerspricht.162 Ob der Gedanke der Disponibilität von Grundrechtspositionen im vertraglichen Verkehr inter vivos sich jedoch unmittelbar in das Erbrecht übertragen lässt, ist zweifelhaft. Insbesondere scheint die Qualifikation einer testamentarischen Zuwendung als „Angebot“ bedenklich,163 weil sie lebzeitige Vorstellungen, nämlich die der §§ 145 ff. BGB, auf das Erbrecht überträgt.164 Die Bewertung von Gutmanns Ansatz fällt daher im hiesigen Zusammenhang ambivalent aus. Die konkrete zivilrechtliche Lösung, die gewählt wird, befremdet. Methodisch bezieht sie jedoch ein nicht unerhebliches Maß an Überzeugungskraft aus dem Umstand, dass die Überlegungen nicht ausschließlich auf der Ebene des Verfassungs-, sondern des einfachen Rechts angesiedelt werden. Das gelingt freilich nicht vollständig überzeugend, weil bisweilen die Termini der verschiedenen Normhierarchieebenen durcheinander geraten. Insbesondere ist der Gegenbegriff zum verfassungsrechtlichen (Grundrechts-)Eingriff nicht das zivilrechtliche Angebot. Doch ist das ein Einwand, der eher die Kritik an Gutmanns Überlegungen als dessen eigene Ausführungen betrifft.165 Im Ergebnis wahren diese durchaus die Eigenständigkeit der Testierfreiheit als Institut des Bürgerlichen Rechts gegenüber dem Verfassungsrecht und bestehen zudem auf der Identität des zivilrechtlichen mit dem grundgesetzlichen Begriff der Testierfreiheit166 als dem „bestimmenden Element“ der Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG.167 Allgemeingut ist das im erbrechtlichen 158 AcP 196 (1996), 1 ff. Ähnlich Isensee, DNotZ 2004, 754, 760, aus verfassungsrechtlicher Perspektive. 159 Ausführlicher Überblick bei Heinrich, S. 136 ff., m.w.Nw. aus dem zivil- und verfassungsrechtlichen Schrifttum. 160 Gutmann, NJW 2004, 2347, 2349, m. Fn. 18. 161 AcP 196 (1996), 1, 12, 36. 162 Ähnlich Hillgruber, S. 158 ff., 176 f.; ders., AcP 191 (1991), 69, 75 f., 85. Kritisch Singer, JZ 1995, 1133, 1140. 163 Gutmann, S. 244. Ähnlich Goebel, Ehegattenschutz, S. 364 ff., 370: „Angebotscharakter der Bedenkung.“ 164 Da hilft es auch nichts, wenn Otte, ZEV 2004, 394, 396, Fn. 40, „natürlich nicht im rechtstechnischen Sinn der §§ 145 ff. BGB, wirtschaftlich gesehen aber angesichts des Ausschlagungsrechts (§§ 1942 ff. BGB) durchaus“ von einem Angebot sprechen möchte. Juristisch gibt es kein „wirtschaftliches“ Angebot, sondern nur den lebzeitigen Antrag im Sinne der §§ 145 ff. BGB. 165 Otte, ZEV 2004, 394, 396, bemängelt das „Fehlen einer klaren Unterscheidung zwischen Angebot und Eingriff“. 166 Diederichsen, in: Starck, S. 39 ff., S. 72. 167 Ständige Rechtsprechung: Zuletzt BVerfGE 112, 332, 348. Des Weiteren BVerfGE 91, 346, 358; 89, 214, 231; s. auch BVerfGE 58, 377, 382.

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Schrifttum noch längst nicht.168 Im Gegenteil: Der Gefahr, die Testierfreiheit dogmatisch zu „klonen“,169 indem das originär zivilrechtliche Institut zu Unrecht in einen verfassungsrechtlichen und einen zivilrechtlichen Bedeutungsgehalt aufgespalten wird, ist in der zivilrechtlichen Literatur nicht durchweg widerstanden worden. So differenzieren Lange/Kuchinke die Erbrechtsgarantie des Grundgesetzes auf der einen und die Regelung der Durchführung durch das Erbrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf der anderen Seite: „Die Eigentums- und Erbrechtsgarantie schafft die Voraussetzung dafür, dass das Vermögen vererbt werden kann. Beide sichern den Bestand des Privateigentums als der Grundlage der eigenverantwortlichen Lebensgestaltung; das Erbrecht führt die Vererbung rechtstechnisch durch.“170

Was hier für die Erbrechtsgarantie im Allgemeinen ausgesprochen wird, lässt sich nach diesem Verständnis auch von der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen als deren integralem Bestandteil sagen. Den inhaltlichen Geltungsgrund und die sachliche Rechtfertigung der Privatautonomie von Todes wegen zu liefern, ist Sache der verfassungsrechtlichen Testierfreiheit. Sie ist nach dieser Anschauung sozusagen die höhere Dimension. Damit wird suggeriert, dass es ohne die verfassungsrechtliche Hege der Testierfreiheit keine Legitimation der Vererbung aufgrund privatautonomer Gestaltung von Todes wegen geben könnte, jedenfalls aber nur eine zweiter Klasse durch das Erbrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs.171 Die zivilrechtlichen Erbrechtsbestimmungen werden ihrer Funktion nach zu Bestandteilen einer bloßen Ausführungsordnung degradiert. Damit ist der paradoxe Effekt verbunden, dass gerade die grundrechtliche Gewährleistung der Testierfreiheit in der Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG zu einer Schwächung des Instituts auf der Ebene des einfachen Rechts führt. Das ist in dieser Logik die notwendige Folge der beschriebenen Begriffsspaltung. Wenn es wirklich zwei Testierfreiheiten gäbe, müssten sie zueinander in ein Rangverhältnis gesetzt werden. Und dass dieser Prozess zulasten des Bürgerlichen Rechts ausfallen muss, verwundert in diesem Denkmodell auch nicht wirklich. Im Recht der Lebenden ist man da – wie gesagt – weiter. Hier gehört es seit den Arbeiten von Diederichsen und anderen172 zum gesicherten Bestand, dass die Privatautonomie unter Lebenden durch die verfassungsrechtliche Gewähr168 Für die Privatautonomie unter Lebenden Diederichsen, in: Starck, S. 39 ff., 72; ihm folgend: Busche, S. 62. 169 Diederichsen, AcP 192 (1992), 171 ff., 220, spricht von einer Art „doppelter Buchführung, deren Gewinn und Verlust [für den Bereich der Verfügungen von Todes wegen] bisher noch nicht gewogen wurde“. 170 § 2 IV 2 d, S. 28. 171 In diese Richtung Manthe, in: Libertas, S. 113, 113. 172 Nw. oben Fn. 133.

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leistung des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit in Art. 2 Abs. 1 GG keine andere geworden ist.173 Vielmehr hat die Verfassung umgekehrt am privatrechtlichen Institut „Vertrag“ anzuknüpfen.174 Gleiches gilt für die Gestaltungsbefugnis von Todes wegen. Auch hier gibt es keine vom zivilrechtlichen Begriff zu unterscheidende verfassungsrechtliche Testierfreiheit, sondern nur die eine des Bürgerlichen Gesetzbuchs, die der Gesetzgeber des Grundgesetzes bereits vorgefunden175 und mit verfassungsrechtlichem Schutz ausgestattet hat.176 Die Rede von der Testierfreiheit muss daher (soweit wie möglich) eine zivilrechtliche sein.177 Das ist eine Erkenntnis, der sich bemerkenswerterweise gerade das verfassungsrechtliche Schrifttum nicht verschlossen hat.178 Ein Beispiel dafür ist die folgende Bemerkung Rufferts in Bezug auf die Überprüfung der Sittenwidrigkeit einer letztwilligen Verfügung:

173

So wörtlich Busche, S. 62. Roscher, S. 46 ff., 56 ff.: „Die Verfassung kann die Vertragsfreiheit überhaupt nur mit Hilfe der Privatrechtsordnung definieren, weil diese den Vertrag erst als rechtliches Gestaltungsmittel zulässt.“ 175 In diesem Sinne Isensee, Fs. Großfeld, S. 485, 494: „Die Verfassung übernimmt einen Extrakt des hergebrachten Privatrechts und macht ihn sich zu eigen.“ Speziell für die Testierfreiheit betont das Kaden, S. 30. 176 Verfassungsrechtlicher Schutz einfachen Gesetzesrechts ist nicht gleichbedeutend mit Verfassungsrang (Manssen, S. 172), verselbstständigt allerdings das geschützte Recht von seinem einfachrechtlichen Ursprung, indem es mit verfassungsrechtlichen Schutzmechanismen ausgestattet wird (s. auch ders., S. 196). Sie machen einzelne zivilrechtliche Positionen insoweit „verfassungsfest“, als sie nur noch vom Bundesverfassungsgericht oder vom verfassungsändernden Gesetzgeber revidiert werden können (Isensee, Fs. Großfeld, S. 485, 488 f.). Das dürfte hinter dem wenig klaren Gegensatz einer „Verfassung nach Gesetz“ und einem „selbstständigen Verfassungsinhalt des Erbrechts“, der als solcher doch wieder „aus dem Privatrecht kommt“, stehen, wie ihn Leisner, in: Isensee/Kirchhof, HStR VI, § 150 Rn. 13; ders., Erbschaftsbesteuerung, S. 44 f., formuliert. Im Einzelnen unten § 6 C. II. 1. a., S. 167 ff. 177 Rauscher I, S. 15, kritisiert die „Neigung der Literatur, bis heute das Erbrecht als Grundrecht aus dem überkommenen bürgerlich-rechtlichen Gehalt zu interpretieren, [was] jedoch dem Irrtum entspringt, bei jenem dem Menschen angeborenen Recht handele es sich von allem Anbeginn an gerade um jenes im BGB ausgestaltete Erbrecht“. Das beruht nicht nur auf einer problematischen naturrechtlichen Anschauung des Erbrechts („Sterblichkeit des Menschen […] wurzelt in der Natur“, a.a.O.), sondern verwechselt zudem die naturrechtliche mit der verfassungsrechtlichen Anschauung. 178 Für die Erbrechtsgarantie s. explizit Leisner, in: Isensee/Kirchhof, HStR VI, § 150 Rn. 14: „Nach der Tradition des Rechtsbereichs ist der primäre Blick auf das Zivilrecht geboten, nicht aber die Konstitutionalisierung von dessen Erbrechtsinhalten im Einzelnen.“ In Bezug auf die „Hohenzollern“-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird diese Grundhaltung insbesondere bei Isensee, DNotZ 2004, 754 ff., deutlich. Allgemein weist auf diesen Umstand T. Simon, AcP 204 (2004), 264, 265, m.w.Nw. in Fn. 5, hin; s. auch Ruffert, S. 342; Depenheuer, NJW 1993, 2561 ff. Die kritische Rede vom Grundgesetz als „privatrechts-akzessorischer Verfassung“ (Nw. bei Grziwotz, Fs. Schippel, S. 9, 17 Fn. 62; Bäuerle, S. 163 ff.) ist im verfassungsrechtlichen Schrifttum mit Sicherheit die Ausnahme. 174

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„Die Grenze der offenen Entwürdigung dürfte nur selten und in Fällen überschritten werden, in denen die zivilrechtliche Wertung am Maßstab des § 138 BGB unabhängig vom Verfassungsrecht179 zum Ergebnis der Sittenwidrigkeit kommt.“180

Die im Grundgesetz enthaltenen Schutzaufträge181 – die Testierfreiheit gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG, die Eheschließungsfreiheit nach Art. 6 Abs. 1 GG und das Diskriminierungsverbot in Art. 3 Abs. 3 GG im einfachen Gesetzesrecht zu realisieren – hat das Bürgerliche Recht in aller Regel schon umgesetzt; sie sind in wesentlichen Teilen im Zivilrecht bereits mediatisiert.182 Das bedeutet zweierlei: Es besagt zum einen, dass der grundsätzliche Vorrang der Verfassung vor dem einfachen Gesetzesrecht hier nicht zum Tragen kommt.183 Zum anderen zeigt es, dass die Aufforderung des Bundesverfassungsgerichts in der jüngsten Entscheidung zum Pflichtteils(entziehungsrecht) auf der „Rechtsanwendungsebene“ zivilrechtsmethodisch alles andere als hilfreich ist. Danach sollten nämlich die ordentlichen Gerichte [die Abwägung] der „widerstreitenden Schutzgüter im Rahmen der auslegungsfähigen und –bedürftigen Tatbestandsmerkmale der zivilrechtlichen Vorschriften vornehmen“.184 Denn obwohl an gleicher Stelle die Zurückhaltung der verfassungsgerichtlichen Vorgaben für die zivilrechtliche Rechtsprechung ausdrücklich hervorgehoben wird, verschwimmt in Aussagen wie diesen das Verhältnis von zivilrechtlicher Auslegung und verfassungsrechtlicher Abwägung von Schutzgütern.185 179

Hervorhebung nicht im Original. S. auch Gutmann, S. 243: „Der Inhalt des § 138 BGB wird auch im erbrechtlichen Kontext durch die Bedeutung der Freiheitsgrundrechte der Bedachten nicht ausgeschöpft.“ 180 S. 396. 181 Zu diesem relativ jungen Grundrechtsverständnis Höfling, S. 84 ff.; Ruffert, S. 166 ff., 201 ff., m. Nw.; Dietlein, S. 79 ff. W. Nw. bei Röthel, S. 67 f., m. Fn. 132, 133. Kritisch J. Schapp, 913 ff., 917: „Die Grundrechte geben keinen Auftrag zur Rechtssetzung“; s. auch Starck, Praxis, S. 46 ff., 62 ff.; zuletzt Heinrich, S. 109 ff. 182 Ruffert, S. 233; Schlechtriem, in: 40 Jahre GG, S. 39, 49. Weitere Nw. aus dem verfassungsrechtlichen Schrifttum bei Canaris, Grundrechte, S. 81 ff., der freilich auf das Gebot der Fortbildung des einfachen Rechts hinweist, sofern sich erweist, dass es den grundrechtlichen Schutzgeboten nicht (mehr) genügt. Hierzu Heinrich, S. 126 ff. 183 Windel, Der Staat 37 (1998), 385, 409; Diederichsen, AcP 198 (1998), 171 ff., 235: „Umsetzungsmedium [der Grundrechtswerte] ist also gerade nicht die Hierarchie der Rechtsnormen, vielmehr sind es die das jeweilige Rechtsgebiet unmittelbar beherrschenden Vorschriften. Das heißt, die Umsetzung geschieht auf der Ebene des einfachen Rechts und […] lässt diesem damit einen wie immer gearteten, aber jedenfalls vorhandenen Spielraum zur Selbstentfaltung und Selbstbehauptung [des einfachen Gesetzesrechts]. Das Phänomen, dass das einfache Recht mit einzelnen Elementen in bestimmte Grundrechtstatbestände hineinragt – so […] ‚Eigentum‘ und ,Erbrecht‘ in Art. 14 GG – findet sein Gegenstück bei der Verwirklichung der Grundwerteordnung im Bürgerlichen Recht“; durch das Bürgerliche Recht, möchte man hinzufügen. 184 BVerfGE 112, 332, 358. 185 Zur Problematik der Abwägung in der Anwendung „einfachen“ Gesetzesrechts oben A., S. 32.

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Erster Teil

Klarer wird die Funktion des einfachen Gesetzesrechts dagegen in dem Bild Drygalas vom Verfassungsrecht als der Decke und dem Boden eines Raumes, innerhalb dessen der Schutz der Handlungsfreiheit der beteiligten Personen angemessen positioniert werden muss. Wie hoch oder wie niedrig man diesen Schutz innerhalb des vorhandenen Zwischenraums aufhängt, ist eine Frage, zu deren Beantwortung primär das Zivilrecht berufen und in der Lage ist.186 Festzuhalten bleibt, dass diese Botschaft jedenfalls in der erbrechtlichen Judikatur, mit Abstrichen aber auch in der dogmatischen Literatur zur Testierfreiheit, bisher noch nicht angekommen ist. Die vorliegende Arbeit möchte einen Beitrag dazu leisten, die Testierfreiheit für das Zivilrecht zurückzugewinnen.

186 Drygala, in: Jahrbuch, S. 63, 66; s. auch Ernst, Herausforderung, S. 205, 212; Windel, Der Staat 37 (1998), 385, 408.

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§ 3 Die Testierfreiheit im Verhältnis zur Vertragsfreiheit unter Lebenden A. Testierfreiheit als ursprüngliche und weniger entwickelte Ausprägung der Privatautonomie I. Prinzip und Mythos – Zur Entwicklungsgeschichte von Vertragsund Testierfreiheit im 19. und 20. Jahrhundert Es wurde bereits gesagt, dass die Ausbildung einer zivilrechtlichen Dogmatik der Testierfreiheit durch die Fokussierung auf deren Grenzen behindert wurde.1 Als diese ins Wanken gerieten, stieß in das entstandene inhaltliche Vakuum der wirkungsmäßig erstarkten Privatautonomie von Todes wegen zum einen das Verfassungsrecht.2 Zugleich knüpfte man an eine ältere zivilrechtsdogmatische Tradition an, indem man sich verstärkt auf ein anderes, zivilrechtlich vergleichsweise gut entwickeltes Feld bezog. Die Rede ist von der Vertragsfreiheit, die als der wichtigste Ausdruck der Privatautonomie unter Lebenden begriffen und mit ihrem rechtsgeschäftlichen Leitbild in der Regel ebenso identifiziert wird3 wie das Testament gemäß § 1937 BGB mit der Testierfreiheit.4 Das primäre Regelungsinstrument gibt der jeweiligen Freiheit den Namen. 1

Oben § 1 A., S. 13 ff., B., S. 25 ff. Oben § 2, S. 29 ff. 3 Busche, S. 63. 4 Motive V, S. 312 f. Deutlich von Dickhuth-Harrach, Fs. Otte, S. 55, 57: „Dem Bürgerlichen Gesetzbuch liegt die Auffassung zugrunde, dass die Normalform der Verfügung von Todes wegen die testamentarische, somit einseitige und widerrufliche sei.“ Die positive Prägung der Testierfreiheit durch das rechtsgeschäftliche Leitinstrument „Testament“ wird in der Literatur sonst freilich kaum einmal hervorgehoben. Sie wird ganz überwiegend negativ erfasst, indem betont wird, dass das zweite Instrument der Privatautonomie von Todes wegen, der Erbvertrag, sich unter den Begriff der Testierfreiheit nicht subsumieren lasse. S. etwa Battes, AcP 178 (1978), 337, 339 f.; Strothmann, Jura 1982, 349 Fn. 6; Quebe, S. 44 f.; Staudinger/Otte § 1936 Rn. 14: „terminologisch zu eng, weil den Erbvertrag nicht berücksichtigend“; anders akzentuierend Kipp/Coing, § 16 I 3, S. 110: „Aber das BGB führt diese Anschauung [die der Testierfreiheit] nicht konsequent durch, da es Erbverträge und gemeinschaftliche Testamente zulässt. Das bringt in unser Erbrecht eine gewisse Zwiespältigkeit […].“ Ähnlich Lange, NJW 1963, 1571, 1571: „Kluft zwischen bindenden und nicht bindenden Verfügungen 2

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Erster Teil

Der Vergleich mit der Privatautonomie unter Lebenden lässt sich gerade in solchen höchstrichterlichen Entscheidungen nachweisen, die der Bewertung des Verhaltens des Erblassers bereits den Rücken gekehrt haben und nach neuen Maßstäben für die Beurteilung einer Verfügung von Todes wegen Ausschau halten: „Es geht im Rahmen des § 138 Abs. 1 BGB nicht um Sanktionen für ein unsittliches Verhalten, sondern allein um die Frage der Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts [BGHZ 53, 369, 375]. Grundsätzlich ist es ohne Bedeutung, welche Beweggründe etwa einen Erblasser veranlasst haben, bei der Verteilung seines Nachlasses von der gesetzlichen Erbfolge abzuweichen; sein Wille ist grundsätzlich auch dort zu respektieren, wo seine Motive keine Achtung verdienen [BGHZ 53, 369, 375]. Das gilt nicht nur für letztwillige Verfügungen, sondern auch für Rechtsgeschäfte unter Lebenden. Nach der Wertordnung des Bürgerlichen Gesetzbuches kommt dem Grundsatz der Vertrags- und Testierfreiheit überragende Bedeutung zu.“5

Was hier unternommen wird, ist der Versuch der Synthese von etwas Auseinandergedachtem. Definiert man das Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs als gemeinsamen zeitlichen Bezugspunkt, scheint die Privatautonomie im Erbrecht noch wesentlich näher bei jenem Fluchtpunkt zu liegen, an dem das Bürgerliche Gesetzbuch sein voluntaristisches Konzept des Rechtsgeschäfts einst beginnen ließ. Im Vergleich zum Recht der Lebenden regiert der Wille hier nach allgemeiner Auffassung in Rechtsprechung und Literatur noch relativ uneingeschränkt und unbeschnitten.6 Anders als die Privatautonomie unter Lebenden scheint die von Todes wegen von normativ-objektivierenden Gesichtspunkten, wie insbesondere den Gedanken des Vertrauensschutzes7 und der Vertragsgerechtigkeit, weitgehend unberührt, während sie inter vivos immer größere Bedeutung erlangten.8 Normativierung und Objektivierung bedeuteten inter vivos in erster Linie Grenzziehung.9 Heinrich Lange formuliert das so: (von Todes wegen).“ – In inhaltlicher Hinsicht tatsächlich zu eng dürfte der Begriff der Erbeinsetzungsfreiheit sein, den HKK/Rückert, vor § 1 Rn. 45, verwendet. 5 BGH NJW 1984, 2150, 2151, m. Anm. Olzen, JR 1984, 413 f. Das Zitat ist ein obiter dictum. Prüfungsgegenstand war ein lebzeitiger (Darlehens-)Vertrag. Nicht korrekt wiedergegeben bei Falk, in: ders./Mohnhaupt, S. 451, 491. 6 Vgl. nur Lange/Kuchinke, § 17 II 2, S. 342: „Das Recht der Verfügungen von Todes wegen wird vom Willen des Erblassers beherrscht.“ 7 Zum Beispiel Sieker, AcP 201 (2001), 697, 713: „Der Gedanke des Vertrauensschutzes ist dem Gesetz bei Testamenten überhaupt fremd.“ 8 Zu dieser Entwicklung im Recht der Lebenden am Beispiel der Lehre von der Geschäftsgrundlage Häsemeyer, Fs. Weitnauer, S. 67 ff., 70: „Die Entwicklung […] ist ein Abbild jener Entwicklung, welche die normative Kontrolle und Ordnung der Privatautonomie [unter Lebenden] genommen hat. Solange das Willensdogma die Vertragslehre beherrschte, verdrängte es den Gedanken der objektiv-immanenten Vertragsgerechtigkeit durch den der Individualverantwortung jedes Vertragspartners [im Erbrecht der des Erblassers …]. Die fortschreitend stärkere Bindung des Verständigungserfordernisses und des Vertrauensschutzes lenkte den Blick folgerichtig auf die gemeinsamen, wechselseitig erkannten und womöglich gebilligten Vorstellungen der Kontrahenten beim Vertragsschluss.“ S. auch ders., Abhängig-

§ 3 Testierfreiheit im Verhältnis zur Vertragsfreiheit unter Lebenden

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„In der Entstehungszeit des BGB war die Rücksichtslosigkeit noch legitimer Rechtfertigungsgrund für die Rechtsausübung. Ihr trat die Pflichtbindung nur begrenzt entgegen. Der Freiheit der Rechtsmacht unter Lebenden entsprach die Verfügungsfreiheit des Erblassers. In der Folgezeit hat sich die Pflicht zur Rücksichtnahme auf Vertragsgenossen und andere Beteiligte beim Rechtsgeschäft unter Lebenden immer stärker durchgesetzt und diesen Bereich völlig umgeformt. Das Erbrecht dagegen blieb von der Willkür des Erblassers beherrscht.“10

Auf der Grundlage dieser gängigen Anschauung kann man den Gegensatz zwischen (lebzeitiger) Vertragsfreiheit und Gestaltungsbefugnis von Todes wegen daher auch so fassen: Anders als bei der Privatautonomie unter Lebenden ging es bei der Testierfreiheit unter dem Regime des Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht in erster Linie um die Einschränkung des Prinzips,11 sondern um dessen Entfaltung und Entgrenzung.12 Sibylle Hofer hat diese in der Privatrechtswissenschaft des 20. Jahrhunderts vorherrschende Interpretation der Vertragsfreiheit inter vivos insoweit als Mythos dekonstruiert, als sie von der grundsätzlichen Unbeschränkbarkeit des Privatautonomiekonzepts des 19. Jahrhunderts ausgeht, um daran das Gegenbild der Einschränkung des Prinzips entwickeln zu können.13 Das überkommene Freiheitsprärogativ, welches dem Vertragsfreiheitsmodell des 19. Jahrhunderts und letztlich auch der lebzeitigen Privatautonomie des Bürgerlichen Gesetzbuchs gleichsam als „Glaubensbekenntnis“14 zugrunde liegt, ist danach nicht so hoch zu veranschlagen, wie bisher gedacht. Allerdings war die lebzeitige Privatautonomie im 19. Jahrhundert, wie Rainer keit, S. 57 ff. Zur nämlichen Entwicklung im Bereich der Auslegung von Willenserklärungen Hepting, S. 280 ff.: „Das ursprüngliche voluntaristische Rechtsgeschäftsmodell wurde in dem Maße, in dem sich die objektiv-normative Auslegung durchsetzte, von Zurechnungsgesichtspunkten überlagert.“ So zutreffend der „Niedergang des ,Willensdogmas‘“ beobachtet ist, er darf nicht dazu instrumentalisiert werden, den freiheitlichen Kern der Rechtsgeschäftslehre in Frage zu stellen. Nicht das Vertrauen ermöglicht rechtliche Selbstgestaltung, sondern allein der ins Recht transponierte freie Wille des Individuums. Zu Recht kritisch in Bezug auf „vertrauenstheoretische Ansätze“ Lobinger, S. 52 ff.; Enderlein, S. 102 ff.; jew. m.w.Nw. S. auch unten § 5 B. I., S. 143 f. 9 Ausführliche Übersichten über die verschiedenen Phasen der Beschäftigung mit der Privatautonomie unter Lebenden unter der Geltung des Bürgerlichen Gesetzbuchs: Bäuerle, S. 147 ff.; Busche, S. 74 ff.; Heinrich, 174 ff., sowie dessen Kritik S. 190 ff. S. zudem Grziwotz, Fs. Schippel, S. 9, 21 ff.; Hönn, JuS 1990, 953 ff.; ders., Jura 1984, 57 ff.; Singer, JZ 1995, 1133, 1137 f.; HKK/Rückert, vor § 1 Rn. 108 f., zur weiteren Historie Rn. 69, m.w.Nw. in Fn. 196; Hofer, S. 5 ff., 275 ff. 10 Lange, NJW 1963, 1571, 1571. S. auch Miserre, S. 242. 11 Höfling, S. 41; Leisner, Grundrechte, S. 41, 323 f.; ihm folgend Busche, S. 644: „Geschichte der Vertragsfreiheit als Geschichte ihrer Beschränkungen“. S. auch Paulus/Zenker, 1 ff.; Hofer, S. 1 f., m.w.Nw. in Fn. 6, sowie S. 284 f. 12 Oben § 1 A., S. 13 ff., B., S. 25 ff. 13 Hofer, S. 1 ff., 275 ff.; s. auch Thiessen, in: Jahrbuch, S. 29, 31. Ähnlich bereits Schwerdtner, S. 132: „Wenn nicht alles täuscht, ist die Geschichte der Idee der Privatautonomie die Geschichte des Abbaus einer Fiktion.“ 14 Schwerdtner, S. 131.

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Erster Teil

Schröder gezeigt hat,15 in ihrem Bestand nicht so ernsthaft gefährdet wie die Testierfreiheit als integraler Bestandteil des Erbrechts. Unter Lebenden ging es überwiegend um den Grad an Freiheit, den man den Individuen einräumen wollte,16 seltener um die Legitimation des Freiheitsrechts an sich.17 Betrachtet man dagegen die Relation des „Freiheits“- oder „Willensanteils“ in den Entwicklungslinien von Vertrags- und Testierfreiheit unter der Geltung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, hat die Feststellung Spellenbergs et al.: „The freedom of the deceased to dispose of his estate by will is generally admitted. The discussion relates to its limitation“18 im gewillkürten Erbrecht nicht die gleiche Berechtigung wie im Recht der Lebenden. Zwar lassen sich in den Debatten um die Vertragsfreiheit unter Lebenden und die Gestaltungsbefugnis von Todes wegen durchaus Parallelen aufzeigen, zumal die Kritiker eines unbeschränkten Freiheitsrechts in beiden Fällen oft dieselben waren.19 Die Ähnlichkeit liegt insbesondere in den verschiedenen Typen von Freiheitskonzeptionen begründet, die in beiden Diskussionen zeitversetzt auftauchen, so insbesondere die Vorstellung einer „Freiheit in Grenzen“ in ihrer Ausprägung als immanent begrenzte Freiheit (Knobbe-Keuk, Schlüter)20 und der „Freiheit als Regel“.21 Auch das „Modell ohne Freiheit als Prinzip“, 22 das das gemeinschaftsbezogene Element als Leitprinzip der Privatautonomie vorstellt, wurde nicht nur für die Vertrags-, sondern in Gestalt des Familienerbrechts auch für die Testierfreiheit vorgeschlagen (Boehmer, Coing, in abgemilderter Form auch Leipold). 23 Demgegenüber gewinnt der Ansatz einer vollständig unbeschränkten Privatautonomie für die Gestaltungsbefugnis von Todes wegen nicht dieselbe Bedeutung wie bei der Vertragsfreiheit unter Lebenden, obwohl sie im Vergleich durchaus als die selbstherrlichere Ausprägung der Privatautonomie gesehen wird. 24 Das weist auf einen entscheidenden Unterschied in der Entwicklungsgeschichte von Vertrags- und Testierfreiheit hin. Er liegt weniger in den diskutierten Modellen begründet, die sich durch den Grad an Freiheitlichkeit unterscheiden, den sie der Privatautonomie einräumen wollen, als vielmehr im Ausgangspunkt der Betrachtung. Eine Dekonstruktion des Mythos von der Testierfreiheit muss für das 20. Jahrhundert genau am Gegenpol zur Vertragsfreiheit unter Le15

Nw. oben Einleitung, S. 1, m. Fn. 2. Zu den Ausnahmen („Modelle ohne Freiheit als Prinzip“) Hofer, S. 277 ff., m.w.Nw. 17 Oben Einleitung, S. 3, m.w.Nw. in Fn. 16. 18 In: Blanpain, S. 715, 737. 19 Zur Testierfreiheit v. Gierke, Entwurf, S. 506 f., 529 ff., 536; zur Vertragsfreiheit: ders., Aufgabe, S. 28 ff.; dazu Hofer, S. 145 ff. 20 Im Einzelnen unten § 3 B. IV. 2., S. 99 ff. 21 Oben § 1 A., S. 23. 22 Hofer, S. 277 ff. 23 Oben § 1 A., S. 17 ff., m. Fn. 33. 24 Coester-Waltjen, Jura 2006, 436, 439: „Im Erbrecht ist die Privatautonomie fast unbegrenzt.“ 16

§ 3 Testierfreiheit im Verhältnis zur Vertragsfreiheit unter Lebenden

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benden ansetzen. Nicht die Unbeschränkbarkeit der erbrechtlichen Privatautonomie war hier das bestimmende Leitbild, sondern im Gegenteil deren Vereinnahmung durch Gemeinschafts-, insbesondere Familieninteressen. Sie hat viel mit einer anderen Legende zu tun, die ihre Wurzeln im 19. Jahrhundert hat und von der hier schon die Rede war25: dem vermeintlichen Gegensatz von römischunsozialer und deutsch-sozialer Rechtsanschauung, die im Erbrecht Testierfreiheit und Familienerbrecht in Frontstellung brachten. Sie erlaubte, die Gestaltungsbefugnis von Todes wegen – wie geschildert26 – in erster Linie von ihren Grenzen her zu erfassen; das liberale Leitbild des Bürgerlichen Gesetzbuchs wurde folglich zunächst nicht rezipiert. Über Testierfreiheit sprechen, hieß bis in die jüngste Zeit über deren Beschränkungen sprechen.27 Das passt gut zu Rückerts Bild vom Bürgerlichen Gesetzbuch als einer in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts „chancenlosen Kodifikation“, deren liberales Potenzial gerade im Hinblick auf die Grundprinzipien des Gesetzes über weite Strecken ihrer Geltung brach lag. 28 Erst in jüngerer Zeit hatten Versuche, die Testierfreiheit zu normativieren und zu verobjektivieren, insbesondere sie inhaltlich auf Verfügungen zum Wohle der Familie zu beschränken 29 und damit den Gedanken familiärer Verteilungsgerechtigkeit im gewillkürten Erbrecht zu etablieren, wieder einen schwereren Stand: „Die Testierfreiheit ist kein pflichtgebundenes Recht.“30 Das 25

Oben § 1 A., S. 18, m. Fn. 47. Im Einzelnen oben § 1 A., S. 13 ff., B., S. 25 ff. 27 Paradigmatisch sind etwa die Äußerungen von Otte, AcP 202 (2002), 317, 319 f. Oben § 1 A., S. 19 f. 28 JZ 2003, 749, 758 ff.; HKK/Rückert, vor § 1 Rn. 91 ff., 113 ff. Oben § 1 A., S. 22 f. 29 Staudinger/Boehmer11, Einl. § 17 Rn. 1. Aber auch MünchKomm/Leipold, Einl. zu §§ 1922–2385 Rn. 12: „grundsätzliches Vertrauen in das Gerechtigkeitsstreben des einzelnen Erblassers, auf dem die Testierfreiheit beruht“. In Rn. 13 wird diese „Gerechtigkeit“ zum Zwecke der Familienbindung funktionalisiert: „Vielmehr sind ehe- und familienrechtliche Schranken der Testierfreiheit von vornherein immanent.“ Ihm folgend Stagl, S. 160 f., 177. Zur Kritik Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 52 ff.; und oben § 1 A., S. 18 f. 30 Staudinger/Otte, Einl. zu §§ 1922 ff. Rn. 54. Wenn in den Motiven im Abschnitt über den Pflichtteil zu lesen ist, dass „eine Rechtspflicht des Erblassers bestehe, die ihm gewährte Testierfreiheit nicht zu missbrauchen, und dass die Pflichtteilsberechtigung die Kehrseite dieser Rechtspflicht sei“ (Motive V, S. 387), liegt das an der Formulierung von § 1975 des Entwurfs, auf den sich die Bemerkung unmittelbar bezieht. Die vorläufige Fassung der Vorschrift konstruiert den Wertersatzanspruch des Pflichtteilsberechtigten aus der Sicht des Erblassers, der diesem „so viel zu hinterlassen habe [Hervorhebung nicht im Original], dass der Wert die Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils erreicht“. Der Entwurf orientierte sich hier bis in den Wortlaut hinein an einer Gruppe von Rechten, vor allem des österreichischen ABGB (§§ 775 f., 781), die im Pflichtteilsrecht lediglich einen Anspruch des Noterben auf Hinterlassung eines bestimmten Nachlasswerts sah. Der schuldrechtliche Anspruch richtete sich aber stets gegen den eingesetzten Erben, ohne dass der Noterbe selbst einen Anspruch darauf hatte, Erbe zu werden (s. H.-G. Mertens, S. 90). Die Konzeption des Entwurfs unterschied sich daher in der Sache nicht von der heutigen Regelung. Im Gesetz gewordenen § 2303 Abs. 1 BGB kommt die Konstruktion durch die „aktivische“ Formulierung als an26

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Erster Teil

ist eine Erkenntnis, mit der man sich die liberalen Ursprünge des Bürgerlichen Gesetzbuchs erst wieder erschlossen hat. Inhaltlich trägt sie allerdings – wie ausgeführt – eher im Ergebnis als im methodischen Vorgehen Alexys Verständnis vom Prinzip als normativen Optimierungsgebot Rechnung. Dessen Gehalt gilt es „in einem relativ auf die rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten möglichst hohen Maße zu realisieren“. 31 Zeitlich lässt sich die Entwicklung eindeutig den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zuordnen. Ob das 21. Jahrhundert wiederum im Zeichen eines stärker familiengebundenen Erbrechts stehen wird, bleibt nach der jüngsten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Pflichtteils(entziehungs)recht abzuwarten.32

II. Meilensteine in der Diskussion der Vertragsfreiheit unter Lebenden – ein Überblick Der Gesetzgeber hat sich an das liberale (Ur-)Verständnis der Testierfreiheit des Bürgerlichen Gesetzbuchs ganz überwiegend gehalten – trotz einer über weite Strecken seiner Geltung gegenläufigen Anschauung in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft, möchte man hinzufügen. Oberflächlich betrachtet lässt sich das schon daran ablesen, dass die Legislative im Hinblick auf eine gesetzliche Beschränkung der Testierfreiheit weitgehend abstinent geblieben ist.33 „Das Erbrecht des BGB hat bisher keine grundstürzenden Änderungen erfahren“. Diese Feststellung Kipp/Coings34 trifft auf die Gestaltungsbefugnis von Todes wegen im Besonderen zu. Ganz anders verhält es sich mit der Privatautospruchsbegründende Vorschrift („kann er von dem Erben den Pflichtteil verlangen“) präziser zum Ausdruck. Dass das Bürgerliche Gesetzbuch eine familiär gebundene Testierfreiheit präferiere, lässt sich aus der zitierten Bemerkung daher nicht entnehmen. So aber Stagl, S. 161. S. auch Ebenroth, Rn. 148; ihm folgend Miserre, S. 236. Unten B. II. 2. a., S. 85, m. Fn. 183. Auch die Aussage in den Protokollen (V, S. 47), „der Erblasser sei nicht befugt, mit letztwilligen Verfügungen gewissermaßen sein Spiel zu treiben“, lässt sich nicht im Sinne einer Pflichtenbindung des Testators auf der Primärebene verallgemeinern (anders für [Vertrauens-]-Ersatzansprüche wegen enttäuschter Erberwartung Miserre, S. 240, m. Fn. 796). Die Stelle steht in einem ganz bestimmten inhaltlichen Zusammenhang, aus dem sie nicht gelöst werden sollte. Es geht um die Frage der (Nicht-)Berücksichtigung einer Mentalreservation bei letztwilligen Verfügungen. 31 S. 75 f.; Enderlein, S. 83 ff., 131 ff. Oben Einleitung, S. 2, m. Fn. 8, zur Übertragung des Prinzips aus dem Verfassungs- in das Zivilrecht, wie sie etwa Knütel, ZIP 1991, 493, 497, vornimmt, wenn er empfiehlt, „im Zweifelsfalle stets zugunsten der Privatautonomie zu entscheiden“. Krit. dazu Mayer-Maly, AcP 194 (1994), 105, 154 f. Der Gedanke wird auch für die Testierfreiheit geäußert, oben § 1 A., S. 13. 32 BVerfGE 112, 332, 349 ff. Oben § 1 A., S. 14. 33 § 48 Abs. 2 TestG wurde gemeinsam mit dem gesamten Testamentsgesetz aufgehoben und in das Bürgerliche Gesetzbuch nicht wieder eingefügt (BGBl. I 41, dazu Erman/Schlüter, Einl. § 1922 Rn. 4). Die wichtigste gesetzliche Beschränkung des geltenden Rechts ist § 14 HeimG. 34 § 1 V., S. 11.

§ 3 Testierfreiheit im Verhältnis zur Vertragsfreiheit unter Lebenden

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nomie unter Lebenden. Mit dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen,35 dem AGB-Gesetz36 und weiteren Verbraucherschutzgesetzen37 wurden der Vertragsfreiheit erste und durchaus einschneidende legislatorische Grenzen gesetzt. Zum Teil werden ganze Rechtsbereiche aus der Privatautonomie inter vivos heraus genommen und durch zwingendes Recht geregelt. Ein Beispiel dafür ist das Wohnungsmietrecht.38 Die Gesetze markieren stets umstrittene Etappen einer Entwicklung, 39 die in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts40 vorbereitetet worden war. Juristische Meilensteine der Normativierung im Recht der Lebenden waren vor allem die Entwicklung des Instituts der Geschäftsgrundlage (Oertmann41) und die außerordentlich wirkmächtige Lehre von der so genannten Richtigkeitsgewähr des Vertrags (Schmidt-Rimpler42). So umstritten ihre Funktionsfähigkeit im Vertragsgefüge mittlerweile auch sein mag,43 die Theorie, an deren dogmatischer Trag- und Ausbaufähigkeit ihr geistiger Vater im Übrigen selbst Zweifel hatte,44 schien erstmals einen deutlichen Zusammenhang zwischen dem Kon-

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Vom 27. Juli 1957, BGBl. I 1087. Vom 9. Dezember 1976, BGBl I 3317. 37 Hierher gehören neben dem Verbraucherkreditgesetz (vom 17.12.1990, BGBl. I, 2840) u.a. das Haustürwiderrufsgesetz (vom 16.1.1986, BGBl. I 122). 38 Für eine Rückkehr zur Vertragsfreiheit in diesem Gebiet plädieren Oestmann, KritV 86 (2003), 96, 114 ff., 117 f.; Zöllner, JuS 1988, 329, 331: „öffentlich-rechtliches Wohnungszwangsrecht“; Honsell, AcP 186 (1986), 115, 117 f., 162 ff., 181, 184 ff. Gegen die verfassungsrechtliche Vereinnahmung des Mietrechts in BVerfG NJW 1993, 2035 (Besitzrecht des Wohnraumieters als Schutzgut des Art. 14 GG) Drexl, S. 266 ff., m.w.Nw. in Fn. 265; Depenheuer, NJW 1993, 2561 ff. 39 Überblick bei Zöllner, JuS 1988, 329 ff. 40 Zu früheren Ansätzen: Höfling, S. 46 f., m.w.Nw. in Fn. 301, 303: Die Kritik an der liberalen Vertragskonzeption begleitet das Bürgerliche Gesetzbuch seit seiner Entstehung. 41 Die Geschäftsgrundlage. Ein neuer Rechtsbegriff, 1921. Im Ansatz „voluntaristischer“ (Ausprägung der sog. subjektiven Geschäftsgrundlage): Larenz, Geschäftsgrundlage, S. 160 ff. Vgl. auch den Überblick zur Entwicklung des Instituts bei Wieling, Jura 1985, 505, 506 ff.; J. Schapp, S. 70 ff.; Görk, S. 9 ff. 42 AcP 147 (1941), 130, 149 ff.; ders., Fs. Nipperdey, S. 1 ff. Mayer-Maly wertet die Theorie ausdrücklich als Versuch, die Vertragsbindung außerhalb voluntaristischer Zusammenhänge zu bestimmen, Fs. Nipperdey, S. 509, 513, Fn. 19; des Weiteren Hepting, S. 259 f. Auf das iunctim beider Institute weist Brox, JZ 1966, 761, 767, hin: Ein in der Geschäftsgrundlage gestörter Vertrag bietet keine Richtigkeitsgewähr. 43 Zu Schmidt-Rimpler: Oechsler, S. 125 f., m.w.Nw.; Busche, S. 87 ff.; Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 52 ff.; zu Ludwig Raiser: Busche, S. 106 ff.; Oechsler, S. 127 ff., m.w.Nw. Vgl. aber auch die Vielzahl der zustimmenden Autoren; Nw. bei Singer, Selbstbestimmung, S. 9, Fn. 10. 44 Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, Fn. 1, 1a, begreift die Richtigkeitsgewähr als rechtspolitische, nicht dogmatische Figur und hält sie dort nicht für einschlägig, wo der Vertrag „im Einzelfall […] keine genügende Gerechtigkeitsgewähr bietet (a.a.O., S. 157), nämlich insbesondere bei „Massenverträgen mit allgemeinen Geschäftsbedingungen“ (a.a.O., S. 158, Fn. 34 Nr.2). 36

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Erster Teil

zept der privatautonomen Willensübereinkunft und der Idee der Vertragsgerechtigkeit herzustellen.45 Dem „Vertragsmechanismus“ wurde dabei eine rein „willenslimitierende Funktion“ zugeschrieben. Er sollte folglich gänzlich innervertraglich wirken, indem er einem ungebändigten egoistischen, also selbstherrlichen Willen die „(Willens-)Fessel“ anlegen half.46 Der Verweis auf die Vertragsgerechtigkeit blieb auf diese Weise selbst voluntaristisch geprägt und beschränkt,47 was einen gewissen Widerspruch darstellt, der am Beispiel der zwischen den Vertragspartnern ungleich verteilten Machtpositionen Mitte der sechziger Jahre erstmals aufgedeckt wurde: Der „Vertragsmechanismus“ funktioniere, so lautete der Einwand, nur bei annähernd gleichgewichtiger Machtverteilung unter den Parteien.48 Das ist zunächst nur eine Chiffre mit dem reichlich vagen normativen Gehalt, diejenigen Verträge auszusondern, die diesem Bild nicht entsprechen.49 Vermittelt über diese Kritik und in einem Klima der zunehmenden „Sensibilität für Ungleichgewichtslagen“50 erwies sich die Lehre von der Richtigkeitsgewähr des Vertrags gleichwohl als äußerst fruchtbarer Nährboden51 für die Entwicklung normativ-objektivierender Gesichtspunkte.52 Ob in Gestalt von Manfred Wolfs rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit als materiellem Wirksamkeitserfordernis vertraglicher Bindung53 oder Ludwig Raisers funktionaler Analyse des Vertrags als Instrument der Sozialordnung54: die ältere liberal-voluntaristische Position konnte – so kritikwürdig die Ergebnisse der genannten Arbeiten im Einzelnen gewesen sein mögen55 – nicht umhin, die Vertragsgerechtigkeit dem Prinzip der Vertragsfreiheit hinzuzugesellen,56 nämlich im Wege der vertraglichen Inhalts-, das heißt Wirksamkeitskontrolle. Neuere 45 So Singer, Selbstbestimmung, S. 11 f.; Busche, S. 84. S. auch Fastrich, S. 54; Habersack, AcP 189 (1989), 403, 408. 46 Schmidt-Rimpler, Fs. Raiser, S. 3 ff. 47 Ob durch den Parteiwillen oder denjenigen des Gesetzgebers sei einmal dahingestellt. Schmidt-Rimpler hat die Vorstellungen der Parteien erst später in sein Modell einbezogen: ders., Fs. Raiser, S. 3, 15; krit. dazu Oechsler, S. 125 ff. 48 Soweit ersichtlich stammt die früheste Kritik von Pawlowski, S. 230 f. Dazu Huda, S. 138 f.: „Achillesferse der Konzeption“. 49 Rittner, AcP 188 (1988), 101, 127. 50 Hönn, S. 304. Kritik am Begriff übt Rittner, NJW 1994, 3330. 51 Uneins über die geistige Urheberschaft: Adomeit, NJW 1994, 2467 (von Hippel, Schmidt-Rimpler); Rittner, NJW 1994, 3330, 3331 (Burckhardt). 52 Singer, Selbstbestimmung, S. 11; Bydlinski, Privatautonomie, S. 106 f. 53 Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, 1970, S. 146 ff. 54 Raiser, Allgemeine Geschäftsbedingungen, S. 282; ders., JZ 1958, 1 ff.; ders.; Fs. DJT, S. 101, 107 ff.; ders., in: Summum Ius, S. 145 ff.; ders., Zukunft, S. 9. Weitere Nw. bei Oechsler, S. 127, Fn. 336. S. auch Busche, S. 106 f. 55 Oechsler, S. 126 f. 56 Nw. bei Singer, Selbstbestimmung, S. 12, Fn. 23 und 26.

§ 3 Testierfreiheit im Verhältnis zur Vertragsfreiheit unter Lebenden

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Untersuchungen zur Privatautonomie unter Lebenden betonen seither fast unisono eine gewisse Relativierung des Willensdogmas im Vertrag.57 In der Folgezeit ging es vorrangig um deren konkrete Konturierung und Gewichtung zwischen den Polen formaler und materialer Gerechtigkeit, nicht mehr um die Berechtigung des objektiv-normativen Elements an sich. Der Focus der Diskussion verschiebt sich von der „Prinzipienperspektive“ der Fünfziger und Siebziger Jahre zu den Grenzen der Privatautonomie, die freilich nicht im Grundsatz gefunden, sondern anhand von Einzelfällen bestimmt werden müssen.58 Die Debatte wurde zunächst sub specie des „Schutzes des Schwächeren im Zivilrecht“,59 später der gestörten Vertragsparität60 sowie der Kompensation von strukturellen Ungleichgewichtslagen geführt.61 Jüngere Autoren knüpfen zwar begrifflich wieder an den Begriff der Vertragsgerechtigkeit an, verstehen sie aber weder – wie Raiser – funktional, noch – wie Wolf – material, sondern formal62 – entweder auf der Grundlage eines an der Vertragsnatur orientierten Verständnisses (Oechsler)63 oder als Ergebnis eines wertungsgestützten flexiblen Systems der Vertragskontrolle (Heinrich).64 Die Differenzierungsfähigkeit des Rechts,65 also die „Ordnung des Fallmaterials als gleich und ungleich im Hinblick auf rechtliche Regelungsanliegen“,66 ist das gegenwärtige Zwischenergebnis einer nunmehr Jahrzehnte lang andauernden Diskussion um die Normativierung der Privatautonomie unter Lebenden.

57 Singer, Selbstbestimmung, S. 12: „Die liberale Vorstellung von der Selbstregulierung der entgegengesetzten Interessen wird in ihrer reinen Form nicht mehr vertreten.“; Heinrich, S. 205 f.: „Eine rein formal ausgerichtete, voluntaristische Legitimation des Vertrags wird den Anforderungen der Praxis nicht gerecht.“ Selbst in einer so dezidiert willenstheoretisch angelegten Arbeit wie der von Lobinger, S. 97, wird betont, dass „legitim auch solche Modifikationen oder gar Durchbrechungen [des Willensdogmas] (sind), mit denen das Recht auf ein ,Systemversagen‘ reagiert, weil insbesondere die tatsächlichen Umstände, konkret etwa die Machtverhältnisse zwischen den Parteien, eine in beiderseitiger Selbstbestimmung hervorgebrachte rechtsgeschäftliche Regelung […] nicht zulassen“. Grundlegend Kramer, Die „Krise“ des liberalen Vertragsdenkens, 1974. 58 Das erklärt die Beobachtung von Hofer, S. 285, dass nach den Siebziger Jahren Grundsatzüberlegungen zur Privatautonomie (Überblick bei HKK/Rückert, vor § 1 Rn. 108 f.) der Erörterung von Einzelfragen weichen. 59 So der Titel des Werks von Weitnauer, 1975. Des Weiteren: Eike Schmidt, JZ 1980, 153, 155 f.; krit. dazu Fezer, S. 366; Reuter, AcP 189 (1989), 199, 205 ff., 208, m.w.Nw.; von Hippel, Der Schutz des Schwächeren, 1982; von Stebut, Der soziale Schutz als Regelungsproblem des Vertragsrechts, 1982; Westermann, NJW 1997, 1, 7. 60 Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, 1982. 61 Limbach, KritV 1986, 165 ff.; Wellenhofer-Klein, ZIP 1997, 774 ff. 62 Reuter, AcP 189 (1989), 199, 205 ff., 214 ff.; ihm folgend Martinek I, S. 65, m. Fn. 6. 63 S. 86 ff., 166 f. 64 S. 205 ff. 65 Heinrich, S. 362. Ähnlich Busche, S. 82. 66 Oechsler, S. 215.

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Erster Teil

III. Zur Frage der Normativierung der Testierfreiheit durch „Testamentsparität“ im Rahmen von § 138 Abs. 1 BGB So verkürzt der Überblick ist,67 er vermittelt doch einen Eindruck von den Welten, die das Recht der Lebenden vom Erbrecht heute zu trennen scheinen. Vertrags- und Testierfreiheit haben sich seit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs immer weiter voneinander entfernt, oder – genauer gesagt – die Entfaltung der lebzeitigen Privatautonomie hat die erbrechtliche hinter sich gelassen. Normativierung und Objektivierung sind hier – so scheint es – fast Fremdworte. Immerhin setzt die Diskussion mit einer rund dreißigjährigen zeitlichen Verspätung gegenüber der entsprechenden Debatte im Schuldrecht ein – wenn auch nicht durchweg mit dem erforderlichen Gespür für die Unterschiede von Vertrags- und Testierfreiheit. Ein Beispiel mag das verdeutlichen: Die Rede von einer „Testamentsparität“68 ist schon begrifflich ein Widerspruch in sich, weil sie am Vertrag anknüpft, das Testament sich aber weder als Quasikontrakt69 noch als einseitiges Versprechen des Erblassers konstruieren lässt, das wirksam wird, ohne vom Versprechensempfänger angenommen worden zu sein.70 Im Recht des Erbvertrags hingegen scheint die Parität zwischen den Vertragsparteien nicht faktisch, sondern de iure gestört (im Sinne einer so genannten normativen Imparität). Hier wird die hervorgehobene rechtliche Stellung des Erblassers betont und die juristische Position des nicht von Todes wegen verfügenden Vertragspartners in der Tendenz eher unterschätzt.71 Wenn man aber der Imparität ihren tatsächlichen Be67

Ausführlicher Ruffert, S. 328 ff.; Drexl, S. 35 ff. Im Ergebnis ebenso Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 326 ff.; anders und nicht haltbar ders., FamRZ 1997, 656, 661: „testamentarisch bedingte Imparität des Bedachten“; ders., Ehegattenschutz, S. 364: „Bewältigung ‚situativer Asymmetrie‘“. 69 Anders Goebel, FamRZ 1997, 656, 661: „Der Wirkmechanismus der einseitigen letztwilligen Verfügung kann als zeitlich verschobenes, um die normative Bindungswirkung kupiertes, im faktischen Konsens der unterlassenen Ausschlagung aber in der Vertragsähnlichkeit kulminierendes Verfahren verstanden werden.“; s. auch ders., Persönlichkeitsrecht, S. 259 f.: Annäherung vertraglicher und testamentarischer Kategorien in „Konsensstrukturen.“ Mit der Vorstellung eines „Rechts des Todes“, die Goebel, Ehegattenschutz, S. 898, an anderer Stelle hat (oben Einleitung, S. 6, m.w.Nw. in Fn. 44), ist dieses lebzeitige Denken in Antrags- und Annahmekategorien nicht in Einklang zu bringen. S. auch Kroppenberg, DNotZ 2006, 86, 101. Ähnlich konstruiert aber bereits von Lübtow II, S. 675: „Der Berufene kann das Angebot [Hervorhebung nicht im Original], diese [mit dem Anfall verbundenen] Rechte auszuüben, annehmen oder ausschlagen.“ In der Sache leistet auch Ottes Vorstellung vom „wirtschaftlichen Angebot“, das er mit dem Ausschlagungsrecht in Beziehung setzt, diesem Denken Vorschub (ZEV 2004, 394, 396, Fn. 40); ebenso van Veenroys Konzeption des § 2180 BGB (S. 19 f., 21 ff.; zu Recht kritisch Muscheler, Vonselbsterwerb, S. 188 ff., 192 ff.). Zum Ganzen oben § 2 C. II., S. 52, m. Fn. 164. 70 Das Institut ist dem Bürgerlichen Gesetzbuch überhaupt fremd: R. Zimmermann, AcP 202 (2002), 243, 268 f.; Schmidlin, in: Zimmermann/Knütel/Meincke, S. 187 ff.; und unten B. I. 2., S. 76. 71 Häsemeyer, Abhängigkeit, S. 58; ders., FamRZ 1967, 30, 31. 68

§ 3 Testierfreiheit im Verhältnis zur Vertragsfreiheit unter Lebenden

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deutungshorizont nimmt72 – nämlich den des realen Machtgefälles zwischen Parteien73 – und sie nur noch auf normativer Ebene erfasst,74 verliert das Institut sein spezifisches Gesicht. Der Befund erlaubt einen wichtigen Rückschluss auf die Inhaltskontrolle lebzeitiger und erbrechtlicher Willenserklärungen, der die im erbrechtlichen Schrifttum gängige These von der Gleichgeartet- und Gleichartigkeit der Sittenwidrigkeitsprüfung inter vivos und von Todes wegen relativiert.75 Soweit es sich bei der Prüfung von lebzeitigen Verträgen anhand des § 138 Abs. 1 BGB um die reale Verteilung der Freiheit im konkreten Rechtsgeschäft handelt, wird im Bereich der Verfügungen von Todes wegen Sittenwidrigkeit unter den Topoi rechtlicher „Selbst-“ oder „Fremdbestimmung“ diskutiert.76 Unter dem Mantel der Inhaltskontrolle steht damit weniger die Sittengemäß- oder -widrigkeit einzelner erbrechtlicher Rechtsgeschäfte auf dem Prüfstand als die Bestimmung der Qualität des generell-abstrakten Freiheitsgehalts, der im gewillkürten Erbrecht selbst angelegt ist. Mit anderen Worten: Die erbrechtliche Inhaltskontrolle würde – machte man normative Testamentsparität zum Maßstab – hier Züge einer abstrakten Normenkontrolle annehmen und in der Tendenz auch auf einen funktionellen „Institutsmissbrauch“ des Sittenwidrigkeitsmaßstabs hinweisen. Zugleich ginge die Prüfung immer positiv aus. Die wirklich problematischen „extremen Ausnahmefälle“, die die Schwelle der Gesetzeswidrigkeit nicht überschreiten, in denen aber unvertretbare Grundrechtspositionen aufgrund einer rechtlichen 72 Zu diesem Erfordernis etwa Lobinger, in: Jahrbuch, S. 77, 83: „Voraussetzung realer Freiheit, und das heißt vor allem paritätische Verhältnisse.“ (Hervorhebung nicht im Original). 73 Der Begriff ist auch im Recht der Lebenden kaum bestimmbar und daher nur schwer justiziabel. Im Einzelnen Coester-Waltjen, AcP 190 (1990), 1, 18 ff., m.w.Nw. Ein wesentlicher zivilrechtlicher Kritikpunkt im Gefolge der „Handelsvertreter“-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 81, 242 ff.) zielte in dieselbe Richtung; s. oben § 2 C. I., S. 48, m. Nw. in Fn. 135. 74 Gutmann, S. 236: „Kein Ungleichgewicht der Kräfte“, sondern der „Rechte.“ 75 Kipp/Coing, § 16 III 1, S. 111; ihm folgend Niedrée, S. 24. Es ist bemerkenswert und bezeichnend, dass Autoren, die sich mit der Inhaltskontrolle lebzeitiger Verträge befassen, das anders sehen. So heißt es bei Coester-Waltjen, AcP 190 (1990), 1, 11: „Im Familien- und im Erbrecht findet – soweit ersichtlich – Inhaltskontrolle statt.“ Des Weiteren Fastrich, S. 237 f., im Hinblick auf die reduzierte Inhaltskontrolle erbrechtlicher Verfügungen gemäß § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB: „Auch müsste man den Bereich der kontrollunfähigen Regelungen im Hinblick auf den höchstpersönlichen Gegenstand der erb- und familienrechtlichen Gestaltungen und die Gewährleistung der Testierfreiheit weiter ziehen als bei beliebigen schuldrechtlichen Verträgen. […] Die Inhaltskontrolle im Familien- und Erbrecht scheitert daher weniger an den Besonderheiten dieser Rechtsgebiete als am fehlenden Kontrollbedürfnis.“ 76 Sachlogisch ist das Vorliegen eines strukturellen Ungleichgewichts also nur ein Unterfall des Selbst- und Fremdbestimmungstopos. Drexl, S. 279, und Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 107, 111, setzen beides aufgrund eines lebzeitigen Vorverständnisses gleich. Zur „Fremdbestimmung“ durch den Erblasser s. auch Bamberger/Roth/Litzenburger, § 2074 Rn. 9, m.w.Nw.

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Grundentscheidung per se – das heißt nicht nur, wenn sie „Druck“ bereiten77 oder als Antrag unterbreitet werden78 – beschränkt werden sollen, blieben ausgespart. Das ist aber nicht mehr als ein Zeichen dafür, dass die abstrakte Austarierung der Freiheitssphären im gewillkürten Erbrecht verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt. Das wird im Einzelnen nachzuprüfen sein.79 An dieser Stelle genügt es festzuhalten: Wenn im Recht der Verfügungen von Todes wegen die Fremdbestimmung des Erben durch den Erblasser beklagt wird, dann hat das seinen Grund in dessen – angeblich – überlegener Rechtsmacht, nicht in dessen faktisch überlegener Machtstellung. Die Lehre von der Kompensation gestörter Vertragsparität unter Lebenden blieb von diesen Fehlgriffen verschont, weil sich die Diskussion organisch in Rede und Gegenrede entwickeln konnte. Hier hatte es den sachlich nicht zutreffenden,80 aber unter Evolutionsgesichtspunkten äußerst fruchtbaren Umoder Irrweg über die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit als normatives Wirksamkeitserfordernis vertraglicher Bindung gegeben (M. Wolf).81 Die Entfaltung der Vertragsparität konnte insofern von diesem Ansatz profitieren und sich zugleich von ihm abgrenzen, als sie ihr rechtliches Instrumentarium ausschließlich zur Überwindung faktischer (aber eben nicht rechtlicher) Ungleichgewichtslagen im Rahmen des § 138 Abs. 1 BGB zur Verfügung stellte. Im Erbrecht fiel dieser Zwischenschritt aus. Der zeitliche Rückstand der Dogmatik der Testierfreiheit in der Jetztzeit wird unter anderem daran deutlich, dass mit der Übertragung von normativ verstandenen Paritätsvorstellungen ins Erbrecht eine Idee eingeführt wird, die im Recht der Lebenden etwa den Stand der Diskussion zu Beginn der Siebziger Jahre wiedergibt. Diese wurde anhand von schuldrechtlichen Austauschverträgen entfaltet und ist als solche ein spezifisch lebzeitiges Phänomen.82 77

Oben § 2 B. II. 1., S. 39 ff.; 2., S. 42 ff. Oben § 2 C. II., S. 51 ff. Gutmann, S. 244, konzediert denn auch zwei Fälle, in denen der fehlende Eingriffscharakter der erbrechtlichen Zuwendung überlagert wird. Zum einem sei Platz für das Sittenwidrigkeitsverdikt, wenn es um eine „vollständige Instrumentalisierung der letztwilligen Verfügung zur Lenkung des Bedachten“ geht, oder aber die „Verletzung der Mindestanforderungen an symbolische Formen des kommunikativen Handelns der Bürger untereinander“ (s. auch Goebel, Ehegattenschutz, S. 367 f., Fn. 126). Das erste Argument erinnert an die problematische Unterscheidung Ottes nach dem verhaltens- oder vermögensbezogenen Schwerpunkt der Verfügung (JA 1985, 192, 200; unten C. II. 1., S. 109 f., m. Fn. 321). Im zweiten Fall dürfte ein strafrechtliches Ehrverletzungsdelikt (§§ 185 ff. StGB) verwirklicht und damit die Grenze zur Gesetzeswidrigkeit bereits überschritten sein. Zur überholten Rechtsprechung in den Fällen der erbrechtlichen Entlohnung für sexuelle Hingabe des Bedachten oben § 1 B., S. 26, m. Fn. 95. 79 Unten § 6 B. II. 4. a., S. 187 ff., b., S. 190 ff. 80 Aus dem kritischen Schrifttum: Lieb, AcP 178 (1978), 196, 221; Hönn, S. 26 ff., 259; Pflug, S. 164 ff.; Fastrich, S. 39 ff., 215 f.; Singer, Selbstbestimmung, S. 18 ff. m.w.Nw. in Fn. 66; Heinrich, S. 193 ff. 81 Oben II., S. 64 f. 82 In diese Richtung auch Probst, JR 1999, 508, 509: „Wohl mögen Motive und Erwartun78

§ 3 Testierfreiheit im Verhältnis zur Vertragsfreiheit unter Lebenden

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Die Entwicklungsabschnitte der „Paritätsdebatte“ im Recht der Lebenden zeigen des Weiteren, dass die zunehmende Distanz zwischen Vertrags- und Testierfreiheit nicht als zielgerichteter Prozess beschrieben werden kann. Vielmehr wurde der juristische Sachverstand ganz überwiegend an die Ausdifferenzierung der Vertragsfreiheit inter vivos gewandt. Als deren wenig beachteter Nebeneffekt lässt sich das evolutionäre Defizit der erbrechtlichen Privatautonomie aber dennoch beschreiben. Das wurde hier anhand des Topos von der gestörten Vertragsparität aufgezeigt, weitere Beispiele lassen sich finden. So wurde etwa der Zusammenhang zwischen Privatautonomie und Wirtschaftsordnung ausschließlich am Paradigma des schuldrechtlichen Austauschvertrags entfaltet.83 Die ökonomischen Bezüge der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen wurden dabei eher gestreift und in der Regel mehr behauptet als begründet.84 Auch dieses Beispiel zeigt: Die Gestaltungsbefugnis von Todes wegen ist die weniger entwickelte, weil – vergleichsweise – immer noch unerforschte Materie. Zugleich ist sie aber auch die ursprünglichere, weil näher am voluntaristischen Konzept des Gesetzgebers liegende Privatautonomie. Das birgt Gefahren: Zum einen die, dass die entwickelteren lebzeitigen Strukturen unbesehen auf weniger diskutierte Fragestellungen übertragen werden, nämlich auf solche, die nach spezifisch erbrechtlichen Antworten verlangen85 – so geschehen im Fall des Paritätstopos in der rechtsgeschäftlichen Inhaltskontrolle. Umgekehrt ist es möglich, dass Konzepte, die im Recht der Lebenden entwickelt wurden, für die Gestaltungsbefugnis von Todes wegen gerade deswegen verworfen werden, obwohl sie hier a priori nicht gänzlich fehl am Platz scheinen.86 Das geht nicht selten einher mit einer radikalen Ablehnung des lebzeitigen Ansatzes und dem Entwurf eines diametral verschiedenen erbrechtlichen Gegenbilds. Im Ausgangspunkt wird bei diesem Verfahren das Prärogativ des Rechts der Lebenden jedoch akzeptiert. Dieses Phänomen lässt sich gut an der Frage des Wirtschaftsbezugs der Privatautonomie beobachten, der für die Testierfreiheit bisweilen verneint und gegen das Kriterium der Persönlichkeitsentfaltung des Erblassers ausgetauscht wird. Auch davon wird noch gehandelt.87

gen nicht ohne weiteres an den für Rechtsgeschäfte unter Lebenden entwickelten Kriterien zu messen sein, die aus der vertragsrechtlichen Imparitäts-Debatte bis hin zur Frage nach ‚strukturell ungleicher Verhandlungsstärke‘ bekannt sind.“ 83 Wiebe, S. 42 ff.; Habersack, S. 45 ff., jew. m.w.Nw. Kritisch zur Rechtfertigung der Vertragsfreiheit unter Lebenden aus den „Anforderungen des Subsystems ,Wirtschaft‘“ J. Schmidt, S. 190 ff. 84 Vgl. etwa J. Schapp, AcP 192 (1992), 355, 368: „wirtschaftliche Bezüge des Familienund Erbrechts“. S. auch die Nw. unten C. II. 2., S. 112 f., m.w.Nw. in Fn. 340. 85 Unten § 5 A. III. 2. b. bb., S. 133 f. 86 Unten § 5 A. III. 2. b. cc., S. 134 ff., insbesondere S. 127. 87 Unten C. II. 1., S. 106 ff.

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B. Testierfreiheit unter dem Primat der Privatautonomie unter Lebenden I. Die Verwurzelung des Primats in aufklärerischem Rechts(gleichheits)denken 1. Lebzeitige Selbstbestimmung durch Wirkung und Gegenwirkung Für das allgemeine Verständnis der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen folgt aus dem eben beschriebenen Befund zunächst, dass unter Privatautonomie vorrangig die unter Lebenden verstanden wird. Das lässt sich schon an der häufig anzutreffenden synonymen Verwendung der Begriffe „Privatautonomie“ und „Vertragsfreiheit“ ablesen.88 Zwar wird in der Literatur zur Vertragsfreiheit die formale und funktionelle89 Gleichberechtigung90 beider Prinzipien überwiegend91 hervorgehoben. Vor allem im erbrechtlichen Schrifttum wird dieser Umstand immer wieder betont.92 Jedoch sollte das nicht darüber hinweg täu88 Manssen, S. 132, m.w.Nw. in Fn. 89. Zudem Flume, BGB AT II, § 1, 8 a, S. 12, § 10 a, S. 18: „Vertragsfreiheit […] als pars pro toto der Privatautonomie.“ Selten sind Stellungnahmen, die die Verbindung von Vertragsfreiheit und Privatautonomie lösen und statt dessen die Testierfreiheit als deren identitätsstiftendes Element einsetzen; so bei Häsemeyer, Form, S. 207 Fn. 23: „Identität von Testierfreiheit und Privatautonomie“ (Hervorhebung nicht im Original); Miserre, S. 232, m.w.Nw. in Fn. 762, 763. 89 G. Hueck, S. 268: „Dem Institut der Vertragsfreiheit, das die privaten Rechtsbeziehungen unter Lebenden beherrscht, entspricht bei Verfügungen von Todes wegen die Testierfreiheit.“; Miserre, S. 234, Testierfreiheit als „schuldrechtliches Pendant“ der Vertragsfreiheit; Stagl, S. 156 Fn. 54: „Die Vertragsfreiheit wie die Testierfreiheit ergeben sich aus derselben Privatautonomie.“; für das angelsächsische Recht: Atiyah, S. 89: „There is no doubt that freedom of contract and freedom of testation were […] closely connected ideas.“ 90 Zum Beispiel Busche, S. 46: Testierfreiheit als „weitere Säule“ (S. 57 Fn. 74) der Privatautonomie; Heinrich, S. 52 Fn. 45; Staudinger/Otte § 1936 Rn. 14: Testierfreiheit als „erbrechtliche Ausprägung der (rechtsgeschäftlichen) Privatautonomie“; Neuner, AcP 203 (2003), 46, 52: „besondere Form der Privatautonomie; ders., S. 266: „erbrechtliche Ausprägung der Privatautonomie“; ebenso Stagl, S. 149, m.w.Nw. in Fn. 9; des Weiteren Brox, Rn. 23; Leipold, Rn. 61: „Testierfreiheit als Teil der Privatautonomie“; ders., Rn. 233: „wichtigstes erbrechtliches Teilstück der Privatautonomie“; ähnlich MünchKomm/Leipold, Einl. zu §§ 1922–2385 Rn. 12; Reimann, in: Henrich/Schwab, S. 42; Sens, S. 69: „besondere Ausformung der Privatautonomie“; Belling, Jura 1986, 625, 625: „erbrechtliches Teilstück der Privatautonomie“; Beckert, S. 35: „integraler Bestandteil der Privatautonomie und individuelles Freiheitsrecht“; Westermann, Fs. Wiegand, S. 661, 661, m. Fn. 1: „Herleitung der Testierfreiheit aus der Privatautonomie“. 91 Nw. zur abweichenden Auffassung unten IV., S. 100, m. Nw. in Fn. 272. 92 Boehmer, in: Nipperdey, Grundrechte, S. 271 f.: „Abbild des Vermögensrechts unter Lebenden“; Mikat, Fs. Nipperdey I, S. 581, 582: „Testierfreiheit, der im Erbrecht die gleiche Rolle wie der Vertragsfreiheit im allgemeinen Vermögensrecht zukommt“, S. 596: „Privatautonomie im Allgemeinen“ – „Verfügungen des Erblassers kraft seiner Testierfreiheit im Besonderen“; Keymer, S. 171: „Ebenso wie der Schuldvertrag ist die Verfügung von Todes wegen ein ‚Instrument der Selbstbestimmung‘ zur Regelung vermögensrechtlicher Verhältnisse.

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schen, dass die Privatautonomie unter Lebenden als besser fundierte Ausprägung Leitbildcharakter entwickelt und das Verständnis der Privatautonomie insgesamt geprägt hat. Sie beansprucht daher in aller Regel den inhaltlichen Definitionsprimat für sich. Ideengeschichtlich speist sich die Vorstellung von der gegenüber der Testierfreiheit bevorrechtigten Stellung der Vertragsfreiheit unter Lebenden unter anderem93 aus aufklärerischem Gedankengut. In Abkehr von der ständischen Ordnung formulierte Kant seine Konzeption der Gleichheit der Rechtssubjekte. Begrifflich manifestiert sich Recht hiernach als Zustand der „Gleichheit von Wirkung und Gegenwirkung“94 im Sinne einer „Reziprozitätsstruktur der wechselseitigen Verpflichtbarkeit“.95 Damit ist unmittelbar die Vorstellung von zweiseitigen Rechtsgeschäften aufgerufen, insbesondere solcher, die sich durch eine sofortige Rückvergütung des Versprochenen oder Erlangten und die grundsätzliche Ablehnung von Vorleistungspflichten auszeichnen, wie das beim schuldrechtlichen Austauschvertrag unter Lebenden der Fall ist. Die privatautonome Sphäre des einen Teils wird nur durch die des anderen Teils beschränkt.96 Gerechtfertigt ist das gerade nur solange, bis Wirkung und Gegenwirkung sich gegenseitig aufgehoben haben, bis also – rechtlich gesprochen – der Vertrag vollzogen ist. Dem Konzept überlegener Rechtsmacht wie der des Erblassers im Erbrecht bleibt in dieser Konstruktion die Anerkennung versagt, weil Recht und Pflicht sich nicht entsprechen. Vielmehr wird dem Erblasser einseitig eine „Zwangsbefugnis“ in Gestalt einer Wirkung eingeräumt, ohne dass dem eine Gegenwirkung des Bedachten entgegengesetzt wäre.97 Der Erbe sieht sich der Fähigkeit beraubt, seine eigenen Bedingungen in einen neuen Kontrakt einfließen zu lassen, was Kant als Negation der Person des Bedachten und ihrer Freiheit begreift.98 Wogegen hier und in anderen zeitgenössischen Äußerungen Front gemacht wird,99 ist die Aufhebung tätiger Selbstbestimmung des lebenden Individuums durch die untätige Prolongation der Geltung des Willens eines Verstorbenen. Tätigkeit wird dabei ausschließlich in den Kategorien von Geben und Nehmen im Rahmen eines gegenseitigen Vertrags gedacht, zu dessen ZuGenauso wie die Testierfreiheit des Erbrechts mit der Privatautonomie korrespondiert, entspricht die Verfügung von Todes wegen in ihrer Funktion den schuldrechtlichen Geschäften.“; Belling, Jura 1986, 625: „Die Testierfreiheit hat im Erbrecht die gleiche Bedeutung wie die Vertrags- und Verfügungsfreiheit im Schuld- bzw. Sachenrecht.“; Niedrée, S. 10 ff.: „Die Testierfreiheit entspricht der Privatautonomie im Vertragsrecht“. 93 Unten IV., S. 94 ff. 94 Kant, Gemeinspruch, S. 127, 147. 95 Kersting, S. 374. Ähnlich Kühl, S. 79, m.w.Nw. in Fn. 20. 96 Kant, Gemeinspruch, S. 127, 148. 97 Kant, Gemeinspruch, S. 127, 149. 98 Kant, Gemeinspruch, S. 127, 374. 99 S. die Übersicht bei B. Bayer, S. 135 f., 137 ff., 140 f., 169 f.

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standekommen sich die beiden Teile durch eigene persönliche Fähigkeiten und Verdienste selbst erst in Stand gesetzt haben. Das Bild der Selbsterschaffung der Person durch Arbeit und Leistung gewinnt hier rechtliche Gestalt.100 Es ist eine der geistesgeschichtlichen Grundlagen des Übergangs vom Status zum Kontrakt. Über die Früchte der Arbeit wird rechtlich in gegenseitigen Austauschverträgen mit im gleichen Sinne tätigen Individuen disponiert. Die arbeitstheoretische Fundierung des Eigentumsbegriffs trifft sich hier mit dem Vertragsparadigma.101 Die Hinordnung dieser Konzeption auf das Recht der Lebenden ist evident, sowohl im personellen Vorverständnis – dem Individuum, das durch eigene Verdienste erst zum selbstbestimmten wird –, als auch in der konkreten rechtlichen Umsetzung, auf die Kants Überlegungen bezogen sind:102 dem schuldrechtlichen, auf Gegenseitigkeit angelegten Vertrag. Entwicklungsgeschichtlich entfaltete das Konzept gewaltige Sogkraft. „Der Vertrag wird zur Grundformel für jede gesellschaftliche Beziehung und zur Quelle allen positiven Rechts.“103 Zugleich entwickelt er als die Betätigungsform des aufgeklärten selbstbefreiten Menschen unter anderen gleichberechtigten Individuen erheblichen Symbolcharakter.104 Mit der Konstruktion des tätigen Individuums als eines Gleichen unter Gleichen im Vertragsrecht unter Lebenden ist jedoch zugleich die Destruktion und Delegitimation des Erwerbs von Todes wegen verbunden.105 Naturrechtliche Erklärungsansätze der Testierfreiheit geraten unter

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Hierzu J. Schapp, AcP 192 (1992), 355, 371 f. Hierzu Kühl, S. 285 f.; ders., Fs. Wolff, S. 273 ff.; und unten § 6 A., S. 141, m. Fn. 27. 102 Es nimmt deshalb nicht Wunder, dass kantisches Gedankengut historisch nur ein Nebengleis für die Begründung der Testierfreiheit war, wie Klippel, ZRG GA 100 (1984), 117, 140, bemerkt. Zu dem Befund passt auch, dass Schröder, S. 401 ff., 416 f., 424, keinen Einfluss Kants’ auf den Erbrechtsredaktor Schmitt feststellen kann (oben Einleitung, S. 1, m. Fn. 4). Kantisches Rechtsdenken wurde direkt im Recht der Lebenden rezipiert, die Gestaltungsbefugnis von Todes wegen dagegen nur mittelbar und gleichsam negativ betroffen. 103 Grziwotz, Fs. Schippel, S. 9, 14, m.w.Nw., S. 16 ff. 104 Grziwotz, Fs. Schippel, S. 9, 13. 105 Auf diese Konsequenz kantischen Denkens weisen Giger, S. 74, und Leisner, Gleichheitsstaat, S. 155, hin: „Andererseits zwingt die Chancengleichheit nicht nur zu einer Abschwächung, sondern letztlich geradezu zu einer Abschaffung des Erbrechts, weil nur auf diese Weise Entstehen und Weiterwirken immer neuer Chancenungleichheiten verhindert werden können. Und wer auch hier wieder versuchen möchte, beide Begriffe in einer gewissen Ausgewogenheit zusammenzufassen, die Chancengleichheit als eine Korrektur des Erbrechts einzusetzen, der endet eben in dem Dilemma, das seit Generationen in der egalitären Demokratie herrscht: Es gibt kein rationales Kriterium, nach dem man das Erbrecht mit der Chancengleichheit zusammenbringen, hamonisieren könnte. Erbrecht ist nichts als eine Absage an Chancengleichheit, Chancengleichheit letztlich nichts als die Negation des Erbrechts.“ S. auch Kühl, S. 276, m. Fn. 76; ders., Fs. Wolff, S. 273, 279 f.: „Beseitigung freiheitsbehindernder Privilegien“. 101

§ 3 Testierfreiheit im Verhältnis zur Vertragsfreiheit unter Lebenden

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Rechtfertigungsdruck.106 Das Erbrecht mit samt der Testierfreiheit wird zu einem „Gegentyp zur Privatrechtsgesellschaft.“107 Weder lässt sich der erbrechtliche Erwerb mit dem personen- und persönlichkeitsbildenden „Faktor Arbeit“ erklären – der Bedachte kommt ohne sein eigenes Zutun in den Genuss der Erbmasse108–, noch sind mit aufklärerischem und späterem liberalen Rechtsdenken postmortal bindende Willenserklärungen als Surrogat überkommener Formen der Fremdbestimmung vereinbar.109 Der „Status“, mit dem ständische oder feudale Gesellschaften sich das Phänomen „Erbrecht“ noch ohne Mühe erschließen konnten, fällt in der „Kontrakt-“110 und Leistungsgesellschaft111 als Erklärungsmuster aus. Die einzige Rechtfertigung für soziale Ungleichheit – das Leistungsprinzip – kommt beim erbrechtlichen Erwerb nicht zum Zuge.112 Auch dort, wo das Erbrecht zweiseitige Rechtsgeschäfte kennt, namentlich im Erbvertragsrecht, handelt es sich hiernach bestenfalls um Statuskontrakte.

106 Das dürfte auch der Grund sein, weshalb die Kantische Vertragskonstruktion in der Naturrechtslehre kaum Anklang fand, wie Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 79; und Windel, S. 398, Fn. 20; unter Hinweis auf Klippel, ZRG GA 100 (1984), 117, 140, konstatieren, aber nicht erläutern. Abweichend offenbar Grziwotz, Fs. Schippel, S. 9, 15. 107 Canaris, Fs. Lerche, S. 873, 874 f., m.w.Nw., insbesondere unter Hinweis auf Böhm, ORDO 17 (1966), 75, 76 ff. Es ist Ausdruck des Dilemmas der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen, dass sie dennoch zu den „Strukturelementen der Privatrechtsgesellschaft“ gezählt wird (Canaris, a.a.O., S. 874, 878). S. auch oben Einleitung, S. 3; und Kroppenberg, DNotZ 2006, 86, 98 f. 108 Strätz, FamRZ 1998, 1353, 1353, spricht anschaulich vom „arbeitslosen Erwerb“, Beckert in seiner Soziologie des Erbrechts von „unverdientem Vermögen“ (so der Titel der Monographie, 2004). 109 B. Bayer, S. 169, m.w.Nw.; Klippel, ZRG GA 101 (1984), 117, 138, Fn. 109; Giger, S. 73 ff. S. auch Hattenhauer, S. 215 f. 110 Max Weber, Kap. VII, § 2, S. 398 f. Weiter heißt es dort: „Derjenige Rechtserwerb, welcher dem Erbrecht entstammt, bildet nun in der heutigen Gesellschaft das wichtigste Überbleibsel jener Art von Besitzgrund legitimer Rechte, die einst – gerade auch in der ökonomischen Sphäre – ganz oder nahezu alleinherrschend war. Denn in der Sphäre des Erbrechts kamen und kommen […] für den Einzelnen Tatbestände zur Geltung, auf welche sein eigenes Rechtshandeln prinzipiell wenigstens keinen Einfluss übt, die für jenes [nämlich das Rechtshandeln unter Lebenden] vielmehr in weitem Umfang die von vornherein gegebene Grundlage darstellen.“ Unmittelbar beziehen sich diese Ausführungen nur auf die Familienerbfolge. Jedoch sind sie auf das gewillkürte Erbrecht ohne weiteres übertragbar, das Max Weber als „familiaristisch“ im Sinne eines bloßen „Ausgleichs der Interessen von Familienmitgliedern“ versteht (a.a.O., S. 400). 111 Beckert, S. 317. 112 Beckert, S. 26. Das ist auch das „Dilemma“, mit dem die liberalen Sozialtheorien des frühen 19. Jahrhunderts (Bentham, Mill, Brownson, Carnegie) bei der Begründung erbrechtlichen Erwerbs zu kämpfen hatten. Eingehend Beckert, Kursbuch 135, S. 41 ff., 51: „unlösbares Spannungsverhältnis, in dem die Institution der Erbschaft im liberalen Denken steht.“ S. auch ders., a.a.O., S. 206 f., 317: „Die Vererbung des Privatvermögens von Generation zu Generation liegt zum Selbstverständnis der Leistungsgesellschaft quer.“

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Als Grundproblem des rechtsgeschäftlichen Erbrechts wird nicht – wie im Vertragsrecht unter Lebenden – die richtige Verteilung der Freiheit angesehen,113 sondern, dass es ihm an Freiheit für die Lebenden überhaupt zu gebrechen scheint. Das wirkungsmächtige Schlagwort von der unzulässigen Herrschaft der Toten über die Lebenden im Sinne eines „Verbots der Vorbelastung der Nachfolgegeneration durch Handlungen ihrer Vorfahren“114 hat hier seinen Ursprung.115 Es kann neben dem übermächtigen Vertragsparadigma nur den Platz des unfreien und ungleichen Nicht-Vertraglichen einnehmen. Das Phänomen liegt daher keinesfalls in der „rationalisierten Eigenlogik des Subsystems Recht“ im Allgemeinen begründet,116 sondern ist vielmehr das Produkt einer auf das Recht der Lebenden fixierten Rechtsanschauung. Nur von seiner leistungs- und verdienstorientierten Warte aus „verzerrt [das Erbrecht] einmal mehr die bürgerlichen Verhältnisse“.117

2. Lebzeitige Hilfskonstruktionen zur formalen Aufhebung der „Fremdbestimmung“ im Erbrecht Geradezu paradigmatisch verdichtet findet sich diese Anschauung in dem berühmten Diktum Goethes aus dem ersten Teil des Faust: „Was Du ererbt von Deinen Vätern hast, erwirb es um es zu besitzen.“118 Es setzt den erbrechtlichen Erwerb hinter den unter Lebenden zurück, eben weil er nicht das Resultat eigener Verdienste des Zuwendungsempfängers ist.119 Dieser muss den Erwerbsakt folglich unter Lebenden wiederholen, um sich dessen Berechtigung zu versichern. Die Schwäche, die hier dem erbrechtlichen Erwerb attestiert wird, erinnert nicht von ungefähr an die des unentgeltlichen, mit dem erbrechtliche Zuwendungen oft in Zusammenhang gebracht werden.120 Sie besteht in folgendem: Erst indem der Erbe die Beerbung mit den Mitteln der Lebenden – insbeson113

Grziwotz, Fs. Schippel, S. 9, 14, m.w.Nw. in Fn. 37. B. Bayer, S. 141, 172. 115 Über den Ursprung des Topos herrscht keine Einigkeit. B. Bayer, S. 139, Fn. 55, vermutet, dass der Soziologe Auguste Comte den Satz von der Herrschaft der Toten über die Lebenden als erster geprägt hat. Edenfeld, DNotZ 2003, 4, 13, m.w.Nw. in Fn. 32, bietet eine andere Erklärung an. Er verweist auf Art. 28 Satz 2 der französischen Erklärung der Menschenund Bürgerrechte von 1793: „Keine Generation darf künftige ihren Gesetzen unterwerfen.“ 116 So aber Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 170. 117 So wörtlich Schachtschneider, Fs. Leisner, S. 743, 760, m. Fn. 115, unter expliziter Inbezugnahme von Kant. 118 Faust. Eine Tragödie. Nacht. V. 682–683, S. 32. 119 Leisner, in: Isensee/Kirchhof, HStR VI, § 150 Rn. 1: „Was du ererbt … – nach dem Dichterwort ist ,erben‘ nicht an sich ein Wert, sondern nur als Chance, als Herausforderung zur Schaffung von Leistungseigentum.“ Zu Goethes Diktum s. auch Mohnhaupt, Liber Amicorum Modéer, S. 465, 469; Dauner-Lieb, Fs. Schwab, S. 19 ff.; und Kroppenberg, DNotZ 2006, 86, 100. 120 Unten III., S. 92 f. 114

§ 3 Testierfreiheit im Verhältnis zur Vertragsfreiheit unter Lebenden

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dere der eigenen Arbeit und Leistung – nachschafft, setzt er seinen Willen und vor allem seine Leistung an die Stelle des Verstorbenen, wodurch der notleidende erbrechtliche Erwerbstitel zu einem rechtsgültigen lebzeitigen wird. Gleichzeitig hebt dieser Akt die Herrschaft des Erblassers über den Erben, als die die Zuwendung von Todes wegen von der Warte des Rechts der Lebenden aus erscheint, auf und überwindet sie. Juristisch-konstruktiv wurden durchaus verschiedene Wege eingeschlagen, um diese vermeintliche Fremd- in Selbstbestimmung des Erben umzuwandeln. So unterschiedlich die Ansätze im einzelnen sein mögen, sie haben mit der literarischen Lösung Goethes doch eines gemeinsam. Alle betrachten die Privatautonomie von Todes wegen aus der Perspektive des Rechts der Lebenden, nämlich unter der ideengeschichtlich in der Aufklärung zu verortenden Prämisse, erbrechtliches Handeln beeinträchtige die Selbstbestimmung. Diese sei in erster Linie ein Charakteristikum des durch gegenseitiges Geben und Nehmen bestimmten Austauschvertrags. Am deutlichsten wird diese Orientierung auf das Recht der Lebenden in der Konzeption eines zweiseitigen und zweiaktigen Antrags- und Annahmeverhältnisses zwischen Erblasser und Erben, wie es bei Kant121 und Wilhelm von Humboldt122 auftaucht. Die Autonomie des Bedachten kann hier analog zur staatstheoretischen Auffassung der Aufklärung nur durch die Konstruktion eines Vertrags zwischen Erblasser und Erben gewahrt werden, der sich dem lebzeitigen Modell des gleichzeitigen Rechtsgeschäfts durch die Zweiaktigkeit immerhin annähert.123 Die kontraktualistische Theorie lebzeitiger Prägung macht vor wenigen Rechtsgebieten halt124 – auch nicht vor dem zumindest partiell vertragsfernen Recht der Verfügungen von Todes wegen. Im Erbrecht ist es das erklärte Ziel dieses Ansatzes, nicht den alten Willen des Erblassers den neuen Willen des Akzeptanten dominieren zu lassen, sondern die Macht der Vergangenheit auf ein Angebot für die Gegenwart zu beschränken.125 Eine moderne Spielart dieses Ansatzes ist die bereits erwähnte Konstruktion einer quasivertraglichen Beziehung zwischen Erblasser und Bedachtem.126 Sie geht von der Vorstellung eines „erdienten Erbes“127 aus und verkürzt die Gestaltungsbefugnis des Erblassers durch Begründung einer vermeintlich korrespondierenden Vertrauensposition des Bedachten kraft eigener Leistungen im Hinblick auf die erbrechtliche Zuwendung.

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Metaphysik, S. 409. Dazu Giger, S. 74 f. Ideen, S. 77, 194. 123 Hattenhauer, S. 215. 124 Übersicht über weitere Anwendungsfelder bei Grziwotz, Fs. Schippel, S. 9, 14. 125 B. Bayer, S. 172. 126 Oben A. III., S. 66. 127 So Leisner, in: Isensee/Kirchhof, HStR VI, § 150 Rn. 11. Zu entsprechenden zivilrechtlichen Ansätzen oben § 2 B. II. 2., S. 43 f. 122

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Erster Teil

Der Mühe, einen vertraglichen Konsens oder doch zumindest eine quasivertragliche Beziehung zwischen altem und neuem Rechtsträger zu begründen, unterzieht sich die gemeinrechtliche Theorie von der Fortsetzung der Persönlichkeit des Erblassers durch den Erben,128 die bisweilen auf dem Gebiet des Erbschaftssteuerrechts noch in der Variante der Fortführung der „Rechts-“129 oder „Vermögenspersönlichkeit“130 begegnet,131 nicht mehr; ebenso wenig tut das ihre modernrechtliche Antithese, die von der Ersetzung der Persönlichkeit des alten durch den neuen Rechtsträger ausgeht.132 In den Kontext der Balancierung von Selbst- und Fremdbestimmung gerückt, wird deutlich, dass sich beide Konstruktionen für den Verbleib oder das Schicksal der Persönlichkeit des Erblassers nicht interessieren. Der Begriff „Person“ wird in beiden Erklärungsansätzen vielmehr als Chiffre für deren „Willen“ benutzt. Sie fungiert nur noch als Größe, deren Willensäußerung mit der einer anderen möglichst zeitnah abgeglichen werden muss. Historisch fußt die Anschauung auf der Abkehr vom naturrechtlichen Modell der Versprechensübertragung, bei dem sich die vertragliche Bindung bereits an die Abgabe der (einseitigen) promissio knüpfte (so genannte pollicitatio) und das zeitliche Auseinanderfallen von Antrag und Annahme hingenommen wurde.133 Das Bürgerliche Gesetzbuch favorisierte demgegenüber – vor allem unter dem Einfluss von kantischem Rechtsdenken, das in die pandektistische Lehre einfloss – für das Wirksamwerden des zweiseitigen Rechtsgeschäfts die Idee der „Willensvereinigung“.134 Sie sucht die Zeit zwischen Antrag und An128 Überblick bei Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 64 ff. Zur rechtshistorischen Entfaltung dieser Theorie s. bereits Wieacker, Fs. Siber I, S. 3, 7 f. 129 Leisner, Erbschaftsbesteuerung, S. 69. 130 Leisner, in: Isensee/Kirchhof, HStR VI, § 150 Rn. 6, 12. W. Nw. bei Windel, S. 199, Fn. 55.; Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 68 Fn. 95. 131 Im zivilrechtlichen Schrifttum wird der Ansatz heute nicht mehr vertreten. Zur Rezeptionsgeschichte aus germanistischer Sicht Holzhauer, Fs. Rolland, S. 175, 177, 187: „sippengebundene Unsterblichkeit“; aus romanistischer Sicht Überblick bei Kroppenberg, S. 77 f., m.w.Nw. in Fn. 34: Bei der Idee der Persönlichkeitsfortsetzung handelt es sich um eine interpretative Überlastung der Hilfsvorstellungen, derer sich das klassische römische Recht bediente, um die praktische Vermehrung oder Verminderung des herrenlosen Erbschaftsvermögens rechtlich zu deuten. Das Phänomen der hereditas iacens war insoweit allenfalls der rechtskonstruktive Anlass für ein Missverständnis (anders Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 68). Treffend Kaser, RP I, S. 721, II, S. 535 Fn. 4, m.w.Nw.: „unreflektierter Versuch der Veranschaulichung eines vorübergehend subjektlosen Vermögens.“ Die Erbschaft als res vacua ist im Übrigen auch in Kants Vertragskonzeption Ausgangspunkt der Überlegungen zu einem ius in re iacente des Akzeptanten/Erben (Kant, Metaphysik, § 34, S. 410; s. auch B. Bayer, S. 170; Hattenhauer, S. 215). Beide Theorien finden unterschiedliche Antworten auf dieselbe Frage, „ob und wie gerade im Augenblick, da das Subjekt aufhört zu sein, ein Übergang des Mein und Dein möglich sei“ (Kant, a.a.O., S. 409). 132 Windel, S. 204 f. 133 Zu den geschichtlichen Ursprüngen dieses Instituts R. Zimmermann, AcP 202 (2002), 243, 268 f. 134 Flume, BGB AT II, § 34, 1, S. 618, m.w.Nw. aus dem älterem Schrifttum.

§ 3 Testierfreiheit im Verhältnis zur Vertragsfreiheit unter Lebenden

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nahme wenn nicht zu minimieren, so doch zumindest „so eng wie möglich dem kantischen Zugleich anzupassen“.135 Diese lebzeitige Betrachtung wird hier auf die privatautonome Rechtsgestaltung von Todes wegen insofern übertragen, als sie ausschließlich unter dem formalen Gesichtspunkt des Synchronismus von Person und geäußertem Willen (voluntas simultanea) zur Kenntnis genommen wird.136 Sie kann damit nicht umhin, den formalen Vertragsschluss unter Lebenden als Modell zugrunde zu legen. Die Erfassung von materialer Gestaltungsfreiheit, die mit dem Bezug auf die „Persönlichkeit“ zwar nur unvollkommen, aber doch immerhin angesprochen ist, ist dagegen nicht das Anliegen dieser Theorien. Der Bezug auf die Privatautonomie unter Lebenden gestaltet sich vielmehr zugleich lebzeitig und formal. Im ersten Fall, der Theorie von der Willensfortgeltung, wird das Problem der Herrschaft der Toten über die Lebenden mittels einer Art lebzeitigen Insichgeschäfts des Rechtserwerbers gelöst, der den Willen des Erblassers gegen sich gelten lassen muss, weil er nunmehr sein eigener geworden ist.137 Die mit dem Erbfall eintretende confusio bonorum verschmilzt hiernach nicht nur den Nachlass mit dem Erbeneigenvermögen, sondern auch den fremden Willen des Erblassers mit dem eigenen des Bedachten – eine für sich genommen befremdliche Vorstellung,138 die jedoch ihre juristische Funktion, die formale Aufhebung der Fremd- in Selbstbestimmung durch Vereinigung zweier Willen in einer Person, exakt erfüllt. Im zweiten Fall, der Theorie von der Persönlichkeits- (genauer: Willens)ersetzung, wird sogar ganz darauf verzichtet, das zu Ersetzende, nämlich den Willen des alten Rechtsträgers, überhaupt noch mit dem des lebenden Rechtsnachfolgers zu vernetzen. Insoweit bewegt sie sich schon nicht mehr auf dem Boden der Kant’schen Rechtsgleichheitstheorie,139 weil „Gleichheit“ sich nur im Vergleich mehrerer zueinander herstellt. Der „alte Wille des Erblassers“140 wird aber bei der „Willensersetzung“ als Relikt der Vergangenheit für die gegenwärtigen Verhältnisse der Lebenden für nicht mehr aussagekräftig gehalten und kann daher im Grundsatz als unbeachtlich ausgesondert werden. Das Erbrecht wird auf diese Weise zu einer rein lebzeitigen Rechtsmaterie umgestaltet, frei von den Willensbindungen der Vergangenheit, aber eben auch frei von spe135 Schmidlin, in: Zimmermann/Knütel/Meincke, S. 187, 202. Zum Ganzen s. auch Kroppenberg, DNotZ 2006, 86, 100 f., m.w.Nw., insbesondere unter Hinweis auf die von Jhering’sche Konstruktion von der so genannten passiven Wirkung der Rechte. 136 Kant, Metaphysik, S. 409. Zum Begriff Kersting, S. 293 ff. 137 S. auch Kroppenberg, DNotZ 2006, 86, 100. 138 In Bezug auf den Erblasser wird sie zum Teil apotheotisch-transzendental aufgeladen, so wenn es heißt: „Durch seine Erbschaft, in seinen Erben überwindet er [der Erblasser] die Kreatürlichkeit des natürlichen Sterbens.“ (Leisner, Erbschaftsbesteuerung, S. 55) Zu Recht kritisch Windel, S. 199 ff.; Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 69 ff. 139 Oben 1., S. 64 f. 140 B. Bayer, S. 172.

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Erster Teil

zifisch erbrechtlichen Vorstellungen. Nur die Theorie der Willensersetzung lässt sich vor diesem Hintergrund mit Goebel als „Chiffre“ sehen, „die ohne Ausweis der sie tragenden Wertungen für einen Vorrang der Erbeninteressen gegenüber dem Erblasserwillen optiert“.141 Das gilt jedoch auch nur im Ergebnis: Denn die sie tragende Wertung, die Orientierung des Erbrechts am Recht der Überlebenden, ist ohne weiteres erkennbar. Die Vorstellung von der Willensfortsetzung wahrt dagegen – entgegen Goebel142 – mit dem Konstrukt des lebzeitigen Insichgeschäfts des Erben formal den Ausgleich zwischen Erblasser- und Erbeninteressen durchaus und kann daher als eine Art Surrogat der kantischen Vertragstheorie verstanden werden. Ein Teil der vorgestellten Ansätze arbeitet sich durch die Bezugnahme auf die Privatautonomie unter Lebenden an einem der überkommenen Konzepte immer noch ab, insbesondere an der Vertragsidee. Der Schwerpunkt der Vergleichsbetrachtung liegt dabei eher auf der ideengeschichtlichen Verknüpfung von Wirkung und Gegenwirkung, die in schuldrechtliche Austauschzusammenhänge übersetzt wird. Deren fortdauernder unguter Einfluss auf das geltende Erbrecht wird besonders deutlich, wenn die Testierfreiheit aus der Vertragsfreiheit unter Lebenden hergeleitet und mit deren funktionellen Parametern begründet werden soll. Ein Beispiel dafür sind die folgenden Ausführungen von Lange/Kuchinke: „Die Anerkennung der Gestaltungsfreiheit unter Lebenden begründet deshalb die Anerkennung dieser Freiheit auch von Todes wegen, wenigstens dem Grundsatz nach. Die Rechtfertigung ist freilich schwächer als dort. Bei Rechtsgeschäften unter Lebenden wird das Interesse des einen Teils durch das des anderen begrenzt, und jeder muss die Folgen seines Entschlusses selbst tragen. Bei der Verfügung von Todes wegen steht der Gestaltungsfreiheit des Erblassers weder ein Drittinteresse entgegen, noch treffen ihn die Folgen einer verfehlten Gestaltung selbst.“143

Es kommt jedoch auch vor, dass explizit Anleihen bei den einzelnen lebzeitigen Hilfskonstruktionen gemacht werden, die zur formalen Aufhebung der Fremddurch Selbstbestimmung aus der Perspektive des Rechts der Lebenden entwickelt wurden.144 Die Ansätze nehmen allesamt in atavistischer Weise auf Überlegungen des 18. und 19. Jahrhunderts Bezug, die der Gesetzgeber des Bürger141

Persönlichkeitsrecht, S. 72. Persönlichkeitsrecht, S. 72. 143 § 1 III., S. 5. Von einer Rechtfertigung der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen nach den Grundsätzen der Privatautonomie unter Lebenden scheinen auch Larenz/M. Wolf, § 34 Rn. 60, auszugehen: „Wer als Erbe Rechtsnachfolger wird und was er erhält oder anderen etwa aufgrund eines Vermächtnisses (§§ 1939, 2147, 2174) übertragen muss, kann der Gesetzgeber dem Erblasser überlassen, der auch schon zu Lebzeiten sein Vermögen grundsätzlich frei verschenken kann. Deshalb [Hervorhebung nicht im Original] gilt im Erbrecht der Grundsatz der Testierfreiheit, der sich auch auf Art. 14 GG stützen kann.“ Zur Gleichsetzung von erbrechtlichen mit unentgeltlichen Verfügungen unter Lebenden unten III., S. 92 f. 144 Zum Beispiel die Konstruktion der testamentarischen Erbeinsetzung in Antrags- und 142

§ 3 Testierfreiheit im Verhältnis zur Vertragsfreiheit unter Lebenden

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lichen Gesetzbuchs mit der Anerkennung der Testierfreiheit eigentlich verabschiedet wissen wollte. Denn neben der Vertrags- und Eigentumsfreiheit wurde auch der Testierfreiheit als „Modell der bürgerlichen Gesellschaft, das dem Bürgerlichen Gesetzbuch zugrunde liegt, eine Gesellschaft von Eigentümern zugrunde gelegt, die sich in Form von Verträgen bindet“.145 Die diskursiven Leitlinien, die für die Entwicklung des heutigen gewillkürten Erbrechts prägend waren, haben sich jedoch über einen Zeitraum von zweihundert Jahren – kaum beeinflusst durch die Zäsurwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs – als „erstaunlich stabil“ erwiesen.146 In der Tendenz hat insbesondere die einseitige Ausrichtung auf die Strukturprinzipien des Rechts der Lebenden, die die erbrechtliche Dogmatik und Rechtsprechung unter der Geltung des Bürgerlichen Gesetzbuchs in weiten Teilen kennzeichnet, nach der kantianischen zu einer zweiten Delegitimation des Erbrechts geführt.

II. Die Privatautonomie inter vivos als Positiv- und Negativfolie für die Gestaltungsbefugnis von Todes wegen – ein Überblick 1. Negative Abgrenzung vom Recht der Lebenden: Äquivalenz im Erbrecht am Beispiel der Grundsätze vom Wegfall der Geschäftsgrundlage Funktionell wird die Privatautonomie unter Lebenden für die Erklärung der Testierfreiheit auf unterschiedliche Weise in Anspruch genommen. Das hat seinen Grund darin, dass mit dem Bezug auf die Vertragsfreiheit unter Lebenden heteronome, teilweise gar einander widersprechende Ziele verfolgt werden. Methodisch werden zwei unterschiedliche Wege beschritten. Häufig werden positive Anleihen bei Topoi oder Instituten des Rechts der Lebenden gemacht.147 Seltener erfolgt eine Orientierung an der lebzeitigen Privatautonomie durch negative Abgrenzung. Auch sie kommt jedoch vor. Denn die Betonung der Kongruenz von lebzeitiger und erbrechtlicher Gestaltungsbefugnis im Grundsätzlichen spiegelt sich im letzten Fall nicht zwingend im Detail der einzelnen Rechtsfrage wider.

Annahmekategorien (oben A. III., S. 66. m. Fn. 69), oder der Bezug auf die Theorie der Persönlichkeitsersetzung bei bedingten Verfügungen von Todes wegen (unten IV. 2., S. 100 f.). 145 Grziwotz, Fs. Schippel, S. 9, 17, m.w.Nw. in Fn. 64. 146 So auch die Einschätzung Beckerts, S. 331. 147 Gauch, in: Mél. Tercier, S. 33, 38 ff., spricht insoweit – nicht ganz ernsthaft – von so genannten „Springfiguren“ (Holosalt), also rechtlichen Instituten, Topoi oder Argumenten, die aus ihrem angestammten Bereich in einen anderen transferiert und inkorporiert werden. Sie können „hinken“ (a.a.O., S. 42) und sich beim Sprung den „Hals brechen“ (Murer, Fs. Tercier, S. 519, 520), nämlich dann, wenn die Vergleichsoptik nicht stimmt.

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Erster Teil

Vielmehr wird die lebzeitige für die erbrechtliche Privatautonomie häufig auch dort als Orientierungsrahmen eingesetzt, wo im Einzelnen Unterschiede zur Vertragsfreiheit unter Lebenden ausgemacht und beschrieben werden. Als eine Art Negativfolie gibt die Privatautonomie inter vivos und ihr bedeutendstes Regelungsinstrument, der Vertrag, in diesem Fall den rechtlichen Bezugsrahmen ab. An ihm werden die beiden juristischen Betätigungstypen des Erbrechts, das Testament und der Erbvertrag, gemessen und von ihm im Einzelfall abgegrenzt. Ein prominentes Beispiel, an dem sich dieser Sachverhalt illustrieren lässt, ist die umstrittene Frage der Geltung der Grundsätze über die Störung oder den Wegfall der Geschäftsgrundlage im Erb(vertrags)recht.148 Soweit dabei auf Argumentationsmuster rekurriert wird, die – wie das gesamte Institut – für das Recht der Lebenden entwickelt wurden, wird sie mit unterschiedlichen, teils unklaren Begründungen verneint. Die Rechtsprechung hält § 313 BGB für nicht anwendbar, weil „es im Erbrecht nicht um einen gegenseitigen Leistungsaustausch auf der Ebene des Schuldrechts geht [wofür die Regeln über das Fehlen oder den Wegfall der Geschäftsgrundlage überhaupt konzipiert wurden], sondern um eine unentgeltliche Zuwendung erbrechtlicher Natur [in casu ein Vermächtnis].“149 Methodisch ist das zunächst eine petitio principii: Die Übertragbarkeit des Instituts des für das Recht der Lebenden entwickelten Wegfalls der Geschäftsgrundlage auf das Erbrecht war ja gerade zu beweisen. Die Aussage, dass sie nicht lebzeitig zu konstruieren ist, taugt daher als Begründungsansatz für die fehlende Vergleichbarkeit nicht. Auf den ersten Blick befremdet zudem, dass die angebliche Inkompatibilität des Instituts mit dem Erbrecht nicht etwa mit dem einseitigen Charakter der Vermächtniszuwendung erklärt, sondern dem Kriterium des „gegenseitigen Leistungsaustauschs“ der Hinweis auf den unentgeltlichen Charakter des Legats gegenüber gestellt wird. Damit wird zum einen unterstellt, erbrechtliche Zuwendungen seien im Gegensatz zu lebzeitigen zwingend unentgeltlich.150 Zum anderen wird der für das Recht der Lebenden gültige Zwischenschritt, dass nämlich gegenseitige Verträge im Sinne der 148 Überblick über die Entwicklung in der Literatur bei Keymer, S. 162 ff. W. Nw. bei Stumpf, S. 221. 149 BGH NJW 1993, 850, 850; OLG Düsseldorf ZEV 1996, 466, 467, m. Anm. Medicus, der eine Anwendung des Instituts auf Erb- oder Erbverzichtsverträge „durchaus für denkbar“ hält. Weitergehend Sieker, AcP 201 (2001), 697, 723 ff. Zustimmend Schiemann, ZEV 1995, 197, 201; Staudinger/Otte, § 2078 Rn. 22 (unter fehlerhafter Berufung auf LG [nicht OLG] Köln DtZ 1993, 216, 217: Die Entscheidung hält das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nicht generell für inkompatibel mit erbrechtlichen Wertungen. Im konkreten Fall hatte sich die Erblasserin bei Errichtung der letztwilligen Verfügung aber Gedanken über die Änderung der politischen Verhältnisse in der ehemaligen DDR gemacht; die Wirklichkeit wich daher nicht von ihrem Willen ab.). 150 Oben I. 2., S. 74, unten III., S. 92 f.

§ 3 Testierfreiheit im Verhältnis zur Vertragsfreiheit unter Lebenden

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§§ 320 ff. BGB notwendig entgeltlich sind, als selbstverständlich vorausgesetzt und daher ausgelassen. Die Anschauung ist daher von der Optik des gegenseitigen Austauschvertrags unter Lebenden in doppelter Hinsicht geprägt – so sehr, dass sie Austauschzusammenhänge nur in der schuldrechtlichen Dichotomie „gegenseitig = entgeltlich“ oder „unentgeltlich“ lesen kann.151 Funktionell werden Begriffe wie „Einseitigkeit“ und „Unentgeltlichkeit“ Verfügungen von Todes wegen vor allem deshalb zugeschrieben, weil sie implizieren, dass allein die Interessen des Erblassers das Rechtsgeschäft bestimmen. Beachtliche Mängel in der Geschäftsgrundlage von lebzeitigen Verträgen – angeführt werden die Äquivalenzstörung und der Wegfall des Geschäftszwecks152 – führten aber in Gestalt der Vertragsanpassung zu einem beiderseitigen Interessenausgleich. Dem gewillkürten Erbrecht, so lautet die Botschaft, liege dieser Gedanke im Unterschied zum Recht der Lebenden fern,153 und zwar auch dort, wo man ihn am ehesten anzutreffen meint, im Recht des Erbvertrags.154 Der vertragsschließende Erblasser setze einseitig Recht und habe gegenüber dem anderen Teil de iure die ungleich stärkere Position. Insbesondere räume ihm das Gesetz die Möglichkeit zur Anfechtung des Erbvertrags wegen Motivirrtums155 und zum Rücktritt nach §§ 2293 ff. BGB ein. Angesichts dieser überlegenen Willensherrschaft des Erblassers verhalte sich das Gesetz gegenüber den Interessen des Vertragspartners „neutral“,156 womit eine „gewisse Entleerung des Vertragsbegriffs“157 einhergehe. Selbst wenn der andere Teil nicht selbst Anordnungen von Todes wegen trifft, wie beim gegenseitigen Erbvertrag nach § 2298 BGB, erscheint fraglich, ob die Marginalisierung seiner Rechtsposition der gesetzgeberischen Konzeption wirklich entspricht.158 Wie das Instrumentarium, das dem einen Vertragsteil zur Begründung und Durchführung des betreffenden Rechtsgeschäfts vom Gesetz an die Hand gegeben ist, im Vergleich zum juristischen Potenzial des anderen Teils wirkmäßig beschaffen ist, ob insbesondere die eine Vertragspartei verglichen mit der anderen einen größeren rechtlichen Gestaltungsspielraum hat, ist keine Frage, die für das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage von Bedeutung ist. Es ist vielmehr das probate Mittel, um wesentliche, jenseits des Kontraktrisikos liegende Wirklichkeitsabweichungen zu kompensieren, die ein Festhalten am Vertrag als unzumutbar erscheinen lassen. 151

Köndgen, S. 270. Häsemeyer, Abhängigkeit, S. 55. 153 Koepsel, S. 172; Gerhards, S. 90. 154 Häsemeyer, Abhängigkeit, S. 57 ff. 155 Dazu Krebber, DNotZ 2003, 20 ff. 156 Häsemeyer, Abhängigkeit, S. 58; ders., FamRZ 1967, 30, 31: „Das Interesse des anderen Teils erschöpft sich in der Aufrechterhaltung der vertraglichen Bindung des Erblassers.“ S. auch von Dickhut-Harrach, Fs. Otte, S. 55, 89. 157 Häsemeyer, Abhängigkeit, S. 58. 158 Kritisch Keymer, S. 200 f. S. auch C. Nolting, S. 31. 152

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Erster Teil

Aufzeigen lässt sich diese Inkongruenz in der Anschauung beispielhaft an der Verwendung des Äquivalenzbegriffs. Wenn gegen die Anwendbarkeit des Instituts über die Störung der Geschäftsgrundlage ins Feld geführt wird, beim Testament als einseitigem Rechtsgeschäft bestehe im Gegensatz zum gegenseitigen Austauschvertrag kein Äquivalenzverhältnis,159 die Behebung einer Äquivalenzstörung sei aber die wesentliche Fallgruppe des Instituts,160 so ist daran zweierlei nicht korrekt. Was den schuldrechtlichen Teil der Aussage anbelangt, liegt eine Verwechslung von Äquivalenz mit dem Rechtsbegriff der Gegenseitigkeit oder gar des Synallagmas vor. Stürzebechers viel kritisierter161 und letztlich erfolgloser Versuch, die Anwendbarkeit der §§ 320 ff. BGB im Erbvertragsrecht zu begründen, sind insoweit nur der augenfälligste Ausdruck einer Verlebzeitigung des Äquivalenzbegriffs“162 und des Versuchs, diesen aus dem Erbrecht hinaus zu weisen.163 Dabei lassen sich § 2295 BGB ebenso wie der Umstand, dass der gebundene Erblasser durch Ausschlagung seiner Zuwendung seine Testierfreiheit wieder erlangt (§§ 2271 Abs. 2 Satz 2, 2298 Abs. 2 Satz 3 BGB),164 durchaus als Ausdruck des Äquivalenzprinzips jenseits des schuldrechtlichen Synallagmas deuten. Um solche erbrechtlichen oder gemischt erbrechtlich-lebzeitigen Äquivalenzbeziehungen verstehen zu können, muss man sich allerdings von lebzeitigen Vorprägungen des Äquivalenzverständnisses lösen. Dass dem Gesetz die Vorstellung von formaler Gleichwertigkeit geläufig ist, und zwar sowohl was reziproke erbrechtliche Verfügungen anbelangt als auch in der Verbindung von erbrechtlichen und lebzeitigen Rechtsgeschäften, lässt sich freilich nur e contrario aus Fällen misslungener Reziprozität erschließen – also aus der Behandlung von „Leistungsstörungen“ und der nachträglichen Auflösung der Bindungswirkung aufgrund privatautonomen Entschlusses eines Beteiligten. Sie sind jeweils unterschiedlich organisiert, doch kommen beide 159

Koepsel, S. 172; Kricke, S. 28. In aller Regel wird hierfür Chiotellis, S. 20, in Bezug genommen. 161 S. etwa W. Lüke, S. 12 ff.; des Weiteren Vollmar, S. 102 ff.; jew. m.w.Nw. 162 Stürzebecher, NJW 1988, 2717 ff.; ders., 74 ff. Symptomatisch auch Koepsel, S. 172, der von zwei „gleichwertigen Erklärungen“ der Parteien eines Kaufvertrags spricht, aber wohl „gegenseitige“ meint. Zur begrifflichen Scheidung des Äquivalenzbegriffs vom Synallagma: Härle, S. 66 f. 163 Das Verfahren taucht auch an anderer Stelle auf, so zum Beispiel, wenn MünchKomm/ Leipold, § 2084 Rn. 70, über die Konversion eines lebzeitigen in ein erbrechtliches Rechtsgeschäft schreibt: „Der Gesichtspunkt der Wahrung eines Äquivalenzverhältnisses, der bei der Umdeutung von gegenseitigen Verträgen eine wichtige Grenze darstellt, wird im Erbrecht in der Regel nicht von Bedeutung sein.“ 164 Für das gemeinschaftliche Testament Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266, 1278 ff.; Musielak, Fs. Kegel, S. 433, 449: „In gleicher Weise, wie die Bindung an die eigene Verfügung regelmäßig den Preis für einen Vermögensvorteil aus dem Nachlass des anderen Ehegatten darstellt, ist das Vermögensopfer, das durch die Ausschlagung erbracht wird, der Preis, um die Testierfreiheit wiederzuerlangen.“ 160

§ 3 Testierfreiheit im Verhältnis zur Vertragsfreiheit unter Lebenden

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vor. Während erbrechtliche Verfügungen im Zustand der Reziprozität aufgrund ihrer Artgleichheit eine einheitliche causa schaffen, muss man sich, was Äquivalenz in Zweckverbindungen von erbrechtlichen mit lebzeitigen Geschäften angeht, mit dem Gedanken anfreunden, dass die anders gearteten Komponenten nicht denselben Rechtscharakter teilen und sich auch nicht zu einer einheitlichen causa verschmelzen lassen.165 Des Weiteren beruht die Verknüpfung auf einer fehlerhaften Gleichsetzung von faktischen mit vermeintlichen rechtlichen Ungleichwertigkeitslagen. Ähnlich wie beim Rekurs auf den Paritätstopos, von dem hier schon die Rede war,166 wird hier der Begriff „Äquivalenz“ seines spezifischen, an die Veränderung der realen Verhältnisse anknüpfenden Bedeutungsgehalts entkleidet, indem er rein am juristischen Gestaltungspotenzial des Erblassers orientiert wird. Anknüpfungspunkt für die Geschäftsgrundlagenstörung ist jedoch in erster Linie die Veränderung tatsächlicher Gegebenheiten nach Vertragsschluss, im Falle der Äquivalenzstörung also die „Außerkraftsetzung der stipulierten Leistungsproportionen von der Realität“.167 Soweit rechtliche Umstände, insbesondere der Fortbestand einer bei Vertragsschluss bestehenden Rechtslage oder Rechtsprechung,168 die Grundlage des Rechtsgeschäfts bilden, geht es dabei nicht um dessen juristische Anlage. Sie ist gerade Ausdruck derjenigen Risikoverteilung, die die individuelle Parteiabrede oder die sie ergänzende gesetzliche Ausgestaltung für das betreffende Geschäft vorgesehen hat.169 Als Teil des Geschäftsinhalts gehört sie nicht zu dessen Grundlage.170 Ob Auseinanderentwicklungen von Realität und feststellbarem Erblasserwillen gemäß den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage erfasst werden können, lässt sich mit dem Hinweis auf die angeblich überlegene Rechtsmacht des einseitig Recht setzenden Erblassers nicht zufriedenstellend behandeln. Auch hier muss die Frage nach der Berücksichtigung von nicht vorhergesehenen Tatsachenverläufen einer Lösung zugeführt werden. Die Übertragung des Instituts der Störung der Geschäftsgrundlage in das Erbrecht scheitert daher nicht an der Inkompatibilität mit schuldrechtlichen Wertungen. Es ist kein spezifisch lebzeitiges Institut, obwohl es im und für das Recht der Lebenden am Modell des gegenseitigen Austauschvertrags entwickelt wurde. Ansätze, die die selbstständige Erfassung einer Geschäftsgrundlagenstörung aus Gründen der Identität mit oder Subsidiarität gegenüber den Grundsätzen der ergänzenden Auslegung bezweifeln,171 verstehen sich denn auch 165 166 167 168 169 170 171

Krebber, DNotZ 2003, 20, 31. Unten § 4 A. I., S. 121, m. Fn. 25. Oben A. III., S. 66 ff. Köndgen, S. 258 f. Larenz/M. Wolf, § 34 Rn. 19. Medicus, Fs. Flume, S. 629, 630. Medicus, BGB AT, Rn. 863 f. Überwiegend in Verbindung mit der Anfechtung wegen Motivirrtums nach § 2078

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ohne weiteres zu einer generalisierenden Betrachtung: „Beim Fehlen oder Wegfall der Geschäftsgrundlage besteht eine Vertragslücke, die durch [ergänzende] Auslegung geschlossen wird. Das ist bei Verträgen [einbezogen sind sowohl lebzeitige als auch erbrechtliche] nicht anders als beim Testament.“172

2. Positive Anknüpfungen an das Recht der Lebenden a. Zur Zurückdrängung des erbrechtlichen Willensdogmas Positive Anleihen bei der Privatautonomie unter Lebenden kommen häufiger vor als die Distanzierung von ihr. Sie dokumentieren deren Vorbildcharakter und lassen sich anhand einer Vielzahl von inhaltlich disparaten Beispielen aus unterschiedlichen Teilbereichen der Beschäftigung mit der Testierfreiheit aufzeigen. Einige der Anknüpfungen an das Recht der Lebenden kennzeichnet das Bestreben, das erbrechtliche Willensdogma in Anlehnung an die Diskussion im Recht der Lebenden durch Normativierung und Objektivierung zu relativieren, um der „überschießenden Tendenz jeder subjektiv gefärbten Konzeption“ einen „überindividuellen Ansatz“ entgegen zu setzen.173 In diesem Sinn stand das Recht der Lebenden etwa Pate für die pseudo-vertragliche Konstruktion einer testamentarischen Zuwendung in Antrags- und Annahmekategorien,174 den Ausschluss der Anfechtbarkeit von letztwilligen Verfügungen aufgrund nach dem Erbfall eingetretener Ereignisse,175 den Rekurs auf die mangelnde Richtigkeitsgewähr,176 das Verbot widersprüchlichen Verhaltens177 und die Kompensation von Ungleichgewichtslagen178 bei der Inhaltskontrolle letztwilliger Verfügungen nach § 138 Abs. 1 BGB sowie das Abstellen auf Vertrauensschutzerwägungen, um die Maßgeblichkeit des Errich-

Abs. 2 BGB. S. etwa Goebel, Ehegattenschutz, S. 433: „ergänzende Auslegung kombiniert mit Anfechtung wegen Motivirrtums als funktionales Äquivalent [Hervorhebung nicht im Original] zum Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage.“ Auch die Opposition gegen diese Einheitstheorie hat Tradition: Larenz, VersR Jubiläum 1983, 156 ff., 159 ff., m.w.Nw. 172 Wieling, Jura 1985, 505, 511. 173 Häsemeyer, Fs. Weitnauer, S. 67, 72. 174 Oben A. III., S. 66, m. Fn. 69. 175 Grunewald, NJW 1991, 1208, 1211 f.; Fahrenhorst, JR 1992, 265, 267; Koepsel, S. 178; Erman/M. Schmidt, § 2078 Rn. 9; MünchKomm/Leipold, § 2078 Rn. 35. Unten § 12 B. III. 1. b. bb. (2), S. 301, m.w.Nw. in Fn. 185. 176 Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 156 Fn. 32. 177 Goebel, FamRZ 1997, 656, 660 f.: „ausschlaggebender Wertungstopos“; ders., Persönlichkeitsrecht, S. 259 ff.; s. auch ders., Ehegattenschutz, S. 367. Des Weiteren S. Loritz, S. 92 f., die den Bereicherungsanspruch aus § 2287 Abs. 1 BGB als Ausprägung des Verbots des venire contra factum proprium bei einem Verstoß gegen die Bindungswirkung des Erbvertrags interpretiert. Unten § 12 B. II., S. 284 ff. 178 Nw. oben A. III., S. 66 m. Fn. 71.

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tungszeitpunkts einer Verfügung von Todes wegen im Rahmen der Sittenwidrigkeitsprüfung zu begründen.179 Anhand eines Topos lassen sich die schillernden Bezüge, die teilweise zur Privatautonomie unter Lebenden hergestellt werden, besonders eindrücklich darstellen. Die Rede ist von der umstrittenen Übertragung der „Richtigkeitsgewähr“ in das Erbrecht. Im Schrifttum lassen sich hierzu mehrere Varianten unterscheiden, die einen graduell unterschiedlichen rechtlichen Verbindlichkeitsgehalt für sich beanspruchen können. Juristisch wird der Topos zur Begründung so heteronomer Phänomene wie der Anfechtbarkeit eines Testaments180 und dem Pflichtteilsrecht als institutioneller Richtigkeitsgewähr letztwilliger Verfügungen eingesetzt.181 Einen außerrechtlichen Charakter nimmt er dagegen an, wenn ihm außerhalb zweiseitiger Rechtsgeschäfte, also insbesondere beim Testament mangels Gegenseitigkeit ein juristischer Bedeutungswert gerade abgesprochen wird.182 In diesem Fall wird er auf die bloße Hoffnung reduziert, der Erblasser werde „eine sachgerechte Regelung treffen, die […] familiäre Bindungen berücksichtigt, zu einer Erhaltung von Vermögenswerten und einer sinnvollen Verwendung des Vermögens führt“.183 Die formelle, am „Vertragsmechanismus“ ausgerichtete Richtigkeitsgewähr wird hier zum materiellen Richtigkeitsappell umfunktioniert.184 Von Lübtow spricht insoweit von „so-

179 BayObLG 1996, 204, 227; Heinrich, S. 373; Probst, JR 1999, 508, 510. Die deutlichste Parallele zum Recht der Lebenden in diesem Zusammenhang findet sich bei Schmoeckel, AcP 197 (1997), 1, 78: „Für das Erbrecht gelten daher in der Frage nach dem maßgeblichen Zeitpunkt zur Bestimmung der Sittenwidrigkeit dieselben Grundsätze zum Rückwirkungsverbot und Vertrauensschutz wie im Schuldrecht. Ein Grund für eine Differenzierung ist damit nicht gegeben.“ 180 MünchKomm/Leipold, § 2078 Rn. 2. Ablehnend Soergel/Loritz, § 2078 Rn. 1; Keymer, S. 69; Singer, Selbstbestimmung, S. 220 f.; Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 52 ff. 181 Radke, S. 35 f. In diese Richtung offenbar auch Isensee, DNotZ 2004, 754, 758: „Die Gewährleistung des Pflichtteilsrechts schränkt die Testierfreiheit ein, entlastet aber auch ihre Ausübung von familiären und sozialen Rücksichten.“ 182 Die Vorstellung einer Richtigkeitsgewähr kraft einseitiger Willensverwirklichung (Singer, Selbstbestimmung, S. 220) ist ohne weiteren Erkenntniswert. Zu erörtern lohnt sich die Frage daher nur im Erbvertragsrecht. Anders Lobinger, in: Jahrbuch, S. 77, 87, für den es für die Lehre von der Richtigkeitsgewähr keinen Unterschied macht, ob „eine einseitige oder mehrseitige Bindung in Frage steht.“ 183 Sens, S. 85 ff. W. Nw. bei Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 302 f. Zudem Ebenroth, Rn. 48, m. Fn. 117, unter Berufung auf Motive V, S. 387: „Die Testierfreiheit basiert […] auf dem Vertrauen in das Gerechtigkeitsstreben des Einzelnen.“; und vor allem MünchKomm/ Leipold, Einl. zu §§ 1922–2385 Rn. 13; ders., AcP 180 (1980), 160, 195; ihnen folgend Miserre, S. 235 f. 184 Deutlich D. Simon, Fs. E. Wolf, S. 627, 632: „Zwar hat der Erblasser anders als beim synallagmatischen Vertrag keine Gegenleistung, kein materielles Opfer, für die Erreichung der angestrebten Regelung zu erbringen. Dieses Steuerungsmittel der Privatautonomie bei der Vertragsfreiheit, dieses Instrument der Richtigkeitsgewähr im Sinne Schmidt-Rimplers entfällt daher bei der Testierfreiheit. Wenn eine Rechtsordnung die Testierfreiheit gewährt,

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zialethischen Grenzen der Testierfreiheit.“185 Sie können den Erblasser zwar nicht rechtlich zur familiären Verteilungsgerechtigkeit verpflichten, sollen ihn aber jedenfalls dazu anhalten, „auf seine Familie Rücksicht zu nehmen. Denn [– so von Lübtow –] die Familie [sei] der ,rechte‘ Erbe.“186

b. Zur „Verlebzeitigung“ des Erbrechts Bisweilen werden Vergleichsbetrachtungen zum Recht der Lebenden angestellt, um durch die Entpersonalisierung gewisser für die effektive Nachlassgestaltung als hinderlich empfundener Vorschriften des Erbrechts eine größere Annäherung an das Vermögensrecht der Lebenden zu erreichen. Dieser Impetus zur „Verlebzeitigung“ des Erbrechts spiegelt sich deutlich in der Debatte um die materielle Berechtigung des Grundsatzes der Selbstentscheidung des Erblassers, wie ihn der Gesetzgeber in § 2064 BGB formell und in § 2065 BGB materiell ausgeprägt hat.187 Soweit es um die materielle Höchstpersönlichkeit geht, wird die Diskussion mittlerweile offen unter Schlagworten geführt, die im Recht der Lebenden für die Verteidigung der Vertragsfreiheit gegen Normativierungs- und Objektivierungstendenzen geradezu Codewortfunktion haben: „Deregulierung“188 und „Flexibilisierung“. Man wird Schmoeckel uneingeschränkt zustimmen können, wenn er „von einer Belastungsprobe für das Erbrecht“ spricht, die gerade darin liegt, dass sich „an Normen wie zum Beispiel § 2065 Abs. 2 BGB erweisen [werde], in welchem Umfang man angesichts der großen erbrechtlichen Umverteilung die Testierfreiheit dulden wird.“189 Paradigmatisch für die beschriebene Tendenz ist der Titel der Arbeit Freys „Flexibilisierung der Nachlassgestaltung im Lichte des § 2065 BGB“. Inhaltlich wird insbesondere § 2065 Abs. 2 BGB als „Norm ohne materialen Schutzzweck“190 angesehen, die unüberbrückbare Wertungswidersprüche zum Vermächtnisrecht aufweise und daher der Testierfreiheit zu enge Grenzen setze.191 so vertraut sie offenbar darauf, dass es genügt, stattdessen an das Verantwortungsbewusstsein des Testators angesichts seines eigenen Todes zu appellieren.“ 185 I, S. 19. 186 I, S. 19. 187 Überblick über die vertretenen Auffassungen bei Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 294 ff.; ders., Ehegattenschutz, S. 827 ff. Zuletzt Helms, ZEV 2007, 1 ff. 188 S. bereits oben § 1 A., S. 14. 189 Schmoeckel, NJW 1996, 1697, 1701, m. Fn. 78. 190 Radke, S. 151 f.; zweifelnd auch Hermann, FamRZ 1995, 1396, 1400 f. Positiver Wagner, S. 157: „sinnvolles Gesamtkonzept“. 191 Frey, S. 95 f., 124. Hinzufügen lässt sich, dass die so genannte materielle Höchstpersönlichkeit letztwilliger Verfügungen historisch durchaus nicht alternativlos war. Das Bürgerliche Gesetzbuch entschied sich damit sowohl gegen die Lösung des Römischen Rechts, dem der Gedanke nicht zu entnehmen ist (dazu R. Zimmermann, Willensentscheidung, S. 9 ff., 15; Immel, S. 8 ff., 18) als auch des Kanonischen Rechts, das dem Erblasser gestattete, Dritten (gedacht war insbesondere an Geistliche als Testamentsvollstrecker) die letztwillige Verfügung zur Disposition zu stellen (dazu Wolter, S. 18, m.w.Nw.).

§ 3 Testierfreiheit im Verhältnis zur Vertragsfreiheit unter Lebenden

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Die hier spürbare Funktionalisierung erbrechtlicher Spezifika im Interesse einer Annäherung an das Recht der Lebenden haftete den Überlegungen Reinhard Zimmermanns, der die materielle Berechtigung des Grundsatzes der Selbstentscheidung als einer der ersten in Zweifel gezogen hat, noch nicht in gleichem Maße an. Dennoch orientierte auch er sich an der Privatautonomie unter Lebenden, wie in der folgenden Äußerung deutlich wird: „Die Testierfreiheit ist doch als erbrechtliche Ausprägung der Privatautonomie zu begreifen: die Verfügung über sein Vermögen wird dem Erblasser überlassen. Dabei ist es im Rechtsverkehr unter Lebenden eine unzweifelhaft zulässige Ausübung dieses Ermessens, wenn der die Verfügung (ihre Wirksamkeit oder auch ihren Inhalt, etwa: an wen der Gegenstand zu übertragen ist) in das Ermessen eines Dritten stellt. Warum soll dies im Falle einer Verfügung von Todes wegen anders sein?“192

Die Frage zielt auf die Charakteristika der erbrechtlichen Willenserklärung und ihre Besonderheiten gegenüber der lebzeitigen ab, sucht die Antwort argumentativ aber im Recht der Lebenden, wo sie nicht zu finden ist. Das ist ein methodischer Zirkelschluss, der sich auch in der Behandlung zweier anderer Themenkomplexe zeigt. Sie lassen die Orientierung der erbrechtlichen Dogmatik an der Vertragsfreiheit inter vivos besonders deutlich hervortreten und werden hier deswegen gesondert erörtert: die Frage des Institutsmissbrauchs bei so genannten verhaltensbezogenen Verfügungen von Todes wegen193 und die Entgeltlichkeit erbrechtlicher (Erwerbs-)Causae im Unterschied zu schuldrechtlichen.194

III. Die Frage der Entgeltlichkeit erbrechtlicher (Erwerbs-)Causae Positive Anknüpfungen an das Vertragsrecht finden sich naturgemäß dort, wo die Überschneidung mit der Vertragsfreiheit auf den ersten Blick am augenfälligsten wird: im Erbvertragsrecht. So betont etwa Lüderitz für die Frage der Auslegung des Erbvertrags den „Vertrauenstatbestand ähnlich wie beim Schuldvertrag“,195 und Schmoeckel hebt bezüglich seiner Rechtsfolge hervor:

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R. Zimmermann, Willensentscheidung, S. 8. Unten IV., S. 94 ff. 194 Unten III., S. 87 ff. 195 S. 102 (Hervorhebung nicht im Original). S. auch Lüderitz, S. 103: „[Es] zeigt sich, dass die Grundprobleme der Auslegung so, wie sie am schuldrechtlichen Vertrag entwickelt wurden […] bei sonstigen Verträgen und einseitigen Verfügungen wiederkehren.“ Ähnlich Picenoni, S. 118 ff.: „Fragt man nach der Bedeutung der auf dem Boden des Schuldrechts ausgebildeten Interpretationsprinzipien für die Verfügungen von Todes wegen und nach der Anwendbarkeit derselben […] auf diese Rechtsgeschäfte, so kann die Feststellung gemacht werden, dass alle drei Prinzipien: Erklärungs-, Willens- und Vertrauensprinzip Anwendung finden können und müssen.“ 193

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Erster Teil

„Der Erbvertrag entfaltet nämlich ebenso wie die schuldrechtlichen Rechtsgeschäfte anders als das Testament bereits ab dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses Rechtswirkungen, insbesondere die Bindungswirkung.“196

Die Ähnlichkeit des Abschlusstatbestands festzustellen, fällt noch relativ leicht. Schließlich hat der Erbvertrag seine historische Wurzel im Recht der Lebenden.197 Jedoch wird die Orientierung hieran dort problematisch, wo lebzeitige Termini und Strukturprinzipien unbewusst und damit unreflektiert in das Erb(vertrags)recht hinein getragen werden. Das wird im Einzelnen noch für das lebzeitig geprägte Verständnis der Bindungswirkung zu erörtern sein,198 wird aber auch deutlich am Begriff der Entgeltlichkeit. Die Behandlung ist nicht einheitlich; das Meinungsspektrum ist aber in methodischer Hinsicht durchaus typisch für den Umgang mit Einzelfragen der Testier- im Verhältnis zur Vertragsfreiheit unter Lebenden. Stimmen, die sich an das Vorbild der Privatautonomie unter Lebenden anlehnen – zum Beispiel die Aussage Becks, „dass es auch im Erbrecht keinerlei überzeugende Abweichungen von dem im Schuldrecht erarbeiteten Begriff der Unentgeltlichkeit [gebe]“199 – stehen in der Regel solche gegenüber, die sich mit eben dieser Annäherung schwer tun. In beiden Fällen hat die Vertragsfreiheit inter vivos Referenzfunktion. 200 Was das Entgeltlichkeitskriterium anbelangt, fällt es dem erbrechtlichen Schrifttum fast schon traditionsgemäß201 schwer, den entgeltlichen Erbvertrag rechtlich präzise zu konstruieren. 202 Das liegt zunächst daran, dass nicht durchweg heraus gearbeitet wird, dass die Charakterisierung des Erbvertrags als entgeltlich von der Beschaffenheit der causa abhängt, die die Verfügung von Todes wegen enthält. 203 Wenn dies aber geschieht, liest man Sätze wie die folgenden: 196 AcP 197 (1997), 1, 64 (Hervorhebung nicht im Original). Für den Erbvertrag und das gemeinschaftliche Testament ist daher die Aussage Krebbers, DNotZ 2003, 20, 26, dass eine „Verfügung von Todes wegen Rechtswirkungen erst mit dem Tode und nicht bereits zu Lebzeiten entfaltet“, nicht zutreffend. S. auch oben Einleitung, S. 9 m. Fn. 64. 197 Sellert, in: HRG I, Stichwort „Erbvertrag“, Sp. 981, 984. 198 Unten § 12 A. I., S. 271 ff., B. I., S. 279 ff. 199 S. 171. 200 Oben II. 1., S. 279 ff.; 2., S. 84 ff. 201 Programmatisch Hellwig, S. 605: „Es gibt keine entgeltlichen Erbverträge.“; anders Oertmann, Entgeltliche Geschäfte, S. 5 ff., 109 f. W. Nw. bei Kipp/Coing, § 36 IV 1, S. 234 Fn. 15. 202 Zuletzt Krebber, DNotZ 2003, 20, 31 Fn. 57: „Auch wenn sich die Entgeltlichkeit des Erbvertrags […] begrifflich und rechtlich ohne Widerspruch […] erklären lässt, ist es doch gerade diese Bezeichnung, die die Missverständnisse bezüglich des möglichen Inhalts des Erbvertrags entstehen lässt. Da es indes schwer fällt, eine vergleichbar griffige Formulierung zu finden, ist es müßig, zu hoffen, dass sich andere Bezeichnungen durchsetzen werden.“ 203 So zum Beispiel W. Lüke, S. 9 f. Zur Bestimmung des Kriteriums „Entgeltlichkeit“ betrachtet er ausschließlich die Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung im Vertragsgefüge, stellt aber keinen Bezug zu einer irgendwie gearteten causa her. Ähnlich Hohmann, S. 10. Wie hier Vollmar, S. 239 ff., 270 ff.

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„Die causa mortis 204 unterscheidet sich von den schuldrechtlichen causae demnach in zwei Hauptpunkten: Es geht nicht um die Legitimation eines Rechtsverlustes beim Veräußerer, und der Veräußerer ist nicht gebunden. Diese Abweichung von den schuldrechtlichen causae beruht darauf, dass es bei Verfügungen von Todes wegen im Gegensatz zu Rechtsgeschäften unter Lebenden nicht um die Vermögensverschiebung, sondern um Vermögensaufteilung geht, weil niemand Vermögen aufopfert und niemandem etwas genommen wird.“205

An dieser Aussage sind mehrere Aspekte kritikwürdig: zum einen die Unterscheidung zwischen Vermögensverschiebung und –aufteilung. Sie ist künstlich und nicht zutreffend. Auch beim erbrechtlichen Erwerb geht eine Vermögensverschiebung vonstatten, nämlich vom alten Rechtsträger auf den neuen. Man könnte auch sagen: Jede Vermögensverschiebung beinhaltet dinglich zugleich eine neue Vermögenszuordnung. Das Kriterium eignet sich daher nicht zur Unterscheidung von lebzeitigen und erbrechtlichen Rechtsgeschäften. 206 Zum anderen bereitet die Konzeption der causa, wie Windel sie hier entwirft, Kopfzerbrechen. Danach sollen sich erbrechtliche und schuldrechtliche causae nicht etwa, wie es gängiger Dogmatik ohnehin entspricht, durch ihren unterschiedlichen Zuwendungszweck unterscheiden – die eine mortis, die andere acquirendi causa –, sondern gemäß ihrer Doppelnatur vor allem in der zweiten Funktion als Rechtsgrund. 207 Der Unterschied zwischen lebzeitigen und erbrechtlichen Erwerbsgründen sei – so Windel –, dass letztere nicht den Rechtsverlust beim Veräußerer rechtfertigten und diesen nicht bänden. Dazu ist zunächst zu sagen, dass die Bindungswirkung jedenfalls dann keine unmittelbare Eigenschaft oder Funktion der causa ist, 208 wenn man – gängiger lebzeitiger Dogmatik folgend – von einer Trennung der Verpflichtungs- von der Leistungscausa ausgeht. 209 Die causa gibt den Grund der Zuwendung an (so genannte innere causa) und versieht das Zuwendungsgeschäft mit einer Art rechtlichem Gütesiegel, indem sie in der äußeren Rechtswelt den Grund schafft, der die Zuwendung rechtfertigt (so genannte äußere causa). Wenn dieser legitimatorische Akt gelungen ist, der Zuwendungszweck also vom Recht gebilligt und damit erreicht wird, erstarkt die causa zum äußeren Rechtsgrund.210 Sie entfaltet Wirkung für die Gegenwart 204

Zur Kritik des Begriffs Harder, in: Mél. Sturm II, S. 1029, 1040 f. Windel, S. 378. Ähnlich Seif, AcP 200 (2000), 192, 200. Unten § 12 B. III. 2. b., S. 309, m. Fn. 230. 206 So aber Windel, S. 337 ff.; ähnlich bereits Kegel, Fs. R. Lange, S. 927, 939 f.; ders., S. 37 f. S. auch unten IV. 2., S. 101 Fn. 277; und Muscheler, Vonselbsterwerb, S. 37. 207 Überblick zur „Doppelnatur“ der causa bei Hepting, S. 323 f. 208 So aber die Feststellung Windels, S. 393, dass „Verfügungen von Todes wegen durch die ihnen immanente causa mortis legitimiert werden. Dies unterscheidet sie hinsichtlich ihrer Bindungswirkung [Hervorhebung nicht im Original], der Kausalheit und der Abstraktheit von den Rechtsgeschäften unter Lebenden.“ Ähnlich ders., S. 376, und passim. 209 Die Entwicklung in diesem Punkt zeichnet Hepting, S. 336 ff., m.w.Nw., nach, dort auch zum entgegengesetzten Konzept der „Einheitscausa“ (Westermann). 210 Hepting, S. 335, spricht insoweit von der „Kontrollfunktion“ der causa. 205

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und Zukunft. Aus ihr ergibt sich zum einen, dass der Empfänger die Zuwendung behalten darf, zum anderen legitimiert sie ihn – wenn es sich um eine erbrechtliche causa handelt – anderen gegenüber als Rechtsnachfolger des Erblassers und neuen Vermögensträger. 211 Den Rechtsverlust beim Veräußerer nimmt die causa dabei nicht in erster Linie in den Blick – gleich ob der Zuwendungszweck ein lebzeitiger oder erbrechtlicher ist. Man könnte auch sagen, dass sich die causa in ihrer Funktion als Rechtsgrund mit der Vergangenheit nicht befasst. Sie blickt nicht zurück – oder allenfalls mittelbar im Wege eines Einschlusses durch Ausschluss. Indem nämlich das „Behaltendürfen“ der Zuwendung beim Empfänger gerechtfertigt wird, ist zugleich in negativer Hinsicht impliziert, dass der Vorgänger im Recht insoweit nicht mehr legitimiert ist. Auch hierbei spielt es keine Rolle, ob der Rechtsverlust unter Lebenden oder von Todes wegen eingetreten ist, das heißt in einem Fall durch Veräußerung inter vivos oder im anderen Fall durch den Verlust der Rechtsfähigkeit mit dem Tod und der zeitgleich stattfindenden Universalsukzession. Im Hinblick auf ihre legitimatorische Aufgabe unterscheidet sich die causa eines erbrechtlichen damit nicht von der eines lebzeitigen Rechtsgeschäfts. Es handelt sich insoweit um eine übergeordnete rechtsgeschäftliche Kategorie, die die „Frage, ob es einen synallagmatischen, entgeltlichen oder unentgeltlichen Erbvertrag überhaupt ,gibt‘“, keineswegs in einem neuen Licht erscheinen lässt.212 Denn die entgeltliche oder unentgeltliche Natur eines Erwerbs ist kein Kriterium der causa in ihrer Funktion als „Behaltensgrund“, sondern eines des Zuwendungszwecks. 213 Man kann das auch anders formulieren und sagen, dass „Zwecke als solche rechtsgrundneutral sind“, 214 oder dass die Rechtsgrundqualität der causa sich weder als schuld- oder erbrechtlich, sondern schlicht als rechtsgeschäftlich beschreiben lässt. Auch auf der Zweckebene bedarf es weiterer Klarstellungen: Die causaLehre ist insoweit, insbesondere, was die Differenzierung nach Leistungs- und Verpflichtungszweck anbelangt, durch das Recht der Lebenden vorgeprägt. 215 Sie orientiert sich am lebzeitigen Modell der Trennung von Verpflichtungs- und 211

Insoweit übereinstimmend Windel, S. 377. So aber Harder, in: Mél. Sturm II, S. 1029, 1041. 213 Die gegenteilige Annahme mag durch den Umstand begünstigt worden sein, dass die causa im Schuldvertragsrecht in erster Linie in ihrer legitimatorischen Funktion, das heißt im Zusammenhang mit dem Abstraktionsprinzip und dem Recht der ungerechtfertigten Bereicherung, behandelt wird, weniger dagegen unter dem Gesichtspunkt des Leistungszwecks. Im Einzelnen Hepting, S. 332 ff., 367, m.w.Nw. 214 Weber, JZ 1989, 25, 30. 215 Ähnlich Goebel, Ehegattenschutz, S. 411, mit dem zutreffenden Hinweis, dass „Probleme der causa oft allein im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Verkehrsgeschäften unter Lebenden besprochen werden.“ Er sieht das jedoch – weil er die causa-Problematik ausschließlich in der „Katharsis des Bereicherungsrechts“ (ders., S. 497) verortet – nicht als Folge lebzeitiger Vorprägungen der causa-Lehre auf der rechtsgeschäftlichen Zweckebene an. 212

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Erfüllungsgeschäft, genauer an der Begründung und anschließenden Erfüllung von Verbindlichkeiten. 216 Die Erfüllung als Leistungszweck – die Zuwendung solvendi causa – setzt das Bestehen einer Verpflichtung voraus – der causa obligandi –, wenn er auch auf die Frage nach der Entgeltlichkeit oder Unentgeltlichkeit des Verpflichtungszwecks (acquirendi [entgeltlich] oder donandi causa [unentgeltlich]) keine Antwort gibt. Als Nicht-Verpflichtungsgrund, das heißt nicht lebzeitige causa kann der erbrechtliche Erwerbszweck daher auf zweierlei Weise behandelt werden: Entweder man ordnet ihn in das lebzeitig vorgeprägte Begriffsschema von der Leistungscausa ein, dann bleibt nur seine Qualifizierung als Zuwendungs-, aber Nicht-Erfüllungscausa. Die Alternative ist, dass man den erbrechtlichen Erwerbszweck außerhalb dieser Kategorisierung stellt und als causa sui generis bucht. In beiden Fällen bleibt die Frage, ob die Zuwendung mortis causa in Zusammenhänge gestellt werden kann, die man unter Lebenden mit den Begriffen Entgeltlich- oder Unentgeltlichkeit beschreiben würde, offen: im ersten Fall, weil die Kategorie der Leistungscausa insoweit neutral 217 ist und die Entscheidung daher nicht in die eine oder andere Richtung präjudiziert, im zweiten Fall, weil bei einer causa sui generis schon die Orientierung an lebzeitig vorgeprägten Termini ausscheidet. Das leitet über zum dritten Kritikpunkt, der die Fixierung auf das Recht der Lebenden als Vergleichsobjekt zur Bestimmung der Entgeltlichkeit oder Unentgeltlichkeit der causa betrifft. Das Konzept der beiderseitigen Vermögensaufopferung ist ebenso wie die Idee der unmittelbaren Rückvergütung des Zugewendeten eine Erscheinung des synallagmatischen Austauschvertrags. 218 Indem gesagt wird, dass der Erblasser „sich selbst nichts entzieht“,219 „kein Vermögensopfer erbringt“, 220 bei einer Verfügung von Todes wegen „Mittel einsetzt, die er selbst nicht mehr entbehrt,“221 oder „die causa erst den Erben entreichert“, 222 wird der Begriff der Entgeltlichkeit seinem Bedeutungsgehalt nach nicht selten auf den lebzeitigen Terminus der Gegenseitigkeit festgelegt und reduziert. Das tut auch Windel, wenn er davon spricht, korrespektive Erbverträge wiesen keine „konditionale Verknüpfung im Sinne von Entgeltlichkeit [auf], weil nichts ausgetauscht werde“. 223 Er zieht aus dieser Vorprägung den 216 Hepting, S. 338; ähnlich Goebel, Ehegattenschutz, S. 417 ff.: „Dichotomie von Verpflichtung und Verfügung“; ähnlich ders., S. 423. 217 Von Tuhr II/2, S. 147, spricht anschaulich von der „Farblosigkeit der der Leistung unterliegenden causa solvendi in Bezug auf die Frage der Entgeltlichkeit.“ 218 Das Argument hat erstmals Haymann, S. 77 ff., als Abgrenzungskriterium verwendet. 219 Kipp/Coing, § 16 I 1, S. 109; Niedrée, S. 11. 220 Michael Fischer, S. 211. 221 Keuk, FamRZ 1972, 9, 14. 222 Rauscher, AcP 199 (1999), 248, 253. 223 Windel, S. 381; ähnlich ders., S. 378: „[Es geht] bei Verfügungen von Todes wegen im Gegensatz zu Rechtsgeschäften unter Lebenden nicht um Vermögensverschiebung, sondern

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nicht angängigen Schluss, dass erbrechtliche causae von den lebzeitigen aufgrund ihrer unterschiedlichen Rechtsgrund-(nicht Zweck-)qualität streng zu trennen seien. 224 Dazu ist zu sagen, dass die Entgeltlichkeit im Schuldrecht in der Tat ein konstitutives Element der Gegenseitigkeit des synallagmatischen Vertrags unter Lebenden ist. Allerdings heißt das keineswegs, dass es im Recht der Verfügungen von Todes wegen keine rechtlich erhebliche Reziprozität225 gibt – Wolfgang Lüke schlägt insoweit die Bezeichnung „leistungsabhängiger Erbvertrag“ vor226 –, sondern nur, dass die Gleichung „entgeltlich = gegenseitig“ anders als im schuldrechtlichen Austauschvertrag im Erb(vertrags)recht nicht unmittelbar aufgeht. 227 Genauso unzulässig ist denn auch der Gegenschluss, der erbrechtliche Erwerb oder, genauer gesagt die Verfügung von Todes wegen, auf der dieser beruht, sei zwingend oder typischerweise unentgeltlich, 228 oder wie bisweilen gesagt wird, „entgeltneutral“ . 229 Denn auch die Parallele zur Schenkung wurzelt im Recht der Lebenden 230 und vereinnahmt das Erbrecht insbesondere um Vermögensaufteilung […], weil niemand Vermögen aufopfert und niemandem etwas genommen wird.“ (Hervorhebung nicht im Original) Zur Künstlichkeit des Kriteriums der (lebzeitigen) Vermögensverschiebung und (erbrechtlichen) Vermögensaufteilung oben S. 81, Fn. 206. 224 Windel, S. 378 ff. Ihm folgend Michael Fischer, S. 211; Muscheler, Vonselbsterwerb, S. 36 f., m. Nw. aus der älteren Literatur in Fn. 124. S. auch Beck, S. 11 f.: „Es [das Bürgerliche Gesetzbuch] hat den Erwerb im Erbgang als besondere Erwerbsart bezeichnet, die neben den entgeltlichen und unentgeltlichen Geschäften [unter Lebenden] steht.“ Unten § 4 A., S. 121, m. Fn. 25. 225 Terminologie nach Köndgen, S. 260, 270; ihm folgend Hepting, S. 417; Goebel, Ehegattenschutz, S. 84 ff., 92 ff. S. auch Röhl, Fs. Schelsky, S. 435, 455 ff., 463 ff., 480. 226 S. 10 Fn. 41. Soergel/M. Wolf, vor § 2274 Rn. 4, spricht vom entgeltlichen Erbvertrag als einem „synallagmatischen Vertrag nicht obligatorischen Charakters“ im Gegensatz zum unentgeltlichen Erbvertrag, „bei dem der Vertragspartner keine Verpflichtungen übernimmt“ (Hervorhebung nicht im Original). Der Rekurs auf die fehlende Verpflichtung des anderen Teils kann ein lebzeitiges Vorverständnis nicht verhehlen. 227 So schon Oertmann, Entgeltliche Geschäfte, S. 111; Hohmann, S. 9 f. Die viel zitierte Feststellung von Schmitts, S. 591: „Das Erbrecht beruht keineswegs auf dem juristischen Gedanken der Gegenseitigkeit“, kann dafür freilich nicht in Anspruch genommen werden. Denn die Aussage bezieht sich inhaltlich ausschließlich auf die Erbfolge kraft Gesetzes. 228 Nw. bei Michael Fischer, S. 210, Fn. 405, 406. Des Weiteren Lange/Kuchinke, § 17 II 2, S. 342; Miserre, S. 253, m.w.Nw. in Fn. 845; Schlüter, Fg. Zivilrechtslehrer, S. 575, 583; Harder, in: Mél. Sturm II, S. 1029, 1035, m. Fn. 27; von Lübtow II, S. 1230; Ruffert, S. 395 f. S. auch Grundmann, AcP 198 (1998), 457; Wolf/Gangel, JuS 1983, 663, 664. 229 Leisner, in: Isensee/Kirchhof, HStR VI, § 150 Rn. 4. 230 Es nimmt daher nicht Wunder, dass auch der verfassungsrechtliche Schutz der Testierfreiheit und des Schenkungsrechts als Bestandteil der Vertragsfreiheit unter Lebenden verschieden ausgestaltet ist. Dazu Pabst, JuS 2001, 1145, 1149 f. Steuerrechtlich wirkt sich das freilich kaum aus. Der Erbschaftssteuer unterliegen auch Schenkungen unter Lebenden (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG). Dazu Söffing/Völkers/Weinmann, Rn. 2, m.w.Nw. in Fn. 1; Michalski, Rn. 1106: „Die Unterschiede in der steuerlichen Behandlung beider Erwerbsvorgänge sind gering […]. Denn es soll grundsätzlich keinen Unterschied machen, ob Vermögen zu Lebzei-

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dann, wenn der erbrechtliche Erwerb als Unterfall des unentgeltlichen begriffen wird. 231 Aus der beschriebenen Orientierung der causa-Lehre am Recht der Lebenden resultiert ein Phänomen, das für die Behandlung der Testierfreiheit im Vergleich zur Vertragsfreiheit unter Lebenden charakteristisch ist. Aussagen über erbrechtliche Zusammenhänge, hier die Frage, ob die Zuwendungscausa von Todes wegen Leistungsabhängigkeiten auf der Ebene des Rechtsgeschäfts erfassen kann, sind nur in negativer Form möglich: entweder als Nicht-Verpflichtungs- oder Nicht-Erfüllungs- oder aber als causa sui generis, wobei auch hier die Beschaffenheit der lebzeitigen Erwerbscausa die Abgrenzungskriterien bestimmt. Allein die Einordnung als Leistungscausa entgeht diesen lebzeitigen Vorprägungen, enthält sich aber gerade der sachlichen Aussage über die genaue Beschaffenheit des erbrechtlichen Zuwendungszwecks. Der Ansatz macht deutlich, dass die Privatautonomie nicht nur – wie eingangs gesagt232 – mit der Privatautonomie unter Lebenden gleichgesetzt, sondern insbesondere mit dem Austauschvertrag parallelisiert wird. Denn das Bereicherungsrecht ist in erster Linie ein Spiegelbild der Verhältnisse auf der Rechtsgeschäftsebene. Das erbrechtliche Schrifttum tut sich mit dieser Art von Fixierung auf das Recht der Lebenden bei der Erläuterung der Testierfreiheit keinen Gefallen. Denn die Gestaltungsbefugnis von Todes wegen droht, misst man sie allein an diesem übermächtigen Modell, zum bloßen Annex der Vertragsfreiheit unter Lebenden reduziert und damit in ihrer Bedeutung zur Privatautonomie zweiter Klasse herabgemindert zu werden. Geradezu paradigmatisch formulieren das Lange/Kuchinke, wenn von der Freiheit des Erblassers als „Fortsetzung der Eigentums-, der Verpflichtungs- und Verfügungsfreiheit des einzelnen über seinen Tod hinaus“ die Rede ist. 233

ten oder von Todes wegen übertragen wird.“ Die zivilrechtliche Abgrenzung von lebzeitiger unentgeltlicher und erbrechtlicher Zuwendung wird davon freilich nicht tangiert. Die Terminologie des Bürgerlichen Gesetzbuchs bleibt maßgebend: Eisele, S. 29. Zur steuerrechtlichen Behandlung von Gegenleistungen bei lebzeitigen und erbrechtlichen Zuwendungen Gebel, ZERB 2004, 53 ff. 231 In der Analyse wie hier Windel, S. 378. 232 Oben I. 1., S. 70 ff. 233 § 1 III, S. 4.

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IV. „Verhaltensbezogene“ Verfügungen von Todes wegen 1. Ideengeschichtlicher Kontext Ein zweites Beispiel mag verdeutlichen, wie stark das herkömmliche Verständnis der Testierfreiheit von lebzeitigen Anschauungen geprägt ist. In jüngerer Zeit mehren sich in der Literatur die Stimmen, die ein Konzept von Knobbe-Keuk aus den Siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wieder aufgreifen und die Testierfreiheit auf so genannte vermögensbezogene Verfügungen von Todes wegen beschränken wollen. 234 Das erklärte Ziel dieser Beiträge ist es, „verhaltensbezogene“ Anordnungen – und damit sind in erster Linie bestimmte bedingte Verfügungen gemeint – als immanente Grenze der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen zu erfassen und als rechtlich unzulässige „Diktatur des Erblassers“, 235 als „Herrschaft von kalter Hand“ oder „aus dem Grabe“ zu kennzeichnen. 236 Es ist kein Zufall, dass der Ansatz, der im Schrifttum lange Zeit Ablehnung erfahren hat237 und auch von der Rechtsprechung soweit ersichtlich nicht aufgegriffen wurde, 238 gerade in jüngerer Zeit auf verschiedene thematische Felder des Erbrechts und der so genannten vorweggenommenen Erbfolge übertragen wird. Er ist mittlerweile zu einem außerordentlich wirkmächtigen argumentativen Topos ausgebaut worden, der rechtliche Instrumente, die dem Willen des Erblassers posthum Geltung verschaffen sollen, generell argwöhnisch betrachtet und für den Fall des Konflikts von Erblasser und Bedachteninteressen eine 234 Keuk, FamRZ 1972, 9, 14 f.; ihr folgend Meincke, Fs. Kaser, S. 437, 444 m. Fn. 21; Radke, S. 36, m. Fn. 65. Ähnlich bereits Hartung, S. 46 f.: „Ist die Bedingung der Verheiratung oder Nichtverheiratung in der Absicht gesetzt, auf den Entschluss, zu heiraten oder nicht zu heiraten, einen Einfluss, Antrieb oder Anlass zu geben, so leuchtet es ein, dass es dem Versprechenden nicht darauf ankommt, die wirtschaftliche Stellung eines Verheirateten oder Nichtverheirateten zu sichern. Dies ist ihm Nebensache, er will lediglich den Zustand herbeiführen, nicht aber ihn halten oder sichern.“ 235 Schon früh Lange, Lehrbuch, § 46 II 3 b, S. 582. Ihm folgend Heldrich, Fs. Lange, S. 163, 164: „Alles in allem ermöglicht das geltende Privatrecht in der Vermögenssphäre eine durch zeitliche Schranken nur unvollkommen begrenzte ,Diktatur des Erblassers‘ über sein Ableben hinaus.“ 236 Windel, S. 244 ff.; Schlüter, Fg. Zivilrechtslehrer, S. 575 ff.; ders., § 17, 6 II c bb, Rn. 208. Des Weiteren Westermann, Fs. Wiegand, S. 661, 662, mit dem zutreffenden Hinweis, dass der Begriff der „Herrschaft aus dem Grabe“ insofern nicht stimmig ist, als diese „durchaus schon auf Konflikten beruhen kann, in denen der Erblasser zu seinen Lebzeiten gestanden hat“. 237 Nw. bei Schlüter, Fg. Zivilrechtslehrer, S. 575, 579 Fn. 32. In der Regel wird gesagt, dass das Gesetz für eine Beschränkung der Verfügungsbefugnis auf so genannte vermögensbezogene Verfügungen keinen Anhalt biete. 238 Hier hat vielmehr die vermittelnde Lehre vom „ungerechtfertigen Druck“ Eingang gefunden, die bestimmte inhaltliche Anordnungen des Erblassers nicht per se für unzulässig hält, sondern die Entscheidung über deren Wirksamkeit von deren konkreten Auswirkungen auf den Bedachten abhängig macht: OLG Köln AgrarR 1997, 160. Nw. bei Otte, JA 1985, 192, 199; Staudinger/ders., § 2074 Rn. 31 ff., zu deren verschiedenen Varianten. Ihm folgend Niedrée, S. 61 ff. Des Weiteren Schlitt, S. 60 ff. Zur Kritik des Ansatzes oben § 2 B. II. 1., S. 39 ff.

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einfache Lösung bereithält: nämlich die, stets dem Willen letzterer den Vorzug zu geben, weil sie und nicht der von Todes wegen Verfügende überlebt haben. Wirkungsgeschichtlich hat sich der Ansatz vielleicht deshalb als so außerordentlich langlebig erwiesen, weil er ideengeschichtlich und rechtsphilosophisch aus mehreren Diskursen gespeist wird. 239 Im hiesigen Zusammenhang kann er Anklänge an die epikureische Philosophie und die von ihr inspirierten modernen Nachfolger nicht verhehlen. 240 Der Kerngedanke ist, dass der Tod einer Person für diese selbst nichts besagt, weil er, solange sie lebt, nicht da ist, sein Eintritt aber gerade das Ende der Existenz bedeutet. Denkt man das fort, besagt er auch für die Lebenden nichts, eben weil diese am Leben sind und das Schicksal des Erblassers nicht teilen. Leben und Tod sind hiernach Zustände, die einander gegenseitig ausschließen. 241 Die rechtliche Folgerung, die aus diesen Überlegungen für die Lebenden gezogen wird, ist zwar nicht so rigoros, wie es die „epikureische Provokation“242 an sich nahe legen würde. Er geht zwar nicht soweit, dass die Lebenden von den Toten überhaupt keine Anweisungen entgegen zu nehmen hätten, aber doch immerhin nur bestimmte und auch nur für eine gewisse Zeit, 243 eben weil die Verstorbenen endgültig abwesend sind. Hier macht sich eine Art Genugtuung der Überlebenden bemerkbar, die sich gerade auf den Umstand bezieht, dass man den Erblasser überlebt hat.244 Der Verlust von dessen Subjektstatus‘, zivilrechtlich gesprochen der Rechtsfähigkeit, macht den Erblasser nach dieser Anschauung zu einer Nicht-Person, einem im wahrsten Sinne des Wortes Überlebten, dessen Willen(serklärung) in der Rechtssphäre, die sich denknotwendig an die (Über-)Lebenden richtet, 245 nicht mehr, oder jedenfalls in bestimmter Hinsicht nicht mehr maßgeblich ist, weil er sie bereits verlassen hat. Träfe das zu, bedeutete das nicht weniger als eine partielle Delegitimation zumindest der rechtsgeschäftlichen Erbfolge.246 Das Recht der Lebenden im engeren Sinne, das Schuld- und Sachenrecht, bleibt damit als einziger Referenzrahmen übrig und wird als solcher auch propagiert. Das lässt sich weder als „Marginalie“ abtun, 247 noch kann man der Lehre den Vorwurf der „Todesver239

Oben I. 1., S. 70 ff. Im Einzelnen B. Schumacher, S. 179 ff., 181 ff., 191 f., mit w. Nw. aus dem philosophischen Schrifttum. 241 B. Schumacher, S. 147 ff. 242 B. Schumacher, S. 249, s. auch S. 19. 243 Den zeitlichen Aspekt der „Herrschaft aus dem Grabe“ betont insbesondere Edenfeld, DNotZ 2003, 4, 13: „[Die] postmortale Selbstverwirklichung [des Erblassers] darf das hinterlassene Kapital nicht zu lange binden. Die Erben sind mindestens ebenso schutzwürdig.“ (Hervorhebung nicht im Original). 244 S. dazu Canetti, S. 292, 309 ff., 326 f. 245 Oben Einleitung, S. 7 f. 246 Weniger des „postmortalen Erwerbs“. So aber Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 133. 247 Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 133. 240

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drängung“ machen – es sei denn, man richtete ihn auch gegen die in der epikureischen Tradition stehenden Autoren. Es handelt sich vielmehr um eine Anschauung, die den Tod aus der Sicht der Lebenden von außen betrachtet und nicht – wie Heidegger und ihm folgend Goebel 248 – in das Leben als „Sein zum Tode“ im Sinne eines dauerhaften Sich-vorweg-Seins zu integrieren versucht. 249 Es war bereits die Rede davon, dass allein letzteres der Blickwinkel ist, den das Recht notwendig einnehmen muss.250 Man kann auch sagen, Heideggers Konzeption vertrage sich – im Gegensatz zu der epikureischen Tradition – nicht mit den Systemanforderungen des Rechts überhaupt. Ablesen lässt sich diese Inkompatibilität an dem Umstand, dass es bei der Todesverarbeitung im Goebel’schen Sinne in Wirklichkeit um die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergänglichkeit geht, während das Erbrecht von der Sterblichkeit überhaupt nicht handelt. 251 Wenn es in § 1922 Abs. 1 BGB den Tod einer Person als „Erbfall“ definiert, ist der Moment des Versterbens als Ereignis gemeint, als Ableben. Die Todesbegriffe, die jeweils verwendet werden, sind nicht miteinander verträglich, 252 oder – anders gesagt – der von Goebel verwendete ist keiner, den sich das Recht anverwandeln könnte. Im Gegensatz dazu deckt sich der Todesbegriff des Bürgerlichen Gesetzbuchs mit dem der epikureisch inspirierten Positionen durchaus. Auch hier wird der Tod nämlich als Ereignis im Sinne des Ablebens verstanden. Das ändert freilich nichts daran, dass der darauf aufbauende Topos von der „Herrschaft aus dem Grabe“ als solcher kritikwürdig ist. Methodisch muss man allerdings bei einer innerrechtlichen Perspektive ansetzen, die den Erbfall notwendig nur als externum wahrnehmen kann, wie schon der auf den Vermögensanfall beim überlebenden Erben anspielende Begriff „Erbfall“ impliziert. Der wichtigste Einwand ist dann die vollständige Entwertung des Erblasserwillens. Um 248 Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 146 ff. Die philosophische Kritik an Heideggers Konzept kommt dabei zu kurz – ebenso wie andere Ansätze (allen voran der Sartres, der die Heidegger’sche These vom Tod im Leben als „Trick“ bezeichnete; dazu B. Schumacher, S. 117 ff., 120; aber auch Blochs, unten C. II. 2., S. 115, m. Fn. 350). Im Einzelnen B. Schumacher, S. 107 ff., m.w.Nw. Das räumt Goebel selbst ein (a.a.O., S. 147, m.w.Nw. in Fn. 45: „Selbstverständlich kann es hier nicht darum gehen […] Fühlung mit anderen arrivierten Ansätzen zum Verhältnis von Tod und Zeit aufzunehmen“), ebenso, dass die „existenzphilosophisch ausgerichtete Hochzeit heideggerscher Gedanken wohl vorbei ist“ (a.a.O., S. 147). 249 Allgemein zu diesem Ansatz des „Todes im Leben“, der in Wirklichkeit ein Bewusstsein um die Sterblichkeit des menschlichen Daseins ist, B. Schumacher, S. 156 ff., 163, m.w.Nw. 250 Oben Einleitung, S. 7 f. 251 Möglicherweise ist die so genannte Patientenverfügung eine Ausnahme, obwohl sie sich eher mit dem Sterbensprozess beschäftigt, nicht mit dem Faktum der Sterblichkeit an sich. Bekanntlich ist die Patientenverfügung aber keine solche von Todes wegen. 252 Zu den verschiedenen Todesbegriffen (im Sinne von Sterben als Prozess, der Sterblichkeit als conditio humana, dem Augenblick des Ablebens und dem Totsein als Zustand) im Einzelnen B. Schumacher, S. 25 ff.

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sie zu verhindern, muss man sich darauf besinnen, was schon eingangs dieser Untersuchung festgestellt wurde: dass nämlich alles Recht – obwohl es nicht zwingend zum Recht der Lebenden im technischen Sinn gehört – in einem weiteren Sinn für die Lebenden gemacht ist, und das heißt eben auch und gerade im gewillkürten Erbrecht für den lebenden Erblasser.253 Es bleibt daher nichts anderes übrig, als den toten Erblasser argumentativ beiseite zu lassen und den Blick auf den letztwillig Verfügenden in der „Errichtungsphase“ der Verfügung von Todes wegen zu lenken. Hier steht das Entwicklungslabor für die kreativen Anteile der Testierfreiheit, und bis zum Erbfall dauert die Zeitspanne, während der das erbrechtliche Rechtsgeschäft seine ihm privatautonom zugedachte Gestalt annimmt. Zu ihr kehrt der Interpret – wenn auch aus der ex post-Perspektive – zurück, wenn er die Willenserklärung des Erblassers auslegt; und auf den Errichtungszeitpunkt wirkt auch die Anfechtung der Willenserklärung des Erblassers zurück, so sie erfolgt.254 Allein die Verbindung der gestalterischen Anteile der Testierfreiheit als originäre rechtsgeschäftliche Gestaltungsbefugnis des lebenden Erblassers vermeidet im Übrigen auch die rechtlich äußerst problematische Anschauung eines Handelns zulasten Dritter, das besonderer Legitimation bedarf.255 Wenn danach gefragt wird, weshalb die Erben sich dem Willen eines Verstorbenen zu beugen haben, so muss man antworten: weil es der Wille einer Person war, die zu der Zeit als sie ihn äußerte, lebte256 und das Recht sie nicht im Nachhinein dadurch zur Unperson macht, dass es ihre Erklärungen negiert, weil sie mittlerweile verstorben ist. Sonst würde es so angesehen, als habe die Person als Rechtssubjekt nie existiert. In der juristischen Literatur wird das kaum einmal so direkt formuliert. Es klingt aber doch immerhin an in Stellungnahmen, die eine besondere Angewiesenheit des Erblassers auf die Rechtsordnung betonen 257 oder sein besonderes Vertrauen in die Umsetzung und Wirksamkeit seines Willens post mortem hervorheben. 258 253

Oben Einleitung, S. 7. Unten § 5 B. II., S. 147. 255 Das Argument eines Handelns für Dritte wird zum Beispiel eingesetzt, um den vermeintlichen Typenzwang im Erbrecht zu erklären (unten § 11 A. II. 3., S. 251 ff.). Allerdings dient auch der Erwerb aufgrund eines Vertrags zugunsten Dritter gemäß §§ 328 ff. BGB als lebzeitiges Erklärungsmodell für den erbrechtlichen (unten § 6 C. II. 4. d. bb., S. 198 ff.). Generell ist dieser widersprüchliche Einsatz von rechtlichen Topoi und Instituten aus dem Recht der Lebenden ein deutlicher Hinweis darauf, dass sie im Recht der Verfügungen von Todes wegen keine zuverlässigen Ergebnisse erzielen. 256 Im Ansatz ähnlich Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 318: „Das Erbrecht schützt ja nicht die Interessen von Toten, sondern das Interesse des Erblassers zu seinen Lebzeiten, mit Blick auf den erwartbaren eigenen Tod das personale Selbst zu entwickeln […].“ Dazu passt nicht, dass an anderer Stelle von einem „Recht des Todes“ ausgegangen wird (Goebel, Ehegattenschutz, S. 898; ders., DNotZ 2004, 101, 116). Oben Einleitung, S. 6, m. Fn. 44. 257 Unten § 6 C. II. 1. a. aa., S. 169 f. 258 Edenfeld, DNotZ 2003, 4, 13: „Der Erblasser muss auf postmortalen Schutz vertrauen 254

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Bemerkenswerte Parallelen zu der hier formulierten Position finden sich in der antiken und modernen philosophischen Auseinandersetzung mit der geschilderten epikureischen Position. Auch hier wird vorgeschlagen, den Blick von der nunmehr verstorbenen rechtsunfähigen Person auf die Person ante mortem („the-living-person-who-was“) zu richten.259 Inhaltlich geht es dabei um die Frage, ob das Nichtrespektieren des testamentarisch fixierten Willens eines Verstorbenen durch die Lebenden für diesen selbst als posthumes Übel betrachtet werden kann, wo er doch selbst kein Subjekt mehr ist und folglich ein Übel als solches nicht mehr erfahren oder empfinden kann. 260 Das (Erb-) Recht verfolgt notwendig ein anderes Erkenntnisinteresse, das hier stets ein Regelungsanliegen ist. Es erkennt die Willenserklärungen des Erblassers für die bedachten Personen als verbindlich an und schafft damit eine rechtliche Verbindung zwischen den Toten und den Lebenden, die sich im Übrigen auch in anderen erbrechtlichen Regelungskomplexen manifestiert, zum Beispiel im Recht der Erbenhaftung (§§ 1968 ff. BGB), 261 aber auch im postmortalen Persönlichkeitsrecht des Erblassers. 262 können, wenn er sich zu Lebzeiten entfalten will. Es gilt nicht: Tot ist tot.“; ähnlich Gutmann, S. 224, Fn. 1110: „postmortale Interessen (das heißt postmortal zu beachtende Interessen, die er im Zeitpunkt der Testamentserrichtung hat).“ 259 B. Schumacher, S. 204, m.w.Nw. in Fn. 32, S. 214, m. Fn. 13. 260 B. Schumacher, S. 193 ff. 261 Historisch beruhte die Verbindung insbesondere auf dem Gedanken, dass der Erbe so haftete wie der Erblasser zu Lebzeiten gehaftet hatte. Das römische Recht hatte denn auch Probleme, die Verantwortlichkeit des Erben für die „den Erben als solchen treffenden Verbindlichkeiten“ (§ 1967 Abs. 2 BGB, die so genannten Erbfallschulden) zu begründen. Hier bestand ja zum Erblasser gerade kein Konnex mehr. Im Einzelnen Kroppenberg, S. 178 ff. 262 Auf den ersten Blick ähneln die Argumentationsmuster zu dessen Begründung der der Testierfreiheit. Bezugspunkt des postmortalen Persönlichkeitsrechts ist hier wie dort die einstmals lebende Persönlichkeit. „Die Befugnisse der Erben leiten sich vom Träger des Persönlichkeitsrechts ab“, heißt es im einschlägigen „Marlene Dietrich“-Urteil des Bundesgerichtshofs (BGHZ 143, 214, 226). Es geht mithin nicht um einen „auf den Toten bezogenen ,Denkmalschutz‘“, sondern um die „postmortale Vervollkommnung des Persönlichkeitsschutzes zu Lebzeiten“ (Schack, GRUR 1985, 352, 355 f.; Baston-Vogt, S. 293, m.w.Nw. in Fn. 399). Zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Lebenden steht es jedoch – entgegen der zentralen These Goebels vom „neuen besonderen Persönlichkeitsrecht der Testierfreiheit“ (ders., Persönlichkeitsrecht, S. 362) –nicht im Verhältnis der Spezialität. Es ist ein aliud, was das Bundesverfassungsgericht regelmäßig dadurch zum Ausdruck bringt, dass es das postmortale Persönlichkeitsrecht nach dem Tod des Grundrechtsträgers allein in Art. 1 Abs. 1 GG verankert, und nicht wie das allgemeine in Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG (BVerfG NJW 2001, 2957, 2958 f. [Wilhelm Kaisen]; NJW 2001, 594, 594 f. [Willy Brandt]; BVerfGE 30, 173, 195 f. [Mephisto]; Zacharias, NJW 2001, 2950, 2950 f.). Aus erkenntnistheoretischen Gründen ist es jedenfalls problematisch, das postmortale Persönlichkeitsrecht als „Vorwirkung des Todes auf den Lebenden“ zu beschreiben (Schack, GRUR 1985, 352, 355 f.; zum Problem der so genannten „rückläufigen Kausalität“ B. Schumacher, S. 204 ff.). Am bekannten „Herrschafts- und Fremdbestimmungsdiskurs“ zeigen sich jedoch auch die Grenzen des Vergleichs: Das postmortale Persönlichkeitsrecht begründet „keine Herrschaft der Toten über die Lebenden, sondern gewährleistet, dass die Toten nicht der willkürlichen Herrschaft

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2. Die juristischen Varianten Der Topos von der „Herrschaft des Erblassers aus dem Grabe“ steht damit in einem einflussreichen, im Recht aber letztlich nicht anschlussfähigen geistesgeschichtlichen Diskurskontext. Die juristische Analyse steht noch aus. 263 Die Idee der „Herrschaft von kalter Hand“ betrifft in erster Linie erbrechtliche Rechtsgeschäfte, aber nicht nur. Ein Beispiel für die Verwendung des Gedankens bei lebzeitigen Rechtsgeschäften ist die Problematik postmortaler Vollmachten, die nach ihrem Zweck gerade unabhängig vom Willen der Erben sein sollen und dessen Interessen unter Umständen diametral entgegenstehen. Um zu einem klaren Urteil über die Wirksamkeit der Vollmacht zu kommen, schreibt Medicus, „muss es richtigerweise beim Vorrang des lebenden Erben vor dem toten Erblasser sein Bewenden haben.“264 Hier taucht sie wieder auf, die bekannte Argumentationsfigur: Wer lebt, hat Recht – weil er lebt. 265 Funktionell fügt sich die Anschauung nahtlos ein in die bereits angedeutete266 Tendenz zur Entfernung der Person des Erblassers aus dem Erbrecht mit dem Ziel einer Verlebzeitigung desselben, die sich am deutlichsten in der gegenwärtigen Dis-

der Lebenden anheim fallen“ (Baston-Vogt, S. 307, m.w.Nw.). Es zielt daher – im Gegensatz zur Gestaltungsbefugnis von Todes wegen – nicht auf die Verleihung positiver Handlungsbefugnisse, sondern schützt den einzelnen vor der Fremdbestimmung durch andere (in diese Richtung schon früh Westermann, FamRZ 1969, 561, 564). Die Unterscheidung verweist auf den Charakter des Persönlichkeitsrechts als „vermögenswertem Ausschließungsrecht“ (Seifert, NJW 1999, 1889, 1891; ähnlich Lange/Kuchinke, § 5 III 5 d, S. 104 f., Frommeyer, JuS 2002, 13, 14 ff.). Allgemein zur deliktsrechtlichen Anlage des allgemeinen Persön lichkeitsrechts unten § 6 C. II. 2., S. 181 f. Es handelt sich keinesfalls um einen eigenständigen rechtsgeschäftlichen Gestaltungsrahmen (Baston-Vogt, S. 254 f., 306, m. Fn. 466: „Der Verstorbene hat also [anders als der Testierende] keinen Anspruch darauf, dass die Überlebenden seinen Willen umsetzen.“). Die Parallelisierung von Testierfreiheit und (postmortalem) Persönlichkeitsrecht, die Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 250, vornimmt, reicht also inhaltlich nicht weit – auch deshalb nicht, weil nur die „vermögenswerten Bestandteile des Persönlichkeitsrechts“ (BGHZ 143, 214, 223, m. Anm. Schack, JZ 2000, 1060, 1062; Götting, NJW 2001, 585, 586; ders., S. 281 f.) vererblich sind. Nach Goebels Konzeption ist die Testierfreiheit jedoch gerade Ausdruck der unvertretbaren „idealistischen“ Anteile des Persönlichkeitsrechts; ihre „Frucht“, die Verfügung von Todes wegen, „entspricht den allgemeinen Regeln des postmortalen Persönlichkeitsrechts“ (Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 250). Zur vermögensrechtlichen Marginalisierung der Testierfreiheit, die in diesem Ansatz liegt, unten C. II. 1., S. 106 ff. Die (ideellen) Anteile der Erblasserpersönlichkeit erlöschen dagegen mit dem Tod. 263 S. auch Kroppenberg, DNotZ 2006, 86, 90 ff. 264 Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 399. 265 Ähnlich Lange/Kuchinke, § 1 III, S. 5: „tritt das Interesse des Toten hinter demjenigen des Lebenden zurück“. S. auch Windel, S. 244 f.; in der Tendenz ähnlich Harder, Fs. von Lübtow, S. 515, 517 f. 266 Oben Einleitung, S. 5.

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kussion um die Reform des Pflichtteilsrechts zeigt, 267 aber auch in der Debatte um die Perpetuierung eines Unternehmens im Erbgang. 268 Die Lehre, die hinter diesen Anwendungsfällen steht, hat mittlerweile verschiedene Ausprägungen erfahren, die – träfen sie zu – für das Verständnis der Testierfreiheit weit reichende Konsequenzen hätten. Schlüter begreift das Erbrecht immerhin noch als „Vermögenszuordnungsrecht“. 269 Auf den ersten Blick verliert er damit den Übergang des Vermögens vom alten Rechtsträger auf den Neuen und mit ihm den Bezug zu den Besonderheiten des Erwerbs von Todes wegen nicht ganz aus den Augen. Doch ist das für die Testierfreiheit kein dogmatischer Gewinn, im Gegenteil: Indem der Erblasser auf die Rolle eines bloßen „Vermögensverteilers von Todes wegen“270 reduziert wird, kann sie nicht mehr als rechtsgeschäftliches Grundprinzip definiert werden. Mit dem gestalterischpersonalen Element, das in so genannten „rein verhaltensbezogenen“ im Gegensatz zu vermögensbezogenen Verfügungen zum Ausdruck kommen soll, 271 wird der Testierfreiheit ihr privatautonomer Charakter abgesprochen 272 und das Postulat der formalen Gleichberechtigung mit der Vertragsfreiheit inter vivos aufgegeben. 273 Windel hält sich mit der Testierfreiheit dagegen nicht mehr auf, sondern interpretiert sie mit der Idee der Willensersetzung274 vollends in ein „objektives Vermögensrecht der Lebenden“275 um. Aus der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen wird auf diese Weise eine lebzeitige Rechtsmaterie – eine Art (Vermö267

Oben § 1 A., S. 14, 21 f. Zuletzt Dauner-Lieb, S. 228, m.w.Nw. aus dem Recht der Testamentsvollstreckung in Fn. 29. S. auch Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 123 Fn. 332, m.w.Nw. 269 Schlüter, Fg. Zivilrechtslehrer, S. 575, 585. 270 Schlüter, Fg. Zivilrechtslehrer, S. 575, 585. S. auch die Überschrift des Zweiten Teils von Kipp/Coing, S. 107: „Die Zuweisung des Erbgutes kraft Rechtsgeschäfts.“ Kritisch Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 291: „Recht der Güterverschiebung.“ 271 Schlüter, Rn. 221, 208; ihm folgend Lange/Kuchinke, § 35 IV 3, S. 828. 272 Schlüter, Fg. Zivilrechtslehrer, S. 575, 582: „Die Testierfreiheit ist […] weder als ‚erbrechtliches Teilstück der Privatautonomie‘ aufzufassen noch als umfassende Freiheit zu verstehen.“; ähnlich Papantoniou, AcP 173 (1973), 385, 393 f.: „Sonst aber dürfte die Möglichkeit, ein Testament zu errichten, der Vertragsfreiheit nicht gleichgestellt werden.“ Zweifelnd offenbar auch Strothmann, Jura 1982, 349 f. Unklar MünchKomm/Leipold, Einl. zu §§ 1922– 2385 Rn. 20: „Verknüpfung der Testierfreiheit mit der Privatautonomie des Erblassers“ (Hervorhebung nicht im Original). Die Feststellung impliziert, dass beides zwar miteinander verwandt, inhaltlich aber nicht identisch ist. Ähnlich Soergel/Stein, Einl. Rn. 4: „Die Verbindung des Erbrechts mit der Privatautonomie […] lässt sich nicht leugnen.“ (Hervorhebung nicht im Original); Ruffert, S. 56: „Ergänzung der Vertragsfreiheit durch die Testierfreiheit im Bereich des Erbrechts“ (Hervorhebung nicht im Original). 273 Oben I. 1., S. 70. 274 Oben I. 2., S. 77 f. 275 S. 244. Im Ansatz ähnlich Edenfeld, DNotZ 2003, 4, 13, gegen eine „verewigte ,Herrschaft aus dem Grabe‘“: „Der Vermögensträger wird mit dem Erlöschen seiner Persönlichkeit ausgewechselt. Seine postmortale Selbstverwirklichung darf das hinterlassene Kapital nicht zu lange binden.“ 268

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gens-)Administrationsrecht der Erben –, in der die letztwilligen Willensentscheidungen des Erblassers grundsätzlich nur Geltung beanspruchen können, „soweit sie im hinterlassenen Vermögen einen objektiven Niederschlag gefunden haben.“276 Der Erbe wird auf diese Weise zur zentralen Figur des Erbrechts, doch damit nicht genug: Im Recht der (Über-)Lebenden sind erbrechtliche Willenserklärungen von Todes wegen naturgemäß legitimationsbedürftige Fremdkörper, schon deswegen, weil sie keine Bindungswirkung inter vivos erzeugen. 277 Der Primat der Privatautonomie unter Lebenden wächst sich hier zu einer erheblichen Marginalisierung des gewillkürten Erbrechts aus und gipfelt insbesondere in der grundsätzlichen Entwertung der rechtsgeschäftlichen Gestaltungsbefugnis des Erblassers.278 Gerechtfertigt wird diese „Schwächung der Freiheit des Erblassers“ gerade mit dem „Unterschied von Privatautonomie und Testierfreiheit“. 279 Schon die Wortwahl ist hier verräterisch, weil Privatautonomie selbstverständlich mit der lebzeitigen Vertragsfreiheit gleichgesetzt und von dieser Warte aus die Testierfreiheit zum legitimationsbedürftigen anderen degradiert wird.280 Der Wille des Erblassers wird nach dieser Anschauung zum bloßen Störfaktor für die Lebenden, vor dem diese mit den Mitteln des Rechts geschützt werden müssen, und zwar gerade deshalb, weil er von Todes 276

Windel, S. 244. Die Bindungswirkung zu Lebzeiten ist das entscheidende Kriterium zur Unterscheidung der lebzeitigen von den erbrechtlichen Rechtsgeschäften und muss durch Auslegung der rechtsgeschäftlichen Erklärung der Beteiligten ermittelt werden: Harder, in: Mél. Sturm II, S. 1029 ff., 1037 ff.; 1039 f.; ders., S. 47 ff. Unentschieden Krebber, AcP 204 (2004), 149, 157, m.w.Nw. in Fn. 33. Nicht eindeutig insoweit Rauscher, AcP 199 (1999), 248, 253: Unterscheidung nach der „Zielrichtung des Verfügenden“; s. bereits von Schmitt, S. 58: „die aus den Umständen zu eruierende Absicht des Verfügenden muss entscheiden […]“. Ähnlich Windel, S. 348: „für Verfügungen von Todes wegen charakteristischer Aufschub der Wirkungen eines Rechtsgeschäfts“; Moser, S. 3, und passim (s. aber auch oben III., S. 89 Fn. 206). Das könnte auch für ein aufschiebend bedingtes Geschäft unter Lebenden (auf den Todesfall) gelten (so in der Tat Windel, S. 343 ff., 348 f.; unten § 12 B. II., S. 287, m. Fn. 110), womit der Zeitpunkt des Rechtserwerbs durch den Zuwendungsempfänger als Abgrenzungskriterium ausscheidet: Harder, in: Mél. Sturm II, S. 1029, 1035. 278 Ähnlich Muscheler, Vonselbsterwerb, S. 94 f.: „Für eine Abhängigkeit des Erbrechts vom lebzeitigen Vermögensrecht gibt es keine überzeugende Legitimationsbasis, da sie dem Erbrecht jede Möglichkeit zu eigenständiger Lösung nimmt.“ S. auch Gutmann, S. 224, Fn. 1110: „So ist gegen Keuk festzuhalten, dass man Menschen zwar rechtlich beachtliche postmortale Interessen weitgehend absprechen kann […] – allerdings nur schlecht im Erbrecht. Testamente werden nicht weggeworfen, nur weil der Erblasser tot ist.“ Vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Sie werden jetzt erst wirksam. 279 So wörtlich Edenfeld, DNotZ 2003, 4, 18 f.: „Bei der Interessenabwägung darf nämlich der Unterschied von Privatautonomie und Testierfreiheit nicht verkannt werden. Bei Rechtsgeschäften unter Lebenden wird das Interesse des einen durch das des anderen begrenzt. Jeder trägt die Konsequenzen seiner privatautonomen Willenserklärung. Bei der Verfügung von Todes wegen ist die Freiheit des Erblassers schon deshalb schwächer, weil ihn die Folgen einer verfehlten Gestaltung nicht mehr selbst treffen. Sie gehen zulasten Dritter“ (Hervorhebungen nicht im Original). 280 Das ist kein unbekanntes Verfahren, s. unten § 5 A. I., S. 127 Fn. 1. 277

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wegen und nicht lebzeitig geäußert wurde. Grundgelegt wurde die beschriebene Hinordnung der Testierfreiheit auf das Recht der Lebenden bereits von Knobbe-Keuk selbst. Sie schreibt: „Den Testator, der für die Zeit nach einem Tode einer anderen Person seine Anschauungen aufzuzwingen sucht, kostet dieser Versuch nichts. Denn er setzt Mittel ein, die er selbst nicht mehr entbehren wird. Derjenige hingegen, der dies zu seinen Lebzeiten unternimmt, muss sich selbst etwas entziehen.“281

Hier kehrt sie wieder, die bereits beschriebene Orientierung erbrechtlicher Gestaltungsbefugnis am gegenseitigen Schuldvertrag. 282 Knobbe-Keuk kann die so genannte verhaltensbezogene Bedingung, mit der der Erblasser den Vermögenserwerb von Todes wegen versehen hat, nur in lebzeitigen Austauschzusammenhängen denken. Inter vivos müsste er für die Verpflichtung des Leistungsempfängers, die Bedingung zu erfüllen, eigene Mittel aufwenden, könnte im Gegenzug aber auch auf deren Einhaltung bestehen. In der dichotomen Logik des synallagmatischen Vertrags befangen,283 bleibt nur der Schluss, dass ein solches Interesse von Todes wegen nicht besteht, 284 eben weil der Erblasser sich nicht lebzeitig im Gegenseitigkeitsverhältnis bindet. Was aber nicht gegenseitig und entgeltlich im Sinne der §§ 320 ff. BGB ist, 285 so die Gedankenfolge, müsse notwendig unentgeltlich sein, eben Ausdruck „freigebiger Gesinnung“, wie Knobbe-Keuk sagt, 286 und die könne man bei nicht beiderseitig ausgehandelten, sondern einseitig gesetzten Bedingungen nicht erkennen. 287 Die Fixierung auf den Austauschvertrag ist so umfassend, dass sie selbst bei solchen Autoren zu finden ist, die Knobbe-Keuks Lehre von der immanenten Beschränkung der Testierfreiheit auf so genannte vermögensbezogene Anordnungen von Todes wegen in der Sache ablehnen 288 und Potestativbedin-

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FamRZ 1972, 9, 14. Oben I., S. 72. Kritisch auch Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 72, 132 f. Allerdings sind Keuks Überlegungen (FamRZ 1972, 9, 14) nicht „vermögenstheoretischer“ Natur, wie Goebel, a.a.O., schreibt, sondern lehnen sich ganz konkret an die Dogmatik des synallagmatischen Vertrags der §§ 320 ff. BGB an. S. auch Kroppenberg, DNotZ 2006, 86, 92 ff. 283 Köndgen, S. 270. 284 Insoweit ähnlich Badouvakis, S. 221. 285 Zur fehlerhaften Gleichsetzung des Begriffs der Gegenseitigkeit mit dem der Entgeltlichkeit oben III., S. 92, m.w.Nw. in Fn. 227. 286 FamRZ 1972, 9, 14. 287 In diese Richtung auch Otto, S. 163: „Ihren altruistischen Zug kann die unentgeltliche Zuwendung [von Todes wegen] freilich dann verlieren, wenn sie mit Bedingungen oder Auflagen versehen ist, die den Bedachten vor die Wahl stellen, sich den Verhaltensanforderungen des Erblassers zu fügen oder die Zuwendung einzubüßen.“; abweichend Smid, NJW 1990, 409, 416: „Dieser Austauschcharakter liegt im Falle einer letztwilligen Verfügung auch dann keinesfalls auf der Hand, wie bei Rechtsgeschäften unter Lebenden, wenn die testamentarische Zuwendung unter einer aufschiebenden oder auflösenden Bedingung erfolgt.“ 288 Kellenter, S. 82 f. 282

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gungen allein der Sittenwidrigkeitsprüfung nach § 138 Abs. 1 BGB unterwerfen wollen: „Im Gegensatz zu lebzeitigen Geschäften, bei denen Bedingungen vor allem der Beherrschung des Risikos einer Divergenz zwischen Planung und Wirklichkeit dienen, liegt die Bedeutung bedingter Verfügungen von Todes wegen vor allem in der planenden Gestaltung der Zukunft sowie in der Möglichkeit, auf das Verhalten des Bedachten Einfluss zu nehmen. Da letzteres für den Erblasser ohne lebzeitigen Vermögenseinsatz und zudem noch ohne den Zwang zur Durchsetzung in Vertragsverhandlungen möglich ist, spielt die Frage einer Sittenwidrigkeit von Potestativbedingungen gerade im Erbrecht eine große Rolle.“289

Schon die unterschiedliche Funktion von Bedingungen in lebzeitigen und erbrechtlichen Rechtsgeschäften, die hier behauptet wird, ist zweifelhaft. 290 Ebenso wie der Erblasser das Auseinanderfallen von Intention (Erfüllung der Bedingung) und Realität (Weigerung des Bedachten) in der letztwilligen Verfügung erfasst, eben durch die Vorenthaltung der erbrechtlichen Zuwendung bei Ausfall derselben, plant der Vertragspartner eines lebzeitigen Vertrags mit der Aufnahme der Bedingung in die Vereinbarung in die Zukunft, nämlich für die Zeit nach dem Vertragsschluss. Auch er möchte den anderen Teil damit zu einem bestimmten Verhalten motivieren (zum Beispiel zur rechtzeitigen Kaufpreiszahlung bei Meidung eines vertraglichen Rücktrittrechts). Im Recht der Lebenden wie im Erbrecht erweist sich damit die Bedingung als „das kautelarjuristische Gestaltungsmittel par excellence.“291 Weshalb aber allein der Umstand, dass der Erblasser nicht unter Lebenden, sondern erbrechtlich agiert, das Produkt seines Handelns, die bedingte Verfügung von Todes wegen, in besonderem Maße in den Verdacht bringt, sittenwidrig zu sein, bleibt vor diesem Hintergrund unerfindlich. Hier wird der schuldrechtliche Austauschvertrag so sehr zum allein zulässigen rechtlichen Gestaltungsmittel erhoben, dass alles andere nicht nur aus dem Blick gerät, sondern ihm sogar unter Umständen die rechtliche Wirksamkeit abgesprochen wird. 292 289

Kellenter, S. 53. Die Frage war unter der Geltung des Bürgerlichen Gesetzbuchs schon früh umstritten. Wie hier Meischeider, S. 115 f.: „Das Bürgerliche Gesetzbuch für das Deutsche Reich will Rechtsgeschäfte, die mit unerlaubten oder unsittlichen Bedingungen verbunden sind, ohne Unterschied der letztwilligen Verfügungen von den Rechtsgeschäften unter Lebenden, nach den allgemeinen Rechtssätzen beurteilt wissen, nach welchen Rechtsgeschäfte, die gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstoßen, nichtig sind.“; Spiess, S. 64; anders Raape, Fs. Zitelmann, S. 1, 4: „Sogar der Begriff der Willkürbedingung (und ebenso der Wollensbedingung) ist also bei den Rechtsgeschäften unter den Lebenden ein anderer als bei den Geschäften von Todes wegen, und nicht bloß die rechtliche Behandlung ist es.“; s. auch Hartung, S. 2. 291 Radke, S. 162. 292 Von lebzeitigem Vorverständnis nicht frei ist auch die folgende Aussage Westermanns, Fs. Wiegand, S. 663, 676: „zeigt sich […], dass in einem bürgerlichen Vermögensrecht, das gewöhnlich auf wirtschaftlichen Beweggründen der handelnden Personen mit einem starken 290

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Die Argumentation lässt freilich außer Acht, dass sich das auf das Recht der Lebenden zugeschnittene Begriffsinstrumentarium eben zuvörderst zur Beschreibung lebzeitiger Rechtsgeschäfte eignet. Wird etwa das schuldrechtliche Kriterium der Entgeltlichkeit als tertium comparationis für Verfügungen von Todes wegen eingesetzt, ermöglicht es weder eine stringente negative Abgrenzung zum gegenseitigen Schuldvertrag noch zu einer unentgeltlichen Zuwendung unter Lebenden. Positiv erschöpfen sich Überlegungen der beschriebenen Art vielmehr in der Binsenweisheit, dass Verfügungen von Todes wegen mit dem dogmatischen Rüstzeug der Rechtsgeschäfte inter vivos nicht zufriedenstellend erklärt werden können. Das verwundert aber auch nicht weiter, weil sie dafür nicht gemacht sind. Letztlich wird so nicht mehr zum Ausdruck gebracht, als dass „lebzeitig“ kein Synonym für „erbrechtlich“ ist. Der Tod mag zwar juristische Austauschbeziehungen unter Lebenden zerreißen, über spezifisch erbrechtliche Äbhängigkeitszusammenhänge ist damit jedoch ebenso wenig etwas ausgesagt wie über Freigebigkeit von Todes wegen. Otte hat das wie folgt auf den Punkt gebracht: „Erbrechtliche Beziehungen sind auf andere Weise ,zweiseitig‘, als es bei Vermögensbeziehungen unter Lebenden der Fall ist. Gegenseitigkeit im eigentlichen [das heißt lebzeitigen] Sinne kann es im Erbrecht nicht geben.“293

C. Testierfreiheit als aliud zur Privatautonomie unter Lebenden I. Verschiedene Varianten als Ausdruck eines Prinzips privatautonomer Selbstbestimmung Gerade die beschriebene Fixierung der überkommenen Auffassung auf die Privatautonomie unter Lebenden im Allgemeinen und den synallagmatischen Austauschvertrag im Besonderen könnte es an sich nahe legen, die Gestaltungsbefugnis von Todes wegen als etwas von der privatautonomen Rechtsgestaltung unter Lebenden vollständig Verschiedenes, weil Andersgeartetes zu begreifen. Immerhin weist der Versuch, die causa einer letztwilligen Verfügung aus dem

Gewicht auf der Vorstellung von Anspruchsbefriedigung und Entgeltlichkeit aufbaut, der Wunsch nach privater Strafe [in Verfügungen von Todes wegen] ein ausgesprochener Fremdkörper ist“. Kritisch dazu Kroppenberg, DNotZ 2006, 86, 94 f. 293 Otte, ZEV 1994, 193, 197, m. Fn. 4: „Personen können einander zwar wechselseitig die Chance einräumen, sich zu beerben, und außerdem gibt es die Möglichkeit durch entgeltlichen Erbvertrag lebzeitige Leistungen ,einzukaufen‘. Diese Besonderheiten sollten aber nicht den Blick für das Allgemeine verstellen.“

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lebzeitigen Begriffskorsett „entgeltlich/unentgeltlich“ zu lösen und rein erbrechtlich zu erfassen, in diese Richtung. 294 Jedoch wurden Ansätze dieser Art bisher nicht konsequent zu Ende gedacht, was auf den ersten Blick verwundert. Denn mit der lebzeitigen Schablone allein lässt sich die Testierfreiheit offenbar nicht befriedigend erklären, schon deshalb nicht, weil die Vergleichsoptik nicht zu stimmen scheint. Im Mittelpunkt der Privatautonomie von Todes wegen steht die einseitige letztwillige Verfügung, im Zentrum der lebzeitigen der gegenseitige Vertrag. Das wird kaum einmal so differenziert. In der Regel wird diese Inkongruenz im rechtsgeschäftlichen Leitbild unscharf mit dem Hinweis auf den mangelnden Vertrauensschutz im Erbrecht beschrieben.295 Andererseits wird für das Erbrecht im Vergleich mit dem Recht der Lebenden auf ein „erhöhtes Rechtssicherheitsbedürfnis“296 geschlossen. Die Begründungen fallen ganz unterschiedlich aus und weisen einen gewissen inhaltlichen Widerspruch auf. Zum einen wird aus dem Umstand, dass der Erblasser die Umsetzung seiner Verfügung von Todes wegen nicht mehr selbst überwachen kann, weil er bei ihrer Wirksamkeit seine eigene Rechtsfähigkeit bereits verloren hat, geschlossen, dass seine Willenserklärung besonders auf das Recht angewiesen sei.297 Es geht also um den besonderen rechtlichen Schutz des Willens des Erblassers aufgrund einer besonderen Gefährdungslage. 298 Zum anderen wird aber gerade betont, das Testament biete keine Gewähr für seine Richtigkeit, weil es am Vertragsmechanismus fehle und deshalb nach einer „besonders scharfen Richtigkeitsprüfung“299 verlange. „Richtigkeitsprüfung“ steht hier ganz offenbar für eine intensivierte Inhaltskontrolle. 300 Offensichtlich ist der Schutz vor dem Willen des Erblassers bzw. dessen Erklärung hier das vorrangige Ziel. Die nur bedingte Tauglichkeit des Rechts der Lebenden als tertium comparationis zur Erklärung erbrechtlicher Strukturen zeigt sich mithin gerade daran, dass es keine konsistenten Ergebnisse produziert, sondern in wider294 Wenn auch das spezifisch Erbrechtliche nicht positiv bestimmt, sondern in negativer Abgrenzung vom lebzeitigen (Un-)Entgeltlichkeitsschema ermittelt wird. Oben B. I., S. 80 f. 295 Zum Beispiel Häsemeyer, Form, S. 77: „Es ist freilich nicht zu übersehen, dass die Privatautonomie im lebzeitigen Vermögensrecht in stärkerem Maße unter dem Gebot der Rücksichtnahme auf den Partner und sein Vertrauen steht, während der Gedanke des Vertrauensschutzes die Testierfreiheit weitgehend unberührt lässt. Hierzu braucht nur auf die unterschiedlichen Auslegungsziele oder Anfechtungsvoraussetzungen im Erbrecht und lebzeitigen Vermögensrecht hingewiesen zu werden.“ 296 Canaris, Systemdenken, S. 82 f. Ihm – ohne Begründung – folgend Kricke, S. 29, m. Fn. 97. 297 Zur unzutreffenden These von der im Vergleich zur Vertragsfreiheit erhöhten Angewiesenheit erbrechtlicher Willenserklärungen auf das Recht unten § 6 C. II. 1. a. aa., S. 169 f. 298 Von der Beck, S. 39, m.w.Nw. aus der älteren Literatur in Fn. 23. Des Weiteren Edenfeld, DNotZ 2003, 4, 13. Oben B. IV. 1., S. 98, m. Fn. 258. 299 Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 156 Fn. 32. 300 Stagl, S. 156.

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sprüchlicher Weise zur Rechtfertigung des Willensdogmas sowie für dessen Zurückdrängung gleichermaßen in Anspruch genommen wird. Trotz dieser Friktionen hat die herrschende Lehre ganz überwiegend darauf bestanden, dass das Bürgerliche Recht nur eine Privatautonomie kennt. Ein repräsentatives Beispiel dafür sind die Ausführungen Coings: „Der Testierfreiheit kommt im Bereich des Erbrechts die gleiche Rolle zu, die die Vertrags- und Verfügungsfreiheit im Gebiet des allgemeinen Vermögensrechts besitzt. Wie diese wird sie durch Rechtsgeschäfte ausgeübt. […] Die Verfügungen von Todes wegen sind Rechtsgeschäfte. Sie unterliegen daher grundsätzlich den entsprechenden Bestimmungen des Allgemeinen Teils. Die Besonderheit der erbrechtlichen Verhältnisse macht jedoch zahlreiche Abweichungen notwendig; so gilt z.B. im Erbrecht nicht Formfreiheit, sondern Formzwang, nicht Vertretungsfreiheit, sondern Vertretungsverbot.“301

Rechtlich kann man sich lebzeitig oder von Todes wegen betätigen, die jeweiligen Erscheinungs-302 und Ausdrucksformen, so besonders sie im Einzelnen sein mögen, sind aber nach dieser „klassischen“ Ansicht nichts anderes als die verschiedenen „Wirkbereiche“303 ein und desselben fundamentalen Gestaltungsprinzips der Privatrechtsordnung: der Privatautonomie eben.304

II. Vertrags- und Testierfreiheit als zwei verschiedene Privatautonomien (Goebel) 1. Die Spaltung der Privatautonomie in Persönlichkeitsund Vermögensrechte Es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis dieser im Grundsatz monistischen Anschauung mit einer strikt dualistischen Betrachtungsweise ihr inhaltlicher Gegenpol gegenüber gestellt werden würde. Gerade die in jüngerer Zeit wieder neu und nicht selten überspitzt formulierte Frage nach der Legitimation der so genannten „Diktatur“ des Erblassers „von kalter Hand“ oder „aus dem Grabe“ bei bedingten Verfügungen von Todes wegen 305 wirkte dabei als Katalysator. Die bisher gefundenen Antworten waren zur sehr durch die Annäherung an das Recht der (Über-)Lebenden im Allgemeinen – der bereits angesprochenen Ten301

Kipp/Coing, § 16 II, S. 111. Leipold, Rn. 61: „spezifische Erscheinungsform der Privatautonomie auf erbrechtlichem Gebiet“. 303 Busche, S. 46, nennt neben der Testierfreiheit die Vertrags-, Eigentums- und Vereinigungsfreiheit. HKK/Rückert, vor § 1 Rn. 44, 45, führt neben der Vertrags- und Güterrechtsfreiheit die Erbeinsetzungsfreiheit nach §§ 1937, 1941 BGB an. S. auch oben Einleitung, S. 1 Fn. 7, § 3 B. I., S. 70, Fn. 89, 90, 92 genannten Autoren. 304 Oben B. I. 1., S. 70, m.w.Nw. in Fn. 90. 305 Nw. oben B. IV., S. 94 ff. 302

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denz zur „Verlebzeitigung“ des Erbrechts306 – sowie durch die Orientierung am synallagmatischen Austauschvertrag im Besonderen geprägt, 307 als dass nicht mit einer Gegenbewegung zu rechnen war, die man in ihrer Konsequenz sicherlich als radikal bezeichnen kann. Ihr steht das an sich begrüßenswerte Bemühen um die Emanzipation des Erbrechts vom Recht der Lebenden geradezu auf die Stirn geschrieben. Die Gestaltungsbefugnis unter Lebenden und von Todes wegen wird nicht mehr als zwei Varianten ein und desselben bürgerlich-rechtlichen Grundsatzes verstanden, sondern konzeptionell vollständig voneinander getrennt. Statt einer definiert Goebel nun zwei Privatautonomien, die sich voneinander „kategorial“ unterscheiden sollen: die vermögensrechtliche unter Lebenden, die – mit ihrer „Hauptform“,308 dem lebzeitigen entgeltlichen Austauschvertrag – ausschließlich und gleichsam automatisch auf das „Referenzsystem Wirtschaft“ verweist und diejenige von Todes wegen, die nicht nur typischerweise, sondern stets „mit der Kategorie der Persönlichkeit verklammert“ wird. 309 Funktional sei sie auf die einseitige (im Fall des Testaments) oder gemeinsame Verarbeitung (im Fall des gemeinschaftlichen Testaments310) des Todes durch den oder die Erblasser hingeordnet. Das Recht der Lebenden wird zum bloßen Vermögens- und Wirtschaftsrecht, das Erbrecht zum Feld der reinen Persönlichkeitsentfaltung gestempelt, für die die Chiffre der so genannten „Personfunktionalität“ gewählt wird.311 Person und Vermögen werden in diesem Schema vollständig auseinander dividiert, so dass sie nicht mehr im iunctim ein und derselben Privatautonomie gedacht werden können. Jedem Faktor wird ein separater privatautonomer Gestaltungsbereich zugeordnet, der mit dem jeweils anderen nicht nur keine Berührungspunkte hat, sondern diesem gar diametral entgegensteht. 312 Auf diese Weise wird eine traditionelle Verbindung – die Multifunktionalität von Willenserklärungen313 – im Verständnis privatautonomer Betätigung ohne Not 306

Oben Einleitung, S. 5. Oben B. I. 1., S. 72 f. 308 Flume, BGB AT II, § 1, 8 a, S. 12. 309 Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 362. 310 Goebel, Ehegattenschutz, S. 104 ff. 311 Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 36 ff., und passim; ders., DNotZ 2004, 102, 116, spricht von einem „persönlichkeitsgegründeten Erbrecht“. 312 Nach dieser Logik dürften zur Erklärung der einen Privatautonomie keine positiven Anleihen bei der jeweils anderen gemacht werden. Daran hält sich Goebel jedoch nicht: Ehegattenschutz, S. 364. 313 So wird die Willenserklärung unter Lebenden nicht nur als „Instrument der Privatautonomie, sondern zugleich [als] Mittel der Güterbewegung und der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse“ gesehen (grundlegend Bydlinski, JZ 1975, 1, 1; w. Nw. bei Lobinger, S. 59 Fn. 32; Singer, Selbstbestimmung, S. 172 Fn. 201). Das sind freilich nicht wirklich Alternativen, weil die Privatautonomie der übergeordnete Gesichtspunkt ist: Es ist eben auch von der Privatautonomie gedeckt, Willenserklärungen zum Zwecke der Güterbewegung oder Be307

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aufgegeben.314 Personale Selbstbestimmung durch privatautonome Gestaltung der eigenen Vermögensverhältnisse einerseits und Ausdruck der Persönlichkeit in rechtsgeschäftlichen Entscheidungen über das Vermögen andererseits werden bewusst zu Antagonisten aufgebaut. 315 Dass diese polarisierende Betrachtungsweise gerade für die rechtsgeschäftliche Betätigungsfreiheit kein stimmiges Bild abgibt,316 zeigt wiederum ein Blick auf die Problematik bedingter Verfügungen von Todes wegen: Zum einen bezieht sich das Ansinnen des Erblassers, den Bedachten zu einem bestimmten Handeln oder Unterlassen zu motivieren, eben in erster Linie auf den potentiellen Empfänger der Zuwendung und befasst sich primär mit desdürfnisbefriedigung abzugeben. Dagegen ist die „funktionale Betrachtung des Rechtsgeschäftsverkehrs“ (Singer, a.a.O., S. 172) problematisch. Dazu sogleich unter 2., S. 117. Überhaupt ist der Gesichtspunkt des Verkehrsschutzes als objektives Ordnungskriterium im Sachenrecht besser aufgehoben als in der Rechtsgeschäftslehre (unten § 4 B., S. 125 f., unten § 11 A. II. 1., S. 248). Insoweit hat die Kritik Lobingers, S. 59 ff., durchaus einen zutreffenden Kern. 314 S. bereits Laufke, Fs. Lehmann, S. 145, 162: „[…] wird anerkannt, dass zwischen der Entfaltung der Persönlichkeit im außerwirtschaftlichen Bereich und den wirtschaftlichen Situationen, in die der Mensch gestellt ist, ein enger Zusammenhang besteht“. Seinem historischen Ursprung nach war das allgemeine Persönlichkeitsrecht zunächst sogar entscheidend von den gewerblichen, also wirtschaftlich nutzbaren Persönlichkeitsrechten, wie unter anderem dem Urheber-, Wettbewerbs- und Namensrecht, geprägt: Klippel, ZNR 1982, 132, 154 f.; s. auch ders./Lies-Benachib, in: Falk/Mohnhaupt (Hrsg.), S. 343, 364 f.; J. Simon, S. 21 ff., 117 ff., 145 ff. 315 Im Ansatz erkennt das Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 297 f., durchaus, meint aber „rechtssystemintern würde der Vortrag des Rechtssubjekts, sein Vertragsangebot sei Persönlichkeitsrechtsausübung, gemeinhin eher selten persönlichkeitsrechtlich als beachtlich angesehen.“ Das ist nicht zutreffend: Zum einen ist die Entfaltung der Person oberstes Anliegen jeder Rechtsordnung, das diese mit der Einräumung eines rechtsgeschäftlichen Freiheitsraums für die Person umsetzt. Das Verfassungsrecht leitet aus diesem obersten Ziel allen Rechts einen entsprechenden Auftrag an den Gesetzgeber des Zivilrechts ab. Zum anderen konzentriert sich das Zivilrecht auf den Inhalt der Erklärung der Person und damit nur mittelbar auf diese selbst. Man kann auch sagen: Das Zivilrecht nimmt die Person durch das Medium oder vermittelst ihrer rechtsgeschäftlichen Erklärung wahr und ernst. Die Argumentation Goebels ist an diesem Punkt nicht stringent. Das liegt zunächst daran, dass er den Begriff „Persönlichkeitsrecht“ selbst durchaus nicht technisch im Sinne von „Allgemeinem Persönlichkeitsrecht“ gebraucht, sondern bisweilen auch von „Personenrecht“ (ders., Persönlichkeitsrecht, S. 128; ders., Ehegattenschutz, S. 44 f.) im Sinne von Statusrecht (= Personen[stands]recht) handelt (ders., Persönlichkeitsrecht, S. 308, unter Hinweis auf die Eheschließung als höchstpersönliches Rechtsgeschäft). Vor allem aber erkennt er an anderer Stelle der Darstellung durchaus an, dass „Person“ und „Vermögen“ einander im Erbrecht nicht durchweg dichotomisch gegenüber stehen; Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 37, 285 f., und vor allem S. 277, m. Fn. 356, zur Funktion gesetzlicher Auslegungsregeln im System privater Todesverarbeitung (oben § 2 B. II. 2., S. 47, m. Fn. 128). Für die gewillkürte Erbfolge besteht er jedoch darauf, dass sie „nicht nur funktionales Vermögens- und (wenn auch allenfalls residual) Familienrecht, sondern auch und vor allem funktionales Persönlichkeitsrecht“ ist (a.a.O., S. 37). 316 Anders im Deliktsrecht, das zwischen verhaltens- und objektbezogenem Rechtsschutz streng unterscheidet. Dazu Peifer, S. 144 f.

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sen Persönlichkeitszuschnitt oder persönlichen Verhältnissen.317 Es erlaubt daher allenfalls mittelbar Rückschlüsse auf den Zuschnitt der Persönlichkeit des Erblassers. Zudem ist es konditional stets mit der eigentlichen Zuwendung von Todes wegen, zum Beispiel der Berufung zum Erben oder der Aussetzung eines Vermächtnisses, verknüpft. Die Bedingung, gleich ob sie ein bestimmtes Verhalten des Begünstigten zum Inhalt hat oder nicht, bezieht sich nicht nur auf die erbrechtliche Verfügung, sie ist integrierender Bestandteil derselben und kann rechtlich nicht ohne sie existieren.318 Sie würde sonst zur bloßen Bitte, der rechtlich keinerlei Nachdruck mehr verliehen werden könnte. 319 Allein dieser Umstand sollte skeptisch stimmen, überhaupt zwischen „verhaltensbezogenen“ und „vermögensbezogenen“ Verfügungen zu differenzieren, oder gar eine „persönlichkeitsrechtliche“ von einer „vermögensrechtlichen“ Privatautonomie zu unterscheiden. Denn damit wird suggeriert, dass das eine vom anderen unabhängig sei. Man kann das auch anders ausdrücken: Bei Verfügungen von Todes wegen geht es zumindest auch – im Einzelfall möglicherweise aber auch nur – um die Regelung der materiellen Verhältnisse, so dass sich die Anordnung selbst dort notwendig auf das Vermögen bezieht, wo die mit ihr verbundene Bedingung auf ein bestimmtes Verhalten des Bedachten abzielt.320 Jede „verhaltensbezogene“ Verfügung ist zugleich „vermögensbezogen“, was generelle Zweifel an der Brauchbarkeit des Unterscheidungskriteriums aufkommen lässt.321 Zugleich wird damit auch die strikte Separierung von persönlichkeits- und vermögensrechtlicher privatautonomer Rechtsbetätigung als solche fragwür-

317 Deutlich Singer, Selbstbestimmung, S. 221: „Typischerweise spielen Erwartungen oder Vorstellungen von Charaktereigenschaften des Bedachten, dessen Verhalten sowie Verwandtschafts- oder Vermögensverhältnisse eine zentrale Rolle für die Entschließung des Erblassers.“ 318 Davon ist die Frage zu unterscheiden, ob eine Verfügung von Todes wegen, die der Erblasser unter eine Bedingung gestellt hat, ohne diese aufrecht erhalten werden kann, wenn sie rechtlich nicht zulässig war. Bejahend Michalski Rn. 426, m.w.Nw. in Fn. 663. S. auch Westermann, Fs. Wiegand, S. 661, 676, m.w.Nw. in Fn. 50. 319 Kellenter, S. 184, spricht von einem „unverbindlichen Wunsch des Erblassers“. 320 Ähnlich Leipold, LM § 138 (Cd) BGB Nr. 30, Bl. 1012. 321 Ähnlich Westermann, Fs. Wiegand, S. 661, 674. Optimistischer Schlüter, Fg. Zivilrechtslehrer, S. 575, 583, der die Abgrenzung im Einzelfall zwar für „schwierig“, aber durchführbar hält. Der „vermögensbezogene“ wird bisweilen gegen den „verhaltensbezogenen“ Teil der Verfügung von Todes wegen auch dann ausgespielt, wenn es zu entscheiden gilt, ob sie bei Unwirksamkeit der Bedingung unbedingt weiter gelten soll oder nicht (s. auch oben Fn. 318). Die Antwort soll davon abhängen, ob sich der hypothetische Erblasserwille in erster Linie auf die Willensbeeinflussung richtete oder vorrangig auf die vermögenswerte Zuwendung ging (Otte, JA 1985, 192, 200). Gerade die Verknüpfung beider Gestaltungselemente lässt sich jedoch dem erklärten Willen des Erblassers entnehmen und steht einer solchen Differenzierung entgegen.

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dig. Sie beruht – wie Götting aufgezeigt hat322 – zudem auf einer Vermengung der Begriffe „Vermögens-“ und „Immaterialgüterrecht“ und ist nicht zuletzt entwicklungsgeschichtlich ein rückwärts gewandtes Konzept.323 Dass die Privatautonomie unter Lebenden in der Rückschau in einer „Willensherrschaft des Subjekts über ein bestimmtes Objekt [wurzelte], welches den Gegenstand von Verfügungen bildet und einen Vermögenswert besitzt“, 324 aber traditionell Schwierigkeiten hatte, sich mit der Person als „Zweck an sich“ zu befassen, ist keine neue Erkenntnis. Der Befund war vielmehr gerade der Anlass, die Arbeit an einem weniger dichotomisch geprägten Verhältnis von Persönlichkeits- und Vermögensrechten aufzunehmen und eine vermögensrechtlich geprägte Persönlichkeitsrechtstheorie zu entwerfen (Gierke, Kohler).325 Hinter diese Ergebnisse sollte man nicht dadurch ahistorisch zurückfallen, dass nun die Privatautonomie selbst in eine vermögens- und eine persönlichkeitsrechtliche aufgespalten wird. Trotz der atavistischen Anlage scheint Goebels Bruch mit dem Recht der Lebenden als Bezugssystem auf den ersten Blick genau das zu leisten, was so nötig ist: der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen aus dem Schatten der lebzeitigen herauszuhelfen, sie so vom Stigma der Privatautonomie zweiter Klasse zu befreien und in ihr eigenes Recht einzusetzen. Doch trügt die Heilserwartung. Das schuldrechtliche Leitbild des synallagmatischen Vertrags und dessen Verständnis von Gegenseitigkeit und Entgeltlichkeit des Leistungsaustauschs wird für das Recht der Lebenden verabsolutiert. Die Privatautonomie inter vivos bringt hiernach ausschließlich und einseitig wirtschaftsrechtliche Belange zur Geltung. Mit der Vorstellung von der „Abwertung der Affektion“326 im Recht der Lebenden wird dagegen suggeriert, dass Persönlichkeitsentfaltung nur außerhalb vermögensrechtlicher Zusammenhänge möglich und affektives oder immaterielles Interesse das alleinige und wahre Medium der höchstpersönlichen Selbstverwirklichung des Individuums im gewillkürten Erbrecht sei. 327 322 Götting, S. 9 ff.; des Weiteren Peifer, S. 141 ff. Zur Objektbezogenheit der Eigentumsfreiheit unten § 6 B. I., S. 160, II., S. 162 f. 323 Götting, S. 7 ff. 324 Götting, S. 4 ff., identifiziert das – interessanterweise unter Hinweis auf Kant – als einen Grund für die einseitige „Ausrichtung der Persönlichkeitsrechte auf den ideellen Bereich und ihre disjunktive Abgrenzung von den Vermögensrechten.“ 325 Im Einzelnen Götting, S. 7 ff.; Peifer, S. 142 f. 326 Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 124. 327 Dass das Bürgerliche Recht diese Unterscheidung so prinzipiell nicht macht, zeigt ein vergleichender Blick auf die Regelung der objektiven „Startbedingungen“ privatautonomen Handelns unter Lebenden und von Todes wegen. Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 316 f., behauptet, dass § 2229 Abs. 1 BGB das für die Testierfähigkeit maßgebliche Alter gegenüber den Regeln der Geschäftsfähigkeit herabsenke, was – ähnlich wie bei der Ehe- und Religionsfähigkeit – ein Hinweis auf den „persönlichkeitsrechtlichen Einschlag der Materien“ sei. Was die Fähigkeit zur Eingehung einer Ehe oder der Wahl des religiösen Bekenntnisses angeht, mag das zutreffen. Anderes gilt jedenfalls für die Fähigkeit, ein Testament zu errichten. Wie die un-

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2. Affekt und ökonomische Vernunft als vermeintliche Gegenpole Goebel geht jedoch noch einen Schritt weiter. Er ordnet dem lebzeitigen Vermögensrecht die Kategorie der „kognitiv-instrumentellen Vernunft“328 zu, während die Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht in diesem Bild auf den „Ausdruck der Affektnatur“ des Menschen, dessen „Leidenschaften, subjektive Befindlichkeiten und Lebensexperimente“329 im Hinblick auf die eigene Sterblichkeit, kurz auf die bare Unvernunft angesichts des Todes festgelegt wird. Ob Rationalität oder Irrationalität im Sinne eines „Rechts auf Unvernunft“330 im privatautonomen Freiheitsbereich des Individuums überhaupt als Kriterien rechtlicher Wertung taugen, ist schon mehr als zweifelhaft. Denn mit diesen Zuschreibungen wird die Privatautonomie in jeweils eine bestimmte Richtung instrumentalisiert und damit verengt. Erschwerend kommt hinzu, dass diese Funktionalisierung zu einer starren Dichotomie ausgeprägt wird. Hier ähnelt die „radikale“ paradoxerweise gerade der „klassischen“ Anschauung, von der sie sich abzusetzen meint. Qualitativ geht sie über diese insoweit hinaus, als sie den Vergleich nicht nur unter formalen (Austausch-)Kriterien anstellt wie die konventionelle,331 sondern ihr materiale Eigenschaften zuweist.

beschränkte Geschäftsfähigkeit tritt unbeschränkte Testierfähigkeit erst mit der Vollendung des 18. Lebensjahrs ein (§ 2 BGB). Beschränkt testierfähig wird der Minderjährige dagegen erst mit der Vollendung des 16. Lebensjahres (§ 2229 Abs. 1 BGB; den Begriff der beschränkten Testierfähigkeit verwirft zu Unrecht Lange/Kuchinke, § 18 II 1, S. 346; ähnlich Palandt/Edenhofer, § 2229 Rn. 3; sie ist nur anders organisiert als die beschränkte Geschäftsfähigkeit unter Lebenden: Soergel/J. Mayer, § 2229 Rn. 2, 4). Inter vivos ist dagegen beschränkte Geschäftsfähigkeit schon mit der Vollendung des 7. Lebensjahres gegeben (§§ 104 Nr. 1, 106 BGB) – also ganze neun Jahre früher. Das Bürgerliche Gesetzbuch gibt dem Minderjährigen damit wesentlich mehr Zeit, sich mit der vermögensrechtlichen Bedeutung einer Verfügung von Todes wegen vertraut zu machen und insoweit Einsichtsfähigkeit zu entwickeln. Den beschränkt Testierfähigen unterwirft das Gesetz nicht einem Zustimmungserfordernis seiner gesetzlichen Vertreter, sondern es begründet Beratungspflichten (§§ 2223 Abs. 1, 2232 Satz 2 BGB). Dass dem Minderjährigen wenig Raum für persönliche Selbstentfaltung bleibt, lässt sich vor allem daran ablesen, dass ihm die Errichtung eines eigenhändigen Testaments versagt ist (§ 2247 Abs. 4 BGB). Es kann also keine Rede davon sein, dass die Testierfähigkeit ausschließlich persönlichkeits- und nicht vermögensrechtlich zu deuten ist. Im Übrigen ist § 2229 Abs. 3 BGB, auf den sich Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 317, bezieht, im Gefolge der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit des generellen Ausschlusses mehrfach behinderter Erblasser von der Testiermöglichkeit (BVerfGE 99, 341 ff.) bereits aufgehoben worden. Für die Fähigkeit zur Errichtung eines Erbvertrags ist die Altersgrenze ohnehin nicht abgesenkt (§ 2275 Abs. 1 BGB), so dass die Goebel‘sche Lesart hier generell nicht aufgeht. 328 Persönlichkeitsrecht, S. 243. 329 Persönlichkeitsrecht, S. 243; ders., Ehegattenschutz, S. 60 f.: „ungezügelte Expressivität, […] in der Todesverarbeitung widerscheinende Ästhetisierung des eigenen Lebensentwurfs, eigenwillige Inszenierungen des Selbst und nicht zuletzt Formen unverständlicher ,Spinnerei‘“. 330 Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 232. 331 Oben B. I. 2., S. 78.

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Die lebzeitige Privatautonomie wird ihres personalen Charakters beraubt. Dabei wird unterstellt, sie folge ausschließlich den Regeln ökonomischer Vernunft. Das „neue besondere Persönlichkeitsrecht“332 Testierfreiheit wird dagegen mit dem Vorurteil belastet, es könne nicht wirtschaftlich genutzt werden, sondern diene der Person des Erblassers ausschließlich zur nicht ökonomisierbaren Todesverarbeitung. Dem entspricht die Anschauung vom „Liberalitätscharakter letztwilliger Zuwendungen“,333 die insbesondere mit dem Testament leitbildhaft verbunden wird und sich in der Kontroverse um die notwendige oder typische Unentgeltlichkeit von letztwilligen Verfügungen spiegelt, von der hier bereits die Rede war.334 Wenn man die Verabsolutierung des Leitbilds so akzeptiert, entbehrt Goebels Folgerung, der Testierfreiheit im Gegensatz zum Recht der Lebenden vermögensrechtlich die „Luft heraus zu lassen“, nicht einer gewissen Folgerichtigkeit,335 indem der gewillkürte Gütertransfer als bloßes Mittel zum Zweck der transzendentalen Selbsterfahrung verstanden wird.336 An sich ist der Freiheitsraum des Erblassers damit als in besonderem Maße „persönlichkeitsgeprägter“ Bereich der Justiziabilität entzogen, oder doch zumindest nicht mehr vollständig unterlegen.337 Doch diesen Schluss zieht Goebel explizit nicht. Er will die Testierfreiheit vielmehr als allgemeines Persönlichkeitsrecht beschreiben338 und damit gerade nicht im rechtsfreien Raum verorten. Schon dieser Widerspruch mahnt zur Vorsicht. Bereits die kritische Bestandsaufnahme hat ergeben, dass das lebzeitige Entgeltlichkeits- und Gegenseitigkeitskonzept Antworten auf die Frage vermögensrechtlicher Leistungsabhängigkeiten im Erbrecht nicht präjudizieren kann. Insbesondere ergibt sich aus dem Recht der Lebenden nicht, dass von Todes wegen Reziprozitätsverknüpfungen geldwerter Natur schon a priori ausscheiden, sondern nur, dass sie den lebzeitigen Regelungskonzepten und -instrumentarien nicht gehorchen. Ein voreiliger Schluss wäre es jedenfalls, die privatautonome Rechtsgestaltung von Todes wegen funktional ausschließlich als Entfaltung der Persönlichkeit des Erblassers im Hinblick auf sein Ableben zu denken. Vermögen, respektive Geld, wird in diesem Ansatz zum bloßen „Reservemedium“ degradiert.339 Das verkennt nicht nur, dass Verfügungen von Todes wegen „economic documents

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Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 362. Goebel, Ehegattenschutz, S. 419. 334 Oben B. III., S. 92. 335 Auf der Seite des Zuwendungsempfängers entspricht diesem Verständnis die Reduktion auf das „Symbolische der Erbenstellung“ (Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 308 f.; ders., Ehegattenschutz, S. 831). Unten § 7 B. II. 2. b., S. 216, m. Fn. 72. 336 Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 172 ff., spricht von einer „Funktionalisierung des Vermögens bei der Verarbeitung des individuellen Todes“. 337 Zuletzt Röthel, S. 78 f.; grundlegend Comes, S. 39. S. auch Hepting, S. 190 ff. 338 Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 181 ff., 359 ff. 339 Goebel, Ehegattenschutz, S. 93. 333

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of vital importance“340 sind, die sich in ihrer vermögensrechtlichen Bedeutsamkeit nicht auf rein symbolische Handlungen in Form von „psychischen“ oder „sozialen Gratifikationen“ reduzieren lassen. 341 Es heißt vor allem, dass die Privatautonomie – gleich, ob in ihrer erbrechtlichen oder lebzeitigen Erscheinungsform – im Wesentlichen das ist, was der solcher Maßen Handelnde aus ihr macht.342 Mit anderen Worten: Die Freiheit des Bürgers besteht gerade darin, dass man ihn nach den Zwecken seines Verhaltens nicht fragt. 343 Dem korrespondiert eine generelle Zurückhaltung der Privatrechtsordnung im Hinblick auf die Bewertung von Handlungsmotivationen privatautonom handelnder Individuen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Erblasser meint, er könne mit der Errichtung einer Verfügung von Todes wegen ein Stück „Todesverarbeitung“ leisten. Real denkt er freilich nicht über „seinen Tod“344 nach – denn im Tod, der jeder Erfahrung entzogen ist, kann man sich nicht üben 345 –, sondern reflektiert angehalten vom Tod anderer346 möglicherweise über seine eigene Sterblichkeit.347 340

De Waal, Stell LR 1997, 162, 166; Friedman, Wisconsin LR 1966, 340, 371. Goebel, Ehegattenschutz, S. 93, 109, 151, 153; und passim; in Bezug auf das gemeinschaftliche Testament, das in diesem Konzept vermögensrechtlich vollkommen marginalisiert wird. Ders., a.a.O., S. 108: „In diesem Prozess des gegenseitigen Gebens und Nehmens in der Verarbeitung der eigenen Sterblichkeit kommt dem rechtsgeschäftlich[en] Akt der eigentlichen Vermögensordnung post mortem eine eher untergeordnete Bedeutung zu.“ S. auch ders., a.a.O., S. 113. Gegenstand des „sozialen Austauschs“ der testierenden Ehegatten sei „nicht nur die Verfügung selbst, sondern auch die Chance, im Blick auf den Tod des intim Verbundenen den eigenen besser ertragen zu lernen“ (ders., a.a.O., S. 108), mithin die Spiegelung des eigenen Ablebens in dem des anderen (ders., a.a.O., S. 150) – eingebunden in den Prozess „gemeinsamer Todesverarbeitung in intim codierter Kommunikation“ (ders., a.a.O., S. 109). Die Argumentation baut auf dem philosophischen Diskurs von der Liebe als Medium zur Enthüllung des Undenkbaren des Todes auf (B. Schumacher, S. 164 f., m.w.Nw.): Der Tod des geliebten Menschen stellt sich für den anderen jedoch in erster Linie als Verlust dar, der die eigene Sterblichkeit in Erinnerung ruft. Der eigene Tod, der Tod des anderen oder gar der Tod als solcher wird dadurch nicht zugänglich. „Gemeinsame Todesverarbeitung“ ist daher ein Ding der Unmöglichkeit. Eheliche Solidarität bezieht sich auf den Prozess der Sterbebegleitung. Eine unmittelbare Umsetzung dieses Belangs in die Bindungswirkung eines gemeinschaftlichen Testaments scheidet jedoch aus. 342 Oechsler, S. 132, für die Vertragsfreiheit (unter Lebenden). 343 Baston-Vogt, S. 128, m.w.Nw. in Fn. 542; Isensee, DNotZ 2004, 754, 758: „Wer seine grundrechtliche Freiheit ausübt, braucht sich dafür nicht zu rechtfertigen.“; s. auch Murswiek, S. 143. 344 B. Schumacher, S. 152 ff., der sich in diesem Zusammenhang explizit auf „das Aufsetzen eines Testaments“ bezieht. Die Aussage „mein Tod“ legt Zeugnis vom „Bewusstsein ab, jederzeit sterben zu können“, reflektiert wird also – wenn überhaupt – über Sterblichkeit (a.a.O., S. 152). 345 B. Schumacher, S. 151, m.w.Nw. 346 Zum Tod des anderen als Katalysator der Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit B. Schumacher, S. 96 ff. 347 Friedman, Wisconsin LR, 340, 373: „The will is an instrument […], embodying too (from the standpoint of the testator) a sense of mortality – the precision and proximity of 341

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Denkbar ist auch, dass er, ohne dies zu tun, schlicht ein Szenario der Welt der Lebenden entwirft, in dem er selbst nicht mehr vorkommt. Das ist nicht unbedingt Ausdruck des Heidegger’schen Seins zum Tode, der dem Lebenden den Tod als Möglichkeit der Unmöglichkeit einschreibt, der ihn sein Leben lang im Sinne eines Memento mori vorwegnimmt und „wiederkäut“.348 Solange der Erblasser lebt, plant er die Zeit nach seinem Tode viel eher im Sinne eines offenen Prozesses, in dessen Verlauf er viele alternative Entwürfe durchspielen kann, die sich allesamt auf das Leben beziehen – nämlich das Leben ohne den Erblasser. Dieser ist wie jeder Mensch in der Lage, sich die Wirklichkeit vorzustellen, ohne selbst in der Wirklichkeit sein zu müssen.349 Nur ein death.“ Zur Inkompatibilität dieser Vorstellung mit dem „Todesbegriff“ des Bürgerlichen Gesetzbuchs oben B. IV. 1., S. 96. 348 B. Schumacher, S. 105. 349 B. Schumacher, S. 228, beschreibt das zu Recht als Ausdruck von Transzendentalität. Allerdings ist sie kein Parameter des Rechts (oben Einleitung, S. 7), weder in Gestalt der auf das Diesseits noch als auf das Jenseits bezogenen Transzendenz. Die Vorstellung einer diesseitigen Transzendenz, die strukturell der Vorstellung vom Tod im Leben noch am nächsten kommt, ist das Kennzeichen einer vormodernen (Status-)Gesellschaft, in der die einzelnen Teilsysteme (hier: Recht und Religion) funktional nicht ausdifferenziert sind. Für das antike römische Gemeinwesen muss man diesen Befund mit Fögen, S. 207 f., präzisieren und feststellen, dass zwar das Recht ein außerordentlich hoch entwickeltes und strukturell unabhängiges System war, die Religion aber dem gegenüber eher untergeordnete Bedeutung hatte. Paulus, S. 20 ff., 33, hat eindrucksvoll aufgezeigt, dass die antike römische Gesellschaft einen dezidiert diesseitigen Unsterblichkeitsglauben ausgeprägt hatte. Er wurde von der ständigen Todespräsenz im Leben, aber auch von einem Ahnenkult gespeist, der die frühere Existenz der Verstorbenen bei den Späteren aufgehoben sah (allgemein zu frühen „Ahnenkult-Gesellschaften“ Canetti, S. 312 ff.). Das Testament ist in einer solchen vormodernen Gesellschaft in der Tat ein „Unsterblichkeitsmal“ (Paulus, S. 46 ff., 309). Dem modernen Menschen bereitet „der subtile Gedanke einer Verbindung letztwilliger Verfügungen mit der Idee der Unsterblichkeit Verständnisschwierigkeiten“ (Schiemann, ZEV 1995, 197, 199). Was die Vorstellung jenseitiger Transzendenz anbelangt, ist noch einmal die Religion angesprochen, die im modernen Recht eine Privatangelegenheit des Individuums ist und in der Rechtsgeschäftslehre mithin ein Motiv, das die Rechtsordnung neben anderen akzeptiert. Strukturell gekoppelt im systemtheoretischen Sinn sind Recht und Religion im säkularen Staat nicht. Pointiert gesagt: Der Notar, der die Parteien bei der Errichtung einer Verfügung von Todes wegen berät, hat nicht die Funktion eines Geistlichen. Er beschäftigt sich nicht von Berufs wegen mit der Wechselbeziehung von Immanenz und Transzendenz. Immerhin klingt dieser religiöse Code (Luhmann, Gesellschaftsstruktur, Bd. 3, S. 313 ff.; Knoblauch, S. 132) bei einigen juristischen Autoren an; so etwa, wenn von der „mystical extension of the personality“ die Rede ist (Friedman, Wisconsin LR, 349, 373) oder von der „besonderen Würde“ der Verfügung von Todes wegen, die sich daraus ergibt, „dass die verfügende Person über ihre Verhältnisse für die Zeit nach ihrem Tode Regelungen trifft“ (Flume, BGB AT II, § 11, 6 a, S. 148, § 16, 5, S. 333). Aber das ist nicht mehr als der Bezug auf den christlichen Bedeutungshorizont als kulturelle Grundlage des Rechts im weitesten Sinne (s. dazu Peifer, S. 30 f.). Es hat im Zivilrecht keinesfalls die Züge einer Zivilreligion angenommen, die das Vakuum, das die abnehmende integrative Funktion des Religiösen hinterlassen hat (Luhmann, Religion, S. 242 ff.), für ihren Bereich ausfüllen könnte (zum umstrittenen Begriff und Konzept der Zivilreligion Luhmann, Soziologische Aufklärung, Bd. 3, S. 293, 304 ff.; Knoblauch, S. 105 ff.; Taylor, S. 61 ff.; jew. m.w.Nw.).

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Plan, den sich der Erblasser zu Lebzeiten für die Zeit nach seinem Tod zurecht gelegt hat, nämlich derjenige, der in der letzten Willenserklärung vor Eintritt des Erbfalls niedergelegt ist, wird letztlich Geltung erlangen, die anderen bleiben Utopie. Der Tod verunmöglicht letztlich den Entwurf weiterer Möglichkeiten, aber der Optionen waren zu Lebzeiten viele; und dem Erblasser ist mit dem Instrument des Widerrufs und der Selbstanfechtung beim Erbvertrag auch die Macht dazu an die Hand gegeben, die Zeit nach dem Tod immer wieder neu zu entwerfen. Dem Heidegger’schen Wissen um die Begrenztheit des Seins lässt sich deshalb mit der gleichen Berechtigung das Bloch’sche Prinzip Hoffnung entgegenstellen.350 Für das Recht ist das philosophische Todeskonzept – so sich das Individuum tatsächlich eines wählt –, jedoch letztlich nicht entscheidend. Die „Todesverarbeitung“ als Motiv für die erbrechtliche Anordnung oder handlungsinitiierender Impuls ist ihm – solange die gesetzlichen Grenzen privatautonomer Entfaltung nicht berührt werden – genau so willkommen, wie andere dezidiert diesseitige Handlungsimpulse: etwa das lebzeitige Signal an die Enterbten, das von einem Ausschluss von der gesetzlichen Erbfolge ausgeht (§ 1938 BGB)351 oder das Bemühen um die nachhaltigste materielle Versorgung eines behinderten Abkömmlings im so genannten Behindertentestament. 352 Im einen Fall steht die Sanktion der Lebenden im Vordergrund, im anderen Fall die bestmögliche vermögensrechtliche Versorgung des Bedachten. Keinesfalls wird aber das Vermögen stets oder nur typischerweise funktionalisiert, 353 und erst recht nicht im Sinne einer hinreichenden Bedingung zur Meditation über die Sterblichkeit. 354 Dem (Erb-)Recht ist das – wie gesagt – gleich (recht). Es berücksichtigt zwar

350 B. Schumacher, S. 108 ff., 232, 246, m.w.Nw. Es gibt auch noch andere philosophische Konzepte außer dem Heidegger’schen, die Goebel nicht in den Blick nimmt, die sich aber durchaus auch im Kontext der Testierfreiheit lesen lassen. Nach Sartres Vorstellung ist der Tod ein Sieg der anderen im Kampf mit den Überlebenden. Aus dem individuellen „FürSich“ macht er ein bloßes „An-Sich“, über das nunmehr ein anderes lebendes „Für-Sich“ im Wege der Erinnerung verfügt. Der Ansatz klingt in der juristischen Literatur durchaus an, so bei Koebel, NJW 1958, 936, 937: „Der Verstorbene führt nicht mehr den Kampf um seine Existenz als Rechtsgenosse unter Rechtsgenossen.“ Die erbrechtliche Willenserklärung lässt sich dem gegenüber als der Versuch deuten, die Reduktion des „Für-Sich“ zu verhindern, in dem den überlebenden „Für-Sichs“ für die Zeit nach dem Ableben Vorgaben gemacht werden. Sie müssen sie beachten, wenn sie in den Genuss des Vermögens des Erblassers kommen wollen und erlauben es, dem toten „Für-Sich“ bis zu einem gewissen Grade seine Unverfügbarkeit zu erhalten, ohne zur reinen „Möglichkeit der anderen“ zu werden. Im Einzelnen zum Gedankenmodell Sartres B. Schumacher, S. 125 ff., 136 f. 351 Westermann, Fs. Wiegand, S. 661, 665 ff., spricht von einer „privaten Strafmaßnahme“. Das ist insofern wenig glücklich, als es sich bei der Enterbung um ein Gestaltungsmittel handelt, das das Bürgerliche Gesetzbuch dem Erblasser ausdrücklich einräumt. 352 Unten § 11 B. II. 1., S. 260 ff. 353 Oben S. 112, Fn. 336. 354 So aber Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 172 ff.

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Motive in stärkerem Maße als das Recht der Lebenden das tut, aber es bevorzugt inhaltlich keines vor dem anderen. Der gleichberechtigten Mannigfaltigkeit der Motive355 entspricht die Variabilität der privatautonomen Gestaltungsoptionen, die dem rechtsgeschäftlich Tätigen zu Gebote stehen. Der Erblasser kann sich entscheiden, sein vermögenswertes Potenzial von Todes wegen unter Lebenden einzusetzen: entweder indem er eine Verfügung von Todes wegen in ein lebzeitiges rechtsgeschäftliches Gefüge einbindet – wie das der Erblasser in dem berühmten Boehmer’schen Gutachten getan hat356 – oder auch dadurch, dass er im Wege der so genannten vorweggenommenen Erbfolge lebzeitige Anordnungen auf den Todesfall trifft. 357 Nicht zuletzt die Fülle der rechtsgeschäftlichen Instrumente, die zur Verfügung stehen, sowie deren unterschiedliche Rechtsnatur zeigt, dass der Tod für sich weder ein Faktor ist, der notwendig zur Reflexion über die eigene Person, genauer über deren Mortalität, anhält, noch dass dies zwingend in einer Verfügung von Todes wegen zu geschehen hätte. Mit der Ausnahme der so genannten Nottestamente, die die nahe Todesgefahr zur tatbestandlichen Voraussetzung erheben, 358 kann der Tod auch in der Bewusstseinshaltung eines zwar nicht abänderbaren, aber noch nicht unmittelbar aktuellen Faktums behandelt werden. Das Bürgerliche Recht akzeptiert das gerade bei den Nottestamenten, nämlich für den Fall, dass sich die nahe Todesgefahr, während der der Erblasser die außerordentliche letztwillige Verfügung errichtet hat, nicht realisiert (§ 2252 Abs. 1 BGB). Die Verfügung ist ihrer aus den besonderen Umständen der Errichtung herrührenden „eingeschränkten Gültigkeitsgewähr“359 wieder verlustig gegangen. Sie soll nicht fortbestehen, weil die situativ erfahrene aktuelle Todesbesorgnis wieder der allgemeinen Erfahrung um die menschliche Sterblichkeit gewichen ist. In der Philosophie hat man dafür den Terminus des „uneigentlichen Tods“ (Heidegger) gefunden.360 In diesem Fall ist die Verfügung von Todes wegen, aber auch das Rechtsgeschäft unter Lebenden auf den Todesfall für den Erblasser in erster Linie ein vermö355 Einen instruktiven Überblick über die vielfältigen Beweggründe römischer Testatoren gibt Paulus, S. 53 ff.: Es geht um Kinderversorgung (S. 54 ff.), Dankbarkeit (gratia) (S. 58 ff.), Freundschaft (amicitia) (S. 68 ff.), die Entlohnung von lebzeitig geleisteten Diensten (S. 72 ff.) und nicht zuletzt um politische Motive (S. 74 ff.). 356 Fs. Lehmann, S. 461 ff. Unten § 6 B. II., S. 164, m. Fn. 74. 357 Weswegen der Umstand, dass allein der Erbgang das gesamte Vermögen des Erblassers erfasst, einen Unterschied für die Frage der Todesreflexion im Rechtsgeschäft macht und die so genannte vorweggenommene Erbfolge dafür prinzipiell nicht in Frage kommt, bleibt unerfindlich. Anders Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 175 f. 358 Oben Einleitung, S. 8. 359 Staudinger/Baumann, § 2252 Rn. 3. 360 B. Schumacher, S. 98, m.w.Nw. Dieser Begriff ist gemeint, wenn Goebel, Ehegattenschutz, S. 903, m. Nw. in Fn. 4, Heidegger mit den Worten zitiert, der Tod komme der herrschenden Erbrechtsdogmatik nur als ein „Hinausgeschoben [sein] auf ein später einmal“ in den Blick.

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gensrechtliches Instrument, das auch inter vivos planvoll eingesetzt werden kann. Passend zu diesem Befund werden Irrationalität361 und Affektion unter Lebenden und von Todes wegen im Grundsatz genauso akzeptiert wie der ökonomisch wohlkalkulierte Ressourceneinsatz. Sie sollten nicht vorab einer bestimmten Ausprägung der Privatautonomie zugewiesen und auch nicht zueinander in Frontstellung gebracht werden.362 Auch das Recht der Lebenden fragt im Grundsatz nicht nach dem „Warum so und nicht anders?“.363 Dafür sorgt schon der Grundsatz der formellen Vertragsfreiheit, der an das Recht vor allem ein Zurückhaltungsgebot gegenüber dem privatautonom Gewollten formuliert.364 Schließlich berücksichtigt das Recht affektive Belange keinesfalls nur im gewillkürten Erbrecht und auch nicht nur rein final, um die „instrumentell-ökonomische Vernunft“, die Goebel ausschließlich im (Vermögens-)Recht der Lebenden am Werk sieht, zu relativieren.365 Vielmehr sind diese Beweggründe – wie eine Vielzahl anderer mehr – innerhalb des rechtsgeschäftlichen Freiheitsrahmens nebeneinander aufgehoben und nicht als Antipoden aufgestellt.366 Keinesfalls verdichtet sie das Recht selbst zu gegenläufigen juristischkonstruktiven Strukturprinzipien. Sonst liefe die Privatautonomie in Gestalt einer gesetzlich verordneten „Motiv(ations)diktatur“ Gefahr, für das freiheitsbegabte Individuum tatsächlich zur Zumutung zu werden. Das klingt auf eine ganz bedenkliche Weise an, wenn Goebel von einem heilsamen „symbolischen Zwang“ spricht, den das Gesetz auf den Erblasser ausübe, sich „durch die persönliche Bestimmung des Erben seiner Todesverarbeitung zu stellen.“367

361 Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 171, m. Fn. 174: „Die Verarbeitung des Todes ist vielmehr der irrationale Topos schlechthin, dessen Sinngebung gerade nicht argumentativ kommunizierbar ist und zu dem man nur sagen kann: Es ist eben so.“ Der intuitiven Intelligenz wird hier gegenüber der diskursiven der Vorrang eingeräumt (Scheler). Zur Kritik dieses Ansatzes aus philosophischer Sicht B. Schumacher, S. 86 ff. 362 Das Verfassungsrecht tut das im Übrigen auch nicht. Oben § 6 C. II. 2., S. 176 ff. 363 Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 171. 364 Im Grundsatz ist die formelle Anschauung auch im gewillkürten Erbrecht maßgeblich. Unten § 6 C. II. 4. b., S. 190 f. 365 Diesen Antagonismus baut Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 170, auf. 366 Anders Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 248 f. Er spricht von „Rollenzumutungen“, die an den Erblasser in Gestalt des erbrechtlichen Vermögensrechts herangetragen würden und ihm, indem es ihn an die „instrumentell-ökonomische Vernunft [ausliefere], die den Zusammenhang zwischen Vermögen und Person nicht anders als in den Kategorien strategischer Vernunft […] denken kann“, die „Möglichkeit der Selbstwerdung als Person“ nehme. 367 Persönlichkeitsrecht, S. 308. Die Aussage steht in inhaltlichem Zusammenhang mit der so genannten materiellen Höchstpersönlichkeit erbrechtlicher Verfügungen gemäß § 2065 Abs. 2 BGB und wird sofort wieder relativiert. Immerhin taucht sie jedoch auf.

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§ 4 Die Testierfreiheit im Verhältnis zur lebzeitigen Verfügungsfreiheit A. Kausalität des erbrechtlichen Erwerbs und erbrechtlicher Typenzwang aus lebzeitiger Sicht Mit dem Einfluss der Vertrags- auf die Testierfreiheit hat es nicht sein Bewenden. Das Recht der Lebenden erweist sich für die Testierfreiheit noch in einer anderen, nicht unproblematischen Weise als prägend. Deutlich wird das an Äußerungen wie den beiden folgenden: „Es gibt vielmehr einen [erbrechtlichen] Typenzwang; das Erbrecht steht insoweit dem Sachenrecht näher als dem Schuldrecht.“1

Oder: „Wie im Sachenrecht hat auch der erbrechtliche Typenzwang seinen Grund vor allem darin, dass die Verfügung von Todes wegen nicht nur obligatorische Verpflichtungen inter partes schafft [sic!], sondern Rechtslagen mit unmittelbarer Wirkung gegen Dritte gestaltet.“2

Was hier erneut sichtbar wird, ist das Bemühen, sich zur Erklärung eines bestimmten Aspekts der Testierfreiheit nicht auf deren erbrechtliche Beschaffenheit zu beziehen, sondern erneut das lebzeitige Referenzsystem aufzurufen, hier neben dem schuldrechtlichen insbesondere das sachenrechtliche. 3 Das wird 1 MünchKomm/Leipold, § 1937 Rn. 10. Ähnlich Staudinger/Otte, § 1936 Rn. 14: „Vielmehr besteht im Erbrecht ein (dem Sachenrecht ähnlicher) Typenzwang.“; Goebel, Ehegattenschutz, S. 305, m.w.Nw. in Fn. 201: „Zwar kann der Erblasser nur solche Verfügungen von Todes wegen treffen, die im Gesetz ausdrücklich als zulässig anerkannt sind […]. Der Grund hierfür liegt – ähnlich wie im Sachenrecht [Hervorhebung nicht im Original] – in der interomnes-Wirkung erbrechtlicher Verfügungen […].“; Grasmann, S. 13: „Insofern herrscht im Erbrecht – ähnlich wie im Sachenrecht [Hervorhebung nicht im Original] Typenzwang“: Frank, § 1, Rn. 3: „Es herrscht also, ähnlich wie im Sachenrecht [Hervorhebung nicht im Original], Typenzwang.“ 2 Kipp/Coing, § 20 I, S. 134. 3 Goebel, Ehegattenschutz, S. 305 Fn. 204 a.E., empfiehlt sogar explizit, die Ansätze zur Begründung des sachenrechtlichen Typenzwangs auf ihre Tauglichkeit für den erbrechtlichen zu überprüfen: „Für den erbrechtlichen Typenzwang stehen derartige [nämlich am Sachenrecht orientierte] Überlegungen derzeit noch aus“, schreibt er – die Arbeit von Deeg, Testierfreiheit und Typenzwang, 2003, freilich nicht berücksichtigend.

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vor allem in der Parallele deutlich, die zur Begründung des Vergleichs zwischen Verfügungen von Todes wegen und unter Lebenden gezogen wird:4 Ähnlich wie diese schaffe die erbrechtliche Verfügung nicht nur „obligatorische Verpflichtungen inter partes“ [sic!], sondern gestalte die Rechtslage „mit unmittelbarer Wirkung inter omnes“, heißt es wörtlich fast übereinstimmend bei von Lübtow5 und Zawar.6 Der Umstand, dass Verfügungen von Todes wegen erst im Zeitpunkt des Erbfalls wirksam werden, bleibt bei dieser Konzeption freilich unberücksichtigt. Diesen Mangel meint Battes konstruktiv dadurch beheben zu können, dass er die Verfügung von Todes wegen als eine durch das Überleben des Erblassers bedingte, auf dessen Tod befristete, unmittelbar und dinglich wirkende Zuwendung definiert.7 Damit wird die für die Testierfreiheit charakteristische Zweiteilung in die „Errichtungs-“ oder „Gültigkeitsphase“8 der Verfügung von Todes wegen, die der Erblasser naturgemäß noch erlebt,9 und die „Wirksamkeitsphase“ mit und nach seinem Tod durch das (lebzeitige) Konzept der unmittelbaren Begründung von Rechtspositionen konstruktiv aufgehoben.10 Die Verfügung von Todes wegen wird auf diese Weise in eine aufschiebend bedingte unter Lebenden auf den Todesfall uminterpretiert;11 es findet eine „nicht unbedenkliche Verschiebung“ zugunsten der Verfügungen unter Lebenden statt, beklagt Kanzleiter 12 zu Recht. Sie geht – fährt er fort –, „inzwischen so weit, dass fast jede Einzelzuwendung von Todes wegen materiell durch einen Vertrag zugunsten Dritter ersetzbar ist.“13 Dabei verschleiert insbesondere die Annahme eines Geltungsaufschubs der mit Geschäftsvornahme bindend gewordenen Verfügung,14 dass der eigentlich 4

Berger, S. 97, m. Fn. 37, spricht von „Berührungspunkten“. I, S. 111: „Der rechtspolitische Grund für den erbrechtlichen Typenzwang liegt darin, dass die Verfügung von Todes wegen nicht nur obligatorische Wirkung inter partes schafft [sic!], sondern die Rechtslage mit unmittelbarer Wirkung inter omnes gestaltet.“ S. auch Deeg, S. 3. 6 S. 82, m.w.Nw. in Fn. 17. 7 AcP 178 (1978), 337, 342 f. Ihm folgend Miserre, S. 283. 8 Zur Unterscheidung der Gültigkeit von der Wirksamkeit einer Verfügung von Todes wegen s. Harder/Kroppenberg, Rn. 118. Den Begriff der Wirksamkeit gebraucht fehlerhaft: Soergel/Stein, § 1937 Rn. 11 ff., § 1941 Rn. 2. 9 S. oben Einleitung, S. 7. 10 Gegen eine Gleichsetzung von Verfügungen unter Lebenden und von Todes wegen aus diesem Grund auch Berger, S. 223. Des Weiteren Krebber, AcP 204 (2004), 149 (161); Otte, ZEV 2004, 394, 395, Fn. 30. 11 S. oben § 3 B. IV. 3., S. 101 Fn. 277. Aufschiebende und auflösende Bedingungen gehören nicht umsonst zum rechtsgeschäftlichen Planungsinstrumentarium der vorweggenommenen Erbfolge: Kollhosser, AcP 194 (1994), 231, 235. 12 Staudinger/Kanzleiter, § 2289 Rn. 23. 13 Staudinger/Kanzleiter, § 2289 Rn. 23. 14 Eingehend zur Konstruktion des Tatbestands des bedingten Rechtsgeschäfts Radke, S. 81 ff., m.w.Nw. 5

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„lebzeitige“, weil zu Lebzeiten des Erblassers stattfindende Ausübungsakt der Testierfreiheit die Errichtung der Verfügung von Todes wegen ist. Statt dessen werden die beiden Verfügungstypen ausschließlich von ihren Wirkungen her betrachtet und bedingte Rechtsgeschäfte auf den Todesfall und Verfügungen von Todes wegen daher irrtümlich für kommensurabel gehalten.15 Als tertium comparationis wird die Unmittelbarkeit des Rechtserwerbs eingesetzt. Dabei übersieht man, dass die Güterzuordnung von Todes wegen stets kraft Gesetzes, nämlich gemäß § 1922 Abs. 1 BGB im Wege der Universalsukzession erfolgt, das heißt selbst dann nicht auf einem gesonderten willentlichen (dinglichen) Konsens basiert, wenn die Erbfolge auf Rechtsgeschäft beruht. Aus diesem Befund ergibt sich freilich nicht zwingend, dass Verfügungen von Todes wegen „ohne kausale Farbe“, vielmehr notwendig abstrakt seien, weil „die causa des erbrechtlichen Erwerbs keiner weiteren lebzeitigen16 Kausalgrundlage bedarf“.17 Das ist – entgegen früherer verfehlter Auffassungen in der Literatur18 – heute nicht mehr zu bestreiten. Doch ist nicht einzusehen, weshalb die causa zwingend ein von der letztwilligen Verfügung zu unterscheidendes lebzeitiges Rechtsgeschäft sein muss. Die Frage nach der causa einer Verfügung von Todes wegen zu stellen, macht nur aufgrund eines lebzeitigen Vorverständnisses Sinn, das die Verfügung von Todes wegen mit der Verfügung unter Lebenden gleichstellt. Allerdings bewirkt diese im Unterschied zur lebzeitigen die erstrebte Rechtsübertragung nicht unmittelbar,19 was den Schluss erlaubt, die Verfügung von Todes wegen übernehme bei der rechtsgeschäftlichen Erbfolge die Funktion der causa selbst. Dafür spricht ganz entschieden, dass sie die neue Eigentumszuordnung nicht unabhängig von der erbrechtlichen Verfügung des Erblassers zustande bringt, sondern vielmehr, soweit sie wirksam ist, nach deren Maßgabe. Man kann das mit Harder auch so ausdrücken: Für die Frage, ob „unter Lebenden“ oder „von Todes wegen“ gehandelt wird, kommt es allein auf die rechtliche Struktur des Grundgeschäfts an.20 Einen davon zu unterscheidenden abstrakten dinglichen Vertrag gibt es im Erbrecht nicht. An seine Stelle tritt vielmehr die Universalsukzession. Diese stellt die neue Güterzuordnung so her, wie in der Verfügung von Todes wegen vorgesehen. Die Konstruktion einer Meta-Causa erübrigt sich. 21 Das zeigt sich besonders deutlich im pathologischen Fall der Unwirksamkeit der Verfügung von Todes wegen. In diesem Fall entfällt nicht nur – wie bei kau15

So insbesondere Windel, S. 343 f. Hervorhebung nicht im Original. 17 So aber Muscheler, Vonselbsterwerb, S. 36 f.; vor ihm bereits Windel, S. 379, m.w.Nw. S. auch Spellenberg, NJW 1986, 2531, 2537, m.w.Nw. in Fn. 82. 18 Windel, S. 379, m.w.Nw. in Fn. 119, 123. Unten § 5 B. I., S. 145, m. Fn. 136. 19 Nicht vertretbar insoweit Stumpf, S. 29. 20 Harder, Zuwendungen, S. 119. 21 Nur im Ergebnis wie hier Windel, S. 388 f. 16

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salen Rechtsgeschäften unter Lebenden – der Rechtsgrund für das Behaltendürfen der Zuwendung. Im Unterschied zum Recht der Lebenden hat der Mangel der causa vielmehr unmittelbar Auswirkungen auf die Güterzuordnung. Es kommt nicht zu einer Rückübertragung aus dem Gesichtspunkt ungerechtfertigter Bereicherung, sondern der wahre Erbe hat unmittelbar oder jedenfalls nach Anfechtung petitorische und possessorische Herausgabeansprüche gegen den Erbschaftsbesitzer (§ 2018 BGB, § 2029 i.V.m. §§ 985, 986 BGB, § 861 BGB). „Fehler“ der Verfügung von Todes wegen schlagen auf den erbrechtlichen Erwerb durch. Verfügung und Erwerbsmodus sind aufgrund mangelnder Trennung und Abstraktion ungleich stärker aufeinander bezogen, als das bei schuldrechtlichem Grund- und sachenrechtlichem Vollzugsgeschäft inter vivos der Fall ist. 22 Die Willenserklärung von Todes wegen gibt nicht nur den Grund für die neue Güterzuordnung an. 23 Sie rechtfertigt vielmehr als solche den nachfolgenden Erwerb von Todes wegen oder lässt ihn scheitern.24 Das ist das charakteristische Merkmal von Kausalität. 25 22 Zu den Durchbrechungen des Abstraktionsprinzips de lege lata Stadler, S. 82 ff. Zur Relativierung des Abstraktions- bzw. Trennungsprinzips durch „Obligatorisierung des Sachenrechts“ dies., S. 102 ff.; Wiegand, AcP 190 (1990), 112 ff., 121 ff. S. auch Goebel, Ehegattenschutz, S. 784, m.w.Nw. in Fn. 17. 23 Stadler, S. 112. 24 In diesem Sinne ist die Universalsukzession nicht „berufungsgrundneutral“. So aber Muscheler, Vonselbsterwerb, S. 41. Beim Erwerb aufgrund gesetzlicher Erbfolge verhält sich das im Übrigen nicht anders. Angenommen, der nicht verheiratete Erblasser A hinterlasse kein Testament, aber einen Bruder B, der den Nachlass in Besitz nimmt. Danach stellt sich heraus, dass A eine nicht eheliche Tochter T hatte. Beerbt worden ist der Erblasser gemäß §§ 1924 Abs. 1, 1930 BGB von T. Nicht etwa hat B die Erbschaft zuordnungsrechtlich wirksam, aber ohne Rechtsgrund erworben. 25 Hepting, S. 327, m.w.Nw. in Fn. 69. Windel, S. 219 ff., 370: „Zuwendungen, die auf abstrakten Rechtsgeschäften beruhen, können kondiziert werden, solche, die auf kausalen Rechtsgeschäften beruhen, können nicht kondiziert werden. Der Ausschluss der Kondizierbarkeit von Zuwendungen aufgrund kausaler Geschäfte folgt daraus, dass bei diesen die Wirksamkeit der causa über die Zuwendung selbst entscheidet.“ Im Ansatz wie hier Goebel, Ehegattenschutz, S. 417, 424, und passim, der freilich von einer „gewillkürten Abstraktheit“ (ders., a.a.O., S. 426), genauer, Abstrahierbarkeit des erbrechtlichen Rechtsgeschäfts durch nachträgliche Zweckvereinbarung ausgeht. Sie soll in der „Verbindung des Erbvertrags mit seinem Rechtsgrund“ in Gestalt eines lebzeitigen Rechtsgeschäfts liegen. Jedoch lässt sich die Verbindung von erb- und lebzeitigen Geschäften, die § 2295 BGB für Erbverträge, mit dem Iunctim „mit Rücksicht auf“ umschreibt, konstruktiv weder als gestaffelte Meta-Causa verstehen (soeben oben im Text), noch als Verschmelzung zu einem einheitlichen (erbrechtlichen oder schuldrechtlichen ?) Rechtsgrund deuten (so aber offenbar Goebel, a.a.O., S. 424: „Es muss etwas zu dem Erbvertrag hinzukommen, was diesen insgesamt zu einem abstrakten Rechtsgeschäft werden lässt.“ (Hervorhebung nicht im Original); wie hier Krebber, DNotZ 2003, 20, 31, unter Hinweis auf § 2295 BGB). Die gesteigerte Zweck- oder Motivorientierung des gewillkürten Erbrechts ist sicher nicht zu bestreiten. Jedoch ist das ein intra-erbrechtliches Phänomen. Es kann nicht für Anstaffelungen herhalten, die über das Erbrecht hinaus reichen, indem sie anders geartete (lebzeitige) Zwecke mit einbeziehen und die zwischen ihnen bestehenden Unterschiede damit einebnen. Um eine Zweckdopplung, Staffelung oder

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Damit ist zugleich gesagt, dass der Typenzwang26 im Erbrecht nicht dieselbe Funktion haben kann wie im Sachenrecht als Bestandteil des Rechts der Lebenden, 27 so man im Erbrecht einen Typenzwang überhaupt anerkennen muss. 28 Er hilft hier weder die Autonomie des sachenrechtlichen Vollzugsakts sichern, noch sorgt er für eine konsequente Trennung des dinglichen Erwerbs von der zugrunde liegenden kausalen Verfügung von Todes wegen. 29 Denn eine gar „Zwecküberlagerung durch den angelagerten Zweck“ (Goebel, a.a.O., S. 434) geht es daher im Fall des Zusammentreffens von erb- und schuldrechtlichen causae nicht. Nicht umsonst differenziert Weber, JZ 1989, 25, 26, denn auch die so genannten Veranlassungsfälle von den originären Fallgestaltungen der „Zweckanstaffelung“. Gerade weil erb- und schuldrechtliche causae im Hinblick auf ihren Zweck (nicht aber im Hinblick auf ihre Rechtsgrundqualität, so aber Windel, S. 378; gegen ihn Muscheler, S. 41 ff.; und oben § 3 B. III., S. 89 f.) zu differenzieren sind, müssen beide auch bereicherungsrechtlich getrennt bleiben. Denn die Art der Zweckverfehlung bestimmt den Kondiktionstyp. Verschieden geartete Zwecke können, wenn das Recht der ungerechtfertigten Bereicherung tatsächlich nur das Spiegelbild der Gegebenheiten auf Rechtsgeschäftsebene ist, im Rahmen der condictio ob rem privatautonom nicht zu einer (nunmehr) abstrakten Zweckcausa verwandelt werden. Die causa würde ihrer Zweckstruktur nach ein nicht handhabbarer Zwitter, der mit der vereinbarten Abstraktheit außerdem das typische Kriterium eines Verkehrsgeschäfts unter Lebenden aufwiese (zum mangelnden verkehrsgeschäftlichen Charakter der Verfügung von Todes wegen sogleich im Text). Rückabgewickelt wird stets die lebzeitige Aufwendung, die mit Blick auf eine erbrechtliche Zuwendungsaussicht erfolgt ist, die sich später zerschlagen hat und die im Fall der condictio ob rem gemäß § 812 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 BGB gerade nicht aus einer eigenständigen Zweckvereinbarung geschuldet war. Oder anders gesagt: Die Rückabwicklung fehlgeschlagener Leistungsabhängigkeiten wird im Unterschied zum Recht der Lebenden im Erbrecht nicht im Focus der einzelnen Austauschbeziehung bewerkstelligt. Liegt dagegen eine selbstständige Zweckabrede vor, verstößt sie entweder gegen § 2302 BGB (Haas/Holla, ZEV 2002, 169, 170, m. Fn. 9; zur besonderen Problematik des § 814 BGB beim notariell beratenen Erbvertragspartner: Goebel, Ehegattenschutz, S. 427, m.w.Nw.), oder aber der Erhalt der erbrechtlichen Zuwendung, auf die die Zweckabrede auflösend bedingt gestellt war, fällt endgültig aus (zu dieser Konstruktion Schlechtriem, Rn. 190). In beiden Fällen kann das dennoch Geleistete gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB (condicito indebiti) zurück verlangt werden. Insgesamt trifft von Tuhrs II/2, § 74, S. 144, Bemerken, die „Rückforderung nach § 812 sei nur für Leistungen unter Lebenden bestimmt“, durchaus zu – freilich nicht aufgrund lebzeitiger Vorprägung des Bereicherungsrechts, sondern aufgrund der durchweg kausalen Natur des erbrechtlichen Erwerbs. Das Bereicherungsrecht ist somit keine Materie, die Erbrecht verhandelt. Nicht umsonst verneint Goebel, Ehegattenschutz, S. 233, bezüglich des gemeinschaftlichen Testaments denn auch einen eigenständigen „praktischen Wert“ des Bereicherungsrechts. Sie hat darüber hinaus juristisch auch keinen weiteren. 26 Darunter wird der Grundsatz verstanden, dass der Erblasser die Rechtsfolgen seiner Zuwendung nicht beliebig festsetzen, sondern immer nur zwischen den gesetzlich vorgesehenen Rechtsfiguren und den dazugehörigen Rechtsfolgen wählen kann: Zawar, S. 82. Ergänzt wird er durch das Prinzip der Typenfixierung, das deren mögliche Inhalte auf die im Gesetz genannten festlegt und reduziert: Stadler, S. 110, m.w.Nw. in Fn. 1; Radke, S. 46 ff., m.w.Nw. 27 Im Ergebnis wie hier Deeg, S. 158 f., und passim. 28 Für Mobilien äußert berechtigte Zweifel Wieling, Sachenrecht, S. 9, m.w.Nw. in Fn. 25. 29 Stadler, S. 111 f., zur Funktion des Typenzwangs im Sachenrecht. S. auch Deeg, S. 4 ff., m.w.Nw. aus der Literatur.

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solche gibt es im Erbrecht – wie eben gezeigt – nicht. Gleichwohl besagt dieser Umstand für sich allein noch nicht, dass der Typenzwang ein originär lebzeitiges Institut ist. Denn das lebzeitige Konzept der Abstraktion und der numerus clausus der Sachenrechte ergänzen sich zwar gegenseitig, sind aber füreinander jeweils keine notwendige Voraussetzung.30 Vielmehr behält der sachenrechtliche Typenzwang auch ohne die gleichzeitige Geltung des Trennungsprinzips durchaus seinen Sinn. 31 Es wäre allerdings ein Fehler, wollte man – wie dies nicht selten geschieht32 – zur Begründung eines erbrechtlichen Typenzwangs auf den lebzeitig-sachenrechtlichen rekurrieren. Jedenfalls liegt dessen „rechtspolitischer Grund“33 nicht im Recht der Lebenden. Einmal mehr gilt es, dem verabsolutierenden Einfluss nicht nachzugeben, um einer originär erbrechtlichen Konzeption überhaupt Raum geben zu können. Wenn es denn im Erbrecht einen Typenzwang und einen numerus clausus der rechtsgeschäftlichen Instrumente geben sollte, dann muss er erbrechtlich erklärt werden, oder man muss sich eingestehen, dass es ihn hier nicht gibt, weil es ihn nicht geben muss.

B. Verfügungen unter Lebenden unter erbrechtlichem Regime – ein rechtshistorisches Lehrstück Umgekehrt wurde im Recht der Verfügungen unter Lebenden die unbesehene Übertragung von erbrechtlichen Wertungen niemals in gleicher Weise geduldet, wie bei den Verfügungen von Todes wegen die Berufung auf lebzeitige Vorstellungen. Offenbar ruft die Einschränkung der Verkehrsfähigkeit von Gütern inter vivos den dogmatischen Protest schneller auf den Plan, als sich das Erbrecht gegen den lebzeitigen „Stempel“ zu wehren vermag, der ihm bisweilen auch vom erbrechtlichen Schrifttum selbst aufgedrückt wird.34 So gab der Bundesgerichtshof unter dem Eindruck der ablehnenden Stellungnahmen aus der Literatur35 im Jahre 1972 seine Rechtsprechung zur so genannten Aushöhlungsnichtigkeit wieder auf.36 30 Anderer Auffassung offenbar Schön, S. 248 ff., 252 Fn. 52: „dogmatische Verknüpfung von Typenzwang und Abstraktionsprinzip“. 31 Stadler, S. 112; Radke, S. 56. 32 Nw. oben A., S. 119, Fn. 5. 33 Von Lübtow I, S. 111. 34 Oben § 3 B. II. 2., S. 77, II. 3., S. 87 ff., § 4 A., S. 118 ff. 35 Nw. bei BGHZ 59, 343, 346; Berger, S. 221 Fn. 57. Des Weiteren Speckmann, NJW 1974, 341 ff. 36 BGHZ 59, 343 ff. Zur weiteren Entwicklung der Rechtsprechung: Spellenberg, NJW 1986, 2531 ff.; zur älteren Judikatur Reubold, S. 28 ff. W. Nw. bei Krebber, AcP 204 (2004), 149, 174, Fn. 102.

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Es lohnt sich, die Gründe für diese Entscheidung noch einmal kurz nachzuvollziehen: Die zeitlich nachfolgende Verfügung unter Lebenden eines durch Erbvertrag oder gemeinschaftliches Testament gebundenen Erblassers derselben Schranke zu unterwerfen, der gemäß § 2289 Abs. 1 Satz 2 BGB eine von der ersten Verfügung abweichende spätere Verfügung von Todes wegen unterliegt, widersprach zunächst §§ 2286, 2287 Abs. 1 BGB. Denn nach diesen Vorschriften ist der Erblasser dinglich ja gerade nicht am lebzeitigen Verfügen gehindert. Die Spruchpraxis bedeutete – und das ist im hiesigen Kontext das Entscheidende – nichts weniger als eine unzulässige Gleichsetzung lebzeitiger Verfügungen mit solchen von Todes wegen. Ganz entgegen der sonst vorherrschenden Tendenz, das Erbrecht nach dem Vorbild des Rechts der Lebenden zu formen, wurde hier einmal die Verfügung inter vivos dem erbrechtlichen Regime unterstellt. Die Rechnung geht jedoch auch im umgekehrten Fall nicht auf. Das hat zuletzt Berger zutreffend hervorgehoben: „Man übersah, dass der rechtliche Spielraum, die Verfügungsfreiheit zu beschneiden, für lebzeitige Verfügungen und Verfügungen von Todes wegen auf exakt gegenläufigen Konzeptionen beruht. Schuldrechtliche Bindungen der Freiheit, Verfügungen von Todes wegen nicht zu errichten, sind nach § 2302 BGB nichtig, während sie nach § 137 Satz 2 BGB für Verfügungen unter Lebenden unumwunden anerkannt werden. Andererseits gibt der Erbvertrag die Möglichkeit, die Testierfreiheit in der Weise zu binden, dass eine abweichende Verfügung von Todes wegen unwirksam ist, wogegen § 137 Satz 1 BGB solche Beschränkungen für Lebende ausschließt. Jeder Versuch, die Unwirksamkeit von Veräußerungen mit § 2289 Abs. 1 Satz 2 BGB zu begründen, […] überträgt Wertungen der Rechtsgeschäfte von Todes wegen auf Verfügungen unter Lebenden.“37

Die konträren Regimes, auf denen Verfügungen unter Lebenden und von Todes wegen beruhen, müssen – das legen diese Ausführungen nahe – rechtlich strikt voneinander getrennt werden. Es lässt sich auch nicht sagen, dass § 2286 BGB den § 137 Satz 1 BGB lediglich wiederholt. 38 Denn die Vorschrift trifft nicht in erster Linie eine Aussage über die lebzeitige Verfügungsfreiheit, was sich schon daran erkennen lässt, dass der sachenrechtliche Verkehrsschutzgedanke anders als bei § 137 Satz 1 BGB beim erbrechtlichen Erwerb keine Rolle spielt. 39 § 2286 BGB ist vielmehr erbrechtlich angereichert und markiert eine wichtige Grenze 37

S. 222, s. auch S. 97 f. Teichmann, MDR 1972, 1, 2; anders offenbar Spellenberg, FamRZ 1972, 349, 352: „§ 2286 BGB [als] eine an sich vielleicht sogar überflüssige Konkretisierung des § 137 BGB.“ S. auch die Darstellung der Kontroverse bei Dilcher, JuS 1988, 72, 76 f. 39 Nicht damit zu verwechseln ist die Frage der Beschränkung der lebzeitigen Verfügungsbefugnis durch erbrechtliche Beschränkungen. Hier ist § 137 Satz 1 BGB natürlich anwendbar. Dazu Edenfeld, DNotZ 2003, 4, 14. Kritisch zur Sicherung der Verkehrsfähigkeit von Gütern als Schutzzweck des § 137 BGB Timm, JZ 1985, 13, 17, m.w.Nw., unter Hinweis auf den Erhalt der Vollstreckungsfähigkeit nach § 851 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 399 BGB. Der Belang der Verkehrsfähigkeit betrifft jedoch bereits die Verfügungsebene im Sinne der Umlauffähigkeit von Gütern im Rechtsverkehr unter Lebenden und meint nicht erst den zwangsvollstreckungsrechtlichen Zugriff. 38

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der lebzeitigen zur Verfügung von Todes wegen.40 Des Weiteren kann § 2289 Abs. 1 Satz 2 BGB auch nicht als Ausnahme von § 137 Satz 1 BGB verstanden werden,41 ebenso wenig § 2302 BGB von § 137 Satz 2 BGB.42 Die gegenteilige Auffassung43 zeugt einmal mehr von der Anschauung, das Erbrecht sei als „Ausnahme“ die Abweichung von der Norm, das Recht der Lebenden aber die „Regel“. Aus diesem Grund empfiehlt es sich, dem Vorschlag Bergers44 und anderer45 zu folgen, § 137 Satz 1 BGB nur auf lebzeitige Verfügungen anzuwenden, Zuwendungen von Todes wegen aber aus seinem Anwendungsbereich vollständig herauszunehmen. Die Vorschrift betrifft trotz ihrer systematischen Stellung im Allgemeinen Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs und ihrer unbestreitbaren inhaltlichen „Multifunktionalität“46 ausschließlich das Recht der Lebenden.47 Wichtiger als diese mehr rechtstechnischen Erwägungen ist allerdings die Frage, worauf sich die unterschiedlichen Regelungskonzeptionen von lebzeitigen und erbrechtlichen Verfügungen teleologisch zurückführen lassen. Sie liegen darin begründet, dass die Sicherung der Verkehrsfähigkeit von Gütern ein spezifisches Anliegen des Rechtsverkehrs unter Lebenden ist, während es dem Erbrecht um eine einmalige Güterzuordnung zu tun ist, die das Gesetz im Wege der Universalsukzession gemäß § 1922 Abs. 1 BGB selbst bewerkstelligt. Beruht der Erwerb auf einer Verfügung von Todes wegen, geht es dabei um die Sicherung der Authentizität des erklärten Willens des Erblassers, nicht um das Vorhandensein der Verfügungsbefugnis über einen einzelnen Vermögensgegenstand zu dessen Lebzeiten.48 Deswegen ist der erbrechtliche Erwerb, obwohl Verfügender und Erwerber nicht personenidentisch sind, im Übrigen auch kein Verkehrsgeschäft,49 gibt es keinen gutgläubigen Erwerb von Todes 40

Krebber, AcP 204 (2004), 149, 169 ff. Battes, AcP 178 (1978), 337, 346. W. Nw. bei Berger, S. 97 Fn. 39. 42 RGZ 75, 34, 35; MünchKomm/Mayer-Maly, § 137 Rn. 25; Jauernig/ders., § 137 Rn. 3; Palandt/Heinrichs, § 137 Rn. 5. Offenbar auch Krebber, AcP 204 (2004), 149, 176: „Grundsätze des Erbrechts […] gehen als speziellere Wertung § 137 Satz 2 BGB vor.“ 43 Vgl. etwa Strobel, S. 9 f. 44 S. 98. 45 Staudinger/Kanzleiter, § 2302 Rn. 2; von Lübtow I, S. 103, mit anderer Begründung. 46 MünchKomm/Mayer-Maly, § 137 Rn. 7; s. auch W. Lüke, S. 67, m.w.Nw. in Fn. 303; Buchholz, Jura 1989, 393, 396. 47 Darunter fallen auch lebzeitige Verfügungen des Erben über Nachlassgegenstände. § 137 BGB markiert insbesondere in den Fällen der Verfügungsbeschränkung des Erben durch Nacherbschaft und Testamentsvollstreckung insofern eine Grenze, als diese Gegenstände dem Rechtsverkehr unter Lebenden nicht vollständig entzogen werden dürfen. Diesen Zusammenhang als eine „Wirkung des § 137 BGB im Erbrecht“ zu bezeichnen (R. Liebs, AcP 175 [1975], 1, 4, 28), ist zumindest missverständlich. 48 Wie hier Berger, S. 98. 49 Soergel/Stürner, § 892 Rn. 20. Umstritten ist das nur für Rechtsgeschäfte im Rahmen der so genannten vorweggenommenen Erbfolge: OLG Zweibrücken, Rpfleger 2000, 10 f.; Olzen, S. 288 ff., jew. m.w.Nw. 41

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wegen,50 und der erbrechtliche Typenzwang hat – anders als im Sachenrecht – keine verkehrsschützende Funktion.51 Schließlich spricht auch die kausale Natur52 des erbrechtlichen Erwerbs gegen die Maßgeblichkeit von Verkehrsschutzerwägungen. Denn Verkehrsschutz erreicht man durch Abstraktion, nicht durch die kausale Ausgestaltung einer Zuwendung. 53

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OLG Dresden, ZOV 1998, 437. Oben A., S. 124. Abweichend offenbar Deeg, S. 158 f. 52 Oben A., S. 121. 53 S. den Titel von Stadlers Monographie: „Rechtliche Gestaltungsfreiheit und Verkehrsschutz durch Abstraktion.“ Des Weiteren Hepting, S. 328, m.w.Nw. in Fn. 75. Oben S. 111 Fn. 25. 51

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§ 5 Zusammenfassung des Ersten Teils, Zielsetzung und weiterer Untersuchungsverlauf A. Befund I. Die Testierfreiheit des Bürgerlichen Gesetzbuchs als wirkmächtiges nudum ius Die kritische Durchsicht der zur Testierfreiheit vertretenen Auffassungen in Literatur und Rechtsprechung ergibt ein ebenso widersprüchliches und ambivalentes Bild wie die Betrachtung der Entwicklungslinien, die die Gestaltungsbefugnis von Todes wegen unter der Geltung des Bürgerlichen Gesetzbuchs geprägt haben. Auf den ersten Blick ist von den Erschütterungen der Vergangenheit nichts mehr zu spüren. Es ist im Gegenteil über die Jahre eine „Erweiterung der Vertragsfreiheit im Familien- und Erbrecht“1 oder auch ein „Individualisierungsschub im Testierrecht“2 zu verzeichnen, von dem sich in der Zukunft erst noch zeigen muss, ob er durch das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit des Pflichtteils(entziehungs) rechts zu einem vorläufigen Ende gekommen ist.3 In der Rechtsprechung ist die Entscheidung seit längerem der erste Kontrapunkt zu einer mittelbaren Entgrenzung des Rechts im Wirkbereich, wie sie sich insbesondere anhand der Aufgabe der „Sittensprechung“ im Rahmen von § 138 Abs. 1 BGB aufzeigen lässt,4 aber auch in der jüngeren Reformdiskussion um das Pflichtteilsrecht zum Ausdruck kommt.5 Das neu erstarkte Recht scheint noch immer nicht für sich selbst stehen zu können. Thema sind – wie gerade die Entscheidung zum Pflichtteils(entziehungs) 1 Medicus, Abschied, S. 7 f. Die Wortwahl ist bezeichnend. Anstatt von „Privatautonomie“ ist von „Vertragsfreiheit“ die Rede. Angedeutet wird damit zugleich die Identifikation des letztgenannten mit dem ersten Begriff (oben § 3 A. I., S. 57, B. II. 2., S. 101, m. Fn. 279) und die prägende Rolle, die die Vertragsfreiheit unter Lebenden für die Behandlung der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen immer noch spielt (oben § 3 B., S. 70 ff.). 2 Beckert, S. 337. 3 Oben § 1 A., S. 14, S. 21. Jedensfalls gibt es auch nach der Entscheidung des BVerfG Beiträge, die den Pflichtteil als „erbrechtlichen Störfaktor“ begreifen und kautelarjuristische „Vermeidungsstrategien“ ventilieren: Horst, DWW 2006, 400 ff. 4 Oben § 1 B., S. 25 ff. 5 Oben § 1 A., S. 13 ff.

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recht zeigt –, immer noch die Grenzen der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen.6 Das ist ein Problem, das im Grundsatz bereits bei der Kodifizierung des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestand. Es resultiert aus der Entscheidung des Gesetzgebers, auf eine inhaltliche Fundierung der Testierfreiheit weitgehend zu verzichten, sie aber kraft der Autorität des Gesetzes dennoch zu einem Grundprinzip des neuen Zivilrechts zu machen. Die Leerstelle wurde bis in die zweite Hälfte des vergangenen Jahrhunderts von der weit in die erblasserische Gestaltungsfreiheit übergreifenden Rechtsprechung zu den Grenzen der Testierfreiheit überdeckt. Mit dem breiten Raum, der der Privatautonomie von Todes wegen von der Judikatur seit dem „Rückbau“ ihrer Beschränkungen zugebilligt wird, trat sie deshalb nun umso deutlicher zu Tage.7 Es wurde offenbar, dass die Testierfreiheit über weite Strecken der Geltung des Bürgerlichen Gesetzbuchs eine „Dame ohne Unterleib“ war.8

II. Verfassungsrechtlicher Legitimierungsversuch In das inhaltliche Vakuum stieß zum einen das Verfassungsrecht.9 Insbesondere der Hinweis auf Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG sollte die weit reichende Gestaltungsbefugnis des Erblassers im Erbrecht erklären helfen.10 Allerdings verselbstständigten sich die Geister, die man rief, eben weil der Rekurs auf das Grundgesetz die zivilrechtliche Fundierung der Testierfreiheit nicht ergänzte, sondern in weiten Teilen ersetzte.11 So hat die Analyse der „Hohenzollern“Entscheidung des Bundesgerichtshofs gezeigt, wie umfassend die Diskussion um die Sittenwidrigkeit letztwilliger Verfügungen von verfassungsunmittelbaren Erwägungen in iure civili geprägt wird.12 Gegenläufig zur Tendenz in der zivilgerichtlichen Rechtsprechung betont das Bundesverfassungsgericht in seiner „Hohenzollern“-Entscheidung erstmals nicht mehr die Reichweite, sondern die Grenzen der Testierfreiheit. Es überschreitet dabei allerdings die Trennlinien zwischen verfassungsrechtlicher Spruchrichterkontrolle und zivilrechtlicher Fachrechtsprechung in bedenklicher Weise. Die Idee der Beeinträchtigung der Entschließungsfreiheit des Bedachten durch Entfaltung „ungerechtfertigten“ oder „unzumutbaren Drucks“, die den Zivilgerichten als verfassungsrechtliches Prüfprogramm13 an die Hand gegeben wird, ist keine originär zivilrechtliche,14 hat aber nach dem Beschluss 6 7 8 9 10 11 12 13 14

Oben § 1 A., S. 22. Oben § 1 B. S. 27, § 2 A., S. 29, § 3 A. I., S. 57. Oben § 1 A., S. 22, m. Fn. 69, § 3 A. I. 1., S. 61, m. Fn. 28. Oben § 2, S. 29 ff. Oben § 2 A., S. 29. Oben § 2 A., S. 30. Oben § 2 A., S. 31 ff. Oben § 2 B. II. 1., S. 39 ff. Oben § 2 B. II. 2., S. 42 ff.

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gleichwohl zivilrechtliche Folgen. Sie legt die Sittenwidrigkeitsprüfung auf den Zeitpunkt des Anfalls der Erbschaft fest.15 Spielraum lässt das Bundesverfassungsgericht den Zivilgerichten nur für die Berücksichtigung von Umständen, die nach diesem Ereignis liegen. Eine Streitfrage, deren Beantwortung allein der zivilrechtlichen Judikatur und Rechtswissenschaft obliegt, wird damit unzulässigerweise verfassungsrechtlich präjudiziert.16 Gerade die inhaltliche Entfaltung des „Druck“-Topos belegt jedoch, dass es auch in der erbrechtlichen Literatur Wegbereiter dieser Art von „Verfassungsprivatrecht“17 gab. Zwar ist es – wie insbesondere die Anerkennung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zeigt18 – nicht ausgeschlossen, dass die Verfassung bei der Entfaltung neuer zivilrechtlicher Institute „gewaltige Schubkraft“19 entfaltet. Dennoch war der Impuls zur Ausbildung des Persönlichkeitsschutzes ursprünglich privatrechtlicher Natur.20 Die Judikatur des Bundesgerichtshofs, die dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht schließlich zum Durchbruch verhalf, nahm zwar grundgesetzliche Wertungen unmittelbar in Bezug21 und wurde dabei verfassungsgerichtlich gestützt und bestätigt.22 Das neue Recht sollte aber dennoch nicht als bloße Fortsetzung von grundgesetzlichen Wertungen in iure civili verstanden werden. 23 Es muss in die bestehende Privatrechtsordnung eingepasst24 und damit wenigstens mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung qualitativ zu Zivilrecht umgebildet werden. Das Beispiel zeigt, dass der Verfassung aus sich selbst heraus kein unmittelbar umsetzbares Potenzial zur Generierung von originärem Zivilrecht innewohnt, 25 auch nicht nach dem modernen Verständnis von Grundrechten als Schutzpflichten 26: Denn diese schaffen Privatrecht nicht unmittelbar, sondern nur auf dem Umweg der entfaltenden Gesetzgebung. Auch die Auslegung von 15

Oben § 2 B. I., S. 34 ff. Oben § 2 A., S. 31 f. 17 Oben § 2 B. II. 1., S. 46. 18 Eingehend Gottwald, Persönlichkeitsrecht, S. 59 ff.; ders., Zeitgeschichte, S. 5 ff. 19 Diederichsen, in: Starck, S. 39, 78. 20 Die Entwicklung zeichnen in diesem Punkt nach Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 127; Jarass, NJW 1989, 857, 858. S. auch den Überblick über Rechtsprechung und Literatur des 19. Jahrhunderts bei Klippel/Lies-Benachib, in: Falk/Mohnhaupt, S. 343 ff.; Klippel, ZNR 1982, 132; J. Simon, S. 169 ff., 191 ff. 21 BGH NJW 1954, 1404, 1405 („Leserbrief“-Entscheidung). Knapper Überblick über die weitere zivilrechtliche Entwicklung bei Helle, S. 6 f. 22 BVerfGE 34, 269 ff. („Soraya“-Entscheidung). Kritisch Gellermann, S. 388, m. Fn. 89: „Gesetzeskorrektur“. Zur weiteren verfassungsrechtlichen Entwicklung Degenhardt, JuS 1992, 361 ff. 23 Diederichsen, in: Starck, S. 39, 78. Überakzentuiert insoweit Baston-Vogt, S. 4: „Erkenntnis, dass es Artt. 1 i.V.m. 2 Abs. 1 GG waren, denen das allgemeine Persönlichkeitsrecht seine Anerkennung verdankt.“ 24 Gottwald, Persönlichkeitsrecht, S. 200 ff.; Baston-Vogt, S. 151 ff. 25 Ähnlich J. Schmidt, S. 61. 26 Kritisch aus verfassungsrechtlicher Sicht Gellermann, S. 144 ff., m.w.Nw. 16

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zivilrechtlichen Generalklauseln erfolgt nur im Lichte des Grundgesetzes, bleibt also ihrer Natur nach privatrechtliche Rechtsanwendung.27 Bei dem Ansatz von Kellenter und Thielmann handelt es sich deswegen um eine systemwidrige Singularität.28

III. Zivilrechtliche Erklärungsansätze 1. Intra-erbrechtliche Begründungen Originär zivilrechtliche Ansätze weisen dieses Manko naturgemäß nicht auf und sind deshalb vorzugswürdig. Soweit ersichtlich, wurde nur ein spezifisch erbrechtlicher Versuch unternommen, die Testierfreiheit zu deuten, der Rekurs auf die gesetzliche zur Erklärung der rechtsgeschäftlichen Erbfolge. So wird zum Beispiel die Entziehung des gesetzlichen Erbteils von Leipold als „nicht wertfreier Vorgang“ beschrieben, „der an sich der Rechtfertigung bedarf (nur dass eben diese Rechtfertigung grundsätzlich dem Ermessen des Erblassers untersteht), wie u.a. auch im Recht des zum gesetzlichen Erben Berufenen erkennbar [wird], eine Verfügung des Erblassers in bestimmten Fällen (insbesondere wegen Motivirrtums des Erblassers) anzufechten.“29 Durchgesetzt hat sich der Ansatz freilich nicht.30 Das hat seine Gründe. Der Bezug auf das Familienerbrecht als der „Leiterbfolge“, deren „Gerechtigkeitswert“ (Leipold31) auf das Testamentsrecht durchschlagen soll“,32 zeugt nur graduell, nicht aber qualitativ von einem anderen Verständnis der Testierfreiheit als es der aufgegebenen „Sittensprechung“33 des Bundesgerichtshofs zum so genannten Geliebtentestament zugrunde lag. In beiden Fällen wird der in einer Verfügung von Todes wegen kundgetane Wille des Erblassers, seine Familie von der Erbfolge auszuschließen, an der „optimalen“34 gesetzlichen Erbfolge gemessen und inhaltlich (nämlich negativ) bewertet. Der geringste Grad der Missbilligung ist dabei, dem Erblasser nach dem Regel-Ausnahme-Prinzip die Begründungslast für seine letztwilligen Anordnungen und insbesondere für die Abweichung von der gesetzlichen Erbfolge aufzubürden. Das rechtliche 27

Oben § 2 A., S. 31. Oben § 2 B. II. 1., S. 40 f. 29 MünchKomm/Leipold, Einl. zu §§ 1922–2385 Rn. 13. Ähnlich Buchholz, Erbfolge, S. 95: „Da die gewillkürte Erbfolge grundsätzlich einen Eingriff in die als optimale Gestaltung des Familienerbrechts vorgesehene gesetzliche Erbfolge darstellt, lässt sie sich nur als das Ergebnis einer bewussten und – kraft größerer Sachnähe – verantwortlich getroffenen Entscheidung des Erblassers selbst rechtfertigen.“ 30 Oben § 3 A. I., S. 60. 31 MünchKomm/Leipold, § 2066 Rn. 1. Ähnlich Schmoeckel, § 12, Rn. 2: „Vorbildcharakter“. 32 Stagl, S. 160, m.w.Nw. in Fn. 80. 33 Oben § 1 B., S. 27 f. 34 Buchholz, Erbfolge, S. 95. S. soeben Fn. 29. 28

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Schicksal der Testierfreiheit wird auf diese Weise mit dem Familienerbrecht materiell verbunden. Der hohe dogmatische Preis, der für diesen „erbrechtlichen Familiarismus“35 gezahlt wird, ist der Verlust der Eigenständigkeit und Gleichrangigkeit der beiden Erbfolgetypen, von denen das Bürgerliche Gesetzbuch ausgeht.36 Das wird gerade im Anfechtungsrecht deutlich, das Leipold als Beispiel für die mangelnde Wertfreiheit der letztwilligen Verfügung bei Abweichung von der Familienerbfolge einführt. Dass das nicht zutrifft, zeigt folgender Fall: Der Erblasser setzt einen familienfremden A testamentarisch zu seinem Erben ein und testiert später in der irrigen Annahme, dieser sei verstorben, in einer zweiten letztwilligen Verfügung zugunsten seines Freundes B. Wenn A in Wirklichkeit noch lebt und nach dem Tod des Erblassers das Testament zugunsten B wegen Motivirrtums wirksam anficht – wozu er nach § 2080 Abs. 1 BGB berechtigt ist –, bleibt A Erbe aufgrund des ersten Testaments. Die Familie des Erblassers geht leer aus.

Die Anfechtungsoption dient daher nicht der Wiederherstellung der Familienerbfolge als dem subsidiär geltenden und vom Gesetzgeber bevorzugten Recht, sondern einzig der Korrektur eines nicht irrtumsfrei gebildeten Willens. Sie ist mit anderen Worten gegenüber dem Eintritt der gesetzlichen Erbfolge neutral. Diese kann, aber muss nicht als Folge der Anfechtung der letztwilligen Verfügung zum Zuge kommen. Testierfreiheit und Familienerbfolge sind über das Institut der Anfechtung nicht miteinander verbunden. 37 Sie sind auch sonst voneinander unabhängig.

2. Zwischen Bezugssystem und Definitionsprimat – Parameter eines Vergleichs zwischen dem Recht der Lebenden und dem Erbrecht a. Begünstigende Umstände Als wesentlich einflussreicher als spezifisch erbrechtliche Erklärungen der Testierfreiheit haben sich Anleihen beim Recht der Lebenden erwiesen. Sie tauchen bei den unterschiedlichsten Teilfragen der Beschäftigung mit der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen auf38 und sollen hier noch einmal systematisiert werden. Dass das Recht der Lebenden als Vergleichssystem für die erbrechtliche Testierfreiheit nutzbar gemacht wird, erstaunt nur auf den ersten Blick. Es sind 35 Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 45 ff. An anderer Stelle wird derselbe Sachverhalt schlicht als „Familienrecht“ bezeichnet (a.a.O., S. 37; s. oben § 3 C. II. 1, S. 108, m. Fn. 315). Das ist aufgrund der unterschiedlichen Regelungsgegenstände des Vierten und Fünften Buchs des Bürgerlichen Gesetzbuchs so nicht vertretbar. Die behauptete Verbindung von gewillkürter Erbfolge und Familienerbrecht, um die es hier geht, ist immer noch eine erbrechtliche Problemstellung. 36 Oben § 1 A., S. 20 ff. 37 Kritisch auch Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 51 ff., 60. 38 S. die Zusammenstellung oben § 3 B. II. 2. a., S. 84 f., b., S. 86 f.

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insbesondere drei Faktoren, die die Bezugnahme sachlich nahe legen und real begünstigt haben: zum einen die verfassungsrechtliche Parallelisierung von „Eigentum“ (als sachenrechtlichem Institut) und „Erbrecht“ in Art. 14 Abs. 1 GG,39 des Weiteren die vergleichsweise gut entwickelte dogmatische Struktur der Privatautonomie unter Lebenden im geltenden Zivilrecht40 und nicht zuletzt der traditionelle Bezug auf lebzeitige Erklärungsmodelle in der weiteren Ideengeschichte der Testierfreiheit.41 Aufgrund dieser dreifachen Legitimation erscheint das Recht der Lebenden, und hier insbesondere die Vertragsfreiheit als das „richtige Recht“,42 während die Gestaltungsbefugnis von Todes wegen von dieser Warte aus vielleicht nicht „unrichtig“ ist, aber doch zumindest Legitimationsbedarf hat. Ein Argument dafür, den vergleichenden Blick auf das Recht der Lebenden ganz zu unterlassen, sind diese Verirrungen freilich nicht. Im Gegenteil: Im Grundsatz erlaubt die Orientierung an der Privatautonomie unter Lebenden den Rückgriff auf ein ausgereiftes systematisches Fundament, mit dem die Dogmatik der Testierfreiheit bislang schon deshalb nicht aufwarten konnte, weil an ihre Entfaltung über die Jahre nicht dieselbe wissenschaftliche Aufmerksamkeit gewandt worden ist wie an die Entwicklung der Privatautonomie unter Lebenden.43 Nicht unwesentlich erschwert wird der Vergleich bisweilen durch den Umstand, dass Hürden zwischen dem Recht der Lebenden und dem Erbrecht errichtet werden, wo keine bestehen, etwa wenn das Institut über die Störung oder den Wegfall der Geschäftsgrundlage aufgrund eines lebzeitigen Äquivalenzverständnisses als ausschließlich lebzeitiges Institut begriffen44 oder die Funktion der Bedingung bei erbrechtlichen Rechtsgeschäften strukturell anders gefasst werden soll als bei solchen inter vivos.45 In beiden Fällen geht es um die rechtliche Bewältigung von Planung und davon abweichender Entwicklungen in der Wirklichkeit. Das Problem stellt sich so im Recht der Lebenden und im Erbrecht.

b. Erschwerende Faktoren aa. Entwicklungsgeschichtliche Vorprägungen auf das Recht der Lebenden Einem Vergleich zwischen Vertrags- und Testierfreiheit steht also in der Sache grundsätzlich nichts entgegen, obgleich die erschwerenden Faktoren bei weitem zu überwiegen scheinen. Die Schwierigkeiten sind jedoch nur zum Teil struktureller Natur. Sie liegen auch in der konkreten Handhabung der Ver39 40 41 42 43 44 45

Unten § 6 B., S. 159 ff. Oben § 3 A., S. 57 ff. Oben § 3 B. I. 1., S. 70 ff., 2., S. 74 ff. Larenz, Richtiges Recht, S. 63: Vertragsfreiheit als „Prinzip richtigen Rechts“. Oben § 3 A. III., S. 69. Oben § 3 B. II. 1., S. 79 ff. Oben § 3 B. IV. 2., S. 99.

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gleichsbetrachtung und nicht zuletzt in den gegenläufigen geschichtlichen Entwicklungslinien der rechtswissenschaftlichen Diskussion beider Formen der Privatautonomie begründet.46 Vor allem im kantischen Rechts(gleichheits)denken macht sich in der ex post-Betrachtung in Gestalt des Modells des auf unmittelbare Rückvergütung gerichteten Austauschvertrags eine wirkmächtige lebzeitige Vorprägung bemerkbar. Sie hat das gewillkürte Erbrecht nicht nur historisch an den Rand der Delegitimation gebracht.47 Ähnliches folgt aus einer anderen ideengeschichtlichen Wurzel des Topos von der „Herrschaft aus dem Grabe“, die – fände sie in das Recht Eingang – im Ergebnis das gewillkürte Erbrecht partiell delegitimierte und auf das Recht der Lebenden im engeren Sinne ausrichtete: Es handelt sich um die epikureisch inspirierte Idee vom Vorrang des Willens der Lebenden gegenüber den Toten, die mit der Ausschließlichkeit der beiden Zustände von „Leben“ und „Tod“ arbeitet.48 Juristisch-konstruktiv gerechtfertigt wird sie mit der „Entbehrungs-Metapher“,49 also dem Gedanken, den Erblasser „koste“ der Versuch, dem Bedachten posthum seinen Willen aufzuzwingen, nichts, da er Mittel einsetze, die ihm selbst nicht mehr fehlten.50 Es wird noch nicht einmal erwogen, dass der Erblasser möglicherweise etwas ganz anderes „einsetzt“: sein Leben nämlich. Damit soll nicht behauptet werden, Austauschzusammenhänge im Erbrecht könnten unter die Formel „Geld gegen Leben“ subsumiert werden. Es soll nur zeigen, wie sehr der „Mitteleinsatz“ von dem hier gesprochen wird, als Vermögensverschiebung unter Lebenden gedacht wird und damit vom Paradigma des schuldrechtlichen Austauschvertrags beherrscht wird. Die Argumentation erscheint insoweit als Wiedergänger der Diskussion des 18. und 19. Jahrhunderts. Ein Teil der alten Schwierigkeiten bei der positiven Begründung der Testierfreiheit taucht auf diese Weise im geltenden Bürgerlichen Recht wieder auf.51 bb. Inkongruenz des tertium comparationis In methodischer Hinsicht gestaltet sich die Annäherung oder Abgrenzung teils pauschal,52 teils punktuell53 und wird zudem heteronom motiviert.54 Sachlich krankt sie nicht selten daran, dass Eigenschaften der Testierfreiheit mit dem begrifflichen Instrumentarium des Rechts der Lebenden inhaltlich nur unzureichend erfasst und beschrieben werden können. Es war hier bereits an mehreren 46

Oben § 3 A., S. 57 ff. Oben § 3 B. I. 1., S. 73, III., S. 93 f. 48 Oben § 3 B. IV. 1., S. 94 ff. 49 Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 133. Oben § 3 B. III., S. 89. 50 Keuk, FamRZ 1972, 9, 14; Lange/Kuchinke, § 1 III, S. 5. 51 Oben § 3 B. I. 2., S. 78 f. 52 Wie etwa der Hinweis auf den fehlenden Vertrauensschutz im Erbrecht, oben § 3 A. I., S. 61, C. I., S. 105. 53 Oben § 3 B. II. 2. a., S. 84 f. 54 Oben § 3 B. II. 1., S. 81. 47

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Stellen von der für die Testierfreiheit charakteristischen Hybridität die Rede, die sich in Bezug auf die einzelne Verfügung von Todes wegen zeitlich in einer „Errichtungs- oder Gültigkeits“- und einer „Wirksamkeitsphase“ manifestiert.55 Im lebzeitigen Bezugssystem wird dieses Phänomen durchaus erkannt, jedoch mit der Parallele zum Schuldrecht 56 (zur Erfassung der „Gültigkeitsphase“) einer- und zum Sachenrecht57 (als Referenz für die „Wirksamkeitsphase“) andererseits terminologisch nur unvollkommen nachempfunden. Als tertium comparationis fungiert offenbar die Idee der gestalterischen Befugnis im Schuldrecht und im Recht der gewillkürten Erbfolge. Freilich kann der Erblasser zu Lebzeiten obligatorische Bindungen gerade nicht wirksam eingehen, so dass, jedenfalls was die testamentarische Zuwendung anbelangt, zu Lebzeiten von „Geltungserklärung“58 oder gar „Selbstgesetzgebung“59 mangels lebzeitiger Bindung nicht die Rede sein kann. Vielmehr beruhen Vertrags- und Testierfreiheit insoweit gerade auf gegenteiligen Konzepten. Ähnliches gilt auch für den Vergleich der „Wirksamkeitsphase“ einer Verfügung von Todes wegen mit dem sachenrechtlichen Grundsatz des Typenzwangs.60 Hier wurde bereits herausgearbeitet, dass die Gründe, die das Institut im Recht der Lebenden (Garantie der Autonomie des Erfüllungsgeschäfts, Sicherung des Trennungsprinzips)61 legitimieren, keine erbrechtlichen Regelungsziele sind. Der Rekurs auf die angeblich schuldrechts- oder sachenrechtsähnlichen Strukturelemente der Testierfreiheit62 erfasst die für die Gestaltungsbefugnis von Todes wegen kennzeichnende inhaltliche und zeitliche Zweiteilung nur äußerst grob, weil deren konstruktive Verschiedenheit durch das lebzeitige Kriterium der unmittelbaren Begründung von Rechtspositionen überspielt wird. Er sagt folglich weniger über die Beschaffenheit der Privatautonomie von Todes wegen selbst aus, als über die nur bedingte Tauglichkeit lebzeitiger Rechtsbegriffe zur exakten Beschreibung erbrechtlicher Zusammenhänge.63 cc. Mangelnder inhaltlicher Bezug im Einzelfall Bisweilen werden zwischen der Privatautonomie von Todes wegen und derjenigen inter vivos auch Bezüge hergestellt, die so schlicht nicht existieren. Die Beobachtung mahnt gegenüber pauschalen Anleihen zur Vorsicht und zeigt, dass 55

Oben Einleitung, S. 7, § 2 B. I., S. 38, § 4 A., S. 119. Oben § 3 B. III., S. 87, m.w.Nw. in Fn. 195. 57 Oben § 4 A., S. 118, m.w.Nw. in Fn. 1. 58 Singer, Selbstbestimmung, S. 6, m.w.Nw. in Fn. 2, S. 247. 59 J. Schapp, S. 51. Gegen dieses Konzept Flume, BGB AT II, § 14, 4, S. 5 f.; ihm folgend Brox, JZ 1966, 761, 761 f. S. auch Heinrich, S. 64 ff. 60 Oben § 4 A., S. 118 ff. 61 Oben § 4 A., S. 122. 62 Im Ansatz noch weitgehender Schlüter, Vorwort: „In ihm [im Erbrecht] sind personen-, schuld- und sachenrechtliche Prinzipien miteinander verknüpft.“ 63 Oben § 3 B. IV. 2., S. 104. 56

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Parallelen in der Auseinandersetzung mit den Wertungen lebzeitiger und erbrechtlicher Privatautonomie nur anhand der konkreten Einzelfrage gezogen und verworfen werden können. Im bisherigen Verlauf der Untersuchung trat die mangelnde Vergleichbarkeit an zwei ganz unterschiedlichen Stellen hervor: zum einen bei der Frage der Anwendbarkeit von § 137 Satz 1 BGB auf Verfügungen von Todes wegen, die aufgrund der ratio der Vorschrift – der Sicherung der Verkehrsfähigkeit von Gütern als Anliegen des Rechtsverkehrs unter Lebenden – zu verneinen war.64 Zum anderen ist der Versuch, die vertragsrechtliche Paritätsdebatte im Rahmen des § 138 Abs. 1 BGB für die gewillkürte Erbfolge zu öffnen, zum Scheitern verurteilt.65 Ihm liegt das auch anderswo anzutreffende66 Bemühen zugrunde, den Topos von der mangelnden Selbstbestimmung des in einer Verfügung von Todes wegen Bedachten, in einer aus dem Recht der Lebenden entlehnten Form wieder nutzbar zu machen. Denn mit dem Brückenschlag zur Imparitätsdiskussion im Schuldrecht will man sich vor allem an ein Merkmal anlehnen, das für die Behebung „situativer Asymmetrie“67 kennzeichnend ist: die Auflösung von Fremd- in Selbstbestimmung in Ungleichgewichtslagen, die sich zur strukturellen Unterlegenheit eines Teils verstetigt haben.68 Es wurde bereits gesagt, dass der Topos „Fremd-/Selbstbestimmung“ als tertium comparationis nicht taugt, weil es unter Lebenden um die Kompensation eines faktischen Übergewichts geht, im Erbrecht jedoch – wenn überhaupt – um das Konzept der überlegenen Rechtsmacht des Erblassers.69 Wollte man „Testamentsparität“ tatsächlich zum Prüfungsmaßstab des § 138 Abs. 1 BGB erheben, wären die Folgen für die rechtsgeschäftliche Inhaltskontrolle erbrechtlicher Willenserklärungen fatal. Die Bewertung eines einzelnen Rechtsgeschäfts würde durch eine Art abstrakter Normenkontrolle ersetzt.70 Mit der Verwerfung von Paritatsüberlegungen im Erbrecht entfällt zugleich ein tragender Begründungsansatz für die Annahme eines so genannten Anerkennungsverhältnisses zwischen Erblasser und Bedachtem.71 Es ist insofern lebzeitig ausgerichtet, als es von einem kommunikativen Konzept der Willenserklä64

Oben § 4 B., S. 125. Oben § 3 A. III., S. 67 f., B. II. 1., S. 74. 66 Etwa um der Beeinträchtigung der Entschließungsfreiheit des Bedachten im Rahmen von § 138 Abs. 1 BGB mittels des „Druck“-Topos zu begegnen. S. oben § 2 B. II. 1., S. 39 ff., 2., S. 42 ff. 67 Goebel, Ehegattenerbrecht, S. 364. 68 S. die Definition von Vertragsparität bei Hönn, S. 3 f.: „rechtlich gewährleistete Möglichkeit zur Selbstbestimmung [Hervorhebung nicht im Original] und zur Chance auf einen gerechten Vertragsschluss“. Die Korrektur von nicht hinnehmbarer Fremdbestimmung ist auch das Anliegen von BVerfGE 81, 242, 255. S. auch Schuppert/Bumke, S. 21. 69 Oben § 3 A. III., S. 66 f., B. II. 1., S. 83. 70 Oben § 3 A. III., S. 67. 71 Oben § 2 C. I., S. 48 ff. 65

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rung ausgeht, das im gewillkürten Erbrecht so nicht aufgeht.72 Ähnliches gilt auch für den Rekurs auf den individuellen Rechtsmissbrauch in Gestalt des Topos vom venire contra factum proprium. Er wird fälschlicherweise in § 138 Abs. 1 BGB und nicht in § 242 BGB verortet.73 Als lebzeitiges Denken muss schließlich auch die Konstruktion einer testamentarischen Zuwendung in Antrags- und Annahmekategorien zurückgewiesen werden, die im neueren Schrifttum vertreten wird.74 Sie knüpft unbewusst und atavistisch an „alte Rezepte“ an, die der Delegitimation des gewillkürten Erbrechts durch das aufklärerische Kontraktsparadigma mit eben denjenigen (lebzeitigen) Mitteln begegnen will, die es als das Residuum feudaler Statusrechte erst haben erscheinen lassen.75 Selbstbestimmung als Chiffre der Gleichberechtigung stellt sich von dieser Warte aus nur im schuldrechtlichen Austausch her. Fremdbestimmt erscheint der erbrechtlich Bedachte daher in erster Linie aus der Perspektive des Rechts der Lebenden. Ideengeschichtlich tragen diese Ansätze zu einer nach der aufklärerischen zweiten oder modernen Delegitimation des gewillkürten Erbrechts bei.76 Sie bereiten den Weg dafür, Institute im Recht der Lebenden zur ausnahmsweisen Korrektur von zivilrechtlich nicht tolerabler Fremdbestimmung im Erbrecht zur Regel werden zu lassen. dd. Verabsolutierung von Leitbildern der lebzeitigen und erbrechtlichen Privatautonomie Der lebzeitigen Vorstellung von der Fremdbestimmung des Zuwendungsempfängers entspricht spiegelbildlich die Rede von der Testierfreiheit als der selbstherrlicheren Ausprägung der Privatautonomie.77 Wenn die Gestaltungsbefugnis von Todes wegen in Bezug auf den Bedachten als Unterwerfung unter einen fremden Willen beschrieben wird, korrespondiert dem aus der Perspektive des Erblassers ein Höchstmaß an Selbstbestimmbarkeit. Von hier ist es nicht mehr weit zum Zerrbild vom willkürlich agierenden, jede ökonomische Vernunft oder familiäre Bindung außer Acht lassenden, emotional-expressiven Erblasser.78

72

Oben § 2 C. I., S. 49. Oben § 2 C. I., S. 50. 74 Oben § 3 A. III., S. 66, m. Fn. 69, B. II. 2. a., S. 84. 75 Oben § 3 B. I. 1., S. 70 ff. 76 Oben § 3 B. I. 2., S. 79. 77 Im Sinne Flumes, BGB AT II, § 1, S. 5, 7; dazu Busche, S. 100 ff. Aus dem verfassungsrechtlichen Schrifttum Leisner, in: Isensee/Kirchhof, HStR VI, § 150 Rn. 15: „Diese Freiheit [die Testierfreiheit] ist ihrem Wesen nach wohl das am deutlichsten individuelle, am wenigsten gemeinschaftsgebundene Recht, welches das Grundgesetz schützt.“ S. bereits ders., Erbschaftsbesteuerung, S. 50. Ähnlich Rittstieg, in: AK-GG, Art. 14/15 Rn. 148, der deren personale Funktion besonders betont. Oben § 3 A. I., S. 60, m. Fn. 24. 78 Oben § 1 A., S. 17 f. 73

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Was sich hinter dieser personal überspitzten Betrachtungsweise rechtlich verbirgt, verweist allerdings auf ein gravierendes Problem in der Anlage des Vergleichs zwischen der Privatautonomie unter Lebenden und von Todes wegen. Funktionell wird dieser nicht unerheblich durch die lebzeitig motivierte Verabsolutierung der verschiedenen rechtsgeschäftlichen Leitbilder beeinträchtigt, die den beiden Erscheinungsformen privatautonomer Betätigung zugrunde liegen. Bereits die Bezeichnungen bringen den unterschiedlichen Leitbildcharakter zum Ausdruck. Der zweiseitige schuldrechtliche Austauschvertrag ist das Modell der Vertragsfreiheit,79 die begrifflich ein Synonym für die Privatautonomie unter Lebenden schlechthin geworden ist.80 Die letztwillige Verfügung übernimmt als Paradebeispiel der einseitigen Willenserklärung dieselbe Funktion für die Testierfreiheit.81 Die mangelnde Kongruenz der Vergleichsoptik82 schließt es für sich genommen nicht aus, Parallelen zwischen den beiden Ausprägungen privatautonomer Rechtsgestaltung zu ziehen, vorausgesetzt, man ist sich ihrer Typizität bewusst und verzichtet folglich auf eine Verabsolutierung, indem man das vermeintlich Atypische der jeweiligen Ausdrucksform mitdenkt.83 Mit anderen Worten: Die Privatautonomie erlaubt es, sich unter Lebenden affektiv und freigebig rechtlich zu betätigen – und die Rechtsordnung trägt diesem Bedürfnis in den §§ 516 ff. BGB Rechnung84 –, ebenso wie es dem Erblasser unbenommen bleibt, sein erbrechtliches Potenzial in juristisch fassbaren Reziprozitätsbeziehungen einzusetzen und auf diese Weise ökonomisch zu nutzen.85 Das ist insbesondere im Schrifttum nicht immer hinreichend beachtet worden. So zeugt etwa die Kennzeichnung testamentarischer wie erbvertraglicher Zuwendungen als Ausdruck freigebiger Gesinnung des Erblassers nicht nur von einer Fixierung auf den Entgeltlichkeits- und Gegenseitigkeitsbegriff des Rechts der Lebenden.86 Sie legt zugleich die Testierfreiheit auf ihren angeb79 Rittner, AcP 188 (1988), 101, 106, spricht ihm einen „für das Privatrecht exemplarischen Rang“ zu. 80 Oben § 3 B. I. 1., S. 70, III., S. 93. 81 Oben § 3 A. I., S. 57. 82 Oben § 3 B. II., 1., S. 80, C. I., S. 105. 83 Dieser Anschauung trägt zum Beispiel Singer, Selbstbestimmung, S. 221, Rechnung: „Während es bei Verkehrsgeschäften – zumal im Massenverkehr – grundsätzlich keine Rolle spielt, mit welchen Personen man kontrahiert und auf welchen Gründen im einzelnen der rechtsgeschäftliche Einfluss ,aufbaut‘, kommt den persönlichen Motiven bei letztwilligen Verfügungen allergrößte Bedeutung zu. Typischerweise spielen Erwartungen oder Vorstellungen von Charaktereigenschaften des Bedachten, dessen Verhalten sowie Verwandtschaftsoder Vermögensverhältnisse eine zentrale Rolle für die Entschließung des Erblassers.“ (Hervorhebungen nicht im Original). 84 Zu Recht bezeichnet Pabst, JuS 2001, 1145, 1147, das „Schenkungsrecht als Ausfluss der Vertragsfreiheit“. 85 Oben § 3 B. IV. 2., S. 104, C. II. 1., S. 109. 86 Oben § 3 B. III., S. 92.

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lichen Liberalitätscharakter fest87 und kontrastiert sie dichotomisch mit dem Modell der in synallagmatischen Verknüpfungen operierenden Vertragsfreiheit, das für die Privatautonomie unter Lebenden ebenso verabsolutiert wird wie die Idee der freigebigen Gesinnung bei letztwilligen Verfügungen. Die allgemeine causa-Lehre hat dazu aufgrund ihrer dezidiert lebzeitigen Ausrichtung in der Definition des Zuwendungszwecks nicht unwesentlich beigetragen. 88 Der erbrechtliche Erwerbszweck kann als Nicht-Verpflichtungs- und NichtErfüllungscausa entweder nur negativ oder aber als reine Leistungscausa erfasst werden, die selbst über die Rechtsnatur der Zuwendung keine Auskunft gibt.89 Bisweilen hat man sie daher als Anwendungsfall der causa donandi aufgefasst.90 Der Vergleich zwischen Testier- und Vertragsfreiheit wird durch solche Vorprägungen sehr erschwert, obwohl dazu in der Sache kein Anlass besteht, wie insbesondere die untrennbare Verknüpfung von so genannten verhaltens- und vermögensbezogenen Anteilen bei bedingten Verfügungen von Todes wegen zeigt.91 Die rechtsgeschäftliche Gestaltungsbefugnis wird in eine lebzeitige vermögensrechtliche und eine erbrechtliche personale aufgespalten und Person und Vermögen auf diese Weise zu miteinander nicht kompatiblen Größen gestempelt.92 Diese „radikale“ Auffassung akzeptiert formal die Verabsolutierung der jeweiligen rechtsgeschäftlichen Leitbilder „lebzeitiger (Austausch-)Vertrag“ und „Testament“. Gleichzeitig marginalisiert sie die diesen Leitbildern nicht entsprechenden rechtsgeschäftlichen Typen (den Erbvertrag und das Gemeinschaftliche Testament im Erbrecht, aber aus dem Recht der Lebenden auch den „einseitigen“ Rechtserwerb beim so genannten Vertrag zugunsten Dritter) als „Ausnahmen“. Diese Anschauung führt die systematische Trennung beider Formen privatautonomer Betätigung konsequent durch. Gedanklich steht sie deshalb durchaus auf dem Boden der „klassischen“ Auffassung, die zwar von einer formalen Einheit lebzeitiger und erbrechtlicher Privatautonomie ausgeht, inhaltlich aber der Vertragsfreiheit den Definitionsprimat einräumt.93 Zugleich weist sie aber qualitativ über jene hinaus, indem sie die nunmehr getrennten Privatautonomien durch die Zuweisung von Referenzsystemen – „Vermögen, Wirtschaft und Wettbewerb“ im lebzeitigen, „Person“ im erbrechtlichen94 – mit einem bestimmten Merkmal funktionell anreichert.95 Der 87 88 89 90 91 92 93 94 95

Oben § 3 B. IV. 2., S. 102. Oben § 3 B. III., S. 92 f. Oben § 3 B. III., S. 91. Oben § 3 B. III., S. 91. Oben § 3 C. II. 1., S. 104 f. Oben § 3 C. II. 1., S. 105 ff. Oben § 3 C. I., S. 104 ff. Oben § 3 C. II. 1., S. 107. Oben § 3 C. II. 2., S. 115.

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Vertrags- und Testierfreiheit wird normativ eine bestimmte materielle Aufgabe zugewiesen (ökonomische Austauschbeziehung auf der einen, [höchst-]persönliche Todesverarbeitung auf der anderen Seite). Methodisch ist das derselbe zweckgerichtete Umgang mit der Privatautonomie von Todes wegen, der auch die Festlegung des Erblassers auf familienkonforme Verfügungen kennzeichnete.96 Dass die handelnden Akteure inter vivos oder von Todes wegen auch anderes – dem jeweiligen rechtsgeschäftlichen Leitinstrument Gegenläufiges – im Sinn haben können und kraft ihrer Privatautonomie rechtlich auch umsetzen dürfen, ist nach diesem Konzept ausgeschlossen. Motive, die dem Recht so willkommen wie gleich sind, werden auf diese Weise zu rechtsgeschäftlichen Strukturprinzipien verdichtet, obwohl sie dafür nicht taugen.97 Fast noch schwerer wiegt, dass sie gegeneinander ausgespielt werden, wenn sie gegen vermeintliche „ökonomisch-instrumentelle Rollenzumutungen“ eingesetzt werden, die dem affektiv gestimmten Erblasser die „Todesverarbeitung“ durch Verfügung von Todes wegen angeblich erschwerten und er daher gezwungen sei, mit den rechtsgeschäftlichen Instrumenten der Testierfreiheit einen „befreienden Schlag gegen die gesellschaftliche Überwältigung durch systemische Imperative“ führen zu müssen.98 ee. Gegenläufige Entwicklungslinien und Annäherungstendenzen Ein letzter Gesichtspunkt, der beim Vergleich der Privatautonomie unter Lebenden und von Todes wegen zu beachten ist und diesen potenziell erschwert, bezieht sich weder auf die konkreten inhaltlichen Parallelen, die im Einzelfall zu Unrecht gezogen99 oder verworfen worden sind,100 noch auf deren methodische Anlage.101 Er lenkt vielmehr den Blick auf die gegenläufigen Entwicklungslinien der Vertrags- und Testierfreiheit im weiteren Umfeld der Vergleichsbetrachtung. Zunächst ist festzuhalten, dass die beiden Diskussionsstränge nicht zu allen Zeiten gleich stark ausgebildet waren und die Entfaltung beider Formen privatautonomer Betätigung auf dem Gebiete des Privatrechts daher nicht synchron verlief.102 Vielmehr beeinflusste die dogmatische Verfeinerung der Vertragsfreiheit unter Lebenden die Behandlung der Testierfreiheit mehr als nur mittelbar. Das Verständnis führt in der Folge zu einer Gleichsetzung der Vertragsfreiheit mit der Privatautonomie. Dem gegenüber war die Tes-

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Oben § 3 A. I., S. 60. Oben § 3 C. II. 2., S. 111 ff. 98 Goebel, Ehegattenschutz, S. 60; ders., Persönlichkeitsschutz, S. 162, 176: „Totalitarismus“; dazu oben § 3 C. II. 2., S. 117, m. Fn. 366. 99 Beispiele oben bb., S. 133 f. 100 Beispiele oben a., S. 132. 101 Oben aa., S. 132 ff. 102 Oben § 3 A. III., S. 66 f. 97

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tierfreiheit über lange Zeit eine Art unterentwickelter Negativfolie, die sich vor allem durch das bestimmte, was die Vertragsfreiheit nicht war. Die großen Themenstellungen der Privatautonomie unter Lebenden – seien es der Kontrahierungszwang, die Vertragsparität oder die Implementierung von Verbraucherschutzerwägungen in das System des Bürgerlichen Rechts – kreisten stets um die Einschränkung der Vertragsfreiheit durch Verobjektivierung und Normativierung.103 Auch den Gegnern dieser Tendenz war die Argumentationsrichtung insoweit vorgegeben. Es ging stets um den Grad der zulässigen Restriktion, weniger um deren Berechtigung an sich.104 Hinzu kommt eine ausgeprägte außerrechtliche Komponente der Diskussion, die Lüderitz im Vergleich zur Gestaltungsbefugnis von Todes wegen wie folgt gekennzeichnet hat: „Während Vertragsfreiheit stets von einem politisch-weltanschaulichen Programm begleitet war, […] war es um die Testierfreiheit stiller.“105 In diesem Zitat ist die unterschiedliche Aufmerksamkeit, die der einen Form der Privatautonomie in Wissenschaft und Judikatur im Vergleich zur anderen in der Vergangenheit zu Teil wurde,106 ebenso angesprochen wie das unterschiedliche Entfaltungsniveau. Während sich die Privatautonomie unter Lebenden unter der Geltung des Bürgerlichen Gesetzbuchs vom ursprünglichen voluntaristischen Rechtsgeschäftsmodell zusehends entfernt hat,107 wird die Testierfreiheit heute eher noch willensbezogener interpretiert als in den ersten Jahrzehnten nach dem Inkrafttreten der Zivilrechtskodifikation.108 Zeitlich kann der Punkt der größten inhaltlichen Disparatheit beider Prinzipien wohl mit der „Hohenzollern“-Entscheidung des Bundesgerichtshofs109 angegeben werden. Gegenwärtig scheinen diese diskursiven Bezugspunkte in Bewegung zu geraten. Erstmals übernimmt dabei die Testierfreiheit selbst einen aktiven Part, gehen die Impulse nicht allein von der Beschäftigung mit der Vertragsfreiheit inter vivos aus. So lässt sich aus der „Hohenzollern“-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts110 ein Stück Relativierung der persönlichen Willensmacht des Erblassers heraus lesen. Ob sich dieser neue Impuls allerdings zu der Tendenz verstetigen wird, den Voluntarismus, den das Rechtsgeschäftsmodell des Erbrechts gerade in jüngerer Zeit ausgezeichnet hatte, in Richtung auf eine objektiv-immanente Gerechtigkeit abzumildern und so mit Zeitverzögerung auf die Entwicklung im Recht der Lebenden zu reagieren, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mit Sicherheit sagen. 103 104 105 106 107 108 109 110

Oben Einleitung, S. 6, § 3 A. I., S. 61 f. Oben § 3 A. II., S. 65. S. 99. Oben Einleitung, S. 6, § 3 A. III., S. 66. Oben § 3 A. III., S. 69. Oben § 1 A., S. 14. Oben § 2 A., S. 29 ff. Oben § 2 B., S. 34 ff.

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Dass jedoch die Testierfreiheit nicht mehr das apolitische Freiheitsrecht ist, das Lüderitz111 noch Mitte der Sechziger Jahre in ihr sah, lässt sich bereits daran ablesen, dass die oben wiedergegebene Aussage, so stimmig sie für die Vergangenheit gewesen sein mag, heute so nicht mehr zutrifft. Dass dem Erbrecht ein hohes ökonomisches Potenzial eignet,112 war der Ausgangspunkt der neu motivierten Beschäftigung mit der Testierfreiheit seit der Mitte der neunziger Jahre.113 Politisch-weltanschaulich motivierte Ansätze zur „Deregulierung“ und „Flexibilisierung“ des Erbrechts haben vor der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen nicht halt gemacht.114 Sie stehen im Zeichen der „Verlebzeitigung“ des Erbrechts.115 Erkauft wird sie mit der Verabschiedung von bestimmten Personen aus dem Recht der Verfügungen von Todes wegen: allen voran des Erblassers selbst, in dem die voluntas defuncti als Element der Fremdbestimmung beschrieben und als solches entweder ausgesondert116 oder lebzeitig uminterpretiert wird,117 aber auch seiner Familie, wie die Diskussion um die Abschaffung oder Restriktion des Pflichtteilsrechts dokumentiert.118 Spürbar ist diese Tendenz auch in Aussagen, die der Testierfreiheit ihren privatautonomen Charakter und damit ihre formale Gleichberechtigung mit der Vertragsfreiheit überhaupt absprechen wollen.119 Doch bleibt diese Auffassung nicht dabei stehen, den höheren personalen Gehalt der Testierfreiheit auf das der Privatautonomie unter Lebenden eigene Maß zu reduzieren. Um den Preis der Annäherung an das Recht der Lebenden wird hier eine Eigenart der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen aufs Spiel gesetzt.120 Sie geht über diese Anschauung qualitativ insofern hinaus, als sie die Begriffe „Person“ beziehungsweise „Persönlichkeit(srecht)“ mit privatautonomer Betätigung gleichsetzt. Indem nun das Verbot so genannter verhaltensbezogener letztwilliger Verfügungen den personenbezogenen Bedeutungshorizont eliminiert, lässt sich die Gestaltungsbefugnis von Todes wegen nicht mehr als Privatautonomie verstehen. Schon die Prämisse, dass nämlich die Institute „Persönlichkeitsrecht“ und „Privatautonomie“ inhaltlich identisch sind,121 trifft nicht zu. Selbst wenn das aber der Fall wäre, ginge nicht nur der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen, 111

S. 99. Oben Einleitung, S. 3. 113 Dass sie erst spät eingesetzt hat, lässt sich etwa daran ablesen, dass „innerhalb der ökonomischen Analyse des Rechts die Bedeutung des Familien- und Erbrechts für die Einkommens- und Vermögensverteilung auffallend vernachlässigt“ wurde (Enderlein, S. 311). 114 Oben § 1 A., S. 14, § 3 B. II. 2. b., S. 86. 115 Oben Einleitung, S. 5, § 3 B. IV. 2., S. 101. 116 Oben § 3 B. I. 1., S. 74. 117 Oben § 3 B. I. 2., S. 74 ff., insbesondere S. 77. 118 Oben § 1 A., S. 14, 21 f., § 3 B. IV. 2., S. 100. 119 Oben § 3 B. IV. 2., S. 100. 120 Oben § 3 B. IV. 2., S. 100 f. 121 So aber Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 181 ff. Der Titel der Monographie „Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht“ ist Programm. 112

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sondern der unter Lebenden gleichermaßen ein essentiale verloren. Denn auch die Vertragsfreiheit inter vivos ist unbestritten personaler Natur, wenn auch nicht mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gleichzusetzen.122 Das ist zugleich ein weiteres Argument gegen die Aufspaltung der Privatautonomie in eine vermögens- und eine persönlichkeitsrechtliche.123

B. Zielsetzung und weiteres Vorgehen I. Der konservative Ansatz: Testier- und Vertragsfreiheit als gleichberechtigte Formen der Privatautonomie Die vorliegende Untersuchung stellt den privatautonomen Charakter der Testierfreiheit in den Mittelpunkt der Betrachtung. Man kann das durchaus im Sinne einer „Testierautonomie“124 verstehen, die die Gestaltungsbefugnis von Todes wegen weder primär als Vermögenszuordnungsrecht deutet, noch als Vermögens(verwaltungs)recht der Überlebenden noch als besonderes funktionales oder gar „neues besonderes Persönlichkeitsrecht.“125 Mit der „klassischen“ Auffassung stimmt sie in der konservativen Grundannahme überein, dass die Testierfreiheit neben der Vertragsfreiheit unter Lebenden eine von zwei verschiedenen, in jedem Fall aber gleichberechtigten rechtsgeschäftlichen Ausprägungen ein- und desselben Leitprinzips des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist: der Privatautonomie des Individuums.126 Jedoch ist die Testierfreiheit so etwas wie die weniger beachtete Zwillingsschwester der Vertragsfreiheit. Was sich aus der Sicht einer entwickelten Dogmatik des Rechts der Lebenden zum Teil wie die neuerliche Vergegenwärtigung von Altbekanntem lesen mag, ist von der Warte des rechtsgeschäftlichen Erbrechts aus nicht weniger als die überfällige Korrektur überkommener Anschauungen, die eine eigenständige Entfaltung der Testierfreiheit überhaupt erst ermöglicht. Ausgehend von dieser Prämisse lassen sich die folgenden Grundannahmen ableiten, die den weiteren Ausführungen zugrunde liegen.

122 Ruffert, S. 311: „personale Natur der Privatautonomie“, „Nähe zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht“. 123 Oben § 3 C. II. 1., S. 106 ff. 124 Mager, S. 459. 125 Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 362. Zur mangelnden Vergleichbarkeit mit dem postmortalen Persönlichkeitsrecht oben § 3 C. II. 1., S. 98, m. Fn. 262; zur fehlenden Deckungsgleichheit mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht unten § 6 C. II. 2., S. 178 f. 126 Um diese begriffliche Unterscheidung zu wahren, wird in der Untersuchung nicht von „Testierautonomie“ (Terminus bei Mager, S. 459), sondern entweder von Testierfreiheit oder Privatautonomie von Todes wegen gesprochen.

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Ein Anliegen ist es, zu zeigen, dass selbstbestimmte Betätigung auf dem Gebiet des Zivilrechts nicht teilbar ist, sondern auf einem Geltungsgrund beruht: der Respektierung des Individuums, die sich im Recht durch die Respektierung dessen Willens mediatisiert.127 Wenn der allgemeine juristische Sprachgebrauch zwischen Privatautonomie unter Lebenden und von Todes wegen unterscheidet, so ist das insoweit missverständlich, als suggeriert wird, es gebe zwei verschiedene Privatautonomien, wo es tatsächlich nur um unterschiedlich organisierte rechtsgeschäftliche Ausdrucksmittel ein- und desselben Grundprinzips geht. Von seinem Selbstbestimmungsrecht macht der Einzelne unter Lebenden und von Todes wegen Gebrauch, übt also in zwei verschiedenen Erscheinungsformen, der Vertrags- und der Testierfreiheit, ein einheitliches subjektives Freiheitsrecht aus. Für dessen Verwirklichung stellt die Rechtsordnung unterschiedliche Regelungsinstrumente bereit. Sie beruhen auf dem Prinzip der Selbstbestimmung des Individuums und sind Ausdruck desselben. Ihnen eignet daher ein hohes identifikatorisches Potenzial mit der Privatautonomie als Grundsatz des Privatrechts, aber sie sind nicht mit ihm identisch. Das hat Konsequenzen sowohl für die Behandlung des Rechtsgeschäfts als auch des zugrunde liegenden Prinzips. Für die Privatautonomie als Prinzip bedeutet diese Differenz, dass von funktionalen Dispositionen des jeweiligen rechtsgeschäftlichen Leitbilds – dem lebzeitigen Austauschvertrag als Instrument des Wirtschaftsverkehrs und des Wettbewerbs,128 der einseitigen letztwilligen Verfügung als Mittel zur Persönlichkeitsentfaltung – nicht auf einen irgendwie gearteten Zweck der Privatautonomie geschlossen werden darf, außer eben dem der Entfaltung des autonomen Willens. Vielmehr verträgt sie auf dem Gebiet des Erbrechts ebenso wenig inhaltlich-normative Vorgaben wie unter Lebenden. Für das einzelne Rechtsgeschäft bedeutet die Unterscheidung, dass der Geltungsgrund des Produkts privatautonomer Rechtssetzung der entsprechende Wille des Erklärenden ist. Für die Vertragsfreiheit unter Lebenden ist das in der jüngeren Zeit keineswegs mehr gesicherte Erkenntnis.129 Für die Testierfreiheit war man sich insoweit nur über den Erblasserwillen als Geltungsgrund des rechtsgeschäftlichen Leitinstruments des gewillkürten Erbrechts, der letztwilligen Verfügung, einig – und das auch nur im Hinblick auf den Errichtungsakt, nicht jedoch in Bezug 127

Heinrich, S. 44, m.w.Nw. in Fn. 9. Zu dieser Verbindung Rittner, AcP 188 (1988), 101, 107, 126 ff.; Wiebe, S. 42 ff.; jew. m.w.Nw. S. auch Dilcher, NJW 1960, 1040, 1042: Vertragsfreiheit als „Zwillingsschwester der Wettbewerbsfreiheit“. Ähnlich Busche, S. 645, sowie S. 30 ff.: „notwendige Interpendenz zwischen dem Gestaltungsplan der allgemeinen Vertragsrechtsordnung und demjenigen der gesamten Wirtschaftsverfassung“. 129 Überblick bei Lobinger, S. 53, 77 ff., m.w.Nw.; s. auch ders., in: Jahrbuch, S. 77, 78, m. Nw. zu abweichenden Ansätzen in Fn. 4–11. Zudem Wiebe, S. 45 f., m.w.Nw.: „Prinzipienmehrheit […] als bedeutende Tendenz der neueren Vertragslehre“; Larenz, Richtiges Recht, S. 62 f., m.w.Nw.; und vor allem Oechsler, S. 168 ff., 196 ff. 128

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auf die Frage der fortdauernden Wirksamkeit eines Testaments bei nachträglicher Änderung des Sittenwidrigkeitsmaßstabs.130 Im Bereich der zweiseitigen erbrechtlichen Rechtsgeschäfte herrscht noch größere Unklarheit: So wird im Recht des gemeinschaftlichen Testaments häufig nicht von einer Bindung kraft autonomer Willensübereinkunft,131 sondern kraft Vertrauens ausgegangen.132 Auch in Bezug auf den Erbvertrag kann man diese Behauptung finden – explizit und implizit in dem Bemerken, dass mit dem Eintritt der Bindungswirkung des Erbvertrags, genauer gesagt einer vertragsmäßigen Verfügung daraus,133 eine Beschränkung der Testierfreiheit in Gestalt eines Rechtsmachtverlusts des Erblassers einhergeht.134 Die besondere Betonung dieses Umstands deutet darauf hin, dass zumindest der Eintritt der vertraglichen Bindungswirkung des Erbvertrags nicht durchweg als die selbstverständliche Konsequenz eines privatautonomen Willenskonsenses der Parteien begriffen wird, wozu man sich im Rechtsverkehr unter Lebenden freilich gerade in jüngerer Zeit nicht mehr einmütig versteht. Mit der (erb-)vertraglichen Struktur sind auch heute noch Assoziationen zum Geltungsgrund von lebzeitigen Rechtsgeschäften und hier namentlich von 130 Heinrich, S. 373, geht insoweit nicht von einer Selbstbindung, sondern von einem „Vertrauensschutz des Erblassers“ aus, er habe sich „auf die Wirksamkeit der Erbeinsetzung verlassen und deshalb von einer Änderung […] abgesehen“. Vom Vertrauen will Heinrich dann auf den Willen des Erblassers schließen: „Der Erblasser hält gleichsam seine testamenta rische Verfügung aufrecht. Es entspricht folglich dem Willen des Erblassers [Hervorhebung nicht im Original], die zum Zeitpunkt des Erbfalls sittengemäße Erbeinsetzung zu realisieren. Eine Erbeinsetzung, die ursprünglich sittenwidrig war, kann daher bei einer Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Bewertungsgrundlagen wirksam werden.“ Das ist eine äußerst fragwürdig begründete Willensfiktion, die nahe bei den so genannten vertrauenstheoretischen Ansätzen zur Begründung lebzeitiger Bindungswirkung steht. Unten § 6 C. II. 1. a. aa., S. 168, m. Fn. 96. 131 Goebel, Ehegattenschutz, S. 83 f., bestreitet, dass das Bindungskonzept per se in der Lage sei, die Bindungswirkung eines gemeinschaftlichen Testaments zu erklären, weil es – erstens – die „zeitliche Dimension der Bindung“ nicht erfassen könne (dazu unten § 10, S. 241f., m. Fn. 24) und sich – zweitens – kein sinnvoller „Bezug zwischen Selbstbindung und Tod“ herstellen lasse. Zu letzterem ist zu sagen, dass der Tod als „äußeres Ereignis“ (so wörtlich Goebel, Ehegattenschutz, S. 82) in rechtliche Zusammenhänge, also auch in Bindungsszenarien, grundsätzlich nicht integrierbar ist (oben Einleitung, S. 7). Der Tod des erstversterbenden Ehegatten lässt sich wie jeder Erbfall auch in zeitlicher Hinsicht nur als „Leerstelle“ erfassen. Aber damit rechnet das Recht der Lebenden im Befristungsrecht ebenso wie das Erbrecht: Dies incertus conditionem in testamento facit (Pap. D. 35.1.75). 132 Umfangreiche Nw. für das gemeinschaftliche Testament bei Goebel, Ehegattenschutz, S. 61 Fn. 41. Zu ähnlichen Ansätzen im Recht der Lebenden unten § 6 C. II., S. 152, m. Fn. 96. 133 Zur Reichweite der erbrechtlichen Bindungskraft von vertragsmäßigen Verfügungen mit so genanntem Änderungsvorbehalt D. Nolting, S. 65, 91 ff., m.w.Nw. aus der älteren Literatur; kritisch insbesondere Buchholz, FamRZ 1987, 440, 443 ff. S. auch Hülsmeier, S. 73 ff.; ders., NJW 1986, 3115 ff.; sowie jüngst Musielak, ZEV 2007, 245, 245 ff.; Keim, ZEV 2005, 365 ff. 134 Kipp/Coing, § 38 II, S. 239; Buchholz, FamRZ 1987, 440, 444.

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Verträgen mit aufgerufen.135 Der lebzeitige Referenzrahmen verbirgt sich wohl auch hinter der für sich genommen wenig aussagekräftigen, aber weit verbreiteten Anschauung, die Bindungswirkung des Erbvertrags ergebe sich aus seiner „vertraglichen Natur“.136 Es nimmt deshalb nicht Wunder, dass sich die Ausführungen im erbrechtlichen Schrifttum als eine Art Echo der Auseinandersetzung um die Natur der lebzeitigen Bindungswirkung deuten lassen. Auch hier stehen sich willens-137 und vertrauenstheoretische138 Begründungsansätze139 ebenso unversöhnlich gegenüber wie umstritten ist, ob das Gesetz oder der (erklärte) Parteiwille die erbvertragliche Bindungswirkung zustande bringe.140 Dass man sich in der Uneinigkeit über den Geltungsgrund rechtsgeschäftlicher Bindung gleicht, dürfte freilich kaum als ein befriedigendes Zeichen für die Gleichberechtigung von Testier- und Vertragsfreiheit als Ausprägungen der Privatautonomie anzusehen sein.

II. Der emanzipatorische Ansatz: Entwicklung eigenständiger erbrechtlicher Lösungen Im Gegensatz zum Recht des Erbvertrags und des gemeinschaftlichen Testaments besteht über den Geltungsgrund der testamentarischen Verfügung als dem rechtsgeschäftlichen Leitmodell der Testierfreiheit kein Streit. Dass er 135 Wenngleich die erbvertragliche Bindung explizit nur noch ganz vereinzelt schuldrechtlich konstruiert wird: Stöcker, WM 1980, 482, 486 f. (zweiseitiges Testament mit schuldrechtlichem Widerrufsverzichtsvertrag). Hiergegen mit Recht Windel, S. 379; D. Nolting, S. 66 f., 93 ff., m.w.Nw. aus dem älteren Schrifttum. Gänzlich unvertretbar ist Windels, S. 389, 393, Annahme, die „causa […] begründe die inhaltliche Bindung der Vertragspartner“. Unter Lebenden wie von Todes wegen schafft die privatautonome Bindung den Rechtsgrund – nicht umgekehrt. 136 Windel, S. 379; D. Nolting, S. 72 ff.; gegen Hülsmeier, S. 7, der Anleihen bei der sachenrechtlichen Verfügung (unter Lebenden) machen will. Allgemein zum Verhältnis der Verfügungsbefugnis von Todes wegen zur lebzeitigen oben § 4, S. 118 ff. 137 Zuletzt Vollmar, S. 38 f., m.w.Nw. Dezidiert willensorientiert vor allem S. Loritz, S. 86 ff., 92 ff. Zur Problematik dieser Anschauung unten § 12 B. II., S. 284 ff. 138 Kuchinke, Fs. von Lübtow, S. 283, 284: „der Zweck der Bindung […] besteht [darin], das Vertrauen des anderen Ehegatten oder des Vertragsgegners auf den Bestand der wechselbezüglichen oder vertragsmäßigen Verfügungen zu schützen“. 139 Der Versuch, erbvertragliche Bindung aus dem Kriterium des „Interesses“ des Erblassers an ihrer Eingehung zu bestimmen, muss als gescheitert betrachtet werden. S. im Einzelnen die überzeugende Kritik von C. Nolting, S. 14 ff., 23 ff., 32 f., m.w.Nw. aus Rechtsprechung und Literatur. 140 Für ersteres D. Nolting, S. 84 ff., 88 ff. In diese Richtung lässt sich auch die auf das gemeinschaftliche Testament zielende Bemerkung Windels, S. 382, interpretieren, „dass aus § 2271 Abs. 1 und 2 BGB eine Bindung erst mit dem Tode des Erstversterbenden entsteht. Sie kann also nicht auf dem rechtsgeschäftlichen [Willens-]Akt unmittelbar beruhen.“ Zu den argumentativen Vorbildern aus dem Recht der Lebenden unten § 10, S. 241f., m. Fn. 24.

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auf dem Willen oder jedenfalls auf dem erklärten Willen des Erblassers beruht,141 ist anerkannt. Auf den ersten Blick scheint ihr jedoch auf der rechtsgeschäftlichen Ebene das konstitutive Element privatautonomer Selbstbestimmung durch Willenserklärung überhaupt abzugehen: die Verbindlichkeit privatautonomer Selbstgestaltung durch Geltungserklärung.142 Geltung erlangen Rechtsgeschäfte mit ihrer Wirksamkeit, die unter Lebenden mit dem Eintritt der vertraglichen Bindungswirkung in der Regel zusammen fällt.143 Versteht man Geltung in diesem Sinne gar als die „spezifische Seinsweise des Rechts“,144 erscheinen Verfügungen von Todes wegen, die sich gerade durch „allgemeine Wirkungslosigkeit vor dem Erbfall“145 auszeichnen, jedenfalls bis zum Eintritt ihrer Wirksamkeit noch nicht einmal als dem rechtlichen Bereich zugehörig.146 Die viel beschworene „fortdauernde Herrschaft [des Erblassers] über die Erbfolgeregelung, die sich nicht – gleichsam punktuell – in der Errichtung einer Verfügung von Todes wegen erschöpft, sondern […] für die Zukunft […] fortsetzt“,147 wirkt vor diesem Hintergrund wie eine Narrenfreiheit, die rechtlich nichts bewirken kann. Denn Rechtsverhältnisse werden durch den privatautonomen Akt der Errichtung einer letztwilligen Verfügung oder eines Erbvertrags nicht unmittelbar gestaltet; im Testamentsrecht kann sie im Gegenteil immer wieder verworfen und neu vorgenommen werden. Was gilt, steht – übrigens auch im Recht des Erbvertrags – endgültig erst mit dem Erbfall fest, wenn sich der geäußerte Wille retrospektiv als der letzte und damit als der rechtlich maßgebliche herausstellt. Erst jetzt wird die Verfügung von 141

Zur Frage Leipold, Fs. Müller-Freienfels, S. 421, 431 ff. Heinrich, S. 44, m.w.Nw. in Fn. 9; Singer, Selbstbestimmung, S. 6, m.w.Nw. in Fn. 2. Kritisch Lorenz, S. 35, m. Fn. 135, gerade im Hinblick auf das Testament. 143 Zu den Rechtsbegriffen „Geltung“ (= rechtserhebliche Existenz), „Verbindlichkeit“ (= Ordnungs- und Regelungskraft der Sinngehalte des Rechts gegenüber den Adressaten“) und „Wirksamkeit“ aus rechtstheoretischer Sicht Winkler, S. 233 f. 144 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 413, Fn. 6, im Anschluss an Kelsen; des Weiteren Canaris, in Fg. BGH I, S. 129, 147, 150; s. auch ders., Vertrauenshaftung, S. 413 f.: „Da aber Recht ohne Geltung ein Widerspruch in sich wäre, ist der durch einen (mangelfreien) privatautonomen Akt, also durch ein Rechtsgeschäft gesetzten Regelung die ,Geltung‘ notwendigerweise zueigen. Die Selbstbestimmung der Person durch rechtliche Selbstgestaltung lässt sich daher gar nicht anders denken als in der Form der Selbstbindung.“ Als ihre Kehrseite wird bisweilen die so genannte Selbstverantwortung vorgestellt, die nicht nur als der maßgebliche Grund für Vertrauen angegeben, sondern – ähnlich wie die Bindung – als konstitutiv für das Privatrecht schlechthin angesehen wird (Singer, Selbstbestimmung, S. 245: „schlechthin konstitutiv für die Anerkennung der Person als Rechtssubjekt des Privatrechtsverkehrs“; ihm folgend Lorenz, S. 41, m. Fn. 176). Zur Kritik dieses Ansatzes unten § 12 B. III. 1. a., S. 262. S. auch Lobinger, S. 76 ff., m.w.Nw. Allgemein zum juristischen Geltungsbegriff Alexy, Begriff, S. 142 ff.; Winkler, S. 229 ff., 233 f. 145 Windel, S. 376 f. 146 Bartholomeyczik, Fs. OLG Zweibrücken, S. 25, 55 ff., differenziert insoweit die bloße Willenserklärung vom „wirkenden Rechtsgeschäft“. Zum Ganzen unten § 12 B. V. 1., S. 338 ff., m.w.Nw. 147 Häsemeyer, FamRZ 1967, 30, 32. 142

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Todes wegen wirksam: „ein Rechtsverhältnis entsteht aus der Verfügung von Todes wegen erst mit dem Tode“,148 heißt es bei Flume.149 Und erst jetzt – aus der ex post-Perspektive, die vom Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Verfügung auf den in der erbrechtlichen Anordnung niedergelegten Willen bei Errichtung der Verfügung zurückschließt,150 erfolgt die Auslegung151 und möglicherweise die Anfechtung der Willenserklärung. Sie wirkt freilich auf den Errichtungszeitpunkt zurück (§ 142 Abs. 1 BGB)152 und wird auch bei nicht wirksamen Willenserklärungen zugelassen.153 Der Umstand, dass der Wille des Erblassers erst im Zeitpunkt des Erbfalls gestaltet und damit wirkt, i. e. das Konzept eines (rechtlich erheblichen) Willens ohne Bindung oder – genauer gesagt – ohne unmittelbaren Geltungsanspruch, erscheint als legitimationsbedürftig, wenn man ihn an der Idee der sofortigen Verbindlichkeit und Gestaltungskraft privatautonomer Rechtssetzung misst. Dass dieser Maßstab überhaupt an erbrechtliche Rechtsgeschäfte angelegt wird, hat seinen Grund darin, dass die Rechtsgeschäftslehre an diesem zentralen Punkt lebzeitig orientiert ist. Willenserklärungen beanspruchen nach diesem Verständnis unmittelbare Geltung, gleich, ob sie auf den Abschluss eines Vertrags gerichtet sind (§ 145 BGB) oder einseitig bleiben.154 Rechtliche Geltung entsteht inter vivos in aller Regel mit privatautonomer Bindung, und

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Flume, BGB AT II, § 11, 6 b, S. 149 (Hervorhebung nicht im Original). Ohne Differenzierung in zeitlicher Hinsicht Husserl, Recht und Zeit, S. 7, 28: „Der Vertrag, das Testament [Hervorhebung nicht im Original], das Delikt gehören der großen Kategorie rechtlicher Dinge an, die wir ,Rechtsverhältnis‘ nennen.“ S. auch unten § 12 A. I., S. 273, m. Fn. 17, und V. 1., S. 338 ff. 150 Eindrücklich Husserl, Recht und Zeit, S. 7, 60: „Der Zeitweg, den der Richter bei dem Prozess der Rechtsanwendung beschreitet, führt in einer Richtung zurück in die geschichtliche Situation, aus der die Rechtsnorm (um deren Anwendung es sich handelt) erwachsen ist. Dieser Gang in die Vergangenheit ist notwendig für eine sachgemäße Gesetzesauslegung.“ Der Richter ist wie jeder Interpret einer Erklärung insofern ein „Vergangenheitsmensch“ (a.a.O., S. 59). 151 Insoweit ist die gängige Aussage, es komme für die Auslegung auf den Willen des Erblassers im Zeitpunkt der Errichtung der Verfügung von Todes wegen an (Sonnenschein, S. 77 ff.), zumindest verkürzt, weil sie den Prozess des Zurückgehens in die Vergangenheit nur an dessen Endpunkt erfasst. Gleiches gilt für die Feststellung Stumpfs, S. 96, dass „der taugliche Auslegungsgegenstand nicht gleichzusetzen ist mit dem der wirksamen Willenserklärung.“ 152 Eine Ausnahme ist das Selbstanfechtungsrecht des erbvertraglich gebundenen Erblassers, das im geltenden Recht wenn nicht ein Fremdkörper ist, so doch jedenfalls besonderer Erklärung bedarf. Unten § 10, S. 240, m.w.Nw. 153 Flume, BGB AT II, § 31, 6, S. 566 f., m.w.Nw. 154 Einseitige empfangsbedürftige Willenserklärungen gelten mit Zugang beim Erklärungsadressaten (§ 130 Abs. 1 Satz 1 BGB), nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen, so genannte streng einseitige Rechtsgeschäfte (Beispiele bei Palandt/Heinrichs, Überbl v. § 104 Rn. 11) mit der Vornahme der rechtsgeschäftlichen Handlung. 149

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Erster Teil

wenn diese unmittelbar sein soll, bedeutet das eben, dass sofort, das heißt zu Lebzeiten der Beteiligten, Rechte und Pflichten begründet werden.155 Das Testament passt naturgemäß nicht in dieses Bild, weshalb es Versuche gegeben hat, die letztwillige Verfügung in diesen lebzeitigen Rahmen mehr oder weniger gewaltsam einzupassen. Insbesondere wurde sie zur aufschiebend bedingten lebzeitigen Willenserklärung uminterpretiert.156 Das ist juristisch nicht haltbar, weil allein der Entstehungszeitpunkt eines Rechts für dessen Charakter als lebzeitiges oder erbrechtliches Rechtsgeschäft nicht entscheidend ist.157 Doch das Problem erschöpft sich nicht in der unzutreffenden Beantwortung einer Detailfrage. Es hat eine weitere Dimension: Der Ansatz nimmt nämlich dem gewillkürten Erbrecht jede Chance auf eine eigenständige Lösung.158 Die Testierfreiheit wird als eine Art Privatautonomie unter Lebenden zweiter Klasse angelegt, ihre besonderen Strukturprinzipien bleiben unberücksichtigt oder werden argumentativ gar aufgehoben.159 Wie umfassend die Prägung auf das Recht der Lebenden ist, zeigt sich vor allem daran, dass Anleihen aus jedem der ersten drei Bücher des Bürgerlichen Gesetzbuchs nachgewiesen werden konnten: Schuld- und sachenrechtliche Versatzstücke lassen sich ebenso ausmachen160 wie die Konditionierung der Rechtsgeschäftslehre des Allgemeinen Teils auf lebzeitige Willenserklärungen. Hier liegt das zweite große Aufgabenfeld der Untersuchung. Es setzt nicht bei der Privatautonomie als Prinzip an, sondern betrachtet die Ebene des Rechtsgeschäfts. Ziel ist es, einen Beitrag zur behutsamen Emanzipation der Testierfreiheit von erbrechtsfremden Einflüssen aus dem Recht der Lebenden zu leisten. Einerseits kann das nur durch die Entwicklung einer spezifisch erbrechtlichen Dogmatik geschehen. Andererseits soll dem Recht der Lebenden ohne Berührungsangst begegnet und bei der einzelnen Fragestellung erarbeitet werden, inwieweit Parallelen zu lebzeitigen Instituten und Argumenten gezogen werden können. Voraussetzung dafür ist der bewusste Umgang mit spezifisch erbrechtlichen und lebzeitigen Konzepten, aber auch mit Strukturen, für die dieser Gegensatz nicht prägend ist und die folglich hier wie dort eine Rolle spielen. Es geht mit anderen Worten darum, die Besonderheiten der Testierfreiheit als Ausdruck privatautonomen Handelns von Todes wegen zu analysieren, ohne dabei aus den Augen zu verlieren, dass sie neben der Vertragsfreiheit unter Lebenden Teil des einen Prinzips Privatautonomie ist.

155 Zur Bedeutung der lebzeitigen Bindungswirkung als Kriterium zur Abgrenzung von lebzeitigen und erbrechtlichen Rechtsgeschäften oben § 3 B. IV. 2., S. 101, m. Fn. 277. 156 Battes, AcP 178 (1978), 337, 342 f. 157 Harder, in: Mél. Sturm II., S. 1029, 1035, 1039. 158 Oben § 4 A., S. 119 f. 159 Oben § 4 A., S. 119 f. 160 Oben A. III. 2. b. aa., S. 132 f.

§ 5 Zusammenfassung und Untersuchungsverlauf

149

III. Untersuchungsverlauf Nach den zwei übergeordneten Aufgabenfeldern richtet sich der Aufbau der weiteren Untersuchung. Im Dritten Teil wird die unterschiedliche Organisationsstruktur der Testier- im Vergleich zur Vertragsfreiheit unter Lebenden auf rechtsgeschäftlicher Ebene heraus gearbeitet. Die Gliederung orientiert sich dabei an den einzelnen Strukturprinzipien, die privatautonomes Handeln kennzeichnen oder ihm jedenfalls gemeinhin beigelegt werden. Einem Abschnitt zur Frage der Formfreiheit als essentiale der Privatautonomie161 schließen sich Ausführungen über die rechtsgeschäftliche Vornahme- und Beendigungsfreiheit,162 die Inhaltsfreiheit163 und die Gestaltungsfreiheit164 im Recht der Lebenden und dem Recht der Verfügungen von Todes wegen an. Begonnen wird jedoch im Zweiten Teil der Arbeit mit der Entfaltung der Testierfreiheit als Teil des Grundprinzips „Privatautonomie“. Hier wird das Augenmerk besonders auf das kohärente Zusammenspiel des Verfassungsmit dem Zivilrecht gelegt. Der Schwerpunkt liegt dabei zunächst auf der verfassungsrechtlichen Emanzipation der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen als „Erblasserfreiheit“ und deren zivilrechtlichen Synergieeffekten.165 Komplettiert wird die Darstellung mit Überlegungen zu den zivilrechtlichen Implikationen der verfassungsrechtlichen „Erbenfreiheit“.166 Zusammenfassungen schließen die beiden Teile jeweils ab.167

161 162 163 164 165 166 167

Unten § 9, S. 231 ff. Unten § 10, S. 238 ff. Unten § 11, S. 244 ff. Unten § 12, S. 271 ff. Unten § 6, S. 252 ff. Unten § 7, S. 204 ff. Unten § 8, S. 222 ff., § 13, S. 352 ff.

150

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Zweiter Teil

Verfassungsrechtliche Anlage und zivilrechtliche Struktur der Testierfreiheit als privatautonomes Prinzip

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§ 6 Von der Engführung von Eigentum und Erbrecht zum Freiheitsrecht im wirtschaftlichen Bereich A. Überkommene Ansätze in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung Dass auch das Verfassungsrecht im Erbrecht bisweilen allzu präsent ist, war eine wichtige Erkenntnis der kritischen Bestandsaufnahme.1 In Rufferts 2001 erschienener Monographie „Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts“ liest man davon nichts: „Die verfassungsrechtliche Garantie des Erbrechts, nach der Aufzählung Gustav Boehmers eine weitere der tragenden Säulen der Zivilrechtsordnung, ist eng mit dem Eigentum verbunden. Sie hat unter dem Grundgesetz nicht annähernd die Bedeutung der Eigentumsgarantie erlangt, wenn beide auch im gleichen Satz des Grundgesetzes gewährleistet werden. Ein ,Erbrecht des Bundesverfassungsgerichts‘ gibt es nicht. Umso weniger hat sich die verfassungsrechtliche Garantie in Verfassungsrechtsprechung und Schrifttum in einer für das Privatrecht relevanten Weise niedergeschlagen. Privatrechtliche Fragen des Erbrechts sind – anders als beispielsweise die Frage der Erbschaftsbesteuerung – nur in Grenzen Gegenstand der verfassungspolitischen Auseinandersetzung. Über die verfassungsrechtlichen Eckdaten des Erbrechtsschutzes in Art. 14 Abs. 1 GG besteht im wesentlichen Konsens.“2

In diesen Ausführungen mischen sich richtige Beobachtungen mit nicht zutreffenden Einschätzungen.3 Man muss vielleicht nicht mit Stöcker einer Meinung sein, der der Erbrechtsgarantie eine „eigentümliche Blässe [attestiert], die das ver1

Oben § 5 A. II., S. 128 ff. S. 392. 3 Die Aussage, dass zivilrechtliche Fragestellungen des Erbrechts – das Erbschaftssteuerrecht einmal ausgenommen – nur am Rande verfassungspolitisches Interesse auf sich gezogen haben, trifft in dieser Allgemeinheit nicht mehr zu. Zwar mag die Auseinandersetzung um die Besteuerung von Erbschaften das oder jedenfalls eines der „bedeutendsten Themen der Erbrechtspolitik im 20. Jahrhundert darstellen“ (Beckert, S. 201), was die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung durchaus widerspiegelt. Gerade in der jüngsten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsgemäßheit des Pflichtteilsrechts (BVerfGE 112, 332 ff., oben § 1 A., S. 13 ff.) liegt jedoch eine nicht unerhebliche verfassungsrechtliche Aufwertung des Erbrechts als Materie des Zivilrechts. 2

154

Zweiter Teil

fassungsrechtlich gewährleistete Erbrecht zu einem Anhängsel anderer Grundrechte hat degenerieren lassen.“4 Von einem „Entfaltungsdefizit“ des Grundrechts „Erbrecht“, das gerade in der Dominanz des parallelen Grundrechts „Eigentum“ begründet liegt, lässt sich sicher sprechen;5 ebenso davon, dass über die ergänzende Funktion des Erbrechts als zeitliche Verlängerung des Eigentums über den Tod des Eigentümers hinaus sowohl im verfassungsrechtlichen 6 als auch im zivilrechtlichen7 Schrifttum bis in die jüngste Zeit hinein weitgehend Einigkeit bestand. Gerade die häufig betonte unmittelbare Einsichtigkeit dieses „logischen Konnexes“8 zwischen Eigentum und seinem „Zwillingsrecht“,9 dem Erbrecht, das die Literatur durchzieht,10 schien das Bemühen um eine selbstständige dogmatische Begründung überflüssig zu machen, weil sie der Erbrechtsgarantie eine Art neo-naturrechtlicher Legitimation verschaffte.11 Man ging sogar soweit, dem Regelungsgegenstand „Erbrecht“ einen eigenständigen Wirkbereich weitgehend abzusprechen, indem man betonte, „die Testierfreiheit […] ließe sich unschwer auch aus dem Eigentum herleiten“12. Pathetisch überhöht findet sich dieser Gedanke auch in der Vorstellung, es handele sich bei der Testierfreiheit um den „letzten Ausfluss des Eigentumsgrundrechts des Erblassers“,13 einer Art „Höhepunkt der Dispositionsbefugnis des Eigentümers.“14 4

WM 1979, 214, 214. Das Bild greift Rauscher I, S. 13, auf. Stöcker, WM 1979, 214, 214. 6 S. die Nw. bei Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 73 Fn. 110, S. 74 Fn. 112; des Weiteren Mager, S. 459; Leisner, Gleichheitsstaat, S. 155: „Erbrecht ist nichts als fortgesetztes Privateigentum.“; Nachreiner, ZEV 2005, 1, 5: „kontinuierte Eigentumsgarantie“; Stern IV/1, § 113 XI. 1., S. 2320; Wendt, in: Sachs, GG, Art. 14 Rn. 193: „Fortbestand (des Eigentums) im Wege der Rechtsnachfolge“; Hesselberger, in: Leibholz/Rinck/ders., GG, Art. 14 Rn. 1036; Sieckmann, in: Friauf/Höfling, GG, C Art. 14 Rn. 212, 214; Hofmann, in: Klein/Schmidt-Bleibtreu, Art. 14 Rn. 33; Wieland, in: Dreier, GG, Bd. 1, Art. 14 Rn. 65; Kimminich, in: Bonner Kommentar, Art. 14 Rn. 127. Zuletzt Karpen, in: Röthel, Reformfragen, S. 169, 175: „Eigentumsrecht unter Lebenden und post mortem“. 7 S. die Nw. bei Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 73 Fn. 110, 74 Fn. 112; des Weiteren Miserre, S. 232: „letzter (Eigentums-)Wille“; Brox, Fs. Benda, S. 17, 28 f.; Heinrich, S. 78, m. Nw. in Fn. 65; Pabst, JuS 2001, 1145, 1145, m.w.Nw.: „Die […] Erbrechtsgarantie begründet eine generelle Zeitunabhängigkeit des Eigentums.“ S. auch Egli, Rn. 14 Fn. 29, m.w.Nw. 8 Palandt/Edenkofer, Einl. zu § 1922 Rn. 1. Kaden, S. 31, versteht das Recht zu vererben und zu erben als „Spezialfall der Eigentumsgarantie.“ 9 Leisner, in: Isensee/Kirchhof, HStR VI, § 150, Rn. 3. Ihm folgend Nachreiner, ZEV 2005, 1, 5, m. Fn. 75. 10 Nw. bei Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 74, Fn. 113. Zuletzt Badura, in: Röthel, Reformfragen, S. 151, 152: „Sie (die Testierfreiheit) ist als Verfügungsbefugnis des Eigentümers über den Tod hinaus eng mit der Garantie des Eigentums verknüpft […].“ 11 So in der Tat Rauscher I, S. 15. Oben § 2 C. II., S. 54. 12 Soergel/Stein, Einl. Rn. 4; Staudinger/Otte, Einl. zu § 1922 ff., Rn. 63. Ähnlich Edenfeld, DNotZ 2003, 4, 12: Erbrechtsgarantie als „nachwirkender Eigentumsschutz“. 13 Rauscher I, S. 88, s. auch S. 33: „Verwirklichung des ,letzten Eigentums-Willens‘ des Erblassers“; Busche, S. 57 f., Fn. 74. Ähnlich bereits Bartholomeyczik, Fs. OLG Zweibrücken, S. 26, 56 f.: „Die Lenkung seines [des Erblassers] Eigentums über seinen Tod hinaus ist einer der wesentlichen Bedeutungen des autonomen Gebrauchs privaten Eigentums.“ Aus dem 5

§ 6 Erbrecht als Freiheitsrecht im wirtschaftlichen Bereich

155

Inhaltlich sind diese Stellungnahmen in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Testierfreiheit verankert, die in der zivilrechtlichen Literatur15 und der zivilgerichtlichen Rechtsprechung16 gleichermaßen bis in den genauen Wortlaut hinein rezipiert wurden und im Gegensatz zu Rufferts verfassungsrechtlicher Negativanzeige auf das zivilrechtliche Verständnis der Testierfreiheit nicht unerheblichen Einfluss genommen haben. Die wesentlichen Eckpunkte der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung zur Testierfreiheit sind die folgenden: Auf den ersten Blick kann von einem „Entfaltungsdefizit“ des Grundrechts nicht die Rede sein. Die Gestaltungsbefugnis von Todes wegen wird – obwohl im Grundgesetz nicht wörtlich erwähnt17 – in der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts vielmehr als das „bestimmende Element“ der Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG vorgestellt.18 In der Sache ist die zentrale Stellung der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen im Rahmen der Erbrechtsgarantie jedoch durch den konkreten inhaltlichen Kontext, in den das Gericht das Recht rückt, nicht unerheblich beeinträchtigt. In der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung sind zwei überkommene Erklärungsmuster nachweisbar, die zur Inhaltsbestimmung der Testierfreiheit traditionell verwendet werden: die Familienerbfolge und – was in diesem Zusammenhang mehr interessiert – das Eigentum als lebzeitiges Rechtsinstitut.19 Beide Bezugsgrößen erfassen die Testierfreiheit inhaltlich nur unvollkommen und erklären sie nicht aus sich selbst heraus, was die materielle Bedeutungseinbuße im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG erklären dürfte. Was die zivilrechtlichen Versuche anbelangt, die Gestaltungsbefugnis von Todes wegen als verfassungsrechtlichen Schrifttum Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 14 Rn. 519; Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn. 298: „Ausfluss der allgemeinen Eigentumsnutzungs- bzw. Eigentumsverfügungsfreiheit“. Zu ähnlichen Ansätzen in der US-amerikanischen Erbrechtsdefinition Beckert, S. 19, 97 f. 14 So schon früh Bruns, in: Kleine Schriften II, S. 139, 169; zu Recht kritisch Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 111. 15 Probst, JR 1999, 508, 509: „zeitliche Verlängerung der Eigentumsgarantie über den Tod hinaus.“ 16 BGHZ 118, 361, 365: „Sie [die Testierfreiheit] ist als Verfügungsbefugnis des Eigentümers über den Tod hinaus eng mit der Garantie des Eigentums verknüpft […].“ (unter Bezugnahme auf BVerfGE 67, 329, 341); BayObLG FamRZ 2001, 1326, 1327: „Testierfreiheit als Verfügungsbefugnis des Eigentümers über den Tod“ (unter Bezugnahme von BVerfG FamRZ 2000, 945, 946). 17 Entgegen Heinrich, S. 70, wird die Testierfreiheit in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG nicht ausdrücklich angesprochen. 18 Ständige Rechtsprechung seit BVerfGE 58, 377, 398; 67, 329, 341; s. auch BVerfGE 91, 346, 358; 99, 341, 350; BVerfG NJW 1998, 2964. W. Nw. bei Stern IV/1, § 113 XI. 4., S. 2324, m. Fn. 1125, 1126. 19 Beide Ansätze finden sich schon in den Beratungen des Parlamentarischen Rats zur Frage einer eigenständigen Gewährleistung des Erbrechts neben dem Eigentum, ebenso die Anschauung, das Erbrecht sei bereits im Eigentumsrecht verkörpert: Parlamentarischer Rat V/1, S. 117 ff., 148 f.

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Zweiter Teil

Abweichung von der gesetzlichen Erbfolge zu verstehen, wurde bereits dargelegt, dass die Testierfreiheit als atypische Abweichung von der gesetzlichen (Leit-)Erbfolge nicht adäquat umschrieben wird.20 Auf verfassungsrechtlicher Ebene trifft – da es nur eine Testierfreiheit gibt, und nicht etwa eine zivilrechtliche und eine grundgesetzliche21 – derselbe Einwand zu. Denn das Bundesverfassungsgericht beschreibt sie als „Bestandteil der Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG, der die Befugnis des Erblassers umfasst, zu Lebzeiten einen von der gesetzlichen Erbfolge abweichenden Übergang seines Vermögens nach seinem Tode an einen oder mehrere Rechtsnachfolger anzuordnen, insbesondere einen gesetzlichen Erben von der Nachlassbeteiligung auszuschließen und wertmäßig auf den gesetzlichen Pflichtteil zu beschränken.“22

Die gewillkürte Erbfolge wird damit auf die Rolle eines zur primären Familienerbfolge komplementären Rechtsinstituts reduziert. Die Einschätzung Kuchinkes, 23 dass die verfassungsrechtliche Judikatur ihrerseits von den Beiträgen Boehmers zu Umfang und Auswirkung der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Erbrechts stark beeinflusst worden ist, 24 trifft sicherlich gerade für diesen familienerbrechtlich motivierten Begründungsversuch der Testierfreiheit zu. 25 Der zweite Ansatz, der sich in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Erläuterung der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen findet, 26 steht in einer wirkmächtigen und – wofür die Ausführungen Goebels erneut sensibilisiert haben 27 – in der rechtsphilosophisch nicht unproblematischen

20

Oben § 1 A., S. 17, B., S. 21, § 5 A. III. 1., S. 119 f. Oben § 2 C. II., S. 47. 22 BVerfGE 58, 377, 398. S. auch BVerfGE 99, 341, 350 f.; dem folgend Berkemann, in: Umbach/Clemens, GG, Art. 14 Rn. 724 (unter fehlerhafter Berufung auf BVerfGE 91, 346 [358]. Die Entscheidung bemüht den eigentumsrechtlich motivierten Begründungsansatz). Aus dem zivilrechtlichen Schrifttum Soergel/Stein, Einl. vor § 1922 Rn. 11. 23 Lange, Lehrbuch, § 2 IV 1, S. 25. 24 In: Neumann/Nipperdey/Scheuner, S. 401, 406. 25 S. allgemein zum Einfluss Boehmers auf die Konstitution des Erbrechts im Grundgesetz Wieland, in: Dreier, GG, Art. 14 Rn. 5; insbesondere zur Ausprägung als Institutsgarantie Mager, S. 35 f., aber auch S. 192 f. Bei älteren verfassungsrechtlichen Arbeiten zum Thema sind Boehmers Schriften in der Regel die wichtigste Referenzquelle. S. die Nw. bei Leisner, Erbschaftsbesteuerung, S. 48 ff. 26 BVerfGE 31, 229, 239; 1, 264, 278. 27 Persönlichkeitsrecht, S. 91 ff., 98 ff., 109 ff., 115 ff.; vor ihm J. Schapp, AcP 192 (1992), 355, 368 f., m.w.Nw. in Fn. 38; des Weiteren Paptistella, S. 110 ff. Hervorzuheben ist insbesondere die auf John Locke zurückgehende und von Max Weber rezipierte arbeitstheoretische und damit lebzeitige Fundierung des Eigentumsbegriffs (Peifer, S. 330 ff.; Schwab, Art. „Eigentum“, S. 65, 79 f.; zum Einfluss Kants Kühl, S. 285 ff.). Sie taugt – ähnlich wie das Konzept tätiger Selbstbestimmung im Austauschvertrag auf der schuldrechtlichen Ebene (oben § 3 B. I., S. 72 f.) – nicht zur Erklärung des „arbeitslosen“ Erwerbs von Todes wegen (Strätz, FamRZ 1998, 1353, 1353). Die Vorstellung, das Ererbte konserviere die Leistung des Erblassers für 21

§ 6 Erbrecht als Freiheitsrecht im wirtschaftlichen Bereich

157

Tradition eines „Leistungseigentums“, 28 das durch die Parallelisierung der Institute in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG auch für das Erbrecht festgeschrieben wird. Inhaltlich hat dieses – so das Bundesverfassungsgericht – „die Funktion, das Privateigentum als Grundlage der eigenverantwortlichen Lebensgestaltung mit dem Tod des Eigentümers nicht untergehen zu lassen, sondern seinen Fortbestand im Wege der Rechtsnachfolge zu sichern.“29 Die Erbrechtsgarantie versteht das Gericht dabei ausdrücklich als Ergänzung der Eigentumsgewährleistung.30 Angesprochen ist damit zum einen der proprietas-Charakter des Eigentums, das heißt auf das Erbrecht bezogen dessen über den Tod hinaus gehende Güterzuordnungsfunktion, die den Nachlass davor bewahrt, herrenlos zu werden.31 Zum anderen greift die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung in Bezug auf die Erbrechtsgarantie auch eine weitere Bedeutungsvariante des Eigentums,32 die Herrschaftsgewalt (dominium) des Eigentümers über das ihm Gehörende – die eigentliche „Eigentümerfreiheit“ – wieder auf.33 Der zentrale Inhalt der Eigentümerfreiheit ist die Verfügungsfreiheit.34 In Bezug auf die Erbrechtsgarantie hat das Bundesverfassungsgericht die oft rezipierte35 Formel geprägt, dass die Testierfreiheit „als Verfügungsbefugnis des Eigentümers über den Tod hinaus eng mit der Garantie des Eigentums verknüpft ist und wie diese als Element der Sicherung der persönlichen Freiheit des Einzelnen von Verfassungs

den Erben (Andersen, S. 47, m.w.Nw. in Fn. 4), ist dabei nur eine etwas gekünstelte Spielart dieses lebzeitig geprägten Vorverständnisses. Auch naturrechtlich lässt sich der Fortbestand des Eigentums nach dem Tode des Eigentümers nicht begründen (Nw. bei B. Bayer, S. 166 f.). 28 Leisner, in: Isensee/Kirchhof, HStR VI, § 150 Rn. 11; Hösch, S. 55 f., m.w.Nw.: „Schutz der eigenen Leistung als wesentlicher Grund für den verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz“. Im Steuerrecht spiegelt sich die Problematik in der Frage, ob ererbtes Vermögen nicht unzulässigerweise doppelt besteuert werde, einmal als erarbeitetes und zum anderen – nach dem Erbfall – als ererbtes Vermögen. Dagegen zutreffend Meincke, in: Birk, S. 39, 43 f. 29 BVerfGE 91, 346, 358; 83, 201, 208. S. auch Leisner, in: Isensee/Kirchhof, HStR VI, § 150 Rn. 3: „Eigentumskontinuität durch Erbrecht“. 30 Zuletzt BVerfGE 112, 332, 349. Des Weiteren BVerfGE 93, 165, 174; 91, 346, 358. 31 Aus zivilrechtlicher Sicht Heinrich, S. 78. 32 Zur historischen Entfaltung der beiden unterschiedlichen Bedeutungsfelder dominium und proprietas im Eigentumsbegriff Willoweit, Historisches Jahrbuch 94 (1974), 131, 139 ff., 141 ff., 147 ff., 153 ff. Zur Rezeption der Unterscheidung im Persönlichkeits- und Immaterialgüterrecht des gewerblichen Rechtsschutzes Peifer, S. 331 f., m.w.Nw.; Schwab, Art. „Eigentum“, S. 65, 85. 33 Hetmeier, S. 69, m.w.Nw., spricht von einer „personalen Sicht der Eigentumsgarantie“; ähnlich von Brünneck, S. 424 ff.: „demokratisch-personale Interpretation der Eigentumsgarantie“. Kirchhof, Fs. Leisner, S. 635, 641, stellt der Freiheit des „Habens“ die des „Verfügens“ gegenüber. Aus rechtssoziologischer Sicht Beckert, S. 12 f., im Anschluss an Durkheim: „direktes Band zwischen dem besessenen Ding und der Person des Eigentümers“. 34 Kirchhof, Fs. Leisner, S. 635, 639. 35 Leipold, Rn. 69.

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Zweiter Teil

wegen besonders ausgeprägten Schutz genießt.“36 Der Fokus der Betrachtung wird damit vom Eigentum, dessen Privatnützigkeit zugunsten des Eigentümers über den Tod hinaus nicht denkbar ist, auf die Verfügungsbefugnis des Erblassers verlegt.37 Damit wird der Bezug zum einzelnen Rechtsgeschäft hergestellt, was erklärt, dass die Formel zugleich als Definition für die Gestaltungsbefugnis von Todes wegen angeboten wird. Was am Verständnis der erbrechtlichen Gestaltungsbefugnis als Verfügungsbefugnis über den Tod hinaus befremdet, ist nicht der unbestreitbar vorhandene Beitrag des Erbrechts zur Sicherung des Privateigentums. Kritikpunkt ist vielmehr die funktionelle und konstruktive Unterordnung der Testier- unter die Eigentümerfreiheit als Ausdruck des dominium über das Eigentum, die nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts sogar Züge des allgemeinen Persönlichkeitsrechts38 und der allgemeinen Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG39 miteinander vereint. Nicht die Beziehung der erbrechtlichen Güterzuordnung zur Eigentumsordnung im Sinne der proprietas ist problematisch,40 sondern, dass ein gegenüber der Verfügungsbefugnis des Eigentümers komplementäres Verständnis der erbrechtlichen Gestaltungsbefugnis ihrem Charakter als Freiheitsrecht nicht vollständig gerecht wird. In der Argumentation des Bundesverfassungsgerichts ist durchaus angelegt, dass die Testierfreiheit mit der Eigentumsgarantie zwar eng verknüpft, aber eben nicht identisch ist.41 In der jüngsten Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit des Pflichtteils(entziehungs)rechts hat das Bundesverfassungsgericht das sogar ausgesprochen.42 Es geht deshalb nicht darum, die „Maßstäbe des Art. 14 GG in 36 Ständige Rechtsprechung seit BVerfGE 67, 329, 341, unter Hinweis auf BVerfGE 26, 215, 222; 50, 290, 340. S. auch BVerfGE 91, 346, 358, und BGHZ 118, 361, 365. 37 Wieland, in: Dreier, GG, Art. 14 Rn. 67. Zumindest für die Erbrechtsgarantie macht die Unterscheidung von Privatnützigkeit des Eigentums (einschließlich Nutzungsmöglichkeit) und Verfügungsbefugnis daher Sinn; anders für das Schutzgut Eigentum Glos, S. 96 ff. 38 BVerfGE 79, 292, 304. Des Weiteren Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 116, m.w.Nw.; Schwab, Art. „Eigentum“, S. 65, 85. Dazu unten C. II. 2., S. 176 ff. 39 Nw. bei Hetmeier, S. 69 Fn. 39. 40 In dieser Facette harmoniert auch die Erbfolge aufgrund Rechtsgeschäfts entgegen Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 112, durchaus mit dem personellen Leitbild des Besitzbürgers, vom dem eingangs dieser Untersuchung bereits die Rede war. Oben Einleitung, S. 2. Außerdem ist sie über Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG Anknüpfungspunkt für die Erbschaftssteuer. Zuletzt Nachreiner, ZEV 2005, 1, 5, m.w.Nw. in Fn. 80. 41 Rittstieg, in: AK-GG, Art. 14/15 Rn. 154. Die Vorstellung fortgesetzten Eigentums, der zugrunde liegt, dass die „Rechtfertigung des Eigentums identisch ist mit der Rechtfertigung des Erbrechts“ (Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 87), trifft daher für die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht uneingeschränkt zu – dies schon deshalb nicht, weil es nicht um den proprietären Aspekt der Eigentumszuordnung geht, sondern um die Konstruktion der Herrschaftsgewalt in Gestalt der „Verfügungsbefugnis über den Tod hinaus“. 42 BVerfGE 112, 332, 348: „Wenngleich die Gewährleistung von Eigentum und Erbrecht in einem Zusammenhang stehen, garantiert die Erbrechtsgarantie nicht das (unbedingte) Recht, den gegebenen Eigentumsbestand von Todes wegen auf Dritte zu übertragen.“ Zivil-

§ 6 Erbrecht als Freiheitsrecht im wirtschaftlichen Bereich

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die Prüfung des Art. 2 Abs. 1 GG zu implantieren“ und damit die „Trennschärfe“ zwischen den beiden Grundrechten aufs Spiel zu setzen.43 Vielmehr soll überprüft werden, ob nicht einzelne, inhaltlich klar abgrenzbare Schutzfacetten, die im Schutzbereich des Eigentumsgrundrechts strukturell zu kurz kommen, ihre Eigenart im Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit besser entfalten und so zivilrechtliche Spielräume eröffnen können, wo bisher keine waren.

B. Zur Parallelisierung von Eigentümer- und Testierfreiheit durch das Bundesverfassungsgericht I. Die Testierfreiheit als Verfügungsbefugnis des Eigentümers über den Tod hinaus Eine Kritik der verfassungsrechtlichen Verschwisterung von Eigentümer- und Testierfreiheit hat aus zivilrechtsdogmatischer Sicht zwei thematische Facetten zu behandeln, die zugleich die beiden Defizite der parallelisierenden Anlage von Art. 14 Abs. 1 GG ausmachen. Zum einen vermag die auf den Gegenstand reduzierte Beziehung des Eigentümers zu der ihm gehörenden Sache die vergleichsweise komplexere Entscheidung des Erblassers über die selbstbestimmte Gestaltung seiner Rechtsnachfolge in einer Verfügung von Todes wegen inhaltlich nicht auszuschöpfen.44 Zum anderen werden der Testierfreiheit mit Hilfe des Vehikels der Verfügungsbefugnis über den Tod hinaus Strukturelemente des Rechts der Lebenden eingeschrieben, die die Andersartigkeit der Verfügung und insbesondere die zweigeteilte Struktur des Erwerbs von Todes wegen nicht genügend würdigen. Pointiert formuliert lassen sie das gewillkürte Erbrecht als die Fortsetzung des Rechts der Lebenden mit anderen (rechtsgeschäftlichen) Mitteln erscheinen. Eine Ursache dafür liegt in der verunglückten Begriffsbildung, die von einem Verständnis der Testierfreiheit zeugt, das aus der Sicht des Bürgerlichen Rechts mehrere inhaltliche Gründe gegen sich hat. Zum einen wird die sachenrechtliche mit der erbrechtlichen Verfügungsmacht auf zivilrechtlich problematische Weise „kurzgeschlossen.“ Dass lebzeitige Verfügungsmacht und Verfügungsbefugnis von Todes wegen unterschiedlichen Strukturprinzipien gehorchen, insbesondere, was die Unmittelbarkeit des Rechtsfolgeneintritts betrifft, rechtlich ist das nicht unmissverständlich (oben § 1 A., S. 23 f.). Denn die Wirksamkeit der Verfügungen des Erblassers zugunsten eines Erben, der sich Pflichtteilsansprüchen ausgesetzt sieht, ist unbestritten. Mit der Aussage ist offenbar die Vermögensminderung im Saldo angesprochen. 43 So aber Pabst, JuS 2001, 1145, 1149. 44 Unten II., S. 163 f.

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Zweiter Teil

die ja Kennzeichen der Verfügung unter Lebenden ist, kommt in der Formel nicht zum Ausdruck; ebenso wenig das Auseinanderfallen von Errichtung und Wirksamkeit als Charakteristikum einer letztwilligen Verfügung. Wie hochgradig problematisch diese Anschauung ist, zeigt sich in Stellungnahmen wie der folgenden, die aus dem verfassungsrechtlichen Befund unmittelbar zivilrechtliche Schlüsse zieht. So schreibt Busche: „Die Testierfreiheit stellt im Hinblick auf das Bedürfnis des Einzelnen, seine Angelegenheiten selbst zu regeln, ein notwendiges Äquivalent zur Eigentumsfreiheit dar […]. Es ist daher nicht zufällig, dass der Verfassungsgesetzgeber beide Freiheiten in Art. 14 GG gewährleistet hat. Kontroverser Beurteilung unterliegt allerdings, ob die Testierfreiheit durch die Erbrechtsgarantie oder die Eigentumsgarantie gewährleistet wird. Überwiegend wird angenommen, die Testierfreiheit sei Ausfluss der Erbrechtsgarantie […]. Von der Sache her zutreffender erscheint es jedoch, die Testierfreiheit der Eigentumsgarantie zuzuordnen, da die Freiheit zu testieren, also das Recht, sein Vermögen zu vererben, dem im Institut Erbrecht garantierten Vermögensübergang von Todes wegen zeitlich vorgelagert ist. In concreto geht es um die lebzeitige [Hervorhebung nicht im Original] Verfügungsbefugnis des Erblassers auf den Todesfall. Diese jedoch folgt aus dem Eigentum und ist als Testierfreiheit Voraussetzung für die Einrichtung Erbrecht […], die den Zuwachs an Vermögen auf Seiten des Erben schützt“.45

Die Verfügungsbefugnis von Todes wegen unterscheidet sich hiernach von derjenigen unter Lebenden nicht qualitativ, sondern ist vielmehr als deren zeitlich nach hinten verschobener Annex zu klassifizieren. Indem sie zur lebzeitigen Verfügungsbefugnis des Erblassers auf den Todesfall uminterpretiert wird, büßt sie ihren Charakter als spezifisch erbrechtliches Recht ein. Übrig bleibt eine aufschiebend bedingte Verfügung unter Lebenden – eine konstruktive Variante, die bereits von Battes vorgeschlagen wurde46 und von Busche argumentativ in der verfassungsrechtlichen Engführung der Herrschaftsgewalt des Eigentümers/Erblassers über seine Sache verortet wird. Doch die Gleichsetzung von sachenrechtlichem und erbrechtlichem dominium führt auf der Ebene des einfachen Rechts zu unhaltbaren Ergebnissen. Denkt man den Ansatz zivilrechtlich zu Ende, ließe sich erbrechtlicher Erwerb etwa nach §§ 929, 158 Abs. 1 BGB bewerkstelligen. Damit würde zum einen verkannt, dass sich die Herrschaftsgewalt des Erblassers im Gegensatz zur der des Eigentümers nicht auf eine einzelne Sache, sondern dessen gesamtes Vermögen bezieht, die Universalsukzession und das sachenrechtliche Spezialitätsprinzip folglich nicht miteinander verträglich sind. Zum anderen bliebe außer Acht, dass sich der erbrechtliche Erwerb – und zwar auch der, der auf einer Verfügung von Todes wegen beruht47 – nur kraft Gesetzes gemäß § 1922 Abs. 1 BGB vollzieht und gerade nicht aufgrund dinglichen Rechtsgeschäfts. Auch 45 46 47

Busche, S. 58, Fn. 74. AcP 178 (1978), 337, 342 f.; zur Kritik s. bereits oben § 4 A., S. 121, und § 5 B. II., S. 148. Zur Kausalität von Verfügungen von Todes wegen oben § 4 A., S. 120 f.

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dieses Missverständnis begünstigt die Formel von der Verfügungsbefugnis über den Tod hinaus. Sie suggeriert nämlich, dass der von Todes wegen Verfügende die Rechtswirkung seiner Verfügung wie unter Lebenden unmittelbar und aus eigener Rechtsmacht zustande bringen kann. Insgesamt gesehen spricht deshalb viel dafür, den Gesichtspunkt der Herrschaftsbefugnis des Erblassers über sein Vermögen von dem dominium des Eigentümers über die ihm gehörende Sache sachlich zu lösen und die Verknüpfung von „Eigentum“ und „Erbrecht“ in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG auf den Zuweisungsgehalt der proprietas im Sinne der grundrechtlichen Gewährleistung der Eigentumszuordnung im Wege des Erbgangs zu beschränken.48 Denn gerade mit der Verknüpfung von Eigentum und Freiheit/Person ist für das gewillkürte Erbrecht aufgrund der unterschiedlichen zivilrechtlichen Organisation der Verfügungsrechte unter Lebenden und von Todes wegen nichts gewonnen.49 Indem die Trennlinien zwischen erbrechtlichen Rechtsgeschäften und solchen unter Lebenden verschwimmen, verliert die Verfügungsbefugnis von Todes wegen im Gegenteil ihre spezifisch erbrechtliche Kontur – und zwar paradoxerweise gerade im Verhältnis zu den lebzeitigen sachenrechtlichen Verfügungen, die in den Schutzbereich des Eigentums gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG fallen. An der Verfassungsmäßigkeit eines solchen Vorgehens sind ernsthafte Zweifel anzumelden, weil die Testierfreiheit eben jenen Rang als „bestimmendes Element“ der Erbrechtsgarantie einzubüßen droht, den ihm die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung stets beigemessen hat.50

II. Die Gestaltungsbefugnis von Todes wegen im Korsett der Eigentümerfreiheit „Für Geschäfte des Erb- und Familienrechts ist der Grundsatz der Vertragsfreiheit aus Art. 14 Abs. 1 GG bzw. Art. 6 Abs. 1 GG zu entnehmen.“51 Deutlicher als in dieser Feststellung kann nicht zum Ausdruck gebracht werden, dass die Testierfreiheit ihren Platz als gleichberechtigte Ausprägung der Privatautonomie neben der Vertragsfreiheit unter Lebenden verfassungsrechtlich noch nicht eingenommen hat. Für die lebzeitige Form der Privatautonomie wurde eine Verankerung in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG und damit eine inhaltliche Parallelisierung mit der Eigentumsgarantie bisher nur ganz vereinzelt vertreten.52 Auch angesichts eines nicht mehr rein sachbezogenen Schutzgut-

48

Für das Eigentumsgrundrecht vertritt diesen Standpunkt überzeugend Hösch, S. 161 ff.,

164 ff. 49 50 51 52

Anders Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 119 f. Oben Einleitung, S. 2, m. Fn. 13. Busche, S. 57. Manssen, S. 135 m.w.Nw. in Fn. 117; s. auch Herdegen, Fs. 50 Jahre BVerfG, S. 273, 275

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begriffs53 versteht man sich inter vivos ohne weiteres dazu, das verfassungsrechtliche Schicksal der „originären Gestaltungsfreiheit“54 nicht mit dem des Eigentums zu verknüpfen. Gerade die gestalterischen Anteile, die die Vertragsfreiheit ausmachen, lassen sich ihrem Bedeutungsgehalt nach nicht auf flankierende Abreden zur aktiven oder passiven Eigentumszuordnung reduzieren. Auch sind bloße Erwartungsoptionen eigentumsrechtlich nicht verfestigt.55 Gegenüber diesen materiellen, das gestalterische Potenzial der Vertragsfreiheit unter Lebenden betonenden Begründungsansätzen fällt die Erklärung dafür, dass die Testierfreiheit in Art. 14 Abs. 1 GG zu verorten sei, vergleichsweise formal und rechtstechnisch aus. Gegenüber „speziell thematisierten Freiheitsbereichen“56 wie der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen tritt die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG als subsidiäres Grundrecht zurück. „Für die Vertragsfreiheit heißt das, dass […] Verfügungen von Todes wegen durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG […] erfasst werden.“57 Ungeprüft bleibt in aller Regel, ob materiell überhaupt Spezialität vorliegt. Würde die Frage gestellt, bliebe nicht verborgen, dass die Testier- wie auch die Vertragsfreiheit unter Lebenden in ihrem Charakter als individuelle Selbstbestimmungs- und Freiheitsrechte im wirtschaftlichen Bereich unter eigentumsrechtlichem Prärogativ nicht adäquat zur Entfaltung gelangen. Das gilt in jedem Fall, wenn man die Eigentümerfreiheit klassisch sachbezogen versteht.58 Der rechtlichen Beziehung des Eigentümers zu der ihm gehörenden Sache eignet zwar ein Freiheitscharakter insofern, als er mit der Sache – wie es § 903 Abs. 1 Satz 1 BGB zivilrechtlich auf den Punkt bringt – im Grundsatz nach Belieben verfahren und andere von der Einwirkung ausschließen kann (Eigentum als normatives Verbotsrecht).59 Unter die positive Herrschaftsgewalt fällt unter anderem das Recht des Eigentümers zur freien Verfügung über sein Eigentum.60 Sein Wille ist dabei in Bezug auf die einzelne Sache genauso frei wie der Wille des Erblassers, durch die Verfügung von Todes wegen die Grundlage für eine neue eigentumsrechtliche Zuordnung seiner VermögensgegenFn. 20: „fungiert das Sacheigentum, hier vor allem das Grundeigentum, weiterhin als gesetzliches Leitbild.“ 53 Manssen, S. 136 ff., m.w.Nw. in Fn. 118, 134. Des Weiteren: Glos, passim. 54 Heinrich, S. 88. 55 Heinrich, S. 88. 56 Heinrich, S. 85. 57 Heinrich, S. 85. 58 Schwab, Art. „Eigentum“, S. 65, 85, schreibt diese Anschauung der „romanistisch orientierten Begriffsjurisprudenz zu, […] die zwar für die Privatrechtsordnung ihren engen Sacheigentumsbegriff durchgesetzt [habe], ohne aber das subjektive Persönlichkeitsrecht dauerhaft verdrängen zu können“. 59 Hösch, S. 138 ff.: „Eigentum als Recht zu verbieten“, s. auch S. 157 ff. 60 Jauernig/ders., § 903 Rn. 2; Palandt/Bassenge, § 903 Rn. 5.

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stände zu schaffen. In Bezug auf das Verfügungsobjekt halten sich das Freiheitsquantum von Eigentümer und Erblasser daher durchaus die Waage.61 Sie unterscheiden sich allerdings qualitativ in Gegenstand und Bezugspunkt der Willensäußerung des Erblassers in einer Verfügung von Todes wegen. Beide gehen über das Verfügungsobjekt hinaus und sind in aller Regel vielschichtiger angelegt, als das beim Eigentümer der Fall ist, der unter Lebenden verfügt. Auch wenn man dessen lebzeitige Verfügungsbefugnis mit Elementen der allgemeinen Handlungsfreiheit sowie des allgemeinen Persönlichkeitsrechts angereichert sieht,62 lässt sich die Freiheitsentfaltung im Bereich der Eigentumsverbürgung doch nicht vollständig vom Eigentum lösen und bleibt deshalb notwendig sachorientiert.63 Die Verfügungsfreiheit von Todes wegen erschöpft sich dagegen nicht in der objektbezogenen Befugnis des Eigentümers, die Eigentumsverhältnisse an der ihm gehörenden Sache durch Übertragung auf einen Dritten zu verändern oder diesen gerade von der Nutzung auszuschließen. Für die erbrechtliche Gestaltungsbefugnis ist deren Neuregelung in aller Regel nur die notwendige, aber keineswegs hinreichende Voraussetzung einer weitaus umfassenderen Konzeption der eigenen (Gesamt-)Rechtsnachfolge. Erbrechtlich lässt sich das schon daran ablesen, dass die Lösung der Eigentums(zuordnungs)frage gemäß § 1922 Abs. 1 BGB von Gesetzes wegen besorgt wird und daher nicht im Zentrum der Willensentscheidung des Erblassers zu stehen braucht. Ein Beispiel soll diesen Zusammenhang illustrieren: Der Unternehmer, der in seinem Testament einen Rechtsnachfolger bestimmt, welcher den Betrieb nach seinem Tod weiterführen soll, sieht in diesem nicht in erster Linie den neuen Eigentümer für die sächlichen Betriebsmittel, sondern hat eine ihm nach Charakter, Fähigkeiten und Vorkenntnissen für die Aufgabe geeignet erscheinende Persönlichkeit ausgewählt und durch Verfügung von Todes wegen nicht nur zum Erben berufen, sondern auch mit einer neuen Aufgabe betraut. Weitere Regelungsmotive können hinzutreten.64 Dieses gestalterische Plus der Testier- gegenüber der Eigentümerfreiheit wird ebenso wie deren höhere Komplexität in der verfassungsrechtlichen Engführung von Eigentümer- und Testierfreiheit auch dann nur unzureichend abgebildet, wenn man das Eigentum zusätzlich in Art. 2 Abs. 1 GG geschützt sehen will.65

61 Entgegen Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 111, wird der Wille des Erblassers „gegenüber der Verfügungsfreiheit unter Lebenden“ von der Rechtsordnung durchaus nicht weniger „vehement prämiert“, wie § 903 Satz 1 BGB zeigt. 62 BVerfGE 79, 292, 304. Oben A., S. 158, m.w.Nw. in Fn. 38. 63 Burmeister, Fs. Leisner, S. 657, 668: „Eigentum als verkörpertes Produkt menschlicher Freiheitsausübung“. 64 Goebel, DNotZ 2004, 102, 102. Überblick bei Nieder, Rn. 1276 ff. 65 Oben A., S. 158, m. Fn. 39.

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An diesem Befund ändert sich gerade für die erbrechtliche Gestaltungsbefugnis nichts, wenn man – neueren Tendenzen in der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung66 und Literatur67 zur Eigentümerfreiheit folgend – private Vermögensrechte in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG mit einbezieht, namentlich in Gestalt von obligatorischen Rechtspositionen. Dazu muss freilich auch und entgegen der überwiegenden Auffassung im verfassungsrechtlichen Schrifttum68 neben dem Bestands- der Entstehens- und Erwerbsschutz in die Eigentumsgarantie eingerückt werden.69 Zur Problematik des Erwerbsschutzes innerhalb der grundrechtlichen Gewährleistung des Erbrechts, die unter dem Stichwort des so genannten subjektiven Erbrechts diskutiert wird, soll hier noch Stellung genommen werden.70 Dass die grundgesetzliche Eigentumsgarantie umfassend die Befugnis von obligatorischen wie dinglichen Veräußerungs-, Nutzungs- und Belastungsverträgen über Eigentumsobjekte gewährt71 und daher der „Vertrag bzw. die Vertragsfreiheit […] in weiten Anwendungsbereichen ein freiheitssicherndes Konnexinstitut des Eigentums bzw. der Eigentumsgarantie“72 ist, greift schon für das Recht der Lebenden zu kurz. Der Vertrag wird hier auf seine Funktion als causa der Eigentumsübertragung reduziert, also rein verfügungsbezogen interpretiert, wobei der Begriff „Konnexinstitut“ zivilrechtlich in Verdacht gerät, das Abstraktionsprinzip zu verkennen. Die gestalterischen Anteile, die das eigentlich Privatautonome an der Vertragsfreiheit ausmachen, werden durch die Festlegung auf den dinglichen Vollzugsakt ausgeblendet. Für die Testierfreiheit gilt das in gleichem Maße. Die einzelne Verfügung von Todes wegen ist – obwohl kausaler Natur73 – etwa dann nicht unmittelbar auf den Moment der Universalsukzession bezogen, wenn sie zu lebzeitigen Zwecken ausgeübt wird, zum Beispiel um ein Darlehen zu erhalten.74 Sie ist es aber auch dann nicht zwingend, wenn die erbrechtlichen Regelungsinstrumente „klassisch“, das heißt ausschließlich mit Blick auf die Regelung der Rechtsnachfolge im Wege 66 Meilensteine sind der Beschluss des Zweiten Senats zur Vermögenssteuer (BVerfGE 93, 121 ff.; anders der Erste Senat BVerfGE 95, 267, 300) und der so genannte Euro-Beschluss (BVerfGE 97, 350 ff.). Hierzu Herdegen, Fs. 50 Jahre BVerfG, S. 273, 273 f.; krit. Wieland, in Dreier, GG, Art. 14 Rn. 53 ff., 56, m.w.Nw. 67 Manssen, S. 135 ff., m.w.Nw.; Heinrich, S. 87 f. 68 Manssen, S. 138, m.w.Nw. in Fn. 138. 69 So vor allem Kloepfer, S. 46 f., der gerade die Erbrechtsgarantie in der Form des Eigentumserwerbs durch Erbfolge als ein gewichtiges Argument für den grundrechtlichen Erwerbsschutz allgemein ansieht. Kritisch Pabst, JuS 2001, 1145, 1147 f. Unten § 7 B. I., S. 210, m. Fn. 32. 70 Unten § 7, S. 204 ff. 71 Höfling, S. 15. 72 Höfling, S. 15. Ähnlich Kirchhof, Fs. Ulmer, S. 1211, 1229, m.w.Nw. in Fn. 57: „Die Vertragsfreiheit ist Kerninhalt der in Art. 14 Abs. 1 GG gewährleisteten Eigentümerfreiheit.“ 73 Oben § 4 A., S. 120 f., s. auch § 3 B. III., S. 87 ff. 74 Wie im Gutachten Boehmers, Fs. Lehmann, S. 461 ff.

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der Erbfolge eingesetzt werden. So wird etwa der Anordnung einer Testamentsvollstreckung der Sinn genommen, wenn man sie nur auf den Eintritt der Gesamtrechtsnachfolge gemäß § 1922 Abs. 1 BGB hinordnen wollte. Denn sie bereitet diese nicht vor, sondern gestaltet das rechtliche Schicksal des Nachlasses nach den Richtlinien des Erblassers für die Zeit nach dem Erbfall. Da Verfügungen von Todes wegen keine schuldrechtlichen, sondern erbrechtliche Rechtswirkungen entfalten, lässt sich die Diskussion um den Schutz bestimmter eigentumsbezogener Aspekte der Vertragsfreiheit im Erbrecht allenfalls in der Frage nachbilden, ob die erbrechtliche Bindungswirkung eines Erbvertrags in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG sachgerecht aufgehoben ist. In der Tat lässt sich diese insofern als erbrechtlich verfestigte Rechtsposition deuten, als der vertraglich gebundene Erblasser wirksam nicht mehr anderweitig von Todes wegen verfügen kann. Seines erbrechtlichen Gestaltungspotenzials hat er sich gerade begeben, so dass für dessen grundrechtlichen Schutz nicht mehr Sorge getragen werden muss. Das Hauptargument gegen die Verankerung in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BGB entfällt. An die Stelle der Testierfreiheit ist die erbvertragliche Bindungswirkung zugunsten des Bedachten getreten. Die Bipolarität der erbrechtlichen Vertragsbeziehung legt in diesem Fall einen einheitlichen Grundrechtsschutz nahe, in dem in der Betrachtung ein Perspektivwechsel vom vertragsmäßig verfügenden Erblasser zum Vertragserben vorgenommen wird.75 Den Verbleib der Testierfreiheit als originär gestalterisches Recht des Erblassers in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG rechtfertigt das nicht.76 Die Dinge liegen hier wie bei der Vertragsfreiheit unter Lebenden, sie wird im Grundgesetz ohne inhaltliche Abstriche für die zivilrechtliche Konvergenz des Freiheitsrechts nach ihren einzelnen Bedeutungsvarianten „multipel verortet“. 77 Einzelne mit erbrechtlicher Bindungswirkung versehene Ausschnitte der Testierfreiheit können sachlich durchaus ohne Gehaltsverlust im Regelungsbereich der Erbrechtsgarantie belassen werden. Für deren charakteristische gestalterische Anteile ist das ohne gravierenden inhaltlichen Gehaltsverlust dagegen nicht zu haben.

75 Dazu Heinrich, S. 87, für die Vertragsfreiheit unter Lebenden. Baston-Vogt, S. 129, m. Fn. 546, spricht etwas vage von der „Zweiseitigkeit des privatrechtlichen Schutzes grundrechtlicher Werte.“ Eine nicht haltbare zivilrechtliche Ausgestaltung dieses bipolaren verfassungsrechtlichen Ansatzes ist die Figur des so genannten Anerkennungsverhältnisses. Zum Ganzen oben § 2 C. I., S. 49 f., und unten C. II. 2 b., S. 180. 76 Abweichend gerade für den Erbvertrag Höfling, S. 16: „Diese grundgesetzliche Gewährleistung [gemeint ist Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG] garantiert somit auch die erbvertragliche Abschluss- und Inhaltsfreiheit.“ 77 Heinrich, S. 88. Die Rede ist hier von einem „Freiheitsbündel“ und von der „Vertragsfreiheit als Element verschiedener grundrechtlicher Berechtigungskomplexe“ (Höfling, S. 11 f.).

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C. Plädoyer für eine verfassungsrechtliche Neujustierung der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen I. Neue Impulse in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Testierfreiheit Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Defizit in der verfassungsrechtlichen Behandlung der Testierfreiheit offenbar bemerkt und steuert gegen. In die Statik, die die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zur Erbrechtsgarantie über längere Zeiträume hin auszuzeichnen schien,78 kommt offenbar langsam Bewegung. Gerade in jüngerer Zeit hat das Gericht den Charakter der Testierfreiheit als „individuelles Freiheitsrecht im wirtschaftlichen Bereich“79 besonders hervorgehoben, ebenso das „im Grundsatz der Testierfreiheit angelegte Selbstbestimmungsprinzip.“80 In der Entscheidung, die den generellen Ausschluss mehrfach behinderter Erblasser von der Testiermöglichkeit für verfassungswidrig erklärte, wird neben dem Eigentumsgrundrecht erstmals und vom verfassungs- und zivilrechtlichen Schrifttum eher vernachlässigt81 der in Art. 2 Abs. 1 GG verankerte Grundsatz der Privatautonomie als gleichberechtigter Bezugspunkt der Testierfreiheit ausgewiesen.82 Das Gericht hat damit einen Weg aus der Engführung der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen mit dem lebzeitigen Eigentumsrecht aufgezeigt oder doch zumindest angedeutet. Bis dato ist das freilich noch nicht wesentlich mehr als ein neuer Impuls, 83 den es zu verstärken gilt, indem die erbrechtliche Gestaltungsfreiheit aus dem Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG entlassen und über Art. 2 Abs. 1 GG in ihren Rang als individuelles Selbstbestimmungsrecht von Todes wegen eingesetzt wird. Gedacht ist dabei nicht an einen zusätzlichen Schutz der Testierfreiheit 78 Mager, S. 189: „Die […] nicht sehr umfangreiche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Erbrechtsgarantie ist insgesamt von großer Konstanz.“ 79 BVerfGE 99, 341, 351. Eine Seite zuvor ist von der Testierfreiheit als einem „auf natürliche Personen zugeschnittenem Freiheitsrecht“ die Rede. 80 BVerfGE 99, 341, 351. 81 Leipold, Rn. 69, m. Fn. 15, merkt an, dass BVerfGE 99, 341, 350, den „verfassungsrechtlichen Schutz der individuellen Freiheit“ besonders betont. Wendt, in: Sachs, GG, Art. 14 Rn. 197a, übernimmt die Diktion der Entscheidung („Testierfreiheit als individuelles Selbstbestimmungsrecht“), weist aber auf die veränderte Akzentsetzung nicht hin. Ähnlich Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 14 Rn. 90; Wieland, in: Dreier, GG, Art. 14 Rn. 63, in Zusammenhang mit dem Eigentum. 82 BVerfGE 99, 341, 350. 83 Entsprechend schmal ist bisher das Referenzmaterial aus der eigenen Rechtsprechung. In der Entscheidung BVerfGE 99, 341, 350, wird zum einen auf E 89, 214, 231, verwiesen – die so genannte Bürgschaftsentscheidung, welche sich mit der lebzeitigen Ausprägung der Privatautonomie befasst (dazu oben § 2 C. I., S. 48 Fn. 135) –, zum anderen auf E 91, 346, 358, in der von der Sicherung des Freiheitsraums des Erblassers durch die Erbrechtsgarantie die

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durch Art. 2 Abs. 1 GG,84 der auch dem Schutzgut „Eigentum“ angesonnen wird,85 streng genommen der gängigen verfassungsrechtlichen Lehre aber widerspricht,86 sondern an eine nicht nur subsidiäre, sondern originäre Gewährleistung aufgrund größerer Sachnähe zur Vertragsfreiheit unter Lebenden als zur Freiheit des Eigentümers. In der verfassungsrechtlichen Dogmatik ist die Aufspaltung eines komplexen Lebenssachverhalts in mehrere thematische Schutzfacetten, die jeweils verschiedenen Freiheitsgrundrechten zugeordnet werden, ein durchaus bekannter und methodisch anerkannter Vorgang. 87 Möglicherweise ist sie dem Verfassungsrecht, was die Vertragsfreiheit unter Lebenden anbelangt, deswegen leichter gefallen als bei der Testierfreiheit, weil es die abstrakte Rechtsnatur des lebzeitigen Erwerbs nahe legt, die Trennung von schuld- und sachenrechtlichen Aspekten auch in die grundrechtliche Schutzaufstellung zu übernehmen. Ein Argument gegen ein ähnliches Verfahren bei der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen ist das freilich nicht. Insoweit wird es darauf ankommen, zu zeigen, dass sich Vertrags- und Testierfreiheit verfassungsrechtlich parallel, wenn auch nicht identisch, konstruieren lassen. Dieser Versuch soll im Folgenden unternommen werden.

II. Parallelen in der verfassungsrechtlichen Anlage von Testier- und Vertragsfreiheit 1. Vertrags- und Testierfreiheit als unbenannte normgeprägte Freiheitsrechte mit zivilrechtlicher Entfaltungsprärogative a. Die Normprägung von Testier- und Vertragsfreiheit im Vergleich aa. Grad und Qualität Die Testier- ist ebenso wie die Vertragsfreiheit unter Lebenden in ihrer Gesamtheit „auf Vermittlung durch das unterverfassungsrechtliche Recht angewiesen.“88 Für die Vertragsfreiheit unter Lebenden folgt das aus zwei alternatiRede ist, dies allerdings in Bezug auf die gesetzliche Erbfolge. Sonst findet sich der Hinweis auf die von Verfassungs wegen zu beobachtende Sicherung der persönlichen Freiheit des Einzelnen ausschließlich im Zusammenhang mit der Gewährleistung des Eigentums. BVerfGE 67, 329, 341, nimmt auf die eigentumsrechtlichen Entscheidungen E 50, 290, 340; 26, 215, 222, Bezug. Ähnlich BVerfGE 93, 165, 173, unter Hinweis auf E 83, 201, 208: Erbrecht und Privateigentum als „Grundlage der eigenverantwortlichen Lebensgestaltung.“ 84 So MünchKomm/Leipold, Einl. zu §§ 1922–2385 Rn. 18: „Die ebenfalls gewährleistete Testierfreiheit kann zusätzlich [Hervorhebung nicht im Original] auf das allgemeine Freiheitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG gestützt werden.“ Wie hier offenbar Lange/Kuchinke, § 2 IV 2 b, S. 26, allerdings ohne Begründung. W. Nw. bei Quebe, S. 49, Fn. 5, 6. 85 Oben A., S. 158, m. Fn. 39, B. II., S. 163. 86 Heinrich, S. 85, m.w.Nw. in Fn. 117. 87 Heinrich, S. 87, m.w.Nw. in Fn. 128. 88 Gellermann, S. 141. Ähnlich Isensee, Fs. Großfeld, S. 485, 498. S. auch Röthel, S. 67, m.w.Nw.

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ven verfassungsrechtlichen Überlegungen: Erkennt man die Privatautonomie als Verfassungsprinzip an,89 bedarf der Grundsatz der inhaltlichen Konkretisierung, zu der in erster Linie der Gesetzgeber des einfachen Rechts berufen ist.90 Werden hingegen – konservativerer Dogmatik folgend – vom Grundsatz der Menschenwürde abgesehen nur objektiv-rechtlich wirkende Normen des Grundgesetzes als Verfassungsprinzipien verstanden,91 ergibt sich der Entfaltungsprimat des einfachen Gesetzesrechts zum einen aus seiner Eigenschaft als Innominatgrundrecht.92 Gerade aufgrund des Schweigens der Verfassung ist dieses in besonderer Weise auf inhaltliche Konkretisierung durch das Zivilrecht angewiesen. Zum anderen folgt sie aus dem Charakter der Vertragsfreiheit als so genannte normgeprägte Gewährleistung.93 Wie diese ist die Testierfreiheit als Teil der Privatautonomie in besonderem Maße auf die Rechtsordnung bezogen. Willenserklärungen einer natürlichen Person nach dem Verlust ihrer Rechtsfähigkeit mit Wirksamkeit versehen und ihnen auf diese Weise juristisch Nachdruck verleihen, das kann nur das Recht.94 Ebenso wie unter Lebenden ein Vertrag nur dann rechtlich bindet, wenn das Recht diesen als privatautonomen Akt anerkennt, wird eine Verfügung von Todes wegen erst wirksam durch deren „Spruch“.95 Das besagt nicht, dass der bloße Wille, rechtlich erheblich zu handeln, per se unbeachtlich oder ohne Funktion ist,96 sondern nur, dass beide Erscheinungsformen privatautonomer

89

Reimer, S. 42, m.w.Nw. in Fn. 212; s. auch Mager, S. 459 f.: „Vertragsfreiheit und Privatautonomie als Freiheit und Prinzip.“ Ruffert, S. 58, ordnet die Privatautonomie neben der Demokratie als „Verfassungsvoraussetzung“ ein. Die Begriffe dürften weitgehend deckungsgleich sein. 90 Reimer, S. 461 f.; Göldner, S. 81, 183 ff.: „Gesetzgebungsprimat“. 91 Reimer, S. 275 f., m.w.Nw., dort auch ablehnend zum prinzipiellen Charakter von Institutsgarantien. Ob die Vertragsfreiheit institutionell gewährleistet ist, wird unterschiedlich beurteilt: Ablehnend Mager, S. 459 f.; Windel, Der Staat 37 (1998), 385, 402; Manssen, S. 169 f.; zustimmend Heinrich, S. 102 ff., 107 f. 92 Manssen, S. 187 ff., 192 ff. 93 Ruffert, S. 186 ff.; Gellermann, S. 136 f., spricht von einer „rechtsgeprägten Gewährleistung.“ Ähnlich Mager, S. 230, 459 f.; Röthel, S. 67. 94 Das gilt im Übrigen nicht nur für erbrechtliche Willensäußerungen, sondern auch für solche unter Lebenden, wie §§ 130 Abs. 2, 153, 672 Satz 1 BGB zeigen; s. aber auch § 673 Satz 1 BGB. Für §§ 130 Abs. 2, 153 BGB betonen das Reischl, S. 238; Roth, NJW 1992, 791, 794: „Schutz der Privatautonomie sogar über den Tod hinaus“. Zu den auftragsrechtlichen Regelungen Dietzel, S. 53 ff., 68 ff. Die Vorschriften treffen freilich keine Regelungen über die „(Un-)Vererblichkeit von (schuldrechtlichen) Rechtsbeziehungen“ (so aber Dietzel, S. 53 f.), sondern haben den Fortbestand oder das Erlöschen lebzeitiger Willenserklärungen beim Tod des Auftraggebers oder Beauftragten zum Gegenstand. 95 Das ist der Terminus, den Willoweit, S. 102, 13, Fn. 14; ders., JuS 1984, 909, 916, unter Hinweis auf Motive I, S. 126, gebraucht. S. auch Hepting, S. 257 f. 96 Das Recht erhebt ihn ja gerade zur tatbestandlichen Voraussetzung rechtsgeschäftlichen Handelns. S. die berechtigte Kritik von Enderlein, S. 105 f., m. Fn. 104, am „vertrauenstheoretischen Modell“ Heptings, Fs. 600 Jahre Universität Köln, S. 209, 228 f.; und anderer

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Betätigung die Hinordnung auf die Rechtsordnung teilen.97 Daran zeigt sich mit Deutlichkeit, dass alle Privatautonomie im Recht wirken muss. Aus verfassungsrechtlicher Sicht heißt das in erster Linie, dass sie der zivilrechtlichen Entfaltung bedarf. Man sollte deshalb nicht zögern, die Vertrags- ebenso wie die Testierfreiheit als durch die Rechtsordnung konstituiert zu begreifen. Weil es sich dabei um mehr handelt als um eine bloße Prägung durch die Rechtsordnung, ist diese nicht unbestritten geblieben.98 Aus diesem Grund bedarf sie der Erläuterung in qualitativer und quantitativer Hinsicht. Die Frage nach dem Grad des Normbezugs eines Rechts macht nur Sinn, wenn Vergleichsgrößen gebildet werden können. Im Fall der Testierfreiheit wird das Maß der Rechtsordnungsabhängigkeit zudem zur Vertragsfreiheit unter Lebenden in Relation gesetzt. Eine These besagt dabei, dass der Testier- im Vergleich zur Vertragsfreiheit eine gesteigerte Normprägung eigne, der auch ein erhöhtes verfassungsrechtliches Schutzbedürfnis entspreche. Ein Vertreter dieser Auffassung ist Ruffert: „Verfassungsrechtlicher Schutz wird aber auch der Testierfreiheit zuteil, und zwar nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in besonders ausgeprägter Form, weil es sich bei ihr um ein Element der Sicherung persönlicher Freiheit handelt. Der institutionelle Aspekt dieser besonderen Privatautonomie für Verfügungen von Todes wegen ist nicht zu bestreiten. Die Rechtsordnungsabhängigkeit der Privatautonomie wird in dieser besonderen Auffassung deutlicher als etwa in der Vertragsfreiheit. Ohne den Schutz der Rechtsordnung vermag die letztwillige Verfügung des Erblassers nicht zur Geltung zu kommen. Ein erbrechtliches Wüstenbeispiel ist daher noch nicht erdacht worden und kann auch nicht erdacht werden.“99

Es trifft zu, dass die Privatrechtsordnung im Fall der Testierfreiheit, anders als bei der Vertragsfreiheit unter Lebenden, mit der Zubilligung von Rechtswirkungen nicht nur anerkennt,100 dass der Selbstbestimmungsakt des Erblassers als solcher verbindlich ist und seine Rechtfertigung in sich selbst trägt.101 Für die Verfügung von Todes wegen konstituiert sie vielmehr zusätzlich die Möglichkeit privatautonomen Handelns mit posthumer Rechtswirkung. Dem Willen des Erblassers für eine Zeit rechtliche Geltung verschaffen, in der dieser selbst nicht mehr existiert und sie ihm gleichwohl als die seine zuzurechnen, ist eine Leistung des Rechts. Nicht zutreffend ist es jedoch, aus diesem Befund auf eine erhöhte Angewiesenheit der Testierfreiheit auf rechtliche Organisierung zu schließen. Denn der Unterschied in der Normprägung, der die beiden Er(Nw. bei Heinrich, S. 44, Fn. 8). Zu ähnlichen Ansätzen im Erbrecht oben § 5 B. I., S. 144, m. Fn. 130. 97 Ruffert, S. 313, m.w.Nw. in Fn. 159. 98 Überblick bei Ruffert, S. 310 f. 99 Ruffert, S. 394 f.; zum Wüstenbeispiel unten bb., S. 171 Fn. 105. 100 S. MünchKomm/Leipold, Einl. zu §§ 1922–2385 Rn. 13: „Wenn die Rechtsordnung die Testierfreiheit in weitestem Umfang anerkennt“ (Hervorhebung nicht im Original). 101 Singer, Selbstbestimmung, S. 7, m.w.Nw. in Fn. 12, 13.

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scheinungsformen der Privatautonomie kennzeichnet, liegt nicht im Quantum, sondern in der Qualität des Rechtsbezugs. Er ist bei der Testierfreiheit thematisch anders gelagert als bei der Vertragsfreiheit unter Lebenden. Inter vivos geht es um die Einrichtung einer bipolaren rechtlichen Infrastruktur, in der jeder Teil seine Freiheit so weit gestalten kann, wie das der jeweils andere zulässt. Das Recht bestimmt dabei nur die Höhe der Eingriffsschwelle, bei der strukturelle Ungleichheit in konkrete Unfreiheit umschlägt.102 Die normative Ambition der Rechtsordnung richtet sich bei der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen dagegen darauf, dem Erblasser zu Lebzeiten einen Freiheitsraum einzurichten, den er durch Verfügung von Todes wegen privatautonom konturieren kann. Einschränkungen dieses Selbstbestimmungsrechts legitimieren sich nicht aus dem Wegfall der privatautonomen Entscheidungsoption Dritter, sondern „erblasserbezogen“ aus dem Umstand, dass es einen Willen mit rechtlicher Wirksamkeit auszustatten gilt, dessen Urheber nicht mehr rechtsfähig ist. Eines der zentralen Anliegen des gewillkürten Erbrechts ist mit anderen Worten die Rekonstruierbarkeit dieses Willens. Eines gegenüber der Vertragsfreiheit unter Lebenden gesteigerten verfassungsrechtlichen Schutzes bedarf es zu dessen einfachrechtlicher Umsetzung nicht. Eine besondere Rechtsordnungsabhängigkeit der Testierfreiheit lässt sich aus dem Umstand, dass das „Erbrecht“ in Art. 14 Abs. 1 GG rechtsinstitutionellen Charakter hat, heute jedenfalls nicht mehr ableiten, zumal durchaus darüber gestritten wird, ob nun nicht auch die Vertragsfreiheit inter vivos – wie schon in Art. 152 Abs. 1 WRV – zu den Rechtsinstitutsgarantien des Grundgesetzes zu zählen sei.103 Nach der überkommenen Auffassung bekräftigt die Garantie des Instituts „Erbrecht“ in Art. 14 Abs. 1 GG die ohnehin schon etablierte und anerkannte Testierfreiheit des Bürgerlichen Rechts. Sie ist nicht mehr als eine ferne Reminiszenz an vergangene Schlachten, die um deren Berechtigung im 19. Jahrhundert geschlagen wurden. Mit der einfachgesetzlichen Anerkennung der Testierfreiheit hatte ihnen bereits das Bürgerliche Gesetzbuch – zumindest vordergründig – ein Ende gesetzt, weitere Stabilisierung war kaum mehr vonnöten.104 Wichtiger jedoch als dieses historische Argument ist die Erwägung, dass Freiheitsrechte und Institutsgarantien unterschiedliche verfassungsrechtliche Kategorien sind. Aus dem Fehlen oder Vorhandensein einer rechtsinstitutionellen Gewährleistung kann nicht auf den Charakter des ent102 Dies wird in aller Regel erst bei Verunmöglichung einer selbstbestimmten Entscheidung oder vollständiger Preisgabe der wirtschaftlichen Selbstständigkeit anzunehmen sein (Ruffert, S. 338 ff., 341 f.; Heinrich, S. 83 ff.). 103 Befürwortend Heinrich, S. 102 ff., 107 f.; Röthel, S. 67; ablehnend Mager, S. 224 ff., 459 f.; jew. m.w.Nw. Des Weiteren Ruffert, S. 338: „Die Privatautonomie ist nahezu unbestritten als grundrechtliche Institutsgarantie gewährleistet.“ 104 Oben Einleitung, S. 2. Zu den atavistischen Tendenzen in der Behandlung der Testierfreiheit s. jedoch oben § 3 B. I. 2., S. 78 f.

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sprechenden Freiheitsrechts geschlossen werden – insbesondere nicht auf den Grad seiner Angewiesenheit auf die Rechtsordnung. bb. Normprägung und „natürliche“ Freiheit Ein qualifizierter verfassungsrechtlicher Schutzauftrag an den einfachen Gesetzgeber steht zudem konstruktiv auf tönernen Füßen. Zwar trifft es zu, dass sich für das oft rezipierte „Wüstenbeispiel“ Husserls105 kein erbrechtliches Pendant bilden lässt.106 Das Kathederexempel hat eine gewisse Berühmtheit erlangt und eine argumentative Sogkraft entfaltet, die es kaum verdient.107 Denn hier wird Unvergleichbares, weil im Grundsatz anders Geartetes zueinander in Beziehung gesetzt. Das Recht als kulturelle und zivilisatorische Erscheinung wird weggedacht, um so den künstlich hergestellten Urzustand zu betrachten und von hier aus auf den kultivierten Gesellschaftszustand zurückzuschließen.108 In rechtliche Kategorien übertragen, erscheint vor allem die durch ein gedankliches Experiment gewonnene Trennung des natürlichen vom rechtlichen Willen in einem zweifelhaften Licht – dies gleichermaßen von der Warte des Verfassungsrechts und der Perspektive des (einfachen) Rechts der Lebenden aus. Das gilt ebenso für den Schluss, der aus der unhaltbaren Prämisse nicht selten gezogen wird: Die Testierfreiheit, wird gesagt, sei „keine natürliche Freiheit“.109 Zivilrechtlich wird damit suggeriert, dass das Recht den natürlichen Willenskonsens der Parteien nur nachzeichne, nicht aber anerkenne und ausgestalte – eine Vorstellung, die außerhalb der Generierung der bloßen Willensübereinkunft bei der Begründung eines Vertragsverhältnisses schnell an ihre Grenzen stößt. Die gesamte Vertragsdurchführung ist einschließlich der Vollstreckung auf die Vermittlung der Rechtsordnung angewiesen. Erst das Privatrecht organisiert rechtsgeschäftliche Freiheit, indem es den Beteiligten durch seine Instrumentarien eine eigens für ihre Belange ausgestattete Infrastruktur zur Verfügung stellt, die Erwartungs- und Planungssicher-

105 Rechtskraft, S. 39. Zwei Menschen unterschiedlicher Nationalität tauschen fernab jeglicher Zivilisation Nahrungsmittel und Wasser. Der gemeinsame Wille, dies zu tun, „hat die Individuen A und B […] zu einer individuellen Vertragsrechtsgemeinschaft mit bindender Kraft zusammengefügt. Über ihnen steht als Rechtordnung die Individualnorm des Tauschvertrags.“ Zur Lehre G. Husserls Püls, Privatautonomie, S. 38 ff. S. auch W. Schapp, S. 183. 106 Ruffert, S. 394 f. 107 Zur Kritik Heinrich, S. 67; Singer, Selbstbestimmung, S. 6 f., Fn. 8, m.w.Nw.; Manssen, S. 141. Des Weiteren Ruffert, S. 312. 108 Hillgruber, ARSP 85 (1999), S. 348, 351, m.w.Nw. in Fn. 18, beschreibt die inhaltliche Unvereinbarkeit der Vergleichsfaktoren wie folgt: „In der geschlossenen staatlichen Privatrechtsordnung stellte sich das traditionelle Problem des Vertrags in der Wüste als staatliches Niemandsland nicht mehr und wurde daher eben dahin ,zurückgeschickt‘“. 109 Mager, S. 459.

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heit schafft und es erlaubt, Freiheit sozial zu koordinieren.110 Das macht deutlich, weshalb das Trachten der Parteien sich zuallererst auf die Konstituierung eines rechtlich erheblichen Willens im Sinne einer Geltungserklärung richtet.111 Er wird gerade ob seiner auf dem Recht beruhenden Wirkmächtigkeit gebildet und geäußert. Denn nur der mit Rechtswirkung ausgestattete Wille ist in dem Sinne effektiv, dass er in der Außenwelt (Rechts-)Folgen hat und den Einzelnen in den Genuss der Teilhabe an der Privatrechtsordnung bringt.112 Allein die Vorstellung vom Zivil- als Organisationsrecht erlaubt es im Übrigen auch, Vertrags- und Testierfreiheit als Ausprägungen der Privatautonomie auseinander zu halten und über Gemeinsamkeiten und Unterschiede in ihrer (einfach-) rechtlichen Anlage zu sprechen. Dem Denken in „natürlichen“ Freiheiten oder „vorrechtlichen Vereinbarungen“113 fehlt für sich schlicht ein Instrumentarium, mit Hilfe dessen Ähnliches geleistet werden könnte. Es muss in rechtliche Kategorien übersetzt und abgebildet werden.114 Indem der rechtliche zum so genannten natürlichen Willen in Frontstellung gebracht wird, entsteht eine Freiheit im leeren Raum. Verfassungsrechtlich hat das Postulat einer naturrechtlichen, gleichsam „wildwüchsigen“ Freiheit115 die ungute Folge, jede inhaltgebende und konturierende Entfaltungsgesetzgebung zugleich als Einschränkung der Vertrags- oder Testierfreiheit erscheinen zu lassen. Grundrechtsdogmatisch firmiert diese Diskussion unter Lebenden unter dem Stichwort des Eingriffs des Vertragsrechts in die Vertragsfreiheit.116 Methodisch ist der Ansatz fragwürdig, weil dem vermeintlich natürlichen Plus der Privatautonomie ein bestimmter verfassungsrechtlicher Bedeutungsgehalt zugewiesen wird, nämlich das zentrale personale Schutzanliegen des Grundgesetzes, Schutz und Entfaltung der Person,117 um dieses anschließend in einen Eingriff in 110 Bachmann, in: Jahrbuch, S. 9, 20 f.; Windbichler, AcP 198 (1998), 261, 271, m. Fn. 39: Freiheit als enabling law. S. auch J. Schmidt, S. 244 ff. 111 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 418: „Die ‚Geltung‘ eines Versprechens oder einer Vereinbarung (ist) auf den Bereich privatautonomen Handelns beschränkt.“ Zur Frage des Geltungserklärungsgehalts einer letztwilligen Verfügung oben § 5 B. II., S. 174. 112 Eingehend zum Privatrecht als Organisationsrecht Bachmann, in: Jahrbuch, S. 9, 20 ff., m.w.Nw. 113 Oechsler, S. 275. S. auch Hepting, S. 268: „natürlicher Wille“; Willoweit, S. 30. 114 Oechsler, S. 275 ff.: „Vertrag als Repräsentationsform der vorrechtlichen Parteivereinbarung“. Die Nachbildung ist ein komplexer Prozess. Denn der selbstreferentielle Charakter der Rechtsdogmatik erlaubt eine unmittelbare Übernahme außerrechtlicher Umstände nicht ohne Weiteres. Umfassend Teubner, S. 123, m.w.Nw. 115 Aus verfassungsrechtlicher Sicht zu Recht kritisch Gellermann, S. 136; s. auch ders., S. 138, m.w.Nw. in Fn. 278: „Vertragsfreiheit als eine ‚naturwüchsige‘, von der staatlichen Rechtsordnung allenfalls anzuerkennende Einrichtung menschlichen Zusammenlebens.“ Zu Geschichte und Überwindung der These von der „Vorstaatlichkeit“ der Privatrechtsgesellschaft in zivilrechtlicher Perspektive Kramer, S. 35 f.; s. auch Wiebe, S. 42, m. Fn. 78. 116 Gellermann, S. 138 ff. 117 Dabei handelt es sich um ein Verfassungsprinzip: Reimer, S. 42, m.w.Nw. in Fn. 209 bis 211.

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das juristisch anders besetzte Persönlichkeitsrecht des Grundrechtsträgers umzuwerten.118 In dieser Anschauung liegt eine Ursache für die Aufspaltung des Schutzgutbegriffs in einen verfassungsrechtlichen und einen zivilrechtlichen Kern.119 Die Unterscheidung verkennt, dass das Schutzgut durch die Aufnahme in die Verfassung keinerlei inhaltliche Änderung erfährt.120 Wohl aber gehorchen die Schutzmechanismen des Zivil- und Verfassungsrechts jeweils anderen Gesetzmäßigkeiten.121 Das hat mit der unterschiedlichen Aufgabe in der jeweiligen Normhierarchieebene zu tun, die jeweils einen anderen „normbetroffenen Realitätsausschnitt“ abgrenzt122 und dabei eine dezidiert rechtliche Funktion erfüllt: im einen Fall die eines gegen andere Grundrechtsträger gerichteten subjektiven Privatrechts, im anderen die eines staatliche Gewalt bindenden und Schutzpflichten auslösenden Grundrechts.123 Auf der Stufe des Verfassungsrechts wird die Abspaltung einer „natürlichen“, und das heißt vorrechtlichen124 Freiheit daher schon begrifflich nicht eingelöst. Bleibt der Einwand, dass die Testier- wie die Vertragsfreiheit ihres autonomen Charakters verlustig gehe, wenn man sie als hoheitlich verordnete Ausprägung der Privatautonomie im Sinne einer bloßen „Momentaufnahme eines Konglomerats zivilrechtlicher Normen“ fasse.125 Das Bild ist verräterisch. Die Vorstellung einer „Momentaufnahme“ impliziert, dass eine Beurteilung des Freiheitsgrads des jeweiligen Rechts aus der Außenperspektive möglich sei. Doch täuscht dieser Eindruck: Die Qualität rechtlicher Selbstbestimmung erschließt sich nicht aus der „Draufschau“ auf einen bestimmten Normenbestand von einem außerrechtlichen Beobachtungspunkt. Es ist schon zweifelhaft, ob ein solcher Fluchtpunkt innerhalb des Rechtssystems überhaupt konstruiert werden kann. Jedenfalls beurteilt sich die Beschaffenheit des Freiheitsraums al118 Unten 2., S. 176 ff. Canaris, JZ 1987, 993, 995, m.w.Nw. in Fn. 18, gegen Flume, BGB AT II, § 10 a, S. 17 ff.; Floren, S. 144 f. W. Nw. bei Ruffert, S. 310 Fn. 142. 119 Oben § 2 C., S. 54, m. Fn. 173. 120 Für die Vertrags- und Testierfreiheit s. bereits oben § 2 C. II., S. 48, m. Fn. 173. 121 Ähnlich Bydlinski, Privatrecht, S. 61: „Man kann denselben Befund auch so ausdrücken, dass die fundamentalen rechtsethischen Prinzipien [oder Schutzgüter] je nach ihrem Inhalt und nach ihrem Wirkungsbereich teilweise öffentliches, teilweise Privatrecht darstellen.“ 122 Bydlinski, Privatrecht, S. 61. 123 So im Ansatz auch Baston-Vogt, S. 124, m.w.Nw. in Fn. 524, für das allgemeine Persönlichkeitsrecht, freilich mit der unzutreffenden Schlussfolgerung, dass ein verfassungsrechtliches und ein zivilrechtliches Schutzgut „allgemeines Persönlichkeitsrecht“ zu unterscheiden seien. Ähnlich Ehmann, Fg. BGH I, S. 613, 673 f. 124 Neuner, S. 224: „Vorgegebenheit der Privatautonomie“; aus verfassungsrechtlicher Sicht vermittelnd Ruffert, S. 312 f.: „Die Privatautonomie ist als Individualrechtsgut eben gleichzeitig auf die ‚vorstaatliche‘ individuelle Autonomie bezogen und rechtsordnungsgeprägt.“ 125 Ruffert, S. 312, in Anspielung auf Manssen, S. 159: „Vertragsfreiheit ist Freiheit durch Normbestände“. Ähnlich für das Eigentum Hösch, S. 146 ff.

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lein aus der materiellen Innenschau der erbrechtlichen Autonomie, die das einfache Recht dem Erblasser konkret eingeräumt hat und die, wenn er sie ausübt, seine eigene ist. Ebenso wie sich Vertragsfreiheit als kompetentieller „Gehalt vertragsrechtlicher Regeln“126 beschreiben lässt, könnte man von der Testierfreiheit als dem Gehalt des Rechts der Verfügungen von Todes wegen sprechen. Im Freiheitsgrad steht die Testierfreiheit dem der Vertragsfreiheit unter Lebenden in nichts nach. Es wurde bereits erwähnt, dass die Gestaltungsbefugnis von Todes wegen im Gegenteil bisweilen sogar als die selbstherrlichste Manifestation der Privatautonomie überhaupt innerhalb des Bürgerlichen Gesetzbuchs angesehen wird.127 Zu diesem Ergebnis kann man nur kommen, wenn man den Autonomie- oder Freiheitsgehalt der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen aus der Binnenperspektive des Privatrechts selbst bestimmt. Denn erprobt wird er nur auf der rechtsgeschäftlichen Ebene. Wenn man den Erkenntnisvorrang des Privatrechts gegenüber dem Geltungsvorrang des Verfassungsrechts128 in diesem Sinne qualitativ versteht, verhindert das vor allem, dass das Zivilrecht zu einem Hohlraum degeneriert, den das Grundgesetz dem Regelwerk des „einfachen“ Rechts zur Ausfüllung oder – so der gängigere Terminus – zur Ausgestaltung zuweist.129 Vielmehr bleibt das Zivilrecht auf diese Weise selbst Träger und Mittler von Freiheit.130 b. Testier- und Vertragsfreiheit als unbenannte Freiheitsrechte Schützt man die Testierfreiheit – wie hier vorgeschlagen – in Art. 2 Abs. 1 GG, um deren privatautonom gestalterische Natur zum Ausdruck zu bringen, wird man sie wohl wie die Vertragsfreiheit unter Lebenden als unbenanntes Freiheitsrecht zu qualifizieren haben.131 Nur der Aspekt der proprietas, nicht aber der des dominium lässt sich parallel zur Eigentumsgewährleistung konstruieren und in der Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG sachgerecht darstellen.132 Von den gestalterischen Anteilen des (gewillkürten) Erbrechts, die die Gestaltungsbefugnis von Todes wegen ausmachen, ja von der Testierfreiheit selbst, schweigt die Verfassung ebenso, wie das bei der Vertragsfreiheit unter Lebenden der Fall ist. Sie ist in der Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG nach der hier vertretenen Auffassung gerade nicht enthalten. 126

Enderlein, S. 100. Oben § 3 A. I., S. 60, m. Fn. 24; § 5 A. III. 2. b. cc., S. 135. 128 Ruffert, S. 342. Des Weiteren Rittner, Fs. Müller-Freienfels, S. 509 ff., 515. 129 In dieser Untersuchung wird daher der Begriff der entfaltenden Gesetzgebung eingeführt. Er bringt zum Ausdruck, dass die Freiheitsgewährleistung und -entwicklung Sache des Zivilrechts und nicht der staatlichen Aufsicht ist. Dazu Behrends, in: ders./Sellert, S. 9, 78. 130 Kirchhof, Fs. Ulmer, S. 1211, 1211: „freiheitsermöglichende Funktion des Zivilrechts“. 131 Heinrich, S. 83 ff.; Ruffert, S. 336. 132 Oben A., S. 155, B. I., S. 160 f., II., S. 161 f. 127

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Die Testierfreiheit erfüllt auch die weiteren Anforderungen, die die Verfassung an ein Innominatgrundrecht stellt:133 Als Freiheitsrecht ist ihr ein gesetzlich typisiertes und thematisch hinreichend bestimmtes Feld, nämlich die Regelung der erbrechtlichen Rechtsnachfolge kraft Rechtsgeschäfts, zugewiesen. Die Eigenschaft als Freiheitsrecht trägt sie ebenso wie die Vertragsfreiheit bereits im Namen. Die Verwurzelung im Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen134 spricht jedenfalls dafür, dass der Testierfreiheit keine geringere Bedeutung als anderen Grundrechten zukommt, im Vergleich zur Vertragsfreiheit scheint sie sogar mit dem höheren Freiheitsgehalt versehen.135 Zivilrechtliche Stimmen, die die Testierfreiheit als reines Vermögenszuordnungsrecht verstehen,136 beziehen sich verfassungsrechtlich ausschließlich auf die proprietasFunktion des Erbrechts,137 interpretieren mithin den Aspekt des dominium weder eigentums- noch erbrechtlich. Sie äußern sich vielmehr zu ihrem freiheitlichen Charakter gerade nicht. Die besondere Gefährdungslage des grundrechtlichen Schutzguts, auf die benannte Freiheitsrechte reagieren, lässt sich für die Testierfreiheit immerhin noch historisch herleiten, weil es sich seit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs um ein anerkanntes zivilrechtliches Institut handelt.138 Im 19. Jahrhundert war sie ein heftig umkämpftes Recht.139 Aufgrund der neuen Akzente, mit denen das Bundesverfassungsgericht die Testierfreiheit versehen hat, zeichnet sich schließlich eine neue verfassungsrechtliche Verortung des Instituts ab.140 Ein Innominatgrundrecht schafft sich zum einen einen eigenen thematisch abgegrenzten Freiheitsraum neben anderen Grundrechten. Es hat nicht mehr nur die rein subsidiäre Auffangfunktion der allgemeinen Handlungsfreiheit gegenüber den besonderen grundrechtlichen Gewährleistungen, ist aber diesem gegenüber nicht vollständig verselbstständigt.141 Andererseits muss das unbe133

Zu den Voraussetzungen Manssen, S. 191 f.; Dirnberger, S. 279. BVerfGE 99, 341, 350. 135 Nw. oben § 5 A. III. 2 b. cc., S. 136, m. Fn. 77. 136 Oben § 3 B. I. 1., S. 70, m.w.Nw. in Fn. 89, 90, IV., S. 100, m. Fn. 272. 137 So reduziert etwa Kuhla, Fs. Bezzenberger, S. 497, 498, die Testierfreiheit auf die Zuordnungsfunktion des Erbrechts, wenn er schreibt: „Privateigentum kann im Falle des Todes des Eigentümers nur erhalten werden, wenn mit dem Tod eine Regelung zum Tragen kommt, aufgrund derer das Vermögen nunmehr einem anderen Privaten zugeordnet wird. Die letztwillige Verfügung des Erblassers dient unter diesem Blickwinkel dazu, dass die Vermögenswerte, die er innehatte, auch nach seinem Tode von einem Privaten innegehabt werden. Die Testierfreiheit ist aus diesem Grunde Teil der grundgesetzlichen Gewährleistung des Erbrechts.“ 138 Oben Einleitung, S. 2. 139 Oben Einleitung, S. 1, m.w.Nw. in Fn. 2. 140 Oben I., S. 66 f. 141 Manssen, S. 191; ders., in: Mangoldt/Klein/Starck, Art. 12 Abs. 1 Rn. 66. W. Nw. bei Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 129, m. Fn. 4, Rn. 101: „Freiheitsrechte mit quasi verselbstständigtem Inhalt“. 134

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nannte Freiheitsrecht – gerade weil es von Verfassungs wegen weder eigens identifiziert noch stichwortgebend mit feststehenden Bedeutungsgehalten kodiert wird – im Wege der ausgestaltenden Gesetzgebung oder judikativen Rechtsfortbildung mit Substanz angefüllt werden. Sonst gewinnt es gegenüber anderen grundrechtlichen Gewährleistungen und insbesondere anderen unbenannten Freiheitsrechten des Grundgesetzes keine eigene Kontur.

2. Zur personalen Natur von Vertrags- und Testierfreiheit – eine Grenzziehung zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht Auch wenn der Entfaltungsauftrag an den Gesetzgeber des einfachen Rechts von der verfassungsrechtlichen Schutzperspektive nicht abzulösen ist und mit dieser insofern in Wechselbeziehung tritt,142 Lieferant dieses inhaltlichen Profils ist das Zivilrecht. Das zeigt sich gerade im Fall der unbenannten Freiheitsrechte der Vertrags- und Testierfreiheit. Allein mit den Mitteln des Verfassungsrechts können sie vom Paradigma des Innominatgrundrechts,143 dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, nicht deutlich genug differenziert werden. Das verfassungsrechtliche Konkretisierungsvermögen reicht bis zur Ausweisung einzelner thematischer Bereiche persönlicher Entfaltung, die durch die Aufnahme in den Grundrechtskatalog zu Freiheitsrechten verdichtet und damit in den Rang eines verfassungsrechtlichen Schutzguts erhoben werden. Für die Bestimmung der dogmatischen Eigenarten der einzelnen zivilrechtlichen Ausprägungen des Selbstbestimmungsrechts und deren Abgrenzung im Detail ist das verfassungsrechtliche Instrumentarium dagegen nicht gemacht. Deswegen sind im grundgesetzlichen Vergleich der Freiheitsrechte untereinander – Vertragsund Testierfreiheit auf der einen, allgemeines Persönlichkeitsrecht auf der anderen Seite – mehr als grob richtungweisende Aussagen über deren dogmatisches Verhältnis nicht zu erwarten. Immerhin lässt sich soviel sagen: Einer kohärenten Grundrechtsdogmatik entspricht es, für die jeweiligen inhaltlichen Segmente freiheitlicher Betätigung des Individuums einen typenspezifischen – wenn auch im Fall des Innominatgrundrechts nicht erschöpfenden144 – Freiheitsraum auszuweisen und diesen von anderen gleichgeordneten oder subsidiären allgemeinen Grundfreiheiten abzugrenzen. Das gilt nicht nur für benannte Gewährleistungen, sondern – orientiert am Grad ihrer grundrechtlichen Verselbstständigung145 – auch für unbenannte Freiheitsrechte wie die Vertrags- und Testierfreiheit und das allge142

Dazu Ruffert, S. 336 ff. Manssen, S. 191; in der Sache auch Baston-Vogt, S. 98 f., die untechnisch von einem „durch seinen Inhalt bestimmtes subjektives Recht“ spricht, das sich „nicht mehr nur als bloßes Mittel zum Zweck“ einordnen lasse. 144 Alexy, Grundrechte, S. 335. 145 Oben 1. b., S. 175, m. Fn. 141. 143

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meine Persönlichkeitsrecht.146 Das methodische Postulat wird freilich nicht durchweg eingelöst. Sowohl in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als auch in der Literatur lässt sich nachweisen, dass keine der beiden Ausprägungen der Privatautonomie verfassungsrechtlich im erforderlichen Maß vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgegrenzt wird. Zum Teil wird die Unschärfe beider Institute schon vom Zivilrecht an das Verfassungsrecht heran getragen. So wird insbesondere für die Testierfreiheit verschiedentlich deren „persönlichkeitsrechtlicher Charakter“ hervorgehoben,147 die Gestaltungsbefugnis von Todes wegen gar als „postmortales Persönlichkeitsrecht“148 bezeichnet oder jedenfalls als „personen- oder persönlichkeitsbezogen“ beschrieben.149 Für die Vertragsfreiheit unter Lebenden wird dieses Denken verfassungsrechtlich rezipiert. Indem man den engen Zusammenhang mit dem Menschenwürdegrundrecht betont,150 wird zur Begründung ihres Charakters als unbenanntes Freiheitsrecht explizit der Bogen zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht geschlagen und die Vertragsfreiheit nach dessen Vorbild in Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG verortet.151 Als tertium comparationis wird das konstitutive Element des Art. 1 Abs. 1 GG eingesetzt, die potenzielle Fähigkeit des Menschen zur Selbstbestimmung. Dabei bleibt freilich unbeachtet, dass Selbstbestimmung verschiedene rechtlich abgrenzbare Aspekte hat, im Bereich der allgemeinen Handlungsfreiheit (positive Freiheit zu Handlungen) also durchaus etwas anderes bedeutet als die Respektierung der Privatsphäre und des sozialen Geltungsanspruchs im Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (negative Freiheit von der Einwirkung anderer).152

146 Alexy, Grundrechte, S. 335: „Zwischen dem allgemeinen Freiheitsrecht und den unbenannten Freiheitsrechten besteht daher dasselbe Verhältnis wie zwischen dem allgemeinen Freiheitsrecht und den benannten Freiheitsrechten.“ S. auch Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 64. 147 Lange/Kuchinke, § 35 IV 3 b, S. 828, m. Fn. 63b. 148 Herzog, S. 207 f., unter Berufung auf Schröder, DNotZ 2001, 465, 468: „Die Testierfreiheit ist […] andererseits eine Folge des Personen-/Persönlichkeitsrechts“; des Weiteren Edenfeld, DNotZ 2003, 4, 12: „Das Vertrauen jedes Menschen auf postmortalen Persönlichkeitsschutz umfasst auch das Recht, die Vermögenszuordnung nach dem Tod mitzugestalten.“; von der Beck, S. 38: „Die Testierfreiheit bedeutet somit ein unverzichtbares Persönlichkeitsrecht“; im Anschluss an von Lübtow I, S. 102. Vor allem aber Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 36 f., 181 ff., 240 ff.; ders., Ehegattenschutz, S. 41 ff., 898 ff.; und passim. Dazu oben § 3 B. IV. 1., S. 98, m. Fn. 262. 149 Dunkel Flume, BGB AT II, § 11, 6 a, S. 148: „Auch wenn die Verfügung von Todes wegen vornehmlich vermögensrechtliche Anordnungen enthält, wird sie von der Rechtsordnung doch als personenbezogen gedacht. Der von Todes wegen Verfügende verfügt über den Bereich seiner Person für die Zeit nach seinem Tode.“ (Hervorhebungen nicht im Original). 150 Canaris, JZ 1987, 993, 994. 151 Heinrich, S. 85; Neuner, S. 223 f. S. auch Kirchhof, Fs. Ulmer, S. 1211, 1227: „die das allgemeine Persönlichkeitsrecht betreffende allgemeine Vertragsfreiheit“. 152 J. Schapp, AcP 192 (1992), 355, 359 ff., zum positiven im Unterschied zum negativen

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Zweiter Teil

In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird diese Parallele dennoch gezogen. In der Entscheidung zum Umfang der elterlichen Vertretungsmacht für ihre minderjährigen Kinder bei der Fortführung eines ererbten Handelsgeschäfts (§ 1629 i.V.m. § 1643 Abs. 1 BGB) wird die Einschränkung der Privatautonomie des Vertretenen nicht nur als Eingriff in dessen allgemeine Handlungsfreiheit gedeutet (Art. 2 Abs. 1 GG), sondern auch als Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Minderjährigen (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art 1. Abs. 1 GG).153 Weiter heißt es dort: „Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ergänzt als ,unbenanntes‘ Freiheitsrecht die speziellen (‚benannten‘) Freiheitsrechte. Seine Aufgabe ist es, im Sinne des obersten Konstitutionsprinzips der ,Würde des Menschen‘ (Art. 1 Abs. 1 GG) die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen zu gewährleisten, die sich durch die traditionellen Freiheitsgarantien nicht abschließend erfassen lassen.“154

Das Konzept des unbenannten Freiheitsrechts wird bei diesem weiten Verständnis des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gesprengt. Gehandelt wird hier nicht mehr von einem thematisch durchgeformten, wenn auch nicht vollständig von Art. 2 Abs. 1 GG abgelösten Gewährleistungsstandard.155 Vielmehr wird auf den ersten Blick eine Art „Super-Grundrecht“ vorgestellt, das mit der „Mutter-, Stamm- oder Quellgewährleistung“156 der freien Entfaltung der Persönlichkeit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG gleichziehen und allfällige Schutzdefizite namentlich der allgemeinen Handlungsfreiheit als Sitz der Privatautonomie im Wege der Ergänzung ausgleichen soll.157 Der Bedeutungsgehalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, den das unbenannte Grundrecht aus dem Zivilrecht bezieht, wird – ohne dass das in der Entscheidung methodisch offen gelegt würde – gegen die verfassungsrechtliche Grundentscheidung für die Selbstbestimmung des Individuums ausgetauscht. In diesem Schutzanliegen drückt sich das allgemeine Bekenntnis des Grundrechtskatalogs und des Grundgesetzes Freiheitsbegriff, insbesondere im Verfassungsrecht S. 382 ff. Des Weiteren Jarass, NJW 1989, 857, 859. 153 BVerfGE 72, 155, 170. Zu den unternehmensrechtlichen Aspekten des Falls („unternehmenstragende Erbengemeinschaft“) ausführlich Dauner-Lieb, S. 331 ff. 154 BVerfGE 72, 155, 170. 155 Manssen, S. 135, 183 ff. 156 Stern III/2, § 82 IV 3 a, S. 661, m.w.Nw. in Fn. 262. Die Anschauung erinnert an den Beginn der Ausdifferenzierung des „Allgemeinen Rechts der Persönlichkeit“ im Zivilrecht des 19. Jahrhunderts. So liest man bei Gierke, Privatrecht, S. 703 f., dass dieses allgemeine Recht der Persönlichkeit „das einheitliche, subjektive Grundrecht [ist], das alle besonderen subjektiven Rechte fundamentiert und in sie alle hineinreicht, das daher so gut die öffentlichen Rechte, wie die Privatrechte und so gut die Rechte an Sachen, wie die Rechte an Personen trägt und begleitet.“ Hergeleitet wurde es aus der Rechtsfähigkeit. Im Einzelnen Leuze, S. 113 f., m.w.Nw. 157 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 129; Degenhart, JuS 1992, 361, 361: „Auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht nimmt hierbei an der grundrechtlichen Auffangfunktion der Freiheitsgewährleistungen des Art. 2 Abs. 1 GG teil.“

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zur Person und ihres (Persönlichkeits-)Rechts aus.158 Es ist Grundlage aller verfassungsrechtlich geschützten Betätigungs- und Ausdrucksfelder des handelnden Grundrechtsträgers, nicht nur, aber auch der normkonstituierten. Begrifflich ist es daher nicht nur als subjektives Recht,159 sondern auch als Verfassungsprinzip zu erfassen.160 Dass die rechtliche Betätigung des Einzelnen auf dem Gebiete des Privatrechts, mag sie nun unter Lebenden oder von Todes wegen stattfinden, auch die Persönlichkeit des handelnden Individuums prägt oder ihr Ausdruck verleiht, ist natürlich nicht zu bestreiten.161 Freiheitsrechte sind notwendig personale und damit subjektive Rechte.162 Bemerkenswert ist eher, dass die Vertragsfreiheit inter vivos in der verfassungsrechtlichen Diskussion nicht weniger persönlichkeitsbezogen aufgefasst wird als die Testierfreiheit.163 Vielmehr wird die personale Natur für die Privatautonomie insgesamt hervorgehoben.164 Allerdings erschöpft der Bezug auf die Persönlichkeitsentfaltung als Verfassungsgrundsatz in seiner Generalität das allgemeine Persönlichkeitsrecht als ausdifferenziertes Rechtsinstitut mit seinen besonderen verfassungsund zivilrechtlichen Schutzmechanismen nicht vollständig. Vielmehr kann es mit diesem weiten Bedeutungsgehalt vom engeren normgeprägten Begriff der Privatautonomie qualitativ nicht kohärent abgegrenzt werden. Diese erscheint hier geradezu als besondere Ausprägung oder „Teil des zum allgemeinen Persönlichkeitsrechts gehörenden ,Rechts auf individuelle Selbstbestimmung‘“165 oder der „aktiven Entfaltung der Persönlichkeit“.166 Allenfalls lässt sich auf dieser Grundlage eine graduelle Aussage des Inhalts machen, dass nicht jede Einschränkung der Privatautonomie zugleich eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bedeutet, sondern nur besonders gravierende167

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Degenhart, JuS 1990, 361, 361. Zu dieser gemeinsamen Wurzel von Privatautonomie und allgemeinem Persönlichkeitsrecht: Fezer, S. 357. 160 Zur „Persönlichkeitsentfaltung“, dem „Persönlichkeitsschutz“ und dem „Schutz der Persönlichkeitssphäre“ als Verfassungsprinzipien Reimer, S. 42; zu deren Stellung im Normgefüge der Verfassung ders., S. 294 ff. 161 Ruffert, S. 302, m.w.Nw. in Fn. 101, 322. 162 Rebe, S. 51 f., m.w.Nw. 163 Martinek I, S. 18, m. Fn. 11, unter Hinweis auf BVerfGE 8, 274, 328, „wonach die Vertragsfreiheit als Teil des Grundrechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit zu verstehen ist“. 164 Ruffert, S. 311. 165 Floren, S. 135, 138. 166 BVerfGE 54, 148, 153. 167 Ruffert, S. 303: „besonders krasse Ausnahmefälle“; Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 130, spricht von „Betroffenheit im Kernbereich der Persönlichkeit“; Frenz, JR 1994, 92, 98: „ungewöhnlich starke Beschränkung der Privatautonomie“ im Anschluss an BVerfGE 72, 155, 170 f. 159

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oder die „engere persönliche Lebenssphäre eines Teilnehmers im Vertragsrechtsverkehr“ betreffende.168 Auflösen lässt sich das Dilemma entweder, indem man eine Begriffsverwechslung unterstellt und vorschlägt, den Begriff des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gegen den der Privatautonomie auszutauschen.169 Eine weitere – sachlich überzeugendere – Möglichkeit geht davon aus, dass das, was verfassungsrechtlich in logischen Über- und Unterordnungskategorien erfasst wird, auf der Ebene des einfachen Rechts nebeneinander stehen kann.170 In der verfassungsrechtlichen Kritik an der genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Frage der Begrenzung unbeschränkter Minderjährigenhaftung ist eine zivilrechtliche Vorprägung dieses Inhalts spürbar. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht sei die passive Seite der allgemeinen Handlungsfreiheit. Anders als bei dieser gehe es nicht um den Aktionsradius des Grundrechtsträgers, sondern um die Respektierung von dessen Privat- und Persönlichkeitssphäre. Sie drückt sich im Wesentlichen dadurch aus, dass der Einzelne in ihr von anderen unbehelligt sein darf171 und vor Übergriffen in sein Recht auf Selbstbestimmung verschont bleibt.172 Das beruht nicht zwingend auf der Akzeptanz des individuellen So-Seins des Anderen und lässt sich auch nicht unbedingt als ein Gebot der Toleranz beschreiben.173 Wichtiger als diese subjektiven Erwägungen ist die objektive „Pattsituation“ der Rechtssubjekte im Zivilrecht, die sich aus dem Gegenüber von Gleichberechtigten – verfassungsrechtlich gesprochen: dem Gleichordnungsverhältnis zwischen verschiedenen Grundrechtsträgern – ergibt. Ein Individuum verfügt per se nicht über mehr Handlungsfreiheit als ein anderes. Um eine Rechtsverletzung begründen zu können, muss der „Eingriff“ die Grenzen der bloßen Inanspruchnahme der allgemeinen Befugnis aus Art. 2 Abs. 1 GG überschreiten. Aus diesem Grund kann die eigene Handlungsfreiheit nicht Gegenstand des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sein.174

168 Floren, S. 135 f.; Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 130: „Sphärentheorie“. 169 Drexl, S. 270. 170 Die Unterscheidung eines verfassungsrechtlichen und zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts trägt diese Feststellung freilich kaum (oben a. bb., S. 173, Fn. 121) – zumal nicht auf der Grundlage des kritikwürdigen Konzepts eines in der allgemeinen Handlungsfreiheit aufgehenden allgemeinen Persönlichkeitsrechts (so aber Ehmann, Fg. BGH I, S. 613, 673 f.). 171 BVerfGE 34, 269, 282; 27, 1 6. 172 Pfeifer, S. 151; Baston-Vogt, S. 208 f.; Zacharias, NJW 2001, 2950, 2950 f. 173 So aber Pfeifer, S. 46, 150. 174 Pfeifer, S. 150, s. auch S. 45 f.; Baston-Vogt, S. 125 ff., 129, m.w.Nw.; Erman/Ehmann, Anh. § 12 Rn. 656.

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Der Gegensatz von „Tun“ und „Sein“ (Erichsen175), negativer und positiver Freiheit (J. Schapp176) oder – in der Terminologie Alexys177 – von handlungsund zustandsbezogenen Rechten178 spiegelt für die Zwecke der Abgrenzung der zivilrechtlich geprägten Privatautonomie vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht die Chiffren „rechtsgeschäftlich“ und „deliktisch“ in der verfassungsrechtlichen Terminologie. Zivilrechtlich schöpft die Unterscheidung den Gehalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zwar nicht vollständig aus,179 markiert aber doch einen signifikanten Unterschied zwischen dem Prinzip „Privatautonomie“ und dem Rechtsinstitut „Allgemeines Persönlichkeitsrecht“. In Kategorien des einfachen Rechts (rück-)übersetzt, bedeutet das: Rechtsgeschäftliches Handeln verleiht der Persönlichkeit desjenigen Ausdruck, der sich privatautonom betätigt, oder lässt jedenfalls Rückschlüsse auf deren Struktur zu. Das sind Aspekte, die vielleicht über die Motivlage der rechtsgeschäftlich handelnden Personen Auskunft geben mögen, keinesfalls aber Bestandteil ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts sind. Denn dieses Institut ist im einfachen Gesetzesrecht mit spezifisch zivilrechtlichen Inhalten belegt,180 und nicht jede rechtsgeschäftliche Betätigung einer Person bedeutet – wie gesagt – zugleich einen Eingriff in die Privatautonomie anderer.181 Ein anderes Ergebnis würde zu einer unerträglichen Legitimitätskontrolle rechtsgeschäftlicher Handlungen führen, die freie rechtsgeschäftliche Betätigung durch ihre deliktische Aufladung letztlich verunmöglichte.182 Die Inanspruchnahme eines Freiheitsrechts zeichnet sich vielmehr gerade dadurch aus, niemandem Rechenschaft über seine Ausübung zu schulden.183 Bereits anhand der verfassungsrechtlichen Implikationen rechtsgeschäftlichen Handelns von Todes wegen dürfte daher deutlich geworden sein, dass die Konzeption der Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, wie Goebel sie vertritt, fragwürdig ist, weil 175 Des Weiteren Schmitt Glaeser, in: Isensee/Kirchhof, HStR VI, § 129, Rn. 18 f.; Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 60, im Anschluss an BVerfGE 54, 148, 153: „aktive“ Persönlichkeitsentfaltung in der allgemeinen Handlungsfreiheit vs. „passives“ Recht auf Respektierung der Privatsphäre und des sozialen Geltungsanspruchs. 176 AcP 192 (1992), 355 ff. 177 S. 332 ff. 178 Kritisch Manssen, S. 188 f.; s. auch Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 129, m.w.Nw. in Fn. 6: „Versuch einer gedanklichen Trennung zwischen allgemeiner Handlungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz über ein Zwei-Schichten-Modell.“ 179 Zu denken ist insbesondere an die statusrechtliche Funktion, die das Allgemeine Persönlichkeitsrecht vermittelt, wenn es um die Identität einer Person, namentlich um die Kenntnis der eigenen Abstammung geht. Im Einzelnen Peifer, S. 225 f.; Baston-Vogt, S. 428 ff.; jew. m.w.Nw. S. auch Gernhuber/Coester-Waltjen, § 52 IV, Rn. 17 ff.; V, Rn. 107. 180 Speziell zur Struktur des postmortalen Persönlichkeitsschutzes im Vergleich zur Testierfreiheit oben § 3 B. IV. 1., S. 98, m. Fn. 262. 181 BVerfGE 72, 155, 171; 54, 148, 153; Floren, S. 135 f. 182 Lorenz, S. 381; Larenz/Canaris, BT II/2, § 75 I 3 b, S. 356, § 76 II 2, S. 385, § 80 II 6, S. 513 f. 183 Erman/Ehmann, Anh. § 12 Rn. 94, 98.

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sie zivilrechtlich Inkompatibles – rechtsgeschäftliche Betätigung und deliktischen Eingriff – auf nicht vertretbare Weise miteinander vermengt.

3. Testier- und Vertragsfreiheit als wirtschaftliche Freiheitsrechte Dass Vertrags- und Testierfreiheit als Freiheitsrechte auf die Selbstbestimmung des Individuums und damit auf die Person hingeordnet sind, dürfte im vorangegangenen Abschnitt deutlich geworden sein. Verfassungsrechtlich ließ sich dagegen nicht feststellen, dass sich die Testierfreiheit im Vergleich zur Vertragsfreiheit unter Lebenden durch einen größeren personalen Anteil auszeichnen oder eine „überschießende Innentendenz“ im Subjektiven aufweisen würde.184 Vielmehr wird die personale Qualität der Privatautonomie als solche betont, was mit Blick auf den personenbezogenen Charakter von Grundrechten als Paradigma subjektiver Rechte schlechthin nicht verwundert.185 Ähnlich einig ist man sich im Hinblick auf ein weiteres Referenzsystem, das als dem Selbstbestimmungsrecht immanent beschrieben wird. Die Rede ist vom wirtschaftlichen Tätigkeitsbereich einschließlich des Wettbewerbs. Es wurde bereits gesagt, dass diese Beziehung auf der Ebene des einfachen Rechts bisher fast ausschließlich lebzeitig, das heißt am Leitbild des schuldrechtlichen Austauschvertrags unter Lebenden beschrieben wurde. Die ökonomischen Bezüge der Testierfreiheit blieben demgegenüber weitgehend im Dunkeln oder wurden gar vollständig verleugnet.186 Von diesem zivilrechtlichen Ungleichgewicht ist im Verfassungsrecht nichts zu bemerken. Was die beiden verschiedenen Ausprägungen der Privatautonomie anbelangt, werden in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung „Person“ und „Vermögen“ als Gegenstand wirtschaftlicher Kalkulation und Voraussetzung von Marktmacht gerade nicht gegeneinander ausgespielt. Das Kriterium der Selbstbestimmung bildet die Klammer, mittels deren die personalen und vermögensrechtlichen Anteile autonomer Betätigung im privaten Rechtsverkehr im Gleichgewicht gehalten werden. Sowohl Entscheidungen, die die Vertragsfreiheit zum Gegenstand haben,187 als auch solche, in denen es um die Testierfreiheit geht,188 benennen neben dem Aspekt der Entfaltung der Persönlichkeit einmütig das Selbstbestimmungs- oder Freiheitsrecht im ökonomischen Sektor als Charakteristikum der Privatautonomie. Die verfassungsrechtliche Literatur ist dem gefolgt: „Der einzelne soll als ,homo oeconomicus‘ seine Rechtsverhältnisse nach seinem Willen selbst und eigenverantwortlich gestalten können“, heißt es bei Di Fabio über die Vertragsfreiheit als „Ausprägung 184 185 186 187 188

Häsemeyer, Fs. Weitnauer, S. 67, 72. Oben § 3 B. II. 2. a., S. 84, m. Fn. 173. Oben § 6 C. II., S. 176 ff. Oben § 3 A. III., S. 69, C. II., S. 102, m. Fn. 113. BVerfGE 89, 214, 231. BVerfGE 99, 341, 351.

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der Freiheit im wirtschaftlichen Bereich“.189 Die verwendeten Termini stimmen mit den Umschreibungen der Testierfreiheit bis in den Wortlaut hinein überein, so, wenn von ihr als einem „individuellen Freiheitsrecht im wirtschaftlichen Bereich“190 die Rede ist. Auf der Ebene des Verfassungsrechts wird die Frage nach den Bezugspunkten privatautonomer Betätigung offen gelassen, gerade weil die beiden denkbaren Extreme – Affektivität oder Emotionalität als Medien der Persönlichkeitsentfaltung191 und Rationalität aufgrund wirtschafts- und wettbewerbsbezogener Kosten-Nutzen-Erwägungen – die Pole privatautonomer Betätigung bilden. Es wird ein (Freiheits-)Raum abgesteckt, innerhalb dessen das einzelne Rechtssubjekt aufgerufen ist, das ihm genehme und unter Umständen auch das durchsetzbare Maß an persönlichem Ausdruck und ökonomischem Kalkül im jeweiligen Rechtsgeschäft zu finden und zu gewichten. Auf diese Weise bewertet und funktionalisiert das Verfassungsrecht die Privatautonomie nicht, sondern überantwortet sie in Gestalt der allgemeinen Handlungsfreiheit192 den sie ausübenden Individuen. Es rechnet damit, dass im rechtsgeschäftlichen Verkehr verschiedene „Mischungsverhältnisse“ von Personalität und wirtschaftlich-vermögensrechtlichem Bezug vorkommen und legt folglich weder die Vertrags- noch die Testierfreiheit inhaltlich auf einen der beiden Extrempunkte fest. Was ihren personalen oder wirtschaftlichen Gehalt anbelangt, behandelt das Verfassungsrecht die beiden Ausprägungen der Privatautonomie vielmehr parallel. Weder spricht es der Vertragsfreiheit den Bezug zur Persönlichkeit der Kontrahierenden ab, noch negiert es den ökonomischen Gehalt der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen. Für das Zivilrecht ergibt sich aus diesem verfassungsrechtlichen Befund der Auftrag, den vernachlässigten, weil hinter dem jeweiligen rechtsgeschäftlichen Leitbild zurück getretenen Aspekt der beiden Ausprägungen privatautonomer Betätigung auf der Ebene des einfachen Rechts zu entfalten. Auf diese Weise könnte der spiegelbildlichen Unausgewogenheit in der Behandlung des jeweils entgegengesetzten Aspekts abgeholfen werden. Für die Vertragsfreiheit heißt das, eher die personalen als die wirtschaftlichen Implikationen zu beleuchten. Keinesfalls dürfen aber unter Lebenden die ökonomischen Faktoren übermäßig betont werden, wie etwa in der Rede von der „funktionalen Ausrichtung“ des Vertrags auf die Wirtschafts- und Wettbewerbsordnung.193 Immerhin ist der viel beschworene Markt- und Wettbewerbsbezug der Vertragsfreiheit stets nur in der Reduktion des einzelnen Vertrags189

In: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Rn. 92, 101, m. Fn. 4. BVerfGE 99, 341, 351. Oben I., S. 166 f. 191 Goebel, Ehegattenschutz, S. 49, spricht von einer „mit expressiven Momenten durchschossenen Freiheit“. 192 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Rn. 101: Privatautonomie als „zivilrechtlicher Entsprechungsbegriff der Handlungsfreiheit“. 193 Wiebe, S. 42 f., m.w.Nw. 190

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verhältnisses präsent. Wahrnehmbar ist er, soweit dieses nicht normativ geöffnet wird,194 damit grundsätzlich nur in einem bestimmten Ausschnitt.195 Zudem ist ökonomisches Kalkül durchaus nicht stets und auch nicht allein der entscheidende Faktor für das Zustandekommen eines Vertrags unter Lebenden,196 ebenso wie ein rein affektiv orientiertes Verständnis des gewillkürten Erbrechts dessen Bedeutungshorizont nicht annähernd erschöpft.197 Es war bereits die Rede davon, dass rechtsgeschäftliche Leitbilder auf der Ebene des einfachen Rechts nicht verabsolutiert werden dürfen.198 Verfassungsrechtlich wird dem dadurch Rechnung getragen, dass der Begriff „Privatautonomie“ nicht ausschließlich auf ökonomische Bedeutungsgehalte festgelegt und reduziert wird. Ihn als „Recht auf wirtschaftliche Selbstbestimmung“ zu definieren,199 ist schon für sich eine inhaltliche Verengung, die die Nuancierung vom Selbstbestimmungs- oder Freiheitsrecht „im wirtschaftlichen Bereich“ vermeidet. Erfasst sind damit nicht nur die konkreten ökonomischen Erwägungen, die die Parteien zum Abschluss eines Vertrags mit einem bestimmten Inhalt motiviert haben, sondern – weiter – auch das wirtschaftliche Umfeld, in dem das konkrete Rechtsgeschäft zur Entstehung gelangt. Für die Testierfreiheit gilt das Nämliche, nur mit umgekehrten Vorzeichen. Hier muss der Überbetonung personaler Elemente vor allem dadurch entgegengewirkt werden, dass die ökonomischen Anteile der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen hervorgehoben und zu den personalen ins Verhältnis gesetzt werden. Das ist – wie gesagt – eine Aufgabe, der sich das Zivilrecht zu stellen 194 Wie etwa im Rahmen der Auslegung einer empfangsbedürftigen Willenserklärung nach dem objektiven Empfängerhorizont gemäß §§ 133, 157 BGB. Hier stellt die Referenzfigur des objektiven Dritten – der „normative Realtypus“ (Begriff bei Larenz/Canaris, S. 294, 297; Larenz, Methodenlehre, S. 468 f.; zur Funktion im Rahmen der Auslegung Hepting, S. 274, m.w.Nw.) –, der an die Stelle des Erklärungsempfängers tritt, nicht nur den Bezug zur rationalen Betrachtungsweise her, sondern auch zum Rechts- und Wirtschaftsverkehr als Ganzem. Zur Auslegung erbrechtlicher Willenserklärungen und insbesondere zur These vom mangelnden Vertrauensschutz im Erbrecht unten § 12 B. II. 1. a., S. 287 ff. 195 Deshalb sind, wie Ruffert, S. 56, schreibt, die „überindividuellen Wirkungen [der Privatautonomie] für Wirtschafts- und Gesellschaftsverfassung […] nur schwer greifbar“. 196 In der ökonomischen Analyse des Rechts wird dem durch eine zweifache Modifikation der Hypothese vom rational handelnden homo oeconomicus Rechnung getragen (so genannter rational-choice-Ansatz). Die Rationalität wird zum einen als „gebunden“ begriffen („bounded rationality“), weil der Einzelne nicht in Kenntnis aller Entscheidungsalternativen agiert und auch gar nicht in der Lage ist, die Gesamtheit der denkbaren Optionen zu verarbeiten. Zum anderen werden „Anomalien“ mit einbezogen, die explizit mit irrationalem menschlichem Verhalten rechnen. Zum Ganzen Janson, S. 38 ff., 40 ff., 43 ff., m.w.Nw.; zum Modell des homo oeconomicus: Peifer, S. 38, m.w.Nw. in Fn. 205; Eidenmüller, S. 28 ff., 34 ff.; zu dessen Kritik Voit, in: Jahrbuch, S. 89, 107, m.w.Nw. in Fn. 48; des Weiteren Adams, S. 25 ff. 197 Das leistet freilich auch eine rein ökonomische Deutung der Testierfreiheit nicht: Beckert, S. 321. 198 Oben § 5 A. III. 2. b. cc., S. 134 ff. 199 Drexl, S. 270.

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hat, auch und gerade im Hinblick auf die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den wirtschaftlichen Bezügen unter Lebenden und von Todes wegen. Diese liegen in der unterschiedlichen Organisation von rechtsgeschäftlicher Freiheit in beiden Betätigungsfeldern begründet. 200 Was dagegen die proprietas- oder Zuordnungsfunktion des Erbrechts anbelangt,201 lässt sich ein Wirtschaftsund Wettbewerbsbezug direkt weniger aus der Sicht des Erblassers, 202 sondern eher aus der des Erben begründen. Um größtmögliche Wirtschaftskraft zu gewährleisten, wird im Erbgang nach § 1922 Abs. 1 BGB eine Aufspaltung der Erbmasse verhindert. 203 Unter neuer Rechtsträgerschaft wird sie vom erbrechtlichen Zuwendungsempfänger in den wirtschaftlichen Prozess wieder eingespeist, wodurch eine „gigantische Akkumulation von Wirtschaftsgütern in Staatshand“ sowie die „Verlagerung unternehmerischer Funktionen auf den Staat“ verhindert wird. 204 Statt dessen beeinflusst die Privaterbfolge die wirtschaftliche Potenz unter Lebenden positiv und verändert die Ausgangsbedingungen am Markt unter Umständen wesentlich zu deren Gunsten. 205 Zwingend ist das freilich nicht. So wurde in der Erbrechtsdiskussion des 19. Jahrhunderts gerade von liberalen Autoren (Spencer, Mill, Carnegie) geargwöhnt, dass die mühelose Erlangung von Vermögen die Erben korrumpiere und wirtschaftlich ineffizient werden lasse. 206 Das ist jedoch kein generelles Argument gegen die ökonomische Dimension der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen schlechthin, sondern nur eines gegen die Zuverlässigkeit des wirtschaftlichen Effizienzkriteriums, das ex ante keine aussagekräftigen Daten im Einzelfall liefert. 207 200

Oben 1. aa., S. 170. Rittstieg, in: AK-GG, Art. 14/15 Rn. 146, spricht insoweit von der „Erhaltungsfunktion“ des Erbrechts und betont insbesondere die Einheitlichkeit der Vermögenszuordnung, die einer Zersplitterung des Nachlasses entgegenwirke. 202 Indirekt besteht freilich eine Verbindung zwischen Vererbung und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit des Erblassers, nämlich auf der Ebene der Handlungsmotivationen. Beckert, S. 30, 320: „Die Möglichkeit privater Vermögensvererbung trägt zur Verbreitung und Aufrechterhaltung kapitalistischen Erwerbsstrebens bei, indem das Motiv der Vererbung ein wichtiger Anreiz für Fleiß und Sparen sein kann.“ 203 Enderlein, S. 311 f., findet für das Erbrecht das Bild des „,Trichters‘, [durch den] das gesamte Vermögen einer bestimmten Generation in die Hände der nächsten gelangt“. Nach Schröder, DNotZ 1994, 265, 268, erschöpft sich hierin der ökonomische Bedeutungsgehalt des Erbrechts. 204 Diese Dezentralisierungsfunktion teilt die Testier- mit der Vertragsfreiheit unter Lebenden; Canaris, Fs. Lerche, S. 873, 877; ders., JZ 1987, 993, 994. 205 Enderlein, S. 313, spricht von der Möglichkeit zur „Kapitalakkumulation“, bei der die Testierfreiheit eine „zentrale Rolle“ spiele. Gemeint ist damit die Steigerung der Wirtschaftskraft der Lebenden. S. auch Salje, Rechtstheorie 15 (1984), 277, 311; Leisner, Gleichheitsstaat, S. 155: „Der künftige Erbe wird schon aufgrund der Anwartschaft eine andere Position haben als seine Mitwettbewerber im Leben; wer etwas zu vererben hat, steht anders da als derjenige, dem nur Rente und Altersheim bleiben.“ 206 Nw. bei Beckert, S. 30, 320 f. S. auch oben § 3 B. I. 1., S. 73, m. Fn. 112. 207 Ähnlich Beckert, S. 321, m.w.Nw. 201

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Die grundsätzliche Negation wirtschaftlicher Aspekte, wie sie insbesondere die Position Goebels kennzeichnet, 208 wird dem beschriebenen verfassungsrechtlichen Entwicklungsauftrag jedenfalls in keiner Weise gerecht. Dies schon deshalb nicht, weil sie die Leitlinien, die das Grundgesetz dem Privatrecht in dieser Hinsicht anbietet, nicht aufgreift. Der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung lässt sich zum einen entnehmen, dass die Privatautonomie ihren wirtschaftlichen Bedeutungsgehalt durchaus nicht zwingend dem Eigentum verdankt, was in der zivilrechtlichen Literatur aber bisweilen behauptet wird.209 Zum anderen steuert sie die Erkenntnis bei, dass die Ausgliederung der Testieraus der Eigentümerfreiheit des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG keine Absage an deren ökonomisches Potenzial beinhaltet. Dieses lässt sich vielmehr zwanglos in der Privatautonomie von Todes wegen als gegenüber Art. 2 Abs. 1 GG teilweise verselbstständigtem Freiheitsrecht verorten. Für die Vertragsfreiheit unter Lebenden ist das ohnehin Allgemeingut. Die Aussage Rainer Schröders, die Testierfreiheit habe zwei Wurzeln – das Persönlichkeitsrecht und den Kapitalismus210 – würde, wenn man das zweite Element mit „Wirtschaft und Wettbewerb“ paraphrasiert, verfassungsrechtlich nur über den freiheitsrechtlichen Charakter der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen funktionabel. Drexl hat nachgewiesen, dass diese vom Grundgesetz individuell organisierte Freiheit in der Tat der entscheidende Faktor für die Gestaltung der Wirtschaftsordnung durch die Wirtschaftsbürger ist.211 Dagegen hat das in Art. 20 Abs. 1 GG verankerte Demokratieprinzip212 – wenn überhaupt – nur die generelle Bedeutung, dass jedes Freiheitsrecht mit ihm naturgemäß in Korrelation steht. Die nachstehenden Ausführungen, die sich mit dem demokratischen Gehalt von Vertrags- und Testierfreiheit befassen, sparen den Bezug zur Ökonomie- und Wettbewerbsordnung daher bewusst aus, wobei nicht verkannt wird, dass das Stichwort von der „(Rechts-)Machtneutralisierung“, das im Folgenden eine zentrale Rolle spielt, für die Vertragsfreiheit unter Lebenden gerade mit Blick auf die marktwirtschaftliche Konkurrenz von Bedeutung ist. 213

208

Oben § 3 C. II., S. 104 ff. Schon früh Fikentscher, Wettbewerb, S. 81: „Die freie Entfaltung der Persönlichkeit im Wirtschaftsleben ist von Erfolg gekrönt, wenn sie in der Bildung von Eigentum resultiert.“ Zu den heutigen Fernwirkungen im Bereich des Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechts Peifer, S. 331 f. 210 DNotZ 2001, 465, 468. 211 S. 240 ff., 243. Ähnlich bereits Rittner, Fs. Müller-Freienfels, S. 509, 513 f., 517 f. 212 Ruffert, S. 56 ff., m.w.Nw. 213 Wiebe, S. 43, m.w.Nw., spricht in Anlehnung an Franz Böhm von der „Entmachtungswirkung des Wettbewerbs als notwendige Voraussetzung für die Vertragsfreiheit“. 209

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4. Zum so genannten demokratischen Potenzial von Testier- und Vertragsfreiheit (Art. 20 Abs. 1 GG) a. Das lebzeitige Idealbild: Die „demokratische“ Vertragsfreiheit Die bisherigen Ausführungen zur verfassungsmäßigen Parallelisierung von Testier- und Vertragsfreiheit haben sich ausschließlich auf die Frage des einschlägigen Grundrechts konzentriert. Damit wurde der Vergleichsrahmen eng gesteckt, weil funktionelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Freiheitsrechte von vornherein nur ausschnittsweise in den Blick genommen werden konnten. 214 Die Perspektive öffnet sich jedoch, wenn man die Staatszielbestimmungen, und hier insbesondere das Demokratieprinzip hinzunimmt. In der jüngeren zivilrechtlichen Literatur hat vor allem Canaris die Verbindung von Privatautonomie und Demokratieprinzip nach Art. 20 Abs. 1 GG betont. 215 Die Auffassung kann sich auf prominente Vorläufer berufen 216 und wurde im verfassungsrechtlichen 217 wie zivilrechtlichen218 Schrifttum gleichermaßen überwiegend positiv rezipiert. Nun bezieht sich Demokratie als staatsrechtlicher Begriff auf die Konstituierung der Staatsgewalt (Art. 28 Abs. 1 GG), die Legitimation der Staatsorgane und die politische Willensbildung- und -äußerung (Art. 5 Abs. 1 GG). 219 Die Übertragung auf das Zivilrecht ist also nur als Bild oder Chiffre möglich. „Demokratie“ steht in der Privatrechtsgesellschaft als Platzhalter für die ungehinderte Entfaltung des Individuums. Als Vergleichsgrößen werden Freiheit und Gleichheit eingesetzt. 220 Indem Grundrechte jedoch für jeden Grundrechtsträger gleichermaßen bestimmte thematisch umrissene oder unbenannte Freiheitsrechte verbürgen, sind sie stets Ausdruck des so verstandenen Demokratieprinzips. Ein Spezifikum der Privatautonomie ist das für sich genommen nicht, so dass sich am originären Erkenntniswert der Parallele durchaus zweifeln lässt. Allerdings eignet sie sich dazu, die unterschiedliche Gewichtung von Freiheit und Gleichheit bei der Vertragsfreiheit unter Lebenden und der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen zu beobachten. Durch die Abkehr von Feudalstrukturen 221 bei gleichzeitiger Hinwendung der bürgerlichen Gesellschaft zur Selbstregulierung ihrer Rechtsbeziehungen kraft autonomer Willensübereinkunft gleichberechtigter Individuen wird der Vertrag zum Symbol des Demo-

214

Canaris, Fs. Lerche, S. 873, 874. JZ 1987, 993, 994 f., m.w.Nw. 216 Insbesondere Kelsen, S. 285: Vertrag als „eine ausgesprochen demokratische Methode der Rechtsschöpfung“. W. Nw. bei Singer, Selbstbestimmung, S. 40, m. Fn. 214. 217 Ruffert, S. 57 f., m.w.Nw. in Fn. 28. 218 Neuner, S. 224; Lorenz, S. 15; Singer, Selbstbestimmung, S. 26, m.w.Nw. in Fn. 124; s. auch Bydlinski, Privatrecht, S. 16. 219 Hösch, S. 101, m.w.Nw. 220 Canaris, JZ 1987, 993, 994. 221 Kirchhof, Fs. Ulmer, S. 1211, 1213. 215

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kratiegrundsatzes im Privatrecht ausgebaut. 222 „Der Vertrag ist die Rechtsform, bei der die Freiheit und Gleichheit der beteiligten Rechtssubjekte gewahrt werden kann. Das erklärt die eigentümliche Anziehungskraft, die der Vertrag als rechtliches Gestaltungsinstrument ausübt“, 223 beschreibt aber auch das „Demokratische“ an der (Vertrags-)Freiheit. Es liegt gerade im Verhältnis zum Vertragspartner begründet, wird also gemeinschaftsbezogen verstanden und darf – wie Kirchhof formuliert – niemals Herrschaft über andere sein. 224 Nicht vollständig passt zu diesem Konzept die behauptete Affinität der Privatautonomie zur demokratischen Mehrheitsentscheidung. 225 Gerade wenn sie mit Canaris als Ausdruck der Zurückhaltung gegenüber dem materiell „Richtigen“ verstanden und die Entscheidung der Beteiligten als solche auch in ihrer „Willkür“ – man könnte auch sagen in ihrer Freiheitlichkeit – respektiert wird, 226 müssen der Herrschaft der Mehrheit über die Minderheit demokratische Zügel angelegt werden. Darin realisiert sich die Bindung der Demokratie als Herrschaftsverfahren an die Grundrechte der Beteiligten. 227 Materiell wird sie durch die Gewährleistung von Vertrauens- und Minderheitenschutz erreicht, der die Freiheit der Minderheit garantiert, 228 formell durch die Einführung von (Verfahrens-)Regeln, insbesondere von Quoren, welche die Gleichheit aller im Verfahren sichern helfen sollen.229 Nicht umsonst wird der Demokratiegrundsatz im Verfassungsrecht daher in erster Linie als prozedurales Prinzip verstanden. 230 Als sein Pendant im Privatrecht der Lebenden gilt das Aushandeln des und das Verhandeln über den Vertrag. 231 Es soll diesen zuwege und nicht nur zustande bringen, hat also keine rein utilitaristische Funktion. 232 Im einfachen Gesetzesrecht hat das Verhandeln Leitbildcharakter. So lässt sich etwa § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB, dem früheren § 1 Abs. 1 Satz 1 AGBG, e contrario („Stellen“) der Grundsatz des Aushandelns eines Vertrags als Indiz für eine individualvertragliche Vereinbarung entnehmen. Des Weiteren entfaltet bei der Versendung eines kaufmännischen Bestätigungsschreibens das Schweigen des Empfängers nicht die gewünschte normative Wirkung, wenn keine Vertragsverhandlungen 222

Oben § 3 B. I. 1., S. 72, m.w.Nw. in Fn. 104. Hillgruber, ARSP 85 (1999), 348, 349. 224 Kirchhof, Fs. Ulmer, S. 1211, 1212. S. auch Wachter, ZERB 2004, 238, 243: „Die vertragliche Selbstbestimmung darf für keinen der Vertragsteile in eine Fremdbestimmung durch den anderen Vertragsteil verkehrt werden.“ 225 Canaris, JZ 1987, 993, 994. 226 Canaris, JZ 1987, 993, 994. 227 Hösch, S. 102, m.w.Nw. in Fn. 157. 228 Dreier, in: ders., GG, Bd. 2, Art. 20 Rn. D 66 ff. 229 Hösch, S. 101, m.w.Nw. in Fn. 151. 230 Hösch, S. 100. 231 Hönn, S. 91, spricht anschaulich vom „Sich-Vertragen“. S. auch Heinrich, S. 54. 232 Behrends, in: ders./Sellert, S. 9, 78: „Die Würde des Menschen wird im Vollzug der Werte gefunden.“ 223

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stattgefunden haben, und der Absender folglich mit dem Einverständnis des Empfängers nicht rechnen konnte, wenn der Widerspruch unterbleibt. 233 In den §§ 145 ff. BGB fallen die Hinweise auf ein Verhandeln der Parteien als Grundlage eines vertraglichen Kompromisses dem gegenüber zwar spärlicher aus – die getrennte juristische Betrachtung von Antrag und Annahme trifft über die Art und Weise des Zustandekommens der vertraglichen Vereinbarung gerade keine Aussage –, doch kommen sie vor. So vollzieht etwa § 150 Abs. 2 BGB den typischen Verlauf eines Verhandlungsgesprächs juristisch nach. Indem die Vorschrift nicht etwa dabei stehen bleibt, eine dem Antrag inhaltlich nicht korrespondierende Annahmeerklärung als Ablehnung zu bewerten, sondern die Erklärung vielmehr als neuen Antrag in den Gesprächsverlauf wieder einspeist, wird die Kommunikation zwischen den potenziellen Vertragsparteien nicht unterbrochen, sondern gerade in Gang gehalten. Die Beispiele zeigen, dass sich der freiheitliche Charakter des Vertragsrechts inter vivos im Prozess und nicht primär im Ziel verwirklicht. 234 Das erlaubt zugleich eine formale Sicht der Vertragsfreiheit, wie sie im Privatrecht der schillernden Theorie von der Richtigkeitsgewähr, 235 aber auch institutionellem Vertragsrechtsdenken zugrunde liegt.236 Mit dem verfassungsrechtlichen Demokratiegrundsatz gemeinsam haben beide Ansätze nach dieser Anschauung einen ausgeprägten prozeduralen Bezug. 237 Nicht im Ergebnis, sondern im Verfahren des reziproken Abwägens der Interessen, das im gegenseitigen Ab- und Zugeben kompromisshaften Charakter annimmt, realisiert sich eben jenes Element der lebzeitigen (Rechts-)Machtneutralisierung, aus dem sich die Verbindlichkeit des Vereinbarten ergibt. 238 Das „Handeln in Bindung“ ist im Recht der Lebenden der entscheidende Faktor, der zugleich Gleichheit unter den beteiligten Rechtssubjekten des Privatrechts herstellt. 239 Der Begriff „Machtneutralisierung“ wird folglich im Recht insbesondere mit dem der „Gleichheit“ der In233

Erman/Hefermehl, § 147 Rn. 8. Drexl, S. 36. 235 Canaris, Fs. Lerche, S. 873, 883. Oben § 3 A. II., S. 63 f., B. II. 2. a., S. 84 f., C. I., S. 105. 236 Zuletzt Busche, S. 102 ff., m.w.Nw. in Fn. 312 („Theorie der vertragsrechtsgebundenen Selbstbestimmung“), S. 653 ff.; Wiebe, S. 36 ff.; m.w.Nw. Das Individuum kann sein Selbstbestimmungsrecht unter Lebenden nur verwirklichen, in dem es sich des vertragsrechtlichen Instrumentariums bedient und respektiert, dass dies ein anderes Rechtssubjekt mit eigenen Interessen auch tut. Zum Ausdruck kommt dieser Respekt in der Außenwelt nicht unwesentlich durch das Abwägen der beiderseitigen Interessen im Prozess der Aushandlung der Vereinbarung. 237 Drexl, S. 36; s. auch Neuner, S. 222 f. 238 Canaris, JZ 1987, 993, 994. 239 Flume, in: 100 Jahre DJT, S. 135, 165: „Mit dem Prinzip der Selbstbestimmung wäre es unvereinbar, dass jemand in Selbstbestimmung über einen anderen zu bestimmen hätte. Jedes Handeln für einen anderen ist ein Handeln in Bindung […].“ Die Aussage kann als zivilrechtliches Pendant zu der oben wiedergegebenen verfassungsrechtlichen Feststellung Kirchhofs gelesen werden (Fs. Ulmer, S. 1211, 1212; s. oben S. 188, m.w.Nw. in Fn. 224). 234

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dividuen zu identifizieren sein. Mit Leisner könnte man sagen, Freiheit stelle sich in demokratischen Bezügen gerade durch Gleichheit her. 240

b. Das negative Andere: Die „undemokratische“ Testierfreiheit Überträgt man diese Grundsätze auf die Testierfreiheit, ergibt sich, was deren demokratischen Gehalt betrifft, auf den ersten Blick ein düsteres Bild. Insbesondere im Hinblick auf so genannte verhaltensbezogene Verfügungen von Todes wegen, 241 aber auch in familiaristisch geprägten Konzeptionen der Testierfreiheit, 242 von denen in dieser Untersuchung bereits die Rede war, ist von der „Herrschaft“243 des Erblassers die Rede, die nicht selten als „selbstherrlich“ und „willkürlich“244 gekennzeichnet oder gar als „Diktatur“245 des letztwillig Verfügenden beschrieben wird. Die Testierfreiheit mit ihrem rechtsgeschäftlichen Leitinstrument, dem Testament, erscheint hier geradezu als Relikt von Statusrechten und feudalen Strukturen. Nicht nur die Leistungsgesellschaft gleichberechtigter Individuen hat sich mit ihrer Begründung bis in die Gegenwart hinein schwer getan, 246 die Testierfreiheit selbst scheint ein gravierendes Demokratiedefizit aufzuweisen. Es macht sich vor allem darin bemerkbar, dass der prozedurale Aspekt des Verund Aushandelns bei letztwilligen Verfügungen als Träger des demokratischen Elements ausfällt. Die formale Sicht der Privatautonomie hält sich unter Lebenden gegenüber der materiellen Beurteilung des von den Parteien konkret Vereinbarten zurück. Aus der gleichberechtigten Teilhabe am Entstehungsprozess und dem sich anschließenden Konsens wird auf die Ausgewogenheit der gefundenen Regelung oder doch zumindest darauf geschlossen, dass „das Ergebnis den Anforderungen der ausgleichenden Gerechtigkeit nicht krass widerspricht“. 247 Eine solche Anschauung stößt bei der Testierfreiheit an ihre Grenzen. Sie kann nicht anders, als die Willensäußerung des von Todes wegen Verfügenden als Oktroi einzuordnen und die freiheitliche rechtsgeschäftliche Betätigung des Erblassers in die Ausübung von „Herrschaft“ über den Zuwendungsempfänger umzuinterpretieren. Nach diesem Verständnis verlieren die Theorie von der Richtigkeitsgewähr ebenso wie institutionelle Anschauungen des Vertragsrechts ihren machtneutralisierenden Kern und damit ihre Funktion. Denn die 240

Leisner, Gleichheitsstaat, S. 32 f., 37 ff.: „Überholung der Freiheit durch Gleichheit“. Oben § 3 B. IV. 2., S. 100 f. 242 Oben § 1 A., S. 13 ff. 243 Oben § 2 B. II. 1., S. 40, § 3 B. I. 1., S. 74, B. IV. 1., S. 94 f. 244 Oben § 1 A., S. 18, § 5 A. III. 2. b. cc., S. 135. 245 Oben § 3 B. IV. 1., S. 94, m. Fn. 235, C. II. 1., S. 106. 246 Oben § 3 B. I. 1., S. 72. 247 Canaris, Fs. Lerche, S. 873, 884, der die Theorie von der Richtigkeitsgewähr an dieser Stelle modifiziert. S. auch Grziwotz, Fs. Schippel, S. 9, 33. 241

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Willensbildung des Erblassers musste sich nicht dem Korrektiv eines unter Umständen gegenläufigen Willensbildungsprozesses aussetzen. Der Schluss, dass es mit dem nachfolgenden Rechtsgeschäft für die Beteiligten seine „Richtigkeit“ hat, kann so nicht gezogen werden. Als „richtig“ erscheint hiernach das, was der Erblasser inhaltlich für richtig erachtet. 248 Wegen des einseitigen rechtsgeschäftlichen Charakters wird das insbesondere für das Testament angenommen, 249 im Hinblick auf die angeblich überlegene Stellung des Erblassers im Erbvertragsrecht aber auch für den vertraglichen Verfügungstyp vertreten.250 Dass weder die Theorie von der Richtigkeitsgewähr im gewillkürten Erbrecht noch die institutionelle Betrachtungsweise dasselbe formale Verständnis der Privatautonomie erlaubt wie im Vertragsrecht inter vivos, spricht freilich weniger für den undemokratischen Charakter der Testierfreiheit, als vielmehr dafür, dass die lebzeitige Anschauung auch hier einmal mehr die prägende ist. Nicht zuletzt um die rechtsgeschäftliche Betätigung des Erblassers nicht als Willkürherrschaft kennzeichnen zu müssen – was sie nur aus der Sicht des Rechts der Lebenden zu sein scheint –, werden verschiedene Mittel zur (Rechts-) Machtneutralisierung vorgeschlagen. Ausgehend vom Konzept einer Freiheit auf Gegenseitigkeit wird versucht, die erbrechtliche Zuwendung auf der Grundlage eines „interaktionistischen Verständnisses der Testierfreiheit“251 als vertragsähnliches Rechtsgeschäft auch dort zu begründen, wo sie testamentarisch erfolgt. 252 Erblasser und Zuwendungsempfänger werden zueinander in ein „Anerkennungsverhältnis“ gesetzt, 253 bestimmte Verfügungsarten schlechthin als (instituts-)missbräuchlich gekennzeichnet254 und Verfügungen von Todes wegen generell einer verschärften materiellen Inhaltskontrolle unterzogen, 255 mit Paritätsvorstellungen belegt 256 oder einem Typenzwang unterworfen. 257 Obwohl diese Ansätze im Detail sehr unterschiedlich sind, haben sie eines gemeinsam: Sie bleiben dem Vertragsrecht inter vivos verhaftet, weil sie die Erarbeitung einer Machtbalance durch den Prozess des Verhandelns über die Vereinbarung als das einzige Mittel zur Herstellung eines Machtgleichgewichts begreifen. In methodischer Hinsicht lassen sich dabei zwei verschiedene Reaktionsformen ausmachen, die gleichermaßen lebzeitig geprägt sind. Zum einen 248

Singer, Selbstbestimmung, S. 220; Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 156 Fn. 32. Oben § 3 B. II. 1., S. 79 f., C. I., S. 105. 250 Oben § 3 B. II. 1., S. 105 f. 251 Goebel, FamRZ 1997, 656, 662. 252 Oben § 3 A. III., S. 66, m.w.Nw. in Fn. 69. 253 Oben § 6 B. II., S. 165, m.w.Nw. in Fn. 75. 254 Das wird namentlich für so genannte verhaltensbezogene Anordnungen angenommen: Heldrich/Eidenmüller, S. 37 f. Oben § 3 B. IV. 2., S. 100 f. 255 Oben § 3 B. II. 2. a., S. 84, C. I., S. 105, m.w.Nw. in Fn. 300. 256 Oben § 3 A. III., S. 66 ff. 257 Windel, S. 398. 249

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wird versucht, das vermeintliche (Rechts-)Machtgefälle zwischen dem von Todes wegen Verfügendem und dem Begünstigten dadurch auszugleichen, dass eine Annäherung an das Recht der Lebenden herbeigeführt und dessen Strategien zur Macht- oder Herrschaftsneutralisierung auch für das Recht der Verfügungen von Todes wegen empfohlen werden. So lassen sich insbesondere die geschilderten Tendenzen deuten, testamentarische Zuwendungen als vertragsähnliche Rechtsgebilde anzuschauen, die auf diese Weise dem Recht der Lebenden angenähert werden. Der zweite Ansatz will der vermeintlichen Diktatur des Erblassers nicht auf der konstruktiven Ebene des Rechtsgeschäfts beikommen. Er unternimmt es stattdessen, den privatautonomen Freiheitsraum an sich zu beschränken, indem bestimmte inhaltliche Ausprägungen letztwilliger Anordnungen entweder als schlechthin unzulässig gelten oder doch zumindest einer besonderen inhaltlichen Wirksamkeitsprüfung unterzogen werden sollen. In der Sache bedeutet das die Aufgabe derjenigen formalen Anschauung von Rechtsgeschäften, zu der man sich unter Lebenden gerade deswegen ganz übereinstimmend versteht, weil nur sie den Willen und die „Willkür“ der Parteien in ihrem freiheitlichen Charakter respektiert. Ohne Not wird so die formale Betrachtungsweise aufgegeben zugunsten einer materiellen Prüfung anhand kaum fassbarer materialer Gerechtigkeitsmaßstäbe. 258 Die besonderen Probleme und Gefahren bei der inhaltlichen Ermittlung eines Willens oder der Auslegung einer Willenserklärung, die von einer Person stammt, die als ihr authentischer Interpret nicht mehr zur Verfügung steht, dürfen nicht kompensiert und verwechselt werden mit gesteigerten Anforderungen an die juristische Bewertung derselben. Eine materielle Prüfung und Kontrolle der Verfügung von Todes wegen steht vielmehr nur dem erbrechtlich Bedachten zu, weil er deren Lasten wägen und gegebenenfalls tragen muss. 259 Doch agiert er in diesem Entscheidungsprozess selbst privatautonom. 260 Es wäre überaus problematisch, wenn sich das Recht an seine Stelle setzte. Überhaupt ist es nicht korrekt, auf die vollständige Unbrauchbarkeit einer formalen Betrachtung der erbrechtlichen Privatautonomie zu schießen, um stattdessen 258 Im Einzelnen Heinrich, S. 362 ff., m.w.Nw.; Oechsler, S. 86 ff.; abweichend Drexl, S. 279 f., der für sein Konzept der wirtschaftlichen Selbstbestimmung des Verbrauchers von einem „Begriff der materiellen Freiheit“ ausgeht und die formale Sicht der Vertragsfreiheit „für überzogen“ hält (S. 271). Eine begriffliche Unterscheidung der beiden Freiheitstypen findet sich bei Enderlein, S. 78 ff. (s. oben § 2 B. II. 2., S. 37, Fn. 100). Hiernach verlässt bereits den Bereich formaler und betritt das Feld materialer Freiheit, wer eine Zwangslage im Sinne von § 138 Abs. 2 BGB als Freiheitshindernis einstuft (Enderlein, S. 80, m.w.Nw. in Fn. 40). Das dürfte zu weit gehen. Tatbestandsmerkmale bedürfen stets der Auffüllung durch einen Lebenssachverhalt. § 138 BGB lässt sich unproblematisch in eine „formale Freiheitsethik“ integrieren (Reuter, AcP 189 [1989], 199, 219). 259 Unten d. aa., S. 195 ff. 260 Unten c., S. 193.

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eine qualifizierte Inhaltskontrolle der Verfügung von Todes wegen zu empfehlen, die die „Richtigkeit“ des vom Erblasser Angeordneten inhaltlich prüft und bewertet. Dabei würde unterstellt, dass sich das demokratische Element im Privatrecht nicht anders als lebzeitig und das heißt vor allem gegenseitig im Sinne von gleichzeitig darstellen lässt. Indem es vom Vertrag als dem rechtsgeschäftlichen Leitinstrument des Rechts der Lebenden ausgeht und die gleichberechtigte Teilhabe der Parteien am Vertragsfindungsprozess als Träger von Freiheit und Gleichheit identifiziert, wird ein Konzept von Machtneutralisierung zugrunde gelegt, das lebzeitig geprägt ist. Die Anschauung beruht auf einer nicht angängigen Verabsolutierung des prozeduralen Prinzips des Verhandelns der Vertragsparteien über seinen eigentlichen inhaltlichen Anwendungsbereich im Recht der Lebenden hinaus. Was sich nicht nach dessen Strukturprinzipien fügen will, wird notwendig als „ungleich“, „unfrei“, oder das Gegenteil von „demokratisch“, nämlich „diktatorisch“ angesehen. Erwiesen ist damit freilich nicht, dass es im Erbrecht keine Strategien zur Herstellung von Freiheit und Gleichheit gibt, sondern nur, dass sie nicht lebzeitiger Natur sind. Spezifisch erbrechtliche Mittel zur Verhinderung einer schrankenlosen Willens- und Bedingungsherrschaft des Erblassers werden vielmehr gerade verfehlt.

c. (Rechts-)Machtneutralisierung mit erbrechtlichen Mitteln Es sind insbesondere zwei rechtliche Instrumente, die sicherstellen, dass die Gestaltungsbefugnis des von Todes wegen Verfügenden nicht zur Despotie über Vertragspartner und andere Zuwendungsempfänger gerät. Zwar fügen sie sich beide in die bereits angesprochene Zweiteilung ein, die die Gestaltungsbefugnis von Todes kennzeichnet, 261 beruhen aber auf unterschiedlichen Geltungsgründen und entfalten ihr demokratisierendes Potenzial daher funktionell auf verschiedene Weise. Zum einen setzt das Gesetz selbst der viel beschworenen Herrschaftsgewalt des von Todes wegen Verfügenden Grenzen. Es enthält nämlich auch einer gültigen Verfügung von Todes wegen die Wirksamkeit vor, solange der Erblasser noch lebt. 262 Unwirksamkeit im Sinne von Wirkungslosigkeit ist nämlich – zumindest von lebzeitiger Warte aus gesehen – die schärfste gesetzliche Sanktion, die in Bezug auf Rechtsgeschäfte überhaupt denkbar ist, und der Mechanismus ist bei Testament und Erbvertrag derselbe. 263 261

Oben Einleitung, S. 7, § 4 A., S. 119 f. Genau genommen sind bei Verfügungen von Todes wegen zwei gesetzliche Wirksamkeitsvoraussetzungen zu unterscheiden: der Tod des Erblassers (§§ 1922, 2176 BGB) und das Überleben des Bedachten (§§ 1923, 2160 BGB); Harder/Kroppenberg, Rn. 118. 263 Trotz der Bindungswirkung des Erbvertrags gestaltet dieser wie das Testament die Erbfolge zu Lebzeiten des Erblassers nicht. Erbvertragliche Bindungswirkung bedeutet nur, dass der Erblasser an einem Widerruf und der Errichtung einer erneuten erbrechtlichen Verfügung gehindert ist, die der vorherigen widerspricht (Staudinger/Kanzleiter, § 2286 Rn. 1). 262

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Dass der Zeitpunkt des Rechtserwerbs bei Verfügungen von Todes wegen allein kein taugliches Abgrenzungskriterium von lebzeitigen und erbrechtlichen Rechtsgeschäften ist, wie insbesondere der Fall bedingter oder befristeter Zuwendungen zeigt (§ 158 Abs. 1 BGB), 264 spricht nicht gegen die spezifisch erbrechtliche Strategie der (Rechts-)Machtneutralisierung durch Unwirksamkeit von Verfügungen von Todes wegen zu Lebzeiten des Erblassers. Denn das Gesetz hält diese Rechtsfolge für erbrechtliche Geschäfte stets bereit. Sie ist im Gegensatz zu aufschiebend bedingten oder befristeten Rechtsgeschäften unter Lebenden nicht vom Willen der Beteiligten abhängig. Von einer kraft Gesetzes unwirksamen erbrechtlichen Anordnung können keine (Rechts-)Wirkungen für den in ihr Bedachten ausgehen, weder vorteilhafte noch nachteilige. Vielmehr neutralisiert das Gesetz die angeblich überlegene Rechtsmacht des Erblassers zu Lebzeiten so vollständig, 265 dass das gängige Konzept von der Herrschaft des Erblassers im gewillkürten Erbrecht wenn nicht überhaupt in Frage gestellt, so doch zumindest differenzierter betrachtet werden muss, als das bisher geschehen ist. 266 Der Eindruck wird bestätigt, wenn man den zweiten Aspekt hinzu nimmt, der die Privatautonomie von Todes wegen gegen eine potenzielle Diktatur des Erblassers immunisiert und dessen „Selbstherrlichkeit“ ganz erheblich beschneidet. Er fällt zeitlich in die „Wirksamkeitsphase“ der betreffenden Verfügung von Todes wegen, mithin also nach dem Erbfall, beruht nicht auf Gesetz, sondern Rechtsgeschäft und bringt den Zuwendungsempfänger ins Spiel zurück. Die Rede ist von einem im Vergleich zur Testierfreiheit weniger beachteten Teil der erbrechtlichen Privatautonomie, 267 dem Ausschlagungsrecht

Das wird mehr verdeckt als erhellt, wenn von einer „Festschreibung der Erbfolge“ zu Lebzeiten des Erblassers die Rede ist (van Veenroy, JZ 1987, 10, 16). Der „Vertragserbe“ ist genau genommen noch nicht Erbe des Erblassers, sondern von diesem zur Erbfolge nur berufen. Nicht etwa wird die „Erbfolge durch Erbvertrag in gleicher Weise festgeschrieben, als hätte ein Testament bereits Wirksamkeit entfaltet“ (so aber – nicht vertretbar – van Veenroy, JZ 1987, 10, 15). 264 Im Einzelnen Harder, in: Mél. Sturm II, S. 1029, 1034 f. Oben § 3 B. IV. 2., S. 101, m.w.Nw. in Fn. 277. 265 Oben § 3 B. I. 1., S. 71, II. 1., S. 81, § 5 A. III. 2. b. bb., S. 134. 266 Lange/Kuchinke, § 1 V 1, S. 8: „Das BGB erhebt den Erblasser zum Herrscher des Erbrechts.“ 267 S. aber Leipold, Rn. 233, Fn. 1: „Die Privatautonomie findet auch sonst [i. e. außerhalb der Testierfreiheit] ihren Niederschlag im Erbrecht, etwa in der Freiheit zur Ausschlagung der Erbschaft […] oder zum Abschluss eines Erbverzichts.“ Bei diesem handelt es sich jedoch um ein Rechtsgeschäft unter Lebenden, so dass er im Rahmen der hiesigen Untersuchung außer Betracht bleiben kann. Den privatautonomen Charakter der Ausschlagung betonen auch Muscheler, Vonselbsterwerb, S. 178 ff.: „Ausschlagung als Gestaltungsmittel“; Brox, Rn. 23, ordnet die Ausschlagung unter der Überschrift „Privatautonomie im Erbrecht“ ein. Bei Kipp/Coing, § 86 I, S. 478, liest man von der „Entscheidung, ob er [der Berufene] Erbe werden will oder nicht“; Olzen, Jura 2001, 366, 367. Juristisch wäre es freilich zutreffender, von der

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von Erben und Vermächtnisnehmern (§§ 1942 ff., 2180 BGB). 268 Das freiheitliche Element, das dieser gestaltenden einseitigen Willenserklärung innewohnt, die angebliche Herrschaft des Erblassers unter einen privatautonomen Anerkennungsvorbehalt stellt und in diesem weiten Sinne „demokratisiert“, wird im zivilrechtlichen Schrifttum überwiegend unterschätzt. Denn nach gängiger Anschauung wird sie vorrangig als Kompensation des gesetzlichen Vonselbsterwerbs der Erbschaft verstanden 269 und auf diese Funktion nicht selten vollständig reduziert.270 Schließlich mag auch die rechtsgestaltende inter-omnesWirkung der Ausschlagung und Annahme (§§ 1953 Abs. 1, 1957 Abs. 1 BGB) dazu beigetragen haben, dass der unbestreitbar vorhandene privatautonome Charakter der Willenserklärung gegenüber ihrer kompensatorischen Funktion zu sehr in den Hintergrund getreten ist. 271 Gerade in ihm liegt jedoch ein spezifisch erbrechtlich wirkendes (rechts-)machtneutralisierendes Potenzial, das im Folgenden mit den lebzeitigen Mechanismen zur Herstellung von Freiheit und Gleichheit kontrastiert und verglichen werden soll.

d. Zur Organisation von Freiheit und Gleichheit im Recht der Lebenden und im Erbrecht aa. Der zeitliche Aspekt: Simultanität im Recht der Lebenden versus erbrechtliche Linearität Freiheit und Gleichheit sind im gewillkürten Erbrecht und im (Vertrags-)Recht der Lebenden ihrem gesetzlichen Leitbild nach auf verschiedene Weise organisiert. Das gilt sowohl in temporaler als auch in sachlicher Hinsicht, wobei die unterschiedliche zeitliche Ordnung die inhaltliche determiniert. Das Idealbild des Verhandelns der Parteien über die vertragliche Vereinbarung wird unter Lebenden nicht nur als Freiheit auf Gegenseitigkeit, sondern insbesondere als eine Freiheit in Gleichzeitigkeit konstruiert. 272 Diese Synchronizität oder SiEntscheidung zu sprechen, ob der Gesamtrechtsnachfolger nach § 1922 Abs. 1 BGB Erbe bleiben will (unten § 7 B. II. 2. b., S. 216). 268 Muscheler, Vonselbsterwerb, S. 180 ff., m.w.Nw. 269 Deswegen ist auch dem Begünstigten einer Auflage ein Ausschlagungsrecht einzuräumen (wie hier Lange/Kuchinke, § 30 III 1 b, S. 659; unentschlossen Muscheler, Vonselbsterwerb, S. 198 f.), obwohl das Gesetz diese Option nicht ausdrücklich vorsieht. Dass der Begünstigte kein Recht auf die Leistung hat, ist demgegenüber nicht der Geltungsgrund für die Gewährung des Ausschlagungsrechts und daher auch kein Grund, ihm dieses zu verwehren. So aber MünchKomm/Skibbe, § 2192 Rn. 11; abweichend für § 2271 Abs. 2 BGB Musielak, Fs. Kegel, S. 422, 446; MünchKomm/Musielak, § 2271 Rn. 21. 270 Paradigmatisch Muscheler, Vonselbsterwerb, S. 163: „Beseitigung des Vonselbsterwerbs.“ Des Weiteren Lange/Kuchinke, § 8 I 4, S. 194; Schlüter, Rn. 443; Erman/ders., § 1942 Rn. 1; MünchKomm/Leipold, § 1942 Rn. 1; Soergel/Stein, vor § 1942 Rn. 4, § 1942 Rn. 1; Staudinger/Otte, § 1942 Rn. 2. 271 Zum privatautonomen Charakter der Ausschlagung s. auch Kroppenberg, DNotZ 2006, 86, 104. 272 Oben a., S. 189 f.

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multanität dürfte gemeint sein, wenn Flume von der „beiderseitigen gegenwärtigen Zuständigkeit“ lebzeitiger Vertragspartner spricht, ihre Rechtsverhältnisse privatautonom zu regeln.273 Nimmt man die jeweiligen rechtsgeschäftlichen Leitinstrumente des Erbrechts und des Rechts der Lebenden in den Blick, 274 den gegenseitigen Austauschvertrag und das Testament, geht dieses Konzept im Recht der letztwilligen Verfügungen nicht auf. Die Ausübung der Privatautonomie als Freiheitsrecht des Erblassers und des Begünstigten ist anders angelegt, nämlich ungleichzeitig, zeitverschoben oder linear. Anders als beim Vertrag unter Lebenden kann sie weder zeitlich noch juristisch-konstruktiv unmittelbar aufeinander bezogen werden. Vielmehr gibt gerade die objektiv-diachrone Zeitstruktur jeder Verfügung von Todes wegen das besondere Gepräge. 275 Mit dem Hinweis auf die Zeitverschobenheit der verschiedenen rechtsgeschäftlichen Handlungen der beteiligten Personen im Sinne der bereits erwähnten „Unmöglichkeit der Gleichzeitigkeit“276 wird nicht behauptet, der Erblasser verfüge von Todes wegen im sozial-leeren Raum. 277 Ähnlich wie ein Vertragsschließender unter Lebenden wird er in der Regel vorab erwägen, was für den Zuwendungsempfänger „annehmbar“ ist und seine Willenserklärungen entsprechend ausrichten, wenn ihm daran gelegen ist, dass der Empfänger die Zuwendung nicht ausschlägt. 278 Auch gibt es keine verallgemeinerungsfähigen Erkenntnisse darüber, dass der letztwillig Begünstigte sich eher bereit findet, für ihn nicht akzeptable Bedingungen hinzunehmen als der andere Teil eines Vertrags unter Lebenden. Gerade wegen dieser Mutmaßlichkeit im Realen lassen sich tatsächliche Erscheinung und rechtliche Qualifikation weder gleichsetzen noch kann von einer soziologischen Erkenntnis unmittelbar auf eine bestimmte juristische Einordnung geschlossen werden kann. 279 Juristisch ergibt sich vielmehr aus der erwähnten zeitlich-linearen Struktur der Privatautonomie von Todes wegen, dass sich Erblasser und Erbe in Bezug auf das konkrete Rechtsgeschäft „Testament“ persönlich und in ihren Wil273 Flume, BGB AT II, § 11, 6 b, S. 149 (Hervorhebung nicht im Original); ihm folgend Windel, S. 366. 274 Oben § 3 A. I., S. 57, § 5 A. III. 2. b. cc., S. 134 ff., B. I., S. 143. 275 Kroppenberg, DNotZ 2006, 86, 102; und oben Einleitung, S. 6, m. Fn. 46, § 2 B. I., S. 33, m. Fn. 69. 276 Oben Einleitung, S. 9, m. Nw. in Fn. 59. 277 Goebel, FamRZ 1997, 656, 661; ders., Ehegattenschutz, S. 79, m. Fn. 99, für das gemeinschaftliche Testament. 278 J. Schapp, S. 13 f., spricht für den lebzeitigen Vertrag von einer „Vorprägung“ des Willens „durch den Typus des Vertrags als Austauschverhältnis“ und schließt daraus auf einen „Vorrang des Vertrags vor dem lebensweltlichen Willen“. 279 Allgemein Heinrich, S. 204, m.w.Nw. in Fn. 181; s. auch Röthel, S. 79, m.w.Nw. in Fn. 205. Paradigmatisch spiegelt sich das in der Debatte um die Berücksichtigung von soziologischen oder ökonomischen Rechtsgewinnungstatsachen im Prozess wider. Übersicht bei Janson, S. 189 ff., m.w.Nw.

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lenserklärungen stets verfehlen. 280 Auf der Ebene des einfachen Privatrechts kommt das konstruktiv nicht zuletzt dadurch zum Ausdruck, dass der Zuwendungsempfänger nicht die jeweilige Willenserklärung des Erblassers annimmt, sondern die Erbschaft oder das Vermächtnis.281 Umgekehrt ist Adressat der Willenserklärung des Erben oder Vermächtnisnehmers nicht der Erblasser als anderer Teil – die Erklärung kann erst nach dem Eintritt des Erbfalls abgegeben werden (§§ 1946, 2180 Abs. 2 Satz 2 BGB)282 –, sondern vielmehr das Nachlassgericht (§§ 1945, 1955 BGB) oder im Fall des Vermächtnisses der Beschwerte (§ 2180 Abs. 2 Satz 1 BGB). Sie hat zudem eine rechtsgestaltende inter-omnes-Wirkung, ist also keine relative Erklärung inter partes. 283 Eine interaktionistische Anlage des Freiheitsrechts,284 das sich mit Wendungen wie dem „Angebotscharakter der Bedenkung von Todes wegen“285 das Recht der Lebenden zum Vorbild nimmt, lässt sich daher für das Testament juristisch gerade nicht erhärten. 286 Ähnliches gilt für das Prinzip der Gleichheit. Im Gegensatz zur Freiheit stellt sich Gleichheit zwar denknotwendig nur im Vergleich zu mindestens einem weiteren Rechtssubjekt her. 287 Insoweit ist sie nicht anders als mindestens bipolar zu denken. Das gilt gleichermaßen für das Recht der Lebenden wie für das Erbrecht: Hier wie dort findet die Freiheit des Einen ihre Grenze im gleichberechtigten Willen des Anderen.288 Die Ausübung von (Rechts-)Macht und deren Neutralisierung müssen jedoch zueinander keineswegs in einem zeitlichen Unmittelbarkeitszusammenhang stehen. Gleichheit durch Gleichberechtigung kann sich vielmehr durchaus auch zeitverzögert einstellen. Eine simultane Struktur ist dem Prinzip jedenfalls nicht zwingend immanent.

280 Das hängt mit der „unmöglichen Gleichzeitigkeit“ von Erblasser und Erben zusammen, die ein konstruktives Kennzeichen der Testierfreiheit ist. Dem gegenüber ist das in § 1923 Abs. 1 BGB niedergelegte Prinzip der Koexistenz von letztwillig Verfügendem und Bedachten in der logischen Sekunde des Erbfalls nur ein juristischer Kunstgriff. Oben Einleitung, S. 9. 281 Ebenso wenig ist Gegenstand der Willenserklärung die Annahme oder „Ausschlagung der Erbenstellung“ (so aber Muscheler, Vonselbsterwerb, S. 163). 282 Frohn, Rpfleger 1997, 340, 342 f., m.w.Nw. 283 Oben c., S. 195. 284 Goebel, FamRZ 1997, 656, 662. Oben b., S. 174. 285 Goebel, Ehegattenschutz, S. 370. 286 Allgemein Leisner, Grundrechte, S. 32: „Die Freiheit ist kein gemeinschaftsgestaltendes, sondern ein gemeinschaftsabwehrendes Recht.“ Ähnlich Gutmann, S. 224 f., Fn. 1110. 287 Leisner, Gleichheitsstaat, S. 32: „Gleichheit als ein wesentlich sozialgestaltendes Prinzip“; ähnlich auf S. 41. 288 Unter Lebenden gehört das zum Gemeingut institutionellen Vertragsrechtsdenkens. Oben a., S. 189, m. Fn. 236, b., S. 190 f.

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bb. Die sachliche Konsequenz: Ergebniskontrolle statt „Richtigkeit durch Verfahren“289 Über der wirkmächtigen Struktur eines Synchronismus von Wirkung und sofortiger Gegenwirkung, 290 die dem prozeduralen Bild des Aushandelns des lebzeitigen Vertrags zugrunde liegt, wird das privatautonome Potenzial der Ausschlagung überwiegend außer Acht gelassen. Insbesondere gilt das für das rechtsgeschäftliche Leitinstrument der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen, die letztwillige Verfügung gemäß § 1937 BGB. Das Konzept einseitiger rechtsgeschäftlicher Betätigung des Erblassers, das der testamentarischen Zuwendung zugrunde liegt, lässt sich hier nicht zu einem zweiseitigen Abschleifen gegenläufiger Interessen verdichten. Es bleibt in sich notwendig kompromisslos, wird aber unter Umständen zeitversetzt im Wege einer „Alles- oder Nichts“Entscheidung des Zuwendungsempfängers korrigiert. Dem Verfahrensprinzip des Aus- und Verhandelns von lebzeitigen Verträgen stellt das Erbrecht bei testamentarischen, aber auch erbvertraglichen Zuwendungen eine umfassende Annehmbarkeitskontrolle des Ergebnisses gegenüber. Freiheit und Gleichheit lassen sich von Todes wegen anders als unter Lebenden weniger im Prozess des Zustandekommens des Rechtsgeschäfts darstellen, als im Umgang mit dem Ergebnis, der Verfügung von Todes wegen selbst. Der Erbe und der Vermächtnisnehmer entscheiden zwar über die Ausschlagung oder Annahme der Erbschaft oder des Vermächtnisses. Sie sind jedoch mit dem Erbfall im Wege der Universalsukzession bereits Inhaber des Nachlasses oder Gläubiger des Vermächtnisanspruchs geworden (§ 1922 Abs. 1 BGB), 291 so dass eine wesentliche Grundlage für ihre freiheitliche Entscheidung die konkrete inhaltliche Gestalt sein dürfte, die der Erblasser der Verfügung von Todes wegen gegeben hat. Diese ist nicht konstruktiv angelegt, weil den Begünstigten die eigene Mitwirkung an der inhaltlichen Gestaltung der letztwilligen Verfügung versagt bleibt. Die Ausschlagungs- oder Annahmeentscheidung lässt sich daher entweder als negative Freiheit zur Destruktion oder Negation oder als positive Freiheit des autonom-affirmativen Nachvollzugs der vom Erblasser getroffenen Weichenstellungen beschreiben. Will man im Recht der Lebenden durchaus nach einer vergleichbaren Situation von (Rechts-)Machtneutralisierung suchen, so ist eine Parallelisierung der Entscheidung über Annahme oder Ausschlagung einer Erbschaft mit der An289 Canaris, Fs. Lerche, S. 873, 883. Zur Unterscheidung von „Verfahrensprozess“ und dem „Ergebnis des Vertragsprozesses“ s. auch Kroppenberg, DNotZ 2006, 86, 101 f.; und allgemein Busche, S. 63. W. Nw. oben b., S. 190, Fn. 247. 290 Oben § 3 B. I. 1., S. 70 f. 291 Bedeutung hat die Erklärung über Ausschlagung oder Annahme der Erbschaft dagegen für die Frage der Haftung des Erben für Nachlassverbindlichkeiten mit seinem Privatvermögen, die ihn in der Zeit zwischen Erbfall und Annahme noch nicht trifft; Harder/ Kroppenberg, Rn. 23, 361.

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nahme eines lebzeitigen Antrags im Sinne der §§ 145 ff. BGB dazu denkbar schlecht geeignet.292 Denn unter Lebenden kommt ein Vertrag ohne das Einverständnis des Vertragspartners gerade nicht zustande. Das hat seinen Grund in den Worten Flumes darin, „dass es mit dem Prinzip der Selbstbestimmung unvereinbar wäre, dass jemand in Selbstbestimmung über einen anderen zu bestimmen hätte.“293 Der Erbe kann dagegen die rechtsgeschäftliche Disposition des Erblassers nicht bereits im Vorhinein verhindern. Er ist vielmehr darauf angewiesen, sie im Nachhinein zu korrigieren, nämlich zu einem Zeitpunkt, in dem er gemäß § 1922 Abs. 1 BGB bereits Rechtsinhaber geworden ist, der erbrechtliche Erwerb also schon stattgefunden hat. Auf den ersten Blick näher liegt deshalb der Vergleich mit dem umstrittenen Merkmal der Annahme oder Zurückweisung des Forderungserwerbs durch den begünstigen Dritten beim Vertrag zugunsten Dritter gemäß §§ 328 ff. BGB. 294 In diesem Normenkomplex wird zumindest das Handeln in der besonderen Zeitstruktur der Ungleichzeitigkeit oder Diachronizität aufgegriffen, die für die Testierfreiheit kennzeichnend ist. 295 Auch dem Dritten fällt der Zuwendungsgegenstand zunächst einmal im Wege des „Von-Selbst-Erwerbs kraft fremder Parteivereinbarung“296 unmittelbar an, freilich vorbehaltlich des Rechts aus § 333 BGB. 297 Denn niemandem soll ein Rechtserwerb ohne seine eigene Entschließung aufgedrängt werden. 298 Diese verwirft oder bestätigt ihn im nachhinein en bloc. Die Rechtsfolge der Zurückweisung des erworbenen Rechts und der Ausschlagung der Erbschaft sind dabei ähnlich ausgestaltet: An beide Gestaltungserklärungen knüpft das Gesetz die Rechtsfolge, dass das Recht als nicht erworben (§ 333 BGB), der Anfall der Erbschaft an den Ausschlagenden als nicht (§ 1953 Abs. 1 BGB)299 und der Anfall an den Nächstberufenen als erfolgt gilt (§ 1953 Abs. 2 Halbs. 2 BGB).300 Dass es sich in beiden Fällen um die 292

Oben § 5 A. III. 2. b. bb., S. 134. Flume, in: 100 Jahre DJT, S. 135, 165. S. bereits oben a., S. 172, m. Fn. 239. 294 Das privatautonome Potenzial dieser Erklärung des Dritten („Akzeption“) hat vor allem Soergel/Hadding, vor § 328 Rn. 12 f.; ders., Fs. Zajtay, S. 185, 201 ff., betont. Zur Diskussion zuletzt W. Bayer, S. 220 f., m.w.Nw. in Fn. 79. 295 Oben Einleitung, S. 8. 296 W. Bayer, S. 221 f. 297 Oben § 5 A. III. 2. b. cc., S. 135. 298 Hadding, Fs. Zajtay, S. 185, 201; W. Bayer, S. 220 f. 299 Zwar hat der Ausschlagende im Grundsatz keinen Pflichtteilsanspruch. Denn er ist nicht durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen (§ 2303 Abs. 1 BGB). Jedoch schützen die §§ 2306, 2307 BGB den ausschlagenden Pflichtteilsberechtigten davor, dass der Erblasser durch die besondere Gestaltung seiner Verfügung von Todes wegen sein Recht auf wertmäßige Teilhabe an der Hälfte des gesetzlichen Erbteils zunichte macht (Harder/Kroppenberg, Rn. 308). Er muss also nicht unbedingt fürchten, mit der Ausschlagung aller Rechte am Nachlass verlustig zu gehen. 300 Im Fall der Ausschlagung handelt es sich mithin um zwei Fiktionen: Staudinger/Otte, § 1953 Rn. 1; Erman/Schlüter, § 1953 Rn. 1: MünchKomm/Leipold, § 1953 Rn. 1. Soergel/ Stein, § 1953 Rn. 1, spricht von einer „doppelten Rückbeziehung“. 293

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gesetzliche Fiktion einer „Rückwirkung“ der Zurückweisung oder Ausschlagung handelt, die nach den tatsächlich eingetretenen Rechtswirkungen, nämlich der privatautonomen Entscheidung des Dritten gegen den Rechtserwerb, aufzuschlüsseln ist, hat Hadding überzeugend dargelegt.301 Allerdings hält er die „rückwirkende Vernichtung“ des Erbschaftsanfalls durch eine Ausschlagung nach § 1953 BGB nur für einen „teilweise ähnlich gelagerten Fall“. 302 In der Tat sollte auch diese Parallele zum Recht der Lebenden nicht überbetont werden.303 Während nämlich der Erwerb des Forderungsrechts den Dritten im Sinne der §§ 328 ff. BGB notwendig und ausschließlich begünstigt, tritt der Erbe in die Rechtspositionen des Erblassers so ein, wie dieser sie hinterlassen hat, seien sie nun berechtigend oder verpflichtend. Erbrechtlicher Erwerb ist eben, anders als die Zuwendung an den Dritten beim Vertrag zugunsten Dritter, kein beneficium. Zu den vom Erblasser herrührenden Erblasserschulden treten überdies die mit dem Erbfall entstehenden Verbindlichkeiten hinzu (§ 1967 Abs. 2 Fall 2 BGB). Insgesamt ändern also auch partielle Übereinstimmungen mit dem Recht der Lebenden nichts an dem Befund, dass die Freiheits- und Gleichheitsanteile der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen und der Vertragsfreiheit unter Lebenden, die als Gradmesser für den „Demokratiegehalt“ einer (Privat-)Rechtsordnung gelten können, konstruktiv unterschiedlich ausfallen. Sie sind jedoch nicht wesentlich anders geartet. In qualitativer Hinsicht sind Selbstbestimmung des Individuums in Freiheit von Todes wegen und unter Lebenden hier wie dort möglich. Gleichheit wird durch spezifisch erbrechtliche Strukturen zur Ausbalancierung der Rechtsmacht des Erblassers hergestellt, in dem seiner Anordnung zu Lebzeiten die Wirksamkeit versagt wird, und es nach seinem Tod dem Zuwendungsempfänger unbenommen bleibt, ihre Wirkung ex post mit ex tunc-Wirkung im Ganzen zu beseitigen. Von einer Vorbelastung des Erben durch den Erblasser kann jedenfalls keine Rede sein.304 Allenfalls besteht die Möglichkeit eines Rückanschlusses der Überlebenden an ein bestimmtes Szenario, das der von Todes wegen Verfügende für die Zeit nach seinem Tode entworfen hat. Es kann von den Nachfolgenden akzeptiert, aber eben auch verworfen werden. Was das Freiheits- und Gleichheitsquantum der Testierfreiheit anbelangt, wäre deren vollständige Abwesenheit im Erbrecht genauso wenig verfassungsrechtlich hinnehmbar wie ein „Monopol“ des Erblassers auf beide Grundprin301 Hadding, Fs. Zajtay, S. 185, 196 ff.; Soergel/Hadding, § 333 Rn. 8 ff.; s. auch ders., Fs. Gernhuber, S. 153, 162. 302 Hadding, Fs. Zajtay, S. 185, 198, gegen Esser, S. 174, für den die Erbschaftsausschlagung „systematisch in einen anderen Zusammenhang rechtsgegenständlichen Denkens“ gehört. 303 S. auch Kroppenberg, DNotZ 2006, 86, 103. 304 Oben § 3 B. I. 1., S. 66.

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zipien des Rechts. Jedoch handelt es sich beim Topos von der „Diktatur“ des Erblassers um eine lebzeitige Projektion. Die zivilrechtliche Realität der Testierfreiheit ist folglich verfassungsgemäßer gestaltet, als das bisweilen verlautbart wird. Beide Elemente, die Freiheit und die Gleichheit, konnten für die Testierfreiheit gleichermaßen als kennzeichnend heraus gearbeitet werden. Das untermauert die hier vertretene These, dass sie ebenso wie der Vertragsfreiheit inter vivos Teil der Privatautonomie ist und folglich verfassungsrechtlich auch so behandelt werden sollte.

III. Wirkungen einer verfassungsrechtlichen Parallelisierung von Testier- und Vertragsfreiheit 1. Emanzipatorisches Signal auf Verfassungsebene Die Ausgliederung der gestalterischen Anteile des Erbrechts aus dem Eigentumsgrundrecht und ihre Integration in Art. 2 Abs. 1 GG bedeuten für das Schutzgut „Erbrecht“ in Art. 14 Abs. 1 GG auf den ersten Blick eine Schmälerung seines Garantieumfangs. Der individual- oder subjektivrechtliche Charakter des Rechts auf Vererbung in Art. 14 Abs. 1 GG reduziert sich für den Erblasser auf die Möglichkeit, in den dafür vorgesehenen zivilrechtlichen Modi und Formen sein Vermögen auf einen oder mehrere rechtsgeschäftlich oder gesetzlich bestimmte Rechtsnachfolger übergehen lassen zu können. Man ist versucht zu sagen, dass das für die rechtsgeschäftliche und gesetzliche Erbfolge gleichermaßen gilt; doch wird gerade in der jüngeren verfassungsrechtlichen Judikatur und Literatur eine besondere Beziehung der Gewährleistung des Erbrechts als Rechtsinstitut305 mit der Testierfreiheit behauptet. So soll die Garantie des „Erbrechts“ gerade die Existenz von solchen Regeln festschreiben, die das freie Testieren ermöglichen.306 Hiernach meint das Recht des Erblassers auf Weitergabe seines Vermögens im Wege des privaten Erbgangs insbesondere den Erbgang aufgrund rechtsgeschäftlicher Erbfolge. Die Tendenz fügt sich ein in die oben beschriebene verstärkte Akzentuierung des freiheitlichen Charakters der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen.307 Auf der Ebene der Rechtsinstitutsgewährleistung drückt er sich in der (Schutz-)Pflicht des Zivilgesetzgebers aus, einen entsprechenden Erbfolgemodus zur Verfügung zu stellen und ihn so einzurichten, dass sich privatautonomes Handeln von Todes wegen verwirklichen kann.308 Diese Garantie verbleibt an zentraler Stelle im Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG. 305

Hierzu zuletzt Mager, S. 188 ff., 459, m.w.Nw. Mager, S. 191 f., unter Bezugnahme auf BVerfGE 91, 341, 353 ff., 360. 307 Oben I., S. 166 f. 308 Damit ist zugleich gesagt, dass der konkrete Erbfolgemodus, den das Bürgerliche Gesetzbuch gewählt hat, der der Universalsukzession, entgegen Leisner, Erbschaftsbesteuerung, S. 51, keinen verfassungsrechtlichen Schutz genießt; im Ergebnis ebenso Rittstieg, in: 306

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Die Herausnahme der eigentlichen inhaltlichen Gestaltungsbefugnis von Todes wegen bedeutet daher für das „Erbrecht“ des Art. 14 Abs. 1 GG keinen allzu gravierenden Verlust. Vielmehr wird mit der Befreiung der Testierfreiheit aus dem Korsett der lebzeitigen Eigentümerfreiheit ungleich mehr gewonnen. Sie bietet materielle Vorteile auf den verschiedenen Hierarchieebenen des Rechts: verfassungsrechtliche, solche im Verhältnis der grundrechtlichen zur einfachgesetzlichen Normenebene und wieder andere originär zivilrechtlicher Natur. Verfassungsrechtlich würde durch den Schutz der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen zunächst ein nicht unerheblicher emanzipatorischer Beitrag zur materiellen Gleichberechtigung der Vertrags- mit der Testierfreiheit geleistet. Zum lebzeitigen Teil der Privatautonomie des Individuums wird die von Todes wegen gefügt, was deutlicher als bisher zum Ausdruck bringt, dass beide Erscheinungsformen, so verschieden sie in ihrer konkreten zivilrechtlichen Organisation auch sein mögen, Ausdruck des einen persönlichen Selbstbestimmungsrechts sind, das die Verfassung zuvörderst schützen will. Dass sich die Testierfreiheit verfassungsrechtlich ähnlich wie der grundrechtliche Schutz der Vertragsfreiheit unter Lebenden konstruieren lässt, bestätigt und unterstreicht deren privatautonomen Charakter entgegen bisweilen anders lautenden Aussagen im bürgerlichrechtlichen Schrifttum. 309

2. Normenhierarische Bereinigungseffekte und einfachgesetzliche Entwicklungspotenziale Im Verhältnis von verfassungs- und zivilrechtlicher Behandlung der Testierfreiheit würde zum einen eine sachliche Wertungsungleichheit bereinigt, die sich bisher in der unterschiedlichen Verortung der Testierfreiheit – verfassungsrechtlich als komplementäres Element zum Eigentum, zivilrechtlich überwiegend als Teil der Privatautonomie – manifestiert hat. Dem Changieren zwischen einem vermeintlich verfassungsrechtlichen und einem davon zu unterscheidenden zivilrechtlichen Begriff der Testierfreiheit wäre ein Riegel vorgeschoben. 310 Zum anderen könnte ein wesentlicher Beitrag zur Überwindung der Diskrepanz von Anspruch und Wirklichkeit im Verständnis der Testierfreiheit geleistet werden. Die grundrechtliche wie die einfachgesetzliche Anschauung der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen betonen zwar gleichermaßen die überragende Bedeutung der Testierfreiheit als Grundprinzip, wenn vom „bestim-

AK-GG, Art. 14/15 Rn. 155. Der Gesetzgeber des einfachen Rechts hätte sich auch für einen alternativen privaten Erbfolgemodus entscheiden können, zum Beispiel für das römischrechtliche Modell des Antrittserwerbs. 309 Nw. oben § 3 B. IV. 2., S. 100, m. Fn. 272. 310 Oben § 2 C. II., S. 47.

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menden Element“311 der Erbrechtsgarantie und einer der „tragenden Säulen“312 der Zivilrechtsordnung die Rede ist. Mit diesen anspruchsvollen formalen Postulaten harmonieren jedoch die wenig eigenständigen inhaltlichen Erklärungsansätze bis dato nur äußerst unvollkommen. Sie machen so weit reichende inhaltliche Anleihen bei anderen Rechtsinstituten (Eigentum, Vertragsfreiheit unter Lebenden), dass sie zu deren Annex zu werden drohen. Die verfassungsrechtliche Neujustierung der Testierfreiheit kann diese Inkongruenz mildern helfen, weil der Verweis auf die Privatautonomie eine nicht zu unterschätzende zivilrechtliche Signalwirkung entfalten würde. Die Verankerung in Art. 2 Abs 1 GG erschließt der Testierfreiheit zivilrechtsdogmatisch ein sachgerechteres Entfaltungspotenzial. Denn mit der Aufwertung der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen kann das verfassungsrechtliche Fundament für eine weniger vom Recht der Lebenden bestimmte zivilrechtliche Dogmatik der Testierfreiheit als Privatautonomie von Todes wegen gelegt werden, die deren Eigenständigkeit betont, gleichwohl aber die Gemeinsamkeiten mit der Vertragsfreiheit unter Lebenden nicht verkennt. Jedenfalls können Ansätze, die einer Schwächung der Testierfreiheit gegenüber der Privatautonomie unter Lebenden das Wort reden (Edenfeld,313) oder ihr diesen Charakter gar vollständig absprechen wollen (Schlüter 314) nicht weiter an Boden gewinnen. Voraussetzung dafür ist das bewusste Umgehen mit den Unterschieden beider Ausprägungen der Privatautonomie. Von dieser Rückkopplung an das einfache Gesetzesrecht ist zu erhoffen, dass mit der Ausbildung eines privatautonomen Verständnisses der Testierfreiheit der unmittelbare „Durchgriff“ auf die Verfassung, der bis dato in zivilgerichtlichen Entscheidungen nicht untypisch ist, entbehrlich würde. Er ist das sichere Anzeichen eines vergleichsweise noch wenig entwickelten einfachrechtlichen Verständnisses der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen, das im Hinblick auf die Vertragsfreiheit unter Lebenden als ausgearbeitetem zivilrechtlichen Konzept nicht zu bemerken ist.315 Vor allem bedeutet er in der Sache nichts anderes als den Versuch, eine zivilrechtliche Blöße verfassungsrechtlich zu bedecken, in dem an diese ein materielles Erklärungsbegehren gerichtet wird, das nur mit den Mitteln des einfachen Rechts befriedigt werden kann.

311

Oben Einleitung, S. 2, § 2 C. II., S. 52, § 6 A., S. 153. Oben Einleitung, S. 2. 313 Oben § 3 B. IV. 2., S. 101, m. Fn. 279. 314 Oben § 3 C. II. 2., S. 100, m. Fn. 272. 315 Diederichsen, in: Starck, Rangordnung, S. 39, 79, beobachtet ein Symptom dieses Umstands. Aufgrund der gut entwickelten zivilrechtlichen Dogmatik fällt die „Begründung der Vertragsfreiheit (Privatautonomie) aus der Verfassung merkwürdig verkürzt“ aus. 312

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§ 7 Das so genannte Recht des Erben, kraft Erbfolge zu erwerben – Grundrechtliche Anlage und zivilrechtliche Folgen für die Testierfreiheit A. Erwerbsrecht des Erben als Reflex des Freiheitsrechts des Erblassers I. Verfassungsrechtliche Konzeption „Auf die durch die Erbrechtsgarantie von Verfassungs wegen verbürgte erbrechtliche Lage kann sich nicht nur der Erblasser berufen.“1 Dass die Gewährleistung des Erbrechts in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ein irgendwie geartetes Recht des Erben verbrieft, entspricht in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung gesicherter Auffassung.2 Sie ist in der verfassungsrechtlichen 3 und zivilrechtlichen4 Literatur ganz überwiegend mit Zustimmung aufgenommen worden. Selten wird sie jedoch einmal en détail analysiert. Geschähe das, würde offenbar, dass die Judikatur des Bundesverfassungsgerichts auch in diesem Punkt durchaus nicht so einheitlich und kohärent ist, wie das bisweilen in der rezeptiven Betrachtung erscheint.5 Vielmehr lassen sich zwei verschiedene Akzentuie1

BVerfGE 91, 346, 360. BVerfGE 99, 341, 349; 97, 1, 6; 93, 165, 174; 91, 346, 360. Die Entscheidungen BVerfGE 67, 329, 340 f.; 19, 202, 204, 206, die in diesem Zusammenhang vom Bundesverfassungsgericht bisweilen zitiert werden, enthalten in Bezug auf Erbenrechte nichts. 3 Badura, Staatsrecht, C 88; Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein, Art. 14 Rn. 520; Hesselberger, in: Leibholz/Rinck/ders., GG, Art. 14 Rn. 102; Kimminich, in: Bonner Kommentar, Art. 14 Rn. 125; Leisner, in: Isensee/Kirchhof, HStR VI, § 150 Rn. 6; Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn. 297; Sieckmann, in: Friauf/Höfling, GG, C Art. 14 Rn. 215; Wendt, in: Sachs, GG, Art. 14 Rn. 194, 196. 4 Stöcker, WM 1979, 214, 222; Niemeyer, FuR 1998, 12, 12; Rauscher I, S. 14 ff.; Leisner, Erbschaftsbesteuerung, S. 47; Brox, Rn. 27; Kipp/Coing, § 1 I 1, S. 2; Lange/Kuchinke, § 2 IV 2 b, S. 26; Leipold Rn. 65; MünchKomm/Leipold, Einl. zu §§ 1922–2385 Rn. 16; Soergel/Stein, Einl. vor § 1922 Rn. 5; Erman/Schlüter, Einl. § 1922 Rn. 12; Jauernig/Stürner, vor § 1922 Rn. 1; Palandt/Edenhofer, Einl. v. § 1922 Rn. 4. Zuletzt Kleensang, ZEV 2005, 277, 280. 5 Ähnliches gilt für die verfassungsgerichtliche Anlage der Testierfreiheit. Auch hier lassen sich überkommene Ansätze (oben § 6 A., S. 153 ff.) von neuen Impulsen § 6 (oben C. I., S. 166 ff.) unterscheiden. 2

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rungen des verfassungsmäßigen Rechts des Erben ausmachen, die sich konstruktiv nicht nur unerheblich voneinander unterscheiden6: die eines derivativen und unselbstständigen Reflexes des Erblasserrechts und die einer originären und eigenständigen Erbenposition.7 Die erste Konzeption ist enthalten in der – hier schon mehrfach zitierten8 – Entscheidung des Ersten Senats zur Verfassungsmäßigkeit der gerichtlichen Zuweisung eines landwirtschaftlichen Betriebs an einen der gesetzlichen Miterben gemäß § 13 GrundstücksverkehrsG. Die übrigen werden mittels Geldzahlung auf Grundlage des Ertrags, nicht aber des Verkehrswerts gemäß § 16 GrundstücksverkehrsG abgefunden.9 Die Problematik der Entscheidung liegt nicht so sehr in ihrem Ergebnis begründet, obwohl man sich durchaus fragen kann, weswegen einem Erblasser, der von Todes wegen keine rechtsgeschäftliche Vorsorge für den landwirtschaftlichen Betrieb getroffen hat, nicht zumindest an einer wertmäßigen Gleichbehandlung aller Miterben gelegen sein solle.10 Nicht zweifelsfrei ist vielmehr das Verhältnis von rechtsgeschäftlicher und gesetzlicher Erbfolge, so wie das Bundesverfassungsgericht es hier anlegt. Dass die Thematik in der Entscheidung überhaupt behandelt wird, ist für sich nicht weiter verwunderlich, weil sich die Frage eines verfassungsmäßig verbrieften Erbenrechts für die rechtsgeschäftliche und gesetzliche Erbfolge – wenn auch anders akzentuiert11 – gleichermaßen stellt. Problematisch ist vielmehr, dass die gesetzliche Erbfolge weniger als ein eigenständiges, auf autonomen Wertungen beruhendes Institut begriffen wird, sondern als auf die rechtsgeschäftliche Erbfolge bezogen, genauer auf „das aus objektiver Sicht dem Interesse eines verständigen Erblassers Entsprechende“.12 Leipold hat dazu das Nötige bemerkt.13

6 Die beiden inhaltlichen Varianten werden bisweilen nicht unterschieden, so wenn das „Recht auf den Erwerb der Erbschaft“ mit dem „Recht, nach dem Tode des Erblassers dessen Gesamtrechtsnachfolger zu sein“ (MünchKomm/Leipold, Einl. zu §§ 1922–2385 Rn. 3) gleichgesetzt wird (Dörner, Fs. Ferid, S. 52, 58). Wie hier Windel, S. 214 ff., m.w.Nw. 7 Unten B., S. 210 ff. 8 Oben Einleitung, S. 2, Fn. 13. § 2 C., S. 52, Fn. 167, § 6 A., S. 155, Fn. 18, S. 156, Fn. 22. S. 157, Fn. 29, 30. C. I., S. 166, Fn. 83. III. 1., S. 201, Fn. 306. 9 BVerfGE 91, 346, 356 ff. 10 Leipold, JZ 1996, 287, 288. 11 Insbesondere erscheint mehr als fraglich, ob sich das Recht des aufgrund Gesetzes Berufenen aus einer vom Verwandtenerbrecht zu unterscheidenden rechtlichen Position herleiten lässt, vorausgesetzt man erkennt dieses als verfassungsrechtlich geschützte „erbrechtliche Grundstruktur“ an, wie das die ganz überwiegende Auffassung tut (Wendt, in: Sachs, GG, Art. 14 Rn. 195, m.w.Nw. in Fn. 600). Wieland, in: Dreier, GG, Art. 14 Rn. 66, verneint das, indem er allein die Verwandtenerbfolge als „Gegenprinzip“ zur Testierfreiheit ansieht. 12 BVerfGE 91, 346, 358, 360. 13 JZ 1996, 287, 288; ihm folgend Soergel/Stein, Einl. vor § 1922 Rn. 6 Fn. 30. Berechtigte Kritikpunkte sind die Verwechslung von „Willen“ und „Interesse“ des Erblassers und die Reduktion der gesetzlichen Erbfolge auf „eine Art Nachahmung der vom Erblasserwillen dominierten Testierfreiheit“. Hinzu kommt die unmotivierte Normativierung der Erblas-

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Zweiter Teil

Der Gesichtspunkt, auf den es hier ankommt, das verfassungsmäßige Recht des durch Rechtsgeschäft zur Erbfolge berufenen Erben, ist gegenüber der Kritik an der Betrachtung der beiden Erbfolgetypen etwas in den Hintergrund getreten. Sachlich hat er mit diesem Monitum nichts zu tun, wenn auch die konkrete Anlage des Erbenrechts den breiten Raum spiegelt, den das Bundesverfassungsgericht der Testierfreiheit in der Entscheidung einräumt. Die Erbrechtsgarantie soll, so die Argumentation, „in erster Linie den Freiheitsraum des Erblassers sichern“.14 Der durch die erbrechtliche Lage begünstigte Erbe genieße, heißt es wenig später, insoweit den Schutz des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG.15 Offenbar wird das verfassungsmäßige Recht des Erben hier derivativ vom Erblasser her konstruiert. Das Recht des erbrechtlich Begünstigten reicht nur soweit, wie die erbrechtliche Begünstigung durch den Erblasser geht. Mit anderen Worten: die Position des Erben ist, soweit es wie die Testierfreiheit als Grundrecht, und das heißt als subjektives Recht par excellence16 angelegt wird, nicht mehr als bloßer Reflex der Erblasserfreiheit. Er hat nur insoweit am verfassungsmäßigen Schutz teil, wie der Erwerb des Erben „Ziel der Maßnahme des Erblassers“17 ist. In qualitativer und zeitlicher Hinsicht lässt sich ein solches abgeleitetes Recht nur als ius succedendi konstruieren, das heißt als ein auf den erbrechtlichen Erwerb ausgerichtetes und mit ihm zusammenfallendes Recht des Erben. In der Tat hat das Bundesverfassungsgericht insoweit stets von einem „Recht des Erben, kraft Erbfolge zu erwerben“ gesprochen.18 Der Grundrechtsschutz erlischt nicht mit dem Tod des Erblassers, sondern sichert den erbrechtlichen Erwerb des Rechtsnachfolgers.19 Objektiv verlangt das Grundgesetz damit vom Zivilrechtsgesetzgeber die institutionelle Einrichtung eines Erbfolgemodus, der erbrechtlichen Erwerb privatim ermöglicht (Schutzpflicht).20 In subjektiver Hinsicht eignet diesem Recht zudem ein Abwehrcharakter insofern, als jede erb-, und das heißt rechtsfähige (§ 1 BGB) oder als solche zu behandelnde Person (§ 1923 Abs. 2 BGB) vom Staat verlangen kann, dass dieser Eingriffe unterlässt, die auf die Beseitigung oder Beeinträchtigung einer solchen Erwerbsordnung gerichtet sind. Nichts anderes ist gemeint, wenn von dem Schutz der

serperspektive („objektive Sicht“, „verständiger Erblasser“). Zur Gleichwertigkeit und Wertungsdisparität der Erbfolgetypen oben § 1 A., S. 20. 14 BVerfGE 91, 346, 358. 15 BVerfGE 91, 346, 360 (Hervorhebung nicht im Original). 16 Oben § 6 C. II. 2., S. 176. 17 Lange/Kuchinke, § 2 IV 2 c, S. 28, s. auch S. 26: „Geschützt ist damit in erster Linie [Hervorhebung nicht im Original] die Testierfreiheit.“ 18 BVerfGE 97, 1, 6; 93, 165, 174. 19 BVerfGE 91, 346, 360. 20 Oben § 6 C. III. 1., S. 201. Allgemein zur Schutzpflichtendimension der Grundrechte oben § 2 C., S. 55, m. Fn. 181, § 5 A. II., S. 129, § 6 C. II. 1. a. bb., S. 172.

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„Möglichkeit, Erbe zu werden“21 oder einem verfassungsmäßigem „Anrecht“22 des Erben auf erbrechtlichen Erwerb die Rede ist, das hier schon begrifflich von der rein tatsächlichen zivilrechtlichen Erwerbaussicht differenziert wird. 23 Weitere subjektive Komponenten lassen sich aus dem Verfassungsrecht eines von der erbrechtlichen Begünstigung durch den Erblasser abhängigen Erwerbsrechts des Erben nicht entnehmen.

II. Zivilrechtliche Implikationen Auf der Ebene des Zivilrechts fällt dieser verfassungsrechtliche Befund ambivalent aus. Der unbestreitbare Vorzug eines auf verfassungsrechtlicher Ebene nur reflexartig geschützten Erwerbsrechts des Erben liegt in der Ablehnung eines lebzeitigen, auf Gegenseitigkeit basierenden Freiheitskonzepts. Es rückt mit dem Freiheitsraum des Erblassers dessen privatautonome Betätigung in den Mittelpunkt einer genuin erbrechtlichen Betrachtung. Sie lässt sich unproblematisch mit dem Umstand vereinbaren, dass die Verfügung von Todes wegen zu Lebzeiten des Erblassers noch keine Rechtswirkung entfaltet und der potenzielle Erbe daher nicht mehr als nur eine rein tatsächliche Aussicht hat, auch tatsächlich erbrechtlich zu erwerben. Das Bundesverfassungsgericht hat es in ständiger Rechtsprechung der Ausgestaltung und Anwendung des Bürgerlichen Rechts überlassen, welchen Zeitpunkt genau es für das Entstehen eines verfassungsmäßigen subjektiven Rechts des Erben für maßgeblich erachten will. Das bringt es gemeinhin in der Formel zum Ausdruck, dass „der Erbe den Schutz des Grundrechts [aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG] jedenfalls vom Eintritt des Erbfalls an geltend machen kann“. 24 Es ist jedoch gerade die verfassungsrechtliche Zurückhaltung in der Frage der zeitlichen Dimension des Grundrechtsschutzes, die in einem gewissen Widerspruch zur Figur eines erwerbsbezogenen Rechts steht und dessen zivilrechtliche Konstruktion nicht unerheblich erschwert. Mit dem Anfall der Erbschaft (§ 1942 Abs. 1 BGB) ist der erbrechtliche Erwerb juristisch ja vollendet, so dass ein Recht des Erben über den erbrechtlichen Erwerb hinaus an sich ausscheidet. Dennoch scheint das Bundesverfassungsgericht von dessen Existenz auszugehen, ja diese sogar für gesicherter zu halten als eine Rechtsposition vor dem Erbfall. 21 Rauscher I, S. 15, im Anschluss an Stöcker, WM 1979, 214, 216. S. auch Schlüter, Rn. 7: „Die Verfassung garantiert […] dem Erben ein Grundrecht auf Schutz des erbrechtlichen Erwerbs vor staatlichen Eingriffen.“ 22 So die Terminologie bei Kimminich, in: Bonner Kommentar, Art. 14 Rn. 125; aus dem zivilrechtlichen Schrifttum Brox Rn. 27. Kritisch Staudinger/Otte, Einl. zu §§ 1922 ff. Rn. 64. 23 Ein Widerspruch oder genauer eine Verwechslung der verfassungsrechtlichen mit der zivilrechtlichen Ebene liegt hier entgegen Vyas, ZEV 2002, 1, 5, nicht vor. 24 Zuletzt BVerfGE 112, 332, 356; 97, 1, 6; 93, 165, 174; 91, 346, 360; 19, 202, 204, 206.

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Der Weg, den die zivilrechtliche Literatur aus dem Dilemma weist, entgeht ihm gleichwohl nicht vollständig und nimmt letztlich die Inkohärenz der verfassungsrechtlichen Konstruktion auf. Man hält sich einerseits strikt an die verfassungsrechtliche Vorgabe vom Erbenrecht als einem Erwerbsrecht, muss sich aber andererseits vorhalten lassen, der Grundrechtsschutz werde auf eine juristische Sekunde zwischen Erbfall und Erwerb nach § 1922 Abs. 1 BGB abgeschmolzen. 25 Zudem gelingt es ihr nur mit einigem konstruktivem Aufwand, die Ausschlagung oder Annahme der Erbschaft noch zum Erwerbstatbestand zu zählen, 26 einmal ganz abgesehen davon, dass sie als Teil der Privatautonomie des Erben ohnehin besser in Art. 2 Abs. 1 GG zu verorten ist. Denn die Entscheidung beinhaltet durchaus mehr als den rechtsgeschäftlichen Nachvollzug einer zuvor ipso iure getroffenen vermögensrechtlichen Güterzuordnung.27 Es entbehrt nicht einer gewissen Widersprüchlichkeit, dass der Schutz des Erben für die Zeit nach dem Erbfall von der erwerbsbezogenen Auffassung ausschließlich aus der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG hergeleitet wird, 28 mithin also kein spezifisch erbrechtlicher mehr sein soll. 29 Wenn die konstruktive Figur des Erwerbsrechts sich bis zum Tod des Erblassers noch als Erblasser zentriertes Recht darstellte und damit geeignet war, die Bedeutung 25

Muscheler, Vonselbsterwerb, S. 40. Nämlich mit der Vorstellung, der vorläufige Erbe erwerbe die Erbschaft mit der Annahme endgültig (Nw. bei Muscheler, Vonselbsterwerb, S. 173, Fn. 78; des Weiteren Dörner, Fs. Ferid, S. 57, 58, m.w.Nw.; Schlüter, Rn. 446; Erman/ders., § 1943 Rn. 3), was einen gestreckten oder mehraktigen Erwerbstatbestand suggeriert, von denen der erste nicht vollständig zum Ziel führt (so in der Tat RGZ 54, 289, 291: „Einschränkung“ des Vermögensübergangs auf den Erben; des Weiteren: Brox, Rn. 310; von Lübtow II, S. 675: „Damit [mit dem Anfall der Erbschaft] ist in der Regel ein subjektives vererbliches Recht verbunden, die Rechtsstellung eines Erben, insbesondere die Erbschaft zu erwerben.“; ders., Probleme, S. 10 ff.; Gegenstimmen bei Muscheler, a.a.O., S. 174, m. Fn. 80). In Wirklichkeit bewirkt allein der Vermögensübergang nach § 1922 Abs. 1 BGB die Zuordnung, die nachfolgende Willenserklärung lässt sie entweder unberührt oder macht sie rückwirkend zunichte. Vorläufig ist die Erbenstellung auch nicht in dem Sinne, dass der Erbe in der Interimsphase nur mindere Rechte hätte. Er ist im Gegenteil sogar privilegiert, weil ihn zwischen Anfall und Annahme der Erbschaft kein Haftungsrisiko trifft. Allenfalls lässt sich sagen, dass die Erbfolge nach dem Erblasser noch nicht unumstößlich feststeht. Aber diese ist nicht Gegenstand des Ausschlagungs- und Annahmerechts (anders, aber nicht korrekt Muscheler, Vonselbsterwerb, S. 163: „Ausschlagung der Erbenstellung“; oben § 6 C. II. 4. d. aa., S. 197, m. Fn. 281). 27 Insoweit ähnelt sie durchaus den komplexen Erwägungen, die der Erblasser der Erbeinsetzung durch Verfügung von Todes wegen vorschaltet. Oben § 6 B. II., S. 162 f. 28 Badura, in: Benda/Maihofer/Vogel, Rn. 29; Bryde, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 14 Rn. 45. In diese Richtung auch Depenheuer, in: von Mangoldt/Klein, GG, Art. 14 Rn. 520; Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn. 297, die das Erbenrecht auf ein „Eigentumserwerbsrecht (Dritter) durch Erbfolge“ reduzieren. 29 Staudinger/Otte, Einl. zu § 1922 ff. Rn. 78: „Mit dem Erbfall erworbene Vermögensrechte, insbesondere also angefallene Erbschaften und Vermächtnisse, Pflichtteilsansprüche sowie das Anwartschaftsrecht des Nacherben, und vor dem Erbfall bereits die Erwerbsaussicht des vertragsmäßig Bedachten fallen selbstverständlich unter den Schutz des Eigentums, so dass es insoweit auf die Erbrechtsgarantie nicht ankommt.“ 26

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der Testierfreiheit gerade zu verstärken, soll sie sich nach dem Erbfall zugunsten einer lebzeitigen Betrachtung gleichsam verflüchtigen und damit wirkmäßig in ihr Gegenteil verkehren. Aus dem Rechtsnachfolger oder Erwerber von Todes wegen sei mit der endgültigen Verschmelzung des Nachlasses und des Erbeneigenvermögens der neue Inhaber des konfundierten Güterbestands geworden. Er verdanke diesen materiellen Zuwachs zwar einem erbrechtlichen Erwerbstitel, das Vermögen des Erblassers werde aber nunmehr nicht nur endgültig dem neuen Rechtsträger zugeordnet, sondern unterstehe fortan auch dessen dominium nach § 903 BGB. Dieses verwirkliche sich ausschließlich in lebzeitigen Rechts-, genauer gesagt Verfügungsgeschäften. Verpflichtungsgeschäfte des Erben als Ausdruck seiner Vertragsfreiheit unter Lebenden treten hinzu, das Erbrecht und die einzelne Verfügung von Todes wegen dagegen zurück. Dass das nicht zutrifft, lässt sich schon an den Beschränkungen des Erben, dem Institut der Vor- und Nacherbfolge sowie der Testamentsvollstreckung studieren. Die Beschränkungen des nicht befreiten Vorerben (§§ 2113–2115 BGB) und des Erben nach § 2211 Abs. 1 BGB sind originär erbrechtlicher Natur, und sie beschneiden deren lebzeitigen rechtsgeschäftlichen Gestaltungsspielraum erheblich. Es bestehen jedoch auch grundsätzliche Bedenken gegen die Annahme, das Erbrecht verschwände mit Vollendung des Erwerbs nach § 1922 Abs. 1 BGB aus dem Leben der Erben. Eine solche Anschauung spricht nämlich der Verfügung von Todes wegen die Bedeutung gerade für diejenige Zeit ab, zu der sie Rechtswirksamkeit erlangt, nämlich mit und nach dem Erbfall bzw. Anfall der Erbschaft (§ 1942 Abs. 1 BGB). Umgekehrt wird der rechtsgeschäftlich ausfüllbare Freiheitsraum des Erblassers zu seinen Lebzeiten überschätzt, weil nicht in Rechnung gestellt wird, dass der Verfügung von Todes wegen die Wirkung zu Lebzeiten vorenthalten bleibt. Die verfassungsrechtliche Intention, das Selbstbestimmungsrecht des Erblassers durch ein reflexartiges Erwerbsrecht des Erben verstärkt zur Geltung zu bringen, wird konterkariert, weil sie gegen die zivilrechtliche Zweiteilung der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen akzentuiert wird. Verfassungsrechtliches und unterverfassungsrechtliches Recht verhalten sich in diesem Punkt zueinander dysfunktional. Das liegt, wenn auch nicht ausschließlich an der nicht widerspruchsfreien verfassungsrechtlichen Anlage des Erben- im Verhältnis zum Erblasserrecht.30 Zumindest mittelbar bietet sie die Folie für die zivilrechtliche Uminterpretation des Erbrechts in ein (Vermögens-)Recht der Überlebenden, auf die verschiedentlich hingewiesen wurde.31

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Oben A. I., S. 206. Oben Einleitung, S. 5, § 3 B. II. 2. b., S. 86, IV. 1., S. 99 f., C. II. 1., S. 106 f., § 5 A. III., 2. b. aa., S. 132 f., bb., S. 133 f., cc., S. 134 ff., § 6 B. I., S. 159 ff., unten B. II. 1., S. 211 ff. 31

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B. Erwerbsrecht als selbstständiges Recht des Erben I. Verfassungsrechtliche Konzeption Eine derivative Sichtweise des Erben- als Erwerbsrecht schöpft – zumal in Kombination mit einer rein lebzeitigen Beurteilung des rechtsgeschäftlichen Wirkens des Erben auf der Basis des Eigentumsgrundrechts – den Schutzrahmen, den das Bundesverfassungsgericht für die Entfaltung des Erbenrechts abgesteckt hat, nicht aus. Sie verstärkt nicht nur die Zweifel, die man im Hinblick auf den Schutz der Erwerbsfreiheit überhaupt haben kann;32 vor allem wird die Zeit „vom Eintritt des Erbfalls an“ von dieser Anschauung ausgeblendet. Sie berücksichtigt nicht genügend die erbrechtliche Prägung der Grundrechtsposition des Erben nach dem Erbfall.33 Sie schützt die originären zivilrechtlichen Befugnisse des Erben, die mit dem Erbfall entstehen und mit dem Instrumentarium des Rechts der Lebenden allein nicht adäquat beschrieben werden können.34 Aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG in der Alternative „Erbrecht“ kann ihre grundrechtliche Garantie freilich nur hergeleitet werden, wenn man den transitorischen Schutzgedanken darüber in den Hintergrund treten lässt und einräumt, dass dieses Manko spiegelbildlich die Überbetonung des Erwerbsaspekts bei der reflexartigen Konturierung des Erbenrechts wieder gibt.35 Von dieser Unschärfe abgesehen lässt sich die Position des Zuwendungsempfängers als vom Erblasser unabhängiges, originär in der Person des Erben entstehendes subjektives Recht verstehen. Die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung konstruiert sie zudem als mit der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen korrespondierende, mit dieser gleichberechtigten Erbenfreiheit: „Dem Recht des Erblassers, das durch seine Testierfreiheit geschützt ist, entspricht danach das Recht des Erben, kraft Erbfolge zu erwerben.“36 Im Gegensatz zur rein erwerbsbezogenen Lesart, die eine stringente Erklärung für die Gewährung von Schutz durch die Erbrechtsgarantie für die Zeit nach dem Erbfall nicht erlaubt, fügt sich diese Anschauung nahtlos ein in ein lineares oder zeitversetztes Verständnis privatautonomen Handelns von Todes wegen, welches das Bundesverfassungsgericht mit der bereits erwähnten Wendung „jedenfalls vom Eintritt des Erbfalls an“ verfassungsrechtlich für das Zivilrecht erschließt.

32 Pabst, JuS 2001, 1145, 1147, m.w.Nw. aus Rechtsprechung und Literatur, insbesondere Kloepfer, S. 47 f. S. auch oben § 6 B. II., S. 164, m. Fn. 69. 33 Auf verfassungsrechtlicher Ebene von einem subjektiven Erbrecht zu reden, macht Sinn, weil der Terminus hier nur ein Synonym für den Begriff „Grundrecht“ ist. Auf zivilrechtlicher Ebene ist das anders, unten II. 1., 2. a., S. 214, m. Fn. 59. 34 Eine Zusammenstellung der einzelnen Befugnisse des Erben findet sich bei Dörner, Fs. Ferid, S. 57, 62 ff. 35 Oben A. II., S. 208 f. 36 BVerfGE 97, 1, 6; 93, 165, 174 (Hervorhebungen nicht im Original).

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Ein Fehlschluss wäre es allerdings, die „Entsprechung“ von Erblasser- und Erbengrundrecht,37 die begrifflich wenig aussagekräftig und inhaltlich irreführend als „Erbrechtsfreiheit“ beschrieben wird,38 anders als formal zu verstehen. Von einer inhaltlichen Gleichartigkeit oder gar Deckungsgleichheit beider Rechte kann nach der hier vertretenen Auffassung verfassungsrechtlich keine Rede sein. Während der Erblasser bei der Errichtung einer Verfügung von Todes seine grundrechtlich geschützte Privatautonomie nach Art. 2 Abs. 1 GG ausübt, steht dem Erben für die Wahrnehmung seiner erbrechtlichen Befugnisse nach dem Erbfall Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG zur Seite. Diese sind Teil seines Vermögensverwaltungsrechts und entbehren als solche des spezifisch gestalterischen Potenzials, das privatautonomes Handeln im rechtsgeschäftlichen Bereich typischerweise auszeichnet. Als Teil des erbrechtlichen dominium können sie ohne materielle Schmälerung des Gewährleistungsgehalts im Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG verbleiben.

II. Zivilrechtliche Implikationen 1. Lebzeitige Umwertung der Testierfreiheit durch das verfassungsrechtliche Institut der „Erbrechtsfreiheit“ Thema der vorliegenden Arbeit sind die zivilrechtlichen Grundlagen der Testierfreiheit. Die verfassungsrechtliche Konzeption eines selbstständigen Erbenrechts steht daher für die hiesige Untersuchung nur insoweit im Blickfeld, als sie Auswirkungen auf die zivilrechtliche Anlage der Erblasserfreiheit hat. Sie sind vor allem in der Funktionalisierung des selbstständigen ius successionis des Erben als Mittel gegen die „Überbetonung des Gedankens der Testierfreiheit“ zu sehen.39 Das Recht dient nicht in erster Linie dazu, Erbenrechte zu legitimieren, sondern dazu, Erblasserrechte zu delegitimieren. Nicht die Konstituierung einer unabhängigen Position des Zuwendungsempfängers um ihrer selbst willen und aus Gründen, die in der Rechtsnatur des Erbenrechts liegen, ist das Anliegen dieser Betrachtung. Vielmehr geht es um die „Verstärkung der Stellung des Erben zur Schwächung der Herrschaft [des Erblassers] aus dem Grabe“.40 Bedenklich ist an dieser Anschauung weniger, dass das Stichwort, unter dem diese Diskussion geführt wird – die „Erbrechtsfreiheit“ – ein Etiket37 Rauscher I, S. 14, m.w.Nw. in Fn. 80; Pabst, JuS 2001, 1145, 1146; zudem Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein, Art. 14 Rn. 520: „korrespondierend“; Wendt, in: Sachs, GG, Art. 14 Rn. 194. 38 Der Begriff der „Erbrechtsfreiheit“ ist inhaltlich nicht eindeutig festgelegt. Bisweilen wird er auch ausschließlich als Synonym für das Erbenrecht verwendet, so bei Kimminich, in: Bonner Kommentar, Art. 14 Rn. 125: „Grundrecht der Erbrechtsfreiheit, auf das sich der Erbe berufen kann“. Des Weiteren sogleich unter II. 39 Stöcker, WM 1979, 214, 222. 40 Stöcker, WM 1979, 214, 222. Ähnlich Edenfeld, DNotZ 2003, 4, 18 f.

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tenschwindel ist.41 Sie suggeriert, es ginge um die rechtliche Begründung von Freiheitsräumen, also um Freiheitssicherung, während es ihr in Wirklichkeit um die Ausbalancierung von Freiheitssphären, mithin um Freiheitsbeschränkung zu tun ist. Auch die Idee der (Rechts-)Machtneutralisierung ist für sich dem Recht der Verfügungen von Todes wegen nicht fremd, solange sie mit erbrechtlichen Mitteln vonstatten geht.42 Gerade hier liegt jedoch die eigentliche Problematik eines auf Ausgleich der Rechtsmacht des Erblassers bedachten Gegenrechts des Erben begründet, das seine Überzeugungskraft aus dem Topos von der „Herrschaft des Erblassers von kalter Hand“ oder der „Diktatur aus dem Grabe“ beziehen will.43 Ein wichtiges Ergebnis des Ersten Teils war die Erkenntnis, dass das „Herrschafts-“ oder „Diktatur“- Argument, so wie es in der erbrechtlichen Literatur eingesetzt wird, seiner Struktur nach ein lebzeitiges und gerade kein erbrechtliches ist.44 Wenn nunmehr die grundrechtliche Rezeption empfohlen wird, zeugt das nicht von einer intakten Wechselwirkung zwischen Zivil- und Verfassungsrecht. Vielmehr bedeutet es in erster Linie, dass ein erbrechtlich äußerst angreifbarer Gedanke mit Verfassungsrang ausgestattet und durch die Funktionalisierung der Lehre vom selbstständigen Erwerbsrecht des Erben ein passendes grundrechtsdogmatisches Fundament unterlegt werden soll. Besonders deutlich wird das, wenn daraus staatliche Handlungspflichten abgeleitet werden, „die die Vereitelung der persönlichen und wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit [des Erben] durch letztwillige Anordnungen [des Erblassers]“ verhindern helfen sollen.45 Die Verankerung der Anschauung im Recht der Lebenden wird auch in der folgenden Aussage Stöckers deutlich: „Ein Mitspracherecht des Erblassers bei der Nachlassverteilung ist vernünftig, aber wenn die Testierfreiheit zur ,Herrschaft aus dem Grabe‘ wird, sind die Grenzen des Vernünftigen überschritten. Daher ist es auch innerlich gerechtfertigt, dass Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG Testierfreiheit (Eigentum) und Erbrecht gleichrangig und gleichgewichtig nebeneinander gewährleistet.“ 46

Nicht genug damit, dass die Privatautonomie des Erblassers ihrer Funktion nach auf die reine Vermögensverteilung von Todes wegen reduziert,47 auf eine bloße Mitbestimmungsoption abgeschmolzen und unter Bezugnahme auf Boehmer48 41 Das Bundesverfassungsgericht hat den Ausdruck – soweit ersichtlich – selbst nicht verwendet. Unrichtig insoweit Hofmann, in: Klein/Schmidt-Bleibtreu, Art. 14 Rn. 33; Brox, Rn. 27. 42 Oben § 6 C. II. 4. c., S. 193 ff. 43 Oben § 3 B. IV. 1., S. 94 f., C. II. 1., S. 106. 44 Oben § 6 C. II. 4. b., S. 190 ff. 45 Edenfeld, DNotZ 2003, 4, 12. 46 Stöcker, WM 1979, 214, 222. S. auch oben § 1 A., S. 17, m. Fn. 31. 47 Oben § 3 B. IV. 1., S. 100 f., m.w.Nw. in Fn. 270. 48 Stöcker, WM 1979, 214, 222, m. Fn. 76, 79.

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einem familiär aufgeladenen „Vernunftskriterium“ unterstellt wird;49 die Testierfreiheit wird hier – einer verbreiteten Auffassung folgend – mit dem Eigentum wenn nicht gleichgesetzt, so doch zumindest so eng verknüpft, dass sie als Entsprechung des Verfügungsrechts unter Lebenden erscheint.50 Aus dem Erbrecht wird sie auf diese Weise heraus gelöst und lebzeitig, nämlich eigentumsrechtlich definiert. Die angekündigte „erbrechtsspezifische Rechtfertigung des Grundrechts“51 aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gelingt damit nicht. Vielmehr ist unter „Erbrecht“ im Sinne der Vorschrift allein das „Erbenrecht“ zu verstehen, das Recht des Erblassers wird dagegen eindeutig lebzeitig konnotiert. Dazu passt, dass „das Grundrecht zu erben als ein das Eigentum beschränkendes Recht Schutz gegenüber allen Eigentümerverfügungen erfordert, nicht nur gegenüber letztwilligen, sondern auch gegenüber solchen, die mit erbrechtlicher Zielsetzung ,unter Lebenden‘ getroffen werden.“52 Die Erbenfreiheit wird nicht nur durch die Erblasser-, sondern auch durch die lebzeitige Eigentümerfreiheit, zu der die Testierfreiheit rechnet, als konstant gefährdet angesehen. Sie muss deshalb auch und gerade vor Rechtsgeschäften unter Lebenden (auf den Todesfall) in Schutz genommen werden. Über das erklärte Ziel der Ausbalancierung der Erblasserfreiheit durch ein gleich wirkendes und gleichgewichtiges Gegenrecht des Erben geht diese Anschauung hinaus. Sie beschränkt sich nicht darauf, einem Recht ein Gegenrecht entgegen zu setzen, sondern verändert jenes inhaltlich, in dem sie den juristischen Charakter der Testier- als erbrechtliche Freiheit verleugnet. Legitimiert wird dieser Kunstgriff mit einer angeblich latenten Gefährdung der Erbenposition durch „unvernünftiges“ Handeln des von Todes wegen Verfügenden. Doch das Konzept geht inhaltlich nicht auf. Zum einen wird die Gefahr im Interesse der Betonung der Familienerbfolge überzeichnet. 53 Zum anderen entfalten zwei nicht gleichgeartete Rechte – die lebzeitig angelegte Erblasser- sowie die rein erbrechtlich konturierte Erbenfreiheit – im Verhältnis zueinander weder Wirkung noch Gegenwirkung. Vielmehr verfehlen sie sich in ihren Rechtsfolgen. Sie sind keine Freiheiten „aus einem Guss“54 und können daher inhaltlich nicht aufeinander bezogen werden. Eine kohärente Gestaltung der Relation von Erblasser- und Erbenrecht verlangt also zunächst einmal nach einer qualitativen Betrachtung des einzelnen 49 „Vernünftig“ von Todes wegen zu verfügen heißt hier, die Testierfreiheit zugunsten der Familie auszuüben. Verstärkt werden soll die Präferenz zugunsten einer gewillkürten Familienerbfolge zudem mit dem Hinweis auf deren angeblich „vorkonstitutionellen, wenn nicht vorstaatlichen Charakter“ (Stöcker, WM 1979, 214, 222), dazu oben § 1 A., S. 17, § 3 B. I. 1., S. 72, dort allgemein zu naturrechtlichen Begründungsversuchen des Erbrechts. 50 Oben § 6 A., S. 153 ff., B. I., S. 159 ff. 51 Stöcker, WM 1979, 214, 222. 52 Stöcker, WM 1979, 214, 222. 53 Oben § 1 A., S. 17 f. 54 Stöcker, WM 1979, 214, 222.

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Freiheitsrechts, um sie in einem zweiten Schritt zueinander in Bezug zu setzen. Für die Testierfreiheit dürfen die Weichen auf verfassungsrechtlicher Ebene nicht so gestellt werden, dass es dem einfachen Recht verunmöglicht wird, sie spezifisch erbrechtlich zu konturieren. Wird sie als Bestandteil der Eigentumsgarantie beschrieben, ist ihre lebzeitige Anlage zivilrechtlich bereits vorgeprägt. Versteht man dagegen die Gestaltungsbefugnis wie hier als eine von zwei Ausprägungen der Privatautonomie, die als unbenanntes Freiheitsrecht in Art. 2 Abs. 1 GG geschützt ist, belastet das Verfassungsrecht das Zivilrecht in diesem Punkt nicht schon vorab mit einer Hypothek. Vielmehr überlässt es die spezifisch erbrechtliche Ausgestaltung in Abgrenzung zur Privatautonomie unter Lebenden gerade dem ausgestaltenden Zivilgesetzgeber.

2. Das Erbenrecht als disparate zivilrechtliche Rechtsgesamtheit a. Erbrechtliche Vermögensadministrationsrechte Was das Erbenrecht anbelangt, liegen die Dinge ähnlich. Das Verfassungsrecht darf das Ausgestaltungsprärogativ des einfachen Rechts nicht verletzen oder erschweren, in dem es Grundeinstellungen vornimmt, die sich zivilrechtlich nicht halten lassen. Dort, wo sachgerecht differenziert werden kann, ist es im Gegenteil dazu aufgerufen, zivilrechtliche Entfaltungspotenziale frei zu setzen und grundrechtlich zu flankieren.55 Differenzierung bedeutet im Hinblick auf das „Grundrecht zu erben“56 vor allem die Aufschlüsselung seiner verschiedenen Bedeutungsvarianten in mehrere grundrechtliche Schutzaspekte. 57 Denn es handelt sich nicht um ein einheitliches Recht,58 sondern um eine Rechtsgesamtheit,59 die sich inhaltlich in zwei qualitative Untergruppen gliedern lässt. Die eine versammelt die vielfältigen Befugnisse des Erben auf dem Gebiet der Vermögensadministration nach dem Erbfall. Das Recht, einen Erbschein zu beantragen (§§ 2353 ff. BGB), die Erbschaft von einem Dritten herauszuverlangen (§§ 2018 ff. BGB), Auskunft über den Bestand der Erbschaft und den Verbleib der Erbschaftsgegenstände zu verlangen (§ 2027 Abs. 1 BGB), die Haftung für Nachlassverbindlichkeiten auf den Nachlass zu beschränken (§§ 1990 ff. 55

Für die Testierfreiheit oben § 6 C. III. 2., S. 202 f. So der Titel des Beitrags von Stöcker, WM 1979, 214 ff. 57 Zum Verfahren oben § 6 C. I., S. 167. 58 Im Gegensatz dazu lässt sich das eigentliche Erwerbsrecht (oben A., S. 186 ff.) ob seiner einheitlichen Struktur (dazu Muscheler, Vonselbsterwerb, S. 29 ff.; ders., Jura 1999, 234, 241 f.: „Unimodalität“; s. auch Harder/Kroppenberg, Rn. 24) durchaus als ein subjektives Recht bezeichnen (MünchKomm/Leipold, Einl. zu §§ 1922–2385 Rn. 3). 59 Harder/Kroppenberg, Rn. 5: „Summe von Rechten […], die einem Erben zustehen können“. Des Weiteren Schlüter Rn. 2; Erman/Schlüter, Einl. § 1922 Rn. 10. Auf der Ebene des Verfassungsrechts verhält sich das anders. Hier macht es Sinn, von einem subjektiven (Erb-) Recht zu sprechen, denn man könnte auch den Begriff des Grundrechts verwenden. Oben B. I., S. 210, m. Fn. 33. 56

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BGB) oder Auseinandersetzung einer Erbengemeinschaft zu begehren (§ 2042 Abs. 1 BGB) sind nur einige wenige Beispiele aus einem umfangreicheren Arsenal von Ansprüchen. Sie sind allesamt Ausdruck der Erbenstellung, mithin selbst erbrechtlicher Natur und als solche in der Alternative „Erbrecht“ des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG sachlich adäquat erfasst. Die Parallele zur proprietasFunktion des Eigentumsgrundrechts liegt auf der Hand, handelt es sich doch auch um Befugnisse, die die erbrechtliche Zuordnung des Ererbten zum Vermögen des Erben real sichern helfen.60

b. Die Ausschlagung als Ausdruck der Privatautonomie des Erben Auf den ersten Blick gilt das auch oder sogar in besonderem Maße für das Institut der Ausschlagung/Annahme der Erbschaft (§§ 1942 ff. BGB). Insbesondere das gängige Bild vom vorläufigen Vermögenserwerb gemäß § 1922 Abs. 1 BGB, der mit der Annahme der Erbschaft zum endgültigen wird oder mit der Ausschlagung als nicht erfolgt gilt (§ 1953 Abs. 1 BGB),61 spricht für eine dem Eigentumsrecht entsprechende Einordnung des Instituts als erbrechtliches Instrument zur Sicherung der Vermögenszuordnung. Dazu passt, dass das Gesetz mit der Frist- und Formgebundenheit der Ausschlagung (§§ 1954 ff. BGB) gegenüber der nicht frist- und formgebundenen Annahme einen „gesetzlichen Sog“ in Richtung auf die Perpetuierung der Vermögenszuordnung entfaltet,62 deren Unumkehrbarkeit also im Interesse einer raschen und nachhaltigen Klärung der Erbfolge liegt.63 Dieses nachlassfürsorgerische Interesse am Schutz des bereits eingetretenen Vonselbsterwerbs, das sich in Form- und Fristbestimmungen ebenso ausdrückt, wie im unmittelbar rechtsgestaltenden Charakter der Annahme (§ 1943 BGB) oder Ausschlagung (§ 1953 BGB), ist es auch, das deren privatautonomen gegenüber dem die Zuordnung bestätigenden64 oder rückwirkend vernichtenden Bedeutungsgehalt in den Hintergrund treten lässt.65 Fasst man das Institut zudem nur als unselbstständigen Teil des erbrechtlichen Erwerbsakts auf,66 in dem Sinne, dass die Willenserklärung 60 So lassen sich etwa die diversen Herausgabe- (§§ 2018, 2019 Abs. 1, 2020 BGB) und Auskunftsansprüche des Erben über den Bestand der Erbschaft und den Verbleib von Nachlassgegenständen deuten (§§ 2027, 2028, 2030, 2362 Abs. 2 BGB), ebenso wie das Recht zur Beantragung eines Erbscheins (§ 2353 BGB). 61 Oben A. II., S. 208, m. Nw. in Fn. 26. 62 Überzeichnet Muscheler, Vonselbsterwerb, S. 166: „Das Gesetz lockt den Erben regelrecht in die Annahmefalle.“ 63 Beim Vermächtnis gibt es daher im Grundsatz keine Ausschlagungsfrist. § 2180 Abs. 3 BGB verweist nicht auf § 1944 BGB. Im Einzelnen Damrau/J. Mayer, ZEV 2001, 293, 297. 64 Der Akt der Annahme ist nicht rein deklaratorischer Natur. An ihn knüpft sich als Rechtsfolge die volle haftungsrechtliche Verantwortlichkeit des Erben (§§ 1958 BGB, 778 ZPO) sowie die rechtliche Verschmelzung des Nachlasses mit dem Eigenvermögen des Erben (Erman/Schlüter, § 1942 Fn. 3). 65 Oben § 6 C. II. 4. c., S. 195. 66 Oben A. II., S. 208, m. Fn. 26.

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Zweiter Teil

den gestreckten Erwerbstatbestand komplettiert oder rückwirkend wieder zunichte macht, gerät das Selbstbestimmungsrecht des Erben vollends aus dem Blick. Das ist ein Grund dafür, warum nur wenige Autoren es als Teil der Privatautonomie des Erben einordnen.67 Dem gegenüber passt die Anschauung vom Erben- als einem gegenüber der Testierfreiheit des Erblassers selbstständigem Recht besser zu einem primär am Willen des Zuwendungsempfängers orientierten Konzept der Ausschlagung oder Annahme. Die Entscheidung hierüber kompensiert nämlich nicht nur das vermögensrechtliche Prinzip des Vonselbsterwerbs. Dass sie eine komplexere Struktur aufweist, lässt sich schon am Inhalt der Annahme- bzw. Ausschlagungserklärung ablesen. Muscheler hat zu Recht darauf hingewiesen, dass sich ihr inhaltlich eher die Bedeutung: „Ich will Erbe bleiben“ oder „Ich will nicht mehr Erbe sein“ beilegen lässt,68 als dass sie als Verzicht auf das Ausschlagungsrecht verstanden werden kann.69 Denn ein solcher setzt die Kenntnis des Rechts voraus, auf das verzichtet werden soll.70 Mit dem Hinweis auf den personalen Status als Erbe71 wird zugleich ein inhaltlicher Horizont eröffnet, der einerseits über die rein zuordnungsrechtliche Funktion der Willenserklärung hinaus weist, andererseits aber auch mehr als bloß symbolischen Charakter hat.72 Ausschlagung und Annahme lassen sich als „(höchst-)persönliche Rechte“ beschreiben, die „kein Vermögensrecht im gewöhnlichen Sinne“ darstellen,73 sondern sie im Gegenteil zu einem rechtsgeschäftlichen „Gestaltungsmittel“ machen.74 Im Kern sind das allesamt Umschreibungen für den privatautonomen Anteil, der die Entscheidung, „Erbe zu bleiben“ oder diese Stellung mit rückwirkender Wirkung wieder aufzugeben, in hohem Maße kennzeichnet. Ihr eignet ein Stück Herrschaftsgewalt (domi67

Oben § 6 II. 4. c., S. 194, m. Fn. 267. Staudinger/Otte, § 1945 Rn. 2. Ähnlich Lange/Kuchinke, § 8 V 2, S. 1206: „Aufrechterhaltung der ununterbrochenen Rechtsträgerschaft“. Olzen, Jura 2001, 366, 367, m.w.Nw. in Fn. 6, legt der Erklärung des Annehmenden den Inhalt bei, „endgültig Erbe werden zu wollen“. Das berücksichtigt nicht genügend, dass er mit dem Erbfall bereits Erbe geworden ist. 69 So aber die überwiegende Auffassung in Literatur und Rechtsprechung; Nw. bei Muscheler, Vonselbsterwerb, S. 173, Fn. 78. Zudem Soergel/Stein, § 1943 Rn. 3, m.w.Nw. in Fn. 5. 70 Muscheler, Vonselbsterwerb, S. 177. 71 Zur Begriffsgeschichte Windel, S. 216 ff. 72 Das „Symbolische der Erbenstellung“ betont bisweilen Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 308 f.: „Zeichenhaftigkeit der Erbenstellung“; ders., Ehegattenschutz, S. 194, 829, 831; ohne freilich eine überzeugende Erklärung dafür zu geben, wofür genau sie ein Symbol sein soll. Oben § 3 C. II. 2., S. 112, Fn. 335. Eine besondere „personale Verbundenheit zwischen Erbe und Erblasser spiegelt sie jedenfalls nicht zwingend wider (so aber ders., a.a.O., S. 307). Argumentativ kann die Lehre vom Symbolcharakter der Rechtsnachfolge durchaus als modernes Surrogat der gemeinrechtlichen Persönlichkeitsfortsetzungslehre interpretiert werden. Zu ihr oben § 3 B. I. 2., S. 77. 73 Muscheler, Vonselbsterwerb, S. 172. 74 Seine Bedeutung für die Kautelarpraxis unterstreicht zu Recht Muscheler, Vonselbsterwerb, S. 178 f. 68

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nium), das sich ähnlich wie bei der Testierfreiheit nicht nur rein sach- oder vermögensbezogen beschreiben lässt, sondern auch personale Aspekte aufweisen kann. Obwohl die Erbenfreiheit hier eine ausschließlich negativ-korrigierende ist,75 die im Falle der gewillkürten Erbfolge auf die letztwillige Verfügung des Erblassers bezogen ist, bestätigt oder gestaltet der Erbe im Fall der Ausschlagung mit der Erklärung seines Willens die Erbfolge. Den unbestreitbar vorhandenen „privatautonomen Keim“, der dem Ausschlagungsrecht im Bürgerlichen Gesetzesrecht bisher zugebilligt wird, gilt es mit den Mitteln des Zivilrechts zu entfalten. Ein im Kern privatautonomes Verständnis der Ausschlagung legt das Bürgerliche Gesetzbuch etwa dort zugrunde, wo es um die Lösung aus der Bindungswirkung eines wechselbezügliche Anordnungen enthaltenden gemeinschaftlichen Testaments geht (§ 2271 Abs. 2 Halbs. 2 BGB). Hier wird die Ausschlagung mit der Privatautonomie von Todes wegen in Gestalt der Wiederherstellung der Testierfreiheit – wenn auch unter bestimmten ungeschriebenen Tatbestandsvoraussetzungen76 – durchaus in einen engen Zusammenhang gerückt. Der Entwicklungsauftrag des Verfassungs- an das Zivilrecht im Hinblick auf den privatautonomen Charakter der Ausschlagung zeigt sich hingegen bei einer klassischen Streitfrage des so genannten Behindertentestaments.77 Gegenüber der beschriebenen kompensatorischen Anschauung der Ausschlagung entschärft nämlich die privatautonome Interpretation der Willensklärung einen nach wie vor bestehenden „Gefahrenpunkt“78 bei deren Gestaltung. Es geht um die Frage, ob der Sozialhilfeträger bei Vorliegen eines seinen Zugriff auf die Erbschaft des behinderten Hilfeempfängers ausschließenden Testaments nicht dessen Ausschlagungsrecht als einzusetzende Vermögensposition nach § 2 Abs. 1 SGB XII79 betrachten und seine Hilfe für den Behinderten mit der Begründung kürzen kann, insoweit erziele der Behinderte Einkünfte. Der Betreuer würde dadurch, um den Lebensunterhalt des Betreuten zu sichern, unter Umständen motiviert, die Vorerbschaft nach § 2306 Abs. 1 Satz 2 BGB auszuschlagen und den Pflichtteil zu verlangen.80 75

Oben § 6 C. II. 4. d. bb., S. 198. Gedacht ist an die Auseinandersetzung über den Ausschlagungsgegenstand im Besonderen und die ratio der Vorschrift im Allgemeinen. Aus der Rechtsprechung BayObLG, FamRZ 1991, 1232, 1233, m. w Nw.; KG OLGZ 1991, 6, 9 ff., m. abl. Anm. Tiedtke, FamRZ 1991, 1259, 1261 ff. Aus der Literatur Goebel, Ehegattenschutz, S. 195 ff., 203 ff.; Musielak, Fs. Kegel, S. 433, 446 ff.; Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266, 1278 ff.; Holzhauer, Untersuchungen, S. 85 ff., 126 ff. S. auch N. Mayer, JA 1995, 789, 791. 77 Oben § 2 A., S. 29 f., unten § 11 B. II. 2. b, S. 266 f. 78 Nieder, Rn. 1304, m.w.Nw. aus Rechtsprechung und Literatur. Ivo, ZERB 2004, 174, 174, spricht von der „Achillesferse“ des so genannten Behindertentestaments. 79 Das SGB XII hat zum 1. Januar 2005 das BSHG, hier § 2 BSHG, abgelöst (Gesetz vom 27.12.2003, BGBl. I 3022, I 3305). 80 Die Anschauung ist nur eine Spielart derjenigen älteren (Damrau/ J. Mayer, ZEV 2001, 293, 297: „neue Variante“), die von einer Überleitbarkeit des Ausschlagungsrechts des Behin76

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Zweiter Teil

Ganz überwiegend wird ein solches Ansinnen verneint, 81 und zur Begründung zum einen wieder auf den hohen Rang des verfassungsrechtlich verbürgten Erbrechts verwiesen,82 insbesondere des Rechts des Erben, im Wege der Erbfolge zu erwerben. Zum anderen wird gegenüber der vermögensrechtlichen Anschauung der „persönliche“83 oder gar „höchstpersönliche“84 Charakter des Ausschlagungsrechts betont und damit einmal mehr „Person“ und „Vermögen“ zueinander in einen Gegensatz gebracht, in dem sie nicht stehen.85 Versteht man das Ausschlagungsrecht dagegen als Ausdruck der Privatautonomie des Erben, ergibt sich zwanglos und vor allem aufgrund zivil- und nicht verfassungsrechtlicher Erwägungen, dass eine Willenserklärung selbst keine vermögenswerte überleitungsfähige Position gemäß § 93 Abs. 1 SGB XII darstellt, sondern eine solche nur begründen, aufheben, modifizieren oder einen Anspruch darauf verschaffen kann.86 Als erlangtes „Etwas“ im Rahmen eines Anspruchs aus ungerechtfertigter Bereicherung taugt sie denn auch nicht. Hinzu kommt, dass Selbstbestimmung – hier die Entscheidung über die Ausschlagung der (Vor-)Erbschaft des behinderten Zuwendungsempfängers bzw. seines Betreuers87 – dort nicht mehr in Freiheit möglich ist, wo dem einen Teil eine bestimmte Entscheidung von dritter Seite, nämlich vom Träger der Sozialhilfe, nicht nur nahe gelegt, sondern schlicht vorgegeben wird. Aus dem Ausschlagungsrecht würde auf diese Weise, wenn nicht eine Pflicht, so doch zumindest eine unter Umständen existenzgefährdende Obliegenheit. 88 Die Selbstbestimmung schlägt in Fremdherrschaft um. Das einfache Gesetzesrecht derten nach §§ 2306 Abs. 1 Satz 2, 2307 Abs. 1 BGB selbst ausgeht (van de Loo, ZEV 2006, 473 ff.; ders., NJW 1990, 2852, 2856: Überleitung analog § 401 BGB). Die Frage wird in Rechtsprechung und Literatur mittlerweile einhellig und im Ergebnis mit Recht verneint (Nw. bei Ivo, ZERB 2004, 174, 175, Fn. 8; Spall, in: 200 Jahre Notarkammer Pfalz, S. 121, 146 f.; Juchem, S. 94 ff.; Bengel, in: Reimann/ders./J. Mayer, Systematischer Teil A, Rn. 541, m.w.Nw. in Fn. 1212; Nieder, Rn. 1303, Fn. 55). Zur Kritik der Argumentation sogleich im Text. 81 Nw. auch zur gegenteiligen Anschauung bei Lange/Kuchinke, § 35 IV 6 c, S. 833, Fn. 95–97; Settergren, S. 115 Fn. 371; Nieder, Rn. 1305, Fn. 60. 82 Lange/Kuchinke, § 35 IV 6 c, S. 833; Nieder, Rn. 1304; Kaden, S. 87 f.; Settergren, S. 117 f.; Pieroth, NJW 1993, 173, 177. Zur Überbetonung des verfassungsrechtlichen Schutzes der Testierfreiheit insbesondere in der jüngeren Entscheidung des BGH zum so genannten Behindertentestament BGHZ 123, 368 ff., oben § 2 A., S. 29. 83 Olzen, Jura 2001, 266, 367. Vage Settergren, S. 116: „Dem Ausschlagungsrecht liegt eine besondere erbrechtliche Entscheidungssituation zugrunde.“ 84 Bengel, in: Reimann/ders./J. Mayer, Systematischer Teil A, Rn. 541. 85 Oben § 3 C. II. 1., S. 107 f. 86 Meist wird nur gesagt, das Ausschlagungsrecht sei kein Anspruch, sondern ein Gestaltungsrecht (Ivo, ZERB 2004, 174, 178, m.w.Nw. in Fn. 35; Krampe, AcP 191 [1991], 527, 531, m.w.Nw. in Fn. 13; zudem: D. Mayer, in: Bengel/Reimann, 5. Kapitel, Rn. 353). 87 Zu den Voraussetzungen der Ausschlagung durch den Betreuer Ivo, ZERB 2004, 174, 174 ff.; Kübler, S. 163 ff. 88 In diese Richtung auch Settergren, S. 119, allerdings ohne den privatautonomen Charakter der Ausschlagungserklärung zu erwähnen.

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erkennt dagegen in § 1953 Abs. 1 BGB den privatautonomen Akt der Ausschlagung und Annahme als solchen an und knüpft daran die Rechtsfolge.89 Als Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts des Erben sollte das Institut – ähnlich wie die gestalterischen Anteile der Testierfreiheit – aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ausgegliedert und als Bestandteil der Privatautonomie in Art. 2 Abs. 1 GG verankert werden. Verfassungsrechtlich hat diese Neujustierung mehrere Vorzüge. Einerseits stärkt sie das Prinzip der Privatautonomie im Erbrecht, lässt aber andererseits dem einfachen Gesetzesrecht den Raum, den es benötigt, um eigene originär zivilrechtliche Unterscheidungen treffen zu können.90 Indem das Ausschlagungs- und Annahmerecht des Erben als Teil des unbenannten Freiheitsrechts „Privatautonomie“ in Art. 2 Abs. 1 GG geschützt wird, erfährt das Konzept erbrechtlicher Selbstbestimmung verfassungsrechtliche Unterstützung. Seine konkrete inhaltliche Konturierung bleibt freilich dem dazu berufenen Erbrecht vorbehalten. Eine verfassungsrechtliche Vorprägung auf das Recht der Lebenden, wie sie die enge Verknüpfung mit dem Eigentumsgrundrecht nahe legt und fördert, wird bei diesem Vorgehen vermieden. Vielmehr zeichnet sich die hier gewählte grundrechtliche Lösung gerade durch denjenigen Grad an Zurückhaltung aus, der die Entfaltung des zivilrechtlichen Erkenntnisvorrangs91 erst ermöglicht. Es wäre deshalb zumindest ein voreiliger Schluss, aus der gleichzeitigen Gewährleistung von Testier- und Erbenfreiheit in Art. 2 Abs. 1 GG zwingend auf eine „gleichrangige und gleichgewichtige“92 Gewährleistung des Erbenrechts neben der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen zu schließen. Diese Folgerung lässt das insoweit offene Verfassungsrecht an sich zwar zu, nicht aber das einfache Gesetzesrecht, an dem es allein ist, diese Frage zu beantworten. Zivilrechtlich ist der Gedanke einer Wirkungsparität von Rechten eher ein lebzeitiges Konzept als ein erbrechtliches, wenn auch diesem – wie das Erbvertragsrecht zeigt – nicht vollständig fremd. In jedem Fall ist die Idee einer sofortigen Wirkung und Gegenwirkung lebzeitig konnotiert.93 Sie legt eine synchrone Struktur nahe, die die letztwillige Verfügung des Bürgerlichen Rechts nicht aufweist, und die deshalb dem Verfassungsrecht nicht ohne Wei-

89 Dass die „Hauptwirkung der (Annahme-)Erklärung, der Verlust des Ausschlagungsrechts, nicht Inhalt der Annahmerklärung, [daher] gesetzlich angeordnet und nicht privatautonom gewollt sei“ (Muscheler, Vonselbsterwerb, S. 177), lässt sich nicht sagen. Der Parallelwertung in der Laiensphäre entspricht die Erkenntnis, dass man mit Unumstößlichkeit der Rechtsnachfolge auch aller Mittel verlustig geht, die diesen Zustand noch beseitigen könnten. 90 Zu dieser Anforderung oben B. II. 1., S. 214. 91 Oben § 6 C. II. 1. a., S. 174, m.w.Nw. in Fn. 128. 92 Stöcker, WM 1979, 212, 222. 93 Oben § 3 B. I. 1., S. 70 ff.

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teres unterlegt werden kann. Dieses gibt dem Erbrecht durch den Schutz der privatautonomen Anteile des Erbenrechts seinerseits zwar auch einen positiven Impuls, nämlich insofern, als es hilft, die Vorstellung von der rechtlichen Übermacht des Erblassers, die dort bisweilen Überhand nimmt,94 zu relativieren. Die Testierfreiheit ist jedoch – worauf das Bundesverfassungsgericht zu Recht hinweist – das „bestimmende Element der Erbrechtsgarantie“,95 aber nicht das einzige. Der sachliche Erkenntnisvorrang des Zivilrechts gegenüber dem Verfassungsrecht ergibt nämlich in diesem Punkt, dass die (Rechts-) Machtneutralisierung, die das Ausschlagungsrecht als Freiheitsrecht des Erben zu leisten vermag, keine ist, die aus einer positiv-schöpferischen Gestaltungsfreiheit erwächst, wie die Freiheit jedes Teils eines lebzeitigen Vertrags.96 Sie kann vielmehr ob ihrer linearen Struktur97 nur auf das reagieren, was der Erblasser rechtsgeschäftlich bereits vorgegeben hat. Sie hat daher notwendig eine negierende Funktion. Das ist ein Grund dafür, weswegen Ansätze, die die erbrechtliche Zuwendung in Antrags- und Annahmestrukturen konstruieren wollen, zivilrechtlich mit äußerster Zurückhaltung behandelt werden müssen.98 Aber auch die sachlich näher liegende Parallele zum Recht des Vertrags zugunsten Dritter trägt letztlich nicht.99 Das Verfassungsrecht kann die Konturierung einer spezifisch erbrechtlichen Privatautonomie des Zuwendungsempfängers dadurch unterstützen, dass es sich präjudizierender Weichenstellungen im Hinblick auf das Recht der Lebenden enthält. Im Gegenzug sollte das einfache Gesetzesrecht die verfassungsrechtlich verstetigte Tendenz zur Relativierung der Rechtsmacht des Erblassers im Rahmen der

94

Oben § 3 A. III., S. 68, B. I. 1., S. 71, II. 1., S. 81, § 5 A. III. 2. b. aa., S. 133. BVerfGE 93, 165, 173; 67, 329, 341; 58, 377, 398; s. auch BVerwGE 81, 1, 11. Oben Einleitung, S. 2, m.w.Nw. in Fn. 13. 96 Insoweit trifft die Aussage Lange/Kuchinkes, § 2 IV 2 b, S. 26, zu, als „Schutzgut stehe die Entfaltungsmöglichkeit des Bedachten nicht im Vordergrund“. Allerdings gehen die Autoren nicht von einem originären, sondern von einem derivativen Verständnis des verfassungsmäßigen Erbenrechts aus. Oben A. I., S. 206, m. Fn. 17. 97 Oben § 6 B. II. 4. d. aa., S. 195 ff. 98 Was den Erwerb von Vermächtnissen anbelangt, gilt das insbesondere für die Konstruktion eines „Rechtsgrundantrags“ des Erblassers, der mit Eintritt des Erbfalls zu einem Antrag des Erben werde (van Veenroy, S. 18, 22, 25), und vom Vermächtnisnehmer angenommen werden kann und in eine „vermächtnisbegleitende vertraglichen Einigung“ führen soll (ders., S. 12, 19 f., 21 ff.; zu Recht kritisch Muscheler, Vonselbsterwerb, S. 188 ff., 192 ff.; oben § 3 A. III., S. 66, m. Fn. 69). Die Idee der Willensverschmelzung ist zudem nicht frei von dem Gedanken der Fortsetzung der „Vermögenspersönlichkeit“ des Erblassers (oben § 3 B. I. 2., S. 76 f.), so wenn davon die Rede ist, dass der Erbe „vermögensrechtliche Identität mit dem Erblasser erlange“ (van Veenroy, S. 2; s. auch die Zusammenfassung Muschelers, Vonselbsterwerb, S. 189: der Erbe „repräsentiere“ den Erblasser) und daher dessen Wille im Wege einer Art Insichgeschäft zu seinem eigenen werde. 99 Oben § 6 C. II. 4. d. bb., S. 199 f. 95

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konstruktiven Möglichkeiten aufnehmen und umsetzen. Erst wenn das geschieht, wird eine fruchtbare Wechselwirkung zwischen Verfassungs- und Erbrecht möglich.

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§ 8 Zusammenfassung des Zweiten Teils An anderer Stelle wurde hier darauf hingewiesen, dass zur Erläuterung der Testierfreiheit häufig auf zwei nicht erbrechtliche Rechtsmaterien zurückgegriffen wird, das Verfassungsrecht und das (Zivil-)Recht der Lebenden.1 Diese Aussage bedarf insoweit der Präzisierung, als beide Normhierarchieebenen miteinander verschränkt sind und sich gegenseitig beeinflussen. Sämtliche Ansätze, die auf der Ebene des einfachen Gesetzesrechts zur Erklärung der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen angeboten werden, der familienerbrechtliche und der lebzeitige, finden sich auch im Verfassungsrecht wieder. Was die familiaristische Begründung der rechtsgeschäftlichen Erbfolge anbelangt, 2 lässt sich der zivilrechtliche Impuls- und Stichwortgeber für das junge Grundgesetz mit Boehmer sogar personalisieren.3 Die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung hat die verschiedenen argumentativen Gesichtspunkte nebeneinander und in ihren unterschiedlichen Nuancen teilweise unverbunden rezipiert.4 Wenn es auch, wie Ruffert in dem eingangs dieses Abschnitts wiedergegebenen Text konstatiert, ein „Erbrecht des Bundesverfassungsgerichts“ nicht gibt, 5 so lässt sich doch zumindest eine starke inhaltliche Prägung des Zivil- durch das Verfassungsrecht feststellen. Sachlich hat sie sich, gemeinsam mit den einfachgesetzlichen Anleihen beim Bürger1 Oben § 3 A. I., S. 56. Als „intra-erbrechtlicher“ Begründungsansatz der Testierfreiheit treten inhaltliche Anleihen bei der Familienerbfolge hinzu. Oben § 5 A. III. 1., S. 130. 2 Für die aus dem Recht der Lebenden entlehnten Strukturelemente ist eine Beeinflussung des Verfassungsrechts durch Boehmer nicht unmittelbar nachweisbar, obwohl es zu seinem familiär orientierten Konzept gut passt, die Testierfreiheit als korrekturbedürftiges „Abbild des Vermögensrechts unter Lebenden“ zu beschreiben (Boehmer, in: Nipperdey, Grundrechte, S. 271 f., 276: Testierfreiheit als Bestandteil der Eigentumsordnung; oben § 3 B. I. 1., S. 70, m. Fn. 92). 3 Oben § 1 A., S. 17, m. Fn. 31, § 6 A., S. 153, m. Fn. 2, S. 156, m. Fn. 25, § 7 B. II. 1., S. 212. 4 Das gilt sowohl für den auf die Familienerbfolge bezogenen Erklärungsansatz in BVerfGE 58, 377, 398; s. auch BVerfGE 99, 350 ff. (oben § 6 A., S. 156, m. Fn. 22); als auch für Entscheidungen, die die proprietas-Funktion des Erbrechts unterstreichen (BVerfGE 91, 346, 358; 83, 201, 208; oben § 6 A., S. 157, m. Fn. 29) oder den Herrschaftscharakter der Eigentümerfreiheit betonen (ständige Rechtsprechung seit BVerfGE 67, 329, 341, unter Hinweis auf BVerfGE 26, 215, 222; 50, 290, 340; oben § 6 A., S. 158, m. Fn. 36). Daneben findet sich aber auch der Hinweis auf den privatautonomen Charakter der Testierfreiheit (BVerfGE 99, 341, 351; oben § 6 C. I., S. 166, m. Fn. 79). 5 Oben § 6 A., S. 155.

§ 8 Zusammenfassung des Zweiten Teils

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lichen Recht der Lebenden, zu einer Gemengelage verdichtet, die sich nicht immer zum Nutzen des Erbrechts ausgewirkt hat. Das gilt in erster Linie für die Ausprägung der Testierfreiheit, aber auch für die Konturierung eines Erbenrechts.6 Wird das subjektive Erb(en)recht als bloßer Reflex der Freiheit des Erblassers verstanden,7 erfasst der Schutzbereich der Erbrechtsgarantie überhaupt nur den Moment des Erwerbs nach § 1922 Abs. 1 BGB.8 Mit dem Ablauf dieser (erb-)rechtlichen Sekunde gestaltet sich die Gewährleistung des Erbenrechts lebzeitig, das heißt nach der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG. Die erbrechtlichen Befugnisse, die der Erbe nach dem Erbfall hat, werden verfassungsrechtlich als solche nicht erfasst.9 Lebzeitig umgewertet wird die Testierfreiheit schließlich auch, wenn man ihr verfassungsrechtlich zwar den Charakter einer selbstständigen erbrechtlichen Rechtsgesamtheit des Zuwendungsempfängers zugesteht,10 diese aber funktional zur Delegitimation einer lebzeitig verstandenen Erblasserfreiheit einsetzt.11 Sie liegt vor allem in der verfassungsrechtlichen Engführung der Testierfreiheit mit der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG begründet, die bisweilen soweit geht, dass die Gewährleistung des Erbrechts als überflüssig angesehen wird. Geht die Parallelisierung für die Güter zuordnende (proprietas-) Funktion des Erbrechts noch auf, stößt sie, was die eigentliche Erblasserfreiheit im Sinne einer persönlichen Gestaltungsbefugnis des von Todes wegen Verfügenden – das Analogon zum dominium des Eigentümers – betrifft, an ihre Grenzen.12 Die Formel von der „Verfügungsbefugnis des Eigentümers über den Tod hinaus“, die das Bundesverfassungsgericht zur Kennzeichnung der Testierfreiheit einsetzt,13 belastet das Zivilrecht mit einer konstruktiven Vorgabe, die es nicht kohärent umsetzen kann. Sie vernetzt das erbrechtliche und das sachenrechtliche Verfügungskonzept so miteinander, dass die Verfügung von Todes wegen in eine aufschiebend bedingte Verfügung unter Lebenden uminterpretiert wird.14 Das zwingt zivilrechtlich Inkompatibles zusammen und verunmöglicht eine stimmige Abgrenzung von lebzeitigem und erbrechtlichem Handeln auf rechtsgeschäftlicher Ebene.15 Das Zivilrecht gerät mit dem verfassungsrechtlichen Auftrag, die Testierfreiheit als das „bestimmende Element“

6 7 8 9 10 11 12 13 14 15

Oben § 7, S. 204 ff. Oben § 7 A. I., S. 204 ff. Oben § 7 A. II., S. 207. Oben § 7 A. II., S. 208. Oben § 7 B. I. 1., S. 210 f., B. II. 2., S. 214 ff. Oben § 7 B. II. 1., S. 211 ff. Zur Unterscheidung beider Bedeutungsvarianten oben § 6 A., S. 157 f. Oben § 6 A., S. 158, m. Nw. in Fn. 36. Oben § 6 B. I., S. 153 ff. S. die Kritik der Ausführungen Busches, oben § 6 B. I., S. 160 f.

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Zweiter Teil

der Erbrechtsgarantie auszugestalten, notgedrungen in einen nicht lösbaren Konflikt. Das ist umso weniger akzeptabel, als die Reduktion des Freiheits- auf ein Verfügungsrecht des Erblassers dem privatautonomen Charakter der Testierfreiheit sachlich nicht gerecht wird.16 Er geht in seinem gestalterischen Bedeutungshorizont über die dingliche Beschränkung einer Verfügung unter Lebenden hinaus. Es muss nicht nur ein neuer Rechtsträger für den Güterbestand des alten gefunden werden, sondern auch ein dem von Todes wegen Verfügenden persönlich geeignet erscheinender Rechtsnachfolger. Für ihn entscheidet sich der Erblasser nach einem selbstbestimmten Entscheidungsfindungsprozess, in den unter Umständen auch komplexe (Vergleichs-)Faktoren eingestellt wurden.17 Privatautonomes Handeln im Rahmen des verfassungsrechtlichen Entstehens- und Erwerbschutzes als „Konnexinstitut“18 der Eigentumsgarantie zu unterstellen, empfiehlt sich weder für die Testier- noch für die Vertragsfreiheit. Ihr Produkt, das einzelne schuld- oder erbrechtliche Rechtsgeschäft, wird auf die Funktion einer causa für die dingliche Änderung der Güterzuordnung reduziert, die rechtsschöpferischen Anteile bleiben außen vor. Einen Weg aus dem Dilemma bietet eine verfassungsrechtliche Neuausrichtung der Testierfreiheit, die sich in der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ankündigt. Sie kennzeichnet diese als „individuelles Freiheitsrecht im wirtschaftlichen Bereich“.19 Die Betonung des Selbstbestimmungsgedankens verweist auf das tertium comparationis eines Vergleichs von Vertrags- und Testierfreiheit, ihren privatautonomen oder – verfassungsrechtlich gesprochen – allgemein handlungsfreiheitlichen Charakter (Art. 2 Abs. 1 GG). 20 Die Wertungsparallelen zwischen der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen und der unter Lebenden liegen in ihrer Normprägung, ihrem Charakter als unbenannte Freiheitsrechte mit personalem und wirtschaftlichem Bedeutungsgehalt und nicht zuletzt in ihrem machtneutralisierenden Potenzial. Als normgeprägte Schutzgüter sind Testier- und Vertragsfreiheit in besonderer Art und Weise auf die inhaltliche Ausgestaltung durch die Zivilrechtsordnung angewiesen. 21 Privatautonomie bedarf der zivilrechtlichen Organisation unabhängig davon, ob sie besonders verfassungsrechtlich „gehegt“ oder unter Lebenden bzw. von Todes wegen ausgeübt wird. 22 Der Unterschied liegt nicht im Quantum, sondern in der Qualität des Rechtsordnungsbezugs. Das große Thema des gewillkürten Erbrechts ist die Rekonstruierbarkeit eines Willens, 16 17 18 19 20 21 22

Oben § 6 B. II., S. 161 ff. Oben § 6 B. II., S. 163 f. Höfling, S. 15. Oben § 6 B.II., S. 164, m.w.Nw. in Fn. 72. BVerfGE 99, 341, 351. Oben § 6 C. I., S. 166 f. Oben § 6 C. II. 3., S. 183, m. Fn. 192. Oben § 6 C. II. 1. a., S. 167 ff. Oben § 6 C. II. 1. a. aa., S. 168 ff.

§ 8 Zusammenfassung des Zweiten Teils

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der – obschon mit Rechtswirksamkeit ausgestattet – von einer Person geäußert wurde, die nicht mehr existiert. Mit dem Hinweis auf die Normprägung der Testier- und Vertragsfreiheit wird Anschauungen eine Absage erteilt, die eine „natürliche“ von der rechtlichen Freiheitssphäre unterscheiden. 23 Das Zivilrecht hat ein umfangreiches und ausdifferenziertes Instrumentarium entwickelt, das das Individuum in den Stand versetzt, seine Freiheit selbsttätig ins Werk zu setzen. Einer vorrechtlichen Freiheit, die ohnehin nur als Antithese zum Recht gedacht werden kann, fehlt eine solche Infrastruktur. Diese „Freiheit im leeren Raum“ fasst die notwendige rechtliche Entfaltung selbst als Eingriff in das Vakuum auf und beurteilt den Freiheitsgehalt der gewählten privatrechtlichen Struktur von außen – und nicht wie erforderlich aus der Binnenperspektive des einfachen Gesetzesrechts. Testier- und Vertragsfreiheit sind Innominatgrundrechte. 24 Sie wurzeln im Selbstbestimmungsrecht des Individuums und decken beide einen bestimmten thematischen Bereich ab, der sich verfassungsrechtlich hinreichend verfestigt hat. Die besonderen Gefährdungen rechtsgeschäftlicher Freiheit von Todes wegen und unter Lebenden rechtfertigen schließlich einen grundrechtlichen Schutz. Trotz der personalen Natur, die Freiheitsrechte stets auszeichnet, müssen Vertrags- und Testierfreiheit verfassungsrechtlich vom Paradigma des unbenannten Freiheitsrechts, dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, abgegrenzt werden.25 Der Rekurs auf die Würde des Menschen als verbindendes Element führt zur Auflösung inhaltlicher Konturen und sprengt das Konzept inhaltlich verselbstständigter Schutzfacetten der allgemeinen Handlungsfreiheit. Vertrags- und Testierfreiheit verbürgen positive Freiheiten in dem Sinne, dass sie aktive Handlungsspielräume im rechtsgeschäftlichen Bereich eröffnen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt als negative Freiheit das „passive“ Recht auf Respektierung der Privatsphäre und des sozialen Geltungsanspruchs. In zivilrechtliche Begriffskategorien übersetzt ist damit die Unterscheidung zwischen „Rechtsgeschäft“ und „Delikt“ angesprochen. Testier- und Vertragsfreiheit sind wirtschaftliche Freiheitsrechte. 26 Das Verfassungsrecht spielt deren personalen und ökonomischen Gehalt nicht gegeneinander aus und mahnt, die jeweils unterbelichteten Aspekte, die Personalität der Vertrags-, und den wirtschaftlichen Horizont der Testierfreiheit, auf der Ebene des Zivilrechts zu entfalten. Die ökonomische Dimension der Testierfreiheit privatrechtlich zu verleugnen oder zu vernachlässigen, ist verfassungsrechtlich ebenso bedenklich, wie die Vertragsfreiheit ausschließlich in Wirtschafts- und Wettbewerbsbezügen zu denken. 23 24 25 26

Oben § 6 C. II. 1. a. bb., S. 171 ff. Oben § 6 C. II. 1. b., S. 174 f. Oben § 6 C. II. 2., S. 176 ff. Oben § 6 C. II. 3., S. 182 ff.

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Zweiter Teil

Testier- und Vertragsfreiheit verwirklichen Freiheit und Gleichheit, in dem sie (Rechts-)Macht- oder herrschaftsneutralisierend und in diesem Sinne demokratisierend wirken. 27 Sie tun dies auf unterschiedliche Weise. Unter Lebenden sind Freiheit und Gleichheit auf Gegenseitigkeit und synchron angelegt. In der Möglichkeit, gleichzeitig und gleichberechtigt auf einen Prozess Einfluss zu nehmen, liegt zugleich der Kern des lebzeitigen Demokratiegedankens. Entspricht das Verfahren, inter vivos das Aushandeln eines Vertrags, dieser Anforderung, wird auf die Richtigkeit und Rechtmäßigkeit des Ergebnisses, der konkreten Vereinbarung, geschlossen. 28 Letztwillige Verfügungen gehorchen diesen Strukturmechanismen nicht. Aus lebzeitiger Sicht erscheinen sie daher als diktatorische und verfassungsrechtlich problematische Akte.29 Erbrechtliche Strategien der Machtneutralisierung werden darüber vernachlässigt. Sie sind in der Unwirksamkeit erbrechtlicher Anordnungen zu Lebzeiten des Erblassers und im Ausschlagungsrecht des Erben nach dem Anfall der Erbschaft zu sehen.30 Aufgrund der linearen Struktur31 einer Verfügung von Todes wegen ist die Privatautonomie des Zuwendungsempfängers notwendig negativ-korrektiv und weniger prozess- als ergebnisorientiert angelegt. 32 Nichtsdestotrotz eignet ihr ein so hohes Maß an gestalterischem Potenzial, dass sie nicht als bloßer Reflex der Gestaltungsbefugnis des Erblassers beschrieben,33 sondern als eigenständiges Recht des Erben verstanden werden sollte. 34 Im Gegensatz zu den Vermögensverwaltungsrechten des Erben nach dem Erbfall35 ist das Ausschlagungs- bzw. Annahmerecht Ausdruck seiner allgemeinen Handlungsfreiheit.36 Von der Neuakzentuierung der Testierfreiheit steht zu hoffen, dass ein Beitrag zur Emanzipation der Privatautonomie von Todes wegen geleistet wird.37 Die normenhierarische Inkongruenz, die sich daraus ergibt, dass die Gestaltungsbefugnis von Todes wegen verfassungsrechtlich mit dem Eigentum verknüpft, zivilrechtlich aber als privatautonomes Handeln verstanden wird, würde aufgelöst.38 Von der Aufwertung der erbrechtlichen Gestaltungsbefugnis könnte zivilrechtlich zudem das Signal ausgehen, deren privatautonomen Charakter auf der Ebene und mit den Mitteln des Zivilrechts verstärkt zu entfalten. In der Anwendung des einfachen Rechts würde der Rückgriff auf die 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38

Oben § 6 C. II. 4., S. 187 ff. Oben § 6 C. II. 4. a., S. 187 ff. Oben § 6 C. II. 4. b., S. 190 f. Oben § 6 C. II. 4. c., S. 194 f. Oben § 6 C. II. 4. d. aa., S. 195 ff. Oben § 6 C. II. 4. d. bb., S. 198 ff. Oben § 7 A., S. 204 ff. Oben § 7 B. I., S. 210 ff. Oben § 7 B. II. 2. a., S. 214. Oben § 7 B. II. 2. b., S. 215 ff. Oben § 6 C. III. 1., S. 201 f. Oben § 6 C. III. 2., S. 202 f.

§ 8 Zusammenfassung des Zweiten Teils

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Verfassung vom gängigen Instrument wieder zum Ausnahmefall. Es muss allerdings darauf geachtet werden, dass die Gewährleistung von Testier- und Vertragsfreiheit in Art. 2 Abs. 1 GG nicht als Aufruf zur Gleichmacherei missverstanden, sondern als Chance begriffen wird, für das Selbstbestimmungsrecht von Todes wegen durch zivilrechtliche Differenzierung eigenständiges Profil zu gewinnen. Die Darstellung im folgenden Dritten Teil bewegt sich zwischen diesen beiden Polen. Es werden die zivilrechtlichen Strukturprinzipien von Vertrags- und Testierfreiheit zueinander in Beziehung gesetzt, die deren gemeinsamen privatautonomen Charakter im Zivilrecht untermauern. Die übergreifenden privatautonomen Anteile bilden auch den Gliederungsrahmen, innerhalb dessen diejenigen Eigenschaften entfaltet werden, die die Vertragsfreiheit unter Lebenden als speziellen Ausdruck der Privatautonomie unter Lebenden und die Testierfreiheit als besondere Ausprägung der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen, mithin als abweichend organisierte Freiheitsrechte ausmachen.

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Dritter Teil

Die Testierfreiheit als besondere Ausprägung der Privatautonomie

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§ 9 Essentialia und Akzidentia privatautonomen Handelns am Beispiel der Formfreiheit A. Methodische Vorbemerkung (Handlungs-)Freiheit gibt dem Individuum die Möglichkeit zur Selbstbestimmung. Rechtlich entspricht ihr die Privatautonomie,1 die dem Einzelnen die Kompetenz2 zur Gestaltung seiner rechtlichen Verhältnisse in Eigenregie einräumt.3 Dass diese Definition sowohl für die Testier-, als auch für die Vertragsfreiheit zutrifft, Privatautonomie also im Prinzip der Selbstbestimmung wurzelt, gleich ob sie inter vivos oder von Todes wegen ausgeübt wird, darüber besteht in der zivilrechtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum überwiegend Einigkeit.4 Was die Testierfreiheit anbelangt, hat es freilich mit dem Bekenntnis zum „allgemeinen Prinzip“5 der Selbstbestimmung des Individuums oftmals sein Bewenden. Während die Vertragsfreiheit unter Lebenden einen relativ fest gefügten Kanon von „Unter-“ oder „Hilfsprinzipien“ ausgeprägt hat,6 die die Privatautonomie unter Lebenden zusammen genommen kennzeichnen sollen und nicht selten als essentialia für privatautonome Betätigung überhaupt vorgestellt werden, bleibt die Testierfreiheit seltsam blass. In dem sie an den Ausdrucks- und Erscheinungsformen der Vertragsfreiheit gemessen, von ihr abge-

1 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Rn. 101: Privatautonomie als „zivilrechtlicher Entsprechungsbegriff der Handlungsfreiheit“. 2 Den „kompetenziellen“ Charakter der Privatautonomie (unter Lebenden) betont vor allem Enderlein, S. 92, 100. 3 Allgemeine Auffassung: Singer, Selbstbestimmung, S. 6; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 413 m.w.Nw. in Fn. 2; Flume, BGB AT II, § 1, 1, S. 1, m.w.Nw. in Fn. 1; Larenz/M. Wolf, § 34 Rn. 1; Bydlinski, S. 126 ff. 4 Für die Testierfreiheit betonen den Bezug zum Selbstbestimmungsrecht besonders Kipp/Coing, § 16 I 1, S. 109; Soergel/Stein, Einl. vor § 1922 Rn. 6; s. auch Staudinger/Otte, Einl. zu §§ 1922 ff. Rn. 54: „individuelles Freiheitsrecht“. 5 Flume, BGB AT II, § 1, 1, S. 1. 6 Gemeinhin werden sie als „Freiheiten“ (Abschluss-, Inhalts- oder Gestaltungs-, und Formfreiheit) bezeichnet, um ihre privatautonome Natur zu unterstreichen. Dennoch haben sie auch grundsätzlichen Charakter. Allgemein zum „Prinzipiendenken“ im Bürgerlichen Recht oben Einleitung, S. 2, m. Fn. 8.

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Dritter Teil

grenzt und dieser nicht selten bereits in der Darstellung untergeordnet wird,7 ohne dass diese selbst auf ihre Unerlässlichkeit für die Definition von Privatautonomie an sich befragt werden, entsteht ein schiefes Bild über die conditiones sine qua non selbstbestimmten Handelns im rechtsgeschäftlichen Bereich im Allgemeinen und der Testierfreiheit im Besonderen. Was Not tut, ist folglich eine kritische Überprüfung der einzelnen Strukturmerkmale der Vertragsfreiheit inter vivos auf ihre essentielle Funktion für das eigentlich Privatautonome an der Privatautonomie.8 Fällt diese für ein Kriterium positiv aus, muss es auch für die Testierfreiheit zutreffen, andernfalls sie nicht als Unterfall privatautonomer Betätigung erklärt werden kann. Die Alternative ist, dass es sich zwar möglicherweise um ein Spezifikum der Vertragsfreiheit unter Lebenden handelt, nicht aber um eine solche der Testierfreiheit. Im Hinblick auf die Privatautonomie als Prinzip würde es dann ein bloßes Akzidens sein, das privatautonomes Handeln möglicherweise erleichtert oder befördert, für dieses jedoch nicht konstitutiv ist. Richtschnur für diese Entscheidung kann nur der Grad der Verankerung des einzelnen Kriteriums im Selbstbestimmungsrecht des Individuums sein. Kann es weggedacht werden, ohne dass dieses so sehr beeinträchtigt wird, dass von autonomem Handeln nicht mehr die Rede sein kann, handelt es sich nicht um ein essentiale der Privatautonomie.

B. Zur Formfreiheit als Strukturelement privatautonomen Handelns im Recht der Lebenden Illustrieren lassen sich diese methodischen Überlegungen am Grundsatz der rechtsgeschäftlichen Formfreiheit, die für die Vertragsfreiheit unter Lebenden angenommen wird und mit der die grundsätzliche formelle Gebundenheit der Testierfreiheit kontrastiert wird.9 Die gängige Anschauung rückt die Abwesenheit von formalen Vorgaben für das in Aussicht genommene Rechtsgeschäft in eine Reihe mit den Prinzipien der Abschluss-, Inhalts- und Gestaltungsfreiheit. Merkwürdigerweise versteht sie darunter aber auch die Freiheit, privatautonom eigene Formerfordernisse zu schaffen und sich selbst und dem anderen Teil willentlich Formhürden aufzuerlegen (gewillkürter Formzwang).10 Um die Form7 Das wird etwa besonders deutlich in der gliederungstechnischen Unterordnung der „Testierfreiheit im Erbrecht“ unter die Überschrift „Vertragsfreiheit als inhaltliche Gestaltungsfreiheit“ (Larenz/M. Wolf, § 34 vor Rn. 45, 60). 8 Unten § 10, S. 238 ff. (Vornahme- und Beendigungsfreiheit), § 11, S. 244 ff. (Inhaltsfreiheit), § 12, S. 271 ff. (Gestaltungsfreiheit). 9 Kipp/Coing, § 16 II, S. 111. 10 Heinrich, S. 61, m. Fn. 85; Soergel/Hefermehl, vor § 125 Rn. 1. S. bereits K. Heldrich, AcP 147 (1941), 89, 125 ff.

§ 9 Formfreiheit

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freiheit als „essentiellen Bestandteil der Vertragsfreiheit“11 ansehen zu können, wird diese durch einen argumentativen Kunstgriff inhaltlich aufgewertet. Man löst das Prinzip aus seinem eher technisch angelegten Bedeutungszusammenhang heraus – so wenn es heißt, sie meine nicht nur die „technische Vorgehensweise bei der Realisierung privatautonomer Regelungen“12 –, und gewinnt Spielraum für den qualitativen Sprung vom „kleineren“ zum „größeren“ Grundsatz,13 in dem man diesem selbst materielle Aspekte abgewinnt. Das geschieht zum einen, indem der Formfreiheit bestimmte Formzwecke beigelegt werden, die jene „funktionsbezogen“14 bestimmt – eine ältere Spielart davon ist die Rede von der „dienenden“ Funktion der Form –, und das einzelne formgebundene Rechtsgeschäft insoweit materiell ausrichtet.15 Darauf wird zurückzukommen sein.16 Zum anderen – und das ist für den Stellenwert der Formfreiheit im System der privatautonomen Prinzipien das Ausschlaggebende – wird die Abwesenheit von rechtsgeschäftlichen Formzwängen dadurch zum Strukturmerkmal der Privatautonomie schlechthin erhoben, dass sie mit anderen Grundsätzen in Zusammenhang gebracht wird, die diese in ihrer Gesamtheit unbestreitbar ausmachen. Die Formfreiheit gewinnt mithin erst dadurch eigene inhaltliche Kontur, dass sie zu anderen Prinzipien in Beziehung gesetzt wird und sich deren originär privatautonomen Anteil dadurch bis zu einem gewissen Grad zu eigen macht. Mittelbar wird diese „geliehene Autorität“ darin sichtbar, dass man die „Formfreiheit […] gerade auch um der Inhaltsfreiheit willen gefordert“ und bisweilen sogar als deren „Unterkategorie“ aufgefasst hat.17 Bezüge werden namentlich zur Abschluss- und Inhaltsfreiheit hergestellt, weniger zur eigentlichen Gestaltungsbefugnis der rechtsgeschäftlich agierenden Personen.18 Teils beruhen sie auf Begriffsverwechslungen, teils sind sie sachlich nicht zwingend oder rühren jedenfalls nicht an das Mark der rechtsgeschäftlichen Betätigungsfreiheit, was schon darin zum Ausdruck kommt, dass ihr Einfluss in der Literatur durchaus als mittelbarer oder gar nur als faktischer Natur beschrieben wird.19 Wenn „äußere“ von den so genannten inneren Formen unterschieden werden, die mittels „standardisierter Begrifflichkeiten“ das Rechtsgeschäft in ei11

Heinrich, S. 60. Heinrich, S. 60. 13 Zu dieser begrifflichen Kategorie HKK/Rückert, vor § 1 Rn. 68, wo auch die „Formfreiheit“ eingerückt ist. Oben Einleitung, S. 2, m. Fn. 8. 14 Häsemeyer, Form, S. 166 ff. 15 Kritik an der Formzwecklehre übt H. Heiss, S. 59 ff. 16 Unten S. 236, bei Fn. 35. 17 Dagegen freilich H. Heiss, S. 56, m.w.Nw. in Fn. 113. 18 So konstatiert Häsemeyer, Form, S. 207, dass der „Formzwang seinerseits vornehmlich die Abschlussfreiheit und nur unter wenigen Aspekten auch die Gestaltungsfreiheit berührt.“ 19 H. Heiss, S. 56: „ Denn der Formzwang kann […] jedenfalls de facto Auswirkungen auf die Abschlussfreiheit haben.“ 12

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Dritter Teil

nem vorher bestimmten Sinne programmieren und die Parteien einem „gewissen Typisierungszwang“ unterwerfen würden, so ist schon die Wortwahl verräterisch. 20 Nicht die Formgebundenheit des Rechtsgeschäfts wird hier verhandelt, sondern die davon zu differenzierende Frage eines rechtsgeschäftlichen Typenzwangs. 21 Überhaupt ist – wie Häsemeyer gezeigt hat 22 – nicht so sehr die Form allein der Faktor, der die privatautonome Selbstbestimmung limitiert, sondern eher ihr Zusammenspiel mit dem Typenzwang23: „Die Form ist nur Teil und Mittel der zwingenden Durchstrukturierung des Rechtsgeschäfts, so dass der Typenzwang dominiert.“24 Soweit behauptet wird, „Formkosten“ beeinflussten die parteiautonome Festlegung des Äquivalenzgefüges einer lebzeitigen Vereinbarung und begrenzten daher indirekt die Inhaltsfreiheit,25 so ist dazu zu sagen, dass eine solche möglich, aber keineswegs zwingend ist, oder auch nur typisch zu nennen wäre. Zudem ist der Umstand, dass die Formalisierung eines Rechtsgeschäfts bisweilen – aber wie gerade die privatschriftlichen Formen zeigen 26 – keineswegs immer Geld kostet, nicht eigentlich eine rechtliche Eigenschaft des Prinzips der Inhaltsfreiheit. Ähnlich zurückhaltend ist der Einfluss des Formzwangs auf die Abschlussfreiheit und damit die Verbindung zwischen dem Grundsatz der Form- und der Vornahmefreiheit zu beurteilen. „Prohibitive Formanforderungen“ (Heiss 27), also solche formalen Voraussetzungen, die das Zustandekommen eines Rechtsgeschäfts schon vom Gesetzeszweck her per se oder auch nur de facto so ernsthaft in Frage stellen, dass die Parteien gerade ob der formellen Hürden von dem Geschäft Abstand nehmen sollen, dürften ohnehin als unzulässige Beschränkungen der Privatautonomie zu bewerten sein. Denn der Formzweck darf gerade nicht in der Verhinderung des Zustandekommen eines Rechtsgeschäfts liegen. 28 Vielmehr setzt das Formgebot die privatautonome Willensbetätigung gerade voraus. Seine Einhaltung befördert deren Wirksamwerden und ist für die Parteien daher ein wichtiger Garant dafür, dass ihr Rechtsgeschäft in der Rechtswelt auch wirklich Folgen haben wird. 20

H. Heiss, S. 55 f. Oben § 4 A., S. 111 ff., unten § 11 A. I., S. 244 ff. 22 Form, S. 222. 23 Das beherzigt nicht genügend Radke, S. 43 ff. 24 Häsemeyer, Form, S. 222. 25 H. Heiss, S. 52 ff.; ähnlich Häsemeyer, Form, S. 208. 26 Zur Unterscheidung der „privaten“ von der „öffentlichen“ Form Pajunk, S. 45. 27 H. Heiss, S. 50 ff. 28 Ein aus rechtshistorischer Sicht illustratives Beispiel für einen solchen manipulativ-instrumentellen Umgang mit der Form ist etwa der – letztlich erfolglos gebliebene – Versuch, den nationalsozialistischen Gemeinschaftsgedanken durch eine Verschärfung der Formvorschriften des eigenhändigen Testaments zur Zurückdrängung der als „Hort der Pflichtwidrigkeit“ begriffenen Testierfreiheit zu etablieren. S. dazu Beutgen, S. 88 ff., m.w.Nw. Des Weiteren oben § 1 A., S. 18. 21

§ 9 Formfreiheit

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Man könnte sogar sagen, dass die Form der Abschluss- oder Vornahmefreiheit gerade dadurch sekundiert, dass sie zur Überlegung und sorgfältigen Entfaltung des eigenen Willensentschlusses anhält und auf diese Weise die Seriosität der eigenen Willenserklärung steigert. 29 Insofern ähnelt die Form anderen rechtsgeschäftlichen Gültigkeitsvoraussetzungen, wie insbesondere Testierund Geschäftsfähigkeit, was systematisch für ein bescheideneres Verständnis von Formfreiheit spricht als es heute gemeinhin üblich ist. 30 Im Ausgangspunkt verkennen die Autoren, die die grundsätzliche Abwesenheit von Formgeboten als „wesentlichen Teilaspekt der Vertragsfreiheit und […] Grundlage der deutschen Zivilrechtsordnung“31 ansehen, die unterstützende Funktion der Form zwar nicht, relativieren den Befund aber sogleich wieder mit dem Hinweis auf die freiheitsbeschränkende Komponente im formgebundenen Abschlussmodus. Sie berührt die Abschlussfreiheit freilich nicht qualitativ, sondern nur graduell; oder in den Worten Häsemeyers: „Die Abschlussfreiheit wird also [durch den Formzwang] in ihrem Kern nicht angetastet.“32 Wenn die Formfreiheit ihr inhaltliches Profil erst dadurch gewinnt, dass man sie zu anderen Aspekten der Privatautonomie in Beziehung setzt und die Abwesenheit von formellen Anforderungen an das Rechtsgeschäft dessen Zustandekommen zwar möglicherweise erleichtert, aber niemals verhindert, sind doch erhebliche Zweifel angebracht, ob es sich bei ihr um einen begriffsnotwendigen Bestandteil der rechtsgeschäftlichen Gestaltungsbefugnis (unter Lebenden) handelt. Wenn auf der Formfreiheit als einem der Vornahme-, Inhalts- und Gestaltungsfreiheit gleichgeordneten Prinzip bestanden wird, dann hat das vor allem mit einem Missverständnis in der Entwicklungsgeschichte des Grundsatzes zu tun: Die Geschichte der Form ist im Recht der Lebenden nur vordergründig die Geschichte ihres vollständigen oder auch nur grundsätzlichen Abbaus. Es ist – um ein viel zitiertes Diktum Dulckeits zu verwenden33 – viel eher die Geschichte ihrer Um- oder Verwandlung, nämlich von der Wirk- in eine bloße Zweckform.34 Gerade indem der Konsens als der eigentliche Geltungsgrund rechtsgeschäftlichen Handelns anerkannt und dadurch die komplexe

29 Für das Recht der Verfügungen von Todes wegen lässt sich das nicht mit der gleichen Berechtigung sagen. Unten § 12 B. III. 2. c. bb., S. 315 f. 30 So etwa Stoll, in: Nipperdey, S. 175, 176 f., m.w.Nw. in Fn. 10. Ablehnend Heinrich, S. 60. 31 Heinrich, S. 61. 32 Form, S. 209. 33 Der Terminus „Zweckform“ hat sich eingebürgert. Dulckeit, Fs. Schulz I, S. 148, 161 f., verwendet jedoch das Begriffspaar „Wirk-“ und „Schutzform“. S. auch Grziwotz, Fs. Schippel, S. 9, 13, m. Fn. 25; Schlosser, S. 65 f. 34 Die „funktionale Unterwerfung unter die Dispositionsfreiheit der Rechtssubjekte“ ist – neben der Abstrahierung – geradezu ein Kennzeichen moderner Formerfordernisse (Di Fabio, DNotZ 2007, 342, 343).

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Dritter Teil

Einheit von Rechtsgeschäft und Form zerstört wird, 35 zeigt sich die mangelnde Fundierung der Form im selbstbestimmten Kernbereich des Rechtsgeschäfts. Sie kommt der Privatautonomie nun nahezu vollständig abhanden.36 Der Gegenschluss, die Formfreiheit sei, nachdem sich die „neuere Rechtsentwicklung von den verkehrshemmenden Formfesseln des älteren römischen und deutschen Rechts freigemacht habe“,37 nunmehr deren „existentieller Teil“, 38 verkürzt diesen historischen Zusammenhang bis zur Unkenntlichkeit. Allein die Delegitimation des Wirkformzwangs beinhaltet noch keine positive Begründung der Formfreiheit als integrierendem Bestandteil der Privatautonomie. Der Hinweis auf die Leichtigkeit privatautonomer Betätigung im formlosen Rechtsverkehr spricht jedenfalls dafür, dass die Formfreiheit die ungestörte Ausübung der Privatautonomie eher als Hilfsprinzip flankiert als dass sie Bestandteil des Grundprinzips ist. Diese Hilfsfunktion könnte man als den wirkmäßigen Restbestand oder Reflex ihrer alten rechtsgeschäftlichen Codierung auffassen. Doch darin erschöpft sich die Bedeutung der Form nicht mehr. Über die Definition von Formzwecken wird sie zu einem in die „Privatautonomie zwangsintegrierten objektiven Ordnungsfaktor“39 umgestaltet. Insoweit macht der Bedeutungsverlust auf dem Gebiet der rechtsgeschäftlichen Selbstbestimmung Platz für heterogene Einflüsse, die über den Transmissionsriemen des zwingenden Rechts dem einzelnen Rechtsgeschäft eingeschrieben werden. Sie übernimmt damit eine ähnliche Funktion wie die materielle Inhaltskontrolle eines Rechtsgeschäfts, die ihr im Zuge der Materialisierung des Zivilrechts freilich den Rang abzulaufen droht.40 Keinesfalls ist die Formfreiheit noch ein Prinzip, das den Geltungsgrund rechtsgeschäftlichen Handelns beschreiben und daher als essentiale der Privatautonomie oder auch nur der Vertragsfreiheit unter Lebenden verstanden werden könnte. Wenn das Bürgerliche Gesetzbuch sich dennoch explizit zur Formfreiheit bekennt,41 dann blendet das vor allem einen im Hinblick auf die Form anders gearteten Teil der Privatautonomie aus, nämlich den erbrechtlichen. Eine Aussage zum allgemein privatautonomen Charakter der Formfreiheit enthält das Bekenntnis nicht zwingend.42 Vor allem darf aus ihm nicht auf 35 Häsemeyer, Form, S. 22. Die Entwicklung ist gerade in jüngerer Zeit mehrmals in dogmatischen Arbeiten nachgezeichnet worden. S. die Darstellungen von Radke, S. 40 ff.; H. Heiss, S. 45 ff. 36 Schippers, DNotZ 2007, 726, 731: „Hiermit (mit dem Übergang von der Wirk- zur Zweckform); verbunden ist eine Ablösung der Form vom Inhalt bzw. vom Tatbestand der Willenserklärung.“ 37 Soergel/Hefermehl, vor § 125 Rn. 1. 38 Heinrich, S. 60; Max Fischer, S. 38. 39 Häsemeyer, S. 162; ihm folgend Heinrich, S. 62. 40 Di Fabio, DNotZ 2007, 342, 346. 41 Nw. bei Heinrich, S. 61, Fn. 82. 42 In diesem Sinne versteht es jedoch Heinrich, S. 61 f.

§ 9 Formfreiheit

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den mangelnden privatautonomen Charakter formgebundener lebzeitiger und erbrechtlicher Rechtsgeschäfte geschlossen werden. Eher legt die Aussage Zeugnis ab vom übergreifenden liberalen Grund- und Gesamtcharakter des Bürgerlichen Gesetzbuchs, zu dem der Grundsatz der Privatautonomie – sei er nun lebzeitig oder erbrechtlich ausgestaltet43 – zuvor außerordentlich gut passt, der aber nicht mit dem konstruktiven Grundprinzip selbst verwechselt werden sollte.

43

Für die Gestaltungsbefugnis von Todes wegen verweist auf die hohe Kompatibilität des liberalen gesetzlichen Leitbilds mit dem konstruktiven Prinzip Schiemann, ZEV 1995, 197, 199. Oben Einleitung, S. 3, m.w.Nw. in Fn. 21.

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§ 10 Vornahme- und Beendigungsfreiheit als Strukturelemente lebzeitiger und erbrechtlicher Privatautonomie Zur Ausübung eines Freiheitsrechts kann niemand gezwungen werden, sonst tritt an die Stelle der Selbst- die Fremdbestimmung, und es entsteht Unfreiheit. In rechtliche Kategorien übertragen bedeutet das, dass die Initiative zur rechtsgeschäftlichen Betätigung aus dem freien Entschluss des Individuums kommen muss. Kennzeichnend ist damit eine Befugnis im Sinne einer Kompetenzzuweisung,1 die genutzt werden kann, aber nicht muss. Üblicherweise wird der Zusammenhang als „positive“ und „negative Freiheit“ erfasst. 2 Diese Beschreibung taugt für die Vertrags- wie die Testierfreiheit gleichermaßen. Das gilt nicht für solche Termini, die das Rechtsgeschäft, um dessen Zustandekommen es geht, als lebzeitiges identifizieren, wie etwa die „Abschluss-3“ oder „Vertragsbegründungsfreiheit“.4 Bisweilen begegnet sogar die Bezeichnung „Antrags- und Annahmefreiheit“. 5 Die Begriffe unterstreichen einmal mehr den Definitionsprimat der Vertragsfreiheit inter vivos für die Privatautonomie im Allgemeinen,6 obwohl es in der Sache um einen Themenkreis geht, der nicht spezifisch lebzeitiger Natur ist, sondern im Selbstbestimmungsrecht des Individuums schlechthin wurzelt. Um das deutlich zu machen, sollte der neutralere Begriff der „Vornahmefreiheit“ gewählt werden.7 Als spezifisch erbrechtlicher Terminus bietet sich dagegen für Testament und Erbvertrag die Bezeichnung „Errichtungsfreiheit“ an. Dieser positiven Freiheit wird neben der „negativen“ Freiheit, rechtsgeschäftliche Betätigungen überhaupt zu unterlassen, noch ein zweiter Aspekt 1 Enderlein, S. 71 ff., m.w.Nw.: „kompetenzielle Freiheit“. Weitere Bezeichnungen („Können“, „Möglichkeit“, „Befähigung“, „Befugnis“) bei Heinrich, S. 43, Fn. 4, m.w.Nw. 2 Zu diesem Freiheitskonzept J. Schapp, AcP 192 (1992), 355, 359 ff., m.w.Nw. 3 In Bezug auf die Privatautonomie (nicht die Vertragsfreiheit) gebrauchen den Begriff zum Beispiel Paulus/Zenker, JuS 2001, 1, 1. 4 Busche, S. 67 ff. 5 Heinrich, S. 55. 6 Oben § 3 B. I. 1., S. 70, IV. 1., S. 94, § 5 A. III. 2. a., S. 132, b. cc., S. 136. 7 Larenz/M. Wolf, § 34 Rn. 6, wollen den Begriff nur für die „Privatautonomie bei einseitigen Rechtsgeschäften“ verwenden, obwohl er vom Wortsinn her durchaus weiter gefasst werden kann.

§ 10 Vornahme- und Beendigungsfreiheit

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„negativer“ Selbstbestimmung gegenüber gestellt, die so genannte „Beendigungsfreiheit.“8 Sie besagt, dass im Grundsatz niemand daran gehindert werden kann, ein zustande gekommenes Rechtsgeschäft veränderten tatsächlichen Bedingungen anzupassen9 oder ganz aus der Welt zu schaffen. Jemanden an einer Vereinbarung festzuhalten, die er so oder überhaupt nicht mehr will, kann nur unter Hinweis auf selbstständige Rechte Dritter legitimiert werden, die aus ihr erwachsen sind.10 Das Recht der Lebenden und das Erbrecht erkennen diesen Grundsatz gleichermaßen an. Der Unterschied scheint darin zu liegen, dass der actus contrarius unter Lebenden wie der Akt der Vornahme des Rechtsgeschäfts konsensual beschaffen sein muss, im Fall der rechtsgeschäftlichen Erbfolge ein solches Nachschaffen der Errichtung bei der Aufhebung aber nicht erforderlich ist. Doch täuscht das. Zwar müssen die Parteien eines lebzeitigen Vertrags das zwischen ihnen bestehende konsensuale Band durch eine ebensolche Vereinbarung wieder lösen, jedoch auch die einseitige Beendigung eines gegenseitigen Vertrags kommt im Recht der Lebenden vor, zum Beispiel im Fall einer schwebend unwirksamen Vereinbarung11 oder bei einem vertraglichen Rücktrittsrecht (§§ 346 ff. BGB). Auch das Erbrecht verlangt nicht strikt die gleichartige Konstruktion des actus contrarius und des Errichtungsakts.12 Während der Testator seine letztwillige Verfügung auch anders als durch Widerrufstestament (§ 2254 BGB) aufheben kann (§§ 2255, 2256, 2258 BGB), ist das beim Erbvertrag oder einer einzelnen vertragsmäßigen Verfügung grundsätzlich nur durch ein entsprechendes konsensuales Rechtsgeschäft möglich (vertragliche Vereinbarung oder gemeinschaftliches Testament der Parteien des ursprünglichen Rechtsgeschäfts [§§ 2290, 2292 BGB]).13 Dem gleichgestellt ist der Rück8 So „negativ“ wie die Freiheit, rechtsgeschäftliche Betätigung, überhaupt zu unterlassen, ist sie freilich nicht. Denn um ein Rechtsgeschäft aus der Welt zu schaffen, bedarf es eines entsprechenden aktiven Tuns. 9 Das ist freilich eher eine Frage der Inhalts- oder Gestaltungsfreiheit, ebenso wie die, wer Begünstigter einer letztwilligen Verfügung oder Partner eines Erbvertrags wird (so genannte Partner-, Kontrahenten- oder Gegnerwahlfreiheit; anders Heinrich, S. 55; wie hier Busche, S. 68). 10 Heinrich, S. 56. 11 Dazu im Einzelnen Kroppenberg, WM 2001, 844, 848, 850. Im Gegensatz zum schwebend unwirksamen Geschäft handelt es sich beim aufschiebend bedingten Rechtsgeschäft um eines, das bereits vor dem Eintritt der Wirksamkeit eine nicht nur geminderte Bindungswirkung entfaltet und daher von den Parteien nur gemeinsam aufgehoben oder abgeändert werden kann (BGHZ 67, 395, 397). 12 Auch das ist Ausdruck dessen, dass der actus contrarius mit dem „actus primus nicht auf einer Stufe steht“: Canaris, Fg. BGH I, S. 129, 150; s. auch Singer, Selbstbestimmung, S. 55. 13 Eine „Zwitterstellung“ hat für wechselbezügliche Verfügungen (§ 2270 Abs. 2 BGB) das gemeinschaftliche Testament. Gemäß §§ 2271 Abs. 1 Satz 1, 2296 BGB kann dieses zwar durch einfache Erklärung widerrufen werden, jedoch ist diese empfangs- und formbedürftig. § 2272 BGB (Rücknahme des gemeinschaftlichen Testaments aus amtlicher Verwahrung)

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Dritter Teil

tritt gemäß § 2293 BGB, weil sich hier beide Parteien des ursprünglichen Vertrags auf einen entsprechenden Vorbehalt eines oder beider Teile schon bei Vertragsschluss verständigt hatten.14 Des Weiteren kommen sowohl im Recht der Lebenden als auch im Erbrecht einseitige Lossagungsrechte vor, die wirksam nur ausgeübt werden können, wenn ein zulässiger Rücktritts- oder Widerrufsgrund vorliegt. Beispiele sind der Rücktritt vom Erbvertrag bei Verfehlungen des Bedachten (§ 2295 BGB) oder der Widerruf einer lebzeitigen Schenkung wegen groben Undanks des Beschenkten (§ 530 BGB). Auch die Fälle des Rücktritts vom gegenseitigen lebzeitigen und vom Erbvertrag wegen „Leistungsstörungen“ (§§ 2295, 323 BGB) gehören hierher. Es handelt sich hierbei um Fälle, in denen – um eine Formulierung Goebels zu gebrauchen15 – die „zerbrochene Reziprozität zur Entbindung führt“. Schließlich kommt das Recht des Erblassers, den Erbvertrag wegen Motivirrtums gemäß §§ 2281 Abs. 1, 2078 Abs. 2 BGB anzufechten, zumindest im Ergebnis einem einseitigen Lossagungsrecht sehr nahe.16 Immerhin muss jedoch für dessen Ausübung ein Grund angegeben werden, der im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorgelegen haben muss. Um die Bindungswirkung nicht zu sehr einzuschränken und insbesondere den §§ 2294 f. BGB den Sinn zu erhalten, sollte das Lösungsrecht aufgrund Anfechtung auf den Irrtum über positive Vorstellungen beschränkt werden.17 Das dogmatische Ordnungskriterium für all diese Fälle ist offenbar weder die Differenzierung nach einseitigen oder mehrseitigen noch auf den ersten Blick die Unterscheidung in lebzeitige und erbrechtliche Rechtsgeschäfte. trägt zwar der Gemeinschaftlichkeit des Errichtungsakts Rechnung (Soergel/M. Wolf, § 2272 Rn. 1), erfüllt aber im Übrigen nicht die Anforderungen an einen actus contrarius: Errichtungs- und Aufhebungsakt sind konstruktiv verschieden geartet. 14 Die Parallele zu einem entsprechenden Vorbehalt in einem lebzeitigen Vertrag zieht explizit Staudinger/Kanzleiter, § 2293 Rn. 3. Auch die Auswertung der Entstehungsgeschichte der Vorschrift führt zu diesem Ergebnis: „Das, was § 2293 BGB sagt, soll vielmehr nur die selbstverständliche Folge aus dem Umstand sein, dass der Erbvertrag Vertrag ist“. Das ist mitnichten „nichts“, wie van Veenroy, JZ 1987, 10, 11, meint, oben § 6 C. 4. b., S. 193, m. Fn. 263). Wenn die §§ 346 ff. BGB auf den Erbvertrag nicht anwendbar sind (Soergel/M. Wolf, § 2293 Rn. 3), ist das Ausdruck davon, dass der Erbvertrag kein schuldrechtlicher Austauschvertrag ist. 15 Ehegattenschutz, S. 324 f. 16 Krebber, DNotZ 2003, 20, 27; ders., AcP 204 (2004), 150, 150; jew. m.w.Nw.; vor ihm bereits Lange, NJW 1963, 1571, 1578. 17 Im Einzelnen Krebber, DNotZ 2003, 20, 32 f. Im Sinne einer Objektivierung der Anfechtungsvoraussetzungen lassen sich auch Äußerungen des Bundesgerichtshofs deuten (WM 1987, 1019, 1020), § 2078 Abs. 2 BGB verlange, „dass der die Fehlvorstellung des Erblassers ausmachende und zur Anfechtung berechtigende Umstand nicht nur eine Ursache, sondern der bewegende Grund für seinen letzten Willen war. […] Nicht jede Ursache hat das Gewicht des Beweggrunds.“ Weiter Veit, NJW 1993, 1553, 1556: „muss auch das völlige Nichtbedenken des Erblassers bei Abschluss des Erbvertrags berücksichtigt werden und zur Anfechtung wegen Motivirrtums berechtigen“.

§ 10 Vornahme- und Beendigungsfreiheit

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Entscheidend für die wirksame Ausübung der „Beendigungsfreiheit“ ist vielmehr das Merkmal der (lebzeitigen oder erbrechtlichen) Bindungswirkung eines Rechtsgeschäfts, ein Element der Rechtsfolgenseite, das mit der Wirksamkeit des Geschäfts zwar meist, aber – wie das Beispiel des Erbvertrags zeigt – nicht zwingend zusammenfällt. Entfaltet ein Rechtsgeschäft dagegen überhaupt keine Bindungswirkung (Beispiel: Testament vor dem Erbfall), kann der Widerruf oder der Rücktritt jederzeit und ohne Angaben von Gründen erklärt werden.18 Bindet das Geschäft die Partei(en) bereits, liegen die Dinge anders: Es ist zunächst denkbar, dass es gemeinsam mit dem anderen Teil im nachhinein einvernehmlich aufgehoben oder die Bindung schon beim Zustandekommen des Rechtsgeschäfts limitiert wurde19 – dann gilt der Satz „stat pro ratione voluntas“. 20 Im Übrigen muss ein Grund für die einseitige Lossagung vorliegen, den das Gesetz akzeptiert. 21 Freiheit zur Bindung und Freiheit von der Bindung sind folglich nicht zwei deckungsgleiche Seiten der Privatautonomie. 22 Obwohl allein die privatautonome Entscheidung über das Entstehen von Bindung entscheidet, insoweit also durchaus von „Bindungsfreiheit“ gesprochen werden kann, 23 hängt ihr Fortbestand und ihr Ende davon nicht mehr allein ab. 24 Mit dem schillernden Begriff der „Geltungserklärung“, von

18 Das betonen für das Testament Harder/Kroppenberg, Rn. 245; Lange/Kuchinke, § 23 I 1, S. 405, Leipold, Rn. 329: „Teilaspekt der Testierfreiheit“; Schlüter, Rn. 184. Zur Rechtsfolge des Widerrufs von Lübtow I, S. 235 f., m.w.Nw. aus der älteren Literatur. Zum Teil wird die Widerrufsfreiheit in einen Zusammenhang mit Ulp. D. 34.4.4 gerückt (Kipp/Coing, § 31 I, S. 208; Lange/Kuchinke, § 23 I 1, S. 405; s. auch Miserre, S. 233, m. Fn. 764): Ambulatoria enim est voluntas defuncti usque ad vitae supremum exitum („Wandelbar ist der Wille des Menschen bis zum Lebensende.“). Voraussetzung ist wie bei der Errichtung die Testierfähigkeit des Erblassers. Zum Sonderfall der Anfechtung durch den gesetzlichen Vertreter bei zwischenzeitlichem Eintritt der Testierunfähigkeit Harke, JZ 2004, 180 ff. 19 Für das gemeinschaftliche Testament Goebel, Ehegattenschutz, S. 324. 20 Dazu Canaris, Fs. Lerche, S. 873, 881, m.w.Nw.; s. auch H. Heiss, S. 53. Der historische Ursprung dieses Satzes wird selten einmal benannt, vielleicht nicht ohne Grund. Er stammt aus den Satiren des Iuvenal (6.223, s. D. Liebs, S. 220, Nr. 63). Eine Frau weist ihren Mann an, einen Sklaven grundlos hinzurichten, mit den Worten Hoc volo, sic iubeo, sit pro ratione voluntas („Das will ich, so befehle ich, die Begründung sei mein Wille.“). Die hiesige Parömie gibt im genauen Wortlaut nur eine Parodie auf Iuvenal wider (Bury, Stichwort: „stat pro ratione voluntas“), Mulier est animal cui stat pro ratione voluntas („Die Frau ist ein Lebewesen, bei der der Wille für die Begründung steht.“). 21 Lorenz, S. 41 f. 22 Heinrich, S. 56 f., für die Vertragsfreiheit unter Lebenden. Für die Gestaltungsbefugnis von Todes wegen oben § 5 B. I., S. 144. 23 Heinrich, S. 57. 24 Das heißt nicht, dass es nun eines anderen Grunds bedürfte, um den „obligationsbegründenden Effekt“ (Bydlinski, S. 70) zu erklären. Vielmehr muss zwischen Bindungsentstehung und Bindungsfortbestand unterschieden werden; Lobinger, S. 57, m.w.Nw. zu den insoweit abweichenden verantwortungs-, vertrauens- und verkehrsschutzrechtlichen Anschau-

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Dritter Teil

deren gestalterischem Bedeutungshorizont hier noch die Rede sein wird, 25 begibt sich der Erklärende folglich auch jenes Stücks seiner Selbstbestimmung, das er zunächst zwar aufgeben, später nach dem Zustandekommen des Rechtsgeschäfts aber wieder zurückhaben wollte. 26 Das gilt freilich uneingeschränkt nur für die synchron strukturierten Rechtgeschäfte unter Lebenden. Bei erbrechtlichen ändert sich Grundlegendes mit dem Erbfall und dem Eintritt in die „Wirksamkeitsphase“ der Verfügung von Todes wegen. Beugten sich Testament und Erbvertrag zu Lebzeiten des Erblassers im Hinblick auf die Vornahme- und Beendigungsfreiheit (nicht dagegen in Bezug auf den Inhalt erbrechtlicher und lebzeitiger Bindung) noch Kriterien, die sich so auch für lebzeitige Geschäfte anwenden ließen, tritt nun die Struktur spezifisch erbrechtlicher Bindungswirkung offen zu Tage. Beim Testament fallen Bindung (und Wirksamkeit der letztwilligen Verfügung) im Zeitpunkt des Erbfalls einerseits zusammen, andererseits treffen ihre Wirkungen aber aufgrund der linearen Struktur der Testierfreiheit nicht mehr denjenigen, der sie ursprünglich kraft seines Selbstbestimmungsrechts initiiert hatte. Das ist nur möglich, wenn derjenige, den die Rechtswirkungen des Rechtsgeschäfts nun treffen, der Erbe nämlich, dem kraft seiner Privatautonomie durch die Annahme der Erbschaft zugestimmt hat. 27 Das gilt sowohl für die letztwillige Verfügung eines Erblassers als auch für das gemeinschaftliche Testament nach dem ersten Erbfall (§ 2271 Abs. 2 Satz 1 BGB). Das ist, wie gesagt, nicht Ausdruck eines gleichzeitig erreichten Willenskonsenses, sondern Ergebnis einer linear strukturierten Willensbildung und -äußerung. Stärker als im Recht der Lebenden hängen damit Fortbestand und Ende erbrechtlicher Bindung gerade von der selbstbestimmten Entscheidung eines oder mehrerer Individuen ab – wenn auch nicht mehr von der des Erblassers. Für den Erbvertrag gilt Entsprechendes. Der Unterschied zur letztwilligen Verfügung liegt in zeitlicher Hinsicht darin, dass erbrechtliche Bindungswirkung bereits zu Lebzeiten der Vertragsparteien, nämlich im Augenblick des Vertragsschlusses erzeugt wird. 28 Wirksam wird die erbvertragliche Verfügung ungen. S. auch oben § 5 B. I., S. 144, 145, m. Fn. 140; und unten § 12 A. II., S. 278, § 12 B. III. 1. a., S. 287, m.w.Nw. 25 Unten § 12, S. 271 ff. 26 Damit ist nicht gesagt, dass das Konzept der Selbstbindung „zukünftige Freiheiten beeinträchtigt“ (Enderlein, S. 92). Insgesamt gesehen befördert es im Gegenteil die Verwirklichung individueller Gestaltungsanliegen, in dem es sie (rechts-)verbindlich werden lässt (Enderlein, S. 92 f.; Heinrich, S. 56 f.: Ergebnis eines „wertenden Gesamtvergleichs“). 27 Larenz/M. Wolf, § 34 Rn. 9, sprechen davon, dass der Erblasser „nicht ohne weiteres in die Rechtssphäre des Bedachten eingreifen könne“. Stets könne der Bedachte die Zuwendungen ausschlagen. Das ist eine unpräzise Beschreibung für den Umstand, dass niemandem ein Rechtserwerb ohne entsprechende willentliche Entschließung endgültig zugemutet werden soll. Oben § 6 C. II. 4. d. bb., S. 199. 28 Krebber, DNotZ 2003, 20, 23, m. Fn. 14. Des Weiteren Ritter, S. 78 f.; Soergel/M. Wolf, § 2289 Rn. 1.

§ 10 Vornahme- und Beendigungsfreiheit

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aber wie das Testament erst mit dem Tode des Verfügenden. Dem Willenskonsens im Zeitpunkt des Vertragsschlusses, an den sich die erbrechtliche Bindungswirkung knüpft, folgt nach dem Erbfall die Willensäußerung des überlebenden Vertragspartners nach, der sich inhaltlich auf die Ausschlagung oder Annahme der Erbschaft richtet und über Fortbestand oder Ende der erbvertraglichen Bindungswirkung entscheidet. Insoweit weist auch der Erbvertrag die für Verfügungen von Todes wegen charakteristische lineare Struktur auf. 29 Allgemein ist die „Bindungsfreiheit“30 ein Phänomen, das zwar bei Rechtsgeschäften unter Lebenden und von Todes wegen gleichermaßen vorkommt und auf deren gemeinsame privatautonome Natur verweist,31 im Recht der Lebenden und im Erbrecht aber ganz unterschiedlich organisiert ist. Lebzeitige und erbrechtliche Bindungswirkung müssen daher inhaltlich strikt voneinander getrennt werden.

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Oben § 6 C. II. 4. d. aa., S. 196 ff. Heinrich, S. 57. Oben § 5 B. I., S. 142 ff.

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§ 11 Inhaltsfreiheit als Strukturelement lebzeitiger und erbrechtlicher Privatautonomie A. Typenfreiheit im Recht der Lebenden und im Erbrecht I. Die Antinomie von lebzeitiger Typenfreiheit und erbrechtlichem Typenzwang – Kritik eines Mythos Wer ein Testament errichtet oder einen Erbvertrag abschließt, gestaltet zugleich dessen Inhalt.1 Deshalb werden die Termini Inhalts- und Gestaltungsfreiheit nicht selten synonym gebraucht. 2 Das liegt daran, dass sie in besonderer Weise die schöpferischen Elemente selbstbestimmter rechtsgeschäftlicher Betätigung verkörpern. Will man das Selbstbestimmungsrecht eines Individuums positiv fassen, kommt man nicht umhin, gerade die kreative, auf Wirkung in der Außenwelt gerichtete Inhalts- und Gestaltungsfreiheit als prägend anzusehen. Neben der Absage an Fremdbestimmung und Funktionalisierung des Individuums, die sowohl als Voraussetzung als auch als „negatives“ Gegenstück zur „positiven“ schöpferischen Freiheit gedeutet werden kann,3 sind sie die „Quintessenz der Privatautonomie“.4 Genau genommen beschreiben die beiden Freiheiten jedoch Unterschiedliches.5 Inhaltsfreiheit meint die Befugnis, die konkret-materielle Beschaffenheit eines Rechtsgeschäfts nach eigenem Gutdünken zu konturieren. Darunter wird weniger die freie Bestimmung der essentialia negotii verstanden, also die parteiautonome Konkretisierung eines vorgefundenen rechtsgeschäftlichen Typs zu einem auf die Beteiligten maßgeschneiderten Rechtsgeschäft 1 Busche, S. 71 f.: „Interdependenz von Vertragsbegründungs- und Vertragsgestaltungsfreiheit“, hier von Errichtungs- und Gestaltungsfreiheit. 2 Busche, S. 70. 3 In diese Richtung etwa Bailas, S. 91: „Privatautonomie ist danach als Gegensatz zum Zwang aufzufassen.“ Kritisch Singer, Selbstbestimmung, S. 81. 4 Hepting, Fs. 600 Jahre Universität Köln, S. 209, 227 f. S. auch Max Fischer, S. 36: Inhaltsfreiheit als „Vertragsfreiheit im engeren Sinne“. Zu vorsichtig insoweit Busche, S. 70: „Vertragsbegründungsfreiheit ohne Gestaltungsfreiheit bedeutet noch keine Vertragsfreiheit“. 5 J. Schmidt, S. 59: „Man muss die beiden Fragen, ob das Schuldverhältnis eine rechtliche Bindung bewirkt [es also gestalterisches Potenzial hat] von der Frage, wie der Inhalt der rechtlichen Bindung zustande kommt („Abschlussfreiheit“) und ausgestaltet wird („Inhaltsfreiheit“) zumindest analytisch trennen.“ Zur Gestaltungsfreiheit unten § 12, S. 271 ff.

§ 11 Inhaltsfreiheit

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(testamentarische Berufung einer bestimmten Person zum Erben, Festlegung eines Vermächtnisgegenstands und der Person des Vermächtnisnehmers). Diese inhaltliche „Konkretisierungsfreiheit“ wird gemeinhin auf eine bloße „Kontrahentenwahlfreiheit“ als Unterfall der „Vornahmefreiheit“ reduziert. 6 Das unterschätzt die Kreativität des Bemühens der Beteiligten, dem rechtsgeschäftlichen Typ in einem bestimmten Rechtsgeschäft ein individuelles Gesicht zu verleihen und ihm so den eigenen Stempel aufzudrücken. Dagegen werden Ansätze, die die Bestimmung der „Regelungsdichte“ einer Vereinbarung, die Frage also, wie detailliert der Inhalt des Rechtsgeschäfts umrissen wird,7 als Gegenstand der Inhaltsfreiheit begreifen, den rechtsschöpferischen Implikationen einer „Konkretisierungsfreiheit“ besser gerecht. In der Regel wird unter Inhaltsfreiheit allerdings vor allem Disposivität in Typenfreiheit verstanden.8 Sie taucht in verschiedenen Ausprägungen auf, zum einen als typenübergreifende „Kombinationsfreiheit“, die sich in einer so genannten typengemischten Vereinbarung oder einem „Typenverschmelzungsvertrag“9 ausdrücken kann, und zum anderen gar als typenunabhängige10 „Rechtsgeschäfts(er)findungsfreiheit“.11 Im Vergleich mit diesem beliebig modifizier-, kombinier-, verwerf- und neu erschaffbaren rechtsgeschäftlichen Potenzial unter Lebenden werden im Bereich des gewillkürten Erbrechts erhebliche Abstriche gemacht. Dem grundsätzlichen Bekenntnis zu Gestaltungsfreiheit von Todes wegen folgt in der Regel der Hinweis auf den erbrechtlichen Typenzwang, der dem Erblasser nur erlaube, solche „Arten von Anordnungen zu treffen, die das Gesetz ausdrücklich als zulässig anerkenne, oder deren Zulässigkeit sich jedenfalls aus dem Inhalt der gesetzlichen Vorschriften ergebe“.12 Der Wille des Erblassers kann sich hiernach nur in bestimmten vom zwingenden Gesetzesrecht vorgegebenen Bahnen äußern.13 Bisweilen wird die schuldrechtliche Freiheit zur Schaffung neuer rechtsgeschäftlicher Typen zusätzlich mit dem Hinweis auf den numerus clausus der Verfügungen von Todes wegen kontrastiert.14 6

Oben § 10, S. 241 f., m. Fn. 24. Larenz/M. Wolf, § 34 Rn. 48. 8 Martinek I, S. 17: „Typenfreiheit als Vertragsinhaltsfreiheit“. 9 Larenz/Canaris, BT/II, § 63 III 1, S. 54 ff., m.w.Nw. 10 Heinrich, S. 59. 11 Heinrich, S. 59 f. 12 Strothmann, Jura 1982, 349, 350; s. auch Definition bei Deeg, S. 18. 13 Radke, S. 48, m.w.Nw. in Fn. 14. 14 Baur/Stürner, § 1 Rn. 7; Larenz/M. Wolf, § 34 Rn. 54: „Ergänzung“; s. auch Muscheler, Vonselbsterwerb, S. 2: numerus clausus und „Typenzwang im engeren Sinne“. Die Begrifflichkeiten sind nicht ganz einheitlich, beziehen sich aber inhaltlich nur auf verschiedene Aspekte desselben Phänomens (Radke, S. 53 ff.). Teilweise wird der numerus clausus, also die vorgegebene Zahl von rechtsgeschäftlichen Typen, als (Akts-)Typenzwang bezeichnet, deren vom Gesetzgeber vorgegebener Inhalt dagegen als Typenfixierung (so Stadler, S. 110, 7

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Dritter Teil

Insgesamt bietet sich ein extremes Bild: Einem schöpferischen Freiheitsraum unter Lebenden, dem scheinbar keine Grenzen gesetzt sind, wird im Erbrecht ein überaus begrenzter und in solchem Maße kupierter rechtsgeschäftlicher Aktionsradius gegenübergestellt, dass fürwahr Zweifel angebracht sind, ob er das Prädikat „inhaltsfrei“ verdient15 und überhaupt privatautonom genannt werden kann.16 Aus dieser Anschauung beziehen denn auch Ansätze ihre vermeintliche Überzeugungskraft, die die Testierfreiheit lediglich als unselbstständigen Modus zur Ergänzung der gesetzlichen Erbfolge ansehen wollen.17 Das Konzept geht freilich nur auf, wenn man die zugrunde liegende Annahme einer lebzeitigen Freiheit ohne Grenzen als Gegenpol zu einer kaum mehr als solche definierbaren, von zwingendem Gesetzesrecht18 gesteuerten Freiheit von Todes wegen in der kategorischen Allgemeingültigkeit akzeptiert, in der sie formuliert wird. Dass insoweit mehr als nur Vorsicht am Platz ist, zeigt der Vergleich dieses antinomischen Szenarios mit einem anderen, das hier bereits als lebzeitig geprägter Mythos identifiziert werden konnte. Die Rede ist von der „Diktatur“ des Erblassers über die ihm nachfolgenden Personen als Negativfolie zur „demokratisch“ strukturierten Vertragsfreiheit unter Lebenden. Nimmt man diesen Ansatz ernst, gerät er in einen kaum auflösbaren Widerspruch zu dem eben skizzierten Modell der Inhaltsfreiheit. Der vermeintliche „Diktator“ kann sich nur in einem rechtsgeschäftlichen Korsett überhaupt von Todes wegen betätigen, seine angebliche Willensherrschaft schrumpft auf ein vom Typenzwang gegängeltes, „kanalisiertes“19 Quäntchen Freiheit zusammen, das von ihm mehr verwaltet als gestaltet wird. Das spricht, könnte ein Einwand lauten, nicht zwingend gegen die Absolutheit des herrschenden Verständnisses von der Inhaltsfreiheit, sondern nur für die Unrichtigkeit des „Diktatur“-Topos. Doch greift das zu kurz, wenn man die Forschungsergebnisse Sibylle Hofers zum mythischen Charakter des privatautonomen Einheitsmodells unbeschränkter

m.w.Nw. in Fn. 1; des Weiteren Leßmann, JA 1983, 341, 344). S. auch oben § 4 A., S. 122, m. Fn. 26. 15 Strothmann, Jura 1982, 349, 355: „Wegen der weitgehenden zwingenden Festlegung der Rechtsfolgen bleibt den Beteiligten aber keine oder eine nur geringfügige Möglichkeit der individuellen inhaltlichen Ausgestaltung.“ 16 Zur Tendenz, der Testierfreiheit ihren privatautonomen Charakter insgesamt abzusprechen oben § 4 B. IV., S. 91, m. Fn. 272, § 5 A. III. 2. b. dd., S. 130. 17 Oben § 1 A., S. 14, m. Fn. 33, § 5 A. III. 1., S. 119. Strothmann, Jura 1982, 349, 358: „Testierfreiheit bedeutet in erster Linie die dem Erblasser eingeräumte Möglichkeit, die gesetzliche Erbfolge auszuschließen oder abzuändern.“ 18 Zum zwingenden Charakter des Typenzwangs Schön, S. 252 ff., m.w.Nw. 19 Unklar bleibt, was genau „kanalisiert“ werden soll; Deeg, S. 14 f., spricht zum einen von der „Kanalisierung des Erblasserhandelns“ (S. 14 f.), des Weiteren von der „Kanalisierung von Rechtsfolgen“ (S. 15) sowie schließlich von der „Kanalisierung des Erblasserwillens“ (S. 18). Die Bezeichnung findet sich auch bei Strothmann, Jura 1982, 349, 355.

§ 11 Inhaltsfreiheit

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Freiheit in Rechnung stellt:20 Sie hat für die Vertragsfreiheit unter Lebenden nachgewiesen, 21 dass die moderne Doktrin in ahistorischer Weise einen theoretisch unbegrenzten Freiheitsraum umreißt, der funktionell auf die Bedeutung einer bloßen Bezugsgröße für Überlegungen zu dessen Einschränkung reduziert wird. 22 Vor diesem Hintergrund gerät das Konzept einer absoluten Inhaltsfreiheit inter vivos ebenso ins Wanken wie das eines im Grundsatz freiheitsfeindlichen Typenzwangs im Erbrecht. Methodisch soll hier eine Verifizierung dieser These von den beiden Punkten aus unternommen werden, die den behaupteten Gegensatz zwischen dem unbegrenzten Freiheitsraum unter Lebenden und dem kaum mehr vorhandenen von Todes wegen bilden. Zunächst kann aus dem Umstand, dass das Recht der Lebenden bislang eine größere Anzahl und breitere Vielfalt atypischer Verträge hervorgebracht hat, nicht zwingend darauf geschlossen werden, dass die Ausübung der Testierfreiheit notwendig typengebunden ist. Vielmehr ergibt sich aus diesem Befund nur, dass der „rasante Auf- und Ausbau einer hochgradig differenzierten und spezialisierten Rechts-, Wirtschafts-, und Gesellschaftsordnung“23 sich in den vergangenen fünfzig Jahren im Vertragsrecht der Lebenden stärker abgebildet hat als im (gewillkürten) Erbrecht. Der Unterschied dürfte zum einen in der stärkeren Empfänglichkeit und Aufnahmefähigkeit des lebzeitigen Leitinstruments „Austauschvertrag“ für ökonomische und soziale Entwicklungen liegen. Die Schwelle, an der ein außerrechtlicher Entwicklungsimpuls in ein zuvor nicht da gewesenes erbrechtliches Regelungsbedürfnis umschlägt, liegt sicher höher als im Recht der Lebenden. Zum anderen wurde ein solches bislang nicht virulent, weil mit den lebzeitigen Vereinbarungen auf den Todesfall, den Rechtsgeschäften der so genannten vorweggenommenen Erbfolge, 24 ein Gestaltungsbereich zur Verfügung stand, der besonderen Interessen Rechnung zu tragen erlaubte. Ein Beispiel ist der Bereich der mittelbaren Sicherung erbrechtlicher Erwerbsaussichten durch lebzeitige Vereinbarungen, 25 ein weiteres das Interesse der Empfänger der erbrechtlichen Zuwendung an einer bestimmten Auslegungsvariante einer erbrechtlichen Anordnung. 26 Hinzu kommt, dass das rechtsgeschäftliche Instrumentarium, welches das Erbrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs zur Verfügung stellt, sich durch eine nicht unerhebliche Regelungsdichte auszeichnet. 27 Die mit dem Leit20

Hofer, S. 5. Die Testierfreiheit spart sie explizit aus (Hofer, S. 5). 22 Oben § 3 A. I., S. 59 f. 23 Martinek I, S. 18 f. 24 Oben Einleitung, S. 3 f. 25 Unten § 12 B. III. 2. a., S. 304 ff. 26 Harder/Kroppenberg, Rn. 207, m.w.Nw. aus Rechtsprechung und Literatur. 27 Ähnlich Vollkommer, ZEV 2000, 10, 13, in Bezug auf die erbrechtliche Gestaltung des Valutaverhältnisses beim Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall: „Die Wahl erbrechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten ist für den Erblasser wegen der im Erbrecht umfassend ge21

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Dritter Teil

bildcharakter verbundene Ordnungsfunktion des dispositiven Rechts, das dieses zu einem in gesteigertem Maße verbindlichen macht, 28 ist im Erbrecht stärker ausgeprägt als im Recht der Lebenden. Es fällt deshalb nicht leicht, vollständig neue erbrechtliche Regelungsinteressen zu formulieren und Lücken in den Regeltatbeständen 29 der lex lata aufzuspüren.

II. Typenzwang als lebzeitige und nicht erbrechtliche Rechtsfigur 1. Nochmals: Anleihen beim sachenrechtlichen Typenzwang Kategorisch ausschließen lässt sich ein solches parteiautonomes gestalterisches Potenzial von Todes wegen jedoch nicht. Jedenfalls sind die Argumente, die für den erbrechtlichen Typenzwang vorgebracht werden, nicht über jede Kritik erhaben. Es war bereits die Rede davon, dass die Erklärung, die dafür gegeben wird, sich in der Regel an der Legitimation des Typenzwangs im Sachenrecht orientiert.30 Mit dieser Parallele wird ein Erklärungsmuster aufgerufen, das in Bezug auf lebzeitige Verfügungen seinen Sinn haben mag,31 in das Erbrecht jedoch nicht unmittelbar übertragbar ist. Im Recht der Lebenden haben Typenzwang und numerus clausus zum einen verkehrsschützende Funktion. Bisweilen wird diese relativ vage als das Interesse Dritter beschrieben.32 Inhaltlich geht es dabei wohl um die Sicherung der Verkehrsfähigkeit dinglicher Rechte durch Typenklarheit, die insbesondere § 137 Satz 1 BGB der parteiautonomen Disposition entzieht.33 Für Verfügungen von Todes wegen gilt die Vorschrift jedoch gerade nicht, weil hier keine Verkehrsinteressen gewahrt werden müssen. 34 Was schließlich § 2286 BGB anbelangt, muss man dann konsequent bleiben und darf in die Vorschrift keine sachenrechtlichen Bedeutungszusammenhänge hineinlesen, die sie nicht trägt. Genau das tut jedoch Berger, wenn er, um zu begründen, dass § 2286 BGB als „Ausprägung

sicherten Testierfreiheit und der Vielzahl der zur Verfügung stehenden Rechtsinstitute vielfach günstiger [als eine lebzeitige Ausgestaltung des Geschäfts].“ Ihm folgend Bamberger/ Roth/Müller-Christmann, § 1937 Rn. 10. 28 Leenen, S. 129 ff. 29 Harder, FamRZ 1976, 418, 426, m.w.Nw. 30 Oben § 4 A., S. 118 ff. 31 Zu den entstehungsgeschichtlichen Zweifeln im Hinblick auf die Annahme eines sachenrechtlichen Typenzwangs für Mobilien oben § 4 A., S. 122, m. Nw. in Fn. 28. 32 Larenz/M. Wolf, § 34 Rn. 53. 33 Schön, S. 254: „gesamtwirtschaftliches Interesse an einer optimalen Nutzung der Lebensgüter“; Goebel, Ehegattenschutz, S. 782 ff., m.w.Nw. 34 Wiegand, Fs. Kroeschell, S. 623, 637 ff.; R. Liebs, AcP 175 (1975), 1, 26. S. auch oben § 4 B., S. 125.

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des erbrechtlichen Typenzwangs“ zu deuten sei, „hinsichtlich des sachenrechtlichen Prinzips des numerus clausus“ auf § 137 BGB verweist.35 Die Belange des Verkehrsschutzes scheiden vielmehr als Begründungsansatz für einen erbrechtlichen Typenzwang ebenso aus, wie das historisch motivierte Schutzinteresse daran, die Autonomie des Sachenrechts gegenüber dem typenfreien Schuldrecht neben der Abstraktion auch durch die Einführung einer rechtsgeschäftlichen Typengebundenheit zu stärken.36 Denn die erbrechtliche Güterzuordnung wird kraft Gesetzes bewirkt, nicht durch dingliches Rechtsgeschäft. Das hat Teile des erbrechtlichen Schrifttums freilich nicht davon abgehalten, die erbrechtlichen Rechtsgeschäfte mit einer in sich wenig stimmigen Doppelfunktion zu belasten – nämlich mit einem an sachenrechtlichen Verkehrsschutzinteressen orientierten typengebundenen Konzept, das die eigentliche Aufgabe der Verfügungen von Todes wegen, Träger der Privatautonomie im Erbrecht zu sein, zu sehr in den Hintergrund drängt. Als Erklärung für einen Typenzwang im Erbrecht wird des Weiteren das Interesse der Allgemeinheit an einer eindeutigen und verlässlichen Gestaltung der erbrechtlichen Rechtsnachfolge angeboten.37 Es leitet ihn aus der absoluten und unmittelbaren Wirkung jeder Güterzuordnung her, also unabhängig davon, ob sie lebzeitig-rechtsgeschäftlicher oder erbrechtlich-gesetzlicher Natur ist. Dazu ist zu bemerken, dass es von Todes wegen auch Verfügungstypen gibt, die sich von ihrem Inhalt her nicht auf Güterzuordnung richten, wie zum Beispiel das Damnationslegat und die Auflage.38 Aber auch die Erbeinsetzung, also diejenige erbrechtliche Verfügung, die im Falle des Vollzugs gemäß § 1922 Abs. 1 BGB unmittelbar gegenstandsrechtliche Wirkung hat, bedarf nicht so zwingend der Kanalisierung in Typen, wie das bisweilen behauptet wird. Zwar ist das Gesetz bestrebt, die Erbfolge in möglichst unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit dem Erbfall klarzustellen. In sachlicher Hinsicht stellt es Kriterien für die inhaltliche Abgrenzung verschiedener erbrechtlicher Verfügungstypen bereit, zum Beispiel in § 2087 Abs. 1 und 2 BGB,39 die im Ergebnis auch den konkreten Zuschnitt der Güterzuordnung mitbestimmen. Bei der Beurteilung dieser Regeln darf allerdings nicht aus den Augen verloren werden, dass primärer Gegenstand und juristischer Anknüpfungspunkt dieser Vorschriften die Feststellung und Auslegung des Erblasserwillens ist, dem die Universalsukzession im Bereich der rechtsgeschäftlichen Erbfolge mit Eintritt 35

Berger, S. 213. Vor ihm bereits Strobel, S. 22 f. Stadler, S. 111; Schön, S. 248 ff.; Wiegand, Fs. Kroeschell, S. 623, 630 ff.; ders., AcP 190 (1990), 112, 113; ders., Fg. BGH I, S. 753, 756 f.; ihm folgend Goebel, Ehegattenschutz, S. 305, m. Fn. 204. Des Weiteren Stürner, AcP 194 (1994), 265, 276 f.; Buchholz, Abstraktionsprinzip, S. 318 ff. 37 Kipp/Coing, § 20 I, S. 134; von Lübtow I, S. 111. Oben § 4 A., S. 118, m. Fn. 2. 38 Windel, S. 398. 39 Zur missglückten Fassung der Vorschrift Otte, NJW 1987, 3164 f.; s. auch Muscheler, Vonselbsterwerb, S. 22; Zawar, S. 112 f. 36

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des Erbfalls Wirksamkeit verschafft. Auch daran lässt sich ablesen, dass die Verfügung von Todes wegen zuvörderst Willenserklärung ist, der weder die Typengebundenheit noch die Typenklarheit institutionell immanent sind.40

2. §§ 1937–1941 BGB als freiheitserweiternde Befugnisoder freiheitsbeschränkende Ermächtigungsvorschriften Überaus „positivistisch“41 fällt der Hinweis auf die §§ 1937–1941 BGB aus, in denen das Gesetz bekanntlich verschiedene wichtige erbrechtliche Aktstypen nennt. Einige Autoren wollen aus der Aufzählung dessen, was der Erblasser „kann“,42 e contrario schließen, was er angeblich nicht darf,43 nämlich auf neue Regelungsbedürfnisse mit einer Innovation von hergebrachten Instrumenten reagieren. Sie verkennen damit den Sinn von Befugnisnormen, die Handlungsspielräume gerade eröffnen und mit ihrer Indienstnahme für das Gegenteil gegen sich selbst gewendet werden.44 Im Recht der Lebenden verfiele niemand auf die Idee, aus der Enumeration von Rechtsgeschäftstypen im besonderen Schuldrecht auf deren abschließenden Charakter zu schließen,45 obwohl diese nicht als Erlaubnisvorschriften formuliert sind und auch § 305 a.F. BGB allenfalls indiziellen Charakter für die gesetzliche Verankerung der Inhaltsfreiheit im Vertragsrecht hatte.46 Auch im Erbrecht deutet der Hinweis auf § 2278 Abs. 2 BGB, wonach in einem Erbvertrag andere Verfügungen als Erbeinsetzungen, Vermächtnisse und Auflagen nicht vertragsmäßig getroffen werden können, eher auf eine im Grundsatz nicht reglementierte erbrechtliche Inhaltsfreiheit hin als auf das gegenteilige Konzept eines prinzipiell begrenzten Entfaltungsbereichs mit Erlaubnis- oder Öffnungsvorbehalt.47 Jedenfalls findet sich in den Materialien zum Erbrecht kein Hinweis darauf, dass der rechtsgeschäftliche Handlungsspielraum bei Verfügungen von Todes wegen in diesem Sinne eingeschränkt sein soll.48

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Im Ergebnis wie hier W. Bayer, S. 297 f., m.w.Nw. in Fn. 496. Windel, S. 397. 42 Zusammenstellung bei Deeg, S. 19, Fn. 58. 43 Leipold, Rn. 351. Zur Recht kritisch Strothmann, Jura 1982, 349, 351, Fn. 17. 44 Wie hier Bamberger/Roth/Müller-Christmann, § 1937 Rn. 5: (§§ 1937 bis 1940 BGB) „ohne abschließenden Charakter“. 45 Das ist der wesentliche Kritikpunkt Leenens, S. 126 f., an Flumes Aktstypenlehre (BGB AT II, § 1, 8 a, S. 12 f.); s. auch Radke, S. 54 f.; Sigulla, S. 110. 46 Heinrich, S. 46. 47 Der Begriff „ausdrückliche Ermächtigungsnorm“ (Strothmann, Jura 1982, 349, 351) verschleiert den restriktiven Charakter eher, als dass er ihn adäquat erfasst. 48 Wie hier Radke, S. 62. 41

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3. Typenzwang als Korrektiv für rechtsgeschäftliches Handeln zulasten Dritter Wichtiger als diese letztlich im Bereich der Plausibilität angesiedelten Erwägungen ist jedoch der Umstand, dass sich ein Typenzwang mit besonderen sachlichen Belangen des Erbrechts nicht überzeugend begründen lässt. Einen Versuch dazu unternimmt freilich Windel.49 Er interpretiert die „Interessen Dritter“ zwar nicht sachenrechtlich im Sinne des Verkehrsinteresses,50 kommt aber gleichwohl nicht ohne das Vorbild des Rechts der Lebenden aus. Der Ansatz weist über die Begründung des Typenzwangs im Erbrecht insofern hinaus, als er über sein Verständnis der Testier- im Verhältnis zur Vertragsfreiheit im Allgemeinen Aufschluss gibt. Die Gleichberechtigung beider Ausprägungen der Privatautonomie wird formal zwar hervorgehoben, nur um anschießend zu betonen, dass die Testier- im Vergleich zur schuldrechtlichen Verpflichtungsfreiheit „nicht die gleiche Qualität“ aufweise.51 Ein Handeln in „Selbstherrlichkeit“52 ließe sich für Verfügungen von Todes wegen aus drei Gründen nicht mit der gleichen Überzeugungskraft rechtfertigen wie für Rechtsgeschäfte unter Lebenden auf dem Gebiet des Schuldrechts: „Zunächst kann der Wille, zu dessen Entfaltung die Testierfreiheit gewährt wird, den erstrebten Rechtserfolg schon deshalb nicht allein tragen, weil dieser zu einem Zeitpunkt eintreten soll, in dem die Willenskraft aufgrund des Todes entfallen ist. Weiter handelt der Erblasser notwendig nicht für sich selbst, sondern für andere, nämlich die Überlebenden. Dies spricht gegen eine Gestaltungsfreiheit, die sonst gerade zur individuellen Ordnung der eigenen Verhältnisse gewährt wird. Schließlich fehlt im Bereich des Erbrechts ein Korrelat zur Gestaltungsfreiheit, das für den Bereich der Rechtsgeschäfte unter Lebenden darin liegt, dass man eigene Entscheidungen aufgrund besserer Einsicht später korrigieren kann und die Verantwortlichkeit für die Folgen der Entscheidungen zu tragen hat. Kürzer: Das in jeder Gestaltungsfreiheit liegende Gefahren- und Konfliktpotenzial trifft bei Verfügungen von Todes wegen notwendig Dritte und muss deshalb rechtlich [durch die Einhaltung eines Typenzwangs] kontrolliert werden.“53

Die Anschauung ist unter mehreren Gesichtspunkten kritikwürdig; der offensichtlichste ist die mangelnde Tauglichkeit des Typenzwangs zur Kontrolle eines rechtsgeschäftlichen Verhaltens, das Dritte, aber nicht den Handelnden selbst belastet. Der Umstand, dass der Wille des Erblassers in bestimmte gesetzliche Bahnen geleitet wird, verhindert die Wirkung auf dritte Personen, die hier behauptet wird,54 nicht. Dies gelänge nur, wenn man eine solche rechtsgeschäftliche Betäti49

Windel, S. 398. Oben § 11 A. I., S. 245, m. Fn. 7. 51 Windel, S. 398. Ähnlich Edenfeld, DNotZ 2003, 4, 18 f. Oben § 3 B. IV. 2., S. 101, m. Fn. 279. 52 In Bezug genommen wird hier Flume, BGB AT II, § 1, 5, 6, S. 6 f. Oben § 5 A. III. 2. b. dd., S. 136, m. Fn. 77. 53 Windel, S. 398. 54 In die gleiche Richtung gehen Äußerungen, die davon ausgehen, dass der Erblasser in 50

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gung generell für nicht zulässig und damit als rechtlich unwirksam einstufen würde. In der Tat ist das die gängige Rechtsfolge eines Rechtsgeschäfts zulasten Dritter im Recht der Lebenden.55 Soweit geht Windel freilich nicht, müsste er doch sonst das gesamte rechtsgeschäftliche Erbrecht desavouieren – dies vor allem deshalb, weil seine Auffassung in eben jener lebzeitigen Sicht der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen wurzelt, die nach der Ersetzung des Willens des alten durch den des neuen Rechtsträgers im Wege des Erbgangs Bindungen für „legitimationsbedürftig hält, weil der Person des Erben im Rahmen eines objektiven Vermögensrechts der Überlebenden größere Bedeutung zukommt als der des Erblassers“.56 Konkret passt der Hinweis auf die mangelnde Verantwortlichkeit des Erblassers für seine Erklärung gut zu den Stimmen im Schrifttum, die beklagen, dass der Erblasser Mittel einsetze, die er selbst nicht entbehre und der von ihm geschaffene Rechtsgrund nicht ihn, sondern seinen Rechtsnachfolger belaste. Das Motiv bezieht sich hier nicht auf die Entgeltlichkeit erbrechtlicher Erwerbscausae57 und auch nicht auf die Frage der Zulässigkeit so genannter verhaltensbezogener Anordnungen von Todes wegen.58 Vielmehr wird es von Windel in der oben wieder gegebenen Stelle auf die Ebene des Eintritts der Rechtswirkung transponiert. Damit korrespondiert das Konzept unmittelbar mit dem Topos der Fremdbestimmung des Erben aufgrund Fremdherrschaft oder „Diktatur“ des Erblassers. 59 Es mischen sich in dieser Anschauung gleich zwei Projektionen aus dem Recht der Lebenden: Zum einen sind einmal mehr die Funktionsmechanismen des lebzeitigen notwendig entgeltlichen Austauschvertrags60 aufgerufen, die den erbrechtlichen Erwerb im Wege der Negativabgrenzung zu einem „notwendig unentgeltlichen“ stempeln.61 Zum anderen scheint der Gedanke der Drittbegünstigung Anleihen beim lebzeitigen Vertrag zugunsten Dritter zu erlauben. Das Konzept des rechtsgeschäftlichen Handelns für dritte Personen übernimmt dabei die Funktion eines subsidiären Erklärungsmodells für die rechtsgeschäftliche Betätigung von Todes wegen. Wenn schon nicht die Strukurprinzipien des lebzeitigen Austauschvertrags greifen, dann doch wenigstens die der §§ 328 ff. BGB – so lautet offenbar die

einer Verfügung von Todes wegen zukünftige, das heißt nicht gegenwärtige Rechtsverhältnisse behandelt; Raape, Fs. Zitelmann, 1913, S. 21, 10; R. Zimmermann, Willensentscheidung, S. 52. 55 Das gilt sowohl auf der schuldrechtlichen (Palandt/Heinrichs, Einf. v. § 328, Rn. 10, m.w.Nw.), als auch auf der sachenrechtlichen Ebene. 56 Windel, S. 244 f. Oben § 3 B. IV. 2., S. 100 ff. 57 Oben § 3 B. III., S. 87 ff. 58 Oben § 3 B. IV., S. 94 ff. 59 Oben § 6 C. II. 4. b., S. 190 ff. 60 Oben § 6 C. II. 4. d. aa., S. 195. 61 Oben § 3 B. IV. 2., S. 102 f.

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Überlegung. Es wurde bereits gezeigt, dass auch diese Parallele letztlich nicht trägt.62 Die beiden weiteren Argumente Windels betreffen die angeblich fehlende Korrigierbarkeit erbrechtlicher Willenserklärungen und ihr Wirksamwerden im Augenblick des Wegfalls des sie tragenden Willens. Was den ersten Gesichtspunkt anbelangt, so wurde er hier bereits an anderer Stelle erörtert. 63 Eine kurze Zusammenfassung mag daher genügen: Zunächst ist zu sagen, dass das Erbrecht nicht so lebensfremd ist, außer Acht zu lassen, dass einmal gefasste Einsichten sich durchaus ändern können und das Recht Instrumentarien bereit stellen muss, Willenserklärungen wieder aus der Welt zu schaffen. Das gilt im Übrigen gerade im besonderen Maße für letztwillige Verfügungen, lässt sich aber auch im Erbvertragsrecht beobachten. Das entscheidende Kriterium für die „Beendigungsfreiheit“ ist die Bindungswirkung eines Rechtsgeschäfts, die zu Lebzeiten des Erblassers nicht wesentlich anderen Kriterien gehorcht wie unter Lebenden. Aufhebungs- und Lossagungsrechte sind hier ebenso anzutreffen wie die Fortdauer von Bindung trotz Willensänderung des Erklärenden. Mit dem Erbfall treten, was die Bindungswirkung eines Rechtsgeschäfts von Todes wegen anbelangt, zwei wesentliche Änderungen ein: Die den Erben betreffende wurde schon beschrieben.64 Er muss sich an den erbrechtlichen Willenserklärungen des Erblassers nur festhalten lassen, wenn er sie für und gegen sich gelten lassen will. Seine Privatautonomie gibt ihm die Möglichkeit, einer Fremdbestimmung durch den Erblasser mittels Ausschlagung der Erbschaft zu entgehen.65 Er kann folglich das in jeder Gestaltungsfreiheit liegende Gefahren- und Konfliktpotenzial, das sich an die Bindungswirkung einer Willenserklärung knüpft, selbst kompensieren; eines Typenzwangs zum Schutz des Erben bedarf es dazu jedenfalls nicht. Den Erblasser treffen dagegen mit dem Eintritt der Wirksamkeit seiner Verfügungen in der Tat selbst keinerlei Rechtswirkungen mehr daraus. Denn das Gesetz knüpft diesen gerade an sein Ableben. Dennoch lässt sich nicht sagen, der Erblasser regle nicht seine eigenen, sondern ausschließlich die Rechtsverhältnisse dritter Personen. Eine solche Anschauung verkennt die für die Privatautonomie auf dem Gebiet des Erbrechts kennzeichnende Zweiteilung. Sie verabsolutiert die „Wirksamkeitsphase“ von Verfügungen von Todes wegen und verliert die vorangehende, zu Lebzeiten des Erblassers stattfindende „Errichtungsphase“ aus den Augen. In ihr trifft er „aus eigenem Recht Regelungen über seinen Herrschaftsbereich“,66 in ihr bildet und äußert sich der Wille des von Todes wegen Verfügenden, und zu ihr kehrt der Interpret bei der Ermitt62 63 64 65 66

Oben § 6 C. II. 4. a. bb., S. 199 f. Oben § 10, S. 238 ff. Oben § 10, S. 241 f. Oben § 7 B. II. 2. b., S. 215 ff. Flume, BGB AT II, § 11, 6 b, S. 149 (Hervorhebungen nicht im Original). Ähnlich ders.,

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lung und Auslegung dieses Willens zurück. Allein die bis zum Tod reichende Zeit der Willensbildung und Äußerung erlaubt es überhaupt, von einer Privatautonomie des Erblassers im Erbrecht zu sprechen. Sie verlöre den Charakter eines Selbstbestimmungsrechts im Privatrechtsverkehr und mutierte zum Instrument der Fremdbestimmung oder Herrschaft über Andere – also dem Gegenteil von privater Autonomie67 –, wollte man annehmen, der Erblasser behandele andere als seine eigenen Verhältnisse. Ein erbrechtlicher Typenzwang könnte bei einem derart dem Grundgedanken eigenbestimmten Handelns zuwider laufenden Konzept im Übrigen auch nicht helfen, die Fremdherrschaft zu bändigen und ihre Folgen für die „beherrschten“ Überlebenden abzumildern. Die „Diktatur“ des Erblassers würde in den vorgeprägten Typen lediglich perpetuiert und damit gesetzlich verfestigt.

4. Typenzwang als Mittel zur Rekonstruktion des Willens eines Verstorbenen Nur auf den ersten Blick erfolgsversprechender scheint es, das Erfordernis des Typenzwangs im Erbrecht mit dem Umstand zu begründen, der Wille des Erblassers müsse ja zu einem Zeitpunkt eruiert werden, zu dem dieser nicht mehr lebt. In der Tat ist die Rekonstruktion dessen, was bei Errichtung der Verfügung von Todes wegen gewollt war, eines der zentralen Regelungsanliegen des gewillkürten Erbrechts.68 Allein ihm wird bereits durch die Formgebundenheit erbrechtlicher Erklärungen hinreichend Rechnung getragen. Die von ihrem Urheber losgelöste Verkörperung des Willens in einem perpetuierten Träger, der bestimmten formellen Anforderungen genügt, schafft den Grad von Verlässlichkeit, personeller Authentizität und konkreter inhaltlicher Anlage der Erklärung, die das Gesetz im Erbrecht an verschiedenen Stellen herzustellen bemüht ist. Demgegenüber sagt allein das obligate Handeln in vorgegebenen rechtsgeschäftlichen Bahnen darüber nicht viel aus. Denn zuerst muss der Wille des toten Erblassers überhaupt rekonstruiert werden, bevor er im Wege rechtlicher Wertung bestimmten rechtsgeschäftlichen Typen zugeordnet werden kann.69 Jedenfalls lässt sich eine so umfassende Beschneidung der Inhaltsfreiheit des von Todes wegen privatautonom Handelnden, wie sie das Bekenntnis zu einer erbrechtlichen Typengebundenheit mit sich brächte, im Vergleich zu dem, was der Formzwang zu leisten imstande ist, wohl nicht rechtfertigen.70 Im

in: 100 Jahre DJT, S. 135, 165: Das Testament betrifft die „Regelung eigener Angelegenheiten“. 67 Kirchhof, Fs. Ulmer, S. 1211, 1212. Oben § 6 C. II. 4. a., S. 188 m. Fn. 224. 68 Oben § 6 C. II. 1 a. aa., S. 170. 69 Oben 2., S. 250. 70 Oben § 9 B., S. 235.

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Gegensatz zu ihm erleichtert der Typenzwang die Rekonstruierbarkeit des Erblasserwillens nämlich kaum.

III. Der zwingende Charakter des Erwerbsmodus im Verhältnis zur Inhaltsfreiheit Auch wenn sich ein erbrechtlicher Typenzwang nach allem nicht begründen lässt, gilt es doch folgendes Charakteristikum im Zusammenspiel von erbrechtlicher Verfügung und Erwerb von Todes wegen zu beachten: Sie darf den Grundsatz der Universalsukzession nicht behindern. Das bedeutet zunächst, dass eine Erklärung, die diesem Konzept entgegen steht, gemäß § 1922 Abs. 1 BGB nicht wirksam wird, sofern sie nicht im Wege der Auslegung oder Umdeutung so aufrecht erhalten werden kann, dass sie dieses Prinzip nicht verletzt. Ein Beispiel ist das Verbot einer Erbeinsetzung ex certa re,71 ein weiteres die Aussetzung eines Vindikationslegats in einer letztwilligen Verfügung.72 Ließe man solche Anordnungen generell zu, würde das der Grundidee einer erbrechtlichen Gesamtrechtsnachfolge, die die Güter für die Dauer des Erwerbsakts unimodal zusammen hält,73 zuwider laufen. Das wirkt sich auf der Verfügungsebene so aus, dass eine entsprechende Verfügung unwirksam ist, aber möglicherweise als Damnationslegat aufrecht erhalten werden kann. In den Worten Karsten Schmidts: Die Gesamtrechtsnachfolge ist durch Begrenzung der Nachfolge selbst nicht rechtsgeschäftlich steuerbar.74 Vom zwingenden Charakter der Universalsukzession als Erwerbsmodus75 auf einen kategorischen Typenzwang auf der Ebene der Verfügung von Todes wegen zu schließen, ist jedoch nicht angängig,76 schon deshalb nicht, weil das Gesetz in Gestalt des § 2110 Abs. 2 BGB77 und des vermächtnisähnlich kon71

Muscheler, Vonselbsterwerb, S. 17 f.; Otte, NJW 1987, 3164 f. Der Entscheidung des BGB-Gesetzgebers gegen das Vindikationslegat lagen freilich andere Erwägungen zugrunde. Zum einen wurde eine Aushöhlung des Publizitätserfordernisses bei Änderungen der dinglichen Güterzuordnung befürchtet (das freilich beim Vonselbsterwerb ohnehin nur gering zu veranschlagen ist). Zum anderen war es dem Gesetzgeber um den Schutz der Nachlassgläubiger in der Erbenhaftung zu tun. Zum Ganzen Motive V, S. 133, 176. Des Weiteren Lange/Kuchinke, § 29 II 1, S. 622 f.; Staudinger/Otte, § 2174 Rn. 4 ff.; Radke, S. 62 f., m.w.Nw. 73 Muscheler, Vonselbsterwerb, S. 29 ff.; ders., Jura 1999, 234, 241 f. S. auch K. Schmidt, AcP 191 (1991), 475, 499 f. 74 K. Schmidt, AcP 191 (1991), 475, 49, m.w.Nw. 75 Die mangelnde Dispositivität des erbrechtlichen Erwerbsmodus wurde im ersten Entwurf des BGB noch eigens ausgesprochen. § 1749 Abs. 2 des ersten Entwurfs lautete: „Der Übergang des Vermögens als eines Ganzen (Erbfolge) kann vom Erblasser nicht ausgeschlossen werden.“ Zur Streichung dieses Absatzes im heutigen § 1922 BGB vgl. Prot., in: Mugdan, Bd. 5, S. 383. 76 So aber Leßmann, Jura 1983, 403, 407. S. auch Belling, Jura 1986, 625, 626. 77 BGHZ 30, 60 ff. Staudinger/Otte, § 2150 Rn. 4: „singulärer Fall einer gegenständlich beschränkten Vollerbschaft“. 72

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struierten Valutaverhältnisses beim Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall78 vom Verbot des Vindikationslegats Ausnahmen zulässt.79 Vielmehr gilt im Grundsatz, dass der Erblasser bei der Gestaltung seiner Erklärung frei ist und auch solche Verfügungen treffen kann, die nicht im Kanon der §§ 1937 ff. BGB aufgenommen wurden, vorausgesetzt die Universalsukzession kann ihre Wirkung ungehindert entfalten. Die Nähe zu einem anerkannten Rechtsgeschäftstyp des Erbrechts mag zwar die güterrechtliche Zuordnung erleichtern, andererseits setzt diese einen bestimmten im Gesetz umrissenen rechtsgeschäftlichen Typ nicht voraus. Sofern nur die Gesamtrechtsnachfolge als solche nicht in Frage gestellt wird,80 besteht kein Grund, eine inhaltliche Fortbildung des gängigen Typenkanons als Ausdruck der Inhaltsfreiheit im Erbrecht abzulehnen. Die Funktionabilität der Erwerbsmodi ist im Übrigen ein Kriterium, das auch im Rechtsverkehr unter Lebenden seine Bedeutung hat. Verpflichtet sich etwa A dem B, eine Forderung abzutreten, eine Mobilie zu übereignen oder Grundstückseigentum außerhalb des Grundbuchs zu übertragen, ist das zwar Ausdruck der parteiautonomen Inhaltsfreiheit im Schuldrecht, allerdings erwachsen aus einer derartigen Obligation keine Leistungspflichten (§ 275 Abs. 1 BGB), weil das Gesetz hierfür keinen Vollzugsmodus zur Verfügung stellt. In schuldrechtliche Kategorien zurückübersetzt, liegt ein Fall objektiver Unmöglichkeit vor. Die Parteien müssen also, wollen sie den von ihnen gewünschten Erfolg wirksam herbeiführen, nicht in einer allein von ihrem Willen abhängigen, sondern in einer bestimmten Weise an das Sachenrecht anknüpfen. Sie sind gehalten, ihren Willen rechtsgeschäftlich in eine Form zu gießen, die das Gesetz gerade für die dingliche Rechtsänderung an diesem bestimmten Gegenstand bereithält. Das Schuldrecht muss sich – will es seine Versprechen halten können – insoweit dem Sachenrecht und seinen Differenzierungen unterwerfen, woraus freilich inter vivos zu Recht nicht auf die mangelnde Inhaltsfreiheit der Parteien auf der obligatorischen Ebene geschlossen wird. Für die beschriebene Beziehung zwischen rechtsgeschäftlicher und güterzuordnungsrechtlicher Ebene spielt die Frage des Typenzwangs ebenso wenig eine Rolle wie die abstrakte oder kausale

78 Harder, FamRZ 1976, 418, 426 ff.; ders./Kroppenberg, Rn. 542, m. Nw. zur abweichenden Auffassung in der Rechtsprechung; Kipp/Coing, § 81 IV 2 a, S. 450 ff. 79 Weitere Ausnahmen erörtert Staudinger/Otte, § 2174 Rn. 2. 80 Das ist weniger als eine inhaltliche „Funktionsbeschränkung hinsichtlich des Zwecks“ von Verfügungen von Todes wegen, der Herbeiführung erbrechtlicher Rechtsfolgen, anzunehmen (Westermann, S. 120, für das Personengesellschaftsrecht). Schon gar nicht kann das Phänomen adäquat als „positiver Typenzwang“ beschrieben werden (so der Begriff bei Radke, S. 48 f., 64 ff.). Der Schwerpunkt liegt ausschließlich auf der Funktionabilität der Vollzugs-, nicht aber auf der rechtsgeschäftlichen Ebene. Zweckgebundene Privatautonomie ist nämlich keine. Oben § 1 A., S. 19, § 5 A. III. 2. b. cc., S. 135, B. I., S. 144, § 6 C. II. 3., S. 183.

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Konstruktion des Erwerbs.81 Vielmehr können diese Phänomene nur mit den Belangen und Eigenarten des Rechts der jeweiligen Erwerbsmodi (Sachenrecht, Universalsukzession) begründet werden. Im Fall des Rechts der Lebenden gelingt das, im Erbrecht – wie gezeigt – nicht. Rückschlüsse auf eine Beschränkung der rechtsgeschäftlichen Inhaltsfreiheit können daraus weder inter vivos noch von Todes wegen gezogen werden.

B. Typenentwicklungsfreiheit im Recht der Lebenden und der Verfügungen von Todes wegen I. Inhaltsfreiheit als „evolutive Freiheit“ im Recht der Lebenden Methodisch wurde bisher einer von zwei möglichen Wegen beschritten, den Mythos von der unbegrenzten lebzeitigen Inhalts- und der durch zwingendes Recht beengten Gestaltungsfreiheit von Todes wegen in Frage zu stellen. Von der erbrechtlichen Warte aus wurde versucht, zu zeigen, dass es sich bei der Privatautonomie von Todes wegen um ein Prinzip handelt, das seinen Namen verdient. Im Folgenden wird ein Perspektivwechsel vorgenommen: Ausgehend vom Recht der Lebenden soll begründet werden, dass die Vorstellung eines intuitiv-kreativen Freiheitsraums, wie ihn insbesondere das Konzept der „Rechtsgeschäftserfindungsfreiheit“ theoretisch postuliert,82 mit den konkreten Erfordernissen und dem Verfahren typenbildender Rechtsfortbildung kaum in Einklang steht. Die These dabei ist, dass „Erfindungen“ im Recht in aller Regel nicht im leeren Raum gemacht werden, sondern dass Atypisches oder gar Neues durch Typenbildung in einem Selbstvergewisserungsprozess zuvörderst durch Abgleich mit Bekanntem versteh- und handhabbar gemacht wird. Nur dieses Vorgehen bietet eine gewisse Gewähr dafür, dass ein Typus, der sich neu herausbildet, in das System des geltenden Rechts wenigstens einigermaßen kohärent eingepasst werden kann, auch wenn die Grenzen des bisher Anerkannten überschritten werden.83 Es nimmt deshalb nicht Wunder, dass „typenfremde“ Verträge, also Rechtsgeschäfte, die sich keinem gesetzlich geregelten Typus zuordnen und 81

Zur kausalen Natur des Erwerbs von Todes wegen oben § 4 A., S. 121. Martinek I, S. 20 f., m.w.Nw. in Fn. 15; Larenz/Canaris, BT II/2, § 63 I 1 a, S. 41. 83 Windel, S. 400; ihm folgend Vollmar, S. 249 f., m. Fn. 1090. Freilich liegt das schon in der Methode der Rechtsfortbildung selbst begründet. Die Diskussion um einen Typenzwang ohne numerus clausus (Wieacker, S. 111) oder den numerus clausus ohne Typenzwang (Westermann, S. 115 ff.), die geführt wird, um Entwicklungspotenzial zu erschließen, aber nur in rechtlich beherrschbaren Dosen zuzulassen, ist daher im Erbrecht, wo die lebzeitigen Legitimationsgründe für beides nicht eingreifen, letztlich müßig. 82

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auch nicht als (atypische) Abwandlung eines solchen oder als Mischung mehrerer Typen qualifizieren lassen, selten sind und die Abgrenzung zu atypischen Abwandlungen der gesetzestypischen Verträge überaus fließend. 84 Quantensprünge durch spontane Mutationen kommen im Recht eben kaum vor – schon deshalb nicht, weil „das geltende Recht […] aufgrund jahrtausendealter Erfahrung eine überaus breite Palette rechtsgeschäftlicher Instrumente zur Verfügung stellt, die nahezu allen praktischen Bedürfnissen genügt und sich auch bei Neuentwicklungen der Praxis – so genannten ,modernen‘ Vertragstypen – immer wieder als überraschend leistungsfähig erweist“. 85 Die Inhaltsfreiheit lässt sich in rechtlichen Zusammenhängen daher treffender als „Entwicklungs-“, denn als „Erfindungsfreiheit“ beschreiben. Das gilt durchaus auch dann, wenn am Ende eines solchen Anverwandlungsprozesses die Einsicht steht, dass das „neue“ Rechtsgeschäft als atypisches oder typenfremdes sui generis einzuschätzen ist. Denn auch Atypizität und Typenfremdheit stellen, wie schon die Begriffe implizieren, das negative Ergebnis des Abgleichs mit Bekanntem dar und sind mit diesem in dem Sinne verbunden, dass einer oder mehrere – wenn auch letztendlich nicht erfolgreiche – Typisierungsversuche zu bestehen waren.86 Ein instruktives Beispiel für diese Art von „evolutiver Freiheit“ ist die Entwicklung des Leasings zu einem modernen Vertragstyp eigener Art. Es hat eine ganze Reihe von typologischen Qualifizierungsbemühungen gegeben, 87 vor allem miet-, kauf-, darlehens- und kreditvertraglicher sowie geschäftsbesorgungsrechtlicher Art, die jede für sich bestimmte Aspekte von Leasingverträgen zu erfassen suchten, sie jedoch in ihrer Gesamtheit nicht adäquat beschreiben konnten.88 Am Ende dieses Prozesses steht offenbar das Bekenntnis zu einer atypischen obligatorischen Gebrauchs- und Nutzungsüberlassungsvereinbarung eigener Art. Es hat auch nicht an Versuchen gefehlt, dieses Verfahren als eine Art von Rechtsformzwang zu diskreditieren, 89 bei der der zentrale Aspekt der Vertragsfreiheit, der privatautonome schöpferische Wille der Parteien vernachlässigt werde.90 Dabei wird die normgeprägte Realität jeg84

Larenz/Canaris, BT II/2, § 63 IV 1 a, S. 60 f. Larenz/Canaris, BT II/2, § 63 IV 1 a, S. 60. 86 Martinek I, S. 65: „Dazu [zur Orientierung an den Modellen des Gesetzes] gibt es methodologisch keine Alternative.“ Ähnlich Larenz/Canaris, BT II/2, § 63 I 3 c, S. 45. 87 Zu ähnlichen methodischen Ansätzen beim Franchisevertrag Möller, AcP 203 (2003), 319, 325 ff., 328 ff., 331 ff., m.w.Nw.; Martinek I, S. 28. 88 Überblick bei Martinek I, S. 65 ff., 69 ff., 75 ff., 80 ff., 83 ff., 86 ff., m.w.Nw. aus Rechtsprechung und Literatur. 89 Inhaltlich geht es dabei wohl eher um den rechtlichen Typenzwang als um Formfragen. Der Begriff wurde im Gesellschaftsrecht geprägt und ist ein terminus technicus. S. Radke, S. 64, m.w.Nw. in Fn. 128. 90 Lieb, DB 1988, 946, 948 f., 953: „Das Finanzierungsleasing ist ein so eigen- und neuartiger Vertragstyp, dass jeder Vergleich mit gesetzlichen Leitbildern, insbesondere mit dem 85

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licher privatautonomer Betätigung91 abgelöst von dem „natürlichen“ Willen der Parteien, der sich gerade ob seiner Ungebundenheit und kreativen Neuartigkeit in den gesetzlich dafür vorgesehenen Typen nicht angemessen äußern kann. Im Ergebnis heißt das nichts weniger, als dass dem Recht das Potenzial nicht zugetraut wird, aus bekannten Strukturen annehmbare Lösungen für neue Fragestellungen zu entwickeln. Das heißt nicht nur, dass das Vertragsrecht gegenüber dem dynamischen Willen der Parteien als statisch erscheint und Rechtsfortbildung als unzureichendes, weil mit dem Parteiwillen nicht schritthaltendes Instrument gekennzeichnet wird. Es heißt vor allem all jene Schwierigkeiten wieder heraufzubeschwören, die entstehen, wenn der „natürliche“ vom rechtlich erheblichen Willen separiert wird, insbesondere die, dass das Vertragsrecht auf Grundlage dieser Anschauung selbst als Eingriff in die unbegrenzt angelegte Parteiautonomie erscheint.92 Nicht die mangelnde Flexibilität der Privatrechtsordnung ist jedoch das Problem – zur Orientierung an den Modellen des Gesetzes gibt es bei der Rechtsfortbildung methodologisch ohnehin keine Alternative93 –, sondern die theoretische Überkonturierung eines unbegrenzten, wenn auch nicht mehr messbaren Freiheitsraums. Gegenüber dem rechtlichen hat er immer gerade soviel Vorsprung, dass er sich argumentativ gegen diesen wenden lässt. Das geschieht zwar im Interesse der privatautonom handelnden Rechtssubjekte, verkürzt jedoch real deren Handlungsoptionen, statt sie zu erweitern. Denn wenn sich der Wille der Parteien nicht im Recht abbilden lässt, bleibt er in der Außenwelt wirkungslos.94 Oder mit anderen Worten: Freiheit ist zu ihrer Entfaltung auf das Recht angewiesen. Dann muss sich privatautonomes Handeln, wenn es sich in zivilrechtlich wenig erschlossenen Bereichen oder gar auf juristisches Neuland zu bewegt, aber auch nach dessen Entwicklungsmechanismen richten.

Leitbild der Miete, als Vergewaltigung des Parteiwillens angesehen werden muss“. S. auch ders., DB 1988, 2495, 2497. 91 Oben § 6 C. II. 1. a., S. 167 ff., § 8, S. 225. 92 Oben § 6 C. II. 1. a. bb., S. 172. 93 Wie hier Martinek I, S. 65. 94 Oben § 6 C. II. 1. a. bb., S. 174.

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II. Das so genannte Behindertentestament als Ausdruck „evolutiver Freiheit“ 1. Entwicklungsgeschichte und kautelarjuristische Gestaltung eines besonderen Regelungsanliegens Während im Recht der Lebenden die termini technici „Typenkombination“, „Typenverschmelzung“ und „Typenfremdheit“ im Mittelpunkt des Interesses an und der Beschäftigung mit der Vertragsfreiheit stehen, werden die erbrechtlichen Gestaltungsmittel kaum einmal unter diesem Blickwinkel betrachtet. Das hängt nicht nur damit zusammen, dass inter vivos von der rechtsgeschäftlichen „Entwicklungsfreiheit“ häufiger Gebrauch gemacht wird.95 Der entscheidende Hemmschuh dürfte die Annahme eines erbrechtlichen Typenzwangs gewesen sein. Eine entsprechende Diskussion im Erbrecht in Gang zu setzen, erweist sich in der Tendenz auch deshalb als schwieriger als im Recht der Lebenden, weil hier ein Muster eine Rolle spielt, von dem bereits die Rede war: die Annäherung an die Testierfreiheit erfolgt nicht selten indirekt. Der Weg zur Gestaltungsbefugnis von Todes wegen führt zum Teil offenbar immer noch über die Beschäftigung mit ihren Grenzen.96 Ein Beispiel dafür ist der Verlauf der Diskussion um das so genannte Behindertentestament, die sich in zwei Phasen gliedern lässt. Als das erbrechtliche Gestaltungsmittel am Ende der Achtziger oder eher zu Beginn der Neunziger Jahre in den Blickpunkt der erbrechtlichen Fachöffentlichkeit geriet,97 stand weniger der Umstand im Vordergrund, dass es sich bei der kautelarjuristischen Schöpfung um eine vor seiner Entwicklung so noch nicht da gewesene und in diesem Sinne „neu geschaffene Gestaltungsmöglichkeit“ handelte.98 Statt dessen wurde der Zugang über die Inhaltskontrolle gewährt, das „neue“ rechtsgeschäftliche Instrument folglich – veranlasst durch die zwei bekannten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zum Thema in der ersten Hälfte der Neunziger Jahre99 – in erster Linie unter dem Gesichtspunkt der Sittenwidrigkeit, insbe95

Oben A. I., S. 244. Oben § 1 A., S. 13 ff., B., S. 25 ff., § 5 A. I., S. 127. 97 Das Handbuch von Reimann/Bengel, Testament und Erbvertrag, propagiert das so genannte Behindertentestament als Gestaltungsoption seit Mitte der Siebziger Jahre (Spall, Fs. 200 Jahre Notarkammer Pfalz, S. 121, 128). Die früheste eingehende literarische Behandlung findet sich – soweit ersichtlich – bei van de Loo, MittRhNotK 1989, S. 233 ff.; zuvor bereits am Rande Karpen, MittRhNotK 1988, 131 ff. B. Schulte, NJW 1989, 1241 ff., behandelt die erbrechtliche Problematik noch nicht. Van de Loos Beitrag (s. auch ders., NJW 1990, 2852 ff.) stellt zugleich insofern eine gewisse Ausnahme zu dem hier Gesagten dar, als dort tatsächlich die Gestaltungsoptionen des so genannten Behindertentestaments selbst ausgelotet werden. Die Frage der Sittenwidrigkeit ist dagegen noch kein Thema. 98 Settergren, S. 49. 99 BGHZ 123, 368 ff.; 111, 36 ff. Überblick über Rechtsprechung und Literatur bei Juchem, S. 138 ff. 96

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sondere wegen des Verstoßes gegen das sozialhilferechtliche Nachrangprinzip betrachtet.100 Die konkreten Gestaltungsalternativen rückten dagegen erst in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrzehnts vermehrt in das Zentrum des kautelarjuristischen und wissenschaftlichen Interesses101 – also erst zu einem Zeitpunkt, in dem das Behindertentestament seine „Feuerprobe“ in Gestalt der materiellen Inhaltskontrolle bereits bestanden hatte.102 Das ist ein methodisches Vorgehen, das im Recht der Lebenden auf besonders aktiven Feldern der rechtsgeschäftlichen Typenentwicklung, insbesondere dem der modernen Vertragsarten, mit einer gewissen Berechtigung gerügt worden ist103: Richterliche Inhaltskontrolle ist ein Instrument, das zur Rechtsfortbildung nur äußerst zurückhaltend eingesetzt werden darf, weil sie die Inhaltsfreiheit, der sie Grenzen setzt und die die eigentliche Grundlage der „Rechtsgeschäftsentwicklungsfreiheit“ ist, selbst nicht „durch eine umfassende Materialisierung des Privatrechts“ gefährden darf.104 Es nimmt deshalb nicht Wunder, dass „das zivilrechtliche Kriterium der Sittenwidrigkeit kein taugliches Mittel zur Bewältigung der Problematik

100 Hierher gehören F. Schumacher, passim; Kaden, passim; Wietek, S. 153 ff., der das so genannte Behindertentestament neben § 138 BGB auch auf seine Vereinbarkeit mit Treu und Glauben (§ 242 BGB) untersucht; kritisch Kübler, S. 112 ff.; Eichenhofer, JZ 1999, 226 ff.; ders., ZfSH/SGB 1991, 348 ff.; Schreiber, Jura 1996, 360, 367; G. Raiser, MDR 1995, 237 ff.; J. Mayer, DNotZ 1994, 347 ff.; Nieder, NJW 1994, 1264 ff.; Pieroth, NJW 1993, 173 ff.; Kuchinke, FamRZ 1992, 362 f.; Köbl, ZfSH/SGB 1990, 449, 464 f.; Reimann, MittBayNot 1990, 248 f.; Staudinger/Behrends/Avenarius, Vorbem. zu §§ 2100 ff., Rn. 14 f. 101 Für die Diskussion kennzeichnend sind im Wesentlichen zwei inhaltliche Aspekte. Zunächst geht es um die Frage, ob statt der gängigen Anordnung von Vor- und Nacherbfolge auch die Aussetzung eines Vorvermächtnisses zugunsten des behinderten Zuwendungsempfängers unter Beachtung der §§ 2307, 2305 BGB dessen Vermögen vor dem Zugriff des Sozialhilfeträgers nach § 102 SGB XII (vormals § 92c BSHG) zuverlässig schützt (Nw. unten Fn. 112). Die so genannte umgekehrte Vermächtnislösung Grziwotz’, ZEV 2002, 409 f., ist der Sache nach eine „strenge Erbschaftslösung“ (Spall, Fs. 200 Jahre Notarkammer Pfalz, S. 121, 135), bei der der behinderte Abkömmling Alleinerbe ist und den weiteren Kindern nur Vermächtnisse zugewandt werden, mit denen der Alleinerbe beschwert und für deren Erfüllung der Testamentsvollstrecker zu sorgen hat. Der zweite thematische Schwerpunkt betrifft die Gestaltung eines so genannten gemeinschaftlichen Behindertentestaments und hier insbesondere einer „Pflichtteilsstrafklausel“: OLG Frankfurt ZEV 2004, 24; OLG Karlsruhe ZEV 2004, 26, m. Anm. Spall, ZEV 2004, 28; Bestelmeyer, FamRZ 2004, 1820 f.; Ivo, ZERB 2004, 174 ff.; Litzenburger, RNotZ 2004, 138 ff.; Spall, MittBayNot 2003, 356 ff.; ders., Fs. 200 Jahre Notarkammer Pfalz, S. 121, 149. Einen Überblick über die verschiedenen Gestaltungsvarianten geben Engelmann, MittBayNot 1999, 509 f.; J. Mayer, ZERB 1999, 60 ff. 102 Ähnlich gliedert Spall, Fs. 200 Jahre Notarkammer Pfalz, S. 121, 122 ff., die Entwicklungsabschnitte des so genannten Behindertentestaments in Rechtsprechung und notarieller Praxis. 103 Als Beispiel diene noch einmal das Leasingrecht; etwa Lieb, DB 1998, 946, 946: „Kritische Kontrollerwägungen beherrschen von Anfang an das Feld.“, „exzessive Inhaltskontrolle“ gegen die Freiheit der Parteien, neue Vertragstypen zu entwickeln. 104 Fastrich, S. 77.

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des Behindertentestaments darstellt“.105 Das rein kassatorische wirkende Instrument der Sittenwidrigkeitsprüfung nach § 138 Abs. 1 BGB106 erlaubt allenfalls mittelbare, in jedem Fall aber keine positiven Aussagen über die konstruktive Anlage von Rechtsgeschäften, weder im Erbrecht noch im Recht der Lebenden. Die hier geäußerten Bedenken träten in den Hintergrund, wenn man die Diskussion, die in der kautelarjuristischen Praxis gegenwärtig um die optimale Gestaltung des so genannten Behindertentestaments geführt wird und die die Frage nach seiner inhaltlichen Zulässigkeit überwiegend bereits abgelöst hat, durch ein adäquates theoretisches Fundament untermauern könnte, das der rechtsschöpferischen Qualität privatautonom-typengeleiteter Betätigung auf dem Gebiet des Erbrechts gerecht würde. Der Rekurs auf den verfassungsrechtlichen Schutz der Testierfreiheit in Art. 14 Abs. 1 GG, der in beiden höchstrichterlichen Entscheidungen zum so genannten Behindertentestament vorkommt,107 könnte zudem durch eine positive zivilrechtliche Fundierung ersetzt werden. Methodisch kann sie sich durchaus auf die dogmatischen Grundlagen der Behandlung gemischttypischer und typenfremder Rechtsgeschäfte im Recht der Lebenden stützen. Einerseits lässt sich – wie gezeigt108 – im Erbrecht ein Typenzwang rechtsgeschäftlicher Betätigungsmodi nicht begründen, während andererseits durchaus ein Bedürfnis dafür besteht, neuartigen Regelungszielen auch im Recht der gewillkürten Erbfolge Rechnung zu tragen. So verfolgt der Erblasser in der für das so genannte Behindertentestament typischen Interessenlage gleich mehrere besonders geartete Regelungsziele: Insbesondere bei kleinen oder mittleren Vermögen ist es ein Anliegen, die Kosten der notwendigen Heimunterbringung des behinderten Abkömmlings auf die Allgemeinheit abzuwälzen und so den Nachlass vor übergeleiteten Ansprüchen nach dem SGB XII möglichst zu verschonen.109 Die Partizipation des Behinderten am Nachlass soll aufgrund seines hohen und besonders gelagerten Unterhaltsbedarfs nicht zuletzt auch im Interesse anderer Personen, meist der nicht behinderten Geschwister, möglichst gering gehalten werden, ohne ihm freilich die Vorteile aus dem Nachlass vorzuenthalten.110 Bei größeren Vermögen wird dagegen die Sorge des Erblassers weniger der Kostenerstattungsfrage gelten als vielmehr der guten Unterbringung und Betreuung des Behinderten in persönlicher und wirtschaftlicher Hinsicht.111 In jedem Fall soll das behinderte 105

Settergren, S. 114. Fastrich, S. 21, der die „Sittenwidrigkeits-“ von der Inhaltskontrolle wegen „Unangemessenheit“ differenziert (a.a.O., S. 18). 107 BGHZ 123, 369, 371, 377 f.; 111, 36, 39. Oben § 2 A., S. 30, m. Fn. 9. 108 Oben § 11 A. II., S. 248 ff. 109 Nieder, Rn. 1296. 110 Leipold, Rn. 246 . 111 Bengel, in: Reimann/ders./J. Mayer, Systematischer Teil A, Rn. 529. 106

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Kind nicht leer ausgehen, aber nur solche Zuwendungen erhalten, die seine Lebensqualität verbessern, jedoch weder übergeleitet, noch auf die Sozialhilfeleistung angerechnet werden können. Erreichen kann der Erblasser das nur durch die Kombination verschiedener erbrechtlicher Gestaltungsmittel. Wie sie zusammenspielen, um das komplexe Regelungsinteresse des Erblassers zu verwirklichen, sei hier anhand des klassischen Gestaltungsmodells des so genannten Behindertentestaments, der „Erbschaftslösung“, noch einmal in Erinnerung gerufen.112 Die Einsetzung des behinderten Kindes zum nicht befreiten Vorerben und der nicht behinderten Geschwister oder einer Behindertenorganisation zum Nacherben macht den Nachlass zu einem Sondervermögen,113 das die Eigengläubiger des Vorerben nicht verwerten können (§ 2115 BGB), sofern nur dem Behinderten eine über dem Pflichtteil liegende Erbquote zugewendet wurde (§ 2306 Abs. 1 Satz 1 BGB).114 Komplettiert wird der Schutz vor dem Zugriff des Sozialhilfeträgers durch die Anordnung einer auf die Lebzeit des behinderten Vorerben beschränkten Dauertestamentsvollstreckung (§ 2209 BGB). Die Nachlasssonderung aufgrund Testamentsvollstreckung und diejenige aufgrund von Vor- und Nacherbschaft ergänzen sich deshalb so gut, weil sie in erster Linie auf die Durchsetzung des Erblasserwillens gerichtet sind und die Interessen der Nachlassgläubiger weitgehend ausblenden.115 § 2214 BGB geht sogar insofern weiter als die Regelung in § 2115 BGB, als diese nicht nur die Veräußerung und Überweisung, also die Verwertung von Nachlassgegenständen verbietet (§ 773 ZPO, § 83 112 Berechtigte Zweifel an der Tauglichkeit der so genannten Vermächtnislösung zur Verwirklichung der Regelungsziele des Erblassers (o. Fn. 101) haben Damrau und J. Mayer angemeldet (ZEV 2001, 293 ff.; Damrau, ZEV 1998, 1, 3; ihnen folgend Bengel, in: Reimann/ders./J. Mayer, Systematischer Teil A, Rn. 533, m.w.Nw. S. auch die Nw. bei Nieder, Rn. 1300 f.; zudem Joussen, NJW 2003, 1851 ff.; ders., ZERB 2003, 134 ff.; Hartmann, ZEV 2001, 89 ff.; Spall, MittBayNot 2001, 259 ff.; ders., Fs. 200 Jahre Notarkammer Pfalz, S. 121, 133 ff., m.w.Nw.; Weidlich, ZEV 2001, 94 ff., 96 f.; sowie Engelmann, MDR 1999, 968 ff., 973). Anders als beim Untervermächtnis endet beim Vorvermächtnis die Verwaltungsvollstreckung über den Vermächtnisgegenstand (im Einzelnen Damrau, Fs. Kraft, S. 37 ff.). Ohne besondere Anordnungen von Todes wegen fällt der Vermächtnisgegenstand beim Tod des Vorvermächtnisnehmers in dessen Nachlass, weil die Nachlasssonderungswirkung aufgehoben ist. Der Erbe des Behinderten sieht sich nicht nur dem Anspruch des Nachvermächtnisnehmers auf Erfüllung des Vermächtnisanspruchs ausgesetzt, sondern zusätzlich dem gleichrangigen Anspruch auf Kostenersatz des Trägers der Sozialhilfe gemäß § 102 SGB XII (vormals § 92c BSHG). 113 Zum Begriff Dauner-Lieb, S. 37 ff., 58 ff., m.w.Nw. 114 Zur Problematik dieser Vorschrift und ihrem Zusammenspiel mit § 2306 Satz 1 und 2 BGB Weidlich, ZEV 2001, 94, 95 f.; Marotzke, AcP 191 (1991), S. 563, 566 ff. S. auch Bengel, in Reimann/ders./J. Mayer, Systematischer Teil A, Rn. 540. 115 Für die Testamentsvollstreckung Muscheler, Testamentsvollstreckung, S. 10. Auch die Auseinandersetzung des Nachlasses ist nicht das Ziel der Nachlasssonderung wegen Testamentsvollstreckung, sondern der wegen Miterbschaft (Dauner-Lieb, S. 334 ff.). Unzutreffend insoweit Eichenhofer, JZ 1999, 226, 230. Zum Problem des Zusammentreffens verschiedener Formen der Nachlasssonderung mit unterschiedlichen Zwecken Dauner-Lieb, S. 63 f.

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Abs. 2 InsO), sondern schlechthin jede Vollstreckungsmaßnahme.116 Der Zweck der Vorschrift ist es, sicherzustellen, dass der Testamentsvollstrecker seiner Tätigkeit ungestört nachgehen kann.117 Er ist vor Eingriffen des Erben bzw. seines Betreuers in die Verwaltung relativ geschützt118 und hat nur die zwingenden gesetzlichen Beschränkungen (§§ 2205 Satz 3, 2207 Satz 2 BGB) zu beachten. Unter gerichtlicher Aufsicht steht der Testamentsvollstrecker im Grundsatz nicht,119 so dass auch bei Geschäftsunfähigkeit des Behinderten die §§ 1821 ff. BGB nicht entsprechend anwendbar sind.120 Seine unabhängige Stellung macht ihn zum idealen Sachwalter der Interessen des Erblassers, die er in der Administration des Nachlasses umzusetzen hat und die der Verfügende in sehr weitgehendem Maße nach seinen Vorstellungen vorkonturieren kann. Das geeignete Instrumentarium dazu sind vor allem die gesetzlichen Befreiungsvorschriften, die vom Leitbild her von ordnungsmäßiger Verwaltung in einem bestimmten Umfang dispensieren (§§ 2207 Satz 1, 2206 Abs. 1 Satz 1, §§ 2130 Abs. 1 Satz 1, 2136 BGB). Freilich ist dem von Todes wegen Verfügenden im Fall des so genannten Behindertentestaments nicht daran gelegen, dem Vorerben bzw. dessen Betreuer solche Handlungsspielräume zu eröffnen, weil dies zumindest nach verbreiteter Auffassung die Nachlassfrüchte und eventuell sogar die Nachlasssubstanz zumindest mittelbar dem Zugriff des Sozialhilfeträgers aussetzen würde.121 Der Testamentsvollstrecker ist dagegen im Grundsatz bereits durch die Anordnung der Dauervollstreckung von der Einschränkung des § 2207 BGB befreit (§ 2209 Satz 2 BGB). 116 Dauner-Lieb, S. 60 f.; Muscheler, Testamentsvollstreckung, S. 95. S. auch W. Zimmermann, S. 620. 117 Muscheler, Testamentsvollstreckung, S. 11. 118 Pauschal von einer „Kontrolle des Testamentsvollstreckers durch den Erben bzw. seines Betreuers“ zu sprechen, dürfte jedenfalls zu weit gehen (so aber Spall, Fs. 200 Jahre Notarkammer Pfalz, S. 121, 129). Im Gegenteil hat das Gesetz bei großzügigster Ausgestaltung der Rechtsmacht des Testamentsvollstreckers die Benachrichtigungs-, Auskunfts-, und Mitspracherechte des Erben im Vergleich nur relativ schwach ausgeprägt (Klumpp, in: Bengel/Reimann, 6. Kapitel, Rn. 54 ff., 82 ff., 158 ff., 238 ff.; s. auch den Überblick bei Reimann, FamRZ 1995, 588, 589). Ihrem Interesse wird im Grundsatz nur auf der Sekundärebene Rechnung getragen, nämlich durch die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung für Nachlassverbindlichkeiten, die der Testamentsvollstrecker begründet hat (Muscheler, S. 10 f.). Dass einzelne Verwaltungsmaßnahmen wirksam werden, können sie dagegen nicht verhindern. Denn sie sind gegenüber dem Testamentsvollstrecker nicht weisungsberechtigt (Klumpp, a.a.O., Rn. 2, a.E., m.w.Nw.). Insoweit muss schon zum Mittel der Entlassung gegriffen werden. Sie ist als ultima ratio an qualifizierte Voraussetzungen gekoppelt, die so bei keinem anderen dem deutschen Recht bekannten „Fremdverwalter“ vorkommen. Im Einzelnen Muscheler, AcP 197 (1997), 227, 237 f. 119 Eine entsprechende Überwachung kann vom Erblasser nicht angeordnet werden: Bengel, in: Reimann/ders./J. Mayer, Systematischer Teil A, Rn. 536, m.w.Nw. in Fn. 1197. De lege ferenda bedauert diesen Rechtszustand Schubert, JZ 1991, 106, 107. 120 Muscheler, Testamentsvollstreckung, S. 20. 121 Nieder, Rn. 1299; Bengel, in: Reimann/ders./J. Mayer, Systematischer Teil A, Rn. 538; jew. m.w.Nw.

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Im Wege einer bindenden Verwaltungsanordnung nach § 2216 Abs. 2 BGB realisiert sich das zweite Interesse des von Todes wegen Verfügenden, nämlich Zuwendungen inklusive Unterhaltsleistungen an den behinderten Erben aus dem verwalteten Vermögen und seinen Erträgen machen zu können, aber gleichzeitig nur insoweit zuzulassen, als sie diesem unmittelbar zugute kommen und dem Zugriff des Sozialhilfeträgers nicht unterfallen. Freilich hat der Begriff der ordnungsmäßigen Verwaltung insoweit objektive Bedeutung, als es dadurch nicht zur einer „erheblichen Gefährdung des Nachlasses“ kommen darf. Das hat Krampe zur Entwicklung der so genannten „Früchtelösung“ veranlasst, wonach die Herausgabe der Erträgnisse zwingend zur Unterhaltssicherung der (Mit-)Erben gehört, durch Verwaltungsanordnung nicht abbedungen werden kann und der entsprechende Anspruch des behinderten (Vor-)Erben der Überleitung nach dem SGB XII unterworfen ist.122 Die Kritik an dieser Auffassung muss von zwei unterschiedlichen Ansatzpunkten ausgehen, einem erbrechtlichen und einem lebzeitigen. Die Parallele zum Schenkungsrecht der Lebenden, namentlich die Überleitfähigkeit des Rückforderungsanspruchs des verarmten Schenkers nach § 528 Abs. 1 BGB, die Krampe zieht,123 geht von einer grundsätzlichen Vergleichbarkeit lebzeitiger unentgeltlicher mit erbrechtlichen Rechtsgeschäften aus, die so nicht gegeben ist.124 Hinzu kommt, dass das so genannte Behindertentestament eindeutig unterhaltsrechtlich konnotiert ist.125 Im besonderen Fall der Verfügung von Todes wegen zugunsten eines behinderten Abkömmlings mag sie unentgeltlich sein, weil das Recht den Begriff der „Entgeltlichkeit“ nicht anders als unmittelbar materiell-vermögensrechtlich fassen kann.126 Im Grundsatz sind jedoch Zuwendungen zum Unterhalt einer Person, wie schon das Beispiel der Mitgift im römischen Recht zeigt,127 entgeltliche Geschäfte. Das ist ein Gesichtspunkt, der beim Vergleich zwischen Schenkungsrecht und dem Recht der Verfügungen von Todes wegen generell zur Vorsicht mahnen sollte. Erbrechtlich berücksichtigt Krampes Ansatz nicht genügend die im internationalen Vergleich fast einzigartig starke Stellung des Testamentsvollstreckers als eines weitgehend selbstständigen Verwalters fremden Vermögens.128 In § 2216 Abs. 2 Satz 2 BGB wird sie bereits durch das Kriterium der „erheblichen 122 Krampe, AcP 191 (1991), 527, 544, 549 ff.; ders., in: Testamente, S. 57, 79; anders Otte, JZ 1990, 1027, 1028. Überblick über die Diskussion bei Nieder, Rn. 1305 f.; Juchem, S. 108 ff.; Settergren, S. 186 ff., 190 f. 123 AcP 191 (1991), 526, 547 ff., unter Hinweis auf BGHZ 96, 380; 94, 141. Ihm folgend: Nieder, NJW 1994, 1264, 1266; nur teilweise, nämlich für so genannte Mangelfälle abweichend J. Mayer, DNotZ 1994, 347, 357 f. 124 Oben § 3 B. III., S. 88, B. IV. 2., S. 102 f. 125 Oben § 7 B. II. 2. b., S. 217, und soeben im Text S. 236. 126 Oben § 3 B. I. 1., S. 72, III., S. 89 f. 127 Kroppenberg, S. 128, m.w.Nw. in Fn. 104, 108. 128 S. den rechtsvergleichenden Überblick bei Haas, in: Bengel/Reimann, 9. Kapitel,

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Gefährdung“ des Nachlasses nahe gelegt, das der Tätigkeit des Testamentsvollstreckers nur äußerst zurückhaltend inhaltliche Grenzen setzt. Es muss im Grundsatz restriktiv gehandhabt und darf folglich nicht um die wirtschaftliche Gefährdung der am Nachlass beteiligten Personen erweitert werden.129 Weder beschneidet noch modifiziert das Gebot ordnungsmäßiger Verwaltung, das bei allen Amtshandlungen zu beachten ist, die Befugnisse des starken Testamentsvollstreckers prinzipiell.130 Für die Gestaltung des Behindertentestaments bedeutet das in der Konsequenz, dass der Begriff der Ordnungsmäßigkeit seiner Verwaltung in aller Regel nur an das gestalterische Potenzial des Erblassers gekoppelt ist. Dieses aber drückt sich in der bindenden und jenseits des Zugriffs des Sozialhilfeträgers liegenden Verwaltungsanordnung aus, den behinderten (Vor-)Erben aus dem Ertrag des Nachlasses angemessen zu unterhalten.131

2. Das so genannte Behindertentestament als typengemischtes Rechtsgeschäft Zwischen den einzelnen Regelungskomponenten des so genannten „klassischen“ Behindertentestaments besteht ein enger inhaltlicher Zusammenhang, der diese sachlich so miteinander verschränkt, dass sie mehr sind als nur die Summe ihrer Teile. Sie erzielen im Zusammenspiel synergetische Effekte. Die Anordnung der Vor- und Nacherbschaft und der Dauertestamentsvollstreckung schaffen zusammen ein Sondervermögen, das den gesamten Nachlass ungeteilt zusammenhält und dafür sorgt, dass seiner Substanz und – nach hier vertretener Auffassung132 – auch seinen Erträgen keine Vermögenswerte entzogen werden. Der Vorerbe ist im Wesentlichen auf die Nutznießung beschränkt.133 Die für die Existenz eines Sondervermögens charakteristische Zweckbindung134 ist bei beiden Instrumenten der Nachlasssonderung, die beim so genannten Behindertentestament zum Einsatz kommen, ähnlich gelagert. Sie dient der Umsetzung des Erblasserwillens, den besonders gelagerten Unterhaltserfordernissen des Behinderten gerecht zu werden, ohne den Nachlass dafür einsetzen zu müssen oder den Abkömmling von der Partizipation an diesem generell auszuschließen.

Rn. 154 ff., 191, 205 ff., 243 ff., 261, 265, 277 ff., 289 ff., 321 ff., 352 ff., 380 ff., 406 ff.; s. auch Muscheler, S. 17 ff., 60 ff. 129 So aber die überwiegende Auffassung in der Literatur: Staudinger/Reimann, § 2216 Rn. 28, m.w.Nw. Wie hier Lange/Kuchinke, § 31 V 1 b, S. 683, m. Fn. 126. 130 Waldherr, S. 98; s. auch Reimann, FamRZ 1995, 588, 593. 131 BGH FamRZ 1980, 900; D. Mayer, in: Bengel/Reimann, 5. Kapitel Rn. 356; jew. m.w.Nw. 132 Oben 1., S. 238 f. 133 Soergel/Harder, vor § 2100, Rn. 2; Staudinger/Behrends/Avenarius, Vorbem. zu §§ 2100 ff. Rn. 2. W. Nw. bei Dauner-Lieb, S. 60, Fn. 304. 134 Dauner-Lieb, S. 41 ff.

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Durch die Vor- und Nacherbschaft werden die verschiedenen Erben des Erblassers (in der Regel behinderte und nicht behinderte Abkömmlinge) nach ihren unterschiedlichen Bedürfnissen zwei verschiedenen Gruppen zugeordnet. Erst diese Gliederung ermöglicht es, mit der Anordnung der Dauertestamentsvollstreckung für den Vorerben die Nachlassverwaltung flexibel auf die besonderen Belange des Vorerben abzustimmen. In diesem Punkt ist die Testamentsvollstreckung, um funktionabel zu sein, auf den „Staffelungseffekt“ der Vorund Nacherbschaft angewiesen. Gleichzeitig erfüllt diese eine eigenständige Doppelfunktion. Die Testamentsvollstreckung flankiert nicht nur die aufgrund der §§ 2100 ff. BGB ohnehin schon bestehende Sonderung des Nachlassvermögens. Sie verstärkt die Ausschlusswirkung der Nachlasssonderung gegenüber den Vollstreckungszugriffen von Erbeneigengläubigern, einschließlich des Trägers der Sozialhilfe.135 Zudem wird allein über das Instrument der Verwaltungsanordnung an den Testamentsvollstrecker die beschränkte Partizipation des behinderten Vor(-Erben) am Nachlass gesteuert. Die gelegentlich aufgestellte Behauptung, das Behindertentestament sei kein einheitliches erbrechtliches Gestaltungsmittel,136 lässt sich aufgrund des engen sachlichen Bezugs der erbrechtlichen Instrumentarien zueinander nicht aufrecht erhalten. Zwar stellt sich die Verbindung, die die Institute „Vor- und Nacherbschaft“ und „Testamentsvollstreckung“ hier miteinander eingehen, gedanklich nicht als unlösbar dar. Jedoch ginge mit einer solchen Trennung der das Rechtsgeschäft prägende Gesamtcharakter verloren, und damit der einheitliche Sinnzusammenhang einer Verfügung von Todes wegen zugunsten eines behinderten Menschen. Der komplexe Regelungswille des Erblassers lässt sich mit einer „Teillösung“ nicht vollständig verwirklichen. Es handelt sich daher nicht lediglich um ein „zusammengesetztes“, sondern in der Tat um ein so genanntes „typengemischtes“ Geschäft.137 Dieses tritt in zwei Unterarten auf: dem „Kombinations-“ oder „Typenverbindungs“- sowie dem „Verschmelzungs“- oder „Typenvermengungsgeschäft“.138 Der Unterschied zwischen beiden bezieht sich auf die Verknüpfungsdichte der involvierten typologischen Bausteine und ist inhaltlich eher gradueller als qualitativer Natur. Jedenfalls ist die unterschiedliche Behandlung beider Formen der Typenmischung auf der Rechtsfolgenseite – beim Typenverschmelzungs135

Oben 1., S. 263 f. Settergren, S. 54. 137 Dellios, S. 66; Larenz/Canaris, BT II/2, § 63 1 c, S. 43. Die Terminologie ist in diesem Punkt nicht ganz einheitlich. So setzt Martinek I, S. 20, den „zusammengesetzten Vertrag mit dem „typenkombinatorischen“ gleich. Gitter, § 6 A, S. 173, spricht statt von einer zusammengesetzten von einer „gekoppelten“ oder „doppel-typischen“ Vereinbarung, bei der es sich im Einzelfall sowohl um ein Typenkombinations- als auch um ein gekoppeltes Rechtsgeschäft handeln könne. 138 Die Begriffe „Typenverbindung“ und „Typenvermengung“ verwenden Fikentscher/ Heinemann, Schuldrecht, Rn. 798, 1302. 136

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geschäft „eher“ die so genannte Absorptions-, bei Typenkombinationen dagegen die gleichnamige Kombinationsmethode139– selbst kaum ein taugliches Abgrenzungskriterium. Sie ist vielmehr deren reguläre Folge, der man freilich indizielle Bedeutung beilegen mag.140 Das bedeutet zum einen, dass konfligierende Regelungskomponenten keineswegs zwingend auf einen Verschmelzungseffekt hindeuten, der für die Funktionalität des Rechtsgeschäfts dadurch Sorge trägt, dass die eine von der anderen verdrängt oder absorbiert wird. Zum anderen lässt sich nicht sagen, dass die Typenkombination gegenüber der Typenverschmelzung die qualitativ losere Verbindung in dem Sinne sei, dass sie die geringere innovative Kraft besitzt. Vielmehr gilt für beide Varianten, dass „sie ein neues eigenständiges Ganzes [bilden] und in diesem Sinne […] Verträge sui generis [sind]“.141 Die Unterscheidung zwischen Typenvermengung und Typenverbindung kann also in der Sache nicht allein durch den formalen Abgleich typologischer Merkmale von Rechtsgeschäften getroffen werden, sondern muss zusätzlich teleologische Erwägungen mit einbeziehen und insbesondere die Frage nach der sachlichen Angemessenheit der Rechtsfolgen im Hinblick auf das konkrete Regelungsinteresse des Erblassers beantworten.142 Was das so genannte Behindertentestament anbelangt, richtet sich dieses – wie gezeigt – auf einen möglichst umfassenden Erhalt von Nachlasssubstanz und -erträgen. Das inhaltliche Anliegen des Erblassers kommt auf der Ebene der Verfügung von Todes wegen in zweierlei Hinsicht zum Tragen. Im Außenverhältnis zu den Eigengläubigern des Vorerben soll es durch einen möglichst weit reichenden Ausschluss von externen Zugriffen realisiert werden und im Innenverhältnis des gestalterischen Szenarios durch eine entsprechend ausgerichtete „nachlassfürsorgerische“ Verwaltungstätigkeit des Testamentsvollstreckers für den behinderten Vorerben abgesichert werden. In beiden Bereichen kommt es aufgrund der Mischung der beiden erbrechtlichen Gestaltungsmittel „Testamentsvollstreckung“ und „Vor- und Nacherbschaft“ zu Kollisionslagen, die für konfligierende Regelungskomponenten von typengemischten Vereinbarungen charakteristisch sind. Sie werden in Rechtsprechung und Literatur allerdings nicht als solche erkannt, weil allgemein von einem erbrechtlichen Typenzwang ausgegangen wird.143 Von der unterschiedlichen Reichweite der Nachlasssonderung aufgrund Testamentsvollstreckung 139 Larenz/Canaris, BT II/2, § 63 I 3 c, S. 45, mit Nw. zu den theoriekritischen Stimmen in Fn. 5. S. auch Gernhuber, § 7 V 4, S. 162 f., m.w.Nw. in Fn. 136. Zur Theorie der analogen Rechtsanwendung, die ihrer Rechtswirkung nach der Kombinationsmethode entspricht, Gitter, § 6 B, S. 173. 140 Gitter, § 6 B, S. 174: „Vielmehr sollen diese Theorien nur Anhaltspunkte für die rechtliche Behandlung der Verträge geben.“ 141 Larenz/Canaris, BT II/2, § 63 I 3 c, S. 46. 142 Leenen, S. 137 f., 171 f. 143 Oben A. II. 1., S. 248 ff.

§ 11 Inhaltsfreiheit

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(§ 2215 BGB) und Vor- und Nacherbschaft (§ 2114 BGB) bei weitgehender inhaltlicher Kongruenz der Separationszwecke war schon die Rede.144 Orientiert am Regelungsinteresse des von Todes wegen Verfügenden wird man insoweit der umfassenderen Sonderungswirkung des Rechts der Testamentsvollstreckung den Vorzug geben müssen. Vollstreckungsmaßnahmen von Erbeneigengläubigern sind mithin generell unzulässig, entsprechende Beschlagnahme- und Arrestbefehle dürfen nicht ergehen. Im Ergebnis ist das freilich kein qualitativer, sondern allenfalls ein gradueller Unterschied, weil beide Nachlasssonderungsmechanismen jedenfalls die Verwertung ausschließen und damit dem Anliegen des Erblassers, den Nachlass möglichst nicht zu schmälern, letztlich gerecht werden. Was das Innenverhältnis zwischen Vorerbe und Testamentsvollstrecker anbelangt, stellt sich die Konkurrenzfrage dagegen mit erhöhter Dringlichkeit. Ob der für den nicht befreiten Vorerben eingesetzte Testamentsvollstrecker den für diesen geltenden Verfügungsbeschränkungen unterliegt und sich damit das Regime der Vor- und Nacherbschaft in diesem Punkt gegenüber den anders ausgestalteten Regelungen der Testamentsvollstreckung (§ 2205 Satz 2, 3 BGB) durchsetzt, wird in der Regel ausschließlich anhand von typologischen Abgrenzungskriterien behandelt.145 Es heißt dann, der für den Vorerben bestellte Testamentsvollstrecker könne nicht mehr Rechte haben, als der Vorerbe ohne deren Anordnung hätte.146 Neben dem Vergleich mit der Rechtslage ohne wird auch einer mit der sowohl für Vor- als auch für den Nacherben angeordneten Testamentsvollstreckung angestellt: Wenn der Testamentsvollstrecker in diesem Fall den Beschränkungen der §§ 2213–2215 BGB nicht unterliegt, hat das seinen Grund darin, dass in seiner Person die Verfügungsbefugnis für den Vorerben und das Zustimmungsrecht des Nacherben zusammentreffen.147 Dieser Aspekt trifft aber gerade bei dem für den Vorerben eingesetzten Testamentsvollstrecker nicht zu, es sei denn, er selbst sei zum Nacherben berufen,148 für den Vor- und den Nacherben eingesetzt,149 oder es handele sich um einen befreiten Vorerben,150 was beim so genannten Behindertentestament in aller Regel jedoch nicht der Fall ist. Die systematische und wertungsmäßige Stimmigkeit dieser typenbezogenen Erwägungen soll nicht bestritten werden. Allerdings verdient hervorgehoben 144

Oben 1., S. 265. Inhaltlich ist man sich über diese Frage nicht einig: befürwortend etwa MünchKomm/ Brandner, § 2205 Rn. 55; ablehnend Soergel/Damrau, § 2222 Rn. 13; jew. m.w.Nw. 146 Schaub, in: Bengel/Reimann, 4. Kapitel, Rn. 198; W. Zimmermann, Rn. 373. 147 BGHZ 140, 115, 119; MünchKomm/Brandner, § 2205 Rn. 55, m.w.Nw. in Fn. 176. 148 Schaub, in: Bengel/Reimann, 4. Kapitel, Rn. 198, m.w.Nw. 149 Erman/M. Schmidt, § 2213 Rn. 2, m.w.Nw., Staudinger/Behrends/Avenarius, § 2113 Rn. 7. 150 Staudinger/Reimann, § 2205 Rn. 156; MünchKomm/Brandner, § 2205 Rn. 56, § 2222 Rn. 10; Schaub, in: Bengel/Reimann, 4. Kapitel, Rn. 198. 145

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zu werden, dass das entscheidende Element, das die verschiedenen Gestaltungskomponenten zu einer Einheit verbindet und auch im Innenverhältnis von Testamentsvollstrecker und Vorerben aus mehreren gesetzlichen Regelungsinstrumenten ein Rechtsgeschäft macht,151 bei diesen rein typenvergleichenden Erwägungen methodisch zu kurz kommt. Dem kann nur dadurch abgeholfen werden, dass der an anderer Stelle viel beschworene und zu Recht zum Grundprinzip des gewillkürten Erbrechts erhobene Erblasserwille hier tatsächlich wieder in seine angestammte zentrale Position eingesetzt wird. Für das so genannte Behindertentestament folgt daraus einmal mehr, dass der Testamentsvollstrecker den auf eine möglichst weitgehende Erhaltung des Nachlasses in Substanz und Erträgen gerichteten Willen des von Todes wegen Verfügenden zu respektieren hat. Die Beschränkungen der §§ 2113 ff. BGB gelten daher auch für seine Verfügungen. Die verschiedenen Friktionen zwischen den beiden erbrechtlichen Instituten der Testamentsvollstreckung und der Vor- und Nacherbschaft werden nicht einheitlich zugunsten eines der beiden involvierten Typen aufgelöst. Vielmehr fallen die Antworten orientiert am übergeordneten Regelungsziel eines zugunsten eines Behinderten von Todes wegen Verfügenden jeweils differenziert aus. Die Rechtsfolge der Nachlasssonderung ergibt sich für die Erbeneigengläubiger aus dem Recht der Testamentsvollstreckung. Was die Frage der Verfügungsbeschränkung anbelangt, richtet sich die Gestaltung des Innenverhältnisses von Vorerben und Testamentsvollstrecker hingegen nach den §§ 2113 ff. BGB. Insgesamt betrachtet, bringt der gestalterische Impetus des von Todes wegen Verfügenden die einzelnen Regelungskomponenten nicht in einen so engen rechtlichen Zusammenhang, als dass man die Schwelle vom typenkombinatorischen zum typenverschmelzenden Rechtsgeschäft als deutlich überschritten ansehen könnte. Dazu sind die einzelnen Verfügungskomponenten doch zu klar voneinander unterscheidbar. Die beschriebenen absorptiven Effekte sind jedoch immerhin Ausdruck und Indiz einer so engen inhaltlichen Verknüpfung der Regelungselemente, dass man von einem typenkombinatorischen Geschäft sprechen kann, das in Teilbereichen bereits typenverschmelzende Züge trägt.

151 Gernhuber, § 7 VI 2, S. 159, für das Recht der Lebenden: „Entscheidend ist allein der in den Willenserklärungen zum Ausdruck kommende Wille der Vertragsparteien. Er vereinigt beim gemischten Vertrag die typenverschiedenen Elemente zu einer ungeschiedenen Einheit im unmittelbaren Zugriff“. S. auch oben S. 241.

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§ 12 Gestaltungsfreiheit als Strukturelement lebzeitiger und erbrechtlicher Privatautonomie A. Die Organisation von Gestaltung und Geltung im Recht der Lebenden I. Geltung durch Bindung: Das Larenz’sche Konzept der Geltungserklärung und seine Friktionen im Recht der Lebenden Die Gestaltungsfreiheit akzentuiert noch mehr als die Inhaltsfreiheit das eigentlich Schöpferische privatautonomer Betätigung. Ihr Wirkungsgrad wird gemeinhin nach dem Bewirkten, also dem Ergebnis des gestaltenden Akts beurteilt. Gestaltung, die im forum internum des Gestaltenden verbleibt, ist keine: „Der innerlich gebliebene Wille vermag nichts zu bewirken.“1 Um gestalten zu können, muss unter Lebenden Kontakt mit der Außenwelt aufgenommen werden. Er wird von den Begründern der so genannten Geltungstheorie Reinach und Larenz als Akt sozialer Kommunikation verstanden2 und ist insbesondere von letzterem mit der Figur der Geltungserklärung in das Recht transponiert worden. Am lebzeitigen Austauschvertrag entwickelt,3 erhebt sie dennoch Anspruch auf Allgemeingültigkeit für jede Ausprägung privatautonomen oder gar rechtlichen Handelns schlechthin.4 Denn in der Geltung soll sich das gestalterische Element der Privatautonomie und des Rechts überhaupt verwirklichen. Geltung ist hiernach Ziel und Resultat schöpferischen Handelns auf der Ebene des Rechtsgeschäfts, sei es nun lebzeitiger oder – weniger untersucht – erbrechtlicher Natur. In beiden Fällen geht es um die Realisierung von Selbstbestimmung durch Setzung von Rechtsfolgen, 5 die in der Rechtswelt Wirkung zeigen.6 1

Larenz/M. Wolf, § 24 IV 3, Rn. 30. Larenz, Fs. Husserl, S. 132, 145: „Kundgabefunktion“ im Anschluss an Reinach, Zur Phänomenologie des Rechts, 1953. S. aber Hepting, S. 253, m. Fn. 184. 3 Stumpf, S. 28. 4 Oben § 5 B. II., S. 146, m.w.Nw. in Fn. 144. 5 Canaris, Fg. BGH I, S. 129, 142, 150. 6 Das Konzept der Geltungserklärung ist mithin Ausdruck von Rechtswirkungsdenken. Dazu Gmür, S. 76 ff. 2

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Dritter Teil

Der Gestaltungsfreiheit mit dem Topos von der Geltungserklärung einen neuen Inhalt zu geben, war ursprünglich nicht Larenz’ Intention. Ihm ging es vielmehr um die Formulierung einer Synthese der so genannten Willens- mit der Erklärungstheorie. Das ist ihm, wie man unter anderem7 bei Singer 8 und Flume 9 nachlesen kann, letztlich nicht gelungen. Die so genannte Geltungstheorie befasst sich zwar insofern mittelbar mit dem Tatbestand der Willenserklärung,10 als sie sich als Spielart der so genannten Erklärungstheorie präsentiert.11 Sie geht jedoch über sie hinaus, indem sie nicht nur einen Geltungsgrund für die Rechtsfolgen von Willenserklärungen angibt,12 sondern auch Aussagen über deren konkrete Gestaltung macht. Hierin liegt die eigentliche Bedeutung der Lehre von der Geltungserklärung, und in dieser Lesart ist sie heute allgemein akzeptiert.13 Jedoch lassen sich im Schrifttum, das die Lehre von der Geltungserklärung in erster Linie wirkungsbezogen und nicht tatbestandsorientiert begreift, unterschiedliche Konzepte privatautonomen Handelns nachweisen. Es lohnt sich daher, noch einmal bei Larenz nachzulesen und zu fragen, was er unter dem Terminus der Geltungserklärung versteht und dieses Verständnis von anderen Rechtsbegriffen abzugrenzen, mit denen sie heute nicht selten in Zusammenhang gebracht werden. Larenz schreibt: „Ich verstehe das Versprechen im Gegensatz zur bloßen Ankündigung oder Voraussage als eine Äußerung, durch die der Versprechende sich bindet, die einen verbindlichen Charakter hat. Mag auch die Rechtsverbindlichkeit des Versprechens erst durch das Rechtsgesetz begründet werden […], so ist das Versprechen seinem Sinne nach doch bereits auf die Bindung gerichtet, es meint oder bedeutet sie.“14

Geltung wird hier eindeutig mit dem Rechtsbegriff der Bindung assoziiert und durchaus wörtlich im Sinne von „Verbindlichkeit“ oder auch als „End-Gültigkeit“ verstanden.15 Die „Rechtsverbindlichkeit“ des Versprechens oder der Willenserklärung, die durch Gesetz begründet wird und der in moderner Rechtsterminologie der Begriff der Wirksamkeit entspricht, spielt dagegen im Urkonzept der Geltungserklärung ebenso wenig eine entscheidende Rolle wie der 7

Wiebe, S. 7, m.w.Nw. in Fn. 112. Selbstbestimmung, S. 72 ff., s. auch S. 6, m. Fn. 4. 9 BGB AT II, § 4, 7, S. 59. 10 Zu kurz greift daher Stumpf, S. 28: „Maßstab für den Tatbestand der Willenserklärung“. 11 Larenz/M. Wolf, § 24 IV 3, Rn. 29: „Vielmehr verwirklicht sich nach der Geltungstheorie der rechtsgeschäftliche Wille allein in der Erklärung und kann nur in dieser und nicht außerhalb der Erklärung rechtliche Anerkennung finden.“ S. auch Flume, BGB AT II, § 4, 7, S. 59. 12 Larenz/M. Wolf, BGB AT, § 24 IV 3, Rn. 29; Larenz, Methodenlehre, S. 298. 13 Nw. bei Singer, Selbstbestimmung, S. 6, Fn. 4. 14 Methode, S. 42 f. Ähnlich ders., Fs. Husserl, S. 132, 139: „Der rechtliche Sinnbezug der Versprechenserklärung liegt eben darin, dass der Versprechende durch sie zum Ausdruck bringt, dass er sich hiermit rechtlich binde.“ 15 Larenz, Methode, S. 43. 8

§ 12 Gestaltungsfreiheit

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Terminus „Gültigkeit“ als Begriff mit einem fest umrissenen rechtlichen Bedeutungsgehalt verstanden wird.16 Geltung bedeutet bei Larenz zuvörderst Bindung. Die bloße Hinordnung der Geltungserklärung auf Bindung im Sinne eines ita ius esto genügt dagegen nicht. Larenz steht hier ganz in der Tradition Husserls, der dem zivilrechtlichen Anspruch aus einem Rechtsgeschäft ob seiner sofortigen Wirkmächtigkeit die objektive Zeitstruktur zwar nicht vollständig abspricht, diese aber doch durch einen juristischen Abstraktionsprozess überlagert sieht. In dessen Mittelpunkt steht die Verwirklichung eines bestimmten Zwecks. Sie lässt den Anspruch am Ende zu einem überzeitlichen Phänomen werden.17 Der oben beschriebenen Freiheit in Gleichzeitigkeit18 kommt hier aufgrund der unmittelbaren Gestaltungskraft ihre zeitliche Dimension abhanden,19 obwohl gerade die Simultanität oder Synchronizität der Betätigung, die im Konsens der Parteien ihren Abschluss findet, die sofortige Geltung maßgeblich befördert. In der Rezeption des Larenz’schen Gedankenguts leben diese Gedanken nicht nur fort, sie werden in ihrer Konsequenz noch verstärkt. So identifizieren verschiedene Autoren unter Hinweis auf Larenz die Bindung – also das konstitutive Element eines Rechtsgeschäfts unter Lebenden20 – weiter als das gestalterische Element der Privatautonomie21 und setzen es mit dem Terminus der Geltung gleich.22 Sie führen zudem das Kriterium der unmittelbaren Geltungsanordnung ein und bestehen damit auf einer sofortigen Rechtswirkung der gestaltenden Erklärung. 23 Gestalterisch wirkt sie nur, wenn und weil sie diesen rechtlichen Erfolg auch wirklich herbeiführt. In diesem Sinne ist die Geltungserklärung ihr eigener Vollzugsakt. 24 Demgegenüber hatte Larenz den gestalterischen Anteil der Rechtsordnung „bei der Zuordnung der Rechtsfolge zur Willenserklärung“ ursprünglich noch eigens betont, 25 die Auffassung später 16

Zur Differenzierung der Geltung von der Gültigkeit unten B. V. 2., S. 341 ff. Husserl, Recht und Zeit, S. 7, 40 f. S. auch Schmoeckel, AcP 197 (1997), 1, 23, m. Fn. 23, der Husserls Ausführungen freilich zu kategorisch im Sinne einer a priori-Überzeitlichkeit des Anspruchs interpretiert. 18 Oben § 6 C. II. 4. d. aa., S. 196 f. 19 Dem gegenüber ist bei Gmür, S. 66, der Zeitgedanke erhalten geblieben: „Die Rechtswirkungssätze unterscheiden sich von anderen […] Rechtssätzen dadurch, dass sie auf gewissen Zeitanschauungen beruhen, nämlich auf der Vorstellung, dass die vorgesehene Rechtswirkung gerade dann eintritt, wenn ihre Voraussetzungen erfüllt sind.“ 20 Die Vorstellung einer „Rechtsordnung ohne obligatorische Bindung“ ist nicht mehr als ein „Gedankenexperiment“, schreibt J. Schmidt, S. 59, m.w.Nw. in Fn. 175. 21 Hönn, S. 37 f.; Singer, S. 57; s. auch oben § 10, S. 241 f., m.w.Nw. in Fn. 24. 22 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 413 f. 23 Singer, Selbstbestimmung, S. 6: „Denn durch Willenserklärungen werden – meist im gleichsinnigen Zusammenwirken mit einem Vertragspartner – Rechtsverhältnisse unmittelbar begründet, aufgehoben oder geändert.“; ders., S. 74: „unmittelbare Geltungsanordnung“ (Hervorhebungen nicht im Original). 24 Larenz/M. Wolf, § 24 IV 3, Rn. 29. 25 Larenz, Methode, Nachwort, S. 57. 17

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aber zugunsten eines stärker willensorientierten Verständnisses wieder aufgegeben. 26 Der Unmittelbarkeitsgesichtspunkt, welcher in Larenz’ Konzept nur impliziert war, macht hier insofern Karriere, als er nunmehr zum eigenständigen Tatbestandsmerkmal der Geltungserklärung aufrückt. Er komplettiert das Konzept der wirkungsmächtigen Selbstbestimmung durch Selbstgestaltung. Die Parteien bewirken kraft ihres in der jeweiligen Willenserklärung zum Ausdruck kommenden „Geltungswillens“ nicht nur Rechtsfolgen in der Rechtswelt und gestalten diese dadurch in ihrem Sinne um, sie haben hiernach auch die Macht, dies mit sofortiger Wirkung zu tun. Das Gestaltungspotenzial des privatautonomen Subjekts ist hiernach maximal. Sein Instrument oder Transmissionsriemen ist die Herbeiführung von Bindungswirkung. Der Umstand, dass bei lebzeitigen Rechtsgeschäften, insbesondere bei solchen unter Anwesenden, Bindung und Geltung äußerlich grundsätzlich zusammenfallen, wird unzulässig dahin verallgemeinert, dass beides einander rechtlich bedingt: „Bindungswirkung, das heißt die normative Geltung des vertraglich Vereinbarten“, liest man bei Hillgruber. 27 Doch trifft die juristische Gleichsetzung schon inter vivos nicht zu, wenn man etwa an das aufschiebend bedingte Rechtsgeschäft denkt, das zwar bindet, aber bis zum Eintritt der Bedingung kraft Parteiübereinkunft nicht gilt.28 Ein weiteres Beispiel aus dem Recht der Lebenden ist der gemäß § 145 Abs. 1 BGB bindende Antrag unter Abwesenden, der erst mit Zugang gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB zur Geltung kommt. 29 Der Unterschied zum aufschiebend bedingten Rechtsgeschäft liegt darin, dass die Wirksamkeit der empfangsbedürftigen Willenserklärung in diesem Fall nicht der privatautonomen Disposition der Beteiligten unterliegt, sondern von Gesetzes wegen an eine bestimmte Voraussetzung, nämlich an den Zugang, geknüpft wird. Bindung und Geltung können also im Recht der Lebenden sowohl durch rechtsgeschäftliche Vereinbarung also auch von Gesetzes wegen auseinander fallen.30 26 Larenz, Methode, S. 107; ders., Fs. Husserl, S. 144, 145. Larenz stimmt hier mit Flume, BGB AT II, § 1 2, S. 2 überein, der die privatautonome Gestaltung zusammen mit der Anerkennung durch die Rechtsordnung als Geltungsgrund des privatautonomen Akts begreift. Larenz/M. Wolf, § 24 IV 3, Rn. 29, gehen da – wie soeben (oben Fn. 24) gesehen – weiter. 27 ARSP 85 (1999), 348, 350. 28 Das aufschiebend bedingte lebzeitige Rechtsgeschäft ist vom erbrechtlichen begrifflich und konstruktiv nicht immer genügend exakt getrennt worden. Oben § 4 A., S. 119, § 6 B. I., S. 160. 29 Kritisch auch Voit, in: Jahrbuch, S. 89, 98: „Dass die Wirksamkeit der Willenserklärung erst mit Zugang eintritt und sie vorher widerrufen werden kann, dass sie also erst Rechtsfolgen zeitigt, wenn der Empfänger von der Willenserklärung unter regelmäßigen Umständen Kenntnis nehmen kann […], wird im Interesse einer möglichst einfachen Begründung der Geltung des Rechtsgeschäfts ,vergessen‘ oder als mehr rechtstechnische Ausgestaltung des doch eigentlich maßgebenden Gesichtspunkt der Privatautonomie abgetan.“ 30 Die beiden Beispiele aus dem Recht der Lebenden führt im Übrigen auch Larenz’ Gewährsmann Husserl, Recht und Zeit, S. 7, 29, an.

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Diese Sollbruchstellen sind bereits im Larenz’schen Modell selbst angelegt. So ist von „Ermächtigungen“ die Rede, die sich, wie die Bevollmächtigung oder die zeitweilige Überlassung des Rechts „zur Ausübung“, dadurch auszeichnen, dass der Ermächtigende seine „Macht“ beibehält. Sie ist darum in ihrer Wirkung schwächer als bei Einräumung des Rechts und in der Regel frei widerruflich.31 Den rechtlichen Sinnbezug spricht ihnen Larenz zwar nicht vollständig ab, verzichtet aber aus gutem Grund auf eine Einbindung in das Geltungskonzept der Bindung, denn diese muss misslingen. Die Ermächtigung gilt, bindet den Ermächtigenden aber nicht in dem Sinne, dass er sich seiner eigenen Rechtsmacht begibt oder diese doch durch das konkrete Rechtsgeschäft einschränkt.

II. Geltung durch Wirksamkeit: Spielarten und Kritik eines normativen Geltungsverständnisses Dass ein Rechtsgeschäft den oder die daran Beteiligten „bindet“, bedeutet nach allem nicht zwingend, dass es auch wirksam ist, das heißt: im Rechtssinne gilt.32 Larenz hat das so formuliert, dass die Feststellung „des Eintritts der Rechtsfolgen nicht von ihnen (den rechtsgeschäftlichen Handlungen) allein, sondern überdies von der Anerkennung durch das positive Recht abhängt.“33 Mit dem Begriff der Wirksamkeit wird ein Terminus in die Diskussion eingeführt, der das Ergebnis eines originär rechtlichen Akts bezeichnet, nämlich den der positiven Bewertung eines bestimmten parteiautonomen Handelns, das auf die Herbeiführung von bestimmten Rechtsfolgen gerichtet ist, durch und an den Maßstäben des Rechts. Eine Spielart dieses normativen Geltungsverständnisses ist Heptings Theorie der so genannten normativen Verbindlichkeit. 34 Sie greift auf das Larenz’sche Bindungskriterium zurück und quantifiziert es, indem sie Intensitätsstufen der Ver-bind-lichkeit in rechtsgeschäftlichen Typenreihen messen will. Außerdem erfasst sie die Festlegung der Bindungsintensität qualitativ als rechtliche Entscheidung. Auf den ersten Blick scheint damit das Recht den Parteien das Heft des gestalterischen Handelns aus der Hand zu nehmen. Aus der Geltungserklärung als einer Art self-executing instrument wird eine, die die Herbeiführung von Rechtsfolgen nur projektiert. Die Gestaltungsbefugnis geht vom rechtsgeschäftlich Agierenden auf das Recht über. Die Parteien sind hiernach auf die

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Larenz, Fs. Husserl, S. 132, 144 f. Oben I., S. 272 f. 33 Larenz, Fs. Husserl, S. 132, 145; ders., Methode, Nachwort, S. 107. Seine ursprünglich weniger privatautonom ausgerichtete Auffassung hatte er zu diesem Zeitpunkt bereits aufgegeben. 34 S. 256 ff., 262 ff. 32

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Dritter Teil

Freiheit verwiesen, den Inhalt des Rechtsgeschäfts zu bestimmen;35 die Gestaltung ist eine Angelegenheit des Rechts geworden, die Gestaltungsbefugnis der rechtsgeschäftlich Handelnden scheint ihren Namen nicht mehr zu verdienen. Wichtigstes Anzeichen dieser scheinbaren Einbuße an privatautonomer Wirkungsmacht ist dabei, dass dem zielgerichteten Handeln selbst der rechtliche Charakter streitig gemacht wird. Bisweilen wird ihm jede Bedeutung abgesprochen36 oder doch von einem „rechtslogischen a priori“ (Larenz)37 oder einem „realen“ – Regelungswillen genannten 38 – Bindungswillen ausgegangen, dem rechtlich lediglich die Bedeutung eines „Willensindizes“ unter mehreren möglichen beigelegt wird (Hepting).39 Beides, sowohl die These vom Gestaltungsmonopol der Rechtsordnung als auch die Vertreibung der handelnden Person aus dem privaten Gestaltungsrecht, welche sich in der Ausgrenzung ihrer auf die Herbeiführung von Rechtsfolgen gerichteten Erklärung aus dem Recht manifestiere, trifft jedoch nicht zu. Ohne den privatautonomen Impuls kommt kein Rechtsgeschäft aus. Dieser wird von der Rechtsordnung aber prinzipiell nur verstanden und umgesetzt,40 wenn er so beschaffen ist, dass sie ihn auch dekodieren kann. Mit anderen Worten: Der Wille der privatautonomen Rechtssubjekte muss sich, um überhaupt die Chance auf Rechtswirksamkeit zu haben, auf der Ebene des Rechts formieren. Die Nahtstelle zwischen lebensweltlicher und rechtlicher Willenskundgabe ist rechtsdogmatisch bereits eine Frage des Tatbestands der Willenserklärung. Hier, und nicht erst, wenn es an die Rechtsfolgen geht, erfolgt die Transformation von Nicht-Recht in Recht. Das Instrument, das die Verbindung zwischen dem „natürlichen Willen“ und dem rechtlichen herstellt, den „normativen Realtypus“41 in einen rechtlichen überführt, ist nicht die Geltungsanordnung, sondern die Auslegung. Ihr Ziel ist die Ermittlung des „objektiv-normativen“42 [mithin eines rechtlichen] Willens. Fällt diese Prüfung positiv auf, operiert man bereits mit einer rechtlichen Figur, die den Tatbestand der Willenserklärung erfüllt, und hat es nicht mehr nur mit der Kundgabe des „natürlichen Willens“ zu tun.43 Dieser muss, um eine Formulierung Pawlowskis zu verwenden, „das 35

Willoweit, S. 102. Hepting, S. 257, m.w.Nw. in Fn. 205. Willoweit, S. 44, 52 ff.; insoweit wenig klar ders., JuS 1984, 909, 916. Krit. Hepting, S. 268 ff., m.w.Nw. in Fn. 254: „autonomiefeindlich“. 37 Larenz, Methode, Nachwort, S. 107. Des Weiteren Canaris, AcP 184 (1984), 201, 218; ihm folgend Heinrich, S. 67. 38 Hepting, S. 269. 39 Hepting, S. 266. 40 Oechsler, S. 275 ff., findet dafür das Bild der Abbildung der „vorrechtlichen Parteivereinbarung“ im Recht. Oben § 6 C. II. 1. a. bb., S. 172, m. Fn. 114. Ähnlich J. Schapp, S. 45: Geltungserklärung als „Moment im Zusammenspiel von Lebenswelt und Recht“. 41 Larenz, Methodenlehre, S. 468 f.; des Weiteren ders./Canaris, S. 294, 297; Hepting, S. 274 f. S. auch oben § 6 C. II. 3., S. 184, m. Fn. 194. 42 Hepting, S. 268. 43 Anders und kaum kompatibel mit der Aussage, der Auslegung gehe es im Wesentlichen 36

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Recht bereits in sich aufgenommen haben“, ist also in diesem Sinne bereits ein „rechtlicher Wille“.44 Für Willenserklärungen privatautonom handelnder Rechtssubjekte hält das Recht Rechtsfolgen bereit. Ob man diese Akte der Selbstbestimmung allein als Geltungsgrund der rechtsgeschäftlichen Regelung betrachtet und der Anerkennung durch die Rechtsordnung nur vollziehenden Charakter zubilligen will,45 oder – mit Flume – beides zusammen46 als „Rechtsgrund der Geltung des privatautonomen Akts“ begreift,47 scheint auf den ersten Blick nicht mehr als eine Frage der Akzentuierung. Doch täuscht das. Nicht jede Erklärung, die sich auf die Herbeiführung von Rechtsfolgen richtet, wird vom Recht als wirksam anerkannt und kommt zur Geltung. Das Recht führt insoweit durchaus ein Eigenleben und verweigert sich bisweilen dem geäußerten Parteiwillen, nämlich dann, wenn die rechtlichen Funktionsbedingungen nicht eingehalten werden.48 Ein Beispiel aus dem Recht der Lebenden wurde hier bereits erwähnt: Vertragsparteien, die durch entsprechende Willenserklärung privatautonom bereits die vertragliche Bindung herbeigeführt haben, werden vom Recht – unter Umständen auch gegen ihren erklärten Willen – an der Vereinbarung festgehalten.49 In der Regel wird das mit dem Rechtsgrundsatz der Vertragstreue erklärt, der die vertragliche Bindung zwar voraussetzt, von dem aber nicht klar ist, ob er nur selbstverständliche Folge der Bindung ist oder über diese insofern hinaus geht, als er das verbindlich Gewordene der Herrschaft des Einzelnen entzieht. 50 Dass das Recht der auf Geltung gerichteten, oder besser: der von den Parteien mit Geltungsanspruch versehenen Willenserklärung bisweilen die Wirksamkeit versagt, ist freilich für sich kein Grund, der impulsgebenden Erklärung den privatautonomen, gestaltenden oder gar überhaupt den rechtlichen Charakter abzusprechen. Es handelt sich dann vielmehr um eine Willenserklärung, die nach Parteiwillen51 oder Gesetz (noch) keine Rechtsfolgen auslöst, also nicht gilt oder unum die „Feststellung eines objektiv-normativen Willens“ (o. Fn. 42): „Der durch Auslegung ermittelte typische Wille ist zunächst nur ein ,natürlicher‘, ,realer‘ Wille“ (Hepting, S. 277). 44 Pawlowski, S. 233, unter Hinweis auf Ballerstedt und Flume. S. auch Krampe, S. 288. 45 Zuletzt Radke, S. 26 f. 46 Nicht jedes für sich, im Sinne einer Aufspaltung in zwei Geltungsgründe. Hier missversteht Radke, S. 27, Flumes Anschauung. W. Nw. bei Heinrich, S. 51 f.: „kombinatorische Lehre“. 47 Flume, BGB AT II, § 1, 2, S. 2. 48 Systemtheoretisch wird dieser Umstand durch den „selbstreferentiellen Charakter der Rechtsdogmatik“ gestützt, „der einer unmittelbaren Rezeption soziologischen Wissens entgegen steht“. (Teubner, S. 123). Oben § 6 C. II. 1. a. bb., S. 172 m. Fn. 114. 49 Oben § 10, S. 242. 50 Insoweit „willenstheoretisch“ argumentierend Lorenz, S. 35, 41 ff.; s. auch Heinrich, S. 50 ff.; jew. m.w.Nw. Des Weiteren Singer, Selbstbestimmung, S. 56 f., gegen den „vertrauenstheoretischen Ansatz“ Heptings, Fs. 600 Jahre Universität Köln, S. 209, 226. Unten III. 1. a., S. 260, m.w.Nw. in Fn. 129, 130. 51 Oben S. 275 f.

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wirksam ist. Dennoch existiert sie auf der Seinsebene des Rechts und ist demnach selbst rechtlicher Natur. Es ist denkbar, anders zu entscheiden, und die auf die Herbeiführung von bestimmten Rechtsfolgen gerichtete Erklärung, die diese Rechtsfolge aufgrund der Intervention des Rechts nicht selbst herbeiführen kann, lediglich als Ausdruck eines – Regelungswillen genannten 52 – „realen Willensindizes“ zu begreifen. Dann gerät man allerdings in die Verlegenheit, begründen zu müssen, weswegen sich die Rechtsordnung zum in der Theorie unbeschränkbar angelegten „natürlichen Willen“ dysfunktional verhalten und ihm die Transponierung auf die rechtliche Ebene im Einzelfall versagen darf. Hier tauchen zudem all die Probleme wieder auf, die das Recht mit einem „natürlichen“ Freiheitsverständnis generell hat.53 In einer innerrechtlichen Perspektive ist der Umgang mit Erklärungen, aus denen keine Rechtsfolgen resultieren, (die also unwirksam oder nichtig sind), aber dennoch Rechtscharakter haben, 54 sicher ein pathologisches Phänomen – denn die Geltung ist die spezifische Seinsweise des Rechts55 –, in jedem Fall aber ein bekanntes.56 Rechtliche Gestaltung bedeutet nach dem hier vertretenen normgeprägten Freiheitskonzept die privatautonome Programmierung der gewollten Rechtsfolgen zu den Funktionsbedingungen des Rechts. Um das Recht überhaupt in Aktion setzen zu können, bedarf es eines parteiautonomen gestalterischen Impulses. Er identifiziert die in Aussicht genommen Rechtsfolgen und macht sie zurechenbar, ist aber ob seiner schöpferischen Potenz selbst auch mehr als nur das „Merkmal eines gesetzlichen Tatbestands“, das vom Recht mit Rechtsfolgen versehen wird.57 Um von der Rechtsordnung um seiner selbst willen als privatautonomer Akt akzeptiert zu werden, muss er allerdings in der Sprache des Rechts abgefasst sein. Das Recht ist nämlich mitnichten bloßer Vollstrecker oder Nachvollzugsorgan des Parteiwillens,58 sondern erbringt seine Anerkennungsleistung nur, aber zuverlässig immer auch dann, wenn Programmierung und Programm miteinander kompatibel sind. Privatautonome Erklärung und rechtliche Anerkennung müssen zusammen kommen, um Gestaltung im Rechtssinn zu bewirken. Deshalb sollte ein Kriterium nicht auf Kosten des anderen in den Vordergrund gestellt werden. Das zeigt sich gerade in den Fällen, in denen die Rechtsordnung dem privat52

Hepting, S. 269. Oben § 6 C. II. 1. a. bb., S. 172 f. 54 Das zeigt sich etwa an der Anfechtbarkeit eines nichtigen Rechtsgeschäfts, oben § 5 B. II., S. 147, m. Fn. 153. 55 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 413, m.w.Nw. in Fn. 6. 56 Im Grundsatz auch Schmoeckel, AcP 197 (1997), 1, 72, der das Notleidende dieses Zustands freilich mit dem Bemerken überspielt, „auf die Rechtswirksamkeit komme es [bei einem Rechtsgeschäft] nicht an“. 57 Heinrich, S. 66 f., m.w.Nw. zur Historie dieses Arguments in Fn. 116. 58 Das ist einer der Gründe, weshalb sich ein „Anerkennungsverhältnis“ zwischen Erblasser und Bedachtem im Rahmen des § 138 Abs. 1 BGB nicht konstruieren lässt. 53

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autonomen Subjekt den Dienst zu versagen scheint, privatautonomer Selbstbestimmungs- und rechtlicher Anerkennungsakt also nicht miteinander konform gehen. Das ist der Fall, wenn das Recht eine Willenserklärung (etwa nach § 138 Abs. 1 BGB) nicht wirksam werden lässt, oder umgekehrt, eine Erklärung gelten lässt, die jedenfalls so nicht (mehr) von einem entsprechenden Parteiwillen getragen wird. Hierher gehören die bereits erwähnte Einschränkung der rechtsgeschäftlichen Beendigungsfreiheit bei eingetretener Vertragsbindung,59 aber auch Fallgestaltungen des Irrtums.60 Dagegen wirken im komplikationslosen Regelfall beide Geltung schaffenden Komponenten funktional zusammen. Der konstitutive Beitrag des Rechts, die Erteilung einer Art nihil obstat in Bezug auf die Rechtsfolgen, bleibt dann – obgleich er erbracht wird – eher im Hintergrund und lässt sich als affirmativ-anerkennender Akt deuten. Die Willenserklärung wird jedenfalls als Selbstbestimmungsakt des erklärenden Individuums und nicht als Folge heteronomer Rechtssetzung wirksam.

B. Die Organisation von Gestaltung und Geltung im Recht der Verfügungen von Todes wegen I. Die Verengung privatautonom und normativ akzentuierter Bindungstheorien auf das Recht der Lebenden (Larenz, Hepting) Um Aussagen über die Beschaffenheit der Gestaltungsfreiheit im Recht der Verfügungen von Todes wegen machen zu können, gilt es zunächst, Kriterien auszuscheiden, die spezifisch lebzeitigen Charakter haben und sie von solchen zu unterscheiden, die von übergeordneter Bedeutung sind, also die privatautonome Gestaltung auf dem Gebiet des Privatrechts schlechthin beschreiben. Während „Geltung“ und „Wirksamkeit“ Gesichtspunkte sind, die erbrechtliche und lebzeitige Rechtsgeschäfte gleichermaßen betreffen, weist das Bin59

Oben § 10, S. 242. Insbesondere die Irrtumsvorschriften sind Schauplatz einer grundsätzlichen Auseinandersetzung zwischen willens- und vertrauenstheoretisch sowie verkehrschutzrechtlich motivierten Deutungen der rechtsgeschäftlichen Bindung. Repräsentativ aus jüngerer Zeit Lobinger, S. 133 ff., 140 ff., 149 ff., 158 ff., 339; und Singer, Selbstbestimmung, S. 75, m. Nw. in Fn. 94, S. 80 f. Am ehesten treffen sich die beiden Anschauungen noch in der Interpretation der endgültigen Bindung an eine fehlerhafte, irrtümlich abgegebene Erklärung als „Sanktion für zurechenbares Verhalten“ (Singer, S. 80 f.). In einem Fall wird sie nicht mehr als Selbstbestimmung (Singer, a.a.O.), im anderen Fall aber gerade als die „logische Konsequenz des eigenen Willens [verstanden], mit einer rechtsgeschäftlichen von Erklärungsbewusstsein getragenen Erklärung beim Wort genommen zu werden“ (Lobinger, S. 160 f., 339). W. Nw. bei Enderlein, S. 101, Fn. 88. 60

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dungsmoment als Geltung vermittelnder Faktor eine lebzeitige Ausrichtung auf. Es ist das entscheidende Abgrenzungskriterium von lebzeitigen und erbrechtlichen Rechtsgeschäften. Verfügungen von Todes wegen unterscheiden sich von solchen unter Lebenden gerade dadurch, dass sie zu Lebzeiten des Verfügenden keine Rechte und Pflichten zwischen den Beteiligten begründen, sondern erst mit dem Ableben des von Todes wegen Verfügenden wirksam werden.61 Unter Lebenden kann der Erblasser auch dann frei verfügen, wenn er erbrechtlich in einem Erbvertrag gebunden ist (§ 2286 ff. BGB). Lebzeitige und erbrechtliche Bindungswirkung, die den erbvertraglich gebundenen Erblasser daran hindert, widersprechende Verfügungen von Todes wegen zu treffen (§ 2289 Abs. 1 BGB),62 sind ihrem Inhalt nach folglich streng voneinander zu unterscheiden.63 Ob die Beteiligten mit dem Rechtsgeschäft sich aber schon zu Lebzeiten binden wollten oder nicht, muss durch Auslegung ermittelt werden.64 Die Larenz’sche Anschauung der Geltungserklärung lässt dafür jedoch gerade keinen Raum. Sie eruiert nicht, ob zu Lebzeiten der Beteiligten Rechte und Pflichten begründet werden sollten, sondern geht im Gegenteil von diesem lebzeitigen Bindungsverständnis aus. „Geltung“ als „unmittelbare Geltungsanordnung“ zu denken und mit dem lebzeitigen Bindungskriterium anzureichern, scheint der erbrechtlichen Gestaltungsbefugnis ihr kreatives Potenzial zu nehmen.65 Das geschieht, in dem der inhaltlich wesentlich weiter angelegte Bedeutungsgehalt des Rechtsbegriffs „Geltung“ zu einem lebzeitigen Rechtsbegriff zugleich umfunktioniert und reduziert wird, der sich das Ideal des lebzeitigen Vertrags unter Anwesenden zum Vorbild nimmt. Damit nicht der Anschein erweckt wird, die Geltungstheorie passe für jede Form der Betätigung auf dem Gebiet des Privatrechts, sollte man eher den Terminus „Bindungstheorie“ verwenden. So würde jedenfalls die diesen Ansätzen immanente Begrenzung auf das Recht der Lebenden deutlicher hervortreten. Ein Blick auf das theoretische Fundament des Larenz’schen Ansatzes und das Anschauungsmaterial, das er wählt, mögen die tendenziell reduzierte Reichweite veranschaulichen. Er stammt ebenso aus dem Recht der Lebenden wie das phänomenologische Fundament der Geltungserklärung, die Lehre vom Vertrag als „Sozialakt“.66 So ist die Reinach’sche Theorie von der Kundgabeund sozialen Funktion bestimmter Äußerungen für erbrechtliche Willenser61 62

Oben § 3 B. IV. 2., S. 101, m. Fn. 277. BGHZ 31, 13, 21; Harder, in: Mél. Sturm II, S. 1029, 1039; Staudinger/Kanzleiter, § 2289

Rn. 1. 63 Harder, in: Mél. Sturm II, S. 1029, 1039; Staudinger/Kanzleiter, § 2289 Rn. 1. Oben § 10, S. 241. Was dagegen die formalen Anforderungen ihrer Begründung und Aufhebung zu Lebzeiten des Erblassers anbelangt, lassen sie sich durchaus vergleichen. 64 Harder, in: Mél. Sturm II, S. 1029, 1040, w. Nw. in Fn. 45. 65 Oben § 10, S. 238 ff., insbesondere S. 241 f. 66 Reinach, S. 37 ff. Zur Rezeption Hepting, S. 284, m.w.Nw. in Fn. 369.

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klärungen nicht in gleichem Maße fruchtbar zu machen wie für lebzeitige. Zwar agiert der Erblasser – wie bereits früher betont – keineswegs im sozial-leeren Raum67; er möchte im Gegenteil durchaus, dass seine Regelungen von seiner Umwelt oder jedenfalls von den in der Verfügung vorkommenden Personen zur Kenntnis genommen und beachtet werden – aber zumeist eben erst nach seinem Ableben.68 Von Todes wegen zu verfügen umfasst daher das Recht, zu Lebzeiten nicht mit der Umwelt über die Gestaltung der eigenen Rechtsnachfolge in Kontakt treten zu müssen, sondern – falls gewünscht – auch eine Art Selbstgespräch zu führen, das freilich mit dem Errichtungsakt als solchem schon mehr ist als Bestandteil des reinen forum internum.69 Eine „kommunikative Genese des Selbst“,70 das sich zu Lebzeiten über seinen Tod „interaktiv mit der Sozietät auseinandersetzt“71 und diesen sprechend verarbeitet (Goebel), entspricht dagegen gerade nicht dem rechtsgeschäftlichen Leitbild des gewillkürten Erbrechts, das im Testament verkörpert ist.72 Der Erblasser muss sich Dritten nicht offenbaren, er darf „Versteck spielen“.73 Das Bürgerliche Gesetzbuch erkennt einen Rückzugsraum des Erblassers in Gestalt eines Interesses an der Geheimhaltung der getroffenen Verfügung bis zum Eintritt der Wirksamkeit der letztwilligen Anordnung in verschiedenen Vorschriften ausdrücklich oder jedenfalls implizit an:74 so e contrario in den Vorschriften über die Eröffnung von Testamenten (§§ 2260–2264, 2273 Abs. 1 BGB),75 aber auch in der Option zur Errichtung eines öffentlichen Testaments durch Übergabe einer verschlossenen Schrift gemäß § 2232 Satz 2 BGB, der Verwahrung eines privatschriftlichen Testaments nach §§ 2248, 2258a, 2258b 67

Oben § 6 C. II. 4. d. aa., S. 196. Anders offenbar J. Hager, S. 156: „Hat der Erblasser eine Verfügung getroffen, so hat er damit seinen Willen kundgetan“ (Hervorhebung nicht im Original). 69 Miserre, S. 237 f., spricht anschaulich vom „verschwiegenen Erblasser“ und charakterisiert die „Idee des stillen Kämmerchens“ als gesetzgeberische Grundkonzeption des Bürgerlichen Gesetzbuchs im gewillkürten Erbrecht. 70 Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 249. 71 Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 250. 72 S. auch Kroppenberg, DNotZ 2006, 86, 102. Zur Leitbildfunktion des Testaments und deren Verabsolutierung oben § 5 A. III. 2. b. cc., S. 134 ff. 73 Oben Einleitung, S. 9. 74 Wird die letztwillige Verfügung wirksam, endet dieses Geheimhaltungsinteresse, wie sich aus § 2263 BGB schließen lässt. S. dazu BGHZ 91, 105, 109. 75 Einmal mehr ändern sich die Dinge mit dem Eintritt der Wirksamkeit der Verfügung von Todes wegen. Nun tritt bei einem gemeinschaftlichen Testament das Geheimhaltungsinteresse des Überlebenden bei der Eröffnung gemeinschaftlicher untrennbarer Verfügungen von Todes wegen nach dem Tod des Erstversterbenden gegenüber dem Interesse an der richtigen Beurteilung der Erbfolge zurück: BVerfG NJW 1994, 2535; BGHZ 91, 105 ff., m. Anm. Bökelmann, JR 1984, 501: „Das Eröffnungsgebot hat den Vorrang vor dem Geheimhaltungsgebot.“; BayObLG FamRZ 1990, 135 f.; OLG Köln DNotZ 1988, 721, m. Anm. Cypionka, DNotZ 1988, 722 ff.; Staudinger/Kanzleiter, § 2273 Rn. 10; Damrau/Klessinger, § 2273 Rn. 4, 6; abweichend Bühler, ZRP 1988, 59 ff.; Langenfeld, NJW 1987, 1577, 1582. 68

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BGB,76 und – zuallererst – in der mangelnden Empfangsbedürftigkeit einer testamentarischen Willenserklärung. Kommunikative Züge gewinnt die letztwillige Verfügung abweichend von dieser gesetzlichen „Idealvorstellung“77 zu Lebzeiten des Erblassers nur in zwei Fällen: zum einen dann, wenn er auf den ihm garantierten Rückzugsraum privatautonom verzichtet und aus seiner „Geheimsphäre“78 heraustritt, um sich – etwa beim Abschluss eines Erbvertrags79 – anderen über die Planung seiner Rechtsnachfolge mitzuteilen,80 oder zum anderen dann, wenn die erbrechtliche Anordnung in einen lebzeitigen Kontext integriert wird, in dem der von Todes wegen Verfügende sein erbrechtliches Gestaltungspotenzial inter vivos nutzbar macht.81 Was schließlich Larenz’ Referenzmaterial anbelangt, so werden in erster Linie obligatorische zweiseitige Rechtsgeschäfte unter Lebenden betrachtet. Sie seien – heißt es bei Larenz – zwar nicht immer, aber doch häufig „notwendig zweiseitige Akte, [mithin] Verträge“.82 „Andere [rechtsgeschäftliche Willensbetätigungen seien] als einseitige Akte wenigstens denkbar, wenn auch das positive Recht, mit guten Gründen, für die wichtigste Gruppe, die verpflichtenden Rechtsgeschäfte, in der Regel einen Vertrag [verlange]“. 83 Soweit von einseitigen Geschäften gehandelt wird, werden in erster Linie Versprechen, also einseitige Willenserklärungen angesprochen, die den Erklärenden selbst binden. Gegenüber dem Modell des lebzeitigen Austauschvertrags unter Anwesenden handelt es sich dabei im Ganzen jedoch eher um Randerscheinungen. Man sollte meinen, dass ein normgeprägtes Geltungsverständnis besser geeignet ist, die erbrechtliche Gestaltungsfreiheit zu erklären, als ein stärker parteiautonom ausgerichtetes. Denn die Erklärung einer nicht mehr rechtsfähigen Person gerade im Augenblick ihres Ablebens gelten zu lassen, ist eine dezidiert rechtliche Leistung.84 Bezogen auf Rechtsgeschäfte meint Geltung

76 Insoweit dient die Verwahrung nicht nur dem Schutz vor Verfälschung oder Verlust (Leipold, Rn. 316), sondern hilft auch bei der Geheimhaltung der letztwilligen Verfügung. 77 Miserre, S. 237 f. 78 Lange, NJW 1963, 1571, 1572. S. auch C. Nolting, S. 36, 61: „Das Testament […] wird eigenhändig im Schutz einer gewissen Anonymität errichtet.“ 79 D. Nolting, S. 61: „In der Hauptsache sind es jedoch die Abschlussmodalitäten, die den Erblasser zwingen, sich aus der schützenden Anonymität heraus zu begeben. Der Notar und der Vertragspartner sind diejenigen Personen, denen er sich offenbaren muss. Eine beschränkte Öffentlichkeit erfährt von den Vorstellungen und Absichten des Erblassers.“ 80 Dieser Schritt markiert eine von mehreren Voraussetzungen eines Vertrauenshaftungstatbestands für die so genannte culpa in testando. Im Einzelnen Miserre, S. 213 ff. S. auch unten III. 1. b. cc., S. 304 f. 81 D. Nolting, S. 61, m.w.Nw. in Fn. 214. Des Weiteren oben § 6 B. II., S. 148. 82 Larenz, Fs. Husserl, S. 132, 145. 83 Larenz, Fs. Husserl, S. 132, 145. 84 Oben § 6 C. II. 1. a. aa., S. 168 f.

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rechtliche Wirksamkeit im Sinne von Rechtsfolgen haben.85 Dieser Begriff ist in der Tat kein spezifisch lebzeitiger, sondern bezeichnet eine übergeordnete normative Kategorie. Er kennzeichnet den Umstand, dass die Rechtsordnung einem Rechtsgeschäft einer oder mehrerer privatautonom handelnder Personen die Rechtsfolgen nicht vorenthält, weil keine rechtlichen Bedenken gegen ihren Eintritt bestehen und – vor allem – weil die Beteiligten erklärt haben, ihn so zu wollen. Dieses für die rechtsgeschäftliche Betätigung auf dem Gebiet des Privatrechts schlechthin charakteristische Zusammenspiel von privatautonomem Willensimpuls und selbstständiger rechtlicher Anerkennungsleistung wird die Allgemeingültigkeit dadurch genommen, dass in das normative Geltungsmodell das lebzeitige Bindungselement implantiert wird. 86 Genau hier, in der Verknüpfung des Larenz’schen Bindungskriteriums mit einem normativen Geltungsverständnis,87 liegt die Leistung von Heptings Theorie der normativen Verbindlichkeit und zugleich ihre Verengung auf unmittelbar bindende und das heißt lebzeitige Rechtsgeschäfte. Ver-bind-lichkeit ist das Kriterium, mittels dessen Geltung auf der Rechtsebene festgestellt und die Wirksamkeit einer Willenserklärung erzeugt wird. 88 Damit besteht die Lehre auf dem charakteristischen iunctim eines lebzeitigen Rechtsgeschäfts, der unmittelbaren Korrelation von tatbestandsmäßiger Bindung und Geltung auf der Rechtsfolgenseite. Spielraum hat sie allein bei der Ermittlung der Bindungsintensität der einzelnen Willenserklärungen, die methodisch über Typenreihen verschiedener Bindungsquanta geleistet wird.

85 Die Verbindung von Geltung, Wirksamkeit und Rechtsfolge ist eine allgemein anerkannte, s. nur Hepting, S. 277 f. 86 Das erahnt Goebel, Ehegattenschutz, S. 81, m. Fn. 109, wenn er im Zusammenhang mit Heptings Theorie von der normativen Verbindlichkeit ausführt, es sei eine Frage des „passenden Rechtsgeschäftsverständnisses, ob das Konzept rechtsgeschäftlicher (Selbst-)Bindung beim gemeinschaftlichen Testament möglich sei“. Er hält die Frage für noch nicht untersucht, mahnt aber ein „Rechtsgeschäftskonzept“ an, das „generell [also nicht nur für die von Hepting in den Blick genommenen lebzeitigen Rechtsgeschäfte] überzeugend sein muss“. 87 Auf sie weist Hepting, S. 277, explizit hin und unterscheidet sich hierin von Canaris, Fg. BGH I, S. 129, 147, nicht: „Geltung aber impliziert zwangsläufig rechtliche Bindung“ (Hervorhebung nicht im Original). Oben § 5 B. II., S. 146, m. Fn. 144. 88 Hepting, S. 278: „Beim normativen Realtypus ‚Willenserklärung‘ ist diese Rechtsfolge die rechtliche Wirksamkeit. Ein Versprechen, welches Willenserklärung im Rechtssinne sein soll, muss mit der spezifischen Rechtsfolge ‚Verbindlichkeit‘ verknüpft sein“ (Hervorhebungen nicht im Original).

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II. Ein lebzeitiges Bindungsmodell in erbrechtlicher Verkleidung: Abgestufte Bindung bei Erbverträgen und gemeinschaftlichen Testamenten (S. Loritz) Auf den ersten Blick sieht es so aus, als seien erbrechtliche Rechtsgeschäfte mit dieser Lehre kompatibel. Denn es scheint durchaus mit dem Messinstrumentarium der normativ-graduellen Verbindlichkeit konform zu gehen, dass bei bestimmten Typen von Rechtsgeschäften der konkrete Verbindlichkeitsgrad, den das Recht anerkennt, sich auch einmal auf Null reduzieren kann,89 wie das etwa bei Testamenten generell der Fall ist. Aber auch dort, wo das Erbrecht Bindungswirkung kennt, geht das Konzept scheinbar auf. So hat insbesondere Sabine Loritz für das Recht des gemeinschaftlichen Testaments und beim Erbvertrag ein vom Parteiwillen abhängiges Modell abgestufter Bindungsgrade entwickelt.90 Es ist seinem inhaltlichen Schwerpunkt nach stärker willenstheoretischem Gedankengut verpflichtet als Heptings Theorie der normativen Verbindlichkeit, macht sich aber wie diese die Quantifizierbarkeit des Bindungselements zunutze.91 Ausgehend von der Beobachtung, dass in der erbrechtlichen Literatur und Rechtsprechung Abstufungen des Bindungsquantums erbrechtlicher Rechtsgeschäfte – etwa bei der Frage des Änderungsvorbehalts beim Erbvertrag,92 aber auch kraft privatautonomer Freistellung des überlebenden Ehegatten im gemeinschaftlichen Testament93 – anerkannt werden, entwirft S. Loritz ein Stufenmodell der Bindung im Erbvertragsrecht und des Rechts des gemeinschaftlichen Testaments: Die „erste Kategorie“ – der privatautonome Regelfall – sei durch den Willen der Parteien gekennzeichnet, der Begünstigte solle das bei der Errichtung der Verfügung von Todes wegen vorhandene und das bis zum Tod des Erblassers oder Längstlebenden hinzugekommene Vermögen erben.94 Ausnahmsweise solle die Bindung nur dazu führen, dass der Vertrags- oder Schlusserbe nur den Überrest erhalten solle (Zweiter Fall),95 oder es werden bezüglich des gesamten Vermögens oder einzelner Teile daraus besondere Bindungen begründet, weil die Erblasser möchten, dass sie dem begünstigten Erben definitiv anfallen (qualifizierte Bindung).96 Direkt mit dem unterschiedlichen Bindungsniveau im Erbvertrag oder gemeinschaftlichen Testament sei ein variierendes Potenzial für lebzeitige Zweitverfügungen zugunsten nicht bedachter Dritter korreliert: „Der Umfang der Bindung muss vielmehr so bestimmt werden, dass 89

Das betont Hepting, S. 267. S. Loritz, S. 96 ff. 91 S. Loritz, S. 96. 92 Überblick über die Diskussion bei Ritter, S. 179 ff., 184 ff., 189 f.; S. Loritz, S. 135; jew. m.w.Nw. S. auch oben § 5 B. I., S. 144, Fn. 133. 93 S. Loritz, S. 133 f.; Goebel, Ehegattenschutz, S. 324 f. 94 S. Loritz, S. 98, 109 ff. 95 S. Loritz, S. 98, 126 f. 96 S. Loritz, S. 98, 128 f. 90

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trotz der Bindung umso mehr an Zweitverfügungen unter Lebenden und eventuell sogar von Todes wegen erlaubt ist, je weniger intensiv sich die Parteien binden wollten“.97 Damit scheint erwiesen, dass sich Bindung parteiautonom quantifizieren lässt – und zwar unabhängig davon, ob sie lebzeitiger oder erbrechtlicher Natur ist. Setzt man sie zudem als Synonym für Geltung ein, scheint sie sich als das konstitutive Element der Gestaltungsfreiheit inter vivos und von Todes wegen schlechthin anzubieten. Doch das täuscht. Denn lebzeitige und erbrechtliche Bindung werden in dieser Argumentation vermengt.98 Dafür gibt es mehrere Indizien:99 So wird § 2287 BGB, der dem Vertragserben einen Bereicherungsanspruch gegen den Empfänger einer lebzeitigen unentgeltlichen Zuwendung für den Fall gibt, dass sich eine Beeinträchtigungsabsicht nachweisen lässt100, als „Nebenpflichtverletzung“ des Erblassers gewertet, die Rechtsfolgen erst nach dem Tod auslöse.101 Die Auffassung verkennt, dass die reguläre Sanktion einer solchen Pflichtverletzung eine Schadensersatzforderung und kein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung ist. Gravierender ist, dass von einer Bindung des Erblassers ausgegangen wird, die dieser zu Lebzeiten begründet und gegen die er auch zu Lebzeiten verstoßen hat, die aber erst nach dem Tod Rechtsfolgen auslöst.102 Im Kern ist das eine Position, die beim Konzept aufschiebend bedingter Rechtsgeschäfte inter vivos Anleihen macht, weil sie nicht das Kriterium der Bindung, sondern den Zeitpunkt des Rechtserwerbs als Abgrenzungskriterium zwischen lebzeitigen und erbrechtlichen Rechtsgeschäften einsetzt.103 In der Tat tut S. Loritz genau das, wenn sie §§ 2286–2289 BGB in ein abgestuftes System des Bürgerlichen Gesetzbuchs „hinsichtlich der Nebenpflichten und der Folgen bei einem Verstoß gegen diese“ einpassen will.104 Sie schreibt: 97

S. Loritz, S. 94. Sie knüpft damit, wenn schon nicht in der Konstruktion, dann doch zumindest in der gedanklichen Tradition an Tendenzen im älteren erbrechtlichen, vor allem erbvertraglichen Schrifttum an: D. Nolting, S. 66 f., m.w.Nw. Oben § 5 B. I., S. 145, m. Fn. 135. 99 Zur lebzeitigen Zweckdeutung der Bindungswirkung sogleich unter III. 1. a., S. 287 ff. 100 Zur entsprechenden Anwendung der §§ 2287 f. BGB auf das gemeinschaftliche Testament Kanzleiter, Fs. Otte, S. 157, 161. 101 S. Loritz, S. 92 f.: „Denn es gibt ja […] für denjenigen, der im Erbvertrag nur Verfügungen von Todes wegen trifft, keine lebzeitigen Pflichten. Dennoch kann dies nicht bedeuten, dass der Erblasser hierdurch einen ,Freibrief‘ sogar für missbräuchliches Handeln hätte […]. Anders als bei schuldrechtlichen Verträgen gibt es allerdings jedenfalls nach den gesetzlichen Regelungen (§§ 2287, 2288 BGB) eine ,Sanktion‘ erst nach dem Tod.“ 102 S. Loritz, S. 93. Nicht vertretbar Kricke, S. 37 f., der – offenbar von der lebzeitigen Bindung eines aufschiebend bedingten Rechtsgeschäfts ausgehend – in Bezug auf die §§ 2287 f. BGB von einer „Begrenzung der Verfügungsfreiheit“ des Erblassers für die Zeit nach seinem Tod ausgeht. 103 So auch Windel, S. 343 f. 104 S. Loritz, S. 93. 98

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„Bei Rechtsgeschäften unter Lebenden bestehen umfassende Nebenpflichten und Sanktionen zu Lebzeiten, weil auch ihre Rechtswirkungen zu Lebzeiten eintreten. Bei Verfügungen von Todes wegen kann es, da es sich nicht um schuldrechtliche Geschäfte handelt, auch keinerlei Nebenpflichten, Rechtsfolgen oder gar Sanktionen zu Lebzeiten des Verfügenden geben. Erbverträge und gemeinschaftliche Testamente nehmen eine Zwischenstellung ein. Zwar sind auch Erbverträge Verfügungen von Todes wegen und gemeinschaftliche Testamente keine Rechtsgeschäfte unter Lebenden; ihre Wirkungen treten aber erst nach dem Tode ein, so dass es keine lebzeitigen Pflichten und Sanktionen bei deren Verletzung zu geben braucht.“105

Hier wird in einen quantitativen Vergleichszusammenhang gerückt, was man qualitativ auseinander halten muss – die anders geartete Natur lebzeitiger und erbrechtlicher Bindung. Inhaltlich bleibt der Ansatz der Gleichung „Bindung = Bindung“ daher verhaftet, obwohl S. Loritz ihm in quantitativer Hinsicht gerade die Berechtigung abspricht.106 Als tertium comparationis wird in ihrem Konzept nicht die Art der Bindung, sondern allein der Zeitpunkt des Rechtserwerbs eingesetzt. Implizit wird davon ausgegangen, dass Rechtsgeschäfte unter Lebenden hinsichtlich der Nebenpflichten, die aus der ihnen eigenen lebzeitigen Bindung resultieren, die größte Intensität aufweisen, weil sie bereits zu Lebzeiten eintritt. Testamente bilden nach diesem Verständnis offenbar das untere Ende der Messskala; sie entfalten zu Lebzeiten keinerlei Rechtswirkung, also auch keine unmittelbare Bindung, an die sich (Neben-)Pflichten knüpfen könnten. Die „Zwischenstellung“, die S. Loritz Erbverträgen und gemeinschaftlichen Testamenten in ihrem Modell gleichermaßen einräumen will, beruht offenbar darauf, dass der Erblasser zu Lebzeiten Nebenpflichten verletzt hat – ein Verhalten, das sich freilich, was die Rechtsfolgen anbelangt, erst nach seinem Tod aktualisiert. Das ist nicht nur aus erbrechtlicher Sicht undifferenziert, weil Erbvertrag und gemeinschaftliches Testament bezüglich ihrer Bindungswirkung mitnichten auf eine Stufe gestellt werden können: Vielmehr geht die erbvertragliche Bindung des Erblassers insofern weiter als die Bindung an wechselbezügliche Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament107, als diese nicht nur bei wechselbezüglichen, sondern bei allen vertragsmäßig betroffenen Anordnungen besteht und auch schon zu Lebzeiten des Erblassers.108 Im hiesigen Zusammenhang ist es jedoch wichtiger, festzuhalten, dass S. Loritz’ Bindungsmodell implizit auf einem Verständnis beruht, das von lebzeitig begründeten, wenn auch aufschiebend bedingten Pflichten ausgeht. Es war bereits die Rede davon, dass Verfügungen von Todes wegen auf diese Weise unzulässigerweise in unmittelbar bindende und damit lebzeitige Rechtsgeschäfte uminterpretiert wer105 106 107 108

S. Loritz, S. 93. S. Loritz, S. 94, 97. Zu dieser von Dickhut-Harrach, Fs. Otte, S. 55, 72 f., 75. Rausch, FPR 2006, 141, 145; Soergel/M. Wolf, § 2289 Rn. 1. S. auch oben I., S. 280.

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den, deren Wirksamkeit aufschiebend bedingt ist.109 Hier begegnet nun eine Variante, die auf den Tod des Erblassers bedingte, aber lebzeitig bindende Sekundärpflichten in der Person eines Dritten, nämlich des Empfängers der unentgeltlichen Zuwendung, etablieren will. Erbrechtliche Bindung ist jedoch keine nur ihrem Grad nach reduzierte lebzeitige Bindung. Sie ist ein aliud110 und kann folglich gemeinsam mit dieser nicht in ein abgestuftes System von rechtlichen Bindungsintensitäten eingeordnet werden.111 Gemessen wird mit dem Kriterium normativer Verbindlichkeit ausschließlich geltungsgekoppelte Bindung. Erbrechtliche Rechtsgeschäftstypen sind nicht in ihrem (lebzeitigen) Bindungsgrad „auf Null reduziert“,112 sondern entgehen diesem Radar definitionsgemäß. Denn der ermittelte Parameter ist keiner auf den sie ihrer Rechtsnatur nach überhaupt reagieren könnten.

III. Testierfreiheit als unverbindliche Ausprägung der Privatautonomie113 1. Zur These vom mangelnden Vertrauensschutz im gewillkürten Erbrecht a. Lebzeitige Vorprägungen und dogmatische Fehlschlüsse Eine Verfügung von Todes wegen begründet keine lebzeitige Bindung, sondern eine ausschließlich erbrechtliche. Bindung hat im Recht der Lebenden eine unmittelbar geltungsorientierte und damit auch gestaltungsbezogene Funktion. Sie schafft – vermittelt über die Anerkennungsleistung der Rechtsordnung – in der Person der Gebundenen unmittelbar Rechte und Pflichten.114 Demgegenüber hat das (lebzeitige) Konzept der Gestaltung durch Bindung im Erbrecht keinen Platz. Im Testamentsrecht ist das ohnehin evident, weil der letztwillig Verfügende bis zum Eintritt der Wirksamkeit mit seinem Tod an seiner erbrechtlichen Willenserklärung nicht festgehalten wird und auch in der Regel gar

109

Oben § 4 A., S. 119, § 5 B. II., S. 148, § 6 B. I., S. 160. Ähnlich Windel, S. 338, der freilich aus diesem Befund zu Unrecht folgert, dass das Bindungskriterium für die Abgrenzung von lebzeitigen und erbrechtlichen Rechtsgeschäften überhaupt nicht tauge. Oben § 3 B. IV. 2., S. 112, m. Fn. 277. 111 Deswegen geht auch die Gleichsetzung von erbrechtlicher und schuldrechtlicher Bindungswirkung fehl, die Schmoeckel, AcP 197 (1997), 1, 64, im Hinblick auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Sittenwidrigkeitsprüfung für das Erbvertragsrecht annimmt. S. oben § 3 B. III., S. 87 f. 112 Hepting, S. 267. 113 S. auch Kroppenberg, DNotZ 2006, 86, 95: „ungebundene Ausprägung der Privatautonomie“. 114 Die unmittelbare Begründung von Rechten und Pflichten zu Lebzeiten des Erblassers ist nicht nur „eng verwandt“ mit dem Konzept der Bindung (Windel, S. 336), sie wird mit diesem aufgrund des unmittelbaren Geltungsbezugs der rechtsgeschäftlichen Betätigung unter Lebenden in eins gesetzt. 110

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nicht festgehalten werden will.115 Umgekehrt versagt das Recht einem unmittelbaren Bindungswillen des Testators die Anerkennung,116 zeichnet also den privatautonomen Impuls nicht einfach nur nach.117 In den Motiven heißt es dazu lapidar: „Dass ein Erblasser, auch wenn er seine Verfügung für unwiderruflich erklärt hat, an einer weiteren Verfügung nicht gehindert ist, kann nicht […] zweifelhaft sein.“118 Aber auch im Erbvertragsrecht und im Recht des gemeinschaftlichen Testaments vermittelt sich Geltung nicht unmittelbar über erbrechtliche Bindungswirkung. Solange sie andauert, untersagt sie dem gebundenen Erblasser nicht nur, weitere Verfügungen von Todes wegen zu treffen, die der mit Bindungswirkung ausgestatteten widersprechen (§ 2289 Abs. 1 BGB),119 sie hebt auch frühere Verfügungen von Todes wegen auf (§ 2289 Abs. 1 Satz 1 BGB), wirkt also unmittelbar kassatorisch. Sie geht damit über die Rechtswirkung lebzeitiger Bindung insofern noch hinaus, als diese nicht ausschließt, nochmals über denselben Gegenstand eine lebzeitige Bindung zu begründen, mit abweichendem Inhalt oder in anderer personeller Zusammensetzung als in der ersten Vereinbarung.120 Erbrechtliche Bindung perpetuiert mithin – soweit sie reicht – ein bestimmtes erbrechtliches Rechtsgeschäft sogar umfassender als die unter Lebenden. Jedoch ist eine solche erbrechtliche Beurteilung des gestalterischen Potenzials der Testierfreiheit nur äußerst selten anzutreffen, weil es in der Regel mit einem im Erbrecht unbrauchbaren, weil lebzeitigen Kriterium gemessen wird. Dass eine erbrechtliche Willenserklärung anders als die lebzeitige ihre Geltung nicht unmittelbar erzeugt, weil sie weder auf unmittelbare Rechtsübertragung gerichtet ist,121 noch 115 In einem gewissen Widerspruch steht daher die Aussage Windels, der „Aufschub der Wirkungen [einer Verfügung von Todes wegen] auf die Zeit nach dem Tode [sei] denknotwendig gerade gewollt“ (S. 377), zu derjenigen: „Ob die gesetzten Rechtsfolgen in ihrer Gesamtheit die Qualität eines Schuldvertrags oder einer Verfügung von Todes wegen haben, ist ihnen [den rechtsgeschäftlich handelnden Personen] einerlei, sofern sie nicht rechtskundig beraten sind. Aber auch letzterenfalls ist die rechtliche Einordnung des Geschäfts, die auf der Grundlage des privatautonom Gewollten erfolgt, der privatautonomen Gestaltung entzogen.“ (S. 338). 116 Husserl, Recht und Zeit, S. 7, 29: „Eine gültig errichtete letztwillige Verfügung entbehrt der bindenden Kraft, d. i. der Unwiderruflichkeit, solange der Testator lebt.“ Des Weiteren Heinrich, S. 52; Lorenz, S. 35, m. Fn. 135; s. auch Windel, S. 338, m.w.Nw. 117 Dagegen ist nicht maßgeblich, ob „der Aufschub der Wirkungen auf die Zeit nach dem Tod [vom Erblasser] denknotwendig gerade gewollt ist, weil man anderenfalls nicht von einem Testament sprechen könnte“ (Windel, S. 377). Das Entscheidende ist nicht der Wille, sondern dass das Recht einer solchen Konstruktion die Wirksamkeit vorenthält. 118 Zitiert bei Mugdan, Bd. 5, S. 4. 119 § 2289 Abs. 1 Satz 2 BGB gilt für Verfügungen von Todes wegen, die der Überlebende nach dem Eintritt der Unwiderruflichkeit einer wechselbezüglichen Verfügung errichtet hat, entsprechend: Harder/Kroppenberg, Rn. 182; s. auch oben § 6 C. II. 4. c., S. 193, m. Fn. 263. 120 Darauf weist auch Krebber, DNotZ 2003, 20, 22, m.w.Nw. in Fn. 11, hin. 121 So aber Stumpf, S. 29, die es unternimmt, die angeblich auf unmittelbare Rechtsübertragung gerichtete erbrechtliche Willenserklärung zu der eine Rechtsübertragung erst ver-

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sofort Rechte und Pflichten begründet,122 ist kein Argument gegen die Gestaltungskraft erbrechtlicher Verfügungen, sondern nur eines für die lebzeitige Ausrichtung des eingesetzten Differenzierungskriteriums „Bindung“. Da dieses Rechtsgeschäfte unter Lebenden von solchen von Todes wegen gerade scheidet, ist es in Bezug auf die Feststellung normativer Verbindlichkeit im Hepting’schen Sinne nicht angängig, lebzeitige und erbrechtliche Bindungsintensitäten zu staffeln.123 Nur im Vergleich zur Vertragsfreiheit unter Lebenden lässt sich sagen, dass die Testierfreiheit wegen des fehlenden sofortigen „Verbindlichkeits-“124 und Geltungsanspruchs die weniger verbindliche Ausprägung der Privatautonomie ist. Der Befund steht in einem bemerkenswerten Gegensatz zum Topos von der „Herrschaft des Erblassers aus dem Grabe“, ja er ist gewissermaßen dessen paradoxes Gegenstück. Während nach dem Tod des Erblassers gerade die Verbindlichkeit seines Handelns für die (Über-)Lebenden thematisiert und nicht selten problematisiert wird, weil der Erblasser selbst als Verstorbener zu dieser nichts mehr beitragen muss,125 wird zu Lebzeiten des Erblassers gerade die mangelnde Verlässlichkeit seiner rechtsgeschäftlichen Verfügung als Manko angesehen. Überspitzt könnte man sagen: Was vor dem Erbfall als zu wenig verbindlich eingestuft wird, gilt danach als zu sehr verbindlich. Die Testierfreiheit kann es dem Recht der Lebenden auch in dieser Hinsicht offenbar nicht Recht machen. Das zeigt, dass die Vorprägung auf ein lebzeitiges Verständnis von Bindungswirkung, die beide Anschauungen miteinander teilen, keine einheitlichen Ergebnisse erzielt. Sie schafft im Gegenteil Wertungswidersprüche, die eine originär erbrechtliche Charakterisierung der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen erschweren. Was die These vom Verbindlichkeits- und Verlässlichkeitsdefizit der Testierfreiheit anbelangt, so droht sie ihr den gestaltenden Charakter abzusprechen. Gerade der im gewillkürten Erbrecht häufig anzutreffende Hinweis auf den höheren Freiheitsgrad des von Todes wegen privatautonom Handelnden gegenüber demjenigen, der das unter Lebenden tut, bezieht sich auf das Fehlen lebzeitiger Bindungswirkung von testamentarischen Anordnungen, sprechenden schuldrechtlichen argumentativ in ein a minore ad maius-Verhältnis zu setzen. Damit wird schlicht übergangen, dass das Bindungskriterium dasjenige ist, das erbrechtliche und lebzeitige Geschäfte gerade voneinander unterscheidet. 122 Miserre, S. 234, der freilich Ursache (Bindung) und Wirkung (Geltung) vertauscht: „unterscheidet sich eine Verfügung von Todes wegen von einem Rechtsgeschäft unter Lebenden, welches in der Regel sein rechtliches Ziel unmittelbar verwirklicht und daher eine sofortige rechtliche Bindung zur Folge haben kann.“ 123 Was für sich genommen durchaus möglich ist, wie etwa die Diskussion um den so genannten Änderungsvorbehalt bei Erbverträgen zeigt; Nw. oben II., S. 284, m. Fn. 92, § 5 B. I., S. 144, Fn. 133. 124 Hillgruber, ARSP 85 (1999), 348, 361. 125 Oben § 3 B. IV. 2., S. 99 ff.

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also darauf, dass sich der letztwillig Verfügende von seiner Willenserklärung einseitig und ohne Angabe von Gründen wieder lösen kann. Doch handelt es sich dabei letztlich um wenig mehr als ein Lippenbekenntnis. Denn eine Freiheit, die im Unverbindlichen bleibt, ist nach lebzeitigen Maßstäben gerade keine, weil sie Rechtsverhältnisse nicht unmittelbar gestaltet und daher zunächst überhaupt nicht wirkmächtig zu sein scheint. Für die Vertragsfreiheit unter Lebenden wird denn auch gerade betont, dass die Möglichkeit zur „Bindung“ den Einzelnen erst in den Stand setzt, seine Belange in der äußeren (Rechts-)Welt zur Geltung zu bringen.126 Neben dem Defizit an gestalterischem Potenzial, an dem die Testierfreiheit im Vergleich zur Vertragsfreiheit inter vivos zu leiden scheint, wird noch ein zweiter Mangel empfunden. Er verweist auf die Ambivalenz, die den Rechtsbegriff „Bindung“ unter Lebenden auszeichnet. Kehrseite ihrer „Verpflichtungskraft“127 als dem eigentlich Kreativen privatautonomer Betätigung inter vivos ist eine Art Garantiefunktion, die teils mit der Bindungswirkung selbst, teils mit dem Prinzip der Selbstverantwortung128 und teils (zusätzlich) mit dem Grundsatz der Vertragstreue begründet wird. Dieser wiederum wird von willens-129 und vertrauensgeleiteten130 Standpunkten gleichermaßen vereinnahmt. Nur eine Spielart der vertrauensbasierten Anschauungen ist die kommunikationstheoretisch angereicherte Vorstellung von der „institutionellen Außengerichtetheit“ der Willenserklärung, an die sich Vertrauens- und Verkehrsschutzerwägungen knüpften.131 Was freilich zu der Hoffnung berechtigt, die Vereinbarung werde gemäß dem in ihr festgelegten Inhalt auch durchgeführt werden, ist genau genommen nicht ihre Bindungswirkung, sondern ihr unmittelbarer Geltungsanspruch. Verlässlichkeit bedeutet dabei Gewissheit darüber, dass der Wille der Parteien in der 126

Nw. oben B. II., S. 283, Fn. 87, § 5 B. II., S. 146, m. Fn. 144. Heinrich, S. 52. 128 Zur Problematik dieses Begriffs sogleich unten S. 292 f. 129 Dezidiert Canaris, Fg. BGH I, S. 129, 146 f., m.w.Nw., der den Grundsatz des pacta sunt servanda von Vertrauensschutzerwägungen separiert. 130 Insoweit „vertrauenstheoretisch“ argumentierend etwa Heinrich, S. 53. 131 Larenz/M. Wolf, § 24 IV 3, Rn. 31; Rohe, S. 186 f., m.w.Nw. in Fn. 651; insbesondere unter Berufung auf Rothoeft, S. 78 ff. Dass der in einem Testament verkörperten Willenserklärung diese Außengerichtetheit gerade abgeht, betont Rohe, a.a.O., zwar besonders, schließt daraus aber, dem gewillkürten Erbrecht sei es darum zu tun, dem „wirklichen inneren Willen [des Erblassers, Hervorhebung nicht im Original] weitestgehend zur Durchsetzung zu verhelfen.“ Das ist insoweit ein Fehlschluss, als die fehlende Außenorientierung einer Erklärung nicht bedeutet, es käme im Erbrecht auf den inneren Willen des Testators an. Die Anschauung denkt Erklärung und äußere Wirksamkeit durch Geltung zusammen, geht also vom lebzeitigen Modell aus. Als Gegenpol wird der nicht wirkmächtige Wille verstanden, der im Recht der Lebenden in der Regel der nicht geäußerte ist. Was ausgespart bleibt, ist die Möglichkeit einer Erklärung, die zwar noch keine Rechtswirkung entfaltet, aber bereits das forum internum ihres Urhebers verlassen hat – ein Phänomen, das für die testamentarische Willenserklärung charakteristisch (oben I., S. 281), aber auch dem Recht der Lebenden nicht fremd ist (oben A. I., S. 274). 127

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Rechtswelt Folgen hat. Unter Lebenden fällt sie im Regelfall mit der Begründung der vertraglichen Bindungswirkung uno actu zusammen und bleibt daher – abhängig davon, ob eher willens- oder vertrauenstheoretisch argumentiert wird – nicht selten hinter ihr selbst oder dem Hinweis auf das Prinzip des pacta sunt servanda verborgen. Bindung besagt jedoch für sich zunächst nichts mehr, als dass die einseitige Lossagung von der Vereinbarung nur noch unter besonderen rechtlichen Voraussetzungen gelingen kann.132 Der eigentliche Träger sowohl des gestalterischen Potenzials als auch der Verlässlichkeit einer privatautonomen Übereinkunft unter Lebenden ist jedoch ihre unmittelbare Hingeordnetheit auf Geltung,133 und dies wird insbesondere im Recht der Verfügungen von Todes wegen deutlich, wo der erbrechtlichen Bindungswirkung, selbst dort, wo sie auftritt, die sofortige Wirksamkeit abgeht. Das Fehlen unmittelbar geltungsgekoppelter Bindung im gewillkürten Erbrecht – genauer die zeitliche und dogmatische Entkopplung von Geltung und Bindung – wird in der Kautelarjurisprudenz und im erbrechtlichen Schrifttum, die insoweit beide eine lebzeitige Vorprägung nicht verhehlen können, weniger als positive Strategie der erbrechtlichen Privatautonomie verstanden als vielmehr als Verbindlichkeits- und Verlässlichkeitsdefizit der Testierfreiheit inter vivos. Damit wird genau das, was die Gestaltungsbefugnis von Todes wegen als erbrechtliche Freiheit kennzeichnet, nämlich ihre Unabhängigkeit von der lebzeitigen Verfügungsfreiheit (§ 2286 BGB) und die Ungebundenheit des Erblassers inter vivos (§ 2302 BGB), unter Zugrundelegung lebzeitiger Maßstäbe diskreditiert. Gerade die Freiheit des lebenden Erblassers von lebzeitigen Bindungen134 rechnet mit der Zeit, die zwischen der Errichtung einer Verfügung von Todes wegen und dem Eintritt ihrer Wirksamkeit vergeht, und will dem Erblasser deshalb die Möglichkeit zur Anpassung seiner Verfügung an Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse im Grundsatz nicht nehmen.135 Doch nach gängiger Anschauung stellt sich die erbrechtliche Natur der Testierfreiheit gerade als lebzeitiger Mangel dar: Das äußert sich zum einen in dem Bemühen, das ausgemachte Verbindlichkeitsdefizit erbrechtlicher Gestaltung mit den kaute132 S. auch oben § 10, S. 241. Das meint wohl auch Battes, AcP 178 (1978), 337, 343, wenn er schreibt: „Dementsprechend heißt ,Bindung‘ hier [i. e. beim Erbvertrag] nicht Durchsetzbarkeit eines ,Anspruchs‘, sondern Unwiderruflichkeit eines auf Veränderung der dinglichen Zuständigkeit angelegten Rechtsgeschäfts“. Zur Parallelisierung von sachenrechtlichen und erbrechtlichen Verfügungen oben § 4 A., S. 143 ff., dort insbesondere zu Battes‘ Konzeption der Verfügung von Todes wegen als aufschiebend bedingter lebzeitiger. 133 Wie hier Enderlein, S. 105 f. Abweichend C. Nolting, S. 36, 61 f., der vom Konzept „Vertrauen kraft Bindung“ ausgeht. 134 Krebber, AcP 204 (2004), 149, 169, spricht dagegen von der „besonderen Freiheit des Erblassers zu Lebzeiten von erbrechtlichen Bindungen“ (Hervorhebung nicht im Original). Das dürfte ein Versehen sein: Erbrechtlich geht es um die Abwesenheit von unmittelbar begründeten Rechten und Pflichten, i. e. lebzeitige Bindung. 135 Ähnlich Miserre, S. 234.

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larjuristischen Mitteln des Rechts der Lebenden auszugleichen und zum anderen in der Annahme, Vertrauen sei ein Faktor, der dem gewillkürten Erbrecht prinzipiell fern stehe.136 Letzteres hat jedoch weniger mit dessen eigener Disposition zu tun, als vielmehr mit einem gedanklichen Kurzschluss im Recht der Lebenden, der von dort an das Erbrecht herangetragen wird und der Verfügung von Todes wegen ihren Charakter als rechtsgeschäftliche Gestaltungsbefugnis zu nehmen droht. Die Gleichung „Bindung = Geltung“, die konstruktiv schon inter vivos nicht durchweg aufgeht,137 hat zu einer Überbetonung der Bindungswirkung als zwar willensgegründetem, aber auch vertrauensbildendem Faktor geführt. Das so genannte Selbstverantwortungsprinzip – auf der Prinzipienebene als „Korrelat der Selbstbestimmung“ beschrieben138 – wird häufig als Kehrseite der Bindungswirkung bzw. als Grundlage des Vertrauensschutzes präsentiert.139 Es soll erklären, weswegen Bindung bindet, auch wenn der entsprechende Wille dazu nicht mehr vorhanden ist. Im Grunde handelt es sich dabei um eine Dopplung des Bindungsgedankens mit begrenztem Erklärungsgehalt. Insbesondere der eigenständige Begründungswert des nicht eindeutig dem Recht angehörigen Topos im Verhältnis zum juristisch relativ klar umrissenen Prinzip des pacta sunt servanda bleibt im Dunkeln.140 Die Wirkungsgeschichte des Selbstverantwortungsgrundsatzes ist dagegen vergleichsweise klar: Er hat nicht unmaßgeblich dazu beigetragen, den nicht haltbaren Allgemeingültigkeitsanspruch des lebzeitigen Bindungskriteriums für die gesamte Privatautonomie, ja das Recht schlechthin, zu perpetuieren.141 Da der „Vertrauensträger lebzeitige Bindung“ im Erbrecht so nicht zu finden ist, beides aber im Recht der Lebenden miteinander verschmolzen scheint, wird daraus geschlossen, dass es so etwas wie den Vertrauensgedanken im Erbrecht nicht gebe. Das ist ein Fehlschluss, weil sich Vertrauen – wie gesagt – nicht primär an Bindung, sondern an den Geltungsanspruch knüpft, den die Parteien in ihren Willenserklärungen postulieren und der sich eben nur inter vivos in der sofortigen Begründung von Rechten und Pflichten (= lebzeitige Bindung) niederschlägt. Dass sich aber an Geltung, die nicht auf Bindung beruht, Vertrauen knüpfen könnte – das stellt diese lebzeitig geprägte Anschauung nicht in Rechnung. Festgehalten werden soll, dass es nicht zuletzt auch die Fixierung auf das Bindungskriterium war, also eine lebzeitige Vorprägung der erbrecht136

Oben § 3 A. I., S. 58, B. III., S. 87, C. I., S. 105. S. auch Miserre, S. 242, m.w.Nw. Oben A. I., S. 274. 138 Flume, BGB AT II, § 4, 8, S. 61 f. Aus jüngerer Zeit Rohe, S. 193, m.w.Nw. in Fn. 687. 139 Das bestreitet Canaris, Fg. BGH I, S. 29, 151. Weniger klar ders., Vertrauenshaftung, S. 433, worauf auch Lobinger, S. 77, m. Fn. 7, hinweist. 140 Berechtigte Kritik am juristischen Erkenntniswert des Verantwortungstopos übt Lobinger, S. 76 ff., 79 ff., m.w.Nw. S. auch Voit, in: Jahrbuch, S. 89, 95 ff. 141 Oben a., S. 291. 137

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lichen Anschauung, die einer behutsamen Entfaltung des Vertrauensgedankens im gewillkürten Erbrecht bisher entgegen gestanden hat. Sie hat den Blick darauf verstellt, dass Vertrauen – wenn auch strukturell anders ausgeprägt – im Grundsatz ebenso im Recht der Lebenden und im Erbrecht anzutreffen ist.

b. Arten und Anwendungsfelder von spezifisch erbrechtlichem Vertrauen im Vergleich zum Recht der Lebenden aa. Primärvertrauen des Erben in den Fortbestand seiner Rechtsposition Vertrauen hat – darauf weist Stumpf in der Sache durchaus zutreffend hin142 – zunächst der Erblasser selbst, nämlich darauf, dass seine Willenserklärung nach seinem Tod wirksam und von Dritten vollzogen wird, wenn sie Anordnungen enthält, die der Ausführung bedürfen. Mit Eigenverantwortung, wie Stumpf meint, hat das jedoch gerade nichts mehr zu tun. Denn der von Todes wegen Verfügende selbst kann zu Auslegung und Behandlung seiner Erklärung im Zeitpunkt ihres Wirksamwerdens gerade nichts mehr beitragen – er verantwortet sie nicht mehr selbst. Wenn die Erklärung gleichwohl die seine bleibt, dann liegt das an der Anerkennungsleistung der Rechtsordnung,143 die im gewillkürten Erbrecht darauf beruht, dass sie den Willen der einstmals lebenden Person zur Geltung bringt.144 In diese originär rechtliche Operation setzt der Testierende zwar Vertrauen, Rechtsfolgen hat das für ihn selbst aber nicht. Anderes gilt nun für den Erben. In Bezug auf seine Person lässt sich für die Zeit nach dem Erbfall ein prinzipiell schutzwürdiges Vertrauen auf den Fortbestand seiner zivilrechtlich erworbenen und verfassungsrechtlich verstärkten145 Rechtsposition auf der Primärebene kaum negieren.146 Diese Art von Vertrauen wird durch die Geltung der letztwilligen Verfügung von Todes wegen erst konstituiert. Funktionell entspricht es nur auf den ersten Blick dem Vertrauen des Vertragspartners eines lebzeitigen Vertrags darauf, dass das Rechtsgeschäft vereinbarungsgemäß durchgeführt wird. Erbrechtliches Primärvertrauen ist anders organisiert als unter Lebenden. Da der erbrechtliche Erwerb kein verkehrsgeschäftlicher ist,147 spielen Verkehrsschutzerwägungen für die Kontu142

Stumpf, S. 30. Oben Einleitung, S. 9, § 6 C. II. 1. a. aa., S. 168 f., § 12 B. I., S. 282 f., 250, B. II., S. 281, B. III. 1., S. 290. 144 Oben § 3 B. IV. 1., S. 98. 145 Oben § 7 A. II., S. 207 ff. Damit würde der verfassungsrechtliche Impuls zur Stärkung des Erbenrechts zivilrechtlich stärker aufgegriffen als bisher. 146 Es handelt sich im Gegensatz zu den Haftungsfällen nicht um die Begründung einer (Erfüllungs- oder Schadenersatz-)Pflicht kraft Vertrauens, sondern um die Kategorie „Erhalt oder Verlust einer Rechtsposition“, die ebenfalls aus dem Vertrauensgedanken ableitbar ist; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 3. Zu den beiden Kategorien geschützten Vertrauens, die hier mit den Begriffen „Primär-“ und „Sekundärvertrauen“ gekennzeichnet werden, s. auch Enderlein, S. 104 f. 147 Oben § 4 B., S. 125 f. 143

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rierung des Vertrauensschutzes des Erben nur äußerst mittelbar eine Rolle,148 nämlich für die Legitimation im Rechtsverkehr unter Lebenden.149 Aufgrund der linearen Struktur der erbrechtlichen Zuwendung richtet sich das berechtigte Vertrauen des Erben des Weiteren nicht auf das vertragsgemäße Verhalten des anderen Teils bei der gemeinsamen Vertragsabwicklung. Die Einhaltung von Geboten wie Verlässlichkeit, Rücksichtnahme und Loyalität bei der Durchführung der vertraglichen Vereinbarung, über deren Beachtung § 242 BGB im Wege der so genannten individuellen Missbrauchskontrolle wacht,150 spielt daher, soweit es um den erbrechtlichen Erwerb als solchen geht, ebenso wenig eine Rolle wie der Rekurs der Vorschrift auf die Belange der Verkehrssitte. Erbrechtliches Vertrauen ist mit anderen Worten kein Abwicklungsvertrauen,151 das auf die Verlässlichkeit des anderen Teils in der Zukunft baut und sich daher auf dessen weiteres Verhalten bezieht.152 Treffender lässt es sich als eine Art Stabilitäts-, Status- oder Bestandsvertrauen kennzeichnen, dessen Gegenstand zustands- und nicht – wie unter Lebenden – prozessbezogen ist.153 Der vertrauensbegründende (objektive) Tatbestand liegt im gewillkürten Erbrecht nicht in der Gegenwart der gemeinsamen Vertragsdurchführung, sondern in der Vergangenheit, genauer im Zeitpunkt der Errichtung der Verfügung von Todes wegen. Wirkung zeigt er jedoch in der Zukunft, nämlich im Rechtsverkehr des Erben mit Dritten. Das verweist nicht nur einmal mehr auf die besondere Zeitstruktur erbrechtlicher Verfügungen,154 sondern zeigt zudem, dass Vertrauen anders als im Schuldvertragsrecht im Erbrecht nicht nur relativ an148 Anders Lange/Kuchinke, § 34 III 8 a, S. 791: „Die Verkehrsbedeutung ist in der Regel auch bei der Ermittlung des Inhalts einseitiger Verfügungen von Todes wegen maßgeblich“ (Hervorhebung nicht im Original). Der objektive Gesichtspunkt des Verkehrs- ist im Übrigen von dem subjektiven des Vertrauensschutzes auch unter Lebenden zu differenzieren: Lobinger, S. 52 f. Für das Erbrecht beherzigt das nicht genügend Sieker, AcP 201 (2001), 697, 712 f.: „Vertrauensschutz“ und „Rechtssicherheit“ werden nicht differenziert. 149 Oben § 6 C. II. 3., S. 185. 150 Heinrich, S. 392, m.w.Nw.: „§ 242 BGB hat seinen Ursprung im allgemeinen Vertrauensprinzip […]. Über den Inhalt des allgemeinen Vertrauensgrundsatzes hinaus verlangt § 242 BGB, dass sich die Vertragspartner vor, während und nach der Abwicklung an die Gebote der Verlässlichkeit, Rücksichtnahme und Loyalität halten“ (Hervorhebung nicht im Original). Zum individuellen Rechtsmissbrauch als Regelungsfacette des § 242 BGB ders., S. 406 ff. Des Weiteren Singer, Verbot, S. 313 f., 365. 151 Heinrich, S. 357 f., kontrastiert den Begriff „Abwicklungsvertrauen“ mit dem des „atypischen Vertrauenstatbestands.“ Das Vertrauen auf die ordnungsgemäße Abwicklung eines lebzeitigen Kontrakts stellt also eine Art „Regelvertrauen“ dar, das weitere denkbare Typen von Vertrauen als Abweichungen determiniert. 152 Singer, Verbot, S. 255 ff., kategorisiert dieses lebzeitige Phänomen als „Vertrauen auf künftiges Verhaltens“ des anderen Teils. 153 Allgemein zum prozeduralen Charakter der Vertragsfreiheit unter Lebenden oben § 6 C. II. 4. a., S. 189 f. 154 Oben Einleitung, S. 7, m. Fn. 46, § 2 B. I., S. 32, m. Fn. 69, § 6 C. II. 4. d. aa., S. 196.

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gelegt ist.155 Es hat vielmehr insofern absolute Reflexwirkungen, als sich die mit dem Erben in rechtsgeschäftlichen Kontakt tretenden Personen auf dessen Rechtsposition verlassen. Soweit die Frage nach der Anwendbarkeit des Grundsatzes von Treu und Glauben im Recht der Verfügungen von Todes wegen bisher überhaupt nach dessen verschiedenen Funktionsbereichen behandelt wird – meist heißt es recht pauschal, § 242 BGB gelte als allgemeines Rechtsprinzip auch im Erbrecht,156 –, wird daher stets dessen objektive Seite thematisiert. Ein Beispiel ist die Frage des Institutsmissbrauchs bei so genannten verhaltensbezogenen Verfügungen von Todes wegen.157 Das Gegenteil von rechtsmissbräuchlich ist es, wenn sich der Erbe mit dem Eintritt des Erbfalls auf den Fortbestand der eigenen Rechtsposition in der Zukunft berechtigte Hoffnungen macht, die mit dem Erbfall beginnt. Sie wird mit dem Tod des Erblassers erst begründet und durch die Willenserklärung des Erblassers vermittelt. Das heißt zum einen, dass die Verfügung von Todes wegen die inhaltliche Ausgestaltung der erbrechtlichen Stellung der Bedachten aktuell bestimmt. Es bedeutet aber auch, dass die Gestaltungsmacht des Erblassers jenseits der Option des Bedachten, dessen Szenario durch Ausschlagung für sich zu verwerfen, dort ihre Grenze findet, wo eine Korrektur der Erbfolge nur noch aufgrund von Umständen möglich wäre, die zeitlich nach dem Wirksamwerden der Verfügung von Todes wegen liegen und damit nach der Begründung der Rechtsposition des Erben. Hier muss der Erbe nur noch mit solchen Veränderungen der Erbfolge rechnen, die der Erblasser zu Lebzeiten voraus bedacht und in die Verfügung aufgenommen hat. Methodisch handelt es sich um einen Ansatz, der die spezifisch erbrechtliche Gestaltungsmacht des Erblassers – im Gegensatz zum Topos von der „Herrschaft aus dem Grabe“ – in weitestgehendem Umfang respektiert, weil er die Rechtsposition des Erben nicht zur Beschränkung der Testierfreiheit des Erblassers funktionalisiert,158 sondern aus sich selbst heraus begründet. Flankiert wird das objektiv berechtigte subjektive Interesse des Erben am Fortbestand seiner Rechtsposition mit dem Eintritt des Erbfalls (= erbrechtliches Vertrauen) durch das an anderer Stelle hervortretende objektiv-ordnungsrechtliche Bestreben des Bürgerlichen Gesetzbuchs, die Erbfolge nach dem Erblasser möglichst rasch und endgültig festzulegen.159 155

Heinrich, S. 358. S. die Nw. bei Wietek, S. 155 m. Fn. 13; des Weiteren Soergel/Teichmann, § 242 Rn. 81; MünchKomm/G. Roth, § 242 Rn. 63. 157 Oben § 3 B. II. 2. b., S. 87, § 6 C. II. 4 b., S. 191, m. Fn. 254. 158 Oben § 7 B. II. 1., S. 211, m. Fn. 40. 159 In diesem Kontext sind die kurzen Fristen (§ 1954 BGB) zu sehen, die das Bürgerliche Gesetzbuch dem Erben bezüglich der Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft einräumt (oben § 7 B. II. 2. b., S. 196, m.w.Nw. in Fn. 62), aber auch das Prinzip der so genannten materiellen Höchstpersönlichkeit der §§ 2065, 2779 Abs. 1, 2299 Abs. 2 Satz 1 BGB (zur weiteren Funktion als Ausdruck eines gegenüber dem Recht der Lebenden gesteigerten Bedürfnisses 156

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bb. Auswirkungen des Primärvertrauens im Recht der Auslegung und Anfechtung von erbrechtlichen Willenserklärungen (1) Auslegung. Auswirkungen haben diese Überlegungen vor allem im Recht der Auslegung und Anfechtung von Verfügungen von Todes wegen. Mit der Einführung des Empfängerhorizonts schützt § 157 BGB für das Recht der Auslegung von Willenserklärungen unter Lebenden Vertrauen, in dem es die Erwartung stabilisiert, die Erklärung des anderen gelte nun in der Rechtswelt so und mit dem Inhalt, wie sie der objektive Empfänger verstehen durfte. Der normativierte Horizont des Erklärungsadressaten öffnet zudem die Interpretation der Willenserklärung für die überindividuellen ordnungsrechtlichen Belange des Rechtsverkehrs.160 Eine solche Normativierung kommt im gewillkürten Erbrecht aufgrund des mangelnden Verkehrsbezugs ohnehin nicht in Betracht – das sieht die gängige Anschauung161 überwiegend nicht anders. Des Weiteren ergeben sich bei der Auslegung von letztwilligen Verfügungen und auch bei der von einseitigen Verfügungen im Erbvertrag (§ 2299 Abs. 1 BGB) oder nicht wechselbezüglichen Anordnungen in einem gemeinschaftlichen Testament keine Abweichungen: Ihre Auslegung richtet sich allein nach § 133 BGB.162 Jedoch auch dort, wo das rechtsgeschäftliche Erbrecht Bindungswirkung kennt, nämlich bei wechselbezüglichen Anordnungen in gemeinschaftlichen Testamenten (§ 2270 Abs. 2 BGB) und bei vertragsmäßigen Verfügungen in Erbverträgen (§ 2289 Abs. 1 BGB), wird man – und hier weicht die nach Authentifizierung der Erklärung des Erblassers unten 2. c. bb., S. 317). Das bestreitet Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 295 f., m.w.Nw. in Fn. 411, ders., Ehegattenschutz, S. 829, unter Hinweis auf die mögliche Überbrückung des Schwebezustands durch Anordnung einer Vorerbschaft bis zur endgültigen Bestimmung des Nacherben (§ 2105 Abs. 1 BGB). Doch dürfte die Beschränkung des (Vor-)Erben dem Willen des Erblassers, der ja gerade eine sofortige Vollerbschaft aufgrund Drittbestimmung anordnen möchte, nicht entsprechen (Windel, S. 237, m.w.Nw. in Fn. 163). Die essentialia der erbrechtlichen Zuwendung (ihr Gegenstand und die Person des Rechtsnachfolgers) sollen möglichst im Zeitpunkt des Erbfalls feststellen. Minore Punkte können dem gegenüber zunächst offen bleiben: §§ 2151, 2156, 2193, 2198, 2048 Satz 2 BGB (mit anderem Akzent Windel, S. 236: „besondere Qualität der Universalsukzession“). Die „lange Anfechtungsfrist des § 2082 Abs. 3 BGB“, die Sieker, AcP 201 (2001), 697, 713, als Mittel zur Herstellung von Rechtssicherheit vorstellt, ist in Wirklichkeit weder eine Anfechtungsfrist – diese ist in § 2082 Abs. 1 BGB geregelt –, noch begrenzt der objektive (Höchst-)Zeitrahmen, innerhalb dessen eine Anfechtung stattfinden kann (dreißig Jahre nach dem Erbfall), das Gestaltungsrecht in signifikanter Weise. Im Gegenteil muss mit seiner Ausübung stets gerechnet werden; denn die Frist des § 2082 Abs. 1 BGB beginnt erst ab Kenntnis des Berechtigten vom Anfechtungsgrund zu laufen. 160 Oben § 6 II. 3., S. 166, m. Fn. 184. 161 Goebel, Ehegattenschutz, S. 148, m.w.Nw. in Fn. 353. Die gegenteilige Auffassung in Harder/Kroppenberg, Rn. 206, m.w.Nw. (objektiver Empfängerhorizont als letzte Stufe der Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments) wird nicht weiter aufrecht erhalten. 162 Heinrich, S. 281; Larenz/M. Wolf, § 28 A III 1 und 2, Rn. 13 f., B I 2, Rn. 17. Zum Verhältnis der Vorschrift zu § 242 BGB Soergel/M. Wolf, § 157 Rn. 26; MünchKomm/G. Roth, § 243 Rn. 63, 83 ff.

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hiesige von der ganz herrschenden Anschauung ab163 – nicht anders entscheiden können. Das zeigt sich mit Deutlichkeit im Erbvertragsrecht, das in §§ 2281 Abs. 1, 2078 Abs. 2 BGB auch dem mit der Folge des § 2289 Abs. 1 Satz 2 BGB „gebundenen“ Erblasser die Möglichkeit zur (Selbst)Anfechtung seiner Willenserklärung wegen Motivirrtums einräumt, die im Ergebnis einem einseitigen Lossagungsrecht nahe kommt.164 Der Erbvertrag gewährt – in den Worten Krebbers – die Sicherheit einer vertraglichen Vereinbarung von vornherein nur unter dem gesetzlichen Vorbehalt der Eigenanfechtung durch den Erblasser.165 Aufgrund lebzeitigen Vertrags(bindungs)verständnisses wird das bisweilen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen166 oder jedenfalls als „Systemwidrigkeit“ empfunden.167 Die Begründung der Vertragsbindung fällt inter vivos eben mit der Geltung der Vereinbarung zeitlich in der Regel zusammen. Nicht die Wirksamkeit der Vereinbarung, sondern bereits die privatautonome Bindung des einen scheint daher das Vertrauen des anderen Teils und Erklärungsempfängers auf deren Fortbestand zu rechtfertigen. Im Recht der Verfügungen von Todes wegen geht dieses lebzeitige Konzept nicht auf: Hier ist Bindung nicht unmittelbar geltungsgekoppelt und rechtfertigt daher nach der Errichtung und vor dem Erbfall weder eine objektive Einschränkung der Anfechtung168 noch – nach ganz überwiegender Auffassung – den Ersatz von Vertrauensschaden gemäß § 122 BGB.169 Wenn dem so ist, ist freilich auch nicht einzusehen, weshalb es bei der Auslegung von Willenserklärungen, auch wenn sie sich in einem Erbvertrag oder gemeinschaftlichen Testament im Sinne der Vertragsmäßigkeit oder Wechselbezüglichkeit aufeinander beziehen, auf den Horizont des anderen Teils oder

163 Sie will § 157 BGB entsprechend anwenden: Goebel, Ehegattenschutz, S. 69, m.w.Nw. in (Fn. 7) 70, S. 148 f., m.w.Nw. in Fn. 350. 164 Oben § 4 C. II. 3., S. 166, m. Fn. 194. 165 DNotZ 2003, 20, 32. Ähnlich Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 280. 166 So leitet Soergel/M. Wolf, Vor § 2274 Rn. 9, aus der erbvertraglichen Bindung des Erblassers eine Anwartschaft des vertragsmäßig eingesetzten Erben jedenfalls in dem Fall her, dass dieser selbst Vertragspartner des Erbvertrags ist. Ein Anwartschaftsrecht zeichnet sich jedoch gerade dadurch aus, dass es unumkehrbar zum Vollrecht erstarken wird, wenn der Berechtigte nicht selbst darauf verzichtet. Davon kann aber aufgrund des Selbstanfechtungsrechts des Erblassers gemäß §§ 2281 Abs. 1, 2078 Abs. 2 BGB gerade keine Rede sein. 167 Krebber, DNotZ 2003, 20, 27, 31, m.w.Nw.: „Der Widerspruch zwischen Selbstanfechtbarkeit wegen Motivirrtums und vertraglicher Bindung beim Erbvertrag ist nicht aufzulösen.“ 168 Eine andere Erklärung gibt Windel, S. 379 f., 387 f.: Er meint, dass es in der „Konsequenz der rein formal begründeten Bindung des Erbvertrags liege, wenn die Bindung ihrerseits über [die Möglichkeit zur Anfechtung wegen einseitigen Motivirrtums] gelockert werde.“ Das beruht auf einem nicht vertretbaren Verständnis der Verfügung von Todes wegen als Rechtsgeschäft „ohne materiale Rechtfertigung“ (Windel, S. 379). Oben § 3 B. III., S. 92, m. Fn. 224, § 4 A., S. 121, m. Fn. 25. 169 Krebber, DNotZ 2003, 20, 32, m.w.Nw. auch zur gegenteiligen Anschauung in Fn. 64.

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Ehegatten ankommen soll.170 Das gilt umso mehr, als überwiegend konzediert wird, dass auch in diesen Fallgestaltungen in einem ersten Schritt zunächst der – wirkliche oder mutmaßliche – Wille des Erblassers gemäß § 133 BGB zu ermitteln und dieser erst dann mit dem des anderen Partners abzugleichen ist.171 Erst wenn sich insoweit keine Übereinstimmung erzielen lässt, soll der Auslegungsmaßstab stufenweise normativiert werden.172 § 157 BGB wird also im Erbrecht auch von der gängigen Anschauung nicht so gehandhabt wie im Recht der Lebenden.173 Vorrang hat stets der in der Erklärung zum Ausdruck gekommene Wille des Erblassers. Auf den objektiven Empfängerhorizont als spezifisch lebzeitigem Regelungsgehalt der Vorschrift wird dagegen nur äußerst zurückhaltend und subsidiär zugegriffen. Insgesamt lässt sich sagen, dass § 157 BGB bei der Auslegung erbrechtlicher Willenserklärungen als Fremdkörper 170 Brox, Irrtumsanfechtung, S. 161: „Wenn also gemäß dem Willen des Gesetzgebers der Partner nach erfolgter Anfechtung ohnehin nichts zu beanspruchen hat, seine Interessen also für nicht schutzwürdig erachtet werden, dann ist auch nicht einzusehen, warum die oben beschriebene Testamentsauslegung [es handelt sich um die nach § 133 BGB] nicht auch hier Platz greifen soll.“ Allerdings will Brox, a.a.O., S. 160 f. anders entscheiden, wenn sich der Vertragspartner neben der Annahme der vertragsmäßigen Verfügung des Erblassers zu einer lebzeitigen Leistung verpflichtet hat. Er bildet folgenden Fall: „Hat der Erblasser in seiner vertragsmäßigen Verfügung den Vertragspartner als seinen Alleinerben eingesetzt und hat sich deshalb andererseits der Vertragspartner verpflichtet, den Erblasser bis an dessen Lebensende zu alimentieren, so kann sich bei der Anwendung der beim Testament erörterten Auslegungsmethode [nach § 133 BGB] ergeben, dass (entgegen dem eindeutigen Wortlaut in der Verfügung des Erblassers) dieser nicht den Vertragspartner, sondern den X als Alleinerben wollte.“ Brox’ Lösung des Falls beginnt zutreffend: X ist Erbe geworden, der Vertragspartner hat zur Erfüllung seiner lebzeitigen Verpflichtung geleistet, der Erbvertrag bleibt wirksam. Der weitere, unabhängig neben der causa solvendi stehende Zweck seiner Leistung war jedoch die Wirksamkeit seiner Erbeinsetzung im Erbvertrag. Aufgrund der Verfehlung dieses Zwecks steht ihm die condictio ob rem gemäß § 812 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 BGB gegen X zu (oben § 4 A., S. 121, m. Fn. 25). Von einem weiter gehenden Schutzbedürfnis des Vertragspartners kann keine Rede sein. Das übersieht Brox, a.a.O., S. 161: „Der Erbvertragspartner hat den Unterhalt mit Rechtsgrund gewährt, so dass er keine Rückforderungsansprüche gegen den Erblasser bzw. dessen Erben hat. […] Dieses Beispiel zeigt, dass hier der Vertragspartner schutzwürdig ist und deshalb auch die Auslegungsmethode diesen Schutz berücksichtigen muss.“ 171 BGH MDR 2001, 1409, 1410, betont für ein gemeinschaftliches Testament sogar, „es komme auf den Willen beider Ehegatten an. Entscheidend sei nicht der Empfängerhorizont.“ Ob damit der objektive Bezugsrahmen des § 157 BGB gemeint ist, oder aber eine Auslegung beider Willenserklärungen nach § 133 BGB, wird nicht vollständig klar. Die zweite Variante würde mit dem hier vorgeschlagenen Auslegungsmodus übereinstimmen, die erste von einer lebzeitigen Vorprägung auf den verkehrsgeschäftlichen objektiven Empfängerhorizont Zeugnis ablegen. 172 Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266, 1269, für das gemeinschaftliche Testament. S. auch von Dickhut-Harrach, Fs. Otte, S. 55, 91, m. w. Nw. in Fn. 277. 173 Zu Recht bezeichnet Goebel, Ehegattenschutz, S. 148, daher den generellen Verweis auf § 157 BGB, wie er in Literatur (Wolf/Gangel, JuS 1983, 663, 664) und Rechtsprechung (BayObLGZ 1997, 911, 911) nicht selten vorkommt, als „missverständlich“. S. auch Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 272.

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durchaus identifiziert wird, man sich aber vom übermächtigen Vorbild der lebzeitigen Willenserklärung nicht vollständig lösen kann. Die hier vertretene Auffassung vermeidet diese Inkohärenz und zieht die Konsequenz. Sie trägt dazu bei, lebzeitige Bindungs- und Geltungsmuster im Erbrecht aufzudecken: so, wenn im Fall der mangelnden Korrespondenz der beiden wechselbezüglichen oder vertragsmäßigen Erklärungen empfohlen wird, den objektiven Empfängerhorizont nach § 157 BGB ohne besagte normative Nuancierungen sofort zu bemühen.174 Der positive Bedeutungsgehalt erbrechtlicher Bindungswirkung muss jenseits dieser Vorprägungen bestimmt werden. Sie erhöht die Chancen für den Eintritt der in der Verfügung von Todes wegen niedergelegten Erbfolge gegenüber nicht reziproken Verfügungen dadurch signifikant, dass sie dem Gebundenen ein Stück seiner Testierfreiheit nimmt – insoweit wirkt sie sogar umfassender als inter vivos175 – und ihn zwingt, aktiv zu werden, um diese Beschränkung wieder zu beseitigen. In dieser, das Risiko einer anderweitigen Verfügung von Todes wegen minimierenden Funktion, liegt zugleich der Grund für die Eingehung erbrechtlicher Bindung – ein privatautonomes Anliegen der Parteien, dass durch den normativen Auslegungsmaßstab (§ 133 BGB und nicht § 157 BGB) zwar möglicherweise nicht aktiv unterstützt, jedoch nicht schlechthin zunichte gemacht wird.176 Der bindungsbegründende Wille des Erblassers geht im Maximalfall dahin, die getroffenen Verfügungen möglichst weitgehend zu perpetuieren, das heißt sie über die Zeitspanne bis zum Eintritt der Wirksamkeit inhaltlich unverändert zu belassen. Bezugspunkt seiner Bindung – und damit auch Gegenstand der erbrechtlichen Reziprozität – ist so gesehen das rechtliche Bemühen um objektive Bestandserhaltung der in der Verfügung niedergelegten konkreten Erbfolgeregelung. Es lässt sich unproblematisch sowohl mit Blick auf die eigene Verfügung als auch auf die des anderen deuten. Bildlich gesprochen geht es darum, die „Latte“ der Abänder- oder Vernichtbarkeit für den anderen Teil (aber unter Umständen eben auch für den Verfügenden selbst) möglichst hoch zu legen, was jeweils nur um den Preis der eigenen (wechselbezüglichen oder vertragsmäßigen) Bindung möglich ist. Erbrechtliche Fremdbindung ist im Grundsatz nur um den Preis der Selbst- oder Eigenbindung zu haben. Nur wenn man den Partner mit demselben Grad an Einschränkung der eigenen Testierfreiheit „be174 Soergel/Loritz, § 2084 Rn. 51 a.E., m.w.Nw. aus der älteren Rechtsprechung in Fn. 208. 175 Oben a., S. 289. 176 Anders Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 149. Er geht vom Wegfall der Wechselbezüglichkeit in einem gemeinschaftlichen Testament als Grundsatz aus und bildet folgenden Ausnahmefall: „Dem einen Teil kam es nicht so genau darauf an, was der andere denn nun genau verfügt. Doch warum sollten dann die Gatten überhaupt noch motiviert sein, gemeinschaftlich und dann auch noch wechselbezüglich zu verfügen?“ Zur Minimierung des Risikos anderweitiger erbrechtlicher Verfügung, lautet die Antwort.

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zahlt“ hat, gestaltet sich die Risikominimierung symmetrisch, und man darf sich einige Hoffnungen darauf machen, dass dieser es bei der bindend gewordenen Verfügung belassen wird. Sonst hätte er sich zur Ausgestaltung einer Verfügung von Todes wegen als vertrags- oder wechselbezüglich kaum bereit gefunden.177 Mit dem Gedanken der Risikominimierung vertragen sich im Übrigen zwanglos auch „asymmetrische Risikoverteilungen“ aufgrund privatautonomer Entscheidung, wie etwa die Vereinbarung eines Änderungsvorbehalts für einen Teil oder das Phänomen nur einseitiger Wechselbezüglichkeit oder Vertragsmäßigkeit.178 Erbrechtliche Bindungsintensität179 verhält sich damit umgekehrt proportional zum Grad der Risikominimierung: Je höher sie ausgefallen ist, umso weniger steht zu befürchten, dass der andere (und man selbst) von der einmal getroffenen erbrechtlichen Regelung abweichen wird. Wichtig ist jedoch festzuhalten, dass im Recht der Verfügungen von Todes wegen stets ein Restrisiko bleibt. Gemessen an lebzeitigen Verbindlichkeitsstandards ist die erbrechtliche Bindungswirkung mithin kein verlässlicher Garant dafür, dass die Verfügung auch tatsächlich so zu Geltung kommen wird wie errichtet.180 (2) Anfechtung. Was die Anfechtung von erbrechtlichen Verfügungen betrifft,181 liefert der hier befürwortete zurückhaltende Einsatz des Vertrauensschutzkriteriums im Erbrecht – neben der Erklärung der Selbstanfechtung eines Erbvertrags durch den Erblasser – noch für einen weiteren äußerst umstrittenen Problemkreis eine kohärente Lösung. Ereignisse, die der Erblasser nicht mehr hat zur Kenntnis nehmen können, weil sie erst nach seinem Versterben eingetreten sind, berühren die Wirksamkeit der Verfügung von Todes wegen im Grundsatz nicht mehr. Insbesondere berechtigen sie prinzipiell nicht mehr zur Anfechtung – eben weil der vorgesehene Zeitraum der Willensbildung des Erblassers sich vom Zeitpunkt der Errichtung bis zum Erbfall erstreckt und ihm das Gesetz während dieser Zeit in Gestalt von Widerrufs- und (Selbst-)Anfechtungsrechten größtmögliche Korrektur- und Nachsteuerungsmöglichkeiten bei nachträglichen Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse lässt – einschließlich der

177 Um Missverständnisse zu vermeiden, sei noch einmal darauf hingewiesen, dass das Vertrauen auf den Fortbestand der eigenen Rechtsposition aus einem bindend gewordenen Erbvertrag oder gemeinschaftlichen Testament etwas anderes ist als das abzulehnende Konzept der „Bindung kraft Vertrauens“, also einer vertrauenstheoretischen Begründung für die Eingehung von Bindung. Oben § 5 B. I., S. 144 f., § 10, S. 241, m.w.Nw. in Fn. 24. 178 Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266, 1273 ff. Ein Argument gegen das Konzept der Selbstbindung lässt sich daraus entgegen Goebel, Ehegattenschutz, S. 82, nicht ableiten. 179 Oben II., S. 286 f. 180 Sie kann deshalb mit lebzeitiger Bindungswirkung nicht in eine quantitative Reihe gestellt werden. Oben II., S. 284 ff. 181 Die Frage stellt sich genauso bei der erläuternden Auslegung: MünchKomm/Leipold, § 2078 Rn. 35 a.E., § 2084 Rn. 59.

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Option, diese auch für die Zeit nach dem Erbfall zu bedenken und rechtsgeschäftlich niederzulegen. Es gehört zum „Normalrisiko“ (Leipold) einer jeden Willenserklärung – nicht nur der erbrechtlichen –, dass nach ihrem Wirksamwerden Entwicklungen oder Ereignisse eintreten, die bei entsprechender Voraussehbarkeit dazu geführt hätten, dass diese ganz unterblieben oder jedenfalls anders ausgefallen wäre.182 Die Entscheidung des Rechts kann daher stets und auch im Recht der Lebenden notwendig nur eine punktuelle sein, die spätere Dynamik negieren muss. Im Übrigen ist der rechtlich strukturierte Zeitraum183 zwischen der Errichtung und dem Wirksamwerden der Verfügung von Todes wegen auch maßgeblich für die Erfassung von tatsächlichen oder rechtlichen Änderungen in der Beurteilung ihrer Sittenwidrigkeit.184 Der Erbfall ist insoweit der spätestmögliche Zeitpunkt. Vor allem aber begründet der Erbfall eine eigene Rechtsposition des Erben. Für ihn bedeutet das auch, dass er einen Wegfall seiner Erbenstellung nur noch wegen Ereignissen gewärtigen muss, die sich zeitlich in die Errichtungsphase der Verfügung von Todes wegen und damit zu einer Zeit datieren lassen, als der Erblasser zur Willensbildung noch fähig war und seinen Willen entsprechend erklärt hat. Diskutiert wurde das bei unvorhersehbaren politischen Umwälzungen wie der deutschen Wiedervereinigung, die erst nach dem Tod des Erblassers eintraten und die nun in Beziehung zu seinem früheren Testierverhalten gesetzt werden, obwohl sie seiner Wahrnahme nicht nur aktuell, sondern grundsätzlich entzogen waren. Insbesondere Barbara Grunewald hatte seinerzeit vorgeschlagen, die Anfechtung gemäß § 2078 Abs. 2 BGB auf vor dem Erbfall liegende Umstände zu begrenzen,185 war damit aber nicht auf Zustimmung gestoßen.186 Als zu fest zementiert erwies sich im gewillkürten Erbrecht das Dogma von der ungebrochenen Willensherrschaft des Erblassers.187 Sie war bereits in den Motiven angelegt, worauf die heutigen Vertreter der zeitlich unbeschränkten Anfechtung nicht müde werden zu verweisen.188 In der Tat findet sich dort das Bemerken, „ein Unterschied, ob der vorausgesetzte Eintritt oder Nichteintritt eines künftigen Ereignisses oder eines rechtlichen Erfolgs vor oder nach dem Erbfall sich entscheidet, könne nicht gemacht 182

MünchKomm/Leipold, § 2078 Rn. 35. Zum Begriff Winkler, S. 70 ff. 184 Unten V. 3. b., S. 346. 185 NJW 1991, 1208, 1210; ihr folgend Fahrenhorst, JR 1992, 265, 267; Koepsel, S. 178; unentschieden Dörner, JuS 1995, 771, 774. W. Nw. aus Rechtsprechung und Literatur bei Gerhards, JuS 1994, 642, 643, Fn. 1. Zuvor bereits MünchKomm/Leipold, § 2078 Rn. 35; Erman/M. Schmidt, § 2078 Rn. 9. Oben § 3 II. 2. a., S. 84, m.w.Nw. in Fn. 175. 186 Ablehnend insbesondere Sieker, AcP 201 (2001), 697, 711 ff., m.w.Nw.; s. auch Wasmuth, DNotZ 1992, 3, 10 f. 187 Oben § 3 A. I. 1., S. 58, m.w.Nw. in Fn. 7. 188 Staudinger/Otte, § 2078 Rn. 16. 183

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werden.“189 Jedoch sind die Begründungen, die dafür gegeben werden, aus mehreren Gründen zweifelhaft. Auf einen kritischen Punkt hat Leipold bereits hingewiesen:190 Der Beschränkung der Anfechtung kann nicht entgegen gehalten werden, dass auch sonst die Anfechtung nach dem Erbfall zu einer rückwirkenden Vernichtung des Rechtsgrundes führt, wie das die Motive hier tun;191 denn in diesen Fällen ist die Verfügung eben schon im Zeitpunkt des Erbfalls anfechtbar. Des Weiteren geht es bei der Beschränkung der Anfechtung nicht um eine „rechtsgeschäftlich gesetzte Selbstbeschränkung des Willens“ durch Anlagerung einer Bedingung oder der Windscheid’schen Voraussetzung als Vorläufer der heutigen Geschäftsgrundlage, „weil der Erblasser gewollt und erklärt habe, dass die Verfügung für diesen Fall ihre Kraft verlieren solle.“192 Es handelt sich im Gegenteil gerade um Umstände, die erst jenseits der objektiven Wahrnehmungsgrenzen des Erblassers, nämlich nach seinem Tod eintreten und die dieser – was jeweils zu ermitteln ist – zu Lebzeiten weder vorausgesehen noch seiner rechtsgeschäftlichen Verfügung zugrunde gelegt hat.193 An eine schematische Prüfung, die einzig danach fragt, wie der betreffende Gesichtspunkt in der Zeit – nämlich in Relation zum Erbfall – liegt, war also nie gedacht.194 Insoweit unterscheiden sich die beiden Anschauungen letztlich nur in der Methode, die durch den jeweils für maßgeblich erachteten Zeitpunkt vorbestimmt wird. Die eine nimmt bei der Errichtung ihren Ausgang und fragt nach der Erheblichkeit eines Motivirrtums in diesem Zeitpunkt. Die andere schließt nach dem Erbfall eintretende Umstände als Anfechtungsgründe grundsätzlich, aber auch immer nur dann aus, wenn der Erblasser sie zu Lebzeiten nicht antizipiert hat, bewegt sich also chronologisch vom Erbfall in der Zeit zurück. Schließlich wurde die Entscheidung der Motive zulasten der „Verkehrsicherheit“ mit Blick auf § 2091 BGB des ersten Entwurfs getroffen – eine Vorschrift, die gutgläubige Dritte schützen sollte, die mit dem Erblasser in der Zwischenzeit in rechtsgeschäftlichen Kontakt getreten waren. Die Vorschrift wurde später aus anderen Gründen gestrichen, die Problematik der Beschränkung der Anfechtung aber nicht mehr berührt.195 Es bleibt daher offen, ob das Bürgerliche Gesetzbuch sich bewusst gegen den Ansatz entschieden oder ihn 189

Motive V, S. 49. MünchKomm/Leipold, § 2078 Rn. 35. 191 Motive V, S. 49. 192 Motive V, S. 49. 193 Die Frage nach der Erheblichkeit so genannter „selbstverständlicher (früher: unbewusster) Vorstellungen“ (BGH WM 1987, 1019, 1020) wird damit nicht präjudiziert. 194 Grunewald, NJW 1991, 1209, 1210, bezieht explizit die Möglichkeit mit ein, dass der Erblasser zukünftige Entwicklungen reflektiert und in der Verfügung von Todes wegen antizipiert hat. 195 Die zweite Kommission hielt die drittschützenden Wirkungen des Erbscheins im Rechtsverkehr unter Lebenden für ausreichend und sah darüber hinaus kein weiteres Regelungsbedürfnis: Mugdan, Bd. 5, S. 494. 190

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im weiteren Verlauf der Beratungen über anderen Erwägungen schlicht aus dem Auge verloren hat. Die Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch sind insoweit jedenfalls kein verlässlicher Kronzeuge,196 zumal in den Protokollen auch die folgenden Überlegungen zu finden sind: „Allerdings müsse der Erblasser das Recht und die Möglichkeit haben, auf die zwischen der Errichtung seiner Verfügung und seinem Tode oder später eintretende Gestaltung der Dinge Rücksicht zu nehmen, aber immerhin müsse er eine Verfügung treffen. Umstände also, die er nicht habe voraussehen können, könne er eben nicht berücksichtigen und es gehe nicht an, dass er zur ihrer Berücksichtigung sich des Willens eines Anderen bediene; denn sonst treffe nicht er, sondern jener Andere die Verfügung.“197

Die Ausführungen stehen nicht in direktem inhaltlichen Zusammenhang mit der Anfechtung von erbrechtlichen Verfügungen; vielmehr geht es um die Unzulässigkeit der Stellvertretung im Willen bei ihrer Errichtung. Dennoch ist in der Stelle der Gedanke enthalten, dass der Erblasser die Änderung von Umständen, die zeitlich nach dem Erbfall liegen, zu Lebzeiten in der Verfügung selbst antizipiert haben muss. Anderenfalls sind sie nicht Teil seiner eigenen Wahrnehmung und können daher nicht als sein Wille gelten. Hinzuzufügen bleibt, dass die Behauptung, im Gesetz finde sich kein Anhaltspunkt dafür, im Hinblick auf die Anfechtbarkeit letztwilliger Verfügungen zwischen der Zeit vor und nach dem Erbfall zu differenzieren,198 so generell nicht zutrifft. Immerhin liefert § 2079 Abs. 1 BGB einen deutlichen Hinweis darauf, dass die pflichtteilsbelasteten Erben im Wege der Anfechtung grundsätzlich nur das noch hinnehmen müssen, was der potenzielle maximale Kenntnisstand des Erblassers zu seinen Lebzeiten hätte sein können. Der übergangene Pflichtteilsberechtigte muss „zur Zeit des Erbfalls vorhanden“ gewesen sein. Mit der Anerkennung dieser Zäsur harmoniert, dass für die Zeit nach dem Erbfall zum Teil eine inhaltliche Beschränkung des Anfechtungsrechts des übergangenen Pflichtteilsberechtigten auf diejenigen Teile der Verfügung angenommen wird, die seinem gesetzlichen Erbrecht entgegenstehen.199 Auch die Anfechtungsgründe „Irrtum“ und „Drohung“ im Sinne von § 2078 Abs. 1 BGB 196 Der Bundesgerichtshof hat die Frage zuletzt offen gelassen: BGH WM 1987, 1019, 1020, m.w.Nw. 197 Mudgan, Bd. 5, S. 522. 198 Sieker, AcP 201 (2001), 697, 712, m.w.Nw. in Fn. 67. 199 MünchKomm/Leipold, § 2079 Rn. 19; ders., Rn. 438, m.w.Nw. in Fn. 52. Des Weiteren C. Jung, AcP 194 (1994), 42, 75 ff., m.w.Nw. in Fn. 207; Tiedtke, JZ 1988, 649, 650 f.; Goebel, Ehegattenschutz, S. 279 ff., für die Anfechtung eines gemeinschaftlichen Testaments durch den Pflichtteilsberechtigten. Freilich begründet diese Auffassung die Einschränkung mit dem begrenzten Schutzinteresse des übergangenen Pflichtteilsberechtigten, nicht mit dem berechtigten Vertrauen der pflichtteilsbelasteten Erben am Fortbestand der Verfügung nach Eintritt des Erbfalls. Es ist deshalb zumindest nicht zwingend, § 2079 BGB als „residualen Bestand eines erbrechtlichen Familiarismus“ zu interpretieren. So aber Goebel, a.a.O., S. 900.

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setzen einen wahrnehmungsfähigen und real wahrnehmenden Erblasser voraus. Allein § 2078 Abs. 2 BGB machte insoweit eine Ausnahme, als auch nach dem Erbfall eintretende Ereignisse auf den Errichtungszeitpunkt „zurückgebucht“ werden könnten. Die Systematik der Anfechtungstatbestände büßte etwas von ihrer Kohärenz ein. cc. Sekundärvertrauen des Erben als Anknüpfungspunkt für eine so genannte culpa in testando des Erblassers Im Rahmen von Ausführungen über die erbrechtliche Gestaltungsfreiheit spielt der Gedanke schutzwürdigen „Sekundärvertrauens“ naturgemäß nur eine untergeordnete Rolle. Der Vollständigkeit halber und um zu zeigen, dass beide Arten prinzipiell schutzwürdigen Vertrauens, die das Recht der Lebenden kennt, auch im gewillkürten Erbrecht vorkommen, sei darauf hingewiesen, dass auch die Vertrauenshaftung dem Erbrecht nicht vollständig fremd ist. So wird für die Verletzung einer Aufklärungspflichten begründenden Sonderverbindung zwischen dem Erblasser und dem zum Erben Berufenen, die nicht an eine primäre Leistungspflicht anknüpft, gegenwärtig auch für die so genannte Errichtungs- oder Gültigkeitsphase einer letztwilligen Verfügung eine so genannte culpa in testando diskutiert. 200 Sie wird an zwei Voraussetzungen geknüpft: Zum einen muss der Erblasser den Rückzugsraum, den ihm die Errichtungsfreiheit bietet, verlassen haben, 201 in dem er dem Bedachten ein „Erbversprechen“ gemacht hat. Zum anderen muss dieser Vertrauensdispositionen getroffen haben, die sich im nachhinein aufgrund anderweitiger erbrechtlicher Verfügung des Erblassers zerschlagen haben. 202

2. Kompensation der Unverbindlichkeit der Testierfreiheit mit lebzeitigen Mitteln a. Zur qualifizierten Verfügungsunterlassungsabrede als tertium zwischen lebzeitigem und erbrechtlichem Rechtsgeschäft Das Verlässlichkeitsproblem, das die lebzeitige Rechtsanschauung mit der Testierfreiheit hat, 203 lässt sich – weil Vertrauen in den Bestand der erbrechtlichen Zuwendung erst ab deren Wirksamkeit berechtigt ist, vorher aber nur als Haftungsproblem auftaucht – auf die Errichtungsphase einer letztwilligen Verfügung eingrenzen. Es ist dort auf der so genannten Primärebene anzusiedeln und betrifft die Unsicherheit, ob der Erblasser bei einer einmal getroffenen Anord200

Miserre, S. 97 ff., 213 ff., 246 ff., m.w.Nw. aus dem Recht der Lebenden. Des Weiteren Canaris, Fg. BGH I, S. 129, 196 f. 201 Oben I., S. 270. 202 Miserre, S. 240 f. 203 Oben 1. a., S. 291.

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nung von Todes wegen bleibt. Ihn hierzu rechtlich zu motivieren, ist das Anliegen einer mittlerweile recht ausgefeilten Kautelarpraxis, die das lebzeitige Manko der Testierfreiheit, ihre mangelnde gestalterische Verbindlichkeit, mit eben solchen Mitteln auszugleichen sucht. Konstruktiv geht es um die Anlagerung lebzeitiger Unterlassungspflichten an eine bereits errichtete, aber noch nicht wirksame Verfügung von Todes wegen zum Zwecke der „Sicherung“204 derselben bzw. der darin verkörperten erbrechtlichen Erwerbsaussicht. „Sicherung“ bedeutet dabei Verbindlichmachung der erbrechtlichen Anordnung inter vivos, i. e. die unmittelbare Begründung von Pflichten in der Person des Erblassers. Dieser Ansatz ist nicht unmaßgeblich von der Vorstellung geprägt, die Testierfreiheit sei eine defizitäre, weil unverbindliche Spielart der Privatautonomie unter Lebenden. Das tritt besonders deutlich hervor, wenn das lebzeitig nicht erfassbare Stück gestalterischen Potenzials von Todes wegen im kautelarjuristischen Schrifttum als bloßes „Restrisiko“ abgebucht wird. 205 Das probate Mittel zu dessen möglichst weitgehender Reduktion ist der so genannte Verfügungsunterlassungsvertrag, der kautelarjuristisch mittlerweile soweit verfestigt ist, dass er zwei konstruktive Unterformen ausgeprägt hat. Zunächst geht es um den so genannten einfachen Verfügungsunterlassungsvertrag, bei dem der Erblasser verspricht, sich jeder lebzeitigen Verfügung über einen Gegenstand zu enthalten, über den bereits erbrechtlich – etwa im Wege eines Vermächtnisses – disponiert wurde. 206 Seine Einordnung erschien bis vor kurzem als nicht weiter problematisch 207: Insbesondere war es schon fast Allgemeingut, dass sich seine Zulässigkeit aus § 137 Satz 2 BGB ergibt, während ein Verstoß gegen § 2302 BGB schon tatbestandlich ausscheidet. Denn der Erblasser verpflichtet sich nicht – so die bisher ganz einhellige Auffassung208 –, ein erbrechtliches Rechtsgeschäft vorzunehmen oder davon Abstand zu nehmen, sondern vielmehr ein lebzeitiges Verfügungsgeschäft zu unterlassen. Die sachenrechtliche Verfügungsfreiheit, die § 2286 BGB von der erbrechtlichen ausdrücklich separiert, ist bei einer obligatorischen Abrede ohnehin nicht tangiert. 209 Diese beiden klaren Trennlinien zwischen dem Recht der Lebenden und dem Erbrecht aufzugeben, empfiehlt in jüngerer Zeit Krebber, insbesondere für die 204 Nieder, Rn. 1215; Hohmann, ZEV 1996, 24, 24: „Der Verfügungsunterlassungsvertrag ist lediglich ein Sicherungsgeschäft zum Erbvertrag.“ 205 Nieder, Rn. 1220; ihm folgend J. Mayer, in: Bengel/Reimann, Kommentarteil, § 2286 Rn. 33. 206 BGHZ 31, 13, 18 f., m.w.Nw. 207 Hohmann, S. 192, m.w.Nw. in Fn. 731: „Die Wirksamkeit einer schuldrechtlichen Unterlassungsverpflichtung in Zusammenhang mit einem entgeltlichen Erbvertrag ist heute grundsätzlich anerkannt.“ 208 Nieder, Rn. 1215; Hohmann, S. 192; jew. unter Hinweis auf Motive V, S. 327. 209 BGHZ 31, 13, 15, 21; Berger, S. 213; Hohmann, S. 192; W. Lüke, S. 60; Buchholz, Jura 1989, 393, 396, m. Fn. 44; Knieper, DNotZ 1968, 331, 337.

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zweite Ausprägung einer Verfügungsunterlassungsvereinbarung, die die Kautelarpraxis kennt. Über das bloße Versprechen hinaus, eine lebzeitige Verfügung über einen „erbvertraglich“ vermachten Gegenstand zu unterlassen (so genannte einfache Verfügungsunterlassungsabrede), begründet sie eine lebzeitige vormerkungsfähige210 Pflicht des Erblassers, den betreffenden Gegenstand dem Vertragspartner unter Lebenden zu übertragen, wenn gegen die Unterlassungspflicht durch lebzeitige211 Verfügung zugunsten eines Dritten verstoßen wird (so genannter qualifizierter Verfügungsunterlassungsvertrag).212 Was hier unternommen wird, ist der Versuch, erbrechtliche Erwerbsaussichten – aufgrund des mangelnden unmittelbaren Geltungsbezugs der Bindungswirkung eines Erbvertrags handelt es sich auf den ersten Blick um nicht mehr als eine solche – mit den Mitteln des Rechts der Lebenden, insbesondere über die Anlegung lebzeitiger Bindungsfesseln, zu verstetigen. Das geschieht, indem die erbrechtliche Verfügung in eine aufschiebend bedingte und damit lebzeitige Übertragungsverpflichtung uminterpretiert wird – etwa mit dem rein ergebnisorientierten Argument, es handele sich insoweit um eine geringere oder mindere Form der Bindung. 213 Gleichwohl wird darauf 210 Nw. bei Krebber, AcP 204 (2004), 149, 156 Fn. 27; des Weiteren BGHZ 134, 182 ff.; Nieder, Rn. 1219; J. Mayer, in: Bengel/Reimann, Kommentarteil, § 2286 BGB Rn. 35; jew. m.w.Nw. 211 Anderweitige erbrechtliche Verfügungen über den erbvertraglich vermachten Gegenstand sind – soweit sie vertragsmäßig getroffen wurden – ohnehin gemäß § 2289 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam und lösen eine lebzeitige Übereignungspflicht bei Vorliegen einer qualifizierten Verfügungsunterlassungsabrede nicht aus. Ein Verstoß gegen § 2302 BGB kommt, unabhängig davon, ob eine „qualifizierte“ oder nur eine „einfache“ Verfügungsunterlassungsverpflichtung unter Lebenden begründet wurde, von vornherein nicht in Betracht. Was die bloße Verpflichtung zur Verfügungsunterlassung anbelangt, ist § 158 Abs. 2 BGB im Fall anderweitiger erbrechtlicher Verfügung entgegen Krebber, AcP 204 (2004), 149, 168, nicht einschlägig. Denn unter „Verfügung“ im Sinne jedes Verfügungsunterlassungsvertragstyps ist nicht die erbrechtliche, sondern stets die lebzeitige Verfügung zu verstehen (anders ders., a. a. O., S. 167: „Verfügungsunterlassungsverpflichtungen […], die beim Errichten einer oder einer anderen Verfügung von Todes wegen unwirksam werden“; Krebber begreift den Fortbestand der obligatorischen Verfügungsunterlassung als von der Parteivereinbarung abhängig). Die Bedingung (anderweitige lebzeitige Verfügung über den Gegenstand) kann jedoch, wenn bisher nur eine abweichende erbrechtliche Verfügung vorgenommen wurde, immer noch eintreten, so dass der Verfügungsunterlassungsvertrag (samt potenzieller Übereignungsverpflichtung bei der „qualifizierten“ Abrede) bestehen bleibt. Der „Sicherungsfall“ wurde bisher nicht ausgelöst; der „gesicherte“ Vertragserbe wird sich daher nicht bereit finden, die Verfügungsunterlassungsabrede aufzuheben. 212 Terminologie im Anschluss an Harder, Fs. Kraft, S. 187, 195; s. auch ders./Kroppenberg, Rn. 171. Des Weiteren hat sich der Begriff „Sicherungsschenkung“ eingebürgert (Krebber, AcP 204 [2004], 149, 155; Nieder, Rn. 1218). 213 Windel, S. 337. Die Vollwertigkeit der Bindungswirkung auch eines aufschiebend bedingten lebzeitigen Rechtsgeschäfts zeigt sich zunächst einmal daran, dass sie sich, sobald sie eingetreten ist, nur unter besonderen Voraussetzungen wieder beseitigen lässt (oben § 10, S. 215, m. Fn. 11). Weitere Hinweise auf die ungeminderte Bindungskraft eines aufschiebend bedingten Vertrags unter Lebenden sind die Sicherbarkeit des bedingten Anspruchs durch

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bestanden, dass dem erbrechtlichen Teilstück dieses compositum seine Qualität als rechtsgeschäftliche Vereinbarung von Todes wegen über der unmittelbaren Begründung lebzeitiger Bindung nicht verloren geht. Genau dies hatte Harder unter Hinweis auf das lebzeitige Bindungskriterium als der Trennscheide zwischen lebzeitigen und erbrechtlichen Rechtsgeschäften gefolgert und der Vereinbarung in toto jeden erbrechtlichen Charakter abgesprochen 214: Lebzeitige Bindung lässt sich eben nicht erbrechtlich, sondern nur lebzeitig konstruieren. Dem gegenüber besteht Krebber auf der Eigenständigkeit der erbrechtlichen Bedeutungsdimension insbesondere des qualifizierten Verfügungsunterlassungsvertrags, ohne freilich die lebzeitige dafür gänzlich aufzugeben. Er schreibt: „[Die] Verfügung von Todes wegen [mit qualifizierter Verfügungsunterlassungsabrede] lässt sich […] weder einheitlich dem unter Lebenden geltenden Recht noch dem Erbrecht zuordnen. Es handelt sich vielmehr um einen Lebenssachverhalt, der […] in eine Verfügung von Todes wegen und in ein Rechtsgeschäft unter Lebenden aufgeteilt wird. Seinem materiellen Gehalt und Schwerpunkt nach ist er, weil es dem Parteiwillen und der tatsächlichen Ausgestaltung nach um die Sicherung eines erbrechtlichen Erwerbs geht, indes klar dem Erbrecht zuzuordnen.“215

Das ist mehr als eine bloße Spielart derjenigen Auffassung, die unter den Vorzeichen eines lebzeitig vorgeprägten Privatautonomieverständnisses erbrechtliche Verfügungen lebzeitig (um-)interpretiert hat. Sie verschleiert lebzeitige als erbrechtliche Rechtsgeschäfte – dies aufgedeckt zu haben, ist für den Bereich von „Erbverträgen“ mit qualifizierten Verfügungsunterlassungsabreden das Verdienst Harders 216 –, akzeptiert aber immerhin den Dualismus von erbrechtlichen und lebzeitigen Rechtsgeschäften auf Tatbestandsebene. Diesen Boden verlässt für den Verfügungsunterlassungsvertrag mit aufschiebend bedingter Übereignungsverpflichtung nunmehr Krebber: Er möchte ein tertium zwischen den Rechtsgeschäften unter Lebenden und von Todes wegen etablieren, einen Typus, der sich – wie wohl er nicht einheitlich der einen oder anderen Vormerkung (§ 883 Abs. 1 Satz 2 BGB) und Arrest (§ 916 Abs. 2 ZPO) sowie – was Windel, S. 337, nicht erwähnt – die Möglichkeit, für ihn Bürgschaften (§ 765 Abs. 2 BGB) und Pfandrechte zu bestellen (§§ 1113 Abs. 2, 1192, 1204 Abs. 2, 1209 BGB). Es bereitet offenbar Unbehagen, eine voll ausgeprägte Bindungswirkung anzunehmen, weil sie auch beim aufschiebend bedingten Geschäft unter Lebenden nicht unmittelbar geltungskonnotiert ist (oben A. I., S. 246) und sich bestimmte Rechtswirkungen erst an den Eintritt der Bedingung (= Wirksamkeit) knüpfen. Windel, S. 337, verweist insoweit auf § 160 BGB, der freilich über primäre Wirkungen, wie die vertragliche Bindung inter vivos eine ist, nichts aussagt. Auch § 652 Abs. 1 Satz 2 BGB, wonach die Maklervergütung erst verlangt werden kann, wenn die Bedingung, unter der der Hauptvertrag abgeschlossen wurde, eintritt, erlaubt keine Rückschlüsse auf dessen verminderte Bindungswirkung. 214 Harder, Fs. Kraft, S. 187, 195. 215 Krebber, AcP 204 (2004), 149, 160. 216 Harder, Fs. Kraft, S. 187, 197, und passim. Der BGH NJW 1998, 1189 ff., ist insoweit einem entsprechenden Parteigutachten Harders zum Teil fast wörtlich gefolgt.

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Rechtsmaterie zuordenbar sei – doch dadurch auszeichne, dass es sich bei ihm „seinem materiellen Gehalt und Schwerpunkt nach“ um Erbrecht handele. 217 Nur den Rechtsfolgen, nicht dem Tatbestand nach, wird die Zweiteilung in erbrechtliche und lebzeitige Rechtsgeschäfte daher noch eingehalten.

b. Die so genannte materielle Verfügung von Todes wegen als rechtspolitisch überholtes Konzept Unbewusst wird damit der Zusammenhang zu einer Rechtsfigur hergestellt, die in jüngerer Zeit einige Autoren in verschiedenen erbrechtlichen Kontexten zur Diskussion gestellt haben. Die Rede ist von der so genannten materiellen Verfügung von Todes wegen, die den so genannten formellen Verfügungen von Todes wegen, dem Testament und dem Erbvertrag, gegenüber gestellt werden. Neben der qualifizierten Verfügungsunterlassungsvertragsabrede schlägt Ulrike Seif die postmortale Vollmacht 218 als Anwendungsfall vor. Jedenfalls auf den ersten Blick gehören hierher auch Windels Überlegungen, das Valutaverhältnis beim Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall als materielle Verfügung von Todes wegen zu bezeichnen. 219 Begrifflich kann die Unterscheidung zwischen formeller und materieller erbrechtlicher Verfügung eine gewisse Vorprägung auf den erbrechtlichen Typenzwang nicht verhehlen. 220 In der Sache ist sie freilich auf ein solches Verständnis nicht festgelegt, weil es auch in einem nicht typengebundenen rechtsgeschäftlichen Betätigungsfeld vorkommen kann, dass Beteiligte Rechtsfolgen setzen, die ihnen das Recht nicht zu setzen erlaubt. Bei „atypischen Nachlassregelungen“221 oder „verkleideten Verfügungen von Todes wegen“222 soll sich dies konkret darin ausdrücken, dass ihnen ihre lebzeitige „Maske heruntergerissen“ wird, 223 in dem sie „dem Erbrecht zugeordnet“224 oder „jedenfalls nach Maßgabe der erbrechtlichen Haftungsund Verteilungsordnung behandelt“ werden. 225 Man muss die Lehre von der so genannten materiellen Verfügung von Todes wegen historisch, methodisch und konstruktiv kritisieren. Ihr vordergründiger Vorzug besteht darin, dem Erbrecht ein rechtsgeschäftliches Feld zu erschließen, das bisher nicht ihm, sondern dem Recht der Lebenden vorbehalten war. Entwicklungsgeschichtlich handelt es sich bei diesem Anliegen um das Relikt einer abgestorbenen Tradition. Gerade die frühere Judikatur des Bundesge217

Krebber, AcP 204 (2004), 149, 160. Seif, AcP 200 (2000), 192 ff. 219 S. 400 ff. Vor ihm bereits Reischl, S. 145: „handelt es sich der Sache nach um eine Verfügung von Todes wegen“. 220 Oben § 4 A., S. 118 ff., § 11 A. II. 3., S. 251 ff. 221 Seif, AcP 200 (2000), 192, 204. 222 Windel, S. 402. 223 Windel, S. 402. 224 Krebber, AcP 204 (2004), 149, 160. 225 Windel, S. 402. 218

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richtshofs zur so genannten Aushöhlungsnichtigkeit 226 sah es als eines der Tatbestandsmerkmale unwirksamer „Aushöhlungsgeschäfte“ an, dass diese nur in der äußerlichen Form eines Rechtsgeschäfts unter Lebenden gekleidet, sachlich aber als Verfügungen von Todes wegen zu betrachten seien. Denn der Erblasser habe kein eigenes lebzeitiges Interesse an ihnen, erbringe kein eigenes Opfer und umgehe daher in sitten- oder jedenfalls gesetzeswidriger Weise die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments oder Erbvertrags. 227 Diese Argumentation, deren methodische Problematik unter anderem228 darin liegt, dass sie erbrechtliche Privatautonomie nur mit lebzeitigen Argumentationsmustern beschreiben kann, 229 wird von den heutigen Befürwortern der so genannten materiellen Verfügung von Todes wegen fast wortgleich verwendet: so etwa wenn bei Seif zu lesen ist, dass „mit der Vollmachterteilung auf den Todesfall […] der Vollmachtgeber noch kein Vermögensopfer bereits zu Lebzeiten erbracht habe“ und die „Wertverschiebung erst das Vermögen des Erben des Vollmachtgebers betreffe“. 230 Der Bundesgerichtshof hat seine Rechtsprechung zur Aushöhlungsnichtigkeit seinerzeit gerade deswegen aufgegeben, weil die Fälle, in denen Geschäfte unter Lebenden in der Sache eine Verfügung von Todes wegen darstellen, ihnen im wirtschaftlichen Ergebnis ähneln oder sie unzulässig umgehen, von den Fällen, in denen es an diesen Voraussetzungen fehlt, nicht klar abzugrenzen sind.231 Diese Unsicherheit wird mit der Rechtsfigur der materiellen Verfügung von Todes wegen von neuem aktualisiert, was, wie der Bundesgerichtshof zu Recht ausgeführt hatte, „rechtspolitisch unter anderem deshalb besonders bedenklich [ist], weil bis zur Klärung, die durchweg erst nach dem Tode des Erblassers erfolgt, lange Zeit vergehen kann und weil auch Interessen anderer Personen, etwa die von Gläubigern in der Zwangsvollstreckung berührt werden.“232 In der Folgezeit hatten namentlich Kipp/Coing die Zulassung lebzeitiger Verfügungen auf den Todesfall de lege ferenda unter anderem mit dem Argument abgelehnt, „es würden Geschäfte, die wirtschaftlich den gleichen Erfolg haben, aus rein rechtstechnischen Gründen unterschiedlich behandelt“ und die „Stellung des Nachlassgläubigers je nach der verwendeten technischen Form verschieden ausgestaltet“. 233 Die jüngsten Befürworter der so genannten materiel226

Oben § 4 B., S. 123 ff. Nw. bei Tiedtke, NJW 1978, 2572, 2573, m. Fn. 6, 7; s. auch ders., FamRZ 1981, 1, 4; Staudinger/Kanzleiter, § 2289 Rn. 23. 228 Zur prinzipiellen Ungeeignetheit von § 138 Abs. 1 BGB als rechtliches Instrument zur Behandlung von so genannten Umgehungsgeschäften Sieker, S. 134 f., 198 f. 229 Oben § 11 A. II. 3, S. 252 f. 230 Seif, AcP 200 (2000), 192, 200. Ähnliche Aussagen finden sich bei Windel, S. 378. Oben § 3 B. III., S. 89, m. Fn. 205. 231 Tiedtke, NJW 1978, 2572, 2573. 232 BGHZ 59, 343, 347. 233 Kipp/Coing, § 81 V 1, S. 452. Ihm folgend Olzen, S. 94 f. 227

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len Verfügung von Todes wegen stehen in dieser gedanklichen Tradition, an der Rechtsprechung und notarielle Praxis mit ihrem modernen, lebzeitige und erbrechtliche Rechtsgeschäfte kombinierenden estate planning234 längst vorbei gegangen sind. 235 Sie empfehlen nur eine andere Remedur: Statt sie aus dem Kreis zulässiger rechtsgeschäftlicher Gestaltungsmittel gänzlich zu verbannen, wollen sie sie materiell und bzw. oder formell – das ist nicht ganz klar236 – dem Erbrecht unterstellen. Neben der rechtshistorischen Problematik ist damit die rechtspolitische angesprochen. Die so genannte materielle Verfügung von Todes wegen knüpft an einen Befund der beginnenden Achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts an, als nämlich Leipold dazu aufforderte, für das Erbrecht verlorenes Terrain wieder zu gewinnen. 237 Sie bleibt damit einem Ansatz verhaftet, der in der Rückschau einiges von seiner argumentativen Anziehungskraft verloren hat. Es war bereits die Rede davon, dass sich die Befürchtung des Funktionsverlusts der Verfügungsbefugnis von Todes wegen durch die so genannte vorweggenommene Erbfolge nicht bewahrheitet hat 238 – oder doch anders, als das seinerzeit angenommen wurde: Nicht die Flucht aus dem Erbrecht in das Recht der Lebenden hat sich als das eigentliche Gefährdungspotenzial erwiesen, sondern vielmehr der endogene Faktor der Veränderung des gewillkürten Erbrechts durch Annäherung an das Recht der Lebenden – ein Phänomen, das verschiedentlich hier mit dem Begriff der „Verlebzeitigung“ beschrieben wurde.239 So begrüßenswert Bemühungen um die Eigenständigkeit erbrechtlicher Gestaltungsfreiheit sind – es ist gerade ein Ziel dieser Untersuchung, diese zu stärken240–, sie sollten eher darauf gerichtet sein, im Kernbereich der rechtsgeschäftlichen Erbfolge die Strukturprinzipien der „formellen“ Verfügungen von Todes wegen zu konsolidieren, als darauf, selbst im Recht der Lebenden zu „wildern“.

c. Die rechtskonstruktive Unstimmigkeit der so genannten materiellen Verfügung von Todes wegen aa. Das Valutaverhältnis beim Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall Rechtskonstruktiv wird der emanzipatorische Anspruch der Lehre von der so genannten materiellen Verfügung von Todes wegen zudem nicht eingelöst. Das betrifft sowohl die Rechtsfolgen einer solchen Gestaltung – insoweit ist man 234

Oben Einleitung, S. 4. S. nur Staudinger/Kanzleiter, § 2301 Rn. 2: „kann ein Bedürfnis für die Regelung vermögensrechtlicher Verhältnisse für den Todesfall durch Rechtsgeschäfte unter Lebenden nicht geleugnet werden.“ 236 Sogleich unten c. aa., S. 311. 237 Leipold, AcP 180 (1980), 106, 209. Oben Einleitung, S. 5, m.w.Nw. in Fn. 33. 238 Oben Einleitung, S. 3 f. 239 Oben § 3 B. II. 2. b., S. 86, § 5 A. III. 2. b. ee., S. 140. 240 Oben § 5 B. II., S. 79 ff. 235

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sich uneinig, ob „nur“ die erbrechtlichen Formvorschriften (Seif, 241 unklar Windel242) oder der gesamte materielle Normenbestand des Erbrechts herangezogen werden soll (Krebber 243) –, als auch deren tatbestandliche Rechtfertigung. Das gilt zunächst für Windels Überlegungen zur Rechtsnatur des Valutaverhältnisses bei der Schenkung zugunsten eines Dritten auf den Todesfall. Bei ihm handelt es sich nach an anderer Stelle vertretener, freilich bestrittener Auffassung um ein originär erbrechtliches, genauer gesagt vermächtnisähnliches Rechtsgeschäft.244 Die Parteien, der Versprechensempfänger und der begünstigte Dritte, nehmen hier nicht den Umweg über ein so genanntes formell lebzeitiges Rechtsgeschäft, das zwar nicht nach seiner rechtlichen Gestalt, aber doch seinem Zweck nach erbrechtlicher Natur ist. Es fehlt bereits am formellen Erfordernis eines Geschäfts unter Lebenden: Eine lebzeitige Bindung ist beim Valutaverhältnis des Vertrags zugunsten Dritter auf den Todesfall nicht begründet worden – §§ 130 Abs. 2, 153 BGB sind von ihrem Normzweck her gerade nicht einschlägig245 –, und sie ist auch nicht gewollt. Die begriffliche Diffe241 AcP 200 (2000), 192, 217 ff. In einem ersten Schritt wird ausführlich die „analoge Anwendung der materiellrechtlichen Regelungen über Verfügungen von Todes wegen“ erwogen (a.a.O., S. 204 ff., im Einzelnen: S. 205 ff. [Vermächtnis], S. 207 ff. [Testamentsvollstreckung]). Dass das Ergebnis negativ ausfällt, stand von vornherein fest. Denn ein lebzeitiges Rechtsgeschäft wie die (postmortale) Vollmacht unterwirft das Gesetz explizit anderen Strukturprinzipien als erbrechtliche. Es fehlt daher für eine Analogie zu den materiellrechtlichen Vorschriften des gewillkürten Erbrechts bereits an der erforderlichen Regelungslücke. 242 S. 405: „Es geht nicht darum, ob Rechtsgeschäfte unter Lebenden auf den Todesfall dem erbrechtlichen Formzwang unterfallen müssten (das steht bereits fest, soweit es sich material um Verfügungen von Todes wegen handelt), sondern darum, ob besondere Gründe dafür bestehen, sie vom Formzwang auszunehmen.“ 243 AcP 204 (2004), 149, 157 ff. 244 Ausführlich Harder/Kroppenberg, Rn. 530 ff., 538 ff., m.w.Nw. zur abweichenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur. Grundlegend Harder, FamRZ 1976, 418 ff.; ders., Zuwendungen, S. 148, 164 ff. S. auch Kipp/Coing, § 81 IV 2 a, S. 450 f. 245 Vertrauens- und Verkehrsschutzinteressen (zu deren unterschiedlichem Sinngehalt Lobinger, S. 52 f.) rechtfertigen das Wirksamwerden einer empfangsbedürftigen Willenserklärung, deren sich der Erklärende willentlich so entäußert hat, dass nur der Zugang beim Erklärungsempfänger noch aussteht – und der Tod des Erklärenden dies unabhängig vom Willen der Parteien zu vereiteln droht. Die Unterscheidung nach dem „zufälligen“ Eintritt des Todes, für die § 130 Abs. 2 BGB gelten soll, und dem bewussten Aufschub des Zugangs auf einen postmortalen Zeitpunkt, auf den die Vorschrift nicht anwendbar ist (Nw. bei Windel, S. 394 Fn. 251, 442 f., s. auch S. 63; des Weiteren: Brox, Rn. 751; Harder/Kroppenberg, Rn. 523, 531), hat die ratio der Regelung im Ergebnis eher verschleiert als erhellt. So meint Windel, S. 394, der teleologischen Reduktion des § 130 Abs. 2 BGB sei es um eine Erhaltung der „Exklusivität der Erbrechtsordnung“ zu tun. In der Tat interpretieren einige Autoren die Vorschrift in diesem Sinne (etwa Reischl, S. 238 ff., m.w.Nw. in Fn. 303). Dass erbrechtliche Willenserklärungen nicht unter die Vorschrift fallen, ist jedoch Folge und nicht Grund der Vorschrift. Zweck des § 130 Abs. 2 BGB ist vielmehr der Schutz des Rechtsverkehrs und des berechtigten Vertrauens, das die hieran teilnehmenden Personen in ein Wirksamwerden von Erklärungen setzen, die bereits mit unmittelbarem Geltungsanspruch ausgestattet, vollständig auf den Weg gebracht sind und nur aufgrund unbeeinflussbarer Umstände der Nichtig-

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renzierung zwischen formell-lebzeitigem und materiell-erbrechtlichem Rechtsgeschäft macht hier deshalb keinen Sinn. Sie ist allein dem Umstand geschuldet, dass das Valutaverhältnis bei der Schenkung von Todes wegen in aller Regel lebzeitig konstruiert wird und Windel diese Auffassung in der Prämisse akzeptiert. bb. Die postmortale Vollmacht Anders liegen die Dinge bei den beiden Instituten, die Seif und Krebber behandeln. Von zwei lebzeitigen Geschäften, der postmortalen Bevollmächtigung und der qualifizierten Verfügungsunterlassungsabrede ausgehend, stimmen sie in ihrer Charakterisierung des Tatbestands einer materiellen Verfügung von Todes wegen in zwei wesentlichen Punkten überein. Zum einen gewinnen beide ihre Erkenntnisse aus einer Gesamtbetrachtung des jeweiligen rechtsgeschäftlichen Komplexes. Die postmortale Vollmacht wird gerade nicht in die Bevollmächtigung durch den Erblasser und das sie post mortem vollziehende Vertretergeschäft aufgespalten, ebenso wenig wie die qualifizierte Verfügungsunterlassungsabrede als Mittel zur Sicherung einer Verfügung von Todes wegen von dieser separiert wird. Vielmehr wird der „Gesamtsachverhalt“246 oder die „an der Gesamtwirkung orientierte Interessenlage“247 betrachtet. In einem Fall soll sich der besondere Konnex der verschiedenen rechtsgeschäftlichen Komponenten aus der „Streckung des rechtsgeschäftlichen Erwerbstatbestands durch Verlegung der Vollmachterteilung vor den Tod des Prinzipals und des Vertretergeschäfts nach dem Erbfall“ ergeben,248 im anderen aus der Hinordnung der qualifizierten Verfügungsunterlassungsabrede auf die Sicherung des erbrechtlichen Erwerbs. 249 Gerade die Gesamtbetrachtung der jeweils behandelten Institute – der Bevollmächtigung und des Vertretergeschäfts einerseits sowie der qualifizierten Verfügungsunterlassungsabrede und des „Erbvertrags“ andererseits – ermöglicht ihre Einordnung als Umgehungstatbestände. Die Bevollmächtigung sei nur „der äußeren Form nach“ ein Rechtsgeschäft unter Lebenden, während sich die „inhaltlichen Interessen der Beteiligten auf die Wirkung einer Verfügung von Todes wegen richteten“, 250 liest man bei Seif. Und: Es bestehe die Gefahr der Umgehung des „retadierenden Widerstands der erbrechtlichen Formvorkeit anheim zu fallen drohen (Motive I, S. 159; zitiert bei Roth, NJW 1992, 791, 794, m.w.Nw.). Der Anwendungsbereich der Vorschrift beschränkt sich daher in der Konsequenz auf (lebzeitige) Verkehrsgeschäfte (im Ergebnis auch Seif, AcP 200 [2000], 192, 228 f.). § 130 Abs. 2 BGB ist – so betrachtet – ein weiteres Beispiel für die Ausrichtung des Allgemeinen Teils auf lebzeitige Rechtsgeschäfte (oben § 4 B., S. 124, § 5 B. II., S. 147). 246 Krebber, AcP 204 (2004), 149, 161. 247 Seif, AcP 200 (2000), 192, 197. 248 Seif, AcP 200 (2000), 192, 200. 249 Krebber, AcP 200 (2004), 149, 160. 250 Seif, AcP 200 (2000), 192, 204.

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schriften gegenüber jedem Abweichen von der gesetzlich vorgesehenen Verteilung des Nachlasses“.251 Bei Krebber finden sich ähnliche Äußerungen, wobei er statt des Interesses einen entsprechenden, auf erbrechtliches Handeln gerichteten Willen der Vertragsschließenden betont. 252 Er verortet die „Umgehungsgefahr“ nicht in der Formproblematik – die Verfügungsunterlassungsabrede dürfte stets in einer notariellen Urkunde enthalten sein 253–, sondern geht von einem § 2302 BGB zuwider laufenden „faktischen Druck [aus], eine Verfügung von Todes wegen nicht aufzuheben oder zu errichten“.254 Der konstruktive Unterschied zwischen der Gesamtschau Seifs und Krebbers besteht darin, dass im zweiten Fall ein vermeintlich erbrechtliches mit einem lebzeitigen Rechtsgeschäft kombiniert wird und so die Frage zu entscheiden ist, welcher Rechtsmaterie das Rechtsgeschäft angehört – dem Recht der Lebenden oder dem Erbrecht. Im Fall der postmortalen Bevollmächtigung wird dagegen aus zwei lebzeitigen im Wege der Zusammenschau ein „materiell“ erbrechtliches Rechtsgeschäft erst generiert, soll sich der Charakter der Bevollmächtigung und des Vertretergeschäfts durch sie also gerade verändern. Mit der behaupteten inhaltlichen Verklammerung zwischen den beiden nunmehr unselbstständigen Teilen des rechtsgeschäftlichen compositum stellt Seif Beziehungen her, die es überhaupt erst erlauben, den einen lebzeitigen an den Strukturprinzipien des anderen, „materiell“ erbrechtlichen, zu messen und im Anschluss die Umgehung eben derselben in Bezug auf das generierte rechtsgeschäftliche Ganze zu beklagen. Wirft man einen Blick auf die gängigen Fallgruppen von Ausweichgestaltungen, ist zwar die Aufspaltung einer einheitlichen rechtsgeschäftlichen Vereinbarung in mehrere Komponenten als eine „durchschaubare Umgehungsstrategie“ durchaus bekannt. 255 Jedoch handelt es sich dabei um Sachverhalte, in denen ein einheitliches Rechtsgeschäft in mehrere gleichartige zerlegt wird, um nämlich quantitative Ge- oder Verbotsregeln nicht eingreifen zu lassen. Dagegen verändert die Aufspaltung die inhaltliche Struktur der Teilkomponenten gegenüber dem Gesamtgeschäft nicht. Das sollte daher auch nicht geschehen, wenn die Aufspaltung wieder rückgängig gemacht wird, um den „Umgehungstatbestand“ zu begründen, in Seifs Konstruktion also aus zwei „formell“ lebzeitigen Rechtsgeschäften, Vollmachterteilung und Vertretergeschäft, ein materiell anders geartetes, nämlich erbrechtliches gemacht wird. 251

Seif, AcP 200 (2000), 192, 217, s. auch S. 202, 219. Krebber, AcP 204 (2004), 149, 160. Wiedergegeben oben bei Fn. 217. 253 Zu den formellen Anforderungen an die Verfügungsunterlassungsabrede Hohmann, ZEV 1996, 24, 24; Fleischmann, S. 275 ff.: analoge Anwendung von § 311 b Abs. 2 BGB (= § 313 BGB a. F.); ihm folgend Hohmann, S. 190 f. Abweichend Nieder, Rn. 1215, m.w.Nw. in Fn. 71, 73: im Grundsatz keine Formbedürftigkeit. 254 Krebber, AcP 204 (2004), 149, 167 (Hervorhebung nicht im Original). 255 Sieker, S. 53. 252

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Insgesamt wird mit diesem Vorgehen die typische zweigeteilte Struktur einer Verfügung von Todes wegen, die in der besonderen Interdependenz von Gültigkeits- und Wirksamkeitsphase liegt, nachgeahmt. Dass es sich tatsächlich um eine Imitation handelt, die im Formalen verhaftet bleibt, zeigt die folgende materielle Erwägung: Damit Bevollmächtigung und Vertretergeschäft überhaupt eine rechtliche Einheit bilden könnten, die allein eine Ausnahme von der grundsätzlichen Abstraktheit der Vollmacht vom Hauptgeschäft in Formfragen rechtfertigt (§ 167 Abs. 2 BGB), 256 müsste der Vollmachtgeber die Entscheidung über das Hauptgeschäft schon mit der Beauftragung aus der Hand gegeben haben. Das ist nur der Fall bei einer „vorweggenommenen Bindung“ im Innenverhältnis des Geschäftsherren zum Vertreter, wie sie allgemein bei einer unwiderruflichen Vollmacht angenommen wird. 257 Erbrechtlich lässt sich jedoch eine Bindung, die bereits mit unmittelbarem Geltungsanspruch für das Vertretergeschäft auftritt – wie gesehen –, gerade nicht konstruieren. 258 Und auf der sachenrechtlichen Ebene nimmt die unwiderrufliche Bevollmächtigung dem Vollmachtgeber ohnehin nicht die lebzeitige Verfügungsbefugnis über den Gegenstand, auf den sich die rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht auf den Todesfall bezieht. 259 Bei einer widerruflich eingeräumten Vollmacht besteht dagegen eine so enge Verbindung zum Vertretergeschäft von vornherein nicht, als dass sie die Grundlage für ein einheitliches Rechtsgeschäft abgeben könnte. Da aber der bloße Zeitpunkt des Rechtserwerbs nicht über das Vorliegen eines erbrechtlichen oder lebzeitigen Rechtsgeschäfts entscheidet, 260 bleibt nur der Schluss, dass der materielle Erbrechtsbezug und der Umgehungstatbestand künstlich geschaffen werden. Es gibt noch drei weitere Punkte, die gegen die Einordnung einer postmortalen Vollmacht als so genannte materielle Verfügung von Todes wegen und damit letztlich gegen das Institut schlechthin sprechen. § 2301 BGB, den Seif auf die postmortale Vollmacht analog anwenden will, setzt eine Schenkung von Todes wegen voraus. Auch die Diskussion um eine erweiternde Auslegung oder entsprechende Anwendung des § 2301 BGB hat sich immer darauf konzentriert, ob die Vorschrift über den Wortlaut hinaus auch auf andere teilentgeltliche Geschäfte anwendbar ist. 261 Diese Unterscheidung ist keine, die für eine Vollmacht jemals von Bedeutung sein könnte. Denn das einseitige Rechtsgeschäft „Voll256

B. Mertens, JZ 2004, 431, 435. Kritisch zur gängigen Unterscheidung zwischen unwiderruflicher und widerruflicher Vollmacht in Bezug auf ihre Formbedürftigkeit B. Mertens, JZ 2004, 431, 434 f. Allgemein Bork, JZ 1988, 1059, 1060 f. 258 Oben 1. a., S. 289 f. 259 Bork, JZ 1988, 1059, 1060 f., insoweit übereinstimmend mit Olzen, Jura 1987, 116, 121. 260 Harder, in: Mél. Sturm II, S. 1029, 1034 f. Oben b., S. 309; des Weiteren oben § 5 B. II., S. 147, § 6 C. II. 4. c., S. 194, m. Fn. 264 261 Windel, S. 424; Olzen, S. 96 ff.; Harder, Zuwendungen, S. 44 ff., 47, m.w.Nw. Im Einzelnen unten cc., S. 320 f. 257

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macht“ ist für sich betrachtet keines, auf das die Rechtsbegriffe der Entgeltlichkeit oder Unentgeltlichkeit im schuldrechtlichen Sinn überhaupt zutreffen könnten. Entgeltlich oder unentgeltlich ausgestaltet ist vielmehr nur das zugrunde liegende von der Bevollmächtigung unabhängige Kausalgeschäft, das in der Regel entweder einen Auftrag oder eine Geschäftsbesorgung zum Gegenstand hat. 262 Die Frage nach der Eigen- oder Fremdnützigkeit der Vollmacht, die Seif als Differenzierungskriterium einsetzt, 263 ist dagegen eine Eigenschaft des Vertretergeschäfts – weder der Vollmachterteilung noch des Grundgeschäfts. In die Kategorien der Analogie zurück übersetzt bedeutet das, dass das rechtsgeschäftliche Anforderungsprofil des § 2301 BGB mit dem der Vollmacht konstruktiv nicht zu vergleichen ist und daher eine entsprechende Anwendung mangels Regelungslücke und mangels vergleichbarer Interessenlage ausscheidet. Ein zweiter Kritikpunkt kommt hinzu: Er berührt die Frage nach der Funktion der Form im Recht der Lebenden und im Erbrecht. Sie stellt sich hier vor allem deshalb, weil die Zusammenschau der Bevollmächtigung mit dem Vertretergeschäft erbrechtliche Strukturprinzipien mit lebzeitigen in Konflikt bringt. Indem Seif postmortale Vollmacht über § 2301 Abs. 1 BGB und in teleologischer Reduktion des § 167 Abs. 2 BGB den erbrechtlichen Formvorschriften unterstellt, 264 wird wenn nicht die Identität, so doch zumindest die Übertragbarkeit der erbrechtlichen Formzwecke auf die postmortale Bevollmächtigung und das nachfolgende Vertretergeschäft behauptet. Zwar werden als Formzwecke im Erbrecht nicht selten schlicht die lebzeitigen angeführt265; doch ist die Parallele nicht gerechtfertigt: Lebzeitige Formvorschriften dienen unter anderem Verkehrsinteressen 266 und sollen vor bestimmten Gefahren des Rechtsverkehrs schützen, etwa in dem sie typisierte Geschäftsrisiken abmildern.267 Einer besonderen Übereilungsprävention bedarf es jedoch dort nicht in gleichem Maß, wo Rechtsgeschäfte de iure nicht sofort Wirkung zeigen und der Handelnde für sich allein und höchstpersönlich lange Zeit hat, seine Verfügung zu gestalten – nämlich im Erbrecht.268 In Fällen, 262

Palandt/Heinrichs, § 167 Rn. 4. Seif, AcP 200 (2000), 192, 195 f., 230 ff. 264 Seif, AcP 200 (2000), 192, 217. 265 Soergel/Harder, vor § 2229 Rn. 1; MünchKomm/Burkart, § 2247 Rn. 1. 266 Verstanden als „Summe der Individualinteressen, die in der Privatautonomie wirksam werden“ und im Gegensatz zu Geschäftsformen aus öffentlichem Interesse: Grundlegend Häsemeyer, Form, S. 171, 183. 267 Häsemeyer, Form, S. 169. 268 Wie hier Harder, Zuwendungen, S. 119, m.w.Nw. aus der älteren Literatur; s. aber Fn. 265. Der Erbvertrag stellt insoweit keine wirkliche Ausnahme dar, auch dann nicht, wenn er – wie im Fall einer vertragsmäßigen Verfügung – erbrechtliche Bindungswirkung entfaltet. Der Erblasser bedarf insoweit kaum eines formellen Schutzes vor Übereilung (anders B. Mertens, JZ 2004, 431, 432), weil ihm mit dem Anfechtungsrecht wegen Motivirrtums im Ergebnis ein einseitiges Lossagungsrecht zu Gebote steht. Dieses hat seinen Grund wiederum 263

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in denen im Recht der rechtsgeschäftlichen Erbfolge wahrhaft Eile geboten ist, nämlich in denen der nahen Todesgefahr, 269 zielte die Konzeption des Gesetzgebers bezüglich der formellen Anforderungen an Nottestamente im Gegenteil auf eine Formerleichterung. Es sollte als Notbehelf grundsätzlich leichter zu errichten sein als ein ordentliches Testament. 270 Auch das Warnsignal, das von einem formgebundenen Geschäft für seinen Urheber ausgeht, ist bei solchen gestreckten und vor allem nicht sofort wirksamen Geschäften deutlich abgemildert – zumal es sich im Testamentsrecht schon dadurch abnutzen wird, dass das Gesetz dem Erblasser gestattet, eine endliche Reihe von verschiedenen letztwilligen Verfügungen und Verfügungsentwürfen hintereinander zu verfertigen. Vor hastigen und unüberlegten Anordnungen, die gerade nicht Ausdruck eines „gereiften“ Willens sind, muss nicht eigens gewarnt werden. Denn eine Korrektur ist insbesondere im Recht der letztwilligen Verfügungen leicht möglich. 271 Als Seriositätsindiz taugt die Form im Erbrecht – anders als im Recht der Lebenden 272 – allenfalls dort, wo rechtliche Beratung stattfindet, 273 und auch das „verantwortungsvolle Testieren“ kann beim eigenhändigen Testament angesichts seiner jederzeitigen Verwerfbarkeit kaum als primärer Formzweck angegeben werden.274 Häsemeyers Bemerken, die „Testierfreiheit fordere keinen größeren Respekt vor der rechtsgeschäftlichen Form als die lebzeitige Vertragsfreiheit“, 275 bringt das nur unvollkommen zum Ausdruck. Es dringt insofern nicht zum Kern der Problematik vor, als es, wenn von Verfügungen von Todes wegen unter formellem Gesichtspunkt die Rede ist, nicht um ein graduelles Mehr an rechtsgeschäftlicher Form geht, sondern um einen qualitativ anders gearteten Formzweck als im Recht der Lebenden. Erbrechtliche Formvorschriften dienen – im Zusammenspiel mit dem Prinzip der so genannten materiellen Höchstpersönlichkeit des § 2065 BGB276 – in in dem Umstand, dass erbvertragliche Bindung nicht unmittelbar geltungsbezogen ausgestaltet ist (oben § 10, S. 246, m. Fn. 16). 269 Oben Einleitung, S. 8, § 3 C. II. 2., S. 116. 270 Überblick über die Diskussion während der Gesetzgebung (Testamentsgesetz, Bürgerliches Gesetzbuch) bei Kappesser, S. 74 ff., m.w.Nw. Dass die uneinheitliche Regelung der verschiedenen Errichtungsvarianten und die einzelnen formellen Erfordernisse sich in praxi eher gegenteilig auswirken, weil sie die Beteiligten vielfach überfordern (Kappesser, S. 113 ff.), steht auf einem anderen Blatt. 271 Die Warnfunktion und den Übereilungsschutz durch erbrechtliche Formvorschriften betont dagegen Breitschmid, S. 101 f. 272 Oben § 9 B., S. 235. 273 Allgemein zu diesem Formzweck H. Heiss, S. 61 f. 274 So aber BGHZ 80, 242, 246; s. auch Flume BGB AT II, § 16 5, S. 333. Die Argumentation trägt Züge des „(Richtigkeits-)Appells“ an den verantwortungs-, das heißt familienbewussten Erblasser, von dem hier schon die Rede war (oben § 3 B. II. 2. a., S. 85). 275 Häsemeyer, Form, S. 76 f., der an dieser Stelle die Verfügung von Todes wegen in eine bedenkliche Nähe zur Verfügung unter Lebenden rückt. 276 Die Authentifizierungsfunktion verkennt Helms, ZEV 2007, 1, 6, dem „es schwer fällt,

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erster Linie und im stärkeren Maße als inter vivos der Authentifizierung des Verfügenden und seiner Willenserklärung.277 Aus anderer Perspektive kommt dieses Anliegen auch in dem Bemerken des Bundesgerichtshofs zum Ausdruck, die Testamentsform diene der Vermeidung von Streitigkeiten von Erbprätendenten, die naturgemäß keine authentischen, wohl aber interessierte Interpreten der Erklärung sind.278 Der Formmangel sanktioniert das Misslingen dieser Authentifizierung in inhaltlicher und/oder persönlicher Hinsicht. Das erklärt, weshalb die Beweisfunktion erbrechtlicher Formregeln gegenüber der inter vivos wesentlich erhöht ist. Unter Lebenden können die Parteien eines Rechtsgeschäfts über ihre Intentionen und Absichten hinsichtlich des Vereinbarten falls notwendig selbst Auskunft erteilen, im Erbrecht vertritt dagegen die Erklärung ihren Urheber vollständig.279 Das ergibt schon die Etymologie des Rechtsbegriffs „Testament“ vom Lateinischen testari im Sinne von „Zeugnis ablegen“ oder „bezeugen“: Die letztwillige Verfügung gibt den Willen des Erblassers nicht nur wieder, sie bezeugt und bekräftigt ihn zugleich. Man muss sich also des Erklärungsgehalts einer Verfügung von Todes wegen in besonderem Maße vergewissern und fühlt sich daher dazu veranlasst, die authentifizierende Funktion der Verfügung von Todes wegen – zusätzlich zu Form und Höchstpersönlichkeit – durch die bekannte Andeutungsformel zu verstärken. Der formelle Schutzzweck der erbrechtlichen Form wird hierdurch mit dem materiellen einer „sanktionsbewehrten Erklärungsdiligenz“280 verbunden, die Züge einer hybriden (inhaltlichen und formalen) Kontrolle der Verfügung annimmt. 281 Dieser gemischt materiell-formelle Schutzzweck entfällt bei der postmortalen Bevollmächtigung. Als Auskunftsperson steht der Bevollmächtigte zur Verfügung. Die fremd- oder eigennützige Ausgestaltung der Vollmacht tangiert dagegen nur die Glaubwürdigkeit seiner Aussage im eine überzeugende ratio für die Regelung des § 2065 BGB zu finden“. Zu einer weiteren ordnungsrechtlichen Funktion der Vorschrift oben 1. b. aa., S. 295 Fn. 159. 277 Oben § 11 A. II. 4., S. 254 f. In diese Richtung auch Windel, S. 404 f., m.w.Nw. Des Weiteren Grundmann, AcP 187 (1987), 429, 450 f., für privatschriftliche Testamente. 278 BGHZ 80, 242, 246. Angesichts der prinzipiellen Unabhängigkeit der rechtsgeschäftlichen und gesetzlichen Erbfolgeordnungen (oben § 1 A., S. 20) würde diese Aussage jedoch fehl- und überinterpretiert, wenn die Testamentsform (auch) als Mittel zum Schutz der gesetzlichen Erben oder gar als Anleitung zum „verantwortlichen Testieren“ verstanden würde (so aber BGH a.a.O.; Schmoeckel, AcP 197 [1997], 1, 75, m.w.Nw.). 279 Oben Einleitung, S. 9. 280 Zur Problematik jüngst Stagl, S. 146 f., der dem im Grundsatz ein „errichtungsbezogenes Formverständnis“ entgegensetzt. Die hybride Natur der Andeutungstheorie bringt Häsemeyer, Form, S. 145 ff., wie folgt auf den Punkt: „muss die Andeutungstheorie deshalb scheitern, weil sie weder dem Rechtsgeschäft als Ausdruck des Parteiwillens noch der Form als dessen Wirksamkeitsvoraussetzung gerecht werden kann.“ 281 Kritisch zu diesem Kontrollanteil der so genannten Andeutungstheorie Smid, JuS 1987, 283, 286; des Weiteren Bernard, S. 73 ff.; jew. m.w.Nw. S. auch Wieling, Testamentsauslegung, S. 260, mit dem zutreffenden Hinweis, dass die Andeutungsformel Beweisschwierigkeiten schafft, zu deren Vermeidung die Testamentsform gerade dienen soll.

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Dritter Teil

Rahmen der richterlichen Beweiswürdigung. Die Zusammenschau der Bevollmächtigung mit dem Vertretergeschäft überspielt den unterschiedlichen Schutzzweck erbrechtlicher und lebzeitiger Formvorschriften. Ein dritter und letzter Einwand ist methodischer Natur. Unabhängig von der Umdeutung nach § 2301 BGB ergibt bereits die Auslegung des Rechtsgeschäfts nach Seifs Anschauung einen besonderen Zusammenhang zwischen Bevollmächtigung und Vertretergeschäft, der als materielle Verfügung von Todes wegen beschrieben wird. § 2301 BGB ist jedoch weder direkt noch analog anwendbar, wenn schon die Auslegung ergibt, dass von vornherein nur ein seiner Rechtsnatur nach erbrechtliches Rechtsgeschäft in Aussicht genommen worden war. 282 Damit steht zugleich fest, dass der Normzweck des § 2301 Abs. 1 BGB nicht darin liegen kann, „formal schuldrechtliche Gestaltungen zu erfassen, die der Sache nach erbrechtlichen Charakter haben“283 und auf diese Weise eine „Umgehung des Erbrechts“ zu verhindern. 284 cc. Die so genannte qualifizierte Verfügungsunterlassungsabrede Ebenso wie Seif bedient sich Krebber zur Begründung der so genannten materiellen Verfügung von Todes wegen des Umgehungsgedankens, 285 wählt aber für die qualitative Verfügungsunterlassungsabrede einen anderen Typus der Ausweichgestaltung. Als deren Charakteristikum gibt er die Verschleierung der wirklichen, hier erbrechtlichen Rechtsnatur der qualifizierten Verfügungsunterlassungsabrede durch Vereinbarung anderer, nämlich lebzeitiger Leistungspflichten an. 286 Dabei wird der „Parteiwille“, erbrechtlich oder schuldrechtlich zu handeln, als subjektives Element des vermeintlichen Umgehungsgeschäfts eingesetzt.287 Der Wille, erbrechtlich und gerade nicht schuldrechtlich zu agieren ist jedoch als solcher rechtlich nicht beachtlich. Denn die rechtliche Einordnung des Geschäfts, hier: als erbrechtlich oder lebzeitig, erfolgt zwar auf der Grundlage des privatautonom Gewollten,288 ist jedoch selbst der privatautonomen Gestaltung entzogen. 289

282 Einigkeit besteht wohl nur darüber, dass § 2301 BGB auf entgeltliche Rechtsgeschäfte nicht anwendbar ist: Harder, Zuwendungen, S. 101; insoweit zustimmend Krampe, S. 189; Reischl, S. 149; des Weiteren Staudinger/Kanzleiter, § 2301 Rn. 5, 52 a.E., § 2302 Rn. 9. 283 So aber Reischl, S. 145. 284 Seif, AcP 200 (2000), 192, 200 ff., 219. 285 Krebber, AcP 204 (2004), 149, 167. 286 Sieker, S. 47 ff. 287 Es ist zu unterscheiden von der so genannten Umgehungsabsicht, die nicht zum Tatbestand eines Umgehungsgeschäfts gehört (Soergel/Hefermehl, § 134 Rn. 40) und in der Rechtsprechung nicht mehr als Abgrenzungskriterium verwendet wird (Teichmann, JZ 2003, 761, 764). Zum Ganzen Sieker, S. 39 ff., 45. 288 Harder, Fs. Kraft, S. 1029, 1039 f., m.w.Nw. 289 Sieker, S. 97 f.; Windel, S. 338; Häsemeyer, Fs. 600-Jahr-Feier Universität Heidelberg,

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Deshalb wird dem erklärten Parteiwillen, ein Testament unwiderruflich und mit sofortiger Bindung zu errichten, auf der Geltungsebene des Rechts nicht entsprochen 290; und ein Irrtum über die Rechtsnatur des Geschäfts (error in negotio) bewirkt schließlich auch nicht die Wirksamkeit derjenigen Rechtsvorstellungen, die eine Partei oder mehrere Beteiligte fälschlicherweise für juristisch zutreffend gehalten haben. 291 Versteht man den Terminus der Gesetzesumgehung im Anschluss an die Arbeiten von Teichmann als Chiffre für Gesetzesauslegung und analoges Rechtsdenken,292 lässt sich der Einwand auch wie folgt formulieren: Gegenstand der Auslegung sind nur solche Erklärungen der beteiligten Individuen, die sich innerhalb des ihnen zukommenden Gestaltungsrahmens halten. Bewegen sie sich außerhalb dieses Raums, darf der Norminterpret diese in seine Auslegungsbemühungen nicht mit einbeziehen. Wo die Parteien Rechtsfolgen anordnen, die außerhalb ihrer Gestaltungsbefugnis liegen, lässt sich ein Umgehungstatbestand nicht begründen, das Rechtsgeschäft ist stets nichtig293 – nicht nur in dem Fall, dass die Auslegung ergibt, dass das Umgehungsgeschäft unerlaubt ist, weil das Verbotsgesetz den mit ihm anvisierten Erfolg schlechthin oder teilweise untersagen will.294 Damit ist zunächst die Frage nach dem Normzweck des § 2302 BGB aufgeworfen, derjenigen Vorschrift, die Krebber hier als ein mögliches Verbotsgesetz zur Begründung des Umgehungstatbestands heranzieht. 295 In einem zweiten Schritt ist dann zu klären, ob die ratio auch auf das Umgehungsgeschäft zutrifft. 296 Sieht man die Intention des Verbotsgesetzes oder – wie Battes es formuliert – „den Stein des Anstoßes“ weniger „in der Verpflichtung im Gegensatz zur Verfügung, sondern in der Gefahr, dass Verpflichtungsgeschäfte bestimmten, für Verfügungen von Todes wegen geltenden Anforderungen [namentlich den erbrechtlichen Formvorschriften] nicht entsprechen könnten“, 297 bräuchte man sich nicht weiter um die Auslegung der qualifizierten Verfügungsunterlassungsabrede und ihr Verhältnis zu § 2302 BGB zu bemühen. Denn sie ent-

S. 163, 176. Daran krankt auch der Vorschlag von Vollkommer, ZEV 2000, 10, 13, das Valutaverhältnis beim Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall abhängig vom Parteiwillen als „erbrechtlich“ oder „lebzeitig“ einzustufen. 290 Oben II., S. 288, m.w.Nw. in Fn. 116. 291 Sondern allein zur Anfechtbarkeit der Willenserklärung; Soergel/Hefermehl, § 119 Rn. 23, 24. 292 Teichmann, JZ 2003, 761, 765 ff.; ders., S. 15 ff., 78 ff. 293 In diese Richtung auch Windel, S. 338, 402, freilich im Hinblick auf den von ihm vertretenen erbrechtlichen Typenzwang. 294 Soergel/Hefermehl, § 134 Rn. 37. 295 Krebber, AcP 204 (2004), 149, 167. Als zweites Verbotsgesetz wird § 2286 BGB eingesetzt (a.a.O., S. 169 ff.). Dazu unten S. 324. 296 Unten S. 323 f. 297 Battes, AcP 178 (1978), 337, 353.

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spricht ja als Teil des „Erbvertrags“ dessen Formerfordernissen, der notariellen Beurkundung gemäß §§ 2276 i.V.m. 128 BGB. 298 Freilich ist die Interpretation, die Battes zur Funktion des § 2302 BGB anbietet, unter mehreren Aspekten angreifbar. Der klare Wortlaut der Vorschrift, die als Rechtsfolge die Nichtigkeit des lebzeitigen Vertrags und eben nicht die Umdeutung in eine Verfügung von Todes wegen anordnet, ist dabei nur der offensichtlichste Einwand. Wenn man zudem die massiven Zweifel an der behaupteten Verpflichtungsfreundlichkeit des § 2302 BGB, 299 die die Trennlinien zwischen dem Erbrecht und dem Recht der Lebenden aufhebt,300 einmal hintanstellt und die Interpretation aus ihrer eigenen Logik heraus kritisiert, gerät insbesondere die Abgrenzung der Vorschrift zu § 2301 BGB aus den Fugen. Gerade diese Problematik erlaubt einen bezeichnenden Blick auf die Unstimmigkeiten der „materiellen Verfügung von Todes wegen“ als Umgehungsgeschäft. Battes versteht nämlich § 2302 BGB als generelle Umdeutungsregel für lebzeitige Verpflichtungsgeschäfte in erbrechtliche Verfügungen und zieht dazu § 140 BGB mit heran. § 2301 BGB dient ihm dabei als Bestätigung für seine Auffassung. Denn für die dort geregelten Schenkungsversprechen erkenne das Gesetz die Umdeutung in Verfügungen von Todes wegen sogar selbst an. 301 Eine stringente Abgrenzung zu § 140 BGB, der auf das Vorhandensein eines irrealen Parteiwillens abstellt und § 2301 BGB, der diesen Willen gerade nicht zur Voraussetzung hat,302 wird dadurch nicht unerheblich erschwert. Jedenfalls scheidet ein Spezialitätsverhältnis zwischen beiden Vorschriften aus, vom dem Battes offenbar ausgeht, wenn er „die Fälle des § 2302 in die unmittelbare Nähe des § 2301 [rücken will], da der Inhalt dieser besonderen Vorschrift über die allgemeine Regel des § 140 BGB auch für § 2302 praktische Geltung erlangt.“303 Gegenüber §§ 2302 BGB i.V.m. 140 BGB wäre § 2301 BGB nur dann die speziellere Vorschrift, wenn sie alle Merkmale der allgemeineren Norm und darüber hinaus noch mindestens ein zusätzliches Element enthielte.304 Doch das ist ja gerade nicht der Fall.

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Oben bb., S. 317. Battes, AcP 178 (1978), 337, 358: „Es hat sich somit gezeigt, dass sie [die Vorschrift des § 2302 BGB] nicht als grundsätzliche Ablehnung verpflichtender Rechtsgeschäfte in Bezug auf den Nachlass verstanden werden darf.“ 300 Insbesondere indem in Battes’ Konzeption die Grenzen zwischen aufschiebend bedingten Rechtsgeschäften unter Lebenden und Verfügungen von Todes wegen verschwimmen. Oben § 4 A., S. 120. 301 Battes, AcP 178 (1978), 337, 353 f. 302 Reischl, S. 148 f.; Krampe, S. 188; Harder, Zuwendungen, S. 100; jew. m.w.Nw. 303 Battes, AcP 178 (1978), 337, 359 (Hervorhebungen nicht im Original). Dagegen geht Harder, Zuwendungen S. 102, entgegen Krampe, S. 183, gerade nicht von einem Spezialitätsverhältnis beider Vorschriften aus. 304 Georgiades, S. 78 f.; differenzierend Larenz, Methodenlehre, S. 267 f.; beide m.w.Nw. 299

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Außerhalb der Fälle echter Spezialität gibt es auch solche, bei denen sich die Tatbestände zweier Vorschriften nur teilweise decken, die Rechtsfolgen beider Rechtssätze aber gleichwohl nicht nebeneinander treten, sondern eine Regelung abschließend konzipiert ist, so dass sie die andere verdrängt.305 Jedoch sind die Wertungen, die § 140 BGB und § 2301 BGB zugrunde liegen, durchaus disparat. Während das Anliegen der erstgenannten Vorschrift ist, ein nichtiges Rechtsgeschäft doch noch in ein wirksames zu verwandeln und damit einem entsprechendem Parteiwillen – „soweit als irgend möglich“306 – Rechnung zu tragen, will § 2301 BGB ein bestimmtes Rechtsgeschäft, die Schenkung von Todes wegen, von Gesetzes wegen und gerade nicht auf Grundlage eines privatautonom gebildeten Willens als erbrechtliches begriffen und eingeordnet wissen. 307 Jedenfalls ist die an § 140 BGB angelehnte Konstruktion einer generellen Nichtigkeit von Schenkungen von Todes wegen mit nachgeschalteter Umdeutung durch das Gesetz308 nicht nur mehr als künstlich, sie imitiert eine Wertungsparallelität die in Wirklichkeit keine ist. 309 Das Problem der Abgrenzung von § 2301 BGB und § 2302 BGB, so wie Battes sie konturiert, wird dadurch noch potenziert, dass die ratio des § 2301 BGB alles andere als offen zu Tage liegt310 und es Stimmen in der Literatur gibt, die in Bezug auf diese Vorschrift eine ähnlich extensive Auslegung vorschlagen, wie Battes das für § 2302 BGB tut.311 Nimmt man seine Äußerung hinzu, dass 305 Larenz, Methodenlehre, S. 268 f. Als Beispiel wird das Verhältnis der Vorschriften über die Mängelgewährleistung beim Kauf zur Anfechtung wegen eines Irrtums nach § 119 Abs. 2 BGB angegeben. 306 Soergel/Hefermehl, § 140 Rn. 8. 307 Das betont zu Recht Reischl, S. 149: „In einer gesetzlichen Konversionsanordnung ist für subjektive Willenselemente kein Raum.“ 308 Nw. bei Windel, S. 336, m. Fn. 16. 309 In erster Linie um strukturell eine Nähe zu § 140 BGB herzustellen, wird diese Konstruktion gewählt, nicht um das Kriterium der lebzeitigen Bindung zu beseitigen. Anders insoweit Windel, S. 336. Der inhaltlichen Annäherung an § 140 BGB dient offensichtlich auch der Rekurs auf § 2084 BGB, der „analog angewendet werden soll, so dass der Wille des Erblassers im Zweifel Erfolg hat (Soergel/Hefermehl, § 2301 Rn. 3). Dieses subjektive Element hat jedoch in § 2301 BGB nichts zu schaffen, was Windel, S. 339 – insoweit stringent –, erkennt. Unten IV. 1., S. 329, m.w.Nw. in Fn. 359. 310 S. dazu Harder/Kroppenberg, Rn. 506 f. 311 Olzen, S. 94 ff.; ders., Jura 1987, 16, 22; ders., JR 1987, 371, 373; der § 2301 (Abs. 2) BGB auch dann analog anwenden will, wenn es an der Überlebensbedingung fehlt (ihm folgend Fleischmann, S. 229 f.; ablehnend Bork, JZ 1988, 1059, 1062; Harder, in: Mél., Sturm II, S. 1029, 1035). Entgegen der eigenen Ankündigung (S. 335) baut Windel die Vorschrift zu einer allgemeinen Grenzmarke zwischen dem Vermögensrecht der Lebenden und dem Erbrecht aus (Windel, S. 364 ff.; 396 ff.; kritisch Harder, a.a.O., S. 1032 f.) – und dies, obgleich letzterer die „verfehlte Konzeption“ des § 2301 BGB an anderer Stelle durchaus beklagt (Windel, S. 334 ff., 402; zur Gesetzgebungsgeschichte ders., S. 61 ff.; s. auch Seif, AcP 200 [2000], 192, 201). Einzig „(vollauf) entgeltliche Rechtsgeschäfte auf den Todesfall“ seien „angesichts des Wortlauts des § 2301 BGB“ (Windel, S. 424) ausgenommen. Die Norm sei anwendbar, wenn und soweit einer „verkehrsgeschäftlich vereinbarten causa neben der causa mortis keine ei-

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eine Voraussetzung der Umdeutung sei, dass sich in dem nichtigen Geschäft unter anderem „ein bestimmtes wirtschaftliches Ziel [ausmachen lasse], das auch durch das ,andere‘ Geschäft […] erreicht werden kann“,312 werden zudem die Grenzen zwischen Umdeutung und Umgehung unscharf. Es scheint eine Diskrepanz zwischen der äußeren rechtsgeschäftlichen Gestalt und dem eigentlichen verborgenen Zweck des Geschäfts auf. 313 Auch im Umgehungsgeschäft ist nach der überkommenen Anschauung, die die Gesetzesumgehung als ein eigenständiges Rechtsinstitut auffasst,314 sachlich-wirtschaftlich ein anderer rechtsgeschäftlicher Kern enthalten als es formell-rechtlich den Anschein macht. 315 Man ist geneigt, Flumes Auffassung zu teilen, der Rechtsgeschäfte unter Lebenden und Verfügungen von Todes wegen generell getrennt zu halten empfiehlt und insbesondere lebzeitige Rechtsgeschäfte nicht in erbrechtliche umdeuten will,316 weil die Differenzierung zwischen formalen/rechtlichen und materiellen/wirtschaftlichen Kriterien im Rahmen der §§ 2302 und 2301 BGB vor allem im Methodischen große Probleme bereitet. Einen gangbaren Weg aus diesen Kalamitäten weist eine Überlegung, die auf den Erkenntnissen aufbaut, die Teichmann317 und Krampe318 für die Gesetzesumgehung und die Konversion unabhängig voneinander gewonnen haben: Beides sind nichts anderes als Ausprägungen der Auslegung, die in einem ersten Schritt den Normzweck des § 2302 BGB in einer gegenüber § 2301 BGB unterscheidbaren Gestalt ermitteln und zweitens das rechtsgeschäftlich Vereinbarte darunter subsumieren will. Die Kennzeichnung der Willenserklärung als Geltungserklärung verlangt stets, sie so auszulegen, dass sie mit dem geltenden Recht vereinbar ist, sie also genständige Relevanz zukommt“ (S. 422). Die Auffassung steht und fällt mit der Annahme, dass das Bürgerliche Gesetzbuch lebzeitige von erbrechtlichen Erwerbscausae funktional unterscheidet, oben § 3 B. III., S. 92, m. Fn. 224. 312 Battes, AcP 178 (1978), 337, 355. Allgemeine Auffassung, etwa Palandt/Heinrichs, § 140 Rn. 6, m.w.Nw. aus der Rechtsprechung 313 Deutlich Soergel/M. Wolf, § 2301 Rn. 1: „§ 2301 will Umgehungsgeschäfte verhindern, durch die in der äußeren Form eines Rechtsgeschäfts unter Lebenden in Wirklichkeit einem anderen etwas auf den Todesfall zugewendet werden soll.“ 314 Nw. bei Teichmann, JZ 2003, 761, 764. 315 Die Ablösung der „wirtschaftlichen Betrachtungsweise“ von der rechtlichen, um sie hernach als die vermeintlich sachlich richtige mit der angeblich formal-juristischen wieder zu kontrastieren, ist methodisch eine mehr als problematische Vorgehensweise (ähnlich für Umgehungsgeschäfte Häsemeyer, Fs. 600-Jahr-Feier Universität Heidelberg, S. 163, 168). Sie separiert durch Dopplung künstlich, was eigentlich eine Einheit bildet. S. auch oben III. 1. a., S. 262, und oben § 1 B., S. 24. 316 Flume, BGB AT II, § 32, 9 e, S. 598. 317 JZ 2003, 761, 765 ff.; ders., S. 15 ff., 78 ff. 318 S. 280 ff.; ihm insoweit folgend J. Hager, S. 155, m. Fn. 3. Nur eine Spielart ist Windels, S. 336, 338 f., rechtfolgenbetontes Verständnis von § 2301 BGB als „Qualifikationsnorm.“ Hier trifft sich sogar die Terminologie Windels mit der Krampes, S. 280, 284: Konversion als Akt der „Um-Qualifikation“. Welche Rechtsfolge angeordnet ist, muss durch Auslegung ermittelt werden: Larenz, Methodenlehre, S. 298.

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– sei es im Wege der Konversion oder durch Aufdeckung einer Gesetzesumgehung – rechtlich so „(um-)zuqualifizieren“, 319 dass ihre eigentliche Natur hervortritt. Macht man schließlich die rechtsfolgenspezifische Norminterpretation Häsemeyers nutzbar, die dieser als Konzept zur Behandlung von Umgehungsfällen anbietet,320 ergeben sich gerade in der Zusammenschau mit Krampes321 Ergebnissen zur Umdeutung weiterführende Synergien. Die Rechtsfolgenbetrachtung ist seit der Anerkennung des Larenz’schen Konzepts der Geltungserklärung ein anerkanntes Mittel der Rechtsgeschäftslehre. Insofern greift Teichmanns Einwand gegen Häsemeyer zu kurz, Ansatzpunkt der Auslegung sei beim Umgehungsgeschäft allein dessen Tatbestand.322 Vielmehr hat gerade die im Wege der Auslegung zu beantwortende Frage, auf was sich die Parteien (wirklich) verständigt haben, dabei ihren Anfang zu nehmen, welche Rechtsfolgen sie vereinbart haben. Erst in einem zweiten Schritt stellt sich die Frage, wie diese Vereinbarung von ihrem Tatbestand her rechtlich zu beurteilen ist.323 Jedenfalls handelt es sich bei der rechtsfolgenbezogenen Auslegung um keine neue Problematik, sondern um eine, die schon seit dem Aufkommen der Geltungstheorie in der Rechtsgeschäftslehre virulent ist.324 Privatautonome Gestaltung bedeutet hiernach die Herstellung rechtlicher Wirkmacht durch Setzung von Rechtsfolgen (= Geltung). 325 Um in diesem rechtsfolgenorientierten Koordinatensystem eine „Gesetzesumgehung“ auszumachen, ist ein Vergleich anzustellen zwischen den Rechtswirkungen der betreffenden Vorschrift und denjenigen, die die Parteien in dem betreffenden Rechtsgeschäft gewählt haben.326 Nur wenn sich insofern Übereinstimmungen feststellen lassen und die Norm zwingenden Charakter hat, unterliegt ihr auch das Umgehungsgeschäft. 327 Interpretiert man § 2302 BGB auf diese Weise „rechtsfolgenteleologisch“, belegt die Vorschrift solche Rechtsgeschäfte mit der Nichtigkeitssanktion, die erbrechtliche Bindung anders als mit erbrechtlichen Gestaltungsmitteln herbeiführen wollen. 328 Sie schützt die Testierfreiheit also einerseits nicht umfassend, sondern nur insofern, als sie durch 319 Diesen Terminus benutzen sowohl Krampe, S. 280 ff., 284, für die Konversion, als auch Sieker, S. 95 ff., 137, 217, für Umgehungsgeschäfte. 320 Häsemeyer, Fs. 600-Jahr-Feier Universität Heidelberg, S. 163, 172 ff. 321 S. 288 f. 322 Teichmann, JZ 2003, 761, 767. 323 Larenz, Methodenlehre, S. 298. 324 Oben A. I., S. 271 ff. 325 Häsemeyer, Fs. 600-Jahr-Feier Universität Heidelberg, S. 163, 172. Oben § 5 B. II., S. 147. 326 Sieker, S. 99. 327 Häsemeyer, Fs. 600-Jahr-Feier Universität Heidelberg, S. 163, 174 f.; s. auch Teichmann, JZ 2003, 761, 767. 328 Windel, S. 424.

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Rechtsgeschäfte mit unmittelbarem Wirksamkeitsanspruch eingeschränkt werden soll.329 Sie trägt andererseits aber dafür Sorge, dass Verfügungen von Todes wegen auf der Rechtsfolgenseite von jedwedem unmittelbaren Geltungsbezug unberührt bleiben. In jedem Fall geht es der Vorschrift darum, die rechtliche Beschneidung der Testierfreiheit, nämlich diejenige, welche in der Anlegung lebzeitiger Bindungsfesseln besteht, zu verhindern.330 Damit wird zugleich die entscheidende Trennscheide eines erbrechtlichen Rechtsgeschäfts gegenüber einem lebzeitigen festgelegt, die hier schon öfter angesprochene Gleichung „Bindungswirkung=Geltung“ als materielles Charakteristikum des Rechts der Lebenden festgelegt und aus dem Erbrecht verwiesen. Der Begriff der materiellen Verfügung von Todes wegen überspielt diese inhaltliche Wertung in unzulässiger Weise, ja er stellt sie geradezu auf den Kopf. Vermeintliche „Erbverträge“ mit qualifizierter Verfügungsunterlassungsabrede haben aufgrund ihres auf lebzeitiger Bindung beruhenden unmittelbaren Geltungsanspruchs keinen erbrechtlichen Charakter. Sie lassen sich rechtswirksam nur als aufschiebend bedingte Rechtsgeschäfte im Rechtsverkehr unter Lebenden konstruieren. Dagegen ist und bleibt die Testierfreiheit aus lebzeitiger Perspektive die unverbindliche Ausprägung der Privatautonomie. Rechtsgeschäftliches Handeln auf dem Gebiet des Erbrechts lässt sich mit lebzeitigen Mitteln nicht verbindlich machen, ohne dass es seine erbrechtliche Rechtsnatur verliert. Deshalb liegt auch kein Verstoß namentlich gegen den Normzweck des § 2286 BGB vor: Die lebzeitige Verfügungsfreiheit wird nicht „durch Erbvertrag“ oder letztwillige Verfügung eingeschränkt, wie die Vorschrift verlangt, sondern durch Rechtsgeschäft inter vivos.331 Die Zugehörigkeit des qualifizierten Verfügungsunterlassungsvertrags zum Recht der Lebenden zeigt sich unter anderem daran, dass die entsprechende Abrede in einem vermeintlichen Erbvertrag enthaltene als aufschiebend bedingte Verpflichtung inter vivos bei entsprechender synallagmatischer Ausgestaltung den Vorkaufsfall gemäß § 463 BGB auslöst.332

329 Das kommt in der Schutzzweckbeschreibung Windels, S. 424, m.w.Nw. in Fn. 195, auch wenn sie rechtsfolgenbezogen angelegt ist, nur unvollkommen zum Ausdruck: „§ 2302 BGB soll sicherstellen, dass erbrechtliche Bindungen nicht anders als auf erbrechtlichem Wege erzeugt werden.“ Erbrechtliche Bindung ist – wie bereits dargelegt – nicht unmittelbar geltungsbezogen, oben III. 1. a., S. 289 ff., sowie oben § 10, S. 240 Fn. 17, § 123 III. 2. b. bb., S. 315, m. Fn. 268. 330 Keinesfalls ist es § 2302 BGB um die Neutralisierung „faktischen Drucks […] [Hervorhebung nicht im Original] eine Verfügung von Todes wegen nicht aufzuheben oder zu errichten“ (so aber Krebber, AcP 204 [2004], 149, 167). Zur mangelnden Brauchbarkeit des „Druck“-Topos als zivilrechtliches Kriterium oben § 2 B. II. 2., S. 42 ff. 331 Anders Krebber, AcP 204 (2004), 149, 170 f., m.w.Nw. zur abweichenden Auffassung in Fn. 82. 332 Oben Einleitung, S. 5, m. Nw. in Fn. 34.

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IV. Inkompatibilität von bindungsbezogener Vertragsfreiheit und bindungsloser Testierfreiheit 1. Das Beispiel „übergreifender“ Konversion von erbrechtlichen und lebzeitigen Rechtsgeschäften Methodisch ergibt sich das eben gefundene Ergebnis aus der am Normzweck des § 2302 BGB orientierten Auslegung des Rechtsgeschäfts. Überträgt man es in die Kategorien von Umgehung und Konversion zurück, ergibt sich nach der überkommenen Auffassung, die sie als von der Auslegung zu trennende Institute versteht, für die Rechtsnatur der in einer „erbrechtlichen Verfügung“ enthaltenen qualifizierten Verfügungsabrede nur auf den ersten Blick ein dogmatisch stimmiges Bild. Das so gekoppelte Geschäft bedeutet eine Umgehung des § 2302 BGB – ein lebzeitiges Geschäft wird in das Gewand eines erbrechtlichen gekleidet –, weshalb es an und für sich der Nichtigkeit anheim fällt. Diese Rechtsfolge lässt sich nur dadurch vermeiden, dass es gemäß § 140 BGB als lebzeitiges, nämlich aufschiebend bedingtes Rechtsgeschäft aufrecht erhalten wird. Dazu müssen Umgehung und Umdeutung kombiniert und gleichsam hintereinander geschaltet werden. Das unwirksame Umgehungsgeschäft bildet dabei den Tatbestand der Umdeutung. Nur so kann erreicht werden, dass das Rechtsgeschäft der Nichtigkeit nicht endgültig anheim fällt, sondern über ein juristisches Durchgangsstadium schließlich doch nach seiner wirklichen, lebzeitigen Rechtsnatur behandelt werden kann. Was die so genannte Gesetzesumgehung anbelangt, ist die künstliche Zweistufigkeit dieser gedanklichen Operation333 nur eine weitere Bestätigung der Kritik Teichmanns an der Selbstständigkeit des Instituts. Es ist für sich weder in der Lage, über die eigentliche rechtliche Beschaffenheit des Umgehungsgeschäfts Auskunft zu geben – dies wird nur durch Auslegung der Verbotsnorm möglich –, noch kann es diesem – anders als die Auslegung – aus eigener Kraft zur Geltung verhelfen. Dazu bedarf es der Konversion. Was dieses Institut anbelangt, ergeben die hiesigen Ausführungen mehr als nur eine neuerliche Konfirmation der Krampe’schen Interpretation der Umdeutung als Unterfall der Auslegung. Vielmehr sprechen sie gegen die generelle Umdeutbarkeit von Verfügungen von Todes wegen in ein Rechtsgeschäft unter Lebenden, die von der Rechtsprechung334 und dem überwiegenden Teil der Literatur335 im Grundsatz

333 Kritisch auch Windel, S. 336: Beseitigung der schuldrechtlichen Bindung aufgrund des Nichtigkeitsverdikts der gesetzeswidrigen Umgehung (1. Schritt), Konstituierung einer grundsätzlich frei widerruflichen Verfügung von Todes wegen anstelle des lebzeitigen Geschäfts (2. Schritt). 334 Grundlegend RG JW 1910, 467 f. Überblick bei Krampe, S. 179 ff., 184 ff., 196 ff., insbesondere S. 199 ff. 335 Lange/Kuchinke, § 34 V 1 d, S. 796 ff.; Harder/Kroppenberg, Rn. 200; Leipold,

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ebenso bejaht wurde wie die Konversion einer nichtigen lebzeitigen Vereinbarung in eine erbrechtliche Anordnung. Für die Umdeutung eines Vermächtnisses in einen Verpflichtungsvertrag unter Lebenden hat diese Anschauung Tiedtke insbesondere mit dem Hinweis kritisiert, dass die Konversionsrechtsprechung gedanklich in der Tradition der aufgegebenen Aushöhlungsnichtigkeit 336 steht und der erbrechtlichen Bindungswirkung gemäß § 2271 Abs. 2 oder § 2289 Abs. 1 BGB widerspricht.337 Flume hatte für den umgekehrten Fall eine Umdeutung ausgeschlossen, weil ein lebzeitiges Rechtsgeschäft „nicht als Verfügung von Todes wegen errichtet“ wurde.338 Die Aussage ist oft zitiert, aber eher selten auf ihren materiellen Gehalt hin befragt worden.339 Sie ist wohl so zu verstehen, dass nur strukturell ähnlich geartete oder jedenfalls in der Anlage kompatible Rechtsgeschäfte mittels Konversion zueinander in Beziehung gesetzt werden können. Ein rechtsgeschäftliches aliud – so lässt sich Flume deuten – ist nicht konversibel. In Rechtsprechung340 und Literatur341 hat man sich dem ganz überwiegend nicht angeschlossen. Hier wird für eine Umdeutung neben dem Vorliegen eines nichtigen Rechtsgeschäfts und der Erfüllung der Gültigkeitsvoraussetzungen nur verlangt, dass an die Stelle des nichtigen keines gesetzt wird, das über

Rn. 401 f.; jew. m.w.Nw. aus der Rechtsprechung. Des Weiteren Palandt/Heinrichs, § 140 Rn. 10; Staudinger/Otte, § 2084 Rn. 5 f.; Soergel/Loritz, § 2084 Rn. 76; Brox, Rn. 268; Harder, Zuwendungen, S. 102. Insbesondere der Hinweis auf die systematische Stellung von § 140 BGB im Allgemeinen Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs als Legitimation der Konversion von lebzeitigen in erbrechtliche Rechtsgeschäfte und umgekehrt greift für sich zu kurz. Der Allgemeine Teil ist in Teilen vom Recht der Lebenden geprägt, also bisweilen nicht so allgemein, wie es den Anschein macht. Oben III. 2. c. aa., S. 311 Fn. 245, des Weiteren § 4 B., S. 125, § 5 B. II., S. 147. 336 Oben § 4 B., S. 123 ff. 337 Tiedtke, NJW 1978, 2572, 2574. S. auch Staudinger/Kanzleiter, § 2301 Rn. 52, der für die Argumentation in theoretischer Hinsicht offenbar Sympathie hat, in der gerichtlichen Praxis jedoch „großzügiger“ zu verfahren empfiehlt; abweichend und wenig verständlich Staudinger/Otte, § 2084 Rn. 6: „Aushöhlung der Bindungswirkung besteht für lebzeitige Verfügungen gerade nicht“. 338 Flume, BGB AT II, § 32, 9 e, S. 598, s. auch § 11, 6 a, S. 147. Ihm folgend Smid, JuS 1987, 283, 289. 339 Eine Ausnahme macht insoweit Krampe, S. 198, der vermutet, Flume habe nur bezüglich der angewandten Methode (Konversion, nicht Auslegung) der Aufrechterhaltung eines lebzeitig angelegten Geschäfts als erbrechtliches widersprochen, eine entsprechende Auslegung aber für möglich gehalten. Die weitere Aussage von Flume, BGB AT II, § 32, 9 e, S. 598, „das Geschäft unter Lebenden könne nicht als Verfügung von Todes wegen aufrecht erhalten werden, weil es eben kein Geschäft von Todes wegen ist“, zielt jedoch gerade auf die inhaltliche Inkompatibilität erbrechtlicher und lebzeitiger Geschäfte, beschränkt sich mithin nicht auf eine reine Methodenkritik. 340 BGHZ 40, 218, 224. 341 Reinicke, S. 98 f.

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dessen Rechtswirkungen hinausgeht. 342 Was damit gemeint ist, darüber ist man sich uneins.343 Zum Teil wird behauptet, „die Wirkungen der Verfügung von Todes wegen blieben meist hinter denen eines gescheiterten Rechtserwerbs unter Lebenden zurück, so dass bei Kenntnis der Nichtigkeit wenigstens eine erbrechtliche Zuwendung angenommen werden könne“. 344 Erbrechtliche Anordnungen werden hier ganz offenbar als minus und nicht als aliud zu lebzeitigen Vereinbarungen verstanden, was offenbar damit zusammenhängt, dass sie unter Umständen zwar binden, aber mit ihrer Errichtung niemals sofortige Geltung erlangen. Allgemein zeugt das von der nicht vertretbaren Anschauung, die Testierfreiheit sei nur ein Annex der Vertragsfreiheit oder jedenfalls eine Privatautonomie minderen Rangs.345 Überwiegend wird jedoch auch von den Konversionsbefürwortern anerkannt, dass eine erbrechtliche Verfügung in Teilen anders strukturiert ist als eine lebzeitige Vereinbarung.346 Die herrschende Anschauung beruht – wie gesagt – auf der Annahme, dass die Verbindung zwischen dem nichtigen Rechtsgeschäft und jenem anderem, in das es konvertiert ist, der irreale Parteiwille ist, der sich eben durchaus auch auf etwas strukturell nicht Gleichgeartetes richten könne. Dass ein solcher gerade bei einem Rechtsgeschäft schwer zu ermitteln ist, das als erbrechtliche Anordnung aufrecht erhalten werden soll, und nicht selten fiktiv bleibt, weil der Erblasser als authentischer Interpret nicht mehr zur Verfügung steht, mag der Rechtssicherheit nicht förderlich sein. Das ist aber noch kein schlagendes Argument gegen die Umdeutung insbesondere eines erbrechtlichen in ein lebzeitiges Rechtsgeschäft.347 Es beschreibt vielmehr ein Problem, dem sich die Auslegung von erbrechtlichen Willenserklärungen typischerweise zu stellen hat. Dennoch wird der neuralgische Punkt einer jeden Konversion, die Bedeutung, die man dem irrealen oder hypothetischen Willen zur Errichtung jenes anderen (Ziel-)Geschäfts beizumessen bereit ist, gerade bei der Umdeutung einer erbrechtlichen in eine lebzeitige Willenserklärung und umgekehrt in besonderer Weise virulent. Die Frage nämlich, „welche Rolle dem Parteiwillen für 342

Larenz/Wolf, § 44 Rn. 86 f., sprechen von dem Verbot der „Verschärfung der Rechtsfolge“. S. auch J. Hager, S. 157, m.w.Nw. in Fn. 18. 343 Das beobachtet auch H. Heiss, S. 210: „Nicht immer lässt sich scharf zwischen ,Plus‘ und ,Minus‘ an rechtsgeschäftlichen Folgen bzw. Rechtszwang unterscheiden.“ 344 MünchKomm/Leipold, § 2084 Rn. 81 (Hervorhebung nicht im Original). Ähnlich Lange/Kuchinke, § 34 V 1 d, S. 797: „Das nichtige lebzeitige Rechtsgeschäft muss Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Verfügung von Todes wegen in sich schließen.“ 345 Oben § 3 B. III., S. 93, C. II., S. 110, § 5. B. II., S. 148, § 6 C. III. 2., S. 203; ähnlich für das Verhältnis der lebzeitigen Verfügungsfreiheit zur Testierfreiheit oben § 6 B. I., S. 161. 346 Reinicke, S. 98: „In dem Schenkungsversprechen steckt kein Testament, in der Übereignung auf Grund vorweggenommener Erbfolge kein Erbvertrag. Die Verfügung von Todes wegen ist kein Bestandteil des nichtigen Geschäfts unter Lebenden. Sie ist nicht ein minus, sondern ein ungleichartiges aliud. Gleichwohl ist eine Umdeutung möglich.“ 347 So aber Tiedtke, NJW 1978, 2572, 2574.

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die Entscheidung zukommt“,348 ist hier negativ zu beantworten. Das hängt, wie bereits ausgeführt wurde, mit dem Umstand zusammen, dass die Einordnung eines Geschäfts als „erbrechtlich“ oder „lebzeitig“ zwar auf der Grundlage des von den Parteien Gewollten erfolgt, aber deren privatautonome, Gestaltungsspielraum entzogen ist. 349 Die Beteiligten können ihrem Rechtsgeschäft nicht eine verbindliche rechtliche Qualifikation mit auf den Weg geben.350 Ob ein lebzeitiger oder erbrechtlicher Bindungswille vorgelegen hat oder nicht, ist hiernach nicht maßgeblich.351 Die überwiegende konversionsbefürwortende Auffassung überspielt das, in dem sie das Bindungskriterium als das entscheidende Merkmal für die Abgrenzung von lebzeitigen und erbrechtlichen Rechtsgeschäften zu einem bloßen „Unterschied der Rechtsfolgen im Detail [degradiert], wie er bei der Umdeutung nahezu immer in der einen oder anderen Form entsteht.“352 Wenn es zusätzlich heißt, ein hypothetischer Parteiwille zur Konversion vertragsmäßiger Anordnungen von Todes wegen in ein Rechtsgeschäft unter Lebenden sei eher anzunehmen als bei testamentarischen Verfügungen, „weil jene ohnehin binden würden“,353 wird der qualitative Unterschied zwischen lebzeitiger und erbrechtlicher Bindungswirkung, der sofortige Geltungsanspruch, welcher Rechtsgeschäften von Todes wegen abgeht,354 verkannt. Bisweilen wird der „Ersatzwille“ aber auch noch zusätzlich marginalisiert, zum einen, indem unterstellt wird, den Parteien sei es ohnehin nur um das Erreichen eines bestimmten wirtschaftlichen Erfolgs zu tun, nicht um den konkreten rechtlichen Weg, den sie dazu beschreiten, 355 oder aber mit dem Bemerken, es spiele keine Rolle, ob er zum Ausdruck gelangt sei oder nicht. 356 Hier geht die ohnehin nicht un348

Battes, AcP 178 (1978), 335, 354. Kipp/Coing, § 21 V b, S. 146, setzen der Gestaltungsfreiheit der Parteien hier anschaulich die „Qualifikationsfreiheit“ des Richters entgegen. Oben III. 2. c. cc., S. 322 Fn. 318. 350 Häsemeyer, Fs. 600-Jahr-Feier Universität Heidelberg, S. 163, 176; ähnlich Windel, S. 341 f., in Bezug auf § 2301 Abs. 1 BGB, der freilich aus dem Befund keine Folgerungen für die Umdeutung nach § 140 BGB zieht. S. auch Rauscher, II/2, S. 273: „Auch der auf eine Rechtsfolge gerichtete Parteiwille macht die Rechtsfolge nicht zum objektiven Element des Tatbestands.“ 351 Anders Staudinger/Otte, § 2084 Rn. 6; ihm folgend MünchKomm/Leipold, § 2084 Rn. 78. Deutlich J. Hager, S. 156: „Auf keinen Fall aber könnte allein die dogmatische Einordnung über die Aufrechterhaltung oder Verwerfung des Testaments befinden.“ 352 MünchKomm/Leipold, § 2084 Rn. 78. 353 MünchKomm/Leipold, § 2084 Rn. 78. 354 Oben § 5 B. II., S. 147, § 12 A. II., S. 275, B. III. 1., S. 287 ff. 355 MünchKomm/Leipold, § 2084 Rn. 70, 72; widersprüchlich Stumpf, S. 87: Einerseits richte sich der Wille „in erster Linie auf die materiell-rechtlichen [sic!] und weniger auf den rechtlichen Weg, auf dem diese Folgen herbeigeführt werden sollen“ (Hervorhebung nicht im Original). Andererseits sei dem Erklärenden aber der „rechtliche Weg auch nicht völlig gleichgültig.“ 356 Harder, Zuwendungen, S. 102. Dass er ohnehin schwer festzustellen ist und nicht selten weniger ermittelt als unterstellt wird, wurde schon gesagt. 349

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problematische ratio der Umdeutung – das Herstellen eines bestimmten wirtschaftlichen Erfolgs eines Rechtsgeschäfts im Unterschied zu dessen (formal-) rechtlicher Gestalt357 – eine ungute Allianz mit dem Willenskriterium der Konversion nach § 140 BGB ein. Das eine wird zur Relativierung des anderen eingesetzt, indem aus dem Willen des rechtsgeschäftlich Handelnden kurzerhand der (wirtschaftliche) Zweck des Rechtsgeschäfts wird.358 Gerade die konversionsfreundliche Auffassung, die sich die größtmögliche Entfaltung der Privatautonomie des willensbegabten Individuums auf die Fahnen geschrieben hat, scheint sie hier sträflich zu vernachlässigen. Jedenfalls bleibt das subjektive Kriterium der Umdeutung, so wie es hier gehandhabt wird, seltsam blass. Marginalisierung und tatsächliche Nichtexistenz der voluntas irrealis mögen im Ergebnis zwar auf dasselbe hinauslaufen wie deren rechtliche Unbeachtlichkeit, dogmatisch sind sie jedoch voneinander zu trennen. Dass das subjektive Element bei einer Konversion eines bestimmten lebzeitigen in ein erbrechtliches Rechtsgeschäft keine Rolle spielt, ist – wie gesagt – auch die Position des Gesetzgebers in § 2301 BGB.359 Eine Umdeutung von erbrechtlichen in lebzeitige Willensäußerungen ist demnach zwar nicht generell ausgeschlossen – das wäre auch kaum zu begründen, weil sowohl erbrechtliche als auch lebzeitige Erklärungen Ausprägungen ein- und derselben Privatautonomie sind; 360 sie ist aber nur dann zulässig, wenn und soweit von einer Vergleichbarkeit im Objektiven, also von einer strukturellen Gleichgeartetheit oder wenigstens organisationsrechtlichen Kompatibilität von Rechtsgeschäften inter vivos mit solchen 357

Oben III. 2. c. cc., S. 322, m. Fn. 315. MünchKomm/Leipold, § 2084 Rn. 70. 359 Windel, S. 339 f., hebt – entgegen der überwiegenden Auffassung (Krampe, S. 187, 282; Palandt/Edenhofer, § 2084 Rn. 16; Staudinger/Otte, § 2084 Rn. 4, m.w.Nw.) – zu Recht hervor, dass auch das Gebot der benigna interpretatio (§ 2084 BGB) nur innerhalb des Gestaltungsspielraums der Parteien gilt. Des Weiteren Kipp/Coing, § 21 V b, S. 146; Reischl, S. 149; Rauscher, II/2, S. 272; Bork, JZ 1988, 1059, 1063; zur Entwicklungsgeschichte Wieling, Testamentsauslegung, S. 251. Außerdem ist der Anwendungsbereich der Vorschrift noch aus einem weiteren Grund nicht eröffnet: Sie steht im Abschnitt über die Allgemeinen Vorschriften eines Testaments und betrifft Auslegungsvarianten innerhalb einer letztwilligen Verfügung, nicht die „Um-Qualifikation“ eines erbrechtlichen Rechtsgeschäfts in ein anders geartetes lebzeitiges (wie hier Kipp/Coing, a.a.O.; von Lübtow I, § 6 A IV, S. 278). Denn nur für innerhalb des Erbrechts auftretende Alternativen der Auslegung treffen die besonderen Schwierigkeiten bei der Ermittlung des Erblasserwillens zu, die eine benigna interpretatio rechtfertigen. Der Erblasser steht als authentischer Interpret seiner Erklärung nicht mehr zur Verfügung, wohl aber unter Umständen der Vertragspartner eines Geschäfts inter vivos oder auch der eines Erbvertrags. Die Vorschrift ist folglich auf das Recht der letztwilligen Verfügungen zugeschnitten und restriktiv auszulegen (abweichend Staudinger/Otte, § 2084 Rn. 4; Krampe, S. 282: entsprechende Anwendung von § 2084 BGB). 360 Harder, Zuwendungen, S. 102. In diesem Sinne trifft es durchaus zu, dass § 2302 BGB ein allgemeines Umdeutungsverbot nicht zu entnehmen ist (Staudinger/Kanzleiter, § 2302 Rn. 12; s. aber auch ders., DNotZ 1973, 133, 140 f., m. Fn. 50, unter Hinweis darauf, dass dem historischen Gesetzgeber in Bezug auf gemeinschaftliche Testamente offenbar ein Umdeutungsverbot „vorgeschwebt“ hat.). 358

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von Todes wegen ausgegangen werden kann. 361 Ein irgendwie gearteter „Ersatz-“, „Eventual-“ oder „hypothetischer Wille“362 des Erblassers ist als subjektives Kriterium entgegen der überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur dabei nicht maßgebend. Die erheblichen Unterschiede in der Struktur erbrechtlicher und lebzeitiger Rechtsgeschäfte, die insbesondere in der verschieden angelegten Wirkweise letztwilliger Verfügungen und schuldrechtlicher Verpflichtungsverträge begründet liegen, sprechen nicht nur im Grundsatz gegen eine objektive Kompatibilität beider Typen privatautonomer Regelung, sie würden den auf die jeweils anders geartete rechtsgeschäftliche Betätigungsform gerichteten (Ersatz-)Willen auch dann nicht nahe legen,363 wenn man das Kriterium entgegen der hier vertretenen Auffassung für maßgeblich hält. Man könnte sogar umgekehrt formulieren, dass wer sich lebzeitig binden, gerade nicht erbrechtlich handeln will, eben weil es ihm darum zu tun ist, durch sein rechtsgeschäftliches Tun unmittelbar Rechte und Pflichten zu begründen. Dieser Fall unterscheidet sich nicht nur graduell, sondern qualitativ von demjenigen, in dem es nur um die Wahl eines rechtstechnischen Gestaltungsmittels geht, dessen genauer juristischer Bedeutungshorizont dem Nicht-Juristen in der Regel nicht bekannt ist. Zwar mag der Erklärende „Anfechtung“ und „Rücktritt“ nicht voneinander unterscheiden können, sondern sich generell von einem Rechtsgeschäft lösen wollen.364 Ob ein Testament errichtet, von dessen Existenz die Bedachten oft erst nach dem Tod erfahren, oder eine sofort bindende vertragliche Verpflichtung unter Lebenden eingegangen wird, ist dagegen nicht in erster Linie eine Frage der korrekten formal-juristischen „Etikettierung“ eines bestimmten Lebenssachverhalts. Sie ist vielmehr in der Regel eine bewusst getroffene materielle Grundentscheidung für einen bestimmten rechtsgeschäftlichen Gestaltungsmodus. Das schließt nicht aus, dass es Berührungspunkte zwischen beiden Typen privatautonomen Handelns gibt, in denen die Zuordnung zur ein oder anderen Ausprägung nur mit den Mitteln juristischer Distinktion zu treffen ist, wie etwa im Fall des § 2301 Abs. 1 BGB. Doch ist das die Ausnahme, nicht die Regel. Gleiches muss daher auch für die Konversion eines erbrechtlichen in ein lebzeitiges Rechtsgeschäft und umgekehrt gelten.365 Die abweichende überwiegende Auffassung unterschätzt das privatautonom handelnde Individuum, dessen Willen sie doch gerade für maßgeblich hält und dem zum Durchbruch verholfen werden soll, wenn sie ihm bezüglich 361 Neben der Fallgestaltung des § 2301 Abs. 1 BGB ist eine Umdeutung auch bei Sachverhalten mit „Auslandsberührung“ (Henrich, Fs. Firsching, S. 111 ff.), insbesondere mit Rechtsordnungen, denen so genannte Testierverträge nicht fremd sind, denkbar: Hepp, S. 136 f. 362 J. Hager, S. 155, spricht sogar nur von „Motiven“. 363 Das hält Jud, NZ 2001, 10, 19, immerhin für möglich. 364 Das Beispiel gibt Flume, in: 100 Jahre DJT, S. 135, 161. 365 Ähnlich Tiedtke, FamRZ 1981, 1, 5.

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der Lebzeitigkeit oder Letztwilligkeit seiner rechtsgeschäftlichen Äußerung für den Regelfall Nichtwissen oder jedenfalls Indifferenz unterstellt. 366 Für § 139 BGB, den Flume zu § 140 BGB explizit in Beziehung setzt, 367 hat Häsemeyer aufgezeigt, dass die rechtsgeschäftliche Betätigung auf dem Gebiet des Erbrechts sich von der lebzeitigen strukturell unterscheidet. Die Vorschrift ist auf erbrechtliche Geschäfte nicht anwendbar;368 vor allem deshalb nicht, weil sich der Erblasser eines Erbvertrags insbesondere durch die Zulassung der Anfechtung wegen Motivirrtums leichter aus der erbrechtlichen Bindung lösen kann als die Partner eines lebzeitigen Vertrags. 369 Das hat freilich weniger mit einer per se überlegenen Willensherrschaft des Erblassers und einer Marginalisierung der erbrechtlich bedachten Personen zu tun,370 als damit, dass erbrechtliche Bindung nicht unmittelbar geltungskodiert ist. Dagegen verdeckt im Rahmen des § 140 BGB der Rekurs auf die angebliche Einheit wirtschaftlicher Folgen und Ziele, die als ratio der Konversion angegeben werden,371 die rechtlichen Unterschiede immer noch mehr, als dass er sie hervortreten lässt. 372

2. §§ 2302, 2301 BGB als gegenläufige Konzepte Es dürfte im bisherigen Verlauf der Untersuchung bereits deutlich geworden sein, dass erbrechtliche Anordnungen und lebzeitige Vereinbarungen zwar bestimmte übergreifende rechtsgeschäftliche Strukturprinzipien miteinander teilen, die es durchaus erlauben, Vergleiche anzustellen. Sie werden bisweilen dadurch erschwert, dass das Verständnis der Privatautonomie im Allgemeinen 366 Soergel/Loritz, § 2084 Rn. 76: „Eine Umdeutung in eine letztwillige Verfügung setzt aber voraus, dass ihm [dem Erblasser] der rechtliche Weg der Zuwendung gleichgültig war, was häufig, aber nicht immer der Fall sein wird“ (Hervorhebung nicht im Original). 367 BGB AT II, § 32, 9 c, S. 594 f. Entgegen Reischl, S. 148 f., will Flume § 140 BGB jedoch nicht als „besonderen Fall des § 139 BGB“ verstanden wissen, sondern rückt die beiden Vorschriften lediglich hinsichtlich der Gleichartigkeit der „Verknüpfung durch Wertung“ in einen inhaltlichen Zusammenhang, der entwicklungsgeschichtlich durch die Unterscheidung in „quantitative“ (§ 139 BGB) und „qualitative Teilnichtigkeit“ (§ 140 BGB) gekennzeichnet war (ihm folgend J. Hager, S. 157, m. Fn. 20; kritisch dagegen Krampe, S. 6 f., 107, 222, 283, m.w.Nw. aus der älteren Literatur). 368 Das ist ein weiteres Beispiel dafür, dass der Allgemeine Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs in erster Linie für lebzeitige Rechtsgeschäfte konzipiert ist, oben III. 2. c. aa., S. 310, Fn. 245 a.E., des Weiteren § 4 B., S. 125, § 5 B. II., S. 147. 369 Häsemeyer, FamRZ 1967, 30, 31; ders., Abhängigkeit, S. 142 ff. Für den letztwillig Verfügenden gilt das ohnehin. Anders W. Lüke, S. 19 ff., der allein aus der Stellung der Vorschrift im Allgemeinen Teil auf deren Anwendbarkeit im Erbrecht schließen will, soeben Fn. 368. 370 Oben § 5 B. II., S. 144 371 Jud, NZ 2001, 10, 19; Reischl, S. 149, jew. m.w.Nw. 372 Dass eine bloß wirtschaftliche Verknüpfung verschiedener Rechtsgeschäfte zur Bejahung einer rechtlichen Einheit für sich nicht ausreicht (s. auch oben III. 2. c. cc., S. 322, m. Fn. 315), wird auch an anderer Stelle betont, etwa von B. Mertens, JZ 2004, 431, 431, für die Frage der Erstreckung der Formpflicht von formbedürftigen auf an sich nicht formgebundene Rechtsgeschäfte, die einen entsprechenden Verknüpfungswillen voraussetzt.

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durch besondere lebzeitige Vorstellungen so sehr vorgeprägt ist, dass man geneigt ist, der Testierfreiheit ihren privatautonomen Charakter schlechthin abzusprechen.373 Das konnte gerade für das Prinzip der Gestaltungsfreiheit, also der Befugnis, die eigenen Rechtsverhältnisse zur Geltung zu bringen, gezeigt werden.374 Auf der konstruktiven Ebene sind Verfügungen von Todes wegen und Verträge inter vivos jedoch unterschiedlich organisiert, zumal wenn man die jeweiligen rechtsgeschäftlichen Leitbilder der Testier- und Vertragsfreiheit – das Testament und den synallagmatischen Austauschvertrag – betrachtet. Während die Testierfreiheit linear oder diachron strukturiert ist375 und die vermeintlich überlegene Rechtsmacht des Erblassers erst im Zeitablauf neutralisiert wird,376 verweist die simultane oder synchrone Anlage der Privatautonomie unter Lebenden auf eine Freiheit in Gleichzeitigkeit. 377 Über das Institut der Bindung erlaubt sie es, unmittelbar Rechte und Pflichten zwischen den Beteiligten zu begründen, also Rechtsverhältnisse mit direktem Geltungsanspruch zu gestalten. Rechtsgeschäften von Todes wegen geht diese unmittelbar geltungsbezogene Verbindlichkeit ab, die erbrechtliche Anordnung weist in der Regel nicht den für lebzeitige Willenserklärungen charakteristischen Kundgabecharakter auf.378 Sie ist selbst dort, wo erbrechtliche Bindungswirkung auftritt, im Recht des Erbvertrags und des gemeinschaftlichen Testaments, nicht auf sofortige Gestaltung der Rechtsverhältnisse angelegt. Allerdings perpetuieren sie die in Aussicht genommene (Erb-)Rechtslage umfassender als dies lebzeitige Bindung für schuldrechtliche Rechtsgeschäfte vermag: Soweit die erbrechtliche Regelung reicht, ist kein Platz für eine abweichende Anordnung von Todes wegen.379 Das Recht akzeptiert die differenzierten Regelungsanliegen erbrechtlich und lebzeitig Handelnder durchaus. Es besteht nämlich objektiv auf der unterschiedlichen Anlage erbrechtlicher und lebzeitiger Geschäfte und geht sogar einen Schritt weiter: Beide Ausprägungen privatautonomer Betätigung werden nicht nur verschieden konstruiert, sondern das Gesetz zieht auch explizit Grenzen zwischen ihnen und sanktioniert unzulässige Grenzübertretungen. Die §§ 2286, 2302 BGB sind Ausdruck einer grundsätzlichen rechtlichen Trennung von erbrechtlichen und lebzeitigen – schuld- wie sachenrechtlichen – Rechtsgeschäften und damit ein wichtiger Garant der Eigenständigkeit erbrechtlicher Gestaltungsbefugnis gegenüber lebzeitigen Vereinnahmungen. § 2302 BGB und § 2286 BGB 373 374 375

Oben § 3 A. I. I., S. 60 f., B. IV. 2., S. 100 f. Oben § 5 B. II., S. 147, § 12 A. II., S. 277. Oben § 6 C. II. 4. d. aa., S. 195, § 7 B. I., S. 210, II. 2. b., S. 215, § 12 B. III. 1. b. bb.,

S. 296. 376 377 378 379

Oben § 6 C. II. 4 d. bb., S. 198; und passim. Oben § 6 C. II. 4. d. aa., S. 195f.; und passim. Oben A. I., S. 271, m. Fn. 2, B. I., S. 281 f. Oben III. 1. a., S. 288.

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lassen sich nur in Beziehung auf und in Abgrenzung vom Grundsatz der Gestaltungsfreiheit unter Lebenden verstehen. Pointiert könnte man sagen, die Vorschriften schützen die Testier- jeweils vor der Vertrags- und der lebzeitigen Verfügungsfreiheit. Was das Gesetz in den §§ 2302, 2286 BGB als Prinzip statuiert, ist nicht weniger als die grundsätzliche Anerkennung der strukturellen Andersartigkeit und Eigenständigkeit erbrechtlicher und lebzeitiger Privatautonomie, die durch Konversion nur ausnahmsweise, nämlich bei Vorliegen der Voraussetzungen des restriktiv auszulegenden § 2301 BGB überbrückt werden kann. 380 Die beiden Vorschriften bilden die Pole eines größeren Zusammenhangs und stehen letztlich für ein unterschiedliches systematisches Verständnis des gewillkürten Erbrechts. Während § 2301 BGB und seine erweiternde Auslegung paradigmatisch für ein weniger an der Eigenständigkeit der Testierfreiheit orientiertes Konzept steht, sondern eher für ein auf die Integration in das übergeordnete Prinzip der Privatautonomie bezogenes, ist § 2302 BGB – mehr noch als § 2286 BGB, der keinen Verbotsnormcharakter hat – seiner Zielrichtung nach Ausdruck und Zeichen der Eigenständigkeit der erbrechtlichen Gestaltungsbefugnis gegenüber der lebzeitigen. Man könnte auch sagen, dass das Spannungsverhältnis, in dem Testier- und Vertragsfreiheit wechselseitig und jede für sich in Bezug auf die übergeordnete Kategorie der Privatautonomie stehen, im Gesetz selbst angelegt ist. Es tritt naturgemäß dort am deutlichsten hervor, wo die beiden Freiheitsräume aneinander grenzen und rechtlich voneinander geschieden werden müssen. Dass das Bürgerliche Gesetzbuch mit § 2302 BGB diese Grenzmarke gerade dort setzt, wo es vom gewillkürten Erbrecht handelt und die konversive Kompatibilität lebzeitiger und erbrechtlicher Rechtsgeschäfte in § 2301 BGB gleichzeitig auf einen engen Ausschnitt des privatautonomen Gestaltungsspektrums beschränkt,381 könnte sogar als ein Fingerzeig darauf verstanden werden, dass die besondere Gefährdung der erbrechtlichen Testier- durch die lebzeitige Ver-

380 Im Ansatz ähnlich Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 311 f.: „Möglichkeit […] unter gewissen Voraussetzungen nichtige Verpflichtungsgeschäfte in wirksame Verfügungen von Todes wegen umzudeuten. Mit Blick hierauf ist § 2302 BGB eher darauf gerichtet, die für das gemeinschaftliche Testament und für den Erbvertrag geltenden Form-, Anfechtungs- und Rücktrittsvorschriften wie auch die Anforderungen an Klarheit und Bestimmtheit der Willenäußerung zu sichern.“ 381 Deutlich Soergel/M. Wolf, § 2301 Rn. 2: „Liegt keine Schenkung vor, so ist § 2301 nicht anzuwenden.“ Dafür, § 2302 BGB und nicht § 2301 BGB als Leitprinzip des gewillkürten Erbrechts anzusehen, spricht insbesondere dessen „gesetzgeberische (Fehl-)Konstruktion“ (Windel, S. 336), die bereits Harder, Zuwendungen, S. 117 ff., aufgedeckt hat. Besonders deutlich resümiert er, a.a.O., S. 47: „§ 2301 BGB bildet daher eine singuläre Rechtserscheinung, ist also keineswegs ,der‘ Schlüssel für unser heutiges deutsches bürgerliches Recht.“ Abweichend die bei Reischl, S. 1 Fn. 1, Genannten.

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tragsfreiheit dem Gesetzgeber nicht verborgen geblieben ist.382 So gesehen ist der Schutz der erbrechtlichen Gestaltungsbefugnis vor der lebzeitigen im Gegenteil ein legitimes Regelungsanliegen und die Entwicklung geeigneter Strategien zur Vermeidung von unzulässigen Vereinnahmungen ein gesetzlicher Auftrag insbesondere an Wissenschaft und Rechtsprechung, die sich mit dem gewillkürten Erbrecht befassen. Dass sich die Verknüpfung lebzeitiger und erbrechtlicher Rechtsgeschäfte im Wege der Konversion auf den in § 2301 BGB genannten Fall reduziert, lässt sich vor diesem Hintergrund zwar durchaus als Einschränkung des übergeordneten Prinzips „Privatautonomie“ deuten, stärkt aber, in dem sie originär erbrechtliche und lebzeitige Gestaltungsräume definiert und im Grundsatz voneinander separiert, gerade die Unabhängigkeit der Testier- von der Vertragsfreiheit. Insbesondere in Bezug auf § 2302 BGB bleibt dieser Schutzzweck im Dunkeln oder führt jedenfalls zu inhaltlichen Verkürzungen, wenn er – wie Battes das erwägt383 und andere das tun384 – lediglich pauschal und oft mit dem Hinweis auf Art. 14 Abs. 1 GG versehen385 mit dem Schutz der Testierfreiheit oder gar der Umgehung erbrechtlicher Vorschriften386 angegeben wird. Indem ausgespart bleibt, wovor die Gestaltungsbefugnis von Todes wegen genau in Schutz genommen werden soll, nämlich vor der „Verlebzeitigung“ erbrechtlicher Gestaltungsbefugnis durch die Begründung unmittelbar geltungsbezogener Bindungswirkung,387 geraten Schutzobjekt und Schutzmechanismus der Vorschrift aus dem Blick. Es geht nicht um die Vermeidung einer „Selbstvernichtung der Testierfreiheit“ durch die Eingehung von Bindungsfesseln schlechthin,388 also um die Unterbindung jeglichen privatautonomen Verzichts auf diese Freiheit389 – eine solche Anschauung fällt hinter den gesicherten Forschungsstand bei der Vertragsfreiheit unter Lebenden zurück. Hier gehört das vordergründige Paradoxon, dass die Freiheitsausübung, die zugleich ihre Beschränkung bedeutet, fast schon zu den Ladenhütern der 382 In diese Richtung auch Kricke, S. 120: § 2302 BGB garantiere, „dass die Materie des Erbrechts vor einer Aneignung durch das Schuldrecht geschützt wird“. 383 Battes, AcP 178 (1978), 337, 344 f. 384 Jauernig/Stürner, § 2302 Rn. 1; Nieder, Rn. 302, m.w.Nw. in Fn. 272. 385 Zur Problematik des Rekurses auf das Verfassungsrecht im Zivilrecht oben § 2, S. 25 ff., § 5 A. II., S. 128 ff. 386 Damrau/Krüger, § 2302 Rn. 1: „Da aber § 2302 BGB generell Verträge verbieten will, durch die sich der Erblasser unter Umgehung der Vorschriften zum Erbvertrag oder gemeinschaftlichen Testament erbrechtlich bindet […]“ (Hervorhebung nicht im Original). 387 Nur einen anderen Terminus verwendet Nieder, Rn. 302. Statt Bindungslosigkeit spricht er von der „Verplichtungsfeindlichkeit“ der Testierfreiheit. 388 Zutreffend ist daher der Hinweis Soergel/M. Wolfs, § 2302 Rn. 1, dass § 2302 BGB die Testierfreiheit des Erblassers nicht umfassend, sondern nur insofern schütze, als er Bindungen nur durch Erbvertrag oder gemeinschaftliches Testament, nicht aber durch schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäfte eingehen kann. 389 Zuletzt Krebber, AcP 204 (2004), 149, 166, m.w.Nw. in Fn. 71.

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Rechtsgeschäftslehre. In der Sache herrscht im Recht der Lebenden Einvernehmen darüber, dass die unmittelbare Begründung von Rechten und Pflichten, i. e. die Begründung lebzeitiger Bindung, im (Schuld-)Vertragsrecht gerade die Verwirklichung privatautonomer Selbstbestimmung bedeutet. Die mit ihr einhergehende Beschränkung der Freiheit verlangt grundsätzlich nicht nach dem „Schutz des Handelnden vor sich selbst“, 390 sondern inter vivos nach der Ausstattung des privatautonom Vereinbarten mit der Wirkungsmacht des Rechts, die zugleich gestaltet und auf der Verbindlichkeit des Gestalteten besteht. In ähnlichen Bahnen ist auch die Diskussion um die zweite Säule privatautonomer Betätigung unter Lebenden, die Beschränkung der lebzeitigen Verfügungsbefugnis gemäß § 137 Satz 1 BGB verlaufen.391 Auch im Erbvertragsrecht ist der formale Mechanismus der Selbstbeschränkung durch Freiheitsausübung anzutreffen. Die Ausübung privatautonomer Selbstbestimmung von Todes wegen, die hier gerade in der Begründung erbrechtlicher Bindung besteht, wird jedoch sachlich nicht adäquat erfasst, wenn sie lediglich als „Ausnahme von der sonst das Erbrecht beherrschenden Maxime der freien Willensentschließung – der Testierfreiheit“ verstanden wird392 – und nicht als bestimmungsgemäßer Ausdruck und Kennzeichen dieser Freiheit im Recht des Erbvertrags. Das Denken in „Regel (Testament)“ und „Ausnahme (Erbvertrag)“ beruht unter anderem393 auf dem Fehlschluss, § 2302 BGB verbiete unterschiedslos die Eingehung von Bindungen. Das fußt wiederum auf der fehlerhaften Annahme, das Gesetz kenne überhaupt nur eine Art von Bindung, nämlich die lebzeitige. 394 Aufgrund ihrer verschiedenen Rechtswirkung bedeutet Verbindlichkeit von Todes wegen jedoch qualitativ etwas anderes als inter vivos.395 § 2302 BGB erkennt also an, dass erbrechtliche und schuldrecht390

Zur entsprechenden Diskussion im Recht der Lebenden oben § 2 C. II., S. 52. Insbesondere Schlosser, NJW 1970, 681, 683 f., hatte die ratio des § 137 Satz 1 BGB mit der „Garantie der Uneinschränkbarkeit der Verfügungsmacht des Rechtsinhabers“ angegeben, welche die „Selbstentmündigung“ des Individuums verhindere. Dagegen zutreffend Timm, JZ 1989, 13, 16. 392 C. Nolting, S. 30 f. 393 Ein zweiter problematischer Punkt ist die Verabsolutierung des Testaments als dem rechtsgeschäftlichen Leitinstrument des gewillkürten Erbrechts (Erbvertrag als „Spezialfall“: Schmoeckel, AcP 197 [1997], 1, 64; oben § 5 A. III. 2. b. dd., S. 136 ff.), von der in diesem Punkt auch die Motive nicht frei sind (zitiert bei Mugdan, Bd. 5, S. 4: „Erbeinsetzungs- und Vermächtnisverträge als Ausnahmen“ von der Regel der letztwilligen Verfügung). S. auch Battes, AcP 178 (1978), 337, 344. 394 So setzt etwa C. Nolting, S. 30, lebzeitige und erbrechtliche Bindung unzulässig in Eins, wenn er in Bezug auf § 2302 BGB schreibt: „Im System der Verfügungen von Todes wegen hat der Erbvertrag insofern eine Sonderstellung inne, als er dem Erblasser gestattet, sich bereits zu Lebzeiten auf den Todesfall bindend festzulegen.“ Die Vorstellung einer „zu Lebzeiten bindenden Festlegung“ ist hier von der lebzeitigen Bindung nicht zu trennen, die Wendung „auf den Todesfall“ lässt zudem die Assoziation von Rechtsgeschäften unter Lebenden auf den Todesfall aufkommen. 395 Nicht etwa ist die erbrechtliche Bindungswirkung nur graduell schwächer als die leb391

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Dritter Teil

liche Bindung etwas Verschiedenes bedeuten. Die Vorschrift trägt dieser Differenzierung dadurch Rechnung, dass sie im Hinblick auf eine Verfügung von Todes wegen ausschließlich deren Verbindlichmachung unter Lebenden verbietet. Erbrechtliche Verbindlichkeit denkt sie dabei nicht nur mit, sondern festigt zugleich die exklusive Position des Erbvertrags zur Begründung erbrechtlicher Bindung.396 Auch sie ist daher integrierender Bestandteil des Regelungsbereichs. Das in § 2302 BGB enthaltene Konzept der rechtlich geschützten Differenz von erbrechtlicher und lebzeitiger Gestaltungsbefugnis in der größeren Einheit der privatautonomen Selbstbestimmung hat nicht nur Bedeutung für die Umdeutbarkeit von Rechtsgeschäften von Todes wegen und inter vivos; es entscheidet überall dort, wo sich erbrechtliche Verfügungen und Rechtsgeschäfte unter Lebenden berühren, im Grundsatz zugunsten der strukturellen Unabhängigkeit der beiden Ausprägungen privatautonomer Betätigung. Das erklärt zum Beispiel, weshalb Verfügungen von Todes wegen, wenn sie mit lebzeitigen Vereinbarungen verknüpft werden, ihren erbrechtlichen Charakter nicht einbüßen.397 Daraus ergibt sich aber auch, dass so genannte materielle Verfügungen von Todes wegen in einem zweigleisigen System der Nachlassplanung, das Rechtsgeschäfte der so genannten vorweggenommenen Erbfolge von den erbrechtlichen trennt und dadurch Typenvielfalt erst garantiert, nicht integrierbare Zwitterwesen sind. Wenn von „lebzeitigen Wirkungen der [durch Verfügungsunterlassungsabrede] gesicherten Verfügung von Todes wegen“398 die Rede ist, oder umgekehrt davon, dass eine „aufgehobene Verfügung von Todes wegen [im Recht der Lebenden] über die Verpflichtung nicht zu verfügen faktisch fortwirkt“,399 dann herrscht nicht nur Unklarheit darüber, wie ein außer Kraft gesetztes Rechtsgeschäft überhaupt noch in irgendeiner Weise soll rechtlich weiterwirken können. Vor allem bleibt unerfindlich, wie ein erbrechtliches Geschäft unter Lebenden oder ein lebzeitiger Vertrag von Todes wegen Geltung beanspruchen kann. Dafür ist weder das eine noch das andere gemacht. Vielmehr verschwimmen in der so genannten materiellen Verfügung von Todes wegen die konstruktiven Trennungslinien zwischen dem gewillkürten Erbrecht und dem Vertragsrecht der Lebenden, namentlich die Unvereinbarkeit des mit dem Institut der austauschzeitige. So für den Erbvertrag von Dickhut-Harrach, Fs. Otte, S. 55, S. 90, m.w.Nw. in Fn. 269. 396 Ähnlich van Veenroy, JZ 1985, 609, 611, der freilich an dieser Stelle formuliert, der Erbvertrag biete dem Erblasser die „Möglichkeit, den Erbgang schon zu Lebzeiten […] vertraglich zu regeln.“ Das zeugt von unmittelbar geltungsbezogenem, also lebzeitigem Rechtsdenken. Erbrechtlichem Denken entspricht es eher, von der lebzeitigen Perpetuierung einer bestimmten Erbfolgeregelung zu sprechen, die mit dem Tod des Erblassers wirksam wird. 397 Krebber, DNotZ 2003, 21, 30; grundlegend Häsemeyer, Abhängigkeit, S. 35 ff. 398 Krebber, AcP 204 (2004), 149, 161. 399 Krebber, AcP 204 (2004), 149, 167.

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vertraglichen Bindung verknüpften unmittelbaren Geltungsanspruchs lebzeitiger Vereinbarungen mit erbrechtlichen Strukturprinzipien. Dieser Befund bedeutet nicht – das sei noch einmal betont –, dass argumentative Verbindungen zwischen Testier- und Vertragsfreiheit unterbleiben müssten, sich beide also so kategorial voneinander unterscheiden, dass man sie nicht anders als trennen kann.400 Wohl aber ist damit ausgesagt, dass Vergleichsbetrachtungen im Einzelnen zu begründen sind und Parallelisierungen, die die wesentlichen Unterschiede in der konstruktiven Anlage von Rechtsgeschäften inter vivos und von Todes wegen überspielen, zu unterbleiben haben. In diesem Sinne erlegt die strukturelle Verschiedenheit der beiden Formen privatautonomer Betätigung dem auf die juristischen Gemeinsamkeiten ausgehenden Betrachter in erster Linie eine Begründungslast auf. Im Ergebnis wird mit dem hier vorgeschlagenen Weg ein nicht unwesentlicher Beitrag zur Emanzipation des gewillkürten Erbrechts vom übermächtigen Vertragsrecht unter Lebenden geleistet. Was auf den ersten Blick – gerade in Bezug auf die Verkehrung des Regel-Ausnahmeverhältnisses bei der strukturell übergreifenden Konversion401 – wie eine Einschränkung der Privatautonomie wirken mag, fügt sich so betrachtet in ein zweistufiges Konzept ein, dessen übergreifendes Anliegen man mit der Konsolidierung spezifisch erbrechtlichen Denkens in der bürgerlichen Rechtsordnung angeben könnte. Die Entwicklung einer weniger lebzeitig vorgeprägten Rechtsgeschäftslehre setzt die Konturierung eines rechtsgeschäftlichen Freiheitsraums erbrechtlicher Prägung voraus, der Funktionsmechanismen des Rechts der Lebenden als solche kennzeichnet, im Grundsatz aus dem gewillkürten Erbrecht ausschließt und die Grenzen zwischen beiden Materien deutlich zieht. Es gibt hier weder ein Prärogativ der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen gegenüber der Vertrags-,402 noch eines der Privatautonomie inter vivos im Verhältnis zur Testierfreiheit. Die Zweistufigkeit des eben beschriebenen Modells markiert dabei zugleich einen theoretischen Fixpunkt und einen dialektischen Prozess. Denn die beiden Ebenen durchdringen sich argumentativ und treten miteinander in Wechselbeziehung. Gerade in der Abgrenzung zur Vertragsfreiheit werden die Charakteristika der Testierfreiheit gefunden und umgekehrt der rechtsgeschäftliche Freiheitsraum abgesteckt, der Regelungsgegenstand des Rechts der Verfügungen von Todes wegen ist. Man könnte insofern von einer Binnenstabilisation eines einzelnen Rechtsgebiets, des Erbrechts, durch Ausschluss eines anderen, des 400

So aber Goebel, Persönlichkeitsrecht, S. 362. Oben § 3 C. II.1., S. 106 ff. Oben 1., S. 325 ff. 402 Anders Leipold, JZ 1987, 362, 363: „Die Nachfolge in das Vermögen des Erblassers soll sich grundsätzlich in den Bahnen des Erbrechts vollziehen.“ Dieses exklusive Verständnis der Testierfreiheit erklärt sich aus Leipolds Grundanliegen, die „Flucht aus dem Erbrecht“ in das Recht der Lebenden zu verhindern. Zur rechtspolitischen Problematik dieses Ansatzes oben III. 2. b. S. 309, Einleitung, S. 5, m.w.Nw. in Fn. 33. 401

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Rechts der Lebenden, sprechen – ein Mechanismus, der für das Recht schlechthin hin charakteristisch ist, weil er nicht nur innerhalb des Rechtssystems beobachtet werden kann, sondern auch an dessen Rändern auftaucht, nämlich in dem das Recht bestimmt, was nicht Recht ist.

V. Entkopplung der Seins- von der Wirkebene privatautonomer Rechtsgestaltung im Erbrecht 1. Problematische Anleihen beim lebzeitigen Leitbild: Testieren als Vorbereitungs- oder Dauerhandlung Bisweilen unterlaufen bei diesem Prozess Fehler. Ein illustratives Beispiel dafür ist die Ausgrenzung des gewillkürten Erbrechts aus dem Recht bei der Frage der Gestaltungsfreiheit durch Entfaltung von Wirkmacht. Hier spricht das lebzeitige Vorverständnis von rechtlicher Geltung als unmittelbar rechts- und pflichtenbegründende Verbindlichkeit der Testierfreiheit in jedem Fall den Charakter der rechtsgeschäftlichen Gestaltungsbefugnis und damit das essentiale jeder privatautonomen Betätigung ab.403 Darüber hinaus macht es den Anschein, als sei sie aus dem Bereich rechtlicher Regelung überhaupt ausgeschlossen; das Recht mit dem unmittelbaren Geltungsanspruch, dem eigentlichen Träger des gestalterischen Potenzials, ist hiernach das Recht der Lebenden. Das rechtsgeschäftliche Produkt der erbrechtlichen Privatautonomie, die Verfügung von Todes wegen, wird bis zum Eintritt des Erbfalls nicht selten im vorrechtlichen Bereich angesiedelt. Was nicht (sofort) gilt, ist hiernach noch kein Recht.404 Das klingt in der Äußerung Krebbers an, es sei das „Kennzeichen von erbrechtlichen Verfügungen, dass [sie] zu Lebzeiten nur geplant werden könnten, rechtliche Wirkungen aber erst nach dem Erbfall entfalteten“.405 Und Bartholomeyczik spricht – gefolgt von Goebel 406 – im Hinblick auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Sittenwidrigkeitsprüfung gar davon, dass die Errichtung der letztwilligen Verfügung die rechtsgeschäftliche Handlung einleite, und sich erst vollende, wenn ihre Rechtswirkung mit den Erbfall eintrete.407

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Oben A. I., S. 271. Oben § 5 B. II., S. 146 f. 405 Krebber, AcP 204 (2004), 149, 161 (Hervorhebung nicht im Original). 406 Ehegattenschutz, S. 380: „Rechtstechnisch kann diese Wertung [dass nämlich für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit auf den Zeitpunkt des Erbfalls abzustellen ist] in der Weise ins Werk gesetzt werden, dass mit Bartholomeyczik das Tatbestandsmerkmal ,Rechtsgeschäft‘ im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB erst mit dem Tode des Erblassers voll als erfüllt angesehen wird.“ 407 Fs. OLG Zweibrücken, S. 25, 64 f. S. auch oben § 5 B. II., S. 146, m. Fn. 146. Ablehnend MünchKomm/Mayer-Maly, § 138 Rn. 114. 404

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Beide Anschauungsvarianten stehen gedanklich in einer prominenten, wenn auch in diesem Punkt nicht fruchtbaren Tradition. So ist bei von Savigny Folgendes zu lesen: „Daher ist jeder Testator anzusehen als handelnd in zwei verschiedenen Zeitpunkten: Indem er das Testament errichtet, und in dem Augenblick des Todes, worin er das früher errichtete Testament unverändert hinterlässt. Das Erste kann man die faktische Thätigkeit, das Zweite die juristische Thätigkeit des Testators nennen. Nur das Product der zweiten Thätigkeit kann und soll wirken, dass der ersten bleibt in der ganzen Zwischenzeit meist unbekannt, immer unwirksam und immer der unbeschränkten Willkür des Testators unterworfen.“408

Nicht stimmig ist zunächst der Hinweis auf die unbeschränkte Willkür des Testators trotz Unwirksamkeit seiner Erklärung. Es wurde bereits gesagt, dass die Nicht-Geltung des Verfügten den Erblasser zu Lebzeiten – im Vergleich zum lebzeitigen Ideal der sofortigen Gestaltungskraft einer rechtsgeschäftlichen Übereinkunft – eher als ohn-, denn als wirkmächtigen Gestalter erscheinen lässt. Jedenfalls ist die Idee von der unbeschränkten Herrschaft des von Todes wegen Verfügenden durch sie nicht unerheblich diskreditiert.409 Außerdem ist die Vorstellung eines „Handelns“ des letztwillig Verfügenden, das bereits seit der Errichtung andauert und sich sogar bis in den „Augenblick des Todes“ hinein fortsetzt, mehr als befremdlich. Das darf aber nicht darüber hinweg täuschen, dass der juristische Kunstgriff, den Abschluss des Errichtungstatbestands durch die Fiktion einer fortdauernden Handlung auf den Zeitpunkt des Erbfalls zu „strecken“, präzise das leistet, was er soll: nämlich den Synchronismus von Zustandekommen und Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts und damit die sofortige Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts unter Lebenden für den Bereich erbrechtlicher Verfügungen zu simulieren.410 Weniger deutlich, aber dennoch nachweisbar ist der Einfluss lebzeitigen Rechtsdenkens in der zweiten Variante, für die das erwähnte „Planungsmodell“ steht. Es nimmt die Errichtung einer Verfügung von Todes wegen und ihre Existenz bis zum Tode des Erblassers zwar als Akt in dem Augenblick zur Kenntnis, in dem er abgeschlossen ist, nämlich zu Lebzeiten des Erblassers, begreift ihn aber als vorbereitende oder Maßnahme im Planungsstadium, die selbst noch keinerlei Rechtswirkung hat. Während die Vorstellung vom „gestreckten“ Verfügungsakt sich das grundsätzliche Zusammenfallen von Zu408 Von Savigny, System Bd. 8, § 393, S. 447 f. S. auch Schmoeckel, AcP 197 (1997), 1, 70: „Der Moment des Testierens erscheint als bloß vorbereitende Handlung, wohingegen der Tod die rechtlich verbindliche Aussage enthält“ (Hervorhebung nicht im Original). Mit dem Rekurs auf den Terminus „Verbindlichkeit“ wird wieder auf den lebzeitigen Zusammenhang von Bindung und Geltung angespielt. 409 Oben § 5 B. II., S. 146, § 6 C. II. 4. c., S. 195. 410 Zu ähnlichen rechtshistorischen Ansätzen zur Konstruktion des erbrechtlichen Rechtsgeschäfts in Anlehnung an den Vertrag unter Lebenden oben § 3 B. I. 2., S. 74 ff.

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standekommen und Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts im Recht der Lebenden in positiver Hinsicht zum Vorbild nimmt, nämlich indem sie es konstruktiv imitiert, wirkt sich das lebzeitige Leitbild von der unmittelbaren Wirkmacht des Rechts bei der zweiten Spielart negativ aus. Es wird akzeptiert, dass Errichtung und Geltung im gewillkürten Erbrecht zeitlich nicht gemeinsam gedacht werden können. Gleichzeitig wird aber die Geltung in konstitutiver Hinsicht als Chiffre für das Recht schlechthin angesehen. Die Folge ist, dass die Verfügung von Todes wegen als Rechtsgeschäft vor dem Eintritt des Erbfalls aus dem juristischen Raum ausgegrenzt wird. Es ist der große Widerspruch dieser Lehre, dass sie die einzelnen rechtlichen Wirkungen nicht erfassen kann, die die beiden rechtsgeschäftlichen Typen des Erbrechts in bestimmten Beziehungen schon im Vorfeld ihrer Wirksamkeit haben. Aufgrund der geschilderten lebzeitigen Vorprägung wäre sie an sich gezwungen, sie als juristisches nullum zu bewerten. Jedenfalls in Bezug auf den Erbvertrag wird das jedoch nicht getan. Um die (erb-)rechtliche Bindungswirkung eines Erbvertrags, die unbestritternermaßen schon zu Lebzeiten des Erblassers eintritt,411 mit den Mitteln des Rechts erfassen zu können, wird er bereits mit Vertragsschluss als rechtsgeschäftlich vollständig angelegt betrachtet. Konstruktiv lässt sich das nur dadurch erreichen, dass das konstituierende Element eines Rechtsgeschäfts abhängig vom Verfügungstyp variiert wird. Beim Erbvertrag genügt insofern bereits der Eintritt der Bindungswirkung, bei der letztwilligen Verfügung macht dagegen erst der Erbfall das Rechtsgeschäft. Dabei gerät aus dem Blick, dass der Erbvertrag sich von der letztwilligen Verfügung bezüglich des Eintritts seiner Rechtswirksamkeit nicht unterscheidet. Er muss als Ausnahme von dem (lebzeitigen) Prinzip definiert werden, dass ein Rechtsgeschäft nur dann vorliegt, wenn der subjektive Wille durch die Rechtsordnung in dem Sinne anerkannt wird, dass sich an ihn objektive Rechtsfolgen knüpfen.412 Die Unstimmigkeiten beschränken sich jedoch nicht auf das Erbvertragsrecht. Auch was das Testament anbelangt, lässt sich kaum negieren, dass es vor dem Eintritt des Erbfalls auf der Ebene des Rechts existiert. Ein Beispiel dafür ist, dass das Testament vom bloßen Entwurf als vorrechtlichem Akt der Vorbereitung auf oder Ankündigung der eigentlichen Errichtung streng unterschieden wird,413 ein weiteres, dass die letztwillige Verfügung, nachdem sie zustande 411 Nicht einig ist man sich dagegen über die Deutung der Bindung. Teils wird sie als übergeordnete Kategorie gesehen, die bei lebzeitigen und erbrechtlichen Rechtsgeschäften dieselbe Bedeutung hat (so zum Beispiel Schmoeckel, AcP 197 [1997], 1, 64, oben § 3 B. III., S. 89). Teils wird sie – wie hier – gerade als das entscheidende Differenzierungskriterium zwischen den beiden Ausprägungen privatautonomer Betätigung verstanden (Nw. bei Windel, S. 336, Fn. 17, 21, 22, oben § 3 B. IV. 2., S. 101, m. Fn. 277). 412 Portz, S. 87, 90; s. auch Schmoeckel, AcP 197 (1997), 1, 71, m. Fn. 383. 413 Von Lübtow I, S. 187; Leipold, Rn. 309; Soergel/Harder, § 2247 Rn. 6; Palandt/Eden-

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gekommen ist, vom Erblasser zu Lebzeiten nicht einfach ignoriert werden kann, wie er das bei einem rechtlichen Nichts könnte. Vielmehr muss die letztwillige Verfügung zum Beispiel im Fall des Widerrufs vom Erblasser buchstäblich „behandelt“ werden, indirekt dadurch, dass er ein neues, inhaltlich abweichendes Testament errichtet oder direkt, indem er das Dokument vernichtet, verändert oder aus der amtlichen Verwahrung zurücknimmt.414

2. Zur Gültigkeit als vorgelagertem normativen Maßstab im gewillkürten Erbrecht Es nimmt nicht Wunder, dass der Savigny’sche Ansatz, obwohl er bis in die jüngere und jüngste Zeit hinein rezipiert wurde,415 schon früh umstritten war416 und sich letztlich nicht hat durchsetzen können. Der juristische Gegenentwurf hat verschiedene begriffliche Ausprägungen erfahren: die Unterscheidung von (Errichtungs-)Tatbestand und (äußerer) Wirksamkeitsvoraussetzung,417 von „formeller“ und „materieller“ Wirksamkeit,418 von Existenz und Wirksamkeit,419 von Rechtsgeschäft und Rechtsverhältnis420 sowie von Akt und Regelung.421 Sämtliche Differenzierungen dienen zwei übergeordneten sachlichen Anliegen, wobei das eine stärker ausgeprägt worden ist als das andere. Zunächst wird nicht mehr auf der zwingenden Einheit von Zustandekommen und Geltung des Rechtsgeschäfts bestanden und damit von der realitätsfernen Vorstellung eines „Dauertestierens“ bis zum Tod Abstand genommen. Das Testament ist im Augenblick seiner Vornahme als Rechtsgeschäft zustande gekommen und unabhängig vom Zeitpunkt seines Wirksamwerdens als Tatbestand oder Akt abgeschlossen oder existent.422 Rechtsverhältnisse begründet es dagegen erst im Zeitpunkt des Erbfalls. Wohl aber bleibt der nicht unmittelbar rechtsgestaltende privatautonome Errichtungsakt auf den Eintritt der Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts final hingeordnet, weil er auf Geltung ausgeht und abzielt.423 Der Akt bleibt final auf die Regelung – wenn auch im gewillkürten Erbrecht nicht unmittelbar – bezogen. hofer, § 2247 Rn. 2; Staudinger/Baumann, § 2247 Rn. 15 ff.; MünchKomm/Burkart, § 2247 Rn. 5. S. auch Staudinger/Otte, Vorbem. zu §§ 2064 ff. Rn. 9 ff. 414 Oben § 10, S. 239 f. 415 Schmoeckel, AcP 197 (1997), 1, 70, m. Fn. 378, nennt von Jhering als einen Anhänger der Savigny’schen These von der testamenti factio. 416 Lassalle, S. 397 f. 417 Zitelmann, Rechtsgeschäfte, S. 30 f.; Häsemeyer, Form, S. 29. 418 Keuk, S. 23. 419 Stumpf, S. 96. 420 Schmoeckel, AcP 197 (1997), 1, 71 f.; im Anschluss an Flume, BGB AT II, § 2, 1, S. 23 f. 421 Flume, BGB AT II, § 6, 1, S. 78 f.; ders., in: 100 Jahre DJT, S. 135, 160. 422 Breitschmid, S. 74. 423 Schmoeckel, AcP 197 (1997), 1, 71 f., m. Fn. 387, unter Hinweis auf die Motive I, S. 126.

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Der Wert dieser Anschauung ist ambivalent zu beurteilen. Zum einen wird kein Zweifel daran gelassen, dass das Produkt des Verfügungsakts, die Verfügung von Todes wegen als Rechtsgeschäft, bereits zu Lebzeiten des letztwillig Verfügenden auf der Seinsebene des Rechts existiert, das heißt Rechtswirkungen entfaltet, die noch nicht diejenigen sind, die eintreten, wenn die Wirkebene erreicht ist. Ein Beispiel dafür ist die erwähnte erbrechtliche Bindungswirkung, die sich an den Abschluss eines Erbvertrags knüpft.424 Mit der Verankerung im rechtlichen Raum steht zugleich fest, dass die letztwillige Verfügung auch in diesem Stadium bereits Gegenstand juristischer Bewertung ist. Ob Seins- und Wirkebene aber dann eher in eins fallen, wenn das Rechtsverhältnis, das durch das Rechtsgeschäft gestaltet ist, ein „einfaches“ ist, oder – anders gesagt – die Komplexität des Rechtsverhältnisses ein geeigneter Gradmesser für die Vollständigkeit des Rechtsfolgeneintritts bereits im Aktzeitpunkt sein kann,425 erscheint zweifelhaft. Zumindest bei der Verfügung von Todes wegen liegt die Inkongruenz von Errichtungsakt und Geltung in der besonderen Zeitstruktur des erbrechtlichen Rechtsgeschäfts, nicht des zu gestaltenden Rechtsverhältnisses, begründet. Der zweite Gesichtspunkt ist, dass die finale Hinordnung des Testaments des lebenden Erblassers auf die Wirksamkeit, das Gerichtetsein auf die Geltung mit dem Tod, den Fehlschluss befördert, der Maßstab dieser juristischen Beurteilung könne bereits in der Errichtungs- mit demjenigen der Wirksamkeitsphase übereinstimmen. Rechtliche Kategorien, die an die Geltung eines Rechtsgeschäfts anknüpfen, und aus einem wirksamen – unter Umständen mit ex tunc-Wirkung – ein unwirksames machen, sind jedoch von solchen zu unterscheiden, die am Errichtungstatbestand – oder wie Flume sagt – am Akt selbst anknüpfen. Sie lassen das Rechtsgeschäft erst gar nicht wirksam werden, wenn sie vorliegen. Man sollte hier begrifflich die Wirksamkeit einer Verfügung von Todes wegen ab dem Zeitpunkt des Erbfalls von der Frage ihrer Gültigkeit nach der Errichtung trennen.426 Das unterstreicht einerseits die rechtliche Erfassbarkeit der Verfügung von Todes wegen in beiden Existenzphasen, dokumentiert andererseits aber die Verschiedenheit der beiden normativen Maßstäbe, die die zweigeteilte Linearität einer Verfügung von Todes wegen rechtlich abbilden hilft. Gültigkeit und Wirksamkeit sind als eigenständige Rechtsbegriffe nicht selten verkannt und in eins gesetzt worden: In Bezug auf Verfügungen von Todes wegen wird bisweilen von Gültigkeit gesprochen, wenn es tatsächlich um Wirksamkeit geht,427 aber auch der umgekehrte Fall kommt vor.428 Neben der 424

Oben I., S. 288, IV. 2., S. 332. Flume, BGB AT II, § 6, 1, S. 79; ders., in: 100 Jahre DJT, S. 135, 161. 426 Harder/Kroppenberg, Rn. 118. 427 Portz, S. 90: „Denn der Sinn des § 138 Abs. 1 BGB liegt gerade darin, zu verhindern, dass die sittenwidrige Willenserklärung zum gültigen, rechtswirksamen Rechtsgeschäft wird“ (Hervorhebung nicht im Original). 428 Ein Beispiel dafür findet sich bei Lorenz, S. 35: „Mit diesem Ansatzpunkt [dem, dass 425

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bereits erwähnten finalen Hinordnung der gültigen Verfügung auf das gestalterische Moment des Eintritts der Wirksamkeit wird diese begriffliche Vermengung auch durch den Umstand begünstigt, dass „Gültigkeits-“ und „Wirksamkeitsphase“ naturgemäß nicht beziehungslos nebeneinander stehen.429 Sie sind vielmehr inhaltlich schon deshalb miteinander verschränkt, weil es um das rechtliche Schicksal ein- und derselben Verfügung von Todes wegen geht. So wirkt etwa deren Unwirksamkeit auf den Errichtungszeitpunkt zurück, oder die Ungültigkeit einer erbrechtlichen Anordnung verhindert auch deren Wirksamwerden.430 Der synonyme Gebrauch der Begriffe orientiert sich am Idealfall des zeitlichen Zusammentreffens von Zustandekommen und Geltung des Rechtsgeschäfts, wie er im Recht der Lebenden der Regelfall ist. Ungültigkeit und Unwirksamkeit bewirken hier von der Rechtsfolge her dasselbe: nämlich die Außerkraftsetzung der privatautonomen Gestaltung der Parteien durch das Recht, das dadurch nicht mehr gilt und zum Nicht- oder Un-Recht wird. Die Differenzierung nach dem Anknüpfungspunkt der Sanktion, der Ungültigkeit des Akts oder der Unwirksamkeit der Regelung, ist hier grundsätzlich nur von theoretischem Interesse. Ein Spezifikum des Rechts der Lebenden ist das zwar für sich genommen nicht. Auch beim aufschiebend bedingten Rechtsgeschäft macht die Unterscheidung nach dessen „Gültigkeit“ und „Wirksamkeit“ Sinn.431 Doch ist das die Ausnahme, nicht die Regel. Der Grundfall des unmittelbar wirkmächtigen Geschäfts gibt das Leitbild ab und dieses deckt sich mit dem inter vivos. Das erbrechtliche Rechtsgeschäft bleibt einmal mehr das legitimationsbedürftige negative „An-

die Bindungswirkung allein aus der privatautonomen Erklärung resultiert] wären nämlich auch all jene einseitigen und zweiseitigen Rechtsgeschäfte grundsätzlich unwiderruflich, in denen sich eine Person zunächst binden will, die von der Rechtsordnung aber trotz ihrer Wirksamkeit nicht bindend ausgestaltet sind.“ Ähnlich Stumpf, S. 97: „Nichts anderes als solch eine äußere Wirksamkeitsvoraussetzung ist insbesondere ein gesetzliches Formgebot. Auch dieses beruht auf besonderen gesetzlichen Vorschriften, die erhöhte Anforderungen an die Wirksamkeit einer Willenserklärung stellen, als sie ohne diese Vorschrift gelten würden. Sie entscheiden hinsichtlich ihrer Rechtsfolge über Gültigkeit oder Nichtigkeit der Willenserklärung (§ 125 BGB)“ (Hervorhebungen nicht im Original). Die Begriffe „Gültigkeit“ und „Wirksamkeit“ müssen hier stets gegeneinander ausgetauscht werden. 429 Oben Einleitung, S. 9. 430 Für Testamente folgt diese Regel bereits aus Iav. D. 50.17.201: Omnia, quae ex testamento proficiscuntur, ita statum eventus capit, si initium quoque sine vitio ceperint. S. auch Schmoeckel, AcP 197 (1997), 1, 69, m.w.Nw. in Fn. 368. 431 Es finden sich hier in der Literatur auch ähnliche Begriffsverwechslungen wie in der erbrechtlichen zu Verfügungen von Todes wegen (oben Fn. 427, 428), so etwa, wenn bei Larenz/M. Wolf, § 50 III 2 b, von den „persönlichen Wirksamkeitserfordernissen des [bedingten] [Hervorhebung nicht im Original] Geschäfts, wie Rechtsfähigkeit, Geschäftsfähigkeit, Zustimmung des gesetzlichen Vertreters [… die Rede ist], bei denen es allein auf den Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts ankommt, nicht auf den Zeitpunkt des Eintritts der Bedingung.“

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dere“,432 um dessen konstruktive Konkordanz mit dem unmittelbar gestalterischlebzeitigen Prinzip man bemüht ist.

3. Der Zeitpunkt der Sittenwidrigkeitsprüfung im Kontext rechtswirkungsrechtlichen Denkens a. Gesinnungskontrolle im Errichtungszeitpunkt Gespiegelt finden sich die eben diskutierten Standpunkte zur Wirkmächtigkeit erbrechtlicher Gestaltung in der hier bereits mehrfach angesprochenen Frage des Zeitpunkts der Sittenwidrigkeitsprüfung nach § 138 Abs. 1 BGB.433 Die überwiegende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur hält insoweit die Errichtung der Verfügung von Todes wegen für maßgebend.434 Sie besteht damit inhaltlich auf der Parallele zum Recht der Lebenden,435 wo sich eine „Rückwirkungsproblematik“ aufgrund der Simultanität des Zustandekommens des Rechtsgeschäfts und der unmittelbaren Entfaltung seiner gestalterischen Kraft in der Regel nicht ergibt.436 Argumentativ ist die Anschauung Teil eines größeren lebzeitigen Referenzrahmens, in den die Sittenwidrigkeitskontrolle von Verfügungen von Todes wegen aus einem bestimmten Grund gestellt wird. Man betont, dass die „Auslegung des § 138 Abs. 1 BGB im Erbrecht – im Vergleich zum Recht der Lebenden, muss man ergänzen – keine Besonderheiten biete“, sondern vielmehr für Verfügungen von Todes wegen „in vollem Umfange“ gelte.437 Das Axiom steht inhaltlich in einem unüberbrückbaren Gegensatz zum weitgehenden Rückzug der Rechtsprechung aus der Inhaltskontrolle von erbrechtlichen Rechtsgeschäften im Allgemeinen438 und der früheren „Sittensprechung“ im Besonderen.439 Funktionell diente das Beharren auf der Wertungsgleichheit der Sittenwidrigkeitsprüfung im Recht der Lebenden und im Erbrecht der Rechtfertigung einer Gesinnungskontrolle im Erbrecht. Das zeigt sich gerade, wenn man – wie das die überwiegende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur auch nach dem beschriebenen „Kurswechsel“ der Rechtsprechung immer noch tut 432 Oben § 3 B. III., S. 87 (causa-Lehre), IV. 2., S. 101 (Unverbindlichkeit), § 6 C. II. 4. b., S. 190 f. (Demokratie-Diktatur-Topos), § 3 B. IV. 1., S. 97, m. Fn. 255, § 11 A. II. 3., S. 251 f. (Handeln für Dritte und zulasten Dritter). 433 Oben § 2 B. I., S. 34 ff., § 3 B. II. 2. a., S. 84, § 5 A. II., S. 129. 434 Nw. bei Goebel, Ehegattenschutz, S. 380, in Fn. 178, 179; zur gegenteiligen Auffassung (Maßgeblichkeit des Erbfalls) in Fn. 180. 435 Oben § 3 B. II. 2. a., S. 84 ff. 436 Medicus, NJW 1995, 2577, 2579. 437 Kipp/Coing, § 16 III 1, S. 111. Wortgleich Niedrée, S. 24: „Demzufolge gilt für Verfügungen von Todes wegen in vollem Umfang die Vorschrift des § 138 BGB. Ihre Auslegung bietet auch im Erbrecht keine Besonderheiten.“ Oben § 3 A. III., S. 67. 438 Oben § 1 B., S. 25. 439 Oben § 1 B., S. 25, § 5 A. III. 1., S. 130.

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– den Zeitpunkt für die Prüfung des § 138 Abs. 1 BGB auf den Errichtungszeitpunkt vorverlegt. Da das erbrechtliche Rechtsgeschäft im Gegensatz zum lebzeitigen zu diesem Zeitpunkt noch nicht wirksam ist, bleibt hier nur die Sanktionierung der unredlichen Gesinnung im Rahmen eines subjektiven Maßstabs. In der Tat betonen gerade die Befürworter einer Sittenwidrigkeitskontrolle im Zeitpunkt der Errichtung im Wege eines problematischen argumentum a maiore ad minus, dass dies „erst recht im Bereich des Erbrechts [gelte], wo die Auslegung nach dem Willen des Erblassers eine stärkere Rolle spiele“ als unter Lebenden.440 Jedoch ist die materielle Rechtfertigung hierfür mit der Aufgabe der Gesinnungskontrolle im gewillkürten Erbrecht entfallen. Der Behauptung, „die Konzeption der Sittenwidrigkeit sei […] ein Dreh- und Angelpunkt für die Argumentation, die für schuldrechtliche und letztwillige Rechtsgeschäfte gleich geartet sei“,441 ist damit die Grundlage entzogen. Die postulierte Wertungsparallelität mit den Rechtsgeschäften unter Lebenden im Rahmen des § 138 Abs. 1 BGB dient der Legitimation des „subjektiv geprägten“ Maßstabs der Sittenwidrigkeitsprüfung. Er wurde für die Inhalts- in Gestalt der Gesinnungskontrolle erbrechtlicher Rechtsgeschäfte zwar aufgegeben. Dennoch wird er für die Frage des maßgeblichen Zeitpunkts der Sittenwidrigkeitsprüfung mit dem Hinweis auf die überragende Bedeutung des Erblasserwillens im Recht der Verfügungen von Todes wegen, der für sich schon nicht gänzlich unzweifelhaft ist,442 – gewissermaßen post festum nach Wegfall des materiellen Unterbaus – weiter aufrecht erhalten. Methodisch handelt es sich dabei im Übrigen um eine petitio principii: Das Beharren auf der konzeptionellen Gleichgeartetheit von lebzeitigen und erbrechtlichen Rechtsgeschäften, was die Sittenwidrigkeitsprüfung anbelangt, legt die Orientierung am Errichtungs- als dem im Recht der Lebenden im Grundsatz maßgeblichen Zeitpunkt nahe. Der Hinweis auf die Bedeutung des Errichtungszeitpunkts für die Inhaltskontrolle nach § 138 Abs. 1 BGB dient aber (vermittelt über den Hinweis auf die gesteigerte Bedeutung der Motivlage des Erblassers) selbst wiederum zur Festigung des Axioms von der Wertungsparallelität bei lebzeitigen Verträgen und Verfügungen von Todes wegen im Hinblick auf den Sittenwidrigkeitsmaßstab.443 Inhaltlich ist die subjektiv geprägte Anschauung, die die unredliche Gesinnung des rechtsgeschäftlich Handelnden zumindest als „einen möglichen Grund der Sittenwidrigkeit“444 anerkennt, als Maßstab des § 138 Abs. 1 BGB 440

Schmoeckel, AcP 197 (1997), 1, 26 (Hervorhebung nicht im Original). Schmoeckel, AcP 197 (1997), 1, 26. 442 Das gilt gerade angesichts des vermeintlichen Typenzwangs erbrechtlicher Verfügungen, von dem die Lehre einhellig ausgeht. Oben § 11 A. I., S. 244 ff. 443 So bei Schmoeckel, AcP 197 (1997), 1, 26. 444 Schmoeckel, AcP 197 (1997), 1, 26. 441

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insbesondere aus den folgenden drei Gründen diskreditiert. Zum einen ist die Willensherrschaft des Erblassers im gewillkürten Erbrecht, der man im Rahmen des § 138 Abs. 1 BGB mit einer aktbezogenen Gesinnungskontrolle beizukommen sucht, schon für sich genommen ein eher überschätzter Faktor.445 Zum anderen steht die frühe Leitentscheidung des Bundesgerichtshofs446 zum Thema noch ganz in der überkommenen Tradition der frühen „Sittensprechung“. Verhandelt wird hier ein „Mätressenfall“ von geradezu klassischer Prägung. Nachdem das Gericht diese Rechtsprechung de facto aufgegeben hat, lässt sich der Entscheidung eine verlässliche Aussage zum Zeitpunkt der Sittenwidrigkeitsprüfung nicht mehr entnehmen.447 Schließlich begründet besagte Entscheidung die Abkehr vom Erbfall und die Hinwendung zur Errichtung als der maßgeblichen Prüfungszeit nach § 138 Abs. 1 BGB ausdrücklich mit der Ablehnung der Savigny’schen „Dauertestatsthese“, die seit dem Jahre 1943 in die Rechtsprechung des Reichsgerichts Eingang gefunden hatte.448 Es ging in erster Linie darum, zur künstlichen Vorstellung eines „Testieren in Permanenz“,449 die notwendig auf den Eintritt der Wirksamkeit der Verfügung von Todes wegen abstellen muss, eine Gegenposition zu beziehen, die die sittliche Beurteilung der Verfügung von Todes wegen mit den Mitteln des Rechts – so wie der Bundesgerichtshof sie damals verstand – nicht a priori verunmöglichte.

b. Das objektive Modell von „Akt“ und „Regelung“ (Flume) – Erbrechtliches Entfaltungspotenzial und lebzeitige Vorprägungen Es bleibt damit nur übrig, den „Verrechtlichungsprozess“, den Leipold anlässlich des materiellen Rückzugs der Judikatur aus der „Sittensprechung“ beobachtet hatte,450 auch in der Frage des Zeitpunkts der Prüfung nach § 138 Abs. 1 BGB zu verstärken. „Verrechtlichung“ bedeutet in diesem Zusammenhang eine (Ver-)Objektivierung des Maßstabs, die inhaltlich mit der Orientierung an rechtswirkungsrechtlichem Denken zusammenfällt. Tatsächlich handelt es sich bei dem mit der subjektiven Anschauung konkurrierenden objektiven Verständnis des § 138 Abs. 1 BGB um ein rechtsfolgen- oder wirkungsbezogenes. Zuletzt hat Eckert dessen Grundlinien skizziert: „Durch § 138 Abs. 1 BGB sollen Personen geschützt werden, die von den missbilligten Rechtsfolgen eines Rechtsgeschäfts betroffen werden, nicht dagegen soll der Erklärende gestraft werden. Zutreffend setzt die Vorschrift voraus, dass das Rechtsgeschäft, nicht 445 446 447

Oben § 6 C. II. 4 c., S. 193 ff. BGHZ 20, 71, 75; s. auch Schmoeckel, AcP 197 (1997), 1, 16, m. Fn. 78, 17, m. Fn. 80, 81. Anders Schmoeckel, AcP 197 (1997), 1, 17: „Das Urteil hat insoweit allgemeine Bedeu-

tung.“ 448 RG DR 1943, 91, 93; DR 1944, 494, 495. BGHZ 20, 71, 71, setzt sich im amtlichen Leitsatz ausdrücklich von diesen Entscheidungen ab. 449 Eckert, AcP 199 (1999), 337, 341. 450 Leipold, Fg. BGH I, S. 1011, 1032 f. Oben § 1 B., S. 26 f., m.w.Nw. in Fn. 96.

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aber, dass seine Willenserklärung gegen die guten Sitten verstoßen muss. In diesem Sinne soll § 138 Abs. 1 BGB verhüten, dass ein Rechtsgeschäft Rechtsfolgen entfaltet.“ 451

Mit der Unterscheidung von „Rechtsgeschäft“ und „Willenserklärung“ rückt ein Anliegen Flumes erneut in den Vordergrund, der schon früh darauf aufmerksam gemacht hatte, dass über der fortschreitenden Ausdifferenzierung des Rechts der Willenserklärung, die im 19. Jahrhundert grundgelegt wurde, die Beschäftigung mit dem Rechtsgeschäft als actus iuridicus vernachlässigt wurde452 – woran, möchte man hinzufügen, sich offenbar dadurch nichts geändert hat, dass der juristische Diskurs stets unter dem Stichwort „Rechtsgeschäftslehre“ geführt wurde. Einen Grund dafür, dass das Rechtsgeschäft als Gestaltungsakt aus dem Blick geraten war, gibt Flume in seiner Analyse nicht an; er könnte darin liegen, dass die sofortige Wirkmächtigkeit privatautonomer Rechtssetzung bei den vorrangig betrachteten lebzeitigen Rechtsgeschäften im Grundsatz nicht in Frage steht und daher die Frage ihrer Gestaltungskraft oder Rechtswirkung hier nicht gestellt wurde – weil sie nicht gestellt werden musste. Gerade der Rekurs auf das 19. Jahrhundert spricht für diese Vermutung: Hier wurden Verfügungen von Todes wegen von von Savigny gerade aus dem Recht verwiesen, weil sie dieses nicht unmittelbar gestalteten.453 Mit der Flume’schen Unterscheidung von „Akt“ und „Regelung“ wird dagegen nicht nur das Rechtswirkungsdenken wieder an die prominente Stelle gerückt, die ihm privatrechtshistorisch betrachtet einmal zukam,454 ohne dass die fundamentale Unterscheidung zwischen materiellem und prozessualem Anspruch angetastet wird. Inhaltlich wird damit ein Beitrag zu einer Rechtsgeschäftslehre geleistet, die ihren Namen verdient. Insbesondere Verfügungen von Todes wegen müssen sich nicht dem gängigen lebzeitigen Strukturregime beugen, sondern können sich gemäß ihrer erbrechtlichen Anlage entfalten. Das zeigt sich gerade am maßgeblichen Zeitpunkt zur Prüfung ihrer Sittenwidrigkeit, der für erbrechtliche, aber auch für bedingte oder befristete Rechtsgeschäfte unter Lebenden im Augenblick ihres Wirksamwerdens liegt.455 Das Denken in „Akt“ und „Regelung“ trennt zwischen Vorschriften, die das Zustandekommen des Rechtsgeschäfts betreffen – Flume nennt neben den §§ 104 ff. BGB (Geschäftsfähigkeit), den §§ 116 ff. BGB (Willensmängel) und den §§ 125 ff. BGB (Form),456 die §§ 130 ff. BGB (Zugang) und die §§ 145 ff. BGB mit Ausnahme des § 157 BGB (Vertragsschluss) – sowie solchen, die durch das Rechtsgeschäft geschaffene Regelung betreffen, darunter auch § 138

451 452 453 454 455 456

Eckert, AcP 199 (1999), 337, 351 f., 355 ff., m.w.Nw. Flume, in: 100 Jahre DJT, S. 135, 160 f. Oben 1., S. 339. Gmür, S. 105 ff., 239 ff. Eckert, AcP 199 (1999), 337, 357. Oben § 9 B., S. 232 ff.

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BGB.457 Zwischen diesen beiden Punkten haben Rechtsgeschäfte „Bewährungszeit“, das heißt die gesellschaftlichen Werte und tatsächlichen Verhältnisse, an denen sie gemessen werden, können sich verändern und mit ihnen die rechtliche Bewertung des privatautonomen Akts. Allein diese Anschauung erhält sich, indem sie dynamische Prozesse in zeitlichen Grenzen mit einkalkuliert, eine gewisse Flexibilität der rechtlichen Reaktion. In den Kategorien des zeitlichen Beurteilungsmaßstabs für die Sittenwidrigkeit ist es deshalb zumindest eine Verkürzung, sie auf eine rein punktuelle Lösung zu reduzieren und als solche zum Antagonisten des wahrhaft punktuellen Ansatzes zu machen, der den Errichtungszeitpunkt als den maßgeblichen favorisiert. Gerade durch die Eröffnung des Zeitfensters zwischen Errichtung und Wirksamwerden des Rechtsgeschäfts erzielt die auf den Eintritt der Regelungswirkung abstellende Anschauung überzeugende und einheitliche Ergebnisse, weil sie anders als die subjektiv-punktuelle Auffassung nicht gezwungen ist, nachzusteuern, indem sie Entwicklungen im Einzelfall458 oder abhängig vom Verfügungstyp459 durch Formulierung von Ausnahmen fassbar macht. Das hat Eckert sowohl für Verfügungen von Todes wegen als auch für bedingte oder befristete Rechtsgeschäfte unter Lebenden im Einzelnen dargelegt.460 Allerdings sind seine Ausführungen nicht ganz unbeeinflusst vom lebzeitigen Grundmodell, in dem Bindung und Geltung zur Herbeiführung einer ad hoc gestaltenden Wirkmacht eine Koalition eingehen. So will er die Sittenwidrigkeitsprüfung bei lebzeitigen Rechtsgeschäften, die auf eine Bedingung oder Befristung gestellt sind, zwar grundsätzlich dem Moment des Wirksamwerdens vorbehalten, ausnahmsweise jedoch an den Zeitpunkt der Begründung der Bindungswirkung (= Vertragsschluss) anknüpfen, wenn nur „diese begrenzte Rechtswirksamkeit“ geltend gemacht wird.461 Die Bindungswirkung bezeichnet jedoch keine um die Wirksamkeit kupierte Rechtswirksamkeit minderen Ranges oder gar eine abgeschwächte (Vor-)Wirkung der Geltung.462 Gerade bei den bedingten oder lebzeitigen Rechtsgeschäften inter vivos zeigt sich, dass „Bindung“ und „Geltung“ qualitativ andersgeartete Begriffe sind, die nicht in ein rein quantitatives Verhältnis gebracht werden können.463 457

Flume, BGB AT II, § 6, 1, S. 78. Otte, JA 1985, 192, 201. Als Differenzierungskriterium wird die Erfolgs- oder bloße Verhaltensbezogenheit des Sittenwidrigkeitsvorwurfs eingesetzt. Das Recht weiß zwar grundsätzlich Verhaltens- durchaus von Erfolgsunrecht zu unterscheiden, sanktioniert ersteres aber erst dann als sittenwidrig, wenn es auf Erfolg (i. e. Geltung) ausgerichtet ist. Denn ohne dieses finale Element existiert es noch nicht auf der Ebene des Rechts. Oben bei Fn. 423. 459 Kipp/Coing, § 16 III 1 a, S. 112; Flume, BGB AT II, § 18, 6, S. 379. W. Nw. bei Schmoeckel, AcP 197 (1997), 1, 64, m. Fn. 346. 460 AcP 199 (1999), 337, 356 ff. 461 Eckert, AcP 199 (1999), 337, 356. 462 Im Einzelnen Kroppenberg, WM 2001, 844, 845 f., 850. 463 Oben II., S. 284 ff., III. 1. a., S. 287 ff. 458

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Bei den Rechtsgeschäften von Todes wegen ist das auch so. Erbrechtliche Bindung ist, dort wo sie auftritt, nicht unmittelbar geltungscodiert wie die lebzeitige.464 Das mag auf den ersten Blick dafür sprechen, sie mit der Bindungswirkung eines bedingten oder befristeten Rechtsgeschäfts in Beziehung oder gar gleichzusetzen.465 Beim Erbvertrag komme es, schreibt Eckert, „wie bei Rechtsgeschäften unter Lebenden bei der einzelnen Rechtswirkung früher [das heißt ausnahmsweise schon bei Eintritt der Verbindlichkeit] oder später [grundsätzlich erst beim Erbfall] zur Prüfung ihrer Sittengemäßheit.“466 Das verkennt die unterschiedliche inhaltliche Beschaffenheit der Bindungswirkung im lebzeitigen und im erbrechtlichen Rechtsgeschäft. Während die erbvertragliche Verbindlichkeit jede weitere privatautonome Betätigung erbrechtlicher Natur untersagt, soweit sie im Widerspruch zur vorangegangenen steht (§ 2289 Abs. 1 Satz 2 BGB) und sogar frühere Verfügungen aufhebt (§ 2289 Abs. 1 Satz 1 BGB), hindern bestehende lebzeitige Bindungen, gleich ob sie bedingt oder unbedingt angelegt sind, keineswegs an weiteren obligatorischen Dispositionen über den selben Gegenstand. Schließlich kann Eckert auch in Bezug auf das Testament eine gewisse lebzeitige Vorprägung betreffend den Zusammenhang von Verbindlichkeit und Wirksamkeit nicht verhehlen. Einerseits wird betont, dass beim Testament „vor dem Erbfall zwar eine Willenserklärung, aber noch keine Rechtsverbindlichkeit vorliegt.“467 Andererseits ist aber die Rede davon, dass „beim Abstellen auf einen späteren Zeitpunkt die Wirksamkeit des Geschäfts bis auf weiteres in der Schwebe bleibt.“468 Die Rechtswirkung eines Testaments ist jedoch vor dem Eintritt des Erbfalls – anders als bei bedingten oder befristeten lebzeitigen Rechtsgeschäften – nicht pendent, sie ist nicht existent. Die Erwägungen zeigen, dass das Flume’sche Akt-Regelungs-Modell, das der rechtswirkungsorientierten Anschauung im Rahmen des § 138 Abs. 1 BGB zugrunde liegt, für sich genommen zwar keine Gewähr dafür bietet, lebzeitige von erbrechtlichen Strukturprinzipien verlässlich zu trennen. Es bietet jedoch zumindest ein für die eigenständige Entfaltung gerade des erbrechtlichen Rechtsgeschäfts günstiges Milieu, in dem das Leitbild des Rechts der Lebenden gegenüber dem gewillkürten Erbrecht strukturell an Übermacht einbüßt und diesem seinen besonderen Rechtscharakter belässt. Dass Teile der Literatur und insbesondere die Rechtsprechung ihm bisher die Gefolgschaft 464

Oben III. 1. a., S. 291. Ähnlich Schmoeckel, AcP 197 (1997), 1, 64: „Der Erbvertrag entfaltet […] ebenso wie die schuldrechtlichen Rechtsgeschäfte [Hervorhebung nicht im Original] anders als das Testament bereits ab dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses Rechtswirkungen, insbesondere die Bindungswirkung.“ 466 Eckert, AcP 199 (1999), 337, 357. 467 Eckert, AcP 199 (1999), 337, 352 (Hervorhebung nicht im Original). 468 Eckert, AcP 199 (1999), 337, 352 (Hervorhebung nicht im Original). 465

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versagt haben und für die Ermittlung der Sittenwidrigkeit weiterhin auf den Errichtungszeitpunkt bestehen, dürfte weniger mit einer grundsätzlichen Abslehnung gegenüber der konstruktiven Anlage des Flume’schen Ansatzes zu tun haben. Wie gezeigt469 hat ein schon überwunden geglaubter rechtshistorischer Irrweg – nämlich der der „Sittensprechung“ im gewillkürten Erbrecht – nicht unwesentlich zur Entstehung des heutigen antagonistischen Meinungsbildes zum Zeitpunkt der Inhaltskontrolle nach § 138 Abs. 1 BGB beigetragen und indirekt zur Verfestigung lebzeitiger Vorprägungen im Recht der Verfügungen von Todes wegen geführt. Sie offenbart sich auch in der Heranziehung der Grundsätze über die so genannte unechte Rückwirkung.470 Es geht nicht darum, dass eine im Zeitpunkt des Eintritts der Rechtswirkungen maßgebliche sittliche Bewertung des Geschäfts rückwirkend auf den Zeitpunkt der Vornahme bezogen und daher möglicherweise das Vertrauen der Beteiligten auf den Fortbestand des Rechtsgeschäfts missachtet wird.471 Vielmehr wird das Geschäft genau zu dem Zeitpunkt betrachtet und bewertet, in dem es wirksam wird; mit einer „Rückziehung“ auf den Errichtungszeitpunkt hat das nichts zu tun – zumal das Vertrauen in ein objektiv sittenwidriges Geschäft ohnehin keinen Schutz verdient und im Erbrecht überhaupt erst im Zeitpunkt des Erbfalls entstehen kann.472 Die Erwägungen passen zu dem Befund Medicus’, dass es bei § 138 Abs. 1 BGB „eigentlich keine Rückwirkungsproblematik geben dürfte.“473 Es handelt sich bei dem Rekurs auf das (unechte) Rückwirkungsverbot einmal mehr um eine Vorstellung, die zum lebzeitigen Ur- und Idealbild zurückzukehren sucht, in dem das Zustandekommen und das Wirksamwerden des Vertrags uno actu zusammen fallen. Die Unterscheidung nach „Akt“ und „Regelung“ stand bei der Formulierung dieser Positionen schon deshalb nicht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, weil sie im Unterschied zum reinen Rechtswirkungsdenken, das notwendig am Moment des Wirksamwerdens einer Verfügung von Todes wegen orientiert sein muss, nicht punktuell angelegt ist. Das Flume’sche Modell definiert vielmehr statt eines Zeitpunkts einen 469

Oben a., S. 344 ff. Zum Begriff und seinen Wandlungen aus verfassungsrechtlicher Sicht Pieroth, JZ 1984, 971, 972 ff. 471 So aber Schmoeckel, AcP 197 (1997), 1, 41 ff., 55 ff. Auch Eckert, AcP 199 (1999), 337, 356 f., erwägt das unechte Rückwirkungsverbot immerhin, verneint aber ein schutzwürdiges Vertrauen in die Rückwirkung von Rechtsprechung (im Unterschied zu Gesetzen), „zumal jener zu Fragen der wertungsabhängigen Sittenwidrigkeit.“ 472 Oben III. 1. b. aa., S. 293 ff. 473 NJW 1995, 2577, 2579. Die Bemerkung bezieht sich freilich explizit nur auf die Inhaltskontrolle lebzeitiger Verträge, bei der Medicus statt der „nachträglichen Anwendbarkeit von § 138 BGB die Aufrechterhaltung des Geschäfts mit den §§ 157, 242 BGB“ zu erwägen empfiehlt. 470

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(erb-)rechtlich fassbaren Gestaltungsspielraum innerhalb eines Zeitfensters, dessen Rahmen das Zustandekommen des erbrechtlichen Rechtsgeschäfts und der Eintritt seiner Wirksamkeit bilden – die so genannte „Gültigkeitsphase“.

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§ 13 Zusammenfassung des Dritten Teils und Schlussbetrachtung A. Emanzipationsbedarf: Lebzeitige Vorprägungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs Am Ende der Untersuchung steht die Rückbesinnung auf ihre doppelte Zielsetzung: die konstruktive Emanzipation des erbrechtlichen Rechtsgeschäfts von Projektionen aus dem Bereich des schuld- und sachenrechtlichen1 sowie die Konsolidierung der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen als gleichberechtigtem privatautonomen Grundsatz neben der Vertragsfreiheit unter Lebenden.2 Auf der Prinzipienebene konnte sowohl der Topos von der Diktatur des Erblassers über die Lebenden als Mythos dekonstruiert als auch die These von der Beschränktheit der Erbenrechte falsifiziert werden. Die „Herrschaft“ des Erblassers im gewillkürten Erbrecht ist nicht so übermächtig und unangreifbar, wie das bisweilen behauptet, und die Position des Zuwendungsempfängers nicht so schwach, wie sie oft gezeichnet wird. Allerdings waren bis zu dieser Erkenntnis einige Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Sie liegen in lebzeitigen Vorprägungen begründet, die vor allem mit der Übermächtigkeit des schuldrechtlichen Vertragsparadigmas in der Privatrechtsgesellschaft zu tun haben, und in der mit ihr einhergehenden Tendenz zur Delegitimation des gewillkürten Erbrechts als Relikt ständischen oder „undemokratischen“ Rechtsdenkens. Dabei bleibt es im Grundsatz. Jedoch bedarf der Befund insoweit der Präzisierung, als in dieser Arbeit über weite Strecken davon ausgegangen wurde, dass der Gesetzgeber des Bürgerlichen Gesetzbuchs von diesen Vorbelastungen verschont blieb, vielmehr mit der Testierfreiheit einen neuen Anfang genommen hat und deren liberaler Charakter allein aufgrund der lebzeitig (und familiaristisch) orientierten Rechtsprechung und Literatur in der Folgezeit zunächst „chancenlos“ war. Im Verlauf des Dritten Teils dieser Untersuchung hat sich jedoch an verschiedenen Stellen herausgestellt, dass das Bürgerliche Gesetzbuch nicht unbedingt klüger oder in seinem Vorverständnis freier war als seine Anwender. Ablesen lässt sich das an einer nicht unerheblichen Anzahl von 1 2

Oben § 5 B. II., S. 145 ff. Oben § 5 B. I., S. 142 ff.

§ 13 Zusammenfassung des Dritten Teils und Schlussbetrachtung

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Vorschriften, die – obgleich systematisch im Allgemeinen Teil angesiedelt – ihrer ratio nach nur für das Recht der Lebenden und hier insbesondere für Verkehrsgeschäfte gemacht sind. Zu nennen sind: §§ 130 Abs. 2, 153 BGB,3 § 137 S. 1 BGB,4 § 140 BGB5 und nach hier vertretener Auffassung auch § 157 BGB.6 Andere Regelungen sind im gewillkürten Erbrecht zwar nicht generell unanwendbar, jedoch einschränkend so auszulegen, dass sie jeweils nur innerhalb des Rechts der Lebenden oder innerhalb des Erbrechts eingesetzt werden können, nicht aber „übergreifend“. Ein Beispiel dafür ist § 140 BGB,7 außerhalb des Allgemeinen Teils § 2084 BGB.8 Bei einer weiteren Gruppe von Vorschriften des Ersten Buchs sind Literatur und Rechtsprechung ihrem Differenzierungsauftrag nicht genügend gerecht geworden. Eine Konditionierung der Rechtsgeschäftslehre auf das Recht der Lebenden9 lässt sich zum Beispiel für § 125 BGB aufzeigen. Hier bleibt bisweilen unbeachtet, dass die Vorschrift abhängig von den verschiedenen Formzwecken im Recht der Lebenden und von Todes wegen bei Formmängeln jeweils Unterschiedliches sanktioniert.10 Was schließlich schuldrechtliche Regelungen anbelangt, hätte man an sich eine erhöhte Sensibilität für die inhaltliche Beschränkung einzelner Vorschriften auf das Recht der Lebenden erwarten mögen. Im Rahmen des § 242 BGB ist davon nichts zu spüren. In der Regel wird der Grundsatz von Treu und Glauben nicht als primär verkehrsschützendes, sondern als allgemeines Rechtsprinzip des Bürgerlichen Gesetzbuchs begriffen, dessen Geltung unbesehen auch für das Erbrecht reklamiert wird.11 Jedenfalls für den Regelungsbereich der subjektiven Missbrauchskontrolle lässt sich das jedoch nicht halten.

B. Konsolidierungsstrategie: Entfaltung der Strukturprinzipien privatautonomen Handelns von Todes wegen Die Strategie, die hier gegen die Vereinnahmung der erbrechtlichen Privatautonomie durch die lebzeitige verfolgt wurde, dient der Konsolidierung der Testierfreiheit als eigenständiger Ausprägung der rechtsgeschäftlichen Gestal3 4 5 6 7 8 9 10 11

Oben § 12 III. 2. c. aa., S. 311, m. Fn. 245. Oben § 4 B., S. 142 f. Oben § 12 B. IV. 1., S. 329 f. Oben § 12 B. III. 1. b. bb. (1), S. 296 ff. Oben § 12 B. IV. 1., S. 325 ff., m. Fn. 335. Oben § 12 B. IV. 1., S. 329, m. Fn. 359, s. auch § 12 B. III. 2. c. cc., S. 321, m. Fn. 309. Oben § 5 B. II., S. 148. Oben § 12 B. III. 2. c. bb., S. 315 ff. Oben § 12 B. III. 1. b. aa., S. 293 f.

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Dritter Teil

tungsbefugnis. Sie setzt dabei auf eine konstruktiv-formale Abgrenzung von der Vertragsfreiheit auf der Ebene des Rechtsgeschäfts. Mit der Herstellung von „Differenz in der Einheit“ könnte man diesen methodischen Ansatz programmatisch umschreiben.12 Sie verschafft der Testierfreiheit den nötigen Raum, sich ihrer eigenen erbrechtlich diachronen oder linearen Anlage zu versichern. Erst die Erkenntnis, dass sie an die Organisation des erbrechtlichen Rechtsgeschäfts andere Anforderungen stellt als die Vertragsfreiheit unter Lebenden an den synchron oder simultan angelegten Vertrag, erlaubt es ihr mithin, sich in die strukturellen Parameter des übergeordneten privatautonomen Grundsatzes einzufügen. Auf der Prinzipienebene gilt das allerdings uneingeschränkt nur für die Vornahme- und Beendigungsfreiheit sowie für die Gestaltungsfreiheit. Was die Formfreiheit als Grundsatz der Privatautonomie anbelangt, liegen die Dinge anders.13 Sie wird zwar als konstitutives Prinzip privatautonomen Handelns im Recht der Lebenden begriffen und mit der Formgebundenheit rechtsgeschäftlicher Betätigung auf dem Gebiet des Erbrechts kontrastiert. Jedoch beruht das auf einer Überschätzung des freiheitlichen Gehalts der Abwesenheit formeller rechtsgeschäftlicher Erfordernisse. Die Aufwertung des „Hilfs-“ zu einem „Hauptprinzip“ wird argumentativ über die Verbindung mit der Inhaltsund Vornahmefreiheit erreicht. Sie beruht in Teilen auf einer Verwechslung des Form- mit dem Typenzwang und schließt aus dem entwicklungsgeschichtlichen Rückzug der Form aus dem privatautonomen Kernbereich des Rechtsgeschäfts unzulässig auf die positive Begründung der Formfreiheit als rechtsgeschäftlichem Prinzip.14 Aufgrund ihres kompetenziellen Charakters gehört die Vornahme- und Beendigungsfreiheit dagegen zum unverzichtbaren Bestand der Privatautonomie.15 Bis zum Eintritt des Erbfalls gehorcht sie Strukturprinzipien, die auch der Abschluss- und Beendigungsfreiheit unter Lebenden zugrunde liegen, insbesondere, dass der actus contrarius hier wie dort konstruktiv nicht zwingend so angelegt sein muss wie der actus primus, und dass Lossagungsrechte nach dem Eintritt der (erbrechtlichen und lebzeitigen) Bindungswirkung eines gesetzlich anerkannten Grundes bedürfen. Trotz des (Selbst-)Anfechtungsrechts des erbvertraglich gebundenen Erblassers wegen Motivirrtums gemäß §§ 2281 Abs. 1, 2078 Abs. 2 BGB relativiert die strukturelle Vergleichbarkeit von Testier- und Vertragsfreiheit die These von der Marginalisierung des nicht verfügenden Vertragspartners jedenfalls in Teilen. Das gilt jedenfalls im Hinblick auf den Modus, den das Gesetz zur Auflösung rechtsgeschäftlicher Bindung be12 13 14 15

Oben § 12 B. IV. 2., S. 333 f. Oben § 9 A., S. 231 f. Oben § 9 B., S. 232 ff. Oben § 10, S. 238 ff.

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reitstellt.16 Mit der Wirksamkeit der Verfügung von Todes wegen wird jedoch die unterschiedliche Konstruktion der Beendigungsfreiheit im Vergleich zum Recht der Lebenden offenbar. Während hier die Befugnis zur Aufhebung des Rechtsgeschäfts erlischt, verlangt die diachrone Anlage der erbrechtlichen Verfügung nach einem Transfer der privatautonomen Beendigungs- oder Aufhebungskompetenz vom Erblasser auf den Bedachten. Die Privatautonomie des Erblassers findet ihre Grenze in der Privatautonomie des Erben. Gerade umgekehrt wie bei der Errichtungs- und Beendigungsfreiheit liegen die Dinge auf der konstruktiven Ebene bei der Inhaltsfreiheit. Hier verstellt das antinomische Arrangement von lebzeitiger Typenfreiheit und dem vermeintlichen Typenzwang im Erbrecht den Blick auf die prinzipielle Gleichgeartetheit beider Freiheitsformen.17 Denn auch im Recht der Verfügungen von Todes wegen herrscht im Grundsatz rechtsgeschäftliche Typenentwicklungsfreiheit. Weder Anleihen beim sachenrechtlichen Akttypenzwang können vom Gegenteil überzeugen18 noch der formalistische Verweis auf die §§ 1937–1941 BGB als angeblich freiheitsbeschränkende Ermächtigungsvorschriften.19 Ebenso wenig trägt die Interpretation des Typenzwangs als Kompensation für rechtsgeschäftliches Handeln des Erblassers zulasten Dritter20 oder als Mittel zur Rekonstruktion des Willens eines Verstorbenen.21 Einzig die Funktionabilität des Erwerbsmodus setzt der Typenentwicklungsfreiheit im gewillkürten Erbrecht wie auch im Recht der Lebenden Grenzen. 22 Sie gestaltet sich auch inter vivos in der Regel nicht sprunghaft und zufällig, sondern folgt durchaus evolutiven Mustern. 23 Gleiches wird für das Erbrecht am Beispiel des so genannten Behindertentestaments deutlich. Hier gibt die Abkehr vom Typenzwang den Blick frei auf typenkombinatorische und typenverschmelzende Effekte, 24 die den komplexen Regelungsanliegen des Erblassers Rechnung tragen.25 Im Bereich der Gestaltungsfreiheit machen sich erhebliche Vorprägungen auf das Recht der Lebenden bemerkbar. Das kreative Moment, die privatautonome Schaffung von Rechtsfolgen und der Eintritt der Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts durch die Anerkennungsleistung des Rechts, wird hier unmittelbar mit dem lebzeitigen Bindungskriterium verbunden und die Geltungserklärung als Ausdruck sozialer Kommunikation verstanden (Larenz, Reinach). 26 Geltung 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26

Oben § 3 B. II. 1., S. 81. Oben § 11 A. I., S. 219 ff. Oben § 11 A. II. 1., S. 248 ff. Oben § 11 A. II. 2., S. 250 f. Oben § 11 A. II. 3., S. 251 ff. Oben § 11 A. II. 4., S. 254 f. Oben § 11 A. III., S. 255 ff. Oben § 11 B. I., S. 257 ff. Oben § 11 B. II. 2., S. 260 ff. Oben § 11 B. II. 1., S. 260 ff. Oben § 12 A. I., S. 271 ff.

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Dritter Teil

vermittelt sich hiernach direkt über Bindung, das heißt durch die sofortige Begründung von Rechten und Pflichten. Gegenüber dieser Konzentration maximaler Wirkmacht bei den Parteien setzt Hepting das Konzept der normativen Verbindlichkeit, die Bindungsintensitäten von so genannten normativen Realtypen messen will. Der privatautonome Impuls tritt dabei zu sehr in den Hintergrund, schon deshalb, weil ihm der Rechtscharakter überhaupt abgesprochen wird. 27 Erbrechtliche Verfügungen fallen aus beiden Modellen rechtsgeschäftlicher Gestaltung heraus, weil sie – kommunikationstheoretisch – zu Lebzeiten des Erblassers in der Regel keine Kundgabefunktion haben und ihnen – juristisch-konstruktiv – kein lebzeitiges (= unmittelbar auf Geltung gerichtetes) Bindungsverständnis zugrunde liegt.28 Als qualitatives aliud lässt sich die Bindungswirkung erbrechtlicher Rechtsgeschäfte daher nicht mit solcher inter vivos in ein quantitatives System von Bindungsgraden integrieren (Hepting, S. Loritz). 29 Die Testierfreiheit ist in der Tat die unverbindliche Ausprägung der Privatautonomie, was aus lebzeitiger Sicht vor allem als Ausdruck eines Verlässlichkeitsdefizits verstanden wird. Ein dogmatischer Fehlschluss, den die Vorprägung auf die lebzeitige Unverbindlichkeit erzeugt hat, ist die These vom mangelnden Vertrauensschutz im gewillkürten Erbrecht. 30 Dabei sind beide Arten von Vertrauen, die das Recht kennt, dem Erbrecht nicht vollständig wesensfremd. Das gilt sowohl für das „Sekundärvertrauen“, dessen Verletzung Anknüpfungspunkt für eine Haftung wegen „culpa in testando“ ist,31 als auch für das so genannte Primärvertrauen. Dessen Träger ist jedoch weder inter vivos noch von Todes wegen die Bindungswirkung, sondern allein die Geltung einer Willenserklärung. Unter Lebenden macht das nur deshalb keinen Unterschied, weil beides zeitlich in der Regel in eins fällt. Von Todes wegen wird Vertrauen des Bedachten dagegen erst mit dem Wirksamwerden der Verfügung konstituiert. Es lässt sich als ein Bestandsvertrauen kennzeichnen, das sich nicht auf das redliche Verhalten des anderen Teils bei der Abwicklung eines Vertrags richtet und daher auch nicht der subjektiven Missbrauchskontrolle des § 242 BGB unterliegt. Sein Bezugspunkt ist die Stabilität der erworbenen Rechtsposition in der Zukunft.32 Konstruktiv macht sich das im Bereich der Auslegung und der Anfechtung von erbrechtlichen Willenserklärungen bemerkbar. Bindungswirkung ist im Erbrecht, dort, wo sie auftritt, keine taugliche Grundlage für die Anknüpfung von Vertrauen. Denn sie ist nicht unmittelbar geltungsbezogen. Das erklärt 27 28 29 30 31 32

Oben § 12 A. II., S. 275 ff. Oben § 12 B. I., S. 279 ff. Oben § 12 B. II., S. 284 ff. Oben § 12 B. III. 1. a., S. 287 ff. Oben § 12 B. III. 1. b. cc., S. 304. Oben § 12 B. III. 1. b. aa., S. 296 ff.

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nicht nur die Selbstanfechtungsoption des erbvertraglich gebundenen Erblassers kohärent, sondern schließt auch jedwede Normativierung bei der Auslegung erbrechtlicher Willenserklärungen aus. Allein die Vertragsmäßigkeit oder Wechselbezüglichkeit einer erbrechtlichen Verfügung eröffnet den Anwendungsbereich des § 157 BGB nicht.33 Erbrechtliche Bindung wird eingegangen, um das Risiko anderweitiger Verfügungen von Todes wegen zu minimieren, zuverlässig ausschließen kann sie es jedoch nicht. Im Rahmen der Anfechtung bewirkt das Bestandsvertrauen des Erben eine Beschränkung. Er muss den Verlust seiner Rechtsposition nur dann noch hinnehmen, wenn es sich bei anfechtungsbegründenden Umständen, die zeitlich nach dem Erbfall liegen, um solche handelt, die der Erblasser in seiner Verfügung von Todes wegen antizipiert hatte.34 Der zweite Bereich, in dem das Verlässlichkeitsdefizit der Testierfreiheit aus lebzeitiger Sicht offenbar wird, ist kautelarjuristischer Natur. Er betrifft die Frage nach der lebzeitigen Verbindlichmachung einer erbrechtlichen Verfügung durch so genannte qualifizierte Verfügungsunterlassungsabreden. Indem sie als tertium zwischen einem Rechtsgeschäft inter vivos und von Todes wegen eingeordnet werden, geraten die Trennlinien zwischen dem Recht der Lebenden und dem Erbrecht durcheinander.35 Zudem handelt es sich bei der so genannten materiellen Verfügung von Todes wegen um ein rechtspolitisch überholtes Konzept,36 dessen mangelnde dogmatische Überzeugungskraft sich auch für das Valutaverhältnis des Vertrags zugunsten Dritter auf den Todesfall37 und die postmortale Vollmacht erweisen lässt. 38 So bleibt die Rechtsfolge der so genannten materiellen Verfügung von Todes wegen im Dunkeln. Zum Teil soll sie nur an den erbrechtlichen Formvorschriften gemessen, zum Teil aber auch den materiellen Regelungen des Erbrechts unterstellt werden. Was den Tatbestand anbelangt, herrscht ähnliche Verwirrung: so wenn eine Gesetzesumgehung durch eine den Rechtscharakter des Geschäfts insgesamt ändernde Gesamtschau der Bevollmächtigung und des Vertretergeschäfts erst künstlich generiert wird, wie bei der postmortalen Vollmacht, oder eine Umgehung des § 2302 BGB behauptet wird, wo keine vorliegt, wie bei der qualifizierten Verfügungsunterlassungsabrede.39 Die Vorschrift sanktioniert die Verbindlichmachung erbrechtlicher Rechtsgeschäfte mit lebzeitigen Mitteln und markiert – funktionell ähnlich dem § 2286 BGB, der eine entsprechende Abgrenzung gegenüber der

33 34 35 36 37 38 39

Oben § 12 B. III. 1. b. bb. (1), S. 269 ff. Oben § 12 B. III. 1. b. bb. (2), S. 300 ff. Oben § 12 B. III. 2 .a., S. 304 ff. Oben § 12 B. III. 2. b., S. 308 ff. Oben § 12 B. III. 2. c. aa., S. 310 f. Oben § 12 B. III. 2. c. bb., S. 312 ff. Oben § 12 B. III. 2. c. cc., S. 318 ff.

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Dritter Teil

lebzeitigen Verfügungsfreiheit vornimmt –, eine wichtige Trennscheide zwischen schuldrechtlichen Verträgen und Verfügungen von Todes wegen. Als solche stehen beide Vorschriften für ein Regime der Eigenständigkeit der Testierfreiheit gegenüber und insbesondere des Schutzes der Gestaltungsbefugnis von Todes wegen vor der Vertrags- und Verfügungsfreiheit unter Lebenden. Als Ausdruck eines gegenläufigen, nur auf den ersten Blick privatautonomeren Konzepts im Umgang mit der Testierfreiheit lässt sich hingegen § 2301 BGB deuten.40 Konstruktiv erweist es sich nur um den hohen Preis einer Einebnung der Unterschiede zwischen schuldrechtlichen Vereinbarungen und Anordnungen von Todes wegen als ausbaufähig. Das zeigen Überlegungen, die in eine weitere Grauzone der Abgrenzung von erbrechtlichen und lebzeitigen Rechtsgeschäften führen: die Zulässigkeit einer „übergreifenden“ Konversion.41 Weder ist die erbrechtliche Verfügung ihren Rechtsfolgen nach ein bloßes minus zur lebzeitigen Vereinbarung, so dass man sie ohne weiteres in eine solche umdeuten könnte, noch liegt die Entscheidung, ob ein Rechtsgeschäft erbrechtlicher oder lebzeitiger Natur ist, überhaupt innerhalb des gestalterischen Vermögens der beteiligten Personen. Wenn man das anders sieht und die voluntas irrealis als Konversionsvoraussetzung postuliert, wird das Differenzierungsvermögen der Handelnden erheblich unterschätzt, weil ihnen im Hinblick auf die Grundentscheidung von Todes wegen zu verfügen oder sich unter Lebenden zu binden, Gleichgültigkeit oder Unkenntnis angesonnen wird. Zu welchen Konsequenzen eine allzu großzügige Öffnung des rechtsgeschäftlichen Erbrechts für lebzeitige Strukturprinzipien führen kann, zeigt ein Blick auf die jüngere Entwicklungsgeschichte der letztwilligen Verfügungen, die in einzelnen Stellungnahmen moderner Autoren bis heute fortwirkt. Historisch gesehen wurde insbesondere die Errichtung eines Testaments vor dem Eintritt seiner Wirksamkeit als bloße Vorbereitungshandlung aus dem Bereich des rechtsgeschäftlichen Handelns ganz herausgedrängt oder als Dauerakt gewaltsam in die synchrone Struktur des lebzeitigen Vertrags eingepasst.42 Vermeiden lässt sich das mit der Einführung der „Gültigkeit“ als der Wirksamkeit vorgelagertem normativen Maßstab in das gewillkürte Erbrecht.43 Er erfasst die Verfügung von Todes wegen auf der Seins-, wenn auch noch nicht auf der Wirkebene des Rechts. Die strukturell ähnlich angelegte Unterscheidung Flumes zwischen Akt und Regelung hilft zudem, eine am Errichtungszeitpunkt ansetzende Kontrolle der Gesinnung des Erblassers gemäß § 138 Abs. 1 BGB zu vermeiden44 und sie stattdessen durch eine transparentere, am Eintritt der Rechtswirkung orientierte Sittenwidrigkeitsprüfung des Rechtsgeschäfts zu ersetzen. 40 41 42 43 44

Oben § 12 B. IV. 2., S. 331 ff. Oben § 12 B. IV. 1., S. 325 ff. Oben § 12 B. V. 1., S. 338 ff. Oben § 12 B. V. 2., S. 341 ff. Oben § 12 B. V. 3. a., S. 344 ff.

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Zugleich wird hier dafür plädiert, das nicht haltbare Axiom von der Gleichgeartetheit der Inhaltskontrolle lebzeitiger und erbrechtlicher Rechtsgeschäfte aufzugeben.45 Es führt im Ergebnis zu einer unguten Präsenz des Rechts der Lebenden im Recht der Verfügungen von Todes wegen.

45

Oben § 12 B. V. 3. b., S. 346 ff.

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Sachverzeichnis Abkömmling, behinderter s. „Behindertentestament“ Abstraktionsprinzip 12122, 12125, 126, 164, 167, 249 Abschlussfreiheit s. Vornahmefreiheit actus contrarius 239, 354 AGB-Gesetz 63 ABGB, Österreich 6130 Äquivalenz s. Erbvertrag, Äquivalenz Affekte 111 ff., 139 Akt s. auch Verfügung von Todes wegen, Errichtung 346 ff. Aktstypenzwang s. Typenzwang Andeutungstheorie 317 Anerkennungsverhältnis 49 f., 191 Anfall der Erbschaft 199, 20826 , 209 Anfechtung s. Verfügung von Todes wegen, Anfechtung Annahme der Erbschaft 197 f., 295159 – Haftungsrisiko vor 20826 – Gestaltungsrecht 215 – Inhalt 216 Antrag 274, 347 Aufhebung der Verfügungen von Todes wegen s. Verfügung von Todes wegen, Anfechtung; Widerruf Auflage 250 Aushandeln 193, 198, 226 – (Rechts-)Machtneutralisierung durch 188 ff., 200 f. Aushöhlungsnichtigkeit 123 ff., 309 f., 326337 Auslegung s. Verfügung von Todes wegen, Auslegung Auslegungs- und Ergänzungsregeln 108315 Ausschlagung 52164, 6669, 82 – Adressat 197 – Berechtigte 194 f.

Form und Frist 215, 295159 Gestaltungsrecht 194267, 226 Höchstpersönlichkeit 218 Inhalt 216 (Rechts-)Machtneutralisierung 186, 192 ff., 195, 197 f., 212, 226, 253 – privatautonomes Recht 194 f., 215 ff., 226 – Überleitbarkeit des Rechts zur 21780 – Wirkung 195, 197, 200 Ausschluss von der Erbfolge s. Pflichtteilsrecht Austauschvertrag s. Vertrag, gegenseitiger Außerordentliches Testament s. Nottestamente – – – – –

Bedingung s. Potestativbedingung, erbrechtliche Beendigungsfreiheit 238 ff., 241, 253, 279, 354 – negative Freiheit 238 Begräbnisrecht 750 „Behindertentestament“ s. auch Bundesgerichtshof, „Behindertentestament“ 260 ff. – sozialhilferechtliches Nachrangprinzip 261 – Rechtsgeschäft, typengemischtes 266 – Sittenwidrigkeit 260 ff. – „Vermächtnislösung“ 261101, 263112 benigna interpretatio 321309, 329359, 353 Berufung zum Erben s. Erbeinsetzung Betreuer 264 Bindung – Beendigung 243 – Bindungsfreiheit 241, 243 – Bindungstheorien 144 ff., 144130, 16896 , 24124, 280 – Bindungswillen 276, 328

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– erbrechtliche 10 64, 74177, 82, 88, 242, 287 ff., 291134, 297, 299, 326, 328, 331 f., 335395 – erbvertragliche 144, 145135, 145139, 165, 193263, 240, 242 f., 280, 284 ff., 288, 291132, 297166 , 309, 332, 334388, 340 – gemeinschaftliches Testament 144, 145140, 242, 284 ff., 288, 309, 334388 – Intensität 275, 283 ff., 289, 300, 324, 356 – lebzeitige 101277, 243, 2445, 253, 277, 280, 292, 306 f., 311, 328, 335, 348, 355 – normatives Wirksamkeitserfordernis 64, 68 – Verhältnis zur Geltung 147 f., 272 ff., 292, 324, 348 Bloch, Ernst 115 Boehmer, Gustav 15, 17, 116, 153, 15625, 212, 222 bonorum possessio contra tabulas 1847 Bürgerliches Gesetzbuch – „chancenlose Kodifikation“ 61, 352 – liberaler Ursprung 62 – Materialien 303 – „späte Aussöhnung“ 2269 Bundesgerichtshof – „Behindertentestament“ 29 f., 115, 217 f. – „Hohenzollern“-Entscheidung 29 ff., 51, 128, 140 – „Marlene Dietrich“-Entscheidung 98262 Bundesverfassungsgericht – Bürgschaftsentscheidung 48135 – „Hohenzollern“-Entscheidung 34 ff., 38 f., 4297 , 48, 54178, 128, 140 – Handelsvertreter-Entscheidung 48135, 6773 – Minderjährigenhaftung, Beschränkung der 48135, 178 ff. – Pflichtteilsentziehung 5 f., 14, 21, 55, 62, 127 f., 1533, 158 f. Common Law, Duress 45 Comte, Auguste 74115 condictio indebiti 12225 condictio ob rem 12225, 298170 confusio bonorum 77

culpa in testando s. Vertrauensschutz, Sekundärvertrauen des Erben Demokratieprinzip s. Testierfreiheit, demokratisches Potenzial; Vertragsfreiheit, demokratisches Potenzial Deutsche Einheit 21 „Diktatur“ des Erblassers s. Herrschaft der Toten über die Lebenden Diskriminierungsverbot, verfassungsrechtliches 55 Disposivität 245 Drohung s. Entschließungsfreiheit, Drohung widerrechtliche Dominium s. Eigentümerfreiheit – erbrechtliches 211, 216 f. „Druck“-Topos s. Entschließungsfreiheit, Beeinträchtigung durch Druck Ebenbürtigkeit 33 ff., 36 f., 39 Eheschließungsfreiheit 5 f., 34 f., 3659, 62, 46, 55 Ehrverletzung 68 Eigentümerfreiheit 154, 157 f., 159 ff., 174 f., 209, 213, 223 Eigentum 2 – Herrschaftsgewalt s. Eigentümerfreiheit – „Leistungs“-Eigentum 157 – Garantie des 1546 , 160, 161 ff., 208, 214, 223 – Privatnützigkeit 15837 – Verfügungsbefugnis über den Tod hinaus 295, 93, 154 ff., 159 ff. – Zuordnungsfunktion 157, 174 f. Eigentum und Erbrecht 132 Empfängerhorizont s. Willenserklärung, Empfängerhorizont Enterbung s. Pflichteilsrecht Entgeltlichkeit s. Verfügung von Todes wegen, causa Entschließungsfreiheit – Beeinträchtigung durch „Druck“ 35, 39 ff., 68, 128 f., 324330 – Drohung, widerrechtliche 44 f. Entziehung des Pflichtteils s. Bundesverfassungsgericht, Pflichtteilsentziehung Epikur 95 f., 98

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Equity-Rechtsprechung 43 – undue influence 43 ff. Erb-Boom 425 Erbe – Adressat des Erbrechts 101 – Schlusserbe 284 – Status 216 – Vertragserbe 284 – vorläufiger 20826 Erbeinsetzung 163, 250, 255 Erbenfreiheit 149, 213 Erbengemeinschaft s. Miterben Erbenhaftung 98, 214 f. Erbenrecht s. auch Erbschaftserwerb, Recht auf 214 f., 22096 Erbenstellung kraft Vertrauensschutzes 44 Erberwartung (enttäuschte) 6230, 247, 305 f. Erbfähigkeit 8 Erbfall 96, 300 f. Erbfolge – gesetzliche s. Familienerbfolge – gewillkürte s. Testierfreiheit – rechtsgeschäftliche s. Testierfreiheit Erbfolge, rechtsgeschäftliche s. Verfügung von Todes wegen Erbfolge, „vorweggenommene“ 12549 Erblasser – Persönlichkeits-/Willensersetzung 77, 100 – Persönlichkeits-/Willensfortsetzung 76131, 22098 Erblasserfreiheit 149, 213 Erblasserwille 270 – innerer 271, 281, 290129, 290131 – irrealer 327, 329, 358 – mutmaßlicher 18, 24, 109321, 141, 327 f., 330 – Rekonstruierbarkeit s. Verfügung von Todes wegen, Authentizität Erbrecht – Bedeutung, gestiegene 425 – Garantie 2, 29 f., 52 f., 54178, 92230, 128, 132, 153 ff., 155 ff., 161, 16469, 174, 201 f., 204, 206, 209 f., 220, 262 – Gemeinschaftsgedanke 15 f. – Normadressaten 7

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– privates 1, 185 – Recht der (Über-)Lebenden 6, 101, 142, 209, 252 – Renaissance des 13 – subjektives 164, 207, 20826 , 21033, 21458 f. – Vermögensverteilungsrecht 100, 142, 175, 185, 201, 212 f. – Zuordnungsfunktion 215, 222 f. Erbrechtsausschuss 15 f. Erbrechtsentwurf von 1940 21 f. „Erbrechtsfreiheit“ 211 ff. Erbrechtsgarantie s. Erbrecht, Garantie Erbschaft 9 – Anfall 36 – Annahme s. Annahme der Erbschaft – erdiente s. auch Erbenstellung kraft Vertrauensschutzes 75 Erbschaftsanspruch 121, 214 Erbschaftsbesitzer 121 Erbschaftserwerb – „arbeitsloser“ 15627 – neutraler 92 – Recht auf 204 ff., 207, 210 ff., 214 – Reflex der Testierfreiheit 206, 209 f. – unentgeltlicher 74, 80 f., 87 ff., 92, 105 Erbschaftssteuerrecht 92230, 15728, 15840, 2044 Erbschein 214, 302195 Erbvertrag 80149 – Änderungsvorbehalt 144133, 284, 289123 – Äquivalenz 81 f. – „Aushöhlung“ s. Aushöhlungsnichtigkeit – Beeinträchtigung des Vertragserben 124 – Begriff 574, 138 – Bindungswirkung s. Bindung, erbvertragliche – entgeltlicher 305207 – einseitige Verfügung 296 – „leistungsabhängiger“ 92, 104 – Leistungsstörungen 2, 240 – Rücktritt 81, 239 f. – vertragsmäßige Verfügung 144133, 239, 286, 296 f., 299, 356 – Wirkungsparität 219 Erbverzicht 194267

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Ergebniskontrolle s. auch Verfügung von Todes wegen, Inhaltskontrolle 198 ff. Erklärungstheorie 272 error in negotio 319 Erwerb der Erbschaft s. Erbschaftserwerb Erwerbsaussicht s. Erberwartung (enttäuschte) Erwerbsmodus s. Erbschaftserwerb; Universalsukzession Estate planning 4, 310, 336 Familienerbfolge 14 ff., 24, 12124 – Familienbild 22 – Leitbild der 130 f., 155, 205 – Krise der 13 f. – Verhältnis zur Testierfreiheit 20 ff., 131 Flume, Werner 346 forum internum s. Erblasserwille, innerer Formfreiheit 232 ff. – Hilfsprinzip 236 f. Formzwang 232, 254, 258, 311, 331372, 347 – Verhältnis zum Typenzwang 234 ff. Formzwecke 233 ff., 315 ff., 353 Franchisevertrag 25887 „Geliebtentestament“ s. Sittenwidrigkeit, „Geliebtentestament“ Geltung, lebzeitige – Anerkennung 278 f., 287, 293 – Eintritt 146 – Geltungserklärung 134, 146, 241, 271 ff., 322 f., 355 – Geltungswille 274, 278 – und Recht 169 f. – Rechtsfolgen 277 f., 323 – Verhältnis zur Bindung 147, 272 ff., 348 – Wirksamkeit 275 ff., 284, 287, 289, 350, 356 Geltung, erbrechtliche 279 ff., 282 f. – Wirksamkeit 282 ff., 340 Gemeinschaftliches Testament 47126 , 28386 – Begriff 574, 138 – Bindungswirkung s. Bindung, gemeinschaftliches Testament

– Geheimhaltungsinteresse 28175 – wechselbezügliche Verfügung 217, 23913, 286, 288119, 296 f., 299, 356 Gemeinschaftsgedanke 1947, 23428 Gesamtrechtsnachfolge s. Universalsukzession Geschäftsfähigkeit s. auch Testierfähigkeit 264, 343431, 347 Geschäftsgrundlage 63, 302 – Wegfall der 80 ff., 132 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen 63 Gesetzesrecht, einfaches 54176 , 203 Gesetzesumgehung 312 f., 314, 318 ff., 322 ff., 325, 334, 357 Gestaltungsfreiheit 235, 244, 251, 271 ff., 355 – erbrechtliche s. auch Testierfreiheit Gestaltungsbefugnis von Todes wegen s. Testierfreiheit Goethe, Johann Wolfgang von 74 Grundrechte – Disponibilität 51 – Drittwirkung der 30 ff. – Drittwirkung, unmittelbare 3223, 26 – Eingriff 39 ff., 180 – Innominatgrundrechte s. auch Testierfreiheit, (unbenanntes) Freiheitsrecht 168, 175 f. – Kernbereich 40 – „natürliche“ 173 Gutgläubiger Erwerb 125 Güterzuordnung s. Erbschaftserwerb; Universalsukzession Handlung s. Testieren Handlungsfreiheit, allgemeine 54, 98261, 158 f., 162 f., 166, 177, 180, 202 f., 208, 211, 225, 227 Haustürwiderrufsgesetz 6337 Heidegger, Martin 96, 114, 116 Heimgesetz 6233 hereditas iacens 76131 Herrschaft der Toten über die Lebenden 74, 94 ff., 98262, 99 f., 106, 133, 146, 190, 201, 211 f., 246 f., 252, 254, 339, 352 „Hohenzollern“-Entscheidung s. Bundesgerichtshof, „Hohenzollern“-Entschei-

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dung“; Bundesverfassungsgericht, „Hohenzollern“-Entscheidung homo oeconomicus 182, 184196 Humboldt, Wilhelm von 75 Husserl, Gerhart s. auch „Wüsten“Beispiel 273 Inhaltsfreiheit 233 f., 244 ff., 256, 354 f. Institutsgarantie 15625, 16891, 170 ipso iure-Erwerb s. Vonselbsterwerb Irrationalität s. Affekte ius succedendi s. Erbschaftserwerb, Recht auf ius vigilantibus scriptum 44 Iuvenal 24120 Kanonisches Recht 86191 Kant, Immanuel 72, 75, 15627 Kausalität s. Verfügung von Todes wegen, causa Koexistenz von Erblasser und Erbe 8 f., 197 Konversion s. Umdeutung Larenz, Karl 271 ff., 283, 355 Leasingvertrag 258 f., 261103 Leistungspflicht, Unmöglichkeit 256 Leistungsgesellschaft 73 Letzter Wille 7, 115, 146 Letztwillige Verfügung s. Testament; Verfügung von Todes wegen Locke, John 15627 Lossagung s. Widerruf Memento mori 114 Minderjährigenhaftungsbeschränkungsgesetz 49135 Mietrecht 6338 Miterben 205, 215 Mortalität s. Sterblichkeit Motivirrtum s. auch Verfügung von Todes wegen, Anfechtung 81, 83171, 130 f., 297, 302 f., 315268, 331, 354 Nacherbfolge 12547 Nachlass s. Erbschaft Nachlassfrüchte 264 f., 270 Nachlasssonderung 270

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Noterbrecht 15, 20, 6130 Nottestamente 8, 116, 318 Numerus clausus 123, 245, 248 f., 25783 Ordnungsmäßige Verwaltung 264, 266 pacta sunt servanda s. Vertragstreue Parität s. Testamentsparität Parlamentarischer Rat 15519 Patientenverfügung 96251 Paulskirchen-Verfassung 212 Persönlichkeitsrecht – allgemeines 2483, 108314 f., 112, 129, 163, 173, 176 ff., 178157, 181 – postmortales 98262, 177 Pflichtteilsanspruch 199 Pflichtteilsentziehung s. Bundesverfassungsgericht, Pflichtteilsentziehung Pflichtteilsrecht 3, 20 ff., 23 f., 6130 – Anfechtungsrecht 303 f. – Deregulierung 14, 86, 141 – Geschichte 15 – Reform 14, 21, 100 – Zweck 1516 , 85 „Pflichtteilsstrafklausel“ 261101 pollicitatio s. Versprechen, einseitiges Postmortale Vollmacht s. Vollmacht auf den Todesfall Potestativbedingung, erbrechtliche s.auch Verfügung von Todes wegen, verhaltensbezogene; Verfügung von Todes wegen, Sittenwidrigkeit 3659, 40, 102 f., 108, 343431, 348 – Sittenwidrigkeit 102 f. Prinzipien des Bürgerlichen Rechts 1 f., 28, 22, 65, 231 f., 354 Privatautonomie – personaler Charakter 112, 172 f., 182, 225 – Prinzip 143, 181, 334 – Teil der Handlungsfreiheit 231 – von Todes wegen s. Testierfreiheit – Verfassungsgrundsatz 167 ff., 173124 – unter Lebenden s. Vertragsfreiheit unter Lebenden – zweckgebundene 19, 135, 144, 183, 25680 Privateigentum s. Eigentum, Privatnützigkeit

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Privaterbrecht s. Erbrecht, privates Privatrechtsgesellschaft 3, 73107 promissio s. Versprechen, einseitiges proprietas s. Eigentum, Zuordnungsfunktion; Erbrecht, Zuordnungsfunktion Prostitutionsgesetz 2695 Quasikontrakt 66, 76 querela inofficiosi testamenti 1847 Realtypus, normativer 184194, 276 Rechtsfähigkeit 8, 95, 168, 343431 – s. auch Erbfähigkeit Rechtsfolgen s. Geltung, lebzeitige; Geltung, erbrechtliche Rechtsgeschäft – auflösend bedingtes 12225 – aufschiebend bedingtes 119 ff., 194, 223, 23911, 274, 285, 291132, 306 f., 320300, 343 – einseitiges 81 f., 191, 2387, 282 – erbrechtliches s. Verfügung von Todes wegen – lebzeitiges s. Vertrag – unter Lebenden auf den Todesfall 4 f., 213, 310 – zweiseitiges 104 Rechtsgrund s. Verfügung von Todes wegen, causa Rechtswirkungsdenken s. Geltung, lebzeitige, Geltungswille; Geltung, erbrechtliche Regelung s. Geltung, erbrechtliche; Geltung, lebzeitige Regelungswille s. Geltung, lebzeitige, Geltungswille Religion 114349 Richtigkeit durch Verfahren 198 Römisches Recht 1947, 61, 86191, 98261, 114349, 116355, 16258, 202308, 265 Rücktritt vom Erbvertrag s. Erbvertrag, Rücktritt Rückwirkungsverbot 350 Sartre, Jean Paul 115350 Savigny, Friedrich Carl von 339 Schenkung 137, 265, 285

– s. auch Erbschaftserwerb, unentgeltlicher Schenkung von Todes wegen 311, 318, 320 ff., 329 f., 331 ff. Schlusserbe s. Erbe, Schlusserbe Schutzauftrag, verfassungsrechtlicher 55, 129, 173, 206, 212, 223 f. „Sein zum Tode“ s. auch Heidegger, Martin 96, 114 „Seinsebene“ 342 Selbstbestimmung – individuelle s. Handlungsfreiheit, allgemeine – wirtschaftliche 184 Selbstverantwortungsprinzip 292, 334 f. Sittenwidrigkeit, einer Verfügung von Todes wegen 13, 1951, 25 ff. – Ausnutzung einer Zwangslage 45 – „Behindertentestament“ s. auch Bundesgerichtshof, „Behindertentestament“ – sog. einfache 41, 51156 – „Geliebtentestament“ 25 ff., 346 – wegen Grundrechtsverletzung 41, 51156 – „Hohenzollern“-Entscheidung s. auch Bundesgerichtshof, „Hohenzollern“Entscheidung; Bundesverfassungsgericht, „Hohenzollern“-Entscheidung – Institutsmissbrauch 67, 295 – „Sittensprechung“ s. auch Verfügung von Todes wegen, „Gesinnungskontrolle“ 27, 127, 130, 346, 350 – Zeitpunkt der Beurteilung 35, 84 f., 287111, 301, 338, 344 ff. Sondererbfolge 3 Spezialitätsgrundsatz 160 stat pro ratione voluntas 241 Status 73 Sterblichkeit 96251, 113 ff. Synallagma s. Vertrag, gegenseitiger Teilunwirksamkeit s. Verfügung von Todes wegen, Teilunwirksamkeit Testament – außerordentliches s. auch Nottestamente – eigenhändiges 111327, 281, 316 – Entwurf 340

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– Eröffnung 281 – Errichtung s. Verfügung von Todes wegen, Errichtung – „Geliebtentestament“ s. Sittenwidrigkeit, „Geliebtentestament“ – Gemeinschaftliches s. Gemeinschaftliches Testament – Leitinstrument 134 ff., 139, 145, 190, 196, 198, 28172, 332, 335 – öffentliches 281 – privatschriftliches s. Testament, eigenhändiges – Wortbedeutung 317 Testamentsgesetz von 1938 16, 6233 Testamentsparität 50 f., 66 ff. Testamentsvollstreckung 12547, 165, 263 f., 265 ff. „Testierautonomie“ 142 Testieren s. auch Verfügung von Todes wegen, Errichtung – Dauerhandlung 338 ff., 341, 346, 358 – Vorbereitungshandlung 338 ff., 358 Testierfähigkeit 110327, 235 Testierfreiheit – aliud zur Vertragsfreiheit 104 ff., 337 – Annex der Vertragsfreiheit 93, 100 f., 124, 138 f., 148, 203, 246, 327 – Delegitimation, historische 1, 72 f., 352 – demokratisches Potenzial 190 f., 200, 226, 352 – Emanzipation der 148, 201 f., 352 ff. – evolutionäres Defizit 69 – familiär gebundene Freiheit 18 f., 22 ff., 6130, 73110, 85 f., 156, 316 – Freiheit auf Gegenseitigkeit 50, 191 – (unbenanntes) Freiheitsrecht s. auch Handlungsfreiheit, allgemeine 166 ff., 174 ff., 176, 219, 225 – Geschichte 2 f., 170, 185 f. – Gleichberechtigung mit der Vertragsfreiheit 70 f. – Modell 79 – Mythos 60 f. – naturrechtliche 72, 15727, 172 – nicht pflichtgebundenes Recht 61 – Normativierung der s. Testamentsparität – Normprägung 169 ff., 224

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– personaler Charakter s. auch Privatautonomie, personaler Charakter 176 ff., 225 – Persönlichkeitsrecht 98262, 107 ff., 112 ff., 138, 141, 181 f. – Prinzip 58 ff. – privatrechtlicher Schutz 122 25, 124 f., 291, 306211, 313, 319 ff., 323, 325, 331 ff., 357 – „Recht des Todes“ 6 f., 6669, 97256 – verfassungsrechtlicher Schutz s. Erbrecht, Garantie – Verbindlichkeitsdefizit 291 ff., 304 ff. , 356 – Verhältnis zur Familienerbfolge 17 ff. – Verhältnis zur Vertragsfreiheit 57 ff., 100 f., 100272 – Verlebzeitigung 5, 69, 77 ff., 86 ff., 99, 107, 141, 148, 209, 310 – willkürliche Freiheit 19, 58, 71 f., 136, 190, 194, 251, 289 – Wirtschaftsbezug 69, 107 ff., 112 f., 182 ff., 225 Todesverarbeitung 96, 108315, 111329, 112 ff., 117, 139 Transzendentalität s. auch Letzter Wille 114349 Trennungsprinzip 90 f., 121 ff., 134 Treu und Glauben 294 f., 353, 356 Typenfixierung 24514 Typenfreiheit 244 ff., 257 ff. Typenklarheit 248 Typenkombinationsvertrag 267 f., 270, 355 Typenverschmelzungsvertrag 245, 247, 257 f., 260, 262, 267 f., 270, 355 Typenzwang – erbrechtlicher 97255, 118 ff., 122 f., 191, 250 ff., 254 f., 268, 308, 354 f. – sachenrechtlicher 118 ff., 122 f., 246 f., 248 ff., 25889 – Verhältnis zum Formzwang 234 ff. Überkonstitutionalisierung des Zivilrechts 38, 54178 Umdeutung 320 ff., 325 ff., 333, 337, 353, 358 Umgehung s. Gesetzesumgehung

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undue influence s. equity-Rechtsprechung, ~ Ungleichgewichtslage 65, 6776 , 84, 135 Universalsukzession 639, 92224, 120, 12124, 125, 160, 163 ff., 185, 198 f., 208 f., 215, 223, 249, 255 ff., 296159 Unternehmensnachfolge 100, 163 venire contra factum proprium 49 f., 84 Verbindlichkeit s. Bindung – normative s. Geltung, lebzeitige, Wirkung Verbotsgesetz 319 Verbraucherkreditgesetz 6337 „Verfassungsprivatrecht“ 40 f., 42, 128 f. Verfügungsbefugnis – von Todes wegen s. Testierfreiheit – lebzeitige 124 f., 248 f., 280, 291, 305, 324, 332, 357 f. Verfügung – gestreckte 339 f. – lebzeitige 119 f., 306211, 332 – letztwillige s. Testament; Verfügung von Todes wegen Verfügung von Todes wegen – Abgrenzung, lebzeitige Rechtsgeschäfte 119, 160, 27428, 280, 306 ff., 313, 321311, 326 ff., 336 f., 340410, 357 – Anfechtung 84, 97, 131, 147, 240, 296159, 297, 298170, 300 ff., 303199, 315268, 331, 354, 356 – Antragscharakter 52, 6669, 75 f., 78144, 84, 136, 192, 197, 199, 220 – Auslegung 147, 184194, 27643, 296 ff., 319, 327, 353, 356 – Authentizität 9, 170, 224 f., 254, 316 f., 327, 355 – bedingte s. Potestativbedingung, erbrechtliche – causa 83, 87 ff., 92, 110, 120 f., 137 f., 164, 224, 252, 265, 322311 – Diachronizität s. auch Verfügung von Todes wegen, Zeitstruktur 199, 354 – Errichtung 10, 97, 119, 134, 143, 253, 300, 304, 342 f., 348, 350 – Geltung s. Geltung, erbrechtliche – „Gesinnungskontrolle“ s. auch Sitten-

widrigkeit, Sittensprechung 344 ff., 358 – Gültigkeit 9, 116, 119, 134, 235, 273, 304, 314, 341 ff., 348, 358 – Heimlichkeit der 49, 281 f. – Höchstpersönlichkeit 86 f., 117367, 295159, 315 f. – Inhaltskontrolle 27, 40, 67, 105, 135, 191, 260 – Linearität s. Verfügung von Todes wegen, Zeitstruktur – „materielle“ 308 ff., 312 ff., 318, 320, 357 – Richtigkeitsgewähr 85, 105, 190 f. – Sittenwidrigkeit s. Sittenwidrigkeit – Teilunwirksamkeit 331 – unentgeltliche s. Erbschaftserwerb, unentgeltlicher – verhaltensbezogene 87, 94 ff., 100, 109 f., 138, 141, 191254, 295 – vermögensbezogene 100, 102 f., 109 f., 138 – Wirksamkeit 38, 119, 134, 144, 147, 193 f., 242, 253, 273, 279, 282, 301, 314, 338, 341 ff., 348 – Zeitstruktur 7 ff., 38, 119, 134, 196 f., 209, 220, 242, 253, 294, 300 f., 314, 341 ff. Verfügungsunterlassungsvertrag 304 ff. – einfacher 305 – qualifizierter 306 ff., 312, 318 ff., 324, 336 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 29, 33, 39 Verhalten, widersprüchliches s. venire contra factum proprium Verhandeln s. Aushandeln Verkehrsgeschäft 12225, 123, 125, 27960, 312245 Verkehrsschutz 124, 126, 135, 248 f., 251, 293, 302, 335 Vermächtnis 78143, 80, 250, 25572, 326 Vermögensübergang s. Universalsuk zession Verpfründungsvertrag 12125 Versprechen, einseitiges 66, 76 Vertrag s. auch Aushandeln

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– Abgrenzung, erbrechtliche Rechtsgeschäfte 119, 160, 27428, 280, 306 ff., 313, 321311, 326 ff., 336 f., 340410, 357 – Äquivalenz 82 ff. – dinglicher 120 – gegenseitiger 80 f., 91 f., 102, 110, 133, 137, 15627, 182, 196, 239, 247, 282 – Inhaltskontrolle 64, 67 – Instrument der Sozialordnung 64 – Richtigkeitsgewähr s. auch Richtigkeit durch Verfahren 63 f., 84 – Selbstregulierung durch Vertrag 6557, 171 – Sozialakt 280 – Vertrauen 293 f. Vertrag, atypischer s. Typenverschmelzungsvertrag Vertrag zugunsten Dritter – auf den Todesfall 3 f., 24627, 256, 310 ff., 357 – lebzeitiger 97255, 199 f., 252 f. – Zurückweisungsrecht 199 f. Vertragsbegründungsfreiheit s. Inhaltsfreiheit Vertragsfreiheit unter Lebenden – aliud zur Testierfreiheit 105 ff., 337 – demokratisches Potenzial 190 ff., 226, 246 – Entwicklung 62 ff. – Entwicklungsfreiheit 258, 260 f. – formale 65, 189 f., 192 f., 261, 353 – Freiheit in Gleichzeitigkeit 195 ff., 332 – (unbenanntes) Freiheitsrecht 174 ff., 214, 225 – Leitbild 71, 101 – Modell 57 ff., 79 ff., 124, 137 f. – Mythos 59 f. – Normprägung 167 f., 224, 259 – personaler Charakter s. auch Privatautonomie, personaler Charakter 176 ff. – Synchronizität 195 ff., 273, 332, 339 – Verfassungsgrundsatz s. Privatautonomie, Verfassungsgrundsatz – Wirtschaftsbezug 69, 138, 143128 , 182 ff., 225 Vertragsgerechtigkeit 58, 64 Vertragsparadigma s. auch Erbvertrag,

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leistungsabhängiger 54, 74, 136, 187 f., 332 – Leitbild 72 f., 133 – Reziprozität 71, 92, 112, 137, 299 Vertragsparität, gestörte s. auch Testamentsparität 65, 68 f., 135 Vertragstreue 277, 290 f., 292 Vertrauensschaden 297 Vertrauensschutz s. auch Erbenstellung, kraft Vertrauensschutzes 58, 97, 105, 144130, 287 ff., 292 ff. – Primärvertrauen des Erben 293 ff., 350, 356 – Sekundärvertrauen des Erben 44111, 50144, 28280, 304, 356 Vertrauenstheorie 27750, 27960, 290, 300177 Verwirkungsklausel s. „Wiederverheiratungsklausel“ Vollmacht auf den Todesfall (postmortale Vollmacht) 99, 308, 312 ff., 357 voluntas defuncti s. Erblasserwille voluntas irrealis s. Erblasserwille, irrealer voluntas praesumtiva s. Erblasserwille, mutmaßlicher voluntas simultanea 77 Vonselbsterwerb 195270, 215 Vor- und Nacherbschaft 217, 267 ff. Vorerbe 209, 263, 266 ff., 269 Vorkaufsfall 324 Vornahmefreiheit 233, 235, 238 ff., 2445, 354 – positive Freiheit 238 „Vorweggenommene Erbfolge“ s. Rechtsgeschäft, unter Lebenden auf den Todesfall Weber, Max 15627 Wechselbezügliches gemeinschaftliches Testament s. Gemeinschaftliches Testament Weimarer Reichsverfassung 212, 35, 170 – Familienfideikommisse 37 „Wer lebt, hat Recht“ 99 Wettbewerb s. auch Vertragsfreiheit, Wirtschaftsbezug; Testierfreiheit, Wirtschaftsbezug 182 f., 186, 225 Widerruf 239 f., 253, 288, 300, 315268, 341

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„Wiederverheiratungsklausel“ 46 Wille – natürlicher 172, 259, 276, 27743, 278 – objektiv-normativer 276 f. Willensdogma 588, 65, 84 ff., 110, 140, 144, 301, 331 – Schutz des Willens 105 – Schutz vor dem Willen 105 f., 335 Willenserklärung s. auch Verfügung von Todes wegen; Vertrag 272 – Empfängerhorizont s. auch Verfügung von Todes wegen, Auslegung 296 ff. – empfangsbedürftige 274, 311245, 347, 353

– Willenskundgabe 2712, 276, 280 f., 28168, 290 Willenstheorie 27750, 27960, 290 „Willensvereinigung“ 76 f. „Wirkebene“ 342 Wirksamkeitsvoraussetzung 343428, 343431 „Wüsten“-Beispiel 171 Zugang s. Willenserklärung, empfangsbedürftige Zweckform s. Formzwecke Zweckvereinbarung 12225