Territorium Frau: Körpererfahrung als Erkenntnisprozeß in Texten zeitgenössischer lateinamerikanischer Autorinnen 9783964564726

Die Arbeit behandelt die literarische Aufarbeitung des Themenkreises 'Körper' durch lateinamerikanische Schrif

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German Pages 496 Year 2019

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Table of contents :
INHALT
0. EINLEITUNG
1. DIE AUTORINNEN UND IHRE WERKE (KALEIDOSKOP ANSTELLE EINES PANORAMAS)
2. ANFANGSSIGNALE: EINSTIEGE IN DIE WELT DES KÖRPERS
3. GEOGRAPHIE DES KÖRPERS: ERFORSCHTE UND UNERFORSCHTE REGIONEN
4. DER WEIBLICHE KÖRPER IM SPANNUNGSFELD ZWISCHEN EROS UND THANATOS
5. ANHANG
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Territorium Frau: Körpererfahrung als Erkenntnisprozeß in Texten zeitgenössischer lateinamerikanischer Autorinnen
 9783964564726

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Erna Pfeiffer

Territorium Frau

Erna Pfeiffer

Territorium Frau Körpererfahrung als Erkenntnisprozeß in Texten zeitgenössischer lateinamerikanischer Autorinnen

Vervuert Verlag • Frankfurt am Main 1998

Für Karl und die Kinder

Gedruckt mit Unterstützung des Bundesministeriums für Wissenschaft und Verkehr in Wien, des Wissenschaftsreferenten des Landes Steiermark sowie der Hugo-Schuchardt'schen Malvinenstiftung in Graz

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Pfeiffer, Erna: Territorium Frau : Körpererfahrung als Erkenntnisprozeß in Texten zeitgenössischer lateinamerikanischer Autorinnen / Erna Pfeiffer. Frankfurt am Main : Vervuert, 1998 Zugl.: Graz, Univ., Habil.-Schr., 1996 ISBN 3-89354-098-9

© Vervuert Verlag, Frankfurt am Main 1998 Alle Rechte vorbehalten Umschlaggestaltung: Michael Ackermann, unter Verwendung einer Photographie von Carlos Pérez V. (in: Conny Rojas Sanín: Pasa la lluvia como el olvido, Medellín 1991) Gedruckt auf säure- und chlorfreiem, alterungsbeständigen Papier Printed in Germany

Inhalt

5 INHALT

0. Einleitung 1. Die Autorinnen und ihre Werke (Kaleidoskop anstelle

9 22

eines Panoramas) 1.0.

Vorbemerkung

22

1.1.

Maria Luisa Bombai (Chile, 1910-1980)

23

1.1.1. Auf der Suche nach dem verlorenen Vater

23

1.1.2. Schmales Œuvre in poetischer Prosa 1.1.3. La ultima niebla (1935): Feminine Eleganz zwischen Romantik und Avantgarde

36 53

Armonia Somers (Uruguay, 1914-1994)

75

1.2.1. Fräulein Lehrerin mit Doppelleben

75

1.2.

1.3.

1.4.

1.5.

1.2.2. Schwierige Lektüre mit nekrophilen Untertönen 1.2.3. La mujer desnuda (1950): Be-fremdliches zwischen Utopie und phantastischer Literatur

90 102

Inés Arredondo (Mexiko, 1928-1989)

120

1.3.1. Mystikerin mit gebrochenem Rückgrat 1.3.2. Konzises Erzählen im Zeichen des amour fou 1.3.3. La Sunamita (1961): Unheimliche Begegnung mit biblischen Reminiszenzen

120 133 145

Antonieta Madrid (Venezuela, geb. 1939)

158

1.4.1. Tochter aus gutem Hause 1.4.2. Stiefkind der Literaturgeschichte 1.4.3. No es tiempo para rosas rojas (1975): Fragmentation und Collage im Hippie-Look

158 168 177

Luisa Valenzuela (Argentinien, geb. 1938)

197

1.5.1. Vaterlands/loses Mundwerk 1.5.2. Eine Meisterin der Sprache zwischen Magischem Realismus und escritura femenina

197 210

1.5.3. Cambio de armas (1982): Das Unsagbare zur Sprache

221

bringen

6

1.6.

Inhalt

Alicia Kozameh (Argentinien, geb. 1953)

240

1.6.1. Überlebende anderer Welten 1.6.2. Innovative Ansätze mit politischem Background 1.6.3. Patas de avestruz (unveröff.): Entwicklungsroman mit kontrapunktischer Stimmenverteilung

240 254 264

2. Anfangssignale: Einstiege in die Welt des Körpers

283

2.1.

La ultima niebla - Nebelhafter Phantomkörper

284

2.2.

La mujer desnuda - Die Frau ohne Kopf

288

2.3.

La Sunamita - Blühende Jugend, vom Hauch des Todes gestreift

291

2.4.

No es tiempo para rosas rojas - Geknicktes Heideröschen

295

2.5.

Cambio de armas - Frau im Dämmerzustand

300

2.6.

Patas de avestruz - Symbiose und Abgrenzung

304

2.7.

Schematische Zusammenfassung

308

3. Geographie des Körpers: Erforschte und unerforschte Regionen

313

3.0.

Einleitung

313

3.1.

La ultima niebla: Starke Männerbrust - zartes Frauenherz

315

3.1.1. Der weibliche Körper 3.1.2. Der männliche Körper

317 322

La mujer desnuda: Männlicher Bauchmensch - F r a u auf eigenen Füßen

327

3.2.1. Der weibliche Körper

329

3.2.2. Der männliche Körper

334

La Sunamita: Grapschende Hand - schreckgeweitete Augen

341

3.3.1. Der weibliche Körper 3.3.2. Der männliche Körper

342 346 351

3.2.

3.3.

3.4.

No es tiempo para rosas rojas: Konfliktzone Kopf 3.4.1. Der weibliche Körper

354

1

Inhalt

3.5.

3.6.

3.4.2. Der männliche Körper

361

Cambio de armas: Wunde Punkte und Folterwerkzeuge

367

3.5.1. Der weibliche Körper

370

3.5.2. Der männliche Körper

375

Patas de avestrur. Liebe zum Detail und reiches Innenleben

380

3.6.1. Der weibliche Körper 3.6.2. Der männliche Körper

382 387

4. Der weibliche Körper im Spannungsfeld zwischen Eros und Thanatos

394

5. Anhang

417

5.1.

Tabellen

417

5.2.

Bibliographie

436

5.2.1. Kultur- und literaturwissenschaftliche Werke

436

5.2.2. Werke zur lateinamerikanischen Frauenliteratur

440

5.2.3. Werke zu den einzelnen Autorinnen

445

5.2.4. Sonstige zitierte Werke

474

5.3. Index

478

5.3.1. Personenindex

478

5.3.2. Sachindex

487

0.

EINLEITUNG

Loves mysteries in soûles doe grow But yet the body is his booke... (John DONNE: „The Extasie") Le corps. Objet, limite, serf et maître de la connaissance. Lieu du bonheur et du malheur, du présent, du passé et de l'avenir, lieu de l'espace - Tout ceci n'a de sens que par lui. (Paul VALÉRY: Cahiers II) Im Verlauf des Zivilisationsprozesses mit seiner zunehmenden Entfremdung zwischen Kreatürlichkeit und Abstraktion wird der Körper immer mehr zum Austragungsort diverser individueller und gesellschaftlicher Konflikte, im Extremfall - wie in den Gaskammern der Nazis - auch zum Schlacht- bzw. Trümmerfeld, auf dem mit den menschlichen Leichenteilen der humane Anspruch einer Kultur zu Grabe getragen wird. Gleichzeitig erweist sich in einem Zeitalter durchgehender Technologisierung das Leibliche jedoch als Rückzugsgebiet, als Schonlandschaft, in der die verkümmerte oder bedrängte Psyche sich lustwandelnd erholen, 'Selbstfindung' betreiben darf, oftmals mit Hilfe mehr oder weniger obskurer esoterischer Praktiken. Der Körper ist uns fremd geworden, ist nicht mehr selbstverständlich Sitz und Ursprung des Ichbewußtseins, Medium und materielle Grundlage der Welterfahrung: Virtuelle Realitäten vermitteln auf illusorische Weise den Eindruck, der kybernetische Mensch könne sich des physischen Ballasts entledigen und trotzdem durch womöglich noch vielfältigere als die natürlichen - Universen 'erlebend' spazieren (ohne sich freilich vom Platz zu bewegen1). Andererseits greift ein neues Körperbewußtsein Platz, das auffordert zum Horchen auf die Signale des Somatischen, ihm

Gerade die Räumlichkeit, die Dreidimensionalität der Erfahrung wird aber etwa noch von DESCARTES als Wesensmerkmal des Körperlichen verstanden, das dieses vom gestaltlosen Geist unterscheide: „A savoir, l'étendue en longueur, largeur et profondeur, constitue la nature de la substance corporelle; et la pensée constitue la nature de la substance qui pense. Car tout ce que d'ailleurs on peut attribuer au corps présuppose de l'étendue, et n'est qu'une dépendance de ce qui est étendu" (Les Principes de la philosophie I, 53). Mit dieser Unterscheidung ist es aber im Zeitalter der Relativitätstheorie und der Quantenphysik vorbei, obwohl die atavistische, der geistig-wissenschaftlichen Erkenntnis hinterherhinkende Körperwahrnehmung noch keine eigenen Sensorien für die Loslösung vom Euklidschen Raum entwickelt hat und zumindest vorläufig auf technische Hilfsmittel angewiesen bleibt. In diesem Sinne ist der Körper zugleich Relikt und Bewahrer früherer, archäologischer Schichten des Bewußtseins.

10

Einleitung

eine fast transzendentale Dimension verleiht und gegebenenfalls zur Ersatzreligion gerät. Fitness- und Wellnesskultur, sexuelle Revolution und alternative Modelle etwa der sanften Geburt sind einige der äußeren Phänomene dafür, daß die ursprünglich naive, unhinterfragte Beziehung zur physischen 'Basis', auf der letztlich unser Menschsein beruht, zunehmend problematisiert und neu überdacht wird. Dabei ist das Fleischliche für die Menschwerdung sozusagen notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung: ohne Körper kein Mensch; aber die reine Physis ohne Möglichkeit zur Autoreflexion bleibt ebenfalls im Vorstadium des Humanen stecken, sei es in einer Frühphase der 'normalen' Kindheitsentwicklung, wie es Lacan mit dem vorsprachlichen „Imaginären" umrissen hat, sei es, wie wir später bei Kozameh sehen werden, die ständige Latenz durch geistige Behinderung, die nur dadurch 'aufgehoben' 2 werden kann, daß eine Mittelsperson (in diesem Fall die empathische Schwester) dem defizienten Geist einen Spiegel leiht, Reflexion durch sprachliche, textuelle Mittel schenkt. Der Spiegel des Bewußtseins ist mithin vonnöten, um den rein vegetierenden Körper zum Leben zu erwecken; in dialektischer Umkehr des biblischen Diktums „Und das Wort ist Fleisch geworden" (Joh.1,14), könnte man sagen: „Und das Fleisch muß Wort werden" 3 - also genau jener Prozeß, der sich in dem hier untersuchten Korpus von Texten lateinamerikanischer Autorinnen mit extrem dichtem, intensivem Körperbezug niederschlägt. Andererseits aber bildet sich das Bewußtsein evolutionär (sowohl onto- als auch phylogenetisch) an der Verarbeitung von leiblichen Sensationen4 erst allmählich heran; diese stellen also zugleich Vorformen, Entwicklungsstadien und Auslöser höhe-

2

im dreifachen Sinne von „beseitigt", „aufbewahrt" und „auf eine höhere Stufe gehoben"

3

Ist das nicht im Prinzip dasselbe, wie wenn Sigmund FREUD sagt: „Wo Es war, soll Ich werden" („Neue Folge der Vorlesungen": 516)? Auch bei ihm geht es ja um das sprachliche Ausdrücken des Unsagbaren, wie es sich in den Symptomen der Hysterie niederschlägt. Bezeichnenderweise findet gerade der Vater der Psychoanalyse immer wieder Vergleiche mit literarischen Texten, wenn er etwa meint: „es berührt mich selbst noch eigentümlich, daß die Krankengeschichten, die ich schreibe, wie Novellen zu lesen sind" (,Studien über Hysterie, zit. in STAROBINSKI: 107). Und auch Starobinski erläutert dazu: „Aber gerade weil die Hysterie sich verhält, als wüßte sie nichts von der Anatomie des Gehirns und der Verteilung der Nerven, gerade weil das einfache Anführen der Reflexbögen [...] keine hinreichend befriedigende Erklärung für Freud darstellt, sieht er sich gezwungen, einen anderen Weg einzuschlagen, der es erlaubt, auf das Symptom der Hysterie und das pathologische Faktum der Neurose zurückzukommen. Dieser Weg ist die Narration. [...] Kommt die Verknüpfung dieser Reihe von Vorgängen in ihrer zeitlichen Abfolge von Bedingung und Folgewirkung nicht notwendigerweise einem Erzählen gleich?" (STAROBINSKI: 106f.)

4

Wieder verwende ich absichtlich einen doppeldeutigen Begriff, der in den romanischen Sprachen mit dieser Konnotation geläufiger ist: einerseits als „Auf-sehen erregen" (was ebenfalls auf die große Bedeutung sensorischer Elemente auf unser Denken hinweist), andererseits in der Bedeutung von „Empfindungen", „Sinneseindrücken" (< sensus).

Einleitung

11

rer geistiger Prozesse dar, die letztlich ihre Abkömmlinge sind. Körperliche Erfahrung als Erkenntnisprozeß: Das war für mich eines der prägnantesten Resümees, die ich aus meiner langjährigen Beschäftigung mit der lateinamerikanischen Frauenliteratur ziehen konnte. Immer wieder mußte ich feststellen, daß eines der Leitmotive, die sich durch Texte von Autorinnen ziehen, die unmittelbare Körperlichkeit ist, sei es in erotischen Gedichten, Entwicklungsromanen oder literarischen Bewältigungen extremer Gewalt (Folter, Vergewaltigung, Mord/Selbstmord, etc.). Zunächst hatte ich nur das diffuse Gefühl, daß Frauen einen anderen, unter Umständen intensiveren Umgang mit diesen körperbezogenen Themen pflegten als ihre männlichen Kollegen: Bei diesen traten zwar einige dieser Stoffe ebenfalls in Erscheinung, aber zumeist 'rationalisiert', instrumentalisiert, in den Dienst einer 'Sache' gestellt, wie etwa politische Gewalt bei Cortázar (Libro de Manuel) oder García Márquez (La mala hora, Cien años de soledad) unter die Auspizien 'linker' Gesellschaftskritik. Selten bekam ich den Eindruck, daß der Körper per se ein spezielles Erkenntnisinteresse auf sich zöge, und noch größer wurde die Irritation, wenn ich näher untersuchte, wie sich die männlichen Autoren dem weiblichen Körper als Betrachtungsobjekt näherten. 5 Da wimmelte es plötzlich von archaischen oder futuristischen Mythen, unhinterfragten Stereotypen und Klischees, Manichäismen wie dem bekannten „Heilige vs. Hure", von kaum verhüllten Ängsten, Projektionen und

Eine noch größere Leerstelle als der weibliche Körper, dessen Darstellung gewissermaßen zu den kulturell überlieferten Topoi gehört, bildet aber der eigene, männliche Körper, der für die Autoren des 'starken' Geschlechts, speziell in Lateinamerika, ein viel stärkeres Tabu darstellen dürfte, wahrscheinlich aufgrund unbewußter Ängste vor dem Vorwurf der Homosexualität: Wagt 'mann' sich in bezug auf die Frau (deren Nacktheit etwa in der Aktmalerei immer schon ein 'Muß' gewesen ist, ja zum Fokus der Phantasien für den Mann wird, der seinen eigenen Körper vergessen und verdeckt hat, vgl. BARTA: Frauen - Bilder 364) auch auf das Terrain des Obszönen vor, so kann man die Stellen, in denen etwa das männliche Glied (aber auch weniger verfängliche Körperteile, wie Brust oder Bauch) literarisch bearbeitet, sichtbar gemacht werden, wahrscheinlich an den Fingern einer Hand abzählen... Eine der wenigen Passagen, wo dies - trotz der nach außen zur Schau gestellten phallischen Note - ganz verschämt anklingt, findet sich z.B. in Garcia Márquez' Cien años de soledad, in einer Szene zwischen Mutter und Sohn: „Una noche Úrsula entró en el cuarto cuando él se quitaba la ropa para dormir, y experimentó un confuso sentimiento de vergüenza y piedad: era el primer hombre que veía desnudo, después de su esposo, y estaba tan bien equipado para la vida, que le pareció anormal." (29) Auch in dieser Beziehung überschreitet z.B. die erotische Literatur von Frauen in Lateinamerika eine bisher stillschweigend gezogene Grenze, vgl. etwa die Gedichte von Ana ISTARÚ in Estación de fiebre, von Gioconda BELLI in De la costilla de Eva oder die Erzählungen von Carmen Cecilia SUÁREZ in Un vestido rojo. Von männlichen lateinamerikanischen Lesern, mit denen ich über diese Texte gesprochen habe, auch und gerade Angehörigen der fortschrittlichen Linken, wird mir durch die Bank der Eindruck vermittelt, daß diese sich durch solche literarischen Annäherungen im wahrsten Sinne 'peinlich berührt' fühlen.

12

Einleitung

manchmal schon fast ins Selbst-Parodierende gehenden, karikaturesken Überzeichnungen. 6 Die unterschiedlichen Reaktionen, die ich in Lehrveranstaltungen an der Universität, Seminaren der Erwachsenenbildung oder einfach im persönlichen Gespräch von Seiten männlicher und weiblicher Leser auf viele Passagen in Texten der „literatura consagrada" registriert habe - hier augenzwinkerndes, komplizenhaftes Einverständnis zwischen Kumpeln, da entweder gedankenloses Nach- und Anbeten oder aber grenzenlose Empörung über die Mißachtung des Weiblichen, wenn etwa Cortázar seiner Figur Horacio Oliveira diesen furchtbaren Satz in den Mund legt: „En el principio fue la cópula, violar es explicar" (Rayuelo, 51) - , zeigen mir, daß es hier offenbar Divergenzen der Wahrnehmung gibt, daß wir dabei an einen wunden Punkt stoßen, wo das Geschlecht des Lesenden/Schreibenden eine signifikante Rolle spielt. Eine der wichtigsten Markierungen des Leiblichen, die mit all den oben dargestellten Verschiebungen auf dem Leib-Seele-Kontinuum im Begriff ist, neu gesetzt zu werden, ist ja die des Geschlechts. Der weibliche Körper wird im Patriarchat in zunehmendem Maße zum umkämpften Gelände, zum Territorium, das erobert, besetzt, ausgeschlachtet oder letztlich völlig verwüstet werden kann, wie im Falle der sogenannten „Hexen" in der beginnenden Neuzeit. 7 Imaginationen etwa des amerikanischen Kontinents als nackte Frau, wie sie in der bildenden Kunst seit dem 15. Jahrhundert immer wieder auftauchen, mit einem männlichen (selbstverständlich bekleideten) Eroberer als Gegenüber, erweisen sich als eindeutige und leicht deutbare Botschaften aus dem Unterbewußten. 8 Zu dieser archaischen Kolonisation des Weiblichen, die seit jeher im Diskurs von Entdeckung und Eroberung zu finden ist, gesellt sich nun die (post)moderne Gleichung vom „Müllhaufen der Überflußgesell-

Einige dieser Erfahrungen und Analysen habe ich in meinen Artikeln „La condición femenina" und „Als die Puppen zu sprechen begannen" zu Papier gebracht. Manchmal ist für mich nicht recht nachempfindbar, inwieweit Autoren wie Julio Cortázar in Rayuelo, Alejo Carpentier in Los pasos perdidos, Carlos Fuentes in La muerte de Artemio Cruz oder García Márquez in Cien años de soledad (von Autoren der älteren Generation wie Rómulo Gallegos ganz abgesehen) in den klischee- und gewaltgeschwängerten 'Liebesszenen' sozusagen ungewollt eine 'naive' Offenbarung ihrer eigenen Phobien und Projektionen unterläuft, oder ob sie darin bewußt Kritik an der Liebesunfähigkeit des gewalttätigsein müssenden lateinamerikanischen Machos üben, also eher ironisch an die Sache herangehen. Gegen letzteres scheint mir der tiefe, fast religiöse Ernst, die anscheinend existentielle Ehrlichkeit zu sprechen, die aus manchen dieser für weibliche Leser zumindest im ersten Anlauf geradezu unerträglichen Passagen sprechen. Auch männliche Künstler bilden darin keine Ausnahme: Wie u.a. Klaus THEWELEIT eindringlich aufgezeigt hat, ver-brauchen, opfern, verheizen sie unentwegt weibliche Musen/Geliebte, aus denen sich ihr/e kreative/s Potential/Potenz nährt. Vgl. dazu WEIGEL: Topographien, insbesondere das Kapitel „Die Kolonisierung der 'weiblichen Natur'" (140-148) mit einigen aufschlußreichen Abbildungen.

Einleitung

13

schaft", in den Körper von Frauen im 20. Jahrhundert umfunktioniert werden: Mißbraucht als Abladeplatz, Schutthalde für die unverdaulichen Reste des industriellen Prozesses und der damit einhergehenden ökologischen Verwüstung, wird die Frau dazu verurteilt, am eigenen Leib die einander widersprechenden Anforderungen des jeweils geltenden Moralkodexes, der gerade gültigen Arbeitsmoral und der herrschenden politischen Verhältnisse als kaum zu bewältigende Zerreißprobe auszustehen oder aber an ihr zugrundezugehen. So spiegelt sich in der Anatomie wie der Pathologie der Frau das jeweilige Krankheitsbild der von den gesellschaftlichhistorischen Kräften in unterschiedlicher, charakteristischer Weise deformierten Sozietät: Mal soll sie üppige Rundungen entwickeln, mal sich in Korsetts schnüren oder Hungerkuren auf sich nehmen, mal Verkörperung des Lustprinzips, mal jungfräulich rein, mal reines Arbeitstier, mal anbetungswürdiges, aber parasitäres Luxusgeschöpf sein. Der Leib der Frau wird so zur Projektionsfläche der Gesellschaft; in ihn schreibt sich deren Geschichte sieht- und fühlbar ein, als Tätowierung, als Text, der schließlich - z.B. mit Hilfe der Psychoanalyse - entziffert, gelesen werden kann. Frauen wird auch insofern eine spezifische Relation zum Körperlichen nachgesagt, als es im Verlauf der Kulturgeschichte eine ganze Reihe von Traditionen gibt, die das Weibliche mit dem Natürlichen in Beziehung setzen, Frauen ein besonderes 'Naheverhältnis' zu ihrem Körper, zum Körperlichen im allgemeinen unterstellen. Wie etwa Sigrid Weigel eindrucksvoll darstellt, tauchen immer wieder (nicht nur in der Epoche der Aufklärung) Denkmodelle auf, in denen das 'andere', 'fremde' Geschlecht analog zu 'den Fremden', 'den Wilden' gesetzt wird (vgl. WEIGEL: Topographien 118ff.). Dies kann natürlich nur dann funktionieren, wenn der Blick ein männlicher, die 'allgemeingültige' Perspektive implizit eine phallogozentrische ist. Die Gleichung Leib = Weib 9 (oder umgekehrt) geht nur dann auf, wenn am anderen Ende des Spektrums die Analogie Mann/Ratio steht. Mich hat demgegenüber interessiert, wie Frauen - und im speziellen Frauen in einer Kultur, die vielleicht noch stärker als die europäische oder nordamerikanische patriarchalisch geprägt ist - aus ihrer Sicht und aus ihrer eigenen Empfindung heraus ihren Körper, aber auch den des Mannes 'wahr'-nehmen. 10 Meine Hypothese war, daß 9

Merkwürdigerweise spielte diese implizite Gleichsetzung für die Wahrnehmung der weiblichen Anatomie keine Rolle, ja steht ihr anscheinend sogar im Wege: Obwohl etwa die weibliche Eizelle um ein Vielfaches größer als das Spermium und mit freiem Auge sichtbar ist, wurde sie erst 1827 entdeckt (vgl. GALLAGHER/LAQUEUR: 25; in diesem Sammelband finden sich mehrere interessante Beiträge über die „anatomische Verkennung" der Frau im Verlauf der Medizingeschichte).

10

Daß die Eigenwahmehmung des Körpers aufgrund der doppelten Natur des Leibes als Wahrnehmender und Wahrgenommenes immer eine problematische sein wird, formuliert etwa HUSSERL so: „Derselbe Leib, der mir als Mittel aller Wahrnehmung dient, steht mir bei der Wahrnehmung seiner selbst im Wege und ist ein merkwürdig unvollkommen konstituiertes Ding" (Husserliana Bd. 4, S. 159, zit. in WALDENFELS: 13).

14

Einleitung

in einer Gesellschaft wie der lateinamerikanischen, in der politisch-soziale Konflikte weniger verbrämt und verschleiert ausgetragen werden als in der des capitalism light nach 1989, diese (hierzulande meist als größere Brutalität und 'Rückständigkeit' gebrandmarkte) Offenheit sehr wohl dazu beitragen könnte, Konfliktlinien deutlicher bloßzulegen. 'Nackte Tatsachen' mit ihren zutagetretenden Spuren, Narben, Tätowierungen von Geschichte 'unter die Haut' der Handelnden helfen oft mehr als gekonnt gestylte Verhüllungen ä la Berliner Reichstag, um Verwundungen, Krankheiten, Verstümmelungen, Deformationen des individuellen oder kollektiven Korpus aufzuzeigen. Denn zweitens ging ich von der Annahme aus, daß der Körper gerade in der Literatur nie als reiner Selbstzweck in den Raum gestellt wird, sondern - im zwanzigsten wie in den vorangegangenen Jahrhunderten auch - zur Metapher für die menschliche Gesellschaft und deren Hauptkonflikte wird. 11 Dies gilt in besonderem Maße für jene Kreuzung(en) von Bruchlinien, wo soziale Gegensätze und Geschlechterkampf ineinandergreifen, sich zu einem fast unentwirrbaren Geflecht von Machtstrukturen, Hierarchiebeziehungen und interpersonalen/sexuellen Relationen verweben. Frauen müßten, so folgerte ich drittens, als Autorinnen ein besonderes feeling für diese neuralgischen Punkte und Linien entwickeln, die sie als Personen aus Fleisch und Blut, als in diesen Prozessen Betroffene, Tag für Tag 'leibhaftig' zu spüren bekommen. Individuelle Biographien in ihrer oft nach außen hin sichtbaren Tragik 1 2 (gescheiterte Liebesbeziehungen, Selbstmord- und Mordversuche, Alkoholismus, Depression, Krankheit, Folter, Exil und Gefängnis) könnten, wenn schon nicht in ursächlichem Zusammenhang, so doch in dialektischer Beziehung mit dem Werk stehen, das somit zwar nicht unbedingt zur simplen Klagemauer, aber gewissermaßen zum Brennspiegel dieser oft un- und vorbewußten Erkenntnis der condición femenina wird, diese sammelt, bündelt, auf den Punkt bringt, konzentriert, (ver)dichtet.

11

Ein besonders befremdliches Beispiel einer extrem menschenverachtenden Gleichsetzung des Staates mit einem lebendem Organismus und einzelnen, unerwünschten Individuen als diesen zerstörenden Krebszellen habe ich bei Konrad Lorenz, in seiner Argumentation für strengere Methoden der Geburtenkontrolle, gefunden: „Die Verfallstypen durchsetzen Volk und Staat dank ihrer größten Vermehrungsquote und ihrer vergröberten Wettbewerbsmethoden dem Artgenossen gegenüber in kürzester Zeit und bringen beiden aus analogen biologischen Gründen den Untergang, aus denen die ebenfalls 'asozialen' Zellen einer Krebsgeschwulst das Gefüge des Zellstaates zugrunderichten." (LORENZ, zit. in KAUPEN-HAAS: 50)

12

Doch auch wo diese hinter einem anscheinend 'normalen' Curriculum ohne konkret 'verbuchbare' traumatische Ereignisse verborgen ist, heißt dies nicht automatisch, daß die Betreffende nicht etwa nur besonders gut 'gelernt' hat, sich anzupassen, nach außen hin als 'sunny girl' zu erscheinen, ihre existentiellen Nöte hinter der Maske der gutaussehenden, stets jugendlich bleibenden Bilderbuchfrau zu tarnen...

Einleitung

15

Aus diesem Grunde habe ich mich auch dazu entschlossen, entgegen meinen ursprünglichen Absichten den biographischen Hintergründen der hier besprochenen Autorinnen relativ breiten Raum zu widmen, denn je mehr ich mich in die Lebensläufe der Personen, die ja nicht rein mechanisch als erzeugende Instanz hinter den Texten stehen, vertiefte, desto mehr öffnete sich mir der Blick dafür, daß eine Trennung zwischen „Leben und Werk", wie sie in der Literaturwissenschaft des zwanzigsten Jahrhunderts oft so säuberlich vorgenommen worden ist, letzten Endes wieder nur verschleiernde Wirkung hätte: Es ist nicht gleichgültig, ob die Frau, die mit vierundzwanzig die trostlosen Lebensaussichten einer konventionell-bürgerlichen Heroine beschreibt, später selbst in Trunksucht und Depression zugrundegeht, und es ist auch aufschlußreich, daß die Autorin einer Geschichte von Folter, sexueller Erniedrigung und Widerstand während einer blutigen Diktatur persönlich in die Rettung politischer Asylantinnen verstrickt war. So ist das gesamte erste Kapitel den Autorinnen und ihren Werken gewidmet, welche aufgrund ihres geringen Bekanntheitsgrades hierzulande erst vorgestellt werden mußten, damit es möglich wurde, sich in einem zweiten Schritt ihren Stellenwert innerhalb des Generalthemas dieser Untersuchung vorzustellen. Zwar existieren von einigen der hier analysierten Erzählungen und Romane auch deutsche Übersetzungen, doch sind diese durch gewisse Widrigkeiten der Rezeption in unserem Sprachraum (die erst einer eingehenden Erforschung bedürften) in den Schubladen der verramschten oder wenig gelesenen Bücher verstaubt. Keiner der behandelten Texte ist ein Bestseller geworden, keiner hat in der deutschsprachigen Literaturkritik nennenswerte Beachtung gefunden, und das auf dem Hintergrund des immer noch florierenden „Booms" 13 - ebenfalls ein Zeichen dafür, daß diese Autorinnen ihre Stoffe gegen den Strich des jeweils herrschenden Zeitgeistes gebürstet haben, nicht im mainstream mitgeschwommen sind, sondern sich in eigenen kleinen Seen, stillen Teichen, tiefen Wassern, manchmal auch reißenden Sturzbächen mit gefährlicher Unterströmung getummelt haben. Für die Auswahl der Texte waren mir mehrere Kriterien wichtig: Das erste, naheliegende, bestand darin, daß Phänomenen des Körperlichen, womöglich in Verbindung mit spezifischen Anliegen und Lebenssituationen der Frau, in ihnen ausreichend Platz eingeräumt werden sollte, diese also nicht nur nebenher und flüchtig gestreift wurden, wie dies ja in fast allen Werken der lateinamerikanischen Frauenliteratur der Fall gewesen wäre. Dabei ging ich mehr oder weniger nach meinem eigenen intuitiven Eindruck bei der Lektüre vor; ein Verfahren, das - wie spätere statistische Ana-

13

Dabei ist seit Ende der achtziger Jahre auch die Rede von einem „boom femenino", der mit Isabel Allende, Gioconda Belli und Laura Esquivel eingesetzt hat (vgl. etwa PASTERNAC et al.: 353).

16

Einleitung

lysen in Kapitel 3 bestätigen werden - gar nicht so schlechte, sprich ungleiche Resultate zeitigte. Neben dieser zugleich quantitativen und qualitativen Vorgabe trachtete ich danach, eine chronologisch einigermaßen gleichmäßige Verteilung zu erzielen, also Werke aus verschiedenen Jahrzehnten zu erfassen, vom Beginn dessen, was in Lateinamerika als escritura femenina zu bezeichnen wäre, bis zum heutigen Tag, in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen. Wie begreiflich, sollte diese diachronische Auswahl in erster Linie dazu dienen, herauszufinden, ob sich über die Jahre hinweg so etwas wie eine Entwicklung bezüglich der Behandlung des Körperthemas feststellen ließe, die ja nicht unbedingt linear und eindimensional sein mußte. Als Ausgangspunkt dieser Zeitreise wählte ich, da vor den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts der Körper als Thema in der erzählenden Literatur von Frauen kaum eine Rolle spielt, 14 den Roman La ultima niebla (1935) der Chilenin Maria Luisa Bombai, als Endpunkt den noch unveröffentlichten Roman Patas de avestruz der Argentinierin Alicia Kozameh. Dazwischen liegen vier weitere Werke, die in Abständen von etwa zehn Jahren 15 aufeinanderfolgen und an die ich zusätzlich den Anspruch erhob, sie sollten - insofern dies überhaupt möglich war - auch den Zeitgeist ihrer Entstehungsepoche möglichst authentisch widerspiegeln. Was die Länge der Texte betrifft, so ist diese sehr unterschiedlich und reicht von neun Seiten im Falle von La Sunamita der Mexikanerin Inés Arredondo bis zu 340 bei Kozameh. Auch dies hat natürlich seine Gründe, da ich untersuchen wollte, ob sich der Umfang des Werkes in der Intensität der vorgefundenen Körperwahrnehmung niederschlägt. Meiner Vermutung nach - die sich später nicht bestätigen sollte - wäre anzunehmen gewesen, daß sich kürzere Erzählungen intensiver mit dem Thema des leiblichen Empfindens befassen könnten, während sich bei einem längeren Roman die Konzentration gewissermaßen verdünnen würde, der prozentmäßige Anteil der auf Körperwahrnehmung entfallenden items im Verhältnis zum Gesamttext niedriger sein würde. Genaueres dazu im Kapitel 3 dieser Arbeit. Schließlich und endlich war mir eine möglichst ausgewogene geographische Verteilung der zugrundeliegenden Texte wichtig: Die Herkunft aus verschiedenen Ländern Lateinamerikas, aus Regionen mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Voraussetzungen und Konstellationen sollte - zumindest theoretisch - die Möglichkeit eröffnen, deren Einfluß auf die jeweils variierenden Antworten auf ein und dasselbe Pro14

In der Lyrik finden wir aus dieser Epoche hingegen sehr wohl die Gedichte von Delmira Agustini, Juana de Ibarbourou und Alfonsina Storni; ich wollte mich allerdings auf eine der vier Hauptgattungen, nämlich die erzählende Prosa, beschränken, um nicht auch noch die zusätzliche Brechung durch Gattungsgrenzen bewältigen zu müssen.

15

Das Minimum lag bei sieben, das Maximum bei fünfzehn, wobei auch Unterschiede zu beachten wären, je nachdem, ob man das Entstehungs- oder das Veröffentlichungsdatum berücksichtigt.

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blem abzuschätzen. Trotz dieser Bemühungen mußte ich hier oft Kompromisse zwischen den vorhin genannten Kriterien schließen, wenn ich etwa die Wahl zu treffen hatte zwischen einer hoch interessanten Erzählung aus der Karibik („Cuando las mujeres quieren a los hombres" der Puertorikanerin Rosario Ferré) und einem Roman aus Venezuela (No es tiempo para rosas rojas von Antonieta Madrid), die beide meines Erachtens das Flair der siebziger Jahre adäquat widerspiegelten und von der literarischen Qualität und Originalität auf ihre je besondere Art bestechend waren. Oder wenn ich im Bereich Mexiko selbst eine Entscheidung treffen mußte zwischen drei bedeutenden Autorinnen der sechziger Jahre, die mich jede für sich faszinierten und für ihre Zeit repräsentativ waren: Rosario Castellanos, Elena Garro und Inés Arredondo. Im Zweifel entschloß ich mich stets für die unbekanntere Autorin, deren Werk vorzustellen noch gewissermaßen Pionierarbeit und die größere Herausforderung für mich bedeutete, als Texten, die bereits zur Genüge studiert und rezipiert waren, eine mehr von vielen Analysen zu widmen. Ein einziges Land ist zweimal vertreten, und zwar Argentinien, weil ich weder auf Luisa Valenzuelas Cambio de armas mit dem darin enthaltenen, politisch und historisch bedeutsamen Thema der sexuellen Folter noch auf Alicia Kozameh mit der in meinen Augen in der lateinamerikanischen Literatur noch nie dagewesenen intensiven Auseinandersetzung mit körperlicher Behinderung verzichten wollte. Rückblickend betrachtet, muß ich zugeben, daß einerseits die Andenländer Peru, Kolumbien und Ecuador leider nicht berücksichtigt werden konnten; hier hätte sich etwa Albalucia Angel mit ihrem beeindruckenden und vielschichtigen Roman Estaba la pájara pinta... angeboten, doch erstens hatte ich diesen bereits in meiner Dissertation erwähnt (obgleich nicht ausführlich analysiert), und zweitens kollidierte er wiederum zeitlich mit den beiden vorhin genannten Werken aus den siebziger Jahren. Auch Zentralamerika ist zu meinem Bedauern in der vorliegenden Arbeit nicht vertreten; hier gelang es mir trotz jahrelanger Bemühungen nicht, ansprechende und eine tiefergehende Analyse lohnende Erzählliteratur von Frauen zum Thema zu finden, abgesehen von Gioconda Bellis Roman La mujer habitada, einem Werk, das ja nun wirklich bereits von Kritikerinnen aller Länder zerlegt und zerlesen wurde und das dem internationalen Publikum, vor allem im deutschen Sprachraum, wohl bekannt ist. Interessanter wäre in diesem Teil des Kontinents gewiß die Einbeziehung erotischer Lyrik gewesen, die ich aber aus den oben genannten Gründen vermeiden wollte; so sei hier nur noch einmal auf Ana Istaru aus Costa Rica und Ana Maria Rodas aus Guatemala verwiesen (beider Gedichte liegen zum Teil auch in deutscher Übersetzung vor). In der Wahl meiner Methoden bin ich bewußt relativ eklektisch vorgegangen: Im Vordergrund stand für mich der feministische Ansatz, wobei ich mich aber nicht dogmatisch auf irgendeine spezielle (französische, US-amerikanische oder genuin lateinamerikanische) Richtung eingeschworen habe. Ansonsten fühlte ich mich nur

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den Texten und den Autorinnen selbst verpflichtet sowie natürlich dem lesenden Publikum, das meines Erachtens ein Recht auf genaue Interpretation hat, aber auch darauf angewiesen ist, daß weitblickende Literaturkritikerinnen ihnen die 'Arbeit' (für mich stellt es eher ein Vergnügen besonderer Art dar) abnehmen, neue, lesenswerte Materialien zu entdecken, auf sie hinzuweisen und im Idealfall zu ihrer Weiterverbreitung in Form von Veröffentlichungen, Übersetzungen, Rezensionen etc. beizutragen. Bei der Textanalyse selbst habe ich sowohl meiner Intuition, dem kreativen Nachempfinden, einer gewissen empathischen Lust und frei schwebenden Neugierde freien Lauf gelassen als auch manchmal auf 'harte', relativ ins Detail gehende Methoden zurückgegriffen, wie z.B. - insbesondere in Teil 3 - quantitative statistische Verfahren. Ihre Anwendung erlaubte mir sozusagen die Rückversicherung, daß das, was ich in der persönlichen Begegnung mit den Texten erfahren hatte, wirklich auf Wahrnehmung und nicht auf Falschannahmen fußte. Bleibt mir noch, denen Dank zu sagen, die maßgeblich am Zustandekommen dieser Arbeit mitgewirkt haben, die für mich wesentlich mehr bedeutet hat als eine akademische Pflichtübung. Hier möchte ich in erster Linie diejenigen Autorinnen erwähnen, die persönlich kennenzulernen ich das Glück gehabt habe: Inés Arredondo, die ich 1989 zweimal in ihrer Wohnung in Mexiko-Stadt besuchen durfte; das erste Mal gewährte sie mir ein 'Standardinterview' mit all den üblichen Fragen zum Kennenlernen und ersten generellen Annäherungsversuchen an ihr Werk; das zweite Mal war es schon eher ein Krankenbesuch, weil sie zu diesem Zeitpunkt bereits bettlägrig und kaum mehr des Sprechens mächtig war. Trotzdem hat sie noch Zeit und Energie gefunden, das von mir transkribierte Interview durchzukorrigieren - ihr Witwer Carlos Ruiz Sánchez hat mir das Manuskript wenige Tage nach ihrem Tod mit ihren handschriftlichen Vermerken zugesandt. Ihre Freundlichkeit und Geduld auch unter schwerstem körperlichen Leiden werden mir ein unvergeßlicher Eindruck bleiben. Danken möchte ich ferner Dr. Ruiz Sánchez für seine stets hilfsbereite 'Nachbetreuung' in den vergangenen sieben Jahren, in denen er nicht müde wurde, auf meine Zusatzfragen zu antworten und mir immer wieder Materialien über seine verstorbene Frau zu schicken. Antonieta Madrid habe ich nur bei zwei Gelegenheiten, und da auch eher flüchtig, kennengelernt, das eine Mal bei der Interlit3 im Juni 1993 in Erlangen, einer hoch interessanten Veranstaltung, wo Autorinnen aus drei Kontinenten (Afrika, Asien und Lateinamerika) mit Hilfe einer jeweils auf die Person abgestellten Betreuungs- und Vermittlungsperson einander und dem hiesigem Publikum begegnen konnten. Da ich damals für die Mexikanerin Carmen Boullosa 'zuständig' und ununterbrochen mit ihr auf Lesungen und bei Vorträgen in diversen deutschen Städten der Umgebung war, Antonieta Madrid aber im Kongreßprogramm gar nicht aufschien, weil sie ganz kurzfristig, aus Warschau kommend, für ihre verhinderte Landsmännin Ana Teresa

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Torres eingesprungen war, erwies es sich als unmöglich, innerhalb des dicht gedrängten Programms mehr als ein paar Höflichkeiten auszutauschen und sich beim Frühstück oder am Rande eines Konzerts über eher allgemeine Themen zu unterhalten. Trotzdem blieben wir in Briefkontakt, der durch die ständig wechselnden Einsatzorte der Venezolanerin im diplomatischen Dienst allerdings zwischendurch für längere Zeit abriß. 1994 sah ich sie ganz kurz wieder auf einem Literaturkongreß in Caracas, zu dem sie peinlicherweise nicht eingeladen worden war und daher nur 'auf einen Sprung' und aus reiner Neugierde vorbeischaute. Ohne Antonietas großzügige Hilfe in der Beschaffung von nicht öffentlich zugänglichen Materialien, insbesondere Magisterarbeiten an venezolanischen Universitäten, wäre es mir kaum möglich gewesen, das biographisch-literarhistorische Kapitel über sie fertigzustellen. Die Bekanntschaft mit Luisa Valenzuela liegt bereits am weitesten zurück: 1987 war sie auf dem 2 do Congreso de Creación Femenina in Puerto Rico eine der faszinierendsten Vortragenden gewesen, die alle Zuhörerlnnen mit ihrem spröden Witz, ihrer originellen Patriarchatskritik und ihrer sprachlichen Brillanz sowie nicht zuletzt politischen Geradlinigkeit in ihren Bann zog. Bei unserem nächsten Wiedersehen 1990 auf einem Symposium in Quito kamen wir näher ins Gespräch, und bald darauf begann ich, mehrere ihrer Erzählungen ins Deutsche zu übersetzen: 1991 „Cambio de armas" für AMORica Latina, 1992 „De noche soy tu caballo" für Frauen über den Krieg und 1993 „Simetrías" für Torturada, was natürlich jedesmal mit dem obligaten Schriftwechsel insbesondere über Argentinismen in Valenzuelas Sprache verbunden war. Obwohl ständig auf Reisen, hat sie mich nie im Stich gelassen und mir stets bereitwillig und ausführlich Auskunft gegeben sowie mich mit zusätzlichen Materialien über ihre Bio-Bibliographie und vor allem mit längst vergriffenen Ausgaben ihrer älteren Bücher versorgt, die sie nach eigenen Angaben diversen Freundinnen in Buenos Aires 'raubte', um sie mir zukommen zu lassen. Zuletzt vereinte uns das schon ein wenig größere Projekt der Übersetzung einer Anthologie von ausgewählten Texten, die 1996 unter dem Titel Offene Tore beim Wiener Frauenverlag erschienen ist. Luisas Warmherzigkeit und insbesondere ihre Wertschätzung für das nicht immer gedankte 'Geschäft' des Übersetzens (das in Wirklichkeit nur als Liebhaberei funktionieren und gedeihen kann) waren mir in allem eine große Stütze, und ihre Freundschaft empfinde ich als große Ehre. Wer einmal das Glück gehabt hat, ihre wache Aufmerksamkeit, die Intensität ihrer Aufnahmebereitschaft für alles Neue, Unbekannte, live erlebt zu haben, weiß, daß es nahezu unmöglich ist, sich der Ausstrahlung dieser originellen Persönlichkeit zu entziehen, die trotz ihres immensen Bekanntheitsgrads (insbesondere in den USA) keinerlei Starallüren entwickelt hat, wie so mancher männliche Schriftsteller ähnlichen Ranges. Ein Kapitel für sich ist meine Freundschaft mit Alicia Kozameh, die sich in den letzten Jahren zu einer Intensität entwickelte, die nicht von Anfang an vorherzusehen war. Zunächst traten wir 1988 über meinen damals ausgesandten Fragebogen zur la-

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teinamerikanischen Frauenliteratur in Verbindung, den sie ausführlich und mit großem Interesse beantwortete. Nach einigen Jahren herzlichen, aber losen Briefkontakts, der inzwischen auch Übersetzungsfragen zu ihrem Patas de avestruz umfaßte, aus dem ich ein Kapitel für meine Anthologie AMORica Latina ins Deutsche übertrug16, besuchte mich die Argentinierin im Oktober 1992 zusammen mit ihrem Mann Mario Veläsquez in Graz, wo wir einige unvergeßliche Tage bei angeregten Diskussionen und in spätherbstlicher Atmosphäre rund um das Hexenmuseum auf der Riegersburg verbrachten. Seitdem ist unser Kontakt nicht abgerissen, sondern hat sich von Jahr zu Jahr immer mehr vertieft; gemeinsame Besuche von Kongressen in den USA und Venezuela sowie zwei mehrtägige Aufenthalte meinerseits in ihrem Haus in Los Angeles haben aus dem rein beruflich-wissenschaftlichen Interesse eine tiefe menschliche Zuneigung erwachsen lassen. Alicia Kozameh hat mir wie keine andere der hier vertretenen Autorinnen, gerade weil zu ihrem Werk ja noch so gut wie gar keine Sekundärliteratur existiert, mit schier unerschöpfbarer Geduld und persönlicher Anteilnahme weitergeholfen, ihr Werk und die dahinterliegenden Anliegen sowie ihren bewegenden biographischen Lebenszusammenhang zu verstehen und nachzuvollziehen. Ohne ihren ständigen Zuspruch, ohne ihre Ermunterung, nicht abzulassen und zielstrebig auf die Fertigstellung zuzusteuern, wäre vielleicht diese Habilitationsschrift nicht so rasch und unter so positiven Auspizien zum Abschluß gelangt. Was nun die beiden bereits verstorbenen Autorinnen betrifft, so hatte ich auch hier das Glück, mit der Hilfe von Personen rechnen zu können, die diese noch bei Lebzeiten gekannt haben: Im Falle von Maria Luisa Bombai war meine Hauptansprechpartnerin die chilenische Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin Lucia Guerra, die mir wertvolle, z. T. noch unveröffentlichte Materialien aus ihrem eigenen Fundus zur Verfügung stellte und der ich auf diesem Wege herzlichen Dank sagen möchte. Bei Armonia Somers, der ich zwar kurz vor ihrem Tod noch meinen Standard-Fragebogen zugeschickt hatte, die mir darauf aber nie antwortete, zählte ich auf die selbstlose Unterstützung der mexikanischen Autorin Carmen Boullosa, die seinerzeit ein Interview mit der grande dame der uruguayischen Literatur geführt und mir nicht nur dessen Abschrift, sondern auch in sehr anschaulicher Weise ihre persönlichen Eindrücke vermittelt hatte. Darüber hinaus hat sie mir in mühevoller Kleinarbeit und unter aufreibenden Umständen (Computerabstürze zur Weihnachtszeit, etc.) Materialien zu ihrer Landsmännin Inés Arredondo besorgt, die ich von hier aus nicht beschaffen hätte können. Selbstverständlich möchte ich auch allen Kolleginnen und Kollegen am Institut für Romanistik und innerhalb des Interdisziplinären Projekts Frauenstudien der Universität Graz danken, die mir wertvolle Anregungen gegeben haben und die ich leider

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1997 erschien im Milena-Verlag in Wien der gesamte Roman in meiner Übersetzung.

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nicht alle namentlich anführen kann. Hervorheben möchte ich Herrn Prof. Ulrich Schulz-Buschhaus, der mit großer Geduld und Einfühlungsgabe das Entstehen meines Manuskripts mitverfolgt und kommentiert hat und mir oft weiterhalf, die weiteren Linien des Verlaufs abzustecken. Auch hat er mich immer wieder von sich aus mit wertvollen Publikationen versorgt, die neue Gesichtspunkte in meine Arbeit eingebracht und mir unschätzbare Denkanstöße vor allem theoretisch-reflektiver Natur gegeben haben. Last but not least möchte ich mich bei meinen beiden inzwischen herangewachsenen Söhnen und meinem Mann für ihr Verständnis und ihre Toleranz bedanken, die sie all die Jahre über einer Mutter bzw. Partnerin entgegengebracht haben, deren geistiges - und oft auch zeitliches - Potential von einer so anspruchsvollen Arbeit doch großteils besetzt war. Umgekehrt hoffe ich, daß sie es zu schätzen wissen, daß ich mich ungeachtet allen Einsatzes für meine wissenschaftliche Karriere stets bemüht habe, die Familie, die für mich trotz allem große Priorität hatte, nicht hintanzustellen, und daß sie mit mir zusammen stolz sind auf das nun vorliegende fertige Produkt all der langen Tage und Nächte, in denen es mir (und damit indirekt ihnen) keine Ruhe gelassen hat.

1.

DIE AUTORINNEN UND IHRE WERKE (KALEIDOSKOP ANSTELLE EINES PANORAMAS)

Bücher von Frauen werden so behandelt als seien sie selbst Frauen, und im günstigsten Fall veranstaltet die Kritik so etwas wie ein intellektuelles Maßnehmen an Busen und Hüften. (Mary ELLMANN)

1.0.

Vorbemerkung

Wenn ich im folgenden Abschnitt biographische Informationen über die Autorinnen zusammentrage und -stelle - oftmals unter erheblichen Schwierigkeiten und teilweise lückenhaft - so tue ich das nicht als Selbstzweck oder akademische Pflichtübung. Es liegt mir daran, hinter den Texten, die in der Literaturwissenschaft oft als einzige Projektionsfläche genommen und für sich, als eigenständige (End)Produkte analysiert werden, doch auch das sie hervorbringende Subjekt, die Autorin, als aktive Größe herauszufiltern, sozusagen hinter den Spiegel oder das camera-eye zu gucken und die Frau zu entdecken, die im Hintergrund die Hebel bedient, oder, um einen weniger technologischen Vergleich von Mary Daly 1 zu verwenden: nicht auf das Webstück - textum - fixiert zu bleiben, sondern gewahr zu werden, daß hier eine Weberin/Spinnerin die Fäden gezogen hat, in die sie immer wieder Fasern aus ihrem eigenen Lebensgeflecht eingewoben hat, manchmal versteckter, manchmal sehr glänzend, an der Oberfläche liegend (vgl. GUERRA: Escritura 123). Zwar wehren sich viele Autorinnen wie etwa Carmen Boullosa 2 - zu Recht, wie ich meine - gegen eine allzu simplistische Zuordnung biographischer Fakten zum literarischen Werk, womit Frauen implizit die Fähigkeit abgesprochen wird, sich 'mangels kreativer Phantasie' vom Autobiographie-Schema lösen zu können, während Männer, die doch immer nur 'Große Zusammenhänge' im Sinn hätten, über derart 'klein-

In Gyn/Ökologie: 24f. et passim. In ihrer Antwort auf meinen Fragebogen, April 1989: „No creo que importe la vida personal de un escritor. Importa por supuesto saber en qué época escribió su obra, para leerla, para comprenderla, sea hombre o mujer quien lo escribió. El anecdotario particular de cada escritor sólo estorba para su lectura. Una obra tiene que ser literaria, no tiene que ser 'personal': pertenece a otro plano que el mero anecdotario." Vgl. auch ihre Aussagen in einem im selben Jahr durchgeführten Interview (veröffentlicht in Entrevistas: 28f.), wo sie schließlich meint: „Ahora, cosa curiosa: a un escritor lo confunden más difícilmente con su narrador [...] y ellos usan la misma porción de realidad para trabajar que yo, pero a mí nunca me emparentan con ellos, no me emparentan con escritores varones." (29)

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liehe' Verarbeitung persönlicher Erinnerungen gewissermaßen 'erhaben' seien. 3 Im Laufe meiner Beschäftigung mit den Texten ist mir aber das dringende Bedürfnis erwachsen, mir die Personen aus Fleisch und Blut, mögen sie noch am Leben oder schon verstorben sein, sozusagen in ihrer Körperlichkeit vorzustellen, um dem diffizilen Zusammenhang zwischen ihrer eigenen geistig-leiblichen Wirklichkeit und der ihrer Protagonistinnen ein wenig auf die Spur zu kommen. Aufgrund der Forschungslage, die bei den einzelnen Autorinnen gänzlich unterschiedlich ist, ergaben die im Laufe dieser mühsamen Spurensuche zusammengetragenen Mosaiksteinchen ein mehr oder weniger vollständiges Bild von jedenfalls stets hoch interessanten, eigenständigen Persönlichkeiten: Manches so entstandene Puzzle ist leider ein wenig inkomplett geblieben, bei anderen hingegen zeichnen sich Konturen und Muster schon recht gut ab. Die den einzelnen Autorinnen zugeordneten Unterkapitel folgen dabei einem einfachen Schema: In Punkt 1 wird ein Abriß der (bisherigen) Lebensgeschichte unternommen, wobei sich das Interesse vor allem auf jene Ereignisse konzentriert, die möglicherweise in einem mehr oder minder direkten Konnex zu den untersuchten Texten stehen könnten. In Punkt 2 widme ich mich dem Versuch, das Gesamtwerk der jeweiligen Autorin in einen historischen Bezugsrahmen zu stellen und seine Relation zu den jeweils zum Zeitpunkt seines Entstehens herrschenden literarischen Tendenzen, Strömungen und Schulen herauszuarbeiten. In Punkt 3 schließlich soll der im Anschluß zu analysierende Einzeltext, von dem ja nicht in jedem Fall angenommen werden kann, daß er der hiesigen Leserschaft bekannt ist, vorgestellt werden; dabei ist sowohl eine mehr oder weniger detaillierte Inhaltsangabe vorgesehen als auch ein Eingehen auf seine stilistischen und epochenspezifischen Charakteristika sowie die Klärung der Frage, inwieweit er als Beispiel einer escritura femenina reklamiert werden könnte.

1.1.

Maria Luisa Bombal (Chile, 1910-1980)

1.1.1. Auf der Suche nach dem verlorenen Vater Die Lebensgeschichte der chilenischen Autorin liest sich streckenweise selbst wie ein Roman; Marjorie Agosin spricht in ihrem gleichnamigen Aufsatz dementsprechend von „Una biografia de una mujer novelada". Auch Lucia Guerra betont, daß die Kenntnis biographischer Details entscheidende Hinweise für die Interpretation des Werks der Autorin liefere (vgl. GUERRA: Escritura 118f.). Daher werde ich

Cortázar etwa, bei dem man dies am wenigsten vermuten würde, hatte kein Problem damit, diese Verflechtungen zuzugeben: Alles in seinem Werk sei letzten Endes autobiographisch, selbst die absurdest anmutenden phantastischen Erzählungen, gab er in einem Interview zu (ohne Herkunftsangabe zit. in: PÉREZ, G. R.: 488f).

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mich etwas eingehender mit der Vita dieser Autorin beschäftigen, die schon zu Lebzeiten zur Legende wurde, was das Auseinanderhalten realer Fakten und von ihr selbst bzw. ihren Freunden, Familienangehörigen, Kritikerinnen dazuerfundenen fiktiven Elementen genauso schwierig macht wie die Unterscheidung von Traum und Wirklichkeit in ihrem Erstlingsroman La ultima niebla. María Luisa Bombal wird am 8. Juni 1910 in Viña del Mar in eine gutbürgerliche Familie hineingeboren; über ihre Vorfahren erzählt die Autorin in einem Interview: Por el lado materno, mis antepasados eran originalmente hugonotes franceses que emigraron a Alsacia; luego, mis bisabuelos se trasladaron a Valparaíso y mi bisabuelo, de apellido Brecht, fue el primer cónsul alemán en Santiago. El tipo que mató a Chejov era pariente nuestro. Amado Alonso siempre me hacía bromas por esto. Después mi familia se trasladó a Viña del Mar; se dedicaban al comercio. Por el lado paterno, los Bombal se vinieron a Chile en el siglo XIX, huyendo de la dictadura de Rosas. (GUERRA: Entrevista

120) Ihre Mutter, die bei Gálvez Lira (4) Blanca D'Anthea Precht genannt wird und bei Gligo (17) Bianca Anthes Precht, stimuliert die Phantasie ihrer Töchter (neben María Luisa sind da noch die beiden jüngeren Zwillingsschwestern Bianca und Loreto) durch den Vortrag nordischer Märchen von Hans Christian Andersen und den Gebrüdern Grimm, die sie angeblich in einer deutschen Ausgabe benutzt und direkt ins Spanische übersetzt (vgl. GUERRA: Entrevista 120). Bald verfaßt das Mädchen seine eigenen Gedichte, die der Umgebung offensichtlich durch die ungewöhnliche Themenwahl auffallen: L.G.C.: En esa época escribiste tus primeros poemas. MLB: Sí, yo tenía ocho años y eran poemas muy malos. Escribí un poema a la luna, otro a un canario y un poema que se llamaba „El copihue blanco." Mi tío Roberto lo leyó y me preguntó por qué no había escrito sobre los copihues rojos que eran menos aburridos. (GUERRA: Entrevista 120)

War schon das vom Onkel gebrauchte Epitheton „aburrido" nicht gerade schmeichelhaft, so trägt ihr dieses frühe poetische Schaffen von Seiten ihrer Schwestern (im wahrsten Sinne des Wortes) vernichtenden Spott ein: A los cinco años sabía leer. A los ocho escribió sus primeros versos. Para estimularla, su madre le regaló un álbum. Ahí quedaron reseñados sus poemas sobre El Canario, La Noche y La Golondrina. Sus hermanas mellizas se lo solían sustraer para reírse de ella. Entonces le daban desesperadas rabietas a Mana Luisa. Hasta que un día no soportó más y rompió el álbum. (EWART, in Obras completas: 392)

Hier mochte vielleicht der Grundstein gelegt werden nicht nur für das heimliche Schreiben, das etwa die anonyme Protagonistin in La ultima niebla praktiziert, für all die virtuellen Briefe an ihren imaginären Liebhaber, die sie anschließend zerreißt, sondern auch für das später so rätselhafte Schweigen der Autorin selbst, die im Alter zusehends verstummt und sich nur mehr auf eine geheimnisvolle Truhe mit unvollendeten Werken beruft, welche möglicherweise ebenfalls nur in ihrer Vorstellungskraft existieren:

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Durante los primeros años de ese silencio que se reitera en la escritura, María Luisa Bombai escribió en inglés, no sólo traduciendo La amortajada en la cual ahora insertó su relato sobre María Griselda para alargar el texto, sino también sobre Jan Masaryk, líder checoeslovaco que se suicidó trágicamente en 1948. Ella siempre hablaba de este texto titulado „El canciller" aunque nunca me lo mostró, también hablaba de „Dolly Jekyll y Mrs. Hyde", otra obra teatral que, según ella, estaba lista para ser publicada y en las entrevistas indicaba que estaba escribiendo una novela sobre Caín. Pero, para aquéllos que la conocíamos en su intimidad, era ya obvio que los manuscritos guardados en aquel baúl que celosamente mantenía en su dormitorio comenzaban a poseer la calidad de doble ficción. (GUERRA: Escritura 134 f.) Doch zurück zu ihrer Kindheit, die bald durch ein tragisches Ereignis geprägt werden sollte: Als María Luisa neun Jahre alt ist, stirbt plötzlich ihr Vater, Martin Bombai Videla, ein Börsenmakler provenzalischer Abstammung. Dieser traumatische Verlust scheint nicht nur ihre spätere Partnerwahl im wirklichen Leben beeinflußt zu haben (beide Ehemänner und die meisten ihrer Liebhaber waren erheblich älter als sie 4 ), sondern auch in ihrem Werk spielt die vergebliche Suche nach einer idealen, liebend-beschützenden Männerfigur eine große Rolle (vgl. GUERRA: Escritura 126). Bald danach übersiedelt die Mutter mit ihren Töchtern nach Paris, wo Maria Luisa zwar französische Schulen besucht, aber nie den Kontakt mit der Muttersprache verliert: Nosotros seguimos hablando castellano con mi mamá y en los colegios franceses en los cuales estudié - La Bruyère y Nôtre Dame de l'Assomption - siempre había alumnas españolas. (GUERRA: Entrevista 121) Dennoch wird ihr das Französische so sehr zur zweiten Muttersprache, daß sie mit achtzehn, als sie bereits an der Sorbonne Französische Literatur studiert, an einem von Ferdinand Strowsky geleiteten Literaturwettbewerb teilnimmt und prompt den ersten Preis gewinnt, mit einer in Manier von Charles Perrault geschriebenen Erzählung, in der sich bereits in Ansätzen ihre Vorliebe für phantastische Elemente abzeichnet (vgl. GUERRA: Escritura 126). Schon davor hatte sie ein Theaterstück geschrieben, das von Ricardo Güiraldes sehr gelobt wurde; er sah in ihr eine „imaginación prodigiosa" und empfahl ihr, einen Roman zu verfassen. Literarisch beeinflußt wurde sie dabei, nach eigener Aussage, durch die Lektüre vor allem nordischer Autorinnen wie Knut Hamsun, dessen neoromantisch-impressionistischen Roman Victoria sie verschlungen hatte, und Selma Lagerlöf; an beiden bewunderte sie die Darstellung der psychologischen Konflikte und die in ihren Werken herrschende irreale Atmosphäre. Außerdem war sie beeindruckt von Goethes Werther

Im Interview mit GÁLVEZ LIRA bekennt María Luisa Bombal: „Tuve una niñez feliz; lo único desafortunado fue que mi padre murió cuando tenía nueve años y lo adoraba. Por eso es que en mis maridos buscaba a mi padre. [...] Tanto en la vida real como en la ficcional he preferido a los hombres mayores [su primer esposo era cinco años mayor que ella y el segundo vientiocho ]. Me gustaban los hombres mayores que supieran más, naturalmente buenos-mozos, varoniles e inteligentes, aunque fueran pesados." (106f.)

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und seinem Faust, von Jorge Isaacs Maria und der Musik von Richard Wagner (vgl. GUERRA: Narrativa 13f; Entrevista: 120). Ihre Musikbegeisterung schlug sich im noch in Chile begonnenen Geigenunterricht nieder, den sie allerdings mit siebzehn zugunsten einer intensiveren Beschäftigung mit der Literatur abbrach, nachdem sie in Paris Schülerin des bekannten Maestro Jacques Thibault gewesen war (vgl. GLIGO: 35). Während ihrer Studienzeit an der Sorbonne, die sie später mit einer Arbeit über Prosper Mérimée abschließen sollte, nimmt sie heimlich Schauspielunterricht bei Charles Dullin, der mit ,,L' Atelier" zwischen 1922 und 1940 ein weltberühmtes Avantgardetheater unterhielt; zu seinen Schülern gehörten unter anderem Antonin Artaud und Jean-Louis Barrault (vgl. GLIGO: 42). An diese zaghaften ersten Schritte auf den Brettern, die die Welt bedeuten, erinnert sich die Autorin selbst: Me ponían siempre en papeles que requerían linda silueta y sonrisa. No habría sido buena actriz. Era muy intelectual y fría, tal vez por timidez. (EWART, in Obras completas: 394)

Doch auch dieses kleine, heimliche Vergnügen nimmt ein schnelles Ende und beschleunigt ihre Rückkehr nach Chile, wohin ihr Vormund die vorwitzige junge Dame 1931 zurückverfrachten läßt: ...estudié en 1'Atelier, pero esto lo hacía a escondidas porque en esa época meterse al teatro era de lo peor. [...] Desgraciadamente, un tío fue a ver una de estas obras y se armó el escándalo porque yo aparecía para decir: „La comida está servida." Así es que tuve que renunciar al teatro... (GUERRA: Entrevista 122)

Doch der Aufenthalt in Paris während ihrer entscheidenden Prägungsjahre sollte bereits nachhaltige Wirkung auf die zukünftige Schriftstellerin ausgeübt haben: In Frankreich war sie in Berührung mit den zeitgenössischen Avantgardeströmungen wie Surrealismus und Kubismus gekommen, dort hatte sie Vorträge von Paul Valéry besucht, die Krise des positivistischen Wertesystems mitverfolgt und neue Ansätze wie die Psychoanalyse Freuds und die Relativitätstheorie Albert Einsteins kennengelernt. Auch nach ihrer Rückkehr in die Heimat knüpft sie sofort wieder Kontakte mit der dortigen Avantgarde-Szene: LGC: ¿Tu regreso a Chile en 1931 representó un cambio radical de ambiente? MLB: En realidad, no. Porque inmediatamente entré en el círculo de los escritores, me hice muy amiga de Marta Brunet y Pablo Neruda. Y no fue un cambio radical porque el ambiente estaba muy conectado con Francia. Vicente Huidobro, Tomás Lago, Barrenechea eran muy activos. (GUERRA: Entrevista 122)

Die entscheidendste Bekanntschaft war dabei diejenige mit Pablo Neruda; mit ihm und seiner ersten Frau, Maria de Haagenar, zieht María Luisa Bombal 1933 nach Buenos Aires, wo sie sich bis 1940 aufhält: ...yo me fui a vivir con Pablo Neruda y su primera esposa, Maraca. El me introdujo al ambiente literario. Teníamos tertulias muy entretenidas en las que participaban Norah Lange, Oliverio Girondo, Conrado Nalé Roxlo, Amado Alonso y después Federico García Lorca. [...] Ortega y Gasset dio un ciclo de charlas muy interesantes. (GUERRA: Entrevista 123)

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Aus dieser Zeit stammt die (wahre?) Legende, María Luisa Bombal habe ihren ersten Roman, La ultima niebla, auf dem Küchentisch5 in Pablo Nerudas Haus in Buenos Aires geschrieben: Comencé a escribir La última niebla en la casa de Pablo Neruda. El estaba escribiendo Residencia en la tierra y nos peleábamos por usar la mesa de la cocina que era muy cómoda para trabajar. También discutíamos por diferencias de estilo, él me consideraba muy clásica y me llamaba „madame Mérimée." (GUERRA: Entrevista 124) In Buenos Aires bewegt sie sich in den Kreisen der 1931 gegründeten Zeitschrift Sur, die danach bestrebt war, die neuesten europäischen Avantgardeströmungen in Argentinien bekannt zu machen, und in der auch lebhafte Debatten um Virginia Woolf und die feministische Frage stattfanden. María Luisa Bombal selbst bewundert die englische Autorin zwar ihrer Werke wegen, die sie mit Interesse liest, 6 mit deren Feminismus will sie allerdings nichts am Hut haben (vgl. GUERRA: Entrevista 123f.). Auch mit Borges verbindet sie eine enge Freundschaft sowie die gemeinsame Leidenschaft für das Kino, die María Luisa Bombal zur Filmkritikerin und Verfasserin eines Filmdrehbuchs mit dem Titel La casa del recuerdo1 werden läßt: Con Borges paseábamos por el riachuelo, él me contaba lo que escribía y yo le contaba lo que escribía. Una tarde le hablé de La amortajada y me dijo que ésa era una novela imposible de escribir porque se mezclaba lo realista y lo sobrenatural, pero no le hice caso y seguí escribiendo... Después nos íbamos al cine porque éramos locos por el cine y, cuando terminaba la película, nos íbamos a un restaurante donde tocaban tangos. Todas las semanas, yo estaba invitada a la casa de Borges por su mamá. („Testimonio Autobiográfico", in Obras completas: 331) Nachdem sie schon in Chile eine turbulente, unglückliche Affäre mit Eulogio Sánchez Errázuriz gehabt hatte (vgl. GLIGO: 45-50; 61-66), dessentwegen sie sogar einen Selbstmordversuch unternahm,8 heiratet sie 1935 in Buenos Aires - ob in einer

Karin HOPFE merkt dazu kritisch an: „Cuando por doquier se relata que María Luisa Bombal (1910-1980) escribió su primera novela La última niebla (1935) en la mesa de la cocina, es posible que se deba tan sólo a una leyenda creada a posteriori. Sea poesía o verdad, la anécdota es de cualquier manera significativa en el caso de esta escritora chilena y arroja luz sobre la temática central de su obra: el destino de las mujeres." (229) Einige Kritikerinnen haben sich denn auch mit Gemeinsamkeiten im literarischen Schaffen der beiden beschäftigt (vgl. CÁRCAMO et al., LURASCHI und VERDUGO). Der Film, eine tragische Liebesgeschichte in Manier von Jorge Isaacs Maria, wurde schließlich 1937 mit Libertad Lamarque als Hauptdarstellerin gedreht und hatte laut Aussage von María Luisa Bombal „un éxito fantástico" (GUERRA: Entrevista 125). In ihrem späteren, freudlosen Leben in den USA sollte ihr diese frühe Passion für das Zelluloid zu einem Brotberuf verhelfen, denn dort arbeitet sie jahrelang in der Synchronisation von Filmen (vgl. GUERRA: Escritura 134). In welchem Jahr dieser stattfand, ob bei ihrer ersten Rückkehr nach Chile 1931/32 oder kurz vor dem späteren, gescheiterten Mordversuch an Eulogio Sánchez 1940 (s.u.), war für mich nicht zweifelsfrei herauszufinden; GUERRA schreibt nur: „Sintiendo que su vida no tiene sentido sin el amor de Eulogio, un día en la casa de éste, sube hasta el dormi-

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Trotzreaktion oder, wie Guerra meint, aus Rücksichtnahme auf Konventionen 9 - den homosexuellen Maler Jorge Larco, mit dem sie trotz materieller Sicherheit und geteilter künstlerischer Interessen gleichfalls nicht glücklich wird und von dem sie sich nach zwei Jahren wieder trennt:10 ...como la protagonista de La ultima niebla, se casa por casarse, por no caer en una soltería que, para la época, era sinónimo del fracaso de una vida hecha para el amor y la meta biológica de la maternidad. Su matrimonio con el pintor argentino Jorge Larco en 1935 es una amistosa alianza de la marginalidad para mantener las apariencias. Pero la doble vida de su marido homosexual la humilla,... (GUERRA: Escritura 128 f.) 1939 unternimmt sie auf Einladung des PEN-Clubs eine kurze Reise in die Vereinigten Staaten, wo sie William Faulkner, Sherwood Anderson und Erskine Caldwell kennenlernt (vgl. GÁLVEZ LIRA: 6; GLIGO: 93-96). Noch einmal kehrt sie 1940 nach Argentinien zurück, reist dann aber auf Anraten ihres 62jährigen Liebhabers Carlos Magnini nach Chile, um ihm Gelegenheit zu geben, seine Beziehung zu ihr und eine eventuelle Heirat zu überdenken. Als sie erfährt, daß dieser ein zwanzigjähriges Mädchen geehelicht hat, spielt sie neuerlich mit Selbstmordgedanken (vgl. torio, saca el revólver de un cajón y se dispara en el hombro izquierdo." (Escritura 127). Laut GLIGO scheint der Suizidversuch etwa im Jahr 1932 anzusiedeln zu sein, obwohl auch sie nur schreibt: „Una noche,..." (64). Im späteren Strafprozeß (1941) sollte Eulogio aussagen: „En un momento en que estábamos en la mesa, ella subió a la toilette y pasó al dormitorio, tomó el revólver que estaba en un cajón guardado; registrando los cajones lo encontró, y se dio un tiro en el hombro" (zit. in GLIGO: 64). Jedenfalls weisen alle Autorinnen, die dieses Ereignis kommentieren, darauf hin, daß es seinen literarischen Widerhall in La amortajada findet, wo sich Ana María zunächst erschießen will, dann aber lediglich auf einen Baum zielt, sowie in La historia de Maria Griselda, wo die weibliche Hauptfigur ein merkwürdiges Stigma an ihrer Schulter in Form eines verkümmerten Flügels trägt... 9

Letzteres klingt mir nicht besonders plausibel, v.a. in Anbetracht einhelliger Meinungen von Zeitgenossinnen, die sie als extravagante, aufsehenerregende Erscheinung schildern: „Ana Vásquez recuerda que, cuando ella era muy niña, llegó a su casa la escritora causando un revuelo entre hombres y mujeres. 'Ellas apenas la saludaron cuando con sus tacones muy altos y sus uñas pintadas de rojo avanzó para reunirse con los hombres que hablaban de libros'" (GUERRA: Escritura 128). Ein anderer Zeitgenosse erinnert sich: „Era muy graciosa y alegre, pero tenía demasiada personalidad para ser mujer... Una mujer debe ser más pasiva... A uno le gusta creer que manda" (GLIGO: 56).

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EWART schreibt: „La separación legal se produjo en 1936" (in Obras completas: 395); GLIGO, die der turbulenten Affäre ein ganzes Kapitel widmet (75-79), datiert die Trennung auf 1937 (78) und die legale Scheidung - die in Argentinien damals noch nicht möglich war - auf 1943 (178), während andere Autorinnen - bewußt oder unbewußt fingieren, er sei verstorben, wie etwa Martín LASO, der sie zusätzlich als willen- und intellektloses Anhängsel ihres Maler-Ehemannes darstellt: „A María Luisa Bombal, a pesar de no haber tomado nunca los pinceles, le gusta mucho la pintura y es gran conocedora de ella a través de su primer marido, Jorge Larco, un excelente pintor argentino, de quien enviudó muy joven." („María Luisa Bombal", Qué Pasa n° 471, 24 de abril de 1980, in Obras completas: 452)

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G L I G O : 105), erfährt dann aber, d a ß j e n e r M a n n wieder in Santiago ist, der sie ihrer M e i n u n g nach ins Unglück gestürzt hat: Eulogio Sánchez. Und nun ereignet sich eine der dramatischesten Szenen, die ihrem Leben wahrscheinlich die entscheidende W e n d e zur nachhaltigen Desillusion gegeben hat, das endgültige A u f g e b e n ihrer rebellischen, romantisch-tragischen Grundeinstellung und das definitive Versinken in Depression, Alkoholismus und Resignation, das nach außen hin über weite Strecken als Z u r - R ä s o n - K o m m e n einer überspannten j u n g e n Frau, die allmählich in gesetztere Jahre k a m (sie ist nun 30), getarnt blieb: der Mordversuch an ihrem 'treulosen' Liebhaber, der gerade mit seiner Gattin von einer Reise zurückgekehrt ist: Y como si la trama misma de la vida hubiera querido darle la razón a María Luisa quien nunca dejó de decir que Eulogio había marcado su destino, en una extraña confabulación de coincidencias, lo vio el 27 de enero de 1941 salir de un edificio situado en Agustinas 1070. „El iba saliendo con un amigo de la oficina. Yo corrí tras él y saqué de mi cartera mi pistola y le disparé por la espalda, no sabiendo más lo que sucedió ni cuántos tiros le disparé...", explicó al juez. (GUERRA: Escritura 130, Zitat nach Proceso N° 32.400, fs.57; vgl. auch GLIGO: 105-113) Der nüchterne, rationale Geschäftsmann Sánchez, der den Anschlag z u m Glück überlebt, ist verwundert, als er erfährt, wer diesen auf ihn verübt hat: „¡Hace tantos años q u e n o sé de ella!" ist seine erste Reaktion ( G U E R R A : Escritura

131), wieder-

u m symptomatisch f ü r die in B o m b á i s W e r k e n häufig v o r k o m m e n d e

tragische

Disproportion der E m p f i n d u n g e n zwischen M a n n und Frau, deren wesensmäßige Unvereinbarkeit, weil die Frau nur f ü r ihre G e f ü h l e und die Liebe lebt (und stirbt bzw. tötet), während der M a n n Handfesteres, Praktischeres im Kopf hat. 1 1 Jedenfalls nimmt der schwer Verletzte von einer strafrechtlichen Verfolgung Abstand, und auch aufgrund der Intervention namhafter Schriftsteller und Intellektueller k o m m t die verhinderte Mörderin wieder frei, allerdings nur u m das Land auf längere Sicht zu verlassen (vgl. A G O S Í N : Biografía

328). Sie zieht nun in die U S A , wo sie

zunächst in Künstlerkreisen verkehrt: LGC: En 1940 viajas a Estados Unidos donde vives por alrededor de treinta años. ¿Tuviste contacto con algunos escritores? MLB: Bueno, conocí personalmente a Sherwood Anderson y Erskine Caldwell. En 1943, trabajé haciendo doblaje de películas con Ciro Alegría y Ramón Sender. También trabajé en publicidad. Me unió una gran amistad con Gabriela Mistral, a quien conocí en Buenos Aires y siempre manteníamos correspondencia. (GUERRA: Entrevista 125) In der chilenischen Botschaft in Washington ist sie damit beauftragt, die Synchronisationen nordamerikanischer Filme f ü r den Export nach Chile zu bearbeiten, vielleicht auch zu zensurieren (vgl. G L I G O : 116). Erst nach d e m T o d der B o m b a l wird

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Vgl. dazu folgende Stelle in La amortajada: „¿Por qué, por qué la naturaleza de la mujer ha de ser tal que tenga que ser siempre un hombre el eje de su vida?/ Los hombres, ellos, logran poner su pasión en otras cosas. Pero el destino de las mujeres es remover una pena de amor en una casa ordenada, ante una tapicería inconclusa." (142)

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von den verschiedenen Biographinnen das bisher tabuisierte Thema ihres zunehmend fortschreitenden Alkoholismus berührt.12 Auch Agosin resümiert in wenigen Worten, was von der exaltierten Persönlichkeit der jungen Dichterin in den Jahren ihrer Angepaßtheit und Dekadenz in den USA noch übriggeblieben ist: De un hotel pasa a otro. Trabaja en diferentes actividades, escribe guiones para películas, es traductora, bebe mucho y escribe poco. (AGOSÍN: Biografía 328) Aus all den in der Literatur vorzufindenden Schilderungen scheint das Bild einer gebrochenen, in Langeweile erstickenden, aber ehemals aufmüpfigen und respektlosen Frau13 hindurch, die nun nur mehr sich selbst karikiert: ...es evidente que las vivencias de María Luisa Bombal en Estados Unidos son las que realmente delinean ese silencio. Su matrimonio con Fal de Saint Phalle, muchos afios mayor que ella, su trabajo tedioso en el doblaje de películas al castellano o la creación de propaganda para la América Latina de la aspirina y la leche de magnesia encauzan su vida hacia la formalidad y el pragmatismo. María Luisa muchas veces me contó cuán aburridas le resultaban esas reuniones de banqueros en Nueva York, „al principio, yo los interrumpía y decía cualquier cosa absurda para entretenerme, pero después, hasta mis bromas empezaron a aburrirme". (GUERRA: Escritura 133f.) Deja de asistir a su trabajo. Le cuesta abandonar la cama, vestirse, caminar por las calles nevadas. Lee y bebe. (GLIGO: 118) Doch noch einmal scheint ihr Leben eine positive Wendung zu nehmen: Am 1. April 1944 heiratet María Luisa Bombal zum zweiten Mal, und zwar den um 25 Jahre älteren Wallstreet-Banker und aus altem französischem Adelsgeschlecht stammenden Raphael de Saint Phalle y Chabannes, den sie auf einer Party zusammen mit Baron

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Indirekt, aber eindeutig, bestätigt in der von den Ärzten bekanntgegebenen letztlichen Todesursache: „La insigne escritora, que estaba enferma desde hacía aftos y había sido hospitalizada en distintas oportunidades, falleció an Santiago en el Hospital del Salvador el 6 de mayo de 1980./ Según el doctor Alfredo Ovalle, director del hospital, la causa del deceso fue una hemorragia digestiva, masiva que indujo una insuficiencia hepática." (GÁLVEZ LIRA: 14f.). Durch Leberinsuffizienz hervorgerufene Ösophagusvarizenblutungen (um eine solche handelt es sich wahrscheinlich) sind eine der häufigsten Todesursachen von Alkoholkranken...

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Lucía GUERRA stellt sich dazu folgende Frage: „Aunque los escritores somos muchos seres a la vez, es evidente que sólo escribimos a algunos. En el caso de María Luisa, uno siempre se pregunta por qué el ser que tan graciosamente blasfemaba y hacía sátira de todo, nunca fue escrito. Tampoco representó literariamente las agonías de su cuerpo, siempre pronto a caer en cualquier lugar para quedar postrado durante meses." (Escritura 124f.). Es ist anzunehmen, daß das eine mit dem anderen zusammenhing: die Enttäuschungen, Wut und Frustration mit der Flucht in Krankheit und Sucht. Ihr Interviewer Germán EWART sieht sie im Jahr 1962 folgendermaßen: „La realidad de María Luisa Bombal es tan extraña como la leyenda. [...] Sabe ser hada delicada, suave y tímida. Y, asimismo, tornarse bruja violenta, agresiva e intolerante. [...] Vehemente y vital, conversa con las manos y la cara. Articula con violentos énfasis en determinadas sílabas y sus 'erres' retumban como redoble de tambor." (in Obras completas: 392)

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Rothschild kennengelernt hat und dessen Kölnischwasser sie an ihren Vater erinnert (vgl. GLIGO: 121): En 1944 se casa con el conde francés, Fal de Saint Phalle en Stanford, Connecticut y permanece en Nueva York hasta el año 1973, fecha en que su marido fallece 14 y ella regresa nuevamente para morirse en su ciudad natal. (AGOSÍN: Biografía 328) Aus dieser Ehe entspringt auch die einzige Tochter, Brigitte, geboren am 11. Nov. 1944 in New York (GLIGO: 123), deren Beziehung zur Mutter von Anfang an von großen Spannungen gekennzeichnet ist. Guerra spricht von „esa trágica historia entre madre e hija" (Escritura 124). Und weiter: Recordando la expresión triste de Mana Luisa que parecía querer disculparse por no haber sido la madre sublime que exige nuestra sociedad, escuché a Brigitte que me habló por más de una hora acerca de su niñez, de los viajes que realizaba para liberar a su madre de la carga de criarla, de la afición de María Luisa, cada vez más intensa, hacia el alcohol. „Mi mamá no tenía nada que ver con esas mujeres lánguidas e indefensas que presentaba en su ficción. Podía ser terrible en sus sarcasmos y en sus iras", me dijo. (ibid.y 5 Da der Alkoholismus der Bombal immer notorischer wird und sie nicht mehr imstande ist, sich um ihre Tochter zu kümmern, kommt Brigitte vorübergehend für einige Jahre zu ihrer Tante Bianca nach Buenos Aires, wo sie zusammen mit ihrer Kusine die Schule besucht: Su voluntad - que nunca fue firme - está quebrada, vencida. Comprende - con esa lucidez última que nunca pierde - que debe hacer algo por sanar. Le cuesta levantarse de la cama, realizar las mínimas labores domésticas, preocuparse de las cosas de su hija. Ese es

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Auch hier gibt es Unstimmigkeiten der verschiedenen Biographinnen bezüglich des Datums: Im Interview mit GÁLVEZ LIRA sagt María Luisa Bombal, Rafaël de Saint-Phalle sei 1970 gestorben: „Me casé muy joven con el pintor argentino Jorge Larcos, pero no tuve éxito en mi matrimonio. Peleábamos mucho. El amor lo conocí con mi segundo marido, el conde Fal de Saint-Phalle, banquero francés nacionalizado americano. Con él viví treinta años en los Estados Unidos. La muerte de mi segundo marido, ocurrida en 1970, me ha afectado profundamente" (107). GUERRA schließlich schreibt: „Después de la muerte de su esposo en 1969, María Luisa Bombal vive por un tiempo en Argentina para luego irse a residir a Chile en 1973." (Escritura 135, Hervorhebung von mir). Auch GLIGO (149) bestätigt letzteres Datum. Mir persönlich erscheint der Name dieses zweiten Gatten, der auch das Schreiben der Bombal entscheidend in angepaßte, der patriarchalen Norm entsprechende Bahnen geleitet haben muß (s.u. zu den englischen Übersetzungen ihrer Werke), geradezu symbolhaft als Inbegriff des Phallischen, mit dieser Reduplizierung des Fal/Phalle, das aus der Abkürzung des Vornamens Rafaël entstanden ist. Dazu paßt, daß er denselben Beruf wie der verstorbene Vater ausgeübt hat, nämlich Börsenmakler, also zugleich „Reinkarnation" des Vaters ist.

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María Luisa Bombal selbst sagt zum problematischen Mutter-Tochter-Verhältnis in einem Interview: „De esta segunda unión nació mi única hija Brigitte - Brígida en español quien es hoy una brillante profesora de Matemáticas en San José, California [Sus ojos se iluminan mientras comenta:] Ella es un genio en las matemáticas y yo que no recuerdo ni las cuatro operaciones. Siento falta de comunicación con mi hija. Los hijos se despegan y la que sufre es la madre." (GÁLVEZ LIRA: 107)

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María Luisa Bombai el problema más inmediato. [...] La niña tiene siete años. Es el año 1951. Va junto con su prima al colegio Cinco Esquinas [...]. Su permanencia en Argentina se prolonga por dos años. (GLIGO: 131)

1956 erfährt María Luisa Bombal, daß der Mann, den sie für das Desaster ihres Lebens verantwortlich macht, Eulogio Sánchez, bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen ist. Kurz davor hatte sie noch von ihm eine Nachricht erhalten, in der es hieß: „dígale a María Luisa que ya todo pasó, definitivamente, y que todo está olvidado" (GLIGO: 134). Nun kann sie wieder mit dem Gedanken spielen, sich nach Jahren der Abwesenheit nach Chile zurückzuwagen. Dort ist es still um sie geworden; einige haben sie schon tot gewähnt, was sie auf die Palme bringt: Veinte años de ausencia y de silencio crearon un mito. El impacto de los dos libros de María Luisa Bombal se produjo en la segunda mitad de la década del treinta. Irrumpió con su prosa poética, emotiva y precisa, en un medio literario donde imperaban fundamentalmente el criollismo y el realismo. Luego desapareció. Apenas una que otra noticia escueta y fragmentaria desde los Estados Unidos. A la distancia y a los años se sumó el misterio del silencio. Agotados sus libros hace más de un decenio, quedó envuelta en una nebulosa, pero no cubierta por el olvido. Muchos hasta la creían muerta, presunción que no hace sonreír a la escritora. La enfurece. (Ehrmann im Mercurio vom 18.2. 1962, zit. in GLIGO: 137)

Ihre Tochter Brigitte, die 1961 an der Cornell University Mathematik zu studieren begonnen hat, braucht sie von Mal zu Mal weniger. Bombáis großer Wunsch, Viña del Mar und ihre Mutter, Verwandten und Freunde wiederzusehen, erfüllt sich zwar, doch führt die kurze Reise nur zu einer neuen Enttäuschung: Chile hat sich gewandelt, und die nun 51jährige Autorin vermißt die geheimnisvolle Atmosphäre der vormals lauschigen Plätzchen in Viña und findet sich in der modernen, technologisierten Großstadt Santiago nicht mehr zurecht. In einem Brief an ihre Schwester Bianca schreibt sie: Viña fue malograda por el proletariado rico. Está tan fea que hasta se les arrancó el mar. Lo taparon de rascacielos, (zit. in GLIGO: 137)

Eine letzte, 'schwarze' Lebensepoche ist für die Dichterin angebrochen. Nach ihrer Rückkehr in die USA zeigt sich immer mehr, wie angegriffen ihre Gesundheit aufgrund der mit Alkohol zugeschütteten chronischen Depression bereits ist: Mehrere mysteriöse Stürze innerhalb ihrer Wohnung 1963 und 1965 führen zu Hämatomen, Gehirnerschütterung, Gedächtnisstörungen und einem Knöchelbruch; mehrmals muß sie ins Krankenhaus, und sie leidet unter dem kalten Klima in New York. Teilweise kann sie sich nur mehr im Rollstuhl fortbewegen (vgl. GLIGO: 139; 142 f.). 1966 stirbt ihre jüngere Schwester Loreto im Alter von 55 Jahren an Krebs (GLIGO: 140). Immer wieder kündigt Bombal an, daß sie dabei sei, diverse Bücher fertigzuschreiben, doch diese bekommt keiner zu Gesicht, auch nicht ihre Mutter, die sie 1966 abholen kommt, um eine Zeitlang mit ihr nach Chile zu fahren; sie findet ihre Tochter rückständig und kommt sich selbst jünger vor als sie: „Según ella, yo hablo y actúo

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tan estricto y pasado de moda que no me siente su hija sino su madre." (Brief an Elvira Magaña, zit. in GLIGO: 143). Zwei Jahre nach dem Tod ihres zweiten Mannes, mit dem sie fünfundzwanzig Jahre zusammengelebt hat, fährt María Luisa Bombal nach Buenos Aires, wo sie zunächst bei ihrer Schwester Bianca lebt und alte und neue Freunde trifft. Doch niemand kann in ihr mehr die unbeschwerte, fröhliche junge Frau von damals wiedererkennen. Mit den 150 Dollar monatlich, die ihr aus der Lebensversicherung ihres Mannes zustehen, versucht sie allein über die Runden zu kommen, doch der Wechselkurs wird immer ungünstiger für sie, und auch aufgrund ihrer permanent kränkelnden Konstitution leidet sie materielle Not, aus der sie vor allem ihre Nichte Bianca Isabel als ihr 'Schutzengel' immer wieder herausholen muß. Angeblich arbeitet sie an einem neuen Roman mit einer biblischen Gestalt als Hauptfigur, doch auch dieser wird nie das Licht der Welt erblicken. 1973, kurz vor der Machtergreifung Pinochets, zieht sie doch wieder nach Chile, wohin sie wegen Salvador Allendes sozialistischer Politik (die ihr zutiefst zuwider ist) gezögert hat zurückzukehren (vgl. GLIGO: 154). Aufgrund ihrer schlechten finanziellen Situation ist sie gezwungen, bei ihrer Mutter in Viña zu leben, in einem Haus, das diese zusammen mit einer Kusine Bombáis bewohnt. ,JE1 ambiente de la casa es muy deprimente, material y espiritualmente", erzählt María Luisa ihrer Schwester. „Te escribo desde la mesa del comedor, y en este momento entra nuestra prima María que quiere poner el cubierto y me desaloja, junto con mi papel y pluma" (zit. in GLIGO: 155). Verschiedentlich versucht sie zu flüchten, in Hotelzimmer oder unabhängige Wohnungen, zusammen mit Freundinnen, doch ihre mageren 150 Dollar erlauben ihr keine weiten Sprünge. Auch 1976, als ihre Mutter im Alter von 87 Jahren stirbt, kann sie das gemeinsam mit anderen Verwandten geerbte Haus nicht verlassen. Eine Gruppe von dreißig argentinischen Autorinnen schickt eine Petition an die chilenische Regierung, der verarmten, doch einst so gefeierten Schriftstellerin eine staatliche Pension zukommen zu lassen, was auch 1978 gewährt wird (vgl. GLIGO: 165). Nun wird sie quasi im letzten Moment von der literarischen Szene ihres eigenen Landes wiederentdeckt. Einige Ehrungen und Preise (1974 der „Premio Ricardo Latcham" des PEN Club de Chile, 1976 „Libro de Oro" der Amigos del Libro und 1977 der „Premio Academia" der Chilenischen Academia de la Lengua) können aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß ihr ein ums andere Jahr eine Auszeichnung versagt bleibt, die sie sich sehnlicher als alles andere gewünscht hat: der Premio Nacional de Literatura (vgl. GLIGO: 157ff). Dafür reist Jorge Luis Borges aus Buenos Aires an und präsentiert in einem feierlichen Akt die letzte Neuerscheinung seiner alten Freundin, La historia de Maria Griselda. Doch María Luisa Bombal ist am Ende, als Autorin und als physische Existenz. Ágata Gligo beschreibt sie in diesen letzten Lebensjahren folgendermaßen: „Llega 1978. Ya está mucho tiempo entre nosotros, estéril, dolorosa, estatua de sí misma. 'Pero es alcohólica', acusan algunos" (161). Sie

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selbst spricht in ihren letzten Lebensjahren ihrer Schwester gegenüber von einem „Tod im Leben", reproduziert also in ihrer eigenen Biographie die im nachhinein fast prophetisch anmutenden Endzustände der beiden Protagonistinnen in La última bla und La

nie-

amortajada:

Gracias por tu carta. Ha venido a traerme un poco de aliento en esta muerte en vida que es mi vida porque así la siento. (Brief an ihre Schwester Blanca vom 20.1.1977, in Obras completas: 369f.) 16 Der eigentliche, 'zweite' Tod (vgl. das Ende von La amortajada)

ereilt sie schließ-

lich in Santiago de Chile, wohin sie 1979 gezogen ist, zunächst zu Isabel Velasco, die sie in ihrer kleinen Wohnung aufnimmt; später aber landet sie immer öfter in Erholungsheimen, Sanatorien und zuletzt in einem riesigen Saal des Hospital Salvador, aus dem sie Freunde in eine Pension bringen, nachdem Luis Sánchez Latorre, Präsident der Sociedad de Escritores de Chile, am 3. Mai 1980 in einem Zeitungsartikel verkündet hatte: María Luisa Bombal, gloria y prez de la literatura chilena (por no decir de toda la literatura actual de lengua española [...] permanece en una sala común del Hospital Salvador (zit. in GLIGO: 170). Doch für die überfällige Anerkennung ist es zu spät: Drei Tage später stirbt Maria Luisa Bombal an einer massiven Magenblutung, verursacht durch Leberversagen:

16

Eine nicht unerhebliche Rolle dabei dürften einerseits die großen finanziellen Schwierigkeiten gespielt haben, mit denen die Autorin in den letzten Lebensjahren zu kämpfen hatte (vgl. ibid.: 371), aber auch das Zusammenleben mit der alten, kranken Mutter, die erst 1976 sterben sollte, macht ihre Existenz zusätzlich freudlos und konfliktreich: „El ambiente en la casa es muy deprimente material y espiritualmente [...], estoy contemplando muy seriamente la idea de independizarme nuevamente aunque por ningún motivo abandonaré a nuestra madre [...]. Cumpliré con mi misión, pero defendiendo mis derechos a la inteligencia, espíritu y alegría de vivir. Vivir en esa casa es como vivir a la sombra de todo lo que me ayudaría a recuperarme moralmente. Es... si hubiera jamás de escribir un cuento al respecto el que yo titularía ...La casa sin sol." (Brief an ihre Schwester Blanca vom 12.10.1973, in Obras completas: 358f.). Untereinander sprachen die beiden Schwestern von der offensichtlich recht problematischen Mutter als von „La bella tenebrosa" oder „la pata de perro" (Brief an ihre Schwester Bianca vom August 1965, in Obras completas: 349). Erstaunlicherweise wird dieses Mutter-Tochter-Verhältnis in den gängigen Bombal-Biographien so gut wie nicht zur Sprache gebracht: Während die früh verstorbene Vater-Figur allerorten vergöttert und mystifiziert wird, verschwindet die mütterliche Gestalt aus den Texten, ohne je wirklich anwesend gewesen zu sein. Aus den wenigen Daten, die mir zur Verfügung standen, glaube ich schließen zu können, daß Bianca Anthes Precht in ihrer Witwenzeit ein recht selbständiges Leben geführt und viele Reisen unternommen hat, so daß oft ihre Töchter nicht einmal wußten, wo sie sich gerade aufhielt. Auf eine dementsprechende Frage ihrer Schwester antwortet María Luisa Bombal: „nuestra madre [...] está en Chile, después de su viaje fantástico; sobre todo en Alemania, donde la cubrieron de entretención y honores" (Brief an Blanca vom August 1965, in Obras completas: 349).

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María Luisa Bombal fallece en un hospital de Santiago el 6 de mayo de 1980. Muere sin recibir el máximo galardón de su patria, el Premio Nacional de Literatura. Algunos la acusaban de su exigua producción, una acusación burda a una de las escritoras más innovativas de la prosa castellana contemporánea. (AGOSÍN: Biografía 330) G O N Z Á L E Z erklärt die mangelnde Anerkennung der Autorin durch offizielle Stellen zu Lebzeiten folgendermaßen: Merkwürdig bleibt auch, daß der Autorin selbst in ihrer Heimat keine volle Anerkennung zuteil wurde, ihr beispielsweise nie der „Premio Nacional de Literatura" zugesprochen worden ist. Dies mag sich aus der Tatsache erklären, daß man sie in Chile zeitlebens als Ausländerin betrachtet hat, die zudem eine besondere Weltanschauung vertrat, wie sie eben den aus der höheren Bourgeoisie stammenden Intellektuellen eigen war... (192 17 ) Auch politische Faktoren, die sie als 'bürgerlich-elitäre Autorin' abseits der ture engagée

littéra-

denunzieren, und literarische Strömungen, die eher Gesellschaftskritik

in großen Zügen suchen als die poetische Schilderung der 'kleinen', unbedeutenden weiblichen Welt der Boudoirs und eleganter Liebesphantasien, mögen dazu beigetragen haben, daß die Autorin ihre Wiederentdeckung und Rehabilitierung, vor allem durch die feministische Literaturkritik, nur mehr am Rande miterleben konnte: A María Luisa Bombal tampoco la favorece la nueva política económica literaria de Latinoamérica iniciada especialmente en los 60, ni tampoco el triunfo de la revolución cubana que, según Rodríguez Monegal, es uno de los factores determinantes del llamado „boom". (AGOSÍN: Protagonistas 120) Damit kommen wir auch schon zur Rezeption und Einschätzung der Bedeutung des literarischen Werks der Bombal von Seiten der Literaturkritik.

17

Vgl. auch Lucía GUERRA: „Si bien obtuvo el reconocimiento de los intelectuales, lo que quedó evidenciado, por ejemplo, en el Homenaje de la Academia Chilena de la Lengua en 1977, el gobierno le negó el Premio Nacional de Literatura, como lo denunció en repetidas ocasiones la Sociedad de Escritores de Chile." (Entrevista 119). Daß dies für die Autorin selbst ein Problem gewesen ist, an dem sie zeit ihres Lebens gelitten hat, geht aus folgender Äußerung hervor: „En todo caso les declaro solemnemente que si no me dan el Premio Nacional no pienso renunciar a mi nacionalidad chilena. ¡¡¡Es posible renunciar a un país que tiene 300 volcanes!!! Silva Castro lo dijo y yo lo creo -300 volcanes. ¡La muerte, la muerte!" (Brief an Luis Meléndez und Chela Reyes vom 8.7.1967, in Obras completas: 352 f.). Allerdings bekommt María Luisa Bombal einige kleinere, regionale Literaturpreise verliehen, z.B. den Premio Municipal de Novela für ihren Roman La amortajada 1942 (GÁLVEZ LIRA: 7) oder den Premio Regional de Literatura Joaquín Edwards Bello am 8. Jänner 1979 in Viña del Mar (ibid. : 14). Woran ihr allerdings wirklich als allgemeines Zeichen der Anerkennung gelegen wäre, war der Staatspreis: „hablamos del Premio Nacional de Literatura. Porque esta año [1979], por quinta vez, fue candidata. Todo el mundo literario tenía la certeza que, por fin, lo ganaría. Pero no fue así. Y María Luisa no teme comentar la razón: 'no me lo han dado, porque el premio se ha convertido en algo político."' (ibid.: 110)

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1.1.2. Schmales Œuvre in poetischer Prosa Als Hauptcharakteristikum des literarischen Werkes der Bombai wird von allen Kritikerinnen, mit ganz wenigen Ausnahmen, 18 stets der innovatorische und Avantgardecharakter ihrer poetischen Schreibweise hervorgehoben; dies vor allem auf dem Hintergrund der zur damaligen Zeit, in den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts, in Chile und teilweise auch im übrigen Lateinamerika vorherrschenden Strömung des Criollismo bzw. Mundonovismo, der einerseits epigonenhaft im Fahrwasser des europäischen Realismus und Naturalismus seine literarischen Techniken in detailgetreuer Beschreibung sozialer Mißstände erschöpft, andererseits sich von den europäischen Vorbildern abzusetzen versucht, indem er in geradezu folkloristischcostumbristischer Manier nationale und regionale Eigenheiten der Neuen Welt in den Brennpunkt des Interesses rückt. Demgegenüber wirken die Romane und Erzählungen María Luisa Bombais, die stets in zwar als lateinamerikanisch erkennbaren, aber nicht näher lokalisierten, noch dazu 'weiblichen' Räumen angesiedelt sind, ausgesprochen kosmopolitisch. Valdés ordnet sie daher in die „corriente intimista" ein und beschreibt die Charakteristika dieser rein weiblich geprägten Strömung folgendermaßen, in nicht eben lobenden Tönen: Entre 1933 [...] y 1956 [...], nuestras principales novelistas, con excepción de Marta Brunei, quisieron desentenderse tanto de la descripción objetiva que pedía el criollismo como de la lucha popular que quiso presentar la llamada Generación del 38. Mientras ellos se sienten fascinados por la realidad chilena y „se acercan para auscultar hondamente buscando su sentido en signos de esencial validez sicológica y social",19 las mujeres prefieren la exploración del mundo interior; desdeñan la acción y la caracterización, además de la descripción de paisajes y costumbres, y dedicaron sus novelas a la presentación de estados de conciencia, de vivencias instintivas, oníricas o extáticas, de sensaciones: en suma, a la intimidad, y a la intimidad de sello femenino. (VALDÉS: 120f.)20 Die Autorin selbst setzt sich ganz bewußt von einer rein deskriptiven Literatur ab: ...me atrevo a decir que no sólo rompí e incité a romper con la narrativa naturalista criollista en la literatura chilena sino también con la narrativa de igual naturaleza en algunos otros de nuestros países latinoamericanos. Quiero decir con esa literatura que es sólo „descripción" de un existir, hechos y vicisitudes. Sí, creo haber insinuado y hecho aceptar en nuestra novela aquel otro medio de expresión: el de dar énfasis y primera importancia

18

Hier vor allem O Y ARZÚN und, in geringerem Ausmaß, HOPFE.

19

Fernando ALEGRÍA: Las fronteras del Realismo [ohne Seitenangabe zitiert].

20

Immerhin wird hier mit Ausdrücken wie „instintivas", „sensaciones", „intimidad" ansatzweise ein Bezug zur Körperlichkeit dieser Autorinnen hergestellt; außerdem ist dies interessanterweise die einzige Stelle in der Sekundärliteratur, in der María Luisa Bombal in eine weibliche Traditionslinie eingeordnet wird (ansonsten wird sie immer mit männlichen Avantgardeautoren wie Borges oder Neruda in einem Atemzug genannt...)

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no a la mera narrativa de hechos sino a la íntima, secreta historia de las inquietudes y motivos que los provocaran ser o Ies impidieran ser. (AGOSÍN: Entrevista 5) Karin Hopfe relativiert daher aus heutiger Sicht ein wenig die allzu enthusiastischen Einordnungsversuche früherer Kritikerinnen, die in María Luisa Bombal voreilig eine eindeutige Avantgardeautorin gesehen, ja, sie manchmal sogar in Verbindung mit dem Surrealismus gebracht haben 2 1 : A pesar de todas las innovaciones que contienen, tanto La última niebla como su segunda novela, La amortajada, no pueden ser consideradas novelas vanguardistas. Sin embargo, tampoco es de suponer que esta narrativa se hubiera podido realizar sin la experiencia con el Vanguardismo literario del Cono Sur del que participó Ma. Luisa Bombal en Santiago y Buenos Aires. / Los críticos que, no obstante, subrayan los rasgos vanguardistas de la técnica narrativa de Bombal, se orientan en el Criollismo que se veía influido por el Naturalismo europeo y que era el punto de referencia de la época. (HOPFE: 230) Ansonsten herrscht die einhellige Meinung vor, in María Luisa Bombal eine der wenigen oder die weibliche Exponentin der chilenischen Avantgarde vor sich zu haben; die Zitate gleichen sich: Su obra representa uno de los exponentes máximos de la literatura de vanguardia que, hacia la década de los años treinta, modificó radicalmente la estética realista para presentar por medio de técnicas experimentales, una suprarrealidad en la cual suefto y ensueño, vida y muerte, pasado y presente traspasan las fronteras convencionales de lo racional y lógico. (GUERRA: Entrevista 119) ...la homogeneidad de su discurso sin fisuras entre lo „real" y la „irrealidad" del sueño, la fantasía o la obsesión (La última niebla), o entre la vida y un estado intermedio entre vida y muerte (La amortajada), hizo que se adscribiera a la escritora en la vanguardia marcada por el surrealismo. (BASTOS: 558) Sie ist zugleich die erste chilenische Schriftstellerin, die bewußt den Surrealismus rezipiert, der sich Mitte der dreißiger Jahre auszubreiten beginnt. So schuf sie die moderne chilenische Erzählung gerade zu der Zeit, als Borges in Argentinien La historia universal de la infamia veröffentlichte. (GONZÁLEZ: 191) Für Agosin ist diese Funktion als Vorläuferin, als Pionierfigur, 2 2 sogar einer der Gründe für ihr späteres Scheitern, da sich María Luisa Bombal von ihren Zeitgenossinnen unverstanden fühlen mußte:

21

Was die Autorin selbst vehement abstreitet: „'Nunca tuve nada que ver con los surrealistas. A André Breton recién lo leí cuando vivía en los Estados Unidos'", me repitió varias veces." (GUERRA: Escritura 132)

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Einige Kritikerinnen weisen ihr sogar die Rolle einer Vorwegnahme vieler Verfahren des magischen Realismus zu, wie etwa Rodríguez-Peralta, die schreibt: „Thus, in her own way, Bombal has anticipated contemporary Latin American writers who consider narrative form as a creative entity in their work." (140) Auf letzteres - nämlich die Betonung formal-innovativer Aspekte gegenüber direkt-mimetischen oder didaktisch verwendbaren Inhalten, verweist Marting, wenn sie Bombal in Schutz nimmt gegen eine allzu simplistische Auslegung feministischer Anliegen, die von literarischen Werken eine 'brauchbare' Widerspiegelung der „Situation der Frau" zu bestimmten Zeiten und Orten fordert: „Nosotras las feministas preferimos interpretar los textos en términos del mimetismo so-

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María Luisa Bombai Ella fue una adelantada para su tiempo, rompió con el criollismo imperante de la época, habló sobre el cuerpo y el deseo sin eufemismos, su prosa lírica y porosa anuda las historias del deseo, de la memoria y del vacío de un recuerdo. (AGOSÍN: Biografía 330, vgl. auch Protagonistas 118)

Interessant, daß die chilenische Kritikerin hier den „Diskurs des Körpers" als abweichend von der herrschenden Linie, von der Prüderie und quasi 'Geschlechtslosigkeit' des sozialkritischen Criollismo ausweist. An anderer Stelle fragt sie sich: Es en este confín donde la que escribe puede ser totalmente ella, puede adueñarse de la palabra y no ser una que escribe para complacer a una cultura imperante sino que, saca a la luz su propio lenguaje, su propio decir./ ¿Será tal vez ésta la razón por la cual mujeres como Bombal, que modificaron la literatura de la época, que cambiaron el curso de la literatura chilena fueron ocultas, fueran las ausentes de los premios literarios o en la lista de códigos culturales aceptables? (AGOSÍN: Silencio 17) Insofern findet auch in der Rezeption des Werkes der Bombal im Gefolge der feministischen Literaturkritik eine Neuorientierung statt, die nicht mehr abwertend von der „sozialen Inhaltslosigkeit" ihrer Prosa spricht, sondern zwischen den Zeilen sehr wohl eine verdeckte, wenn auch nie explizit gemachte Kritik an der ausweglosen Lage der Frau in der bürgerlichen Gesellschaft herauszulesen versucht: Tradicionalmente, la crítica se ha dedicado a estudiar los elementos vanguardistas de La última niebla y sólo recientemente se ha comenzado a dilucidar la importancia de la obra como un comentario social acerca de la situación de la mujer latinoamericana. (GUERRA: Narrativa 46) 23 Por medio de la denuncia implícita, María Luisa Bombal, al igual que sus coetáneas, se limita a presentar a la mujer como un ser tronchado cuya existencia está escindida entre las normas de su sociedad y los anhelos de una realización amorosa que, para la condición femenina de la época, posee un carácter trascendental, (ibid.: 41) 24 D e m widerspricht nicht, daß von der Autorin selbst, nach eigener Aussage, gar keine bewußte Absicht im Spiel war, soziale Faktoren in ihr Werk einfließen zu lassen:

cial, sicológico, o histórico; nuestros textos predilectos son los que fácilmente funcionan como medio para educar a otros sobre la opresión de la mujer. Pero la literatura de la vanguardia, la radical y no-mimética, la que trata como idea principal el lenguaje o la libertad de creación en vez del individuo y la sociedad, también tiene mucho que contribuir a nuestra comprensión de la cultura anti-opresiva y no-opresiva. La crítica feminista recientemente ha empezado a mostrar una comprensión del hecho de que la forma de una obra de arte tiene su aspecto político" (MARTING: La crítica 49). 23

Dagegen Marting über die zeitgenössische Rezeption: última niebla (1935), escrito por la chilena María Luisa Bombal, dejó perplejos a muchos críticos de su época a causa de las innovaciones técnicas literarias y de la aparente falta de temática social." (ibid.)

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BIANCHI macht dafür auch den damaligen Zeitgeist verantwortlich: „Tal vez, porque casi medio siglo nos separa de estas obras; tal vez, por la visión de mundo de su autora y el origen social de ella y sus protagonistas, es notorio que, a pesar de que en estos relatos se afirma y denuncia la mediocridad y limitaciones de la condición de la mujer - en especial de la casada - , no se ven para ellas posibilidades de liberación y cambio." (191)

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Cuando escribí La última niebla parece que lo social era un trasfondo más al nivel de lo intuitivo. Para mí en esa época el arte social no existía; estaba demasiado compenetrada en mi propio mundo, lo íntimo por sobre todo lo que fuera protesta social. (GUERRA: Entrevista 124) Ja selbst die Tatsache, daß María Luisa Bombal, zumindest in dem Alter, als die letzten Interviews mit ihr aufgezeichnet wurden, eine ausgesprochen konservative, um nicht zu sagen: antifeministische Grundeinstellung zur Schau trägt, kann nicht vergessen machen, daß ihre literarischen Werke zwar einerseits stets die bourgeoise Frau der Großgrundbesitzerklasse ins Zentrum stellen, gleichzeitig aber deren Eingeschlossensein im goldenen Käfig des Patriarchats zum Grundkonflikt der Handlung machen, was diese untätigen, im existentiellen tedio25 der Haciendas gefangenen Frauen letztlich wieder als Opfer des Systems ausweist; die für heutige Ohren schrecklich klischeehaft klingende Aussage der Autorin ist nur Beweis dafür, wie sehr sie selbst in diesen bewußtseinseinengenden Kategorien eingesperrt war und die Zuweisung falscher Weiblichkeitsstereotypen 26 (die ihr letztlich selbst zum Verhängnis wurden) reproduzierte: ...no creo que los derechos sociales reconocidos oficialmente en la actualidad a la mujer puedan hacer cambiar lo íntimo de su naturaleza. Creo que somos y seguiremos siendo la eterna mujer. La idealista, sensible, sacrificada, ávida ante todo de dar y recibir amor. (BOMBAL, in AGOSÍN: Entrevista 6) Leider überträgt sie als ,Alibi-Handlangerin" des patriarchalen Systems, wie es Mary Daly wohl nennen würde,27 diese Haltung auf die Erwartungen an ihre Tochter Brigitte, die eine brillante Karriere als Mathematikerin in den USA gemacht hat, sehr zum Mißfallen ihrer Mutter, die sie lieber 'unter der Haube' sehen wollte:

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Dies ist auch der Grund dafür, warum Bombal von manchen Kritikerinnen in ein Naheverhältnis zum Existentialismus gebracht wird, wie etwa von Magali FERNANDEZ: „Las protagonistas de María Luisa Bombal [...], así como también algunos de sus personajes masculinos [...] presentan problemas semejantes a los que aparecen en la narrativa existencial." (34) Und weiter: „De nuevo y aquí, de forma más explícita, no encontramos con 'el tedio' que Guillermo de la Torre identifica con 'la náusea' sartreana." (ibid.: 39). Sie stellt sogar Bombáis 'weibliche Spielart' des Existentialismus als radikaler dar als jene ihrer männlichen Schriftstellerkollegen in Lateinamerika: „Es interesante señalar aquí que, mientras los títulos elegidos por Onetti y Sábato [El pozo, El túnel, die von Pollmann zum existentialistischen Roman gezählt werden], representan espacios cerrados, profundos, asfixiantes, pero de los cuales se puede salir, María Luisa Bombal, en La amortajada nos presenta una imagen más definitiva: la muerte, la tumba, de la cual no puede salirse, en la cual queda cerrada toda posibilidad de evasión." (ibid.: 35)

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An anderer Stelle sagt María Luisa Bombal zum Beispiel: „El hombre es intelecto; sabe más; es 'the power behind the throne.' La mujer es sentimiento, es armonía. Yo creo que el amor es lo más importante en la vida de una mujer. La mujer es puro corazón a diferencia del hombre que es la materia gris y el iniciador de todas las grandes empresas." (GUERRA: Entrevista 126)

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Vgl. Gyn/Ökologie: 298 et passim.

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Pero para serte franca yo preferiría que ella se casara bien, así como Blanca Isabel, que puede ser también colaboradora dentro de la profesión de su marido así como femme du monde. Esto de ser una „career girl" no es mucho lo que me gusta. (Brief an ihre Schwester Blanca vom August 1965, in Obras completas: 349) Im Interview mit Lucía Guerra spricht die Autorin zwar davon, daß die Diktatur von Ibáñez „schrecklich" gewesen sei, und erzählt auch, daß sie an einer Demonstration teilgenommen habe, gibt aber im Nachsatz zu: MLB: La verdad es que no tenía una conciencia política. Fue más bien una reacción frente a la injusticia; la dictadura de Ibáñez fue horrible. LGC: Tú tal vez pensabas que la política era sólo asunto de hombres. MLB: Sí, eso. A mí me gustaban los árboles, los ríos, los conciertos, los libros. Para mí, los hombres eran distintos y me alegraba que ellos tuvieran que lidiar con la política y yo no tener que preocuparme de algo tan aburrido. Era mejor que mandaran los hombres y yo me pudiera dedicar a otras cosas. (GUERRA: Entrevista 123) Dies ist Teil ihrer widersprüchlichen Haltung: einerseits Verachtung für die Entfremdung der Männer im herrschenden politischen System, andererseits Selbstbeschneidung bzw. Evasion in imaginäre Welten als einziger 'Ausweg'. Die politische Naivität der verwöhnten jungen Künstlerin kommt in folgender Aussage zutage: LGC: Y cuando ibas al campo ¿no te impresionaba la pobreza de los campesinos? MLB: Para serte sincera yo nunca vi miseria. Los inquilinos parecían gente feliz; no pasaban hambre, (ibid.) Wenn María Luisa Bombal also heute für den Feminismus in der Literatur reklamiert wird, dann wohl nur malgré elle, denn von einem feministischen Bewußtsein kann bei ihr als historischer Persönlichkeit nicht die Rede sein. Sie ist und bleibt eine elitäre, großbürgerliche Schriftstellerin, deren erklärte Absicht es eben nicht ist, für die Befreiung der Frauen, schon gar nicht der ausgebeuteten Schichten, einzutreten; dies lag ihr zeit ihres Lebens ferne. Ihrer ungeheuren Sensibilität ist es jedoch zu verdanken, wenn sich in ihrem Werk dennoch die Bruchlinien weiblicher Entfremdung quasi seismographisch aufgezeichnet finden, der ennui der weiblichen Hälfte der Bourgeoisie zu seinem höchsten Ausdruck findet. Lucía Guerra meint zu diesem scheinbaren Widerspruch zwischen konservativer Ideologie und Avantgardeliteratur: ...aquella posición ex-céntrica que ella ocupaba como mujer intelectual no tenía valor de sustituto o alternativa para su contradictoria ideología en la cual perduró siempre una visión conservadora teñida sólo en los bordes de una fuerza transgresiva. (GUERRA: Escritura 128) Damit werden zugleich auch jene Kritikerinnen relativiert, die in ihr eine große subversive, rebellische Kraft gesehen haben, wie etwa Hernán Vidal: ... nos motiva el deseo de sumar su nombre a los de otros iniciadores tales como Arlt, Borges, Mallea y Bioy Casares. La contribución de María Luisa Bombal ha sido el tratamiento de la feminidad enajenada. Comprender la relevancia de este aporte obliga a situarlo en el contexto de la marginalidad y la disociación mental de los personajes tratados por la narrativa contemporánea, en contraposición al espíritu épico burgués contra el que se rebelan. (VIDAL: 41)

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Guerra wiederum bringt die transgressive Kraft von Bombáis Texten in engen Zusammenhang mit der Grundhaltung der phantastischen Literatur, die stets ein Infragestellen herkömmlicher Kategorien bedeute: La estética de lo fantástico, en general, responde al deseo de transgredir la visión oficial de la realidad basada en los principios racionales de causa y efecto, lo fantástico implica en sí un cuestionamiento, una búsqueda y una exploración de lo posible, de esa subjuntividad que invierte la lógica y simultáneamente añade un margen de duda y de misterio... (GUERRA: Visión 91) Und Agosín schließlich meint, gerade der evasive Charakter vieler Bombalscher Texte, das für sie so charakteristische Flüchten in Traum und Imagination, sei quasi ein Beweis für die Auflehnung der Autorin gegen die vorgefundene technokratische Welt der Männer: El estado de recluimiento característico de sus protagonistas implica un „no estar en el mundo", un no interesarse por los mecanismos del poder económico y político tradicionalmente asociado con lo masculino. Sin embargo, lo que sí incumbe a los personajes de María Luisa Bombal es el deseo de evasión por las vías imaginativas que, a mi parecer, se convierten en un acto de rebeldía. (AGOSÍN: Protagonistas 20) Während aber die literarische Qualität der Autorin heute allgemein außer Streit steht, ja, man sich ein wenig verwundert fragt, warum diese Pionierfigur in den älteren Literaturgeschichten und Anthologien mit Schweigen übergangen wurde, 28 wirft ihr Kemy Oyarzún vor, sich gefährlich nahe an die novela rosa herangewagt bzw. sich nicht genügend von sentimentaler Trivialliteratur abgegrenzt zu haben: Sombrío tiempo éste en que una escritora que se ubica justamente en el sitio „naturalmente" asignado para ella por el poder, es decir, en el sitio de la „intuición", el „embrujo", el mito, el sentimentalismo y el „misterio", es considerada portavoz subversivo y desconstructivo de las voces „oficiales." (OYARZÚN: 165)29

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Vgl. etwa BASTOS: ,JM última niebla no se incluye en el corpus canónico de la crítica latinoamericana entre los textos fundadores de nuestra literatura moderna, es decir, la que fue reconocida y aceptada como 'nueva' desde mediados de la década del sesenta, y que posiblemente muy pronto llamemos clásica." (557). Und GONZÁLEZ meint: „Es ist unverständlich, daß der Name María Luisa Bombal in einer großen Anzahl von Anthologien und historischen Darstellungen der hispanoamerikanischen Erzählliteratur fehlt oder daß ihr Werk derart gering geschätzt wird: Immerhin wurde La última niebla in acht, die Erzählung La amortajada in drei Sprachen übersetzt, und ihrer Verfasserin wurde von Seiten so angesehener Autoren wie Güiraldes, Neruda oder Borges allerhöchstes Lob zuteil." (192). FERNÁNDEZ gibt gar eine Zusammenstellung derjenigen Werke, in denen María Luisa Bombal nicht aufscheint (16f.). AGOSÍN hingegen schildert den Rezeptionsprozeß als ein historisches Nacheinander von Erfolg und Vergessen: „la obra de María Luisa Bombal que se inicia en la literatura con dos libros (La última niebla, 1935; La amortajada, 1938), que suscitan un gran interés en el público de la época. Sin embargo, después de algunos años este interés decae completamente y la autora llega a ser ignorada dentro de la historia literaria." (Protagonistas: 117)

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Daß die feministische Kritikerin mit ihrer Vermutung nicht ganz falsch liegen dürfte, zeigt sich an dem großen Bedauern, mit dem María Luisa Bombal von der für „Sentimenta-

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Sie vergleicht das ihrer Meinung nach unkritisch rezipierte Stimmengewirr mit einem Quijote, in dem der Diskurs der Ritterbücher unhinterfragt verwendet würde, ohne seine Herkunft zu klären und ohne ihn zu transzendieren: El fenómeno que se crea es similar a lo que habría ocurrido si Don Quijote hubiese elidido la mimesis que hace el Quijote de Amadís y se le oyese hablar y amar como caballero andante sin que el lector supiese qué mecanismos generaron tal lenguaje, tales actos, afectos y valores. (OYARZÚN: 168f.) Allerdings kann auch sie ihr nicht abstreiten, daß diese Widersprüchlichkeit, gerade im Zusammenhang mit der literarischen Aufbereitung von Körperlichkeit, mit weiblicher Physiologie, mit hysterischen Symptomen, einen der großen Reize des Bombalschen Werkes ausmacht: Es este lenguaje glífico, tónico, hiperestésico, el responsable de la excentricidad entre los enunciados y la enunciación de la novela. Allí donde el lenguaje se aleja más de lo simbólico acercándose al cuerpo, al síntoma, a la fisiología femenina que conserva las huellas sublimadas de la represión y la dominación, allí es donde la narración se muestra más ambigua, más dislocada y dividida, a la vez subversiva y conservadora, (ibid. : 167) Dieser Reiz war auch für mich so groß, daß ich María Luisa Bombais Hauptwerk, La última niebla, als repräsentativen Text der dreißiger Jahre im Zusammenhang mit der Analyse von Körperwahrnehmung in der lateinamerikanischen Frauenliteratur herangezogen habe. Charakteristisch für das erzählerische Werk der Bombai ist nicht nur seine immer wieder hervorgehobene poetische und innovatorische Qualität, sondern auch seine Schmalheit; insofern wird es auch häufig mit dem Œuvre von Juan Rulfo verglichen: En los diversos y proliféras cauces de la narrativa latinoamericana, la actividad creativa de María Luisa Bombai corre a la par de la producción literaria de Juan Rulfo. En el caso de ambos escritores, una primera novela de muy breve extensión (La última niebla, Pedro Páramo) produce un quiebre en los formatos tradicionales abriendo los umbrales de una nueva escritura que revoluciona el género novelístico. Y, en un acto de traición a las expectativas del público y de la crítica, a esta primera novela le sigue una obra escueta, de poco más de cien páginas, que mantiene su impronta renovadora. (GUERRA: Introducción 7) Dabei werden auch mancherorts intertextuelle Bezüge zwischen Pedro Páramo und dem zweiten Roman der Chilenin, La amortajada (erschienen 1938) angeschnitten: El escritor mexicano señalaba a José Bianco que La amortajada era una novela que lo había impresionado profundamente en su juventud 30 e, indudablemente, no obstante el importe folklórico y político atribuido a la muerte en Pedro Páramo, la noción de los per-

litäten" so unzugänglichen Welt der Nordamerikaner spricht: „Es increíble lo que uno sufre y siente nostalgia de amigos como Uds. en este país tan indiferente para todo lo sentimental. Hasta la palabra 'sentimental' es aquí palabra ridicula. Triste." (Brief an Luis Meléndez und Chela Reyes vom 8.7.1967, in Obras completas: 351) 30

José Bianco, „Sobre María Luisa Bombal", in Ficción y reflexión. México: Fondo de Cultura Económica, 1988, p. 241.

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sonajes muertos y aún rondando por la vida son un eco intertextual de la novela de María Luisa Bombal. Entrecruces y resonancias que también se engendran en el silencio ya que, después de un período no mayor de una década, ambos dejaron de publicar y, durante años, se limitaron a anunciar títulos o proyectos de nuevos textos que nunca entregaron a ninguna casa editorial. María Luisa Bombal y Juan Rulfo se hermanan, así, en la categoría denominada por la crítica como „casos extraños", (ibid.) The consciousness beyond death which floats through the novel is centralized in the psyche of one woman; nevertheless, the evocation of this essence can be called a prelude to the collective consciousness present in Juan Rulfo's Pedro Páramo (1955). (RODRÍGUEZ-PERALTA: 146)31 Tatsächlich finden María Luisa Bombáis literarische Texte in den verschiedenen heute zugänglichen Sammlungen auf weniger als 200 Seiten Platz; die 1996 veröffentlichten, von Lucía Guerra herausgegebenen Obras completas, in denen neben den Romanen, Erzählungen und poetischen Essays auch Briefe, Artikel und Interviews wiedergegeben werden, umfassen 456 Seiten. Auf Schwierigkeiten stößt generell jeglicher Versuch, diese Texte innerhalb bestimmter Gattungsgrenzen einzuordnen, aus dem einfachen Grund, weil die Autorin diese auf Schritt und Tritt durchbricht bzw. sich bewußt nicht an sie hält. So werden die beiden Hauptwerke, La ultima niebla und La amortajada, einmal als (extrem kurzer) Roman, einmal als längere Erzählung gewertet: CRUZ spricht etwa von „Esta novela corta, o cuento largo" (321) und SPANOS nennt denselben Text „this particular short novel" (18), während KOSKI (16) ihn als „novella of feminine resistance to silence, decay, and living death" bezeichnet. 32 Auch gleich nach seinem Erscheinen, 1935, kommentiert ihn einerseits der angesehene Kritiker Ricardo Latcham als „breve y ceñido relato" („La última niebla, por María Luisa Bombal", in La Opinión, 23.3.1935, p. 3, zit. in FERNÁNDEZ: 31), andererseits Amado ALONSO in patriarchalisch-gönnerhafter Art als „esta linda novelita" (24). 33

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Manche Autorinnen (vgl. etwa die Dissertation von Richard Reeve, zit. in GÁLVEZ LIRA: 80) nehmen darüber hinaus einen Einfluß María Luisa Bombáis auf Carlos Fuentes' La muerte de Artemio Cruz an, der selbst von ihr als der „Mutter des Magischen Realismus" spricht (in einem Vortrag in New York, vgl. GUERRA: Introducción 45f.).

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HOPFE hingegen hebt den tagebuchähnlichen, autobiographischen Textcharakter hervor: „Stream-of-consciousness, monólogo interior, diario o forma autobiográfica son algunos de los atributos que caracterizan la poética novelesca y cuentística de Bombal." (231)

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Das Schreiben der Frau ist eben, wie sie selbst, „hübsch" und nicht, wie bei Werken von Männern gängige Redensart, „kraftvoll", „ausdrucksstark" oder Ähnliches. Überhaupt geht dieser, María Luisa Bombal gegenüber ausgesprochen positiv eingestellte Kritiker (es gibt Gerüchte, wonach er auch ihr Liebhaber gewesen sein soll), der viel für die Verbreitung und Anerkennung ihres Werks getan hat, mit Diminutiva nicht gerade sparsam um, wenn es gilt, den 'ach so weiblich-süßen' Charakter ihres Erstlingswerks herauszustellen; der Zwiespalt zwischen aufrichtiger Bewunderung und 'Verlieblichung' des ange-

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Die Autorin selbst hielt sich auf die Widersprüchlichkeit ihres Werkes (und damit ihrer philosophischen Grundhaltung), auf die (nach herkömmlichen Kriterien) Unvereinbarkeit heterogener Elemente viel zugute; ihre Vermengung von logischen und phantastisch-mythischen Elementen ist wohl als bewußte Auflehnung gegen die von ihr so verachtete materialistisch-szientistische Welt US-amerikanischer Prägung zu verstehen: La escritora citaba a menudo la frase, en apariencia paradójica de Pascal: „GeometríaPasión-Poesía" y cada vez que se refería a su escritura, afirmaba que ésta se organizaba sobre un eje lógico y formas simétricas exactas. [...] misterio anclado en la lógica, „estructura oximorónica", como diría la crítica para designar el carácter paradójico de dicho enlace. (GUERRA: Introducción 9f.) Später sollte sie in ihrem Essay „Washington, ciudad de las ardillas" diesen Gegensatz zwischen der „Weltmaschine", die unaufhörlich 'Verwertbares', aber auch Todbringendes produziert, und dem spielerisch-unschuldigen Umherhuschen der (von ihr komplizenhaft, als Boten der mythischen Welt oder „Hexen" 34 empfundenen) Eichhörnchen in den Parks von Washington thematisieren: ¿Qué hacen, qué piensan, qué utilidad prestan, para qué viven las ardillas?, me preguntan. Pues, para jugar y contemplar. Para que no se pierda la noción del juego en el mundo, y para contar los minutos inadvertidos como aquel reloj. Para que nada se pierda. ¡Piensen ustedes en todo lo que se pierde, día a día, en Washington! Porque aquí, la Gran Máquina del Mundo requiere la constante atención de todos. Se dictan decretos y blackouts. Llegan y se van ministros, taciturnos y febriles. Y le echan carbón a la Máquina. Y la Máquina anda, suena y truena, y vomita resplandores rojizos como un dragón su fuego por las fauces. (Obras completas: 271) Um noch einmal auf María Luisa Bombáis schon zuvor angesprochene Transgression literarischer Traditionen ihrer Zeit zurückzukommen, so ist auch darauf hinzuweisprochenen Textes kommt vielleicht am besten in folgendem Zitat zum Ausdruck: „La evidente y admirada unidad de tono en esta novelita proviene de que la autora ha utilizado los materiales según necesidades poéticas y no según conveniencias 'literarias'" (ALONSO: 15). Weitere Belegstellen für die Schwierigkeit, mit der „Größe" einer Autorin umzugehen, finden sich auf den Seiten 23, 26 und 29 („este primer librito de María Luisa Bombal": auch der Hinweis auf den Erstlingscharakter von La ultima niebla schmälert ein wenig die Seriosität). Vgl. dazu das von Mary Ellmann gebrachte Beispiel unterschiedlicher Reaktionen eines Kritikers, je nachdem, ob er den/die Autorin eines Buches als männlich oder weiblich einschätzt („Unbewußte Haltungen eines Rezensenten", zit. in MOI: 48f.). „¡Mis brujas! Vienen a mí apenas las invoco para conjurar mis miedos. Vienen y me miran con sus ojos intactos, redondos y duros como cuentas negras. Y pasan, y corren con sus colas caprichosas; todas distintas y todas iguales, cabalgando en sus escobas de juguete. [...] ¡Son locas, sí! Son locas y brujas. Pero los Héroes de la Máquina las toleran con ternura y tal vez las consideran necesarias. El hecho es que velan sobre ellas con benevolencia. [...] Washington necesita a sus ardillas. Y me es grato terminar esta divagación con una seguridad de vida para aquel mundo que se mueve inocente, y al parecer inútil, entre la urgente tragedia de la Máquina." (Obras Completas: 273f.)

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sen, daß nicht mit dem Patriarchat identifizierten Autorinnen im Kontext des Criollismo sozusagen gar keine andere Wahl blieb, als sich eigene Paradigmata, am Rande und als 'Negativabdruck' dieser sehr 'männlich' geprägten Strömung zu suchen: 35 Wie Lucia Guerra-Cunningham ausführt, besteht das Grundprojekt des Criollismo im Aufbau einer auf Fortschritt, Unternehmergeist, kriegerischem Patriotismus und Unterwerfung der primordialen Naturgewalten gegründeten 'Nation', deren Feindbild das weiblich konnotierte 'Andere' darstellt (Ausländer, 'afeminados', bürgerlicher Müßiggang etc.): 36 ...el criollismo [...] estaba enclavad[o] en un proyecto de nación en el cual las categorías de „lo femenino" y „lo masculino" se desplazaron, en el nivel designativo, a zonas se35

Meines Wissens bildet Marta Brunet die einzige Ausnahme, also die einzige Frau, die als völlig integriert in die Vorgaben von Criollismo und Naturalismo gilt. Konsequenterweise wird ihr Werk auch mit dieser Sorte zweifelhafter Komplimente bedacht, die „kraftvoll" schreibenden Autorinnen sozusagen „Männlichkeit honoris causa" verleihen sollten; so etwa, wenn Emilio Vaisse (Omer Emeth) schreibt, „la señorita Brunet" sei ein „talento masculino" (zit. in HOPFE: 231). Amado ALONSO hingegen stößt einen Seufzer der Erleichterung aus, wenn er meint: „Si la mujer vive para la vida afectiva del alma y el hombre para las creaciones y realizaciones del espíritu, éste [Mana Luisa Bombal] es un temperamento íntegramente femenino. (¡Qué suerte que el oficio masculino de escribir no haya masculinizado a una escritora más!)" (31). Für einen genaueren Vergleich zwischen Brunet und Bombal siehe den Artikel von Martha E. ALLEN.

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Es mag wohl eine Ironie der Geschichte sein, daß Maria Luisa Bombal gegen Ende ihres Lebens die Pinochet-Diktatur in enthusiastischen Tönen begrüßt, eben weil sich diese auf das von dieser vertretene „patriotische Projekt" gründe, die Wiederherstellung von Ordnung und Disziplin sowie die Abwendung der Gefahr „chaotischer Zustände", wie sie unter Allendes „Terroristen" geherrscht hätten: „Aquí, por el contrario se tienen motivos para estar más que feliz. Esto ha sido un verdadero milagro político, y más que político. Esto ha sido la salvación de nuestro país, a quien se le tenía reservada la desintegración, la anulación, la muerte en tanto a Patria y Nación. Claro, estamos todavía viviendo en plano de emergencia. Toque de queda, cambios drásticos, más bien decir lenta vuelta a la normalidad.[...] estamos frente por frente con el Club de Carabineros -dicho sea de paso se han portado como héroes con nosotros los civiles- y síguense portando ídem. Muchos han muerto para protegernos de los terroristas, quienes tenían organizada completa masacre de nuestra inocente población." (Brief an ihre Schwester Blanca vom 6. Okt. 1973, in Obras completas: 356). Sollte jemand der Meinung sein, es könne sich nur um eine kurze, aus der Brisanz der sich überschlagenden Ereignisse hervorgerufene Sinnesverwirrung Bombáis handeln, so wird er durch einen fast ein Jahr später geschriebenen Brief eines besseren belehrt, wo sie immer noch unbeirrbar der Ansicht ist: „hay [...] orden y tranquilidad y Chile se va reponiendo lento pero seguro. La Junta es muy inteligente, serena y justa, y no hay chileno que no esté de acuerdo con lo que te digo, chileno sea de la clase a la que pertenezca." (Brief an Blanca Bombal vom 3. Aug. 1974, in Obras completas: 363) Die Autorin selbst ist sich dieser ihrer Gespaltenheit, der zwei Persönlichkeiten, die sie beherbergt, durchaus bewußt: „la visión que la escritora tenía de sí misma es también una antítesis no resuelta. En entrevista realizada en 1975, afirma: 'Soy una géminis. Dos personas en una: muy audaz, loca, imaginativa, y otra con criterio y prudencia.'" („María Luisa Bombal", El Mercurio, 7 de enero de 1975, zit. in GUERRA: Introducción 11).

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María Luisa Bombai mánticas específicas de dicho proyecto. Como señala Bernardo Subercaseaux, mientras „lo femenino" denotaba lo foráneo, el ocio, la especulación y todo aquello que se asociara con lo pasivo y pusilánime, „lo masculino" correspondía ,,a la industria, al espíritu emprendedor y guerrero, al roto, al régimen presidencial, a las figuras de Prat y Portales, a la raza gótico-araucana, a la ciencia, a una literatura que no fuese escapista, que se hiciera cargo de la realidad y desnudara las apariencias, que rescatara lo propio y las tradiciones vernáculas".37 (GUERRA: Introducción 16f.)

So wird auch in Kritiken criollistischer Werke stets deren „Männlichkeit" betont: ...en las reseñas críticas de textos criollistas, se elogiara recurrentemente „el estilo vigoroso y viril", „aferrado a la tierra y a la lucha del hombre contra la naturaleza". Dicho hombre es, en el criollismo, una exacerbación e hipérbole de „lo masculino", como matriz de sentido fijada a partir de la fuerza física, la violencia y el poder seductor. (GUERRA: Introducción 17) Selbstverständlich konnten sich Frauen als Autorinnen nur als außerhalb dieser Kategorien verstehen, 38 außer sie nahmen zu einer Überkompensation, einer Überidentifizierung mit dem Männlich-Heroischen Zuflucht wie die schon genannte Marta Brunet. Doch für María Luisa Bombal war gerade der Grundkonflikt zwischen der (bei ihr positiv besetzten) Natur und männlicher Geschäftigkeit bedeutungskonstituierend für ihr gesamtes erzählerisches Werk: De esta oposición entre la Naturaleza y el mundo moderno mana el conflicto básico en las últimas obras de María Luisa Bombal. Y la mujer, como prolongación de las fuerzas cósmicas, adquiere dimensiones míticas que se elaboran a partir de lo fantástico y lo maravilloso, modos de presentación de una realidad que se asemejan a aquélla presentada en algunos cuentos de Prosper Mérimée... (GUERRA: Narrativa 25) Dabei tappt sie allerdings in die vom Patriarchat ausgelegte Falle, nämlich sich mit denjenigen Weiblichkeitsklischees zu identifizieren, die von der herrschenden Gesellschaft zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Frau benutzt werden: Zuordnung zum Magisch-Mythischen, zur häuslichen Sphäre, zu Wasser, Mond und Erde bzw. Erdgebundenheit, Festlegung auf das äußere Erscheinungsbild, das mit Jugendlichkeit, Schönheit und Sanftheit einem weitverbreiteten Modediktat gehorcht. So verbindet María Luisa Bombal etwa bestimmte Körperpartien, wie z.B. das Haar der Frau, mit den 'urtümlichen Kräften der Natur':

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Bernardo SUBERCASEAUX, „Masculino y femenino al comenzar el siglo", in Mapocho, No. 33,1993: 61.

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Dies mochte auch der Grund dafür sein, daß María Luisa Bombal sich niemals gänzlich mit dem Surrealismus identifizieren konnte, da selbst in dieser avantgardistischen Strömung nie die Position des Weiblichen als eines Ganz-Anderen in Frage gestellt wurde: „como en el caso de las pintoras Frida Khalo , Leonora Carrington y Remedios Varo, la escritora chilena poco caso hace a los manifiestos literarios en boga que, desde una perspectiva eminentemente surrealista, producían mistificantes configuraciones de 'lo femenino' desde una posición patriarcal, no obstante postularse como antagónica a todo enclave de orden burgués." (GUERRA: Introducción 12)

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La cabellera me parece no sólo aquello más estrechamente unido a la belleza en la mujer, sino además el arranque más evidente y vivo que une a todo ser con la naturaleza. Porque ¿explíqueme Ud. la razón de ser que nuestros cabellos sigan creciendo aún después que nuestro cuerpo ha muerto? (AGOSÍN: Entrevista 6) Yo siempre he pensado que el pelo de la mujer es como las enredaderas, una prolongación de la Naturaleza, el cabello las une a la Naturaleza. (GUERRA: Entrevista 127) ...esa naturaleza misteriosa que los hombres no comprenden ni intentan comprender. Yolanda, pobrecita, esa ala, esa prolongación de la Naturaleza misteriosa era un estigma que la condenaba a la soledad y a la incomprensión en un mundo donde los hombres no quieren aceptar que el misterio existe, que bajo la fachada de un mundo lógico y racional, bulle un pozo de misterio, (ibid.) Interessant ist dabei, daß auch sie selbst die verständnislos beobachtete rastlose 'Umtriebigkeit' der Männer mit Bewegung assoziiert, während sich ihre weiblichen Gestalten vorwiegend in den geschlossenen Räumlichkeiten von Haus und Häuslichkeit befinden: Sin cambiar de postura, Yolanda observó a su hermano - un hombre canoso y flaco - al que las altas botas ajustadas prestaban un aspecto juvenil. ¡Qué absurdos, los hombres! Siempre en movimiento, siempre dispuestos a interesarse por todo. Cuando se acuestan dejan dicho que los despierten al rayar el alba. Si se acercan a la chimenea permanecen de pie, listos para huir al otro extremo del cuarto, listos para huir siempre hacia cosas fútiles. Y tosen, fuman, hablan fuerte, temerosos del silencio como de un enemigo que al menor descuido pudiera echarse sobre ellos, adherirse a ellos e invadirlos sin remedio. (Las islas nuevas: 71f.) So wird diese räumliche Opposition „offen" VJ. „geschlossen" zu einer Grundkonstituente von Bombáis Werken, was, nach Meinung Trovatos, allerdings ein gemeinsames Kennzeichen der Generation von 1942 sei: Circular spatial imagery is a trait which La última niebla shares with the majority of the novéis published by the Chilean Generation of '42, the literary generation to which Bombal belongs chronologically. According to Promis [131], the texts contain antagonistic planes, one enclosed within the other. „Uno de ellos es siempre un ámbito reducido y encerrado; el otro se caracteriza por su amplitud espacial y su naturaleza antagónica al primero." (TROVATO: 36) Zu dieser Einordnung der Autorin in ein Generationenschema meint allerdings GUERRA einschränkend: „en los nítidos esquemas generacionales, se ha omitido sistemáticamente el factor genérico" (Introducción 14). Tatsächlich kann zwar ein chronologischer Zusammenhang, eine Gleichzeitigkeit und ein Nebeneinander mit den männlichen Vertretern ihrer Altersgruppe konstatiert werden, doch selbst von Pablo Neruda, der einer ihrer besten Jugendfreunde war und mit dem sie zeit ihres Lebens eine herzliche Beziehung verband, trennt sie eine völlig andere Auffassung von Ästhetik, die für sie aber von entscheidender Bedeutung ist:, Jamás pongo cosas desagradables en mis novelas - por estética" (GALVEZ LIRA: 108). Und sie erzählt folgende Anekdote: También discutíamos por diferencias de estilo, él me consideraba muy clásica y me llamaba „madame Mérimée." [...] Recuerdo que un día Pablo me mostró un poema donde

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María Luisa Bombai usaba la imagen „asustar a una monja con un golpe de oreja" y yo la encontré horrorosa, grotesca. (GUERRA: Entrevista 124)

Adriana Valdés, die ihr im übrigen nicht so wohlgesinnt ist wie spätere, feministisch inspirierte Kritikerinnen, stellt sie folgerichtig in eine weibliche Tradition der „corriente intimista" (siehe oben). Auf etwaige Vorläuferinnen befragt, nennt die Autorin selbst Inés Echeverría 39 ; Lucía GUERRA erwähnt Gertrudis Gómez de Avellanedas Roman Dos Mujeres (1842) sowie Teresa de la Parras Ifigenia (1924), die ebenfalls „Este leit-motif de los espacios cerrados, como símbolo de un hermetismo impuesto al ser" (Introducción 22) aufwiesen. An Leitmotiven, archetypischen Symbolen und symmetrischen Oppositionen mangelt es generell nicht in den Texten der Bombal: Sind es in ihrem Erstlingswerk La última niebla insbesondere Nebel und Feuer, die einander als antagonistische Momente bekämpfen (vgl. SOSNOWSKI; BAKER), so geht es auch im übrigen erzählerischen Werk stets um einander ausschließende Gegensätze, die letztlich auf die Konfrontation zwischen 'männlichem' und 'weiblichem' Prinzip hinauslaufen: Ratio VJ. Mystik, Aktivität VI. Passivität, Zivilisation vs. Natur, Leben VJ. Tod, lineare vs. zyklische Zeit usw. Die implizite Autorin steht dabei eindeutig immer auf Seiten der Frau, aus deren Perspektive die Texte durchgehend erzählt werden, selbst wo ein/e auktoriale/r Erzähler/in ins Spiel kommt; stets identifiziert sie sich mit dem entfremdeten, in Abhängigkeit und Abgeschlossenheit gehaltenen weiblichen Subjekt. Die männliche Sphäre wird dabei aus der Distanz der verständnislosen Betrachterin/Zeugin betrachtet, wobei aber interessanterweise dem männlichen Körper gerade im Liebesakt eine bisher in der lateinamerikanischen Frauenliteratur noch nicht dagewesene, fast sensationell anmutende Aufmerksamkeit geschenkt wird. Dies mag damit zusammenhängen, daß nach María Luisa Bombáis eigener Aussage das erotische Erleben das einzige sei, in dem Mann und Frau - wenn auch nur vorübergehend - zusammenfinden, wo es im Idealfall einen kurz aufflammenden Augenblick der Kommunikation zwischen den beiden ansonsten so abgetrennten Bereichen geben kann; im Interview mit Carmen MERINO sagt sie auf die Frage: -¿Hay posibilidad de tener en algún momento una comunicación total entre un hombre y una mujer que se aman? -Creo que sí: durante el momento del amor físico. Tal vez en ese momento, más que en ninguno otro, el hombre abandona su coraza y deja hablar su espíritu. Luego se coloca nuevamente su armadura, y después olvida... (Obras completas: 404f.) Die Erotik spielt denn auch in ihrem Werk eine große Rolle; Ricardo Latcham war der erste, dem dies als innovatorische Qualität im Kontext der zeitgenössischen criollistischen Literatur aufgefallen war:

„María Luisa Bombal: Siempre postergada", in Ercilla No. 2251, 20. Sept. 1978, p. 52 (zit. in GUERRA: Introducción 18).

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La señorita Bombal con su breve y ceñido relato ha abierto una brecha en nuestro aburrido campo novelesco. Junto con libertarse ha contribuido a libertarnos del tedio inmenso que encontramos en la repetición y la abrumadora pesadumbre de los temas usuales. (1935: 3, zit. in GUERRA: Narrativa 44)

Sei es aus Prüderie oder aus dem Wunsch, die noch sehr junge Autorin vor 'Unzüchtigkeits'-Vorwürfen zu bewahren, umkreisen aber gerade männliche Kritiker der damaligen Zeit dieses Thema wie das buchstäbliche heiße Eisen, versuchen etwa, die nicht zu übersehende, manifest erotische Komponente in sich überschlagenden Kapriolen der Argumentation als „esoterisch-mystisches", entsexualisiertes „Verlangen nach dem Absoluten" umzudeuten. Der Spanier Amado Alonso ist ein Musterbeispiel dafür: W o etwa RÁBAGO (36) eindeutige masturbatorische Qualitäten sieht, nämlich in der später noch zu besprechenden „Teichszene" in La ultima niebla, weicht ALONSO auf sublimierten 'Naturgenuß' aus; zwar spricht er zunächst von einem „goce macizo del cuerpo" (21), um dann aber abzuschwächen: Indudablemente toda esta experiencia fisio-psíquica está vivificada desde un ansia oscura de amor humano. Pero nada de erótico simbolismo, en el sentido de una transposición sistemática de sensaciones del objeto presente y tenido a otro objeto ausente y ansiado: basta leer el citado pasaje en su contexto y dejarse contagiar por el frecuente goce de la naturaleza en toda la novela, (ibid.)

Es scheint, daß er als Mann den narzißtischen Genuß der Frau an ihrer Körperlichkeit insofern nicht als erotisches Erleben werten kann, als ja hier erstaunlicherweise kein heterosexuelles Objekt des Verlangens im Spiel ist; 40 daher nimmt er elegant die Kurve, um dieses an sich skandalöse einsame Vergnügen der Frau als harmloskindliche Naturverbundenheit umzudeuten, damit es wieder in seine Kategorien von 'unschuldiger Jungfräulichkeit' paßt. Dies gelingt ihm später sogar bei der (imaginierten oder wahren) Liebesszene, in der es um handfeste, sexuelle Einzelheiten geht: En el punto culminante de la novela, en la descripción de la aventura soñada, un ritmo análogo convierte en la más pura y limpia idealidad lo que con otros procedimientos de presentación hubiera sido un cuadro realista crudo. Donde otros harían documentación sin valor poético o grosera, con este ritmo suspirado se nos da poesía de lo más delicada y hermosa. (ALONSO: 32f)

Und so kann er letzten Endes seine Verleugnung der Frau als begehrendes Subjekt mit einem Ausrufungszeichen markieren: „no es, ¡de ningún modo!, una vida que busque su centro en el goce del cuerpo" (ALONSO: 31). Gerade darin aber liegt, nach einheitlicher Überzeugung späterer Kritikerinnen, die nicht mehr mit der

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Darauf weist auch GUERRA hin, wenn sie schreibt: „Maria Luisa Bombal y otras autoras de su generación, tales como María Flora Yáñez y María Carolina Geel, incursionan en experiencias de carácter narcisista, elaborando discursos en los cuales el placer erótico deviene autonomía y descubrimiento del propio cuerpo." (Introducción: 21) Demgegenüber werde in der herkömmlichen, männlich dominierten erotischen Literatur stets der Schwerpunkt gelegt auf die „penetración fálica como el suceso culminante" (ibid.: 20).

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Scheuklappe der Schamhaftigkeit an den Text herangehen, die wahrhaft revolutionäre Neuerung im Werk der Bombal; Marting schildert den historischen Verlauf des Rezeptionsprozesses in diesem Zusammenhang so: La exploración de Bombal del tema de la sexualidad femenina, no obstante, no era notada generalmente en las obras críticas de difusión internacional hasta los años setenta. [...] Falsamente la sexualidad femenina les pareció un tema neutro a los que estaban menos sensitivos a cuestiones feministas. El erotismo abierto, la sensualidad masturbatoria de la novela llamó la atención; todos sabían que era tema nuevo pero pocos reconocieron la subversión política que podía estar escondida detrás de los ensueños adúlteros de una mujer de clase media. (MARTING: La crítica 51) Gerade in letzterem, in der Vermischung von Traumhaftem und Realität, liegt zugleich auch der Kunstgriff, der es Bombal gestattete, in den Koordinaten ihrer Zeit den Sexualakt und das erotische Verlangen der Frau relativ direkt zu beschreiben: Durch die Poetisierung werden diese für die Autorin sagbar, ohne sich als Frau zu 'kompromittieren': In der Tat war der Bereich des Poetischen die einzige Welt, zu der die Frau in der literarischen Tradition Zugang hatte. [...] Im Reich der Poesie aber konnte die Schriftstellerin nicht nur über alles schreiben, worüber sie sich als Frau in anderer Form niemals hätte äußern dürfen, sondern auch eine eigene Welt mit ihren eigenen Gesetzen, Träumen und widersprüchlichen Gefühlen gestalten. Zudem kann die Heldin der Erzählung ihrer Phantasie in der Nebellandschaft freien Lauf lassen und sich eine ebenso geheimnisumwitterte wie erotikgeladene Existenz aufbauen bzw. ausdenken: als wirksame Kompensation für die emotionale Indifferenz ihrer Umwelt. Bombáis Werk ist nachhaltig von der Intention geprägt, die Realität zu verschleiern: Dies geschieht durch eine Strategie, die nach Alfonso Calderón (vgl. Vorwort zu Miranda 1988, S.13) darin besteht, die 'formas de evidencia' zu vermeiden, und die man in Anlehnung an Ludmer41 als eine Art 'treta del débil' bezeichnen könnte. (GONZALEZ: 192f.) In den verschiedenen Texten der Bombal geschieht dies auf unterschiedliche Weise: Der 'Trick' besteht in La ultima niebla darin, daß in der spanischen Urfassung 42 nie 41

Vgl. Josefina LUDMER: Tretas del débil und Adriana VALDÉS: Escritura de mujeres.

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In der von der Autorin selbst angefertigten englischen „Übersetzung" House of Mist, die in Wirklichkeit eine umfangreiche Neufassung des Werkes darstellt, wird die Trennlinie zwischen Traum und Wirklichkeit allerdings minuziös gezogen, sehr zu Ungunsten der literarischen Qualität. Die Autorin hat sich dabei leider auf Anraten ihres Verlegers und ihres zweiten Ehemannes darauf eingelassen, den ursprünglichen Entwurf nach den Erwartungshaltungen des US-amerikanischen Publikums vollkommen umzuschreiben; das Zustandekommen dieses mageren Abklatsches erzählt Ewart folgendermaßen: „su agente literario quien, después de leer La última niebla, le dijo: 'Muy bonito, pero es demasiado corto y no vamos a publicar un poema en prosa. Aclare el asunto: ¿Soñó o no la protagonista? Póngale final.'" (zit. in GÁLVEZ LIRA: 7). Die Autorin selbst bestätigt: „yo en Estados Unidos inmediatamente presenté mi obra a Farrar Straus y ellos la aprobaron, pero, como son los editores de allá, me llamaron y me dijeron que tenía que convertir La última niebla y La amortajada en novelas de, por lo menos, doscientas páginas. En el caso de La última niebla, cambié, cambié todo y escribí en inglés House of Mist. Claro que escribía bajo la supervisión de mi marido, que dominaba el inglés a la perfección." („Testi-

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endgültig klargestellt wird, ob die sexuelle Begegnung mit dem namenlosen Liebhaber real oder imaginiert war, wodurch die Liebesszene mit ihrer doch sehr greifbaren Körperlichkeit in ein Zwischenreich zwischen vida und sueño43\erlegt amortajada

wird; in La

hingegen wird das Bewußtsein der Protagonistin hinter die Schwelle des

Todes verlegt, wo sie ebenfalls 'jenseits von Gut und Böse' ist und ihren erotischen Erinnerungen ungestraft und frei nachhängen darf. Dennoch - oder gerade aufgrund dieser raffinierten Winkelzüge - bleibt María Luisa Bombal das Verdienst, die erste Frau in der Erzählliteratur Lateinamerikas gewesen zu sein, die es wagte, den Sexualakt ohne Euphemismen zu beschreiben: ...ella es la primera escritora latinoamericana que se atreve a describir el acto sexual, transgrediendo de este modo el discurso que el poder patriarcal le había adjudicado a la mujer. (GUERRA: Introducción 16) Fernández nimmt sogar an, daß die Grundbedingung des Aus/Abschweifens ins Imaginäre gegeben sein muß, damit sich ein Lusterlebnis bei der Erzählerin/Protagoni-

monio Autobiográfico", in Obras completas: 341). Die Zugeständnisse an den Publikumsgeschmack und an Kriterien der Vermarktbarkeit (die Mana Luisa Bombal tatsächlich die beachtlichen Verkaufsziffern von 100.000 Exemplaren und die Veräußerung der Filmrechte für 125.000 $ beschert haben) werden von der Kritik einhellig bedauert: „Cuando Farrar, Straus se interesó por La última niebla, el dueño de la editorial le exigió que alargara el texto a doscientas cincuenta páginas. De allí resultó House of Mist, [...] espectro degradado del texto original. Consciente de la moralidad y expectativas de un lector norteamericano, María Luisa Bombal se empeña en socavar lo fantástico a través de diálogos y explicaciones lógicas, su protagonista que ahora tiene el nombre de Helga descubre fácilmente su confusión entre el sueño y la realidad y, como en los films de la época, todo culmina en un superficial final feliz" (GUERRA: Escritura 134). „The English version of the first novel [...] tears to shreds the original sensitive novel of a woman's subconscious. Dedicated to her husband 'who helped me to write this book in English,' Bombal takes a few strands from the Spanish work and extends them into a very inferior episodic novel more than four times the length of the original" (RODRÍGUEZPERALTA: 154; vgl. auch GÁLVEZ LIRA: 9). Bei mir selbst hinterließ die Lektüre dieses nun neu verlegten einstmaligen Kassenschlagers (auf dem im übrigen die ersten Übersetzungen in andere Sprachen zu beruhen scheinen, vgl. LASO 1980, in Obras completas: 453) den Eindruck eines schlechten Agatha-Christie-Romans, in dem ein impliziter Hercule Poirot fein säuberlich Indizien sowohl für die Wahrheits- als auch die Falschheitsthese zusammenträgt. Für die feministische Leserin/Kritikerin besonders ärgerlich sind all die Stellen, an denen honigsüße Idyllen, falsche Harmonien und unterwürfige Kotau-Gesten gegenüber dem Patriarchat vorkommen - insgesamt kann House of Mist wohl nur als schlechte Karikatur von La última niebla angesehen werden. 43

Zu einer Parallele zwischen Calderón und Bombal siehe ALONSO, der La última niebla gegenüber La vida es sueño allerdings wiederum verniedlicht und ihr jegliche philosophische Tiefgründigkeit abspricht: „Una vida pasional soñada y ensoñada no incita a la autora a la presentación de tesis metafísicas por el estilo de 'el sueño es vida'; en esa anulación de fronteras entre lo real y lo soñado, esta linda novelita no tiene nada que se parezca - por derecho, es tangente y al revés - , a la grandiosa construcción metafísica en donde se inscriben los destinos personales de La vida es sueño." (24f.)

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stin einstellen könne, womit wiederum ein Zusammenhang zwischen Phantasie und sexueller Befreiung hergestellt wird, der für Bombáis Werk so typisch ist: En ambos casos [La ultima niebla y La amortajada] se presenta un divorcio, una disociación entre el sentimiento y el disfrute del placer sexual. En el primer caso, la narradora es incapaz de sentir placer en el abrazo amoroso real, pero lo siente cuando la experiencia existe sólo en su imaginación y de este modo no conlleva ningún riesgo o responsabilidad. (FERNÁNDEZ: 32) Dennoch kann von einer echten Emanzipation weiblichen Selbstbewußtseins im erotischen Bereich in den Werken der Bombal nicht die Rede sein; stets bleibt ein letztes Hindernis, das den weiblichen Figuren eine völlige Loslösung vom patriarchalen Kanon versagt: Schiebt sich in La ultima niebla symbolisch der (Bewußtseins-)Nebel zwischen die Bedürfnisse und Wünsche der namenlosen Ich-Erzählerin und deren Verwirklichung, so ist es in La amortajada der Tod als endgültige Trennlinie, der die Umsetzung ihrer in dieser Ausnahmesituation gewonnenen Erkenntnisse verhindert. Und selbst in der Erzählung „El árbol", wo die Hauptfigur Brígida am Ende ihren um vieles älteren, väterlich-bewachenden und doch gleichgültigen Ehemann verläßt, tut sie dies nicht, um zur endgültigen Selbstbestimmung zu gelangen, sondern wiederum, um die Liebe, diesmal aber die 'echte' zu finden: ¡Mentira! Eran mentiras su resignación y su serenidad; quería amor, sí amor, y viajes y locuras, y amor, amor... (56) Zwei Romane {La última niebla und La amortajada), fünf Erzählungen („Las islas nuevas", „El árbol", „Trenzas", „Lo secreto" und „La historia de María Griselda"), drei „crónicas poéticas" („Mar, cielo y tierra", „Washington, ciudad de las ardillas" und ,JLa maja y el ruiseñor") und der eine oder andere journalistische Text, dies ist alles, was uns María Luisa Bombal hinterlassen hat. Und doch ist es ihr mit diesem schmalen Werk, das fast ausnahmslos in den dreißiger und vierziger Jahren entstanden ist, gelungen, die chilenische Literatur in neue Bahnen zu lenken: ...llevó el nombre de Chile más allá de nuestras fronteras, en el canto de distintos idiomas - y creemos que después de la Mistral, es la única escritora chilena que puede tener el orgullo de haberlo realizado. (Vial, zit. in GÁLVEZ LIRA: 13) Und auch Marjorie AGOSIN spricht am Ende ihrer Biografía de una mujer novelada von „esta escritora invisible, de biografía y obra silenciada pero no obstante de esta escritora que con dos obras transformó el curso de la literatura chilena e hispanoamericana" (333).

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1.1.3. La última niebla (1935): Feminine Eleganz zwischen Romantik und Avantgarde Generell wird der Erstlingsroman La última niebla (1935) 44 der noch sehr jungen Autorin zugleich als ihr bedeutendster Text angesehen. Er ist insofern richtungsweisend für die neuere lateinamerikanische Frauenliteratur, als hier zum ersten Mal ein selbst-bewußtes weibliches Subjekt (im wahrsten Sinne des Wortes) unverhüllt von seiner Körperlichkeit und seinem erotischen Verlangen spricht.45 Der 35 Seiten kurze und relativ handlungsarme Text wird aus der Perspektive einer namenlosen Ich-Erzählerin, die zugleich Protagonistin ist, erzählt, und zwar großteils im Präsens 46 , was dazu angetan ist, die Distanz zwischen Erleben und Erzählen auf ein Minimum zu reduzieren, den Eindruck größtmöglicher Unmittelbarkeit (im Sinne von Un-vermittelt-heit) und Direktheit zu erwecken (vgl. SPANOS: 24f.). Bastos bringt dies mit der literarischen Form in Zusammenhang, die für sie tagebuchartige Charakteristika aufweist: ...el uso del presente histórico sostiene, desde el principio hasta el fin, la ambigüedad de una doble lectura, y ese presente, a su vez, se justifica por la forma de diario de la novela. (BASTOS: 560)

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In den meisten kritischen Werken wird als Jahr der Erstausgabe 1935 (bei Editorial Sur, Buenos Aires) angegeben, mit Ausnahme von GUERRA und GONZÁLEZ, die auch eine Ausgabe von 1934 bei Editorial Colombo anführen. Auf persönliche Befragung teilte mir Lucía Guerra im April 1995 in Irvine mit, daß diese Ausgabe tatsächlich existiert habe und sehr zum Ärger von Mana Luisa Bombal von der Literaturgeschichte totgeschwiegen worden sei. GLIGO scheint insofern einen Kompromiß zu vertreten, da sie zwar die Ausgabe beim Verlag F. A. Colombo anführt, aber diese auf 1935 datiert; sie erwähnt, das Vorwort habe damals Norah Lange geschrieben und Jorge Larco sei für die Illustrationen verantwortlich gewesen (73).

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Diese Aussage gilt primär für die erzählende Literatur Lateinamerikas, denn in der Lyrik waren bereits einige weibliche Pionierfiguren in der Benennung des weiblichen Körpers und seines Begehrens vorangegangen; zu erwähnen wären hier insbesondere Delmira Agustini und Juana Ibarbourou (beide Uruguay) sowie Alfonsina Storni (Argentinien); letztere, die allerdings in ihren feministischen Ansätzen weit über Bombal hinausreicht, stand in persönlichem Kontakt mit der chilenischen Autorin und wurde von dieser sehr bewundert, jedoch zugleich als 'unerreichbar' betrachtet (Bombal meinte damit natürlich in erster Linie persönliche Unnahbarkeit; die Literaturwissenschaftlerin sieht darin aber auch eine gelungene Metapher für den Abstand zur kritischen Linie Stomis, welche die Mythen des Patriarchats unerbittlich entblättert, während die Chilenin auf weite Strecken in ihnen gefangen bleibt). Vgl. die folgende Aussage Mana Luisa Bombáis: „Una persona a quien realmente admirábamos era Alfonsina Storni, pero ella no participaba en nuestro grupo; era muy seria y trabajaba como profesora." (in GUERRA: Entrevista 123)

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Mit Ausnahme der Eingangspassage (9), die teils im Indefinido, teils im Imperfekt ganz rudimentär die Vorgeschichte anreißt.

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Doch in ihrem Zitat steckt bereits ein zweiter, wesentlicher Gedanke, nämlich derjenige der „doble lectura", die nur durch diesen Kunstgriff des 'Präsentischen' erreichbar ist, beruht doch die gesamte Grundkonstellation des Textes auf der NichtZuordenbarkeit einzelner Geschehnisse zu den im abendländischen Bereich sonst fein säuberlich getrennten Sphären von Realität und Phantasie. Auf diese Verwischung sämtlicher Trennlinien zwischen Imaginärem und Wirklichem gründet sich die Rätselhaftigkeit und damit auch Attraktivität des Textes für den Leser/die Leserin, die sich diesem Spiel der Autorin mit zunehmender Lust am Lesen bzw. Gespanntheit über die Auflösung des Rätsels (welche nie erfolgt) hingeben. Cruz meint ganz richtig, daß damit ein gewisses komplizenhaftes Einverständnis zwischen Leserin und Erzählerin hergestellt wird, befindet sich doch erstere/r immer gerade auf dem Bewußtseinsstand seiner/ihrer Führerin in diesem Labyrinth, mit dem zusätzlichen Reiz, daß diese selbst den Weg nicht kennt: La narración está presentada casi toda en el tiempo verbal del presente cuya función se asemeja a la del yo-narrador en cuanto a establecer una relación de complicidad entre el narrador y el lector... (CRUZ: 326) Die Erzählerin ist also kein klassischer unreliable narrator in dem Sinn, daß sie bewußt ihre Leserschaft in die Irre führen wollte; sie selbst bleibt in defizitärem Bewußtsein gefangen - wiederum Metapher für die existentielle Situation der Frau in einem von Männern und für Männer geschaffenen System, in dem sie die 'Fremde', die Ausgeschlossene, die nicht in die Spielregeln Eingeweihte ist. Wie bereits als allgemeines Charakteristikum des literarischen Schaffens der Bombal erwähnt, finden wir auch hier die Trennung in zwei räumlich voneinander separierte Bereiche vor, die jeweils Symbolcharakter annehmen: das Haus als Sphäre der Abgeschlossenheit, mit dem sich bei der Frau ein Gefühl der Beklemmung verbindet (in körperliche Symptome umgedeutet: „keine Luft bekommen"), und andererseits die freie Natur, in der sich die Protagonistin 'zu Hause' fühlt, wo sie ihrem Bewegungsdrang nachgeben und zu sich selbst, insbesondere zum Erleben ihres nackten Körpers und dessen unverfälschten Wahr-nehmungen, finden kann. Beide Bereiche finden ihrerseits eine Spiegelung bzw. Umkehr in einem gedachten/phantasierten Haus (demjenigen des Liebhabers), in dem ebenfalls nicht-entfremdetes erotisches Erleben möglich wird und in dem konsequenterweise auch das Bild eines 'neuen Mannes' mit nicht-unterdrückenden, nicht-machistischen Charakteristika mitgedacht ist. Andererseits gibt es daneben, wenn auch nur mit wenigen Pinselstrichen angedeutet, die Sphäre des Mannes im Außenbereich Landschaft, mit typisch männlichen Tätigkeiten wie Jagd oder den „trabajos de la hacienda" (18). 47 Wenn sich die Frau darauf einläßt, findet sie allerdings wiederum nur eingegrenzte, abgezäunte Territorien vor: „el invernáculo, la pajarera, el huerto" (ibid.).

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Die im folgenden aus La ultima niebla angeführten Seitenangaben beziehen sich auf die mir vorliegende Ausgabe von Seix Barrai (Barcelona) von 1984.

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Auf die existentielle Unvereinbarkeit dieser beiden Weisen des Lebens, Arbeitens, Empfindens, Liebens, ist der Grundkonflikt des Romans angelegt; insofern kann auch die Protagonistin als problematische Heldin im Lukácsschen Sinne bezeichnet werden, die sich im Widerspruch zu den geltenden Werten der umgebenden Gesellschaft auf der Suche nach Selbsterkenntnis befindet, womit natürlich eine Entmystifizierung 'falscher' Werte einhergehen müßte: Es interesante notar que Georg Lukács ha desarrollado su teoría de la novela a partir precisamente de este conflicto esencial que significa una inadecuación entre la interioridad del alma y el mundo externo. (GUERRA: Narrativa 49) Daß dies der Hauptfigur in La última niebla nicht gelingt, daß sie letztlich an diesem nicht aufzulösenden Widerspruch scheitern muß, ist Bombal zwar manchmal von solchen (verkürzenden) feministischen Ansätzen zum Vorwurf gemacht worden, die sich 'starke Frauengestalten' als Modelle für weibliche Lebensplanung wünschen (vgl. MARTING und MOI: 62ff.), stellt aber in meinen Augen nur einen Beweis für die Hellsichtigkeit der Autorin dar, die bereits mit ihrem Titel die so schwer zu durchbrechende Verschleierungs- und Benebelungstaktik moderner Gesellschaft, speziell in bezug auf die Situation der Frau, 48 treffend charakterisiert: Nicht mehr gegen Windmühlen 4 9 hat die Protagonistin zu kämpfen - diese würden noch einen 'mit Händen greifbaren' Feind darstellen, welcher laut Unamuno (Vida de Don Quijote: 199f.) letztlich den als unheimlich empfundenen, technischen Fortschritt verkörpert - , sondern gegen eine undurchsichtige, schwammige, nicht tastbare Nebelwand, gegen die kein Mittel außer der Liebe hilft - die aber ist im machistischen Kontext des Werkes unmöglich, nur im Traum und in der Phantasie zu realisieren. Letzteres bleibt auch konsequenterweise der einzige Ausweg für die Protagonistin aus ihrer bedrückenden Lage: Mit ihrem sie nicht liebenden Cousin Daniel, der sie seinerseits lediglich als 'Tröstung' über den Verlust seiner ersten, angebeteten Gattin benutzt, 50 nur deshalb verheiratet, um der Stigmatisierung als „solterona arrugada" (10) zu entgehen, ist sie von einer Falle des Patriarchats (Ausgrenzung als Sonderling) in die nächste, noch viel beengendere (Einschluß durch Ehe) geraten. Dies wird dadurch angedeutet, daß auf die Eröffnungsszene der frustrierenden „Hochzeits48

Siehe dazu Mary DALY, v.a. Kapitel Acht (339ff.).

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Mit Don Quijote wird die Ich-Erzählerin in La ultima niebla von der Kritik des öfteren verglichen (siehe etwa GUERRA: Narrativa 51, ALONSO: 25, ALLEN: 78 und OYARZÚN: 168f.).

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Vgl. RÁBAGO, der auf die „existentielle" Versteinerung der Protagonistin durch diese Festlegung auf eine starre Schablone, die „mujer perfecta" verweist: „La negación de su ser personal, la subordinación a las cualidades de la primera esposa, a quien, según Daniel, ella debe imitar, le producen una petrificación existencial" (32f.). Die Metapher der Petrifizierung ist in der Literatur im Bezug auf weibliche Gestalten allgemein häufig anzutreffen; vgl. etwa die Steinwerdung der Isabel Moneada in Elena Garros Roman Los recuerdos del porvenir (1963).

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nacht" 51 unvermittelt, ohne jegliche Erklärung oder Motivierung, 5 2 das Bild einer jungen Toten in ihrem Sarg gezeigt wird, 53 vor dem die Erzählerin in Panik in die Weite der Natur flüchtet, wo sie versucht, sich mittels körperlicher Signale (hartes Auftreten ihrer Füße auf dem Boden, das jedoch von modrigen Blättern gedämpft wird und ihr kein Echo zurückgibt, Be-Greifen der verschwommenen Baumgestalten mit ihren Händen, lautes Rufen) ihrer Existenz zu versichern. - ¡ Y o existo, yo existo -digo en voz alta- y soy bella y feliz! Sí, ¡feliz!, la felicidad no es más que tener un cuerpo joven y esbelto y ágil. (12) Ihre Körperlichkeit ist also das einzige, was sie der tödlichen Umklammerung des Nebels/Nichts entgegenzusetzen hat, ein - wie sogleich erkennbar - denkbar schwaches Fundament, um dem allgegenwärtigen System zu trotzen, ist doch in ihrer Schönheit, Schlankheit und Jugendlichkeit zugleich deren Vergänglichkeit und Verkehrung ins (vor allem von Frauen) gefürchtete Gegenteil angelegt: Häßlich, dick und alt zu werden, ist nur eine Frage der Zeit. Diese zu ignorieren, gehört jedoch auch zu Bombáis Idiosynkrasie: ¿Qué es el tiempo? ¿Pero cómo se mide y valoriza el tiempo? Un hecho ocurrido años atrás puede hoy seguir siendo tan importante como lo que estoy haciendo en este mo51

In der keine Begegnung der beiden stattgefunden hat, weil die Frischvermählte sofort nach der Ankunft auf der Hacienda ihres Mannes erschöpft von der langen Reise einschläft; bei ihrem Erwachen am nächsten Morgen findet sie jedoch nur noch „un surco vacío en el lecho" (11) vor, Sinnbild für den abwesenden Mann, aber auch für ihre eigene, unerfüllte „Furche" (die Genitalsymbolik ist offensichtlich)...

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Dieses Stilmittel der Juxtaposition wendet Bombal im gesamten Verlauf des Romans und mit zunehmender Intensität an; mit ihm werden Leerstellen geschaffen, die auf zeitlichen oder räumlichen Sprüngen beruhen und der Interpretation freies Spiel bieten. Ähnlich wie in einem Gedicht werden hier die rein syntagmatisehen Beziehungen, das chronologischlineare Hintereinander, wie sie für den narrativen Text vorherrschend sind, in paradigmatische Parallelitäts- und Oppositionsstrukturen verlagert, die vom reinen Handlungsverlauf unabhängige Bedeutungselemente konnotieren. GOIC spricht etwa von einer „disposición que anula todo nexo causal y deja actuar libremente, en cortes temporales y espaciales de la secuencia, los resortes de la simple yuxtaposición de los elementos" (153), und Bastos führt noch genauer aus: „Veamos con algún detalle cómo se integran y cómo funcionan los aspectos que hacen de La última niebla un texto fundador. La función significativa de los blancos, de la yuxtaposición, observada por Cedomil Goic, se organiza desde el comienzo y se mantiene a lo largo del relato. Es interesante detenerse en las correlaciones dinámicas, por analogía y oposición implícita, que esos hiatos - verdaderos repositorios de significaciones - muestran" (BASTOS: 558).

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Die Autorin hat mehrmals darauf hingewiesen, daß es sich dabei - entgegen den irrigen Anschauungen einiger Kritiker (speziell SOSNOWSKI: 369) - nicht um die erste Gemahlin Daniels handelt, sondern daß sie damit den Einbruch des Todes in das junge Leben der weiblichen Hauptgestalt symbolhaft darstellen wollte: „La muchacha muerta que ella ve en La última niebla no es la primera mujer de Daniel, los críticos se equivocan en esto, yo quería que fuera la primera vez que la protagonista se enfrentaba con la muerte ¿comprende tú?" („Testimonio Autobiográfico", in Obras completas'. 339)

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mentó. No existe el tiempo. Es una infame invención moderna para justificar el apresuramiento. Sencillamente, rehuso creer que existe. Para mí, mis amigos no envejecen jamás, porque no creo en el tiempo... (Interview mit MERINO 1967, in Obras completas: 406f.) Dieses „Non-Credo" versucht die implizite Autorin auch in La ultima niebla durchzuhalten, mit zeitweilig recht gutem Erfolg: Die Notionen von Zeit und Vergänglichkeit verschwimmen gerade in den gelungensten und poetischesten Passagen am stärksten, in denen es der Frau gelingt, zu ihrem ureigensten Rhythmus zu

finden,

fern vom Geplapper und der Hastigkeit der 'Welt': De costumbre permanezco allí largas horas, el cuerpo y el pensamiento a la deriva. A menudo no queda de mí, en la superficie, más que un vago remolino; yo me he hundido en un mundo misterioso donde el tiempo parece detenerse bruscamente, donde la luz pesa como una sustancia fosforescente, donde cada uno de mis movimientos adquiere sabias y felinas lentitudes y yo exploro minuciosamente los repliegues de ese antro de silencio. (25) Genau dieser Schwebezustand in den amniotischen Gewässern ist es auch, in dem der Text über weite Strecken fast schwerelos dahingleitet, getragen von einem gleichmäßigen Takt, der für die Autorin nach eigener Aussage wichtiger ist als die 'richtige' Wortwahl: LGC: ¿Cuál es el elemento más importante en tu obra? MLB: El ritmo de mi prosa. El ritmo porque aunque me guste una palabra y sea la palabra precisa, la rechazo si no entra en el ritmo. Siempre busco un ritmo que se parezca a una marea, una ola 54 que asciende para luego despeñarse y volver a ascender. (GUERRA: Entrevista 126) Die Suche nach dem Rhythmus ist laut G O N Z Á L E Z „vergleichbar der Identitätssuche der Protagonistin in unserem Roman" (199); sie zitiert dafür folgende Belegstelle in La última niebla: Trato de imponerme cierto reposo, pero es sólo caminando que puedo imprimir un ritmo a mis sueños, abrirlos, hacerlos describir una curva perfecta. Cuando estoy quieta, todos ellos se quiebran las alas sin poderlas abrir. (24) Neben dem Hinweis auf das Rhythmische finden wir in diesem Zitat wiederum Beispiele für die perfekte Symmetrie von Gegensätzen, 5 5 die von Bombal offenbar be54

Auch hier also die Wassermetaphorik, die im Text eine so große Rolle spielen soll (s. u.).

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GUERRA führt zu diesen systematischen Kontrasten aus: „El conflicto básico que surge de la incongruencia entre los anhelos íntimos de la heroína y los valores convencionales de la sociedad se plasma en La última niebla a través de un artístico y elaborado sistema de imágenes y motivos contrastantes que expresan la dualidad entre el Ser y el Mundo." {Narrativa 53). An einzelnen Oppostionspaaren erwähnt sie: „muerte simbolizada por la niebla" VJ. „pasión representada por Regina"; „espacio cerrado de la casa" vs. „espacio abierto de la naturaleza"; „luz" vs. „oscuridad"; „frío" vs. „fuego" sowie „silencio" vs. „sonoridad vital" (ibid.). Trovato nennt darüber hinaus folgende Parallelitäten: Tote Tod im Leben; Liebhaber - Reginas Liebhaber; Selbstmordversuche Reginas und der IchErzählerin; weibliche Tote - Tod des Andrés; Tod des Andrés - „Tod" des Liebhabers, sowie noch folgende, interessante Korrespondenz: „Daniel, for instance, spends his life in

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wüßt angelegt wurde 5 6 . Auch Méndez gibt einen indirekten Hinweis darauf, wenn sie im Hinblick auf den Geliebten meint: Ese ámbito evoca el Imaginario lacaniano ya que el amante es la „otra sombra" que se perfila tras la silueta de la protagonista en la plaza oscura (18). No sólo es el amante el „doble" proyectado de la mujer (y la inversión simétrica del marido), sino que todo él se convierte en reflejo de sí mismo, en un espejismo,... (MENDEZ: 941) Doch damit haben wir dem Handlungsverlauf schon wieder vorausgegriffen. Auf die „yo existo"-Szene folgt unvermittelt die entscheidende Begegnung mit Regina, 5 7 der auf die Ich-Erzählerin ungeheure Faszination ausübenden Gattin ihres Schwagers Felipe, die sie jedoch in den Armen eines unbekannten Liebhabers vorfindet: Entro al salón por la puerta que abre sobre el macizo de rododendros. En la penumbra dos sombras se apartan bruscamente una de otra, con tan poca destreza, que la cabellera medio desatada de Regina queda prendida a los botones de la chaqueta de un desconocido. Sobrecogida, los miro. (13) Regina, die durch das Ertapptwerden in der 'Urszene' und durch den kindlichen Respekt der Ich-Erzählerin vor ihr auch Eigenschaften der ödipalen Mutter (aus Sicht des Mädchens) annimmt, soll für die Protagonistin zum Inbegriff ihres 'erträumten Selbst' werden; lebensvoll und erotisch, wild und sinnlich, außerhalb der Konventionen lebend, verwirklicht Regina das, wovon sie selbst nur träumen kann: Liebe, Leidenschaft und - vor allem - Geliebtwerden. Interessant, daß diese Vorbildwirkung vor allem von ihrem wild gelösten Haar ausgeht, dem die Protagonistin neidvoll ihre eigenen, in Zöpfen gebändigten, schütteren Strähnen entgegenhält: La mujer de Felipe opone a mi mirada otra mirada llena de cólera. El, un muchacho alto y muy moreno, se inclina, con mucha calma desenmaraña las guedejas negras, y aparta de su pecho la cabeza de su amante. Pienso en la trenza demasiado apretada que corona sin gracia mi cabeza. Me voy sin haber despegado los labios. Ante el espejo de mi cuarto, desato mis cabellos, mis cabellos también sombríos. Hubo un tiempo en que los llevé sueltos, casi hasta tocar el hombro. Muy lacios y apegados a las sienes, brillaban como una seda fulgurante. Mi peinado se me antojaba, entonces, un casco guerrero 58 que, estoy segura, hubiera gustado al amante de Regina. Mi marido me ha obligado después a recoger mis extravagantes cabellos; porque en todo debo esforzarme en imitar a su primera mujer, a su primera mujer que, según él, era una mujer perfecta.

the grips of his dead wife, while the narrator will forever remember her lover in the things around her." (TROVATO: 48) 56

Vgl. das schon vorhin angeführte Zitat bei GUERRA, das hier noch einmal in Erinnerung gerufen werden soll: „La escritora [...], cada vez que se refería a su escritura, afirmaba que ésta se organizaba sobre un eje lógico y formas simétricas exactas." (Introducción: 9)

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In einigen späteren Ausgaben heißt diese Figur Reina.

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Hier zeigt sich natürlich das Amazonenhafte dieser noch nicht gezähmten Weiblichkeit (s.u. bei Somers)...

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Me miro al espejo atentamente y compruebo angustiada que mis cabellos han perdido ese leve tinte rojo 59 que les comunicaba un extraño fulgor, cuando sacudía la cabeza. Mis cabellos se han oscurecido. Van a oscurecerse cada día más. Y antes que pierdan su brillo y su violencia, no habrá nadie que diga que tengo lindo pelo. (13) In nahezu allen einschlägigen Studien zu La ultima niebla wird auf diese Komplementarität der beiden ineinander gespiegelten Frauengestalten hingewiesen; schon ALONSO, einer der ersten zeitgenössischen Rezensenten, bemerkt: ...esta paralela historia pespunteada es un subrayado valorizador de la historia central y le da un más hondo y preciso sentido: Regina, vida pasional real y vivida; ella, vida pasional soñada e imaginada. (19) AGOSIN hingegen schränkt ein: Sería ir demasiado lejos al afirmar que el personaje Regina es el doble de la protagonista. Lo que sí podemos formular es que la presencia de Regina en la vida de la protagonista actúa como una presión constante, un contrapunto que siempre le hace recordar su circunstancia de mujer sin pasiones experimentadas. (Protagonistas: 32) GUERRA sieht die einleitende Triade „Hochzeitsnacht - Begegnung mit der jungen Toten - Begegnung mit Regina" als Scheideweg an, auf dem sich die Weichenstellung für den zukünftigen Kurs der jungen Frau im Leben andeutet: Los incidentes de la joven muerta y Regina expresan la oposición muerte - vitalidad y simbolizan dos caminos en la existencia de la heroína: la conformación social en el matrimonio (muerte en vida) y el amor ilegal (satisfacción del instinto vital). (Narrativa: 56) Die Protagonistin entscheidet sich für einen dritten Weg, eine fast im Hegeischen Sinne Aufhebung der Gegensätze auf höherer Ebene: Ausbrechen aus der tödlichen Atmosphäre in der lieblosen Ehe, aber nicht in Wirklichkeit, sondern lediglich in der Phantasie. Die Fiktion wird von ihr so gut bewerkstelligt, daß es ihr gelingt, sogar deren eigene Urheberin, nämlich sich selbst, über lange Strecken des Romans zu täuschen bzw. im Unklaren zu halten (und mit ihr den/die Leserin). Gewissermaßen eine Vorausdeutung auf diese imaginiert/wahre Liebesgeschichte und, wie MÉNDEZ meint (939), Zusammenstellung des Materials, aus dem sich später der 'Traum' formen kann, liefert das zugleich erotische, aber auch bedrohlich-unheimliche Zusammentreffen mit Reginas Liebhaber nach der Jagd: El amante de Regina deja caer sobre mis rodillas una torcaza aún caliente y que destila sangre. Pego un alarido y la rechazo, nerviosa. Mientras todos se alejan riendo, el cazador se obstina en mantener, contra mi voluntad, aquel vergonzoso trofeo en mi regazo. Me debato como puedo y llorando casi de indignación. Cuando él afloja su forzado abrazo,60 levanto la cara. 59

Bezüglich der Farbensymbolik und des Claroscuro-Spiels siehe NATELLA.

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Darin besteht auch der wesentliche Unterschied zur späteren erträumten Liebesszene: während hier eindeutige Vergewaltigungsmetaphern anklingen, geht dort die Initiative von ihr aus, und die Penetration vollzieht sich sanft, gewaltlos.

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María Luisa Bombai Me intimida su mirada escrutadora y bajo los ojos. Al levantarlos de nuevo, noto que me sigue mirando. Lleva la camisa entreabierta y de su pecho se desprende un olor a avellanas y a sudor de hombre limpio y fuerte. Le sonrío turbada. Entonces él, levantándose de un salto, penetra en la casa sin volver la cabeza. (16)

Auch Alberto RABAGO (der in seinem Text insgesamt großen Wert auf die Demonstration eines Penetrationswunsches der Ich-Erzählerin legt) meint: La figura física de su amante le penetra a través de la figura para ella sensual y deseable del amante de Regina. No sólo encontramos un paralelo físico de la tez morena, la camisa entreabierta, el olor a fruta y a sudor de hombre limpio y fuerte, sino especialmente la comunicación por medio de la mirada. Esa mirada-deseo formará parte de la unión con su propio amante... (36) Zunächst aber schlägt die Protagonistin eine ganz andere Richtung ein: In der berühmten Teichszene, die unmittelbar aus dem Anblick des Liebespaares Reginaamante erwächst, findet sie zu allererst zu ihrem eigenen Spiegelbild, zu ihrer eigenen Nacktheit, die sie plötzlich als schön und erstrebenswert entdeckt: Entonces me quito las ropas, todas, hasta que mi carne se tifie del mismo resplandor que flota entre los árboles. Y así, desnuda y dorada, me sumerjo en el estanque. No me sabía tan blanca y tan hermosa. El agua alarga mis formas, que toman proporciones irreales. Nunca me atreví antes a mirar mis senos; ahora los miro. Pequeños y redondos, parecen diminutas corolas suspendidas sobre el agua. Me voy enterrando hasta la rodilla en una espesa arena de terciopelo. Tibias corrientes me acarician y penetran. Como con brazos de seda, las plantas acuáticas me enlazan el torso con sus largas raíces. Me besa la nuca y sube hasta mi frente el aliento fresco del agua. (14f.) Agosín deutet diesen Anflug von Narzißmus in positivem Sinne, als Selbst-Findung und Erotisierung des weiblichen Ich,61 während dieselbe Szene für Oyarzún einen Ausfluß von Echolalie repräsentiert: Es desde esta falsa infinitud promovida por la transformación mitopoética de las determinaciones del „orden del corazón" que se llega al semantema del „eco", que imparte sus dones semánticos a nivel de la inter e intratextualidad narrativas: la reelaboración del mito de Narciso a través de la espacialidad imaginativa y lingüística de Echo. [...] Y lejos de desconstruir esta ecolalia, las prácticas discursivas la duplican y reduplican en un entrampamiento que „eleva" la enajenación femenina a dimensiones superlativas, metafísicas, „esenciales." (OYARZÚN: 166f.) Ähnliche Indizien findet auch Barbara Trovato, wenn sie die Antwort der IchErzählerin auf die sarkastische Frage Daniels „¿Para qué nos casamos?" (La última niebla: 10) analysiert: „Her laconic reply - 'Por casarnos.' - is a desolate echo." (TROVATO: 35). Wiederum würde ich hier den Schwerpunkt auf „desolate" legen,

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„Aquí encontramos una visión narcisista, pero no en el sentido tradicional del 'self-love' asociado con el mito de Narciso, quien no puede distinguirse a sí mismo, sino que en este fragmento del texto, el espejo de agua reflejado en el estanque induce a la re-afirmación y sexualización del yo." (AGOSÍN: Protagonistas 35)

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denn der entfremdete Zustand der (mit Sicherheit absichtlich anonym gehaltenen 62 ) Protagonistin ist ja nicht auf Unfähigkeit oder Dummheit zurückzuführen, sondern auf die gesellschaftliche Konstellation ihrer Zeit, die Frauen der Oberschicht zunächst keine andere Wahl läßt als Müßiggang, Langeweile und Unkreativität, um ihnen dann in einem Umkehrschluß ihre eigene 'Unbedarftheit' (in die sie - vom politischen System, vom Erziehungssystem, von den Ansprüchen der Männer an 'unschuldige, reine, unerfahrene' Gattinnen - gedrängt wurden) anzukreiden. 63 Bombal hält uns nur die poetisch überhöhte Widerspiegelung dieses Syndroms vor. So macht es auch keinen Sinn, ihr Vorwürfe deswegen zu machen, sie hätte diese Echolalie nicht bewußt dekonstruiert; allein in der unkommentierten Wiedergabe liegt meines Erachtens schon ein aufklärerisches, bewußtmachendes Element, das nicht unbedingt durch Winke mit dem Zeigefinger der Moral unterstützt werden muß, obwohl aus dem bisher Erläuterten andererseits hervorgeht, daß die Autorin selbst als historische Person durchaus nicht auf der Höhe feministischen Bewußtseins war. Doch auch Galdós war kein Feminist, und dennoch hat seine Tristana wichtige Anstöße für die Frauenbewegung der damaligen Zeit gegeben, und sei es nur als Stein des Anstoßes. Diesem sehr eingeschränkten Bewußtseinsstand entsprechend, kann sich auch die Ich-Erzählerin in La última niebla nicht gänzlich von den Vorgaben des Erstrebenswerten im Patriarchat lösen: Da es ihr unmöglich ist, Erfüllung in ihrer Ehe zu finden, die man nicht einmal als 'abgestumpft' oder 'erloschen' bezeichnen kann, weil von vornherein kein zündender Funke vorhanden war, sondern reine Konvention 64 , da sie das Gefühl hat, in dieser Umgebung würde ihr der Atem zum Leben genommen, entflieht sie (im wahrsten Sinne des Wortes) in eine Scheinwelt, die sie jedoch zunächst real anmutet: A medianoche me despierto, sofocada. Me agito largamente entre las sábanas, sin llegar a conciliar el sueño. Me ahogo. Respiro con la sensación de que me falta siempre un poco de aire para cada soplo. Salto del lecho, abro la ventana. Me inclino hacia afuera y es como si no cambiara de atmósfera. La neblina, esfumando los ángulos, tamizando los ruidos, ha comunicado a la ciudad la tibia intimidad de un cuarto cerrado.

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Vgl. BIANCHI: „Esta protagonista, que casi no existe para su marido, consecuentemente carece de nombre, porque su identidad es tan frágil, que, a veces, hasta podría pensarse que puede disolverse en la niebla que con constancia la rodea, aterrorizándola." (186)

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Mary DALY führt diese unentrinnbare Zirkelschluß-Falle als catch-22 an, in Anlehnung an einen militärischen Begriff (291; 307ff.). Vgl. als Vorläufer dazu das Gedicht „Hombres necios" von Sor Juana Inés de la Cruz.

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vor allem auch im spanischen etymologischen Sinne von „me conviene": Nützlichkeit, Zweckmäßigkeit, eine 'Vernunftehe' ohne eigentliche Vernunft, denn das „por casarnos" erscheint eher als flapsig hingeworfener Justamentstandpunkt, eigentlich Ausfluß einer momentanen Laune, die keiner der beiden 'logisch' begründen kann.

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María Luisa Bombai Una idea loca se apodera de mí. Sacudo a Daniel, que entreabre los ojos. - M e ahogo. Necesito caminar. ¿Me dejas salir? (17)

Es ist also wiederum ein körperliches Empfinden, das sie antreibt, etwas an ihrer Situation zu ändern, die sonst unerträglich eintönig und geisttötend würde: -Mañana volveremos al campo. Pasado mañana iré a oír misa al pueblo, con mi suegra. Luego, durante el almuerzo, Daniel nos hablará de los trabajos de la hacienda. En seguida visitaré el invernáculo, la pajarera, el huerto. Antes de cenar, dormitaré junto a la chimenea o leeré los periódicos locales. Después de comer me divertiré en provocar pequeñas catástrofes dentro del fuego, removiendo desatinadamente las brasas. A mi alrededor, un silencio indicará muy pronto que se ha agotado todo tema de conversación y Daniel ajustará ruidosamente las barras contra las puertas. Luego nos iremos a dormir. Y pasado mañana será lo mismo, y dentro de un año, y dentro de diez; y será lo mismo hasta que la vejez me arrebate todo derecho a amar y a desear, y hasta que mi cuerpo se marchite y mi cara se aje y tenga vergüenza de mostrarme sin artificios a la luz del sol. (18) Das vorhin aufgehobene Gefühl für das Verstreichen der Zeit und deren unheilvolles Wirken an ihrem Körper - einzige Grundlage für ihr Selbstverständnis als denkendes und fühlendes Wesen 6 5 - bricht nun wieder mit voller Stärke in ihr Leben ein. Als 'Abwehrmechanismus' dagegen braucht sie einen männlichen Exorzisten, den sie zugleich in der Gestalt des rätselhaften Liebhabers findet. Es wiederholt sich die Teichszene, diesmal aber in einem städtischen Kontext, wo der Brunnen sozusagen eine 'gezähmte' Abart seiner wilderen Variante darstellt, und in dem die Protagonistin gleichzeitig nicht mehr ihr eigenes Spiegelbild wahrnimmt, sondern das des Erträumten, des geheimnisvoll aus der Brunnentiefe aufgestiegenen Märchenprinzen: 6 6 Entre la oscuridad y la niebla vislumbro una pequeña plaza. Como en pleno campo, me apoyo extenuada contra un árbol. 67 Mi mejilla busca la humedad de su corteza. Muy cer-

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woran Kemy OYARZÚN die Fallazien (Phallazien?), in denen sie befangen bleibt, aufmacht: „Es aquí donde se entrampa, aceptando concéntricamente la relativa 'verdad' de los gustos como absoluta e inmutable; y, a partir de esta indicativa falsa y parcial, extiende el prejuicio hacia una afirmación general que implicará en la metonimia discursiva su propia condena. 'La felicidad no es más que tener un cuerpo joven y esbelto y ágil (p. 45).' Lo que petrifica la ecuación belleza = cuerpo = juventud = felicidad es el acceso del sujeto al goce más allá de los límites del placer impuestos por la 'verdad' del sistema ideológico. El propio prejuicio de la mirada es el espejo que falsea las necesidades y gratificaciones del sujeto, de modo que este último pone su cuerpo al servicio de lo que el otro ha determinado como necesario y gratificador. La imagen proyectada por el espejo fetichista no hace jamás coincidir el placer con el goce; por el contrario los niega mutuamente, porque el cuerpo reflejado no está nunca -ni en el punto más álgido de su juventud- a la altura de los modelos que originan y perpetúan el prejuicio." (170f.)

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Es ist interessant, daß in der erweiterten englischen Version von La última niebla, House of Mist, in der ja - zum Schaden der literarischen Qualität - fast alle dahinterliegenden Phantasmagorien der Autorin bloßgelegt werden, der Froschkönig ein immer wiederkehrendes Motiv zwischen Helga und Daniel darstellt...

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Auch hier wiederholt sich ein Element der Teichsszene: der Baum als Phallussymbol und Substitut für den ersehnten Liebhaber (vgl. BAKER: 407; ein ähnliches Motiv findet sich

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ca, oigo una fuente desgranar una sarta de pesadas gotas. La luz blanca de un farol, luz que la bruma transforma en vaho, baña y empalidece mis manos, alarga a mis pies una silueta confusa, que es mi sombra. Y he aquí que, de pronto, veo otra sombra junto a la mía. Levanto la cabeza. Un hombre está frente a mí, muy cerca de mí. Es joven; unos ojos muy claros en un rostro moreno y una de sus cejas levemente arqueada, prestan a su cara un aspecto casi sobrenatural. De él se desprende un vago pero envolvente calor. (18) Durch seinen Blick des Begehrens, 68 Gegengewicht zu Ignoranz und Über-sieHinwegsehen des Ehemannes, konstituiert sich die Ich-Erzählerin neu als begehrenswertes Objekt: Casi sin tocarme, me desata los cabellos y empieza a quitarme los vestidos. Me someto a su deseo callada y con el corazón palpitante. Una secreta aprensión me estremece cuando mis ropas refrenan la impaciencia de sus dedos. Ardo en deseos de que me descubra cuanto antes su mirada. La belleza de mi cuerpo ansia, por fin, su parte de homenaje. Una vez desnuda, permanezco sentada al borde de la cama. Él se aparta y me contempla. Bajo su atenta mirada, echo la cabeza hacia atrás y este ademán me llena de íntimo bienestar. Anudo mis brazos tras la nuca, trenzo y destrenzo las piernas y cada gesto me trae consigo un placer intenso y completo, como si, por fin, tuvieran una razón de ser mis brazos y mi cuello y mis piernas. ¡Aunque este goce fuera la única finalidad del amor, me sentiría ya bien recompensada! (20) Ausdrücke/Formeln wie „me someto a su deseo", „el corazón palpitante" und „ardo en deseos", sowie das wohlige Sich-Räkeln auf dem Bett verweisen sicherlich in die Welt des Melodrams; 69 andererseits liegt die Betonung auch auf dem „íntimo bienestar", dem „placer intenso", das der „mujer decente" von damals sicherlich nicht gestattet war. Außerdem ist sie es in einem nächsten Schritt, die die Initiative ergreift und daraufhin das Pulsieren des Lebens in ihrem amante vor allem in Form auditiver, olfaktiver und taktiler Eindrücke70 erwachen fühlt: Se acerca; mi cabeza queda a la altura de su pecho, me lo tiende sonriente, oprimo a él mis labios, y apoyo en seguida la frente, la cara. Su carne huele a fruta, a vegetal. En un übrigens in der Erzählung „Estío" von Inés Arredondo). Wenige Zeilen später wiederholt sich das Verb „alarga" in Verbindung mit menschlichen Formen, ebenfalls ein Querverweis auf paradigmatische Beziehungen zwischen den beiden Szenen. Einige Autorinnen interpretieren diese optische Täuschung als Sinnbild der verzerrten Wahrnehmung (z.B. FERNÁNDEZ: 72, die dort auf Adams verweist). 68

RABAGO weist ausdrücklich auf diesen Unterschied zwischen Daniel und dem Liebhaber hin: „Se notará que, contrariamente a la situación posterior con el amante, no se efectúa, entre Daniel y ella, ninguna comunicación erótica a través de la mirada." (32). Auch SPANOS erwähnt „the intense pleasure she receives from his attentive gaze." (63)

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Vgl. dazu GUERRA: „La heroína romántica es el antecedente de los personajes femeninos del folletín o melodrama sentimental, cuyo discurso es incorporado por María Luisa Bombal en la mayoría de sus textos. Simultáneamente, también se incluye la imagen de la vampiresa del cine de los años veinte y treinta" (Introducción: 32).

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Vgl. GÁLVEZ LIRA (3), NATELLA, SPANOS (12) über die Bedeutung der Sinneseindrücke in La última niebla.

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María Luisa Bombai nuevo arranque echo mis brazos alrededor de su torso y atraigo, otra vez, su pecho contra mi mejilla. Lo abrazo fuertemente y con todos mis sentidos escucho. Escucho nacer, volar y recaer su soplo; escucho el estallido que el corazón repite incansable en el centro del pecho y hace repercutir en las entrañas y extiende en ondas por todo el cuerpo, transformando cada célula en un eco sonoro. Lo estrecho, lo estrecho siempre con más afán; siento correr la sangre dentro de sus venas y siento trepidar la fuerza que se agazapa inactiva dentro de sus músculos; siento agitarse la burbuja de un suspiro. Entre mis brazos, toda una vida física, con su fragilidad y su misterio, bulle y se precipita. Me pongo a temblar. (20)

In der folgenden Szene kommt es zur Wunscherfüllung dessen, was die IchErzählerin seinerzeit in der „Teichszene" phantasiert hat: „¡Oh, echar los brazos alrededor de un cuerpo ardiente y rodar con él, enlazada, por una pendiente sin fin...!" (14), und auch die Wassersymbolik kommt nun verstärkt zum Tragen: anstelle des stillen Teiches mit seinen „tibias corrientes" (ibid.) hier die sich überschlagenden, kochenden Wellen der Leidenschaft, des Orgasmus (auch die Fügung „me penetra/n" wiederholt sich): Entonces él se inclina sobre mí y rodamos enlazados al hueco del lecho. Su cuerpo me cubre como una grande ola hirviente, me acaricia, me quema, me penetra, me envuelve, me arrastra desfallecida. A mi garganta sube algo así como un sollozo, y no sé por qué empiezo a quejarme, y no sé por qué me es dulce quejarme, y dulce a mi cuerpo el cansancio infligido por la preciosa carga que pesa entre mis muslos. (20f.) Guerra bemerkt zu Recht, daß an dieser Stelle das harte, potente Männerbild der Umgebung, wie es für den Criollismo, aber auch noch die spätere „novela del boom" so charakteristisch ist, von María Luisa Bombal vollkommen feminisiert wird: ...reconfigura al personaje masculino designándolo como „dulce y preciosa carga", expresión que, en el código criollista, feminiza al hombre. (GUERRA: Introducción 18) Diese Innovation ist natürlich auf dem Hintergrund der automatisierten Folie der Zeit zu sehen, welche RODRÍGUEZ-PERALTA folgendermaßen umreißt: The imagery applied to males in the New Narrative is associated with hard, stony earth, cutting implements, cruel, shining knives. This is contrasted in Bombal's novéis with the softer imagery of mist, light rain, wind - subtle images that float or drift, that are formless, shapeless, insubstantial, like water that molds itself to the vessel that holds it. (152) Daß der - in der gemeinsamen Anonymität mit der Ich-Erzählerin verschmolzene Geliebte - auch als Gegenpol zum gleichgültigen Ehemann auftritt, geht aus der nachfolgenden Szene hervor, wo der Mann nach vollzogenem Sexualakt nicht nur anwesend bleibt, sondern auch zum Objekt der Betrachtung für die Frau wird: Cuando despierto, mi amante duerme extendido a mi lado. Es plácida la expresión de su rostro; su aliento es tan leve que debo inclinarme sobre sus labios para sentirlo. Advierto que, prendida a una finísima, casi invisible cadena, una medallita anida entre el vello castaño del pecho; una medallita trivial, de esas que los niños reciben el día de su primera

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comunión. 71 Mi carne toda se enternece ante este pueril detalle. Aliso un mechón rebelde apegado a su sien, me incorporo sin despertarlo. Me visto con sigilo y me voy. (21) Auch Spanos bemerkt: There is a gentleness about the lover [...]. Also present is an aura of light that surrounds him. He appears to be tender and understanding and he is absolutely silent, never uttering a word throughout the novel. Clearly, the lover is the complete antithesis of the heroine's husband, Daniel. (SPANOS: 63) Durch dieses Schweigen (das dann später allerdings zu einem illusionsauflösenden Merkmal werden soll, weil Daniel es als Beweis für die Nicht-Existenz des Liebhabers ansieht), setzt sich der amante auch von der übrigen Männlichkeit ab, die - wie wir schon gesehen haben - in María Luisa Bombáis Sichtweise besessen von einer ,Angst vor der Stille" erscheint, die ihre Vertreter mit lauten Körperäußerungen zu übertönen versuchen wie das sprichwörtliche verschreckte Kind, das allein im Wald laut zu pfeifen beginnt: Y tosen, fuman, hablan fuerte, temerosos del silencio como de un enemigo que al menor descuido pudiera echarse sobre ellos, adherirse a ellos e invadirlos sin remedio. (Las islas nuevas: 71f.) Doch wieder wird, durch die Juxtapositionstechnik der Autorin, ein unvermittelter Zusammenhang zwischen der vorangegangenen, echten oder erträumten Liebesszene und dem freudlosen Ehealltag hergestellt: Sin más transición ni pausa que un cambio de párrafos, aparece de repente el marido real durmiendo indiferente a su lado: „Y he aquí que estoy extendida al lado de otro hombre dormido" (18), al revés de la imagen anterior: como si fuera un amante, pero es -¡para colmo! - el marido aburrido. Esta yuxtaposición funciona, sin duda, a la manera de la sucesión temporal de las imágenes en el sueño, que conforme la lógica onírica sirve para establecer una conexión causal o una semejanza entre los elementos así representados... (MÉNDEZ: 940) Nun folgt wiederum ein Einbruch der Zeitlichkeit 72 und damit des körperlichen Verfalls in ihre Welt, was ihr aber angesichts des - für sie ja real stattgefundenen - Liebeserlebnisses nichts mehr anhaben kann:

71

Zu dem Detail der „medallita", deren Realitätsbeglaubigungscharakter und der von ihr hier registrierten Anwendung von Filmtechniken merkt FERNÁNDEZ an: „Era tan importante para la narradora recordar aquella escena y a aquel amante que lo había dotado de un cuerpo y hasta de una 'medallita trivial'. Me parece interesante anotar aquí que ese elegir un detalle cualquiera de nuestra circunstancia cotidiana [...] es procedimiento semejante a una técnica que en cinematografía se llama 'close-up'." (76). Da Daniel und die Protagonistin ihre Kindheit gemeinsam verlebt haben, könnte man diese Einzelheit auch als Aufblitzen einer visuellen Erinnerung aus der Vergangenheit interpretieren, die im Traum auftaucht und wiederum eine Kontiguität zwischen marido und amante herstellt.

72

Vgl. BAKER: „Después de vivir durante años en un mundo estático donde el tiempo parecía detenerse, descubre que no se ha detenido nunca" (398). Mir scheint hier wieder ein Märchenmotiv, diesmal aus Dornröschen, durchzuschimmern.

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María Luisa Bombai Pasan los años. Me miro al espejo y me veo, definitivamente marcadas bajo los ojos, esas pequeñas arrugas que sólo me afluían, antes, al reír. Mi seno está perdiendo su redondez y consistencia de fruto verde. La carne se me apega a los huesos y ya no parezco delgada, sino angulosa. Pero, ¡qué importa! ¡Qué importa que mi cuerpo se marchite, si conoció el amor! Y qué importa que los años pasen, todos iguales. Yo tuve una hermosa aventura, una vez... Tan sólo con un recuerdo se puede soportar una larga vida de tedio. Y hasta repetir, día a día, sin cansancio, los mezquinos gestos cotidianos. (22)

Meinem Eindruck nach handelt es sich dabei um ein Fortschreiten vom Körperlichen zum Geistigen bzw. Seelischen, wie es von der Weisen Diotima in Piatons Symposion (aus dem Mund des Sokrates) vorgetragen/vorgeschlagen wird: von der Liebe zum schönen menschlichen Körper über die Liebe zur schönen Seele und die Liebe zu den schönen Wissenschaften bis hin zur „mystischen Erkenntnisschau" des reinen Schönen an sich, dessen Wahrheitsgehalt von göttlicher Natur ist. Diese platonische Stufenleiter würde auch durchaus zur Bombalschen Linie passen, wenngleich es natürlich auch Zufall sein kann, daß sich hier gewisse Parallelitäten offenbaren. Damit wird aber jedenfalls die Körperlichkeit als Grundlage allen Glücks relativiert und diese auf eine ideale, harmonische Beziehung zwischen Mann und Frau verlegt. Im Verlauf der Romanhandlung fehlt nun konsequenterweise dieser letzte desengaño, daß auch die vollkommene Verschmelzung zwischen Mann und Frau nur Illusion sein und im 'wirklichen' Leben nicht vorkommen kann.73 Die graduelle Ent-illusionierung findet durch verschiedene Elemente statt (Verblassen der Erinnerung, eigene Zweifel, Tod des einzigen Zeugen Andrés); durchschlagende Wirkung aber erhält sie erst dadurch, daß sich die Protagonistin auf einen 'Wahrheitsbeweis' mit ihrem Ehemann einläßt: Dadurch, daß sie ihm das Geheimnis ihrer 'Eskapade' verrät, ihr mühsam aufgebautes, zartes Kartenhaus dem forschen Blasen seiner 'rationalen Argumentation' aussetzt, liefert sie sich dem übermächtigen Phallogozentrismus aus, der ihr auf anderen Gesetzen beruhendes Fundament aushebt. 74 Vorbedingung dafür ist insbesondere die sommerliche 'Versöhnung' der Eheleute, in deren Verlauf der Eindruck nicht wegzuwischen ist, die Ich-Erzählerin habe sich an der 'schmutzigen' Sexualität ihres Mannes, die nicht mit Liebe verbunden ist, sondern in rein körperlicher Anziehungskraft und einem gewissen Empfinden von Leere wurzelt, sozusagen 'infiziert', ihren imaginären Liebhaber aber damit betrogen: Hacía años que Daniel no me besaba y por eso no me explico cómo pudo suceder aquello.

73

Vgl. das ganz ähnliche Motiv in der Erzählung „Sueño" der Kolumbianerin Carmen Cecilia SUÁREZ (in: Un vestido rojo para bailar boleros: 20f.).

74

„...la novela concluye cuando se desbarata la construcción ficticia: cuando el entorno prevalece y se impone, una vez que la narradora confía a su marido la historia con el desconocido" (BASTOS: 561).

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Tal vez hubo una leve premeditación de mi parte. ¡Oh, alguien que en estos largos días de verano lograra aliviar mi tedio! Sin embargo, todo fue imprevisto y tremendo y hay un vacío en mi memoria hasta el momento en que me descubrí, entre los brazos de mi marido. Mi cuerpo y mis besos no pudieron hacerlo temblar, pero lo hicieron, como antes, pensar en otro cuerpo y en otros labios. Como hace años, lo volví a ver tratando furiosamente de acariciar y desear mi carne y encontrando siempre el recuerdo de la muerta entre él y yo. Al abandonarse sobre mi pecho, su mejilla, inconscientemente, buscaba la tersura y los contornos de otro pecho. Besó mis manos, me besó toda, extrañando tibiezas, perfumes y asperezas familiares. Y lloró locamente, llamándola, gritándome al oído cosas absurdas que iban dirigidas a ella. Oh, nunca, nunca, su primera mujer lo ha poseído más desgarrado, más desesperado por pertenecerle, como esta tarde. Queriendo huirla nuevamente, la ha encontrado, de pronto, casi dentro de sí. En el lecho, yo quedé tendida y sollozante, con el pelo adherido a las sienes mojadas, muerta de desaliento y de vergüenza. No traté de moverme, ni siquiera de cubrirme. Me sentía sin valor para morir, sin valor para vivir. Mi único anhelo era postergar el momento de pensar. Y fue para hundirme en esa miseria que traicioné a mi amante. (28f.) Der Verrat ist zugleich ein Verrat an ihrer bisher schweigend vertretenen 'Andersheit', letzten Endes an den Kategorien von Weiblichkeit, die sie j a auf ihren Liebhaber übertragen hatte. Nun liefert sie sich der entfremdeten, 'männlichen' Sexualität aus, die mit ihrer eigenen Auto-Erotik, aber auch ihrer Selbstachtung nicht kompatibel ist. Interessant in dieser 'Liebesszene' erscheint mir, daß beide, Daniel und die Protagonistin, darin einer/m abwesenden Dritten, ihrem Idealbild (gleichzeitig NichtKörper) nachtrauern, es vergeblich in der Ekstase (die sich nun bei der Frau nicht einstellt, nicht einstellen kann) zu erreichen versuchen. Von diesem Augenblick an kann die Ich-Erzählerin plötzlich die Gesichtszüge ihres Geliebten nicht mehr erinnern; als Kompensation beginnt sie ihm Briefe zu schreiben: 75 Hace ya un tiempo que no distingo las facciones de mi amigo, que lo siento alejado. Le escribo para disipar un naciente malentendido: (29) Die Textproduktion stellt sich also ein, um verlorengehende Körperlichkeit neuerlich heraufzubeschwören; was ihr dabei jedoch (ungewollt?) gelingt, ist plötzlich eine positive Sicht ihres bisher als feindlich empfundenen Mannes, der nun besser als zuvor in ihre Welt integrierbar zu sein scheint: Y entonces se produjo el milagro. Un murmullo leve, levísimo, empezó a mecerme, mientras una delicada frescura con olor a río se infiltraba en el cuarto. Era la primera lluvia de verano. Me sentí menos desgraciada, sin saber por qué. Una mano rozó mi hombro. Daniel estaba de pie junto al lecho. Una sonrisa amable erraba en su semblante. Me tendía un vaso de cristal empañado y filtrando hielo. Como yo alzara lánguidamente la cabeza, él, con insólita ternura, acuñó su brazo bajo mi 75

die sie allerdings später wieder zerreißt. Die Unmöglichkeit der Textproduktion scheint hier Hand in Hand zu gehen mit der Unmöglichkeit der Konstituierung eines authentischen Körperbewußtseins (siehe unten).

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María Luisa Bombai nuca y por entre mis labios resecos empezó a volcarme todos los fresales del bosque diluidos en un helado jarabe. Un gran bienestar me invadió. Fuera crecía y se esparcía el murmullo de la lluvia, como si ésta multiplicara cada una de sus hebras de plata. Un soplo de brisa hacía palpitar las sedas de las ventanas. Daniel volvió a extenderse a mi lado y largas horas permanecimos silenciosos, mientras lenta, lenta, se alejaba la lluvia como una bandada de pájaros húmedos. (29f.)

An dieser Stelle ist deutlich zu beobachten, wie auch Daniel seinerseits 'angesteckt' wird von den positiven Eigenschaften seines 'Nebenbuhlers': Attribute, die vorher bei ihm undenkbar gewesen wären, wie „una sonrisa amable" oder „ternura", werden gebraucht, ja sogar „un gran bienestar" stellt sich wiederum bei der Frau ein, die nun das ihr wohltuende Schweigen und die durch das leise Säuseln des Regens konnotierte Einheit mit der Natur mit dem Partner teilen kann. Doch anstatt diese Ansätze zu einer positiven Veränderung zu nutzen und weiter auszubauen, verharrt sie auf dem Wahrheitsanspruch ihrer erträumten/imaginierten Liebesszene in der Stadt, welche sie nun zu ihrem Unglück dem 'Härtetest' durch die männliche Logik aussetzt, vor dem sie natürlich nicht bestehen kann. Zwei Argumente sind es, die ihr phantasmagorisches Gebäude letztlich zum Einsturz bringen: Einerseits der Hinweis darauf, daß sie an dem Abend, an dem sie das Ganze vorgeblich erlebte, über den Durst getrunken hatte (ein Verweis, der uns natürlich sofort an die biographische Komponente der Autorin und ihren eigenen Hang zum Alkohol denken läßt), und zweitens die unwiderlegbare Frage nach der Stimme des Unbekannten: -¿Recuerdas su voz? ¿Su voz? ¿Cómo era su voz? No la recuerdo. ¿Por qué no la recuerdo? Palidezco y me siento palidecer. Su voz no la recuerdo... porque no la conozco. Repaso cada minuto de aquella noche extraordinaria. He mentido a Daniel. No es verdad que aquel hombre me haya hablado... -¿No te habló? Ya ves, era un fantasma... (32)

Wer nicht spricht, ist ein Gespenst, etwas Nicht-Existentes in dieser Welt der Worte (vgl. HOPPE: 237). Die Ich-Erzählerin in La última niebla ist aber geradezu charakterisiert durch ihr hartnäckiges Schweigen, was einerseits Unfähigkeit bedeutet, in verbale Kommunikation mit anderen zu treten, andererseits aber auch Undurchschaubarkeit, Verweigerung, Mysterium;76 dadurch wird sie ebenfalls in eine Äquivalenzbeziehung mit dem gespenstisch stillen Liebhaber gebracht. Marjorie Agosin deutet das Schweigen auch als innere Auflehnung, Sich-Entziehen, Rebellion: El mutismo y el silencio también pueden ser maneras de evadir la autoridad, maneras de refugiarse en la interioridad de la imaginación para solamente en este espacio poder decir lo que se quiere decir. (AGOSÍN: Silencio 17)

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Zum Schweigen der Protagonistin in La ultima niebla siehe auch BASTOS: 560 und CRUZ: 326.

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Von der Autorin selbst wird die Stille durchaus positiv konnotiert, als Gegensatz zu der Welt der Banalitäten: La música así como la niebla significan, son para mí... silencio. Un silencio que acalla en nosotros ese mundo de banalidades, obligaciones y dolores de la vida cotidiana... para dejamos momentáneamente oír y escuchar ese canto cuidadosamente escondido dentro de nuestro mundo interior. (BOMBAL, in AGOSÍN: Entrevista 5f.)

Doch dieser wohltuenden Stille wächst nun ein anderes, unheilvolles Schweigen entgegen, dessen Keim bereits auf den ersten Seiten des Romans gelegt wurde: die Totenstille/-starre, die zum ersten Mal beim Anblick des toten Mädchens als Bedrohung und Vorausdeutung aufgetaucht war: Esta muerta, sobre la cual no se me ocurriría inclinarme para llamarla porque parece que no hubiera vivido nunca, me sugiere de pronto la palabra silencio. Silencio, un gran silencio, un silencio de años, de siglos, un silencio aterrador que empieza a crecer en el cuarto y dentro de mi cabeza. (12)

So ist auch der Kopf bezeichnenderweise Ort der krebsartigen Ausbreitung dieses Geschwürs; mit 'Hilfe' der Ratio, dem Element des Zweifels, das der Ich-Erzählerin nun von ihrem Mann eingeimpft wird, entfremdet sie sich noch mehr ihrer eigenen Welt und beginnt, sich auf Verifizierungs/Falsifizierungsversuche einzulassen, mit denen jedoch ihre Phantasiewelt nicht erfaßbar/kompatibel ist: Esta duda que mi marido me ha infiltrado; esta duda absurda y ¡tan grande! Vivo como con una quemadura dentro del pecho. Daniel tiene razón. Aquella noche bebí mucho, sin darme cuenta, yo que nunca bebo... Pero en el corazón de la ciudad esa plaza que yo no conocía y que existe... ¿Pude haberla concebido sólo en sueños?... ¿Y mi sombrero de paja? ¿Dónde lo perdí, entonces? Sin embargo, ¡Dios mío! ¿Es posible que un amante no despliegue los labios, ni una vez en toda una larga noche? Tan sólo en los sueños los seres se mueven silenciosos como fantasmas. (32)

Eines der wenigen materiellen Elemente, die ihr als Anhaltspunkt bleiben, ist nun der Strohhut, der in FREUDS Traumdeutung (354-56)77 als männliches Genitale gedeutet wird, allerdings mit dem Zusatz: „Aus anderen, aber minder durchsichtigen Fällen glaubte ich zu entnehmen, daß der Hut auch für ein weibliches Genitale stehen kann." (ibid.: 356). Noch wenige Seiten zuvor war dieser „Strohhut" für die Frau etwas Unzerstörbares gewesen, etwas, das sie in seiner Materialität mit ihrem Geliebten vereint; der Gedanke daran bereitet ihr so großes Glück, daß ihr Herz rasend zu schlagen beginnt und sie es mit beiden Händen festhalten muß, was mir jedenfalls auf eine Orgasmusmetapher78 hinzudeuten scheint:

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Vgl. auch MENDEZ: 941.

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Nach der in dieser Belegstelle angedeuteten Bewegung der Hände auf den eigenen Körper zu scheint es sich mir dabei eher um eine Masturbationsphantasie zu handeln, also eher mit der zweiten Deutung von Freud übereinzustimmen.

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María Luisa Bombai Busco mi sombrero de paja y no lo hallo. Lo busco primero con calma, luego, con fiebre... porque tengo miedo de hallarlo. Una gran esperanza ha nacido en mí. Suspiro, aliviada, ante la inutilidad de mis esfuerzos. Ya no hay duda posible. Lo olvidé una noche en casa de un desconocido. Una felicidad tan intensa me invade, que debo apoyar mis dos manos sobre el corazón para que no se me escape, liviano como un pájaro. Además de un abrazo, como a todos los amantes, algo nos une para siempre. Algo material, concreto, indestructible: mi sombrero de paja. (24)

Auf diesem Hintergrund scheint mir die Frage ,,¿Y mi sombrero de paja? ¿Dónde lo perdí, entonces?" (32) darauf hinzudeuten, daß sie diese beglückende Beziehung zum eigenen Körper, zu seiner Erotik, aufgrund ihres Eintretens in Daniels Bezugssystem verloren hat. In einem weiteren Schritt versucht sie, das Haus wiederzufinden, in dem die überwältigende Begegnung stattgefunden hat; doch auch dieses ist bis zur Unkenntlichkeit verändert, von anderen „bewohnt", denn laut Auskunft des Dieners ist sein „Besitzer", ein blinder Mann, schon seit fünfzehn Jahren tot. Hier finden sich nun wieder einige Elemente, die sich für eine freudianische Deutung regelrecht anbieten: das Haus als Symbol für den weiblichen Körper bzw. sein Genitale 79 - nun von jemand Fremdem bewohnt - und das Blindsein als Kastrationsmetapher im Zusammenhang mit dem Ödipuskomplex. Hierbei ist mir insbesondere der zahlenmäßig so auffallende Hinweis mit den fünfzehn Jahren ins Auge gestochen: Fünfzehn Jahre war es nämlich genau her, daß María Luisa Bombáis Vater gestorben war, als sie diesen Text verfaßte... 80 Da nun endgültig die Erkenntnis Platz in ihr gegriffen hat, daß der Vater/Liebhaber tot ist, bleibt ihr nur mehr Resignation, nachdem sie zuvor das leidenschaftliche Lebensmodell Reginas, die aus unglücklicher Liebe einen Selbstmordversuch begangen hat, verworfen hat: Me asalta la visión de mi cuerpo desnudo, y extendido sobre una mesa en la Morgue. Carnes mustias y pegadas a un estrecho esqueleto, un vientre sumido entre las caderas... El suicidio de una mujer casi vieja, qué cosa repugnante e inútil. ¿Mi vida no es acaso ya el comienzo de la muerte? Morir para rehuir ¿qué nuevas decepciones? ¿Qué nuevos dolores? Hace algunos años hubiera sido, tal vez, razonable destruir, en un solo impulso de rebeldía, todas las fuerzas en mí acumuladas, para no verlas consumirse, inactivas. Pero un destino implacable me ha robado hasta el derecho de buscar la muerte, me ha ido acorralando lentamente, insensiblemente, a una vejez sin fervores, sin recuerdos... sin pasado. (42f.) Interessant, daß es wieder ihr eigenes, vorgestelltes Körperbild ist, das den Ausschlag dafür gibt, den 'romantischen' Entwurf des Suizids als lächerlich und sinnlos

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Vgl. FREUD: Traumdeutung 341, 388f.; interessant, daß an letzterer Stelle ziemlich unvermittelt mit dem Thema der Blendung fortgesetzt wird...

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Zu dieser ödipalen Deutung würde auch der Satz passen, den die Protagonistin angesichts des Schmerzes über den Verlust ihres Liebhabers ausstößt: „Soy una enferma avergonzada de su mal." (35)

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zu empfinden. Hierin findet sehr wohl eine Überschreitung des melodramatischen Diskurses statt, wie auch Lucía Guerra meint: Creemos que no se ha dado mayor énfasis al hecho de que María Luisa Bombal inserta en estas imágenes, fisuras y brechas que indican que éstas y sus discursos correspondientes resultan insuficientes para representar la problemática de la mujer. Al final de La última niebla, la protagonista intenta suicidarse, como lo podría haber hecho una heroína romántica o de folletín sentimental; sin embargo, se da cuenta de que aquello ya no es posible. (GUERRA: Introducción 32) Der R o m a n endet in einer zirkulären Geste, 8 1 indem die Anfangsszene, in deren Verlauf sich die Ich-Erzählerin egozentrisch v o m Leid ihres Partners abgewendet und in sich selbst eingekapselt hatte, sozusagen seitenverkehrt gespiegelt wird: N u n ist es Daniel, der zwar angesichts des fehlgeschlagenen Selbstmordversuchs seiner Frau deren Verzweiflung erkennen muß, sich aber über ihre rein physische Errettung hinaus nicht weiter auf ihren Schmerz und ihr existentielles Problem einläßt: 8 2 Daniel me toma del brazo y echa a andar con la mayor naturalidad. Parece no haber dado ninguna importancia al incidente. Recuerdo la noche de nuestra boda... A su vez, él finge, ahora, una absoluta ignorancia de mi dolor. Tal vez sea mejor, pienso, y lo sigo. Lo sigo para llevar a cabo una infinidad de pequeños menesteres; para cumplir con una infinidad de frivolidades amenas; para llorar por costumbre y sonreír por deber. Lo sigo para vivir correctamente, para morir correctamente, algún día. Alrededor de nosotros, la niebla presta a las cosas un carácter de inmovilidad definitiva. (43) N a c h d e m Ausbruchsversuch durch das Tor der Phantasie und des Lustprinzips ist dies eindeutig eine „Rückkehr zum Realitätsprinzip". W e n n auch von den meisten Kritikerinnen als resignative Geste gedeutet, als „der Widerspenstigen Z ä h m u n g " bzw. Flügelbeschneiden einer hoch hinauswollenden Ikara, kann Koski d e m auch positive Seiten abgewinnen: Im Gegensatz zu Regina, die den 'shortcut' zu einem Liebhaber aus Fleisch und Blut wählt, womit sie sich aber nur Leid und T o d einhandelt, habe die namenlose Protagonistin den diffizileren U m w e g über geistig-seelische Betätigung in der Phantasie genommen, wodurch sie den Konflikt zwischen W u n s c h und Wirklichkeit so ausgetragen und bewältigt habe, daß es ihr a m E n d e möglich sei, ihre tatsächliche Situation gefaßt anzunehmen:

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Vgl. GOIC: „Esta repetición del motivo inicial al final de la narración le confiere un carácter circular al diseño de la obra, una forma hermética. Con una variación significativa, los términos se han invertido, la novela termina como comienza." (155). Es ist interessant, daß er die zyklische Struktur des Romans in formale Beziehung zu dem geflochtenen Haarkranz der Protagonistin, also einem Körpermerkmal, setzt, spricht er doch von „el apretado diseño de trenza circular que configura la hermeticidad estructural de La última niebla." (ibid. : 161)

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Vgl. TROVATO: „I believe the opening to be the night of the wedding when the narrator ignores Daniel's pain. The circle is completed when the circumstances are repeated with the characters reversed." (47)

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María Luisa Bombai The easy shortcut to life of having a real lover does not lead to self-knowledge... only to dependency, despair, and death. The protagonist ist envious of Regina's „intensidad de vida", but she does not become ensnared in the same trap of finding a flesh and blood lover for her romantic aspirations. She alone utilizes her imagination to create what she needs and, rather than being destroyed, she comes to understand herself and her life. The insensitive brothers, Felipe and Daniel, and the passionate sisters-in-law, Regina and the protagonist, are living parallel lives. Both insensitive men survive, but, of the women, only the protagonist, who has struggled with herself and has come to terms with the duality of her world, is able to survive and endure. (KOSKI: 24)

Gegenüber dieser positiven Deutung, die den stattgefundenen Bewußtseinsprozeß der Ich-Erzählerin in den Mittelpunkt rückt, hebt GUERRA die Tragik der „condición femenina" in der bürgerlichen Gesellschaft hervor und spricht vom „desenlace trágico de una existencia femenina condenada irrevocablemente a una muerte en vida bajo un sistema social que ha aniquilado la realización de sus impulsos vitales" (Narrativa: 67). Auch M É N D E Z findet eine ähnliche Formulierung, indem sie noch einmal zurückverweist auf das schon zu Beginn des Werkes seinen Schatten vorauswerfende Bild des Todes in Gestalt der unbekannten weiblichen Leiche: De acuerdo a esta misma lógica, la muerta que aparece al principio del relato prefigura el destino trágico que cumple la protagonista al final; la aniquilación de su deseo y el apagar de toda esperanza de realizarse como mujer. (942)

Mir persönlich sagt das ebenfalls von Guerra verwendete Bild vom Reifungsprozeß am ehesten zu, weil es auch die Dialektik von Auflehnung und Anpassung, Bewußtwerdung und Resignation am besten ausdrückt; gleichzeitig verweist die Kritikerin im nachfolgenden Zitat wieder auf die implizit sozialkritische Komponente des analysierten Werkes: La heroína [...] alcanza una madura comprensión de la heterogeneidad entre el Ser y el Objeto producida por los valores de una sociedad que conducía a la mujer a una existencia estática simbolizada por la niebla la cual, al final de la novela, presta al mundo un carácter de inmovilidad definitiva. (GUERRA: Narrativa 52)

Koski weist auch darauf hin, daß dies mit einem körperlichen Prozeß, dem der älter werdenden Leiber, sowohl des Mannes als auch der Frau, einhergeht und daß dies innerhalb des statischen Bezugsrahmens die einzige wirkliche Veränderung darstelle: Despite the interlude of the imaginary lover, she and her husband begin and end the story in the same situation: a convenient marriage with no love or even understanding between them. Theirs is a static world where the only change is their aging bodies. (KOSKI: 22)

Zuletzt soll, da j a auch der Text mit diesem sehr eindrucksvollen Bild endet, noch einmal auf die Symbolik des Nebels und der Wassermetaphorik insgesamt eingegangen werden. GOIC weist darauf hin, daß das schon im Titel aufscheinende Leitmotiv nicht nur von seiner Natur aus wenig greifbar ist, sondern auch im Verlauf der Handlung wechselnde, schillernde Bedeutungen annehmen kann: „La niebla es en esta novela un motivo que expande su significado en un juego rítmico de repeticiones y variaciones de significado" (156). Generell ist in La ultima niebla ein ständiges (und zunehmendes) Gleiten und Fließen der Bedeutungen zu beobachten: Immer

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wiederkehrende Symbole/Leitmotive wie Nebel, Wasser, Feuer, Schweigen etc. können nicht ein für allemal einem bestimmten Signifikat zugeordnet werden, wie das häufig auf der Grundlage jungianischer Archetypen versucht wurde (v.a. von Sosnowski, Baker 83 und der frühen Lucía Guerra, die sich stark auf weibliche Essentialistik einläßt, mit Urmutter-Parabeln etc.): El silencio, el bosque, la lluvia, el estanque, el fuego, el viento, la niebla o neblina, no son motivos de significación única y repetida. En cada momento diverso en que lo inanimado aparece, cambia su significado... (GOIC: 156). Diese ständige Konstruktion und Dekonstruktion von Bedeutungen nimmt in Bombáis Werk eine gewisse Eigendynamik an, die ihrer Einordnung in herkömmliche Schemata von konservativ/progressiv, feministisch/antifeministisch etc. solche Widerstände entgegensetzt und ihre Definition so schwer, aber auch ihre Interpretation so spannend macht, weil sich mit jeder Nuance immer neue Deutungsmöglichkeiten erschließen. Koski spricht davon, daß diese Ambivalenz auch den offiziellen Diskurs und seinen 'objektiven Wahrheitsanspruch' in Frage stelle: Bombal's ambiguity in La ultima niebla threatens order and brings possibilities through its questioning of the false stability of objective reality. Bombal eludes the false economy of fixed meaning and opens new spaces in the official discourse. (KOSKI: 29) Auch GONZÁLEZ thematisiert indirekt den subversiven Charakter der NebelSymbolik, wenn sie ausführt: Das Symbol ermöglicht also sowohl der Heldin, das Verbotene heimlich zu tun, als auch der Autorin, unter dem Schleier des Nebels eine Problematik abzuhandeln, die wegen kultureller und sozialer Vorurteile anders nicht behandelt werden könnte. (198) So konstituiert sich der Nebel, ähnlich wie in Unamunos fast gleichnamigem Roman, 84 zu einer „totalen Metapher": Es así que la niebla llega a convertirse en una „metáfora total"; por un lado, es el principio organizador de la novela y por otro, la cifra elusiva de la ambivalencia entre lo real y lo fantástico característico de las ficciones de Bombal. (MÉNDEZ: 936) Um nun selbst noch einmal auf eine kreisförmige Bahn einzuschwenken und auf gleichgestimmte Schwingungen in Leben und Werk der Autorin zurückzukommen,

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Ein Beispiel für einen solchen vereindeutigenden Zuordnungsversuch finden wir etwa bei Baker, der sich dabei auf Interpretationsmuster von Mircea Eliade stützt: „La inmersión en el agua - escribe Mircea Eliade - significa un regreso a la existencia preformal, una reincorporación al estado indiferenciado de la preexistencia... La inmersión es equivalente a la disolución de las formas." (BAKER: 405)

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In der Kritik werden zwar manchmal zaghafte Parallelen zwischen Bombal und Unamuno gezogen (z.B. GÁLVEZ LIRA: 23 oder ALLEN: 87), merkwürdigerweise aber fand ich nirgends einen direkten Querverweis zwischen Niebla (1914) des Spaniers und La última niebla der Chilenin, der sich meiner Meinung nach dringend anbieten würde. Gerade die Diffusität als Merkmal modernen Lebens findet sich in beiden Werken in dieser Chiffre des „Nebulosen" in sehr ähnlicher Weise angetippt.

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möchte ich am Ende, neben all den metaphysischen und philosophischen Deutungen des Nebels, wie sie von der Kritik für La última niebla angeboten werden, 85 auf die biographische Komponente verweisen: María Luisa Bombal selbst hat gegen Ende ihres Lebens 'gestanden', daß für sie der Nebel vor allem mit einer Episode assoziiert bleibt, nämlich mit der tragischen Beziehung zu Eulogio Sánchez, vor dessen Haus sie im winterlichen, nebelverhangenen Santiago oft vergebens gewartet habe: Eran tardes de invierno en Santiago de Chile y, cuando frustrada y adolorida regresaba a su propia casa, los faroles de la calle estaban envueltos por la niebla. „Siempre me preguntan qué significa la niebla y a mí me da no se qué contar que en esos días había mucha niebla. Tú eres la primera que lo sabe", me dijo un día. (GUERRA: Introducción 28) Und weiter: En la novela yo puse la niebla de Santiago porque, mientras ocurría esa tragedia terrible, había mucha niebla en Santiago, pero después yo la poeticé. ¿Ves tú? Era mitad verdad y mitad lo que yo hubiera querido... („Testimonio Autobiográfico", in Obras completas'. 337) Halb Wahrheit, halb Gegenstand des Verlangens - gibt es eine schönere Definition dessen, was Schreiben sein kann? María Luisa Bombal hat uns in La última niebla einen Text des Verlangens hinterlassen, einen Text, in dem (körperliches) Begehren im Rang eines Protagonisten steht, ja, in dem die Kraft dieses Begehrens so stark ist, daß es sich in einer literarischen Figur materialisiert: dem Liebhaber, der letztlich Fleisch gewordenes Begehren ist, Ver-körperung der erotischen Sehnsüchte einer unerfüllten Frau. Daß diese in eminent somatischen Signalen wie Puls, Körpergeruch und -wärme sich äußernde Körperlichkeit gegen Ende des Textes wieder in nebelhafte Körperlosigkeit zerfließt, tut der faszinierenden Wirkung des so erstandenen, idealen Männerleibes, mit dem die Protagonistin vorübergehend in ungetrübter Einheit verschmelzen kann, keinen Abbruch.

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Hier einige „Kostproben": „La niebla [...] es el dejar-de-ser que fuerza su estado sobre lo que aún es." (SOSNOWSKI: 370). „La niebla, una fuerza indestructible [...], es motivo desrealizador, el obstáculo ante la búsqueda: (AGOSÍN: Protagonistas 36). „La niebla, que da título al libro, es indicadora del cierre del mundo y funge simultáneamente como su leitmotiv. [...] en cuanto imagen, la niebla representa el estrechamiento del horizonte de narración y percepción. [...] Donde la niebla se encuentra, sólo queda espacio interior; mundo y realidad de fuera permanecen excluidos rigurosamente" (HOPFE: 235). „Literalmente [la niebla] es efecto (discurso sentimental) y síntoma (discurso de la histeria); luego su elaboración simbólica disemina la opacidad figurativa que permea toda la textualidad, ya como 'elemento aislacionista' que mediatiza la mirada de la protagonista hacia el mundo (representación de lo real) o hacia su propio cuerpo-fetiche ('estadios del espejo'), ya como 'mantra' mitopoético (simbología femenina)." (OYARZÚN: 182). MÉNDEZ schließlich, die von Freudscher Traumdeutung ausgeht, sieht im Nebel das Symbol der Verdichtung/Kondensation schlechthin: „¿qué es la niebla sino el producto mismo de la condensación? Tanto a nivel literal, de las gotas en la nube, como en el sentido figurado de la condensación que produce el sueño." (942)

Armonía Sotners

1.2.

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Armonía Somers (Uruguay, 1914-1994)

1.2.1. Fräulein Lehrerin mit Doppelleben Bis vor kurzem wäre es nahezu unmöglich gewesen, über Armonía Somers einigermaßen gesicherte biographische Daten zu sammeln und zu veröffentlichen; zu gut hat das von der Autorin mit Genuß und viel Taktik geförderte Verwirrspiel um die wichtigsten Eckpfeiler, wie Geburtsdatum, -ort, Herkunftsfamilie etc. funktioniert. Erst knapp vor ihrem Tod, den sie schon seit einiger Zeit nahen fühlte (weswegen sie mehrere ihrer Werke verfrüht als „posthum" oder „letztes Vermächtnis" bezeichnete1), erlaubte sie offenbar doch einigen näheren Freunden, Einblick in verschiedene Dokumente zu nehmen, woraus insbesondere Alvaro J. Risso seine hervorragende und detaillierte Zusammenstellung „Un retrato para Armonía (cronología y bibliografía)" (in COSSE 1990) herausfilterte, unsere Hauptquelle für die folgenden Ausführungen. Noch 1986 etwa spricht Miguel Angel CAMPODÓNICO von „esa Armonía Somers que se ha ocultado obsesivamente a la mirada indiscreta de los demás" (Homenaje 46), und die Autorin selbst sagt ihm im Gespräch: „hablar en primera persona se me hace duro" (ibid.: 59). Zehn Jahre davor hatten es andere Interviewer noch poetischer ausgedrückt, indem sie „el hondo misterio que la envuelve como una segunda piel" (FRESSIA/GARCÍA REY: 21) heraufbeschworen; und Alberto Couste führt sogar ihre Scheu vorm Fotografiertwerden ins Treffen (COUSTE: 53). Dieses selbstgewählte Schweigen, der bewußte Rückzug aus der Öffentlichkeit, 2 erweisen sich als sehr förderlich für die Mythenbildung um die Autorin (vgl. CAMPODÓNICO: Homenaje 45). Evelyn PICON GARFIELD, der es als einer der wenigen ausländischen Forscherinnen gelang, Zutritt zu diesem scheuen Wesen zu bekommen, und die sie 1978 interviewte (vgl. Women's Voices 37), schickt denn ihrem ersten Aufsatz auch einschränkend voraus: Especificar la fecha del nacimiento de la autora uruguaya Armonía Somers [...] sería peligroso, puesto que según algunos de sus personajes ficticios como el protagonista del cuento „El memorialista", el momento del nacimiento no se corresponde necesariamente con la hora del parto. (PICON GARFIELD: Yo soplo 113)

Sie stellt instinktiv die Autorität des großen uruguayischen Literaturkritikers Angel Rama in Frage, der Somers' Geburtsdatum „um 1920" ansetzt (ibid.), und auch Marjorie Agosin kann noch 1992 nur Mutmaßungen anstellen:

So z.B. Sólo los elefantes encuentran mandràgora, das sie „especie de testamento literario con que pensé despedirme" nennt (CAMPODÓNICO: Homenaje 59). Der im Grunde genommen einer Angst vorm Verletztwerden entsprungen zu sein scheint; so zumindest deutet es die Autorin im Interview mit Carmen BOULLOSA an: „nunca lloré, más bien me endurecí y en una vida como ésta siempre es mejor estar acorazado, ¿sí o no?" (unveröff. Manuskript).

Armonía Somers

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Su vida, su biografía, es tan misteriosa como sus textos. Nació en Montevideo3, alrededor de 1920, aunque no hay un acuerdo preciso con respecto a la fecha exacta de su nacimiento ya que algunos documentos señalan desde 1917 hasta casi 1930. (AGOSÍN: 585) Die Jahreszahl 1930 habe ich selbst zwar nirgends gefunden, aber die verschiedenen Versionen schwanken doch zwischen 1914 und 1920. Erst Álvaro J. Risso, der in den letzten Jahren einer ihrer engsten Vertrauten gewesen zu sein scheint (vgl. SOMERS: Hacedor 7), kann aufgrund der Geburtsurkunde das genaue Datum eruieren, obwohl selbst da noch eine gewisse Unsicherheit zurückbleibt: Armonía Liropeya Etchepare Locino, nació según sus documentos el 7 de octubre de 1914, aunque su madre siempre aseguró que fue el 6.4 Primogénita del matrimonio de Pedro Etchepare y María Judith Locino, son sus hermanas Nélida Aurora y Elida Alba, ambas solteras y las tres sin hijos. (RISSO: 247) Auch in bezug auf die Anzahl der Geschwister gibt die Autorin widersprüchliche Angaben von sich: „Sí, tengo tres hermanos. No, cuatro." (SOMERS, zit. in COUSTE: 53). Gegenüber Alberto Couste ziert sich Armonía Somers außerdem in einem Anflug von Mythologisierung, ihren Geburtsort zu verraten, und situiert ihn generiseli „auf dem Land": Nací en el campo - murmura - , pero no importa el nombre del pueblo. Todo nombre es como una prisión: pero si digo El Campo, usted me entiende... {ibid.)5 Dieses Geheimnis wird ebenfalls von Risso gelüftet, dem gegenüber die Autorin erklärt: Yo nací en la ciudad de Pando, allí transcurrió mi infancia y adolescencia, pero vivíamos allí porque mi padre, había caído, no sabemos por qué en esa ciudad. El apareció allí como un hombre muy extraño, dando conferencias sobre temas sociales. Mi padre - que era anarquista- fue comerciante, tenía un registro de telas, pero eran todos pretextos porque él estaba en otras cosas, en luchas sociales, en bibliotecas, en desasnar gente. (SOMERS, in RISSO: 247f.) Der Vater scheint insgesamt eine bedeutende Figur für die Heranwachsende gewesen zu sein, vor allem, was ihre Einstellung zur Religion betrifft: You see in me there is a kind of religiosity I try to transform into irreverence, so much so that in my latest novel, Sólo los elefantes encuentran mandràgora, I call God an atheist. [...] Possibly I have this conflict because I am the daughter of a die-hard anticlerical father. (PICON GARFIELD: Women's Voices 42) was ebenfalls nicht richtig ist, siehe unten. Somers selbst scheint die sieben als kabbalistische Zahl vorzuziehen: „as for the number seven, it always arises because I'm also a Kabbalist; numbers come to me, and I add them up. They almost always total thirteen and seven. The number seven pursues me; I was born October seventh." (PICON GARFIELD: Women's Voices 47) Gegenüber Carmen BOULLOSA wird Somers etwas spezifischer, ohne jedoch einen Namen zu nennen: „Bueno, yo nací en un pueblo del interior del país en la séptima sección del departamento de Canelones, nací por casualidad ahí porque mi padre era muy viajero, allí conoció a mi madre que debería ser la mujer más bonita del pueblo y de ahí nací yo."

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Manchmal ergeben sich daraus Konflikte, großteils aber eine spannungsgeladene Dialektik zwischen der tiefen Gläubigkeit der Mutter und dem Atheismus des Vaters: Si por caos se entendiera el haber tenido un padre librepensador y una madre católica, el caso podría ser algo crítico. Pero ocurrió que a mí me fascinaron los dos. Volaba a la utopía con uno pero cuando volvía de lo alto en picada a causa de alguna realidad cotidiana, y vaya si las hubo, hallaba la red del circo matriarcal esperándome amorosa y precautoriamente abajo. No, más que caos fue un juego delirante que me enseñó a vivir en riesgo, pero sin miedo, así como he pergeñado siempre mi cuestionada literatura... (Mario Delgado Aparain, zit. in RISSO: 248) Armonía Somers macht aus dem Vornamen der Mutter nachträglich ein Symbol, eine Ikone für die katholische Frömmigkeit, die jene auszeichnete; wiederum verschanzt sich die Autorin ihrem Interviewer gegenüber hinter einem Geheimnis, um den Nachnamen nicht preiszugeben: ... mi madre se llamaba María y tenía un apellido italiano. No hace falta decir cuál apellido: con un nombre así está todo dicho. (SOMERS, zit. in COUSTE: 53) Einerseits erscheint die Mutterfigur so als traditionelle Verkörperung des Wahlspruchs „Kinder, Kirche, Küche", andererseits umgibt sie aber auch das Flair der Künstlerin, die sich vor ihrer Hochzeit durchaus verpönten Aktivitäten hingegeben hat, wie Theaterspielen oder Zeitschriftenartikel zu verfassen: Mi madre se dedicó siempre a las tareas del hogar, pero antes de conocer a mi padre, ya hacía teatro libre, que en aquel tiempo estaba muy mal mirado. Yo nunca la vi trabajar pero la vi escribir en una revista de Canelones que se llamaba Delphos, dirigida por un hermano de Atahualpa del Cioppo. Escribía unos artículos de tipo ensayista, al estilo de Barrett y de toda la gente de aquella época... (SOMERS, in RISSO: 248) ...mi padre era muy imaginativo, mi madre era más práctica pero también tenía su ángulo creativo, escribía pequeños artículos para revistas de allí del interior y actuó en teatro, también en teatro independiente que en aquel momento era en cierto modo mala palabra, hoy día el teatro es una manifestación respetable ¿no?, pero en aquellos tiempos era un pecado casi, de modo que tengo imaginación por las dos partes de los genes. (SOMERS, in BOULLOSA) Die erwachsene Tochter sieht die Mutter rückblickend als Zentrum der Familie und erlebt deren Tod 1967 als einschneidende Zäsur in ihrem eigenen Leben: Mi madre fue toda mi familia. Ella murió este último verano [...]. Creo que yo he muerto un poco también este verano. (SOMERS, zit. in COUSTE: 53) ...yo divido mi vida en antes de la muerte y después de la muerte de mi madre. Yo sentí que el día de la muerte de mi madre se esfumaba la infancia. (SOMERS, zit. in RISSO: 265) Dennoch erinnert Armonía Somers diese Kindheit, von der außer einigen Schulerfahrungen keinerlei Anekdoten berichtet werden (vielleicht sogar wieder bewußt, um die Grenze zur Fiktion in den teilweise autobiographisch gefärbten Erzählungen zu verwischen), als bedrohlich und beängstigend: „La infancia es para ella una zona cruel, presidida por la soledad y algunos recuerdos que serían más tarde la escenografía de sus cuentos" (COUSTE: 53).

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Eine eindrucksvolle Gestalt ist jedenfalls ihr weißbärtiger, spanischer Lehrer, Don Lucas, der Armonía als einziges Mädchen in seine Privatschule aufnimmt und sie auch als einzige nicht schlägt: Inicia su educación formal en escuelas de Pando. Recuerda de estos primeros años, a un maestro español de larga barba blanca, llamado don Lucas, asiduo visitante de su hogar. Don Lucas, que tenía su instituto de enseñanza, lleva a Armonía como alumna, quien reconoce que la dedicación y la influencia que el maestro desplegó sobre la niña fueron un sólido cimiento para sus estudios posteriores. En la escuela de don Lucas -ella era la única niña y también la única que no recibía castigo- Armonía tuvo una esmerada formación en gramática. (RISSO: 248) Andererseits berichtet Somers von einem Vorkommnis mit einer Lehrerin, in dem vielleicht schon ein erstes Aufflackern der Kreativität zu erkennen ist: Fui una niña extraña, muy reconcentrada, pero me integré a una parte en que vivimos que era la parte de campo y allí se desenvolvieron casi todas mis experiencias, aprendí a conocer la naturaleza, las plantas, mi pasión son las plantas, tengo una anécdota extraordinaria de cuando era escolar: la maestra había enseñado a clasificar las hojas por su forma y teníamos que llevar un álbum con las hojas de distintas formas, lanceoladas etc., ahora ni me acuerdo de los nombres de las hojas, entonces llovió y yo no pude ir a recoger las hojas y hacer el álbum, se me ocurrió tomar una hoja tipo y entonces le di las formas con la tijera, después las planché, las envejecí y entonces había allí de todas las formas: lovuladas, lanceoladas etc.; cuando llegó el momento de entregarlas nadie había podido sacar las hojas, porque llovía para todos y ocurrió que la maestra dijo: ¿Y cómo ella las encontró?, lo que me dio en la medida de que no se había dado cuenta de mi fraude y entonces yo pienso que de ahí arranca un poco la novela de ficción, porque son mentiras que al pasar por nuestra alma se transforman en verdades, yo fui convencida de que había llevado las hojas clasificadas pero no, las había fabricado yo. (SOMERS, in BOULLOSA) Das achtjährige Mädchen ist eine eifrige Leseratte und stürzt sich, aus Mangel an geeigneter Kinderliteratur, auf die Bücher ihres Vaters, der als Anarchist eine sozialkritische Bibliothek angesammelt hatte, darunter Petr A. Kropotkin und Charles Darwin, dem die Schriftstellerin später ihren Erzählband Tríptico Darwiniano widmen sollte: 6 A los 8 años leía libros de adultos, entre otros recuerda „El origen de las especies" de Darwin, de ahí su Tríptico Darwiniano, „El apoyo mutuo" de Kropotkin, literatura italiana, Giacomo Leopardi, „La divina comedia", Spenser, etc. (RISSO: 250) Allerdings scheint sie mit den klassischen Folianten der Erwachsenen recht unbekümmert bis respektlos umgegangen zu sein, denn aus einer Divina Commedia macht sie z.B. schlicht und einfach Papierschiffchen, die sie im Regen dahinschwimmen läßt (dieses Erlebnis sollte sich später in ihrem Roman Sólo los elefantes encuentran mandràgora spiegeln): ...en casa había una Divina Comedia en italiano que yo la rompí toda, con sus hojas hice barquitos y los tiré por la ventana, porque llovía y los barquitos eran muy marineros. Por 6

Als weitere Lieblingsautoren erwähnt Armonia Somers Jules Verne und Victor Hugo (vgl. PICON GARFIELD: Women's Voices 38).

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más que las lecturas eran de adultos, estaba la niña que era capaz de romper una Divina Comedia... (SOMERS, zit. in RISSO: 250)

1927 schließt Armonía Somers ihre Grundschulausbildung ab, zu der auch die sehr belesenen Eltern und ihr eigener autodidaktischer Impuls viel beigetragen haben; im Jahr darauf beginnt sie an der Lehrerinnenbildungsanstalt in Montevideo zu studieren, damals eine der wenigen Möglichkeiten für junge Mädchen, einen weiterführenden Bildungsgang zu absolvieren. Die Dreizehnjährige wird durch die tägliche Eisenbahnfahrt7 nach Montevideo sicherlich zur Selbständigkeit herausgefordert; das einsame Umherirren in der ungewohnten Großstadtatmosphäre birgt aber auch nicht wenige Gefahren (vgl. RISSO: 250). Sie scheint eine sehr gewissenhafte und erfolgreiche Studentin gewesen zu sein und mit solcher Konzentration bei der Sache, daß für andere Dinge offenbar keine Zeit mehr blieb. Zumindest begründet Armonía Somers ihrer Interviewerin gegenüber so die Tatsache, daß sie in ihrer Jugend nie auf die Idee verfallen wäre, etwa (wie die meisten anderen der hier betrachteten Autorinnen) Gedichte oder sonstige frühe Werke zu verfassen, und daß sie erst relativ spät, nämlich mit 34 Jahren, ihre allererste Erzählung {El derrumbamiento) geschrieben habe: ...during my childhood and adolescence I was very busy with my studies, very responsible; I had to gradúate, begin my career. I must have had a bad reputation among my fellow students. I had no time then to write, except what was required of me as a Student. (PICON GARFIELD: Wornen's Voices 38)

1933 erhält sie schließlich ihr Lehrerinnendiplom, mit dem ihre erste Karriere als Pädagogin und Erziehungswissenschaftlerin ihren Anfang nehmen sollte (vgl. RISSO: 250). Ein Jahr später nimmt sie ihre Unterrichtstätigkeit auf, die sie durch verschiedene Schulen Montevideos führen wird, wodurch sie eine ganze Skala an sozialen Milieus in der Praxis kennenlernt: von den Armenvierteln, wo Ratten durch die Klassenzimmer huschen, bis zu den wohlgenährten Kindern der Reichen, die entsprechend bessere Lernerfolge vorweisen können: 1934: Comienza sus tareas como docente de escuelas normales de Montevideo recorriendo todos los barrios de la ciudad. Recuerda como su primer escuela la N° 133 de la calle Lima y Piedra Alta. „Trabajo en lugares que me enseñan mucho a mí; yo voy a enseñar, pero me enseñan a mí, porque me destinan a escuelas de barrios pobres como La Teja, en que los niños venían con los dedos en la boca para calentárselos, pues habían dormido en una casilla de lata; en que tengo que desnudarlos y ponerles las ropitas de lana que le han tejido mis hermanas, porque vienen morados de frío; en que las ratas atravesaban el salón de clase. Trabajé también en la Curva de Marañas, hasta que por obra y gracia de los concursos enseñé en la escuela Barón de Río Branco (Escuela Brasil) y de allí pasé a la Escuela España. Ahí me encontré con diferencias sociales tan evidentes que se traslucían en el proceso de

Die Zugreise nimmt auch als literarisches Motiv einen wichtigen Platz in Armonía Somers' Werk ein, so z.B. nicht nur in La mujer desnuda (siehe unten), sondern auch in „Un cuadro para El Bosco" (in El hacedor de girasoles) und „El desvío".

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aprendizaje, los muchachos aprendían enseguida porque venían bien comidos y bien dormidos." (RISSO: 250ff.) Nicht zuletzt aufgrund dieser Erfahrungen scheint sich die Autorin in ihrer 'offiziellen' Identität als Armonía Etchepare später in ihren Fachpublikationen unter anderem mit Problemen wie der Jugendkriminalität (La antisocialidad Uruguay,

juvenil en el

1958) auseinandergesetzt zu haben. Auch in dieser Funktion weist sie ein

umfangreiches und in Fachkreisen anerkanntes Werk auf, das ihr einige Preise und Stipendien einbringt; ihr erstes Buch widmet sie 1944 der Gestalt von Ann Sullivan Macy, der Lehrerin von Helen Keller: La obra escrita de carácter pedagógico (editada en México) en la que se destaca Educación de la adolescencia o El adolescente de novela y su valor de testimonio (que recibió los premios Concejo Departamental de Montevideo y Universidad de la República) y Ana Sullivan Macy, la forja en noche plena, mantiene a la autora en los primeros años de ejercicio de su profesión magisterial, al margen de la expansión literaria fundamental... (H.M.: Diccionario 210) Später allerdings versucht sie ihre wissenschaftliche Tätigkeit in Einklang zu bringen mit der inzwischen erwachten literarischen Berufung; so zieht sie etwa für ihr Buch Educación de la adolescencia

jugendliche Romanfiguren als Beleg heran:

1957: Publica como Armonía Etchepare „Educación de la adolescencia. El adolescente de novela y su valor de testimonio". México, Editorial Herrero. „...Ese libro no fue un texto normativo, que impusiera reglas, pese a su título. Los editores [...] me concedieron libertad, siempre que conservara la palabra educación en el título, para elegir el punto de vista en el subtítulo. Entonces, y como yo me movía ya en la narrativa, opté por ejemplificar los fenómenos característicos de la adolescencia con personajes de novelas, lo que me daría bastante trabajo, aunque mucho placer estético..." (SOMERS, in DELGADO, zit. in RISSO: 258) Natürlich besteht die Gefahr, daß diese Zweigleisigkeit letztlich zu einer Spaltung der Persönlichkeit führen könnte: Pero trabajos como estos, que le significaron becas en el extranjero y congresos, no distrajeron a la creadora de ficciones en quehaceres que muchas veces fueron encarados como productos de una doble personalidad. (RELA: 124) Die Autorin selbst versucht beide Sphären penibel auseinanderzuhalten, um in ihrer fiktionalen Literatur nicht didaktisch zu werden: EPG: In what way has your fiction been influenced by your profession as a teacher and librarían? AS: Not at all. They are separate pursuits because they embody two personalities. [...] as a writer I was never didactic because that would have been frightful. (PICON GARFIELD: Women 's Voices 39) Eines der Mittel, um private Person und Autorinnenfunktion strikt trennen zu können, ist für Armonía das Pseudonym, um dessen Entstehung und Bedeutung sich z.T.

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widersprechende Legenden ranken 8 . Sie selber erklärt im folgenden, warum sie, ihrem Vater zuliebe (der 1940 verstorben war), den Vornamen auf jeden Fall beibehalten wollte, da er mit einem gewissen anarchistischen Flair umgeben war: Cuando entregué la novela [La mujer desnuda] para publicarla no quise sacarme el nombre Armonía porque me lo había puesto, con grandes ilusiones mi padre, que era ácrata y creía en los hombres. El nombre lo tomó del falansterio anarquista al que Fourier llamó Armonía. En cuanto al Somers, lo elegí muy apresuradamente para la salida de la revista que publicaría mi novela. Me gustó porque es la raíz de la palabra verano en inglés y alemán, y yo soy muy del verano, tengo mucho que ver con él, tal vez porque fui concebida en verano... (SOMERS in COPANI, zit. in RISSO: 254f.) Zweifellos wäre in der wenig aufgeschlossenen Atmosphäre des Montevideo von damals, wohin die gesamte Familie Etchepare 1940 kurz vor dem Tod des Vaters übersiedelt war, 9 kein Verständnis dafür zu erwarten gewesen, wenn eine junge, unbescholtene señorita der besseren Gesellschaft quasi aus heiterem Himmel heraus einen erotischen Roman mit dem provokativen Titel La mujer desnuda veröffentlicht hätte. Das Pseudonym ist daher für die Autorin eine Maßnahme des Selbstschutzes, um im Dunkel der Anonymität die Reaktionen des schockierten Publikums beobachten zu können. Daneben findet sie jedoch auch eine gewisse Befriedigung darin, ihre bisherige Identität „wie eine Schlangenhaut" abstreifen zu können: Armonía Somers tuvo dos ramas genéticas. Por un lado la apetencia de libertad sin compromisos con la profesión paralela que se debía ejercer, aunque hoy he descubierto, a través de la misma pregunta que me han hecho, que en aquellos tiempos de leyenda de La mujer desnuda yo intentaría algo más que tomar un apellido ajeno. Quizás el cambio de identidad que eso entraña tuviera raíces existenciales más profundas de lo que parecían. Hay épocas en que vaciamos el ropero para arrojar malos recuerdos por la ventana junto con los vestidos que, si bien se los mira, son una segunda piel. Y quién sabe si aquel nombre nuevo con reminiscencias de verano en dos idiomas, no sería para mí como la piel brillante de la víbora que ha dejado la otra pasando entre dos piedras casi juntas... (SOMERS in DELGADO, zit. in RISSO: 253f.) In späteren Jahren kann sie sogar sehr ungehalten werden, wenn diese Geste des Protests gegen eine Welt, mit der sie nicht einverstanden ist, nicht respektiert wird und man sie immer wieder an ihre 'bürgerliche' Identität erinnert: ... a lo mejor era una protesta que yo hacía contra el hecho de haber nacido sin que me pidieran la autorización y la osadía de seguir sobreviviendo en un mundo como éste, que no me gusta. Entonces, si yo cambié de identidad por razones existenciales, no hay derecho a

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Z.B. die vom Fündigwerden in einem Telefonbuch: „Armonía Etchepare nos ha narrado recientemente cómo surgió - de una guía de teléfonos- y cuáles fueron los imperativos su condición de maestra de primaria en una sociedad pacata- de ese SOMERS, que ostentaba un arquitecto que, sin saberlo, le sirve como de escudo, a cambio de la celebridad." (PERERA SAN MARTÍN: 18)

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kurioserweise in ein Haus in der Calle Ródano No. 3395, dessen erster Bewohner Rodolfo Henestrosa war, den Armonía viele Jahre später kennenlernen und ehelichen sollte (vgl. RISSO: 252).

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que me estén llevando a cada rato a mi identidad anterior. (SOMERS, zit. in CAMPODÓNICO: Derrumbamiento 48) Insofern versteht sie durchaus den Beginn ihrer zweiten Karriere als Schriftstellerin - 1948 mit der Niederschrift ihrer ersten Erzählung „El derrumbamiento" - als Neuaufbruch, j a Wiedergeburt, 1 0 wie es M. A. Campodonico in einer poetischen Nacherzählung der wiederum mystifizierten Szene schildert: Aquel fin de semana la maestra no tenía niños que atender, ni palotes que enderezar, ni pizarrones que señalar. Pudo haber sido tiempo de descanso, de contemplación. Si no fuera por la otra. Ahí estaba, nacida poco tiempo antes, creciendo para aguijonear, insistiendo cada día un poco más. [...] En medio del estruendo producido por el edificio que se venía abajo, acababa de nacer Armonía Somers. Y su primer cuento. (CAMPODÓNICO: Derrumbamiento 46f.) Über die Entstehungs- und Editionsgeschichte dieses literarischen Erstlingswerks ist folgendes zu erfahren: 1948: Crea su primer texto literario, el cuento El derrumbamiento, escrito sobre las rocas de la playa Pocitos, peleando contra el viento que parecía querer llevarse las hojas. Este relato y los otros que forman parte del volumen El derrumbamiento fueron encajonados algún tiempo, hasta que Carlos Brandy y José Carlos Alvarez, integrantes de la revista Clima, toman contacto con ellos y con la novela La mujer desnuda, que luego editarían. (RISSO: 252) Die Autorin selbst beschreibt gegenüber ihrer Interviewerin die biographischen Hintergrundkomponenten dieser existentiellen Erfahrung, die der Erzählung zugrundeliegt: ...recuerdo el primer cuento que escribí, que fue titulado „El derrumbamiento", que ahora anda rodando por el mundo; yo les llamo mis derrumbistas a la gente que lo traducen, ese cuento [...] nació de algo que me sucedió a mi, que casi muero bajo los cables de un tranvía eléctrico que se desprendieron todos en el momento en que yo cruzaba por detrás, entonces un señor vino, me tomó del brazo y me dijo: pise donde yo piso, mire que usted está en peligro; yo era maestra, iba para la escuela y todo aquello me molestaba, el perder tiempo pisando por donde el señor pisaba; yo completamente inconsciente del peligro, entonces, cuando ya hubo pasado el momento me fui para mi trabajo, que era una maestrita muy cumplidora. Yo soy maestra. Cuando vuelvo a mi casa a mediodía mi madre ya se había enterado del episodio, porque éramos todos del vecindario de acá de Montevideo [...], y me dijo: la virgen te salvó; ella era muy católica, cosa que tenía que ocultar durante toda la vida de mi padre, que era completamente ateo, o no, nunca se sabe, porque esos ateos peleadores son los que más creen. Dijo: la virgen te salvó y yo no vi a la virgen del mito, vi a la madre a la que le habían arrebatado al hijo en aquella forma tan terrible. Tomé un cuaderno, creo que sería domingo y me fui a dar a una playa que quedaba cerca, la playa Pocitos, me senté en una roca y no se sabe cómo -por eso yo te digo que no, es un misterio-, empecé a escribir el famoso cuento, „El derrumbamiento". Y ese fue el origen, otra cosa no sé. (SOMERS, in BOULLOSA)

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Somers selbst nimmt ihrerseits Zuflucht zum Vergleich der Geburt: das Entstehen ihrer ersten literarischen Werke empfindet sie als einsame Erfahrung („a solas, como un parto en el campo", in BOULLOSA).

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Doch die romantische Atmosphäre dieses ersten Schaffensimpulses, den die angehende Schriftstellerin als „Kampf mit dem Teufel" erinnert, sollte sich nie mehr wiederholen: die übrigen Werke entstehen jeweils nach einem anstrengenden Arbeitstag an diversen Kaffeehaustischen, wozu die Autorin launig anmerkt: Con excepción de mi primer cuento „El derrumbamiento", cuyo borrador primario nació sobre una roca de Pocitos Nuevo, luchando contra el viento que quería llevarse los papeles y el diablo que pugnaba por mi alma, los demás relatos del volumen y „La mujer desnuda", fueron de mesa de café después de una larga jornada de trabajo extraliterario. Quizá algún buen catador logre percibir todavía el aroma primigenio, se dé cuenta de que no era producto del escritorio sofisticado de aquella señorita de buenas maneras que tanto engañó al mundo con su luego comentada doble personalidad. Porque el olor a café no muere aunque sea típicamente del reino de este mundo. (CAMPODÓNICO: Homenaje 52) Das Doppelspiel soll noch eine ziemliche Weile anhalten, denn die wenigen Eingeweihten wissen anscheinend die Identität der Verfasserin von La mujer desnuda diskret zu bewahren: ...el nombre de Armonía Somers remitía exclusivamente a su obra publicada, que su propia identidad civil era un secreto mantenido por unos pocos y fieles amigos, y que aún hoy, cuando su identidad ha sido revelada desde hace muchos años, su personalidad conserva, para el público, cierto halo de misterio. (PERERA SAN MARTÍN: 19) Und Armonía Etchepare alias Somers selbst macht sich einen Spaß daraus, sich unter die eifrig diskutierenden Gruppen zu mischen, die sich darüber streiten, ob der Text von einem Mann oder einer Frau geschrieben worden sei, von einer literarischen Avantgardegruppe oder gar von einem perversen Erotomanen: La explosión se produjo a mediados de 1950, cuando la revista Clima, de Montevideo, incluyó en uno de los pocos números de su vida efímera un relato titulado La mujer desnuda. Lo firmaba Armonía Somers, una desconocida que pocos días después estaba en el centro del escándalo. Clima publicó casi en seguida una separata con el texto completo de la novela, que se agotó tan vertiginosamente como la revista. A las mesas redondas donde se discutía apasionadamente el tufillo a pornografía y prohibición que destilaba la obra, asistía invariablemente una mujercita afable, prestigiada por una intachable carrera... (COUSTE: 52) Partiendo del misterio sobre la identidad de la autora de La mujer desnuda, se empezaron a tejer leyendas. En general, nunca pensaron que lo había escrito una mujer. Se decía que era la obra de un hombre con ciertos toques de sensibilidad femenina, otros decían que lo había escrito un grupo literario, incluso algunos opinaban que el autor debía de ser un degenerado, un maníaco. (SOMERS in COPANI, zit. in RISSO: 254) Auf keinen Fall wäre jemand auf die Idee verfallen, ein „Fräulein Lehrerin mit guten Manieren" (vgl. CAMPODÓNICO: Derrumbamiento 47) könne Urheberin dieser literarischen Provokation gewesen sein. Heute nimmt es sich jedenfalls mehr als merkwürdig aus, wenn wohlmeinende männliche Kritiker wie Ángel Rama (1963) oder Roberto De Espada (1972) die „Weiblichkeit" der Autorin aus Fleisch und Blut mit Hinweisen auf ihr „sanftes", „mütterliches" Äußeres zu 'retten' versuchen:

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A.S. es un ser dulce y pausado, de imperturbable ritmo interior y del aspecto más inofensivo que imaginarse puede. Lo cual condice con otra de sus publicitadas paradojas: es maestra. Y es mujer. (DE ESPADA: 63) Pero no sólo estos libros son insólitos dentro de nuestras letras. También lo son con respecto al autor que los escribe. Nada más magisterial, dulce y hasta convencional que la persona que encubre el seudónimo Armonía Somers, casi el prototipo de la maestra de primeras letras de voz aterciopelada, de empaque maternal, de suave tono vital. (RAMA: La fascinación 30) Eines steht jedenfalls nach dem ungeheuren Echo dieser Erstveröffentlichung fest: der 'Stein des Anstoßes' ist ins Rollen gekommen; es gibt für die Autorin kein Zurück mehr in ihr früheres, unscheinbares Leben. Sie hat sich ein für allemal als Rebellin gegen verzopfte Moralvorstellungen deklariert: La historia de Rebeca Linke - arrojada como una piedra sobre la pacífica literatura uruguaya - tuvo la virtud de condenar a Armonía Somers, la puso ante la evidencia de haber escrito uno de esos raros libros que no permiten el retorno: más que una novela, el libro suponía un acto de fe, la propuesta de un inmoralismo militante, preocupado de cambiar la vida antes que de cambiar el arte. (COUSTE: 52) All diese Aufregungen scheinen in ihr eine tiefe Krise ausgelöst zu haben, so daß sie auf ärztlichen Rat eine entspannende Reise nach Chile unternimmt: Con el producido de la separata de La Mujer Desnuda realiza, por recomendación médica y debido a una profunda crisis espiritual, un viaje. Su médico le sugiere contacto con la naturaleza; elige Chile y su cordillera. (RISSO: 255) Dennoch gibt es neben dem enfant terrible Armonía Somers noch lange Zeit, parallel, Armonía Etchepare, die als hervorragende Pädagogin und erfolgreiche Wissenschaftlerin wirkt und in ihrem Beruf unaufhaltsam Karriere macht: Im Veröffentlichungsjahr von La mujer desnuda, 1950, wird sie als Delegierte der Biblioteca y Museo Pedagógico del Uruguay zum Interamerikanischen Seminar über Elementarerziehung zur Organisation der Amerikanischen Staaten und der UNESCO entsandt (PICON GARFIELD: Women's Voices 31). Einige Jahre darauf wird sie zur stellvertretenden Direktorin ernannt (vgl. RISSO: 258). Ebenfalls 1957 erhält sie den Premio Consejo Departamental de Montevideo sowie den Premio Universidad de la República für ihr bereits erwähntes Werk Educación de la adolescencia. Den weiteren Werdegang der Pädagogin und ihre offiziellen Funktionen faßt Picon Garfield zusammen: Member of Commission for Certification of Teachers, Montevideo, 1958. Invited by United Nations to work on crime prevention and the treatment of delinquents in London; member of Commission on Texts for the National Council of Elementary Education and Teacher Training, 1960. Director of National Museum of Education; editor of Boletín Informativo de la Biblioteca y Museo Pedagógicos; founder and editor of journal of Center for Educational Documentation and Dissemination, Documentum, 1961. Representative from Montevideo to Seminar on Education for Development and Social Progress at United Nations, 1962. Director of National Center for Educational Documentation and Dissemination, 1962-71. Received internship from UNESCO to study education in Paris,

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Dijon, Geneva, and Madrid, 1964. [...] Editor of Anales and Enciclopedia de Educación, 1967-71. (PICON GARFIELD: Women's Voices 31) Erst 1971, im Alter von 57 Jahren, soll sie sich endgültig in den Ruhestand versetzen lassen und widmet sich von da an nur mehr ihrer schriftstellerischen Tätigkeit (vgl. RISSO: 269). Ob die langen Pausen, die bis dahin immer wieder zwischen den Veröffentlichungen ihrer literarischen Werke verstreichen, auf diese Doppelbelastung oder andere, emotionale Faktoren zurückzuführen sind, muß dahingestellt bleiben; für letztere Annahme spricht das, was Nicasio Perera San Martin in diesem Zusammenhang vermerkt: Producida [...] de forma lenta -estamos frente a una carrera literaria de casi cuarenta años- y pausada, puesto que ahí van incluidos dos paréntesis de silencio, entre 1953 y 1963, y entre 1969 y 1979. [...] Refiriéndose a estos periodos de silencio, Armonía Somers ha hablado de la angustia, de sus angustias, y de la proximidad excesiva de la muerte. Desde un punto de vista psico-genético, podríamos suponer la existencia de largos períodos de acumulación vivencial y breves períodos de intensa descarga, elaboración estética mediante. Pero tales afirmaciones no pasarían nunca de ser mero ejemplo de esas laboriosas hipótesis que solemos elaborar los críticos, tratando de convencernos de que comprendemos algo de los misterios de la creación artística. (PERERA SAN MARTIN: 20) Nach ihrem stürmischen Debüt mit La mujer desnuda hatte Armonía Somers jedenfalls bald für Zündstoff für den nächsten Skandal gesorgt, mit der ebenfalls skandalumwitterten Titelgeschichte ihrer Sammlung von Kurzgeschichten, El derrumbamiento (1953), in der sie sozusagen symbolisch die alte Ordnung von Bigotterie, Puritanismus und Rassismus zusammenbrechen läßt: Auch der Erzählband El derrumbamiento (1953) wurde weithin mit Mißfallen aufgenommen, sei es wegen des blasphemisehen Gehalts der Titelgeschichte und sonstiger „Obszönitäten" oder wegen vorgeblicher kompositioneller Mängel. (REICHARDT: 675) Als sie das Manuskript in die Druckerei trägt, lernt sie dort deren Direktor, Rodolfo Henestrosa kennen, den sie zwei Jahre später heiraten soll (vgl. RISSO: 256, 258). Auch darüber erzählt sie eine Anekdote, die vielleicht typisch ist für die Diskrepanz zwischen den gesellschaftlichen Erwartungen, die man einem „schreibenden Fräulein Lehrerin" entgegenbringt, und dem grenzüberschreitenden Anspruch, den die angehende Autorin an sich selbst stellt: ...yo me fui con el librilo debajo del brazo a una editorial, más bien una imprenta que había acá, pero esa es otra anécdota, ahí conocí al que iba a ser mi marido después, que estaba de gerente de esa imprenta. - ¿Y fue tu marido toda la vida? - Toda la vida, sí; y sigue siéndolo, porque no puedo superar la muerte de mi marido. Era interesante oírlo a él contar el anécdota, porque le llevaron allí una maestrita en un día de lluvia con un impermeable y un librito abajo del brazo y entonces él me dijo: mire señorita, yo tengo unas viñetas con unos bambisitos. Creía que eran cuentos para niños y [...] yo lo miré y le dije no señor, mi libro no es para bambis, después resultó que un día uno de los obreros de la imprenta vino y le dijo: gerente, gerente, está pasando una cosa rarísima, los obreros se pelean por el cuento de la maestrita, resulta que se trata de esto y

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de lo más allá; también lo habían interpretado mal, desde luego; a ver traigan ese cuento dijo, el gerente- entonces se dio cuenta del papelón que había hecho con lo de los bambisitos y desde ahí empezó una relación. Era un hombre extraordinariamente..., era sensacional, excepcional. (BOULLOSA) Trotz der allgemeinen Empörung, welche die Geschichte einer Marienstatue hervorruft, die von einem schwarzen Delinquenten aus ihrer erstarrten Jungfernschaft erlöst wird, erhält der Band noch im selben Jahr einen wichtigen Literaturpreis, den Primer Premio Narrativa des Ministerio de Instrucción Publica (RISSO: 257). Die meisten, auch renommierte Literaturkritiker wie Emir Rodríguez Monegal oder Mario Benedetti finden aber in dieser Zeit, in der die Strömung eines engagierten „realismo social" die Szene beherrscht,11 keinen Zugang zu dieser hermetischen, ins Phantastische tendierenden Literatur und kehren allerhand formale oder konzeptuelle Schwachstellen hervor (die sich heute vielleicht als Symptome einer nichthierarchisierenden, frei schwebenden écriture féminine lesen lassen würden): No es éste el único defecto de estas narraciones. Otro, casi más evidente y general, consiste en la acumulación de imágenes y símbolos heterogéneos que acaban por hacer intransitable una prosa no muy transparente de por sí... (RODRÍGUEZ MONEGAL 1953, zit. in RISSO: 257) En sus relatos publicados anteriormente (La mujer desnuda, Clima n° 2, y Las Muías, Correo del Sur, n° 1) Armonía Somers había mostrado poco más que una falsa asimilación de ciertas tendencias efectistas de la narrativa contemporánea. No puede decirse que los cinco cuentos que reúne El derrumbamiento hayan sobrepasado ese ejercicio más bien gratuito del efecto, esa mala digestión de estas narraciones, Armonía Somers demuestra que puede llegar a ser un buen cuentista , que acaso lo sea desde ya, pero que obstinadamente insiste en ocultarlo, en una absurda sujeción a un prejuicio anticursi, a una pose tenaz y equivocada... (BENEDETTI 1953, zit. in RISSO: 256) Zehn Jahre später sollte Benedetti diese Kritik wieder zurücknehmen: ...ahora sí es posible comprobar que los cuentos de aquel libro de 1953, aunque no totalmente realizados como la literatura que pretendían ser, no se inscribían en una pose literaria sino en una auténtica angustia metafísica. (BENEDETTI: Carácter obsceno 207) Die sechziger Jahre werden für Armonía Somers ein Jahrzehnt des Reisens: 1960: Es invitada por el gobierno de Francia para trasladarse a dicho país a fin de estudiar la organización y el funcionamiento del los centros de reeducación e instituciones penitenciarias. (Ministerio de Justicia, Direcciones de Eduación Vigilada y Asuntos Culturales y Técnicos) Recibe una invitación especial de la Secretaría del Segundo Congreso de las Naciones Unidas para la Prevención del Crimen y el Tratamiento de los Delincuentes, realizado en Londres. 11

Vgl. PERERA SAN MARTÍN: „Tal la concepción y conducta que Armonía Somers asumiera en 1950, en pleno auge de la ética y la estética del 'compromiso' y del 'mensaje', en pleno apogeo del 'realismo social' y de la novela 'antiimperialista y agraria', en plena vigencia de tantos '-ismos' que hoy, cuando la concepción original de Armonía Somers se generaliza, nos parecen obsoletos. ¿Cómo asombrarse de que tal actitud no pudiera entenderse en 1950?" (12)

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1961: Es invitada por el Servicio de Intercambio Académico de la República Federal de Alemania en Bonn (Deutscher Akademischer Austauschdienst) para visitar dicho país para realizar estudios de su especialidad. (RISSO: 259) 1964: Es contratada por la Unesco para realizar estudios sobre documentación pedagógica en París, Dijon, Ginebra y Madrid. Escribe en París y otras ciudades de Europa la novela De miedo en miedo, inspirada en un personaje que conoce durante su estancia en la Unesco, (ibid. : 262) 1965: Finalizado el contrato con la Unesco, su marido, Rodolfo Henestrosa, viaja a París a reunirse con Armonía y recorren Europa juntos, (ibid. : 263) 1965, im Erscheinungsjahr ihres zweiten Romans De miedo en miedo, bezieht Armonía Somers ein Ferienhaus am Strand in der Nähe von Montevideo, das später legendäre „Somersville": (1965) Inaugura Somersville, casa en el balneario Pinamar. En sus buhardillas escribirá varias de sus novelas y cuentos, como Sólo los elefantes encuentran mandràgora, (ibid.) ...el diminuto castillo se planta como un milagro entre los médanos de Pinamar, un proyecto de balneario a treinta kilómetros de Montevideo. (COUSTE: 52) Die übrige Zeit verbringt sie, eingegraben wie ein Höhlenbär, in der ebenfalls mythenumwobenen Wohnung im sechzehnten (später fünfzehnten) Stock eines Hochhauses in Montevideo; die Adresse „Palacio Salvo" genügt, daß Sendungen aus Indien oder Martinique sie ohne weitere Angaben erreichen (vgl. RISSO: 266). Die Autorin selbst sagt über die fruchtbare Dialektik zwischen den beiden Domizilen: La torre del Palacio Salvo es la especie de trampolín de donde saltan las ideas y no sé por qué. Pero mi casa del balneario, pomposamente llamada Somersville por el buen humor de un hombre excepcional que dejó allí esa huella, es mi lugar geométrico de la invención posterior. (CAMPODÓNICO: Homenaje 51f.) Somersville (vgl. auch die Fotos in RISSO: 274f.) wird sozusagen schon zu Lebzeiten zu ihrem „Reliquienschrein": La novela Sólo los elefantes encuentran mandragora fue escrita aquí en las buenas épocas. Hoy quedan como testimonio de entonces ciertas reliquias que no me atrevo a tocar, por ejemplo: un enorme baúl pirata donde, muy amorosamente, alguien fue coleccionando y aún no sé para qué, los borradores de todas mis obras; (SOMERS: Carta 1155) Aus dieser freiwilligen Einsiedelei kommt sie nur wenige Male anläßlich öffentlicher Auftritte hervor: (1968) Interviene en los Cursos de Verano de la Facultad de Arquitectura y dicta la conferencia „La realidad de lo imaginario" en el Centro de Artes y Letras de Punta del Este, rompiendo así un largo período sin apariciones en público. (RISSO : 266) 1969 veröffentlicht Armonía Somers einen weiteren kurzen Roman, Un retrato para Dickens, für den sie den Premio Intendencia Municipal de Montevideo erhält; 20 Jahre später soll er, zusammen mit Texten von Felisberto Hernández und Jorge Luis Borges, den Stoff für den Film La nube de Magallanes der mexikanischen Regisseurin Adriana Contreras liefern (vgl. RISSO: 282).

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Doch wieder kündigt sich ein weiterer tiefer Einschnitt in das Leben der Autorin an: Ende des Jahres 1969 erkrankt sie an einem rätselhaften Leiden, dem Chylothorax, einer Ansammlung von Lymphflüssigkeit im Brustraum, die sie dem Tod in die Augen blicken läßt; die Ärzte haben sie schon fast aufgegeben: A fines de este año enferma gravemente de una dolencia que no tenía antecedentes en el país. Ve la muerte cara a cara. Es operada y oye a su médico cuando le manifiesta a su acompañante las dudas sobre su sobrevivencia. La recuperación es lenta y dolorosa. (RISSO: 269) Die langsam Genesende ist körperlich und seelisch erschöpft und kann zunächst ihr literarisches Schaffen nicht wieder aufnehmen, bis sie diese traumatische Erfahrung in ihrem Monumentalroman Sólo los elefantes encuentran mandràgora

verarbeitet:

Clausurada en la torre del Palacio Salvo, sobreviviente ya no de la angustia existencial sino de una rara enfermedad llamada quilotórax que estuvo a punto de callarla, dio la sensación de que, fatigada, había desistido de continuar. (CAMPODÓNICO: Derrumbamiento 50) I hadn't written anything from 1969 to 1973; I simply couldn't. I went to see a doctor, not a psychiatrist, a general practitioner. He said that it would pass, and I shouldn't worry. Then one day I read the jacket of a Rachmaninoff record. And I discovered that the same thing had happened to him until, all of a sudden, as when a cap pops from pressure, the music came to him. The Somersville house had an attic, and one day I felt something strange inside, so I went upstairs and began to write and write and write for a year and a half. Of course, that first version of Sólo los elefantes encuentran mandragora wasn't suitable in some respects, but it was a catharsis after a long silence. (PICON GARFIELD: Women's Voices 48) Zunächst hat sie vor, diesen Roman, dessen Niederschrift die Jahre 1972-75 in Anspruch nimmt, nicht zu veröffentlichen, da er ihr literarisches Vermächtnis werden soll; der ursprünglich geplante Titel „Quilotórax en Montevideo", mit dem sie auch auf die veränderten politischen Verhältnisse in Uruguay anspielt (1973 beginnt formell die Militärdiktatur, die viele Schriftstellerinnen ins Exil zwingt), wird später in „Las máscaras de la mandràgora" umgewandelt, bis er die heutige Gestalt annimmt (vgl. RISSO: 270). Doch erst 1986 soll er schließlich doch den W e g ins Verlagshaus Legasa in Buenos Aires finden. 12 In den siebziger Jahren beginnt die internationale Rezeption des außergewöhnlichen Werkes von Armonía Somers: Übersetzungen ins Englische, Französische und Deutsche erfolgen (siehe Bibliographie), und 1978 gibt sie einen Erzählband unter dem Titel Muerte

por

alacrán

heraus, in dem sie einige früher erschienene Kurzge-

schichten mit neuen kombiniert. Über diese Sammlung äußern sich nun auch die etablierten Literaturkritiker in enthusiastischen Tönen:

12

Die Editionsgeschichte dieses Buches muß ziemlich stürmisch-bewegt gewesen sein, nach dem, was Penco andeutet: „aquella obra mayor, hoy finalmente publicada y circulando entre nosotros después de una peripecia editorial que tal vez algún día se convierta en contraluz de posibles vericuetos narrativos en ciernes" (PENCO: El amor 125).

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...Muerte por alacrán, administra su dosis de terror con un ritmo y una precisión notables; es un título que no podrá faltar en ninguna antología del cuento uruguayo. (BENEDETTI: Carácter obsceno 208) Und Ángel Rama stellt sie sogar noch über den Meister der phantastischen Kurzgeschichte in Uruguay, Horacio Quiroga: ...el horror sin fisuras de „Muerte por alacrán" donde se alcanza una tensión voluntaria del espanto y la crueldad que el propio Quiroga no fuera capaz de sostener con similar aspereza (RAMA: La fascinación 30). 1982 macht ihr Rodolfo Henestrosa, ihr Ehemann, ein 'Abschiedsgeschenk' in Form eines kleinen Büchleins, Tríptico Darwiniano, von dem er zu Weihnachten 300 Exemplare drucken läßt; zwei Tage vor seinem Tod kann er es ihr noch überreichen: ...su despedida fue la edición propia que realizó del Tríptico Darwiniano, que me fuera entregada dos días antes de fallecer, exquisita edición que no se repetirá, al menos mientras yo viva...13 (SOMERS, zit. in RISSO: 275) Obwohl sie eigentlich bereits Sólo los elefantes encuentran mandràgora

erst post-

hum erscheinen lassen wollte, macht ihr das Leben doch wieder einen Strich durch die Rechnung: ein berührendes Zusammentreffen mit einem jungen Mann, der auf einem Friedhof seine Mutter beweint, löst in ihr 1984 die Niederschrift von Viaje al corazón del día aus (erschienen 1986, fast zeitgleich mit dem erstgenannten Werk). Für beide wird sie mit wichtigen Literaturpreisen geehrt: La Intendencia de Montevideo le otorga el Primer Premio del Concurso Literario Municipal (correspondiente a 1986) por el libro Sólo los elefantes encuentran mandràgora. Recibe el Premio anual de Literatura (compartido con El color que el infierno me escondiera de Carlos Martínez Moreno) que concede el Ministerio de Educación y Cultura de Uruguay, por su libro Viaje al corazón del día. (RISSO: 279) Zur Entstehung von Viaje al corazón del día, einer historisch-romantischen Liebesgeschichte, die in der Zeit des preußisch-französischen Krieges von 1870 spielt, gibt die Autorin folgende Anekdote zum besten: En cuanto a [...] Viaje al corazón del día, la pulsión fue un remordimiento. Un Día de la Madre volví a mi casa dejando solo a un muchacho que lloraba frente a una tumba y tardíamente me di cuenta que yo debía haberme quedado allí, para explicarle cosas que yo sabía de la muerte y que quizás él todavía no. Por ejemplo, según la psicología profunda, que la muerte trae una internalización del ser amado. Mientras está vivo, está fuera de nosotros, cuando muere queda adentro. [...] Pero a aquel muchacho no le dije nada de eso, me vine a mi casa, y entonces, para borrar mi pecado tomé un papel y escribí: „13 de mayo de mil novecientos ochenta y cuatro. Día del muchacho del cementerio". Y dejé la hoja con eso. El libro Viaje al corazón del día es una novelita de amor, no recoge la aventura del cementerio, sólo se sirvió de su impacto emocional, algo que nos obliga a tirar la red salga lo que salga en ella. (SOMERS, in MIGDAL: 5)

13

Inzwischen ist, kurz nach dem Tod der Autorin, doch eine Neuauflage herausgekommen (Editorial Area, 1995, in der neu gegründeten Reihe „Biblioteca Armonia Somers").

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1986 wird ihr unter der Ägide von Enrique Fierro eine große Ehrung mit Vorträgen renommierter in- und ausländischer Forscherinnen in der Nationalbibliothek von Montevideo zuteil - einer ihrer letzten Auftritte in der Öffentlichkeit - , und ein Jahr später wird sie vom C.R.E.C.I.F. nach Paris zu den .Journées d'Études-Colloque sur les relations entre France-Uruguay" eingeladen, an denen sie zwar nicht persönlich teilnehmen kann, wo aber ebenfalls eine Hommage an ihr Lebenswerk stattfindet (vgl. RISSO: 277, 279). 1988 fährt sie auf Einladung des Veranstalterkomitees zur XIV. Exposición Feria Internacional del Libro de Buenos Aires, wo sie sich zusammen mit anderen renommierten Schriftstellern (losé Donoso, Arturo Uslar Pietri, Jorge Amado u.a.) an einem Forum mit dem Titel „La novela en las puertas del siglo X X I " beteiligt. Ebenfalls 1988 erscheint die von der Autorin selbst zusammengestellte Anthologie La rebelión de la flor, ein Titel, der auf eine kritische Studie von Lilia Dapaz Strout zurückgeht. Darin erzählt Armonía Somers auch einiges über die realen Hintergründe diverser Erzählungen. 1990 gibt schließlich das Instituto Nacional del Libro de Uruguay eine Kassette mit einem Interview und Ausschnitten aus Sólo los elefantes encuentran mandràgora,

gelesen von der Autorin heraus (vgl. RISSO: 283).

Im März 1994 stirbt Armonía Somers, fast achtzigjährig, in Montevideo. Ihrer Interviewerin hatte sie viele Jahre zuvor ihre Einstellung zum Tod folgendermaßen zu vermitteln versucht: EPG: Would you explain your fascination with death? AS: Perhaps it is as one critic stated, a fascination with horror; maybe it's the fear I have of death, not my own because suicide has always attracted me. It must be uncanny to be able to unleash oneself and slip away. But I'm terrified by the death of others; so death is like a condiment. As the Arabs use cumin, so I always have that condiment of death in my creative kitchen because in so doing I wish to dominate death so it will not do so to me. (PICON GARFIELD: Women's Voices 46)

Nun tatsächlich posthumes Vermächtnis (vgl. auch BLIXEN) wird das kleine Bändchen El Hacedor de girasoles, Hommage an Borges, Hieronymus Bosch, Virginia Woolf und Vincent Van Gogh, in dem Armonía Somers am Schluß in einem literarischen Brief schreibt (60): Alguna madrugada me habré levantado - de día imposible - a decirles me voy pero me quedo. No dejen de quererme. Eso es lo que importa.

1.2.2. Schwierige Lektüre mit nekrophilen Untertönen Aufgrund ihres Geburtsjahres scheint Armonía Somers zweifellos zur sogenannten „Generation von 1945" in Uruguay zu gehören; so ist es vielfach in literarhistorischen Abhandlungen zu lesen, wenn auch meist gleich im selben Atemzug das herkömmliche Generationenkonzept, gerade bei einer so einzigartigen und unverwechselbaren Autorin in Frage gestellt werden muß:

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Armonía Somers (Uruguay, 1917) pertenece por derecho de nacimiento a la llamada generación uruguaya del 45; sin embargo, puede considerarse como una de esas excepciones que niegan o justifican el valor último de este criterio que, con tanto ahínco, se cuestiona hoy. (GARCÍA REY: 101) Als weitere bedeutende Angehörige dieser Gruppe werden von García Rey genannt: Carlos Martínez Moreno, Mario Benedetti und Mario Arregui in der Prosa; Amanda Berenguer, Idea Vilariño und Ida Vitale in der Poesie; sowie Ángel Rama, José Pedro Díaz und Emir Rodríguez Monegal in der Essayistik (ibid.). Die Autorin selbst sträubt sich natürlich gegen allzu einfache Zuordnungs- und Vereinnahmungsversuche; als eine der wenigen Beeinflussungsquellen durch ihre schreibenden Zeitgenossinnen läßt sie allenfalls - für uns interessanterweise - die Chilenin María Luisa Bombal gelten (vgl. AGOSÍN: 585 und PICON GARFIELD: Women's Voices 47). An europäischen Modellen erwähnt sie zwei: Proust bewundert sie wegen seiner Liebe fürs Detail, Strindberg wegen seines Zynismus; mit beiden hat jedoch ihre Schreibweise im Grunde genommen wenig gemeinsam: ...I was dazzled by Proust and his novelistic skill, his loving care for detail. I thought to myself, what a craftsman; he abandons the novel as he describes, but at the same time he is creating marvels. He taught us all when he held our hands and urged us to linger over details. When I reread my works, I realize I do not write at all like Proust, but that doesn't mean he was not my teacher. [...] And there's another author who has had an impact on my work, Strindberg. His cynical view made me look at things differently than I had before. [...] the fiercely critical manner in which Strindberg saw marriage, as if two beings were united by the arteries of their sexual organs. (PICON GARFIELD: Women's Voices 39) Dabei dürfte es nicht nur ihr eigener, begreiflicher Drang nach Originalität sein, der die Autorin Unterschiede und Divergenzen vielleicht absichtlich überzeichnen ließe; auch nach unvoreingenommener Beobachtung von außen wird von der Kritik wiederholt betont, wie sehr das Somerssche Werk aus dem sonst doch relativ homogenen Korpus der uruguayischen Literatur der Jahrhundertmitte hervorsticht: ...al pasar revista a ese ser generacional - a sus temas, sus predilecciones, sus problemas encontramos algo más que divergencias; hay, en verdad, un desentendimiento casi completo en relación a las obsesiones que tipifican la obra de esta escritora y aquellas por las que se inclina el resto del grupo. (GARCÍA REY: 101) Nach einem Bonmot, das sich so sehr verfestigt hat, daß sein Urheber kaum noch auszumachen ist (höchstwahrscheinlich dürfte es Fernando Ainsa geprägt haben), wird Armonía Somers dementsprechend immer wieder als „Steppenwolf' der 45er Generation bezeichnet: ...toda su obra aparece marcada por un sesgo absolutamente personal y sus cuentos o novelas posteriores a la publicación de aquella Rebeca Linke desnuda, siguieron ese camino de independencia generacional que le hiciera decir a un crítico que Armonía Somers era el lobo estepario de la generación del 45. (CAMPODÓNICO: Homenaje 45) Die Autorin selbst gibt jedenfalls ihrer Interviewerin gegenüber zu Protokoll, daß sie sich keineswegs irgendeiner Gruppe oder Strömung zugehörig fühlt:

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Armonía Somers ...I feel no ties with the generation I ought to be part of. I believe that apart from the usual generations, the literary ones are not only chronological but also imply a certain homogeneity of form, motivation, semantics, and even in ideology, that separates them from previous or future generations. In my case (not because I feel superior or inferior, but rather different), I do not consider myself to be part of the generation that they usually call mine. (PICON GARFIELD: Women's Voices 38)

In Cien autores del Uruguay wird denn auch die Behauptung aufgestellt, Armonía Somers sei quasi ihrer eigenen Generation zeitlich voraus und habe von ihrer geistigen Orientierung her bereits mehr mit der nachfolgenden „generación de la crisis" gemeinsam (vgl. PAGANINI et al.: 79). Darauf ist sicher ein Gutteil des Unverständnisses zurückzuführen, auf das sie, speziell in ihrer ersten Schaffensperiode (von La mujer desnuda bis El derrumbamiento), zunächst stoßen sollte. Zusammen mit Juan Carlos Onetti 14 ist Armonía Somers heute rückblickend als die erneuernde Kraft der uruguayischen Literatur zu bezeichnen, durch deren Werke die bis dahin vorherrschende, sich nach europäischen Modellen des 19. Jahrhunderts orientierende realistisch-sozialkritische Richtung durchbrochen wurde in Richtung auf das, was Ángel Rama später „literatura imaginativa" nennen sollte: Estaba ya cerca de la mitad de este siglo XX, tan rico en cambios y transformaciones, cuando el modelo narrativo imperante en Uruguay, se fisura y estalla. Ese modelo, que no era sino la réplica del relato realista europeo occidental y decimonónico, dominó las leyes internas de la ficción desde „Ismael" a „Los albañiles de los Tapes". Es precisamente, la escritura artística de Onetti y Armonía Somers, el factor que produce el estallido de aquel modelo. (COSSE: Del horror, zit. in RISSO: 281) Ihre irritierende Neuartigkeit, die unbekümmerte Abweichung von allem Vorangegangenem, ihr Hinauspreschen über alle Erwartungshorizonte, machen das Somerssche Werk zu einem einzigartigen, schwer zu klassifizierenden Phänomen, das zwar innovative Impulse bringt, aber weder Vorläufer noch Nachahmer kennt (vgl. CAMPODÓNICO: Derrumbamiento 47f.). Allenfalls läßt sich eine sehr brüchige Traditionslinie bis zum Comte de Lautréamont zurückverfolgen, 15 die später von anderen Autorinnen des Landes, wie Mario Arregui, José Pedro Díaz, María Inés Silva Vila, Martínez Moreno, Marosa Di Giorgio und Mercedes Rein fortgesetzt werden soll: 14

Mit ihm (und Felisberto Hernández) wird sie auch von Jean Andreu in Zusammenhang gebracht: „Una temática y un ambiente que bien pudieran ser una especificidad uruguaya por los múltiples puntos de contacto que existen entre el mundo de Armonia Somers, y por ejemplo el de Felisberto Hernández o el de Juan Carlos Onetti. Pero son puntos de contacto más bien casuales ya que la escritura de Armonia Somers la distingue fundamentalmente de sus compatriotas." (ANDREU: Vorwort zu Tríptico Darwiniano, zit. in RELA: 126)

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Dessen Gemeinsamkeiten mit Armonía Somers kehrt PICON GARFIELD hervor: ,,In fact, both Somers and Lautréamont do share certain propensities: both focus on the cruel and solitary nature of man, who is quite as bestial as any animal; on eroticism and sexual violations; on desacralizing God; on a repugnant and visceral depiction of humanity; and on descriptions of nightmarish atmospheres." (Women's Voices 32)

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Pero desde hace cien años -exactamente desde la obra del franco-uruguayo que firmó con el seudónimo „Conde de Lautreamont" - hay una línea secreta dentro de la literatura uruguaya. Esporádica, ajena, indecisa en sus comienzos, progresivamente emerge a la luz, [...] hasta formar, si no una escuela, una tendencia, -minoritaria-, de la literatura nacional. (RAMA: Raros 30) Bei einigen von ihnen sei, wie Ángel Rama anmerkt, ein gewisser Einfluß der argentinischen Gruppe „Sur" und insbesondere von Jorge Luis Borges zu verspüren, doch gerade Armonía Somers nimmt der uruguayische Literaturkritiker wiederum von definierbaren wirkungsgeschichtlichen Strömungen aus, so daß ihr Werk letztlich quasi als erratischer Block mitten im freien Raum zu stehen scheint: Sobre todos ellos es muy visible la influencia de los argentinos agrupados en Sur, para algunos la influencia omnímoda de Borges, pero muy pocos han seguido fieles a esos comienzos. Quizá quien más tesoneramente representa el espíritu experimental, inconformista, subjetivo, de entonces, sea Armonía Somers, fiel aún a su La mujer desnuda de 1950, y en quien justamente es más difícil desentrañar las influencias literarias. (RAMA: Raros 31) So geht auch die Diskussion darüber, ob Somers' Texte nun eigentlich in die Kategorie „phantastische Literatur" einzuordnen wären, nahezu endlos hin und her. Vor allem dann, wenn das Phantastische durch die Abkehr von jeglichen realistischen Ingredienzien definiert und als rein evasive Literatur angesehen wird, fügen sich speziell die Erzählungen der Uruguayerin nicht exakt ins Schema, da in ihnen Elemente der sozialen Wirklichkeit und hier wiederum das städtische Unterschichtmilieu generell eine große Rolle spielen (z.B. in „El derrumbamiento", „La calle del viento norte", „Muerte por alacrán"). Trotzdem gewinnen diese gesellschaftskritischen Ansätze durch ihre groteske Überzeichnung einen Anflug von Irrealität, der es zuläßt, manche Texte von Armonía Somers durchaus in eine Reihe mit den Surrealisten zu stellen: No se trata de una línea de literatura fantástica que oponer a la realística dominante [...]. Con mayor rigor habría que hablar de una literatura imaginativa. Desprendiéndose de las leyes de la causalidad, trata de enriquecerse con ingredientes insólitos emparentados con las formas oníricas, opera con provocativa libertad [...] lo que vincula esta corriente con el superrealismo... (RAMA: Raros 30f.) Jegliche Interpretation, die den Intentionen der Autorin voll gerecht wird, muß also beide Pole - das Imaginative und das Naturalistische - im Auge behalten und die Balance zwischen ihnen herstellen, weil sonst eine Dimension der Aussage unweigerlich verlorenginge: El desdoblamiento estético aludido es un punto de vista básico para juzgar la narrativa de Armonía Somers. Juzgada como meramente realista su obra carecería de consistencia y sería suspecta de falsedad; juzgada como literatura meramente fantástica, aparecería como demasiado estorbada por la intensidad de los ingredientes realistas. Es necesario, por consiguiente, para que el juicio y la penetración en su obra sean exactos, tener en cuenta su rigurosa y armónica fusión de esos dos niveles creativos. (VISCA: Nueva antología 261) Der Horror, der regelmäßig von Somers' schaurig-absurden Geschichten ausgeht, kann also nicht Selbstzweck eines 'Gruselerlebnisses' bei der Lektüre sein, sondern

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das makabre Element ist sozusagen die Grundsubstanz, auf der ihre Weltsicht aufbaut, in philosophischer und metaphysischer Hinsicht: Estamos en los umbrales de lo fantástico. Pero de allí no se pasa. En Armonia Somers, lo que alguna vez Alberto Zum Felde llamó acertadamente „crudeza sociológica", no se compagina del todo con la fundamental función lúdica de lo fantástico. Los relatos de Armonia Somers no apuntan hacia un terror gratuito del que todos sabemos de antemano que vamos a salir ilesos recién terminada la lectura. (ANDREU: Vorwort zu Tríptico Darwiniano, zit. in RELA: 126) Nicht ganz zu Unrecht hat man die Autorin deshalb auch mehrfach in die Nähe des Existentialismus gebracht: En 1953 la autora publica El derrumbamiento, colección de extraños cuentos donde no sería difícil descubrir la impronta del existencialismo. (PAGANINI et al.: 78) ...en escritores como Armonía Somers la filosofía siempre va después y será una filosofía de desesperación, un existencialismo que se compadece de sus criaturas porque compadece a la humanidad, a su propia humanidad. (GARCÍA REY: 104) Obwohl von Armonía Somers meines Wissens keinerlei explizite Aussagen zu politischen Themen vorliegen, kann doch gerade dieser narrativen Haltung eine gewisse Subversivität nicht abgesprochen werden, wobei ihre Auflehnung gegen die Diktate bürgerlich-verlogener Sexualmoral vielleicht am ehesten eine Konstante in ihrem Gesamtwerk bilden, am ausgeprägtesten eben in La mujer desnuda und El derrumbamiento: La vuelta hacia la materialidad misma del lenguaje no implica una despreocupación total del mundo exterior. Por lo contrario, esta narrativa tiene un fuerte valor subversivo al compartir con lo fantástico un proceso metonímico y no metafórico. La metáfora se convierte en metamorfosis, o como bien indica Jackson, las construcciones metafóricas son asumidas literalmente. (OLIVERA-WILLIAMS: 164) Doch gerade im letztgenannten Erzählband spielt auch die implizite Anklage gegen ein repressives Polizeisystem, speziell in der Titelgeschichte, eine große Rolle: 16 Si mucho de este relato apunta a la trascendencia, también hay en él referencias al orden social y a las taras de un sistema explotador y policivo. (ARAÚJO: El derrumbamiento 76) Roberto De Espada versucht die diffizile Gratwanderung zwischen „Literatur mit oder ohne Botschaft" folgendermaßen zu absolvieren: ¿Una literatura sin mensaje? [...] La literatura de A.S. - desafortunadamente para estos tiempos que corren - no es una literatura comprometida social o políticamente, es sí una

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Mich persönlich erinnert die Haltung des impliziten Autors darin ein wenig an das 'anarchistische' Gehabe von Don Lope in Galdós' Tristana, wo es heißt: „Con tales ideas, a don Lope le resultaban muy simpáticos los contrabandistas y matuteros, y si hubiera podido habría salido a su defensa en un aprieto grave. Detestaba a la Policía encubierta o uniformada, y cubría de baldón a los carabineros y vigilantes de Consumos, así como a los pasmarotes que llaman de Orden Público, y que, a su parecer, jamás protegen al débil contra el fuerte." (14)

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literatura comprometida moral y existencialmente con el hombre mismo. (DE ESPADA: 65) Für die kolumbianische Kritikerin Helena Araújo hingegen steht außer Zweifel, daß Armonía Somers durch ihre schonungslose Karikatur sexistischer Normen und patriarchalischer Gewaltverhältnisse als Vertreterin der feministischen Avantgarde in Lateinamerika anzusehen sei, wofür sie wiederum exemplarisch die Erzählung „El derrumbamiento" heranzieht, in der die weibliche jouissance (lange vor den Schriften der französischen Theoretikerinnen) eine Hauptrolle spiele: Así, al reivindicar la caricia, reconociéndola como clave de lubricidad y placer, Armonía Somers se anticipa a las vanguardias feministas. Y con respecto a América Latina, descarta de una vez por todas los ingredientes de dominación y de violencia con que se ha confundido la virilidad durante siglos, sirviendo de sustento al machismo. (ARAÚJO: El derrumbamiento 81) Auch die Autorin des Vorworts der 4. Auflage von La mujer desnuda (1990) reklamiert Armonía Somers für die écriture féminine17 und betont die Vorreiterrolle der Uruguayerin, durchaus in internationalem Maßstab: Quizás hacía falta que pasaran los años para que esta novela fuera comprendida; pues resulta ser una manifestación „avant la lettre" de lo que hoy se llama „escritura femenina". Quizás era necesario, para comprenderla, la incorporación de una reflexión sobre la problemática de la mujer, y una reivindicación de la „diferencia" - y no ya de la igualdad coincidiendo en esto con las posturas de las feministas francesas contemporáneas. (RODRÍGUEZ-VILLAMIL: Prólogo 8) Nahezu zeitgleich mit Simone de Beauvoirs feministischem Manifest und mit Batailles fiktionalen und theoretischen Schriften (jedenfalls lange vor deren massenweiser Rezeption im Ausland) mixt Armonía Somers in ihrem Erstlingswerk 1950 einen unverwechselbaren Cocktail aus den Hauptingredienzien Erotik und Todesmystik, der manche Leserinnen berauscht, aber auch vielfach einen bittersüßen Nachgeschmack hinterläßt:

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Interessant ist dabei, daß Armonía Somers paradoxerweise, gerade von männlichen Literaturkritikern, wiederum häufig 'männliche' Charakteristika bescheinigt werden, die durchaus als Kompliment intendiert sein mögen, jedenfalls aber darauf zurückzufuhren sind, daß man damals die Bezeichnung 'weiblicher Stil' als pejorativ auffaßte, im Sinne von lyrischer Verwaschenheit, Nähe zum Kitsch, Unfähigkeit zu klaren formalen Strukturen oder fehlender Originalität: „En otros cuentos representativos de la autora, [...] puede asombrar el mantenido tono masculino del relato [...]. Al pretender otorgar esta característica a la literatura de A. S. aludo, entiéndase bien, al 'sexo' del producto literario, atendiendo a su particular fuerza expresiva, a su impostación literaria [...]. Hay pues un consciente desfazamiento entre la cualidad femenina del creador y su literatura de características netamente masculinas." (DE ESPADA: 63) Armonía Somers selbst erklärt sich diese Einstufung folgendermaßen: „EPG: Why do they characterize your work as masculine?/ AS: Because they say it has certain strength, a virility, y valor that a woman usually doesn't express due to ancestral prejudices which are of no consequence to me." (PICON GARFIELD: Women's Voices 47f.)

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Armonía Somers El escándalo provocado en 1950 por La mujer desnuda fue en gran parte causado por lo que hoy podríamos definir como uno de los primeros manifiestos feministas, en el sentido ideológico que dicho término ha tomado en esta segunda mitad del siglo. La narración denuncia, en términos narrativos algo dramáticos, ya que no discursivos, los fundamentos sexistas de la organización social y de las relaciones interpersonales. El mismo año 18 en que Simone de Beauvoir publicara La deuxième sexe. (PERERA SAN MARTÍN: 28)

Wesensbestimmend für Somers' Werk ist die Kombination Sexualität/Metaphysik, was für das Gros ihrer Zeitgenossinnen zweifellos skandalös und abartig wirkte, aber durchaus auf der Linie gewisser avantgardistischer Minoritäten lag: Pero sobre todo en su primera época, el elemento provocativo fue la dominante de la escuela: escenas mórbidas, gusto por lo macabro, erotismo ritual emparentado a la religión,... (RAMA: Raros 31) ...en pocas obras de nuestra literatura como en ésta y a pesar de su enfurecida violencia corporal, su suciedad, su desconsuelo, es más perceptible una auténtica experiencia metafísica. Su clima propio es el de un tanteo por los campos que están más allá de la física, buscándolos a través de la experiencia corporal más desgarrada... (RAMA: La fascinación 30) Für Armonía Somers aber sollte diese meta-physische Komponente, zusammen mit der immensen Bedeutung des Körperlichen in ihrem Werk, eine Konstante bleiben, die bis zu ihren letzten, posthum veröffentlichten Texten anhält; die Erotik ist bei ihr niemals Selbstzweck, sondern verweist auf die Dimension der existentiellen Freiheit des Individuums: La desolada y desoladora visión de la vida que transparece en el mundo narrativo somersiano no carece, a pesar de su atmósfera sombría, de raíces éticas, metafísicas y hasta religiosas. Ya en 1951, al prologar la segunda edición de La mujer desnuda, Carlos Brandy asevera que el trasfondo metafísico esencial de la novela es el drama de la libertad del ser humano. (VISCA: Un mundo 13f.) El erotismo en los cuentos de Somers no es sólo somático sino también semántico, un erotismo de la palabra, una extravagancia verbal que intenta llenar el vacío con el lenguaje metafórico. (PICON GARFIELD: La metaforización 185) Sie selbst distanziert sich gleichermaßen von der kommerziellen Pornographie wie von scheinheiliger bürgerlicher Doppelmoral; ihr Verständnis von Eros als lebensbejahender Kraft beinhaltet ein Konzept von Reinheit, das kaum in Einklang gebracht werden kann mit den massiven Vorwürfen von Perversion oder Erotomanie, die man ihr speziell in den ersten Jahren nach Erscheinen von La mujer desnuda entgegengebracht hat, womit sie ernsthaft Gefahr lief, in einer Weise als „obszön" abgestempelt zu werden, die ihr keineswegs gerecht würde; im Gegenteil: Ähnlich wie wesentlich später - bei Elfriede Jelinek in Österreich ist es stets eines der Hauptan-

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Dies ist natürlich zu relativieren, da Le deuxième sexe bekanntlich bereits 1949 erschienen ist; trotzdem scheint es mehr als unwahrscheinlich, daß Armonia Somers es vor der Abfassung von La mujer desnuda gelesen haben sollte...

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liegen von Armonía Somers gewesen, die gesellschaftlich real vorhandene Obszönität schonungslos aufzuzeigen: ...en mi fuero íntimo suelo tildar de sospechables tanto a los manipuladores efectistas del erotismo popular - cine y revistas grotescamente eróticos - como a aquéllos que se prevalecen de la ética para objetar lo que ellos mismos practican a puerta cerrada o a ojos vistas. (SOMERS: Carta 1157) ...el sexo se degrada en el regodeo a que es sometido por la pornografía, y también en el escenario de la literatura vulgarmente descriptiva como fin en sí. Pero que puede dignificarse en un tratamiento de fidelidad al Eros propiamente dicho, el que nunca estuvo detrás de una palabra peyorativa, sino de un símbolo universalmente consagrado como químicamente puro en cuanto al amor. (SOMERS, zit. in CAMPODÓNICO: Derrumbamiento 50) Aufmerksame Beobachter wie Roberto De Espada vermerken denn auch, scheinbar paradoxerweise, einen Hang zum Asketischen in Armonía Somers' Texten, der durchaus in Einklang gebracht werden kann mit dieser erotischen Grundschwingung: Así, un literatura aparentemente inmoral, escandalosa o escabrosa [...] se convierte, por obra y gracia de sus cualidades de economía, de austeridad, por su manera poco acogedora de presentarse y hasta por las eventuales arbitrariedades sintácticas, en una literatura excepcionalmente moral y ascética. (DE ESPADA: 64) Hier spricht er ein weiteres Element an, das für den unverwechselbaren Stil der Uruguayerin kennzeichnend ist: die immer wieder betonte „Schwierigkeit" des Zugangs zu ihren Texten, die keinesfalls leicht konsumierbar sind, sondern die Leserinnen ständig von neuem vor den Kopf stoßen mit einer Schroffheit, die sich sowohl im syntaktischen und semantischen Bereich an der Textoberfläche manifestiert als auch in scheinbaren Irregularitäten der formalen (Tiefen-) Struktur ihrer Erzählungen und Romane. Nichts in ihnen scheint logisch, leicht faßbar oder 'ameno' zu sein; wer durch die Somerssche Erzähllandschaft wandern will, muß sich mit abrupten Steigungen, Abgründen, 'ungemähten Wiesen' und offenbar absichtlich eingebauten Stolpersteinen abfinden bzw. möglichst sogar Gefallen daran finden, diese Hindernisse zu überklettern und scheinbar als 'Intelligenztest' zusätzlich eingestreute Rätsel zu entziffern. Armonía Somers scheint eine diebische Freude daran zu haben, ihr Publikum 'auf die Probe zu stellen'; nur wer diese Initiation unbeschadet übersteht, wird von ihr in den Kreis der Eingeweihten aufgenommen: Para mí, la obra en su conjunto o en unidades contiene un cierto arcano, que implica un desafío para el lector. Siempre digo que hay un perfume encerrado en el libro que se lanza y que es necesario abrir el frasco para descubrirlo. [...] la obra literaria de quien dice llamarse Armonía Somers desde hace treinta y pico de años, no es para leer en el ómnibus o a la salida sobreexcitada del Estadio. Más bien tira a ser un ejercicio para el encuentro un poco difícil. Yo nunca tuve una clase media entre mis lectores. Desde mi primer libro estuve en los extremos: sí o no. [...] Me gusta provocar la inteligencia de los demás, pero no por coqueteo en el juego sino porque un escritor no puede abrirse completamente como una flor, que al final termina con los pétalos en el suelo. Es precisamente en lo reservado, en lo no dicho, donde están las nutrientes de lo que vendrá. (SOMERS, in MIGDAL: 4)

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Doch selbst ein professioneller Leser (und Schreiber) wie Mario Benedetti bekennt seine Schwierigkeiten, das scheinbare Chaos (das in Wirklichkeit wohl ein bewußt nicht nach klassischen Mustern angelegtes Labyrinth darstellt) zu durchdringen: Por una parte, Somers se mostraba como una artista cabal, poseedora del difícil don de contar; por otro, la estructura de los cuentos era a veces tan débil y confusa que su sentido esencial se desdibujaba; el caos, el delirio de temas y personajes, llegaban a afectar el estilo y a quitarle al lector los asideros mínimos de la atención. (BENEDETTI: Carácter obsceno 206) Ángel Rama versucht den Gründen für die Unzugänglichkeit des Somersschen Stils nachzugehen und findet sie teilweise in der Oralität des Diskurses, andererseits in der Unvorhersehbarkeit origineller Metaphern und Formulierungen: Su estilo sigue teniendo formulaciones sintácticas inexplicables, que muchas veces obligan a detenerse, a repetir las frases, a buscarles el sentido que el autor quiso darles, a decirlas en voz alta para que se integren en una unidad de sentido ya que muchas veces se trata de un lenguaje hablado, no escrito, un lenguaje liso, seco, atravesado por audaces comparaciones, por formulaciones originales que llamean con su impronta deslumbrante. (RAMA: La fascinación 30) Perera San Martín analysiert speziell die Syntax, die von einigen Kritikern 1 9 zunächst schlicht und einfach als „defizient" kritisiert worden war: En efecto, la frase de Somers es breve y compulsiva. Ejemplo de ello son la alta frecuencia de imperativos o de perífrasis verbales equivalentes, el carácter rotundo de la puntuación, o la parquedad de los diálogos, que Somers prefiere a menudo verter en estilo indirecto libre... (PERERA SAN MARTÍN: 31) Die scheinbare Ungeschliffenheit der Ausdrucksweise scheint aber nicht nur von der Autorin bewußt so intendiert zu sein, sie erweist sich auch als starkes - notwendiges? - Gegengewicht zu den Verlockungen des erotisch gefärbten Inhalts, die zu einer rein konsumierenden und im schlechten Sinne des Wortes genießenden Lektüre führen könnten: Si se la lee atentamente [...] se encuentra el lector con un verdadero obstáculo: su estilo. Desafiando las reglas de la sintaxis y a veces hasta de la lógica, [•••] A.S. logra mediante esa piedra a superar, neutralizar el primitivo engolosinamiento del lector, engolosinamiento por vía de lo equívoco. (DE ESPADA: 64) Die Autorin selbst versteht das ihr an den Kopf geworfene Signet von der „literatura despeinada" nicht nur als Kompliment, sie macht indirekt aus ihrer Identifikation mit diesem Prädikat auch einen Bestandteil ihrer Weltanschauung, die sie allzu 'auffrisierte', geschniegelte Bürgerlichkeit verachten läßt:

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So z.B. Emir Rodríguez Monegal, der über La mujer desnuda und El derrumbamiento schreibt: „encaran con extraordinaria crudeza temas sexuales, perversiones, delirios, y lo hacen con un lenguaje irregular, desordenado y muchas veces simplemente torpe. [...] No creo que Armonía Somers sea un gran escritor ; creo eso sí que es una voz auténtica" (RODRÍGUEZ MONEGAL 1966, zit. in RISSO: 264f.).

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...me dijeron muchas veces, y principalmente en mis comienzos [...], que se detectaba en mi literatura un clima de lucha con las palabras, y hasta me endilgaron lo que nunca tomé como ofensa, sino más bien como un anticipo „pop" de elogio, aquello de literatura despeinada. Debo aclarar que por razones especiales conozco muy bien las reglas de la sintaxis y por lo tanto me puedo tomar la licencia de violarla. (SOMERS, in CAMPODÓNICO: Homenaje 56) ¿Corrige mucho sus obras? Se ajusta a un método concreto en el acto creativo? En general, [...], sí, corrijo, pero no me extralimito, porque la literatura y la gente muy peinadas no son mi tipo. (FRESSIA/GARCÍA REY: 27) Insgesamt ist die Komplexität und Schwierigkeit des Zugangs zu Armonía Somers' Werk schon zu einem gängigen Gemeinplatz geworden: Con una escritura difícil, intrincada, sinuosa, Somers exige un lector que entienda, que no se distraiga, que acepte el desafío de la comprensión. (BLIXEN: 4; vgl. auch GARCÍA REY: 101) Dementsprechend klein ist natürlich auch ihre potentielle Lesergemeinde: „A.S. sigue siendo devoción de unos pocos", schreibt DE ESPADA (66), und über das Schicksal von La mujer desnuda heißt es: „La novela, densa y difícil, no accedió al gran público." (VISCA: Nueva antología: 260). Bis vor kurzem waren Somers' Bücher auch kaum im Buchhandel erhältlich, kritische Analysen ihres Werkes Mangelware: ...Armonía Somers, descubierta prácticamente por Angel Rama, quien la lanzó al mundo con un artículo critico aparecido en el semanario Marcha, [ha] sido hasta ahora una escritora relativamente poco conocida por el gran público, comentada fragmentariamente e inencontrable en librerías. (RODRÍGUEZ-VILLAMIL: Prólogo 3) Ähnlich wie so viele andere bedeutende Autorinnen Lateinamerikas hat Armonía Somers daher natürlich auch nicht Eingang in die massenhafte Rezeption des „neuen lateinamerikanischen Romans" gefunden, wofür sie sich teilweise selbst die Schuld gibt, weil sie den damit verbundenen Werbekampagnen und generell der Vermarktung der Literatur mehr als skeptisch gegenübersteht: Algún día tendrá que escribirse en este país la otra historia del boom, la de aquellos grandes narradores también capitales para el enriquecimiento de la lengua literaria en castellano como Saer o Armonía Somers, por citar otro olvido escandaloso. (A Y ALA, zit. in RISSO: 280) ¿A qué cree que se deba la escasa o, por lo menos, injusta difusión de su obra? No puedo considerarlo así totalmente. Quizás el limitado ámbito de las ediciones nacionales haya contribuido a reducir la difusión, y también mi propia modalidad reacia a todo lo que signifique el „boom" promocionado. Pero pese a ello he tenido noticias de traducciones en Francia, Alemania, Estados Unidos, así como de reproducciones en revistas de hispanoamérica . (FRESSIA/GARCÍA REY: 23) Trotzdem steht es außer Zweifel, daß Armonía Somers zu den sine quibus non der uruguayischen Literatur des letzten halben Jahrhunderts gehört; ihr Name wird in einem Atemzug genannt mit Quiroga, Onetti sowie - außerhalb ihres Heimatlandes Vargas Llosa, García Márquez und Cabrera Infante:

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Hablar de Armonía Somers es hablar de una de las narradoras más importantes que ha dado nuestra literatura. Sus cuentos, junto a los de Quiroga, Espinóla, Felisberto Hernández, Arregui y Juan Carlos Onetti, ejercen el más alto y seguro magisterio de este género en la historia de nuestras letras... (CASTRO VEGA, zit. in RISSO: 275f.) ...Armonía Somers es quizá la última de „los malditos" rioplatenses: un personaje desconcertante para alternar con los Vargas Llosa, los García Márquez o los Cabrera Infante; (COUSTE: 52) P E R E R A SAN M A R T Í N nennt ihr Werk gar „una de las obras mayores del continente" (18), während sich Mario Benedetti veranlaßt fühlt, die Grenzen der Literatur zu überschreiten; er stellt Somers' Werk in eine Linie mit den Filmen von Ingmar Bergman: Si fuera obligatorio invocar algún nombre para señalar una afinidad con los extraños cuentos de La calle del viento norte, habría que salir de la literatura y acordarse de Ingmar Bergman; (BENEDETTI: Carácter obsceno 207) Obwohl also von Einflüssen im engeren Sinn kaum gesprochen werden kann, werden doch immer wieder 'Seelenverwandtschaften', insbesondere zu Kafka oder Gogol angedeutet: Es precisamente la descripción realista del mundo en que se mueve Rebeca lo que asocia esta novela con „La Nariz" de Gogol o La metamorfosis de Kafka. (OLIVERAWILLIAMS: 169) Für die Affinität zu Kafka spricht insbesondere ein Element, das man fast als Markenzeichen der Uruguayerin ansehen könnte, nämlich ihr Hang zum Makabren, Nekrophilen, Unheimlichen, und ihr Faible fürs Dämonische, Unerklärbare, Rätselhafte: ...la autora construye una áspera, amarga y por momentos quizás macabra y cruel imagen de la vida. Esta imagen conjuga sexo, frustración, soledad, incomunicación, angustia, terror y, a veces, el aleteo, en los personajes, del ansia de evadirse del peso de una agobiadora terrenalidad. (VISCA: Nueva antología 261) W e n n in diesem Zusammenhang von schwarzem Humor die Rede ist, dann mag etwa im Unterschied zu der noch später zu besprechenden Haltung von Luisa Valenzuela - klargestellt werden, daß bei Somers die Betonung stets auf „schwarz" liegen wird und das Humoristische allenfalls in homöopathischen Dosen nachzuweisen ist: ...el humor se parece más a una revancha que a un acto de esparcimiento; el humor no es juego, sino denuncia y grito y, por ello, las más de las veces se convierte en humor negro. (GARCÍA REY: 103) Sie selbst beschreibt ihren Schaffensprozeß wiederholt als „Inbesitznahme" durch die Kräfte des Bösen, die sie allerorten registriert und denen sich ihre Sensibilität nicht entziehen kann: ...yo me siento a escribir [...] empiezo mansamente a manejar mis datos primarios, y todo parece deslizarse sin sustos para nadie, ni siquiera para mí. De repente, por lo general en los finales, salta el resorte provocativo, una especie de posesión diabólica, y ya no puedo escribir para los santos, sino para los torturados hombres. (SOMERS, in CAMPODÓNICO: Homenaje 58)

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Dabei stellt sie klar, daß es ihr nicht um eine Faszination des Horrors um des Horrors willen geht, erst recht nicht um eine perverse Veranlagung, wie es ihr häufig unterstellt wurde, sondern daß sie, wenn sie etwa wiederholte Male Vergewaltigungen zum Motiv in ihren Texten macht, lediglich das wiedergibt, was in der Gesellschaft an Gewalt vorhanden ist: La violación: si me atrae el tema No me atrae, lo rechazo con repugnancia y rebeldía como a todo lo que sea abuso de la fuerza ante la inferioridad física, el niño y la mujer. Pero lo frecuento porque existe y se impone muchas veces a la necesidad creativa. (SOMERS: Carta 1159) Toda su concepción de lo demoníaco, de la horrible atracción de lo abyecto, de las misteriosas segregaciones del Mal, parecen apuntar a una más oscura y profunda convicción: el carácter obsceno del mundo todo. (BENEDEl'l l: Carácter obsceno 207) Sozusagen als 'Substrat' ihrer metaphysischen Unruhe machen sich immer wieder ihre christlichen Wurzeln bemerkbar, wobei aber eben vor allem die Schattenseiten, das Satanische, Obskure beleuchtet werden: Si admitiéramos la cosmovisión cristiana en su estructura más tradicional, racional, esclerosada - cosa imposible en esa literatura misteriosa y contradictoria - tendríamos que reconocer entonces que aquí triunfa un oscuro demonismo, como no se ha visto en nuestra literatura. (RAMA: La fascinación 30) Schreiben wird so für die Autorin zu einer Art Exorzismus (vgl. GARCÍA REY: 102). Die Bibel (von ihr verstanden als Ansammlung literarischer Motive und Reservoir von Horrorgeschichten) dient Armonía Somers in dieser Hinsicht als Fundgrube und Inspirationsquelle für viele ihrer Texte: EPG: In La mujer desnuda and Un retrato para Dickens [...] the bible seems to serve as a structural base for the stories. AS: I consider the bible to be the greatest novel ever written, a serialized novel. In it there is poetry, drama, inconceivable massacres that today we call terrorism; (PICON GARFIELD: Women's Voices 41) Dieser Hang zur intertextuellen Integration kultureller Folien und zur Dialogizität macht Armonía Somers wiederum zur Vorreiterin einer postmodernen Einstellung, die damals jedenfalls noch nicht unter diesem Etikett kursierte und die Perera San Martin im folgenden Zitat mißverständlicherweise als „Modernität" apostrophiert: ...el texto entreteje una pluralidad de voces, cuyo discurso dialógico apunta no sólo a la representación de la construcción tentativa del universo narrado, a la mostración del carácter conjetural de la narración, sino también al descubrimiento de lo otro, que el discurso unívoco oculta o escamotea. [...] Pero no olvidemos que el dialoguismo apunta ya de manera acusada en La mujer desnuda, y que ambos procedimientos, dialoguismo y canibalización de otros textos (Biblia, recetas de cocina) integran el núcleo central del proyecto narrativo de Un retrato para Dickens. Resulta obvio señalar que tales características constituyen uno de los rasgos más salientes de la modernidad del arte narrativo de Somers. (PERERA SAN MARTÍN: 32f.) Und weil hier die „Kannibalisierung" fremder Texte angesprochen wird, möchte ich ein Thema nicht unerwähnt lassen, das einerseits neben dem Tod und der Sexualität

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eine gewichtige Rolle in Somers' Werk einnimmt, andererseits als Exempel für ihren auf das Körperliche ausgerichteten Materialismus gelten kann: die hohe Bedeutung der Oralität. Die Autorin selbst erzählt: Yo acabo de agregar dos páginas a una novela porque en la última corrección me di cuenta de que en la casa donde se desarrollaba la acción consecutivamente no se comía. Era una estancia y la gente trabajaba, dormía, bailaba, se moría, pero no había ninguna mención de cómo se generaban las energías vitales para todo eso. Introduje entonces un almuerzo en el circunspecto comedor presidido por cierta dictatorial capataza, desde luego que un guiso de carnero, y hasta el ruido de los cubieros me fue útil. (CAMPODÓNICO: Homenaje 55) Ihr Schreiben manifestiert sich als viszerales Tun, das laut ihrer eigenen Aussage nicht dem Kopf entspringt, sondern den Eingeweiden: Pero algo puedo decir todavía con absoluta propiedad: si no escribo con las entrañas en la mano, dejo para otra ocasión el operativo. No puedo creer en superficies. (SOMERS, in MIGDAL: 5) En esta narrativa lo que no se encuentra es la concesión; ella se genera en un territorio donde no hay contemplaciones posibles porque es el territorio de lo visceral y auténtico. (GARCÍA REY: 102) Insofern kann vielleicht gerade die Anfangssequenz von La mujer desnuda als Transkription dessen gedeutet werden, was sich in der angehenden Autorin als fundamentaler Mutationsprozeß abgespielt haben muß: die Transformation vom Kopfmensch zum 'Bauchmensch', die Dekapitation der westlich orientierten, kopflastigen Kultur und der vergebliche Versuch einer Rückführung auf ihre atavistischen Wurzeln...

1.2.3. La mujer desnuda (1950): Be-fremdliches zwischen Utopie und phantastischer Literatur Die Genese des Erstlingsromans von Armonía Somers scheint tatsächlich von jener Passage ausgegangen zu sein, die von den meisten Interpreten als Schlüsselszene des Werks identifiziert wird: der fiktiven Selbstenthauptung der Protagonistin Rebeca Linke kurz nach ihrem 30. Geburtstag. Abgesehen davon, daß die Autorin zur Zeit der Niederschrift etwa im gleichen Alter gewesen sein dürfte, nennt sie selbst einen Traum als auslösendes Moment ihrer Inspiration: La mujer desnuda was my first novel; it emerged from within like a kind of lava that lay dormant in me due to fear or bias because I was involved in other pursuits. La mujer desnuda was born in a dream. One night I dreamt that I severed my head from my body and placed it on a tray, and then like Salomé, I walked around the room holding it, but without losing the ability to think. My head continued to function until, all of a sudden, I put it back on and realized that I was no longer going to be the same for that decapitation had left me with a new sense of independence. [...] Then the novel began to write itself. (SOMERS, in PICON GARFIELD: Women's Voices 37)

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Die traumhafte Atmosphäre, aus der dieser erste dichte allegorische Knoten hervorging, sollte auch in den übrigen Teilen des irritierenden Textes erhalten bleiben, den Olivera-Williams deshalb in die Richtung der „literatura imaginaria" einordnet: Desde 1950, fecha de la publicación de la primera novela de Armonía Somers, La mujer desnuda, su obra de ficción se inserta en el género que yo llamo „narrativa imaginaria." [...] se clasifica de imaginaria una narración si lo extraño o sobrenatural, el evento irracional es tratado como parte del mundo literario, el que obedece una lógica onírica que no corresponde a lo real. (OLIVERA-WILLIAMS: 159f.)

Armonía Somers selbst fühlte sich nach eigenen Angaben erleichtert und befreit, nachdem sie die Geschichte der „nackten Frau" in fieberhafter Schnelligkeit zu Papier gebracht hatte: As I wrote that novel, I feit very liberated even though the first draft had many structural defects because I wrote it in about a month and a half. (PICON GARFIELD: Women's Voices 37)

Dennoch spürte sie instinktiv, daß sie mit ihrer individuellen Auflehnung gegen die engen Schranken sexueller Unterdrückung der Frau ihrer Zeit voraus war und erbitterten Widerstand, zumindest aber gänzliches Unverständnis von Seiten der biederen montevideanischen Bevölkerung zu erwarten hatte; in weiser Voraussicht wählte sie daher ein Pseudonym, um nicht gänzlich ungeschützt ins Rampenlicht der auch tatsächlich sofort einsetzenden Empörung treten zu müssen. Der ungewöhnlich freizügige Roman mit einer nackten Frau als Titelgestalt mußte zur damaligen Zeit als Provokation wirken; an ihm schieden sich sofort die Geister: Cuando en 1950, ya hace cuarenta años, la revista Clima publicó, en su entrega número 23, La mujer desnuda, novela inicial de Armonía Somers, se produjo en algunos medios literarios montevideanos, una pequeña borrasca. Hubo quienes denostaron la novela en forma inusitadamente violenta, y hubo, al contrario, quienes la exaltaron con un fervor sin concesiones. (VISCA: Un mundo 11)

Vor allem war es auch in intellektuellen Kreisen des Landes so gut wie unvorstellbar, daß eine Frau - wie das Pseudonym suggerierte - derart über den Schatten verbaler 'Wohlerzogenheit' gesprungen sein sollte und die 'unaussprechlichen' Dinge fast unverblümt bei ihrem Namen nannte. Deshalb begannen sich die wildesten Theorien darüber zu entspinnen, wer denn der wirkliche Autor des Werkes sein könnte, denn daß es keiner 'weiblichen Feder' entsprungen sein konnte, darüber herrschte nahezu Einmütigkeit: Incapaces de percibir la profunda originalidad de una obra cuya calidad -justo es reconocerlo- hacía difícil concebirla como primigenia, comentaristas y críticos barajaron nombres de escritores más o menos conocidos, hombres, por lo general. Porque, incapaces de creer que una mujer manifestara tal rigor narrativo, tal violencia en el mundo representado, tal osadía de lenguaje al llamar a las cosas casi por su nombre, varios críticos peroraron sobre el carácter masculino del estilo. (PERERA SAN MARTIN:

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So begann die Legenden- und Mythenbildung um La mujer desnuda, das verschiedenen bekannten Autoren der damaligen Epoche zugeschrieben wurde; es war die

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Rede davon, ein geheimnisvoller Erotomane habe das Manuskript in der Nationalbibliothek deponiert bzw. es sei das kollektive Werk einer Avantgardegruppe oder Ausgeburt einer gespaltenen Persönlichkeit: Una leyenda que empezó en 1950, cuando para el escándalo del Montevideo pacato apareció „La mujer desnuda", novela que le fuera atribuida, en virtud del seudónimo utilizado por la autora, tanto a un conocido hombre de la época como a una supuesta mujer de doble personalidad, como a un grupo experimental, etc. (CAMPODÓNICO: Homenaje 45) Su primera novela „La mujer desnuda", fue adjudicada a Carlos Brandy, Taco Larreta y a un ignoto eretómano que habría depositado anónimamente los manuscritos en la Biblioteca Nacional. (DE ESPADA: 63) Zu unerhört war die Schreibweise dieser Autorin, die sich entgegen aller Konventionen kein Blatt vor den Mund nahm, die ihren Phantasien und der Stimme des Begehrens - eines weiblichen Begehrens - 'un-verschämt' freien Lauf ließ. Heute kann der Schock, den das Werk unter den Zeitgenossinnen auslöste, vielleicht nicht mehr uneingeschränkt nach vollzogen werden; allzu dick aufgetragen mag uns die romantische Aura anmuten, welche die unbekümmert im Evaskostüm durch die idyllische Landschaft wandelnde Rebeca Linke umgibt, nicht mehr zeitgemäß der Lyrismus, der allenthalben dem Text entströmt. Dennoch steht außer Zweifel, daß La mujer desnuda ein bahnbrechendes Werk war, das die literarischen Konventionen auf den Kopf stellte, bzw., um genauer zu sein, die Vorherrschaft des Kopfes, des Rationalen, in der Literatur in Zweifel zog: Al decir de Fernando Aínsa, con esta novela el nombre de Armonía Somers „saltó del anonimato a una polémica arrastrada hasta nuestros días: un escándalo literario, un modo insospechado de narrar en el apacible Uruguay del 50, las bocanadas de desprejuicio y la lírica sinceridad de una mujer que al escribir se despojaba de una tradición de pacatería naturalista. Es evidente -agrega- que la historia de Rebeca Linke puede parecer hoy grandilocuente, falsificada en sus tonos elegiacos. Sin embargo, sigue siendo un texto de ruptura, una arriesgada aventura de satanismo y destrucción." (H.M.: Diccionario 210) Irritierend war nicht nur die 'Amoralität' des Diskurses, die Freizügigkeit der erotischen Szenen, sondern intuitiv spürte das Publikum, daß unter dieser Oberfläche eine noch tiefere subversive Strömung lauerte, die imstande war, die Grundfesten bürgerlicher Moral zu untergraben: La temática del deseo y el sexo como castigo se consideraba para la época demasiado audaz y según los lectores provincianos y mojigatos, esta novela era peligrosamente inmoral. [...] Leer a La mujer desnuda es adentrarse a un espacio narrativo motivado por un lenguaje altamente lírico, subversivo y polisémico. (AGOSIN: 586) Paradigmatisch dafür etwa die Szene, in der die „mujer desnuda" einen bloß für stumpfen Arbeitseifer konditionierten Holzfäller, ein wahres Arbeitstier, mit ihrem Duft erregt, ihm zeigt, daß es jenseits des Alltagstrotts, jenseits des Funktionierens in ausgefahrenen Geleisen, auch noch die Sehnsucht, das Verführerische, das Nicht-

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Zweckgerichtete gibt (22-27 20 ), oder auch ihre Erscheinung im Schlafzimmer des Dorfpfarrers, der daraufhin aus seiner Lethargie erwacht und ebenfalls „seinen Kopf verliert" (47-49). Angesteckt vom verführerischen Duft dieses ungewöhnlichen Textes wurden jedenfalls auch einige einflußreiche Fans in Montevideo, denn nachdem der erste Abdruck von La mujer desnuda in der Zeitschrift Clima (die überdies keine allzu große Reichweite hatte) bald vergriffen war, bestürmten deren Herausgeber die Autorin, doch einen Sonderdruck von der vollständigen Fassung anfertigen zu lassen; auch dieser wurde von wohlmeinenden Bewunderern nahezu vollständig aufgekauft und nur an 'Eingeweihte' verteilt, so daß die Mythenbildung rund um dieses an und für sich schon rätselhafte Stück Literatur noch verstärkt wurde: ...pero ellos (directores de la revista Clima) eran tan buenos y estaban tan contentos de haberme descubierto que me dieron hasta los plomos para que hiciera una separata, una edición autónoma en libro. Esta separata fue luego comprada en casi todos sus ejemplares por la Biblioteca Nacional, cuyo director se había enamorado de la novela y se encargó de repartirla por el mundo. Es decir que La Mujer Desnuda, realmente, no se difundió en Montevideo, la revista fue para ciertas élites y la separata fue adquirida por la Biblioteca. De tal manera, la novela siguió siendo un mito, porque se hablaba de ella pero muy pocos la conocían... (SOMERS in COPANI, zit. in RISSO: 255) Erst viele Jahre später, als die Anfeindungen und Verdächtigungen21 längst Geschichte waren, brachte der Verlag Tauro Ediciones eine allgemein zugängliche Ausgabe auf den Markt: In general the novel made its way into the hands of the intellectuals because they were the ones who bought Clima, a magazine dedicated to the arts. The general public didn't read it. The intellectuals formed two groups, those who repudiated the novel [...] and those who felt hypnotized by the novel. [...] But as for the public, there was no opportunity to read that first novel. When Tauro Publishers brought out an edition in 1967,1 had already established myself in literary circles and was no longer criticized cruelly. Later on the 20

Die Seitenangaben entsprechen im folgenden der Ausgabe von 1990 (Montevideo: Area).

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PICON GARFIELD zitiert einige der herabsetzenden Pauschalurteile folgendermaßen: „That first allegorical novel scandalized provincial Montevideo of the 1950s, whose critics condemned her as a 'gifted and pathological erotic', a 'misguided pedagogue,' and a 'cryptomaniac recidivist.' [Raab]" (Women's Voices 33). Auch M. A. Campodónico hat sich einen Spaß daraus gemacht, diverse Epitheta über die Autorin zu sammeln, die damals kursierten: „Opresivo clima pesadillesco y erótico. Arriesgada aventura de satanismo y destrucción. Visión fantasmal y atormentada. Absurdidad de un mundo sin sentido. Demonología de la Nada. Estremecimiento trágico de lo temporal. [...] Extraña. Marginal. Fantasmagórica. Alucinante. Insólita. Desconcertante. Repulsiva. Testimonio casi macabro. Extraordinaria crudeza. Perversiones de lo humano y delirios. Ardimiento de la visión. [...] Inmersa en el asco del mundo. Atmósfera macabra y alucinante. Angustia metafísica. Universo material sordo. Disonante. Experiencia tensa de la crueldad y de la soledad. Instintos devorantes. Espectáculo feroz de descomposición. Código secreto. [...] Franca crudeza sociológica. Carácter obsceno del mundo. Soplo virulento. Demoníaca. Mundo infernal. Fascinación del horror." (CAMPODÓNICO: Derrumbamiento 49f.)

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critics produced fine studies, and I was respected. (SOMERS, in PICON GARFIELD: Women 's Voices 40f.)

Heute wird das Erstlingswerk von Armonía Somers jedenfalls wieder weitgehend rehabilitiert 22 und ihm ein gewichtiger Platz in der lateinamerikanischen Literaturgeschichte eingeräumt, v. a. von feministischen Literaturkritikerinnen wie Marjorie Agosin, die es in den historischen Bezugsrahmen der damals erst schüchtern aufkeimenden Frauenemanzipation stellen (vgl. AGOSIN: 585f.). Bei älteren Rezensenten überwiegt hingegen der Vorwurf der Abgeschmacktheit und rhetorischen Überladenheit; am härtesten geht Alberto Couste (1967) mit der Hauptfigur ins Gericht: En todo caso, Rebeca Linke [...] es una Lady Chatterley cimarrona, preñada de los defectos y virtudes de la literatura rioplatense anterior a los años sesenta: el desenfado para sumergirse de cabeza en el tormento, la vocación por la retórica. (COUSTE: 52)

Selbst auf mögliche Einflüsse durch D. H. Lawrence befragt, meint die Autorin: ,¿Usted cree? El caso es que yo no había leído a Lawrence, y cuando lo leí no me pareció." (zit. in COUSTE: 52). Jorge Ruffinelli situiert sie daher auch mehr in der Nähe eines Erskine Caldwell, vor allem weil es hier wie da nicht nur um individuelle Befreiung gehe, sondern auch um die unterschwellige Sozialsatire auf eine verklemmte Welt der Verdrängungen und (nicht nur sexuellen) Unterdrückung: Más cercana está la literatura „liberada", erótica y sarcàstica al fin de un Erskine Caldwell [...], y como en él, lo importante, lo conflictual, no era sólo la vida de los individuos sino el mundo colectivo, enfermo de rencor y de instintos reprimidos, que estalla al paso de la „mujer desnuda". (RUFFINELLI: 31)

Das Mißverständnis entzündet sich auch gerade daran, daß eine eindeutige Zuordnung dieses in jeder Beziehung hybriden Textes zu einer der damals en vogue befindlichen Strömungen nicht möglich ist: weder 'paßt' La mujer desnuda in die Kategorien des Realismus - dafür ist es viel zu skurril und unwahrscheinlich - noch auch läßt es sich zweifelsfrei unter das Genre des Phantastischen subsumieren - zu deutlich bleibt die symbolische Gesellschaftskritik zwischen den Zeilen des scheinbar poetischen Textes herauszulesen: Tal rigidez impidió, en su momento, captar en su justo valor la indole de una obra como La mujer desnuda, quedando ésta virgen de toda crítica, salvo de aquella que descarta rápidamente al producto molesto, calificándolo de fallido: no era del todo fantástica, ni del todo realista. (RODRÍGUEZ-VILLAMIL: Prólogo 5)

So mehren sich auch die Stimmen, die Somers' Roman in erster Linie als Allegorie interpretieren (z.B. AGOSIN: 586). Darauf angesprochen, erklärt die Autorin selbst:

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Als einen der Gründe dafür nennt die Autorin des Vorwortes zu La mujer desnuda (1990) die Wiederaufwertung des Phantastischen, das zur Zeit der Erstausgabe des Buches um die Jahrhundermitte, am Höhepunkt der sozial engagierten Literatur, als reaktionär verschrieen und verpönt war: „Esta inflexión en la actitud hacia nuestra escritora, responde en primer lugar a una revaloración de lo imaginario, largamente relegado a un segundo término en la apreciación de nuestras letras." (RODRÍGUEZ-VILLAMIL: Prólogo 5)

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EPG: Is there an allegorical intention implied? AS: Yes, possibly. If the intent wasn't there, the allegory was, because at times one doesn't mean to do something but it happens anyway. I truly feel that breaking the chains that bind one and risking one's life is not only Rebecca Linke's drama, we all share in it. It is a holocaust. (PICON GARFIELD: Women's Voices 40) Die Geschichte der jungen Frau, die eines Tages ihr konventionelles Leben in der Stadt verläßt und sich - nach einer ebenfalls allegorischen Eisenbahnfahrt 23 - völlig nackt aufs Land begibt, wo sie erst recht auf die festgefahrenen Strukturen von Bigotterie, Tradition und Machismo stößt, gegen die sie letztlich machtlos und zum Scheitern verurteilt ist, erhebt sich so zur textualen Metapher einer Vision von einer befreiten, vorurteilslosen Gesellschaft, in der nicht nur die Frau ihre erotischen Bedürfnisse erfüllen kann, sondern auch die Männer - bis hin zum Pfarrer - aus den Zwängen puritanischer, auf reines Arbeitsethos gründender Normen ausbrechen können: La aventura de Rebeca Linke, protagonista de la novela, puede ser símbolo del alma femenina que intenta librarse de un status de sumisión, con el riesgo (inevitable) del escándalo o de la locura. (PAGANINI et al.: 78) Rebeca Linke, die sozusagen generisch nicht nur für die Frau schlechthin steht (daher auch ihre vielfältigen Namen: Eva, Judith, Semiramis, Magdala, Gradiva, vgl. La mujer desnuda: 23), sondern auch für den Einbruch des Verbotenen, für das Künstlerische, die Phantasie, das Begehren schlechthin, wird von den Vertreterinnen des Prosaischen, Altgewohnten zum Inbegriff des Anderen gestempelt und damit auch zum Sündenbock gemacht, an dem sich die Rache der im Leben zu kurz Gekommenen vollziehen muß: Su belleza atávica, su imagen de Amazona y Eva libre descrita como una aparición fantasmagórica, hace que los de la aldea se sientan cada vez más menospreciados en sus pudores y en sus ritmos predecibles, convirtiéndola en la „otra", en una prisionera de su propio destino y su anhelo de libertad, como también en el símbolo de la ilegitimidad. (AGOSÍN: 587) La mujer desnuda hat insofern auch Anteil am utopischen Diskurs, obwohl das Bestreben einer Einzelnen (obzwar später verstärkt durch ihren Liebespartner Juan und den von ihr indirekt zu eigenem kreativen Tun angeregten Pfarrer 24 ), die Fundamente des Realitätsprinzips ins Wanken zu bringen und durch ein (fast die Hippie-

23

Zu meiner Verwunderung wird in der Sekundärliteratur zu La mujer desnuda die Symbolik dieser Zugreise kaum angesprochen; am ehesten fällt noch Marjorie Agosin die Bedeutung des Reisens in eine neue Existenz auf: ,La mujer desnuda no sólo es la imagen de lo danzable y libre pero más que nada, el deseo de serlo, la valentía al cambio o la audacia de emprender un viaje hacia lo desconocido y encontrar en éste la muerte, el amor que es la libertad." (AGOSÍN: 589)

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Dieser 'bekehrt' sich von seiner nicht eigenem Entschluß entspringenden, sondern von seiner Mutter als Dank für Genesung von der Tuberkulose gelobten Priesterschaft zu seiner künstlerischen Leidenschaft, der Malerei (vgl. La mujer desnuda: 56ff.)

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Ideologie vorwegnehmendes) blumiges Liebe- und Lustprinzip zu ersetzen, natürlich von vornherein keine Chance hat gegen die vereinten Kräfte der Beharrung: Constatamos que LMD participa, como obra, del género de la Utopía. [...] Por este lado, se emparentaría con la Utopía pastoral, que ubica en un tiempo remoto, pasado o futuro pero ideal, la existencia de una sociedad más justa, o donde se escapa de alguna manera a los defectos de la propia época criticada. [...] Para ser exactos, deberíamos decir que es una „dystopía", como la define Rabkin. 25 (RODRÍGUEZ-VILLAMIL: Prólogo 6f.)

Die grundlegenden Oppositionen, auf denen der ideologische Hintergrund des Werkes basiert, können also kurz umrissen werden mit heidnischer Bukolik VÍ. christliche Askese bzw. vor allem das Frauenbild prägende Selbstaufopferungsmystik (man könnte auch sagen dionysisches vs. apollinisches Prinzip), Freiheit und Kreativität VÍ. Restriktion und Disziplin, heterosexuelle Norm VÍ. bisexuelle oder androgyne Liberalität (vgl. RODRÍGUEZ-VILLAMIL: Prólogo 8f.), im Grunde genommen also Anarchie VÍ. Gesetz (worunter natürlich insbesondere das „Gesetz des Vaters" zu verstehen ist, die patriarchale Grundordnung). Rebeca verkörpert also das gesellschaftlich Unbewußte, das bedrohlich und unvermittelt in seiner Nacktheit plötzlich im Raum steht; sie rebelliert gegen die symbolische Ordnung der westlichen Gesellschaft und muß daher, als störender Fremdkörper, letztlich wieder entfernt werden, um das Weiterfunktionieren des Systems zu gewähren: Así la transformación del ser en su doble lo condena a su desaparición. Pero antes de que esto ocurra la novela pondrá en funcionamiento un mecanismo revolucionario para atacar el orden simbólico, o sea lo aceptado por la cultura como representaciones válidas para las actividades de los individuos, la creación social de la „realidad" por medio de lenguajes. La „mujer desnuda" atacará los tabúes eróticos con los que el orden simbólico limita y sanciona a los individuos. Lo no visto y no oído, ese „otro-yo" de Rebeca Linke se corporiza para enfrentarse al ámbito simbólico dejándole como una herida ardiente la posibilidad de la disolución de lo simbólico. (OLI VER A-WILLIAMS: 168f.)

Konsequenterweise und im Sinne einer Übereinstimmung von Form und Aussage mußte daher die Autorin zu ungewöhnlichen Mitteln greifen, welche die althergebrachten, kanonisch sanktionierten literarischen Verfahren transgredieren; gerade die Form der Allegorie scheint ihr die Möglichkeit gegeben zu haben, auf einen Fundus an archetypischen Mustern 26 zurückzugreifen, die einerseits imstande sind, das gesellschaftlich Unbewußte zutage zu befördern, andererseits aber nicht in den rigiden Strukturen 'männlich'-rational geprägter Literatursprache befangen zu bleiben, also gewissermaßen das Imaginäre, Vorsprachliche mit einfließen zu lassen:

25

RABKIN, E. (1976), The fantastic in Literature. Princeton: Princeton University Press.

26

Dazu gehört, neben den biblischen Reminiszenzen, auch ein stellenweise auftretender Anklang an das Volksmärchen, wie im folgenden Beispiel, das an „Schneewittchen und die sieben Zwerge" erinnert: „Según la leyenda más joven del mundo, había robado el pan de uno, mordido las frutas de otro, bebido el vino de un tercero." (94)

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Posiblemente haya una cierta relación entre el frecuente empleo de la expresión simbólica por parte de la mujer que escribe, y su necesidad de hallar un lenguaje propio. Recordemos que el ámbito femenino es sobre todo subjetivo: limitada por su misma marginalización a un medio donde predomina lo emocional y lo afectivo, la mujer debe esforzarse (y a veces hacerse violencia) para adaptar su escritura a una sintaxis forjada por el hombre. (ARAUIO: El derrumbamiento 75) Damit in Zusammenhang steht auch sicherlich die allerorten geäußerte Unklarheit über die Gattungseinordnung dieses Textes (vgl. RODRÍGUEZ-VILLAMIL: Prólogo 6). Während die früheren Kritiker häufig dazu tendierten, ihn als aus den Fugen geratene, längere Erzählung anzusehen, 27 spricht PICON GARFIELD von einer „allegorical novel" (Women's Voices 33), und auch Dieter REICHARDT bezeichnet ihn als „Kurzroman" (675). Am ausführlichsten hat sich Perera San Martin mit der kniffligen Frage auseinandergesetzt, wobei er vor allem mit der Raum- und Zeitstruktur argumentiert: Sin embargo, su naturaleza genérica es discutible, precisamente, en cuanto se refiere al tratamiento textual de las dos coordenadas esenciales del contexto, tiempo y espacio. Si su condición de novela parece indiscutible por el carácter comprehensivo de la cosmovisión que nos entrega, por la pluralidad de lenguajes que se articulan en sus estratos narrativo, simbólico y mítico-arquetipal, o por la modulación dialógica que se insinúa fuertemente a través del largo sermón del cura, su monólogo interior y la confrontación de ambos con el resto del discurso narrativo, no lo es, en cambio, si atendemos a la brevedad temporal de la historia narrada - apenas cuarenta y ocho horas, ausencia total de proyecciones extradiegéticas- y la insularidad, por así decirlo, del espacio de la narración, que sólo parece lindar con un desvío del tren y con el más allá de la muerte. (PERERA SAN MARTÍN: 25) Für mich sind allerdings diese Erläuterungen nicht Grund genug, La mujer desnuda seinen Charakter als Roman abzusprechen, und ich kann mir auch nicht erklären, wie jemand aus der „Insularität" des Raumes und der sich lediglich über zwei Tage erstreckenden erzählten Zeit noch in den Neunzigern ein Motiv daraus ableiten könnte, einem Text sozusagen den Zutritt zur 'Königsdisziplin' zu verwehren. 28 Vielmehr habe ich den Eindruck, daß die damals berechtigte Schlußfolgerung der Erstkonsumenten 1950, aufgrund gewisser kulturellen Usancen ein zunächst in einer Zeitschrift 27

Vgl. RODRÍGUEZ MONEGAL 1966, der ihn als „un cuento largo" (zit. in RISSO: 264f.) bezeichnet, oder Mario BENEDETTI, der ihn charakterisiert als „largo relato que, a pesar de sus rengueras literarias, mostraba una confusa fuerza dionisíaca" (Carácter obsceno: 206).

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Vielmehr gibt PERERA SAN MARTÍN selbst, quasi im gleichen Atemzug, die symbolische Erklärung für das Stillstehen von Zeit und Raum in diesem Werk, nämlich als Metaphorisierung der Ahistorizität der Geschichte, die sich in allen Epochen und auf allen Schauplätzen der Welt abspielen könnte (daher ja auch die 'uralten' Beinamen der nackten Frau, die vor allem auf die jüdisch-römisch-christlichen Konnotationen anspielen, vgl. oben): „De modo que La mujer desnuda parece ilustrar de la manera más radical la areferencialidad del tiempo y el espacio en Somers, [...] la a-historicidad de la historia." (25)

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erschienenes Werk als „Erzählung" zu bezeichnen, fallweise einfach unkritisch fortgeschrieben wurde, was aber dem Charakter des Textes sicher nicht gerecht wird. Armonía Somers selbst schildert ihre gefühlsmäßige Beziehung zu den beiden narrativen Genres folgendermaßen: EPG: How do you perceive the difference between the novel and the short story as genres? [...] AS: I feel very comfortable with the short story. They say that genre is more difficult because it requires synthesis; one has to present a macrocosm within a microcosmic plot which may transpire over several years. [...] I feel very much at ease with that synthesis. Now, I consider the novel a more amenable genre than the short story because the novel is a daily exercise; it's sitting down to caress the theme, the characters, to play with them and lead them along so they can't get lost. That makes me feel happy. (PICON GARFIELD: Women's Voices 40) W e n n man nun die Frage stellen wollte, wofür denn Rebeca Linke bzw. ihr Abenteuer als „mujer desnuda" symbolisch steht, so wäre es sicher zu kurz gegriffen, es lediglich - wie es zuweilen geschehen ist - als Drama der älter werdenden Frau in ihrer mid-life-crisis

zu sehen; vielmehr stellt die Protagonistin die Verkörperung des

Begehrens in Reinkultur dar (vgl. OLIVERA-WILLIAMS: 167). Wobei das erotische Begehren auch wiederum nur metonymisch als ein Aspekt des transzendentalen Über-die-Stränge-Schlagen in den Mittelpunkt gerückt wird, als vielleicht sichtbarster Ausdruck des Auf-Begehrens gegen eine prosaische Welt von Arbeitsbienen: 2 9 La mujer desnuda es el cimiento narrativo de una obra en permanente ascendencia donde el deseo físico se presenta como algo exacerbado y maldito en contraposición a la pureza como una entidad transgresora y noble. (AGOSÍN: 589) Auch die in La mujer desnuda

noch nicht sehr ausgeprägte, 3 0 später aber vor allem

in den Erzählungen immer wieder auftauchende Vorliebe für Homo- und Bisexualität versteht die Autorin als symbolisches Gegen-den-Strom-Schwimmen: La homosexualidad, ¿y qué? Pero con todo lo que es de rechazable la prostitución homosexual, el proselitismo se me aparece como una variación sexual, y además con la valentía de lanzarse a contramano nada menos que en la autopista biológica donde los otros conductores siguen la flecha. (SOMERS: Carta 1162)

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Eine ähnliche Haltung der Autorin konstatiert übrigens Helena Araújo in der Erzählung „El derrumbamiento", wo ebenfalls die Erlösung der Marienstatue aus der Erstarrung ihres Keuschheitspostulats und das anschließende Einstürzen des Hauses unter dem Ansturm der Polizei symbolisch steht für die Erschütterung der Grundfesten bürgerlicher Moral und die zersetzende, anarchische Kraft des Eros: „Pero a pesar de su tendencia a incurrir en cierta retórica sensiblera, su narrativa se supera gracias a un texto donde surge constantemente la posibilidad dialéctica del deseo. [...] El verismo del relato, activado por el manejo metafórico y por la carga sensualista del lenguaje, gravita hacia lo libidinoso y lo lúbrico." (ARAÚJO: El derrumbamiento 76f.)

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Einzig und allein eine Szene, wo Juans Frau, sonst ein Element der Repression, ihre Hingezogenheit zu einer Schulkollegin beichtet, deutet in diese Richtung (53ff.).

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In erster Linie geht es aber, wie der Titel schon programmatisch andeutet, um die Erotik der Frau, die aus einem jahrhundertelangen Dornröschenschlaf geweckt wird und ihrerseits, nach der entscheidenden Epiphanie in ihrem Selbstent/be/hauptungstraum, auf eine Art Mission auszieht, um anderen „die frohe Botschaft zu verkünden"31; Perera San Martin entdeckt selbst in der Ausgestaltung der Landschaft (z.B. in dem Fluß, auf dem am Ende die Leiche der nackten Frau aus dem Dorf gespült wird) eine Transkription der weiblichen Topographie und eine Gebärmetapher: La sensibilidad erótica que el texto manifiesta, la erotización del espacio narrativo total son de signo femenino. (Piénsese, por ejemplo, en ese canal de desembocadura por donde el pueblo pare el cadáver de Rebeca Linke.) (PERERA SAN MARTÍN: 28) Selbstverständlich erlangt unter diesem Vorzeichen alles Körperliche - und speziell die Rehabilitierung der Leiblichkeit der Frau - eine weit übers rein Deskriptive hinausreichende Bedeutung: Al sentimiento de despojo y de negación de sí, ejercido por la sociedad que acantona a la mujer en roles preestablecidos por los hombres, la respuesta es una búsqueda activa. Esta pasa por una recuperación del cuerpo alienado y por una nueva formulación de la sexualidad. (RODRÍGUEZ-VILLAMIL: Prólogo 8) Interessanterweise kann diese Wiedergewinnung eines nicht entfremdeten Körpergefühls zunächst nur realisiert werden, indem diesem Leib Gewalt angetan, sein Kopf als Synonym für alles Rationale erstens abgetrennt und zweitens in einer neuen Weise mit dem Rumpf verbunden wird. Im Gegensatz zu Luisa Valenzuelas Roman Hay que sonreír ist diesmal aber nicht der Mann Ausführender dieser Enthauptungszeremonie, sondern die Frau selbst; die schmerzhafte Neuorientierung erfolgt aus ihrem eigenen Drang, aus dem Bedürfnis, sich aus einengenden Zuordnungen zu befreien: ...dentro de su libro de cabecera había una pequeña daga que era una obra de arte, tanto como para decapitar a una mujer prisionera en aquel maldito rayado paralelo que le impedía reencontrarse en limpio. La mano que quiere alcanzarla no puede. Derriba el vaso con agua de la mesa y queda allí como una flor congelada. Es entonces cuando la daga va a demostrar que ella sí sabe hacerlo, y se desplaza atraída por las puntas de unos dedos. Claro que hacia una mano que está adherida a un brazo, que pertenece a su vez a un cuerpo con cabeza, con cuello. Una cabeza, algo tan importante sobre eso tan vulnerable que es un cuello... El filo penetró sin esfuerzo, a pesar del brazo muerto, de la mano sin dedos. Tropezó con innumerables cosas que se llamarían quizás arterias, venas, cartílagos, huesos articulados, sangre viscosa y

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Diese für die Zeitgenossinnen, wie REICHARDT (675) schreibt, ebenso blasphemisch klingenden Ansätze wie für die fiktiven Bewohner des abgelegenen Ortes im Roman dürften von der Autorin durchaus auch intertextuell gemeint sein - Rebeca Linke als eine Art ins Weibliche gekehrter Christus, die am Ende, genauso wie ihr historisches Vorbild, trotz aller Unschuld und Nacktheit, vom verständnislosen Pöbel gejagt wird; lediglich ihr Tod ist nicht mehr direkt auf Gewalteinwirkung zurückzuführen, denn die im Raum schwebende Aggression wurde zuvor schon sozusagen auf Juan abgeleitet, und das Brandopfer des Pfarrers tut das seine dazu, daß Rebeca wenigstens ihr Ende einem Naturereignis verdankt und so wieder in den Urfluß zurückkehrt.

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caliente, con todo menos el dolor que entonces ya no existía. La cabeza rodó pesadamente como un fruto. Rebeca Linke vio caer aquello sin alegría ni pena. Empezó desde ese instante a acaecer el nuevo estado. (15f.) Doch dieser neue Zustand kann in dieser Form, als reiner Rumpf, als „estatuita bárbara" (17), nicht lange anhalten, weil die beiden getrennten Hälften nacheinander verlangen, so daß sich die enthauptete Frau ihren Kopf selbst wieder neu aufsetzt: En eficaz maniobra, la mujer decapitada tomó su antigua cabeza, se la colocó de un golpe duro como un casco de combate. (18) Von nun an ist der Kopf also nicht mehr störendes Hindernis, sondern Kampfmittel in einem Selbstbefreiungsprozeß, der für die ehemalige Rebeca Linke, nunmehr einfach „La mujer desnuda", „ella" in einem generischen Gebrauch, 32 unendliche Möglichkeiten bereitzuhalten scheint: Aquello, ilimitado, lleno de posibilidades para el albedrío, mucho más libre que las dudosas cosas del cielo, era la noche propia. (19) Während ihrer Wanderung durch diese mystische Nacht von Tod und Wiederauferstehung beginnt die nackte Frau zunächst sich selbst neu zu entdecken, jeden einzelnen ihrer Körperteile, die sie nun zum ersten Mal bewußt wahrnimmt: Sin embargo, esta vez le pareció encontrar algo que jamás había sospechado llevar consigo en sus propias manos. Luego las bajó, se acarició a sí misma el flanco. A medida que caminaba, iba sintiendo el mecanismo del hueso oculto, algo tan recio y cubierto en forma tan sencilla. Eran, en suma, experiencias de inventario minúsculo, pero capaces de sustituir el viejo miedo por un desacatamiento absoluto de sus riesgos. Cuando la caricia le llegó hasta los pechos, tuvo la sensación de descubrirse después de una inmensidad de olvido. (19f.) Interessant, daß die weibliche Brust - ähnlich wie bei María Luisa Bombal - auch hier zum Anhaltspunkt für explizit ausgesprochene Selbstbehauptung und Vergewisserung der eigenen Existenz wird: „Soy tan real como ellos -murmuró para calmarse- sólo que más positiva. Puedo escabullírmeles, burlarme de sus pies enterrados..." (20) Und auch bei Armonía Somers sind es die Bäume, die der Protagonistin indirekt zu dieser Autoaffirmation verhelfen, diesmal aber mehr kontrastiv und nicht so sehr auf dem Wege der Identifikation bzw. Suche nach Vereinigung. Archetypisch gesehen, ist ja der Baum meist Symbol des Männlich-Phallischen; durch die Betonung der Unbeweglichkeit, des Festgewurzeltseins in der Erde, an einem bestimmten Platz, gewinnt der Wald (auch in seiner Kollektivität) in La mujer desnuda zusätzlich die

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Vgl. folgende Stelle in La mujer desnuda: „Ella: se la llamaba así desde pocas horas antes, acaso por el velo de perdón que el cura le había echado sobre el cuerpo recurriendo a su habilidad de defensor de oficio. Vestida de ese modo, así fuera con la sola femineidad esencial, podría nombrársela mejor, atemperaba los efectos de todo lo que había desencadenado." (72)

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Bedeutung des beharrenden, konservativen Elements. Im Gegensatz zu den B ä u m e n kann sich Rebeca Linke in der freien Natur fortbewegen, und sie macht - speziell in dieser ersten Nacht, in der sie noch nicht direkt auf andere menschliche W e s e n trifft - ausgiebig Gebrauch von dieser befreienden Funktion des Gehens, 3 3 wenn es auch gleichzeitig eine schmerzliche Erfahrung für sie darstellt: N a c k t und barfuß, wie sie ist, wird sie leichtes O p f e r von Dornen und Steinen, die ihrem zarten Körper Verletzungen zufügen. Zugleich findet so etwas wie ein erster Einbruch des T o d e s in ihre Phantasmagorie statt, denn sie denkt sich einen Text für einen fiktiven Grabstein über ihre vorige, abgeschlossene Existenz aus: Historia mínima -murmuró sordamente y hasta con estilo para lápida estrecha: „Rebeca Linke, treinta años. Dejó su vida personal atrás, sobre una rara frontera sin memoria". Nada. Nuevamente igual desolación, un desencuentro de idiomas con distinta cifra. „Quizás las cosas estén buscando los orígenes", continuó, un tanto envenenada todavía por la mala peste de su cultura. (20f.) Bald danach gelangt sie zu der Hütte des Holzfallerehepaares, w o sie Nataniel im Halbschlaf betört und aus der Routine seiner E h e mit Antonia reißt; der N a m e der letzteren steht wiederum symbolisch für die Frau, die sich an einen M a n n angepaßt hat, der jegliches Element der Wildheit und Originalität abgeht: -Antonia 3 4 ... podrías dejarme tranquilo ¿no? [...] -Horror ¿de quién es ese nombre? - E l tuyo, maldita. [...] - N o , yo no tengo ese distintivo pavoroso. Las hembras no deben llevar nombres que volviéndoles una letra sean de varón. Los verdaderamente femeninos son aquellos sin reverso, como todos los míos -dijo la extraña manteniendo el cálido secreteo sobre su oreja. (23) D o c h als die „mujer d e s n u d a " vorausahnt, d a ß der Holzfäller nur das Übliche von ihr will, verläßt sie die Hütte, bevor Nataniel endgültig aufwacht; nie mehr wird er wissen, o b das G a n z e T r a u m oder Realität war, doch ebensowenig kann er sich von nun an mit seinem prosaischen Alltag und seiner unattraktiven Frau abfinden.

33

Die Michie auch in bezug auf die Protagonistinnen des viktorianischen Romans verzeichnet: „Perhaps the most universal pastime among these leisure-class heroines is walking. Lonely, often physically gruelling walks, through oppressive familiar territory are sometimes the only outlet for a heroine's physicality." (MICHIE: 40f.). Dazu passend auch einer der Beinamen der nackten Frau, Gradiva: „Y un hombre que soñó con mi pie, que le excedía en siglos, me llamó Gradiva, la que anda." (23). Vgl. dazu auch FREUDs Studie „Der Wahn und die Träume in W. Jensens Gradiva" in Studienausgabe Band X: „Bildende Kunst und Literatur": 9-85.

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Laut der Autorin beinhaltet dieser Name einen versteckten Hinweis, so etwas wie eine geheime Rache an einer lebenden Person: „In La mujer desnuda I named one woman Antonia. I was seeking revenge because the naked woman says, 'I don't want any names that can be changed to a man's name by altering just on letter.' I was sending a message to someone; it was my revenge." (PICON GARFIELD: Women's Voices 44)

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Ein neuer Zweifel kommt über Rebeca alias „Eva, Judith, Semiramis, Magdala" (23), als der Tag anbricht und sie sich fragen muß, ob ihre Nacktheit dem Sonnenlicht und den Blicken der anderen standhalten wird können: Fue en ese punto cuando cayó en la cuenta de que estaba amaneciendo sobre el agua. La mujer tuvo un resabio de miedo por el descubrimiento. Su desnudez, su libre determinación, habían comenzado con la noche y sin mañana previsible. Pero ese mañana con sol se hallaba a punto de cuajar, y ella no tenía a mano argumentos para la luz, siquiera en memoria del pasado que tampoco contaba. Ni nombre, ni procedencia, ni explicaciones que irían a conducir siempre a lo mismo, esa trilogía esclavizante. (29) In diesem Augenblick entdeckt sie eine Marienstatue, die für sie noch einmal als eine Art 'Spiegelbild' fungiert, da sie deren Erstarrung erschreckend an ihre eigene, zurückgelassene Vergangenheit und an alle Modelle weiblicher Entsagungs- und Aufopferungsmythen erinnert: Rebeca Linke se detuvo bruscamente. Una especie de figura humana parecía haberla descubierto desde lo alto, clavándole los ojos. No en el estilo habitual, según percibió en seguida, de confundirse el que mira y su objeto, sino como al revés de un espejo, escamoteando la comunicación del resultado. Pudo por fin reconocer a la mujercita. La habían puesto en aquel nicho absurdo sobre un poste, la casa sin puerta orientada siempre hacia el mismo punto, como si el sol y la luna y las flores del lado de atrás no contasen. La sonrisa perenne con que la Virgen parecía aceptar la penitencia, le hizo imaginar con terror que fuera su cara de otros tiempos la que estaba mirándole desde arriba, y su propio cuerpo el inmovilizado. Volvió el rostro hacia adelante y comenzó a atravesar el campo. (33) 35 In ihrem Entschluß bestärkt, setzt sie ihren Weg fort, wird aber nun von einem stupiden bäuerlichen Zwillingspaar entdeckt, das in ihr natürlich den „verdadero escándalo" (29) sieht: Los dos individuos eran, según todas las apariencias, hermanos gemelos. Igualmente rubios, medianos de cuerpo y con una mirada embrionaria que les daba un aire bobalicón de seres inconclusos. Fue con esa vista crepuscular de tiro corto, acompañada de cierta tirantez de cuello como para aumentar el alcance, que les vino a caer en suerte el descubrimiento: ¡una mujer desnuda en medio del campo! Se quedaron inmóviles, con los pescuezos tendidos al máximo. Ni árbol ni fantasma. Era una criatura femenina de verdad, con el pelo largo suelto y los brazos caídos. (34) Geblendet und entsetzt zugleich, ergreifen die Zwillingsbrüder die Flucht und lassen Rebeca allein mit dem Ackergaul zurück; in einer instinktiven Reaktion befreit sie diesen von seinem Joch, sozusagen symbolisch für alle gequälte Kreatur:36

35

Ausgeführt wird die Geschichte von der „virgencita" in der Erzählung „El derrumbamiento" (verfaßt vor La mujer desnuda, jedoch später veröffentlicht), wo die mythische Gestalt aus ihrer Erstarrung erwacht und ihre Jungfräulichkeit von einem Schwarzen 'weggeschmolzen' wird.

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Zur generellen Bedeutung des Animalischen in Somers' Werk vgl. Jean ANDREU: „A partir de los personajes de los relatos se podría establecer una curiosa teratología. Lo mismo que, con una lectura atenta de los textos, fácilmente se podría diagramar una tipo-

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La mujer quedó completamente sola frente al caballo. Colocado entre ella y la fuga de los individuos, el animal se transformó de pronto en la síntesis de todo lo existente. Nunca hasta entonces había mirado y sentido uno tan de cerca. Su pelo color paja, el olor genésico, un tanto pútrido, la humedad de los ojos y el belfo, se le hicieron la concreción más absoluta de la vida. La estaba viendo latir en todo el cuerpo. Bajo la piel sudorosa de la bestia cruzaban zonas alargadas de ese temblor donde los ritmos cobran una mayor impaciencia. Pero él se había quedado allí, inmóvil, esperando no se sabía qué, desconectado de aquel fluir interior como si le fuera desconocido. Lo liberó con torpeza. ¿Por qué es uno tan incapaz de hacer esas cosas, o tan duro el sistema? Se lo iba preguntando al animal en cada detalle del proceso, como si desnudara por primera vez a un nifio de pecho. (35) Doch nun beginnt die Hetzjagd der 'Anständigen' gegen den „escandaloso amoralismo" (36) der Fremden. Das abgelegene Dorf mit seinem Duft nach Muttermilch und Stallmist, wohin es Rebeca Linke verschlagen hat, ist Inbegriff für alle Rückständigkeit, Biederkeit und Verlogenheit des traditionellen Systems: Trascendía de allí el olor personal del pueblo, un vaho de maternidad, leche, paja y estiércol del que era imposible liberarse. [...] Fue en aquella sucesión vulgar de circunstancias, donde nunca ocurriera nada fuera de ordeñar las vacas y transportar los tarros al tren lechero, sembrar, casarse y tener hijos que harían después las mismas cosas, incluso ir el domingo a la iglesia, morir, continuar pasándose el apellido, donde prendió la noticia de los gemelos, que nunca habían sido portadores más que de su pobreza de espíritu. (37) Als die wilde Meute, bewaffnet mit Heugabeln, Sensen und anderen rustikalen Waffen, auf die Suche nach dem Eindringling geht, glaubt sie ein Bild weiblicher Unterwürfigkeit, Scham und Demut erwarten zu dürfen, wird aber statt dessen mit der Provokation des

freigelassenen

Pferdes konfrontiert, in ihren Augen eine „männ-

liche" Geste: Llegaron, por último, al epicentro del fenómeno que era la rastra detenida, y donde esperaban encontrar a la forastera en la actitud femenina de la vergüenza, con las manos cruzadas sobre el pecho y los ojos suplicantes. Pero lo que hallaron en su lugar los dejó de una sola pieza. Las miradas de tiro corto de los mellizos, sus cuellos tendidos a más no poder, dieron la nota del pasmo colectivo. Ni cuadro de pudor ni oportunidad para hacerse los santos. Si acaso, y como dato más bien contradictorio, el gesto hombruno de liberar al caballo que comía a toda mandíbula, espantándose las moscas con la cola. (38) Unverrichteterdinge kehren die Männer nach Hause zurück, doch hat der Keim des von der geheimnisvollen nackten Gestalt ausgehenden Begehrens bereits seine Spur gezogen: In der folgenden Nacht lassen fast alle männlichen Dorfbewohner ihre Haustüren - entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit - nur angelehnt, in dem heimlichen und ambivalenten Wunsch, die Nackte möchte ihren W e g zu ihnen finden: Dejar la puerta entornada por si acertaba a allegarse la hembra maldita, buscando asilo, pan honesto, lecho blanco. Bien lo sabía ella, la mujer de Juan, como todas las demás, calogía de los diversos animales más o menos inquietantes, reales o metafóricos, que corren entre las líneas de la narración; arañas, muías, elefantes, monos, alacranes y otras alimañas que vienen a construir un bestiario típicamente somersiano." (ANDREU: Vorwort zu Tríptico Darviniano, zit. in RELA: 125f.)

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si alcanzó a decir en voz alta animándose a escalar el cerco del estilo, que la congénere desnuda se hallaba convertida en la obsesión de un día largo, que el resto de los hombres, aun los más rústicos y calmados, habían vuelto a sentir la vieja nerviosidad, como sartas de ranas enhebradas en un alambre. La descripción de los gemelos poseía una falta de relieve tan de acuerdo con sus lisos cerebros, que era por lo mismo capaz de responder a todos los sueños personales. Una mujer desnuda por completo, con voz dulce y pelo suelto, habían repetido miles de veces. (43) Auch schockieren die Bauern ihre Ehefrauen mit bisher nie dagewesenen erotischen Auswüchsen und Ansprüchen: Y todo empezó a ocurrir como allí, sin más preámbulos, con la sencillez de los cataclismos. Pero a poco que se vino la noche distinta tras las puertas entornadas, comenzaría también a suceder algo que los hombres no alcanzan a explicarse. Piden y exigen cosas, cosas tremendas según el canon y no se excusan. Prueban dormirse para ver si al despertar lograrán retomar sus pudores. Pero abren de nuevo los ojos, sacuden a las mujeres, y siguen exigiendo aún. Finalmente, en una nueva etapa, comienzan los fenómenos singulares. Sentirse hombres distintos, como si por haber emigrado de su piel estuviesen poblando otro ser más recio, menos comprometido. Es de ahí donde arranca el verdadero desasosiego, haber perdido el miedo codificado. El hombre que cada uno alumbra de su propio vientre no acusa más terrores. Y entonces, al parecerles que se han quedado sin una divinidad que los tenía acogotados por temor, quisieran poseerla de nuevo. Es enorme eso de sentir ahora la sangre que bulle como único pilar de una fe, que al fin consiste sólo en la confianza que los lleva a autodeterminarse, pero sin convenciones angustiosas. (46) Konventionen, Bindungen und uralte Ängste beginnen ihre Wirkung zu verlieren; sogar der Dorfpfarrer erliegt den Versuchungen des ihm erscheinenden Bildes 3 7 der „mujer desnuda", die ihn sozusagen ansteckt, da auch er nun seinen Kopf (in unendlicher Vervielfältigung) frei im Raum schweben spürt; wiederum kündigt sich ihre Präsenz zunächst durch ihren betörenden Duft an: El cura estaba pálido, carcomido también él por un sudor humilde de hombre, ese sudor de la noche difícil en la que si se ha logrado el sueño ha sido para empeorar las cosas. Fluía de su rostro una luz sin terrenidad, como la de lámpara velando a un niño. Se había dejado llevar sin lucha a ese interior desconocido, con un olor que le era nuevo y en el que su olfato no se le comportaba eficazmente. No sabía si aspirar o repeler su aire, y al mismo tiempo no encontraba más alternativa que apropiárselo. El y el terrible perfume a flor nocturna estaban solos y desamparados en aquel mundo extraño, flotante y sin ningún asidero en que se convirtiese de golpe el mísero cuarto contiguo a la sacristía. El hombre magro no se había adaptado aún a la penumbra semilunar del sueño. Pero la mujer desnuda relucía demasiado para que la devorasen las sombras, y su cuerpo iluminaba de por sí como una madreperla en la oscuridad submarina. -Señora... -logró murmurar para deshacer el encanto. [...] Soy yo, parecía explicar ella con delicada audacia femenina, ante tu rostro enjuto, tu frente amplia, demasiado abierta para la pequeña cabeza en que la han dibujado. Dámela esa cabeza, ardiente y sola como una flor del desierto en esta noche para dos, dámela. El hombre vio, de pronto, su propia cabeza flotando en el aire opreso del cuarto, y luego reproducirse de por sí como los círculos del agua. Pero él, lo que era su unidad de cuerpo 37

Auch hier könnte man wieder eine blasphemische Parodie auf Berichte von gewissen Marienerscheinungen wie Lourdes oder Fätima vermuten...

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decapitado, no lograba apropiarse de ninguna, aun corriendo como un loco en su seguimiento. Tomó al fin una red de cazar mariposas, que nunca había vuelto a ver ni a usar desde que era niño, y empezó a abalanzárseles sin plan ni método. Pero las testas infernales rebotaban hasta el aire que linda con el cielo, y desde allí le miraban con sus propios ojos, aunque no los presentes, sino los de un exilio dulce hacia la primera mirada de su vida. (Alf.) In der Beichte des folgenden Morgens stellt er fest, daß auch die Frauen, die dies vor ihren Männern nie zugeben würden, von der Macht der Begierde erfaßt worden sind; so erinnert sich etwa Juans brave Gattin an eine homoerotische Hingezogenheit zu ihrer Schulfreundin, die ihren ehelichen Begegnungen nun neue Würze verleiht: ...volví a sentir que Claudina no tenía pequeños senos como todas las demás, sino un pecho duro como de tablas bajo la blusa, y que su corazón me estaba golpeando cual un martillo envuelto. El empezó a aflojar los dedos, y yo a perderme, a dejar que la vagabunda desnuda, que en ese momento tenía una cara definida, entrase como un fantasma por la ventana a repartir lo nuestro, en las formas que nunca había conocido y de las que no me creía capaz, porque el demonio parecía al principio tirar del carro de la locura en que nos habíamos puesto, pero al final era yo, pecadora de mí, quien daba látigo. (54f.) Das Unnennbare, das unaussprechliche Begehren, hat Gestalt angenommen in der kollektiven Phantasie des Dorfes, hat sich verkörpert in Rebeca Linke, die jedoch noch immer nicht gefunden worden ist. In einem letzten großen Aufbäumen versucht der Pfarrer durch eine grandiose Predigt über die Genesis, in deren Verlauf er die nackte Frau in eine Linie mit der Urmutter Eva stellt, noch einmal die Kontrolle über das Dorf zu bekommen und die Gemüter zu beruhigen; das einzige, was passiert, ist, daß eine Frau mitten in der Kirche ein Kind gebiert: Hubo aquí, como siempre, una pequeña pausa. Alivio colectivo... La mujer estaba desnuda, es claro, desnuda en la pureza y la inocencia, que eran también las del hombre, su inocencia y pureza desnudas -agregó la voz del sacerdote, con cierto nuevo matiz de enjuiciamiento. Un suspiro caldeado enhebró los pulmones. Había sido evocada la desnudez, y todos estaban allí a causa de eso, no por la trivial historia de la primera pareja. (61) Inzwischen hat die „mujer desnuda" das Dorf erreicht, denn auf ihrer Suche nach dem Unbestimmbaren ist sie von einer ganz prosaischen, körperlichen Notwendigkeit heimgesucht worden: dem Hunger. So gewinnt auch ihr Freiheitsbedürfnis im Vergleich mit dem ganzer Völker eine soziale Dimension: Algo le inquietaba, sin embargo, que su vientre vacío pudiera perderla si llegaba a enajenar todo aquello a causa del hambre. Su libertad, como la de algunos pueblos que la han conseguido a dentelladas, era pan para los dientes propios, que habían mordido tantas veces hierro o aire, y que al fin se iban a clavar en aquel amasijo sin proporciones de receta, todos los panes de una hornada que no quiso separarse y salieron en un solo bloque a apabullar a los inventores de las fórmulas. (77) Das erste nahrhafte Element, auf das sie stößt, ist Milch in einem Stall, Inbegriff des Weiblichen, das vom Mann bisher unverstanden blieb und das in geheimnisvoller Beziehung zum Blut steht:

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-Leche... Pero si es nada menos que con ella mi reencuentro. Un elemento que el hombre no ha comprendido aún -declaró en su media voz más cautelosa, vigilando alrededor algo de la categoría de la sangre, y que un simple color ha traído a menos... (78) Verraten von einer Hündin, die ebenfalls Junge zu säugen hat, wird sie von Juan entdeckt, der zwar von ihr fasziniert ist, aber gleichzeitig auch hin- und hergerissen zwischen Pflicht und Verlangen: Y yo no puedo llevarte a mi casa que está ahí, a pocos metros de nosotros. No puedo, aun queriéndolo con todos mis deseos. -¿Y por qué? -preguntó ella cándidamente- yo he aprendido de ayer a hoy que todo se puede... -Dios mío -añadió él en su persistente fidelidad matrimonial- qué terrible el no hacer lo que se quiere. Aunque lo último que se ambicionase antes de morir fuera esto que tendré que intentar de cualquier modo, tomarte en brazos como en una noche de bodas, empujando las puertas con el pie, abriéndose paso entre los chismes de la casa... A ver, vamos a probarlo siquiera... (84) Erst als er feststellt, daß die Frau, die sich ihm gegenüber Friné nennt, verletzt ist, kann er der Versuchung nicht mehr widerstehen, denn diese klaffende Wunde gleicht zu sehr dem weiblichen Geschlecht: Había hecho girar el cuerpo algunos grados, y la herida quedaba a la altura de la barbilla del hombre. El sintió en toda su piel los efectos del roce, y cayó con sus labios sobre la zona magullada, en una especie violenta de ritual salvaje en el que cada rincón de su ser parecía reencontrar los perdidos ancestros. El sabor ferruginoso de la sangre acabó de enajenarlo. Era como dejar de habitar su propio clima para lanzarse al primer golpe de viento quién sabría hacia dónde, como una semilla ciega en un verano desconocido. Y, sin embargo, entre su boca posada en aquella herida, tan semejante a un sexo de mujer, y el deseo de entrar por sus verdaderos labios, qué sensación de mansedumbre, qué dulce y misericordioso el acto. (85) Durch diesen Akt der Hingebung gewinnt der Mann gleichzeitig androgyne Qualitäten; er erscheint (auch rein körperlich) nicht mehr so maskulin, verliert dadurch aber den Schutz herkömmlicher Sicherheiten, weil er aus der Masse ausschert, gleichermaßen deren Anfeindungen ausgesetzt ist wie die nackte Frau: Empezaban las situaciones a ser vertiginosas para ambos. Se sentían remotamente viejos en el conocerse, era una enormidad el tiempo que ya había transcurrido entre ellos. La mujer apretaba aún la cintura del hombre, al borde del pantalón sujeto con un delgado cinto de cuero. Qué femenino y suave le parecía él en aquel sitio, las caderas no tan viriles como sus hombros, su voz, su pecho. Pero emanando de allí su propia dulzura, una especie de fruto demasiado al alcance de la mano, expuesto a quien quisiera, sin la seguridad de las cosas rodeadas. No quiso, sin embargo, comunicarle eso tan íntimo y quizás ofensivo para lo que el hombre cree que deberá ser su verdadero atributo. (86) Als die rächenden Horden die beiden entdecken, erschlagen sie den 'Verräter', noch bevor sie sich an der Frau selbst vergreifen. Diese kann fliehen, als ein Feuer in der Kirche ausbricht, in dem der Pfarrer - in einer Anwandlung mystischen Verglühens - den Tod sucht. Er opfert sich sozusagen, um - nun ebenfalls nackt - den Menschen die Dimensionen der wahren, reinen Liebe aufzuzeigen:

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El cura, vano juez de una causa en la que él también se convirtiese en reo, había obligado a esperar los acontecimientos en la casa de la autoridad civil del pueblo. Y era la suya propia la que estaba ardiendo. Sí, fuego. No sabían sino eso -comenzó a gritarles con furia- encolerizar al cielo y luego darse a clamar hacia arriba como carneros sentenciados. El iba a demostrarles lo que era amor a Dios, y a Juan, y a Pedro. Pero no cubierto con sayales de mentiras, sino también desnudo, tan desnudo como ella, que estaba allí ofreciendo la miel, la leche del Cantar de Cantares. (96) Angesichts dieses Brandopfers fragt sich die Frau, ob tatsächlich sie es gewesen ist, die dieses Inferno entfacht hat, oder ob nicht die innere Hölle jedes einzelnen Zündstoff für die Katastrophe abgegeben hat: La mujer apreció la gravedad del panorama. ¿Ella, desnuda y desposeída, había sido quien encendiera ese infierno? ¿O era el que cada uno llevara dentro lo que la utilizaría como estopa? (94) A m Ende kehrt sie in den Wald, an das Flußufer zurück, wo sie auch - mitten im ihr entsprechenden aquatischen Element - ein rätselhaftes Ende findet: Todo lo que cae en ese lugar describe primeramente varios círculos enloquecidos, hasta que algo poderoso que habita abajo se lo absorbe. Mejor así. Que el triángulo que ellos no habían llegado a identificar se cierre, en esa forma extraña para la geometría, con el vértice espiralado de una cabellera que gira, de un cuerpo femenino que gira. Y que luego se hunde definitivamente. No tanto. Tiempo después, el tiempo azul de los ahogados, sale una mano rígida que va diciendo adiós. [...] Rebeca Linke pasó por segunda vez junto al bosque, con su largo pelo suelto. Flotaba boca abajo, como lo hacen ellas a causa de la pesantez de los pechos. Fuertemente violácea en su último desnudo, en su definitivo intento de justificación sobre el féretro deslizante del agua. (107f.)

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1.3.

Inés Arredondo (Mexiko, 1928-1989)

1.3.1. Mystikerin mit gebrochenem Rückgrat Obwohl über Inés Arredondo mehr biographische Daten im Umlauf sind als über Armonía Somers, hat die mexikanische Autorin doch zeit ihres Lebens - mit Erfolg versucht, diese nach ihrem Gutdünken bzw. ihren Utopien und Phantasien zurechtzurücken, so daß es oft nicht leicht ist, zwischen Wunsch und Wirklichkeit zu unterscheiden. Dies, obwohl ihr Tod erst wenige Jahre zurückliegt, ihre Verwandten und Freunde großteils noch am Leben sind und ich selbst das Glück hatte, sie persönlich in ihren letzten Lebensmonaten kennenzulernen und zu interviewen (vgl. ARREDONDO: Hablar). Auch der Briefkontakt mit ihrem Witwer, Dr. Carlos Ruiz Sánchez, hat dazu beigetragen, authentische Information aus erster Hand über die Schriftstellerin zu bekommen. Gerade diese direkte Bekanntschaft und das Wissen um Arredondos Zurückhaltung in privaten Dingen 1 legt der Biographin allerdings auch gewisse Beschränkungen auf, wie Susana Crelis Secco treffend ausführt: ...Inés procuró, a través del elegido apartamiento de los corrillos literarios, de su cuidadosa reserva en las relaciones sociales y de sus declaraciones públicas - a menudo contradictorias-, fundar una ambigüedad básica en cuanto a todo lo propio. A partir de esto, hay que considerar el hecho de que murió hace poco tiempo y que sus familiares más cercanos están entre nosotros. Probablemente no sena ético irrumpir, a través de las múltiples conversaciones posibles, en esferas que Inés Arredondo pretendió mantener al margen y que, sin duda, pertenecen al derecho de la vida privada. (CRELIS: 12) Inés Arredondo wird am 20. März 1928 in Culiacán, im mexikanischen Bundesstaat Sinaloa, in eine gutbürgerliche Familie hineingeboren, die allerdings später verarmen sollte; ihr Vater, Mario Camelo Arredondo, war Arzt und bekannt für seine liberale Einstellung (vgl. ARREDONDO: Verdad 6; ARENAS: Cuentos 64), von ihrer Mutter weiß man nicht viel, außer daß sie ihrem Mann neun Kinder gebar 2 , von denen Inés die Älteste war, und daß sie ihre Tochter in ihrem Hang zur Literatur und zu weiterführenden Studien bestärkte: Inés Arredondo nació en Culiacán, Sinaloa, el 20 de marzo de 1928, dentro de una familia de clase media alta que se empobreció más tarde. Su padre, médico, y su madre -que tuvo

Die auch zum Ausdruck kommt in dem Motto, unter das ich mein Interview mit Inés Arredondo 1989 gestellt habe (stellen mußte): „Hablar de literatura y no hablar de mí". Sie reagierte sehr gereizt, als ich sie über einige biographische Allgemeinplätze befragen wollte: ,,¡Y no me sigas haciendo esas preguntas, porque son las que me hace todo el mundo! [...] Todas esas cosas, no me las preguntes, por favor, porque ya estoy hasta la corona, entonces, pregúntame sobre: tu cuento. Hablar de literatura y no hablar de mí." (ARREDONDO: Hablar 15) Laut einer anderen Version waren es bloß sieben: „Cuando niña, a los ocho años mi padre me regaló cincuenta volúmenes de la colección Austral. Los fui leyendo uno por uno, aunque no entendiera. Un vicio por leer. Cosa curiosa en una familia donde éramos siete hermanos, yo la mayor." (Interview mit QUEMAIN: 51f.)

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nueve hijos, de los que Inés fue la mayor- valoraban la cultura. En efecto, la escritora dirá que fue su madre la que la estimuló a seguir estudiando y que su primer contacto con la literatura lo obtuvo gracias a su padre, quien, al recitarle un romance del Cid, despertó en ella el gusto por la narración y los aconteceres del personaje. Más tarde, a los ocho años, también su padre le regaló cincuenta volúmenes de la colección Austral, que ella leyó cuidadosamente -nadie controlaba sus lecturas - , pese a que no siempre los entendiera. La narradora indica que la lectura se convirtió en vicio y que fue útil para aislarla de sus hermanos menores, a los que temía por sus peleas y correteos. (CRELIS: 16) Bücher und deren Lektüre scheinen von Anfang an im Zentrum der Wahrnehmung jenes kränklichen Kindes 3 gestanden zu haben, das sich durch den Rückzug in eine Phantasiewelt eine Möglichkeit schafft, sich von der lärmenden Welt seiner jüngeren Geschwister abzusondern. Auch die erwachsene Inés Arredondo findet einen Weg, unangenehme Ereignisse ihrer Kindheit, die es mit Sicherheit gegeben hat,4 auszuklammern, indem sie sich eine 'Wahl-Kindheit' zurechtlegt, wie sie in ihrer autobiographischen Skizze schreibt: Nací en Culiacán, Sinaloa. Como todo el mundo, tengo varias infancias de donde escoger, y hace mucho tiempo elegí la que tuve en casa de mis abuelos, en una hacienda azucarera cercana a Culiacán, llamada Eldorado. Elegir la infancia es, en nuestra época, una manera de buscar la verdad, por lo menos una verdad parcial. [...] al interpretar, inventar y mitificar nuestra infancia hacemos un esfuerzo, entre los posibles, para comprender el mundo en que habitamos y buscar un orden dentro del cual acomodar nuestra historia y nuestras vivencias. (ARREDONDO: Verdad 3) Nicht von ungefähr heißt die Hacienda ihres Großvaters, auf der sie die wichtigste Zeit ihrer Kindheit verbringt, Eldorado - Inbegriff utopischen Denkens seit der Entdeckung Amerikas: En mí la infancia ha fundado totalmente una utopía. Así la viví y aún la vivo. Completamente. Fue como un sueño, casi como un sueno. Es por eso que he podido vivir. Mi infancia es fundamental, lo es para todos, pero la mía fue muy especial. Fue al lado de hombres creativos y en cierto modo artistas. La infancia en casa de mis abuelos, es lo que me ha sostenido durante toda la vida... (Interview mit QUEMAIN: 51) Die wichtigste Gestalt dieses mythischen Universums ist ihr Großvater mütterlicherseits, Francisco Arredondo, der in der folgenden Passage interessanterweise mit der Figur des Vaters verschmolzen bzw. verwechselt wird: Su abuelo materno, Francisco Arredondo, a quien dedica el libro La señal, fue para Inés niña una influencia decisiva. Él fue quien la inició en el gusto por la literatura leyéndole romances tradicionales españoles y presentándole una imagen graciosa de Ruy Díaz de

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CRELIS (16) spricht von Arredondos „gran propensión a las enfermedades -parece haber tenido todas las de la niñez" - ein Phänomen, das sich später, anläßlich der Scheidung von ihrem ersten Mann, verschärfen sollte... (s.u.)

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Sie selbst sagt: „creo que sí, que estoy rota por dentro, por problemas que he tenido, y que vienen desde la infancia." (REBOREDO: 16, zit. in CRELIS: 17)

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Vivar, el Cid Campeador. De Eldorado, la casa hacienda del abuelo, toma Inés Arredondo su universo mítico narrativo. (ARENAS: Cuentos 64f.) 5 Gegenüber der „Realität" der familiären Probleme - deren Natur nirgends genauer ausgeführt wird - verkörpert Eldorado das künstlerische Ambiente, zu dem sie sich unwiderstehlich hingezogen fühlt: Todo esto no quiere decir que no haya padecido, al mismo tiempo, la melancolía terrible de los chaparrales resecos de mi tierra, la sequía, el polvo y el calor, la realidad de unos problemas familiares, pero -como ya dije- para mi infancia escogí el mundo artístico de mi abuelo y con ello creo que también mi manera de ver y de vivir. (ARREDONDO: Narradores 122) Ihre Identifikation mit der ländlichen Idylle beruht einerseits auf einer urtümlichen, patriarchalischen Ordnung, einer quasi paradiesischen Harmonie, die es wert ist, sich unterzuordnen, sich willenlos einzufügen in ein größeres, sinnvolles System, andererseits fasziniert sie aber die 'Ausgeflipptheit' der dort wandelnden Künstlertypen, die das Kind sehr widersprüchlich wahrnimmt, als „Verrückte, die recht haben": En Culiacán, en la escuela, con mis padres, me sentía incrustada en una realidad vasta, ajena, y que me parecía informe. En cambio en Eldorado, la existencia de un orden básico hacía posible entrar a ser un elemento armónico en el momento mismo en que se aceptaba ese orden. En Eldorado se demostraba que si crear era cosa de locos, los locos tenían razón. (ARREDONDO: Verdad 3) Arredondo selbst ist sich der Gefahr des Eskapismus bewußt, der in dieser bewußten Selektion bestimmter Aspekte der eigenen Vergangenheit liegt (was j a genaugenommen stets die Existenz eines Verdrängten impliziert): Sería muy fácil decir que este hecho de escoger la infancia es una manera de escapar a la realidad. No. Primero, porque lo escogido es tan real o más que lo otro, y luego, porque no me negué a vivir la otra realidad, sino que la asumí tanto que llegué a ser primer lugar en clase en el colegio donde estudiaba, e hija abrumada por los problemas paternos. (ARREDONDO: Verdad 5) Bezeichnenderweise werden hier die „Probleme" wieder mehr um die Figur des Vaters zentriert, ein Umstand, der mir für die Interpretation von La Sunamita

von Inter-

esse zu sein scheint. Auch die spätere Wahl ihres Pseudonyms könnte gewissermaßen mit einer unbewußten Verleugnung des väterlichen Anteils einhergehen, obwohl die Autorin selbst nach außen hin Wert auf die positiven Aspekte ihrer Wahl legt: ...también su nombre de escritora fue resultado de una elección, que la ligaba, más estrechamente si se puede, a ese abuelo materno querido que fue Francisco Arredondo, con cuyo apellido irrumpió en el universo de las letras. (URRUTIA: La Sinaloa 56)

Laut Arredondos eigener Aussage war es ihr Vater, der sie mit dem spanischen Heldenepos bekannt machte: „a los seis años tomando nieve bajo un flamboyán, oí a mi padre recitar para mí, de memoria, lo que después supe que era el Romancero del Cid. Quizá ese fue mi primer contacto real con la literatura." (ARREDONDO: Verdad 4). Es scheint jedoch auch für die spätere Deutung von La Sunamita nicht unwichtig zu sein, daß die beiden Vaterfiguren in der Phantasie/Erinnerung verknüpft und vertauscht werden.

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In einem Interview mit Mauricio Carrera, übrigens dem letzten, das sie zu Lebzeiten gab, deutet sie wiederum die konfliktträchtige Gegenüberstellung von Vater und Großvater an: Me llamo Inés Camelo Arredondo, de tal manera que, en realidad, no cambié de nombre sino que escogí mi otro apellido. ¿Por qué? Porque era el de mi abuelo materno. A él le debo haber podido estudiar aun en contra de la voluntad de mi padre y haber salido de mi pueblo... (CARRERA: 68, zit. in CRELIS: 15) Und da sie zu diesem Zeitpunkt (1989), bei weit fortgeschrittener Krankheit, offensichtlich nichts mehr zu verlieren hat, vertraut sie dem Interviewpartner auch ihre negativen Assoziationen zum Namen des Vaters an: ¿Cómo cree usted que se iba a ver un escritor camelo6? Mal, ¿verdad? ¿De mis cuentos qué iban a decir? Pues que son un camelo. [...] para no ser considerada un camelo no me quedaba otra opción que la de cambiar de nombre... (CARRERA: 68, zit. in CRELIS: 15) In ihrer autobiographischen Skizze tauchen auch noch andere wichtige Bezugspersonen auf, wie ihre Amme, deren „Geschichten" sie aber, im Gegensatz etwa zu ihrer Zeitgenossin Rosario Castellanos, nicht literarisch verwertet hat. Für Arredondo sind in der Erinnerung die widersprüchlichen Signale der Klassen- und Rangunterschiede bedeutsam: Tengo importantes historias con mi nana y con dos mujeres más que sirvieron en mi casa, pero ninguna de esas historias tiene que ver con el color de la piel de nadie, y la condición de servidumbre toma otro cariz cuando la sirvienta regaña, habla de tú, es mayor en edad y gobierno y realmente no se siente menos que cualquier otro. (ARREDONDO: Verdad 6) Und sie legt Wert darauf, daß die vielfaltigen Erfahrungen mit Vertreterinnen der gesamten sozialen Skala erst ihre Sensibilität in puncto politischer Einstellung geschärft haben. Die Autorin verwehrt sich scharf gegen die (mögliche) Annahme, die bewußte Auswahl bestimmter Teilbereiche ihrer Kindheit könnte etwas mit konservativer Ideologie zu tun haben, im Gegenteil: ihre Sympathie gilt nicht den vornehmen Großtanten, sondern den Kuhhirten und Landarbeitern: También resulta superficial pensar que escoger esa infancia habría de llevarme a un sentimiento que se traduciría tarde o temprano en una posición política reaccionaria. No fue así. (Dejo aparte las injusticias sociales que descubrí más tarde, y me concreto a la experiencia infantil.) Las diferentes partes de la realidad que vivía tenían que ser distintas, peculiares, para que ésta fuera el todo esplendoroso que era. Por ese motivo, desde que recuerdo, las personas que conocía resultaban muy personas, muy concretas, nunca abstractas representaciones de una raza o una clase social. Más vivo que las hermanas de mi abuela, por ejemplo, estuvo ya entonces para mí Chuyón, el becerrero, ese compañero

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„Camelo" hat im Spanischen laut SLABY-GROSSMANN zwei Bedeutungen: 1. „Liebeswerben, Liebelei, Schmeichelei, Foppen, Necken" und 2. „(Zeitungs)Ente". Für den unbewußten Verdrängungsprozeß scheinen mir die inzestuösen Aspekte der ersten Version eine größere Rolle gespielt zu haben, wenn auch die zweite Assoziationskette nach außen hin ihre Aversion gegen den Namen Camelo begreiflich macht.

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secreto de infancia, [...] Y conocerlos, a Chon, a Chicho, a Pablo, ir con ellos a caballo, hablando mientras se reían de mi ignorancia de las cosas de la siembra, me hizo encontrar natural que fueran luego los dueños de la tierra, por la sencilla razón de que eran las personas que verdaderamente la poseían. (ARREDONDO: Verdad 6) 7 Trotzdem wird Inés Arredondo zeitlebens eine unpolitische Schriftstellerin bleiben: Había quienes presumían de marxistas y otros presumíamos de impolíticos (no „apolíticos"); pero siempre terminábamos por involucrarnos en las manifestaciones [...] pero éramos impolíticos, pues nunca mezclamos a la literatura con la política. (SILLER/VALLARINO: s.p., zit. in CRELIS: 27f.) Oder, auf ein Bonmot gebracht: „El buen lector no pide un mundo maniqueo, simplón y estupidizante [...]. Pide historias bien contadas y deja el mensaje a Telégrafos Nacionales", zitiert Gally die Autorin. Und er führt weiter aus: Las simpatías de Inés - m e lo repitió muchas veces- estaban con los oprimidos y no con los opresores; pero [...] su praxis se consumía en ese jugarse el alma ante la necesidad de escribir, de expresar una problemática válida en cuanto que reflejo de una época, una cultura y sus contradicciones [...] sus simpatías estaban con lo que genéricamente llamamos izquierda... (GALLY 1989, zit. in RUIZ SÁNCHEZ: 4) Dabei hatte zunächst alles in die umgekehrte Richtung gedeutet: Das Mädchen wurde in Culiacán auf eine katholische Klosterschule geschickt, die von spanischen Nonnen betrieben wurde, das Colegio Montferrant, das sie von 1936 bis 1944 besuchte (vgl. CRELIS: 17). Doch bereits bei der Frage, welche „Preparatoria" sie besuchen soll, geraten die Eltern in ein Dilemma: Entweder muß sie auf eine gemischte Schule, gemeinsam mit Jungen, gehen (für damalige Zeiten in bürgerlichen Kreisen ein kleiner Skandal), oder aber das väterliche Haus mit siebzehn verlassen: Cuando llegó el momento de cursar la preparatoria, tuvo que salir de su tierra. Ante la certeza de que tendría que estudiar entre muchachos -en una escuela mixta- sus padres prefirieron alejarla del hogar y enviarla a un colegio de señoritas, en Guadalajara. Fue éste el Colegio Aquiles Serdán, y allí estuvo de 1945 a 1946. (CRELIS: 18) Der eigentliche Zusammenstoß mit den traditionellen Werten ihrer bisherigen Welt erfolgt aber erst bei ihrer Entscheidung für ein Studium in der mexikanischen Hauptstadt, womit sie endgültig aus der Rolle einer wohlbehüteten 'señorita de provincia' fällt; damit wird sie, zusammen mit einer Freundin, zur Pionierin der Frauenbildung in ihrem Heimatort: 1947 marca un hito fundamental para la escritora. Es el año de su llegada a México y de su ingreso a la Facultad de Filosofía y Letras de la U.N.A.M. El abuelo materno cobra gran importancia en ese momento. Parecía absurdo, por entonces, que una muchacha quisiera seguir estudiando. Su destino natural, el matrimonio y los hijos, era lo que todos,

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Der historischen Gerechtigkeit halber soll nicht unerwähnt bleiben, daß sie diese autobiographische Passage zum ersten Mal 1965 im Instituto Nacional de Bellas Artes vorgetragen hat, also zu einem Zeitpunkt, wo zwar die Linke international schon Auftrieb erhielt, aber noch vor dem Krisenjahr 1968, von dem ab es auch in gesellschaftlich konservativeren Kreisen als 'chic' galt, sich mit sozialkritischen Federn zu schmücken...

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familiares y amigos, esperaban que eligiera. Ante su decisión de continuar una licenciatura, la de Filosofía, fue ese abuelo el que aceptó el desafío. El abuelo autodidacta, que había leído a la niña el Quijote y que le contaba como cuentos los libros de Dumas, apasionado por Víctor Hugo, decidió sostenerle la carrera y responzabilizarse de ella. Así, con una amiga que quena estudiar Biología, viajó a la Capital. Fueron las primeras mujeres de su pueblo que dieron semejante paso. (CRELIS: 18f.) Der Zusammenprall konträrer Weltanschauungen kann krasser nicht sein: Das bisher streng katholisch erzogene junge Mädchen gerät in skeptische bis atheistische Kreise ihrer Philosophie-Kommilitonen, beschäftigt sich mit Nietzsche und Kierkegaard. Die jähe Erkenntnis, daß Gott wirklich tot ist, stürzt sie in eine tiefe existentielle Krise, verunsichert sie in einem Ausmaß, daß sie konkret an Selbstmord denkt: -¿Por qué abandonó la posición de señorita provinciana? -Porque tuve problemas con Dios. Por eso quise estudiar Filosofía, para tratar de esclarecerlos, de clarificar mi pensamiento [...] Y seguí hasta llegar a preguntarme sobre la existencia de Dios, y el día en que me convencí de que no existía, me iba a suicidar. -¿Por qué? -Porque pensé que la vida sin Dios no tiene sentido. Y lo sigo pensando... -¿No ha cambiado su idea? -No. Dios no existe. Si vivo es por el amor, el amor humano. (CARRERA: 72, zit. in CRELIS: 50f.) Außerdem muß sie feststellen, daß die Fakultät zutiefst ftauenfeindlich ausgerichtet ist, daß sie und ihre Kolleginnen keine Chance haben, von den männlichen Professoren ernstgenommen zu werden; man spricht ihnen die Fähigkeit, zu philosophieren, rundweg a priori ab. Auf ärztliche Anordnung (!) schließlich entscheidet sie sich dazu, das Fach zu wechseln und ein Literaturstudium zu beginnen, das anscheinend besser auf die Erfordernisse 'weiblichen Geistes* zugeschnitten ist: ...en la toma de decisión de abandonar Filosofía y escoger a Letras, tuvo que haber sido tan importante la crisis de existencia por la que su médico le sugirió el cambio antedicho, como la afirmación del profesor de Filosofía de que ni ella ni sus compañeras mujeres se graduarían jamás, porque, según él, las mujeres no estaban hechas para el quehacer filosófico sino para la reproducción, la cocina, la costura y el placer del hombre. (CRELIS: 19) Ihr ganzes Leben lang wird sie diese Dialektik von Philosophie und Literatur begleiten, die auch in ihren Werken ständig Niederschlag findet. 1948 beginnt sie mit der „Licenciatura" in Spanischer und Lateinamerikanischer Literatur an der Universidad Nacional Autónoma de México, die sie 1950 mit einer Diplomarbeit über „Sentimientos e ideas políticas y sociales en el Teatro Mexicano de 1900 a 1950" abschließt; von 1950 bis 1951 studiert sie Arte Dramático 8 , und 1953 belegt sie einen Intensivkurs aus „Biblioteconomia" (vgl. CRELIS: 20).

Ihre ersten Neigungen zum Theater gehen übrigens schon auf ihre Schulzeit zurück, wo sie in einer Aufführung die Hauptrolle übernimmt: „En ese colegio [Montferrant] hizo su primera experiencia teatral, como actriz principal de Santa Juana de Lestonnac, cuya vida se escenificaba. Mago Corona recuerda a la 'adolescente de voz cálida y hermosa que se

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Während ihres Studiums macht sie vor allem auch die Bekanntschaft mit den Exilierten des Spanischen Bürgerkrieges, die das geistige und kulturelle Klima an der Fakultät und in den informellen Runden im Kaffeehaus bestimmen (vgl. ARENAS: Cuentos 65). Für die junge Inés stellen die spanischen Republikaner ein wichtiges Gegengewicht zu den nationalistischen Unterströmungen in Mexiko dar, die ihr zutiefst zuwider sind. Wenn es ihr gelingt, über den Tellerrand der „mexicanidad" zu blicken, dann dank dieser Kontakte, durch die sie auch in Berührung mit dem französischen Existentialismus kommt: En el café [Mascarones] todo era México, México, México, y a mí me disgustaba mucho. Existía el grupo de refugiados españoles que estaban al tanto de lo que pasaba en Francia. En conversaciones con ellos me enteraba de lo que estaba pasando, de Sartre, de Camus. Tenían una cultura francesa casi todos. Habían estudiado la primaria en Francia. Eso me salvó un poco. A mí me chocó el nacionalismo. (MILLER 1976: 22, zit. in CRELIS: 21) Auch sonst verkehrt Inés Arredondo in Kreisen junger Intellektueller, deren Namensliste sich wie ein Who is Who der zukünftigen geistigen Elite ihres Landes liest; dort werden avantgardistische Strömungen wie der Surrealismus oder die Lyrik der „Generation von 1927" in Spanien diskutiert und rezipiert: De las charlas de café nacen discusiones, lecturas e influencias. Los refugiados españoles cumplen un papel importante. Su compañero de estudio, José Pascual Buxó, señala que convivían con Rosario Castellanos, Jaime Sabines, Luis Rius y Rubén Bonifaz Ñuño, y que sus maestros fueron Julio Torri, Francisco Monterde, Carlos Pellicer. En ese espacio, descubren „el existencialismo, la Generación del '27, a Rulfo y Arreóla, el surrealismo y muchas cosas más..." (POLIDORI, zit. in CRELIS: 22) Noch ist aber ihre Auseinandersetzung mit Literatur eine rein theoretische; nirgends ist die Rede davon, wie im Fall anderer Schriftstellerinnen, daß sie bereits in früher Jugend irgendwelche eigenen Werke verfaßt hätte.9 Dazu muß erst eine zweite Lebenskrise kommen, die sie im Alter von 28 Jahren durchmacht: „Surgió esto, quizá como respuesta a un dolor moral muy grande. Comencé a escribir tarde, como a los 28 años." (ARREDONDO: Cuestionario). 1953 hatte sie den Schriftsteller Tomás Segovia geheiratet; die Ehe sollte eine menschliche Katastrophe werden, doch die gemeinsamen Interessen für die Literatur überwiegen zunächst: En mi caso, el matrimonio fue un desastre, pero la comunicación era perfecta. [...] aprendimos a tener casi un lenguaje cifrado. Cuando uno quería decir „inspiración", ya sabía de qué se trataba, o cualquier cosa, estuvimos trece años casados, trece años hablando, y si Tomás no hubiera sido tan mujeriego, yo hubiera sido inmensamente feliz. (ARREDONDO: Hablar 13)

entregaba por entero a su papel' y que 'sabía decir las cosas por su nombre, claras, firmes, de frente'" (CRELIS: 17). Später (1950-1951) ist sie Mitglied des von Xavier Rojas geleiteten Teatro Estudiantil Autónomo, und 1952 leitet sie das Teatro Universitario de la Universidad de Sinaloa. 9

Einzig und allein Martha ROBLES nennt sie „Autora [...] de poesías reunidas en colecciones privadas las cuales considera 'desahogos adolescentes'" (Escritoras II, 225).

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Doch nach der Geburt ihrer ersten Tochter Inés wird ihr zweites Kind, José, tot geboren - ein fast unüberwindbares Trauma für die junge Mutter: Vida familiar, laboral y escritural estuvieron unidas de modo indisoluble. El matrimonio con Tomás Segovia, que duró trece años, fructificó de muchas maneras. Dio, sobre todo, espacio para el crecimiento intelectual de la narradora. De él son sus tres hijos. En 1953 nació la primera niña y un año y medio después se produjo un hecho clave en la vida de Arredondo. En 1955 perdió un hijo y ello la sumió en profunda angustia. (CRELIS: 23) Um über den Schmerz hinwegzukommen, stürzt sie sich in vermehrte berufliche Aktivitäten. Schon zuvor, 1952 bis 1955, hatte sie an der Biblioteca Nacional gearbeitet; nun übernimmt sie einen Lehrstuhl an der Theaterakademie und intensiviert ihre Tätigkeit als Übersetzerin. Dabei 'passiert' ihr, wie von ungefähr, als wäre sie von der Übersetzung gewissermaßen angesteckt worden, ihre erste eigene Erzählung, „El membrillo": 10 Aceptó sustituir a Emilio Carballido en una cátedra de la Escuela de Teatro de Bellas Artes e incrementó su trabajo de traductora. Cuenta que estaba traduciendo un cuento del francés cuando, sin saber cómo, inició y terminó un texto propio. Fue „El membrillo", su primer cuento, publicado en 1957 en la Revista de la Universidad. Desde entonces, aunque en forma intermitente, ya no dejaría de escribir. (CRELIS: 23) Etwa zur selben Zeit wirkt sie auch an der Erstellung des von der UNESCO herausgegebenen Diccionario de Literatura Latinoamericana mit. Von 1959 bis 1961 ist sie als Redakteurin des Diccionario de Historia y Biografías Mexicanas (Editorial Porrúa) tätig und arbeitet als Autorin für Radio und Fernsehen (1961). In all dieser Zeit - kaum unterbrochen durch die Geburt zweier weiterer Kinder (Ana und Francisco) - agiert sie, nebenbei und ohne daß ihre Arbeit namentlich erwähnt würde, als Mitarbeiterin in der hauptsächlich von ihrem Mann Tomás Segovia gestalteten Revista Mexicana de Literatura - ein typisches Frauenschicksal nach dem Motto „Hinter jedem bedeutenden Mann steht eine Frau": „Curiosamente ya la había hecho, incluso a mano y no figurando, durante todo el tiempo que estuve casada con Tomás Segovia; cuando me separé de él, ingresé a la revista con mi nombre y ya siendo formalmente miembro." (Inés Arredondo in Sergio GONZALEZ LEVET: 49, zit. in ARENAS: Cuentos 67) Elena Poniatowska schildert sie als „Seele" und insgeheime „Göttin" des Redaktionsstabes, einzige Frau in einer von Männern dominierten Intellektuellenwelt: Durante una época, Inés fue el alma y la diosa del consejo editorial de la Revista Mexicana de Literatura aunque no le gustaba la política cultural. Unica mujer de su generación, tuvo adoradores: Huberto Batis, Juan García Ponce. (PONIATOWSKA 1994: 2) Auch Rogelio Arenas hebt ihre Bedeutung als Kritikerin und Autorin innerhalb des Literaturjournals würdigend hervor:

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Sie selbst schildert dieses einschneidende Erlebnis folgendermaßen: „Trataba de traducir del francés cuando empecé a escribir otra cosa. Una cosa que al principio no sabía qué era y que resultó mi primer cuento: 'El membrillo'" (Interview mit QUEMAIN: 52).

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...[Inés Arredondo] es quizás la única escritora que ocupa un importante lugar en las páginas de la Revista mexicana de literatura, pues en ella publica valiosas y sugerentes reseñas de libros y de espectáculos y cinco de los más sobresalientes cuentos que reúne después entre los de La señal. (ARENAS: Cuentos 63)11 Segovia macht zwar sicherlich seinen Einfluß in der Zeitschrift dahingehend geltend, daß er immer wieder Erzählungen Arredondos in ihr abdrucken läßt,12 doch gleichzeitig entwickelt er paradoxerweise eine Art beruflicher Eifersucht, als spürte er, daß ihm seine Frau (die 1961/62 ein Stipendium des angesehenen Centro Mexicano de Escritores für die Gattung „Erzählung" und 1962 ein Stipendium der Fairfield Foundation in New York bekommen hat) als Autorin über den Kopf wachsen könnte: Como él es poeta - ahora está haciendo más ensayo siempre una narración es más fácil y gratificante de una manera superficial a la primera lectura que un poema. Es más difícil el poema y lo tienes que leer dos veces, y un cuento sólo si te gusta mucho lo vuelves a leer, es más fácil un cuento. Tenía una especie de celos por eso, pero eran unos celos extraños, porque a mí me hacía una escena de celos, pero era él el que llevaba mis cuentos a las revistas para que se publicaran. (ARREDONDO: Hablar 14) Um die wachsenden Eheschwierigkeiten in den Griff zu bekommen, beschließen die beiden einen Tapeten Wechsel: Sie ziehen nach Montevideo, wo Inés Arredondo als „Secretario de actas" der Asociación Latinoamericana de Libre Comercio (ALALC) arbeitet. Doch dort kommt es schließlich 1962 zur endgültigen Trennung: EP - ¿Y entonces se fueron al Uruguay? IA - Para hacer borrón y cuenta nueva. Y en Uruguay siguió pasando lo mismo, entonces yo agarré a mis hijos, me los traje, me separé, luego Tomás me pidió que lo pensara dos años, se fue él a París dos años y nos escribíamos, y sus cartas eran muy galantes, con versitos, cosas de esas, pero cuando vino, supuestamente a reconquistarme, había una mulata que andaba tras sus huesos, y cayó, y hasta se casó con ella. (ARREDONDO: Hablar 15) Insgesamt scheint das ganze Ambiente der uruguayischen Hauptstadt der Mexikanerin nicht behagt zu haben; Ida Vitale erinnert sich: Inés ha sido de las pocas viajeras que no sucumbió a los encantos de mi ciudad. En los dos años que vivió en Montevideo quejábase a diario de aburrimiento gastronómico (faltábale naturalmente el repertorio de chiles que la sabia naturaleza no consideró necesario en el sur) y ya en tren de quejarse, se indignaba de no encontrar lugares nocturnos donde hablar con música de fondo [...]. Pero sobre todo detestaba nuestro clima [...] su falta de objetividad fue agravada a partir de un presunto pingüino llegado a nuestras playas desde los hielos patagónicos y que, como símbolo de un invierno ya intolerable, habría precipitado la huida de Inés hacia tierras más tibias. Dejémoslo así. En cambio de

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Über die entscheidende Rolle Arredondos in der Neuen Folge meint ein anonym gebliebener Autor gar: „La nueva época de la Revista Mexicana de Literatura no existiría de no ser por Inés Arredondo. En las páginas de esta revista allanó el camino del oficio de muchos escritores, entre ellos yo" (zit. in CRELIS: 28).

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„La señal", in der Nummer 1 (ene.-mar. 1959), S. 3-5, „La casa de los espejos", in der Nummer 12-15 (jun.-sep. 1960), S. 17-26, „La Sunamita", in der Nummer 9-12 (1961), S. 14-24 (alle Angaben nach AMO in OCAMPO: Diccionario).

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tantos agravios, Montevideo le ofreció el conocimiento en vivo de Juan Carlos Onetti, que guarda buenos recuerdos de ella. (VITALE) Das frostige Klima scheint vor allem auch mit ihrer inneren Befindlichkeit und der ihrer Beziehung zu Tomás Segovia zu tun gehabt zu haben. Nach ihrer Rückkehr nach Mexiko und der schließlich erfolgten Scheidung (1965) ereilt Arredondo das typische Schicksal einer alleinerziehenden Mutter mit drei kleinen Kindern: Um für ihre Familie zu sorgen, nimmt sie einen Job nach dem anderen an, reibt sich auf zwischen Unterricht, Übersetzungstätigkeit und Journalismus - für das eigene Schreiben bleibt wenig Zeit. In ihrem Curriculum stehen für die sechziger Jahre folgende Beschäftigungen vermerkt: Miembro de la Mesa de Redacción de la Revista Mexicana de Literatura hasta su fin en 1965. [...] Investigadora de la Coordinación de Humanidades (1965-1975). Conferencista invitada en Indiana University y Purdue University en 1966. Profesora en los Cursos Temporales (UNAM) en la materia „Siglos de oro" y Profesora de Literatura en la Escuela de Cine de la misma UNAM (1965-1968). Crítica de la sección de Revistas de „México en la cultura", suplemento de la Revista Siempre! 1965 a 1967. Colaboradora de Radio Universidad UNAM, 1965 a 1970. Colaboradora en el Diccionario de Escritores Mexicanos del Centro de Estudios Literarios de la UNAM, editado en 1967. Profesora de la Escuela de Teatro del INBA, 1965 y 1967. Redactora del Departamento de Información y Prensa. UNAM. 1965-1968. Co-guionista con Juan García Ponce de Mariana, película de largo metraje dirigida por Juan Guerrero, 1967. Profesora de Historia del teatro en la Universidad Iberoamericana, 1970. Investigadora del Centro de Estudios de Historia de México, CONDUMEX, de 1966 a 1973. Außerdem veröffentlicht sie nun, 1965, ihren ersten eigenen Erzählband La Señal, fast hat es den Anschein, als hätte es erst der Trennung vom übermächtigen Schatten ihres ersten Mannes bedurft, um sich literarisch auf eigene Beine zu stellen. Auch in Zukunft sollen die relativ kurzen Prosatexte ihr Markenzeichen bleiben (einzig und allein Opus 123 erscheint als selbständige Novelle), was nicht nur intrinsischen Gesetzen des Genres, 13 sondern auch extraliterarischen Faktoren zuzuschreiben ist. Arredondo selbst kommentiert ihre damaligen Lebens- und Arbeitsbedingungen, die es

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Zu denen sie folgendes äußert: „Sí, yo intenté la novela, pero eso que tiene la novela de alargar las cosas, de abundar en las cosas, definitivamente no va conmigo. Si escribo esa novela, será un cuento largo, pero no puedo poner palabras de más, ya me acostumbré a buscarlas, y las novelas se escriben más libremente, para decirlo de alguna manera, y la empecé tres veces, no, no pude" (ARREDONDO: Hablar 14). „La autora señala que al saltarse los años que van de un cuento al otro [El árbol, Estío], lo que ha hecho es ahorrarse una mala novela que no tendría en su desarrollo un contenido importante." (URRUTIA: La Sinaloa 58)

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ihr unmöglich erscheinen lassen, sich an längere epische Gattungen zu wagen, abgeklärt-resignierend: ...todas nos divorciamos a una cierta edad, y entonces, hay que darles de comer a los hijos, vestidos y todo eso, entonces empezamos a trabajar como locas dando clase aquí, escribiendo articulitos allá, así como vive un escritor para los hijos; entonces, te queda poco tiempo para relajarte para escribir una novela. Estás siempre tensa, entonces, esa tensión se traduce en que seas breve. (ARREDONDO: Hablar 14) Kein Wunder, daß sich dieses gigantische Arbeitspensum, zusammen mit den psychischen Problemen nach der Scheidung, auch negativ auf ihre Gesundheit auszuwirken beginnt: Desde niña, Inés tuvo predisposición a las enfermedades, pero sus problemas de salud se inician con su divorcio. La operaron cinco veces de la columna vertebral y nunca quedó bien. Por esa lesión tuvo que andar en silla de ruedas el resto de su vida. A partir de 1972, el doctor Carlos Ruiz Sánchez se responsabilizó de ella y se casaron. (PONIATOWSKA 1994: 2) Diese zweite Ehe sollte ihr zwar eine gewisse finanzielle Sicherheit bringen, doch die psychische Depression wird allmählich zu einem chronischen Problem: ...hubo que esperar trece años, hasta 1979, para que la escritora se decidiera nuevamente a publicar. El nuevo matrimonio y la paulatina despreocupación por los problemas económicos habrían, tal vez, permitido mayor abundancia creadora si no se hubieran multiplicado las enfermedades, sobre todo la aguda depresión. (CRELIS: 30) Als einzige Kritikerin wagt es Elena Poniatowska, fünf Jahre nach Arredondos Tod, auch das Thema „Alkohol" in diesem Zusammenhang zu erwähnen: Margarita [García Flores] me confió que Inés tuvo épocas de desesperación, de angustia, depresiones intensas que la hacían caer en manos de malos siquiatras que la ponían peor. El alcohol es el mejor ansiolítico. (PONIATOWSKA 1994: 2) Die schwere Krankheit, die bei näherer Betrachtung gleichsam in Zusammenhang mit ihrer inneren 'Gebrochenheit' 14 zu stehen scheint, fast wie ein symbolischer Ausdruck dieses 'geknickten Rückgrats' aussieht, bringt zwar ihre physische Kraft im wörtlichen Sinne zum 'Erliegen', ihre geistigen und kreativen Energien aber bleiben intakt. Poniatowska, die sie Mitte der siebziger Jahre kennenlernt, erfahrt sie als „mujer en cama con una fuerza inusitada." Und sie fragt sich fasziniert: „¿Quién era esta figura yacente entre almohadas en una recámara ordenadísima?" (ibid.). Ihre damalige Begegnung in der Calle Gabriel Mancera schildert sie folgendermaßen: Inés estaba acostada, veía las vigas del techo, hablaba desde su cama. „No me puedo levantar, tengo la presión baja". Me asombró su capacidad de análisis y su ironía. Todo lo que dijo era deslumbrante. [...] Tenía fe y mucha seguridad en sí misma. El poder de Inés estaba más allá de lo que podía verse en el lecho doliente. Era la antítesis de la autocompasión. (ibid.)

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Vgl. Arredondos Aussage in Fußnote 4.

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In der Tat nimmt Arredondo noch einmal ihr Literaturstudium auf und schreibt 1973 eine „tesis de maestría" über den mexikanischen Essayisten und Lyriker Jorge Cuesta, der sie durch seine Rätselhaftigkeit und Widersprüchlichkeit besticht (vgl. Obras completas-. 273). Viele Jahre später, 1980, soll sie sich auch dazu aufraffen, ihre Abschlußprüfung abzulegen, die sie mit einer mención honorífica glänzend besteht. Doch dazwischen herrscht praktisch Stille bis zur Veröffentlichung ihres zweiten Buches, Río subterráneo 1979: En 1974, Canal 13 realizó videograbaciones sobre algunos cuentos: Manuel Moreno adaptó, para esos fines, „La Sunamita", „La casa de los espejos" y „Olga". En diciembre, Inés Arredondo escribió un artículo para la revista Plural: „Obra inédita, no recogida y gráfica de Gilberto Owen". Luego, el silencio. Entre 1975 y 1979 hubo un cese de toda actividad pública,15 aunque se la distinguió como miembro del Pen Club de México en 1978. (CRELIS: 30f.) Dann kommt, wie ein unerwarteter Paukenschlag, ihr zweiter Erzählband Río subterráneo, von der Kritik enthusiastisch begrüßt16 und mit dem renommiertesten Literaturpreis ausgezeichnet, den Mexiko zu vergeben hat, dem Premio Xavier Villaurrutia, den schon zuvor Juan Rulfo und Octavio Paz bekommen hatten. Damit wird auch die internationale Aufmerksamkeit auf sie gelenkt: 1979 wird sie eingeladen, drei ihrer Erzählungen für die Library of Congress in Washington auf Band zu sprechen, und auch die UNAM gibt 1980 eine Schallplatte in der Serie Voz Viva de México heraus (vgl. CRELIS: 32). Übersetzungen in verschiedene Sprachen und Ehrungen diverser Organisationen folgen auf dem Fuße: ...algunos de sus cuentos se tradujeron a otros idiomas - inglés, alemán, holandés-; recibió algunos homenajes: en Mocorito, Sinaloa, a fines de 1980 y en el Tecnológico de Monterrey -Nuevo León-, en su ciclo „Compresencias" el 17 de octubre de 1983; el Municipio de Culiacán le otorgó la medalla „Bernardo de Balbuena" al mérito literario el 7

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Dies ist insofern zu relativieren, als 1976 immerhin fünf Erzählungen von ihr in diversen mexikanischen Zeitschriften veröffentlicht werden („La cruz escondida", „Las palabras silenciosas", „Los inocentes", „Las mariposas nocturnas" und „Wanda"), 1977 immerhin eine („Atrapada") und 1978 wieder fünf („Las muertes", „Sábado", „En Londres", „Orfandad" und „En la calle"). Richtig ist, daß Arredondo 14 Jahre nach Erscheinen ihres ersten Buches, La Señal (1965), mehr oder weniger aus dem öffentlichen Bewußtsein verschwunden war, was Juan José Reyes vornehm so umschreibt: „Sus dilatados silencios han servido para crear entre sus lectores, se diría, una perturbadora y creciente admiración." (REYES: 6, zit. in CRELIS: 35f). Auch Crelis meint: ,fiío subterráneo, nuevo volumen de cuentos - doce relatos - publicado por Joaquín Mortiz en 1979, permite que el mundo literario del país y sus lectores recuperen la memoria sobre la escritora." (31)

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Vgl. etwa Alicia Zendejas: „En un año no muy nutrido en la narrativa mexicana, el libro de Inés Arredondo es como un aviso de que esa prosa sigue viva y puede alcanzar el calificativo de excelente, aunada a un estilo muy personal y vivo, aun en lo que silencia para no romper el encanto en el que flota." (ZENDEJAS: s.p., zit. in CRELIS: 33)

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de noviembre de 1986 y la homenajeó el CREA 17 de Culiacán en marzo de 1987. (CRELIS: 34)

Schnell kommt es zu Neuauflagen ihrer älteren Werke: La señal wird 1980 von der Difusión Cultural der UNAM in ihrer Reihe „Textos de Humanidades" herausgebracht, 1981 veröffentlicht die Secretaría de Educación Pública (SEP) La Sunamita y otros cuentos in der Serie „Cuadernos Mexicanos". Aber auch Río subterráneo selbst wird bald wiederaufgelegt, und zwar in einer Gemeinschaftsausgabe von Joaquín Mortiz und SEP in den in großer Auflage erscheinenden „Lecturas Mexicanas" (1986). Nun gibt es endlich wieder Neuerscheinungen von Inés Arredondo: 1983 bringt der Verlag Oasis ihre Novelle Opus 123 heraus, ein Jahr später erscheint ihr Jugendbuch Historia Verdadera de una Princesa als Gemeinschaftsproduktion von CIDCLI (Centro de Información y Desarrollo de la Comunicación y la Literatura Infantiles) und SEP, und 1988 ihr dritter und letzter Erzählband Los espejos. Im selben Jahr erscheinen schließlich die Obras completas bei Siglo XXI. Rund um ihren sechzigsten Geburtstag häufen sich die akademischen Auszeichnungen und Bekundungen öffentlicher Anerkennung, von denen dem Ehrendoktorat, das ihr die Universidad Autónoma de Sinaloa am 27. Mai 1988 verleiht, sicherlich das größte Gewicht zukommt. Der Fernsehsender „Canal 11" widmet ihr eine „entrevista homenaje", und im November 1988 wird ihr zu Ehren ein eigenes Festival in ihrer Heimatstadt Culiacán veranstaltet (vgl. URRUTIA: La Sinaloa 58). Doch Inés Arredondo ist mehr denn je von ihrer Krankheit gezeichnet; als ich sie im Sommer 1989 kennenlerne, sagt sie, sie habe ihre Wohnung seit acht Jahren nicht mehr verlassen und empfinde ihr Eingesperrtsein als furchtbar deprimierend: ...con frecuencia me deprimo, hoy me salvaste el día, porque amanecí muy deprimida, porque no puedo salir, y ya ver las cuatro paredes de mi cuarto ocho afios ya, ya. (ARREDONDO: Hablar 18)

Bei meinem zweiten Besuch im August kann sie kaum noch sprechen und ist ständig ans Bett gefesselt, wo sie von ihrem Mann und ihrem guten Geist Justina umsorgt wird. Geschrieben hat sie schon lange nur mehr in dieser Stellung, mit der Hand, auf einem Blatt Papier, das sie an ein Holzbrettchen heftet. Ihr Witwer sieht das später ein wenig verklärend-mystisch: Escribir es un acto místico, es un rito. No se puede celebrar un rito con una máquina de escribir, y menos con una computadora. Inés escribe a mano, en una tabla de clip y con lápiz o bolígrafo, y sobre papel revolución. Lo hace generalmente de noche, o recostada en su cama; es el rito solitario, íntimo, introspectivo. Requiere del silencio. (RUIZ SÁNCHEZ: 2)

Doch Inés Arredondo selbst beklagt sich selbstverständlich über diese weltlichen Mißlichkeiten, wenn sie auch meint, daß das Schreiben mit der Hand für sie im

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Grunde etwas Sinnliches bedeutet. Über die Frage, ob sie ihre handgeschriebenen Originalmanuskripte aufbewahrt hat, entspinnt sich folgender Dialog mit ihr: EP - ¿Y guardas esos manuscritos originales? IA - No. EP - Es que a veces, en la letra escrita a mano también se refleja el estado de ánimo. IA - No, ahora ya no, porque no puedo estar mucho sentada, tengo que estar recostada, entonces la tablita la tengo que estar deteniendo con una mano mientras escribo con la otra. Así es que hay mucha dificultad para escribir y mucha dificultad para entender la letra. No es mi letra, es la que se produce por la postura, ¿no? Pero sí creo que es algo sensual escribir a mano. (ARREDONDO: Hablar 20) In diesem Stadium wünscht sie sich nur mehr einen „ästhetischen" Tod ohne große Schmerzen, und außerdem möchte sie sich selbst ein symbolträchtiges Datum aussuchen - den Allerseelentag, was ihr vom Schicksal auch gewährt wird: Su esposo [...] dijo que la escritora deseaba una muerte estética y recordó también un comentario que había hecho, una vez, a su hijo Francisco: hay que morir en Día de Muertos. Estos deseos sí le fueron cumplidos. Murió el 2 de noviembre de 1989 [...]. Se la enterró en „Jardines del Recuerdo". (CRELIS: 37)

1.3.2. Konzises Erzählen im Zeichen des amour fou Fast mutet es wie eine makabre Voraussage an, wenn Patricia-Dolores DórameGrajales in ihrer 1989 erschienenen Dissertation anmerkt, es müsse wohl auf den Tod der Autorin gewartet werden, damit ihr, ähnlich wie ihrer Landsmännin Rosario Castellanos, endlich von der Kritik die Aufmerksamkeit gewidmet würde, die sie verdient hätte: Con esto parece que tendremos que esperar a que muera Inés Arredondo para que, como sucedió con Rosario Castellanos el año de su muerte (1974), no se la considere como una escritora inferior. (DÓRAME-GRAJALES: 125) Letzteres Diktum erscheint mir persönlich etwas kraß, denn als „inferior" ist Arredondo auch zeit ihres Lebens nie betrachtet worden, im Gegenteil: die lobenden, ja begeisterten Kommentare häufen sich schon kurz nach Erscheinen ihres ersten Erzählbandes La Señal: La aparición de esta obra fue festejada por la crítica de la época: „Un libro que hay que atesorar". (BATIS 1965, zit. in CRELIS: 29) El crítico tiene la obligación de analizar lo que critica. Ello no implica que no se deje llevar por el entusiasmo: el entusiasmo que produce este libro nada común. (XIRAU 1966, zit. in CRELIS: 29) Später heißt es von ihr durchgehend, sie sei „die beste" oder „eine der besten" Schriftstellerinnen Mexikos, bisweilen mit Einschränkung auf die Gattung der Er-

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Zählung (wahrscheinlich, um sie von Romanautorinnen wie Elena Garro oder 'Universalgenies' wie Rosario Castellanos zu unterscheiden 1 8 ): ...con apenas un poco más de treinta cuentos, hoy Inés Arredondo es considerada como una extraordinaria escritora, maestra en el arte de la narración y, para mí, sin duda, la mejor cuentista en la literatura mexicana contemporánea. (ARENAS: Señal 62) Los dos libros de cuentos publicados hasta la fecha por Inés Arredondo, La señal en 1965 y Río subterráneo en 1979, la han colocado entre las mejores escritoras mexicanas contemporáneas y le han merecido el reconocimiento unánime de la critica... (CORRAL: Dialéctica 57) Juan Vicente Meló versetzt sie gar in die creme de la creme der gesamten spanischsprachigen Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts und spricht vom „sitio primerísimo que ocupa esta inventora de realidad en el panorama viviente de la literatura de habla española del siglo X X " (MELO: 1, zit. in CRELIS: 36). Und Miguel Ángel Quemain tut der Autorin (in der Einleitung eines Interviews mit ihr) den Gefallen, von ihrem Geschlecht abzusehen und sie als „uno de nuestros cuentistas más importantes, imprescindible" (51) zu bezeichnen. Was für uns merkwürdig klingt, muß für Inés Arredondo eine Wohltat gewesen sein, hat sie sich doch immer darüber beschwert bzw. dagegen aufgelehnt, als typisch weibliche Autorin angesehen und womöglich deshalb, sozusagen als Zugeständnis an das 'schwache Geschlecht', von der Kritik mit Glacéhandschuhen angefaßt zu werden; im Interview selbst sagt sie: ...las mujeres estamos haciendo muy mal en decir: „la mejor escritora", „es de las mejores escritoras". Yo no soy escritora, yo no quiero ser una de las mejores escritoras. Quiero ser uno de los mejores narradores de México junto con los hombres, yo creo que las mujeres nos estamos discriminando solas. (Interview mit QUEMAIN: 55) 19

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Von Castellanos hebt sie sich prinzipiell durch den Verzicht auf explizite Thematisierung sozialer und rassischer Gegensätze in der mexikanischen Gesellschaft ab, und auch von Garro - mit der sie ansonsten die existentielle Unruhe, den Hang zu Fatalismus und Übersinnlichem gemeinsam hat - trennt sie das Nicht-Eingehen auf die indianischen Wurzeln mexikanischer Identität(sunsicherheit): „Distinta a Castellanos, elude los problemas de la marginación cultural en pro de un planteamiento de la posibilidad real del lenguaje. Olvida también (o acaso ignora) la raíz ancestral, perdida para siempre en el laberinto de la historia derrotada (génesis textual de Elena Garro), para escarbar la íntima experiencia del solipsismo y la locura." (GUEVARA REYES: 35)

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Eine ganz ähnliche Reaktion gibt es interessanterweise auch von der wesentlich jüngeren Carmen Boullosa, die sich heftig darüber beschwert, daß ihr von der Kritik 'weibliche Klischees' aufoktroyiert werden: "en la presentación anterior de un libro mío, de La salvaja, un compañero escritor, de lo que habló fue de mi nombre. Dijo: La salvaja. ¿Por qué Carmen Boullosa titula La salvaja un libro de poemas? Porque Boullosa es 'toda pasión', es 'la que bulle', y me di una enojada, claro, igual fui prudente, me calmé, yo no tengo por qué pelearme con la gente y decirle: ¡Oye, yo soy tan escritor como tú! No podría yo decir: 'Yo soy escritor, no soy escritora', no, no tengo por qué decir eso, pero de lo que me dan ganas es decir: 'Bueno, yo soy escritor, dejen de considerarme como..., ¡y soy buen escritor!'" (BOULLOSA in PFEIFFER: Entrevistas 28). Die Auslassungszeichen (im mündlichen Interview natürlich lediglich eine bedeutungsvolle Pause) scheinen hier-

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In der Unterredung mit Beth Miller macht die um Anerkennung kämpfende Autorin nicht nur sprechenden Gebrauch von Diminutiven, sie kehrt auch deutlich hervor, wie von der männlichen Kritik häufig eine herabsetzende Analogie zwischen weiblichem Schreiben und Gebärfunktion hergestellt, die Literaturproduktion der Frau aber damit wieder in den Konnex 'Natur' gebracht wird (im Gegensatz zu der des Mannes, die selbstverständlich der anderen Seite des Oppositionspaares, der 'Kultur', angehört); als quasi 'natürlicher Vorgang', der den Schriftstellerinnen fast ohne ihr Zutun 'passiert', wären ihre Kreationen aber nicht wirklich ernstzunehmen, bloßer Ausfluß einer 'Laune', eine 'Einfalls': A un hombre, sí le toman en serio, dicen cosas en serio, o lo atacan en serio. Pero si eres una mujer que escribe más o menos bien, como eres mujer te sacan lo femenino y por eso te disculpan. Es como decir: una gracia más de la señora. Que además de tener hijitos escribe unos versitos monos o unos cuentecillos que no están mal. (MILLER 1975, zit. in DÓRAME-GRA JALES: 125)

Arredondo hat dabei das Gefühl, in eine Subliteratur abgeschoben zu werden, eine Einschränkung, gegen die sie ständig vehement ankämpft: ...cuando escribes, ahí sí, tienes que empezar por vencer tu procedencia: por ser mujer naces en una subliteratura de la que es difícil salir, porque cuesta mucho que te consideren escritor y no escritora, es decir que te tomen en serio. (GARCÍA FLORES: s.p., zit. in CRELIS: 20)

In dieser Crux mag auch die Ursache für einen oft vermerkten Widerspruch liegen: einerseits wird das Werk der Arredondo hochgelobt, auch von Größen der Literaturszene wie Elena Poniatowska und Angel Rama, andererseits ist es in Anthologien und Literaturgeschichten nur spärlich vertreten, ganz abgesehen vom Bekanntheitsgrad außerhalb Mexikos selbst: Estos datos presentan una contradicción. Si Inés Arredondo debe ser considerada como una de las mejores escritoras del país [Poniatowska 1975] y, por otro lado, forma parte de los llamados „novísimos narradores," [Rama 1981] la ausencia de su nombre en las numerosas antologías que saturan al lector sobre la historia literaria resulta sorprendente. [...] Ahora bien, vale la pena preguntarse cómo y porqué los libros de Arredondo no se conocen fuera de México ni tampoco dentro del ámbito específico de un país que importa y exporta cultura masivamente. (DÓRAME-GRAJALES: 124f.)

Dafür scheint nicht nur ihre Beschränkung auf die Kurzprosa ausschlaggebend zu sein, die generell in Lateinamerika niemals das Renommee (aber auch nicht den kommerziellen Erfolg) der „nueva novela" erreicht hat, sondern auch die Thematik ihrer Erzählungen: Fast immer stehen problematische Frauenfiguren im Mittelpunkt, und auch die Erzählperspektive ist meist eine weibliche: Mujeres, en mayoría azoradas ante veleidades amorosas, sin voluntad; esquizofrénicas, aunque ennoblecidas en su estoicismo; vivas en su realidad intangible, espectros rutinarios en su domesticidad. (ROBLES: Escritoras II, 218f.)

bei gewissermaßen etwas Obszönes, Unaussprechliches anzudeuten, als würde weibliches Schreiben unauslöschlich die Markierung des Geschlechts tragen...

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Muchos cuentos míos son sobre mujeres frustradas o engañadas que sufren el matrimonio, no lo disfrutan, (zit. in CRELIS: 26)

Arredondo selbst räumt ein, daß sie eine gewisse Scheu hat, sich in erwachsene männliche Figuren hineinzudenken: Tengo algunos adolescentes y quizá por ahí un hombre, pero no me atrevo mucho a los hombres hechos y derechos, me quedo en los adolescentes, y de los mayores doy sólo unas pinceladas que los caractericen, nada más. (ARREDONDO: Hablar 16)

Trotzdem liegt ihr nichts ferner, als ihre Werke als „literatura femenina" oder gar „feminista" eingestuft zu sehen (vgl. CRELIS: 19). Auf die Frage, ob sie sich im weitesten Sinne als Feministin ansehe, antwortet sie auf einem 1989 von mir zugesandten Fragebogen zunächst resolut: „En absoluto", um dies dann - offenbar nach einigem Nachdenken - wieder durchzustreichen und mit dem Nachsatz zu versehen: „Bueno, en el sentido más amplio, sí." Auch in puncto „Frauensolidarität unter Schriftstellerinnen" zeigt sie sich abweisend und setzt implizit „feministisch" mit „lesbisch" gleich: Es más fácil, según mi experiencia, con los hombres. No soy lesbiana ni feminista. El trato con escritoras suele ser superficial y mezquino, con excepciones, por supuesto. (ARREDONDO: Cuestionario)

So kommen auf einer Veranstaltung, die posthum zu Ehren Arredondos abgehalten wird, die Teilnehmerinnen einhellig zur Auffassung, daß die mexikanische Autorin nicht gegen ihren deklarierten Willen für den Feminismus reklamiert werden dürfe: Durante el homenaje a Inés Arredondo que se realizó en el mes de marzo de 1990 surgió esta pregunta que hoy es inevitable: ¿es su literatura una literatura femenina? Y más aún: ¿pueden leerse estos cuentos como manifestación feminista? Apoyados en declaraciones de la autora, casi todos los presentes coincidieron en negar ambas posibilidades. (CRELIS: 66) Dennoch kann nicht übersehen werden, daß die Fokussierung auf Probleme der Frau und - noch spezifischer - die einer von der heterosexuellen Paarbeziehung enttäuschten, j a zerstörten Frau sie streckenweise zur Feministin wider Willen macht, w i e dies etwa Crelis mit B e z u g auf die Erzählung „Canción de cuna" postuliert: Hay que decirlo de una vez: éste es un cuento femenino que podría ser ubicado como feminista y con él, sin quererlo, la autora da una respuesta a la cuestión planteada. Si existe una literatura de la mujer, es en la medida en que ella recorte aspectos de la realidad pertinentes a la especificidad femenina. (CRELIS: 67)

Ähnlich wie bei Bombal, aus deren Texten, trotz der reaktionären politischen Einstellung der Autorin im wirklichen Leben, immer wieder indirekte Gesellschaftskritik am patriarchalischen System spricht, könnte so auch Arredondo, die glühende Verfechterin der heterosexuellen Liebe und teilweise masochistische Befürworterin der vaterrechtlichen Ordnung, paradoxerweise und mit gewissen Einschränkungen für die Sache des Feminismus reklamiert werden, obwohl sie dadurch (wie schon oben ausgeführt) in ein literarisches Ghetto gestellt würde, vor dessen Enge sie sich zeitlebens gefürchtet hat.

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Sämtliche Kritikerinnen sind sich darin einig, daß ihr fast obsessiv wiederkehrendes Hauptthema, um das die meisten ihrer Erzählungen kreisen, jenes der unbefriedigenden Paarbeziehung darstellt: Su punto de partida es, casi siempre, la relación con el otro. De todas las relaciones posibles que pueden existir con éste, elige el de la pareja. De los catorce cuentos de La señal, sólo dos no toman como asunto ese vínculo. (CRELIS: 49) Una de las más distinguidas cuentistas contemporáneas, Inés expresa en sus páginas el drama de la mujer custodiada por la sombra masculina, impidiendo su tránsito de la adolescencia afectiva a la madurez. (ROBLES: Mujeres 234) Auch Fabienne Bradu spricht von einem „tema constante en toda la obra: el del amor-pasión, l'amour fou" (BRADU: Escritura 29), und Ruiz Sánchez führt noch etwas detaillierter die Leitmotive an, die nicht nur Arredondos erzählerische Welt durchziehen, sondern auch Gegenstand existentieller Auseinandersetzung für die Autorin in ihrem Lebenszusammenhang sind: De sus preocupaciones vitales nos hablan los temas que trató en sus cuentos: la pureza, la locura, la justicia, la misericordia, la concupiscencia y todos los demás relacionados con el amor. (RUIZ SÁNCHEZ: 2) Dazu kommt noch, daß sie sich auf ein Gebiet vorwagt, das zur Zeit ihrer ersten Veröffentlichungen, in den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren unseres Jahrhunderts, für mexikanische Autorinnen 20 immer noch Neuland darstellt: das weite Feld der sexuellen Beziehungen, vor allem in ihren abgründigen, perversen oder makabren Spielarten. Was Martha Robles noch 1983 über das Gros der Schriftstellerinnen ihres Landes sagt, gilt eben nicht für Arredondo, die vor ihren erotischen Phantasien und Träumen keineswegs flieht: Al repasar sus obras [de las mexicanas] se advierte el poder silenciador del confesionario; un mismo temor, a veces aborrecimiento del dominio masculino y, en casi todas, la figura velada de la hembra pasional, los disfraces del placer con los que se han ocultado las fantasías eróticas. Las mexicanas han llevado hasta sus páginas la tendencia a ocultarse a los ojos de los demás y a susurrar la anécdota, calificar la conducta y huir de los sueños. (ROBLES: Mujeres 227)

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Aber nicht nur für diese: man bedenke, daß vergleichbare Werke ihrer männlichen Kollegen, in denen sexuelle Abartigkeiten eine tragende Rolle spielen, wie z.B. La región más transparente des gleichaltrigen Carlos Fuentes oder Pedro Páramo des zehn Jahre älteren Juan Rulfo etwa im gleichen Zeitraum (1958 bzw. 1955) erschienen sind. Arredondo befindet sich also an der vordersten Linie der jungen mexikanischen Generation, allerdings ohne je deren Ruhm einzuheimsen. Dies mag tatsächlich an der stark 'weiblich' markierten Thematik ihrer Texte liegen, die solchermaßen zu einem „género menor" gestempelt werden (zu dieser Vermutung gibt mir auch die Tatsache Anlaß, daß etwa Fuentes im Neuen Kindler als Angehöriger der Generation der „zornigen jungen Männer" geführt wird - eine Frau mußte darin notgedrungen eine Außenseiterrolle spielen...).

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Inzest, Prostitution, Sadismus, Masochismus, Sex im Alter und andere von der Gesellschaft offiziell nicht gutgeheißene 'verbotene Begierden' sind Themen, die in ihren Erzählungen ständig wiederkehren:21 De los 35 cuentos contenidos en Obras completas, veinte aluden directamente al erotismo negro, fuera de orden y todos, en general, se enfrentan a la naturaleza de la existencia individual como portadora de necesidades y deseos peligrosos, siempre en conflicto con las posibilidades de la realidad. (LÓPEZ GONZÁLEZ: 16) Dabei nimmt das unstillbare Streben nach sexueller Erfüllung streckenweise fast religiösen Charakter an, wie auch die Kombination von Gottsuche und Erotik für das Arredondosche Werk so typisch ist: ...no se trata de una obra que intente reflexionar sobre lo sagrado sólo religiosamente hablando, sino del trato con la angustia existencial que supone, en el sujeto, la irrupción del erotismo. Su fuerza (del mal) sobre el orden cultural (el bien), determina en algunos seres, los sinceros en la terminología de Kierkegaard, una trayectoria trágica en el viaje existencial que conduce al reconocimiento de la falta, la culpa, y por eso al gesto o acto trágico que culmina en exilio, locura, suicidio o asesinato, en lo estético. (LÓPEZ GONZÁLEZ: 14) Genau besehen, bedeutet der Einbruch unkontrollierbarer sexueller Impulse in eine stabile Ordnung (meist die der Familie) natürlich eine Transgression herrschender Gesetze; 22 insofern liegt Arredondos Erzählungen vom latenten Inhalt her auch eine subversive Strömung zugrunde, die sich aber nie in expliziter Sozialkritik manifestieren wird. Im Gegenteil: sie lehnt jegliche Verknüpfung von Literatur und Moral bzw. Literatur und Politik vehement ab: EP - ¿Tú tratas también de transportar un mensaje en los cuentos o es pura ficción, puro juego estético? IA - Pura ficción, puro juego estético, pura literatura, no hay intenciones sociales ni nada. Cuando fui a dar unos cursos a Philadelphia, un maestro mexicano que estaba allí me dijo que cuando había pasado por mi tierra, había visto que las mujeres iban al río a lavar y que transportaban agua en cubetas para su casa, que por qué yo no denunciaba eso y le

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Eugenio Trías schildert diese Haltung der Ästhetisierung des Häßlichen, Abstoßenden, als eine der Grundcharakteristika moderner Kunst: „El arte, hoy, se encamina, difícil, penosamente, a elaborar estéticamente los límites mismos de la experiencia estética, lo siniestro y lo repugnante, lo vomitivo y excremental, lo macabro y lo demoníaco. Quizás como forma preventiva y de defensa respecto a amenazas internas y externas que acosan por todas partes: sótanos del psiquismo y de la sociedad que cuanto más escondidos queden más efectos inesperados, crudos, intempestivos, dolorosos nos producen." (TRIAS: Lo bello y lo siniestro, Barcelona 1982, p. 76, zit. in LÓPEZ GONZÁLEZ: 15)

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Dabei ist es interessant anzumerken, daß die Tabuüberschreitung bei Arredondo dort am größten ist, wo der Körper massiv ins Spiel gebracht wird: „El [erotismo] de los corazones es una simpatía moral que tampoco trastorna la integridad individual. El de los cuerpos, la voluptuosidad, sí plantea un desorden: una experiencia contradictoria entre la prohibición y la transgresión, entre la integridad y la disgregación individual." (LÓPEZ GONZÁLEZ: 12f.)

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dije: yo no estoy para denunciar, que denuncien los periodistas, yo estoy para hacer literatura. (ARREDONDO: Hablar 18) Diese Haltung wird ihr, wie aus dem obigen Beispiel ersichtlich, von Vertretern der littérature engagée wiederholt zum Vorwurf gemacht. Am unerbittlichsten ist der junge Pérez Pavón, der ihr in klassisch marxistischer Diktion nichts weniger als „su falta de conciencia de clase" (PÉREZ PAVÓN: 108) 23 vorhält, wobei er allerdings einschränkt, daß dies ein allgemeines Merkmal der Vertreterinnen ihrer Generation sei. Für ihn ist etwa La Sunamita ein „entpolitisierter Text": De ahí que su texto obligue a pensar que a través de él se intenta simplemente inquietar una moral y no transformarla. Se trata en esencia de un texto despolitizado, (ibid.: 96) Die Frage der Generationszugehörigkeit wird von Inés Arredondo durchwegs positiv betrachtet; sie fühlt sich vollauf integriert in jene Gruppe ihrer (meist männlichen) Altersgenossen, die in Mexiko gemeinhin als die „generación de medio siglo" bezeichnet werden 24 . Damit ist Arredondo die einzige der hier untersuchten sechs Autorinnen, die sich nicht als krasse Außenseiterin, als Einzelgängerin innerhalb ihrer nationalen Literaturszene empfindet: No sorprende entonces que Inés se sienta íntimamente ligada a ese grupo y que restrinja su generación literaria a un reducido número de escritores, tres narradores: Juan García Ponce, Juan Vicente Meló y José de la Colina; y a un ensayista y promotor periodístico de la cultura literaria, Huberto Batís. Este grupo de escritores, al hacer suya esa definición, recogen la herencia de los Contemporáneos por quienes han manifestado siempre una profunda admiración. (ARENAS: Cuentos 66) Meines Erachtens kann gerade La Sunamita als große Metapher dieses wahrhaft tragischen Bemühens der Autorin um Anerkennung, um 'Aufnahme in den Männerbund', um ein Finden von Gleichklang, Gleichwertigkeit zwischen ihr und den literarischen 'Vätern' gesehen werden, wofür die Szene mit der fast krankhaften Anpassung des Atemrhythmus der jungen Luisa an den sterbenden Onkel symptomatisch sein könnte (s.u.). So kommt es zu dem Paradox, daß sie 'Anschluß' sucht, sich verbissen zu integrieren sucht in eine Gruppe, die Nicht-Integration, Rebellion auf ihre Fahnen geschrieben hat, ein weiterer von Inés Arredondos zahlreichen, die Beschäftigung mit ihr so spannend machenden Widersprüchen: 23

Wenn man ihr schon im marxistischen Sinne ein „falsches Bewußtsein" unterstellen will, dann ist für mich, wie schon oben angedeutet, der Umstand interessant, daß sich Arredondo in ihren bewußten Gedanken und offiziellen Äußerungen deklariert antifeministisch gibt, obwohl sie damit ihren eigenen Interessen zuwiderhandelt, wie die vielfältigen in ihrer Vita zutagegetretenen Probleme zeigen: Ausgebeutet von einem machistischen Ehemann, von dem sie sich in einem schmerzlichen Emanzipationsprozeß zu lösen versucht (was ihr nie wirklich gelingt), hängt sie dennoch am „Gesetz des Vaters" - um mit Volker Ellis Pilgrim zu sprechen: sie ist eine echte „Vatertochter", stets um Anpassung und Anerkennung bemüht, fährt damit aber um nichts besser als ihre aufmüpfigeren und radikaleren Kolleginnen.

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Die Bezeichnung stammt, laut ARENAS (Cuentos 66) von Wigberte Jiménez Moreno.

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Juan García Ponce, miembro destacado de un grupo de escritores nacidos hacia los años treinta y cuya presencia al frente de la Revista Mexicana de Literatura fue fundamental, se ha expresado en torno a su grupo generacional definiéndolo como un grupo de forajidos en busca de una nueva ley: la de transgredir el orden establecido enfrentándolo a una moral dictada por principios estéticos, y esto es lo que se encuentra en „La Sunamita". (ARENAS: Cuentos 66) Transgression zum 'Gesetz' zu erheben, ist an und für sich schon eine Kontradiktion; der Korruptheit des Establishment aber mit einer neuen Hinwendung zur Ästhetik zu begegnen, ein Wagnis (oder doch reaktionär?). Manche bezeichnen es als neuen Idealismus, als Wiedergeburt der deutschen Romantik: La de Inés Arredondo es una generación de idealistas. Se advierte en ellos la huella de un romanticismo alemán que ha pasado ya por la fenomenología y el existencialismo. (GARCÍA RAMÍREZ: 39) Desde una perspectiva histórica, este movimiento universal de los jóvenes es un nuevo romanticismo. La afirmación individualista, la rebeldía contra la sociedad, el dominio de los sentimientos, la evasión, son actitudes típicamente románticas. (MARTÍNEZ: 9) 25 Interessanterweise liegt der Aufmüpfigkeit dieser jungen Rebellen, dieser „forajidos", eine mystische Suche nach dem Heiligen, Transzendenten zugrunde, eine Komponente, die für das Verständnis des Werkes von Inés Arredondo besonders wichtig ist: Esta noción [la búsqueda de lo sagrado] es también decisiva para comprender la obra de varios escritores de su generación, en particular la de Juan García Ponce y Juan Vicente Meló. Cabría entonces preguntarse, en una reflexión posterior, qué significa esta coincidencia generacional, ese intento colectivo por crear „un nuevo sagrado" [O. Paz] en una época particularmente desacralizada... (CORRAL: Dialéctica 62) Dabei ist dieser Begriff des „nuevo sagrado" durchaus ambivalent zu sehen: Es geht um die Begegnung mit dem Absoluten, das an sich wertfrei ist und sowohl extrem positiv wie auch extrem negativ sein kann: ...la ambigüedad de la noción de lo sagrado, en su naturaleza equívoca. Puede encarnar simultáneamente lo puro y lo impuro, lo que atrae y lo que causa repulsión, lo prohibido y la transgresión de lo prohibido, la plenitud y el vacío, el ser y el no ser, la vida y la muerte. Estos extremos configuran lo que Caillois llama la „dialéctica de lo sagrado". La polaridad propia de lo sagrado aparece de manera nítida en algunos cuentos de La señal: „La Sunamita",... (CORRAL: Dialéctica 59)

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López González bringt auch Arredondos Hang zum Anomalen, zum grotesk Übersteigerten, zum Perversen, in Beziehung zu romantischen Prinzipien; sie scheut nicht vor einem Vergleich mit Dostoevskij oder Nietzsche zurück: „La autora no huye de la desmesura ni de lo 'anormal', como no lo hizo la sensibilidad romántica aunque desde una perspectiva diferente, pues Inés Arredondo problematiza el querer vivir lo imposible en términos de conflicto existencial. Lo raro, lo extraño, lo perverso incluso, lo lleva a grados de soberbia y miseria que no pocas veces recuerdan a Dostoyevski o a Nietzche . (LÓPEZ GONZÁLEZ: 10)

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Inés Arredondo findet das Transzendente - das bei ihr jeglicher Zuordnung zu einer konfessionellen Religion enthoben ist, obwohl der katholische Hintergrund mancherorts spürbar wird - in zwei Bereichen: einerseits im vorbehaltlosen SichEinlassen auf den anderen, in den flüchtigen Momenten der Begegnung zwischen zwei menschlichen Abgründen, im alles durchdringenden „Blick", andererseits im eigenen Unterbewußten bzw. im archetypischen Fundus der Menschheit: La fascinación que su obra produce, mucho tiene que ver con una enorme energía primigenia que conmueve el inconsciente. La escritora manipula fantasías y códigos secretos que surgen del inconsciente: lo sagrado (lo sublime y lo siniestro), remitiéndonos literariamente a un horizonte fantasmal de pulsiones que amenazan el cerco de la represión sin llegar a quebrantarla del todo. (LÓPEZ GONZÁLEZ: 8) ...la mayor parte de los relatos que aquí analizamos escenifican protofantasías como la de la escena originaria, la de la seducción del adulto y la de castración... (BUNDGARD: 50) Damit eine Geschichte für sie relevant, erzählenswert wird, muß sie erst dieses ,.Zeichen" oder „Signal" empfangen, das den Konnex zum elementaren Seinsgrund herstellt: Sé muchas historias, lo que no tengo para ellas es la señal. Por eso escribo poco porque yo tengo que recibir el tono del cuento, eso no lo puedo inventar yo. (Interview mit QUEMAIN: 52) Inés Arredondo versteht sich selbst also nicht als simple „Geschichtenerzählerin", sondern als „Seherin", als Mittlerin einer metaphysischen „Botschaft", die ihr auf geheimnisvolle Weise von den Musen oder Göttern eingegeben wird: ...el tono me lo dan los dioses y con el tono - que generalmente se plasma en una oración - hago yo el cuento, entonces, por el tono sé quién va a contar ese cuento y cómo va a ser. Es así de simple. Como decía Valéry, el primer verso lo dan las musas, ¿verdad?, lo difícil es estar con los demás a la altura del primero. Eso me pasa a mí. (ARREDONDO: Hablar 16)26 Das bedeutet letztlich einen bewußten Verzicht auf die Rolle des eigenständigen Autors, wie er in der Moderne im Sinne von Originalität und Kreativität verstanden

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In ganz ähnlicher Weise äußert sich übrigens auch ihre wesentlich jüngere Landsmännin Elsa CROSS: „Me refería primero a que se borra ese sense of doership, en inglés, ese sentido de ser el hacedor de todo: tú lo estás haciendo, es tu inspiración, tú eres el escritor. Después, llega un punto en que no sabes quién lo está haciendo, no sabes ni lo que hiciste. No es tampoco un automatismo a la manera de los surrealistas, pero sí es entrar en contacto con un estrato de conciencia que está más allá de tu ego y más allá de tu capacidad ordinaria. Muchas de las cosas que he escrito no me hubiera sentido capaz de escribirlas, porque están rebasando mi capacidad y mis esquemas ordinarios de funcionamiento en este mundo. Surgen de otro lado más profundo. De modo que, en la medida en que uno logra hacer a un lado esa pretensión del ego, es más libre el flujo de la inspiración, el flujo de esa energía o lo que sea. Sale y puede expresarse sin tantas trabas como son los límites que el propio ego pone. Ahora, a uno le queda la sensación de que no es sino muy parcialmente el autor del libro, de que hubo más cosas ahí de fondo." (in PFEIFFER: Entrevistas 1992: 73)

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wird; dieses Postulat der Urheberschaft und Eigen Verantwortung für Idee und Ausführung wird aufgegeben zugunsten eines Selbstverständnisses als erleuchtete Prophetin, Inhaberin eines Geheimnisses oder Erfüllerin einer auf unerklärliche Weise außengesteuerten Mission. In dieser Funktion als Medium kann sie praktisch nicht frei über sich selbst verfügen; sie ist von dem „eingegebenen" Stoff so besessen, daß sie ihn erzählerisch umsetzen muß:27 Mira, después de que recibo la señal, estoy obsesionada con el cuento, y es una obsesión que no se me quita hasta que está bien terminado. (ARREDONDO: Hablar 19) Diese Inspiration geht bezeichnenderweise nicht vom Exzeptionellen und Grandiosen aus, sondern von auf den ersten Blick völlig unbedeutend erscheinenden Alltagssituationen, die sich durch dieses mystische Stigma in eine Grenzerfahrung wandeln: En una cotidianidad anodina, sin relieve, surge el signo o la „señal" que nos coloca en otra dimensión de la anécdota, convirtiéndola a veces en una situación o experiencia límite. (CORRAL: Dialéctica 58) Es el oscuro territorio de cuanto es sagrado, intangible, en el fluir cotidiano de vidas mentirosas por su quietud; de obediencia engañosa. (ROBLES: Escritoras II, 222) Sehr häufig steht „la señal", die Auszeichnung oder Stigmatisierung, die ihren Figuren in den Erzählungen widerfährt, in Zusammenhang mit körperlicher „Berührung" im weitesten Sinne: Ist es in ,,Mariana" der Blick, der die Tiefen des Jenseits auslotet, so fungiert in der Titelgeschichte „La señal" der Kuß als solche Initialzündung für eine Begegnung mit dem Mystischen: Aquí, la señal es visible como acción, en ese momento en que se produce, pero también, como estigma eterno, tan invisible como un beso. Es la huella que se imprime en el cuerpo pero que sólo permanece en el alma. (BRADU: Escritura 42) Se insiste en la marca como signo de un lenguaje del cuerpo y mediante un gesto se comunican situaciones y estados de la vida interior. (ARENAS: Cuentos 64) Auch Inés Arredondo selbst wählt für ihre Begründung, warum ihr Werk durch das Warten auf das bewußte Zeichen eben sehr schmal geblieben ist, eine eminent körperliche Metapher, die durch ihre fast blasphemische Banalität den religiösen Kontext relativiert, ironisch verfremdet; bei ihr bläst oder weht nicht der Geist Gottes, sondern die Taube des Heiligen Geistes spuckt sie zum Zeichen der Erwählung an:28

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Zu diesem Selbstverständnis als Medium vgl. Aussagen anderer mexikanischer Autorinnen, in PFEIFFER El placer. 135ff.

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Eine weitere Steigerungsstufe dieser Desakralisierung finden wir etwa bei der argentinischen Autorin Luisa Valenzuela, die in ihrer Erzählung „El don de la palabra" die Exkremente der Tauben als Indiz der Berufung einsetzt. In der mit religiöser Terminologie durchsetzten Rede eines Diktators werden der Prozeß und die Abstufungen der Auserwählung geschildert: „Ellos me aclaman desde los socavones, yo les imparto mi atildada bendición desde arriba y a veces una paloma la transporta y la deja caer algo grotescamente sobre la cabeza de uno de los del pueblo [...] Nosotros nos limitamos a hablar, a esbozar desde el balcón un gesto de eucaristía y las palomas se encargan de designar a los

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Como ya te dije que me soplan... bueno, yo le digo de otra manera pero es más cursi porque digo que a mí me escupe el espíritu santo, pero como el espíritu santo es una paloma y las palomas no tienen saliva, me escupe muy de vez en cuando, entonces yo tengo que esperar la señal. (Interview mit QUEMAIN: 55) Arredondo macht nicht nur hier, sondern in allen ihren Erzählungen diese diffizile Gratwanderung zwischen Irreverenz und Glauben, zwischen Ironie und Pathos; sie bewegt sich ständig auf einer feinen Trennlinie zwischen unvereinbaren Gegensätzen, die sie durch dieses Grenzgängertum dialektisch vereint. Grossi sieht dies als typisch für den weiblichen Diskurs an, der die binären Gegensätze des cartesianischen Weltbildes aufhebt/überschreitet und der wiederum am Körperlichen ansetzt: El signo escritural femenino deja una indeleble huella o señal que alude al absoluto. Esta huella-umbral o limen, representa la reinscripción del cuerpo en el abstracto signo universal y por lo mismo imposibilita diferenciar entre lo poético-conceptual y lo corporal; lo interno y lo externo; lo espiritual y lo fisiológico; la identidad y la otredad; lo objetivo y lo subjetivo; lo propio y lo impropio; lo puro y lo impuro. (GROSSI: 9) So ist bei ihr wie kaum einem anderen Autor stets das Geistige mit dem Physischen, ja Physiologischen verbunden; Arredondos erotische Literatur ist letztlich spirituelle Sinnsuche, Erkenntnisinstrument, Teil eines initiatorischen Ritus: De ahí que, buscando sentido a la existencia, terminen siempre vislumbrando la presencia invisible - aunque en los cuerpos deseantes manifiesta - del Espíritu. Esa búsqueda, en Inés Arredondo, está teñida de pasión. (GARCÍA RAMÍREZ: 39) En Arredondo el viaje cognoscitivo dentro del anodino devenir cotidiano es un proceso de iluminaciones o ritos de conocimiento iniciáticos que desembocan en la revelación final del conocimiento absoluto. (GROSSI: 2) Auch Crelis schließt daraus: „Efectivamente, entiende a la literatura como conocimiento" (52). Und Arredondo selbst erläutert: Con esta manera de contar mi historia creo que también he fijado mi postura literaria. Si creo que en la vida es posible escoger del total informe de sucesos y actos que vivimos, aquellos pocos e insustituibles con los cuales se puede interpretar y dar sentido a la vida, creo también que ordenar unos hechos en el terreno literario es una disciplina que viene de otra más profunda en la cual también lo fundamental es la búsqueda de sentido. No sentido como anhelo o dirección, o meta, sino como verdad o presentimiento de una verdad. (ARREDONDO: Verdad 1) Diese Wahrheit ist letztlich im Bereich des Unsagbaren angesiedelt, an der Scheidelinie zwischen Begierde und Zügelung, Reinheit und Verderbtheit, Schuld und Verhängnis, was sie vielfach in die Nähe nicht nur der antiken Tragödie, sondern auch des Existentialismus bringt: En la visión existencialista trascendente de Arredondo, trágico-existencial, podríamos decir, no se desacralizan o condenan las pasiones, al modo cristiano; tampoco intenta com-

contados elegidos de la jornada. Los que reciben la cagada en la cabeza (eso sí que trae suerte) son ungidos ministros, los que pueden ostentar una caca de paloma en la solapa pasan a ser los guardianes del orden" (VALENZUELA: Aquí pasan 27f.).

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Inés Arredondo prenderlas en el marco de una coherencia lógica o moral ni conciliar sus contradicciones. (LÓPEZ GONZÁLEZ: 11)

El conflicto existencial, pues, si emana de un inconsciente irracional y por tanto absoluto, estaría más cerca del sagrado romántico que del freudiano, lo que le permite investir estéticamente a las elecciones de sus personajes, en la mayoría, de un valor auténtico y trágico, aunque no a la manera fatal de la tragedia antigua, sino a la manera moderna de una tragicisidad existencial. (LÓPEZ GONZÁLEZ: 10) Ähnlich wie in den antiken Tragödien (Arredondo ist übrigens begeisterte Leserin von Aischylos), ist daher ein „happy ending" in den Erzählungen der Mexikanerin undenkbar; die Fatalität des Zusammenpralls von Wunsch und Notwendigkeit, Lustund Realitätsprinzip, Individualität und Kollektivität, Aufbegehren und Unterordnung, führt stets zum Scheitern ihrer Zentralfiguren: Los personajes que habitan la obra de esta autora están siempre marcados por la desdicha, involucrados en situaciones límite, caóticas; son seres desvalidos y vulnerables por todos los costados, susceptibles de sufrir los mayores sacudimientos vitales, están destinados al fracaso y no parece haber para ellos ningún horizonte promisorio; la fractura es su signo vital, la infelicidad es su destino, trátese de hombres o mujeres, de niños o de ancianos. (TREJO FUENTES: 8, zit. in CRELIS: 53) Auch diese Haltung scheint Wurzeln in der Biographie der Autorin zu haben, vor allem in der religiösen Krise zu Beginn ihres Philosophiestudiums: La fe inicial en los dones prometidos se desmoronó, dando paso a un escepticismo fundamental que nada permitía para el más allá y muy poco para la vida misma. El antecedente religioso le hizo concebir la viabilidad de un mito prometedor, la experiencia y la razón la encaminaron hacia un profundo pesimismo. (CRELIS: 50) In der folgenden Aussage Martha Robles' spiegelt sich das ganz persönliche Drama einer Frau, die sich nie von den beherrschenden Schatten ihrer Kindheit lösen hat können, die letzten Endes nie wirklich erwachsen geworden ist: Inés Arredondo ha expresado el drama del ser que se pliega a la fatalidad de un mundo que sabe no cambia ni puede ser transformado. Es la aceptación, sin resistencia, de la condena de vivir desolado bajo la sombra de otro. (ROBLES: Escritoras II, 218) So findet auch in manchen ihrer Texte ein ganz unvermittelter Übergang zwischen Kindheit und Alter statt; symptomatisch dafür etwa „Canción de cuna", die Erzählung von einer Frauengestalt, die ihre Beziehung zur Kind-Mutter nie lösen konnte: El precio de la recuperación es el encuentro con la vejez definitiva. No ha habido, en realidad, vida. De la niñez, se salta a la vejez. (CRELIS: 69) Cuando la mujer recupera su memoria y con ella su identidad, pasa violentamente de la inconsciencia de la niñez emocional a la vejez y no hay transición. La aceptación de una realidad no es igual a la obtención de la dicha. La aspiración de lo que pudo ser, que en ella no tuvo siquiera lugar para existir, se cancela. No sólo no se obtiene la dicha: no se piensa que la dicha exista. Este ser frustrado, abortado, solitario, no tiene caminos. (CRELIS: 77) Interessanterweise kommt es dabei oft zu Verschiebungen der Verwandtschaftsbeziehungen: Werden in „Canción de cuna" die Rollen von Schwester und Mutter,

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Mutter und Großmutter, Tochter und Mutter vertauscht, so sind es anderswo (etwa in „La casa de los espejos" oder „La Sunamita") die männlichen Rollen von VaterSohn, Onkel-Vater, Vater-Ehemann usw. (vgl. BRADU: Escritura 40; CORRAL: Espejos 48). Damit aber nähern wir uns schon in konzentrischen Kreisen der Thematik der hier analysierten Erzählung La Sunamita, in der sowohl die abrupte Umstellung von einer unbeschwerten Jugend zu einem vorgezogenen Alterungsprozeß, dieser jähe Einbruch des Todes mitten ins blühende Leben, eine Rolle spielt als auch die Verunsicherung bezüglich der Verwandtschaftsbeziehungen.

1.3.3. La Sunamita (1961): Unheimliche Begegnung mit biblischen Reminiszenzen Bei der Erzählung „La Sunamita" handelt es sich um den meistkommentierten und bestrezipierten Text von Inés Arredondo; sie wird in den bekanntesten Anthologien Mexikos quasi schon als Standardeintrag der Autorin geführt und wurde auch bereits ins Englische, Holländische und Deutsche übersetzt. Este es el cuento más conocido de Inés Arredondo. Se ha escrito bastante sobre él y ha sido llevado al cine. Hay una ópera de Marcela Rodríguez que se ha inspirado en el relato. Aunque son muchos los cuentos de Arredondo atractivos por su densidad humana, éste ha tomado un lugar relevante. (CRELIS: 156) „La Sunamita" ha alcanzado entre los lectores de Inés Arredondo una fama de best-seller. Como tal, ha sido muy leído, bien y mal interpretado, manoseado y tergiversado; fue adaptado para cine por Héctor Mendoza en 1966. (BRADU: Escritura 43) Später wurde der Text nach einem Drehbuch der Autorin selbst, in Zusammenarbeit mit dem Schriftsteller Juan Garcia Ponce und dem Regisseur Héctor Mendoza, verfilmt (Segundo Premio de Cine Experimental 1966); des weiteren wurden Videoadaptionen, ein Theaterstück und eine Oper realisiert 29 : En 1974, Canal 13 realizó videograbaciones sobre algunos cuentos: Manuel Moreno adaptó, para esos fines, „La Sunamita", „La casa de los espejos" y „Olga". (CRELIS: 30f.) Guillermo Sheridan hizo una adaptación del propio cuento „La Sunamita" para ópera; [...] Óscar Liera ha hecho una adaptación teatral de „La señal secreta", „La Sunamita" y „Opus 123". (URRUTIA: La Sinaloa 58) Die diversen dramatischen und filmischen Interpretationen fanden unterschiedlichen Anklang bei der Autorin selbst bzw. ihrem Witwer:

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Dem kam natürlich entgegen, daß bereits im zugrundeliegenden literarischen Text Techniken filmischer bzw. theatralischer Gestaltung erkennbar waren: „Hay además algo de metáfora teatral o de técnica cinematográfica en el método utilizado para organizar el discurso narrativo de los textos aquí tratados." (BUNDGARD: 51)

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...hay un film que es una magnífica lectura de „La Sunamita" que hizo Héctor Mendoza. Es muy buena película, es una película corta, pero no la quisieron prestar para el festival donde me hicieron un homenaje, porque dijeron que no tenían más que una copia. Y la otra, que la hice con un amigo que desgraciadamente murió, es tan mala, tan mala, que no vale ni la pena mostrarla. (ARREDONDO: Hablar 21) En agosto de este año se estrenó la ópera „La Sunamita", de Marcela Rodríguez, supuestamente basada en el cuento de Inés. A mí, no me gustó, pues no quedó nada del texto original, ni del sentido de la historia, ni de la época, y sólo se conservó precariamente la anécdota. El libreto es verdaderamente espantoso, lleno de malas palabras y de procacidad, y al fin resulta que La Sunamita es ¡ladrona y asesina! La música no es mala, aunque tampoco es de mi gusto, y la puesta en escena fue deplorable. (Brief von Carlos Ruiz Sánchez, 12. Dez. 1991) ,JLa Sunamita" war zum ersten Mal in der Revista de Literatura Mexicana (No. 912) 1961 veröffentlicht worden und erschien in Buchform, zusammen mit dreizehn weiteren Texten, in dem Band La señal 1965 beim Verlag Era in Mexiko. Es handelt sich um dritte Erzählung Arredondos, die zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung 33 Jahre alt, also ungefähr in derselben Altersstufe wie Armonía Somers bei Erscheinen von La mujer desnuda war. Sie selbst war gerade im Begriff, einen schwierigen Loslösungsprozeß von ihrem ersten Mann, Tomás Segovia, durchzumachen (von dem sie sich ein Jahr später trennen sollte), zugleich war auch in Mexiko und Lateinamerika generell ein erstes Aufflackern weiblicher Emanzipationsbestrebungen zu verzeichnen: 30 Este es el momento de señalar que, por lo mismo, los relatos pueden pasar a la historia de la literatura mexicana como un documento de la década de los años sesenta, aquellos años que inician la conciencia reflexiva de la mujer de Latinoamérica en forma masiva. En efecto, aunque la autoconmiseración aparece -„El amigo", „La Sunamita"- muchas mujeres suyas deciden ser, más que objetos deseados, casi, ya, sujetos deseantes. (CRELIS: 265) Der Text ist nicht nur in seiner seitenmäßigen Erstreckung der kürzeste unter all den hier präsentierten (neun Seiten in der Ausgabe der Obras completas, aus der im folgenden zitiert wird), auch stilistisch herrschen knappe, einprägsame Sätze vor, die in kurzen Absätzen von oft nur einer einzigen Zeile angeordnet sind. Diese Vorliebe für einen gewissen Nominalstil zieht sich im übrigen durch das gesamte erzählerische Werk Arredondos: 30

In Mexiko selbst etwa erschien zum gleichen Zeitpunkt Rosario CASTELLANOS' zweiter Roman Oflcio de tinieblas, der in vielem eine ähnliche Atmosphäre wie Arredondos Erzählungen atmet: Frauengestalten wie Catalina Diaz beginnen sich zwar gegen die männerdominierte Ordnung aufzulehnen, sind aber unweigerlich zum Scheitern verurteilt, weil sie als Einzelkämpferinnen isoliert gegen ein übermächtiges System anrennen, das sie gnadenlos in ihre Schranken weist. In Chile erschien im selben Jahr der Roman La brecha von Mercedes VALDIVIESO, der hingegen schon eine symbolische Bresche in diese undurchdringliche Mauer schlägt: Der weiblichen Hauptfigur gelingt es immerhin, sich von ihrem ungeliebten und machistischen Mann zu befreien, der Bedrohung einer ungewollten Schwangerschaft zu entgehen und sich beruflich auf eigene Füße zu stellen...

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Aliada del sustantivo, de la frase corta, sus cuentos llevan entre sus líneas la seducción de quien devela un territorio inexplorado. (ROBLES: Mujeres 235)

Wenn man Klaus Doderers Definition der Kurzgeschichte als „künstlerische Wiedergabe eines entscheidenden Lebensausschnittes (eines Schicksalsbruches)" (90) zugrundelegt, dann kann La Sunamita durchaus, wie die meisten anderen Texte Arredondos31, als Kurzgeschichte bezeichnet werden. Immer wieder wird die Konzision und Präzision ihres Schreibens von der Kritik hervorgehoben: Con una concisión no común entre escritoras mexicanas, Inés ha explorado „lo que está al otro lado del límite", más allá de la fugaz felicidad, entre el sueño y el subconsciente. (ROBLES: Escritoras II, 222) ... „La señal" y a „La Sunamita" en los que todo - lo mismo- está dado con una economía milimétrica en el relato, donde los silencios significan tanto o más que las escenas reconstruidas... (BRADU: Escritura 46)

Inés Arredondo selbst legt größten Wert darauf, ihr beharrliches und intensives Suchen nach dem mot juste gegenüber möglichen Kritikern zu verteidigen, die ihr eventuell Hermetismus vorwerfen könnten; die essentielle „Nacktheit"32 ihrer Prosa, in der kein Wort zu viel oder zu wenig stehen darf, jedes an seinem exakten Platz, versteht sie gewissermaßen als ihr Markenzeichen: Me han acusado de que mi prosa es muy cerrada. Yo creo que eso no es una acusación, porque lo que mi prosa quiere es ser perfectamente justa con lo que está sucediendo y con lo que piensan los personajes. No quiero que haya palabra de más ni palabra de menos ni me quiero meter en sus asuntos, y los calificativos que los pongan ellos y los verbos que los pongan ellos y yo, a economizar lenguaje para que se puedan expresar más. (Interview mit QUEMAIN: 54) Por ejemplo, cuando escribí el cuento „La señal", supe que mi aspiración era responder palabra por palabra a lo que estaba diciendo, que no me sobraran palabras, buscar las palabras más justas y más exactas para decir lo que estaba tratando de expresar. (ARREDONDO: Hablar 14)

Graphisch ist der Text durch doppelte Zeilenabstände in sechs Abschnitte unterteilt, von denen der erste allerdings nur eine Zeile umfaßt: Aquél fue un verano abrasador. El último de mi juventud. (88) Vor diesem eigentlichen incipit befindet sich ein Bibelzitat aus dem Alten Testament, 1 Reges I, 3-4, das sozusagen die intertextuelle Folie für die eigentliche Handlung abgibt (siehe unten). Auch dieses katholische Substrat kann als allgemeines Charakteristikum im Schreiben der Autorin angesehen werden:

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mit Ausnahme von Opus 123, das eher als Novelle zu bezeichnen wäre...

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Vgl. GARCÍA RAMÍREZ, der von der „desnudez luminosa de sus cuentos" spricht (39) bzw. ARENAS, der den „proceso de desnudez total que logra la escritura de Inés Arredondo en una estética intimista" hervorhebt (Pareja: XIX).

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Inés Arredondo [...] poseía una formación teológica católica debido a su educación que, aún separada del culto y descreyente, fue una referencia constante. Un análisis cuidadoso de la intertextualidad en su obra, puede mostrarlo. (LÓPEZ GONZÁLEZ: 2) Während diese Auseinandersetzung mit christlichen Werten aber in den meisten ihrer Erzählungen nur atmosphärisch im Hintergrund steht, definiert Arredondo „La Sunamita" explizit als Text mit biblischem Thema: También me gusta leer la Biblia, porque aunque no he escrito más que „La Sunamita" con un tema bíblico, pues hay muchas historias, ¿no? (se ríe), y me encantan las historias. (ARREDONDO: Hablar 19) Die Suche nach Gott, die Enttäuschung über seine Abwesenheit, seinen 'Verrat', kann hiermit als Quintessenz von Arredondos literarischem Werk apostrophiert werden, wie es etwa auch GARCÍA RAMÍREZ lapidar ausdrückt: „El hueco de Dios es el protagonista de todos sus cuentos." (39, zit. in CRELIS: 50). Interessanterweise bringt Aralia López González dieses Zusammenbrechen der alten Ordnung, auf die noch Verlaß war, die einen Bezugs- und Werterahmen für ethisch sinnvolles Handeln darstellte, mit Arredondos Kindheit, und hier im speziellen mit dem gottgleichen Großvater, in Zusammenhang: Se trata más bien de la crisis de lo sagrado, incluso de la razón misma, del desamparo de referencias confiables para vivir. Esas referencias „sagradas", garantizables, son las que residieron en la infancia, en El Dorado del abuelo-dios. (LÓPEZ GONZÁLEZ: 12) Zum besseren Verständnis des konkreten Textes muß also diese semantische Bezugsreihe „Gott - König David - Großvater - Onkel" im Auge behalten werden, deren einzelne Elemente untereinander austauschbar (verschiebbar im Sinne der différance) sind. So steht bereits der Name des in der Kurzgeschichte vorkommenden Onkels, Apolonio, wiederum in Konnex mit dem eines Gottes, Apollo, der in der Antike das rationale, maßvolle, apollinische Prinzip repräsentiert, im Gegensatz zum dionysischen, lustgetriebenen, chaotischen, entgrenzenden. Betrachtet man die grundlegenden Oppositionpaare näher, auf denen die Struktur der Handlung aufgebaut ist, so finden wir auch hier die Gegensätze kollektiv vi. individuell, geschlossen VÍ. offen, alt vs. jung: Puesto que ambos semas se presentan como oponentes, debemos aceptar, en este nivel, que los valores colectivos están enfrentados a los valores individuales. (PÉREZ PAVÓN: 19) Dabei sind diese konträren Pole 33 wiederum eingebettet in zwei verschiedene räumliche Szenarien, von denen die Stadt der weiblichen Hauptfigur Luisa 34 und deren Anspruch der Unantastbarkeit ihrer Person zugeordnet ist, das Land aber der kollek-

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Vgl. auch den Kosenamen „Polo", auf dem der Onkel gegenüber der Nichte/Gattin besteht - er ist ihr Gegenpol, das antagonistische Prinzip...

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deren Name angeblich „combate glorioso" (CHEVALIER: 154, zit. in CRELIS: 162) bedeutet.

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tiven Ordnung, die ihrem Wesen nach männlich-patriarchalisch determiniert ist, auf bedingungslose Einordnung des einzelnen in ein größeres Ganzes und Unterwerfung unter dessen Regeln abzielt: Para ella, el espacio citadino, si bien contiene las fuerzas del mal, se alza como el espacio de la pureza, de la intocabilidad, de la inocencia. (PAVÓN, zit. in DÓRAMEGRAJALES: 141) Um die Konstruktion noch ein wenig diffiziler zu machen, spielen nun auch mehrere Zeitebenen hinein: 1. die des erzählenden Ich, welches das Geschehene rückblickend aus der Erwachsenenperspektive betrachtet; 2. diejenige von Luisas Kindheit, die jedoch vor dem eigentlichen Ausschnitt der erzählten Zeit zu liegen kommt, nur in flashbacks erahnt werden kann; 3. die Periode von Luisas Jugend in der Stadt, bevor sie wieder in Berührung mit der Welt ihres Onkels auf dem Lande kommt, die auf den zweiten Absatz des Textes eingegrenzt bleibt, und 4. die Zeitspanne des 'Kernkonflikts', der Begegnung zwischen Luisa und Apolonio. 35 Nur in Phase zwei war die Welt sozusagen noch in Ordnung und Luisa ein Teil von ihr gewesen: La oposición que aquí en „La Sunamita" se establece, es que Luisa no forma parte, sino en la memoria, de esta colectividad (el pueblo y sus parientes). (DÓRAME-GRAJALES: 153) Im Grunde genommen ist La Sunamita also eine Geschichte von Auflehnung und Resignation, Absonderung und Einordnung, freifliegenden Trieben und deren Beschneidung; sie erzählt auch das Brechen eines hochmütig aufgerichteten Rückgrats, die Zähmung einer Widerspenstigen, die - wie bei Shakespeare, wie im Märchen vom König Drosselbart - stets mit der Unterjochung des Weiblichen durch das Männliche in der Institution Ehe einhergeht. Diesmal aber wird der Mythos nicht aus der Perspektive des siegreichen Mannes/Königs/Gottes referiert - und das ist eine der innovativen Leistungen Arredondos - , sondern aus der des unterlegenen Opfers, das am Ende doch noch die Rollen umkehren kann: En este caso se trata de comprender también, y más, a la mujer, la que se señala desde el título, La Sunamita, cuyo punto de vista no está contemplado en el texto hebreo. Efectivamente, el punto de vista de la narración es el femenino, comunicado desde la voz de Luisa, personaje protagónico. (CRELIS: 157) Auf die Figur Luisas fällt damit auch ein Schatten der Konnotationen von Antigone, von Ariadne, von all den archetypischen Geschichten der Menschheit, in denen ein

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Pavón, der eine minuziöse strukturalistische Analyse der Abfolge der kleinsten Erzählsequenzen durchführt, präsentiert folgendes Schema, das aber ein wenig an der Oberfläche bleibt: „S A B C CH D E F G H I J K S L L L M N Ñ O P Q R S Esta doble formalización nos muestra la estructura lineal del cuento, en su nivel diegético, salvo por tres pequeños saltos donde el relator se permite recordarnos su 'ahora' respecto de la historia y una pequeña analepsis, situada entre C y CH, donde se introducen los recuerdos de Luisa acerca de su vida en común con su tía Panchita y su tío Apolonio." (PAVÓN: 57f.)

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junges weibliches Wesen der Staatsräson zum Opfer gebracht wird; eine davon, die titelgebende, handelt eben von der Sunamiterin Abisag, deren unberührte Jugend für den alten König David dargebracht werden muß. 36 La Sunamita ist vor allem auch die Geschichte eines Opfers, das den Rest der Welt, mit all seinem Legitimitätsanspruch, gegen sich hat: Es así, como representantes de cada uno de los estamentos de la sociedad, que todos ellos claman, en última instancia, por el sacrificio de Luisa (DÓRAME-GRAJALES: 152) Dabei geht es nicht nur, wie im Bildungsroman 37 üblich, um einen Gegensatz der Generationen, um einen Initiationsritus, in dessen Verlauf das jüngere Mitglied der Gesellschaft mehr oder wenig konfliktiv bzw. harmonisch in diese aufgenommen wird, um ein Vernunftannehmen dessen, der die Spielregeln des Erwachsenenlebens erst kennenlernen muß, um sie letztlich auch zu respektieren, sondern noch viel konkreter: um einen körperlichen Unterwerfungsprozeß, der mit Defloration, Befleckung und Zerstörung der Individualität einhergeht: ...las oposiciones que más saltan a la vista: juventud-vejez; vida-muerte; individualidadcolectividad. Todas ellas en complementación pero enfatizando un objetivo preciso: la degradación lenta y constante de Luisa. (DÓRAME-GRAJALES: 130) Mittel dieser Entehrung, Entwürdigung ist eindeutig die phallische Sexualität, vor der sich die Protagonistin noch eingangs so sicher gewähnt hatte: Las miradas de los hombres resbalaban por mi cuerpo sin mancharlo y mi altivo recato obligaba al saludo deferente. Estaba segura de tener el poder de domeñar las pasiones, de purificarlo todo en el aire encendido que me cercaba y no me consumía. (88) Darin, in diesem Hochmut und dieser narzißtischen Selbstgenügsamkeit, besteht wahrscheinlich auch ihre 'Erbsünde', die von der Gesellschaft bestraft wird: Finalmente, la conciencia pura: La Sunamita. En ella no existe sino el pecado del solipsismo: el mundo entero es una ficción que no penetra ni el cuerpo ni la mente de Luisa ([...] las miradas resbalan por la piel sin humedecerla). (GUEVARA REYES: 36) Si su soberbia se sustentaba en juventud y belleza que había decidido intocables, si eran el baluarte de su pureza, ésta se pone también enjuego y a prueba. (CRELIS: 165) Ähnlich wie in Bombáis La última niebla beruht also Luisas 'Verteidigungssystem' auf den Waffen ihres weiblichen Körpers, auf seiner Jugend, Schönheit und Reinheit, und ähnlich wie dort wird sie auch gewissermaßen mit ihren eigenen Waffen ge-

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Auch diesem Modell gegenüber können bereits zu Beginn des Textes wesentliche Differenzqualitäten festgestellt werden: „la ultima frase del epígrade -'mas el rey nunca la conoció'- constituye una de las primeras claves de distanciación entre el Antiguo Testamento y 'La Sunamita' de Arredondo." (DÓRAME-GRAJALES: 132)

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Als solcher wird La Sunamita, trotz seiner geringen Länge, etwa von PÉREZ PAVÓN bezeichnet; er spricht daher von einer „Bildungserzählung": „Esta toma de conciencia final de Luisa nos permite definir nuestra narración como una narración educativa." (107f.)

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schlagen, indem ihr dieses Basiskapital auf brutale Weise genommen wird. 38 Hier wie dort wird der Hauptfigur von patriarchalischen Kritikern die Schuld in die eigenen Schuhe geschoben, indem das primäre weibliche Selbstbewußtsein, das zu Beginn der Handlung vorherrschend ist, schlichtweg als krankhafte Erscheinung, als pathologischer Narzißmus abgestempelt wird: En su conciencia surge la idea, por ser hija única, de que ella es el único objeto a quien dirigen amor los padres -de ahí que, como veremos más tarde, su narcisismo primario y normal se agudice hasta alcanzar síntomas patológicos. (PÉREZ PAVÓN: 110) In einer primitiven psychologistischen Sichtweise wird hier mit abschätzigen Vokabeln aus dem professionellen Fundus derer umhergeworfen, die seit Sigmund Freud die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit eines jungen weiblichen Wesens als abnorm abgetan haben: Poco a poco advertimos que su narcisismo primario y normal, el de la etapa infantil, se había agudizado al contactar con la sexualidad y de ahí se había convertido en esquizofrenia. Como tal no había más que dar un paso corto para designarlo bajo el término de enfermo parafrénico, es decir, un individuo cuyo narcisismo lo obliga a crearse, aceptándolas como verdaderas, manías de grandeza y un alejamiento del mundo exterior: (ibid.: lllf.) In Wirklichkeit, wenn man die Logik der Geschichte etwas aufmerksamer verfolgt, wird klar, daß Luisas eigentlicher Fehler darin besteht, sich von dem für sie gefährlichen patriarchalischen System insgeheim doch angezogen zu fühlen, daß sie dessen 'Ruf in naiver Weise Folge leistet und sich dadurch aus ihrer sicheren Abgrenzung heraus erst in die Höhle des Löwen begibt, wo ihr die todbringenden Verletzungen an Körper und Psyche zugefügt werden. Die Ambivalenz ihrer Gefühle ist es, die bewirkt, daß sie sich auf eine Auseinandersetzung einläßt, in der sie unweigerlich die Schwächere bleiben muß: La búsqueda implica rebeldía, no aceptación de un estatus, actividad constante. Luisa, sin embargo, es atraída por el conformismo de la sociedad contra la cual está descontenta: (PÉREZ PAVÓN: 105) ...no podemos dejar de observar que si la mujer se degrada es precisamente por cumplir con su deber, (ibid. : 108) Fabienne Bradu interpretiert hier wiederum eine religiöse Komponente hinein, die auch in anderen Erzählungen Arredondos auftaucht: Esta contaminación es un lento absorber al otro, lleno de muerte, de mal, y de otra vida, un poco como esta „no resistencia al mal" que la protagonista de „Atrapada" describe así:

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Darin liegt auch zugleich der Hauptunterschied zum Roman der Bombal: Während dort die Entjungferung mit Stillschweigen übergangen, als fait accompli der Hochzeitsnacht und quasi allgemein bekannte Tatsache nicht weiter problematisiert wird, fokussiert sich in La Sunamita die Aufmerksamkeit, ja das Entsetzen der Protagonistin wie der Leserinnen auf dieses Trauma, das durch den Altersunterschied noch mehr in Richtung esperpento verzerrt wird.

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152 „¿has oído hablar de la no resistencia al mal?..." (BRADU: Escritura 44)

Arredondo selbst deutet diesbezüglich einen Einfluß der Mystik von Simone Weil an, die sie selbst veranlaßt habe, die Erniedrigungen in ihrer Beziehung zu ihrem ersten Ehemann so lange fast masochistisch zu ertragen: ...yo tenía una gran pasión por Simone Weil, entonces, todo esto místico de Simone Weil, de que Dios no sé qué, de que hay que aceptar el destino y todo eso, me marcó mucho. Por eso aguanté tanto. (ARREDONDO: Hablar 15) Luisa ergibt sich ebenfalls fast kampflos in ihr Schicksal: Als sie ans Krankenbett ihres sterbenden Onkels gerufen wird und man ihr dort den Vorschlag unterbreitet, sie möge den über Siebzigjährigen doch „in articulo mortis" heiraten, ist sie zwar zunächst entsetzt, kann aber den 'vernünftigen' Argumenten ihrer Umwelt kaum etwas entgegensetzen. Von der „vieja criada" angefangen bis zur „prima jovencilla y pizpireta" und zum Dorfpfarrer redet ein Chor von Gestalten auf sie ein, die verschiedene beharrende Prinzipien verkörpern, unter denen Verwandtschaft und Kirche die tonangebenden sind (vgl. DÓRAME-GRAJALES: 157). Ausschlaggebend für sie selbst sind schließlich nicht die materiellen Argumente („con la intención de que heredes sus bienes", 91) oder die möglichen Vorteile für ihre Position als Frau („Y luego te quedas viuda y rica y tan virgen como ahora", 92 39 ), sondern die Erkenntnis einer gewissermaßen 'moralischen' Schuld, die von ihrem Bestreben herrühre, ihren Körper vor der Berührung des Todes zu schützen: -Pensándolo bien, el no aceptar es una falta de caridad y de humildad. „Eso es verdad, eso sí que es verdad." No quería darle un último gusto al viejo, un gusto que después de todo debía agradecer, porque mi cuerpo joven, del que en el fondo estaba tan satisfecha, no tuviera ninguna clase de vínculos con la muerte. Me vinieron náuseas y fue el último pensamiento claro que tuve esa noche. Desperté como de un sopor hipnótico cuando me obligaron a tomar la mano cubierta de sudor frío. Me vino otra arcada, pero dije „Sí". (92) Luisas Ekel erreicht Sartresche Dimensionen, doch der einzige Abwehrmechanismus, den sie zu seiner Überwindung einsetzt, ist ein masochistischer, nämlich derjenige der Identifikation mit dem Aggressor (vgl. PÉREZ PAVÓN: 115). In einer beeindruckenden Szene, in der die Frischvermählte sich der Faszination des Anderen überläßt, so abschreckend und bedrohlich sie es zugleich auch empfinden mag, versucht sie - wiederum in einer eminent körperlichen Metapher - ihren Atemrhythmus auf denjenigen des Sterbenskranken einzustellen; indem das Todesröcheln mit dem sexuell erregten Keuchen praktisch auf eine Stufe gestellt wird,

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Diese Äußerung der Kusine kommentiert DÓRAME-GRAJALES folgendermaßen: „La prima joven hace alusión a una realidad pragmática de la que ella quisiera ser objeto y fin. Viuda, rica y virgen son valores que satisfacen tres esferas de la sociedad: el orden social, el orden económico y el orden moral. Con estas tres esferas protegidas, de acuerdo a la prima, Luisa quedaría reintegrada a la sociedad, protegida su individualidad y, sobre todo, libre." (152)

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nimmt sie aber gleichsam symbolisch den späteren Koitus vorweg. Eros und Thanatos, Leben und Tod gehen hier eine untrennbare Konjunktion ein: Desde el fondo de la penumbra llegó hasta mí la respiración fatigosa y quebrada de don Apolonio. [...] La muerte da miedo, pero la vida mezclada, imbuida en la muerte, da un horror que tiene muy poco que ver con la muerte y con la vida. El silencio, la corrupción, el hedor, la deformación monstruosa, la desaparición final, eso es doloroso, pero llega a un climax y luego va cediendo, se va diluyendo en la tierra, en el recuerdo, en la historia. Y esto no, el pacto terrible entre la vida y la muerte que se manifestaba en ese estertor inútil; podía continuar eternamente. Lo oía raspar la garganta insensible y se me ocurrió que no era aire lo que entraba en aquel cuerpo, o más bien que no era un cuerpo humano el que lo aspiraba y lo expelía; se trataba de una máquina que resoplaba y hacía pausas caprichosas por juego, para matar el tiempo sin fin. No había allí un ser humano, alguien jugaba con aquel ronquido. Y el horror contra el que nada pude me conquistó: empecé a respirar al ritmo entrecortado de los estertores, respirar, cortar de pronto, ahogarme, respirar, ahogarme... sin poderme ya detener, hasta que me di cuenta de que me había engañado en cuanto al sentido que tenía el juego, porque lo que en realidad sentía era el sufrimiento y la asfixia de un moribundo. De todos modos, seguí, seguí, hasta que no quedó más que un solo respirar, un solo aliento inhumano, una sola agonía. Me sentí más tranquila, aterrada pero tranquila: había quitado la barrera, podía abandonarme simplemente y esperar el final común. Me pareció que con mi abandono, con mi alianza, incondicional, aquello se resolvería con rapidez, no podría continuar, habría cumplido su finalidad y su búsqueda persistente en el vacío. (93f.) Ausdrücke wie „climax", „me conquistó", „sin poderme ya detener", „abandonarme" oder „el final común" unterstreichen immer wieder die sexuelle Konnotation dieser Schlüsselszene, wodurch die eigentliche Defloration später nur mehr angedeutet zu werden braucht (95f.); Arredondo hält nichts von der expliziten, „pornographischen" Schilderung von Bettszenen 4 0 - ihr Schweigen ist aber eindrucksvoller als jegliche verbale Bewältigung des eigentlich Unsagbaren. So ereignet sich Luisas 'Entehrung', die paradoxerweise mit dem Vollzug einer gesetzmäßig errichteten Ehe gleichgesetzt wird, 41 in einem der ausgesparten Zwischenräume des Textes. Die Beziehung zwischen den beiden ungleichen Eheleuten ist die eines 'Vampirismus', in der das junge, blutvolle Geschöpf seiner Lebenskräfte beraubt, gewissermaßen ausgesaugt wird, der eigentlich zum Sterben verurteilte Apolonio jedoch auf ihre Kosten einen Teil seiner Vitalität wiedererlangt - was natürlich auch

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Vgl. ihre Aussage im Interview mit mir: „Mira, yo tengo una amiga a la que quiero mucho que se llama Fabienne Bradu. No sé si tú viste su escrito en el Vuelta del mes pasado. Bueno, es una cosa que pretende ser pornográfica, ¡y acaba por ser aburridísima! Yo a eso no le veo porvenir. A mí me gusta la sensualidad, no la sexualidad." (ARREDONDO: Hablar 20)

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Am Ende des Textes kommt es noch ketzerischer: Luisa vergleicht nämlich ihre 'ehelichen' Erfahrungen (und damit indirekt die Institution der Ehe selbst) mit der Prostitution, die aber in diesem Fall das kleinere Übel wäre: „Ahora la vileza y la malicia brillan en los ojos de los hombres que me miran y yo me siento ocasión de pecado para todos, peor que la más abyecta de las prostitutas." (96)

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als Symbol für die allgemeine gesellschaftliche Situation angesehen werden kann, in der ein Teil der Menschheit sich parasitär auf Kosten des anderen selbst verwirklicht, dem lediglich die Aufgabe zukommt, die im Arbeitsprozeß verbrauchte Energie der Männer wieder aufzutanken, also das, was man generell als „reproduktive Funktion" bezeichnet: [Luisa] se va llenando de una existencia ajena, don Apolonio le va heredando „sus historias42, su vida, su muerte". Luisa se va vaciando de sí misma para dejar entrar en sí una vida que no es suya. Esta especie de „transfusión" anterior a la experiencia del mal, se concreta en una escena del cuento que es el acompasamiento de la respiración de Luisa a la del moribundo. (BRADU: Escritura 44) Relación parasitaria de Apolonio que „revive" mediante la carne joven de Luisa. Relación vampiresca que anima al primero para „matar" - degradar - a la segunda. (DÓRAMEGRAJALES: 146)

Luisa erkennt diese Art der Beziehung als obszön und versucht ihr mehrmals - vergeblich - zu entfliehen. Jedesmal wird sie von einer der gesellschaftlichen Instanzen (vorwiegend vom Pfarrer) wieder zurückgebracht; in der Begründung für diese Verpflichtung zur Aufopferung wird aber mit einer schiefen Optik gearbeitet, indem sie, die doch das eigentliche Opfer dieser perversen Situation ist, als potentielle „Mörderin" apostrophiert wird, wenn sie sich weigern sollte, ihren Leib diesem widerwärtigen Ritual weiter zur Verfügung zu stellen (vgl. DÓRAME-GR AJALES: 162). Doch trotz der makabren Atmosphäre, die diese Erzählung atmet, endet sie nicht in vollkommener Trostlosigkeit: In einem sehr schmerzvollen Lernprozeß, einem Kampf auf Leben und Tod (darin macht Luisa ihrem Namen offenbar Ehre, vgl. Fußnote 34), kann die junge Frau ihren Widersacher und Ehemann 43 besiegen, ja mehr noch, ihn seiner früheren, 'wahren Natur' wieder zurückgeben: Luchando, luchando sin tregua, pude vencer al cabo de los años, vencer mi odio, y al final, muy al final, también vencí a la bestia: Apolonio murió tranquilo, dulce, él mismo. (96)

Denn eines steht fest: Apolonio war nicht immer der gefürchtete, widerwärtige Verführer gewesen, als der er sich in den Zentralpassagen der Erzählung präsentiert. Luisa könnte ihn lieben, ja hat ihn zärtlich geliebt, solange er für sie Vaterersatz gewesen ist:

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Indirekt flößt Apolonio seiner Erbin durch seine Erzählung verschiedener „historias" auch die „Historia" schlechthin ein, die männerdominierte Menschheitsgeschichte, die von Gewalttätigkeit, Krankheiten und Hungersnöten bestimmt ist: „Otras veces me hablaba del 'año del hambre', del 'año del máiz amarillo', de la peste, y me contaba historias muy antiguas de asesinos y aparecidos." (90)

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Eine Konjunktion, die sie mit ihrer fast gleichaltrigen Landsmännin Rosario Castellanos teilt, bei der ebenfalls eine 'friedliche Allianz' zwischen den Geschlechtem unmöglich erscheint: „Una misma certeza se repite en su prosa o en poesía [de R. C.]: el hombre es infelicidad, fuerza invencible; nunca aliado o compañero." (ROBLES: Mujeres 226)

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...mi tío Apolonio se moría a los setenta y tantos años de edad; quería verme por última vez puesto que yo había vivido en su casa como una hija durante mucho tiempo, y yo sentía un sincero dolor ante aquella muerte inevitable. (88) Erst als die sexuelle Komponente hinzukommt, erwacht in ihr der Ekel, der sicherlich auch mit einer Tabuüberschreitung zusammenhängt. 44 Offensichtlich erschrickt sie vor ihren eigenen Inzestphantasien, die die sexuelle Begierde ihres Onkels in ihr wachgerufen hat; an mehreren Stellen des Textes wird sie als „Tochter" bezeichnet: „Fuiste una hija para ellos y te has matado cuidándolo." (92). Die Rolle des Onkels hingegen verschwimmt ein wenig, da er von Luisa einmal mehr wie ein Kind, dann wieder wie ein Großvater empfunden wird: La calma que me rodeaba venía tal vez de que mi tío ya no esperaba la muerte como una cosa inminente y terrible, sino que se abandonaba a los días, a un futuro más o menos corto o largo, con una dulzura inconsciente de nifio. Repasaba con gusto su vida y se complacía en la ilusión de dejar en mí sus imágenes, como hacen los abuelos con sus nietos. (89) Der Inzestgedanke in seinen verschiedenen denkbaren Varianten ist in mehreren Erzählungen der Autorin Zentralthema: El deseo se enfrenta a lo tabuizado en una anagnórisis de la culpa trágica. Así, observamos la amenaza de ruptura del interdicto sexual del incesto desde la perspectiva de las diversas relaciones de parentesco como en la madre, de „Estío"; la sobrina, en „La Sunamita"; entre hermanos, en „Wanda" y „Los hermanos", etc. (LÓPEZ GONZÁLEZ: 16) Gerade in „Estío" kehrt sich die Perspektive um, ist es die Begierde einer Mutter gegenüber ihrem jugendlichen Sohn, die für die Protagonistin einen bedrohlichen Einbruch unbeherrschbarer Gewalten in ein unschuldiges Idyll bedeutet: En „Estío", por fin, volvemos a encontrar, en una historia de incesto, la misma polaridad de sentimientos característica de lo sagrado, que se resuelve también de manera nítida, como en „La señal" y en „La Sunamita", en la ruptura de un orden anterior, en el tránsito de un modo de ser a otro. (CORRAL: Dialéctica 60) Pavón kehrt denn auch, in seinem fast schon übertrieben strukturalistischen Ansatz (der sich stellenweise auch äußerst langweilig liest), diese Abfolge von „Ordnung - » Bruch der Ordnung Neue Ordnung" als letzte Reduktion der Tiefenstruktur des vorliegenden Textes heraus: „La Sunamita" cubre la situación inicial con el estema -combinación unitaria de secuencias- orden, la modificación bajo el estema ruptura y la restauración bajo nuevo orden.

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Eine ganz ähnliche Konstellation finden wir übrigens in GALDÓS' Tristana, wo die jugendliche Titelheldin ihr geändertes Verhältnis zu Don Lope (auch er zunächst Ersatzvaterfigur, später Verführer) folgendermaßen schildert: „Recogióme cuando me quedé huérfana. El fue, justo es decirlo, muy generoso con mis padres. Yo le respetaba y quería; no sospechaba lo que me iba a pasar. [...] A veces paréceme que le aborrezco, que siento hacia él un odio tan grande como el mal que me hizo; a veces..., todo te lo confieso, todo..., siento hacia él cierto cariño, como de hija, y me parece que si él me tratara como debe, como un padre, yo le querría" (63f.).

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Estos estemas son recubiertos a nivel lexemático por PUREZA, CORRUPCIÓN, PUREZA DESTRUIDA. (PAVÓN: 58f.) Interessanterweise ist aber auf dieser letztgenannten Bedeutungsebene eine genau umgekehrte Bewegung festzustellen, nämlich von 1. „Reinheit", „Unberührtheit", also letztlich Nicht-eingeordnet-Sein in eine Ordnung, über 2. „Schändung", (unzüchtigen) „Kontakt", zu 3. Einordnung der nonkonformistischen „Dissidentin" 45 in die vom Virus des Unreinen infizierte Gesellschaft - dieses Gegeneinander von zwei widerstreitenden Unterströmungen macht auch einen der Reize dieses Textes aus. Insofern ist es nicht unerheblich, daß als Katalysator, als movens der Handlung, gerade die Krankheit und ihr Verlauf, inklusive Verschlechterung des Gesundheitszustandes und unerwartete Verbesserung, eingesetzt wird: Hemos visto que „enfermedad", con sus diferentes manifestaciones se ha constituido en el resorte impulsor de las acciones. (PAVÓN: 67) Indirekt wird damit eine Diagnose über die 'Krankheit' der Gesellschaft gestellt, wenn dies auch nicht zu den expliziten Absichten Arredondos gehören mochte. Andererseits steht die Frage nach Reinheit und Unschuld bzw. den Unterschieden zwischen beiden Bewußtseinszuständen 46 und das Erforschen der Mechanismen der Zerstörung dieser Reinheit, der Per-version, im Mittelpunkt des Interesses der Autorin: ...una constante interrogación para la cual los cuentos de Inés Arredondo ensayan una posible respuesta: ¿Cuál es la diferencia entre la inocencia y la pureza? (BRADU: Destino 44) ...lo que interesa a la escritora (es) discernir por qué la lujuria del anciano que va milagrosamente a prolongarle la existencia, mancha de una manera definitiva a la mujer. Una mancha que no se refiere a lo moral, a lo social digamos [...] sino a la integridad, a la pureza de la joven... (BATIS: 15, zit. in CRELIS: 158) Ihre These, die sich in mehreren ihrer Erzählungen manifestiert (vor allem in „Sombra entre sombras"), lautet, daß auch hinter der Fassade der reinsten Unschuld das geheime Verlangen nach dem Bösen, die Faszination der Perversität steckt:

45

In dieser Beziehung kann ich Pérez Pavón nicht ganz zustimmen, der von einer endgültigen Besiegung der „Dissidentin" Luisa spricht. Immerhin kommt das Verb „vencer" am Ende des Textes im Konnex mit der Protagonistin vor, sie kann von sich sagen: „vencí a la bestia" (96), die Dialektik von Siegen und Besiegtwerden wird in Wahrheit nie richtig aufgelöst: „Como representante de una moral [Apolonio] ha vencido, a pesar de su muerte, al disidente que era Luisa; motivando con ello la transformación del protagonista en personaje pasivo que apoya el basamento de una sociedad con la cual está en desacuerdo, pero contra la que no puede luchar." (PÉREZ PAVÓN: 80f.)

46

Darum geht es etwa in „Sombra entre sombras": „Antes de conocer a Samuel era una mujer inocente, pero ¿pura? No lo sé. He pensado muchas veces en ello. Quizá de haberlo sido nunca hubiera brotado en mí esta pasión insensata por Samuel, que sólo ha de morir cuando yo muera. También podría ser que por esa pasión, precisamente, me haya purificado. Si él vino y despertó al demonio que todos llevamos dentro, no es culpa suya." (ARREDONDO: Obras completas 250)

Inés Arredondo

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En otros relatos, lo temido, pero secretamente deseado, se hace súbitamente realidad y lo fantástico „encarna", por decirlo así. La culpabilidad y el mal son asumidos por el sujeto. (BUNDGARD: 50) La angustia de sus personajes nace de haber entendido esta situación de fuerza negativa que es la que le da sentido al mundo, un sentido moral opuesto totalmente a la moral dominante entre otras cosas porque pone su acento no en una mera voluntad de poder sino en el deseo, fuerza creadora y destructora por excelencia. (GARCÍA RAMÍREZ: 39) So heißt es etwa am Ende der Erzählung „En la sombra" über eine Begegnung der 'soliden Hausfrau und Mutter' mit dem 'schmutzigen' Blick dreier Bettler: No podía, no debía huir; la tentación de la impureza se me revelaba en su forma más baja, y yo la merecía. Ahora no era una víctima, formaba un cuadro completo con los tres pepenadores; era, en todo caso, una presa, lo que se devora y se desprecia, se come con glotonería y se escupe después. Entre ellos y yo, en ese momento eterno, existía la comprensión contaminada y carnal que yo anhelaba. Impura y con un dolor nuevo, pude levantarme al fin cuando el sol hizo posible otra vez el movimiento, el tiempo, y ante la mirada despiadada y sabia de los pepenadores caminé lentamente, segura de que esta experiencia del mal, este acomodarme a él como algo propio y necesario, había cambiado algo en mí... (ARREDONDO: Obras completas 146) Der Schluß dieser Erzählung ist dem Sinn nach fast identisch mit dem von La Sutiamita: Hier wie dort geht es um etwas, das sich geändert, und zwar irreversibel geändert hat: „Pero yo no pude volver a ser la que fui." (96) Darin liegt auch das philosophische Substrat von Arredondos Texten: der Fluß der Zeit, der niemals der gleiche ist, das unabänderliche Werden und Vergehen des Lebens, das nur im Tod seine Erfüllung findet: En el desarrollo de las historias su imaginación corre tras lo irreversible porque en ellas el tiempo es una constante amenaza de destrucción y muerte; porque el tiempo - ese atroz enemigo - es inconstante, engaña, se apresura, nunca regresa, nada más quiere terminar. (TERÁN: 42) Daher nimmt es auch nicht Wunder, wenn Arredondo ihre metaphysische Unruhe an einem höchst physischen Phänomen exemplarisch festmacht, wenn sie den Körper (und zwar sowohl den männlichen als auch den weiblichen), in den sich die Spuren der Zeit einschreiben, an dem sich ihr verheerendes Einwirken am sichtbarsten materialisiert, sozusagen als Seismograph für die Vergänglichkeit der Welt in den Mittelpunkt ihrer Texte stellt: La conciencia de un lenguaje que toma como objeto al cuerpo, no siempre negado sino más bien trascendido, parece estar presente en la narrativa de esta escritora... (ARENAS: Cuentos 64) Nombrar desde el cuerpo: reescribir, reconstruir, interpretar el signo (el cuerpo masculino) a través de un proceso de abtracción poética y conceptual para poder aludir a las secretas otredades soterradas bajo el ruido del devenir temporal e histórico. (GROSSI: 8)

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1.4.

Antonieta

Madrid

Antonieta Madrid (Venezuela, geb. 1939)

1.4.1. Tochter aus gutem Hause Da über Antonieta Madrid so gut wie keine öffentlich zugängliche1 Sekundärliteratur existiert und sich die wenigen erhältlichen Titel nahezu ausnahmslos nur mit ihren Texten, nicht aber mit ihrer Persönlichkeit auseinandersetzen, war ich in meinen Bemühungen, biographische Information über die venezolanische Schriftstellerin zu erhalten, fast ausschließlich auf deren eigene Angaben angewiesen. 1993 habe ich Antonieta Madrid auf der „Interlit3" in Erlangen persönlich kennengelernt, und wir blieben auch später in sporadischem Briefverkehr, aber es brauchte einiger Überzeugungsarbeit von meiner Seite, die Autorin zu bewegen, über ihre anerzogene Bescheidenheit und wahrscheinlich berufsbedingte, diplomatische Zurückhaltung in privaten Dingen hinauszugehen, und ihr einige, obgleich recht spärliche persönliche Fakten zu entlocken. Mit dieser Erfahrung dürfte ich durchaus nicht allein dastehen, denn auch früheren Interviewerinnen ist es kaum gelungen, einen Zipfel dieses Schleiers der Diskretion zu lüften; Antonieta Madrid selbst gibt folgende Gründe dafür an: Trataré de responder a tu cuestionario, pero te advierto que, cuando se trata de referirme a mí misma soy muy parca. Tal vez se deba a que fui educada en el sentido de no parecer estridente en ningún momento. Los Colegios de monjas, tal vez sean los culpables de ésta que supongo, parece una limitación. (Brief vom 15.2.1996) Me cuesta muchísimo contar mi vida. Es como si no mereciera hacerlo o como si fuera de mal gusto referirse a una misma. Estoy segura de que en esto también ha influido la educación represiva. (Brief vom 4.3.1996)

Geboren wurde María Antonieta Madrid Maya (so ihr vollständiger Name) am 17. Mai 1939 in Valera, im Bundesstaat Trujillo (Venezuela) als älteste von sieben Geschwistern, mit denen sie heute noch in engem Kontakt lebt. Ihre Urgroßeltern mütterlicherseits waren etwa um das Jahr 1887 aus Alicante (Spanien) nach Venezuela gekommen; ihre Großmutter, Rosa Rueda Perozo, wurde schon dort geboren (vgl. MADRID: Brief vom 4.3.1996). Ihr Vater, Eduardo Madrid Carrasquera, dem sie übrigens ihren ersten Roman No es tiempo para rosas rojas widmet,2 war ein wohlhabender Großgrundbesitzer, die Mutter, Euricia Maya de Madrid, Biologie-, Phy-

Die wenigen und nicht immer sehr tiefschürfenden Arbeiten, die ich über sie ausfindig machen konnte, habe ich großteils der Autorin selbst zu verdanken, die mir freundlicherweise einige unveröffentlichte Diplomarbeiten, v.a. aus Venezuela, aber auch aus den USA, zugeschickt hat (siehe Bibliographie im Anhang). Mit dem etwas enigmatischen Zusatz: „A mi padre Eduardo Madrid, por galäxico a todos los galäxicos-as del mundo..." (7). SEGAL nennt dies - vielleicht nicht ganz zu Unrecht eine „dedicatoria edipica". Ihren zweiten Roman Ojo de pez widmet die Autorin übrigens Dario Lancini, ihrem dritten Ehemann.

Antonieta Madrid

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sik- und Chemieprofessorin im Liceo von Valera. Über ihre Kindheit sagt die Autorin nur stichwortartig: Amistades: Muchas. Algunas han durado toda la vida. Compañeras de colegio. Una familia muy grande. Numerosos primos(as). Una infancia feliz, llena de amor y protección. Muchas tías y abuelas. Casas grandes en la ciudad (Caracas y Valera) y en el campo. Frecuentes viajes a USA. (Brief vom 15.2.1996) Und auf meine zusätzlichen Fragen über Details führt sie aus: Mi infancia la pasé en la ciudad de Valera (Estado Trujillo) donde nací y donde crecimos. Teníamos una casa muy grande en Carvajal, a unos treinta minutos de Valera por carretera. Carvajal es un pueblo situado en una colina desde donde se puede ver la ciudad de Valera. A la hacienda íbamos durante las vacaciones pero sólo a pasar el día. Nunca dormimos allí a pesar de que la casa era grande y cómoda. [...] Mi abuela era muy precavida y nos cuidaba muchísimo. (Brief vom 4.3.1996) Umgeben von einer belesenen und kultivierten Familie, innerhalb derer sie speziell ihre Tanten väterlicherseits erinnert, beginnt sie schon früh aus eigenem Antrieb zu schreiben: Comencé a escribir muy joven, espontáneamente, podría decir que por pulsión, aún muy niña. No podría señalar ningún motivo especial o experiencia particular que me haya impulsado a escribir. También debo reconocer que desde muy joven estuve cerca de la literatura. Crecí dentro de una familia (la familia de mi padre) que amaba los libros. (MADRID: Cuestionario) Mi padre tenía una enorme biblioteca. Libros de Historia y de Literatura. Tenía unas tías paternas que eran literatas y leían francés. Se llamaban María Inés, Filomena y Rosa Madrid. Siempre hablaban de literatura con amigas literatas que vivían en Valera, la ciudad donde nacimos y crecimos mis hermanos y yo. (Brief vom 15.2.1996) So kann sie später zu ihrer Interviewerin sagen, sie habe „schon immer" geschrieben: ¿A qué edad empezó a escribir? Desde que aprendí a escribir. Desde que estudiaba primaria. Durante el bachillerato y mientras cursaba mi carrera universitaria. Desde siempre. (PERDOMO: Ojo 171) Aus der riesigen Bibliothek ihres Vaters verschlingt sie vor allem die russischen Realisten (zu denen sie merkwürdigerweise Knut Hamsun 3 zählt), sowie Sartre und Beauvoir; ansonsten ist sie in der Auswahl ihrer Lektüre nicht wählerisch, greift auch mal zu Cartoons neben „ernsten Romanen". Wie die meisten der hier betrachteten Autorinnen ist sie ein frühreifes Kind: bereits mit vier Jahren kann sie lesen. Das Tagebuch, das sie als junges Mädchen geführt hat, sowie ihre frühen Gedichte gehen allerdings später verloren: A los trece años había leído los clásicos rusos (Tolstoy, Knut Hansun , Dostojewski). Leí a Sartre (La Náusea, Los Caminos de la Libertad) y a Simone de Beauvoir. Tenía ya el hábito de la lectura y leía todo lo [que] encontraba, desde suplementos de cartoons hasta novelas serias. Había aprendido a leer a los cuatro años y a los 11 comencé

Man beachte, daß sie diese Vorliebe für den Norweger mit María Luisa Bombal teilt (s.o.).

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Antonieta Madrid el bachillerato. Me gradué de Bachiller en Humanidades a los 17 afios y me casé. Por esa época yo llevaba un diario que después se perdió. (Brief vom 15.2.1996) Mis obras primerizas comprendían algunos poemas aislados y un diario que por supuesto se perdió. No conservo nada de aquellos escritos. Con tantos cambios y mudanzas, creo que ya nada de esto existe. Tal vez entre las cosas viejas de algún familiar pero no sé. (Brief vom 4.3.1996)

Als weitere erinnernswerte Lektüren erwähnt Antonieta Madrid....podría citar algunos libros cuya lectura me ha impactado: Ulises de James Joyce, Las Olas, Virginia Woolf; Tristam Shandy, Sterne; Manhattan Transfer, J. Dos Passos; La Montaña mágica, Thomas Mann; y entre los latinoamericanos, Rayuela, J. Cortázar; Cobra y otros libros de Severo Sarduy, incluyendo sus ensayos. (Cuestionario) Die ersten Klassen der „Primaria" besucht Antonieta Madrid zusammen mit ihrer Schwester Olga als Halbinterne in einer Klosterschule, dem Colegio ,,Madre Rafols" in ihrer Heimatstadt Valera; ihre weiterführende Ausbildung macht sie dann in Caracas, auf dem Colegio „Santa Rosa de Lima", einer ebenfalls von katholischen Nonnen geführten Anstalt. Bald nach Abschluß ihres Abiturs heiratet sie 1957, im Alter von achtzehn Jahren, den Industriellen Antonio José Delgado Rumbos; aus dieser Ehe - die nicht besonders glücklich ist - gehen vier Kinder hervor, Ivonne, Antonio, Eduardo und Andreina Delgado Madrid. Ein einschneidendes Ereignis in diesem Alter ist der frühe Tod ihrer Mutter, die im Alter von 47 Jahren unerwartet an einem Herzinfarkt stirbt, für die Tochter ein unersetzlicher Verlust mitten in einer Zeit, die sie selbst als problematisch erlebt: Podría considerar trágico la muerte de mi madre, a los 47 años y de repente mientras tomaba un baño en la bañera de su casa. Los médicos diagnosticaron Infarto masivo del miocardio. Ella fumaba mucho y tomaba constantemente café. Para esa época yo tenía 23 años, mi matrimonio no marchaba bien y más que nunca necesitaba de mi madre. Fue una falta inmensa, irreparable. No me resignaba a su ausencia inesperada. (Brief vom 15.2.1996) Etwa ein Jahr danach (1963) beginnt sie Erziehungswissenschaften an der staatlichen Universidad Central de Venezuela zu studieren, mitten in den turbulenten sechziger Jahren, die in Caracas geprägt waren von Studentenunruhen, Guerillakrieg und Hippiebewegung. Antonieta Madrid selbst scheint an diesen politischen Auseinandersetzungen und gesellschaftlichen Umbruchserscheinungen nur am Rande (wenn überhaupt) beteiligt gewesen zu sein; aus all ihren Schilderungen gewinnt man eher den Eindruck einer passiven Beobachterin, welche die häufigen Schließungen der UCV lediglich zu Auslandsreisen nach Paris und in die USA benutzt: Durante los años sesenta estuve en Caracas, en la Universidad Central de Venezuela cursando la carrera de Educación. Ingresé en el '63 y me gradué en el '68. Publicaba relatos y entrevistas culturales en diarios y revistas del país. Durante los recesos universitarios (en varias ocasiones se cerró la universidad por disturbios) viajé a París (1964), a Berkeley (USA/California) en 1965 y a Gainesville (Florida) en 1966. También participé (196768), junto con Andrés Boulton [autor de El orgasmo de Dios], Matilde Daviú [narradora venezolana...] y otros amigos en la revista Ahorna (MADRID, in PERDOMO: Ojo 172)

Antonieta Madrid

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Dennoch kann hinter diesen lakonischen Schilderungen einer Autorin, die immerhin ihre ersten beiden Prosawerke, den Erzählband Reliquias

de trapo und den Roman

No es tiempo para rosas rojas, praktisch ausschließlich diesen revolutionären und im persönlichen Bereich vielleicht traumatischen Ereignissen widmet, auch Understatement bzw. diplomatische Vorsicht einer Frau vermutet werden, die im Staatsdienst Karriere gemacht hat und der nicht daran gelegen sein kann, eventuelle 'Jugendsünden' an die große Glocke zu hängen. Dazu paßt auch wieder Madrids Erklärung zu ihrer politischen Einstellung, 4 in der sie meiner Meinung nach diesen Zusammenhang unterschwellig, durch den Hinweis auf den staatlichen

Charakter des Verlags

Monte Avila, herstellt: Nunca me he apasionado por ningún partido político en especial. Durante mis estudios universitarios, me tocó vivir la década violenta en Venezuela, los años sesenta. Allí en la universidad están ambientados mis primeros libros, „Reliquias de trapo" y „No es tiempo para rosas rojas", ambos editados por Monte Avila, la editorial del Estado y la más internacional. (Brief vom 15.2.1996) Nunca me ha gustado la política, ni sus prácticas, la praxis política, ni la búsqueda del poder sólo por estar sobre los demás. Nunca estuve comprometida con el movimiento político. Además de mis estudios universitarios, estaba mi vida familiar, mis hijos, los compromisos sociales. [...] Nunca participé ni me involucré directamente en ninguno de estos movimientos porque mi vida era otra cosa, mucho más transparente y porque no me gusta la guerra, lo destructivo, ni la manipulación de unas personas por otras. (Brief vom 4.3.1996) Aufgrund der eindringlichen Darstellung der inneren Spaltung der Guerilla und des ideologischen Dilemmas ihrer (männlichen) Anführer speziell im Bezug auf die „Frauenfrage" in Madrids Werken drängt sich mir die Annahme auf, daß die Autorin aus primäreren Quellen geschöpft haben muß als lediglich eingehender Zeitungslektüre oder Beschäftigung mit historischen Dokumenten. Einige sich wiederholende Motive in den Erzählungen und Romanen der Venezolanerin, wie (versuchter) Selbstmord, Abtreibung oder (gescheiterte) Liebesbeziehung zu einem Guerillero legen hier eine autobiographische Komponente nahe, die von Madrid jedoch nirgends bestätigt wird. 5 Sie selbst sagt zu dem Verhältnis zwischen realem Leben, biographischen Anteilen und Phantasie folgendes:

Heute bezeichnet sich Antonieta Madrid als Anhängerin der „democracia-social" (MADRID: Cuestionario); an anderer Stelle definiert sie sich als „humanista, pacifista" (Brief vom 4.3.1996). Liduvina Carrera versucht eine dialektische Beziehung zwischen autobiographischer „Wahrheit" und Fiktion herzustellen, indem sie No es tiempo nach einer Terminologie von Castillo als „autobiografía de ficción" bezeichnet; auch sie meint übrigens bezeichnenderweise, daß sich die Autorin hinter ihren Figuren „verstecke": „En todo caso, la novela de Antonieta Madrid se acerca a la autobiografía de ficción, según término de Romera Castillo (1980), porque 'existe una identidad asumida en el plano de la enunciación y una semejanza en el plano del enunciado' (39). La protagonista actúa como un doble de la escritora y la obra es una autobiografía de ficción porque Antonieta Madrid se esconde

Antonieta

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Madrid

Al escribir siempre tomo como punto de partida la realidad circundante pero me apoyo en la imaginación para replantear ese mundo real y para recrear las situaciones, imágenes, conflictos y todo lo conforma el relato o la novela. Todas mis obras tienen una base vivencial pero en ningún momento testimonial o autobiográfica en el sentido de recuento cronológico y topográfico de mi vida... (MADRID, in PERDOMO: Ojo 168) Pienso que toda obra es autobiográfica aunque sea de Ciencia-ficción. Todo lo que conmueve al escritor y está en un momento dado, contenido en su mente, es autobiográfico, pero en el sentido corriente de la palabra, autobiográfico como lo vivido en la vida real, en la vida cotidiana de una persona determinada, en este sentido No. Le tengo mucha desconfianza a la autobiografía. No se sostiene como literatura aunque toda literatura parte de una realidad. Escribir sobre la propia vida es como exhibicionismo, como si una se considerase tan importante que lo que le toca vivir es digno de ser contado, narrado. [...] Me resulta una gran mentira pretender hacer literatura con la propia vida. El ser humano y especialmente el escritor debe ser recatado, recogido, reservado, de lo contrario es un fantoche. Definitivamente no creo en la literatura-testimonio. (Brief vom 4.3.1996) Noch während ihres Studiums, im Jahre 1967, heiratet Antonieta Madrid zum zweiten Mal, und zwar den Filmemacher Nelson Arrietti, für den sie teilweise als Script girl arbeitet; mit ihm zusammen unternimmt sie zahlreiche Reisen, so z.B. von Kalifornien bis N e w York auf den Spuren von Jack Kerouacs On the Road. Der Begegnung mit Arrietti dürfte auch großteils ihr näherer Kontakt zur venezolanischen und internationalen Künstlerszene zu verdanken sein (in San Francisco treffen sie etwa Lawrence Ferlinghetti, auf den Reisen werden sie begleitet von Héctor Libertella), obwohl sie schon einige Jahre zuvor begonnen hat, sich journalistisch als Kulturkritikerin zu betätigen (vgl. CARRERA: 6): He viajado desde niña. Primero por América, después, Europa, Asia, Africa. Durante mi segundo matrimonio con un cineasta, viajamos mucho, vivimos en USA, donde disfruté una Beca de la Universidad de Iowa, School of Letters, para participar en las actividades creativas del International Writing Program. Recibí un Título de Honor. La estadía en Iowa duró dos años y se extendió gracias a una „Grant" que obtuvo mi marido para realizar una película „American Poetry". (Brief vom 15.2.1996) In Iowa findet sie sich übrigens in derselben Gruppe im International Writing Program der School of Letters wie Luisa Valenzuela (s.u.). Es ist die Zeit der Hippies, des Faibles für alles Orientalische, für Yoga und Meditation, und Antonieta Madrid saugt begierig diese unbeschwert-leichte Atmosphäre in sich auf, die ihr mehr behagt als politisches Engagement:

tras la marcha de su personaje y utiliza técnicas del discurso íntimo para autobiografiarse en la novela." (CARRERA: 102) Darauf kontert die Autorin mit leicht verhaltenem Humor: „Cuando me invitan a las universidades para hablar de 'No es tiempo para rosas rojas', siempre me hacen esa pregunta, ¿Cómo escribió sobre algo si no lo vivió? y ¿Cómo puede ser diplomática habiendo escrito ese libro? y en algunas ocasiones yo les he respondido: ¿Cómo Agatha Christie pudo escribir sobre tantos crímenes sin haberlos cometido?, o acaso ¿tenía que haber matado a alguien para poder escribir sus novelas?" (MADRID: Briefvom 4.3.1996)

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Era la época del orientalismo. Ya en Caracas durante los sesenta había asistido a las lecturas de Krishnamurti y del Tao-T-King, en la casa de un Profesor de Letras de la UCV, ya fallecido. Estaban los hippies que me encantaban. Mi ideología fue muy ecléctica y aquellos movimientos políticos sólo buscaban el poder. Nunca me ha interesado el poder, sólo la vida, la alegría de vivir sin empañaduras. [...] También me interesaba el budismo, el psicoanálisis, el estructuralismo, la semiótica. Fue una época para mí de gran voracidad intelectual, cultural. (Brief vom 4.3.1996) Dieser Auslandsaufenthalt inmitten einer kreativen Atmosphäre soll von entscheidender Bedeutung für den endgültigen Durchbruch ihrer literarischen Berufung sein: In den USA feilt sie an den Gedichten ihres später zweisprachig veröffentlichten Bandes Nomenclatura cotidiana/Naming day by day (1971), dort wechselt sie aber auch definitiv zur Gattung der Prosa, die ihr nach eigener Aussage mehr Gestaltungsmöglichkeiten bietet; die ersten Erzählungen von Reliquias de trapo entstehen ebenfalls in Iowa (vgl. CARRERA: 6; PERDOMO: Ojo 172). Bald kann sie auch erste literarische Anerkennungen für diese Erzählungen ernten: „Psicodelia", das übrigens inhaltliche Anklänge an die Schlußszene von No es tiempo erkennen läßt, erhält 1971 den 1. Preis in einem lateinamerikanischen Literaturwettbewerb des venezolanischen Kulturinstituts INCIBA (vgl. CARRERA: 7). Vermutlich aufgrund dieser Auszeichnung bekommt sie bald danach den Posten einer Koordinatorin der von dieser Institution herausgegebenen Zeitschrift, den sie zwei Jahre lang innehat: El puesto de „Coordinadora" de la Revista Nacional de Cultura lo obtuve después del Premio Interamericano de Cuento. Tal vez esto contribuyó aunque no directamente. A mi regreso de Iowa volví a la Universidad donde me había graduado y donde aspiraba ejercer un cargo docente, pero el hecho de haber disfrutado de la beca de la Universidad de Iowa, parece que molestó a alguien de la directiva que debía decidir sobre mi incorporación y me fueron demorando el ingreso. Tenía que trabajar y acepté el puesto de Coordinadora. (MADRID: Brief vom 4.3.1996) Um diese Zeit ereignet sich eine der rätselhaftesten und für Madrids literarischen Werdegang bedeutungsvollsten Begebenheiten: Das fertige Manuskript ihres Erstlingsromans Los que se van, später veröffentlicht unter dem Titel No es tiempo para rosas rojas, an dem sie in Iowa zu schreiben begonnen hatte, wird ihr 1973 mitten in Caracas aus dem Auto gestohlen, gerade als sie es kopieren will, um es zu einem Literaturwettbewerb einzusenden: No soy muy dada a coleccionar anécdotas. Como lo señalas en alguna de tus cartas, la primera versión de „No es tiempo para rosas rojas", se perdió. Me la robaron del carro. La busqué por todas partes. Pregunté en las casas cercanas a los lugares donde había estacionado el carro, pero nada. Se esfumó. Nunca logré descifrar este misterio. Eran los originales en limpio. Los tenía en el carro porque pensaba sacar fotocopias para enviar a un concurso. (MADRID: Brief vom 15.2.1996) Da sie nie mehr als ein Original ihrer Schriften aufbewahrt und alle Vorstudien und Entwürfe im Verlauf des Schaffensprozesses vernichtet, ist sie gezwungen, den Roman später aus dem Gedächtnis neu zu schreiben:

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Antonieta Madrid Escribo con un proceso de decantación: leo, corrijo, copio lo corregido y voy rompiendo lo anterior y así hasta llegar a la forma final. De lo anterior, de todo el proceso no ha quedado nada. No conservo originales. Sólo las copias publicadas. (Brief vom 4.3.1996) Tuve que reescribirla de memoria, en cuatro meses y con cincuenta páginas menos. La envié a un nuevo concurso, el Municipal de Literatura, y lo ganó. Estaba para ganar. Valió la pena esta segunda escritura. Inicialmente la novela fue escrita en los últimos años de la década de los sesenta, el 68 creo que la terminé, la primera versión. Aplazé el trabajo y lo retomé después de mi regreso de USA, en el 71. Obtuvo el premio en el 74. (Brief vom 15.2.1996)

1974 heiratet sie in dritter Ehe den Schriftsteller Dario Lancini Villalaz, mit dem sie noch heute zusammenlebt. Danach tritt sie schließlich in den diplomatischen Dienst ein, in dem sie seitdem ununterbrochen tätig gewesen ist. Es folgen verschiedene Auslandsstationen in den Botschaften Venezuelas in Buenos Aires (1975-1976) und Athen (1976-1980), bevor sie wieder in den Innendienst zurückkehrt (vgl. CARRERA: 7; PÉREZ RESCANIERE). Während dieser Zeit in Caracas beginnt Antonieta Madrid 1981 ein zweites Studium, diesmal an der Universidad Simón Bolívar, das sie 1985 mit einer Magisterarbeit über zeitgenössische lateinamerikanische und karibische Literatur abschließt, die später unter dem Titel Novela Nostra veröffentlicht wird, nachdem sie 1989 einen wichtigen Preis für Essayistik, den Premio Fundarte, erhalten hat. 1983 ist sie als Leiterin eines Literaturworkshops am CELARG, dem angesehenen Centro de Estudios Latinoamericanos Rómulo Gallegos, tätig (vgl. CARRERA: 7). Weitere akademische Studien sowie Ausbildungsgänge für ihre diplomatische Karriere erwähnt die Autorin im folgenden: También realicé estudios para una Maestría en „Orientación Profesional" (UCV), y para el doctorado en „Ciencias Sociales" (UCV/FACES). Otros estudios de alto nivel sobre „Negociación Internacional" (CEPET - University of Harvard), „Relaciones Humanas" (Academia diplomática, MRE), Curso de Ascenso para Consejeros (AD/MRE) y Curso de Alta Dirección (ILDIS). También hice estudios a nivel doctorado sobre „Semiótica Narrativa" (UCV). (Brief vom 15.2.1996) Neben ihrer Tätigkeit im Servicio Interno de la Cancillería übt Antonieta Madrid in den achtziger Jahren eine Lehrtätigkeit an der Universidad Católica Andrés Bello aus und arbeitet seit 1985 als Forscherin am Grupo Interdisciplinario de Estudios Caribeños (GIEC) der Universidad Simón Bolívar mit (vgl. CARRERA: 6f.). Es scheint ihr zu gelingen, eine Zeit lang beide Berufe zu vereinbaren und wechselseitige Anregungen zu verarbeiten, wie sie selbst meint: El haber compaginado mi carrera profesional, la escritura y la vida familiar armónicamente sin mayores conflictos, quizás se deba a mi carácter tranquilo, paciente y reflexivo y al hecho de siempre haber podido contar con el apoyo de mi familia. [...] Creo que la diplomacia y la literatura tienen muchas cosas en común. Ambas son superestructurales. Ambas son compatibles. Muchos escritores han sido diplomáticos. Además de Neruda y Octavio Paz, están sin buscar mucho, Abel Posse, Sergio Pitol, Fernando del Paso y más atrás, Lawrence Durrel, Saint John Perse y Carlos Fuentes, entre otros. (Brief vom 4.3. 1996)

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In dieser Zeit stellt sie auch ihren zweiten Roman, Ojo de pez, fertig, mit dem sie wiederum einen bedeutenden Literaturpreis gewinnt; veröffentlicht wird der Text jedoch erst sechs Jahre später: En 1984 Antonieta Madrid gana el Premio Único de la Bienal „José Rafael Pocaterra", otorgado por el Ateneo de Valencia, con Ojo de pez, novela inédita hasta 1990, fecha en que fue publicada por la Editorial Planteta . (CARRERA: 13) Mit diesem äußerst anspruchsvollen Werk gelingt es Antonieta Madrid 1991, unter die dreizehn Finalistinnen des begehrten Rómulo-Gallegos-Preises zu gelangen, den bis dahin noch keine Frau zugesprochen bekommen hatte;6 ihre Hoffnungen zerstreuen sich aber doch wieder, da schließlich unter den 138 Bewerberinnen neuerlich ein Mann, der venezolanische Altmeister Arturo Uslar Pietri, die Auszeichnung erhält (vgl. El Nacional 30-7-91). 1989 geht Antonieta Madrid wieder ins Ausland; weitere Stationen ihrer diplomatischen Karriere sind Peking und Warschau; während ihrer Zeit in Europa unternimmt sie auch zahlreiche Reisen (England, Frankreich, Deutschland, Rußland). 1994 stirbt ihr Vater im Alter von 84 Jahren, wiederum ein schwerer Verlust für die Autorin. Bald danach wird sie an die venezolanische Botschaft in Christ Church auf der Insel Barbados versetzt, wo sie zur Zeit (1996) noch arbeitet: Desde aquella vez en Caracas, en el Simposio [1994], cuando estaba de vacaciones, los acontecimientos no han parado. Unos días después de aquel breve encuentro, falleció mi padre y además de la gran tristeza que esto me produjo, la cual no he logrado superar, vinieron cambios, aunque favorables, en el trabajo, un traslado a Barbados, un lugar paradisíaco... (MADRID: Fax vom 11.4.1995) Sigo trabajando como Ministro Consejero en la Embajada en Barbados. Tal vez esté aquí todo 1996. Después, espero ser ascendida a Embajadora y tener otro destino. Podría ser Caracas o cualquier otro país. (Brief vom 15.2.1996) Antonieta Madrid ist zweifellos von ihrer Herkunft her sowie aufgrund ihrer Tätigkeit im diplomatischen Corps der gesellschaftlichen Elite zuzurechnen; sie selbst empfindet die Entwicklung ihrer ökonomischen Situation im Sinne einer „Verarmung" in Richtung professionelle, gebildete Mittelschicht: Durante la infancia, adolescencia y primera juventud, la situación económica de mi familia fue óptima. Eramos considerados ricos en el estado (Trujillo), donde nací. Después en Caracas siempre vivimos bien, en el este de la ciudad, con todas las comodidades. Ahora últimamente, después de los cambios económicos acaecidos en mi país, podría decir que pertenezco a la clase media profesional, empobrecida aunque bien formada y mejor educada. (Brief vom 15.2.1996)

6

Daher ist auch folgende Fehlleistung von Ludovina CARRERA bestenfalls feministisches Wunschdenken: „Su calidad es óptima, tanto así que ha quedado recientemente entre las trece finalistas del Séptimo Premio Internacional de Novela Rómulo Gallegos" (195). Erst 1997 sollte die Mexikanerin Ángeles Mastretta als erste Frau diesen Preis erhalten.

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Antonieta Madrid Económicamente pertenezco a la clase media profesional. Mis obras están pobladas por personajes de todas las clases sociales pero predominan los ambientes clase media profesional y el universitario. (MADRID, in PERDOMO: Ojo 168)

Auch in ihren Werken spiegelt sich, wie anhand der Analyse von No es tiempo para rosas rojas noch zu sehen sein wird, das Gespaltensein zwischen großbürgerlichtraditionalistischer Herkunftsschicht mit ihren starren Verhaltensmustern und gefühlsmäßigen Sympathien für eine antiautoritäre Jugendrevolte, wie sie in den sechziger Jahren weltweit 'chic' war. Niemals jedoch wird aus dieser individualistischen Auflehnung gegen Beschränkungen des persönlichen Lebensstils, auch und vor allem in bezug auf die „condición femenina", nur ansatzweise ein politisches Programm oder eine definierbare ideologische Einstellung. Antonieta Madrid schätzt sich selbst als „konfliktvermeidende" Natur ein, die Problemen oder problematischen Persönlichkeiten lieber aus dem Wege geht: No me agradan los conflictos. Cuando se presentan trato de resolverlos y si no es posible, trato de olvidarlos o mantenerme al margen del problema. No me gusta sufrir. Cuando encuentro alguien conflictivo, angustiado sin motivo, amargado, trato de alejarme. En general, en mi vida puedo recordar más fácilmente los momentos de alegría y entusiasmo, que los tristes y frustrantes. (Brief vom 15.2.1996) Der Preis dafür scheint eine Ansammlung von Frustrationen zu sein, die ihr das Gefühl vermitteln, nirgends richtig 'zum Zug' gekommen zu sein, die gebotenen Möglichkeiten im Grunde genommen nie richtig genutzt zu haben; noch mit fünfzig wartet sie schüchtern darauf, von einem väterlichen Mentor entdeckt zu werden, ergreift jedoch kaum selbst die Initiative, wenn es darum geht, sich durchzusetzen: Como soy de naturaleza tímida, siempre he preferido ser solicitada, que me busquen, que me llamen, antes que tomar la iniciativa. [...] Frustraciones: Muchas. Siempre llego tarde a las oportunidades que ofrece la vida. Esa es la sensación que me acompaña. No me refiero a la puntualidad mecánica de las citas acordadas. No. Se trata de una sensación de haber perdido la oportunidad, de percatarme después, cuando ya no es posible. En fin. Es una sensación, nada más. (Brief vom 15.2.1996) In diesem Sinne repräsentiert Antonieta Madrid, obwohl Altersgenossin von Luisa Valenzuela (die eine bei weitem respektlosere, aufmüpfigere und kritischere Haltung zutagelegt), und trotz (oder wegen?) ihrer Position als 'gemachte Karrierefrau' sozusagen eine 'ältere' Generation, was emanzipatorisches Selbstbewußtsein und Loslösung von patriarchalischen Mustern betrifft. Ihr Standort bleibt quasi vor 1975, dem Internationalen Jahr der Frau, angesiedelt, und gerade daher habe ich sie auch als Vertreterin dieser „vorfeministischen Phase" ausgewählt. So ist mir zum Beispiel aufgefallen, daß sie in ihrer tesis de maestría fast ausschließlich Texte von männlichen Autoren bespricht, mit Ausnahme von Wide Sargasso Sea von Jean Rhys, das sie aber nicht unter einer genderspezifischen Fragestellung analysiert, sondern lediglich für seine geographische Zugehörigkeit zur teei'namerikanischen Literatur plädiert. Auf ihre Selbsteinschätzung bezüglich einer eventuellen Parteigängerschaft der

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feministischen Sache angesprochen, definiert sich Antonieta Madrid folgendermaßen: En el más amplio sentido de la palabra SI soy feminista aunque no comparto la agresividad de algunas feministas contra la otra mitad del mundo, ni el „hembrismo" para contraponer al „machismo". Pienso que habría que buscar la conciliación, el entendimiento entre ambos sexos aunque sin hacer concesiones que hieran la dignidad humana. (MADRID: Cuestionario) D a ß sie in ihrem erzählerischen W e r k gerade die Limitierungen eines solchen utopischen Projekts einer „Versöhnung der Geschlechter" aufzeigt und damit indirekt ähnlich übrigens wie M a r í a Luisa Bombal - Kritik a m patriarchalischen System übt, ohne ihm selbst im persönlichen Bereich ganz entwachsen zu sein, steht buchstäblich 'auf e i n e m anderen Blatt'... O b w o h l sie sicherlich große Qualitäten als Schriftstellerin aufzuweisen hätte und dies vor allem in ihren beiden R o m a n e n zur G e n ü g e unter Beweis gestellt hat, konnte sich Antonieta Madrid bisher nie dazu durchringen, das Schreiben konsequent professionell zu betreiben. Sozusagen als anspruchsvolles ' H o b b y ' neben ihrem Brotberuf, der Diplomatie, fristet ihr literarisches Talent leider ein Schattendasein, stets in die zweite Linie zurückgedrängt und auf die Mußestunden vertröstet: Impedimientos, ninguno. Silencios, muchos. Me encanta escribir pero necesito tiempo y siempre estoy a la caza de un día libre. Mi ritmo de escritura requiere jornadas de 6 o 7 horas ininterrumpidas, en mi casa, en el cuarto de dormir donde siempre tengo el escritorio y la máquina y sobre todo, con ropa muy cómoda. He sufrido por esto. El tener que alternar la escritura con la vida profesional, siempre ha significado un sacrificio para la escritura. (Brief vom 15.2.1996) Durch ihre langen Auslandsaufenthalte läuft die Autorin auch immer wieder Gefahr, in V e n e z u e l a selbst „in Vergessenheit zu geraten", nicht präsent zu sein, wenn es um promotion

events geht:

Sé que en este asunto he fallado, tal vez por razones profundas, del carácter, por mi infancia provinciana, me da vergüenza autopromoverme, hablar de mí misma. [...] También habría que considerar el hecho de que por haber vivido tanto tiempo en el extranjero, se van olvidando de mí en Venezuela a la hora de nombrar a los escritores (as). Además no estoy allí a la hora de designar quiénes irán a los Congresos, ni asistir a los Actos. (Brief vom 4.3.1996) T r o t z d e m kann Antonieta Madrid sicherlich als die zur Zeit bedeutendste, originellste und erzähltechnisch anspruchsvollste Schriftstellerin ihres Heimatlandes angesehen werden (und ich wüßte im Augenblick auch keinen männlichen Autor innerhalb Venezuelas, der sie bezüglich der Qualität ihrer W e r k e in den Schatten stellen würde). Zur Zeit verfolgt sie simultan gleich zwei literarische Vorhaben, auf deren Fertigstellung man sicher gespannt sein kann: Actualmente estoy trabajando dos proyectos novelísticos: una novela polifónica, paródica, laberíntica, con nuevas propuestas literarias (EL LABERINTO AMARILLO) y una novela corta, realista, transparente (EN EL ARCANO TEJIDO DE LA ARAÑA). (MADRID, in PERDOMO: Ojo 171)

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1.4.2. Stiefkind der Literaturgeschichte Abgesehen von einem schmalen Bändchen von Alicia Perdomo H., vier (unveröffentlichten) Magisterarbeiten, von denen allerdings nur eine ausschließlich dem Werk von Antonieta Madrid gewidmet ist, 7 und vier weder besonders tiefschürfenden noch ausführlichen Artikeln in Zeitschriften bzw. Sammelbänden konnte ich über das Werk der venezolanischen Schriftstellerin nur knappe Rezensionen und Notizen in Tageszeitungen, vornehmlich aus Caracas, ausfindig machen, und auch dies nur mit Hilfe der Autorin selbst. In keinem mir bekannten Fall wird sie ohne Ansehen des Geschlechts in einer Reihe mit einer bestimmten historischen Strömung der lateinamerikanischen Literatur erwähnt, obwohl PERDOMO, eine der wenigen Madrid-Spezialistinnen, sie am ehesten der formalen Avantgarde zuordnet: Comienza a hacer propuestas renovadoras y a incorporar „ismos" vanguardistas (surrealismo, cromatismo, etc.). (Antonieta: 38) Das Bestreben der Autorin selbst, der limitierenden Einordnung unter die Subkategorie „Frauenliteratur" zu entgehen und einfach als eine aufgrund ihrer Qualität ernst zu nehmende Literaturschaffende im Rahmen der „nueva novela latinoamericana" angesehen zu werden, ist also eher als Wunschdenken denn als reales Phänomen der Rezeption ihrer Werke zu werten: ¿Dónde se ubicaría usted (inserción paradigmática) como escritora dentro del contexto latinoamericano y venezolano? En lo latinoamericano, dentro de la vanguardia formal. Me preocupa mucho la forma de la novela, también el derrotero de la nueva novela latinoamericana, hacia dónde va esta novela y cuáles son o deben ser sus búsquedas estéticas. Me preocupa igualmente la especulación sobre la llamada literatura femenina, sigo insistiendo en que su estudio paradigmático puede convertirse en autodiscriminación. Me considero una escritora más dentro del grupo de escritores latinoamericanos, sin distinciones de sexo. (PERDOMO: Ojo 167) Gerade letzteres, die Beurteilung „ohne Ansehen des Geschlechts", ist ihr in der spärlichen zu ihren Werken erschienenen Kritik nämlich nicht zuteil geworden. Im Gegenteil: Bis zum Erscheinen von Ojo de pez wurde ihr sogar ein zweifaches Etikett aufoktroyiert, einerseits als schreibende Frau und andererseits als Vertreterin der Guerillaliteratur, welche die literarische Szene im Venezuela der sechziger Jahre entscheidend geprägt hat:

Und zwar speziell ihrem letzten Roman Ojo de pez (PERDOMO 1991 und 1992); die anderen in der Bibliographie erwähnten Arbeiten stellen das literarische Schaffen Madrids in einen ausschließlich weiblichen und nationalen Bezugsrahmen, indem es mit demjenigen anderer venezolanischer Autorinnen verglichen wird - einmal ist dies Victoria De Stefano (CARRERA), das andere Mal Laura Antillano (SANTAELLA) - ; die schon ältere Arbeit von BUSTILLO (1978), die mir nicht zugänglich war, zeichnet offensichtlich ein Gesamtpanorama der damaligen venezolanischen Literaturproduktion von Frauen und erwähnt Madrid als eine unter mehreren Schriftstellerinnen.

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Los sesenta comienzan a producir otra literatura hija de contrastes. Allí leemos varias novelas que hablan de la guerrilla: No es tiempo para rosas rojas de Antonieta Madrid, Qué carajo hago yo aquí de Irma Acosta, El desolvido de Victoria Duno y Aquí no ha pasado nada de Angela Zago. (PERDOMO: Ojo 14) En los sesenta, América Latina estaba convulsionada. Y las venezolanas escriben sobre las guerrillas y sus consecuencias. Clara Possni (Los farsantes), Victoria Duno (El desolvido), Angela Zago (Aquí no ha pasado nada) y Antonieta Madrid con No es tiempo para rosas rojas publicada algunos años después, agotaron ediciones. (PERDOMO: Mujeres 7) Tatsächlich hat Antonieta Madrid in ihren Ende der sechziger Jahre verfaßten, Anfang der Siebziger erschienenen Werken der ersten Periode, die ich die „politische" nennen würde, etwa in Reliquias de trapo und No es tiempo para rosas rojas, von der Thematik her die Jugend- und Studentenrevolten bzw. die Hintergründe der Guerillabewegung in Venezuela in den Mittelpunkt gestellt. Im Unterschied zu den meisten anderen oben angeführten Autorinnen (insbesondere Ángela Zago, die reine Dokumentär- und Bekenntnisliteratur verfaßt hat) beschränkt sich Madrid jedoch nicht auf die denunziatorische Funktion der Literatur, j a diese scheint sich bei ihr eher beiläufig, fast widerwillig zu ergeben, 8 während sich das Hauptinteresse der Autorin auf formale und sprachspielerische Experimente konzentriert. Damit stellt sie sich - bewußt oder unbewußt - gegen die vorherrschende Tendenz ihrer Generation, Kunstschaffen quasi lediglich in Funktion eines politisch-sozialkritischen Zweckes zu legitimieren, als littérature engagée, wobei ästhetische oder erzähltechnische Aspekte zwangsläufig in den Hintergrund gestellt werden: La narrativa posterior a 1968 en Venezuela se ha caracterizado por un retroceso en las formas artísticas y por un manejo simple de los recursos literarios. El discurso de esos textos ha sido sencillo porque su objetivo primordial no era la estética sino la denuncia. (CARRERA: 101) ...la influencia fue tal que no ceñirse a cierto tipo de temática o anécdotas era catalogado como anti literario y sin valor estétito [...] el asunto radicaba en la creencia según la cual el escritor debía estar de acorde con los acontecimientos de su época, registrarlos y hacer de ellos la esencia de lo literario. Cualquier otra opción era considerada anormal e influctuosa . (NAVARRO 1990: 8, zit. in CARRERA: 2) Madrid steht so in einem interessanten Spannungsverhältnis, indem sie weder die tradierte rurale, neorealistische Linie eines Rómulo Gallegos oder Uslar Pietri fortsetzt noch sich vom Zeitgeist der ausgehenden sechziger Jahre völlig vereinnahmen läßt, wiewohl sich in ihren Texten wie in keinem zweiten die „onda" der Hippiebewegung, der Drogenszene, der Beat-Generation, der Studentenkrawalle und der Guerillaromantik wiederfindet, was für mich mit ein Kriterium war, ihren Roman No es tiempo para rosas rojas als für sein Jahrzehnt typisch auszuwählen. Antonieta Ma-

Vgl. auch folgende Äußerung der Autorin: „Nunca he escrito nada testimonial. Mi libro es una ficción ambientada en una época precisa. Los personajes son arquetipos de esa época." (MADRID, in OTÁÑEZ)

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drid ist, wahrscheinlich bedingt durch ihre internationalen Kontakte gerade zur fraglichen Zeit, wesentlich kosmopolitischer als die meisten ihrer Zeitgenossinnen in Venezuela, und doch zeichnet sie gleichzeitig ein repräsentatives Bild der aus allen Nähten platzenden, im Erdölrausch florierenden und expandierenden Großstadt Caracas. Auf jeden Fall gehört sie in die urbane Strömung der venezolanischen Literatur, die DÍAZ/VALERO im folgenden andeuten: La narrativa venezolana tomó o avizoró otros caminos. Pasamos de una narrativa galleguiana y folklórica, uslarista y ruralista, y dimos el salto tajante hacia la temática cosmopolita-ciudadana. (233) Sie ist insofern ihrer Zeit voraus, als ihr der damals in ihrem Land unmöglich, ja kontraproduktiv oder sogar verwerflich erscheinende 'Spagat' zwischen sozialkritischer Thematik und formalem Experiment gelingt. Eines der charakteristischesten Kennzeichen für Madrids Literaturschaffen ist bereits zu diesem Zeitpunkt, als sie inhaltlich ganz in die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen von Guerillakrieg, Generationenkonflikt und Frauenemanzipation verstrickt zu sein scheint, ihr gänzliches Sich-Verschreiben an eine avantgardistische Ästhetik, die ludischen Prinzipien folgt und das schöpferische Element der Sprache, deren Eigendynamik und implizit zum Programm erhobene autonome Mechanismen von Bedeutungsproduktion in den Vordergrund stellt, analog zu den sit-ins, den Happenings und den teilweise unter Drogeneinfluß entstandenen Spontankreationen der 68er-Generation wie der Aktionsmalerei: En esta primera obra de relatos [Reliquias de Trapo], su propuesta es renovadora e icorpora los „ismos" de la vanguardia. Su libro tiene un sello narrativo particular que será perfilado en el resto de su obra: el verdadero protagonista es el lenguaje, pero no se queda en el juego de la elaboración y del artificio; sino que, por el contrario, encuentra su plena justificación al ser transmisor fiel y resonancia precisa de un estado de la realidad. A partir de este abigarrado conjunto de relatos, la escritora abrirá las puertas a la síntesis de la vanguardia, que la caracterizará dentro del ámbito literario venezolano. Sus personajes se mueven dentro de un texto mágico, telúrico,9 urbano y violento. En lenguaje evo-

Die Apostrophierung als „mágico" oder „telúrico" kann ich ehrlich gestanden nicht nachvollziehen, denn gerade mit dem Realismo mágico eines García Márquez, Miguel Ángel Asturias oder dem frühen Carpentier, mit der für diese Autoren typischen Betonung des vorzivilisatorisch-erdhaft-mystischen Elements in Lateinamerika hat Antonieta Madrids Werk so gut wie gar nichts zu tun. Die immer wieder anklingenden esoterischen Elemente der Hippieszene tragen vielmehr kosmopolitische und nicht so sehr regional-folkloristische Züge. Schon eher erschiene mir ein Vergleich mit Cortázar, Manuel Puig, Cabrera Infante oder anderen intellektuelleren Autoren des „Booms" angebracht, an dem Madrid zumindest vom Erfolg her allerdings keinen Anteil hat. Perdomo vermutet insbesondere Einflüsse von James Joyce und Julio Cortázar: „Con una fuerte influencia de James Joyce y de Julio Cortázar, Madrid propone un tipo de novela diferente. En cierto momento, esta obra [Ojo de pez] es una sucesión de parodias (de títulos de prensa y películas; de disciplinas científicas; de la pseudointelectualidad)." (PERDOMO: Ojo de pez 1992: 12)

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cador transmite la violencia política del momento y los patrones lingüísticos de la juventud de los años sesenta. (CARRERA: 8) M a d r i d s f r ü h e Erzählungen und R o m a n e können so auch als F u n d g r u b e f ü r den sprachlichen Duktus der 'ausgeflippten' Jugendlichen der sechziger und frühen siebziger Jahre angesehen werden; trotz der internationalen Komponente, die dieser Jugendkultur inhärent ist und die etwa in den häufigen Anglizismen oder Gallizismen z u m A u s d r u c k kommt, haftet den Texten der Venezolanerin doch ein ausgeprägtes Lokalkolorit an, mit f ü r das Caracas der damaligen Zeit typischen Ausdrücken und W e n d u n g e n , die selbst in Wörterbüchern des lateinamerikanischen Spanisch nicht zu eruieren sind. D a n e b e n finden sich eingestreut Beatles-Texte, Modeklischees, folkloristische Elemente wie Volkslieder oder Kinderreime und nicht zuletzt der esoterische Diskurs der „galäxicos". Alle diese Materialien werden in Art einer Collagetechnik zusammenmontiert, wobei die Kürze der einzelnen, rasch

wechselnden

Passagen symptomatisch für das Lebensgefühl der schnellebigen M o d e r n e zu sein scheint. M o d e r n e und postmoderne Verfahren wie innerer M o n o l o g , stream of consciousness,

intertextuelle Anspielungen und Überschreiten der

Gattungsgrenzen

durch W e c h s e l von narrativen und poetischen Fragmenten charakterisieren weiters den Stil von Antonieta Madrid: On another level, the North American reality, and within it the beat generation and the hippies and their „flower power," constitute two movements that greatly influenced Madrid's and Antillano's works. In the field of literary techniques they inherit the innovations proposed by structuralism, semiotics and their subsequent experimentation with language. (SANTAELLA 10) Stylistically speaking, they are two of the very few Venezuelan women writers who have ventured into the field of technical and artistic experimentation in literature. Both Madrid and Antillano have adopted techniques that were once called experimental. These include the use of stream of consciousness, interior monologue, intertextuality as a mixture of literary genres and other literary texts, as well as the inclusion of discourses other than the strictly literary one, i.e., cinema, photography, popular music, etc. (ibid.: 12) Stilistisch fallen an M a d r i d s Texten vor allem die ungewöhnliche V e r w e n d u n g von Nominalsätzen mit einer reichen Adjektivierung und teils ausgefallenen M e t a p h e r n auf, in denen die V e r b e n „ser" oder „estar" ausgelassen werden (vgl. C A R R E R A : 168 1 0 ). Ein Beispiel f ü r einen solchen Satz, der über mehrere Zeilen geht und ohne ein einziges Zeitwort auskommt, findet sich gleich zu Beginn: Los cojines amarillos, morados, naranja, bien quietos sobre el suelo, sobre el diván forrado con una cobija de cuadros de lana escocesa; y la botella de champaña, bien fría, acostada en la nevera, llena de gotitas como de sudor la botella de viuda Cliquot en la nevera bien fría. (No es tiempo para rosas rojas: 15 11 )

10

Ein entsprechendes formales Schema dieser Konstruktion bringt sie auf S. 170.

11

Im folgenden zitiere ich aus der zweiten Auflage 1983 (Caracas, Monte Ávila).

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Oft stehen diese Nominalkonstruktionen in Verbindung mit Gerundios oder Infinitiven, wie bei folgender Szene, als Daniel der Protagonistin vorgestellt wird: Mucho gusto y el calor de tu mano. Mucho gusto y el sonido de tu voz... [...] Mucho gusto y tus ojos, mucho gusto y tu cara, mucho gusto y tu imagen entera como una luz sobre mi cara brillando... Mucho gusto y tu figura total ante mis ojos entrecerrados; mucho gusto y sí, sí, ya recuerdo, fue en París, en el café Buci, aquel amigo pintor que recién regresaba de Nepal. El pintor y aquella muchacha francesa llamada Giselle, y todos nosotros jugando a las maquinitas,... (ibid. : 17f.) Diese Akkumulierung von infiniten Verbformen wird von O R O P E Z A folgendermaßen gedeutet: Si hay un tiempo verdadero en la narración tendría que ser definido a partir de la naturaleza del gerundio, por el carácter explosivo y centelleante de las imágenes de la materia narrativa que fija la escritura en un instante que se hace y se construye frente a nosotros; es una posibilidad, un haciéndose, un construir de apariencias... (Acto) Und Pérez Rescaniere hebt den reiterativen Charakter von Madrids Prosa hervor, wodurch eher der Charakter eines „Besingens" als eines Erzählens erreicht werde: Esa prosa reiterativa, que pasa y repasa con parecidos verbos sobre los hechos y los objetos en No es Tiempo para Rosas Rojas no es el simple espejo que recorre un camino que pedía alguien, nada de eso, se enrrosca sobre los temas cantándolos más que contándolos... (PÉREZ RESCANIERE) Dazu kommt noch das passagenweise Abwandern der Autorin in Richtung poetischen Stils, was etwa in folgender Passage exemplarisch beobachtet werden kann, in der die Protagonistin von No es tiempo... einen litaneiähnlichen Abgesang an ihren scheidenden Geliebten, aber auch an die obsoleten Fetische der westlichen Kultur vorbringt (sie sagt ausdrücklich zuvor: „Y entonces quise escribirte un poema"): se llamaba Daniel, Daniel Sin Nombre, daniel nombre del hombre-resumen del hombre universal, daniel tecnológico, daniel electrónico, daniel infrahombre, daniel sub-producto del hombre-dios, daniel fetiche en sombras con cinco cédulas de identidad, daniel pop, daniel rock, daniel gun, daniel bomb, daniel con la cabeza caliente, daniel bañándose, el agua chorreando por un cuerpo sin himnos... daniel ontològico, daniel fenomenològico, daniel kantiano, daniel hessiano, daniel sarreano, daniel freudiano, daniel marxista, daniel leninista, daniel comunista, daniel socialista, daniel revisionista, daniel marcussiano, daniel macluhaniano, daniel culturalista, daniel budista, daniel taoista, daniel krisnamurtiano, daniel psicodélico, daniel zen, daniel yin, daniel yang, daniel ying-yang. El Equilibrio Perfecto. Daniel Macro-biótico... (122) C A R R E R A (149) definiert diesen Stil als „lyrischen" im Gegensatz zum „epischen", den sie bei Victoria De Stefano beobachtet hat. Trotzdem bleibt Antonieta Madrid abgesehen von ihrem Frühwerk - eine reine Prosaschriftstellerin; Perdomo bezeichnet sie sogar als die beste Erzählerin Venezuelas, wobei wieder nicht klar wird, ob dies lediglich innerhalb des samples der literatura femenina zu werten sei oder generell, ohne Ansehen des Geschlechts: De este grupo [urbane Literatur] sobresale un nombre: Antonieta Madrid. Ella es, en los actuales momentos, la mejor narradora de nuestro país. (PERDOMO: Antonieta 38)

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Sowohl die Autorin selbst als auch die sie untersuchenden LiteraturwissenschaftlerInnen geben sich im Widerspruch dazu letztlich aber sehr bescheiden hinsichtlich der Ansprüche an die Rezeption des Madridschen Werkes; sie zeigen sich nach außen zufrieden damit, daß speziell ihre beiden Romane wichtige Literaturpreise bekommen haben und im universitären Ambiente Venezuelas auf einiges Interesse gestoßen sind: No es tiempo para rosas rojas y Ojo de pez, son los libros que mayores satisfacciones me han proporcionado: ambas novelas obtuvieron premios y han sido muy bien recibidas por los lectores y sobre todo a nivel universitario. (MADRID, in PERDOMO: Ojo 160) Las dos escritoras [Madrid und De Stefano] han sido suficientemente reseñadas por la prensa y su obra ha sido estudiada profusamente en trabajos de grado (CARRERA: 5)

Entre nous, in mehr oder weniger privaten Äußerungen wie in dem vorhin erwähnten Fragebogen, schwingt hingegen sehr wohl die Verärgerung einer ernstzunehmenden und vielversprechenden Schriftstellerin über die Hinhaltetaktik der Verlage mit, wie etwa im Falle von No es tiempo para rosas rojas, das zwar alle Anzeichen eines Bestsellerromans 12 zeigte und dessen Erstausgabe innerhalb weniger Monate vergriffen war, aber trotzdem acht Jahre lang nicht neu aufgelegt wurde (zwischen der zweiten und der dritten Auflage verstrichen sogar elf Jahre). Diese Mißachtung wird von Madrid durchaus in Zusammenhang gebracht mit einer generell geringschätzigen, achtlosen und implizit abwertenden Haltung gegenüber Werken von Frauen, die solcherart indirekt diskriminiert werden: Tanto las editoriales nacionales como las extranjeras carecen por completo de una política de autor. Resultaría interminable la lista de quejas al respecto, como libros cuya venta se ha agotado en tres meses pero han sido reeditados a los ocho (8) afios o nunca más. Esto ha ocurrido con casi todos mis libros y los de otras autoras, sin excepción. (MADRID: Cuestionario) Ser mujer en un mundo estructurado por hombres es una rémora difícil de superar. Las mujeres escritoras tenemos que luchar doblemente para obtener siempre menos de lo que merecemos... También debemos enfrentamos a los prejuicios de la sociedad y a la mezquindad de los administradores de la cultura, (ibid.)

Auch Isabel C. SANTAELLA ist dieser Widerspruch zwischen anfänglichen Jubelrufen in den Kulturspalten der venezolanischen Tageszeitungen und dem letztlich fast gänzlichen Fehlen von seriösen Analysen der Texte von Antonieta Madrid in den einschlägigen Fachzeitschriften aufgefallen: ...first, these authors [Antonieta Madrid und Laura Antillano] are two of the most representative contemporary Venezuelan writers; second, the existing critical material on their

12

Vgl. etwa Juana de ÁVILA: „Es a ese público precisamente a quien me gustaría decirle hoy que la novela de Antonieta Madrid, tiene todos los elementos para convertirse en un best-seller criollo."

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Antonieta Madrid work is scarce and often underrepresented within the critical literary corpus of their country; (Feminine Saga l) 13

Die Vorbehalte der Autorin gegenüber einer vorschnellen Identifizierung mit einer reinen „Frauenliteratur", die dazu angetan sein könnte, sie in eine zweite Reihe zu stellen gegenüber der „literatura a secas", scheinen also nicht ganz unberechtigt zu sein. Dennoch mehren sich die Stimmen, die Antonieta Madrid immer eindeutiger für einen feminin oder gar feministisch orientierten Diskurs reklamieren; sie selbst verhält sich dementsprechend vorsichtig abwartend bis skeptisch: No soy partidaria de separar la literatura escrita por mujeres de la escrita por hombres. Pienso que tanto el hombre como la mujer escritores, se enfrentan a los mismos problemas técnicos y formales de la literatura. Podría señalarse alguna diferencia en los „temas" escogidos tal vez pero esta diferencia no resulta muy marcada. (MADRID: Cuestionario) Wahrscheinlich wird auch ihr zunehmend bewußt, daß sie - auf dieser Modewelle surfend - vielleicht durch die Hintertür der „Women's Studies" nachträglich doch noch Eingang in die Literaturgeschichte(n) finden könnte, insbesondere wenn es ihr gelänge, in den USA Fuß zu fassen. Das Interesse wurde jedenfalls aufgrund der Veröffentlichung ihres Romans Ojo de pez 1990 wiedererweckt, eines sehr anspruchsvollen Sprachkunstwerks, das - wie der Name bereits andeutet - mit einer Verschachtelung verschiedener Textebenen nach fotografischen Techniken (eben z.B. des Fischauges) arbeitet. Bald danach entstehen folgende Kommentare, in denen speziell die 'weibliche' Fokussierung hervorgehoben wird (in Ojo de pez geht es vordergründig um die Beziehungen zwischen einer weiblichen Triade von Großmutter, Mutter und Tochter, unterschwellig und in einer zweiten Ebene aber auch um die Gewalt von Seiten des Vaters, der den Liebhaber der letzteren tötet, und um die psychische Verarbeitung eines Abtreibungstraumas): Antonieta Madrid, por el contrario, prefiere el relato en las protagonistas femeninas. [...] Por lo general los relatos de Antonieta Madrid están en boca de personajes femeninos y constituyen relatos confesionales, podría decirse que asume las características de la tan discutida „literatura femenina". (CARRERA: 195) Alicia Perdomo (Ojo: 13) stellt Madrid folgerichtig in eine Linie der insbesondere von Teresa de la Parra und ihrem wegweisenden Roman Ifigenia (1924) initiierten 'weiblichen Tradition' innerhalb Venezuelas; auch dieser frühe Text war übrigens zentriert um eine weibliche Erzählerin und deren Unterwerfung/Zähmung durch die patriarchalischen Instanzen innerhalb der Familie, weist also gewisse thematische

13

So scheint Madrid mit Ausnahme des Diccionario General de la Literatura Venezolana, in dem sie übrigens mit dem falschen Geburtsdatum 1946 geführt wird, in keiner der mir zugänglichen venezolanischen Literaturgeschichten auf. Selbst der 571 Seiten starke Wälzer von José Napoléon OROPEZA, Para fijar un rostro, nennt in der Bibliographie kein einziges ihrer Werke, geschweige denn, daß er sie eines auch noch so kurzen (Teil-) Kapitelchens würdigte. Dort, wie auch in DÍAZ SEIJAS, ist überhaupt Teresa de la Parra die einzige erwähnte Autorin des Landes...

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Parallelen zu Ojo de pez auf, die fast schon zu Konstanten der venezolanischen Frauenliteratur werden. 14 Die Unterschiede zwischen der literarischen Generation der „Mütter" und jener der „Töchter" charakterisiert Perdomo so: ...la forma de decir las cosas, de escribirlas, sufre sustanciales modificaciones despegándose del intimista diario y pasando a adoptar moldes experimentales y técnicas más 'agresivas' en la escritura que van desde el empleo de técnicas fotográficas hasta llegar a las polifonías, pasando por múltiples matices. (PERDOMO: Ojo 13) Antonieta Madrid, darauf befragt, welcher Schule oder Generation sie sich zugehörig fühlt, kehrt zunächst ihre Isolierung von sämtlichen literarischen Gruppierungen und damit ihr notorisches Einzelgängertum hervor; letzten Endes aber scheint sie sich immer noch am ehesten mit den literarischen Strömungen der sechziger und siebziger Jahre zu identifizieren: Nunca he pertenecido a grupos literarios, convivo con la gente que me rodea sin pensar si son escritores o no. (MADRID, in PERDOMO: Ojo 168) No me considero inscrita en ninguna generación literaria porque nunca milité en agrupaciones o escuelas literarias, (ibid.: 171) No pertenezco a ninguna escuela o corriente literaria específica pero sí a una generación, la de los sesenta, comencé a escribir en los años sesenta y parte de mis libros están ambientados en esa década aunque hayan sido publicados en los setenta, caracterizados por el ensayo de nuevas técnicas. (MADRID: Cuestionario) In einem Ton des Bedauerns stellt sie auch fest, daß sie sämtlichen Kontakt mit ihr ursprünglich nahestehenden lateinamerikanischen Autorinnen (von denen sie sich speziell nach Luisa Valenzuela, ihrer Kollegin in Iowa, erkundigt) durch ihre langen Auslandsaufenthalte verloren hat: ...(en los años sesenta y setenta) pero después ya nos hemos ido alejando y hace como diez años que ya no he tenido noticias de Luisa Valenzuela, Alicia Dujovne, Alba Lucía Angel, Carmen Naranjo, Fany Buitrago, Nelida Piñón, Elena Poniatowska, Ana Vázques , Matilde Daviú, Iliana Gómez (MADRID: Cuestionario). Zum Teil befördert sie selbst einen gewissen Sinn für die Exklusivität ihrer eindeutig intellektuell geprägten Literatur, die ihrem Verständnis nach Sache für einige wenige Eingeweihte bleiben sollte; nebenbei sieht sie darin eine Ursache für den geringen kommerziellen Erfolg ihrer Texte: ... mi pasión por la literatura, específicamente la literatura llamada „culta". Pienso que la literatura es un asunto de „iniciados" en el sentido excluyente de la palabra. (MADRID: Cuestionario) Mi literatura, sin proponérmelo es „culta" (tal vez esto pueda ser visto como una falla) y creo que no convence a los editores cada vez más comercializados... (MADRID, in PERDOMO: Ojo 162)

14

Vgl. etwa auch die Familiensagas Doña Inés contra el olvido und El Exilio del Tiempo von Ana Teresa TORRES und den ganz ödipal auf den Vater zentrierten Roman Mata el caracol von Milagros MATA GIL.

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Trotzdem bleibt sie bei ihrem Wahlspruch: „Creo en la novela intelectual, tanto en su intención como en su factura. No creo en escritores ingenuos ni en literatura espontánea." (ibid.: 166). Gleichzeitig macht sie gewissermaßen aus der Not eine Tugend und hält sich darauf zugute, nie „Eile mit dem Veröffentlichen" gehabt zu haben; inwieweit die relativ langen Abstände zwischen der Fertigstellung eines Manuskripts und seinem Erscheinen in Buchform jedoch freiwillig gewesen sind, muß dahingestellt bleiben: En términos generales he sido muy bien tratada por la crítica de mi país. Creo que esto tiene estrecha relación con el espíritu crítico con el cual vigilo todo lo que escribo y sobre todo en el hecho de no haber tenido nunca prisa en publicar. ( ibid.: 162) Einer der Gründe für die letztlich unbefriedigende Breitenwirkung von Madrids Texten liegt sicherlich in deren 'Schwierigkeitsgrad', der zwar meines Erachtens nicht an den von Armonía Somers herankommt, 15 dennoch aber eine/n aktive/n Leserin erfordert, welche/r Freude an der Entschlüsselung von Anspielungen und eine gewisse Bereitschaft zum 'Mitspielen' aufbringt, denn der ludische Charakter und das Faible für sprachliche Experimente können - wie bereits erwähnt - mit Recht als eines der Hauptcharakteristika dieses Œuvres angesehen werden (vgl. PERDOMO: Antonieta: 38; SANTAELLA: Feminine Saga 55). Dazu kommt das parodistische Element, das natürlich wiederum nur ein connaisseur richtig auskosten kann und das dem 'naiven Leser' vielfach dunkel bleiben muß. Sozusagen 'versüßt' wird die Schwere der Madridschen Kost aber andererseits durch erotische Ingredienzien, die offensichtlich einen erheblichen Anteil an dem Faszinosum speziell ihrer Frühwerke gehabt haben. 16 Damit nimmt die Autorin, speziell in No es tiempo para rosas rojas, dem politischen, auf Folter und Gewalt konzentrierten Stoff (der noch in Reliquias de trapo praktisch pur und unverdünnt serviert worden war) etwas von seiner 'Unverdaulichkeit', lenkt aber andererseits wieder ab vom ernsten historischen Hintergrund. Insgesamt ist die feine, oft kaum merkbare Ironie ein Schlüssel für das Verständnis der Venezolanerin: 15

Insbesondere unterscheidet sie von der Uruguayerin ein wesentlich 'sympathischerer' Hang zum genußvollen Austesten der Spannweite der Sprache und das Fehlen jeglicher nekrophiler oder makabrer Elemente; in dieser Hinsicht hat Madrid, wenn wir schon bei Vergleichen innerhalb des hier untersuchten Korpus bleiben, mehr Gemeinsamkeiten mit Valenzuela und deren humorvollen Verarbeitung auch tragischer Themen aufzuweisen.

16

Vgl. etwa den Eindruck von Alicia SEGAL, die besonders die erfrischende Wirkung der unbekümmerten Schilderung erotischer Erlebnisse aus weiblicher Sicht als Novum innerhalb der venezolanischen Frauenliteratur hervorhebt, in der es Usus war, die Dinge nicht beim Namen zu nennen sondern verschämt zu umschreiben: „Acostumbrados como estamos a sufrir una literatura femenina venezolana en la que el erotismo pleno, y el afecto, equilibrados sufren un maquillaje de insoportables adornos, una búsqueda formal excesiva que transforma al lenguaje en una meta y que sugiere un inquietante sentido de culpa y miedo frente al sexo, asombra y complace esta extraversión franca y desparpajada, sin concesiones a la represión moralizante de los Tartufos y compañía."

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Con respecto a mi estilo, creo que se trata, a grandes rasgos, de un realismo paródico con elementos fantásticos y una cierta dosis de ironía en su acepción de distanciamiento. Las constantes de mi escritura podrían ser el erotismo y la violencia, implícitos y algunas veces explícitos con el ánimo de comprometer al lector con la literatura. Mi método es la síntesis y el sincretismo. (MADRID, in PERDOMO: Ojo 166)

Bustillo hebt jedenfalls den normbrechenden Charakter dieser für die frühen siebziger Jahre sicherlich noch sensationell direkten Schilderung sexueller Erfahrungen aus der Perspektive einer jungen Frau hervor; meines Erachtens muß namentlich die detaillierte Beschreibung der traumatisierenden Ereignisse in einer Abtreibungspraxis geradezu schockierend auf das zeitgenössische Publikum gewirkt haben: ...Bustillos points out that their works depart in more than one way from the norm (even from the works of other writers of their same generation) in their treatment of themes such as sexuality and rebelliousness. (SANTAELLA: Feminine Saga 12)

Dieses Tabuthema war zwar in der lateinamerikanischen Frauenliteratur zuvor schon angetippt worden, aber doch in einer schlechthin 'schüchternen', indirekten Art wie etwa im Roman La brecha der Chilenin Mercedes Valdivieso, der trotz dieser Vorsichtsmaßnahmen von der damaligen Kritik scharf angegriffen bzw. als „äußerst gewagt" eingestuft worden war. 17 Antonieta Madrid nimmt sich diesbezüglich kein Blatt vor den Mund und beschreibt den Vorgang der Abtreibung (wie auch andere körperliche Prozesse, etwa sexuelles Erleben oder die tödliche Wirkung von Schlaftabletten) vor allem in seiner unmittelbaren Körperlichkeit, was für mich einer der Hauptgründe war, diesen Roman für das hier im Mittelpunkt stehende Thema als repräsentativ anzusehen. 18

1.4.3. No es tiempo para rosas rojas (1975): Fragmentation und Collage im Hippie-Look Wie bereits zuvor angedeutet, geht die Entstehung der ersten Version von No es tiempo para rosas rojas, die ursprünglich den Titel Los que se van tragen sollte, auf Antonieta Madrids Zeit in Iowa zurück, ist also auf die Jahre 1968/69 anzusetzen.

17

So wurde es etwa von einem Rezensenten in El Diario Ilustrado (Santiago de Chile, 27 de abril de 1961) als „invitación al libertinaje" und „texto francamente escandaloso" tituliert; bezeichnenderweise trug schon der Artikel damals die Überschrift „Proceso a la morbosidad". Auch der sicherlich wohlwollende Verfasser des Vorworts zur ersten Auflage 1961, Fernando Alegría, spricht von einer „descarnada franqueza" und einem „sensualismo abierto y provocativo" (VALDIVIESO: 12), wo heutige Leserinnen nichts dergleichen ausmachen können...

18

Diese große Bedeutung des Körperlichen war auch Liduvina CARRERA aufgefallen: „La temática del cuerpo humano también abunda en las humanizaciones de la novela [...] El cuerpo es la sede de un apetito insaciable, de enfermedad y muerte." (177)

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Bedingt durch den Verlust des Manuskripts und dessen Neuverfassung aus dem Gedächtnis wurde das Buch schließlich erst 1975 bei Monte Ávila veröffentlicht: La primera versión de No es tiempo para rosas rojas (antes Los que se van) también la escribí en Iowa y New York. (MADRID, in PERDOMO: Ojo 172f.)19 Ein Jahr davor hatte die Autorin den bedeutenden Premio Municipal de Narrativa für ihr erstes längeres eigenständiges Werk erhalten, das von der Kritik sofort mit dem Etikett „Guerillaliteratur" versehen wurde: ...en 1974, obtiene el Municipal de Narrativa con la segunda versión (la primera se perdió) de No es tiempo para rosas rojas, por la que se ganó, erróneamente, el calificativo de escritora guerrillera. (PERDOMO: Antonieta 39) ...fue acogida favorablemente por la crítica como uno de los libros fundamentales escritos tomando como material temático la experiencia de las guerrillas. (OROPEZA: Acto) Spätere eingehendere Betrachtungen betonen zu Recht immer wieder, daß Antonieta Madrid die Guerilla-Thematik letztlich nur als 'Aufhänger' für ein historisches Stimmungsbild der gesamten Epoche (nicht nur in Venezuela) verwendet und daß ihr eigentliches Anliegen im Aufspüren psychischer und existentieller Konflikte der (weiblichen) Hauptfigur liegt: Antonieta Madrid en su novela supera la denuncia como planteamiento limitado y ofrece una visión panorámica de toda la década, no sólo en Venezuela, sino también en el mundo. La autora supera la temática señalada y se adentra en el conflicto sicológico de su protagonista. (CARRERA: 100) Gerade in der Gegenüberstellung mit anderen Werken zur selben Problematik fällt auf, daß Madrids Methode, im Gegensatz zur vorherrschenden Linie (vgl. etwa den um die gleiche Zeit boomenden Violencia-Roman in Kolumbien 20 ), sich keinesfalls im dokumentarischen Aufzeigen gesellschaftlicher Auseinandersetzungen oder gar einer pamphletarischen Anklage gegen die 'Schuldigen' an der Misere erschöpft, im Gegenteil: Dies scheint gar nicht ihr primäres Anliegen zu sein, das eher in der Schaffung eines originellen, innovativen Sprachkunstwerkes besteht, welches imstande sein sollte, die Atmosphäre der sechziger Jahre und die Psychologie der

19

PERDOMO, die doch selbst dieses Interview geführt hat, scheint ein Jahr später den von der Autorin klargestellten Zusammenhang vergessen zu haben, weil sie Los que se van als eigenen, unvollendeten Roman anführt: „Simultáneamente comienza a escribir una novela que no terminará: Los que se van. Emplearía narración en tercera y segunda persona, diario, monólogo y cartas. Un esquema ambicioso para la joven narradora." (Antonieta 39)

20

Siehe dazu meine Dissertation Literarische Struktur und Realitätsbezug im kolumbianischen Violencia-Roman. Die Parallele zwischen den beiden Nachbarländern drängt sich auf, zumal auch in Venezuela selbst teilweise mit dieser Terminologie hantiert wird: „También Antonieta Madrid se inmiscuye en la narrativa de la violencia por medio de su novela No hay tiempo para rosas rojas." (NAVARRO 1990: 11, zit. in CARRERA: 2)

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Hauptcharaktere authentisch zu erfassen.21 So fallen selbst die von Carrera verglichenen fast simultan erschienenen Texte zweier weiblicher Autoren, Antonieta Madrid und Victoria De Stefano (vormals Duno), sehr unterschiedlich aus: Aunque las dos [No es tiempo para rosas rojas und El desolvido] bebieron su inspiración en la misma fuente de la década violenta, dejaron una huella especial y un sello personal en su creación. (CARRERA: viii) Durch die Fokussierung der Erzählung auf eine zwangsläufig am Rande der Geschehnisse stehende Frau innerhalb der machistischen Welt der Guerillaführer tut sich ein doppelter, sich wechselseitig überlagernder und negativ interferierender Konflikt auf: Zu den sozialen Spannungen zwischen traditionell oligarchischer Oberschicht, aufstrebender Mittelschicht und ausgegrenzten Randgruppen kommt die quer dazu stehende Frauenfrage, die nicht einmal innerhalb der revolutionären Verbände oder des universitären Milieus als relevant angesehen wird. Gerade dadurch, daß Antonieta Madrid nun aber eine solcherart doppelt marginalisierte Figur in den Mittelpunkt stellt, bekommt ihr Roman eine zweifach gebrochene Optik, die für mich oszilliert zwischen fast naiver „novela rosa" und besonders ausgekochter Raffinesse einer Meisterin der Erzähltechnik, die hier mit der Verführbarkeit des Lesers ihre Spielchen treibt:22 En esta novela, efectivamente, la autora da testimonio del conflicto social y político de la sociedad hispanoamericana actual a través de la problemática de la mujer. Sin embargo, creemos que No es tiempo para rosas rojas va más allá del testimonio y la denuncia. Su valor y novedad se hallan en la presentación de las causas del reiterado fracaso de la búsqueda de una solución para el conflicto femenino que refleja, por extensión, el del social. El cautivante estilo poético de la novela se muestra como el factor clave para que el lector se sienta atraído... (DA CUNHA-GIABBAI: 9) 21

Einigermaßen merkwürdig, wenn nicht gar (trotz seines expliziten Lobs) insgeheim schadenfroh nimmt es sich aus, wenn Juan Liscano das gelungene Erfassen dieses Zeitgeists der „Frustration" in mystifizierender Weise einer 'weiblichen Sensibilität' zuschreibt, als ob Scheitern/Desillusion sozusagen eine typische Erfahrung des 'zweiten Geschlechts' sei, während Männer zwangsläufig zu den 'Siegertypen' gehörten. Auch die Adjektive „confuso, exaltado, contradictorio, dramático" scheinen indirekt eine Gleichung zwischen den Möchtegernrevolutionären und Stereotypen von 'hysterischem' Verhalten von Frauen aufzustellen: „la creación narrativa más libre y lúcida sobre la circunstancia guerrillera surgida de las universidades es, para mí, la novela No es tiempo para rosas rojas de Antonieta Madrid. En ella lenguaje, estructura, narrativa, emoción y reflexión se conjugan admirablemente para recrear en memoria presente, en pasado presente, el mundillo confuso, exaltado, contradictorio, dramático de aquellos hijos de burgueses y de clase media metidos improvisadamente a guerrilleros. Esa novela tan auténtica y sensible - sólo una mujer puede ver y sentir aquel episodio frustrado del modo como lo hace Antonieta Madrid" (LISCANO: El tema 1981).

22

Auf dem Spektrum docere vs. placere siedelt CARRERA folglich Antonieta Madrid auch mehr an letzterem Pol an: „El estilo de Antonieta Madrid, por el contrario, despierta emociones en el lector a través de sus temas amorosos, en su obra predomina la función placere, la trasmisión del placer estético." (194)

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Die 'amenidad' des Diskurses, die scheinbar kitschgeschwängerte, auf die Tränendrüsen drückende Atmosphäre, in der sich die letzten Endes tragische Handlung abspielt, kann auch manche Rezensentinnen einlullen: Sie durchschauen zwar, daß die 'Masche' des Verlags, seine Werbelinie auf dem Buchumschlag auf den zugkräftigen Schlagworten „Drogen, Sex und Guerilla" aufzubauen, letztlich nichts anderes ist als ein gutes Verkaufsargument; andererseits gehen sie aber der Autorin doch auf den Leim, wenn sie No es tiempo schlicht als (obschon sehr gewagten) Liebesroman bezeichnen. Hier wird letztlich nur ein modernes Klischee durch ein traditionelles ersetzt, was der Komplexität des Romans aber in keiner Weise Genüge tut: Este no es un libro sobre „la rebeldía, las guerrillas, el sexo y las drogas", como explica la contraportada de la novela No es tiempo para rosas rojas (Monte Avila, 75). Es una novela de amor. Y ya era tiempo de que la moderna literatura venezolana encarara el amor con valentía. (SEGAL) Intelligentere Kritikerinnen verweisen folglich stets auf die doppelte Lektüre, die bei dieser Art von 'getarnter' Literatur erforderlich ist; stets müssen politischer und Liebesdiskurs ineinander verschränkt, auf dem wechselseitigen Hintergrund gelesen werden: Tanto el „discurso político" como el „amoroso" están presentes en toda la obra, por eso la crítica ha sido fluctuante en cuanto al predominio del tema amoroso o guerrillero. (CARRERA: 67) Hierin erweist sich Madrid schon als Vorläuferin von Luisa Valenzuela, in deren Erzählung Cambio de armas ebenfalls die Devise „lo privado es político" durchgehend anzuwenden ist, um alle Bedeutungsebenen adäquat zu erfassen. Der Unterschied zu der im Anschluß vorgestellten Argentinierin besteht im Grunde lediglich in einer graduellen Steigerung der Radikalität des Ansatzes. Während bei Madrid nie recht klar wird, inwiefern sie bewußt emanzipatorische Gesichtspunkte einfließen läßt und ihre Patriarchatskritik womöglich nur geschickt 'verpackt', damit sie auch von unbedarfteren Leserinnen geschluckt werden kann, oder ob sie eher malgré elle - wie weiland María Luisa Bombai - zum Sprachrohr einer solchen Kritik wird, steht bei Valenzuela ganz offensichtlich das entsprechende feministische Bewußtsein und Anliegen im Hintergrund, das bei der Venezolanerin noch nicht so ausgeprägt zu sein scheint. Fast logischerweise ist daher No es tiempo die Geschichte eines existentiellen Scheiterns, während Cambio de armas den Ausgangspunkt für einen Neuaufbruch darstellt, was sich auch in den jeweiligen Titeln niederschlägt: Schon der Beginn mit einer Negation, „no", deutet an, daß es sich hier um einen Abgesang, um eine Absage an eine Utopie bzw. an eine vergangene („tiempo") Illusion handelt. Die ,josas rojas" hingegen verkörpern einerseits das romantische Liebesideal, das in 'Zeiten wie diesen' nicht mehr zu halten ist, andererseits könnte die Farbe rot auch für die Embleme der sozialistischen Revolution stehen. Eine andere Theorie über die mögliche Bedeutung des Titelspruches, der genausogut aus der Kitschindustrie oder einem Schlager/Bolerotext stammen könnte, wird von Gabriel OTAÑEZ vertreten:

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...lo ambiguo del título el cual señala, a quien se detenga ante él con atención, tanto las rosas que se ofrecen a quien se ama como los apellidos de un personaje innominado23 cuya presencia domina en las páginas de esta ficción. DÍAZ/VALERO (237) hingegen zitieren aus dem Roman Largo von José Balza, Antonieta Madrids prominentem Landsmann: „Hay rosas rojas sobre las páginas del libro". Auf die möglichen intertextuellen Konnotationen dieser Phrase befragt, antwortet die Autorin selbst mit einem Stimmungsbild aus dem Caracas der sechziger Jahre und weist versteckte gelehrte Bezüge etwa zu klassischen Texten 24 weit von sich - möglicherweise wieder ein Fall von raffiniertem Understatement: Sobre el título, „No es tiempo para rosas rojas", está contenido en el texto, no sabría ubicarlo en este momento. Tendría que releerla. En aquella época (los 60), en Caracas se vendían flores en las calles, sobre todo, ramos de rosas rojas, ya preparados para regalar como símbolo o demostración de amor. Pero también en aquella misma época, un tiempo de cambios y saltos al vacío, sobre todo en las diversas „posturas" ante la vida y especialmente de parte de las mujeres que en aquellos momentos asistíamos a nuestra liberación, en todos los términos, las tradicionales rosas rojas podían parecer cursis, en sus en23

Ob er damit auf eine historische Persönlichkeit oder auf eine reale Figur im privaten Umkreis von Madrid anspielt, war mir leider unmöglich herauszufinden. Eventuell ist eine Kombination aus Juan Manuel de Rosas (argentinischer Diktator, 1793-1877) und Rojas Pinilla (Diktator in Kolumbien von 1953 bis 1956) denkbar, doch beide Zunamen sind so häufig, daß sich eine eindeutige Zuordnung als Ding der Unmöglichkeit erweist. Auch die Autorin selbst konnte mir diesbezüglich keine Auskunft geben.

24

Ich dachte etwa an Homers „rosenfingrige Eos", an Pindars rosengeschmückte Wiesen des Jenseits, den Roman de la Rose, an Ronsards „Epitafe de Rose", an die roten Rosen der christlichen Mystik oder Goethes Heideröslein. Laut dem Wörterbuch der Symbolik von LURKER sind Blumen im allgemeinen „Sinnbild des Frühlings, des Wachstums und der Schönheit. Die sich dem Licht öffnende Blüte wird in Verbindung mit Sonne und Weltall gesehen" (103), würde insofern also auch zu den „galäxicos" bei Madrid passen. In China ist, wie Lurker anfuhrt, „»eine Blume« eine Art Metapher für eine schöne Frau" (104). Unter dem Stichwort „Rose" kehrt er insbesondere die Vergänglichkeitssymbolik in Bezug zu „Liebe, Tod und Paradies" (631) hervor, was unter der Rubrik „Vanitas" durch den Hinweis auf das Bild der verblühten Rose noch verstärkt wird (785). So werde unter „Rosengarten" in der Sprache des Volkes auch der Friedhof verstanden, und die Rose in roter Farbe weise in der christlichen Mystik auf die Passion Christi und auf das Blut der Märtyrer hin; bei den Freimaurern hingegen sei sie Symbol für das höhere Leben (vgl. 631). Letztlich könnten alle diese Bedeutungsmomente zusammengenommen eine Bewandtnis für die Interpretation von No es tiempo para rosas rojas haben, wo sowohl das Streben nach höheren Sphären, das Ideal der vollkommenen Liebe als auch das Verwelken/Ausgerissenwerden der jugendlichen Protagonistin eine Rolle spielen. Auch Henley weist auf diesen Zusammenhang zwischen Blumen, Weiblichkeit und Tod hin: „Das erschreckendste Moment all dieser rüschigen und bebänderten Symbole weiblicher Paralyse ist jedoch, daß es dieselben Symbole sind, die Bestattungsunternehmen zur Ausschmükkung des Todes verwenden. Es ist kein Zufall, daß Särge mit Satinschleifen, Spitzen und Fransen [...] ausgeschlagen sind und die Friedhofskapellen voller Blumen. Diese Zeichen von Weiblichkeit, die wir auch in jedem Schönheitssalon finden, symbolisieren gleicherweise die Ohnmacht der Toten und die Machtlosigkeit von Frauen." (HENLEY: lOOf.)

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Antonieta Madrid volturas de papel celofán. En fin creo que todo esto me inspiró el título. Nunca pensé en los griegos. (Brief vom 15.2.1996)

Insbesondere Carrera verweist jedoch in ihrem trabajo de grado mehrmals darauf hin, daß Madrids Text ein durchkomponierter, durchkonstruierter ist, bei dem sicherlich jedes Detail eine tiefere Bedeutung hat - wobei die Forscherin allerdings manchmal leicht übertreibt, indem sie beispielsweise auf die symbolische Bedeutung jeder einzelnen Kapitelnumerierung verweist und damit stellenweise schon sehr weit in eine esoterische Zahlenmystik verfällt: Si se estudian con detenimiento las series numéricas de los capítulos señalados como amoroso (-1-3-5-7-9-11-13-15-22-25-27-29-31-32-34 y 36) y como político (2-4-6-8-1012-24-26-28-30-33-35 y 37), se puede observar que los identificados con los números más bajos o cercanos a la unidad, como serían los capítulos numerados con -l-,-3-, (impares-amorosos) y -2-,-4- (pares-políticos), poseen cierta „espiritualidad" en su temática general [...] (CARRERA: 69) 25 Was von dieser sehr minuziösen Aufgliederung und insbesondere ihrer Zuordnung zu spirituellen Kategorien zu übernehmen bleibt, ist ohne Zweifel die Aufteilung der einander in schneller Folge ablösenden Kapitel in solche, die dem amourösen plot zuzuordnen sind, und andere mit eher politischer Thematik, sowie deren Verschmelzen gegen Ende des Romans zu einem einzigen, unentwirrbaren Knäuel (vgl. ihre genaue tabellarische Übersicht auf S. 68). Ebenfalls stimme ich mit Carrera dahingehend überein, daß in diesen formalen Äußerlichkeiten stets ein tieferer Sinn verborgen liegt, der den Text reicher an Bedeutung macht als rein dokumentarische Schriften, die im Realistischen verhaftet bleiben: También existe un orden establecido en lo lúdico de lo formal y en el juego de palabras, hay una articulación de ideas con un nuevo construir e impulsar potencialidades formales y estéticas, que otros autores también inspirados en la década de los sesenta, habían descuidado o no habían tomado en cuenta. (CARRERA: 100) So hat Gloria da Cunha-Giabbai beobachtet, daß die kaleidoskopartige, fragmentarische Oberflächenstruktur des Textes zugleich die innere Zerrissenheit und Orientierungslosigkeit der Epoche widerspiegelt: 26

25

An späterer Stelle verweist CARRERA (92f.) auch auf den unterschiedlichen Zeitengebrauch in den beiden Diskursen: Während die politischen Kapitel vorwiegend im Präsens geschrieben sind und damit auf die Unmittelbarkeit des Erlebens deuten, stehen die privaten Kapitel meist im Imperfekt, dem Tempus par excellence der romantischen Rede im Märchen: „Estos capítulos en general se refieren a un discurso de tipo 'político' y relatan en presente las acciones subversivas llevadas a cabo por la protagonista y sus compañeros de partido. Es significativo el uso del verbo en presente porque Antonieta Madrid con este hecho llena su discurso de tensión y rodea de gravedad el mensaje aportado en el texto."

26

Insofern könnte man auf No es tiempo para rosas rojas auch anwenden, was LOBSIEN in bezug auf Becketts Malone Dies sagt: „Der zerstreute Text bildet den zerstreuten Körper ab als dessen in die Welt hinein und über sie hinaus reichende Verlängerung und als sein Zeichen." (37)

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Por un lado, la desorganización de la sociedad está representada por la desorganización temática de los capítulos, a veces muy breves, que saltan continuamente del pasado al presente, sin continuidad histórica lógica. No obstante, este caos real se le oculta tras una máscara de orden dada por la numeración de los mismos. (DA CUNHA-GIABBAI: 10)

Die Kürze der einzelnen Kapitel (insgesamt 52 an der Zahl; das längste von ihnen erstreckt sich über vier Seiten) ist vielleicht auch dazu angetan, auf die Schnellebigkeit und Inkohärenz des schwankenden Lebensgefühls, auf geringes Durchhaltevermögen der existentiell verunsicherten Jugendlichen hinzuweisen. CARRERA vermutet sogar in den großen typographischen Abständen zwischen den Ziffern der Kapitelüberschriften und dem Text einen symbolischen Gehalt (etwa die psychische Leere der entwurzelten jungen Generation): En el estudio de la novela No es tiempo..., además del espacio que separa el inicio de cada capítulo, también es significativa la brevedad de ellos. Los capítulos más extensos tienen solamente cuatro páginas, contando incluso el espacio del comienzo y del final de algunos. Los textos, por su brevedad, producen un efecto más o menos rítmico. (61)

Unter diesem raschen Pulsieren (das vielleicht seinerseits auf die Rhythmen der Popkultur verweist) ist aber jedenfalls eine zirkuläre bis spiralförmige Grundkonstellation auszumachen, die Anfang und Ende des Textes miteinander verbindet, ineinandergreifen läßt bzw., wie CARRERA es ausdrückt, sich in sich selbst spiegelt: Esta composición en círculo que se ha observado desde el comienzo de la novela, adopta una forma de espiral, 27 ocurre el retorno a ciertos lugares y recurrencia de ciertos fenómenos. La forma circular refleja el final en el principio como en un juego de espejos. (89)

Der Spiegel ist denn auch ein häufig verwendetes Motiv innerhalb des Textes, insbesondere das Motiv der ineinandergreifenden und sich unendlich weiterreflektierenden Spiegel, wie es - quasi als Vorläufer der „novela bonsai" in Ojo de pez - verkleinertes Inbild dessen ist, was die Frau vorfindet, wenn sie sich auf das Abenteuer einlassen sollte, ihr eigenes Bild in den Augen der anderen, speziell ihrer männlichen Liebhaber, zu suchen. Resultat dieser Identitätssuche ist ein verzerrtes, verfälschtes Bild, das der Protagonistin (ähnlich den Illustrationen von Emma Pineiro in meiner Anthologie AMORica Latina) ihren Körper nur in Funktion eines männlichen Griffs, eines männlichen Blicks, eines männlichen Lachens und Lächerlichmachens zu zeigen imstande ist: ...tú te morías de la risa y me tomaste por los hombros como si fuera un mecano y me diste la vuelta para que me mirara en el espejo yo frente al espejo y tú detrás riéndote... (47)

27

Dies stimmt wiederum mit Erkenntnissen überein, die ich in meiner oben erwähnten Dissertationsschrift über die Entsprechungen von Oberflächen- und Tiefenstruktur in Texten der Violencia-Literatur gewonnen habe: Oft korreliert eine kaleidoskopartig gesplittete Struktur auf der manifesten, äußeren Textebene mit einer zugrundeliegenden Spiralform, was die Beziehungen zwischen Ausgangs- und Endpunkt der Handlung betrifft (z.B. in La calle 10 von ZAPATA OLIVELLA oder La mala hora von GARCIA MÄRQUEZ).

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Antonieta Madrid ...tus ojos me miraban tus ojos que eran tus ojos y ninguna otra cosa que tus ojos en mis ojos mirándome como espejos donde me miraba y podía verme yo y otra que también era yo y otra que también podría ser yo y era yo misma mirándome en un espejo que contenía a otro espejo que contenía a otro espejo y a otro y a otro. (166) 28

Dieser 'Matrjoschka-Effekt' oder mise en abîme29 ist ganz typisch für Antonieta Madrids Stil, in dem sich ebenfalls in kleinen Teilelementen des Textes größere Bedeutungszusammenhänge widerspiegeln. So ist z.B. die etwas ungewöhnliche Erzählung in zweiter Person 30 symbolisch als Symptom der ausschließlichen Ausrichtung der Frau auf ihren männlichen Partner zu werten; selbst das eigene, selbstbewußte Ich bleibt ihr verwehrt, obwohl sie doch die Erzählfunktion innehat. Aber ihr Bewußtsein ist eben defizitär, verfälscht durch die Linse des Patriarchats, die alle eintreffenden Signale ablenkt und so lange am falschen Punkt bündelt, bis dieser zum Brenn/Knackpunkt wird, an dem die Protagonistin zerbricht. Die einzige 'Wahl', die ihr bleibt, ist die Festlegung des Zeitpunkts für ihren Selbstmord (vgl. DA CUNHA-GIABBAI: 10). Insofern ist die namenlose weibliche Hauptfigur radikaler als ihre Geschlechts- und Leidensgenossin in La última niebla, als sie sich nicht wie diese zu konformistischer Resignation und Übernahme sozial gebilligter weiblicher Verhaltensmuster zähmen läßt. Weder Ehe noch Mutterschaft sind für sie akzeptable 'Lösungen', sondern sie verweigert sich am Ende total, indem sie dieses Leben, in dem sie, auch und vor allem in der 'Partnerschaft' mit einem Guerillaführer, stets nur eine sekundäre Rolle spielen würde und zum Schluß der manifesten männlichen Gewalt ausgesetzt ist, schlicht nicht mehr mitmacht und zum Valium greift. Wie aus der Suizidforschung bekannt, wird j a der 'Freitod' niemals freiwillig gewählt, sondern hat Signalcharakter, als Hilferuf, als Zeichen des Protests und der Absage an eine unerträgliche Lebenssituation. Als solches taucht das Motiv des Selbstmordes bereits in einer früheren Erzählung von Antonieta Madrid auf, welche gleichsam als Keimzelle der Schlußszene von No es tiempo para rosas rojas angesehen werden kann:

28

Vgl. dazu meine Ausführungen in „La mujer ante el espejo". Antonieta Madrid sollte dieses Motiv auch in ihrem viele Jahre später veröffentlichten Roman Ojo de pez wieder aufgreifen: „Se repitió. Se repitió mil veces. Se repitió al infinito como los reflejos de un espejo en otro espejo en otro espejo en otro espejo en otro espejo ...". (13)

29

Vgl. dazu auch den Untertitel der Arbeit von PERDOMO (1992) bzw. das darin enthaltene Kapitel „De los espejos y sus turbulentas profundidades y oscuridades" (97-108).

30

Im lateinamerikanischen Bereich denkt man natürlich sofort an Fuentes' La muerte de Artemio Cruz, wo dies als einer der drei Erzählmodi („yo", „tú", „él") verwendet wird. Als Beispiel aus der Frauenliteratur fällt mir die fast zeitgleich mit No es tiempo para rosas rojas erschienene Erzählung „Cuando las mujeres quieren a los hombres" der Puertorikanerin Rosario Ferré ein, wo ebenfalls zwei Frauen auf ein und denselben Mann fixiert bleiben und ihn in zweiter Person anreden.

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Sin alardes de un estudio comparativo de textos, el lector asiduo a la obra de Antonieta Madrid puede darse cuenta de la intertextualidad de su narrativa. Otro „germen" de la novela puede estar constituido por el suicidio descrito en el relato „El down", de Reliquias de Trapo. (CARRERA: 9f.)

Diese „Auto-Intertextualität" ist ein bei Madrid häufig zu beobachtendes Phänomen: Sie zitiert sich quasi immer wieder selbst, indem sie Figuren, Motive, Handlungssequenzen von einer Erzählung in einen Roman einfließen läßt 31 bzw. von einem Roman in den anderen. So wird das traumatische Erleben einer Abtreibung, das in No es tiempo im Sinne einer partiellen Absage an aufkeimendes Leben bereits als Vorverweis auf die spätere Totalverweigerung im Suizid fungiert, in Ojo de pez weiter ausgebaut; dort aber findet - im Gegensatz zu diesem frühen Text - bereits so etwas wie Trauerarbeit statt, indem Vanesa Luder ihre „novela bonsai" mit dem Titel „El lugar más seguro del mundo" schreibt, Höhepunkt der Ironie, denn dieser „sicherste Platz der Welt" ist paradoxerweise die Bibliothek des Hauses, in der Vanesas Vater ihren Verlobten tötet. Weitere 'Frühstadien' oder Vorausdeutungen auf No es tiempo finden wir in der Erzählung „Psicodelia", wo vor allem die vielen namensgleichen oder ähnlichen Figuren auffallen: Otro hecho llamativo es la repetición de los personajes. En „Psicodelia" aparece: „todos al taller del Flaco" (52) y en No es tiempo...-. „El Flaco nos abraza y nos dice" (27). Este personaje también aparece mencionado en el relato „La vida en una botella" del mismo libro: „El gesto que hizo el Flaco" (83). El Mocho es otro personaje mencionado con insistencia en Reliquias de Trapo: „El Mocho cabalgando en una esquina [...] el Mocho con la cara jalada [...] el Mocho impenetrable [...] el Mocho con su maletín de cobrador" (61). En No es tiempo para rosas rojas aparece como El Gocho: „el Gocho estudiaba, el Gocho tomaba Ritalin, el Gocho trabajaba de día [...] el Gocho siempre mal alimentado" (38). (CARRERA: 9)

Der Austausch funktioniert aber auch in die andere Richtung, indem Elemente aus No es tiempo in späteren Erzählungen aus dem Band Feeling (1983) wieder auftauchen; hier vor allem der musikalische Background diverser Beatles-Songs: Otro sugestivo relato de Feeling „Aleluya" ofrece canciones evocadoras de los años sesenta: „Recuerdo esa canción que le gustaba tanto. Yesterday... yesterday... all my troubles... Esa canción, como una oración de amor" (60) que también se encuentran en No es tiempo... (CARRERA: 11)

Damit macht Madrid nicht nur einen intertextuellen Ausflug in die Sphäre anderer Künste 3 2 und bringt eine das Lebensgefühl der Sechziger prägende Ambientierung ein, sozusagen die 'música de fondo', sie gibt auch das Leitmotiv für No es tiempo

31

Eine Erscheinung, wie wir sie ja auch bei GARCÍA MÁRQUEZ beobachten können: viele der Figuren oder Handlungselemente aus Cien años de soledad haben ihre Vorläufer in früheren Erzählungen...

32

Wie sie dies etwa in Ojo de pez in den Bereich der Fotografie tut.

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vor, denn in diesem Roman ist alles rückwärtsgewandt, auf die irreparable Vergangenheit orientiert (mit dem Selbstmord der Hauptfigur wird ja ein Schlußstrich gezogen, der eine Ausrichtung auf zukünftige Entwicklungen unmöglich macht): Cuando los sucesos entran en el papel ya éstos han sucedido. Por ello no es casual la cita a Yesterday de los Beatles con la que se topa el lector. (OTÁÑEZ) Doch die Musik ist nicht die einzige Kunstgattung, bei der die Autorin Anleihen nimmt; sie greift ferner deutlich spürbar zu Verfahren der Kinematographie, indem sie Techniken wie Rückblendung, close-up, travelling, Zoom und Ähnliches anwendet: 33 La incorporación de técnicas cinematográficas (flash-back), una prosa fluida, rápida y transparente, hacen de No es tiempo para rosas rojas, un libro que „da un poderoso y vigoroso impulso a la novelística venezolana actual..." (PERDOMO: Antonieta 39; vgl. auch CARRERA: 158f.) Dies manifestiert sich schon in aller Klarheit in der Anfangsszene, die geradezu prädestiniert wäre für eine Verfilmung, sich stellenweise liest wie ein als Roman kaschiertes Drehbuch, mit diesem Spiel von Bewegung, Entfernung und Nähe, diesem Schuß und Gegenschuß zwischen abfliegendem Flugzeug und wartend zurückbleibendem Mädchen: 34 Te fuiste, se fue tu cara pegada al vidrio de la ventanilla del super jet, se fue perdiendo en la inmensidad del terreno el avión, trasteando, pájaro abaleado. Tu cara cada vez más chica, chiquita, chiquitica, chiquirritica, es un punto negro en la lejura, es un lunar en lontananza. El pájaro de lata da la vuelta, se sacude, endereza las alas, las tiempla, pega la carrera, se manda a todo lo largo de la pista de despegue, se levanta, se eleva, da envionazos, se alza, se aleja sobre el mar, entre las nubes, penetra el cielo ya gris, se pierde... Y yo allí, esperando nada. Las huellas de tus besos aún húmedas en mi cara. (9) Im 1. Kapitel taucht auch bereits das Bild der abgeschnittenen Rose auf, bezeichnenderweise in bezug auf jene die repressive Gewalt verkörpernden Polizisten, die den Guerillero Daniel zum Flughafen gebracht haben, um ihn außer Landes zu befördern. Gegenüber dem Kinderlied 35 „Doña Ana no está aquí", dem das Zitat entnommen ist

33

Ein Faible, das sie übrigens auch mit Guillermo CABRERA INFANTE in Tres tristes tigres (1967) oder Manuel PUIG in La traición de Rita Hayworth (1968) teilt, das also durchaus 'zeitgeistig' sein dürfte. Zu Madrid vgl. das Kapitel „La lectura cinematográfica de las acciones en el comienzo y cierre de capítulos" bei CARRERA (61-64).

34

Genaueres siehe unten, im Kapitel „Anfangssignale"...

35

Auch dies ein weiterer Beleg für die ironischen Verfahren der Autorin: Indem sie die „digepoles" mit spielenden Kindern vergleicht, weist sie zugleich auf die Spannung zwischen nach außen zur Schau getragener Harmlosigkeit des (in der Theorie demokratischen) Systems in Venezuela und bitterem Ernst der politischen Auseinandersetzung auf Leben und Tod hin (Ähnliches finden wir übrigens auch im etwa zeitgleich erschienenen Roman der Kolumbianerin Albalucía ÁNGEL, Estaba la pájara pinta sentada en el verde limón, nicht von ungefähr ebenfalls ein hauptsächlich von Mädchen gesungenes Kinder-

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(s.u.), nimmt Madrid jedoch eine bedeutungstragende Veränderung des Textes vor: anstatt,abriendo la rosa, cerrando el clavel" schreibt sie „cortando la rosa, dejando el clavel". Damit wird die Metapher viel gewalttätiger und rückt mehr in die Nähe vom „Röslein auf der Heide", das durch die Brachialgewalt des Knaben geknickt wird (die Vergewaltigungstopik wäre ja auch in „abrir" vorhanden). Wie bereits angedeutet, stellt sich der weitere Handlungsverlauf äußerst komplex dar, da er von einem/r aktiven Leserin erst aus den vielen Fragmenten, deren chronologische Reihenfolge zusätzlich mit Absicht durcheinandergeworfen wird, zusammengefügt werden muß: Esta presentación del tiempo es tratada en el texto con un desorden cronológico. Existe un rompimiento de planos temporales y deben ser ordenados por el lector partícipe. (CARRERA: 63) Se está ante la presencia, pues, de una obra para lectores activos, que vuelvan a organizaría y sean co-partícipes con su autora, (ibid.: 61) Wir sind also herausgefordert, diese Puzzletechnik in umgekehrter Reihenfolge wie die Autorin nachzuvollziehen: Dort, wo sie zerlegt hat, müssen wir zusammenstükkeln, ein etwas mühsames Unterfangen, das wohl erst bei einer zweiten Lektüre gelingt. So bleibt insbesondere rätselhaft, an welcher Stelle das erste Kapitel einzufügen ist; Carrera meint, vor Kapitel 34, wo der „unterbrochene Film" fortgesetzt würde: Desde este capítulo, la escritora „franquea mentalmente un intervalo de tiempo" y consigue el elemento dramático con la evocación de otros momentos vividos por la pareja. Como una película detenida en el tiempo, las nuevas imágenes son proyectadas a través de los demás capítulos y en el presente, la despedida en el aeropuerto queda suspendida ante los ojos del lector hasta el capítulo -34- en que continúa la secuencia con el regreso hacia Caracas: „el film había concluido y nos habíamos dicho adiós [...] Daniel final dela-autopista La Guaira-Caracas [...] daniel que te alejas, daniel que te pierdes", (p. 123) (CARRERA: 62) Diese Plazierung ist meiner Meinung nach jedoch nicht unbedingt zwingend, obgleich aufgrund diverser Indizien naheliegend. Zum Charakter eines offenen Werkes mit mehreren Deutungsmöglichkeiten gehört aber auch, daß die Handlung - und somit die Interpretation - des Textes einen gänzlich anderen Verlauf nehmen würde, setzte man das 1. Kapitel zeitlich nach dem letzten an: Dann nämlich wäre dies ein Anhaltspunkt dafür, daß der Selbstmordversuch der Protagonistin nicht gelungen wäre, es also doch ein „Weiterleben nach dem Tode" bzw. eine Auferstehung gäbe, womit die Zirkularität der nach der ersten Version geschlossenen Struktur wieder aufgebrochen wäre. Die Tatsache, daß Antonieta Madrid auf meine diesbezüglichen

lied). Zugleich wird damit auch die Unangemessenheit der infantilen Verhaltensweisen der Protagonistin, die letztlich zu ihrem Scheitern führen müssen, im harten Kampf um den „survival of the fittest" hervorgekehrt.

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Anfragen nicht geantwortet hat, könnte eventuell dahingehend interpretiert werden, daß sie sich hier einen 'Fluchtweg' offenhalten will. Die häufigen Vor- und Rückblendungen tragen zu dieser Verwirrtaktik der Autorin nicht unwesentlich bei, so daß es vielfach unmöglich gemacht wird, eine genaue zeitliche Einordnung bestimmter Ereignisse der Handlung vorzunehmen, was aber für den/die Durchschnittsleserln wahrscheinlich nicht von primärem Interesse ist. Vorherrschend bleibt der Eindruck der Konfusion, des unentwirrbaren Durcheinanders, des Verlorenseins inmitten eines komplizierten Labyrinths, das sich in der Emotionslage des Lesers/der Leserin (Ungeduld, Verunsicherung, Zweifel, Ratlosigkeit) spiegelt, andererseits aber auf die generelle Atmosphäre der späten sechziger/frühen siebziger Jahre unseres Jahrhunderts verweist. Bei dem Versuch, dennoch Ordnung ins Chaos zu bringen, nimmt etwa Carrera eine Einteilung der Kapitel in „capítulos amorosos", „capítulos políticos" und „Unión de ambos discursos" vor (vgl. ihre ganzseitige Tabelle auf S. 68), wobei mir auffällt, daß bei ihrer Einteilung gerade in der Mitte des Romans und gegen Ende große Lükken klaffen, denn so werden etwa im „politischen" Handlungsstrang, der sich großteils aus den Kapiteln mit geraden Nummern zusammensetzt, die Folgen zwischen 12 und 24 ausgespart, und nachdem mit den Kapiteln 33, 35, 37 das Paradigma auf die ungeraden Zahlen übergesprungen ist, bricht diese Sequenz in Carreras Darstellung abrupt ab. Ähnliches passiert mit den im wesentlichen ungeraden Kapiteln des „discurso amoroso", wo zwischen 15 und 22 ein Intervall bleibt; auch diese Serie endet, nachdem der switch auf die geraden Ziffern erfolgt ist, bei Carrera mit Kapitel 36. Als Knotenpunkt beider Handlungsstränge bezeichnet sie lediglich die Kap. 38, 41 und 42. Bei einer genaueren Überprüfung stellt sich heraus, daß das Schema tatsächlich zu Anfang relativ einfach ist, da sich bis Kap. 11 Liebesszenen mit Episoden aus dem Guerillakampf regelmäßig alternierend abwechseln. Danach schälen sich einige zusätzliche Handlungsknoten heraus bzw. beginnen die zuvor getrennten Sequenzen ineinanderzufließen, so daß sie nicht mehr fein säuberlich unterschieden werden können. Im folgenden versuche ich der größeren Übersichtlichkeit halber, diese mehrsträngige Anordnung schematisch darzustellen (s. nächste Seite): Im Gegensatz zu Carrera habe ich die Abtreibungsepisode aus den „capítulos amorosos" herausgenommen, weil ich die brutale Erfahrung in der Klinik bzw. der Praxis des Doktors bei bestem Willen nicht einem 'Liebeserleben' zuordnen konnte, auch wenn beide Dinge indirekt miteinander zu tun haben mögen. Aber es charakterisiert ja die Protagonistin, daß sie gerade diese einsame Entscheidung ohne Wissen des Vaters ihres Kindes (Daniel) trifft, nur begleitet von einer Freundin. Eher noch gehören A(btreibung) und S(elbstmord) inhaltlich zusammen, weil es beide Male um ein

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