Tasgetium I: Das römische Eschenz 3905405202, 9783905405200

Mit Beiträgen von Simone Benguerel, Hansjörg Brem, Barbara Fatzer, Melanie Giger, Benjamin Hartmann, Urs Leuzinger, Sabr

204 71 36MB

German Pages 256 [260] Year 2011

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Table of contents :
1. Inhaltsverzeichnis
2. Vorwort und Einleitung 11
3. Lage und Naturraum, Geologie, Erhaltungsbedingungen 15
4. Forschungsgeschichte und Rezeption 31
5. Chronologischer Überblick der vor- und nachrömischen Epochen 45
6. Der vicus Tasgetium 67
7. Dendroarchäologie 95
8. Die römischen Schreibtafeln 123
9. Bestattungen 159
10. Regesten der wichtigsten römischen Fundstellen aus Eschenz 179
Zusammenfassung 229
Literatur 237
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Tasgetium I: Das römische Eschenz
 3905405202, 9783905405200

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ISBN 978-3-905405-20-0

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DAS RÖMISCHE ESCHENZ

Das römische Eschenz

Archäologie im Thurgau 17

TasgeTivm i

Tasgetivm I

Eschenz liegt am Untersee und Rhein im Kanton Thurgau. Grabungen des Amts für Archäologie Thurgau haben in den letzten zwei Jahrzehnten zahlreiche neue Funde und Befunde im hier ehemals bestehenden vicus Tasgetium zutage gefördert. Da Teile der römischen Siedlung auf feuchtem Baugrund errichtet wurden, haben sich Baustrukturen und Gegenstände aus organischem Material beinahe 2000 Jahre hervorragend im Boden erhalten. Die vorliegende Publikation fasst die Forschungsund Siedlungsgeschichte zusammen. Zudem werden Erkenntnisse zur Organisation des vicus Tasgetium vorgestellt. Dank der Feuchtbodenerhaltung können die hölzernen Funde und Befunde denro(chrono)logisch untersucht werden. Von den unzähligen Holzobjekten werden die Schreibtafeln umfassend vorgelegt. Interessant sind die Forschungen an den Säuglingsbestattungen innerhalb der römischen Siedlung. Im zweiten Teil des Buchs liefern ausführliche Regesten der Fundstellen die wichtigsten Informationen. Über 250 farbige Abbildungen machen den Band Archäologie im Thurgau 17 zu einem bunten und sehenswerten Geschichtsbuch über Tasgetium.

Archäologie im Thurgau 17

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Tasgetivm I Das römische Eschenz Mit Beiträgen von Simone Benguerel, Hansjörg Brem, Barbara Fatzer, Melanie Giger, Benjamin Hartmann, Urs Leuzinger, Sabrina Meyer, Erich Müller, Matthias Schnyder, Werner Schoch, Roswitha Schweichel und Franziska Steiner

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Archäologie im Thurgau 17 Veröffentlichung des Amts für Archäologie des Kantons Thurgau

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Tasgetivm I Das römische Eschenz

Mit Beiträgen von Simone Benguerel, Hansjörg Brem, Barbara Fatzer, Melanie Giger, Benjamin Hartmann, Urs Leuzinger, Sabrina Meyer, Erich Müller, Matthias Schnyder, Werner Schoch, Roswitha Schweichel und Franziska Steiner

2011 Departement für Erziehung und Kultur des Kantons Thurgau

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Gedruckt mit Unterstützung des Kantons Thurgau und der politischen Gemeinde Eschenz Umschlagfoto:

Amt für Archäologie Thurgau, Ausschnitt aus der Bauinschrift des römischen Bads von Tasgetium. Das Original wird im Rosgartenmuseum Konstanz aufbewahrt. Gestaltung Umschlag: Daniel Steiner Redaktion: Urs Leuzinger Satz/Layout: Sibylle Jacomet-Zenhäusern, jacometPLUS, Wängi Herstellung und Druck: Sonderegger Druck AG, Weinfelden Auslieferung: Amt für Archäologie des Kantons Thurgau, Schlossmühlestrasse 15a, CH-8510 Frauenfeld ISBN 978-3-905405-20-0

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1

Inhaltsverzeichnis

2 2.1 2.2 3

Vorwort und Einleitung (Hansjörg Brem) . . . Vorwort Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lage und Naturraum, Geologie, Erhaltungsbedingungen (Erich Müller und Urs Leuzinger) . . . . . . . . . Lage und Naturraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundlagen zur Naturraumerkundung . . . . . Felsuntergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschaffenheit des Felsuntergrunds . . . . . . . Reliefentwicklung der Felsoberfläche . . . . . Ältere quartäre Ablagerungen . . . . . . . . . . . . Beschaffenheit und Genese der älteren quartären Ablagerungen . . . . . . . Zeitliche Stellung der älteren quartären Ablagerungen . . . . . . . . . . . . . . . . Pleistozäne Landschaftsentwicklung der ausgehenden letzten Eiszeit . . . . . . . . . . Entwicklung der letzten Vergletscherung . . . Der Untersee nach dem Rückschmelzen des Gletschers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geländeoberfläche am Schluss der letzten Eiszeit (Spätglazial) . . . . . . . . . . . Holozän – nacheiszeitliche Landschaftsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . Natürliche Regulierungen des Seespiegels . . Verlauf der Seespiegelstände . . . . . . . . . . . . Entwicklung des Auslaufbereichs des Untersees . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entwicklung der Hanglagen – Entwicklung der Naturereignisse . . . . . . . . . Seeablagerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entwicklung der Grundwasserverhältnisse . . Erhaltungsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . Bauen und wohnen im Sumpf . . . . . . . . . . . . Holzfunde: von der Entdeckung bis zur Präsentation im Museum . . . . . . . . . . Forschungsgeschichte und Rezeption (Hansjörg Brem und Barbara Fatzer) . . . . . . Methodik und Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . Die Anfänge: 1500–1720 . . . . . . . . . . . . . . . Vermessung und Skizzen: 1720–1820 . . . . . Ein Jahrhundert der Entdeckungen: 1820–1920 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl Keller-Tarnuzzer und Hildegard Urner-Astholz: 1920–1977 . . . . . . Holzfigur und Schlammschlachten: 1977–1997 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geplante Notgrabungen: 1997 bis heute . . . . Chronologischer Überblick der vor- und nachrömischen Epochen (Simone Benguerel, Barbara Fatzer und Urs Leuzinger) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Epipaläolithikum und Mesolithikum . . . . . . Geknickte Rückenspitze . . . . . . . . . . . . . . . .

3.1 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.2.1 3.2.2.2 3.2.3 3.2.3.1 3.2.3.2 3.2.4 3.2.4.1 3.2.4.2 3.2.4.3 3.2.5 3.2.5.1 3.2.5.2 3.2.5.3 3.2.5.4 3.2.5.5 3.2.6 3.3 3.3.1 3.3.2 4 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7 5

5.1 5.2 5.2.1

11 11 11 15 15 15 15 17 17 17 18 18 18 19 19 20 21 22 22 22

5.2.2 5.3 5.3.1 5.3.2 5.3.3 5.3.4 5.4 5.4.1 5.4.2 5.4.3 5.4.4 5.5 5.6 5.6.1 5.6.2 5.7 5.7.1 5.7.2 5.7.3 5.7.4 5.7.5 5.7.6 6

23

6.1

23 24 25 25 25

6.1.1 6.1.2 6.1.3 6.1.3.1 6.1.3.2 6.1.3.3 6.1.3.4 6.1.4 6.1.5 6.1.6 6.1.7 6.1.8 6.1.9 6.1.10 6.1.11 6.2 6.2.1

26 31 31 31 33 34 39 43 45

6.2.2 7

51 51 51 51

7.1 7.2 7.2.1 7.2.2

Trapezspitze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neolithikum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Pfahlbauten von der Insel Werd . . . . . . . Der Goldbecher von Eschenz . . . . . . . . . . . . Das Kupferbeil von Eschenz-Nili . . . . . . . . . Prähistorische Artefakte aus den römischen Grabungen von 1997 bis 2009 . . . Bronzezeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eine frühbronzezeitliche Siedlung auf dem Orkopf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Keine Einöde in der Mittel- und frühen Spätbronzezeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spätbronzezeitliche Dörfer auf der Insel Werd . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eisenzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frühmittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Insel Werd . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frühmittelalterliche Kirchenbauten auf Burg Mittelalter und Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . Herrschaft Eschenz und Freudenfels des Klosters Einsiedeln . . . . . . . . . . . . . . . . . St. Vitus-Kirche in Unter-Eschenz . . . . . . . . Archäologische Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . St. Otmar-Kapelle auf der Insel Werd . . . . . . Die Gasthöfe Raben und Krone . . . . . . . . . . Mesmerhäuser und Schulräume in Unter- und Ober-Eschenz . . . . . . . . . . . . . Der vicus Tasgetium (Melanie Giger und Simone Benguerel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausdehnung und Siedlungsorganisation des vicus Tasgetium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stratigrafie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Siedlungsperimeter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Norden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Westen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Süden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Osten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wege und Strassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überbauungsraster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Holz- und Steinbauten . . . . . . . . . . . . . . . . . Öffentliche und private Bauten . . . . . . . . . . . Hafen und Uferbefestigung . . . . . . . . . . . . . . Handwerk und Gewerbe . . . . . . . . . . . . . . . . Chronologische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Über den Rhein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Brücken über den Rhein bei der Insel Werd . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Römische Siedlungsspuren auf der Insel Werd . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dendroarchäologie (Werner Schoch und Roswitha Schweichel) . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Holzanatomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Holzarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Holzartenbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . .

51 52 52 52 53 53 55 55 55 55 56 57 57 58 59 60 60 60 61 61 62 63 67 67 67 67 68 68 68 70 73 73 75 79 81 82 84 86 88 88 88 92 95 95 95 95 95

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7.2.3 7.2.4 7.2.5 7.2.6 7.3 7.3.1 7.3.1.1 7.3.1.2 7.3.2 7.3.2.1 7.3.2.2 7.3.3 7.3.4 7.4 7.4.1 7.4.2 8 8.1 8.2 8.3 8.4 8.4.1 8.4.2 8.4.3 9 9.1 9.1.1 9.1.2 9.1.3 9.1.4 9.1.4.1 9.1.4.2 9.1.5 9.1.5.1 9.1.5.2 9.1.5.3 9.1.6 9.1.6.1

In Eschenz nachgewiesene Holzarten . . . . . . Vergleich einer Sammelprobe mit den in Eschenz nachgewiesenen Holzarten . . . . . Die Holzarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dendrochronologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Untersuchungsmaterial . . . . . . . . . . . . . Holzarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Datierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Methoden: Jahrringmessung, Korrelation und Synchronisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Datierungsergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erste Bauphasen im frühen 1. Jh. n. Chr. . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dendrotypologie – mehr als nur Jahreszahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einige Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die römischen Schreibtafeln (tabulae ceratae) aus Tasgetium/Eschenz (Benjamin Hartmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einführung und Forschungsstand . . . . . . . . . Bestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt und Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Schreibtafeln von Eschenz . . . . . . . . . . . Katalog der Tafeln mit Schrift, lesbar . . . . . . Katalog der Tafeln mit Schriftspuren, unlesbar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katalog der Tafeln ohne Schriftspuren . . . . . Bestattungen (Simone Benguerel und Sabrina Meyer) . . . . Anthropologie: sub tectum-Bestattungen von Neonaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Sonderform der Neonatenbestattung . . . Die Situation von Eschenz . . . . . . . . . . . . . . Methoden der anthropologischen Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geschlechtsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . Altersbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neonaten-Bestattungen Grabung Moosberger (Regest-Nr. 36) Kampagne 2007–2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Neonatenbestattung Grab Nr. 21 . . . . . . Die Neonaten-Bestattung Grab Nr. 19 . . . . . Säugling-Bestattung Grab Nr. 20 . . . . . . . . . Neonaten-Bestattungen der Grabung Dienerwiese (Regest-Nr. 97) Kampagne 1999 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neonaten-Bestattung Grab Nr. 1 . . . . . . . . . .

97 97 99 109 109 109 109 109 109 109 111 111 116 116 116 120 123 123 125 127 128 128 142 150 159 159 159 159 160 161 161 161 162 162 163 163 164 164

9.1.6.2 9.1.7 9.1.8 9.1.8.1 9.8.1.2 9.8.1.3 9.2 9.2.1 9.2.2 9.2.3 9.2.4 9.2.5 10

10.1 10.2 10.3 10.4 10.5 10.6 10.7 10.8 10.9 10.10 10.11 10.12 10.13 10.14 10.15 10.16 10.17 10.18 11 11.1 11.1.1 11.1.2 11.1.3 11.1.4 11.2 11.3 11.4 11.5 11.6

Säugling-Bestattung Grab Nr. 2 . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katalog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neonaten der Grabung Dienerwiese (Parz. 446) 1999 (Regest-Nr. 97) . . . . . . . . . Neonaten aus der Grabung Römerweg (Parz. 479) 2002 (Regest-Nr. 33) . . . . . . . . . Neonaten aus der Grabung Moosberger (Parz. 485) 2007 (Regest-Nr. 36) . . . . . . . . . Das Gräberfeld bei der ehemaligen Käserei in Ober-Eschenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Fundmaterial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Bearbeitung der Leichenbrände . . . . . . Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katalog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regesten der wichtigsten römischen Fundstellen aus Eschenz (Simone Benguerel, Hansjörg Brem, Melanie Giger, Urs Leuzinger, Sabrina Meyer, Matthias Schnyder und Franziska Steiner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zone 1: Rhein/Insel Werd . . . . . . . . . . . . . . . Zone 2: Unterdorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zone 3: Nili . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zone 4: Sagi/Grueb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zone 5: Höfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zone 6: Mettlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zone 7: Espigraben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zone 8: Oberdorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zone 9: Eschenzer-Horn . . . . . . . . . . . . . . . . Zone 10: Orkopf/Rhein . . . . . . . . . . . . . . . . . Zone 11: Bälisteig/Hüttebärg . . . . . . . . . . . . Zone 12: Bornhausen-Grünegg . . . . . . . . . . Zone 13: Baholz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zone 14: Umgebung von Eschenz-Dorf . . . . Zone 15: Degerfeld SH . . . . . . . . . . . . . . . . . Zone 16: auf Burg bei Stein am Rhein SH . . Zone 17: Stein am Rhein SH . . . . . . . . . . . . Zone 18: Arach SH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung (Urs Leuzinger) . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Resumé . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Riassunto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Summary . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unveröffentlichte Quellen und Archivalien . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang Geologie: «Schlüsselbohrungen» . .

165 166 166 166 167 167 168 168 169 170 171 172

179 181 185 194 196 202 206 210 212 214 214 216 218 219 220 221 223 224 226 229 229 229 230 232 233 236 237 247 248 249

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2 Vorwort und Einleitung 2.1 Vorwort Seit 1991 war das Amt für Archäologie des Kantons Thurgau praktisch jedes Jahr in Eschenz tätig; Eschenz ist die Gemeinde im Thurgau, in der das Amt zwischen 1990 und 2010 am meisten Grabungen durchgeführt hat. Das ist nicht erstaunlich: Grössere römische Siedlungen wie der vicus von Tasgetium liefern enorme Mengen an Funden und Befunden. Selbst bei einer grosszügigen Ausgrabungs- und Dokumentationsweise sind die jeweils zu bewältigenden Fund- und Datenmengen enorm und eine Auswahl ist unumgänglich. In Eschenz hat die Bautätigkeit in den letzten zwanzig Jahren sehr stark zugenommen und die jeweils überbauten Flächen betrafen häufig das ehemalige Zentrum der römischen Bebauung. Für das Amt für Archäologie des Kantons Thurgau und dessen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hiess es deshalb, sich bei den Grabungen auf das Wesentliche zu beschränken, dies soll nun auch für die wissenschaftlichen Publikationen über die Grabungen der letzten Jahrzehnte gelten, von denen nun der erste Band vorliegt. Festgehalten werden muss, dass in den letzten 15 Jahren die Resultate der Grabungen ständig einer breiten Öffentlichkeit vermittelt worden sind. So ist in Eschenz ein historischer Lehrpfad und das Ortsmuseum dem Publikum zugänglich. Viele der aussergewöhnlichen, auch neusten Funde sind im Museum für Archäologie in Frauenfeld ausgestellt oder aber in Publikationen, Vorberichten sowie im Internet erschlossen. Mit der nun beginnenden vertieften wissenschaftlichen Erforschung werden weitere, interessante Resultate dazu kommen. Diese werden Grundlage sein für eine künftige Auseinandersetzung mit dem vicus Tasgetium. Die Arbeiten in und über das römische Eschenz wurden hauptsächlich vom Kanton Thurgau, aber auch von der Schweizerischen Eidgenossenschaft und privaten Gönnern wie der Famile Peter und Angela Kraft-Obousier sowie der Nägeli-Stiftung gefördert. Besonders von den Grundbesitzern in Unter-Eschenz, dem Verein für Dorfgeschichte Eschenz, der politischen Gemeinde sowie der katholischen Kirchgemeinde Eschenz erfuhren wir stets Unterstützung. Die Tatsache, dass Regierung und Grosser Rat des Kantons Thurgau in den letzten dreissig Jahren dem Amt für Archäologie zu einer guten Infrastruktur und einem ausreichenden Personalbestand verholfen haben, muss als entscheidende Voraussetzung für den Erfolg der Grabungen im römischen Eschenz genannt werden. Schliesslich möchte ich den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am «Unternehmen Eschenz» danken. Darunter waren auch besonders viele Zivildienstleistende und Personen aus Einsatzprogrammen für Erwerbslose, die häufig bei extremen Arbeitsbedingungen die Grabungen in Eschenz ausgeführt haben: Die Arbeit am und um den vicus von Eschenz war und ist – manchmal im wahrsten Sinne – Knochenarbeit.

Der Kantonspolizei Thurgau, besonders Marc Jungen vom kriminaltechnischen Dienst, sei die Analyse an den Schreibtafeln herzlich verdankt. Ein besonderer Dank dafür gilt denjenigen, die nun für diesen ersten Band die nötigen Arbeiten geleistet haben, den Autorinnen und Autoren, dem unermüdlichen Redaktor Urs Leuzinger, Sibylle Jacomet von jacometPLUS Wängi für den ansprechenden, gut lesbaren Satz sowie der Sonderegger Druck AG Weinfelden für den hervorragenden Druck des vorliegenden Buchs. Hansjörg Brem, Kantonsarchäologe

2.2

Einleitung Hansjörg Brem

Man könnte viele Gründe dafür aufführen, weshalb die Erforschung des römischen Eschenz etwas anders verlaufen ist als diejenige anderer wichtiger römischer Fundplätze im weiteren Umkreis. Eine Erklärung liefern geografische Lage und politische Situation: Zwei Kantone (Schaffhausen und Thurgau) sowie wahrscheinlich auch das deutsche Bundesland Baden-Württemberg teilen sich das ehemalige Gebiet des vicus Tasgetium auf. In diesem Band werden hauptsächlich Resultate aus Ausgrabungen auf dem thurgauischen Gebiet des vicus in der heutigen Gemeinde von Eschenz vorgestellt. Hier befand sich gemäss momentaner Annahme das Zentrum der Siedlung vom 1. bis zum 3. Jh. n. Chr. Die Grabungsflächen müssen als Patchwork bezeichnet werden, denn – und dies ist ein typisches Merkmal – die bisherigen Grabungen waren flächenmässig meist sehr klein. Dies fällt insbesondere dann auf, wenn man die untersuchten Flächen in Eschenz mit denjenigen in den vici von Oberwinterthur, Schleitheim oder Baden vergleicht. Allerdings war in Eschenz in den meisten Flächen häufig schon ab einer geringen Tiefe Feuchtbodenerhaltung anzutreffen, und die Mächtigkeit der römischen Schichten war in der Regel gross. Gleichzeitig waren auch die Eingriffe durch Landwirtschaft und Überbauung in den letzten Jahrhunderten eher gering. Die Kombination von kleinen Grabungsflächen mit grosser Schichtmächtigkeit bei gleichzeitig vorherrschender Feuchtbodensituation führte stets zu technischen Problemen, aber auch zu grossen Mengen an Funden aus organischem Material. Die Bautätigkeit in Eschenz blieb bis in die letzten Jahrzehnte sehr bescheiden, erst heute wachsen UnterEschenz und der heutige Dorfkern nördlich des Bahnhofs ganz zusammen. Dabei behielt der bäuerliche Dorfkern von Unter-Eschenz sein ländliches Gepräge. Die neue Überbauung erfolgte auch lange vorwiegend mit Einfamilienhäusern, die auf relativ grossen Grundstücken errichtet wurden. Diese Bauweise führte zu vielen, jedoch mehrheitlich kleinen Grabungen. Eine Folge davon war, dass erst vor wenigen 11

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Jahren mit der Aufdeckung eines grösseren Abschnitts einer römischen Strasse sichere Hinweise auf das römische Siedlungsraster bekannt geworden sind. Im gleichen Zusammenhang war es erstmals möglich, bestimmte Bereiche des vicus zu benennen. Streifenhäuser entlang von Strassen bildeten auch in Eschenz ein wesentliches Siedlungselement. Es ist wichtig anzumerken, dass wir uns bezüglich der Erforschung von Struktur und Bebauung des vicus noch ganz am Anfang befinden. Wir haben uns aber entschlossen, mit der wissenschaftlichen Bearbeitung zu starten, weil die riesigen Daten- und Fundmengen, die lange Forschungsgeschichte sowie die bereits sehr guten Datierungsmöglichkeiten anhand von Bauhölzern einen Beginn schon aus methodischen Gründen rechtfertigten. Auch sind mit ersten Publikationen und Vorberichten bereits Vorarbeiten geleistet worden. Schon die 1977 gefundene Holzstatue machte Eschenz – zumindest beim archäologischen Publikum – in der ganzen Schweiz bekannt. Eine Anknüpfung an die früheren Forschungen von Hildegard Urner-Astholz aus den Jahren um 1940 erfolgte aber erst mit der Auswertung der römischen Funde aus den Grabungen von Keller-Tarnuzzer auf der Insel Werd nach 1980 durch Hansjörg Brem. Der damalige Kantonsarchäologe Jost Bürgi schickte den Bearbeiter auch zu den am Ort ansässigen «Experten» wie Alfons Diener und Otto Schirmer. Da die Funde aus den Grabungen 1931– 1935 in verschiedenen Museen der Ostschweiz verteilt waren, gab es auch viele Sammlungen zu besuchen. Aus dieser Materialsammlung sowie kleineren Grabungen in Eschenz entstand die 1993 von der Kantonsarchäologie Schaffhausen publizierte Zusammenfassung des Forschungsstands zum vicus Tasgetium. Es war damals offensichtlich, dass zwar bereits eine riesige Menge Fundmaterial vorhanden war, aber nur wenige gut dokumentierte Befunde vorlagen. Dies änderte sich kurz darauf mit neuen Grabungen: eine erste Monografie zum römischen Eschenz unter Einbezug archäobotanischer Untersuchungen erschien 19971; gleichzeitig nahm dann die Grabungstätigkeit sehr stark zu. Im Falle der Grabungen von Eschenz ist auch deren Finanzierung von grosser Bedeutung. Am Anfang standen dabei die Beiträge des Kantons bzw. die Mittel des Amts 1

Jauch 1997.

für Archäologie. 1999 stiftete das Ehepaar Angela und Peter Kraft-Obousier eine grössere Summe für die wissenschaftliche Erforschung des römischen Eschenz. Diese Mittel lösten dann die Grabungen 1999 auf der so genannten Dienerwiese aus und führten dazu, dass das Bundesamt für Kultur die Forschungen in Eschenz seit diesem Jahr mitträgt. Auf Vermittlung von Walter Drack konnte 1999 zudem auf Mittel der Nägeli-Stiftung zurückgegriffen werden, im weiteren erhielten wir immer wieder Unterstützung durch die Gemeinde Eschenz und Private in Form von Naturalien oder Arbeitsleistungen. Nach diversen Vorbereitungen wurde im Frühjahr 2006 gemeinsam mit den Universitäten Basel (IPNA), Fribourg (Mineralogie) und Lausanne (Epigrafik) ein Gesuch beim Schweizerischen Nationalfonds für den Beginn der Grabungsauswertung, insbesondere im Hinblick auf die Naturwissenschaften, eingereicht. Dieses wurde ohne besondere Begründung abgelehnt. Da die Grabungen andauerten, wurde in der Folge mit der Bearbeitung so lange zugewartet, bis junge Fachkräfte zur Verfügung standen und insbesondere das Amt für Archäologie einige andere Pendenzen erledigt hatte. Die 2009 begonnene Auswertung stützt sich auf den bei der Auswertung der Grabungen von Arbon-Bleiche 3 verfolgten Ansatz, dass bei Grabungen im Grundsatz zuerst die Rahmenbedingungen und insbesondere die Befunde untersucht und publiziert werden müssen, bevor Arbeiten entlang von Materialgruppen unternommen werden. Es schien uns aber vernünftig, bereits bearbeitete, ausgesuchte und auch besonders wichtige Fundgruppen neben dem für die Arbeit nötigen Grundlagenkapiteln zum Naturraum, zur Forschungsgeschichte sowie zur Topografie vorzustellen. Die Wahl der Themen ist dabei nicht zufällig: Sowohl die Untersuchung der Schreibtafeln aus Holz wie auch der menschlichen Überreste befassen sich direkt mit den Bewohnerinnen und Bewohnern des vicus. Es ist vorgesehen, nun in den nächsten Jahren in weiteren Bänden Befunde und Funde sowie naturwissenschaftliche Resultate aus dem vicus Tasgetium vorzustellen. Zum heutigen Zeitpunkt ist die Bearbeitung der Holzbaubefunde im Rahmen einer Dissertation an der Universität Basel weit fortgeschritten. Im weiteren ist die Bearbeitung der Münzfunde, der Holzfunde, der datierten Fundkomplexe sowie von kleineren Sachthemen in Arbeit.

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3.1

Lage und Naturraum

3 Lage und Naturraum, Geologie, Erhaltungsbedingungen 3.1

Lage und Naturraum Urs Leuzinger

Die Gemeinde Eschenz befindet sich am westlichen Ende des Untersees im Kanton Thurgau, im Nordwesten grenzt sie an das Territorium der Stadt Stein am Rhein im Kanton Schaffhausen (Abb. 1). Eschenz erstreckt sich auf 1206 Hektaren entlang des Nordhangs des Seerückens. Der höchste Punkt liegt mit 637 m ü. M. auf dem Seerücken beim Rappehof, der mittlere Seespiegel im Norden der Gemeinde pendelt um 396 m ü. M. Der eigentliche Ort Eschenz gliedert sich in das Oberdorf und Unterdorf. Das Oberdorf liegt auf dem ausgedehnten Delta des Dorfbachs, das Unterdorf – auch Unter-Eschenz genannt – erstreckt sich westlich vom Oberdorf, im Bereich des Deltas vom Auerbach. Diese Bereiche der Deltaschüttungen auf einer durchschnittlichen Höhe von 420 m ü. M. eignen sich vorzüglich für die Landwirtschaft sowie als Siedlungsgelände. Es liegen mehrheitlich sehr tiefgründige bis tiefgründige, normal durchlässige Böden vor (Presler, Zürrer u. Kaufmann 2006, 21–64). Die nördlich zum Seeufer angrenzenden Zonen sind dagegen überschwemmungsgefährdet und, da diese Flächen durch Grund- und Hangwasser beinflusst sind, stellenweise sumpfig. Die Lage von Eschenz ist ausserordentlich günstig, was die Verkehrsgeografie anbelangt. Am Ende des Untersees und Beginn des Hochrheins befindet sich der Ort an der überregionalen Ost-West verlaufenden Wasserachse, die das Alpenrheintal über den Bodensee mit dem Hochrheintal verbindet (Abb. 2). Dank der Inseln (Werd) und weiterer Untiefen im Bereich der Flur Orkopf konnte der Untersee in ur- und frühgeschichtlicher Zeit bei Eschenz relativ problemlos überquert werden. Spätestens seit der Römerzeit bestand eine Holzbrücke über den See bzw. den Rhein. Somit war das Gebiet seit jeher auch für den Nord-Süd-Verkehr interessant. Die Wege vom Schweizerischen Mittelland führen über das Thurtal und Seebachtal und die zahlreichen Seerücken-Übergänge (westlich Heerebärg, Ootertobel, Oberholz, Hapsbach, Baholz und Imelhuuse) problemlos bis an das Unterseeufer bei Eschenz. Von dort erreicht man über das Bibertal im Norden den Hegau. Abgesehen von der verkehrsgeografischen Lage bietet die Umgebung des heutigen Eschenz auch eine abwechslungsreiche und klimatisch günstige Siedlungskammer für die Landwirtschaft. Bis heute wird in der Gemeinde Rebbau betrieben; allerdings ist die aktuelle Fläche von 2 Hektaren – die «Domaine Entenstall» – im Vergleich zu früheren Zeiten äusserst bescheiden. Da der See als Wärmespeicher wirkt, sind die Jahrestemperatur-Mittelwerte um einige Zehntels-

Abb. 1: Lage des vicus Tasgetium am Ende des Untersees. Reproduziert mit Bewilligung des Amts für Geoinformation des Kantons Thurgau vom 20.4.2011.

grade höher als bei Landstrichen weiter weg vom See (Frauenfelder 1990, 9–10; Presler, Zürrer u. Kaufmann 2006, 25). Die Jahresmitteltemperatur variiert heutzutage zwischen 8,5 und 9°C. Im Durchschnitt werden 200 frostfreie Tage im Jahr gemessen. Die jährliche Niederschlagsmenge (gemessen in Konstanz) beträgt 830 mm, die Sonnenscheinstunden im langjährigen Mittel liegen bei 1640 Stunden. Der See und Rhein waren nicht nur Verkehrsweg, sondern auch ein unerschöpfliches Fischfangrevier. Zudem konnte Bauholz von einem grossen Einzugsgebiet zur Siedlung geflösst werden. Flaches Ackerland mit tiefgründigen, fruchtbaren Böden ist in ausreichender Fläche in der Umgebung vorhanden. Die steileren Nordhänge des Seerückens oberhalb von Eschenz waren – und sind es auch heute noch – mit Wald bestanden. Dieser lieferte das notwendige Bauund Brennmaterial. 3.2

Geologie Erich Müller 3.2.1

Grundlagen zur Naturraumerkundung

Das Herleiten der landschaftlichen Entwicklung eines Naturraums basiert auf vielfältigen Grundlagenkenntnissen. Sie sind in der Regel stark miteinander vernetzt. Diese betreffen einerseits die generellen geologischen Verhältnisse der Nordostschweiz und des angrenzenden süddeutschen Raums sowie andererseits jene von Detailaufnahmen. Die Kenntnisse über die Region lassen sich vor allem aus einem vertieften Studium von Literatur und teilweise auch nicht veröffentlichen Berichten herleiten. Die Detailkenntnisse basieren dagegen auf direkten Feldaufnahmen und -untersuchungen. Solche lassen sich von Oberflächenaufschlüssen, wie beispielsweise in Kiesgruben, Baugruben und Bacheinschnitten sowie von Bohrungen verschiedenster Ausführungstechnik gewinnen. Dazu bringen in weichem Untergrund – wie in Seetonen oder Seekreiden vor15

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3.2

Geologie

Abb. 2: Der geologische Untergrund in der Umgebung von Eschenz. Geologische Übersichtskarte des Kantons Thurgau 1:50 000. Mitteilungen der Thurgauischen Naturforschenden Gesellschaft 55, 1999. Reproduziert mit Bewilligung des Amts für Geoinformation des Kantons Thurgau vom 20.4.2011.

Abb. 3: Lage der Felsoberfläche (OK Fels) anhand von Kern- und Spülbohrungen. Reproduziert mit Bewilligung des Amts für Geoinformation des Kantons Thurgau vom 20.4.2011.

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3.2 getriebene Handbohrungen oder Baggerschürfe – wertvolle Aufschlüsse des oberflächennahen Bereichs. Detailliertere Kenntnisse über die Beschaffenheit der mittleren und tieferen Abschnitte des Untergrunds stammen von Kernbohrungen. Dagegen vermögen Spülbohrungen, wie sie beispielsweise zum Versetzen von Erdsonden abgeteuft werden, in der Regel nur zusammenfassende Aufschlüsse zu liefern. Dafür erschliessen sie oft den tieferen Untergrund, das heisst jenen, der bis in Tiefen von mehr als 100 m unter die Geländeoberfläche reicht. Einige Aufschlüsse stellen so genannte «Schlüsselaufschlüsse» bzw. «Schlüsselbohrungen» dar. Sie ermöglichen entscheidende Aussagen zur Landschaftsentwicklung. Aber nicht jedem Aufschluss kommt eine solche Schlüsselstellung zu. So wirken zurzeit lediglich 21 von insgesamt 260 Hand-, Kern- und Spülbohrungen als eigentliche «Schlüsselbohrungen». Eine Zusammenfassung der Ergebnisse dieser Grundlagenaufschlüsse findet sich in Kapitel 11.6. Zum Erkunden und Beurteilen der Seeuferentwicklung gehört schliesslich auch das Erfassen des aktuellen Seespiegelverhaltens und daher der entsprechenden hydrologischen Grunddaten. 3.2.2

Felsuntergrund

3.2.2.1 Beschaffenheit des Felsuntergrunds Der Felsuntergrund stellt quasi das «Fundament» zur ganzen Naturraumentwicklung dar. Der im Raum Eschenz massgebende Molassefels besteht aus Mergeln, Silt-, Glimmer- und Knauersandsteinen sowie selten aus Süsswasserkalken. Vereinzelt kommen darin dünne, das heisst wenige Zentimeter starke Kohleschichten vor. Mit ihnen verbunden sind auch Schichten, die pflanzliche und tierische Reste führen. Weiter lassen sich lokal und in bestimmten Horizonten Tuffschichten des benachbarten Hegauvulkanismus finden. In Höhenlagen von über 540 m ü. M. treten zudem bis mehrere Meter starke Nagelfluh- bzw. Konglomeratschichten auf. Der gesamte Schichtkomplex entspricht der Serie der Oberen Süsswassermolasse (OSM). Sie wurde im Miozän, das heisst im Zeitraum von 16,5 bis 12,5 Mio. Jahren im Vorfeld des damaligen, im Abtrag begriffenen Alpenkörpers als riesiger Schuttfächer (Hörnlischuttfächer) gebildet. Dieser Zeitraum umfasst die biostratigrafischen Stufen MN5 bis MN8 (Bollinger 1992; 1998; Kälin 2003). Es kann davon ausgegangen werden, dass der ganze Schichtstapel der OSM etwa 600 m stark war. Dabei lag seine ursprüngliche Oberfläche im Raum Eschenz etwa um 750 m ü. M. 3.2.2.2 Reliefentwicklung der Felsoberfläche Anhand von Sondieraufschlüssen ist bekannt, dass im Gebiet von Ober-Eschenz ein Punkt der Erosionssohle des Felsuntergrunds auf Kote 250 m ü. M. liegt. Da mit einer Bohrung wohl nicht zufälligerweise gerade der tiefste Sohlenpunkt getroffen wurde, kann davon ausgegangen werden, dass im Raum von Ober-Eschenz die tiefste Felssohlenlage

Geologie

noch weiter unten ansteht. Zudem wurde im Gebiet UnterEschenz («Schlüsselbohrung» 1032/496) die Erosionssohle des Felsuntergrunds in einer Tiefe von 234 m ü. M. noch nicht erschlossen (Abb. 3). Sie liegt hier tiefer als 175 m unter Terrain. Diese Austalung reicht somit mehr als 100 m unter die tiefste Erosionssohle des Felsens im Bereich der Altstadt von Schaffhausen. Sie wirkt dort für Flusserosionen als die massgebende Vorfluthöhe für das ganze oberhalb von Schaffhausen gelegene Rheinsystem. Die im Raum Eschenz–Stein am Rhein–Wagenhausen festgestellte übertiefe Felssohle konnte somit nicht so tief durch einen früheren, in Richtung Schaffhausen abfliessenden Rheinfluss ausgeräumt worden sein. Diese Gegebenheiten lassen die Entwicklung der Felsoberfläche seit Abschluss der OSM-Sedimentation in etwa drei grobe Phasen gliedern. Während des ersten und längsten Zeitabschnitts, also während der Zeit von rund 12,5 bis 2,5 Mio. Jahren erfolgten einerseits – als Folge der endgültigen Platznahme der alpinen Helvetischen Decken – tektonische Verstellungen des Molassegesteinskörpers. Andererseits fanden weiträumige Erosionen des Hörnlischuttfächers statt. Dadurch wurde die ehemalige Oberfläche des Schuttfächers grossflächig um 200 bis 300 m erosiv abgesenkt. Das hierfür wirkende Flusssystem (Aare, Reuss, Linth und Rhein) entwässerte sich damals noch ostwärts, das heisst in Richtung des Donauflusses. Die zweite Erosionsphase umfasst die frühen Eiszeiten bis zur Eiszeit der grössten Gletscherausdehnung (MöhlinEiszeit nach Graf 2009b), das heisst den Zeitraum von etwa 2,5 bis etwa 0,75 Mio. Jahren. Dieser zeichnet sich vor allem durch Gletscherausbreitungen bis ins Schweizerische Mittelland und durch die damit verbundenen Schotterschüttungen – die höheren und tieferen Deckenschotter – aus (Graf 2009a). Im Zuge dieser frühen Eiszeiten wechselten die Entwässerungsrichtungen von Osten nach Nordwesten, also in Richtung des Oberrheingrabens. Ein bedeutendes Merkmal der nun neu eingetretenen Flusserosionen ist, dass sie nicht mehr flächenhaft, sondern nun mehr oder weniger linear erfolgten. Dadurch entstanden massivere Talbildungen, während denen die Hügelrückenzüge, wie beispielsweise der Seerücken–Stammerberg oder Schienerberg–Wolkensteinerberg–Herrentisch erhalten blieben. Die primäre Anlage der Talformen verlief gemäss den morphologischen Vorzeichnungen wie sie Ende der Tertiärzeit bestanden haben. In den späteren Phasen bildeten sich die Täler in der Weise, dass sie jeweils den Vorgaben des Formenschatzes entsprachen, den die letzten vorherigen Glazialereignisse hinterlassen haben. In der Zeit zwischen der Ablagerung der Tieferen Deckenschotter (vor ca. 1 Mio. Jahren) und der Möhlin-Eiszeit (vor ca. 0,75 Mio. Jahren), der MEG (Most Extensiv Glaciation) fand die massive Eintiefung der Täler durch Flusserosionen statt. Wie bereits erwähnt, wirkte für das Rheinsystem dabei unter anderem die bei Schaffhausen anstehende Felssohle als Erosionsbasis. Sie befand sich dort nach erfolgtem Talbildungsprozess bei ca. 340 m ü. M. Unterhalb von Schaffhausen setzte sich das Rheintal dann als Klettgaurinne in Richtung Tiengen–Waldshut fort. Oberhalb von Schaffhausen stieg die Talsohle flussaufwärts in Richtung 17

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3.2

Geologie

Über der Felssohle und unter den letzteiszeitlichen Sedimenten der Rückschmelzphase finden sich weitgehend glaziale Ablagerungen, wie Ober-, Seiten- und Grundmoränen bzw. verschiedener Tills (Geschiebe) von häufig spät- und seltener mittelpleistozänen Gletschern. Diese Sedimente zeigen einen ganz unterschiedlichen Kornaufbau. So lassen sie sich teils als komponentengestützte siltige oder tonige Kiese sowie Sande und teils als matrixgestützte tonige Silte mit unterschiedlich Kies, Sand und Steinen bezeichnen. Teilweise liegen sie auch in geschichteter Ausbildung vor. Daneben wurden in den damaligen Geländevertiefungen Seeablagerungen sedimentiert. Sie stellen in der Regel Seetone bzw. Seebodenlehme, das heisst meist gebänderte,

Orkop f 342

3.2.3.1 Beschaffenheit und Genese der älteren quartären Ablagerungen

Ober-Eschenz Stad 37

Ältere quartäre Ablagerungen

B üel

124 11 111 115

3.2.3

c

SW

1 8 35 33 32 182a

des Bodensees nur ganz flach an, wobei das Gefälle maximal 0,5‰ bis 1‰ misst. So befand sich in der Umgebung von Eschenz zu diesem Zeitpunkt die Felssohle etwa «erst» auf Kote 355 m ü. M. Während der dritten Eintiefungsphase der Felsoberfläche, das heisst seit der Möhlin-Eiszeit, herrschten besonders günstige Bedingungen für glaziale Tiefenerosion. Dadurch wurden mehrere Rinnen, wie unter anderen diejenige zwischen Waltalingen–Guntalingen–Basadingen–Neuparadies übertieft. In einem noch etwas jüngeren Zeitabschnitt fand die Tiefenerosion des Bereichs Basadingen–Schlattingen statt. Sie erfasste auch noch die entsprechenden Serien des Buechberg-Schotters. Gleichzeitig erfolgten vermutlich auch die Tiefenerosionen der Bietingen–Thayngen-Rinne und deren entsprechenden Serien im älteren Rinnenschotter (Solenberg-Schotter nach Graf 2009b). Wiederum etwas später fand schliesslich die Tiefenerosion zwischen dem Staffelwald (Gemeinde Ramsen)–Wagenhausen–Eschenz– Untersee statt. Bezogen auf das weitere Umfeld des Untersuchungsgebiets ist es auffallend, dass die «tiefen Rinnen» stärker innen liegen als die Eisrandlagen der letzten maximalen Vergletscherung (Birrfeld-Eiszeit nach Graf 2009b), obwohl ihre Entstehung wesentlich vor der letzten Eiszeit erfolgte. Es kann vermutet werden, dass für eine subglaziale Auskolkung eine minimale Eishöhe erforderlich ist, die einem früheren Eisrand entspricht, der wesentlich ausserhalb des Maximalstands der letzten Eiszeit gelegen hat. Als aktive Erosionselemente wirkten sowohl subglaziale als auch Schmelzwässer im Gletschervorfeld. Dabei erfolgte die subglaziale Tiefenerosion unter dem damaligen Gletscherkörper derart, dass unter sehr hohen Wasserspiegel-Unterschieden längs der dichten Erosionssohle (bestehend aus Molassegesteinen) ein sehr hohes Druckgefälle wirkte. So kann für die Wasserdrücke mit Höhendifferenzen von bis weit über 100 m bezogen auf wenige hundert Meter Druckabbaulängen ausgegangen werden. Zudem ist zu beachten, dass es sich dabei um sehr grosse, erodierende Schmelzwassermengen handelte.

Endorf

450

400

NE

450

U nt er s ee/ Rhein

400

350

350

300

300 Legende

250

200

Gehängelehm Bachschu� Seekreide „Rückzugscho�er“ Pleistozäner Seeton Moräne, Tills Molassefels - OSM

250

200

Abb. 4: Geologischer Profilschnitt II (Ober-Eschenz–Öhningen D–Endorf D), 10-fach überhöht.

unterschiedlich stark feinsandige tonige Silte dar. Die Ablagerungen erfolgten teils subglazial und teils im weiten Gletschervorfeld oder auch im nicht mehr glazialen Raum. Da sich über diesen Serien später wieder Gletscher ausbreiteten, wurden sie durch diese vorbelastet, so dass sie heute dicht gelagerte, kompakte Schichten darstellen. In der Umgebung von Eschenz lassen sich die älteren Moränen in Tiefen von rund 70 m bis mehr als 90 m unter Terrain finden («Schlüsselbohrungen» 1032/154 und 1033/115). Das bedeutet, dass ältere Moränen teilweise in übertieften Rinnen abgelagert wurden (Abb. 4). 3.2.3.2 Zeitliche Stellung der älteren quartären Ablagerungen Der in der «Schlüsselbohrung» 1033/115 im Gebiet von Ober-Eschenz angefahrene Moränenkomplex wie auch die vorbelasteten Seeablagerungen lassen sich zeitlich noch nicht einordnen, da nicht ausgesagt werden kann, ob die dort über dieser Moräne bzw. unter dem Bachschutt folgenden Seeablagerungen vor oder nach dem letzteiszeitlichen Rückschmelzstand von Stein am Rhein sedimentiert wurden. Daher ist für die dort vorgefundene Moräne keine Alterszuweisung möglich. Ebenso wenig lassen sich die liegenden, älteren pleistozänen Seeablagerungen und der älteste Moränenkomplex näher datieren. Sicher sind sie jüngeren Alters als der subglazial erosiv erfolgte Talbildungsprozess, der erst nach der frühpleistozänen Ablagerung der Tieferen Deckenschotter (Stammerberg, Hörnliwald) erfolgte. Ebenso wenig ist das genauere Entstehungsalter der sich im übrigen Gebiet von Eschenz befindlichen Seeablagerungen und tieferen Moränenserien bekannt, die unter den Moränenbildungen der ausgehenden letzten Vergletscherung auftreten. So steht auch für ihre Entstehung ein sehr breiter Zeitraum zur Verfügung.

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3.2 3.2.4

Pleistozäne Landschaftsentwicklung der ausgehenden letzten Eiszeit

3.2.4.1 Entwicklung der letzten Vergletscherung Der spätpleistozäne, hochglaziale Zeitraum umfasst die Hauptvergletscherungsphase der letzten Eiszeit des Schweizerischen Mittellands. Er umfasst dabei den Zeitabschnitt des Maximalstands sowie der nachfolgenden Rückschmelzphasen bis in den Alpenraum. Die häufigsten morphogenetischen Bildungen sind verschiedenartigste Moränen (Tills), wie Seiten-, Stirn-, Grund- und Obermoränen sowie «Waterlain-Tills», fluvioglaziale Schotterfluren, Entwässerungsrinnen, subglaziale Tiefenerosionen usw. (Abb. 5). Wie bereits in Kapitel 3.2.3.2 erwähnt, lässt sich der im zentralen Gebiet von Ober-Eschenz zwischen 60 und 80 m angefahrene Moränenkomplex («Schlüsselbohrung 1033/115) zeitlich noch gar nicht einordnen. Eine Zuweisung dieser Serien zum Rückschmelzstand von Stein am Rhein ist weder auszuschliessen noch belegt. Im Gebiet Bälisteig–Chrüüzgässli–Studenacher steht oberflächennah ein mächtiger «Rückzugsschotter» («Rückzugsschotter von Wagenhausen–Eschenz») an («Schlüsselbohrungen» 1032/164, 1032/182a und 1033/32). Unter diesem folgen bereits die pleistozänen Seeablagerungen. Der Spiegel des entsprechenden Sees (>422 m ü. M.) war höher gelegen als der stauende Moränenriegel von Etzwilen–Hemishofen. Aufgrund ihrer Seespiegellage sind diese pleistozänen Seeablagerungen älter als der letzteiszeitliche Rückzugsstand von Stein am Rhein einzustufen. Im Raum Unter-Eschenz (Grueb) stehen dann die Moränen des letzteiszeitlichen Rückschmelzstands von Stein

Geologie

am Rhein (Wall- und Grundmoränen) direkt an der Terrainoberfläche an (Abb. 5). Hier lagern die Moränen über Seeablagerungen, die ein unbestimmtes Alter («Schlüsselbohrung» 1032/496) aufweisen. Auch im Raum UnterEschenz, südlich der Bahnlinie (Degerfeld) finden sich die pleistozänen Seeablagerungen erst unter dem Moränenkomplex (Abb. 6). Diese oft siltig-sandigen Sedimente sind älter als der letzteiszeitliche Rückschmelzstand von Stein am Rhein. Ihr eigentliches Alter lässt sich jedoch nicht näher bestimmen. Im Raum Degerfeld (Stein am Rhein–Kaltenbach) lagert lokal der «Rückzugsschotter von Wagenhausen– Eschenz» über dem Moränenkomplex des letzteiszeitlichen Rückschmelzstands von Stein am Rhein («Schlüsselbohrungen» 1032/85 und 1032/170). Eventuell sind sie dort sogar seitlich miteinander verzahnt. Unter dem Moränenkomplex (letzteiszeitlicher Stand von Stein am Rhein) folgen auch hier pleistozäne, sandig-siltige Seeablagerungen von unbekanntem Alter («Schlüsselbohrung» 1032/170). Das unterhalb von Hemishofen ins Hochrheintal mündende Untere Bibertal sowie das einstige Aachtal oberhalb von Rielasingen wirkten während dem Rückschmelzstand von Stein am Rhein (W7 nach Keller 2010) als Schmelzwasserrinne zur entsprechenden Gletscherzunge von Rielasingen/Arlen. Dabei wurde das Schottervorkommen des Unteren Bibertals geschüttet. Während die Oberfläche dieser Kiesschichten damals bei Kote 418 m lag, reicht deren Unterfläche bis auf mindestens 401 m ü. M. Damit diese fluvioglaziale Schotterflur auch terrestrisch geschüttet werden konnte, musste vorgängig der Moränenriegel von Staffelwald–Rheinklingen (Stand W6 nach Keller 2010) bis auf die Kote von ca. 400 m hinunter erodiert worden sein. Andernfalls hätte hier ein See vorgelegen, so dass keine fluvioglazialen Schotter hätten entstehen können. Nach dem

Abb. 5: Karte der Moränen des letzteiszeitlichen Rückschmelzstands von Stein am Rhein. Reproduziert mit Bewilligung des Amts für Geoinformation des Kantons Thurgau vom 20.4.2011.

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3.2

Geologie

S

N

NW

NE SW

SE

S

N

Eschenz Chrüüzgässsli

Underdorf

Stein am Rhein Höfe

Insel Werd

Obermüli

Brei�

526

179 314

496

166 167 178

184a 184c

450 Rhein ?

400

350

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300

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250 ?

200

200 Legende Gehängelehm Bachschu� Seekreide

„Rückzugscho�er“ Pleistozäner Seeton Moräne, Tills Molassefels - OSM

Abb. 6: Geologischer Profilschnitt I (Eschenz–Chrüüzgässli–Stein am Rhein–Breiti), 10-fach überhöht.

weiteren Rückschmelzen und dem Auslaufen des Eisrandstausees von Worblingen–Bankholzen (Auslaufhöhe bei Rielasingen: 417 m ü. M.) wurde das zuvor geschüttete Kiesvorkommen um 3 bis 5 m tief eingeschnitten. Die Untere Böhringer Terrasse, die im Zeitraum zwischen den Ständen des Unterseebeckens (W9 nach Keller 2010) und Konstanz (W10 nach Keller 2010) abgelagert wurde, stellt ein in den mit dem Untersee zusammenhängenden Zellersee geschüttetes Kiesdelta dar. Darin liegt die Grenze zwischen den mehr oder weniger horizontal gelagerten Übergussschichten und den schräg abfallenden Deltaschichten auf Kote 407 m. Zwischen den Moränenwällen der Staffeln von Hemishofen (W7) und Stein am Rhein-Burg (W8 nach Keller 2010) wurde im Zuge des Rückschmelzens sogleich ein Eisrandsee aufgestaut. Sein Spiegel stand in Abhängigkeit der tiefsten Höhenlage des Endmoränenriegels bei Hemishofen, der vorerst eine Kote von ca. 415 m aufwies und anschliessend sukzessiv fluviatil eingeschnitten bzw. abgesenkt wurde. 3.2.4.2 Der Untersee nach dem Rückschmelzen des Gletschers Im Bereich von Unter-Eschenz (Höfen) sind die Moränen des letzteiszeitlichen Rückschmelzstands von Stein am Rhein mit noch jüngeren Seeablagerungen und Bachschuttbildungen bedeckt. Sie sind demzufolge als Sedimente im bei Hemishofen vorerst gestauten Eisrandsee, dem UrUntersee, zuzuweisen (Abb. 7).

Abb. 7: Seeuferlagen und Erosionsgebiete nach dem Hauptstand von Stein am Rhein. Reproduziert mit Bewilligung des Amts für Geoinformation des Kantons Thurgau vom 20.4.2011.

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Allerød Interstadiale

Absolute Zeit [Jahre BP]

Klima

Vegetation

Unterseespiegel [m ü. M.]

Sedimentbildung

12 000

Kühl gemässigt

Waldföhren- und Birkenwälder mit einer Waldgrenze von etwa 1300–1400 m ü. M. (für den Thurgau irrelevant); daneben Moor- und Auenvegetation.

405

Seebodenlehme (Beckentone) und beginnende Seekreideund Torfbildung

Bølling

3.2

13 000

Kühl gemässigt

Vorwaldgesellschaften und Strauchtundren mit u.a. viel Wachholder, Sanddorn, Weiden und Zwergbirken.

407

Seebodenlehme (Beckentone)

Nach dem Rückschmelzstand von Stein am Rhein, Staffel von Hemishofen (W7) setzte die Erosion der Schotterflur im Unteren Bibertal durch die Aach ein. In deren Folge reichte im Unteren Bibertal die junge Talsohle südwestlich von Rielasingen schliesslich bis unter Kote 410 m hinab. Ab dem Rückschmelzstand von Stein am Rhein, Staffel von Burg (W8) war die Erosion im Haupttal (also bei Hemishofen) intensiver als bei Rielasingen. Dies bewirkte, dass seither die Singener/Radolfszeller Aach sich über Untersee–Hemishofen–Rheintal entwässerte. 3.2.4.3 Geländeoberfläche am Schluss der letzten Eiszeit (Spätglazial) Der spätglaziale Zeitraum stellt die abschliessende Phase der letzten Eiszeit dar und beginnt erst mit dem Rückschmelzen des Bodensee-/Rheingletschers in den Alpenraum nach dem Stand von Konstanz (W10) (Abb. 8). Die spätpleistozänen Seeablagerungen treten in peripheren Lagen, das heisst in den ufernahen Bereichen in mehr sandiger Fazies auf. Nach Resultaten der Handbohrungen am Orkopf bei Eschenz reichen heute die spätglazialen tonigen Seeablagerungen höchstens bis 393 m ü. M. («Schlüsselbohrung» HB 2007/10). Die Oberfläche dieser charakteristischen Beckentone der Späteiszeit liegt sonst

Geologie

Abb. 8: Spätglazial – die Interstadiale im Bereich Bodensee–Hochrhein.

tiefer. Insgesamt betrachtet stellt die sich heute vorfindende Oberfläche der pleistozänen Ablagerungen eine Erosionsform dar (Abb. 9). Dies trifft insbesondere für die entsprechenden Seetone im Auslaufbereich des Untersees zu. Im Raum Ober-Eschenz–Stad–Seeäcker befinden sich unter dem Bachschuttkegel bis in grosse Tiefen pleistozäne Seeablagerungen. Eine Abgrenzung von spätglazialen zu älteren Seeablagerungen ist allerdings nicht möglich. Nach dem Laufrichtungswechsel der Aach bei Rielasingen/Arlen in Richtung des Zeller Sees «verlandete» das Untere Bibertal. Dabei wurde vorerst die alte, von Rielasingen via Ramsen zum Rhein entwässernde Aachrinne mit Sanden aufgefüllt, darüber folgten dann «Lehm- und Torfschichten». Das Entstehungsalter dieser Torfschichten konnte mittels C14-Datierung auf ca. 11 000 BP bestimmt werden. Der Laufrichtungswechsel fand somit vor der Allerød-Zeit statt. Damit sich die Aachrinne im Zuge des Laufrichtungswechsels ab Rielasingen erst eintiefen konnte, musste die Aach bis hin zum Zeller See ein minimales Gefälle von einigen Promillen aufweisen. Die Absenkung des mittleren Seespiegels des Zeller Sees und Untersees auf unter 405 m ü. M. fand noch im Spätglazial statt (Abb. 7). Somit war der bis anhin stauende Riegel von Hemishofen schon Ende des Pleistozäns bis auf Kote von etwa 400–405 m eingeschnitten.

Abb. 9: Karte der PleistozänOberfläche anhand der Bohrdaten. Reproduziert mit Bewilligung des Amts für Geoinformation des Kantons Thurgau vom 20.4.2011.

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3.2

Geologie

Vom Raum des Bodensee-Obersees ist bekannt, dass im Bereich vom Nonnenhorn (ca. 13 km südöstlich von Friedrichshafen) aus dem Allerød-Interstadial ein Seespiegelstand um 405 m ü. M. vorlag. Diese Feststellung ist durch eine über diesem Stand einsetzende Torfbildung belegt. Zudem konnte im Argendelta (ca. 10 km südöstlich von Friedrichshafen) für das frühe Boreal (beginnendes Holozän) ein Seespiegel auf 400–401 m ü. M. bestimmt werden. Diese Spiegelstände gelten auch für den Untersee, da bis Ende des Spätglazials die Sohle des Seerheins durchgehend mehrere Meter tiefer als die heutige lag. Diese Gegebenheit wird durch bis über 7 m mächtige holozäne Seekreidelagen belegt, die sich in der Seerheinrinne über den pleistozänen Seetonen finden lassen. Somit ist nach dem Stand von Konstanz (W10) ein stetiges Kommunizieren der beiden Seen nachgewiesen! 3.2.5

Holozän – nacheiszeitliche Landschaftsentwicklung

3.2.5.1 Natürliche Regulierungen des Seespiegels Grundsätzlich ist festzuhalten, dass zwischen Eschenz und Öhningen bzw. dem Äschezerhorn und Stiegen (Öhningen) die Schlüsselstelle zu den Pegelständen des Bodensees liegt. Denn hier wird der nacheiszeitliche Bodensee gestaut. Als massgebende «Steuerelemente» wirkt das dynamische Zusammenspiel der drei Bachschuttkegel des Dorfbachs und des Auerbachs sowie des Nodbachs (Öhningen) in Kombination mit den Erosionsprozessen des hier austretenden Hochrheins. Die hydrologischen Ereignisse werden – neben den klimatischen Ereignissen im ganzen Rhein-Einzugsgebiet – auch entscheidend durch die lokalklimatischen Gegebenheiten gesteuert, die sich in den Einzugsgebieten der drei genannten Bäche abspielen. So vermögen an sich lokale Starkniederschläge die Entwicklung der Bachschuttkegel entscheidend zu beeinflussen. Damit verbunden wirken solche Ereignisse auch massgeblich auf das Abflussgeschehen am Untersee und damit auch auf die Pegelstände des gesamten Bodensees. Grundsätzlich liegen Seespiegel-Hochstände bei erhöhten Jahres-Niederschlägen, abnehmenden Sommertemperaturen und einer verkürzten Vegetationsdauer vor. Dagegen bestehen Seespiegel-Tiefstände bei abnehmenden Jahres-Niederschlägen, zunehmenden Sommertemperaturen sowie einer verlängerten Vegetationsdauer. Aus der Darstellung der Entwicklung der Niederschlagssummen im Bodensee-Einzugsgebiet von 1800 bis 2003 wurde für den Abfluss im Seerhein als Folge der Pegelstände von Konstanz die folgende empirische Beziehung gefunden (Ostendorp et al. 2007): Q[m3/s] = 0,00489·x2 - 0,968·x + 94,3; bei r=0,996, wobei: x = Pegelstand [cm] in Konstanz (391,89[m+NN], bzw. 392,16 m ü. M.) Aus dieser Beziehung lässt sich berechnen, dass bei einem Stand des Konstanzer Seepegels auf Kote 393 m ein

Abfluss von deutlich unter 100 m3/s erfolgt, und bei einem Pegelstand von 397 m ü. M. der Rheinabfluss zwischen 850 und 900 m3/s beträgt. 3.2.5.2 Verlauf der Seespiegelstände Für das ganze Holozän betrachtet, traten in dieser Zeitepoche Seespiegel von zwischen 392,50 bis 400 m ü. M. auf (Abb. 10). Vorerst befand sich der Seespiegel zur Zeit der Pleistozän-/Holozän-Grenze auf Kote 403±2 m. Dabei wurde der Untersee noch im Bereich des Moränenriegels Stein am Rhein-Burg (W8) gestaut. Anschliessend wurde dieser durch den Rheinlauf erodiert, was eine Absenkung der Auslaufhöhe, und damit direkt verbunden, des Bodensee-/Unterseespiegels bewirkte. In der zeitlichen Folge wuchsen die Bachschuttkegel des Eschenzer Dorfbachs, des Auerbachs und des Nodbachs an. Dabei wurde der See nicht mehr am Moränenriegel aufgestaut, sondern an den «vereinigten» Bachschuttkegeln. In Zeit späterer, geringerer Wasserführung des auslaufenden Rheins vermochten diese Bachschuttkegel den See wieder höher zu stauen. Diese Seespiegelanstiege betrafen dann den ganzen Bodensee, inkl. den Obersee. Demgegenüber finden in Zeiten mit hohen Abflüssen verstärkte Erosionen an den stauenden Bachschuttkegeln statt, was folglich zum Absenken der Staukoten und daher zu niedrigeren Seespiegeln führt. Auf Koten 403 und 398 m finden sich am Zeller See Strandterrassen. Diese entsprechen frühholozänen Seespiegelständen. Dabei stellt jene unterhalb der 400 m-Höhenlinie eine meist nur 2 m hohe Erosionsstufe dar. Der 398 m-Stand ist zeitlich mit dem Atlantikum (um 7000±1000 Jahre BP) zu korrelieren. Dies stimmt mit dem prähistorischen Befund überein, da mesolithische Funde nur landwärts von oberhalb der 398 m-Höhenlinie bekannt sind. In den Zeitabschnitten von 6 200 bis 5 900 BP sowie um 5300 BP fanden beträchtliche Wechsel der Seespiegelhöhen statt. Wahrscheinlich führten die Seespiegeländerungen im Verlauf der Zeit auch zu unterschiedlichen Nutzungen des Orkopfs. Jungsteinzeitliche Siedlungsreste finden sich zwischen den Höhenkoten 393 und 396 m, bronzezeitliche dagegen bei 392 bis 394 m. Während des Subboreals (4500 bis 2600 BP) lag dann der Seespiegel ca. 2–3 m tiefer als heute, das heisst etwa bei 392 bis 393 m ü. M. In Arbon-Bleiche 3 konnten viele Hinweise auf die Seespiegelentwicklung gewonnen werden (Haas u. Magny 2004, 43–49; Magny et al. 2006, 3–19). Da Untersee und Obersee miteinander kommunizierten, sind die Seespiegelbeobachtungen aus dem Raum Arbon mit jenen von Eschenz direkt vergleichbar. Es wurde dort festgestellt, dass die im Mittelholozän stattgefundenen Klimawechsel Seespiegelanstiege bewirkten. Dabei wird angenommen, dass damals das Klima erheblich feuchter und kühler wurde. Die damaligen Schwankungen lassen sich in zwei erste Seespiegelanstiege, die zwischen 5600 und 5500 BP stattfanden, und einen dritten gliedern, der um 5375 bis 5320 BP erfolgte. Mit dem Anstieg des Bodenseespiegels konnten die «Pfahlbauer» die seenahen Bereiche der Bucht von Arbon-Bleiche nicht mehr als Siedlungsplatz nutzen.

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3.2

Zeitabschnitt

Absolute Zeit (BP)

Klima (Zeiten in Jahre BP)

Bodensee Seespiegel [m ü. M.]

Subatlantikum

2500 – 1000

Um 2000: gemässigt

Um 2000 397

Subboreal

5000 – 2500

Von 5000 – 4300: Kühl gemässigt, feucht; ähnlich heute, ev. etwas wärmer und trockener

Vorerst um 392 – 394

Geologie

Abb. 10: Holozän – erdgeschichtlicher Überblick im Bereich Bodensee–Hochrhein.

Von 4300 – 3700: Kühl gemässigt, feucht; bis 3800 wohl etwas wärmer und trockener als heute, nachher ausgeprägt kalt-feucht Von 3700 – 3200: Kühl gemässigt, feucht; bis 3350: ausgeprägt kaltfeucht ab 3350: vergleichbar mit heute

ab Römerzeit um 397

Von 3200 – 2850: vergleichbar mit heute, dann feucht-kalte Jüngeres Atlantikum

6000 – 5000

Älteres Atlantikum

8000 – 6000

Von 6000 – 5700: gemässigt/kühl; vergleichbar mit heute

394

Von 5700 – 5000: gemässigt/kühl; vergleichbar mit heute Von 8000 – 7150 BP: gemässigt/kühl; vergleichbar mit heute

398 – 399

Von 7150 – 6200 BP: Jahrestemperatur um 1°C höher und trockener als heute Von 6200 – 6000 BP: gemässigt/kühl; vergleichbar mit heute

Boreal

9000 – 8000

Kühl gemässigtes bis kühles Klima

400 – 401

Präboreal

10 000 – 9000

Gemässigtes Klima; ab Ende des Spätglazials/Jüngere Dryaszeit abrupte Zunahme der Jahresmitteltemperaturen (um 3°C bis 5°C), aber auch der Niederschlagssummen.

397

Zu den Zusammenhängen von Seespiegelschwankungen mit den Bachdelta-Bildungen im Raum Eschenz–Öhningen fehlen bis heute Beschreibungen. So bleiben die Fragen offen, inwieweit die oben genannten Kriterien auch für das Verstärken bzw. Abnehmen der Deltabildungen zutreffen. 3.2.5.3 Entwicklung des Auslaufbereichs des Untersees Die im Auslaufbereich des Untersees markant auftretenden Erosionen am Ufer werden weitgehend durch intensive Westwinde bewirkt. So finden im unmittelbaren Auslaufbereich entlang der See- und Flusssohle durch die aufkommenden Flussströmungen beachtliche Erosionen statt. Um diese genauer festzustellen, wurden am Orkopf sowie an verschiedenen anderen Orten so genannte Erosionsmarken oder Festpunkte gesetzt2. Die entsprechenden Stangen wurden bis wenige Zentimeter über den Seegrund eingerammt. Das Mass von Oberkante der Stange bis zum Seegrund zeigt die Abtrag- und Ablagerungsprozesse an. Auf deutscher Seite wurden ca. 2 m lange Eichenpflöcke seegrundeben in den Grund geschlagen und eingemessen. Marke 2

Im Rahmen des Interreg IV-Projekts Ufererosion und Denkmalschutz im Bodensee und Zürichsee.

Nr. 01 liegt im Bereich der horgenzeitlichen Pfähle, die Nr. 05 auf dem höchsten Punkt des Orkopfs, die Nr. 06 im Bereich von Feld 2 und die Nr. 07 im Bereich von Feld 4 der bronzezeitlichen Strukturen. Dies bedeutet, dass die Nr. 01 am Südrand, die Nr. 06 am Nordrand und die Nr. 07 an der Nordostspitze des Orkopfs liegt. An der Stelle, wo der Orkopf mit dem Äschezerhorn verbunden ist, herrscht zurzeit eine sehr starke Strömung. In deren Anströmungsrichtung – also luvseitig – liegt das neolithische Pfahlfeld. In dieser legten die Archäologen eine Reihe von Erosionsmarken an. Damit werden der Abtrag im Luv und die Ablagerung im Lee festgehalten. Erste Ergebnisse weisen bereits auf ganz massive Materialumlagerungen hin. 3.2.5.4 Entwicklung der Hanglagen – Entwicklung der Naturereignisse Flächenhafter Abtrag – Denudationen Entlang der Hanglagen finden sich über den liegenden Grundmoränen bzw. «Rückzugsschottern» häufig Ablagerungen von Hangschutt und/oder Gehängelehm. Sie sind die Folge von Denudationsprozessen und damit von flächenhaften Abtragungen der verwitterten höher gelegenen Hangzonen. Deren Bildung dauerte bis in die aktuelle Zeit 23

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3.2

Geologie

an. Als Fallbeispiel stellt im Raum Studenacher über dem Rückzugsschotter der liegende Hangschutt/Gehängelehm das jüngste Schichtglied dar. Die erbohrten Mächtigkeiten messen bis gegen 5 m («Schlüsselbohrungen» 1033/32 und 1033/182a). Bacherosionen In den Bachtobeln fanden und finden vor allem während und nach starken Niederschlägen und somit als Folge der extremen Bachabflussmengen oft sehr intensive Abtragungen der Bachsohle und der seitlich begrenzenden Uferpartien statt. Solche Erosionen führen schliesslich auch zu rinnenartigen Vertiefungen im flacheren Vorgelände. Dieses umfasst so dann bevorzugte Bereiche zwischen dem Hangfuss und dem Rhein (Abb. 7). Durch die Wassermassen wird zudem nicht nur Erdund Lockermaterial abgegraben, es werden durch Unterspülungen auch Bäume und Sträucher gefällt. Diese werden mit dem Hochwasser zuerst abgetragen, dann verschwemmt und weiter unten wieder abgelagert. Dadurch erfolgen bachabwärts im Bereich von Engnissen oft vorübergehende Verklausungen, die wiederum die betroffenen Bäche temporär zu hinterstauen vermögen. Erst durch massive Verbauungen der Bachläufe im 20. Jh. konnte diesen Erosionsvorgängen Einhalt geboten werden. Bachschutt – Bachdeltas Im Bereich der Inselgruppe Werd lagert der kiesige und sandige Bachschutt in Form eines Bachschuttkegels des Auerbachs direkt über spätpleistozänem bis frühholozänem Seeton. Die Mächtigkeit des Bachschuttkegels ist dabei schon über kürzere Distanzen stark wechselhaft. Gesamthaft betrachtet sind die Inseln Werd als ein in einzelne Inseln zerlegtes spät- bis postglaziales Delta zu betrachten. Auch mitten im Ausflussbereich des heutigen Untersees (Orkopf) finden sich terrestrische Bachablagerungen. Sie sind nicht mehr von Seekreide bedeckt. Somit erfolgten hier seit der Sedimentation des Bachschutts nur noch Erosionsprozesse. Dies im Gegensatz zu früher, als noch Seekreide in einem stilleren, stehenden Gewässer abgelagert wurde. Am Äschezerhorn ist der Bachschutt jünger als der spätglaziale bis frühholozäne Seeton. Dort werden die Seekreideschichten von Kiesen und Sanden des Dorfbachdeltas überlagert. Es lassen sich auch keine Verzahnungen von Seetonen mit Bachschuttsedimenten finden. Der hier dominierende, weitgehend terrestrische Bachschutt ist dagegen mit dünnen lakustrischen Seekreideschichten verzahnt. Massenmässig beträgt hier der Seekreideanteil jedoch nur etwa 7%. Die einzelnen transgressiven Phasen – Zeiten mit erhöhten Seespiegeln – waren vermutlich nur kurz, da die entsprechenden Seekreideschichten in der Regel sehr dünn sind (meist um 2 cm). Im Raum von Ober-Eschenz–Stad–Seeäcker bestehen die oberflächennahen Schichten aus kiesigem und sandigem Bachschutt des Eschenzer Dorfbachs. Ausser in seinem Durchquerungsbereich des Rückzugschotters stehen in dessen Einzugsgebiet nur ganz vereinzelt kiesreiche Lockergesteine an. Es ist daher anzunehmen, dass es sich bei der im Bachschuttkegel auftretenden, bis 17,6 m starken

Kiesschicht um umgelagertes Material des höher gelegenen «Rückzugsschotters Wagenhausen–Eschenz» handelt. Wo die Bachmündungen auf die Westseite eines Deltas verlegt sind, setzen sich die Bachsedimente der Uferabtragung entgegen, wobei unter günstigen Bedingungen unter Umständen sogar Auffüllungen erfolgen können. Durch das Verlegen von Bachmündungen im 19. Jh. auf die Westseite der Deltas, können die Ausdehnungen der «Hörner» (Deltas) in den See hinaus in der Regel verhindert werden. Weiter konnte dadurch der Rheinabfluss beim Äschezerhorn offen gehalten werden. Entlang der Ostseiten der Bachdeltas lagert sich zwischen Schilf und Binsen leichtes Schwemmmaterial ab. 1727 und 1759 mündete der Dorfbach auf der Ostseite des Deltas – im Bereich des Strandbads/Hafens – in den Untersee. 1832 mündete der Dorfbach, ca. 150 m vom Weiler Stiegen entfernt, frontal (das heisst ± Nord-Süd verlaufend) in den Aufstaubereich des Untersees. Der vormalige Verlauf des früheren, nach Osten in den Untersee/Rhein mündenden Bachs war damals noch gut erkennbar. 1879/80 wies das Engnis zum Nordufer noch 110 m auf. Der frühere Bachlauf ist nur rudimentär erkennbar (Wegelin 1915). 3.2.5.5 Seeablagerungen Seeton Die Ablagerung von eigentlichem Seeton bzw. Seebodenlehm wurde in der Spätglazialzeit weitgehend abgeschlossen. Es fehlen daher deutliche Funde dieser Schichten aus der Nacheiszeit, dem Holozän. Seekreiden – «Schnegglisande» Die massgebenden Seesedimente des Holozäns sind die Seekreiden. Diese lockerkörnigen Ablagerungen liegen meist als hellgrau-weisse, tonig-sandige Silte vor. Sie bestehen überwiegend aus Kalk. Das Maximum der Seekreideablagerung dürfte mit dem postglazialen Klimaoptimum im Boreal und Atlantikum zusammenfallen. Die Bildung der Seekreide und der «Schnegglisande» ist die Folge von Kalkausscheidungen verschiedener Algen. Diese feinkörnigen Bildungen finden sich meist in stillen Buchten; die groben dagegen in den Strandwällen. Die Seekreidebildung begann frühestens mit der Klimaerwärmung im frühen Holozän. Im Raum von Arbon-Bleiche 3 wurde festgestellt, dass dort die Seekreidelagen älter als 4700 BP sind und sich die Torflager meist erst über den Seekreideschichten befinden (Haas u. Magny 2004, 43–49; Magny et al. 2006, 3–19). In den Flachwasserzonen des Untersees ist die Sedimentbildung stark von einer grossen biologischen Aktivität mit autochtoner Karbonatbildung geprägt. Eine besondere Sedimentform des Unterseeraums sind die «Schnegglisande». Sie wurden durch Karbonatausfällung unter Mitwirkung von Blaualgen gebildet und sind als eine Varietät der Seekreide zu betrachten. Sie entstanden als ausgefällte Kalke von Cyanobakterien und Algen auf Molluskenschalen. Dies erfolgte bei unterschiedlichem Wellengang, wodurch sich konzentrisch-schalige Formen bildeten. Die «Schnegglisande» sind keine rezente Bildung, sie entstanden während

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3.3 des Klimaoptimums bzw. Atlantikums, das heisst vor ca. 7500–4500 Jahren. Damals war vermutlich das Klima etwa 2,5°C wärmer und auch feuchter als heute. Im Untersee wurden im Zeitraum 1963 und 1995 jährliche Sedimentationsraten von zwischen 0,1 und 0,2 g Substanz/cm 2 pro Jahr ermittelt. Bei Annahme eines Raumgewichts (γd) des neu gebildeten Sediments von etwa 1,6 g/ cm3 entspricht dies einer Sedimentationsrate von 0,16 g/cm 2 pro Jahr und einer Sedimentationshöhe von 1 mm pro Jahr. Demzufolge benötigt in einem ruhigen, das heisst erosionsfreien Seeabschnitt der Untersee-Flachwasserzone die Neubildung einer 1 m mächtigen Seekreideschicht rund 1000 Jahre. An den seichten Stellen des Sees sowie des Seerheins und dabei insbesondere auf den barrenartigen Rücken entstanden – bedingt durch den Auftrieb von Tiefenwasser und verbunden mit den durch Westwinde erzeugten Strömungen – tuffartige Knollenbildungen. Einschwemmungen Im Raum von Ober-Eschenz–Stad–Seeäcker wurden in Handbohrungen organische Horizonte mit Rinden, Laub und Holzresten erschlossen, die in einer noch knapp terrestrischen Uferpartie abgelagert wurden. Sie weisen damit auf einen früheren, temporär sehr tief gelegenen Seespiegel hin. Dieser lag unterhalb der Kote 392,30 m. Zudem wurden hier mit Handbohrungen auch mindestens drei, von einander zeitlich getrennte Kulturschichten erfasst. Sie entsprechen jeweils Phasen mit absinkendem Seespiegel des Unter-/Bodensees. Dabei lag der Seespiegel tiefer als 393,17, 392,77 bzw. 391,79 m ü. M. Daneben wurden in Handbohrungen auch Brandhorizonte beobachtet. Auch diese weisen auf tiefe Seespiegellagen von weniger als 392,16 bzw. 391,77 m ü. M. hin. 3.2.6

Entwicklung der Grundwasserverhältnisse

Die zeitliche Entwicklung der Grundwasserverhältnisse umfasst verschiedene Elemente. Sie entsprechen in den Grundzügen derjenigen einer Grundwasserbilanzierung. Dabei gibt es Elemente, wie die Eigenschaften der Grundwasserleiter, die sich zeitlich nicht verändern und solche, wie das Grundwasser und die Umwelteinflüsse, deren Eigenschaften Veränderungen unterzogen sind. Im Naturraum Eschenz liegen zwei massgebende Grundwasserleiter vor: der «Rückzugsschotter Wagenhausen–Eschenz» und die kiesigen Bachschuttkegel. Die übrigen Schichtserien sind in der Regel wohl wassergesättigt, ihr Grundwasser ist aber der geringen Durchlässigkeit wegen praktisch nicht fliessfähig. Dieses Grundwasser reagiert auf äussere Einflüsse wie Oberflächenwasserzutritte oder Vorflutverhältnisse nur extrem träge. In diesen Schichten wie Seeablagerungen (Seeton und Seekreide), Moränen und lehm- und feinsand-/siltreicher Bachschuttkegel erlitten die Grundwasserverhältnisse keine nennenswerten Veränderungen. Die kiesigen Bereiche der Bachschuttkegel, beispielsweise im Raum Ober-Eschenz–Stad, reagieren besonders stark auf versickerndes Bachwasser (vor allem in Hochwas-

Erhaltungsbedingungen

sersituationen) und Seespiegelschwankungen, jedoch nur solange sie in direktem Kontakt zum See bzw. Rhein stehen. Diese beiden Einflüsse wirken sich dementsprechend deutlich auf die Grundwassermenge und den Grundwasserspiegel aus. So kann bei einem sinkenden Seespiegel von einem tieferen Grundwasserspiegel und geringerem Grundwasserdargebot ausgegangen werden. Der «Rückzugsschotter Wagenhausen–Eschenz» steht nicht in einer hydraulischen Verbindung mit dem Rhein und weist zudem keine nennenswerten Infiltrationen sowie Seitenzuflüsse auf. Daher sind dessen Grundwasserdargebot und Grundwasserspiegel nur die Folge der flächenhaften Einspeisung durch nicht verdunstetes Niederschlagswasser. Dementsprechend liegen bei feuchteren Zeitperioden ein etwas grösseres Grundwasserdargebot und etwas höherer Grundwasserspiegel vor. 3.3

Erhaltungsbedingungen Urs Leuzinger 3.3.1

Bauen und wohnen im Sumpf

In der Regel bauten die römischen Architekten ihre Wohnhäuser, Gewerbeanlagen und Strassen an Standorten mit trockenem Baugrund. Vitruv äusserst sich ausführlich in seinem Werk «de architectura», was es beim Anlegen einer Siedlung zu beachten gilt. Insbesondere sollte der Ort hoch liegen, weder Frost noch Nebel ausgesetzt sein und in der Nachbarschaft keine Sümpfe aufweisen (Vitruv, de architectura, I.4.1). Die bewusste Wahl von trockenen Standorten hat demnach zur Folge, dass sich organische Funde und Befunde aus der Römerzeit mehrheitlich nicht erhalten haben. Ausnahmen sind vor allem Hafenanlagen, Schiffe sowie Bauten, die direkt mit Wasser in Verbindung stehen (z.B. Brunnen, Kanäle, Brücken, Mühlen). In den wassergesättigten Sedimenten fehlte den holzabbauenden Organismen wie Mikroben und Pilzen der lebensnotwendige Luftsauerstoff. Gute Erhaltungschancen für organische Überreste aus der Römerzeit liegen auch in ariden Zonen (Wüstenklima), im Eis (Gletscherfunde) sowie im Salz (Salzbergwerke) vor. Ebenfalls eine spezielle Situation findet man in den VesuvFundstellen wie Pompeii und Herculaneum, wo organisches Material verkohlt oder als Negativ im Vulkansediment erhalten blieb (Abb. 11). Die verkehrsstrategische Lage des vicus Tasgetium bedingte, dass die römischen Bauherren Teile ihrer Siedlung wohl oder übel nahe am Wasser errichten mussten. Der hohe Grundwasserspiegel sowie Hangwasser führten in Eschenz zu einem stellenweise sumpfigen Baugelände. In diesen wassergesättigten Sedimenten blieben deshalb organische Hinterlassenschaften wie Bauhölzer und hölzerne Gerätschaften, botanische Makroreste wie Samen und Früchte sowie seltener Objekte aus Leder aus dem 1. und 2. Jh. n. Chr. sehr gut erhalten; Hinterlassenschaften aus dem 3. und 4. Jh. liegen in der Regel stratigrafisch höher 25

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3.3

Erhaltungsbedingungen

Abb. 11: Die Asche des Vesuv-Ausbruchs aus dem Jahr 79 n.Chr. hat die römischen Siedlungen um den Vulkan rasch einsedimentiert. Dies führte beispielsweise in Herculaneum zu ausgezeichneten Erhaltungsbedingungen. Organisches Material blieb verkohlt oder als Negativ in den verhärteten Vulkansedimenten erhalten.

und somit mehrheitlich ausserhalb der günstigen Feuchtbodenbedingungen. Zu Eschenz vergleichbare römische Fundstellen mit mehr oder weniger grossflächigen Zonen mit Feuchtbodenerhaltung finden sich in der Schweiz in Oberwinterthur und Windisch-Schutthügel. Bemerkenswerte römerzeitliche Funde und Befunde aus organischem Material stammen etwa aus Avenches, Yverdon, Cham-Hagendorn und – als Spezialfall aus dem «ewigen» Eis – von Lenk-Schnidejoch. 3.3.2

Holzfunde: von der Entdeckung bis zur Präsentation im Museum

Archäologische Untersuchungen in Zonen mit Feuchtbodenerhaltung – unabhängig von ihrer chronologischen

Zeitstellung – bedingen eine angepasste Grabungstechnik und Infrastruktur. Auch bei sehr guten Erhaltungsbedingungen sind die Hölzer in der Regel weich und zerbrechlich. Beim Freipräparieren muss deshalb mit der notwendigen Vorsicht ans Werk gegangen werden. Eine Beschädigung der Waldkante an einem Pfahl oder einem Kanalbrett kann beispielsweise eine spätere jahrgenaue Dendrodatierung verunmöglichen. Die freigelegten Bauteile und Artefakte aus Holz gilt es bereits während der Grabung immer feucht zu halten. Gerade bei hochsommerlichen Temperaturen oder bei Frostgefahr riskiert man sonst irreversible Schäden an den organischen Hinterlassenschaften. Wenn die Hölzer nämlich austrockenen oder gefrieren, kollabieren die Gefässstrukturen und es entstehen Trockenrisse. Im Extremfall zerfällt das Holz zu Pulver! Um solche Schäden zu verhindern, werden die freigelegten Objekte auf der Grabung mit Plastikfolie umwickelt oder mit feuchten Geotextilmatten bedeckt (Abb. 12). Eine möglichst rasche Dokumentation und Bergung mindert die Gefahr von unbeabsichtigten Verlusten. Die jeweiligen Bauteile und Artefakte werden nach dem Freipräparieren mit einer fortlaufenden Holznummer versehen. Diese ist mit einem ausführlichen Holzprotokoll gekoppelt. Auf diesem werden unter anderem die Koordinaten, der Holztyp (Artefakt, Pfahl, Pfosten, Balken, Brett usw.), der Querschnitt, die Länge, die Lage und der Erhaltungszustand eingetragen. Grundsätzlich werden von Bauhölzern eine Holzarten- und eine Dendroprobe genommen. Bei Holzartefakten (Kämme, Bürsten, Schreibtäfelchen usw.) versucht man, die Holzart möglichst zerstörungsfrei am Objekt zu bestimmen. Während Holzgeräte in jedem Fall geborgen werden, beschränkt man sich bei den Bauhölzern in der Regel auf die oben erwähnten Holzarten- und Dendroproben. Aussergewöhnliche Hölzer (z.B. Sitzbrett einer Latrine, Eckverbindung eines Brunnenkastens, bearbeitete Bauteile) bergen die Ausgräber vollständig oder in Fragmenten. Sie werden meistens ganz gezielt als potentielle Ausstel-

Abb. 12: Um die römischen Hölzer vor zu raschem Austrocknen zu schützen, werden sie während der Grabung mit Plastikfolie umwickelt. Abgedeckte Pfahlköpfe der Grabung Rheinweg (Regest-Nr. 35).

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3.3

Erhaltungsbedingungen

Abb. 13: Nach dem PEG-Bad werden die römischen Holzartefakte – hier ein Korb von der Grabung Haus Zehnder (Regest-Nr. 31) – unter Vakuum gefriergetrocknet.

Abb. 14: Römische Holzfässer aus Eschenz im Museum für Archäologie des Kantons Thurgau in Frauenfeld.

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3.3

Erhaltungsbedingungen

lungsstücke oder als repräsentative Typen ausgewählt und einer Konservierung zugeführt. Nach einer sorgfältigen Reinigung kommen die ausgegrabenen Holzobjekte in ein PEG-Bad. PEG steht für Polyethylenglykol, ein Produkt, das als Teilsubstanz unter anderem in Handseifen und Shampoos vorkommt (Müller 2010, 30–33). Für die Konservierung hat man seine hervorragenden Eigenschaften bei der Entwässerung und Stabilisierung von organischen Materialien entdeckt. Nach Abschluss dieses Prozesses werden die Fundstücke in einen Kühlschrank, dann in einen Gefrierschrank gelegt, wo Restwasser in Eiskristalle umgewandelt werden. Diese können dann mit der Behandlung in der Gefriertrocknungsanlage aus dem Objekt sublimiert werden (Abb. 13). Gefriertrocknung ist die schonungsvollste Trocknungsart für Nassfunde. Durch Vakuum wird ihnen einzig der Wasseranteil entzogen, der in Form von Eiskristallen dem Objekt in Dampfform entweicht.

Bis zu diesem Zeitpunkt spricht man von einer Konservierung, worunter man substanzerhaltende Massnahmen versteht, welche das Artefakt auf keinen Fall unwiederbringlich verändern dürfen. Restaurierungen, in diesem Zusammenhang ein ebenfalls häufiger Begriff, sind bereits kleinere Objekteingriffe ergänzender Art, welche die Lesbarkeit des Fundstücks verbessern. Zur Restaurierung gehört z.B. das Zusammenfügen von Einzelteilen und das Ergänzen von Fehlstellen. Solche Ergänzungen werden farblich angepasst, damit sie nicht zu augenfällig werden (Potthast u. Riens 2002, 38–45). Anschliessend verpackt man die Holzartefakte in geeignete Schachteln mit säurefreien Einlagen und lagert sie im Depot unter kontrollierten Klimabedingungen. Die «Spitzenstücke» werden auf massgefertigte Träger montiert und unter anderem im Museum für Archäologie des Kantons Thurgau in Frauenfeld ausgestellt (Abb. 14).

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4.1

Methodik und Vorgehen

4 Forschungsgeschichte und Rezeption Hansjörg Brem und Barbara Fatzer 4.1

Methodik und Vorgehen

Die Suche nach archäologischen Informationen aus früheren Zeitepochen bildet eine wichtige Voraussetzung für die Auseinandersetzung mit einer Fundstelle wie derjenigen des römischen Eschenz.3 Schon im 16. Jh. versuchte man auch hier Funde mit der bekannten Quellenüberlieferung aus der Antike in Übereinstimmung zu bringen. Archäologinnen und Archäologen greifen beim Thema Forschungsgeschichte gerne auf sekundäre Quellen wie die Fachliteratur oder bekannte, fachspezifische Sammlungen zurück – in der Schweiz bildet dabei das Archiv der Antiquarischen Gesellschaft Zürich ab 1832 den wohl wichtigsten Bestand.4 Primäre Bestände wie Akten, Briefwechsel oder Tagebücher wurden jedoch eher weniger berücksichtigt, vor allem wenn sie nicht im historiografischen oder geografischen, sondern in anderen Bereichen angesiedelt waren. In den meisten archäologischen Fachstellen der Schweiz bildet heute ein «Fundstellenarchiv», das heisst nach Gemeinden und archäologischen Fundstellen geordnete Aktenbestände, die Hauptbasis für forschungsgeschichtliche Fragen. Das ist für den Thurgau und insbesondere für Eschenz nicht anders. Es stellte sich deshalb als erstes die Frage, wie vollständig diese über meist mehr als ein Jahrhundert gesammelten Belege und Informationen sind. Lassen sich anderswo noch brauchbare, zusätzliche archäologierelevante Primärquellen zu Funden und Befunden finden? Solche konnten wir tatsächlich beibringen. Ausgangspunkt bildete dabei die Frage nach biografischen Daten bestimmter Forscherinnen und Forscher. Konkret ging es in Eschenz dabei vor allem um den ersten wichtigen Ausgräber Bernhard Schenk, den Lokalhistoriker Isidor Keller sowie um die ehemalige Kantonsarchäologin Madeleine Sitterding.5 Für unsere Arbeit war es dabei hilfreich, dass in den letzten drei Jahren im Thurgau gleich drei Publikationen6 zu forschungsgeschichtlichen Themen erschienen sind und 3

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Informationen zu diesem Kapitel verdanken wir besonders: Tobias Engelsing, Rosgartenmuseum Konstanz; Beat Gnädinger, Staatsarchiv Zürich; Michel Guisolan, Stadtarchiv Stein am Rhein; Jürgen Klöckler, Stadtarchiv Konstanz; Philipp von Cranach, Historisches Lexikon der Schweiz Bern; Emanuel Weissen, Heinz Bothien und Monika Mosberger, Kantonsbibliothek Frauenfeld; Marlies Wunderli, Stadtarchiv Schaffhausen; Christian Moser, Institut für Schweizerische Reformationsgeschichte an der Universität Zürich; Heidi Amrein und Anne Kapeller, Schweizerisches Nationalmuseum Zürich; Jürg Stüssi und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Bibliothek am Guisanplatz Bern; Familie Hans Graf, Stein am Rhein; Pater Raffael, Katholisches Pfarramt Eschenz; Stiftsarchiv Einsiedeln; Alice Robinson, Zentralbibliothek Zürich. Staatsarchiv Zürich, W I 3. Siehe auch Brem 2008b, 222–223. Biografische Angaben: JbAS 92, 2009, 360–361. Benguerel et al. 2010, 11–39; Brem 2008b; Hasenfratz 2008.

Abb. 15: Seit den 1990er Jahren finden in Unter-Eschenz systematische Grabungen des Amts für Archäologie Thurgau statt. Aufnahme von der Grabung Rheinweg (Regest-Nr. 35) im Jahr 2005.

dass eine immer grössere Zahl von Dokumenten und Verweisen auf elektronischem Weg verfügbar ist. Damit kann gegenüber den früheren forschungsgeschichtlichen Übersichten7 zum römischen Eschenz – sei es in eher lokalen Publikationen, sei es in Gesamtdarstellungen – das eine oder andere ergänzt werden. Es zeichnet sich ab, dass zur Zeit eher nicht mit aussergewöhnlichen «Neufunden» aus der Forschungsgeschichte zu rechnen ist oder dass diese eher von historischem oder biografischem Interesse sind, aber wohl wenig Neues zur Erhellung der archäologischen Situation in Eschenz und Umgebung beitragen werden. Als wichtige Erkenntnis kann auch festgehalten werden, dass sich eine Auswertung der Grabungen des erwähnten Bernhard Schenk durchaus lohnen würde, dies besonders dann, wenn das 1875 entdeckte römische Bad im Gelände noch einmal genauer untersucht würde. 4.2

Die Anfänge: 1500–1720

Die beiden frühesten, schon um Mitte des 16. Jhs. dokumentierten römischen Monumente im Raum Eschenz sind das Kastell auf Burg bei Stein am Rhein (Regest-Nr. 134) sowie die Reste der zweiteiligen römischen Brücke im Bereich der Insel Werd (Regest-Nr. 1). Beide Bauwerke blieben von der Spätantike bis heute sichtbar. Derzeit sind die Aufzeichnungen von Johannes Stumpf 8 die ältesten Belege für eine Beschäftigung mit römischen Altertümern aus der Umgebung von Stein am Rhein und Eschenz (Abb. 16).9 Es ist allerdings möglich, dass sich in noch nicht erschlossenen Archivalien aus dem

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Brem, Bolliger u. Primas 1987, 11–16 mit Anm. 4–16; Benguerel et al. 2010, 151–175, 283–290. Johannes Stumpf, 1500 bis nach 1574. Zur Forschungsgeschichte der provinzialrömischen Archäologie in der Nordostschweiz: Hedinger 2000, 316–325.

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Die Anfänge: 1500–1720

Abb. 16: Johannes Stumpf im Alter von ca. 36 Jahren. Radierung von Conrad Meyer aus dem Jahr 1663 nach einer Vorlage eines Gemäldes von Hans Asper. Abb. 17: Seite 72 recto aus der Chronik von Johanns Stumpf, 1548.

16. Jh. weitere Hinweise auf römische Funde finden lassen.10 Stumpf bringt in seinem 2. Buch, Kapitel V unter dem Titel «Thurgau» einen Abriss der Geschichte von Stein am Rhein und Umgebung. Nachdem er – allerdings zögernd – für den Ort in römischer Zeit den Namen Gaunodurum übernimmt, zählt er ausführlich Spuren aus der Römerzeit im Raum Stein am Rhein und Eschenz auf. Dabei erwähnt er auch Münzen aus Eschenz in seinem eigenen Besitz.11 Es bestehen aufgrund der exakten Beschreibung kaum Zweifel, dass der Autor die Örtlichkeiten gut gekannt hat: Johannes Stumpf war von 1543 bis 1561 reformierter Pfarrer in Stammheim und Dekan des Kapitels Stein am Rhein im Jahr 1547. Die von Stumpf angenommene Verbindung der römischen Ruinen bei Eschenz mit dem bei Ptolemaios 2, 9, 20 aufgeführten 10

11

Stichproben etwa in der Korrespondenz von Heinrich Bullinger (1504–1575) zeigen Hinweise auf archäologische Funde wie Münzen sowie die engen Beziehungen zwischen den Humanisten im früheren 16. Jh. Auch der Austausch von schriftlichen Informationen über Altertümer gehörte dabei zu deren Interessengebieten. Bis heute nicht nachgewiesen sind dagegen Informationen zu römischen Funden im Raum Stein am Rhein in der Korrespondenz italienischer Humanisten zur Zeit des Konstanzer Konzils im früheren 15. Jh. Stumpf 1548, V, Kap. 13, p. 69 v (zur Brücke), V, Kap. 13, p.72 r.

Gaunodurum12 war keineswegs unumstritten, blieb aber bis zu den Inschriftenfunden nach 1875 gebräuchlich (Abb. 17). Eine kurze, unsystematische Suche bei anderen Autoren im Umfeld von Stumpf erbrachte vor allem die Erkenntnis, dass sich besonders in der umfangreichen Korrespondenz der Reformatoren und Humanisten durchaus noch Hinweise auf «Archaeologica» verbergen könnten, nicht ausgeschlossen auch zur Gegend von Eschenz und Stein am Rhein (Abb. 18). Vadian13 erwähnt zwar in seinen Schriften die Insel Werd als Verbannungsort des heiligen Otmar, führt aber keine Details auf. Aegidius Tschudi, der etwas früher als Stumpf seine Materialsammlung «Gallia Comata» erstellte, die erst 1758 gedruckt wurde, erwähnt von Burg/Stein die spätantike Inschrift, nicht aber Brückenreste.14 Auch dies weist darauf hin, dass es sich bei den sehr ausführlichen 12

13 14

Stückelberger u. Grasshoff 2006, 215 (wird dort als Verschreiber von Salodurum interpretiert). Frühere Lokalisierungen bereits Beatus Rhenanus (1531), 129 (Laufenburg AG), skeptisch ist Pupikofer 1828, 23. Zu Vadian siehe Schindler 2006; zur Werd Vadian 1875, 146. Tschudi 1758, 135.

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4.3 Vermessung und Skizzen: 1720–1820

Abb. 18: Die Reste der römischen Brückenjoche aus Eichenholz im Bereich der Insel Werd sind auch heute noch am Flussgrund sichtbar. Aufnahme aus dem Jahr 1992.

Bemerkungen von Stumpf um eigene, neue Erkenntnisse handelt. Seine Angaben werden in der späteren Literatur bis ins 19. Jh. wiederholt zitiert, es lässt sich dabei nur selten annehmen, dass dahinter effektiv eigene Forschungen oder Beobachtungen der Autoren standen.15 4.3 Vermessung und Skizzen: 1720–1820 Im frühen 18. Jh. beginnt die eigentliche Dokumentation der römischen Reste in der Region. Wie schon im 16. Jh. spielen reformierte Pfarrherren des politisch, kulturell und wirtschaftlich eng mit Zürich verbundenen Stein am Rhein dabei eine wichtige Rolle. Zu den frühesten Zeugnissen von römischen Bodenfunden gehören die Pläne, die der Vermesser Jacob Schäppi für die Stadt Stein am Rhein um das Jahr 1726 anfertigte. Im Unterschied zu einem Güterplan der Herrschaft Freudenfels (welche Eschenz einschloss) von 1759 führen die Pläne 15

Guillimann 1598, 95–96; Steiner 1684, 27: «Gaunodurum ist ein ungewisses Ort»; 355–358 zu Stein am Rhein, 356 Hinweise auf «Rudera» und Hinweis auf Joche der Brücke; Riegel 1685, 728–729 (ohne Hinweise auf die Brücke).

von Schäppi die Reste der römischen Brücken über die Insel Werd deutlich auf, wobei allerdings nicht ganz klar ist, ob es sich um eine ungefähre Skizze oder um eine detaillierte Planaufnahme der Joche handelt.16 In einem speziell für die römischen Ruinen angefertigten Plan von Johann Leonhard Vetter aus dem Jahr 1781 wird explizit auf die römischen Brückenüberbleibsel im Bereich der Insel Werd hingewiesen und diese – allerdings summarischer als auf den Plänen von Schäppi – eingezeichnet (Kapitelbild). Hauptaugenmerk gilt auf dieser Skizze dem römischen Kastell auf Burg. Der Zeichner Vetter (1728–1808) war selber in Stein am Rhein ansässig und übte dort 52 Jahre lang sein Amt als Schulmeister aus.17 Der Plan von 1781 ist in ein Manuskript mit Angaben zur römischen Geschichte von Stein am Rhein eingebunden. Etwas früher ist der in den Leu’schen Manuskripten aufbewahrte Text «von der alten Stadt Gaunoduro», dessen Autor unbekannt geblieben ist.18 Nach den darin enthaltenen Daten muss das Schriftstück nach 1748 und vor 1755 entstanden sein, gehört also in die Zeit des erwähnten Johann Leonhard Vetter. Der Bericht bezieht sich wieder auf die Brücke, er erwähnt auch, dass ein Teil der von Fischern ausgerissenen Pfähle von rund 2,10 m Länge eiserne Pfahlschuhe besass. Hier findet sich auch der Hinweis auf ein Südende des Brückenkopfs in Eschenz, von dem im Jahr 1719 Quadersteine nach Stein am Rhein verkauft worden seien. Ob diese Steine direkt mit einem Brükkenkopf zusammenhingen, wird aus dem Text nicht ganz klar. Wie schon in früheren Berichten ist auch hier die Rede von Münzfunden, besonders aus dem Rhein. Leu nimmt im gedruckten Band seines Lexikons19 nicht alle vorherigen Informationen auf. Einen besonderen Platz unter der Überlieferung aus dem 18. Jh. nimmt der heute verschollene, aber von Pfarrer Johannes Koller überlieferte Inschriftenstein ein. Dieser trägt eine Weihinschrift an den Flussgott Rhenus des Quinctus Spicius Cerealis, Statthalter um 181 bis 185 n. Chr. in Rätien.20 Franz Ludwig Haller von Königsfelden (1755–1838), dessen umfassendes Werk über die Schweiz zur Römerzeit um 1800 entstanden ist, erwähnt von Eschenz die bereits früher bekannten Funde und Befunde, so das Kastell, Münzen sowie die Rheinbrücke. Haller spricht auch von einer silbernen Münze des Domitianus aus dem Rhein, die er persönlich von einem Knaben erhalten habe.21 Hinweise auf Münzfunde im Bereich der Insel Werd finden sich seit Stumpf immer wieder. Wir können vorläufig festhalten, dass vor dem frühen 19. Jh. nur wenig gezielte Dokumentationen über römische Funde oder Begehungen in Eschenz und Stein stattgefunden haben. Einige der Berichterstatter dürften dabei die Örtlichkeiten tatsächlich besucht haben oder waren dort ansässig. 16 17 18 19 20 21

Frömmelt 1984, 225–226; Birchmeier 1997a; Birchmeier 1997b. Rippmann in: Urner-Astholz et al. 1957, 275–277; Birchmeier 1997a; Birchmeier 1997b. ZB Zürich, MS L 488, p. 669–679. Unbekannter Autor. Erster Druck bei Keller 1860, 274–280. Leu 1754, Band 8, 250–251. Lieb in: Höneisen 1993, 159–160; Benguerel et al. 2010, 154 Abb. 4. Von Haller von Koenigsfelden 1812, 136.

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Ein Jahrhundert der Entdeckungen: 1820–1920

Ausserdem wurde – und das bleibt noch bis gegen Ende des 19. Jhs. so – am falschen antiken Namen Gaunodurum festgehalten. Interessant ist, dass seit dem 16. Jh. die engen Beziehungen der reformierten Geistlichen zwischen Zürich und Stein am Rhein auch zum Austausch von Informationen über Altertümer der Gegend geführt haben. Das nahe unter der Herrschaft des Klosters Einsiedeln stehende Eschenz wurde dabei etwas weniger beachtet, als das reformierte Stein.22 Die Reformierten aus Eschenz sind übrigens seit Ende des 16. Jhs. der Pfarrei «Auf Burg», also der Kirche im ehemaligen römischen Kastell, kirchengenössig.23 Dies nachdem sie sich während einiger Zeit mit den Katholiken die nach 1738 abgegangene St. Vitus-Kirche in Unter-Eschenz geteilt hatten, wie es in manchen thurgauischen Kirchgemeinden in ihren simultanen oder paritätischen Kirchen üblich war. 4.4 Ein Jahrhundert der Entdeckungen: 1820–1920 Ein wesentliches Merkmal der Forschungsgeschichte des 19. Jhs. ist, dass sich nun ortsansässige Personen intensiv mit der Lokalgeschichte und Bodenfunden befassen, und dass die ersten, wirklich dokumentierten Grabungen vorliegen. Über Zeitungen und Fachzeitschriften verbreiten sich auch die Erkenntnisse darüber wesentlich schneller als durch die teuren Bücher. Am Übergang zwischen dem 18. und 19. Jh. ist der Eschenzer Schulpfleger und Lokalhistoriker Isidor Keller eine Forscherpersönlichkeit, die sich für die Bodenfunde in der Gemeinde interessiert und einige davon dokumentiert. Während seiner Wirkungszeit beginnt auch die Tätigkeit der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, deren Korrespondenz- und Sammeltätigkeit die Informationsmenge zu archäologischen Funden anschwellen lässt. Isidor Keller wurde 1792 geboren und stammte aus einer angesehenen Eschenzer Familie, sein Vater war Uhrmacher, sein Grossvater Stabhalter beim Freudenfelser Gericht. Der älteste Sohn von neun Geschwistern konnte zwischen 1816 und 1820 in Luzern – dank eines Stipendiums des Kellerschen Familienfonds – wahrscheinlich Theologie studieren. Er schloss aber sein Studium nicht ab. Ein erstes Manuskript samt Zeichnungen von ihm enthält Sagen und Erzählungen aus der Unterseegegend.24 1826 verfasste Keller eine erste Dorfgeschichte, die mit der keltisch-helvetischen Zeit beginnt. Es ist nicht sicher, dass er immer selbst Augenzeuge war, aber er beschreibt darin ausführlich, wie seine Eschenzer Mitbürger auf Brückenpfähle, Mauerreste, Skelette und «alte Überbleibsel» in der Erde stiessen, die er zum Teil in die römische Zeit verweist (Abb. 19). Keller scheint einen Teil der damaligen historischen Literatur gekannt zu haben (vielleicht auch das oben erwähn22

23 24

Eine 2010 erneut gestartete Anfrage ans Kloster Einsiedeln erbrachte, dass keine Fundgegenstände aus Eschenz im Kloster dokumentiert sind; es fehlt aber nach wie vor eine Bestätigung aus dem Münzkabinett des Klosters, siehe dazu: Grünwald 1946, 6, 65, 124; alle dort erwähnten Stücke ohne Provenienzangabe. Keller 1857. Keller 1809.

Abb. 19: Manuskript Isidor Keller 1826. Bei der abgebildeten Münze handelt es sich um eine Prägung aus dem frühen 4. Jh. n.Chr. Der Text lautet: «… Münzen, deren ich selbst schon gesehen habe auf einer Seite steht gemeiniglich die Bildniss eines Kaisers von Rom auf der anderen ein Gott der Heiden. Letzten Sommer war ich selbst dabey als Stephan Ullmann folgende Münze unten an Burg herwärts Vorderbrücke gefunden hatte. All dies ereignete sich bei Manns-Denken, vielleicht könnten uns noch frühere Zeiten sicherere Daten liefern, allein sind diese entweder nicht aufgezeichnet worden, oder wenn auch nicht zu uns gekommen.»

te Manuskript25), zitiert aber nicht genau, dafür fehlte ihm auch der entsprechende wissenschaftliche Hintergrund. Was aber in Eschenz zu seiner Zeit passiert, dokumentiert Keller, denn ihm ist die historische Bedeutung seines Heimatorts bewusst. Er beweist dabei eine eigenständige Interpretation für die vorgeschichtlichen Ereignisse in seiner nächsten Umgebung. So etwa leitet er den «Vendelbach» [Fennenbach] vom lateinischen Wort vendere (verkaufen) ab: «Hier nahm die Stadt ihren Anfang und verbreitete sich längs dem Gestade über die gegenwärtige Gemeinden Eschenz, Vorderbrugg, Waagenhausen und Reichlingen. Ein Theil davon lag noch auf dem Rechten Rheinuffer, wo die gegenwärtige Stadt Stein stehet. So dass die Insel Werd in ihrer Mitte stund.» Nach ihm gab es auch zwei prähistorische Städte: zuerst die oben erwähnte, welche die Helvetier dann aber selbst in Schutt und Asche legten vor ihrem Auszug nach Südwesten. Bei ihrer erzwungenen Rückkehr hätten sie nur noch auf dem rechten Rheinufer gesiedelt: «… und die Stadt erhielt bald wieder die vorige Grösse.»26

25 26

Schinz ohne Jahrgang. Keller 1826.

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4.4 Verdient gemacht um die Geschichte von Eschenz hat sich Isidor Keller aber vor allem mit seiner genauen Auflistung der Häuser und deren Besitzverhältnisse für die 1. Hälfte des 19. Jhs., wie auch mit seinen farbigen Zeichnungen von einzelnen Gebäuden sowie Karten. Wertvoll ist auch sein Beschrieb und die Nachzeichnung der ehemaligen St. Vitus-Kirche in Unter-Eschenz, über die er sich bei «Greisen» – also unter Verwendung von oral history! in Kenntnis setzte, da er diese nicht mehr mit eigenen Augen gesehen hatte. Dass Eschenz zur keltisch-römischen Zeit nicht Gaunodurum geheissen hat, sondern Tasgetium, erlebte der geschichtsinteressierte Keller nicht mehr. Er starb 1872 kurz vor der Entdeckung der entsprechenden Inschriften (1875). Da er selbst keine Nachkommen hatte, wurde sein schriftlicher Nachlass auseinandergerissen. Ein Teil kam in die Hände von Eschenzer Pfarrherren, so dass schliesslich einiges im Pfarrarchiv und in der Stiftsbibliothek Einsiedeln bewahrt blieb, anderes erhielten Verwandte und der Rest, darunter bestimmt auch Briefe, ging verloren. Grosses Interesse weckte auch bei Keller das im April 1829 aufgedeckte Frauengrab aus dem frühen Mittelalter, das unter anderem eine wiederverwendete Ziegelplatte enthielt, die eine kursive, lateinische Inschrift trägt, die später als Zitat aus der Aeneis von Vergil gelesen wird (Regest-Nr. 71, Abb. 250). Genau dieser Fund lockte auch den interessierten Thurgauer Regierungsrat Johann Jakob Freienmuth auf den Platz, der – so zeigen es seine Tagebücher – grosses Interesse an archäologischen Funden hatte.27 Eine entscheidende Rolle für die Fundgeschichte des frühen 19. Jhs. übernahm der auf Schloss Steinegg unweit von Hüttwilen wohnende Bernhard Zeerleder, Berner Patrizier und Schwiegersohn von Ludwig Haller.28 Zeerleder kaufte wichtige Neufunde aus Eschenz, so den Grabinhalt von 1829 und den von Isidor Keller gezeichneten Aureus des Marc Aurel.29 Der Besitzer des Schlosses Steinegg bei Hüttwilen taucht auch in der Korrespondenz der Antiquarischen Gesellschaft Zürich und in der Korrespondenz von Heinrich Meyer-Ochsner auf; dies zuletzt nach seinem Tod im Jahr 1862, als unklar ist, wer den Nachlass übernimmt. Nachdem der Kanton Thurgau trotz einer Beurteilung des Nachlasses durch Johann Adam Puppikofer keinen Ankauf tätigt und es offenbar zu Diebstählen gekommen ist30, gelangen die übrigen Sammlungsstücke in den Besitz der Antiquarischen Gesellschaft Zürich und von da später ins Schweizerische Landesmuseum (heute: Schweizerisches Nationalmuseum). Die Sammlung von Zeerleder wird auch in der Korrespon-

27 28 29 30

Freyenmuth 1829; TB 34, 1894, 63. Bernhard Zeerleder von Steinegg (1788–1862) übernahm Schloss Steinegg 1814 und war damit einer der vier grössten Grundbesitzer im Thurgau. Zu Steinegg: Raimann u. Erni 2001, 183–188. Brem 2008b, 225, Abb. 57. Nachlass Heinrich Meyer-Ochsner (1800–1871). Zentralbibliothek Zürich, Handschriftenabteilung. Ms m 55.208, Brief vom 23. Jan. 1863. Von J.A. Pupikofer, Frauenfeld, an ungenannten Adressaten, wahrscheinlich Heinrich Meyer-Ochsner, Zürich (Abschrift im Inventar der Fundmünzen der Schweiz in Bern).

Ein Jahrhundert der Entdeckungen: 1820–1920

Abb. 20: Glasfund von Grünegg ob Eschenz mit originaler Etikette, vermutlich aus den Grabungen des Historischen Vereins um 1860 (Regest-Nr.121).

denz von dessen Freund Joseph von Lassberg31 (1770–1855) und von Annette von Droste-Hülshoff (1797–1848) erwähnt und war somit bei gelehrten Kreisen in der Bodenseeregion bekannt. Zeerleder und Lassberg belegen, dass sich auch im Thurgau Angehörige der Oberschicht mit archäologischen Funden befassten. Bernhard Zeerleders Bedeutung für die archäologische Forschung in der 1. Hälfte des 19. Jhs. ist heute noch kaum erforscht.32 Die bis in die 1. Hälfte des 19. Jhs. bekannten Funde, vor allem die Inschriften aus Stein am Rhein-auf Burg, werden in den von der Antiquarischen Gesellschaft Zürich initiierten Sammlungen zu römischen Inschriften in der Schweiz aufgenommen oder in der Zusammenfassung von Ferdinand Keller zu römischen Ansiedelungen in der Ostschweiz erwähnt. Sie fanden auch Eingang in Mommsens Liste der römischen Inschriften in der Schweiz.33 Substantielle Hinweise auf Fundstellen oder auch Einzelfunde fehlen weitgehend, obwohl schon vor und um 1860 auf der so genannten Grünegg ob Eschenz Ausgrabungen durchgeführt wurden (Regest-Nr. 121). Seit 1859 ist der Historische Verein des Kantons Thurgau auch bei Ausgrabungen aktiv. Über diese punktuellen Unternehmungen ist noch wenig bekannt, auch wenn einzelne Funde von damals im Bestand des Amts für Archäologie vorhanden sind (Abb. 20). Tatsächlich war es dann aber der ortsansässige Privatmann Bernhard Schenk, der erstmals systematische Grabungen im vicus durchführte. Zwar ist von seiner Grabungsdokumentation, auf die es Hinweise gibt, bis heute wenig bekannt, doch 31

32

33

HLS 7, 2007, 659; siehe dazu das Schreiben von Lassberg vom 29. März 1837 an (vermutlich) Heinrich Meyer-Ochsner in Zürich, ZB Zürich, Handschriftenabteilung Ms m 56.130 (Abschrift Inventar der Fundmünzen der Schweiz), der Brief führt verschiedene Funde in Zeerlederschem Besitz auf, so auch den Aureus des Marc Aurel und die «Oceanos-Inschrift». Siehe etwa den Dank von Albert Jahn in seinem Buch Emmenthaler Althertümer und Sagen, Bern 1865, das Zeerleder gewidmet ist. Siehe auch: Erinnerungen an Bernhard Zeerleder von Steinegg. Gedruckt für dessen Freunde in der Zahl von hundert Exemplaren. Bern, 1864. Dort S. 23, wo Zeerleder unter seinen Besitztümern «die Ruinen von zwei römischen Niederlassungen» aufführt. Der schriftliche Nachlass von Zeerleder in der Burgerbibliothek Bern wurde für diese Arbeit nicht konsultiert. Mommsen 1854, 56–57, Nr. 271–273.

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Ein Jahrhundert der Entdeckungen: 1820–1920

lassen sich vor allem aus seinen Briefen wichtige Informationen gewinnen. Die Grabungen von Bernhard Schenk sind die ersten bekannten systematischen archäologischen Untersuchungen im Gemeindegebiet von Eschenz und förderten wichtige Funde und Befunde zu Tage. Bernhard Schenk34 zog 1873 von Mammern nach Eschenz. Er bezeichnete sich selbst als «Naturalist» und gelernter Bäcker, er war aber auch als Gärtner tätig. Er beschäftigte sich seit den späten 1850er Jahren mit Fossilien und gehörte schnell zu den bedeutendsten Sammlern in der Region. Die Gewinnung und der Handel mit Fossilien sowie der Verkauf ganzer Sammlungen an Schulen bildete die Haupterwerbsquelle des rührigen Mannes, der sich seine Kenntnisse im Selbststudium angeeignet hatte.35 Es gelang Schenk nicht nur, ergiebige Fundstellen zu entdecken, er beutete auch die bekannten Öhninger Fossilienfundstellen aus und nahm eine wichtige Position in der Naturforschenden Gesellschaft Schaffhausen ein. Schenk spielte bei für die Archäologie wichtigen Fundstellen eine Rolle, so beim Kesslerloch in Thayngen, den Grabhügeln von Hemmishofen-Sankert sowie vor allem in der Zeit um 1875 sowie 1881/1882 in Eschenz und Stein am Rhein. Wie die erhaltenen Briefwechsel und Akten im Stadtarchiv Stein am Rhein zeigen, war Schenk chronisch knapp bei Kasse und seine freundschaftliche Beziehung zum Konstanzer Ludwig Leiner basierte auch darauf, dass dieser einer seiner Hauptkunden war. In späteren Jahren musste sich Schenk auch mit Dioramen36 versucht haben; einer seiner Söhne wurde Präparator.37 34

35

36 37

*9.4.1833 Schaffhausen, +13.10.1893 Ramsen, bis 1861 in Basel, darauf in Schaffhausen und Mammern. 4.8.1856 Heirat mit Susanne Siegerist von Schaffhausen, vier überlebende Kinder. 1873–1880 in Eschenz, 1880–1886 in Stein am Rhein Haus «zum Rosengarten», 1888 bis zum Tod in Ramsen. 1878 Gesuch um Pacht des Schlosses Hohenklingen für eine Naturaliensammlung. Der noch von Jakob Heierli erwähnte Nachlass existierte nach diversen Abklärungen schon in den 1930er Jahren nicht mehr. Akten zu Schenk: Stadtarchiv Schaffhausen, D I 02.521.258 (darunter Teile des Manuskripts des Artikels Schenks 1884), Briefe im Stadtarchiv Konstanz, Staatsarchiv Zürich, Museum zu Allerheiligen in Schaffhausen und ETH Bilbliothek Zürich; Stein am Rhein, Stadtarchiv, Ratsprotokolle. Gedruckte Quellen: HBLS 6, 1931, 158; T. Waldvogel, I. Rechenschaftsbericht von Dr. T. Waldvogel über seine 25jährige Tätigkeit als Regierungsrat und Nationalrat von 1919 an. II. Jugenderinnerungen von Dr. T. Waldvogel, Thayngen 1930, 84–85; Übersicht über die Entwicklung der naturwissenschaftlichen Forschung im Kanton Schaffhausen und Chronik der Naturforschenden Gesellschaft Schaffhausen für das Jahr 1922/1923, Heft 2, Schaffhausen 1923, 1–19; F. Schalch, Bernhard Schenk, Nekrologe zu den Verhandlungen der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft Schaffhausen 1894; L. Leiner, Berichte zu Entwicklung und Stand des Rosgarten-Museums zu Konstanz 1893, Beilage 3, 4–5; Steiner Anzeiger vom 20.10.1893; Tagblatt für den Kanton Schaffhausen, 17.10.1893 und 22.10.1893; Schaffhauser Intelligenzblatt 18.10.1893 und 27.10.1893; NZZ 20.10.1893. Wie aus einem Brief von Ferdinand Keller an Jakob Messikommer vom 20. November 1873 hervorgeht, waren die führenden Köpfe der Antiquarischen Gesellschaft Zürich Schenk gegenüber skeptisch: STAZH W I 3, 174.32 Nr. 218. So 1890 zu einer landwirtschaftlichen Ausstellung in Ramsen, siehe Schaffhauser Intelligenzblatt vom 7.10.1890. August Schenk, 1.11.1858 bis 29.1.1949 in Ramsen, Präparator und Gärtner. Nachruf: Steiner Anzeiger 31.1.1949.

Abb. 21: Bernhard Schenk berichtet Ferdinand Keller in Zürich am 20. Januar 1875 von der Entdeckung des römischen Bads in Eschenz.

Wie die erst seit kurzer Zeit bekannten Unterlagen im Nachlass des Konstanzer Apothekers und Museumsgründers Ludwig Leiner38 zeigen, war Schenk mit diesem spätestens seit 1868 befreundet und die Beziehung dauerte bis zum Tod Schenks im Jahr 1893 (Abb. 21). Der rührige Schaffhauser Schenk vermittelte oder verkaufte Leiner vor allem Fossilien und Mineralien für dessen Sammlungen. Ludwig Leiner hatte schon um 1870 damit begonnen, die Sammlungen in Konstanz systematisch auszubauen und kaufte in weitem Umfeld Altertümer zusammen39. Es ist anzunehmen, dass der Konstanzer vor allem an der Vergrösserung der eher schwach bestückten römischen Sammlung interessiert war und auf seinen bewährten und mit ihm befreundeten Mann zählen konnte. Dieser hatte bei Grabungsversuchen und Beobachtungen, etwa während des Bahnbaus, festgestellt, wie viel im Boden von Eschenz zu finden war (Abb. 22). Die im Winter 1874/1875 ausgeführten Ausgrabungen des römischen Bads (Regest-Nr. 82) wurden nicht durch 38 39

1830–1901; Stadtarchiv Konstanz, Familienarchiv Leiner, A 128, 15–49. Sfedu 2007, besonders 64–120.

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Ein Jahrhundert der Entdeckungen: 1820–1920

Abb. 23: Abrechnung über die Grabungen 1875 durch Bernhard Schenk.

Abb. 22: Altarstein mit Weihung an Fortuna. Fotografie nach Gipsabguss. Das Original befindet sich im Rosgartenmuseum Konstanz.

Ludwig Leiner wissenschaftlich begleitet. Dieser kaufte aber für 1500 Franken alle Funde40. Der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich erstattete Schenk dabei einen detaillierteren Bericht als seinem Mäzen Leiner.41 Schenk schrieb noch im Frühjahr 1875 nach Zürich, dass nun zu entscheiden sei, ob die Funde nach Frauenfeld oder Konstanz gelangten. Vielleicht versuchte er vorher noch mehr Geld herauszuholen.42 Der Kaufpreis ist relativ hoch, übertrifft er doch deutlich einen Jahreslohn eines damals qualifizierten Arbeiters (Abb. 23). In der Folge gelangen Funde aus Eschenz über Ludwig Leiner auch anders wohin, wie ein Dankesschreiben des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg an Leiner vom 20.5.1879 bezeugt.43 Obwohl die bislang bekannten Hinweise und Skizzen sowie der später von Leiner initiierte Grundrissplan zum römischen Bad viele Informationen bieten, fehlt bis heute ein detailliertes Fundverzeichnis bzw. eine umfassende Dokumentation der Grabungen. Dies hat lange zur kuriosen Situation geführt, dass der Standort des grössten bekannten römischen Gebäudes in Eschenz nicht genau bekannt war. Bis anhin liegt nur ein Verzeichnis der Eschenzer Funde aus dem Jahr 1939 vor.44 Daraus geht hervor, dass die Funde aus dem Bad selber nur einen Teil der von Schenk nach Konstanz verkauften Eschenzer Funde ausmachten. Darunter waren allerdings auch die beiden Inschriftenfragmente, welche die Frage nach dem Ortsnamen klärten. Die Fundstelle wurde nach den Grabungen eingedeckt und erst im Herbst 2010 mittels geophysikalischer Methoden genau lokalisiert. Von den Grabungen im Badegebäude bestehen 40 41 42 43 44

Stadtarchiv Konstanz, Familienarchiv Leiner, A 128, 21. Staatsarchiv Zürich, W I 3, 174, 34, 487–496. Staatsarchiv Zürich, W I 3, 174, 34, 495. Stadtarchiv Konstanz, Familienarchiv Leiner, A 1, 40a (Fragmente des Ziegelbodens aus dem Badegebäude). Stadtarchiv Konstanz, Familienarchiv Leiner, A 346, 81.

Pläne und Skizzen. Aus den Briefwechseln mit Schenk nach Zürich und Konstanz lassen sich überdies sehr viele Detailinformationen entnehmen. Sowohl im Thurgau als auch in Zürich bei der AGZ war das Interesse an Funden aus diesen Grabungen gross. Heute befinden sich solche aus dem Bad sicher in Zürich im Nationalmuseum sowie im Rosgartenmuseum Konstanz. Die Arbeiten von Bernhard Schenk lösten in weiteren Gelehrtenkreisen Interesse aus. In der Folge wurden nicht nur die beiden neuen Inschriften diskutiert, sondern auch die seit 1829 nicht entzifferte kursive Inschrift erfuhr durch Karl Zangemeister45 endlich des Rätsels Lösung. Schenk fasste erst in einem kurzen Aufsatz von 1884 seine Forschungen zusammen. Schon direkt nach den Ausgrabungen im Bad verfasste Johann Jakob Christinger46 eine Zusammenfassung der Ergebnisse. Der Genfer Gelehrte Charles Morel47 konnte auch die richtige Benennung des vicus von Eschenz mit dem bei Ptolemaios genannten Tasgetium (oder Tasgaetium) unter Beizug der neuen Inschriften bekräftigen. Dabei blieb es dann in der Folge, auch wenn die Schreibweise des antiken Namens bis heute nicht endgültig geklärt ist.48 Schenk grub sicher in Eschenz schon 1875 an weiteren Stellen (Regest-Nr. 122, 126), dabei scheinen auch die Wasserstände des Rheins und des Untersees eine Rolle gespielt zu haben, wird doch Schenk im Winter 1881/1882 nach längerem Unterbruch bei einem extremen Niedrigwasser wieder aktiv (Abb. 24). Man darf annehmen, dass die Grabungen in Eschenz wohl die Möglichkeiten Schenks überstiegen, da sie grosse Erdbewegungen erforderten. Er meinte deshalb folgerichtig 1884: «Weitere Nachgrabungen sind bis jetzt unterblieben, da Unterhandlungen der Antiquar. Gesellschaft des Kantons Thurgau (gemeint ist der Historische Verein) zu keinem Ziele 45 46

47 48

Karl Zangemeister (1837–1902), Philologe und Bibliothekar an der Universität Heidelberg. Johann Jakob Christinger (1836–1910), Theologe, von 1875 an Pfarrer in Hüttlingen. M. Luginbühl, Johann Jakob Christinger (1836– 1910), Pfarrer, Schriftsteller und Sozialpolitiker. TB 132, 1995, 71– 80. Charles Morel (1837–1902), ab 1874 Professor für Archäologie in Genf, HLS 8, 2009, 719. Urner-Astholz 1939; siehe dazu Rudolf Laur-Belart in JbSGU 33, 1942, 71–72, der für Tasgaetium postuliert. Wir halten uns an Lieb in: Höneisen 1993, 158–159.

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Abb. 24: Lokalisierung der Grabungen von Bernhard Schenk im Raum Stein am Rhein. Grabungen Schenks 1875/1876; Grabungen Schenks 1881/1882. Reproduziert mit Bewilligung des Amts für Geoinformation des Kantons Thurgau vom 20.4.2011.

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4.5

Karl Keller-Tarnuzzer und Hildegard Urner-Astholz

Abb. 25–26: Vermessung der römischen Brückenreste im Bereich der Insel Werd im Herbst 1898. Aufnahmen aus dem Besitz von Jakob Heierli, Repros aus der Fotodokumentation von Karl Keller-Tarnuzzer aus den Jahren 1931–1935.

führten. – Für den einzelnen wären die Kosten der Ausgrabung zu stark; in solchen Fällen können nur vereinte Kräfte etwas ausrichten.» Es wäre interessant zu wissen, ob die schwierigen Bodenverhältnisse in Unter-Eschenz tatsächlich die Grabungstätigkeit im 19. und 20. Jh. einschränkten. Möglich wäre dies schon, denn noch bei den Grabungen im 21. Jh. bildet die Grundwassersituation in vielen Fällen ein technisches Hindernis für die Ausgrabungstätigkeit. Dank der Grabungen Schenks war am Ende des 19. Jhs. wesentlich mehr über die römische Siedlung bekannt. Dies lässt sich auch in der ersten Zusammenfassung zu archäologischen Fundstellen im Thurgau aus der Feder von Jakob Heierli (1853–1912) feststellen.49 Heierli ging den Spuren Schenks nach und zwar so weit, dass er sogar die Protokolle des Historischen Vereins des Kantons Thurgau nach Hinweisen durchsuchte und mit dem Sohn Schenks in Ramsen Kontakt aufnahm. Die nächste wichtige Intervention im Gelände war die Dokumentation der römischen Brückenreste durch Heinrich Leuthold, Adrian Meinecke und Ernst Rippmann (Abb. 25–26) (Regest-Nr. 5).50 In den Jahrzehnten nach 1876 blieb es aber bei kleineren Untersuchungen. So wurde der Historische Verein des Kantons Thurgau bei Grabfunden 1913 im Bereich des Bauprojekts der Käserei (heute Post, Oberdorf, Regest-Nr. 108) aktiv. Einige Funde aus den aufgedeckten Brandgräbern kamen daraufhin in die Sammlung des Vereins nach Frauenfeld. An dieser Stelle kann ergänzend auch darauf hingewiesen werden, dass um 1900 das spätrömische Kastell «auf Burg» bei Stein erforscht wurde. Im Unterschied zu vielen anderen römischen Siedlungen in der Schweiz lag Eschenz im 19. Jh. abseits der wichtigen Entwicklungsgebiete der Schweiz und war auch sonst nicht im Brennpunkt wissenschaftlichen Interesses. 49

50

Heierli 1896, 132–134; Aus den Abschriften der heute im Original verschollenen, so genannten «Notizbüchern Heierli» geht hervor, dass sich Heierli 1895 beim Sohn von Bernhard Schenk um Unterlagen zu den Ausgrabungen seines Vaters bemühte, siehe dazu die typografierten Auszüge in den Landesakten im Schweizerischen Nationalmuseum Zürich, Sektion Archäologie unter dem Stichwort «Eschenz». Rippmann 1900; Meinecke 1902/1903.

Eigentliche Forschung (wenn auch mit vorwiegend kommerziellen Absichten) wurde im 19. Jh. vor allem durch Schenk betrieben, dessen Funde gelangten aber häufig nach Konstanz und blieben somit im Ausland. Die diversen kleineren Interventionen blieben in der Regel undokumentiert und es sind nur wenige Funde bekannt geworden. Grösseres Interesse erweckten aber die Inschriften und vor allem die so genannte «Oceanos-Platte» (Abb. 250). 4.5

Karl Keller-Tarnuzzer und Hildegard Urner-Astholz: 1920–1977

Nach 1913 änderte sich die Rechtslage für archäologische Untersuchungen in der ganzen Schweiz, indem nun die Kantone per Gesetz zu Besitzern von Altertümern mit wissenschaftlichem Wert wurden. Die bereits vom Historischen Verein des Kantons Thurgau und seinem Präsidenten Gustav Büeler mit Engagement betriebene archäologische Forschung erlebte 1923 mit der Wahl von Karl Keller-Tarnuzzer (1891–1973)51 zum Konservator der ur- und frühgeschichtlichen Sammlung ihren Durchbruch. Keller-Tarnuzzer ordnete und inventarisierte nicht nur die Sammlung, er schuf auch die archäologische Landesdokumentation und führte spektakuläre Grabungen im ganzen Kanton durch. Im Sammelband «Urgeschichte des Thurgaus» aus der Feder von Karl Keller-Tarnuzzer und Hans Reinerth wurde das bisher Bekannte zum vicus Tasgetium zusammengefasst (Abb. 27). Keller-Tarnuzzer stützte sich dabei vor allem auf die gedruckten Informationen sowie das ihm im Thurgau und im Schweizerischen Landesmuseum in Zürich (heute Nationalmuseum) zur Verfügung stehende Material; dort wurde damals auch das Archiv der Antiquarischen Gesellschaft Zürich aufbewahrt. Keller-Tarnuzzer ergänzte zwar später die Zusammenfassung durch periodische Folgeberichte in den Thurgauischen Beiträgen zur vaterländischen Geschichte, die Erforschung des römischen Eschenz gehörte aber eindeutig nicht zu seinen hauptsächlichen Interessensgebieten. Man darf vermuten, dass sich der Autodidakt in 51

Brem 2008b, 228–231.

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4.5

Karl Keller-Tarnuzzer und Hildegard Urner-Astholz

Abb 27: Karte der römischen Fundstellen aus Keller u. Reinerth 1925, 111, Abb. 18.

der bereits stark akademisierten Römerforschung nicht so sattelfest fühlte (Abb. 28–29). In den späten 1920er Jahren besuchte der Villinger Gymnasiallehrer und Heimatforscher Paul Revellio (1886– 1961)52 Eschenz und stellte die These auf, dass im Bereich von Unter-Eschenz ein «Holz-Erde-Kastell» der frühen Kaiserzeit gelegen habe.53 Revellio führte dafür ausschliesslich topografische Argumente auf, so kamen für ihn die erste Geländeterrasse über dem Rhein oder aber die Terrasse in der Flur «Hermannsäcker» östlich des vicus als Standort in Frage. Obwohl es für dieses «Kastell» keine archäologischen Nachweise gab und Revellio lediglich von allgemeinen strategischen Überlegungen geleitet worden war, geistert das Eschenzer «Kastell» bis heute in Publikationen herum. Die zwischen 1931 und 1935 von Karl Keller-Tarnuzzer auf der Insel Werd durchgeführten Grabungen erbrachten mit wenigen Funden tatsächlich Hinweise auf eine militärische Präsenz in der frühen Kaiserzeit. Auslöser für diese Grabungen waren die letzlich nicht ausgeführten Pläne für eine Bodensee-Regulierung und somit eine drohende Überflutung der Insel. Auf der Insel Werd waren es nicht die römischen Funde, die auf besonderes Interesse von Keller-Tarnuzzer stiessen; an Strukturen verzeichnen die Grabungsunterlagen nur eine Grube. Der junge Forscher Walter Drack nahm kurz darauf auf die damals neuen Funde in seiner Dissertation Bezug.54 Karl Keller-Tarnuzzer konnte die Grabungen auf der Werd nicht selbst auswerten – das war erst Ende der 1970er Jahre möglich. Kurz nach Abschluss der Grabungen auf der Insel Werd kam es in Eschenz selbst wiederholt zu kleineren Grabungen und Fundbergungen, Auslöser waren 52 53

54

Paul Revellio wurde vor allem durch seine Ausgrabungen und Publikationen zum römischen Kastell von Hüfingen bekannt. Zur Person siehe Hall 1968, V–IX. Revellio 1932, 345; Offenbar verbreitete Revellio bereits früher diese These bei Vorträgen, siehe dazu etwa K. Keller-Tarnuzzer, Eschenz, das alte Tasgetium, Thurgauer Zeitung 13.4.1929, der berichtet, dass an der Tagung des West- und Süddeutschen Altertumsverbands auch Eschenz besucht worden sei; auch Staehelin 1948, 158, nahm die These auf. Drack 1945, 153.156.

Abb. 28: Karl Keller-Tarnuzzer (links) konnte bei seinen Ausgrabungen auf der Insel Werd auf die Unterstützung von Raymund Netzhammer (1862– 1945) zählen. Netzhammer war Benediktinermönch in Einsiedeln und von 1905 bis 1925 Erzbischof von Bukarest (Rumänien). Er verbrachte seinen Lebensabend auf der Insel Werd und verfasste zahlreiche Schriften zur Geschichte von Eschenz.

dafür die militärischen Befestigungen am Ufer, die ab 1938 einsetzten (Abb. 30).55. Keller-Tarnuzzer konnte die promovierte Historikerin Hildegard Urner-Astholz (1905–2001), Pfarrfrau auf Burg bei Stein am Rhein, für die Begleitung dieser Arbeiten begeistern (Abb. 31).56 Urner-Astholz beschäftigte sich mit viel Sachkenntnis ab Ende der 1930er Jahre mit den römischen Funden aus Eschenz. Sie verfasste später eine Zusammenfassung zur Frühgeschichte von Stein am Rhein57 und war massgeblich an der Sicherung und Erforschung des spätrö55

56 57

Im Bereich des vicus löste der Bau eines Bunkers im Nili (RegestNr. 39) archäologische Untersuchungen aus. Bei den übrigen militärischen Anlagen aus der Zeit des 2. Weltkriegs im Bereich des vicus handelte es sich um Feldbefestigungen, die von der Truppe gebaut und nach 1945 wieder abgebaut wurden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich über Akten im Bundesarchiv noch genauere Angaben über diese auch archäologische Befunde betreffenden Anlagen finden lassen, entsprechende Hinweise verdanken wir der Bibliothek am Guisanplatz Bern (ehemalige Militärbibliothek), zu den militärischen Anlagen des 20. Jhs. siehe allgemein Keller 1999. Dubach über Hildegard Urner-Astholz, in: Frauen über Frauen. Schaffhausen 2001, 119–125. Urner-Astholz et al. 1957.

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4.5

Abb. 29: Widmung aus dem Buch «Eschenz. Geschichtliches aus Dorf und Pfarrei» von Raymund Netzhammer an Karl Keller-Tarnuzzer.

Abb. 30: Plan der römischen Fundstellen in und um Eschenz, abgedruckt bei Urner-Astholz 1942, 15.

mischen Gräberfelds Hofwiesen in Stein am Rhein beteiligt (Regest-Nr. 133). Zumindest ein wichtiger Fund, eine Gemme aus dem Rhein, verblieb in ihrem Privatbesitz.58 UrnerAstholz veröffentlichte auch besondere Funde und sorgte so dafür, dass der vicus von Eschenz nicht in Vergessenheit geriet; ihre Publikationen blieben über Jahrzehnte hinweg die wichtigsten Informationen zum römischen Eschenz. Felix Stähelin nahm in seinem Standardwerk59 auf das römische Eschenz relativ ausführlich Bezug, praktisch alle bis dahin bekannten Informationen flossen in seine Zusammenfassung ein. Walter Drack60 und später Hans-Rudolf Wiedemer dokumentierten Originalfunde und diskutierten sie in ihren Dissertationen. Vor allem Wiedemer, dessen 58 59 60

Urner-Astholz 1968. Stähelin 19483, 184–186; 274–275 u. 622, sowie weitere Bemerkungen. Drack 1945, 153.

Karl Keller-Tarnuzzer und Hildegard Urner-Astholz

Abb. 31: Hildegard Urner-Astholz (1905–2001) im Jahr 2000.

umfangreiche Dissertation erst posthum und nur in Teilen veröffentlicht worden ist, beschäftigte sich ausführlich mit den römischen Funden von Eschenz61 und deutete das Fundmaterial von der Insel Werd chronologisch richtig. Die Funde aus den Grabungen der 1930er und 1940er Jahre wurden – wenn überhaupt – hauptsächlich in Frauenfeld und im Museum der Heimatvereinigung Untersee im Turmhof in Steckborn ausgestellt. Der grösste Teil verblieb im Depot des Museums in Frauenfeld, weniges in privatem Besitz. Im Falle der Grabungen auf der Insel Werd wurden auch Funde verkauft, weil nur so die Grabungen finanziert werden konnten.62 Nach den militärischen Bauarbeiten blieb es in UnterEschenz lange ruhig. Der spätere «Römerforscher» Alfons Diener (1923–2006) meldete sich schon 1952 mit einem ersten Fund.63 Der gelernte Maschinenzeichner dokumentierte dann auf Veranlassung und Anweisung von Karl Keller-Tarnuzzer ab etwa 1960 zahlreiche Funde und Befunde im vicus von Unter-Eschenz. Seine Verzeichnisse und die jeweils akribisch für alle Fundstellen und Ereignisse registrierten Funde stellen heute noch eine der Hauptquellen für die Beschäftigung mit dem römischen Eschenz dar. Alfons Diener barg auch einige wichtige Einzelfunde und rief immer wieder den Kantonsarchäologen auf den Platz. Ohne seine Arbeit wäre über die bei Bauarbeiten der 1960er und 1970er Jahre entdeckten Funde und Befunde praktisch gar nichts bekannt. Bis kurz vor seinem Tod war «Scherbendiener» als Beobachter und freiwilliger Mitarbeiter auf den Grabungen in Eschenz tätig. Es gab nach Ende des 2. Weltkriegs in Eschenz einige wenige kleinere archäologische Interventionen, so etwa im Nili in der Liegenschaft der Familie Kraft, die teilweise sogar auch von Keller-Tarnuzzer begleitet wurden (RegestNr. 41). Von einer systematischen Grabungstätigkeit war man aber damals noch weit entfernt. 61

62 63

Wiedemer 1976. Zur Person JbSGUF 56, 1971, 285. Der schriftliche Nachlass Wiedemers befand sich früher im Münzkabinett der Stadt Winterthur, wo ich 1985 dank des Entgegenkommens der Eltern und von Hansjörg Bloesch darin Einsicht nehmen konnte. Brem 2008b, 228. JbSGU 42, 1952, 96; zur Person: JbAS 90, 2007, 222.

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4.5

Karl Keller-Tarnuzzer und Hildegard Urner-Astholz

Abb. 32: Madeleine Sitterding (1923–2008) hatte als Kantonsarchäologin von 1968 bis 1972 im Thurgau einen schweren Stand, besonders in Eschenz. Aufnahme ca. 1970? Fotograf unbekannt.

Die 1968 nach einem vierjährigen Interregnum gewählte Kantonsarchäologin Madeleine Sitterding64, die aufgrund ihrer Erfahrungen in den römischen Siedlungen von Lausanne, Augst und Windisch durchaus wusste, was in Eschenz zu erwarten war, hatte ihre liebe Not, überhaupt Gehör zu finden (Abb. 32). So kam es 1972 dazu, dass man 64

Zur Person: JbAS 92, 2009, 360–361.

etwa römische Brückenpfähle aus dem Flussbett entfernte, zwei davon sind heute im Museum Eschenz noch erhalten. Die Interventionen Madeleine Sitterdings hatten insofern Erfolg, als nachher ähnliche Aktionen unterblieben. Auswärtige Fundsucher trieben allerdings auf der Insel Werd weiterhin ihr Unwesen. Bei den zunehmenden Bauarbeiten in Unter-Eschenz wurden fast immer auch Befunde unbemerkt zerstört. Die aus heutiger Sicht wohl schwerwiegendsten Bodeneingriffe waren Erdbewegungen beim Abbruch des alten Messmerhauses nördlich des Friedhofs der St. Vitus-Kirche um 1970. Dabei wurde nicht nur das baufällige Gebäude abgerissen, sondern auf der ganzen Parzelle bis ins Delta des Auerbachs Erde verschoben und Bauschutt abgelagert. Dies führte dazu, dass bei Beginn der Grabungsarbeiten am Römerweg (Regest-Nr. 33) im Jahr 2002 grosse Mengen mit Bauschutt und Abfall vermischtes Erdmaterial auf eine Enddeponie überführt werden mussten. Auch die oberen römischen Schichten sowie der mittelalterliche und neuzeitliche Friedhof der St. Vitus-Kirche wurden damals stark in Mitleidenschaft gezogen. Wie sich die Erdarbeiten weiter gegen Norden im Delta ausgewirkt haben, ist nicht sicher festzustellen, da hier aus technischen Gründen keine Grabungen durchgeführt worden sind und die Eingriffe nur auf Luftaufnahmen dokumentiert sind (Abb. 33). Die Befestigung der Rheinufer auf der Insel Werd sowie am gegenüberliegenden Schaffhausischen Ufer mit mächtigen Felsblöcken fällt ebenfalls in diese Zeit.

Abb. 33: Unter-Eschenz und Stein am Rhein, Spätsommer 1970. Die Aufnahme zeigt die Erdbewegungen sowie den Abbruchbereich nördlich der St. VitusKirche. Die Datierung der Aufnahme verdanken wir Eugen Ullmann, alt Strassenmeister, Eschenz.

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4.6 4.6

Holzfigur und Schlammschlachten: 1977–1997

Im Jahre 1977 gelang es erstmals, eine grössere Fläche im vicus archäologisch begleitet zu untersuchen. Von Bedeutung war dabei, dass gleichzeitig in der Kirche St. Georg von Stein am Rhein Ausgrabungen stattfanden und somit etwas mehr Ressourcen und vor allem Fachleute zur Verfügung standen. Von 1974 bis 1984 war nämlich der Kantonsarchäologe Jost Bürgi auch für die Archäologie im Kanton Schaffhausen verantwortlich. Jost Bürgi hatte 1973 von Madeleine Sitterding ein schweres Erbe übernommen. Auch er hatte seine liebe Mühe, sich in Eschenz mit seinen Anliegen durchzusetzen. Allerdings fand er in Alfons Diener einen erfahrenen Helfer vor Ort. Es war nun ein Glücksfall, dass 1977 der Archäologe Albin Hasenfratz, der schon früher bei kleinen Interventionen in Eschenz dabei gewesen war, die Untersuchung durchführte, als die berühmte Holzfigur zum Vorschein kam, die so etwas wie ein «Totem» der Forschung im römischen Eschenz geworden ist (Abb. 34).65 1986 unternahm Jost Bürgi mit seinem Team erfolgreich Versuche zur Dokumentation und Datierung der römischen Brückenreste. Unterdessen hatte sich die Dendrochronologie auch in der provinzialrömischen Forschung als gültige Datierungsmethode etabliert und das 1983 gebildete Amt für Archäologie verfügte nun über die technischen Mittel, im und unter Wasser zu arbeiten. Es dokumentierte allmählich auch in Eschenz bei Bauvorhaben das eine oder andere. Tatsächlich gelang bei der römischen Brücke eine erste genaue Planaufnahme der noch sichtbaren Pfähle bzw. Pfahlfelder und überdies dank der Dendrochronologie die Datierung einer Bauphase in die flavische Zeit. Wie bereits die Entdeckung der Holzfigur wurden auch diese Resultate zügig veröffentlicht.66

65 66

Holzfigur und Schlammschlachten: 1977–1997

Belz et al. 2008. Bürgi 1987.

Abb. 34: Daniel Steiner beim Röntgen der Holzfigur im Audi-Forschungszentrum in Neckarsulm (D), Frühjahr 2007.

Die wenigen Publikationen machten allerdings bis in die 1980er Jahre Eschenz kaum bekannter (Abb. 35). In vielen vici der Schweiz und des umliegenden Auslands waren unterdessen grossflächige Grabungen erfolgt, die den Kenntnisstand sehr erweiterten und zu neuen Fragestellungen führten. Kein Wunder findet sich deshalb kaum etwas zum vicus Tasgetium in der Zusammenfassung zur römischen Schweiz aus dem Jahr 1975.67 Erst zu Beginn der 1980er Jahre war es möglich, die Grabungen von Karl Keller-Tarnuzzer aus den Jahren 1931 bis 1935 aufzuarbeiten. Dabei wurde auch das römische Fundmaterial von der Insel Werd eingehend untersucht und die Ergebnisse 1987 publiziert.68 67 68

Drack 1975, 44–45; spätere Zusammenfassungen: Drack u. Fellmann 1988, 515–519; Flutsch, Niffeler u. Rossi 2002, 377 u. 397. Brem, Bolliger u. Primas 1987.

Abb. 35: In den späten 1980er Jahren fanden in Unter-Eschenz Befliegungen durch den deutschen Luftbildarchäologen Otto Braasch statt, hier der Bereich der RegestNr. 35. Chor und Schiff der abgegangen St. Vitus-Kirche zeichnen sich in der Wiese ab.

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4.6

Holzfigur und Schlammschlachten: 1977–1997

Abb. 36: Die Rekonstruktion des vicus Tasgetium von 1993 erfolgte nach dem damaligen Stand der Forschung, ohne Kenntnisse über das mittlerweile besser bekannte Bebauungsraster.

1987 hatte der Kantonsarchäologe Jost Bürgi die Erfassung der römischen Münzfunde aus dem Thurgau in Auftrag gegeben. Dabei wurden zahlreiche römische Münzen aus Eschenz zusammengetragen und im Nachgang auch die Sammlung von Alfons Diener, die dieser in seinem Privathaus aufbewahrte, ein erstes Mal dokumentiert. Bettina Hedinger publizierte aus diesen Inventarisierungsarbeiten eine Auswahl von Gefässen aus einem bereits 1940 aufgedeckten Töpferofen (Regest-Nr. 83), sowie epigrafisches Material. Resultate dieser Bestandesaufnahmen flossen in die Publikation von Markus Höneisen69 und später auch in ein Sammelwerk über römischer Keramik in der Schweiz70 ein. Ein wichtiger Impuls für eine vertiefte Betrachtung des vicus Tasgetium ging um 1990 von der Kantonsarchäologie Schaffhausen aus, da die zuständige Archäologin Beatrice Ruckstuhl und ihr Nachfolger Markus Höneisen die umfangreichen Grabungen im spätrömischen Kastell und dessen Friedhof veröffentlich haben wollten. Die dabei auch unter Mitwirkung des Amts für Archäologie des Kantons Thurgau entstandene Zusammenfassung zur Archäologie von Eschenz zeigte klar, dass – im Gegensatz zum spätrömischen Kastell auf Burg – der Forschungsstand zum kaiserzeitlichen vicus Tasgetium dürftig war (Abb. 36).71 In den 1990er Jahren veränderte sich das Umfeld zusehends. Das Amt für Archäologie des Kantons Thurgau konzentrierte sich nicht nur auf jährliche «Grossgrabungen», sondern versuchte auch mit kleineren Interventionen mehr Informationen von verschiedenen Orten zu gewinnen. Die Erfahrungen auf der Grabung «Haus Rebmann» im Sommer 1991 waren dabei für Eschenz wichtig. Was als harmlose Baubegleitung angefangen hatte, wurde zu einer überaus hektischen Angelegenheit und längeren Grabung (RegestNr. 60). Spätestens seit dieser Intervention war klar, dass die sehr gute Erhaltung von Funden und Befunden keine raschen, baubegleitenden Bergungen mehr erlaubte, sondern im voraus planmässige Grabungen auf den baureifen Parzellen bedingte. Dieser Anspruch wurde – nach einigen

Pannen – allmählich dank der Gemeindebehörden und vieler Privater durchgesetzt. Im Bereich der Prospektion war es ein Glücksfall, dass mit freiwilligen Helfern bei Suchgängen eine grosse Menge an Metallgegenständen wie Münzen aus dem Rheinbett und auch aus dem Neubaugebiet «Espigraben» geborgen werden konnten (Regest-Nr. 101). Gleichzeitig wurde mit der Grabung «Haus Rebmann» klar, dass in Unter-Eschenz mit Feuchtbodenerhaltung wie in Oberwinterthur gerechnet werden musste. Einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom Amt für Archäologie des Kantons Thurgau hatten dort schon einschlägige Erfahrungen gesammelt. Neben der weiteren freiwilligen Arbeit von Alfons Diener (Abb. 37), der stetig Funde und Befunde verzeichnete, war nach 1990 von Bedeutung, dass Familie Peter und Angela Kraft-Obousier, auf deren Grundstück in den 1960er Jahren gegraben worden war, ihre Funde dem Kanton Thurgau übergab. Darunter befanden sich, wie auch in der Sammlung von Alfons Diener, ausserordentliche Objekte, die darauf hinweisen, dass sich Tasgetium sehr wohl mit Vitudurum messen kann.72 Es schien sinnvoll, die Grabungen «Haus Rebmann» sowie weitere kleinere Untersuchungen aus der Zeit von 1977 bis 1995 durch die Archäologin Verena Jauch aufarbeiten zu lassen und diese in einer Publikation vorzustellen.73 Eine weitere Herausforderung war der Fund einer Latrine mit zahlreichen Pflanzenresten, die auch eine erste archäobotanische Studie durch Franziska Feigenwinter nach sich zog. Ebenfalls neu für Eschenz waren systematische dendrochronologische Datierungen an Bauhölzern. Aus heutiger Sicht mögen die Arbeiten von Verena Jauch und Franziska Feigenwinter zufällig scheinen, zumal

69 70 71

72 73

Höneisen 1993. Schucany et al. 1999, 207–212. Höneisen 1993.

Abb. 37: Archäologen dreier Generationen in Eschenz. Von links nach rechts: Thomas Keiser, Grabungstechniker, *1976, Alfons Diener, 1923– 2006 und Jost Bürgi, *1943, Kantonsarchäologe von 1973 bis 2006. Tag der offenen Grabung im Sommer 2002.

JbSGUF 81, 1998, 294. Jauch 1997.

44

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4.7

Abb. 38: Grabungsleiter Daniel Steiner mit Schulkindern im Sommer 1997.

überhaupt nicht klar war, in welchem Bereich des vicus diese Befunde lagen. Immerhin konnte darauf hingewiesen werden, welches Potential die Feuchtbodenerhaltung in Eschenz bot. Gleichzeitig zeigte es sich, dass die Bearbeitung von grossen Keramikmengen nicht im Zentrum der künftigen Auswertung der Grabungen im römischen Eschenz stehen würde. Es waren verschiedene Umstände, weshalb das Buch von Verena Jauch und Franziska Feigenwinter für längere Zeit die letzte Monografie über Eschenzer Funde und Befunde war. Spätestens mit der Eröffnung des Museums für Archäologie in Frauenfeld im Sommer 1996 bekam nämlich die Vermittlung der archäologischen Arbeit an ein breites Publikum einen viel grösseren Stellenwert. Die Arbeit von Jauch und Feigenwinter erschien 1997 bei Beginn der Ausgrabung auf der Parzelle «Haus Zehnder», die das Bild des römischen Eschenz weiter entscheidend veränderte (Regest-Nr. 31). Obwohl wegen eines Baus der frühen Neuzeit hier bereits Bodeneingriffe stattgefunden hatten, übertrafen die Funde und vor allem die Holzerhaltung alle bisherigen Untersuchungen in der Gemeinde Eschenz. Im Unterschied zur Grabung «Haus Rebmann» 1991 war auch die Schichterhaltung relativ gut. Es war allerdings bedauerlich, dass die technisch bedingten, kleinen Grabungsflächen kaum erlaubten, einen Überblick über die Art der römischen Bebauung zu gewinnen. Immerhin fiel hier das erste Mal eine Nordost-Südwest-Ausrichtung von Bauten auf. Es war ein Glücksfall, dass das Bundesamt für Kultur ab 1999 die Grabungen im vicus finanziell unterstützte. Im weiteren konnte ein Legat sowie die Unterstützung der Nägeli-Stiftung gewonnen werden. Diese Mittel verliehen den Grabungen in Eschenz besonderen Schwung und verhinderten auch, dass «Eschenz» das Budget des Amts für Archäologie völlig dominierte. 4.7

Geplante Notgrabungen: 1997 bis heute

Das Amt für Archäologie verfügte ab 1996 über ein Museum, wo neue Funde sofort gezeigt werden konnten. Ebenso – und bei der Grabung «Haus Zehnder» erstmals in Eschenz – wurden regelmässig Grabungsbesichtigungen

Geplante Notgrabungen: 1997 bis heute

für die Öffentlichkeit durchgeführt (Abb. 38). Diese Arbeit vor Ort wurde später durch einen Geschichtsrundgang mit Informationstafeln fortgesetzt sowie bei der Umgestaltung des Dorf museums «zum Blauen Aff» vertieft.74 Die sich ab 1995 praktisch ständig folgenden Ausgrabungen waren aber bis auf eine unten erwähnte Ausnahme ausschliesslich durch laufende Überbauungen diktiert, die parzellenweise und meist mit kleinen Volumina erfolgten und erfolgen. Versuche, durch Veränderungen im Zonenplan oder Käufe bestimmte Parzellen vor der Überbauung zu bewahren, scheiterten wiederholt. Doch gelang es dank der Unterstützung der Grundbesitzer, stets rechtzeitig die notwendigen archäologischen Arbeiten durchzuführen. Im weitern wurden in Zusammenarbeit mit den Gemeindebehörden wiederholt die Strategie und die Stossrichtung der archäologischen Grabungen überprüft. Besonders wichtig war diese Absprache, als dank eines Legates im Winter 1999/2000 eine Plangrabung auf der so genannten Dienerwiese möglich wurde (Regest-Nr. 95). Schon früher war klar geworden, dass die Bedeutung der Funde und Befunde aus Eschenz denjenigen im nahen Oberwinterthur, wo seit 1978 ausgedehnte Grabungen durchgeführt wurden, ebenbürtig waren, auch wenn sich die untersuchten Flächen nicht vergleichen liessen. Es war ein Vorteil, dass Albin Hasenfratz, der 1985 die Stelle des Adjunkts im Amt für Archäologie im Thurgau übernahm, schon ausgedehnte Ausgrabungen im Westquartier in Oberwinterthur geleitet hatte. Die Forschungen in Oberwinterthur und die dort rasch einsetzende Publikationstätigkeit75 beinflussten stets auch die Ausgrabungen in Eschenz in dem Sinne, dass bestimmten Aspekten, etwa den organischen oder botanischen Funden, besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Als Folge des gegenseitigen Interesses der damals an beiden Orten tätigen Archäologinnen und Archäologen kam es dann 2002 zur Ausstellung «Tabula Rasa» mit Katalog, wo Holzfunde aus beiden Siedlungen vorgestellt wurden.76 Diese Dokumentationen hatten unerwartete Auswirkungen: Der Basler Archäologe Rudolf Fellmann, der seit den 1960er Jahren an der Bearbeitung der reichen Holzfunde aus Vindonissa sass, sah sich durch die neue Arbeit und die vielen Neufunde so motiviert, dass heute auch die Holzfunde aus Vindonissa publiziert vorliegen77. Sowohl die Ausstellung «Tabula Rasa» wie auch der später auf französisch übersetzte und mittlerweile vergriffene Katalog wurden zu einem grossen Erfolg im In- und Ausland und machten die Fundstelle Eschenz weit herum bekannt (Abb. 39). Auch wenn in den letzten Jahren wichtige Einzelfunde, so die Panflöte (Abb. 121) oder die bekannte Holzstatue wissenschaftlich erforscht und publiziert wurden78, war doch seit den späten 1990er Jahren klar, dass neben der Öffent74 75 76 77

78

heute: Museum Eschenz. Zum römischen Oberwinterthur: Pauli-Gabi et al. 2002. Hedinger u. Leuzinger 2002. Unschön war dabei allerdings, dass Rudolf Fellmann alles tat, um die von ihm abgelehnte Ausstellung «Tabula Rasa» im In- und Ausland zu verhindern, siehe dazu die Bemerkungen bei Fellmann 2010, 19 mit Anm. 64. Brem 2008a.

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4.7

Geplante Notgrabungen: 1997 bis heute

Abb. 39: Die Holzfunde aus dem vicus Tasgetium erweckten besonderes Interesse. Hans Lieb, Bettina Hedinger und Regula Frei-Stolba vor einem Fassdeckel aus der Grabung Römerweg (Regest-Nr. 33) mit verschiedenen Inschriften, Juni 2004.

Abb. 41: Im August 2009 fand eine Studienwoche des Instituts für Prähistorische und Naturwissenschaftliche Archäologie der Universität Basel (IPNA) zum Thema Archäobiologie in Eschenz statt. Arbeitsplätze für das Schlämmen von Erdproben und die Gewinnung von botanischen und zoologischen Makroresten.

lichkeitsarbeit vor allem der Befundauswertung Priorität geschenkt werden sollte. Dies nicht zuletzt deshalb, weil zunehmend mehr dendrochronologische Daten zur Verfügung standen und weil die «ungeliebten» Befunde erfahrungsgemäss wesentlich schwieriger zu bearbeiten und noch schwieriger darzustellen sind als Kleinfunde oder Fundkomplexe. Im Gegenzug wurden mit regelmässigen Berichten und Artikeln immer wieder auf die Fundstelle hingewiesen und wichtige Ergebnisse publiziert. Die Ressourcen konzentrierten sich aber vor allem auf die Grabungen und deren Dokumentation sowie die Gewinnung von zu datierendem Material. Besonders waren es zwei unpublizierte universitäre Arbeiten, die die Forschungen in Eschenz weiterbrachten, beide befassten sich mit den Grabungen 1999/2000 auf der Dienerwiese (Regest-Nr. 95).79 Schon vorher hatte Thomas Keiser die Befunde aus der Grabung «Haus Zehnder» (Re79

Pollmann 2003 (Teile davon publiziert: Pollmann u. Schlumbaum 2005); Franziska Steiner 2007, unpublizierte Lizentiatsarbeit an der Universität Zürich.

Abb. 40: Die Archäobotanikerin Britta Pollmann an der Arbeit. Die archäobotanischen Forschungen in Eschenz begannen schon um 1994 durch Franziska Feigenwinter.

gest-Nr. 31) in einer Seminararbeit zusammengefasst. Es schien unter diesen Voraussetzungen gegeben, den Schweizerischen Nationalfonds um Unterstützung bei der wissenschaftlichen Auswertung anzugehen. Ein erster Anlauf im Jahr 2006 scheiterte allerdings, obwohl die bei der Auswertung der neolithischen Siedlung Arbon-Bleiche 3 bewährten Strategien und weitgehend die selbe Trägerschaft vorgeschlagen worden waren. Allerdings, das muss dazu bemerkt werden, fehlte damals eine Übersicht über die hunderten von Interventionen im vicus-Gebiet, und – was noch schwerer wog – ein Gesamtplan mit einer einheitlichen Nomenklatur. Dinge, die nun in diesem ersten Band vorgelegt werden können. Die Ablehnung des Gesuchs bewirkte einen Marschhalt, da die sehr beschränkten kantonalen Ressourcen zuerst für den Abschluss der älteren Publikationsvorhaben eingesetzt werden mussten. Eine von den Kantonsarchäologen von Zürich, St. Gallen, Schaffhausen und Thurgau ins Leben gerufene Arbeitsgruppe sollte dafür sorgen, dass die in den vier Kantonen verfolgten Auswertungsprojekte zu vici80 eine wissenschaftliche Abstimmung und Methodendiskussion erfuhren. Die Arbeitsgruppe sollte dabei unabhängig von hierarchischen Entscheidungen arbeiten; sie ist seit 2008 aktiv. Einige Forschungsstränge wurden seit 1997 neben den Grabungen relativ systematisch verfolgt, so vor allem im Bereich der Archäobotanik und der Dendro(chrono)logie. 2009 wurden in diesem Zusammenhang in einem Feldpraktikum des Instituts für Prähistorische und Naturwissenschaftliche Archäologie der Universität Basel (IPNA) weitere Untersuchungen an Eschenzer Material durchgeführt, die den Reichtum an botanischen Resten bestätigten (Abb. 40–41). Hauptaugenmerk lag aber stets auf der Dokumentation der Grabungen. Seit 1998 liegen von allen Ausgrabungen in Eschenz jeweils ausführliche Grabungsberichte vor; die Befunde und Funde sind seither auch vollständig elektronisch archiviert. Seit 1997 wurden Hölzer überaus systematisch 80

Zürich: Oberwinterthur, Stadt Zürich; St. Gallen: Kempraten; Schaffhausen: Schleitheim; Thurgau: Eschenz.

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4.7

Geplante Notgrabungen: 1997 bis heute

Abb. 43: Ein Grabungsteam im Jahr 2005. Schon Benhard Schenk wies 1875 auf die besonders schwierigen Grabungsbedingungen in Unter-Eschenz hin.

Abb. 42: Die Archäologin Regula Gubler im Mai 2006 beim Abtrag des römischen Strassenkoffers in Unter-Eschenz. Die Mächtigkeit der Konstruktion sowie die hölzernen Unterzüge sind gut sichtbar.

Abb. 44: Unter-Eschenz aus der Luft, Sommer 2009. Im Bereich der weissen Zelte die Grabungen im ehemaligen Dorfkern (Regest-Nr. 38).

beprobt und – sofern technisch möglich – dendrochronologisch gemessen, so dass heute eine sehr grosse Datenmenge in diesem Bereich zur Verfügung steht (Abb. 151). Als Fazit der Forschungsgeschichte lässt sich heute festhalten, dass sich im vicus von Eschenz vor allem die Grabungen der letzten zwanzig Jahre für die künftige Aus-

wertung eignen. Daneben dürfte es sich lohnen, die Grabungen von Bernhard Schenk sowie die davon noch erhaltenen Unterlagen und Funde einer genaueren Untersuchung zu unterziehen. Je nach Sichtweise spielen also so genannte «Altgrabungen» im Falle des vicus Tasgetium und dessen Erforschung eine relativ geringe Rolle (Abb. 42–44).

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5.2

5 Chronologischer Überblick der vor- und nachrömischen Epochen

Abb. 45: Geknickte Rückenspitze aus Feuerstein, Massstab 1:1; angeblicher Fundort: Eschenz-Insel Werd. Das ca. 13 000 Jahre alte Stück kann aber aus hydrologischen Überlegungen nicht auf den Inseln verloren gegangen sein, da diese damals unter Wasser waren.

Simone Benguerel, Barbara Fatzer und Urs Leuzinger 5.1

Einleitung

Die verkehrsgeografisch günstige Lage am Übergang vom Untersee in den Rhein war seit jeher relevant für die Standortwahl von Rastplätzen und Siedlungen. Die Region um Eschenz wurde spätestens seit der ausgehenden Altsteinzeit begangen. Bereits in der 2. Hälfte des 5. Jts. v. Chr. ist eine erste Ansiedlung im Bereich von Stein am RheinHohenklingen nachgewiesen. Neolithische und bronzezeitliche Feuchtbodensiedlungen auf der Insel Werd sowie auf der ehemaligen Halbinsel Orkopf datieren vom 39. bis ins 9. Jh. v. Chr. Auffällig ist, dass bislang gesicherte Siedlungsspuren aus der älteren und jüngeren Eisenzeit fehlen. Gräber und Kirchenbauten aus dem 6. bzw. 7. Jh. belegen die frühe Besiedlung der Gegend von Eschenz auch nach dem Ende der römischen Besatzung. Funde und Befunde sowie schriftliche Quellen aus dem Mittelalter und der Neuzeit sind ebenfalls zahlreich vorhanden. 5.2

Epipaläolithikum und Mesolithikum

Epipaläolithikum und Mesolithikum

Alt- und Mittelsteinzeit sind nur durch zwei Streufunde belegt. Es handelt sich dabei um typologisch klar erkennbare Geschossspitzen aus Feuerstein. Diese sind wohl von durchziehenden Wildbeutergruppen auf der Jagd oder während kurzfristiger Biwaks in der Umgebung von Eschenz verloren gegangen. 5.2.1

Geknickte Rückenspitze

Von den auf der Insel Werd wohnhaften Franziskanern erhielt das Amt für Archäologie 2003 eine Schachtel mit ca. 40 neolithischen Silexartefakten. Gemäss der aufgeklebten Etikette stammten die Funde angeblich von der Insel Werd. Der ursprüngliche Finder liess sich – trotz umfangreicher Recherchen – nicht mehr ausmachen. Unter dem mehrheitlich jungsteinzeitlichen Fundmaterial befand sich eine geknickte Rückenspitze, die zweifellos typologisch in die ausgehende Altsteinzeit datiert werden kann (Abb. 45). Die Geschossspitze aus grau-beigem Jura-Hornstein ist an einer regelmässigen Lamelle gefertigt. Die linke Kante ist steil bearbeitet. Die Spitze ist 39 mm lang, maximal 11,5 mm breit und 3 mm dick. Anhand typologischer Vergleiche kann das vorliegende Artefakt ins späte Magdalénien oder in einen spätpaläolithischen Kontext (Azilien) datiert werden, das heisst in eine Zeit zwischen 13 000 und 11 000 vor heute. Gute Vergleichsbeispiele finden sich unter anderem in der magdalénien-zeitlichen Fundstelle Schaff-

hausen-Schweizersbild (Höneisen u. Peyer 1994, 73–75). Leider kann der Fundort «Insel Werd» für das vorliegende Stück nicht stimmen. Im Spätglazial war der Seespiegel bei Eschenz nämlich mehrere Meter höher als heute und die Inseln lagen damals mit Sicherheit unter Wasser! Dies belegen die neuen Untersuchungen von Erich Müller (siehe Kapitel 3.2.4.3). Somit ist das vermeintlich bis heute älteste Objekt aus dem Thurgau nicht zwingend auf Kantonsgebiet gefunden worden (Leuzinger 2010, 68–69). 5.2.2

Trapezspitze

Gesichert von der Insel Werd in Eschenz stammt dagegen ein erwähnenswerter mesolithischer Einzelfund (1998.069.1.1). Es handelt sich dabei um eine 21 mm lange, asymmetrische Trapezspitze aus grünem, homogenem Radiolarit (JbSGUF 82, 1999, 249). Als Grundform wurde eine regelmässige Lamelle mit zwei Leitgraten verwendet (Abb. 46). Die Basis ist gerade und dorsal steil retuschiert; die rechts angebrachte Kante der Spitze ist ebenfalls dorsal steil retuschiert. Die ursprünglich unbearbeiteten Kanten sind durch Sedimentbewegungen leicht ausgesplittert. Im Spitzenbereich lässt sich auf der Ventralfläche eine Schlagbahn erkennen, die von einem Geschossaufprall stammen dürfte. Typologisch datiert das Stück zweifellos ins Spätmesolithikum, weshalb zumindest von einer einmaligen Begehung der Insel im 6. oder 7. Jt. v. Chr. auszugehen ist.

Abb. 46: Spätmesolithische Pfeilspitze aus Radiolarit von Eschenz-Insel Werd. Massstab 1:1.

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5.3

Neolithikum

5.3

Neolithikum

Die ältesten Bauerndörfer in der weiteren Umgebung stammen aus dem frühen Neolithikum. So kamen bei Singen-Nordstadtterrasse oder in Gächlingen-Goldäcker Funde und Befunde der Bandkeramik und der La Hoguette-Kultur des ausgehenden 6. Jts. v. Chr. zum Vorschein (Hald u. Schlichtherle 2004, 26–30; JbAS 90, 2007, 140; Schlichtherle 2011, 42–43). Noch unpubliziert sind mittelneolithische Funde der Rössener Kultur, die bei der Sanierung der Burg Hohenklingen bei Stein am Rhein entdeckt worden sind. Die ältesten Dendrodaten von neolithischen Hauspfählen aus der Gemeinde Eschenz stammen vom Orkopf und datieren ins Jahr 3880 v. Chr. (JbAS 92, 2009, 270; Mainberger u. Schnyder 2009, 17–18). Somit wurde diese ursprüngliche Halbinsel bereits seit der frühen Pfyner Kultur besiedelt. Weitere Befunde vom Orkopf gehören in die Horgner Kultur (Öo-RC3: 4450±50 BP, 3338–3097 BC cal.). Wichtigster Siedlungsplatz im Jung-, Spät- und Endneolithikum war aber die Insel Werd. 5.3.1

Die Pfahlbauten von der Insel Werd

Die Entdeckung der frühesten Siedlungsspuren auf der Insel gehen wahrscheinlich ins Jahr 1858 zurück (Hasenfratz 1985, 11–14). Erste Grabungen fanden erst im Winter 1882/83 unter der Leitung von Bernhard Schenk statt, als der Seespiegel sehr tief war. Aus dieser Zeit gelangten zahlreiche Steinartefakte in die Sammlung des damaligen Thurgauischen Museums. Wegen eines Ende der 1920er Jahre geplanten Projekts, den Bodenseespiegel zu regulieren, beschloss die damals neu gegründete «Schweizerische Kommission zur Erforschung der Pfahlbauten des Bodensees», die Siedlungsreste auf der Insel Werd grossflächig auszugraben. Karl Keller-Tarnuzzer begann im Herbst 1931 mit den ersten Sondierungen. Zwischen 1932 und 1935 wurde eine Fläche von über 1100 m 2 archäologisch untersucht. Die freigelegten neolithischen Schichten datieren in die Pfyner, Horgener und Schnurkeramische Kultur (Hardmeyer 1983; Hasenfratz 1985). Die Siedlungsbefunde sind erhaltungsbedingt und wegen der Mehrphasigkeit zur Zeit nicht be-

Abb. 47: Neolithische Pfahlstellungen, die einen Gebäudegrundriss erkennen lassen. Eschenz-Insel Werd. Grabung 1931–1935 (Regest-Nr. 6).

sonders aussagekräftig; vor allem weil keine Dendrodaten und Holzartenverteilungen vorliegen. Die Pfähle dürften allerdings mehrheitlich noch im Sediment stecken, so dass das wissenschaftliche Potential dieser neolithischen Dorfanlagen durchaus als hoch eingestuft werden darf. Auf den Plänen der Grabungsfelder XII–XIV zeichnet sich mindestens ein West-Ost orientierter Grundriss eines rechteckigen, 4,5 m breiten Gebäudes ab (Abb. 47). Das Fundmaterial ist sehr umfangreich. Typologisch kann anhand der gut erhaltenen Gefässkeramik eine älterpfyn- (Werd A) und eine spätpfynzeitliche (Werd C), eine horgenzeitliche sowie eine schnurkeramikzeitliche Besiedlung der Insel angenommen werden. 5.3.2

Der Goldbecher von Eschenz

Unbestritten der bekannteste und wertvollste Fund aus Eschenz ist der endneolithische Goldbecher, der 1906 bei Bauarbeiten beim Bahnhof Eschenz in 1,5 m Tiefe zum Vorschein kam (Höneisen 1993, 26–30; Leuzinger 2003, 120–125). Gleichzeitig sollen an dieser Stelle einige Knochen ausgegraben worden sein, die aber nicht aufbewahrt wurden. Deshalb lässt sich heute nicht mehr entscheiden, ob ein Zusammenhang zwischen Becher und Knochen (Grab?) besteht. Bauuntersuchungen im Jahr 2010 lieferten in unmittelbarer Nähe der Fundstelle in 1,6 m Tiefe Holzkohleflitterchen und sehr kleine, prähistorische Keramikfragmente (Ereignis 2010.016). Eine direkte Verbindung zum Goldbecher ist auch hier nicht belegbar. Der glockenförmige Goldbecher ist 111 mm hoch, im Randbereich 0,8 mm dick und besitzt einen Mündungsdurchmesser von 112 mm; er wiegt 136,39 g (Abb. 48). Die natürliche Legierung aus Waschgold besteht aus 74,5% Gold, 25% Silber, 0,45% Kupfer sowie 0,02% Zinn.81 Da 1906 keine Befunde oder Beifunde dokumentiert wurden, kann eine Datierung nur über das Objekt selber versucht werden. Die Fachwelt datiert anhand typologischer Vergleiche den Becher mit einer zeitlichen Spannweite von 2400 bis 1600 v. Chr. Eine engere Datierung ist objektiv nicht möglich, da je nach Gewichtung von Form oder Verzierungsstil das Fundstück älter bzw. jünger erscheint. Das S-förmige Profil des Goldbechers sowie die horizontale Gliederung der Zierelemente erinnern jedoch stark an Glokkenbecher aus Keramik. Die nach diesen typischen Gefässen benannte Glockenbecherkultur datiert um 2400 v. Chr. Der Goldbecher von Eschenz weist aber auch enge formale und stilistische Parallelen zu den jüngeren, frühbronzezeitlichen Goldgefässen von Rillaton (GB), Ringelmere (GB) und Gölenkamp (D) auf. Der Goldbecher von Eschenz war sicher bereits in prähistorischer Zeit ein sehr kostbares Objekt und diente wohl nicht als gewöhnliches Trinkgefäss. Entweder verwendete man das Stück als Prunkgefäss oder als Ritualobjekt. Gerne wüsste man, wie und von wo der Becher nach Eschenz gelangt ist. Es gibt drei Möglichkeiten, weshalb der Becher in 81

Vier ED-XRF-Messungen im Mai 2011 bestätigen die älteren Analysendaten.

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5.3

Neolithikum

4,2 cm und im Schneidenbereich 5,2 cm breit sowie maximal 1,2 cm dick. Das Stück ist 300 g schwer. Die Schneide ist scharf und die Kanten dachförmig zugehämmert. Trotz der unstratifizierten Fundlage kann das Beil wohl ins Neolithikum datiert werden. 5.3.4

Prähistorische Artefakte aus den römischen Grabungen von 1997 bis 2009

Beim Kellerumbau der Liegenschaft Glauser-Lüthi fand Angela Kraft 1963 auf dem Aushub eine Beilklinge aus Kupfer (Regest-Nr. 42) (Abb. 49). Das Objekt wurde daraufhin von M. Schröder im Württembergischen Landesmuseum Stuttgart analysiert (Nr. SAM 1660). Die Emissionsspektrografie aus dem Jahr 1964 an einem kleinen Metallsplitter ergab nahezu reines Kupfer mit Spuren von Blei, Silber und Eisen. Arsen konnte keines festgestellt werden. Die Beilklinge ist 10,3 cm lang, im Nacken 3,3 cm, in der Mitte

Während Grabungen im römerzeitlichen Eschenz von 1997 bis 2009 kamen bislang insgesamt 203 mesolithische und neolithische Silices, 2 Steinbeile sowie prähistorische Keramikfragmente zum Vorschein. Nicht berücksichtigt sind 4 neuzeitliche Flintensteine. Abgesehen von wenigen Steinartefakten stammen alle Stücke aus römerzeitlichen und neuzeitlichen Ablagerungen. Die Mehrzahl der Steinartefakte ist somit durch römische Erdbewegungen sekundär verlagert worden. Konzentrationen in einzelnen Positionen sind selten. Vielmehr finden sich die Silices als vereinzelte Beifunde in römischen Fundkomplexen. Von den 203 Silices sind 25 Artefakte zu Geräten wie Pfeilspitzen, Dickenbännlibohrer, Dolchklingen und Kratzer modifiziert worden (Abb. 50). Das typochronologisch zuweisbare lithische Fundmaterial stammt vorwiegend aus der frühen Pfyner sowie der Horgener Kultur. Bei den Grundformen handelt es sich mehrheitlich um Abschläge, vereinzelt liegen Klingen, Kernstücke und Knollenfragmente vor. Der Patinierungsgrad der Silices – es handelt sich um eine charakteristische grau-schwarze Wasserpatina – ist sehr hoch. Abgesehen von einem grossen Steinbeil sowie einem sekundär als Feuerschlagstein verwendeten Silexartefakt verschoben wahrscheinlich die Römer bei Erdbewegungen unabsichtlich sämtliche dieser prähistorischen Funde. In keiner Grabungsfläche wurden autochthone neolithische oder bronzezeitliche Siedlungsablagerungen durch zeitgenössische Bodeneingriffe angeschnitten. Vielmehr transportierten die Römer wohl Erdmaterial mit neolithischem und bronzezeitlichem Fundmaterial von ausserhalb in die Ausgrabungsbereiche. Bemerkenswert ist die 17 cm lange Steinbeilklinge 2007.003.105.1 aus Grüngestein (Abb. 51) mit rechteckig-

Abb. 49: Haus Glauser-Lüthi (Regest-Nr.42): Jungsteinzeitliche Flachbeilklinge aus Kupfer. Massstab 1:2.

Abb. 50: Ensemble von jungsteinzeitlichen Silices aus römischen Fundkomplexen der Grabung Moosberger (Regest-Nr. 36).

Abb. 48: Der Goldbecher von Eschenz. Das 11 cm hohe und 136 g schwere Gefäss kam 1906 beim Bahnbau zum Vorschein.

Eschenz vergraben wurde: entweder wurde der Becher einer einflussreichen Person als Beigabe mit ins Grab gegeben oder das wertvolle Objekt wurde als Weihegabe nahe beim Seeausfluss vergraben oder der Becher wurde versteckt und konnte später nicht mehr geborgen werden. 5.3.3

Das Kupferbeil von Eschenz-Nili

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5.3

Neolithikum

Abb. 51: Jungsteinzeitliches Steinbeil aus einer römischen Siedlungsschicht der Grabung Moosberger (Regest-Nr. 36).

Abb. 52: Quelltuff mit eingelagerten prähistorischen Scherben. Der Tuff wurde in römischer Zeit als Baumaterial verwendet.

ovalem Querschnitt (Regest-Nr. 36). Sie stammt aus einer römischen Planieschicht (Position 107). Wegen der doch beachtlichen Grösse dieses Steinbeils kann nicht vollständig ausgeschlossen werden, dass es von den Römern absichtlich aufgelesen worden ist. Allenfalls diente dieses Gerät als Kuriosum, als Blitzschutz oder als sonstiger Abwehrzauber. So werden unter anderem Steinbeilfunde und Fossilien aus römischem Kontext interpretiert, beispielsweise in Augusta Raurica (Gutzwiller 1998, 55; Leuzinger 2004, 51–57; Schaub u. Thüry 2004, 153–154). Ebenfalls hervorzuheben ist die 3,7 cm lange Klinge 1999.010.272.1 aus orangem Silex aus der Position 205, Schicht über römischer Trockenmauer (Regest-Nr. 97). Das Objekt ist schwach patiniert. Ventral sind die Kanten rundum stumpf und stufig retuschiert oder bestossen. Die Retuschen sind nach der Patinierung entstanden – die Kantenbearbeitung ist also deutlich jünger als die Klinge. Es wäre denkbar, dass diese neolithische Klinge während der Römerzeit aufgelesen und sekundär als Feuerschlagstein verwendet worden ist. Funde von römischen Feuerschlagsets sind – im Gegensatz zu frühmittelalterlichen Funden – erstaunlicherweise äusserst selten. In der Literatur wird das Feuerschlagen mit einem Eisenschlüssel oder schwarzem Feuerstein auf Pyrit erwähnt (Plinius Nat. Hist. 36, XXX, 138; Nat. Hist. 37, LXXIII, 189).

Im Rahmen der Aufarbeitung der Silexfunde aus den römischen Schichten wurden auch mehrere prähistorische Scherben genauer begutachtet. Die meisten davon stammen aus den 1999 erfolgten Grabung auf der Dienerwiese (Regest-Nr. 97). Dieses Fundmaterial hat Franziska Steiner umfassend aufgearbeitet.82 Angesichts der grossen Zahl an im römischen Fundmaterial leicht identifizierbaren Silices ist davon auszugehen, dass sich in den bislang nicht ausgewerteten Grabungen weitere prähistorische Scherben im Fundmaterial verbergen. Zudem finden sich bei grösseren Grabungen immer wieder Hinweise auf solche Funde (Urner-Astholz 1942, 94). Erstaunlicherweise konnten bei einer ersten Sichtung der römischen Bronzeobjekte aus den Grabungen von Unter-Eschenz aber keine vorrömischen Metallfunde identifiziert werden. Auch die prähistorischen Scherben dürften mehrheitlich durch Sedimentverlagerungen in römischen Schichtzusammenhang gelangt sein. Dies scheint naheliegend, weil die Mehrzahl der 1999 auf der Dienerwiese geborgenen Fundkomplexe mit solchen Funden mindestens ein Silexartefakt enthielt. Bei den meisten Scherben handelt es sich um chronologisch nicht sicher zuweisbare Wandfragmente, die 82

Franziska Steiner 2007, unpublizierte Lizentiatsarbeit an der Universität Zürich.

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5.4

Bronzezeit

aufgrund ihrer materialtechnischen Merkmale mehrheitlich in der Spätbronzezeit hergestellt worden sein dürften. Diese Zuweisung wird durch ein stark abgewittertes Randstück einer konischen Schale mit Schrägrand bestätigt (1999.010.21). Zumindest eine Scherbe ist dagegen in die Jungsteinzeit zu datieren (1999.010.365). In einer untersten siltigen Planie, die in den Flächen der Grabungen Moosberger 2007 bis 2009 (Regest-Nr. 36) freigelegt wurde, entdeckte man neben römischen Scherben auch eine spätbronzezeitliche (2007.003.1288). Die stark erodierte Oberfläche unterstützt die These, dass dieser Fund mit dem Silt eingebracht, also umgelagert wurde. Ein besonderer Fund liegt aus der Grabung Römerweg (Regest-Nr. 33) vor, ebenfalls aus römischem Schichtzusammenhang. Hier wurde ein in römischer Zeit vermutlich als Baumaterial verwendetes, stark poröses Quelltuffstück gefunden (Abb. 52), in dem mehrere prähistorische Scherben einsedimentiert waren (2002.051.761.1). Ein Randstück gehört vermutlich zu einem S-förmig geschwungenen PfynerTopf. Die mindestens drei grösseren Wandfragmente zeigen vergleichbare materialtechnische Merkmale. Neben diesen etwas grösseren Scherben ist auch eine Anzahl an kleinen Fragmenten zu erkennen. Alle weisen aber erstaunlich gut erhaltene Oberflächen auf, in Anbetracht dessen, dass Quell- oder Kalktuff durch Ausfällungen in leicht fliessendem Gewässer entsteht. Wo dieser Stein abgebaut wurde, ist bislang nicht bekannt. 5.4

Bronzezeit 5.4.1

Forschungsstand

Fundstellen aus der Bronzezeit in Eschenz wurden gezielt nur in Zusammenhang mit der «Pfahlbauforschung» untersucht. Entsprechend sind Dorfanlagen mit Feuchtbodenerhaltung am besten bekannt, darunter sicher die verschiedenen Fundstellen auf der Insel Werd. Bei weiteren Fundpunkten handelt es sich um Zufallsentdeckungen, die bei Baubegleitungen oder Prospektionsgängen zum Vorschein kamen. Da mehr oder weniger die gesamte Bauzone von Eschenz in jüngerer Zeit auch in einer Zone archäologischer Funde liegt, ist hier die Überwachung von Bauvorhaben im Vergleich zu anderen Gemeinden intensiv. Dennoch wurden bislang nur wenige Siedlungsstellen aus der Bronzezeit entdeckt. 5.4.2

Eine frühbronzezeitliche Siedlung auf dem Orkopf

Funde aus der beginnenden Bronzezeit ab etwa 2200 v. Chr. fehlen auch in der Umgebung von Eschenz weitgehend. Einzig im Bereich der Mündung des Fennenbachs an der Grenze zur Gemeinde Mammern wurde 1921 ein Bronzebeil aus der Frühbronzezeit gefunden, das bislang ein Einzelfund geblieben ist. In dieser Uferzone durch Karl Keller-Tarnuzzer im Jahr 1932 angelegte Sondierschnitte

Abb. 53: Im Wasser erhaltene Reste einer vermutlich frühbronzezeitlichen Palisade aus Weichhölzern beim Orkopf. Sie sind durch die starke Strömung beträchtlich aberodiert.

zeigten keine Kulturschichten, so dass das Beil vorläufig als Weihefund und nicht als Hinterlassenschaft aus einer Ufersiedlung gedeutet wird. Auf dem Orkopf, einer flachen Seekreidebank im Übergang des Untersees in den Rhein, konnte in den letzten Jahren eine grossflächige Siedlung lokalisiert werden, die um 1900 v. Chr. und somit in der späteren Frühbronzezeit bestand (JbAS 92, 2009, 270; Mainberger u. Schnyder 2009, 17–18). Auf der durch die Strömung auf der Oberfläche stark aberodierenden Untiefe haben sich von diesem Dorf in erster Linie noch die umgebenden Palisaden aus Weichhölzern erhalten, deren gesamte Ausdehnung bislang noch nicht dokumentiert wurde (Abb. 53). Die Siedlungsschichten sind weitgehend der Erosion zum Opfer gefallen. 5.4.3

Keine Einöde in der Mittelund frühen Spätbronzezeit

Wie beinahe überall in der Schweiz sind Fundstellen aus der Mittelbronzezeit und der frühen Spätbronzezeit selten. In der Zeit zwischen etwa 1550 und 1050 v. Chr. sind keine Feuchtboden- oder Ufersiedlungen bekannt. Auch in Eschenz bestehen nur wenige Hinweise auf menschliche 55

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5.4

Bronzezeit

Abb. 54: Profilansicht der Grabungen unter Karl Keller-Tarnuzzer auf der Insel Werd (1931–1935). Mittels Beschriftung werden mehrere spätbronzezeitliche Fundschichten unterschieden.

Tätigkeiten in diesem Zeitraum. Ein oberständiges Randleistenbeil aus der späten Frühbronzezeit oder beginnenden Mittelbronzezeit wurde vor 1966 beim Pflügen im Baholz freigelegt. Eine mittelbronzezeitliche Gewandnadel des Typs Binningen wurde 2009 bei Begehungen mittels Metalldetektor in einem Acker auf der Flur Sagi entdeckt (JbAS 93, 2010, 222). Bei beiden Einzelfunden liegen keine weiteren Informationen zu den Befunden vor. Sie könnten von Siedlungsplätzen oder gestörten Gräbern stammen, aber auch als Deponien niedergelegt worden sein. Die schlechte Erhaltung der Siedlungen aus dieser Zeit zeigt sich am Beispiel von Fundschichten wie sie in der Baugrube für den Erweiterungsbau der Raiffeisenbank an der Frauenfelderstrasse in Eschenz dokumentiert wurden (JbAS 93, 2010, 222). Über einer etwa 45 cm dicken Schicht mit Holzkohlefragmenten wurde eine etwa 60 cm mächtige Schicht mit vereinzelten, stark erodierten Keramikscherben sowie einigen Steinen mit Spuren von Hitzeeinwirkung erkannt. Eine Radiokarbondatierung von 1120 bis 900 BC cal. bestätigt die erste grobe Datierung der Funde in die Spätbronzezeit (ETH-37738, 2835±35 BP). Bei beiden Schichten handelt es sich vermutlich um vom Hang her erodiertes Material, das offenbar hier in einer Senke abgelagert wurde. Einer der bemerkenswertesten bronzezeitlichen Funde aus Eschenz ist ein Vollgriffschwert, das bereits in die spätere Spätbronzezeit datiert (Keller u. Reinerth 1923, 194–195; Krämer 1985, Taf. 8). Es wurde von der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich 1863 gekauft (?) und gelangte ins Rosgartenmuseum Konstanz. Gemeinsam mit weiteren Funden stammt es angeblich aus Grabhügeln südlich des Hauses von Dr. Schirmer (ehemals Haus Stern) nahe des Rheinwegs an der thurgauisch-schaffhausischen Kantonsgrenze.

Abb. 55: Präsentation der Funde aus den Grabungen 1931–1935 auf der Insel Werd in der Stadtturnhalle Frauenfeld 1934. Zu erkennen sind einige beinahe vollständig erhaltene spätbronzezeitliche Gefässe.

5.4.4

Spätbronzezeitliche Dörfer auf der Insel Werd

Im Verlauf der späteren Spätbronzezeit wurden auf der Insel Werd mehrere Dörfer errichtet. In den auf der westlichen Hälfte der Insel zwischen 1932 und 1935 angelegten Grabungsfeldern dokumentierte Karl Keller-Tarnuzzer mindestens zwei spätbronzezeitliche Siedlungsphasen (Brem, Bolliger u. Primas 1987, 9, 113). Die Fundschichten trennenden, sterilen Sandbänder weisen auf mehrere Überschwemmungsphasen hin (Abb. 54). An Befunden haben sich von den Häusern neben Pfahlresten Feuerstellen mit Steinpflästerung und Reste der Lehmestriche von Hausböden erhalten (Brem, Bolliger u. Primas 1987, 113–123). Eindeutige Hausgrundrisse aus einer einzigen Phase sind aber nicht fassbar, die Dorfstrukturen bleiben daher weitgehend unbekannt. Die Verbreitung der Funde erstreckt sich aber über alle untersuchten Felder, die bronzezeitlichen Dörfer dürften sich daher über einen grossen Teil der Insel erstreckt haben. Das meiste bronzezeitliche Material ist heute nur noch der obersten unterschiedenen Fundschicht zuweisbar, die Material bis ins Hochmittelalter umfasst. Die zwei Hauptbesiedlungsphasen widerspiegeln sich auch in den geborgenen bronzezeitlichen Funden. Das Spektrum der Bronze- und Keramikfunde weist auf eine erste Siedlungsphase im ausgehenden 11. bis zu beginnendem 10. Jh. und eine zweite um Mitte des 9. Jhs. v. Chr. hin. In der gesamten untersuchten Fläche von etwa 1100 m2 entdeckte man beinahe zwei Tonnen spätbronzezeitliche Keramikscherben (Abb. 55) (Brem, Bolliger u. Primas 1987, 9). Einzelne Scherben könnten bereits aus der Mittelbronzezeit stammen (Primas et al. 1989, 20).

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5.5 5.5

Eisenzeit

Eisenzeit

Beachtenswert für das Untersuchungsgebiet im Bereich Untersee/Rhein ist die Tatsache, dass trotz jahrhundertelanger Forschung bislang nur vereinzelte Funde aus der älteren und jüngeren Eisenzeit überliefert sind. Die wichtigste Fundstelle ist nach wie vor die bereits seit 1845 untersuchte hallstattzeitliche Grabhügelnekropole von Hemishofen-Sankert mit ihren mehr als 35 Tumuli (Höneisen 1993, 33–35) und kostbaren Grabinventaren. Noch dürftiger ist die Fundausbeute aus der nachfolgenden La Tène-Zeit. Von der bereits erwähnten Nekropole im Sankert liegt eine frühlatène-zeitliche Bronzefibel vor (Höneisen 1993, 36), die allenfalls von einer jüngeren Nachbestattung stammt. Daneben kamen sechs keltische Münzen aus Gold, Silber und Potin in der Umgebung von Stein am Rhein und Eschenz zum Vorschein (Höneisen 1993, 36–38; Stehrenberger 2010, 142, 285). Zumindest die beiden Funde im Bereich der Insel Werd dürften als Deponierung im Fluss anlässlich einer Rheinüberquerung zu deuten sein. Es handelt sich dabei um ein münzähnliches Objekt (Viertelstater?) (Abb. 56) sowie um eine Sequaner Potinmünze vom Typ «Grosse Tête». Vereinzelte Reste von Keramikgefässen aus Eschenz sind zwar in La Tène-Tradition gefertigt, dürften aber – wie auch die berühmte Holzstatue aus der Flur Mettlen – in augusteischer und jüngerer Zeit entstanden sein. Ein gesicherter voraugusteischer Siedlungsbefund fehlt bis jetzt im Bereich der archäologisch untersuchten Flächen im vicus Tasgetium. Diesem Befund widerspricht die dendrologische Auswertung der römischen Bauhölzer von Eschenz. Roswitha Schweichel konnte in mehreren Jahrringkurven Effekte erkennen, die darauf hinweisen, dass die Waldstandorte in der näheren und weiteren Umgebung von Eschenz schon zwischen 70 und 30 v. Chr. aufgelichtet wurden, lange bevor die Römer an den Bodensee kamen (siehe Kapitel 7.4.1). Die geringe Funddichte aus der älteren und jüngeren Eisenzeit im Vergleich zu den vorangegangen und nachfolgenden Epochen ist typisch für die Ostschweiz. Einerseits dürfte das auf die Erhaltungsbedingungen bzw. Auffindungs-Chancen von Funden und Befunden zurückzuführen sein, andererseits war die Besiedlungsdichte dieser Region während der Eisenzeit vielleicht tatsächlich geringer als während der Spätbronze- und der Römerzeit. Die topografische Lage am Übergang vom Untersee in den Rhein lässt jedoch – analog zu keltischen Fundstellen am Zürich-, Neuenburger- oder Genfersee – eine keltische Ansiedlung im Bereich von Stein am Rhein/Eschenz beinahe als zwingend erscheinen. Dafür spricht neben den dendrologischen Daten auch die Tatsache, dass im Fundmaterial von Eschenz keltische Namen und zahlreiche Objekte in La Tène-Tradition überliefert sind. Bleibt die Frage, wo die Vorgängersiedlung von Tasgetium aufzuspüren ist. Die postulierte keltische Siedlung lag sicher nicht im Bereich des vicus, da bei keiner Grabung voraugusteische Befunde freigelegt wurden. Das Gebiet der mittelalterlichen Stadt Stein am Rhein und des gegenüberliegenden Kastellhügels dürften ebenfalls nicht in Frage kommen, da auch dort zahlreiche archäologische Grabungen Spuren einer eisenzeitlichen Begehung geliefert haben müssten. Inwieweit die Plateaus hinter der Burg

Abb. 56: Münzähnliches Objekt aus Gold (wohl keltisch), das bei einer Prospektion vor der Insel Werd entdeckt wurde.

Hohenklingen oder des Wolkensteinerbergs als Siedlungsgelände in Frage kommen, bleibt unklar. Feldbegehungen und Untersuchungen im Burgbereich haben bisher ebenfalls keinerlei Hinweise auf eine Besiedlung während der Eisenzeit zu Tage gefördert83. 5.6

Frühmittelalter

Die römische Epoche ist, was den Fundniederschlag und die Befunde anbelangt, in Eschenz und Umgebung ausserordentlich gut vertreten. Dies ist nicht zuletzt auf die ausgezeichneten Erhaltungsbedingungen in den wassergesättigten Sedimenten zurückzuführen. Die letzten römischen Befunde können darum dendrochronologisch exakt in den Herbst/Winter 401/402 n. Chr. datiert werden. Diese Pfähle von der Fundstelle Stein am Rhein-Charregass/Häldeli steckten als Annäherungshindernisse in der westlichen Wand eines 55 m langen Grabens, der als Verteidigungswerk dem spätrömischen Kastell Tasgetium vorgelagert war (JbAS 90, 2007, 174). Im selben Winter wurden die römischen Grenztruppen gemäss historischer Überlieferung von der Rheingrenze abkommandiert, um gegen die in Oberitalien eingefallenen Westgoten unter Alarich eingesetzt zu werden. Es ist nicht anzunehmen, dass damals eine Restbesatzung in Stein am Rhein stationiert blieb. Zwischen 402 n. Chr. und der 1. Hälfte des 6. Jhs. sind bisher keinerlei Befunde oder Funde aus der Gegend von Eschenz bekannt. Die frühesten Hinterlassenschaften nach der römischen Herrschaft stammen aus dem Gräberfeld Stein am Rhein-Rathaus (Burzler 1993, 238–239). Dort entdeckte man Anfang des 20. Jhs. Skelette und ein silbervergoldetes Bügelfibelpaar des Typs Nikitsch, das typologisch aus der frühmerowingischen Zeit des 2. Viertels des 6. Jhs. stammt. Archäologische Hinweise auf eine Hofsiedlung aus dieser Epoche fehlen aber. 83

Mitteilung von Markus Höneisen von der Kantonsarchäologie Schaffhausen.

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5.6

Frühmittelalter

Abb. 57: Beigaben aus dem Frauengrab von Eschenz-Helfenberg aus dem 8. Jh. n.Chr.: emaillierter Goldring, silberne, z.T. vergoldete Schmucknadel, silberne Riemenzunge und Knochenkammfragment.

Bemerkenswert sind Pfahlstellungen sowie der Fund eines Schwertfragments beim Orkopf, die bei Tauchuntersuchungen im Rahmen des Interreg IVA-Projekts «Erosion und Denkmalschutz im Bodensee und Zürichsee» zwischen 2009 und 2010 zum Vorschein gekommen sind (Mainberger u. Schnyder 2009, 18–21; JbAS 93, 2010, 213–214). So entdeckte man im nordwestlichen Rand des Orkopfs Waldkanten-datierte Eichenfähle mit Dendrodaten von 676 und 681 n. Chr. sowie einer C14-Datierung (Öo-Rc5: 1280±BC) um 676–771 n. Chr. Wofür diese frühmittelalterlichen Pfahlreihen im Wasser dienten, ist unbekannt. Ein bedeutender Fundpunkt aus dem Frühmittelalter stammt von Eschenz-Helfenberg. Um den 15. April 1829 entdeckte man im Zentrum von Unter-Eschenz ein aus behauenen Tuffsteinen und römischen Ziegeln gefügtes Grab, in dem die Skelettreste einer Frau sowie eines jugendlichen Individuums lagen84 (Burzler 1993, 239–241). Auf einem der als Grabboden verwendeten römischen Ziegelfragmente 84

Bereits in den Jahren 1826 und 1927 kamen im Bereich dieser Fundstelle (Eschenz-Bälisteig) Gräber zum Vorschein, die anhand der Beigaben (Spathen, Skramasaxe, Lanzenspitze, Messer, Pfeilspitzen, Schildbuckel, Bronzeringe, Schnallen usw.) als spätmerowingisch zu datieren sind (Keller-Tarnuzzer u. Reinerth 1925, 270). Die Funde befinden sich heute im Schweizerischen Nationalmuseum Zürich.

fand sich die bekannte Inschrift mit den Versen 11, 1–2 aus der Aeneis von Vergil (Lieb 1993, 162–164; siehe Kapitel 4.4; Abb. 250). Den beiden Verstorbenen wurden aussergewöhnlich kostbare Beigaben mit ins Jenseits gegeben. Es handelt sich dabei um ein verziertes Knochenkammfragment, eine silberne Nadel mit Goldummantelung, einen goldenen Fingerring mit emaillierter Zierplatte sowie eine silberne Riemenzunge mit Perlrandnieten (Abb. 57). Weitere Beigaben sind nicht überliefert, waren ursprünglich aber wohl vorhanden. Das Beigabenensemble wird wegen der überlangen Riemenzunge in die Zeit um 700 datiert. Ein vergleichbares kleineres Objekt, ebenfalls mit Perlrandnieten verziert, stammt nämlich aus Grab 4 von Stein am Rhein-Kirche Burg, das dank der goldenen Münzfibel mit einem Triens des langobardischen Königs Cunibert chronologisch nach 692 einzuordnen ist. 5.6.1

Insel Werd

Otmar, alemannisch Audomar genannt, kam Ende des 7. Jhs. im Bodenseeraum zur Welt. Seine Ausbildung zum Weltgeistlichen erhielt er im rätischen Chur. Dank seines tadellosen Lebenswandels und seiner Gelehrtheit berief ihn

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5.6

Frühmittelalter

Gebäude stammen könnten, in dem Otmar gefangen gehalten worden war. Etwas später dürfte auch eine Memoria über dem leeren Grab errichtet worden sein, die 958 urkundlich als St. Otmar erwähnt wird. 5.6.2

Frühmittelalterliche Kirchenbauten auf Burg

Unbestritten die wichtigste frühmittelalterliche Fundstelle am Unterseeende ist der Hügel «auf Burg» vis-à-vis des mittelalterlichen Städtchens Stein am Rhein (Abb. 59). Die dort gelegene Johannes-Kirche wird 799 erstmals in einer Urkunde erwähnt. Ein gewisser Wernher schenkt seinen Hof Schafraz bei Eschenz «et partem ecclesie in castro Exsientie» dem Kloster St. Gallen (Wartmann 1863, 146–147, Nr. 155; Schaltegger 1924, 25–26; Herleitung des Names von Eschenz: Nyffenegger u. Bandle 2003, 458–460). Die Kirche ist aber deutlich älter, wie Ausgrabungen zeigten, die im Rahmen der letzten Restaurierung von 1976 bis 1978 durchgeführt wurden (Bänteli u. Burzler 1993, 173–241). Im Bereich der Ruine eines spätrömischen Gebäudes legte man in der 2. Hälfte des 6. und in der 1. Hälfte des 7. Jhs. zwei mit Beigaben versehene Verstorbene einer Adelsfamilie in Gräbern nieder. Ob man sie zuerst im Freien bestattet hatte

Abb. 58: Einsargung von Otmar auf der Insel Werd. Aus der Vita St. Otmari, Cod. Sang. 602, Stiftsbibliothek St. Gallen, Mitte 15. Jh.

der Tribun Waltram von Arbon als Vorsteher an die damals vernachlässigte Gallus-Zelle. In 40 Jahren brachte er als Abt das Kloster St. Gallen mit 53 Mönchen zu einer ersten Blüte. 747 musste er die benediktinische Regel (ora et labora) einführen. Seine Eigenständigkeit und seinen Einfluss auf seine alemannischen Landsleute wollten die damaligen fränkischen Machthaber Warin und Ruadhard brechen: er wurde verleumdet, vor Gericht gestellt und auf Bodman eingekerkert, wo er verhungern sollte. Graf Gozbert verschaffte ihm dann auf seinem Besitz auf der Insel Werd eine erträglichere Gefangenschaft. Dort verstarb er im Jahr 759, wo er dann vorerst auch bestattet wurde (Abb. 58). Um 770 holten Mönche des Klosters St. Gallen ihren einstigen Abt zurück. Mit dem unverwesten Leichnam – so die Legende – fuhren sie im Schiff den ganzen Bodensee hinauf. Trotz Sturm löschten die zwei Kerzen zu Füssen und am Haupt von Otmar nicht aus, und der Wein aus einer kleinen Flasche85 vermochte die ganze Rudermannschaft ausreichend zu versorgen. 864 wurde Otmar heilig gesprochen. Bei Ausgrabungen 1961–1963 in der Kapelle auf der Insel Werd entdeckte man ältere Mauerreste, die von einem 85

Später als Lägelin (Fässchen) bezeichnet, das zum Attribut des Heiligen wurde.

a

b

c

d

Abb. 59: Bauphasen der Kirche Burg bei Stein am Rhein. a) Bau II.1, Saalkirche in Pfosten-Schwellriegelbauweise mit gemauerter Apsis, um 600 n. Chr.; b) Bau II.2, Apsiskirche, um 700 n. Chr.; c) Bau III.1, Rechteckkirche, um 800 n. Chr.; d) spätgotische Kirche, um 1500.

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5.7

Mittelalter und Neuzeit Abb. 60: St. Vitus-Kirche und Mesmerhaus in Unter-Eschenz. Erstere hat Isidor Keller um 1841 aufgrund von mündlichen Angaben älterer Zeitzeugen gezeichnet. Rechts im Hintergrund die Kirche von Öhningen (D).

und die Gräber erst später mit einer 9 auf 6 m grossen, rechteckigen Kirche überbaute, oder ob sie im ersten Gotteshaus, der ältesten Holzkirche auf Schweizer Boden, begraben wurden, wird in der Forschung noch diskutiert. Im späteren 7. Jh. baute man jedenfalls eine zweite Kirche, ein steinerner Saal mit eingezogener Apsis, in die 23 weitere, zum Teil mit Beigaben ausgestattete Gräber gesenkt wurden (Abb. 59b). Dieser Sakralbau war Eigenkirche und monumentaler Grabbau der hier residierenden alemannischen Adelsfamilie. Der Übergang zur Pfarrkirche für die linksrheinische Bevölkerung dürfte im Verlauf des 8. Jhs. erfolgt sein. Aus dieser Zeit stammen die nach einem Brand errichteten Fundamente einer dritten, steinernen Kirche mit einem rechtekkigen Chorraum. 5.7

Mittelalter und Neuzeit 5.7.1

Herrschaft Eschenz und Freudenfels des Klosters Einsiedeln

Die Geschichte der heutigen Gemeinde Eschenz beginnt mit einer Schenkung Königs Otto I. ans Kloster Einsiedeln, an dessen Gründung er 947 mitbeteiligt war. In der Urkunde von 958 (TUB Nr. 170) wird das vergabte Gut so beschrieben: «villa Askinza…cum omnibus ad eandem curtem nostram iuste pertinentibus, aeclesiis, curtis, curtilibus, mancipiis, agris, pratis, pascuis, silvis, aquis, piscationibus, molendinis, cultis et incultis, quesitis et inquirendis.»86 Aus der Kirche in Unter-Eschenz entstand durch die Pastoration Einsiedelns die Pfarrei Eschenz, die dem Kloster 1362 formell inkorporiert wurde. Dadurch entstand auch das Kol86

Das Gehöft Eschenz (…) mit allem, was uns rechtmässig zusteht: mit Kirchen, mit Hofgebäuden, Unfreien, Äckern, Wiesen, Weiden, Wäldern, Gewässern, Fischgründen, Mühlen: alles Bebaute wie Unbebaute, was eingeklagt und noch einzufordern ist.

laturrecht über die Pfarrei Eschenz, das heisst, das Kloster konnte selbst Weltgeistliche oder Ordensangehörige als Dorfpfarrer einsetzen. Durch weitere Ankäufe von Land und auch des Schlosses Freudenfels 1623 erwarb das Kloster Herrschaft und Vogtei mit der niederen Gerichtsbarkeit über Eschenz und Freudenfels.87 5.7.2

St. Vitus-Kirche in Unter-Eschenz

Mutterkirche für die ganze Region war ursprünglich St. Johann auf Burg, im ehemaligen römischen Kastell, die bereits 799 erwähnt ist. Der Name der St. Vitus-Kirche in Unter-Eschenz ist in einem Kirchenverzeichnis (Codex 29, ca. 970) des Klosters Einsiedeln aufgenommen (Knoepfli u. Sennhauser, 53; Raimann u. Erni 2001, 27). Ein kirchlicher Bau bestand hier vielleicht bereits im 8. Jh. und könnte als Eigenkirche im Besitz jenes Gozbert gewesen sein, der Otmar auf der Insel Werd gefangen hielt. Hauptpatron war der heilige Vitus, der auch zum Schutzherrn von Eschenz wurde. Ein Nebenaltar war der Jungfrau Maria geweiht, spätestens seit 1516 ist auch für den heiligen Nikolaus ein Altar errichtet, der Schutzpatron der Fischer. Damals erfolgten gemäss schriftlicher Überlieferung auch Umbauten am Chor. Während der Reformationszeit wurde das Gebäude beschädigt, 1601 fand nach der Wiederherstellung eine Neuweihe statt (Abb. 60). Um 1700 brannten in Unter-Eschenz einige Häuser im Dorfkern ab, einzig verschont blieben die Kirche, das Mesmerhaus und die westlich davon liegenden Häuser, was wohl die allmähliche Verlagerung der Dorferweiterung nach Südwesten einleitete. Anfang des 18. Jhs. war die St. VitusKirche baufällig und auch zu klein geworden. Der Neubau samt Friedhof kam ins Oberdorf zu stehen, was für UnterEschenz eine gehörige Einbusse als Dorfzentrum bedeutete. 87

Klosterarchiv Einsiedeln: Summarium C V(1)115.6.

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5.7

Mittelalter und Neuzeit

1738 riss man den ehemaligen Kirchenbau bis auf den Chor ab, der eine Zeitlang noch als Andachtsraum diente. Ebenso wurden die Friedhofsmauern abgebrochen, das frei gewordene Gräberfeld nutzte man als Obstgarten. Heute erinnert ein Bildstock an die abgegangene St. Vitus-Kirche. 5.7.3

Archäologische Befunde

Bei Grabungen im Jahr 2007 (Moosberger Parz. 485; Regest-Nr. 36) legte man die im Boden verbliebenen Fundamente der Kirche von St. Vitus frei und identifizierte mehrere Bauphasen. Bei der jüngsten handelt es sich um die Reste einer Kirche aus dem 16. Jh. Daran wurde ein rechteckiger Chor angebaut, der später durch einen polygonalen Choranbau ersetzt wurde. Die Datierung der Anbauten ist bislang unklar. Auch Teile des Friedhofs mit zahlreichen Erdbestattungen sowie die Friedhofsmauer grub man aus (Abb. 61–62, 68). 2008 beim Legen einer Werkleitung an der Unterdorfstrasse (Parz. 467, Regest-Nr. 26) musste vorgängig ein Umschlagplatz für Baumaterial vorbereitet werden. Dafür stellte die Gemeinde die so genannte Bildstöckliparzelle zur Verfügung, die im östlichen Bereich um 30 cm abhumusiert und danach mit Kies aufgefüllt wurde, um auch schwerem

Abb. 62: Wallfahrtsmedaillon (Maria Einsiedeln) und Paternoster-Perlen aus dem Friedhof der St. Vitus-Kirche.

Gerät standzuhalten. Im südlichen Bereich entfernte man den Humus entlang der Strasse, die sich im Bereich des alten Friedhofs befindet. Während dieser Arbeiten kam auch eine grössere Grube mit menschlichen Knochen zum Vorschein, die man jedoch sofort wieder zudeckte. Eigentliche Strukturen liessen sich in diesem Bereich nicht ausmachen. Einzig parallel zur Unterdorfstrasse wurde die Oberkante eine Mauer freigelegt, dabei dürfte es sich um die südliche Friedhofsmauer handeln. 5.7.4

St. Otmar-Kapelle auf der Insel Werd

Im 10. Jh. ist das St. Otmar-Heiligtum auf der Insel Werd erwähnt. Über dem Grab des 864 heilig gesprochenen ersten Abts von St. Gallen wurde eine Memoria erstellt, die im Lauf des Mittelalters zum Pilgerort wurde. 1496 wurde die Kapelle neu geweiht, neben Otmar sind auch die Heilige Dreifaltigkeit und die Mutter Gottes als Nebenpatrozinien auf Werd aufgeführt. In der Gegenreformation kam die Wallfahrt zu St. Otmar wieder zur Blüte, die dank der Schenkung einer Reliquie aus St. Gallen um 1767 noch verstärkt wurde. Bis heute wird der heilige Otmar hier verehrt,

Abb. 61: Dokumentation von Skeletten vom frühneuzeitlichen Friedhof der St. Vitus-Kirche.

Abb. 63: St. Otmar-Kapelle mit angebautem Priesterhaus wie es bis 1899 bestand. Die Insel war bis 1902 nur über eine Fähre erreichbar. Gemalt von Isidor Keller um 1850, siehe auch Abb. 25.

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5.7

Mittelalter und Neuzeit

Abb. 64: Neubau des Priesterhauses und erster Steg nach 1900. Postkarte Anfang 20. Jh.

auch wenn die Prozession am Jahrestag (16. November), bis nach Mitte des 20. Jhs. noch üblich, nicht mehr stattfindet. Die Kapelle ist in ihrer heutigen Ausdehnung der Bau von 1496. Daran angebaut war das Priesterhaus (Abb. 63), das bis zur Reformation Wohnung des Eschenzer Pfarrers war, dann dem reformierten Prädikanten zur Verfügung stand,

das aber nach 1561 wieder der katholische Pfarrer beanspruchte. 1899 wurde der baufällig gewordene Riegelbau des Priesterhauses abgetragen und in den gleichen Ausmassen wieder ein solides Wohnhaus aufgebaut, seine Giebel wurden mit Zinnen versehen, so präsentiert es sich bis heute als schlossähnlicher Bau (Abb. 25 und 64). Bis zu diesem Zeitpunkt gelangte man sowohl vom Nordufer als auch von Eschenz her nur mit dem Boot auf die Insel Werd, für Pilger stand ein Fährbetrieb zur Verfügung, auch vom deutschen Ufer aus. Um 1901 erhielt der Abt von Einsiedeln vom Kanton Thurgau die Konzession für den Bau eines 180 m langen Holzstegs, der bestimmte Bedingungen erfüllen musste. Nach 1500 Jahren wurde so die Insel wieder mit dem Festland verbunden, allerdings führt der Steg direkt auf das kirchliche Gebäude zu und hat keine Fortsetzung ans Nordufer wie einst die römische Brücke. Bereits um 1916 musste der Übergang erneuert werden, der in Eschenz ansässige Bautechniker Damian Zanoni88 lieferte den Entwurf dazu; weitere Instandstellungen folgten um 1959 (Abb. 65). 5.7.5

Die Gasthöfe Raben und Krone

Noch um 1700 bildete die St. Vitus-Kirche mit ihrem Friedhof den Mittelpunkt des Unterdorfs, daran schlossen sich das Mesmerhaus an sowie später daran angebaut das Haus des damaligen Schulmeisters, der Widumhof, der Speicher, der Kehlhof und das Wirtshaus zur Krone (Netzhammer 1938, 60). Der Widumhof – dem Pfarrgut zugehörig – beinhaltete Haus, Hofstatt und Garten, «stösst gegen Osten an den Kirchhof, dann an die Landstrasse, unten an den Kelnhof».89 Im Schäppi-Plan von 1726 ist eindeutig ein «Wirtshaus Krähen» eingezeichnet und über einen Weg südwestlich von der Kirche entfernt gelegen. Nach 1740 wird Abb. 65: Erneuerung des Stegs von Eschenz zur Insel Werd, um 1959.

88 89

Netzhammer 1934, 86. Klosterarchiv Einsiedeln: Summarium C DB 285.2g.

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5.7

Mittelalter und Neuzeit

2. Hälfte des 18. und vor allem im 19. Jh. wegen Ausbau der Landstrasse dem Seeufer entlang (1830) und dann mit der Inbetriebnahme der Bahnlinie (1875). Zahlreiche Neubauten entstanden im Umfeld der neuen Kirche, wie auch die Freudenfelser Zehntenscheune 1724 und Privathäuser entlang der oberen Strasse. Um 1725 veranlasste die Herrschaft Freudenfels einen «Tausch um das Wirtshaus zur Krone im Oberdorf Eschenz gegen das Wirtshaus zum Raben im Unterdorf Eschenz»90. Dafür übernahm das unwichtig gewordene Wirtshaus im Unterdorf die Bezeichnung «Krone», verlor aber das Tavernenrecht und war nur noch Metzgerei. Um 1769 soll die «Krone» abgebrochen worden sein (Abb. 66). 5.7.6

Abb. 66: Ausschnitt aus dem Entwurf der zeichnerischen Rekonstruktion der St. Vitus-Kirche, von Isidor Keller um 1840 (siehe Abb. 60). Am linken Rand ist das Gasthaus «Krone» mit Kehlhof und das ehemalige Mesmerhaus (roter Riegelbau) bei der Kirche erkennbar.

aber der Neubau eines stattlichen Gasthofs mit Mansardendach an der Hauptstrasse im Oberdorf als «Raben» bezeichnet, der anstelle eines älteren Gebäudes dort auf Geheiss der Herrschaft Freudenfels und Eschenz erbaut worden war. Dort hielt von da ab der Statthalter des Abts vom Kloster Einsiedeln auch Gericht. Schon nach Anfang des 18. Jhs. dehnte sich die Besiedlung vom Dorfkern in Unter-Eschenz nach Südosten ins so genannte Oberdorf aus, vermehrt dann auch in der

Abb. 67: Das Mesmerhaus (links) stand bis 1970 in Unter-Eschenz.

Mesmerhäuser und Schulräume in Unter- und Ober-Eschenz

Bereits 1698 ist in Eschenz von einem Mesmer und seiner Wohnstätte die Rede, ihm wird «Haus und Krautgarten, das Wieslein dabei» zugestanden, ebenso «das Heu und Gras auf dem Kirchhof».91 Es ist anzunehmen, dass er in der Nähe der Kirche wohnte, um seinen Dienst entsprechend zu leisten, wozu auch die Grablegungen gehörten. «Das alte Messmerhaus, das heute noch steht, grenzte an den nördlichen Teil des Friedhofs und war Eigentum der Kirchgemeinde. Es bestand aus einer untern Hälfte, die an die Böschung gebaut zweistöckig war, und aus der einstöckigen oberen Hälfte», beschreibt Erzbischof Raimund Netzhammer um 1938 das ehemalige Mesmerhaus (Abb. 67). Im Brandassekuranz-Register von 1808 wird noch die katholische Pfarrgemeinde aufgeführt, die Haus Nr. 218 besessen haben soll. Um 1825 erhält es die Nr. 60b, wird als Schulhaus und neu erbaut bezeichnet. Nr. 60a dagegen ist das Mesmerhaus bei der Kirche, das um 1825 aufgestockt wurde. So muss man annehmen, dass von diesem Zeitpunkt an der Schulraum im Oberdorf im neuen Mesmerhaus untergebracht war. Vorher hatte das bestehende Haus Heinrich Keller gehört, der von 1802 an sowohl Mesmer als auch Lehrer war, der «sich mit Jungfrau Maria Eva Keller verehelichte und ihre Wohnung bezog» (Keller 1850–1862). Keller beschreibt weiter, dass früher «die obere Stube im dasigen Mesmerhaus auf dem alten Friedhof dazu bestimmt war.» Schule wurde also bis etwa 1800 immer in Privathäusern gehalten, es war die Stube des jeweiligen Schulmeisters. Nach Isidor Keller soll um 1780 im Oberdorf ein neues Mesmerhaus samt Schulstube erbaut worden sein, auch unter Mithilfe der Jugend, die Steine und Sand sammelte. Bereits 1822 und dann nochmals 1851 fasste der Schulraum nicht mehr alle Kinder, jedesmal wurde der entsprechende Raum vergrössert.

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Klosterarchiv Einsiedeln: Summarium C ZA 262.2. Klosterarchiv Einsiedeln: Summarium C R(1) 97.1.

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6 Der vicus Tasgetium 6.1

Ausdehnung und Siedlungsorganisation des vicus Tasgetium Melanie Giger 6.1.1

Einleitung

Die einstige römische Siedlung Tasgetium ist in ihrer ursprünglichen Ausdehnung bis heute nicht vollständig erfasst, da in der Regel nur bei Bauvorhaben gewisse Bereiche untersucht werden können. Die im Grabungsplan eingetragenen untersuchten Flächen widerspiegeln diese Vorgehensweise und verdeutlichen auch gleichzeitig die Schwierigkeiten, die sich bei der Frage zur Ausdehnung und räumlichen Organisation des vicus ergeben. Dennoch lässt sich ein erstes Bild vom erschlossenen römischen Siedlungsareal machen. Die in den Regesten aufgeführten Hinweise setzen sich aus verschiedenen Quellen zusammen, die bereits ausführlich im Kapitel zur Forschungsgeschichte beschrieben wurden.92 Neben den Arbeiten des Amts für Archäologie des Kantons Thurgau lieferten die wohl wichtigsten Informationen handschriftliche Notizen und Fundbeobachtungen von Alfons Diener, dessen Beitrag zur Erforschung der Siedlungsgeschichte in der Forschungsgeschichte gewürdigt worden ist. Er verfasste ein eigenes Fundstellenverzeichnis, das eine vom Amt für Archäologie unabhängige Nummerierung aufweist und auch so in den Regesten zitiert ist. Über die Jahre sammelte er zudem eine beträchtliche Menge an Fundmaterial an, das nach seinem Tod 2006 ins Amt überführt und archiviert wurde. Seine Beobachtungen auf dem Gemeindegebiet von Eschenz konnte er machen, weil er kleinere Bodeneingriffe wie Wurzellöcher gefällter Obstbäume, Werkleitungs- und Abwassergräben konsequent absuchte. Ein Teil der Funde stammt aus Feldbegehungen. Es existieren ausführliche Skizzen und Beschreibungen der «Diener’schen Fundstellen», was es ermöglicht, Ausrichtung und Lage dieser Befunde in Bezug zu den übrigen Befunden zu setzen und gegebenfalls mit Landeskoordinaten zu versehen. Nur ein kleiner Teil der Bodeneingriffe kann tatsächlich als Altgrabungen angesprochen werden. Dazu zählen die Grabungen von Bernhard Schenk im Bereich des römischen Bads (Regest-Nr. 82) und der beiden vermuteten Villen auf der Flur Hermannsäcker und in der Grünegg bei Bornhausen (Regest-Nr. 122, 126) in den Jahren 1875 und 1876. Aufgrund der fehlenden Dokumentation sind die Standorte dieser drei Gebäudekomplexe bis heute nur ungefähr zu lokalisieren. Für die Auswertung des Siedlungsplatzes Tasgetium ist es sicher förderlich, dass neben den Altgrabungen von Schenk der weitaus grösste Teil der Flächen erst seit der Mitte des 20. Jhs. untersucht wurde. Somit fehlt die mit Altgrabungen häufig verbundene Problematik 92

Siehe Kapitel 4.

Ausdehnung und Siedlungsorganisation

der mangelnden und unsystematischen Dokumentation also weitgehend. Die vom Amt für Archäologie durchgeführten Untersuchungen beinhalten neben Flächengrabungen, die aber im Vergleich zu anderen vicus-Grabungen in der Schweiz von eher bescheidenen Ausmassen blieben, auch Sondierungen, Baubegleitungen und Profildokumentationen in Werkleitungs- und Kanalgrabungen. Ein nicht geringer Teil der Quellen, besonders im grösseren Umkreis des vermuteten Siedlungsperimeters, setzt sich zudem aus Lese- und Streufunden zusammen. Bei einer ersten Analyse des Siedlungsareals und der Frage nach Zentrum, Peripherie und Ausdehnung müssen diese Unterschiede in der Art der Aufschlüsse unbedingt berücksichtigt werden. Nicht zuletzt spielen sie auch bei der Frage nach dem Potential weiterer Bodenuntersuchungen eine wichtige Rolle. 6.1.2

Stratigrafie

Das anstehende Sediment nördlich der römischen Strasse ist ein grauer, stark wasserführender Sand, der zusammen mit dem aufsteigenden Grundwasser bewirken kann, dass die Schnittprofile instabil werden und ausbrechen. Die dadurch nötige Stabilisierung der Profile mit Larsen erschwert die Profildokumentation. Gezeichnet werden die Profile im verkleinerten Massstab 1:20; die Dokumentation aller Profile ist bei den grösseren Flächengrabungen Standard, bei kleineren Sondierungen und Baubegleitungen werden häufig nur einzelne Profile zeichnerisch und fotografisch aufgenommen. Für die Rekonstruktion des natürlichen vorrömischen Terrains können in Nord-Süd-Richtung einige Grabungen und Sondierschnitte aneinandergehängt und dahingehend untersucht werden (z.B. Regest-Nr. 21, 31, 33, 35, 38, 66, 67, 68, 97), um so mehrere Querschnitte durch das Siedlungsareal zu erhalten. Als Längsschnitt kann der von West nach Ost durch den vicus führende Telecom-Leitungsgraben (Regest-Nr. 27) herangezogen werden, obwohl man dort beachten muss, dass in den meisten Abschnitten nicht bis auf das anstehende Sediment gegraben wurde. Die Zone mit guten Erhaltungsbedingungen für organisches Material erstreckt sich auf einem ungefähr parallel zum Ufer verlaufenden Streifen, dessen südlichste Ausläufer sich etwa auf der Linie der Fundstellen Regest-Nr. 22, 33, 65, 69 und 94 befinden. Nach Norden reicht die Zone mit organischen Befunden bis ans Rheinufer. Die Areale mit Feuchtbodenerhaltung werden durch eine West-Ost verlaufende Geländerippe getrennt, auf der die römische Strasse verlief. Die unmittelbar südlich daran anschliessenden Befunde liegen in einem grösstenteils trockenen Milieu. Weiter nach Süden ist durch heraufdrückendes Hangwasser wiederum eine Feuchtbodensituation entstanden, wobei die Befunde am Römerweg zusätzlich in einer feuchten Senke liegen. Deutlich ist der Wechsel auf Parzelle 1085 (Regest-Nr. 38) zu verfolgen, wo im nördlichen Grabungsfeld Trockenbodenerhaltung angetroffen wurde, im südlichen dagegen umfangreiche Feuchtbodenbefunde vorlagen. Die Distanz zwischen den beiden Grabungsbereichen beträgt nur ca. 20 m. Nach Norden hin ist eine markante Geländekante festzustellen, denn in der Grabung auf Parzelle 1101 67

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Ausdehnung und Siedlungsorganisation

(Haus Zehnder, Regest-Nr. 31), die sich nördlich von Parzelle 1085 befindet, lagen die anstehenden Sedimente rund 4 m tiefer als im nördlichen Feld von Parzelle 1085. Es ergibt sich somit eine Trennung von Feuchtboden- und Trockenbodenbefunden, deren Stratigrafie sich in wesentlichen Merkmalen unterscheidet. In den Zonen mit Feuchtbodenerhaltung, insbesondere in den Hangbereichen nördlich der römischen Strasse, haben sich mächtige, grösstenteils organische Kulturschichten abgelagert. Die untersten organischen Schichten über dem anstehenden Sediment dürften vorrömische Horizonte anzeigen. Gehniveaus liessen sich in diesen nassen, stark mit Holz- und Pflanzenresten vermischten Schichtpaketen kaum feststellen. Die in Grabungsberichten und früheren Publikationen als Torf bezeichnete Schicht findet sich in allen Grabungsarealen mit Feuchtbodenerhaltung und kann als eigentlicher Leithorizont angesprochen werden. In den Hanglagen ist über diesen frühen Horizonten immer wieder mit Anschüttungen und Planien zu rechnen, die als Baugrundvorbereitung für weitere Bauphasen zu interpretieren sind. Die Erhaltungsbedingungen im Feuchtbodenbereich sind für Holz und anderes organisches Material äusserst gut, manche Hölzer wurden jedoch durch eingebrachte Auffüllschichten und Hangdruck mehr oder weniger stark deformiert. Die Stratigrafie ist durch wiederholte, tief ins Gelände eingreifende Bautätigkeit nördlich der Strasse

deutlich komplexer und schwerer lesbar als in den Zonen südlich davon. Begünstigt durch das ebene, leichter bebaubare Gelände fehlen massive Anschüttungsschichten und Baugrundvorbereitungen; die einzelnen Bauphasen grenzen sich durch die regelmässige Abfolge von Planien, Böden und Nutzungsschichten gut voneinander ab. Gehniveaus sind deutlich sichtbar. Die römischen Schichten selbst beginnen nördlich der Strasse (Regest-Nr. 35–36) erst unter einer neuzeitlichen Bauschuttplanie von über 1 m Mächtigkeit. Sowohl nördlich wie südlich der Strasse liegt über den römischen Kulturschichten das mittelalterliche und frühneuzeitliche Friedhofsareal der St. Vitus-Kirche93 (Abb. 68). Es ist davon auszugehen, dass die jüngsten römischen Schichten durch diese nachrömische Nutzung in Mitleidenschaft gezogen und zumindest teilweise abgetragen wurden. Wo solche Störungen und Aufschüttungen fehlen und Trockenbodenerhaltung vorliegt, beginnen die römischen Kulturschichten häufig direkt unter dem Humus, ca. 30–50 cm unter der Grasnarbe (Regest-Nr. 25, 38, 44). Die Mächtigkeit der römischen Kulturschichten sowie der nachrömischen Planien und Aufschüttungen variiert demnach stark und ist neben der Intensität antiker und nachantiker Bautätigkeit abhängig von der Höhe des Grundwasserspiegels bzw. den dadurch gegebenen Erhaltungsbedingungen. 6.1.3

Siedlungsperimeter

6.1.3.1 Norden Gesamtfläche und Ausdehnung des vicus können beim aktuellen Forschungsstand noch nicht präzise erfasst werden. Der Blick auf die Karte mit den eingetragenen Fundpunkten macht jedoch klar, dass sich die Kernzone der Siedlung auf den ufernahen Bereich zu beiden Seiten des Auerbachs und in der Nähe der Brücke konzentriert (Abb. 69, 235). Das Siedlungsareal wird im Norden vom Rhein begrenzt. Im Hinblick auf die Diskussion über eine römische Besiedlung der Insel Werd und des Areals um den nördlichen Brückenkopf jenseits des Rheins ist diese Siedlungsgrenze dennoch weniger klar, als es auf den ersten Blick scheinen mag.94 Die Ausdehnung des vicus in südlicher, westlicher und östlicher Richtung kann in manchen Bereichen durch das Ausdünnen der Befunde und Kulturschichten eingegrenzt werden, doch ist der genaue Umfang des besiedelten Gebiets nicht definitiv umrissen. 6.1.3.2 Westen Im Westen liefern drei Bodeneingriffe Hinweise auf eine Randzone der Siedlung (Abb. 70). Am westlichen Rand der grossen, nach seinem Besitzer und im Folgenden als «Dienerwiese» bezeichneten Parzelle 446 wurde 1989 ein Kanalisationsgraben angelegt (Regest-Nr. 89). Obwohl der gewonnene Einblick nur begrenzt war, lieferte er eine wertvolle Ergänzung für das Siedlungsbild, da sich der Schnitt Abb. 68: Grabung Moosberger (Regest-Nr. 36). Übersicht über den teilweise freigelegten Grundriss der St. Vitus-Kirche.

93 94

Zur St.Vitus-Kirche siehe Kapitel 5.7.2. Höneisen 1993, 61, 66–57.

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Abb. 69: Luftbild aus dem Jahr 2004, Blick auf das Dorfzentrum von Unter-Eschenz, im Hintergrund die Insel Werd.

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Abb. 70: Ausschnitt aus dem Zonenplan, westlicher Siedlungsrand. Gelb: Grabungsflächen; rote Punkte: Regest-Nr. Reproduziert mit Bewilligung des Amts für Geoinformation des Kantons Thurgau vom 20.4.2011.

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quer durch den vermuteten Westrand der Siedlung zieht und die Schichten bis auf das anstehende Sediment dokumentiert werden konnten. Dabei wurde im nördlichen Abschnitt, der entlang der Westgrenze der Parzelle 446 führt, ein quer zum Grabenverlauf liegender Holzkanal freigelegt, dessen römische Datierung, im Gegensatz zu einer NordSüd ausgerichteten Mauer im Ost-West verlaufenden Grabenbereich, als gesichert gelten darf. Auffallend sind im nördlichen Bereich organische Kulturschichten über den natürlich sedimentierten Ablagerungen. Diese liessen sich im südlichen Grabenabschnitt nicht mehr fassen, es folgte dort über den anstehenden sandigen Sedimenten bereits der Humus. Als einziger römischer Befund in diesem Abschnitt konnte eine «Brandgrube» dokumentiert werden, wobei sich später herausstellte, dass es sich dabei um den Rest eines Töpferofens handelte. Die geringe Befunddichte scheint trotz des schmalen Grabungsausschnitts demnach auf ein von römischer Siedlungstätigkeit kaum berührtes Gelände hinzuweisen. Den Eindruck eines zumindest baulich nicht intensiv genutzten Areals vermitteln auch die Befunde aus den Grabungen von 1977, im Areal westlich des nördlichen Kanalisationsabschnitts (Regest-Nr. 87). Die vorgängig wegen des Baus neuer Einfamilienhäuser durchgeführten Notgrabungen legten eine zum Rheinufer parallele Mauer und einen hölzernen Kanal frei, der von Süden her führend unter der Mauer hindurch nach Norden entwässerte.95 Über dem anstehenden Sediment konnte eine braun-schwarze Schicht festgestellt werden, die viele Holz- und Schilfbestandteile enthielt. Über dieser Schicht lagen südlich der Mauer Auffüllschichten, die teilweise aus nachrömischer Zeit stammen dürften. Im Gegensatz zur untersten organischen Schicht wiesen die darüberliegenden Schichten kaum bis gar keine 95

Höneisen 1993, 43–47; Jauch 1997, 228–232. Für die vollständigen Literaturzitate siehe Regest-Nr. 87. Zur Mauer und zu den nördlich anschliessenden Schichten bzw. der damit verbundenen Frage nach der Funktion dieses Befunds siehe Kapitel 6.1.8.

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Funde auf. Eine eigentliche Abfolge von Siedlungsschichten mit Benutzungshorizonten fehlte.96 Möglicherweise stand das Gebiet auch zeitweise unter Wasser, was eine Erklärung für das stark durchmischte Fundmaterial wäre. Die Mauer und der Holzkanal bleiben vorerst die einzigen römischen Strukturen, die in dieser Zone nachgewiesen werden konnten. Ein 1940 entdeckter Töpferofen (Regest-Nr. 83) ist ein weiterer Hinweis für die westliche Begrenzung des Siedlungsareals. Aufgrund der spärlichen Dokumentation kann er heute nicht mehr exakt lokalisiert werden. Mit Sicherheit ist er jedoch westlich der Grabungen von 1977 anzusiedeln.97 6.1.3.3 Süden Verschiedene Bodeneingriffe in der Nähe und entlang der heutigen Kantonsstrasse, die von Stein am Rhein nach Kreuzlingen führt, lassen sich als Belege für die südliche vicus-Grenze aufführen (Abb. 71): Der oben besprochene südlichste Arm des Kanalisationsgrabens von 1989 (Regest-Nr. 89) führte in seiner Verlängerung bis an die Hauptstrasse und wies zwischen anstehendem Sediment und Humusdecke keine römischen Kulturschichten auf. Fast ebenso befund- und fundleer waren vier westlich davon angelegte Sondierschnitte (Regest-Nr. 80). Nordwestlich und nordöstlich in unmittelbarer Nähe davon fanden sich in den Jahren 2000 und 2005 mehrere Töpferöfen (Regest-Nr. 78, 81). Dieses «Töpferquartier», zusammen mit der anschliessenden befundleeren Zone im Süden, deutet stark auf einen Siedlungsrandbereich hin. Weiter bestätigt wird dies durch die grossflächige Grabung südlich der Töpferöfen (RegestNr. 73), wo nur ganz vereinzelt römische Funde aufgelesen wurden. An Strukturen konnte eine Brandgrube am west96 97

Höneisen 1993, 44. Urner-Astholz 1942, 15–16; Höneisen 1993, 49. Zum Töpferofen siehe Kapitel 6.1.9.

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Abb. 71: Ausschnitt aus dem Zonenplan, südlicher Siedlungsrand. Gelb: Grabungsflächen; rote Punkte: Regest-Nr. Reproduziert mit Bewilligung des Amts für Geoinformation des Kantons Thurgau vom 20.4.2011.

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lichen Grabungsrand dokumentiert werden, die wiederum als Rest eines Töpferofens interpretiert wurde. Wegen dieser Befunde und dem Fehlen anderer Strukturen ist beim heutigen Kenntnisstand davon auszugehen, dass der südwestliche Rand des vicus in diesem Bereich zu suchen ist. Südlich der Hauptstrasse ermöglichten zwei Baubegleitungen Einblicke in den Boden (Regest-Nr. 74, 76), die aufzeigten, dass auch in diesem Abschnitt nicht mehr mit einer dichten römerzeitlichen Überbauung gerechnet werden kann. Da nur der Aushub überwacht wurde, konnten einzig die Profile dokumentiert werden. Auf dem grossflächigen Areal zwischen Hauptstrasse und Eisenbahntrassee (RegestNr. 74) wurde als einzige Struktur ein ungefähr Südwest-

Nordost verlaufender Graben mit runder Sohle beobachtet (Abb. 72). Die Verfüllschichten enthielten römische Funde. Der Graben war in das anstehende Sediment eingetieft, wobei dessen OK an dieser Stelle bereits 1 m unter der Grasnarbe lag. Ein wichtiger Aufschluss bot sich bei der Profildokumentation des Gasleitungsgrabens (Regest-Nr. 76) südlich des Eisenbahntrassees. Der Graben zog sich über eine Länge von mehreren hundert Metern hin. Es zeigte sich aber, dass nur gerade in dem Abschnitt, welcher der Grabung Haus Frieden (Regest-Nr. 74) gegenüber lag, römische Befunde beobachtet werden konnten. Diese lagen in Form von zwei fundführenden Schichten vor, die sich in einer muldenförmigen Vertiefung abgelagert hatten und nach Osten ausliefen. 71

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Abb. 72: Grabung Haus Frieden (Regest-Nr. 74), ins anstehende Sediment eingetiefter Graben unbekannter Funktion, Verfüllschichten mit römischem Fundmaterial.

Der unterste Bereich auf der Muldensohle konnte aufgrund russgeschwärzter Steine und Holzkohle als Brandschicht angesprochen werden. Ob und wie sich die verfüllte Senke mit dem Graben von der Grabung Haus Frieden (Regest-Nr. 74) in Verbindung bringen lässt, kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht entschieden werden. Fest steht, dass es sich um die bisher einzigen römischen Befunde südlich der Hauptstrasse handelt. Sie sind zudem wohl punktueller Natur, denn wie das Nordprofil des Gasleitungsgrabens andeutet, setzen sich die Befunde nach Osten hin nicht fort. Wie zwei nordwestlich dieser Baubegleitungen gelegene Bodeneingriffe (Regest-Nr. 75, 77) zeigen, dürfte der eigentliche Abschluss des vicus im Süden bereits nördlich der Hauptstrasse liegen. Eine Sondierung (Regest-Nr. 75) erbrachte 1995 keine römischen Befunde. Die untersuchte Fläche war unter anderem deshalb grosszügig angelegt worden, weil 1829 in unmittelbarer Nähe eine frühmittelalterliche Doppelbestattung entdeckt worden war (Regest-Nr. 71). 7073 5 0

Weitere Bestattungen fehlten jedoch ebenso wie römische Strukturen. Auch hier folgte auf den Humus und eine Mischschicht, die auch neuzeitliche Funde enthielt, unmittelbar das anstehende Sediment. Westlich dieser Sondierung wurden 1999 baubegleitend die Profile einer Baugrube untersucht (Regest-Nr. 77). Drei Schichten enthielten römische Funde, wovon die oberste als Schuttschicht interpretiert wurde und viel Schlacke enthielt. Die beiden unteren Schichten enthielten dagegen nur vereinzelt römische Funde. Benutzungshorizonte liessen sich keine fassen. Auch schien es, als ob die Schichten mit römischem Fundmaterial wieder in einer muldenartigen Vertiefung zu liegen kamen. Da aber nur das Südprofil der Baugrube dokumentiert werden konnte, sind der Überprüfung dieser Beobachtung Grenzen gesetzt. Einen wichtigen Befund im Übergang vom bebauten vicus-Areal zum Siedlungsrand lieferte ein kleiner Sondierschnitt (Regest-Nr. 26), der westlich des Auerbachs zwischen der grossen Grabung am Römerweg (Regest-Nr. 33) und der eben besprochenen Sondierung (Regest-Nr. 75) angelegt wurde. Zwar konnten auch hier mit Ausnahme einer Rollierung, die vielleicht als Drainage diente, keine römischen Strukturen dokumentiert werden. Es liess sich jedoch eine Schichtabfolge aus mindestens zwei römischen Kulturschichten erkennen, die im Nordteil der Sondierung noch eine Mächtigkeit von ca. 0,80 m aufwiesen, nach Süden abnahmen und schliesslich ausliefen. Gehniveaus konnten in den Kulturschichten keine festgestellt werden; ebenso fehlen Hinweise auf eine intensive bauliche Nutzung des Areals. Die Interpretation als Siedlungsrand dürfte somit zutreffen. Weiter nach Osten lassen sich in der Zone Sagi/Grueb einige Beobachtungen bei Baubegleitungen und Sondierungen mit dem hier vermuteten Randbereich des vicus in Verbindung bringen (Regest-Nr. 54, 57, 63, 67, 70). Obwohl römische Funde und Hinweise auf vereinzelte Kulturschichten

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Abb. 73: Ausschnitt aus dem Zonenplan, südöstlicher Siedlungsrand. Gelb: Grabungsflächen; rote Punkte: Regest-Nr. Reproduziert mit Bewilligung des Amts für Geoinformation des Kantons Thurgau vom 20.4.2011.

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Wege und Strassen

Die Erschliessung der Siedlung erfolgte über zwei Hauptachsen, einer parallel zum Rheinufer verlaufenden Strasse, die seit den Grabungen von 2005 archäologisch nachgewiesen ist, und einer Nord-Süd ausgerichteten Strasse in der Verlängerung der römischen Rheinbrücke, die bisher nur durch die geophysikalischen Prospektionen von 2010 belegt werden konnte (Abb. 74). Der weitere Verlauf der parallel zum Rheinufer verlaufenden Strasse wird durch die Ausrichtung und die Funktion der östlich des Auerbachs liegenden Befunde bestätigt. Nach Westen konnte mit dem Georadar möglicherweise die Fortsetzung derselben gefasst werden. Es ist jedoch nicht sicher, ob es sich bei der durch die Prospektion erkannten Struktur tatsächlich um die Fortsetzung der uferparallelen 70725 0

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Wie weit sich der vicus nach Osten ausdehnte, ist beim heutigen Forschungsstand nicht zu beantworten. Die grosse Parzelle 505 im Dreieck zwischen Rheinweg im Norden, Lindenstrasse im Süden und Espigraben im Osten wurde archäologisch noch nicht untersucht. Dieses Areal wird bis jetzt landwirtschaftlich genutzt, so dass archäologische Interventionen nicht nötig waren. Östlich dieser grossen Parzelle liegt die Flur Espigraben (Zone 7). Bei Sondierungen wegen mehrerer Bauvorhaben wurden an verschiedenen Stellen Kulturschichten mit römischen Funden, jedoch keine Gebäudestrukturen angeschnitten (Regest-Nr. 99, 101–103). Hinweise auf eine mögliche römische Bautätigkeit liefern einerseits die Freilegung eines Ost-West verlaufenden Grabens, der mit römischem Bauschutt verfüllt und an dessen südlicher Böschungskante eine kleine Trockenmauer erichtet war, andererseits ein hoher Anteil von Baukeramik im Fundmaterial (Regest-Nr. 99–100, 103–104). Es stellt sich die Frage, wie die Befunde in der Flur Espigraben zu interpretieren sind. Das Befund- und Fundbild zeigt einige Auffälligkeiten, wie z.B. die oben erwähnte Häufung von Baukeramik, besonders von Ziegeln, und das spärliche Keramikspektrum. Das Auftreten der Baukeramik steht im Widerspruch zur Absenz von Gebäudestrukturen. In einigen Sondierschnitten liessen sich zudem keine Kulturschichten fassen. Das Gebiet scheint also weitgehend unbebaut gewesen zu sein. Das Fundmaterial aus den beobachteten Kulturschichten erscheint chronologisch heterogen. Besonders bemerkenswert ist die grosse Anzahl Münzen aus dem spätesten 3. Jh. n. Chr., die vor allem in zwei benachbarten Sondierungen zu Tage gefördert wurden (Regest-Nr. 101, 103). Zusammenfassend kann für die Ostausdehnung des römischen vicus postuliert werden, dass sich diese allenfalls bis in den Bereich der Flur Espigraben erstreckte. Die dort aufgefundene Baukeramik lässt vermuten, dass sich allfällige Gebäudestrukturen in nicht allzu grosser Entfernung davon befanden. Die Sondierungen haben auch gezeigt, dass mit einer eigentlichen Bebauung in diesem Areal nicht mehr gerechnet werden kann. Ausserhalb des postulierten Siedlungsperimeters liegen die Befunde im Bereich der ehemaligen Käserei (Re-

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6.1.3.4 Osten

gest-Nr. 108–109). Die dort freigelegten römischen Brandund Körperbestattungen, die ein deutlicher Beleg für eine Siedlungsrandzone sind, werden in Kapitel 9.2 näher erläutert. Im Umkreis dieser Bestattungen sowie in den Zonen Eschenzer Horn und Bälisteig/Hüttebärg konnten immer wieder Lesefunde gemacht werden, wobei es sich in erster Linie um Keramik und Münzen handelt (Regest-Nr. 110– 114, 118–119).

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vorliegen, fehlten Strukturen fast durchgehend (Abb. 73). Trotz der geringflächigen Aufschlüsse ist es möglich, einige Aussagen bezüglich ihrer Lage im vicus-Areal zu machen. In der Flur Grueb südlich des Sagiwegs und nördlich der Hauptstrasse wurden zwischen 1992 und 1995 kleinere Sondierungen durchgeführt, die vereinzelt noch Funde, ansonsten aber nur natürlich anstehende Sedimente zu Tage brachten. Speziell erwähnt sei an dieser Stelle die Profildokumentation vom Sagiweg 4 (Regest-Nr. 63), denn hier lässt sich das Auslaufen der Kulturschichten und damit der Rand des Siedlungsareals fassen. Den südlichsten Aufschluss in der Zone Sagi/Grueb beobachtete 1985 Alfons Diener beim Durchsuchen des Aushubs einer Baugrube (Regest-Nr. 57). Er fand zwar römische Keramik, konnte aber im ganzen Areal keine baulichen Strukturen ausmachen.

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Abb. 74: Karte mit den bisher bekannten römerzeitlichen Strassenzügen. Reproduziert mit Bewilligung des Amts für Geoinformation des Kantons Thurgau vom 20.4.2011.

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Abb. 75: Übersichtsplan mit Anhaltspunkten für den Verlauf der Strassenverbindungen ausserhalb des vicus. Rote Punkte: Regest-Nr. Reproduziert mit Bewilligung des Amts für Geoinformation des Kantons Thurgau vom 20.4.2011.

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Strasse oder nur um einen Zufahrtsweg zur Erschliessung des Badegebäudes handelt. Aufgrund der Befunde im südlichen Bereich des vicus war von einer Nord-Süd-Achse schon vor den geophysikalischen Untersuchungen auszugehen. Besonders die Töpferöfen und Fundpunkte mit kleinen Aufschlüssen (RegestNr. 19–20, 23–24, 73–74, 76–78) sowie die Gebäude auf der Dienerwiese legten eine solche nahe, da sie von der uferparallelen Strasse zu weit entfernt liegen und eine Erschliessung aus dieser Richtung deshalb unwahrscheinlich schien. Neben der parallel zum Ufer verlaufenden Strasse konnten an mehreren Stellen Wegstrecken freigelegt werden,

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deren Hauptfunktion in der Erschliessung unterschiedlicher Bereiche innerhalb der Siedlung gelegen haben dürfte. Beim Strässchen am Rheinweg handelt es sich um eine schmale, von der Hauptrasse abzweigende Gasse, die zwischen zwei Parzellen verläuft. Das Gehniveau aus Kies wurde mehrmals erneuert und erhöht. Ähnlich sind die beiden Kiesschüttungen aus der Grabung Dienerwiese (Regest-Nr. 97) zu interpretieren. Die eine lag zwischen den beiden südlichsten Gebäuden und könnte, da nur in einem Sondierschnitt gefasst, auch zu einem Kiesplatz ergänzt werden. Eingefasst von der rheinseitigen Aussenwand des nördlichsten Gebäudes und einem niedrigen Mauersockel, einer Portikus- oder

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6.1 Terrassenmauer98, wurde eine weitere Kiesschüttung freigelegt. Diese Wege dürften für die Erschliessung rückwärtiger Gebäudebereiche angelegt worden sein. Von einer ähnlichen Nutzung ist wohl auch bei den verschiedentlich im Bereich Römerweg (Regest-Nr. 33) und Sagi/Grueb (RegestNr. 6099, 65100) dokumentierten Prügelroste und Bretterlagen auszugehen, die einen Zugang zu den als Hinterhofareale genutzten offenen Flächen auch bei sumpfigen Bedingungen ermöglichen sollten. Ausserhalb des eigentlichen Siedlungsperimeters sind nur spärliche Anhaltspunkte für die Weiterführung der Hauptverkehrsverbindungen vorhanden (Abb. 75). Die Spur der östlich des Auerbachs noch indirekt gefassten Strasse verliert sich ausserhalb der Zone Sagi/Grueb. Sie ist möglicherweise in einem Luftbild aus dem Jahr 1989 vom Müliacker (Zone Eschenzer Horn, Regest-Nr. 115) zu sehen. Eine Abzweigung nach Süden in Richtung Pfyn und Thurtal muss es gegeben haben, doch ist der tatsächliche Strassenverlauf bis heute unbekannt. In Frage kommen mehrere Varianten, die bereits zu Zeiten von Karl Keller-Tarnuzzer diskutiert wurden.101 Ein 1909 zufällig beobachteter Wegabschnitt in der Flur Bälisteig/Hüttenberg (Regest-Nr. 117) wurde von den damaligen Ausgräbern als römisch bezeichnet. Ob es sich tatsächlich um einen Überrest der römischen Strassenverbindung nach Pfyn handelt, muss vorerst offen bleiben. Hinweise auf einen Strassenverlauf weiter östlich liegen aus der Gemarkung Baholz (Regest-Nr. 124) vor. Dort konnte 1920 über längere Strecken ein 4,6 bis 6 m breites Trassee verfolgt werden. Im Umkreis kamen durch spätere Detektorgänge Funde zum Vorschein; auch in diesem Fall ist jedoch die römische Datierung des Strassenstücks nicht gesichert. Gleiches gilt für den Fundpunkt vom Tobelholz (RegestNr. 130), dessen Strassenführung teilweise in einem Hohlweg verläuft. Indirekt wird die Verbindung nach Pfyn durch römische Fundmeldungen aus dem Gebiet um Bornhausen bestätigt. Diese könnten aber auch im Zusammenhang mit den dort vermuteten römischen Villen stehen. Ein weiterer Hinweis auf eine Strassenführung Richtung Süden liefern die Gräber der Käserei (Regest-Nr. 108–109), im Bereich der heutigen Abzweigung der Haupstrasse von Eschenz über Bornhausen–Herdern nach Frauenfeld. Eine mögliche Strasse nach Osten, die dem Untersee in Richtung Konstanz folgt, lässt sich im Gelände nicht nachweisen, ist jedoch vorauszusetzen. Ebenso lässt sich über den weiteren Verlauf der jenseits des Rheins nicht mehr fassbaren Nord-Süd-Verbindung spekulieren. Während die Verbindungen ins südliche Hinterland wohl von Beginn an bestanden, ist eine Verlängerung der Strasse nach Norden vielleicht erst im Zuge der schrittweisen Erweiterung des römischen Einflussgebiets zu sehen, die erst unter Kaiser Claudius zur systematischen Anlage von Kastellen am Oberlauf der Donau führten.102 98 99 100 101 102

Franziska Steiner 2007, 94, unpublizierte Lizentiatsarbeit an der Universität Zürich. Jauch 1997, 14–16. Jauch 1997, 184. Keller u. Reinerth 1925, 104–105; Brem et al. 2008, 23–28; siehe auch Regest-Nr. 117, 124. Z.B. Hüfingen, Mengen-Ennetach: Kemkes 2005, 46.

6.1.5

Ausdehnung und Siedlungsorganisation

Überbauungsraster

Im Abschnitt zwischen dem heutigen Besucherparkplatz der Insel Werd im Westen und dem Verlauf des Auerbachs im Osten kann der Überbauungsraster des vicus am deutlichsten erfasst werden, da hier 2005 zum ersten Mal ein Stück der uferparallel verlaufenden römischen Strasse entdeckt und ergraben wurde. In den nachfolgenden Grabungskampagnen konnte sie weiter nach Westen verfolgt werden, so dass mittlerweile ein gut 40 m langes Teilstück bekannt ist. Entlang dieses Strassenabschnitts lassen sich zu beiden Seiten Parzellen fassen, die mit ihrer Schmalseite zur Strasse ausgerichtet sind.103 Der Siedlungsraster verläuft leicht schräg zur Nord-Süd-Achse, ungefähr von Südwest nach Nordost. Bei einem Grossteil der Befunde aus der Grabung am Römerweg (Regest-Nr. 33) kann trotz des fehlenden Strassenanschlusses die gleiche Ausrichtung der Gebäude wie im strassennahen Bereich festgestellt werden. Ebenso lässt sich auch für die Strukturen der Zone Sagi/ Grueb eine Nordost-Südwest-Orientierung annehmen. Man muss jedoch berücksichtigen, dass die geringe Grösse der Grabungsflächen die Antwort auf die Frage nach der Orientierung der Bauten erschwert. Zudem handelt es sich fast ausschliesslich um Graben- und Kanalstrukturen, deren Verlauf funktionsbedingt durch das Gelände vorgegeben ist. Folgende Strukturen scheinen sich ebenfalls in diesen Überbauungsraster einzupassen, was als Indikator für den weiteren Verlauf der uferparallelen römischen Strasse gewertet werden kann. Im Bereich der modernen Fussgängerbrücke zur Insel Werd wurde 1994 bei der Erstellung des Parkplatzes eine Mauer angeschnitten (Regest-Nr. 25), deren Datierung in römische Zeit aufgrund fehlender stratigrafischer Anschlüsse nicht eindeutig feststeht, wegen ihrer Ausrichtung jedoch angenommen werden darf. Sie wurde auf einer Länge von 8 m dokumentiert und genau eingemessen, ihre Nordost-Südwest-Orientierung in Übereinstimmung mit dem Siedlungsraster ist deshalb gesichert. Ebenso verhält es sich mit den im Keller des Hauses Moosberger ergrabenen Mauerzügen (Regest-Nr. 15), die bei einer 1938 durchgeführten Grabung dokumentiert und beschrieben wurden. Ein Hinweis auf den Siedlungsraster findet sich auch im Bereich südlich der Mauern von 1938. In einem Gasleitungsgraben (Regest-Nr. 34) lagen horizontale Eichenhölzer. Unter dem Vorbehalt, dass diese Hölzer wegen der Breite des Grabens nur über die Länge von knapp 1 m in ihrem Verlauf gesichert sind und die Dokumentation unter grossem Zeitdruck und bei schlechtem Wetter erfolgte, lässt sich erkennen, dass sich die Hölzer, entsprechend dem Siedlungsraster, von Südwest nach Nordost ausrichten. Die eben besprochenen Befunde sowie die Strukturen im Bereich der Zone Sagi/Grueb dürfen wohl im Zusammenhang mit der Fortsetzung der Strasse gesehen werden, die sich aufgrund dieser Beobachtungen sowohl im Westen als auch 103

Durch Grenzziehungen wie Zäune und Gräbchen sowie durch klar voneinander getrennte Gebäudestrukturen kann eine Parzellierung festgestellt werden. Die bisher dokumentierten Gebäudegrundrisse scheinen zum grössten Teil die gesamte Parzellenbreite einzunehmen.

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6.1

Ausdehnung und Siedlungsorganisation

im Osten ungefähr parallel zum Ufer fortsetzte. Ungeklärt ist indessen die Situation im Kreuzungsbereich von Brücke und uferparalleler Strasse. Insofern kommt der am nächsten beim vermuteten Brückenkopf liegenden Grabung Zehnder (Regest-Nr. 31) eine Schlüsselrolle zu.104

Einer anderen Ausrichtung scheinen die Befunde in den übrigen Zonen zu folgen. Aus der Dienerwiese (Parzelle 446) in der Zone Mettlen im westlichen Siedlungsareal waren einzelne Gebäudegrundrisse bekannt, doch war die Frage bislang nicht geklärt, auf welche Verkehrsachse sie sich ausrichteten. Nur einer der Gebäudegrundrisse wurde vollständig ausgegraben (Regest-Nr. 97) (Abb. 76)105, drei weitere sind auf einer Luftaufnahme erkennbar (RegestNr. 94) bzw. nur durch einen Sondiergraben (Regest-Nr. 97) angeschnitten worden. Soweit der Verlauf der Mauerzüge gesichert war, konnte eine leichte Nordwest-Südost-Orientierung postuliert werden. Erst mit geophysikalischen Prospektionen gelang im Herbst 2010 die Anbindung der Befunde auf der Dienerwiese an eine Strasse. Diese Untersuchungen trugen ganz entscheidend zum besseren Verständnis der bislang nicht zusammenhängenden Strukturen bei und lieferten wichtige Hinweise auf das Siedlungsbild des vicus (Abb. 77). Erstmals wurden auf der Dienerwiese langrechteckige Parzellen entdeckt, die sich auf die Nord-Süd orientierte Fortsetzung der über die römische Brücke führenden Strasse ausrichten. Die schon bekannten Gebäude lagen demzufolge gegenüber dieser Strasse in einer zweiten Reihe, in den Hin-

104

105

Abb. 76: Luftaufnahme, Sommer 2000, der Grabung Dienerwiese (RegestNr. 97), Blick in Richtung Südosten.

Thomas Keiser 2001, unpublizierte Seminararbeit an der Universität Basel.

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Franziska Steiner 2007, 94, unpublizierte Lizentiatsarbeit an der Universität Zürich.

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Abb. 77: Geophysikalische Prospektion im Herbst 2010, auf dem Georadar ersichtliche Strukturen auf der Dienerwiese (Parzelle 446). Reproduziert mit Bewilligung des Amts für Geoinformation des Kantons Thurgau vom 20.4.2011.

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6.1 terhofbereichen der strassenseitigen Häuser.106 Eine weitere, nicht näher interpretierbare Überbauung sowie das römische Bad schliessen sich in einer Zone westlich dieser Gebäude an. Von einer Nord-Süd verlaufenden Verkehrsachse war schon vor den geophysikalischen Untersuchungen auszugehen, da das Areal mit den Töpferöfen eine Strassenanbindung voraussetzt. Im südlichen Bereich der Zone Unterdorf wurden von Alfons Diener zudem immer wieder römische Funde aufgelesen und Trockenfundamente sowie römische Kulturschichten dokumentiert. Auch wenn es sich in diesen Fällen nur um sehr beschränkte Bodeneinblicke handelt, deren Befunde auch meist nicht näher datiert werden können, sind dies Hinweise auf eine römerzeitliche Benutzung des Areals. Auch heute kann man einen Grossteil der Aufschlüsse nicht mit dem bislang dokumentierten Abschnitt der römischen Strasse und dem dort beobachteten Siedlungsraster in Verbindung bringen. Ob sich die dort festgestellte Gliederung mit langrechteckigen, mit der Schmalseite auf die Strasse ausgerichteten Parzellen in allen Bereichen des vicus-Areals fortsetzt oder ob mit einem davon abweichenden Bebauungsraster zu rechnen ist, werden zukünftige Untersuchungen zeigen müssen. Die dicht besiedelte Zone entlang der römischen Strasse zeichnet sich durch mehrfach erneuerte, in Holz und später teilweise in Stein errichtete Gebäude aus. Eine mehrphasige Bebauung lässt sich auch im Bereich des Gebäudes auf der Dienerwiese (Regest-Nr. 97) erkennen, wo unter den steinernen Fundamenten Reste von Holzstrukturen freigelegt werden konnten.107 Obwohl bis anhin keine Parzelle in ihrer gesamten Länge freigelegt werden konnte und die Funktion der Gebäude entlang der Strasse noch nicht geklärt ist, ist eine Streifenhausbebauung eindeutig erkennbar. Es ergeben sich zudem klare Hinweise auf Hinterhofbereiche, wie sie für Streifenhäuser in vielen vici typisch sind.108 So belegen die Grabungen am Römerweg (Regest-Nr. 21, 33) ein locker überbautes Areal, dessen Binnenstruktur in erster Linie aus verschiedenen Drainagegräben und Kanälen besteht. Eingetiefte Holzfässer und ein Töpferofen sind ebenfalls Indikatoren für einen Hinterhofbereich. Dieser wurde zwar nie grossflächig überbaut, erfuhr aber immer wieder Veränderungen. Nach Süden nehmen die Kulturschichten in ihrer Mächtigkeit ab, was einerseits vermutlich mit dem ansteigenden Terrain und dem Übergang zum Trockenbodenbereich, andererseits mit fehlender Bautätigkeit begründet werden kann. Ganz ähnlich präsentiert sich die Situation östlich des Auerbachs, im Bereich der Zone Sagi/Grueb. Hier sind die Grabungsbereiche zwar deutlich kleiner, doch wiederholt sich in den beobachteten Befunden das Bild vom Römerweg. Von einer ähnlich dichten 106

107 108

Daraus kann jedoch nicht auf ein gleichzeitiges Bestehen dieser Strukturen geschlossen werden, da zu den meisten Gebäuden keine chronologischen Angaben vorliegen. Ein Bauensemble aus strassenseitigen Streifenhäusern mit Hinterhöfen und weiteren rückwärtigen Gebäuden ist aber durchaus vorstellbar, wie beispielsweise Befunde aus Jagsthausen zeigen: Thiel 2005, 94, 132–137. Franziska Steiner 2007, 26–28, unpublizierte Lizentiatsarbeit an der Universität Zürich. Dabei handelt es sich vor allem um Kanäle. Pauli-Gabi 2002, 138; Greiner 2005, 166; Kaiser u. Sommer 1994, 342–343; Petit 2007, 123.

Ausdehnung und Siedlungsorganisation

Abb. 78: Von Alfons Diener um 1978 freigelegte Steinsetzungen. Vermutlich Reste von römischen Mauern (Regest-Nr. 53, 56, 58).

Bebauung wie im strassennahen Bereich ist auch deshalb nicht auszugehen, weil die Ausgräber kaum auf Gebäudestrukturen stiessen (Regest-Nr. 49, 55, 62, 65). Alfons Diener konnte bei Gartenarbeiten und beim Fällen von Bäumen verschiedentlich Steinsetzungen freilegen (Regest-Nr. 53, 56, 58), die er als römische Mauerfundamente interpretierte (Abb. 78). Aufgrund der sehr geringen Grabungsfläche und fehlender stratigrafischer Zusammenhänge sind diese Befunde jedoch weder sicher als Reste von Mauerfundamenten noch zwingend als römisch einzuordnen. Anlässlich einer Kanalisationsgrabung im westlichen Bereich der Zone Sagi/ Grueb (Regest-Nr. 55) wurde das dabei entstandene Profil untersucht. Darin zeichnete sich ein Südwest-Nordost gerichteter Mauerzug ab, dessen Fundament zusätzlich durch eine darunterliegende Holzkonstruktion verstärkt war. Die Mauer selbst wies eine Nordwest- und eine Südwestecke auf, so dass die dokumentierte Länge der Westmauer rund 13 m betrug. Die Ausrichtung der Mauer sowie der hier gegebene stratigrafische Zusammenhang legen eine römische Datierung nahe. In den benachbarten Grabungen östlich dieses Profilabschnitts konnten wiederum keine Gebäudestrukturen gefasst werden (Regest-Nr. 60, 69). Die in der Grabung Haus Rebmann (Regest-Nr. 60) freigelegten Befunde, mehrere Kanäle, ein Setzbecken und eine Latrine, lassen sich als Hinterhofareal interpretieren. Gestützt wird diese Annahme 77

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6.1

Ausdehnung und Siedlungsorganisation

Abb. 79: Grabung Sagiweg (Regest-Nr. 69), freigelegter römischer Holzkanal.

Abb. 80: Grabung Sagiweg (Regest-Nr. 69), Doppelpfahlreihe, mögliche Parzellengrenze.

durch die Befunde der Grabungen von 1994 (Regest-Nr. 65), 2001 (Regest-Nr. 67) und 2004 (Regest-Nr. 69) (Abb. 79). Neben Kanaleinbauten und Entwässerungsgräben liessen sich verschiedentlich Gruben fassen, sowie in der Grabung von 1994 auf der Parzelle 1465 ein hölzernes Becken. Auffallend ist die Menge an freigelegten Wurzelstöcken, die vor allem aus der Grabung von 2004 stammen und die uns einen Hinweis auf den vorrömischen und römischen Bewuchs im Bereich der Hinterhöfe geben. Reste von Prügelwegen, in den Grabungen Regest-Nr. 60 und 65 dokumentiert, weisen auf eine Erschliessung dieser rückwärtigen Areale hin. Als Zaun und vermutliche Parzellengrenze kann die Doppelpfahlreihe aus der Grabung von 2004 (Regest-Nr. 69) interpretiert werden, welche der Ausrichtung des Siedlungsrasters folgt und über einem älteren Entwässerungsgräbchen eingeschlagen wurde, dessen Verlauf sie zum grössten Teil übernimmt (Abb. 80). Eine vergleichbare Situation liegt am Römerweg (Regest-Nr. 33) vor, wo ebenfalls über einem älteren Entwässerungsgräbchen eine Pfahlreihe eingeschlagen wurde, die als Zaun und Parzellenbegrenzung angesprochen werden kann. Die Befunde der Zone Sagi/Grueb können somit Hinterhofbereichen zugewiesen werden, die sich durch eine lockere oder fehlende Bebauung, Entwässerungs- und Ka-

nalsysteme sowie Latrinen und Wasserbecken auszeichnen. Die römerzeitlichen Schichten weisen einen hohen Anteil organischer Komponenten auf. Verlängert man die römische Strasse über den Auerbach weiter nach Osten, liegen die als Hinterhofareale bezeichneten Befunde der Zone Sagi/Grueb auf der gleichen Höhe wie die rückwärtigen Bereiche am Römer weg und in einem etwa gleichen Abstand zur postulierten Fortsetzung der Strasse. Daraus lässt sich folgern, dass die Überbauung östlich des Auerbachs in ihren Grundzügen den Baustrukturen westlich des Bachs folgt. So darf wohl ebenfalls von einer Streifenhausbebauung ausgegangen werden, in deren rückwärtigem Bereich Hinterhöfe mit den entsprechenden Einrichtungen anzufügen sind. Angaben über die Grundstücksgrössen im Areal Sagi/Grueb liegen bislang keine vor. Wie sich die Situation nördlich der Strasse präsentiert, ist unklar, da nur wenige Beobachtungen vorliegen. Berücksichtigt man den vermuteten Strassenverlauf, liegen nur die Aufschlüsse der Regest-Nr. 39– 41 nördlich davon. Die Befunde aus der Grabung Haus Kraft (Regest-Nr. 41) dürfen als Reste von römerzeitlichen Gebäuden interpretiert werden. Die gedachte Verlängerung der Strasse führt unmittelbar südlich an diesen Befunden vorbei. Ein Altfund muss im Zusammenhang mit der Weiterführung der Strasse und den Befunden der letzten Jahre wohl neu

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6.1 diskutiert werden. Es handelt sich um Pfahlstellungen, die 1938 beim Bau eines Bunkers in der Zone Nili entdeckt wurden (Regest-Nr. 39). Aufgrund der geringen Distanz zum Rheinufer wurden diese Pfähle als Teil einer Hafenanlage oder eines Anlegestegs interpretiert.109 Das Pfahlfeld liegt jedoch nicht nur in der Nähe der römischen Strasse, sondern richtet sich auch in auffälliger Weise nach dem römischen Siedlungsraster aus. Eine Interpretation als Teil von Gebäudestrukturen wäre daher ebenfalls denkbar. Die bislang östlichsten Aufschlüsse mit klaren Baubefunden liegen aus den Parzellen 493, 1106 und 1175 vor, im Kreuzungsbereich der Lindenstrasse und des Rheinwegs. Im Dreieck zwischen diesen beiden Strassen, auf Parzelle 1175, konnte ein Teil eines Mörtelbodens freigelegt werden (Regest-Nr. 46, 62). Eine Gebäude- oder Raumflucht ist durch ein dazugehöriges Balkengräbchen gefasst. Zwei Vermerke von Alfons Diener über Befunde südlich der Lindenstrasse in den Parzellen 493 und 1106 verweisen auf mögliche römische Mauerfundamente (Regest-Nr. 53, 58). Im Zusammenhang mit den umliegenden Befunden, die auf eine römische Überbauung dieses östlichen vicus-Areals deuten, ist die Beobachtung von Alfons Diener trotz den mehrfach genannten Einschränkungen von Bedeutung. Abschliessend bleibt festzuhalten, dass sich die Siedlung östlich des Auerbachs zum grössten Teil nur durch Hinterhofareale und den damit zusammenhängenden Strukturen rekonstruieren lässt. Dass östlich des Auerbachs auch gewohnt wurde, lässt sich aufgrund des Latrinenbefunds aus der Parzelle 1139 (Regest-Nr. 60) aber dennoch annehmen. Ein weiterer Hinterhofbereich könnte auf der Dienerwiese (Zone Mettlen) erfasst worden sein, wie bereits weiter oben im Zusammenhang mit der Diskussion der Ergebnisse der jüngsten geophysikalischen Prospektion vom Herbst 2010 postuliert wurde. In den Grabungen von 1999/2000 (Regest-Nr. 97) wurden in der Fläche und im Sondierschnitt wiederholt Kanäle und Holzbecken angeschnitten, die an vergleichbare Befunde aus der Grabung am Römerweg (Regest-Nr. 33) und aus dem Areal Sagi/Grueb (Regest-Nr. 60, 65, 68–69) erinnern. In welchem Zusammenhang diese Holzstrukturen mit den später an dieser Stelle errichteten rechteckigen Steinbauten stehen, ist noch nicht geklärt. Ob und inwieweit mit der Entstehung der Gebäude ein Funktionswechsel auf dem Areal verbunden war, lässt sich bislang nicht ermitteln. Die Hinterhofareale und Nutzzonen setzten sich nach Süden mit dem Töpferbezirk in der Zone Höfen fort. Töpfereibetriebe waren in der Regel wegen der Brandgefahr eher an Randzonen angesiedelt. Das wird hier bestätigt, weil sich trotz teilweise grossflächiger Bodeneingriffe keine nennenswerte Bautätigkeit feststellen liess. Zugehörige Gebäude wären am ehesten östlich der grossen Grabung von 1991 (Regest-Nr. 73) zu suchen, in einer Zone, die heute grösstenteils überbaut und archäologisch bisher kaum untersucht worden ist. Deshalb können die von Alfons Diener dokumentierten Bodenaufschlüsse Hinweise auf eine mögliche römische Bebauung in diesem Areal geben (Regest-Nr. 20, 23, 72, 88). Die angeschnittenen Trockenfundamente sowie 109

Urner-Astholz 1942, 105. Siehe Kapitel 6.1.8.

Ausdehnung und Siedlungsorganisation

der Rest eines Bodens (Regest-Nr. 20) sind, immer unter der Voraussetzung, dass sie tatsächlich in römische Zeit datieren, insofern interessant, als sie genau an der südlichen Verlängerung des Brückenübergangs zu liegen kommen.110 6.1.6

Holz- und Steinbauten111

Differenzierte Untersuchungen zu Bautechnik und Hausgrundrissen sowie zu den Bauabfolgen und der Siedlungsentwicklung im Strassenbereich und den dadurch gewonnenen Erkenntnissen zur allgemeinen Siedlungschronologie sind Gegenstand laufender Forschungen zum vicus Tasgetium112. Es seien deshalb nur einige allgemeine Bemerkungen zur Bauweise der Gebäude und den verwendeten Baumaterialien angefügt. Vor allem nördlich der parallel zum Rheinufer verlaufenden Strasse sind im dauerfeuchten Milieu die Reste von Holzbauten besonders gut konserviert. Aufgrund der erhaltenen Bauhölzer lassen sich sowohl Pfosten- als auch Ständerbauten nachweisen. Südlich der Strasse sind diese Bautechniken im Trockenboden vielfach nur durch entsprechende Bodenverfärbungen in Form von Pfostenlöchern und Balkengräbchen fassbar. Kleinere Aufschlüsse mit Hinweisen auf Holzbauten sind auch aus den Zonen Nili und Sagi/Grueb östlich des Auerbachs bekannt, doch ist die Zahl der Befunde für eine eingehendere Beurteilung der Gebäude hinsichtlich Grundrissen und Bautechnik nicht ausreichend. Reste von Holzgebäuden finden sich auch in der Grabungsfläche von 1997, Haus Zehnder (RegestNr. 31). Wo sich Gehniveaus innerhalb der Holzgebäude erhalten haben, handelt es sich um Lehm- oder Bretterböden. An verschiedenen Orten konnten Mörtelböden dokumentiert werden, die sich fast immer mit Steinbauten oder Gebäuden mit Steinfundamenten in Verbindung bringen lassen, so z.B. bei zwei Gebäuden auf der Dienerwiese (RegestNr. 97), dem Steinbau am Rheinweg (Regest-Nr. 35) und bei einem Gebäude ganz im Osten der Zone Sagi/Grueb (Regest-Nr. 46, 62). Die während der Grabung auf Parzelle 1085 (Regest-Nr. 38) freigelegten Mörtelböden könnten hingegen auch in Zusammenhang mit Holzbauten stehen113 (Abb. 81). Fundamentiert waren alle dokumentierten Mörtelböden mit einer Rollierung aus Flusskieseln. Über dem Mörtelboden des angeschnittenen Gebäudes 4114 auf der Dienerwiese (Regest-Nr. 97) lag ein weiteres Gehniveau in Form eines roten Terrazzo-Bodens, der aber nur in Resten erhalten war (Abb. 82). Vermutlich handelt es sich auch bei dem von Al110 111

112 113

114

Siehe Kapitel 6.1.4. Die Definition Holz- und Steinbau erfolgt über die Konstruktionsart der tragenden Hauptwände. Als Mischbauweise wären somit Gebäude zu bezeichnen, die aus einem Fundament und Sockelbereich in Stein und einem weiteren Aufbau aus Holz-Lehmfachwerk bestehen. Dissertation von Melanie Giger am Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Basel. Da die Grabung noch nicht abgeschlossen ist (Stand November 2010), sind noch keine abschliessenden Aussagen zu machen. Siehe auch den Töpferofen-Standort (Regest-Nr. 78) mit Resten von Mörtelboden und Pfostenlöchern. Die Ansprache und Nummerierung der Gebäude auf der Dienerwiese folgt den Angaben aus dem unpublizierten Grabungsbericht von Matthias Schnyder, 1999/2000.

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6.1

Ausdehnung und Siedlungsorganisation

Abb. 81: Grabung Dorfkern Unter-Eschenz (Regest-Nr. 38), freigelegter Mörtelboden auf Rollierung, quer durch die Grabungsfläche verläuft eine neuzeitliche Drainage.

Abb. 82: Grabung Dienerwiese (Regest-Nr. 97), Gebäude 4 mit Mörtelboden.

fons Diener dokumentierten «roten Klinkerboden» (RegestNr. 20) um einen solchen Bodenbelag. Hüttenlehmfragmente in Planieschichten weisen auf mit Lehm verstrichene Wandkonstruktionen hin, lassen aber derzeit die Frage noch offen, ob es sich dabei um reine Bretter-/Bohlenwände oder um einen Fachwerkbau handelt.115 Aus verschiedenen Grabungen liegen Hinweise auf Wandverputz vor (Regest-Nr. 36, 38, 48). Als Dachdeckmaterial kamen neben Ziegeln vor allem Holzschindeln zum Einsatz, die sich in den feuchten Kulturschichten in grosser Zahl erhalten haben. Ob dabei die Holzbauten nur Dachhäute aus organischem Material trugen oder ob auch mit Ziegeldächern zu rechnen ist, werden die laufenden Untersuchungen zeigen. Die als Steinbauten angesprochenen Gebäude dürften vermutlich mit Ziegeln gedeckt gewesen sein, wie das Beispiel der Grabung von 1999/2000 (Regest-Nr. 97) zeigt.116 Von diesen Steinbauten liessen sich meist nur die Fundamente nachweisen. In einigen Fällen haben sich wenige Lagen des aufgehenden Mauerwerks erhalten, so beispielsweise bei drei Gebäuden auf der Dienerwiese (Regest-Nr. 97) sowie den Steinbauten am Römerweg (Regest-Nr. 33) und im Bereich der römischen Strasse (Regest-Nr. 36; Abb. 83). Die Fundamente aus Geröllen bestehen aus einem unteren, trocken gesetzten und einem oberen, vermörtelten Teil. Verschiedentlich gründen die sorgfältig gemauerten Fundamente auf Pfählen, die dem Bau eine grössere Stabilität im nassen Untergrund gewährleisten und ein Einsinken der Mauern verhindern sollten. Solche Pfahlfundamente lassen sich an mehreren Gebäuden auf der Dienerwiese (Regest-Nr. 97; Abb. 84), bei einem Mauerabschnitt östlich des Auerbachs (Regest-Nr. 55) und besonders gut auch unter der ausgeraubten Mauerecke am Rheinweg dokumentieren (Regest-Nr. 35). Wo sich aufge-

hendes Mauerwerk erhalten hat, konnte die Fundament tiefe festgestellt werden. Diese bewegt sich zwischen 40 und 80 cm, wobei, wie das Beispiel Gebäude 3 auf der Dienerwiese zeigt, die Fundamenttiefe innerhalb eines Gebäudes variieren kann. Die Fundamentbereiche verfügen mit 80 bis 120 cm über beachtliche Stärken. Weniger gut erhaltene Mauerabschnitte wurden im Bereich des Parkplatzes der Insel Werd (Regest-Nr. 11) und im Keller des benachbarten Hauses Moosberger (Regest-Nr. 15) entdeckt. Im Übrigen sind die von Alfons Diener dokumentierten Befunde zu erwähnen. Die bei seinen Untersuchungen freigelegten Strukturen gehören fast alle zur Kategorie von Trockenfundamenten mit geringer Stärke. Wegen der kleinen Grabungsflächen sind Fragen zu Verlauf, Funktion und Datierung schwierig zu klären. Es könnte sich dabei um die untersten Fundamentlagen von Steingebäuden handeln, analog zu den oben beschriebenen Befunden, oder aber um Steinstickungen für Holzaufbauten. Bei den Gebäuden auf der Dienerwiese und im Bereich der Strasse stellt sich die Frage, ob es sich um reine Steinbauten handelt. Das Fehlen von Mauerschutt spricht nicht zwingend für eine Interpretation als Fachwerkbauten auf Steinsockeln, da – wie die fast vollständig ausgeraubte Mauer am Rheinweg (Regest-Nr. 35) zeigt – mit spätantikem

115

116

Siehe die bei Verena Jauch publizierten Hüttenlehmfragmente der Grabung Rebmann (Regest-Nr. 60), deren Abdrücke von Ruten und Balken auf Fachwerkwände hindeuten. Jauch 1997, 72, 170–173. Im Amt für Archäologie des Kantons Thurgau werden die römischen Holzbaubefunde von Eschenz derzeit im Rahmen eines Dissertationsprojekts ausgewertet. Zu entsprechenden Wandkonstruktionen in Oberwinterthur siehe Pauli-Gabi 2002, 154–156. Franziska Steiner 2007, 30, 85–87, unpublizierte Lizentiatsarbeit an der Universität Zürich.

Abb. 83: Grabung Moosberger (Regest-Nr. 36), Reste von aufgehendem Mauerwerk mit Mörtelverputz.

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6.1 6.1.7

Ausdehnung und Siedlungsorganisation

Öffentliche und private Bauten

und mittelalterlichem Steinraub gerechnet werden muss. Für einen vollständigen Aufbau in Stein dürften die massiven, sorgfältig gemauerten Fundamente sprechen. Die sicher römisch datierten Gebäude mit Steinfundamenten konzentrieren sich bislang auf zwei Zonen: auf die Dienerwiese und den Bereich südlich der parallel zum Rheinufer verlaufenden Strasse. Inwiefern dies dem tatsächlichen Siedlungsbild entspricht, werden zukünftige Grabungen zeigen müssen. Östlich des Auerbachs ist die Steinbauweise durch die in einer Kanalisationsgrabung dokumentierte Mauerecke belegt (Regest-Nr. 55). Nur teilweise überlagern die Steinbauten ältere Holzbauten (RegestNr. 35–36). Einige Gebäude auf der Dienerwiese liegen über Holzkanälen, genau wie das Steingebäude am Römerweg (Regest-Nr. 33). Von einer sukzessiven Ablösung der Holzbauten durch Steinbauten, wie sie an manchen Orten der römischen Schweiz in der 2. Hälfte des 1. Jhs. n. Chr. zu beobachten ist,117 kann in Eschenz bis jetzt nicht die Rede sein.

Die bisher besprochenen Siedlungsbereiche und deren Baustrukturen dürften privat, das heisst für Wohn- oder Handwerkszwecke, genutzt worden sein. Der Nachweis von öffentlichen Bauten fällt dagegen schwieriger aus, hauptsächlich deshalb, weil mit Ausnahme des römischen Bads118 keine Grundrisse bekannt sind, die zweifelsfrei als Überreste öffentlicher Gebäude angesprochen werden können. Das Bad selbst ist nach der Brücke das zweite entdeckte römische Bauwerk aus Tasgetium. 1875 durch Bernhard Schenk zum ersten Mal freigelegt, harrte es anschliessend mehr als 130 Jahre auf seine Wiederentdeckung, weil die Lokalisierung anhand der Dokumentation von Bernhard Schenk nicht genau möglich war. Erst die geophysikalischen Prospektionen im November 2010 machten die im Boden verbliebenen Überreste des römischen Bads teilweise wieder sichtbar. Andere öffentliche Gebäude fehlen vorerst. Wie der vergleichende Blick auf die Siedlungspläne verschiedener vici in den nordwestlichen Provinzen zeigt, ist kein Kanon von Bautypen, wie es beispielsweise bei Koloniestädten der Fall ist, zu erwarten. Grosse öffentliche Bauten wie Forumsanlagen, Basiliken und Theater gehören nicht zwingend zum Bauprogramm kleinstädtischer Siedlungen. In welchem Mass ein römischer vicus mit öffentlichen Bauten versehen war, dürfte nicht zuletzt von politischen, administrativen und wirtschaftlichen Faktoren abhängig gewesen sein. Aufgrund der bisherigen Aufschlüsse und der skizzierten Siedlungsausdehnung scheinen öffentliche Gebäude im eigentlichen Siedlungskern119 zu fehlen. Möglich wären jedoch bisher nicht entdeckte Bauten in den peripheren Bereichen im Osten und Westen des vicus, weil hier noch wenige Angaben zur Art der Bebauung vorliegen. Somit ist dort mit Gebäudetypen zu rechnen, die vorzugsweise an der Siedlungsperipherie standen, wie beispielsweise Sakralbauten. Einen Hinweis auf einen möglichen öffentlichen, vielleicht sakralen Bezirk gibt die als Umfassungsmauer interpretierte, längliche Struktur im westlichen Teil der Dienerwiese (Parzelle 446), die bei der geophysikalischen Prospektion vom Herbst 2010 mittels Georadar sichtbar wurde. Möglicherweise stiess Alfons Diener auf eben jene Umfassungsmauer, als er in den Jahren 1991–1992 auf Parzelle 446 nach dem Fällen von Bäumen ein massives Mauerfundament dokumentierte (Regest-Nr. 92). Die Befunde der Regest-Nr. 86 und 87, besonders der nach Norden entwässernde Kanal mit der darin gefundenen Holzstatue, wären somit als Teil der Infrastruktur dieses Bezirks zu interpretieren. Die absichtlich im Kanal deponierte Statue lässt mögliche Rückschlüsse auf die Nutzung dieses Geländes zu. Für den Ostteil des vicus konnten bislang keine Strukturen festgestellt werden, die auf einen öffentlichen Bau oder auf die öffentliche Funk-

117

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Abb. 84: Grabung Dienerwiese (Regest-Nr. 97), unterpfähltes Mauerfundament.

Flutsch, Niffeler u. Rossi 2002, 80; Berti u. May Castella 1992, 173; Schatzmann 2003, 219, 227. Ein vermehrter Einsatz von Stein im Hausbau lässt sich für das 2. Jh. n. Chr. auch im süddeutschen Raum beobachten: Kortüm u. Lauber 2000, 39; Kaiser u. Sommer 1994, 314–315; Schleiermacher 1972, 51–52. Ein Beispiel aus Frankreich: Petit 2007, 126.

119

Aufgrund der Grösse (ca. 21×13 m) und der freistehenden Lage ohne Bezug zu einem benachbarten Gebäude sowie aufgrund der Inschrift (CIL XIII 5257) ist von einer öffentlichen Nutzung des Bads auszugehen. Im weiter oben definierten Zentrum westlich und östlich des Auerbachs und im Kreuzungsbereich der römischen Strassen.

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Ausdehnung und Siedlungsorganisation

Abb. 85: Blick auf die Uferzone des Rheins mit der Insel Werd im Vordergrund.

Abb. 86: Grabung Bunker 1938 (Regest-Nr. 39), freigelegter Pfahlrost schwach erkennbar.

tion eines Bereichs hinweisen. Untersuchungen an der Peripherie des Siedlungsgebiets könnten hier zu neuen Ergebnissen führen. Diskutiert werden muss auch die Frage nach einer möglichen öffentlichen Funktion der bisher freigelegten Bauten. An erster Stelle ist die Rede von den Steingebäuden bzw. Gebäuden mit Steinfundamenten im Bereich der Dienerwiese (Parzelle 446) und der römischen Strasse (Regest-Nr. 33, 35–36). Vollständig in ihrem Grundriss erkannt sind nur einige der Bauten auf der Dienerwiese. Von der Typologie der Grundrisse allein lässt sich jedoch keine öffentliche Nutzung ableiten. Zur Funktion der in Frage kommenden Gebäude, deren Fundmaterial noch nicht vorgelegt wurde, können deshalb derzeit keine Angaben gemacht werden. Erschwerend bei der Beurteilung der Gebäude im Bereich der römischen Strasse kommt hinzu, dass die Grundrisse nur ausschnitthaft bekannt sind. Die Vermutung, es könnte sich um öffentliche Gebäude handeln, basiert ausschliesslich auf deren sorgfältige Ausführung und der Stärke der Mauerfundamente. Der Vergleich mit den Fundamenten der Gebäude auf der Dienerwiese zeigt jedoch, dass diese, obwohl zu kleineren, mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht öffentlich genutzten Bauten gehörend, durchwegs ähnlich mächtige Fundamentierungen von bis zu 1,1 m Breite aufwiesen, von denen einige über einem Pfahlfundament für die Sicherung im instabilen Untergrund errichtet waren. Eine Interpretation allein aufgrund der Bautechnik und der Qualität der Ausführung erscheint demzufolge nicht zulässig, da die mächtigen Mauerfundamente eine Eschenzer Eigenheit zu sein scheinen. Auch die trotz baulichen Veränderungen durchgehende Nutzung des Areals am Römerweg (Regest-Nr. 33) als Hinterhof spricht eher gegen eine öffentliche Funktion des daran anschliessenden grossen Gebäudes. Für die 2007 freigelegte Mauerecke auf Parzelle 485 (Regest-Nr. 36) wurde eine öffentliche Funktion nicht zuletzt wegen der Lage unterhalb der mittelalterlichen St. Vitus-Kirche postuliert.120 Die Untersuchung des Fundmaterials und Ergänzungen der Gebäudegrundrisse durch weitere Grabungen oder Prospektionen könnten neue Erkenntnisse

zur Interpretation dieser Bauten bringen bzw. zur Lokalisierung öffentlicher Bauten im vicus Tasgetium führen.

120

Thomas Keiser 2007, unpublizierter Grabungsbericht.

6.1.8

Hafen und Uferbefestigung

Aufgrund seiner strategisch wichtigen Lage am Ausfluss des Rheins aus dem Untersee ist für den vicus Tasgetium eine Anlegestelle für Schiffe vorauszusetzen (Abb. 85). Ein sicherer Nachweis steht hingegen noch aus. Erschwerend kommt hinzu, dass vor allem im Bereich des vorgeschobenen Deltas des Auerbachs die Uferlinie nachrömisch überprägt ist und sich mögliche Befunde in diesem Areal wohl nicht erhalten haben. Es ist anzunehmen, dass in Tasgetium einerseits die auf dem Wasserweg transportierten Waren von Fluss- auf Seeschiffe und umgekehrt, andererseits Waren von den Schiffen zum Weitertransport auf dem Landweg umgelagert wurden. Die ältere Literatur zu Tasgetium verweist auf einen einzelnen, mit einer Anlegestelle für Schiffe in Zusammenhang gebrachten Befund. Es handelt sich dabei um den 1938 beim Aushub für einen Bunker freigelegten Pfahlrost (Abb. 86). Insgesamt bestand dieser aus zwanzig Pfählen, die in vier ungefähr parallel zum Ufer verlaufenden Reihen angeordnet waren. Zwischen den westlichsten Pfählen der drei hinteren Reihen war der Abstand etwas verkürzt. Der fehlenden Georeferenzierung zum Trotz lässt sich für den Pfahlrost eine Ausrichtung entsprechend dem Siedlungsraster beobachten. Wie weiter oben erwähnt, ist der Abstand zur gedachten Verlängerung der uferparallelen römischen Strasse gering. Damit stellt sich die Frage, ob mit dieser Pfahlkonstruktion tatsächlich ein Teil eines Piers oder Hafenquais freigelegt wurde oder ob es sich nicht vielmehr um Reste einer Bebauung handelt, analog zu den mit Terrassierungen strukturierten Gebäuden westlich des Auerbachs (Regest-Nr. 35–36). Für einen Vergleich mit anderen als Reste von Hafenanlagen interpretierten Befunden stehen einzig ein schematischer Flächenplan des Pfahlfelds sowie einige wenige Fotos zur Verfügung. Zudem ist die Frage, ob die Pfähle gleichzeitig datieren oder mehreren Bauphasen zuzuweisen sind, wegen fehlender dendrochronologischer

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6.1 Untersuchungen nicht zu beantworten. Aufgrund der einheitlichen Anordnung erscheint eine gleichzeitige Setzung der Pfähle wahrscheinlich. Das keramische Inventar, 1942 durch Hildegard Urner-Astholz vorgelegt, deckt hingegen einen Zeithorizont von der 2. Hälfte des 1. Jhs. bis zum frühen 3. Jh. n. Chr. ab.121 Der geografisch nächstliegende Vergleichsbefund wurde 2002 bei einer Grabung in der Flussniederung unterhalb des Windischer Plateaus entdeckt.122 Über einer Reihe von Holzpfosten, von denen sich nur noch die Negative erhalten hatten, lag eine mächtige Steinpackung aus Flusskieseln. Ähnliche Befunde wurden bereits 1996 bei einer Grabung etwas weiter südlich gemacht; deren dort freigelegte Pfahlreihen waren ebenfalls von einer massiven Steinlage überdeckt. Einige der erhaltenen Pfähle waren mit eisernen Pfahlschuhen verstärkt. Die Befunde aus Windisch werden als Reste einer Quaianlage interpretiert, wobei die flussseitigen Pfosten- und Pfahlreihen eine Wandkonstruktion stützten, die jeweils mit einer Steinpackung hinterfüllt war. In den oberen Planieschichten wurden Eindrücke dokumentiert, die möglicherweise auf eine darüberliegende Bodenkonstruktion hinweisen.123 Die Rekonstruktion des Windischer Hafenquais beruht stark auf den schon länger bekannten Befunden aus Xanten am Niederrhein. Mehrere Grabungskampagnen seit den 1930er Jahren erbrachten dort gut erhaltene Holzbefunde von römischen Uferbefestigungen und Quaianlagen. Eine rheinseitig gelegene Wand aus Eichenbalken wurde von beiden Seiten durch rechteckig behauene Eichenpfosten gestützt und mit horizontal verlaufenden Ankerbalken zusätzlich stabilisiert. Als Abdeckung wird ein Boden aus Holzbohlen oder Brettern angenommen.124 Neben dieser Quaianlage wurden mehrere Reihen von unregelmässig gesetzten Pfählen unterschiedlichen Durchmessers entdeckt, die zu verschiedenen Uferbefestigungsmassnahmen gehören dürften.125 Gänzlich verschieden präsentieren sich die Quaikonstruktionen am Ufer der Themse in London. Hier bestanden die Anlagen aus massiven horizontalen Holzbalken, die zu Kästen zusammengesetzt, mit Ankerbalken stabilisiert und anschliessend verfüllt wurden.126 Während den oben genannten Beispielen eine mehrheitlich zivile Nutzung zugesprochen wird, sieht Olaf Höckmann die besten Parallelen für die Befunde von Mainz-Brand in einem militärischen Kontext.127 Die Konstruktion von Hafenanlagen und Uferbefestigungen ist einerseits abhängig von den natürlichen Bedingungen wie Geländeverlauf, Strömungsverhalten und Fliessgeschwindigkeit des Flusses sowie andererseits von der gewünschten Nutzung und der Art der verwendeten Wasserfahrzeuge. Für den zivilen Lastentransport auf Binnengewässern, insbesondere auf Flüssen, dürften Boote zum Einsatz gekommen sein, die mehrheitlich nach einhei121 122 123 124 125 126 127

Urner-Astholz 1942, 105–111. Pauli-Gabi 2002, 27. Pauli-Gabi 2002, 30. Leih 2008, 449. Leih 2008, 464. Milne 1985, 55–65. Quer zum Ufer verlaufende Piers: Höckmann 1986, 369–377, besonders 374.

Ausdehnung und Siedlungsorganisation

Abb. 87: Typischer Weidling aus Holz am Ufer im Schaaren bei Diessenhofen.

mischer Tradition und Technik hergestellt wurden.128 Solche Boote sind archäologisch hinlänglich sowohl durch bildliche Darstellungen als auch durch Funde überliefert.129 Mit den Schiffen aus Yverdon und Bevaix sind auch aus Schweizer Gewässern Beispiele bekannt.130 Diesem Bootstyp mit flachem Boden131 ohne Kiel ist eigen, dass er für das Aus- und Einladen der Fracht keine grossen Ansprüche an Hafenanlagen stellt. Ein mässig steiler, gut erreichbarer Uferbereich würde vollauf genügen132, wie die Fahrweise mit heutigen Fährbooten («Weidlingen») auf dem Rhein nahelegt (Abb. 87). In einer Gegenüberstellung des Eschenzer Pfahlrosts mit den oben beschriebenen Befunden aus Windisch, Xanten und London fallen grosse Unterschiede auf. Den Befunden aus Windisch und London entsprechende Hinterfüllungsschichten liessen sich in Eschenz nicht feststellen. Ebenso fehlen Hinweise auf eine Balkenwandkonstruktion, wie sie in Xanten nachgewiesen worden ist. Die im Vergleich mit Windisch und Xanten regelmässigere Anordnung der Pfähle mag darauf zurückzuführen sein, dass die Befunde entsprechend mehrphasig oder im Fall von Eschenz, vielleicht nur einphasig waren. Zudem ist zu bedenken, dass der Eschenzer Pfahlrost nicht in seiner gesamten Ausdehnung erfasst werden konnte. Eine Interpretation als Teil eines Piers oder Hafenquais ist, angesichts der erwähnten strukturellen Unterschiede und unter Einbezug der eingangs gemachten Bemerkungen zu den verwendeten Schiffstypen, nicht wahrscheinlich. Dennoch ist eine Rekonstruktion des Pfahlrosts analog zu den Befunden von Mainz-Brand nicht völlig auszuschliessen, wobei dann auch die Nutzung nochmals diskutiert werden müsste. Die geschützte Lage in der Eschenzer Bucht würde sich auf jeden Fall für eine Anlegestelle eignen. Möglicherweise ist der Hafen auch im 128 129 130 131 132

Ellmers 1978, 1–2. Differenzierter Bockius 2007, 74, 94. Es lassen sich immer wieder auch mediterrane Schiffsbautechniken beobachten: Bockius 2007, 93–94. Ellmers 1978, 1–14; de Weerd 1978, 15–21; de Boe 1978, 22–30; Obladen-Kauder 2008, 507–523. Arnold 1978, 31–35; 1999; Weidmann u. Kaenel 1974, 66–81. Zur Bauweise und Ausstattung mitteleuropäischer Plattenbodenboote: Bockius 2007, 93–95. Ellmer 1989, 340–342.

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6.1

Ausdehnung und Siedlungsorganisation auf eine Raumeinteilung hinweisen würden. Nur nördlich der Mauer wurden Schichten dokumentiert, deren Ablagerung aufgrund unterschiedlich hoher Wasserpegel erfolgt sein dürfte. Auch die unterste, organische Schicht mit stark durchmischten und umgelagerten römischen Funden belegt eine ufernahe, zeitweise überschwemmte Zone.135 Den Ausgräbern fiel die stellenweise gute Erhaltung der Mauer-OK auf, die darauf hinweist, dass es sich dabei um die originale Höhe der Mauer handelt.136 Der wohl gleichzeitig mit der Mauer entstandene Kanal mit der Holzstatue entwässerte durch die Mauer hindurch und endete unmittelbar nördlich davon, was ebenfalls auf einen Uferbereich oder eine zumindest nicht baulich genutzte Zone deutet. Die gemäss ihrem Finder Alfons Diener weiter nördlich und östlich gelegenen Mauerreste von ungefähr gleicher Stärke können vorerst nicht zur Klärung der Strukturen in diesem Nordwestareal des vicus beitragen. Nach den neuesten Erkenntnissen durch die geophysikalische Prospektion von 2010 könnte es sich dabei um Mauerverbände des römischen Bads handeln. 6.1.9

Abb. 88: Grabung Mettlenstrasse Kanal 1977 (Regest-Nr. 87), mögliche Ufer- oder Umfassungsmauer, zweischaliges Bruchsteinmauerwerk mit Stützpfeilern.

Bereich der römischen Brücke, zwischen Insel Werd und dem südlichen Rheinufer zu suchen, wo durch das Auerbachdelta ebenfalls eine günstige natürliche Hafensituation geschaffen war (Abb. 85). Wie oben bemerkt, ist eine solche für Eschenz sicher vorauszusetzen, nicht nur, weil mit einer Umladestation vom Land- zum Wassertransport zu rechnen ist, sondern auch, weil sich hier mit Untersee und Rhein zwei Wasserwege berühren, die unterschiedliche Anforderungen an die Fortbewegung stellen: Treideln und Staken auf dem Fluss, Rudern und Segeln auf dem See.133 Den Standort des römischen Hafens werden vielleicht zukünftige Untersuchungen im Uferbereich des Rheins ermitteln können. Abschliessend sei nochmals auf den bereits 1977 freigelegten, rund 31 m langen Mauerabschnitt in der Flur Mettlen hingewiesen, der bereits von den Ausgräbern als mögliche Ufermauer angesprochen wurde (RegestNr. 87).134 Dem zweischaligen Mauerwerk aus Bruchsteinen waren in regelmässigem Abstand von ca. 4,6 m an der Nordseite Stützpfeiler vorgelagert (Abb. 88). Für eine Uferoder Umfassungsmauer spricht, dass weder nördlich noch südlich davon Gehniveaus festgestellt werden konnten, die auf Innenräume schliessen lassen, noch Quermauern, die 133 134

Ellmers 1989, 313–314, 332; Heiligmann 2000, 100–101. Albin Hasenfratz 1977, unpublizierter Grabungsbericht; Jauch 1997, 229.

Handwerk und Gewerbe

Auf das Vorhandensein von Töpferöfen wurde bereits mehrfach hingewiesen. Insgesamt konnten bislang neun Öfen freigelegt werden, wobei zwei davon ausserhalb des eigentlichen Siedlungsperimeters gefunden wurden (Abb. 89). Der Befund am Römerweg (Regest-Nr. 33) ist nach dem aktuellen Forschungsstand der einzige Ofenstandort, der nah am eigentlichen Siedlungszentrum liegt.137 In der Zone Höfen südlich der Mettlenstrasse fanden sich in enger Nachbarschaft zueinander fünf Töpferöfen (Regest-Nr. 73, 78, 81), die sehr unterschiedlich erhalten sind. Für sich steht der bereits 1940 ausgegrabene Ofen in der Flur Mettlen (RegestNr. 83), der aufgrund seiner Lage bereits im Zusammenhang mit den Siedlungsrandzonen erwähnt wurde. Ein weiterer Töpferofen wurde bei Grabungen im spätantiken Gräberfeld Hofwiesen, südlich des Kastells auf Burg, auf Schaffhauser Kantonsgebiet entdeckt (Regest-Nr. 133). Die nächsten dem vicus zugewiesenen Siedlungsbefunde liegen gut einen halben Kilometer davon entfernt in östlicher Richtung. Mit einem Gebäudekomplex deutlich ausserhalb des vicus-Areals verbunden ist der von Bernhard Schenk dokumentierte Ofen in der Flur Hermannsäcker (Regest-Nr. 126), der zu den nicht mehr genau lokalisierbaren Altgrabungen gehört. Vermutlich stecken hinter den von Schenk ausgegrabenen Mauerfundamenten die Überreste einer villa rustica. Das Material aus dem Töpferofen in der Flur Mettlen wurde erstmals von Hildegard Urner-Astholz und später von Bettina Hedinger im Rahmen des Übersichtswerks zur römischen Keramik der Schweiz vorgelegt.138 Kurze Erwähnung fin135 136 137 138

Albin Hasenfratz 1977, unpublizierter Grabungsbericht. Durchschnittliche Höhe der Mauer 0,65 m, Breite um die 0,7 bis 0,8 m. Analog zu den Überlegungen von Debora Schmid zu den Töpferöfen von Augst könnte dies für eine frühe Nutzung des Ofens sprechen, als der Standort noch an der Siedlungsperipherie lag (2008, 23–25). Urner-Astholz 1942, 15–18; Hedinger 1992, 208–209. Siehe auch Hedinger in: Höneisen 1993, 49–50.

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Ausdehnung und Siedlungsorganisation

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Abb. 89: Übersicht der bisher im Siedlungsareal freigelegten Töpferöfen. Reproduziert mit Bewilligung des Amts für Geoinformation des Kantons Thurgau vom 20.4.2011.

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den darin auch die beiden ausserhalb der Siedlung liegenden Öfen in den Fluren Hofwiesen und Hermannsäcker.139 Noch unbearbeitet sind die neuesten Befunde in der Zone Höfen. Vom Ofen in der Zone Höfen (Parz. 1564, RegestNr. 81) konnte nur noch eine Brandgrube sowie ein Teil des Feuerungskanals gefasst werden. Die Grube war ins anstehende Sediment eingetieft und hatte einen Durchmesser von 3 m, womit sich der Ofen, was die Dimensionen betrifft, deutlich von den übrigen Eschenzer Exemplaren unterscheidet. Erstaunlicherweise wurde kaum Keramik gefunden, was vielleicht damit zusammenhängt, dass nur eine kleine Fläche ergraben wurde und sich der Abraum aus dem Ofen ausserhalb des untersuchten Bereichs befinden könnte. Ebenfalls nur als «Brandgrube» mit einem Durchmesser von 1,1–1,2 m erhalten ist der Ofen auf Parzelle 1379 (Regest-Nr. 73). Auch hier sind mögliche Abfallschichten aus der Benutzungszeit des Ofens ausserhalb der ausgegrabenen Fläche zu suchen, da der Befund genau an der westlichen Grabungsgrenze zu liegen kam. Besser erhalten waren die drei Töpferöfen auf Parzelle 1483 (Regest-Nr. 78; Abb. 90) und der einzelne Ofen am Römerweg (Regest-Nr. 33). Bei letzterem hatten sich noch die Lehmverkleidung der Heizkammer und die Zungenmauer erhalten, auf welcher die nicht mehr vorhandene Lochtenne auflag. Die Heizkammer wies einen Durchmesser von 1,5 m auf und wurde von Nordosten her befeuert. Die gleiche Stützkonstruktion für die noch in Resten erhaltene Lochtenne konnte auch beim mit einem Durchmesser von 1,9 m grössten Ofen der Dreiergruppe festgestellt werden. Der kleinste Ofen der Gruppe (Durchmesser 1,4 m) war auch der am besten erhaltene, weshalb er en bloc geborgen wurde und seither im Museum für Archäologie des Kantons Thurgau in Frauenfeld ausgestellt ist. Neben Heizkammer und Lochtenne haben sich zwischen 139

Regest-Nr. 83, 126.

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30 und 60 cm der aufgehenden Wandung der Brennkammer erhalten. Die Stützkonstruktion für die Lochtenne bestand in diesem Fall nur aus einer um die Innenseite der Grube umlaufenden, abgesetzten Leiste, auf der das Gewicht der Lochtenne ruhte. Beim dritten Ofen (Durchmesser 1,7 m) trugen zwölf entlang der Grubenwand angebrachte halbsäulenartige Stützen die Lochtenne, die bei diesem Exemplar noch ganz erhalten war (Abb. 91). Während dieser mittlere Ofen mehrmals vollständig erneuert wurde, ist bei den anderen von einer einphasigen Nutzung auszugehen. Aufgrund der stratigrafischen Zusammenhänge waren nicht alle Öfen zeitgleich in Gebrauch, der kleinste Ofen scheint auch der älteste gewesen zu sein; die grösseren beiden wurden später errichtet, wobei noch nicht geklärt ist, ob sie gleichzeitig in Betrieb waren. Rund um die Töpferöfen fanden sich zahlreiche Gruben, die zum Teil grosse Mengen an Keramik enthielten, die als während der Produktionszeit anfallender Abraum und Ausschuss interpretiert werden dürfen. In den Öfen selbst wurden keine Funde gemacht, die der letzten

Abb. 90: Grabung Töpferöfen 2000 (Regest-Nr. 78), Blick auf die drei in diesem Areal freigelegten Töpferöfen unterschiedlicher Grösse.

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6.1

Ausdehnung und Siedlungsorganisation

Abb. 91: Grabung Töpferöfen 2000 (Regest-Nr. 78), mittlerer Ofen, Heizkammer mit Konsolen für die Lochtenne.

Beschickung zugewiesen werden können. Das keramische Fundmaterial belief sich auf geschätzte 1,6 Tonnen, worunter sich nur eine verschwindend geringe Menge an Terra Sigillata-Fragmenten befand. In unmittelbarer Nähe zu den Öfen wurde ein Lehmboden angeschnitten, zu dem mehrere Pfostenlöcher gehören dürften. Es ist wohl richtig, diesen Befund als Teil der Töpferwerkstatt zu interpretieren. In die gleiche Richtung weist der Rest eines Mörtelbodens mit Rollierung, der in ungefähr 6 m Entfernung des Töpferofens (Regest-Nr. 81) freigelegt worden ist. Zu den kleinsten Öfen gehört der Altfund von 1940 mit einem Durchmesser von 1,25 m (Regest-Nr. 83). In seinem Inneren fanden sich rund 30 Gefässe der letzten Beschickung. Die dünnwandige, relativ weich gebrannte Gebrauchskeramik ist auch deshalb von Interesse, weil sie das Spektrum augusteischer Militärlager, insbesondere des Haltern-Horizontes, widerspiegelt, und somit für Fragen im Zusammenhang mit der frühen Siedlungsgeschichte von Bedeutung ist.140 Dem Ofen aus dem spätantiken Gräberfeld Hofwiesen fehlt das Material der letzten Nutzung. In welchem Zusammenhang der Ofen mit dem vicus steht, ist offen, denn zwischen den beiden Bereichen klafft eine befundleere Lücke. Von der Ofenkonstruktion selbst haben sich neben dem Feuerungskanal Teile der Lochtenne und der Zungenmauer erhalten. Im näheren Umkreis konnten mehrere Gruben für die Lehmentnahme ausgemacht werden.141 Anders als bei den bisher besprochenen Beispielen handelt es sich bei dem von Schenk ausgegrabenen Ofen in den Hermannsäckern (Regest-Nr. 126) um eine Konstruktion von rechteckiger Form, die ebenfalls über eine Zungenmauer zur Stütze der Lochtenne verfügte. Der Standort des Ofens scheint innerhalb eines Raums gewesen zu sein, wobei hier möglicherweise eine Umnutzung vorliegen könnte.142 Gemäss den Aufzeichnungen von Schenk bargen die Ausgräber eine grosse Menge an Keramik, die sich 140 141 142

Urner-Astholz 1942, 16–18; Hedinger 1992, 208. Höneisen 1993, 125. Hedinger in: Höneisen 1993, 50. Urner-Astholz 1942, 119. Die rechteckige Form könnte ein Datierungshinweis sein. Schmid 2008, 30, Abb. 13. Die rechteckigen Töpferöfen datieren in Augst alle ins 2. und 3. Jh. n. Chr.

heute teilweise im Rosgartenmuseum in Konstanz befindet. Aufgrund von Grösse, Form und Standort könnte es sich bei dem von Schenk entdeckten Exemplar auch um einen Ziegelbrennofen handeln.143 Obschon nicht alle Öfen in der Flur Höfen gleichzeitig betrieben worden sind, scheint die Häufung solcher Befunde doch auf ein über einen längeren Zeitraum als Standort für Töpfereien genutztes Areal zu deuten. Beginn und Dauer dieser Nutzung können jedoch erst nach einer Sichtung des Fundmaterials bestimmt werden. Dass mit weiteren Töpferöfen gerechnet werden kann, beweist der Fund einer Lochtenne in einer Planieschicht am Römerweg. Eingetiefte Fässer in Zweitverwendung, ebenfalls vom Römerweg und von Parzelle 1085144 dienten vielleicht ebenfalls gewerblichen Zwecken. Bei der Profildokumentation in einer Baugrube (Regest-Nr. 77) fand sich auffallend viel Schlacke, was trotz fehlender Umgebungstrukturen ein Hinweis auf ein hier angesiedeltes, metallverarbeitendes Gewerbe in peripherer Siedlungslage ist. Indirekt ist ein holzverarbeitendes Handwerk durch Drechselabfälle nachgewiesen (Regest-Nr. 35). Eine Auswertung des umfangreichen Keramikmaterials der Grabung Töpferöfen 2000 (Regest-Nr. 78) bietet die Möglichkeit, die lokale Keramikproduktion zu analysieren und spezifische Eschenzer Töpfereierzeugnisse herauszuarbeiten. Somit wird im Vergleich mit dem Keramikspektrum umliegender vici möglich, mehr über Absatzmärkte und regionale Verteilmechanismen zu erfahren. In den kommenden Auswertungen wird sicherlich auch der Nachweis weiterer Handwerkszweige mit Hilfe der Befunde oder indirekt über das Fundmaterial gelingen. 6.1.10

Chronologische Aspekte

Ein Abriss der Siedlungsentwicklung kann zum jetzigen Forschungsstand nur in groben Zügen erfolgen, weil einerseits die bislang durchgeführten Grabungen mehrheitlich noch nicht ausgewertet sind und andererseits ein Grossteil der gesamten Siedlungsfläche noch gar nicht ausgegraben werden konnte. Die folgenden Aussagen haben deshalb einen nur vorläufigen Charakter. Es stellen sich verschiedene Fragen nicht nur chronologischer Natur, deren ausführliche Beantwortung erst nach einer Auseinandersetzung mit den Befunden und wichtigsten Fundgattungen erfolgen wird. Ausser der Frage nach den zeitlichen Komponenten der Siedlungsgenese und den damit verbundenen Baumassnahmen sowie deren Nachweise im Befund interessieren auch die Hintergründe dieser Bautätigkeiten und deren planerischen Aspekte: Welche Gründe führten zur Anlage einer Siedlung gerade an dieser Stelle und wer zeichnete für die ersten Baumassnahmen verantwortlich? Lässt sich ein einheitliches Vermessungs- und Baukonzept belegen, oder verläuft die Entwicklung orga143 144

Schmid 2008, 26–29, 32–33. Einzelne Elemente von hölzernen Fässern (Zapfen und Dauben) wurden auch in den Grabungen Zehnder (Regest-Nr. 31), Moosberger (Regest-Nr. 36), Rebmann (Regest-Nr. 60) und Zatti-Landolt (Regest-Nr. 65) sowie neu auf der Parzelle 1085 (Regest-Nr. 38) entdeckt.

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6.1 nisch und ohne innere Ordnung? Was für eine Bevölkerung siedelte sich hier an? Es ist auch nach möglichen Verlagerungen von Siedlungsaktivitäten und Nutzungszonen sowie nach Um- und Neugestaltung von Wohn- und Handwerksbereichen während des ca. dreihundertjährigen Bestehens von Tasgetium zu fragen. Weitere Forschungsschwerpunkte betreffen das Siedlungsende und die anschliessende Verlagerung des vicus nach Westen hin, zum Kastell auf Burg bei Stein am Rhein. Ist von einer vollständigen Aufgabe auszugehen oder bleibt eine Restbevölkerung über das eigentliche Siedlungsende hinaus im vicus wohnhaft? Wie gestalten sich die späte und späteste Nutzung des vicus-Areals und dessen Bauten? Nicht alle diese Fragen sind allein aus dem Befund heraus zu beantworten, sondern können erst unter Einbezug historischer Quellen und vergleichender Studien mit anderen kleinstädtischen Siedlungen der Region analysiert werden. Eine frühe Bautätigkeit ist am deutlichsten im Bereich der parallel zum Rheinufer verlaufenden Strasse und den angrenzenden Parzellen nachzuvollziehen. Mit der Einbringung eines Kieskoffers, der als früheste Strassenphase zu bezeichnen ist, sind erste Baumassnahmen in Verbindung zu bringen. Dabei handelt es sich vornehmlich um Sicherungsund Drainagearbeiten im nördlichen Vorfeld des Strassentrassees. Diese Baugrundvorbereitungen sind dank Dendrodaten von mehreren Bauhölzern absolutchronologisch verankert und können ins 1. Jahrzehnt n. Chr. datiert werden.145 Dank weiterer datierter Bauhölzer lassen sich zeitlich dicht aufeinanderfolgende Baumassnahmen im nördlichen Gelände erkennen, die ohne die Hilfe der Dendrochronologie feinstratigrafisch meist nur schwierig zu trennen sind. Mit der zweiten Strassenphase, die zu Beginn des 2. Jahrzehnts n. Chr. anzusetzen ist, sind erste Hausbauten fassbar. Die Bautätigkeit ist spätestens mit der Errichtung erster Gebäude parzellenbezogen, doch scheint die Parzellierung nach einer ersten Einschätzung, zumindest was den Bereich nördlich der Strasse betrifft, bereits zum Zeitpunkt der ersten vorbereitenden Baumassnahmen bestanden zu haben. Während im Strassenbereich Drainageschichten und Baugrundsicherungen in Form von Holzschnipsel- und Rutenlagen vorliegen, wurden im Areal am Römerweg (Regest-Nr. 33) und in der Zone Sagi/Grueb (Regest-Nr. 60, 65–69) andere Massnahmen angewendet. Chronologisch und stratigrafisch sind die Bauabfolgen weniger fein differenzierbar, dennoch kann als früheste Bautätigkeit überall in den genannten Zonen die Anlage von Gräben und Kanälen festgestellt werden, deren Hauptzweck in der Entwässerung und Drainierung des sumpfigen Geländes und der Ableitung des Hangwassers liegen dürfte. Ein Bebauungsraster ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht erkennbar, vielmehr folgen die Gräben dem natürlichen Verlauf des Terrains, das sich hier zum Rhein hin senkt. Sowohl am Römerweg (RegestNr. 33) als auch in der Zone Sagi/Grueb (Regest-Nr. 60, 65) setzen die frühesten Dendrodaten etwas später ein als im Strassenbereich146, mit Ausnahme eines Kanalholzes mit 145 146

Pfahlreihe mit Dendrodaten 6/7 n. Chr. (Regest-Nr. 36). Kanalhölzer 13 n. Chr (Grabung Haus Rebmann, Regest-Nr. 60) und 2. Jahrzehnt n. Chr. (Grabung Römerweg, Regest-Nr. 33).

Ausdehnung und Siedlungsorganisation

Waldkantendatum 1 n. Chr. (Regest-Nr. 60). Da es sich jedoch um einen Befund mit Dendrodaten handelt, die bis in die Mitte des 1. Jhs. n. Chr. streuen, könnte es sich auch um ein in einem späteren Kontext wiederverwendetes Holz handeln.147 Wieder verwendete Bauhölzer sind in den besprochenen Grabungen vor allem in Kanalkonstruktionen festzustellen. Bei der Beurteilung des Siedlungsbeginns ist deshalb Vorsicht geboten, wenn sich die Datierung nur auf einzelne Dendrodaten von Kanalhölzern stützen kann. Entsprechend muss auch das Fundmaterial auf die vorgeschlagene Datierung hin überprüft und ausgewertet werden. Ein relativ frühes Datum, das sich in die Reihe von Hölzern aus dem 1. und 2. Jahrzehnt n. Chr. einordnen lässt, stammt von einem Holz aus der Grabung von 1977 in der Zone Mettlen (Regest-Nr. 87). Es wurde auf 18 n. Chr. datiert und gehört zur Kanalkonstruktion, in der die in einheimischer Tradition gefertigte Holzstatue eines Manns mit Kapuzenmantel gefunden worden ist. Ein einzelner Pfahl aus der Grabung Zehnder (Regest-Nr. 31), der leider keiner Konstruktion zugewiesen werden konnte, lieferte ein Dendrodatum von 15 n. Chr. Bei zwei früh datierten Hölzern von der Dienerwiese handelt es sich nur um Kernholzdatierungen (6 v. Chr. und 5 n. Chr.), das älteste Holz mit erhaltener Waldkante datiert ins Jahr 42 n. Chr. Die über das Siedlungsareal verstreuten Hölzer mit frühen Dendrodaten könnten ein Hinweis darauf sein, dass der Beginn der Siedlungstätigkeit nicht nur im Bereich der Strasse zu suchen ist, sondern dass bald nach dem Bau der ersten Strasse an mehreren Stellen im vicus gleichzeitig erste Baumassnahmen erfolgten. Für die Rekonstruktion der Siedlungsgeschichte von der 2. Hälfte des 1. Jhs. bis Ende des 2. Jhs. n. Chr. kann man auf eine grosse Zahl dendrodatierter Bauhölzer zurückgreifen, die über das ganze vicus-Areal streuen.148 Ein Fixpunkt für die späte Besiedlung des vicus ist die um 294 n. Chr. wohl etwa zeitgleich mit dem Kastell in Oberwinterthur erfolgte Errichtung des Kastells auf Burg und die damit verbundene Siedlungsverlagerung nach Westen. Die bislang jüngsten Dendrodaten stammen von Bauhölzern aus den Grabungen auf der Dienerwiese (RegestNr. 97) sowie vom Römerweg (Regest-Nr. 33) und weisen auf eine Bautätigkeit noch gegen Mitte des 3. Jhs. n. Chr. hin.149 Von den untersuchten Bauhölzern aus den Grabungen der Zone Sagi/Grueb (Regest-Nr. 60, 65, 69) wies keines ein so spätes Datum auf, die dort errechneten Endjahre sind alle deutlich früher anzusetzen (163 n. Chr. und 179 n. Chr.). Es ist jedoch zu vermuten, dass die jüngsten Holzbefunde wohl aufgrund fehlender Feuchtbodenerhaltung in den oberen Schichten nicht konserviert wurden. Bei den jüngsten Hölzern aus der Grabung Römerweg handelt es sich um Pfosten, die bis tief in den dauerfeuchten Untergrund reichten und deshalb erhalten blieben. Dass mit den ermittelten Dendrodaten nicht die spätesten Siedlungsaktivitäten in der Zone Sagi/Grueb gefasst worden sind, wird auch durch das teilweise schon vorgelegte Fundmaterial deutlich, das zeitlich 147 148 149

Jauch 1997, 14. Siehe Kapitel 7.2. Späteste Dendrodaten vom Römerweg: 225±10 und 227±1 n. Chr. Späteste Daten von der Dienerwiese: 245 und zweimal 246 n. Chr.

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Über den Rhein

bis in die 1. Hälfte des 3. Jhs. n. Chr. reicht.150 Im Bereich des Gebäudes auf der Dienerwiese (Regest-Nr. 97) weist das Fundspektrum gar bis ins frühe 4. Jh. n. Chr.151 Auffallend ist, dass nördlich der parallel zum Rheinufer verlaufenden Strasse die jüngsten Dendrodaten kaum bis ins 2. Jh. n. Chr. reichen.152 Ohne Auswertung des Fundmaterials aus den obersten römischen Schichten bleibt die Frage vorerst offen, ob sich, wie in der Zone Sagi/Grueb, die schlechteren Erhaltungsbedingungen für das Fehlen jüngerer Daten verantwortlich zeigen, oder ob die Besiedlung im rheinseitigen Gelände tatsächlich früher abbricht als in anderen vicusArealen. Ein Blick auf die als Balkendiagramm dargestellte Reihe aller dendrodatierten Hölzer mit Waldkante zeigt eine konzentrierte Bauaktivität, vor allem in der 1. Hälfte des 1. Jhs. n. Chr. (Abb. 151). Auch in diesem Fall ist nach den Gründen für das Abnehmen dendrodatierter Bauhölzer zu fragen. Widerspiegelt die Datenreihe tatsächlich eine verminderte Bautätigkeit oder ist von anderen Voraussetzungen auszugehen? Schlechtere Erhaltungsbedingungen sowie möglicherweise geänderte, aber nicht zwingend geringere Bauaktivitäten können das überlieferte Befundbild nachhaltig beeinflusst haben. So ist gerade im Bereich der Strasse und am Römerweg zu beachten, dass die jüngsten Gebäudegrundrisse in Form von Steinbauten oder Bauten mit Steinfundamenten vorliegen. Als Besonderheit fallen die gehäuft auftretenden Münzen des spätesten 3. Jhs. n. Chr. aus der Zone Espigraben auf. Die Bearbeitung dieses Fundkomplexes, bei dem es sich möglicherweise um eine Deponierung handelt, steht noch aus. Die Münzen sind bisher in keinem Zusammenhang mit irgendwelchen Siedlungsstrukturen zu sehen. Insgesamt ist die Siedlungsgeschichte noch sehr lükkenhaft, weshalb die Mehrzahl der eingangs gestellten Fragestellungen erst nach einer detaillierten Auswertung der Befunde und Funde innerhalb des Siedlungsperimeters genauer beantwortet werden können. Insofern bleiben auch die Fragen nach dem vielfach diskutierten Militärposten153 und der möglichen Rolle des Militärs bei der Errichtung der Siedlung vorerst unbeantwortet. 6.1.11

Ausblick

Der bis gegen Ende des 20. Jhs. relativ geringen Bautätigkeit in Unter-Eschenz ist es zu verdanken, dass zwar die Siedlungsaufschlüsse eher kleinräumig und weit auseinanderliegend sind, dafür aber kaum Altgrabungen vorliegen und viele für zukünftige Untersuchungen wichtige Flächen noch unbebaut sind. Es ist deshalb sicher, dass sich die Kenntnis über den vicus in den kommenden Jahren durch die laufenden Befund- und Fundauswertungen einerseits und durch neue Grabungen und Sondierungen andererseits erweitern wird. Insbesondere zu Siedlungsstruktur und 150 151 152 153

Jauch 1997, 39, 72, 190. Franziska Steiner 2007, 126–167 (Katalogteil), unpublizierte Lizentiatsarbeit an der Universität Zürich. Jüngstes Datum von einer Pfostenreihe, Grabung Moosberger (Regest-Nr. 36): 120 n. Chr. (Waldkante). Brem, Bolliger u. Primas 1987, 15, 51–53; Höneisen 1993, 57.

-entwicklung sind neue Ergebnisse zu erwarten. Die im November 2010 durchgeführte geophysikalische Prospektion hat gezeigt, dass auch mit nicht invasiven Untersuchungen die bisher gewonnenen Einblicke zur römischen Besiedlung von Eschenz ausgeweitet und verfeinert werden können. Diese Untersuchungsmethoden bieten in Ergänzung zu zukünftigen Grabungen wichtige zusätzliche Anhaltspunkte, lassen die Datierungsfrage jedoch offen. Neben den noch im Boden ruhenden römischen Befunden dürfte das grösste Potenzial der Fundstelle in ihrer umfangreichen Feuchtbodenerhaltung liegen, deren Wert besonders für die Archäobiologie hoch geschätzt werden muss. Dank der ausgezeichneten Holzerhaltung sind detaillierte Untersuchungen zu Bautechnik und Holznutzung möglich. Der Werkstoff Holz, der auch in römischer Zeit in unseren Breitengraden eine wichtige Rolle spielte und aufgrund seiner seltenen Erhaltung oft unberücksichtigt bleibt, kann hier in Form von Baubefunden und Gegenständen des täglichen Lebens studiert und untersucht werden. Aufs Jahr genau datierte Hölzer ermöglichen eine verfeinerte Ansprache von Bautätigkeit und Bauphasen. Die mittels der Dendrochonologie absolutchronologisch verankerte Stratigrafie ist zudem für die Fundauswertung von grosser Wichtigkeit, da sie besonders der Keramikforschung ermöglicht, ihre Datierungsansätze zu überprüfen und gegebenenfalls zu präzisieren. Neben Oberwinterthur gehört Eschenz zu den wenigen römischen Siedlungen mit umfangreicher Holzerhaltung in der Schweiz. Eine vollständige Auswertung ist auch deshalb ein dringendes Desiderat, weil durch die benachbarte Lage der beiden Orte ein direkter Vergleich ermöglicht wird, insbesondere was Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Holzbau und im Umgang mit der Ressource Holz betrifft. 6.2

Über den Rhein Simone Benguerel 6.2.1

Die Brücken über den Rhein bei der Insel Werd

Wie auch heute noch waren einzelne Brückenpfähle zwischen Unter-Eschenz und der Insel Werd bereits seit Jahrhunderten im Wasser zu sehen (Abb. 92). Beschreibungen und Darstellungen dieser Reste von Holzbrücken, die von Unter-Eschenz über die Ostspitze der Insel bis zur Flur Arach/Orich (SH) führten, sind seit dem 16. Jh. in der Chronik von Stumpf überliefert (Regest-Nr. 1). Als «Heidenbrükke» tauchen sie ab dem 18. Jh. auf Vermessungsplänen auf. Auf den um 1726 entstandenen Plänen von Jakob Schäppi sind in beiden Rheinarmen sogar einzelne Brückenjoche aufgrund von Punktsignaturen zu identifizieren (Abb. 93) (Regest-Nr. 2). Ob der einzelne Punkt einen damals sichtbaren Pfahl repräsentiert oder ob es sich um eine schematische Darstellung handelt, ist unsicher. Bekannt ist, dass spätestens im 18. Jh. unter anderem von Fischern eine grössere Anzahl

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6.2

Über den Rhein

Abb. 92: Blick auf einen Pfeiler der römischen Brücke vom heutigen Steg zur Insel Werd aus während taucharchäologischer Untersuchungen 2010.

Abb. 93: Ausschnitt aus dem Vermessungsplan von Jakob Schäppi von 1727. Die Jochpfähle der römischen Brücke sind als Punkte eingetragen.

der Pfähle ausgerissen wurde. Wie im Manuskript von Isidor Keller nachzulesen, verfingen sich die Fischernetze in den Pfählen und der Schiffsverkehr musste ihnen ausweichen (Regest-Nr. 4)154. Gemäss des Berichts von Keller war das Entfernen der mächtigen Pfähle mit grossem Aufwand verbunden und es wurde nur eine Fahrschneise angelegt. In den «Leu’schen Handschriften» ist die Rede vom Herausreissen von rund 50 Pfählen im Jahr 1733 im schaffhausischen Rheinarm, wobei auch «eiserne Pfahlspitzen» beobachtet werden konnten. Zudem sind die beiden Brückenköpfe in Eschenz und auf dem gegenseitigen Ufer in Arach (oder: Orich) genannt (ASA 3, 1900, 169) (Regest-Nr. 3). Unter anderem nahe des Verlaufs der Brücke auf der Insel oder aus dem Rhein geborgene Münzen liessen verschiedene Autoren früh konkreter von einer römischen Brücke sprechen. 1898 wurden im Auftrag des Antiquarischen Vereins Stein am Rhein die sichtbaren Brückenpfähle von Architekt Heinrich Leuthold eingemessen. Auf diesem von Ernst Rippman (1900, 168) veröffentlichen Gesamtplan (Abb. 94) sind in beiden Rheinarmen je vier Joche eingetragen (Regest-Nr. 5). Er beschreibt sie folgendermassen: «Die Pfeiler bestehen aus je zehn eichenen, teils runden, teils eckig behauenen Stämmen von Stämmen von 30–45 cm Durchmesser. Diese sind folgendermassen angeordnet: Oben und unten je ein Pfahl und in der Mitte paarweise die anderen acht. Wahrscheinlich sind die acht senkrecht eingerammt und die zwei seitlichen schief als Schutz gegen Eislauf und andere Schädigungen.» Die Distanz zwischen den äussersten Pfählen der beiden Reihen beträgt zwischen 5 und 6 m, was als Breite der Fahrbahn auf der Brücke angenommen wird. Beschreibung und Plan wirken auf den ersten Blick schematisch. Das steht in Kontrast zu den aufgeführten Vorgehensweise bei der Aufnahme. Bei den erkannten Pfählen wurden Dachlatten in den Untergrund getrieben, so auch der Verlauf der Brücke visiert (Abb. 25–26). Weiter bezeugen auch Angaben zur Tiefe und zum Relief des Untergrunds

die Vermessungsarbeiten vor Ort. Einzig für den eingetragenen Brückenkopf auf dem schaffhausischen Ufer verweist Rippman darauf, dass im Gelände keine Überreste gefunden werden konnten (1900, 168). Als Grund dafür gibt er eine mögliche Wiederverwendung der Bausteine an. Die Lücke zwischen den vermessenen Jochen auf der Nordseite führt er auf die dortige starke Strömung zurück. Als alternative Erklärung formuliert er die These einer «Schiffbrücke» in diesem Bereich, also einer mobilen Anlage, die den Schiffverkehr nach Bedarf durchlassen konnte (Rippmann 1900, 169). Die Aufnahmen von Leuthold und Rippmann dienten Genie-Oberst Adrian Meinecke zur bekannten Rekonstruktion der Brücke, wofür er sich ausser an Forschungen zu Caesars Rheinbrücke bei Bonn bei den technischen Überlegungen auch am militärischen Brückenbau orientierte (Meinecke 1902/1903). Spannend in diesem Zusammenhang sind seine Berechnungen des Arbeitsaufwands, wobei er von einem Bau durch Truppen (Anwesenheit von mindestens einer Zenturie) ausgeht. Meinecke betont, dass der Brückenverlauf über die Insel Werd ein gleichzeitiges Erstellen der

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Antiquitaeten oder Alterthümer der Gemeinde Eschenz. In: Keller 1826, Beschreibung der Ehemaligen Stadt Gaunodurum wie auch der Gemeinde Eschenz, welches nun ihre Stelle einnimmt. Gesammelt aus glaubwürdigen Quellen von Isidor Keller, Bürger allda. Manuskript 1826, Stifts-Archiv Einsiedeln C. I (2).8.

Abb. 94: Die von Heinrich Leuthold eingemessenen Joche und der rekonstruierte Verlauf der Brücke. Nach: Rippmann in Meinecke 1902/03, Taf. IX.

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Über den Rhein

Abb. 95: Immer wieder wurden Brückenpfeiler von Fischern ausgezogen wie ein Foto aus den 1960er-Jahren bezeugt.

Brücke in zwei Teilen ermöglichte. Ausschlaggebend für die Richtung der beiden Brückenteile war die Strömung: auf beiden Seiten wurden sie quer zur Fliessrichtung angelegt. Er geht entsprechend der verwendeten Aufnahmen von einer Brückenkonstruktion mit «Doppeljochen» aus (Rheinbrükke Caesar mit einfachen Jochen). 707200

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Abb. 96: Plan der bislang dokumentierten hölzernen Brückenpfeiler zwischen Unter-Eschenz über die Insel Werd nach Arach/Orich (SH), Stand 2010. Ihre Verteilung zeigt deutlich, dass sie zu mehreren Brückenphasen gehören. Reproduziert mit Bewilligung des Amts für Geoinformation des Kantons Thurgau vom 20.4.2011.

In den 1960er- und frühen 1970er-Jahren wurden besonders bei Niedrigwasserstand von Fischern weitere Jochpfähle entfernt (Abb. 95) (Regest-Nr. 9). Die damalige Kantonsarchäologin Madeleine Sitterding nahm 1972 eine grobe Einmessung einer Pfahlgruppe auf der nördlichen Strandplatte der Insel vor, die heute nicht mehr mit Sicherheit auf ein Landeskoordinatensystem übertragen werden kann. Besser zu verorten ist die Einmessung von mindesten 49 Pfählen nach deren Freilegung auf der Nordseite durch das Amt für Archäologie 1986 (Bürgi 1987) (Regest-Nr. 10). Neben zwei etwa in mehreren Reihen angeordneten Pfahlgruppen (Pfahlfeld Nord und Süd), liegen weitere Pfähle weiter westlich (Pfahlfeld West). Jost Bürgi ordnete letztere einem «unbekannten Bauwerk» zu (1987, 18), vielleicht gehören sie aber auch zu Brückenbauten mit leicht anderem Verlauf. Erstmals wurden damals 9 Pfähle der Felder Nord und Süd zur dendrochronologischen Analyse beprobt. Dazu wurden sie teilweise freigelegt, dann in den nicht durch das Wasser erodierten unteren Bereichen abgesägt. Die Analyse bestätigte erstmals die römische Zeitstellung der Brücken, zeigte ausserdem, dass die beprobten Jochpfähle mehreren Bauphasen angehören, was bereits aufgrund der Verteilung der Pfähle vermutet wurde. Sechs konnten grob in den Zeitraum 94 v. bis 93 n. Chr. datiert werden, drei ergaben exakte Fälldaten von 21 n. Chr., aber mit unsichererer Waldkante, sowie im Herbst 81 und Frühling 82 n. Chr. 1992 wurden während des Aushubs von Werkleitungen zwischen UnterEschenz und der Insel Werd weitere Pfähle entfernt, die sich leider nicht datieren liessen (Regest-Nr. 11). Im Rahmen einer Prospektion führte das Amt für Archäologie Anfang 2010 eine erneute Aufnahme des Bestands an möglichen Jochpfählen durch (Regest-Nr. 12). Dazu wurden in beiden Rheinarmen die bekannten Bereiche mit sichtbaren oder bereits dokumentierten Pfählen freigeschaufelt. Insgesamt konnten 149 Hölzer erfasst werden, die in sieben Gruppen unterteilt wurden (Abb. 96). 61 befinden sich ungefähr in der Mitte zwischen Unter-Eschenz und der Insel Werd, 79 davon liegen auf der Strandplatte nördlich der Insel (Abb. 97–98). Während es sich bei den südlichen Pfählen in der Regel um vierkantig zugehauene Hölzer handelt, sind auf der Nordseite mehrheitlich runde Pfähle festgestellt worden. Eine Ausnahme ist dort eine Gruppe der westlichsten Pfähle, wo nach der Aufnahme von 1986 ein anderes Bauwerk vermutet wurde. Von 43 Pfählen wurden mit einer hydraulischen Kettensäge Proben entnommen (Abb. 99), 25 davon konnten dendrochronologisch datiert werden. Die bekannte Brückenphase 81/82 n. Chr. ist nördlich der Insel nun durch insgesamt 10 Rundhölzer nachgewiesen. Die Pfahlstellungen lassen auf die von Meinecke vorgeschlagenen «Doppeljoche» schliessen, auch wenn aufgrund der vorliegenden Datierungen bislang kein Joch gesichert ist. Bei den südlich der Insel erhaltenen Pfählen sind für einige Fälldaten nach 80 n. Chr. anzunehmen. Bei all diesen handelt es sich aber um zugeschlagene Kanthölzer, gesicherte Waldkanten liegen nicht vor. Neu dürfte eine weitere Bauphase und deren Reparaturen durch mehrere Fälldaten zwischen um 223 und bis um 250 n. Chr. zu fassen sein. Weitere Datierungen bezeugen, dass in den Pfahlgruppen

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Abb. 97: Die Brückenpfeiler zwischen Unter-Eschenz und Insel Werd, Stand 2010. Gelb: 223–250 n. Chr.; rot: 81/82 n. Chr.; blau: um 50 n. Chr.; Quadrat: Kantholz; Kreis: Rundholz; V-Form: Pfahlspitze. Reproduziert mit Bewilligung des Amts für Geoinformation des Kantons Thurgau vom 20.4.2011.

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Abb. 98: Die Brückenpfeiler zwischen Insel Werd und Arach/Orich (SH), Stand 2010. Legende siehe Abb. 97. Reproduziert mit Bewilligung des Amts für Geoinformation des Kantons Thurgau vom 20.4.2011.

Abb. 99: Beprobung im Jahr 2010 eines Brückenpfeiler-Pfahls für die dendrochronologische Analyse. Die Probeentnahme musste mit einer Kettensäge unter Wasser durchgeführt werden.

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vor 80 n. Chr. geschlagene Hölzer verbaut sind. Gesicherte Fälldaten liegen keine vor, eine hochgerechnete Splintgrenzdatierung könnte eine Bauphase um 50 n. Chr. anzeigen. Die Datierungen um 21 n. Chr. von 1986 sind in den neuen Analysen aber nicht fassbar. Einzelne mögliche Daten zwischen den beiden nachgewiesenen Brückenphasen zeigen am ehesten Reparaturen an. Regelmässig werden bei Niedrigwasserstand im Bereich der Brücken römische Funde, vorrangig Münzen, geborgen. Der Gesamtbestand beträgt in der Zwischenzeit mehrere hundert Objekte, darunter Prägungen aus dem 1. bis 3. Jh. n. Chr. 6.2.2

Römische Siedlungsspuren auf der Insel Werd

Besonders während der Grabungen 1931–1935 durch Karl Keller-Tarnuzzer wurden auf der Insel Werd römische Funde geborgen (Regest-Nr. 6). Die meisten stammen aus der obersten, «vermischten» Schicht, die spätbronzezeitliches bis neuzeitliches Fundmaterial umfasste. Neben augusteischen Funden stammen die Mehrzahl der Objekte aus dem ausgehenden 1. und beginnenden 2. Jh. n. Chr., einzel-

ne spätrömische Funde zeigen eine kontinuierliche Besiedlung der Insel an (Höneisen 1993, 57). An römischen Strukturen ist einzig eine Grube gesichert, weitere vergleichbare Befunde sind aufgrund der vorliegenden Dokumentation anzunehmen (Brem, Bolliger u.Primas 1987). Zur Diskussion steht, ob ein unter der heutigen St. Otmar-Kapelle liegender Rechteckbau bereits in spätrömischer Zeit errichtet wurde (Regest-Nr. 8). Militaria unter den Funden werden als Hinweis auf anwesende Truppen im Bereich des strategisch wichtigen Rheinübergangs verstanden und sogar eine Stationierung von römischem Militär auf der Insel selbst wird nicht ausgeschlossen (Brem, Bolliger u. Primas 1987, 47–52, so übernommen in Höneisen 1993, 57). Aufgrund der ältesten Funde und historischer Überlegungen ist dies wohl in Zusammenhang mit der Erschliessung des linksrheinischen Gebiets in spätaugusteischer Zeit zu stellen. Die geringe und nicht stratifizierte Fundmenge, die chronotypologisch nicht genau eingrenzbaren militärischen Ausrüstungsgegenstände und Waffen sowie das Fehlen von gesicherten Baustrukturen von der Insel, lassen hier bislang keine konkreten Aussagen zu. Zudem ist auch eine Sichtung des grossen Fundbestands aus dem Siedlungsbereich in Unter-Eschenz bezüglich Militaria noch nicht erfolgt.

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7.2

Holzanatomie

7 Dendroarchäologie 7.1

Einleitung Roswitha Schweichel

Schon immer haben die Menschen die Wälder ihrer näheren Umgebung als Quelle für Brenn-, Werk- oder Bauholz genutzt. Dass sie auf diese Weise ihre Umwelt nachhaltig veränderten, belegen zahlreiche paläoökologische Untersuchungen der letzten Jahre. Twinner et al. (2005) zeigen, dass die Frequenz von Waldbränden mit dem Beginn des Neolithikums in Teilen des Schweizerischen Mittellands stark anstieg, und dass damit die Veränderungen der Artenzusammensetzung der Wälder und das Auftreten von Weidezeigern verbunden ist. Gobet et al. (2004) weisen tiefgreifende Veränderungen der Landschaft zu Beginn der Bronzezeit im Oberengadin nach. Mit dem Einzug der Römer verstärkte sich nördlich der Alpen die Nutzung der Wälder – die Planung, Entstehung und Ausweitung römischer Lager, Befestigungen und Siedlungen ist untrennbar mit intensiver Waldnutzung verbunden. Es ist zu erkennen, dass sich in dieser Zeit die Florenzusammensetzung der Waldstandorte und das Landschaftsbild erneut veränderten (Nenninger 2001, 202–214). In der Regel lassen sich bei Ausgrabungen römischer Befunde keine oder nur wenige Hölzer nachweisen. Im Gegensatz dazu sind unter den günstigen anaeroben Bedingungen in Eschenz hunderte von Bau- und Werkhölzern sowie zahlreiche Holzobjekte erhalten geblieben, die für historische Wissenschaften ein ausserordentlich wertvolles Quellenmaterial darstellen. Ähnlich gut erhaltene Hölzer sind in solch grossen Mengen bisher nur aus römischen Grabungsbefunden in Winterthur, Osterburken (D) und OedenburgBiesheim (F) bekannt. Das Interesse der Archäologen galt lange Zeit der jahrgenauen Datierung möglichst aller Grabungsbefunde. Aus diesem Grund lag auch der Schwerpunkt der Untersuchungen bisher auf der dendrochronologischen Analyse ausgewählter Bauhölzer. Dendroarchäologie aber meint mehr als nur die Datierung von Hölzern. André Billamboz und Joachim Köninger (2008, 319) verstehen darunter die «Untersuchung von Holzund Jahrringserien hinsichtlich ihres baugeschichtlichen und baustrukturellen, ihres waldwirtschaftlichen und waldökologischen Informationsgehaltes». Zu den Methoden der Dendroarchäologie gehört eine systematische anatomische Bestimmung der verwendeten Holzarten, die es ermöglicht, Informationen über vorhandene Holzressourcen und über die gezielte Auswahl bestimmter Holzarten für unterschiedliche Nutzungszwecke zu erhalten. Eine weitere Methode ist die Dendrotypologie, bei der eine grössere Anzahl von Hölzern nach unterschiedlichen Kriterien zu so genannten Dendrogruppen zusammengefasst werden, durch deren Interpretation zusätzliche, archäologisch relevante Informationen gewonnen werden können.

Abb. 100: Ein junger Gorilla im Zoo von Hannover begutachtet ein Stück Holz.

Wir legen hier zunächst die Ergebnisse der holzanatomischen Analysen und die bis jetzt erzielten Datierungsergebnisse aus Eschenz vor. In einem weiteren Abschnitt folgen einige mit Hilfe der Jahrringkurven erarbeitete dendrotypologische Interpretationen. 7.2

Holzanatomie Werner Schoch 7.2.1

Holzarten

Schon immer haben die Menschen die Wälder ihrer näheren Umgebung als Quelle für Brenn-, Werk- oder Bauholz genutzt. Diese Aussage ist sicher richtig. Nur – was heisst «schon immer»? Seit es Menschen gibt? Das ist bestimmt richtig. Aber wer begann mit dieser Nutzung? Mit Sicherheit befassten sich frühe Hominiden mit dem Holz als Werkstoff im weitesten Sinne, da und dort wurde ein Stock gebraucht und vielleicht vorerst auch nur spielerisch damit umgegangen (Abb. 100). Doch ohne Zweifel war man sich bald der Eigenschaften des Holzes bewusst, einige Hölzer waren leicht, andere schwerer, einige zäh und elastisch, andere brüchig und spröde. Heute können wir alle diese Eigenschaften erkennen, erklären, messen und definieren. Die Eigenschaften hängen direkt vom Aufbau des Holzes und dessen Anatomie ab. 7.2.2

Holzartenbestimmung

In Gebieten mit Jahreszeiten bilden die Hölzer, mit Ausnahme der Baumgräser (z.B. Bambus) und Palmen, 95

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7.2

Holzanatomie

Abb. 101: Mikrobilder Nadelholz (Wacholder), ringporiges (Esche) und zerstreutporiges (Apfelbaum) Laubholz.

Jahrringe aus. Aufgrund der Zellstrukturen können wir zwischen Nadel- und Laubhölzern, bei den letzteren zwischen ring- und zerstreutporigen unterscheiden (Abb. 101). Die entwicklungsgeschichtlich älteren Nadelhölzer (Koniferen) sind einfach aufgebaut, sie bestehen aus Tracheiden, die als Transportleitungen und Festigungsgewebe dienen. Bei den Laubhölzern erscheinen auf dem Querschnitt Gefässe als Poren (Tracheen), die der Saftleitung dienen. Diese sind in ein Stützgewebe eingebettet, das aus faserförmigen Tracheiden und Holzfasern besteht. Sind die im Frühjahr gebildeten Gefässe deutlich grösser als die später im Jahr gebildeten, nennt man solche Hölzer ringporig. Dazu gehören bei uns z.B. Eiche, Ulme und Esche. Sind die Gefässe in einem Holz über die ganze Jahrringfläche mehr oder weniger gleich gross und gleichmässig verteilt, spricht man von einem zerstreutporigen Holz. Aufgrund der mikroskopischen Struktur ist es möglich, Hölzer bestimmen zu können, dazu werden auch die Längsschnitte in radialer und tangentialer Richtung beigezogen. Abgesehen von dieser Möglichkeit, eröffnet sich mit solchen Bildern auch dem Laien eine wunderbare Welt. Einen umfassenden Einblick über die mitteleuropäischen Hölzer vermittelt der Atlas «Mikroskopische Holzanatomie», der im Internet frei zugänglich ist (Schoch, Heller u. Kienast 2004). Unter günstigen Umständen können sich die Hölzer und deren Strukturen über Jahrmillionen erhalten. Unter anaeroben Bedingungen, wie sie in stets wassergesättigten Sedimenten vorkommen, oder unter ariden Verhältnissen bleiben die Hölzer vom biologischen Abbau weitgehend verschont. Feinste, diagnostisch wichtige Merkmale können unverändert erhalten bleiben. Ebenfalls sind die anatomisch typischen Strukturen für die Holzarten in Holzkohle sehr schön erkennbar, durch die Verkohlung kann sich die Dimension des Holzes verändern, die Struktur aber bleibt erhalten.

Eiche – Quercus

3590

Erle – Alnus

662

Buche – Fagus

501

Weisstanne – Abies alba

487

Esche – Fraxinus

106

Fichte (Rottanne) – Picea abies

105

Hasel – Corylus

85

Ahorn – Acer

56

Weide – Salix

52

Wacholder – Juniperus

41

Kernobst – Maloideae

38

Pappel – Populus

23

Buchs – Buxus

21

Föhre (Kiefer) – Pinus

20

Schleh-, Schwarzdorn – Prunus spinosa

11

Hagebuche – Carpinus

9

Birke – Betula

8

Eibe – Taxus

5

Hartriegel – Cornus

4

Holunder – Sambucus

4

Kreuzdorn – Rhamnus

3

Steinobst – Prunus

3

Ulme – Ulmus

3

Faulbaum – Frangula alnus

2

Nussbaum – Juglans

2

Granatapfel – Punica granatum

1

Korkeiche – Quercus suber

1

Linde – Tilia

1

Schneeball – Viburnum

1

Abb. 102: Anzahl und Arten der in Eschenz nachgewiesenen Hölzer.

96

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7.2

Holzanatomie

Abb. 103: So etwa könnte der Wald im Umfeld des vicus Tasgetium ausgesehen haben.

7.2.3

In Eschenz nachgewiesene Holzarten

In den Teilen von Tasgetium, wo die Sedimente seit der Besiedlung stets wassergesättigt blieben, haben sich tausende von Hölzern, Holzkohlen und teilweise auch mineralisierte Holzreste erhalten. Darunter finden sich Bauhölzer, Bearbeitungsabfälle, Werkzeug- und Möbelteile, Gerätschaften des täglichen Gebrauchs, geküferte und gedrechselte Gefässe, Musikinstrumente, aber auch Holzreste, die als Abfall in der Siedlung liegen blieben. Von allen diesen Objekten sind die Holzarten bestimmt worden. Die Artenverteilung wird aus der Zusammenstellung in Abbildung 102 ersichtlich. Es wurden 5845 Hölzer bestimmt – eine Zwischenbilanz von 2010. Die Aufstellung beinhaltet Hölzer aller Kategorien, Konstruktionshölzer wie Balken, Bretter, Schindeln, Pfähle, Pfosten, aber auch Bearbeitungsabfälle, Äste, Ruten und Zweige und eine grössere Menge an Artefakten, Gerätschaften und Gegenstände des täglichen Bedarfs. Deshalb kann nicht direkt auf die Vegetation der unmittelbaren Umgebung der Siedlung geschlossen werden, zu stark spiegelt sich die Selektion der Hölzer für bestimmte Verwendungszwecke wider. Einige Holzarten sind im Vergleich zum natürlichen Baum- und Strauchvorkommen in der Umgebung von Tasgetium sicher übervertreten, während andere Arten nicht oder nur in geringer Zahl erfasst werden konnten (Abb. 103). Mit einem Anteil von 61% überwiegt die Eiche, an zweiter Stelle liegt mit 11% die Erle, gefolgt von Buche mit 9%, Tanne mit 8%, Esche und Fichte erreichen noch je 2%, während weitere 23 Holzarten nur noch mit Anteilen unter 2% oder gar als Einzelhölzer vertreten sind,

darunter belegen mindestens zwei Objekte einen Import aus dem südalpinem Raum. 7.2.4

Vergleich einer Sammelprobe mit den in Eschenz nachgewiesenen Holzarten

Ein etwas abweichendes Bild ergibt eine gesondert erfasste Probe der Grabung Römerweg (Regest-Nr. 33) aus einer auffälligen Holzschicht. Daraus sind alle Holzreste bestimmt worden: Rinden, Zweige und Äste, Abschläge und Splitter, insgesamt 1176 Fragmente, wobei sich auch 81 unbestimmbare Rindenpartikel finden. Rinden sind sehr oft nicht bestimmbar, da die anatomischen Merkmale je nach Alter der Rinde sehr variabel sind. In der folgenden Tabelle werden die Anzahl der Hölzer und deren prozentueller Anteil von Tasgetium den Werten der Sammelprobe der Grabung Römerweg gegenübergestellt (Abb. 104). Dabei fällt auf, dass in der Zusammensetzung grundsätzlich keine allzu grossen Unterschiede bestehen. Die zehn in Eschenz am häufigsten nachgewiesenen Hölzer stehen auch in der Sammelprobe unter den ersten zehn Hölzern. Hasel und Weide weisen einen hohen Anteil an Zweig- und Astmaterial auf, dies deutet auf die Verwendung als Flechtwerk hin. Die hohen Anteile an Rinde und Abschlägen dürften von der Zurichtung von Bauholz am Ort stammen. Es kann angenommen werden, dass die Holzreste absichtlich liegen gelassen wurden, sicher war es angenehmer, auf einer Holzschicht zu gehen, als auf morastigem Boden. 97

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Holzanatomie

Holzart

Rinde/Borke

Zweig/Ast

Schnipsel/Abschlag

davon angekohlt

Total

Eiche

85

7

325



417

Buche

21



253

1

274

Erle

23

25

47



95

Hasel

1

93





94

Weisstanne





85

1

85

unbestimmte

81







81

Esche

11

3

46



60

Birke

18



3



21

Weide



13

2



15

Kernobst



4

6



10

Ahorn



2

7



9

Fichte





7



7

Linde



4

3

2

7

Kirschbaum



1





1

Total

240

152

784

4

1176

Anzahl in der Sammelprobe

% in der Sammelprobe

Abb. 104: Vorhandene Rinden und Hölzer in der Sammelprobe vom Römerweg (Regest–Nr. 33).

Art

Anzahl in Eschenz

% in Eschenz

Eiche – Quercus

3590

61

417

38

Erle – Alnus

662

11

95

9

Buche – Fagus

501

9

274

25

Weisstanne – Abies alba

487

8

85

8

Esche – Fraxinus

106

2

60

5

Fichte (Rottanne) – Picea abies

105

2

7

1

Hasel – Corylus

85

1

94

8

Ahorn – Acer

56

1

9

1

Weide – Salix

52

1

15

1

Kernobst – Maloideae

38

1

10

1

Birke – Betula

8