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German Pages 572 [573] Year 2010
Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament · 2. Reihe Herausgeber / Editor Jörg Frey (Zürich) Mitherausgeber / Associate Editors Friedrich Avemarie (Marburg) Markus Bockmuehl (Oxford) Hans-Josef Klauck (Chicago, IL)
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Jens Börstinghaus
Sturmfahrt und Schiffbruch The Wild Kingdom of Early Christian Literature Zur lukanischen Verwendung eines literarischen Topos in Apostelgeschichte 27,1–28,6
Mohr Siebeck
Jens Börstinghaus, geboren 1972; Studium der Evangelischen Theologie und Griechischen Philologie in Greifswald und Heidelberg; seit 2004 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Neues Testament I in Erlangen; 2008 Promotion.
e-ISBN PDF 978-3-16-151617-7 ISBN 978-3-16-149996-8 ISSN 0340-9570 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 2. Reihe) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Zugl.: Erlangen, Univ., Diss., 2008. D29 © 2010 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.
Meiner lieben Frau Christiane
Vorwort »Wenn jemand eine Reise tut, | So kann er was verzählen; . . . «1 Das gilt in besonderem Maße wohl für eine Seereise. Aber es gilt nicht nur für wirkliche Seereisen, sondern durchaus auch im übertragenen Sinn: Meine Seereise war dieses Projekt, die Auseinandersetzung mit der lukanischen Darstellung der Romreise des Paulus bis Malta (Apg 27,1–28,6) vor dem Hintergrund antiker, insbesondere kaiserzeitlicher Thematisierung des Phänomens »Sturmfahrt und Schiffbruch«. Die hier vorliegende Studie ist die geringfügig überarbeitete und gekürzte Fassung meiner vom Fachbereich Theologie der Friedrich-AlexanderUniversität Erlangen-Nürnberg im Jahre 2008 angenommenen Dissertation mit dem Titel: »Sturmfahrt und Schiffbruch. Zur lukanischen Verwendung eines Topos der kaiserzeitlichen Literatur (Apg 27,1–28,6)«. Wird die Behandlung des in der Antike ja weit verbreiteten und prominenten metaphorischen Gebrauchs der Seefahrtsmotivik in dieser Untersuchung weitgehend ausgeschlossen, so mag hier in diesem Vorwort der Ort sein, dafür zumindest ansatzweise Ausgleich zu schaffen. Denn für die – metaphorisch gesprochen – »Seereise« dieser Untersuchung gilt nun tatsächlich auch das Claudiussche Wort in vollem Umfang: Ich kann da was »verzählen«! Doch ich will und muß nicht alles ausbreiten, nur soviel: Eines schönen Tages vor einigen Jahren bin ich wohlgemut bei hervorragendem Wetter und besten Wetteraussichten in See gestochen, und das in berechtigter Erwartung günstigster Winde für meine Reise. So waren ich und meine Besatzung voller Hoffnung, diese Fahrt glücklich und schnell im geplanten Zielhafen zu beenden und dort bald wieder von Bord gehen zu können. Doch, übergibt man sich dem Meere, so ist man ihm ausgeliefert! Und so – genau wie in ungezählten Erfahrungsberichten, Beschreibungen, Erzählungen – auch bei mir: Der günstige Wind ließ bald nach, so daß der Zeitplan schon ins Wanken geriet. Definitiv revidiert werden mußte er, als sich dann sogar noch widriger Wind einstellte, der mich zwang, die Route zu ändern, den direkten Kurs zu verlassen. Von schlechtem 1 Der Anfang (vv. 1f.) des berühmten Gedichts/Lieds Urians Reise um die Welt von Matthias Claudius (15.8.1740–21.1.1815); das Gedicht findet sich bei: Jost Perfahl, Matthias Claudius, S. 345– 348 (vv. 1f. auf S. 345). Vgl. überhaupt zu Claudius kurz: Ute Mennecke-Haustein, Art. Claudius, Matthias (15.8.1740 Reinfeld, Holstein–21.1.1815 Hamburg), RGG4 II (1999), Sp. 390–391; und die schöne Sammlung: Jörg-Ulrich Fechner (Hrsg.), Matthias Claudius 1740–1815. Leben – Zeit – Werk, WSA 21, Tübingen 1996.
VIII
Vorwort
Wetter blieb ich nicht verschont; hoher Seegang und Sturmböen beschädigten mir ein ums andere Mal das Schiff, die Takelage zumeist, doch auch anderes. So mußte ich zwei-, dreimal Zwischenstation machen und Häfen anlaufen, die ich anzusteuern nie geplant hatte. Die Hoffnung, nach kurzem Aufenthalt das Nötigste repariert und Proviant, v.a. frisches Wasser, aufgenommen zu haben, trog oft. Hinzu kamen die Phasen der Windstille auf hoher See – nichts, aber auch absolut gar nichts bewegte sich mehr: Die Zeit zerrann, das Wasser wurde knapp, Zweifel kamen auf, ob der Zielhafen sich je am Horizont zeigen würde, ob er je zu erreichen wäre. Doch eine Windstille hält nicht ewig – sie kann überstanden werden wie auch mancher Sturm. Selbst wenn ein solcher das Schiff an sich scheitern läßt, ist noch Hoffnung: So manche Reise endet andernorts als geplant, doch vielleicht – wie bei Paulus – den Umständen entsprechend glücklich. Ob ich auf meiner Fahrt schließlich den sicheren Hafen erreicht habe oder doch nur gut davongekommen bin, mag der Leser entscheiden. Für mich – wie für Paulus – gilt im Zweifelsfall: »Hauptsache, gut gestrandet!«
*** Eine solche Fahrt ist nicht allein zu bewältigen, unmöglich! Ich bin daher sehr dankbar, daß ich Mitstreiterinnen und Mitstreiter hatte, die mir halfen, das Schiff zu steuern, die bei allem Nötigen tüchtig mit Hand anlegten oder auch nur wichtige Ratschläge in Sachen Seemannschaft gaben. Zu herzlichem Dank bin ich allen diesen lieben Menschen verpflichtet, ganz gleich, ob sie nur etappenweise mit von der Partie waren oder ob sie die ganze Zeit über mit an Bord weilten. Stellvertretend – und damit sei die Metaphorik auch um der Seriosität willen nun endgültig hinter uns gelassen – für alle freundlichen Unterstützer, Berater und Mithelfer, die ich möglicherweise leider vergessen habe, geht mein herzlicher Dank ausdrücklich an alle Folgenden: An erster Stelle danke ich meinem Lehrer und Betreuer Professor Dr. Peter Pilhofer (Erlangen). Er hat mich nicht nur ermutigt, dieses gerade am Anfang doch recht unübersichtliche Thema anzugehen, sondern auch materiell Sorge getragen, indem er mich zunächst für ein Stipendium empfohlen hat und mich dann seit Herbst 2004 als wissenschaftlichen Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl arbeiten ließ und läßt. Meinem innigen Dank für die allzeit gute Zusammenarbeit mit ihm und meiner tiefen Freude darüber kann ich kaum angemessen Ausdruck verleihen. Besonders dankenswert war die Einsatzbereitschaft und das betreuerische Engagement von Peter Pilhofer v.a. in der stressigen Endphase des Projekts, in der er mit zum Teil engster Fristsetzung auch längere Passagen einer erneuten Prüfung unterzogen und mit mir diskutiert hat. Die sich aus den
Vorwort
IX
Diskussionen mit ihm ergebenden Hinweise und Überlegungen waren mir nicht nur in der Endphase immer wieder eine gewichtige Hilfe. Schließlich ist ihm natürlich auch für die Begutachtung der Arbeit im Promotionsverfahren zu danken. Professor Dr. Martin Hose (München) hat sich freundlicherweise der Mühe unterzogen, als Gräzist das Zweitgutachten zu einer vornehmlich neutestamentlichen Arbeit zu verfassen, dafür sei ihm an dieser Stelle herzlich gedankt; seine kritischen Hinweise – gerade von philologischer Seite – sind der Druckfassung sehr förderlich gewesen, auch dafür also ein herzliches Dankeschön! Für vielfältige Belehrung in gräzistischen Zusammenhängen danke ich auch Professor Dr. Stephan Schröder (Erlangen), der – Glückes Geschick (!) – nicht müde wird, sich in zahllosen gemeinsamen Lektüreübungen dem Gespräch mit uns Neutestamentlern zu stellen. Ganz besonders bedanke ich mich auch bei der Studienstiftung des deutschen Volkes für die materielle und ideelle Unterstützung, die ich im Rahmen eines Promotionsstipendiums in der ersten Phase des Projekts erhalten habe; namentlich sei hier – stellvertretend für alle immer kooperativen und rührigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – der für mich in der Promotionsförderung maßgeblich Zuständige erwähnt: Dr. Hans-Ottmar Weyand, dem ich hiermit auch persönlich danke. Mein Dank ist auch den Mitarbeiterinnen am Lehrstuhl für Neues Testament I in Erlangen abzustatten: Unsere Lehrstuhlsekretärin Carola Eggeler hat nicht nur einige Passagen des Manuskripts dem Rechner einverleibt, sondern auch immer wieder durch ihre freundliche und hilfsbereite Art mit zu frischem Arbeitsmut beigetragen. Die Hilfskräfte Julia Hager (jetzt Referendarin in München und Coburg) und stud.theol. Dorothee Mann haben die ganze Zeit über wertvollste Hilfe bei der Beschaffung von Literatur geleistet, und das in großer Menge und von zum Teil recht entlegener Stelle. Ebenso müssen hier die regelmäßigen Teilnehmer des genauso fruchtbaren wie kurzweiligen Pilhoferschen DoktorandInnen- und HabilitandInnen-Kolloquiums gewürdigt werden. Ihnen bin ich zu Dank verpflichtet für die kritische Diskussion und immer wieder das ermutigende Gespräch auf unseren mehr als gelungenen gemeinsamen Wochenenden im Religionspädagogischen Zentrum in Heilsbronn; ein herzliches Dankeschön geht somit an: Dr. Klaus-Michael Bull (Rostock), Pfarrer Jens Gillner (Handeloh), Vikar Jörg Herrmann (Rödental), Referendar Peter Mattner (Nürnberg) und Lehramtsassessor Christian Müller (jetzt Wissenschaftlicher Mitarbeiter in Erlangen). Viel zu verdanken habe ich den eifrigen Korrekturleserinnen und -lesern, die sich in den verschiedenen Phasen des Projekts um Einzelstücke oder das gesamte Manuskript verdient gemacht haben; ich danke meiner Ehefrau Christiane Börstinghaus, Dr. Dirk-Uwe Hansen (Rostock), Vikar Jörg Herrmann (Röden-
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Vorwort
tal), Bernhard Mollenhauer (Konga, Schweden) und Studienassessor Ulfhardt Stoewer (Blenhorst). Ganz besonders sind hier die Verdienste des ehemaligen Mitarbeiters am Erlanger Lehrstuhl Jörg Herrmann und meines alten WGGenossen Ulfhardt Stoewer2 herauszustellen, die beide kurz vor Fertigstellung der Druckfassung noch einmal den gesamten Text durchgesehen haben. Für in der Druckfassung verwendete Photos habe ich weiterhin Professor Dr. Peter Pilhofer und Susanne Froehlich zu danken. Für TEXnische Hilfe danke ich den regelmäßigen Teilnehmern des Erlanger TEX-Stammtischs, allen voran dessen spiritus rector, Walter Schmidt, und dem leider inzwischen aus Erlangen abgewanderten Dr. Ralf Stubner, der sich dankenswerterweise um die GFS Didot3 bemüht hat, so daß sie für mich bequem nutzbar wurde; über diesen Kreis hinaus habe ich den TEXnikern David Kastrup (bigfoot) und Jens Berger (jurabib) für ihre Hilfe über die Newsgroup d.c.t.t. und die mailing-Liste TEX-D-L zu danken. Schließlich schulde ich großen Dank Professor Dr. Jörg Frey (München), der als Herausgeber die Arbeit freundlicherweise innerhalb kürzester Frist für die Wissenschaftlichen Untersuchungen zum Neuen Testament (WUNT), 2. Reihe, empfohlen und dankenswerterweise auch einige inhaltliche Verbesserungsvorschläge im Blick auf die Drucklegung unterbreitet hat, und Dr. Henning Ziebritzki, der als Cheflektor für Theologie und Judaistik im Mohr Siebeck Verlag umgehend sein Interesse an einer Veröffentlichung bekundet und die Drucklegung schnell vorangetrieben hat, sowie Ilse König, die von seiten des Verlags Mohr Siebeck die Publikation engagiert verlegerisch betreut hat. Sie haben damit maßgeblich dazu beitragen, mein Projekt in dieser Publikation zu einem ordentlichen Abschluß zu bringen. In ganz hervorgehobener Schlußstellung seien diejenigen dankend erwähnt, die die Arbeit in jeder Hinsicht erst ermöglicht und begleitet haben, ja, wie niemand anders auch besonders darunter gelitten haben: Ich spreche von meiner Familie mit meiner Ehefrau Christiane Börstinghaus, die oben schon als eifrige Korrekturleserin erwähnt wurde und der dieses Buch als Zeichen meines über2 Seine Korrekturarbeit hatte immer ihre eigene Würze, die mich bei der Einarbeitung zuweilen schon fast wehmütig an die gemeinsame WG-Zeit zurückdenken ließ. Eine Kostprobe sei daher hier geboten; statt: ». . . wie hier vermutet wird . . . « (heute auf S. 332), stand einstmals im Manuskript: ». . . wie hier vernutet wird . . . «, also ein typischer Tippfehler. Stoewer hat nun »vernutet« unterkringelt und am Rand notiert: »Alternativ: mit Nieten versehen«. 3 Die GFS Didot (zusammen mit der GFS Olga als Kursive) ist die in dieser Publikation verwendete griechische Schrift (s. http://www.greekfontsociety.gr/pages/en_typefaces20th.html); Ralf Stubner hat dafür gesorgt, daß sie auch in der für mich gewohnten ibycus-Kodierung (LGI) nutzbar wurde. So konnte die Schrift glücklicherweise auch schon für die kürzlich erschienene zweite Auflage von Philippi II benutzt werden (Peter Pilhofer, Philippi. Band II: Katalog der Inschriften von Philippi, WUNT 119, Tübingen 2 2009).
Vorwort
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schwenglichen Dankes gewidmet ist, und unseren beiden Kindern Friedrich Wilhelm und Hans Theognis. Mit Geduld und Verständnis haben sie den zu oft und zu lange arbeitenden Ehemann und Vater vermißt sowie – was sicher noch schmerzlicher war – einen, wenn er denn da war, oftmals unausstehlich angespannten Ehemann und Vater ertragen müssen. Ich bitte dafür auch an dieser Stelle um Entschuldigung und bedanke mich bei ihnen herzlichst für die sprichwörtliche Engelsgeduld! Alterlangen, 17. Dezember 2009
Jens Börstinghaus
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VII
Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII . . . .
1 1 4 9
Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1 Periplus und Historiographie . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Die Periplus-Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Was ist Periplus-Literatur? . . . . . . . . . . . 1.1.2 Zwei Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.3 Der Periplus Ponti Euxini des Flavius Arrianus 1.2 Bemerkungen zur Historiographie . . . . . . . . . .
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17 17 17 21 26 31
2 Biographisches . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Die Vita des Josephus . . . . . . . 2.2 Plutarch . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Dion . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Caesar . . . . . . . . . . . . 2.3 Die ἱεροὶ λόγοι des Aelius Aristides 2.4 Vita Apollonii . . . . . . . . . . . .
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35 35 37 37 40 44 59
3 Der ideale oder Liebesroman . . . . . 3.1 Der Ninos-Roman . . . . . . . . 3.2 Chariton: Chaireas und Kallirhoë 3.3 Die historia Apollonii regis Tyri . . 3.4 Das Herpyllis-Fragment . . . . .
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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das lukanische Doppelwerk in der Genre-Debatte Fragestellung und Vorgehensweise . . . . . . . .
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I Vergleichende Untersuchungen
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XIV 3.5 3.6 3.7 3.8 3.9
Inhaltsverzeichnis
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91 99 108 114 117
4 Satiren und Burlesken . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Petron . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Lukian von Samosata . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Das Schiff – oder die Wünsche . . . . 4.2.2 Toxaris – oder die Freundschaft . . . . 4.2.3 Wahre Geschichten . . . . . . . . . . 4.2.4 Die in hohen Häusern für Sold dienen 4.2.5 Der Tod des Peregrinus . . . . . . . .
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119 119 126 126 138 152 170 175
5 Alttestamentliche und jüdische Literatur 5.1 Jona . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Psalm 107 . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Ezechiel 27 . . . . . . . . . . . . . 5.4 Testamente der zwölf Patriarchen .
Xenophon von Ephesos: Ephesiaka . . . . Achilleus Tatios: Leukippe und Kleitophon Heliodor von Emesa: Aithiopika . . . . . . Longos: Daphnis und Chloë . . . . . . . . Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . .
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. 183 . 183 . 209 . 224 . 228
6 Neutestamentliche und frühchristliche Literatur 6.1 Sturmstillung und Seewandel . . . . . . . 6.1.1 Die Sturmstillung (Mk 4,35–41 parr.) 6.1.2 Der Seewandel (Mk 6,45–52 parr.) . . 6.2 Die Apostelromane . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Die apokryphen Apostelakten . . . . 6.2.1.1 Acta Petri . . . . . . . . . . . 6.2.1.2 Acta Johannis (Prochoros) . . 6.2.2 Die Pseudo-Klementinen . . . . . . 6.3 Synesios von Kyrene . . . . . . . . . . . .
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233 233 233 236 237 238 238 239 241 245
7 Die Quellenfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Die sogenannten »Wir«-Stücke . . . . . . . . . . . . 7.1.1 Ein Forschungsüberblick . . . . . . . . . . . . . 7.1.2 Eine neue (?) Quellenhypothese . . . . . . . . . 7.1.2.1 Orientierung: Literarische Überlegungen
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281 281 282 304 304
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II Apostelgeschichte 27,1–28,6
XV
Inhaltsverzeichnis
7.1.2.2 Zwei literarische Motivationen . . 7.1.2.3 Eine Quelle für Apg 27f. . . . . . . 7.1.2.4 Konsequenzen für die »Wir-Stücke« 7.1.3 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Literar- und formkritische Teilungshypothesen .
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307 311 330 334 336
8 Einzelanalyse zu Apg 27,1–28,6 . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Von Caesarea nach Καλοὶ λιµένες (27,1–8) . . . . . 8.2 Streit um die Abfahrt (27,9–12) . . . . . . . . . . . 8.3 Sturm (27,13–20) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4 Traum und 1. Ermahnung (27,21–26) . . . . . . . . 8.5 »Land ist nah« und Flucht (27,27–32) . . . . . . . . 8.6 2. Ermahnung/Stärkungsmahl (27,33–38) . . . . . . 8.7 Strandung und Rettung (27,39–44) . . . . . . . . . 8.8 Freundliche Aufnahme bei den »Barbaren« (28,1–6) .
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347 347 353 358 382 386 390 397 403
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9 Überlegungen zur erzählten Fahrtroute in Apg 27f. . . . . . . . . . . 425 9.1 Phoenix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 9.2 Winde und Melite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . Motivik und Genre . . . . . . . . Das Paulusbild von Apg 27,1–28,6 Schluß . . . . . . . . . . . . . . .
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. 445 . 445 . 448 . 453
Abkürzungen und Zitationsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
455
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Texte, Übersetzungen und Textsammlungen Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . .
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. 459 . 459 . 475 . 477
Indices . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stellenregister . . . . . . . . . . . . Orts- und Sachregister . . . . . . . . Neuzeitliche und moderne Personen
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515 515 538 545
Abbildungsverzeichnis 3.1 Eine actuaria, Darstellung Nr. 13 des sog. Althiburus-Mosaiks (Medeïna [Tunesien], zweite Hälfte des 3. Jh.): Paul-Marie Duval, La forme des navires romains d’après la mosaïque d’Althiburus, MAH 61 (1949), S. 119–149 [mit Taf. I–III], hier Taf. I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85
4.1 Schlepptrossen in Verwendung beim Ablaufen vor dem Sturm: Ramon Gliewe (Hrsg.), Seemannschaft. Handbuch für den Yachtsport, hrsg. vom Deutschen Hochseesportverband »Hansa« e.V., Bielefeld 24 1996, Abb. auf S. 209 .
145
5.1 Jona-Relief, Fragment eines Sarkophags, 4./5. Jh., Archäologisches Museum ˙Istanbul, Inv. Nr. 4517 T: Photographie von Susanne Froehlich im März 2007 (Dia-Nr. 12/0/2007) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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5.2 Jona und das κῆτος, Christlicher Grabstein, 3./4. Jh., Archäologisches Museum Konya, Inv. Nr. 1986.1.1: Photographie von Jens Börstinghaus am 8. September 2001 (Dia-Nr. 6/36/2001). Zur Inschrift s. B.H. McLean (Hrsg.), Greek and Latin Inscriptions in the Konya Archaeological Museum, RECAM IV, London 2002, Nr. 212 (S. 74f. mit Abb. 251) . . . . . . . . . . . . . . .
186
5.3 Weihrelief für Liber Pater aus Ostia, severische Zeit, um 200 n.Chr. (Detail): Paul Lächler/Hans Wirz, Die Schiffe der Völker. Traum – Geschichte – Technik, Olten/Freiburg i.B. 1962, Abb. 230 (S. 291) . . . . . . . . . . . . .
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6.1 Sarkophagrelief aus Ostia (3. Jh.), jetzt in der Ny-Carlsberg Glyptothek in Kopenhagen: Lionel Casson, Illustrated History of Ships & Boats, New York 1964, Abb. 73 (S. 55); Detail Abb. 74 (S. 55) . . . . . . . . . . . . . . .
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6.2 Zeichnung zum Kurs des Synesios-Schiffs: Lionel Casson, Bishop Synesius’ Voyage to Cyrene, AmNep 12 (1952), Abb. 1 (S. 295) . . . . . . . . . . . . .
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7.1 Detail der Inschrift CIL III, Suppl. II, Nr. 12082 = ILS II 1, Nr. 7206 = ICaes 3 für einen Priester, duumvir und orator in Caesarea namens Marcus Flavius Agrippa (Rockefeller-Museum, Jerusalem, Inv. Nr. 32.2894): Photographie von Peter Pilhofer am 14. September 1997 (Dia-Nr. PP [ISR] 195/ 1997; JB 2008/0/34) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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8.1 Die unterschiedlichen Seeräume des Mittelmeeres und ihre antiken Bezeichnungen in römischer Zeit: Chantal Reynier, La Bible et la mer, LiBi 133, Paris 2003, Karte 1 (S. 87, die Legende nach S. 86) . . . . . . . . . . . . . .
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XVIII
Abbildungsverzeichnis
8.2 Ixion und eine Erinys als Schlange (attischer rot-figuriger Kantharos, 460– 450 v.Chr., Amphitrite-Maler, Seite B [London, British Museum E 155]): Harvey Alan Shapiro, Myth into Art. Poet and Painter in Classical Greece, London 1994 [Ndr. 1995], Abb. 59 (S. 87) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Orest am Omphalos mit schlangenbewehrter Erinys, die auf ihn zustürmt (attischer rot-figuriger Kolonettenkrater, ca. 440 v.Chr., Duomo-Maler [Paris, Louvre K 343]): Denis Knoepfler, Les imagiers de l’Orestie. Mille ans d’art antique d’un mythe grec. Catalogue d’une exposition créée [sic!] au musée d’art et d’histoire de Neuchâtel Novembre 1991 – Février 1992 et partiellement reprise au College du sud à Bulle Novembre – Décembre 1993, mit einem Vorwort von Jean-Pierre Jelmini, Kilchberg 1993, Abb. 61 (S. 79) . . . . .
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9.1 Der sog. Turm der Winde, Ansicht von NW: Photographie von Christiane Börstinghaus am 24. August 2002 (Dia-Nr. 23/37/2002) . . . . . . . . . . . 433 9.2 Grundriß des sog. Turms der Winde: John Travlos, Bildlexikon zur Topographie des antiken Athen, Tübingen 1971, Abb. 365 (S. 283) . . . . . . . . 434 9.3 Die dem Turm der Winde zugrundeliegende Windrose (schematische Darstellung): Entwurf des Vf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 9.4 Die Windrose von Thugga (schematische Darstellung): Entwurf des Vf. . . 439 9.5 Die Route des Paulusschiffs nach der Abfahrt von Kreta gemäß Warnecke: Heinz Warnecke, Paulus im Sturm. Über den Schiffbruch der Exegese und die Rettung des Apostels auf Kephallenia. Mit einem Geleitwort von Walther Hinz und einem Beitrag von Thomas Schirrmacher, Nürnberg 2 2000, Abb. auf S. 89 (»Die tatsächliche Route des Apostels Paulus während der Romfahrt«) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 9.6 Die Route des Paulus als Gefangener auf seiner Reise nach Rom – mit der traditionellen maltesischen Lösung: Henri Metzger, Les routes de saint Paul dans l’orient grec, CAB 4, Neuchâtel 1954, Abb. 4 (S. 53; »Voyage de saint Paul prisonnier«) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442
Einleitung Ausgangspunkt »Die Apostelgeschichte als Roman, ein Stück Unterhaltungsliteratur?« Auf Vorschläge, die die kanonische Apostelgeschichte des Lukas – weit weniger als mit dem oben stehenden erschreckten Ausruf angedeutet – auch nur im Einflußbereich der Romanliteratur sehen wollen, reagierte die Mehrheit der Vertreter der neutestamentlich-exegetischen Zunft in den Forschungsdebatten der letzten fünfzig Jahre mehr oder weniger empfindlich. Die diesbezügliche Lage wandelt sich in letzter Zeit graduell, da man wohl mehr und mehr die Vielschichtigkeit der Gattungsfrage – gerade im Fall des lukanischen Doppelwerks1 – in den Blick bekommen hat. Mein persönlicher Ausgangspunkt dafür, mich literarisch auf Seereise zu begeben, ja mich aufs offene Meer zu wagen, war nun gerade die Auseinandersetzung mit einem solchen Vorschlag. Es war die Lektüre des anregenden Buchs Profit with Delight von Richard I. Pervo aus dem Jahr 1987, in dem er den Vorschlag, die Apostelgeschichte in den Horizont der romanhaften Literatur der Antike zu stellen, wieder mit Engagement unterbreitet hatte.2 Dabei läßt sich freilich seine Kernthese nicht 1 Ich gehe wie die Mehrheit der Forscher von der Auffassung aus, daß der Verfasser des dritten kanonischen Evangeliums, den wir Lukas nennen, auch der Verfasser der Apostelgeschichte ist, und beide Schriften als ein Werk komponiert wurden, eben als sog. lukanisches Doppelwerk; die Proömien Lk 1,1–4 und Apg 1,1f. nötigen m.E. dazu. Die Bemerkung wird hier deshalb gemacht, weil Patricia Walters jüngst eine Monographie vorgelegt hat, in der sie die identische Autorenschaft für beide Schriften hinterfragt: Walters, Authorial Unity. Die Ergebnisse ihrer detaillierten Untersuchung auf dem Wege einer statistischen Erhebung eines Profils der beiden Schriften in Euphonik, Rhythmik und Struktur (s. die Ergebniss S. 149ff.) ändern nur graduell etwas an dem schon lange beobachteten Stilwechsel zwischen Lk und Apg (und auch innerhalb von Apg). Ich halte deshalb an der gemeinsamen Abfassung der beiden Werke durch »Lukas« fest. 2 Pervo, Profit. – Eine derartige Auffassung ist natürlich nicht brandneu, allerdings hat Pervo sie neu in die Diskussion gebracht und dazu noch in einer neuen Analyse begründet; populäre Literatur jedoch war als Vergleichsmaterial neben biographischer und historiographischer Literatur schon lange in der Diskussion, v.a. Wunder- und Reiseerzählungen: vgl. dazu Cadbury, The Making, S. 134–145. Vgl. beispielsweise auch Karris, Windows, S. 53, der Lk/Apg als »genus mixtum« betrachtet: »My working hypothesis of the genus mixtum of Luke-Acts will be: Luke-Acts is an historical novel« (Hervorhebungen im Original unterstrichen). Dazu bemerkte Plümacher kritisch: »Genus plus genus gleich genus?« (Plümacher, Acta-Forschung II, S. 150). Siehe weiterhin Helmut Köster, der in der Apg (wegen der Reden) eigentlich ein »Geschichtswerk« sehen möchte, aber dennoch
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Einleitung
auf eine platte Aussage bringen, wie z.B.: »Die Apostelgeschichte ist ein von Lukas zur puren Unterhaltung verfaßter Roman.« Nein, das behauptet Pervo nicht, er behauptet lediglich, daß Lukas in der literarischen Gestaltung des zweiten Teils seines Werks sich genrespezifischer Konventionen der romanhaften Literatur bedient habe, und versucht, das in der Analyse wesentlicher Züge der Apg auch zu erweisen.3 Er knüpft an Aussagen Ernst Haenchens über »Lukas als Erbauungsschriftsteller« im Gegensatz zu »Lukas als Historiker« an;4 Erbauung, so Pervo, geschehe hier – wie auch in den antiken Romanen und den apokryphen Apostelakten – so, daß der Leser Anteil erhalte an den Bewährungen der Helden in Abenteuern und Gefährdungen aller Art und so im besten Sinne unterhalten und erbaut werde.5 So lautet sein Fazit denn: »The canonical and apocryphal Acts treat similar material in similar ways. Generically, they are representatives of a subgroup within the broad category of the ancient novel«.6 In seinem jüngst vorgelegten Hermeneia-Kommentar hat Pervo im Rahmen der Behandlung der Genrefrage seine These im Kern nochmals vorgetragen, allerdings wesentlich vorsichtiger und wesentlich weniger provozierend.7 In seiner insgesamt recht wohlwollenden Rezension des Pervoschen Werks Profit with Delight legt Mikeal C. Parsons darauf sehr viel Gewicht, daß man die Analysen und Vorschläge nicht einfach in einer vulgären Lesart, z.B. wie oben angedeutet, »abbügeln« sollte.8 Nichtsdestoweniger hat aber auch in dieser wohlwollenden Rezension die Kritik der Thesen Pervos große Bedeutung: Parsons bezieht sich vor allem auf die antike Rezeption, die die Apg nie als historischen Roman gelesen habe, sowie auf die sehr wichtige Frage des Genrezusammenhangs mit dem Lukasevangelium.9 Gerade der letztgenannte Einwand taucht der Auffassung ist, daß das Werk »auf weite Strecken hin eher einem Apostelroman als einem Geschichtswerk gleicht« (Köster, Einführung, S. 484). 3 Dabei spitzt er seine Untersuchungen v.a. auf den Abenteuergehalt der Apg zu, vgl. hierzu seine Tabelle I, in der er 33 Abenteuersequenzen auflistet (Pervo, Profit, S. 14–17). 4 Im Einleitungsteil von Haenchens Kommentar: Haenchen, Apostelgeschichte, S. 109–120. 5 Vgl. etwa Pervo, Profit, S. 11, wo er ausführt, daß Stücke der Populärliteratur neben der Erbauung »were also quite frequently intended to entertain, an object that did not at all diminish their value for illumination and improvement.« 6 Pervo, Profit, S. 135. Vgl. zur (maßvollen) Kritik der engen Zusammenrückung der kanonischen Apg und der apokryphen Akten: Bauckham, The Acts, S. 152. 7 Pervo, Acts, S. 17f. – graduelle und nuancenhafte Unterschiede zur damaligen Formulierung seiner These sind natürlich der Aufnahme der kritischen Diskussion seitdem geschuldet, am Grundsätzlichen ändern sie wenig. 8 Die letzten beiden Sätze der Parsonsschen Rezension lauten: »I only hope this work can avoid such caricature and receive serious evaluation as a viable option ›alongside, as well as in competition with, investigations using historiographical models‹ (p. 137). We will all profit from investigations characterized by that kind of spirit« (Parsons, Rez. Pervo, Sp. 410; die Seitenzahl in der Klammer bezieht sich auf: Pervo, Profit). 9 Parsons, Rez. Pervo, Sp. 409.
Ausgangspunkt
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in den Kritiken an Pervos Untersuchung immer wieder und maßgeblich auf.10 Jedoch ist hinzuzufügen, daß genau das auch von Pervo selbst schon gesehen wurde;11 er geht aber das entsprechende Risiko ein, um die Genre-Debatte neu anzuregen. Darüber hinaus werden weitere Einwände gegen Pervo erhoben, so besonders, daß seine Definition von Roman zu weit sei, so daß »any kind of narrative fiction« darunter falle;12 damit hängt ein Einwand eng zusammen, der hier noch betont werden soll, weil er m.E. von größter Bedeutung ist und eine genauere Prüfung verdient: Sind denn die angeblich genrespezifischen Konventionen, an die Lukas sich nach Pervo gehalten habe, wirklich so genrespezifisch? D.h., ist der Unterhaltungsaspekt oder die Betonung von Abenteuern anderen Literaturgattungen völlig fremd, also etwa bestimmten Ausprägungen von Historiographie oder biographischer Literatur?13 Solche Fragen, die mich persönlich tief in die Genre-Debatte der Apostelgeschichte verstrickt haben, gehören mit zum Ausgangspunkt für diese Arbeit. Dabei kann ich aus verständlichen Gründen nicht der ganzen Genre-Frage in extenso nachgehen; vielmehr will ich mich nur auf einen m.E. wichtigen Text der Apostelgeschichte konzentrieren, nämlich die Romreise des Paulus, die Lukas in Apg 27,1–28,16 ausführlich erzählt, und die die Erzählung von Sturm und Schiffbruch zum maßgeblichen Inhalt hat. Dieser Text spielt einerseits in Pervos Überlegungen eine wichtige Rolle,14 hat andererseits aber – unabhängig von dessen These – schon länger und immer wieder die Fragen nach der Gattung, den literarischen Eigenarten und dem Stil der Apostelgeschichte mitberührt:15 Es ist nämlich gerade diese große Seereiseerzählung, die als ganz besonderer Abschnitt, ja vielleicht gar als Fremdling in der Apostelgeschichte immer wieder auffallen mußte. Nicht nur die weitaus ausführlichste Reisegeschichte der Apostelgeschichte haben wir mit diesem Stück vor uns, sondern auch die besondere Darstellungsweise und das gesteigerte Interesse an gewissen Einzelheiten scheint sie doch vom sonstigen Erzählen im Werk des Lukas abzuheben. Welche Rolle spielt die Darstellungsweise in diesem Abschnitt in der Gattungsfrage, Vgl. beispielsweise: Aune, The New Testament, S. 80; Wedderburn, Frage der Gattung, S. 305f. Zum Problem der fraglichen Genre-Gleichheit von Lk und Apg s. auch unten. 11 »The adventures distinguish Acts from Luke and raise the question of literary genre« (Pervo, Profit, S. 12). 12 So bei Bauckham, The Acts, S. 140. 13 Einwände dieser Art finden sich etwa bei: Aune, The New Testament, S. 80; Wedderburn, Frage der Gattung, S. 310–312. 14 Vgl. Pervo, Profit, S. 50–54.107. Siehe jetzt auch seine Analyse zu Apg 27 Pervo, Acts, S. 644– 654. 15 Man beachte etwa die Bemerkungen bei Norden, Agnostos Theos, S. 313f, auf die sich Dibelius bei seinen Überlegungen zur Apostelgeschichte immer wieder beruft (s. beispielsweise: Dibelius, Stilkritisches, S. 14; Dibelius, Paulus, S. 180). 10
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Einleitung
oder andersherum und rezeptionsorientiert formuliert: Was trägt die Lektüre des Abschnitts zur Einordnung der Apostelgeschichte in eine Gattung bei? Die Frage nach der Gattung des lukanischen Doppelwerks wird also wenigstens immer im Hintergrund mitschwingen – als Ausdruck dessen, daß das Thema dieser Arbeit natürlich mit der Diskussion um die literarische Gattung (oder möglicherweise eine bestimmte Genre-Mischung) der lukanischen Schriften überhaupt im engstem Zusammenhang steht; daher folgt zunächst ein kurzer analytischer Überblick über die Genre-Debatte.
Das lukanische Doppelwerk in der Genre-Debatte Die Einordnung der lukanischen Schriften in ein literarisches Genre wurde und wird immer noch heftig diskutiert – dabei neigt die Diskussion zu einer gewissen Zirkularität, weil bei mehr oder weniger eindeutigen Genre-Zuweisungen lediglich mit stärkeren Gewichtungen ganz bestimmter in die gewünschte Richtung weisender Gestaltungsmerkmale gearbeitet wird. Auch wenn im Rahmen der vorliegenden Studie es nicht angemessenen und möglich ist, einen (auch nur annähernden) Forschungsbericht zu liefern,16 sei hier doch wenigstens kurz auf die wichtigsten Vorschläge in der Genre-Debatte – neben dem oben angesprochenen Bezug zur romanhaften Literatur – verwiesen: Die Mehrzahl der Exegeten ordnet die lukanischen Schriften in den Bereich der Historiographie ein, so beispielsweise Ernst Haenchen in seinem berühmten Kommentar.17 Deutlich vertritt auch Henry J. Cadbury, der Vater der Bezeichnung »Luke-Acts«, diese Position: »No doubt Luke’s work is nearer to history than to any other familiar classification«.18 Die Betonung der engen Verbindung des lukanischen Schrifttums zur Historiographie findet sich weithin in zahllosen Publikationen – es ist nicht nur müßig, sondern unmöglich hier alles aufzulisten.19 Interessanter sind da schon Versuche, das lukanische Werk innerhalb der Geschichtsschreibung näher einzuordnen, was angesichts dieser in der antiken Literatur insgesamt doch recht disparaten Großgattung auch als unbedingt notwendig anzusehen ist. 16 Das ist schon allein deshalb nicht möglich, weil eine auch nur oberflächliche Sichtung der überfließenden Literatur zum lukanischen Doppelwerk und deren Auswertung für die Gattungsfrage der Gegenstand eines eigenen – aber m.E. kaum zu empfehlenden – Projekts sein könnte. 17 Haenchen, Apostelgeschichte, S. 143: »Die Apg beginnt als zweites Buch eines großen Geschichtswerkes . . . mit einer erneuten Widmung«. 18 Cadbury, The Making, S. 133. 19 Ich nenne hier nur zwei willkürlich herausgegriffene Beispiele aus dem Bereich der Dissertationen der letzten drei Jahrzehnte: Maddox, Purpose, S. 16; Bergholz, Aufbau, S. 26; die Beispiele ließen sich zu enormen Mengen vermehren.
Das lukanische Doppelwerk in der Genre-Debatte
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So findet sich die Einordnung als thematisch und vom Umfang her beschränkte historische Monographie z.B. bei Eckhard Plümacher und Darryl W. Palmer.20 Unter Hinweis auf die programmatischen Ausführungen Ciceros zu einer historischen Kurzgattung in seinen Epistulae ad familiares V 1221 sowie auf die beiden historischen Monographien des Sallust (Catilinae coniuratio [Sal. Cat.] und bellum Iugurthinum [Sal. Jug.]) hält es Plümacher »für zwingend, auch die Apostelgeschichte und – freilich mit Einschränkungen – das Lukas-Evangelium als historische Monographien zu definieren«.22 Etwa zwanzig Jahre später hat er diese Position noch einmal untermauert, aber darüber hinaus – gerade auch aufgrund des Cicero-Briefs (Cic. Fam. V 12) – einen apologetischen Zweck der historischen Monographie angenommen.23 Palmer dagegen will seine GenreZuweisung (die er auf ähnlichem Wege erreicht, jedoch – was Cicero betrifft – über Cic. Fam. V 12 hinaus noch auf Cic. Att. I 19 und 20; II 1 eingeht) auf die Apg beschränken und kommt zu dem Schluß, daß »Acts deserves consideration as a short historical monograph«.24 In partieller Anknüpfung daran hat Michael Wolter versucht, das lukanische Doppelwerk als Epochengeschichte zu beschreiben;25 er definiert: »Deren [sc. der Epochengeschichtsschreibung] Eigenart besteht darin, dass ein Ausschnitt aus einem bestimmten diachronischen Gegenstandsbereich mit Hilfe einer bestimmten Anschauungsweise in den Blick genommen und eben dadurch als Epoche identifizierbar wird.«26 Für eine Epoche müssen freilich zwei Abgrenzungszeitpunkte zu bestimmen sein; Wolter erkennt sie einerseits in Lk 1 mit der »Heilsinitiative, die Gott zur eschatologischen Erfüllung der prophetischen Verheißungen und der Heilsoffenbarungen Israels ergreift«,27 und zweitens darin, daß in Apg 26 die Trennung vom Judentum in Gestalt eines Erweises für das 20
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Vgl. zur historischen Monographie auch die Überlegungen von Dormeyer, Gattung, S. 457–
21 Nach der Numerierung von Shackleton Bailey ist das die Nr. 22; Plümacher führt in seinem Aufsatz in den Anm. 17–21 fortwährend Cic. Fam. V 13 an und bedient sich damit der Zählung von Helmut Kasten in dessen Tusculum-Ausgabe der Epistulae ad familiares, die Plümacher damals wahrscheinlich schon in der 2. Auflage von 1976 benutzt haben wird (Plümacher, Apostelgeschichte, S. 460f.; ebenso auch Plümacher, Neues Testament, S. 114f.). In seinem späteren Aufsatz Cicero und Lukas schließt er sich aber wieder an die traditionelle Zählung an und gibt noch die ShackletonBailey-Nr. dazu (Plümacher, Cicero und Lukas, S. 761, vgl. Anm. 8). 22 Plümacher, Apostelgeschichte, S. 463; ebenso auch Plümacher, Neues Testament, S. 116f. 23 Plümacher, Cicero und Lukas, S. 770.773f. 24 Palmer, Acts, S. 29; die Bezeichnung als »short historical monograph« (Hervorhebung von mir) hängt mit Palmers Vorstellung von der Mehr- oder Vielbändigkeit historischer Monographien zusammen, die er durch eine vermutlich falsche Polybios-Exegese gewinnt; zur Kritik vgl. Plümacher, Cicero und Lukas, S. 760, Anm. 7. 25 Wolter, Epochengeschichte. 26 Wolter, Epochengeschichte, S. 257. 27 Wolter, Epochengeschichte, S. 265.
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Einleitung
Scheitern der paulinischen Judenmission in der Reaktion Agrippas II. literarisch vollzogen wird.28 Wolter zielt letztlich auf die Intentionalität, die mit einer solch bestimmten Wahrnehmung eines Ereignisabschnitts als Epoche verbunden ist.29 Weiterhin wird die Einordnung als apologetische Historiographie von Gregory E. Sterling vertreten. Apologetische Historiographie sieht dieser in der Tradition nichtgriechischer Nationalgeschichten, die der Identitätsfindung in der hellenistischen Welt dienten,30 sowie der jüdischen Geschichtsschreibung, insbesondere der des Josephus; in diesen Zusammenhang ordnet Sterling auch das Werk des Lukas ein: »At the same time Josephos was writing his Antiquities, a third generation Christian undertook the task of telling the story of Christians for the first time. Like Josephos, he hellenized his native sources by moving them into the realm of Hellenistic historiography.«31 In ähnlicher Weise argumentiert David E. Aune in seinem Werk The New Testament in Its Literary Environment: Er sieht das lukanische Doppelwerk als »general history«.32 Aune wehrt sich gegen die sonst übliche Bezeichnung der Universalgeschichte, da sie den Kern verfehle: »General histories« nämlich »narrated the important historical experiences of a single national group from their origin to the recent past.«33 Die Ähnlichkeiten mit Sterling sind unübersehbar, Aune zieht im Unterschied zu ihm lediglich den Kreis größer: Sterlings Apologetische Historiographie müßte eine Teilmenge der Auneschen »general history« sein. Beiden wird deshalb auch immer wieder mit demselben Einwand begegnet: »Es ist jedoch nicht der Fall, auch nicht bei Lukas, daß die Christen ein Ethnos sind.«34
28 Wolter, Epochengeschichte, S. 266–271. Das Ende der Apostelgeschichte markiere dann schon die neue Epoche, vgl. zu den Auswirkungen dieser Überlegungen auf den Abschnitt Apg 27,1– 28,16 meine Bemerkung unten, S. 331. 29 Vgl. dazu den Schluß des Beitrags Wolter, Epochengeschichte, S. 282–284. 30 Vgl. dazu etwa Sterling, Historiography, S. 136. 31 Sterling, Historiography, S. 393. 32 Vgl. Aune, The New Testament, S. 77.88f.138f. Dormeyer, Das Neue Testament, S. 228, klassifiziert Lk/Apg als »pathetische Geschichtsschreibung« im Sinne Plümachers (vgl. etwa: Plümacher, Art. Lukas, Sp. 255–261; Plümacher, ΤΕΡΑΤΕΙΑ, S. 66f.88–90, wo Plümacher allerdings der Bezeichnung »mimetische oder sensationalistische Geschichtsschreibung« den Vorzug gibt [S. 67]); Dormeyer verweist dann aber auch auf Aune als Gewährsmann, ohne die Bedeutung von dessen Einordnung als »general history« zu berücksichtigen (Dormeyer, Das Neue Testament, S. 229). 33 Aune, The New Testament, S. 88. Die Übertragung auf das Werk des Lukas unter dem Titel »Luke-Acts as General History« lautet dementsprechend (a.a.O., S. 138f.): »Luke was an eclectic Hellenistic Christian historian who narrated the early history of Christianity from its origins in Judaism with Jesus of Nazareth through its emergence as a relatively independent religious movement open to all ethnic groups.« 34 Wedderburn, Frage der Gattung, S. 310.
Das lukanische Doppelwerk in der Genre-Debatte
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Alternativ existiert die Zuweisung zur biographischen Tradition,35 die freilich in erster Linie vom Evangelium ausgeht, aber von Charles H. Talbert auf das Doppelwerk ausgedehnt wurde: Ein Vergleich mit den Lebensbeschreibungen des Diogenes Laërtios (D.L.) führt Talbert zu der Auffassung, daß »Luke-Acts, to some extent, must be regarded as belonging to the genre of Greco-Roman biography, in particular, to that type of biography which dealt with the lives of philosophers and their successors«.36 Besonders die Frage betreffend, ob sich die Schulnachfolgenotizen wirklich als Parallelen zur Apostelgeschichte eignen, mußte Talbert heftige Kritik hinnehmen.37 Dirk Frickenschmidt, der sich ja selber mit Nachdruck für die Klassifizierung der Evangelien als Biographien eingesetzt hat, hat in Anlehnung an die sonst vorgetragene Kritik ebenso Talberts Parallelisierung von Schulnachfolgenotizen bei Diogenes Laërtios mit der Apostelgeschichte als unzulässig abgewiesen, vielmehr vertritt er dann doch eine Genre-Mischung: »Es handelt sich bei Lk/Apg um ein insgesamt am ehesten historiographisch zu nennendes Doppelwerk, dessen erster Teil aus der in sich abgeschlossenen Biographie des Jesus von Nazareth besteht.«38 Damit wären wir wieder bei der heiklen Frage nach der Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer µετάβασις εἰς ἄλλο γένος angelangt; diese Frage hat ja in der Genre-Debatte eine große Bedeutung: So wurde Pervo eben gerade für seine Vernachlässigung des Zusammenhangs der Apg mit dem Lukas-Evangelium kritisiert.39 Bei David E. Aune hat die (angenommene) Genre-Gleichheit von 35 Zu betonen ist, daß auch hier mit Überschneidungen gerechnet werden muß: So muß v.a. eine politische Biographie den zu beschreibenden βίος in seinen geschichtlichen Wirkungsraum einzeichnen und damit ansatzweise auch Historiographie sein; umgekehrt muß die Historiographie wesentliche Taten und Widerfahrnisse geschichtlich maßgeblicher Personen ausreichend beleuchten und damit ansatzweise biographisch arbeiten. Man beachte nur, daß Plutarch es mehrfach für nötig hielt, die Tätigkeit des Biographen von der des Geschichtsschreibers abzugrenzen: Plu. Galba 2,3 und Alex. 1,2. Die Abtrennung der Biographie von der Historiographie hat jüngst wieder in Frage gestellt: Schepens, Verhältnis. 36 Talbert, Literary Patterns, S. 134. 37 Vgl. z.B. die Auflistung kritischer Anfragen an Talberts Position bei: Aune, The New Testament, S. 79. – Bernhard Heininger hat sich dagegen erneut für eine angemessene Würdigung der Talbertschen Idee ausgesprochen (Heininger, Paulusbild, S. 408f.); dabei entgeht er aber dem zwanghaften Vergleich mit Diogenes Laërtios und will schließlich nur auf biographische Elemente in der Paulus-Darstellung des Lukas aufmerksam machen (a.a.O., S. 423–425). Vgl. auch die Bemerkungen zu Talberts Vorschlag und die Überlegung zur biographischen Geschichtsschreibung bei Dormeyer, Gattung, S. 460f. und 461–470. 38 Frickenschmidt, Evangelium, S. 500. 39 Vgl. beispielsweise die schon oben angeführten Kritiken von: Aune, The New Testament, S. 80; Wedderburn, Frage der Gattung, S. 305f.; Parsons, Rez. Pervo, Sp. 409f. – Interessant ist in diesem Zusammenhang S.M. Praeders Versuch, das gesamte lukanische Doppelwerk als »Christian ancient novel« einzuordnen, v.a. weil sie dabei darauf beharrt, daß »Acts cannot be considered apart from its companion volume Luke« (Praeder, Luke-Acts, S. 283). Auf diese Kritik geht Pervo im Acta-Kommentar ein, wendet die Sache aber in seinem Sinne: »When he turned to writing Acts,
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Einleitung
Lk und Apg aber auch »Blüten getrieben«; er ordnet zwar die Evangelien in die biographische Tradition ein, nimmt aber Lk davon aus, weil das dritte Evangelium eben mit dem historiographischen Werk Apg zusammenhänge.40 Das ist natürlich beim besten Willen nicht haltbar: Bei Aune hat man nun gerade in seiner Kritik an Pervos Vorgehen den Eindruck, daß er die GenreGleichheit von Lk und Apg als ausgemacht und gleichsam feststehendes Dogma ansieht, denn sein Kritikpunkt Nr. 4 an Pervo lautet: »Luke-Acts must be treated as affiliated with one genre, but Pervo treats Acts in isolation.«41 Daß diese Genre-Gleichheit aber keineswegs ein in jeder Hinsicht feststehendes Dogma ist, zeigen die in letzter Zeit sich häufenden kritischen Anfragen an diesen Punkt.42 Daneben gibt es freilich auch die Position, die die Apostelgeschichte für ein Werk sui generis hält: »Die Apostelgeschichte hat nicht nur im Neuen Testament kein stilistisches Seitenstück, sondern auch in der großen Literatur«, so Martin Dibelius.43 Auch Philipp Vielhauer ist ein Vertreter dieser Meinung; er begründet seine Position damit, daß »die Apg immer nur in einzelnen Zügen, nicht als Ganzes Verwandtschaft« mit »vergleichbaren Gattungen der antiken Literatur« zeige.44 Daß letztere Feststellung ihre Berechtigung hat, will und kann ich nicht bestreiten, allerdings halte ich es für fraglich, ob man von hier aus zu der Meinung kommen muß, die Apostelgeschichte des Lukas sei ein Werk sui generis. Ein kreativer Literat nämlich wird doch wohl Einflüsse anderer Literatur individuell nutzen, und so wird er auch Gattungskonventionen teils einhalten, teils sich aber gegen sie stemmen und in anderen, ihm vertrauten »Gärten räubern«.45 Ohne eine derartige Genre-Mischung verbunden mit der jeweiligen Individualität eines genialen, oder doch zumindest schöpferischen Autors wäre die Literaturentwicklung wohl irgendwann stehen geblieben. ErLuke did not discard the hat of an evangelist« (Pervo, Acts, S. 18); vgl. zur diesbezüglichen Kritik an Pervo auch oben, Anm. 10f. 40 Er stellt fest (Aune, The New Testament, S. 77): »By itself Luke could (like Mark, Matthew, and John) be classified as a type of ancient biography. But Luke, though it might have circulated separately, was subordinated to a larger literary structure. Luke does not belong to a type of ancient biography for it belongs with Acts, and Acts cannot be forced into a biographical mold.« Zur Kritik vgl. Frickenschmidt, Evangelium, S. 498; Wedderburn, Frage der Gattung, S. 306f. 41 Aune, The New Testament, S. 80. Zur Kritik daran vgl. wieder Parsons, Rez. Pervo, Sp. 409: »Aune sweeps Pervo’s arguments aside too quickly.« 42 Vgl. beispielsweise Alexander, The Preface, S. 145f.; Palmer, Acts, S. 25; Parsons, Rez. Pervo, Sp. 409; auch sprach schon Vielhauer, Geschichte, S. 385, beim Übergang von Lk zu Apg von einer µετάβασις εἰς ἄλλο γένος (S. 385); vgl. hierzu auch wieder den schon oben angeführten Lösungsversuch von Frickenschmidt, Evangelium, S. 500. 43 Mit dieser Aussage beginnt sein Aufsatz Die Apostelgeschichte im Rahmen der urchristlichen Literaturgeschichte: Dibelius, Apg im Rahmen der Literaturgeschichte, S. 163. 44 Vielhauer, Geschichte, S. 399. Genauso auch Wedderburn, Frage der Gattung, S. 319. 45 Vgl. die Aussage von Colin J. Hemer: »A good writer may use, perhaps deliberately, literary forms. But he will make them his servants, not his masters« (Hemer, Book of Acts, S. 35).
Fragestellung und Vorgehensweise
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kennt man die Alltäglichkeit von Genre-Mischungen an, so wird die Aussage, ein bestimmtes Stück Literatur sei ein Werk sui generis, selbst fragwürdig; in einem strengen Sinne wäre doch wohl – so könnte man überspitzt sagen – ein jedes Werk ein Werk sui generis.46 Zwar kann man dieser in der Tat überspitzten Aussage vorwerfen, daß hier das Wort Gattung bzw. genus mißbraucht werde, aber sie macht dennoch eins klar: Bei detaillierter Betrachtung eines Textes werden wir in zahlreichen Fällen keine eindeutige Gattungszuweisung vornehmen können; auch Beziehungen zu völlig anderen Literaturformen werden in diesen nicht seltenen Fällen und darüber hinaus feststellbar sein (und seien sie noch so subtil). Im Fall der Apostelgeschichte haben wir es aber – wie die verwickelte Genre-Diskussion zeigt – besonders schwer, weil die Bezüge zu bestimmten Gattungen und Formen der antiken Literatur in einem Abschnitt der Apg sehr deutlich sind, im nächsten aber wieder ganz andere Verbindungslinien als die nächstliegenden erscheinen. Wir werden also eher die einzelnen literarischen Züge der lukanischen Schriftstellerei genau und (soweit erkenntnistheoretisch möglich) vorurteilsfrei untersuchen müssen und dürfen uns nicht mit der Aussage vom Werk sui generis zufrieden geben, nur weil die Apostelgeschichte, was die Gesamtheit aller Aspekte anbelangt, keine Vorläufer und Nachahmer habe, also allein dastehe;47 das allerdings ist wirklich nicht verwunderlich.
Fragestellung und Vorgehensweise Damit dürfte schon hinreichend deutlich geworden sein, daß die Frage nach der Gattung der Apostelgeschichte mit dieser Arbeit nicht beantwortet werden wird. Vielmehr soll hier lediglich ein Zug der literarischen Gestaltung der Apostelgeschichte untersucht werden, nämlich die elaborierte Schilderung der Seefahrt des Paulus und seines Schiffbruchs vor der Insel Μελίτη. Zugegebenermaßen verweist genau dieser Zug den Interpreten zunächst auf die antike Unterhaltungsliteratur und dabei insbesondere den Roman, der ja regelmäßig solche Erzählungen vom Leid zur See und auch vom Schiffbruch in seinem Repertoire hat; insofern knüpfe ich in einem Aspekt durchaus auch inhaltlich an Richard I. Pervos Untersuchungen in Profit with Delight an, ohne aber seine provokative These von der Apostelgeschichte als historischem Roman insgesamt 46 In dieser Weise etwa: Perry, Ancient Romances, S. 18; McKnight, Postmodern Use, S. 242– 244 (er verfolgt jedoch eine rezeptionsorientierte Genre-Konstruktion). 47 Vgl. etwa Wedderburn, Frage der Gattung, S. 319: »Weil keine Zeitgenossen oder Nachfolger solche Acta geschrieben haben, ist sein Werk eigentlich ein Werk sui generis. Es gehört zu keiner Gattung, wenn eine Gattung per definitionem aus mehreren Werken bestehen sollte.« Ähnlich auch Vielhauer, Geschichte, S. 400.
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Einleitung
einer Prüfung unterziehen zu können. Vielmehr soll hier die bisher behandelte übergreifende Frage von der stoff- und motivgeschichtlichen Seite her angegangen werden: Ist nicht nur für Pervo (er ist da eben nur einer unter vielen) die Integration einer solche ausführlichen Erzählung, die die stürmische Seefahrt des »Helden« – wenn man so sagen darf – und seinen Schiffbruch darstellt, ausreichender Anlaß, die entsprechenden Erzählungen der Romane zu vermutlich ergiebigen Vergleichstexten zu erkären, so will ich hier den Versuch unternehmen, die Verwendungsweise von Seefahrts- und vorrangig Sturm- und Schiffbruchserzählungen in der kaiserzeitlichen Literatur im Vergleich mit der lukanischen Episode zu erheben, wobei natürlich die entsprechenden Erzählungen der Romane eine gewichtige Rolle spielen werden (s. Kap. 3: Der ideale oder Liebesroman).48 Dabei wird einerseits besonderes Augenmerk auf die Motivik der jeweiligen Sturm- und Schiffbruchserzählungen gelegt werden, andererseits aber auch auf den Zweck der Verwendung der Sturmerzählungen im Rahmen des jeweiligen Werks oder des näheren Kontextes. Auf dieser Grundlage ist dann der Blick auf die lukanische Sturm- und Schiffbruchserzählung zu richten; ich werde mich für die detaillierte Analyse dabei auf den Abschnitt Apg 27,1–28,6 konzentrieren, weil im Text nur bis hierhin der Motivkomplex Seesturm und Schiffbruch Relevanz hat – das weitere Geschehen auf Μελίτη (Apg 28,7–10) und der Abschluß der Reise bis Rom (Apg 28,11–16) spielen dagegen in diesem Rahmen keine Rolle.49 Ich bin der Auffassung, daß sich von hier aus einige interessante Beobachtungen zur Eigenart der lukanischen Sturm- und Schiffbruchserzählung ergeben. Neben der Herausarbeitung der Eigenart und der speziellen Aussageabsichten der lukanischen Erzählung sind zwei Fragen für meine Untersuchungen leitend gewesen: Erstens, die Ausgangsfrage, nämlich – wie dem Vorhergehenden unschwer zu entnehmen ist – die Frage nach dem Bezug der Verwendung einer Sturmbzw. Schiffbruchserzählung zur Gattung des jeweiligen Textes. Werden also etwa Seestürme und Schiffbrüche in der Historiographie anders erzählt als im Roman? Gewiß werden sie das, wird man wohl gleich antworten; mich interessiert dabei aber natürlich, woran sich die Unterschiede festmachen lassen, und v.a. interessiert mich, was das für Rückschlüsse auf die Erzählung des Lukas und möglicherweise die Gattung der Apostelgeschichte erlaubt. 48
Vgl. zu einem solchen Vorgehen beispielsweise auch die Untersuchungen aus Praeders Feder: Praeder, The Narrative Voyage; Praeder, Acts; und darüber hinaus Seul, Rettung für alle, S. 378– 405. 49 Ich sehe diese Beschränkung dadurch als hinlänglich gerechtfertigt an, daß hier eben eine Konzentration auf die Motivik von Seesturm- und Schiffbruchserzählungen geboten ist: Daß man
Fragestellung und Vorgehensweise
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Zweitens ist eine Fragestellung zu nennen, die sich erst im Verlauf der Untersuchungen in ihrer Bedeutung immer stärker nach vorn geschoben hat, nämlich die Frage, welchen Beitrag die Zeichnung des Paulus in Apg 27f. zum Paulusbild der Apostelgeschichte leistet. Welche Bedeutung hat es überhaupt, daß Lukas seinen Paulus sich kurz vor Ende der Darstellung in seinem Schiffbruch in so ausführlicher Erzählung bewähren läßt? Welchen Beitrag leisten darüber hinaus die Einzelzüge der Darstellung? Daneben mußten im Rahmen der Studien noch zwei weitere Aspekte bearbeitet werden: Da der behandelte Text zum letzten sog. »Wir«-Stück der Apostelgeschichte gehört, war es nötig, auch auf diesen wahren »Dauerbrenner« der Apostelgeschichtsforschung einzugehen – dies v.a., um bei aller literarischen Würdigung der lukanischen Erzählung nicht die mögliche Historizität des Erzählten bzw. wenigstens eines Anteils, der vielleicht Anspruch auf Historizität hat, aus den Augen zu verlieren. Die Frage nach den möglichen Quellen für die Darstellung der Romreise läßt sich ohne die Berücksichtigung des Problems der »Wir«-Stücke schlechterdings nicht bearbeiten. Der zweite immer wieder hervortretende Aspekt ist die Behandlung von Problemen antiker Nautik (im weitesten Sinne), die zum Teil viel diskutiert wurden und werden, aber trotzdem oftmals dunkel blieben. Dieser Aspekt hat in den vergleichenden Studien, in der Einzelanalyse sowie in der kurzen Behandlung von Abschnitten der Fahrtroute des Paulusschiffs Raum bekommen. Damit ist die Gliederung der Arbeit sachlich vorgezeichnet: Sie zerfällt in zwei Hauptteile, von denen der erste den vergleichenden Studien mit der Behandlung ausgewählter Texte der kaiserzeitlichen Literatur (und zum Teil auch darüber hinaus) gewidmet ist, während der zweite den hier im Zentrum stehenden Text der Apostelgeschichte behandelt; bei letzterem wird ein Kapitel zur Quellenfrage u.a. mit Behandlung des Problems der »Wir«-Stücke vor der eigentlichen Einzelanalyse von Apg 27,1–28,6 zu stehen kommen. Ein kürzerer Abschnitt zur erzählten Fahrtroute beendet diesen zweiten Hauptteil. Abschließend wird nur noch ein kurzes Fazit gezogen.
natürlich bei einer Gliederung der Apostelgeschichte keinen Einschnitt zwischen Apg 28,6 und 28,7 zu setzen hat, versteht sich von selbst; der größere Abschnitt ist sicher Apg 27,1–28,16!
Teil I Vergleichende Untersuchungen
Vorbemerkungen Da die im folgenden behandelten Texte eine beschränkte Auswahl darstellen, wird natürlich in keiner Weise ein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben. Die Auswahl orientiert sich dabei an zwei Kriterien, die aber keineswegs »gesetzlich« verstanden wurden: Einerseits habe ich eine Konzentration auf die kaiserzeitliche Literatur vorgenommen, um Lukas in seinem unmittelbaren literarischen Kontext zu betrachten; davon wurden natürlich auch Ausnahmen gemacht, was beispielsweise die alttestamentlichen Texte betrifft. Zweitens wurden die Texte nach der Relevanz für die Behandlung von Apg 27f. ausgewählt, was sowohl die Relevanz für die in der Einleitung erarbeiteten leitenden Fragestellungen, als auch was Einzelheiten der lukanischen Erzählung betrifft. Unschwer könnte man die zu vergleichenden Texte vermehren.1 In der Geschichte der antiken Literatur hat die Motivik von Sturmfahrt und Schiffbruch ihren Ursprung freilich im Epos; insbesondere die ausführliche Beschreibung des aufregenden Naturschauspiels Sturm ist hier zu einem geläufigen Topos geworden, der sog. Sturm-Ekphrasis. Vom Epos aus hat sich dieser Topos ausgebreitet und ist in zahllose andere Gattungen eingedrungen, unter Aufnahme von mehr oder weniger Elementen der epischen Motivik. Einige der kaiserzeitlichen Romane gebrauchen, wie sich im folgenden zeigen läßt, die epische Sturm-Ekphrasis zum Teil in ihrer vollständigen Motivik(s. Kap. 3); andere Gattungen – sogar einige Romane selbst, zu deren festem Repertoire die Sturmbeschreibung zählt – sind da zurückhaltender. Trotzdem werden die epischen Sturmfahrten hier aus Gründen der Stoffbeschränkung nicht explizit behandelt, auch wenn zuweilen auf sie verwiesen wird.2 1 Eine nützliche Übersicht bietet Praeder, The Narrative Voyage, S. 184–186 (vgl. auch ihre Anmerkung zur Auswahl, Anm. 114 [S. 337]); die Praedersche Liste enthält zahlloses Material, das ich hier nicht berücksichtigt habe, andersherum behandle ich aber auch einige wenige Texte, die in ihrer Übersicht nicht zu finden sind. – Vgl. zu weiteren möglicherweise relevanten Texten: Kratz, Rettungswunder, S. 14–117 (zur mythisch-religiösen Bedeutung des Meeres in der Antike); Thimmes, Sea-storm Type-scene, S. 40–79; Seul, Rettung für alle, S. 378–405. 2 Einschlägige Texte zur epischen Sturm- und Seefahrtsmotivik sind etwa: Od. III 276–302; V 262–493; VII 241–286; IX 62–84; XII 403–449; A.R. II 1093–1121; IV 1223–1304; Verg. A. I 34– 156; V 8–34; V.Fl. I 608–658. Vgl. auch die unten noch zu erwähnenden dichterischen Passagen in Prosawerken: Petr. 123,1, vv. 233–237; Hist.Ap. 11, vv. 1ff.; hier scheinen sich die Autoren des Ursprungs der Motivik durchaus bewußt zu zeigen.
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Vorbemerkungen
Bis auf einzelne Ausnahmen, die in der Relevanz für Detailfragen begründet sind, ist auch der Bereich der metaphorischen Verwendung von Seefahrtsmotivik ganz ausgespart worden. Dazu ließe sich viel Material – sowohl aus der Prosa, als auch aus der Dichtung – beibringen, in dem die Seefahrt oder Elemente der Seefahrt zu einer Metapher für ganz verschiedene Lebenszusammenhänge gemacht werden3 – besonders berühmt ist etwa das Staatsschiff .4 Hier allerdings geht es um Erzählungen tatsächlicher Seefahrt, selbst wenn immer auch die Möglichkeit metaphorischen Potentials mit in Rechnung zu stellen ist. Das aber ist nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung.
3
Zu Seefahrt und Schiffbruch als Metapher vgl. das anregende Büchlein Blumenberg, Schiffbruch, der sich an der berühmten Eröffnung des zweiten Buchs des Lukrez abarbeitet (Lucr. II 1–4). Der metaphorische Gebrauch der Themen Seefahrt und Schiffbruch für den Lebensverlauf oder das Lebensgeschick war weit verbreitet, s. dazu beispielsweise mit Blick auf eine Stelle in den Satyrica Petrons (Petr. 115,16) Döpp, Leben und Tod, S. 152 mit Anm. 14f. (S. 164f.). 4 Zur bildhaften Verwendung von Seesturm und Schiffbruch vgl. auch Kahlmeyer, Seesturm; er behandelt das Staatsschiff S. 39–47.
1 Periplus und Historiographie In diesem Kapitel finden die literarischen Gattungen des Periplus und der Historiographie Behandlung. Es empfiehlt sich, die Untersuchung mit diesen beiden Genres zu beginnen, anstatt gleich zuvörderst die romanhafte Literatur zu traktieren – wie es sich von meinem Ausgangpunkt her nahelegen könnte –, weil zum einen die Apostelgeschichte insgesamt zumeist als der Historiographie zugehörig betrachtet wird, unter deren Wurzeln der Periplus im Blick auf Seefahrtserzählungen natürlich von besonderer Bedeutung ist, und weil zum anderen die Behandlung der entsprechenden Erzählpartien in den Romanen dann schon vor einem gewissen Hintergrund erfolgen kann.
1.1 Die Periplus-Literatur Die Gattung des Periplus ist – abgesehen von der eben gemachten allgemeinen Bemerkung – im Wesentlichen in zwei Punkten in der Forschungsgeschichte zur Apostelgeschichte von Bedeutung: nämlich erstens im Zusammenhang mit einem Versuch, die ja noch immer heiß umstrittenen »Wir«-Stücke der Apostelgeschichte als quasi genrebedingt zu erklären,1 und zweitens im Rahmen der Suche nach geeigneten Parallelen zur Seereise des Paulus in Apg 27f. Auf Letzteres werde ich im folgenden zurückkommen. Zunächst muß die einführende Fragestellung aber lauten: Was ist überhaupt Periplus-Literatur? 1.1.1 Was ist Periplus-Literatur? Die Periplus-Literatur gehört ohne Zweifel zu den ältesten Prosagattungen der griechischen Literatur insgesamt – wenn sie nicht überhaupt ihre älteste prosaische Gattung ist. Darüber hinaus kann man im Periplus wohl die entscheidendste Wurzel der griechischen Geschichtsschreibung erblicken. Die Geschichtsschreibung hat sich ja bei den Griechen ganz anders entwickelt als in vielen anderen Hochkulturen: Nicht aus archivarischem oder legitimatorischem Interesse ist sie vorwiegend entstanden, d.h. sie stellt gerade nicht eine Weiterentwicklung von Herrscherlisten, Annalen oder Chroniken dar, sondern 1 Siehe dazu den eigenen Abschnitt zu den »Wir«-Stücken und dort v.a. die Auseinandersetzung mit Vernon K. Robbins: S. 296ff.
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1 Periplus und Historiographie
sie ist – vereinfacht ausgedrückt – aufgrund von Wissensdurst entstanden; und zwar zuerst aufgrund von ionischem Wissensdurst und freilich auch der spezifisch ionischen Möglichkeit, diesen Wissensdurst zu stillen. Diese spezifische Möglichkeit wird dadurch eröffnet, daß die Ioner früher und in größerem Ausmaß Kolonisation und hochentwickelten Handel in fernen Gebieten über See betrieben haben als andere große griechische Stämme. Bei diesen, sicher ökonomisch und politisch zunächst zweckgebundenen Reisen bot sich die Möglichkeit der griechischer Geschichtsschreibung und wohl Wissenschaft überhaupt maßgeblich zugrundeliegenden Wahrnehmungsform: das Sehen, und zwar das Sehen von Neuem und bisher Unbekanntem.2 Die indogermanische Wurzel vid/vis ( ιδ/ ις) führt uns so zum Ursprung der Geschichtsschreibung: Die Wurzel ιδ/ ις liegt nämlich auch der ionischen ἱστορίη und dem diese betreibenden ἵστωρ zugrunde. Daß ἵστωρ von ιδ/ ις mit seiner Bedeutung »Sehen« abzuleiten ist, leuchtet nicht nur sofort ein, sondern ist auch der ursprünglichen Bedeutung des Wortes zu entnehmen.3 Der ἵστωρ ist nämlich zunächst derjenige, der durch eigene Anschauung oder Beobachtung Erkenntnisse gewinnt und diese dann aufschreibt, also ein Augenzeuge von Gegenständen oder Ereignissen. Er ist dann auch derjenige, der Augenzeugen befragt und daraus aufzuzeichnende Erkenntnisse gewinnt.4 Daß den weit fahrenden Ionern sich die aus eigenen Beobachtungen ergebenden Erkenntnisse geradezu aufgedrängt haben müssen, liegt auf der Hand: Und hier genau ist wohl auch der natürliche Ort des Periplus. Er bedient zunächst die Bedürfnisse der Seefahrer und nutzt umgekehrt auch deren mögliche Erkenntnisse. Das bedeutet für die Kernaufgabe des Periplus, daß befahrene Küstenabschnitte beschrieben werden, was ihre Form, Eigenschaften und Besonderheiten (eventuell Gefahren) betrifft, weiter die an der Küste liegende Landschaft und deren besondere Eigenschaften. Für Seefahrer sind hier freilich besondere Auffälligkeiten von Bedeutung, da diese eine Wiedererkennung ermöglichen können. So werden weiter Buchten beschrieben, geeignete Ankerplätze und natürlich Häfen sowie die Orte und Siedlungen zu denen sie gehören. Die Beschreibung von Buchten, Ankerplätzen und Häfen wird regelmäßig ergänzt um deren besondere Qualitäten: also Aufnahmefähigkeit, Wassertiefe, und v.a. vor welchen Winden genau sie jeweils Schutz bieten.5 2 Vgl. Lesky, Geschichte, S. 255; vgl. auch Otto Seel, Antike Entdeckerfahrten, S. 38–41, der aber seine Überlegungen auf das θεωρεῖν zulaufen läßt (S. 40f.). 3 Vgl. Frisk I, s.v. ἵστωρ, S. 740f. 4 Vgl. Lesky, Geschichte, S. 255. 5 Vgl. Güngerich, Küstenbeschreibung, S. 5f.; Lesky, Geschichte, S. 256. Dieses zunächst rein praktische Informationsbedürfnis kann man im weiteren als Bedürfnis nach Orientierung im Raum deuten: vgl. Hose, Kl. gr. Literaturgeschichte, S. 120f.
1.1 Die Periplus-Literatur
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Damit sind praktische Bedürfnisse befriedigt, doch ist der Wissensdurst so noch lange nicht gestillt: An die Beschreibung der an den jeweiligen Küsten liegenden Landschaften schließen sich dann auch mehr oder weniger ausführliche Darstellungen der Flora und Fauna sowie ihrer menschlichen Bewohner an.6 Wenn nun nicht nur deren Erscheinungsbild und vielleicht deren Sprache beschreibende Erwähnung findet, dann ist der Übergang zur Geschichtsschreibung nicht mehr in weiter Ferne. Mit Ausführungen über Abstammung, Gepflogenheiten und Organisationsstruktur der an den Küsten lebenden Menschen steht der Periplus sozusagen schon zwischen Chorographie und Ethnographie und ist näherhin auch deren Ahnherr. Der Übergang zur Geschichtsschreibung wird dann erreicht, wenn die Kultur der Küstenbewohner nicht nur in bestimmten Aspekten einfach aufgenommen wird, sondern auch in ihrer zeitlichen Entwicklung betrachtet wird, indem beispielsweise Lokaltraditionen aufgespürt werden, und indem »mythisches« Material inkorporiert und mit aktuellen Entwicklungen in Beziehung gesetzt wird. Deutlicher noch wird diese Tendenz, wenn der Berichterstatter etwa auch auf Konflikte mit Nachbarvölkern eingeht, und wenn er entsprechende Betrachtungen auf weiter im Landesinneren gelegene Gebiete ausdehnt. Die Erdbeschreibung eines Hekataios von Milet etwa, die περίοδος γῆς bzw. περιήγησις (wohl um 500 v.Chr. publiziert), ist ein berühmtes Beispiel für diese Entwicklung: Reiches geographisches Material stand neben sehr ausführlichen ethnographischen Ausführungen. Der Form nach orientiert sich Hekataios am Periplus und folgt den Küsten, von da aus schreitet er jeweils ins Landesinnere fort.7 Das spätere Griechentum sollte die Hinwendung zum ἱστορεῖν dann als Emanzipation des Logos vom Mythos reflektieren. Von daher ist die Entstehung der spezifisch griechischen Geschichtsschreibung nicht von der Entwicklung des griechischen Wissenschaftsbegriffes zu trennen. Schon sehr früh faßt eine derartig orientierte Reflexion auch Fuß in der innergriechischen Auseinandersetzung um Geschichtsschreibung. Schon Herodot von Halikarnassos etwa wird sich in seinen Darlegungen vom Mythos zumindest tendenziell absetzen.8 Bemerkenswert ist bei ihm darüber hinaus, daß er einen (– so mag man urteilen – begrenzt) kritischen Quellenumgang pflegt: Eine seiner Hauptquellen ist just der eben genannte Vorgänger Hekataios von Milet – dabei sowohl seine schon er6 Vgl. zum berühmten, aber leider nicht erhaltenen Periplus des Skylax Güngerich, Küstenbeschreibung, S. 9f.; der ebenfalls weithin bekannte Periplus des Pseudo-Skylax hat damit nichts zu tun (vgl. a.a.O., S. 10–12; Lesky, Geschichte, S. 256). 7 Zu überblickshaften Informationen über Hekataios siehe etwa: Lesky, Geschichte, S. 256– 258; Dihle, Gr. Literaturgeschichte, S. 105f. 8 Siehe dazu Lesky, Geschichte, S. 364f.
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1 Periplus und Historiographie
wähnte περίοδος γῆς, als auch seine Genealogien –, den er zum Teil unmittelbar und in scharfem Ton kritisiert.9 Er verschweigt allerdings in diesen besonders kritischen Passagen den Namen seiner Bezugsperson, bei der es sich aber wohl ganz offensichtlich um Hekataios handelt, dagegen erwähnt er ihn namentlich zumeist in Abschnitten, in denen er sich seiner Darstellung anschließt oder ohne kritische Würdigung lediglich auf ihn verweist.10 Aufschlußreich ist aber die Passage, in der Herodot die Auffassung des Hekataios derjenigen der Athener selbst gegenüberstellt und beide Positionen letztendlich nebeneinander stehen läßt;11 das ist in der Tat begrenzte Kritik.12 Insgesamt entsteht bei ihm ein unausgewogenes Bild von kritisch reflektierten Positionen und einfach wiedergegebenen Überlieferungen. Herodot aber hat nämlich trotz allem ein noch starkes Interesse an Einzelüberlieferungen und halbmythischen Anekdoten; er bringt eben auch in erster Linie das, was man sich so erzählt, auch wenn er sich zum Teil kritisch davon distanziert.13 Wenn man so will, findet sich bei ihm aber ansatzweise der analytische Zug, der die griechische Geschichtsschreibung eigentlich auszeichnet; er erscheint bei Herodot in Gestalt des Versuchs, die Ost-West-Auseinandersetzungen über verschiedene Epochen hin zueinander in Beziehung zu setzen, wobei er für die Deutung dieser Beziehung auch auf den Kreislaufgedanken zurückgreift. Herodot stand allerdings – zum Teil zurecht – immer wieder in der Kritik, dem, was man so erzählt (τὰ λεγόµενα), zu sehr verhaftet geblieben zu sein und nicht ausreichend Unglaubwürdiges von Glaub-
9 Siehe etwa die Ablehnung seiner Erklärung der Nilschwemme (Hdt. II 21); vgl. zur Auseinandersetzung der Griechen mit dem Phänomen der Nilüberschwemmung Assmann, Weisheit, S. 56– 60. Ein zweites Beispiel ist die Bemerkung über die Erdvorstellung einer vom Okeanos umflossenen Scheibe, die Hekataios von seinem Lehrer Anaximander übernommen hatte (Hdt. IV 36). 10 So etwa II 143; V 36.125, wo er den Hekataios als λογοποιός (Logopoios) bezeichnet, was aber hier keinen Hinweis auf allgemeine Kritik bedeutet, sondern den gemeinten nur als ProsaSchriftsteller kennzeichnet (so auch Lesky, Geschichte, S. 258). Vgl. aber die pejorative Verwendung des verwandten λογογράφος bei Th. I 21. 11 Hdt. VI 137; er beendet diese Nebeneinanderstellung mit dem auffälligen Fazit: ἐκεῖνα µὲν δὴ ῾Εκαταῖος ἔλεξε, ταῦτα δὲ Ἀθηναῖοι λέγουσι (Übersetzung: Jenes also hat Hekataios gesagt, dies sagen die Athener). 12 Vgl. zur begrenzt kritischen Haltung des Herodot das Urteil bei Dihle, Gr. Literaturgeschichte, S. 192. 13 Vgl. besonders die berühmte Aussage im 7. Buche, deren Geltung Herodot auf sein gesamtes Werk ausgedehnt wissen will (Hdt. VII 152): ἐγὼ δὲ ὀφείλω λέγειν τὰ λεγόµενα, πείθεσθαί γε µὲν οὐ παντάπασιν ὀφείλω, καί µοι τοῦτο τὸ ἔπος ἐχέτω ἐς πάντα τὸν λόγον (Übersetzung: Ich bin verpflichtet, das zu erzählen, was man sich erzählt, bin aber nicht in jeder Hinsicht verpflichtet, das zu glauben, und diese Bemerkung soll für mein ganzes Werk gelten).
1.1 Die Periplus-Literatur
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würdigem unterschieden zu haben.14 Die analytische Geschichtsschreibung, die über die bloßen Anlässe bestimmter Ereignisse hinaus zu den tieferen Ursachen vordringen will, sollte dann mit dem Athener Thukydides zur vollen Blüte gebracht werden. Die nicht in das Konzept thukydideischer Geschichtsschreibung passende Aufnahme verschiedener Einzelüberlieferungen nach herodoteischer Tradition, auch jenseits von dem, was tatsächlich geschehen ist, sollte jedoch weiterleben. Neben dieser (also auch in sich differenzierten) Entwicklung der Geschichtsschreibung blieb aber auch der Vorfahr, der Periplus, am Leben und führte gleichsam eine Nebenexistenz: Auch weiterhin pflegte er in verschiedenen Ausprägungen die Sammlung von chorographischem und ethnographischem Einzelmaterial. Ja, in seiner eigenen weiteren Enwicklung konnte auch er sich mit anderen Genres verbinden und so etwa die Bedürfnisse einer Leserschaft befriedigen, die sich für ferne Länder, die fremde Tierwelt und andere Menschen interessierte; zum Teil führte diese Entwicklung auch ins Fabulöse und zeigt damit die Verbindungslinie zur Paradoxographie auf. 1.1.2 Zwei Beispiele Schauen wir uns nach diesen kurzen gattungsgeschichtlichen Erwägungen zwei Beispiele aus der auf uns gekommenen Periplus-Literatur an. Zunächst möchte ich auf den Periplus Maris Rubri bzw. Erythraei hinweisen; hierbei handelt es sich um einen Text eines anonymen Verfassers aus der Mitte des 1. Jh.n.Chr.,15 also um ein recht junges Exemplar der Periplus-Literatur. Bedeutsam ist dieser Periplus v.a. deshalb, weil er uns mit reichhaltigen und detaillierten Informationen über den römischen Indienhandel in der Kaiserzeit versorgt. Von seiner Form her ist er deshalb ein äußerst interessantes Beispiel, weil er in völlig unliterarischer Manier Informationen über Anlegeplätze und die in deren Umfeld lebenden Menschen sammelt; ohne jede Dramatik werden diese Informationen 14 Vgl. z.B. die sicher etwas scharfe Kritik bei Lukian in dessen Wahren Geschichten, in der Herodot mit Mythographen und Lügnern auf eine Stufe gestellt wird: Luc. VH II 31; vgl. auch Philops. 2; s. dazu auch unten, S. 153ff. 15 Siehe zur Datierung Casson, The Periplus Maris Erythraei, S. 6f. – Martin Hose weist dem Flavius Arrianus einen Periplus Maris Erythraei zu (Hose, Kl. gr. Literaturgeschichte, S. 228); auch wenn dem Arrian der Periplus des Roten Meeres zuweilen zugeschrieben wird, ist das jedoch nach allgemeiner Überzeugung völlig haltlos. Arrian hat aber auf der Basis ursprünglicher Dienstberichte einen Periplus Ponti Euxini verfaßt (s. dazu unten). Bei Hose handelt es sich nun tatsächlich sicher auch nur um die einfache irrtümliche Verschreibung von ». . . des Schwarzen Meeres« zu ». . . des Roten Meeres«. Hinzuzufügen ist freilich, daß sich eine Fahrtbeschreibung des erythräischen (d.h. arabischen) Meeres im Rahmen der Indika des Arrian findet, nämlich die Fahrtbeschreibung des Nearchos (Arr. Ind. 20,1–42,8); eine dt. Übersetzung findet sich bei Otto Seel, Antike Entdeckerfahrten, S. (9–11.)11–36; vgl. auch Güngerich, Küstenbeschreibung, S. 14f.
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1 Periplus und Historiographie
aus der Perspektive des erfahrenen Seefahrers dargelegt.16 Die Beschreibung des Periplus umfaßt die Strecke der sog. Monsun-Passage vom Roten Meer bis hin zum Golf von Bengalen.17 Hier zwei ausgewählte Abschnitte aus §§ 20 und 57 (Peripl.M.Rub. 20.57):18 [§ 20] Μετὰ δὲ ταύτην εὐθέως ἐστὶν συναφὴς Ἀραβικὴ χώρα, κατὰ µῆκος ἐπὶ πολὺ παρατείνουσα τῇ ᾽Ερυθρᾷ θαλάσσῃ. Διάφορα δὲ ἐν αὐτῇ ἔθνη κατοικεῖ ται , τινὰ µὲν ἐπὶ ποσόν, τινὰ δὲ καὶ τελείως τῇ γλώσσῃ διαλάσσοντα. Τούτων 〈τὰ〉 παρὰ θάλασσαν ὁµοίως ᾽Ιχθυοφάγων µάνδραις διείληπται, τὰ δὲ ἐπάνω κατὰ κώµας καὶ νοµαδίας οἰκεῖται πονηροῖς ἀνθρώποις διφώνοις, οἷς παραπίπτοντες ἀπὸ τοῦ µέσου πλοὸς ὁτὲ µὲν διαρπάζονται, οἱ δὲ καὶ ἀπὸ ναυαγίων σωθέντες ἀνδραποδίζονται. Διὸ καὶ συνεχῶς ἀπὸ τῶν τυράννων καὶ βασιλέων τῆς Ἀραβίας αἰχµαλωτίζονται· λέγονται δὲ Κανραῗται.19 Καθόλου µὲν οὗτος ὁ τῆς Ἀραβικῆς χώρας 20 ἠπείρου παράπλους ἐστὶν ἐπισφαλὴς, καὶ ἀλίµενος ἡ χώρα καὶ δύσορµος καὶ ἀκάθαρτος ῥαχίαις καὶ σπίλοις ἀπρόσιτος καὶ κατὰ πάντα φοβερά. Διὸ καὶ εἰσπλέοντες21 〈τὸν〉 µέσον πλοῦν κατέχοµεν εἰς τὴν Ἀραβικὴν χώραν 〈καὶ〉 µᾶλλον παροξύνοµεν ἄχρι τῆς Κατακεκαυµένης νήσου, µεθ’ ἣν εὐθέως ἡµέρων ἀνθρώπων καὶ νοµαδιαίων θρεµµάτων καὶ καµήλων συνεχεῖς 〈χῶραι〉. . . . [§ 57] . . . πρῶτος δὲ ῞Ιππαλος κυβερνήτης, κατανοήσας τὴν θέσιν τῶν ἐµπορίων καὶ τὸ σχῆµα τῆς θαλάσσης, τὸν διὰ πελάγους ἐξεῦρε πλοῦν. ἀφ’ οὗ 22 καὶ τοπικῶς ἐκ τοῦ ὠκεανοῦ φυσώντων τῶν κατὰ καιρὸν τῶν παρ’ ἡµῖν ἐτησίων, ἐν τῷ ᾽Ινδικῷ
16
Vgl. zum Charakter dieses Periplus die kurzen Bemerkungen bei: Güngerich, Küstenbeschreibung, S. 18f.; Lesky, Geschichte, S. 888; Dihle, Die gr. und lat. Literatur, S. 196. 17 Vgl. zur Monsun-Passage das bei Diodor paraphrasierte Werk des Iambulos (D.S. II 55–60); hier geht die Fahrt wahrscheinlich nach Ceylon (vgl. bes. D.S. II 55,6, und dazu Ehlers, Südwestmonsun, passim). 18 Casson, The Periplus Maris Erythraei, S. 62f.86f. (mit engl. Übersetzung); vgl. GGM I, S. 273. 298f. (mit lat. Übersetzung). Siehe auch den Kommentar bei Casson, a.a.O., S. 145–147.224, sowie Übersetzung und Kommentar bei Schoff, Periplus of the Erythræan Sea, S. 29f.45.104–106.227– 230. 19 Glaser will verbessern in Καρναεῖται: »Ich glaube, es darf weder Kassaniten, noch Arabiten, noch auch Kananiten an Stelle von Kanraeiten gelesen werden, sondern nur K a r n a e i t e n , das heisst Beduinen, deren wichtigste Stadt Karna war« (Glaser, Skizze der Geschichte und Geographie Arabiens II, S. 165), er begründet seine Vermutung weiterhin damit, daß man in den Hafenstädten nur die Stadt Karna gekannt und danach die gesamte Bevölkerung benannt habe (S. 166); vgl. dazu zustimmend Schoff, Periplus of the Erythræan Sea, S. 105f.; und neutral Casson, The Periplus Maris Erythraei, S. 146, der aber die Emendation nicht in den Text übernimmt. 20 χώρας ist wohl, wie Müller will, zu streichen; der codex unicus (Cod.Pal.Gr. 398 [Heidelberg]) bietet: ὁ τῆς Ἀραβικῆς χώρας ἠπείρου παράπλους. 21 Hier folge ich Müller, der den Cod. m.E. zurecht korrigiert; dort steht εἰσπλεόντων, was Casson übernimmt. 22 Zu dem in der Tat schwierigen Textabschnitt ab ἀφ’ οὗ . . . , vgl. Casson, Sea Route, bes. S. 474f. zur Begründung des Textes; auch der Müllersche Text mit den Anm. zur Passage verdient noch immer Beachtung (GGM I, S. 299)!
1.1 Die Periplus-Literatur
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πελάγει ὁ λιβόνοτος φαίνεται·23 προσονοµάζεται δὲ 〈ἵππαλος〉24 ἀπὸ τῆς προσηγορίας τοῦ πρώτως ἐξευρηκότος τὸν διάπλουν. . . .
Danach schließt sich unmittelbar das arabische Land an, das sich der Länge nach weithin am erythräischen Meer erstreckt. Unterschiedliche Völker wohnen in seinem Gebiet, wobei sie sich teils zu einem gewissen Grade, teils vollkommen in ihrer Sprache unterscheiden. Dort ist die unmittelbare Meeresküste gleichmäßig mit Fischerhütten der Ichthyophagen besetzt, die Gegenden weiter oben werden in Dörfern und Hirtensiedlungen von schrecklichen Menschen mit zwei Sprachen bewohnt, von denen diejenigen, die von einem mittleren Kurs abgekommen sind, teils ausgeraubt werden, teils, wenn sie aus einem Schiffbruch gerettet wurden, versklavt werden. Deshalb werden sie auch unablässig von den Tyrannen und Königen Arabiens gefangen gesetzt: Man nennt sie Kanraïten. Insgesamt ist diese Vorbeifahrt am arabischen Festland gefährlich, hafenlos ist die Küste und nur mit schlechten Ankerplätzen versehen sowie mit ganz ungünstiger Brandung, aufgrund von Felsen unzugänglich und überhaupt ganz schrecklich. Deshalb halten wir, wenn wir dort entlangfahren, auch den mittleren Kurs nach Arabien und eilen geradezu bis zur verbrannten Insel, nach der sich Gegenden mit sanftmütigen Menschen, gehüteten Viehherden und Kamelen anschließen. . . . . . . Als erster Skipper hat Hippalos die Lage der Handelsstützpunkte und die Gestalt des Meeres erkannt und die (günstigste) Segelstrecke über das offene Meer herausgefunden. Und da in jener Gegend vom Okeanos her saisonale Winde wehen, die bei uns Etesien heißen, tritt auf dem Indischen Meer ein Südwest in Erscheinung: Der wird Hippalos benannt nach dem Namen dessen, der als erster die Überfahrt entdeckt hat. . . .
Deutlich ist hier zu erkennen, wie Informationen völlig verschiedener Art bloß aneinandergereiht werden, ohne daraus ein ausgewogenes Gesamtbild zu formen. Bemerkenswert ist bei diesem Periplus noch, daß keine einzelne bestimmte Fahrt den Rahmen der Ausführungen abgibt; die Besonderheiten oder die – in den Augen des Verfassers – wissenswerten Einzelheiten werden gleichsam nur im allgemeinen geschildert. Die selbstverständliche Folge davon ist natürlich auch, daß gar keine eigentliche Erzählung zustande kommt. Zu beachten ist bei den beiden hier zitierten Passagen noch: Der Wechsel zur 1. Pers. in § 20 ist nicht auffällig und hat erst recht keine Relevanz für die Frage nach den »Wir«-Stücken der Apostelgeschichte, weil der Verfasser sich mit den Seefahrern, die eben so und so 23 Interpunktion von mir! Zum auf den ersten Blick schwierigen φαίνεται vgl. Casson, Sea Route, S. 474: »What troubled Fris and Müller was φαίνεται; heavy-handed emendation was the only way they saw to make sense of it. Huntingford, though he stayed with the manuscript, did less well so far as sense is concerned: the wind in question, as every sailor on the run knew, did not ›appear‹ to be southwest, it was southwest. Actually the sense poses no problem: φαίνεται means here ›to make an appearance‹, just as it does in Od. 4. 360–1, where Menelaus tells how he was unable to leave the island of Pharos because οὐδέ ποτ’ οὖροι | πνείοντες φαίνονθ’ ἁλιαέες, ›no winds ever made their appearance blowing over the sea‹.« 24 Die Müllersche Ergänzung ἵππαλος setze ich hinter das überlieferte προσονοµάζεται δέ.
24
1 Periplus und Historiographie
handeln oder handeln sollten zum Wir zusammenschließt.25 In § 57 bricht doch gegen die sonstige Gewohnheit ein ansatzweises historisches Interesse durch, das zumindest zur Aufklärung eines Namens anregt und zumindest einen Aspekt der Geschichte der Monsun-Schiffahrt in den Blick nehmen läßt.26 Anders verhält es sich beim nun zu erwähnenden zweiten Beispiel, das als ein zusammenhängender Bericht über eine Einzelfahrt daherkommt; es handelt sich hier um den berühmten Periplus des Karthagers Hanno. Dieser recht kurze Periplus ist uns in einer griechischen Übersetzung aus hellenistischer Zeit überliefert. Über die genaue Datierung der konkreten Fahrt des Hanno, die diesem überformten, ausgemalten und möglicherweise auch gekürzten Periplus zugrundeliegt, kann man nur spekulieren.27 Zumeist wird das – womöglich längere – punische Original des Textes für einige Jahrhunderte älter gehalten als die Übersetzung.28 Der Periplus Hannonis ist auch ein Beleg für die großen seemännischen Bemühungen der Punier, die sich sicher schon früh in heftiger Konkurrenz zu anderen Seemächten, etwa wohl auch den Ionern, befanden: Beschrieben wird eine Erkundungsfahrt an der Westküste Afrikas nach Süden, deren erster Zweck im Periplus selbst ausdrücklich benannt wird: Kolonisation (§ 1). Literarisch zeichnet sich dieser Periplus dadurch aus, daß er eine konkrete Fahrt aus der Perspektive der Expeditionsteilnehmer selbst schildert: Die Erzählung ist also in der 1. Pers. Pl. ausgeführt. Vorangestellt ist dem Text ein Proöm, das ganz kurz den Zweck und die personelle sowie materielle Ausstattung der Fahrt benennt. Hier drei ausgewählte Abschnitte aus dem Hannonis Carthaginiensis Periplus (Hanno Peripl. 1–4.14.18):29 [1] ῎Εδοξε Καρχηδονίοις Ἅννωνα πλεῖν ἔξω Στηλῶν ῾Ηρακλείων καὶ πόλεις κτίζειν Λιβυφοινίκων. Καὶ ἔπλευσε πεντηκοντόρους ἑξήκοντα ἄγων, καὶ πλῆθος ἀνδρῶν καὶ γυναικῶν εἰς ἀριθµὸν µυριάδων τριῶν καὶ σῖτα καὶ τὴν ἄλλην παρασκευήν.
[2] ῾Ως δ’ ἀναχθέντες τὰς Στήλας παρηµείψαµεν καὶ ἔξω πλοῦν δυοῖν ἡµερῶν ἐπλεύ25 Anders beurteilt das jedoch Robbins, der sich u.a. gerade auf das Auftreten der 1. Pers. in § 20 beruft; s. dazu unten. 26 Insofern ist eine leichte Korrektur an den Ausführungen Dihles anzubringen, der unseren Text mit entsprechenden Partien aus dem Werk Plinius des Älteren vergleicht und zum Ergebnis kommt: »Es ergeben sich mehrere Parallelen zu den entsprechenden Plinius-Kapiteln. Bezeichnenderweise findet sich aber bei Plinius auch eine Notiz über die Geschichte der Monsun-Schiffahrt, ein Thema, das den nur an der Praxis orientierten Verfasser des Periplus nicht interessierte« (Dihle, Die gr. und lat. Literatur, S. 196). Zumindest an der oben zitierten Stelle bricht ein leichtes Interesse dieser Art doch durch. Vgl. zu dieser Stelle auch Güngerich, Küstenbeschreibung, S. 19 mit Anm. 48 (S. 29f.). 27 Zur Vorsicht mahnt hier auch Otto Seel, Antike Entdeckerfahrten, S. 50–54. 28 Vgl. Lesky, Geschichte, S. 256.887f.; siehe auch die Einführung bei Al.N. Oikonomides, Hanno the Carthaginian, S. 9–20. 29 GGM I, S. 1–3.10–14 (mit lat. Übersetzung). Vgl. auch die etwas eigenwillige Ausgabe von Al.N. Oikonomides (2 1982) – mit engl. Übersetzung. Eine leicht zugängliche deutsche Übersetzung des gesamten Periplus findet sich bei Otto Seel, Antike Entdeckerfahrten, S. 5–8.
1.1 Die Periplus-Literatur
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σαµεν, ἐκτίσαµεν πρώτην πόλιν, ἥντινα ὠνοµάσαµεν Θυµιατήριον· πεδίον δ’ αὐτῇ µέγα ὑπῆν. [3] Κἄπειτα πρὸς ἑσπέραν ἀναχθέντες ἐπὶ Σολόεντα, Λιβυκὸν ἀκρωτήριον λάσιον δένδρεσι, συνήλθοµεν. [4] ῎Ενθα Ποσειδῶνος ἱερὸν ἱδρυσάµενοι πάλιν ἐπέβηµεν πρὸς ἥλιον ἀνίσχοντα ἡµέρας ἥµισυ, ἄχρι ἐκοµίσθηµεν εἰς λίµνην οὐ πόρρω τῆς θαλάττης κειµένην, καλάµου µεστὴν πολλοῦ καὶ µεγάλου· ἐνῆσαν δὲ καὶ ἐλέφαντες καὶ τἆλλα θηρία νεµόµενα πάµπολλα. . . . [14] ῾Υδρευσάµενοι δ’ ἐκεῖθεν ἐπλέοµεν εἰς τοὔµπροσθεν ἡµέρας πέντε παρὰ γῆν, ἄχρι ἤλθοµεν εἰς µέγαν κόλπον, ὃν ἔφασαν οἱ ἑρµηνέες καλεῖσθαι ῾Εσπέρου Κέρας. ᾽Εν δὲ τούτῳ νῆσος ἦν µεγάλη καὶ ἐν τῇ νήσῳ λίµνη θαλασσώδης, ἐν δὲ ταύτῃ νῆσος ἑτέρα, εἰς ἣν ἀποβάντες ἡµέρας µὲν οὐδὲν ἀφεωρῶµεν ὅτι µὴ ὕλην, νυκτὸς δὲ πυρά τε πολλὰ καιόµενα, καὶ φωνὴν αὐλῶν ἠκούοµεν κυµβάλων τε καὶ τυµπάνων πάταγον καὶ κραυγὴν µυρίαν. Φόβος οὖν ἔλαβεν ἡµᾶς, καὶ οἱ µάντεις ἐκέλευον ἐκλείπειν τὴν νῆσον. . . . [18] ᾽Εν δὲ τῷ µυχῷ νῆσος ἦν, ἐοικυῖα τῇ πρώτῃ, λίµνην ἔχουσα· καὶ ἐν ταύτῃ νῆσος ἦν ἑτέρα, µεστὴ ἀνθρώπων ἀγρίων. Πολὺ δὲ πλείους ἦσαν γυναῖκες, δασεῖαι τοῖς σώµασιν· ἃς οἱ ἑρµηνέες ἐκάλουν Γορίλλας. Διώκοντες δὲ ἄνδρας µὲν συλλαβεῖν οὐκ ἠδυνήθηµεν, ἀλλὰ πάντες (µὲν) ἐξέφυγον, κρηµνοβάται ὄντες καὶ τοῖς πέτροις ἀµυνόµενοι, γυναῖκας δὲ τρεῖς, αἳ δάκνουσαί τε καὶ σπαράττουσαι τοὺς ἄγοντας οὐκ ἤθελον ἕπεσθαι. Ἀποκτείναντες µέντοι αὐτὰς ἐξεδείραµεν καὶ τὰς δορὰς ἐκοµίσαµεν εἰς Καρχηδόνα. Οὐ γὰρ ἔτι ἐπλεύσαµεν προσωτέρω, τῶν σίτων ἡµᾶς ἐπιλιπόντων.
Die Karthager haben beschlossen, daß Hanno über die Säulen des Herakles hinaus segeln und Städte für die Libyphöniker [i.e. die Karthager] gründen soll. Da segelte er ab mit sechzig Pentekonteren, einer Menge an Männern und Frauen, an Zahl dreißigtausend, Getreide und anderer Ausrüstung. So brachen wir auf und fuhren an den Säulen (des Herakles) vorbei und segelten außerhalb eine Fahrtstrecke von zwei Tagen, da gründeten wir die erste Stadt, die wir Thymiaterion nannten; unterhalb von ihr befand sich eine weite Ebene. Dann brachen wir Richtung Westen auf und gelangten nach Soloeis, einem von Bäumen dichtbewachsenen libyschen Vorgebirge. Nachdem wir hier einen Altar für Poseidon geweiht hatten, gingen wir wieder an Bord und hielten für einen halben Tag Ostkurs, bis wir an einem See ankamen, der nicht weit vom Meer entfernt lag und voll war von vielen großen Schilfpflanzen; in ihm befanden sich sogar Elephanten und vielfältige andere Wildtiere, die dort weideten. . . . Nachdem wir uns mit Wasser versorgt hatten, segelten wir von dort weiter vorwärts, für fünf Tage an der Küste entlang, bis wir zu einer großen Bucht gelangten, von der die Übersetzer/Erklärer (ἑρµενεῖς) sagten, man nenne sie »Horn des Westens«. In dieser Bucht war eine große Insel, und auf ihr ein meerähnlicher See, und auf ihm eine weitere Insel; nachdem wir auf dieser ausgestiegen waren, konnten wir bei Tag nichts sehen außer Wald, bei Nacht aber sahen wir viele Feuer brennen und hörten den Klang von Flöten, Zimbeln und Tamburinen, ein tausendfältiges Geklapper und Geschrei. Da ergriff uns Furcht, und unsere Wahrsager rieten dazu, die Insel zu verlassen. . . . In der Bucht war eine Insel, der ersten ähnlich, und hatte einen See: Und darauf war eine weitere Insel, voll wilder Menschen. Die allermeisten waren Frauen mit beharrten Körpern, die die Übersetzer/Erklärer Gorillas nannten. Als wir sie verfolgten, konnten wir keiner Männer habhaft werden, sondern alle entflohen, indem sie auf Felsen stiegen und sich mit Steinen verteidigten, aber drei Frauen (konnten wir ergreifen), die bissen
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1 Periplus und Historiographie
und rissen ihre Jäger und wollten nicht folgen. Da haben wir sie getötet, abgehäutet und ihre Häute nach Karthago gebracht. Wir sind nämlich nicht mehr weiter gefahren, weil uns die Nahrungsvorräte auszugehen begannen.
Der Periplus des Hanno zeigt deutlich eine andere Form innerhalb der Gattung Periplus: Daß es sich hier um die erzählende Beschreibung einer ganz bestimmten Fahrt handelt, hatte ich schon erwähnt; weiterhin findet sich aber neben den für einen Periplus selbstverständlichen Informationen über Land, Flora und Fauna auch die Darstellung dessen, was die Reisenden tun. Insbesondere erwähnenswert sind die beiden Episoden in den §§ 14 und 18, die jeweils auf Inseln in Seen, die sich ihrerseits auf Inseln befinden, spielen und geradezu schon abenteuerliche Züge tragen.30 Für die Frage der »Wir«-Passagen der Apostelgeschichte ist insbesondere der Übergang vom Proöm zum Text des Periplus entscheidend; daß hier aber der Fall völlig anders liegt als beim zweiten Buch des Lukas, ergibt sich nach einem kurzen Blick in den Text von selbst.31 Bemerkenswert ist nun besonders für unseren Zugang, daß sich in beiden vorgeführten Beispielen – und das ist durchaus allgemein für die PeriplusLiteratur so festzustellen – kaum unmittelbare Züge einer Seefahrtserzählung finden: Man sticht lediglich in See, segelt eine gewisse Zeit auf einer gewissen Route, landet an, usw. – so jedenfalls im erzählenden Periplus des Hanno. Im Fall des Periplus Maris Erythraei findet sich nicht einmal das, sondern der Autor folgt ohne weiteres einfach dem Küsten- bzw. gewöhnlichen Fahrtverlauf. Was nun diesen auf den ersten Blick vielleicht erstaunlichen Punkt betrifft, werden wir sogleich auf eine durchaus interessante Ausnahme zu sprechen kommen, nämlich eine Szene aus dem Periplus des Schwarzen Meeres des Flavius Arrianus. 1.1.3 Der Periplus Ponti Euxini des Flavius Arrianus Hier möchte ich – wie eben schon angekündigt – auf eine besondere Erscheinung innerhalb der Periplus-Literatur hinweisen, die vor kurzem – und man muß sagen: wieder – in der Forschung zu Apg 27f. behandelt wurde: Ich rede von einer höchst interessanten Passage aus dem Periplus Maris Euxini (bzw. Ponti Euxini) des Flavius Arrianus;32 dieser Periplus geht wahrscheinlich auf einen Re30 Fraglich ist, ob hier nicht ein und dieselbe Insel künstlich differenziert erscheint; vgl. zu den beiden Inselgeschichten und den sie betreffenden Testimonien bei anderen Autoren MundDopchie, Different Readings, S. 112f.; über die Gorilla-Insel etwa weiß Pomponius Mela noch anderes zu berichten (Mela III 93): Die behaarten Frauen brächten ohne Kontakt zu Männern Kinder zur Welt. Siehe zu den Gorillas auch Güngerich, Küstenbeschreibung, S. 17. 31 Siehe dazu aber trotzdem unten (S. 296ff.); Vernon K. Robbins hatte sich ja u.a. auch auf den Periplus des Hanno gestützt. 32 Vgl. zur Sonderstellung dieses Textes im Rahmen der Periploi Güngerich, Küstenbeschreibung, S. 19–21.
1.1 Die Periplus-Literatur
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chenschaftsbericht zurück, den Arrian in seiner Funktion als legatus Augusti pro praetore der Provinz Cappadocia an Hadrian gesandt hatte33 – über eine Inspektionsreise, so kann man wohl sagen, im Südostzipfel des Schwarzen Meeres von Trapezus nach Diokurias. Diese Fahrt dürfte 131 oder 132 stattgefunden haben.34 Relevante Passagen aus diesem Periplus, nämlich aus den §§ 3–5 wurden schon 1964 von Ernst Haenchen in seinem vielbeachteten Aufsatz zu »Acta 27« als in Erwägung zu ziehende Parallele zu Apg 27 in die Diskussion gebracht35 und jetzt wieder von Marius Reiser in seinem Beitrag zum Hornschen Sammelband aufgegriffen.36 Nach der Abfahrt von Trapezus und einem Aufenthalt im Hafen von Hyssos an der Mündung des gleichnamigen Flusses (λιµὴν ῞Υσσου) fährt man weiter nach Osten und gerät in einen Sturm, den man unter vielem Leiden und großen Anstrengungen übersteht und nach Athen (am Schwarzen Meer) gelangen kann (Arr. Peripl.M.Eux. 3,2–4):37 [3,2] ᾽Ενθένδε ἐπλέοµεν τὰ µὲν πρῶτα ταῖς αὔραις ταῖς ἐκ τῶν ποταµῶν πνεούσαις ἕωθεν καὶ ἅµα ταῖς κώπαις διαχρώµενοι· ψυχραὶ µὲν γὰρ ἦσαν αἱ αὖραι, ὡς λέγει καὶ ῞Οµηρος,38 οὐχ ἱκαναὶ δὲ τοῖς ταχυναυτεῖν βουλοµένοις. Εἶτα γαλήνη ἐπέλαβεν, ὥστε καὶ ἡµεῖς τῇ εἰρεσίᾳ µόνῃ ἐχρώµεθα. [3,3] ῎Επειτα δὲ ἄφνω νεφέλη ἐπαναστᾶσα ἐξερράγη κατ’ εὖρον µάλιστα, καὶ ἐπήνεγκεν πνεῦµα ἐξαίσιον καὶ τοῦτο ἀκριβῶς ἐναντίον, ὅπερ καὶ µόνον ὤνησεν ἡµᾶς· κοίλην µὲν γὰρ δι’ ὀλίγου τὴν θάλατταν ἐποίησεν, ὡς µὴ κατὰ τὰς κώπας µόνον ἀλλὰ καὶ ὑπὲρ τὰς παρεξειρεσίας ἐπεισρεῖν ἡµῖν ἐκατέρωθεν ἀφθόνως τοῦ ὕδατος, [3,4] τοῦτο δὴ τὸ τραγικόν, “Καὶ τὴν µὲν ἐξαντλοῦµεν, ἣ δ’ ἐπεισέρρει”, ἀλλ’ οὐ πλάγιόν γε ἦν τὸ κλυδώνιον.39 Ταύτῃ καὶ ἠνύτοµεν µόγις καὶ χαλεπῶς τῇ εἰρεσίᾳ, καὶ µέντοι πολλὰ παθόντες ἥκοµεν εἰς τὰς Ἀθήνας.
Von dort segelten wir anfangs mit Winden, die am Morgen von den Flüssen her wehen,40 und benutzten zugleich die Ruder; denn die Winde waren zwar frisch, wie auch Homer sagt, aber nicht ausreichend, wenn man schnell fahren will. Dann setzte eine Windstille ein, so daß wir nur noch auf Ruderkraft angewiesen waren. Da erhob sich 33 Zur Provinz Cappadocia und zur Anwesenheit des Arrian in Kappadokien siehe kurz: Silberman, Arrien: Périple du Pont-Euxin, S. X–XII. 34 Siehe die Überlegungen zur Datierung bei Silberman, Arrien: Périple du Pont-Euxin, S. VII– X. Zum Periplus des Arrian vgl. weiterhin: Lesky, Geschichte, S. 947; Dihle, Die gr. und lat. Literatur, S. 252. 35 Siehe Haenchen, Acta 27, S. 240 mit Anm. 21. 36 Siehe Reiser, Caesarea, S. 59–61. 37 Vgl. die Karte im Barrington Atlas, Tafel 87 »Pontus - Phasis 1:1,000,000«; der Ort in der Nähe der Hyssos-Mündung wird dort geführt als »Psoron Limen/Hyssos . . . « (F 4). 38 Vgl. Od. V 469, dort weht eine αὔρη ψυχρή. 39 Zu κλυδώνιον als einer hier keineswegs deminutiv gemeinten Deminutivform von κλύδων s. unten zur Stelle Aristid. Or. XLVIII 13 (S. 47, Anm. 45). Vgl. auch Silberman, Arrien: Périple du Pont-Euxin, S. 3, der τὸ κλυδώνιον mit »la houle« wiedergibt; und LSJ, s.v. κλυδώνιον, S. 962: »without Dim. sense«. 40 Die Übersetzung von Reiser trifft sicher nicht das Richtige: ». . . die von den Flüssen her nach Osten wehen . . . « (Reiser, Caesarea, S. 60); ἕωθεν kann niemals nach Osten heißen!
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1 Periplus und Historiographie
plötzlich eine Wolke und riß ziemlich genau im Osten auseinander, sie schickte uns einen ungeheuren Wind, und das genau gegen die Fahrtrichtung, was allein uns noch zum Vorteil gereichte; binnen kurzem höhlte er nämlich das Meer aus, so daß uns das Wasser in Strömen von beiden Seiten in die Schiffe lief, nicht nur bei den Riemen, sondern auch über die Ausleger – wie es denn in der Tragödie heißt: »Wir schöpften aus, aber beständig floß es weiter nach« –, aber der Wogenschwall kam wenigstens nicht seitlich heran. So kamen wir kaum und nur unter Mühen durch Rudern vorwärts, gelangten aber schließlich doch, nach vielen Leiden, nach Athen.
Reiser hatte nur diesen Abschnitt, also bis § 3,4, zitiert41 und die Szene mit dem in der unmittelbar folgenden Nacht einbrechenden Unwetter unberücksichtigt gelassen; doch gerade diese Szene und die bei Arrian vorgenommene Auswertung erlauben m.E. bemerkenswerte Aufschlüsse über die den Text bestimmende Grundhaltung und Absicht (Arr. Peripl.M.Eux. 4,3–5,3): [4,3] Εἰς δὲ τὴν νύκτα βρονταί τε σκληραὶ καὶ ἀστραπαὶ κατεῖχον, καὶ πνεῦµα οὐ τὸ αὐτὸ ἔτι, ἀλλὰ εἰς νότον µεθειστήκει, καὶ δι’ ὀλίγου ἀπὸ τοῦ νότου εἰς λίβα ἄνεµον, καὶ ταῖς ναυσὶν οὐκέτι ἀσφαλὴς ὁ ὅρµος ἦν. [4,4] Πρὶν οὖν παντάπασιν ἀγριωθῆναι τὴν θάλασσαν, ὅσας µὲν αὐτὸ τὸ χωρίον αἱ Ἀθῆναι δέξασθαι ἠδύναντο, ταύτας αὐτοῦ ἐνεωλκήσαµεν, πλὴν τῆς τριήρους· αὕτη γὰρ πέτρᾳ τινὶ ὑφορµοῦσα ἀσφαλῶς ἐσάλευεν. [5,1] Τὰς δὲ πολλὰς ἐδόκει πέµπειν εἰς τοὺς αἰγιαλοὺς τοὺς πλησίον νεωλκηθησοµένας. Καὶ ἐνεωλκήθησαν ὥστε ἀπαθεῖς διαγενέσθαι πάσας πλὴν µιᾶς, ἥντινα ἐν τῷ ὁρµίζεσθαι πρὸ τοῦ καιροῦ ἐπιστρέψασαν πλαγίαν ὑπολαβὸν τὸ κῦµα ἐξήνεγκεν εἰς τὴν ἠϊόνα καὶ συνέτριψεν. [5,2] Ἀπεσώθη µέντοι πάντα, οὐ τὰ ἱστία µόνον καὶ τὰ σκεύη τὰ ναυτικὰ καὶ οἱ ἄνθρωποι, ἀλλὰ καὶ οἱ ἧλοι, καὶ ὁ κηρὸς ἀπεξύσθη, ὡς µηδενὸς ἄλλου ἢ ξύλων δεῖσθαι ναυπηγησίµων εἰς τὴν κατασκευήν, ὧν παµπόλλη, ὡς οἶσθα, ἀφθονία ἐστὶν κατὰ τὸν Πόντον. [5,3] Οὗτος ὁ χειµὼν ἐπὶ δύο ἡµέρας κατεῖχεν, καὶ ἦν ἀνάγκη µένειν. . . .
Zur Nacht hin kamen harte Donnerschläge und Blitze herab, und der Wind war nicht mehr derselbe, sondern hatte nach Süden gedreht, und nach kurzer Zeit wurde aus dem Süd- ein Südwestwind, und für die Schiffe war der Hafen nicht mehr sicher. Bevor nun die See ganz und gar aufbrauste, zogen wir, soviele Schiffe Athen vor Ort aufnehmen konnte, dort an Land, außer die Triere, die lag nämlich im Schutz eines Felsens vor Anker und schaukelte gefahrlos. Es wurde beschlossen, die meisten Schiffe zu den Stränden in der Nähe zu schicken, damit man sie dort an Land ziehe. Die wurden an Land gezogen, so daß sie alle unbeschadet blieben, bis auf eins, das sich beim Anlanden zu früh auf die Seite gedreht hatte und dann von einer Woge ergriffen, auf den Strand geworfen und zerschmettert wurde. Gleichwohl konnte alles gerettet werden, nicht nur die Segel, die nautische Ausrüstung und die Menschen, sondern sogar die Nägel, und das Pech/Wachs konnte abgeschabt werden, so daß für die Reparaturarbeiten nichts weiter nötig war als Schiffsbauholz, das es aber, wie du weißt, im Gebiet des Pontos geradezu im Überfluß gibt. Dieser Sturm hielt zwei Tage lang an und zwang uns zu bleiben. . . . 41
Reiser, Caesarea, S. 60.
1.1 Die Periplus-Literatur
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Marius Reiser stellt zu dem oben zuerst zitierten Abschnitt § 3,2–4 fest: »Mir ist kein anderer Seereisebericht aus der Antike bekannt, der Act 27 so nahe käme wie dieser Abschnitt aus dem Rechenschaftsbericht Arrians.«42 Nach meinem Eindruck jedoch dürfte das ganz und gar nicht stimmen; der Bericht hier bei Arrian ist zwar durch und durch sachlich und verzichtet weithin auf Dramatik bzw. auf den Versuch, den Leser hautnah mit dem Geschehen in Berührung zu bringen – da ist Reiser sicher recht zu geben! Trotzdem ist das Ganze an einigen Stellen literarisch recht aufgeputzt, etwa durch die Protzerei mit Bildung in § 3,2 und § 3,4. Darüber hinaus findet sich eine gewissermaßen lediglich leichte Dramatisierung nur zwischen diesen beiden mit Bildung protzenden Anspielungen bzw. Zitaten (§ 3,3), nämlich einmal beim Kampf gegen das eindringende Wasser in Verbindung mit dem ansonsten unbekannten Tragikerzitat (§ 3,4).43 Und zweitens direkt davor im Zuge der Darstellung, wie es zu dem plötzlichen Sturm kam – die im Osten erscheinende Wolke, die dann zerreißt, geht über einen rein sachlichen Bericht sicher geringfügig hinaus.44 Ansonsten ist die einem Rechenschaftsbericht angemessene Sachorientierung für den Text bestimmend. An einigen Stellen greifen Gattungskonventionen des Periplus, wenn Informationen über die jeweiligen Orte eingebunden werden, also wenn in unserem Fall etwa das griechische Heiligtum von Athen erwähnt wird (§ 4,1), oder der dortige Hafen genau auf seine Schutzeigenschaften hin analysiert wird (§ 4,2).45 Letztgenanntes nun findet sich (zumindest in diesem Maße) in Apg 27 nicht;46 dagegen aber wird dort durchaus dramatisiert, etwa indem nautische Manöver Reiser, Caesarea, S. 61. Das Überspültwerden wird auch thematisiert bei Aristid. Or. XLVIII 12.65; vgl. auch Luc. Merc.Cond. 2; Mk 4,37parr. – Der iambische Trimeter: Καὶ τὴν µὲν ἐξαντλοῦµεν, ἣ δ’ ἐπεισέρρει, ist übrigens in die Fragmentensammlung von Kannicht/Snell aufgenommen worden: TrGF II, Nr. 89 (S. 42). 44 Schon diese Zeichnung der plötzlichen Wetteränderung kann als topisch gelten; vgl. zur sonstigen Erwähnung plötzlicher Wetteränderungen, zum Teil in Vorbereitung auf einen Sturm: Charito III 3,10.18; Hist.Ap. 39; Herpyllis II 17–21.24–26; X.Eph. III 2,12; Ach.Tat. III 1,1; Hld. V 27,1f.; vielleicht auch Ninos C 11–14 (s.u.); weiterhin Luc. Nav. 7; VH I 9; II 47; und nicht zuletzt Apg 27,14. – Auch die hier zuvor erwähnte Windstille (§ 3,2) findet sich zuweilen zur Vorbereitung des Übels, vgl. etwa X.Eph. I 12,3 (das zunächst eintretende Unheil ist hier allerdings ein Piratenüberfall); Synes. ep. 4,164a–b; die eigene Gefahr einer Windstille wird hier bei Arrian aber nicht thematisiert. 45 Darauf wird dann natürlich mit der Begründung in § 4,3 wieder bezug genommen, wenn festgestellt wird, daß die Schiffe nun nach der Windänderung keinen Schutz mehr im Hafen haben. § 4,4 greift auch auf die Hafenbeschreibung in § 4,2 zurück, wo ja schon die geringe Aufnahmekapazität erwähnt wurde. 46 Lediglich wird in Apg 27,12 im Zuge der Motivierung der Abfahrt der geplante Zielort näher beschrieben als λιµὴν τῆς Κρήτης βλέπων κατὰ λίβα καὶ κατὰ χῶρον. Auffällig ist dabei, daß die Öffnungsrichtung des Hafens zur Sprache kommt, nicht aber, vor welchen Winden er Schutz bietet (auch wenn einige Ausleger den Satz so verstehen wollen), s. zum Problem unten. 42 43
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1 Periplus und Historiographie
genau erzählt werden und so der Leser gleichsam in das mühselige Treiben an Bord mit einbezogen wird (vv. 15–19.40) – davon findet sich bei Arrian nichts! Oder, indem das Fühlen und Denken der gefährdeten Reisegesellschaft thematisiert wird, ihre Befürchtungen, ihre schwindende Hoffnung und Mutlosigkeit, ihr trotzdem nicht schwächer werdender Wunsch, doch gerettet zu werden (vv. 17.20.21.29.36) – auch davon findet sich bei Arrian nichts! Gerade in diesen Punkten nimmt die Erzählung von Apg 27 zum Teil Elemente auf, die zum motivischen Inventar von Sturmfahrten in besserer und natürlich auch in trivialer Unterhaltungsliteratur gehören, wofür sich zahlreiche Belege beibringen lassen.47 Besonders eindrücklich ist m.E. für den Abstand zwischen Apg 27 und dem Bericht des Arrian die abschließende Feststellung der Rettung aller.48 Während die Rettung ans Land in Apg 27,42–44 wieder detailliert erzählt wird, und einzig und allein die Menschen im Zentrum des Interesses stehen, ordnet Arrian bei seiner Rettungsnotiz die Menschen nur an dritter Stelle ein (§ 5,2). Zuvor führt er Segel und nautische Ausrüstung an, hinterher interessiert er sich sogar noch ausführlich für Nägel und abgekratztes Pech/Wachs, um dann zur beruhigenden Feststellung zu kommen, daß nur noch Schiffsbauholz für die Reparaturarbeiten vonnöten war.49 Einem Bericht, insbesondere einem Rechenschaftsbericht, ist das durchaus angemessen; der Umstand weist aber genauso auf das deutlich andere Erzähl- oder Darstellungsinteresse und das andere motivische Inventar der Erzählung in Apg 27 hin. Gegen Reiser muß aufgrund dessen also abschließend festgestellt werden: Der aus der Feder Arrians stammende (doppelte) Sturmbericht ist gewiß nicht der antike Text, der Apg 27 am nächsten kommt! Für unsere Arbeit an der Seefahrtsmotivik von Apg 27f. hat der gezeigte Abschnitt aus dem Periplus des Arrian allerdings enorme Relevanz; aber nicht deshalb, weil er als möglichst enge Parallele zu Apg 27 zu begreifen wäre, sondern weil er – wie einige andere Texte sicher auch – Indizien zur Unterscheidung liefern kann, welche Motive besondere Aufmerksamkeit verdienen für das Erzähl- bzw. Darstellungsinteresse oder die Gattungsfrage eines Textes, und welche Motive eben diese Beachtung nicht in dem Maße verdienen, weil man ohne sie keine Sturmfahrt erzählen kann. U.a. mit diesem Text Arrians ist es also möglich, Argumentationen zu begegnen, die die Auswertung der Motivik von Apg 27 in gattungskritischer Siehe dazu die Einzelanalyse von Apg 27,1–28,6 unten. Vgl. zur ausdrücklichen Feststellung der Rettung neben Apg 27,44 etwa auch: Longus I 31,1; man stelle dagegen die parodierende Rettung der Gestrandeten bei Luc. VH II 47. 49 Arr. Peripl.M.Eux. 5,2; vgl. dazu etwa die zumeist bei Historikern zu findende Tendenz, die Menschen mit dem Material unter den (militärisch relevanten) Verlusten zu verbuchen: Selbst ein dramatisierender Historiker wie Appian, der das Leid der Menschen im Sturm überschwenglich herausstellt, hat kein Interesse an den Überlebenden (App. BC V 10 [§§ 89f.]), s. gleich im Anschluß unten. 47 48
1.2 Bemerkungen zur Historiographie
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Hinsicht mit dem Hinweis verbieten wollen, ohne diese Motive kann man erzählerisch gar nicht durch den Sturm fahren oder stranden.50 Arrian zeigt dagegen: Ohne einige – in Apg 27 sogar recht wichtige Motive – kann man das doch!
1.2 Bemerkungen zur Historiographie Zur historiographischen Literatur und ihrer Verwendung von Seesturm- und Schiffbruchsszenen ist hier nur eine kurze Bemerkung zu machen – verbunden mit zwei Beispielen. Warum das für unsere Zwecke genügt, wird sich gleich zeigen. Werden bei den Historikern Stürme erwähnt, so werden sie zu allermeist dahingehend ausgewertet, daß der Verlust von Material, meistens eben von Kriegsschiffen, und der Verlust von Menschen betont wird, den die Stürme nach sich zogen. Zuweilen wird lediglich das Faktum des Sturms angeführt; selbst wenn aber ein Sturm ausführlichere Würdigung findet, liegt der Schwerpunkt der Darstellung trotzdem auf der Betonung des militärischen Verlusts. In geradezu exemplarischer Weise läßt sich das bei dem hellenistischen Historiker Polybios zeigen, der der Richtung der pragmatischen Geschichtsschreibung zuzuordnen ist und hier das erste Beispiel abgeben soll. In seiner Darstellung des 1. Punischen Kriegs kommt Polybios auf die Rettungsaktion unter den Konsuln Marcus Aemilius Paullus und Servius Fulvius Paetinus Nobilior zu sprechen; im Frühsommer 255 konnte man die karthagische Flotte am hermäischen Vorgebirge schlagen und die in Libyen bei Aspis stehenden Truppen aufnehmen, die sich aus der zuvor erlittenen Niederlage gerettet und abgesetzt hatten. Auf der Rückfahrt aber kommt es zu einem Sturm, der den Großteil der Flotte vernichtet (Plb. I 37,1–3):51 διάραντες δὲ τὸν πόρον ἀσφαλῶς καὶ προσµίξαντες τῇ τῶν Καµαριναίων χώρᾳ τηλικούτῳ περιέπεσον χειµῶνι καὶ τηλικαύταις συµφοραῖς ὥστε µηδ’ ἂν εἰπεῖν ἀξίως δύνασθαι διὰ τὴν ὑπερβολὴν τοῦ συµβάντος. [2] τῶν γὰρ ἑξήκοντα καὶ τεττάρων πρὸς ταῖς τριακοσίαις ναυσὶν ὀγδοήκοντα µόνον συνέβη περιλειφθῆναι σκάφη, τῶν δὲ λοιπῶν τὰ µὲν ὑποβρύχια γενέσθαι, τὰ δ’ ὑπὸ τῆς ῥαχίας πρὸς ταῖς σπιλάσι καὶ τοῖς ἀκρωτηρίοις καταγνύµενα πλήρη ποιῆσαι σωµάτων τὴν παραλίαν καὶ ναυαγίων. [3] ταύτης δὲ µείζω περιπέτειαν ἐν ἑνὶ καιρῷ κατὰ θάλατταν οὐδ’ ἱστορῆσθαι συµβέβηκεν . . . So etwa unter einigen anderen auch gerade bei Reiser, Caesarea, S. 53. Siehe zu diesem Ereignis und seinem Kontext: Mommsen, Röm. Geschichte I, S. 524–526, bes. S. 526. Vgl. weiterhin zu dieser Episode in seefahrtshistorischer Hinsicht: Casson, Ancient Mariners, S. 149 (dt., S. 263f.); Schulz, Antike, S. 163. 50 51
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1 Periplus und Historiographie
Als sie die Überfahrt schon gefahrlos bewältigt und in die Nähe des Landes der Kamarinäer gelangt waren, fielen sie einem so gewaltigen Sturm und einem so großen Unglück anheim, daß man es aufgrund der Ausmaße des Geschehens gar nicht angemessen beschreiben kann. Denn von den 364 Schiffen blieben nur 80 übrig; die anderen sind teils untergegangen, teils wurden sie von der Brandung an den Klippen und Felsenküsten zerschmettert und füllten die Küste mit Körpern und Schiffstrümmern. Von einem größeren Unglück, das mit einem Mal auf dem Meer sich zutrug, berichtet die Geschichtsschreibung nichts . . .
In den folgenden Abschnitten des 37. Kapitels wertet Polybios diesen Unglückfall aus und führt ihn auf die nautische Unkenntnis52 und Unbelehrbarkeit der Römer sowie auf ihre Starrsinnigkeit zurück. In der Darstellung des Sturms selbst beschränkt sich Polybios nach einer entschuldigenden Anmerkung, das Geschehen nicht angemessen beschreiben zu können (37,1), auf die Feststellung des enormen Verlusts an Schiffen53 und an Menschen (37,2). Ein Teil der Schiffe wird an der felsigen Küste zermalmt,54 und Polybios läßt die Leichen der Schiffbrüchigen und die Schiffstrümmer die Küsten füllen, um so die Größe des Unglücks deutlich zu machen (37,2), das er abschließend in einem bewertenden Satz als wahrhaft historisches Ereignis kennzeichnet (37,3). Mehr nicht! Wenden wir uns im zweiten Beispiel einem Historiker oder – so sagen wir vielleicht besser – einem Literaten zu, der sich einer anderen Richtung der Historiographie verschrieben hat: Der im 2. Jh. lebende Appian aus Alexandria hat uns im Rahmen seiner umfänglichen Römischen Geschichte fünf Bücher über den Bürgerkrieg hinterlassen, die als historische Quelle bedeutsam, aber sicher nicht immer verläßlich sind. Der Verfasser ergänzt seine Darstellung nämlich immer wieder durch dramatische Szenen, die er in rhetorischer Manier aufputzt, um seinem Werk mehr Eindrücklichkeit und vielleicht auch Gefälligkeit zu verleihen, auch wenn sein Stil im ganzen eher anspruchslos bleibt.55 Auch bei einem Autor dieses Schlages, der sich also ganz im Gegensatz zur pragmatischen Geschichtsschreibung des Polybios nicht scheut, die Situationen zu dramatisie52 Darauf legen Casson und Höckmann Wert: Casson, Ancient Mariners, S. 149 (dt., S. 264); Höckmann, Antike Seefahrt, S. 20. 53 Nach I 37,2 seien von 364 Schiffen nur 80 übriggeblieben. Die Zahlenangabe steht in einem Mißverhältnis zu den zuvor gegebenen Informationen, daß man mit 350 Schiffen aufgebrochen sei (36,10) und beim Sieg am hermäischen Vorgebirge zusätzlich 114 karthagische Schiffe erbeutet habe (36,11). 54 Die Betonung der Gefahr der Küste, insbesondere einer Felsenküste, ist nun allerdings ein geläufiges Element von Seefahrtserzählungen und Schiffbruchsdarstellungen; vgl. beispielweise: J. BJ III 9,3 (§§ 422–424); App. BC V 10 (§§ 88–90); Plu. Dio 25,7f.; Sen. Ep. LIII 2f.; Ach.Tat. III 4,3 (und 4,6); Hld. V 17,5; Aristid. Or. XLVIII 66; Luc. VH I 6; Merc.Cond. 1f.; Synes. ep. 4,160c–161c; 164d–165a; und Apg 27,17.29. 55 Vgl. zu Appian und seiner Schriftstellerei: Lesky, Geschichte, S. 945f.; Dihle, Die gr. und lat. Literatur, S. 255f., zum Bellum civile besonders S. 256.
1.2 Bemerkungen zur Historiographie
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ren, aufzubauschen und ihnen mit allen Mitteln Lebendigkeit einzuhauchen, bleibt es dabei, daß der Schwerpunkt des Darstellungsinteresses bei einem von ihm geschilderten Sturm auf dem militärischen Verlust liegt. Wir betrachten eine Szene aus den verlustreichen Kämpfen des Octavian gegen Sextus Pompeius (38–36 v.Chr.),56 in der ein Sturm den Großteil der Flotte Octavians vernichtet (App. BC V 10 [§§ 88–90]):57 Zur Tagesmitte weht ein Südwind auf, der heftigen Seegang (κῦµα βίαιον) auslöst, so daß Octavians Schiffe wieder auf die Felsen58 und gegeneinander geworfen werden (10 [§ 88]). Menodoros ahnt eine weitere Wetterverschlechterung voraus und fährt mit seinem Schiff aufs offene Meer, fort von der gefährlichen Küste, um dort den Sturm vor Anker abzuwettern. Einige machen ihm das nach, andere nicht. Und für diese anderen beginnt nun unsägliches Leid (10 [§ 89]): τραχυτέρου δὲ τοῦ πνεύµατος γενοµένου συνεκέχυτο πάντα καὶ συνετρίβοντο αἱ νῆες, τὰς ἀγκύρας ἀπορρηγνύουσαι καὶ ἐς τὴν γῆν ἢ ἐπ’ ἀλλήλας τινασσόµεναι· βοή τε ἦν παµµιγὴς δεδιότων ὁµοῦ καὶ οἰµῳζόντων καὶ παρακελευόντων ἀλλήλοις ἐς ἀνήκοον.59 Damit wird der Leser fast an Bord versetzt,
bekommt aber jedenfalls das Durcheinander in dieser großen Gefahr unmittelbar vor Augen gestellt; in der vorliegenden Dramatisierung begegnen dem Leser also die leidenden Menschen selbst. Der Verfasser gedenkt aber nicht nur der Menschen an Bord, sondern auch der über Bord Gegangenen, die kaum eine Überlebenschance haben. Können sie nämlich den Wellen und Trümmern im Wasser entgehen und versuchen es, durch Schwimmen davonzukommen, so werden sie auf die Felsenküste geworfen.60 Die ganze Nacht über erstreckt sich der furchtbare Todeskampf, so daß die noch Lebenden schließlich alle Hoffnung 56 Siehe v.a. zu diesen Jahren des Konflikts zwischen Octavian und Sextus Pompeius Tarn/ Charlesworth, Triumvirs, S. 55–62. Vgl. zur seefahrtshistorischen Seite dieser Auseinandersetzung: Casson, Ancient Mariners, S. 184f. (dt., S. 329f.); Schulz, Antike, S. 191–193. 57 Vgl. zur Einordnung und Zusammenfassung dieses Ereignisses, das im Jahre 38 v.Chr. stattgefunden hat: Tarn/Charlesworth, Triumvirs, S. 57f. 58 Die Gefahr der Felsenküste wird über die gesamte Sturmdarstellung hin mehrfach, ja immer wieder bemüht; vgl. sonst die weiteren, oben zu Plb. I 37,2 angeführten Stellen. 59 Übersetzung: Als dann der Wind schärfer wurde, war alles ein Durcheinander, die Schiffe schlugen zusammen und wurden, weil ihre Anker abgerissen wurden, entweder aufs Land oder gegeneinander geschleudert; da herrschte Geschrei, wild durcheinander, Geschrei aus Furcht zugleich mit Klagerufen und Ermahnungen, die gegenseitig ungehört blieben. 60 App. BC V 10 (§ 89): εἰ δέ τις καὶ τάδε διαφυγὼν ἐκνήχοιτο ἐπὶ τὴν γῆν, συνηράσσοντο καὶ οἵδε ἐπὶ τὰς πέτρας ὑπὸ τοῦ κύµατος (Übersetzung: Wenn aber jemand dem zu entgehen und an Land zu schwimmen versuchte, so wurden auch diese von der Woge an den Felsen zerschmettert). – Vgl. andere Stellen zu schwimmenden Schiffbrüchigen bzw. über Bord Gegangenen: J. Vit. 3 (§ 15); Ach.Tat. III 4,6, wo man – wie hier – erfolglos schwimmt und an die Felsen geschmettert wird; X.Eph. III 2,12f.; Longus I 30,2–31,1; Apul. Met. II 14,2; Luc. Tox. 19f.; VH II 47; Merc.Cond. 2; und schließlich auch Apg 27,43f.
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1 Periplus und Historiographie
aufgeben.61 Bei Tagesanbruch läßt der Sturm nach; Appian hat jedoch – und das ist angesichts der zuvor vorgenommenen lebendigen Gestaltung des Leidens auffällig und aufschlußreich – überhaupt kein Interesse an den Überlebenden, die sich doch noch retten konnten, sondern betont nur nochmals das beispiellose Unglück des gewaltigen Sturms, der über Octavians Flotte hereingebrochen war, um den Abschnitt mit den Worten zu beenden: . . . διέφθειρε τῶν Καίσαρος νεῶν καὶ ἀνδρῶν τὸ πλέον.62 Wir sehen also, daß selbst Historiker, die lebendige Szenen gestalten und es sich gestatten, Leid und Unglück dramatisch darzustellen, letztendlich das relevante Ergebnis des Sturms auswerten wollen, also den (zumeist militärischen) Verlust; für die doch aus dem Unglück Geretteten bleiben da im besten Fall nur noch beiläufige Bemerkungen.63 Das ist ein eklatanter Unterschied zur Romanliteratur, zu einigen Stücken der biographischen Literatur und etwa auch zu Apg 27: Den doch noch – womöglich mit knapper Not – Geretteten gilt hier das volle Interesse, nicht weniger!
61 App. BC V 10 (§ 90): γενόµενον γὰρ τὸ κακὸν κρεῖσσον ἐπινοίας καὶ τὴν ἐκ τῶν παραλόγων αὐτοὺς ἐλπίδα ἀφῃρεῖτο (Übersetzung: Das Übel, das schon die Fassungskraft überstieg, be-
raubte sie sogar der Hoffnung auf Rettung durch unerwarteten Zufall). – Daß man die Hoffnung aufgibt, findet sich durchaus auch in anderen dramatisierten Sturmerzählungen; in den Romanen bei: Ach.Tat. III 2,4; Herpyllis II 35–37; siehe aber auch: Theoc. XXII 18 (οἰόµενοι θανέεσθαι von den Seeleuten); Luc. Tox. 20; Aristid. Or. XLV 33; A.Jo. (Prochoros, Zahn, S. 50, Z. 11f.); schließlich ist natürlich auf Apg 27,20 zu verweisen. 62 App. BC V 10 (§ 90); Übersetzung: . . . sie [sc. die Gewalt des Sturms (τὸ δεινόν)] vernichtete die meisten von Octavians Schiffen und Männern. 63 Diese Haltung zeigt sich auch im Rechenschaftsbericht des Arrian: Arr. Peripl.M.Eux. 5,2, wo er die Menschen nur kurz zwischen Segeln, Ausrüstung und ausführlich behandelten Nägeln und Pech/Wachs erwähnt.
2 Biographisches In diesem Kapitel werden ausgewählte biographische und autobiographische Texte behandelt. Dieser Abschnitt schließt sich direkt an die exemplarische Behandlung historiographischer Literatur an, weil die strikte Abtrennung der Biographie von der Historiographie kaum möglich ist, oder zumindest mit gewichtigen Problemen behaftet.1 Daß biographische Schriftstellerei sich jedoch durch einen anderen Skopus auszeichnet, soll damit nicht bezweifelt werden, so daß die hier vorgenommene Einteilung in zwei verschiedene Kapitel dem Rechnung trägt. Diese Einteilung hat überdies den Vorteil, daß auch solche Texte an dieser Stelle mit untergebracht werden können, die man schlechterdings nicht als genuin historiographisch klassifizieren kann, wie etwa autobiographische Zeugnisse aus den Heiligen Berichten des Aelius Aristides oder Abschnitte aus der Lebensbeschreibung des Apollonios von Tyana, die Philostrat verfaßt hat.
2.1 Die Vita des Josephus In seiner Vita berichtet Josephus von einer Romreise, auf der er Schiffbruch erlitten habe. Dieser Text enthält zwar keine eigentliche Sturmbeschreibung – es wird lediglich der Untergang des Schiffes konstatiert – aber der Abschnitt hält im Vergleich mit Apg 27 so viel Interessantes bereit, daß eine eigene Behandlung hier gerechtfertigt erscheint. Josephus wird im Jahre 63 oder 64 – er sagt selbst, daß er im Alter von 26 Jahren war – an einer Gesandtschaft nach Rom beteiligt (Vit. 3 [§ 13]), um einigen – schon unter dem Prokurator Felix2 – verhafteten Priestern zu helfen. Diese waren vom damaligen Prokurator aus geringfügigem Anlaß, der sich 1 Vgl. das neuere Votum zur Problematisierung einer solchen Trennung bei: Schepens, Verhältnis. Einschlägige Stellen zur Unterscheidung der Biographie von der Geschichtsschreibung sind beispielweise Plu. Galba 2,3 und Alex. 1,2, wo aber gerade der Umstand Beachtung verdient, daß man sich überhaupt zur Thematisierung einer solchen Unterscheidung veranlaßt sah, mithin die strikte Trennung von Biographie und Historiographie also keineswegs ausgemachte Sache war; vgl. grundsätzlich Schepens, Verhältnis, S. 355. Siehe zu dem Problem weiterhin Duff, Plutarch’s Lives, S. 14– 22. 2 Die Amtszeit des Felix endete wahrscheinlich im Jahre 59 (Frühjahr/Frühsommer), vgl. dazu besonders die ausführliche Auseinandersetzung mit dem Problem der Amtszeiten des Felix und des Festus bei Riesner, Frühzeit, S. 197–200.
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2 Biographisches
gerade bot, festgesetzt und nach Rom geschickt worden.3 Bevor Josephus nach Rom gelangen konnte, mußte er aber noch eine andere Gefahr überstehen, nämlich die Gefahr zur See; er stellt selbst fest: ἀφικόµην εἰς τὴν ῾Ρώµην πολλὰ κινδυνεύσας κατὰ θάλασσαν,4 um dann diese Gefahr in einem kurzen Absatz auszuführen (3 [§ 15]): βαπτισθέντος γὰρ ἡµῶν τοῦ πλοίου κατὰ µέσον τὸν Ἀδρίαν περὶ ἑξακοσίους τὸν ἀριθµὸν ὄντες δι’ ὅλης τῆς νυκτὸς ἐνηξάµεθα, καὶ περὶ ἀρχοµένην ἡµέραν ἐπιφανέντος ἡµῖν κατὰ θεοῦ πρόνοιαν Κυρηναϊκοῦ πλοίου φθάσαντες τοὺς ἄλλους ἐγώ τε καί τινες ἕτεροι περὶ ὀγδοήκοντα σύµπαντες ἀνελήφθηµεν εἰς τὸ πλοῖον.
Nachdem unser Schiff mitten auf der Adria untergegangen war, waren wir – und zahlenmäßig waren wir um die sechshundert – gezwungen, die ganze Nacht über zu schwimmen, und mit Beginn des nächsten Tages erschien für uns aus göttlicher Vorsehung ein Schiff aus der Kyrenaïka: Ich und einige weitere – zusammen waren wir achtzig – wurden an Bord des Schiffs genommen und kamen so den anderen zuvor.
Bemerkenswert ist zunächst die Angabe, daß das Schiff mitten in der Adria gesunken war; dies läßt sich hervorragend mit Apg 27,27 verbinden, wo Lukas erzählt, das Schiff des Paulus sei schon die vierzehnte Nacht auf der Adria getrieben (ὡς δὲ τεσσαρεσκαιδεκάτη νὺξ ἐγένετο διαφεροµένων ἡµῶν ἐν τῷ Ἀδρίᾳ . . . ). Diese Aussage hat den Auslegern immer wieder Schwierigkeiten bereitet.5 Ich verstehe die Stelle hier bei Josephus als zusätzlichen Beleg für die bei einigen Autoren zu findende Ausdehnung der Adria auf das gesamte Ionische Meer.6 Unterstellt man nämlich hier den engen Adria-Begriff, so muß man annehmen, Josephus habe im Bereich der Straße von Otranto Schiffbruch erlitten.7 Wie sollte ihn dort aber ein kyrenäisches Schiff, das auf dem Weg zur Westküste Italiens ist,8 aufgenommen haben? Man müßte dann weiter
3 Der Anlaß wird bei Josephus so bezeichnet: διὰ µικρὰν καὶ τὴν τυχοῦσαν αἰτίαν (Vit. 3 [§ 13]). Wir wissen nicht, was wirklich dahinter steckt. Handelt es sich möglicherweise doch zumindest um Kritiker an der Amtsführung des Felix? Vgl. dazu die Kommentare bei: Folker Siegert u.a., Flavius Josephus: Aus meinem Leben, S. 29, Anm. 22; Mason, Life of Josephus, S. 22, Anm. 98; und besonders Bohrmann, Rezeption, S. 224–226. 4 J. Vit. 3 (§ 14); Übersetzung: Ich kam nach Rom, nachdem ich auf dem Meer großer Gefahr ausgesetzt war. 5 S. unten z.St. 6 Vgl. dazu Treidler, Das Ionische Meer, S. 91; m.E. muß man auch die Erwähnung der Adria bei A. Petr. c. Sim. (Act. Verc.) 5 in diesem Sinne verstehen (Lipsius/Bonnet I, S. 50, Z. 26). 7 So nimmt es aber Mason, Life of Josephus, S. 24, Anm. 105, an. 8 Das geht ja aus § 16 hervor, weil dieses Schiff die 80 Geretteten in Dikaiarcheia/Puteoli abgesetzt hat.
2.2 Plutarch
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spekulieren, daß auch dieses Schiff im Sturm verschlagen wurde, ihn aber abwettern konnte. Davon steht jedoch nichts da!9 Weiterhin beachtlich ist allein schon die enorme Zahl von 600 Reisenden auf dem Schiff; es ist von daher unausweichlich, hier ein größeres alexandrinisches Getreideschiff anzunehmen, auf dem Josephus fuhr. Selbst wenn man die Zahlenangabe an dieser Stelle für weit übertrieben hält, muß man immer noch von einem mindestens 40m langen Schiff ausgehen, um so viele Menschen unterzubringen.10 Das Schiff des Paulus muß man sich wahrscheinlich ähnlich groß vorstellen, auf ihm fuhren 276 Menschen (Apg 27,37).11 Schließlich mußten Josephus und seine Mitreisenden die restliche Nacht hindurch schwimmen, um sich am Leben zu erhalten;12 am nächsten Tag konnte nur die vergleichsweise geringe Anzahl von 80 Menschen von einem glücklicherweise – Josephus führt das freilich auf göttliche πρόνοια zurück (s. die Anm. oben) – erscheinenden Schiff aufgenommen und so gerettet werden. Dieses kyrenäische Schiff bringt Josephus dann nach Dikaiarcheia/Puteoli; im folgenden kann er bei Poppaea die baldige Freilassung der jüdischen Gefangenen erwirken, so daß seine Mission erfolgreich endet (J. Vit. 3 [§ 16]).
2.2 Plutarch Aus dem umfangreichen Œuvre des Plutarch sollen hier nur zwei besonders interessante Stellen aus zweien seiner Biographien aufgenommen und kurz besprochen werden.13 Die vielfältigen metaphorischen Verwendungen von Seefahrtsmotivik bei Plutarch bleiben – wie auch sonst – ohnehin außen vor. 2.2.1 Dion In der Biographie über den Syrakusaner Dion findet sich eine für uns interessante Sturmszene. Dion macht sich 357 v.Chr. mit einer kleinen Flotte, besetzt mit 9 Auch die göttliche Vorsehung, auf die das Erscheinen dieses rettenden Schiffs zurückgeführt wird, kann man dafür nicht auswerten; vgl. zur πρόνοια/providentia bei Josephus Mason, Life of Josephus, S. 24, Anm. 107; und die Angaben bei Folker Siegert u.a., Flavius Josephus: Aus meinem Leben, S. 29, Anm. 24. 10 Siehe hierzu Rougé, Recherches, S. 69.71; vgl. Rougé, Ships, S. 78. 11 Siehe zur Größe der Getreidefrachter die Hinweise und weiteren Angaben auf S. 128f. 12 Durch Schwimmen versucht man sich (teils erfolglos) auch zu retten bei: App. BC V 10 (§ 89); Ach.Tat. III 4,6; Apul. Met. II 14,2; Luc. VH II 47; Merc.Cond. 2; Apg 27,43. Sonst nimmt man auch oft Schiffsbretter oder andere Trümmer zu Hilfe: AP VII 289,2; IX 269,1f.; Hist.Ap. 12; X.Eph. II 11,10; Ach.Tat. III 5,1; Apg 27,44. Vgl. auch die weiteren Angaben zum Schwimmen bei Mason, Life of Josephus, S. 24, Anm. 106. 13 Vgl. zu den neutestamentlichen Parallelen aus dem Werk Plutarchs Almquist, Plutarch. Bemerkenswert ist, daß Almquist überhaupt gar keine Parallelen zu den Kap. 27f. der Apostelgeschich-
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2 Biographisches
seinen Söldnern, von Griechenland nach Sizilien auf, um gemeinsam mit den Karthagern seine Rückkehr nach Syrakus zu erzwingen;14 die Reise verläuft folgendermaßen (Plu. Dio 25,3–11): ἀραιῷ δὲ καὶ µαλακῷ πνεύµατι πλεύσαντες ἡµέρας δώδεκα, τῇ τρισκαιδεκάτῃ κατὰ Πάχυνον ἦσαν, ἄκραν τῆς Σικελίας, [4] καὶ Πρῶτος µὲν ὁ κυβερνήτης κατὰ τάχος ἐκέλευσεν ἀποβαίνειν, ὡς ἂν ἀποσπασθῶσι τῆς γῆς καὶ τὴν ἄκραν ἑκόντες ἀφῶσι, πολλὰς ἡµέρας καὶ νύκτας ἐν τῷ πελάγει τριβησοµένους, ὥρᾳ θέρους νότον περιµένοντας. [5] Δίων δὲ τὴν ἐγγὺς τῶν πολεµίων ἀπόβασιν δεδιὼς καὶ τῶν πρόσω µᾶλλον ἅψασθαι βουλόµενος, παρέπλευσε τὸν Πάχυνον. [6] ἐκ δὲ τούτου τραχὺς µὲν ἀπαρκτίας ἐπιπεσὼν ἤλαυνε πολλῷ κλύδωνι τὰς ναῦς ἀπὸ τῆς Σικελίας, ἀστραπαὶ δὲ καὶ βρονταὶ φανέντος Ἀρκτούρου συµπεσοῦσαι πολὺν ἐξ οὐρανοῦ χειµῶνα καὶ ῥαγδαῖον ὄµβρον ἐξέχεαν· [7] ᾧ τῶν ναυτῶν συνταραχθέντων καὶ πλάνης γενοµένης, καθορῶσιν αἰφνίδιον ὑπὸ τοῦ κύµατος ὠθουµένας τὰς ναῦς ἐπὶ τὴν πρὸς Λιβύῃ Κέρκιναν, ᾗ µάλιστα κρηµνώδης ἀπήντα καὶ τραχεῖα προσφεροµένοις αὐτοῖς ἡ νῆσος. [8] µικρὸν οὖν δεήσαντες ἐκριφῆναι καὶ συντριβῆναι περὶ τὰς πέτρας, ἐβιάζοντο πρὸς κοντὸν παραφερόµενοι µόλις, ἕως ὁ χειµὼν ἐλώφησε καὶ πλοίῳ συντυχόντες ἔγνωσαν ἐπὶ ταῖς καλουµέναις κεφαλαῖς τῆς µεγάλης Σύρτεως ὄντες. [9] ἀθυµοῦσι δ’ αὐτοῖς πρὸς τὴν γαλήνην καὶ διαφεροµένοις αὔραν τινὰ κατέσπειρεν ἡ χώρα νότιον, οὐ πάνυ προσδεχοµένοις νότον οὐδὲ πιστεύουσι τῇ µεταβολῇ. [10] κατὰ µικρὸν δὲ ῥωννυµένου τοῦ πνεύµατος καὶ µέγεθος λαµβάνοντος, ἐκτείναντες ὅσον ἦν ἱστίων καὶ προσευξάµενοι τοῖς θεοῖς πελάγιοι πρὸς τὴν Σικελίαν ἔφευγον ἀπὸ τῆς Λιβύης, [11] καὶ θέοντες ἐλαφρῶς πεµπταῖοι κατὰ Μίνῳαν ὡρµίσαντο, πολισµάτιον ἐν τῇ Σικελίᾳ τῆς Καρχηδονίων ἐπικρατείας.
Nach zwölf Tagen Fahrt bei schwachem und sanftem Wind waren sie am dreizehnten Tag am Pachynos, dem sizilischen Kap. Da gab Protos, der Skipper, den Rat, schnell anzulanden, weil sie sonst, wenn sie sich vom Land entfernten und das Kap freiwillig liegen ließen, viele Tage und Nächte auf dem Meere herumtreiben müßten und zur Sommerzeit auf einen Südwind harren. Dion aber, der eine Landung so nahe beim Feind fürchtete und lieber weiter entfernt anlanden wollte, ließ am Pachynos vorüberfahren. Bald danach brach ein kräftiger Nordwind herein und trieb die Schiffe mit hohem Wogenschlag von Sizilien fort, Blitze und Donner fielen mit dem Aufgang des Arktur zusammen und ließen einen gewaltigen Sturm aus dem Himmel und heftigen Regenguß herab. Als die Seeleute darüber noch bestürtzt waren, und Unsicherheit herrschte, sahen sie plötzlich, daß die Schiffe von den Wellen auf die Insel Kerkina vor der libyschen Küste zugetrieben wurden, und das gerade da, wo die Insel den Heranfahrenden mit einem felsen- und klippenreichen Ufer entgegentrat. Es fehlte nur wenig, und sie wären aufgelaufen und an den Felsen zerrieben worden, da konnten sie mit aller Gewalt und unter Zuhilfenahme von Stangen kaum vorbeikommen, bis der Sturm abflaute und, als sie einem Schiff begegneten, erfuhren, daß sie sich bei den sogenannten Köpfen der großen Syrte befanden. Während sie nun in der herrschenden Windstille mutlos waren und umhertrieben, sandte ihnen das Land einen Hauch aus südlicher Richtung aus, ohne daß te bietet; wenigstens doch die oft in den Kommentaren zitierte Stelle Plu. Moralia 507A.B (De garrulitate, s.u.) hätte hier die Aufnahme verdient. 14 Vgl. zu Dion die knappen Angaben bei Kiechle, Art. Dion.
2.2 Plutarch
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sie aber einen eigentlichen Südwind erwarteten und dem Wetterumschwung vertrauten. Als aber binnen kurzer Zeit der Wind stärker wurde und regelrecht Kraft annahm, setzten sie alles, was sie an Segeln hatten, beteten zu den Göttern und entflohen mit Kurs über das offene Meer auf Sizilien zu von Libyen. Nach schneller Fahrt gingen sie am fünften Tag bei Minoa vor Anker, einer Siedlung auf Sizilien, die im Herrschaftsgebiet der Karthager lag.
Nach der Ankunft auf der Höhe von Kap Pachynos baut Plutarch ein interessantes Element ein: den Streit um die Weiterfahrt (25,4f.). Es liegt hier wieder die Figur des ungehörten Warners vor, der diesmal der κυβερνήτης ist. Der Protagonist dagegen zieht die Weiterfahrt vor und schlägt die Warnungen in den Wind. Ähnliche Konstellationen finden sich des öfteren; sie dienen sicher der erzählerischen Vorbereitung auf die schlimmen Folgeereignisse.15 Und die Folgeereignisse sind tatsächlich schlimm, schlimmer als die Warnung erwarten ließ: Man kommt in einen heftigen Sturm, dessen Beschreibung die geläufigen Elemente beinhaltet (25,6). Auffällig ist allerdings, daß die sehr oft angeführte Finsternis fehlt.16 Dieses Element hatte Lukas ja gerade in Apg 27,20 aufgenommen, aber auf anderes, wie Blitz, Donner, Regen oder Hagel verzichtet. Es folgt ein durch die Abdrift verursachtes vielfältiges Gefahrenszenario: Man wird auf eine Felsenküste zugetrieben, der man nur knapp entkommen kann (7f.);17 nach Abflauen des Sturms befindet man sich in der Nähe der großen Syrte und gerät in Mutlosigkeit, gerade auch angesichts der jetzt herrschenden Windstille, die eben ein Fortkommen unmöglich macht (8f.).18 Hier löst also, erzählerisch geschickt verbunden, in schneller Folge eine Gefahr die andere ab: Droht man zuerst durch den Sturm an der Küste zermalmt zu werden, setzt die Windstille die Schiffe jetzt der Gefahr aus, in der Syrte aufzulaufen und sich festzusetzen.19
15 Siehe etwa Charito III 5,1, wo der Held selbst auch gegen Warnungen zur Fahrt drängt, dort bleibt dieses vorbereitende Element aber erzählerisch folgenlos. Umgekehrt zeigt sich der Held auf der Seite derer, die lieber nicht weiterfahren wollen, bei Herpyllis II 2–11. Vgl. dazu schließlich natürlich auch unsere Szene in Apg 27,9ff., wo Paulus der Warner ist. 16 Siehe Charito III 3,10; Hist.Ap. 11; Herpyllis II 49f.52f.; Ach.Tat. III 1,1; 2,2; Luc. Nav. 9; Tox. 20; VH I 6. 17 Zur häufig angeführten Gefahr der Küste siehe etwa: Plb. I 37,2; J. BJ III 9,3 (§§ 422– 424); App. BC V 10 (§§ 88–90); Sen. Ep. LIII 2f.; Ach.Tat. III 4,3; Hld. V 17,5; Luc. Nav. 8f.; Merc.Cond. 1f.; Aristid. Or. XLVIII 66; Synes. ep. 4,160c–161c; 164d–165a; und auch Apg 27,29. 18 Zu den Gefahren der Windstille als das dem Sturm entgegengesetzte Übel auf See siehe beispielsweise: AP VII 293,3ff.; Charito III 3,11f.18 (Durst); oder: Hld. V 23,2f.; X.Eph. I 12,3–13,5 (Piratenüberfall). 19 Vgl. zur Gefahr der Syrten: Plb. I 39,2f.; Apg 27,17.
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2 Biographisches
Ein ganz unverhofft aufkommender und tatsächlich beständiger Südwind bringt die Rettung (9f.); dem vertraut man sich nach Gebet an (10)20 und gelangt schnell und glücklich ans Ziel (11). Marius Reiser hatte diesen Abschnitt auch als Vergleichstext zu Apg 27 angeführt und erklärt: »In der Darstellung steht seine [sc. Plutarchs] Erzählung Act 27 näher als alles, was in den Romanen zu finden ist.«21 Ja, diese Erzählung steht der Schilderung in Apg 27 in der Tat nahe, doch würde ich das nicht gegen die Parallelen zu den Romanen ausspielen. Vielmehr scheint mir, daß sich Plutarch ebenfalls, hier im historisch-biographischen Kontext, der geläufigen Erzählweise von Seenotschilderungen anschließt, wie wir sie auch in den Romanen finden. Das wird besonders deutlich an der Beschreibung des Sturms selbst (25,6) und auch an der immer wieder aufgegriffenen Gefühlslage der Menschen an Bord.22 Das paßt sehr gut zur anscheinend vorhandenen Faszination des belesenen und mit vielerlei Traditionen vertrauten Plutarch dafür, immer wieder Anekdoten und lebendige Szenen in seine Biographien einzugliedern. Inwiefern dieser Text daher nüchterner, sachlicher daherkommt,23 kann ich nicht sehen. Was unseren Abschnitt bei Plutarch von Apg 27 (und zum Teil auch von Schilderungen der Romane) unterscheidet, ist eher in dem fast völligen Fehlen einer phasenweisen Fokussierung auf den Protagonisten zu sehen. Er, also Dion, spielt nur als derjenige eine Rolle, der die Warnung des Skippers nicht beachtet und so zum Unglück maßgeblich beiträgt. In den Widerfahrnissen selbst tritt er aber weder durch eigene Initiative (wie Paulus), noch durch die besondere Hervorhebung seines Fühlens und Denkens (wie in manchen Szenen der Romane) aus der Gruppe der Reisenden heraus. 2.2.2 Caesar In seiner Caesar-Biographie überliefert Plutarch auch die berühmte Anekdote von der Bootsfahrt des Gaius Iulius Caesar auf dem zunächst epirotischen, dann illyrischen Fluß Aoos.24 Diese Tradition findet sich in der antiken Literatur in verschiedenen Fassungen,25 Caesar selbst berichtet aber in seinen eigenen Zum Gebet auf See siehe: h.Hom. 33,8–11; Hist.Ap. 39; Herpyllis II 60; Jon 1,5.14; Ps 107,28 und Apg 27,29. 21 Reiser, Caesarea, S. 54f. (Zitat S. 55). 22 Plu. Dio 25,7.9, was sich gut neben Apg 27,17.20.29.36 stellen läßt. 23 Vgl. zur von Reiser anvisierten Unterscheidung von den Romanen Reiser, Caesarea, S. 53. 24 Der Name des Flußes wird von verschiedenen Autoren unterschiedlich gegeben, neben Ἄῳος auch Αἴας oder Ἄνας; vgl. Treidler, Art. Aoos; Strauch, Art. Aoos. 25 Griechische Parallelüberlieferungen finden sich bei Appian und Cassius Dio (App. BC II 9 [§§ 57–59]; D.C. XLI 46,2–4). Vgl. zu den parallelen Überlieferungen: Aus, Stilling of the Storm, S. 57f; Strelan, Greater than Caesar, S. 174f., der auch die weniger ausführlichen lateinischen 20
2.2 Plutarch
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Werken darüber nicht. Die Situation ist wie folgt: Caesar war mit dem kleineren Teil seiner Truppen schon nach Illyrien bzw. Epirus übergesetzt, dem Heer des Pompeius nach; die Masse seiner Truppen bewegte sich derweil noch in Italien. Da ihm die Zeit nun zu knapp wurde, und er das Nachführen der übrigen Truppen beschleunigen wollte, um Pompeius bald begegnen zu können, faßte er den Entschluß, inkognito auf einem kleinen Schiff von Apollonia nach Brundisium überzusetzen. Plutarch weiß darüber folgendes zu schreiben (Plu. Caes. 38,2–6): νυκτὸς οὖν ἐσθῆτι θεράποντος ἐπικρυψάµενος ἐνέβη, καὶ καταβαλὼν ἑαυτὸν ὥς τινα τῶν παρηµεληµένων ἡσύχαζε. [3] τοῦ δ’ Ἀῴου ποταµοῦ τὴν ναῦν ὑποφέροντος εἰς τὴν θάλασσαν, τὴν µὲν ἑωθινὴν αὔραν, ἣ παρεῖχε τηνικαῦτα περὶ τὰς ἐκβολὰς γαλήνην, ἀπωθοῦσα πόρρω τὸ κῦµα, πολὺς πνεύσας πελάγιος διὰ νυκτὸς ἀπέσβεσε· [4] πρὸς δὲ τὴν πληµµύραν τῆς θαλάττης καὶ τὴν ἀντίβασιν τοῦ κλύδωνος ἀγριαίνων ὁ ποταµός, καὶ τραχὺς ἅµα καὶ κτύπῳ µεγάλῳ καὶ σκληραῖς ἀνακοπτόµενος δίναις, ἄπορος ἦν βιασθῆναι τῷ κυβερνήτῃ, καὶ µεταβαλεῖν ἐκέλευσε τοὺς ναύτας, ὡς ἀποστρέψων τὸν πλοῦν. [5] αἰσθόµενος δ’ ὁ Καῖσαρ ἀναδείκνυσιν ἑαυτόν, καὶ τοῦ κυβερνήτου λαβόµενος τῆς χειρός, ἐκπεπληγµένου πρὸς τὴν ὄψιν, “ἴθι” ἔφη “γενναῖε, τόλµα καὶ δέδιθι µηδέν· Καίσαρα φέρεις καὶ τὴν Καίσαρος Τύχην συµπλέουσαν.” [6] 〈εὐθὺς οὖν ἐπ〉ελάθοντο τοῦ χειµῶνος οἱ ναῦται, καὶ ταῖς κώπαις ἐµφύντες ἐβιάζοντο πάσῃ προθυµίᾳ τὸν ποταµόν· ὡς δ’ ἦν ἄπορα, δεξάµενος πολλὴν θάλατταν ἐν τῷ στόµατι καὶ κινδυνεύσας, συνεχώρησε µάλ’ ἄκων τῷ κυβερνήτῃ µεταβαλεῖν.
Bei Nacht nun schiffte er sich – in das Gewand eines Dieners gehüllt – ein, warf sich hin wie einer der unbedeutenden Männer und blieb ruhig. Als aber der Fluß Aoos das Schiff dem Meer zuführte, verdrängte den morgendlichen Landwind, der zu der Zeit Ruhe in der Mündung gewährte, indem er die Wogen fernhielt, ein frischer Seewind, der in der Nacht aufwehte: Als unter der Flut des Meeres und dem gegenläufigen Andrang des Wogenschwalls der Fluß wild wurde und heftig unter lautem Getöse und mit kräftigen Strudeln zurücktrat, war es dem Steuermann unmöglich, hindurchzukommen, da befahl er den Schiffern zu wenden und umzukehren. Als Caesar das merkte, gab er sich zu erkennen, faßte den Steuermann, der ganz erschrocken über den Anblick war, bei der Hand und sagte: »Wohlan, guter Mann, wage es und fürchte nichts, du fährst den Caesar als Passagier, und Caesars Tyche fährt mit!« Flugs vergaßen die Schiffer den Sturm, legten sich in die Ruder und versuchten mit allem Eifer, den Fluß zu bezwingen. Das war aber vergeblich; und als man in der Mündung schon Wasser nahm und in Gefahr geriet, gestattete er dem Steuermann, wenn auch widerwillig, wenden zu lassen.
Die Stelle ist für uns nicht eigentlich als Sturmepisode interessant,26 sondern sie verdient deshalb hier die Erwähnung, weil zum einen Caesar an Bord des Erwähnungen anführt. Die entscheidende lateinische Parallele wird gleich unten noch herangezogen werden, nämlich die im Bellum civile des Lucan. 26 Eine Sturmepisode ist es allerdings auch, denn der zunächst erwähnte kräftige Seewind (πολὺς πνεύσας πελάγιος, 38,3) erscheint in 38,6 dann als χειµών. Der Sturm findet sich auch in anderen Überlieferungen der Anekdote.
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2 Biographisches
umtosten Boots eine tröstende Ermahnung auspricht, wie es etwa Paulus mit εὐθυµεῖτε ἄνδρες (Apg 27,25, vgl. v. 22) tut, und er andererseits explizit den Anspruch erhebt, göttlicher Schutz liege um seinetwillen auf der nach äußerlichen Gesichtspunkten ja dramatisch gefährdeten Fahrt. Caesar verweist auf seine Τύχη und Paulus darauf, daß Gott ihm alle seine Mitreisenden geschenkt habe (κεχάρισταί σοι ὁ θεὸς πάντας τοὺς πλέοντας, 27,24). Der Unterschied liegt allerdings darin, daß Paulus dies unter Berufung auf eine ausdrückliche und direkt auf die vorliegende Situation bezogene Offenbarung vorbringen kann, während Caesar den vermeintlich auf ihm liegenden göttlichen Schutz in geradezu charismatischer Weise selber auch auf die Bootsfahrt im Sturm bezieht; er erhebt also selbst den Anspruch, durch göttlichen Schutz dem Sturm überlegen zu sein. Daß dieser Anspruch unberechtigt erhoben wird, zeigt das Ende der Anekdote; trotz der wirkungsvollen Ermutigung durch Caesar gelingt es den Schiffern nämlich nicht, die natürlichen Widerstände zu brechen. Kann zwar Plutarch die Episode in seine Caesar gegenüber bewundernde und verehrungsvolle Haltung einbinden, so findet sich die gleiche Tradition andernorts durchaus auch im Rahmen eines anderen Caesarbildes. So etwa bei Lucan, der eine kritische Sicht auf Caesars Selbstüberhebung zum Ausdruck bringt. Bei ihm wird daher der Anspruch, den Caesar auf den ihm zuteil werdenden göttlichen Schutz erhebt, geradezu schon als Vermessenheit dargestellt (Luc. V 580–583):27
582
. . . sola tibi causa est haec iusta timoris, uectorem non nosse tuum, quem numina numquam destituunt, de quo male tunc fortuna meretur cum post uota uenit. . . . 28
Überhaupt kann in bildhafter Rede der Anspruch, u.a. über die Wellen gebieten zu können, auch die absolute Hybris bezeichnen, so geschieht es etwa bei 2. Makk 9,8 über Antiochos IV. Epiphanes im Zuge seiner wütenden Fahrt nach Jerusalem, während der er schwer verunglückt (2. Makk 9,8):29
Vgl. auch Luc. V 593. Übersetzung: Allein dieser Grund rechtfertigt deine Furcht, | daß du deinen Passagier nicht kennst, den die Götter niemals | im Stich lassen, um den sich Fortuna dann nur schlecht verdient machte, | wenn sie nur auf sein Gebet hin kommt. 29 Eine weitere Stelle im 2. Makkabärbuch nimmt diesbezüglich ein anderes Motiv in Dienst, das sich mit dem Seewandel verbinden läßt; von Antiochos wird in 2. Makk 5,21 gesagt: . . . οἰόµενος 27 28
ἀπὸ τῆς ὑπερηφανίας τὴν µὲν γῆν πλωτὴν καὶ τὸ πέλαγος πορευτὸν θέσθαι διὰ τὸν µετεωρισµὸν τῆς καρδίας (Übersetzung: . . . er glaubte in seinem Übermut, die Erde schiffbar und das Meer
begehbar machen zu können – dadurch, daß sein Herz so erhoben war). S. zu dieser Stelle auch Collins, Rulers, S. 220.
2.2 Plutarch
43
ὁ δ’ ἄρτι δοκῶν τοῖς τῆς θαλάσσης κύµασιν ἐπιτάσσειν διὰ τὴν ὑπὲρ ἄνθρωπον ἀλαζονείαν καὶ πλάστιγγι τὰ τῶν ὀρέων οἰόµενος ὕψη στήσειν κατὰ γῆν γενόµενος ἐν φορείῳ παρεκοµίζετο φανερὰν τοῦ θεοῦ πᾶσιν τὴν δύναµιν ἐνδεικνύµενος
Derjenige, der eben noch in übermenschlichem Hochmut glaubte, über die Wogen des Meeres gebieten30 und die Höhen der Berge auf eine Waagschale legen zu können, der wurde nun, auf die Erde niedergeworfen, in einer Sänfte transportiert und zeigte so allen deutlich die Macht Gottes.
Gerade die polemischen und nur bildhaften Anwendungen zeigen, daß die Herrschaft über die natürlichen Elemente besonders verehrten Persönlichkeiten, Herrschern oder den sog. θεῖοι ἄνδρες gewöhnlich zugeschrieben wird.31 Trotz aller Widerrede, die immer wieder vorgebracht wird, läßt sich das gewiß auch mit der synoptischen Tradition von Sturmstillung und Seewandel verbinden (Mk 4,35ff.parr; Mk 6,45ff.parr).32 Soweit läßt es Lukas natürlich nicht kommen: Zwar betont er den göttlichen Schutz, der Paulus gewährt wird (27,24), schreibt ihm aber keinerlei eigenen Anspruch darauf oder gar direkt entsprechende Macht zu. Er ist – wohl um seines Auftrags willen – allerdings die Person, von der damit die Rettung aller abhängt (s. auch v. 43). In der Plutarch-Darstellung kann man nun auch das Motiv des zunächst unerkannt an Bord weilenden Retters erkennen, wenn man so will;33 auf Paulus ist das aber nur mit Einschränkungen anzuwenden, weil er sich mehr oder weniger von Anfang an ins Geschehen einmischt (Apg 27,9ff.), Rückzugsmotive sind dagegen nicht zu erkennen.
30
Vgl. zum Hintergrund der hier entscheidenden Formulierung: τοῖς τῆς θαλάσσης κύµασιν
ἐπιτάσσειν, Schwartz, 2 Maccabees, S. 357.
31 Vgl. etwa die plastische Szene in Philostrats Apollonios-Vita, wo so viele Menschen mit Apollonios mitfahren wollen, daß man sich ein anderes Schiff suchen muß: Philostr. VA IV 13 (69); hier findet sich ausdrücklich eine Zuschreibung der Sturmüberlegenheit an Apollonios von außen, die aber von ihm akzeptiert wird. 32 Jesus gebietet dem Meer in Mk 4,39 ja vollmächtig: σιώπα, πεφίµωσο. Vgl. etwa: Bieler, Θεῖος ἀνήρ I, S. 103f.; Betz, Lukian, S. 166f.172. Zum in den letzten Jahrzehnten heiß diskutierten θεῖος ἀνήρ-Problem vgl. meine Bemerkung unten, S. 178f. Die Caesar-Anekdote überhaupt zur bewußt herangezogenen Negativfolie für die synoptische Sturmstillungstradition zu erheben, geht jedoch viel zu weit – so etwa der auch unzureichend durchgeführte Versuch bei Aus, Stilling of the Storm, S. 56–71, vgl. auch S. 85. Sinnvoll ist es dagegen, die Parallelen und den gemeinsamen Hintergrund herauszustellen sowie dann die Möglichkeit eines kontrastierenden Bezugs auf Leserebene zu erweisen, wie Strelan, Greater than Caesar, s. dazu bes. S. 170.179, vorschlägt. 33 38,3.5; vgl. dazu etwa Jon 1,5b; Mk 4,38parr; pBerakh IX 13b (s. Horowitz, S. 223; auch bei Bill. I, S. 452).
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2 Biographisches
2.3 Die ἱεροὶ λόγοι des Aelius Aristides P. Aelius Aristides, ein Mann aus einer angesehenen kleinasiatischen Familie, gehört ohne Zweifel zur absoluten Spitze der attizistischen Rhetorik des 2. Jh.;34 er lebte von ca. 117 bis ca. 180/181.35 In seinem Stil knüpft er an Demosthenes an, wobei er es zu solcher Meisterschaft brachte, daß Teile seines Werks selbst schon als klassisch wahrgenommen wurden.36 Eine Sonderstellung in seinem Œuvre nehmen die sechs ἱεροὶ λόγοι (Or. XLVII–LII) ein, in denen er, wohl schon gegen Ende seines eigenen Lebens, über den Weg mit seiner Krankheit berichtet. Sie sind ein außergewöhnliches und hochinteressantes Zeugnis der Religionsgeschichte, weil sie wie kaum ein anderes Dokument der Kaiserzeit ein Bild über tatsächlich persönliche Religiosität vermitteln. Im vorliegenden Fall handelt es sich um die besondere Bindung eines Gebildeten an seinen Heilgott Asklepios, den er in ganz herausragender Weise als seinen persönlichen Retter (σωτήρ !) begreift. Zweifelsohne litt Aristides tatsächlich unter seiner Krankheit, seine Heiligen Berichte konfrontieren uns aber auch geradezu mit einem Musterbeispiel eines Hypochonders. Sein Fanatismus, den ihm im Traum vom Gott auferlegten »phantastischen pferdecuren« – wie Wilamowitz sie zu charakterisieren vorschlug37 – auch wirklich zu folgen (zum Teil gegen den Rat der Ärzte), verbunden mit einer ganz erstaunlichen Eitelkeit und Egozentrik, die dem Leser auch die geringste Wendung seiner Krankengeschichte zumuten zu dürfen glaubt, lassen dieses Zeugnis zu
34 Zur Beurteilung seines Stils vgl. die kurzen Bemerkungen bei: von WilamowitzMoellendorff, Rhetor, S. 348f.; Lesky, Geschichte, S. 934f.; Dihle, Die gr. und lat. Literatur, S. 244. 35 Der große Wert der umfangreichen Arbeit über Aelius Aristides durch Charles Allison Behr liegt in erheblichen Fortschritten im Bereich der Chronologie; s. überblicksweise den kurzen Lebenslauf in Behr, Complete Works I, S. 1–4; ausführlicher in: Behr, Sacred Tales, S. 1–3 mit Anm. 2.S. 114 mit Anm. 80 (hier plädierte er noch für das Geburtsjahr 118); Behr, Studies on the Biography, S. 1141–1151 (zum Geburtsdatum). Vgl. weiterhin zu seiner Lebenszeit die kurzen Bemerkungen bei: Schröder, Heilige Berichte, S. 9f.; Lesky, Geschichte, S. 934; Dihle, Die gr. und lat. Literatur, S. 242; Gärtner, Art. Aristeides. 3, Sp. 558. 36 Vgl. zu Aristides überhaupt den lesenswerten Beitrag: von Wilamowitz-Moellendorff, Rhetor, in seiner Gesamtheit. 37 Er bespricht die berühmte Kur des Apellas aus Epidauros (IG IV2 1, Nr. 126 [S. 80] = SIG3 III, Nr. 1170 [S. 327–330]) und erklärt: »Die mittel, die der gott verordnet, sind weit entfernt von den phantastischen pferdecuren, die Aristides aushält. . . . im ganzen stimmt Apellas, wie mich dünkt, die abenteuerlichen vorstellungen von den Asklepioscuren, die man aus der lectüre des Aristides gewinnt, auf ein menschliches maß herab« (von Wilamowitz-Moellendorff, Isyllos, S. 121f.).
2.3 Die ἱεροὶ λόγοι des Aelius Aristides
45
einer ganz eigentümlichen Lektüre werden.38 Diese Eigenarten haben seinen autobiographischen Darlegungen zumeist kritische Urteile eingebracht.39 In der neutestamentlichen Wissenschaft ist das Werk des Aelius Aristides bisher nicht ausreichend gewürdigt worden, obwohl Pieter W. van der Horst dafür schon die Grundlage gelegt hatte, indem er mit neutestamentlichen Texten zu vergleichendes Material erhoben und aufgelistet hat.40 Die autobiographischen Zeugnisse in den Heiligen Berichten enthalten nun auch einige Seereiseszenen, die für uns im Vergleich mit Apg 27 von Interesse sind.41 Entbehren sie zwar in einigen Punkten nicht des rhetorischen Aufputzes, so sind sie doch im großen und ganzen recht schlicht gehalten und zeigen, wie so viele andere Einzelzüge der 38 Vgl. zum Verhältnis des Aristides zu seinem Heilgott die einführende Bemerkung bei Festugière, Personal Religion, S. 86. 39 Zum Beispiel: »Diese Aufzeichnungen bedeuten uns als Zeugnis des persönlichen Verhältnisses viel, in dem ein Hochgebildeter des 2. Jahrhunderts zu einem Gotte stand, doch ist des Aristides Eitelkeit, seine Hypochondrie und eine an epidaurischen Wunderglauben grenzende Primitivität alles eher als erfreulich« (Lesky, Geschichte, S. 935). Vgl. darüber hinaus das Urteil aus der Feder Nordens, bei Aristides und seinen großen Reden sei nicht mehr als »gesinnungstüchtige Langeweile« zu erkennen (Norden, Ant. Kunstprosa, S. 401); von dieser »Langeweile« will Festugière die Heiligen Berichte als bewegendes persönliches Zeugnis allerdings ausnehmen: Festugière, Personal Religion, S. 85–87. 40 van der Horst, Aelius Aristides. 41 Darauf hatte auch schon Reiser hingewiesen, mit dessen Beurteilung der Texte des Aristides wir uns im folgenden noch auseinanderzusetzen haben: Reiser, Caesarea, S. 55–59. Ergänzend sei hier noch bemerkt, daß sich auch in den Prosahymnen des Aristides Material finden läßt; verwiesen werden muß dazu auf eine Stelle, die etwa auch bei Theissen, Urchristliche Wundergeschichten, S. 109, angeführt wird, nämlich auf den Dank an Sarapis für eine Rettung aus Seenot (Or. XLV 33f.):
. . . , ὦ κοινὸν ἅπασιν ἀνθρώποις φῶς, ἡµῖν τε δὴ πρώην περιφανῶς γενόµενος, ὅτε ἐπιρρεούσης τῆς θαλάττης καὶ πολλῆς πάντοθεν αἰροµένης καὶ οὐδενὸς ὁρωµένου πλὴν τοῦ µέλλοντος καὶ σχεδὸν ἤδη παρόντος ὀλέθρου χεῖρα ἀντάρας οὐρανόν τε κεκρυµµένον ἐξέφηνας καὶ γῆν ἔδωκας ἰδεῖν καὶ προσορµίσασθαι, τοσοῦτον παρ’ ἐλπίδα ὥστ’ οὐδ’ ἐπιβᾶσι πίστις ἦν. | τούτων τε δή σοι πολλὴ χάρις, ὦ πολυτίµητε, . . . . . . , o du allgemeines Licht aller Menschen, der du uns kürzlich wieder offenbar geworden bist, als du, während das Meer auf uns losstürzte und sich von allen Seiten gewaltig auftürmte, und nichts zu sehen war als das bevorstehende und nahezu schon über uns gekommene Verderben, mit zur Gegenwehr erhobener Hand den verdeckten Himmel freimachtest und uns Land sehen und im Hafen anlanden ließest, so sehr wider alles Erwarten, daß wir nicht einmal, nachdem wir schon an Land gegangen waren, daran glaubten. Dafür statte ich dir großen Dank ab, o du Vielgeehrter, . . . Besonders auffällig ist hier die Schilderung des aufwallenden Meeres (s. zum sonst gebräuchlichen Wellengebirge und zum Kampf der Wogen: Ach.Tat. III 2,2–8; Herpyllis II 42; Hist.Ap. 11; Luc. Tox. 20; Ps 107,26 [106,26 LXX]; Synes. ep. 4,162a.164b) sowie die außerordentlich starke Betonung der schon aufgebenen Hoffnung auf Rettung (vgl. dazu: Theoc. XXII 18; App. BC V 10 [§ 90]; Ach.Tat. III 2,4; Herpyllis II 35–37; Luc. Tox. 20; A.Jo. [Prochoros, Zahn, S. 50, Z. 11f.]; Apg 27,20). Vgl. zur zitierten Passage auch den Kommentar bei Höfler, Sarapishymnus, S. 112f.
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2 Biographisches
ἱεροὶ λόγοι, auch ihrerseits die Eitelkeit und Schrulligkeit unseres begnadeten
Rhetors. Am Beginn des zweiten Buchs seiner Heiligen Berichte blickt Aristides kurz auf seine von Krankheit gezeichnete Romreise, die er im Jahre 144 n.Chr. angetreten hat (Aristid. Or. XLVIII 5): ἐπειδὴ γὰρ ἐκοµίσθην ἀπὸ τῆς ᾽Ιταλίας, πολλὰ καὶ παντοῖα συνειλοχὼς τῷ σώµατι ἀπὸ τῶν συνεχῶν καµάτων42 τε καὶ χειµώνων, οἷς ἐχρησάµην ἀπιὼν διὰ Θρκης καὶ Μακεδονίας, ἔτι κάµνων ἐξελθὼν οἴκοθεν, ἦν τοῖς ἰατροῖς ἀπορία πολλὴ µὴ ὅτι ὠφελεῖν οὐκ ἔχουσιν, ἀλλ’ οὐδὲ γνωρίσαι ὅ τι εἴη τὸ σύµπαν.
Als ich aus Italien [nach Hause] gebracht wurde – und ich hatte mir allerlei heftige körperliche Leiden zugezogen durch die fortwährenden Krankheitsschmerzen und die Stürme, die ich auf dem Weg durch Thrakien und Makedonien zu erdulden hatte, denn schon krank war ich ja von zu Hause abgereist –, da herrschte große Ratlosigkeit auf seiten der Ärzte, und das nicht so sehr, weil sie nicht helfen, sondern weil sie nicht einmal meinen ganzen Zustand diagnostizieren konnten.
Weist er hier zwar schon auf die Stürme hin, die ihn auf der Hinreise bedrängt hatten – dabei handelte es sich wohlgemerkt um Sturmwetter zu Land –, so haben wir es doch noch nicht mit einer eigentlichen Beschreibung der Erlebnisse auf dieser Reise zu tun. Seine Romreise wird Aristides dann in Or. XLVIII 60ff. und die Rückreise in XLVIII 65ff. ausführlicher darstellen. Interessanter ist da schon der Bericht über die Geschehnisse auf der Fahrt nach Phokaia und über die folgenden Ereignisse im Hafen dieser Stadt, die wohl auf Anfang November 148 n.Chr. zu datieren sind43 (Aristid. Or. XLVIII 12–14): Für καµάτων hat Haury die Konjektur κυµάτων aufgebracht (Haury, Quibus fontibus, S. 34); in der Tat verwundert die eigenartige Zusammenstellung von κάµατοι und χειµῶνες zunächst, so daß Haury erklärt: »Neminem puto posse dicere ἀπὸ τῶν καµάτων τε καὶ χειµώνων.« Er übersieht dabei jedoch, daß sich Aristides mit dem folgenden Relativsatz auf die Ereignisse auf seiner Reise nach Rom bezieht (genau die Etappe auf der Via Egnatia durch Thrakien und Makedonien), die er in Or. XLVIII 60–62 beschreibt und dort von ὑετοὶ πάγοι κρύσταλλοι ἄνεµοι πάντες (XLVIII 61) spricht, und eben nicht auf die mit schlimmen Erlebnissen zur See einhergehende Rückreise (Or. XLVIII 64–68); Haurys Verweis auf die Stelle Or. XLVIII 65 führt also in die Irre (s. zu dieser Stelle unten, S. 53ff.). – Vgl. auch die Übersetzungen des Abschnitts bei: Behr, Sacred Tales, S. 224; Behr, Complete Works II, S. 292f.; Festugière, Personal Religion, S. 89f.; Schröder, Heilige Berichte, S. 42; sie folgen allesamt nicht dem Vorschlag Haurys. 43 Behr hatte diese Ereignisse zunächst auf den 27. Januar 149 datiert, s. Behr, Sacred Tales, S. 225, vgl. a.a.O., S. 69f.; Behr, Complete Works II, S. 294. Später votiert er dann für den 27. Oktober 148 (Behr, Studies on the Biography, S. 1147f. mit Anm. 20); dabei schließt er sich teilweise der Argumentation von Salvatore Nicosia an, s. Nicosia, Pecore. Das entscheidende Problem für die genaue Datierung im Rahmen des Winters 148/149 stellt eine Stelle in Aristid. Or. XLVIII 16 dar, die der Überlieferung nach lautet: σχεδὸν γὰρ ἦν τετρὰς ἐπὶ δέκα τοῦ δευτέρου µηνὸς, ὡς νοµίζοµεν οἱ ταύτῃ. Behr hatte sich bei seiner früheren Datierung der Keilschen Konjektur Δύστρου für δευτέρου (Keil, Aelius Aristides II, S. 398, zu Z. 14) angeschlossen (vgl. zu seinen früheren Verbesserungsvorschlägen, von denen er inzwischen abgerückt ist: Behr, 42
2.3 Die ἱεροὶ λόγοι des Aelius Aristides
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. . . ὡς δ’ ἐγενόµεθα ἐν Κλαζοµεναῖς, ἐδόκει χρῆναι περαιώσασθαι εὐθὺ Φωκαίας. καὶ ἐπειδὴ ἦµεν περὶ τὰς νήσους Δρυµοῦσσαν καὶ Πήλην, αὔρα τις εὔρου ὑπήρχετο καὶ περαιτέρω προϊόντων εὖρος ἤδη λαµπρὸς, καὶ τέλος ἐξερράγη πνεῦµα ἐξαίσιον. καὶ τὸ πλοῖον ἐκ πρῴρας ἀρθὲν ἐπὶ πρύµναν ὤκλασε καὶ µικροῦ κατέδυ· ἔπειτα ἐπεκλύζετο ἔνθεν καὶ ἔνθεν· ἔπειτα ἀπεστράφη ἔξω πρὸς τὸ πέλαγος. ἱδρὼς δὲ καὶ θόρυβος ναυτῶν καὶ βοαὶ πᾶσαι τῶν ἐµπλεόντων – συνέπλεον γὰρ δὴ καὶ τῶν ἐπιτηδείων τινές –, ἐµοὶ δὲ τοσοῦτον ἤρκεσεν εἰπεῖν· “ὦ Ἀσκληπιέ.” πολλὰ δὲ καὶ παντοῖα κινδυνεύσαντες καὶ τέλος περὶ αὐτὴν τὴν καταγωγὴν µυριάκις ἀποτραπέντες 44 καὶ ἀπωσθέντες καὶ πολλὴν ἀγωνίαν τοῖς ὁρῶσι παρασχόντες διεσώθηµεν ἀγαπητῶς καὶ µόλις. [13] ἐπεὶ δὲ νὺξ ἧκεν, τήν τε κάθαρσιν ὁ θεὸς κελεύει ποιεῖσθαι, σηµήνας ἀφ’ ὧν – καὶ ἐγένετο µέντοι οὐδὲν ἐλάττων ἢ ὑπὸ ἐλλεβόρου, ὡς ἔφασκον οἱ τούτου ἔµπειροι, ἅτε καὶ ὑπὸ τοῦ κλυδωνίου45 πάντων κεκινηµένων –, καὶ φράζει δὴ τὸ πᾶν, ὡς εἱµαρµένον τε εἴη ναυαγῆσαί µοι, καὶ τούτου ἄρα ἕνεκα καὶ ταῦτα συµβαίη καὶ νῦν ἔτι δέοι ὑπὲρ ἀσφαλείας καὶ τοῦ παντάπασιν ἐκπλῆσαι τὸ χρεὼν ἐµβάντα εἰς λέµβον ἐν τῷ λιµένι οὕτω ποιῆσαι· ὡς τὸν µὲν λέµβον ἀνατραπῆναι καὶ καταδῦναι, αὐτὸν δὲ ἐξάραντός τινος ἐξενεχθῆναι πρὸς τὴν γῆν· ἐν γὰρ τούτῳ τελεῖσθαι τὰ ἀναγκαῖα. ἐποιοῦµεν ταῦτα ἄσµενοι δηλονότι. [14] καὶ πᾶσι δὴ θαυµαστὸν ἐδόκει Sacred Tales, S. 70, Anm. 40 u. S. 225, Anm. 21; Behr, Complete Works II, S. 467; Behr, Studies on the Biography, S. 1148, Anm. 24). Nicosia hatte sich u.a. mit einer Argumentation über das in § 16 vorkommende gerade erst lammende Schaf für die Tradition ausgesprochen (Nicosia, Pecore, S. 408–410). Dem folgt Behr, hält jedoch an seiner Deutung fest, daß das präzise Datum mit dem auf einen Vierten fallenden Geburtstag des Aristides zusammenhänge, er schlägt daher jetzt vor: . . . τετρὰς Ἀπελλαίου τοῦ δευτέρου µηνός . . . (Behr, Studies on the Biography, S. 1147f. mit Anm. 20). Diese Überlegung scheint mir jedoch keine Konjektur zu rechtfertigen, die nur der Beseitigung des mißliebigen ἐπὶ δέκα dient; daher sollte man mit Nicosia auf Anfang November datieren, näherhin den 6. November 148 (Nicosia, Pecore, S. 410f.). 44 Siehe zum hier gelesenen ἀποτραπέντες anstelle des überlieferten ἀνατραπέντες die entsprechende Passage unten: S. 50f. mit Anm. 58ff. 45 Die hier verwendete Deminutivform ist bemerkenswert, weil natürlich gerade kein »Wögchen« oder »Wellchen« gemeint ist, sondern ganz im Gegenteil nicht weniger als ein gewaltiges Gewoge, wie sowohl aus der vorangehenden Passage, als auch dem aktuellen Textzusammenhang selbst ersichtlich ist. Zu Belegen für κλυδώνιον sind heranzuziehen: Schmid, Atticismus II, S. 199; Schmid, Atticismus III, S. 206. Daraus ergibt sich folgendes: Aristides benutzt κλυδώνιον noch an den Stellen Or. XXVII 16 (metaphorisch), XLVIII 56 (κλυδώνιον ἐν τῷ στήθει – Gewoge in der Brust als Krankheitsphänomen) und XLIX 20 (ἐν κλυδωνίῳ καὶ σάλῳ – im Gewoge und Meerestoben, auch hier in der Zustandsbeschreibung des Kranken). Auch Arrian benutzt κλυδώνιον an einer Stelle in nicht deminutivem Sinne (Arr. Peripl.M.Eux. 3,4 [s. zu dieser Stelle oben, S. 27, Anm. 39]). Die einzige klassische Prosastelle findet sich bei Thukydides (Th. II 84,3: ἐν κλυδωνίῳ, so die Codices; Jones allerdings folgt Photios und Suidas mit ἐν κλύδωνι [Z. 17 mit App.]). Bei Aischylos lassen sich zwei sichere Stellen nennen, die für den Gebrauch bei Aristides und Arrian als Vorbild gedient haben könnten: A. Th. 795f. (metaphorisch von der nicht leckgeschlagenen Stadt: κλυδωνίου | πολλαῖσι πληγαῖς ἄντλον οὐκ ἐδέξατο); Ch. 183f. (übertragen vom Wogenschlag des Zorns: κἀµοὶ προσέστη καρδίᾳ κλυδώνιον | χολῆς). Vgl. noch bei Euripides: E. Hec. 48; Hel. 1209. Möglicherweise haben die beiden Attizisten Aristides und Arrian diese Ausdrucksweise als spezifisch attisch empfunden. – Dankenswerterweise hat mich Stephan Schröder auf dieses sprachliche Phänomen aufmerksam gemacht.
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2 Biographisches
τὸ σόφισµα τῆς ναυαγίας ἐπ’ ἀληθινῷ τῷ κινδύνῳ γενόµενον. οὗ δὴ καὶ ἔγνωµεν ὅτι κἀκ τοῦ πελάγους ἄρα αὐτὸς ὁ σεσωκὼς ἦν . . .
. . . Als wir in Klazomenai angelangt waren, schien es uns aufgrund eines Traumgesichts notwendig,46 geradewegs nach Phokaia hinüberzufahren. Als wir bei den Inseln Drymussa und Pele waren, kam ein leichter Südostwind auf, als wir weiter vorgedrungen waren, war es schon ein kräftiger Südost, und schließlich brach ein ungeheurer Sturm los. Das Schiff wurde am Bug emporgehoben und ging am Heck nieder; es fehlte nicht viel, und es wäre gesunken. Dann wurde es von Wogen überspült, bald von dieser, bald von jener Seite; anschließend wurde es hinaus aufs Meer getrieben. Da waren Schweiß und Aufregung der Seeleute, die Schreie der Mitreisenden – denn es fuhren auch einige von meinen Gefährten mit –, mir aber genügte es vollkommen zu rufen: »O Asklepios!« Nachdem wir viele verschiedene Gefahren durchstanden hatten, am Ende sogar noch bei der Landestelle unzählige Male zum Abdrehen gezwungen und wieder zurückgeworfen worden waren und dabei die Zuschauer in gewaltige Ängste versetzt hatten, kamen wir nur so mit knapper Not davon. Als die Nacht herankam, befahl der Gott, die Reinigung auch durchzuführen, wobei er auch angab, mit welchen Mitteln – und das geschah dann auch keineswegs weniger wirkungsvoll als unter dem Einfluß von Nieswurz, wie die damit Erfahrenen sagten, denn alles war ja schon von dem mächtigen Gewoge47 aufgewühlt –, und überhaupt zeigte er mir den ganzen Zusammenhang auf, daß es mir vom Schicksal bestimmt sei, Schiffbruch zu erleiden, und daß genau deswegen die Sache geschehen sei; und jetzt sei es nötig, sicherheitshalber das, was geschehen müsse, ganz und gar zu erfüllen, und ich sollte, nachdem ich ein kleines Boot im Hafen bestiegen hätte, es so einrichten, daß der Kahn kentere und untergehe, ich aber von irgendjemandem herausgezogen und an Land gebracht würde; damit werde das Notwendige erfüllt. Wir führten das natürlich mit Freuden aus. Allen erschien tatsächlich der schlaue Kunstgriff mit dem Schiffbruch nach der überstandenen wirklichen Gefahr bewunderungswürdig. Daraus erkannten wir dann auch, daß wirklich er selbst es war, der uns auf See zum Retter geworden war . . .
Zu diesem Abschnitt ist eine Vorbemerkung zu machen, weil die Seefahrt von Klazomenai nach Phokaia als Etappe zu einer Reise mit einer recht merkwürdigen Route gehört. Aristides bricht nämlich von Pergamon auf, weil er von Asklepios nach Chios geschickt wird (§ 11);48 offenbar reist er zu diesem Zweck auf dem Landweg über Smyrna nach Klazomenai (§ 12). Wenn er sich dann von dort per Schiff nach Phokaia wendet, das wiederum nördlich von Klazomenai auf der anderen Seite der Bucht von Smyrna liegt, kann man zunächst den Eindruck von einer sinnlosen Fahrt im Kreise gewinnen.49 Diese Route ist aber bei näherer Betrachtung keineswegs unerklärlich. Aristides hatte doch sicher ursprünglich vor, von Klazomenai auf dem Landweg weiter nach Erythrai zu Zur Rechtfertigung dieser Übersetzung s. unten (S. 49). Zu dem hier geradezu im Sinne einer Steigerung übersetzten Deminutiv s. oben (S. 47, Anm. 45). 48 Aristid. Or. XLVIII 11: ἔπεµψέ µε εἰς Χίον (Übersetzung: Er schickte mich nach Chios). 49 Behr, Complete Works II, S. 429, notiert entsprechend: »This is a circuitous route.« 46 47
2.3 Die ἱεροὶ λόγοι des Aelius Aristides
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reisen, um von dort die kurze Schiffspassage nach Chios zu nutzen.50 Also muß man sicher mit einer Planänderung rechnen, die eben in Klazomenai erfolgt ist; Aristides drückt das mit dem Satz aus: ὡς δ’ ἐγενόµεθα ἐν Κλαζοµεναῖς, ἐδόκει χρῆναι περαιώσασθαι εὐθὺ Φωκαίας.51 Die plausibelste Erklärung dafür ist die Annahme einer erneuten Anweisung des Gottes, die Aristides im Traum erhalten haben muß; das wird deutlich, wenn man das hier verwendete ἐδόκει als terminus technicus der Traumerscheinung versteht.52 Dagegen läßt sich weder einwenden, daß nach § 13 das Schicksal (die εἱµαρµένη) bei Aristides auf einen Schiffbruch hindränge (εἱµαρµένον τε εἴη ναυαγῆσαί µοι) und ihn so auf ungesagte Weise zur Seefahrt veranlaßt habe, denn Asklepios sorgt ja gerade für eine – allerdings für Aristides die bestmögliche – Erfüllung des Schicksals,53 noch, daß die Veranlassung für die Überfahrt am Ende von § 14 verschwiegen wird; letzteres ist einfach damit zu erklären, daß aus Perspektive unseres Autors im Überschwang der Begeisterung für die allumfassende Fürsorge des Gottes das als Nebensächlichkeit erscheinen muß. So können wir nun aber zur oben gebotenen Beschreibung der Überfahrt von Klazomenai nach Phokaia kommen; Aristides beginnt mit dem Bericht über die Sturmfahrt in der Phase, als man die beiden Inseln im smyrnäischen Golf namens Drymussa und Pele passiert: Dabei sei der Südostwind langsam stärker geworden und habe sich zum Sturm ausgeweitet.54 Mit wenigen Bemerkungen 50 So die richtige Überlegung etwa bei: Behr, Sacred Tales, S. 70; Nicosia, Elio Aristide: Discorsi sacri, S. 225f. (Anm. 20). 51 Aristid. Or. XLVIII 12; Übersetzung s. oben. 52 Dafür kann man etwa bei Aristides auf Or. XLVIII 30 (bis) verweisen, wo der Traum des νεωκόρος Philadelphos geschildert wird (ἐδόκει ὁ µὲν Φιλάδελφος bzw. ταῦτα µὲν ὁ Φιλάδελφος ἐδόκει); weiterhin ist Or. L 1 anzuführen, wo Aristides über die Worte, die ihm in einer Erscheinung, durch ein φάσµα zuteil geworden seien, sagt: ἐδόκει γεγράφθαι. Aus der attischen Literatur weist in die gleiche Richtung Men. Dysc. 412, wo der Sklave Getas auf einen Traum der Herrin zu sprechen kommt und den Gegenstand des Gesichts angibt mit: ἐδόκει τὸν Πᾶνα. Daß das auch umgekehrt mit dem Gesehenen als Subjekt funktioniert, zeigen Stellen wie A. Pers. 181 (ἐδοξάτην µοι δύο γυναῖκ’ εὐείµονε . . . εἰς ὄψιν µολεῖν [vv. 181–183]); vgl. auch LSJ, s.v. δοκέω I 1.a, S. 442. Siehe schließlich auch Stephens, The Religious Experience, S. 174, der auf δοκεῖν als regelmäßigen Terminus zur Einleitung von Träumen bei Aristides hinweist. – Die Hinweise auf diese Verständismöglichkeit und auch auf die erwähnte Menander-Stelle verdanke ich Stephan Schröder. 53 Dabei ist auch zu bedenken – und das stützt die These zusätzlich –, daß beide im folgenden geschilderten Ereignisse (Sturmfahrt nach Phokaia, Versenkung des Nachens) direkt im Zusammenhang mit einer rein körperlichen Zuwendung des Gottes stehen; insgesamt wird hierdurch nämlich die Reinigung bewirkt: vgl. § 11 (καθάρσεως ἕνεκα); § 13 (τήν τε κάθαρσιν ὀ θεὸς κελεύει ποιεῖσθαι); § 14 (ἐπιθήκη δὲ τῆς εὐεργεσίας ἡ κάθαρσις). 54 Es ist durchaus bemerkenswert, daß hier die langsame Zunahme des Windes beschrieben wird, weil ansonsten in Seesturmerzählungen der Sturm eher plötzlich hereinzubrechen pflegt: Charito III 3,10.18; Herpyllis II 17–21.24–26; X.Eph. III 2,12; Ach.Tat. III 1,1; Hld. V 27,1f. und event. auch Ninos C 11–14 (s. dort); Luc. VH I 9; Apg 27,14f.; vgl. dagegen aber auch die Verlaufsform bei Luc. VH I 6 (ἐπεδίδου).
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2 Biographisches
zeichnet er das Leiden an Bord des Schiffs, die über Deck gehenden Brecher,55 das Stampfen des Schiffs und die Reaktionen auf seiten der Besatzung und der Passagiere.56 Bemerkenswert ist natürlich hier, daß Aristides ausdrücklich hervorhebt, ihm habe die Anrufung des Asklepios genügt.57 Sein unbedingtes Vertrauen auf diesen seinen Retter zeigt sich auch darin, daß er von dieser Anrufung gleich zum Schluß dieser Episode kommt, nämlich der Notiz über die mit knapper Not überstandenen Gefahren, und nur noch die Schwierigkeiten bei der Anlandung in Phokaia nachträgt; dazu ist zumindest zweierlei zu bemerken: Mit dem Überlieferten µυριάκις ἀνατραπέντες καὶ ἀπωσθέντες sollen offenbar durch zwei annähernd das Gleiche bedeutende Ausdrücke (Hendiadyoin) die besonderen Schwierigkeiten der Anlandung betont werden; dabei kommt man aber mit dem ἀνατραπέντες der Überlieferung nicht zurecht, so daß ich im oben gebotenen Text der Konjektur von Charles Allison Behr gefolgt bin und ἀποτραπέντες lese.58 Der Grund für die Textänderung liegt darin, daß ἀνατρέπεσθαι/ἀνατραπῆναι (im Zusammenhang mit Schiffen) gewöhnlich kentern heißt, wie Aristides selbst es im folgenden § 13 ja auch benutzen kann.59 An unserer Stelle in § 12 ist aber eine Bedeutung wie zurückgestoßen werden, weggetrieben werden, oder etwa zur Umkehr/zum Abdrehen gezwungen werden zu fordern; das leistet ἀποτραπῆναι in zufriedenstellender Weise, so daß man es von daher als ursprünglich annehmen sollte, zumal nur eine geringfügige Textänderung vonnöten ist. Dagegen hatte Festugière eingewandt: »Pas nécessairement, ce peut signifier ›ramenés en arrière‹«.60 Er bringt dafür einen Beleg aus einer bei Stobaios überlieferten hermetischen Rede der Isis an Horos (Stob. I 49,68).61 Die 55 Das Überspültwerden wird auch thematisiert bei: Arr. Peripl.M.Eux. 3,3f.; vgl. auch Luc. Merc.Cond. 2; Mk 4,37parr; und bei Aristides selbst wieder Or. XLVIII 65 (s.u.). 56 Das Geschrei der Reisenden ist geläufig, hier allerdings nur recht blaß als βοαί verzeichnet; vgl. ansonsten: Synes. ep. 4,162c; Ach.Tat. III 2,8; Luc. Peregr. 43. 57 Die besondere Beziehung des Aristides zu Asklepios hatte sich wohl erst nach seiner Romreise, etwa im Winter 144/145 n.Chr., herausgebildet und gefestigt: Im Zusammenhang seines an die Romreise sich anschließenden Aufenthalts in Smyrna stellt er nämlich fest (Aristid. Or. XLVIII 7; Datierung des in dieser Passage Erzählten auf Dezember 144 n.Chr. bei Behr, Complete Works II, S. 293): ἐνταῦθα πρῶτον ὁ σωτὴρ χρηµατίζειν ἤρξατο (Übersetzung: Dort begann mein Retter zuerst mit seinen Offenbarungen). – Vgl. zu dieser Passage und zum Umschwung im religiösen Leben des Aristides Festugière, Personal Religion, S. 90.99–101; zum Lebensumschwung auch von Wilamowitz-Moellendorff, Rhetor, S. 338f. Siehe aber auch unten, Anm. 85. 58 S. oben S. 47 mit Anm. 44. Vgl. Behr, Complete Works II, S. 467; in seinem älteren Werk von 1969 hatte Behr schon vorgeschlagen, entweder ἀναστραφέντες oder ἀποτραπέντες für das ἀνατραπέντες der Handschriften zu konjizieren (Behr, Sacred Tales, S. 225, Anm. 20). 59 Vgl. auch LSJ, s.v. ἀνατρέπω IV, S. 124. 60 Festugière, Discours Sacrés, S. 126; er übersetzt dann: »ramenés en arrière vers la haute mer« (ebd.; vgl. auch Festugière/Saffrey, Aelius Aristide: Discours sacrés, S. 50). 61 Die betreffende Passage lautet (Stob. I 49,68 [Wachsmuth/Hense I, S. 461, Z. 4–7]/CH Frg. XXV 7 [Nock/Festugière, Corpus Hermeticum IV, S. 70, Z. 14–18]): 〈αἱ〉 φῶκαι δὲ καὶ χελῶ-
2.3 Die ἱεροὶ λόγοι des Aelius Aristides
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Stelle leistet jedoch nicht das, was man hier verlangen müßte: Denn im Vergleich mit Tieren (hier mit den auf dem Land und im Wasser lebenden Seehunden und Schildkröten), die unweigerlich in den ihnen bestimmten Lebensraum geführt werden, wird ja von den ψυχαί gesprochen, die an ihren eigentlichen Ort kommen; es handelt sich hier also um eine gleichsam notwendige Bewegung (näherhin auch eine Rückkehr ) und gerade nicht um ein Abgehaltenwerden vom eigentlich beabsichtigten Ziel. Insofern ist der Einwand von Festugière nicht stichhaltig, und eine Textänderung an dieser Stelle das Plausibelste. Zweitens ist noch kurz auf den Ausdruck πολλὴν ἀγωνίαν τοῖς ὁρῶσι παρασχόντες am Ende von § 12 hinzuweisen, der an die durch Lukrez berühmt gewordene Konstellation denken läßt, in der der Betrachter vom sicheren Land aus das Leid der im Sturm Gepeinigten beschaut. Mit dieser Konstellation eröffnet Lukrez das zweite Buch von De rerum natura; die ersten vier Verse dieses Buchs lauten: 2 4
Suave, mari magno turbantibus aequora ventis, e terra magnum alterius spectare laborem; non quia vexari quemquamst iucunda voluptas, sed quibus ipse malis careas quia cernere suave est.62
Allerdings geht es Lukrez in dieser Eröffnung freilich in keiner Weise um die Darstellung menschlicher Angst, wie bei Aristides zum Zweck der schriftstellerischen Steigerung seines eigenen Leids, oder gar um menschliche Schadenfreude angesichts des Leidens eines anderen, sondern Lukrez setzt ein Bild für den vom Weltgeschehen unbeeinflußten und dieses Geschehen betrachtenden epikuräischen Weisen an den Beginn seines zweiten Buchs; mit II 3f. distanziert sich Lukrez auch ausdrücklich vom Gedanken der Freude über das üble Geschick anderer. Hans Blumenberg hat in seinem anregenden kurzen Büchlein Schiffbruch mit Zuschauer diese Konstellation als Ausgangspunkt genommen, ναι µετὰ τῶν ὁµοίων εἰς βάθη καὶ νάµατα, ὡς µὴ πεδιάδος γῆς στεροῖντο µηδὲ τοῦ συγγενοῦς ἀπολειφθεῖεν ὕδατος, ἑκάστου εἰς τὴν οἰκείαν χώραν ὑπὸ τοῦ ἔνδον κριτηρίου ἀνατρεποµένου;
(Hervorhebung von mir; Übersetzung: Gehen nicht die Seehunde und die Schildkröten mit den ihnen ähnlichen Tieren ins Tiefe und ins fließende Wasser, auf daß sie nicht der ebenen Erde verlustig gingen und auch nicht des ihnen angestammten Wassers entbehren müßten, weil doch jedes Wesen von der ihm innerlichen Urteilskraft zu seinem ureigenen Wohnort zurückgeleitet wird?). Vgl. die abweichenden bzw. unterschiedlichen Übersetzungsversuche bei: Nock/Festugière, Corpus Hermeticum IV, S. 70; Colpe/Holzhausen, Corpus Hermeticum II, S. 464; Eckart, Corpus Hermeticum, S. 155; fraglich ist hier, wie man die βάθη verstehen muß, aber das muß uns an dieser Stelle nicht beschäftigen. 62 »Wonnevoll ist’s bei wogender See, wenn der die Sturm die Gewässer | Aufwühlt, ruhig vom Lande zu sehn, wie ein andrer sich abmüht, | Nicht als ob es uns freute, wenn jemand Leiden erduldet, | Sondern aus Wonnegefühl, daß man selber vom Leiden befreit ist« (Übersetzung von Hermann Diels, Lucretius II, S. 44).
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2 Biographisches
um Seefahrt als Daseinsmetapher zu interpretieren.63 Die Absicht, die Lukrez mit diesem Bild verfolgt, skizziert er an mehreren Stellen zutreffend,64 läßt aber keineswegs die Wirkungsgeschichte außer acht und weist in diesem Zusammenhang u.a. auf den Protest Voltaires hin, der die Auffassung des Dichters von der Selbstreflexivität auf den eigenen unbeeinflußten Beobachtungsstandpunkt des Betrachters nicht akzeptieren kann. Voltaire führt dagegen als entscheidende Charakteristika des Betrachters Neugierde und Mitleid an.65 Insofern läge Aristides mit der von ihm beschworenen ἀγωνία näher bei Voltaire und sicher auch dem natürlichen Gefühlsleben der Menschen, freilich ganz unbeschadet der Tatsache, daß Aristides ganz und gar keine Metaphorik in philosophischer Absicht betreiben wollte. Besonders aufschlußreich für die Religiosität unseres Rhetors ist aber die sich anschließende Passage über den Traum in Phokaia (§ 13);66 ihm wird verkündet, es sei ihm vom Schicksal zugewiesen, Schiffbruch zu erleiden. Dieses Schicksal wird auch als Ursache der vorhergehenden Sturmfahrt angesehen: Sei er noch einmal davongekommen, so müsse er jetzt das über ihn Verhängte vollends zur Erfüllung bringen und sich gleichsam selbst versenken. Damit wird das Schicksal, an dessen unbedingtes Eintreten Aristides offenkundig glaubt, natürlich mit einer Mogelpackung besänftigt.67 Herzog will auch Z. 7f. einer von ihm waghalsig ergänzten und dem Aristides zugeschriebenen Inschrift aus Pergamon just auf dieses inszenierte Bootskentern beziehen (IvP III 145):68 63
Blumenberg, Schiffbruch. Vgl. beispielsweise Blumenberg, Schiffbruch, S. 31. 65 Blumenberg dazu: »Daß Menschen avec un secret plaisir zum Ufer des Meeres laufen, um sich am Schauspiel eines vom Sturm bedrängten Schiffes zu weiden, dessen Passagiere in der Not die Hände zum Himmel erheben und doch mit ihren Frauen, die ihre Kinder in den Armen halten, in den Tiefen des Meeres versinken – das erschiene ihm [sc. Voltaire] als eine Ungeheuerlichkeit, wenn Lukrez recht hätte. Aber Lukrez weiß nicht, wovon er redet« (Blumenberg, Schiffbruch, S. 40). 66 Ausdrücklich ist von einem Traum an dieser Stelle allerdings nicht die Rede; man kann aber sicher davon ausgehen, daß der bei Nacht Befehle erteilende Gott eben im Traum erscheint (§ 13), was sich auch von der späteren ausdrücklichen Anführung weiterer Träume her aufdrängt: ὀνείρατα, § 15. 67 Daß Aristides hier »mogelt«, sieht Herzog, Asklepios-Hymnus, S. 759, Anm. 7, so; der Text redet von einem σόφισµα (§ 14). 68 Siehe dazu Herzog, Asklepios-Hymnus, S. 759f. Die Inschrift ist publiziert bei: Wiegand, Zweiter Bericht, Nr. 6 (S. 53f.); Wilhelm, Neue Inschriften, S. 836–846 (Nr. I); Herzog, Asklepios-Hymnus, S. 754.757; Edelstein I, Nr. 596 (S. 331f. [alter Text von Herzog mit engl. Übersetzung]); IvP III, Nr. 145 (S. 144f. [nach dem Text von Herzog mit den neueren Korrekturen, die übermittelt werden bei Gerth, Zweite Sophistik, S. 99]); Bowie, Greek Sophists, S. 219f. (Text nach Habicht, mit engl. Übersetzung); Girone, ᾽Ιάµατα, Nr. IV.1 (S. 140–146 [Text nach Habicht S. 142, ital. Übersetzung S. 143f.]); eine engl. Übersetzung nur der erhaltenen Passagen, ohne die Herzogschen Ergänzungen, findet sich bei Behr, Complete Works I, S. 425f. 64
2.3 Die ἱεροὶ λόγοι des Aelius Aristides
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ῥύσαο δ’ αὖ ναυηγό ν, ὅτε στροφάλιγγι βαρεί ηι κῦµα τρόπει µι κρῆι στῆσας ὑφ’ ἡµετέρηι,
. . . | wieder rettetest du mich als Schiffbrüchigen, als du in heftigem Wirbel | die Woge unter unserm kleinen Kiel erregt hast, | . . .
Verhalte es sich mit der Inschrift, wie es mag. In seinem Bericht über das Bootskentern ist Aristides sich indes seiner Sache sicher und kann sich letztendlich zufrieden zeigen, weil ja der Gott selbst dieses Verfahren angeordnet habe. Die abschließend geäußerte und aus dem Zusammenhang der beiden Geschehnisse gefolgerte Überzeugung, Asklepios sei auch der Retter auf der Überfahrt nach Phokaia gewesen, überblendet völlig den Umstand, daß er es ja auch gewesen sein muß, der Aristides erst zu der gefährlichen Fahrt in einem Traumgesicht veranlaßt hat (s. oben). Die schon in Or. XLVIII 5 angesprochene Rückreise von Rom im Herbst des Jahres 144 n.Chr. beschreibt Aristides an anderer Stelle genauer (Aristid. Or. XLVIII 65–68): καὶ συµβαίνει τις ᾽Οδύσσεια. εὐθὺς µὲν ἐν τῷ Τυρρηνικῷ πελάγει ζάλη καὶ ζόφος καὶ λὶψ καὶ ταραχὴ τῆς θαλάττης ἀκατάσχετος, καὶ ὁ κυβερνήτης µεθῆκε τοὺς οἴακας καὶ ὁ ναύκληρος καὶ οἱ ναῦται σποδὸν καταχεάµενοι σφᾶς τε αὐτοὺς ἀπῴµωζον καὶ τὸ πλοῖον. ἡ δὲ ἐπεισέρρει πολλὴ κατὰ πρῷραν καὶ κατὰ πρύµναν ἡ θάλαττα, καὶ κατεκλυζόµην τῷ τε ἀνέµῳ καὶ τοῖς κύµασι, καὶ ταῦτα ἐγίγνετο ἡµέραν καὶ νύκτα. [66] µέσαι νύκτες σχεδὸν ἦσαν, ἡνίκα πρὸς τὴν Πελωρίδα ἄκραν τῆς Σικελίας προσηνέχθηµεν. ἔπειτα ἐν πορθµῷ πλάναι καὶ δρόµοι, τὰ µὲν εἰς τὸ πρόσθεν, τὰ δὲ εἰς τοὐπίσω. τοῦ δὲ Ἀδρίου τὸ µὲν πέλαγος δυοῖν νυξὶ καὶ ἡµέρᾳ διήλθοµεν, ἀψοφητὶ παραπέµποντος τοῦ ῥεύµατος. ὡς δ’ ἔδει πρὸς τὴν Κεφαλληνίαν προσχεῖν, αὖθις αὖ κῦµα ὑψηλὸν καὶ τὸ πνεῦµα οὐκ ἔφερεν, ἀλλ’ ἐπλανώµεθα ἄνω καὶ κάτω, κάµατος παντοδαπὸς τοῦ σώµατος καὶ λύσις. [67] τὰ δ’ ἐν τῷ πορθµῷ τῷ Ἀχαϊκῷ πάλιν συµβάντα, ὑπ’ αὐτὴν ἰσηµερίαν ἀράντων τῶν χρηστῶν ναυτῶν ἐκ Πατρῶν ἄκοντος ἐµοῦ καὶ ἀντιλέγοντος ἐξ ἀρχῆς, οὐδ’ ἂν λέγων εἴποις, ἐν οἷς ἅπασι τό τε στῆθος καὶ τἄλλα ἔτι µειζόνως ἐκακοῦτο. [68] παραπλήσια δὲ καὶ τὰ ἐν τῷ Αἰγαίῳ µοχθηρίᾳ κυβερνήτου καὶ ναυτῶν γενόµενα ἐναντία τοῖς πνεύµασι πλεῖν ἀξιούντων καὶ µηδὲν ἀκούειν ἐθελόντων ἐµοῦ. τέτταρες πάλιν αὗται πρὸς ταῖς δέκα ἡµέραι καὶ νύκτες χειµῶνος, κύκλῳ διὰ παντὸς τοῦ πελάγους φεροµένων, κἀν ταύταις ἀσιτίαι οὐκ ὀλίγαι, καὶ µόλις Μιλήτῳ προσηνέχθηµεν . . . Behr ist dagegen, die Inschrift dem Aristides zuzuweisen: Ausführlich setzt er sich damit auseinander in Behr, Studies on the Biography, S. 1217–1219. Schon in Behr, Complete Works I, S. 506 (Anm. 15 zu S. 425), hatte er vier Gründe gegen diese Zuweisung geltend gemacht, die allerdings unterschiedlich gewichtig sind. Den an dritter Stelle genannten Einwand, daß nämlich die Charakterisierung der Flußbäder in Z. 11f. nicht stimmig sei, hatte weit vorher schon Kasten, Fortschritte, S. 134, herausgestellt: ». . . vor allem aber: wie dürfte Aristeides in bezug auf die ihm von Asklepios als Kur verordneten winterlichen Flußbäder sagen ›du hast mich aus den Strömungen winterlicher Flüsse gerettet‹? Damit scheidet der Hauptpunkt in Herzogs Beweisführung als nicht stichhaltig aus.« Das Problem ist verwickelt und also in diesem Zusammenhang nicht lösbar.
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2 Biographisches
Da kam es zu einer Odyssee; denn bald war im tyrrhenischen Meer Platzregen, Finsternis, Südweststurm und ungezügelter Aufruhr des Meeres, der Steuermann ließ die Ruder aus den Händen fahren, der Schiffseigner und die Seeleute bestreuten sich mit Asche und bejammerten sich selbst und das Schiff. Das Meer brach gewaltig über Bug und Heck herein, und ich wurde überflutet durch Wind und Wellen, das ging so den Tag und die Nacht über. Es war gegen Mitte der Nacht, daß wir gegen das pelorische Vorgebirge Siziliens getrieben wurden. Dann in der Meerenge kam es zu Verwirrung und mehreren Anläufen, teils nach vorn, teils nach hinten. Das adriatische Meer durchfuhren wir in zwei Nächten und einem Tag, geräuschlos von der Strömung geführt. Als wir dann auf Kephallenia zuhalten mußten, ließen das der hohe Seegang und der Wind wieder nicht zu, sondern wir irrten auf und ab. Da herrschte vielfältige Anstrengung des Körpers und Erschöpfung. Das, was sich dann wieder in der achaischen Meerenge zutrug, als zur Tagund Nachtgleiche die tüchtigen Seeleute gegen meinen Willen und meine Widerrede von Anfang an aus Patrai ausliefen, das kann man wohl nicht beschreiben; bei alldem wurde mein Brustleiden und das Übrige noch viel schlimmer. Ähnlich war das, was in der Ägäis durch die Unfähigkeit des Steuermanns und der Seeleute geschah, die meinten, gegen den Wind segeln zu können, und nicht auf mich hören wollten. Das waren dann vier weitere zu den schon zehn Tagen und Nächten im Sturm, wobei wir im Kreis durch das ganze Meer getrieben wurden, und dabei gab es nicht wenig Fastentage, bis wir nur mit Mühe in Milet anlandeten . . .
Die Sturmsituation im tyrrhenischen Meer zeichnet Aristides kurz mit einer Aufzählung, darunter auch wieder die geläufige Erwähnung der Finsternis/ Dunkelheit, hier durch ζόφος.69 Die Lage war offenbar so verzweifelt, daß der κυβερνήτης die Ruder fahren läßt – ein Motiv, das zuweilen benutzt wird, um die Gefahr und die Ausweglosigkeit besonders deutlich darzustellen.70 Weiterhin dient der Dramatisierung sicher der Gestus, Asche zu verstreuen, was wohl als Trauer- oder Schmerzensgestus zu verstehen ist und nicht zu den apotropäisch gemeinten, magischen Handlungen in Seenot gehört.71 Im Zusammenhang eines Schiffsuntergangs erfolgt bei Ez 27,30 ein Bestreuen mit Staub/Asche und ein Wälzen in Staub bzw. Asche;72 diese Szene unterscheidet sich in zweierlei Hinsicht von der in Aristid. Or. XLVIII 65: Erstens geschieht der Gestus bei Ezechiel nicht in Seenot, sondern nach dem Untergang des Schiffes Tyros; zweitens wird er nicht von den Schiffern an Bord des gefährdeten Schiffes ausgeführt, sondern von anderen Seeleuten, die den Untergang des Schiffes beklagen. Hinzu kommt in unserer Aristides-Stelle wiederum noch das geläufige 69 Finsternis/Dunkelheit auch bei: Hist.Ap. 11; Charito III 3,10; Herpyllis II 38–54; Ach.Tat. III 1,1; 2,2; Petr. 114,1.3; Luc. Nav. 9; Tox. 20; VH I 6; Apg 27,20. 70 Vgl. dazu insbesondere die Szene bei: Ach.Tat. III 3,1; und die falsche Vermutung, der κυβερνήτης habe alle Hoffnung auf Rettung aufgegeben, bei: Synes. ep. 4,161d–162c. Vgl. überhaupt zur Aufgabe im Kampf gegen das Meer: Herpyllis II 34–37; Apg 27,15.17. 71 Vgl. darüber Wachsmuth, Πόµπιµος, S. 424–450. 72 ויעֲלוּ עָפָר עַלראשׁיהֶ בָּאֵפֶר יתְפֵּלָּשׁוּ/καὶ ἐπιθήσουσιν ἐπὶ τὴν κεφαλὴν αὐτῶν γῆν καὶ σποδὸν ὑποστρώσονται.
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Gejammer.73 Schließlich droht man auf das Nordostkap Siziliens getrieben zu werden,74 was sich allerdings nicht ganz mit der von Aristides angegebenen Windrichtung verträgt. Nachdem man die Meerenge überwunden hatte, treten erneute Schwierigkeiten erst wieder bei der Zufahrt auf Kephallonia auf. Die folgenden Ereignisse, die sich bei der Einfahrt in den korinthischen Meerbusen zutrugen, erspart Aristides uns, allerdings mit dem deutlichen Hinweis, daß das alles besonders schlimm gewesen sei. Er geht nun gleich zur nächsten Reiseetappe über, der Fahrt in der Ägäis; ohne daß Aristides uns davon etwas mitteilt, wird man wohl entweder annehmen müssen, daß er das Schiff in Korinth gewechselt hat, oder aber man wird, weil er ja nicht einmal etwas über den Wechsel des Personals an Bord berichtet, vielleicht sogar eher unterstellen dürfen, daß das Schiff über den Isthmus, den δίολκος, gezogen worden ist;75 die regelmäßige Benutzung des Diolkos für Fracht- oder überhaupt nur zivile Schiffe ist jedoch schlecht belegt,76 aber deshalb zumindest für Frachtschiffe begrenzter Größe doch wohl keineswegs völlig ausgeschlossen.77 Für die Benutzung des Diolkos durch Frachtschiffe tritt auch Walter Werner ein: »According to written ancient sources, only warships and not merchant vessels were transported. But historiography is always reporting war. There is no reason why merchantmen should not also have been dragged across the Isthmus.«78 Daß die Benutzung des Diolkos durch die Größe der Schiffe begrenzt ist, versteht sich von selbst und wird darüber hinaus auch von Plinius dem Älteren bezeugt (Plin. Nat. IV § 10).79 Insgesamt ist dennoch festzustellen: Wir wissen es – wie so oft – nicht! Zur οἰµωγή an Bord eines Schiffes im Sturm s.u., S. 102, Anm. 169. Zur Gefahr der Küste, insbesondere der Felsenküste im Sturm siehe wiederum: Od. V 388–463 (der schwimmende Odysseus); Plb. I 37,2; J. BJ III 9,3 (§§ 422–424); App. BC V 10 (§§ 88–90); Plu. Dio 25,7f.; Sen. Ep. LIII 2f.; Ach.Tat. III 4,3 (und 4,6); Hld. V 17,5; Luc. VH I 6; Merc.Cond. 1f.; Synes. ep. 4,160c–161c; 164d–165a; und Apg 27,17.29. 75 Dieser zweiten Möglichkeit scheint auch Behr zuzuneigen (Behr, Sacred Tales, S. 24). 76 Zur Beleglage für die Benutzung des δίολκος siehe Freitag, Golf von Korinth, S. 199– 202, zur Problematik der Belege, die fast ausnahmslos auf militärische Benutzung gehen, siehe bes. S. 200f. (vgl. auch Werner, The Largest Ship Trackway, S. 112). Über die Bedeutung des Diolkos in späterer Zeit – also insbesondere im uns interessierenden 2. Jh.n.Chr.– handelt Freitag natürlich nicht. 77 Vgl. zur Benutzung des Diolkos – auch in technischer Hinsicht – Werner, The Largest Ship Trackway, S. 109–114. 78 Werner, The Largest Ship Trackway, S. 112. 79 Plin. Nat. IV 4 [5] (§ 10): Corinthiacus hinc, illinc Saronicus appellatur sinus; Lecheae hinc, Cenchreae illinc angustiarum termini, longo et ancipiti navium ambitu quas magnitudo plaustris transvehi prohibet. quam ob causam perfodere navigabili alveo angustias eas temptavere Demetrius rex, dictator Caesar, Gaius princeps, Domitius Nero, nefasto, ut omnium exitu patuit, incepto (Übersetzung: Der Golf auf der einen Seite wird Korinthischer genannt, der auf der anderen Seite Saronischer Golf; Lechaion auf der einen, Kenchreai auf der anderen Seite bilden die Enden der Landenge, wobei [zwischen beiden Häfen] eine lange und gefahrvolle Passage für solche Schiffe liegt, bei denen ihre 73 74
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2 Biographisches
Auf dieser Etappe in der Ägäis offenbart nun der Bericht ein gewisses seemännisches Unverständnis auf seiten des Rhetors: Er wirft dem Skipper vor, gegen den Wind gesegelt zu sein. Was ist mit diesem ἐναντία τοῖς πνεύµασι πλεῖν (§ 68) gemeint?80 Wir stehen da vor einer gewissen Schwierigkeit, weil wir von Aristides nicht genau über die vorliegende Situation informiert werden und auch nicht exakt den Schiffstyp kennen, mit dem er unterwegs ist. Man kann nun zunächst erwägen, ob der Skipper versucht hat, hart an den Wind zu gehen, um so möglichst wenig abfallen zu müssen. Unter der Voraussetzung aber, daß schon in dieser Phase Sturm herrscht – auch wenn Aristides den χειµών erst im folgenden, aber doch durchaus inklusiv nachträgt und den Eindruck erweckt, die viertägige Sturmfahrt sei im wesentlichen dem Verhalten der Seeleute zuzuschreiben –,81 scheint eine solche Deutung wenig für sich zu haben. Berücksichtigt man weiter, daß Aristides das Schiff als ὁλκάς (L 35, s.u.) bezeichnet, und versteht man darunter also ein gewöhnliches rahgetakeltes Frachtschiff, so wäre das hier benutzte Fahrzeug wenig zum Kreuzen geeignet und könnte kaum sonderlich hart an den Wind gehen.82 Damit wird die o.g. Deutung noch unwahrscheinlicher, weil das Schiff so eher quer zum Seegang läge, was natürlich eine äußerste Gefährdung bedeutete. Eine zweite und m.E. wahrscheinlichere Möglichkeit bestünde darin, daß die Mannschaft versucht haben könnte, das Schiff mit dem Bug direkt in den Wind zu bringen, um dann den Sturm (möglicherweise vor Anker, aber davon steht nichts da) abzuwettern, genau so, wie man die erste Maßnahme des Paulusschiffs nach der Beschreibung Größe verhindert, daß sie auf Vehikeln hinüber gezogen werden können. Aus diesem Grund haben König Demetrios, der Diktator Caesar, der Kaiser Gaius [Caligula] und Domitius Nero jeweils Versuche unternommen, diese Landenge mit einem schiffbaren Kanal zu durchstoßen, was jedoch ein fluchwürdiges Unterfangen war, wie durch deren jeweiligen Tod an den Tag gebracht wurde [vgl. auch die engl. Übersetzung bei Rackham, Pliny: Natural History II, LCL 352, S. 125.127: »The inlets on either side are called the Gulf of Lepanto and the Gulf of Egina, the former ending in Lecheae and the latter in Cenchreae. The circuit of the Morea is a long and dangerous voyage for vessels prohibited by their size from being carried across the ithmus on trolleys, and consequently successive attempts were made by King Demetrius, Caesar the dictator and the emperors Caligula and Nero, to dig a ship-canal through the narrow part – an undertaking which the end that befell them all proves to have been an act of sacrilege«]). Dazu bemerkt Werner: ». . . it does not imply that only small ships could make use of the Diolkos. Instead it means that by his time, about AD 50, there were already supervessels and huge warships which were unable to make use of the Diolkos« (Werner, The Largest Ship Trackway, S. 112). 80 Behr gibt diesen Ausdruck nur unpräzise wieder, wenn er übersetzt: ». . . who decided to sail in unfavorable winds . . . « (Behr, Sacred Tales, S. 237; so auch Behr, Complete Works II, S. 304). 81 Vgl. zur stürmischen Fahrt vor der Ankunft auf Delos aber auch Or. L 32. 82 Vgl. hierzu die Ausführungen unten S. 260ff. Im Fall des Schiffes des Synesios haben wir wohl ein zum Kreuzen geeigneteres Fahrzeug mit Lateiner-Takelung vor uns (s.u.); die Reisenden auf dem Schiff des Amarantos verstehen das durchaus sinnvolle Manöver ihres Skippers aber ebenfalls nicht, sondern halten ihn für waghalsig: Synes. ep. 4, ab 160c.
2.3 Die ἱεροὶ λόγοι des Aelius Aristides
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des Lukas verstehen dürfte (ἀντοφθαλµεῖν τῷ ἀνέµῳ, Apg 27,15). Dem würde es durchaus entsprechen, daß Aristides bei seiner zweiten Erwähnung des Verhaltens der Mannschaft dem ὑπεναντία τοῖς ἀνέµοις πλεῖν noch hinzufügt, der Skipper habe gleichsam das Meer gepflügt (οἷον ἀροῦντι τὸ πέλαγος, L 33); dieses Bild läßt sich am besten verstehen, wenn man annimmt, die Wellen brächen sich rechtwinklig am Bug des Schiffs.83 Sicher können wir aber über die hier gemeinten Maßnahmen nicht sein, da Aristides wohl überhaupt gar nicht verstanden hat, was die Seeleute tun, sondern sich lediglich in ganz typischer Weise empört.84 Schließlich gelangt man trotz allem nach Milet. Später schiebt Aristides nochmals eine Episode aus dieser Reise ein; er widmet sich genauer den Vorkommnissen in der Ägäis, auf die er im zweiten Buch (§ 68) schon kurz hingewiesen hatte; nach der stürmischen Fahrt in der Ägäis (συµβάντος χειµῶνος, L 32) macht man Station auf Delos (Aristid. Or. L 33–36): ὡς γὰρ ἐξέβην εἰς τὴν Δῆλον, ἀχθεσθεὶς τῷ κυβερνήτῃ, ταραχώδει τε ὄντι καὶ ὑπεναντία τοῖς ἀνέµοις πλέοντι καὶ οἷον ἀροῦντι τὸ πέλαγος, εὐθὺς ὅρκῳ καταλαµβάνω, ἦ µὴν µήτε ἐκπλεύσεσθαι δυοῖν ἡµερῶν, “ἀλλ’ εἰ φίλον αὐτῷ, πλείτω,” ἔφην, “ἐφ’ ἑαυτοῦ.” [34] κἀγὼ µὲν τῷ θεῷ θύσας καὶ διατρίψας ὅσον οἷός τ’ ἦν περὶ τὸ ἱερὸν, εἰσελθὼν εἰς τὸ δωµάτιον καὶ προειπὼν τοῖς οἰκέταις, ἂν ἀφίκηταί τις ἐκ 〈τοῦ〉 πλοίου, χαίρειν κελεύειν, ἀνεπαυόµην ἐν τῷ λιµένι τῶν Δηλίων. οἱ δ’ ἧκον οἴνῳ βεβαρηότες οἱ ναῦται περὶ πρῶτον ὕπνον σχεδὸν, καὶ προσστάντες ἔκοπτον τὴν θύραν, καὶ ἐκέλευον ἐξιέναι καὶ χρῆσθαι πλῷ· καὶ γὰρ εἶναι θαυµαστὸν οἷον. ἀποκριναµένων δὲ τῶν παίδων ὅτι ληροῖεν καὶ οὐδ’ ἂν εἴ τι γίγνοιτο κινοίµην, ἀπιόντες ᾤχοντο πρὸς ὀργήν, ὡς δὴ µεγάλων στερόµενοι. [35] ἀλεκτρυόνων τε ᾠδαὶ πλησίον ἦσαν, καὶ καταρρήγνυται σκηπτὸς ἐξαίσιος καὶ ἡ θάλαττα ἠλαύνετο λαίλαπι ἀγρίᾳ καὶ πάντα ἐπεκλύζετο, καὶ τὰ πλοιάρια τὰ ἐν τῷ λιµένι τὰ µὲν εἰς τὴν γῆν ἐξέπιπτεν, τὰ δ’ ἀλλήλοις ἐνέπιπτε καὶ συνετρίβετο· ἡ δ’ ὁλκὰς ἡ κοµίζουσα ἡµᾶς ἀπορραγέντων τῶν καλωδίων ἐκυλινδεῖτο ἄνω καὶ κάτω, καὶ µόλις σὺν βοῇ πολλῇ καὶ ταραχῇ τῶν ναυτῶν διασώζεται· καὶ ἐπιγίγνεται ὕδωρ ἐξ οὐρανοῦ πολὺ καὶ λάβρον, καὶ ἐν τῇ νήσῳ θόρυβος ἦν ὥσπερ ἐν νηΐ. [36] ἅµα δὲ τῇ ἕῳ παρῆσαν µὲν οἱ φίλοι σπουδῇ, 83 Zu dieser Möglichkeit des Abwetterns siehe die Ausführungen bei: Breusing, Nautik der Alten, S. 166–169.176; Balmer, Romfahrt, S. 334. Diese Deutung der Stelle auch bei Reiser, Caesarea, S. 58. Unter Berufung auf Canter vertritt Heinrich Otto Schröder in seiner Übersetzung eine andere Deutung des Bildes vom Pflügen (S. 93, Anm. 86): »D.h. sich so sicher wähnte, als ob er auf dem Lande einen Acker pflüge«. Aufgrund ähnlicher Deutung übersetzt Behr: ». . . and acted as if he were on dry land« (Behr, Sacred Tales, S. 260). Das verkennt m.E. den sachlichen Hintergund. 84 Vgl. bei Aristides hierzu schon die ironische Bemerkung über die aus Patrai auslaufenden Seeleute (ἀράντων τῶν χρηστῶν ναυτῶν ἐκ Πατρῶν ἄκοντος ἐµοῦ καὶ ἀντιλέγοντος ἐξ ἀρχῆς, § 67); dazu auch die Wiederholung des hier gemachten Vorwurfs unten L 33: Wird die Mannschaft hier der µοχθηρία beschuldigt, heißt es unten, der Skipper sei ταραχώδης. Weiterhin ist auch auf die ebenfalls unten gebotene Stelle zu verweisen, in der die betrunkenen Seeleute zur Abfahrt drängen (L 34). Zu Vorwürfen gegen die Skipper und Besatzung, v.a. wegen Unfähigkeit, siehe auch: Synes. ep. 4, ab 160a; Hld. V 27,4 (hier die Piraten, die das Schiff übernommen haben). Dazu kann man noch die (skrupellosen) Fluchtversuche (eines Teils) der Mannschaft stellen: Ach.Tat. III 3,1–4,2; Apg 27,30–32.
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2 Biographisches
οὓς ἔτυχον ἀνειληφὼς ἰδίοις τέλεσι πλέων, εὐεργέτην, σωτῆρα ὀνοµάζοντες, συγχαίροντες τῆς παρὰ τῶν θεῶν προνοίας· παρῆσαν δὲ καὶ οἱ ναῦται χάριν ἤδη εἰδότες καὶ θαυµάζοντες ἐξ οἵων κακῶν ἐπικειµένων ἐσώθησαν . . .
Denn als wir auf Delos an Land gingen, war ich ungehalten über den Steuermann, der rasend geworden war, gegen den Wind segelte und sozusagen das Meer pflügte, daher legte ich einen Eid ab, daß ich binnen zwei Tagen gewiß nicht absegeln würde, »aber, wenn’s ihm beliebt, so soll er segeln,« sprach ich, »auf eigene Faust.« Ich opferte dem Gott und verbrachte die Zeit, so lang es ging, im Heiligtum, dann ging ich auf mein Zimmer, wies die Diener an, wenn jemand vom Schiff käme, sollten sie ihn wieder fortgehen lassen, und ruhte mich im Hafen von Delos aus. Die Seeleute nun kamen, schwer vom Weine, fast um die Zeit des ersten Schlafs, traten zur Tür und klopften an; sie forderten mich auf, herauszukommen und die Gelegenheit zur Abfahrt zu ergreifen, denn das Wetter sei geradezu wunderbar. Als meine Diener zur Antwort gaben, daß sie Unfug redeten, und ich mich – geschehe, was wolle – nicht bewegen würde, gingen sie fort im Zorn, als ob man sie um größere Dinge gebracht hätte. Die Zeit des Hahnenschreis war da, und es brach ein ungeheurer Sturm los, das Meer wurde vom wilden Sturmwind aufgewühlt und alles wurde überspült; die Schiffe, die im Hafen lagen, wurden teils aufs Land geschleudert, teils liefen sie gegeneinander und wurden zertrümmert. Das Frachtschiff, das uns transportierte, trieb mit zerrissenen Tauen auf und ab und konnte nur mit Mühe, unter lautem Geschrei und unter Aufregung der Seeleute gerettet werden. Dazu trat noch starker und heftiger Regen ein, und auf der Insel herrschte Aufruhr wie auf einem Schiff. Gleich bei Tagesanbruch waren meine Freunde eilig herbeigekommen, die ich auf eigene Kosten auf die Fahrt mitgenommen hatte, nannten mich ihren Wohltäter, ihren Retter, und freuten sich mit mir über die Vorsehung der Götter. Da waren dann auch die Seeleute da, die sich jetzt dankbar zeigten und darüber staunten, aus welch großem Übel, das ihnen drohte, sie gerettet worden waren.
Die einigermaßen problematische Stelle: καὶ ὑπεναντία τοῖς ἀνέµοις πλέοντι καὶ οἷον ἀροῦντι τὸ πέλαγος (§ 33), ist schon oben besprochen worden. Die Passage sei nur noch hierher gesetzt, um den Charakter des Aristides deutlich werden zu lassen: Er sieht sich unter göttlichem Schutz, den er auch auf die Bewahrung vor dem Sturm bezieht, und schreibt das teils überhaupt der Fürsorge des Gottes (hier Apollon) zu, teils aber auch seiner eigenen Frömmigkeit, weil er den Gott mit einem Paian erfreut habe (§§ 31.36f.). Daß hier Apollon der helfende und schützende Gott ist, paßt übrigens auch sehr gut dazu, daß die ganz besondere Bindung an Asklepios erst nach dieser Reise im Winter 144/145 geknüpft wurde.85 Das Verhalten des Aristides in dieser Episode unterscheidet 85 Siehe dazu oben, Anm. 57. – Mit einer gewissen Schwierigkeit geht es da natürlich einher, die Z. 5f. des von Rudolf Herzog dem Aristides zugewiesenen inschriftlichen Gedichts auf Asklepios mit genau diesem Ereignis in Verbindung zu bringen (s. zu der wichtigen Inschrift IvP III 145 die weiteren Angaben oben, Anm. 68 [S. 52f.]); Herzog zieht sich aus der Affäre, indem er Aristid. Or. L 31 entnimmt, Asklepios habe die Lieddichtung veranlaßt (Herzog, Asklepios-Hymnus, S. 758); das steht aber nicht da, sondern: ἐνῆγε δέ µε καὶ πρὸς τὴν τῶν µελῶν ποίησιν. ἀρχὴ µὲν οὖν τις ἐγέ-
2.4 Vita Apollonii
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sich aber deutlich von der warnenden und Rettung verheißenden Tätigkeit des Paulus in Apg 27,9f. und 21ff., weil der verstimmte und eigenwillige Hypochonder sich ja hier zurückzieht und nicht wie Paulus zur Initiative im Interesse aller schreitet. Sicher verbindet beide der beanspruchte göttliche Schutz, doch ist die Haltung, in der beide mit diesem Anspruch umgehen, ganz verschieden, um nicht zu sagen: gegensätzlich! Die vergleichende Schlußfolgerung Reisers: »Hier haben wir eine bemerkenswerte und zweifellos authentische Parallele zum prophetischen Auftreten des Paulus, wie es in Act 27 geschildert wird«,86 muß somit als unhaltbar gelten. Insgesamt bietet uns Aristides Berichte, die durchaus auf tatsächlichen Erlebnissen basieren; allerdings legt er natürlich aus seiner besonderen eitlen Perspektive Zeugnis von diesen Erlebnissen ab. Dabei putzt er das Ganze zuweilen doch rhetorisch auf und benutzt dafür auch Motive der üblichen Sturmbeschreibung, wie sich oben zeigen ließ.87 Besonders auffällig sind bei ihm die Schimpftiraden über die unfähigen und unzuverlässigen Seeleute, zum Teil offenbart der Autor aber durch seine Kritik auch nur seine nautische Unkenntnis (das gilt besonders für Or. XLVIII 68; L 33).
2.4 Vita Apollonii Der neupythagoräische Philosoph und Wanderlehrer Apollonios von Tyana gehört zweifelsohne zu den in der neutestamentlichen Wissenschaft am intensivsten gewürdigten Persönlichkeiten der heidnischen Antike. Nicht dahinter zurück steht das umfängliche Werk des Flavius Philostratus über diesen Mann: τὰ ἐς τὸν Τυανέα Ἀπολλώνιον, gemeinhin als vita Apollonii bekannt, in dem Philostrat in acht Büchern ein facettenreiches Lebensbild des Apollonios entwirft. Die Prominenz des Apollonios und seiner Vita kommt nicht von ungefähr: Schon in der Antike wurde dieser Apollonios mit Jesus verglichen und von Hierokles in seiner christentumskritischen Schrift Φιλαλήθης über Jesus gestellt; νετο ἐν ῾Ρώµῃ ἐξ Ἀπόλλωνος. ἦλθε γάρ µοι ἐνύπνιον φράζον τόν τε Παιᾶνα ὡς δέον ποιῆσαι τῷ θεῷ . . . Dabei ist sicher Asklepios als Subjekt des ἐνῆγε zu nehmen, was aber die allgemeine Feststellung ist; mit ἀρχὴ µὲν οὖν τις ἐγένετο wird davon der besondere Fall in Rom abgesetzt, bei dem
eben Apollon der anweisende Gott war. Unabhängig von anderen Problemen, die die Zuweisung der Inschrift an Aristides hat (s. wieder oben, Anm. 68 [S. 52f.]), ist die Deutung von Herzog aber in diesem Punkt möglicherweise trotzdem im Recht, so daß man dann annehmen könnte, Aristides habe in diesem Preisgedicht auch die Rettung auf der Rückfahrt von Rom unmittelbar dem Asklepios zugeschrieben, wohingegen er in den Heiligen Berichten genauer bleibt, um seinen Weg mit dem Gott darstellen zu können. 86 Reiser, Caesarea, S. 58f. 87 So ist der Textwahrnehmung von Reiser, Caesarea, S. 55–59, bes. S. 59, zu widersprechen.
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2 Biographisches
mindestens genauso bewundernswert und göttlich wie Jesus sei Apollonios, zuverlässig und glaubwürdig allein dessen Zeugen, Damis, auf den wir gleich noch kurz kommen werden, und eben Philostrat, die Zeugen Jesu dagegen, wie Petrus und andere, seien ungebildete Lügner. Leider ist die Schrift des Hierokles nicht erhalten, wir wissen über ihren ungefähren Inhalt nur aus der Widerlegung des Euseb.88 Tatsächlich ist dieser schon in der Antike aufgekommene Vergleich zwischen Apollonios und Jesus in der neutestamentlichen Forschung zu einem weiten wissenschaftlichen Betätigungsfeld geworden.89 Besondere Bedeutung erlangte dieser Vergleich natürlich im Rahmen der intensiv geführten Debatte um den sog. θεῖος ἀνήρ bzw. θεῖος ἄνθρωπος.90 Damit können wir uns hier freilich nicht angemessen auseinandersetzen.91 Philostrats Schrift nun ist immer wieder als ein besonderes und faszinierendes Stück antiker Literatur aufgefallen: Durch die Aufnahme von literarischen Einflüssen ganz unterschiedlicher Provenienz, wie aus der Biographie überhaupt, speziell aus der Pythagoras-Biographie, und aus der historischen sowie romanhaften Reiseliteratur, scheint sich sein Werk einer klaren Zuweisung zu einem literarischen Genre zu entziehen.92 Neben der Genre-Debatte ist hier natürlich die davon nicht ganz unabhängige Diskussion über den Quellenwert der vita Apollonii anzuführen; auch er kann noch immer als umstritten gelten. In diesem Zusammenhang spielt die Frage nach der sog. Damis-Quelle eine besondere Rolle: Philostrat beruft sich ganz ausdrücklich auf die Aufzeichnungen eines Niniviten, namens Damis, der den weisen Apollonios über weite Strecken seines Lebensweges begleitet habe.93 Ist das eine Fiktion? Es spricht einiges dafür, ein solches Urteil zu fällen. Sicher ist das freilich nicht, und vor allem ist mit einem solchen Urteil auch noch nicht darüber entschieden, ob die Fiktion auf Philostrat selbst zurückgeht, und ob Damis als Begleiter des Apollonios überhaupt fingiert ist.94 88 Der Text der Replik des Euseb mit dem Titel: Πρὸς τὰ ὑπὸ Φιλοστράτου εἰς Ἀπολλώνιον τὸν Τυανέα διὰ τὴν ῾Ιεροκλεῖ παραλειφθεῖσαν αὐτοῦ τε καὶ τοῦ Χριστοῦ σύγκρισιν, findet sich
in der Kayserschen Philostrat-Ausgabe, Bd. I, S. 369ff. Vgl. die Überblicke bei: Petzke, Traditionen, S. 6–8; Gallagher, Divine Man, S. 166–169. 89 Man beachte etwa die klassische Studie: Baur, Apollonius. 90 Siehe hierzu beipielsweise: Koskenniemi, Apollonios, passim (vgl. auch Thümmel, Rez. Koskenniemi). 91 Vgl. nur wieder meine kurzen Bemerkungen unten, S. 178f. 92 Vgl. hierzu: Lesky, Geschichte, S. 936; Dihle, Die gr. und lat. Literatur, S. 351; Anderson, Philostratus, S. 613–615.618 (mit weiterer Lit.!). 93 Siehe hierzu neben vielen anderen Stellen v.a. Philostrats Rechenschaft über seine Quellen und die Einführung des Damis im Zuge der Erzählung: VA I 3 (3); 19f. (11). 94 Siehe als Beispiele für unterschiedliche Stimmen zum Damis-Problem: Esser, Formgeschichtliche Studien, S. 63–65; Dihle, Die gr. und lat. Literatur, S. 352; Anderson, Philostratus, S. 615f.; Schirren, Philosophos Bios, S. 1–9.
2.4 Vita Apollonii
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Als deutlich dürfen zwei Punkte gelten: Die vita Apollonii des Philostrat ist gewiß nicht frei von unhistorischen Elementen und Fiktionen, andererseits zeichnet sie aber auch durchaus realistische Lebensbilder der Kaiserzeit und darf schon insofern als ernstzunehmende Quelle gelten.95 Inwieweit ihr aber in bezug auf den Wanderlehrer selbst zu vertrauen ist, muß als fraglich gelten. Indes ist aber selbstverständlich an der Person des Apollonios als historischer Gestalt der zweiten Hälfte des 1. Jh. festzuhalten.96 Über ihn sind wir auch aus anderen – wenn auch nur wenig umfänglichen Zeugnissen – unterrichtet; besondere Hervorhebung verdienen hier die unter seinem Namen überlieferten Briefe, die wohl nicht ganz von traditionellem Wachstum verschont blieben, aber doch einiges Echtes enthalten können.97 Apollonios dürfte schon zu Lebzeiten und über den Verlauf des 2. Jh. zunehmend Bewunderung und Verehrung erhalten haben; dabei ist er zum Teil vorwiegend als Goët, als Magier, angesehen worden. Seine Verehrung als vorbildlicher pythagoräischer Philosoph erreichte unter den Severern ihren Höhepunkt. Das Werk des Philostrat98 ist nun auch als Auftragswerk der Kaisermutter Iulia Domna entstanden, aber erst nach deren Tod im Jahre 217 n.Chr. abgeschlossen worden. Ihren Ansprüchen und denen des Kreises um die Kaisermutter – zu dem unser Philostrat selbst gehört hat99 – hatte das Werk zu genügen.100 So bemüht sich Philostrat – und das sei hier abschließend zur Charakterisierung der vita Apollonii gesagt – darum, den Apollonios von der Anrüchigkeit des bloßen Goëtentums zu befreien und ihn in erster Linie als pythagoräischen Weisen darzustellen, der die Philosophie nicht nur gelehrt, sondern diszipliniert und so geradezu vorbildhaft in seinem Leben umgesetzt hat. Dabei behält er die Apollonios offenbar vielfach zugeschriebenen Wunder- und Machttaten bei, integriert sie aber so in seine Darstellung, daß sie mit Masse als in seiner als göttlich anzusehenden Weisheit begründet werden: Apollonios, der Vgl. Dihle, Die gr. und lat. Literatur, S. 351f. Vgl. Petzke, Traditionen, S. 156f. 97 So das Urteil bei Lesky, Geschichte, S. 936 mit Anm. 3. Vgl. die Ausgabe: Robert J. Penella, The Letters of Apollonius of Tyana. A Critical Text with Prolegomena, Translation and Commentary, Mn.S 56, Leiden 1979; der gr. Text der Briefe findet sich auch in Kaysers Ausgabe, Bd. I, S. 346ff. 98 Über die alte philologische Streitfrage, wie die verschiedenen Philostrate, von denen wir wissen, einander zuzuordnen sind, soll hier nicht gehandelt werden; vgl. die kurzen Bemerkungen bei Lesky, Geschichte, S. 935f. 99 So sein Selbstzeugnis in VA I 3 (3): µετέχοντι δέ µοι τοῦ περὶ αὐτὴν κύκλου – καὶ γὰρ τοὺς 95 96
ῥητορικοὺς πάντας λόγους ἐπῄνει καὶ ἠσπάζετο – µεταγράψαι τε προσέταξε τὰς διατριβὰς ταύτας καὶ τῆς ἀπαγγελίας αὐτῶν ἐπιµεληθῆναι, τῷ γὰρ Νινίῳ σαφῶς µέν, οὐ µὴν δεξιῶς γε ἀπηγγέλλετο (Übersetzung: Mir, der ich Mitglied ihres Kreises war, denn sie lobte und begrüßte
alle rhetorischen Übungen, gab sie den Auftrag, diese Erlebnisberichte umzuschreiben und mich um deren Darstellungsweise zu kümmern, denn durch den Niniviten [sc. Damis] liegt zwar eine zuverlässige, aber keineswegs eine geschickte Dargestellung vor). 100 Vgl. zu einer eher kritischen Sicht (v.a. der Bedeutung) des Kreises um Iulia Domna Bowersock, Greek Sophists, S. 101–109 (s. dort zur älteren Literatur S. 102, Anm. 1).
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2 Biographisches
Zauberer, wird also ganz und gar Apollonios, dem Weisen, untergeordnet.101 In der Apollonios-Vita findet sich zwar keine einzige echte Sturmerzählung102 – so daß den Kenner der Materie eine Behandlung des Werks an dieser Stelle auf den ersten Blick wundern könnte –, indes enthält die Darstellung doch so viele interessante und bemerkenswerte Einzelstellen zu unserer Thematik, die eine Behandlung rechtfertigen. Ist in der bisherigen Forschung Apollonios (in der Darstellung des Philostrat) v.a. mit Jesus verglichen worden,103 so soll hier der Versuch unternommen werden, wenigstens in bezug auf die Seefahrtsszenen einen partiellen Vergleich mit dem Paulus der Apostelgeschichte zu leisten.104 Kommen wir nun zu den einzelnen für uns relevanten Szenen: Bei den indischen Brahmanen kommt das Gespräch auf das frühere Leben des Apollonios, dabei geht es nicht um sein Leben etwa vor seiner Wandertätigkeit, sondern um ein anderes früheres Leben. Iarchas sagt in seinem unglaublichen Wissen dem Apollonios auf den Kopf zu, daß er doch Steuermann auf einem ägyptischen Schiff gewesen sei (κυβερνήτης Αἰγυπτίας νεώς, III 23 [52]). Auch wenn Apollonios nur ungern darüber sprechen möchte, fragt Iarchas seinen Gesprächspartner nach dem früheren Seefahrerleben aus (Philostr. VA III 23 [52f.]): “τί δὲ δὴ γενναῖον εἰργά | σθαι φήσεις ἢ τὸ περιβεβληκέναι Μαλέαν τε καὶ Σούνιον χαλινώσας ἐκφεροµένην τὴν ναῦν, καὶ τὸ κατὰ πρύµναν τε καὶ πρῷραν τῶν ἀνέµων, ὁπόθεν ἐκδοθήσονται, σαφῶς διεγνωκέναι ἑρµάτων τε ὑπερᾶραι τὸ σκάφος ἐν Εὐβοίᾳ κοίλῃ, οὗπερ πολλὰ τῶν ἀκρωτηρίων ἀναπέπηγεν;”
»Was führst du denn an, Edles vollbracht zu haben, etwa daß du Kap Malea und Kap Sunion umschifft hast und dabei dein in reißender Fahrt begriffenes Schiff unter Kontrolle hattest, und daß du bei den Winden, die um Heck und Bug dir wehten, genau (und im voraus) erkennen konntest, woher sie wehen werden, und daß du dein Boot über die Klippen in Euböas Sund gebracht hast, wo viele Felsspitzen wie aufgespießt hervorragen?«
Diese Frage beantwortet Apollonios verneinend mit der Erzählung einer Piratengeschichte, nach der er den Bestechungsversuchen der Seeräuber entgehen und überhaupt ihren ganzen Coup verhindern konnte. Das Gespräch geht von da 101 Vgl. zu diesem interessanten Problem der Interpretation von Philostrats Werk und der Rekonstruktion des historischen Apollonios: Esser, Formgeschichtliche Studien, S. 94–98; Gallagher, Divine Man, S. 161–163; Anderson, Philostratus, S. 616–618. 102 Vgl. Petzke, Traditionen, S. 86. 103 Darauf liegt auch bei Petzke der Schwerpunkt (Petzke, Traditionen). 104 Siehe zu Vergleichsmöglichkeiten auch in Aspekten, die über die uns hier interessierenden Seefahrtsszenen hinausgehen, die Anregungen bei Heininger, Paulusbild, S. 418f. Wenigstens führt Petzke in den uns interessierenden Abschnitten einige Berührungs- und mögliche Vergleichspunkte an: Petzke, Traditionen, S. 172.174.176 mit Anm. 3.178. Im Gegensatz zur älteren Forschung siehe aber die Arbeit von Reimer, der die Apostelgeschichte und die vita Apollonii in bezug auf Verständnis und die Funktion von Wundertaten und Wundertätern vergleicht: Reimer, Miracle and Magic.
2.4 Vita Apollonii
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zum rechten Verständnis der Gerechtigkeit über.105 Dies soll uns hier aber nicht beschäftigen. Bemerkenswert sind für unseren Zusammenhang die typischen, ja annähernd klischeemäßigen, seemännischen Meriten, die ein guter Steuermann sich verdienen konnte:106 Da werden zum Teil sprichwörtlich gewordene Gefahren aufgezählt, die zu den Schrecken der antiken Seefahrt zu rechnen sind, auf Grundlage dieser läßt sich dann die Beschreibung der Steuermannskunst aufbauen, eben indem erklärt wird, er habe die benannten Gefahren souverän gemeistert. An Gefahren werden das riskante Umschiffen der Kaps Malea107 und Sunion aufgeführt sowie die Durchfahrt durch das euböische Meer.108 Die Fähigkeit, die Winde genau zu erkennen und möglichst eine Windänderung vorauszuahnen, gehört überhaupt zweifelsohne zu hoher Steuermannskunst.109 Dieser Punkt ist in der Wahlfrage des Iarchas nun allerdings nicht im Anschluß an eine sprichwörtliche Gefahr formuliert, sondern steht selbständig da als Ausweis kybernetischen Könnens. Im Rahmen seiner Rückreise von Indien wird eine längere Seefahrt erzählt, die den Apollonios von dort bis an den Euphrat und sogar noch per Schiff hinauf nach Babylon fahren läßt (VA III 52–58 [63–65]). Diese Fahrt ist durch zahllose geographische, zoologische und botanische Details angereichert, woran sich 105 Philostr. VA III 24f. (53f.). Es wird die Frage reflektiert, ob Gerechtigkeit schon in der Vermeidung oder Verhinderung des Ungerechten bestehe; im Zusammenhang mit der Gerechtigkeitsfrage wird die Piratengeschichte des Apollonios erneut in VA VI 21 (120–122) aufgegriffen. Vgl. auch zu der Diskussion um die Gerechtigkeitsfrage zwischen Iarchas und Apollonios Schirren, Philosophos Bios, S. 270f. 106 Vgl. zur Bedeutung eines guten κυβερνήτης und überhaupt einer guten Schiffsmannschaft: Gn.Vat. 197 (Sternbach, S. 79); Hld. V 27,4; Petr. 108,8.12; Luc. VH I 5; Luc. Herm. 28; Synes. ep. 4, wo der Skipper Amarantos in ein denkbar schlechtes Licht gerückt wird (beginnend schon mit 160a, zu weiteren Stellen s.u.); Apg 27,31. 107 Die besondere Gefahr von Kap Malea läßt sich deutlich durch ein bei Strabo überliefertes Sprichwort illustrieren (Str. VIII 6,20: ἀφ’ οὗ καὶ παροιµιάζονται “Μαλέας δὲ κάµψας ἐπιλάθου τῶν οἴκαδε” [Übersetzung: Weswegen auch das Sprichwort umläuft: »Umfährst du Malea, vergiß zu Hause!«]). Vgl. in unserem Werk zu Malea noch VA IV 24 (74f.), wo der unter Nero in Angriff genommene, aber nicht zu Ende geführte Isthmus-Durchstich im wesentlichen damit begründet wird, daß man dann die Passage von Malea vermeiden und so die Fahrtstrecke verkürzen könne; hier wird durch Apollonios in einem prognostischen Rätselwort auf den Durchstichversuch unter Nero im voraus hingewiesen (οὗτος ὁ αὐχὴν τῆς γῆς τετµήσεται, µᾶλλον δὲ οὔ, VA IV 24 [74]). Man vgl. weiterhin die oben (S. 55, Anm. 79) zitierte Stelle Plin. Nat. IV 4 [5] (§ 10) und aus der Sekundärliteratur: Werner, The Largest Ship Trackway, S. 98; Freitag, Golf von Korinth, S. 197. Beispiele für weitere interessante Stellen zur Gefahr von Kap Malea sind: Luc. Nav. 9; AvH, Nr. 51 (S. 92) (= IGR IV, Nr. 841 [S. 290f.] = SIG3 III, Nr. 1229 [S. 372f.], s. den Text dieser berühmten Inschrift des Zeuxis unten S. 135, Anm. 4.2.1). 108 Die Gefahr von Euböas Sund im Südwesten der Insel wird in unserem Werk auch hervorgehoben bei VA IV 15 (70), wo es über τὸ ἐπ’ Εὐβοίας πέλαγος heißt: ὃ καὶ ῾Οµήρῳ δοκεῖ τῶν χαλεπῶν καὶ δυσµετρήτων εἶναι. 109 Zur erfahrungsbasierten Erwartung kommender Windänderungen siehe auch den vom Skipper Amarantos erhobenen Anspruch bei Synes. ep. 4,161c.
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2 Biographisches
zeigt, wie sehr Philostrat sich von der Gattung der Reisebeschreibung anregen ließ. Von Babylon gelangt man auf dem Landwege nach Antiochia (III 58 [65]) und besteigt im Hafen Seleukia erneut ein Schiff, um sich nach Paphos auf Zypern einzuschiffen.110 Die berühmteste Seefahrtsszene der Vita Apollonii ist aber wohl sicher diejenige, in der nach der Abreise von Ilium so viele Menschen mit Apollonios mitfahren wollen, daß man sich bei Aianteion111 nach einem größeren Schiff umsehen muß (Philostr. VA IV 13 [69]):112 ἐπεὶ δὲ ἡµέρα ἐγένετο καὶ τὸ πνεῦµα ἐκ τῆς γῆς ἐπεδίδου περί τε ἀναγωγὴν ἡ ναῦς εἶχεν, ἐπέρρεον αὐτῇ σµικρᾷ οὔσῃ πλείους ἕτεροι βουλόµενοι τῷ Ἀπολλωνίῳ ξυµπλεῖν, καὶ γὰρ µετόπωρον ἤδη ἐτύγχανε καὶ ἡ θάλαττα ἧττον βεβαία. πάντες οὖν καὶ χειµῶνος καὶ πυρὸς καὶ τῶν χαλεπωτάτων κρείττω τὸν ἄνδρα ἡγούµενοι ξυνεµβαίνειν ἤθελον καὶ ἐδέοντο προσδοῦναί σφισι τῆς κοινωνίας τοῦ πλοῦ. ἐπεὶ δὲ τὸ πλήρωµα πολλαπλάσιον ἦν τῆς νεώς, ναῦν µείζω ἑτέραν ἐπισκεψάµενος, πολλαὶ δὲ περὶ τὸ Αἰάντειον ἦσαν “ἐνταῦθα” ἔφη “ἐµβαίνωµεν, καλὸν γὰρ τὸ µετὰ πλειόνων σώζεσθαι.”
Als es Tag ward, der Wind vom Lande her zunahm und das Schiff Möglichkeit zum Auslaufen hatte, strömten mehr Leute heran, die mit Apollonios fahren wollten, als auf das kleine Schiff paßten; es war nämlich schon der Herbst eingetreten, und das Meer war weniger sicher. Alle nun hielten den Mann für stärker als den Sturm, das Feuer und alle Schwierigkeiten, und wollten deshalb mit ihm an Bord gehen, ja, sie flehten ihn sogar an, ihnen die gemeinsame Fahrt zu gewähren. Da aber die Menge bei weitem zu groß war für das Schiff, sagte er, als er ein anderes größeres Schiff erblickte – denn viele lagen bei Aianteion: »Hier wollen wir an Bord gehen, denn es ist doch eine gute Sache, mit vielen gerettet zu werden.«
Zwei Punkte sind an diesem Abschnitt beachtenswert: Zunächst einmal wird hier eine Seefahrt im Herbst angeführt, zu einer Jahreszeit, die mit noch höherer Gefahr als sonst einherging.113 Das ist also die Hintergrundfolie für das hier berichtete Ereignis. Zweitens, und das ist das Entscheidende, wird Apollonios hier u.a. als stärker als der Sturm bezeichnet. Er vermag also, das Schiff vor dem Scheitern zu bewahren. Damit wird der pythagoräische Weise anderen heiligen Männern, ja den sog. θεῖοι ἄνδρες, an die Seite gestellt, die Macht über Wind und Meer sich selbst zuschreiben oder denen diese Macht von außen zugeschrieben wird.114 Im Gegensatz zur oben behandelten Caesar-Anekdote, 110 Die antiochenischen Missionare Barnabas und Paulus schiffen sich von Seleukia nach Salamis ein und erreichen Paphos auf dem Landweg (Apg 13,4–6). 111 Zur Lage nördlich von Ilium siehe Barrington Atlas, Tafel 56 »Pergamum 1:500,000«, C 1/2. 112 Vgl. zu dieser und der folgenden Stelle V 18 (92) auch die formgeschichtlichen Überlegungen bei Esser, Formgeschichtliche Studien, S. 82–86. 113 Vgl. zur Seereise in ungünstiger Jahreszeit: Charito III 5,1; Hld. V 18,2; 21,3; Apg 27,9f. 114 Vgl. etwa Bieler, Θεῖος ἀνήρ I, S. 103f.
2.4 Vita Apollonii
65
nach der Caesar den göttlichen Schutz offensiv beansprucht,115 läßt Philostrat lediglich das Volk im Glauben heranströmen, Apollonios garantiere ihnen sichere Überfahrt. Apollonios äußert sich zunächst nicht zu dieser von außen an ihn herangetragenen Fähigkeit. Nachdem man dann aber ein ausreichend großes Schiff gefunden hatte, um die Menschenmenge aufzunehmen,116 erklärt er selbstbewußt: καλὸν γὰρ τὸ µετὰ πλειόνων σώζεσθαι, und bestätigt damit zumindest indirekt den an ihn herangetragenen Anspruch. Damit läßt sich gut die Ägyptenfahrt des Pythagoras vergleichen,117 während der das Schiff des Pythagoras außergewöhnlich gute und schnelle Fahrt macht – ganz so, als sei ein Gott anwesend. Die Schiffer zumindest können sich das nur mit einem an Bord weilenden δαίµων θεῖος erklären.118 In der Folge behandeln sie Pythagoras mit aller Ehrfurcht und erweisen ihm auch beim Ausstieg alle Ehren, die Pythagoras seinerseits nicht zurückweist.119 Auch hier wird der Anspruch also von außen an den großen Mann herangetragen. Der Apollonios des Philostrat erklärt an anderer Stelle, daß den Rechtschaffenen sogar das Meer sicher und hold sei;120 Philostrats Apollonios-Darstellung zeigt hier wiederum deutlich die Tendenz, Apollonios in seiner Weisheit und ethischen Vollkommenheit auszuzeichnen, nicht in seiner Wundermacht. Nachzutragen ist noch, daß das Ansehen des Apollonios hier in IV 13 sogar dazu führt, daß er dem Kapitän den Kurs des Schiffes vorgeben kann – das wird wie selbstverständlich geschildert: Auf seine Anweisung hin ankert man vor Methymna.121 Siehe Plu. Caes. 38,5f. und die weiteren Stellen oben. Die dem Apollonios folgende Menschenmenge ist auch an anderer Stelle noch angeführt; für die Überfahrt von Malea nach Kreta sucht man sich ein Schiff, das groß genug ist, die gesamte Gemeinschaft (τὸ κοινόν !) aufzunehmen (Philostr. VA IV 34 [79]): οὐσῶν δὲ ἐν Μαλέᾳ νεῶν πλειό115 116
νων, αἳ ἐς Κρήτην ἀφήσειν ἔµελλον, ἐνέβη ναῦν ἀποχρῶσαν τῷ κοινῷ· κοινὸν δὲ ἐκάλει τούς τε ἑταίρους καὶ τοὺς τῶν ἑταίρων δούλους, οὐδὲ γὰρ ἐκείνους παρεώρα (Übersetzung: Als bei
Malea viele Schiffe lagen, die nach Kreta fahren wollten, ging er an Bord eines Schiffes, das hinreichend Raum bot für die Gemeinschaft – Gemeinschaft nannte er seine Begleiter und die Sklaven der Begleiter, jene nämlich übersah er keineswegs). 117 Iamb. VP (3) 16. 118 Iamb. VP (3) 16: πάντα συντιθέντες τὰ τοιάδε καὶ ἐπισυλλογιζόµενοι δαίµονα θεῖον ὡς ἀληθῶς ἐπείσθησαν σὺν αὐτοῖς ἀπὸ Συρίας εἰς Αἴγυπτον µετιέναι (Übersetzung: Alles derartige brachten sie in Zusammenhang und gelangten in ihrer Schlußfolgerung zu der Überzeugung, daß tatsächlich ein göttlicher Dämon mit ihnen von Syrien nach Ägypten fahre). 119 Iamb. VP (3) 16f. 120 Philostr. VA V 17 (92): ἡγώµεθα δὲ τοῖς ὅσια πράττουσι γῆν µὲν πᾶσαν ἀσφαλῆ χῶρον εἶναι, θάλατταν δ’ εὔπορον οὐ πλέουσι µόνον, ἀλλὰ καὶ νεῖν πειρωµένοις (Übersetzung: Wir glauben aber, daß für diejenigen, die recht handeln, sowohl die ganze Erde ein sicherer Ort ist, als auch das Meer gut zu befahren, nicht nur für die Schiffer, sondern auch für die, die es mit dem Schwimmen versuchen). 121 Philostr. VA IV 13 (69): περιβαλὼν οὖν τὸ Τρωικὸν ἀκρωτήριον, ἐκέλευσε τὸν κυβερνήτην κατασχεῖν ἐς τὴν Αἰολέων, ἣ ἀντιπέρας Λέσβου κεῖται, πρὸς Μήθυµνάν τε µᾶλλον τετραµµένον ποιεῖσθαι τὸν ὅρµον (Übersetzung: Nachdem man das troische Vorgebirge umfahren hatte, befahl
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2 Biographisches
Wie verhält sich der Apollonios dieser Szene zum Paulus in Apg 27? Der Vergleichspunkt liegt sicher darin, daß sowohl in Apg 27 als auch hier die Bewahrung einer einzigen besonderen Persönlichkeit zugeschrieben wird.122 Doch über diese allgemeine Parallele hinaus sind bei näherem Hinsehen mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten festzustellen: Erstens wird die »Retterfunktion« – wenn man so will – dem Apollonios von seinen willigen Mitreisenden von außen angetragen, dieser akzeptiert sie dann. Paulus dagegen erhält im Kontext der Erzählung eine diesbezügliche Offenbarung, die er an seine Mitreisenden weitergibt (Apg 27,21–26). Nicht nur daß dem Paulus keine entsprechende Funktion von außen zugetragen wird, sondern er erhält ja auf die Verheißung der Rettung zunächst einmal überhaupt keine Reaktion, auch wenn es ihm letztlich gelingt, seine Mitfahrer der Rettung gewiß zu machen (Apg 27,33–36), und zumindest die Gefangenen ganz real um seinetwillen gerettet werden (Apg 27,42f.). Überhaupt kann von einem besonderen Ansehen des Paulus, außer in der Behandlung durch den Zenturio Iulius (27,3.43), keine Rede sein: Bestimmt ein Apollonios selbstverständlich die Route, so wird Paulus zwar Rederecht gewährt, aber doch letztendlich der Einfluß versagt (27,11f.). An anderer Stelle wechselt Apollonios auf der Reise von Sizilien sein Schiff in Leukas; ein weiser Entschluß, denn sein altes Schiff sollte scheitern (Philostr. VA V 18 [92]): ᾽Εµφιλοσοφήσας δὲ τῇ Σικελίᾳ χρόνον, ὃς ἀποχρῶσαν αὐτῷ σπουδὴν εἶχεν, ἐπὶ τὴν ῾Ελλάδα ἐκοµίζετο περὶ ἀρκτούρου ἐπιτολάς. ἀλύπου δὲ τοῦ πλοῦ γενοµένου κατασχὼν ἐς Λευκάδα “ἀποβῶµεν” ἔφη “τῆς νεὼς ταύτης, οὐ γὰρ λῷον αὐτῇ ἐς Ἀχαίαν πλεῦσαι”. προσέχοντος δὲ οὐδενὸς τῷ λόγῳ πλὴν τῶν γιγνωσκόντων τὸν ἄνδρα, αὐτὸς µὲν ἐπὶ Λευκαδίας νεὼς ὁµοῦ τοῖς βουλοµένοις ξυµπλεῖν ἐς Λέχαιον κατέσχεν, ἡ δὲ ναῦς ἡ Συρακουσία κατέδυ ἐσπλέουσα τὸν Κρισαῖον κόλπον.
Nachdem er eine Zeit lang, die ihm zur Genüge Möglichkeit zu Studien bot, als Philosoph in Sizilien tätig war, reiste er zum Aufgang des Arkturos nach Griechenland. Nach glücklicher Überfahrt und der Landung in Leukas sagte er: »Laßt uns von Bord dieses Schiffes gehen, denn es ist besser, nicht mit ihm nach Achaia zu fahren.« Keiner beachtete dieses Wort, außer diejenigen, die den Mann kannten, so begab er sich selbst an Bord eines Schiffes von Leukas – zusammen mit denjenigen, die mitfahren wollten – und landete in Lechaion; das syrakusische Schiff versank jedoch, als es in die krisäische Bucht einfuhr.
Wir haben es hier mit der unter den weisheitsbedingten Fähigkeiten des Apollonios äußerst prominenten πρόγνωσις, dem wunderbaren Vorauswissen, zu tun, er dem Kapitän auf die Äolis zuzuhalten, die Lesbos gegenüber liegt, und nachdem man sich nahe nach Methymna begegeben habe, dort vor Anker zu gehen). 122 Soweit ist Heininger, Paulus als Visionär, S. 296f., recht zu geben.
2.4 Vita Apollonii
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die Philostrat immer wieder in seinem Werk bemüht.123 Diese Fähigkeit wird hier auf die Gefahr zur See bezogen. Gleich hinzuzufügen ist eine ähnliche Stelle, nach der Apollonios den Damis von Rom aus zu Fuß nach Puteoli/Dikaiarcheia reisen läßt; Philostrat gibt hier angeblich den Bericht des Damis in indirekter Rede wieder (Philostr. VA VII 41 [149]): καὶ τριταῖος µὲν ἐλθεῖν ἐς Δικαιαρχίαν, ἀκοῦσαι δὲ καὶ περὶ τοῦ χειµῶνος, ὃς περὶ τὰς ἡµέρας ἐκείνας ἐγένετο, ὅτι πνεῦµα ὕποµβρον καταῤῥαγὲν τῆς θαλάσσης τὰς µὲν κατέδυσε τῶν νεῶν, αἳ ἐκεῖσε ἔπλεον, τὰς δὲ ἐς Σικελίαν τε καὶ τὸν πορθµὸν ἀπεώσατο, καὶ ξυνεῖναι τότε ὑπὲρ ὅτου ἐκέλευσεν αὐτὸν πεζῇ κοµίζεσθαι.
Am dritten Tag sei er nach Dikaiarcheia (Puteoli) gelangt und habe dort über den Sturm gehört, der in jenen Tagen herrschte, daß ein Regensturm über dem Meer hereingebrochen sei und einen Teil der Schiffe, die auf der Fahrt dorthin waren, versenkt habe, die anderen aber nach Sizilien und in die Meerenge abgetrieben habe, da habe er eingesehen, weshalb er ihm die Anweisung gegeben hatte, zu Fuß zu reisen.
Auch hier scheint Apollonios im voraus vom hereinbrechenden Sturm zu wissen. Läßt er also hier seine πρόγνωσις dem Damis ganz persönlich zuteil werden, so sind dort diejenigen begünstigt, die auf das Wort des Weisen acht geben. Es stellt sich die Frage, ob man dieses auf Gefahr zur See bzw. einen Sturm bezogene Vorauswissen in Parallele zur Ansprache des Paulus in Apg 27,9f. setzen sollte.124 Paulus beschwört hier seinerseits die Gefahr, die bei einer Abreise drohe. Seine Lagebeurteilung leitet er ein mit: ἄνδρες, θεωρῶ ὅτι . . . (v. 10). Es hängt für einen Vergleich an dieser Stelle gar nicht soviel davon ab, ob man das θεωρεῖν als Hinweis auf eine Vision o.ä. lesen, also es als visionssprachlichen Ausdruck verstehen sollte.125 Das scheint mir zwar die einleuchtendste Verständnismöglichkeit zu sein;126 aber selbst wenn man hier nur eine Erkenntnis seitens des Paulus ohne Visionsbezug voraussetzt, bleibt es dabei, daß er vorauswissend Unheil ankündigt, das dann zu einem gewissen Teil auch eintritt. Die Intensität der Betonung prognostischer Fähigkeiten trennt aber unsere beiden PhilostratStellen deutlich von dem, was in Apg 27,9f. über Paulus berichtet wird: Wird 123 Es ist müßig, alle Stellen hier aufzuzählen: Vgl. beispielsweise das oben angeführte Rätselwort über den Isthmus-Durchstich in seinem Kontext (Philostr. VA IV 24 [74f.]). Weitere Stellen bei: Petzke, Traditionen, S. 172–174; Heininger, Paulusbild, S. 418f. mit Anm. 56; siehe zur πρόγνωσις auch Esser, Formgeschichtliche Studien, S. 90f., der aber fälschlich auch in der oben betrachteten Stelle IV 13 (69) die Voraussage eines Seesturms erkennen will (S. 90); Gallagher, Divine Man, S. 161; Reimer, Miracle and Magic, S. 55f. 124 So bei Heininger, Paulusbild, S. 418f. 125 Dafür tritt Heininger, Paulus als Visionär, S. 290f. mit Anm. 92, ein. 126 Siehe zu dieser Frage unten, z.St. Vgl. in bezug auf die auch von Heininger angeführte lukanische Vergleichsstelle Lk 10,18 aber Becker, Auferstehung Jesu Christi, S. 228, der hier für ein bloß geistiges Sehen, also Urteilen, plädiert.
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2 Biographisches
für Apollonios die πρόγνωσις immer wieder ausgewertet und als eine seiner herausragenden Fähigkeiten hingestellt, so bleibt Paulus der nur vergleichweise farblose Warner, den man überhört, der aber recht behalten sollte. Hinzuzufügen wäre lediglich, daß auch dem Apollonios in V 18 (92) seinerseits nicht von allen Folge geleistet wird, sondern nur von den wenigsten: προσέχοντος δὲ οὐδενὸς τῷ λόγῳ πλὴν τῶν γιγνωσκόντων τὸν ἄνδρα. Die anderen haben dann mit dem Schiffbruch des alten Schiffs zu bezahlen.127
127
Vgl. Reimer, Miracle and Magic, S. 169, Anm. 73.
3 Der ideale oder Liebesroman In diesem Kapitel werden die für unsere Fragestellung interessanten Partien der antiken Liebesromane untersucht, wobei insbesondere die vergleichbare Motivik herausgestellt werden soll. Der Hirtenroman des Longos ist dabei mit in die Behandlung aufgenommen worden, obwohl es sich ja bei ihm nicht um einen Reiseroman handelt, wie es bei den anderen Liebesromanen der Fall ist. Weil gerade aber auch dieser Hirtenroman allem Anschein nach nicht auf das Abenteuer zur See verzichten konnte, sei ihm hier ein kurzes Unterkapitel gewidmet. Ebenfalls wurde der anonym überlieferte Roman über den König Apollonios (Historia Apollonii regis Tyri) an dieser Stelle aufgenommen, auch wenn es sich bei diesem nicht um einen griechischen Roman handelt; er verdient aber eine gewisse Beachtung, weil er zum Teil Märchen- und Romanmotive bietet, die Anspruch auf hohes Alter erheben dürfen (s. dazu unten). In der Reihenfolge der Behandlung orientiere ich mich im Wesentlichen an der vermutlichen chronologischen Abfolge.1 Gerade aber über die Chronologie der uns erhaltenen Romane ist nach wie vor keine Einigung erzielt; Versuche nachzuweisen, welcher der Romanautoren welchen anderen imitiert oder als Vorbild genommen hat, sind immer wieder gescheitert bzw. konnten jeweils auch umgekehrt werden, nicht zuletzt, weil es wohl immer ein von Subjektivität nicht gänzlich zu befreiendes Urteil ist, welche Gestalt eines Motivs oder welche Story- oder PlotKonstruktion man für älter oder ursprünglicher zu halten hat.2 Nichtsdestoweniger ist man aber in der Datierungsfrage um einiges weiter gekommen, und zwar vor allem durch einige glückliche Papyrus-Funde; hatte Erwin Rohde in seinem (nach wie vor) bemerkenswerten Buch Der Griechische Roman und seine Vorläufer noch in Unkenntnis der Papyri und infolge seiner
1 Die Ausnahme bildet hier die eben erwähnte Historia Apollonii regis Tyri, die uns nur aus spätantiken Redaktionen überliefert ist. Sie steht hier an dritter Stelle und ist nach dem NinosRoman und dem Werk des Chariton so eingeordnet worden, weil die historia wie diese Werke zu denjenigen Romanen gehört, die mit einem historischen, oftmals hellenistischen oder noch älteren Kolorit arbeiten. 2 Auf diesen mißlichen Umstand wies Franz Zimmermann schon 1950 in seinem »Nachkriegsforschungsbericht« hin: Zimmermann, Zum Stand, S. 59 mit Anm. 4 (S. 61). Vgl. auch die treffenden Formulierungen zu diesem grundsätzlichen Problem bei Weinreich, Der gr. Liebesroman, S. 9f.
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3 Der ideale oder Liebesroman
Entstehungshypothese des Romans als spätes Kind der zweiten Sophistik3 fatale Fehldatierungen insbesondere im Fall von Chariton und Achilleus Tatios vorgenommen, so ist man heute von einer wesentlich früheren Verbreitung der Romanliteratur in Frage kommender Art überzeugt.4
3.1 Der Ninos-Roman, Frg. C (PSI XIII 1305) Von dem sogenannten Ninos-Roman, der nach seinem Heros Νίνος benannt ist,5 haben wir insgesamt vier Fragmente.6 Der Papyrus Berol. inv. 6926 mit den Frg. A & B nun ist für die Datierung des Ninos-Romans von entscheidender Bedeutung: Auf dem verso (d.h. der Rückseite) enthält er Abrechnungen, die auf 100/101 n.Chr. zu datieren sind.7 Für die Feststellung des terminus ante quem ist jedoch zu bedenken, daß die Partien unseres Romans auf dem recto des Papyrus in kalligraphischer Schrift verfertigt sind, so daß man ca. einen Zeitraum von 50–70 Jahren annehmen kann, bis ein solch schön gearbeitetes Stück als »Notizzettel« für Abrechnungen mißbraucht wurde.8 Kussl fordert, daß man mit der Datierung aber nicht zu weit ins 1. Jh.v.Chr. zurückgehen dürfe, weil Ansätze attizistischer Sprache zu beobachten seien und insbesondere eine rhetorische Ausgestaltung in A 2–4.9 Schließlich wird man wohl doch auf eine Datierung ins 1. Jh.n.Chr. zurückkommen.10 Vgl. das 3. Kapitel des Rohdeschen Werks Die griechische Sophistik der Kaiserzeit (Rohde, Der Griechische Roman, S. 310–387). 4 Vgl. zu Rohdes Datierungen Teile seines vierten Kapitels Die einzelnen sophistischen Liebesromane (Rohde, Der Griechische Roman, S. 409–435.453–554) und zu den ungefähren Datierungen, die man heute eher geneigt ist anzunehmen, jeweils mein entsprechendes Unterkapitel. Anzumerken ist schließlich, daß das Pendel in der jüngsten Forschung gewissermaßen wieder zurückschlägt, und man allzu frühen Romanhypothesen skeptisch gegenübersteht, vgl. dazu etwa Holzberg, Der antike Roman, S. 51–58. 5 Er kommt beispielsweise vor in: Ninos B 28; C 42; D 5. 6 Sie werden A, B, C und D benannt; die zuerst bekannt gewordenen Fragmente A und B gehören zu ein und demselben Berliner Papyrus: P. Berol. inv. 6926. 7 Kussl, Papyrusfragmente, S. 68. Aufgrunddessen halten Fusillo/Galli zunächst die notwendige Frühdatierung fest: »nicht nach dem 1. Jh.n.Chr.« (Fusillo/Galli, Art. Ninos-Roman, Sp. 952). 8 Kussl, Papyrusfragmente, S. 68. 9 Kussl, Papyrusfragmente, S. 69. Vgl. dagegen beispielweise Weinreich, Der gr. Liebesroman, S. 10, und Lesky, Geschichte, S. 962, die bis ins 2. Jh.v.Chr. zurückdatieren wollen, wobei Lesky auch auf sprachliche Beobachtungen verweist, wie etwa die ausgeprägte Tendenz zur Hiatvermeidung. Die ganze Spanne vom 1. Jh.v. bis zum 1. Jh.n.Chr. hält sich Dihle für die Datierung offen: Dihle, Die gr. und lat. Literatur, S. 147. 10 Dafür spricht sich aufgrund überlieferungs- und sprachgeschichtlicher Argumente auch Holzberg, Der antike Roman, S. 45f., aus. 3
3.1 Der Ninos-Roman
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Uns interessiert hier jedoch v.a. das Frg. C, weil es von einer Strandung berichtet.11 Der Papyrus enthält auf dem recto eine Kolumne von 50 Zeilen, die nicht so sorgfältig geschrieben sind, wie die auf dem Berliner Papyrus (Frg. A und B);12 er ist etwa auf die Mitte des 1. Jh.n.Chr. zu datieren.13 Nun zum Text des Frg. C selbst;14 das Fragment läßt sich in drei Teile gliedern: 1. »Gespräch« (C 1–16); 2. Ortsbeschreibung (C 16–23); und 3. Beschreibung des gestrandeten Schiffs, Rettung der κτήµατα,15 Situation der Geretteten am Strand (C 23–50). Aufgrund seines fragmentarischen Charakters bereitet der Text einige Probleme, ganz besonders im ersten Teil, dem sog. Gespräch. Hier redet jemand – womöglich der Heros Ninos selbst – eine Frau in direkter Rede an; das zeigt sich unbestreitbar an dem Vokativ γύναι (C 3), der vokativischen Endung eines ansonsten zerstörten Adjektivs δ. αστε. (C 3)16 und dem eventuell als Rest eines Imperativs der 3. Pers. Sing. zu interpretierenden έ. τω. (C 16).17 Soviel ist also klar, allerdings war das auch alles! Franz Zimmermann setzt seine Rekonstruktionsvorschläge m.E. zu optimistisch ins Werk; nach den vom ihm vorgenommenen Ergänzungen empfiehlt der hier Redende der angeredeten Frau eine zweite Frau18 und eine andere männliche Person als Begleiter; der Interpretation Zimmermanns nach will sich Ninos nämlich von seiner Frau, deren Namen er als Καλ λιγε | ν. ία (C 3f.) wiederherstellt,19 trennen und sie den beiden anderen Personen anvertrauen.20 Diese Textrekonstruktion (und Interpretation) erscheint mir als sehr unsicher: Erstens arbeitet sie ohne Not 11 1932 in Oxyrhynchos gefunden, erfuhr es erst 1945 die editio princeps und wurde dann in Bd. XIII der PSI unter Nr. 1305 aufgenommen (mir leider nicht verfügbar). Vgl. hierzu die Angaben bei Zimmermann, Das neue Bruchstück, S. 175. 12 Kussl, Papyrusfragmente, S. 81. 13 Kussl, Papyrusfragmente, S. 81; Zimmermann, Das neue Bruchstück, S. 175. 14 Der Text findet sich bei: Zimmermann, Das neue Bruchstück, S. 178f. (mit Apparat und Übersetzung); Kussl, Papyrusfragmente, S. 31f. (ebenso mit Apparat und Übersetzung, sowie Kommentar S. 63–67); Stephens/Winkler, S. 63–70. 15 Im Text heißt es: πάντα | τ. ὰ ἐν τῇ νηΐ, C 32f. 16 Zusammen mit dem in Z. 2 erhaltenen περί wird man das wohl zu περι σπού | δ. αστε. ergänzen dürfen; das hatte Zimmermann vorgeschlagen (Zimmermann, Das neue Bruchstück, S. 176), Kussl, Papyrusfragmente, S. 64, schließt sich ihm an (unter Angabe von Parallelstellen), auch wenn er die Ergänzung nicht in seinen Text aufnimmt, passend zu seiner auch sonst durchweg (zu?) vorsichtigen Rekonstruktion (S. 31). 17 Diese Interpretation ziehen sowohl Zimmermann, Das neue Bruchstück, S. 177.180, als auch Kussl, Papyrusfragmente, S. 63, Anm. 1, in Erwägung. 18 Diese Frau habe ihn zuvor »an Bord genommen« (Zimmermann, Das neue Bruchstück, S. 177): ἀ. νειληφυ. ῖα (C 5); zur Bedeutung von »an Bord nehmen« für ἀναλαµβάνω führt Zimmermann als Stellen Th. VII 25,4 (Aufnahme von thespischen Hopliten durch die Syrakusaner: καὶ ἀναλαβόντες αὐτοὺς οἱ Συρακόσιοι ἐπὶ τὰς ναῦς παρέπλεον ἐπ’ οἴκου.) und Apg 20,13f. an. 19 Καλλιγενία = Καλλιγενεία, vgl. Zimmermann, Das neue Bruchstück, S. 176.180; Kussl ist da skeptischer (Kussl, Papyrusfragmente, S. 63 mit Anm. 1). 20 Zimmermann, Das neue Bruchstück, S. 180.
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3 Der ideale oder Liebesroman
mit vier beteiligten Personen; zweitens ist die Interpretation, und freilich auch die dadurch geleitete Textrekonstruktion, v.a. durch das von Zimmermann hier angenommene Motiv »des ›liebsten Freundes‹«21 (die zweite männliche Person) bestimmt. Auf das Erste hat Kussl aufmerksam gemacht:22 C 4f. kann man nämlich mit gutem Grund (vgl. die davor stehenden Vokativ-Formen) auch folgendermaßen ergänzen: κα. θ. άπερ ἐδήλ. ωσας | ἀ. νειληφυ. ῖά µε, also »wie Du gezeigt hast, als Du mich aufgenommen hast«.23 Auch die kaum mehr ganz sicher zu rekonstruierende Passage C 6–9 läßt immerhin die Möglichkeit offen, daß auch hier nicht von einer anderen Person gesprochen wird, sondern der Sprecher sich selbst lobend hervorhebt – wie das genau aussah, muß angesichts des Textzustandes fraglich bleiben.24 Zum zweiten Punkt ist folgendes festzuhalten: Das Motiv des »liebsten Freundes« (stillschweigend) zur Interpretations- und Rekonstruktionsgrundlage zu erheben, ist wohl nicht angemessen – wir werden unten sehen, daß man genau so gut auch ein anderes anführen könnte, nämlich das Motiv der freundlichen Aufnahme der Gestrandeten. Wie hängt dieses Gespräch aber nun mit den folgenden Teilen des Fragments zusammen, und welche Interpretationsmöglichkeiten ergeben sich? Sollte sich das so problematische Gespräch, wie Zimmermann annimmt,25 vor der ab C 23 geschilderten Strandung, jedoch schon nachdem die eigentliche Katastrophe eingetreten war, ereignen, so fragt man sich, ob eine derartige literarische Konstruktion, wirklich denkbar ist: Wie soll man denn in der Erzählung nach dem (so Zimmermann26 ) hitzigen Gespräch innerhalb so kurzer Erzählzeit (nicht ganz zwei der kurzen Zeilen!) zum Bericht der Strandung gekommen sein? Erschwerend kommt ja noch hinzu, daß sich ab C 17 eine der üblichen Landschaftsbeschreibungen ausmachen läßt.27 Nimmt man nun aber an, daß das Zimmermann, Das neue Bruchstück, S. 180. Kussl, Papyrusfragmente, S. 64f. mit Anm. 8. 23 Zimmermann ergänzt stattdessen: ἐδήλ. ωσεν (Zimmermann, Das neue Bruchstück, S. 178). 24 Vgl. Kussl, Papyrusfragmente, S. 64, Anm. 8, der einen genitivus absolutus folgender Gestalt für denkbar hält: ἐµ οῦ ἐπικούρ ου ν. αύτου καὶ ἐπιστή µονος κ. υ. βερνήτου (sc. ὄντος). In seinem Text (a.a.O., S. 31) hält sich Kussl jedoch an den überlieferten Bestand, und das mit gutem Grund, denn die von ihm für »denkbar« gehaltene Möglichkeit hat zwei Schwierigkeiten: 1. Die Annahme eines gen. abs., obwohl die Bezugsperson schon in einem anderen Kasus vorkam, was allerdings zuweilen auftritt, vgl. B/R § 246,3, Anm. 1 (S. 254); vgl. in unserem Textabschnitt Apg 28,6. 2. Der Wegfall des partizipialen Bestandteils eines gen. abs. ist extrem ungewöhnlich, selbst wenn es sich nur um ein ὄντος handelt. Als kritische Anfrage an Zimmermanns Rekonstruktion, der Akkusative annimmt, die den anderen Mann meinten, ist Kussls Möglichkeit die Beachtung wert – freilich ist sie genauso unsicher. 25 Zimmermann, Das neue Bruchstück, S. 180. 26 Zimmermann, Das neue Bruchstück, S. 180. 27 Kussl weist darauf hin, daß diese Ortsbeschreibung typische Züge der verbreiteten locus amoenus-Ekphrase aufweise: Kussl, Papyrusfragmente, S. 65 mit Anm. 11–15. 21 22
3.1 Der Ninos-Roman
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Gespräch zwischen dem Helden und einer Dame abläuft, bei der er und seine Gefährten nach der Strandung freundlich Aufnahme gefunden haben – und das ist ja bei anderer Rekonstruktion (s.o.) immerhin möglich –,28 so würde die Beschreibung des lieblichen Ortes nicht stören – um Leben oder Tod ginge es ja dann nicht mehr; der Erzählung läge im folgenden daran, die Rettung von Hab und Gut aus dem vorher aufgelaufenen Schiff, das nun kurz vorm Zerbersten ist, zu thematisieren.29 Dazu paßt, daß auf den eigentlichen Vorgang der Strandung nur mit dem Partizip ὀ | κ. εῖλαν bzw. ἐξο | κ. εῖλαν (C 26f.) bezug genommen wird. Gegen diese sehr attraktive Interpretation spricht allerdings nun wieder die Passage C 32–39, in der die Schiffsleute sich nach den Bergungsarbeiten am Strand niederlassen und ihr Schicksal bedenken; dabei scheinen sie in erster Linie nicht ihre Erschöpfung oder die Bewahrung des Materials vor Augen zu haben, sondern ihre eigene Rettung, ihr Überleben. Der Text lautet (C 32–39):30 καὶ πάντα | τ. ὰ ἐν τῇ νηῒ διασώσαν | τ ες {ε}ἱδρύθησαν ἐπὶ τῆς31 | ἠ. ϊόνος. ἐν µὲν οὖν | 32 τ. ῷ . ἀ. ν. ελ. π. .ίσ. τ. ῳ. πάντ’ ἐ π ό | ν ουν ὑπὲρ τῆς σωτηρ. ί | α ς, διασωθέντες δ’ ἐπ ε | θ ύ. µουν θανάτου.
Als sie dann alles, was auf dem Schiff war, gerettet hatten, ließen sie sich auf dem Strand nieder. Hatten sie sich in der völlig hoffnungslosen Situation in jeder Hinsicht abgemüht für ihre Rettung, so begehrten sie nun, da sie gerettet waren, den Tod.33
Man könnte nun wiederum sagen, daß der Plot möglicherweise so organisiert war, daß die Seeleute von der Strandung bis zur Rettung des letzten wichtigen Gegenstands unter Hochspannung standen und ohne ihre eigene Rettung zu »genießen« bis an die Grenze der Erschöpfung arbeiteten. Warum aber dann wieder das Gespräch, oder auch die Beschreibung des lieblichen Orts?34 Fazit: Wir wissen es nicht! Die Szene, die das gestrandete Schiff und die arbeitenden Seeleute beschreibt, enthält für uns Wichtiges: Schon in dem Gespräch wurde angedeutet, daß S.o.; als Text müßte man dann in der Tat: κα. θ. άπερ ἐδήλ. ωσας | ἀ. νειληφυ. ῖά µε, annehmen. Diese Möglichkeit der Interpretation zieht Kussl in Erwägung: Kussl, Papyrusfragmente, S. 64, Anm. 7. 30 Kussl, Papyrusfragmente, S. 32 (Interpunktion geändert). 31 Zimmermann unterläßt die Athetese in Z. 34. 32 Zimmermann liest in Z. 36f.: τ ῷ. π. ελά. γε. .ι πάντ’ ἐ π ε. | νό ουν. 33 Gerettete, die sich erschöpft auf dem Strand niederlassen, bieten auch Lukian in VH I 6 und A.Jo. (Prochoros, Zahn, S. 9, Z. 8–12). 34 Erheblich relativiert werden derartige Überlegungen zur Kohärenz des Plots freilich dadurch, daß auf den oben angeführten Satz (C 32–39) gleich folgt (C 39–42): καὶ ο ἱ | µ. ὲν ἄλλοι µετριώτε | ρο ν. τὴν µεταβολὴν | ἔφ ε. ρ. ον· ὁ δὲ Νίνος . . . . Übersetzung: Die anderen ertrugen die Schicksalswendung leichter; Ninos aber . . . ; Kussl führt diesen Widerspruch darauf zurück, daß der Verfasser die Antithese in C 32–39 aus rhetorischen Gründen besonders scharf zuspitzen wollte (Kussl, 28 29
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3 Der ideale oder Liebesroman
Seenot und letztlich Strandung des Schiffs durch eine plötzliche Änderung der Windrichtung herbeigeführt wurde (C 11–14).35 Das Schiff unseres Helden lief dann tatsächlich im Flachwasserbereich auf Sandbänke auf, wurde dort von den Wogen durchgeschüttelt und drohte zu zerbersten.36 Unser Text lautet hier (C 23–30):37 τὸ µὲν οὖν. | σ κάφο. ς. . . . | . . . πρός τ ι | σ. ιν ὑφάλο. .ις. ταινίαις . . . | κ. εῖλαν δ. .ιε σ αλεύετο . . . | . . . τ α. ῖς ἐµβο | λαῖς κ υ µ. άτω ν. ἀπολ. λ. ύ | µενον.
Nachdem also das Schiff . . . auf einige unterseeische Sandbänke aufgelaufen war, wurde es hin- und hergeworfen . . . vom Ansturm der Wogen (und drohte zu) zerbersten.38
Sollte darüber hinaus die oben erwogene Interpretation von der freundlichen Aufnahme des Helden durch seine Gesprächspartnerin zutreffen, so hätten wir noch das entsprechend benannte Motiv der freundlichen Aufnahme der Schiffbrüchigen vorliegen.39 Als Motiv drängt sich das schon vom Odyssee-Stoff her auf, v.a. von der Phäaken-Episode her.40 Wenn es sich bei dem in C 50 überlieferten Rest -θεισης um die Endung eines femininen passiven Aorist-Partizips handelt, und δορικτη in Verbindung damit folgende Ergänzung zuläßt (C 50f.): . . . θείσης δορικτή | του, und weiterhin Papyrusfragmente, S. 66, Anm. 21). Methodisch wirft das für die Ninos-Interpretation allerdings die Frage auf, wieviel Kohärenz wir überhaupt annehmen dürfen. 35 Vgl. zur plötzlichen Windänderung oder zum plötzlich hereinbrechenden Sturm: Charito III 3,10.18; Hist.Ap. 39; Herpyllis II 17–21.24–26; X.Eph. III 2,12; Ach.Tat. III 1,1; Hld. V 27,1f.; Arr. Peripl.M.Eux. 3,3; Luc. Nav. 7; VH I 9; II 47; und nicht zuletzt Apg 27,14. – Man beachte zum Sachverhalt hier im Ninos-Roman: Kussl, Papyrusfragmente, S. 65 mit Anm. 9; anders verhält es sich nach der Deutung von Zimmermann, er nimmt für unsere Stelle hier eine willentlich herbeigeführte Kursänderung an (Zimmermann, Das neue Bruchstück, S. 178.180). 36 Vgl. Apg 27,41, dort haben wir allerdings ein etwas anderes Bild: Nachdem die Seeleute das Schiff auf einem τόπος διθάλασσος (wohl unfreiwillig) hatten auflaufen lassen (ἐπέκειλαν), verharrte es regungslos (ἀσάλευτος), und unter der Gewalt der Wogen wurde das Heck zertrümmert (ἐλύετο). 37 So der Text nach Kussl, Papyrusfragmente, S. 31f.; zu einer etwas wagemutigeren Rekonstruktion vgl. Zimmermann, Das neue Bruchstück, S. 1780. 38 Nur eine »ungefähre« Übersetzung! – Zu gestrandeten Schiffen vgl. auch Hld. V 27,7 (mit der berühmten Szene Hld. I 1,1–2,9); Luc. VH II 47; Merc.Cond. 1f.; Apg 27,41ff. 39 Hist.Ap. 12; X.Eph. V 1,2; Herpyllis II 1–7; Petr. 114,14; 115,6; Hom.Clem. XII 17,1–18,1; Synes. ep. 4,165a; und nicht zuletzt Apg 28,1f. 40 S. zur Ankunft des Odysseus auf der Insel der Phäaken Od. V 388–493: nach der Zertrümmerung seines Floßes durch die »Gewalt des Poseidon« wird er an die Klippen der Insel gespült, nur mit Mühen und unter Gebet kann er sich aus der Brandung in die Mündung eines Flusses und von dort auf einen waldbedeckten Hügel retten; hierhin kommt Nausikaa, die Tochter des Alkinoos, und nimmt sich des Gestrandeten freundlich an: Od. VI 110–331. Vgl. Kussl, Papyrusfragmente, S. 64, Anm. 7; Merkelbach, Roman, S. 162, Anm. 2 (Merkelbach geht hier auf die Schiffbruchszene in der Historia Apollonii regis Tyri ein: Hist.Ap. 11f.).
3.2 Chariton: Chaireas und Kallirhoë
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das Ganze sich auf die Heldin, die Frau/Verlobte des Ninos bezieht,41 dann hätten wir hier wieder einmal die Trennung der Liebenden ganz eng – wenn auch nicht ursächlich – mit dem Seenot- und Schiffbruchmotiv verknüpft; dem werden wir auch im folgenden noch begegnen.
3.2 Chariton: Chaireas und Kallirhoë Der Liebesroman des Chariton von Aphrodisias ist das älteste uns vollständig erhaltene Werk seiner Art. Dieser Roman mit dem Titel Τὰ περὶ Χαιρέαν καὶ Καλλιρόην wurde auch im höchsten Maße Opfer der alten Fehldatierungen: »Nur so viel scheint eine genauere Betrachtung seines Romans zu lehren, dass er die Romane des Jamblichus, Heliodorus und nicht am Wenigsten den des Xenophon vor Augen hatte und nachbildete. Wenn sich ein gleiches Verhältniss unseres Dichters zum Achilles Tatius nachweisen liesse, so würde man denselben schwerlich vor den Anfang des sechsten, höchstens in die letzten Zeiten des fünften Jahrhunderts setzen dürfen.«42 Ohne irgendeine Häme damit zu verbinden, muß man sagen: Auch Philologie kann zuweilen irren, und zwar in nicht geringem Maße. Neuere Funde mehrerer Papyri – die Rohde eben noch nicht kennen konnte – belegen eindeutig, daß der Roman unseres Chariton im 2. Jh.n.Chr. verbreitet war, wobei die Mehrzahl der Funde eben gerade eine weite Verbreitung nahelegt: »Man muß ihn recht geschätzt haben.«43 Diesen Funden entsprechend wird Chariton inzwischen zumeist auf das 1. Jh.n.Chr. datiert.44 Der Roman über das Paar Chaireas und Kallirhoë enthält zwar keinen Schiffbruch, aber den sehr interessanten Bericht über eine Sturmfahrt:45 Diese Sturm41 Vgl. Kussl, Papyrusfragmente, S. 66f. mit Anm. 25; Zimmermann, Das neue Bruchstück, S. 180. Nebenbei sei bemerkt, daß dies natürlich die Zimmermannsche Deutung der weiblichen Gesprächspartnerin als genau dieselbe Frau/Verlobte des Ninos völlig unmöglich macht, er jedoch läßt beides nebeneinander stehen: Zimmermann, Das neue Bruchstück, S. 176.180; zur Kritik vgl. wieder Kussl, Papyrusfragmente, S. 67. 42 Rohde, Der Griechische Roman, S. 521f. 43 Zimmermann, Zum Stand, S. 61, Anm. 15. 44 Vgl. zur Datierung und den maßgeblichen Papyrusfunden: Zimmermann, Zum Stand, S. 60, Anm. 15f.; Sontheimer, Art. Chariton; Fusillo, Art. Chariton, Sp. 1104; Fusillo, Art. Roman II, Sp. 1108f. Lesky, Geschichte, S. 957 mit Anm. 3, und Dihle, Die gr. und lat. Literatur, S. 147 (vgl. auch Dihle, Gr. Literaturgeschichte, S. 340), erwägen aus sprachlichen Gründen sogar eine Datierung ins 1. Jh.v.Chr., so mit Papanikolaou, Chariton-Studien (s. die Einleitung S. 9–12 sowie S. 153–163 zum Verhältnis zu Xenophon von Ephesos und zur Zusammenfassung). 45 Das im folgenden Ausgeführte übersehen Schierling/Schierling, The Influence, S. 85, wenn sie sagen, daß alle überlieferten Romane entweder einen Sturm oder einen Schiffbruch enthielten, wobei Der Goldene Esel (Apul. Met.) und der Roman des Chariton eine Ausnahme darstellten; die eine der beiden Ausnahmen ist keine!
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3 Der ideale oder Liebesroman
fahrt findet sich im 3. Buch (Kap. 3,9–12) und ist sehr schematisch geschildert. Sie zeigt die göttliche Bestrafung der frevelhaften Grabräuber durch die personifizierte Πρόνοια, nachdem sie ihre »Beute« Kallirhoë verkauft haben. Die Piraten unter ihrem Anführer Theron brechen von Milet auf, um nach Kreta zu segeln, weil sie der Meinung sind, dort ließe sich das andere Diebesgut leicht verkaufen (III 3,9). Dann aber werden sie von einem ἄνεµος σφοδρός aufs Ionische Meer verschlagen (Charito III 3,10): ὑπολαβὼν δὲ αὐτοὺς ἄνεµος σφοδρὸς εἰς τὸν ᾽Ιόνιον ἐξέωσεν, κἀκεῖ λοιπὸν ἐπλανῶντο ἐν ἐρήµῳ θαλάσσῃ.
Ein heftiger Wind aber ergriff sie und trieb sie aufs Ionische Meer hinaus, und dort irrten sie weiter allein auf dem Meere umher.46
Weitere Zeichen, die die Πρόνοια wirkt, sind Donner, Blitze und Dunkelheit.47 Die Verbrecher werden auf dem Meere gleichsam festgehalten; der Gott zögert den Schiffbruch hinaus (µακρὸν αὐτοῖς ποιῶν τὸ ναυάγιον, III 3,10). So lange auf dem Meer treibend, fehlt es ihnen schließlich am Notwendigsten, insbesondere an Wasser, weswegen alle – bis auf den Erzschuft Theron – auch verdursten, und zwar inmitten aller geraubten Reichtümer (Charito III 3,11f.): θαλαττεύοντες δὲ πολὺν χρόνον ἐν ἀπορίᾳ κατέστησαν τῶν ἀναγκαίων, µάλιστα δὲ τοῦ ποτοῦ, καὶ οὐδὲν αὐτοὺς ὠφέλει πλοῦτος ἄδικος, ἀλλὰ διψῶντες ἀπέθνησκον ἐν χρυσῷ. . . . οἱ µὲν οὖν ἄλλοι πάντες ἔθνησκον ὑπὸ δίψης, Θήρων δὲ καὶ ἐν ἐκείνῳ τῷ καιρῷ πανοῦργος ἦν· ὑποκλέπτων γὰρ τοῦ ποτοῦ καὶ τοὺς συλλῃστὰς ἐλῄστευεν.
Lange Zeit auf dem Meer herumtreibend bekamen sie Mangel am Notwendigen, am meisten jedoch an Getränk, und der ungerecht erworbene Reichtum nutzte ihnen nichts, sondern sie starben an Durst im Golde. . . . Die anderen starben also alle an Durst, Theron aber erwies sich auch in jener Situation als Schuft: er unterschlug nämlich Getränk und beraubte seine Miträuber.48
Die Schuft Theron nun wird von der Triere des Chaireas aufgegriffen, der gerade erfolglos unterwegs war, die vermißte Kallirhoë zu suchen. Von Chaireas verhört, 46 Zum Ergriffenwerden durch einen widrigen Wind vgl. Apg 27,14f. (als Verleichspassage angeführt bei van der Horst, Chariton, S. 353f.); das Schiff treibt in der Apostelgeschichte jedoch auf dem Meer umher, das dort Ἀδρίας genannt wird (vgl. zu den sich wandelnden Meeresbezeichnungen: Treidler, Das Ionische Meer, S. 86–91). Vgl. weiter zu dem häufig auftretenden Phänomen der plötzlichen Windänderung oder des plötzlich hereinbrechenden Sturms: Ninos C 11–14; Hist.Ap. 39; Herpyllis II 17–21.24–26; X.Eph. III 2,12; Ach.Tat. III 1,1; Hld. V 27,1f.; Arr. Peripl.M.Eux. 3,3; Luc. Nav. 7; VH I 9; II 47. 47 Charito III 3,10: βρονταὶ δὲ καὶ ἀστραπαὶ καὶ νὺξ µακρὰ κατελάµβανε τοὺς ἀνοσίους (Übersetzung: Donner, Blitz und andauernde Nacht umfing die Frevler). – Vgl. zur Dunkelheit bzw. Finsternis auch Hist.Ap. 11; Herpyllis II 38–54 (bes. 50.53); Ach.Tat. III 1,1; 2,2; Petr. 114,1.3; Luc. Nav. 9; Tox. 20; VH I 6; Aristid. Or. XLVIII 65; Apg 27,20. 48 Die in Apg 27,21.33–38 vorausgesetzte Situation, daß die Passagiere nichts an Nahrung zu sich nehmen, ist freilich ganz anderer Natur: Leiden die Leute des Theron Mangel, so scheint ja an Bord
3.2 Chariton: Chaireas und Kallirhoë
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erzählt Theron dann seine Lügengeschichte – wie es sich für einen solchen Schuft gehört49 –; er gibt sich als Kreter aus, der in Ionien50 seinen Bruder suchen wollte, jedoch auf Kephallenia zurückgelassen wurde (Charito III 3,18): ἐπέβην τοῦδε τοῦ κέλητος παραπλέοντος εὐκαίρως. ἐξαισίοις δὲ πνεύµασιν ἐξεώσθηµεν εἰς ταύτην τὴν θάλασσαν· εἶτα γαλήνης µακρᾶς γενοµένης δίψει πάντες ἀνῃρέθησαν, ἐγὼ δὲ µόνος ἐσώθην ὑπὸ τῆς ἐµῆς εὐσεβείας.
Ich ging an Bord dieses Schnellseglers, der glücklicherweise gerade vorbei segelte. Durch heftige Winde aber wurden wir auf dieses Meer hinaus getrieben; dann trat eine andauernde Windstille ein und alle wurden vom Durst hinweggerafft, ich allein aber wurde errettet aufgrund meiner Frömmigkeit.51
Ganz natürlich wird hier in der 1. Person berichtet, weil es sich ja um eine Textpassage auf der zweiten Ebene der Kommunikation handelt; wir werden auf dieses Phänomen noch zu sprechen kommen.52 Anzuführen ist darüber hinaus noch die Aufbruchsszene der Gesandtschaft von Syrakus: Es ist noch Winter, und man überlegt, ob man nicht lieber auf die für die Seefahrt günstige Jahreszeit warten solle (Charito III 5,1): Τοῖς µὲν οὖν ἄλλοις ἅπασιν ἐδόκει περιµένειν τὴν ὥραν τοῦ πλοῦ καὶ ἔαρος ὑπολάµψαντος ἀνάγεσθαι· τότε γὰρ ἔτι χειµὼν εἱστήκει καὶ παντάπασιν ἀδύνατον ἐδόκει τὸν ᾽Ιόνιον περαιοῦσθαι.
Alle anderen hielten es nun für besser, die für die Seefahrt (günstige) Jahreszeit abzuwarten und (erst) in See zu stechen, wenn der Frühling »zu leuchten beginne«; noch nämlich war Winterszeit, und allen erschien es völlig unmöglich, das Ionische Meer zu überqueren.
Chaireas drängt im folgenden aber zur Eile, und so fährt man ab. Diese Szene ist mit Apg 27,9–12 zu vergleichen:53 In der Apostelgeschichte ist das Jahr schon so weit fortgeschritten, daß die Seefahrt gefährlich wird; hier ist umgekehrt der Winter noch nicht vorüber. In beiden Fällen steht damit die anhebende Seefahrt unter ungünstigen Vorzeichen, was hier bei Chariton völlig effektlos bleibt, in des Paulus-Schiffs genug Nahrung zu sein (v. 38) – die Verweigerung, etwas zu essen, ist in dieser Erzählung Ausdruck der in v. 20 auf die Spitze getriebenen verzweifelten Situation. 49 Charito III 3,17: Θήρων δὲ ἐµνηµόνευεν ἑαυτοῦ ὡς πανοῦργος ἄνθρωπος καὶ . . . εἶπεν. 50 Gemeint ist hier anscheinend nicht das kleinasiatische Ionien: Vgl. zu den Namen Ionien (als Landschaft im Westen Griechenlands), ionische Inseln und Ionisches Meer: Treidler, Das Ionische Meer, S. 91ff. 51 Zur Gefahr der Windstille siehe auch: AP VII 293; Hld. V 23,2f. 52 Auch unser Text in der Apostelgeschichte gehört ja zu den umstrittenen »Wir«-Stücken – wobei hier aber gerade jeder Hinweis auf einen Wechsel der Kommunikationsebene fehlt! Vgl. den entsprechenden eigenen Abschnitt und die Einzelanalyse unten. 53 Als diesbezügliche Vergleichpassage wird sie auch aufgeführt bei van der Horst, Chariton, S. 353.
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3 Der ideale oder Liebesroman
der Apostelgeschichte jedoch erzählerisch die Katastrophe vorbereitet. Ein bemerkenswerter Unterschied ist es auch, daß hier bei Chariton der Held selbst zur Abfahrt drängt und nicht zu den Warnern zählt wie in der Apostelgeschichte.54 In Hld. V 18,2 wird die Bewunderung der Zuschauer im Hafen darüber erwähnt, daß das Schiff die Fahrt zur Winterszeit so glücklich überstanden habe.55 Es kommt nun zu einer geradezu typischen Abschiedsszene mit Volksauflauf, der der Verfasser eine schmucklose Aufzählung der üblichen Gefühle und Handlungen (III 5,3) einfügt; näher in den Blick genommen werden nur Chaireas und seine Eltern (III 5,4–6) sowie sein Freund Polycharmos und dessen Eltern (III 5,7f.).56 Weiterhin ist bemerkenswert der Zusammenhang eines Gebets des Chaireas (III 5,9) und die unmittelbar darauf folgende, auf wenige Wörter kondensierte Darstellung der glänzend verlaufenden Fahrt nach Kleinasien (III 6,1): Chaireas richtet in seinem Gebet Wünsche an das Meer selbst und an Poseidon, wobei allerdings das Erreichen des Ziels der Fahrt – nämlich Kallirhoë wiederzufinden und heimzuführen – stärker im Blick ist als die Gefahren der Seefahrt, die gerade zu ungünstiger Reisezeit nicht zu unterschätzen sind (Charito III 5,9): ἄγε µε . . . ὦ θάλασσα, τὸν αὐτὸν δρόµον ὃν καὶ Καλλιρόην ἤγαγες. εὔχοµαί σοι, Πόσειδον, ἢ κἀκείνην µεθ’ ἡµῶν ἢ µηδὲ ἐµὲ χωρὶς ἐκείνης ἐνταῦθα. εἰ µὴ γὰρ δύναµαι τὴν γυναῖκα τὴν ἐµὴν ἀπολαβεῖν, θέλω κἂν δουλεύειν µετ’ αὐτῆς.
Führe mich, Meer, auf derselben Route, auf der du Kallirhoë geführt hast. Ich bete zu dir, Poseidon, entweder jene mit uns hierher (zurückfahren zu lassen), oder ohne jene auch mich nicht. Wenn ich meine Frau nicht wiederbekommen kann, dann will ich (lieber) mit ihr – wenn’s denn sein muß – Sklavendienste leisten.57
An diesem Gebet zeigt sich die unbedingte Fixierung auf das Zusammensein des Liebespaars: Immer wieder wird das gemeinsame Unglück (bis zum Tod) der Trennung vorgezogen. Dieser Topos wird auch in bezug auf die beiden Freunde Ähnlich bei Herpyllis II 2–11, wo allerdings nicht die ungünstige Jahreszeit im Blick ist, sondern konkrete Wetterzeichen. Vgl. auch den ungehörten Warner bei Plu. Dio 25,4f. 55 S. auch Hld. V 21,3, wo der Phönizier vorschlägt, einen anderen Winterhafen aufzusuchen. Siehe zur gefährlichen Seefahrt in Herbst und Winter auch Philostr. VA IV 13 (69); vgl. überhaupt zur jahreszeitlich gebundenen Seefahrt in der Antike z.B.: Casson, Ships, S. 270–273; Casson, Travel, S. 150; Rapske, Acts, S. 22–29. 56 Vgl. etwa die Abschiedsszene bei X.Eph. I 10,5–11,1, wo auch typische Elemente neben der besonderen Hervorhebung der Eltern stehen. Vgl. zum Vergleich der erzählerischen Funktion von Volksmengen im Roman des Chariton und im lukanischen Doppelwerk Ascough, Narrative Technique, S. 74ff.; der hier vorliegende Volksauflauf erscheint aber in dem Zusammenhang wenig vergleichswürdig, weil das Volk hier mehr oder weniger nur Inventar der Abschiedsszene ist und keine aktive Rolle übernimmt. 57 Vgl. zum Gebet auch h.Hom. 33,8–11; Plu. Dio 25,10; Hist.Ap. 39; Herpyllis II 60; Jon 1,5.14; Ps 107,28; TestNaph VI 8; und Apg 27,29. 54
3.3 Die historia Apollonii regis Tyri
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Chaireas und Polycharmos bemüht, die nach dem Angriff der Perser auf das Schiff darum bitten, als Sklaven an einen Herrn verkauft zu werden (III 7,3).58 Die Beschreibung der glänzend verlaufenden Fahrt ist das motivische Gegenstück zur Seenotschilderung – hier haben wir ein extrem gedrängtes und somit wenig eindrucksvolles Exemplar vor uns.59
3.3 Die historia Apollonii regis Tyri Die historia Apollonii regis Tyri ist der einzige lateinische Liebes- und Reiseroman herkömmlicher Art – die ebenfalls romanhaften Werke des Petron und des Apuleius sind ersichtlich anderer Natur. Er entführt uns in die Zeit der Diadochen; deshalb ist er hier nach den Romanen, die gleichermaßen mit historischem Kolorit arbeiten, eingeordnet. Der Roman ist im wesentlichen in drei verschiedenen spätantiken Redaktionen auf uns gekommen, die man als RA, RB und RC bezeichnet. RA stellt wohl die älteste und beste Redaktion dar,60 RB bietet Korrekturen, und RC schließlich scheint zwischen beiden zu stehen.61 Die vermutliche Vorlage, auf die RA zurückgeht, über die freilich aber keine absolute Sicherheit zu erreichen ist, dürfte wohl im frühen 3. Jh. entstanden sein;62 inwiefern diese Vorlage ein Original ist, muß als fraglich gelten.63 Umstritten ist zudem, ob man von einer
58 νεµήσεως δὲ τῶν αἰχµαλώτων γενοµένης ἱκέτευσαν Χαιρέας καὶ Πολύχαρµος ἑνὶ δεσπότῃ πραθῆναι. καὶ ὁ λαβὼν αὐτοὺς ἐπώλησεν εἰς Καρίαν (Übersetzung: Als die Aufteilung der Kriegs-
gefangenen begann, flehten Chaireas und Polycharmos darum, an einen Herrn verkauft zu werden. Der, der sie bekam, verkaufte sie nach Karien). – Vgl. zur unbedingten Vermeidung der Trennung: X.Eph. I 13,6; sowie die völlig überzogene Version bei Ach.Tat. III 5,4. 59 Charito III 6,1: Πνεῦµα δὲ φορὸν ὑπέλαβε τὴν τριήρη καὶ ὥσπερ κατ’ ἴχνος τοῦ κέλητος ἔτρεχεν. ἐν δὲ ταῖς ἴσαις ἡµέραις εἰς ᾽Ιωνίαν ἧκον καὶ ὡρµίσαντο ἐπὶ τῆς αὐτῆς ἀκτῆς ἐν τοῖς Διονυσίου χωρίοις (Übersetzung: Ein günstiger Wind ergriff die Triere, und sie lief gleichsam in
der Spur des Schnellseglers. In derselben Anzahl von Tagen kamen sie nach Ionien und ankerten an derselben Küste im Gebiet des Dionysios). – Vgl. die eindrucksvolleren Schilderungen der schönen Fahrt bei Ach.Tat. II 32,1f.; Hld. V 1,2; blasse Notizen über eine zunächst gelungene und gute Fahrt finden sich ganz gewöhnlich, vgl. etwa: Luc. Tox. 19; Merc.Cond. 2. 60 An die Redaktion RA halte ich mich auch im folgenden. 61 Vgl. zu den Redaktionen die Edition von Schmeling (BiTeu, 1988), S. VIII. Ausführlicher bei Schmeling, Historia Apollonii, S. 526–528. 62 Siehe zur Datierung: Schmeling, Historia Apollonii, S. 535; Klauck, Apokr. Apostelakten, S. 208; Dihle, Die gr. und lat. Literatur, S. 377. Noch ins 2. Jh. hinab wollte Bürger, Studien II, S. 26.28. 63 Vgl. zur Frage nach dem Original: Schmeling, Historia Apollonii, S. 528ff.; Dihle, Die gr. und lat. Literatur, S. 377.
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3 Der ideale oder Liebesroman
mehr oder weniger starken Verchristlichung unseres Romans sprechen kann, die sich in den uns vorliegenden Redaktionen zeige.64 Inhaltlich begegnet uns in dem Stück der König Apollonios von Tyros, der sich vergeblich um die Hand der Tochter des Antiochos bewirbt, dann verfolgt und im Laufe der komplizierten Handlungsfolge im gesamten östlichen Mittelmeerraum umhergetrieben wird. Er heiratet und bekommt eine Tochter, verliert aber beide – Ehefrau und Tochter –, um sie zum Ende hin wider Erwarten wohlbehalten zurückzuerlangen, genauso wie seine inzwischen zahlreich gewordenen königlichen Ämter. Motivisch begegnet uns eine beeindruckende Auswahl typischer Roman- und sogar Märchenmotive:65 Inzest (Kap. 1–3), Rätsel (3–5.20f.41–43),66 Schiffbruch (11f.), Scheintod, der von einem begnadeten Arzt aufgedeckt wird (25–27), Entführung durch Piraten (32f.), Wiedererkennungsszenen (44f.48f.) usw. Der Roman kann in seiner zum Teil plumpen und vorhersehbaren Handlungsführung durchaus als Trivialliteratur angesprochen werden. Das Plumpe der szenischen Organisation zeigt sich etwa an der Art und Weise, wie die Rettung der Tochter Tarsia durch Piraten in Szene gesetzt wird; sie erscheinen einfach plötzlich beim Grab der Amme, wo Tarsia umgebracht werden soll, und entführen sie kurzerhand (Kap. 32). Wir betrachten hier nur diejenigen Szenen, die aus Perspektive unserer Fragestellung Relevanz besitzen, ein Gesamtbild des Romans kann dabei nicht entstehen: Da ist zunächst als erste relevante Szene die Seereise des Apollonios in die Pentapolis zu erwähnen. Er war nämlich von Tarsos aufgebrochen, um sich vor den Nachstellungen des Antiochos in Sicherheit zu bringen. Auf der Fahrt geschieht aber das, was geschehen muß: Das Schiff gerät in einen Sturm und scheitert schließlich (Kap. 11f.). Der Übergang zum Sturm wird so formuliert: qui dum navigaret, intra duas horas diei mutata est pelagi fides.67 Die folgende Sturmbeschreibung wird interessanterweise in daktylischen Hexametern gegeben; damit knüpft der Verfasser nicht nur motivisch, wie es sonst die Romanciers tun, an die epische Sturm-Ekphrasis an, sondern auch formal. In unserem Abschnitt finden sich die gewöhnlichen Topoi epischer Sturmbeschreibung, wie Blitze, Regen, Finsternis, Wellengebirge, hier sogar bis zum Himmel,68 Kampf 64 Vgl. dazu Schmeling, Historia Apollonii, S. 531–534, der solche Vorschläge zurückweist; einen leichten christlichen Anstrich wollen aber beispielsweise erkennen: Bürger, Studien II, S. 21; Klauck, Apokr. Apostelakten, S. 208. 65 Vgl. zu den Motiven, die eher dem Märchen als sonst dem Roman zugehörig sind, Bürger, Studien II, S. 21–26. 66 Zur Funktion der Rätsel im Roman siehe Wolff, Le rôle. 67 Hist.Ap. 11; Übersetzung: Als der nun segelte, wurde das Meer, auf das er seine Hoffnung gesetzt hatte, innerhalb von zwei Tagesstunden verwandelt. 68 Hist.Ap. 11, v. 10: pulsat mare sidera caeli.
3.3 Die historia Apollonii regis Tyri
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der Wogen gegeneinander, usw.69 Das besondere an unserer Sturmbeschreibung ist nun aber, daß sie unmittelbar an diejenige im ersten Gesang der Aeneis anknüpft.70 Dieser doch deutliche intertextuelle Bezug gibt gleichsam im Text selbst explizit Rechenschaft über den motivgeschichtlichen Hintergrund solcher Sturmbeschreibungen. Die Insassen des gescheiterten Schiffs retten sich auf Planken,71 aber Apollonios allein wird an die Küste der Pentapolis gespült, alle anderen sterben (Hist.Ap. 12): Tunc unusquisque sibi rapuit tabulas, morsque nuntiatur. in illa vero caligine tempestatis omnes perierunt. Apollonius vero solus tabulae beneficio in Pentapolitarum est litore pulsus. Da griff sich ein jeder Planken, und der Tod kündigt sich schon an. Aber in jenem gewaltigen Dunkel des Sturms kamen alle um. Apollonios allein wurde dank der Planke an die Küste der Pentapolis geworfen.
An den Strand geworfen, nackt und aller Habe bloß, steht Apollonios nun da. Es ereignet sich aber das, was auch den Gestrandeten in Apg 28,1f. widerfährt: die freundliche Aufnahme durch Küstenbewohner.72 In diesem Fall handelt es sich um einen armen Fischer, der sogar seinen Mantel mit dem Schiffbrüchigen teilt. Apollonios versichert dem armen Mann, daß er seiner gedenken werde: nisi meminero tui, iterum naufragium patiar nec tui similem inveniam.73 Dieses Versprechen löst er am Ende auch ein, was das happy end des Romans vervollständigt.74 Apollonios heiratet im weiteren die Königstochter vor Ort und geht mit der Hochschwangeren auf Seereise (Kap. 25). Auf der Fahrt kommt man wieder in stürmische See, und in dieser Situation ist die Zeit der Geburt da: Bei der Geburt 69 Vgl. im Bereich der von uns behandelten Texte beispielweise zur Finsternis: Charito III 3,10; Herpyllis II 38–54 (bes. Z. 49f.52f.); Ach.Tat. III 1,1; 2,2; Petr. 114,1.3; Luc. Nav. 9; VH I 6; Tox. 20; Apg 27,20; zum Wellengebirge und zum Kampf der Wogen: Ach.Tat. III 2,2–8; Herpyllis II 42; Luc. Tox. 20; Ps 107,26 (106,26 LXX); Synes. ep. 4,162a.164b. 70 Vgl. die Sturmszene Verg. A. I 34–156, hier insbesondere die vv. 81–141. Vgl. Schmeling, Historia Apollonii, S. 520.530. 71 Zur Rettung auf Planken, Brettern oder anderen Trümmern vgl. etwa: AP VII 289,2; IX 269,1f.; X.Eph. II 11,10; Ach.Tat. III 5,1; TestNaph VI 6; Apg 27,43f.; A.Jo. (Prochoros, Zahn, S. 9, Z. 3–7); Chrys. Thdr. II 5 (SC 117, Lettre 5,34f. [S. 74]; PG 47, 315). 72 Vgl. zum Motiv der freundlichen Aufnahme: Vielleicht Ninos C 1–16; gewiß aber X.Eph. V 1,2 (hier auch ein armer Fischer); Petr. 114,14; 115,6; Hom.Clem. XII 17,1–18,1; Synes. ep. 4,165a; vgl. auch Od. VI 110–331. 73 Hist.Ap. 12; Übersetzung: Wenn ich deiner nicht gedenke, so möge ich noch einmal Schiffbruch erleiden und keinen finden, der dir ähnlich ist. 74 Das geschieht in Kap. 51; der alte Fischer wird zum comes am Hofe.
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3 Der ideale oder Liebesroman
des Kindes auf dem Schiff stirbt die Gebärende nun schrecklicherweise.75 An dieser Stelle ist verbreitetes Denken der Seemannsreligion aufgenommen, gemäß der Verunreinigungen des Schiffs und Frevel üble Folgen haben können; und zu solchen möglichen Verunreinigungen gehört etwa auch eine Leiche.76 Deshalb verlangt der Skipper unerbittlich, die Leiche von Bord zu schaffen: iube ergo corpus in pelagus mitti, ut possimus undarum fluctus evadere.77 Die gefährliche Lage, in der man sich ohnehin in der stürmischen See befindet, kann durch die Tote an Bord nur weiter verschlimmert werden. Nach kurzer Widerrede wird das Ansinnen des Skippers auch ins Werk gesetzt, ein Sarg wird angefertigt und verpicht, so daß wohl die Leiche darin unbeschadet auf dem Wasser gehalten wird.78 Dann wird der Sarg dem Meer überantwortet und gelangt schließlich bei Ephesos an Land (Kap. 26), wo sich später herausstellt, daß es sich doch nur um einen Scheintod handelte (Kap. 26f.). Nachdem Apollonios später auch noch vom angeblichen Tod der Tochter erfahren hatte, die ja in Tarsos zur Betreuung untergebracht war, will er todunglücklich nach Tyros zurückkehren, gerät aber erneut in einen schlimmen Sturm. Dieser, diesmal betont plötzlich einsetzende Sturm wird nun recht knapp beschrieben (Kap. 39): qui dum prosperis ventis navigat, subito mutata est pelagi fides, per diversa discrimina maris iactantur, omnibus dominum rogantibus ad Mytilenen civitatem advenerunt. Als der nun unter günstigen Winden segelte, wurde das Meer, dem er sich anvertraut hatte, plötzlich verwandelt, so wurden sie durch vielfältige Gefahren des Meeres geworfen; nachdem alle zum Herrn gebetet hatten, kamen sie in der Stadt Mytilene an.79 75 Die Tochter des Apollonios ruft ihre Geburt im Sturm in Kap. 44 wieder auf: nata sum in mari inter fluctus et procellas. Das trägt maßgeblich mit zur Wiedererkennung von Vater und Tochter bei (Kap. 45). 76 Vgl. dazu Wachsmuth, Πόµπιµος, S. 277–279, der unsere Stelle eigens im Haupttext erwähnt (S. 279). 77 Hist.Ap. 25; Übersetzung: Befiehl also, daß die Leiche ins Meer geworfen werde, damit wir dem Wogen des Meeres entgehen können. 78 Steht hier möglicherweise die verbreitete Angst vor einer der – nach antikem Denken – schlimmsten Todesarten im Hintergrund, nämlich von Fischen gefressen werden? Vgl. dazu meine Bemerkung S. 106, Anm. 180. 79 Vgl. zum plötzlich hereinbrechenden Unwetter bzw. zur plötzlichen Windänderung: Ninos C 11–14; Charito III 3,10.18; Herpyllis II 17–21.24–26; X.Eph. III 2,12; Ach.Tat. III 1,1; Hld. V 27,1f.; Arr. Peripl.M.Eux. 3,3; Luc. Nav. 7; VH I 9; II 47; Apg 27,14. – Hinzuweisen ist weiterhin auf das rettende Gebet auf See; vgl. dazu: h.Hom. 33,8–11; Plu. Dio 25,10; Charito III 5,9; Herpyllis II 60; Jon 1,5.14; Ps 107,28; Apg 27,29. Interessant ist hier möglicherweise noch, daß die Männer auf dem Schiff nach RA einen dominus anbeten; RB und RC ändern dominum in deum (genauso in Kap. 32). Sollte man dieses Phänomen auch im Rahmen der Frage nach einem christlichen Einfluß auf den Roman diskutieren? Schmeling befaßt sich dazu nur mit dem Singular deus, nicht jedoch mit dominus (Schmeling, Historia Apollonii, S. 531–534).
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Daß der Verfasser sich um eine realistische Darstellung in keiner Weise bemüht, zeigt der Umstand, daß man in einem Sturm, wohlgemerkt auf der Fahrt von Tarsos nach Tyros, nach Mytilene in der Ägäis verschlagen wird, just in die Stadt, in die die Piraten die Totgeglaubte gebracht und sie dort auf dem Sklavenmarkt verkauft hatten (Kap. 33). Der Sturm selbst interessiert hier also keineswegs, sondern er dient nur als Transportmittel des Schicksals, das den Vater zielgenau dem für tot gehaltenen Kinde zuführt. Weder der Roman insgesamt noch die hier betrachteten Sturmszenen sind sonderlich eindrucksvoll, sie bieten vielmehr Dutzendware, was unter anderem auch daran deutlich wird, daß nautische Details, wie wir sie in den gleich zu behandelnden Romanen oder auch in der Apostelgeschichte finden, hier völlig fehlen. Die realistische und die sozusagen für den Leser erlebbare Szenerie interessiert unseren Verfasser offenbar nicht.
3.4 Das Herpyllis-Fragment (Pap. Dublin inv. C 3) Ein für unseren Gegenstand höchst interessantes Stück ist das Bruchstück des sog. Herpyllis-Romans;80 es handelt sich um ein Papyrusfragment,81 das eine 60 Zeilen umfassende Kolumne auf dem verso bietet, sowie kaum verwertbare Reste der rechts und links stehenden Kolumnen.82 Der Text wird aufgrund der Urkunden auf dem recto des Papyrus und aus paläographischen Gründen auf den Anfang des 2. Jh.n.Chr. datiert.83 In unserem Fragment wird erzählt, wie die – anscheinend auf zwei Schiffen – Reisenden, und darunter befinden sich Herpyllis und ihr Mann/Geliebter, der der Ich-Erzähler ist, von freundlichen Küstenbewohnern eingeladen werden, 80 Der Roman ist nach der in Herpyllis II 21f. vorkommenden vermutlichen Heroine des Romans (῾Ερπυλλίς) benannt. Der kommentierte Text findet sich mit Apparat in: GRP, S. 69–77 (mit Abb. des Papyrus auf den Tafeln IV und V); mit Apparat und Übersetzung bietet den Text auch Kussl, Papyrusfragmente, S. 105–109, der einen fortlaufenden Kommentar (S. 110–126) sowie einen Überblick über die Forschungsgeschichte (S. 127–131) folgen läßt; das Herpyllis-Bruchstück wird auch behandelt bei: Stephens/Winkler, S. 158–172 (Text und Übersetzung von Kol. II auf S. 164– 169). Eine Übersetzung aus der Feder Zimmermanns ist auch abgedruckt bei: Berger, Hellenistische Gattungen, S. 1278f., Anm. 245; allerdings finden sich hier nicht die geringsten Hinweise auf Interpretations- und Übersetzungsprobleme. 81 Der Papyrus wurde 1894 in Medinet-el-Fayûm käuflich erworben und erfuhr drei Jahre später seine editio princeps; vgl. GRP, S. 68; Kussl, Papyrusfragmente, S. 127. 82 Diese Kolumnen I und III (aufgrund des fragmentarischen Zustands auch nur als linker und rechter Rand bezeichnet) sind von Franz Zimmermann ediert: GRP, S. 68f. und S. 78. 83 Vgl. GRP, S. 68; Kussl, Papyrusfragmente, S. 127.133f. Siehe auch den kurzen Überblick bei Fusillo/Galli, Art. Herpyllis-Roman.
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3 Der ideale oder Liebesroman
noch nicht sofort abzusegeln, sondern noch einen Tag zu bleiben, nicht zuletzt angesichts des umschlagenden Wetters (Herpyllis II 1–7): . . . δ. ε ξ άµενοι παρεκάλουν | δυσώ. ρου τῆς καταστά. σεως οὔσης – καὶ γὰρ ἐλάν | θα. ν ε. ν ἐν ἐπιση. µασ. .ία. ις ν. εφέλη καθεστῶσα. – | µέ. ν. ε. ιν αὐτόθι τὴν ἐπ ιοῦσαν ἡµέ ρ α. ν ἐπιδοῦναί | τ’ ε ἰς ε. ὐφ. ροσύνην· χαριέ στ. ατος δὲ εἰς κατοχὴν | ἀ. π. ο δη. µίας οἰωνὸ ς ἀνδρὸς εὐ φροσύνου µε | τά κ λησις . . . .84
. . . nachdem sie (uns) aufgenommen hatten, luden sie (uns) wegen der ungünstigen Witterung – es hatte sich nämlich unversehens unter den Wetterzeichen eine Wolke gebildet – ein, den nächsten Tag (noch) dort zu bleiben und uns der Freude hinzugeben: Der angenehmste Schicksalswink zum Aufschub der Abreise ist doch die Einladung eines wohlgesinnten Mannes . . . .
Die freundliche Art der Küstenbewohner läßt sich mit dem Motiv der freundlichen Aufnahme verbinden; zwar handelt es sich hier nicht um die Aufnahme Gestrandeter, sondern um diejenige bisher offenbar noch glücklich Reisender, trotzdem ist die Szene schon mit dem bevorstehenden Sturm verbunden, weil ja gerade die Wetterzeichen den Anlaß zur Einladung durch die Einheimischen abgeben.85 Der bevorstehende Sturm wird also hier durch vorherige Wetterzeichen angekündigt und erzählerisch vorbereitet;86 die Wahrnehmung der Wetteränderung führt zu einem Streit über die Abfahrt unter Passagieren und v.a. den Steuermännern bzw. Kapitänen der beiden Schiffe (Herpyllis II 7–11): κἀγὼ{ι} µὲ. ν. ἐβ ου λόµη ν µένειν· τῶν | δὲ κ υβερνητῶν στασ ιαζόντων ὁ µὲν ἡ µέτερος | ἠπ. ε. .ίγετο πλεῖν, ὁ δ ὲ τῆς µεγάλης νεὼς σ. υνε | τεκµαίρετο χειµῶνα π. λ. 〈ε〉ῖ.σ. τον κ α. ὶ. .ἴσ. ως ἀν{ε}ίκη | τον. ἔδοξεν οὖν πλεῖν.
Ich wollte wohl bleiben, bei unseren Steuermännern/Kapitänen jedoch gingen die Meinungen auseinander, der unsrige zwar drängte zum Segeln, der des großen Schiffs aber sagte einen sehr großen Sturm voraus, den man vielleicht nicht durchstehen werde. Man beschloß [dann], doch zu segeln.
Das läßt sich mit dem Streit um die mögliche Schiffsabfahrt in Apg 27,9–13 vergleichen: Wie in Apg 27,11–13 setzen sich nämlich auch hier diejenigen durch, 84 Der Text bei Kussl, Papyrusfragmente, S. 105, ist, wie gewohnt, sehr vorsichtig ergänzt – darüber bin ich hier hinausgegangen; Zimmermann (GRP, S. 69f.) gibt statt δ. ε ξ άµενοι : δ. ε ξ ιῶς (Z. 1), statt ν. εφέλη : κ. νηκίς (Z. 3), statt χαριέ στ. ατος: σαφέ στ. ατος (Z. 5), und statt εὐ φροσύνου: φιλο φροσύνου (Z. 6). 85 Vgl. abgesehen von dem genannten Unterschied zur freundlichen Aufnahme an der Küste: Hist.Ap. 12; X.Eph. V 1,2 und (möglicherweise) Ninos C 1–16; Petr. 114,14; 115,6; Hom.Clem. XII 17,1–18,1; sowie Synes. ep. 4,165a und freilich Apg 28,1f. 86 Unmittelbare Witterungszeichen, die vor Sturm warnen, kommen in der Erzählung der Apostelgeschichte nicht vor; hier reist man zu gefährlicher Jahreszeit (Apg 27,9; s. auch Charito III
3.4 Das Herpyllis-Fragment
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Abbildung 3.1: Darstellung einer actuaria, Nr. 13 des sog. Althiburus-Mosaiks, das verschiedene Schiffstypen und deren lateinische Bezeichnungen bietet (Medeïna [Tunesien], zweite Hälfte des 3. Jh.).
die absegeln wollen: ἔδοξεν οὖν πλεῖν (II 11); hier wie dort plädiert allerdings der Heros der Geschichte fürs Bleiben.87 Es schließt sich eine Abschiedsszene an, weil die beiden Hauptpersonen anscheinend auf unterschiedlichen Schiffen fahren, der Ich-Erzähler auf dem kleineren, Herpyllis auf dem großen Schiff (II 11–15).88 Das kleinere Schiff, auf dem sich unser Held und Ich-Erzähler befindet, legt nun schneller ab, während das größere Schiff, mit Herpyllis an Bord, noch im Hafen liegt (II 15f.). Daß dieses »große Schiff«, das hier in II 15 ἡ µεγάλη ναῦς genannt wird, in Z. 22 mit ἄκατος bezeichnet wird, ist recht verwunderlich. Denn ἄκατος dürfte nämlich gerade als Ausdruck für relativ kleine Schiffe gelten.89 Tatsächlich aber wird man für ἄκατος annehmen können, daß es auch ganz allgemein, in einem vagen Gebrauch für Boot und gelegentlich sogar für Schiff, 5,1). Leserlenkende Vorzeichen für die unheilvolle Fahrt werden aber dennoch gegeben (vv. 4.7f.), s. dazu die Einzelanalyse unten. 87 Vgl. Apg 27,9f. und Herpyllis II 7. Demgegenüber Charito III 5,1, wo der Held zur Abfahrt drängt und sich seinerseits durchsetzen kann; die Warnung des κυβερνήτης wird auch bei Plu. Dio 25,4f. in den Wind geschlagen. 88 Zu dieser Abschiedsszene und zu weiteren textlichen Bezügen im Herpyllis-Fragment ist die Erzählung von Keyx und Alkyone in ihren verschiedenen Fassungen heranzuziehen, v.a. Ov. Met. XI 410–748; vgl. hierzu Kussl, Papyrusfragmente, S. 113f. mit Anm. 22–30; S. 138f. mit Anm. 141–143. Vgl. im Allgemeinen zu den Mythen um die Kinder des Aiolos, zu denen ja Alkyone gehört: Rose, Gr. Mythologie, S. 249–252 mit den entsprechenden Anm. 89 Vgl. Zimmermann, der in GRP, S. 72, dem hier vorliegenden Mißverhältnis keine Bemerkung widmet. Kussl, Papyrusfragmente, S. 116, kommentiert lediglich: »›Boot, (kleines) Schiff‹; genaue Aussagen über die Größe einer ἄκατος (in der Regel wohl ein ›kleines, schnellsegelndes Fahrzeug‹) sind nicht möglich.«
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3 Der ideale oder Liebesroman
Seefahrzeug überhaupt verwendet werden konnte.90 Jedoch besteht offenbar auch bei der allgemeinen Verwendung eine Tendenz zur Benennung eher kleinerer Boote. In der speziellen Bedeutung ist eine ἄκατος (und die lat. actuaria) als Schnellsegler zu verstehen, der gleichsam zwischen Kriegsschiffen und reinen Seglern steht. Offenbar war ein solcher Schnellsegler neben dem Rah-Segel mit einer einfachen Ruderreihe ausgestattet,91 eine actuaria von dieser Erscheinung bildet auch das Althiburus-Mosaik ab (Medeïna [Tunesien], zweite Hälfte des 3. Jh.).92 Um ein solches zusätzlich mit Rudern ausgestattetes yachtähnliches Boot dürfte es sich zumindest bei der Piratenbarke im Roman des Heliodor handeln: Bei Hld. V 22,8–27,7 wird die dort zur Verfolgung eigesetzte, nach der Kaperung in Schlepp genommene und dann im Sturm wieder abgetrennte Piratenyacht mal als ἄκατος/ἀκάτιον, mal als σκάφος bezeichnet – letzteres ist ebenfalls ein Ausdruck für ein kleines Seefahrzeug, ein Boot. Das Boot der Piraten wird auch ausdrücklich als zum Rudern besser geeignet (als eben das verfolgte Frachtschiff ) angesehen (πρὸς εἰρεσίαν εὐπειθέστερον, Hld. V 23,3). Bei Luc. VH I 5 sticht man auch auf einer ἄκατος in See, dessen verhältnismäßige Größe und Seefestigkeit aber eigens korrigierend hervorgehoben wird.93 Die Besatzung dieser ἄκατος beläuft sich auf ca. 50 Mann (πεντήκοντα δὲ τῶν ἡλικιωτῶν προσεποιησάµην); was die Größe dieser Schiffe betrifft, dürfte also von einer gewissen Bandbreite auszugehen sein.94 In II 47 kann Lukian das Boot nichtsdestotrotz auch als σκάφος bezeichnen. Lukians Schiff kann man dennoch ebenfalls dem erwähnten speziellen Typ der ἄκατος zuordnen, denn die Reisenden dort bewegen sich zuweilen auch per Ruder fort.95 Beide Stellen legen trotz aller Unterschiede also eindeutig die Vorstellung eines kleineren Seefahrzeugs bei der Verwendung von ἄκατος nahe. Daß es sich nun hier im Herpyllis-Roman bei den Fahrzeugen in Z. 15, die µεγάλη ναῦς, und Z. 22, eben die ἄκατος, um 90 Vgl. Casson, Ships, S. 159. Zur ganz allgemeinen Verwendung im Sinne von Schiff siehe die bei LSJ, s.v. ἄκατος I, S. 48, gebotenen Belege: E. Hec. 446; Or. 341; allerdings kann an beiden Stellen auch die Bedeutung Schnellsegler angenommen werden, da jeweils von ἄκατοι θοαί die Rede ist. 91 Vgl. zu Definition und Beschreibung einer ἄκατος: Casson, Ships, S. 159f.; Luebeck, Seewesen I, S. 26–33. 92 Zum Althiburus-Mosaik insgesamt vgl.: Duval, La forme des navires, passim, bes. S. 120f.; Belz, Marine Genre Mosaic Pavements, S. Kat.-Nr. 13 (S. 180–184). Als actuaria wird auf diesem Mosaik die Nr. 13 bezeichnet, die Darstellung kann auch so gedeutet werden (s. Duval, La forme des navires, S. 137f.). Vgl. unsere Abb. 3.1 (S. 85); und die Abbildungen bei: Duval, La forme des navires, Taf. I.III; Casson, Ships, Abb. 137; Höckmann, Antike Seefahrt, Abb. 52 (S. 63). Abbildungen zur Lage finden sich bei Belz, Marine Genre Mosaic Pavements, S. Abb. 13a–b (S. 264). 93 An die Bemerkung, daß es sich um eine ἄκατος handle, wird gleich angefügt, daß sie aber für eine so lange und stürmische Fahrt eigens seetüchtig gemacht wurde: καὶ τὴν ναῦν – ἄκατος δὲ ἦν – ὡς πρὸς µέγαν καὶ βίαιον πλοῦν ἐκρατυνάµην. 94 Luebeck, Seewesen I, S. 28. 95 Vgl. etwa VH II 43, wo man sich auf einer Wasserbrücke über den Meeresschlund rettet.
3.4 Das Herpyllis-Fragment
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ein und dasselbe Schiff handeln muß, ist unzweifelhaft. Um den auf den ersten Blick merkwürdigen Sprachgebrauch im Herpyllis-Roman zu erklären, sind wir natürlich Beschränkungen ausgesetzt, die in der Überlieferungslage begründet liegen: Wir können wegen der sehr geringen Textmenge nicht ermitteln, wie der Verfasser des Romans sonst mit nautischer Terminologie und insbesondere Schiffsbezeichnungen umgeht. Die abwechselnde Verwendung von ἄκατος für eine µεγάλη ναῦς bleibt merkwürdig, auch wenn der Anstoß durch die offenbar vorliegende ganz vage Verwendungsweise etwas gemildert wird. Durch den Umstand, daß die beiden Schiffe unterschiedlich schnell ablegen konnten, kommt es nun (über die Reise auf unterschiedlichen Schiffen hinaus) zur tatsächlichen Trennung der Liebenden; ein plötzlich hereinbrechender Sturm verhindert nämlich, daß das kleine Schiff zurückkehren und wieder anlegen kann (Herpyllis II 17–21): ἡ. λ. ίου δ’ ὑπὸ µὲν τὸν ἔ. κ. π. λ. ου ν φ α νέ. ν. το ς, αὐτίκα | δὲ ζοφεραῖς ἐγκρυβέντο. ς. νεφέλ αι ς, α ἰ φνίδιον | κο ῖ λόν τε καὶ βραχὺ96 βροντήσα ν τος, ἡµεῖς µὲν | οὐκέτ’ ἀναστρέψαι µεταν. ο. οῦν. τες ἐδυνάµεθα, | πυκνὸν γὰρ εἵπετο π. νεῦ. µ. α κατόπιν.
Die Sonne, die während der Ausfahrt noch geschienen hatte, wurde sofort durch dunkle Wolken verdeckt, plötzlich erscholl ein dumpfes und kurzes Donnern; nun konnten wir nicht mehr umkehren, auch wenn wir (unsere Entscheidung abzusegeln) bereuten, denn ein dichter Wind blies von hinten.97
Herpyllis dagegen steht im Hafen;98 die beiden sehen sich nur noch kurz und werden auseinandergerissen (II 23f.): πρὸς βραχὺ δ. ’ ὁ. ρῶν | τε ς σ φᾶς ἀφηρπαζόµεθα. Der Wind, der diese Trennung bewirkt, stürzt aus dem Osten vom Vorgebirge herab (πνε. ῦ. µα . . . | . . . ἀπ. η. λ. ι.ω. τ. ι.κ. ὸ. ν ἀπ’ αὐτοῦ ἀ. κ. ρω | τ. ηρίου , II 24–26);99 seemännische Maßnahmen, darauf zu reagieren, wie das Beidrehen Zimmermann (GRP, S. 71f.) konjiziert βαρύ statt des überlieferten und seiner Ansicht nach widersprüchlichen βραχύ. 97 Ebensowenig wie unserem kleinen Schiff hier gelingt den Seeleuten im ersten Kapitel des Jonabuches die Rückkehr ans Festland: Jon 1,13; es ist erstaunlich genug, daß sie überhaupt einen solch waghalsigen Versuch unternehmen. Umgekehrt nämlich bedeutet den Bewohnern von Joppe der gescheiterte Versuch, gegen den Sturm von der felsigen Küste loszukommen, Untergang und Tod (J. BJ III 9.3 [§§ 422–424]). Vgl. überhaupt zum plötzlichen Auftreten widrigen Windes Apg 27,14, der auch hier das Schiff vom Lande trennt und die Besatzung hindert, dem entgegen zu arbeiten, also den Bug des Schiffs in den Wind zu drehen (v. 15: µὴ δυναµένου ἀντοφθαλµεῖν); vgl. auch: Ninos C 11–14; Charito III 3,10. 18; Hist.Ap. 39; X.Eph. III 2,12; Ach.Tat. III 1,1.; Hld. V 27,1f.; Arr. Peripl.M.Eux. 3,3; Luc. Nav. 7; VH I 9; II 47. 98 Herpyllis II 21–23 bietet einige Schwierigkeiten, die hier aber nicht bearbeitet werden können. 99 Vgl. Apg 27,13f., wo ja der sog. Eurakylon vom kretischen Gebirge herabkommt. 96
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3 Der ideale oder Liebesroman
der Rah (τὴν . . . κεραίαν . . . παραβαλεῖν, II 26), schlagen fehl.100 Schließlich kommt man vom Kurs ab und überläßt sich dem Meer, ohne Aussicht auf Rettung (Herpyllis II 29f.34–37): . . . τοῦ προκειµένου µὲν | ἠ. µβρ ότοµεν δρόµου, . . . µετ. ὰ | δὲ ν. ο. σ. ώ. δει παραδόντες πελάγει τῶν µὲν ε ἰ ς | σωτ η. ρ. .ίαν οὐδ ὲ ν παρὸν ἑωρῶµεν, ὀλέθρου δ’ οὐ | προ σδοκία µόνο. ν ἀλλὰ καὶ πόθος ἦν ἅπασιν. . . . wir verfehlten den vorgesehenen Kurs . . . . Danach überließen wir uns dem verderblichen Meere und sahen, daß nichts da war, was für unsere Rettung (geeignet) gewesen wäre, alle waren nun nicht nur in der Erwartung des Untergangs, sondern hatten sogar Verlangen danach.
Ebenso weicht man in Apg 27,15–17 gezwungenermaßen vom eigentlich vorgesehenen Kurs ab. Daß man sich dem Meer übergibt, wird in der Apostelgeschichte durch ein zweifaches »sich treiben lassen« betont; hier bei Herpyllis übergibt man sich dem Meere, in der Apostelgeschichte explizit dem Winde: (τῷ ἀνέµῳ) ἐπιδόντες ἐφερόµεθα101 (v. 15)/οὕτως ἐφέροντο (v. 17).102 Auch daß man alle Hoffnung aufgegeben habe, wird in Apg 27,20, erwähnt.103 Bemerkenswert ist weiterhin, daß hier im Herpyllis-Fragment (II 30–34) zwei Orte erwähnt werden, die man treibend passiert; ähnlich in Apg 27,16 die Insel Κλαῦδα/Καῦδα.104 Es schließt sich eine ausführliche Beschreibung des Unwetters an (II 38–54), an der besonders die immer wieder vorkommende Betonung von Dunkelheit und Finsternis auffällt, da herrschen σκότος (Z. 50) und νύξ (Z. 53). Schon zuvor verwehrte Nebel (συννέφεια, Z. 33) die Sicht auf Nisyros (II 31–34), jetzt aber sind Tag und Nacht nicht mehr zu unterscheiden (Herpyllis II 49f.52f.): ἦν δ’ ἄ δηλ ο ν εἴτε νὺξ εἴθ’ ἡµέρα καθεισ | τή. κ ει σκότους ὁµοι ό τητι· . . . ἦ. ν. δ’
οὔτε γῆν ἰ δεῖν οὔτε οὐρανόν· πε | π. υ. κνω µένῃ δὲ νυκτ ὶ105 πάντα συνείχετο . . . .
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Passage II 28f., wo die Rah vor dem Wind gehalten wird, und zwar ε. .... µένοις τοῖς ἀκατ〈ε〉ίοις; hier ergeben sich aufgrund des fragmentarischen Textzustandes Probleme. Man weiß nicht, in welchem Zustand die Segel sind: gerefft, gesetzt, lediglich ein kleines Sturmsegel? Vgl. dazu GRP, S. 73; Kussl, Papyrusfragmente, S. 119 mit Anm. 52–54. Man beachte dazu auch die Szene bei Achilleus Tatios, in der die Rah umgedreht werden soll: Ach.Tat. III 1,1f., was hier unmöglich ist (II 26) und bei Ach.Tat. scheitert. Fehlschlagende seemännische Maßnahmen, auf den hereingebrochenen Sturm zu reagieren, finden sich auch bei: Apg 27,15; Luc. VH I 6; Synes. ep. 4,163c. In Luc. Tox. 19 konnte man die Segel offenbar reffen bzw. ganz einholen. 101 τῷ ἀνέµῳ gehört hier zu ἀντοφθαλµεῖν, ist aber bei ἐπιδόντες noch mitzudenken; s. z.St. 102 Vgl. zur Aufgabe im Sturm und Selbstübergabe an den Wind noch Luc. VH I 6; weiterhin auch die Aufgabe des Steuermanns bei Ach.Tat. III 3,1 und die nur fälschlich vermutete Aufgabe des Amarantos: Synes. ep. 4,161d–162a. 103 λοιπὸν περιῃρεῖτο ἐλπὶς πᾶσα τοῦ σῴζεσθαι ἡµᾶς. Vgl. auch Theoc. XXII 18, wo es von den Seeleuten heißt οἰόµενοι θανέεσθαι; App. BC V 10 (§ 90); Ach.Tat. III 2,4; Luc. Tox. 20 (ἀπόγνωσις); Aristid. Or. XLV 33; A.Jo. (Prochoros, Zahn, S. 50, Z. 11f.). 104 Vgl. zum Namen Lake/Cadbury, S. 332. 105 Kussl, Papyrusfragmente, S. 109, läßt die Ergänzung nach νυκτί (Z. 53) offen. 100
3.4 Das Herpyllis-Fragment
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Es war unklar, ob Nacht oder Tag herrschte, aufgrund des Gleichmaßes an Dunkelheit. . . . Man konnte weder Land noch Himmel sehen: In dichte Finsternis war alles gehüllt . . . .106
Im Rahmen der Sturmbeschreibung des Herpyllis-Romans kommt auch das Motiv des bedrohlichen Gebirges vor, das die Wogen bilden (Herpyllis II 41–43): . . . κοιλα ι νοµένη δ’ εἰς ἄπειρον ἐ. ξ. ἴσ. ο. υ. ὄρεσ .ιν. ἐκορυφοῦτο µέλαινά τ’ ἦν ὑπὸ ζόφου τοῦ περ. ιέχ οντος ἐσκιαµένη. . . . sondern sie [sc. die Meereswogen (θάλαττα, Z. 38)] wölbten sich und türmten sich wie Berge ins Unermeßliche auf, und schwarz waren sie, weil sie durch die ringsum herrschende Finsternis verdunkelt waren.107
Anscheinend tritt die ersehnte Wendung ein, als das sog. Elmsfeuer auf der Rah beobachtet wird (II 55–59): . . . ἐπ ὶ108 τῆς κεραίας ἐβάλ | λον το πυρσοὶ βραχεῖς ᾄττοντες109 ἐς ἑκάτερον, εἴτ’ ἅσ | τρα, ὡς ἔφασκον οἱ να ῦται Διοσ κόρων προσωνυµί | αν βο ῶ . ντες, εἴτ’ ἀστρ οειδεῖς110 σ π. ινθῆρες ὑπὸ τοῦ | π. ν. ε. ύ. µατος ῥιπιζό µενοι, . . . .
. . . auf der Rah brachen kurze Flammen auf, die zu beiden Seiten hin züngelten, sei es, daß es Sterne waren, wie die Seeleute sagten, die die Dioskuren beim Namen riefen, sei es, daß es sternähnliche Funken waren, die vom Winde entzündet wurden, . . .
Die Seeleute deuten das Geschehen als Epiphanie der Dioskuren (Z. 57f.), die den in Seenot geratenen Menschen Rettung verheißt.111 Die Deutung des sog. Elmsfeuers auf die Erscheinung der Dioskuren ist geläufig; genauso geläufig sind Anrufung und entsprechende dankbare Verehrung der Dioskuren, also des Brüderpaars Kastor und Pollux (gr. Κάστωρ und Πολυδεύκης), als Retter in Seenot.112 Neben der oft angeführten Stelle Theoc. XXII 6 ist zu ihrer Rolle 106 Ebenso zeigen sich in der Apostelgeschichte tagelang weder Sonne noch Sterne (Apg 27,20). Dunkelheit bzw. Finsternis auch bei Charito III 3,10; Hist.Ap. 11; Ach.Tat. III 1,1; Petr. 114,1.3; Luc. Nav. 9; Tox. 20; VH I 6; Aristid. Or. XLVIII 65. Aufmerksamkeit verdient zum Vergleich nochmals die wesentlich ausführlichere Sturm- und Unwetterbeschreibung bei Ach.Tat. III 2,2–8. 107 Siehe dazu im Vergleich besonders Hist.Ap. 11; Ach.Tat. III 2,5 und Ps 107,26 (106,26 LXX). 108 Zum ἐπ ί vgl. Kussl, Papyrusfragmente, S. 125, Anm. 78. 109 Zur Ergänzung von ᾄττοντες vgl. Kussl, Papyrusfragmente, S. 125f., Anm. 78.83. 110 Zu ἀστροειδεῖς siehe Zimmermann, GRP, S. 77. 111 Zur Epiphanie und dem helfenden Eingreifen von Göttern im Rahmen der Seefahrt allgemein vgl. Wachsmuth, Πόµπιµος, S. 158–160; siehe auch Kratz, Rettungswunder, S. 82–95. 112 Vgl. aus unseren hier behandelten Texten: Luc. Nav. 9; Merc.Cond. 1; s. auch Betz, Lukian, S. 137. Vgl. weiterhin Kratz, Rettungswunder, S. 85–91, der insbesondere auf die bekannten Stellen h.Hom. 33,1–19 und Theoc. XXII 4–26 hinweist; Wachsmuth, Πόµπιµος, S. 437–439 mit Anm. 2076–2082 (S. 438–440), der reichlich Material für das uns interessierende Phänomen bietet; u.a. zitiert er auch ausführlich unser Herpyllis-Fragment (S. 438f.). In ihrer Retterfunktion wurden die Dioskuren natürlich auch durch Weihinschriften geehrt; vgl. nur beispielsweise aus Philippi:
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3 Der ideale oder Liebesroman
und ausdrücklichen Bezeichnung als Retter (σωτῆρες)113 auch eine Stelle aus der Helena des Euripides beachtenwert, wo einer der Dioskuren der Helena und ihrem Mann Menelaos eine gute Heimfahrt zusagt (E. Hel. 1662–1665): ... πνεῦµα δ’ ἕξετ’ οὔριον· σωτῆρε δ’ ἡµεῖς σὼ κασιγνήτω διπλῶ πόντον παριππεύοντε πέµψοµεν πάτραν.
. . . Ihr werdet günstigen Wind haben: | Wir, dein leibliches Bruderpaar, als Retter, | indem wir auf dem Meere neben dir herreiten, werden dich geleiten ins Vaterland.
Sie nehmen diese Funktion als Mysten von Samothrake schon im Argonautenmythos wahr und werden von daher zu den rettenden Heroen par excellence, auf die in Not geratene Seefahrer hoffen können.114 Der Erzähler in unserem Roman gibt sich hier skeptischer und stellt kritisch fest (II 59f.): τὸ σα φὲς µὲν ἀδύνατον | εἰπ εῖ ν.115 Jedoch erzählt er, daß alle sich ehrfürchtig zeigten und beteten, obwohl es verschiedene Meinungen über das Phänomen gab (Herpyllis II 60): προσεκύνου ν δὲ καὶ π. ροσεύχοντο116 πάντες.117 Ph. II2 , Nr. 388/L566 (S. 468f., 1. Aufl. S. 390f.), wo der Weihende sich als Seemann (nauta, Z. 5) zu erkennen gibt und aufgrund einer Erscheinung oder gar Epiphanie (ex visu, Z. 3) weiht, so daß möglicherweise für eine Rettung aus Seenot gedankt wird; Nr. 509e/L950 (S. 598f.). 113 Als Kulttitel führen die Dioskuren auch: Διόσκουροι Σωτῆρες ᾽Επιφανεῖς Θεοί (SGUÄ I, Nr. 5795, Z. 4 [S. 637]: Διοσκ ούρο ις Σωτῆρσι ᾽Επιφανέσι Θεοῖς). Vgl. zur Epiphanie der Dioskuren als Soterengottheiten auch die materialreiche Zusammenstellung bei Weniger, Theophanien, S. 54–56; darüber hinaus zur Einkehr der Dioskuren Flückiger-Guggenheim, Göttliche Gäste, S. 62–70. 114 Vgl. aus der Fülle des diesbezüglich relevanten Materials zu dieser weithin bekannten Funktion der Dioskuren etwa: D.S. IV 43,1f. (über die Rettung der Argonauten im Sturm; zwei Sterne fallen auf die Köpfe des in Samothrake eingeweihten Bruderpaars nieder [δυοῖν ἀστέρων ἐπὶ τὰς τῶν Διοσκόρων κεφαλὰς ἐπιπεσόντων, 43,1]); V 49,5f. (über die Hilfe in Gefahren durch die Kabiren von Samothrake sowie die Einweihung der Dioskuren in deren Mysterien); VI 6,1. 115 Übersetzung: . . . es (sc. die Ursache der Erscheinung) genau anzugeben ist unmöglich. – Die zuvor schon in den Raum gestellte mögliche Erklärung als reines Wetterphänomen (Z. 58f.) ist zu vergleichen mit der Auffassung des Vorsokratikers Xenophanes von Kolophon, der neben anderen Naturphänomenen auch das sog. St. Elmsfeuer nicht als Götterepiphanie erklären wollte, sondern (fast rationalistisch) als in der Bewegung aufleuchtende Wolken (Testimonium FVS I, 21 A 39 [S. 124] = Aët. II 18,1 [DoxGr, S. 347]): (〈Ξενοφάνης〉) τοὺς δὲ ἐπὶ τῶν πλοίων φαινοµένους οἷον ἀστέρας, οὓς καὶ Διοσκούρους καλοῦσί τινες, νεφέλια εἶναι κατὰ τὴν ποιὰν κίνησιν παραλάµποντα, so die Fassung nach Stobaios; die Fassung nach Plutarch ist kürzer, dort fehlt der zusätzliche Relatvisatz: οὓς καὶ Διοσκούρους καλοῦσί τινες. Vgl. zur Abweisung der Deutung solcher Phänomene als Epiphanien durch Xenophanes und zu dessen Wolkenkonzeption Mourelatos, Art. Xenophanes, Sp. 629f. 116 προσεύχοντο mit unterdrücktem Augment. 117 Übersetzung: Alle aber erwiesen (sc. der Erscheinung) Ehrfurcht und beteten. – Vgl. zum Gebet auf See: h.Hom. 33,8–11; Plu. Dio 25,10; Hist.Ap. 39; Jon 1,5.14; Ps 107,28; Apg 27,29; und schon oben: Charito III 5,9. Siehe insgesamt Wachsmuth, Πόµπιµος, S. 435–444.
3.5 Xenophon von Ephesos: Ephesiaka
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Damit bricht der erhaltenene Text ab; über das weitere Ergehen des Schiffs und seiner Besatzung bleiben wir im Unklaren. Da aber eben die Dioskuren ganz geläufig als Beschützer und Retter der Seefahrer galten, und somit ihre Epiphanie regelmäßig Rettung aus seemännischer Not verhieß (s.o.), kann auch hier aufgrund ihrer Epiphanie darauf geschlossen werden, daß das Schiff den Sturm überlebt, und ein Schiffbruch ihm erspart bleibt.118 Beachtenswert an diesem Fragment sind die zahlreichen erzählerischen Parallelen zur Seefahrts- und Schiffbruchgeschichte in der Apostelgeschichte (s. die Anm.); darüber hinaus ist noch der Charakter dieser Erzählung als Ich-Bericht zu bemerken: Auch hier – wie im Fall von Apg 27 und den anderen sog. »Wir«Stücken der Apostelgeschichte – ist kein Hinweis auf einen Wechsel der Kommunikationsebene zu finden. Das ist aber nicht sonderlich verwunderlich, denn dieser Hinweis kann sehr gut außerhalb unseres Bruchstücks liegen oder sich sogar, wie bei Achilleus Tatios, nur auf eine kurze Einführung des dann den ganzen Roman erzählenden auktorialen Ich beschränken. Weiterhin geht es auch innerhalb der erhaltenen Passagen bei weitem nicht so chaotisch zu wie in der Apostelgeschichte; wenn von der 1. auf die 3. Pers. gewechselt wird, ist klar markiert, warum das geschieht und welche Personengruppe gemeint ist.119
3.5 Xenophon von Ephesos: Ephesiaka Der Roman des Xenophon mit dem Titel ᾽Εφεσιακά wird für gewöhnlich ins frühe 2. Jh.n.Chr. datiert.120 Da dem Verfasser im entsprechenden Suda-Artikel ein Werk ᾽Εφεσιακά im Umfang von zehn Büchern zugeschrieben wird,121 der uns überlieferte Text aber nur fünf Bücher umfaßt, liegt der Gedanke nahe, daß es sich bei unserem Text um eine Epitome handeln könnte. Die zuweilen stark kondensierte und umrißhafte, ja zuweilen einfach zu knapp geschilderte Vgl. dazu Kussl, Papyrusfragmente, S. 126.139 mit Anm. 145. Vgl. beispielsweise, wie die Deutung des Elmsfeuers durch die Seeleute erzählt wird: II 56– 58. Zu dem Problem in bezug auf Apg 27 vgl. die Einzelanalyse unten sowie den entsprechenden eigenen Abschnitt zum Problem der »Wir«-Stücke. 120 Vgl. Gärtner, Art. Xenophon; Fusillo, Art. Xenophon, Sp. 644; Merkelbach, Isis regina, S. 347. Lesky will aufgrund der Nähe zu Chariton »kaum viel über das Ende des ersten nachchristlichen Jahrhunderts hinausgehen« (Lesky, Geschichte, S. 965). Noch in die erste Hälfte des 1. Jh.n.Chr. will O’Sullivan datieren (O’Sullivan, Xenophon, S. 2f.168–170 [hier auch zum Verhältnis zu Chariton (bes. Anm. 48)]). Kerényi datiert auch ins 2. Jh., nimmt aber die Vorform eines Isisromans aus dem 1. Jh.n.Chr. oder sogar 1. Jh.v.Chr. an, die vom Kern des Erzählten her dem Orakel in X.Eph. I 6,2 (s.u.) entsprochen habe (Kerényi, Die griechisch-orientalische Romanliteratur, S. 232). 121 Der Eintrag lautet (Suid. XI 50): Ξενοφῶν, ᾽Εφέσιος, ἱστορικός. ᾽Εφεσιακά· ἔστι δὲ ἐρωτικὰ βιβλία ι´ περὶ Ἀβροκόµου καὶ Ἀνθίας· καὶ Περὶ τῆς πόλεως ᾽Εφεσίων· καὶ ἄλλα. Von der hier auch angebenen Abhandlung über die Stadt der Ephesier und dem anderen ist nichts auf uns gekommen. 118 119
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3 Der ideale oder Liebesroman
Handlung scheint das zu unterstützen.122 Nichtsdestoweniger ist die These von der Epitome umstritten;123 möglicherweise ist sie sogar als schwierigere Hypothese zur Erklärung der literarischen Eigenheiten des Werks anzusehen und somit abzulehnen.124 Interessant für uns ist die Seefahrt des Heldenpaares, Habrokomes und Anthia, im ersten Buch (X.Eph. I 10,3ff.): Da das Paar ein Orakel erhält, nach welchem ihnen viel Unheil bevorstehen soll (X.Eph I 6,2), schicken die Eltern (genannt sind freilich nur die Väter) sie auf eine Art Hochzeitsreise nach Ägypten, und zwar u.a. mit der Begründung, daß sie sich eine Zeit außerhalb von Ephesos aufhalten sollten, um jenen Orakelspruch – soweit es ginge – abzumildern (X.Eph. I 10,3): ἤµελλόν τε γὰρ ἄλλην ὄψεσθαι γῆν καὶ ἄλλας πόλεις καὶ τὸν τοῦ θεοῦ χρησµόν, ὡς οἷόν τε ἦν, παραµυθήσασθαι ἀπαλλαγέντες χρόνῳ τινὶ ᾽Εφέσου.
Sie [sc. die Kinder] sollten nämlich anderes Land und andere Städte sehen und den Orakelspruch des Gottes, soweit das eben ginge, mildern, indem sie für gewisse Zeit von Ephesos abwesend sind.
Das allerdings muß dem Leser absurd erscheinen, da doch das Orakel gerade gefährliche Abenteuer auf dem Meer und in fremden Ländern jenseits des Meeres voraussagt; hier der Text des Orakels, das die Väter der beiden im Heiligtum des Apollon von Kolophon erhalten (X.Eph. I 6,2):125 122 Alexander spricht bei Xenophon von einem »chaotic management of narrative time« (Alexander, In Journeyings Often, S. 2). Vgl. zu den Phänomenen der Knappheit auch Rohde, Der Griechische Roman, S. 429–435. 123 Vgl. zur strittigen Epitome-Frage die knappen Informationen bei Fusillo, Art. Xenophon, Sp. 644. Die These geht zurück bis auf: Rohde, Der Griechische Roman, S. 429 mit Anm. 1 (S. 429f.); vgl. weiter Bürger, Zu Xenophon. Dagegen hat sich aber beispielsweise Tomas Hägg ausgesprochen: Hägg, Die Ephesiaka; er findet Zustimmung bei Merkelbach, Isis regina, S. 347, Anm. 1; Lesky läßt zumindest noch die Möglichkeit offen, daß die o.g. Phänomene auch auf das geringe literarische Können des Xenophon zurückzuführen sein könnten (Lesky, Geschichte, S. 965) – die Angabe der Suda wäre dann natürlich irrig. 124 Vgl. dazu die Untersuchung von James N. O’Sullivan (O’Sullivan, Xenophon, passim); er setzt sich S. 100–135 ausführlich mit der Analyse von Bürger (s.o.) auseinander und lehnt dessen Begründung für die Annahme einer Epitome schließlich ab, indem er erklärt: »it is a mistake to try to explain a few oddities by means of a radical theory of epitomization that leaves other, similar features of the text, to say nothing of Xenophon’s generally peculiar style and manner of composition, unexplained« (S. 134). Kritisch zur Studie von O’Sullivan äußert sich Holzberg, Der antike Roman, S. 70f., der eher der Epitome-Hypothese zuneigt. 125 Der hier gebotene Text folgt den Vorschlägen von Reinhold Merkelbach, der v. 9 vor vv. 7f. gestellt und zwei der drei im folgenden gekennzeichnete Textverbesserungen angebracht hat (vgl. Merkelbach, Kritische Beiträge, S. 179f.; Merkelbach, Roman, S. 93 mit Anm. 1; Merkelbach, Isis regina, S. 349 mit Anm. 3). Das Orakel ist – wie es sich gehört – in korrekt gebauten Hexametern gegeben; interessant ist das ὑπείρ in v. 4, das hier statt ὑπέρ eine lange Silbe ermöglicht. Es kommt aber beispielsweise bei
3.5 Xenophon von Ephesos: Ephesiaka 2 4 6 9 7 8
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Τίπτε ποθεῖτε µαθεῖν νούσου τέλος ἠδὲ καὶ ἀρχήν; ἀµφοτέρους µία νοῦσος ἔχει, λύσις ἔνθεν ἁµ’ ἔσται. δεινὰ δ’ ὁρῶ τοῖσδεσσι πάθη καὶ ἀνήνυτα ἔργα· ἀµφότεροι φεύξονται ὑπεὶρ ἅλα λῃστοδίωκτοι. δεσµὰ δὲ µοχθήσουσι παρ’ ἀνδράσι µιξοθαλάσσοις, καὶ τάφος ἀµφοτέροις θάλαµος καὶ πῦρ ἀΐδηλον. ἀλλ’ ἔτι που µετὰ πήµατ’ ἀρείονα πότµον ἔχουσι καὶ ποταµοῦ ἱεροῦ126 παρὰ ῥεύµασιν δαίµονι σεµνῇ127 σωτείρῃ µετόπισθε παρίστασ’128 ὄλβια δῶρα.
Wissen begehrt Ihr über Ende und Anfang der Krankheit? | Beide hat eine Krankheit im Griff, von daher wird auch gleichermaßen Heilung kommen. | Schreckliche Leiden sehe ich für diese und unaufhörliche Mühen; | beide werden übers Meer fliehen, von Piraten verfolgt. | Fesseln werden sie dulden (müssen) bei meerdurchfahrenden Männern, | beiden (steht bevor) das Grab als Brautgemach und verzehrendes Feuer. | Aber einstmals nach (diesen) Leiden haben sie ein glückliches Geschick | und bei den Strömen des heiligen Flusses der hehren Göttin, | der Retterin (σώτειρα !), weihen sie wertvolle Gaben.
Die oben angesprochene Absurdität zeigt sich deutlich an den vv. 3–5 des Orakels; die Eltern machen sich so ja gerade zu Erfüllungsgehilfen des Götterspruchs. Im Roman muß das Heldenpaar auf See gehen, um Abenteuer zu erleben; nur wird das hier bei Xenophon doch auf eine etwas erzwungene, ja geradezu widerspruchsvolle Weise erreicht.129 Nicht anders als vernichtend hat Erwin Rohde über diesen Aspekt im Werke des Xenophon geurteilt: »Man kann sich nicht leicht eine ungeschicktere Manier, die Reiseabenteuer seines Liebespaares einzuleiten, erdenken als diejenige ist, mit welcher Xenophon dem tyrannisch sich auferlegenden Typus griechischer Romandichtung sich fügt. Das junge Paar war bereits so bequemlich versorgt und verheirathet: wie in aller Welt sollte man sie nun auf das wilde Meer bringen, auf welches ihre Pflicht als ächte Romanhelden sie doch einmal rief? Sie haben rein nichts da draussen zu suchen. Hier fiel nun dem Dichter ein überaus bequemes, freilich auch Apollonios Rhodios und Homer nur gerade in dieser Kombination ὑπεὶρ ἅλα vor: Il. XXIII 227; XXIV 13; Od. III 73; IV 172; IX 254; A.R. I 236.918; II 1138; III 1072; IV 299 – bei anderen Autoren findet sich unsere Kombination freilich auch. 126 cod. F hat ποταµοῦ Νείλου, ἱεροῦ schon von A.E. Locella vorgeschlagen: »Der Nil und Isis sind zweiffellos gemeint, können aber nicht wohl in dem Orakel mit Namen genannt worden sein« (Merkelbach, Isis regina, S. 349, Anm. 3); vgl. zur eingehenderen Begründung Merkelbach, Kritische Beiträge, S. 179f. 127 cod. F hat ῎Ισιδι σεµνῇ, s. Anm. 126. 128 cod. F hat παραστῇς. 129 Allgemein zum Orakel als Anlaß der Reise vgl. Söder, Die apokryphen Apostelgeschichten, S. 45f.; daß sich das Ganze hier bei Xenophon besonders merkwürdig ausnimmt, zieht sie nicht in Erwägung.
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ungewöhnlich absurdes Mittel ein, mit dessen Hülfe er die Handlung in die durchaus nothwendige Bewegung setzen konnte. . . . Nur w e i l der Gott gesagt hatte, sie würden auf leidvolle Irrfahrten ausziehen, ziehen sie, wie uns der Dichter ausdrücklich angiebt, wirklich aus. Da war es freilich leicht prophezeien, wenn die Wahrsagung wie ein Befehl angesehen und ausgeführt wurde!«130 Die Verknüpfung von Reise- und Romanziel ist ein interessantes Phänomen im Vergleich der unterschiedlichen Romane: Ist womöglich die konsequente Unterordnung der Reise unter das eigentliche Romanziel bzw. eine regelrechte Emanzipation des Roman- vom Reiseziel als eine Weiterentwicklung des Romans über die hier bei Xenophon vorzufindende Gestalt anzusehen? Man denke etwa an den Roman des Heliodor, dem es niemals eingefallen wäre, solche stümperhaften Verfahren wie hier anzuwenden, oder eben an den Hirtenroman des Longos, der ganz auf die (längere) Reise verzichtet.131 Bei der dann anschließend tatsächlich erfolgenden Abreise fällt zunächst wieder die typische Abschiedsszene auf: Da herrscht ein Volksauflauf, und Tränen fließen, besonders auf die Eltern wird der Blick gerichtet (X.Eph. I 10,5-11,1).132 Die ersten Etappen der Reise über Samos nach Rhodos verlaufen gut, man hat günstigen Wind (I 11,2f.) und bekommt schon bald Rhodos in Sicht und kann dort einlaufen.133 Von da an nimmt das Unheil jedoch seinen Lauf: Dieses Unheil wird vorbereitet; nach zunächst gutem Wind (I 12,3) tritt Windstille ein, die Matrosen geben sich dem Nichtstun und dem Suff hin: Das sei die ἀρχὴ τῶν µεµαντευµένων, stellt unser Romancier fest.134 Die zweite 130 Rohde, Der Griechische Roman, S. 423f. Vgl. auch Reardon, The Form, S. 109, der die Seereise als Einleitung zu den Abenteuern nennt: ». . . a crude enough device, and is seen at its crudest in Xenophon . . . «. Vgl. weiter Merkelbach, Roman, S. 94f.; Merkelbach, Isis regina, S. 350f.; Alexander, In Journeyings Often, S. 21. 131 Vgl. dazu Schissel von Fleschenberg, Entwicklungsgeschichte, S. 46f., der in diesem Sinne eine Entwicklungstheorie entwirft. 132 Vgl. die entsprechende Szene Charito III 5,3–6. 133 X.Eph. I 11,6; hier wird auch notiert, daß das Schiff an Kos und Knidos vorüberfährt, vgl. Apg 27,7, wo das Schiff aus der anderen Richtung kommend es gerade schafft, die Höhe von Knidos zu erreichen. 134 Die ganze Stelle lautet (X.Eph. I 12,3): τῇ δὲ δευτέρᾳ ἐπέπαυτο µὲν ὁ ἄνεµος, γαλήνη δὲ
καὶ ὁ πλοῦς βραδὺς καὶ ναυτῶν ῥᾳθυµία καὶ πότος ἐν τούτῳ καὶ µέθη καὶ ἀρχὴ τῶν µεµαντευµένων (Übersetzung: Am zweiten Tage hatte der Wind nachgelassen, Windstille trat ein, und die Fahrt
war [nun] langsam, bei der Mannschaft herrschte Sorglosigkeit [bzw. Trägheit], man trank und betrank sich: Das war der Beginn des prophezeiten [Geschehens]). – Vgl. zur bedrohlichen Windstille vor einem Sturm: Synes. ep. 4,164a–b. Zu Gefahren in der Windstille überhaupt vgl.: AP VII 293; Charito III 3,11f.18; Hld. V 23,2f.; s. auch unten. Daß man sich in der Windstille besäuft, findet sich auch bei: A. Petr. c. Sim. (Act. Verc.) 5 (Lipsius/Bonnet I, S. 50, Z. 28f.). In besonders bemerkenswerter Weise wird das Element der Vorbedeutung bei Luc. VH I 30 genutzt: Hier erscheint die γαλήνη im Zusammenhang mit einer positiven Wendung des Geschehens, die dann aber als Anfang schlimmeren Unglücks gedeutet wird.
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Vorbereitung erfolgt in einem Traum, der unserem Helden zuteil wird (I 12,4); Habrokomes sieht eine überlebensgroße Frau in blutrotem Gewande, die das Schiff in Brand steckt, so daß alle umkommen, nur Habrokomes selbst kann sich mit seiner Anthia schwimmend retten. Programmatisch heißt es weiter (I 12,4): ταῦτα ὡς εὐθὺς εἶδεν ἐταράχθη καὶ προσεδόκα τι δεινὸν ἐκ τοῦ ὀνείρατος· καὶ τὸ δεινὸν ἐγένετο.
Da er dies sah, war er aufgebracht und erwartete aus dem Traum etwas Schlimmes; und das Schlimme kam.135
Das Unheil vollzieht sich im folgenden durch wohlgemerkt phönizische Piraten (eine Anspielung auf und variierende Wiederaufnahme der rotgewandeten Frau [ἐσθῆτα ἔχουσα φοινικῆν] aus I 12,4), die auch schon auf Rhodos geankert hatten (I 13,1) und jetzt das Schiff überfallen (13,5):136 Das Schiff fällt den Piraten in die Hände; Habrokomes und Anthia bitten – wie es im Roman nun einmal zugeht – um nichts mehr als um ihr Leben und v.a. darum, bloß an einen einzigen Herrn verkauft zu werden.137 So werden Held und Heldin durch das Unglück zur See zwar nicht getrennt – das wird später anders ins Werk gesetzt –, aber sie kommen in Sklaverei, wodurch ihr weiteres (dann getrenntes) Umherirren ja erst veranlaßt wird. Es kommt hier zu keinem Schiffbruch, auch wenn der Traum des Habrokomes das zuerst erwarten läßt, sondern zu einem Piratenüberfall; die beiden Helden müssen sich nicht schwimmend retten, sondern werden mit der wertvollen Ladung auf die Triere der Piraten gebracht (I 14,1). Der Traum erfüllt sich aber dennoch: Die anderen verbleiben auf dem Schiff, das die Piraten dann in Brand stecken; alle kommen um, auch der schon greise Erzieher des Habrokomes (I 14,1–5). Immer wieder greift das Geschick zur See in die Handlung ein, wird aber gar nicht mehr oder nur noch in ganz bescheidenem Maße ausgeführt – meist 135 Vgl. zum Traum auf der Seereise auch Apg 27,23f.; dort wird aber ganz entgegen der Stelle hier die Rettung (zumindest für Besatzung und Passagiere) im Traum vorausgesagt, und zwar in Korrektur der Unheilsansage des Paulus in v. 10. 136 Vgl. zum Zusammenhang von Windstille und Seeräuberüberfall die Stelle Hld. V 23,2–24,1, wo wesentlich deutlicher herausgearbeitet wird, daß erst der nachlassende Wind es den Piraten ermöglicht, ihre Opfer einzuholen – die wahrscheinlich in den Text geratene Glosse τριήρης ἦν in X.Eph. I 13,4 steht möglicherweise in diesem Zusammenhang: Man könnte versucht haben, dadurch zu erklären, wie es den Piraten gelungen sein konnte, ihre Opfer bei Windstille (γαλήνη, X.Eph. I 12,3) einzuholen. 137 X.Eph. I 13,6: µὴ πρὸς αὐτῆς θαλάσσης, µὴ πρὸς δεξιᾶς τῆς σῆς· ἀγαγὼν δὲ ἡµᾶς ὅποι θέλεις, ἀπόδου τοὺς σοὺς οἰκέτας· µόνον οἴκτειρον ἡµᾶς ὑφ’ ἑνὶ ποιήσας δεσπότῃ. Übersetzung: Beim Meere selbst, bei deiner Rechten: Führe uns, wohin du willst, verkaufe uns als deine Sklaven, einzig erbarme dich unser, indem du uns unter (nur) einen Herrn gibst. – Vgl. Ach.Tat. III 5,4; und
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sind es nur Erwähnungen. Da sind zunächst die beiden getrennt voneinander erfolgenden Schiffbrüche der beiden Helden (bzw. bei Habrokomes event. Strandung). In X.Eph. II 11,9f. wird berichtet, wie Anthia einem Ziegenhirten übergeben wird, der den Auftrag hat, sie umzubringen; der aber verkauft das Mädchen an kilikische Händler. Eine extrem kurze Notiz beschreibt dann Seenot, Schiffbruch und mühevolle Rettung (II 11,10): ἐναντίῳ δὲ πνεύµατι κατεχόµενοι καὶ τῆς νεὼς διαρραγείσης µόλις ἐν σανίσι τινὲς σωθέντες ἐπ’ αἰγιαλοῦ τινος ἦλθον· εἶχον δὲ καὶ τὴν Ἀνθίαν.
Nachdem sie durch widrigen Wind (daran) gehindert worden waren [sc. ihr Ziel zu erreichen], und ihr Schiff zerbrochen war, konnten sich einige auf Brettern retten und gelangten (so) auf irgendeinen Strand; Anthia aber war unter ihnen.138
Während Anthia im Wald, in der Gegend des Landungsortes, herumirrt, wird sie schließlich von der Räuberbande des Hippothoos aufgegriffen (II 11,11), womit ihre Abenteuer weitergehen. Entsprechend erleidet auch Habrokomes einen Schiffbruch bzw. eher eine Strandung (III 12,1f.): Er schifft sich nach Ägypten ein, um dort Anthia zu suchen; sein Schiff kommt aber von seinem Kurs ab und strandet (ἐκπίπτειν/ἐκπεσεῖν, vgl. περιπεσεῖν in Apg 27,41) im Bereich der Nilmündungen, wo sie gleich von den sog. ποιµένες139 überfallen, ausgeraubt, verschleppt und schließlich als Sklaven verkauft werden.140 Habrokomes wird an darüber hinaus Charito III 7,3, wo dieses Motiv nicht auf das Liebespaar angewandt wird, sondern auf den Helden und seinen besten Freund. 138 Vgl. zur Rettung auf Schiffstrümmern u.ä. auch AP VII 289,2; IX 269,1f.; Hist.Ap. 12; Ach.Tat. III 5,1; TestNaph VI 6; Apg 27,43f.; A.Jo. (Prochoros, Zahn, S. 9, Z. 3–7); Chrys. Thdr. II 5 (SC 117, Lettre 5,34f. [S. 74]; PG 47, 315). Korkstücke werden den beiden Freunden Damon und Euthydikos in Luc. Tox. 20 zugeworfen. 139 Vgl. zu diesen »Hirten«, die bei Str. XVII 1,6.19 erwähnten Bukolen (Βουκόλοι): Wehrli, Einheit und Vorgeschichte, S. 139f. mit Anm. 15–17. Die entsprechenden Artikel in KP und im Neuen Pauly behandeln lediglich die dionysischen Bukolen (von Geisau, Art. Bukoloi; Gordon, Art. Bukoloi); es handelt sich bei diesen Bukolen aber um Räuber, die sich in den Nilsümpfen versteckt hielten: Sie kommen auch beispielsweise bei Ach.Tat. III 9,2–IV 18,1 und Hld. I 3,4–33,4 vor – bei Heliodor heißt es auch über diese Nilsümpfe (I 5,2f.): βουκολία µὲν σύµπας κέκληται πρὸς Αἰγυπτίων ὁ τόπος . . . . | ἐν δὴ τούτοις ὅσον Αἰγυπτίων λῃστρικὸν πολιτεύεται . . . 140 X.Eph. III 12,1f.: ῾Η δὲ ναῦς ἡ τὸν Ἁβροκόµην ἔχουσα τοῦ µὲν κατ’ Ἀλεξάνδρειαν πλοῦ διαµαρτάνει, ἐκπίπτει δὲ ἐπὶ τὰς ἐκβολὰς τοῦ Νείλου τήν τε Παράλιον καλουµένην καὶ Φοινίκης ὅση παραθαλάσσιος. ᾽Εκπεσοῦσι δὲ αὐτοῖς ἐπιδραµόντες τῶν ἐκεῖ ποιµένων τά τε φορτία διαρπάζουσι καὶ τοὺς ἄνδρας δεσµεύουσι καὶ ἄγουσιν ὁδὸν ἔρηµον πολλὴν εἰς Πηλούσιον τῆς Αἰγύπτου πόλιν, καὶ ἐνταῦθα πιπράσκουσιν ἄλλον ἄλλῳ. Übersetzung: Das Schiff, das Habroko-
mes an Bord hatte, verfehlte seinen Kurs nach Alexandria und lief bei den Nilmündungen auf, in einer Gegend, die man Paralion nannte, nach der phönizischen Küste hin gelegen. Als sie (gerade) gelandet waren, fielen welche von den Hirten dort über sie her, raubten die Ladung, fesselten die Männer und führten sie einen langen Weg durch die Wüste zur ägyptischen Stadt Pelusion, dort verkauften sie sie (als Sklaven) an verschiedene Abnehmer.
3.5 Xenophon von Ephesos: Ephesiaka
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einen Araxos verkauft, der eine ebenso liederliche wie widerliche Frau hat; mit ihr erlebt er im folgenden eine Art Josephsgeschichte mit »Potiphars Weib«.141 Wie die beiden Helden zuvor gemeinsam auf See in die Hände der Piraten gefallen sind, so kommen sie nun jeder für sich zwar an Land, aber nach gescheiterter Seefahrt unter die Botmäßigkeit von Räubern, was ihre Zusammenkunft freilich verzögert. Dieses parallele Ergehen spielt eine nicht unwesentliche Rolle für das Gesamtverständnis des Romans überhaupt: Reinhold Merkelbach hatte ja in seinem vielbeachteten Werk Roman und Mysterium142 versucht, – in Weiterführung der Überlegungen von Karl Kerényi143 – die Bezüge zu den antiken Mysterienreligionen in den uns überlieferten Romanen herauszustellen und einige von ihnen dezidiert als »Mysterienromane« zu interpretieren. Diese Sicht hat er dann in seinem Isis-Buch (Isis regina – Zeus Sarapis) erneut vorgelegt und zu präzisieren versucht.144 Dabei will er einen religiösen »Hintersinn« von dem offensichtlichen exoterisch-alltagsweltlichen Oberflächensinn unterscheiden,145 so daß eine Vielzahl einzelner Erzählelemente der Romane auf einer zweiten, religiösen Ebene deutbar würden. In dem von ihm ganz sicher und seines Erachtens mehr als deutlich als Isis-Roman zu klassifizierenden Werk des Xenophon146 weist er etwa den von uns eben besprochenen Passagen des Schiffbruchs das Bezugsfeld Taufe – Tod zu: »Der Schiffbruch bezieht sich im Ritual der Mysterienweihe auf das Reinigungsbad (Taufe), im Leben auf alles Unglück, das dem Mysten auf seiner Lebensreise begegnet.«147 Daß parallel zu Anthia auch unser Habrokomes auf seiner Schiffahrt scheitert, interpretiert er so: »Dem Schiffbruch der Antheia entspricht der Schiffbruch des Habrokomes. Jeder Myste muß durch das Reinigungsbad gehen«148 Leider ist es hier unmöglich, der hoch interessanten, aber genauso umstrittenen Frage nach dem religionsgeschichtlichen Wert unserer Romane in extenso nachzugehen – das müßte anderweitig geschehen. 141 X.Eph. III 12,2ff.; vgl. Gen 39,7–18. Vgl. zu diesen Szenen und weiteren Varianten des Motivs von Potiphars Weib: Merkelbach, Roman, S. 99; Westermann, Genesis III, S. 60–62; Westermann, Joseph-Erzählung, S. 37–41. 142 Merkelbach, Roman, passim. 143 Kerényi, Die griechisch-orientalische Romanliteratur, passim. 144 Vgl. v.a. im Vorwort zur 2. Aufl.: Merkelbach, Isis regina, S. VII. 145 Vgl. etwa Merkelbach, Isis regina, S. VII.335–339. 146 Zur entsprechenden Einordnung s. etwa Merkelbach, Isis regina, S. 347; das von Merkelbach auch als Isis-Roman angesehene Werk des Achilleus Tatios setzt er davon ab, was die Deutlichkeit der Bezüge anbelangt: Merkelbach, Isis regina, S. 364. 147 Merkelbach, Roman, S. 101; Merkelbach, Isis regina, S. 343. 148 Merkelbach, Roman, S. 104; grundsätzlich zur Parallelführung der Schicksale Merkelbach, Isis regina, S. 341, und zu unserer Stelle S. 355 mit Anm. 8. Vgl. hierzu auch Pokorný, Die Romfahrt, S. 235f., der sich recht eng an die Kerényi-Merkelbachsche Deutung anlehnt und in den Ähnlichkeiten zwischen Mysterienroman und Apostelgeschichte eher »eine polemische Analogie« (S. 236) sieht.
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3 Der ideale oder Liebesroman
Hier sei nur kurz festgehalten, daß die Merkelbachsche Romaninterpretation in der Gräzistik – m.E. nicht ohne Grund – mehr als umstritten ist; denn seine Interpretationen, die fast allen Handlungssequenzen, die übrigens eine ganz natürliche Funktion in einem Liebesroman erfüllen, eine zweite Bedeutungsebene in religiöser Hinsicht zuweisen, hinterlassen doch oftmals den spürbaren Nachgeschmack des Überspitzten und Erzwungenen.149 Eine genaue Durchsicht der Thesen und Einzelinterpretationen Merkelbachs, wie auch Kerényis, muß hier aber unterbleiben. Unabhängig von dieser Deutung ist hier jedoch die Motivik beachtenswert, die immer wieder begegnet, nämlich entweder an Land freundlich empfangen oder aber ganz im Gegenteil überfallen zu werden.150 Freundliche Aufnahme findet Habrokomes nun auch, nachdem er seine Fahrt nach Italien in Sizilien abbrechen muß, eben wieder wegen widriger Winde (X.Eph. V 1,1): τὸ γὰρ πνεῦµα τὴν ναῦν ἀπῶσαν τοῦ µὲν κατ’ εὐθὺ ἀπέσφηλε πλοῦ, ἤγαγε δὲ εἰς Σικελίαν καὶ κατήχθησαν εἰς πόλιν Συρακούσας µεγάλην καὶ καλήν.
Als nämlich der Wind das Schiff zurückdrängte, brachte er es vom geraden Kurs ab und trieb es nach Sizilien; so kamen sie in die große, schöne Stadt Syrakus.
Diese Reise des Habrokomes nach Italien ist lediglich dadurch motiviert, daß er hofft, dort Anthia zu finden; aber warum in Italien? Die Italienfahrt scheint im Zusammenhang genauso gezwungen zu sein, wie die Abreise von Ephesos zu Beginn.151 Habrokomes findet im Anschluß an diese Reise Unterkunft bei einem armen Fischer, der ihn wie sein eigenes Kind annimmt (X.Eph. V 1,2).152 149 Vgl. etwa kurz Fusillo, Art. Roman II, Sp. 1110f., der mit der Bemerkung schließt: ». . . diese These ist viel diskutiert, aber weitgehend abgelehnt worden« (Sp. 1111). Vgl. – mit Blick auf die lateinischen Romane – auch das ablehnende Fazit bei Hofmann, Art. Roman III, Sp. 1115f. Niklas Holzberg hält eine Auseinandersetzung mit Merkelbach sogar für unnötig: »Diese These wurde mehrfach so überzeugend widerlegt, daß eine nähere Auseinandersetzung damit sich hier erübrigt« (Holzberg, Der antike Roman, S. 50). Ebenso wurde in der neutestamentlichen Wissenschaft die Mysterieninterpretation der Romane nicht ohne Kritik hingenommen: Pokorný, Die Romfahrt, S. 236f.; Ablehnung auch bei Berger, Hellenistische Gattungen, S. 1265. Schließlich hat auch Jan Assmann, klugerweise – mag man hinzufügen –, in seiner Deutung der Mozartschen Zauberflöte nur ganz vorsichtig auf die Mysterieninterpretation à la Merkelbach bezug genommen, obwohl er in ganz ähnlicher Weise mit zwei Sinnebenen in der Interpretation dieser Oper arbeitet (Assmann, Zauberflöte, S. 275.296); er bezeichnet die Mysterieninterpretation als eine »von Kennern wie Karl Kerényi und Reinhold Merkelbach vertretene, aber letztlich unbeweisbare These« (S. 296). 150 Vgl. zur freundlichen Aufnahme: Hist.Ap. 12; Herpyllis II 1–7; Ninos C 1–16 (bes. 4f.; s. aber oben zum Problem dieser Stelle, dort finden sich auch weitere Hinweise zum Motiv der freundlichen Aufnahme) und schließlich auch Apg 28,2, wo eben gerade mit der entgegengesetzten Möglichkeit der unfreundlichen Aufnahme gespielt wird (s. dazu unten), das geschieht genauso bei Petr. 114,14; 115,6. 151 Vgl. Alexander, In Journeyings Often, S. 21. 152 Genau ein armer Fischer ist auch der Helfer in Hist.Ap. 12.
3.6 Achilleus Tatios: Leukippe und Kleitophon
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Darüber hinaus ist noch die Stelle bemerkenswert, wo Hippothoos von der gescheiterten Flucht mit seinem entführten Eromenos Hyperanthes berichtet, auf die sein Räuberleben in Phrygien, Pamphylien und schließlich Kilikien folgt (X.Eph. III 2,10–14): Beide besteigen in Perinth ein Schiff, um nach Kleinasien hinüberzufahren, geraten mit ihrem Schiff allerdings bei Lesbos in einen Sturm und kentern. Beide müssen schwimmen, wobei Hippothoos seinen geliebten Knaben unterstützt, dessen Tod aber nicht verhindern kann (X.Eph. III 2,12): Καὶ µέχρι µέν τινος διήνυστο εὐτυχῶς ὁ πλοῦς· τελευταῖον δὲ κατὰ Λέσβον ἡµῖν γενοµένοις ἐµπίπτει πνεῦµα σφοδρὸν καὶ ἀνατρέπει τὴν ναῦν. Κἀγὼ µὲν τῷ ῾Υπεράνθῃ συνενηχόµην ὑπιὼν αὐτῷ καὶ κουφοτέραν τὴν νῆξιν ἐποιούµην· νυκτὸς δὲ γενοµένης οὐκέτι ἐνεγκὸν τὸ µειράκιον παρείθη τῷ κολύµβῳ καὶ ἀποθνῄσκει.
Eine gewisse Zeit ging die Fahrt gut; schließlich aber, als wir auf der Höhe von Lesbos waren, brach ein heftiger Sturm über uns herein und warf das Schiff um. Ich also schwamm zusammen mit Hyperanthes und, indem ich mich ihm unterschob, erleichterte ich ihm das Schwimmen; als aber die Nacht hereinbrach, konnte der Knabe nicht mehr und war vom Schwimmen erschöpft, so starb er.
An Land gelangt, begräbt er den Toten und setzt ihm ein Grabmal mit Inschrift (III 2,13). Eine Parallele zu solch einer »Rettungsschwimmer«-Szene findet sich im Toxaris des Lukian, wo Euthydikos seinem Freund Damon hilft (Luc. Tox. 20); hier jedoch gelingt das Unterfangen, und keiner kommt zu Tode (§ 21).153
3.6 Achilleus Tatios: Leukippe und Kleitophon Der Roman des Achilleus Tatios über das Heldenpaar Leukippe und Kleitophon ist neben dem Werk des Chariton dasjenige, welches eine deutliche Fehldatierung in der Forschung erfahren hat: Zumeist wird er jetzt auf die zweite Hälfte des 2. Jh.n.Chr. datiert.154 Die Papyrusfunde haben eine Datierungskorrektur nach oben notwendig gemacht,155 nachdem schon Altheim aufgrund historischer Indizien für das 2. Jh. plädiert hatte.156 Erwin Rohde hatte dagegen noch eine Abhängigkeit des Achilleus von Heliodor angenommen und unseren Roman ins Vgl. in Sachen »Rettungsschwimmer« auch die fragliche Formulierung in Apg 27,44 (s. z.St.). Vgl. Werner, Art. Achilleus Tatios. 155 Vgl. zu den Papyri: Lesky, Geschichte, S. 966, Anm. 2; Fusillo, Art. Achilleus Tatios, Sp. 82: v.a. P.Oxy. LVI 3836f. (S. 62–69), zu weiteren Papyri siehe dort, S. 62. 156 Altheim, Literatur, S. 121–124; er bezieht sich dabei v.a. auf die ägyptischen Bukolen (s. bei Ach.Tat. III 9,2–IV 18,1; Hld. I 3,4–33,4). Zur Kritik an Altheim vgl. Vilborg, Achilles Tatius, S. 9f., der aber auch grob für eine Abfassung in der zweiten Hälfte des 2. Jh.n.Chr. plädiert. 153 154
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3 Der ideale oder Liebesroman
5. Jh.n.Chr. datiert.157 Diese Position ist mit den Papyrusfunden endgültig vom Tisch.158 Der Roman über Leukippe und Kleitophon enthält eine sehr ausführliche Seefahrtsschilderung mit Sturm und Schiffbruch (Ach.Tat. II 31,5–III 5,6), die als das herausragende Exemplar unter den Seefahrts- und Sturmschilderungen der Romane zu gelten hat.159 Diesem Abschnitt des Romans ist die Ehre zuteil geworden, in neutestamentlichen Kommentaren regelmäßig herangezogen zu werden.160 Wenigstens wird er neben zwei Stellen bei Petron161 erwähnt, wenn es um die Behauptung geht, daß es sich bei der auch hier vorkommenden Flucht der Besatzung (wie Apg 27,30–32) um ein verbreitetes Romanmotiv handle.162 Zur Seefahrtsschilderung selbst: Ab II 31,5 reist Kleitophon mit seiner Geliebten Leukippe sowie den Gefährten Satyros und Kleinias, der noch zwei Diener dabei hat, von Tyros über Sidon nach Ägypten. Nachdem sie in Sidon ein Schiff mit dem Ziel Alexandria bestiegen haben, verläuft die Fahrt zunächst günstig.163 Am dritten Tag der Reise kommt es dann zum Sturm (Ach.Tat. III 1,1): Τρίτην δὲ ἡµέραν πλεόντων ἡµῶν ἐξ αἰθρίας πολλῆς αἰφνίδιον ἀχλὺς περιχεῖται, καὶ τῆς ἡµέρας ἀπωλώλει τὸ φῶς. ἐγείρεται δὲ κάτωθεν ἄνεµος ἐκ τῆς θαλάσσης κατὰ πρόσωπον τῆς νηός, καὶ ὁ κυβερνήτης περιάγειν ἐκέλευε τὴν κεραίαν.
Als wir drei Tage lang gesegelt waren, trat aus heiterem Himmel plötzlich Finsternis ein, und das Tageslicht verging. Es erhob sich aber ein Wind vom Meer her dem Schiff direkt entgegen, da befahl der Steuermann/Kapitän, die Rah umzudrehen.164
Das vom Steuermann/Kapitän hier befohlene Manöver schlägt jedoch fehl,165 weshalb das Schiff Schlagseite bekommt; die Passagiere versuchen, es daraufhin Rohde, Der Griechische Roman, S. 501–505. Merkelbach will aufgrund der als Anspielung auf eine neue Sothisperiode verstandenen Erscheinung des Phönix im IV. Buch auf »139 n.Chr. oder kurz danach« datieren (Merkelbach, Isis regina, S. 364). 159 Vgl. zur Würdigung insbesondere dieser Sturmepisode Billault, La création romanesque, S. 195–197. 160 Beispielsweise bei Conzelmann, Apostelgeschichte, S. 155; Haenchen, Apostelgeschichte, S. 675, Anm. 4; Schille, Apostelgeschichte, S. 467; Pesch, Apostelgeschichte II, S. 292, Anm. 2. 161 Satyrica, §§ 102,1–7; 114,7. 162 S. zu dieser Frage unten. Bezug wird dann auf unsere Stelle Ach.Tat. III 3,1–4,2 genommen; so z.B. Roloff, Apostelgeschichte, S. 363f.; Jervell, Apostelgeschichte, S. 609, Anm. 475. 163 Man beachte hier die schöne Schilderung der günstigen Fahrt in Ach.Tat. II 32,1f.; vgl. auch Charito III 6,1; Hld. V 1,2. 164 Vgl. zur Dunkelheit: Charito III 3,10; Hist.Ap. 11; Herpyllis II 38–54 (bes. Z. 49f.52f.); Petr. 114,1.3; Luc. Nav. 9; Tox. 20; VH I 6; Aristid. Or. XLVIII 65; Apg 27,20; und zum plötzlich auftretenden widrigen Winde: Ninos C 11–14; Charito III 3,10.18; Hist.Ap. 39; Herpyllis II 17–21.24–26; X.Eph. III 2,12; Arr. Peripl.M.Eux. 3,3; Luc. Nav. 7; VH I 9; II 47; sowie ja auch Apg 27,14. 165 Ach.Tat. III 1,2: καὶ σπουδῇ περιῆγον οἱ ναῦται, πῇ µὲν τὴν ὀθόνην ἐπὶ θάτερα συνάγοντες ἄνω τοῦ κέρως βίᾳ (τὸ γὰρ πνεῦµα σφοδρότερον ἐµπεσὸν ἀνθέλκειν οὐκ ἐπέτρεπε), πῇ δὲ πρὸς 157 158
θάτερον µέρος φυλάττοντες τοῦ πρόσθεν µέτρου καθ’ ὃ συνέβαινεν οὔριον εἶναι τῇ περιαγωγῇ
3.6 Achilleus Tatios: Leukippe und Kleitophon
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wieder ins Gleichgewicht zu bringen, indem sie samt Gepäck alle auf eine Seite wechseln, dann wieder zurück und mehrmals hin und her (Ach.Tat. III 1,3–2,1). Die folgende Beschreibung des Sturms mit allen erdenklichen Motiven sucht ihresgleichen, da finden sich wieder Dunkelheit, Donner, Blitz, Pfeifen des Windes und die Beschreibung der Wellenberge: Die Passage hier bei Achilleus Tatios übertrifft aber auch die vergleichbare Beschreibung im Herpyllis-Roman (II 38–54). Besonders eindrücklich ist bei ihm die Beschreibung des auf dem Wellengebirge auf- und niedersausenden Schiffs (Ach.Tat. III 2,5): ἡ δὲ ναῦς ἀεὶ πρὸς µὲν τὸ κυρτούµενον τῆς θαλάσσης ἠγείρετο, πρὸς δὲ τὸ παράδροµον ἤδη καὶ χθαµαλὸν τοῦ κύµατος κατεδύετο. ἐῴκει δὲ τῶν κυµάτων τὰ µὲν ὄρεσι, τὰ δὲ χάσµασιν.
Das Schiff richtete sich immer gegen das sich türmende Meer auf, und tauchte wieder unter gegen den schon abfließenden und niedrigen Wogenschwall hin. Die Wellen glichen zum einen Teil Bergen, zum anderen Teil Abgrundsschlünden.
Der hier benutzte Gegensatz von höchsten Höhen und tiefsten Tiefen wird in noch drastischerer Weise in Ps 107,26 (106,26 LXX) eingesetzt, wo nicht ὄρη und χάσµατα einander gegenübergestellt werden, sondern gar οὐρανοί und ἄβυσσοι (hebr. )תְהוֹמוֹת – שׁמַי.166 In der Apostelgeschichte findet sich aus diesem gesamten Repertoire lediglich die Betonung der Dunkelheit (Apg 27,20; hier Ach.Tat. III 2,2)167 und im gleichen Verse die Feststellung, daß alle Hoffnung dahin war; letzteres hat hier in III 2,4 eine interessante Parallele: Um sich vor dem zu allem Unheil noch strömenden Regen zu schützen, kriechen die Passagiere unter eine Art Verdeck und kauern dort wie in einer Höhle, dem Schicksal ergeben, ohne Hoffnung.168 τὸ πνεῦµα (Übersetzung: Die Seeleute machten sich mit Eifer an die Arbeit: Da zogen sie auf der
einen Seite das Segeltuch mit Gewalt auf der Rah zusammen (der heftiger blasende Wind ließ es nämlich nicht zu, sie dagegen zu ziehen), da ließen sie es [sc. das Segeltuch] auf der anderen Seite aber in der vorherigen Position, weil der Wind entsprechend günstig fürs Umdrehen war). Vgl. zu den Verständnisschwierigkeiten, die diese Stelle bietet, Vilborg, Achilles Tatius, S. 66; darauf kann ich hier nicht en detail eingehen. – Zu fehlgeschlagenen Manövern sonst vgl. Herpyllis II 26; Luc. VH I 6; Apg 27,15; Synes. ep. 4,163c; dagegen konnten die Seeleute in Luc. Tox. 19 das Segel reffen/einholen. 166 Siehe auch die bis zum Himmel schlagenden Wogen bei Hist.Ap. 11; bei Synes. ep. 4,162a findet sich zwar nicht das Bild des Wellengebirges, er benutzt aber – wie sie auch hier bei Ach.Tat. breit ausgeführt wird – die Kampfmetaphorik zur Beschreibung des Sturms, u.a. mit dem Stichwort στάσις (ep. 4,162a.164b), hier Ach.Tat. III 2,2, noch deutlicher µάχη in III 2,8; vgl. auch Herpyllis II 42; Luc. Tox. 20. 167 Siehe zur Dunkelheit/Finsternis im Sturm auch schon: III 1,1; und weiterhin: Charito III 3,10; Hist.Ap. 11; Herpyllis II 38–54 (bes. Z. 49f.52f.); Petr. 114,1.3; Luc. Nav. 9; Tox. 20; VH I 6; Aristid. Or. XLVIII 65. 168 ἡµεῖς δὲ τὰ γέρρα ὑποδύντες ὥσπερ εἰς ἄντρον ἐµένοµεν, παραδόντες ἑαυτοὺς τῇ τύχῃ, ῥίψαντες τὰς ἐλπίδας. Vgl. zur Hoffnungslosigkeit auch Theoc. XXII 18 (οἰόµενοι θανέεσθαι von
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3 Der ideale oder Liebesroman
Die Darstellung und Beschreibung der Gefühle und Gefühlsäußerungen der Passagiere runden das Bild ab (Ach.Tat. III 2,2–8)169 – mit einer solchen Ausführlichkeit haben wir es in der Tat in der Sturmbeschreibung der Apostelgeschichte nicht zu tun. Nun befiehlt der Steuermann/Kapitän, Ladung von Bord zu werfen (ῥίπτειν τὸν φόρτον), um das Schiff zu leichtern: alle beteiligen sich, ohne Gold und Silber auszusondern, selbst Kaufleute werfen ihr eigenes Gut hastig ins Meer; der Sturm ließ sich dadurch aber nicht besänftigen (Ach.Tat. III 2,9): καὶ ὁ κυβερνήτης ἐκέλευε ῥίπτειν τὸν φόρτον. διάκρισις δὲ οὐκ ἦν ἀργύρου καὶ χρυσοῦ πρὸς ἄλλο τι τῶν εὐτελῶν, ἀλλὰ πάντα ὁµοίως ἠκοντίζοµεν ἔξω τῆς νηός· πολλοὶ δὲ καὶ τῶν ἐµπόρων, αὐτοὶ τῶν οἰκείων λαµβάνοντες ἐν οἷς εἶχον τὰς ἐλπίδας, ὤθουν ἐπειγόµενοι. καὶ ἦν ἤδη ἡ ναῦς τῶν ἐπίπλων γυµνή· ὁ δὲ χειµὼν οὐκ ἐσπένδετο.
Nun befahl der Steuermann/Kapitän, die Ladung (über Bord) zu werfen. Da gab es keine Unterscheidung von Gold und Silber von anderen weniger wertvollen Dingen, sondern wir schleuderten alles gleichermaßen aus dem Schiff; viele der Kaufleute legten selbst Hand an ihren Besitz, und stießen ihn hastig fort. Da war das Schiff schon aller Güter entblößt, der Sturm aber ließ sich nicht besänftigen.
Besonders bemerkenswert ist hier der direkte Zusammenhang von erfolgloser Leichterung und dem unverminderten Weitertoben des Sturms, das hier, wenn man so will, in einer Opfer- oder Versöhnungsterminologie (σπένδεσθαι) gefaßt wird, als ob die Leichterung das Meer besänftigen solle – was hier sicher nur übertragen zu verstehen ist. Interessant ist im Vergleich mit dem 27. Kapitel der Apostelgeschichte insbesondere die Abfolge der vv. 18f. mit v. 20, wo ja gerade nach der Leichterung auch wieder die Gewalt des Sturms betont wird, ohne daß allerdings mit der bewußten Versöhnungsterminologie wie hier gearbeitet würde – verständlicherweise, wie man hinzufügen darf.170 den Seeleuten); App. BC V 10 (§ 90); Herpyllis II 35–37; Luc. Tox. 20 (ἀπόγνωσις); Aristid. Or. XLV 33; A.Jo. (Prochoros, Zahn, S. 50, Z. 11f.). 169 Das häufig zu findende Wehklagen (besonders der Frauen unter den Passagieren) wird vom Autor hier mit dem Rauschen des Meeres und dem Brausen des Windes zu einer wahren Kakophonie zusammengestellt (Ach.Tat. III 2,8): συµµιγὴς δὲ πάντων ἐγίνετο βοή· ἐρρόχθει τὸ κῦµα, ἐπάφλαζε τὸ πνεῦµα, ὀλολυγµὸς γυναικῶν, ἀλαλαγµὸς ἀνδρῶν, κελευσµὸς ναυτῶν, πάντα θρήνων καὶ κωκυτῶν ἀνάµεστα (Übersetzung: Es gab ein Durcheinander von allem Geschrei: Die Flut
rauschte, der Wind brauste, Wehgeschrei der Frauen, wildes Rufen der Männer, Kommandorufe der Seeleute, alles war voller Geheul und Gezeter). – Wehklagen im Sturm auch: Luc. Peregr. 43; Aristid. Or. XLVIII 12; Synes. ep. 4,162c. Zum Brausen der Flut (ἦχος, so auch Ach.Tat. III 2,3) siehe noch Luc. Tox. 20. 170 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch die bei Herodot berichtete Überlieferung (Hdt. VIII 118f.), Xerxes habe sein bedrohtes Schiff geleichtert, indem er die mit ihm reisenden Perser gebeten habe, zu seiner Rettung von Bord zu springen; Herodot aber glaubt dieser Überlieferung nicht (119,1); vgl. darüber hinaus zur Leichterung eines Schiffs Luc. Merc.Cond. 1; sowie natürlich
3.6 Achilleus Tatios: Leukippe und Kleitophon
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Da alles nichts nützt, gibt der Steuermann schließlich auf: Τέλος ὁ κυβερνήτης ἀπειπὼν ῥίπτει µὲν τὰ πηδάλια ἐκ τῶν χειρῶν, ἀφίησι δὲ τὸ σκάφος τῇ θαλάσσῃ (III 3,1).171 Weiterhin befiehlt er, das Beiboot (ἡ ἐφολκίς) fertig zu machen und steigt schon hinab, seine Mannschaft weist er an, das Schiff (τὸ σκάφος)172 zu verlassen und das Beiboot zu besteigen. Es entbrennt ein heftiger Kampf zwischen denen, die sich schon im Boot befinden, und denen auf dem Schiff, die auch versuchen, ins Beiboot zu gelangen: Schläge, Gewalt, viele stürzen ins Meer! Unser Romancier stellt fest (Ach.Tat. III 3,3.5): θάλασσα γὰρ εἶχε νόµον τὴν βίαν, καὶ ἦν ναυµαχίας καινὸς τρόπος. . . . φιλίας γὰρ ἢ αἰδοῦς οὐκ ἔτι θεσµὸς ἦν, ἀλλὰ τὸ οἰκεῖον ἕκαστος σκοπῶν ἀσφαλὲς τὸ πρὸς τοὺς ἑτέρους εὔγνωµον οὐκ ἐλογίζετο. οὕτως οἱ µεγάλοι κίνδυνοι καὶ τοὺς τῆς φιλίας λύουσι νόµους.
Das Meer nämlich erhob die Gewalt zum Gesetz, es war eine neue Art von Seeschlacht. . . . Freundschaft nämlich oder Achtung waren nicht mehr verbindlich, stattdessen stand, da jeder einzelne (nur) auf seine eigene Sicherheit bedacht war, Wohlwollen gegenüber anderen nicht mehr auf der Rechnung. So lösen große Gefahren auch die Bande der Freundschaft.
Letzten Endes kappen die Seeleute auf dem Beiboot das Haltetau und treiben davon (Ach.Tat. III 4,2), die wutentbrannten Passagiere auf dem Schiff versuchen auch jetzt noch, das Boot zu versenken.173 Hier liegt eine interessante noch Apg 27,38; Jon 1,5a (LXX) (ֶ ויּ"טִלוּ אֶתהַכֵּלִי אֲשׁ&ר בָּאֳניּ"ה אֶלהַיּ" לְהָקֵל מֵעֲלֵה/ καὶ ἐκβολὴν ἐποιήσαντο τῶν σκευῶν τῶν ἐν τῷ πλοίῳ εἰς τὴν θάλασσαν τοῦ κουφισθῆναι ἀπ’ αὐτῶν) und die im Exkurs z.St. angegebenen weiteren Belege, auch aus der rabbinischen Literatur (s. S. 191f.). 171 Übersetzung: Schließlich gab der Steuermann auf und warf die Ruder aus den Händen, das Schiff überließ er so dem Meere. – Eine interessante Parallele zu dieser Darstellung völliger Ausweglosigkeit findet sich bei Synesios von Kyrene, wo der κυβερνήτης – während eines aufziehenden Sturms – die Ruder aus den Händen legt, jedoch nicht, weil er alle Hoffnung aufgegeben hätte, wie aber auch die Passagiere meinen, sondern weil der eben jüdische κυβερνήτης bei Sonnenuntergang am Freitag sich um strikte Einhaltung des Sabbat bemüht (Synes. ep. 4,161d–162c). Die Art und Weise, wie die Aufgabe der Ruder bei Synesios literarisch eingesetzt wird, berechtigt wohl zu der Annahme, es handle sich um ein häufiger benutztes Motiv; siehe auch die Szene bei: Aristid. Or. XLVIII 65. Vgl. darüber hinaus allgemein zur Aufgabe im Kampf gegen das Meer: Herpyllis II 34– 37; Apg 27,15.17. 172 In unserem Text bei Ach.Tat. wird für das eigentliche Schiff wechselnd ἡ ναῦς oder τὸ σκάφος (vgl. beispielsweise III 2,6, beide Begriffe in einem Satz) gebraucht, das Beiboot heißt ἡ ἐφολκίς (in III 3,1.2.4.5; 4,1.2 – schwierig ist die Stelle III 3,5, wo anscheinend auch für das Beiboot τὸ σκάφος, dann aber gleich wieder ἐφολκίς gesagt wird, vgl. hierzu Vilborg, Achilles Tatius, S. 68). ἡ σκάφη heißt das Beiboot in der Apostelgeschichte (Apg 27,16.30.32); bei Heliodor wird die Yacht der Piraten im Vergleich als σκάφος bezeichnet (Hld. V 27,5); in Luc. VH II 47 heißt so das mit fünfzig Mann besetzte Boot. 173 Wie sie das versuchen, wird nicht gesagt, es heißt nur: οἱ δὲ ἐπὶ τῆς νηὸς ἐπειρῶντο καταδῦναι τὴν ἐφολκίδα (Ach.Tat. III 4,2).
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3 Der ideale oder Liebesroman
Parallele zu der merkwürdigen Passage in Apg 27,30–33 vor:174 Es kann in dieser Fluchtgeschichte hier aber kein Zweifel daran bestehen, daß die Seeleute sich etwas davon versprechen, das scheiternde Schiff zu verlassen und sich mit dem Beiboot treiben zu lassen; auch Achilleus Tatios muß der Überzeugung gewesen sein, seinen Lesern derartiges zumuten zu können; offensichtlich handelt es sich hier nicht um eine irgendwie verrückte Tat. Ob es sich hierbei aber um ein geläufiges Romanmotiv handelt, kann als fraglich gelten, weil die beiden anderen Stellen in den Satyrica des Petron doch ersichtlich anderen Inhalt haben.175 Ganz abwegig ist es allerdings m.E. nicht, von einem Motiv zu sprechen, weil die Verbreitung solcher Erzählungen über eine Flucht mit dem Beiboot doch recht beeindruckend ist.176 Jetzt zerbricht das Schiff an unterseeischen Klippen (ὕφαλος πέτρα, III 4,3), der eigentliche Schiffbruch ist da. Unter der Wucht, mit der das Schiff aufläuft, stürzt der Mast und richtet gewaltigen Schaden an; die ganze Stelle lautet (Ach.Tat. III 4,3): τὸ δὲ σκάφος ἐκυβίστα περὶ τοῖς κύµασιν ὀρχούµενον, λανθάνει δὴ προσενεχθὲν ὑφάλῳ πέτρᾳ καὶ ῥήγνυται πᾶν. ἀπωσθείσης δὲ τῆς νηὸς ὁ ἱστὸς ἐπὶ θάτερα πεσὼν τὸ µέν τι κατέκλασε, τὸ δέ τι κατέδυσεν αὐτῆς.
Das Schiff stürzte nach vorn und tanzte in den Wogen umher, dabei lief es unversehens auf einen unterseeischen Felsen auf und zerbrach ganz. In Folge des Aufpralls stürzte der Mast auf die andere Seite, einige Teile des Schiffs zerschlug er, andere versenkte er.177
Das Leid unter den Menschen ist im folgenden geradezu unermeßlich; der Verfasser malt das mit einer längeren kommentierenden Bemerkung zum furchtbaren Geschick der Schiffbrüchigen aus (III 4,4f.). Nun mußte man sich irgendwie retten, und was blieb anderes, als zu schwimmen, aber auch den Schwimmern drohen neue Gefahren, sei es durch Trümmer des zerbrochenen Schiffs, sei es die tödliche Gefahr, an der Felsenküste zu scheitern (Ach.Tat. III 4,6): 174
Siehe z.St. Zur an beiden Stellen angenommenen Skrupellosigkeit auf Seiten der Seeleute ist im Kontrast die Darstellung in Jon 1 zu vergleichen, wo die Schiffer sogar versuchen, das Leben Jonas zu retten, und zwar unter höchstem Risiko (Jon 1,13, s. z.St.). 175 Petr. 102,1–7; 114,7: In § 102 erwägen die Helden selbst, im Boot zu fliehen, weil sie eine Begegnung mit dem Schiffseigner vermeiden wollen, hier liegt noch gar keine Sturmsituation vor. In § 114 wird dann tatsächlich eine Flucht im Sturm erzählt, doch überlassen hier nicht die Schiffer das Schiff sich selbst, sondern die schon fast bewußtlose Geliebte des Schiffseigners wird von ihren Sklaven gerettet; eine Parallele besteht allenfalls darin, daß man auch hier glaubt, mit dem Beiboot dem Tod entgehen zu können. 176 Hinzuzunehmen ist nämlich auch noch die kurze Bemerkung bei TestNaph VI 6, wo Joseph flieht. 177 Diese Stelle mit dem beim Auflaufen stürzenden Mast ist dringend zu beachten, wenn man die Nabersche Konjektur (ἱστόν statt σῖτον) zu Apg 27,38 diskutiert (Naber, Nautica, S. 269); s. dazu unten.
3.6 Achilleus Tatios: Leukippe und Kleitophon
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ἔνιοι δὲ κολυµβᾶν πειρώµενοι, προσραγέντες ὑπὸ τοῦ κύµατος τῇ πέτρᾳ διεφθείροντο· πολλοὶ δὲ καὶ ξύλοις ἀπερρωγόσι συµπεσόντες ἐπείροντο δίκην ἰχθύων· οἱ δὲ καὶ ἡµιθνῆτες ἐνήχοντο.
Einige, die versuchten zu schwimmen, wurden von den Wogen an die Felsen geworfen und starben; viele stießen auch mit Trümmern zusammen und wurden durchbohrt, wie man es mit Fischen macht; andere schwammen schon halbtot.178
Mehr Glück mit Schiffstrümmern haben andere, nämlich unser Heldenpaar und einige weitere: Leukippe und Kleitophon vermögen ein größeres Trümmerstück zu erwischen, nämlich ein Bruchstück vom zerschmetterten Bug, auf dem sie sich forttragen lassen (III 5,1): ᾽Επεὶ οὖν τὸ πλοῖον διελύθη, δαίµων τις ἀγαθὸς περιέσωσεν ἡµῖν τῆς πρῴρας µέρος, ἔνθα περικαθίσαντες ἐγώ τε καὶ ἡ Λευκίππη κατὰ ῥοῦν ἐφερόµεθα τῆς θαλάσσης·
Nachdem also das Schiff zerstört war, gewährte uns das Glück ein Stück vom Bug, ich und Leukippe setzten uns darauf und schipperten im Strom des Meeres.
Andere können den Mast ergattern und sich auf ihm retten.179 Die beiden Hauptpersonen flehen nun Poseidon in ihrer Not an, nicht getötet zu werden, aber wenn, dann nur gemeinsam; die unbedingte Vermeidung der Trennung wird hier geradezu – vielleicht zum Zweck der Ironisierung bestimmter Konventionen – auf die Spitze getrieben.180 Der Sturm läßt nach, und die beiden 178 Zur Angst eines Schwimmers vor der Küste ist natürlich auf Od. V 400–440 zu verweisen, wo Odysseus sich nach Zerstörung seines Floßes dem Phäakenlande nähert. Zum Vergleich mit den Fischen ist Od. X 124 heranzuziehen, dort tragen die Lästrygonen ihre Opfer aufgespießt wie Fische zum Mahle: ἰχθῦς δ’ ὣς πείροντες ἀτερπέα δαῖτα φέροντο. – Zum Schwimmen nach einem Schiffbruch o.ä. vgl. auch: J. Vit. 3 (§ 15), wo man sich aber auf offenem Meer befindet; App. BC V 10 (§ 89) – eine ähnliche Szene wie hier; X.Eph. III 2,12f.; Longus I 30,2–31,1; Apul. Met. II 14,2 (vix enatavimus); Luc. Tox. 19f. (ein während des Sturms über Bord Gegangener und sein Helfer); Merc.Cond. 2; und natürlich Apg 27,43f. 179 Ach.Tat. III 5,1: ὁ δὲ Μενέλαος καὶ ὁ Σάτυρος σὺν ἄλλοις τῶν πλωτήρων ἐπιτυχόντες τοῦ ἱστοῦ καὶ ἐπιπεσόντες ἐνήχοντο (Übersetzung: Menelaos, Satyros und andere Seeleute trafen auf den Mast, schwangen sich darauf und schwammen so). – Vgl. überhaupt zur Rettung auf Schiffstrümmern, Brettern oder ähnlichem: Schon bei Homer, Od. V 368–375, rettet sich Odysseus, nachdem sein Floß zerschmettert war, zunächst auf einem der Balken; AP VII 289,2; IX 269,1f.; Hist.Ap. 12; X.Eph. II 11,10; TestNaph VI 6; Apg 27,43f.; A.Jo. (Prochoros, Zahn, S. 9, Z. 3–7); Chrys. Thdr. II 5 (SC 117, Lettre 5,34f. [S. 74]; PG 47, 315). In Luc. Tox. 20 werden den über Bord Gegangenen gezielt Rettungsmittel zugeworfen. Vgl. schließlich die Szene, wo sich Daphnis auf mit ins Wasser geworfenen Tieren rettet: Longus I 30,2–31,1. In der Not kann eben alles als Rettungsmittel dienen, dessen man habhaft werden kann. 180 Ach.Tat. III 5,4: εἰ δὲ ἡµᾶς ἀποκτεῖναι θέλεις, µὴ διαστήσῃς ἡµῶν τὴν τελευτήν. ἓν ἡµᾶς
κῦµα καλυψάτω. εἰ δὲ καὶ θηρίων ἡµᾶς βορὰν πέπρωται γενέσθαι, εἷς ἡµᾶς ἰχθὺς ἀναλωσάτω, µία γαστὴρ χωρησάτω, ἵνα καὶ ἐν ἰχθύσι κοινῇ ταφῶµεν (Übersetzung: Wenn du uns aber töten
willst, so verschaffe uns keinen getrennten Tod. Eine Welle soll uns bedecken. Und wenn es bestimmt ist, daß wir zum Fraß von Tieren werden, so soll uns ein Fisch verschlingen, ein Magen soll uns Raum
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können sich an Land retten und nach Pelusion durchschlagen – die Gefährten gelten zunächst als vermißt.181 Auch hier führt der Schiffbruch nicht direkt zur Trennung der Liebenden, aber daß das Schiff sein Ziel Alexandria nicht erreicht, stürzt sie in weitere Abenteuer.182 So wird unser Paar schon auf der Nilfahrt nach Alexandria von den Bukolen gefangen und bei diesen zum ersten Mal getrennt (Ach.Tat. III 9,2ff.).183 Die traditionell mit dem Meere verbundene Ambivalenz184 wird bei Achilleus Tatios an vielen weiteren Stellen betont: so beispielsweise auf der Fahrt des Kleitophon nach Ephesos, der Heimatstadt seiner neuen Braut Melitte,185 oder geben, damit wir sogar unter Fischen gemeinsam ein Begräbnis erhalten). – Das Überspitzte an dieser Variante des häufigen Motivs wird besonders deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß es in der griechischen Kultur als eines der furchtbarsten Übel angesehen wurde, von Fischen gefressen zu werden (s. beispielsweise AP VII 276,3–6; 286,5f.; 288,3; 294,5f.; 506,6ff.; Longus II 27,3 (im Rahmen einer Drohrede des ); und die spaßige Stelle Luc. Demon. 35; vgl. dazu Lesky, Thalatta, S. 285f. Zu den weniger krassen und überspitzten Varianten des Motivs siehe: Charito III 7,3; X.Eph. I 13,6, und die entsprechenden Ausführungen z.St. Zur ironischen Überspitzung bestimmter Konventionen vgl.: Werner, Art. Achilleus Tatios, Sp. 1519; Fusillo, Art. Achilleus Tatios, Sp. 83f.; Reardon, The Form, S. 110–113. Vgl. die – zu dem hier angesprochenen Phänomen anscheinend in Beziehung stehende – gängige Unterscheidung von zwei Romantypen, dem »presophistic type« und dem »sophistic type« (Perry, Ancient Romances, S. 109) – zum letzteren gehören dann ja diejenigen Romane, bei denen sich Ansätze zu Ironisierungen finden lassen. 181 Zur Merkelbachschen Deutung vgl. Merkelbach, Roman, S. 124: Er verbucht auch Ach.Tat. als Isis-Roman – wie das Werk des Xenophon, wenn auch weniger deutlich – und stellt rückblickend auf Xenophon nur noch lapidar fest: »Über den Sinn des Sturmes, des Schiffbruches (Taufe – Tod) und der Rettung braucht nicht mehr gesprochen zu werden.« Vgl. zur Merkelbachschen Romandeutung meine kurze Anmerkung oben S. 97f. im Zusammenhang mit dem »Doppelschiffbruch« im Roman des Xenophon (X.Eph. II 11,10; III 12,1f.). 182 Vgl. Reardon, The Form, S. 110: »Thus, Achilles Tatius follows the same pattern as Xenophon in that his heroes are not separated until their travelling has begun. But although he does have a shipwreck, like Xenophon, it is not itself the immediate cause of the separation of Clitophon and Leucippe. The shipwreck merely deposits them in a foreign land (Egypt), . . . «. 183 Vgl. zu den sog. Hirten, diesen ägyptischen Räubern, auch X.Eph. III 12,1f. (sowie die entsprechende Anm. oben), bei Heliodor weite Teile des ersten Buches mit der schönen Beschreibung des Geheimlagers der Bukolen (Hld. I 3,4–33,4), sowie hier die ganze Passage Ach.Tat. III 9,2–IV 18,1. Vgl. zu den Informationen über die Bukolen bei Achilleus Tatios auch Altheim, Literatur, S. 121– 124. 184 Vgl. zur Ambivalenz des Meeres beispielsweise: Alexander, In Journeyings Often, S. 34f. Und – sehr wichtig – zum neuen Naturerleben, das der griechisch-römischen Sicht auf das Meer den Aspekt: »Das Meer ist schön!«, hinzufügt: Lesky, Thalatta, S. 289ff. 185 Ach.Tat. V 15,1–17,1. Beide, Kleitophon und Melitte, nehmen jeweils die für sie passende Bedeutungshälfte in Anspruch: Aus der Sichtweise des Kleitophon ist das Meer das Gefährliche und Unheil Gewährende: Das Meer ist für ihn das Grab der totgeglaubten Leukippe (vgl. dagegen dann die Erzählung der tatsächlichen Begebenheiten durch sie selbst in VIII 16,1–7), die bedrohliche Stätte, auf der die Seelen rein zu bleiben haben, ein schwankendes Hochzeitsgemach (V 16,1f.). Für Melitte ist alles von guter Vorbedeutung für die gemeinsame Hochzeit: Sie sieht im Meer die Mutter der Aphrodite (vgl. Rose, Gr. Mythologie, S. 20), die Schiffahrt ist für sie positiv besetzt; so steht
3.6 Achilleus Tatios: Leukippe und Kleitophon
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in der Klage der Melitte über die beiden aus dem Meer wiedergekehrten »Toten«, Leukippe und Thersandros.186 Bemerkenswert ist am Roman des Achilleus Tatios, daß sich gleichsam die ganze Erzählung schon auf der zweiten Ebene der Kommunikation befindet; Leukippe und Kleitophon hat nämlich eine Vor-Erzählung:187 Der Erzähler selbst gelangt nach Sidon – wohlgemerkt seinerseits nach einem Seesturm –,188 dort sieht er das bekannte Bild mit Zeus in Stiergestalt, der Europa entführt; das Paar wird dabei von Eroten umspielt. Die Vor-Handlung hat also als wesentlichen Bestandteil eine solche sog. Ekphrasis. An diesem Bild trifft unser Erzähler den Kleitophon, mit dem er über die »Gewalt der Liebe« (ὕβρεις ἐξ ἔρωτος)189 ins Gespräch kommt; Kleitophon erzählt nun im folgenden den eigentlichen Roman über sich selbst, seine Leukippe und eben die »Gewalt der Liebe«.190 Von daher ist also der ganze Roman eine Erzählung in 1. Pers., weswegen sich die 1. Pers. Pl. im Rahmen der Sturm- und Schiffbruchepisode völlig natürlich aus dem Erzählzusammenhang ergibt. Auch wenn die Zusammensetzung des »Wir« nicht immer gleich ist, sondern sich vielmehr verändert,191 ist der Leser doch in keinem Moment im Unklaren darüber gelassen, wer jeweils gemeint ist. Demnach liegt also auch hier keine ernsthaft vergleichbare Parallele zum Problem in der Apostelgeschichte vor.
für sie das Hochzeitsbett unter der jochartigen Segelstange, der Wind pfeift ein Hochzeitslied durch die Taue, das aufgeblähte Segel kündet von Elternschaft (V 16,3–6). 186 Ach.Tat. V 26,4–6. Melitte beklagt ihr Schicksal, daß nun beide Partner, die man für im Meer umgekommen hielt, wieder da sind: sowohl Leukippe als auch Thersandros. Rettung und Verderben stehen nun in ihrer Anrede ans Meer ganz dicht beieinander (Ach.Tat. V 26,4f.): . . . οἶδα νικωµένη· οὐκ αἰτῶ πλέον ἢ δύναµαι τυχεῖν. κατ’ ἐµοῦ γὰρ πάντα καινά· ἀναβιοῦσι καὶ νεκροί. | ὦ θάλασσα, πλέουσαν µέν µε διέσωσας, σώσασα δὲ µᾶλλον ἀπολώλεκας, δύο ἀποστείλασα κατ’ ἐµοῦ νεκρούς· οὐκ ἤρκει γὰρ Λευκίππη µόνη (ζησάτω, ἵνα µηκέτι λυπῆται Κλειτοφῶν)· νῦν δὲ καὶ ὁ ἄγριος Θέρσανδρος ἡµῖν πάρεστι (Übersetzung: . . . ich bin besiegt – das weiß ich –; ich fordere
ja nicht mehr, als ich erlangen kann, aber gegen mich stellen sich ganz sonderbare Geschehnisse: Tote werden wieder lebendig. O Meer, als ich segelte, hast du mich zwar gerettet, aber indem du mich gerettet hast, hast du mich eher zugrunde gerichtet, zwei Tote hast du gegen mich ausgesandt: Es genügte nämlich nicht Leukippe allein – soll sie doch leben, auf daß Kleitophon sich nicht mehr betrübt –, jetzt aber ist auch noch der wilde Thersandros bei uns). Vgl. zu Problemen dieser Stelle Vilborg, Achilles Tatius, S. 106. 187 Es handelt sich um eine Rahmenerzählung, die allerdings hinten nicht geschlossen ist. 188 Ach.Tat. I 1,2 189 Ach.Tat. I 2,1. Man kommt auf dieses Thema, weil auf dem Bild ein kleiner Eros den mächtigen Stier am Bande führt. 190 Ach.Tat. I 3,1ff. 191 So die Beobachtung von S.M. Praeder zu Ach.Tat. II 31–III 5: »The first person plural varies in its comprehensiveness« (Praeder, The Narrative Voyage, S. 217).
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3.7 Heliodor von Emesa: Aithiopika Der relativ bekannte Roman des Heliodor trägt den Titel Σύνταγµα τῶν περὶ Θεαγένην καὶ Χαρίκλειαν Αἰθιοπικῶν und ist in zehn Büchern überliefert. Man datiert das Werk auf das 3. oder 4. Jh.n.Chr. – die Datierungsfrage ist nach wie vor umstritten.192 Sprachlich wirkt das Werk des Heliodor anders als die bisher bearbeiteten Romane: Seine Sprache ist wesentlich komplexer und enthält teilweise deutlich überladene Satzkonstruktionen.193 Die Behandlung der Aithiopika kann kürzer gefaßt werden – handelt es sich doch bei ihm um den spätesten antiken griechischen Roman –, doch enthält er andererseits für unser Thema soviel interessanten Stoff, daß er wenigstens die folgenden Anmerkungen verdient. Im fünften Buch unseres Romans berichtet der ägyptische Priester Kalasiris, der vormals Prophet im Isis-Tempel in Theben war, von seiner Seereise mit den beiden Helden Charikleia und Theagenes, die er auf einem phönizischen Handelsschiff tyrischer Kaufleute heimlich aus Delphi fortbringt. Die Fahrt von Delphi aus in Richtung Zakynthos läßt sich gut an; wir haben hier eines der elaboriertesten Beispiele für die Schilderung der schönen Fahrt, die hier sowohl das Spiel der Wellen um den Bug wie auch die Landschaft, an der man vorbeifährt, ins Auge faßt (Hld. V 1,2): λίαν οὖν χαίροντες ἥκοντας ἡµᾶς ὑποδέχονται καὶ παραχρῆµα λιµένων ἐκτὸς ὑπ’ εἰρεσίᾳ τὸ πρῶτον ἀνήγοντο· ὡς δὲ λείου πνεύµατος ἐκ γῆς προσπνεοµένου κῦµα χθαµαλὸν ὑπέτρεχέ τε καὶ οἷον προσεγέλα τῇ πρύµνῃ, τότε δὴ τὴν ναῦν τοῖς ἱστίοις ὑποφέρειν ἐπέτρεπον. Κιρραῖοι µὲν δὴ κόλποι καὶ Παρνασοῦ πρόποδες Αἰτωλοί τε καὶ Καλυδώνιοι σκόπελοι µόνον οὐ διιπταµένην τὴν ὁλκάδα παρηµείβοντο, νῆσοι δὲ ᾽Οξεῖαι καὶ σχῆµα καὶ ὄνοµα θάλαττά τε Ζακύνθιος ἄρτι πρὸς δύσιν ἡλίου νεύοντος ἀνεφαίνοντο.
Als wir ankamen, empfingen sie uns mit großer Freude, und schon bald liefen sie, anfangs unter Ruderschlag, aus dem Hafen aus; als aber von Land her ein leichter Wind blies und eine sanfte Woge darunterherlief, welche am Heck auflachte, da ließen sie das 192 Vgl. zur Datierung: Altheim, Literatur, S. 123; Lesky, Geschichte, S. 967; Gärtner, Art. Heliodoros, Sp. 996; Fusillo, Art. Heliodoros, Sp. 289; Paulsen, Inszenierung, S. 12f. – Sollten die Überlegungen von Dirk Uwe Hansen zutreffen, daß der Autor des Clemens-Romans die Aithiopika benutzt hat, so dürfte ein neues Argument in der Datierungsfrage zu berücksichtigen sein, das eher eine Datierung nicht später als in die erste Hälfte des dritten Jahrhunderts unterstützt: Hansen, Metamorphose, S. 124f.128f. mit Anm. 46. 193 Lesky betont den Charakter der Sprache als »Kunstprodukt«: »Alle rhetorischen Kunstmittel und Anleihen bei der Dichtung können über das Papierene dieses Stiles nicht täuschen. Mächtige Perioden werden konstruiert, aber nicht bewältigt. Vor allem führt die Manier, die Sätze durch Partizipialhäufung zu überlasten, zu monströsen Gebilden« (Lesky, Geschichte, S. 969). Ganz anders urteilt Merkelbach, Roman, S. 337: »Heliodor baut lange Perioden und behält den Faden immer sicher in der Hand. Seine Fülle und Eleganz sind bewundernswert; er ist ein Meister.«
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Schiff unter Segeln fahren. Die kirräischen Buchten, die Ausläufer des Parnaß und die ätolischen und kalydonischen Felsen zogen am Schiff vorbei, das beinahe so dahin flog; als eben die Sonne sich zum Untergang neigte, erschienen die »spitzen« Inseln – das ist sowohl ihre Gestalt wie ihr Name – und das Meer von Zakynthos.194
Vor der Ankunft auf Zakynthos refft man die Segel (τῶν ἱστίων παραστέλλειν, 17,4) zur zwischenzeitlichen Verlangsamung der Fahrt, um nicht etwa zur Unzeit auf Zakynthos anzukommen. Der Skipper erklärt auf Nachfrage, daß er nämlich ansonsten die Gefahr fürchte, irgendwo an der Küste auf Felsen oder Riffe aufzulaufen (17,4f.); in V 17,5 heißt es: “῞Οτι” ἔφη “πλησιστίῳ χρώµενοι τῷ πνεύµατι περὶ πρώτην ἂν φυλακὴν τῇ νήσῳ προσορµίσαιµεν καὶ δέος προσοκεῖλαι σκοταίους τόποις ὑφάλοις τὰ πολλὰ καὶ κρηµνώδεσι . . . ” .
»Weil«, so antwortete er, »wir wohl in der Zeit der ersten Nachtwache die Insel erreichen würden, wenn wir den segelschwellenden Wind ausnutzten, dann aber bestünde Gefahr, im Dunkeln auf zumeist unterseeische Riffe und Klippen aufzulaufen. . . «.195
Glücklich und ohne Zwischenfälle kommt man am nächsten Tag – so der weitere Verlauf der Erzählung durch Kalasiris – auf der Insel Zakynthos an: Die Menschen im Hafen bestaunen die Schönheit des tyrischen Handelsschiffs, mehr aber gerieten sie darüber in Staunen, daß unsere Reisegesellschaft zu ungünstiger Seefahrtszeit eine so gefahrlose Überfahrt zu Ende bringen konnte; als Datum ist hier zusätzlich der Untergang der Plejaden (Siebengestirn) angegeben, die ungefähr von Mitte Mai bis Ende Oktober sichtbar sind.196 Auch hier fährt man 194 Vgl. die – wenn man so will – »Sparversion« einer solchen Schilderung bei Charito III 6,1, wie auch die schönere Parallele bei Ach.Tat. II 32,1f. 195 Vgl. zur grundsätzlichen Gefahr der Küste, besonders im Sturm: Od. V 388–463 (der schwimmende Odysseus); Hor. Carm. III 27,21–24 (zum Text vgl. Hendry, Seneca, S. 63–66.69); Epod. 10; Plb. I 37,2, wo beim großen Unglück der siegreichen römischen Flotte ein Teil der Schiffe von der Brandung an Klippen und Felsküsten zerschmettert wurde, so daß sie die Küste mit Leichen und Schiffstrümmern übersäten (τὰ δ’ ὑπὸ τῆς ῥαχίας πρὸς ταῖς σπιλάσι καὶ τοῖς ἀκρωτηρίοις καταγνύµενα πλήρη ποιῆσαι σωµάτων τὴν παραλίαν καὶ ναυαγίων); J. BJ III 9,3 (§§ 422– 424); App. BC V 10 (§§ 88–90); Plu. Dio 25,7f.; Sen. Ep. LIII 2f.; Ach.Tat. III 4,3; Luc. Nav. 8f.; Merc.Cond. 1f.; Aristid. Or. XLVIII 66; Synes. ep. 4,160c–161c; 164d–165a; und auch Apg 27,29. 196 Dies ist bei Hld. V 18,2 in folgendem part. coni. formuliert: . . . πλέον δὲ θαυµάζοντες ὡς
παραλόγῳ τῇ τύχῃ χρησαµένους εὔδιόν τε καὶ ἀπήµονα πλοῦν ἐν χειµερίῳ τῇ ὥρᾳ καὶ Πλειάδων ἤδη δυοµένων ἀνύσαντας (Übersetzung: . . . noch mehr aber bestaunten sie, mit welch ungewöhn-
lichem Glück wir die Fahrt unter freundlichem Himmel [d.h. hier: bei gutem Wetter] und gefahrlos zur Winterszeit vollendet haben, obwohl doch auch die Plejaden schon untergegangen waren). – Die hier vorliegende zusätzliche Zeitbestimmung »nach dem Untergang der Plejaden« ist eine Parallele zur Zeitangabe in Apg 27,9, wo ja die Gefährlichkeit der Seefahrt damit begründet wird, daß das Fasten schon vorbei sei: διὰ τὸ καὶ τὴν νηστείαν ἤδη παρεληλυθέναι (v. 9b). In beiden Fällen haben wir also die Fahrt zu Beginn der ungünstigen Zeit zur Seefahrt (vgl. auch Philostr. VA IV 13
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also wieder zur Unzeit, allerdings kam das zuvor gar nicht zur Sprache, weder bei der ersten Begegnung des Kalasiris mit den Phöniziern, in deren Zuge ja die gemeinsame Reise verabredet wird (Hld. IV 16,6–8), noch bei der Abfahrt von Delphi (Hld. V 1,1–3 [s.o.]), noch im weiteren Verlauf der Fahrt (V 17,1–18,2): hier wird die bewältigte Fahrt einfach als »ungewöhnliches Glück« bezeichnet. Die Seeabenteuererzählungen haben ja eine Vorliebe dafür, ihre Helden gerade zu gefährlicher Jahreszeit bzw. unter ungünstigen Witterungsbedingungen in See stechen zu lassen; thematisiert wird das gewöhnlich bei der Verhandlung über die Abfahrt.197 Eine Besonderheit ist hier daher die Erwähnung des Topos im Rahmen der Ankunft, ohne daß der Umstand vorher überhaupt nur angedeutet wurde. Dieser Punkt wird auch wieder relevant im Gespräch des Kalasiris mit dem Kaufmann über eine mögliche Weiterfahrt: auf das Bestechungsangebot des Kalasiris, daß der Phönizier eventuell Aussicht auf eine Verbindung mit Charikleia habe, fragt der nach dem Abfahrtszeitpunkt, man könne ja – obwohl noch nicht Frühjahr sei – in See stechen und einen anderen Winterhafen aufsuchen, um so der durch Kalasiris angekündigten Entführungsgefahr zu entgehen.198 Vor der Abfahrt überredet der Händler seine Mannschaft, die Einwände vorbringt, mit dem Hinweis auf eine Seeräubergefahr (Hld. V 22,6) – obwohl doch Kalasiris ihm gegenüber von einer möglichen Entführung der Charikleia durch einen Bewohner von Zakynthos gesprochen hat (V 21,1). Das, was der schlaue Kaufmann sich ausgedacht hat, um seine Leute zur Abfahrt zu bewegen, entsprach nun aber – ohne daß er es wußte – ganz und gar der Wahrheit.199 Vor der Bedrohung durch die Piraten baut Heliodor aber noch die andere typische Meeresgefahr ein: den Sturm; in seinem Verlauf entgeht das Schiff nur knapp dem Untergang. Das Schiff wird aber beschädigt, so daß man – nachdem man an ein kretisches Vorgebirge (nähere Ortsangaben fehlen!) angetrieben war – den Entschluß faßt, das Schiff vor der Weiterfahrt, soweit es geht, zu reparieren (Hld. V 22,7): [69]); umgekehrt ist ja bei Charito III 5,1. Noch anders liegt der Fall in Herpyllis II 1–11, wo ja Vorboten schlechten Wetters auftreten, die Abfahrt aber dennoch beschlossen wird. 197 Vgl. eben gerade Charito III 5,1; Herpyllis II 7–11 und nicht zuletzt Apg 27,9–12. 198 Hld. V 21,3: καὶ γὰρ εἰ µηδέπω τῆς ὥρας εἶναι τὰ πλώιµα ἀλλ’ ὑπάρχειν µεταστησαµένους εἰς ἕτερον ὅρµον ἐπιβουλῆς τε ἐκτὸς γενέσθαι τῆς ὑπονοουµένης καὶ τὸ ἀκριβὲς τοῦ ἔαρος περιµεῖναι.
Vgl. zu der Überlegung, einen anderen Winterhafen aufzuzusuchen, auch Apg 27,12 – hier freilich mit völlig anderem Hintergrund. 199 Das wird explizit festgestellt (Hld. V 22,6): καὶ ὁ µὲν ἐλάνθανεν τὰ ὄντα ὡς πλάσµα λέγων. Übersetzung: . . . der nun sprach, ohne es selbst zu merken, die Tatsachen aus, im Glauben es sei seine Erfindung – wörtlich läßt sich dieser Satz freilich in sehr schlechtem Deutsch wiedergeben, wie etwa: . . . der nun war verborgen (vor sich selbst), als er die Tatsachen wie seine Erfindung aussprach.
3.7 Heliodor von Emesa: Aithiopika
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ἡµεῖς δὲ πνεύµασι βιαίοις χρησάµενοι ζάλης τε ἀπροσµάχου καὶ κλύδωνος ἀφράστου πειραθέντες ἀπολέσθαι τε παρὰ µικρὸν ἐλθόντες εἰς ἄκραν τινὰ Κρητικὴν προσωκείλαµεν, τῶν τε πηδαλίων θάτερον ἀποβαλόντες καὶ τῆς κεραίας τὸ πλεῖστον συντρίψαντες· ἐδόκει οὖν ἐπισκευῆς τε ἕνεκεν τῆς ὁλκάδος καὶ ἡµῶν αὐτῶν ἀναλήψεως ἡµέρας τινὰς ἐπιµεῖναι 〈ἐν〉 τῇ νήσῳ.
Wir waren heftigen Winden ausgesetzt und wurden durch einen unbezwingbaren Sturm wie auch durch unbeschreiblich hohen Wogenschlag auf die Probe gestellt, so daß nicht viel fehlte, und wir wären untergegangen, da gelangten wir an irgendein kretisches Vorgebirge und trieben dort an, nachdem schon eines der Steuerruder verloren gegangen und der Großteil der Takelage zerfetzt worden war. Es erschien uns daher richtig, der Reparatur des Schiffs und unserer eigenen Erholung wegen einige Tage zu bleiben.200
Nach dem Aufbruch kommt es zunächst zu schneller Fahrt, aber man beobachtet schon den Seeräuber im Rücken (V 22,8f.), worüber alles in Aufregung gerät (V 23,1). Und dann passiert das, was passieren muß – der Wind, der bis dato die schnelle Fahrt ermöglicht hat, läßt nach (Hld. V 23,2): . . . ὁ δὲ ἄνεµος τῆς ἄγαν φορᾶς ὤκλαζε καὶ κατ’ ὀλίγον ἐνδιδοὺς ἄπρακτός τε καὶ µαλακὸς τοῖς ἱστίοις ἐνέπιπτε καὶ σοβῶν µᾶλλον ἢ προωθῶν τὴν ὀθόνην τέλος καὶ εἰς γαλήνην ἐξενικήθη καθάπερ τῷ ἡλίῳ συγκαταδυόµενος, ἢ ἀληθέστερον εἰπεῖν τοῖς ἐπιδιώκουσιν ὑπηρετούµενος. Da erschlaffte der Wind in seiner großen Heftigkeit und ließ immer mehr nach, er fiel nur noch wirkunglos und sanft in die Segel und brachte das Segeltuch eher (nur) in Bewegung, als daß er es aufblähte; und schließlich endete er ganz in Windstille, als ob er mit der Sonne unterginge, oder besser gesagt, als ob er im Dienst unserer Verfolger stünde.201
Da können die Piraten mit ihrem kleinen Korsarenboot unter schnellen Ruderschlägen freilich aufholen (V 23,3): Nun ist es für unsere Freunde gewiß: 200 Auch das Schiff des Paulus landet nach schwieriger Fahrt gegen widrige Winde auf Kreta, nämlich in Καλοὶ λιµένες, so in Apg 27,7f.; eine Sturmfahrt ist bis zu dem Zeitpunkt aber noch nicht erfolgt, auch Reparaturen und eine Ruhepause werden nicht zur Motivierung der Landung angeführt. Vgl. aber noch X.Eph. I 11,6; 12,3, wo der Zwischenstopp auf Rhodos mit der Aufnahme von Wasser und (eventuell) anderem Vorrat sowie einer notwendigen Rast begründet wird. Siehe schließlich zu Beschädigungen des Schiffes als Ergebnis der Sturmfahrt: Theoc. XXII 12–14; Hor. Carm. I 14,3–6; Apul. Met. II 14,2; Petr. 114,13; Luc. Merc.Cond. 1 und Synes. ep. 4,164c–d, wo Masten bzw. die Rah brechen. 201 Vgl. zur Gefahr der Windstille, gerade auch in Verbindung mit einem dadurch begünstigten Piratenüberfall X.Eph. I 12,3–13,5. Zur damit oft verbundenen, hier allerdings nicht thematisierten Gefahr des Verdurstens vgl.: AP VII 293; Charito III 3,11f. und 18; ein weiteres bemerkenswertes Zeugnis dazu stellt P.Oxy. XI 1382 (S. 234–236) dar, hierbei handelt es sich um eine fragmentarische Sarapis-Akklamation, nach der wahrscheinlich ein Steuermann namens Syrion in der akuten Bedrohung des Verdurstens Wasser aus dem Meer schöpft, und dieses sich als Süßwasser erweist und getrunken werden kann – der kümmerliche erhaltene Text bietet jedoch nur die Überlassung des übriggebliebenen wunderbaren Wassers an die Phariten, das davor geschehene »Wunder« ist nach Otto Weinreich im o.g. Sinne zu verstehen, dabei ist seine maßgebliche Referenzstelle Aristid. Or. XLV 29:
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ἀπολώλαµεν (Hld. V 24,1), ruft da einer; und so geschieht’s. So muß die Rei-
segesellschaft bei Heliodor in dicht gedrängter Folge alle Gefahren des Meeres erdulden: Sturm, Windstille und Piraten. Aber damit noch nicht genug: Kurz nachdem die Piraten unter ihrem Anführer Trachinos das Handelsschiff übernommen haben, kommt es zu einem Sturm; das Wasser wird plötzlich unruhig, und ein Orkan setzt ein (Hld. V 27,1f.): . . . ἡ θάλασσα δὲ αἰφνίδιον ἐτραχύνετο τάχα µὲν τροπὴν ἐκ τοῦ καιροῦ λαβοῦσα τάχα δέ που καὶ τύχης τινὸς βουλήµατι µεταβληθεῖσα· καὶ βόµβος ἀνέµου κατιόντος ἠκούετο καὶ ὅσον οὔπω πνεῦµα λάβρον τε καὶ βίαιον αὐτόθεν ἐµπεσὸν ἀπροσδοκήτου θορύβου τοὺς λῃστὰς ἐνεπεπλήκει . . . .
. . . das Meer aber wurde plötzlich unruhig, vielleicht aufgrund des Zeitenwechsels [s.c. es war gerade Abenddämmerung], oder vielleicht trat die Änderung aufgrund des Beschlusses irgendeiner Tyche ein: Das Getöse des herabkommenden Windes war zu hören; als dann sogleich beinahe schon ein Orkan mit Gewalt losbrach, versetzte dieser die Räuber in unerwarteten Aufruhr . . . .202
Die Piraten sind – v.a. in ihrer Panik – jedoch völlig unfähig, mit dem großen Schiff in dieser Lage umzugehen (V 27,2f.) – ihre seemännische »Leistung« wird von Heliodor nun als die eigentliche Gefahr gezeichnet; die Bedeutung des (eben noch als gewaltig beschriebenen) Sturms und des Wogenschwalls wird gleich wieder herabgesetzt.203 Liegt hier vielleicht gerade eine der bei Heliodor (aber auch schon bei Longos und Achilleus Tatius) vorkommenden Ironisierungen von Gattungskonventionen vor?204 Wenn man bedenkt, wie Seesturm und Piratenüberfall miteinander verquickt werden, könnte das naheliegen: Die Piraten werden ja hier zur doppelten Bedrohung dadurch, daß man jetzt nicht nur als Gefangener unter ihren Händen zu leiden hat, sondern ihre Unfähigkeit auch noch den Sturm erst zur wirklich tödlichen Gefahr werden läßt. οὗτος ὕδωρ ἀνῆκε πότιµον ἐν µέσῃ θαλάττῃ (Weinreich, Neue Urkunden, S. 421–424); vgl. dazu
auch Merkelbach, Isis regina, S. 216f. 202 Zum plötzlich hereinbrechenden Sturm vgl.: Ninos C 11–14; Charito III 3,10.18; Hist.Ap. 39; Herpyllis II 17–21.24–26; X.Eph. III 2,12; Ach.Tat. III 1,1; Arr. Peripl.M.Eux. 3,3; Luc. VH I 9; II 47; und natürlich Apg 27,14. 203 Hld. V 27,4: . . . ἡµᾶς εἰς τὸν ἔσχατον τῶν κινδύνων ἐνέβαλλεν οὐ τὸ βίαιον τοῦ κλύδω-
νος, οὔπω γὰρ ὁλοσχερῶς ἐκτετάρακτο, ἀλλὰ τὸ ἄτεχνον τοῦ κυβερνῶντος ἀντισχόντος µὲν ἐφ’ ὅσον ἡµερινοῦ φωτὸς ἀπαύγασµα περιέλαµπεν ἀπειπόντος δὲ τοῦ σκότους ἐκνικήσαντος. Über-
setzung: . . . in die äußerste Gefahr brachte uns nicht die Gewalt des Wogenschlags – denn (die See) war noch nicht vollkommen aufgewühlt –, sondern die Unfähigkeit des Steuernden, der zwar (gerade so) standhielt, solange noch ein (letzter) Abglanz des Tageslichts schimmerte, aber aufgeben mußte, als die Dunkelheit obsiegte. – Vgl. zur Bedeutung einer fähigen Schiffsbesatzung und insbesondere eines fähigen κυβερνήτης: Gn.Vat. 197 (Sternbach, S. 79); Philostr. VA III 23 (52f.); Petr. 108,8.12; Luc. VH I 5; Aristid. Or. XLVIII 68; L 33, wo der Skipper als µοχθηρός bzw. ταραχώδης bezeichnet wird; Synes. ep. 4, ab 160a; und auch: Apg 27,31. 204 Vgl. beispielsweise zu Achilleus Tatios: Fusillo, Art. Achilleus Tatios, Sp. 83f.; und zu Longos und Heliodor: Reardon, The Form, S. 111–113.
3.7 Heliodor von Emesa: Aithiopika
113
Interessant ist weiterhin, daß der Piratenkapitän Trachinos im Laufe des Kampfes mit dem Meere die immer noch mitgeschleppte Barke (ἄκατος/ἀκάτιον205 oder, im Vergleich in V 27,5, σκάφος genannt) vom Schiff trennt, indem er das Tau kappt;206 die Begründung ist eine doppelte, zum einen sei das mitgeschleppte Boot im Sturm eine zusätzliche Gefahr,207 und zum andern würden sie durch das zweite Schiff nur Verdacht auf sich lenken (Hld. V 27,6f.). Schließlich strandet man mehr oder weniger glücklich im Bereich der herakleotischen Nilmündung, wobei der zuvor durchlebte Sturm noch eine – wenn auch summarische – Schilderung erfährt, die Strandung selbst aber nicht mehr als ein unspektakulärer Abschluß ist (Hld. V 27,7): . . . οὐ µὴν παντάπασι τῶν δεινῶν ἀπαλλαγέντων ἀλλὰ τρικυµίαις τε ἐπαλλήλοις ἐλαυνοµένων καὶ πολλὰ τῆς νεὼς ἀποβαλλόντων καὶ κινδύνου πᾶν εἶδος ὑφισταµένων, ἕως, ἐκείνης τε τῆς νυκτὸς µόλις διαδραµούσης καὶ πρὸς τῆς ἐχοµένης ἡµέρας, περὶ δείλην ἀκτῇ τινι κατὰ τὸ στόµιον τοῦ Νείλου τὸ ῾Ηρακλεωτικὸν προσωκείλαµεν.
. . . dadurch [sc. die Abtrennung der Piratenbarke] waren wir aber noch nicht gänzlich der Schrecken entledigt, in dichter Folge bestürmten uns große Wogen, und wir verloren zahlreiche Schiffsausrüstung und waren jeder Form von Gefahr unterworfen, bis wir – und jene Nacht wollte kaum in den noch anhaltenden Tag übergehen – um die Nachmittagszeit an irgendeine Küste im Bereich der herakleotischen Nilmündung antrieben.208
Bemerkenswert ist hier noch, daß man wieder im Bereich der Nilmündungen anlandet, um nach noch einigen Verwicklungen in die Hand der sog. Bukolen zu gelangen.209 Insgesamt gilt für Heliodor, daß er auf eine längere Trennung des Heldenpaares völlig verzichtet, beide durchleben ihre Abenteuer gemeinsam, können aber eben in diesen Abenteuern nicht zueinander kommen, u.a. auch deshalb, weil sie sich zum eigenen Schutz immer wieder als Bruder und Schwester ausgeben müssen. Nichtsdestoweniger bleibt das Werk des Heliodor aber ein ReiseroZur Bezeichnung ἄκατος s.o. S. 86f. Die Formulierung heißt hier (Hld. V 27,6): τὸ καλώδιον ἐξ οὗ τῆς νεὼς ἐξήρτητο διέκοψεν; vgl. Apg 27,32: ἀπέκοψαν οἱ στρατιῶται τὰ σχοινία τῆς σκάφης – die Situation ist hier und dort freilich eine völlig andere. 207 Vgl. Apg 27,16f. wo das mitgeschleppte – aber natürlich kleinere – Beiboot anscheinend aus genau demselben Grunde an Bord gehievt wird. 208 Vgl. zum Wunsch, daß es bald Tag würde, Apg 27,29. Zum gestrandeten Schiff siehe noch: Ninos C 23–30; Luc. VH II 47; Merc.Cond. 1f.; Apg 27,41ff. 209 Siehe schon Hld. I 3,4 (vgl. dazu weiter oben). ähnlich ergeht es ja Habrokomes in X. Eph. III 12,1f., sowie auch Leukippe und Kleitophon in Ach.Tat. III 9,2f., die aber nach dem Schiffbruch noch die Zwischenepisode der Nilfahrt erleben dürfen. 205 206
114
3 Der ideale oder Liebesroman
man, in dem – wie eben gezeigt – gerade die Seereise in die abenteuerlichsten Verwicklungen geführt hat.210 Auch hier haben wir die Erzählungen von Sturm und Piratenüberfall in der 1. Pers. Pl. abgefaßt; allerdings liegt auch bei Heliodor wieder nichts in dieser Hinsicht zur Apostelgeschichte Vergleichbares vor, weil es sich jeweils um klar abgegrenzte Erzählungen des Kalasiris und mithin um die zweite Ebene der Kommunikation handelt: Kalasiris berichtet die Ereignisse, die vor der eigentlichen erzählten Zeit des Romans liegen und klärt so den Leser nach und nach auf, wie es denn wohl zu dem allgemein bekannten und Fragen aufwerfenden Bild zu Beginn des Romans gekommen ist: Ein gestrandetes Schiff, Leichen über Leichen und das junge Paar, beobachtet von Räubern (Hld. I 1,1–2,9).211
3.8 Longos: Daphnis und Chloë Der Hirtenroman des Longos ist der in der Neuzeit bekannteste und am häufigsten gelesene antike Liebesroman. Die von ihm stammenden Ποιµηνικὰ κατὰ Δάφνιν καὶ Χλόην werden in den Bereich des 2. Jh.n.Chr. datiert.212 Freilich steht erwartungsgemäß die Seefahrt in diesem Roman weder im Vordergrund, noch spielt sie überhaupt eine entscheidende Rolle; schließlich handelt es sich nicht um einen Reiseroman, sondern um eine Hirtengeschichte, die auf der Insel Lesbos spielt.213 Dementsprechend wird die Trennung der Liebenden hier auch jedenfalls hauptsächlich nicht über Schiffbruch oder Piratenbzw. Räuberüberfälle ins Werk gesetzt, sondern ist eher psychologisch bedingt: Die Unerfahrenheit und Unwissenheit der beiden Hauptakteure läßt sie nicht zueinander finden, wie sie es wollen; daneben spielen auch die Ahnungen der jeweiligen (Pflege-)Eltern um die besondere Herkunft der Findelkinder eine nicht unerhebliche Rolle. 210 Vgl. schon die Anm. oben zur Ironisierung von Gattungskonventionen und: Reardon, The Form, S. 113. 211 Vgl. zu dieser berühmten Eingangsszene die kurze Charakterisierung bei Fusillo, Art. Heliodoros, Sp. 289f., sowie die Bemerkungen bei Paulsen zum »Theatervokabular« (θέατρον und σκηνή) in I 1,6f. und der damit verbundenen Darstellungsabsicht des Heliodor (Paulsen, Inszenierung, S. 26f.54f.). 212 Vgl. Gärtner, Art. Longos, Sp. 734; Fusillo, Art. Longos, Sp. 437; Merkelbach, Roman, S. 193f.; Merkelbach, Hirten des Dionysos, S. 137. 213 Vgl. Schissel von Fleschenberg, Entwicklungsgeschichte, S. 46; nach ihm ist der – nahezu völlige – Verzicht auf die Szenenverbindung durch Reise und Piratenüberfall auf See bei Longos (das sei ein Teil des sog. »inneren Rahmens« [S. 45f.]) eben »begünstigt durch das pastorale Kostüm seiner ›Hirtengeschichten‹«.
3.8 Longos: Daphnis und Chloë
115
Reinhold Merkelbach hat auch diesen Roman im Zuge seiner Mysterieninterpretation zu deuten versucht; dabei nimmt hier im Falle des Werks des Longos freilich eine tiefere Sinnebene für die Dionysosmysten an.214 Daß im übrigen der Roman durch dionysisches Gepräge gezeichnet ist, muß man nicht in Abrede stellen; es ist aber ein zweiter Schritt, eine tiefere Sinnebene für die Eingeweihten in die Mysterien des Dionysos anzunehmen.215 Äußerst bemerkenswert ist jedoch für uns – und darauf kommt es hier an –, daß auch dieser Roman der Hirtenidylle nicht ohne das Abenteuer zur See auskommt: Da werden sowohl Daphnis von tyrischen Räubern (Longus I 28,1– 31,1)216 als auch Chloë von den Methymnäern entführt (II 20,1–29,3).217 Diese beiden Abenteuer, die Lesky als »episodisches Beiwerk« bezeichnet,218 werden jeweils einer sozusagen hirtenmäßigen Lösung zugeführt: Im Falle Chloës erscheint dem Befehlshaber der Methymnäer der Hirtengott Pan höchstpersönlich im Traum und erwirkt durch eine Drohrede die Freilassung des Mädchens (II 27,1–3); als entscheidende Drohung wird dabei ausgesprochen (II 27,3):219 ἀλλὰ ὑµᾶς βορὰν ἰχθύων θήσω καταδύσας, εἰ µὴ τὴν ταχίστην καὶ Χλόην ταῖς Νύµφαις ἀποδώσεις καὶ τὰς ἀγέλας Χλόης καὶ τὰς αἶγας καὶ τὰ πρόβατα.
Sondern ich werde euch versenken und zu Fischfutter machen, wenn ihr nicht schnellstens die Chloë den Nymphen zurückgebt und Chloës Herden, sowohl die Ziegen als auch die Schafe.
Bei Daphnis geht es zwar nicht in religiöser Hinsicht spektakulärer, aber auch nicht minder aufsehenerregend –im Blick auf unser Thema – zu; er wird nämlich auf gleichsam hirtenmäßige Weise vor der Entführung durch die Räuber und vor dem Schiffbruch bewahrt. Die tyrischen Räuber raffen auf ihrem schnellen Raubzug zusammen, was sie gerade bekommen können, darunter Wein, Weizen, 214 Merkelbach, Roman, S. 192–224; Merkelbach, Hirten des Dionysos, S. 137–197, besonders zu den von ihm angenommenen »zwei Ebenen des Romans« s. S. 138. Vgl. im übrigen zur Merkelbachschen Mysterieninterpretation meine Bemerkung oben, S. 97f. 215 Vgl. zum Verständnis der »Mysterien« des Dionysos den ersten Teil seines Buchs (Merkelbach, Hirten des Dionysos, S. 7–134) und zum kurzen Überblick die Einleitung (S. 1–4) sowie die kurze Replik auf seine Gegner (S. 137, Anm. 4). 216 Vgl. hierzu insgesamt Merkelbach, Roman, S. 203f.; Merkelbach, Hirten des Dionysos, S. 162f. 217 Vgl. zu dieser Szene Merkelbach, Roman, S. 207–210; Merkelbach, Hirten des Dionysos, S. 168–170. 218 Lesky, Geschichte, S. 969; Fusillo, Art. Longos, Sp. 437, nennt sie »miniaturisierte Episoden«. Vgl. zu diesen Episoden auch Reardon, The Form, S. 112, der zur Konvention von Trennung und Reise bei Longos ausführt: »Essentially – for there are in Daphnis and Chloe vestiges of both, in the short-lived capture first of Daphnis, by pirates, then of Chloe, by an invading army. But these episodes, hardly even ephemeral, are mere grimaces in the direction of conventional romance . . . «. 219 Zur Verbindung von Schiffbruch und Fischfraß bzw. Angst, zu Fischfutter zu werden, vgl. in der vorliegenden Studie die Bemerkung S. 106, Anm. 180.
116
3 Der ideale oder Liebesroman
Honig, einige Rinder aus der Herde des Rinderhirten Dorkon und eben Daphnis selbst (I 28,1f.). Die Nachzüglerin Chloë steht bei ihrer Ankunft am selben Ort vor vollendeten Tatsachen: Den zusammengeschlagenen Rinderhirten, der für seine Tiere kämpfte, findet sie fast tot vor; mit letzter Kraft bittet er sie, Daphnis zu retten und ihn selbst zu rächen.220 Dorkon kann ihr auch zeigen, wie: Die Rinder hören auf den Ton seiner Syrinx. Wie Chloë nun das bekannte Lied auf der Syrinx erklingen läßt, kommt es zum Schiffbruch, allerdings einem Schiffbruch, der die Rettung des Daphnis einleitet (Longus I 30,1–3):221 καὶ αἱ βόες ἀκούουσι καὶ τὸ µέλος γνωρίζουσι καὶ ὁρµῇ µιᾷ µυκησάµεναι πηδῶσιν εἰς τὴν θάλασσαν. Βιαίου δὲ πηδήµατος εἰς ἕνα τοῖχον τῆς νεὼς γενοµένου καὶ ἐκ τῆς ἐµπτώσεως τῶν βοῶν κοίλης τῆς θαλάσσης διαστάσης τρέπεται µὲν ἡ ναῦς καὶ τοῦ κλύδωνος συνιόντος ἀπόλλυται, οἱ δὲ ἐκπίπτουσιν οὐχ ὁµοίαν ἔχοντες ἐλπίδα σωτηρίας. Οἱ µὲν γὰρ λῃσταὶ τὰς µαχαίρας παρήρτηντο καὶ τὰ ἡµιθωράκια 〈τὰ〉 λεπιδωτὰ ἐνεδέδυντο καὶ κνηµῖδας εἰς µέσην κνήµην ὑπεδέδεντο: ὁ δὲ Δάφνις ἀνυπόδετος, ὡς ἐν πεδίῳ νέµων, καὶ ἡµίγυµνος, ὡς ἔτι τῆς ὥρας οὔσης καύµατος.
Und die Rinder hören und erkennen das Lied und springen unter Gebrüll in einem Schwung ins Meer. Da nun der gewaltige Sprung auf eine Seite des Schiffs erfolgt und sich das Meer infolge dessen, daß die Rinder hineinfielen, in die Tiefe öffnet, schlägt das Schiff um und versinkt unter der zusammenschlagenden Woge; die (darauf ) aber fielen mit ungleicher Hoffnung auf Rettung hinein. Die Räuber nämlich einerseits trugen Schwerter an der Seite und waren mit geschuppten Halbpanzern bekleidet und hatten sich unten bis zur Hälfte des Schenkels Beinschienen (oder Ledergamaschen) angezogen, Daphnis aber andererseits war unbeschuht, weil er barfuß weidete, und halbnackt, weil zu der Jahreszeit noch Sommerhitze herrschte.
Diese Umstände führen dazu, daß die Räuber allesamt ertrinken, Daphnis sich aber an Land retten kann, nachdem er sich – vom Schwimmen erschöpft – von zwei Rindern hat tragen lassen: Vielleicht ist das als die bukolische Variante einer sonst üblichen Rettung auf Schiffstrümmern anzusehen.222 So entging Daphnis der Entführung und eben auch dem Schiffbruch, wie ausdrücklich festgestellt wird (Longus I 31,1): 220 Longus I 29,1f.: ἐγὼ µὲν, Χλόη, τεθνήξοµαι µετ’ ὀλίγον· οἱ γάρ µε ἀσεβεῖς λῃσταὶ πρὸ τῶν βοῶν µαχόµενον κατέκοψαν ὡς βοῦν. σὺ δέ µοι καὶ Δάφνιν σῶσον κἀµοὶ τιµώρησον κἀκείνους ἀπόλεσον. Übersetzung: Ich werde wohl, Chloë, in Kürze tot sein: die frevelhaften Räuber haben
mich, als ich für die Rinder kämpfte, geschlagen wie ein Rind. Du aber rette mir den Daphnis, verschaffe mir Rache und verderbe jene. 221 Merkelbach interpretiert: »Wenn die Kühe auf die Syrinx hören und das Schiff zum Kentern bringen, so ist das ein dionysisches Wunder« (Merkelbach, Hirten des Dionysos, S. 162; vgl. auch Merkelbach, Roman, S. 209). 222 Siehe dazu die Stellen: Od. V 368–375 (Odysseus rettet sich zunächst auf einem der Balken seines Floßes); AP VII 289,2; IX 269,1f.; Ach.Tat. III 5,1; X.Eph. II 11,10; Luc. Tox. 20 (zwei über Bord Gegangene, denen man gezielt Rettungsmittel in Gestalt von Kork u.ä. zuwirft); Apg 27,43f.; Chrys. Thdr. II 5 (SC 117, Lettre 5,34f. [S. 74]; PG 47, 315).
3.9 Zwischenfazit
117
ἐκσῴζεται µὲν δὴ τὸν τρόπον τοῦτον ὁ Δάφνις, δύο κινδύνους παρ’ ἐλπίδα πᾶσαν διαφυγών, λῃστηρίου καὶ ναυαγίου.
Auf diese Weise also wurde Daphnis gerettet, wobei er gegen alle Hoffnung zwei Gefahren (zugleich) entronnen ist, (nämlich) der Entführung und dem Schiffbruch.
Eine solche ausdrückliche, eine Erzählpartie abschließende Feststellung der Rettung ist neben Apg 27,44b zu stellen. So bleibt im Fall des Romans des Longos nur der Umstand zu konstatieren, daß anscheinend selbst ein Hirtenroman nicht ohne Abenteuer zur See – wenn auch nur als Episode, ja, wenn vielleicht auch nur als Seitenhieb auf die konventionellen Reiseromane – auskommt.
3.9 Zwischenfazit Als kurzes Zwischenfazit nach der Behandlung der für unsere Fragestellung ja herausragend wichtigen Romane genügen wenige Bemerkungen. Zum einen konnten zahllose motivische Parallelen zwischen den Sturmerzählungen der Romane und Apg 27 erkannt werden. Es ist dabei allerdings besonders bemerkenswert, daß diese Erzählungen in den Romanen vom Umfang und von der in Dienst genommenen Motivik her eine ganz erstaunliche Bandbreite aufweisen. Die Bandbreite reicht von ausführlichen Sturmschilderungen mit der nahezu kompletten Motivik epischer Sturm-Ekphrasis bis zu kurzen und geradezu notizenhaften Erwähnungen von Stürmen, sie reicht von einer ergötzlichen Beschreibung der Naturgewalten und -schauspiele bis hin zu (zumindest für den Laien in Sachen Seemannschaft) äußerst detailgetreuen Schilderung nautischer Maßnahmen in der Bedrohung und packenden Szenen, in denen das Leid der Passagiere hautnah präsentiert wird. Gewiß ist bei Apg 27 nicht einmal von einer Annäherung an die epische Sturm-Ekphrasis zu sprechen, und sich an Naturschauspielen zu ergötzen ist nicht das Geschäft des auctor ad Theophilum, aber dennoch bewegt sich die Sturmerzählung von Apg 27 ganz im Rahmen der Bandbreite entsprechender romanhafter Erzählungen. Es verhält sich von daher ganz und gar nicht so, daß man die Darstellungsweise in Apg 27 strikt von derjenigen der Romane abzugrenzen habe, wie man zuweilen lesen kann. Zum zweiten sind zwar auch in bezug auf die »Helden« der Erzählungen Parallelen aufgefallen (wie beispielsweise im Fall der Auseinandersetzung um die Abfahrt223 ), jedoch ist insgesamt – und das ist wesentlich bedeutsamer – eine Differenz zwischen der Zeichnung der Romanhelden und der des Paulus zu konstatieren. Während die Romanhelden im wesentlichen ihrem Schicksal 223
So etwa bei Charito III 5,1 und Herpyllis II 7–11 im Vergleich zu Apg 27,9–11.
118
3 Der ideale oder Liebesroman
ausgeliefert sind und es in seinen verwickelten Wendungen durchstehen müssen, ergreift Paulus wiederholt die Initiative und nimmt so sein Schicksal in die Hand, soweit es der ihm natürlich trotzdem vorgezeichnete Leidensweg und seine Möglichkeiten als Randfigur äußeren Geschehen – wenn man so will – zulassen. Er agiert damit gleichsam zwischen einem Romanhelden und einem echten epischen Helden.224 Sein Tun und sein Geschick ruht dabei immer auf der Fügung Gottes, die seinen Weg nach Rom letztlich garantiert; wir werden darauf zurückkommen.
224 Vgl. zu Nähe und Ferne in bezug auf »Helden« verschiedener Prägung auch Hummel, Factum et fictum, S. 51f.
4 Satiren und Burlesken In diesem Kapitel sollen die Seefahrtserzählungen zweier Autoren behandelt werden, denen für die neutestamentliche Forschung ganz besondere Relevanz zukommt. Einerseits sind hier die Satyrica des Petronius Niger (Arbiter) zu würdigen; das Werk eines Mannes des 1. Jh., der schon in zeitlicher Hinsicht für den Neutestamentler Beachtung verdient, aber noch mehr, weil er faszinierende Einblicke in die literarische Kultur und die Wahrnehmung sozialer Realität in der frühen Kaiserzeit gewährt. Andererseits wird der Syrer Lukian von Samosata hier eingeordnet, auch wenn man sicher nicht sein Gesamtwerk unter dem Titel Satire/Burleske verbuchen sollte; er hat auch ganz ernsthafte Schriften verfaßt, wie etwa den berühmten Traktat Πῶς δεῖ ἱστορίαν συγγράφειν (Hist.Conscr.). Aber auch zahlreiche andere Schriften widmen sich einem tatsächlich ernsthaften Thema, sparen aber dabei nicht mit Satire, Parodie und Witz überhaupt, sondern nehmen diese Mittel gerade für ihre zumeist kritisierenden Zwecke scharfzüngig in Dienst.
4.1 Petron P. Petronius Niger (Arbiter), ein Mann der high society des 1. Jh., zum engsten Kreis um Nero gehörig, mußte sich wie Seneca selbst töten.1 Er hat uns eines der wohl faszinierendsten Stücke der antiken Literatur hinterlassen, das uns aber leider nicht ganz vollständig überliefert ist: seine Satyrica.2 Das Stück, das die Abenteuer des Encolpius und Giton, zweier ganz absonderlicher Helden, erzählt, zeichnet sich einerseits dadurch aus, daß es sich der Konventionen ganz verschiedener Gattungen annimmt und diese zu satirischen und parodistischen Zwecken in Dienst stellt. Ganz besondere Relevanz hat dabei wohl gewiß der griechische Roman des 1. Jh., den Petron über weite Strecken parodiert; das hat Heinze nachgewiesen.3 Sicher hat auch die menippeische
1 Vgl. die Informationen bei: Dihle, Die gr. und lat. Literatur, S. 141f.; Hanslik, Art. Petronius, Sp. 673; Habermehl, Art. Petronius [5], Sp. 672. 2 Vgl. zum Titel Dihle, Die gr. und lat. Literatur, S. 142. 3 Heinze, Petron, bes. S. 504 und der Schluß, S. 519.
120
4 Satiren und Burlesken
Satire gewisse Bedeutung für das vorliegende Werk,4 jedoch interessiert es uns ja v.a., weil auch hier eine Seefahrtserzählung eingearbeitet ist, in der die »Helden« einiges zu leiden haben (§§ 100–115). Daß diese Seefahrtserzählung nun parodistisch auf die Romane und das in ihnen regelmäßig vorkommende Seereisemotiv gemünzt ist, kann m.E. außer Frage stehen.5 Zudem zeichnen sich die Satyrica noch durch einen virtuosen Gebrauch der lateinischen Sprache aus; Petron wechselt nämlich, je nach Situation und Bedarf den Ton, die Bandbreite reicht dabei von geradezu gebildeter Hochsprache bis zu einem wahren Gossenslang.6 Einer der berühmtesten Abschnitte dieses Werks ist ohne Zweifel die cena Trimalchionis, in der Encolpius und Giton zu Gast sind bei dem genannten Trimalchio; dieser ist die weit überzeichnete Karikatur eines Aufsteigers. Selbst Freigelassener, ist er durch wirtschaftliches Geschick und Glück zu unermeßlichem Reichtum gekommen: die zerrbildhafte Fratze eines Parvenü, ein allzu selbstbewußter self made man, der inzwischen in aller Dekadenz nur noch seinem Reichtum lebt. Dieser Abschnitt hat nun auch als wirtschaftshistorische Quelle einige Bedeutung: Trimalchio nämlich, so erzählt er an einer Stelle, sei durch Handel, und zwar Handel zur See, zu Reichtum gekommen. Einige Schiffe sind dabei auch verloren gegangen, freilich mit dem eingesetzten Kapital, doch habe er nicht lockergelassen und schließlich enorme Gewinne erwirtschaftet; dann habe er sich vom Handel zurückgezogen und das Geld in Güter und Häuser investiert. Das wirft ein aussagekräftiges Licht auf die römische Einstellung zur Wirtschaft: Ist Handel in bestimmten Kreisen mit einer gewissen Anrüchigkeit verbunden, so verspricht allein größerer Landbesitz Ansehen und Einfluß; daran hält sich selbst der freigelassene Parvenü, auch wenn es ihm dadurch trotzdem nicht gelingt – gerade eben aufgrund des Erwerbs seines Reichtums maßgeblich durch Handel –, aus diesem Status eines Parvenü auszubrechen.7 Hier sind verschiedene Ebenen miteinander verschränkt, etwa die wirtschaftliche Realität mit dem ungeheuren Wert, ja der Notwendigkeit des Handels, und andererseits die traditionellen Ansprüche der alten Eliten auf Herrschaft, die sich in diesem Diskurs zu Wort meldeten, sich nichtsdestoweniger aber investiv und
4 Vgl. zur Vielfalt der Gattungsbezüge Dihle, Die gr. und lat. Literatur, S. 145f.; Habermehl, Art. Petronius [5], Sp. 673. 5 Vgl. Heinze, Petron, S. 499; vgl. überhaupt zur Parodie typischer Koventionen und Motive der Romanciers bei Petron (und auch Apuleius) die kurze Darstellung bei Hofmann, Art. Roman III, Sp. 1114f. 6 Vgl. Dihle, Die gr. und lat. Literatur, S. 143f. 7 Vgl. die Charakterisierung des Trimalchio als »Wechselbalg« bei Habermehl, Art. Petronius [5], Sp. 673f.
4.1 Petron
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durchaus gewinnbringend am Handel beteiligten – doch ist das ein Problem der Mentalitätsgeschichte.8 Nun aber zur angesprochenen Seefahrtsepisode (§§ 100–115): Encolpius und Giton schiffen sich gemeinsam mit Eumolpos in Puteoli ein, nachdem die Gestirne angefleht wurden (Petr. 99,6). Die Gefährten sind dabei aber auf das Schiff alter Bekannter geraten; der Schiffseigner Lichas aus Tarent und seine Geliebte Tryphaina verfolgen nämlich das Paar Encolpius und Giton. Die Vorfälle, die dazu geführt haben, sind uns leider nicht direkt überliefert; aber man kann sie aus der Konfliktschilderung im Rahmen der Seefahrt erschließen: Es handelt sich offenbar um Veruntreuung, Diebstahl und sicher auch amouröse Zerwürfnisse. Nachdem man nun erfahren hatte, auf wessen Schiff man gelandet war (100,3–101,6), werden Überlegungen angestellt, wie man der zu erwartenden Erkennung entgehen könne (101,7–103,2). Im Rahmen von Seefahrtserzählungen sind hier besonders zwei erwogene Möglichkeiten erwähnenswert: Neben einer als undurchführbar angesehenen und somit abgelehnten Flucht mit dem Beiboot (102,1–7), die neben die dann durchgeführte Flucht der Tryphaina im Sturm zu stellen ist (114,7, s.u.), ist da der Plan des Eumolpos: Encolpius und Giton sollen als entlaufene und wieder eingefangene Sklaven getarnt werden, wozu ihnen die Haare inklusive der Augenbrauen rasiert werden und sie auf der Stirn mit einem nur aus Tinte aufgemalten Brandzeichen versehen werden sollen (103,1f.). Dieser Plan wird dann auch durchgeführt (103,3ff.); doch wird man dabei von einem Mann beobachtet, der sich gerade über die Reling übergibt. Er verwünscht die Frevler: notavit sibi ad lunam tonsorem intempestivo inhaerentem ministerio, execratusque omen, quod imitaretur naufragorum ultimum votum, in cubile reiectus est.9 Das hat durchaus guten Grund, denn nach verbreiteter Auffassung galten das Scheren der Haare und Schneiden der Nägel an Bord eines Schiffes als unzulässig, weil dadurch der Zorn der Götter erregt und das Schiff in äußerste Gefahr gebracht werden könnte.10 Nur die einzige Ausnahme gibt es, nach der das Scheren von Haaren und Nägeln an Bord bzw. für einen Seefahrer
8 Der relevante Abschnitt mit der entsprechenden Erzählung Trimalchios ist Petr. 76. Zur zugegebenermaßen umstrittenen wirtschaftshistorischen Auswertung der cena Trimalchionis und den vagen daraus zu ziehenden Schlußfolgerungen siehe beispielweise: D’Arms, Commerce, bes. S. 97– 120; sowie die zum Teil recht eigenwilligen Überlegungen bei: Veyne, Brot, S. 121–123; Veyne, Originalität, S. 72–76; Veyne, Geschichte des priv. Lebens I 1, S. 126f. 9 Petr. 103,5; Übersetzung: . . . er wurde im Mondschein aufmerksam auf den Barbier, der seinem Geschäft ganz zur Unzeit nachging, und nachdem er das üble Vorzeichen verflucht hatte, das dem letzten Gelübde der Schiffbrüchigen ähnelte, warf er sich wieder auf sein Lager. 10 Vgl. zum Tabu der Haare und Nägel und dem apotropäisch gemeinten Haaropfer in Seenot: Wachsmuth, Πόµπιµος, S. 302–304.443.
122
4 Satiren und Burlesken
zulässig ist, wie die diesbezüglichen Stellen bei Petron allesamt zeigen: In der Situation eines gefährlichen Sturms oder besonders bei unmittelbar drohendem Schiffbruch kann dies zur Bekräftigung eines Gelübdes getan werden. Damit hängt wohl auch die ganz gegensätzliche Auffassung zusammen, die die Schiffer von solcherlei Handlungen zur Unzeit hatten.11 Leider jedoch – wie es kommen mußte – fliegt die Tarnung auf; zunächst wird dem Lichas und der Tryphaina die Anwesenheit der beiden Gesuchten auf dem Schiff in einem Doppeltraum offenbart (104,1–4), und schließlich erkennt der seekranke Beobachter die beiden Rasierten wieder (104,5), so daß es zu einer längeren Konfrontation mit den verwickelsten Wendungen und einer handfesten Auseinandersetzung an Bord des Schiffes kommt (105,2–109,3). Im Zuge des aus dieser Auseinandersetzung entstandenen Handgemenges versucht dann der gubernator, seine Autorität in die Waagschale zu werfen, indem er androht, seinen Posten zu verlassen, wenn man nicht aufhören wolle zu kämpfen;12 doch das bleibt zunächst erfolglos. Letztendlich gelingt es ihm aber, die von Auseinandersetzung sehr mitgenommene Tryphaina dazu zu bewegen, den Streit zu schlichten (108,12–109,3).13 Sie übernimmt eine Art Heroldsfunktion und wird so zur Friedensstifterin.14 Man schließt nun einen regelrechten Waffenstillstand, der durch ein kleines, aber in seinen Einzelheiten doch recht schräges Fest besiegelt wird. In dessen Verlauf tritt Windstille ein, die aber keineswegs als Gefahr dargestellt wird, sondern sich eher als Parodie auf die Beschreibung einer romantischen Seefahrtsszene lesen läßt:15 Man hat die Gelegenheit, nach Herzenslust Fische zu fangen und
11 Siehe Wachsmuth, Πόµπιµος, S. 302f.; vgl. hier die Stellen, die sich auf das Rasieren der beiden Helden zurückbeziehen: Petr. 104,5; 105,1f.4; 107,13f. 12 Petr. 108,8: . . . uno tantum gubernatore relicturum se navis ministerium denuntiante, si non desinat rabies libidine perditorum collecta. (Übersetzung: . . . wobei allein der Steuermann deutlich erklärte, daß er sich von seinem Posten auf dem Schiff zurückziehen werde, wenn sich die Kampfeswut nicht lege, die durch die Leidenschaft verworfener Menschen zustandegekommen war); vgl. auch Petr. 108,12. Zur besonderen Bedeutung des κυβερνήτης/gubernator und überhaupt einer fähigen Schiffsmannschaft vgl.: Gn.Vat. 197 (Sternbach, S. 79); Philostr. VA III 23 (52f.); Hld. V 27,4; Luc. VH I 5; Luc. Herm. 28; Aristid. Or. XLVIII 68; L 33, wo der Skipper als µοχθηρός bzw. ταραχώδης bezeichnet wird; Synes. ep. 4, wo dem Amarantos alle erdenklichen Übel und Unfähigkeiten vorgeworfen werden (beginnend schon mit 160a, zu weiteren Stellen s.u.); Apg 27,31. 13 Vgl. zur Kampfszene Heinze, Petron, S. 505f. 14 Vgl. zur ganzen Szenerie von der Erkennung der beiden Protagonisten bis zum Ende des Kampfes mit den erstaunlichen Verwicklungen Slater, Reading Petronius, S. 106–108. 15 Das Parodistische wird u.a. wohl darin deutlich, daß die Windstille als plötzlich hereinbrechend und als fahrtunterbrechend eingeführt wird, was die mögliche Gefahr andeutet (Petr. 109,6):. . . et quia repentina tranquilitas intermiserat cursum . . . ; die angedeutete Gefahr wird aber eben nicht aktualisiert.
4.1 Petron
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sogar Vögel, die sich auf der Rah zur Ruhe niederließen.16 Werkintern jedoch bereitet diese Szene idyllischer Ruhe kontrastierend das Folgende vor.17 Denn daraufhin folgt der Sturm (§§ 114f.): Bemerkenswert an der Eröffnung der Sturmszenerie ist die außerordentliche Betonung der ja auch sonst durchaus geläufigen Finsternis;18 sie wird zunächst nur erwähnt (114,1), dann aber explizit als größere Gefahr als alle Sturmwinde bezeichnet (Petr. 114,3): . . . et quod omnibus procellis periculosius erat, tam spissae repente tenebrae lucem suppresserant, ut ne proram quidem totam gubernator videret. . . . und dann, was noch gefährlicher als alle Sturmwinde war, unterdrückte plötzlich eine so große Finsternis das letzte Licht, so daß der Steuermann nicht einmal mehr das ganze Vorderschiff übersah.19
Im Verlauf des Sturms wird der Schiffseigner selbst ins Meer geworfen (114,6),20 seine Geliebte, Tryphaina, wird aber von ihren Sklaven an Bord des Beiboots gebracht: Sie fliehen! Diese Flucht mit dem Boot wird durchaus als Rettung aus dem sicheren Tode gedeutet (Petr. 114,7): Tryphaenam autem prope iam 〈exanimatam〉 fidelissimi rapuerunt servi, scaphaeque impositam cum maxima sarcinarum parte abduxere certissimae morti . . . Die fast schon bewußtlose Tryphaina ergriffen ihre treuesten Sklaven und führten sie, nachdem sie sie ins Beiboot verfrachtet hatten, zusammen mit dem Großteil der Habe aus der äußersten Gefahr des sicheren Todes weg . . .
Die Frage ist, ob es sich bei solcher Flucht mit dem Beiboot um ein verbreitetes Romanmotiv handeln könnte.21 Dem könnte allerdings der Umstand 16 Petr. 109,6f. Zur sonstigen Wahrnehmung der Windstille als gleichermaßen große Gefahr wie der Sturm vgl. das Epigramm AP VII 293 auf Nikophemos, der bei Windstille auf dem Meer verdursten mußte (v. 4); zur Gefahr des Verdurstens siehe auch Charito III 3,11f.18. Andere Gefahren sind etwa: von Seeräubern eingeholt zu werden (Hld. V 23,2f.; X.Eph. I 12,3–13,5); bei Windstille an gefährlichem Orte festzusitzen (Plu. Dio 25,8f.). Ebenso wie hier wird die Windstille aber als günstige Gelegenheit gezeichnet (wenn auch mit einer gewissen Doppeldeutigkeit) bei: Luc. VH I 30; A. Petr. c. Sim. (Act. Verc.) 5 (Lipsius/Bonnet I, S. 50, Z. 26–S. 51, Z. 2). 17 Vgl. Slater, Reading Petronius, S. 108. 18 Zur Deutung der Sturmbeschreibung als ἔκφρασις, wie sie sich auch in den Romanen findet, siehe Heinze, Petron, S. 516; er hält die Sturmszene allerdings für nur verkürzt erhalten. 19 Zur Finsternis/Dunkelheit im Sturm siehe: Hist.Ap. 11; Charito III 3,10; Herpyllis II 38–54 (bes. Z. 49f.52f.); Ach.Tat. III 1,1; 2,2; Luc. Nav. 9; Tox. 20; VH I 6; Aristid. Or. XLVIII 65; Apg 27,20. 20 Seine Leiche wird später an Land gespült: Petr. 115,7ff. Diese Szene, in der Encolpius den Lichas am Strand findet, wird für das Verständnis von Leben und Tod bei Petron ausgewertet bei Döpp, Leben und Tod, S. 152f. 21 Vgl. die Bemerkungen in bezug auf Apg 27,30–32 bei: Conzelmann, Apostelgeschichte, S. 155; Haenchen, Apostelgeschichte, S. 675, Anm. 4; Schille, Apostelgeschichte, S. 467; Pesch,
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widerraten, daß die in dieser Hinsicht vergleichbaren Szenen allzu unterschiedlich situiert und in ihrer jeweiligen Situation motiviert sind: Geht es hier bei Petr. 114,7 um eine Rettung der Tryphaina durch ihre treuen Bediensteten, so herrschte in der oben nur en passant gewürdigten Szene noch gar kein Sturm (Petr. 102,1–7), und die Flucht wird auch gar nicht ins Werk gesetzt, sondern die Helden überlegen lediglich verschiedene Möglichkeiten, der Begegnung mit Lichas und Tryphaina zu entgehen. Bei Achilleus Tatios (Ach.Tat. III 3,1–4,2) gibt die Besatzung tatsächlich das Schiff auf; die ganze Szenerie ist aber so gestaltet, daß es dort in erster Linie darum geht, den Kampf ums Dasein in der bedrohlichen Situation des Sturmes zu dramatisieren. Die kurze Bemerkung bei TestNaph VI 6, in der Joseph mit dem Beiboot flieht und seine Brüder ihrem Schicksal überläßt, läßt kaum weitere Rückschlüsse zu. Die bekannteste Szene einer Bootsflucht schließlich, nämlich Apg 27,30–32, ist für sich genommen schon problematisch, denn dort argumentieren die Schiffer mit einer πρόφασις, einem Vorwand bzw. einer Begründung,22 sie wollten weitere Anker ausbringen. Die Szene hebt aber, wie sie vorliegt, vor dem Hintergrund des skrupellosen Verhaltens der Besatzung die Hellsichtigkeit des Paulus hervor, der hier einschreitet und die Flucht verhindern läßt. Alle fünf Szenen sind also recht unterschiedlich, doch könnte die Verbreitung solcher Erzählungen von einer Flucht mit dem Beiboot über ganz unterschiedliche Textgattungen die Vermutung nahelegen, es handle sich tatsächlich um ein Motiv. In der Sturmerzählung der Satyrica schließt sich jetzt eine vom Klischee durchtränkte Szene an, in der Giton und Encolpius sich gemeinsam mit einem Gewand bedecken und mit einem Gürtel zusammenbinden, um so ihre Trennung zu verhindern und möglichst auch im Tode vereint bleiben zu können, ganz gleich ob im Meere oder im Grab (Petr. 114,8–12).23 Das Schiff ist inzwischen so beschädigt, daß es nunmehr ein bloßer Spielball der Wellen ist, ein Wrack, das gerade noch schwimmt (Petr. 114,13): non arbor erat relicta, non gubernacula, non funis aut remus, sed quasi rudis atque infecta materies ibat cum fluctibus. Apostelgeschichte II, S. 292, Anm. 2; Roloff, Apostelgeschichte, S. 363f.; Jervell, Apostelgeschichte, S. 609, Anm. 475. 22 Vgl. zur Bedeutung von πρόφασις überhaupt und an der Stelle Apg 27,31 die Bemerkungen unten, S. 388 mit Anm. 231. 23 Das ruft das im Roman ganz tragende Element der drohenden oder erlittenen Trennung der Liebenden auf; man vergleiche etwa die überzogene Variante bei Ach.Tat. III 5,4 (hier in einem Gebet an Poseidon); vgl. auch noch Charito III 7,3 (dort die drohende Trennung vom besten Freund des Helden, nicht von der Geliebten); X.Eph. I 13,6. – Überhaupt zu dem interessanten Phänomen, daß Encolpius und Giton hier das schon parodistisch gemeinte Pendant zum Liebespaar der Romane darstellen, vgl. Heinze, Petron, S. 495–498, mit Verweis auf unsere Stelle, S. 496. Auch auf diese Stelle mit dem vielleicht allzu geläufigen Motiv geht Döpp, Leben und Tod, nicht ein.
4.1 Petron
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Es war kein Mast mehr vorhanden, kein Steuer, kein Tau und kein Ruder, sondern wie rohes und unbearbeitetes Material trieb das Schiff auf den Fluten.24
In dieser ausweglosen Lage kommen nun Fischer heran, die zunächst meinen, Beute machen zu können, dann aber ihre Absichten ins Gegenteil ändern und den verbliebenen Menschen helfen (Petr. 114,14): procurrere piscatores parvulis expediti navigiis ad praedam rapiendam. deinde ut aliquos viderunt qui suas opes defenderent, mutaverunt crudelitatem in auxilium. Da kamen Fischer auf ihren kleinen Booten mit Leichtigkeit herbeigefahren, um Beute zu machen. Als sie aber sahen, daß noch Menschen da waren, die bereit waren, ihren Besitz zu verteidigen, da wandelten sie ihre Grausamkeit in tätige Hilfe um.25
Hier haben wir es mit einer aufs Engste zusammengedrängten Version des Motivs der freundlichen Aufnahme zu tun, in der gerade der reale Haftpunkt dieses Motivs ausdrücklich aufgerufen wird: die den Schiffbrüchigen drohende Gefahr, nach einem Scheitern des Schiffs auch noch in die Hände von Plünderern oder gar Piraten zu fallen, die einen auch des Letzten berauben, möglicherweise sogar des im Sturm gerade so erhaltenen Lebens.26 Mit Hilfe der schließlich doch freundlichen Fischer können sich die Helden retten, nachdem sie noch den verrückten Eumolpos aus der Kajüte des Kapitäns geholt haben, der sich dort im zerbrechenden Schiff der Dichtung hingegeben hatte (115,1–5). Der weitere Verlauf des Geschehens soll uns hier nicht beschäftigen. Abschließend sei nur noch auf ein Element hingewiesen: Die längste Verseinlage des Stücks findet sich in §§ 119–124; Eumolpos improvisiert hier zur Unterhaltung seiner Gefährten auf dem Weg nach Kroton. Die Verse sind ganz gewiß eine kritische Korrektur an Lucans Bellum civile;27 sie sind deshalb hier erwähnenswert, weil sich in diesem Abschnitt auch wieder der Anflug einer epischen Sturmbeschreibung findet, hier allerdings bloß im Vergleich gebraucht.28 Fazit: Petrons parodistischer Roman läßt kaum etwas aus, über das er sich in zum Teil frivolen Zügen nicht lustig machte. Insbesondere das gesamte Handlungsgerüst des griechischen Liebesromans bildet hier das Angriffsziel; darunter darf 24 Vgl. ansonsten zu Beschädigungen des Schiffes im Sturm: Theoc. XXII 12–14; Hor. Carm. I 14,3–6; Hld. V 22,7; Apul. Met. II 14,2; Luc. Merc.Cond. 1; Synes. ep. 4,164c–d. 25 Vgl. auch noch die folgende Aufnahme in die Fischerhütte, wo die Schiffbrüchigen ersteinmal verpflegt werden: Petr. 115,6. 26 Siehe zur freundlichen Aufnahme von Schiffbrüchigen/Gestrandeten oder wenigstens gebeutelten Sturmfahrern: Hist.Ap. 12; X.Eph. V 1,2; Herpyllis II 1–7; Hom.Clem. XII 17,1–18,1; Synes. ep. 4,165a; und v.a. Apg 28,2ff., wo auch mit der gegensätzlichen Möglichkeit einer eben feindlichen Aufnahme gespielt wird. 27 Siehe dazu Dihle, Die gr. und lat. Literatur, S. 133f.; vgl. zum Bellum civile in Petrons Werk auch Habermehl, Art. Petronius [5], Sp. 674. 28 Petr. 123,1, vv. 233–237.
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4 Satiren und Burlesken
natürlich auch eine ihrerseits parodistisch verarbeitete Sturmepisode mit dem katastrophalen Scheitern des Schiffs nicht fehlen.29 Wie auch der im folgenden zu behandelnde Autor Lukian von Samosata im 2. Jh. kann Petron als Zeuge schon des 1. Jh. dafür gelten, wie verbreitet derartige Erzählungen waren.
4.2 Lukian von Samosata Das Œuvre des Lukian von Samosata ist eine wahre Fundgrube für relevante Texte zum Thema Seefahrtsmotivik. Wie auch bei allen anderen Autoren wird hier der metaphorische Gebrauch dieser Motivik aus der Betrachtung ausgeschlossen – er findet sich des öfteren bei Lukian. Eine Ausnahme bildet lediglich der unten behandelte Abschnitt Merc.Cond. 2, der aber gerade die in den Vergleich mit typischen Erzählungen Schiffbrüchiger gesetzte Darstellung der Leiden von Hofmeistern im Gewand einer Seenotschilderung ist. Lukian darf ohnehin als ein Autor gelten, der aus neutestamentlicher Perspektive ganz besondere Aufmerksamkeit verdient, das zeigt im Detail unter vielen anderen auch die Arbeit von Hans Dieter Betz.30 4.2.1 Das Schiff – oder die Wünsche Lukians Dialog »Das Schiff oder die Wünsche« (πλοῖον ἢ εὐχαί) bietet die Beschreibung eines alexandrinischen Kornfrachters, der letztendlich nach Athen gelangt ist, wo er ein beeindruckendes spectaculum darstellt und unter vielen anderen auch drei Freunde in den Piräeus lockt, wo sie hernach noch auf einen vierten treffen. Das gewaltige Schiff gibt den Freunden dann den Anlaß, sich auf dem Rückweg nach Athen in maßlose Wünsche zu versteigen, worüber sich Lykinos köstlich lustig machen wird; dieser Lykinos ist der Hauptakteur des Dialogs, und sein Name ist sinnvollerweise als die Maske des Lukian selbst anzusehen. Nicht nur stellt die ganze Szenerie überhaupt eine Anspielung dar, indem sie dem Gespräch einen gleichsam sokratischen Anstrich verleiht: Wie Sokrates und Glaukon in der Einleitung zu Platons Res publica zum Piräeus gehen, dort kurz vor dem Rückweg aber von einigen anderen genötigt werden, noch zu bleiben, und im Haus des Polemarchos einkehren (Pl. R. 327a–328c), wo das Gespräch zunächst über die Gerechtigkeit anhebt, so laufen die Freunde in Lukians Dialog ebenfalls zum Piräeus hinab und schlendern (auch in erweiterter 29 Zur Kritik an bzw. zur Parodie auf die geläufigen Sturmerzählungen vgl.: Juv. 1,9; 12,22–24; Luc. Tox. 19; VH I 6; Merc.Cond. 1; Synes. ep. 4,162a–b. 30 Betz, Lukian. Daß die Arbeit gewisse Unzulänglichkeiten, v.a. im Schematismus ihrer schnellen Zuordnungen zu bestimmten Motiven oder Vorstellungskomplexen hat, sei zugestanden, schmälert aber ihren Wert bis heute keineswegs.
4.2 Lukian von Samosata
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Gruppe) im Gespräch zurück nach Athen.31 Sondern auch der hier von Lukian gewählte Name des Lykinos dient dem sokratischen Flair: Er kann schon an sich als Anspielung auf den athenischen Philosophen gedeutet werden, da dieser sich ja – wie Lukian selbst gelesen haben dürfte – gern im Lykeion zu philosophischen Gesprächen und Plaudereien aufgehalten hatte.32 So ist das Navigium mit denjenigen sieben Dialogen zusammenzustellen, in denen Lukian sich ebenfalls die Maske des Lykinos aufsetzt.33 Näherhin ist unser Dialog dem Hermotimos an die Seite zu stellen, weil beide Dialoge nicht nur weitere sokratische Anspielungen bieten, sondern auch insgesamt »eine wirkliche Platonimitation, mit Lykinos als elenktisch-pädagogischem Protophilosophen Sokrates, darstellen«.34 Lykinos und Samippos treffen nach Verlassen des Schiffs auf den Timolaos, haben aber inzwischen ihren anderen Freund Adeimantos verloren (§ 1). Während sie schon beraten, ob sie ohne ihn in die Stadt zurückkehren sollen, kommt das Gespräch wieder auf das Schiff (§§ 4f.): Samippos und Timolaos tragen ihre Eindrücke und Erkundigungen vor, die sie bei verschiedenen Besatzungsmitgliedern eingeholt hatten (§§ 5–9). Lykinos zeigt sich davon wenig beeindruckt und lenkt die Aufmerksamkeit auf den traumversunken dahinwandelnden Adeimantos, auf den man zugeht und ihn anspricht (§§ 10f.). Er sei mit dem Schiff unterwegs, denn es träumte ihn, daß es ihm gehöre und unermeßlichen Reichtum bescherte. Mit bissigen Bemerkungen läßt Lykinos den Traum des Adeimantos aber in Spott versinken: Adeimantos wirft ihm auch unmittelbar vor, den Schiffbruch seines »Traumschiffs« verursacht zu haben; Lykinos kontert, er könne ihn ja gleich anklagen (§§ 12–15). So kommt der Dialog vom Schiff zu den Wünschen: Timolaos schlägt angesichts der Träumereien des Adeimantos vor, daß man sich den Rückweg nach Athen versüßen solle, indem jeder der Freunde einen großen Wunsch erzählt (§ 16); große, ja überdimensionierte Wünsche werden es tatsächlich: Adeimantos verliert bei seinem, ja schon grob skizzierten Wunsch das Schiff etwas aus dem Blick und legt den Schwerpunkt jetzt ganz und gar auf den unermeßlichen 31 Vgl. zu dieser des öfteren gemachten zutreffenden Beobachtung beispielsweise Jones, Culture, S. 158, der unsern Dialog so den Stücken des Lukian zuordnet, die in vielen Punkten (von Lukians Standpunkt aus) »antike« Bezüge aufweisen, aber insgesamt doch deutlich in der »Moderne« situiert sind: »Other works with a modern setting have an antique patina: thus Lycinos and some companions in the Ship stroll down to Piraeos, like Socrates in the Republic, but the immense size of the ship and its destination in Italy betoken a world far different from Plato’s.« 32 Siehe dazu Pl. Euthphr. 2a. 33 Dubel, Dialogue, S. 19, Anm. 3, zählt neben Nav. auf: Symp., Im., Salt., Lex., Eun., Pr.Im. und Herm.; vgl. auch die weiterführenden Überlegungen bei von Möllendorff, Auf der Suche, S. 555f. (mit Anm. 134 zu den betreffenden Dialogen). 34 von Möllendorff, Auf der Suche, S. 556, vgl. aber ergänzend zur Bedeutung der bloßen Nennung des Namens Lykinos die Anm. 135.
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4 Satiren und Burlesken
Reichtum, der ihm als Schiffsherr zuteil wird, und sein angenehmes und gönnerhaftes Leben, inklusive Speisenfolge und Ablauf der Audienz für die Klientel (§§ 18–27). Das Schiff kommt nur kurz wieder zur Sprache, wenn Adeimantos erklärt, er wolle auf eigene Kosten einen Kanal bauen lassen, so daß der Hafen sich vor dem Dipylon befinde, und sein Schiff näher bei der Stadt liegen könne (§ 24).35 Samippos setzt noch einen drauf und will ein großer Feldherr im Stile Alexanders werden, die ganze Welt bis Indien erobern und in Babylon residieren (§ 28–38). Timolaos als dritter versteigt sich völlig: Er wünscht sich sechs Zauberringe, mit deren Hilfe er nach Belieben die Begierde von Frauen und Knaben erregen, Schlösser und Türen öffnen, unsichtbar werden, ja auch durch die Luft fliegen könne, usw. (§§ 41–44). Lykinos ist in der Lage, die Träume der Freunde in ihrem Übermaß und gleichzeitig in ihrer Unsicherheit zu entlarven (§§ 39f. zu Samippos); dem Timolaos wirft er allerdings schlicht Schwachsinnigkeit vor (§ 45). Überdies wundert er sich abschließend, daß Männer, die sich mit Philosophie befassen, solche Wünsche hegen. Von Interesse in diesem spaßigen Stück sind für uns natürlich in erster Linie die Angaben über das Schiff: Dabei fällt zunächst auf, daß einige dieser Angaben maßlose Übertreibungen darzustellen scheinen. So etwa in den Ausführungen des Samippos, daß die Mannschaft so groß sei, daß man sie nur einem Heer vergleichen könne.36 Mag das noch ein übertriebener Vergleich zum Ausdruck des Staunens sein, also eine bloß rhetorische Übertreibung, so geht er bei der Kapazität des Schiffs noch weiter, indem er behauptet, es transportiere so viel Getreide, daß sich die Bevölkerung von ganz Attika ein Jahr lang davon ernähren könnte.37 Das ist freilich eine grandiose und ganz unhaltbare Übertreibung.38 Es stellt sich hier v.a. die Frage, wie denn die Größenangaben, die derselbe Samippos in § 5 über das Schiff macht, einzuschätzen sind. Über diese Frage ist in der Forschung heftig gestritten worden, von Seefahrtshistorikern sind ver-
35 . . . καὶ τὴν θάλατταν ἄχρι πρὸς τὸ Δίπυλον ἥκειν κἀνταῦθά που λιµένα εἶναι ἐπαχθέντος ὀρύγµατι µεγάλῳ τοῦ ὕδατος, ὡς τὸ πλοῖόν µου πλησίον ὁρµεῖν καταφανὲς ὂν ἐκ τοῦ Κεραµεικοῦ (Übersetzung: . . . und das Meer soll bis zum Dipylon reichen und dort ungefähr der Hafen
sein, nachdem das Wasser vermittels eines großen Kanals herangeführt wurde, so daß mein Schiff in der Nähe vor Anker liegen kann und schon vom Kerameikos aus ins Auge fällt). 36 Luc. Nav. 6: καὶ τὸ τῶν ναυτῶν πλῆθος στρατοπέδῳ ἄν τις εἰκάσειεν. 37 Luc. Nav. 6: ἐλέγετο δὲ καὶ τοσοῦτον ἄγειν σῖτον, ὡς ἱκανὸν εἶναι πᾶσι τοῖς ἐν τῇ Ἀττικῇ ἐνιαύσιον πρὸς τροφήν.
38 Vgl. Rougé, Recherches, S. 71; Pomey/Tchernia, Le tonnage maximum, S. 248; Husson, Le Navire II, S. 18: Der Bedarf der Region dürfte ein Mehrfaches der Transportkapazität eines einzigen Schiffes betragen, selbst bei den optimistischsten Berechnungen zur Größe des Schiffs; vgl. auch Houston, Lucian’s Navigium, S. 447 mit Anm. 11.
4.2 Lukian von Samosata
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schiedene konkurrierende Berechnungen der Tonnage angestellt worden:39 G.W. Houston hat nun die These vertreten, daß vor dem Hintergrund der als übertrieben anzusehenden Angaben auch die Größe des Schiffs weit überzeichnet sei; Lukian brauche ein enorm großes Schiff, um auf die ebenso überdimensionierten Wünsche vorzubereiten: »Given this connection between the ship and the dreams, Lucian almost had to give the ship very large dimensions. It needed to be on an extravagant scale to match the dreams to come; and the failure of a small vessel to reach its destination would neither be surprising nor make Lucian’s point.«40 Von einem kleinen Fahrzeug kann ja aber ohnehin nicht die Rede sein; vielmehr baut der ganze Dialog selbstverständlich auf der Präsenz eines beeindruckenden Schiffs im Hafen auf.41 Die Frage ist allerdings, ob die Übertreibungen der Wünsche in den Angaben über das Schiff positiv ihre Vorbereitung finden, wie Houston meint, oder eher negativ durch die zwar aufsehenerregende, aber im großen und ganzen doch realistische Szenerie kontrastiert werden, wie Graham Anderson meint.42 Das muß natürlich nicht heißen, daß Lukian ein wirkliches Schiff gesehen hat;43 die ganze Szene bleibt Fiktion, ohne daß sie in jeder Hinsicht absurd sein muß oder sein darf. In jedem Fall ist die Übertreibung bei der Größe des Schiffs nicht als ganz und gar maßlos anzusehen: Samippos gibt etwa die Länge mit 120 Ellen an, was ungefähr 50–55m entsprechen dürfte. Bedenkt man, daß es sich hierbei um einen der Frachter der annona-Flotte handelt und wir uns im 2. Jh. befinden, kann man wohl noch von Übertreibung sprechen, aber gewiß nicht von maßloser Übertreibung; das sog. Mahdia-Schiff etwa, ein Frachtschiff aus der 1. Hälfte des 1. Jh.v.Chr. war ca. 30–35m lang.44 Rougé hat für das Schiff des Josephus berechnet, mit dem dieser nach Rom fuhr und mitten auf der Adria Schiffbruch erlitt,45 daß man mindestens von einer Länge von 40m auszugehen habe, wenn man denn die von 39 Vgl. aus der reichen Literatur: Köster, Seewesen, S. 165; Casson, The Isis, S. 51–56; Rougé, Recherches, S. 69f.; Casson, Ships, S. 186–188; Rougé, Ships, S. 76; Pomey/Tchernia, Le tonnage maximum, S. 243–248; Stecher, Lucian’s Essay “The Ship”, S. 205–210. 40 Houston, Lucian’s Navigium, S. 449. 41 Wallinga überlegt, wie der besondere Eindruck zu erklären ist; doch nur so, daß für gewöhnlich Schiffe dieser Größe nicht in diesen Hafen einlaufen: »It may well be that the Isis caused such a sensation in Athens, not in the first place because Athens was a sleepy university town, but because in Peiraieus all the trade went in ships of, say, between 2000 and 3000 medimns. In the same way, and for about the same reason, a modern ship of 40.000 tons might create a sensation in Amsterdam, and one of 80.000 in Rotterdam, neither of them sleepy towns.« (Wallinga, Nautika (I), S. 27). 42 Anderson, Lucian, S. 39f. Vgl. auch Anderson, Some Notes, S. 365f. 43 So etwa Radermacher, Πλοῖον, S. 224; Casson, The Isis, S. 43. 44 Kiellänge 26m (Parker, Ancient Shipwrecks, S. 252); vgl. auch die Angaben und Schätzungen bei: Höckmann, Schiff, S. 55; Rougé, Recherches, S. 69; sowie in EUMA 1997, S. 255. 45 Josephus sagt: περὶ ἑξακοσίους τὸν ἀριθµὸν ὄντες (J. Vit. 3 [§ 15]).
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4 Satiren und Burlesken
Josephus angegeben 600 Reisenden unterbringen will.46 Das ist tatsächlich das Mindestmaß, so daß man selbst ein Schiff dieser Größenordnung voraussetzen müßte, wenn man die Zahlenangabe des Josephus für nicht belastbar und weit übertrieben hielte. Schon für das Schiff des Paulus, auf dem nach der Angabe in Apg 27,37 eine Anzahl von 276 Menschen fuhr, erforderte wohl ein Schiff dieser Größenordnung. Hält man es für möglich, daß hier bei Lukian einer der größeren Alexandriner beschrieben wird, so sind die Angaben nicht völlig unrealistisch, mag man gewiß auch eine gelinde Übertreibung zugestehen – vielleicht im rhetorischen Sinne, wie die Angaben oben zur Mannschaft und zur Transportkapazität. Einige der Seefahrtshistoriker nehmen die Angaben aus § 5 übrigens für bare Münze, wie etwa Casson und Höckmann,47 – andere zeigen sich skeptisch, wie Rougé.48 Lukian ist m.E. nicht auf die Genauigkeit der Angaben festzunageln. Insgesamt bleibt die Szenerie, die Lukian zeichnet, grundsätzlich realistisch, auch wenn er sogar bei den Maßen des Schiffs gelinde übertreiben dürfte; ganz besondere Phänomene, wie die bei weitem übertriebene Getreidemenge, scheinen sich eher gegen den Sprecher Samippos selbst zu richten, der sich eben hat einen Bären aufbinden lassen. Auch die Fahrtbeschreibung des Schiffs, die Timolaos nach den Angaben des ναύκληρος49 gibt, läßt sich da einzeichnen. Sie hat zunächst nichts völlig Außergewöhnliches, Unerhörtes oder Unglaubliches an sich. Der entscheidende Witz dieser Passage entsteht dadurch, daß Timolaos die furchtbare Fahrt in dieser Fassung erzählt, obwohl er unmittelbar zuvor gerade die seemännische Expertise des κυβερνήτης, eines Manns namens Heron, hervorgehoben hatte
Rougé, Recherches, S. 69.71; vgl. Rougé, Ships, S. 78. Vgl. Casson, The Isis, S. 51–56; Casson, Ships, S. 186–188; Höckmann, Antike Seefahrt, S. 35.78, die aber natürlich nicht den Größenberechnungen etwa von Köster oder Rougé mit ihren allzu gewaltigen Ausmaßen folgen (s.o.). 48 Rougé, Recherches, S. 69f.; Rougé, Ships, S. 76.; ganz und gar skeptisch zeigt sich Wilfried Stecher, der auf der Basis seiner Berechnungen zu einer katastrophalen Beurteilung der Segeleigenschaften des fraglichen Schiffs kommt und feststellt: »If the ISIS was built in order to test alternatives to the 340t deadweight standard ship of the 1st century AD she would most probably have been decommissioned after her first and only voyage. She was, if anything, the GREAT EASTERN of her time« (Stecher, Lucian’s Essay “The Ship”, S. 209). 49 Zur Funktion des ναύκληρος, der wohl als der Leiter der Fahrt, was den Handel betrifft, angesehen werden muß, vgl. v.a.: Casson, Ships, S. 314–316; Rougé, Ships, S. 160. Ist der ναύκληρος also der Agent des Schiffspächters oder Reeders, so ist der eigentliche Kapitän des Schiffes mit voller Befehlsgewalt der κυβερνήτης. Den ναύκληρος neben dem κυβερνήτης an Bord eines großen Handelsschiffs haben wir sowohl hier (§§ 7.9) als auch in Apg 27 bezeugt (v. 11); im 4. Brief des Synesios von Kyrene (Synes. ep. 4) erscheint Amarantos als κυβερνήτης und ναύκληρος zugleich, er fährt offenbar auf eigenem Schiff selber als Kapitän (siehe z.St.). 46 47
4.2 Lukian von Samosata
131
(§ 6);50 nun aber sind es einzig und allein die Götter, die das Schiff retten (§ 9).51 Soweit ab von seinem geplanten Kurs liege das Schiff nun im Piräeus. Lykinos kann die sich da geradezu aufdrängende bissige Bemerkung nicht unterdrücken: νὴ Δία, θαυµάσιόν τινα φὴς κυβερνήτην τὸν ῞Ηρωνα ἢ τοῦ Νηρέως ἡλικιώτην, ὃς τοσοῦτον ἀπεσφάλη τῆς ὁδοῦ.52 Der gesamte Fahrtbericht, den Timolaos
zum besten gibt, lautet (§§ 7–9):
῾Ο ναύκληρος αὐτὸς διηγεῖτό µοι, χρηστὸς ἀνὴρ καὶ προσοµιλῆσαι δεξιός. ἔφη δὲ ἀπὸ τῆς Φάρου ἀπάραντας οὐ πάνυ βιαίῳ πνεύµατι ἑβδοµαίους ἰδεῖν τὸν Ἀκάµαντα, εἶτα ζεφύρου ἀντιπνεύσαντος ἀπενεχθῆναι πλαγίους ἄχρι Σιδῶνος, ἐκεῖθεν δὲ χειµῶνι µεγάλῳ περιπεσόντας δεκάτῃ ἐπὶ Χελιδονέας διὰ τοῦ Αὐλῶνος ἐλθεῖν, ἔνθα δὴ παρὰ µικρὸν ὑποβρυχίους δῦναι ἅπαντας. [8] οἶδα δέ ποτε παραπλεύσας καὶ αὐτὸς Χελιδονέας ἡλίκον ἐν τῷ τόπῳ ἀνίσταται τὸ κῦµα, καὶ µάλιστα περὶ τὸν λίβα, ὁπόταν ἐπιλάβῃ καὶ τοῦ νότου· κατ’ ἐκεῖνο γὰρ δὴ συµβαίνει µερίζεσθαι τὸ Παµφύλιον ἀπὸ τῆς Λυκιακῆς θαλάττης, καὶ ὁ κλύδων ἅτε ἀπὸ πολλῶν ῥευµάτων περὶ τῷ ἀκρωτηρίῳ σχιζόµενος – ἀπόξυροι δέ εἰσι πέτραι καὶ ὀξεῖαι παραθηγόµεναι τῷ κλύσµατι – καὶ φοβερωτάτην ποιεῖ τὴν κυµατωγὴν καὶ τὸν ἦχον µέγαν, καὶ τὸ κῦµα πολλάκις αὐτῷ ἰσοµέγεθες τῷ σκοπέλῳ. [9] τοιαῦτα καὶ σφᾶς καταλαβεῖν ἔφασκεν ὁ ναύκληρος ἔτι καὶ νυκτὸς οὔσης καὶ ζόφου ἀκριβοῦς. ἀλλὰ πρὸς τὴν οἰµωγὴν αὐτῶν ἐπικλασθέντας τοὺς θεοὺς πῦρ τε ἀναδεῖξαι ἀπὸ τῆς Λυκίας, ὡς γνωρίσαι τὸν τόπον ἐκεῖνον, καί τινα λαµπρὸν ἀστέρα Διοσκούρων τὸν ἕτερον ἐπικαθίσαι τῷ καρχησίῳ καὶ κατευθῦναι τὴν ναῦν ἐπὶ τὰ λαιὰ ἐς τὸ πέλαγος ἤδη τῷ κρηµνῷ προσφεροµένην. τοὐντεῦθεν δὲ ἅπαξ τῆς ὀρθῆς ἐκπεσόντας διὰ τοῦ Αἰγαίου πλεύσαντας ἑβδοµηκοστῇ ἀπ’ Αἰγύπτου ἡµέρᾳ πρὸς ἀντίους τοὺς ἐτησίας πλαγιάζοντας ἐς Πειραιᾶ χθὲς καθορµίσασθαι τοσοῦτον ἀποσυρέντας ἐς τὸ κάτω, οὓς ἔδει τὴν Κρήτην δεξιὰν λαβόντας ὑπὲρ τὴν Μαλέαν πλεύσαντας ἤδη εἶναι ἐν ᾽Ιταλίᾳ.
Der Naukleros selbst erzählte es mir, ein tüchtiger und umgänglicher Mann. Er sagte, daß sie von Pharos abgefahren seien mit einem nicht gerade rauhen Wind und am siebenten Tag Kap Akamas in Sicht bekommen hätten, dann sei ein Westwind aufgeθαυµάσιος τὴν τέχνην, ὡς ἔφασκον οἱ ἐµπλέοντες, καὶ τὰ θαλάττια σοφὸς ὑπὲρ τὸν Πρωτέα. (Übersetzung: Der versteht sich in bewundernswerter Weise auf sein Fach, wie die Passagie50
re sagen, und in seiner Kunde im Seewesen übertrifft er den Proteus). Timolaos reißt mit dieser Bemerkung das Wort an sich, indem er an die Bewunderung anknüpft, der Samippos soeben über die Steuerung des Schiffes durch Heron Ausdruck gegeben hatte; daß nach dieser Stelle der κυβερνήτης Heron selber das Ruder führt, ist ein verwirrendes Detail, da der κυβερνήτης sonst nicht der Rudergänger, sondern der Kapitän und nautische Befehlshaber ist, und letztere Funktion scheint Heron ja tatsächlich auszuüben (s.o., und zusätzlich Rougé, Recherches, S. 222–227; Husson, Le Navire II, S. 18–20.25). Samippos hatte nun den kleinen alten Mann (µικρός τις ἀνθρωπίσκος γέρων, § 6) mit den großen Rudern kontrastiert, die er gekonnt mit einer schmalen Stange bediene (ὑπὸ λεπτῇ κάµακι τὰ τηλικαῦτα πηδάλια περιστρέφων); derartige Kontraste sind beliebt, vgl. etwa den etwas anderen Kontrast zwischen dem großen Schiff und dem kleinen Ruder bei Jak 3,4 (τὰ πλοῖα τηλικαῦτα ὄντα . . . µετάγεται ὑπὸ ἐλαχίστου πηδαλίου). 51 Auf diesen Zusammenhang weist auch Houston hin, der ihn allerdings falsch auswertet, wie ich meine (Houston, Lucian’s Navigium, S. 447f.). 52 Luc. Nav. 9; Übersetzung: Ganz recht, beim Zeus, nennst du den Heron einen bewundernswerten Steuermann oder gar einen Zeitgenossen des Nereus, der soweit vom Kurs verschlagen wurde.
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kommen, und sie seien quer nach Sidon verschlagen worden; von dort seien sie unter heftigem Sturm durch die kilikische Meerenge am zehnten Tag zu den Chelidonischen Inseln gekommen, dort wären sie alle beinahe untergegangen. Da ich selbst schon einmal die Chelidonischen Inseln umsegelt habe, weiß ich, wie hoch dort die Woge geht, besonders bei Südwestwind, der nach Süden eindreht;53 denn auf jene Weise wird das pamphylische vom lykischen Meer getrennt, und die Wellen, weil sie sich, von mehreren Strömungen getrieben, am Vorgebirge brechen – dort befinden sich schroffe und scharfkantige Felsen, die vom Anprall der Wogen abgewetzt wurden, – fallen in fürchterlicher Weise übereinander her, und das unter lautem Getöse, ja, der Wogenschlag geht oft genau so hoch wie der Felsen. In eine solche Lage seien auch sie geraten, so der Naukleros, zumal auch noch Nacht war und dichte Finsternis. Aber die Götter hätten, erweicht von ihrem Wehgeschrei, von der lykischen Küste her Feuerzeichen gegeben, so daß sie die Gegend erkennen konnten, und einer der Dioskuren habe als heller Stern auf dem Topp gesessen und das Schiff nach backbord aufs Meer geleitet, da es schon auf die Klippe zulief. Von dort seien sie, nachdem sie nun einmal vom rechten Kurs abgekommen waren, durch die Ägäis gesegelt und am siebzigsten Tag nach der Abfahrt von Ägypten, indem sie gegen die widrigen Etesien aufgekreuzt wären, gestern in den Piräeus eingelaufen, und das mit so viel zeitlichem Verzug, die sie schon hätten in Italien sein sollen, nachdem sie Kreta zur Rechten hätten liegen lassen und jenseits von Kap Malea gefahren wären.
Selbst wenn also, was man m.E. annehmen sollte, die von Lukian geschaffene Szene ein literarisches Konstrukt ist, das aus verschiedenen Versatzstücken aus eigenen und fremden Werken komponiert wurde – wie vor allem Husson und Anderson gezeigt haben54 –, die Darstellung also in diesem Sinne Fiktion ist, ist noch immer daran festzuhalten, daß auch eine solche Fiktion plausibel sein muß, zumindest in den Augen des Verfassers und der intendierten Leserschaft. Die massive Verwendung entsprechender geläufiger Topoi in der Seefahrtsbeschreibung unterstützt diese Auffassung:55 Da sind etwa die zunächst gut verlaufende Fahrt mit dem folgenden Aufkommen eines widrigen Windes (§ 7),56 sowie der nicht näher beschriebene Sturm in der kilikischen Meerenge. Die Beschreibung der Gewässer bei den Chelidonischen Inseln, die Timolaos aus eigenem Wissen zu schildern vorgibt, malt ein eindrucksvolles Bild, das die Gefahr einer wogen53 An dieser Stelle geht es nicht um die absurde Benennung zweier verschiedener Winde, sondern die Bezeichnung einer Windrichtung. Man ist geneigt, ungefähr an einen SWzS unserer 32strichigen Windrose zu denken (siehe auch Casson, The Isis, S. 46), obwohl wir für die 32-strichige Windrose aus der Antike keine Belege haben. 54 Anderson, Lucian, S. 39f.; Anderson, Some Notes, S. 365f.; Husson, Le Navire II, S. 20– 27; vgl. auch Houston, Lucian’s Navigium, S. 445f. 55 Vgl. zur Sturmbeschreibung Husson, Le Navire II, S. 22, die Belege bei Lukian selbst liefert und erklärt: »La tempête est un thème romanesque classique que Lucien a souvent exploité«. 56 Man vergleiche etwa zur Erwähnung von Windänderungen, die zuweilen zu einer Sturmbeschreibung überleitet, oder dem plötzlichen Hereinbrechen des Sturms überhaupt: Ninos C 11–14;
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umtosten Felsenküste treffend darstellt (§ 8).57 In dem, was der Isis widerfährt, wird die typische Dunkelheit angeführt,58 sowie die Hilfe durch die Götter, die hier auf zweierlei Weise erfolgt; einmal ließen sie Feuer von der Küste her leuchten, und zweitens habe sich einer der Dioskuren auf den Topp gesetzt und das Schiff aus der Gefahr gesteuert, wie es ganz ähnlich in De mercede conductis 1 vorkommt.59 Es handelt sich nicht um eine historische Fahrt, die in Nav. 7–9 berichtet wird, und über die wir gleichsam ein verläßliches Dokument vor uns haben, sondern eben nur um eine literarische Fahrt, die als möglich zu gelten hat. Daher können die Seefahrtshistoriker m.E. weiterhin zu recht darauf bestehen, diesen Text als Quelle für antike Fahrtrouten auszuwerten60 – das freilich mit der gebotenen Vorsicht, denn jederzeit ist die notorisch launige Erzählweise des Lukian in Rechnung zu stellen: Die Passage, in der der Fahrtverlauf des Schiffs geschildert wird, gibt auch und gerade in seefahrtshistorischer Hinsicht einige Schwierigkeiten auf. Dabei ist der entscheidende Punkt die Bewertung der Fahrtroute des Schiffs im Hinblick auf die Frage, wie der übliche Weg der Alexandria-Schiffe nach Rom verlaufen ist. Entscheidend ist zunächst das Verständnis des letzten Nebensatzes von § 9: . . . οὓς ἔδει τὴν Κρήτην δεξιὰν λαβόντας ὑπὲρ τὴν Μαλέαν πλεύσαντας ἤδη εἶναι ἐν ᾽Ιταλίᾳ. Prinzipiell könnten sich drei Verständnismöglichkeiten ergeben:
Charito III 3,10.18; Herpyllis II 17–21.24–26; X.Eph. III 2,12; Ach.Tat. III 1,1; Hld. V 27,1f.; Arr. Peripl.M.Eux. 3,3; Luc. Tox. 19; VH I 9; II 47; und nicht zuletzt Apg 27,14. 57 Vgl. zur Gefahr der (Felsen-) Küste etwa Od. V 388–463 (der schwimmende Odysseus); Hor. Carm. III 27,21–24; Epod. 10; Plb. I 37,2; J. BJ III 9,3 (§§ 422–424); App. BC V 10 (§§ 88–90); Plu. Dio 25,7f.; Sen. Ep. LIII 2f.; Ach.Tat. III 4,3 (und 4,6); Hld. V 17,5; Luc. VH I 6; Merc.Cond. 1f.; Aristid. Or. XLVIII 66; Synes. ep. 4,160c–161c; 164d–165a; und natürlich auch Apg 27,17.29. Interessant ist, daß hier in Nav. 8 auch der Kampf der Wogen gegeneinander anklingt, verbunden mit dem auch oft bemühten ἦχος. Vgl. zum Kampf der Wogen etwa: Synes. ep. 4,162a; Ach.Tat. III 2,2.8; Herpyllis II 42; Luc. Tox 20; zum Tosen siehe beispielsweise Ach.Tat. III 2,8. 58 Vgl. z.B. Charito III 3,10; Herpyllis II 38–54; Ach.Tat. III 1,1; 2,2; Petr. 114,1.3; Luc. Tox. 20; Aristid. Or. XLVIII 65; Apg 27,20. 59 Zu den Dioskuren als Retter in Seenot vgl. neben Merc.Cond. 1 noch Herpyllis II 55–59 (s. hier S. 89ff.). 60 Dem widerspricht Wilfried Stecher vehement und hält nicht nur das vorgestellte Schiff (s.o.), sondern die gesamte Reiseschilderung für völlig unrealistisch (Stecher, Lucian’s Essay “The Ship”, S. 211); er notiert zusammenfassend: »He [sc. Lukian] needed a big ship in Piraeus for his story, and he invented it, spreading a lot of detail around it for the sake of authenticity, but after a second look this is only too obvious« (S. 219). – Daß Lukian Schiff und Reise im Sinne literarischer Fiktion »erfunden« hat, kann ich teilen, nicht kann ich mich allerdings – wie deutlich geworden sein dürfte – dem Urteil anschließen, alles sei vollkommen unrealistisch, s. dazu auch noch im folgenden.
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1. Die verbreitete Übersetzung, etwa in der Fassung von Wieland : ». . . anstatt daß sie Kreta zur rechten Hand hätten liegen lassen, das maleische Vorgebirge umsegeln und nun bereits in Italien angekommen sein sollen.«61 Diese Übersetzung scheitert einfach geographisch daran, daß man das Kap Malea nicht umsegeln kann, wenn man Kreta zur rechten Hand hat, also einen Kurs südlich von Kreta hält. 2. Cassons Vorschlag: . . . »keeping Crete on the right and sailing beyond (i.e., avoiding) Malea« . . . 62 Diese Übersetzung trägt den geographischen Gegebenheiten Rechnung und arbeitet mit einem geläufigen Verständnis von ὑπέρ im Sinne von jenseits.63 3. Eine weitere Möglichkeit: . . . die sie schon hätten in Italien sein sollen, nachdem sie sich rechts von Kreta gehalten hätten und über Kap Malea hinaus gefahren wären. Diese Übersetzung ist nach allen Belegen, die ich kenne, unmöglich, weil der hier vorausgesetzte Gebrauch von δεξιός (bzw. ἀριστερός) in scheinbar prädikativer Stellung und im Sinne eines Teils des zugehörigen Substantivs (wie bei µέσος, ἔσχατος κτλ.) sich nicht belegen läßt.64 Zudem ist λαµβάνειν/λαβεῖν mit δεξιάν (bzw. ἀριστεράν) [sc. χεῖρα] in verschiedenen Formulierungen recht geläufig.65 Außerdem noch wäre die hier dann zugrundeliegende Vorstellung übermäßig komplex, weil man ja erst realisieren müßte, welche Seite denn die rechte Seite von Kreta – in Fahrtrichtung gedacht – ist. Die Übersetzung von Casson hat damit als die zutreffende zu gelten und ist deshalb auch oben in die Übersetzung des ganzen Abschnitts gesetzt worden. Es läßt sich die Frage anschließen, warum Kap Malea überhaupt erwähnt wird; darauf lassen sich zwei Antworten geben: Erstens ist eine Antwort innerhalb der Szenerie möglich: Weil das Schiff, nun in Athen befindlich, Kap Malea ja tatsächlich noch vor sich hat! Zweitens läßt sich eine grundsätzliche und motivische Antwort geben: Weil Lukian hiermit einen weiteren Topos bedienen wollte, die Erwähnung des berühmten und berüchtigten Kap Malea, eines der Schrecken der Seefahrer, für dessen Prominenz sich zahllose Belege beibringen lassen: Man denke etwa an 61 Hanns Floerke (Hrsg.), Lukian: Sämtliche Werke. Mit Anmerkungen. Nach der Übersetzung von C.M. Wieland bearbeitet und ergänzt. Band I, München/Leipzig 1911, S. 247. Vgl. auch die vielen von Casson angeführten Übersetzungen dieser Art: Casson, The Isis, S. 48, Anm. 11. 62 Casson, The Isis, S. 48. 63 Siehe LSJ, s.v. ὑπέρ B I, S. 1858; vgl. B/R § 197,17.2 (S. 205). 64 Vgl. Schw., B.I.1.g (S. 26); K/G II 1, § 464,5 (S. 620f.); Menge, Repetitorium, S. 94 (Nr. 9,2); siehe zu dem syntaktischen Phänomen ausführlich Sommer, Attr. Adjektivum, S. 26ff. 65 Vgl. die Belege bei: LSJ, s.v. λαµβάνω I 7, S. 1026. Siehe z.B. D.S. XI 12,3.
4.2 Lukian von Samosata
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das bekannte, bei Strabon gebotene Sprichwort,66 oder an den kaum minder berühmten Zeuxis aus Hierapolis, der sich in seiner Grabinschrift eigens rühmt, Kap Malea in Richtung Italien 72mal umschifft zu haben (Z. 3–5); der Text dieser in der Nord-Nekropole von Hierapolis befindlichen Inschrift lautet (AvH, Nr. 51):67 Τ .ίτος68 Φλα ο. ύι {ι}ος Ζεῦξις ἐργαστὴς π λ. εύσας ὑπὲρ Μαλέον69 εἰς ᾽Ιτ α. λίαν πλόας ἑβδοµήκοντα 5 δύο κατεσκεύασεν l τὸ µνηµεῖον ἑαυτῷ l καὶ τοῖς τέκνοις Φλαουίῳ Θεοδώρῳ καὶ Φλαο. υίῳ Θευδᾷ καὶ ᾧ ἂν ἐκεῖνοι l συνχωρήσωσιν.
Nun aber zur Fahrtroute, die das Schiff eigentlich hätte nehmen wollen: Casson konstruiert aus dem Abschnitt, insbesondere unter Rekurs auf seinen Übersetzungsvorschlag, folgenden Verlauf: Schiffe, die von der Südküste Kleinasiens her kamen, sollten normalerweise bei Rhodos oder Knidos Südkurs anlegen, um Kreta südlich zu umfahren und dann ins Ionische Meer zu segeln.70 Unser Schiff, die Isis, durchschifft aber stattdessen die Ägäis; Casson nimmt an, daß sie dazu durch die Windverhältnisse gezwungen wurde.71 Genau davon steht aber nichts da: Gegen die Etesien mußte man erst aufkreuzen, als man schon in der Ägäis war und den Piräeus ansteuerte. Nach dem Text von § 9 ist m.E. eher davon auszugehen, daß die Isis freiwillig in die Ägäis und dann auf den Piräeus gesteuert hat, nachdem sie ohnehin schon vom Kurs abgekommen war (ἅπαξ 66 Str. VIII 6,20: ἀφ’ οὗ καὶ παροιµιάζονται “Μαλέας δὲ κάµψας ἐπιλάθου τῶν οἴκαδε” (Übersetzung: Weswegen auch das Sprichwort umläuft: »Umfährst du Malea, vergiß zu Hause!«). Vgl. Meyer, Art. Malea. Beispiele für weitere interessante Stellen zu Kap Malea sind etwa: Philostr. VA III 23 (53); IV 24 (74f.); s.o. S. 63, Anm. 107. 67 Die Inschrift findet sich bei: AvH, Nr. 51 (S. 92, vgl. S. 53f.) = IGR IV, Nr. 841 (S. 290f.) = SIG3 III, Nr. 1229 (S. 372f.); Ritti, Iura sepulcrorum, Nr. 7 (S. 573f.); vgl. auch: Ramsay, Cities I 1, S. 106f.; Friedländer, Darstellungen I, S. 339 mit Anm. 2; Pilhofer, Ökonom. Attraktivität, S. 209f. mit Anm. 42 (mit Abb. 20 [S. 210]); SEG 51 (2001) [2005], Nr. 502 (S. 155f.); SEG 54 (2004) [2008], Nr. 1304 (S. 454). 68 Die Z. 1 ist in AvH, IGR und SIG fortgelassen; in SEG 54, S. 454, wird irrtümlich behauptet, Tullia Ritti »ist the first to read L. 1: vacat Τ ίτος vacat«. Vielmehr fand sich schon 2002 die Lesung Τ ίτ ος bei Pilhofer, Ökonom. Attraktivität, S. 209f., Anm. 42; der Lesung liegt nur der Fehler zugrunde, daß die weite Sperrung der ersten drei Buchstaben Τ Ι Τ nicht erkannt wurde. 69 Die älteren Editionen haben Μαλέαν, auf dem Stein steht sicher Μαλέον 70 Casson, The Isis, S. 48. 71 Casson, The Isis, S. 47; er rechnet damit, daß der SWzS-Wind, der das Schiff vor den Chelidonischen Inseln in Schwierigkeiten gebracht hatte, weiter vorherrscht.
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τῆς ὀρθῆς ἐκπεσόντας). Unter den gegebenen Umständen mag das die beste
Möglichkeit gewesen sein. Eines der entscheidenden Argumente für Casson ist die Fahrt des PaulusSchiffs, das, fast auf die Höhe von Knidos gekommen, einen Kurs um Kap Salmone, also südlich von Kreta, eingeschlagen hat.72 So, meint Casson, hätte auch die Isis fahren wollen. Beim Schiff des Paulus verhält es sich aber genau umgekehrt; in Apg 27,7 heißt es: µὴ προσεῶντος ἡµᾶς τοῦ ἀνέµου ὑπεπλεύσαµεν τὴν Κρήτην κατὰ Σαλµώνην (da uns der Wind nicht weiter heranließ, umsegelten wir Kreta bei Kap Salmone). Casson berücksichtigt zwar den Umstand, daß im Text von Apg 27 widrige Winde zur Rechtfertigung der Südroute angeführt werden, wertet das aber nicht recht aus.73 Das Schiff des Paulus wird also gerade daran gehindert, weiter nach Westen vorzudringen und wählt den alternativen Kurs südlich von Kreta; die Isis dagegen wird nicht daran gehindert, sondern hat erst in der Ägäis selbst mit den Etesien zu kämpfen. Warum aber hat man nun nach § 9 überhaupt Kreta zur Rechten lassen wollen? Des Rätsels Lösung liegt m.E. in dem schon erwähnten Passus ἅπαξ τῆς ὀρθῆς ἐκπεσόντας (§ 9), und der Bemerkung vor dem Beginn des ganzen Unheils: ἔφη δὲ ἀπὸ τῆς Φάρου ἀπάραντας οὐ πάνυ βιαίῳ πνεύµατι ἑβδοµαίους ἰδεῖν τὸν Ἀκάµαντα.74 Kap Akamas ist die Nordwestspitze von Zypern; erst, nachdem
man diese schon in Sicht bekommen hatte, beginnt die unglückliche Fahrt mit dem erzwungenen Kurs östlich von Zypern und dann in unmittelbarer Nähe an der Südküste Kleinasiens entlang weiter nach Westen. Ursprünglich wollte die Isis wohl von Zypern aus einen nach Möglichkeit mehr oder weniger direkten Weg nehmen, Zypern rechts liegen lassen und vielleicht gar nicht allzu weit nach Norden an die kleinasiatische Küste vordringen; das gelang ihr dann aber nicht mehr. Hätte der Plan ins Werk gesetzt werden können, wären sie möglicherweise tatsächlich schon längst in Italien gewesen, ohne am berüchtigten Kap Malea vorbeischiffen zu müssen. Insgesamt ist es also problematisch, den normalen Kurs aufgrund durchschnittlicher Windverhältnisse zu berechnen, wie Casson es vorbildlich unternimmt, und diese Ergebnisse dann mit den Texten so in Beziehung zu setzen, daß der normale Kurs unter der Hand zum geplanten, gewünschten Kurs wird. Die normale Route, aber eben die zumeist durch die Windverhältnisse erzwungene Route wird tatsächlich an der Südküste Kleinasiens entlang gegangen sein, Casson, The Isis, S. 48; vgl. auch Gelsdorf, Ant. Schiffahrtsrouten, S. 756f. Casson, The Isis, S. 48f. Gelsdorf, Ant. Schiffahrtsrouten, S. 756f., berücksichtigt nicht einmal diesen Umstand. Dagegen hatte Balmer diese Tatsache ausdrücklich hervorgehoben: Balmer, Romfahrt, S. 308. 74 § 7: Er sagte, daß sie von Pharos abgefahren seien mit einem nicht gerade rauhen Wind und am siebenten Tag Kap Akamas in Sicht bekommen hätten. 72 73
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wie sowohl unser Text als auch Apg 27,4–7 nahelegen. Erzwungen wird dieser Kurs zumeist wegen der hauptsächlich vorherrschenden Nordwestwinde im östlichen Mittelmeerraum. Weiterhin wird wohl tatsächlich die gewöhnliche Route im Süden von Kreta verlaufen sein, zu der eben das Schiff des Paulus gezwungen wurde (Apg 27,7).75 Die normale Route ist allerdings etwas anderes als die gewünschte Route: Man plant ja nach den aktuellen und unmittelbar zu erwartenden Windverhältnissen und nicht nach dem allgemeinen Durchschnitt. Die von den Schiffern gewünschte Route ist sicher der möglichst direkte Weg, der aber bei der Fahrt von Alexandrien nach Rom in den seltensten Fällen, ja fast nie möglich war: höchstens in Teilstücken, wie unsere beiden Belege m.E. zeigen. Unter der Verwechslung von statistisch normaler, gewünschter und durch Sturm erzwungener Route scheint mir u.a. auch das Konstrukt von Heinz Warnecke zu leiden, der ja die Strandung des Paulus auf Kephallenia lokalisiert und die Sturmfahrt bis Malta für eine absolute Unmöglichkeit hält.76 Die Texte in erster Linie mit statistischen Wetterdaten – die dann noch geschickt zurechtgelegt sind – auszuwerten, ist methodisch höchst fragwürdig,77 weil die Quellen – wenn man sie denn überhaupt unmittelbar als solche auswerten kann – dann selbst kaum noch zu Wort kommen. Fazit: Lukians Navigium ist ein hochinteressanter Text, besonders für Seefahrtshistoriker; dies gilt in ganz außerordentlichem Maße für die Felder der Größen75 Vgl. zur Südroute auch den inschriftlichen Beleg, der einen ägyptischen Getreidefrachter im Süden von Kreta voraussetzt, dieses Schiff hieß Isopharia: CIL III 1, Nr. 3 (S. 5) = ILS II 1, Nr. 4395 (S. 181); die Inschrift ist unten zitiert (S. 429, Anm. 29). 76 Siehe zu seinen Wetterspekulationen v.a.: Warnecke, Die tatsächliche Romfahrt, S. 39–54; Warnecke, Paulus im Sturm, S. 29–32.64. Vgl. auch seine entsprechenden Überlegungen zur Reise des Mahdia-Schiffes: Warnecke, Welchen Kurs?, S. 163–168; das Ganze ist durchsichtig: Er kann natürlich unmöglich ein Schiff brauchen, das von einem Sturm aus dem Ionischen Meer an die tunesische Küste verschlagen wurde, wenn er seine »absolute Unmöglichkeit« der Südwest- und Westabdrift des Paulus aufrecht erhalten will. Vgl. dazu aber auch die kurze Bemerkung zum Auftritt Warneckes beim Bonner Kolloquium zum Mahdia-Schiff im Januar 1995: Hellenkemper Salies, Wrack – Bilanz, S. 216 mit Anm. 53. Friedrich Gelsdorf teilte übrigens im Ausstellungsband noch die Auffassung von Warnecke: Gelsdorf, Ant. Schiffahrtsrouten, S. 755–757. Jahre später hat Warnecke nochmals nachgelegt: Warnecke, Mahdia – Zwischenbilanz (ohne wirklich neue Argumente), und wendet seine angeblichen Ergebnisse auch in der Diskussion um die Fahrten des Odysseus an, an der er sich kürzlich mit einer Monographie beteiligt hat, in der natürlich Ithaka mit Kephallonia identifiziert wird (Warnecke, Homers Wilder Westen, zur Romfahrt und zum Mahdia-Schiff s. S. 151, Anm. 908). 77 Daß sich Warnecke die Wetterdaten virtuos so zurecht legt, wie er sie für seine These braucht, kritisiert zu Recht auch Reiser, Caesarea, S. 61–68, was bei ihm allerdings teilweise in rüdem Ton geschieht: »Warnecke läßt die Winde wehen wie der Windgott selber. Daß das alles pure Phantasie ist und der Grammatik und dem philologischen Befund von Act 27,14 einfach Hohn spricht, das müßte
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bestimmung römischer Frachtschiffe (§§ 5f.) und der Rekonstruktion antiker Schiffahrtsrouten (§§ 7–9). Bei der Auswertung der vorliegenden Informationen darf man aber nicht die gebotene Vorsicht vermissen lassen. Denn bei den Ausführungen Lukians über das Schiff Isis und über deren abenteuerliche Fahrt bis zum Piräeus handelt es sich nicht um Berichte realen Geschehens, sondern um ein literarisches Schiff78 und eine literarische Reise, die bestimmte Funktionen im Rahmen des lukianischen Dialogs erfüllen, nämlich die Funktionen der Kontrastfolie und des Ausgangspunkts für die folgenden verstiegenen Wünsche, sowie die Funktion der vorbereitenden Chrakterisierung von Sprechern (hier Samippos und Timolaos). In diesem Rahmen benutzt Lukian auch die Topik geläufiger Seesturmbeschreibung, die er sich in ganz verschiedenen Zusammenhängen und mit ganz verschiedenen literarischen Zielsetzungen zu eigen gemacht hat, wie sich sogleich zeigen läßt. 4.2.2 Toxaris – oder die Freundschaft Der Dialog »Toxaris – oder die Freundschaft« (Τόξαρις ἢ φιλία) stellt einen eigentümlichen Wettstreit dar, in den sich zwei idealtypische Vertreter ihrer Völker verstricken, ein Grieche namens Mnesippos, und der Skythe Toxaris.79 Der Wettstreit geht um die Frage, ob die Griechen oder die Skythen die Freundschaft in höherer Ehre halten, ob die Freundschaft bei Griechen oder Skythen in innigerer Weise gepflegt wird. Dazu einigen sich die Gesprächspartner darauf, daß von jeder Seite fünf Beispiele für herausragende Freundjeder sehen, der ein bißchen Griechisch kann« (S. 67). – Warneckes exegetisches und historisches Vorgehen ist zuweilen so bodenlos, daß sie m.E. gar keine Erregung verdient. 78 Ein so eindrucksvolles literarisches Schiff übrigens, daß es auch in der aktuellen Belletristik Wirkungen zeigt: Marianne Fredriksson hat das lukianische Schiff nämlich in ihren Roman Marcus und Eneides aufgenommen (Fredriksson, Marcus und Eneides, S. 328–338). Dort finden sich viele der oben behandelten Einzelzüge: Die Wanderung zum Piräeus (S. 328); das leicht zu bedienende Ruder (S. 329); die enorme Größe des Schiffs (S. 330); die so gewaltige Ladekapazität, daß eine ganze Stadt für ein Jahr mit Getreide versorgt werden könnte (S. 331); das Staunen vieler Menschen über das Schiff (S. 337). Zu guter Letzt wird sogar Lukian selbst aufgeboten, der zu den Staunenden gehört und über das Schiff geschrieben habe, dabei wird eine Übersetzung der Ausführungen des Samippos (§ 5f.) gegeben (S. 337f.). Nichts jedoch verlautet von der unglücklichen Fahrt des Schiffs, denn das literarische Schiff von Fredriksson wurde im Piräeus gebaut, unter Beteiligung des Eneides, eines der beiden Protagonisten; es habe dann sogar Staunen in Ostia hervorgerufen (S. 338). Ein durchaus bemerkenswerter Fall von Intertextualität, wie ich finde! 79 Möglicherweise ist der Name des Skythen in Anlehnung an den Freund des Solon gewählt, der Toxaris heißt und seinen Landsmann Anacharsis bei diesem einführt, wie Lukian es in seiner kurzen Schrift Σκύθης ἢ πρόξενος beschreibt (vgl. Luc. Scyth. 5ff.). Ist er zumindest in einzelnen Zügen vielleicht auch nach dem alten Vorbild gezeichnet? Vgl. zum Toxaris der lukianischen Schrift Scytha: Gorrini, Toxaris, die aber den fremden Arzt Toxaris für eine literarische Fiktion des Lukian hält (vgl. die Schlußfolgerungen S. 442f.).
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schaftsdienste vorgestellt werden sollen, die dann gewichtend zu bewerten sind, damit nicht die Zahl der Beispiele den Ausschlag zum Siege bringe, sondern die Qualität der ausgewählten Exempel (Luc. Tox. 11).80 Die beiden Streitgegner sind mit einiger Übertreibung als klischeemäßige Exemplare ihrer Kulturen dargestellt, was besonders daran deutlich wird, daß etwa der Grieche Mnesippos kaum eine Gelegenheit ausläßt, das von ihm Erzählte sprachlich aufzuputzen oder zu dramatisieren, gleichermaßen aber auch mehrfach Kritik von Seiten des Gesprächspartners an dieser die Griechen auszeichnenden Praxis erfährt (z.B. Tox. 9).81 Erwähnung verdient ergänzend der Umstand, daß auch diesbezügliche Retourkutschen des Mnesippos vorkommen: z.B. Tox. 8.11; ja, entgegen eigener Aussage putzt auch Toxaris seine Redebeiträge nach griechischen Konventionen auf und steht darin seinem griechischen Gesprächspartner nicht nach.82 Insgesamt fügen sich diese immer wieder vorkommenden Seitenhiebe auf die rhetorische Praxis gut zu vielen anderen Stellen im lukianischen Œuvre, an denen er scharf mit den Auswüchsen der Rhetorik und insbesondere damit ins Gericht geht, daß der rednerische Erfolg zuweilen mit unlauteren Kniffen erreicht wird, ohne daß eine Entsprechung zur verhandelten Sache bestehe.83 Toxaris demgegenüber erscheint als tapferer Skythe, in dessen Beispielen für Freundschaftsdienste Krieg und Gewalt daher keine geringe Rolle spielen; in einem seiner Beispiele führt er die freundschaftliche Verbundenheit gar so weit, daß der Freund sich auch die Augen ausgestochen habe, nachdem sein Gefährte die seinen verloren habe (Tox. 41). Es spricht also einiges dafür, den Dialog als exemplarische Auseinandersetzung zweier Kulturen über ein bedeutsames gesellschaftliches Thema, nämlich das der
80 Im Bild von Streichen oder Schlägen bei einem Duell: . . . ὡρίσθω µὴ ἐν τῷ πλήθει αὐτῶν τὸ κράτος, ἀλλ’ εἰ ἀµείνους καὶ τοµώτεραι φαίνοιντο αἱ σαὶ τῶν ἐµῶν ἴσαι τὸν ἀριθµὸν οὖσαι . . . (Übersetzung: . . . die Übermacht soll nicht durch ihre Anzahl bestimmt sein, sondern dadurch,
ob deine besser und trefflicher erscheinen als meine, wobei sie aber der Anzahl nach gleich zu sein haben . . . ). 81 An dieser genannten Stelle ist der Vorwurf gegen die Griechen mit dem Thema des Dialogs verbunden: ἡµεῖς δὲ ἔµπαλιν· ὅσῳ γὰρ δὴ λειπόµεθα ἐν τοῖς περὶ φιλίας λόγοις, τοσοῦτον ἐν τοῖς ἔργοις αὐτῆς πλεονεκτοῦµεν (Übersetzung: Bei uns ist es umgekehrt [sc. im Vergleich zu den Griechen]: Um wieviel wir fehlen lassen in der Rede über die Freundschaft, um soviel mehr haben wir die Freundschaft durch die Tat). Alle Stellen hier aufzuzählen wäre übertrieben, vgl. nur noch Tox. 38. 82 Vgl. Pervo, Who Needs Friends?, S. 166 mit Anm. 16. 83 Vgl. etwa den Dialog ῾Ρητόρων διδάσκαλος (Rhetorum praeceptor), in dem Lukian über den rhetorischen Schulbetrieb spottet. Siehe dazu die grundsätzlichen Bemerkungen bei: Lesky, Geschichte, S. 938; Dihle, Die gr. und lat. Literatur, S. 250; ausführlicher zur Zielstellung des Rhetorum praeceptor im Unterschied zu anderen literaturtheoretischen Schriften: Weissenberger, Literaturtheorie bei Lukian, S. 42–50.
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wahren Freundschaft, zu interpretieren.84 In ihm werden sowohl Eigenheiten und klischeehaft zugeschriebene Eigenschaften der beiden Kulturen aufs Korn genommen, als auch die in antiken Diskursen vorherrschenden übertriebenen und romantisierten Bilder von Freundschaft kritisiert,85 um schließlich darin das Ziel zu finden, daß die beiden Kontrahenten im Streit über die bessere Freundschaft diesen Streit beilegen und selbst Freunde werden.86 Echte Freundschaft im wirklichen Leben ist eben doch der »nur« erzählten Freundschaft vorzuziehen. Der Streit entzündet sich an der Frage des Griechen Mnesippos, ob (und implizit warum) die Skythen wirklich den Orest und seinen Gefährten Pylades wie Götter verehren. Er kritisiert u.a., daß es sich bei Orest und Pylades ja um Fremde handle, die nach einem Schiffbruch angelandet seien und doch einiges Unheil angerichtet hätten, so daß die Skythen allen Grund hätten, in ihnen Feinde zu sehen (Tox. 2): ᾽Ορέστην δὲ καὶ Πυλάδην τίνος µάλιστα θαυµάσαντες ἰσοθέους ἐποιήσασθε, καὶ ταῦτα ἐπήλυδας ὑµῖν ὄντας καὶ τὸ µέγιστον πολεµίους; οἵ γε, ἐπεὶ σφᾶς ναυαγίᾳ περιπεσόντας οἱ τότε Σκύθαι συλλαβόντες ἀπῆγον ὡς τῇ Ἀρτέµιδι καταθύσοντες, ἐπιθέµενοι τοῖς δεσµοφύλαξι καὶ τῆς φρουρᾶς ἐπικρατήσαντες τόν τε βασιλέα κτείνουσι καὶ τὴν ἱέρειαν παραλαβόντες, ἀλλὰ καὶ τὴν Ἄρτεµιν αὐτὴν ἀποσυλήσαντες ᾤχοντο ἀποπλέοντες, καταγελάσαντες τοῦ κοινοῦ τῶν Σκυθῶν.87 Toxaris hebt nun aber auf die 84 Vgl. die Überlegungen bei Lizcano Rejano, El Tóxaris de Luciano, passim; vgl. auch Jüthner, Hellenen und Barbaren, S. 54, der die lukianischen Skythendialoge in die Umwertung des Barabarenbegriffs in stoisch-kynischer Tradition einzeichnet. 85 Vgl. zu diesem zweiten Punkt Pervo, Who Needs Friends?, S. 163.179f. Vgl. zur Deutung des Toxaris auch Jones, Culture, S. 56–58, der insbesondere das Problem bespricht, inwieweit unser Dialog als humoristisch zu verstehen sei. Er kommt zu dem Schluß, daß sich Lukian hier in seinem parodistischen Schreiben weit mehr zurücknimmt als etwa in VH oder Philops.: »The mildly humorous tone with which Mnesippos listens to Toxaris shows that Lucian does not expect to be read in the spirit of an Iamblichos. Still less does he tell tales of the supernatural kind mocked in the Lovers of Lies and the True Histories. Lucian disliked ›lies‹ but not elegant or beguiling fiction« (S. 58). 86 Siehe zur Freundschaft zwischen den beiden Dialogpartnern am Ende des Stücks: Lizcano Rejano, El Tóxaris de Luciano, S. 251; Pervo, Who Needs Friends?, S. 164. 87 Übersetzung: Was habt ihr an Orest und Pylades bewundert und sie mit göttergleicher Verehrung bedacht, und das obwohl sie bei euch Fremde und – was noch schwerer wiegt – Feinde waren? Denen nun gelang es, nachdem sie nach ihrem Schiffbruch von den damaligen Skythen ergriffen und abgeführt wurden, um der Artemis geopfert zu werden, die Wächter anzugreifen und die Wache zu überwältigen, dann töteten sie den König, ergriffen die Priesterin und raubten sogar die Göttin Artemis selbst, bevor sie in Eile fortsegelten, das skythische Gemeinwesen verlachend (Luc. Tox. 2). Zum mythischen Stoff s. v.a. E. IT; bei Euripides ist allerdings nicht von einem Schiffbruch der beiden Protagonisten an der skythischen Küste die Rede, vielmehr erhellt aus den vv. 103f.106–109. 1043.1327ff., daß sie ihr altes Schiff verborgen und am Ende sich darauf wieder eingeschifft haben; in den vv. 275–278 werden sie nur mit Schiffbrüchigen (ναυτίλοι ἐφθαρµένοι) verglichen (vgl. die kurze Zusammenfassung bei Zimmermann, Griechische Tragödie, S. 126). Zu sonstigen Vorkommen vgl. Rose, Gr. Mythologie, S. 82f.115f. mit Anm. 76 (S. 359).
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Freundschaft ab, die die beiden Gefährten in idealtypischer Weise verkörpert hätten; nebenbei erwähnt er noch, daß es schon allein bewunderungswürdig sei, wenn zwei Männer sich zu einer so weiten Reise auf dem fürchterlichen Schwarzen Meere aufmachten und sich seinen Gefahren und denen durch die genauso furchtbaren Küstenbewohner aussetzten.88 Angesichts dieser Auseinandersetzung entschließt man sich zu dem besagten Wettstreit über das rechte und bessere Verständnis und die rechte und bessere Praxis der Freundschaft. Für unsere Fragestellung ist nur eins der angeführten Beispiele von Relevanz: Mnesippos gibt als zweites Beispiel für die herausragenden Qualitäten griechischer Freundschaft die Geschichte von Euthydikos und Damon zum Besten (Luc. Tox. 19–21).89 Dies ist ein wahres Seeabenteuer, in dem mit den geläufigen Motiven geradezu gespielt wird: Die Begebenheit, die Mnesippos erzählt, habe er berichtet bekommen von einem Schiffsherrn bzw. -pächter (ναύκληρος) aus Megara namens Simylos, der sogar beschworen habe, das Erzählte mit eigenen Augen gesehen zu haben:90 Simylos sei um die Zeit des Untergangs der Plejaden mit einigen Menschen von Italien nach Athen gefahren; an Bord sei auch ein Gefährtenpaar aus Chalkis gewesen, namens Euthydikos und Damon, von denen der erste kräftig war, der zweite aber schwächlich. Nach diesen Vorbemerkungen zur Situation geht die Erzählung in den eigentlichen Seefahrtsbericht über; wir begegnen hier 88 Luc. Tox. 3: τὸ γὰρ δύο ὄντας οὕτω µέγα τόλµηµα τολµῆσαι καὶ τοσοῦτον ἀπὸ τῆς αὐτῶν ἀπάραντας ἐκπλεῦσαι ἐς τὸν Πόντον ἀπείρατον ἔτι τοῖς ῞Ελλησιν ὄντα πλὴν µόνων τῶν ἐπὶ τῆς Ἀργοῦς ἐς τὴν Κολχίδα στρατευσάντων, µὴ καταπλαγέντας µήτε τοὺς µύθους τοὺς ἐπ’ αὐτῷ µήτε τὴν προσηγορίαν καταδείσαντας ὅτι ἄξενος ἐκαλεῖτο, οἷα, οἶµαι, ἀγρίων ἐθνῶν περιοικούντων, καὶ ἐπειδὴ ἑάλωσαν, οὕτως ἀνδρείως χρήσασθαι τῷ πράγµατι καὶ µὴ ἀγαπῆσαι εἰ διαφεύξονται µόνον, ἀλλὰ τιµωρησαµένους τὸν βασιλέα τῆς ὕβρεως καὶ τὴν Ἄρτεµιν ἀναλαβόντας ἀποπλεῦσαι, πῶς ταῦτα οὐ θαυµαστὰ καὶ θείας τινὸς τιµῆς ἄξια παρὰ πάντων ὁπόσοι ἀρετὴν ἐπαινοῦσιν; (Übersetzung: Denn daß zwei Männer ein solches Wagnis auf sich nahmen, sich zu einer
Reise so weit von ihrem Heimatland aufmachten und in den Pontos hinaussegelten, auf den die Griechen noch keine Unternehmung geführt hatte, abgesehen von den Argonauten, die einen Feldzug nach Kolchis unternommen hatten, und [daß diese beiden] weder vor den Mythen über den Pontos in Erschrecken, noch in Furcht davor gerieten, daß er als ungastlich bezeichnet wird, was m.E. auf die ringsum wohnenden wilden Völker zurückzuführen ist, und daß sie, nachdem sie gefangen gesetzt worden waren, so männlich mit der Angelegenheit umgingen, indem sie sich nicht damit begnügten, bloß zu entkommen, sondern den König für seine Hybris bezahlen ließen und die Artemis an sich nahmen, und [daß sie dann erst] fortsegelten, warum sollte das nicht bewundernswert und einer göttlichen Verehrung würdig sein bei allen, die die Tugend loben?) – Vgl. zur Bennenung des Pontos als εὔξεινος im Zuge euphemistischer Umbildung eines ursprünglichen ἄξεινος (vielleicht unter Aufnahme von iranisch ak.ša¯enas): Danoff, Art. Pontos Euxeinos, Sp. 950–955, bes. Sp. 952f.; kürzer: Olshausen, Art. Pontos Euxeinos, Sp. 144; Danoff, Art. Pontos Euxeinos, Sp. 1051. 89 Dieser Text wurde auch in der Kommentarliteratur zur Apostelgeschichte schon im Vorübergehen beachtet: Vgl. etwa Conzelmann, Apostelgeschichte, S. 153.161f. (gr. Text der §§ 19f.). 90 Auch hier haben wir wieder einen Beleg für die häufige Betonung der Augenzeugenschaft des Gewährsmannes: . . . ἐποµοσάµενος ἦ µὴν αὐτὸς ἑωρακέναι τὸ ἔργον (Tox. 19).
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wieder dem typischen Übergang von der glücklichen Fahrt zum plötzlichen Aufkommen des Sturms: Ἄχρι µὲν οὖν Σικελίας εὐτυχῶς διαπλεῦσαι ἔφη ὁ Σιµύλος σφᾶς· ἐπεὶ δὲ τὸν πορθµὸν διαπεράσαντες ἐν αὐτῷ ἤδη τῷ ᾽Ιονίῳ ἔπλεον, χειµῶνα µέγιστον ἐπιπεσεῖν αὐτοῖς.91 Die Betonung der Plötzlichkeit
des Umschwungs von der guten Fahrt zur Not im Unwetter bleibt hier hinter anderen Seefahrtsberichten zurück.92 Was jedoch dann folgt, ist eine Besonderheit, die zeigt, wie kreativ und kritisch Lukian mit den gewöhnlichen Topoi der Sturmbeschreibung umzugehen vermag (Tox. 19): καὶ τὰ µὲν πολλὰ τί ἄν τις λέγοι, τρικυµίας τινὰς καὶ στροβίλους καὶ χαλάζας καὶ ἄλλα ὅσα χειµῶνος κακά;
Und die vielen Einzelheiten (sc. die zu einem Seesturm gehören), warum soll man sie erzählen, die riesigen Wogen, die Wirbelwinde und Hagelstürme, und was sonst noch alles Üble in einem Sturm geschieht?
Der Erzähler erspart seinem Zuhörer die vielen Einzelheiten, die zu einer ordentlichen Seesturmbeschreibung gehören: Man hat es hier offenbar mit einer wie nebenbei ausgesprochenen Kritik Lukians an den allzu stereotypen und zu billiger Dramatisierung neigenden Sturmerzählungen zu tun. Pervo hat recht, wenn er die Auffassung vertritt, daß Lukian seinen Mnesippos die verschiedenen Motive des geläufigen Topos nur durch die bloße Nennung aufrufen zu lassen braucht, um so ein ganzes literarisches Bezugsfeld bereitzustellen;93 gleichzeitig ist damit natürlich auch besonders feinsinnig Kritik an der Dutzendware »Sturmbeschreibung« ausgesprochen. Andeutungen bei Iuvenal sind dazu aufschlußreich: In seiner ersten Satire legt dieser Rechenschaft ab über sein schriftstellerisches Tun und übergießt dabei andere dichterische Dutzendware mit Spott, u.a. zählt er auf, was in dieser Dutzendware alles bis zum Überdruß geboten wird: Qualen in der Unterwelt, das goldene Vlies, und darunter eben auch: quid agant uenti (Juv. 1,9: . . . was die Winde treiben . . . ). Das wird sich hier auf die geläufigen Sturmszenen in der Epik beziehen.94 In Iuvenals zwölfter 91 Tox. 19; Übersetzung: Bis Sizilien seien sie glücklich gefahren, berichtete Simylos; nachdem sie aber die Meerenge passiert hätten und schon im Ionischen Meer segelten, sei ein gewaltiger Sturm über sie gekommen. 92 Man vergleiche etwa zur Erwähnung einer plötzlichen Windänderung, die dann oft (aber nicht immer) zu einer eigentlichen Sturmbeschreibung überleitet, oder dem plötzlichen Hereinbrechen des Sturms überhaupt: Ninos C 11–14 (s. zur Problematik dieser Stelle aber oben); Charito III 3,10.18; Herpyllis II 17–21.24–26; X.Eph. III 2,12; Ach.Tat. III 1,1; Hld. V 27,1f.; Arr. Peripl.M.Eux. 3,3; Luc. Nav. 7; VH I 9; II 47; und nicht zuletzt Apg 27,14. 93 Pervo, Who Needs Friends?, S. 168 mit Anm. 28: »Mnesippos need to do no more than enter by title the motifs of this topos« (Zitat Anm. 28). 94 Susanna Morton Braund meint sogar, die kritische Behandlung epischer Stoffe in Juv. 1,7–13 beziehe sich auf ein ganz bestimmtes Werk: »J.[uvenal] is apparently here attacking one particular
4.2 Lukian von Samosata
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Satire, die den Schiffbruch des Catull dichterisch ausmalt, stößt man darüber hinaus auf eine halb bedauernde, halb entschuldigende Äußerung darüber, daß Unwetter und Stürme in der Dichtung immer ein so gewaltiges Ausmaß annehmen.95 Diese Bemerkung ist in der Haltung gut mit unserer Stelle bei Lukian vergleichbar: Der Motivkomplex der Sturmbeschreibung wird literarisch in Dienst genommen, aber gleichzeitig distanziert sich der Erzähler vom allzu Geläufigen.96 Ich werte diese Stelle neben anderen als zusätzlichen Beleg dafür, daß wir stereotype Sturmdarstellungen, wie sie uns in unterschiedlich kunstvoller Form in den Romanen und anderswo begegnen, in weit größerer Zahl annehmen müssen, als sie uns überliefert sind. Anschließend kommt Mnesippos auf die Situation des Schiffs im Sturm zu sprechen. Man sei schon in die Nähe der Insel Zakynthos getrieben worden, wobei man mit bloßer Rah fuhr.97 Die Schiffer hatten also angesichts des Sturms die Maßnahme ergriffen, die Segel nicht nur zu kürzen, sondern vollständig zu reffen bzw. sogar ganz einzuholen;98 die Maßnahme ist verständlich und sinnvoll, da ein zu heftiger Sturm ansonsten nicht nur die Takelage, sondern das gesamte Schiff gefährden würde, so bietet man nämlich dem Wind geringere Angriffsfläche. Die Kürzung der Segel (und z.T. das vollständige Einholen der Segel) findet sich des öfteren in den Sturmerzählungen99 und gehört zu einem wichtigen Element dieser Erzählungen bzw. des betreffenden Motivkomplexes, nämlich den nautischen Gegenmaßnahmen.100 Als weitere solche Maßnahme muß wohl eingestuft werden, daß man offenbar Sturmtaue auswirft und diese nachschleppt, um den Ansturm der Wogen oder die ungestüme Fahrt in irgendeiner Weise zu mildern; so viel scheint aus der work and author, the Argonautica of Valerius Flaccus« (Braund, Book I, S. 76, vgl. auch S. 76f.). Bei Valerius Flaccus findet sich eine typisch epische Sturmszene in V.Fl. I 608–658. 95 Juv. 12,22–24: omnia fiunt talia, tam grauiter, si quando poetica surgit tempestas (Übersetzung: Alles wird so groß und so heftig, wenn in der Dichtung einmal ein Sturm aufzieht). – Vgl. zu beiden Iuvenal-Stellen: Schmitz, Das Satirische, S. 36 mit Anm. 44. 96 Vgl. zur Distanzierung vom Klischee der geläufigen Sturmbeschreibungen auch den Autorenkommentar in der Stelle: Synes. ep. 4,162a–b; zur Parodie auf Sturmszenen siehe auch: Petr. 114f.; Luc. VH I 6. Vgl. weiterhin die kurze Zusammenstellung bei Luc. Merc.Cond. 1. 97 Tox. 19: ἐπεὶ δὲ ἤδη σφᾶς κατὰ τὴν Ζάκυνθον εἶναι ἀπὸ ψιλῆς τῆς κεραίας πλέοντας . . . – Übersetzung: Als sie schon in der Nähe von Zakynthos waren, wobei sie unter entblößter Rah fuhren . . . 98 Wie diese Maßnahme genau vorzustellen ist, hängt freilich vom Typ des Schiffes ab; darüber werden wir aber in unserer Szene nicht informiert. 99 Vgl. zur Kürzung bzw. Einholung der Segel: Synes. ep. 4,163c, wo die Maßnahme aber schon technisch am nicht gängigen laufenden Gut scheitert; 4,164c–d, wo sich das Segel wiederum nicht einholen läßt, die Gewalt des Windes aber die Segelstange krachen und zerbrechen läßt. 100 In vielen Sturmerzählungen scheitern diese Gegenmaßnahmen, um die Lage noch dramatischer zu zeichnen: Herpyllis II 26–28; Ach.Tat. III 1,1f.; Apg 27,15; und auch die eben angeführte Stelle Synes. ep. 4,163c.
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unmittelbar folgenden Formulierung hervorzugehen: ἔτι καὶ σπείρας τινὰς ἐπισυροµένους, ὡς τὸ ῥόθιον ἐπιδέχεσθαι τῆς ὁρµῆς . . . 101 Doch wie ist das im ὡς-Satz angegebene Ziel der Maßnahme genau zu verstehen? Versteht man im zuerst genannten Sinne – wie geläufig – τὸ ῥόθιον als brausende Woge, brausender Wogenschlag, so ergibt der ὡς-Satz keinen Sinn; man müßte schon eine Vertauschung annehmen und den Ausdruck wie ἐπιδέχεσθαι τὴν ὁρµὴν τοῦ ῥοθίου verstehen: den Ansturm des brausenden Wogenschwalls aufnehmen/abfangen, in welchem Sinne Christoph Martin Wieland übersetzt hatte.102 Doch bleibt das unbefriedigend! Weil er die Verwendung des Verbums ἐπιδέχεσθαι überhaupt, aber die hier stehende Formulierung im besonderen für verkehrt hält, hat J.N. Madvig die Konjektur τὸ ῥόθιον ἐπέχεσθαι τῆς ὁρµῆς angebracht.103 Das wäre eine sinnvolle Lösung, die dann zu verstehen wäre als: damit der brausende Wogenschwall in seinem Ansturm nachlasse. Problematisch ist nun dabei, daß diese Angabe recht unpräzise wäre, weil die Taue – wenn sie denn den Wogenandrang bremsen sollen – ja keineswegs die Wogen selbst in ihrem Ansturm zum Nachlassen bringen können oder gar dazu, vom Ansturm abzustehen, vielmehr scheinen sie die Wogen doch tatsächlich abfangen zu sollen, so daß die Auswirkungen auf das Schiff gemindert werden. Daher wäre es wohl zu erwägen, τὸ ῥόθιον hier anders, nämlich im generellen Sinne einer schwungvollen, stürmischen Bewegung zu verstehen,104 also etwa: um die stürmische Bewegung des Andrangs (der Wogen) aufzufangen. Schwierig bleibt die Stelle trotzdem. Festzuhalten ist, daß diese Sturmtaue bei den eben gebotenen Deutungen das Schiff vor den Wogen (zumindest geringfügig) schützen sollen; sie haben also eine ganz andere Funktion als die viel diskutierten Treibanker, die die Fahrt des Schiffs im Sturm bremsen sollen. Oder ist diese Funktion auch den hier verwendeten Tauen (σπεῖραι) zuzuschreiben? Dann müßte man die ὁρµή auf die Fahrt des Schiffs beziehen, so daß man unter Zugrundelegung eines allgemeinen Sinns von τὸ ῥόθιον (s.o.) übersetzen könnte: . . . um die stürmische Fahrt etwas Man muß hier schon vom Nachschleppen ausgehen! Daß die σπεῖραι irgendwie um oder über das Schiff gezogen/gelegt wurden, kann man der Weise, wie ἐπισύρειν hier verwendet wird, nicht entnehmen; daher sind sie auch keineswegs mit den ὑποζώµατα der attischen Trieren oder mit dem ὑποζωννύναι von Apg 27,17 in Verbindung zu bringen, wie Cadbury, ῾Υποζώµατα, S. 347, Anm. 3, zunächst erwägt, diese Zusammenstellung dann aber doch zurecht ablehnt. 102 ». . . um die Gewalt der Wellen ein wenig dadurch zu brechen . . . « (Hanns Floerke [Hrsg.], Lukian: Sämtliche Werke. Mit Anmerkungen. Nach der Übersetzung von C.M. Wieland bearbeitet und ergänzt. Band III, München/Leipzig 1911, S. 233). 103 Diese Konjektur findet sich in den modernen Ausgaben im Apparat, z.B. MacLeod, Tom. III, S. 235. Madvig begründet seine Konjektur: »Et ipsum verbum ἐπιδέχεσθαι de excipiendo et avertendo impetu æstus pravum est et pravissimum ἐπιδέχεσθαι τὸ ῥόθιον τῆς ὁρµῆς (pro eo, quod est ἐπιδέχεσθαι τὴν ὁρµὴν τοῦ ῥοθίου). Scribendum: ὡς τὸ ῥόθιον ἐπέχεσθαι τῆς ὁρµῆς, ut æstus impetu privaretur« (Madvig, Adversaria critica I, S. 694). 104 S. hierzu LSJ, s.v. ῥόθιος II, S. 1573 (mit Verweis u.a. auf unsere Stelle). 101
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Abbildung 4.1: Anbringung und Führung von Schlepptrossen beim Ablaufen vor dem Sturm.
zu bremsen; in ähnlicher Weise hatte A.M. Harmon übersetzt.105 Einen Hinweis darauf, daß die σπεῖραι die gleiche Funktion haben wie ἄγκυραι, kann man darin erkennen, daß sie bei Plutarch in De garrulitate nebeneinander stehen, und zwar zu ein und demselben Zweck, nämlich – und hier ausdrücklich – (zumindest etwas) Fahrt aus dem Schiff zu nehmen: νεὼς µὲν γὰρ ἁρπαγείσης ὑπὸ πνεύµατος ἐπιλαµβάνονται σπείραις καὶ ἀγκύραις τὸ τάχος ἀµβλύνοντες.106 In der Tat scheint einem derartigen Vorgehen zumindest bei kleineren Fahrzeugen einiger Erfolg beschieden zu sein, wird doch in Seemannschaft – Handbuch für den Yachtsport das Ausbringen von Schlepptauen empfohlen, um beim Ablaufen vor dem Sturm die Fahrt zu vermindern oder das Querschlagen unwahrscheinlicher zu machen.107 Breusing will nun auch alle drei Funktionen den Schlepptrossen zuweisen: Hemmung der Fahrt des Schiffes, Stabilisierung des 105 ». . . to check the fury of their driving . . . « (Harmon, Vol. V, S. 137); hier müßte man dann aber wieder fragen, ob ἐπιδέχεσθαι das treffende Wort ist (s.o. zur Konjektur von Madvig). 106 Plu. Moralia 507A–B (De garrulitate); Übersetzung: Wenn nämlich ein Schiff vom Sturm fortgerissen wird, so greift man zu Tauen und Ankern, um damit die Fahrt zu drosseln. 107 Seemannschaft24 , S. 210: »Macht das Boot noch zu viel Fahrt oder aber um die Gefahr des Querschlagens zu verringern, bringt man Trossen übers Heck aus. Ihre Tampen werden auf beiden Seiten des Achterschiffs belegt, so daß die Trossen in Buchten nachschleppen, an die man gegebenfalls noch zusammengebändselte Fender oder ähnliches stecken kann, um den Schleppwiderstand zu erhöhen« (vgl. auch die Abb. auf S. 209 [= unsere Abb. 4.1 (S. 145)]). Die Passage aus der Seemannschaft ist auch angeführt bei: Kettenbach, Logbuch, S. 148, der sich hier mit der Frage nach dem Treibanker in Apg 27,17 auseinandersetzt, aber zu einem negativen Urteil kommt (S. 146–149); für die σπεῖραι räumt er jedoch grundsätzlich diese Funktion ein, auch wenn sie nur bei kleineren Schiffen wirkungsvoll sein dürften (s. unten z.St. S. 370ff.).
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Kurses vor dem Wind, Schutz vor Sturzwellen/Brechern.108 Von daher kommen wir über die Erhebung der sachlichen Verhältnisse einem sicheren Verständnis der Stelle kaum näher: Sicher ist nur, daß man auf dem Schiff, von dem hier berichtet wird, Schlepptrossen ausgebracht hat; welcher der möglichen Zwecke dabei im Vordergrund steht, bleibt dunkel. Die Schilderung geht nun ihrem Höhepunkt entgegen, indem sie diejenige Situation entfaltet, in der der exemplarische Freundschaftsbeweis am Platze ist: Der schwächliche Damon nämlich habe sich in seiner Seekrankheit des Nachts über die Reling gebeugt, um sich zu übergeben; da neigte sich das Schiff just auf diese Seite, und eine Woge habe ihn mit fortgestoßen, so daß er kopfüber ins Meer gestürzt sei (Luc. Tox. 19): . . . περὶ µέσας νύκτας οἷον ἐν τοσούτῳ σάλῳ ναυτιάσαντα τὸν Δάµωνα ἐµεῖν ἐκκεκυφότα109 ἐς τὴν θάλασσαν· εἶτα, οἶµαι, τῆς νεὼς βιαιότερον ἐς ὃ ἐκεκύφει µέρος ἐπικλιθείσης καὶ τοῦ κύµατος συναπώσαντος, ἐκπεσεῖν αὐτὸν ἐπὶ τὴν κεφαλὴν ἐς τὸ πέλαγος, . . . .
. . . mitten in der Nacht habe sich Damon, der unter den Schiffsbewegungen derart seekrank geworden war, zum Meer hinausgebeugt, um sich zu übergeben; dann, glaube ich, als das Schiff sich recht heftig auf die Seite neigte, zu der er sich hinausgebeugt hatte, und die Woge ihn zusammen mit sich wegstieß, da fiel er kopfüber ins Meer . . . .
Ausdrücklich fügt der Erzähler hinzu, daß Damon ja bekleidet war und so gewaltige Schwierigkeiten mit dem Schwimmen hatte und sich kaum über Wasser halten konnte; dem Ersticken nah rief er aus Leibeskräften um Hilfe.110 Mit § 20 tritt nun der kräftigere Freund Euthydikos wieder auf, der die Hilfeschreie seines Freundes hört und sich flugs ins Meer wirft, seinerseits wohlgemerkt
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Mit bezug auf unsere Stelle, die er aber im Sinne, daß das Schiff geschützt werden soll, interpretiert: Breusing, Nautik der Alten, S. 179–181, beachte zu den verschiedenen Funktionen der Schlepptrossen bes. S. 179, wo er erklärt: »Die über Bord geworfenen σπεῖραι dienten nun aber nicht bloß, um die Fahrt des Schiffes zu hemmen und es, wenn die Steuerremen gebrochen waren oder nicht gebraucht werden konnten, vor den Wind zu halten; sie schützten es auch vor den Sturzwellen, denn an ihnen brach sich die See.« Vgl. zum Verständnis unserer Lukian-Stelle im Sinne eines Schutzes vor den Wogen auch Conzelmann, Apostelgeschichte, S. 153. 109 Das ἐκκεκυφότα ist Konjektur von Madvig gegen das überlieferte ἐγκεκυφότα: Madvig, Adversaria critica I, S. 694. 110 Luc. Tox. 19: . . . οὐδὲ γυµνὸν τὸν ἄθλιον, ὡς ἂν καὶ ῥᾷον δύνασθαι νεῖν. εὐθὺς οὖν βοᾶν πνιγόµενον καὶ µόγις ἑαυτὸν ὑπερέχοντα τοῦ κλύδωνος (Übersetzung: . . . und der Arme war nicht einmal nackt, dann hätte er wohl auch leichter schwimmen können. Bald schrie er dann um Hilfe, weil er schon am Ersticken war und sich selbst kaum oberhalb der Wogen halten konnte). – Unter den Kleidern leidet auch der homerische Odysseus, so daß es ihm kaum gelingt, wieder aufzutauchen: Od. V 319–321; nach der Zertrümmerung seines Floßes wirft er diese Kleider ab und begnügt sich mit dem schützenden Schleier der Ino: vv. 372f.
4.2 Lukian von Samosata
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unbekleidet.111 Er greift gleichsam als Rettungsschwimmer ein und hält seinen Freund über Wasser (§ 20): . . . καὶ καταλαβόντα τὸν Δάµωνα ἤδη ἀπαγορεύοντα – φαίνεσθαι γὰρ ἐπὶ πολὺ ταῦτα τῆς σελήνης καταλαµπούσης – συµπαρανήχεσθαι καὶ συγκουφίζειν.
. . . er schnappte den Damon, der schon dabei war aufzugeben – das war nämlich gut zu sehen, weil der Mond es beleuchtete –, schwamm neben ihm und erleichterte ihm so das Schwimmen.
Zunächst ist etwas ganz besonders Auffälliges zu bemerken: In Parenthese wird hier eingefügt, daß das Ganze gut zu beobachten gewesen sei, weil der Mond hell schien. Es ist also vorauszusetzen, daß inzwischen der Himmel frei geworden ist; es scheint vielleicht nicht unbedingt schon sternklare Nacht zu herrschen, aber auch von einem wolkenverhangenen Himmel kann keine Rede mehr sein. Das steht im Widerspruch zur in § 19 eröffneten Sturm-Szenerie (s.o.), wenigstens die hier erwähnten Hagelstürme (χάλαζαι) kann man sich jetzt nicht mehr vorstellen. Sachlich wird man wohl davon auszugehen haben, daß der eigentliche Sturm schon vorüber ist, und nunmehr Starkwind mit enorm aufgewühlter See herrscht. Von einer Wetterveränderung, die dem Leser die überraschende Bemerkung verständlich machen würde, war aber nicht einmal in Andeutung etwas zu lesen. Erzählerisch ist die Bemerkung dahingehend zu verstehen, daß die Szene als glaubwürdiger Bestandteil des Berichts des Simylos gelten darf, der ja an Bord des Schiffes zu denken ist.112 Der Mondschein ist Voraussetzung dafür, daß er Zeuge des Geschehens in allen seinen Einzelzügen sein kann. Aber, so mag man fragen, ist der Preis dafür nicht zu hoch? Darf man annehmen, daß die erzählerisch nicht gedeckte Wetterveränderung in Kauf genommen wurde, um die Möglichkeit des Berichts aus der Perspektive des Schiffsherrn zu sichern? Mir scheint, daß es kaum angeht, Lukian hier eine Unachtsamkeit zu unterstellen; vielmehr gewinnt auch diese Nuance ihren Sinn, wenn sie im Rahmen der Charakterisierung des Mnesippos interpretiert wird, der ja diese Episode erzählt: Dieser erweist sich, so wie Lukian ihn insgesamt zeichnet, auch mit dieser 111 Luc. Tox. 20: Τὸν δὲ Εὐθύδικον, ὡς ἤκουσε – τυχεῖν δὲ γυµνὸν ἐν τῇ εὐνῇ ὄντα – ῥῖψαι ἑαυτὸν εἰς τὴν θάλασσαν . . . (Übersetzung: Euthydikos aber, der gerade nackt auf seinem Lager
ruhte, warf sich in die Flut, als er [die Hilfeschreie] hörte . . . ). 112 Daß Mnesippos sich auf Simylos als Gewährsmann bezieht, ist schon ganz am Anfang deutlich geworden (§ 19). Späterhin betont er nochmals ausdrücklich, daß das in den §§ 19f. Berichtete ausschließlich auf die Darstellung des Schiffsherrn zurückzuführen ist; mehr konnte er nicht sagen, weil er nicht mehr sehen konnte, was natürlich die Glaubwürdigkeit des Erzählten unterstreicht: ὁ µὲν γὰρ Σιµύλος ταῦτα µόνα εἶχε λέγειν ἅ ποτε εἶδε τῆς νυκτός, τὸν µὲν ἐκπίπτοντα, τὸν δὲ ἐπιπηδῶντα, καὶ νηχοµένους ἐς ὅσον ἐν νυκτὶ καθορᾶν ἐδύνατο (Luc. Tox. 21; Übersetzung: Nur
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4 Satiren und Burlesken
Parenthese als der typische Schwätzer, der zur Überdramatisierung neigt. Hat er zunächst einen Sturm in topischer Weiser andeutend vor Augen gemalt, und sich gleichzeitig von der Dutzendware solcher Sturmbeschreibungen distanziert, so braucht er diesen geläufigen Sturm hier nicht mehr, weil nun das Leiden des Schwimmenden und seines Retters anschaulich (und eben vermeintlich glaubwürdig überliefert) dargestellt werden soll. Es ist fast so, als würde der Sturm hier erzählerisch durchbrochen, nur um das spot light jetzt auf die Szene im Wasser zu richten, und dafür muß nun der helle Mond her. Lukian gelingt es so meisterhaft, seinen Mnesippos sich in der Absicherung der Glaubwürdigkeit des Berichteten und der Ausleuchtung der Szene, im wahrsten Sinne des Wortes, abmühen zu lassen, ihn dabei aber die durch die Erwähnung des Mondscheins eigentlich angestrebte Glaubwürdigkeit wieder unterminieren zu lassen, indem eben das gewaltige Unwetter in seiner topischen Gestalt plötzlich ausgeblendet wird, ohne daß Mnesippos darüber ein Wort verliert. Abgesehen von diesem erzählerischen Detail haben wir hier, wenn man so will, eine »Rettungsschwimmer«-Szene vor uns; etwas Vergleichbares bieten die Ephesiaka des Xenophon in einer kurzen Reisebeschreibung: Nachdem ihr Schiff gekentert war, hilft Hippothoos seinem Eromenos Hyperanthes beim Schwimmen, indem er sich unter ihn schiebt und es ihm so leichter macht (X.Eph. III 2,12).113 Hyperanthes schafft es aber nicht, sondern stirbt schließlich vor Erschöpfung, sein Erastes errichtet ihm an Land ein Grabmal (2,13). Ob die Rettungsaktion in unserem Fall gut ausgeht, werden wir gleich sehen; der Erzähler, Mnesippos, hält sich mit dem Ausgang der Geschichte auch betont zurück.114 Gerettet sind die beiden Freunde nun nämlich noch nicht: Es herrscht noch immer heftiger Wind, so daß es den Mitreisenden und der Besatzung des Schiffes unmöglich ist, den Schwimmenden direkt zu helfen. Sie versuchen aber von ferne das, was ihnen möglich ist: So werfen sie den Schwimmenden Korkstücke und Stangen zu, die ihnen helfen könnten, sich über Wasser zu halten, am Ende werfen sie sogar noch die große Schiffsleiter als Rettungsmittel über Bord.115 das hatte Simylos zu erzählen, was er eben in jener Nacht sah, wie der eine über Bord ging, der andere herzu sprang und beide schwammen, soweit er es bei Nacht beobachten konnte). 113 Hier ist von κουφοτέραν τὴν νῆξιν ποιεῖσθαι die Rede. Zu vergleichen ist schließlich auch Apg 27,44, die Deutung von οὓς δὲ ἐπί τινων τῶν ἀπὸ τοῦ πλοίου ist allerdings fraglich; s. z.St. unten S. 400. 114 Er berichtet ja nach eigenen Angaben zunächst nur das, was Simylos ihm erzählen konnte (§ 21). 115 Luc. Tox. 20: πλὴν ἐκεῖνά γε ποιῆσαι, φελλούς τε γὰρ πολλοὺς ἀφεῖναι αὐτοῖς καὶ τῶν κοντῶν τινας, ὡς ἐπὶ τούτων ἀπονήξαιντο, εἴ τινι αὐτῶν περιτύχοιεν, καὶ τέλος καὶ τὴν ἀποβάθραν αὐτὴν οὐ µικρὰν οὖσαν (Übersetzung: Sie konnten nur jenes tun, nämlich zahlreiche Kork-
stücke nach ihnen auswerfen und einige Stangen, so daß sie auf ihnen schwimmen könnten, wenn sie
4.2 Lukian von Samosata
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Interessant sind hier die Korkstücke; um was handelt es sich dabei genau bzw. zu welchem Zweck hat man sie an Bord? Sind es eigens für den hier vorliegenden Zweck vorgesehene Rettungsbojen, wie Breusing annimmt,116 oder handelt es sich um sog. Ankerbojen, die gewährleisten sollten, daß man den Anker für den Fall, daß die Ankertaue rissen, wiederfinden und bergen konnte, bzw. um Material, das für diese Ankerbojen bevorratet wurde?117 Für seine Deutung als Rettungsbojen führt Breusing keine weiteren Belege an, will aber mit der Annahme solcher Rettungsbojen erklären, daß beim Schiffbruch des Josephus sich immerhin 80 Menschen von den angeblich insgesamt 600 Passagieren retten konnten, indem sie die ganze Nacht hindurch geschwommen seien.118 Von irgendwelchen Rettungsmitteln ist aber bei Josephus auch nicht im geringsten die Rede. Neuburger leistet sich zwar in seinem kurzen Überblick überhaupt keine Angabe von Belegstellen,119 aber es lassen sich für die von ihm gemeinten Ankerbojen einige Belege beibringen; hier wird jedoch zumeist die Kennzeichnungsfunktion herausgestellt, was ja aber die Voraussetzung dafür ist, den Anker im Sinne Neuburgers wiederzuerlangen.120 Mir scheint, daß Kork-
denn irgendeines Gegenstands davon habhaft würden, und schließlich warfen sie sogar die Schiffsleiter über Bord, die von nicht geringer Größe war). 116 Breusing, Nautik der Alten, S. 180. 117 Neuburger, Technik, S. 503. 118 J. Vit. 3 (§ 15): βαπτισθέντος γὰρ ἡµῶν τοῦ πλοίου κατὰ µέσον τὸν Ἀδρίαν περὶ ἑξακοσίους τὸν ἀριθµὸν ὄντες δι’ ὅλης τῆς νυκτὸς ἐνηξάµεθα . . . (Übersetzung: Nachdem unser Schiff mitten in der Adria untergegangen war, mußten wir – zahlenmäßig waren wir um die sechshundert – die ganze Nacht über schwimmen . . . ). 119 Er notiert lediglich: »Schon um 500 v.Chr. wurden Ankerbojen, mit Korkstücken gefüllte korbartige Geflechte aus Tauen (σαργάνη) verwendet, die beim Bruch des Ankertaus die Wiedererlangung des Ankers ermöglichen sollten« (Neuburger, Technik, S. 503). 120 Vgl. beispielsweise die Stelle Paus. VIII 12,1, wo der Perieget einen kurzen Exkurs über drei Baumarten Arkadiens einfügt, die er allesamt mit Eiche (δρῦς) betitelt, und dabei zur dritten bemerkenswerten Art sagt: αἱ τρίται δὲ ἀραιὸν τὸν φλοιὸν καὶ οὕτω δή τι παρέχονται κοῦφον, ὥστε ἀπ’ αὐτοῦ καὶ ἐν θαλάσσῃ ποιοῦνται σηµεῖα ἀγκύραις καὶ δικτύοις· ταύτης τῆς δρυὸς τὸν φλοιὸν ἄλλοι τε ᾽Ιώνων καὶ ῾Ερµησιάναξ ὁ τὰ ἐλεγεῖα ποιήσας φελλὸν ὀνοµάζουσιν (Übersetzung: Die
Dritten bringen aber einen schwammigen und irgendwie so leichten Bast hervor, daß man aus ihm sogar auf dem Meere Markierungen für Anker und Netze herstellt; den Bast dieser Eiche nennen andere Ionier und Hermesianax, der Elegien gedichtet hat, Kork). – Diese von Pausanias hervorgehobene Eigenschaft des Materials Kork scheint unsern Autor Lukian begeistert zu haben, er setzt das Material auch in VH II 4 ein, wo die auf dem Meere laufenden Korkfüßer (Φελλόποδες) erwähnt werden, die für das Phänomen des Wandelns auf dem Wasser relevant sind (Mk 6,45–52parr, vgl. dazu Betz, Lukian, S. 166f). Pervo, Who Needs Friends?, S. 168, Anm. 29, führt im Zusammenhang mit dem Material auch Philops. 13 an; hier ist allerdings keineswegs von Kork die Rede. Der über das Wasser wandelnde Hyperboreer trägt vielmehr grobes Schuhwerk (καρβάτιναι), Kork dagegen wäre den Darstellungsabsichten an dieser Stelle ganz und gar hinderlich; die Stelle ist in bezug auf das Wandeln auf dem Wasser vergleichbar, nicht aber in bezug auf das Material Kork.
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4 Satiren und Burlesken
stücke in größerer Menge in erster Linie für die Bestückung der Ankerbojen auf den Schiffen mitgeführt wurden; daß dann diese Korkstücke im Notfall auch zur Hilfeleistung, wenn etwa, wie in unserem Fall, jemand über Bord gegangen war, eingesetzt werden konnten, steht außer Frage. Das wäre dann ein zweiter Einsatzbereich für dieses Korkmaterial.121 Schiffbrüchige retten sich ansonsten zuweilen auf Brettern oder ähnlichem, also Trümmern, die das Unglück zur Verfügung stellt;122 man nimmt eben das, was man bekommen kann, um sich das Schwimmen zu erleichtern.123 Im Unterschied dazu werden hier ja mit den Korkstücken gezielt Hilfsmaßnahmen vom Schiff aus eingeleitet. Dabei wird zu guter Letzt sogar auch die große Schiffsleiter (ἀποβάθρα) eingesetzt. Bemerkenswerterweise bricht Mnesippos hier seine Darstellung der Ereignisse zunächst ab, ohne den Ausgang berichtet zu haben. Stattdessen lenkt er noch einmal den Blick zurück, um den Freundschaftsbeweis, den Euthydikos dem Damon erwiesen habe, um so eindrücklicher und größer darstellen zu können; dabei stellt er die ganze Szenerie dem Zuhörer noch einmal zusammenfassend vor Augen, ja er malt sie sogar, und das in zwei Perspektiven: In einem ersten Schritt geht er zur Darstellung des Sturms an sich zurück und benutzt dabei die geläufigen Elemente.124 Er greift vier auch sonst gebräuchliche Topoi der Sturmbeschreibung heraus: den Kampf der Wogen gegeneinander,125 das Brausen und
121 Vgl. hierzu Casson, Ships, S. 257 mit Anm. 133; er stellt fest: »Pieces of cork were a regular part of a ship’s equipment, serving both as marking buoys for anchors or the like and as life preservers« (S. 257). Für die Funktion als Rettungsmittel führt Casson auch lediglich unsere Stelle Tox. 20 an (S. 257, Anm. 133, die Anmerkung bietet aber weitere, über Paus. VIII 12,1 hinausgehende Belege für die Kennzeichnungsfunktion). 122 Siehe schon bei Homer Od. V 368–375, wo Odysseus aber, nachdem ihm sein Floß zerschmettert worden ist, noch einen der Balken ergattern kann und rittlings darauf zu sitzen kommt, aber nur um sich der lästigen Kleider zu entledigen (v. 372), dann ins Wasser zu springen und sein Glück als Schwimmer zu versuchen (vv. 374f.), wie er es sich vorgenommen hatte (v. 363f.); vgl. weiterhin zur eigentlichen Rettung auf Schiffsbrettern u.ä.: AP VII 289,2; IX 269,1f.; Hist.Ap. 12; X.Eph. II 11,10; Ach.Tat. III 5,1; TestNaph VI 6; Apg 27,43f.; A.Jo. (Prochoros, Zahn, S. 9, Z. 3–7); Chrys. Thdr. II 5 (SC 117, Lettre 5,34f. [S. 74]; PG 47, 315). 123 Vgl. auch die Szene, wo sich Daphnis auf mit ins Wasser geworfenen Tieren rettet: Longus I 30,2–31,1. 124 Luc. Tox. 20: καί µοι ἐπ’ ὀφθαλµῶν λαβὲ τὴν ἐπανάστασιν τῶν κυµάτων, τὸν ἦχον τοῦ ὕδατος ἐπικλωµένου, τὸν ἀφρὸν περιζέοντα, τὴν νύκτα καὶ τὴν ἀπόγνωσιν (Übersetzung: Stell’ dir doch die Lage lebhaft vor Augen, den Aufstand der Wogen gegeneinander, das Getöse der sich brechenden Wassermassen, den ringsum aufkochenden Schaum, die Nacht, ja, die Verzweiflung). 125 Vgl. hierzu etwa Synes. ep. 4,162a; gern wird in diesem Zusammenhang das Stichwort στάσις benutzt: ep. 4,162a.164b; Ach.Tat. III 2,2.8 (µάχη); Herpyllis II 42. Hier bei Lukian ist von ἐπανάστασις die Rede.
4.2 Lukian von Samosata
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Tosen,126 den Schaum, die Dunkelheit.127 Gipfeln läßt er diese erste Perspektive dann mit der Diagnose: ἀπόγνωσις – Verzweiflung. In einem zweiten Schritt blickt er auf das Schicksal der beiden in Not geratenen Menschen und hebt dabei deren verzweifelte Versuche, sich zu retten, hervor.128 Dabei wird als besonderes Charakteristikum echter Freundschaft darauf verwiesen, daß es dem Freunde in der gefahrvollen Situation darum gehe, das Leben des Freundes zu retten, nicht sein eigenes; all sein Sorgen sei darauf gerichtet, daß der Freund ja nicht vor ihm selbst stürbe.129 Damit ist die entscheidende Hinführung zum Abschluß dieses Erzählabschnitts gegeben, der die zusammenfassende Feststellung bietet, daß dieser hier als Beispiel angeführte Euthydikos ein ganz herausragender Freund sei.130 Den Zuhörer Toxaris interessiert nun freilich, wie die Geschichte ausgeht, was Mnesippos ja um der von ihm angestrebten Dramatisierung willen bisher aufgeschoben hatte; Toxaris muß dazu erst intervenieren und fragt besorgt: Πότερον δὲ ἀπώλοντο, ὦ Μνήσιππε, οἱ ἄνδρες, ἤ τις αὐτοῖς ἐκ παραλόγου σωτηρία ἐγένετο;131 Sein Gesprächspartner kann ihn beruhigen, sie seien gerettet worden (θάρρει, ὦ Τόξαρι, ἐσώθησαν132 ) und studierten jetzt beide in Athen Philoso-
phie; das schickt er voraus, um dann, wie schon oben erwähnt, das bisherige Versäumnis damit zu entschuldigen, daß er bis hierher nur das berichtet habe, was er von Simylos erfahren konnte, das folgende – und eben die Rettung – sei ihm aus dem Umfeld des Euthydikos (οἱ ἀµφὶ τὸν Εὐθύδικον αὐτοί) zugetra126 Vgl. etwa Ach.Tat. III 2,8, wo das Rauschen der Flut mit anderen Geräuschen und anderem Lärm zu einem furchteinflößenden Gesamtklang zusammengestellt wird; vgl. zu ἦχος auch Ach.Tat. III 2,3, dort allerdings von der Luft. 127 Vgl. zur Dunkelheit in uns interessierenden Erzählungen: Charito III 3,10; Herpyllis II 50.53; Ach.Tat. III 1,1; 2,2; Petr. 114,1.3; Luc. VH I 6; Aristid. Or. XLVIII 65; und auch Apg 27,20. 128 Luc. Tox. 20: . . . εἶτα ἀποπνιγόµενον ἐκεῖνον καὶ µόγις ἀνακύπτοντα καὶ τὰς χεῖρας
ὀρέγοντα τῷ ἑταίρῳ, τὸν δὲ ἐπιπηδῶντα εὐθὺς καὶ συννέοντα καὶ δεδιότα µὴ προαπόληται αὐτοῦ ὁ Δάµων (Übersetzung: . . . dann, [stelle Dir vor,] wie jener kurz vorm Ersticken ist, sich
kaum über Wasser halten kann und die Hände nach dem Gefährten ausstreckt, und wie dieser sofort ins Wasser springt, zusammen mit ihm schwimmt und nur Furcht trägt, daß sein Damon vor ihm zugrundeginge). 129 Lizcano Rejano, El Tóxaris de Luciano, S. 239, führt das als bedeutsames Thema der Rede über die Freundschaft in antiken Diskursen an: »En medio de una situación tan apurada la mayor preocupación de Eutídico no es salvar la propia vida, sino que, dándolo ya todo por perdido, lo que teme es morir antes que su amigo y que éste tenga que enfrentarse a la muerte solo«. 130 Luc. Tox. 20: οὕτω γὰρ ἂν µάθοις ὡς οὐκ ἀγεννῆ σοι καὶ τοῦτον φίλον τὸν Εὐθύδικον διηγησάµην (Übersetzung: Denn so magst du wohl erkennen, daß ich dir mit diesem Euthydikos auch einen besonders edlen Freund vorgestellt habe). 131 Luc. Tox. 21. – Übersetzung: Sind die Männer denn zugrundegegangen, Mnesippos, oder ist ihnen irgendwie aus unerwartetem Zufall doch noch Rettung zuteil geworden? Vgl. zu dieser Retardierung des Endes der Geschichte als rhetorisch motiviert: Pervo, Who Needs Friends?, S. 168. 132 Luc. Tox. 21. – Übersetzung: Sei getrost, Toxaris, sie sind gerettet worden.
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gen worden. Diese Rettung faßt er so zusammen: τὸ µὲν γὰρ πρῶτον φελλοῖς τισι περιπεσόντας ἀνέχειν ἐπὶ τούτων ἑαυτοὺς καὶ ἀπονήχεσθαι πονηρῶς, ὕστερον δὲ τὴν ἀποβάθραν ἰδόντας ἤδη πρὸς ἕω προσνήξασθαί τε αὐτῇ καὶ τὸ λοιπὸν ἐπιβάντας εὐµαρῶς προσενεχθῆναι τῇ Ζακύνθῳ.133 Danach geht Mnesippos zu anderen Beispielen über; die Erzählung über die beiden Freunde in Seenot hat ihren Beitrag geleistet. Fazit: Der Dialog Toxaris des Lukian führt neben anderen Situationen auf beeindruckende Weise die Not zur See als exemplarischen Fall vor Augen, in dem sich Freundschaft zu bewähren hat: Insgesamt sind die Situationen allesamt geläufig, und man darf fragen, ob sich Lukian von den vielfach transportierten und romantisch übersteigerten Bildern von Freundschaft durch seine Darstellung bewußt absetzt.134 In jedem Fall wird in dem uns vorrangig interessierenden Abschnitt zur Darstellung der Not und ihrer situativen Konturierung auf die gebräuchliche Topik der Seesturmbeschreibung zurückgegriffen, aber das mit zwei Besonderheiten: Zunächst wird die Seesturmbeschreibung durch nautische Details bereichert, die den epischen Sturmschilderungen zumeist fehlen, aber in der späteren Prosaliteratur gleichermaßen zum Motivkomplex gehören. Zum anderen erscheint die Seesturmbeschreibung hier gebrochen, weil der Erzähler zu erkennen gibt, daß er um den allzu geläufigen Topos weiß, und sich so von der Dutzendware distanziert. Andererseits greift er ihn im Nachgang gerade wieder ein zweites Mal auf, um die ganze Szene nochmals vor Augen zu führen: Ein interessantes literarisches Manöver. 4.2.3 Wahre Geschichten Die wahren Geschichten (Ἀληθῆ διηγήµατα) gehören im lukianischen Œuvre zu den allerbemerkenswertesten Stücken, nicht nur aufgrund ihrer Länge, sondern v.a. aufgrund ihrer durch und durch humoristischen Gestaltung, die gerade nicht nur (aber eben auch!) dem Zweck der Unterhaltung dient. Vielmehr wird hier mit jedem Zug Kritik an zeitgenössischer Literatur geübt, indem Lukian das Phantastische und geradezu Wunderliche in seiner Erzählung über alle Maßen steigert und zuweilen recht deutlich den Eindruck vermittelt, er ziele auf ganz bestimmte andere sich im Umlauf befindliche Autoren bzw. deren Erzählungen, 133 Luc. Tox. 21. – Übersetzung: Und zwar hätten sie sich zuerst auf einigen Korkstücken, auf die sie gestoßen seien, oben gehalten und seien so unter Schwierigkeiten weiter geschwommen, später aber hätten sie die Schiffsleiter gesehen – das war schon bei Sonnenaufgang –, seien zu ihr hingeschwommen, und, nachdem sie draufgeklettert wären, auf dieser hernach bequem zur Insel Zakynthos getragen worden. 134 Vgl. Pervo, Who Needs Friends?, S. 173.179f.
4.2 Lukian von Samosata
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zuweilen dies sogar explizit sagt. Einschlägig hierfür ist natürlich zunächst das Proöm (VH I 1–4), auf das unten noch kurz einzugehen sein wird. Zunächst hebt Lukian hier das Besondere seines Stücks gerade so hervor: . . . ὅτι καὶ τῶν ἱστορουµένων ἕκαστον οὐκ ἀκωµῳδήτως ᾔνικται πρός τινας τῶν παλαιῶν ποιητῶν τε καὶ συγγραφέων καὶ φιλοσόφων πολλὰ τεράστια καὶ µυθώδη συγγεγραφότων,135 und nennt dann explizit Ktesias von Knidos,
Iambulos und als Ahnherrn den homerischen Odysseus (VH I 3). Darüber hinaus kommen noch einige explizite Erwähnungen bestimmter Autoren im Laufe der Erzählung hinzu, wie etwa die des Herodot, der auf der Insel der Verdammten mit Ktesias von Knidos und vielen anderen – anscheinend bekannten, aber nicht namentlich erwähnten – Geschichtsschreibern als Lügner besonders scharf bestraft wird.136 Genau den Ktesias von Knidos und Herodot hatte Lukian zusammen mit Homer auch schon in den Lügenfreunden als herausragende Bespiele für Literaten aufgeführt, die ihren Hörern und Lesern Unwahrheiten auftischen (Luc. Philops. 2);137 die Zusammenstellung von Ktesias und Herodot scheint nicht ungewöhnlich zu sein.138 Lukian kommentiert Luc. VH I 2. Übersetzung: . . . daß auch jede von mir berichtete Begebenheit in recht komischer Manier Anspielungen auf irgendwelche der alten Dichter, Geschichtschreiber und Philosophen bietet, die ihrerseits viele Wunderdinge und Sagenhaftes zusammengeschrieben haben. – Vgl. zu dieser oft besprochenen Passage: Rütten, Phantasie, S. 12–14; Georgiadou/Larmour, Lucian’s Science Fiction Novel, S. 23.53f.; von Möllendorff, Auf der Suche, S. 30–61 (Kommentar zum ganzen Proöm). 136 Luc. VH II 31: καὶ µεγίστας ἁπασῶν τιµωρίας ὑπέµενον οἱ ψευσάµενοί τι παρὰ τὸν βίον 135
καὶ οἱ µὴ τὰ ἀληθῆ συγγεγραφότες, ἐν οἷς καὶ Κτησίας ὁ Κνίδιος ἦν καὶ ῾Ηρόδοτος καὶ ἄλλοι πολλοί. – Übersetzung: Die schwersten Strafen von allen mußten diejenigen erdulden, die in ihrem
Leben zu Lügnern geworden waren, und die Schreiber von Unwahrheiten, unter welchen sich Ktesias von Knidos, Herodot und viele andere befanden. – Vgl. zu dieser Passage: Nesselrath, UtopieParodie, S. 47f.; von Möllendorff, Auf der Suche, S. 432–436. 137 Tychiades, die Hauptperson des Dialogs, weist seinen Freund Philokles im Rahmendialog auf die lügenden Literaten hin: ἐκείνους µὲν γὰρ τοὺς παλαιοὺς πρὸ ἐµοῦ σὲ χρὴ εἰδέναι, τὸν ῾Ηρόδοτον καὶ Κτησίαν τὸν Κνίδιον καὶ πρὸ τούτων τοὺς ποιητὰς καὶ τὸν ῞Οµηρον αὐτόν, ἀοιδίµους ἄνδρας, ἐγγράφῳ τῷ ψεύσµατι κεχρηµένους, ὡς µὴ µόνους ἐξαπατᾶν τοὺς τότε ἀκούοντας σφῶν, ἀλλὰ καὶ µέχρις ἡµῶν διικνεῖσθαι τὸ ψεῦδος ἐκ διαδοχῆς ἐν καλλίστοις ἔπεσι καὶ µέτροις φυλαττόµενον (Philops. 2; Übersetzung: Denn jene Alten müßtest du besser kennen als ich, Hero-
dot und den Ktesias von Knidos, die Dichter vor diesen und Homer selbst, berühmte Männer, die die Lüge schriftlich in Verwendung genommen haben, so daß sie nicht allein ihre damaligen Hörer betrogen haben, sondern die Lüge sich bis in unsere Zeit durch die Überlieferung erhalten hat, bewahrt in schönsten Versen und Metren). – Vgl. zu diesem Passus in seinem weiteren Kontext von Möllendorff, Auf der Suche, S. 433–435. 138 Vgl. Nesselrath, Utopie-Parodie, S. 47, Anm. 17, der noch auf die Zusammenstellung beider Autoren bei Strabon und Photios hinweist: FGH III C 2, Nr. 688 T 11a.b (S. 418) [Str. XI 6,3; I 2,35; vgl. Radt V, S. 135]; T 13 (S. 419) [Phot. Bibl. 72, 45a (cod. 72; PG 103, 204D–205A)], bei Photius erfolgt die Zusammenstellung allerdings aufgrund des auch bei Ktesias zum Teil verwendeten Ionisch: κέχρηται δὲ τῇ ἰωνικῇ διαλέκτῳ, εἰ καὶ µὴ διόλου, καθάπερ ῾Ηρόδοτος, ἀλλὰ κατ’ ἐνίας τινὰς λέξεις.
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4 Satiren und Burlesken
den Strafaufenthalt des Ktesias und des Herodot auf der Insel der Verdammten gleich mit einer spaßigen Bemerkung über sein eigenes Lügengeschäft, die in gewisser Hinsicht sogar Anspruch auf Wahrheit haben dürfte, soweit man denn unter Lügen nur solche Unwahrheiten versteht, die anderen in der Absicht der Täuschung oder zumindest eben als Wahrheit aufgetischt werden – und genau davon darf sich Lukian nach den sein Proöm abschließenden Aussagen ja guten Gewissens freisprechen (VH I 4, s.u.).139 Diesen Umstand berücksichtigen Georgiadou/Larmour nicht ausreichend, wenn sie zu dieser Stelle (οὐδὲν . . . συνηπιστάµην, II 31) notieren: ». . . true from the perspective of the narrator, false from the viewpoint of the author. By this stage of course Lucian has far exceeded Ctesias and Herodotus in his fabrications.«140 Zwar ist der Widerspruch zu den bis zu diesem Punkt berichteten Begebenheiten eklatant, was der Bemerkung ihre Würze verleiht: Von Unwahrheiten blieb der Leser ja offensichtlich ganz und gar nicht verschont. Versteht man jedoch ψεῦδος hier als Lüge im o.g. Sinne – und das griechische Wort gibt ja beides her, sowohl die bloße Unwahrheit, das Falsche, als auch die mehr oder weniger absichtsvolle Lüge141 –, so läßt sich die Aussage als metadiegetische Bemerkung mit den Ausführungen des Autoren-Ichs im Proöm verbinden, so daß sie auch in dieser Hinsicht Anspruch auf Wahrheit hätte:142 In diesem Werk wird eben nicht gelogen, weil die Unwahrheit als solche gekennzeichnet und nicht als Wahrheit ausgegeben wird – ganz im Gegensatz zu den kritisierten Autoren.143 139 VH II 31: τούτους οὖν ὁρῶν ἐγὼ χρηστὰς εἶχον εἰς τοὐπιὸν τὰς ἐλπίδας· οὐδὲν γὰρ ἐµαυτῷ ψεῦδος εἰπόντι συνηπιστάµην. – Als ich diese nun sah, bekam ich gute Hoffnung für meine eigene
Zukunft; denn ich bin mir nicht bewußt, auch nur eine Lüge ausgesprochen zu haben. 140 Georgiadou/Larmour, Lucian’s Science Fiction Novel, S. 216. 141 Vgl. zum Problem des Verständnisses von ψεῦδος im Rahmen der Interpretation der wahren Geschichten: Rütten, Phantasie, S. 31–37; von Möllendorff, Auf der Suche, S. 525–534. 142 Mit »Autoren-Ich« bezeichne ich hier freilich keineswegs das Ich des realen, empirischen oder historischen Autors Lukian von Samosata, sondern das Ich des Autors, der im Proöm über das Werk einleitend spricht (konventionell spricht man hier vom impliziten Autor, was ich aber zuweilen für äußerst unglücklich halte, wie etwa auch in unserem Zusammenhang, wo dieser implizite Autor des Proöms ja explizit als »ich« zu uns spricht; vgl. zur Problematisierung der Terminologie in dieser Hinsicht: Reichert, Offene Fragen, Sp. 1003, Anm. 51; sie schlägt als Alternative für solche Fälle die Verwendung von innertextueller Autor vor). Es empfiehlt sich, diesen Autor des Proöms vom homodiegetischen Erzähler in den Geschichten selbst zu unterscheiden, da er sich metadiegetisch von diesem Erzähler abhebt: Es sind so also drei Autoren/Erzähler zu unterscheiden, die man jeweils mit gutem Recht »Lukian« nennen darf: 1. der reale Autor, 2. der (implizite) Autor des Proöms , und 3. der (homodiegetische) Erzähler der Geschichten; vgl. Rütten, Phantasie, S. 103f. 143 Siehe wieder das Proöm (Luc. VH I 4): ἐκεῖνο δὲ αὐτῶν ἐθαύµασα, εἰ ἐνόµιζον λήσειν οὐκ ἀληθῆ συγγράφοντες. διόπερ καὶ αὐτὸς ὑπὸ κενοδοξίας ἀπολιπεῖν τι σπουδάσας τοῖς µεθ’ ἡµᾶς, ἵνα µὴ µόνος ἄµοιρος ὦ τῆς ἐν τῷ µυθολογεῖν ἐλευθερίας, ἐπεὶ µηδὲν ἀληθὲς ἱστορεῖν εἶχον – οὐδὲν γὰρ ἐπεπόνθειν ἀξιόλογον – ἐπὶ τὸ ψεῦδος ἐτραπόµην πολὺ τῶν ἄλλων εὐγνωµονέστερον· κἂν ἓν γὰρ δὴ τοῦτο ἀληθεύσω λέγων ὅτι ψεύδοµαι. οὕτω δ’ ἄν µοι δοκῶ καὶ τὴν παρὰ τῶν ἄλλων κατηγορίαν ἐκφυγεῖν αὐτὸς ὁµολογῶν µηδὲν ἀληθὲς λέγειν. – Übersetzung: Darüber habe
4.2 Lukian von Samosata
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Abgesehen von diesen ausdrücklichen Nennungen kritisierter Autoren bleibt aber die Frage, welche Literaturgattung oder näherhin welche konkreten Schriften Lukian nun mit seiner parodistischen Kritik in erster Linie oder wenigstens schwerpunktmäßig im Visier hatte. Eine eindeutige Antwort auf diese Frage läßt sich nicht leicht geben, weil der Text Lukians hier zahlreiche Möglichkeiten offen läßt.144 Handelt es sich um Geschichtsschreibung, die in einigen offenbar ungehemmt fabulierenden Vertretern von paradoxographischer, ja reiner Phantasieliteratur kaum mehr zu unterscheiden ist?145 Oder soll konkret antike Utopie-Literatur, etwa des im Proöm genannten Iambulos oder eines Euhemeros, getroffen werden? Die Werke beider Autoren sind leider nicht auf uns gekommen, sondern lediglich aus den Zusammenfassungen Diodors bekannt.146 Nach dieser Deutung dürfte die utopische Literatur nicht bloß als Kontrastfolie zur im Sinne Lukians recht verstandenen Geschichtsschreibung dienen, sondern direkt und zwar in ihrem Charakter als Utopie-Literatur kritisiert werden.147 Oder ist anders die Romanliteratur als solche im Blick?148 Es ist dann freilich in erster Linie an den Reiseroman des Antonius Diogenes: Τὰ ὑπὲρ Θούλην ἄπιστα, zu denken, der uns fast ausschließlich in einer In-
ich mich bei ihnen gewundert, wie sie annehmen konnten, daß ihre unwahrhaftige Erzählweise unbemerkt bleiben würde. Von daher befleißigte ich mich aus Eitelkeit, auch selbst der Nachwelt etwas zu hinterlassen, damit ich nicht allein anteilslos an der Freiheit zu fabulieren bliebe, und habe mich, da ich nichts Wahres zu berichten habe – denn ich habe nichts Bemerkenswertes erlebt –, der Lüge zugewandt, aber bei mir mit viel mehr Edelsinn als bei den anderen: Denn in diesem einen Punkt sage ich die Wahrheit, indem ich erkläre, daß ich lüge. So meine ich wohl, dem Vorwurf von anderen dadurch entgehen zu können, daß ich selbst eingestehe, nichts Wahres zu erzählen. 144 Vgl. nur die kurze Aufzählung bei von Möllendorff, Auf der Suche, S. 1. 145 Vgl. beispielsweise Georgiadou/Larmour, Lucian and Historiography, bes. S. 1480f.1505f., die De historia conscribenda und Verae historiae als gleichsam komplementäre Schriften verstehen, wobei Lukian in Hist.Conscr. die Regeln für gute Geschichtsschreibung (freilich unter breiter Benutzung von schlechten Beispielen) entfalte und in VH in parodistischer Demonstration vorführe, wie man es nicht machen solle: »The ‘Ver. Hist.’ serves as an outstanding example of the kind of historiography which Lucian criticizes in his treatise« (S. 1481). Dieses Verfahren, verschiedene, auch gattungsmäßig verschiedene lukianische Schriften in ihren inhaltlichen Bezügen zu vergleichen, wird zunächst ohne weiteren Kommentar als der seinigen »analoge Methode« angeführt bei: Weissenberger, Literaturtheorie bei Lukian, S. 21, Anm. 43. 146 D.S. II 55–60 (Iambulos); D.S. V 41–46 und VI 1 (Euhemeros; hinzu kommen noch verschiedene kleinere Fragmente und Testimonien). 147 Vgl. zu dieser Deutung beispielsweise Nesselrath, Utopie-Parodie, bes. S. 43f.48ff. Bei der Frage, inwiefern die Werke des Iambulos und Euhemeros wirklich als Utopie-Literatur bzw. utopische Romane anzusprechen sind, meldet Massimo Fusillo Unsicherheiten an: Fusillo, Art. Iambulos; Fusillo, Art. Euhemeros, Sp. 235; siehe speziell zu Iambulos Ehlers, Südwestmonsun, bes. S. 74.77–80, der entschieden gegen die Einordnung als Utopie-Literatur argumentiert. 148 Vgl. Jones, Culture, S. 52–55.
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4 Satiren und Burlesken
haltsangabe bei Photios überliefert ist.149 Auf das Werk des Antonius Diogenes wird des öfteren als Bezugspunkt unseres Werkes hingewiesen;150 daß dieser Roman allerdings nicht als das vorzüglichste Vergleichstück für Lukians VH angesehen werden kann, zeigt Heinz-Günther Nesselrath m.E. überzeugend.151 Oder hat der Verfasser unserer Schrift überhaupt philosophische Literatur im Visier?152 Die Meinungen gehen hier mit je eigenem Recht auseinander; zudem wird im Rahmen der soeben beispielhaft erwähnten Schwerpunktsetzungen zumeist bereitwillig eingeräumt, daß andere Urteile keineswegs ausgeschlossen werden, sondern die ihnen zugrundeliegenden Beobachtungen durchaus je in ihrem Recht sind.153 Das liegt sicher daran, daß Lukian in VH eine enorme Fülle an direkten oder indirekten Anspielungen auf von ihm benutzte Stoffe, literarische Werke verschiedener Gattungen, deren Autoren und überhaupt auf Denkkonzepte verschiedener Provenienz bietet.154 Jenseits aller feinsinnigen Versuche, die verschiedenen Anspielungen in diesem Werk aufzuspüren und zu deuten, ist also wieder daran zu erinnern, daß Lukian selbst ja in seinem Proöm deutlich festhält, mehrere Literaturgattungen im Blick zu haben.155 Daß aber Lukian mit seinen wahren Geschichten neben dem Zweck, selbst ein amüsantes Stück Unterhaltungsliteratur vorzulegen,156 auch ernsthafte Kritik üben wollte, dürfte außer Frage stehen. Schließlich verbindet Lukian die Absicht, entspannende Unterhaltung bieten zu wollen, selbst mit dem Anspruch, auch 149 Phot. Bibl. 166, 109a–112a (cod. 166; PG 103, 465C–477A); zu weiteren Zeugnissen siehe Nesselrath, Utopie-Parodie, S. 44 mit Anm. 8f. Jones hält daher auch konkretisierend fest: »In general, however, the True Histories are aimed rather at romances of travel than of love« (Jones, Culture, S. 54). 150 Vgl. etwa Hofmann, Parodie des Erzählens, S. 119. 151 Nesselrath, Utopie-Parodie, S. 44–47.49f. mit Anm. 24. Vgl. zur Bedeutung des Antonius Diogenes aber auch den Exkurs bei von Möllendorff, Auf der Suche, S. 104–109. 152 So die jüngere Position von Georgiadou/Larmour: Vgl. Georgiadou/Larmour, Lucian’s Science Fiction Novel, S. 40–44; Georgiadou/Larmour, Lucian’s ›Verae Historiae‹, bes. S.311f.325. Freilich ist auch das als bloße Schwerpunktsetzung zu verstehen; so halten Georgiadou/Larmour an ihrer oben angeführten Position einer Komplementarität von Hist.Conscr. und VH in bezug auf eine Historikerkritik fest: Georgiadou/Larmour, Lucian’s Science Fiction Novel, S. 29. 153 Vgl. etwa Nesselrath, Utopie-Parodie, S. 42, Anm. 2. 154 Vgl. Jones, Culture, S. 53f.: Neben den beiden schon im Proöm erwähnten Autoren Ktesias von Knidos und Iambulos (VH I 3) sowie Homer, dessen Odysseus im Proöm sogar als ἀρχηγὸς καὶ διδάσκαλος der fabulierenden Schriftsteller bezeichnet wird (I 3), führt Jones darüber hinaus noch Herodot (s.o., Anm. 136), Platon, Aristophanes und eben Antonius Diogenes an. Vgl. in Ergänzung Georgiadou/Larmour, Lucian’s Science Fiction Novel, S. 22–44, und die Zusammenfassung bei: von Möllendorff, Auf der Suche, S. 512–515, der sich ja in seinem Kommentar ausführlich um die Erhebung direkter und indirekter Anspielungen bemüht hat. 155 Er redet eben von Anspielungen auf τινες τῶν παλαιῶν ποιητῶν τε καὶ συγγραφέων καὶ φιλοσόφων (Luc. VH I 2), s.o. 156 Vgl. die Untersuchung zur »Lachkultur« in Lukians Werk: Rütten, Phantasie, passim, bes. S. 24–46.131–133.
4.2 Lukian von Samosata
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in einem solchen unterhaltenden Text doch gleichzeitig auch Lehre bieten zu können, wenn er in seinem Proöm sagt, daß diejenigen, die sich anstrengender Lektüre widmen, auch einmal ihren Geist, wie es Sportler mit ihrem Körper tun, entspannen müßten (ἀνιέναι τὴν διάνοιαν) und hinzufügt: γένοιτο δ’ ἂν ἐµµελὴς ἡ ἀνάπαυσις αὐτοῖς, εἰ τοῖς τοιούτοις τῶν ἀναγνωσµάτων ὁµιλοῖεν, ἃ µὴ µόνον ἐκ τοῦ ἀστείου τε καὶ χαρίεντος ψιλὴν παρέξει τὴν ψυχαγωγίαν, ἀλλά τινα καὶ θεωρίαν οὐκ ἄµουσον ἐπιδείξεται, οἷόν τι καὶ περὶ τῶνδε τῶν συγγραµµάτων φρονήσειν ὑπολαµβάνω (Luc. VH I 2).157 Die wahren
Geschichten können so also auch als ein Stück Literaturkritik in ganz besonderer Form angesehen werden.158 Dafür bietet das schon mehrfach angesprochene Proöm über die erwähnten Punkte hinaus auch noch folgenden, geradezu zwingenden Hinweis: Im Abschlußabschnitt dieses Proöms (§ 4) schließt Lukian nämlich den Rahmen zu § 1f. und kommt wieder auf Eigenart und Rechtfertigung seines eigenen Werkes zu sprechen. Dies geschieht nun in ganz besonderer Weise; daran anknüpfend, daß den kritisierten Autoren vorgeworfen wird, sie gäben das von ihnen lügenhaft Erzählte als Wahrheit aus, stellt Lukian sein eigenes Projekt vor, indem er bekennt, er habe aus Eitelkeit oder Ruhmsucht (κενοδοξία) der Nachwelt auch etwas hinterlassen wollen, und sich, da er nichts Bemerkenswertes erlebt habe, eben der Lüge zugewandt. Im Unterschied zu den kritisierten Autoren sage er aber in diesem Punkt die Wahrheit.159 Dies untermauert er nun noch einmal, indem er ein standardisiertes Proöm imitiert und durch die Behauptung des unmittelbaren Gegenteils dessen, was man in einem solchen Proöm für
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Übersetzung: Sie dürften wohl zu einer angemessenen Erholung kommen, wenn sie sich mit derartiger Lektüre beschäftigen, die ihren Reiz nicht bloß im Witz und der Anmut hat, sondern auch eine Art von keineswegs ungebildeter Belehrung vorlegt; ich meine, daß man so etwas auch über die vorliegenden Darlegungen denken kann. 158 Peter von Möllendorff ist darin recht zu geben, daß man die vielfältigen Anspielungen in VH im Horizont ihrer metapoetischen Funktion deuten sollte, also als Rede über und kritische Bewertung von Literatur (vgl. von Möllendorff, Auf der Suche, S. 515f.). Darüber hinaus erscheint für mich aber sein ambitionierter Interpretationsversuch in der Gesamtschau als a trifle too sophisticated – wie man mit etwas Würze sagen könnte –, wenn er aus seinen Untersuchungen folgert, Lukian wolle den von ihm intendierten Leser als πεπαιδευµένος in einen metapoetischen Diskurs größter Tragweite über die kulturtragenden literarischen Traditionen und Formen sowie überhaupt über die von diesen maßgeblich getragene παιδεία auch in ihrer persönlichen und gesellschaftlichen Relevanz einbeziehen: »Im Vordergrund aber steht Lukians Aufforderung an diesen Leser, sich auf die ἄσκησις der Wahren Geschichten einzulassen, immer wieder aufs neue sich auf die ›Suche nach der verlogenen Wahrheit‹ der Literatur als der Basis seiner Bildung und damit seines Lebens und seiner Stellung in der (kaiserzeitlichen) Gesellschaft zu begeben« (vgl. dazu von Möllendorff, Auf der Suche, bes. S. 515–517.537f.544.569–571 [Zitat S. 570f.]). 159 Luc. VH I 4; s. den Textabschnitt oben, Anm. 143 (S. 154).
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4 Satiren und Burlesken
gewöhnlich darlegt, die angegriffenen Autoren vom Schlage eines Ktesias von Knidos ein erstes Mal im eigentlichen Sinne parodiert (Luc. VH I 4):160 γράφω τοίνυν περὶ ὧν µήτε εἶδον µήτε ἔπαθον µήτε παρ’ ἄλλων ἐπυθόµην, ἔτι δὲ µήτε ὅλως ὄντων µήτε τὴν ἀρχὴν γενέσθαι δυναµένων. διὸ δεῖ τοὺς ἐντυγχάνοντας µηδαµῶς πιστεύειν αὐτοῖς.
Ich schreibe also über Dinge, die ich weder gesehen noch erlebt, noch von anderen in Erfahrung gebracht habe, ja über die Dinge, die es überhaupt nicht gibt und die auch gar nicht sein können. Deshalb dürfen meine Leser ihnen auch in keiner Weise Glauben schenken.
Beachtlich ist hier die topische Zweiteilung in selbst Gesehenes oder Erfahrenes und Dinge, die von anderen in Erfahrung gebracht wurden. Diese Zweiteilung ist üblich und dient natürlich dazu, für einen guten Teil des Berichteten den Anspruch der Augenzeugenschaft (αὐτοψία) zu erheben und für das übrige immerhin noch auf Gewährsleute zu verweisen, bei denen man recherchiert habe und die ihrerseits wenigstens als zuverlässig zu gelten haben, bestenfalls aber selbst Augenzeugenschaft beanspruchen können. Für die Beanspruchung und Betonung der Augenzeugenschaft in Geschichtswerken lassen sich zahllose Belege anführen,161 die hier interessierende komplementäre Erwähnung der eigenen Augenzeugenschaft und der Recherche auf der Basis zuverlässiger Gewährsleute und Quellen findet sich aber etwa bei Josephus, der in Contra Apionem genau das für seine früheren Werke, das Bellum Iudaicum und die Antiquitates Iudaicae, beansprucht (J. Ap. I 10 [§ 53f.]): . . . δέον ἐκεῖνο γιγνώσκειν, ὅτι δεῖ τὸν ἄλλοις παράδοσιν πράξεων ἀληθινῶν ὑπισχνούµενον αὐτὸν ἐπίστασθαι ταύτας πρότερον ἀκριβῶς ἢ παρηκολουθηκότα τοῖς γεγονόσιν ἢ παρὰ τῶν εἰδότων πυνθανόµενον. ὅπερ ἐγὼ µάλιστα περὶ ἀµφοτέρας νοµίζω πεποιηκέναι τὰς πραγµατείας.162 Spaßigerweise will Lukian mit seinem in VH 160 Die vorherige Aussage über die κενοδοξία und die Angabe, nichts Bemerkenswertes erlebt zu haben, ist demgegenüber als zusätzlicher satirischer Seitenhieb auf die kritisierten Autoren zu verstehen. Vgl. aber zur κενοδοξία-Formel von Möllendorff, Auf der Suche, S. 55–59.562–566, der die Passage entgegen einer von mir eher favorisierten satirischen Deutung »als durchaus ernstgemeinte Selbstironie« (S. 564) verstehen will. 161 Vgl. zur αὐτοψία-Konvention in der Geschichtsschreibung: Cadbury, Appendix C, S. 499; Plümacher, Wirklichkeitserfahrung, S. 16; und v.a. Alexander, The Preface, S. 34–41, die aber die αὐτοψία-Konvention eher mit der ionischen ἱστορία-Tradition verbinden möchte als mit der politischen und Ereignisgeschichtsschreibung. – Ob man hier aber einen so scharfen Gegensatz konstruieren sollte? Vgl. beispielsweise zur αὐτοψία und sogar deren Überbietung durch eigene aktive Beteiligung: Plb. III 4,13; XXXVI 12,2; J. Ap. I 10 (§ 55); und selbst Lukas mit seiner Verbindung von ἀπ’ ἀρχῆς αὐτόπται und ὑπηρέται τοῦ λόγου (Lk 1,2), was aber freilich auf die Gewährsleute bezogen ist. 162 Übersetzung: . . . man muß doch wissen, daß derjenige, der verspricht, eine Darstellung von wirklichen Ereignissen zu geben, zuvor genaue Kenntnis über dieses Dinge haben muß, sei es daß
4.2 Lukian von Samosata
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vorgelegten Proöm genau das nicht erfüllen, was er andernorts von einem ernsthaften Geschichtsschreiber mit allem Nachdruck einfordert.163 Doch das nur nebenbei, in parodistischer Weise wendet sich Lukian auch hier gegen die schon zuvor angegriffenen Autoren: Nach der Inhaltsangabe des Photios über die Indika des Ktesias von Knidos scheint nämlich auch dieser in seinem Proöm (?) so vorgegangen zu sein: Er unterteilt ebenfalls in Dinge, die er angeblich selbst gesehen habe, und solche, die er von anderen, die sie gesehen haben, erfahren habe; er wird nicht müde, noch hinzuzufügen, daß er dem Leser viele besonders wunderliche Dinge erspart habe, weil sie dem, der sie nicht gesehen habe, völlig unglaubwürdig erscheinen müßten.164 Er beansprucht damit ausdrücklich die Glaubwürdigkeit der von ihm erzählten Wunderdinge. Lukian scheint genau gegen diese in Proömien übliche »Beglaubigungsstrategie« seine Parodie ins Werk gesetzt zu haben, was besonders in dem abschließenden Mahnwort deutlich wird, dem Berichteten nicht den geringsten Glauben zu schenken.165 Seine eigentliche Erzählung eröffnet Lukian gleich mit einem furiosen Seeabenteuer, das man geradezu als standardisiertes Exemplar auffassen kann (Luc. VH I 5f.): Man sticht bei den Säulen des Herakles in See und fährt in den westlichen Ozean;166 der Erzähler bringt nun noch einen bemerkenswerten einleitenden Passus, in dem er die Motivation und die Vorbereitung der Reise darlegt. Die Motivation wird spaßigerweise kurz gesagt als eitle Neugier gefaßt (ἡ τῆς διανοίας περιεργία καὶ πραγµάτων καινῶν ἐπιθυµία, I 5), Neugier darauf, wo der westliche Ozean enden würde.167 Unter den Vorbereitungen er mit den Geschehnissen vertraut ist, sei es daß er sie von Augenzeugen in Erfahrung gebracht hat. Genau das, meine ich, bei beiden Darstellungen geleistet zu haben. – Vgl. zur umstrittenen Deutung des παρηκολουθηκότα: Cadbury, Appendix C, S. 502; Sterling, Historiography, S. 240f.344 mit Anm. 163; Alexander, The Preface, S. 128; Barclay, Against Apion, S. 39, Anm. 217. Labow, Contra Apionem I, S. 39f., entscheidet sich für das m.E. zu enge Verständnis von Cadbury. 163 Vgl. beispielweise Luc. Hist.Conscr. 29 und besonders 47, wo er auch die hier angesprochene Zweiteilung als positive Forderung bietet: . . . καὶ µάλιστα µὲν παρόντα καὶ ἐφορῶντα, εἰ δὲ µή, τοῖς ἀδεκαστότερον ἐξηγουµένοις προσέχοντα . . . Vgl. den Kommentar bei Homeyer, S. 260f. Als weitere lukianische Parallele ist auf Luc. Tox. 12 zu verweisen, wo Mnesippos beschwört, nur Dinge anzuführen, die er selbst gesehen oder von anderen sorgfältig in Erfahrung gebracht habe. 164 Phot. Bibl. 72, 49b–50a (cod. 72; PG 103, 229D) [FGH III C 2, Nr. 688 F 45 (51) (S. 510f.)]: Ταῦτα γράφων καὶ µυθολογῶν Κτησίας λέγει τἀληθέστατα γράφειν, ἐπάγων ὡς τὰ µὲν αὐτὸς ἰδὼν γράφει, τὰ δὲ παρ’ αὐτῶν µαθὼν τῶν ἰδόντων, πολλὰ δὲ τούτων καὶ ἄλλα θαυµασιώτερα παραλιπεῖν διὰ τὸ µὴ δόξαι τοῖς µὴ τεθεαµένοις ἄπιστα συγγράφειν. 165
Vgl. zur Interpretation dieser letzten Passage des Proöms : Georgiadou/Larmour, Lucian’s Science Fiction Novel, S. 58f. 166 VH I 5: ὁρµηθεὶς γάρ ποτε ἀπὸ ῾Ηρακλείων στηλῶν καὶ ἀφεὶς εἰς τὸν ἑσπέριον ὠκεανὸν οὐρίῳ ἀνέµῳ τὸν πλοῦν ἐποιούµην (Übersetzung: Ich schiffte mich also einst bei den Säulen des Herakles ein und segelte unter günstigem Winde in den westlichen Ozean). – Vgl. zu den Säulen des Herakles die Bemerkungen bei: Georgiadou/Larmour, Lucian’s Science Fiction Novel, S. 63. 167 Zu den vielfältigen Bezügen dieser hochinteressanten Angabe zur Motivation s. Georgiadou/ Larmour, Lucian’s Science Fiction Novel, S. 63f.; von Möllendorff, Auf der Suche, S. 64–69.
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4 Satiren und Burlesken
werden die Verproviantierung, Gefährten und Waffenausrüstung aufgezählt. Besonders hervorgehoben wird dann allerdings noch der angeheuerte Skipper: . . . καὶ κυβερνήτην τὸν ἄριστον µισθῷ µεγάλῳ πείσας παρέλαβον.168 Daß bei einer Seereise Wohl und Wehe vom κυβερνήτης und seinen Qualitäten und Entscheidungen abhängen, bedarf wohl keiner Erklärung.169 Interessant ist hier wiederum, daß der so hervorgehobene Skipper im Verlauf der Erzählung überhaupt keine Rolle spielt; ist sein Einfluß auf das Ergehen des Schiffs von Anfang an gering, so verliert man ihn sogar in VH I 37 als einzigen Gefallenen auf eigener Seite bei der Schlacht im Wal. Also muß man von da an ohne ihn auskommen.170 Zu guter Letzt wird noch das Schiff hervorgehoben, auf dem die Reise vonstatten gehen soll: Es ist ein eher kleines Schiff, eine ἄκατος, also eine Art Schnellsegler, der aber für die zu erwartenden Anforderungen der Reise seetüchtig gemacht wurde.171 Diese beiden hier hervorgehobenen und ja tatsächlich sinnvollen Vorbereitungen einer erfolgreichen Seereise, nämlich einen der besten Kyberneten und ein geeignetes Schiff zu finden, läßt Lukian seine Maske Lykinos im Dialog Hermotimos in einem Bildwort über das Einschlagen des rechten Weges ebenfalls in dieser Verbindung anführen (Luc. Herm. 28).172 Die folgende Beschreibung der ersten Reiseetappe drängt schon allzu Bekanntes auf engstem Raum zusammen, als ob der Verfasser die Darstellung der Leiden nach dem gewohnten Muster nur andeuten wollte (Luc. VH I 6): 168 I 5; Übersetzung: . . . und ich heuerte als Steuermann den besten (den ich bekommen konnte) mit der Zusage hohen Soldes an. 169 Man denke etwa an den Unmut, der sich zuweilen über (oftmals nur scheinbar) unfähige Skipper regt: Z.B. bei Synes. ep. 4, wo dem Amarantos alle erdenklichen Übel und Unfähigkeiten vorgeworfen werden (beginnend schon mit 160a, wo seine Schulden und Todessehnsucht Erwähnung finden; zu weiteren Stellen s.u.). Vgl. auch das Apophthegma Gn.Vat. 197 (Sternbach, S. 79). Ein unfähiger Steuermann wird in Hld. V 27,4 als die eigentliche Bedrohung herausgestellt. Vgl. weiter: Philostr. VA III 23 (52f.); Petr. 108,8.12. 170 Vgl. hierzu Georgiadou/Larmour, Lucian’s Science Fiction Novel, S. 65f. 171 Luc. VH I 5: . . . καὶ τὴν ναῦν – ἄκατος δὲ ἦν – ὡς πρὸς µέγαν καὶ βίαιον πλοῦν ἐκρατυνάµην (Übersetzung: . . . und mein Schiff, es war ein Schnellsegler, machte ich für eine so lange und beschwerliche Reise seetüchtig). Zum Schiffstyp der ἄκατος s.o. S. 86f.; die angegebenen 50 Gefährten passen sehr gut zum Typ dieses kleinen Schnellseglers. Literarisch interessant ist noch, daß die insgesamt mit dem κυβερνήτης und dem Protagonisten 52 Mann starke Besatzung genau dem entspricht, was Alkinoos als Begleitung für Odysseus vorschlägt: Od. VIII 34–36 (vgl. Georgiadou/ Larmour, Lucian’s Science Fiction Novel, S. 64f.; zu anderen Bezügen: von Möllendorff, Auf der Suche, S. 69 mit Anm. 29). 172 δέον ἐξ ἀρχῆς πρὶν ἐκπλεῦσαι . . . καὶ νὴ Δία κυβερνήτην ἕνα τὸν ἄριστον ἐκλέξασθαι καὶ ναῦν εὐπαγῆ οἵαν διαρκέσαι πρὸς τηλικοῦτον κλύδωνα (Übersetzung: Nötig wäre es vielmehr
gleich am Anfang vor dem Auslaufen gewesen, . . . natürlich, beim Zeus, einen Skipper anzuheuern, und zwar den besten [den man bekommen kann], und ein so fest gebautes Schiff auszusuchen, daß es dem so gewaltigen Seegang gewachsen ist). – Vgl. zu dieser Stelle und zur Rolle des κυβερνήτης im philosophischen Diskurs Georgiadou/Larmour, Lucian’s Science Fiction Novel, S. 65; weiterhin
4.2 Lukian von Samosata
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ἡµέραν οὖν καὶ νύκτα οὐρίῳ πλέοντες ἔτι τῆς γῆς ὑποφαινοµένης οὐ σφόδρα βιαίως ἀνηγόµεθα, τῆς ἐπιούσης δὲ ἅµα ἡλίῳ ἀνίσχοντι ὅ τε ἄνεµος ἐπεδίδου καὶ τὸ κῦµα ηὐξάνετο καὶ ζόφος ἐπεγίνετο καὶ οὐκέτ’ οὐδὲ στεῖλαι τὴν ὀθόνην δυνατὸν ἦν. ἐπιτρέψαντες οὖν τῷ πνέοντι καὶ παραδόντες ἑαυτοὺς ἐχειµαζόµεθα ἡµέρας ἐννέα καὶ ἑβδοµήκοντα, τῇ ὀγδοηκοστῇ δὲ ἄφνω ἐκλάµψαντος ἡλίου καθορῶµεν οὐ πόρρω νῆσον ὑψηλὴν καὶ δασεῖαν, οὐ τραχεῖ περιηχουµένην τῷ κύµατι· καὶ γὰρ ἤδη τὸ πολὺ τῆς ζάλης κατεπαύετο. Προσσχόντες οὖν καὶ ἀποβάντες ὡς ἂν ἐκ µακρᾶς ταλαιπωρίας πολὺν µὲν χρόνον ἐπὶ γῆς ἐκείµεθα . . .
Wir segelten einen Tag und eine Nacht unter günstigem Winde und wurden, solange das Land noch in Sicht war, nicht sonderlich heftig vorangetrieben, am folgenden Tag aber, zugleich mit dem Sonnenaufgang, nahm der Wind zu, die Wogen schwollen an, Finsternis trat ein, und es war nicht einmal mehr möglich, das Segel zu reffen. Da überließen wir uns dem Winde und waren dem Sturm 79 Tage lang ausgeliefert, am achtzigsten Tage aber brach mit einem Mal die Sonne hervor, und wir wurden einer erhöhten und bewaldeten Insel in nicht allzu weiter Ferne gewahr, die keine heftige Brandung hatte; denn der Sturm war auch schon größtenteils abgeflaut. Wir hielten also darauf zu und, nachdem wir von Bord gegangen waren, ruhten wir, da uns dünkte, so gewaltigen Leiden entronnen zu sein, lange Zeit einfach auf der Erde . . .
Wie es so üblich ist, macht man zunächst gute Fahrt; aber dann kommt, was kommen muß: der Sturm. Dieser wird hier allerdings gerade nicht besonders aufwendig gezeichnet, eher werden nur einige wenige Elemente aufgezählt, nämlich der zunehmende Wind, der anhebende Wogenschlag und schließlich die Finsternis.173 Bemerkenswert ist, daß Lukian noch ein verbreitetes weiteres Element hinzufügt, mit dem der Blick nun auf die seemännischen Maßnahmen gerichtet wird: Es gelingt nicht, das Segel zu reffen (στεῖλαι τὴν ὀθόνην). Scheiternde nautische Maßnahmen gehören zum gewöhnlichen Repertoire der Sturmbeschreibung.174 von Möllendorff, Auf der Suche, S. 72–77, der die Bedeutung Schiffahrtsmetaphorik in anderen Stücken hervorhebt. 173 Vgl. zur in Sturmbeschreibungen häufig vorkommenden Dunkelheit bzw. Finsternis: Hist.Ap. 11; Charito III 3,10; Herpyllis II 38–54 (bes. Z. 49f.52f.); Ach.Tat. III 1,1; Petr. 114,1.3; Luc. Nav. 9; Tox. 20; Aristid. Or. XLVIII 65. Überhaupt ist die regelrechte und ausführliche Sturm-Ekphrasis bei Ach.Tat. III 2,2–8 zu vergleichen – Dunkelheit dort in 2,2. Finsternis schließlich auch bei Apg 27,20. 174 Vgl. insbesondere zu Manövern mit den Segeln: Herpyllis II 26–28, wo das Beidrehen der Rah unmöglich ist; Ach.Tat. III 1,1f., wo das vom Kapitän befohlene Manöver nicht gelingt; die beiden Stellen im 4. Brief des Synesios, wo sich das laufende Gut nicht bedienen läßt: ep. 4,163c; 164c–d; und schießlich natürlich Apg 27,15, wo man versucht, das Schiff mit dem Bug in den Wind zu bringen. Den Seeleuten in Luc. Tox. 19 scheint es aber wenigstens gelungen zu sein, die Segel zu reffen bzw. einzuholen. Im weiteren gehören zu den seemännischen Maßnahmen etwa das häufig erwähnte Leichtern des Schiffes, so z.B. bei Hdt. VIII 118f.; Ach.Tat. III 2,9; Jon 1,5; Apg 27,18f.38. Hinzuzählen kann man dann noch solche Maßnahmen, wie sie in Apg 27,16f. geschildert sind: Einholen des Beiboots (vgl. das Abtrennen des Beiboots bei Hld. V 27,6f.), Umgürten des Schiffs (ὑποζωννύναι, v. 17), sowie das schwer zu deutende χαλᾶν τὸ σκεῦος (s.u. z.St.).
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4 Satiren und Burlesken
Man überläßt sich nun dem Winde175 und ist dem Sturm sage und schreibe 79 Tage lang ausgeliefert und läßt sich in ihm treiben. Schon allein diese enorm lange Zeit stellt eine fast maßlos zu nennende literarische Übertreibung dar. Im Rahmen des Werks dient sie sicher dazu, die Reisenden weit, weit weg zu befördern, um zu den sich anschließenden utopischen und paradoxographischen Schilderungen überleiten zu können, die damit einen erzählerischen Raum zugewiesen bekommen: Wir sind in den Raum des Phantastischen eingetreten.176 Im Vergleich mit anderen Seesturmschilderungen zeitgenössischer Prosaliteratur ist auffällig, daß die Leiden der an Bord befindlichen Menschen überhaupt nicht thematisiert werden; erst ganz am Ende, als man schon wieder festen Boden unter den Füßen hat, wird auf die µακραὶ ταλαιπωρίαι zurückgeblickt. Im Gegensatz dazu ergehen sich andere Sturmschilderungen, teils in hinzugefügten Bemerkungen, teils in eigenen ausführlichen Szenen, in dramatisierenden Zeichnungen des durch den Sturm über die Menschen kommenden Unglücks und ihrer verzweifelten Reaktionen.177 Hier werden die Leiden durch die enorm lange Dauer des Sturms nur angedeutet. Will Lukian dadurch schon eine Parodie geläufiger Sturmschilderungen bieten, ahmt er also eine Sturmbeschreibung nach, indem er bekannte Elemente aufgreift, aber alles so kurz und in bestimmten Zügen defizitär beläßt, daß es geradezu amüsant wirkt? 175 Vgl. zur Selbstübergabe an den Wind bzw. das Meer: Herpyllis II 34f.; Apg 27,15; und weiterhin die Aufgabe des Steuermanns bei Ach.Tat. III 3,1, sowie die nur fälschlich vermutete Aufgabe des Amarantos: Synes. ep. 4,161d–162a. 176 Eine noch längere Zeit des Segelns, Treibens und der Sturmfahrt, nämlich ganze vier Monate, scheint Iambul seinen Reisenden im Indischen Ozean zugemessen zu haben, wenn man dem Referat Diodors folgt (D.S. II 55,6): τούτους δὲ πλεύσαντας πέλαγος µέγα καὶ χειµασθέντας ἐν µησὶ
τέτταρσι προσενεχθῆναι τῇ προσηµανθείσῃ νήσῳ, στρογγύλῃ µὲν ὑπαρχούσῃ τῷ σχήµατι, τὴν δὲ περίµετρον ἐχούσῃ σταδίων ὡς πεντακισχιλίων (Übersetzung: Die nun segelten auf dem Ozean,
waren Stürmen ausgesetzt und wurden in vier Monaten zu der vorher bezeichneten Insel getrieben, welche bauchig rund ist und im Umfang 5000 Stadien mißt). Auch diese Reisenden werden durch die äußerst lange, aber offenbar nur sehr kurz geschilderte, meistenteils treibende Reise an genau denjenigen Ort befördert, von dem dann mehr zu erzählen ist. Ob die ursprüngliche Erzählung des Iambulos eher als utopischer Roman oder als Schilderung einer Entdeckungsfahrt zu klassifizieren ist, darf – wie oben schon angedeutet – als umstritten gelten; vgl. zu den unterschiedlichen Einordnungen: Nesselrath, Utopie-Parodie, S. 48f., der für die Bezeichnung utopischer Reiseroman plädiert; Ehlers, Südwestmonsun, passim, der Iambuls Werk als Bericht über eine Entdeckerfahrt ansieht und sich dafür u.a. auch auf die (für antike Verhältnisse) relativ exakten Größenangaben der Insel in II 55,6 stützt – er hält Ceylon für die in Rede stehende Insel S. 79f.). Zur Monsun-Passage, die Ehlers hinter der Fahrtbeschreiubung des Iambulos erkennen will, vgl. auch Peripl.M.Rub. 57 (mit dem Kommentar bei Casson, The Periplus Maris Erythraei, S. 224). 177 Zum Wehklagen (besonders der Frauen) im Sturm siehe: Aristid. Or. XLVIII 12; Ach.Tat. III 2,8; Luc. Peregr. 43; Synes. ep. 4,162c. – Zur häufig ausdrücklich festgestellten Hoffnungslosigkeit vgl.: Theoc. XXII 18, wo die Seeleuten οἰόµενοι θανέεσθαι sind; App. BC V 10 (§ 90); Ach.Tat. III 2,4; Herpyllis II 35–37; Luc. Tox. 20 (ἀπόγνωσις); Aristid. Or. XLV 33; A.Jo. (Prochoros, Zahn, S. 50, Z. 11f.); Apg 27,20.
4.2 Lukian von Samosata
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Einen weiteren Hinweis in Richtung einer Parodie kann man in folgendem Befund sehen: Genauso unspektakulär, wie das Kommen des Sturms beschrieben wurde, wird jetzt auch von seinem Abflauen erzählt; es wird nur der Durchbruch der Sonne konstatiert. Das tatsächliche Abflauen des Sturms selbst wird in keiner Weise ausgeführt, vielmehr wird erst beim nächsten Erzählschritt, der Entdeckung der Insel, zur Erklärung der seichten Brandung an ihrer Küste nachgetragen, daß der Sturm inzwischen seine Gewalt eingebüßt habe. Das kann m.E. durchaus als parodistische Erzählweise verstanden werden. Zum Vergleich bietet sich die Sturmbeschreibung im Toxaris an (Luc. Tox. 19f.), wo Lukian ja auch extrem verkürzt eine Sturmszenerie zeichnet (§ 19), dann jedoch zum Zwecke der Dramatisierung und der (übertriebenen) Beglaubigung des Erzählten den Mond über das weitere Geschehen hat scheinen lassen (§ 20), um dann wieder den starken Wind ins Spiel zu bringen (µέγα τὸ πνεῦµα, Tox. 20). Freilich sind für Lukians Toxaris auch andere Intentionen zu berücksichtigen, die diese Erzählweise rechtfertigen;178 daß dort aber die parodistische Aufnahme geläufiger Sturmbeschreibungen mit eine Rolle spielt, ist angesichts von § 19 nicht zu leugen: καὶ τὰ µὲν πολλὰ τί ἄν τις λέγοι (s.o.). Eine solch ausdrückliche Bemerkung, die das Bewußtsein zum Ausdruck bringt, sich auf dem Feld gebräuchlicher Topik zu befinden, fehlt unserem Stück, trotzdem reichen die beobachteten Eigenheiten der Erzählweise aus, parodistische Intentionen anzunehmen.179 Am Ende des Sturms entdecken unsere Reisenden rettendes Land, eine Insel; an ihr wird ausdrücklich hervorgehoben, daß die Brandung des Meeres nicht sonderlich heftig ist. Das ist wiederum ein letztes Element, das in Sturmerzählungen häufiger begegnet: Die Gefahr der Küste im Sturm, insbesondere einer Lee-Küste, ist tatsächlich nicht zu unterschätzen; diese seemännische Erkenntnis haben sich die Literaten zu eigen gemacht, sei es als immer wieder geäußerte Furcht, an unbekannter Küste zu scheitern, sei es, daß der Schiffbruch tatsächlich durch ein Auflaufen auf Felsen erfolgt.180 Die Reisegesellschaft kann an dieser Insel folglich gefahrlos anlanden und läßt sich erst einmal erschöpft 178 Siehe zu den verschiedenen erzählerischen Hintergründen dieser bemerkenwerten Darstellungsweise die Behandlung dieses Textes oben. 179 Zur Parodie auf allzu geläufige Seesturmschilderungen bzw. Abgrenzung von den Klischees vgl. auch: Juv. 1,9; 12,22–24; Petr. 114f.; Luc. Tox. 19; Merc.Cond. 1; Synes. ep. 4,162a–b. 180 Vgl. etwa Od. V 388–463 (der schwimmende Odysseus); Hor. Carm. III 27,21–24 (zum Text vgl. Hendry, Seneca, S. 63–66.69); Epod. 10; Plb. I 37,2; App. BC V 10 (§§ 88–90); Plu. Dio 25,7f.; Sen. Ep. LIII 2f.; Ach.Tat. III 4,3 (und 4,6, wo auch Schwimmer zugrunde gehen); Hld. V 17,5; Luc. Nav. 8f.; Merc.Cond. 1f.; Aristid. Or. XLVIII 66; Synes. ep. 4,160c–161c; 164d–165a; und auch Apg 27,17.29. Schließlich erleiden die fliehenden Bewohner von Joppe an der felsigen Küste Untergang und Tod (J. BJ III 9,3 [§§ 422–424]). Die Seeleute in Jon 1,13 unternehmen trotzdem den Versuch, an Land zu gelangen, um den flüchtigen Propheten wieder abzuliefern.
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4 Satiren und Burlesken
auf dem Strande nieder; die Männer lassen sich, das wird ausdrücklich betont, fallen, wie es eben Leute nach überstandener so großer Gefahr tun.181 Erst nachdem man sich doch noch wieder aufraffen konnte, geht es weiter zu einigen wunderlichen Dingen und den gefährlichen Rebenfrauen (VH I 8), die auf der Insel beheimatet sind. Damit hat Lukian seine Sturmerzählung gegeben und betrachtet seine Pflicht in diesem Punkt als erfüllt. Er will aber seine Pflicht übererfüllen, so daß hier über die eben besprochene Sturmerzählung hinaus ergänzend noch auf einige beiläufig angebrachte Bemerkungen oder kleinere Szenen hinzuweisen ist, die für unser Thema der Seefahrts- und Sturmerzählungen relevant sind: Zunächst ist da der Beginn der Mondfahrt zu nennen (VH I 9f.); von der Insel der Rebenfrauen fährt man bei Morgengrauen ab und hat zunächst nicht sonderlich starken Wind:182 Περὶ µεσηµβρίαν δὲ οὐκέτι τῆς νήσου φαινοµένης ἄφνω τυφὼν ἐπιγενόµενος καὶ περιδινήσας τὴν ναῦν καὶ µετεωρίσας ὅσον ἐπὶ σταδίους τριακοσίους οὐκέτι καθῆκεν εἰς τὸ πέλαγος, ἀλλ’ ἄνω µετέωρον ἐξηρτηµένην ἄνεµος ἐµπεσὼν τοῖς ἱστίοις ἔφερεν κολπώσας τὴν ὀθόνην (VH I 9).183 Gegen Mittag also wird das Schiff von einem Wirbelwind (τυφών)
erfaßt,184 der es hoch in die Luft wirbelt. In Apg 27,14 handelt es sich um einen ἄνεµος τυφωνικός, der kurz nach der Abfahrt plötzlich über das Schiff hereinbricht; dabei steht die Zusatzinformation, daß dieser Wind εὐρακύλων heißt.185 Die Fahrt geht dann hier aber keineswegs, etwa nach einem Absturz, auf dem Meere weiter, wie ausdrücklich notiert wird, sondern in der Luft über den Wolken. Die von frischem Wind gut beförderte Fahrt wird geradezu mit pleonastischer Formulierung in Szene gesetzt: ἄνεµος ἐµπεσὼν τοῖς ἱστίοις/ κολπώσας τὴν ὀθόνην.186 Nach siebentägiger Fahrt erreicht man den Mond (I 10) und erlebt dort einige Abenteuer, unter anderem auch eine Schlacht. 181 Vgl. die Szene im Ninos-Roman, wo sich die Männer nach der Rettung ihres Lebens und eines Gutteils ihrer Ausrüstung erschöpft auf dem Strande niederlassen: Ninos C 32–39; vgl. auch die Szene nach dem Schiffbruch bei A.Jo. (Prochoros, Zahn, S. 9, Z. 8–12). 182 Luc. VH I 9: . . . ἕωθεν ἀνήχθηµεν οὐ σφόδρα βιαίῳ πνεύµατι (Übersetzung: . . . am Morgen stachen wir bei nicht sonderlich heftigem Wind in See). 183 Übersetzung: Um die Mittagszeit, als die Insel schon außer Sicht war, kam plötzlich ein Wirbelsturm auf, drehte das Schiff im Kreise herum und hob es in die Höhe, ungefähr dreihundert Stadien hoch, ließ es dann aber nicht wieder aufs Meer herab, sondern es wurde oben in der Luft im Schweben gehalten, wo Wind in die Segel fuhr und es forttrug, daß sich das Segeltuch wölbte. 184 Zum τυφών vgl. Georgiadou/Larmour, Lucian’s Science Fiction Novel, S. 87; von Möllendorff, Auf der Suche, S. 97f. 185 Siehe dazu die Einzelanalyse und den Abschnitt zum Streit um die Fahrtroute. – Zu plötzlichen Windänderungen oder plötzlich hereinbrechenden Stürmen siehe auch: Ninos C 11–14 (s. zur Problematik dieser Stelle aber oben); Charito III 3,10.18; Herpyllis II 17–21.24–26; X.Eph. III 2,12; Ach.Tat. III 1,1; Hld. V 27,1f.; Arr. Peripl.M.Eux. 3,3; Luc. Nav. 7; VH II 47. 186 Zur pleonastischen bzw. tautologischen Formulierung bei der Weiterfahrt über den Wolken vgl. von Möllendorff, Auf der Suche, S. 98–100.
4.2 Lukian von Samosata
165
Das spannende und zum großen Teil wunderliche Geschehen dort können wir hier nicht weiter verfolgen; es sind aber in unserem Zusammenhang noch zwei Szenen anzusprechen, in denen unsere Reisenden durch widrige Winde gehindert werden, einen bestimmten Ort anzulaufen: Unmittelbar nach dem Abschied vom Mondkönig Endymion fährt man weiter und gelangt in die Nähe der Sonne, ja man passiert sie hart, fast streifend: ἐν χρῷ τὴν γῆν παραπλέοντες.187 Dort kann das Schiff aber aufgrund eines ungünstigen Windes nicht anlanden: ὁ ἄνεµος οὐκ ἐφῆκεν (Luc. VH I 28).188 Nach dem Aufenthalt in Lychnopolis folgt die zweite Szene: Hier erblickt man bei der Fahrt neben den Wolken die dem Komödienliebhaber nicht unbekannte Νεφελοκοκκυγία, zumeist als Wolkenkuckucksheim übersetzt;189 auch hier kann man nicht einlaufen, weil es wiederum der Wind nicht zuließ: οὐ γὰρ εἴα τὸ πνεῦµα (VH I 29).190 Hinderliche Winde waren natürlich das Alltagsgeschäft der Schiffer; daß die Literatur bei ihrer Produktion von Seefahrtserzählungen daran nicht vorbeigehen konnte, versteht sich von selbst. In den Seereiseerzählungen dienen solche kleineren Schwierigkeiten aber oft der erzählerischen Vorbereitung viel größeren Unheils; das kann etwa durch die mehrfache Konfrontation mit widrigen Winden geschehen, wie in der Seefahrtserzählung der Apostelgeschichte (Apg 187 Zu dieser Formulierung ist Th. II 84 zu vergleichen, wo die Athener die peloponnesische Flotte in die Enge treiben und umkreisend deren Schiffe immer wieder hart passieren: ἐν χρῷ αἰεὶ παραπλέοντες. Feraboli hat zu unserer Lukian-Stelle eine Konjektur angebracht und will: παρῄειµεν τὸν ἥλιον ἐν κριῷ, τὴν γῆν παραπλέοντες, lesen, s. Feraboli, Appunto; mit der Erwähnung des Sternbilds des Widders wäre gut an den erwähnten ζῳδιακός angeknüpft. Nötig ist diese Konjektur aber keineswegs, vgl. von Möllendorff, Auf der Suche, S. 191f.; Georgiadou/Larmour, Lucian’s Science Fiction Novel, S. 149. 188 Die relevanten Sätze lauten: ἐµβάντες δὲ εἰς τὸν ζῳδιακὸν ἐν ἀριστερᾷ παρῄειµεν τὸν
ἥλιον, ἐν χρῷ τὴν γῆν παραπλέοντες· οὐ γὰρ ἀπέβηµεν καίτοι πολλὰ τῶν ἑταίρων ἐπιθυµούντων, ἀλλ’ ὁ ἄνεµος οὐκ ἐφῆκεν. ἐθεώµεθα µέντοι τὴν χώραν εὐθαλῆ τε καὶ πίονα καὶ εὔυδρον καὶ πολλῶν ἀγαθῶν µεστήν (Übersetzung: Nachdem wir in den Tierkreis eingefahren waren, ließen wir
die Sonne linker Hand liegen und segelten nur um Haaresbreite an ihr vorbei. Ausgestiegen sind wir jedoch nicht, obwohl meine Gefährten das sehr gewünscht hätten, aber der Wind ließ es nicht zu. Wir konnten immerhin beobachten, daß das Land blühend, fruchtbar, gut bewässert und vieler guter Dinge voll war). 189 Νεφελοκοκκυγία/Wolkenkuckucksheim ist natürlich aus den Vögeln des Aristophanes bekannt, dieser Name der Stadt taucht zuerst in Ar. Av. 819 auf; s. auch die nächste Anm. Zu den Vögeln des Aristophanes vgl. Lesky, Geschichte, S. 494f.; Zimmermann, Griechische Komödie, S. 139–155. 190 τῇ δὲ ἐπιούσῃ ἄραντες ἐπλέοµεν ἤδη πλησίον τῶν νεφῶν· ἔνθα δὴ καὶ τὴν Νεφελοκοκκυγίαν πόλιν ἰδόντες ἐθαυµάσαµεν, οὐ µέντοι ἐπέβηµεν αὐτῆς· οὐ γὰρ εἴα τὸ πνεῦµα. . . . καὶ ἐγὼ ἐµνήσθην Ἀριστοφάνους τοῦ ποιητοῦ, ἀνδρὸς σοφοῦ καὶ ἀληθοῦς καὶ µάτην ἐφ’ οἷς ἔγραψεν ἀπιστουµένου (Übersetzung: Am folgenden Tag lichteten wir Anker und fuhren schon nahe den
Wolken; da sahen wir auch die Stadt Wolkenkuckucksheim und verwunderten uns, wir landeten dort jedoch nicht an, denn der Wind ließ es nicht zu. . . . Ich gedachte auch des Dichters Aristophanes, des weisen und wahrhaftigen Mannes, der aufgrund seiner Darstellung ganz grundlos für unglaubwürdig gehalten wird). – Vgl. zu den verschiedenen Aspekten der Erwähnung dieser Vogelstadt von Möllendorff, Auf der Suche, S. 202–205.
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4 Satiren und Burlesken
27,4.7),191 durch direkte Wetterzeichen192 , oder sogar durch einen »Sturm vor dem Sturm«.193 Es stellt sich damit die Frage, ob unsere beiden Stellen hier in Lukians wahren Geschichten ebenfalls in diesem Sinne als Vorbereitungen des folgenden schlimmeren Geschehens zu verstehen sind. Möglicherweise spielt Lukian hier mit dem besagten Element geläufiger Seefahrtserzählungen, durchbricht dieses Verfahren aber dadurch, daß er die widrigen Winde in erster Linie dazu instrumentalisiert, die Reisenden an weiteren bemerkenswerten Orten vorbeifahren zu lassen, so daß er nicht noch mehr wunderbare und wunderliche Dinge ausführlich berichten muß, von denen er den Lesern ja schon zahllose aufgetischt hatte. Er kann so noch weitere staunenswerte Wunderdinge aneinanderreihen, ohne hier jeweils lange verweilen zu müssen.194 Anders dagegen verhält sich das bei der Meeresstille, die unmittelbar nach der Rückkehr auf die Wasseroberfläche, aber vor der Verschlingung durch das riesige κῆτος eintritt (VH I 30); die Reisenden freuen sich noch über ihre Rückkehr auf das Meer und geben sich sogar dem Schwimmen hin, dann heißt es: καὶ γὰρ ἔτυχε γαλήνη οὖσα καὶ εὐσταθοῦν τὸ πέλαγος. ῎Εοικε δὲ ἀρχὴ κακῶν µειζόνων γίνεσθαι πολλάκις ἡ πρὸς τὸ βέλτιον µεταβολή.195 Diese Stelle ist
in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: Zunächst wird hier die Windstille (γαλήνη) im Zusammenhang mit der Rückkehr aufs Meer positiv bewertet, weil sie der Freude über eben jene Rückkehr die Möglichkeit zur besseren Entfaltung bietet.196 Das ist schon an sich erstaunlich, da ja Windstille auf dem Meere, v.a. wenn sie länger anhält, ebenso eine Bedrohung für die Seeleute darstellen kann wie ein Sturm.197 Mithin gilt sie so zuweilen auch als übles Omen für den 191 Dort werden zweimal widrige Winde dafür bemüht, daß nicht die direkte Route gefahren werden kann: διὰ τοὺς ἀνέµους εἶναι ἐναντίους, v. 4/µὴ προσεῶντος ἡµᾶς τοῦ ἀνέµου, v. 7. 192 So im Herpyllis-Fragment II 2–11. 193 Bei Heliodor: Hld. V 22,7 wird eine Sturmfahrt erzählt, die nur Vorbote der späteren Seenot zu sein scheint. 194 Für Νεφελοκοκκυγία/Wolkenkuckucksheim ist ergänzend hinzuzufügen, daß die Unmöglichkeit, hier zu landen, dem xenophoben Charakter der Stadt bei Aristophanes korrespondiert, vgl. von Möllendorff, Auf der Suche, S. 204f. 195 Übersetzung: Denn es traf sich, daß gerade Windstille herrschte und das Meer ganz ruhig war. Oftmals scheint eine Wendung zum Besseren aber nur der Anfang noch größeren Unheils zu sein. 196 Die Windstille wird zwar auch als Gefahr angesehen, aber doch stärker in ihrer positiven Funktion, nämlich als Gelegenheit zur Taufe, dargestellt bei: A. Petr. c. Sim. (Act. Verc.) 5 (Lipsius/Bonnet I, S. 50, Z. 26–S. 51, Z. 2). Vgl. auch die Szene bei Petr. 109,6f. 197 Vgl. etwa das Epigramm AP VII 293 auf Nikophemos, der bei Windstille auf dem Meer verdursten mußte (v. 4), die Windstille (γαλήνη, v. 3) wird dabei auch als Werk der Winde und für die Seeleute genau so schlimm wie ein Sturm herausgestellt (καὶ τοῦτ’ ἀητέων ἔργον· ἆ πόσον κακὸν | ναύταισιν ἢ πνέοντες ἢ µεµυκότες, v. 5f.); oder die Szene bei Charito III 3,11f. und 18 (der lügenhafte Bericht des Theron), wo die Räuber um den Schuft Theron auf dem Meere verdursten. Anders sind bei Plu. Dio 25,8f. die Seeleute mutlos, weil sie der Gefahr der Syrte in der Windstille nicht entrinnen können. Siehe schließlich zu einer anderen Gefahr der Windstille, nämlich von
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weiteren Verlauf der Reise.198 In ihrer positiven Bewertung wird die Rückkehr und die Windstille dann aber doch zur negativen Vorbedeutung erklärt, und das eben ganz ausdrücklich, wenn glückliche Wendungen als Anfang eines noch schlimmeren Übels gedeutet werden. So wird also auch hier mit den Vorzeichen des üblen Ergehens gearbeitet, das allerdings in fast paradoxer Weise.199 Und das Übel kommt auch: Die folgende Verschlingung durch das κῆτος interessiert uns hier aber nicht weiter; sie kann wohl im weiteren Sinne zu den mythischen Verschlingungserzählungen gestellt werden, bei denen der Held von einem Ungeheuer verschlungen wird und dieses dann von innen überwindet.200 Die Überwindung des Untiers scheint aber nur der unspektakuläre Epilog dieser Teilerzählung zu sein, insgesamt dient nämlich das κῆτος in erster Linie als eine Art Bühne für weitere staunenswerte Erlebnisse.201 Darunter befindet sich auch die Begegnung mit einem älteren Mann und einem Jüngling (VH I 33), Vater und Sohn, die schon längere Zeit in dem Walfisch zugebracht haben. Im Zuge der ersten Begegnung tauscht man die jeweilige Geschichte aus: Skintharos, so der Name des Alten, sei zypriotischer Kaufmann und auf einer Reise nach Italien, die zunächst glücklich verlief, auf der Höhe von Sizilien von einem derartigen Sturm ergriffen worden, daß er von diesem bis in den großen Ozean hinausgetrieben worden sei, dort habe dieses Untier sein Schiff mit Mann und Maus verschlungen; er und der Jüngling seien die einzigen Überlebenden.202 Das ist freilich ein kurz zusammengefaßtes Seeabenteuer von ebenfalls ganz und gar unglaublichem Zuschnitt, wobei die Fabulosität, die sich
Seeräubern mit ihren schnellen Barken eingeholt zu werden, auch Hld. V 23,2f. (und X.Eph. I 12,3– 13,5). 198 Vgl. etwa X.Eph. I 12,3f., wo die Windstille verbunden wird mit den sich dem Suff ergebenden Matrosen und einem unheilverheißenden Traum. 199 Vgl. dagegen etwa die ganz konsequente Zusammenstellung von eigentlichen Vorzeichen und anderen Voraussetzungen der Fahrt bei Synesios von Kyrene: Synes. ep. 4,159c–160c; in diesem Brief findet sich auch eine Windstille vor dem Sturm: 164a–b. 200 Vgl. das von von Möllendorff, Auf der Suche, S. 234–237, Angeführte. Besonders prominent ist den vergleichbaren Stoffen das Motiv der wunderbaren Rüstung; diese mythischen Stoffe und Erzählungen ließen sich auch mit der Verschlingung des Jona (Jon 2) in Verbindung bringen, s. S. 206f. Das Motiv fehlt allerdings in Lukians Walgeschichte; die endgültige Überwindung geschieht hier dadurch, daß man im Innern des Tiers ein gewaltiges Feuer entfacht: Luc. VH II 1. 201 Vgl. den ganzen Abschnitt von der Verschlingung bis zur Wiedererlangung der Freiheit: Luc. VH I 30–II 2. 202 Luc. VH I 34: µέχρι µὲν οὖν Σικελίας εὐτυχῶς διεπλεύσαµεν· ἐκεῖθεν δὲ ἁρπασθέντες ἀνέµῳ σφοδρῷ τριταῖοι ἐς τὸν ὠκεανὸν ἀπηνέχθηµεν, ἔνθα τῷ κήτει περιτυχόντες καὶ αὔτανδροι καταποθέντες δύο ἡµεῖς µόνοι τῶν ἄλλων ἀποθανόντων ἐσώθηµεν (Übersetzung: Bis Sizilien
kamen wir glücklich voran; von da an jedoch wurden wir, von einem heftigen Sturm erfaßt, in drei Tagen in den Okeanos fortgetrieben, hier begegneten wir dem κῆτος und wurden mitsamt der Mannschaft verschlungen, wir beide sind die einzigen Überlebenden, die anderen tot).
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in dem Sturmgeschehen zeigt, in bemerkenswertem Kontrast zu den ansonsten genauen Angaben des Skintharos steht.203 Unsere Gefährten haben nun, was die üblichen Gefahren auf See betrifft, auch noch einen Piratenüberfall zu erleiden, bei dem sie von den Κολοκυνθοπειραταί, den Kürbispiraten, auf übelste Weise mit natürlich nichts anderem als Kürbiskernen beschossen werden; diese besonderen Seeräuber lassen erst beim Auftauchen anderer Gegner von ihnen ab (VH II 37). Und zu guter Letzt nach all diesen mannigfaltigen abenteuerlichen und zum Teil skurrilen Begebenheiten, von denen wir hier natürlich nur die allerwenigsten ausnahmsweise erwähnen konnten, müssen sie das letzte Leid zur See erdulden, den Schiffbruch. Das wird gleich nach der Abfahrt von der Insel Kobalusa204 geschildert, auf der die eselsbeinigen Frauen (᾽Ονοσκέλεαι, Luc. VH II 46205 ) wohnen; dieser Abschnitt bildet zusammen mit dem folgenden, hier gleich mit abgedruckten Epilog den Abschluß des zweiten Buches und überhaupt des gesamten Werkes (II 47): Ταχέως οὖν ἐπὶ ναῦν κατελθόντες ἀπεπλεύσαµεν. καὶ ἐπεὶ ἡµέρα ὑπηύγαζεν, ἤδη τὴν ἤπειρον ἀπεβλέποµεν εἰκάζοµέν τε εἶναι τὴν ἀντιπέρας τῇ ὑφ’ ἡµῶν οἰκουµένῃ κειµένην. προσκυνήσαντες δ’ οὖν καὶ προσευξάµενοι περὶ τῶν µελλόντων ἐσκοποῦµεν, καὶ τοῖς µὲν ἐδόκει ἐπιβᾶσιν µόνον αὖθις ὀπίσω ἀναστρέφειν, τοῖς δὲ τὸ µὲν πλοῖον αὐτοῦ καταλιπεῖν, ἀνελθόντας δὲ ἐς τὴν µεσόγαιαν πειραθῆναι τῶν ἐνοικούντων. ἐν ὅσῳ δὲ ταῦτα ἐλογιζόµεθα, χειµὼν σφοδρὸς ἐπιπεσὼν καὶ προσαράξας τὸ σκάφος τῷ αἰγιαλῷ διέλυσεν. ἡµεῖς δὲ µόλις ἐξενηξάµεθα τὰ ὅπλα ἕκαστος καὶ εἴ τι ἄλλο οἷός τε ἦν ἁρπασάµενοι. Ταῦτα µὲν οὖν τὰ µέχρι τῆς ἑτέρας γῆς συνενεχθέντα µοι ἐν τῇ θαλάττῃ καὶ παρὰ τὸν πλοῦν ἐν ταῖς νήσοις καὶ ἐν τῷ ἀέρι καὶ µετὰ ταῦτα ἐν τῷ κήτει καὶ ἐπεὶ ἐξήλθοµεν, παρά τε τοῖς ἥρωσι καὶ τοῖς ὀνείροις καὶ τὰ τελευταῖα παρὰ τοῖς Βουκεφάλοις καὶ ταῖς ᾽Ονοσκελέαις, τὰ δὲ ἐπὶ τῆς γῆς ἐν ταῖς ἑξῆς βίβλοις διηγήσοµαι.
Eilig liefen wir zu unserm Schiff und segelten ab. Als der Tag aufleuchtete, erblickten wir schon festes Land und hielten es für das, was dem von uns bewohnten gegenüber liegt. Nachdem wir uns niedergebeugt und für das Bevorstehende gebetet hatten, überlegten wir (was zu tun sei): Den einen erschien es besser, nach einem kurzen Landgang sofort wieder umzukehren, den anderen, das Schiff hier zurückzulassen, ins Landesinnere hinaufzuziehen und zu sehen, was mit den Einwohnern anzufangen sei. Als wir noch mitten in solchen Überlegungen steckten, brach ein heftiger Sturm herein und schmetterte das Boot auf den Strand, wo es zerbrach. Wir aber vermochten uns kaum schwimmend zu Vgl. zum Moment der Fabulosität auch dieses Sturms von Möllendorff, Auf der Suche, S. 241; man beachte die ähnlich weite Westabdrift des Kolaios, von der Herodot berichtet, und die Lukian hier parodierend aufgenommen haben könnte (Hdt. IV 152,1f.). 204 MacLeod, Tom. I, S. 123, Z. 29, nimmt die Konjektur Κοβαλοῦσα (Guyet) in den Text; die Zeugen Γ a β bieten: καβαλλοῦσα; Ω: καβαλοῦσα. Vgl. zum Text an dieser Stelle: Georgiadou/Larmour, Lucian’s Science Fiction Novel, S. 230; von Möllendorff, Auf der Suche, S. 494, Anm. 34. 205 Vgl. zu ὀνοσκέλεος (ὀνοσκελής) und ὀνοσκελίς: Georgiadou/Larmour, Lucian’s Science Fiction Novel, S. 230f.; von Möllendorff, Auf der Suche, S. 489f. mit Anm. 19f. 203
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retten, da ein jeder seine Waffen und wessen er sonst noch habhaft werden konnte, zusammengerafft hatte. Dies also sind zunächst die Geschehnisse, die mir bis zu diesem anderen Festland widerfahren sind, auf dem Meere, bei der Fahrt durch die Inseln und in der Luft, danach im Wal und, nachdem wir da herausgekommen sind, bei den Heroen, den Träumen und schließlich bei den Bukephalen, sowie den eselsbeinigen Frauen; das aber, was an Land weiter geschehen ist, werde ich in den folgenden Büchern berichten.
Der Leser ist noch in keiner Weise auf das Ende der gesamten Erzählung vorbereitet, und dennoch bringt Lukian jetzt seine Wahren Geschichten mit wenigen Federstrichen zu Ende: Man liegt an der Küste des gegenüberliegenden Kontinents und überlegt, was jetzt geschehen soll, da bricht wiederum ein Sturm über die Reisenden herein; die Plötzlichkeit, mit der dieser Sturm ausbricht – was ja durchaus zur Motivik solcher Erzählungen gehört –,206 ist schon geradezu lächerlich. Vor allem ist aber lächerlich, wie dieser Sturm zum Schiffbruch führt, der ja endlich einmal in dieser Erzählung auch vorkommen mußte. Ohne weitere Umstände wirft der Sturm das Schiff an Land und zerbricht es;207 die Männer haben nun Mühe, sich schwimmend aufs Festland zu begeben. Das ist wahrhaft die Karikatur einer Sturm- und Schiffbruchsszene! Dies wird u.a. auch wieder an einem Defizit in der Motivik deutlich: Der Erzähler gestattet sich kein Wort über Rettung der Reisenden, wie es sonst zuweilen explizit geschieht,208 sondern schließt die Szene durch die Notiz ab, sie hätten unter der Last der zusammengerafften Ausrüstung nur mit Mühe schwimmen können.209 Diese sozusagen nur implizite Feststellung der Rettung trägt so auch zur Parodie der gewöhnlichen Motivik bei. Der sich unvermittelt anschließende Epilog bietet dann den letzten Witz des ganz gewiß nicht witzarmen Werks, ja vielleicht die dreisteste Lüge überhaupt:210 Die Begebenheiten auf dem gegenüberliegenden Festland sollen in den folgenden Büchern dargelegt werden, wohlgemerkt in weiteren Büchern, die natürlich nie geschrieben worden sind, und die Lukian auch mit absoluter Sicherheit überhaupt nie vorhatte zu schreiben. Vgl. etwa wieder: Charito III 3,10.18; Herpyllis II 17–21.24–26; X.Eph. III 2,12; Ach.Tat. III 1,1; Hld. V 27,1f.; Arr. Peripl.M.Eux. 3,3; Luc. VH I 9; und natürlich Apg 27,14. 207 Zu gestrandeten oder aufgelaufenen Schiffen vgl.: Ninos C 23–30; Hld. V 27,7 (mit der berühmten Anfangsszene Hld. I 1,1–2,9); Arr. Peripl.M.Eux. 5,1; Luc. Merc.Cond. 1f.; Apg 27,41ff. 208 Vgl. besonders Apg 27,44; ebenfalls wird eine Szene durch die Feststellung der Rettung abgeschlossen bei: Longus I 31,1. 209 Vgl. zur Rettung durch Schwimmen nach einem Schiffbruch: J. Vit. 3 (§ 15), wo aber keine Szene an der Küste vorliegt; App. BC V 10 (§ 89); Ach.Tat. III 4,6, wo man erfolglos schwimmt und an die Felsen geschmettert wird; X.Eph. III 2,12f.; Longus I 30,2–31,1; Luc. Tox. 19f. (hier allerdings ein während des Sturms über Bord Gegangener und sein Helfer); Merc.Cond. 2; und natürlich in ganz ähnlicher Situation wie hier Apg 27,43f. 210 Vgl. Georgiadou/Larmour, Lucian’s Science Fiction Novel, S. 232. 206
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Fazit: Es hat sich gezeigt, daß Lukian die ganze Bandbreite möglicher Gefahren und Leiden zur See in seinem parodistischen Reiseroman einsetzt; weniger ist von ihm auch kaum zu erwarten. An fast jeder Stelle, an denen Seefahrtsmotivik verwendet wird, kommen die parodistischen Züge auch zum Tragen. Damit sind die Wahren Geschichten freilich nicht als direkte Parallele zur Seefahrtserzählung in Apg 27f. zu verwenden, die literarische Zielstellung ist einfach eine ganz andere. Trotzdem zeigt Lukian in seinem Werk die Prominenz der uns interessierenden Motivik und ermöglicht so Rückschlüsse auf die von ihm kritisierte und parodierte Literatur, die ungeachtet der diesbezüglichen Bemerkungen oben im Fall der Seefahrtspartien natürlich Reiseerzählungen und v.a. Reiseromane sind; und zu solchen Reiseerzählungen gehört offenbar auch die Romreise des Paulus in Apg 27f. 4.2.4 Die in hohen Häusern für Sold dienen Die lukianische Schrift De mercede conductis potentium familiaribus (Περὶ τῶν ἐπὶ µισθῷ συνόντων) ist wie der nachfolgend zu behandelnde Tod des Peregrinus formal als Brief abgefaßt. In De mercede conductis warnt Lukian den Empfänger Timokles vor den Gefahren eines Hofmeisterlebens in hohen römischen Häusern. In der Kaiserzeit werden wohl einige Griechen kaum dem Versuch widerstanden haben, auf diese Weise in Italien und v.a. in Rom »Karriere« zu machen; nur den wenigsten dieser »Karrieristen« wird das im Sinne einer Karriere, die diese auch Bezeichnung verdient, gelungen sein. Lukian nimmt die möglichen Gefahren, die mit einer solchen abhängigen Beschäftigung verbunden sind, ins Visier, und das in schärfstem Ton. Er geht die verschiedenen Stadien einer solchen Hofmeisterexistenz durch: vom werbenden Einschmeicheln, das die erste Selbstverbiegung darstellt, über die geringe Entlohnung, den belastenden täglichen Dienst, bis zu den Gefahren für die eigene Gesundheit usw. Insgesamt drohe vielen – so Lukian –, die diesen Weg einschlagen, ein schlimmeres Schicksal als den meisten Sklaven. Lukian erklärt in den einleitenden Passagen seines Briefs, daß er solche gescheiterten Hofmeisterkarrieren in Menge aus persönlichen Kontakten kenne, was ihn umso mehr dazu berechtige, ausdrücklich davor zu warnen. Er habe oft Menschen zugehört, die das ganze Elend einer solchen Beschäftigung vom Anfang bis zum Ende durchlaufen mußten: ein schimpfliches Ende, das aber auch eine Art Rettung darstellt. Ihren Erzählungen habe er mit Aufmerksamkeit und Interesse gelauscht (Luc. Merc.Cond. 1): οὐ παρέργως οὖν οὐδὲ ἀµελῶς ἐπήκουον αὐτῶν καθάπερ ναυαγίαν τινὰ καὶ σωτηρίαν αὑτῶν παράλογον διηγουµένων, οἷοί εἰσιν οἱ πρὸς τοῖς ἱεροῖς ἐξυρηµένοι τὰς
4.2 Lukian von Samosata
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κεφαλὰς συνάµα πολλοὶ τὰς τρικυµίας καὶ ζάλας καὶ ἀκρωτήρια καὶ ἐκβολὰς 211 καὶ ἱστοῦ κλάσεις καὶ πηδαλίων ἀποκαυλίσεις διεξιόντες, ἐπὶ πᾶσι δὲ τοὺς Διοσκούρους ἐπιφαινοµένους – οἰκεῖοι γὰρ τῆς τοιαύτης τραγῳδίας οὗτοί γε – ἤ τιν’ ἄλλον ἐκ µηχανῆς θεὸν ἐπὶ τῷ καρχησίῳ καθεζόµενον ἢ πρὸς τοῖς πηδαλίοις ἑστῶτα καὶ πρός τινα ᾐόνα µαλακὴν ἀπευθύνοντα τὴν ναῦν, οἷ προσενεχθεῖσα ἔµελλεν αὐτὴ µὲν ἠρέµα καὶ κατὰ σχολὴν διαλυθήσεσθαι, αὐτοὶ δὲ ἀσφαλῶς ἀποβήσεσθαι χάριτι καὶ εὐµενείᾳ τοῦ θεοῦ.
Interessiert und keineswegs nachlässig hörte ich ihnen zu, als ob sie von einem Schiffbruch erzählten und ihrer ganz unverhofften Rettung, ganz so wie diejenigen, die bei den Heiligtümern mit geschorenem Kopf in Mengen zusammen sitzen und die riesigen Wogen durchgehen, die Stürme, Felsenküsten, Leichterungen,212 die gebrochenen Mastbäume und abgehauenen Ruderwerke, dazu erscheinen dann noch die Dioskuren – denn die gehören ja als übliches Inventar zu solch einer Tragödie – oder irgendein anderer deus ex machina, der auf dem Topp sitzt oder am Ruder steht und das Schiff zu irgendeinem flachen Gestade steuert, wo dieses, dort angelandet, langsam und mit Muße zerbrechen, jene aber sicher an Land gehen können, aufgrund göttlicher Gnade und Huld.
Es war ihm bei diesen Erzählungen so, als hörte Lukian die Geschichte von einem Schiffbruch und einer ganz wunderbaren Rettung, die den leidgeprüften Existenzen zum Schluß doch noch widerfahren sei. So vergleicht er die gescheiterten Hofmeister mit solchen Menschen, die, wie er sagt, in Mengen bei den Heiligtümern sitzen und für ein Almosen ihre schrecklichen Erlebnisse auf dem Meere zum besten geben. Dies ist der erste Durchgang in einem ausführlichen Vergleich zwischen den Griechen in römischen Diensten und den tatsächlich im Meere Schiffbrüchigen, bei dem also zunächst letztere selbst zu Wort kommen, was Lukian in typischer Manier mit nur kurzen Bemerkungen zusammenfaßt. Lukian benennt in knapper Aufzählung das, was die Schiffbrüchigen für gewöhnlich daherdeklamieren (διεξιέναι). Diese Aufzählung umfaßt einige der Elemente, die zu einer üblichen Sturm- und Schiffbruchserzählung gehören. Da ist von den riesigen Wellenbergen die Rede, den τρικυµίαι, also wörtlich Dreifachwellen, welcher Ausdruck des öfteren in Sturmerzählungen benutzt wird.213 da werden die Stürme allgemein mit einem geläufigen Ausdruck (ζάλαι) 211 Ich verstehe ἐκβολή hier als Leichterung, also das Überbordwerfen von Ladung, Gerätschaften oder sogar Teilen der Takelage. Harmon, Vol. III, S. 413, übersetzt mit strandings; abgesehen davon, daß weder LSJ (s.v. ἐκβολή, S. 502 [zur Leichterung s.v. I 2]) noch Passow (I 2, s.v. ἐκβολή, S. 825 [zur Leichterung s.v. I 1]) diese Bedeutung verzeichnen, passen Strandungen an dieser Stelle gar nicht in die Aufzählung, weil nach dem Aufruf der Sturmsituation an sich jetzt besondere Gefahren und Ereignisse angeführt werden. Die Strandung – in diesem Fall die glückliche Strandung – wird erst weiter unten erwähnt. Leichterungen kommen sonst auch vor bei: Hdt. VIII 118f.; Ach.Tat. III 2,9; Jon 1,5a; und natürlich Apg 27,18f.38; weitere Stellen s. S. 191f. 212 Siehe Anm. 211 (S. 171). 213 Vgl. zu den geläufigen τρικυµίαι: TestNaph VI 5; Synes. ep. 4,162a–b; A.Jo. (Prochoros, Zahn, S. 9, Z. 1), hier die expandierte Formulierung κυρτωθέντων τριῶν κυµάτων (gen.abs.);
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angeführt und die ebenso topisch erwähnte Gefahr von Felsen- und Steilküsten im Unwetter.214 Dazu tritt dann noch eine gleichermaßen oft angeführte Maßnahme, mit der man sich im Sturm zu helfen versuchte, die Leichterung.215 Den Reigen schließen massive Beschädigungen des Schiffes ab.216 Daraufhin fügt Lukian mit einem betonten ἐπὶ πᾶσι δέ noch das Element hinzu, was die Rettung zu einer wunderbaren macht, nämlich die vermeintliche Erscheinung eines Gottes, vorzugsweise der Dioskuren.217 Dem Wirken der helfenden Gottheiten wird nun nichts weniger als die ganze Rettung aus der hoffnungslosen Situation zugeschrieben, denn sie sind es, die jetzt die Schiffsführung übernehmen218 und das gebeutelte Gefährt auf einem flachen Strand auflaufen lassen, womit zwar das Schiff selbst verloren geht, die Insassen aber ihr Leben haben retten können. Diese Situation ist also den Verhältnissen in Apg 27,41ff. ganz ähnlich, freilich wird in der Apostelgeschichte eine weit genauere Beschreibung vorgenommen.219 Besonders bemerkenswert ist die Parallele zwischen unserer Stelle und der Situation in Apg 27 deshalb, weil es sich in beiden Fällen um ein vorsätzliches und geplantes Auflaufen des Schiffes handelt; auch das Ergebnis ist gleich: Man geht des Schiffes verlustig, alle Insassen aber können ihr Leben retten. Dies wurde dem Paulus in seinem Nachtgesicht ja auch ausdrücklich so verheißen (Apg 27,22–26). Es ist von daher erwägensAch.Tat. III 2,2; Hld. V 27,7; Luc. Tox. 19; und schließlich auch die gleich folgende Passage Merc.Cond. 2, wo diese τρικυµίαι durch πεντακυµίαι und sogar δεκακυµίαι überboten werden. – Möglicherweise ist der Ausdruck τρικυµία mit den aus der neuzeitlich-modernen Seefahrtssprache bekannten, besonders große Wellen bezeichnenden Ausdrücken Kawenzmann oder Three Sisters zu verbinden. Das zu beurteilen, sei jedoch den Seefahrtshistorikern überlassen; hier soll nur noch bemerkt werden, daß in den Sturmschilderungen τρικυµία auch dann verwendet wird, wenn nicht gerade eine außergewöhnliche Riesenwelle bezeichnet werden soll (etwa die heute sogenannten Monsterwellen von bis zu 30m Höhe). Vielleicht ist von einem abgeschwächten Gebrauch auszugehen, der auch im Deutschen ja bei Kawenzmann vorherrscht. – Den Hinweis auf den Kawenzmann verdanke ich Ulfhardt Stoewer. 214 Vgl. überhaupt zur Gefahr der Küste im Sturm: Od. V 388–463 (der schwimmende Odysseus); Plb. I 37,2; J. BJ III 9,3 (§§ 422–424); App. BC V 10 (§§ 88–90); Plu. Dio 25,7f.; Sen. Ep. LIII 2f.; Ach.Tat. III 4,3; Hld. V 17,5; Luc. Nav. 8f.; VH I 6; Aristid. Or. XLVIII 66; Synes. ep. 4,160c–161c; 164d–165a; und auch Apg 27,17.29, sowie unten Merc.Cond. 2. 215 Zur hier mit aufgezählten Leichterung s. die Anm. 211 (S. 171). 216 Vgl. zu Beschädigungen des Schiffs etwa: Theoc. XXII 12–14; Hor. Carm. I 14,3–6; Hld. V 22,7; Apul. Met. II 14,2 (auch hier verlorene Ruder); Petr. 114,13; Synes. ep. 4,164c–d. 217 Zu den Dioskuren als Retter in Seenot vgl. etwa: Luc. Nav. 9 und Herpyllis II 55–59 (s. S. 89ff.). 218 Zu diesen und weiteren Möglichkeiten der Führung des Schiffs durch Rettergottheiten s. Wachsmuth, Πόµπιµος, S. 158–160, mit zahlreichen Belegstellen. 219 Zu unter verschiedenen Bedingungen gestrandeten oder aufgelaufenen Schiffen vgl. neben der Szene in der Apostelgeschichte auch noch: Ninos C 23–30, wo aber die Bedingungen der Strandung fraglich sind; Hld. V 27,7 (und das berühmte Bild, das den Roman eröffnet [Hld. I 1,1–2,9]: gestrandetes Schiff, Leichen, das Liebespaar, alles von Räubern beobachtet); Luc. VH II 47.
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wert, noch einen weiteren Zug als parallel zu beschreiben: Sowohl in Apg 27 als auch hier wird der Verlust des Schiffes und die Rettung aller Menschen – zugegebenermaßen in je unterschiedlicher Weise – auf göttliche Intervention zurückgeführt, nämlich auf die direkte Intervention (etwa durch Übernahme des Steuers o.ä.) durch die Dioskuren oder einen anderen deus ex machina hier, und die Erscheinung eines Engels in Apg 27, der den Schutz Gottes verheißt.220 Als weiterer Unterschied ist natürlich zu notieren, daß man sich in Apg 27 noch schwimmend an Land retten muß, was sich hier in Merc.Cond. erst im zweiten bildhaft verwendeten Abschnitt findet (§ 2). Insgesamt ist bei dieser knappen Darstellungsform in einer Aufzählung wieder ganz deutlich spürbar, wie Lukian sich des Topischen und des häufig – ja zu häufig – Gehörten in Sturm- und Schiffbruchserzählungen bewußt ist.221 Darauf deuten explizit die Bezeichnung des Erzählmodus der Schiffbrüchigen als διεξιέναι und das ἐπὶ πᾶσι δέ vor der Erwähnung der helfenden Gottheiten hin, das man verstehen kann als: und dann noch, als wenn der Erzählung noch nicht genug getan wäre, . . . Bei den helfenden Gottheiten selbst wird darüber hinaus das Geläufige ausdrücklich betont: οἰκεῖοι γὰρ τῆς τοιαύτης τραγῳδίας οὗτοί γε. Sie sind in solchen Erzählungen gleichsam zu Hause und werden eben nicht selten zur Darstellung der Rettungsereignisse bemüht. Auch in dem diesen Durchgang abschließenden und zum nächsten überleitenden Satz kann man einen diesbezüglichen Hinweis sehen. Lukian stellt fest, daß die Erzähler solcher »tatsächlichen« Schiffbrüche ihre Darstellungen zumeist aufputzen und der jeweiligen Situation angemessen auch Einzelheiten hinzuerfinden (πρὸς τὴν χρείαν τὴν παραυτίκα ἐπιτραγῳδοῦσιν, § 1). Die eigentliche Funktion dieser Bemerkung besteht nun freilich nicht darin, erneut das Topische und Geläufige zu betonen (das geschieht dadurch nebenbei auch), sondern zum nächsten Durchgang überzuleiten, indem den real Schiffbrüchigen unterstellt wird, sie übertrieben ihre Leiden durch zusätzliche Fiktion, um eventuell die Almosen der Mitleidigen zu steigern. Ganz im Gegensatz dazu die gescheiterten Hofmeister, deren Leiden nun entsprechend im Bild der Schiffbruchserzählung gefaßt werden (Luc. Merc.Cond. 2): οἱ δὲ τοὺς ἐν ταῖς οἰκίαις χειµῶνας καὶ τὰς τρικυµίας καὶ νὴ Δία πεντακυµίας τε καὶ δεκακυµίας, εἰ οἷόν τε εἰπεῖν, διηγούµενοι, καὶ ὡς τὸ πρῶτον εἰσέπλευσαν, γαληνοῦ ὑποφαινοµένου τοῦ πελάγους, καὶ ὅσα πράγµατα παρὰ τὸν πλοῦν ὅλον ὑπέµειναν ἢ διψῶντες ἢ ναυτιῶντες ἢ ὑπεραντλούµενοι τῇ ἅλµῃ, καὶ τέλος ὡς πρὸς πέτραν τινὰ ὕφαλον ἢ σκόπελον ἀπόκρηµνον περιρρήξαντες τὸ δύστηνον σκαφίδιον ἄθλιοι κακῶς ἐξενήξαντο γυµνοὶ καὶ πάντων ἐνδεεῖς τῶν ἀναγκαίων – ἐν δὴ τούτοις καὶ Vgl. Heininger, Paulus als Visionär, S. 295. Vgl. zur Parodie auf bzw. Distanzierung von den üblichen Seesturmschilderungen auch: Juv. 1,9; 12,22–24; Petr. 114f.; Luc. Tox. 19; VH I 6; Synes. ep. 4,162a–b. 220 221
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τῇ τούτων διηγήσει ἐδόκουν µοι τὰ πολλὰ οὗτοι ὑπ’ αἰσχύνης ἐπικρύπτεσθαι, καὶ ἑκόντες εἶναι ἐπιλανθάνεσθαι αὐτῶν.
Die aber berichten von den Stürmen in den Häusern und den riesigen Wogen (Dreifachwellen), ja, beim Zeus, von den Fünffach- und den Zehnfachwellen – wenn man das so sagen kann – und darüber, wie sie zuerst gut gefahren seien und das Meer sich von seiner ruhigen Seite gezeigt hatte, und wie viel Leid sie auf der ganzen Fahrt zu erdulden hatten, sei es aus Durst, Seekrankheit, oder wenn sie vom Meerwasser überspült wurden, und schließlich wie sie, die Elenden, nachdem sie mit dem unglücklichen Kahn auf einen unterseeischen Felsen oder eine steile Klippe aufgelaufen waren, kaum an Land schwimmen konnten, nackt und alles Notwendigen entbehrend – bei diesen und in ihrer Erzählung nun schien es mir so, als wenn sie aus Scham viele Dinge verschwiegen und sie absichtlich vergessen hätten.
Die Bildrede von den »Stürmen in den Häusern« soll die Sturmerlebnisse der tatsächlich Schiffbrüchigen noch überbieten: Das geschieht erstens dadurch, daß der Verfasser den geläufigen und oben schon benutzten τρικυµίαι222 die nur hier bei Lukian belegten und für diesen Zweck sicher spontan gebildeten Fünf- und Zehnfachwellen gegenüberstellt. Daß Lukian hier mit seinen πεντακυµίαι und δεκακυµίαι Neologismen bildet, macht er auch selbst in seinem Text deutlich, indem er die betonte Steigerung durch ein καὶ νὴ Δία kennzeichnet und explizit mit der Parenthese εἰ οἷόν τε εἰπεῖν auf die ungebräuchlichen Neubildungen hinweist.223 Im folgenden wird dann das Ergehen der Hofmeister ins Bild gefaßt, insbesondere wird ihr sich wandelndes Geschick als Seefahrt geschildert, die eben zuerst gut verlaufen sei, mit ruhiger See (γαληνὸν πέλαγος). Die »ruhige See« dient nur zur Illustration der guten Fahrt,224 die zuweilen in Seefahrtserzählungen auch reflektierten Gefahren einer andauernden Windstille werden mit dem Adjektiv γαληνός hier dagegen nicht angesprochen.225 Das dem Abschnitt der guten Fahrt folgende Leiden wird nur zusammenfassend geschildert und durch drei exemplarische Phänomene wiedergegeben: den Durst, die Seekrankheit und das Überspültwerden bzw. Vollaufen des Schiffs (ὑπεραντλεῖν τῇ ἅλµῃ). Siehe zu den τρικυµίαι schon oben Luc. Merc.Cond. 1 und die dort genannten Stellen. Offenbar hat nur Lukian zu dieser an sich nicht unerfindbaren, aber doch etwas lächerlichen Steigerung der gewöhnlichen τρικυµίαι gegriffen. Wie kaum anders zu erwarten, haben wir es hier wahrscheinlich mit Hapaxlegomena der gesamten griechischen Literatur zu tun; zumindest ergibt eine Suche auf der TLG-CD-Rom #E nach *πεντακυµι- und *δεκακυµι- nur unsere Stelle Luc. Merc.Cond. 2 als Treffer. 224 In den Romanen findet sich die Beschreibung der guten bzw. schönen Fahrt zum Teil in ausführlicher Gestalt: Ach.Tat. II 32,1f.; Hld. V 1,2; weniger eindrucksvoll: Charito III 6,1; blassere Notizen wie hier sind üblich, vgl. beispielsweise: Luc. Tox. 19. 225 Eine der prominenten Gefahren andauernder Windstille, die das Schiff auf dem offenen Meer festhält, ist natürlich, daß das Süßwasser ausgeht und Durst droht; der Durst auf dem Meere wird gleich im folgenden erwähnt: διψᾶν. Vgl. hierzu etwa AP VII 293, oder Charito III 3,11f.18, wo die Räuber um den Schuft Theron verdursten. 222 223
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Insgesamt erinnert diese Leidensschilderung sehr deutlich an die gleichermaßen bildhaft verwendete in Herm. 28, wo Seekrankheit, Furcht und Kopfschmerz die angeführten Phänomene sind.226 Abgeschlossen wird die knappe Darstellung mit dem endgültigen Scheitern des Schiffs an einer gefährlichen Küste,227 wo es offenbar zerbricht, und die Insassen alle Mühe haben, sich schwimmend an Land zu retten.228 Damit ist die »Karriere« des Hofmeisters zu Ende; wie ein Schiffbrüchiger steht er nun da, nackt und in Entbehrung des Nötigsten! Von den Erzählern dieser häuslichen Sturmgeschichten nun hat Lukian den Eindruck, daß sie gerade nicht dramatisierende Einzelzüge hinzuerfinden, sondern sogar vielmehr aus Scham besonders schlimme Leiden fortlassen, ganz im Gegensatz zu den Schiffbrüchigen in den Heiligtümern, die um Almosen betteln. Fazit: Die §§ 1f. von De mercede conductis bieten eine zusammenfassende Schilderung tatsächlicher Sturmerzählungen, die dem Vergleich mit den Erzählungen gescheiterter Hofmeister dient, und eine genauso knappe bildhaft verwendete Schiffbruchsschilderung, die den Werdegang solcher Bediensteter zum Ausdruck bringt. Auffällig ist dabei in der ersten Schilderung die typisch lukianische Distanzierung vom allzu üblichen Metier der überdramatisierten Sturmerzählungen. Ein derartig kritischer und satirischer Gestus ist der bildhaften Passage nicht zu eigen. Besonders sticht der Abschnitt in § 1 durch seinen beißenden Spott hervor, der hier über das oftmals bemühte göttliche Eingreifen, das dann doch noch zur unverhofften Rettung geführt habe, ausgeschüttet wird. Dieser Spott bestätigt gewiß den Topos göttlich verursachter Rettung zur See. Wir können diesen Beleg also mit der Erscheinung des Engels in Apg 27,23 und der göttlichen Verheißung einer Rettung aller um des Paulus willen zusammenstellen (27,24), zumal auch diese göttliche Initiative zu dem gleichen Ergebnis führt wie hier in § 1: Verlust des Schiffs, Rettung für alle Menschen (v. 22). 4.2.5 Der Tod des Peregrinus »Lucian’s essay On the Death of Peregrinus is not the masterpiece of invective that the Mistaken Critic is, nor does it have the personal spite of the Alexander. Yet it has probably generated more emotion than any other of his works, mainly 226 Luc. Herm. 28: . . . ἀλλὰ ἀνάγκη ἐν τῷ πελάγει διαφέρεσθαι ναυτιῶντα ὡς τὸ πολὺ καὶ δεδιότα καὶ καρηβαροῦντα ὑπὸ τοῦ σάλου (Übersetzung: . . . sondern dann wird man zwangs-
läufig auf dem Meere umhergetrieben, geplagt zumeist von Seekrankheit, Furcht und drückendem Kopfschmerz unter den Bewegungen des Schiffs). 227 Vgl. wieder zur Gefahr der Küste im Sturm oben Luc. Merc.Cond. 1 und die in Anm. 214 genannten Belege. 228 Vgl. insgesamt zur Rettung durch Schwimmen nach einem Schiffbruch: J. Vit. 3 (§ 15); X.Eph. III 2,12f.; Longus I 30,2–31,1; Apul. Met. II 14,2; Luc. Tox. 19f.; VH II 47; Apg 27,43f.
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because of its famous discussion of Christianity.«229 Dieser Einschätzung kann man wohl zustimmen: Das Werk Der Tod des Peregrinus (Περὶ τῆς Περεγρίνου τελευτῆς) ist womöglich nicht der ganz große Wurf unter den Invektiven des Lukian; vielmehr fand es v.a. deshalb Interesse und Behandlung in der Forschung, weil Peregrinus sich eben auch mit den Christen einläßt. Lebhaft wurde und wird debattiert, wie genau Lukian wirklich über die Bewegung der Christen informiert war.230 Trotzdem kann auch dieses Werk als ein typischer Lukian gelten, der mit reichlich Witz gewürzt ist und auf den Leser bis heute einen gewissen Reiz ausübt. Das ist aber hier nicht unser Thema! Vielmehr interessiert lediglich ein Paragraph dieses Stücks: Die Schlußpassage des ja insgesamt als Brief stilisierten Peregrinus fügt im Nachhinein – ja nachgerade als Dreingabe – drei zusätzliche Anekdoten zum merkwürdigen und in Lukians Augen lächerlichen Verhalten des Peregrinus an (§§ 43–45). Dies geschieht, nachdem die eigentliche Darstellung mit den wiedergebenen Reden und den letzten Geschehnissen in Olympia schon in § 42 abgeschlossen wurde. Jones bemerkt zu dieser Schlußpartie mit den »Zugaben« (wenn man so will): »The closing section serves two main purposes. One is to recall the opening theme of hunger for notoriety and to reinforce it with the charge hypocrisy: this Lucian does both by direct comment and by adding small details, for example, the cowardice shown by Peregrinus earlier during a rough crossing of the Aegean.«231 Genau diese Episode, die das Verhalten des Peregrinus auf einer Seereise durch die Ägäis in den Blick nimmt, und die als dem Adressaten schon bekannt erklärt wird, ist für unsere Belange interessant (Luc. Peregr. 43): ῝Εν ἔτι σοι προσδιηγησάµενος παύσοµαι, ὡς ἔχῃς ἐπὶ πολὺ γελᾶν. ἐκεῖνα µὲν γὰρ πάλαι οἶσθα, εὐθὺς ἀκούσας µου ὅτε ἥκων ἀπὸ Συρίας διηγούµην ὡς ἀπὸ Τρῳάδος συµπλεύσαιµι αὐτῷ καὶ τήν τε ἄλλην τὴν ἐν τῷ πλῷ τρυφὴν καὶ τὸ µειράκιον τὸ ὡραῖον ὃ ἔπεισε κυνίζειν ὡς ἔχοι τινὰ καὶ αὐτὸς Ἀλκιβιάδην, καὶ ὡς ἐπεὶ ταραχθείηµεν τῆς νυκτὸς ἐν µέσῳ τῷ Αἰγαίῳ γνόφου καταβάντος καὶ κῦµα παµµέγεθες Jones, Culture, S. 117. Einschlägig sind hier die §§ 11–13.16. 231 Jones, Culture, S. 119; der zweite von Jones angeführte Zweck (S. 119f.) ist hier nicht von Belang, weil er sich auf die Abschlußereignisse in Olympia bezieht. Hinzuzufügen ist aber als Funktion der §§ 43–45 sicher auch die Beglaubigung der Darstellung, da mit dem Arzt Alexandros in den §§ 44f. ein weiterer und zudem glaubwürdiger Zeuge angeführt wird, vgl. Baumbach/Pilhofer, Einleitung, S. 10. Ob eine Überbietung der bisherigen Darstellung auch in der direkten Begegnung zwischen Lukian und Peregrinus zu sehen ist, erscheint mir fraglich; Barbara Szlagor dazu: »Zwar ist Lukian von Anfang an dabei, sein Bericht stützt sich jedoch zunächst auf vernommene Informationen und auch da, wo er auf eigene Erfahrung zurückgreifen kann, bleibt die Konfrontation mit dem Protagonisten aus. Sie kommt auch während der gemeinsamen Seefahrt nicht zustande, aber die Distanz verringert sich. Peregrinus ist in seinem Elend zum Greifen nahe und Lukian ist nicht einer aus der Menge, sondern steht ihm allein gegenüber« (Szlagor, Verflochtene Bilder, S. 213). 229 230
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ἐγείραντος ἐκώκυε µετὰ τῶν γυναικῶν ὁ θαυµαστὸς καὶ θανάτου κρείττων εἶναι δοκῶν.
Eins erzähle ich dir noch, bevor ich schließe, damit du noch lange zu lachen hast: Jene Geschichte kennst du schon – ich habe sie dir ja gleich erzählt, als ich aus Syrien gekommen war –, wie ich von Alexandria Troas aus mit ihm zusammen segelte, die ganze Schwelgerei auf der Fahrt, das jugendliche Bürschlein, das er überredet hat, Kyniker zu werden, damit er auch seinerseits einen Alkibiades hätte, und wie er, als wir des Nachts mitten in der Ägäis in Unruhe kamen, weil ein Gewittersturm niederging und ganz gewaltigen Seegang mit sich brachte, zusammen mit den Frauen jammerte, er, der Wunderbare, der meinte, dem Tod überlegen zu sein.
Der erste dieser Nachträge ist also lediglich eine Erinnerung an ein Ereignis, das dem Adressaten schon bekannt ist; dabei handelt es sich um eine Seereise, bei der der Verfasser zusammen mit Peregrinus auf ein und demselben Schiff gereist sein will und so die Eigenarten des Scharlatans aus allernächster Nähe beobachten konnte. Diese Reise geht durch die Ägäis, und man schifft sich zu ihr in Alexandria Troas, im Nordosten des Binnenmeeres, ein. Es ist hier zu beachten, daß sich die Angabe ἀπὸ Τρῳάδος tatsächlich auf die Kolonie und Hafenstadt Alexandria Troas und nicht etwa allgemein auf die Landschaft der Troas oder gar Ilium bezieht.232 Neben seinem ausschweifenden Lebensstil an Bord (τρυφή) und der Verführung eines Jünglings (µειράκιον ὡραῖον) wird hier alles auf ein besonders peinliches Verhalten des Peregrinus zugespitzt: sein Verhalten in einem Unwetter, in das das Schiff geraten sei. Die Unwettersituation wird nur ganz kurz aufgerufen, so daß wir es hier nicht einmal mit einer eigentlichen Sturmbeschreibung zu tun haben. Man gerät nachts in Unruhe, weil offenbar ein Gewitter aufgezogen war, das mit ganz enormem Wellengang einherging. In dieser kurzen Situationsangabe werden nur die folgenden beiden Elemente erwähnt: 1. Ein γνόφος geht nieder/zieht auf: γνόφος meint eigentlich Dunkelheit233 und von daher die dunkle Wolke, die Gewitterwolke. Allerdings wird hier wohl die Gewitterwolke für das Gewitter überhaupt stehen. Daß hier lediglich die in Sturmbeschreibungen übliche Dunkelheit bzw. Finsternis aufgeführt sein sollte,234 wo es doch ohnehin Nacht 232 Vgl. Jones, Culture, S. 119, Anm. 12; siehe auch Jones, Neryllinus, S. 42, der sich mit der Athenagoras-Notiz über die wunderwirkende Statue eines Neryllinus »aus der Τρῳάς« auseinandersetzt (Athenag. leg. 26,2f. [PG 6, 952A–C]; vgl. auch Text und Übersetzung bei: Pilhofer u.a., Lukian: Der Tod des Peregrinos, S. 78f. [Anm. 95]), wo natürlich auch unmittelbar an die Kolonie Alexandria Troas zu denken ist. 233 In diesem Sinne wird γνόφος neben ζόφος Hebr 12,18 verwendet. 234 Zur Dunkelheit bzw. Finsternis in Sturmerzählungen, die dann oft durch σκότος oder ζόφος bezeichnet wird, vgl.: Charito III 3,10; Hist.Ap. 11; Herpyllis II 38–54 (bes. 50.53); Ach.Tat. III 1,1; 2,2; Petr. 114,1.3; Luc. Nav. 9; Tox. 20; VH I 6; Aristid. Or. XLVIII 65; Apg 27,20.
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4 Satiren und Burlesken
ist, erscheint mir sehr unwahrscheinlich. 2. Hoher Seegang (κῦµα παµµεγέθες) erhebt sich: Der Singular κῦµα ist hier sinnvollerweise nicht als einzelne Welle oder Woge zu verstehen, sondern als Seegang, also als die Menge der Wogen im Meere.235 In diese Sturmszene hat unser Verfasser keine weitere Mühe investiert, so daß der Sturm hier auch als nicht sonderlich dramatisch erscheint; weder wird seine Dauer betont noch seine ganz besondere Heftigkeit.236 Es scheint sich einfach nur um ein Gewitter mit hohem Seegang zu handeln. Doch gerade in dieser Situation leistet der berühmte Peregrinus – so wohl der Sinn dieser polemischen Passage – nicht das, was man von ihm erwarten kann, stattdessen jammert und zetert er mit den Frauen an Bord (ἐκώκυε µετὰ τῶν γυναικῶν). Das Gejammer der Frauen im Sturm ist ein geläufiger Topos der Sturmdarstellungen.237 Daß sich ein Mann diesem Gejammer anschließt, kann schon als außergewöhnlich gelten, umso mehr ist es außergewöhnlich, daß sich ein Mann vom Schlage des Peregrinus dem Gejammer der Frauen anschließt. Es bietet sich hier der Vergleich mit dem in der religionsgeschichtlichen und neutestamentlichen Forschung lange Zeit sehr einflußreichen Konzept des θεῖος ἀνήρ bzw. θεῖος ἄνθρωπος an. Hans Dieter Betz ordnet unsere Stelle nun der Darstellung »göttlicher Menschen« zu, das allerdings in besonderer Weise: »Da habe sich in der Nacht ein Unwetter erhoben, und als sie in Todesgefahr schwebten, habe sich Peregrinus wie folgt benommen: . . . κώκυε µετὰ τῶν γυναικῶν ὁ θαυµαστὸς καὶ θανάτου κρείττων εἶναι δοκῶν. In diesem Falle wird also der Topos negativ verwendet: Der ›göttliche Mann‹ besteht die Probe nicht.«238 Abgesehen davon, daß von »Todesgefahr« in § 43 gar keine Rede ist, könnte man geneigt sein, diese eindeutige Zuordnung zum Konzept des sog. θεῖος ἀνήρ in Frage zu stellen und etwa zweierlei zu bemerken: 1. Die Terminologie nach dem Muster θεῖος κτλ. ἄνθρωπος o.ä. wird in Lukians
Zu einem kollektiven Sinn von κῦµα im Singular siehe auch die entsprechende Verwendung in Luc. VH I 6, wo es heißt: καὶ τὸ κῦµα ηὐξάνετο; oder bei Ach.Tat. III 2,8, wo steht: ἐρρόχθει τὸ κῦµα. Vgl. zum kollektiven Gebrauch überhaupt LSJ, s.v. κῦµα I 1, S. 1009. 236 Dazu dienen oft, was den Wellengang betrifft, die fast schon sprichwörtlichen τρικυµίαι: Vgl. die Sturmszene bei Synes. ep. 4,162a–b; die τρικυµίαι begegnen auch bei: TestNaph VI 5; Ach.Tat. III 2,2; Hld. V 27,7; Luc. Tox. 19; Merc.Cond. 1f. (dort in § 2 sogar πεντακυµίαι und δεκακυµίαι); ähnlich auch: A.Jo. (Prochoros, Zahn, S. 9, Z. 1). 237 Vgl. etwa Ach.Tat. III 2,8, wo vom ὀλολυγµὸς γυναικῶν die Rede ist; Synes. ep. 4,162c, wo es γυναικῶν ὀλολυγή gibt. An beiden Stellen wird dem Geschrei der Frauen auch ein Klagen der Männer an die Seite gestellt (Ach.Tat.: ἀλαλαγµὸς ἀνδρῶν; Synes.: ἀνδρῶν οἰµωγή); beide Geschlechter werden jedoch nie, wie es hier mit unserm Peregrinus geschieht, genau gleich behandelt, so daß sie also auf ein und dieselbe Weise klagen. Nur undeutlich ist bei Aristid. Or. XLVIII 12 von den βοαί der Passagiere die Rede. 238 Betz, Lukian, S. 172. 235
4.2 Lukian von Samosata
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Peregrinus gar nicht verwendet,239 d.h. Peregrinus Proteus erhält nie direkt ein Attribut wie θεῖος, θεσπέσιος, δαιµόνιος oder δῖος.240 Das führt auch gleich auf die zweite mögliche Bemerkung: 2. Grundsätzlich läßt sich – so das klare Ergebnis der Untersuchung von David S. du Toit – ein wirkliches Konzept des θεῖος ἀνήρ begrifflich gar nicht fassen, jedenfalls nicht mit den Fügungen des Typs θεῖος κτλ. ἄνθρωπος o.ä.241 Ich meine allerdings tatsächlich, daß Betz im Recht ist, unsern Text zum Konzept des θεῖος ἀνήρ in Beziehung zu setzen, auch wenn man einige Abstriche bei seiner Deutung machen wird. Denn die Studie du Toits zeigt zwar, daß die Attribute θεῖος κτλ. in bezug auf Menschen polysem, überdies recht zurückhaltend und v.a. nur selten als Klassenadjektive verwendet werden, die den so bezeichneten Menschen in eine mittelbare oder unmittelbare Beziehung zur Klasse des Göttlichen bringen. Das heißt ja aber noch lange nicht, wie du Toit im übrigen auch zugibt,242 daß damit die Vorstellung von Menschen, die in einer herausragenden Beziehung zum Göttlichen stehen, sei es durch ihre Erkenntnis, ihre Weisheit, den besonderen Lebenswandel oder ihre Abstammung usw., überhaupt erledigt wäre. Das heißt vielmehr nur – und auf die semantische Fragestellung hatte sich du Toit auch beschränkt –, daß die Antike diese Vorstellung offenbar nicht in den Fügungen des Typs θεῖος κτλ. ἄνθρωπος o.ä. gefaßt hat. Seinem Verdikt, daß man zunächst eine neue begriffliche Fassung erheben müßte, um das Konzept weiter in der Forschung verwenden zu können,243 vermag ich mich nicht zu fügen, sondern ich benutze den Begriff θεῖος ἀνήρ weiterhin, auch wenn sich inzwischen gezeigt hat, daß die damit gemeinten Vorstellungen tatsächlich viel mannigfaltiger sind, als etwa Ludwig Bieler angenommen hatte,244 so daß man kaum mehr von einem einheitlichen Konzept sprechen kann, sondern nur noch von verwandten (zum Teil auch konkurrierenden) Vorstellungen.245 239 Betz faßt nun allerdings die Terminologie für den »göttlichen Menschen« so weit, daß sich selbst im Peregrinus vermeintlich einschlägige Stellen finden, darunter listet er sogar – m.E. erratisch – ein τίς τῶν κρειττόνων auf, das er in unserem § 43 finden will (Betz, Lukian, S. 102f. mit Anm. 4). 240 Er wird allerdings von den Christen wie ein Gott verehrt (ὡς θεὸν αὐτὸν ἐκεῖνοι ᾐδοῦντο, § 11); auch erwartet er, als nachtwachender Dämon zu erscheinen (δαίµων νυκτοφύλαξ, §§ 27f.). 241 du Toit, Theios Anthropos, passim, s. bes. die Abschnitte zur Ergebnissicherung (S. 109f.165– 170.261–268.400–406). 242 du Toit, Theios Anthropos, S. 406. 243 du Toit, Theios Anthropos, S. 406. 244 Seine zweibändige Studie ist das klassische Werk zum Konzept des θεῖος ἀνήρ: Bieler, Θεῖος ἀνήρ. 245 Berechtigt allerdings ist die Kritik an den θεῖος ἀνήρ-Vorstellungen, wenn sie, wie es zumeist geschehen ist und was überhaupt erst die forschungsgeschichtliche Prominenz der Hypothese befördert hat, als maßgebliche Erklärung für die Entstehung der neutestamentlichen Christologie verwendet wird. Allenfalls werden solche Vorstellungen tatsächlich nur begrenzten Einfluß auf die Dar-
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4 Satiren und Burlesken
Die lukianische Schrift über Peregrinus Proteus ist nun insgesamt selbst ein indirekter Beleg für die Existenz solcher Vorstellungen, da ja offenbar – anders kann man den Befund nicht verstehen – die von Peregrinus versuchte Selbstinszenierung und die kritische, ja satirische Demontage dieser Selbstinszenierung durch Lukian eine entsprechende Vorstellung zwingend voraussetzt. Das zeigt sich daran, daß man die verschiedenen Elemente des Selbstanspruchs unseres Kynikers und die korrespondierenden Elemente der lukianischen Demontage sehr gut in den Motiven fassen kann, die traditionell dem sog. θεῖος ἀνήρ-Konzept zugehören.246 Es ist also von daher nicht ganz von der Hand zu weisen, wenn man – wie Betz es eben letztlich unternimmt – die Darstellung des Verhaltens des Peregrinus auf See als Teil der lukianischen Demontage des von jenem vertretenen Selbstanspruchs zu verstehen versucht. Und dieser Selbstanspruch läßt sich offenbar, sicher neben ganz eitler Ruhmsucht (aber diesen Aspekt betont der Kritiker Lukian), gemäß einer θεῖος ἀνήρ-Vorstellung charakterisieren. Damit kann der § 43 des Peregrinus durchaus als Gegenbild zum θεῖος ἀνήρ verstanden werden: Ein solcher nämlich dürfte sich in der gegebenen Situation ganz anders als Peregrinus Proteus verhalten. Einschränkend muß hinzugefügt werden, daß man dieses Verständnis in bestimmter Hinsicht als zweitrangig kennzeichnen muß, weil es Lukian an unserer Stelle ausdrücklich und in erster Linie darum geht, direkt die von Peregrinus zur Schau getragene Todesverachtung zu kritisieren und eben als lügenhafte und letztlich verzweifelte Selbstinszenierung in hemmungsloser Ruhmsucht und wiederum ohne jeden Rückhalt im tatsächlichen Verhalten des Mannes zu entlarven.247 Trotzdem läßt sich der Bezug zu den θεῖος ἀνήρ-Vorstellungen halten: Die von Peregrinus beanspruchte Todesverachtung ist natürlich in erster Linie ein verbreiteter Bestandteil kynisch-stoischer Lehre, wie man unschwer in Epiktets Dissertationes nachweisen kann;248 auch Lukian hat diese Lehre mehrfach in die Zeichnung vorbildlicher Philosophen eingetragen.249 Die recht verstandene Todesverachtung steht so in keinerlei Widerspruch zu einer Vorstellung im Sinne eines θεῖος ἀνήρ, gerade solche vorbildlichen Philosophen können als herausragende Beispiele im Rahmen derartiger Vorstellungen angesehen werden. In den Zusammenhang der Todesverachtung gehört auch das in Lukians Demonax angeführte stellung Jesu (und der Apostel!) in der frühchristlichen Propaganda ausgeübt haben, vgl. wieder du Toit, Theios Anthropos, S. 400–406. 246 Vgl. hierzu etwa die hilfreiche Zusammenstellung bei Gerlach, Figur, S. 173–175, der sich in der Auflistung der Motive allerdings ausschließlich auf die Bielersche Arbeit (s.o.) bezieht. 247 Darauf hat Szlagor, Verflochtene Bilder, S. 97, Anm. 19, in Kritik an Betz und unter Verweis auf die folgenden §§ 44f. und den § 23 aufmerksam gemacht. 248 Vgl. beispielsweise Epict. III 22,21f.; IV 1,66.78–80.100. 249 Vgl. Szlagor, Verflochtene Bilder, S. 131–134, die sich hier auf Demonax und dessen Zeichnung durch Lukian bezieht.
4.2 Lukian von Samosata
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Apophthegma, in dem Demonax vor einer Seereise bei stürmischem Wetter bzw. im Winter und der Gefahr, zum Fraß für die Fische zu werden, gewarnt wird, und darauf ironisch und eben todesverachtend antwortet; die Stelle lautet (Luc. Demon. 35): ᾽Επεὶ δέ ποτε πλεῖν µέλλοντι αὐτῷ διὰ χειµῶνος ἔφη τις τῶν φίλων, “Οὐ δέδοικας µὴ ἀνατραπέντος τοῦ σκάφους ὑπὸ ἰχθύων καταβρωθῇς;” “Ἀγνώµων ἂν εἴην”, ἔφη, “ὀκνῶν ὑπὸ ἰχθύων κατεδεσθῆναι τοσούτους αὐτὸς ἰχθῦς καταφαγών”.250 Viel eher, und damit sind wir bei dem uns interes-
sierenden abschließenden Vergleichspunkt, treten Menschen, die in den Bereich der Vorstellungen vom θεῖος ἀνήρ gehören, nicht als todesverachtende Ironiker auf, sondern als hellsichtige Warner vor realen Gefahren, so etwa Apollonios von Tyana und Paulus in Apg 27,9f. Paulus ist es nun eben auch, der sich auf See und im Sturm ganz anders verhält als Peregrinus Proteus, der es seinerseits vorzieht, mit den Frauen zu jammern. Er tritt nämlich in der Seefahrtserzählung Apg 27f. nicht nur als hellsichtiger Warner vor den Gefahren der geplanten Abfahrt von Καλοὶ λιµένες auf (Apg 27,9f.), sondern wird darüber hinaus zum Tröster und Helfer, wenn er nach seiner Vision in Apg 27,21–26 den verzweifelten Menschen, die ja schon Apg 27,20 die Hoffnung aufgegeben hatten, Rettung verheißt. Weiterhin greift er aktiv ins Geschehen ein, um womöglich Schlimmeres zu verhindern, das mit der Flucht der Seeleute drohen könnte (Apg 27,31f.). Schließlich dringt er mit seinem zunächst wirkungslosen Versuch zu ermahnen und zu trösten in der Szene Apg 27,33–36 doch noch bei seinen Mitreisenden durch. Paulus stellt also das genaue Gegenteil von Peregrinus dar, und das in einer Situation, die weit bedrohlicher und weit hoffnungsloser erscheint als die Gewitterfahrt auf der Ägäis. Derartiges hätte man eigentlich auch von einem Mann wie Peregrinus erwarten können.251 Ob nun in einem erneuten Umkehrschluß der Paulus von Apg 27 – und dazu wäre auch noch die Schlangenepisode in Apg 28,3ff. zu berücksichtigen – von daher seinerseits in das Licht eines θεῖος ἀνήρ gerückt werden soll,252 ist hier
250 Übersetzung: Als er einmal im Begriff war, im Winter/bei stürmischem Wetter mit dem Schiff zu fahren, und einer seiner Freunde ihn fragte: Fürchtest du nicht, von den Fischen gefressen zu werden, wenn das Boot kentert?, da antwortete er: Da wäre ich wohl undankbar, wenn ich Bedenken trüge, mich von Fischen verzehren zu lassen, wo ich doch selber so viele gegessen habe. – Betz ordnet diese Stelle m.E. falsch dem Motiv der »Beherrschung der Elemente« zu (Betz, Lukian, S. 172). Zum Umstand bzw. zur Angst davor, möglicherweise den Fischen zum Fraß zu werden, s. oben die Bemerkung zur Stelle Ach.Tat. III 5,4 (S. 106, Anm. 180). 251 Vgl. Betz, Lukian, S. 172f. 252 Bernhard Heininger zumindest erwägt diese Deutung mit besonderem Bezug auf relevante Stellen in Apg 27f. auch in jüngster Zeit mehrfach: Heininger, Paulus als Visionär, S. 296f.; Heininger, Rezeption, S. 333; Heininger, Paulusbild, S. 413f.418f.425.
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4 Satiren und Burlesken
nicht zu klären. Das muß in der Einzelanalyse und den zusammenfassenden Überlegungen zum lukanischen Paulusbild erwogen werden. Fazit: Die kleine nachgetragene Szene im Peregrinus ist weniger in ihrer Eigenschaft als Seefahrtsszene für uns relevant, sondern kann viel eher dazu beitragen, die Rolle des Paulus in der Seefahrtserzählung von Apg 27f. zu profilieren. Lukian präsentiert uns mit seinem Peregrinus Proteus und dessen geradezu unwürdigem Verhalten an Bord eine Kontrastfigur zum lukanischen Paulus, der nun als hellsichtiger Warner bis hin zum helfenden Tröster eben ganz anders in Szene gesetzt wird.
5 Alttestamentliche und jüdische Literatur Wie schon in den vorangegangenen Abschnitten kann auch in diesem Kapitel keine lückenlose Behandlung der Texte geboten werden. Genau wie bei der griechisch-römischen Literatur ist auch bei der Behandlung der alttestamentlichen und jüdischen Literatur grundsätzlich der Bereich der Seefahrtsund Meer-Metaphorik ausgeschlossen worden, da diese auch hier verbreitete sprachliche Ausdrucksform ihre eigenen Probleme aufweist. Zudem sind bewußt die Schöpfungserzählungen und -anspielungen in ihrem Bezug zu Meer und Wasser, die Sintfluterzählung, sowie die Rettungserfahrung der Führung durchs Meer beim Auszug aus Ägypten und deren vielfältige literarischen Aufnahmen ausgeklammert worden. Alle diese Stoffe und ihre Verarbeitungen stellen einen ganz eigenen Bereich dar, der die in dieser Untersuchung gestellte Aufgabe weit überschreiten würde. Zudem erhalten durchaus vorhandene rabbinische Texte in diesem Zusammenhang keinen eigenen Ort, weil sie m.E. für die Erhellung der lukanischen Schriftstellerei nur begrenzte Bedeutung haben. Das gleich zuerst zu behandelnde Jonabuch bietet im ersten Kapitel die einzige wirkliche Seesturmerzählung der hebräischen Bibel (Jon 1,1–16). Schon allein aus diesem Grunde erscheint es als gerechtfertigt, diesen Text hier in einem eigenen Abschnitt zu hehandeln; darüber hinaus wird der Verfasser der Apostelgeschichte das Jonabuch gekannt haben und dürfte (wie sich unten zeigen wird) an zwei Stellen von ihm beeinflußt sein (nämlich in Apg 27 einerseits vv. 17.19 sowie andererseits v. 38). In der exegetischen Arbeit an den alttestamentlichen Texten wird die Septuaginta-Fassung eine weitaus breitere Berücksichtigung finden, als es sonst in der alttestamentlichen Exegese üblich ist.1
5.1 Jona (1,1–2,2.11) Die wohl bekannteste Seesturmgeschichte der Bibel findet sich im – auch in Religions- wie Konfirmandenunterricht zuweilen traktierten – Jonabuch 1 In der Forderung, daß das Alte Testament in seiner griechischen Fassung eine viel intensivere Berücksichtigung – sowohl in der alttestamentlichen als auch in der neutestamentlichen Exegese –
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5 Alttestamentliche und jüdische Literatur
Abbildung 5.1: Sarkophagfragment mit Jona-Relief (4./5. Jh.): Jona wird ins Meer geworfen, das κῆτος ist bereit, ihn zu verschlingen (photographiert von Susanne Froehlich).
innerhalb des Dodekapropheton. Der Jona-Stoff insgesamt ist nicht nur in unserer heutigen Unterweisung sehr beliebt und nahezu allgegenwärtig, sondern war auch im frühen Christentum äußerst prominent: Angefangen vom Zeichen des Jona in der synoptischen Überlieferung (Mt 12,39–41; 16,4; Lk 11,29f.32),2 war der Jona-Stoff in der patristischen Literatur in bedeutender Weise präsent3 und hat besonders eindrücklich in die frühchristliche Ikonographie Einzug gehalten, aufgrund der typologischen Deutung auf Tod und Auferstehung (in Anknüpfung an Mt 12,40) bekanntlich mit besonderer Macht in den Kontexten von Taufe und Bestattung.4 finden müßte, als es weithin üblich ist, bin ich ganz mit Peter Stuhlmacher einig: Stuhlmacher, Bibl. Theol. I, S. 8–10. 2 Vgl. zur Jona-Gestalt im Neuen Testament: Bowman, Jonah and Jesus; Huber, Zeichen des Jona. 3 Beachtenswert ist etwa der berühmte Jona-Kommentar des Hieronymus (In Ionam); vgl. auch Duval, Le livre de Jonas. 4 Vgl. zur Jona-Ikonographie überhaupt beispielweise die folgenden Untersuchungen (um nur einige wenige zu nennen): Mitius, Jonas; Steffen, Das Mysterium, S. 107–112; Wischmeyer, Beispiel; Wischmeyer, Cleveland-Statuetten; Mertens, Seesturm, S. 18f. m. Abb. S. 159; Steffen, Die Jona-Geschichte, S. 57–75; Göttlicher, Schiffe im AT, S. 160–189. Weiteres findet sich leicht zugänglich bei: Paul, Art. Jonas.
5.1 Jona
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Hier seien nur zwei Beispiele angeführt: (1) Ein Sarkophag-Fragment,5 das die oft gebotene erste Szene des Jona-Zyklus im Relief darstellt,6 nämlich seinen Wurf ins Meer und die unmittelbar bevorstehende Verschlingung durch das κῆτος (s. unsere Abb. 5.1 [S. 184]).7 Besonders bemerkenswert ist auf diesem Relief die zweite Person von links auf dem Schiff, die offenbar in Gebetshaltung dargestellt ist. Damit ist sicher auf das Gebet der Schiffer in Jon 1,14 bezug genommen: Bevor sie Jona dem Meer übergeben, beten sie ausdrücklich zu JHWH, daß er sie wegen dieses einen Mannes weder im Sturm umkommen, noch unschuldiges Blut über sie kommen lasse, wenn sie ihn ins Meer würfen.8 (2) Ein christlicher Grabstein aus Çukurkent (ca. 30km NNW von Bey¸sehir, dem antiken Mistheia),9 jetzt im Garten des Archäologischen Museums Konya aufbewahrt,10 der im Relief u.a. mittig ein lorbeerumkränztes bidliches Element mit zwei Fischen bietet: Es handelt sich um die Darstellung eines Ankerkreuzes, das einen Anker mit bestimmten Spezifika des Kreuzes verbindet, zudem kann aufgrund der deutlichen Menschenähnlichkeit der Proportionen an den Gekreuzigten gedacht werden.11 Schräg links darunter ist ein großer nach rechts schwimmender Fisch dargestellt, der gerade einen Mann verschlingt (s. unsere Abb. 5.2 [S. 186]).12 Auf dem Grabmal findet sich auch eine Inschrift, die der Verschlingungsszene in ihrer dritten Zeile eine Legende beifügt: κῆτος κὲ ᾽Ιώνας – Das Seeungeheuer und Jona; die Inschrift lautet in voller Länge (mit gekennzeichneten Ligaturen):13 5 Das Fragment befindet sich im Archäologischen Museum ˙Istanbul (Inv. Nr. 4517 T); es wurde im Stadtgebiet von ˙Istanbul (Fatih) gefunden, in der Nähe der Kirche von Konstantine Lips (Fanari ˙Isa Moschee) und ist in das 4.–5. Jh. zu datieren. Vgl. die Angaben bei: Firatli u.a., La sculpture byzantine, Nr. 106 (S. 63); Cimok, Treasures, S. 64; Pasinli, Archäologisches Museum, S. 126. 6 Vgl. zum Jona-Zyklus Snyder, Ante pacem, S. 90–95. 7 Abbildung bei: Firatli u.a., La sculpture byzantine, Taf. 40 (Nr. 106); vgl. auch die FarbAbbildungen bei: Cimok, Treasures, S. 64; Pasinli, Archäologisches Museum, Abb. 120 (S. 126). 8 Jon 1,14aβ–γ: . . . עָלֵינוּ דּ *קִיא,ֵה ואַלתִּתּ.פֶשׁ הָאִישׁ הַזּ.אבְדה בְּנ2אַל*א נ/µηδαµῶς, κύριε, µὴ ἀπολώµεθα ἕνεκεν τῆς ψυχῆς τοῦ ἀνθρώπου τούτου, καὶ µὴ δῷς ἐφ’ ἡµᾶς αἷµα δίκαιον . . . Vgl. zur genauen Bedeutung der beiden Gebetsteile unten. 9 Zur Lage von Mistheia und den verschiedenen Schreibweisen des Ortsnamens s. Ruge, Art. Mistia, Sp. 2129 (»bei Fassiler« [das moderne Dorf Fassillar]); überzeugender ist dagegen die Lokalisierung bei Bey¸sehir am Ufer des Karalitis Lacus, näherhin seiner Südostspitze: Hall, Misthia, zu den Argumenten bes. S. 122f. und Abb. 1 (S. 121). Vgl. zum Fundort der Inschrift die Angaben bei: SEG 45 (1995) [1998], Nr. 1831 (S. 536); Dresken-Weiland, Jonas-Relief, S. 405; McLean, RECAM IV, S. 74. 10 Archäologisches Museum Konya, Inv. Nr. 1986.1.1. 11 Vgl. Dresken-Weiland, Jonas-Relief, S. 408f. 12 Vgl. die Abbildungen bei: Dresken-Weiland, Jonas-Relief, Taf. 108; McLean, RECAM IV, Abb. 251. 13 McLean, RECAM IV, Nr. 212 (S. 74f. mit Abb. 251); SEG 45 (1995) [1998], Nr. 1831 (S. 536); BÉ 1996, Nr. 616 (S. 676 [Feissel, BÉ 1996, S. 676]); Dresken-Weiland, Jonas-Relief, S. 405 (Text) mit Taf. 108 (ed.pr.).
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5 Alttestamentliche und jüdische Literatur
Abbildung 5.2: Christlicher Grabstein mit Inschrift und Relief-Darstellungen (3./4. Jh.), u.l. Jona und das κῆτος (photographiert von Jens Börstinghaus).
- 1–2 - σ. τα ἀνέ στησεν. 14 {ν} Μίθιον κὲ Παῦλον τοὺ ς θείους αὐτοῦ15 µνή {σ}µης χ. άριν
κῆτ ος16 κὲ ᾽Ιώνας17
[-
1–2
- ]sta hat (dieses Grabmal) errichtet für Mithios und Paulus, seine Onkel, der Erinnerung halber. Das Seeungeheuer und Jona.
Neben dem auffälligen zentralen Symbol ist an diesem Grabstein bemerkenswert – wenn denn Feissel mit seiner Datierung möglicherweise schon ins 3. Jh. recht hätte –, daß er unter die Zeugnisse frühchristlicher Sepulkralkultur der vorkonstantinischen Zeit einzureihen wäre.18 14 Hier gibt McLean die Ligatur von ΤΗΣ nicht, damit verbunden liest er ersichtlich falsch: . . . ἀνέσταησε νν Μιθιον . . . 15 ἀνιστάναι mit Akk. scheint eine speziell in Isaurien übliche Formel auf Grabinschriften zu
sein: Laminger-Pascher, Herkunft; Dresken-Weiland, Jonas-Relief, S. 406. Laminger-Pascher will den auffälligen Akk. auf vorderorientalischen Einfluß zurückführen; die Seele des Toten sei mit dem Grabmal als identisch gedacht: Laminger-Pascher, Herkunft, bes. S. 202f. 16 McLean, SEG und Dresken-Weiland geben hier die Ligatur ΚΕ und lesen folglich: κἓτος (McLean, so offenbar irrtümlich); κ˜ετος (SEG); κ〈ῆ〉τος (Dresken-Weiland ). BÉ bietet: »κετος (pour κ〈ῆ〉τος)«. Tatsächlich findet sich aber auf dem Stein die Ligatur ΗΤ, so daß richtig κῆτος zu lesen ist. 17 BÉ: ᾽Ιωνᾶς. 18 Gegen Dresken-Weiland, Jonas-Relief, S. 409.411, die aufgrund der Ikonographie (und besonders aufgrund des »unterschiedliche Bildzeichen« [S. 408] vereinigenden zentralen Elements) frü-
5.1 Jona
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Zum Text des Jonabuchs: Der erste Abschnitt der Erzählung um den Propheten Jona (Jon 1,1–16) hat den Titelhelden in für solche Erzählungen ganz besonderer Weise zum Mittelpunkt. Er ist nämlich zunächst einmal der indirekte Verursacher der Seenot, in die das Schiff gerät, genauer: Er zieht durch sein Verhalten den gottgewirkten Sturm, in den das Schiff gerät, nach sich. Andererseits ist er aber als der zunächst unerkannt an Bord weilende eigentliche Verursacher der Seenot auch der potentielle Retter; so wird der Sturm am Ende des betreffenden Abschnitts zum Schweigen gebracht, weil Jona sich von den Seeleuten ins Meer werfen läßt (v. 15). Bevor wir diese Erzählung im Detail betrachten, ist noch ein Blick auf das Buch Jona als Ganzes zu werfen: Das Jonabuch ist seiner Gattung nach gleichsam ein Fremdling im Zwölfprophetenbuch, handelt es sich doch bei ihm nicht um eine wie auch immer komponierte bzw. erweiterte Prophetenspruchsammlung, sondern um eine wohl ausgearbeitete Erzählung. Die Frage, welchem literarischen Genre diese Erzählung zuzuweisen ist, hat eine enorme Auseinandersetzung in der Forschung hervorgerufen. Wollte man übertreibend reden, so könnte man sagen: »Die verschiedenen Gattungsbestimmungen des Jonabuches sind inzwischen ›Legion‹, und ein Konsens deutet sich nicht einmal an!« Die im Laufe der Forschungsgeschichte aufgekommenen Vorschläge reichen von Historie über Mythos, Märchen und Prophetenlegende sowie über die an rabbinischer Literatur orientierten Gattungsbestimmungen m¯aš¯al und midr¯aš, über didaktische Erzählungen verschiedener Art bis zu Satire oder Parodie – bzw. Mischformen.19 Was die Datierung des Jonabuches anbelangt, so ist freilich keine sichere Einordnung zu erzielen: Letztlich wird man wohl kaum über die grobe Ansetzung etwa zwischen 360 und 230 v.Chr. hinauskommen.20 hestens ins 5. Jh. datieren will, zeigt sich Feissel (BÉ 1996, Nr. 616 [S. 676]) aufgrund der Buchstabenform und des Formulars (ἀνέστησεν . . . µνήµης χάριν: er bezeichnet das als »préchrétien et paléochrétien«) geneigt, eine Datierung ins 4. oder sogar schon ins 3. Jh. zu erwägen; ihm folgt SEG. Zwar ist die eigenwillige Darstellung Jonas und dessen explizite Erwähnung in der Inschrift nicht unmittelbar mit der Meerwurfszene im Rahmen des Jona-Zyklus der frühchristlichen Kunst zu identifizieren (etwa die Darstellung des κῆτος als Fisch ist recht ungewöhnlich); trotzdem kann man festhalten, daß die Feisselsche Datierung sehr gut zu dem Umstand paßt, daß der Jona-Zyklus insbesondere in vorkonstantinischer Zeit populär und verbreitet war (s. dazu Snyder, Ante pacem, S. 94f.), auch wenn das Jona-Thema genauso später noch sehr verbreitet in szenischen Darstellungen war, wie beispielsweise auch das zuvor erwähnte ˙Istanbuler Relief (oben Nr. 1; s. unsere Abb. 5.1 [S. 184]). 19 Vgl. die Überblicke über die diversen Gattungszuweisungen bei: Burrows, The Literary Category, S. 80–92; Alexander, Jonah, S. 36–38; Lux, Jona, S. 48–56 – hier findet sich auch weiterführende Literatur. 20 Vgl. Marti, Das Dodekapropheton, S. 247; Weiser, Buch der zwölf kleinen Propheten I, S. 188; Rudolph, Joel etc., S. 328–330; Wolff, Obadja/Jona, S. 54–56; Lux, Jona, S. 204f.; Zenger, Das Zwölfprophetenbuch, S. 551; Struppe, Obadja/Jona, S. 75f.; Opgen-Rhein, Jonapsalm, S. 213–
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Wir können uns nun der Inszenierung des Seesturms in unserer Erzählung im einzelnen zuwenden; dabei ist zunächst die Einleitung in den vv. 1–3, die zugleich die Exposition des ganzen Jonabuchs darstellt,21 in Augenschein zu nehmen: Die Exposition beginnt mit der für Prophetenbücher stilgemäßen Wortereignisformel: אֲמִתַּי לֵאמֹר,ֶבַריהוה אֶליוֹ*ה ב4ויהִי דּ.22 Auf die Wortereignisformel folgt der Befehl JHWHs, nach Ninive zu gehen und dort als Umkehrprediger tätig zu werden. Auf den durch JHWH an ihn ergangenen Befehl (v. 2) reagiert er sofort, allerdings geht er geradewegs in die entgegengesetzte Richtung, er geht hinab ()ירד23 und sucht sich ein Schiff nach Tarš¯ıš (v. 3): Dieses Schiff erhält hier die Bezeichnung ( אֳניּ"הO å nijj¯a), abgeleitet vom zumeist als collectivum gebrauchten ( אֳניO å nî), das neben dem einzelnen Schiff eben vorzugsweise für Schiffe oder Flotte verwendet wird.24 Der davon abgeleitete Begriff אֳניּ"הscheint keinen eigenen Schiffstyp zu spezifizieren, darauf weist insbesondere der Umstand hin, daß er sehr häufig in constructus-Verbindungen begegnet, die das Gemeinte näher fassen.25 Von daher sollte man sich nicht darüber verwundern, daß in unserem Text neben אֳניּ"הin Jon 1,3.4.5 auch ein zweiter Begriff für das Schiff gebraucht wird, nämlich סְפִי*הin Jon 1,5, ein Hapaxlegomenon im hebräischen Alten Testament. Aufgrund dieses Wechsels der Bezeichnung scheint auch das
215. Vgl. auch Sasson, Jonah, S. 20–28, der S. 26–28 insbesondere die grundsätzlichen Schwierigkeiten einer genaueren Datierung der späten alttestamentlichen Schriften herausstellt. Darüber hinaus macht Jonathan Magonet auf die Schwierigkeiten einer Datierung auf sprachlicher Grundlage aufmerksam: Magonet, Art. Jonah, S. 940. 21 Vgl. zu der Beobachtung, daß die Exposition das maßgebliche Inventar der Erzählung sowie das inhaltliche Hauptproblem zumindest schon andeutet: Wolff, Obadja/Jona, S. 73–75; Lux, Jona, S. 80. 22 Vgl. grundsätzlich zur Wortereignisformel . . . בַר יהוה אֶל4ויהִי דּ: Zimmerli, Ezechiel I, S. 88– 90, der die bei Ezechiel 41 mal in reiner Form vorkommende Formel untersucht. 23 ירדist eines der Leitworte im hebräischen Text für die (auch innere) Fluchtbewegung des Jona: vv. 3 (bis).5 (s. auch noch 2,7); die LXX durchbricht diese Reihe in v. 3bβ durch die Übersetzung mit ἐµβαίνειν statt καταβαίνειν. Zum Leitwort – ירדbei ihm allerdings unter der Überschrift »Motief« – vgl. Potgieter, ’N narratologiese ondersoek, S. 60f., der unter Berücksichtigung von Jon 2,7 einen metaphorischen, schrittweisen Weg Jonas nach unten erkennen will, so daß »hy tot by die laagste punt – die doderyk – afgedaal het« (S. 60); s. auch Halpern/Friedman, Composition, S. 80. In ähnlicher Weise unter Bezugnahme auf den Gegensatz von ירד/ עלהdeutet auch Person, In Conversation, S. 70. 24 אֳניfindet sich in: 1. Kön 9,26f.; 10,11.22; Jes 33,21. 25 אֳניּ"הfindet sich neben den drei Jona-Belegen an folgenden Stellen: Gen 49,13; Dtn 28,68; Ri 5,17; 1. Kön 9,27; 22,49 (bis).50; Jes 2,16; 23,1; 23,14; 43,14; 60,9; Ez 27,9.25.29; Ps 48,8; 104,26; Hi 9,26; Spr 30,19; 31,14; Dan 11,40; 2. Chr 8,18; 9,21 (bis); 20,36 (bis).37; darunter findet es sich in constructus-Verbindungen in: 1. Kön 22,49; Jes 2,16; 23,1; 23,14; 60,9; Ez 27,9.25; Ps 48,8; Hi 9,26; Spr 31,14; 2. Chr 9,21. Vgl. zu אֳני/ אֳניּ"הAbraham, Schiffsterminologie, S. 13–17; Strömberg Krantz, Des Schiffes Weg, S. 32f.
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Wort סְפִי*הallgemein ein Schiff zu bezeichnen,26 auch wenn seine ursprüngliche Bedeutung eher auf ein größeres Schiff mit durchgehendem Deck gehen wird, was die semitische Wurzel spn, auf die unser Wort zurückgeht, anzeigt; diese speziellere Bedeutung paßt freilich auch ausgezeichnet in den Zusammenhang von Jon 1,5, weil Jona sich ja hier unter Deck zurückzieht, um zu schlafen: ויוֹ*ה 6רד7כַּב וי8כְּתֵי הַסְּפִי*ה ויּשׁ4ד אֶליר6י"ר.27 Die LXX gibt nun auch entsprechend an den genannten vier Stellen durchweg τὸ πλοῖον. Ob unser Autor in Jon 1,3 an die häufig vorkommende Kombination der »Tarš¯ıš-Schiffe« (ישׁ:שׁ4)אֳניּוֹת תַר, deren Gebrauch eine Tendenz zur allgemeinen Bezeichnung von hochseetüchtigen Handelsschiffen aufweist,28 gedacht hat, muß offen bleiben, da hier ja nicht diese Kombination begegnet, sondern das Schiff eben genau durch die Angabe seines Fahrtziels näher beschrieben wird: ישׁ:שׁ4אֳניּ"ה בָּאָה תַר/πλοῖον βαδίζον εἰς Θαρσις (Jon 1,3). In ähnlicher Weise findet sich in 2. Chr 20,36 die Formulierung: ישׁ:שׁ4אֳניּוֹת לָלֶכֶת תַר, wozu die Parallele 1. Kön 10,22 zu vergleichen ist, wo von ישׁ:שׁ4 אֳני תַרdie Rede ist (in kollektiver Bedeutung); im Gegensatz zu der Stelle aus dem 1. Buch der Könige findet sich bei den beiden späten Vorkommen (Jon 1,3; 2. Chr 20,36) gerade die ausdrückliche Angabe des Fahrtziels. Strömberg Krantz hat daraus folgern wollen: »Ich möchte lieber aus den oben angeführten späten Belegstellen den Schluss ziehen, dass ›Tarsisschiff‹ als Terminus technicus für Hochseefrachtschiffe allmählich in Vergessenheit geraten war, und dass man in späterer Zeit ›Tarsisschiffe‹ als Fahrzeuge auffasste, die Tarsis zum Ziel
26 Vgl. zu סְפִי*הSasson, Jonah, S. 101; Abraham, Schiffsterminologie, S. 24–27; Strömberg Krantz, Des Schiffes Weg, S. 69f.; die allgemeine Verwendung für Schiff wird auch durch die rabbinische Literatur nahegelegt, wo das Wort durch Verknüpfungen mit anderen Begriffen zur Bezeichnung bestimmter Schiffstypen näher präzisiert wird, vgl. Patai, Children of Noah, S. 41f. 27 Vgl. Abraham, Schiffsterminologie, S. 26f.; Strömberg Krantz, Des Schiffes Weg, S. 70; Wolff, Obadja/Jona, S. 89. Für unbefriedigend hält eine solche Erklärung Mulzer, ספינה. Er leitet סְפִי*הvon der hebr. Wurzel , ספab und zieht weniger die verwandten Begriffe in den anderen semitischen Sprachen zur Klärung der Bedeutung heran (vgl. aber seine ausführlichen Listen zu den Belegen: S. 83–87, Anm. 4–8); sein Ergebnis: סְפִי*הsei hier in Jon 1,5 der (gedeckte) Laderaum (S. 89); die hier vorliegende constructus-Verbindung (כְּתֵי הַסְּפִי*ה4 )אֶלירbedeute damit: »›ins Innere‹, d.i. ›in den hintersten, verborgensten Bereich‹ des Laderaums« (S. 90). Problematisch daran bleibt dann aber die Annahme, daß die LXX-Übersetzer von dieser Bedeutung nichts gewußt haben müßten, s.u.; damit setzt sich Mulzer allerdings nicht auseinander. Vgl. ablehnend zu der Überlegung, in Jon 1,5b könnte » סְפִי*הSchiffsraum, Schiffsrumpf« meinen, schon Abraham, Schiffsterminologie, S. 26. Ackerman sieht in כְּתֵי הַסְּפִי*ה4 ירein Wortspiel auf ,כְּתֵי צָפוֹ4יר, wie es in Ps 48,3 u.ö. vorkommt (Ackerman, Jonah, S. 235, s. auch schon Halpern/Friedman, Composition, S. 84, Anm. 11); Sasson bemerkt mit spitzer Zunge zu diesem Vorschlag : »This intriguing (apparently Harvardian) suggestion is beyond evaluation, but it seems to me a trifle too learned« (Sasson, Jonah, S. 101). 28 ישׁ:שׁ4 אֳניּוֹת תַרbegegnen in: 1. Kön 22,49; Jes 2,16; 23,1; 23,14; 60,9; Ez 27,9.25; Ps 48,8; 2. Chr 9,21. Vgl. zur Bedeutung der Kombination: Ehrlich, Randglossen V, S. 263; Abraham, Schiffsterminologie, S. 17; Strömberg Krantz, Des Schiffes Weg, S. 48.51; Patai, Children of Noah, S. 40.
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hatten. Auch in Jon 1,3 könnte somit dem Verfasser der alte Begriff ›Tarsisschiff‹ vorgeschwebt haben«.29 Wo der hier genannte Ort Tarš¯ıš (ישׁ:שׁ4 )תַרzu lokalisieren ist, kann nach wie vor nicht mit letzter Sicherheit entschieden werden. Die meisten Kommentare und viele andere Untersuchungen begnügen sich mit der Auskunft: »Tarshish has been located at practically every important Mediterranean trading station known to present-day scholars«, o.ä.30 Entscheidend für unseren Text hier ist aber lediglich – und das wird man ohne Umschweife so akzeptieren können –, daß Tarš¯ıš nur das Fluchtziel als äußerst weit entfernt und darüber hinaus dem Auftragsort diametral entgegengesetzt bezeichnen will:31 Jona versucht also, sich vom Ziel seines Auftrags und auch von seinem Auftraggeber möglichst weit zu entfernen.32 Die eigentliche Seesturmerzählung setzt dann in v. 4 mit einem Paukenschlag ein: Der Verfasser wechselt die Perspektive von der unangemessenen Reaktion des Jona auf den JHWH-Befehl zur angemessenen Reaktion JHWHs auf das Verhalten seines Propheten. V. 4 beschreibt mit einem invertierten Verbalsatz, daß JHWH – seinem flüchtenden Propheten hinterher – einen mächtigen Wind aufs Meer schleudert, so daß die See tobt,33 und das Schiff zu zerbrechen droht – ( טולhif ¯ıl) ist das zweite Leitwort im hebräischen Text.34 O
Exkurs: In v. 4b haben wir es mit einer sehr interessanten Formulierung zu tun, weil das Schiff hier durch Verwendung des Verbums חשׁב, das sonst nie mit leblosen Subjekten vorkommt,35 gleichsam personifiziert wird: בָה לְהִ>בֵר8>ִ ;והָאֳניּ"ה חwörtliche Übersetzung: . . . und das Schiff dachte darüber nach/plante zu zerbersten. Die Septuaginta formuliert weit weniger auffällig: . . . καὶ τὸ πλοῖον ἐκινδύνευε συντριβῆναι. David Noel Freedman will auf der Basis des LXX-Textes eine Form von » – חובprobably – «חָבָהals ursprünglich
Strömberg Krantz, Des Schiffes Weg, S. 51. Sasson, Jonah, S. 79. 31 Strömberg Krantz will eine derartige vom Ursprungssinn abgehobene Verwendung an einigen Stellen – unsere eingeschlossen – erkennen: »Oft bezeichnet der Name lediglich einen weit entfernt liegenden Ort, der das Exotische und Unbekannte repräsentiert. So beispielsweise 2. Chr 20,36; Jon 1,3; Jes 66,19; Ps 72,10« (Strömberg Krantz, Des Schiffes Weg, S. 51, Anm. 55). 32 Wolff, Obadja/Jona, S. 78: »Mit Tarschisch soll der Leser die Vorstellung weitester Entfernung und zwar in entgegengesetzter Richtung gegenüber Ninive verbinden« (Hervorhebung im Original gesperrt); vgl. auch Mell, Theologie östlich von Osten, S. 69f. 33 סַעַר, das sonst auch Wind, Sturm bedeuten kann, »ist hier ganz als Wasserphänomen verstanden« (Fabry, Art. סָעַר, Sp. 896): hoher Wellengang, was die LXX kontextgemäß als κλύδων µέγας wiedergibt. 34 Vv. 4.5.12.15;LXX hat in v. 4 ἐξεγείρειν statt ἐµ-/ἐξβάλλειν und übersetzt in v. 5 substantivisch (ἐκβολὴν ἐποιήσαντο), gibt jedoch βάλλειν in v. 7 (bis), wo MT hif ¯ıl von נפלhat. 35 Vgl. Marti, Das Dodekapropheton, S. 249; Wolff, Obadja/Jona, Textanm. 4e [S. 83]; Sasson, Jonah, S. 96f. 29 30
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erweisen;36 das ist jedoch m.E. unnötig. Eine andere Personifizierung von Schiffen findet sich im Alten Testament nur noch in Jes 23,1. Eine interessante Parallele zu einer solchen Personifizierung eines Schiffes im Zuge eines Sturms findet sich in der berühmten mittelägyptischen Erzählungen des Schiffbrüchigen, die wahrscheinlich aus der 11. Dynastie stammt und damit die älteste Seefahrtsund Märchenerzählung darstellt, die uns überliefert ist.37 Die Z. 30–39 dieser Erzählung bieten die Darstellung des Schiffbruchs: »They [sc. die Schiffer] could foretell a storm before it came, a tempest before it broke. A storm came up while we were at sea, before we could reach land. As we sailed it made a swell, and in it a wave of eight cubits tall. The mast – it (the wave) struck (it). Then the ship died. Of those in it not one remained«.38 William Kelly Simpson übersetzt den uns interessierenden Satz mit: »Then the boat died.«39 Dieses Schiff geht also nicht unter oder zerbricht, sondern stirbt bzw. verschwindet (mwt).40 Eine abweichende Deutung der Passage hat Adolf Erman vorgelegt, der auch schon das Sterben auf die Schiffsinsassen beziehen will.41
Die Männer an Bord geraten in Furcht und schreien ein jeder zu seinem Gott, aber nicht nur das, sie versuchen sich auch selbst zu helfen, und leichtern das Schiff (v. 5a): ֶ;ויּ"טִלוּ אֶתהַכֵּלִי אֲשׁ&ר בָּאֳניּ"ה אֶלהַיּ" לְהָקֵל מֵעֲלֵה42 eine wichtige Parallele zu Apg 27,18, wo es auch heißt: ἐκβολὴν ἐποιοῦντο.43 Somit haben wir es hier mit der Notiz von verständlichen und gewöhnlichen Reaktionen von Seeleuten zu tun, die in eine bedrohliche Situation geraten sind. Ihre Reaktion ist jedoch erzählerisch auf das Nötigste begrenzt und stellt gleichsam nur eine Skizze dar, die die zwei Dimensionen möglicher Selbsthilfe exemplarisch herausstellt: Erstens die Bitte um göttliches Eingreifen und Errettung aus der Not, sowie zweitens nach der Seemannschaft übliche Verfahren, das Schlimmste zu verhindern. Diese zweite Dimension, die eigentliche Selbsthilfe, besteht hier beispielhaft im Leichtern des Schiffes, ein häufig angewandtes Verfahren, wofür wir neben den schon erwähnten Stellen Apg 27,18f.38 einige weitere Belege haben. Man beachte etwa: Hdt. VIII 118f., wo Xerxes die mit ihm reisenden Perser bittet, zu seiner Rettung von Bord zu springen, eine für Herodot aber keineswegs glaubwürdige Vgl. Freedman, Jonah 1 4b, S. 162. Vgl. zu diesem Text die Zusammenfassung bei Wiedemann, Unterhaltungslitteratur, S. 18f. 38 Lichtheim, Ancient Egyptian Literature I, S. 212; andere Übersetzung bei: Simpson, Literature, S. 52; der Hieroglyphentext ist zugänglich bei Erman, Geschichte des Schiffbrüchigen, S. 7 [mit deutscher Übersetzung, S. 8]; Blackman, S. 42. 39 Simpson, Literature, S. 52. 40 Vgl. auch Lanczkowski, Geschichte des Schiffbrüchigen, S. 362; Sasson, Jonah, S. 97; Bolin, Freedom, S. 78f. 41 Vgl. Erman, Geschichte des Schiffbrüchigen, S. 7f. 42 Jon 1,5a LXX: καὶ ἐκβολὴν ἐποιήσαντο τῶν σκευῶν τῶν ἐν τῷ πλοίῳ εἰς τὴν θάλασσαν τοῦ κουφισθῆναι ἀπ’ αὐτῶν. Abraham, Schiffsterminologie, S. 55, überlegt, ob »man in הֵטִיל, Jon. 1, 5, neben der allgemeinen Bedeutung ›werfen‹ auch die eines Fachausdruckes der Schiffssprache: ›leichtern‹, erblicken darf«, beurteilt das aber ablehnend. 43 Vgl. zum κουφισθῆναι (Jon 1,5 LXX) auch Apg 27,38. 36 37
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Überlieferung (119,1); Plb. I 39,2–5, wo die römischen Schiffe im Rahmen einer libyschen Expedition in der kleinen Syrte auf Grund laufen und erst bei Wiedereintritt der Flut und auch da nur durch extreme Leichterung (ἐκρίψαντες ἐκ τῶν πλοίων πάντα τὰ βάρη, 39,4) wieder flott gemacht werden können;44 J. BJ I 14,3 (§ 280), wo das Schiff des Herodes in pamphylischen Gewässern vom größten Teil der Fracht geleichtert wird; Ach.Tat. III 2,9, im Rahmen einer geradezu typischen Seesturmszene; Luc. Merc.Cond. 1, mit ἐκβολαί in einer bloßen Aufzählung. Aus dem Bereich der rabbinischen Literatur sind hier die relevanten Abschnitte aus Baba Qama interessant; dieser Traktat des babylonischen Talmud befaßt sich mit Beschädigungen im engeren Sinne: U.a. wird hier geregelt, daß im Fall der Leichterung des Schiffes im Sturm (hier נחְשׁוֹל, eigentlich große Welle) der Verlust eines jeden Besitzers von Transportgut nach dem jeweiligen Gewicht seines Gutes bewertet wird (bBQ 116b ).45 Spannend ist auch der Fall eines offenbar wildgewordenen Esels, der über Bord geworfen wird: Sein Besitzer geht ohne Entschädigung aus (bBQ 117b )46 – das Problem ist hier ja auch kein Sturm o.ä. sondern der störrische Esel selbst; für uns hat diese Regelung ohnehin kaum Relevanz, weil sich das Ganze auf einer Flußfähre abspielt.47 Die beiden genannten Stellen finden sich nicht bei Billerbeck; er rubriziert unter Apg 27,18 eine Stelle aus dem Kohelet-Targum, die symbolisch zu verstehen ist, aber nichtsdestoweniger das uns hier interessierende Verfahren des Leichterns bei Sturm belegt (TgQoh 3,6 [Bill. II, S. 772]); aus den Sprüchen des Rabbi Eliezer führt er zu Mt 12,39, Nr. 3, noch eine Haggada zu Jona an, in der das Leichtern des Schiffes allerdings verschoben erscheint, nämlich noch hinter das Angebot Jonas, sich ins Meer werfen zu lassen (Jon 1,12), das paßt zur hier vorliegenden Tendenz, die Weigerung der Seeleute, Jona dem Meere zu übergeben, weit zu überzeichnen.48
In unserem Zusammenhang ist hier eindeutig und allein die praktische Motivitation für die Leichterung maßgebend, die religiöse Dimension wurde exemplarisch durch die Bitte um Rettung angesprochen. Überlegungen, nach denen auch die Leichterung den Zweck verfolge, das Meer durch die Übergabe der כֵּלִיzu besänftigen, sind daher zurückzuweisen.49 44 Die Stelle lautet (Plb. I 39,4): οὐ µὴν ἀλλὰ πάλιν ἀνελπίστως µετά τινα χρόνον ἐπενεχθείσης τῆς θαλάττης, ἐκρίψαντες ἐκ τῶν πλοίων πάντα τὰ βάρη µόλις ἐκούφισαν τὰς ναῦς (Übersetzung:
Aber dennoch, als das Meer nach gewisser Zeit unverhofft wieder anschwoll, gelang es ihnen mit Mühe, die Schiffe unter Auswurf allen Balastes zu leichtern). 45 Zitiert bei Sasson, Jonah, S. 99, nach der engl. Übersetzung bei Patai, Jewish Seafaring, S. 13 (der Anm. 49 auch den hebr. Text von tBM 7,14 zusätzlich gibt); vgl. auch die Übersetzungen bei Goldschmidt, Bd. VII, S. 409; Kirzner, Baba K.amma, S. 692. 46 Vgl. auch die Übersetzungen bei Goldschmidt, Bd. VII, S. 415; Kirzner, S. 702. 47 Vgl. zu diesen Fällen Albeck, Art. Maritime Law, Sp. 996. 48 PirqeREl 10, s. Bill. I, S. 644–647, hier S. 645; s.u., S. 203. 49 Vgl. hierzu Sasson, Jonah, S. 98f.; Bolin, Freedom, S. 79f. Interessant ist hier nochmals die Beschreibung der Leichterung des Schiffes bei Ach.Tat. III 2,9, wo die Ergebnislosigkeit der Maßnahme gleichsam unter Benutzung einer Opfer- bzw. Versöhnungsterminologie ausgedrückt wird: ὁ δὲ χειµὼν οὐκ ἐσπένδετο. Das ist aber freilich übertragen gemeint, wenn dem Ausdruck nicht sogar ein Mißverständnis zugrundeliegt, denn die Leichterung ist ja nur eine Maßnahme, um den Sturm leichter überstehen zu können, nicht, ihn zu stillen.
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Die Leichterung des Schiffes schafft – wie so oft in Seesturmerzählungen – natürlich keine Abhilfe, denn die eigentliche Belastung des Schiffes ist ja Jona selbst;50 daher erfolgt jetzt ein betonter Perspektivwechsel: Der Erzähler blickt wieder auf Jona und muß dazu erzählerisch nachholen,51 was Jona nach dem Besteigen des Schiffes und inzwischen, während die Seeleute schon mit dem Sturm ringen, getan hatte; der invertierte Verbalsatz in v. 5bα markiert diesen Perspektivwechsel und ist vorzeitig zu verstehen:52 Jona, unser Prophet auf der Flucht, ist sozusagen weiter geflohen, er begibt sich noch weiter nach unten, nämlich ins Innere des Schiffes (כָּה4יר/κοίλη, v. 5). Dort gibt er sich seinem, wenn auch nicht unbedingt wohlverdienten, Sturmschlaf hin – hier sehr betont: im Hebräischen mit dem den Tiefschlaf ausdrückenden Verbum ( רדnif al), und im Griechischen der LXX wird sogar sein »Schnarchen« (ῥέγχειν) hervorgehoben.53 Der Kapitän (ב הַחֹבֵל6ר, v. 6)54 weckt nun den Sturmschläfer vorwurfsvoll auf: Er solle sich durch Anrufung seines Gottes an der Abwehr des Sturms beteiligen. Darauf spart die Erzählung jegliche Reaktion aus. Jona wird durch das Wecken lediglich erzählerisch ins Zentrum des Geschehens zurückgeholt, O
50
Das hat schon Hieronymus so interpretiert: Arbitrantur nauem solito onere praegrauari, et non intellegunt totum pondus esse fugitiui prophetae (In Ionam I 5a [204f.]); Übersetzung: Sie [sc. die Seeleute] glauben, daß das Schiff durch seine übliche Ladung Übergewicht habe, und erkennen nicht, daß die eigentliche Belastung in dem flüchtigen Propheten besteht. 51 Daß es sich hier um eine erzählerische Nachholung handelt, wird vielfach betont (z.B. Kaiser, Wirklichkeit, S. 44 mit Anm. 14; Wolff, Obadja/Jona, S. 88f.); vgl. zum literarischen Phänomen der Nachholung bzw. Rückwendung allgemein: Weiss, Weiteres, bes. S. 183–186.204f. 52 Vorzeitigkeit hält auch Ludwig Schmidt an dieser Stelle für wahrscheinlich (Schmidt, »De Deo«, S. 73); daß man es hier jedoch »mit einem zusammengesetzten Nominalsatz« zu tun hat, ist unzutreffend. 53 Man vgl. die anderen »Sturmschläfer« in biblischen Erzählungen, nämlich Jesus (Mk 4,38f. parr.) und möglicherweise auch Paulus (vielleicht zu erschließen aus Apg 27,23). 54 Im Griechischen nur als πρωρεύς wiedergegeben: »officer in command at the bow, as the κυβερνήτης at the stern« (LSJ, s.v., S. 1544). Der Proreus ist für gewöhnlich der erste Offizier nach dem Kapitän, dem κυβερνήτης des Schiffes (vgl. Casson, Ships, S. 318f. mit Anm. 81f. [S. 319]), ja, er kann als τοῦ κυβερνήτου διάκονος (X. Oec. 8,14) bezeichnet werden und als Vertreter des Kapitäns, falls diesem etwas zustößt (Thdt. ep. 78 [SC 98, S. 176, Z. 14–17; s. auch PG 83, 1252B]): ῞Οταν ὁ κυβερνήτης τι πάθῃ, ἢ ὁ πρωρεύς, ἢ τῶν ναυτῶν ὁ πρῶτος τὴν ἐκείνου χρείαν πληροῖ, οὐκ αὐτοχειροτόνητος κυβερνήτης γινόµενος, ἀλλὰ τῆς τοῦ σκάφους προµηθούµενος σωτηρίας. Überset-
zung: Wenn dem Kapitän etwas zustößt, so erfüllt der Proreus oder der erste der Matrosen dessen Aufgabe, dabei wird er nicht selbstgewählt zum Kapitän, sondern aus Fürsorge für die Rettung des Schiffes. Vgl. zum Personal auch Göttlicher, Seefahrt, S. 64.69f. Mit dem hebr. ב הַחֹבֵל6 רist jedoch sicher der Kapitän gemeint, vgl. dazu Strömberg Krantz, Des Schiffes Weg, S. 187, und ihre Untersuchungen zu חֹבֵל, das kollektiv die gesamte Schiffsmannschaft meine, so daß der ב הַחֹבֵל6 רnur als Befehlshaber des ganzen Schiffes zu deuten sei: Strömberg Krantz, Des Schiffes Weg, S. 184–188; vgl. auch Abraham, Schiffsterminologie, S. 51; Fabry, Art. חבלI, Sp. 705.
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damit er letztlich seiner Enttarnung als eigentlich Schuldiger zugeführt werden kann.55 In v. 7a kommen die Seeleute dann auf die Idee, die Ursache ihres üblen Geschicks durch Loswurf zu ermitteln. Daß sie nach dem Scheitern aller anderen Bemühungen auch auf diesen Gedanken kommen, zeigt deutlich eins: Sie rechnen mit der Möglichkeit, daß der Sturm durch eine irgendwie sünd- oder schuldbelastete Person an Bord verursacht sein könnte.56 Ein solches Denken scheint in der Antike (und auch noch weit darüber hinaus) unter Seeleuten wie auch unter nur gelegentlich Seereisenden verbreitet gewesen zu sein. Eine Vielzahl von Belegen ließe sich für den Glauben beibringen, ein an Bord befindlicher Frevler oder gar Mörder führe zu Sturm oder gar Schiffbruch, weil er eine göttliche Bestrafung auf sich ziehe und dadurch auch alle Mitreisenden gefährde.57 Bei den attischen Rednern etwa finden sich Texte, die dieses Denken illustrieren: So in der Verteidigungsrede De caede Herodis, die Antiphon für den des Mordes an einem gewissen Herodes bezichtigten Euxitheos verfaßt 55 So entspricht diese Szene in Teilen dem Motiv des unerkannt an Bord weilenden Retters: Dieses Motiv findet sich auch in einem Traktat des palästinischen Talmud (pBerakh IX 13b ), wo ein Knabe an Bord eines Schiffes ist und – wie Jona – aufgefordert wird, zu seinem Gott zu beten; im Gegensatz zu Jona reagiert aber dieser Knabe positiv auf die an ihn ergangene Aufforderung, und sein Gebet zeitigt sofortigen Erfolg: »Sogleich stand der Knabe auf, schrie von ganzem Herzen (um Hilfe), worauf der Heilige, er sei gepriesen, sein Gebet erhörte, so daß sich das Meer beruhigte« (Übersetzung von Horowitz, S. 223; die Stelle ist in Übersetzung auch leicht zugänglich bei Bill. I, S. 452). Zusätzlich ist zum Motiv des unerkannt an Bord weilenden Retters noch auf die synoptische Sturmstillung (Mk 4,35–41 parr.) und Plu. Caes. 38,2–6 (hier allerdings scheiternd), hinzuweisen; vgl. Theissen, Urchristliche Wundergeschichten, bes. S. 109f. 56 Diesen Zusammenhang sieht auch: Thimmes, Sea-storm Type-scene, S. 86. Zur Ermittlung eines Schuldigen durch Loswerfen in der Situation eines in Bedrängnis geratenen Schiffes ist die einzige Parallele, die mir begegnet ist, eine Erzählung aus den indischen J¯atakas, nämlich diejenige über den Kaufmannssohn Mittavindaka aus Benares, der mit Gewaltanwendung gegen das Verbot seiner Mutter verstößt, sich aufs Meer zu begeben; das Schiff, auf dem er sich befindet, wird im folgenden von einer geheimnisvollen Gewalt an der Fahrt gehindert. Die Seeleute ermitteln daraufhin durch Los den Mittavindaka als Schuldigen – dreimal fällt das »Unglücksrabenlos« in seine Hand – und setzen ihn dann mit einem Brett aus (J¯at. X 439, eine Übersetzung findet sich bei: Dutoit, J¯atakam IV, S. 3). Vgl. zu dieser überhaupt höchst bemerkenswerten Parallele zu Jon 1 neben der Zusammenfassung der »Erzählung von den vier Toren« bei Dutoit, a.a.O., S. 603: Hardy, Jona; Marti, Das Dodekapropheton, S. 246; Schmidt, Jona, S. 142f.; Gerhards, Verschlingung, S. 244f. (Gerhards erwähnt die Mittavindaka-Parallele allerdings nur en passant, weil er ja in erster Linie den Parallelen zur Verschlingung des Jona [Jon 2,1–11] nachgeht, die hier ja gerade nicht vorkommt, sondern stattdessen das Aussetzen im Meere mit einem Brett). Ebenso zielt die Erwähnung einer solchen Parallele ohne nähere Angaben bei Uwe Steffen sicher auch auf die Mittavindaka-Erzählung (Steffen, Das Mysterium, S. 88f.; Steffen, Die Jona-Geschichte, S. 5). Zum Loswerfen zur Ermittlung eines Schuldigen oder Frevlers überhaupt vgl. die inneralttestamentlichen Parallelen: Jos 7,14–18; 1. Sam 14,38–42. 57 Skeptisch äußert sich in dieser Beziehung aber Cicero, der diese Auffassung in seiner Erzählung über Diagoras ad absurdum führt (Cic. N.D. III 89), nichtsdestotrotz ist auch solch eine Stelle ein Beleg für die gemeinte Vorstellung.
5.1 Jona
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hat. Antiphon läßt seinen Klienten auch damit argumentieren, daß Männer mit unreinen Händen Schiffe regelmäßig ins Unglück trieben, seine Mitreisenden jedoch eine gute Fahrt gehabt hätten: ἐµοὶ τοίνυν ἐν πᾶσι τούτοις τὰ ἐναντία ἐγένετο. τοῦτο µὲν γὰρ ὅσοις συνέπλευσα, καλλίστοις ἐχρήσαντο πλοῖς.58 Auf ähnliche Weise hatte sich Andokides verteidigt, der 415 v.Chr. in
die Profanierung der eleusinischen Mysterien bzw. den Hermenfrevel verwickelt gewesen sein soll, und im Jahre 400 v.Chr. der ἀσέβεια angeklagt wurde:59 ἐγὼ δὲ, ὦ Ἀθηναῖοι, οὐκ ἀξιῶ τοὺς θεοὺς τοιαύτην γνώµην ἔχειν, ὥστ’ εἰ ἐνόµιζον ὑπ’ ἐµοῦ ἀδικεῖσθαι, λαµβάνοντάς µε ἐν τοῖς µεγίστοις κινδύνοις µὴ τιµωρεῖσθαι· τίς γὰρ κίνδυνος µείζων ἀνθρώποις ἢ χειµῶνος ὥρᾳ πλεῖν τὴν θάλατταν; ἐν οἷς ἔχοντες µὲν τὸ σῶµα τοὐµόν, κρατοῦντες δὲ τοῦ βίου καὶ τῆς οὐσίας τῆς ἐµῆς, εἶτα ἔσῳζον;60 Einen Eindruck von der Argumentati-
onsweise der Anklage in diesem Fall gibt möglicherweise ein Redenfragment, das (wahrscheinlich fälschlich) unter dem Namen des berühmten Lysias überliefert ist; hier wird die Argumentation dahingehend umgekehrt, daß die Götter den Andokides seine zahlreichen Seereisen nur haben glücklich überstehen lassen, um ihn schließlich durch Gerichtsurteil seiner gerechten Strafe zuzuführen: ὁ δὲ θεὸς ὑπῆγεν αὐτόν, ἵνα ἀφικόµενος εἰς τὰ ἁµαρτήµατα ἐπὶ τῇ ἐµῇ προφάσει 58 Antipho V 83 (De caede Herodis); Übersetzung: In meinem Fall ist aber in jeder Angelegenheit das Gegenteil geschehen. Und zwar war es bei mir so: All diejenigen, mit denen ich zur See gefahren bin, konnten sich bester Fahrt erfreuen. Vgl. den gesamten Abschnitt der Argumentation Antipho V 82f. (De caede Herodis), und zum Namen des Beschuldigten: Ladouceur, Hellenistic Preconceptions, S. 436, Anm. 5. Eine derartige Argumentation ist auch in der Romanliteratur nachweisbar: Charito III 4,9. Miles/Trompf, Luke, haben die Antiphon-Passage in die Diskussion um Apg 27f. eingeführt, insbesondere als erhellende Parallele, die zu einem besseren Verständnis der lukanischen Aussageabsicht hinter dem noch glücklich überstandenen Schiffbruch des Paulus sowie der kurzen Szene mit der Schlange (Apg 28,3–6) beitragen könne. Ladouceur, Hellenistic Preconceptions, S. 436.439, ließ sich nicht davon überzeugen, daß die Antiphon-Passage derartig aussagekräftig sei; s. dazu unten. 59 Vgl. zum Hermenfrevel und zur Profanierung der eleusinischen Mysterien sowie zum Fall des Andokides: MacDowell, Andokides: On the Mysteries, App. A.C.D.E.F.G (S. 167–171.172–193); Parker, Miasma, S. 168–170; Ostwald, Popular Sovereignty, S. 161–169.275f.327f., s. zur Personenkonstellation in der Affäre um die Profanierung der eleusinischen Mysterien und den Hermenfrevel auch Appendix C (S. 537–550); Parker, Ath. Religion, S. 81.200–202.206f.296; Price, Religions, S. 82–85. 60 And. I 137 (De mysteriis), Blaß gibt hier ὦ 〈ἄνδρες〉 Ἀθηναῖοι; Übersetzung: Ich aber, ihr Athener, halte die Annahme nicht für richtig, die Götter hätten eine derartige Gesinnung, daß sie, wenn sie glaubten, daß von mir gefrevelt worden sei, nicht ihre Strafe zuteilen würden, indem sie mich in den größten Gefahren beim Schlafittchen kriegten. Denn welche größere Gefahr gibt es für Menschen, als zur Winterszeit das Meer zu besegeln? (Müssen wir folgendes annehmen:) Daß sie, die meinen Leib in solchen (Gefahren) hatten und so Verfügungsgewalt über mein Leben und meinen Besitz, mich dann doch retteten? In einer Replik auf Miles/Trompf, Luke, hat David Ladouceur den Fall des Andokides als zur Beleuchtung des Falls des Paulus bessere Parallele angeführt, vgl. Ladouceur, Hellenistic Preconceptions, S. 436–439.
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δοίη δίκην. ἐλπίζω µὲν οὖν αὐτὸν καὶ δώσειν δίκην, θαυµάσιον δὲ οὐδὲν ἄν µοι γένοιτο. οὔτε γὰρ ὁ θεὸς παραχρῆµα κολάζει . . . 61 Weiteres ließe sich
hier anführen, insbesondere aus dem Bereich des Mythos. Neben einigen anderen Belegen62 ist aus dem Bereich der Mythologie wohl am bemerkenswertesten die bekannte Szene aus dem Argonautenmythos, nach der Medea ihren Bruder Apsyrtos in Stücke schnitt und sukzessive aus dem Schiff warf, um ihren Vater Aietes von der Verfolgung abzuhalten; in der Fassung des Pseudo-Apollodor reagiert Zeus auf diesen Frevel mit einem Sturm, den er den Argonauten schickt (Ps.-Apollod. Bibliotheca I 133f. [9,24,1f.4; Wagner, Mythographi Graeci I, S. 44f.]): ἰδοῦσα δὲ αὐτὸν
πλησίον ὄντα Μήδεια τὸν ἀδελφὸν φονεύει καὶ µελίσασα κατὰ τοῦ βυθοῦ ῥίπτει. συναθροίζων δὲ Αἰήτης τὰ τοῦ παιδὸς µέλη τῆς διώξεως ὑστέρησε· διόπερ ὑποστρέψας, καὶ τὰ σωθέντα τοῦ παιδὸς µέλη θάψας, . . . τοῖς δὲ Ἀργοναύταις τὸν ᾽Ηριδανὸν ποταµὸν ἤδη παραπλέουσι Ζεὺς µηνίσας ὑπὲρ τοῦ φονευθέντος Ἀψύρτου χειµῶνα λάβρον ἐπιπέµψας ἐµβάλλει πλάνην. καὶ αὐτῶν τὰς Ἀψυρτίδας νήσους παραπλεόντων ἡ ναῦς φθέγγεται µὴ λήξειν τὴν ὀργὴν τοῦ Διός, ἐὰν µὴ πορευθέντες εἰς τὴν Αὐσονίαν τὸν Ἀψύρτου φόνον καθαρθῶσιν ὑπὸ Κίρκης. Übersetzung: Als sie gesehen
hatte, daß er [sc. der Vater Aietes] schon nahe war, tötete sie ihren Bruder und warf ihn in Stücke zerteilt in die Tiefe hinab. Indem Aietes nun die Stücke seines Kindes aufsammelte, verpaßte er in der Verfolgung den Anschluß; daher kehrte er um und ließ die geretteten Glieder seines Kindes bestatten . . . Den Argonauten aber, die schon am Fluß Eridanos vorübersegelten, sandte Zeus aus Zorn über den Mord an Apsyrtos einen gewaltigen Sturmwind und trieb sie so auf eine Irrfahrt. Als sie an den apsyrtischen Inseln vorübersegelten, ließ das Schiff vernehmen, daß der Zorn des Zeus nicht ablassen werde, es sei denn, daß sie sich aufmachten ins Ausonische Meer und von Kirke gereinigt würden vom Mord an Apsyrtos. – S. zum zweiten Zug, dem Zorn des Zeus, auch A.R. IV 558–561 (beim Rhodier findet sich allerdings nichts vom zerstückelten Kinde).63 Es Ps.-Lys. VI 19f. (In Andocidem); Übersetzung: Der Gott hat ihn hergeführt, damit er, hier angekommen, auf Grundlage meines Plädoyers für seine Verfehlungen die Strafe erhält. Ich hoffe freilich, daß er auch seine Strafe erhalten wird, das käme mir in nichts sonderbar vor. Denn der Gott züchtigt nicht sofort, . . . Vgl. auch den größeren Abschnitt Ps.-Lys. VI 19–32 (In Andocidem), insbesondere 32. Beachtenswert ist noch, daß Andokides auf eine Argumentation, die in solcher Weise das Verhältnis von überstandenen Gefahren zur See und Schuld umkehrt, vorsorglich schon eingeht: εἶτα οἱ µὲν θεοὶ ἐκ 61
τοσούτων κινδύνων ἔσῳζόν µε, σφῶν δὲ αὐτῶν προὐστήσαντο τιµωρὸν γενέσθαι Κηφίσιον τὸν πονηρότατον Ἀθηναίων, ὧν οὗτός φησι πολίτης εἶναι οὐκ ὤν, ᾧ οὐδ’ ὑµῶν τῶν καθηµένων οὐδεὶς ἂν ἐπιτρέψειεν οὐδὲν τῶν ἰδίων, εἰδὼς τοῦτον οἷός ἐστιν; ἐγὼ µὲν οὖν, ὦ ἄνδρες, ἡγοῦµαι χρῆναι νοµίζειν τοὺς τοιούτους κινδύνους ἀνθρωπίνους, τοὺς δὲ κατὰ θάλατταν θείους (And. I 139 [De
mysteriis]); Übersetzung: Sollten dann die Götter mich aus so großen Gefahren errettet und es vorgezogen haben, daß Kephisios anstatt ihrer selbst zum Rächer würde, der übelste Mann von Athen, deren Bürger zu sein er behauptet und es gar nicht ist, dem auch nicht einer von euch, die ihr dasitzt, weil ihr so gut wißt, was der für einer ist, etwas von eurem Eigentum anvertrauen würdet? Ich für meinen Teil, ihr Männer, glaube, daß es zwingend ist, diese Gefahren hier für menschlicher Natur zu halten und diejenigen zur See für göttlicher Natur. 62 Vgl. etwa die Angaben bei: Wachsmuth, Πόµπιµος, S. 270.305. 63 Vgl. zu den verschiedenen Versionen: Rose, Gr. Mythologie, S. 199.287. Vgl. zur Bibliotheca, die dem Apollodor von Athen fälschlicherweise untergeschoben wurde und als spätes Zeugnis
5.1 Jona
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sei nur noch ergänzend erwähnt, daß man selbst in Furcht geraten konnte, wenn ein Mörder nur den Hafen betrat, schließlich konnte er ihn verunreinigen; Platon hat für seinen Idealstaat auch eine entsprechende gesetzliche Regelung vorgesehen: ῝Ος ἂν ἐκ προνοίας τε καὶ ἀδίκως ὁντιναοῦν τῶν ἐµφυλίων αὐτόχειρ κτείνῃ, πρῶτον µὲν τῶν νοµίµων εἰργέσθω, µήτε ἱερὰ µήτε ἀγορὰν µήτε λιµένας µήτε ἄλλον κοινὸν σύλλογον µηδένα µιαίνων . . . 64
Nach diesem Loswurf in Jon 1,7b65 und der dadurch erfolgten Enttarnung des Schuldigen (v. 7) wird Jona gleichsam hochnotpeinlich verhört, man fragt ihn nach Auftrag/Beruf, Herkunft, Land und Volk (v. 8aβ.b): הַגּידהנּ"א לָנוּ מַה ה עַ אָתָּה. ואֵימִזּAֶצ4 תָּבוֹא מָה אַר, וּמֵאַיAְתּBמְּלַא.66 Jona jedoch beantwortet diese (1./2. Jh.n.Chr.) in der Tradition hellenistischer Mythographie zu beurteilen ist: Lesky, Geschichte, S. 956f.; Robert, De Apollodori bibliotheca, s. zur Autorenfrage S. 4–48. 64 Pl. Lg. IX 871a; Übersetzung: Wenn jemand vorsätzlich und ohne rechtlichen Grund einen seiner Mitbürger eigenhändig tötet, soll er fürs erste vom Rechtsverkehr ausgeschlossen werden und so keine heiligen Bezirke, Agora, Häfen sowie keinen andere öffentlichen Versammlungsplatz verunreinigen . . . 65 Die praktischen und über das oben Gesagte hinausgehenden religionsgeschichtlichen Hintergründe des Loswerfens sowie die Frage, wie man es sich in unserem Zusammenhang vorzustellen hat, daß das Los auf Jona fällt (ויּפֹּל הַגּוֹרל עַליוֹ*ה, v. 7bβ), muß uns hier nicht interessieren; vgl. die knappen Ausführungen bei Wolff, Obadja/Jona, S. 90, und ausführlicher bei Lindblom, Lotcasting, zur Jona-Stelle, die bei Lindblom aber nicht im Vordergrund steht, S. 165–167. Vgl. zu divinatorischen Handlungen bei Seereisen, die natürlich alle den Zweck haben, mögliche Gefahren im voraus zu erkennen und von daher meiden zu können: Wachsmuth, Πόµπιµος, S. 177–200, der S. 179f. auch auf Losorakel (Kleromantie) und Würfelorakel mittels Astragalen (Astragalomantie) u.a. hinweist, allerdings keine Parallele zu unserem Text für derartige Praktiken im Sturm selbst und erst recht nicht zur Ermittlung eines irgendwie belasteten oder direkt für das Unheil verantwortlichen Besatzungsmitgliedes anführt (s. aber dazu oben, Anm. 56). Wachsmuth konzentriert sich v.a. auf entsprechende Praktiken zu Beginn und am Ende einer Seereise; dafür ist die Beleglage freilich auch am günstigsten. 66 Hier findet sich die einzige auszuschließende Passage in Jona 1; v. 8aγ ist als sekundär anzusehen! Wahrscheinlich ist את לָנוּ2 בַּאֲשׁ&ר לְמִיהָרעָה הַזּeine erklärende Glosse zu 7aδ (את2בְּשׁ&לְּמִי הָרעָה הַזּ )לָנוּ, die die im Hebräischen seltenere Relativ-Partikel & שׁdurch das häufigere אֲשׁ&רersetzt hat; die Glosse ist dann an dieser Stelle in den Text geraten; vgl. Marti, Das Dodekapropheton, S. 250; Wolff, Obadja/Jona, S. 83 (zu 8a–a). Beachtlich ist jedoch das Gegenargument von Arnold B. Ehrlich: »Es ist nicht unbedingt nötig, die Worte באשר למי הרעה הזאת לנוzu streichen, wenn man מיin relativem Sinne fasst, denn dann kann das Ganze zur Not heissen: du, durch dessen Schuld dieses Ungemach über uns gekommen ist« (Ehrlich, Randglossen V, S. 265). Skeptisch macht in dieser Sache allerdings der Ausdruck »zur Not«, trotzdem vertritt Bolin neuerdings wieder diese Lösung (Bolin, Freedom, S. 82f.); aber wo finden sich denn eindeutige Belege für ein relativisches ?מיMan müßte eine solche Funktion schon postulieren und vom Gebrauch als indirektes Interrogativpronomen oder als Korrelativum ableiten, s. dazu Gesenius/Kautzsch, Grammatik, § 137c (S. 464f. [26 S. 437f.]), vgl. auch zu indirekten Fragen überhaupt § 150i (S. 498 [26 S. 469f.]); Gesenius, Handwörterbuch, s.v. 2., S. 419. Zu Relativsätzen und indirekten Fragesätzen vgl. Waltke/O’Connor, Hebrew Syntax, S. 315–340 (§§ 18f.), wo auch kein einschlägiger Beleg verbucht wird. Die LXX gibt das letzte Fragenpaar in ungewöhnlicher Weise wieder und weicht von der sonst im Jonabuch gepflegten Texttreue leicht ab: καὶ ἐκ ποίας χώρας καὶ ἐκ ποίου λαοῦ εἶ σύ; steht für
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Fragen nicht, oder zumindest nicht alle, sondern legt in aller erster Linie ein Bekenntnis zu seinem Gott ab (v. 9), das erzählerisch geradezu in die Mitte der ganzen Sturmgeschichte rückt:67 אFהֵי הַ>מַי אֲני י"רGי אָנֹכִי ואֶתיהוה אֱלIעִבְר אֲשׁ&רעָשׂה אֶתהַיּ" ואֶתהַיּבָּשׁה. Legt man diesen masoretischen Text zugrunde, so gibt Jona als Antwort auf die viergliedrige Frage zu seiner Person wenigstens über seine Volkszugehörigkeit Auskunft: »Ein Hebräer bin ich« (י אָנֹכִיIעִבְר, v. 9aβ). Die Septuaginta-Überlieferung dagegen liest zum Teil: δοῦλος κυρίου ἐγώ εἰµι, anstelle des hebräischen י אָנֹכִיIעִבְר. Zumeist wird diese höchst interessante Variante als Lesefehler erklärt, der dazu geführt habe, daß עבריzu עֶבֶד =( עבדי )יהוהverlesen wurde;68 damit kann als sicher gelten, daß die LXX-Variante auf eine nicht mehr überlieferte Variante des hebräischen Textes zurückgeht.69 Mit der Selbstbezeichnung des Jona als δοῦλος κυρίου läge interessanterweise neben 1. Kön 18,36 (Elia) die zweite Stelle vor, in der sich ein Prophet selbst als עֶבֶד יהוה kennzeichnet. Faßt man Jona grundsätzlich als entlaufenen Sklaven JHWHs auf – was wie gesagt auch ohne die Variante der Septuaginta möglich ist –, dann wirkt die zutiefst vom Erschrecken geprägte Reaktion der Seeleute umso verständlicher und drastischer; das ist in der LXX-Fassung explizit gemacht worden. Zum ersten Teil des Jona-Bekenntnisses in v. 9 ist das bloße, ebenso zweigliedrige Zugehörigkeitsbekenntnis des Paulus in Apg 27,23 zu vergleichen: Auch er drückt hier ein Zugehörigkeits- und im zweiten Glied ein Dienst- bzw. Verehrungsverhältnis aus; die Parallele wird in der Septuaginta-Fassung mit ihrer Lesart δοῦλος κυρίου umso deutlicher.70 Festzustellen ist hier wohl auch, daß das Bekenntnis des Jona nicht einer gewissen Ironie entbehrt, die darin besteht, daß er meinte, vor dem Schöpfer ה עַ אָתָּה. ואֵימִזּAֶצ4מָה אַר. Martin Mulzer will dafür stilistische Gründe geltend machen: Mulzer,
Satzgrenzen, S. 64f. 67 Das wurde in verschiedensten Analysen des Textes immer wieder festgestellt, man vergleiche nur so unterschiedlich ausgerichtete Untersuchungen zum Jonabuch wie etwa: Lohfink, Jona, S. 201; Pesch, Zur konzentrischen Struktur, S. 578–580; Schmidt, »De Deo«, S. 59f., Anm. 27; Magonet, Form, S. 56–58; Kratz, Rettungswunder, S. 153f.174f.; Weimar, Literarische Kritik, S. 222; Lux, Jona, S. 109. 68 Vgl. Wolff, Obadja/Jona, S. 83; Gese, Jona, S. 269, Anm. 34. 69 Emanuel Tov hält auch das durch die LXX unmittelbar eingebrachte alternative Verständnis für möglich; ansonsten bietet er eine mustergültige Erklärung des Sachverhalts: »Das höchstwahrscheinlich ursprüngliche עבריwurde von G oder von ihrer Vorlage als עבד יהוהverstanden. Die Antwort Jonas in M paßt an den vielfältigen vorangehenden Frage nach seiner Herkunft; nach G antwortet Jona auf diese Frage jedoch nicht, bekennt sich vielmehr zweimal als Gottesverehrer. Zusätzlich zu den Abweichungen im Verständnis des Jod unterscheiden sich die beiden Texte auch in ¯ der Lesung der Buchstaben ר/( «דTov, Text, S. 213 [in der engl. Ausgabe S. 257]). 70 Paulus drückt seine Zugehörigkeit zu dem Gott, dessen Engel ihm erschienen sei, in einem doppelten Relativsatz aus: οὗ εἰµι ἐγὼ ᾧ καὶ λατρεύω (Apg 27,23b).
5.1 Jona
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des Meeres und der Erde, wohlgemerkt auch des Meeres, eben über das Meer fliehen zu können. Die Seeleute geraten angesichts dieses Bekenntnisses in große Furcht und fragen erschrocken (v. 10aβ): »Warum hast Du das getan?« Um so fragen zu können, müssen sie natürlich wissen, was Jona denn getan hat; in dessen Rede kam eine solche Information allerdings nicht vor. Daher trägt der Erzähler entsprechend nach, daß die Seeleute genau darüber im Bilde sind: עוּ4כִּי י"ד ֶה כִּי הִגּיד לָהKFי יהוה הוּא בֹר7י כִּימִלִּפְנ:( הָאֲ*שׁv. 10b). Dabei handelt es sich um eine Nachholung oder Rückwendung, in der etwas vorher Geschehenes im Erzählverlauf nachgetragen wird.71 Der Sinn der Nachholung an dieser Stelle kann nur darin bestehen, die Reaktion der Seeleute unmittelbar auf das Jona-Bekenntnis folgen zu lassen; die erzählerische Logik muß dann im Nachhinein wieder hergestellt werden. Es besteht kein Grund im Versteil 10bγ (ֶ )כִּי הִגּיד לָהeine Überarbeitung oder auch nur eine in den Text geratene Glosse zu vermuten,72 weil die unmittelbare Bindung der gesteigerten Furcht an das Bekenntnis sich ganz hervorragend in die Erzähltendenz von Jon 1 fügt: Es liegt nämlich hier ein stilistisches Mittel vor, das Jonathan Magonet als »growing phrase« bezeichnet hatte:73 ». . . a phrase which is repeated with the addition of a further word or element to it. The significance lies in the added meaning given by the extra element, in addition to the intervening events.«74 Eine solche growing phrase findet sich zur Bezeichnung der sich steigernden und präzisierenden Furcht der Seeleute in Jon 1 in den vv. 5.10.16, wobei sich 71 Vgl. zur Nachholung bzw. Rückwendung schon oben zu v. 5b (S. 193 mit Anm. 51); vgl. zu unserem v. 10 hier Weiss, Weiteres, S. 184, und schon Hieronymus: Historiae ordo praeposterus est (In Ionam I 10 [342]); Übersetzung: Die Reihenfolge der Erzählung ist umgekehrt. 72 Die Ausscheidung zumindest des Versteils 10bγ (ֶ )כִּי הִגּיד לָהist des öfteren vorgeschlagen worden: Insbesondere muß dazu eine alternative Lesung der Stelle beachtet werden, ob denn die Seeleute auch selbständig, nur aus dem Bekenntnis Jonas den Schluß gezogen haben konnten, daß Jona vor JHWH auf der Flucht ist; ידעin v. 10bα wäre dann an dieser Stelle als »erkennen«, nicht als »wissen« wiederzugeben, so daß anzunehmen ist, daß der Überarbeiter bzw. Glossator die Stelle nicht mehr richtig verstanden hat. So deuten den Befund in diesem Abschnitt etwa: Marti, Das Dodekapropheton, S. 251; Schmidt, »De Deo«, S. 60f. Insgesamt erscheint mir das sehr unwahrscheinlich, wenn nicht gar erzählerisch inkonsistent, so daß man den Martischen und Schmidtschen Glossator darin sehr gut verstehen müßte, daß er die Stelle eben nicht mehr richtig verstanden hat. Gegen eine Ausscheidung des Versteils hatte sich schon Ehrlich gewandt, der aber ידעin v. 10bα mit »merken« übersetzen will und auch die selbständige Erkenntnis der Seeleute annimmt; den fraglichen Versteil will er dann übersetzen: »denn er hatte es ihnen angedeutet« (Ehrlich, Randglossen V, S. 265). Vgl. auch noch den Vorschlag von Tapani Harviainen, der ein im masoretischen Text nicht mehr erkennbares Wortspiel zwischen יהוהund ( אֲדֹ*יbzw. )אֲדֹ*יוannimmt: Harviainen, Why?, S. 79–81; darauf hätte aber der Leser in v. 3 vorbereitet werden müssen, so daß diese Annahme als unwahrscheinlich betrachtet werden muß. 73 Vgl. Magonet, Form, S. 31–33. 74 Magonet, Form, S. 31.
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die erweiterten Fügungen noch besonders durch die Verwendung einer figura etymologica auszeichnen:75 v. 5aα: v. 10aα: v. 16a:
אוּ הַמַּלָּחי4ויּיר ָאָה גדוֹל4י יר:אוּ הַאֲ*שׁ4ויּיר ה 76 ראָה גדוֹלָה אֶתיהוה 4 י י:אוּ הַאֲ*שׁ4ויּיר
Für unsere Stelle ergibt sich aus der Beachtung dieses Phänomens die Einsicht, daß es für den Erzähler von besonderer Bedeutung war, die Furcht der Seeleute in dem Moment als gesteigert darzustellen, in dem ihnen offenbart wird, mit welchem Gott sie es durch den als schuldig enttarnten Jona nun tatsächlich zu tun haben, nämlich mit dem »Gott des Himmels, dem Schöpfer des Meeres und des Festlandes«(v. 9b); dieser Gott steht also hinter dem Wüten des Meeres, auf das die Seeleute schon in v. 5 mit Furcht reagiert hatten. Daß sich der Erzähler nicht an die Zeitfolge hält, führt zu einer Betonung sowohl der Furchtreaktion der Seeleute – wie eben gezeigt – als auch des nur indirekt erwähnten Schuldbekenntnisses unseres Propheten.77 Damit ist die Nachholung an dieser Stelle vollkommen zu rechtfertigen und gibt keinen Anlaß zu literarkritischen Eingriffen.78 Nun erst kommt Jona explizit zur Erkenntnis der Situation und gibt auf die Frage der Seeleute die klare Anweisung, ihn zur Sturmstillung über Bord gehen zu lassen: ע אָני כִּי בְשׁ&לִּי הַסַּעַר הַגּ"דוֹלKFתֹּק הַיּ" מֵעֲלֵיכֶ כִּי יוֹד8ני אֶלהַיּ" וישׁMשׂאוּני והֲטִיל ֶה עֲלֵי.( הַזּv. 12aβ–b). Damit wird Jona – wenn man so will – der eigentliche Retter in dieser Sturmstillungserzählung, allerdings ein Retter, der über Bord geht, und ein Retter, der seinerseits gerade für den Sturm verantwortlich gewesen war. Daß die Seeleute Jonas Anweisung erst nach einigem Hin und Her in die Tat umsetzen, ist ohne Zweifel von enormer Bedeutung: Zunächst weigern sie sich, den Vorschlag Jonas anzunehmen, und versuchen aus eigener Kraft an Land zu gelangen (v. 13). Ein solches Unterfangen, im Sturm das Land zu erreichen, ist gelinde ausgedrückt als äußerst waghalsig zu beurteilen, ja es ist vom Standpunkt kundiger Seemannschaft aus betrachtet völliger Unsinn und grenzt an Selbstmord, da das nur eingeschränkt manövrierfähige Schiff an der Küste in 75 Vgl. zur Beachtung dieses Phänomens in Jon 1 auch: Pesch, Zur konzentrischen Struktur, S. 578; Kratz, Rettungswunder, S. 161.165f.; Gese, Jona, S. 262f.; Jeremias, Sicht der Völker, S. 560. 76 In der Septuaginta wird diese growing phrase exakt reproduziert: καὶ ἐφοβήθησαν οἱ ναυτικοί (v. 5)/καὶ ἐφοβήθησαν οἱ ἄνδρες φόβον µέγαν (v. 10)/καὶ ἐφοβήθησαν οἱ ἄνδρες φόβον µέγαν τὸν κύριον (v. 16). 77 Vgl. Wolff, Obadja/Jona, S. 93. 78 Ergänzend ist auf die durch Rüdiger Lux vorgetragene Rechtfertigung, die Technik der Nachholung an dieser Stelle einzusetzen, hinzuweisen, er argumentiert v.a. erzählpragmatisch und zeigt,
5.1 Jona
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äußerste Gefahr gerät mit der wahrscheinlichen Konsequenz eines Schiffbruchs; eine entsprechende Wertung zur Szene kann man auch in einigen Kommentaren lesen.79 In der Tat findet sich in Seefahrtserzählungen des öfteren die Befürchtung ausgedrückt, bei Nacht bzw. im Sturm an eine (womöglich unbekannte) Küste verschlagen zu werden.80 Wie die Kenntnisse unseres Verfassers in diesem Punkt zu beurteilen sind, muß wohl offen bleiben; mir scheint es jedoch eher naheliegend, daß er die Szene noch hätte dramatischer gestalten können, wenn er um den Wahnsinn, der dem Plan der Seeleute zugrundeliegt, gewußt hätte.81 Nichtsdestoweniger illustriert der Versuch der Seeleute, das Problem auf diese Weise zu lösen, auch so in besonderer Betonung, wie sehr sie unter dem Eindruck ihrer neuen Gotteserkenntnis alle Mühe daran setzen, das Leben des flüchtigen und ungehorsamen JHWH-Propheten zu retten: יב:י לְהָשׁ:ויּחְתְּרוּ הָאֲ*שׁ אֶלהַיּבָּשׁה/καὶ παρεβιάζοντο οἱ ἄνδρες τοῦ ἐπιστρέψαι πρὸς τὴν γῆν.82 Die Wortwahl unterstreicht das heftige und möglicherweise aussichtslose Bemühen daß der Erzähler in dieser Passage in einen direkten Dialog mit dem Hörer/Leser eintritt (Lux, Jona, S. 112f.). 79 Vgl. etwa Sasson, Jonah, S. 141f.; Hamel, Taking the Argo, S. 346. Nichts dergleichen allerdings bei Wolff, Obadja/Jona, S. 95; er redet stattdessen davon, daß die Männer »nochmals ihre seemännischen Fähigkeiten« einsetzten. 80 Siehe Apg 27,17.29; Hld. V 17,4f.; Synes. ep. 4,163c. – Eine weitere besonders interessante Parallele findet sich im Brief des Bischofs Synesios von Kyrene an seinen Bruder, in dem er seine Seereise nach Kyrene unter einem jüdischen Kapitän beschreibt (Synes. ep. 4 [Garzya 5]); s.u., S. 253ff. Dieser Kapitän kommt in der Darstellung des Synesios recht schlecht weg, u.a. weil er aus für den Verfasser unerfindlichem Grunde aufs offene Meer zuhält. Tatsächlich hat er aber angesichts des erwarteten starken Windes vom Meer her genau die richtige Maßnahme ergriffen, um die gefährliche Küstennähe zu meiden (Synes. ep. 4,160c–161c); das Wahrscheinlichste ist hier, daß der kleine Segler, der wohl mit einer Lateiner-Takelung versehen war, beim Kreuzen rechtzeitig ausreichend Luv machen wollte (s. z.St.). Man beachte etwa zu verschiedenen Optionen des Verhaltens zur Küste in jeweils unterschiedlichen Situationen noch die Texte: Antipho V 21 (De caede Herodis), hier zwingt ein Sturm dazu, an einer bestimmten Stelle anzulanden; J. BJ III 9,3 (§§ 422–424), die Schiffe der Bewohner Joppes, die versuchen, gegen den µελαµβόριον genannten Nordwind von der felsigen Küste und den an Land stehenden Römern loszukommen, scheitern hier. Vgl. noch Od. V 388–463 (der schwimmende Odysseus); Hor. Carm. III 27,21–24 (zum Text vgl. Hendry, Seneca, S. 63–66.69); Epod. 10; App. BC V 10 (§§ 88–90); Plu. Dio 25,7f.; Sen. Ep. LIII 2f.; Hld. V 17,5; Aristid. Or. XLVIII 66; Synes. ep. 4,164d–165a. 81 Sasson geht in seinem ausführlichen Kommentar auf diese Frage nicht ein; angesichts des absurden Versuchs der Seeleute, an Land zu fahren, psychologisiert er: »The sailors, however, could have been reasoning that if they steered ashore in the midst of a storm, it should prove them no longer willing to shelter God’s errant prophet. Surely this powerfull deity would not allow them harm as they rowed ashore! With faith in divine mercy and justice, the sailors were betting their lives on the success of this measure« (Sasson, Jonah, S. 142). Gegen derartige Psychologisierungen richtet sich Bolin, Freedom, S. 86f. 82 Unsere Seeleute hier werden also ganz anders gezeichnet, als es sonst zumeist das antike Klischee will, nach dem Seeleute zu allermeist mit aller Heimtücke nur ihren Eigennutz verfolgen: Vgl. im Kontrast etwa die Seeleute auf dem Paulus-Schiff, die mit dem Beiboot fliehen wollen (Apg 27,30– 32, vgl. auch Ach.Tat. III 3,1–4,2) – eine gute Beobachtung bei Hamel, Taking the Argo, S. 346.351.
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5 Alttestamentliche und jüdische Literatur
der Seeleute: ( חתרQal) meint eigentlich das »Durchbrechen« (einer Mauer) und ist hier sicherlich auf das mühevolle Durchstoßen der Wogen mittels Ruderkraft angewandt.83 Interessant ist bei dem gesamten Verhalten der Seeleute auch, daß sich die mit diesem Verhalten einhergehende Verweigerung gegenüber dem Rettungsvorschlag Jonas, ja mithin gegenüber dem Worte dieses ungehorsamen JHWH-Propheten durchaus in das Gegenüber von Gehorsam und Verweigerung einzeichnen läßt, wie es Rüdiger Lux in seiner schönen Studie zum Jonabuchuch getan hat – ein Gegenüber, das letztlich das ganze Buch durchzieht: Hier geht es nun um die Verweigerung der Seeleute gegenüber dem sich seinerseits Gott verweigernden Propheten.84 Dieses Vorhaben scheitert und muß der Erzähllogik nach scheitern: א י"כֹלוּ2ול/καὶ οὐκ ἠδύναντο (v. 13aβ).85 Im folgenden v. 14 bringen die Seeleute die bedrängenden Schwierigkeiten, in denen sie nun stecken, in einem Gebet vor Gott. Ihr Gebet hat eine doppelte Perspektive und schließt mit einem Bekenntnis, das dem Fortschritt der Seeleute in ihrer Gotteserkenntnis Ausdruck verleiht:86 Die doppelte Perspektive besteht darin, daß nach der klagenden Anrufung אָנּ"ה יהוה87 in zwei Vetitiven88 die dilemmatische Situation der Seeleute erfaßt wird. Die erste Bitte in v. 14aβγ (ה.פֶשׁ הָאִישׁ הַזּ.אבְדה בְּנ2 )אַל*א נwill das Verderben aller Besatzungsleute wegen der einen Person des flüchtigen Propheten abwenden; dabei ist פֶשׁ. נhier nicht als Leben zu verstehen, sondern als Person.89 Ansonsten würde die erste Bitte auf die zweite vorausweisen, und letztere wäre nur eine Präzisierung bzw. Entfaltung der ersten.90 Dem widerrät aber das Vorkommen von ( אבדQal) in v. 14aβ, das schon in v. 6 auf das drohende Verderben der Mannschaft durch den Sturm zu beziehen war. Also wird auch hier nicht das Verderben durch die Tötung Jonas ins Auge gefaßt sein, sondern die Bedrohung durch das Meerestoben, an 83 Vgl. die Belege bei Gesenius, Handwörterbuch, s.v., S. 269; Abraham, Schiffsterminologie, S. 53; Wolff, Obadja/Jona, S. 95. Die Übersetzung der Septuaginta verschiebt das Gewicht auf die Auflehnung gegen den Zwang, hier konkret gegen die Naturgewalten; vgl. LSJ, s.v. παραβιάζοµαι, S. 1305; LSJ Suppl., s.v., S. 238: »act in defiance of some constraint«. 84 Vgl. Lux, Jona, S. 115f. 85 Auch dem kleineren Schiff im Herpyllis-Fragment ist die Rückkehr zum Lande aufgrund des plötzlich aufkommenden, heftigen Windes verwehrt: Herpyllis II 17–21 (s. z.St.). 86 Zur Funktion dieser das Gebet in v. 14b abschließenden Aussage (ָכִּיאַתָּה יהוה כַּאֲשׁ&ר חָפַצְתּ ָית:עָשׂ/ὅτι σύ, κύριε, ὃν τρόπον ἐβούλου πεποίηκας; die Vergangenheitstempora sind präsentischiterativisch zu verstehen) muß auf die mit denselben Verben (Nחפ/ )עשׂהformulierte Preisung in Ps 135,6 (Ps 134,6 LXX, hier aber ἐθέλειν und ποιεῖν) hingewiesen werden, wo sie sich gerade auf die Verfügungsgewalt JHWHs über alle Elemente – auch das Meer – bezieht; so tendiert dieses Bekenntnis in Richtung auf eine Vertrauensbekundung, die das nun folgende Geschehen ganz und gar in die Hand JHWHs legt, vgl. Wolff, Obadja/Jona, S. 96f. 87 Vgl. zur Partikel אָנּ"הHardmeier, Texttheorie, S. 189f. 88 Vgl. zum Terminus Vetitiv: Fohrer u.a., Exegese AT, S. 89, Anm. 95. 89 Gegen Wolff, Obadja/Jona, S. 95f.; Gesenius, Handwörterbuch, s.v. פֶשׁ. נ2, S. 514. 90 Vgl. Lux, Jona, S. 116 mit Anm. 108.
5.1 Jona
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dem ja Jona schuld ist, wie man durch Los ermittelt (v. 7b) und er seinerseits explizit eingeräumt hatte (v. 12b). Erst mit der wiederum durch einen Vetitiv ausgedrückten Bitte in v. 14aδ ( עָלֵינוּ דּ *קִיא,ֵ )ואַלתִּתּmöchten sie sich gegen die Konsequenzen verwahren, die der möglicherweise zu Unrecht oder auch in ungerechtfertigter Weise vorgenommene Meerwurf nach sich ziehen könnte: Vielleicht ist Jona doch unschuldig, oder sein Gott erwartet doch eine andere Maßnahme als den Wurf ins Meer und könnte ihnen die wahrscheinlich ja dadurch erfolgende Tötung seines Propheten anlasten bzw. sie vergelten.91 Danach setzen sie endlich die Anweisung Jonas um – die einzige Möglichkeit zur Rettung wird so realisiert –: Das Meer kommt augenblicklich zur Ruhe (ויּעֲמֹד הַיּ" מִזּעְפּוֹ/καὶ ἔστη ἡ θάλασσα ἐκ τοῦ σάλου αὐτῆς, v. 15). Exkurs: Bemerkenswert ist, daß in der Jona-Haggada aus den Sprüchen des Rabbi Eliezer (PirqREl) eine Paraphrase und Deutung der Jona-Erzählung vorliegt, nach der auch der Meerwurf selbst hinausgezögert wird, wodurch die Bemühungen der Seeleute, das Leben Jonas doch zu erhalten (s.o.) noch stärker unterstrichen wird; zudem nimmt die Darstellung fast magische Züge an, wenn das Versenken Jonas unmittelbar zur Meerberuhigung führt und das Herausziehen den Sturm wieder anheizt: »R. Chananja sagte: . . . | . . . Jona sprach: Ich will euch nicht verhehlen, daß diese Not meinetwegen über euch gekommen ist; nehmt mich u. werft mich ins Meer, so wird das Meer stille werden um euch her, s. Jona 1, 12. R. Schim on (der Name pseudepigraphisch) sagte: Die Leute nahmen es nicht an, ihn ins Meer zu werfen, sondern warfen die Lose über sich; da fiel das Los auf Jona, s. Jona 1, 7. Was taten sie? Sie nahmen die Gerätschaften, die sich im Schiff befanden, und warfen sie ins Meer, um das Schiff zu erleichtern; aber es nützte nichts. Sie beabsichtigten zurück ans Festland zu gelangen; aber sie vermochten es nicht. Was taten sie? Sie nahmen den Jona u. traten in das Hinterteil des Schiffes u. sprachen: Ewiger Gott, Jahve, laß nicht unschuldiges Blut über uns kommen; denn wir wissen nicht, von welcher Beschaffenheit dieser Mann ist (d.h. welche Bewandtnis es mit ihm hat). Jona sprach zu ihnen: Um meinetwillen ist diese Not über euch gekommen; nehmt mich u. werfet mich ins Meer. Alsbald nahmen sie ihn u. ließen ihn (ins Meer) hinab bis an seine Knie. Da stand das Meer von seinem Brausen ab. Sie nahmen ihn wieder zu sich (ins Schiff zurück); da tobte das Meer um sie her. Sie ließen ihn hinab bis an seinen Nabel; da stand das Meer von seinem Brausen ab. Sie zogen ihn herauf zu sich, da tobte das Meer weiter um sie her. Sie ließen ihn hinab bis an seinen Hals; da stand das Meer von seinem Brausen ab; u. noch einmal zogen sie ihn empor zu sich, da tobte das Meer weiter um sie her. Dann ließen sie ihn ganz hinab, u. sofort stand das Meer von seinem Brausen ab«.92 Eine Stufe dieser Übertreibung spart sich der Midrasch Jona, dort wird Jona versuchsweise nur bis zu den Knien, bis zum Nabel, aber nicht mehr nur bis zum Hals versenkt, sondern dann gleich ganz über Bord geworfen.93 O
S. zur Interpretation dieses Versteils und insbesondere zum schwierigen Ausdruck ( דּ *קִיאunschuldiges Blut, zu Unrecht vergossenes Blut; in der LXX-Fassung durch αἷµα δίκαιον wiedergegeben): Wolff, Obadja/Jona, S. 96; Lux, Jona, S. 116f. 92 PirqeREl 10, s. Bill. I, S. 644–647, hier S. 644f. 93 S. die Übersetzung bei Wünsche, Bd. II, S. 41f. 91
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5 Alttestamentliche und jüdische Literatur
Nach dieser Problemlösung wird das weitere Schicksals Jonas zunächst ausgeblendet; stattdessen rücken nun letztmalig die Seeleute und ihre Reaktion in den Mittelpunkt: Die Besatzung des Schiffes kommt zur Furcht vor dem κύριος, vor יהוה: Die Furcht der Besatzung wird betont und präzisiert durch die Wiederaufnahme der growing phrase von vv. 5aα.10aα in v. 16aa: אָה4י יר:אוּ הַאֲ*שׁ4ויּיר גדוֹלָה אֶתיהוה. Die Präzisierung besteht darin, daß der Gegenstand der Furcht bzw. inzwischen eher der Ehrfurcht, nämlich vor JHWH, nun – in einer letzten Erweiterung dieser growing phrase – explizit benannt wird.94 Diese neue Stufe der Furcht zeitigt auch unmittelbare Konsequenzen in konkreten Handlungen der Huldigung (v. 16b): יIרוּ נדר4בַח לַיהוה ויּדּ.ויּזבְּחוּז. Zwei Handlungen werden hier unter Benutzung jeweils einer figura etymologica notiert; erstens ein Opfer und zweitens das Ablegen von Gelübden. Bei dem Opfer wird es sich wohl um ein Dankopfer für die Errettung aus Seenot handeln.95 Das Opfern wird man sich unmittelbar auf die Sturmstillung folgend noch an Bord ausgeführt zu denken haben; dafür, daß das Opfer nur als Versprechen im Rahmen der Gelübde zu interpretieren sei – wie manche Ausleger meinen –, gibt der Text keinen Hinweis.96 Für das tatsächliche Opfern an Bord gibt es zwar nicht unbedingt überfließendes Belegmaterial, allerdings kann man durchaus von einer nicht ungewöhnlichen Praxis ausgehen:97 Ein bekannter, auch für andere Fragen – z.B. für die Typologie der Handelsschiffe – oft herangezogener Beleg ist ein Relief aus Ostia (severische Zeit, um 200 n.Chr.), das im Museo Torlonia in Rom aufbewahrt wird (Abb. 5.3); auf dem Relief sind zwei Schiffe dargestellt, wobei das erste, rechts, schon die Segel gerefft hat, das zweite, links, aber noch mäßige Fahrt macht. Auf dem Achterdeck dieses linken Schiffs, anscheinend auf dem Dach der Kajüte, steht eine Menschengruppe um einen kleinen, wohl transportablen Vgl. zur growing phrase die Ausführungen oben, S. 199. In Psalm 107 ist in v. 22a ausdrücklich von Dankopfern die Rede: ;ויּזבְּחוּ זבְחֵי תוֹדהallerdings hier gerade nicht von den dem Schiffbruch Entkommenen (vv. 23ff.). Vgl. zum Dankgebet coram publico und zum Dankopfer auch: Hardmeier, Denn im Tod, S. 304 mit Anm. 50–54. 96 Vgl. Marti, Das Dodekapropheton, S. 251; Weiser, Buch der zwölf kleinen Propheten I, S. 192; Wolff, Obadja/Jona, S. 98; Jeremias, Sicht der Völker, S. 560; die vom Text her nicht zu rechtfertigende Auffassung, daß das Opfern selbst erst später erfolgen könne, hat etwa Hartmut Gese vertreten: »V. 16b ist ein Hysteron proteron und meint das Geloben und Darbringen von Mahlopfern, in diesem Fall von Toda-Opfern. Selbstverständlich kann die JHWH-Opferdarbringung erst später erfolgen (sie muß die Heiden für alle sichtbar in Israel als Proselyten eingliedern)« (Gese, Jona, S. 262, Anm. 18). Vgl. auch Mell, Theologie östlich von Osten, S. 77 mit Anm. 87, der sich der Auffassung Geses anschließt, daß die Opferung nicht auf dem Schiff zu denken sei. 97 Vgl. zur dieser Frage die wichtige Studie von Wachsmuth: Er erwähnt in seiner Auflistung kultischer Akte im Zusammenhang von Seereisen auch »›Zwischenopfer‹ auf hoher See beim Passieren von Küstenheiligtümern oder im Falle eines Unwetters und in Seenot« (Wachsmuth, Πόµπιµος, S. 115). 94 95
5.1 Jona
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Abbildung 5.3: Detail eines Weihreliefs für Liber Pater (Ostia, um 200 n.Chr.): Der Ausschnitt zeigt den linken der beiden abgebildeten Weinfrachter, auf dessen Deckskajüte ein Rauchopfer dargebracht wird.
Räucheralter: Offenbar wird hier ein Opfer noch an Bord vollzogen. Zwar handelt es sich sicher um ein ex voto-Opfer nach der glücklichen Ankunft im Hafen, wahrscheinlich dem Claudius-Hafen von Ostia,98 also nicht um ein Opfer auf hoher See wie in Jon 1,16, aber dennoch belegt dieses Relief anschaulich die Opferhandlung an Bord eines Schiffes.99 Die in Jon 1,16bβ erwähnten Gelübde 98 Meiggs, Roman Ostia, Kommentar zu Taf. 20: »The sculptor has given a faithful reproduction of the famous lighthouse at the entrance to the Claudian harbour; the lighthouse at the entrance to Trajan’s harbour must have been a much more modest building.« Den Brauch, ein solches Opfer des Dankes bei der Ankunft im Bestimmungshafen auszuführen, erwähnt auch Casson unter Bezugnahme auf unser Relief: Casson, Travel, S. 157. 99 Vgl. zu dieser für unseren Fall besonders interessanten Szene eines Weihrauchopfers an Bord Wachsmuth, Πόµπιµος, S. 143–149, der das Relief ausführlich bespricht. Es handelt sich wahrscheinlich um ein Weihrelief für Liber Pater, also Bacchus-Dionysos, worauf die entsprechende Weihinschrift auf dem Segel des zweiten Schiffes hinweist: v(otum) l(ibero) (In Erfüllung eines Gelübdes [ist das Relief ] dem Liber Pater [geweiht]); s. dazu Guglielmotti, Due navi romane, S. 31; Moll, Schiff, S. 24. Zu Weihinschriften für Liber Pater vgl. exemplarisch die Informationen bei: Ph. II2 , Nr. 338/L333–342/L292 (S. 404–409).Nr. 501/G569–501d/G810 (S. 575–579) [zu den philippischen Inschriften für Liber bzw. Dionysos aus dem Haus mit Bad im Süden der Basilika B und dem Dionysos-Heiligtum in Drama]. Eine alternative Lesung als v(otum) l(ibens) 〈s(olvit)〉 findet sich bei Meiggs (Meiggs, Roman Ostia, Kommentar zu Taf. 20: »The letters on the sail are usually supple-
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werden sich dann auf weitere Handlungen u.ä. beziehen, die die Männer nach der Rückkehr vollbringen wollen. Damit endet diese bemerkenswert gestaltete Rettungsgeschichte gleichsam als Bekehrungsgeschichte – was die Geretteten betrifft –, da ja die Gelübde offenbar eine weiterführende Beziehung der Seeleute zu JHWH zumindest andeuten sollen.100 Der weitere Weg des sich verweigernden Propheten Jona wird dann mit Kap. 2 aufgegriffen: Mit den vieldiskutierten Problemen dieses 2. Kapitels des Jonabuches, insbesondere mit der Frage nach der literarischen und literarkritischen Beurteilung des sog. Jonapsalms können wir uns hier nicht weiter beschäftigen.101 Hier ist jetzt aber noch auf die Darstellung der Verschlingung und Ausspeiung Jonas durch den großen Fisch einzugehen: Der große Fisch (דּג גּ"דוֹל, in der LXX ist von einem κῆτος µέγα die Rede, also einem großen Ungeheuer, Jon 2,1 [LXX]) wird von JHWH dazu ausersehen, bestimmt (מנה, pi el), den ins Wasser geworfenen Jona zu verschlingen. Die Erzählung berichtet darüber wiederum in einer Nachholung,102 nachdem die Perspektive zunächst noch auf den Seeleuten verharrt hatte (v. 16). Das für den Vorgang des Verschlingens verwendete Verbum ( בלעim Qal) kann keinesfalls für eine harmlose Aufnahme in das Maul zum Zwecke der Rettung oder des bloßen Transports stehen, es meint stattdessen für gewöhnlich nichts anderes als die Vernichtung.103 Der Leser soll daher in diesem ersten Vers des zweiten Kapitels nicht gleich an die Rettung Jonas denken:104 Nein, er wurde nicht nur in die Fluten geworfen, sondern dann auch noch auf Befehl JHWHs von einem Untier gefressen. O
mented ›V(otum) L(ibero)‹, unparalleled and difficult; ›V(otum) L(ibens) (S(olvit))‹ is perhaps easier.«), s. dazu Wachsmuth, Πόµπιµος, S. 149, Anm. 269. Abbildungen dieser berühmten Darstellung finden sich u.v.a. bei: Guglielmotti, Due navi romane, vorgeheftete Falttafel; Throckmorton, Romans, Abb. 16 (S. 86 [Detail]); Blackman, Ancient Harbours, Abb. 2 (S. 84); Erlemann, NTAK 4, Abb. 67 (S. 57); Kommentar zur Opferszene bei: Guglielmotti, Due navi romane, S. 28–30. Fehldeutung der Szene bei Lächler/Wirz, Schiffe der Völker, S. 298: »Wahrscheinlich werden Pech und Wachs vermengt für die Kalfaterung.« Vgl. zu dem Relief weiterhin LehmannHartleben, Antike Hafenanlagen, S. 235f. mit Taf. II. 100 Das legen die Gelübde auch so nahe, ohne daß man mit Gese (Gese, Jona, S. 262, Anm. 18) ein hysteron proteron in v. 16b annehmen muß; gegen Lux, Jona, S. 120f. 101 Die literarische Beurteilung des Jonapsalms in Jon 2,3aβ–10 (und dessen Einleitung in Jon 2,2–3aα) ist nach wie vor umstritten: Selbst von manchen der immer zahlreicher werdenden Exegeten, die literarkritischen Operationen eher skeptisch gegenüberstehen, wird seine Ursprünglichkeit angezweifelt. Vgl. zu den Argumenten für eine Aussonderung des Abschnitts: Weiser, Buch der zwölf kleinen Propheten I, S. 194f.; Schmidt, »De Deo«, S. 55–57; Weimar, Jon 2,1–11, bes. S. 46– 50; Wolff, Obadja/Jona, S. 103–106. Die Integrität des 2. Kapitels verteidigen dagegen etwa: Gese, Jona, S. 269–272; Lux, Jona, S. 167–170, vgl. auch seinen kritischen Überblick zur Forschungsgeschichte S. 34–42. 102 Vgl. das entsprechende Verfahren in Jon 1,5.10 und die Bemerkungen z.St.; vgl. auch Struppe, Obadja/Jona, S. 69. 103 Das καταπίνειν der LXX ist – gelinde ausgedrückt – nicht minder unfreundlich! 104 Mit Wolff, Obadja/Jona, S. 108.
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5.1 Jona
Von Jon 2,11 her wird aber deutlich, daß die Verschlingung Jonas durch das Tier und seine Verwahrung in dessen Innern am Ende doch die Rettung bedeutet,105 auch wenn Jona in bemerkenswerter Weise an Land gesetzt wird, der Fisch »kotzt« ihn nämlich aus.106 Zudem scheint – angesichts des schnellen Übergangs zu 3,1 und der Wiederholung des Auftrags an Jona – letztlich die Transportaufgabe des דּגim Vordergrund zu stehen:107 Er bringt Jona wieder zu einem Ort zurück, von dem aus JHWH noch einmal von Neuem mit ihm beginnen kann, er annuliert damit räumlich den Fluchtversuch Jonas. Fazit: Die Erzählung von der Seefahrt Jonas im ersten Kapitel des Jonabuches ist in einer – für unsere Perspektive eher negativen – Hinsicht besonders bemerkenswert: Die erzählerische Ausgestaltung des Seesturms ist recht dürftig! Deutlich wird das im Vergleich mit vielen anderen in dieser Untersuchung behandelten Texten: So findet man nur Andeutungen des sonst gewöhnlichen motivischen Repertoires zur Schilderung einer Seesturmsituation; hier ist keine Rede von irgendwelchen Vorzeichen für einen großen Sturm oder eine Wetteränderung, man erkennt keine Betonung des plötzlichen Eintretens einer solchen Wetteränderung, man liest nichts von sich auftürmenden Wolkenbergen, keine lebhafte Schilderung der Heftigkeit des Unwetters, nichts Anschauliches über eine lang anhaltende und bedrückende Finsternis, nichts von zuckenden Blitzen, sowie nichts darüber, daß die Navigation nicht mehr gelingt, weil weder tags die Sonne noch nachteshalben die Sterne zu sehen sind, und schließlich darf sich der Leser auch nicht an einer ausführlicheren Beschreibung des Leidens der Besatzungsmitglieder ergötzen. Lediglich in den vv. 4f.13 kommt dem Sturm überhaupt eine gewisse eigenständige Relevanz zu;108 zwar wird in v. 4 auch nur ganz knapp 105
So könnte man auch die Interpretation der Verfassers unseres Psalms verstehen, in dem Jona ja ausdrücklich aus dem Leib des Tiers auf seine geschehene Rettung zurückblickt und dafür Dank abstattet (vgl. zu dieser Tendenz des Psalms Kaiser, Wirklichkeit, S. 47): besonders deutlich in Jon 2,7b.10b (zur Bedeutung dieser beiden Teilverse in der Struktur des Psalms vgl. Weimar, Jon 2,1–11, S. 52–61). 106 Vgl. zum verwendeten Verbum ( קיאQal und Hif ¯ıl, hier Hif ¯ıl) die Bemerkung von Hans Walter Wolff : »Das Wort קיאkommt im Alten Testament nur in Ekel erregenden Bildern vor (Jes 19,14; 28,8; Jer 48,26; Ijob 20,15; Lev 18,28) und entspricht unserem derben Wort ›kotzen‹.« Etwas anders verhält es sich in Jer 51,44, worauf Wolff auch hinweist (Wolff, Obadja/Jona, S. 114). 107 Als bloßes »Transportmittel« bezeichnet Golka den großen Fisch: Golka, Art. Jona, Sp. 568; ihm folgt Mell, Theologie östlich von Osten, S. 71. 108 Darüber hinaus wird der Sturm in den vv. 7f. nur umschreibend in der Form את2 הָרעָה הַזּals das zu lösende Problem erwähnt (vgl. aber zu der entsprechenden Passage in v. 8 die literarkritische Entscheidung oben S. 197, Anm. 66). Die Erwähnung in v. 13 – in der Schuldanerkenntnis des Jona – geht nur insofern darüber hinaus, als hier der Sturm direkt als solcher benannt wird: הַסַּעַר ה.הַגּ"דוֹל הַזּ. Schließlich wird noch das Toben des Meeres in den vv. 12.15 ins Auge gefaßt, einmal in der Anweisung Jonas, ihn ins Meer zu werfen, zum zweiten in der Notiz, daß das Meer von seinem Toben stillstand, nachdem Jona über Bord gegangen war: ֶתֹּק הַיּ" מֵעֲלֵיכ8( וישׁv. 12aγ)/ויּעֲמֹד O
O
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der Sturm als Folge des erstens Werfens JHWHs erwähnt, aber der Verfasser nötigt sich doch wenigstens den Halbvers ab, in dem er die große Gefahr für das Schiff betont herausstellt (v. 4b): Die Betonung der bedrohlichen Lage erfolgt auf zweierlei Weise, erstens syntaktisch durch den Gebrauch eines invertierten Verbalsatzes und zweitens durch die bemerkenswerte Personalisierung des Schiffes.109 Mit der Furcht der Seeleute wartet zumindest v. 5 auf, deren Grund hier ja nur der heftige Sturm sein kann, allerdings zeigt sich bei dem ersten Vorkommen dieser growing phrase, daß die Furcht vor dem Toben des Meeres hinter der vor seinem Urheber, nämlich JHWH, zurücktritt (v. 10aα.16a).110 In den Seesturmerzählungen regelmäßig wiederkehrende Motive sind das in v. 5 vorkommende Flehen der Seeleute um Rettung und v.a. die Beschreibung erfolgloser nautischer Gegenmaßnahmen;111 beides ist aber auch nur exemplarisch und sehr knapp erwähnt – keine Spur einer wirklichen schildernden Darstellungsweise. Der in v. 13 erzählte Versuch der Seeleute, an Land zurückzukehren, wirkt durch das verwendete Verbum ( )חתרschon etwas lebhafter, jedoch ist dieser Versuch ja gerade nicht als direkte Rettungsmaßnahme erzählt, sondern als Versuch, die Anweisung Jonas, ihn ins Meer zu werfen, zu umgehen; bemerkenswert ist nur noch die Feststellung, daß das stürmende Meer nur noch mehr loslegt und den Versuch vereitelt: ֶ וסֹעֵר עֲלֵיהOֵ( כִּי הַיּ" הוֹלv. 13b).112 Es zeigt sich damit, daß der Sturm eher den nur ganz partiell direkt in den Blick genommenen Problemhintergrund der Erzählung abgibt: Sie konzentriert sich voll und ganz auf den flüchtigen Jona und seine in Frage stehende Gottesbe( הַיּ" מִזּעְפּוֹv. 15b, hier das einzige Vorkommen von Pַ זעfür das Toben des Meeres, sonst nur vom wütenden Zorn Gottes oder von Menschen, vgl. Ringgren, Art. Pַז"ע, Sp. 627). Diese Stellen bleiben unberücksichtigt, weil sie ersichtlich kein Interesse an der Darstellung des Sturms zeigen, sondern diesen nur als bloßes Faktum und Problem in den Blick nehmen. 109 Zur Personalisierung des Schiffes s. den Exkurs oben (S. 190f.). Eine dritte Weise der Betonung der bedrohlichen Situation, in die das Schiff durch den Sturm geraten war, kann man in der Onomatopoiesis (h.išš @bâ l @hišš¯ab¯er) ausmachen, vgl. insgesamt zur hier verwendeten Formulierung ¯ ¯ und ihren möglichen Wirkungen Sasson, Jonah, S. 96f. 110 S. die Bemerkungen zu dieser growing phrase oben S. 199. 111 Vgl. zum – dort allerdings umgekehrten – Nebeneinander vom Versagen seemännischen Könnens und Flehen um göttliche Hilfe Ps 107,27f. (106,27f. LXX). Hier in Jon 1,5 ist als Beispiel für eine erfolglose Gegenmaßnahme die Leichterung des Schiffes beschrieben, s. dazu oben S. 191f. mit den Angaben zu vergleichbaren Stellen. Zum Gebet auf See s. auch: h.Hom. 33,8–11; Plu. Dio 25,10; Charito III 5,9; Hist.Ap. 39; Herpyllis II 60; TestNaph VI 8; Apg 27,29; und Jon 1,14. 112 Die Formulierung findet sich in gekürzter Form auch schon als Rechtfertigung aus Situation auf die Frage der Seeleute, was sie denn mit Jona tun sollen, v. 11b: וסֹעֵרOֵכִּי הַיּ" הוֹל. Auch hier ist, wie schon in beim Vorkommen des Substantivs in v. 4a, nicht an den Sturm an sich gedacht, sondern an das Toben bzw. Stürmen des Meeres, vgl. Fabry, Art. סָעַר, Sp. 896. Zur Konstruktion des inf. abs. von Q הלmit dem inf. abs. bzw. Partizips des die Handlung ausdrückenden Verbums – wie hier – vgl. Gesenius/Kautzsch, Grammatik, § 113u (S. 358 [26 S. 336]), sie dient zum Ausdruck der Fortdauer und Steigerung eines Geschehens.
5.2 Psalm 107
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ziehung113 – wobei freilich der Lernprozeß, in den die Seeleute hineingenommen werden, als gut austarierter Kontrast fungiert.114 Dieses Hauptanliegen der Erzählung prägt nun auch die Gestaltung der Problemlösung, also die Art und Weise der Rettung aus dem gefährlichen Seesturm: Was nun die Inszenierung dieser Rettung betrifft, kann man wohl zusammenfassend sagen – um das Gegenüber von Gehorsam und Verweigerung wieder aufzunehmen –, daß letztlich der Gehorsam der Seeleute vor dem ungehorsamen Propheten zur Rettung geführt hat.115 Jona ist der Verursacher des gottgewirkten Seesturms und muß, ohne daß man um seine besondere Bedeutung weiß, erst aus seinem seligen Sturmschlaf, geweckt werden, um auf erzählerisch raffinierte Weise der Enttarnung zugeführt zu werden. Im Laufe des Enttarnungsprozesses erkennt Jona seine ursächliche Verwicklung in den Sturm und gesteht seine Schuld ein; so wird er zum Retter – allerdings ganz und gar auf eigene Kosten.
5.2 Psalm 107 (106 LXX) Der Psalm 107 (Ps 106 LXX) ist neben dem ersten Kapitel des Jonabuches der Text der hebräischen Bibel, der am ausführlichsten auf das Phänomen Seesturm und die Gefahr des dabei drohenden Schiffbruch eingeht. Wir haben es bei ihm freilich nicht mit einer Erzählung zu tun; der Psalm 107 ist wohl am besten als Dankfestliturgie einzuordnen,116 die alle, die JHWH für die Rettung aus 113 Dieser Schwerpunkt der Erzählung läßt sich auch anhand der Kommunikationsstruktur des Textes herausarbeiten, wie es Rüdiger Lux m.E. überzeugend vorgeführt hat: »Damit wird deutlich, welch hohes Maß an theologischer Reflexion hinter der zielstrebig und zügig berichteten Handlungsstruktur der Seesturmszene steht. . . . Die metakommunikativen Sätze lassen klar erkennen, daß der Autor vor allem Redehandlungen wiedergab. Lediglich in Vs. 5b.6aα.7b.10aαb.11b.13.15 wird sehr knapp und wenig detailliert eine Handlungs- und Ereignisfolge wiedergegeben. Das, was in dieser ›erzählten Welt‹ geschah, wurde vom Erzähler in der ›besprochenen Welt‹ der direkten Reden gedeutet und erklärt« (Lux, Jona, S. 125). 114 Beide Funktionen des Seesturms innerhalb der Erzählung stellt – mit etwas anderer Nuancierung – auch Ratner heraus: »The storm serves two purposes simultaneously in the narrative. First, it is the means through which the sailors (and, by extension, the readers) learn profound lessons about God’s power and nature. Second, the storm impedes Jonah’s flight and, by means of his own words and deeds in response to the storm, Jonah will ultimately be returned to the master who pursues him so vigorously« (Ratner, Jonah, S. 298). 115 Lux, Jona, S. 123: »Weil sie wissen, daß Gott ja doch tut, was er will (v. 14b), erspart auch ihnen das Gebet nicht die Tat. Im Vertrauen darauf, daß ihr Tun dem Willen Gottes entspricht, daß das Wort des JHWH-Propheten Jona (v. 12) Wille JHWHs ist, werfen sie den Propheten in die Fluten (v. 15). Es ist also der Gehorsam gegenüber dem ungehorsamen JHWH-Propheten, der sie rettet. Die Trennung von ihm läßt das Meer stillstehen.« 116 Diese Gattungszuweisung kann noch immer als Konsens gelten, auch wenn die Näherbestimmung des Sitzes im Leben in der alttestamentlichen Wissenschaft umstritten ist (s.u.); die Gattungsbezeichnung als Dankfest- bzw. Dankopferliturgie findet sich beispielsweise bei: Dahood,
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oder Abwendung von Unheil jedweder Art zu danken haben, aufruft, diesen Dank im Zuge des Dankopfers abzustatten. Exemplarisch werden verschiedene Gruppen angeführt und deren böses Geschick lebhaft geschildert, aus dem sie von JHWH gerettet worden sind.117 Kann man zwar den Psalm mit guten Gründen als Dankfestliturgie bezeichnen, so stellt sich trotzdem die Frage nach dem konkreten Sitz im Leben. Unter Berücksichtigung des mehrstufigen Wachstumsprozesses unseres Psalms ergeben sich für die einzelnen Vorstufen auch durchaus unterschiedliche Verwendungszusammenhänge: Das reicht von der wahrscheinlich ursprünglich dreistrophigen Gestalt des Psalms, die im Rahmen einer offiziellen תוֹדה-Opfer-Feier am Tempel als liturgischer Aufruf zum Dank an JHWH gedient haben dürfte (Ps 107,1.4– 22),118 bis zur jetzigen Funktion der Endgestalt des Psalms als Eröffnung des fünften Buches des Psalters.119 Wir werden uns also vor der detaillierten Betrachtung der uns interessierenden 4. Strophe deren Einbettung in den gesamten Psalm vor Augen führen müssen, sowohl in kompositionsgeschichtlicher wie gattungskritischer Hinsicht: Den ursprünglich dreistrophigen Psalm hat v. 1 eingeleitet, er ruft allgemein zum Dank an JHWH auf und unterlegt das begründend mit dem Verweis auf seine immerwährende Barmherzigkeit bzw. Huld (חֶסֶד/ἔλεος, v. 1b). Die drei folgenden Strophen vv. 4–9/10–16/17–22 entfalten einzelne Notlagen, aus denen JHWH errettet hat. Diese Notlagen sind als exemplarisch anzusehen, da sie in der geschilderten Weise durchaus nicht als alltäglich bezeichnet werden können.120 Es ist also nicht davon auszugehen, daß die geschilderten Notlagen der Mehrheit der Opferfestteilnehmer als Teil ihres eigenen Erfahrungsschatzes vor Augen stehen muß. Sie sind vielmehr so gewählt, daß jeweils eine wohl drastische, aber vor dem Hintergrund der Erfahrungswelt plausible Notlage zur Entfaltung der rettenden Macht JHWHs geschildert werden kann. Dabei sind die Strophen parallel gebaut121 und lassen sich jeweils gliedern in (a) die Situationsbeschreibung (vv. 4f./10–12/17f.), (b) den ersten refrainartigen Teil, der Psalms III, S. 80, der aber schon den nationalen Aspekt bzw. die Umdeutung auf das Schicksal des ganzen Volkes Israel von v. 2f. her in seine Gattungsbezeichnung einträgt; Kraus, Psalmen II, S. 909– 911; Seybold, Psalmen, S. 427, der Ps 107 als komplexen »Psalmtext, dessen Anlage durch die liturgischen Erfordernisse einer Toda-Feier bestimmt ist«, ansieht; Zenger, The Composition, S. 100. 117 Vgl. zur grundsätzlichen Charakterisierung des Psalms 107: Millard, Komposition des Psalters, S. 82. 118 Vgl. zum Dankgebet coram publico und zum Dankopfer: Hardmeier, Denn im Tod, S. 304 m. Anm. 50–54. 119 Vgl. hierzu die maßgeblich redaktions-, oder besser kompositionsgeschichtlich orientierten Studien: Millard, Komposition des Psalters; Zenger, The Composition; und in Anknüpfung daran auch: Miller, The End. 120 Vgl. zu diesem Problem Goulder, Psalter IV, S. 126. 121 Vgl. die Tabelle 1 bei Jarick, Four Corners, S. 274.
5.2 Psalm 107
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die Bitte um Rettung an JHWH und die grundsätzliche Feststellung der Rettung umfaßt,122 (c) die wieder auf die konkrete Situation bezogene Entfaltung der Rettung (vv. 7.14.20), (d) den zweiten refrainartigen Teil, in dem die Geretteten dazu aufgefordert werden, JHWH für seine Barmherzigkeit zu danken bzw. sie zu preisen zusammen mit allen Wundertaten, die er den Menschen angedeihen lasse,123 und schließlich (e) die Begründung für den Dank/den Lobpreis, die erneut die den einzelnen Strophen zugrundeliegende, konkrete Notlage aufgreift (v. 9.16). Der v. 22 der dritten Strophe fällt aus diesem Schema heraus, weil er eine Besonderheit darstellt: Er erfüllt nämlich eine Doppelfunktion, indem er sowohl die dritte Strophe abschließt, als auch die Ursprungsgestalt des Gesamtpsalms, was am Rückbezug auf die Einleitung in v. 1 und dem – wohl an alle Geretteten der drei Beispielstrophen gerichteten – ergänzenden Aufruf zum Opfer zu erkennen ist; vv. 1 und 22 können so als inclusio verstanden werden, obwohl der letzte Vers gleichzeitig den zu vv. 9.16 analogen Strophenschluß ersetzt und auch deshalb, wie jeweils der zweite refrainartige Teil (vv. 8.15.21), Jussive der 3. Person Plural bietet: v. 22 enthält aber gerade keine auf die konkrete Situation bezogene Begründung mehr – wie vv. 9.16 –, sondern nach dem refrainartigen Aufruf zum Dank und Preis eben noch zwei weitere Jussive, die zum Opfer und zur Verkündigung ermahnen: ויסַפְּרוּ. . . ויזבְּחוּ/θυσάτωσαν . . . ἐξαγγειλάτωσαν. Diese drei Strophen haben nun exemplarisch die Notlagen von in der Wüste Verirrten (Strophe I), von Gefangenen (Strophe II) und von Kranken (Strophe III) jeweils so entfaltet, daß die Wundertat der Rettung durch JHWH herausgestellt wird. Dabei deutet m.E. – entgegen zuweilen geäußerter Auffassung in der Forschung zu diesem Psalm – nichts darauf hin, daß diese Fälle schon in ganz konkreter Weise metaphorisch auf das Exil des Volkes und dessen Heimführung ins Land Israel124 bzw. – das ist die zweite Option – auf die Sammlung Israels aus der Zerstreuung gedeutet werden.125 Nicht ganz von der Hand weisen läßt sich allerdings eins: Die Beispiele wollen zwar als durchaus konkrete Notlagen erfaßt werden, so wie sie geschildert sind, aber eben nicht als eigenartige Sonderfälle, sondern exemplarisch. So weisen sie aber in ihrer 122 Dieser Bestandteil der Strophengliederung ist fast gleich formuliert und findet sich in den vv. 6.13.19, wobei die Formulierung in den Strophen II und III exakt gleich sind, Strophe I auch nur durch Verwendung eines anderen Ausdrucks für die Rettung abweicht (sowohl im MT wie in LXX): ֵקוֹתֵיהֶ יצִּילMויזעֲקוּ אֶליהוה בַּצַּר לָהֶ מִמְּצ/καὶ ἐκέκραξαν πρὸς κύριον ἐν τῷ θλίβεσθαι αὐτοὺς καὶ ἐκ τῶν ἀναγκῶν ἐρρύσατο αὐτούς (v. 6); ֵיע:קוֹתֵיהֶ יוֹשׁMויזעֲקוּ אֶליהוה בַּצַּר לָהֶ מִמְּצ/καὶ ἐκέκραξαν πρὸς κύριον ἐν τῷ θλίβεσθαι αὐτοὺς καὶ ἐκ τῶν ἀναγκῶν ἔσωσεν αὐτούς (v. 13.19). 123 Dieser zweite Refrain ist über die drei Strophen hin exakt gleich: יוֹדוּ לַהוה חַסדּוֹ ונפְלְאוֹתָיו י אָד7לִבְנ/ἐξοµολογησάσθωσαν τῷ κυρίῳ τὰ ἐλέη αὐτοῦ καὶ τὰ θαυµάσια αὐτοῦ τοῖς υἱοῖς τῶν ἀνθρώπων (vv. 8.15.21). 124 S. beispielsweise Goulder, Psalter IV, S. 117. 125 S. beispielsweise Zenger, The Composition, S. 89.
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Gesamtheit doch metaphorisch-bildhaft über sich selbst hinaus und lassen sich deuten als Gleichnis für alle Situationen, in denen Menschen sich zwischen Leben und Tod befinden und von JHWHs rettender Hand auf die Seite des Lebens zurückgeführt werden.126 Die Basis für die zuerst genannte, ganz bestimmte metaphorische Interpretation auf das Schicksal des ganzen Volkes legt erst die zweite Stufe des Textwachstums, nämlich die Erweiterung der Einleitung in den vv. 2f.: Die vv. 2f. stellen eine Erweiterung der Einleitung (v. 1) dar und deuten die folgenden Strophen in ganz spezifischer Weise: Allem Anschein nach will der v. 2 den gesamten Psalm mit seinen exemplarischen Schilderungen von der Rettung aus Notlagen entweder auf die Situation des aus dem Exil befreiten Volkes Israel oder die erwartete und in einigen »Erstlingen« schon begonnene Sammlung Israels aus der Diaspora beziehen:127 Sie werden hier als גּאוּלֵי יהוהbezeichnet, genau wie in Jes 62,12a. In v. 3 wird der Bezug auf die Diaspora noch deutlicher, wo ja die Versammlung der zu Dank Verpflichteten als aus allen Himmelsrichtungen von JHWH versammelt beschrieben wird (Nקב, pi ¯el).128 Durch diese ErgänO
126 Vgl. zum ganzen Problem Beyerlin, Werden und Wesen, S. 1f.52 m. Anm. 94. Es ist hier aber schon darauf hinzuweisen, daß auch eine solche eher auf die Grundgefährdungen menschlichen Seins und damit etwa auf die Existenzialien Tod, Sünde, etc. zielende metaphorische Deutung an der 4. Strophe unseres Psalms scheitert (zur 4. Strophe s.u.; vgl. a.a.O., S. 53). 127 Vgl. zur Rechtfertigung der Annahme einer Ergänzung und zur Deutung der ergänzten vv. 2f.: Beyerlin, Werden und Wesen, S. 73f., der aber den Bezug auf die aus dem Exil Heimgekehrten ablehnt (S. 100f.), und – trotz Bedenken – auch Kraus, Psalmen II, S. 911, unter Berücksichtigung der Bezüge des Psalmschlusses (vv. 33–43) zu Deuterojesaja dann zuversichtlicher S. 915. 128 Am Ende von v. 3 findet sich ein spannendes Textproblem: Der MT gibt in der Aufzählung der Himmelsrichtungen am Ende "וּמִיּ, so daß man – die durchaus nicht unübliche Verwendung von "י, Meer zur Bezeichnung der Himmelsrichtung Westen unterstellend – übersetzen müßte: ». . . von Osten und von Westen, von Norden und von Westen«, was ersichtlicher Unsinn ist. Alternativ könnte man " יwörtlich verstehen, womit aber die Aufzählung der Himmelsrichtungen in v. 3 unerträglich gebrochen wäre; so rettet sich die Mehrheitsüberlieferung der LXX: ἀπὸ ἀνατολῶν καὶ δυσµῶν καὶ βορρᾶ καὶ θαλάσσης (Ps 106,3 LXX). Nun bietet es sich aber an, am Ende des Wortes einfach den Ausfall von Jod und Nun zu vermuten, womit man genau die fehlende Himmelsrichtung Süden erhalten würde: ,וּמִיּ"מִי, so auch der Vorschlag im App. der BHS, zu Ps 107,3c (S. 1190); klare Bestätigung durch Kraus, Psalmen II, Textanm. 3a (S. 909). Der Ausfall könnte einfach dadurch erklärt werden, daß der Kopist den Anfang des Wortes niederschrieb und sich mit dem als Himmelsrichtung üblichen " יzufrieden gab, ohne über den Sinn des Gesamtverses weiter nachzudenken. Hier mit dem textkritischen Grundsatz lectio difficilior probabilior zu arbeiten, führt in die Irre. Man beachte auch die Parallele in Ps 89,13: , וי"מִי,צָפוֹ, wo aber der Blick in die LXX dasselbe Problem wie hier hervortreten läßt (zum Teil: καὶ θαλάσσας/καὶ τὴν θάλασσαν, Ps 88,13 LXX). – Das " וּמִיּwill dagegen John Jarick halten, und zwar mit der Begründung, daß sich die vier angegebenen Weltgegenden – nicht so sehr als Himmelsrichtungen gefaßt, sondern als Gegenden einer kosmischen Ordnung im Rahmen einer symbolischen Geographie – ganz exakt auf die vier folgenden Strophen beziehen ließen, aber eben nur unter Beibehaltung der vierten Weltgegend Meer (")י, die natürlich auf die 4. Strophe über die in Seenot Geratenen vorausweise (Jarick, Four Corners, passim, bes. zum Bezug auf die vier Strophen S. 274–280). Eine merkwürdig unentschiedene Zwischenlö-
5.2 Psalm 107
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zung wird der Psalm formgeschichtlich von der Initiation einer Dankopferfeier umgewandelt zum Eröffnungsgesang eines nationalen Dankfestes.129 Damit wird aber das sich in der Zusammenschau der ursprünglichen drei Strophen aufdrängende metaphorische Verständnis in bezug auf die Existenzialien, wie Sünde, Krankheit, Tod und Gottverlassenheit, zurückgedrängt zugunsten der Deutung auf die überstandene Exilsnot und/oder die Wiederherstellung Israels. Daß aber die einzelnen Strophen in ihrer Konkretheit sich einem solchen Verständnis tendenziell sperren, wird an der folgenden Erweiterung deutlich, die in einer ergänzten 4. Strophe eine weitere Notlage hinzufügt, nämlich die uns interessierende Not der Seeleute in einem Sturm.130 Hier findet sich im Text überhaupt kein Anhaltspunkt für eine Interpretation mit Blick auf das Schicksal des Volkes Israel. Ja, noch weiter: Hier deutet im Vergleich zu den ersten drei Strophen auch weit weniger, um nicht zu sagen nichts, darauf hin, daß überhaupt eine metaphorische Deutung, etwa auf das Schweben in Todesnot, intendiert wäre, weil hier nun doch ein eher vom weisheitlichen Standpunkt aus interessanter Sonderfall zur Darstellung der Macht JHWHs gebraucht wird (s. dazu unten). Doch zunächst zur Rechtfertigung, diese 4. Strophe als Ergänzung zu betrachten: Dafür lassen sich mindestens vier gewichtige Gründe anführen: Erstens ist das Versmaß zu berücksichtigen, das Unterschiede zu dem in den ersten drei Strophen festzustellenden Rhythmus aufweist: Abgesehen vom Klagerefrain in den vv. 6.13.19, der den Rhythmus 4+3 hat, findet sich in den ersten drei Strophen nur der Rhythmus 3+3; die Strophe IV hat dagegen über sung vertritt Mitchell Dahood mit seiner Übersetzung: ». . . and from the southern sea«(Dahood, Psalms III, S. 78); er führt die in Jes 49,12 genau wie hier im MT vorkommende Fügung " וּמִיּ,מִצָּפוֹ an und folgert: ». . . so emendation is ruled out«(S. 81; vgl. auch Jarick, Four Corners, S. 273). Der Fall liegt aber in Jes 49,12 deutlich anders, weil hier ja nicht die vier Himmelsrichtungen aufgezählt, sondern einfach Gegenden in der Ferne benannt werden sollen, ohne eben die Vierzahl zu erreichen. Die vier Himmelsrichtungen finden sich dagegen in Jes 43,5f., wo man auch dieselbe Reihenfolge wie in Psalm 107,3 lesen kann: Ost – West ()וּמִמַּעֲרב – מִמִּזרח, Nord – Süd (, – לָצָּפוֹ,ָ ;)וּלְתֵימvgl. dazu Elliger, Deuterojesaja I, S. 300f.; Hermisson, Deuterojesaja II, S. 384f. 129 Vgl. dazu wieder die Gattungszuweisung bei Dahood, Psalms III, S. 80: »hymn of national thanksgiving«; skeptisch in bezug auf eine durch diese Ergänzung bewirkte Veränderungen des Sitzes im Leben: Beyerlin, Werden und Wesen, S. 100f. 130 Nach Beyerlin ist die Ergänzung der Strophe IV vor der Erweiterung der Einleitung durch die vv. 2f. anzusetzen: Beyerlin, Werden und Wesen, S. 100f.110f. Das Hauptargument dafür ist, daß v. 3 durch die vierte der Richtungsangaben schon auf das Thema Meer verweise (S. 101) und so die 4. Strophe bereits voraussetze. In v. 3b ist aber , וּמִיּ"מִיzu lesen, also »von Süden«(s.o., S. 212, Anm. 128), so daß diesem Argument die Basis entzogen ist. Zudem paßt die Annahme einer späteren Hinzufügung der Strophe IV auch viel besser zur insgesamt überzeugenden Rekonstruktion des sich über das Textwachstum hin verändernden Sitzes im Leben: Ist die Ergänzung der Einleitung noch voll und ganz im Tempelmilieu verankert, so weist die Strophe IV bereits darüber hinaus, ohne die Verbindungen zum Tempel abzubrechen.
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den Klagerefrain in v. 28 hinaus auch noch 4+3 in vv. 23.24.26.131 Walter Beyerlin stellt daher zutreffend fest: »Und in dem Umstand, daß der im voraufgehenden Text, in v. 1.4–22, recht regelmäßige Rhythmus (allermeist 3+3) bei IV nur in der Hälfte der Zeilen getroffen worden ist, in der anderen Hälfte indessen nicht, kommt, wie ich denke, zum Ausdruck, daß IV zwar in Anlehnung an I bis III gedichtet worden ist, aber doch so, daß der gelehrte Verfasser in die rhythmische Gliederung seiner so ebenmäßigen poetischen Vorlage nicht ganz hineingefunden hat.«132 Zweitens ist auf das schon erwähnte Phänomen hinzuweisen, daß der v. 22 als Abschluß der dritten und wahrscheinlich ursprünglich letzten Strophe sich deutlich von den ihm in der Strophengliederung parallelen vv. 9.16 abhebt und seinerseits den Psalm überhaupt schließt (s.o.). Der in der 4. Strophe parallele v. 32 muß nun entsprechend einen Ersatzschluß nachtragen und folgt daher dem v. 22 mit zwei sich an den 2. Refrain anschließenden Jussiven: ָוירֹמְמוּהוּ בִּקְהַלע ב זקֵני יהַלְלוּהוּSוּבְמוֹשׁ.133 Auch hier findet sich kein begründender Rückbezug auf die Rettung aus der konkreten Notlage, sondern – in betonter chiastischer Formulierung – eben weitere Anweisungen, in welchen Kontexten der dankende Lobpreis vorzutragen ist. Damit wäre auch schon der dritte Grund angedeutet: Unsere 4. Strophe hat einen anderen Ort vor Augen, an dem die preisende Erhöhung JHWHs zu erfolgen hat: Zwar knüpft sie mit ָ בִּקְהַלעan den Kontext des dreistrophigen Psalms an, der wohl in den Zusammenhang eines (nationalen) Dankopferfestes im Tempel gehörte, trägt aber ausdrücklich die Versammlung der »Alten« nach. Die Strophe IV knüpft also mit der Nennung der Ortsangabe einerseits ausdrücklich an die Vorstufe an, indem sie dazu auffordert, die Erhöhung JHWHs in der Versammlung des Volkes geschehen zu lassen, die doch wohl im Rahmen eines entsprechenden Festes im Tempelvorhof zu denken sein wird, wiederholt aber andererseits den Aufruf zur Darbringung von tôd¯ah-Opfern ()זבְחֵי תוֹדה aus dem ursprünglichen Schlußvers 22 nicht: Ist darin eine tendenzielle Abkehr vom Opferkult zu erkennen – zumindest insofern, als er von einer bestimmten Gruppe und namentlich der Trägerschaft unserer Ergänzung nicht mehr als das allein maßgebliche Zentrum der JHWH-Verehrung begriffen wurde?134 Wie auch immer man sich zu diesem gewagten argumentum e silentio stellt, Vgl. Kraus, Psalmen II, S. 909. Beyerlin, Werden und Wesen, S. 77. 133 Ps 106,32 LXX: ὑψωσάτωσαν αὐτὸν ἐν ἐκκλησίᾳ λαοῦ καὶ ἐν καθέδρᾳ πρεσβυτέρων αἰνεσάτωσαν αὐτόν. Übersetzung: Und sie sollen ihn erhöhen in der Versammlung des Volkes, und in der Versammlung der »Alten« sollen sie ihn loben. 134 Vgl. dazu Beyerlin, Werden und Wesen, S. 88–90, der mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit als Grund für den Verzicht auf die erneute Forderung des tôd¯ah-Opfers u.a. eine »verhaltenere, kritischere Einschätzung des tierischen Opfers« annimmt (hier S. 90). 131 132
5.2 Psalm 107
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bleibt indes in jedem Fall klar, daß der Verfasser der Ergänzung einerseits die Verbindung zum Tempel nicht abbricht, ihm aber andererseits – und das muß als das Neue begriffen werden – ergänzend ein weiterer, alternativer Verwendungsort vorschwebt: der ב זקֵניSמוֹשׁ. Man wird darin wohl eine Versammlung von Weisen zu sehen haben, die sich selbst die Pflege weisheitlicher Tradition zur Aufgabe gemacht haben, und deren Zusammenkünfte sowohl dem Zwecke gottesfürchtiger Betrachtungen und des Lobpreises JHWHs gedient haben werden als auch der Lehre und Unterweisung. Im Unterschied zu einem Ratsgremium der Ältesten scheinen sich diese Weisen eben als die Alten, im Sinne von weisen Alten, bezeichnet zu haben.135 Einen Beleg für solch eine Versammlung kann man in Sir 6,32–37 erkennen, wo demjenigen, der nach Weisheit strebt, empfohlen wird, sein Ohr zu neigen und weise zu werden, und zwar im πλῆθος πρεσβυτέρων; dort soll er πᾶσα διήγησις θεία und παροιµίαι συνέσεως hören. Eine solche Gruppe von Weisen paßt viel besser zum Stoff dieser Strophe als ein Ratsgremium.136 Von daher fügt sich – wie angedeutet – schließlich auch ein vierter Grund für die Abtrennung dieser 4. Strophe ganz zwanglos in das Gesamtbild ein: Im Gegensatz zum Stoff und zur Motivik der ersten drei Stophen, die v.a. übliches prophetisches Material verarbeitet haben, scheint das Hauptinteresse hier doch eher weisheitlich orientiert zu sein. Damit mag auch ein Unterschied der Strophe IV zu den vorangegangenen drei Strophen zusammenhängen, der darin besteht, daß die Notlage dort zumindest zum Teil als selbstverursacht erscheint, was besonders in den Strophen II und III ausdrücklich erwähnt wird (v. 11.17), in der Strophe IV findet sich davon kein Wort – es sei denn, man sieht eine Andeutung von Schuld in dem grenzüberschreitenden Handeln der Schiffer, überhaupt die hohe See zu befahren (s.u.). In jedem Fall wird im ursprünglich dreistrophigen Psalm die Huld JHWHs, sein חֶסֶד, nicht nur als huldvolle Rettung, sondern auch als vergebende Gnade interpretiert, während die 4. Strophe eher nur die machtvolle Rettungstat im Blick hat, ja noch mehr JHWH selbst sich für das Unheil des Sturms direkt verantwortlich zeigt (v. 25).137 Besonders bemerkenswert ist in stofflicher Hinsicht aber das nur in weisheitlichem Kontext vorzufindende Interesse an der Darstellung des Wunderbaren und Gefährlichen in der Natur, die schon geradezu einen Eigenwert aufweist,138 auch wenn sie Vgl. Beyerlin, Werden und Wesen, S. 91–97; anders Kraus, Psalmen II, S. 911.914, der den »›Rat der Ältesten‹« als »wahrscheinlich aus kultischen Repräsentanten der Stämme und Sippen« zusammengesetzt beschreibt (S. 914). 136 Vgl. dazu: Beyerlin, Werden und Wesen, S. 93 m. Anm. 51f. 137 Vgl. Beyerlin, Werden und Wesen, S. 57f.76f.79. 138 Diesen Schwerpunkt unserer Strophe hebt auch Göttlicher, Schiffe im AT, S. 145, hervor, wenn er sie charakterisiert als »Hymnus auf die Seefahrt, die Elemente, die Widrigkeiten der Natur, die Dankgefühle des Seemanns.« 135
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hier natürlich nur im Anklang begegnet und insgesamt dem Lobpreis JHWHs dient. Die Details werden unten noch kurz aufzugreifen sein, hier sei nur schon hervorgehoben, daß das Staunen vor den Gewalten der Natur und ganz konkret des stürmenden Meeres sowie die Beurteilung der Seefahrt als wunderbar – was sich in unserer Strophe IV eben in Ansätzen findet – so sonst nur in weisheitlichen Schriften vorkommt: Man beachte etwa Spr 30,18f.; Sir 43,13– 26.139 Wiederum als nachgetragen wird man auch den fünften Abschnitt (vv. 33–43) ansehen müssen: Als Fremdkörper im Psalm erweist sich dieser Schluß nämlich schon in formaler Hinsicht, bricht er doch radikal mit dem Strophenschema und den dieses Schema prägenden Kehrversen.140 Dieser Eindruck bestätigt sich inhaltlich, so daß kaum ein anderer Schluß zulässig bleibt, als daß der Psalmschluß eine weitere und letzte Stufe des Textwachstums unseres Psalms darstellt: Er paßt ganz und gar nicht in den ursprünglichen Kontext des Tempels, sondern ist seinerseits vor allem weisheitlich geprägt und setzt so die Tendenz der Ergänzung in Gestalt der 4. Strophe fort.141 Daneben nimmt er aber auch prophetisches Gedankengut auf, indem er etwa das umschaffende Handeln JHWHs, der fruchtbares Land in ödes Salzland zu verwandeln vermag, mit der Bosheit der Bewohner begründet (v. 34b).142 Zuweilen hat man den Eindruck, daß der nachgetragene Psalmschluß das Handeln JHWHs, das in der Gestalt der Rettungstaten, in den ersten drei Strophen zum Ausdruck gebracht wurde, uminterpretieren will, nämlich als vollständiges Neu- und Umschaffen in absoluter Autorität: JHWH kann mit den natürlichen Gegebenheiten – eben als ihr Schöpfer – umspringen, wie es ihm beliebt. Derartiges ist schon in der uns besonders interessierenden 4. Strophe angeklungen, wo JHWH ja nach Belieben einen Sturm aufbietet (v. 25) und auf das Flehen der Verzagten hin diesen wieder mühelos stillt (v. 29). Der Psalmschluß scheint eine solche Auffassung vom Handeln JHWHs nun etwa auch auf die Rettung der in der Wüste Verirrten anwenden zu wollen, wenn jetzt nämlich die Wüste nicht mehr das
139 Der Zahlenspruch in Spr 30,18f. zählt das Befahren der hohen See mit Schiffen zu den Wunderdingen, die man nicht versteht; der Abschnitt aus Jesus Sirach zeigt anschaulich, wohin sich die in unserer Strophe IV zu findenden Anklänge in der Weisheit entwickeln. Vgl. mit weiteren Überlegungen zu unserer Stelle: Beyerlin, Werden und Wesen, S. 20f.56–59.76. 140 Vgl. Beyerlin, Werden und Wesen, S. 79. 141 Zum Chrakter des Psalmschluß als Zusatzdichtung, die die Strophen I–IV voraussetzt s. Kraus, Psalmen II, S. 911; vgl. auch Beyerlin, Werden und Wesen, S. 77–80.112. 142 Angesichts der Betonung dessen, aber auch des umgekehrten Handelns JHWHs, nämlich ödes in fruchtbares Land umzuschaffen, drängt sich der Vergleich mit Deuterojesaja auf – sowohl im ganzen als auch in Einzelheiten (vgl. Kraus, Psalmen II, S. 914f.). Vgl. auch Beyerlin, Werden und Wesen, S. 13–16.79.
5.2 Psalm 107
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bleibt, was sie war, sondern zu Wasserteichen, zu Oasen wird (v. 35).143 Demnach haben wir es hier mit einer Weiterführung dessen zu tun, was schon zum Teil in der ergänzten Strophe IV angelegt war; diese Weiterführung ist weisheitlich bestimmt144 und bedient sich der Form des preisenden Hymnus,145 um das Handeln JHWHs darzustellen. Was die Textsorte anbelangt, ist der Psalm freilich vom Aufruf zu dankendem Lobpreis geprägt. In den einzelnen Fallschilderungen hat er nun jedoch erzählerische Elemente von Gewicht, die einerseits die furchtbare Gefahr oder Not, die die nun Geretteten bedrängten, pointiert herausstellen und andererseits die wunderbare Rettungstat JHWHs betonen:146 Diese erzählerischen Elemente, zu denen in der 4. Strophe die Darstellung der Gewalt des stürmenden Meeres, der Not der Schiffer und der Sturmstillung durch JHWH zu zählen sind, sollen uns nun noch im Detail beschäftigen: Eingeführt wird die 4. Strophe durch die Vorstellung der Personengruppe – parallel zu den anderen Strophen: Es sind diejenigen, die hinabsteigen zum Meere mit Schiffen,147 diejenigen, die auf hoher See ihren Geschäften nachgehen.148 Es handelt sich also wohl um Kaufleute, die zu Geschäftszwecken das Mittelmeer befahren.149 Zwei Details sind hier bemerkenswert: Erstens wird das Befahren des Meeres als Hinabsteigen ( )ירדbeschrieben, womit das Meer als Gegend der Tiefe aufgefaßt wird.150 Zweitens, in v. 23b, gehen die Seefahrer ihren Geschäften בִּי6בְּמַי ר, auf/in vielen/großen Wassern, nach; gemeint sind hier freilich nicht verschiedene Meere, sondern die schiere Menge oder Größe des Wassers. Einerseits kann בִּי6 מַי רeinfach Ausdruck für das Mittelmeer sein, eben das große
Vgl. Beyerlin, Werden und Wesen, S. 59f. Man beachte v.a. den abschließenden Weiheitsspruch v. 43: יFמָראֵלֶּה ויתבּוֹננוּ חַסְד8 וישׁTָמִיח Uיהוה/τίς σοφὸς καὶ φυλάξει ταῦτα καὶ συνήσουσιν τὰ ἐλέη τοῦ κυρίου; Vgl. aber auch die Parallelen zum Hiobbuch, s. Kraus, Psalmen II, S. 915. 145 Zur Einordnung als Hymnus s. Kraus, Psalmen II, S. 909.914f. 146 Vgl. Beyerlin, Werden und Wesen, S. 8f. 147 י הַיּ" בָּאֳניּוֹתFד4 יוֹר/ οἱ καταβαίνοντες εἰς τὴν θάλασσαν ἐν πλοίοις (v. 23a). Zur Schiffsbezeichnung אֳניּ"הs. oben S. 188 m. Anm. 24f. 148 בִּי6ה בְּמַי רT עֹשׂי מְלָא/ ποιοῦντες ἐργασίαν ἐν ὕδασι πολλοῖς (v. 23b). 149 Beyerlin, Werden und Wesen, S. 53. 150 Vgl. auch die Verwendung von ירדim ersten und zweiten Kapitel des Jonabuchs: Jon 1,3 (bis).5; 2,7. Besonders interessant ist Jon 1,3b, wo ירדfür das an Bord Gehen benutzt wird, was der LXX-Übersetzer natürlich, um dem Griechischen gerecht zu werden, mit ἐµβαίνειν wiedergeben mußte; hier jedoch in Ps 106,23 LXX hat der gr. Text καταβαίνοντες εἰς τὴν θάλασσαν, womit der Wortlaut der hebr. Vorlage getreu übernommen wurde; eigentlich ein im Griechischen unmöglicher Ausdruck für das Befahren des Meeres mit Schiffen, ganz im Gegenteil verwendet man üblicherweise für das an Bord Gehen oder in See stechen ἀναβαίνειν. 143 144
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Wasser westlich der Levante, auf dem Handel getrieben wird,151 andererseits kann in der Fügung בִּי6 מַי רauch eine kosmische Konnotation mitschwingen, die das große Meer mit der Urflut verbindet, mit der JHWH einst im Kampf lag, und die nun auch seiner Herrschaft untersteht.152 Beide genannten Besonderheiten in der Einführung der hier thematisierten Personengruppe weisen also auf die Wahrnehmung des Meeres als das Element der Tiefe und Finsternis hin: Das Meer wird als bedrohlich empfunden, ja noch mehr, diejenigen, die es befahren, sind waghalsige Abenteurer, deren Tun mindestens Staunen erregt,153 wenn nicht sogar als Handeln verstanden wird, das an die Grenzen des Machbaren oder des Zulässigen geht.154 Dieser Blick auf das Meer prägt einige Stellen der alttestamentlichen und frühjüdischen Literatur;155 er wird auf zwei Umstände zurückzuführen sein, erstens die mythische Tradition vom Meer als dem Element der Finsternis, ja des Chaos,156 und zweitens dem unterstützenden Moment, daß das jüdische Volk in keiner Phase seiner Geschichte zu einer Seefahrernation par excellence wurde oder überhaupt nur prägende Erfahrungen
151 Vgl. neben unserer Stelle noch Jes 23,2f.; man kann allerdings nicht sagen, daß בִּי6 מַי רder im Psalter geläufige Ausdruck für das Mittelmeer ist, wie Dahood, Psalms III, S. 87, angibt; vgl. die Stellenangaben bei: May, Some Cosmic Connotations, S. 12ff. 152 An unserer Stelle steht diese Vorstellung nur ganz schwach angedeutet im Hintergrund: May, Some Cosmic Connotations, S. 16f., Anm. 30, positiv aufgenommen bei Beyerlin, Werden und Wesen, S. 56. Dabei stehen Stellen wie unsere, in denen die Herrschaft JHWHs über Meer und Urflut vollkommen erscheint, wie der mühelose Umgang mit dem Sturm nahelegt (vv. 25.29), neben solchen Stellen, in denen eher an einen fortgesetzten Chaoskampf gedacht wird, in dem die Ordnung gegen die weiterhin andringenden Mächte des Chaos fortwährend verteidigt werden muß. Diese zuletzt genannten Stellen sind mit Masse solche, in denen die Symbolik des fortgesetzten Kampfes mit dem Meer auf die Feinde Israels angewendet wird; vgl. zu diesem ganzen Phänomen: May, Some Cosmic Connotations, passim. Zur entsprechenden Doppelrolle als Herrscher über die Naturmächte und Retter im Krieg bzw. Herrscher in der Geschichte vgl. die Ausführungen von Müller, Schöpfungsmythen, bes. S. 522, der auch auf parallele Erscheinungen in dieser Hinsicht bei JHWH und Ba al hinweist. 153 Seybold, Psalmen, S. 429. 154 Möglicherweise sah ein guter Teil der israelitischen Bildungselite, der Trägerschaft poetischer Literatur im Befahren der hohen See und der intensiven Seefahrt der Nachbarvölker tendenziell Hybris, da es eben nicht der Mensch sei, der das Meer – dieses gefährliche und mächtige Element – beherrsche, sondern JHWH: Vgl. Reymond, L’eau, S. 182–186; Follis, Songs of the Sea, S. 43; Follis, Israel and the Sea, S. 409. Ob sich damit in der vierten Strophe auch die Andeutung von Schuld verbindet, die in den vorhergehenden drei Strophen angedeutet wird, kann aber als eher fraglich gelten, s. oben S. 215. 155 Vgl. beispielsweise die schon oben angeführten Stellen aus den Sprüchen Salomos und dem Buche Jesus Sirach: Spr 30,18f.; Sir 43,13–26. 156 Vgl. hierzu noch die im folgenden (neben בִּי6מַי ר, v. 23) gebrauchten Begriffe ( מְצוּלָהv. 24) und ( תְהוֹמוֹתv. 26), s. die kommentierenden Bemerkungen bei Beyerlin, Werden und Wesen, S. 55f.76.
O
5.2 Psalm 107
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zur See gemacht hat, womit sich eine überwiegend negative Einstellung zum Meer stabilisieren konnte.157 In v. 24 wird – der soeben ausgemachten Tendenz folgend – hinzugefügt, daß die Abenteurer, die dieses gefährliche Element befahren, Zeugen der Taten JHWHs werden können: »Bei der Seefahrt erleben die Reisenden Momente der Auseinandersetzung Jahwes mit dem Chaos. Sie schauen seine Werke.«158 Daß seine Wundertaten in v. 24b auf der Tiefe lokalisiert werden, verstärkt mit der Verwendung der Vokabel מְצוּלָהdiese Tendenz noch.159 Diese Werke JHWHs sind in unserer Psalmstrophe, in der seine Herrschaft über das Meer geradezu als vollkommen erscheint, von durchaus zweischneidiger Natur: Er, JHWH selbst, ist es nämlich, der den Sturm sich erheben läßt, und zwar durch sein bloßes Wort (v. 25a): ח סְעָרהKאמֶר ויּעֲמֵד רוּ2וי. Beim folgenden v. 26a ist im hebräischen Text nicht klar, wer Subjekt ist: die Seeleute, auf die mit possesivem Suffix in v. 26b bezug genommen wird, oder die Wellen des ח סְעָרהKגּלָּיו( רוּ, v. 25b)? Mitchell Dahood meinte zugunsten seiner Deutung, die Wellen seien in diesem Versteil das Subjekt, Ps 104,8 anführen zu können: ». . . a comparison with Ps civ 8 . . . allows one to propose that the waves not the seamen swell and sink. Thus vss. 25–26a-b describe the storm, and the next three cola depict the affects of the storm on the sailors.«160 In der Tat sind es in Ps 104,8 die Wasser, die zu den Bergen emporsteigen und in die Täler abfallen – das Subjekt מַיhält sich von v. 6b her durch.161 Hier in unserem Psalm verhält 157 Nichtsdestotrotz gibt es reichlich Belege für die durchaus lebendige Beziehung des jüdischen Volkes zum Meer; die immer wiederholte pauschale Beurteilung des Judentums als prinzipiell meeresfern (vgl. beispielweise Noth, Geschichte Israels, S. 20; Beyerlin, Werden und Wesen, S. 53– 55) ist zu korrigieren; s. dazu nur die Untersuchungen: Patai, Jewish Seafaring; Patai, Children of Noah, wo Patai schon in der Einführung klarstellt: ». . . the picture presented by historical studies of that long early period in the life of the Jewish people remained incomplete: it showed the Jews as a landlocked people, whose world – with the exception of one or two episodes – ended where the sea began. As against this, a study of Jewish seafaring clearly demonstrates that after an initial period during which the Philistines and other peoples barred the Children of Israel from the sea, they learned to use the sea as a path to other lands in a manner no different from that of other circumMediterranean cultures«(S. xv); vgl. auch Follis, Israel and the Sea. Vgl. zu dem wichtigen – durchaus dem Wandel unterworfenen – Zusammenhang zwischen geschichtlichen Erfahrungen einer Kultur mit dem Meer und der vorherrschenden Einstellung zu diesem Element die leider fehlerreiche, aber dennoch recht lesenswerte Einführung: Schulz, Antike, bes. den abschließenden Abschnitt Meer und Mentalitäten (S. 207–223). 158 Kraus, Psalmen II, S. 914. 159 Vgl. auch Jon 2,4, wo im Rahmen des möglicherweise sekundären Jonapsalms das Wort auch verwendet wird, um die bedrohliche Lage zu schildern, in die Jona durch den Meerwurf geraten war. 160 Dahood, Psalms III, S. 87; so versteht den Vers wohl auch Reymond, L’eau, S. 177. 161 דוּ בְקָעוֹת4ר7י יIיעֲלוּ הָר, Ps 104,8a. Die מַיmüssen hier noch Subjekt sein, weil in v. 8b mit ֶ לָהauf sie bezug genommen wird, das Suffix kann natürlich nicht auf בְקָוֹתgehen (vgl. Kraus, Psalmen II, Textanm. g [S. 879]). Zur Erklärung s. Kraus, Psalmen II, S. 882: »In 8 liegt wohl die Vorstellung zugrunde, daß die zerstörerischen Wassermassen einen genau abgesteckten Weg angewiesen
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5 Alttestamentliche und jüdische Literatur
es sich jedoch etwas anders: Das Suffix in v. 26b weist auf die Seeleute zurück, die dann eher auch als Subjekt von v. 26a anzunehmen sind. In v. 26a wäre dann das Subjekt von v. 24 her nach dem vorübergehenden Perspektivwechsel in v. 25 wieder aufgenommen; so haben es zumindest auch die Übersetzer der LXX verstanden.162 Demnach bezieht sich v. 26 zwar schon auf die Seeleute, ist aber dennoch noch Teil der Schilderung der Naturgewalten: Denn die Wogen sind es natürlich, auf denen die Seeleute bis zum Himmel, also in die höchste Höhe, emporsteigen und bis in den תְהוֹ, also die abgründigste Tiefe, abfallen.163 Von daher ist es für die Schilderung der Sturmsituation nicht ganz so erheblich, in wem man das Subjekt sieht;164 in jedem Fall nämlich bietet dieser Halbvers eine der eindrucksvollsten Schilderungen des Wellengebirges im Zuge eines Seesturms, die in der Motivik von literarischen Sturmdarstellungen eine wichtige Rolle spielen, gerade zu dem Zwecke die großen Leiden der Reisenden, die der Erzähler gerade entfaltet hatte, durch eine äußerst bedrohliche Szenerie zu hinterlegen, oder eben in der entsprechenden Vorbereitung darauf, diese Leiden im folgenden zu entfalten.165 So geschieht es hier: Von der Darstellung ihres extremen Auf und Ab auf dem sturmdurchwühlten Meer wird die Perspektive wiederum gewechselt, nämlich auf die innere Befindlichkeit der Seefahrer: נפְשׁ – בְּרעָה תִתְמוֹג"גihre Seele verging in der Not.166 Abgeschlossen wird die Beschreibung der Not in v. 27, indem erneut darauf eingegangen wird, daß die Seeleute nichts weiter sind als ein bloßer Spielball der stürmenden Meereswogen; dazu wird ein besonders anschaulicher Vergleich bekommen. Sie steigen auf in die Quellköpfe der Berge und fallen dann (als Bäche oder Flüsse) in die Täler herab. Dort haben sie nun ihren Platz.« 162 Man beachte dort Ps 106,25f. LXX, wo τὰ κύµατα natürlich nicht Subjekt zu ἀναβαίνουσιν etc. sein können. Vgl. auch Kloos, Yhwh’s Combat, S. 137, die v. 26a auch so versteht. 163 דוּ תְהוֹמוֹת4ר7 יעֲלוּ שׁמַי י/ ἀναβαίνουσιν ἕως τῶν οὐρανῶν καὶ καταβαίνουσιν ἕως τῶν ἀβύσσων. 164 Vgl. Follis, Songs of the Sea, S. 24 m. Anm. 2, die die Relevanz von Dahood s (s.o.) grammatischer Analyse einschränkt. Deshalb ist Reymond natürlich im Recht, wenn er unsere Stelle im Rahmen seiner Behandlung der Wellen ( גּלund *בָּר8 )מִשׁheranzieht (Reymond, L’eau, S. 177). 165 Vgl. die aus der Romanliteratur stammenden großartigen Schilderungen bei Ach.Tat. III 2,2.5, wo in 2,5 – in gleicher Weise wie hier – das Gebirge der Wellen mit den Gegensätzen der höchsten Höhe und tiefsten Tiefe beschrieben wird: ἐῴκει δὲ τῶν κυµάτων τὰ µὲν ὄρεσι, τὰ δὲ χάσµασιν. Deutlich dahinter zurück bleibt Herpyllis II 38–42, wo sich die Meereswogen aber immerhin wie Berge ins ἄπειρον auftürmen (Z. 40f.); bis zum Himmel schlagen die Wogen bei Hist.Ap. 11. Das Motiv des Auf und Ab zwischen luftiger Höhe und tiefstem Meeresgrund findet sich auch bei A.R. IV 943–947, allerdings ist hier die ganze Szenerie recht unklar (vgl. Anm. 97 bei Glei/NatzelGlei II, S. 198). Zur Gewalt des wogenden Meeres vgl. auch Il. IV 422–426 (hier als Bild für das Heer der Griechen; möglicherweise ist als Parodie darauf Verg. G. III 237–241 zu verstehen, wo das Bild für einen Stier verwendet wird, der zum Revanchekampf auf seinen Gegner losgeht [vgl. den Kommentar bei Erren II, S. 665–667, hier S. 665]). 166 Die Septuaginta rekurriert auf die nicht übertragene Bedeutung von מוּגim hitp¯ol¯el (weich werden, zerfließen) und übersetzt mit: ἡ ψυχὴ αὐτῶν ἐν κακοῖς ἐτήκετο.
5.2 Psalm 107
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benutzt: Die Schiffsinsassen werden hin- und hergeworfen, ja sie schwanken wie ein Betrunkener (כּוֹר:>ַ – כּὡς ὁ µεθύων).167 Mit dem Bild der Hilflosigkeit eines völlig Betrunkenen hat der zweite Versteil seinen Anknüpfungspunkt, wenn hier festgestellt wird, daß die Weisheit (מָהBָח/σοφία) der Seeleute verging; all ihr seemännisches Können und ihre Fähigkeiten sind nutzlos in der Situation des gewaltigen Sturmes.168 Im Gegensatz zu anderen Sturmerzählungen werden hier keine ausführlichen Beschreibungen einzelner Maßnahmen seemännischer Selbsthilfe geboten, sondern einfach nur die absolute Unmöglichkeit von Selbsthilfe konstatiert, so daß jetzt im refrainartigen Hilferuf zu JHWH (v. 28a) die zweite Option möglichen Verhaltens im Seesturm wahrgenommen wird. Eine solche Verbindung von scheiternden bzw. ohnehin aussichtslosen nautischen Gegenmaßnahmen und dem verzweifelten Schrei um göttliche Hilfe findet sich auch andernorts.169 Nach dem Refrain in v. 28 wird wieder die Situation der Bedrängten in den Blick genommen: Zunächst wird die konkrete Rettungstat JHWHs beschrieben, der den Sturm zu einem »Säuseln«, zu einem bloßen Hauch (מָמָה4דּ/αὔρα) stillt, so daß die Wellen sich beruhigen (v. 29).170 Wie er mit Leichtigkeit den Sturm hervorruft (v. 25), genauso stillt er ihn auch (v. 29): Die Betonung der Machtvollkommenheit JHWHs – vor dem Hintergrund des nur schwach angedeuteten Chaoskampfmotivs – ist nicht von der Hand zu weisen.171 Danach 167 Mitchell Dahood weist in unserem Zusammenhang darauf hin, daß in einigen biblischen Texten Betrunkenheit und Hilflosigkeit parallelisiert sind (Dahood, Psalms III, S. 88); vgl. etwa Jer 25,27, wo das Trinken zur Unfähigkeit führen soll, überhaupt aufzustehen oder sich des Feindes zu erwehren. Hilflosigkeit steht auch hinter dem Vergleich mit einem taumelnden Betrunkenen in Jes 24,20, wo die Erde unter der Last ihrer Verfehlungen zu Boden gedrückt wird (כּוֹר:>ַ כּNVע אֶרKע תָּנוּKנוֹ, v. 20aα); vgl. überdies Hi 12,25b (auch כּוֹר:>ַ)כּ. 168 Die Betonung menschlicher Hilflosigkeit gegenüber der Machtfülle JHWHs – sowohl in unserem Text, als auch in Jon 1 – stellt Follis, Songs of the Sea, S. 43, heraus. 169 Vgl. etwa die Abfolge in Jon 1,5, wo die heidnischen Seeleute mit Furcht auf den plötzlich aufkommenden Sturm reagieren und (natürlich) erfolglos ihre jeweiligen Götter um Hilfe anflehen; dann erst wird erzählt, daß sie auch seemännische Maßnahmen ergreifen, um das Schlimmste zu verhindern: Sie leichtern das Schiff (s. dazu oben S. 191 mit Anm. 5.1). – Zum Gebet auf See siehe auch: h.Hom. 33,8–11; Plu. Dio 25,10; Hist.Ap. 39; Herpyllis II 60; Jon 1,5.14; Ps 107,28; TestNaph VI 8; Apg 27,29; und auch: Charito III 5,9, hier allerdings nicht in erster Linie um Heil auf der Seefahrt. 170 Eventuell ist am Ende von v. 29 גליהin " גּלֵּי הַיּzu ändern, weil das Suffix der 3. Pers. Pl. in v. 29a keinen Bezug hat; oder ist von den »Wellen der Seeleute«, also den Wogen, die diese bedrohten, die Rede, so daß man das Suffix auf vv. 26–28 zurückbeziehen müßte? Vgl. dazu Kraus, Psalmen II, Textanm. i (S. 909); eine andere Änderung, nämlich ( גּלֵּי הָמוּdie Wellen, die brausten [von הוּ/)]המ, schlägt Dahood, Psalms III, S. 88, vor. In der Septuaginta wird in ein feminines Possessivum geändert, das sich auf die zur Ordnung gerufene καταιγίς beziehen muß, s. auch schon v. 25b. 171 Vgl. Beyerlin, Werden und Wesen, S. 56. Seybold stellt sogar fest: »Der Chaoskampf findet eine Wiederholung« (Seybold, Psalmen, S. 430). Vgl. zur Verwendung des Motivs der Sturmstil-
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kommt die Reaktion der nun Geretteten zur Sprache: Sie reagieren mit Freude auf die Sturmstillung (מְחוּ8ויּשׂ/εὐφράνθησαν)172 und werden schließlich von JHWH zu ihrem Zielhafen (ָמְחוֹז חֶפצ/λιµὴν θελήµατος αὐτῶν) geleitet (v. 30). Auffällig ist im hebräischen Text das Hapaxlegomenon מָחוֹז, dessen Bedeutung lange Zeit zunächst nur von der Übersetzung der Septuaginta als λιµήν her bestimmt werden konnte. Von einem vierspaltigen ugaritischen Vokabular her, das neben Ugaritisch auch Churritisch, Akkadisch und Sumerisch bietet, ließ sich dann aber auch innersemitisch die Bedeutung »Hafen« nachweisen, so daß die LXX-Übersetzung als treffend zu gelten hat.173 Der schon oben behandelte refrainartige Schluß der Strophe (vv. 31f.) ruft zum lobenden Bekenntnis auf, blickt aber in seinem zweiten Teil nicht mehr auf die Situation der Erretteten zurück (s.o.). Kurz ist noch auf das schon oben angesprochene Problem eines möglicherweise metaphorischen Verständnisses der Strophen unseres Psalms und insbesondere der für uns wichtigen Strophe IV einzugehen: Eine solche Deutung – auch unter Einbeziehung der 4. Strophe – ist mehrfach vorgeschlagen worden.174 Mag man Erich Zenger im Rahmen seiner Kompositionsanalyse des Buches V des Psalters auch ein gewisses Recht zugestehen, eine solche Deutung zu vertreten (s. die vorige Anm.), so findet sich aber auf der Ebene des 107. Psalms selbst nur in den Strophen I–III, also dem urprünglichen Grundbestand des Psalms, angesichts der Zusammenstellung exemplarischer Notlagen, ein Anhalt für die Deutung auf die grundsätzliche Gefährdung menschlichen Lebens durch Tod und Gottesferne, aus der JHWH in seiner Huld rettet.175 Darüber hinaus gewährt die Erweiterung der Einleitung (vv. 2f.) eine Rechtfertigung für eine lung, der Beruhigung von Meer und Wellen zur Schilderung der Machtvollkommenheit JHWHs auch Ps 65,8 (64,8 LXX): ֶ גּלֵּיה,אוֹ8 ימִּי שׁ,אוֹ8ח שׁKבִּי8 מַשׁ/ ὁ συνταράσσων τὸ κύτος τῆς θαλάσσης, ἤχους κυµάτων αὐτῆς. 172 Mit ( שׁתקQal) wird in v. 30a genau das Verbum für still werden/ruhen verwendet, das uns schon im Jonabuch begegnet war: Hier heißt es תֹּקוּ8( ישׁPausalform) von den Wogen des Meeres, dort תֹּק8 וישׁvom Meer selbst (Jon 1,11aβ.12aγ); vgl. Reymond, L’eau, S. 179. 173 Vgl. dazu Borger, Kleinigkeiten III–V, S. 1–3 (III. Hebräisch MH . WZ ), zum Vokabular S. 2; trotzdem bleibt das Verhältnis zu aramäisch-syrisch m¯ah.o¯z¯a und akkadisch maha¯ zu weiterhin unklar ˘ (S. 3). Weitere Angaben finden sich bei Dahood, Psalms III, S. 88f., der zusätzlich ָ( חֶפצh.æp.sa¯ m) ¯ als »their business, trade« verstehen will und daher ָ מְחוֹז חֶפצals »their port of trade«, ihren Handelshafen, wiedergibt, was mir aber als nicht nötig erscheint. 174 Vgl. den Überblick bei Beyerlin, Werden und Wesen, S. 1f.53; vgl. aus der neueren Literatur beispielsweise zur Deutung auf die überwundene Exilsnot – ebenfalls unter Einbeziehung der 4. Strophe –: Goulder, Psalter IV, S. 117–123, zur Deutung als »images of death«: Zenger, The Composition, S. 88f.: »The goodness of Yhwh as set forth in Psalm 107 proves to be the saving power in the midst of all kinds of deadly threats (desert, imprisonment, disease, and different waters as images of death); above all else, Yhwh is a God who focuses on the poor.« 175 Vgl. Beyerlin, Werden und Wesen, S. 52.76, der die gleichnis- und bildhafte Sprache der Strophen I–III hervorhebt.
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andere metaphorische Interpretation, indem hier eben die Notlagen und die jeweilige Rettung aus ihnen als Entfaltung des Schicksals und der Hoffnung des gesamten Volkes Israel interpretiert werden (s. dazu oben). Die Frage ist aber – wie oben angedeutet wurde –, ob sich die später ergänzte 4. Strophe in die eine oder andere Weise metaphorischer Deutung fügt:176 Sie bietet beeindruckende Poesie zur Schilderung der Situation der Seefahrer auf und läßt sie nach geschehener Rettung genau ihr vor dem Sturm anvisiertes Ziel erreichen (den ָ ;)מְחוֹז חֶפצwir haben es also nicht mit einer irgendwie metaphorisch gemeinten Heimführung vom Bereich des Todes in den des Lebens zu tun, sondern mit einer berufstypischen Gefahrensituation, nach deren Bewältigung wieder die genauso berufstypische Normalität eintritt. Es handelt sich hier also nicht mehr um eine zum Allgemeinen hin deutungsoffene Notlage, sondern um den besonderen Fall einer ganz begrenzten Gruppe, nämlich der Händler, die das offene Meer befahren.177 Sollten die Strophen I–III als Beispiele für konkrete, aber zum Allgemeinen hin tendierende Notlagen dazu auffordern, auch andere mögliche Notlagen und das Entrinnen aus ihnen im hier vorgelegten Schema von auswegloser Situation, Hilfeschrei zu JHWH und machtvoller Rettung durch ihn zu deuten, sowie mit lobendem Dank zu beschließen, so verlagert demgegenüber die 4. Strophe den Schwerpunkt erheblich vom Dank auf die Preisung der Machtvollkommenheit JHWHs. Das wird erreicht durch die kosmischen Konnotationen, mit denen die Schilderung durchsetzt ist, und durch die der Chaoskampfmythos angedeutet wird. Ist zwar eine metaphorische Deutung des gesamten Psalms im Rahmen des Rezeptionsprozesses natürlich jedem Rezipienten freigestellt (gerade im Licht der erweiterten Einleitung), so gilt dennoch in bezug auf die hinzugefügte Strophe IV vielmehr, was Walter Beyerlin festgestellt hat: »Und, in der Tat, hier ist eben nicht chiffriert, nicht in Metaphern, nicht in gleichnishafter Rede, gesprochen. Hier ist, was gesagt wird, so auch gemeint.«178 Fazit: Die Strophe IV des 107. Psalms beeindruckt durch ihre äußerst anschauliche Schilderung der Situation eines in einen heftigen Sturm geratenen Schiffes und seiner Insassen: Bemerkenswert ist hier das besondere Interesse an dem Naturschauspiel »Sturm« an sich, was an der Beschreibung des von den Wogen gebildeten Gebirges deutlich wird, das hier übertreibend sogar in kosmische Höhen und Tiefen reicht. Zweitens fällt die eindrückliche Betonung der Hilf176 Dies behauptet mit Blick auf die Deutung auf das Exils unmittelbar für die Strophe IV Goulder: »So a fourth Deutero-Isaianic image of the Exile underlies the fourth section of the psalm. The return is here seen as like a merchant vessel caught in the storm«(Goulder, Psalter IV, S. 123). 177 Vgl. Beyerlin, Werden und Wesen, S. 53. Zur Frage, wie limitiert die Gruppe der Seefahrer im Horizont Israels war, kursieren weithin Übertreibungen; vgl. oben S. 219 m. Anm. 157. 178 Beyerlin, Werden und Wesen, S. 53.
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losigkeit der Schiffer im Sturm auf: Sie sind hilflos wie ein Betrunkener und können mit ihren gewohnten seemännischen Mitteln nichts tun. Mit dem Zweck unserer Strophe, nämlich der preisenden Verherrlichung JHWHs und der Darstellung seiner Macht und Gnade, ist es sehr gut zu erklären, daß die Sturmsituation zwar breit ausgemalt wird, aber seemännische Details völlig fehlen: Nur einer kann helfen, und das mit Leichtigkeit, eben JHWH – das will diese Strophe zum Ausdruck bringen.
5.3 Ezechiel 27 Ein Kapitel der hebräischen Bibel, das im Zusammenhang mit Seefahrtsthemen immer wieder in den Mittelpunkt gestellt wird, darf hier natürlich nicht fehlen. Allerdings ist das prophetische Klagelied über das untergegangene Schiff Tyros für uns nicht so ertragreich, wie es auf den ersten Blick den Anschein haben könnte. Der Text stellt zwar eine reich fließende Quelle für nautische Terminologie, insbesondere das Schiffspersonal betreffend (Ez 27,8.27.29), dar, von enormem Wert sind genauso die Informationen im Abschnitt über die vielfältigen Handelsbeziehungen der Stadt Tyros (vv. 12–25), die gewiß tatsächliche Handelsbeziehungen der phönizischen Städte reflektieren. Eine eigentliche Sturm- oder Schiffbruchserzählung findet sich in Ez 27 aber nicht; der Untergang des Schiffs Tyros wird aufs knappste kondensiert (vv. 26f.), die Darstellung schwenkt sofort weiter zur Klage über das gescheiterte Schiff und über die verlorenen Reichtümer (vv. 28ff.). Trotzdem wollen wir auf dieses Stück einen kurzen Blick werfen: Unter den Völkersprüchen des Ezechiel-Buches ist es sehr auffällig, welches Gewicht der phönizischen Handelsstadt Tyros (Ez 26,1–28,19)179 einerseits und Ägypten (Ez 29–32) andererseits zugemessen wird; das ist wohl aus ezechielischer Perspektive nur damit zu erklären, daß es gerade diese beiden Mächte waren, die sich dem von JHWH zum Vollstrecker des Gerichts erwählten neubabylonischen Reich recht hartnäckig und zum Teil auch erfolgreich widersetzt haben: Auch sie können aber dem von JHWH verhängten Gericht nicht entgehen!180 Die Behandlung von Tyros gliedert sich in vier oder drei Verkündigungsabschnitte:181 Nach der Gerichtsankündigung an Tyros erfolgt in Kap. 27 die 179
Zum gesamten Tyroszyklus vgl. die Studie Saur, Tyroszyklus. Vgl. zur Deutung der ausführlichen Tyros- und Ägypten-Passagen in diesem Sinne Zimmerli, Ezechiel II, S. 604f.; zum historischen Hintergrund im Fall von Tyros siehe a.a.O., S. 601–604. 181 Entweder orientiert man sich an den eröffnenden Wortereignisformeln (בַריהוה אֵלַי4ויהִי ד לֵאמֹר/καὶ ἐγένετο λόγος κυρίου πρός µε λέγων, Ez 26,1; 27,1; 28,1.11) und bekommt dann vier Abschnitte, oder an den, bis auf Ez 26,21 auffällig gleich formulierten Abschlußversen (בַּלָּהוֹת הָיית 180
5.3 Ezechiel 27
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Klage über über das entsprechend untergegangene Tyros; dieser Untergang wird in einem geradezu wörtlichen Sinne inszeniert, indem Tyros, hier als prächtiges Handelsschiff gezeichnet, tatsächlich im Meere versinkt.182 Bei Ez 27 handelt es sich um eine ( קִי*הk.¯ın¯ah),183 ein Klagelied, das sich durch den typischen קִי*ה-Rhythmus auszeichnet. Allerdings ist der vorliegende Text wohl kaum aus einem Guß, denn formal wird der Rhythmus in v. 9b und dann in 11 gebrochen, und inhaltlich wird das zuvor entfaltete Bild des Schiffes in genau diesen Teilen unberücksichtigt gelassen;184 man beachte insbesondere die Erwähnung der Mauern ( )חוֹמוֹתund der Türme ( )מִגדּלוֹתder Stadt in v. 11a. In dem längeren prosaischen Abschnitt der vv. 12–25a wird alles Gewicht auf die Handelsbeziehungen und den Reichtum der Stadt gelegt.185 Also müssen – formal und inhaltlich begründet – die genannten Abschnitte und einige weitere Einschübe (vv. 27.33) einer späteren Überarbeitung der ursprünglichen קִי*ה zugewiesen werden.186 Das ältere Klagelied ist grob auf die Zeit zwischen 587 und 571 v.Chr. zu datieren.187 In dieser ursprünglichen קִי*הschloß sich an die Beschreibung der Pracht des Schiffes die kurze Schilderung seines Untergangs an, von der unmittelbar zu einer breit ausgeführten Klage aller zur See fahrenden Menschen über das untergegangene Schiff übergeleitet wird. Der eingefügte v. 27 betont nur nochmals den Tod der Menschen an Bord in einer Aufzählung und fügt hinzu, daß auch der unermeßliche Reichtum ein Opfer der Fluten geworden ist; daher reicht es aus, hier die vv. 26.28–30 anzuführen, in denen sich der eigentliche Untergang und der erste Teil der Klage finden: Oָ הַ>טִי אֹתOבִּי הֱבִיאוּ6בְּמַי ר U בְּלֵב ימִּיOFבָר8י שׁIקּד ָ ַח הKרוּ
... ָ עַדעוֹלO7 ואֵינbzw. ָ עַדעוֹלAבַּלָּהוֹת הָייתָ ואֵינ/ἀπώλεια ἐγένου καὶ οὐκέτι ἔσῃ εἰς τὸν αἰῶνα, Ez 27,36; 28,19), so daß man drei Abschnitte erhält; vgl. dazu Zimmerli, Ezechiel II, S. 601. 182 Damit stellt das Klagelied einen »Untergang« der Stadt dar, der so natürlich geschichtlich gar nicht eingetreten ist: Vgl. Zimmerli, Ezechiel II, S. 638. 183 So wird es in der Einleitung (v. 2) auch bezeichnet. Vgl. die formgeschichtliche Untersuchung bei Saur, Tyroszyklus, S. 92–98, er kommt zu dem Ergebnis, daß Ez 27 eine »vollkommen singuläre Komposition« (S. 97) sei, die auf das hebräische Leichenlied zurückgreife, aber möglicherweise auch »Motive aus den Stadtuntergangsklagen der mesopotamischen Kultur« (S. 98) übernehme. 184 Siehe dazu Zimmerli, Ezechiel II, S. 634–636. 185 Vgl. Zimmerli, Ezechiel II, S. 636. Siehe auch die diachrone Analyse bei Saur, Tyroszyklus, S. 66–71. 186 Vgl. zu dieser Analyse auch Rüger, Tyrusorakel, S. 21–26; siehe erneut Zimmerli, Ezechiel II, S. 636–638, der S. 637f. eine Übersetzung des ursprünglichen Klageliedes bietet. 187 Siehe dazu Zimmerli, Ezechiel II, S. 638; Rüger, Tyrusorakel, S. 48, zur Möglichkeit weiterer Eingrenzung siehe a.a.O., S. 48–50.
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Uעֲשׁוּ מִגרֹשׁוֹת4 ירOלְקוֹל זעֲקַת חֹבְלָי דוּ מֵאָניּוֹתֵיהֶ כֹּל תֹּפְשׂי מָשׁוֹט4וי"ר U יעֲמֹדוּNVמַלָּחִי כֹּל חֹבְלֵי הַיּ" אֶלהָאָר בְּקוֹלָ ויזעֲקוּ מָרהOמִיעוּ עָלַי8והִשׁ Uויעֲלוּ עָפָר עַלראשׁיהֶ בָּאֵפֶר יתְפֵּלָּשׁוּ ἐν ὕδατι πολλῷ ἦγόν σε οἱ κωπηλάται σου· τὸ πνεῦµα τοῦ νότου συνέτριψέ σε ἐν καρδίᾳ θαλάσσης. . . . [28] πρὸς τὴν φωνὴν τῆς κραυγῆς σου οἱ κυβερνῆταί σου φόβῳ φοβηθήσονται,188 [29] καὶ καταβήσονται ἀπὸ τῶν πλοίων πάντες οἱ κωπηλάται189 καὶ οἱ ἐπιβάται καὶ οἱ πρωρεῖς τῆς θαλάσσης190 ἐπὶ τὴν γῆν στήσονται [30] καὶ ἀλαλάξουσιν ἐπὶ σὲ τῇ φωνῇ αὐτῶν καὶ κεκράξονται πικρὸν καὶ ἐπιθήσουσιν ἐπὶ τὴν κεφαλὴν αὐτῶν γῆν καὶ σποδὸν ὑποστρώσονται.
Aufs große Meer haben dich deine Ruderer geführt; der Ostwind/Südwind zerschmetterte dich mitten auf dem Meere. . . . Vor dem Klang des Geschreis deiner Seeleute werden die Gestade (?)191 erzittern. Und es werden aus ihren Schiffen steigen alle, die das Ruder führen, die Schiffer, alle Seeleute des Meeres werden sich an Land stellen. Und sie werden über dich ihre Stimme erschallen lassen und bitter schreien, und sie werden Asche/ Staub auf ihre Häupter werfen und sich in Asche/Staub wälzen.
Die Klage wird in den folgenden Versen forgesetzt und weiter ausgemalt; in v. 34a wird dabei auch ausdrücklich nochmals auf den Schiffbruch mit der Wurzel שׁברbezug genommen. Für uns genügt jedoch dieser Abschnitt; einige kurze Bemerkungen sollen folgen: Die vielen, die mächtigen Wasser (בִּי6מַי ר, v. 26), auf denen das Schiff fährt, können für sich genommen durchaus als Ausdruck für das kosmische Urwasser stehen;192 allerdings läßt sich im gegebenen Kontext 188 Die Übersetzung der LXX basiert offenbar auf einem anderen Text: מַרעֶשׁ&תstatt ? מִגרֹשׁוֹתVgl. dazu den App. der BHS (S. 945) und die Anm. zum Text bei Zimmerli, Ezechiel II, S. 633. Der LXXText wäre zu übersetzen: Vor dem Klang deines Geschreis werden deine Steuerleute in große Furcht geraten. – Ob das wirklich sinnvoll ist? Aber auch der masoretische Text ist schwierig; bei den מִגרֹשׁוֹת sollte man wohl am ehesten an die Küsten/Gestade denken, an denen die Schreie der Ertrinkenden widerhallen, doch bedeutet מִגרשׁeigentlich Weidetrift. Vgl. zum Problem wieder Zimmerli, Ezechiel II, S. 633; und Good, Ezekiel’s Ship, S. 86, Anm. 21, der die Frage unbeantwortet läßt. 189 κωπηλάται σου wird von der Mehrheit der Handschriften geboten; so aufgenommen in der Handausgabe von Rahlfs, LXX II, S. 819; vgl. den App. zur Stelle bei Ziegler, LXX XVI 1, S. 219. Daß das σου nicht richtig sein kann, wird sofort klar, wenn man bedenkt, daß die κωπηλάται hier ja wegen ἀπὸ τῶν πλοίων nicht zum Schiff Tyros gehören können. 190 Die hier gebotene Aufzählung unterscheidet sich leicht vom masoretischen Text, insbesondere die Wiedergabe von " חֹבְלֵי הַיּals πρωρεῖς erscheint merkwürdig; mit πρωρεύς wird bei Jon 1,6 der ב הַחֹבֵל6ר, der Kapitän, übersetzt, was seinerseits nicht ganz korrekt sein dürfte, siehe zu πρωρεύς oben, S. 193. Zu den Problemen der im masoretischen Text hintereinander gestellten Bezeichnungen מַלָּחund חֹבֵלvgl. ausführlich Strömberg Krantz, Des Schiffes Weg, S. 178–188. Siehe zur hier vorliegenden Terminologie auch Smith, Ship Tyre, S. 105–107. 191 Vgl. zum schwierigen Text die Bemerkung zu v. 28 der LXX (s.o.). 192 Siehe dazu May, Some Cosmic Connotations, S. 18.
5.3 Ezechiel 27
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überhaupt keine kosmische Konnotation erkennen,193 so daß man wohl eher an die einfache Bezeichnung des Mittelmeers als »großes Wasser« denken sollte.194 Einer kosmischen Nebenbedeutung steht auch entgegen, daß das Schiff im nächsten Halbvers vom Ostwind zerstört, also von einem ganz gewöhnlichen Schicksal auf dem Meer ereilt wird.195 Ist dieser Ostwind (יIח הַקָּדK )רוּauf das Gerichtswerkzeug JHWHs, das neubabylonische Reich, bezogen? Einer solchen Deutung ist mit zwei gewichtigen Argumenten zu widersprechen: Erstens gilt Babylon gemeinhin nicht als der Feind aus dem Osten, sondern als derjenige aus dem Norden – genauso wie an anderen Stellen Assur –, und das übrigens auch in unserem Kontext: ,( מִצָּפוֹEz 26,7a)!196 Zweitens haben auch die Übersetzer der LXX keinen Bezug auf Babylon erkannt: Sie ändern den Ostwind in einen Südwind (τὸ πνεῦµα τοῦ νότου) und passen die Sturmszenerie so wahrscheinlich an ägyptische Verhältnisse an, in denen der Südwind als gefährlich galt.197 Bemerkenswert ist schließlich, daß die Klage alles seefahrenden Volks mit den klassischen Motiven der Totenklage gezeichnet wird; in den vv. 30f. finden sich Bestreuen mit Staub bzw. Asche, Wälzen im Staub (bzw. in Asche), Scheren der Haare, Bekleidung mit Sacktuch.198 Das erste Element – das Bestreuen mit Staub/Asche – ist ein verbreiteter Trauer- oder Schmerzensgestus, der sich interessanterweise auch im Kontext von Seenot beim Rhetor Aelius Aristides findet; οἱ ναῦται σποδὸν καταχεάµενοι, heißt es dort.199 Es muß allerdings betont werden, daß der Gestus trotzdem keine eigentliche Beziehung zum Leid auf See hat. Bei Ezechiel steht vielmehr die Totenklage an sich im Vordergrund, 193 Vgl. auch die kommentarlose und insofern vielleicht skeptische Aufnahme der Überlegungen Mays bei: Zimmerli, Ezechiel II, S. 645f. 194 Vgl. hierzu auch das Vorkommen des Ausdrucks in Ps 107,23b und die Bemerkungen z.St. oben. An unserer Stelle will May seinen Vorschlag mit der Bemerkung halten: »Again we have the Mediterranean, but the waters of the Mediterranean belonged to the primordial deep« (May, Some Cosmic Connotations, S. 18). Für unsere Stelle positiv aufgenommen bei Good, Ezekiel’s Ship, S. 85, Anm. 20: »Mym rbym, ›many or great waters‹. The phrase carries the connotation of a mythological abyss. A certain shudder of apprehension is the effect on the reader.« 195 Vgl. dazu Rüger, Tyrusorakel, S. 33, der sogar von »Entmythologisierung« sprechen möchte. – Zum Ostwind überhaupt vgl. auch Good, Ezekiel’s Ship, S. 88. Smith, Ship Tyre, S. 101, wundert sich darüber, daß hier von einem Wind die Rede ist, nicht von einem wirklichen Sturm ()שׂעַר, wie etwa in Jon 1,4. 196 Vgl. Zimmerli, Ezechiel II, S. 646. 197 Vgl. Zimmerli, Ezechiel II, S. 633; siehe zur durch die LXX vorgenommenen Anpassung an ägyptische Windverhältnisse auch: Morenz, Joseph, Sp. 407 mit Anm. 17. 198 Vgl. zum Verständnis und zu vergleichbaren Stellen Rüger, Tyrusorakel, S. 34f.; Zimmerli, Ezechiel II, S. 546f. 199 Aristid. Or. XLVIII 65. Diese Szene unterscheidet sich in zweierlei Hinsicht von der in Ez 27,30: Erstens geschieht der Gestus bei Aristides nicht nach dem Untergang, sondern in Seenot; zweitens wird er von den Schiffern an Bord des gefährdeten Schiffes ausgeführt, nicht von anderen Seeleuten, die den Untergang des Schiffes Tyros bei Ezechiel beklagen.
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5 Alttestamentliche und jüdische Literatur
die eben den Kontrast zwischen einstiger Pracht des Schiffes Tyros und seinem jähen Ende mit dem Tod vieler Menschen aufs deutlichste herausstellt. Wie u.a. auch an diesem zuletzt erwähnten Zug des Klagelieds über das untergegangene Schiff Tyros klar wird, hat die gesamte קִי*הkein eigentliches Interesse an der eindrücklichen Darstellung eines Schiffsunglücks – der Verfasser zeigt ja nicht einmal Interesse am genauen Hergang, es bleibt sogar unklar, wie der Ostwind/Südwind den Schiffbruch herbeigeführt hat;200 von daher erkärt sich das Fehlen geläufiger Seefahrtsmotivik in diesem Text.
5.4 Testamente der zwölf Patriarchen Die frühjüdische griechische Schrift Testamente der zwölf Patriarchen liegt uns in einer christlichen Überarbeitung vor, wahrscheinlich aus dem zweiten Jahrhundert. Hebt man die christlichen Interpretationen ab, so deutet immer noch einiges auf einen innerjüdischen Wachstumsprozeß hin, so daß man mit einer zumindest dreistufigen Entstehung zu rechnen hat: der Grundschrift, der jüdischen Überarbeitung und der christlichen Interpretation, die zum vorliegenden Text geführt hat.201 Im Fall des uns hier interessierenden TestNaph besitzen wir auch eine hebräische Fassung,202 deren Beziehung zum griechischen Text im Rahmen von TestXII schwierig zu bestimmen ist.203 Wahrscheinlich haben wir es aber mit einem Spätprodukt zu tun, das auf TestNaph (bzw. seiner Vorlage) aufbaut, aber dann Überarbeitungen bzw. Erweiterungen vorgenommen hat.204 Im sechsten Kapitel von TestNaph wird die zweite Vision des Naphtali berichtet, die im Bild der Sturmfahrt und des Scheiterns des Schiffes die Zerstreuung und spätere glückliche Wiederzusammenführung Israels darstellt (TestNaph VI 1–10):205 Vgl. dazu auch Good, Ezekiel’s Ship, S. 88f. Zu den Entstehungsverhältnissen siehe kurz Jürgen Becker, JSHRZ III 1, S. 23–27, bes. S. 25. 202 Siehe zum hebräischen TestNaph Gaster, Hebrew Text, S. 44–49 (Übersetzung).109–117 (hebr. Text). Vgl. die Übersetzung bei Becker, JSHRZ III 1, S. 152ff. (Anhang 3). 203 Vgl. den Überblick bei: Becker, Untersuchungen, S. 105–107; de Jonge, Testaments, S. 52– 54; Hollander/de Jonge, TestXII, Comm., S. 296f. 204 So Becker, JSHRZ III 1, S. 23; vgl. ausführlicher Becker, Untersuchungen, S. 105–113. Ein umgekehrtes Beziehungsverhältnis wird vertreten bei: Hollander/de Jonge, TestXII, Comm., S. 296f.304f.; vgl. auch de Jonge, Testaments, S. 53ff. 205 Vgl. die sich deutlich unterscheidende Parallele in der hebräischen Fassung: hebrTestNaph IV 1–VI 8 (Übersetzungen bei: Gaster, Hebrew Text, S. 46f.; Becker, JSHRZ III 1, S. 154–156 [Anhang 3]). Besonders auffällig ist an der hebräischen Fassung das Fehlen des Sturms (vgl. aber hebrTestNaph III 12 [Übersetzung: Gaster, Hebrew Text, S. 45; Becker, JSHRZ III 1, S. 154]); vielmehr wird das Schiff hier durch die Uneinigkeit zwischen Joseph, der am Steuer steht, und Juda, der mit Levi auf dem Mast sitzt, gefährdet (V 1–5); vgl. Hollander/de Jonge, TestXII, Comm., S. 313, 200 201
5.4 Testamente der zwölf Patriarchen
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Καὶ πάλιν µετὰ µῆνας ἑπτὰ εἶδον τὸν πατέρα ἡµῶν ᾽Ιακώβ, ἑστηκότα ἐν τῇ θαλάσσῃ ᾽Ιαµνίας, καὶ ἡµεῖς οἱ υἱοὶ αὐτοῦ σὺν αὐτῷ. [2] Καὶ ἰδοὺ πλοῖον ἤρχετο ἀρµενίζον,206 µεστὸν ταρίχων,207 ἐκτὸς ναυτῶν καὶ κυβερνήτου· ἐπεγέγραπτο δὲ τὸ πλοῖον· πλοῖον ᾽Ιακώβ. [3] Καὶ λέγει ἡµῖν ὁ πατὴρ ἡµῶν· ᾽Εµβῶµεν εἰς τὸ πλοῖον ἡµῶν. [4] ῾Ως δὲ εἰσήλθοµεν, γίνεται χειµὼν σφοδρός, καὶ λαῖλαψ ἀνέµου µεγάλου, καὶ ἀφίπταται208 ὁ πατὴρ ἀφ’ ἡµῶν, ὁ κρατῶν τοὺς αὐχένας. [5] Καὶ ἡµεῖς χειµαζόµενοι ἐπὶ τὸ πέλαγος ἐφερώµεθα· καὶ ἐπληρώθη τὸ πλοῖον ὑδάτων, τρικυµίας περιρρησσόµενον, ὥστε καὶ συντρίβεσθαι αὐτό. [6] Καὶ ᾽Ιωσὴφ ἐπὶ ἀκατίου φεύγει· χωριζόµεθα δὲ καὶ ἡµεῖς ἐπὶ σανίδων δέκα· Λευὶ δὲ καὶ ᾽Ιούδας ἦσαν ἐπὶ τὸ αὐτό. [7] Διεσπάρηµεν οὖν οἱ πάντες, ἕως εἰς τὰ πέρατα. [8] ῾Ο δὲ Λευὶ περιβαλόµενος σάκκον περὶ πάντων ἡµῶν ἐδέετο τοῦ Κυρίου. [9] ῾Ως δὲ ἐπαύσατο ὁ χειµών, τὸ σκάφος ἔφθασεν ἐπὶ τὴν γῆν, ὥσπερ ἐν εἰρήνῃ. [10] Καὶ ἰδοὺ ἦλθεν ᾽Ιακὼβ ὁ πατὴρ ἡµῶν, καὶ ὁµοθυµαδὸν ἠγαλλιώµεθα.
Und wieder nach sieben Monaten sah ich unseren Vater, Jakob, am Meer von Jamnia stehen, und wir, seine Söhne, (waren) mit ihm. Und siehe da kam ein Schiff angesegelt, voll von Salzfisch, ohne Besatzung und Steuermann; auf dem Schiff stand aber geschrieben: Schiff Jakobs. Da sagte zu uns unser Vater: Wir wollen an Bord unseres Schiffes gehen. Als wir aber eingestiegen waren, brach ein heftiger Sturm los und ein gewaltiger Wirbelwind, und da flog unser Vater davon, der die Steuerruder geführt hatte. Und wir wurden, vom Sturm gepeinigt, über das Meer getrieben. Und das Schiff lief mit Wasser voll und wurde von gewaltigen Wogen zerrissen, so daß es schließlich scheiterte. Und Joseph floh mit einem Boot; auch wir aber wurden auf zehn Brettern voneinander getrennt – Levi und Juda waren zusammen (auf einem Brett). So wurden wir alle zerstreut, bis an die Enden (der Erde). Levi jedoch hüllte sich in Sacktuch und betete für uns alle zum Herrn. Als der Sturm aufhörte, gelangte das Schiff an Land, wie im Frieden. Und siehe, da kam Jakob, unser Vater, und wir freuten uns einmütig.
Der mit VI 4 einbrechende Sturm wird zunächst nicht sonderlich aufwendig beschrieben; der Ausdruck λαῖλαψ ἀνέµου µεγάλου läßt genauso wie das Vollaufen des Schiffs (ἐπληρώθη τὸ πλοῖον ὑδάτων, VI 5) an Mk 4,37/Lk 8,23 denken.209 Nachdem man des steuernden Vaters im Wirbelsturm verlustig gegangen war, wird das Schiff zum Spielball der Wogen; dabei werden sogar die Anm. zu hebrTestNaph IV–VI; und darüber hinaus de Jonge, Testaments, S. 55f. Überhaupt ist das gemeinschaftwidrige Verhalten Josephs das breit ausgeführte Thema der hebräischen Fassung, die damit möglicherweise zu verbindende Flucht des Joseph in TestNaph VI 6 ist nur ein blasser Abglanz davon; vgl. zum Joseph-Bild von TestXII Hollander, Joseph; weiterhin Flusser, Art. TestXII. Zum Joseph-Bild in der frühjüdischen Literatur überhaupt vgl.: Hilgert, Dual Image; Niehoff, Figure of Joseph, S. 3f.14, Anm. 54, die aber das Zeugnis von TestXII nicht ausführlich behandelt. 206 Siehe zu ἀρµενίζειν LSJ, Suppl., s.v., S. 51; ein weiterer Beleg bei Phys. A § 40. 207 Becker tilgt µεστὸν ταρίχων: Becker, JSHRZ III 1, S. 103 mit Anm. VI 2a. 208 Vgl. zum problematischen Text und den abzulehnenden Varianten ἐφίπταται und ἀφίσταται: Hollander/de Jonge, TestXII, Comm., S. 313, textkr. Anm. 24. 209 Zur λαῖλαψ ἀνέµου µεγάλου vgl. auch den λαῖλαψ µέγας bei A.Jo. (Prochoros, Zahn, S. 8, Z. 9f.).
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5 Alttestamentliche und jüdische Literatur
schon fast sprichwörtlichen τρικυµίαι bemüht,210 die das Gefährt schließlich zerreißen und scheitern lassen (VI 5). Bemerkenswert ist, daß Joseph mit einem ἀκάτιον,211 also hier wohl dem Beiboot, flieht; diese Szene läßt sich möglicherweise neben andere Erzählungen stellen, die auch die Flucht mit dem Beiboot darstellen.212 Näher noch steht die Stelle den anderen Fluchtszenen, bei denen ja zuweilen gerade die Besatzung flieht, wenn man bedenkt, daß die hebräische Fassung Joseph am Steuer stehen läßt;213 aber das sollte man natürlich nicht in die vorliegende griechische Fassung eintragen. Die anderen müssen sich auf Schiffsbrettern retten und werden voneinander getrennt; die Rettung auf Brettern oder anderen Trümmerteilen des Schiffs wird selbstverständlich häufig erzählt.214 Schließlich betet Levi für alle,215 was die erstaunliche Wirkung zeigt, daß nicht nur der Sturm nachläßt, sondern das Schiff sogar an Land gelangt (VI 9), obwohl es ja zuvor schon zerbrochen war; da kann man wohl nur eine erzählerische Ungereimtheit konstatieren, denn sinnvoll zu interpretieren ist diese erstaunliche Wirkung des Gebets m.E. nicht.216 Wohl läßt sich aber, was das Aufhören des Sturms betrifft, Levis Gebet durchaus mit anderen »Sturmstillungen« vergleichen, die durch sog. θεῖοι ἄνδρες oder Menschen, die einfach unter göttlichem Schutz stehen, erfolgen können.217 Zu guter Letzt wird man sogar wieder mit dem Vater Jakob vereint. Diese zweite Vision des Naphtali nimmt das Geschick Israels im Bild der Seefahrt in den Blick; insofern haben wir es hier mit einer metaphorischen Verwendung der Seefahrtsmotivik zu tun. Der Verfasser hat aber doch so viele Zu den τρικυµίαι siehe: Synes. ep. 4,162a–b; A.Jo. (Prochoros, Zahn, S. 9, Z. 1: κυρτωθέντων τριῶν κυµάτων); Ach.Tat. III 2,2; Hld. V 27,7; Luc. Tox. 19; interessant ist auch die Passage Merc.Cond. 2, wo diese τρικυµίαι durch πεντακυµίαι und sogar δεκακυµίαι überboten werden. 211 Siehe zum Schiffstyp der ἄκατος oben S. 86f. 210
212 Zu vergleichende Fluchtszenen finden sich bei: Ach.Tat. III 3,1–4,2; Petr. 102,1–7; 114,7; und natürlich Apg 27,30–32. Handelt es sich um ein Motiv? Möglicherweise! Zur Vorsicht in dieser Frage könnte allerdings der Umstand mahnen, daß die vergleichbaren Stellen alle je sehr unterschiedlich sind – besonders weichen die Szenen bei Petron ab! 213 Siehe hebrTestNaph IV 15ff. (Becker, JSHRZ III 1, S. 155 [Anhang 3]). 214 Vgl. etwa Homer Od. V 368–375; AP VII 289,2; IX 269,1f.; Hist.Ap. 12; X.Eph. II 11,10; Ach.Tat. III 5,1; A.Jo. (Prochoros, Zahn, S. 9, Z. 3–7); Chrys. Thdr. II 5 (SC 117, Lettre 5,34f. [S. 74]; PG 47, 315); und natürlich Apg 27,43f. 215 Zum Gebet auf See vgl.: h.Hom. 33,8–11; Plu. Dio 25,10; Hist.Ap. 39; Herpyllis II 60; Jon 1,5.14; Ps 107,28; und Apg 27,29. 216 Hollander/de Jonge, TestXII, Comm., S. 314, Komm. zu 6,8–9, notieren auch: »the ship reached the land: which is strange after the shipwreck« (Hervorhebung im Original fett). 217 Vgl. beispielsweise Mk 4,39 parr; A.Jo. (Prochoros, Zahn, S. 51, Z. 2–6); pBerakh IX 13b (s. Bill. I, S. 452). Erfolglos etwa in der Caesar-Anekdote: Plu. Caes. 38,5f. Hollander/de Jonge, TestXII, Comm., S. 314, Komm. zu 6,8–9, halten fest: »This motif belongs to the scheme ›storm on sea – intervention of a “man of God” – storm ceases – people are saved‹« (mit weiteren Vergleichsstellen). – Zum Problem der sog. θεῖοι ἄνδρες siehe wieder meine kurze Bemerkung oben, S. 178f.
5.4 Testamente der zwölf Patriarchen
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geläufige Einzelelemente in seiner Darstellung untergebracht, daß eine kurze Behandlung hier gerechtfertigt erscheint. Der Abschnitt zeigt damit, wie die Motivik auch im Rahmen einer metaphorischen Verwendung ihre Wirkung entfaltet.
6 Neutestamentliche und frühchristliche Literatur 6.1 Sturmstillung und Seewandel Die in der Forschung häufig und intensiv behandelten Natur- bzw. Rettungswunder der Sturmstillung (Mk 4,35–41 parr. Lk 8,22–25/Mt 8,23–27) und des Seewandels (Mk 6,45–52 parr. Mt 14,22–33/Joh 6,16–21) müssen hier nicht ausführlich untersucht werden. Auch ein Einstieg in die umstrittenen Fragen der Traditions- und Redaktionsgeschichte dieser Erzählungen ist hier nicht nötig; es reicht, wenn wir hier auf einige bemerkenswerte Einzelzüge hinweisen. 6.1.1 Die Sturmstillung (Mk 4,35–41 parr.) Die Sturmstillung Jesu (Mk 4,35–41 parr. Lk 8,22–25/Mt 8,23–27) ist ein klassisches Rettungswunder mit dem Naturwunder-Element der Beherrschung von Wind und Meer. Auf dem See Genezareth, den nur Lukas in seiner weltmännischeren Art als λίµνη bezeichnet (Lk 8,22.23),1 geraten die Jünger und Jesus in Seenot – Jesus hatte sich zurückgezogen und war eingeschlafen.2 Im Hintergrund dieses Selbstrückzugs in den Schlaf mag die Jona-Geschichte stehen, auf die die markinische Erzählung möglicherweise in Aufbau und Einzelzügen bezug nimmt – und zwar sowohl in Übereinstimmung als auch in Unterscheidung.3
1 Vgl. zu diesem Phänomen Collins, Mark, S. 156f., Anm. 1; 261, Anm. 26. Ausführlicher bei Theissen, Lokalkolorit, S. 111-115.267–269; Theissen, Meer, hier bes. S. 10. 2 Der Zug des Schlafens Jesu findet sich in allen Redaktionen der Sturmstillung: Mk 4,38/Lk 8,23/Mt 8,24; das läßt sich dem Motiv des Rückzugs des Wundertäters zuordnen, vgl. Theissen, Urchristliche Wundergeschichten, S. 69f. Man kann das auch mit dem Motiv des unerkannt an Bord weilenden Retters verbinden; vgl. dazu etwa: Jon 1,5b; pBerakh IX 13b (Horowitz, S. 223; s. auch Bill. I, S. 452); und auch Plu. Caes. 38,3.5, hier allerdings ohne Erfolg. 3 Vgl. zum Schlaf des Propheten Jon 1,5b; im Aufbau verblüfft insbesondere die Übereinstimmung zwischen Jona 1,4f. und Mk 4,37f./Mt 8,24, daß zunächst der Sturm ausbricht und dann das Schlafen des Protagonisten nachgetragen wird. – Vgl. zum kurzen Vergleich der beiden Szenen: Klauck, Allegorie, S. 345f.; Collins, Mark, S. 259f. Hingewiesen sei darüber hinaus auf: Aus, Stilling of the Storm, der aber m.E. die Bezüge zwischen Jona 1 und der markinischen Erzählung von der Sturmstillung übertreibt und fälschlich von einer Abhängigkeit auch in zahllosen Details ausgeht; zum Schlafen äußert er sich S. 28–31.
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6 Neutestamentliche und frühchristliche Literatur
Der hereinbrechende Sturm, bei Markus als λαῖλαψ µεγάλη ἀνέµου bezeichnet (v. 37),4 wird nicht weiter beschrieben; er führt dazu, daß das Boot überspült5 wird und volläuft.6 Die Gefährdeten wenden sich an Jesus, der mittels seines Worts den Sturm zum Schweigen bringt. Diese eigentliche Stillung des Sturms erinnert auffällig an eine Dämonenbeschwörung, da hier das im entsprechenden Zusammenhang geläufige Wort ἐπιτιµᾶν verwendet wird (Mk 4,39/Lk 8,24/ Mt 8,26),7 und bei Markus sogar das Befehlswort σιῶπα, πεφίµωσο (v. 39) hinzukommt; der zweite Imperativ πεφίµωσο ist dabei nicht als Wiederholung des Schweigebefehls zu verstehen, sondern als Wort des Bindezaubers.8 Das unmittelbar eintretende Ergebnis dieser Sturmbeschwörung ist die völlige Ruhe, Windstille: γαλήνη (µεγάλη) (Mk 4,39/Lk 8,24/Mt 8,26).9 Ganz offenbar erscheint der Sturm hier (gleichsam als Dämon) personifiziert, so daß der Wundertäter wie ein Exorzist mit ihm verfahren kann.10 Jesus, der erfolgreiche Wundertäter, wird in der abschließenden Admiration für seine Befehlsgewalt über Wind und Meer (bzw. Wasser bei Lk) bewundert. Auch wenn mit dieser Wundererzählung in der Verherrlichung Jesu ohne Zweifel an die Macht JHWHs über das Meer angeknüpft wird,11 so kann die Sturmstillung trotzdem dem Motiv zugeordnet werden, nach dem göttlich besonders 4 Dem Lukas dagegen reicht eine λαῖλαψ ἀνέµου (v. 23), während Matthäus von σεισµὸς µέγας spricht (v. 24). Die Fügung vom λαῖλαψ ἀνέµου o.ä. findet sich auch bei: A.Jo. (Prochoros, Zahn, S. 8, Z. 9f.: λαῖλαψ µέγας); TestNaph VI 4 (λαῖλαψ ἀνέµου µεγάλου). 5 Daß Überspültwerden des Schiffs ist nicht nur für die Insassen eine Bedrängnis, sondern auch eine ernsthafte Gefahr für das Schiff, vgl. Breusing, Nautik der Alten, S. 184f.; Aelius Aristides etwa hebt das Überspültwerden mehrfach hervor: Aristid. Or. XLVIII 12.65; vgl. auch Arr. Peripl.M.Eux. 3,3f.; Luc. Merc.Cond. 2. 6 Das Vollaufen erwähnt Matthäus nicht eigens, ihm reicht die Feststellung, daß das Gefährt von den Wogen bedeckt wird: ὥστε τὸ πλοῖον καλύπτεσθαι ὑπὸ τῶν κυµάτων (Mt 8,24). Markus und Lukas sprechen von γεµίζεσθαι bzw. συµπληροῦσθαι (Mk 4,37/Lk 8,23). Das Vollaufen des Schiffs begegnet auch bei: TestNaph VI 5 (ἐπληρώθη τὸ πλοῖον ὑδάτων). 7 Vgl. zum durch das Vokabular hergestellten Bezug zwischen Dämonenbeschwörung und Sturmstillung die Stellen: Mk 1,25; 9,25. Siehe zum ἐπιτιµᾶν und zur Sache: Kertelge, Wunder Jesu, S. 92f.; Schenke, Wundererzählungen, S. 55f.; Gnilka, Markus I, S. 194f.; Guttenberger, Gottesvorstellung, S. 259.268; Collins, Mark, S. 261f.; weiterhin Marcus, Mark 1–8, S. 333, der insbesondere auf das aramäische Äquivalent von ἐπιτιµᾶν eingeht: גער/g r, er verweist u.a. auf: Naveh/ Shaked, Amulets, Amulet 1, Z. 5f. (S. 40f.) (Zitat aus Sach 3,2); vgl. darüber hinaus Amulet 2, Z. 8 (S. 44–47). 8 Vgl. dazu Kollmann, Jesu Schweigegebote, S. 268–271; Kollmann, Urchristliche Wundergeschichten, S. 273. Als Bannwort deutet den Ausdruck Gnilka, Markus I, S. 195. 9 γαλήνη µεγάλη tritt auch nach der Sturmbeschwörung durch das Gebet des Johannes ein: A.Jo. (Prochoros, Zahn, S. 51, Z. 2–6). 10 Die bei Aus, Stilling of the Storm, S. 43, angeführte Stelle pSanh VII 25d (s. Wevers, S. 209) bietet dazu keine direkte Parallele, weil dort dem See Genezareth als ganzem eine Personifikation in Gestalt des Fürsten des Meeres (שׂרה דימא/´srh djm O) zugeordnet wird. 11 Siehe etwa wieder die Behandlung von ἐπιτιµᾶν und die dazu gebotenen Belege bei: Schenke, Wundererzählungen, S. 55.
O
6.1 Sturmstillung und Seewandel
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begabten Menschen, den sog. θεῖοι ἄνθρωποι/ἄνδρες, eine gewisse Macht über die Naturgewalten zugeschrieben wird. Man kann etwa die Pythagoras zugeschriebenen Fähigkeiten hier vergleichend einordnen, wofür eine Stelle aus Iamblichs Pythagoras-Vita einschlägig ist (Iamb. VP [28] 135): τὸ µὲν γὰρ ὅτι τὸν µηρὸν χρύσεον ἐπέδειξεν Ἀβάριδι τῷ ῾Υπερβορέῳ, εἰκάσαντι αὐτὸν Ἀπόλλωνα εἶναι τὸν 〈ἐν〉 ῾Υπερβορέοις, οὗπερ ἦν ἱερεὺς ὁ Ἄβαρις, βεβαιοῦντα ὡς τοῦτο ἀληθὲς ὑπολαµβάνοι καὶ οὐ διαψεύδοιτο, καὶ πάνυ τεθρύλληται. καὶ µυρία ἕτερα τούτων θειότερα καὶ θαυµαστότερα περὶ τἀνδρὸς ὁµαλῶς καὶ συµφώνως ἱστορεῖται, προρρήσεις τε σεισµῶν ἀπαράβατοι καὶ λοιµῶν ἀποτροπαὶ σὺν τάχει καὶ ἀνέµων βιαίων χαλαζῶν τε χύσεως παραυτίκα κατευνήσεις καὶ κυµάτων ποταµίων τε καὶ θαλασσίων ἀπευδιασµοὶ πρὸς εὐµαρῆ τῶν ἑταίρων διάβασιν. ὧν µεταλαβόντας ᾽Εµπεδοκλέα τε τὸν Ἀκραγαντῖνον καὶ ᾽Επιµενίδην τὸν Κρῆτα καὶ Ἄβαριν τὸν ῾Υπερβόρειον πολλαχῇ καὶ αὐτοὺς τοιαῦτά τινα ἐπιτετελεκέναι.
Denn auch dies, daß er seinen goldenen Schenkel dem Hyperboreer Abaris gezeigt hat, der vermutete, er sei der Apoll der Hyperboreer, dessen Priester Abaris war, wodurch er ihn dessen versichert hat, daß seine Vermutung wahrheitsgemäß sei, und er sich nicht täusche, ist allgemein verbreitet. Und unzählige weitere noch wunderhaftere übermenschliche Dinge werden über den Mann gleichlautend und übereinstimmend berichtet: Unfehlbare Vorhersage von Erdbeben, umgehende Abwehr von Seuchen, sofortige Stillung von Stürmen und Hagelschlägen sowie die Beruhigung des Wogenschlags von Flüssen und Meeren, um seinen Gefährten die bequeme Passage zu ermöglichen. Weil sie von diesen Fähigkeiten etwas übernommen haben, sollen Empedokles von Akragas, Epimenides von Kreta und Abaris, der Hyperboreer, an vielen Orten auch ihrerseits derartige Taten vollbracht haben.
Unter den erwähnten Fähigkeiten findet man also bemerkenswerterweise auch ἀνέµων βιαίων χαλαζῶν τε χύσεως παραυτίκα κατευνήσεις καὶ κυµάτων ποταµίων τε καὶ θαλασσίων ἀπευδιασµοί – doch handelt es sich hierbei ja
nicht um eine ausgeführte Erzählung wie bei unserer Sturmstillung, sondern lediglich um eine Aufzählung; das ließ schon Bultmann zur Vorsicht mahnen: »Eine einzelne Wundergeschichte, in der die Stillung des Sturms auf einen θεῖος ἄνθρωπος, eine Heilandsgestalt, übertragen wäre, ist mir nicht bekannt.«12
Bultmann, GST, S. 253; er verweist aber natürlich trotzdem auf die oben zitierte PythagorasTradition; weitere mögliche Vergleichstexte führt er a.a.O., S. 249f.252f., an. Kertelge verweist auf die oben behandelte Szene Philostr. VA IV 13 (69) (Kertelge, Wunder Jesu, S. 97), wo es jedoch nicht um eine Sturmstillung geht, sondern um die durch den Gottesmann gegebene »Garantie« einer guten Fahrt. Man beachte aber auch noch die Sturmbeschwörung des Johannes, die allerdings natürlich durch und durch abhängig ist von der synoptischen Sturmstillung (A.Jo. [Prochoros, Zahn, S. 51, Z. 2–6]). Dieser Fehlanzeige ist auch nicht abzuhelfen, indem man die bekannte Caesar-Anekdote als bewußte Negativfolie zu etablieren sucht (so in dem m.E. gescheiterten Versuch bei Aus, Stilling of the Storm, S. 56–71, s. dazu auch oben S. 43). 12
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6 Neutestamentliche und frühchristliche Literatur
6.1.2 Der Seewandel (Mk 6,45–52 parr.) Der Seewandel (Mk 6,45–52 parr. Mt 14,22–33/Joh 6,16–21) enthält nur andeutungsweise den Zug einer Rettung aus Seenot, der m.E. sekundär der ursprünglichen Epiphanieerzählung zugewachsen ist. Wohl kann man diskutieren, ob das Epiphanieelement oder die Rettung aus Seenot der Erzählung ursprünglich zu eigen war, doch scheint mir das entscheidende Argument dafür, daß die Seenot entweder in der Tradition oder sogar erst durch die markinische Redaktion hinzugewachsen ist, die im jetzigen Markus-Text unverständliche und störende Notiz zu sein, daß der seewandelnde Jesus an den Jüngern im Boot vorbeigehen wollte (καὶ ἤθελεν παρελθεῖν αὐτούς, Mk 6,48).13 Der Zug der Rettung aus Seenot drückt sich nun einerseits in den Schwierigkeiten der Jünger beim Rudern gegen widrigen Wind aus (Mk 6,48/Mt 14,24).14 Bei Johannes erscheint das sogar zu einem Sturmwind gesteigert (ἥ τε θάλασσα ἀνέµου µεγάλου πνέοντος διεγείρετο, Joh 6,18). Ich kann daher nicht erkennen, warum bei Johannes »das Sturmmotiv ganz verschwunden« sein soll, wie Bultmann meint.15 Tatsächlich ist dieses Motiv bei Johannes nur zurückgedrängt und voll auf v. 18 konzentriert,16 dann aber dort sogar gegenläufig gesteigert, eben zum ἄνεµος µέγας (Joh 6,18). Andererseits wird ausdrücklich festgestellt, daß der Wind sich legte, nachdem der seewandelnde Jesus ins Boot gestiegen sei (Mk 6,51/Mt 14,32),17 ein Darstellungsdetail, das jedoch bei Johannes fehlt und dort durch eine gleichsam wunderbare Ankunft am gewünschten Zielort ersetzt wird: καὶ εὐθέως ἐγένετο τὸ πλοῖον ἐπὶ τῆς γῆς εἰς ἣν ὑπῆγον (Joh 6,21). Das läßt sich mit anderen Stellen vergleichen, in denen die Anwesenheit eines Gottes oder eines θεῖος ἀνήρ an Bord gute und schnelle Fahrt gewährt; ein Beispiel dafür ist Iamb. VP (3) 16: Vgl. zu dem ganzen Komplex der punktuellen Herrschaft über die Natur durch sog. θεῖοι ἄνθρωποι/ἄνδρες: Bieler, Θεῖος ἀνήρ I, S. 103f.; Betz, Lukian, S. 171f. Siehe zur Debatte um das Problem des θεῖος ἀνήρ auch meine kurze Bemerkung oben S. 178f.
13 Vgl. zu dieser Beobachtung schon Bultmann, GST, S. 231. Siehe weiterhin die Überlegungen zur Analyse bei: Koch, Bedeutung der Wundererzählungen, S. 104–106; Theissen, Urchristliche Wundergeschichten, S. 186f. (mit formgeschichtlicher Skepsis gegenüber einer Trennung von Epiphanie und Rettung aber S. 109, überdies will Theißen das Vorübergehen als motivische Variante des Selbstentzugs des Wundertäters verbuchen [S. 69]); Gnilka, Markus I, S. 266.270; Labahn, Offenbarung, S. 216–219; Collins, Mark, S. 334. 14 Bei Markus heißt es von den Jüngern: βασανιζοµένους ἐν τῷ ἐλαύνειν, ἦν γὰρ ὁ ἄνεµος ἐναντίος αὐτοῖς, bei Matthäus vom Boot: βασανιζόµενον ὑπὸ τῶν κυµάτων, ἦν γὰρ ἐναντίος ὁ ἄνεµος. 15 Bultmann, GST, S. 231. 16 So auch Labahn, Offenbarung, S. 212. 17 Gleichlautend wird festgestellt: ἐκόπασεν ὁ ἄνεµος. Man beachte den mit Mk 4,39 übereinstimmenden Wortlaut.
6.2 Die Apostelromane
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παρ’ ὅλον 〈τε〉 τὸν πλοῦν ἐφ’ ἑνός τε καὶ τοῦ αὐτοῦ σχήµατος διέµεινε δύο νύκτας καὶ τρεῖς ἡµέρας µήτε τροφῆς µήτε ποτοῦ µετασχὼν µήτε ὕπνου, ὅτι εἰ µὴ λαθὼν ἅπαντας ὡς εἶχεν ἐν τῇ ἑδραίᾳ καὶ ἀσαλεύτῳ ἐπιµονῇ κατέδαρθε βραχύ, καὶ ταῦτα διηνεκοῦς καὶ σεσυρµένου παρὰ προσδοκίαν εὐθυτενοῦς τε συµβάντος αὐτοῖς τοῦ πλοῦ ὡς ἄν τινος παρουσίᾳ θεοῦ· πάντα συντιθέντες τὰ τοιάδε καὶ ἐπισυλλογιζόµενοι δαίµονα θεῖον ὡς ἀληθῶς ἐπείσθησαν σὺν αὐτοῖς ἀπὸ Συρίας εἰς Αἴγυπτον µετιέναι, καὶ τόν τε πρόσλοιπον εὐφηµότατα πλοῦν διεξήνυσαν καὶ σεµνοτέροις ἤπερ εἰώθεσαν ὀνόµασί τε καὶ πράγµασιν ἐχρήσαντο πρός τε ἀλλήλους καὶ πρὸς αὐτὸν µέχρι τῆς εὐτυχεστάτης συµβάσης αὐτοῖς καὶ ἀκυµάντου παρ’ ὅλον εἰς τὴν Αἰγυπτίαν ᾐόνα τοῦ σκάφους προσοχῆς.
Die ganze Fahrt über verharrte er [sc. Pythagoras] in ein und derselben Haltung und nahm dabei weder Essen und Getränk zu sich, noch überließ er sich dem Schlaf, es sei denn, daß er von allen unbemerkt in seinem Sitzen und seiner unbewegten Haltung für kurze Zeit eingeschlafen war, und das, wobei sich die Fahrt für sie [sc. (u.a.) die Seeleute] ununterbrochen, wider Erwarten flott und geradlinig gestaltete, ganz so, als wäre ein Gott gegenwärtig. All das erwogen sie im Zusammenhang und kamen durch Schlußfolgerung zu der Überzeugung, ein göttlicher Dämon setze wahrhaft zusammen mit ihnen von Syrien nach Ägypten über. Und so vollendeten sie die restliche Fahrt in andächtigster Weise und griffen im Umgang miteinander und mit ihm zu würdigeren Worten und Taten, als sie sonst pflegten, bis ihnen auf glücklichste Weise ganz ohne Wellengang die Anlandung des Schiffs am ägyptischen Strand gelang.
Hier wird von der παρουσία θεοῦ und einem mitreisenden δαίµων θεῖος gesprochen wird, der natürlich niemand anderes ist als der an Bord befindliche Pythagoras; er ist es, der die glückliche Ankunft garantiert. Mit dem motiv- und religionsgeschichtlich interessanten Phänomen des Seewandels selbst können wir uns hier allerdings nicht ausführlich auseinandersetzen;18 genau so wie die Sturmstillung fügt sich dieses aber in die Darstellung der Vollmacht Jesu auch über die natürlichen Elemente (s.o.).
6.2 Die Apostelromane Darstellungszüge der Apostelgeschichte des Lukas sind schon oft mit entsprechenden Zügen der apokryphen Apostelgeschichten, den acta apostolorum, verglichen worden. Dabei sind zumeist auch gerade die Unterschiede hervorgehoben worden, die das eine kanonische Werk von den späteren Darstellungen der 18
Vgl. etwa die Behandlung des johanneischen Abschnitts und die Auflistung zahlreicher Vergleichsstellen bei Labahn, Offenbarung, S. 202–215; zu möglichen Vergleichstexten siehe weiterhin Collins, Rulers, S. 211–223 (vgl. auch deren Deutung in bezug auf die vormarkinische Erzählung [S. 223–225]); Collins, Mark, S. 328–333. Wenn Aus, Caught in the Act, S. 117–126, den seines Erachtens sicheren Bezugspunkt der Erzählung im berühmten »Seewandel« bzw. »Seeritt« des Caligula
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6 Neutestamentliche und frühchristliche Literatur
Aposteltaten trennt. In der Tat stehen die Apostelakten der antiken romanhaften Literatur viel näher als das Werk des Lukas, das zeigt sofort und augenfällig die vergleichende Lektüre nur je eines Beispiels. Rosa Söder hat dann auch die vielfältigen Bezüge zwischen beiden Gattungen herausgestellt und zusammengetragen. Die uns interessierende Motivik ist bei ihr unter dem ersten von fünf vergleichbaren »Hauptelementen« verzeichnet, dem »Motiv der Wanderung«.19 Wir können uns hier beschränken und gehen nur kurz auf drei ausgewählte Exemplare des zur Verfügung stehenden Materials ein, nämlich auf ein Stück aus den Petrusakten, auf Passagen aus den jüngeren Johannesakten des Prochoros, und auf eine im Clemens-Roman erzählte Episode. 6.2.1 Die apokryphen Apostelakten Wie in den Romanen finden sich auch in den Apostelakten einige Seereiseerzählungen mit verschiedenen Gefährdungen.20 6.2.1.1 Acta Petri Näher soll hier zunächst eine Szene aus den älteren Apostelakten angesprochen werden, nämlich die Seereise des Petrus von Caesarea nach Rom aus den Acta Petri, die schon in der zweiten Hälfte des 2. Jh. entstanden sein dürften.21 Petrus muß auf göttlichen Auftrag hin nach Rom reisen, um dort Simon entgegenzutreten. Er eilt nach Caesarea und findet dort natürlich ein schon in der Abfahrt begriffenes Schiff, das er gerade noch besteigen kann. Der Schiffer Theon nimmt ihn freundlich auf und erhält in der Nacht eine Audition, die ihn auf die besondere Bedeutung seines zuletzt zugestiegenen Passagiers aufmerksam macht: Inter ceteros qui tecum nauigant, honorificentior sit tibi Petrus, per quem tu et ceteri ex insperato casu 22 sine ulla iniuria salui eritis.23 Die Sicherheit der Fahrt wird hier also unmittelbar Petrus zugeschrieben, was an die Vision des sehen will, geht er wiederum den einen oder anderen Schritt zu weit – wie auch im Fall der Sturmstillung (s.o). 19 Söder, Die apokryphen Apostelgeschichten, S. 21ff., siehe zur Seereise besonders die Abschnitte »Fahrt zur See«, »Das bereitstehende Schiff«, »Veranlassung zur Reise« und »Seesturm und Schiffbruch« (S. 42–46.48). Vgl. auch den Überblick bei Hofmann, Art. Roman IV, Sp. 1117–1119. 20 Vgl. kurz zu den hier angeführten und weiteren Sturmerzählungen in den Apostelakten Söder, Die apokryphen Apostelgeschichten, S. 48. 21 Zur Datierung siehe Schneemelcher, in: Hennecke/Schneemelcher II6 , S. 255. Die Reise nach Rom findet sich hier: A. Petr. c. Sim. (Act. Verc.) 5 (Lipsius/Bonnet I, S. 49, Z. 21–S. 51, Z. 13). 22 Übernommen ist hier die Konjektur von C.H. Turner (vgl. Hennecke/Schneemelcher II6 , S. 262, Anm. 30). Act. Verc. haben ex inspirato cursu; vgl. auch den App. zu Z. 18 bei Lipsius/Bonnet I, S. 50. 23 Lipsius/Bonnet I, S. 50, Z. 17–19. Übersetzung: Unter den Übrigen, die mit dir segeln, sei dir Petrus besonderer Ehre wert, durch den du und die anderen aus unverhoffter Lage ohne jedweden Schaden werdet gerettet werden.
6.2 Die Apostelromane
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Paulus auf seinem Schiff im Sturm denken läßt, wo der erscheinende Engel ihm ja die Zusage macht, daß seine Mitreisenden um seinetwillen gerettet werden (Apg 27,24). Petrus unterweist den Theon nun im christlichen Glauben, unterdessen ändert sich aber die Lage: Auf der Adria tritt Windstille ein.24 Interessant ist, daß die Windstille hier gar nicht in ihrer Gefahr ausgewertet wird; das geschieht höchstens andeutungsweise durch den Hinweis auf die übrigen, betrunken darniederliegenden Besatzungsmitglieder und Reisenden.25 Stattdessen sehen Theon und Petrus eine günstige Gelegenheit zur Taufe, die dann auch vollzogen wird. Es ist durchaus bemerkenswert, daß an der Windstille eher das Positive hervorgehoben wird als die Gefährdung, die man sonst in ähnlichen Erzählungen zu bemühen pflegt.26 Eine Erzählung die auch das Positive einer Windstille hervorhebt, findet sich bei Lukian, wo die Abenteurer Gelegenheit zum fröhlichen Schwimmen bekommen.27 Im Anschluß an die Taufe im Meer feiert Petrus mit dem Theon die Eucharistie, in deren Verlauf die (ja eigentlich gar nicht betonte) Gefahr der Windstille durch Aufkommen guten Windes beendet wird, der sie schließlich glücklich nach Puteoli bringt. Die Unterschiede zur Herrenmahlsanspielung in Apg 27,35f. sind mit Händen zu greifen: Zunächst ist hier ausdrücklich von eucharistia die Rede, wohingegen dort eben nur eine Anspielung vorliegt; dann tritt hier im Zuge des Mahls die Rettung physisch ein, während in Apg 27 die Wirkung auf die Menschen an erster Stelle steht, sie werden εὔθυµοι (v. 35). 6.2.1.2 Acta Johannis (Prochoros) Interessant verarbeitet – und diese Passagen seien hier ergänzend erwähnt – ist die Gefähdung zur See in den jüngeren Johannesakten, die uns unter dem Namen des Prochoros, eines angeblichen Begleiters des Johannes, überliefert sind.28 Gleich zu Anfang muß Johannes auf der Fahrt von Joppe nach EpheLipsius/Bonnet I, S. 50, Z. 26: in Hadria autem malacia habita in naue . . . (Übersetzung: Auf der Adria trat jedoch eine Windstille über dem Schiff ein. . . ). Wie kommt das Schiff auf einer Reise von Caesarea nach Rom in die Adria? Mir scheint, man kann diese Stelle gut mit anderen zusammenstellen, die einen ungewöhnlich weiten Adria-Begriff aufweisen, so daß eigentlich das Ionische Meer gemeint sein muß: Vgl. J. Vit. 3 (§ 15); Apg 27,27 (siehe jeweils z.St.). 25 Lipsius/Bonnet I, S. 50, Z. 28f. Derartiges wird in der Situation einer Windstille auch bei X.Eph. I 12,3 erwähnt (καὶ πότος ἐν τούτῳ καὶ µέθη). 26 Zu den Gefahren der Windstille als das dem Sturm entgegengesetzte Übel auf See siehe beispielsweise: AP VII 293,3ff.; Charito III 3,11f.18 (Durst); oder: Hld. V 23,2f.; X.Eph. I 12,3–13,5 (Piratenüberfall). 27 Luc. VH I 30; vgl. auch die Szene bei Petr. 109,6f. 28 Siehe zu diesen jüngeren Johannes-Akten des Prochoros die Anmerkungen von: Aurelio de Santos Otero, in: Hennecke/Schneemelcher II6 , S. 385–391, bes. S. 385; Klauck, Apokr. Apostelakten, S. 56f. 24
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6 Neutestamentliche und frühchristliche Literatur
sos Schiffbruch erleiden.29 Warum Rosa Söder diese Schiffbruchsszene gerade mit den großen Schilderungen der Romane zusammenstellen will und dabei ausdrücklich das 3. Buch des Achilleus Tatios hervorhebt,30 erscheint mir recht fraglich; die Darstellung bei Ps.-Prochoros wirkt doch vergleichsweise farblos. Auffällig an dieser Schiffbruchserzählung sind vor allem einige zum Teil wörtliche Anspielungen auf kanonische Texte. So läßt man sich nach Besteigen des Schiffs gleich in dessen κοιλία nieder, und Johannes beginnt zu klagen über das ihm bevorstehende Schicksal.31 Zur elften Stunde des Tages tritt der Sturm ein, was Prochoros so formuliert: καὶ διεγερθεὶς λαῖλαψ µέγας, ἐκινδύνευε συντριβῆναι τὸ πλοῖον.32 Das Schiff fällt drei übereinandergewölbten Wogen zum Opfer und wird zerrissen.33 Den Insassen bleibt nun nichts übrig, als sich mit Hilfe der Trümmer und anderer verstreuter Gegenstände irgendwie über Wasser zu halten, bis man im Gebiet von Antiochia an Land gespült wird.34 Die jetzt nachgeschobene Zahlenangabe erinnert allzu deutlich an Apg 27,37.35 Am Ufer liegen die Schiffbrüchigen zunächst drei Stunden lang, erschöpft von all ihrem Leid, bevor sie den Weg in die Stadt antreten.36 Johannes selbst muß allerdings sage und schreibe 40 Tage auf dem Meer zubringen und wird schließlich bei Marmareon ans Ufer geworfen, wo Prochoros ihm gleich begegnet.37 Zahn, S. 7, Z. 6–S. 9, Z. 12. Söder, Die apokryphen Apostelgeschichten, S. 48 mit Anm. 75. 31 Zahn, S. 7, Z. 9ff. Das spielt auf das Jonabuch an, wo sich Jona in Jon 1,5 LXX εἰς τὴν κοίλην τοῦ πλοίου zurückzieht und zu schlafen beginnt. 32 Zahn, S. 8, Z. 9f.; Übersetzung: Da kam ein mächtiger Sturmwind auf, und das Schiff drohte zu zerbrechen. – Mit diesem Satz wird sowohl auf Mk 4,37 als auch auf Jon 1,4 angespielt; der λαῖλαψ µέγας greift die λαῖλαψ µεγάλη ἀνέµου der Sturmstillung auf, der Rest ist nahezu Zitat aus Jon 1,4 LXX: καὶ τὸ πλοῖον ἐκινδύνευε συντριβῆναι. 33 Die hier im gen.abs. gefaßten κυρτωθέντων τριῶν κυµάτων (Zahn, S. 9, Z. 1) lassen an die sonst in Sturmschilderungen geläufigen τρικυµίαι denken; vgl. TestNaph VI 5; Ach.Tat. III 2,2; Hld. V 27,7; Luc. Tox. 19; Merc.Cond. 1f., wo in § 2 sogar πεντακυµίαι und δεκακυµίαι als Steigerung erfunden werden; s. dazu auch oben, S. 171 mit Anm. 213 und S. 174 mit Anm. 223. 34 Zahn, S. 9, Z. 3–7: ὁ οὖν παντεπόπτης θεὸς ὡσὰν ποιµὴν ἐλαύνων πρόβατα οὕτως ἡµᾶς 29 30
δι’ οὗ ἐπεκράτησεν ἕκαστος ἡµῶν σκεῦος τοῦ πλοίου ἤγαγεν ὡς ἐν ποταµῷ ῥευµατώδει, καὶ περὶ ὥραν ἕκτην τῆς ἡµέρας ἐξέβαλεν ἡµᾶς µετὰ τῶν σκευῶν τοὺς πάντας ὁµοῦ ἀπὸ σηµείων πέντε τῆς πόλεως Σελευκίας τῆς κατὰ Ἀντιόχειαν (Übersetzung: Der Alles sehende Gott, wie ein
Hirte, der sein Vieh treibt, so führte er uns mit Hilfe dessen, wessen ein jeder von uns vom Schiffsmaterial habhaft werden konnte, gleichsam in einem reißenden Strom und warf uns um die sechste Tagesstunde mitsamt den Trümmern alle zusammen an Land, fünf Meilen von der Stadt Seleukia bei Antiochia entfernt). – Zur Rettung auf Trümmern und v.a. Schiffsbrettern siehe beispielsweise: Homer Od. V 368–375; AP VII 289,2; IX 269,1f.; Hist.Ap. 12; X.Eph. II 11,10; Ach.Tat. III 5,1; TestNaph VI 6; Apg 27,43f.; Chrys. Thdr. II 5 (SC 117, Lettre 5,34f. [S. 74]; PG 47, 315). 35 Heißt es bei Prochoros: ἤµεθα δὲ οἱ πάντες ψυχαὶ τεσσεράκοντα ἕξ (Zahn, S. 9, Z. 8), so steht bei Apg 27,37: ἤµεθα δὲ αἱ πᾶσαι ψυχαὶ ἐν τῷ πλοίῳ διακόσιαι ἑβδοµήκοντα ἕξ. 36 Sie brachten dort die Zeit von der sechsten bis zur neunten Stunde zu (Zahn, S. 9, Z. 8–12). – Am Ufer ruht man sich auch aus bei: Luc. VH I 6; Ninos C 32–39. 37 Zahn, S. 13, Z. 6ff., bes. Z. 9f.
6.2 Die Apostelromane
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Eine zweite Seefahrtsepisode bringt zwar keinen erneuten Schiffbruch, zeichnet aber Johannes in seiner gewaltigen Macht über das Meer, die er im Gebet und im Namen des υἱὸς τοῦ θεοῦ ausübt: So geht während dieser Fahrt zunächst ein junger Mann über Bord, der auf das Gebet des Johannes hin vom Meer gleichsam wieder ausgespuckt wird, und zwar an Bord des Schiffes direkt zu Füßen des Johannes.38 Als kurz darauf ein Sturm aufzieht, dessen Einbruch wieder in Anknüpfung an Mk 4,37 und Jon 1,4 formuliert wird,39 wendet man sich wieder an Johannes und redet ihn flehentlich als ἄνθρωπος τοῦ θεοῦ an.40 Dieser gebietet den Menschen ruhig zu bleiben, doch als die Woge noch höher geht, fangen sie wieder an zu schreien; daraufhin heißt es:41 ὁ δὲ ᾽Ιωάννης πάλιν πρὸς αὐτούς· εἶπον ὑµῖν ἤδη, ἡσυχάσατε· ἀποβολὴ γὰρ τοῦ πλοίου οὐδεµία γενήσεται, ἀλλ’ οὐδὲ θρὶξ ἀπὸ τῆς κεφαλῆς ὑµῶν ἀπολεῖται. καὶ ταῦτα εἰπὼν ἀναστὰς προσηύξατο, καὶ εὐθέως ἐγένετο γαλήνη µεγάλη ἐν τῇ θαλάσσῃ.
Da sagte Johannes wieder zu ihnen: Ich habe euch schon gesagt: Bewahrt Ruhe! Es wird keinen Verlust des Schiffes geben, aber auch kein Haar von eurem Kopfe wird verloren gehen. Und als er das gesagt hatte, stand er auf und betete, und flugs kam es zu einer großen Windstille auf dem Meere.
Mit einer solchen deutlichen Anspielung auf, ja fast Zitation von Apg 27,22.3442 und Mk 4,39 schließt diese Sturmszene. 6.2.2 Die Pseudo-Klementinen Wie für einen Roman zu erwarten – natürlich auch für einen christlichen –, enthält der Clemens-Roman der Pseudoklementinen auch einen Schiffbruch, der die Familie des Clemens auseinanderreißt. Auf diese im Rückblick von Clemens selbst und von seiner schiffbrüchigen Mutter erzählten Ereignisse ist an dieser Stelle einzugehen. Auf die schwer zu rekonstruierende Entstehungsgeschichte der Pseudoklementinen können wir nicht ausführlich zu sprechen kommen; wahrscheinlich 38 39
Zahn, S. 48, Z. 4–S. 50, Z. 5. Zahn, S. 50, Z. 9–12: καὶ περὶ πέµπτην ὥραν τῆς νυκτὸς γίνεται ζάλη µεγάλη ἐν τῇ
θαλάσσῃ, καὶ τὸ πλοῖον ἐκινδύνευεν εἰς τὸ συντριβῆναι, καὶ οἱ πάντες πρὸ ὀφθαλµῶν τὸν θάνατον ἐφέροντο (Übersetzung: Und um die fünfte Nachtstunde zog ein gewaltiger Sturm auf dem Meere
auf, das Schiff lief Gefahr zu zerbrechen, und alle hatten den Tod vor Augen). – Zur Aufgabe aller Hoffnung siehe auch: Theoc. XXII 18; App. BC V 10 (§ 90); Ach.Tat. III 2,4; Herpyllis II 34–37; Luc. Tox. 20; Aristid. Or. XLV 33; Apg 27,20. 40 Die Anrede findet sich: Zahn, S. 50, Z. 14; S. 51, Z. 2. 41 Zahn, S. 51, Z. 2–6. 42 Hier scheinen tatsächlich die vv. 22.34 zusammengestellt worden zu sein, aber gerade so, daß hier auch der Erhalt des Schiffes verheißen wird, was in Apg 27,22 ja ausdrücklich ausgeschlossen wird; vgl. zum Spruch über die Haare die Behandlung von Apg 27,34 unten, S. 390.
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6 Neutestamentliche und frühchristliche Literatur
ist jedoch, daß die griechischen Homilien (H) auf eine Grundschrift (G) zurückgehengehen, die nicht auf uns gekommen ist.43 Bemerkenswert ist für uns, daß wir mit dem Clemens-Roman, der wohl schon den entscheidenden Stoff der Grundschrift (G) gebildet haben wird,44 Lesestoff für christliche Leser vor uns haben, der unmittelbar an die Vorgaben des griechischen Liebes- und Reiseromans anknüpft45 und die leidvolle Geschichte einer christlichen Familie, insbesondere des jüngsten Sohnes Clemens, mit Erzählungen über den Apostel Petrus verbindet, der für Clemens zum Familienersatz wird.46 Wir können uns hier auf die ältere der beiden vorliegenden Fassungen, die griechischen Homilien (H) beschränken, sie sind in der uns überlieferten Gestalt wohl auf den Anfang des 4. Jh. zu datieren, die lateinischen Rekognitionen (R) etwas später.47 Im ersten Buch der Homilien (H I) reist Clemens von Rom ab, um Petrus aufzusuchen; durch einen Seesturm wird er jedoch nach Alexandria verschlagen. Diese kurze Sturmszene muß hier nicht eigens betrachtet werden, da sie keine eigentliche Sturmbeschreibung oder auch nur die detaillierte Erzählung einzelner Ereignisse bietet.48 Im zwölften Buch der Homilien (H XII) nun wird das uns besonders interessierende äußere Schicksal des Clemens und seiner Familie erzählt:49 Clemens Vgl. dazu die Überblicke bei: Irmscher/Strecker, in: Hennecke/Schneemelcher II6 , S. 439–447, bes. S. 440f.; Klauck, Apokr. Apostelakten, S. 205–207. Detaillierter zum Problem der Entstehungsverhältnisse siehe: Waitz, Pseudoklementinen, vgl. bes. die Zusammenfassung (S. 366ff.); Rehm, Entstehung. 44 Vgl. etwa Waitz, Pseudoklementinen, S. 51f.; Rehm, Entstehung, S. 110f.155. 45 Vgl. Edwards, Clementina. Klauck macht insbesondere auf die motivischen Parallelen zur Historia Apollonii regis Tyri (s.o) aufmerksam (Klauck, Apokr. Apostelakten, S. 208); in seiner Behandlung des Romans über den König Apollonios stellt auch Dihle eine solche Verbindung her: »Daß auch Christen nach ähnlicher Lektüre verlangten, zeigen die apokryphen Apostelakten und der große Clemens-Roman« (Dihle, Die gr. und lat. Literatur, S. 377). Eine konkrete Benutzung der Aithiopika des Heliodor durch den Autor des Clemens-Romans schlägt Hansen vor: Hansen, Metamorphose, bes. S. 125.128f. 46 Siehe beispielsweise Hom.Clem XII 5,2, wo Clemens erklärt, Petrus sei für ihn zum Ersatz für Vater, Mutter, Geschwister und Verwandte geworden: σέ, κύριέ µου, ἀντὶ πάντων ἔχω, πατρός τε καὶ µητρὸς καὶ ἀδελφῶν καὶ συγγενῶν. – Vgl. zur im Kontext dieser Passage vorgenommenen Zeichnung des Clemens als Romanhelden Hansen, Metamorphose, S. 121–123. 47 Zur Datierung siehe: Irmscher/Strecker, in: Hennecke/Schneemelcher II6 , S. 439–447, bes. S. 446f.; Klauck, Apokr. Apostelakten, S. 209; Dihle, Die gr. und lat. Literatur, S. 318. Vgl. überhaupt zu Form und Verhältnis der Rezensionen Vielberg, Klemens; sowie die ältere Untersuchung des Verhältnisses zwischen R und H bei Meyboom, Clemens-Roman II, S. 29ff. 48 Es heißt dort nur (Hom.Clem. I 8,3): . . . καὶ ἀναχθεὶς ἀνέµων ἔχθραις ἀντὶ τοῦ εἰς ᾽Ιουδαίαν εἰς Ἀλεξάνδρειαν ἠνέχθην (Übersetzung: . . . und nachdem ich in See gestochen war, wurde ich von widrigen Winden anstatt nach Judäa nach Alexandria getrieben). – Wir haben es hier mit der typischen Indienststellung von Seestürmen zu tun, die den Weg der Romanhelden verkomplizieren (vgl. zu diesem Miniatur-Sturm auch Hansen, Metamorphose, S. 126f., Anm. 38). 49 Die uns interessierenden Passagen finden sich in fast identischer Weise in der lateinischen Fassung: R VII. – Zur Romanmotivik in den Rekognitionen siehe Vielberg, Klemens, S. 111ff. 43
6.2 Die Apostelromane
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berichtet seine Familiengeschichte zunächst aus eigener Perspektive so, wie er sie kennen konnte (H XII 8–10). Nach seiner Geburt habe die Mutter einen Traum gehabt, in dem ihr großes Unglück beschieden worden sei, wenn sie nicht für zehn Jahre Rom mit den beiden älteren Zwillingen verlasse (H XII 8,4).50 Der Vater habe sie nach Athen geschickt (9,1), wo sie aber offenbar gar nicht angekommen seien, wie der Vater bei mehrfachen Versuchen, ihnen Geld zukommen zu lassen, herausfindet (9,2f.). Der Vater hegt den Verdacht des Schiffbruchs51 und begibt sich schließlich selbst auf die Suche nach Frau und Kindern, seitdem habe Clemens nichts mehr von seinem Vater gehört, ja denkt, daß er inzwischen selbst umgekommen sein dürfte (H XII 10,3f.).52 Am folgenden Tag machen Petrus, Clemens und einige andere eine Reise nach der Insel Arados, wo sich die Familiengeschichte nun etwas anders darstellen und in einer wichtigen Hinsicht vervollständigen sollte, und zwar durch die Erzählung einer Bettlerin, auf die Petrus trifft: Nach einigem Hin und Her erzählt sie ihre Leidensgeschichte, wie sie zur Bettlerin geworden sei (H XII 15–18). Spätestens nach der Erwähnung ihrer Zwillinge und des dritten Sohns (15,2) ist dem Leser natürlich klar, daß es sich um die Mutter des Clemens handeln muß. Der Grund ihrer Abreise mit den beiden Zwillingen erscheint nun in ganz anderem Licht: Der Bruder ihres Mannes sei in Begehren nach ihr entflammt und ließ sich nicht von seinen Nachstellungen abbringen, so daß sie den Entschluß faßte, mit den älteren Zwillingen für eine gewisse Zeit fortzureisen, damit sich die Lage beruhigen könne, ohne daß sie gezwungen wäre, entweder dem Ehebruch nachzugeben oder Zwistigkeiten in die Familie zu bringen, was sie eben beides habe vermeiden wollen (15,3f.). Den Traum, von dem der Leser schon aus der Erzählung des Clemens weiß (8,4), habe sie als Vorwand für ihren Mann erdacht (16,1). Also macht sie sich auf die Reise (H XII 16,3–17,1): ὁµῶς ἅµα τέκνοις ἡ τάλαινα πλέουσα ὑπὸ ἀνέµων ἀταξίας εἰς τούτους ἀπορριφεῖσα τοὺς τόπους, νυκτὸς τῆς νηὸς διαλυθείσης, ναυφραγίῳ περιέπεσα. πάντων δὲ θανόντων ἡ ἀτυχὴς ἐγὼ µόνη ὑπὸ σφοδροῦ κύµατος ῥιπισθεῖσα ἐπὶ πέτρας ἐρρίφην, ἐφ’ ἧς Vgl. zu diesem erfundenen Traum im Vergleich mit Heliodor Hansen, Metamorphose, S. 123. In Portus erkundigt sich der Vater (Hom.Clem. XII 10,1): πολλῶν πυκνότερον ἐπυνθάνετο ποῦ ἕκαστος αὐτῶν εἶδεν ἢ ἤκουσεν ἀπὸ τεσσάρων ἐτῶν γενόµενον ναυφράγιον (Übersetzung: Er fragte hartnäckig viele aus, wo einjeder von ihnen vielleicht gesehen oder gehört hätte, daß vor vier Jahren ein Schiffbruch geschehen sei). 52 Hom.Clem. XII 10,4: µᾶλλον δὲ ὑπονοῶ ὅτι καὶ αὐτὸς τέθνηκέν που, ἢ ὑπὸ λύπης νικηθεὶς ἢ ναυφραγίῳ περιπεσών. (Übersetzung: Allerdings vermute ich, daß auch er inzwischen tot ist, entweder weil er vom Schmerz überwältigt wurde oder einem Schiffbruch zum Opfer gefallen ist). Die hier aufgemachte Alternative von Schmerz und Schiffbruch läßt an die in der Historia Apollonii regis Tyri geäußerte Vermutung denken: Hist.Ap. 32 (forsitan aut afflictione luctus est mortuus aut certe inter fluctus maris et procellas periit), ähnlich schon 31 (puto, quia mortuus est aut in pelago periit). 50 51
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καθεσθεῖσα ἡ ἀθλία ἐλπίδι τοῦ τὰ τέκνα µε ζῶντα εὑρεῖν εἰς τὸν βυθὸν ἐµαυτὴν οὐκ ἔρριψα τότε ὅτε τὴν ψυχὴν µεµεθυσµένην τοῖς κύµασιν ἔχουσα τοῦτο ποιῆσαι ῥᾳδίως ἐδυνάµην. πλὴν ἐπειδὴ ὄρθρος ἐγένετο, µεγάλα βοῶσα καὶ γοερὰ κωκύουσα περιεβλεπόµην, ζητοῦσα τῶν ἐµῶν ταλαιπώρων βρεφῶν τὰ νεκρὰ σώµατα. ἐλεήσαντες οὖν µε οἱ ἐπιχώριοι, γυµνὴν ἰδόντες ἐνδύσαντές µε τὸ πρῶτον, τὸν βυθὸν ἀνηραύνων, τὰ ἐµὰ ζητοῦντες τέκνα.
So segelte ich Arme also mit den Kindern fort und wurde von Sturmwinden in diese Gegend getrieben, in der Nacht zerbrach das Schiff, und ich wurde Opfer des Schiffbruchs. Alle starben, und ich Unglückselige allein wurde, vom heftigen Seegang ergriffen, auf einen Felsen geworfen, auf dem ich Mühselige saß und mich aufgrund der Hoffnung, meine noch lebenden Kinder könnten mich finden, nicht in die Tiefe gestürzt habe – damals, als ich das leicht gekonnt hätte, weil meine Sinne betäubt waren vom Wogenschlag. Aber als es Morgen ward, schaute ich unter lautem Geschrei und kläglichem Heulen um mich und suchte die toten Körper meiner bemitleidenswerten Kinder. Da erbarmten sich meiner die Einheimischen, die mich zuerst, weil sie mich nackt sahen, bekleideten und dann das Meer durchstöberten auf der Suche nach meinen Kindern.
Die vorliegende Sturmbeschreibung – man kann sie so eigentlich gar nicht nennen – ist der Rede nicht wert. Erwähnenswert sind vielleicht höchstens der Felsen, auf den die Frau letztlich geworfen wird; aber auch dieser Felsen wird in seiner Gefahr nicht thematisiert, wie es sonst recht häufig geschieht,53 sondern er dient nur als Hintergrund für die anrührende Szene der nach ihren Kindern schreienden Frau.54 Zu beachten ist allerdings das hier vergleichsweise breit ausgeführte Motiv der freundlichen Aufnahme:55 Nicht nur, daß die hilfsbereiten Einheimischen die gestrandete Frau bekleiden, sie suchen sogar nach den vermißten Kindern; das allerdings vergeblich. Schließlich kommen gastfreundliche Frauen zu ihr und erzählen der Armen ihr eigenes Leid, um sie so zu trösten, was sie aber zurückweist mit dem Hinweis, selber nicht so schlecht zu sein, daß sie sich am Leid anderer auferbauen könnte (17,2). Da die Frau nichts und niemanden mehr hat, wird sie dauerhaft von einer Witwe aufgenommen, die ihren Mann, der Seemann gewesen war, in jungen Jahren verloren habe.56 Mit ihr wohnte sie zusammen, διὰ τὴν φιλανδρίαν, wie ausdrücklich festgestellt wird (18,1); die φιλανδρία ist sicher für die φιλανθρωπία der Gastfreundschaft 53 Zur Gefahr der Küste, insbesondere der Felsenküste, siehe etwa: Od. V 388–463 (der schwimmende Odysseus); Hor. Carm. III 27,21–24; Epod. 10; Plb. I 37,2; J. BJ III 9,3 (§§ 422–424); App. BC V 10 (§§ 88–90); Plu. Dio 25,7f.; Sen. Ep. LIII 2f.; Ach.Tat. III 4,3 (und 4,6); Hld. V 17,5; Luc. Nav. 8; VH I 6; Merc.Cond. 1f.; Synes. ep. 4,160c–161c; 164d–165a; und auch Apg 27,17.29. 54 Vgl. hierzu Heintze, Klemensroman, S. 131, der hier eine Verbindung zu den Ekphrasen der griechischen Romane sieht. 55 Es findet sich auch bei: Ninos C 1–16 (nur event., siehe zu dem Problem oben); Hist.Ap. 12; X.Eph. V 1,2; Herpyllis II 1–7 (vor dem Seesturm); Petr. 114,14; 115,6; Synes. ep. 4,165a; und natürlich Apg 28,2ff. Vgl. schließlich auch Od. VI 110–331. 56 Sie sagt zu ihr: Θάρρει, γύναι· καὶ γὰρ ὁ ἐµὸς ἀνὴρ ναύτης ὢν κατὰ θάλασσαν τέθνηκεν, ἐν τῇ νεαζούσῃ τυγχάνων ἡλικίᾳ (Hom.Clem. XII 17,3).
6.3 Synesios von Kyrene
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gesetzt, die ja auch den »Barbaren« in Apg 28,2 zugeschrieben wird. Doch glücklich bleibt die Gemeinschaft der Armen nicht, weil unsere Gestrandete sich vor Kummer die Hände zerbeißt, und die gastfreundliche Witwe krank wird, so daß keine für den Unterhalt sorgen kann. So mußte die Frau zur Bettlerin werden. Petrus erkennt natürlich schnell die Parallele der Geschichte zu der seines Schützlings Clemens und fragt beherzt nach. Über verschiedene Stufen der Annäherung57 gelingt am Ende doch die Zusammenführung von Mutter und Sohn im Rahmen einer typischen Wiedererkennungsszene (ἀναγνωρισµός) mit happy end, in dessen Verlauf sogar die gastfreundliche Witwe von Petrus geheilt und von Clemens reich beschenkt wird (H XII 19–24). Weitere Wiedererkennungen solcher Art sollen folgen, doch wollen wir auf diese hier nicht weiter eingehen.58
6.3 Synesios von Kyrene Synesios von Kyrene ist eine höchst interessante Gestalt, die – wie keine andere Person, über die wir entsprechend gut informiert sind – die Veränderungsprozesse in der christlichen Spätantike und den beginnenden, kaum mehr aufzuhaltenden Verfall des Imperiums beleuchtet.59 Aber die Bedeutung des Synesios liegt weniger darin, daß er an und in der äußeren Geschichte seiner Zeit litt, sondern darin, daß er das spannungsvolle, aber zum Teil eben auch harmonisierbare Nebeneinander von heidnischer (im Fall des Synesios natürlich neuplatonischer) Philosophie und klassischer Bildung auf der einen Seite und Christentum auf der anderen Seite geradezu in seiner eigenen Person verkörperte: Dies geschieht bei ihm allerdings auf höchst eigene Weise, indem er die Spannung zwischen beiden Seiten aufrecht erhalten hat und nicht vorschnell zu lösen versuchte; zeitlebens – auch noch als Bischof – blieb er der neuplatonischen Philosophie in der Tradition der Alexandrinerin Hypatia treu. Zu einer tiefgreifenden Auseinandersetzung oder gar dem Versuch, beide Systeme reflektiert miteinander zu verknüpfen, ist es bei ihm nie gekommen, obschon ihm die Fähigkeiten dafür sicher zur Verfügung gestanden hätten. Synesios lebte ca. 370–413 und entstammte einer vornehmen griechischen Familie in der libyschen Stadt Kyrene. Nach etwa dreijährigen rhetorischen und philosophischen Studien in Alexandria u.a. bei der später vom christlichen 57
So gibt Mattidia, die Mutter des Clemens, zunächst einen anderen als ihren wahren Namen und andere Namen ihrer Kinder an; vgl. dazu Hansen, Metamorphose, S. 123f. mit Anm. 22. 58 Vgl. zur Technik der Anagnorisis Heintze, Klemensroman, S. 132–134.137f. 59 Vgl. zu Synesios im Allgemeinen die grundsätzlichen Informationen bei: Treu, Art. Synesius; Voss, Art. Synesios; Vollenweider, Art. Synesios; Rist, Art. Synesios.
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6 Neutestamentliche und frühchristliche Literatur
Mob ermordeten Philosophin Hypatia, der Synesios zeitlebens seine Verehrung entgegen brachte, wurde er von seiner Heimatstadt im Rahmen einer Gesandtschaft nach Konstantinopel geschickt, um dort Steuererleichterungen zu erwirken; dem Projekt war dann auch Erfolg beschieden. Von Konstantinopel reiste Synesios nach einem Zwischenaufenthalt in Alexandria von unbekannter Dauer nach Kyrene zurück; diese Reise von Alexandria nach Kyrene soll uns im folgenden noch genauer beschäftigen, weil er über sie einen äußerst bemerkenswerten Text im Rahmen eines Briefes an seinen Bruder Euoptios verfaßt hat.60 In seiner Heimat zog er sich auf sein Landgut zurück und widmete sich dem Landbau und der Jagd sowie nicht zuletzt der literarischen Tätigkeit, wurde aber zwischenzeitlich auch wieder politisch aktiv, v.a. indem er den Abwehrkampf gegen die immer stärker andrängenden Nomadenstämme mitorganisierte.61 Um 410/11 ließ er sich trotz erheblicher sowohl persönlicher als auch philosophischer Bedenken zum Bischof der Ptolemaïs wählen.62 Bis zu seinem Tode nur einige Jahre später (wohl um 413) waren seine Kräfte in erster Linie durch politische Auseinandersetzungen und den erneut aufflammenden Kampf gegen die Nomaden gebunden. Von besonderer Eindrücklichkeit für den Charakter des Synesios ist sein Ringen um die Annahme des ihm angetragenen Bischofsamtes 410/11: Über die Bedenken, die er getragen und auch offen ausgesprochen hat, das Bischofsamt anzunehmen, gibt ein wichtiger Brief an Euoptius Auskunft (Synes. ep. 105).63 Seine Bedenken waren sowohl persönlicher wie sachlicher Natur: Was die persönliche Seite betraf, hielt er sich angesichts seines Lebenswandels und seiner Vergangenheit nicht für geeignet, das Bischofsamt zu versehen. Den hohen Ansprüchen, die Synesios an die Träger des Bischofsamtes stellt, meint er selbst nicht entsprechen zu können: ἐγὼ δὲ καταµανθάνων ἐµαυτὸν εὑρίσκω
Synes. ep. 4 (ep. 5 Garzya); Übersetzungen dieses höchst interessanten Briefes finden sich bei: Volkmann, Synesius, S. 78–89; Fitzgerald, S. 80–91; Vogt, Synesius auf Seefahrt, S. 401–406; Garzya, Opere di Sinesio, S. 75–91. 61 Vgl. zu dieser Lebensphase des Synesios als »Privatmann« mit der Würdigung dreier, wahrscheinlich in der Anfangsphase des Landgutaufenthalts verfaßter philosophischer Schriften: Grützmacher, Synesios, S. 79–102; Vogt, Glück der ländlichen Einsamkeit. 62 Vgl. zur lange umstrittenen Datierung der Übernahme des Bischofsamtes durch Synesios: Hermelin, Zu den Briefen, S. 12–18; sie ist der Auffassung, daß Synesios schon im Frühjahr oder Sommer 410 zum Bischof gewählt, aber erst 411 ordiniert wurde (S. 17). Vgl. auch Rist, Art. Synesios, Sp. 1147; Schmitt, Die Bekehrung des Synesios, S. 712. 63 Vgl. zum Ganzen: Grützmacher, Synesios, S. 131–139. Übersetzungen dieses wichtigen Briefes finden sich bei: Fitzgerald, S. 196–202; Volkmann, Synesius, S. 209–214 (wieder abgedruckt bei: Vogt, Begegnung, S. 9–13 [Einleitung]); Vogt, Philosophie, S. 94–98; Garzya, Opere di Sinesio, S. 271–279. 60
6.3 Synesios von Kyrene
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παντάπασιν ἐνδεέστερον ἢ ὡς ἁρµόσαι τῇ τῆς ἱερωσύνης σεµνότητι.64 Kon-
kret kommt er dann auf sein bisheriges Leben zu sprechen, das er als zwischen Studium und Spiel aufgeteilt darstellt: δύο τούτοις ἑκάστοτε µερίζω τὸν χρόνον, παιδιᾷ καὶ σπουδῇ· καὶ σπουδάζων ἴδιός εἰµι, µάλιστά γε τὰ θεῖα, καὶ παίζων κοινότατος. οἶσθα γὰρ ὡς ὅταν ἀνακύψω τῶν βιβλίων, ἐπιρρεπής εἰµι πρὸς ἅπασαν παιδιάν.65 Der Priester dagegen muß seines Erachtens ein ἀνὴρ θεσπέσιος sein, der – wie Gott selbst – jedem Spiel, jedem Scherz abhold
sei. Ganz im Gegensatz zur Selbstcharakterisierung des Synesios müsse er gerade in der Bemühung ums Göttliche der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen als Lehrer des göttlichen Gesetzes (νοµοδιδάσκαλος). Allen müsse er sich zur Verfügung stellen, mit allem müsse er sich befassen. Dafür braucht der wahre Priester eine εὐµεγέθης ψυχὴ καὶ κρατίστη,66 die Synesios seinerseits eben nicht habe. Vielmehr betrachte er sich selbst als befleckt, weshalb er eben zum Bischof seiner Meinung nach eigentlich nicht tauge.67 Was seinen Lebenswandel betrifft, ist Synesios allerdings zum Kompromiß bereit. Falls man ihn trotz aller angeführten Hinderungsgründe doch für des Amtes würdig halten sollte, so wolle er seine künftige Lebensführung des Erfordernissen des Amtes anspassen; er erklärt zum Ende des Briefes hin: ἓν τοῦτο µόνον οὐχ ὑποκρίνοµαι. ἐπεὶ καὶ φιλοπαίγµων ὤν, ὅς γε παιδόθεν αἰτίαν ἔσχον ὁπλοµανεῖν τε καὶ ἱπποµανεῖν πέρα τοῦ δέοντος, ἀνιάσοµαι µέν (τί γὰρ καὶ πάθω τὰς φιλτάτας κύνας ἀθήρους ὁρῶν καὶ τὰ τόξα θριπηδέστατα;) καρτερήσω δέ, ἂν ἐπιτάττῃ θεός· καὶ µισόφροντις ὢν, ὀδυνήσοµαι µέν ἀνέξοµαι δὲ δικιδίων καὶ πραγµάτων, λειτουργίαν τινὰ ταύτην, εἰ καὶ βαρεῖαν, ἐκπιµπλὰς τῷ θεῷ.68 Synesios trägt hier recht 64 Synes. ep. 105,247a (Garzya, 184,10f.; EpistGr, S. 704; PG 66, 1481C); Übersetzung: Ich kenne mich und befinde mich in jeder Hinsicht als zu mangelhaft, als daß ich der Würde des Priesteramtes entsprechen könnte. 65 Synes. ep. 105,247c–d (Garzya, 185,7–11; EpistGr, S. 704; PG 66, 1484A); Übersetzung: Zwischen diesen beiden Beschäftigungen teile ich meine Zeit auf, Spiel und Studium. Im Studium gehöre ich mir ganz allein, besonders im Ringen um die Frage nach dem Göttlichen, im Spiel dagegen bin ich in höchstem Maße Gemeinschaft. Du weißt nämlich, daß ich, wann immer ich meinen Blick erhebe aus den Büchern, auch geneigt bin zu jedem Spiel. 66 Siehe die Darstellung der von einem Bischof zu verlangenden Qualitäten in Synes. ep. 105,247d–248b (Garzya, 185,12–186,9; EpistGr, S. 704; PG 66, 1484A–C). 67 Synes. ep. 105,248b–c (Garzya, 185,9–20; EpistGr, S. 704f.; PG 66, 1484CD). 68 Synes. ep. 105,250a (Garzya, 189,11–19; EpistGr, S. 706; PG 66, 1488B); Übersetzung: In dieser einen Angelegenheit will ich mich nicht verstellen: Denn, da ich ein Freund des Spiels bin – und von Kindesbeinen an sehe ich mich ja dem Vorwurf ausgesetzt, eine rasende und übermäßige Leidenschaft für Waffen und Pferde zu besitzen –, wird mich (der Verzicht darauf ) zwar verdrießen – denn was für Kummer soll ich leiden, meine liebsten Hunde jagdlos und meinen Bogen vom Wurmfraß völlig zersetzt zu sehen – aber ich werde es ertragen, wenn Gott es so anordnet; ich werde zwar voller Haß über den Kummer Schmerzen leiden, aber ich werde die Prozeßchen und Geschäfte (die zum Amt eines Bischofs gehören) auf mich nehmen und diesen Dienst, wenn er auch schwer ist, Gott zuliebe erfüllen.
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6 Neutestamentliche und frühchristliche Literatur
dick auf und kokettiert geradezu mit dem Klischee des Landedelmanns, dem es um seine Freiheit und seine Zeit zu tun ist, die er vor allem nutzen will, um der Jagd zu frönen. Trotzdem bleibt es ein Kompromißangebot, auch wenn Synesios durch rhetorische Verwendung eines Klischees seine Kompromißbereitschaft möglichst teuer verkaufen will. Das erste sachliche Hindernis, das er in dem Brief anspricht ist seine bestehende Ehe, die sogar durch den Patriarchen Theophilos von Alexandria eingesegnet worden war,69 und die Synesios nicht aufgegeben wollte. Er erklärt mit aller Deutlichkeit: προαγορεύω τοίνυν ἅπασι καὶ µαρτύροµαι ὡς ἐγὼ ταύτης οὔτε ἀλλοτριώσοµαι καθάπαξ οὔθ’ ὡς µοιχὸς αὐτῇ λάθρᾳ συνέσοµαι (τὸ µὲν γὰρ ἥκιστα εὐσεβές, τὸ δὲ ἥκιστα νόµιµον), ἀλλὰ βουλήσοµαί τε καὶ εὔξοµαι συχνά µοι πάνυ καὶ χρηστὰ γενέσθαι παιδία. ἓν δὴ τοῦτο δεῖ τὸν κύριον τῆς χειροτονίας µὴ ἀγνοῆσαι, µαθέτω δὲ αὐτὸ παρὰ τῶν ἀµφὶ τὸν ἑταῖρον Παῦλον καὶ Διονύσιον, οὓς πρεσβευτὰς ᾑρῆσθαι παρὰ τοῦ δήµου πυνθάνοµαι.70 Daß Synesios auf diesen Punkt besonderen Wert legt, zeigt der
soeben zitierte letzte Satz: Theophilos soll über seine Weigerung, die Ehe tatsächlich oder nur offiziell aufzugeben, ausdrücklich persönlich durch die Gesandten von Ptolemaïs unterrichtet werden.71 Dazu kamen noch philosophisch-theologische Bedenken, über die der Patriarch Theophilos allerdings wohl schon im Bilde war (s. Anm. 71): In bestimmten Punkten stünden – so Synesios – seine philosophischen Anschauungen im Widerspruch zur christlichen Lehre; seine auf wissenschaftlichem Wege gewonnenen Erkenntnisse (τὰ δι’ ἐπιστήµης εἰς ἀπόδειξιν ἐλθόντα δόγµατα) könnten seinerseits nicht aufgegeben werden.72 Konkret nennt er die philosophischen 69 Synes. ep. 105,248d (Garzya, 187,9f.; EpistGr, S. 705; PG 66, 1485A): ἐµοὶ τοιγαροῦν ὅ τε θεὸς ὅ τε νόµος ἥ τε ἱερὰ Θεοφίλου χεὶρ γυναῖκα ἐπιδεδώκει. Übersetzung: Mir hatten nun freilich
sowohl Gott als auch das Gesetz und schließlich die heilige Hand des Theophilos eine Frau gegeben. 70 Synes. ep. 105,248d–249a (Garzya, 187,10–18; EpistGr, S. 705; PG 66, 1485A); Übersetzung: Ich erkläre nun vor allen und bezeuge es, daß ich mich von dieser gewiß nicht ganz und gar trennen werde und auch nicht wie ein Ehebrecher heimlich mit ihr zusammen sein werde – das eine nämlich läßt alle Frömmigkeit vermissen, das andere jede Legalität –, im Gegenteil werde ich wünschen und dafür beten, daß mir ganz viele und geratene Kinder geboren werden. Über dieses eine nun darf der Herr der Weihe nicht in Unkenntnis sein, er soll darüber unterrichtet werden von den Mitgliedern der Gesandtschaft um den Gefährten Paulus und um Dionysios, von denen ich höre, daß sie vom Volk als Gesandte gewählt worden sind. 71 Daß sich dieser Satz auf die zuvor angesprochene Ehe bezieht und nicht schon auf die jetzt im folgenden behandelten heterodoxen Ansichten des Bischofsprätendenten, zeigt eindeutig der folgende Satz, der unterscheidend hervorhebt, daß dem Theophilos die heterodoxen Ansichten bereits bekannt seien, er müsse nur daran erinnert werden: ἐκεῖνο δὲ οὐδὲν δεῖ µαθεῖν αὐτὸν ἀλλ’ ὑποµνησθῆναι (Synes. ep. 105,249a [Garzya, 187,18; EpistGr, S. 705; PG 66, 1485A]). Die Notwendigkeit dieser Zuordnung hebt auch Grützmacher, Synesios, S. 134f., Anm. 1, hervor. 72 Synes. ep. 105,249a–b (Garzya, 188,1–5; EpistGr, S. 705; PG 66, 1485A–B): χαλεπόν ἐστιν, εἰ µὴ καὶ λίαν ἀδύνατον, εἰς ψυχὴν τὰ δι’ ἐπιστήµης εἰς ἀπόδειξιν ἐλθόντα δόγµατα σαλευθῆναι·
6.3 Synesios von Kyrene
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Dogmata der relativen Präexistenz der Seele vor dem Leib und der Ewigkeit der Welt: ἀµέλει τὴν ψυχὴν οὐκ ἀξιώσω ποτὲ σώµατος ὑστερογενῆ νοµίζειν. τὸν κόσµον οὐ φήσω καὶ τἄλλα µέρη διαφθείρεσθαι.73 Synesios behauptet hier ausdrücklich natürlich nur die relative Präexistenz der Seele gegenüber dem Leib; ohne daß er seinen Standpunkt an dieser Stelle weiter ausführt, muß man annehmen, daß er die neuplatonische Vorstellung der Seele als Emanat aus dem ἕν teilt.74 Trotzdem kann man bei dem hier behaupteten philosophischen Dogma einfach von Präexistenz der Seele sprechen, ohne deren Relativität eigens zu betonen, weil die Weltseele mit dem ἕν, das Alles in Allem ist, und dem νοῦς die neuplatonische Trias bildet;75 die Einzelseelen sind in ihrer Abhängigkeit von der Weltseele so nach neuplatonischem Denken auch der göttlichen Sphäre zuzurechnen. Ein zweites ist hier die Vorstellung von der Ewigkeit des Kosmos, von der Synesios offenbar auch zeitlebens nicht abgerückt ist; seine Vorstellung umfaßt anscheinend eine zyklische Weltenfolge.76 Überdies meldet er noch bleibende Bedenken gegen die Lehre von der Auferstehung an: τὴν καθωµιληµένην ἀνάστασιν ἱερόν τι καὶ ἀπόρρητον ἥγηµαι, καὶ πολλοῦ δέω ταῖς τοῦ πλήθους ὑπολήψεσιν ὁµολογῆσαι.77 Die Auferstehungsvorstellung des Synesios fügt sich
nahtlos an seine neuplatonisch geprägte Seelenvorstellung; im Gegensatz zur christlichen Vorstellung, nach der der Auferstandene mit einem pneumatischen Leib ersteht, geht es bei Synesios gerade um Entleiblichung und letztlich die Rückkehr der von allem befreiten Seele in die göttliche Sphäre.78 Eine solche
οἶσθα δ’ ὅτι πολλὰ φιλοσοφία τοῖς θρυλουµένοις τούτοις ἀντιδιατάττεται δόγµασιν. Überset-
zung: Wenn es nicht ganz unmöglich ist, können die Lehrsätze, die durch wissenschaftlichen Beweis gewiß geworden sind, nur schwer erschüttert werden; und du weißt, daß die Philosophie in vielem diesen geläufig dahergeredeten Auffassungen (sc. der christlichen Lehre) widerspricht. Vgl. zur Unhaltbarkeit von εἰς ψυχὴν: Fritz, Briefe, S. 217. 73 Synes. ep. 105,249b (Garzya, 188,5–7; EpistGr, S. 705; PG 66, 1485B); Übersetzung: Sicherlich werde ich niemals die Lehre für angemessen halten, daß die Seele später als der Leib entstanden sei. Daß der Kosmos mit allem anderen zugrundegeht, werde ich nicht behaupten. 74 Vgl. Vollenweider, Neuplatonische und christliche Theologie, S. 133; Schmitt, Die Bekehrung des Synesios, S. 21 mit Anm. 34. Bregman, Synesius, S. 157–159 (Zitat S. 157), verwischt diesen Sachverhalt etwas, indem er, ohne auf das neuplatonische Emanationsmodell zu rekurrieren, die Seele nach platonischer Vorstellung beschreibt als »itself naturally immortal, and not, as in Christian thought, a created thing immortalized by divine Grace«. 75 Vgl. zur göttlichen Trias im Neuplatonismus und bei Synesios das entsprechende Kapitel bei: Vollenweider, Neuplatonische und christliche Theologie, S. 69–129. 76 Vgl. hierzu Vollenweider, Neuplatonische und christliche Theologie, S. 187–189. 77 Synes. ep. 105,249b (Garzya, 188,7–9; EpistGr, S. 705; PG 66, 1485B); Übersetzung: Die weithin gepredigte Auferstehung halte ich für ein heiliges Geheimnis und bin weit davon entfernt, den Auffassungen der Masse zuzustimmen. 78 Vgl. Vollenweider, Neuplatonische und christliche Theologie, S. 183–187; Bregman, Synesius, S. 160f.; Schmitt, Die Bekehrung des Synesios, S. 21f. mit Anm. 36.
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6 Neutestamentliche und frühchristliche Literatur
Vorstellung war nur schwer mit christlicher Auferstehungsvorstellung überhaupt und sicher gar nicht mit ihren volkstümlichen Erscheinungsformen vereinbar. Der hartnäckige Philosoph zeigt sich gleichwohl kompromißbereit, das allerdings mit einer höchst bemerkenswerten Argumentation: Er werde niemals anders denken oder im Widerspruch dazu reden, dabei bleibt er. Das müsse, so Synesios, aber kein absolutes Hindernis für die Amtsausübung sein (Synes. ep. 105,249b–d):79 νοῦς µὲν οὖν φιλόσοφος ἐπόπτης ὢν τἀληθοῦς συγχωρεῖ τῇ χρείᾳ τοῦ ψεύδεσθαι· ἀνάλογον γὰρ ἔστι φῶς πρὸς ἀλήθειαν καὶ ὄµµα πρὸς νοῦν. ᾗ οὖν ὀφθαλµὸς80 εἰς κακὸν ἂν ἀπολαύσειεν ἀπλήστου φωτὸς καὶ ᾗ τοῖς ὀφθαλµιῶσι τὸ σκότος ὠφελιµώτερον, ταύτῃ καὶ τὸ ψεῦδος ὄφελος εἶναι τίθεµαι δήµῳ καὶ βλαβερὸν τὴν ἀλήθειαν τοῖς οὐκ ἰσχύουσιν ἐνατενίσαι πρὸς τὴν τῶν ὄντων ἐνάργειαν. εἰ ταῦτα καὶ οἱ τῆς καθ’ ἡµᾶς ἱερωσύνης συγχωροῦσιν ἐµοὶ νόµοι, δυναίµην ἂν ἱερᾶσθαι· τὰ µὲν οἴκοι φιλοσοφῶ τὰ δ’ ἔξω φιλόµυθός εἰµι διδάσκων (ἀλλ’ οὐδὲ µέντοι µεταδιδάσκων, µένειν δ’ ἐῶν ἐπὶ τῆς προλήψεως). εἰ δέ φασιν οὕτω δεῖν καὶ κινεῖσθαι, καὶ δήµιον εἶναι τὸν ἱερέα ταῖς δόξαις, οὐκ ἂν φθάνοιµι φανερὸν ἐµαυτὸν ἅπασι καθιστάς. δήµῳ γὰρ δὴ καὶ φιλοσοφίᾳ τί πρὸς ἄλληλα; τὴν µὲν ἀλήθειαν τῶν θείων ἀπόρρητον εἶναι δεῖ, τὸ δὲ πλῆθος ἑτέρας ἕξεως δεῖται. αὖθις δὲ καὶ πολλάκις ἐρῶ, µηδεµιᾶς ἀνάγκης παρούσης οὔτ’ ἐλέγχειν σοφὸν οὔτ’ ἐλέγχεσθαι.
Nun läßt der philosophische Geist, der ja Aufseher des Wahren ist, den Gebrauch der Täuschung zu: Es besteht nämlich eine Entsprechung zwischen Licht und Wahrheit, Auge und Geist. Wie nun das Auge Schaden nehmen kann, wenn es die Fülle des Lichts aufnimmt, und den Augenkranken die Finsternis zuträglicher sein kann, so ist auch die Täuschung dem Volke nützlich, meine ich, und die Wahrheit schädlich für diejenigen, die nicht zur unmittelbaren Schau des Wirklichen in seinem Glanz in der Lage sind. Wenn die Gesetze des bei uns bestehenden Priestertums mir dies gestatten, so könnte ich wohl Priester sein: Einerseits philosophiere ich zu Hause und andererseits pflege ich die Mythen nach außen hin, wenn ich lehre (wobei ich freilich nicht anders lehre, sondern es bei dem Vorgefaßten bewenden lasse). Wenn sie aber (sc. οἱ νόµοι) die Notwendigkeit behaupten, daß sich der Priester in dieser Sache bewegen und in seinen Auffassungen volkstümlich sein müsse, dann könnte ich mich wohl nicht schnell genug allen gegenüber offen ausweisen. Was nämlich hat denn das Volk mit der Philosophie zu tun? Die Wahrheit über das Göttliche ist notwendigerweise geheimnisvoll, die Masse bedarf aber einer anderen Haltung. Wiederholt werde ich darauf hinweisen, daß der Weise ohne Not weder widerlegen noch widerlegt werden soll.
Das ist eine klassische esoterische Argumentation, die sich pythagoreischer Tradition verpflichtet weiß.81 Mit dem durchaus ernst gemeinten Satz: τὰ µὲν οἴκοι Garzya, 188,9–189,8; EpistGr, S. 705; PG 66, 1485B–1488A. Garzya gibt λήµην, οὗ, statt νοῦν. ᾗ οὖν (Hercher, EpistGr), was aber die Klarheit des Gedankens erheblich stört. Migne hat δῆµον. ᾗ οὖν. Bemerkenswerterweise läßt Dihle genau diese schwierige Passage bei seiner Paraphrase unseres Abschnitts aus: Dihle, Gewissensentscheidung, S. 325f. 81 Vgl. zu den Belegen Vollenweider, Neuplatonische und christliche Theologie, S. 203f. mit Anm. 206; s. auch Vogt, Philosophie, S. 105, der diesen Gedanken fest im Platonismus verorten will. 79 80
6.3 Synesios von Kyrene
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φιλοσοφῶ τὰ δ’ ἔξω φιλόµυθός εἰµι διδάσκων (s.o.), und der rhetorischen Frage: δήµῳ γὰρ δὴ καὶ φιλοσοφίᾳ τί πρὸς ἄλληλα;, bekennt sich Synesios zu
einer solchen Esoterik, nach der der Unsagbarkeit des Göttlichen ein Schweigen nach außen hin zu entsprechen habe. Allerdings zeigt sich schon an der eben zitierten Aussage, daß Synesios kein absolutes Verschweigen fordert und durchhalten will, sondern sich nach außen hin durchaus der Mythenpflege zu widmen bereit ist:82 τὴν µὲν ἀλήθειαν τῶν θείων ἀπόρρητον εἶναι δεῖ, τὸ δὲ πλῆθος ἑτέρας ἕξεως δεῖται (s.o.); das einfache Kirchenvolk braucht also etwas anderes als der Philosoph. Somit wird nicht etwa einem absoluten Schweigen gegenüber dem Volk das Wort geredet, sondern das Unsagbare kann und soll nach außen hin, an die Masse anders vermittelt, – genauer gesagt – umkleidet werden. Diese Umkleidung hat den Zweck, das göttliche Geheimnis der Masse, dem Volk näher zu bringen; konkret handelt es sich dabei um eine symbolische und mythische Verhüllung: »Mit dieser Anschauung, die im Dion ausdrücklich mit der streng philosophischen Esoterik konfrontiert wird, nimmt Synesios eine Tradition auf, die gerade die symbolische und mythische Verhüllung des Göttlichen hoch zu schätzen weiß und erst noch dem rhetorischen ornatus, dem Schmuck der schönen Rede, sein Recht im Gefüge des mystischen Aufstiegsgeschehens wahrt.«83 Die Kompromißbereitschaft des Synesios besteht nun genau darin, daß er der Masse, dem Volk seine Mythen lassen will und nichts anderes als das bisher in Geltung stehende lehren will, auf der anderen Seite beansprucht er für sich selbst das Recht, bei seinen philosophischen Überzeugungen bleiben zu dürfen; diese Haltung rechtfertigt er positiv mit der erwähnten Esoterik (konkret mit dem Gleichnis von Wahrheit und Licht) und negativ mit der Meinung, daß ohne besondere Notwendigkeit überhaupt keine Auseinandersetzung stattzufinden brauche (αὖθις δὲ καὶ πολλάκις ἐρῶ, µηδεµιᾶς ἀνάγκης παρούσης οὔτ’ ἐλέγχειν σοφὸν οὔτ’ ἐλέγχεσθαι [s.o.]).84 Wie der Patriarch Theophilos auf diese Anfrage – ja Bedingung zur Übernahme des Bischofsamtes – reagiert hat, wissen wir nicht; im jedem Fall haben Wenn er sich in dem oben zitierten Satz bereit erklärt nach außen hin φιλόµυθος zu sein, so läßt das an Arist. Metaph. I 2 (982b11ff.) denken, wo die Entstehung der Mythen aus dem Staunen über das Unbegreifliche erklärt werden; Albrecht Dihle paraphrasiert das aristotelische Fazit so: »Die philomythoi der Vorzeit waren also in gewissem Sinne auch philosophoi« (Dihle, Gewissensentscheidung, S. 326). Bei Arist. Metaph. I 2 (982b18f.) heißt es: διὸ καὶ ὁ φιλόµυθος φιλόσοφός πώς ἐστιν· ὁ γὰρ µῦθος σύγκειται ἐκ θαυµασίων (Übersetzung: Daher ist auch der Mythenpfleger auf gewisse Weise Philosoph; denn der Mythos ist aus dem Staunen entstanden). – Letztlich ist auch die Philosophie aus dem Staunen hervorgegangen (Arist. Metaph. I 2 [982b12f.]); vgl. zur hier vorliegenden Argumentation den Kommentar bei Ross I, S. 123. Vgl. auch Vogt, Philosophie, S. 105f. mit Anm. 9. 83 Vollenweider, Neuplatonische und christliche Theologie, S. 204f., vgl. auch Anm. 215f. Zum Dion des Synesios vgl. insgesamt Treu, Synesios von Kyrene: Dion, passim. 84 Vgl. zu dem argumentativen Weg, auf dem Synesios das Problem, vor dem er stand, lösen wollte, die klugen Bemerkungen bei: Dihle, Gewissensentscheidung, S. 325–328. 82
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sich die Dinge positiv entwickelt, sowohl was die persönliche Einstellung des Synesios zu dem ihm angetragenen Amt betrifft, als auch was seine tatsächliche Einsetzung betrifft.85 Zur Einstellung des Synesios zu dem ihm angetragenen Amt sind besonders die Zeugnisse zweier weiterer Briefe zu beachten, nämlich der epp. 96 und 11.86 Die an Olympios gerichtete ep. 96 läßt noch einmal die besondere Bedrängnis des Synesios hervortreten und seinen Willen, an der Philosophie unbedingt festzuhalten: κἂν µὲν ἐγχωρῇ µετὰ φιλοσοφίας, ἐργάσοµαι τὸ πρᾶγµα· εἰ δὲ ἀλλοῖόν ἐστιν ἢ κατὰ τὴν ἐµὴν ἀγωγήν τε καὶ προαίρεσιν, τί ἄλλο ἢ τὴν εὐθὺ τῆς κλεινῆς ῾Ελλάδος ἀποπλέων οἰχήσοµαι;87
Auch schon in diesem Brief (96,236a),88 aber noch deutlicher in ep. 11 zeigt er sich guten Mutes, die Philosophie mit dem Amt verbinden zu können, ja noch mehr er gliedert das Amt in den philosophischen Aufstieg ein: εἰ γὰρ µὴ ἔρηµος ἀπολειφθείην θεοῦ, τότε γνώσοµαι τὴν ἱερωσύνην οὐκ ἀπόβασιν οὖσαν φιλοσοφίας ἀλλ’ εἰς αὐτὴν ἐπανάβασιν.89
Ob er sich in bezug auf die Frage der Aufrechterhaltung seiner Ehe letztendlich auch kompromißbereit gezeigt hat, also die Ehe etwa stillschweigend hat ruhen lassen, können wir nicht entscheiden, da uns dazu ebenfalls sichere Informationen fehlen. In ep. 105 jedenfalls zeigte er sich ja noch unnachgiebig, andererseits hören wir danach rein gar nichts mehr von seiner Ehefrau, deren Namen wir nicht einmal kennen, dagegen schon von seinen Kindern. Hat er sich also dann doch dem – wohl in dieser Zeit noch nicht allgemein verbindlichen, aber doch verbreiteten – Zölibat gefügt?90 Aus dem argumentum e silentio, daß er seine Frau 85 Zu den bemerkenswerten Besonderheiten der Entscheidung des Theophilos vgl.: Grützmacher, Synesios, S. 136f.; Vogt, Philosophie, S. 106f.; Dihle, Gewissensentscheidung, S. 328f. 86 Übersetzungen dieser beiden Briefe finden sich bei: Fitzgerald, S. 184.96f.; Vogt, Philosophie, S. 98–100; Garzya, Opere di Sinesio, S. 247–249.97–99. 87 Synes. ep. 96,236b–c (Garzya, 164,4–8; EpistGr, S. 696; PG 66, 95,1465A–B); Übersetzung: Wenn es mit Philosophie erlaubt ist, so will ich das Amt ausüben; wenn es sich aber anders verhält, als es meiner Prägung und meiner Neigung entspricht, was bleibt da anderes übrig, als sofort ins berühmte Hellas abzusegeln und so zu verschwinden? 88 Synes. ep. 96,236a (Garzya, 163,8–10; EpistGr, S. 696; PG 66, 95,1464D–1465A). 89 Synes. ep. 11,171b (Garzya, 32,8–10; EpistGr, S. 648; PG 66, 1348D); Übersetzung: Denn wenn Gott mich nicht allein zurückläßt, dann werde ich erkennen, daß das Priesteramt keine Abwendung von der Philosophie bedeutet, sondern einen Aufstieg zu ihr. – Vgl. dazu Vollenweider, Neuplatonische und christliche Theologie, S. 206–211, bes. S. 206f. 90 Vgl. zur Frage nach der Geltung des Zölibats im alexandrinischen Patriarchat der uns interessierenden Zeit neben den Synesios betreffenden Studien: Grützmacher, Synesios, S. 137; Vogt, Philosophie, S. 104, auch: Barion, Art. Zölibat, Sp. 1925; Price, Art. Zölibat II, S. 723f. Relevant ist für die damaligen Verhältnisse insbesondere Hier. adv.vig. 2 (388f.; PL 23, 355C–356B; CCSL 79C, 7f.), wo für das ägyptische Patriarchat ausdrücklich ein zölibatäres Leben der Bischöfe bezeugt wird (388; PL 23, 356A; CCSL 79C, 7f.); andererseits scheint Cod. Thds. V 3,1 (ein Gesetz aus dem Jahre 434; Mommsen/Meyer, I 2, S. 220f.) noch verheiratete Bischöfe vorauszusetzen (auf diesen Text beruft sich auch Volkmann, Synesius, S. 215f. mit Anm.*, der überdies auf die diesbezüglichen
6.3 Synesios von Kyrene
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in späteren Briefen nicht mehr erwähnt, wird man nicht sicher schließen können, daß er sich von ihr getrennt hat – zumal auch die vorherigen Erwähnungen nicht häufig sind.91 Dieser Charakterkopf der Kirchengeschichte, den wir uns anhand seines Ringens um die Annahme des ihm angetragenen Bischofsamtes in ep. 105 vergegenwärtigt haben, hat nun einen äußerst bemerkenswerten Brief an seinen Bruder Euoptios verfaßt, in dem er einen Bericht über seine gefahrvolle Reise nach Kyrene gibt. Diese oben schon erwähnte ep. 4 (Garzya 5) ist geradezu ein literarisches Kunstwerk, das sich durch Benutzung der geläufigen Seefahrtsund Schiffbruchstopik auszeichnet, allerdings auch einige bemerkenswerte Eigenarten aufweist.92 Die Einordnung der in dem Brief berichteten Ereignisse ist klar: Die beschriebene Reise ist seine Heimkehr nach Kyrene, nachdem er seinen Gesandtschaftsauftrag in Konstantinopel erfolgreich ausgeführt und sich zwischenzeitlich wiederum in Alexandria aufgehalten hatte. Wesentlich schwieriger ist die genaue Datierung. Möglicherweise gibt uns gerade der in Rede stehende 4. Brief einen Angelpunkt für eine absolute Chronologie dieser Phase des Lebens unseres Synesios. Zwei verschiedene Vorschläge wurden dazu von Georg Grützmacher und Ingeborg Hermelin unterbreitet: Entscheidend für die Frage nach einer möglichen absoluten Datierung dieser beschwerlichen Rückreise nach Kyrene ist folgender Satz, den wir der Besprechung des Briefes voranstellen: ἦν µὲν οὖν τρισκαιδεκάτη φθίνοντος, ἐπῃωρηµένου δὲ τοσούτου κινδύνου, µελλούσης εἰς ταὐτὸ συνδραµεῖσθαι τῆς τε συνόδου τῶν ἄστρων καὶ τῶν πολυθρυλήτων τυχαίων, ἃ µηδείς – φασί –
Streitigkeiten in Nicaea eingeht; vgl. noch Socr. h.e. II 8; Soz. h.e. I 2). Für die Kirche des Ostens ist das Verbot der Fortsetzung einer bestehenden Ehe für Bischöfe erst mit dem Trullanum 692 geltendes Recht geworden, in dessen c. 13 aber der allgemeine Priesterzölibat in Abgrenzung von Rom ausdrücklich zurückgewiesen wird; vgl. Wessel, Dogma und Lehre, S. 286f.; Yannopoulos, Vom Zweiten Konzil, S. 159; Price, Art. Zölibat II, S. 724. 91 Jaqueline Long betont sogar: »Synesius in fact almost never mentions his wife« (Long, Dating, S. 362, Anm. 31); neben der oben angeführten Stelle kommt seine Ehefrau in den Briefen nur noch in ep. 132,268c–d (Garzya, 229,7f.; EpistGr, S. 719; PG 66, 131,1517B–C) vor. Nichtsdestotrotz hält Grützmacher es aufgrund dieses argumentum e silentio aber für das Wahrscheinlichste, daß sich Synesios von seiner Frau getrennt habe, und zeichnet das in geradezu spekulativer Manier in ein Bild seiner Persönlichkeit ein: »Wie Synesios sich als Bischof in die christlichen Dogmen, die er vorher beanstandet hatte, allmählich hineindachte, ohne seinen Platonismus vollständig aufzugeben, so wird er sich der kirchlichen Sitte, die den Bischöfen den Zölibat, wenn auch nur als moralische Verpflichtung, auferlegte, nicht widersetzt haben. Dazu war er bei aller Aufrichtigkeit eine zu weiche und anpassungsfähige Natur« (Grützmacher, Synesios, S. 137f. [Zitat S. 138]). Vgl. dagegen Vogt, Philosophie, S. 104f. 92 Volkmann, Synesius, S. 77f., bezeichnet den Brief treffend als launig: »Er litt an der Küste von Marmarica Schiffbruch und setzte vom Hafen Azarios aus in einem launigen Briefe seinen Bruder von seinen unterwegs erlebten Abenteuern in Kenntniss.«
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πλέων ἐθάρσησε, καὶ δέον ἡµᾶς ἐλλιµενίζειν, οἳ δ’ ἐλελήθειµεν αὖθις ἀναδεδραµηκότες ἐπὶ τὸ πέλαγος.93 Insbesondere der Ausdruck τρισκαιδεκάτη φθίνοντος hat in diesem Zusam-
menhang eine breite Auseinandersetzung in der Forschung hervorgerufen: In seinem Datierungsversuch deutet Grützmacher diese τρισκαιδεκάτη (ἡµέρα) φθίνοντος als den 13. Tag eines ausgehenden Monats, was für ihn bedeutet: Synesios zähle hier rückwärts! Grützmacher folgert: »Unter dem 13. des ausgehenden Monats ist der 18. eines ägyptischen Monats – Synesios zählt nach ägyptischen Monaten – zu verstehen.«94 Auf der Basis der zuvor erwähnten Tage, insbesondere des jüdischen Sabbats in Synes. ep. 4,161b,95 dessen Vortag (παρασκευή) der erste Reisetag war, und der Zahlenangaben in 164a–b,96 kommt er nachvollziehbar auf einen Dienstag, den Synesios als τρισκαιδεκάτη (ἡµέρα) bezeichne. Mit Hilfe eines Astronomen hat Grützmacher nach einem Dienstag gesucht, an dem Neumond eintrat,97 und der der 18. Tag eines ägyptischen Monats war: Alle diese Bedingungen erfülle der 28. Januar 404.98 Dieser Datierungsversuch beruht allerdings auf der mehr als fraglichen Annahme, daß Synesios in unserem Fall rückwärts zähle, was er sonst – gerade bei Verwendung ägyptischer Monate – nicht tut;99 zudem setzt er den Neumond einen Tag zu früh an, nämlich schon auf den Dienstag, tatsächlich scheint Synesios die Konjunktion aber für Synes. ep. 4,164b (Garzya 5,20,7–12; EpistGr, S. 643; PG 66, 1336C–1337A); Übersetzung: Es war der dreizehnte Tag des ausgehenden Monats, an dem die Drohung einer derartig großen Gefahr über uns gekommen war, zumal die Konjunktion der Himmelskörper mit dem berüchtigten unglücklichen Zufall in einem zusammenfallen sollte, und demgegenüber ist noch keiner – wie man sagt – mit guter Zuversicht zur See gefahren; und während wir doch im Hafen hätten bleiben sollen, waren wir, ohne daß wir uns versahen, wieder aufs Meer hinaus gefahren. 94 Grützmacher, Synesios, S. 75, Anm. 3. 95 Garzya 5,15,11–14; EpistGr, S. 641; PG 66, 1332B: ῾Ηµέρα µὲν ἦν, ἥντινα ἄγουσιν οἱ ᾽Ιουδαῖοι 93
παρασκευήν· τὴν δὲ νύκτα τῇ µετ’ αὐτὴν ἡµέρᾳ λογίζονται, καθ’ ἣν οὐδενὶ θέµις ἐστὶν ἐνεργὸν ἔχειν τὴν χεῖρα, ἀλλὰ τιµῶντες διαφερόντως αὐτὴν ἄγουσιν ἀπραξίαν. Übersetzung: Es war
aber der Tag, den die Juden als Rüsttag begehen; sie rechnen die Nacht mit dem folgenden Tag zusammen, an welchem es niemandem erlaubt ist, handwerklich tätig zu werden, sondern sie ehren ihn in besonderer Weise, indem sie Arbeitsruhe halten. 96 Synes. ep. 4,164a–b (Garzya 5,19,20–20,1.4f.; EpistGr, S. 643; PG 66, 1336B–C). 97 ἡ σύνοδος τῶν ἄστρων läßt sich in der Tat als die Konjunktion der Himmelskörper verstehen, die zum Neumond führt; vgl. zur Erklärung und zu den Belegen: Hermelin, Zu den Briefen, S. 33, Anm. 1. 98 Grützmacher, Synesios, S. 75, Anm. 3, verkündet seine Erkenntnis in allem Überschwang: »Es ist mir gelungen, mit Hilfe des Prof. der Astronomie W o l f, zu ermitteln, daß am 18. Pachon = 28. Januar 404, Dienstag und Neumond war, so daß wir dadurch ein sicheres Datum für die Chronologie des Synesios gewinnen.« 99 Vgl. ep. 13,171d (Garzya, 33,12f.; EpistGr, S. 649; PG 66, 1349B); ep. 36,179c (Garzya 33,47,1; EpistGr, S. 654; PG 66, 1361D). Abgesehen davon ist die Rückwärtszählung überhaupt nur in der letzten Dekade eines Monats üblich (vgl. Hermelin, Zu den Briefen, S. 32; Long, Dating, S. 359, Anm. 19).
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die Nacht zwischen Dienstag und Mittwoch anzunehmen,100 so daß erst der Mittwoch als Tag des Neumonds zu werten wäre.101 Das erste liefert genau den Ansatzpunkt für die Kritik von Ingeborg Hermelin an der Deutung durch Grützmacher.102 Sie vertritt stattdessen die Auffassung, Synesios zähle hier, wie sonst auch, vorwärts, verwende aber nicht die ägyptischen Monate, sondern zähle hier nach einem Mondmonat; damit wäre die Angabe φθίνοντος (µηνός) ebenso verständlich, die sich dann auf die zweite Hälfte eines Mondmonats bezöge, in der der Mond abnimmt.103 Unter dieser Voraussetzung ermittelt Hermelin für den uns interessierenden Dienstag den 28. Tag des betreffenden Mondmonats, wonach dann auf die νὺξ συνοδική der 29. und letzte Tag folgte, an dem Neumond war.104 Einen genaueren Datierungsversuch auf dieser Grundlage unternimmt sie jedoch nicht. Das hat dann Joseph Vogt versuchsweise nachgeholt, indem er auf der Basis von Informationen durch Matthias Schramm den 28. Mai 401 als Bezug der τρισκαιδεκάτη (ἡµέρα) zur Diskussion stellt.105 Das bleibt aber seines Erachtens bloß möglich; denn die Angabe der zwei Tage (s.o.) läßt ja einen Spielraum von einem Tag, je nach dem, ob der Samstag mitgezählt wird oder nicht.106 Auf dieser vorsichtigen Haltung ist m.E. weiterhin zu bestehen, auch wenn Jaqueline Long in ihrer Untersuchung zur Datierung der Reise diese Bedenken zerstreuen will:107 Long listet eine begrenzte Reihe von Daten auf, die den in ep. 4 beschriebenen Bedingungen genügen;108 das von Vogt favorisierte Datum 28./29. Mai 401 bezeichnet sie als »the earliest of my list that remains possible.«109 Ihrerseits präferiert sie aber das nächste mögliche Datum, nämlich den 22./23. Oktober 401.110 Man sieht, daß selbst bei einigem Zutrauen in die Zählung der Tage nach wie vor keine eindeutige Festlegung möglich ist. In jedem Fall aber fügt sich die von Vogt und Tassilo Schmitt 111 vertretene Ansetzung der Reise in den Frühsommer 401 sehr gut in die neuerdings 100 Bemerkenswerterweise stellt Grützmacher das selbst fest und erklärt eben die Nacht zwischen Dienstag und Mittwoch zu einer νὺξ συνοδική (Grützmacher, Synesios, S. 75, Anm. 3). 101 Deshalb taucht sein Datum (s.o.) auch gar nicht in der Liste möglicher Daten bei: Long, Dating, S. 378f., auf. 102 Vgl. insgesamt zu unserer Stelle: Hermelin, Zu den Briefen, S. 31–35. 103 Vgl. Hermelin, Zu den Briefen, S. 32f., zu den Belegen für φθίνειν in dieser Verwendung s. S. 33. 104 Vgl. Hermelin, Zu den Briefen, S. 33f. 105 Vgl. Vogt, Synesius auf Seefahrt, S. 408. 106 Vgl. Vogt, Synesius auf Seefahrt, S. 408. 107 Long, Dating, S. 365. Tassilo Schmitt betrachtet die Vogtschen Bedenken mit der Studie von Long als »ausgeräumt« (Schmitt, Die Bekehrung des Synesios, S. 249). 108 Long, Dating, S. 378f. 109 Long, Dating, S. 374. 110 Vgl. Long, Dating, S. 374–376. 111 Vgl. Schmitt, Die Bekehrung des Synesios, S. 248–250.
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wieder plausibel erscheinende Datierung der Konstantinopel-Reise auf die Jahre 397–400.112 Das genaue Verständnis der weiteren Teile des Satzes, insbesondere der beiden absoluten Genitive ist dunkel. Eine verläßliche Klärung kann man hier in unserem Zusammenhang aber nicht erwarten; daher folgen jetzt nur einige kurze Überlegungen: Fraglich ist in erster Linie das Verständnis von τὰ πολυθρύλητα τυχαῖα und deren Einordnung in den Satz.113 Die bisherigen Vorschläge zur Deutung der Stelle lassen jedenfalls Fragen offen: Zuweilen werden die πολυθρύλητα τυχαῖα als die »berüchtigten Gefahrenzeiten« o.ä. wiedergegeben;114 man fragt sich nur, was sich damit inhaltlich verbindet, denn nach der Konstruktion des Satzes muß es sich dabei ja um etwas Zweites handeln, das zur offenbar hier ja auch als besonderer Unglückszeitpunkt erwähnten νὺξ συνοδική noch hinzukommt. Sinnvoll wären die »berüchtigten Gefahrenzeiten«, wenn man die Reise des Synesios in die Winterszeit setzte – wie etwa bei Grützmachers Datierungsversuch oder (in eingeschränktem Sinne) bei dem von Long anvisierten 22./ 23. Oktober 401 (s.o.). Darauf, daß man sich in einer mare-clausum-Periode auf die Reise begeben habe, fehlt aber im Brief jeder Hinweis, den man allerdings erwarten dürfte angesichts der sonst sehr ausführlich aufgenommenen Motivik der Seesturmbeschreibung (s.u.), zumal die Erwähnung eines unzeitigen Reiseter112 Vgl. dazu die Diskussion bei: Schmitt, Die Bekehrung des Synesios, S. 243–250. Die zwischenzeitlich mehrheitlich vertretene Datierung auf die Jahre 399–402 wird noch aufgenommen bei: Bregman, Synesius, S. 60; Rist, Art. Synesios, Sp. 1147, stellt beide Ansätze nebeneinander: »die Chronologie zu S.[ynesios] ist umstritten«. 113 Volkmann sah sich angesichts der Schwierigkeiten veranlaßt, τυχαῖα als »verdorben« zu bezeichnen (Volkmann, Synesius, S. 85 mit Anm.*: »καὶ πολυθρυλήτων τυχαίων. Das letzte Wort ist jedenfalls verdorben.« Er übersetzt: ». . . gerade die Vereinigung der Gestirne und die vielberüchtigten Zufälle zusammentrafen, bei denen« usw. [S. 85]). Antonio Garzya meinte dann sogar, die Stelle durch Texteingriff verbessern zu müssen; er liest: . . . µελλούσης εἰς ταὐτὸ συνδραµεῖσθαι τῆς τε συνόδου τῶν ἄστρων καὶ τῶν πολυθρυλλήτων στοιχείων . . . (Garzya, S. 20, Z. 8–10; er übersetzt seinen Text mit: ». . . coincidendo la congiunzione del sole e della luna (ossia il novilunio) e l’apparizione della famigerata Orsa maggiore . . . « [Garzya, Opere di Sinesio, S. 85]); vgl. zur Begründung seines Textes: Garzya, Problèmes textuels; akzeptiert (aber mit anderer Interpretation) von Roques, Études, S. 183f. mit Anm. 158. Durch die Konjektur στοιχείων für das schwierige τυχαίων stellt er neben die Konjunktion von Sonne, Mond und Erde die Erscheinung von bestimmten Himmelskörpern am Himmel; er will darunter den großen Bären verstehen (s. die Übersetzung). Was an der Erscheinung des großen Bären besonders sein soll, verrät Garzya allerdings nicht. Zudem steht der große Bär in keiner Weise in Beziehung zu einem erhöhten Risiko auf hoher See. Vgl. zur Kritik an Garzya: Long, Dating, S. 363f. Die zusätzliche Athetese von τῶν ἄστρων begründet Garzya mit Redundanz (Garzya, Problèmes textuels, S. 129); man kann aber auch den Verdacht hegen, daß es beseitigt werden soll, damit es nicht neben τῶν στοιχείων in problematischer Bedeutung steht. M.E. ist dieser Texteingriff gar nicht nötig, auch wenn der Stelle weiterhin etwas Unbefriedigendes anhaftet (s.u.). 114 So etwa bei Vogt, Synesius auf Seefahrt, S. 404, s. auch die nochmalige Paraphrase ohne nähere Erklärung S. 407.
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mins eine durchaus prominente Stellung in dieser Motivik einnimmt.115 Noch mehr: Es finden sich sogar nahezu zwingende Hinweise darauf, daß man zur normalen Reisezeit unterwegs war; erstens die Notiz, daß man in die Nähe der die hohe See befahrenden, mit zwei Segeln ausgestatteten Frachtschiffe (ὁλκάδες διαρµένιοι) kam, als das Land außer Sicht war (Synes. ep. 4,160d–161a),116 zweitens die Angaben über die insgesamt fünf anderen Schiffe, die mit dem Schiff des Synesios am selben Tage in dem kleinen Hafen Ἀζάριος Schutz gesucht hatten, sowie die weiteren Schiffe, die am Folgetag noch hinzukommen (Synes. ep. 4,165b117 ), und schließlich drittens die hochinteressante Bemerkung, daß die Passagiere mit einer reibungslosen und verzögerungsfreien Fahrt gerechnet hatten, womit die unzulängliche Bevorratung mit Lebensmitteln begründet wird (Synes. ep. 4,165b–c).118 All das, insbesondere der durchaus dichte Seeverkehr ist nur denkbar innerhalb der üblichen Schiffahrtssaison von – grob umrissen – Mai bis September.119 Ingeborg Hermelin hat dagegen den Vorschlag unterbreitet, die πολυθρύλητα τυχαῖα ganz konkret auf die τρισκαιδεκάτη (ἡµέρα) zu beziehen, wobei Synesios sich auf die Dreizehn als Unglückszahl und den entsprechenden Tag als Unglückstag berufe.120 Für diese Bedeutung scheint mir aber das doch recht allgemeine τυχαῖος nicht in Frage zu kommen, zumal durch den neutrischen Plural der allgemeine Sinn an dieser Stelle noch betont erscheint. Vielleicht sollte man vielmehr erwägen, die alte und anscheinend 115 Das Motiv der Seefahrt zu ungünstiger Jahreszeit ist literarisch äußerst beliebt, steigert es doch die ohnehin über der Seefahrt schwebende Gefahr noch weiter (vgl. grundsätzlich zur jahreszeitlich gebundenen Seefahrt: Casson, Ships, S. 270–273; Casson, Travel, S. 150); Rapske, Acts, S. 22–29; vgl. etwa in den Romanen die Stellen Chariton III 5,1; Hld. V 18,2; 21,3; und nicht zuletzt Apg 27,9f. Diesen Topos hätte sich Synesios gewiß nicht entgehen lassen! 116 Garzya 5,14,1–4; EpistGr, S. 640; PG 66, 1329C. Zu den ὁλκάδες διαρµένιοι vgl. auch Synes. ep. 130,265d (Garzya, 223,17f.; EpistGr, S. 717; PG 66, 129,1513A): Hercher und Garzya geben an den Belegstellen διαρµένων/διαρµένοις, v. ἀραρίσκειν. 117 Garzya 5,22,2–9; EpistGr, S. 643f.; PG 66, 1337C–D. 118 Garzya 5,22,10–12; EpistGr, S. 644; PG 66, 1337D: οὐ γὰρ ὄντες ἐθάδες ἀτυχεῖν οὐδὲ ἐλπίσαντες ὑπερήµεροι γενέσθαι, µέτριά γε [sc. ἐφόδια] ἐνετιθέµεθα καὶ οὐδὲ τούτοις µετρίως ἐχρώµεθα. Übersetzung: Da wir nämlich nicht damit rechnen konnten, Unglück zu erleiden, und es nicht erwartet hatten, säumig zu werden, hatten wir uns nur maßvoll mit Proviant ausgestattet, aber diesen keineswegs maßvoll in Anspruch genommen. 119 Zum Begriff des mare clausum vgl. unten (S. 353f.). Auch Denis Roques schließt die möglichen Termine außerhalb der Seefahrtssaison aus, wobei er allerdings den engeren mare clausum-Begriff zugrundelegt (Roques, La lettre 4, S. 284f.; Roques, Études, S. 182). Zudem grenzt er aber aufgrund von falsch angewandten meteorologischen Daten auch alle Termine in den Sommermonaten aus (Roques, La lettre 4, S. 280f.; Roques, Études, S. 182f.); vgl. zur Kritik: Lacombrade, Encore la lettre 4, S. 566; Long, Dating, S. 368–370; Schmitt, Die Bekehrung des Synesios, S. 248, Anm. 16. 120 »Die Zahl Dreizehn war schon bei den antiken Völkern als eine Unglückszahl angesehen, und τὰ πολυθρύλητα τυχαῖα dürfte am besten als ›die allgemein bekannte Unglückszahl‹, etwa ›der allgemein bekannte Unglückstag‹ übersetzt werden, τυχαῖος sich also an τύχη in der Bedeutung von ›unglückliches Schicksal‹ anschliessend« (Hermelin, Zu den Briefen, S. 35 [mit Anm. 1]).
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doch nächstliegende Deutung wieder zur Geltung zu bringen: Man könnte dann unter Heranziehung der üblichen Bedeutung von τυχαῖος als »zufällig« die πολυθρύλητα τυχαῖα als den ja oft zur Erklärung mißlicher Umstände bemühten und damit berüchtigten unglücklichen Zufall deuten.121 Nun aber zur ep. 4 (Garzya 5) insgesamt: Die Darstellung der Reise beginnt ganz typisch mit der Erwähnung von üblen Vorzeichen für eine unglückliche Fahrt, das Schiff hat schon im Hafen mehrfach Grundberührung: λύσαντες ἐν Βενδιδείου πρὸ δείλης ἑῴας, µόλις ὑπὲρ µεσοῦσαν ἡµέραν τὸν Φάριον Μύρµηκα παρηλλάξαµεν, δίς που καὶ τρὶς ἐνσχεθείσης τῆς νεὼς τῷ τοῦ λιµένος ἐδάφει. εὐθὺς µὲν οὖν καὶ τοῦτο κακὸς οἰωνὸς ἐδόκει, καὶ σοφὸν ἦν ἀποβῆναι νεὼς ἐκ πρώτης ἀφετηρίας οὐκ εὐτυχοῦς (Synes. ep. 4,159c).122
Synesios selbst interpretiert das als böses Omen für seine Reise, rechtfertigt sich jedoch für seine unkluge Entscheidung, an Bord geblieben zu sein, mit dem Hinweis darauf, daß er sich nicht den Vorwurf der Feigheit (ἔγκληµα δειλίας, Synes. ep. 4,159c–d [Garzya 5,11,6]) habe machen lassen wollen, weil er bloß aufgrund eines solchen Omens vor der Fahrt zurückgeschreckt sei. Er läßt es aber nicht bei diesem einen üblen Vorzeichen bewenden: Synesios wertet auch die Zusammensetzung der Besatzung des Bootes so. Erstens sei der Schiffseigner bzw. -pächter (ναύκληρος) so verschuldet, daß er nichts lieber als den Tod ersehnte,123 zweitens seien der Kapitän und über die Hälfte der Mannschaft 121 Fitzgerald übersetzt anscheinend auch mit einem solchen Verständnis: »well known chance events« (Fitzgerald, S. 86). Die Einwände von Hermelin sind überzogen und nicht treffend (s. Hermelin, Zu den Briefen, S. 34), wenn man τὰ πολυθρύλητα τυχαῖα allgemein als das Phänomen des unglücklichen Zufalls versteht, das sich natürlich in einzelnen Unglücksereignissen konkretisiert. 122 Garzya 5,11,1–5; EpistGr, S. 639; PG 66, 1328B; Übersetzung: Nachdem wir noch vor Morgengrauen im Bereich des Bendideions losgemacht hatten, fuhren wir erst kurz nach Mittag am pharischen Myrmex entlang, da das Schiff etwa zwei- oder dreimal auf den Grund des Hafens aufgesetzt hatte. Dies erschien freilich bald als ein übles Vorzeichen zu sein, und es wäre klug gewesen, von Bord eines Schiffes zu gehen, dem von Beginn seiner Fahrt an kein Glück beschert war. – Bei dem Bendideion handelt es sich um ein Heiligtum in Hafennähe, das der mit Artemis identifizierten thrakischen Bendis geweiht war (vgl. den Plan bei Jansen-Winkeln, Art. Alexandreia [1], Sp. 463f. [unten]); der Φάριος Μύρµηξ ist eine Felsenklippe in der Nähe der berühmten Insel Pharos (vgl. Vogt, Synesius auf Seefahrt, S. 401, Anm. 4f.); Volkmann, Synesius, S. 78, Anm.**, erwähnt nur Ptol. Geog. IV 4,15, wo aber die Insel Myrmex gemeint ist, die zur Cyrenaica gehört: Νῆσοι δέ εἰσι παρὰ τὴν χώραν αἵδε· Μύρµηξ νῆσος . . . . 123 In Synes. ep. 4,160a (Garzya 5,12,6.8f.; EpistGr, S. 640; PG 66, 1328D–1329A) wird zunächst der ναύκληρος als verschuldet und todessehnsüchig beschrieben und dann der κυβερνήτης als dreizehntes Besatzungsmitglied und Jude erwähnt. Angesichts der beiden verschiedenen termini technici seemännischen Personals (ναύκληρος und κυβερνήτης) hat man zunächst den Eindruck, daß es nicht um ein und dieselbe Person geht; darum kommt man aber letztlich nicht herum, denn es zeigt sich, daß Amarantos, der ja eindeutig der κυβερνήτης ist, im folgenden auch als der Herr über die Ausstattung des Schiffes vorgestellt wird. Sollte – was sicher zuweilen vorkommt – der Schiffseigner persönlich hier auch Kapitän und Schiffsführer sein, so ist nicht ganz einsichtig, warum nicht eigens auf den vorliegenden besonderen Fall hingewiesen wird. Vgl. zu den Funktionen des ναύκληρος
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Juden gewesen.124 Synesios läßt sich hier ausdrücklich über seine feindselige Haltung den Juden gegenüber aus: γένος ἔκσπονδον καὶ εὐσεβεῖν ἀναπεπεισµένον ἢν ὅτι πλείστους ἄνδρας ῞Ελληνας ἀποθανεῖν αἴτιοι γένωνται (Synes. ep. 4,160a–b).125 Die Ressentiments gegenüber den Juden teilte Synesios gewiß mit vielen seiner Landsleute.126 Eine besondere Würze liegt hier freilich darin, daß er das Bundesvolk der Juden als γένος ἔκσπονδον bezeichnet, ein Volk ohne Bund; daß er das so bewußt getan hat, kann man für wahrscheinlich halten, da er auch schon in dieser frühen Zeit, in die der Brief fällt, gute Kenntnisse über die Interna des Judentums beweist, und zwar genau in unserem Brief (s.u.). Aber nicht nur das; die nichtjüdischen Besatzungsmitglieder seien nun auch noch der Seefahrt völlig unkundig gewesen und erst frisch angeworben.127 Beide Gruppen nun, Juden und Nichtjuden, setzten sich ausnahmslos aus in irgendeiner Weise körperlich behinderten oder unter anderen körperlichen Defekten leidenden Menschen zusammen. Die illustre Mannschaft machte sich daraus den Spaß, sich gegenseitig nicht mit dem richtigen Namen zu rufen, sondern sich nach den jeweiligen Defekten zu benennen – nach dem Muster: He, Schielauge! Eine solche »Gurkentruppe« als Mannschaft eines Schiffes, auf dem man fährt, kann nichts Gutes bedeuten, sondern nur das Allerschlechteste. Daß man sich zur See nur zuverlässigen Menschen anvertraut, gilt etwa geradezu als von allen geteilte Vergleichsaussage in einer im Gnomologion Vaticanum überlieferten und dem Diogenes zugeschriebenen Chrie.128 Die konkrete Situation auf seinem und des κυβερνήτης: Casson, Ships, S. 314–318; Rougé, Recherches, S. 222–227 (zum gubernator); Rougé, Ships, S. 160. Kurzum: Auch ohne die Benutzung von ναύκληρος an dieser Stelle, erweckt der Text den Eindruck, Amarantos sei Kapitän auf eigenem Schiffe. Die Übersetzungen wählen nun die Lösung die störende Erwähnung des ναύκληρος zu verschweigen oder den Anstoß zu verschleiern: Vogt, Synesius auf Seefahrt, S. 401; Grützmacher, Synesios, S. 76f.; Simeon, Untersuchungen, S. 67–69; Fitzgerald, S. 81–84). 124 Diese Passage zusammen mit der unten noch zu behandelnden Stelle, nach der Amarantos das Steuer aus der Hand gibt, um den Sabbat zu halten, würdigt ausdrücklich Patai, Jewish Seafaring, S. 14–16. 125 Garzya 5,12,9–11; EpistGr, S. 640; PG 66, 1329A; Übersetzung: Ein Volk [sc. die Juden] ohne Zuverlässigkeit [wörtlich: vom Vertrag/Bund ausgeschlossen, ohne Vertrag/Bund] und fest davon überzeugt, einen frommen Dienst zu leisten, wenn sie den Tod möglichst vieler Griechen verursachen. 126 Vgl. zur besonderen Schärfe der Judenfeindschaft in der Kyrenaïka: Grützmacher, Synesios, S. 6. 127 τὸ δὲ λοιπὸν ἀγελαῖοι γεωργοί, πέρυσιν οὔπω κώπης ἡµµένοι (Synes. ep. 4,160b [Garzya 5,12,11f.; EpistGr, S. 640; PG 66, 1329A]); Übersetzung: Im übrigen waren es gewöhnliche Bauern, die im vorigen Jahr noch nicht mit einem Ruder in Berührung gekommen waren. 128 Gn.Vat. 197 (Sternbach, S. 79): ῾Ο αὐτὸς καταµαθών τινα τῶν γνωρίµων µοχθηροῖς ἀνθρώπων ὁµιλοῦντα “ἄτοπόν γε”, εἶπεν, “εἰ πλεῖν µὲν βουλόµενοι σύµπλους βελτίστους ἐπιλεξόµεθα, βιοῦν δὲ ὀρθῶς προαιρούµενοι κοινωνοὺς τοῦ βίου τοὺς τυχόντας αἱρησόµεθά’. – Übersetzung:
Derselbe [sc. Diogenes] sagte, als er gewahr wurde, daß einer seiner Freunde mit üblen Menschen verkehrte: »Es ist widersinnig, daß wir, wenn wir zur See fahren wollen, (nur) die besten Mitfahrer
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Schiff mit dem defekten und zusammengewürfelten Personal wertet Synesios literarisch geschickt aus, um die mittlerweile schon mit Spannung erwartete Darstellung der Leiden zur See vorzubereiten (Synes. ep. 4,160b):129 ἕκαστος ἕν γέ τι εἶχε τοὐπίσηµον, καὶ ἡµῖν τὸ τοιοῦτον οὐ µετρίαν παρεῖχε ‘διατριβήν’. ἐν τῇ χρείᾳ δὲ οὐκέτι γέλως ἦν, ἀλλ’ ἐπὶ τούτοις αὐτοῖς ἀποιµώζοµεν.
Jeder einzelne war auf irgendeine Weise gezeichnet, und uns bescherte das kein geringes Vergnügen. In der Not aber gab es kein Lachen mehr, sondern über genau dasselbe jammerten wir (dann).
Dieser Abschnitt der Darstellung bündelt also eine ganze Anzahl von üblen Voraussetzungen der Seereise so, daß das von Synesios bestiegene als nichts anderes erscheint als das schlechtestmögliche Schiff. Die Erwähnung von unglückverheißenden Vorzeichen ist für Seenotschilderungen üblich;130 bemerkenswert ist hier die Kombination von eigentlichen Vorzeichen und anderen üblen Voraussetzungen der Fahrt (hier eben die Zusammensetzung der Mannschaft und die Person des κυβερνήτης). Hinzu kommt noch eins: Der Verfasser des Briefes setzt dem Ganzen geradezu die Krone auf, indem er die zum großen Teil recht hübschen weiblichen Passagiere erwähnt, von denen die Männer aber durch einen recht festen Vorhang getrennt waren, und diesen Umstand mit der bevorstehenden Not verbindet: Möglicherweise – so Synesios – hätte sich selbst der kleine Dämon Priapos, der sprichwörtliche Lustmolch, auf dem Schiff des Amarantos in Besonnenheit geübt.131 Nach diesen Bemerkungen über die bedenklichen Voraussetzungen der Fahrt versucht Synesios im nächsten Abschnitt, den Skipper Amarantos als überaus auswählen, wenn wir aber recht leben wollen, lieber auf die ersten besten Lebensgefährten zurückgreifen«. Umgekehrt wird an der Stelle bei Luc. VH I 5 betont, man habe für reichlich Sold einen der besten Skipper angeheuert; so soll es sein. Vgl. darüber hinaus zur Bedeutung fähigen Personals (insbesondere eines fähigen κυβερνήτης): Philostr. VA III 23 (52f.); Hld. V 27,4; Petr. 108,8.12; Luc. Herm. 28; und auch Apg 27,31. 129 Garzya 5,12,17–19; EpistGr, S. 640; PG 66, 1329A. 130 Vgl. etwa die konkreten Unwetterzeichen im Herpyllis-Fragment (II 2–6); die Windstille bzw. den Traum bei Xenophon von Ephesos (X.Eph. I 12,3f.); den »Vorsturm« bei Heliodor (Hld. V 22,7); mit Einschränkungen kann man auch die widrigen Winde und die Rückkehr auf die Wasseroberfläche mit der Windstille bei Luc. VH I 28–30 hier einordnen. Man beachte nicht zuletzt die mühevolle erste Etappe, die das zweite Paulus-Schiff von Myra nach Καλοὶ λιµένες zurücklegt (Apg 27,7f.), sowie schon zuvor v. 4 (widrige Winde zwingen zur Umseglung Zyperns). Nach Simeon hat es zur rhetorischen Schulung gehört, der »Seesturmschilderung ein Vorzeichen vorauszuschicken« (Simeon, Untersuchungen, S. 74). ἴσως δὲ κἂν ὁ Πρίαπος ἐσωφρόνησεν Ἀµαράντῳ συµπλέων· ὡς οὐκ ἔστιν ὁπότε ἡµᾶς σχολάζειν εἴασεν ἀπὸ τοῦ δεδιέναι τὸν ἔσχατον κίνδυνον (Synes. ep. 4,160c [Garzya 5,13,4–7; 131
EpistGr, S. 640; PG 66, 1329B]); Übersetzung: Vielleicht hätte sich sogar Priapos zurückgehalten, wenn er mit Amarantos gesegelt wäre, denn keinen Moment gewährte er uns Ruhe davon, die äußerste Gefahr zu fürchten. – Zu Priapos vgl. Herter, De Priapo.
6.3 Synesios von Kyrene
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waghalsigen, ja geradezu wahnsinnigen Schiffsführer darzustellen. In dieser Einschätzung des Amarantos ist die alte Literatur dem Synesios bedenkenlos gefolgt;132 Lionel Casson hat dagegen in einem kurzen Beitrag zu zeigen vermocht, wie sehr sich Synesios getäuscht hat bzw. wie sehr seine Darstellung an den wahrscheinlich zugrundeliegenden Tatsachen vorbeigeht:133 Für Synesios ist die Sache klar, bei einem Skipper, der Jude ist und zudem an seiner Überschuldung verzweifelt,134 nimmt es nicht wunder, daß er sich auch durch mangelndes seemännisches Können und fehlende Sorgfalt auszeichnet; das fügt sich für unseren Autor zu einem stimmigen Gesamtbild dieser Person. Zur Illustration beschreibt Synesios, wie Amarantos zunächst auf Taphosiris135 zuhält und gleichsam mit den Klippen kämpft, dann das Schiff dreht und mit Hilfe eines aufkommenden Südwindes weit aufs offene Meer segelt.136 Für Synesios und seine Mitreisenden war beides gleichermaßen angsteinflößend, die Nähe der Klippen und das offene Meer, so daß sie sich beim Skipper beschweren. Dieser jedoch hat dafür kein Verständnis: ὑµῖν δὲ πῶς ἄν τις καὶ χρήσαιτο, οἳ καὶ τὴν γῆν καὶ τὴν θάλατταν ὑποπτεύετε;137 Synesios selbst habe darauf das Wort ergriffen und für einen Kurs in mäßiger Entfernung von der Küste plädiert.138 Da fiel der 132 Vgl. z.B. Simeon, Untersuchungen, S. 68: »Vorläufig steht der Steuermann ganz im Vordergrund (160c–162c). Von seiner Kunst und Sorgfalt hängt vor allem Wohl und Wehe der Reisenden ab. Aber da fehlt es bei Amarantos.« 133 Casson, Bishop Synesius’ Voyage; vgl. auch Casson, Ships, S. 268, Anm. 1. 134 Vgl. neben der schon angeführten Stelle ep. 4,160a (Garzya 5,12,6) auch ep. 4,162c (Garzya 5,17,4–6). 135 Zu Identifikation des hier gemeinten Taphosiris parva vgl. Grützmacher, Synesios, S. 76, Anm. 3; Vogt, Synesius auf Seefahrt, S. 401, Anm. 7. 136 Synes. ep. 4,160c–161a (Garzya 5,13,7–14,4; EpistGr, S. 640; PG 66, 1329B–C). 137 Synes. ep. 4,161a (Garzya 5,14,8f.; EpistGr, S. 640; PG 66, 1329D–1332A); Übersetzung: Was soll man bloß mit euch anfangen, die ihr sowohl vor dem Land wie vor dem Meer Angst habt? 138 Auch Johann Wolfgang von Goethe – das sei hier nur am Rande bemerkt – bekommt es auf seiner Rückreise von Sizilien nach Neapel (14.–16. Mai 1787 [die Datumsangaben sind in dieser Passage des Tagebuchs leicht durcheinander geraten]) mit einem vermeintlich unfähigen Kapitän und einem ebensowenig kundigen Steuermann zu tun, wie er in seinem Tagebuch der Italienischen Reise eindrücklich beschreibt (Hamburger Ausgabe XI, S. 312–321; Berliner Ausgabe XIV, S. 491–500): Schon auf der Hinfahrt am 29. März bis 2. April 1787 war er in einen Sturm geraten und von Seekrankheit heimgesucht (Hamb.Ausg. XI, S. 225–228; Berl.Ausg. XIV, S. 396–399); kaum glücklicher verlief die bewußte Rückfahrt. Auch hier befällt den Literaten wieder die Seekrankheit (S. 314; S. 493) – diesmal hat er aber zusätzlich nicht an einem Sturm zu leiden, sondern an seichten widrigen Winden (S. 315f.; S. 494f.) und schließlich einer gefährlichen Windstille (S. 316ff.; S. 495ff.), die das Schiff der Strömung um die Insel Capri ausliefert, so daß es droht, an den Felsen zerrieben zu werden. In dieser bedrohlichen Situation kommt es zu heftigen Unmutsäußerungen der Passagiere gegen die Crew; war das Schiff ohnehin schon schlechter als dasjenige der Hinfahrt (S. 313; S. 492), so gerät auch schon vor der Schilderung der Gefahr der Kapitän und sein Steuermann beim Kreuzen gegen die widrigen Winde ins Zwielicht, es hieß: »weder Hauptmann noch Steurer verstünden ihr Handwerk, jener möge wohl als Kaufmann, dieser als Matrose gelten, für den Wert so vieler Menschen und Güter seien sie nicht geeignet einzustehen.« Goethe bittet, das Argwöhnen mit Still-
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Wind plötzlich von Norden ein, was dem Amarantos die Gelegenheit gibt, seine Navigation zu rechtfertigen: “τοιοῦτον” ἔφη “τὸ ναυτίλλεσθαι τέχνῃ”, προσδέχεσθαι γὰρ αὐτὸς πάλαι τὸν ἐκ πελάγους ἄνεµον, καὶ διὰ τοῦτο µετέωρος πλεῖν· κατιέναι γὰρ νῦν ἐγκάρσιος, ἐνδιδόντος τοῦ διαστήµατος προστιθέναι τῷ µήκει· τοιοῦτον δὲ εἶναι τὸν πλοῦν τὸν ἡµέτερον οὐκ ἂν εἴ γε παρὰ τὰς ἀκτὰς ἐπλέοµεν· προσαναπεπλάσθαι γὰρ ἂν τῇ γῇ.139 Unser
Autor und auch die Mitreisenden lassen sich davon jedenfalls nicht so recht überzeugen. Synesios stellt die Rechtfertigung des Skippers auch als Gerede eines Wahnsinnigen dar, demonstriert dadurch aber nur seine Unkenntnis in Sachen Seemannschaft: Wie Casson gezeigt hat, ist Amarantos vielmehr als kundiger Navigator einzuschätzen, der erkannt hat, daß er nur durch Kreuzen vorwärts kommen kann. Exkurs: Die Möglichkeit des Kreuzens war für die Masse der antiken Schiffe allerdings nur eingeschränkt gegeben.140 Mit der in der Antike für Schiffe ab mittlerer Größe üblichen reinen Rah-Takelung konnte man nämlich kaum härter an den Wind gehen als 80°, was ein äußerst ineffizientes Kreuzen nach sich zieht;141 Takelungen, bei denen das Segel in Längsrichtung steht, sind wesentlich günstiger für das Kreuzen, wurden jedoch zunächst nur für kleinere Schiffe und Boote eingesetzt, konnten sich aber ab der schweigen zu bemänteln (S. 315; S. 494). Doch als man in der Strömung der felsigen Küste immer näher kam, war dieses Stillschweigen nicht mehr zu bewahren; man fiel mit allen Vorwürfen über den Kapitän her: »für teures Geld einen schlechten Schiffsraum, geringe Kost, ein zwar nicht unfreundliches, aber doch stummes Betragen. Er hatte niemand von seinen Handlungen Rechenschaft gegeben, ja, selbst noch den letzten Abend ein hartnäckiges Stillschweigen über seine Manœvres beobachtet. Nun hieß er und der Steuermann hergelaufene Krämer, die ohne Kenntnis der Schiffskunst sich aus bloßem Eigennutz den Besitz eines Fahrzeugs zu verschaffen gewußt und nun durch Unfähigkeit und Ungeschicklichkeit alle, die ihnen anvertraut, zugrunde richteten« (S. 317f., Zitat S. 318; S. 496f., Zitat S. 497). Wie unser Synesios kann nun auch Goethe selbst nicht mehr an sich halten; er dringt aber nicht seinerseits auf die Schiffsführung ein, sondern wendet sich an die tobenden Passagiere, Ruhe zu bewahren, Disziplin zu üben, gerade in dieser Notsituation die Besatzung nicht zu verwirren und im übrigen auf die Mutter Gottes und ihren Sohn zu vertrauen, was er mit einem Verweis auf die Sturmstillung Jesu (Mk 4,35ff. parr) untermauert (S. 318; S. 497f.). Die angestrengten Maßnahmen der Crew nützen allerdings im folgenden wenig, erst ein aufkommender gelinder Wind bringt doch noch die Rettung (S. 320; S. 499). 139 Synes. ep. 4,161c (Garzya 5,15,2–7; EpistGr, S. 641; PG 66, 1332A–B); Übersetzung: »Das«, sagte er, »heiße ich ›Segeln nach den Regeln der Kunst‹«, er habe nämlich schon lange den Wind vom Meer her erwartet und sei deshalb aufs offene Meer gesegelt; jetzt könne er schräg hinabsegeln, weil der Seeraum es möglich mache, den Schlag zu verlängern; ein solcher Kurs wäre uns nicht möglich, wenn wir an der Küste entlang segeln würden; wir wären nämlich am Land zerschellt. – Vgl. zur Fähigkeit, eintretende Winde/Windänderungen vorauszuahnen, als Qualität eines κυβερνήτης vgl. Philostr. VA III 23 (53). 140 Vgl. zum Kreuzen die Erklärungen bei: Brannigan, Nautisches, S. 172f. 141 Vgl. Casson, Illustrated History, S. 16, mit erklärenden Zeichnungen; Bockius, Schifffahrt, S. 88. Zur Möglichkeit, mit einem rahgetakelten Segler (begrenzt) Luv zu machen, vgl. darüber hinaus die Ausführungen bei: Medas, De rebus nauticis, S. 191–199, s. insbesondere die Abb. 81 (S. 192); 84f. (S. 196f.).
6.3 Synesios von Kyrene
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Abbildung 6.1: Sarkophagrelief aus Ostia (3. Jh.): Das Relief zeigt einen Unfall an der Hafeneinfahrt; ein Mann ist über Bord gegangen, das mittlere und rechte Schiff drohen zu kollidieren, jenes mittlere Schiff ist mit einer Spriet-Takelung ausgestattet.
byzantinischen Zeit mehr und mehr durchsetzen.142 Prominente Vertreter dieser Takelungsarten sind neben dem Gaffelsegel, die schon in der Antike verwendeten Lateinerund Sprietsegel. Auf einem Sarkophagrelief aus Ostia (3. Jh.), jetzt in der Ny-Carlsberg Glyptothek in Kopenhagen, ist in der Mitte ein Schiff mit Spriet-Takelung dargestellt (s. Abb. 6.1).143 Man kann nun dem Text von ep. 4 (Garzya 5) einige Hinweise entnehmen, daß Synesios auf einem Schiff fuhr, das eine Lateiner-Takelung – keine Rah-Takelung – besaß. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, daß man in Erwägung zog, ein Ersatzsegel zu hissen, das aber – wie sollte es anders sein auf diesem Unglücksschiff – nicht vorhanden war: ὑπαλλάττειν µὲν οὖν ἱστίον ἕτερον νόθον οὐκ εἴχοµεν (ἠνεχυρίαστο γάρ) (ep. 4,163d).144 Das könnte nun genau der Eigenart der Lateiner-Takelung entsprechen, bei der man die Segel kürzt, indem man ein kleineres Segel setzt, wobei man das bisherige Segel herablassen muß, bevor man das neue hissen kann; einen entsprechenden Hinweis stellt auch der Ausdruck καθαίρεσις in ep. 4,164d (Garzya 5,21,1) dar.145 Dazu würde die kleine Besatzung (13 Mann; ep. 4,160a146 ) und nur mäßige Anzahl an Passagieren (etwas mehr als 50; ep. 4,160b147 ) passen. Fik Meijer bezweifelt allerdings die Annahme von Casson, es handele sich um ein Schiff mit Lateiner-Takelung, und bezieht sich auf die Angabe:148 ἀνελαµβάνοµεν δὲ αὐτὸ καθάπερ τῶν χιτώνων τοὺς κόλπους 142 Vgl. Höckmann, Antike Seefahrt, S. 74; s. auch die Zeichnungen bei Casson, Illustrated History, S. 16; Casson, Ships, Abb. 173a–d. 143 Das Relief findet sich auch abgebildet bei: Casson, Ships, Abb. 147.179; Höckmann, Antike Seefahrt, Abb. 59 [S. 71]); Medas, De rebus nauticis, Abb. 89 (S. 201; nur das Schiff mit SprietTakelung); Bockius, Schifffahrt, Abb. 95 (S. 86; ebenso nur dieses Schiff); vgl. weiterhin zu den Takelungen mit Lateiner- und Sprietsegel die Abbildungen bei: Casson, Illustrated History, Abb. 70– 72 (S. 54); Casson, Ships, Abb. 175–178.180–182; Höckmann, Antike Seefahrt, Abb. 109 (S. 120). 144 Garzya 5,19,7f.; EpistGr, S. 642; PG 66, 1336A; Übersetzung: Ein anderes Segel, den Bastard, im Austausch zu setzen, war uns nicht möglich (es war nämlich verpfändet). – Vgl. zur Bezeichnung des Ersatzsegels als νόθος (Bastard): Casson, Ships, S. 269, Anm. 3. 145 Vgl. zu den Details Casson, Ships, S. 268f. 146 Garzya 5,12,7f.; EpistGr, S. 640; PG 66, 1329A. 147 Garzya 5,12,19f.; EpistGr, S. 640; PG 66, 1329A–B: ὄντες ἐπιβάται πλεῖν ἢ πεντήκοντα, τριτηµόριά που µάλιστα γυναῖκες. 148 Meijer, The Ship, bes. S. 68.
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Abbildung 6.2: Kurs des Schiffes des Synesios kurz nach der Abfahrt von Alexandria (Entwurf von Lionel Casson): Der κυβερνήτης Amarantos nutzt die Gegebenheiten von Seeraum und Wind aus.
(ep. 4,163d).149 Das ἀναλαµβάνειν muß man hier entweder als Ρεπαρατυρ deuten, oder als Aufnehmen/Zusammenlegen, was dem Vergleich mit dem Gewandbausch noch besser entspräche. Von einem Hochziehen des Segels auf die Rah ist allerdings so ausdrücklich, wie Meijer meint, nicht die Rede. Ist man mit der von Casson gezogenen Schlußfolgerung im Recht – eindeutig sind die genannten Hinweise freilich nicht –, so hätte Amarantos über ein Fahrzeug verfügt, daß geradezu zum Kreuzen ausgelegt wäre.
Unser κυβερνήτης wählt den ersten Schlag an der Küste entlang nach Südwesten, den er natürlich möglichst lange durchhalten will und so in – für den Unkundigen – bedrohliche Küstennähe kommt. Dann dreht er und setzt zum zweiten Schlag an: Dabei kommt ihm ein aufkommender Südwind zu Hilfe, den er freilich sofort ausnutzt, um möglichst viel Luv gegen die grundsätzlich vorherrschende Windrichtung zu machen (s. zum Kurs die Abb. 6.2).150 Was Synesios hier also als beispielhafte Tat eines gewissenlosen und unfähigen Seemanns erzählt, hat tatsächlich als eine kaum zu beanstandende Schilderung einer gekonnten, an die Situation angepaßten Navigation zu gelten: »The skipper, far from being a madman, was clearly a sailor who knew his business«, »a firstrate seaman.«151 Garzya 5,19,9f.; EpistGr, S. 642; PG 66, 1336A. Vgl. Casson, Bishop Synesius’ Voyage, S. 294ff., bes. S. 296 (mit Abb. 1 [S. 295]). 151 Casson, Bishop Synesius’ Voyage, S. 296. Die Interpretation von Casson wird aufgenommen bei: Hendry, Seneca, S. 68. 149 150
6.3 Synesios von Kyrene
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Nun geht Synesios zur eigentlichen Sturmbeschreibung über: ἤρξατο γὰρ δὴ µετὰ τῆς νυκτός, ἀεὶ προϊόντος ἐπὶ µεῖζον τοῦ κλύδωνος.152 Er versäumt es aber nicht, zunächst – nachdem er seine Waghalsigkeit und seinen Wahnsinn herausgestellt hatte – auch noch auf das Judentum des Amarantos erneut zu sprechen zu kommen. Offenbar war man am Freitag in See gestochen, und der gesetzestreue Jude läßt bei Sonnenuntergang alle Arbeit ruhen: Amarantos gibt das Ruder aus der Hand und wirft sich zu Boden – und das in der Situation eines aufziehenden Sturms. Die Passagiere interpretieren diese Handlung zunächst fälschlich als Verzweiflungstat, als ob der Skipper schon alle Hoffnung aufgegeben habe, und wollen ihm gut zureden.153 Somit verarbeitet unser Autor hier anscheinend einen Topos, demgemäß die absolute Ausweglosigkeit dadurch beschrieben wird, daß der Steuermann das Ruder fahren läßt.154 Die hier vorliegende Benutzung des Topos ist aber gerade dadurch bemerkenswert, daß die Ausweglosigkeit noch gar nicht dargestellt werden soll, sondern eine weitere Verschlimmerung der Lage, die eben daher rührt, daß der gesetzestreue Steuermann seinen Dienst verweigert. Jetzt fügt Synesios – als wäre das nebenbei zu erzählen – in die Darstellung der Schwierigkeiten mit diesem gesetzestreuen Steuermann seine Sturmbeschreibung ein (Synes. ep. 4,162a–b):155 καὶ γὰρ δὴ καὶ ἐπεῖχον αἱ τρικυµίαι, τοῦ πελάγους καὶ πρὸς ἑαυτὸ στασιάσαντος. γίνεται δὲ τὸ τοιοῦτον ὅταν µὴ τῷ λήξαντι πνεύµατι καὶ τὰ παρ’ αὐτοῦ συναναπαύσηται κύµατα, ἀλλ’ ἰσχῦον ἔχοντα τὸ ἐνδόσιµον τῆς κινήσεως ὑπαντιάζῃ τῇ τοῦ πνεύµατος ἐπικρατείᾳ καὶ ἀντεµβάλλῃ ταῖς ἐµβολαῖς. ἔδει γάρ µοι καὶ φλεγµαινόντων ὀνοµάτων, ἵνα µὴ τὰ µεγάλα κακὰ σµικροπρεπέστερον διηγήσωµαι. τοῖς οὖν ἐν Synes. ep. 4,161c (Garzya 5,15,9f.; EpistGr, S. 641; PG 66, 1332B); Übersetzung: Es begann nämlich in der Nacht, als der Wogenschwall immer stärker wurde. 153 Synes. ep. 4,161d–162a (Garzya 5,15,14–16,1; EpistGr, S. 641; PG 66, 1332B–C): µεθῆκεν οὖν 152
ἐκ τῶν χειρῶν ὁ κυβερνήτης τὸ πηδάλιον, ἐπειδὴ τὸν ἥλιον εἴκασεν ἀπολελοιπέναι τὴν γῆν, καὶ καταβαλὼν ἑαυτὸν “πατεῖν παρεῖχε τῷ θέλοντι ναυτίλων”. ἡµεῖς δὲ τὴν µὲν οὖσαν αἰτίαν οὐκ εὐθὺς ἐπὶ νοῦν ἐβαλλόµεθα, ἀπόγνωσιν δὲ τὸ πρᾶγµα οἰόµενοι, προσήειµεν, ἐλιπαροῦµεν µὴ καταπροέσθαι µηδέπω τὰς ἐσχάτας ἐλπίδας· – Übersetzung: Der Steuermann ließ das Ruder aus
den Händen fahren, als er vermutete, die Sonne habe die Erde verlassen, und, wie er sich hinwarf, »bot er jedem auf dem Schiff, der wollte, Gelegenheit, ihn zu zertreten« (Zitat aus S. Aj. 1146). Wir nun begriffen den wahren Grund nicht sofort, sondern argwöhnten, es handle sich um eine Verzweiflungstat, so gingen wir hin und baten ihn inständig, doch nicht alle Hoffnung aufzugeben. 154 Die Belege sind leider Mangelware; allerdings läßt die Darstellung des Synesios es als berechtigt erscheinen, von einem Topos zu reden. Das prominente Beispiel dafür ist Ach.Tat. III 3,1: Τέλος ὁ κυβερνήτης ἀπειπὼν ῥίπτει µὲν τὰ πηδάλια ἐκ τῶν χειρῶν, ἀφίησι δὲ τὸ σκάφος τῇ θαλάσσῃ. Im weiteren Sinne vergleichbare Passagen, in denen auch – zum Teil drastisch geschildert – das
Schiff in völliger Ausweglosigkeit dem Winde bzw. Meere überlassen wird, sind: Herpyllis II 34–37; Luc. VH I 6; Apg 27,15.17; hier fehlt allerdings das Motiv des aufgebenden κυβερνήτης. 155 Garzya 5,16,1–11; EpistGr, S. 641; PG 66, 1332C–D.
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τῷ τοιῷδε πλέουσιν ἀπὸ λεπτοῦ φασὶ µίτου τὸ ζῆν ἠρτῆσθαι. εἰ δὲ καὶ ὁ κυβερνήτης νοµοδιδάσκαλος εἴη, τίνα δεῖ ψυχὴν ἔχειν;
Denn da kamen auch schon gewaltige Wogen heran – das Meer strengte den Aufstand gegen sich selbst an. So etwas geschieht, wenn nicht zugleich mit dem abflauenden Wind die von ihm erregten Wogen sich glätten, sondern, weil sie noch kraftvoll den Impuls zur Bewegung in sich haben, sie der Macht des Windes begegnen und zum Gegenangriff übergehen. Ich mußte nämlich zu so solch flammender Rede greifen, damit ich das große Unglück nicht zu schmalspurig darstelle. Man sagt, daß das Leben derer, die in solcher Situation auf See sind, am seidenen Faden hängt. Wenn auch noch der Steuermann ein Gesetzeslehrer ist, wie muß einem da zu Mute sein?
Mit dieser Beschreibung nimmt unser Autor Einflüsse der rhetorisch geprägten Romanliteratur auf, was sich insbesondere an den Begriffen der τρικυµίαι und der στάσις des Meeres (hier τοῦ πελάγους στασιάσαντος) festmachen läßt; darüber hinaus benutzt Synesios auch die Metapher des Kampfes zwischen Wind und Wogen.156 Nimmt er hier also zwar Anleihen bei der romanhaften Sturm-ἔκφρασις auf, so bricht er doch auch mit dem bei ihr Gewohnten, und zwar in drei Punkten: Erstens ergötzt er sich nicht bloß an dem fürchterlich schönen Schauspiel des Sturmes, wie es zuweilen in den Romanen mit ihrer Begeisterung für das sich auftürmende Wellengebirge geschieht,157 sondern versucht sich an einer Erklärung für das merkwürdige Phänomen der στάσις des Meeres gegen sich selbst. Wohl geht der Epistolograph hier über die gewöhnliche ἔκφρασις hinaus, verrät aber dadurch noch keine gänzlich andere Haltung als die der Romanschriftsteller, denn letztlich will auch er die bedrohliche Situation des Sturms vor Augen malen, um den Leser lebensnah in diese Situation hineinzuziehen.158 Daß dem so ist – und das ist der zweite Punkt –, zeigt der höchst bemerkenswerte Autorenkommentar, den Synesios an seine besondere ἔκφρασις anfügt 156 Die στάσις bemüht Synesios erneut in ep. 4,164b (Garzya 5,20,12; EpistGr, S. 643; PG 66, 1337A). Die Kampfesmetaphorik durchzieht die unübertroffene Sturmbeschreibung bei Achilleus Tatios (Ach.Tat. III 2,2–8), man beachte insbesondere die Vorkommen von τρικυµίαι (Ach.Tat. III 2,2; Hld. V 27,7; vgl. auch Luc. Tox. 19; Merc.Cond. 1f., wo in § 2 sogar πεντακυµίαι und δεκακυµίαι bemüht werden; TestNaph VI 5; A.Jo. [Prochoros, Zahn, S. 9, Z. 1]), στάσις (III 2,2; vgl. auch Herpyllis II 42) und µάχη (III 2,8). 157 Das Bild des sich auftürmenden Wellengebirges findet sich bei: Ach.Tat. III 2,2.5; Herpyllis II 38–42. Neben den Romanen findet sich das Auf und Ab der Wogen auch in Ps 107,26a (106,26a LXX); A.R. IV 943–947; Il. IV 422–426 (hier als Bild für das Heer der Griechen; möglicherweise als »karikierende Parodie« darauf [vgl. den Kommentar bei Erren II, S. 665–667, hier S. 665]: Verg. G. III 237–241 [ebenso zur Gewalt des wogenden Meeres, hier allerdings bildhaft für einen Stier verwendet, der sich im Revanchekampf wildschnaubend auf seinen Gegner stürzt]). 158 Gegen Simeon, der versucht, die Sturmbeschreibung des Synesios in vielerlei Hinsicht gegen die ἐκφράσεις der Romane (er führt insbesondere Herpyllis und Ach.Tat. an) abzugrenzen; dabei
6.3 Synesios von Kyrene
267
und mit dem er sich für seine hochtrabende Formulierung gleichsam entschuldigt: Er greift also ganz bewußt den Topos der Sturm-Ekphrasis auf und setzt ihn zum gleichen Zweck ein wie die Romanautoren, nämlich um die µεγάλα κακά ausreichend zu betonen. Gleichzeitig distanziert er sich aber implizit davon, als handle es sich um ein Klischee.159 Drittens verbindet unser Autor die Bedrohung des Lebens durch den Sturm unmittelbar mit dem Kontext, in den er die Sturmbeschreibung eingefügt hat: Wie oben schon angedeutet, ist Synesios ja mit dem jüdischen Kapitän und seiner Sabbatobservanz in heikler Lage noch keineswegs fertig. Vielmehr soll der Makkabäer, wie er ihn gleich nennen wird,160 noch schlimmer gezeichnet werden. Mit dem Satz: εἰ δὲ καὶ ὁ κυβερνήτης νοµοδιδάσκαλος εἴη, τίνα δεῖ ψυχὴν ἔχειν;, wird er geradezu als die entscheidende zusätzliche Bedrohung neben dem Sturm ausgewiesen; hängt das Leben im Sturm ohnehin am seidenen Faden, so ist es der Jude Amarantos, der diesen Faden nach allem menschlichen Ermessen zum Reißen bringen wird. Auf diese Weise hat Synesios den bedrohlichen Hintergrund des Sturms geschickt mit der seines Erachtens eigentlichen Bedrohung durch den Kapitän verknüpft. Jetzt erst – so Synesios – habe man erkannt, daß Amarantos nicht aus Verzweiflung die Ruder habe fahren lassen, sondern den Sabbat halten wollte; obwohl die Passagiere inständig und flehentlich bitten, gibt er sich dessen ungeachtet der frommen Lektüre hin:161 Wie man nachts im Sturm lesen kann, bleibt sein Geheimnis und v.a. das unseres Erzählers. Jetzt versucht es ein mitreisender Soldat mit Gewalt unter Androhung des Todes, doch ohne Erfolg; Synesios staunt über die Sturheit des Juden und äußert despektierlich: ὁ δὲ αὐτόχρηµα Μακκαβαῖος οἷος ἦν ἐγκαρτερῆσαι τῷ δόγµατι.162 Wir stoßen hier wieder auf bemerkenswerte Kenntnisse des Synesios über das Judentum, wenn er den – aus jüdischer Perspektive – standhaften Amarantos als Μακκαβαῖος bezeichnet, der ja die Einhaltung des Gesetzes über sein Leben stellt. Noch detaillierter nimmt sich seine Kenntnis jüdischer Gesetzespraxis bei der Darstellung der nächsten Wendung des Geschehens aus: Um Mitternacht nämlich nimmt Amarantos, ohne erneut angefleht oder bedroht worden zu sein, seinen Posten wieder ein. Synesios zitiert ihn mit dem Ausspruch: νῦν γὰρ ὁ νόµος ἐφίησιν, ἐπειδὴ nimmt er aufgrund der Erklärung für die στάσις des Meeres an: »Die Haltung des Schreibers ist also anders als die des Schreibers einer regulären ἔκφρασις« (Simeon, Untersuchungen, S. 70). 159 Vgl. zu einer Beurteilung von Sturmbeschreibungen als Klischee bzw. Dutzendware, oder aber zur Parodie auf solche stereotypen Darstellungen auch: Juv. 1,9; 12,22–24; Petr. 114f.; Luc. Tox. 19; VH I 6; Merc.Cond. 1. 160 Synes. ep. 4,162b (Garzya 5,16,18; EpistGr, S. 641; PG 66, 1333A). 161 Synes. ep. 4,162b (Garzya 5,16,12f.; EpistGr, S. 641; PG 66, 1332D). 162 Synes. ep. 4,162b (Garzya 5,16,18f.; EpistGr, S. 641; PG 66, 1333A); Übersetzung: Dieser echte Makkabäer aber war kraft und willens, an seinem Gebot festzuhalten.
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6 Neutestamentliche und frühchristliche Literatur
νῦν σαφῶς τὸν ὑπὲρ τῆς ψυχῆς θέοµεν;163 aus der Sicht unseres Autors ist
auch das wieder despektierlich zu verstehen, denn er geht gleich dazu über, die neue Welle der Verzweiflung, die über die Passagiere kommt zu würdigen: πρὸς τοῦτο αἴρεται θόρυβος ἐξ ἀρχῆς, ἀνδρῶν οἰµωγή, γυναικῶν ὀλολυγή· ἅπαντες ἐθεοκλύτουν ἐποτνιῶντο, τῶν φιλτάτων ὑπεµιµνήσκοντο.164 Auch
die Stilisierung der Verzweiflung und des Wehklagens wird durch entsprechende Stellen u.a. aus der Romanliteratur parallelisiert.165 Was Synesios wiederum als Kennzeichen des durch und durch zweifelhaften jüdischen Geschlechts betont, und womit er erneut zum Ausdruck bringt, wie merkwürdig und unverständlich diese Juden denken, leben und handeln, beweist nun endgültig vertiefte Kenntnisse des Synesios über das Judentum, seine Gesetzes- und insbesondere seine Sabbatpraxis.166 Möglicherweise war ihm das 1. Makkabäerbuch bekannt, an dessen zweites Kapitel die hier vorliegende Abfolge denken läßt; auch dort folgt auf eine Erzählung über unbedingte Sabbatobservanz – auch im Angesicht des Todes – (1. Makk 2,29–38) ein korrigierender Beschluß, daß bei Bedrohung des Lebens auch am Sabbat Krieg geführt werden dürfe (1. Makk 2,39–41).167 Exkurs: In der Passage 1. Makk 2,29–41 geht es zwar grundsätzlich um die Lebensbedrohung des ganzen Volkes Israel, denn den Anstoß für den in 1. Makk 2,41 gefaßten Beschluß bot folgendes Argument (1. Makk 2,40): ᾽Εὰν πάντες ποιήσωµεν ὡς οἱ ἀδελφοὶ ἡµῶν ἐποίησαν καὶ µὴ πολεµήσωµεν πρὸς τὰ ἔθνη ὑπὲρ τῆς ψυχῆς ἡµῶν καὶ τῶν δικαιωµάτων ἡµῶν, νῦν τάχιον ὀλεθρεύσουσιν ἡµᾶς ἀπὸ τῆς γῆς.
Wenn wir alle so handeln, wie unsere Brüder gehandelt haben, und nicht gegen die Heiden Krieg führen für unser Leben und unsere heiligen Rechtssatzungen, dann werden sie uns schnell von der Erde vertilgen. Insgesamt scheint man aber dann in der rabbinischen Auslegung unter spitzfindiger Berufung auf Lev 18,5 überhaupt das Leben über die Gebotseinhaltung gestellt zu haben (tatsächlich wird die lebenserhaltende Wirkung der Gesetzesbefolgung an dieser Stelle im Rahmen des Heiligkeitsgesetzes aber wohl nur eine »Bewahrung vor plötzlichem Straf163 Synes. ep. 4,162c (Garzya 5,16,20–17,2; EpistGr, S. 641; PG 66, 1333A); Übersetzung: Denn jetzt erlaubt es das Gesetz, weil wir jetzt sicher in Lebensgefahr schweben. 164 Synes. ep. 4,162c (Garzya 5,17,2–4; EpistGr, S. 641; PG 66, 1333A); Übersetzung: Darauf hebt der Tumult von neuem an: Klagerufe der Männer, Wehgeschrei der Frauen, alle flehten und baten um göttliche Hilfe, gedachten ihrer Liebsten. 165 Vgl. etwa Ach.Tat. III 2,8; Luc. Peregr. 43; Aristid. Or. XLVIII 12. 166 Damit kann auch unsere oben vorgeschlagene Interpretation als wahrscheinlich gelten, daß Synesios in ep. 4,160a (Garzya 5,12,9; EpistGr, S. 640; PG 66, 1329A) bewußt und in scharfem Ton gerade die Juden als γένος ἔκσπονδον bezeichnet (s.o. S. 259). 167 Grützmacher meint, Synesios spiele genau auf diese Passage an (Grützmacher, Synesios, S. 77, Anm. 1); soweit muß man m.E. aber nicht gehen.
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tod im Rahmen des ›normalen‹ irdischen Lebens« meinen168 ). So konnte man auch die Pflicht zur Sabbatobservanz zugunsten der Lebensrettung einschränken, wie sich aus der rabbinischen Literatur gut belegen läßt.169 Diese anscheinend in der Makkabäerzeit entwickelte Gesetzesauslegung, die speziell die Notwehr im Kriege als erlaubte Sabbatübertretung ansah,170 wird nach dem babylonischen Talmud sogar dahingehend ausgeweitet, daß selbst offensive Kriegsführung unter bestimmten Bedingungen am Sabbat zulässig sei, wobei dem Schammai die Lehre zugeschrieben wird, daß sogar eine belagerte Stadt erstürmt werden dürfe (bSchab 19a [zu Mischna 1,8]).171 Bemerkenswert ist jedoch, daß diese Kriegskonzession unter ganz verschiedene Bedingungen gestellt werden konnte, also mehr oder weniger weit gefaßt wurde, und offenbar auch grundsätzlich bis ins erste Jahrhundert umstritten blieb:172 Das zeigt sich schon daran, daß im 2. Makkabäerbuch der Parallelbemerkung zu 1. Makk 2,29–38 kein korrigierender Beschluß wie in 1. Makk 2,39–41 folgt; die Erwähnung der Frommen, die sich in treuer Sabbatobservanz verbrennen ließen, bleibt allein stehen (2. Makk 6,11: . . . συνεφλογίσθησαν διὰ τὸ εὐλαβῶς ἔχειν βοηθῆσαι ἑαυτοῖς κατὰ τὴν δόξαν τῆς σεµνοτάτης ἡµέρας). Stattdessen wird mehrfach die strikte Sabbatobservanz auch bei Kriegshandlungen betont: 2. Makk 8,24–29 (Judas Makkabaios bricht die Verfolgung der Truppen des Nikanor wegen des bevorstehenden Sabbats ab173 ); 2. Makk 15,1–5 (Nikanor fast den Beschluß, am Sabbat anzugreifen, weil dann keine Gefahr bestehe; damit ist vorausgesetzt, daß sich die Juden am Sabbat nicht wirkungsvoll verteidigen würden174 ). Eine entsprechende Einschätzung des jüdischen Verhaltens im Krieg findet sich an verschiedenen Stellen der antiken Literatur: Charakteristisch ist etwa Plutarch, der in de superstitione die Verweigerung der Juden, am Sabbat zu kämpfen, in seine Deutung des Aberglaubens einzeichnet und auch nicht davor zurückschreckt, Noth, 3. Mose, S. 115; vgl. auch Kornfeld, Levitikus, S. 69, Anm. zu vv. 1–5 und 5. Vgl. etwa die Belege bei Bill. I, S. 623f.; Bill. II, S. 5: v.a. Me kh Ex 31,13f. (109a–b ); tSchab 15,17 (134); bJoma 85b (8,7), dort auch der Bezug auf Lv 18,5. 170 Vgl. zu dem ganzen Problem Doering, Schabbat, S. 537–564, er bietet eine Zusammenfassung dazu S. 564f. 171 Vgl. die Übersetzungen bei Goldschmidt, Bd. I, S. 485; Epstein, Shabbath I, S. 79. Siehe zu dieser Lehre Doering, Schabbat, S. 554–556. Vgl. auch die entsprechende Interpretation in Sifre Dtn § 204: »Auch wenn es am Sabbat ist« (Bietenhard, S. 491); zur Frage des Beginns der Belagerung – nicht weniger als drei Tage vor dem Sabbat – und der Unterbrechung am Sabbat – die nicht notwendig sei – siehe Sifre Dtn § 203 (Bietenhard, S. 491). 172 Vgl. zum Ganzen Krieger, Geschichtsschreibung, S. 314–321 (mit Verweisen auf ältere Literatur); das Strittige an diesem Element der Sabbathalacha wird zu wenig betont bei: Lohse, Art. σάββατον, S. 9 (dort aber auch die wichtigsten Quellen). 173 Siehe bes. v. 26: ἦν γὰρ ἡ πρὸ τοῦ σαββάτου, δι’ ἣν αἰτίαν οὐκ ἐµακροτόνησαν κατατρέχοντες αὐτούς. 174 Besonders v. 1: . . . ἐβουλεύσατο τῇ τῆς καταπαύσεως ἡµέρᾳ µετὰ πάσης ἀσφαλείας αὐτοῖς ἐπιβαλεῖν. Es ist natürlich richtig, daß das keine explizite Ablehnung der Selbstverteidigung darstellt, allerdings ist die Stelle kaum damit abzutun, daß man erklärt, der Angrif am Sabbat stellte lediglich eine Überraschung für die Juden dar, weil sie dann keine Waffen trügen – gegen Doering, Schabbat, S. 561f., der aber auch anerkennt, daß das 2. Makkabäerbuch »einen starken Akzent auf konsequente Sabbatheiligung legt« (S. 562). 168 169
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derartigem Denken zu unterstellen, es nehme Gott als Vorwand der Feigheit (δειλίας
πρόφασις), dazu Plu. Moralia 169C:175
ἀλλ’ ᾽Ιουδαῖοι σαββάτων ὄντων ἐν ἀγνάπτοις καθεζόµενοι, τῶν πολεµίων κλίµακας προστιθέντων καὶ τὰ τείχη καταλαµβανόντων, οὐκ ἀνέστησαν ἀλλ’ ἔµειναν ὥσπερ ἐν σαγήνῃ µιᾷ τῇ δεισιδαιµονίᾳ συνδεδεµένοι.
Aber die Juden saßen am Sabbat in ungewalkten Kleidern da, und, als die Feinde Leitern anstellten und die Mauern einnahmen, da erhoben sie sich nicht, sondern hielten wie in einem einzigen großen Netze aneinandergebunden still. Dagegen durchbricht in der Schilderung des 1. Makkabäerbuchs Jonathan mit seinen Männern den feindlichen Kessel an einem Sabbattag (1. Makk 9,42–49; bes. bemerkenswert ist v. 44 mit dem Aufruf des Jonathan zum Kampfe, den er mit der akuten Lebensgefahr begründet: . . . ἀναστῶµεν δὴ καὶ πολεµήσωµεν περὶ τῶν ψυχῶν ἡµῶν, οὐ γάρ ἐστιν σήµερον ὡς ἐχθὲς καὶ τρίτην ἡµέραν). Eine noch frühere Reaktion auf dieses im 1. Makkabäerbuch vertretene Notwehrrecht könnte sich im Jubiläenbuch finden, wo es im Rahmen einer längeren Aufzählung von am Sabbat verbotenen Tätigkeiten in Jub 50,12f. heißt: »Und jeder Mensch, der eine Arbeit tut[,] . . . und jeder Mensch, der jemanden schlägt und tötet, . . . und auch der, der fastet und Krieg macht am Tage des Sabbats, | und ein Mensch, der jegliches davon tut am Tage Sabbats, soll sterben . . . «.176 Offenbar wird hier auf vor-makkabäische Regelungen zur Kriegsführung am Sabbat zurückgegangen.177 Eine Besonderheit in der Frage nach dem Notwehrrecht am Sabbat stellt das Zeugnis des Josephus dar:178 Einerseits scheint Josephus in seinem späteren Werk Antiquitates Iudaicae eine entsprechend streng auf das reine Notwehrrecht ausgelegte Konzession zur Kriegsführung am Sabbat akzeptiert zu haben, wie insbesondere folgende Stellen zeigen: J. AJ XII 6,2 (§§ 276f.);179 XIV 4,2 (§ 63). In der letzten Stelle wird explizit die rigide Auslegung der Sabbathalacha vertreten, nach der die Abwehr eines unmittelbaren Angriffs erlaubt sei, aber nicht etwaige Maßnahmen gegen Pionierarbeiten, wie hier bei der Belagerung Jerusalems durch Pompeius (AJ XIV 4,2 [§ 63]): εἰ δὲ µὴ πάτριον ἦν ἡµῖν ἀργεῖν τὰς ἑβδοµάδας ἡµέρας, οὐκ ἂν ἠνύσθη τὸ χῶµα κωλυόντων ἐκείνων· ἄρχοντας µὲν γὰρ µάχης καὶ τύπτοντας ἀµύνασθαι δίδωσιν ὁ νόµος, ἄλλο δέ τι δρῶντας τοὺς πολεµίους οὐκ ἐᾷ. 175 Vgl. zu weiteren Zeugnissen zu diesem Verhalten: Görgemanns, Plutarch: Drei religionsphilosophische Schriften, S. 360, Anm. 8c.4. 176 Berger, Buch der Jubiläen, S. 555f., vgl. auch den Kommentar 12k (S. 556) zu weiteren Parallelen. Berger datiert das Jubiläenbuch 145–140 v.Chr. (a.a.O., S. 300). 177 Lutz Doering kommentiert: »Die im Jub aufgenommene Sabbathalacha greift damit die alte, bis zum makkabäischen Entschluß zur Selbstverteidigung (1Makk 2,39–41; Ant 12,276f ) offenbar unter den Juden in Palästina in Geltung stehende Position zur sabbatlichen Kriegsführung auf« (Doering, Schabbat, S. 108). 178 Vgl. diesbezüglich Krieger, Geschichtsschreibung, S. 317–321, dort auch weitere relevante Belegstellen, die über das hier in aller Kürze Gebotene hinausgehen. 179 Dem Mattathias allein wird hier die Lehre zugeschrieben, daß die Verteidigung am Sabbat erlaubt sei; ausdrücklich notiert Josephus, daß diese Auslegung bis in seine Zeit gültig geblieben sei: καὶ ἄχρι δεῦρο µένει παρ’ ἡµῖν τὸ καὶ σαββάτοις, εἴ ποτε δεήσειεν, µάχεσθαι (§ 277).
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Wenn es aber nicht väterliche Überlieferung bei uns wäre, am siebenten Tage zu ruhen, so wäre der Wall nicht vollendet worden, weil jene [sc. die Belagerten] das verhindert hätten; denn diejenigen abzuwehren, die einen Kampf beginnen und uns schlagen, läßt das Gesetz zu, die Feinde zurückzuschlagen, die etwas anderes tun, erlaubt es jedoch nicht. Schon in AJ XVIII 9,2 (§§ 318–324) findet sich aber ein widersprechendes Bild, weil hier Asinaios, der Führer der Juden, sich entschließt, einem Angriff am Sabbat zu begegnen; seine Handlung wird ausdrücklich als gesetzwidrig bezeichnet (παρανοµεῖν, AJ XVIII 9,2 [§ 323]), als sei die makkabäische Auslegung im Sinne des Notwehrrechts nicht existent oder hier nicht anwendbar. In De bello Iudaico nun findet sich nicht der geringste Hinweis auf das dem Josephus ja durchaus bekannte und von ihm auch (in entsprechend strenger Anwendung) befürwortete Notwehrrecht am Sabbat; vielmehr wird den Aufständischen mehrfach vorgeworfen, das Sabbatgebot verletzt zu haben: Ist der Vorwurf bei der vertragswidrigen und eidbrüchigen Niederstreckung der Soldaten des Metilius noch nachvollziehbar, so fällt auch hier schon die völlige Ausblendung des Notwehrrechts auf (J. BJ II 17,10 [§§ 450–456, bes. § 456]).180 Besonders tendenziös erscheint aber demgegenüber der erneute Vorwurf der Sabbatübertretung bei den Maßnahmen gegen den Angriff des Cestius Gallus auf Jerusalem (J. BJ II 19,1f. [§§ 513–518]):
καὶ µέγα τῷ πλήθει θαρροῦντες ἄτακτοι µετὰ κραυγῆς ἐξεπήδων ἐπὶ τὴν µάχην µηδὲ τῆς ἀργῆς ἑβδοµάδος ἔννοιαν λαβόντες· ἦν γὰρ δὴ τὸ µάλιστα παρ’ αὐτοῖς θρησκευόµενον σάββατον. ὁ δ’ ἐκσείσας αὐτοὺς τῆς εὐσεβείας θυµὸς ἐποίησεν πλεονεκτῆσαι καὶ κατὰ τὴν µάχην.181 Hier handelt es sich also eindeutig um die Erwiderung eines An-
griffs; Krieger kommentiert daher m.E. zutreffend: »Könnte bei BJ 2,450–456 auch ein Befürworter des Notwehrrechts am Sabbat der Kritik des Josephus zustimmen – denn die Römer hatten sich bereits ergeben, ihre Tötung war nicht notwendig –, so kann nun, da römische Truppen Jerusalem militärisch bedrohen, die Ausnahmeregelung, die die makkabäische Sabbathalacha getroffen hat, zu Recht in Anspruch genommen werden.«182 Hinzuzunehmen ist noch die interessante Darstellung der Flucht des Johannes aus Gischala, nach der dieser das Sabbatgebot vorschiebt, um einen Tag Aufschub zu erhalten, dann aber die folgende Nacht zur rücksichtslosen Flucht zu nutzen (J. BJ IV 2,2–4 [§§ 92–111]); unwidersprochen läßt ihn Josephus damit argumentieren, daß es am Sabbat weder erlaubt sei, die Waffen zu gebrauchen, noch überhaupt über Frieden zu ver-
180 J. BJ II 17,10 (§ 456): καὶ γὰρ δὴ σαββάτῳ συνέβη πραχθῆναι τὸν φόνον, ἐν ᾧ διὰ τὴν θρησκείαν καὶ τῶν ὁσίων ἔργων ἔχουσιν ἐκεχειρίαν. Übersetzung: Denn es war gerade an einem
Sabbat, da dieser Mord geschah, an dem sie [sc. die Juden] um der Gottesverehrung willen Waffenruhe halten und sogar von ansonsten gottgefälligen Werken Abstand nehmen. – Vgl. zu dieser Stelle: Krieger, Geschichtsschreibung, S. 238–241.247. 181 J. BJ II 19,2 (§§ 517f.); Übersetzung: Im Vertrauen auf ihre große Menge warfen sie sich ohne Ordnung unter Geschrei in den Kampf und achteten dabei nicht einmal auf den siebenten Tag als Ruhetag; denn es war gerade der besonders bei ihnen verehrte Sabbattag. Die wilde Wut, die sie sogar von ihrer Frömmigkeit abbrachte, ließ sie auch im Kampfe obsiegen. 182 Krieger, Geschichtsschreibung, S. 247.
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handeln (IV 3 [§ 99]).183 Josephus unterstellt dem Johannes nur, daß es ihm dabei nicht um den Sabbat, sondern nur um seine eigene Rettung gegangen sei (IV 3 [§ 103]).184 Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß Josephus offenbar durch Stillschweigen den Eindruck erweckt, als gebe es das makkabäische Notwehrrecht gar nicht, und alle Juden seien der Überzeugung, am Sabbat nicht kämpfen zu dürfen. Möglicherweise verfolgt er damit den Zweck, die Aufständischen auch in dieser Hinsicht in ein schlechtes Licht zu rücken – nämlich als Übertreter althergebrachter Überlieferung.185
Diese ausführliche Darstellung des aus seiner Sicht nichtsdestoweniger absurden Verhaltens des Amarantos schließt Synesios ab mit einer vorerst letzten Bemerkung: Amarantos sei nämlich – in der Hoffnung, seine Gläubiger abschreiben zu können (περιγράφειν τοὺς δανειστάς, ep. 4,162c [Garzya 5,17,4–6]) – als einziger an Bord guten Mutes gewesen. Danach widmet unser Autor dem κυβερνήτης nur noch den einen oder anderen Seitenhieb (s.u.). Bevor er sich wieder der gefährlichen Situation des Schiffes annimmt, geht Synesios noch auf seine Gefühlslage ein (ep. 4,162c–163c):186 Mit der Reflexion auf ein Homer-Wort (Od. IV 511), das er dahin interpretiert, daß durch den Tod im Wasser nicht nur das Leben, sondern auch die Seele untergehe,187 tröstet er sich darüber hinweg, im Falle eines Scheiterns des Schiffes seinem Gastfreund Proklos die geliehene Summe nicht zurückzahlen zu können:188 Stürbe im Wasser auch die Seele, müßte er sich im Tod nicht auch noch der unbeglichenen Schuld schämen. Dieser Einschub ist an Zynismus kaum zu überbieten. Nun aber zurück zur Situation im Sturm: Das Schiff fährt mit vollen Segeln, wodurch es dem Wind in seiner ganzen Gewalt ausgeliefert ist. Man versucht erfolglos, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, um nicht bei Nacht an eine unbekannte Küste zu laufen und dort größter Gefahr ausgesetzt zu sein: Die Befürchtung, durch den Sturm verschlagen zu werden und dann mit dem unkontrollierbaren 183 J. BJ IV 3 (§ 99): δεῖν µέντοι τὴν ἡµέραν αὐτὸν ἐκείνην, ἑβδοµὰς γὰρ ἦν, χαρίσασθαι τῷ ᾽Ιουδαίων νόµῳ, καθ’ ἣν ὥσπερ ὅπλα κινεῖν αὐτοῖς, οὕτω καὶ τὸ συντίθεσθαι περὶ εἰρήνης ἀθέµιτον. 184 J. BJ IV 3 (§ 103): τοιούτοις ἐσοφίζετο τὸν Τίτον, οὐ τοσοῦτον τῆς ἑβδοµάδος στοχαζόµενος, ὅσον τῆς αὑτοῦ σωτηρίας.
Vgl. zu dieser Deutung: Krieger, Geschichtsschreibung, S. 320f. Garzya 5,17,6–18,19; EpistGr, S. 641f.; PG 66, 1333A–D. 187 Vgl. zu dieser in der Antike verbreiteten Annahme: Wachsmuth, Πόµπιµος, S. 424–430. Eine Variante der Vorstellung begegnet bei Ach.Tat. V 16,1f., wo Kleitophon gegenüber der ihn bedrängenden Melitte anführt, daß sie gerade über das Grab der Leukippe hinwegführen, und ihr εἴδωλον vielleicht neben dem Schiffe erscheine, weil man ja glaubte, daß die Seelen der auf dem Meer Verstorbenen nicht in den Hades hinabstiegen, sondern auf dem Meer umherirrten. 188 Zur vieldiskutierten Geldschuld des Synesios vgl.: Grützmacher, Synesios, S. 73f.; Schmitt, Die Bekehrung des Synesios, S. 246–248, Anm. 16 und S. 406f.411; zur nicht ganz unproblematischen Stelle ep. 4,163b vgl. Hermelin, Zu den Briefen, S. 30f. 185 186
6.3 Synesios von Kyrene
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Schiff am Lande zu scheitern, wird oft in solchen Erzählungen angeführt.189 Im Fall des Synesios scheitern die Gegenmaßnahmen schon rein technisch: Das laufende Gut hat sich festgefressen, so daß es nicht möglich ist, die Segel einzuholen (ep. 4,163c):190 ὃ δὲ ἐποίει παρὰ πόδας τὸν κίνδυνον, οὐχ ἕτερον ἦν ἀλλ’ ὅτι πᾶσιν ἱστίοις ἡ ναῦς ἐφέρετο, ὑποτεµέσθαι δὲ οὐκ ἦν, ἀλλὰ πολλάκις ἐπιχειρήσαντες τοῖς καλωδίοις ἀπηγορεύκειµεν, τῶν τροχῶν ἐνδακόντων, καὶ ὑφώρµει δέος οὐκ ἔλαττον, εἰ καὶ διαγενοίµεθα ἐκ τοῦ κλύδωνος, οὕτως ἔχοντας ἐν νυκτὶ πελάζειν τῇ γῇ.
Was uns die Gefahr so nahe brachte, war nichts anderes, als daß das Schiff unter vollen Segeln fuhr; Segel zu kürzen war nicht möglich, sondern wir hatten uns oft an den Tauen versucht, waren es dann aber müde geworden, weil die Laufrollen sich daran festgefressen hatten; und so lauerte die nicht geringere Furcht, daß wir, wenn wir denn den Wogen glücklich entrinnen könnten, in besagtem Zustand bei Nacht auf Land stießen.191
Später, nachdem der Wind nachgelassen hatte, war das laufende Gut auch nicht zu gebrauchen; ein Ersatzsegel (der oben schon erwähnte νόθος) war nicht vorhanden – es war angeblich verpfändet,192 mit welcher Bemerkung sich Synesios seinen ersten neuerlichen Seitenhieb auf Amarantos gönnt. Im weiteren Verlauf kommt man an einen verlassenen Ort, wo man sich dennoch zwei Tage lang aufhält: Schon allein die Landung an diesem Ort nutzt Synesios wiederum zu einem Seitenhieb auf Amarantos. Das Schiff muß nämlich mit einem Anker auskommen, der zweite sei verkauft gewesen, und 189 Vgl. zur Gefahr der Küste oder speziell von Felsen und Riffen v.a. Apg 27,17.29; daneben Plb. I 37,2; J. BJ III 9,3 (§§ 422–424); App. BC V 10 (§§ 88–90); Plu. Dio 25,7f.; Sen. Ep. LIII 2f.; Ach.Tat. III 4,3; Hld. V 17,4f.; Luc. Nav. 8f.; Merc.Cond. 1f.; Aristid. Or. XLVIII 66 und zu guter Letzt den schwimmenden Odysseus Od. V 388–463. Man beachte darüber hinaus noch die plastische Szene mit den klatschenden Passagieren unten (ep. 4,164d–165a [Garzya 5,21,7–11; EpistGr, S. 643; PG 66, 1337B]); vgl. zur literarisch des öfteren verwerteten Gefahr, am Lande zu zerschellen: Hendry, Seneca, der mit entsprechenden Überlegungen den überlieferten Text von Hor. Carm. III 27,21–24 (insbesondere vv. 23f.) verteidigt, wo er auch die Gefahr der Küste für das Schiff ausgedrückt sieht. – Keine Sorgen machen sich in dieser Hinsicht allerdings die selbstlos um die Rettung des Propheten bemühten Schiffer in Jon 1,13. 190 Garzya 5,18,19–19,3; EpistGr, S. 642; PG 66, 1336A. 191 Wirkungslose oder, wie hier, schon bei der Ausführung scheiternde Maßnahmen sind in den Seenoterzählungen geläufig: Vgl. Herpyllis II 26–28, wo das Beidrehen der Rah unmöglich ist; Ach.Tat. III 1,1f., wo das vom Kapitän befohlene Manöver nicht gelingt; bei Luc. VH I 6 lassen sich auch die Segel nicht reffen; Apg 27,15, wo man versucht, das Schiff mit dem Bug in den Wind zu bringen. Bei Luc. Tox. 19 scheint den Schiffern wenigstens das Reffen der Segel gelungen zu sein. Insgesamt sind solche Maßnahmen zur Abhilfe, ganz gleich, ob sie selbst scheitern oder nur wirkungslos bleiben, der nicht erfolgreichen seemännischen Selbsthilfe zuzuordnen, wie etwa auch das recht oft erwähnte Leichtern des Schiffes (beispielweise in Luc. Merc.Cond. 1; Jon 1,5; Apg 27,18f.38; s. dazu S. 191f. mit weiteren Belegen). 192 Synes. ep. 4,163d (Garzya 5,19,7f.; EpistGr, S. 642; PG 66, 1336A): ὑπαλλάττειν µὲν οὖν ἱστίον ἕτερον νόθον οὐκ εἴχοµεν (ἠνεχυρίαστο γάρ). S. dazu schon oben.
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einen dritten hatte der gute Amarantos nie besessen.193 Nach Wiederaufnahme der Fahrt ging es zunächst gut, man machte εὔπλοια – gute Fahrt. Doch – wie so oft – fungiert auch hier die gute Fahrt nur als Gegenbild zum erneut drohenden Unheil, das sich schon mit der gleichermaßen gefährlichen Windstille ankündigt (ep. 4,164a–b):194 καὶ ἄραντες εὐθὺς ἀρχοµένης ἡµέρας ἐπλέοµεν ἐκ πρύµνης ἀνέµῳ πᾶσαν αὐτὴν καὶ τὴν ἐπιγενοµένην ἡµέραν, ἧς ἤδη ληγούσης τὸ πνεῦµα ἀπέλιπεν ἡµᾶς, καὶ ἡµεῖς ἠνιάθηµεν. ἐµέλλοµεν δὲ ἄρα ποθήσειν γαλήνην.
Nachdem wir bald nach Tagesanbruch Anker gelichtet hatten, segelten wir mit dem Wind im Rücken diesen ganzen und den folgenden Tag, an dessen Ausgang uns aber der Wind im Stich ließ und wir in Not gerieten. Wir sollten uns aber noch nach Windstille sehnen.
Es kommt, was kommen mußte: Das Schiff des Synesios gerät erneut in einen Sturm – wiederum vorbereitend hatte er ja auf die bevorstehende Konjunktion und das unglückliche Geschick hingewiesen.195 Unser leidgeplagter Passagier beschreibt diesen zweiten Sturm aber recht dürftig, als ob er Hemmungen hätte, sich im wiederholten Gebrauch geläufiger Topoi zu ergehen; er betont selbst, daß er dieselben Dinge nicht zweimal erzählen will: τὰ δὲ περὶ ἡµᾶς, οἷα εἰκὸς ἐν τοῖς τοιούτοις, ἵνα µὴ πάθη παραπλήσια δὶς ἀφηγώµεθα.196 193 Synes. ep. 4,163d–164a (Garzya 5,19,13–16; EpistGr, S. 642; PG 66, 1336B): ἡ µὲν οὖν ναῦς ἐσάλευεν ἐπὶ µετεώρου (λιµὴν γὰρ ὁ τόπος οὐκ ἦν) καὶ ἐσάλευεν ἐπ’ ἀγκύρας µιᾶς· ἡ ἑτέρα γὰρ ἀπηµπόλητο, τρίτην δὲ ἄγκυραν Ἀµάραντος οὐκ ἐκτήσατο. Übersetzung: Das Schiff schwankte
nun auf offener See (denn der Ort war kein Hafen), es schwankte vor nur einem Anker, der zweite war nämlich verkauft, und einen dritten hat Amarantos nicht angeschafft. – Mindestens drei Anker an Bord eines Schiffes mittlerer Größe sind als Standardausrüstung zu betrachten, üblich (insbesondere auf größeren Schiffen) waren sogar weit mehr (vgl. Casson, Ships, S. 251–256, bes. S. 255f.; Höckmann, Antike Seefahrt, S. 65): Das Schiff des Paulus hatte mindestens sechs an Bord (Apg 27,29f.); beim berühmten Mahdia-Schiff wurden fünf Anker unterschiedlicher Größe gefunden, der größte von ihnen ist noch in situ, vgl. Gelsdorf, Anker, S. 83–87 mit Abb. 1–8; Stecher, Das Schiff von Mahdia, S. 49–52. 194 Garzya 5,20,3–7; EpistGr, S. 643; PG 66, 1336C. – Zur εὔπλοια, der schönen Fahrt, als motivischem Gegenstück zur Seenot vgl. Charito III 6,1; Ach.Tat. II 32,1f.; Hld. V 1,2.; zuweilen hat dieses Gegenstück auch, wie hier, vorbereitende Funktion: Das Unheil kann im Kontrast drastischer dargestellt werden. Zur erzählerischen Funktion der Windstille, das kommende Unheil vorzubereiten, vgl. X.Eph. I 12,3 (das zunächst eintretende Unheil ist hier allerdings ein Piratenüberfall); grundsätzlich zu den Gefahren der γαλήνη vgl. AP VII 293; Charito III 3,18; Hld. V 23,2f. 195 Diesen Passus hatten wir schon oben im Rahmen der Datierungsfrage behandelt. 196 Synes. ep. 4,164c (Garzya 5,20,15f.; EpistGr, S. 643; PG 66, 1337A); Übersetzung: Was uns betrifft, so erging es uns, wie man in diesen Umständen erwarten dürfte, damit wir von ähnlichen Leiden nicht zweimal Bericht erstatten. – Die Kurz-ἔκφρασις – wenn man so will – lautet (164b–c [Garzya 5,20,12–15; EpistGr, S. 643; PG 66, 1337A]): ἡ δὲ στάσις ἤρξατο µὲν ἀπὸ τῶν ἀρκτικῶν πνευµάτων, καὶ ὗσέ γε πολλὰ κατὰ τὴν συνοδικὴν νύκτα. ἔπειτα ἠκόσµει τὰ πνεύµατα, καὶ ἡ θάλαττα κυκεὼν ἐγεγόνει. Übersetzung: Der Aufruhr begann mit nördlichen Winden, und es
6.3 Synesios von Kyrene
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Dennoch erzählt Synesios, wie man diesen zweiten, durchaus nicht minder schlimmen Sturm überstanden hat, auch hier gibt er Details und wird es trotz seinen Bedenken, dasselbe zweimal zu berichten, nicht müde, wiederum auf das nicht benutzbare laufende Gut hinzuweisen; diesmal allerdings sorgt der Sturm selbst zum rechten Zeitpunkt für die Kürzung der Segel: ὤνησέ τι τὸ µέγεθος τοῦ χειµῶνος. τὸ κέρας ἐτετρίγει, καὶ ἡµεῖς ᾠόµεθα προτονίζειν τὴν ναῦν· εἶτα κατεαγὸς µέσον ἐγγὺς µὲν ἦλθεν ἀπολέσαι πάντας ἡµᾶς· ἐπεὶ δὲ οὐκ ἀπώλεσεν, αὐτὸ δὴ τοῦτο καὶ περιέσωσεν· οὐ γὰρ ἦν ἄλλως ἐνέγκαι τὴν βίαν τοῦ πνεύµατος, πάλιν δὲ δυσπειθὲς ἦν τὸ ἱστίον καὶ οὐκ εὔτροχον εἰς καθαίρεσιν.197
So ließ man sich also wieder treiben; in den frühen Morgenstunden stößt man auf Land, was unter den gegebenen Umständen freilich nur den Unkundigen Freude bereiten kann. Die Matrosen befürchten Schreckliches; indem unser Autor hier die Verhältnisse realistisch einschätzt, gibt er zum ersten Mal unumwunden seine mangelnden seemännischen Kenntnisse zu, zählt er sich doch offenbar hier mit zu denen, die ἐξ ἀπειρίας in die Hände klatschten (ep. 4,164d–165a):198 . . . θροῦς ἤρθη πολὺς καὶ ἥκιστα ξύµφωνος, τῶν µὲν ναυτῶν πεφροντικότων, ἡµῶν δὲ ἐξ ἀπειρίας τὼ χεῖρε ἐπικροτούντων, καὶ περιβαλλόντων ἀλλήλους καὶ οὐκ ἐχόντων ὅπως χρησώµεθα τῷ πλήθει τῆς χαρᾶς. ἐλέγετο δὲ ὁ µέγιστος αὐτὸς εἶναι τῶν περιστάντων ἡµᾶς κινδύνων.
. . . viel Lärm erhob sich, zum wenigsten harmonisch: Die Matrosen auf der einen Seite waren von Sorge erfüllt, wir aber auf der anderen Seite klatschten aus Unerfahrenheit in die Hände, umarmten einander und wußten nicht, mit der Fülle der Freude umzugehen. Man sagte aber, daß das die größte von allen Gefahren sei, die uns umringt hätten.
Dann geschieht das, was man ohne Zweifel als ein Wunder im Rahmen solcher Seefahrtserzählungen auffassen kann: Ein freundlicher Bewohner der unberegnete viel in der Nacht der Konjunktion. Dann wüteten die Winde, und das Meer war zu einem brodelnden Kessel geworden. 197 Synes. ep. 4,164c–d (Garzya 5,20,16–21,1; EpistGr, S. 643; PG 66, 1337A–B); Übersetzung: In gewisser Weise half uns die Stärke des Sturms. Die Segelstange krachte, und wir glaubten, das Schiff mit den Bugstagen straffen zu müssen: Da brach sie in der Mitte, und es war nahe dran, daß wir alle zugrundegingen; da aber der Untergang nicht eintrat, war genau das die Rettung: Anders nämlich wäre die Gewalt des Windes nicht zu ertragen gewesen, das Segel war wiederum nicht gefügig und ließ sich nicht einholen. – Vgl. hierzu wieder die schon erwähnten fehlgeschlagenen Manöver: Synes. ep. 4,163c (Garzya 5,18,19–19,3; EpistGr, S. 642; PG 66, 1336A); Herpyllis II 26–28; Ach.Tat. III 1,1f.; zu Beschädigungen des Schiffs im Sturm siehe: Theoc. XXII 12–14; Hor. Carm. I 14,3–6; Hld. V 22,7; Apul. Met. II 14,2; Petr. 114,13; Luc. Merc.Cond. 1. 198 Garzya 5,21,7–11; EpistGr, S. 643; PG 66, 1337B; vgl. zu dieser Stelle: Hendry, Seneca, S. 68f. – Die von einer (womöglich unbekannten) Küste ausgehende Gefahr wird oft in der Literatur bemüht, vgl. beispielsweise wieder Plu. Dio 25,7f.; Sen. Ep. LIII 2f.; Ach.Tat. III 4,3, wo das Schiff tatsächlich
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kannten Küste rettet das Schiff, indem er es als Lotse in einen Hafen geleitet (ep. 4,165a):199 ἤδη δὲ ὑποφαινοµένης ἡµέρας κατασείει τις ἄνθρωπος χωρικῶς ἐσταλµένος, καὶ δείκνυσι τῇ χειρὶ τόπους ὑπόπτους καὶ ἑτέρους οὓς ἔδει θαρρῆσαι. καὶ τέλος µόνος ἦλθεν ἐπὶ κελητίου δισκάλµου, ὅπερ ἐξάψας τοῦ πλοίου µεταχειρίζεται τὸ πηδάλιον (ὁ δὲ Σύρος ἄσµενος ἐξέστη τῆς προεδρίας), ἀναλύσας δὲ σταδίους οὐ πλείους ἢ πεντήκοντα τήν τε ναῦν ἐνορµίζει λιµενισκίῳ χαρίεντι (Ἀζάριον οἶµαι καλοῦσιν αὐτό) καὶ ἡµᾶς ἐπὶ τῆς ἠϊόνος ἀπεβίβασε σωτὴρ καὶ δαίµων ἀγαθὸς ἐπικαλούµενος.
Bei Tagesanbruch winkt uns ein Mensch in ländlicher Kluft und weist mit der Hand auf gefährliche Stellen hin und solche, in die man Vertrauen setzen sollte. Schließlich kam er allein auf einem zweirudrigen kleinen Boot, womit er am Schiff festmachte und das Ruder übernahm (der Syrer gab den Vorsitz mit Freuden auf ); nachdem er nicht mehr als fünfzig Stadien zurückgelegt hatte, ließ er das Schiff in einen lieblichen kleinen Hafen einlaufen (ich glaube, er heißt Azarios),200 und uns setzte er, den wir als Retter und guten Geist priesen, am Strande ab.
Der Alte läßt seine Hilfe am selben Tag noch vier weiteren Schiffen angedeihen, am folgenden kommen noch mehr hinzu. Eine derartige freundliche Aufnahme ist das motivische Gegenstück zur in vielen Erzählungen traktierten feindlichen Aufnahme an Land, nach der die durch Sturm Geplagten nun auch noch weiteres Leid erdulden müssen, sei es durch Piraten, Landräuber oder Sklavenhändler.201 Synesios weist ja selbst auf den Kontrast zur mythischen Figur des Nauplios hin.202 Der Rest der Darstellung verläuft sich in durchaus unterhaltsamen Ausführungen über den weiteren Aufenthalt an dem öden Küstenstrich, die geradezu paradoxographische Züge trägt:203 Ernährt man sich zunächst auf Anraten des an einem unterseeischen Felsen zerbricht; Hld. V 17,4f.; Luc. Merc.Cond. 1f.; Apg 27,29; oben hatten wir schon ep. 4,163c (Garzya 5,19,1–3; EpistGr, S. 642; PG 66, 1336A) behandelt. 199 Garzya 5,21,11–22,2; EpistGr, S. 643; PG 66, 1337B–C. 200 Volkmann, Synesius, S. 77, Anm.**, will Ἀζάριος mit Aziris bei Hdt. IV 157 identifizieren, das in der Marmarica gelegen ist. 201 Das Motiv der freundlichen Aufnahme findet sich u.a. bei: Apg 28,2ff.; Ninos C 1–16 (nicht ganz sicher, s. z.St.); Hist.Ap. 12; X.Eph. V 1,2; Herpyllis II 1–7 (vor dem Seesturm); Petr. 114,14; 115,6; Hom.Clem. XII 17,1–18,1; vgl. auch Od. VI 110–331. Aus der Romanliteratur kann man auf eine Vielzahl von Stellen hinweisen, an denen das Gegenteil erzählt wird, die feindliche Aufnahme: Charito III 7,1–3; X.Eph. II 11,11; III 12,1f.; Ach.Tat. III 9,2–IV 18,1; Hld. I 3,4–33,4. 202 Synes. ep. 4,165b (Garzya 5,22,4–6; EpistGr, S. 643f.; PG 66, 1337C): . . . πρᾶγµα µὲν ἐναντιώτατον τῷ Ναυπλίῳ ποιοῦντος (καὶ γὰρ οὐχ ὡς ἐκεῖνος τοὺς ἀπὸ τοῦ χειµῶνος ἐδέξατο). Übersetzung: . . . tatsächlich handelte er im direkten Gegensatz zum bekannten Nauplios (der nämlich nahm in anderer Weise als jener diejenigen auf, die in einen Sturm geraten waren). – Zum Vorgehen des Nauplios, der sich rächen wollte und durch falsche Feuerzeichen zahlreiche Schiffe auf die Klippen bei Kap Kaphareus (Euböa) auflaufen ließ, s. E. Hel. 767; vgl. auch die Darstellung bei Rose, Gr. Mythologie, S. 237f. 203 Synes. ep. 4,165b–166d (Garzya 5,22,10–25,9; EpistGr, S. 644f.; PG 66, 1337D–1341A); vgl. die Zusammenfassung bei Grützmacher, Synesios, S. 78f.
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freunlichen Lotsen mehr schlecht als recht aus dem Meer, so kommt es bald zu großem Überfluß, weil die libyschen Frauen, die dort ansässig sind, Nahrung und andere Geschenke in Hülle und Fülle bringen. Das allerdings nicht aus reiner Wohltätigkeit, sondern weil sie ihre Neugierde auf den anders gearteten Körperbau der mitreisenden Frauen befriedigen wollen. Synesios konstatiert selbst, daß sein tragisches Erlebnis so zu einem komischen überführt worden sei (ep. 4,166d–167a)204 : τοῦτό σοι δρᾶµα ἐκ τραγικοῦ κωµικὸν ὅ τε δαίµων ἡµῖν ἐνήρµοσε κἀγὼ τοῖς πρὸς σὲ γράµµασι.
Über seine eigentliche Heimkehr nach Kyrene berichtet Synesios nichts, sondern schließt den Brief nach dem lustigen paradoxographischen Teil mit der Wendung an den Empfänger, die aus einer Entschuldigung für die Länge des Briefes, Grüßen etc. besteht. Die schalkhaften letzten Sätze lauten, zum ganzen Ton des Briefes passend (ep. 4,167c): σὺ δὲ µηδέποτε πλεύσειας. εἰ δέ ποτε πάντως δεήσει, ἀλλὰ µή τι φθίνοντός γε µηνός.205
Fazit: Synesios, der neuplatonische Philosoph und nachmalige Bischof von Ptolemaïs, verarbeitet die furchtbaren Erlebnisse, die er auf seiner Heimreise nach Kyrene auf hoher See machen mußte, in einem kleinen literarischen Kunstwerk, das nach seiner eigenen Bemerkung als Tragikomödie bezeichnet werden kann (s.o., ep. 4,166d–167a). Er schildert dabei das Leiden im Sturm nach den Gepflogenheiten und unter Benutzung der gewöhnlichen Topoi solcher Seenotschilderungen. Dabei aber sitzt ihm permanent der Schalk im Nacken, und es gelingt ihm, ein kurzes Stück Literatur ganz eigenen Charakters zu verfassen, indem er zwar die gewohnten Motive – zumindest einige prominente unter ihnen – verwendet, sich aber auch (zum Teil ausdrücklich) von ihnen distanziert und die Bahnen des Üblichen durch breite Verwendung ganz anderer Elemente immer wieder verläßt.206 Mit dem 4. Brief (Garzya 5) des Synesios haben wir also eine Seesturmschilderung ganz besonderer Art vor uns: Der Wunsch, persönlich Erlittenes zu verarbeiten, erscheint verknüpft mit dem Willen, dem Adressaten des Briefs auch ein Stück guter Unterhaltung zu bieten.
204 Garzya 5,25,10f.; EpistGr, S. 645; PG 66, 1341A (Übersetzung: Dieses Drama hat uns der Daimon so von einem tragischen zu einem komischen gefügt, und ich berichte darüber in dem Brief an dich). 205 Garzya 5,26,8–10; EpistGr, S. 645; PG 66, 1341B (Übersetzung: Du aber fahre niemals zur See. Sollte es aber mal unbedingt nötig sein, dann ja nicht am Ende eines Monats). 206 Vgl. die leicht abweichende Beurteilung bei: Simeon, Untersuchungen, S. 77f.
Teil II Apostelgeschichte 27,1–28,6
7 Die Quellenfrage In diesem Kapitel gilt es, die Quellenfrage zu behandeln. Dabei wird natürlich keineswegs das Quellenproblem der gesamten Apostelgeschichte des Lukas erfaßt, geschweige denn gelöst werden können. Hier ist lediglich die Quellenfrage für Apg 27,1–28,16 im Blick. Um unseren Abschnitt Apg 27,1–28,6 im Rahmen des lukanischen Werks angemessen zu würdigen, müssen wir zuerst das alte Problem der »Wir« -Stücke erörtern und uns in einem zweiten Schritt mit der Literarkritk von Apg 27 auseinandersetzen. Das Ziel wird dabei sein, die Möglichkeit, Art und den näherungsweisen Inhalt einer Quelle unseres Abschnitts zu erheben.
7.1 Die sogenannten »Wir«-Stücke Das hier an erster Stelle zu behandelnde Problem ist ein wahrer »Dauerbrenner« der Apostelgeschichtsforschung: Woher kommen die unerwartet, unangekündigt und für den Leser unerklärt auftauchenden Stücke der Apostelgeschichte, die in der 1. Pers. Pl. erzählt sind? Welchen Zweck erfüllen diese sog. »Wir«-Stücke? Keine der bislang vorgeschlagenen Antworten auf diese Fragen konnten eine Mehrheit des Fachpublikums überzeugen. Die Diskussion hat so unterschiedliche Erklärungsmöglichkeiten hervorgebracht, daß man sich zuweilen selbst in Kommentaren scheut, das Faß überhaupt zu öffnen; so etwa Charles H. Talbert in seinem kurzen literary and theological commentary: »No one of these hypotheses has been able to convince a majority of scholars. The question is moot at the moment. For the purposes of this commentary, it is inconsequential.«1 Dieses eigentümliche Problem der Apostelgeschichte kann hier allerdings nicht in dieser Weise umgangen werden, weil erstens unser Text zum dritten »Wir«-Stück (Apg 27,1–28,16) gehört – die anderen beiden finden sich in Apg 16,10–17 und 20,5–21,18 –,2 und weil zweitens gerade der Vergleich mit anderen Talbert, Reading Acts, S. 148. Zwar beginnt nach dem von Nestle-Aland und in GNT4 gebotenen Standardtext das erste »Wir«-Stück erst mit Apg 16,10, der D-Text jedoch bietet die 1. Pers. Pl. schon in 11,28; Bultmann jedenfalls hält das auch für ursprünglich (Bultmann, Quellen der Apostelgeschichte, S. 421f.). – Mit diesem Spezialproblem können wir uns hier aber nicht auseinandersetzen. 1 2
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7 Die Quellenfrage
Seefahrtserzählungen Lösungsvorschläge hervorgebracht hat (s.u.). Zudem will ich, wenigstens für das »Wir-Stück« Apg 27,1–28,16, einen neuen (?) Erklärungsvorschlag unterbreiten. 7.1.1 Ein Forschungsüberblick Grundsätzlich hat man wohl – soweit ich sehe – fünf Möglichkeiten erwogen, diese »Wir«-Stücke zu »erklären«: 1. Der traditionelle Ansatz: Man nimmt an, daß der Verfasser durch das Wir anzeigt, welchen Geschehnissen er als Augenzeuge und somit historischer Paulusbegleiter selbst beigewohnt hat. 2. Der quellenkritische Ansatz: Man nimmt an, daß der Verfasser eine Quelle, die bestimmte Phasen der Paulusreisen schilderte und im sog. »Wir-Stil« verfaßt war, ganz oder auszugsweise bzw. gekürzt zitiert und die 1. Pers. Pl. aus dieser Quelle übernimmt. 3. Ein Anspruch des Verfassers: Man nimmt an, daß der Verfasser durch die »Wir«-Passagen einen (unberechtigten) Anspruch auf Augenzeugenschaft (αὐτοψία), oder zumindest auf ἐµπειρία bzw. αὐτοπάθεια erhebt. 4. Die literarische Erklärung: Man nimmt an, daß »Wir«-Passagen ein literarisches Stilmittel sind, das auch sonst belegbar ist; der Verfasser hat sich dieses Stilmittel zunutze gemacht. 5. Die theologische Erklärung: Man nimmt an, daß der Verfasser die »Wir«Passagen mit einer (im weiteren Sinne) theologischen Aussageabsicht eingesetzt hat. Eine solche Einteilung kann man gewiß auch ganz anders vornehmen; zudem vereinen die fünf aufgeführten Erklärungstypen jeweils zum Teil recht unterschiedliche Vorschläge. Außerdem schließen die Erklärungen einander keineswegs aus, vielmehr wurden zumeist Kombinationen erwogen – wie es ja bei einem solch rätselhaften Phänomen nicht verwundern kann. Die vorgenommene Einteilung ist also nicht als durch und durch reflektierte Analyse der Der oben zuletztgenannte Textzusammenhang 20,5–21,18 ist lediglich unterbrochen durch die Abschiedsrede vor den Ältesten von Ephesos in Milet (Apg 20,18–35) – aber ist das wirklich eine Unterbrechung der »Wir«-Passage? Die vv. 36–38 bereiten hier allerdings Schwierigkeiten, weil sie anscheinend wieder in dritter Pers. erzählt sind. Die vv. 36f. kann man wohl auch aus der »Wir«Perspektive lesen, bei v. 38 gestaltet sich das schwieriger, weil man hier statt προέπεµπον αὐτόν gut προέπεµπον ἡµᾶς erwarten könnte! Vgl. zur einen Position beispielsweise Meyer, Ursprung III, S. 19, der den zweiten »Wir«-Abschnitt sogar bis Apg 28,31 ausdehnt; das ist m.E. unhaltbar. In 20,5–21,18 dagegen einen einheitlichen »Wir«-Bericht zu sehen, halte ich für möglich, wenn auch aufgrund von v. 38 nicht für sicher. Meine Abgrenzung des mittleren Stücks von 20,5–21,18 nehmen etwa auch Cadbury, ‘We’ and ‘I’ Passages, S. 130, Anm. 1; Spencer, Portrait of Philip, S. 247, vor. Vgl. zur Gegenposition: Porter, Excursus, S. 564f.
7.1 Die sogenannten »Wir«-Stücke
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Forschungslage zu verstehen, sondern nur als Versuch, die verworrene Diskussion durch gewisse, schnell geschlagene Schneisen etwas durchsichtiger zu machen. In der sich anschließenden Entfaltung wird ganz und gar kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben: Zu 1.: Die traditionelle Sichtweise auf die »Wir«-Passagen hat den »Vorteil«, daß man mit ihr die in 1. Pers. Pl. gehaltenen Stücke noch einigermaßen sinnvoll lesen kann: Es wird eben auf die 1. Pers. umgeschwenkt, wenn der Verfasser bei den jeweiligen Situationen dabei war.3 Die scharfsinnige (m.E. zu scharfsinnige) Konsequenz daraus wäre – was Eduard Meyer vertritt –, daß unser Verfasser in Alexandria Troas mit Paulus zusammengetroffen wäre (Apg 16,10) und ihn von dort nach Philippi begleitet hätte, dann aber in Philippi verblieben wäre. Er hätte sich später dem Paulus bei seiner Rückreise von der sog. dritten Missionsreise über Makedonien wieder angeschlossen (Apg 20,5) und wäre dann mit ihm nach Jerusalem gereist sowie von Caesarea nach Rom.4 Diese Erklärung der »Wir«-Stücke hat aber v.a. drei Hauptprobleme: Erstens erklärt diese Hypothese nicht, warum unser Verfasser für die Kennzeichnung der von ihm selbst miterlebten Ereignisse den mehrfachen Bruch der Erzählperspektive in Kauf nimmt und nicht wenigstens jeweils erklärende Überleitungen einschiebt.5 Claus-Jürgen Thornton hat in seiner umfangreichen Untersuchung der »Wir«Passagen die Möglichkeit zu erweisen versucht, daß Lukas selbst Paulusbegleiter gewesen sein könne; allerdings gelingt es ihm nicht, in seiner eingehenden Behandlung antiker Selbsterzählungen,6 auch nur eine einzige schlagende Parallele zu unserem Befund bei Lukas beizubringen:7 Das ist auch nicht verwunderlich, denn die antiken Historiker haben es grundsätzlich bevorzugt – Thukydides ist dafür das berühmteste Beispiel8 –, auch die eigene Beteiligung an den geschilVgl. zu dieser Auffassung der »Wir«-Passagen etwa schon Blass, Acta apostolorum, S. 10: itaque ubi prima persona est, cognoscimus adfuisse Lucam. 4 So eben der Vertreter der traditionellen Betrachtungsweise Eduard Meyer (Meyer, Ursprung III, S. 19.22f.); in diesem Sinne liest die »Wir«-Passagen jetzt auch wieder Mittelstaedt, Lukas als Historiker, S. 22f. Vgl. darüber hinaus zu weiteren Vertretern der grundsätzlichen Annahme, Lukas sei Paulusbegleiter gewesen, Sterck-Degueldre, Lydia, S. 17f., Anm. 6. 5 Daß dies ein Problem bleibt, hat auch Adolf Harnack gesehen, der ja ebenfalls dieser Hypothese zuneigt, wenn er schreibt: »wem, wenn nicht einem Begleiter des Paulus, ist der Verstoß – so darf man es wohl nennen – in der Ökonomie eines solchen Werkes zuzutrauen, . . . . Dieser Verstoß ist selbst bei einem Begleiter des Apostels immer noch sehr auffallend; . . . « (Harnack, Beiträge I, S. 13). 6 Thornton, Zeuge, S. 150–184. 7 Er selbst ist da allerdings anderer Auffassung (Thornton, Zeuge, S. 179), doch dazu unten. 8 Th. IV 104,4–107,1: Thukydides berichtet hier über seine eigene Beteiligung an den Ereignissen um die Einnahme des makedonischen Amphipolis durch den Spartaner Brasidas im Win3
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derten Ereignissen in der dritten Person zu erzählen und sich selbst ausdrücklich mit Namen einzuführen, als redeten sie von einem anderen. Sie wahren also auch dann die Perspektive des unbeteiligten (heterodiegetischen) Erzählers.9 So auch in den meisten Teilen der hellenistische Geschichtsschreiber Polybios: Erwähnt er sich in seiner bescheidenen Beteiligung an einigen Stellen selbst in der 3. Person,10 so führt er sich im 36. Buch seiner Historien ganz entsprechend wieder mit Namen ein (Plb. XXXVI 11,1): ῞Οτι προσπεσόντων εἰς τὴν Πελοπόννησον γραµµάτων τοῖς Ἀχαιοῖς παρὰ τοῦ Μανιλίου διότι καλῶς ποιήσουσι Πολύβιον τὸν Μεγαλοπολίτην ἐκπέµψαντες µετὰ σπουδῆς εἰς Λιλύβαιον, ὡς χρείας οὔσης αὐτοῦ δηµοσίων ἕνεκεν πραγµάτων, ἔδοξε τοῖς Ἀχαιοῖς ἐκπέµπειν ἀκολούθως τοῖς ὑπὸ τοῦ ὑπάτου γεγραµµένοις.11 Dann geht er zu den
folgenden Ereignissen über, an denen er selbst beteiligt war, die er aber jetzt erstaunlicherweise in der 1. Person Pl. erzählt (Plb. XXXVI 11,2): ἡµεῖς δὲ νοµίζοντες ἑαυτοῖς καθήκειν κατὰ πολλοὺς τρόπους τὸ πειθαρχεῖν ῾Ρωµαίοις, πάντα τἄλλα πάρεργα (θέµενοι) θερείας ἀρχοµένης ἐξεπλεύσαµεν.12 Ist das
zwar ein eher unübliches Verfahren, gerade für den pragmatischen Historiker Polybios, so ist das Vorgehen aber keineswegs so erstaunlich und undurchsichtig wie in der Apostelgeschichte, weil der Autor seine eigene Beteiligung ja schon ter 424/423 (Th. 102,1–107,3 [mit der Reflexion des Ereignisses im Rahmen der Gesamtsituation in Kap. 108]). Er führt sich selbst so ein: οἱ δὲ ἐναντίοι τοῖς προδιδοῦσι . . . πέµπουσι . . . ἐπὶ τὸν ἕτερον στρατηγὸν τῶν ἐπὶ Θρκης, Θουκυδίδην τὸν ᾽Ολόρου, ὃς τάδε ξυνέγραψεν, ὄντα περὶ Θάσον . . . , κελεύοντες σφίσι βοηθεῖν (Th. IV 104,4; Übersetzung: Die Gegner derjenigen, die [die
Stadt] preisgeben wollten, . . . . . . schickten . . . zum anderen in Thrakien eingesetzten Strategen, Thukydides, den Sohn des Oloros, der dies geschrieben hat, der stand gerade bei Thasos, und forderten ihn zur Hilfeleistung auf ); im folgenden schildert er seine (in bezug auf Amphipolis erfolglosen) Maßnahmen. Siehe zu dieser Stelle auch Thornton, Zeuge, S. 169, der systematisch zwischen Selbstbeschreibung und Selbsterzählung unterscheidet, letztere läßt er in unserm Fall mit: καὶ ὁ µὲν ἀκούσας κατὰ τάχος ἑπτὰ ναυσὶν αἳ ἔτυχον παροῦσαι ἔπλει κτλ. (Th. IV 104,5), beginnen. 9 Vgl. das (insgesamt überzogene) Urteil über die »Wir«-Passagen bei Ammianus Marcellinus, auf den wir unten noch zu sprechen kommen werden, von Wolfgang Seyfarth in der Einführung zu seiner zweisprachigen Ammian-Ausgabe: »Völlig aus dem Rahmen der Historiographie fallen die sogenannten Wir-Berichte, d.h. Berichte, in denen der Autor von sich und seiner Umgebung in der ersten Person spricht. Zwar sind sie für den heutigen Leser nicht nur amüsant zu lesen, sondern sie fesseln ihn auch durch die Lebendigkeit der Schilderung. Aber für die antike Geschichtsschreibung stellen sie eine Stilwidrigkeit dar. Sie entstammen der volkstümlichen Erzählkunst des griechischsprachigen Ostens« (Seyfarth, Römische Geschichte I, S. 28). 10 Vgl. die von Thornton, Zeuge, S. 175, Anm. 223, angegebenen Stellen. 11 Übersetzung: Als auf der Peloponnes ein Schreiben des Manilius an die Achäer eingetroffen war, daß sie gut daran täten, Polybios aus Megalopolis eiligst nach Lilybaion zu schicken, weil er dort in staatlichen Angelegenheiten vonnöten sei, da beschlossen die Achäer, dem Schreiben des Konsuls Folge zu leisten und ihn abzusenden. 12 . . . τ’ἄλλα πάρεργα θέµενοι . . . ist der von Johannes Friedrich Lucht gebotene Text (Lucht [1830], S. 81, Z. 2f.); Übersetzung: Wir aber, weil wir der Auffassung waren, es sei für uns in vielerlei Hinsicht angemessen, den Römern zu gehorchen, betrachteten alles andere als Nebensache und schifften uns mit Beginn des Sommers ein.
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ausdrücklich festgestellt hatte:13 Der vorliegende Perspektivwechsel der Erzählung ist also zugegebenermaßen wohl plötzlich, so, wie er vorliegt, aber doch vollkommen und ohne Schwierigkeiten für den Leser durchschaubar. Zudem scheint Polybios das Überraschende an diesem Wechsel selbst bemerkt zu haben und fühlt sich deshalb genötigt, in XXXVI 12 eine Erklärung dafür einzuschieben: Niemand möge sich wundern über diese wechselnde Selbstbezeichnung,14 denn er wolle weder durch die wiederholte Nennung seines Namens, noch durch ständiges Hervortreten in der 1. Person negativ auffallen; vielmehr wolle er so in der Selbstbezeichnung abwechseln, wie es der jeweiligen Stelle angemessen ist.15 Was jedoch aufgrund welcher Kriterien jeweils πρέπον ist, läßt sich nicht ersehen, wie auch Thornton einräumt.16 Das ist v.a. dadurch bedingt, daß wir nur noch zwei Stellen haben, an denen Polybios von sich, wohlgemerkt als Teilnehmer des Geschehens, in der 1. Person spricht: Plb. XXXVIII 21; XXXIX 8. Die leztere der beiden Stellen, die die Rückreise aus Rom erzählt,17 verleitet Thornton mit zu der – allerdings vorsichtig in petit gesetzten – suggestiven Frage: »Sind etwa Reiseberichte ›der passende Ort‹ für die Ich-Form?«18 Das halte ich für weit überzogen, zumal Thornton ja selber sieht, daß Polybios andere Reise-, Aufbruchs- oder Rückkehrszenen unter seiner Beteiligung in der 3. Person erzählt (Plb. XXVIII 12,4; 13,9). Zusätzlich darf man m.E. auf das ἀεὶ τὸ τῷ καιρῷ πρέπον aus XXXVI 12,3 kein allzu großes Gewicht legen, Polybios kommt es wohl viel eher (so legt XXXVI 12,2 den Schwerpunkt) auf die Abwechselung, die Veränderung, eben das µεταλαµβάνειν an, um seinen Lesern nicht zur Last zu fallen, sondern zu gefallen. Dies läßt sich sehr gut mit den Darlegungen der Kapitel XXXVIII 4–6 verbinden, in denen Polybios – hier kommt das Erzähler-Ich wieder zu Wort – seine Darstellungsweise rechtfertigt und als entscheidendes Argument für seine Schauplatzwechsel und seine liegengelassenen und an anderer Stelle wieder aufgenommenen Erzählfäden das Verlangen und Bedürfnis des Menschen nach Abwechselung anführt: µεταβολή!19 Möglicherweise ist nun Vgl. als ausdrückliche Feststellung der eigenen Beteiligung: Plb. III 4,13; XXXVI 12,2. Plb. XXXVI 12,1: οὐ χρὴ δὲ θαυµάζειν ἐὰν ποτὲ µὲν τῷ κυρίῳ σηµαίνωµεν αὑτοὺς ὀνόµατι, ποτὲ δὲ ταῖς κοιναῖς ἐµφάσεσιν . . . – Übersetzung: Man soll sich nicht wundern, wenn wir uns selbst bald mit dem richtigen Namen bezeichnen und bald mit den gewöhnlichen Ausdrücken . . . 15 Plb. XXXVI 12,3: . . . ἀλλὰ συγχρώµενοι πᾶσι τούτοις καὶ µεταλαµβάνοντες ἀεὶ τὸ τῷ καιρῷ πρέπον . . . – Übersetzung: . . . sondern indem wir alle diese Selbstbezeichnungen benutzen und abwechseln, wie es an der jeweiligen Stelle paßt . . . 16 Thornton, Zeuge, S. 176. 17 Plb. XXXIX 8,1: ταῦτα µὲν οὖν ἡµεῖς καταπράξαντες ἐκ τῆς ῾Ρώµης ἐπανήλθοµεν . . . – Übersetzung: Nachdem wir das also erledigt hatten, kehrten wir aus Rom nach Hause zurück . . . 18 Thornton, Zeuge, S. 176. Diese andeutende Überlegung bei Thornton ist natürlich keineswegs mit der schlichtweg abzulehnenden Auffassung von Vernon K. Robbins zu verbinden, der die »Wir«-Stücke als stilgemäß im »sea voyage genre« erweisen wollte, s. dazu unten ab S. 296. 19 So etwa in Plb. XXXVIII 5,4. 13 14
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auch dieses Kriterium, also Abwechselung als ein Vorteil an sich, eher ausschlaggebend für den Wechsel zwischen Selbsterzählungen in der 1. und der 3. Person als die Frage nach dem τῷ καιρῷ πρέπον. Kommen wir nun noch auf den Befund bei einem spätantiken Historiker zu sprechen: Ammianus Marcellinus. Der Befund bei diesem Autor hat Thornton zu dem Ergebnis geführt: Hier »haben wir die einzige echte Parallele zur Erzählweise des ›Lukas‹ in Acta vor uns.«20 Wir werden sehen, was davon zu halten ist: Die für Thornton entscheidende Stelle ist Amm.Marc. XXIII 5,7; hier geht Ammian in der Schilderung des Perserfeldzuges Julians im Jahre 363 nämlich plötzlich und unvermittelt in die Erzählung in der 1. Pers. Pl. über,21 ohne zuvor seine Anwesenheit im Heer Julians erklärt zu haben. Nun ist es doch aber so, daß sich der Autor schon an zahlreichen Stellen selbst in das Geschehen integriert und dieses aus seiner Perspektive geschildert hatte. Ammian führt sich zuerst in XIV 9,1 als Unterstellter des Ursicinus ein,22 geht etwas später in die Erzählung in der 1. Person über (Amm.Marc. XIV 11,5). Noch ein zweites Mal rechtfertigt er ausdrücklich seine Anwesenheit im Umfeld des Ursicinus, diesmal als Leibwächter des Feldherrn (XV 5,22);23 unmittelbar danach bringt er wieder eine Erzählung in 1. Person und kann sich im folgenden mehrfach so als Beteiligten herausstellen.24 Darüber hinaus finden sich nach der Persienkampagne des Julian (XXIII–XXV) nur noch kurze Selbsterwähnungen in der 1. Person, die die eigene Beteiligung und insbesondere die persönliche Zeugenschaft des Autors herausstellen sollen (sei es im speziellen Fall oder im Allgemeinen).25 All das weiß Thornton natürlich und stellt den Befund auch zutreffend dar.26 Thornton, Zeuge, S. 179. Profecti exinde Zaithan uenimus locum, qui olea arbor interpretatur. – Übersetzung: Nachdem wir von dort weiter vorgedrungen waren, kamen wir zu einem Ort namens Zaitha, was mit Olivenbaum übersetzt wird. 22 . . . cui nos obsecuturos iunxerat imperiale praeceptum . . . (Amm.Marc. XIV 9,1; Übersetzung: . . . dem wir aufgrund kaiserlichen Befehls unterstellt waren . . . ). 23 post haec ita digesta protinus iubetur exire tribunis et protectoribus domesticis decem, ut postularat, ad iuuandas necessitates publicas ei coniunctis, inter quos ego quoque eram cum Veriniano collega, residuis omnibus ab imperatore delectis (Amm.Marc. XV 5,22; Übersetzung: Nachdem alles so geregelt worden war, bekam er [sc. Ursicinus] den Befehl, unverzüglich abzureisen; auf seine Forderung hin, erhielt er Tribunen und zehn Leibwächter mit auf den Weg, um ihn bei unumgänglichen Staatsgeschäften zu unterstützen, unter denen war auch ich mit meinem Kollegen Verinianus, die übrigen waren vom Kaiser ausgewählt worden). 24 Vgl. hierzu die knapp kommentierte Zusammenstellung autobiographischer Passagen im Werk des Ammianus bei Kelly, Ammianus, S. 38–40; dort aufgelistete Passagen über die hier genannten hinaus sind: Amm.Marc. XVI 10,21; XVIII 4,7–XIX 8,12. 25 Z.B. Amm.Marc. XXVI 10,19; XXIX 1,24; 2,4; vgl. zu diesen kurzen Selbsterwähnungen Kelly, Great Tsunami, S. 155–159, bes. S. 155, der sich mit der Autopsienotiz in Amm.Marc. XXVI 10,19 im Zuge der Darstellung des großen Tsunami des Jahres 365 auseinandersetzt. 26 Thornton, Zeuge, S. 178f. 20 21
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Ihm fehlt jedoch vor dem Wiederauftauchen der 1. Person in XXIII 5,7 eine den eben genannten Stellen (XIV 9,1; XV 5,22) vergleichbare Selbsteinführung des Autors, die dann hier seine Anwesenheit im Heer erläutern würde. Mag dieses Fehlen auch merkwürdig sein und v.a. die Historiker über die genaue Rolle des Ammian im Unklaren lassen,27 so liegt doch aber entgegen dem Urteil Thorntons der Fall ganz anders als bei Lukas: Der Leser des Ammian weiß ja aus den Büchern XIV–XIX, daß der Autor an den erzählten Ereignissen zum Teil selbst beteiligt war, und wird sich dann nicht wundern, daß dieser seine Beteiligung durch die 1. Person kenntlich macht – das ist bei Lukas ganz und gar nicht der Fall! Hinzu kommt noch – und darauf weist Thornton nicht hin –, daß der Leser die Möglichkeit der eigenen Beteiligung des Autors am Geschehen auch tatsächlich für das Gesamtwerk unterstellen muß, weil Ammian im Proöm des XV. Buchs erklärt:28 utcumque potui ueritatem scrutari, ea, quae uidere licuit per aetatem uel perplexe interrogando uersatos in medio scire, narrauimus ordine casuum exposito diuersorum.29 Somit dürfte dem Leser des Ammian sofort klar sein, daß es sich in XXIII 5,7 um den Autor selbst handelt, der hier mit Kaiser Julian im Osten zu Felde zieht. Eine derartige grundsätzliche Erklärung einer phasenweisen Augenzeugenschaft fehlt nun auch in den Proömien des Lukas (Lk 1,1–4; Apg 1,1f. [bzw. bis v. 8]); dem Leser wird damit beim ersten Auftreten der 1. Pers. Pl. (Apg 16,10)30 ganz Anderes zugemutet. Es bleibt also dabei: Es gibt keine echte Parallele für das Verfahren beim Autor der Apostelgeschichte, und auch der Befund im XXIII. Buch des Ammianus Marcellinus stellt keine dar! 27 Vgl. zu diesem Befund auch das Urteil bei Kelly, Great Tsunami, S. 155: »In Julian’s Persian expedition, Ammianus’ occasional and uninterventionist first persons plural allow no firm conclusion about his role, and appear to contribute little more than a generalized demonstration of the historian’s authority in a climactic portion of his work.« 28 Vgl. zu diesem Proöm die Bemerkungen bei Kelly, Ammianus, S. 6f.142f. 29 Amm.Marc. XV 1,1 (Übersetzung: Insoweit ich die Wahrheit ermitteln konnte, habe ich das, was mir erlaubt war, als Zeitgenosse zu sehen oder durch eindringende Befragung von Zeugen zu erfahren, in der Ordnung der unterschiedlichen Ereignisse in den Bericht gebracht). – Daß diese Erklärung für das Gesamtwerk, aber zumindest für die gesamte folgende Darstellung und nicht nur für das Buch XV zu gelten hat, ergibt sich aus dem folgenden Satz, in dem er sich gleichsam für die Länge seines Werkes entschuldigt (XV 1,1). Auch Polybios weist ja, wie oben angedeutet, in seiner Rechtfertigung der wechselnden Selbstbezeichnungen ausdrücklich auf seine eigene Beteiligung an den Geschehnissen hin, allerdings übertreibt er bei der Bedeutung seines Anteils wohl, wenn er sagt: ἐπὶ πολὺ γὰρ ἐµπεπλεγµένων ἡµῶν εἰς τὰς µετὰ ταῦτα µελλούσας ἱστορεῖσθαι πράξεις . . . (Plb. XXXVI 12,2; Übersetzung: Da wir nämlich eng in die Ereignisse verstrickt waren, die im folgenden berichtet werden sollen, . . . ). Vgl. auch die Erklärung zur Augenzeugenschaft und eigenen Beteiligung in Plb. III 4,13. 30 Der D-Text, der das erste Vorkommen der 1. Pers. Pl. schon in 11,28 verzeichnet, bleibt hier außen vor, auch wenn Bultmann das für ursprünglich hält (Bultmann, Quellen der Apostelgeschichte, S. 421f.).
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Das zweite Problem der Erklärung unserer »Wir«-Stücke im von mir sogenannten »traditionellen« Sinne ist ein methodisches: Ich halte es nämlich für methodisch äußerst problematisch, eine unübersehbare und auch so nur mit größten Mühen lösbare Textschwierigkeit sozusagen in einen Gewinn umzumünzen, indem man die »Wir«-Stücke, eben in der Weise wie Meyer (s.o.) das tut, nutzt, um biographische Informationen über unseren Verfasser zu sammeln: das gleicht dann doch mehr einer εἰσ- als einer ἐξήγησις. Und schließlich drittens – und das erweist m.E. die Unmöglichkeit dieser ersten Hypothese – kann der Verfasser (des Lukas-Evangeliums und) der Apostelgeschichte aufgrund inhaltlicher Gesichtspunkte kein Paulusbegleiter gewesen sein. Nach meinem Dafürhalten ist dabei das im engeren Sinne theologische Argument gar nicht so entscheidend: Ein Paulusbegleiter muß nicht die theologischen Grundentscheidungen des Apostels teilen, er kann in bestimmten Punkten auch gerade gegenteiliger Auffassung sein, wie sich im übrigen ja auch bei Paulus selbst bestimmte θεολογούµενα gewandelt haben.31 Ich persönlich sehe das entscheidende Argument in der völlig unterschiedlichen Sichtweise auf die – für Paulus sicher sehr schwierigen – Ereignisse um das sog. Apostelkonzil und den sog. antiochenischen Zwischenfall, den Lukas ja gar nicht erwähnt (Apg 15//Gal 2); möglicherweise haben diese Ereignisse, wie auch immer man sie im einzelnen rekonstruieren mag, ja auch zur endgültigen Trennung des Paulus von der antiochenischen Gemeinde und mithin erst zur Mission »auf eigene Faust« geführt.32 In jedem Fall wird Paulus über dieses für ihn lebensgeschichtlich durchaus bedeutsame Ereignis seinen Begleitern gegenüber nicht völlig geschwiegen haben, so daß man es keinem Paulusbegleiter zutrauen könnte, einen derartig abweichenden Bericht zu liefern, dem (eben ohne den antiochenischen Zwischenfall) entscheidend an der Harmonie gelegen ist.33 Daneben wären noch kleinere Details aufzuzählen, die gegen den Paulusbegleiter sprechen, z.B. die folgenden zwei: 1. die unterschiedliche Reiseroute des Timotheos (und Silas) in Apg 17,14f. und 1. Thess 3,1–5;34 oder 2. das Problem der zu Pauli Zeiten sicher noch nicht existenten Ältestenverfassung, die aber von Apg 14,23 31 So beispielsweise Harnack, Beiträge I, S. 101. Vgl. auch die Argumentation bei Hengel/ Schwemer, Paulus, S. 15f., der ich in dieser Hinsicht rückhaltlos zustimmen kann, selbst wenn ich das abschließende Urteil, daß der Verfasser der Apostelgeschichte ein Paulusbegleiter gewesen sei, nicht teilen kann. 32 Vgl. auch den – von Lukas natürlich in einen anderen Zusammenhang gestellten – παροξυσµός zwischen Paulus und Barnabas in Apg 15,39. 33 Vgl. Sterck-Degueldre, Lydia, S. 18–21. 34 Vgl. hierzu Koch, Kollektenbericht, S. 388, der dieses Argument allerdings gegen das Itinerar wendet. Meyer (s.o.) könnte das bei seiner Fülle biographischen Detailwissens sicher auch erklären könnte: Lukas war eben in Philippi geblieben!
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und 20,17–38 anscheinend angenommen wird.35 Diese Auffassung ist mehr oder weniger opinio communis der neueren Forschung36 – wobei allerdings bei einigen Neutestamentlern wieder das Interesse an solch traditionellen Positionen wächst.37 Wäre es also vom Gesamtwerk des Lukas aus nicht als höchst unwahrscheinlich zu bezeichnen, daß unser Autor selbst Paulusbegleiter war, dann wäre diese erste Hypothese in der Tat die einfachste und nächstliegende: Die Voraussetzung trifft aber leider auch aus gewichtigen Gründen nicht zu!38 Selbst im andern Fall bliebe die ganze Angelegenheit höchst verwunderlich: Wie oben angedeutet ist schon das Verfahren, eine Selbserzählung in der 1. Pers. zu formulieren, unter Historikern die seltener gewählte Möglichkeit. In den wenigen Fällen, in denen sie vorkommt, beginnt sie ausnahmslos mit einer eindeutigen Einführung, so daß der Leser immer über die Erzählperspektive im Bilde ist; wir hätten es also auch dann mit einer Singularität zu tun! Zu 2.: Die Annahme, daß die »Wir«-Passagen auf eine entsprechende »WirQuelle« zurückzuführen seien, ist schon recht alt;39 Adolf Harnack hat sich als Vertreter der eher traditionellen Position intensiv mit der Annahme einer solchen auseinandergesetzt und v.a. aufgrund sprachlicher Erwägungen dageVgl. hierzu z.B. Plümacher, Wirklichkeitserfahrung, S. 2f. mit Anm. 4. Auch Barrett hält es für unglaubwürdig, im Verfasser der Apostelgeschichte einen Paulusbegleiter zu sehen; trotz der im großen und ganzen positiven Einschätzung von Thorntons Untersuchungen (Thornton, Zeuge) sieht er in der Übernahme einer auf einen Augenzeugen zurückgehenden Quelle das geringere Problem: Barrett, Acts II, S. xxvii–xxx, bes. S. xxviiif. 37 Vgl. z.B. Jervell, Apostelgeschichte, S. 82–84, der versucht, die Argumente gegen den Paulusgefährten Lukas auszuräumen. Jens Schröter will die Möglichkeit, daß der Verfasser der Apostelgeschichte einen Teil des von ihm Berichteten selbst miterlebt hat, zumindest offenhalten, wobei er insbesondere die detailreichen »Wir«-Stücke im Auge hat: Schröter, Lukas, S. 239f.259f. 38 Man beachte noch die Überlegung des Greifswalder Gräzisten Dornseiff, Lukas, S. 137: »Wenn man einen Autor, der mit Wir erzählt, nicht für unerreicht gedankenlos oder für sehr sonderbar halten will, so kann man nicht darum herum, daß er bei den erzählten Begebenheiten zugegen war. Solange nicht das Gegenteil erwiesen ist, verdient also die antik-kirchliche Überlieferung, daß der Arzt Lukas mit Paulus gereist sei, Glauben.« Das Gegenteil ist zwar nicht erwiesen, aber doch wahrscheinlicher als das hier Behauptete! Über die alte These von Lukas, dem Arzt, können wir hier nicht ausführlich handeln, daher nur eine kurze Bemerkung zur Forschungslage: Vgl. aber dazu Harnack, Beiträge I; Hobart, The Medical Language; Ramsay, Luke the Physician; vgl. zur Widerlegung des Versuchs, Lukas aufgrund seiner Terminologie als Arzt zu bestimmen: Cadbury, The Style, S. 39–72; Cadbury, Lexical Notes II; zustimmend Grant, Miracle, S. 92f. Hengel/Schwemer, Paulus, S. 18–22, stimmen den Einwänden Cadburys zwar zu, was die reine Terminologie betrifft, meinen aber aus einer Vielzahl zusätzlicher Indizien erschließen zu können, daß sich der Arztberuf doch für den auctor ad Theophilum nahelege; Parsons, Luke, S. 5f., fügt sich ebenfalls den Ergebnissen von Cadbury, legt aber – sicher zu recht – Wert darauf, daß damit nicht erwiesen sei, daß der Verfasser der Apostelgeschichte kein Arzt gewesen sein könne. 39 Vgl. etwa Zeller, Apostelgeschichte, S. 513–516. 35 36
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gen votiert; er hielt durch seine Untersuchungen die Verfassergleichheit von »Wir«-Stücken und »Rest-Apostelgeschichte« für erwiesen.40 Daß man eine Verfassergleichheit auf dem Wege des Stilvergleichs beweisen könne, halte ich mindestens für fragwürdig,41 aber Harnack ist wohl insofern recht zu geben, als vom Stilistischen her keinerlei Berechtigung besteht, die »Wir«-Stücke als auf eine Quelle zurückgehend auszusondern. Die »Wir«-Quellen-Hypothese hat sich ungeachtet dessen aber noch gehalten.42 Martin Dibelius hat endlich klargestellt, daß das Wir auch von Lukas (aus literarischen Gründen) selbst gesetzt worden sein konnte, unabhängig davon, ob es in der Quelle gestanden hat oder nicht43 – die 1. Pers. Pl. ist mithin kein untrügliches Zeichen für auf eine Quelle zurückgehende Passagen; Dibelius seinerseits hat ein Itinerar als zugrundeliegende Quelle angenommen, das aber eben nicht durch das Kennzeichen der 1. Pers. Pl. auszusondern sei, sondern inhaltlich als »Verzeichnis der Reisestationen« anzusehen ist.44 Zum Zweck dieses Dokuments macht er eine m.E. kaum haltbare Annahme; Dibelius erklärt nämlich, das Itinerar habe dazu gedient, »um bei einer Wiederholung der Reise die Wege und die alten Gastfreunde wiederzufinden«.45 Dazu ließen sich vielerlei kritische Anmerkungen anbringen, die die Dibeliussche Annahme ins Wanken bringen;46 zudem ist zu bedenken, daß sich zwar Belege für Reisetagebücher (eben beispielsweise als Gedächtnisstütze) beibringen lassen,47 diese Belege aber ihrerseits in ihrer Relevanz für die Beurteilung des in der Apostelgeschichte vorliegenden Falls nicht uneingeschränkt anzuerkennen sind.48 Die Itinerarhypothese ist also aufgrund 40 »Ich . . . kann für den Satz einstehen . . . , daß Lukas, d.h. der Verfasser des Doppelwerks, als Schriftsteller nirgendwo mehr Lukas ist, als in den Wirstücken« (Harnack, Beiträge IV, S. 9). Vgl. auch die dieser Äußerung zugrundeliegenden lexikalischen Untersuchungen in: Harnack, Beiträge I, S. 28ff.; Harnack, Beiträge III, S. 131ff. 41 M.E. berechtigte Skepsis bei Meyer, Ursprung III, S. 25. 42 Vgl. z.B. Knopf/Lietzmann/Weinel, Einführung, S. 143; Bultmann, Quellen der Apostelgeschichte, S. 420–423; neuerdings auch wieder Porter, Excursus, der u.a. wieder auf das beachtliche Vorkommen von Hapaxlegomena in den »Wir«-Passagen verweist (Porter, Excursus, S. 568– 570); das kann aber auch mit den inhaltlichen Eigenarten erklärt werden, da ja ein beträchtlicher Teil der bei Lukas erwähnten Seereisen des Paulus in diesen »Wir«-Stücken erzählt werden, oder andersherum alle »Wir«-Stücke Seereisen enthalten, die ja ein besonderes Vokabular erfordern; vgl. zu Kritik in etwas anderer Richtung: Byrskog, History or Story, S. 264. 43 Dibelius, Apg als Geschichtsquelle, S. 93; Dibelius, Apg im Rahmen der Literaturgeschichte, S. 174; vgl. auch Bultmann, Quellen der Apostelgeschichte, S. 420; Haenchen, Apostelgeschichte, S. 96. 44 Dibelius, Apg als Geschichtsquelle, S. 93, s. auch Dibelius, Apg im Rahmen der Literaturgeschichte, S. 169. 45 Dibelius, Apg im Rahmen der Literaturgeschichte, S. 169. 46 Vgl. beispielweise die Kritik bei: Haenchen, Apostelgeschichte, S. 96, Anm. 2; Haenchen, Das »Wir«, S. 336–338; Koch, Kollektenbericht, S. 379. 47 Vgl. Nock, Rez. Dibelius, S. 500. 48 Vgl. Plümacher, Wirklichkeitserfahrung, S. 5–7.
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von Unklarheiten, was den Zweck des Itinerars betrifft, und in Ermangelung wirklich treffender Parallelen höchst umstritten und gerät zu Recht in ihrer klassischen Form immer mehr in den Hintergrund.49 In jüngerer Zeit sind allerdings erneut Vorschläge unterbreitet worden, die »Wir«-Passagen (zumindest einzelne von ihnen) einer von Lukas verarbeiteten Quelle zuzuweisen,50 nämlich von Stanley E. Porter (1994) und Dietrich-Alex Koch (1999): Porter vertritt dabei die radikale Position, daß die »Wir«-Passagen auf eine »continuous, independent source« zurückgingen, die Lukas ganz übernommen und in seinen Erzählfluß eingegliedert habe.51 Dabei erkennt er in allen – nach ihm fünf – »Wir«-Passagen ein einheitliches Schema mit vier Eigenschaften.52 Koch seinerseits geht einen anderen – m.E. differenzierteren und eher gangbaren – Weg: Er ist anscheinend zu der Auffassung gekommen, daß eine Lösung des Problems der »Wir«-Passagen eher möglich ist, wenn man die einzelnen Stücke für sich betrachtet, ohne gleich den Anspruch zu erheben, eine einheitliche Lösung für alle zu bieten.53 Koch bezieht sich einzig und allein auf den Reisebericht in Apg 20–21, dem er eine von Lukas verarbeitete Quelle zugrundelegt, die ihrerseits schon im »Wir«-Stil abgefaßt gewesen sein soll.54 Dabei sieht er den Zweck dieser Quelle in der Rechenschaft über die mit der hier geschilderten Reise nach Jerusalem verbundene Kollektenüberbringung, die Quelle sei also eine Art Rechenschaftsbericht eines Teilnehmers der Kollektendelegation;55 den Verfasser vermutet er im Kreise der (inkl. Paulus) acht in Apg 20,4 49 Mit der Itinerarhypothese können wir uns hier nicht weiter befassen; auch wenn das freilich in unmittelbarem Zusammenhang miteinander steht, müssen wir uns hier auf die »Wir«-Passagen beschränken. Vgl. zur Kritik an der Annahme eines Itinerars etwa die pointierten Bemerkungen bei: Plümacher, Wirklichkeitserfahrung, S. 5–8; Koch, Kollektenbericht, S. 379.382–387. 50 Ich übergehe hier die Vorschläge von Walther Bindemann einerseits, der hinter den »Wir«Stücken eine Quelle vermutet, in der Paulus als θεῖος ἀνήρ dargestellt worden sei; Lukas habe diese Quelle tolerierend integriert und damit angezeigt, daß auch die Trägergruppe der Quelle mit ihrem Paulusbild eine Heimat in der lukanischen Gemeinde finden könne (Bindemann, Verkündigter und Verkündiger). Und andererseits von J.M. Gilchrist, der in der Quelle den Bericht eines Augenzeugen sieht, der aber Jahre nach den Ereignissen verfaßt worden sei (Gilchrist, Historicity, S. 29–38). 51 Porter, Excursus, S. 568.573. 52 Porter, Excursus, S. 563–568, bes. S. 567f. Vgl. zur Kritik an Porter: Koch, Kollektenbericht, S. 381, Anm. 48: »Auch Porter ›“We”-Passages‹, 573 rechnet mit ›a continuous, independent source‹, äußert sich aber nicht zu deren Umfang, Herkunft oder Verfasser«; zum Umfang allerdings äußert sich Porter schon – so muß man Koch korrigieren: »The entire source was then incorporated into the text of Acts. This position also claims that the ›we‹ passages can be used as a reliable guide to establishing sources, . . . « (Porter, Excursus, S. 568); die Fragen nach Herkunft, Autorschaft und Zweck der Quelle umgeht Porter allerdings weitestgehend – darin ist Koch freilich recht zu geben. 53 Vgl. Koch, Kollektenbericht, S. 380f. 54 Koch, Kollektenbericht, S. 367.374.378–381.387. 55 Vgl. zum Text Apg 20,4–21,18 auch Horn, Kollektenthematik, S. 150–152; Horn weist insbesondere darauf hin, daß sich an keiner Stelle des vermuteten Kollektenberichts eine eindeutige Auskunft über die Kollekte selbst und den Zweck der Reise finden lasse (a.a.O., S. 151f.). Man muß
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aufgezählten Teilnehmer.56 Der Dibeliusschen Sichtweise, daß das Wir sowohl aus einer Quelle stammen, wie auch genausogut eigene literarische Zutat sein könne,57 entspricht Koch sehr gut, wenn er festhält: »Es ist zwar richtig, daß in Apg 20.4–21.18 das ›Wir‹ Teil einer Quelle ist, die Lukas benutzt hat; das heißt aber nicht, daß jeder andere ›Wir‹-Abschnitt der Apg ebenfalls Teil einer Quelle sein muß.«58 Die derartigen Erklärungen der »Wir«-Stücke, die eine in der 1. Pers. verfaßte Quelle annehmen, haben allesamt – auch die recht bescheidene und ernstzunehmende Hypothese von Koch – das Problem, daß sie nicht erklären, warum Lukas seinen Erzählfluß durchbricht – denn auch bei der Verarbeitung einer Quelle ist das ja alles andere als selbstverständlich. Schon Harnack hat (allerdings aus einer dezidiert traditionellen Position) dieses Argument stark gemacht: Wenn sich die »Wir«-Passagen von den anderen Stücken stilistisch-lexikalisch keineswegs abheben, wie will man dann mit dem »Wir«-Kriterium die angenommene Quelle aussondern? Harnack hatte sich seinerzeit mit dem Argument auseinandersetzen müssen, daß die Stilgleichheit auf dem Wege einer durchgreifenden Überarbeitung der übernommenen Passagen der »Wir«-Quelle durch den Verfasser der Apostelgeschichte entstanden sei; darauf antwortete er: »Aber versucht man es es [sic!] mit der Hypothese der Bearbeitung, so entfällt alsbald jede Möglichkeit festzustellen, was eigentlich in der Quelle gestanden hat; denn die ›Bearbeitung‹ müßte Vers für Vers eine so einschneidende gewesen sein, daß man sich ein Bild von der Quelle selbst schlechterdings nicht mehr machen kann. Und dabei soll das ›Wir‹ sorgfältig stehen gelassen worden sein, während alles andre umgegossen wurde!«59 Die Benutzung der 1. Pers. Pl. durch Lukas bleibt also auch hier letztlich ungeklärt; zumindest wird man festhalten dürfen, daß die Quellenhypothesen nicht allein den Befund in der Apostelgeschichte erklären können. Oft wird bei der Anwendung von Quellenhypothesen der »Wir«-Stil als bloße Markierung der Quellenbenutzung betrachtet, ohne überhaupt auf den erzählerischen Bruch im Gesamtwerk zu reflektieren.60 Trotz dieser grundsätzlichen Defizite der Quelschon annehmen, daß Lukas hier bewußt gekürzt hat; zu möglichen Gründen dafür s. Koch, Kollektenbericht, S. 379f. 56 Vgl. zu der Liste Apg 20,4: Koch, Kollektenbericht, S. 375; zum möglichen Verfasser und zum Zweck der Abfassung s. S. 377f. Vgl. zu der Liste und ihren Implikationen auch Wedderburn, Paul’s Collection, S. 103–107. 57 Vgl. etwa Dibelius, Apg im Rahmen der Literaturgeschichte, S. 172. 58 Koch, Kollektenbericht, S. 387. 59 Harnack, Beiträge IV, S. 11 (Hervorhebung im Original gesperrt). 60 Vgl. beispielsweise Reinbold, Propaganda, S. 121 mit Anm. 18, der nach der Beschreibung von Apg 16,10–15 als »Wir-Passage im engeren Sinne« gegen die Überlegung von Wehnert, Die Wir-Passagen, S. 192, Lukas könnte die in Apg 16 verarbeitete Tradition auch außerhalb der »Wir«-
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lenhypothesen werde ich unten aber dennoch den Vorschlag unterbreiten, eine Quellenhypothese im Gefolge von Koch mit anderen Erklärungsmöglichkeiten zu verbinden, um den Anstoß, den das einsetzende »Wir« bietet, möglichst verständlich zu machen. Eine Abwandlung der Quellenhypothese besteht darin, nicht etwa eine schriftliche Quelle anzunehmen, auf die Lukas zugegriffen habe, sondern eine mündliche Tradition, deren jeweilige Benutzung er ausdrücklich kenntlich gemacht habe. Einen solchen Versuch haben in je unterschiedlicher Weise Alexander J.M. Wedderburn und Samuel Byrskog unternommen: Wedderburn beruft sich dabei auf das Phänomen der Pseudepigraphie und sieht in Lukas den Schüler eines Paulusbegleiters, dessen Überlieferung er sich in der 1. Pers. Pl. angeeignet habe und so kennzeichne, bei welchen Ereignissen der bewußte Paulusbegleiter dabei war.61 Byrskog geht einen anderen Weg und stellt das Problem der »Wir«-Stücke in den Horizont des sog. oral history approach: Auch er sieht in den »Wir«-Stücken angedeutet, daß Lukas sich hier auf die Überlieferungen von Gewährsleuten stützt, die dabei waren; allerdings polemisiert er viel stärker gegen den Begriff einer Quelle, vielmehr seien die Traditionen permanent reoralisiert und in je neue soziorhetorische Diskurse eingebettet worden; im Text des Lukas sei so eine extrafiktionale Vergangenheit narrativ präsent gemacht worden.62 Ohne hier in die Detailkritik, insbesondere an dem Ansatz von Byrskog, gehen zu können, muß man zu diesen Vorschlägen zuerst feststellen, daß sie grundsätzlich mit den gleichen Problemen behaftet bleiben wie die Überlegungen, die auf eine schriftliche Quelle zielen. Indem der schriftlichen Quelle hier aus dem Weg gegangen und das Problem in eine (wie kompliziert auch immer vorgestellte) mündliche Tradition verschoben wird, befreit man sich lediglich geschickt von der Anfrage, wie die Quelle denn genau zu identifizieren, abzugrenzen Passage verwendet haben, mit folgender Frage argumentiert: »Aber warum kennzeichnet Lukas diese Passagen dann nicht als solche?« (Anm. 18). 61 Wedderburn, The ‘We’-Passages, S. 94–98 (Zitat S. 95): »Yet because he felt himself to be writing in the name of this travelling-companion he chose the first person plural for those parts of the narrative where he knew that his source, a personal source, not so much a written document, in whose name he felt himself to be writing, had in fact been present.« 62 Byrskog, History or Story, S. 264–266 (Zitat S. 266): »This explanation of the diachronic elements in the ›we‹ passages of Acts is far from claiming that we can identify the sources at the author’s disposal. Rather, it is indicative of a communication about the past in a context where sources were not regarded as semantic entities unto themselves. Several scholars envision a written ›we‹ source; some think it was oral. The matter is probably more complicated on the end. The synthesis of historical and narrative elements in the ›we‹ sections of Acts seems to reflect a situation where the sources were never objectified entities to be reproduced passively but were constantly reoralized and integrated into participatory living sociorhetorical discourses about the past.«
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und inhaltlich beschrieben werden könnte. Das Hauptproblem der einzigartig gebrochenen Erzählung bleibt ohnehin auch hier bestehen. Zu 3.: Eine andere vorgeschlagene Lösung besteht darin, – auch in Anknüpfung an die eine oder andere Bemerkung von Dibelius63 – in den »Wir«-Passagen eine rein redaktionelle Zutat des Lukas zu sehen, ohne daß dieser Stil auf eine Quelle zurückgeht oder eine Realität bezeichnet (Lukas als Augenzeuge). Die 1. Pers. Pl. wäre dann gesetzt, um der Schilderung gerade einiger bedeutender Reise-Abschnitte »Anschaulichkeit, Farbe« zu verleihen,64 oder eben nur den Anschein, als handle es sich um einen Augenzeugenbericht, ohne daß das tatsächlich der Fall ist.65 Daß der »Wir«-Stil aus der Verfasserperspektive der Erzählung so etwas wie Lebendigkeit verleihen sollte, mag möglich sein, allerdings muß man dann einräumen, daß unser Verfasser sein Anliegen sehr stümperhaft umgesetzt hätte. Die andere Möglichkeit, daß unser Verfasser entweder für sich selbst oder für seinen unmittelbaren Gewährsmann den unberechtigten Anspruch der Augenzeugenschaft erhebt, halte ich für völlig abwegig. Denn zunächst wäre das auch nach antikem Verständnis nichts weiter als eine Lüge;66 das kann auch nicht mit dem antiken Verfahren der Pseudonymität in Zusammenhang gebracht werden,67 sondern es läge hier ein glatter Widerspruch zum Proöm des Doppelwerks Lk 1,1–4 vor, würde der Verfasser mit derartig fadenscheinigen und undurchsichtigen Verfahren arbeiten.68 Wollte man dahinter aber eine Konvention sehen – wofür es freilich keine Belege gibt –, nach der auf solche Weise Augenzeugenschaft beansprucht wird – ich unterstelle wohlgemerkt niemandem diese Position –, so hat man mit vergleichbaren Problemen zu kämpfen wie bei der Annahme einer wie auch immer genau gefaßten offenen Pseudonymität im Fall der pseudepigraphen Briefe:69 Die Vorstellung tendiert m.E. dazu, vollends Vgl. z.B. wieder Dibelius, Apg im Rahmen der Literaturgeschichte, S. 172. So Dibelius, Apg im Rahmen der Literaturgeschichte, S. 172. 65 Vgl. zu dieser Auffassung Conzelmann/Lindemann, Arbeitsbuch, S. 353. Dibelius, Apg im Rahmen der Literaturgeschichte, S. 172, spricht vom »Schein der Echtheit«. 66 So von Thornton, Zeuge, S. 141, auf den Punkt gebracht; ich bin allerdings nicht der Meinung Thorntons, daß Erzählungen über Reisen in der 1. Pers. – soweit der Verfasser nicht dabei war – grundsätzlich Lügen sind, allerdings würde ich ihm aber zustimmen, daß die von ihm sog. »›Skala von Fingiertheitsgraden‹« viele Abstufungen zuläßt; warum Thornton das aber davon abhängig macht, daß der Verfasser »jeweils mit von der Partie war« (ebd.), verstehe ich nicht. 67 Es werden ja überhaupt keine (falschen) Namen von Verfassern oder Gewährsleuten angeführt; so richtig gesehen von Porter, Excursus, S. 561. 68 Vgl. bes. die Aussagen in v. 3f., die die Sorgfalt, Durchsichtigkeit und Zuverlässigkeit der Darstellung betonen. Die Geltung des Lk-Proöms auch für die Apg anzunehmen, legt sich m.E. gerade von Apg 1,1 her nahe, was man dann als Sekundärproöm zu verstehen hat. 69 Vgl. beispielsweise das Konzept von Reinmuth, Hermeneutik, S. 104–107, der zwar einerseits keine »explizite Durchschaubarkeit« der Pseudonymität annimmt (S. 106), aber andererseits erklärt: »Es ist offensichtlich zu einfach, den antiken Rezipienten ein strikt historisches Verständnis der vor63 64
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in der Absurdität zu enden. Was für eine Konvention sollte das denn sein, die, wenn der Leser von ihrer (mehr oder weniger allgemeinen) Anwendung wüßte, völlig sinnlos wäre?70 Ein Erklärungansatz, der damit sowie mit den oben unter Nr. 2 angesprochenen Vorschlägen von Wedderburn und noch stärker Byrskog direkt zusammenhängt und in letzter Zeit wiederholt vertreten wurde, besteht darin, ebenfalls die Parallele zur Pseudepigraphie auszuwerten, aber dahingehend, daß der Verfasser mit dem »Wir« den Anspruch erhebe, authentischen Paulinismus zu vertreten, ohne daß dabei direkt auf Quellen bzw. Traditionen als ursächlich verwiesen wird. Er zeige mit der 1. Pers. Pl. eher seine Zugehörigkeit zu einer Gruppe an, die ein bestimmtes Paulusbild bewahre und tradiere; das Phänomen diene dann der Steigerung der Glaubwürdigkeit der Erzählung in diesem Sinne.71 Ein solcher Anspruch wäre dann möglicherweise – im Kontext einer ganz bestimmten sich auf Paulus berufenden Gruppe – nicht unberechtigt erhoben worden. Die Frage ist aber doch hierbei, ob ein Leser das verstehen und durchschauen konnte; ich habe meine Zweifel. Einen wiederum anderen Anspruch erhebt unser Verfasser – und zwar ebenfalls nicht zu Unrecht – nach der Deutung von Eckhard Plümacher: Unter Heranziehung einschlägiger Passagen aus den beiden Lukian-Schriften Πῶς δεῖ ἱστορίαν συγγράφειν (Hist.Conscr.)72 und Ἀληθῆ διηγήµατα (VH)73 sowie v.a. aus den Historien des Polybios (Plb.)74 kommt Plümacher zu dem Urteil, daß von einem ernsthaften Historiker, wenn er nicht selbst Zeitzeuge (gewesen) sei, wenigstens Sach- und Ortskenntnis zu verlangen seien, also eine – wie auch immer erlangte – ἐµπειρία bzw. αὐτοπάθεια in bezug auf den von ihm dargelegten Gegenstand.75 Diesen Anspruch soll Lukas, so Plümacher, für sich gegebenen Verfasserschaft zu unterstellen. . . . Wichtig für ein angemessenes Verständnis pseudepigrapher Texte ist also, dass sie selber bis zu einem gewissen Grad diese Fiktion zu erkennen geben« (S. 105). 70 Richtige Kritik einer Position, die aber vermutlich in dieser krassen Zuspitzung von niemandem wirklich vertreten werden dürfte, bei Porter, Excursus, S. 561. 71 Siehe zu einer solchen Position etwa Marguerat, First Christian Historian, S. 24f. Vgl. ähnlich und im Anschluß an Marguerat die Ausführungen zum ganzen Erklärungsansatz und speziell zur Parallelisierung mit dem Phänomen der Pseudepigraphie bei Pervo, Acts, S. 396: »The use of ›we‹ does not identify the author of Acts. It does serve to enhance the credibility of the narration and to associate the narrator with the person of Paul. It is a bid to be recognized as an exponent of authentic Paulinism and to authenticate the Paulinism of Acts. ›We‹ is to Acts as the letter form is to the Deutero-Pauline epistles.« 72 Vgl. etwa Luc. Hist.Conscr. 29.37.47. 73 Man beachte vor allem den parodistischen Abschluß des Proöms: Luc. VH I 4. 74 V.a. Plb. XII 28a,4–10; siehe hierzu Plümacher, Wirklichkeitserfahrung, S. 16 mit Anm. 92 (dort weitere relevante Stellen bei Polybios). 75 Plümacher, Wirklichkeitserfahrung, S. 16–20.
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erhoben haben, nämlich daß er eben ein erfahrener Seereisender im östlichen Mittelmeerraum gewesen sei.76 Diese Erklärung der »Wir«-Passagen hat mit zwei Problemen zu kämpfen, die Plümacher schon selbst benennt,77 nämlich erstens, daß es für das Verfahren, den Anspruch der ἐµπειρία durch Erzählung in der 1. Pers. zu erheben, keine ernsthaften Parallelen gibt,78 und zweitens, daß die Betonung von ἐµπειρία und αὐτοπάθεια eben ein Merkmal der sog. pragmatischen Geschichtsschreibung ist, also eben genau der des Polybios, und gerade nicht der tragisch-pathetischen Geschichtsschreibung, der Plümacher selbst ja das Werk des Lukas aufgrund des dramatischen Episodenstils zugeordnet hatte.79 Darüber hinaus kann auch diese Erklärungsweise nicht das Grundproblem der »Wir«Passagen befriedigend lösen: Was hat Lukas zu dem anscheinend unmotivierten und nicht eingeleiteten Wechsel der Erzählperspektive veranlaßt? Zu 4.: Hier sind vier solcher literarischen Erklärungsmöglichkeiten anzuführen:80 Da wäre zunächst die Überlegung von Vernon K. Robbins zu erwähnen, auf die hier etwas ausführlicher einzugehen erlaubt sein mag, weil ein Großteil des von ihm beigebrachten angeblichen Belegmaterials, auch in der vorliegenden Arbeit zum Untersuchungsgegenstand gehört: Robbins geht von der grundsätzlich ja zutreffenden Beobachtung aus, daß alle Wir-Passagen der Apg im Zusammenhang mit Seereisen stehen,81 aber natürlich zum Teil auch weit darüber hinausgehen, was schon als ein erster Kritikpunkt zu gelten hat, weil sich die »Wir«-Stücke eben nicht auf Seereisen begrenzen lassen. Seine These besagt nun, daß die Erzählung in der 1. Pers. Pl. eine Genre-Konvention von Seefahrtserzählungen sei, und die »Wir«-Stücke der Apg eben von daher zu erklären seien.82 76 Plümacher, Wirklichkeitserfahrung, S. 21. Für Plümacher ist es »gewiß, daß es ihm [sc. Lukas] darum ging, einen von ihm offenbar als verpflichtend angesehenen Grundsatz der hellenistischen Historiographie zu befolgen« (ebd.). 77 Plümacher, Wirklichkeitserfahrung, S. 22. 78 Dagegen, daß es solche geben könnte, spricht schon, daß Historiker es zuweilen vorziehen, selbst ihre eigene Beteiligung an bestimmten Ereignissen in der 3. Pers. zu erzählen, s.o. 79 Auch diesen möglichen Einwand nimmt Plümacher vorweg: Plümacher, Wirklichkeitserfahrung, S. 22. Vgl. zur Klassifizierung der Geschichtsschreibung des Lukas: Plümacher, Art. Lukas, Sp. 255–261; neuerdings zieht Plümacher im Anschluß u.a. an Meister, Griechische Geschichtsschreibung, S. 99.101, die Bezeichnung »mimetische oder sensationalistische Geschichtsschreibung« vor (Plümacher, ΤΕΡΑΤΕΙΑ, S. 67); zuletzt hielt sich Plümacher zurück und hat vorsichtig festgestellt, daß sich das Werk des Lukas einer klaren Zuweisung zu einer bestimmten Richtung der antiken Historiographie entziehe: Plümacher, Stichwort, S. 7f. 80 Alle beziehen sich auf je eigene Weise zurück auf das »Vergleichsmaterial«, das Dibelius, Apg im Rahmen der Literaturgeschichte, S. 170–172, angeführt hatte. 81 Robbins, We-Passages, S. 5f.; Robbins, By Land and by Sea, S. 215f. 82 Robbins, We-Passages, S. 16–18; Robbins, By Land and by Sea, S. 228ff. Robbins bezieht sich auf eine Bemerkung von Cadbury, der aber aus gutem Grund vor einer »Lösung« des Problems im Sinne von Robbins zurückgeschreckt ist (Cadbury, The Making, S. 144f.).
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Bei dieser radikalen Position, daß die Erzählung in 1. Pers. konventionell zum »sea voyage genre« gehöre, ist es schon grundsätzlich mehr als fragwürdig, »Seefahrtserzählung« als Gattungsbegriff zu verwenden und überhaupt von GenreKonventionen hierfür zu sprechen. Noch weit fragwürdiger aber ist der »Beweisgang«, auf dem Robbins seine These entfaltet und begründet. Zunächst versucht er seine Ausgangsannahme zu belegen, daß Seefahrtserzählungen mehrheitlich aus der Perspektive einer 1. Pers. Pl. gegeben werden. Das tut er, indem er einige Beispiele für Seefahrtserzählungen in der 1. Pers. Pl. benennt.83 Diese stammen vorwiegend aus dem Bereich der Epik und der Romanliteratur. Die Robbinssche Annahme, daß in der gesamten griechischen antiken Literatur Seefahrtserzählungen überwiegend in der ersten Person Pl. erzählt werden, stimmt – das kann ich bestätigen; jedoch eben nur überwiegend, wir haben auch Gegenbeispiele. Nicht jedoch stimmt, daß dies mit einer Genre-Konvention für Seefahrtserzählungen zusammenhängt. Alle »Belege« die Robbins anführt, entstammen Texten, die entweder insgesamt aus der Perspektive eines Ich-Erzählers formuliert, oder in denen eine zweite bzw. noch höhere Ebene der Kommunikation eröffnet wird, d.h. einer der Akteure erzählt innerhalb der Erzählung bestimmte Gegebenheiten (ein intradiegetischer Erzähler).84 Man denke etwa an die berühmte Erzählung des Odysseus am Hof des Phäakenkönigs, in der seine Leiden zur See bekanntermaßen nicht zu kurz kommen (Od. VII 240ff.; IX 1–XII 453). Weiterhin haben wir oben gesehen, daß in den antiken Romanen in der Tat Seereiseberichte gern aus der Perspektive des Ich-Erzählers gegeben werden, und auch häufig ein Wir vorkommt, wenn eben die auf dem Schiff dasselbe Schicksal erleidenden Menschen mit dem Erzähler zusammengefaßt werden; jedoch ist das durch die jeweilige Erzählung bedingt, die eben ihrerseits einen Erzähler einführt oder zur Gänze auf der zweiten Ebene der Kommunikation abläuft.85 Auch seine anderen Belege sind nicht über jeden Zweifel erhaben und tragen keinesfalls die ihnen aufgebürdete Last – erst recht nicht zur Erklärung des Phänomens in der Apostelgeschichte, zu dem er keine wirkliche Prallele beizubringen vermag.86
83 Vgl. die von ihm nur recht oberflächlich behandelten Belegstellen in: Robbins, We-Passages, S. 6–11; Robbins, By Land and by Sea, S. 217–223. 84 Vgl. die Liste bei Praeder, Problem, S. 210f. 85 Vgl. hierzu meine diesbezüglichen Ausführungen v.a. zu Achilleus Tatios und zu Heliodor, aber auch zum Herpyllis-Roman. 86 Vgl. zur Kritik an Robbins: Praeder, The Narrative Voyage, S. 224–226; Praeder, Problem, S. 210–214; Spencer, Portrait of Philip, S. 248; Kurz, Reading Luke-Acts, S. 112; Porter, Excursus, S. 554–558; Wehnert, Die Wir-Passagen, S. 116f. Eher positiv sieht Pervo die Robbinsschen Ergebnisse: Pervo, Profit, S. 57; vgl. auch die allerdings zurückhaltendere Würdigung Pervo, Acts, S. 393 mit Anm. 66 und S. 395.
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Aber, Robbins geht noch weiter und nähert sich so dem eigentlichen Problem der »Wir«-Stücke der Apg an: Er behauptet nämlich auch, daß die angebliche Genre-Konvention so einflußreich sei, daß sie sich selbst in Texten wiederfinde, die in der 3. Pers. verfaßt sind, und hier zu einem plötzlichen Wechsel der Erzählperspektive führe. Hierfür führt er nun auch Stellen aus der PeriplusLiteratur an; nämlich den Periplus Maris Erythraei mit der Stelle, in der das Verhalten des guten Seemanns bei der Passage der arabischen Küste aus der Perspektive des Erzählers beschrieben wird,87 wobei dieser sich selbst mit anderen erfahrenen Seefahrern im »Wir« zusammenschließt (Peripl.M.Rub. 20, s.o.); ähnliche Bezüge, in der der Küstenbeschreiber sich mit anderen (u.U. auch den Lesern) zum »Wir« zusammenschließt finden sich noch mehrfach in diesem Text.88 Es liegt somit kein irgendwie überraschender Wechsel der Erzählperspektive vor, sondern eine für den Leser jederzeit klare Konzentration auf eine bestimmte Personengruppe bzw. eine anredende Hineinnahme des Lesers in die Darstellung. Sieht man daran, daß die Ausgangsbasis der These von Robbins schon recht brüchig ist, so ist weiterhin die Relevanz für die »Wir«-Stücke in der Apg noch immer nicht ganz klar. Doch liegt hier m.E. gerade eine Stärke der Ausführungen von Robbins, weil er die entscheidende Besonderheit der »Wir«-Stücke der Apg ganz ernst nimmt und zwar wie kaum ein anderes Erklärungsmodell. Wie wir eben schon angedeutet haben, schwenkt er in seinem Beweisgang ja langsam auf dieses entscheidende Problem der »Wir«-Stücke ein, nämlich den Umstand, daß sie völlig unerwartet und innerhalb des Textes ungerechtfertigt ansetzen und die Perspektivität der Erzählung in der Apostelgeschichte quasi brechen. Dementsprechend versucht Robbins nun gerade für diesen Umstand seines Erachtens aussagekräftige Parallelen zu finden, und erstaunlicherweise meint er, solche Parallelen auch gefunden zu haben: Sein erster und entscheidender Zeuge ist der oben auch behandelte Anfang des Periplus Hannonis.89 Robbins gibt darüber die Auskunft, daß es zwischen § 1 und § 2 zu einem plötzlichen und unerwarteten Wechsel von der Erzählung in 3. Pers. zu einer Erzählung aus Perspektive der 1. Pers. komme. Schon gegen diese Darstellung muß man aber doch entschieden einwenden, daß hier ein Prooemium vor uns liegt. Zwar ist hier natürlich nicht von einem von üblicher Topik durchsetzten Proöm zu sprechen, doch gilt auch im Fall des Periplus Hannonis die Erkenntnis, daß Proömien mit dem eigentlichen Text literarisch oft kaum verknüpft sind, sondern vielmehr Robbins, We-Passages, S. 13; Robbins, By Land and by Sea, S. 224. Ein Beispiel habe ich ja oben bei der Behandlung der Periplusliteratur auch abgedruckt: τῶν παρ’ ἡµῖν ἐτησίων (Peripl.M.Rub. 57). 89 Robbins, We-Passages, S. 15; Robbins, By Land and by Sea, S. 225f.; er zitiert hier Hanno Peripl. 1–3 (s. dazu oben, S. 24, wo ich die §§ 1–4 biete). 87 88
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von ihm abtrennbar sind, wie Loveday Alexander das ja in ihrer vergleichenden Studie zum Lukas-Proöm für die fachwissenschaftlichen Proömien überzeugend gezeigt hat.90 Noch weniger stichhaltig und von enormen eigenen Problemen belastet sind die anderen angeblichen »Parallelen«: Darunter bringt er auch eine Passage aus den sog. »Episoden aus dem 3. Syrischen Krieg« (246 v.Chr.),91 bei denen es sich um zwei Papyrusfragmente handelt die den Text in vier Kolumnen bieten.92 Das angeblich plötzliche Auftreten des »Wir« in Kol. II, Z. 16 kann m.E. gegen Robbins auch ganz organisch aus dem gegebenen Textbestand erklärt werden. Alle Erwägungen bleiben hier aber natürlich durch den fragmentarischen Charakter in ihrer Sicherheit begrenzt.93 Darüber hinaus bringt er noch zwei weitere Belege;94 beides späte Beispiele aus dem Bereich der christlichen Literatur: Der erste stammt aus dem Martyrium Antiochenum des Ignatius, wo sich in Kap. 5 in der Tat völlig unerwartet die 1. Pers. Plur. findet95 – in diesem Text wirklich genauso rätselhaft wie in der Apg. Das fünfte Kapitel beschreibt den Weg des Ignatius von Smyrna bis Puteoli, wo Ignatius aussteigen und den Weg des Paulus gehen will;96 das jedoch gelingt aufgrund heftigen Windes (βίαιον πνεῦµα), der das Schiff weitertreibt, nicht. All das wird in der 3. Pers. erzählt; dann jedoch tritt plötzlich ein Wir hervor, das offenbar auf die Reisebegleiter des Ignatius geht, und es heißt (M.Ign.Ant. 5):97 τοιγαροῦν ἐν µιᾷ ἡµέρᾳ καὶ νυκτὶ τῇ αὐτῇ, οὐρίοις ἀνέµοις προσχρησάµενοι, ἡµεῖς µὲν ἄκοντες ἀπηγόµεθα στένοντες ἐπὶ τῷ ἀφ’ ἡµῶν µέλλοντι χωρισµῷ τοῦ δικαίου γίνεσθαι, τῷ δὲ κατ’ εὐχὴν ἀπέβαινεν σπεύδοντι θᾶττον ἀναχωρῆσαι τοῦ κόσµου, ἵνα φθάσῃ πρὸς ὃν ἠγάπα Κύριον.
So denn also wurden wir unfreiwillig an einem einzigen Tag und der folgenden Nacht unter günstigen Winden hingebracht, wobei wir unsererseits über die ja bevorstehende 90 Vgl. Alexander, The Preface, passim, vgl. insbesondere das Kapitel zu Structure, Content and Style der fachwissenschaftlichen Proömien (S. 67ff.). 91 Robbins, We-Passages, S. 13; Robbins, By Land and by Sea, S. 224. 92 Wilcken, Grundzüge I 2, S. 1–7 (Text S. 4–7); vgl. insbesondere die Einführung S. 1–3. 93 Bis II 16 wird die Aktion des Pythagoras und des Aristokles berichtet; das schon in II 13 vorkommende »Wir« ist ganz unspezifisch (συνέβη . . . καὶ τὴν πόλιν καὶ τὴν ἄκραν καθ’ ἡµᾶς γενέσθαι, II 11–13). Ab II 16 geht der wohl berichtende Nauarch zu seinen eigenen Unternehmungen über, die er nun ganz natürlich aus der Perspektive der 1. Person berichtet, das setzt sich bis zum Ende von Kol. IV fort. Vgl. zur Gliederung des Textes und zu seinen Problemen wieder: Wilcken, Grundzüge I 2, S. 2f. 94 Robbins, By Land and by Sea, S. 226–228; in der älteren Fassung des Beitrags folgte nur noch der eine, hier gleich zuerst erwähnte Beleg (Robbins, We-Passages, S. 16). 95 Siehe den Text des 5. Kap. bei: Lightfoot, The Apostolic Fathers II, S. 487–489. 96 M.Ign.Ant. 5: κατ’ ἴχνος βαδίζειν θέλων τοῦ ἀποστόλου Παύλου . 97 Man vgl. hierzu die paulinische Passage Phil 1,21–24 (bes. v. 23), die für die Rekonstruktion des paulinsichen Denkens in Sachen persönlicher Eschatologie von größter Relevanz ist (siehe dazu etwa Schnelle, Paulus, S. 677f.).
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7 Die Quellenfrage
Trennung des Gerechten von uns jammerten, ihm jedoch ging es nach Wunsch, weil er darauf hineiferte, schneller aus der Welt zu scheiden, damit er umso früher zum Kyrios gelangte, den er liebte.
Die Berechtigung zur Auflistung auch dieses Textes unter den »Belegen« bei Robbins kann als fraglich gelten: Zunächst einmal findet sich das plötzliche Auftreten der 1. Pers. Pl. nicht mit Beginn der Seereise, sondern mitten in ihrem Verlauf. 98 Darüber hinaus sind gewiß auch andere Erklärungsmöglichkeiten als die von Robbins favorisierte denkbar und plausibel: Möglicherweise nämlich wird hier – wenn natürlich auch recht stümperhaft – die Personengruppe des Kap. 7 eingeführt, denen Ignatius nach seinem Martyrium dann in Visionen erscheint. Man könnte aber auch noch Acta-Mimesis in Erwägung ziehen, da kurz vor dem Wechsel zum »Wir« ja auf die Fußstapfen des Paulus von Puteoli nach Rom hingewiesen wird, in denen er eigentlich hätte wandeln wollen (s.o.) – man blicke dazu vergleichend auf Apg 28,12–16, den Abschluß der letzten »Wir«Passage der Apostelgeschichte.99 Den letzten Beleg schränkt Robbins schon selbst in seiner Stichhaltigkeit ein,100 nämlich die aus der Bibliothek von Nag Hammadi in koptischer Fassung auf uns gekommenenen sog. »Taten des Petrus und der zwölf Apostel« (Nag Hammadi Codex VI,1) – ein Text dessen Problembeladenheit kaum zu überschauen ist. Hier findet sich eine mehrfach gebrochene Erzählperspektive; so charakterisiert Hans-Martin Schenke in seiner Einleitung im Hennecke/Schneemelcher unseren Traktat als hybriden Großtext, »der zustande gekommen ist durch die unorganische Verbindung von Einzeltexten«.101 Dementsprechend sind die Wechsel in der Erzählperspektive vielleicht für sich genommen auffällig, aber wohl doch mit dem eigentümlichen Entstehungsprozeß des Textes zu erklären und keineswegs unter Rekurs auf ein angebliches »sea voyage genre«. Nach der ansatzweisen Durchmusterung eines Teils der von Robbins gebotenen »Belege« dürfte klar sein: Die These von Robbins ist definitiv haltlos! Allerdings 98 Das hatte Robbins freilich auch selbst gesehen (Robbins, By Land and by Sea, S. 226): »It is informative, however, to observe first person plural narration in the midst of sea voyage material.« Mehr erklärt er nicht dazu! 99 Auf die Möglichkeit, daß hier eine Art von Acta-Mimesis vorliege, die sich auch (gewollt/ ungewollt?) auf die Erzählperspektive ausgewirkt haben könnte, verweist auch S.M. Praeder in ihrer Kritik an Robbins: Praeder, Problem, S. 213. 100 Siehe Robbins, By Land and by Sea, S. 227f.; er räumt nämlich zu Recht ein, daß der Anfang des Traktats verloren ist, und wir dementsprechend uns nicht im klaren darüber sein können, wie der Text von seiner Kommunikationsstruktur her organisiert ist. 101 Hans-Martin Schenke (Hennecke/Schneemelcher II6 , S. 368–380 [Einleitung, S. 368– 374; Übersetzung, S. 374–380], hier S. 370). Vgl. auch Nag Hammadi Deutsch – Studienausg., hier zu NHC VI,1 ebenfalls Hans-Martin Schenke (S. 325f. Einleitung, S. 327–331 Übersetzung); R. McL.
7.1 Die sogenannten »Wir«-Stücke
301
macht er – wie oben schon angedeutet – deutlich wie kaum ein anderer auf das entscheidende Problem der »Wir«-Stücke in der Apostelgeschichte aufmerksam, das auch andere Erklärungsmodelle nicht lösen können. Wie schon mehrfach betont – können die »Wir«-Stücke m.E. nur sinnvoll gedeutet werden unter ausdrücklicher Beachtung dieses entscheidenden Problems: daß sie nämlich in der Apostelgeschichte die Perspektivität der Erzählung (fast unerträglich) brechen, und das mehrfach. Strukturell ähnlich nimmt Dennis R. MacDonald an, daß die »Wir«-Passagen eine Odyssee-Mimesis kennzeichnen sollen:102 Dabei beruft er sich auf die Verwendung der 1. Pers. in prominenten Stücken der Odyssee103 und auf den angeblichen Bezug zwischen dem Epos und der Apostelgeschichte, daß die »Wir«-Stücke in Alexandria Troas einsetzten und alle mit der Troas in Verbindung stünden.104 Die Argumentation von MacDonald ist bodenlos: 1. Die Erzählungen der 1. Pers. in der Odyssee sind im Gegensatz zum Vorgehen des Lukas sauber geschachtelt, indem ausdrücklich eine neue Kommunikationsebene eröffnet wird (s. schon oben); 2. Für Apg 27 benennt er allen Ernstes als Bezug zur Troas den Umstand, daß das erste Schiff, das die Reisenden von Caesarea nach Myra bringt, aus Adramytteion stamme (Apg 27,2; s. die Anm. 104): Da erübrigt sich wohl jede Erwiderung! 3. Die These von einer Imitation des Epos ist überhaupt völlig haltlos; allenfalls kann man in Apg 27 eine mittelbare Beeinflussung annehmen, aber doch nur so, das bestimmte Elemente der Seefahrtsmotivik ihren Ursprung in der Odyssee haben und von dort ihren Weg durch verschiedene literarische Gattungen bis in die rhetorisch beeinflußten Romane gegangen sind. Daß sich Lukas dieser literarisch gut belegten und gleichsam allgegenwärtigen Topoi von Seefahrtsschilderungen bedient, ist nicht zu leugnen (s.u.).105 Wilson/Douglas M. Parrot, NHC III, S. 197–202 (Einführung).S. 204–229 (kopt. Text mit engl. Übersetzung). 102 MacDonald, Shipwrecks, S. 89: »The function of the first person plural is not to claim the author himself as a witness to these events but to flag these passages as imitations of the epic.« 103 MacDonald, Shipwrecks, S. 106: ». . . in the Odyssey, as in Acts, the narrator uses the third person when narrating events from the real world and the first person when narrating events from ‘the world of folktales’, or literary fictions.« Diese Unterscheidung ist ohnehin bei weitem zu schematisch, um nicht zu sagen, schlichtweg falsch; vgl. die Kritik bei Wedderburn, The ‘We’-Passages, S. 93. 104 MacDonald, Shipwrecks, S. 89: »He [sc. der Erzähler der Apg] narrates in the first person plural only those journeys related to the Troad, alerting his readers to this relationship through proper nouns: Troas and Adramyttium.« 105 Solche Kritik hat mutatis mutandis auch bei anderen von MacDonald vorgelegten Untersuchungen ihre Berechtigung: MacDonald, Christianizing Homer, wo er die Andreas-Akten (Akten des Andreas und Matthias: A. Andr. et Mt.) mit der homerischen Odyssee parallelisiert; MacDonald, Paul’s Farewell, wo er die paulinische Abschiedsrede in Milet (Apg 20,17–38) mit dem Abschied
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7 Die Quellenfrage
Einen anderen Vorschlag hat Jürgen Wehnert unterbreitet; er sieht in den »Wir«-Passagen ein Stilmittel aus jüdischer Erzählkunst und zieht Vergleichsmaterial aus der alttestamentlichen und nach-alttestamentlichen Literatur (v.a. aus dem Esra-, Daniel- und Tobit-Buch) heran. Bei Wehnert besteht eine gewisse Verwandtschaft mit Lösungsmöglichkeit 3, weil er durch den Einsatz der 1. Pers. »die unbedingte Zuverlässigkeit der Darstellung« »verbürgt« sieht;106 insgesamt votiert er für »die Möglichkeit, daß Lukas die für die bibl.[ische] Literatur charakteristische Mischung der Erzählperspektive – er mag hierin so etwas wie einen ›heiligen Stil‹ erblickt haben, der die bibl.[ische] von der griech.[isch]-röm.[ischen] Literatur unterschied – im zweiten Teil seines Doppelwerks übernahm«.107 Um wirklich überzeugende Parallelen handelt es sich m.E. jedoch auch hier nicht.108 Eine in Anknüpfung an rhetorische Strategien entwickelte Erklärungsmöglichkeit hat Clare Rothschild in die Diskussion gebracht:109 Sie meint, der Gebrauch der 1. Pers. Pl. bei Lukas stehe in einem gewissen Zusammenhang mit der rhetorischen Technik der φαντασία, durch die die Hörer v.a. am Ende der Rede besonders eindrücklich mit dem Dargestellten konfrontiert werden, indem der Redner vorgibt, die Dinge selbst zu sehen.110 Sie behauptet, dabei keine Probleme mit dem sporadischen Auftreten der »Wir«-Passagen zu haben,111 und folgert: »The author of Luke-Acts inserts ›we‹ to indulge the audience in a fantasy meant to transport them beyond argument to belief.«112 Das in der pseudolonginischen Schrift De sublimitate genannte Verfahren ist aber anders gelagert als das Phänomen in der Apostelgeschichte; außerdem ist auch das Problem des literarischen Bruchs dabei nicht ausreichend berücksichtigt. Der des Hektor aus dem sechsten Gesang der Ilias (Il. VI 359ff.) parallelisiert. Vgl. zu dieser jüngeren Exegeserichtung auch Bonz, Past as Legacy, die stärker auf Vergil und andere lateinische Epik blickt. Zur (vielleicht zu moderaten) Kritik sei hier nur kurz verwiesen auf: Alexander, Ancient Epic; Sandnes, Imitatio Homeri?; mit klarerer Ablehnung im Blick auf die Thesen von Bonz siehe insbesondere Krauter, Vergils Evangelium, S. 216–231. 106 Wehnert, Die Wir-Passagen, S. 182. 107 Wehnert, Die Wir-Passagen, S. 149f. 108 Vgl. zur Kritik etwa Schnelle, Einleitung, S. 315, Anm. 45; Wedderburn, The ‘We’-Passages, S. 90. Insbesondere die Esra-Nehemia-Bücher sind als Vergleich schon länger in der Diskussion: etwa bei Norden, Agnostos Theos, S. 328–330; Dibelius, Apg im Rahmen der Literaturgeschichte, S. 171. Auch die Kritik daran ist alt: vgl. beispielsweise Meyer, Ursprung III, S. 6; Wikenhauser, Geschichtswert, S. 71f. 109 Siehe Rothschild, Rhetoric of History, S. 264–267. 110 »In terms of the rhetoric of history, use of the first person plural pronoun in Luke-Acts has an indirect connection to the rhetorical technique φαντασία. With this technique, a speaker, seeking to heighten the persuasiveness at the end of a speech, initiates a fantasy for the listener« (Rothschild, Rhetoric of History, S. 265f.); dabei bezieht sie sich auf Ps.-Longin. Subl. 15,1f. 111 Rothschild, Rhetoric of History, S. 266. 112 Rothschild, Rhetoric of History, S. 267.
7.1 Die sogenannten »Wir«-Stücke
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Erkärungsversuch steht aber in Beziehung zu einer Motivation, die ich unten noch auswerten werde.113 In Ermangelung von in notwendigem Maße belastbaren Parallelen ist auch diese Gruppe von Erklärungsmöglichkeiten zu verwerfen; mögliche Parallelisierungen scheitern nämlich immer wieder an der beispiellosen Verfahrensweise des Lukas, völlig unvermittelt (und das mehrfach) die Erzählperspektive zu wechseln. Es ist vor dem Hintergrund gewissermaßen erstaunlich, wie sich die Mär vom literarischen Stilmittel halten und verbreiten konnte, man ist fast geneigt, von einem Forschungsmythos zu sprechen.114 Zu 5.: Die von mir hier sogenannten theologischen Deutungen sind zumeist nicht selbständig und unabhängig von anderen Erklärungsversuchen der soeben genannten vier Typen, sondern fungieren oftmals als Ergänzung dazu; sie sollen erklären, welche Bedeutung der Verfasser seiner Benutzung des »Wir«-Stils beigemessen haben könnte; damit erläutern sie eher die Funktion, als daß sie die Herkunft »Wir«-Stils erklären wollen. Auf eine dezidiert theologische Deutung dieser Art läuft die Behandlung des »Wir«-Problems bei Claus-Jürgen Thornton zu:115 Er sieht grundsätzlich im Sinne von Lösungstyp I die Benutzung des Wir durch Lukas als dadurch gerechtfertigt an, daß er eben tatsächlich selbst dabei gewesen sein könnte und möglicherweise selbst angefertigte Quellen benutzt habe; den eigentlichen Grund für die Benutzung des wir nur an bestimmten Stellen meint er aber darin erkennen zu können, daß Lukas sich als Zeuge der Erfüllung des göttlichen δεῖ verstanden habe:116 Lukas habe sich eben nicht nach Art und Weise der Historiker selbst eingeführt, um seine eigene Beteiligung an den Ereignissen hervorzuheben, oder um für sich und seine Darstellung Autopsie zu beanspruchen; vielmehr wolle er sich selbst als Zeuge dafür verstanden wissen, daß sich in den entscheidenden Paulusreisen »das göttliche δεῖ vollstreckt«.117 Diese Berufung auf ein sog. »göttliches δεῖ« hat freilich darin seine Berechtigung, daß der lukanische Bericht immer in Zusammenhang mit den Reisen, die auch »Wir«-Partien enthalten, in der Siehe unten, S. 310f. Adrian Hummel etwa räsoniert über eine Quellen-Lösung, urteilt dann aber, daß »die pluralische Erzählperspektive ein typisches Stilmittel des antiken Romans gerade zum Zwecke dynamisierender Schilderung von – übrigens massenhaft überlieferten – Seereisen und Schiffbrüchen« sei (Hummel, Factum et fictum, S. 48). Auch Anja Cornils folgt diesem Trugschluß, wenn auch nicht mit explizitem Bezug auf die Romane: Cornils, Vom Geist Gottes erzählen, S. 247–249. Zudem findet sich der »Mythos« sogar in ganz besonders soliden Arbeiten, z.B. Sterck-Degueldre, Lydia, S. 26f.38.40. 115 Dem literarischen Problem des »Wir«-Berichts hat er eine enorme Seitenzahl gewidmet: Thornton, Zeuge, S. 83–197. 116 Thornton, Zeuge, S. 364–366. 117 Thornton, Zeuge, S. 364f. (Zitat S. 365). 113 114
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7 Die Quellenfrage
Tat (meist sogar recht ausdrücklich) den Eindruck einer Notwendigkeit dieser Reisen aufgrund göttlicher Führung oder Bestimmung erweckt: Apg 16,6–10 (man beachtete hier den erstaunlichen Zickzack-Kurs, auf dem die Missionare – vom ἅγιον πνεῦµα [v. 6] bzw. vom πνεῦµα ᾽Ιησοῦ [v. 7] von anderen Wegen abgehalten – in die Troas geführt werden, wo dann dem Paulus im ὅραµα der ἀνὴρ Μακεδών erscheint [v. 9]); 20,22; 27,24 (hier ganz deutlich: Καίσαρί σε δεῖ παραστῆναι).26.118 Deutungen dieser Art haben sicher etwas für sich, haben aber andererseits den Nachteil, daß auch sie das Grundproblem der »Wir«-Passagen nicht lösen, und darüber hinaus zuweilen recht gesucht wirken. 7.1.2 Eine neue (?) Quellenhypothese Ich muß an diesen Forschungsüberblick anschließend gestehen, daß ich derzeit keine in jeder Hinsicht schlüssige und befriedigende Lösung für das »Wir«Problem sehe.119 Bevor wir uns hier aber mit einem ganz und gar negativen Ergebnis bescheiden, was die Erklärbarkeit des merkwürdigen »Wir«-Stils unseres Verfassers betrifft, wollen wir noch Überlegungen zu einer rein literarischen Wahrnehmung des schwierigen Phänomens vornehmen; rein literarisch soll hier nur grob umreißen, daß es bei diesen Überlegungen nicht um die Auffindung von literarischen Vorbildern oder eines irgendwie konventionellen Stils geht, sondern lediglich um den Versuch, das Phänomen der unvorbereitet einsetzenden »Wir«-Stücke auf der Textebene im Hinblick auf ihre möglichen Wirkungen auf den Leser näher ins Auge zu fassen, um dann einen Vorschlag zu unterbreiten, der das unerhörte Verfahren des Verfassers der Apostelgeschichte möglichst verständlich macht, wenn auch sicher nicht vollends erklären wird. Die Frage lautet also: Welche Gründe könnten sich für den unvorbereiteten Wechsel der Erzählperspektive benennen lassen? Welche Wirkungen auf den Leser könnten damit intendiert sein? 7.1.2.1 Orientierung: Literarische Überlegungen Auf diese Fragen versucht der jüngste Vorschlag in der Debatte um die »Wir«Stücke zu antworten: Anja Cornils hat einen Erklärungsvorschlag unterbreitet, 118 Dieses explizite sog. göttliche δεῖ in bezug auf die Reise nach Rom ist freilich schon vorbereitet: 1. in der Notiz über die weiteren Vorhaben des Paulus (Apg 19,21), 2. in einem Nachtgesicht (nach der Szene vor dem Synedrion) durch den Herrn selbst (23,11), und 3. in der Berufung des Paulus auf den Kaiser (25,10, hier jedoch ist kein eigentliches »göttliches δεῖ« anzunehmen, weil es sich um eine rein rechtliche Aussage handelt). Vgl. zum sog. göttlichen δεῖ in bezug auf die Romreise: Cosgrove, The Divine δεῖ; Fieger, Im Schatten der Artemis, S. 123f.; Burfeind, Paulus muß nach Rom; Plümacher, Cicero und Lukas, S. 136–140.158f. 119 Vgl. auch S.M. Praeder, die ihrem 1987er Aufsatz lediglich das Ziel gesetzt hat, das ungelöste Problem klarer herauszustellen: Praeder, Problem, S. 215. In ihrer Dissertation (1980) hatte sie noch
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nach dem das Phänomen der »Wir«-Stücke narratologisch als Metalepse beschrieben werden könne.120 Dabei beruft sie sich u.a. auf Gérard Genette, der maßgeblich für die Einführung und Prägung des Begriffs Metalepse verantwortlich zeichnet.121 Genette faßt den Begriff narrative Metalepse so:122 »Jedes Eindringen des extradiegetischen Erzählers oder narrativen Adressaten ins diegetische Universum (bzw. diegetischer Figuren in ein metadiegetisches Universum usw.) oder auch . . . das Umgekehrte, zeitigt eine Wirkung, die mal komisch ist . . . , mal phantastisch. Wir wollen den Ausdruck narrative Metalepse so weit fassen, das [sic!] er alle diese Transgressionen abdeckt. Einige, ebenso banal und unschuldig wie die der klassischen Rhetorik, spielen mit der doppelten Zeitlichkeit von Geschichte und Narration«.
Dafür nennt er einige Beispiele, etwa aus Marcel Prousts Werk »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit«, in denen die Grenze zwischen Erzählung und Autor überschritten wird; derartiges kommt in moderner Literatur des öfteren vor.123 Der Fall liegt in der Apostelgeschichte aber doch anders; im Fall der »Wir«-Stücke haben wir – narratologisch geprochen – den plötzlichen und unerwarteten Wechsel von einem extradiegetisch-heterodiegetischen Erzähler zu einem extradiegetisch-homodiegetischen Erzähler vor uns, was Cornils auch zutreffend herausarbeitet.124 Das ist nun aber keine Überschreitung der diegetischen Ebenen mehr, sondern eine erzählerische Unmöglichkeit, weil der zweite, anders konstruierte Erzähler durch sog. Einschachtelung hätte eingeführt werden müssen, um überhaupt eine neue diegetische Ebene zu eröffnen. Das geschieht in der Apostelgeschichte nicht – nicht einmal andeutungsweise; Genette dazu:125 »Eine Erzählung kann eine andere kaum ›einschachteln‹, ohne dies zu markieren, d.h. ohne sich selbst als primäre Erzählung zu bezeichnen. Könnten diese Markierung und eher Sympathien für eine mehr oder weniger traditionelle Lösung: Praeder, The Narrative Voyage, S. 226. 120 Cornils, Vom Geist Gottes erzählen, S. 221–249. 121 Vgl. zu den narratologischen Grundlagen ihrer Überlegungen: Cornils, Vom Geist Gottes erzählen, S. 222–225. 122 Genette, Die Erzählung, S. 168. 123 In der antiken Literatur kann man aber beispielsweise die berühmten Autorenkommentare zu Recht als Metalepsen bezeichnen; hier wird über das diegetische Universum hinweg direkt der Adressat angesprochen, um Informationen, Erklärungen, Wertungen oder die Einstellung des Autors mitzuteilen: Beispiele sind etwa Philostr. VA IV 45 (85), wo der Verfasser seine eigene (eher distanzierte) Einstellung zum Phänomen der Totenauferweckung zum Ausdruck bringt, dabei aber alle Deutungsmöglichkeiten offenläßt und so eher noch das Staunenerregende der Tat des Apollonios hervorhebt; oder aus dem Neuen Testament: Joh 4,2, wo der zuvor erweckte Eindruck, Jesus habe – wie Johannes – getauft (Joh 3,22; 4,1), durch den Verfasser korrigiert wird (solche Erzählerkommentare bieten natürlich zu Recht oft den Anlaß zu literarkritischen Überlegungen). 124 Vgl. Cornils, Vom Geist Gottes erzählen, S. 236–245. 125 Genette, Die Erzählung, S. 251.
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7 Die Quellenfrage
diese Bezeichnung so still und heimlich erfolgen, daß man sie nicht bemerkt? Ich gestehe, daß ich mir eine derartige Situation weder vorstellen noch reale Beispiele dafür finden kann, aber vielleicht verrät dies nur meine geringen Kenntnisse, meinen Mangel an Einbildungskraft oder die Geistesträgheit der Romanciers, wenn nicht gar alles zusammen.«
Cornils Anwendung des Begriffs der Metalepse auf das Problem der »Wir«-Stücke wird den Ausführungen von Genette also nicht gerecht. Trotzdem versucht sie, unser Phänomen rein formal als Metalepse, im Sinne eines Verstoßes gegen die einmal eingerichtete Erzählung zu beschreiben. Hier kommt aber schon der Verdacht auf, daß sich mit einem so weit gefaßten Begriff der Metalepse nicht nur literarische Kunstgriffe, sondern auch einfach schlechte Erzählungen beschreiben lassen. Die diesbezüglichen besonderen Schwierigkeiten der »Wir«-Stücke stellt sie dabei deutlich heraus; letztendlich greift sie aber bei der funktionalen Deutung auf schon länger vorgebrachte Argumente zurück, die den Lösungstypen III und IV (s.o.) zuzuordnen sind: »Das ›Wir‹ wird auf die Art und Weise eingesetzt, wie es in historischen Biographien im hellenistischen Milieu üblich war, nämlich im Prolog und in den Seereiseberichten. Die Figur eines sich in die Erzählung selbst einschreibenden Erzählers ist also möglicherweise in der Antike nicht unbekannt oder unvertraut. Sie wird unter Umständen gar nicht als ›Bruch‹ wahrgenommen, da sie antiken Lesern als historiographischer Kunstgriff bekannt war. Über das Wissen um diese Kunstmittel und seine Effekte wird die Geschichte in gewissem Sinne einheitlich.«126 Damit besteht das Hauptargument in nichts anderem als dem Verweis auf angebliche Konventionen, die sich aber so keineswegs belegen lassen (s.o.) – Cornils bemüht sich in dieser Hinsicht auch gar nicht um eine Prüfung der vermeintlichen Belege. Die Beschreibung des Phänomens der »Wir«-Stücke als Metalepse trägt also nichts aus; ohne die geforderte literarische Konvention – und die gibt es, soweit ich sehe, nicht – bleibt das merkwürdige Auftreten der 1. Pers. Pl. weiterhin viel eher schlechter Erzählstil als literarischer Kunstgriff. An diesem Erklärungsversuch und seinem Scheitern zeigt sich m.E. drastisch, wie sehr die Debatte in die Irre läuft, wenn sie krampfhaft daran festhalten will, das Verfahren unseres Verfasser unbedingt als literarischen Kunstgriff erklären zu wollen. Mir scheint demgegenüber, daß man zu einem ungezwungeneren Ergebnis kommt, wenn man zumindest ganz am Ende der Überlegungen und in bezug auf die immer noch verbliebenen Zweifel doch mit der Möglichkeit rechnet, Lukas habe sein Verfahren nicht mit letzter Konsequenz durchdacht. Vielmehr hat die Annahme – so mein Vorschlag – als unkomplizierter zu gelten, Lukas habe sich möglicherweise von verschiedenen Motiven leiten lassen und 126
Cornils, Vom Geist Gottes erzählen, S. 247.
7.1 Die sogenannten »Wir«-Stücke
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sein literarisches Unterfangen am Ende nicht mehr ausgeglichen. Zwei dieser Motive sollen im folgenden kombiniert werden. 7.1.2.2 Zwei literarische Motivationen Die beiden hier ins Auge gefaßten Motivationen sind keineswegs neu, sondern erscheinen in verschiedenen Kombinationen mit den oben aufgelisteten Erklärungsmöglichkeiten unter den Nr. 3 und 5; dabei wird aber oftmals das Problem nicht scharf genug ins Auge gefaßt oder nicht mit hinreichender Trennschärfe analysiert.127 Nach dem oben gebotenen Überblick über die gescheiterten Deutungsversuche mit Alleinerklärungsanspruch darf ich hier hingegen erneut den Versuch unternehmen, einen Vorschlag für eine Kombinationserklärung zu unterbreiten. Zum einen wird im Zuge der schon oben erwähnten theologischen Erklärungsversuche des öfteren die Betonung der entscheidenden Reisen des Paulus auf dem Wege der Verbreitung des Evangeliums ἕως ἐσχάτου τῆς γῆς (Apg 1,8), freilich verquickt mit dem Weg des Paulus ins Martyrium, als Hintergund des abrupten Beginns der »Wir«-Stücke angegeben: Übergang nach Makedonien (Apg 16,10ff.) – Jerusalemreise (Apg 20,5ff.) – Romreise (Apg 27,1ff.).128 Man 127 Exemplarisch für solche »Standardauskünfte«, die sich dann auch gern als angeblicher »Forschungskonsens« verselbständigen, mag hier ein Absatz aus dem neueren Büchlein zur Apostelgeschichte von Norbert Scholl dienen: »Heute neigt man mehrheitlich zu der Annahme, dass Lukas selbst die ›Wir-Form‹ in das ihm vorliegende Quellenmaterial über die Reisen des Apostels eingeführt hat, um die ganze Erzählung spannender zu gestalten und um den Eindruck einer zuverlässigen und authentischen Berichterstattung zu erwecken. Auch hier muss man sich natürlich fragen: Warum tut er das erst jetzt? Warum nicht von Beginn an? Eine Erklärung für diese ›Verspätung‹ könnte lauten: Weil er mit dem nun erst einsetzenden ›wir‹ die besondere Bedeutung dieses Abschnitts hervorheben und deutlich machen möchte. Lukas will unterstreichen: Ich bin Zeuge dafür, dass der Übergang nach Europa unter der besonderen Fügung und Führung des Gottesgeistes steht« (Scholl, Lukas, S. 93). 128 Vgl. aus der großen Menge des zuweilen nur am Rande Bemerkten: Koch, Kollektenbericht, S. 389: »der Weg, der Paulus als Missionar nach Europa führt, ist ebenso wie sein Weg zum Martyrium, der ihn nach Rom bringen soll, ein Weg, den Paulus im Gehorsam gegenüber den unzweideutigen Weisungen des Geistes gegangen ist.« Vgl. zu den verschiedenen Positionen, was die Bedeutung des Übergangs der Paulus-Mission nach Makedonien bzw. Europa anbelangt: Pilhofer, Philippi I, S. 154–156, der sowohl in bezug auf die griechische Siedlungsgeschichte als auch mit Blick auf die Romanisierung keinen bemerkenswerten Unterschied zwischen den Gebieten diesseits und jenseits des Hellespont feststellen kann, insbesondere wenn man – wie er hier vorliegt – den Übergang von der römischen Kolonie Alexandria Troas in die römische Kolonie Philippi ins Auge faßt. Für die Betonung dieses Übergangs im Werk des Lukas macht Pilhofer spezifisch makedonische Interessen verantwortlich. In Erwiderung darauf: Koch, Kollektenbericht, S. 386 mit Anm. 61, der darauf beharrt, daß es ein antikes Bewußtsein für die an Bosporus und Hellespont verlaufende Grenze, allgemein zwischen Ost und West, konkret zwischen Asien und Europa gegeben habe. Er verweist auf Herodot und für die uns interessierende Zeit auf Pomponius Mela. Mag wohl ein wie auch immer geartetes Bewußtsein der Grenze von zwei Kontinenten an Hellespont und Bosporus existiert haben, so trifft die Überschrift »Übergang nach Makedonien« den in der Apostelgeschichte vorliegenden Sach-
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dürfte dann den Bruch der Erzählperspektive als Mittel lesen, die Aufmerksamkeit des Rezipienten auf die nun folgenden Reisen zu lenken bzw. seine Aufmerksamkeit, wie mit einem Weckruf, deutlich zu erhöhen. Als (zugegebenermaßen nur ungenügende) Parallelen kann man auf andere erzählerische oder perspektivische Brüche verweisen, die man natürlich literarkritisch auswerten kann und auch oft literarkritisch ausgewertet hat; nichtsdestotrotz läßt sich die Mehrzahl dieser Brüche auch als Markierung zur Erregung von Aufmerksamkeit auf seiten des Lesers verstehen, etwa im Sinne von: »Achtung, hier kommt es zu einer entscheidenden Wende!« Ein Beispiel für diese Art von Brüchen ist das den Leser auch verstörende Ende der sog. 1. Abschiedsrede im Johannesevangelium (Joh 14,30f.) und besonders die abschließende Aufforderung (v. 31): ἐγείρεσθε, ἄγωµεν ἐντεῦθεν, der ja auch bis heute und wohl nicht zu Unrecht zum Anhaltspunkt für literarkritische Entscheidungen genommen wird,129 aber ebenso im Rahmen der Endgestalt des Evangeliums als »störendes« Element den Leser auf die unterschiedliche Perspektive der 1. und 2. Abschiedsrede hinweist.130 In der Tat kann man nun die drei durch die »Wir«-Stücke so hervorgehobenen Reisen als Ausdruck der drei Grundrichtungen des paulinischen Wirkens nach der Darstellung der Apostelgeschichte beschreiben:131 Diese drei Grundrichtungen lassen sich exakt mit den Intentionen zumindest des zweiten Teils der Apostelgeschichte verbinden, aber auch – da der Verfasser ja Paulus als den paradigmatischen Vollzugsgehilfen in der Verbreitung des Evangeliums gewählt hat – mit der Intention des Gesamtwerks: Der paulinische (aber aus Sicht des Lukas weiterhin mit der antiochenischen Gemeinde verbundene) Vorstoß nach Westen mit dem Übertritt nach Makedonien als entscheidendem Schritt zur Verbreitung des Evangeliums unter den Heiden; die weiterhin lebendige und gepflegte Beziehung nach Jerusalem und der sich dort verschärfende Konflikt mit den Juden; sowie letztlich der Weg nach Rom als Voraussetzung für eine Verbreitung des Evangeliums ἕως ἐσχάτου τῆς γῆς (Apg 1,8), wobei der Schritt verhalt doch viel besser als die Überschrift »Übergang nach Europa«, die bei heutigen Lesern falsche Vorstellungen weckt und historisch über den mehr oder weniger einheitlichen griechisch-römischen Kulturraum im westlichen Kleinasien und in Griechenland hinwegtäuscht. Insbesondere ist hier auf die zutreffende Bemerkung zur Stelle von W.M. Ramsay (Ramsay, St. Paul, S. 199) zu verweisen, die auch Pilhofer schon zitiert hatte (a.a.O., S. 155, Anm. 7). 129 In unterschiedlicher Weise etwa bei: Bultmann, Johannes, S. 459.489; Schulz, Johannes, S. 192f. Vgl. auch die Überblicke bei: Thyen, Johannesevangelium, S. 636; Schnelle, Joh, S. 261– 263; Schnelle, Einleitung, S. 530–533. 130 Vgl. zu einer derartigen literarischen Deutung Schnelle, Joh, S. 261.263; vgl. zusätzlich auch die Hinweise bei Schnelle, Einleitung, S. 532f. Eine etwas andere, vielleicht ‚symbolisch‘ zu nennende Deutung findet sich bei Thyen, Johannesevangelium, S. 636f. (im Anschluß an Dodd, Interpretation, S. 406–409). 131 Vgl. zur Bezeichnung als »Grundrichtungen des paulinischen ›Weges‹« Schneider, Apostelgeschichte I, S. 94; Sterck-Degueldre, Lydia, S. 39.
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nach Rom natürlich noch nicht dessen Erfüllung ist, sondern vielmehr mit Rom das Zentrum des Imperiums im Blick ist (möglicherweise als Voraussetzung dafür, daß von dort die ganze bekannte Welt mit dem Wort Gottes erreicht werden kann: Die schon in Rom bestehende christliche Gemeinde [Apg 28,15] scheint Lukas dabei nicht zu beirren, sein Interesse konzentriert sich weiterhin ganz und gar auf Paulus, auf seinen Weg und seine Verkündigung).132 Diese Überlegungen lassen sich natürlich mühelos mit den Beobachtungen von Thornton zur göttlichen Führung und Leitung dieser drei Reisen verbinden,133 allerdings muß man nicht, wie Thornton meint, dafür voraussetzen, daß Lukas jeweils mit von der Partie war: Der Verfasser der Apostelgeschichte war kein Paulusbegleiter. Die Beobachtungen zum »göttlichen δεῖ« fügen sich in unserem Kontext in die vom Verfasser wahrscheinlich beabsichtigte besondere Hervorhebung der drei Reisen ein.134 Diese Deutung kann dann dahingehend zusammengefaßt werden, daß Lukas mit dem »Wir«-Stil die aus seiner Sicht entscheidenden Bewegungen des Paulus und die entscheidenden Bewegungen im letzten Viertel seines Doppelwerks hervorhebt; entscheidend sind diese drei Reisen nach Makedonien, Jerusalem und Rom – so muß man wohl die lukanische Sicht deuten – nicht nur für den Dienst und Weg des Paulus an sich, sondern auch für die Verbreitung des Evangeliums unter den Heiden, ursprünglich und weiterhin in ihrem Verlauf verbunden mit der Urgemeinde in Jerusalem, aber bei zunehmender Distanzierung und schließlichen Abwendung vom Judentum (Apg 28,28); das entfaltet Lukas an seinem paradigmatischen Heidenmissionar: Paulus. Damit ist aber noch nicht geklärt, warum Lukas ein so eigenartig erscheinendes Mittel wie die Verwendung der 1. Pers. Pl. über ganze Passagen hinweg verwendet: Um einen entscheidenden Übergang zu kennzeichnen, muß man nicht zwingend die betreffenden Erzählabschnitte aus einer anderen Perspektive gestalten. Man kann nun im Rahmen weiterer literarischer Überlegungen ein
132 Den Ausdruck ἕως ἐσχάτου τῆς γῆς (Apg 1,8) konkret auf Rom zu beziehen (etwa in einer rein östlichen Perspektive), verdient m.E. keine andere Bezeichnung als »blanker Unfug«; einem derartig mit den Gegebenheiten des römischen Imperiums vertrauten Autor wie Lukas läge das niemals im Sinn. Vielmehr ist der Ausdruck durchaus in seinem Wortsinn geographisch zu verstehen, wie zahlreiche Septuaginta-Parallelen zeigen; damit ist hier also an das »äußerste Ende der Erde« gedacht, um die Weltmission ins Auge zufassen, von der Lukas einen kleinen, aber entscheidenden Teil beschreibt. Vgl. dazu van Unnik, Der Ausdruck, zu den LXX-Parallelen S. 344–347, zum oft angeführten Beleg für die Deutung auf Rom, nämlich PsSal 8,15, s. besonders S. 346f. 133 S.o. S. 303f. 134 Vgl. etwa Sterck-Degueldre, Lydia, S. 39f.
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7 Die Quellenfrage
zusätzliches mögliches Motiv für die bemerkenswerte Erzählweise des Lukas aufzeigen. Dies kann ich hier nicht ausführlich entfalten, kurze Hinweise mögen genügen: Meine Überlegungen gehen dabei in die Richtung, daß Lukas das Ziel gehabt haben könnte – vielleicht wurde er dabei tatsächlich von bestimmten Ich-Erzählungen beeinflußt –,135 gerade diese drei wichtigen Reisepartien besonders lebendig zu schildern136 und so den Leser mit dem Apostel »auf die Reise gehen zu lassen«; aus der Leserperspektive wird die Distanz zum Erzählten ja durch die Verwendung der 1. Pers., und insbesondere der 1. Pers. Pl., deutlich verringert: Als Leser sind wir näher am Geschehen und gleichsam beteiligt.137 Möglicherweise hat Lukas versucht, die Hervorhebung der drei Reisen durch die Distanzverringerung zum Leser noch zu steigern: Das »Wir« erhöht nicht nur wie eine Markierung, ein Signal die Aufmerksamkeit des Lesers, sondern holt ihn auch dichter an das Erzählte selbst heran. In der Imagination ist der Leser quasi Teil der »Wir«-Gruppe und mit ihr unterwegs. Dieser rhetorische Erklärungsversuch hat freilich für sich genommen nur eine begrenzte Erklärungskraft für das Gesamtproblem der »Wir«-Stücke.138 Es ist aber hier noch eigens zu betonen, daß dieser Erklärungsansatz nicht mit der Widmung des lukanischen Doppelwerks verbunden werden darf, indem man etwa in Θεόφιλος eine Chiffre
135 Etwa aus anderen Reiseschilderungen, die aber natürlich trotzdem keine Parallele zum Verfahren des Lukas darstellen; vgl. die Ausführungen oben. 136 Vgl. die in diese Richtung weisenden Ideen von Dibelius, Apg im Rahmen der Literaturgeschichte, S. 172, der seine Eindrücke dann aber auf den »Schein der Echtheit« zuspitzt. Skeptisch gegenüber dem Zweck der Lebendigkeit zeigt sich: Wedderburn, The ‘We’-Passages, S. 84. 137 In diese Richtung gehen die literarischen Überlegungen von Robert C. Tannehill und William S. Kurz; letzterer beschreibt unter Zitation von Tannehill den Sinn der »Wir«-Passagen auf literarischer Ebene so: »The reader . . . does not remain an uninvolved, second-hand observer but is drawn into what Tannehill called ›imaginative participation in the narrative‹« (Kurz, Reading Luke-Acts, S. 113; Tannehill, The Narrative Unity II, S. 246f.). Unabhängig von dieser literarischen Erwägung teile ich die durchweg traditionelle Sichtweise der beiden Exegeten auf die Abfassung der lukanischen Schriften und deren historische Verläßlichkeit nicht! 138 Ein solcher Erklärungsversuch erhält aber etwa alles Gewicht im Kommentar von F. Scott Spencer – hier zum ersten Vorkommen des »Wir«-Stils in Apg 16,10 –: »Whatever the historical cause of introducing ‘we’ at this juncture (which in the absence of synoptic sources remains indeterminable), the rhetorical effect injects a fresh sense of both intimacy and legitimacy into the narrative. While we have attempted to follow the Acts journey-story as involved traveller-readers, the third person viewpoint has allowed ample space for us to remain detached observers. Now this gap is closed; the storyteller has joined the story and pulled us in with him. We are now part of ‘we’, living and experiencing this second missionary expedition first hand« (Spencer, Journeying through Acts, S. 172f. [s. auch Spencer, Acts, S. 162f.]). Vgl. auch den oben schon angesprochenen Erklärungsversuch von Rothschild, Rhetoric of History, S. 264–267, die hier die rhetorische Technik der φαντασία angewendet sieht.
7.1 Die sogenannten »Wir«-Stücke
311
für den angesprochenen Leser erkennt: Eine solch irrige Auffassung geistert nach wie vor durch die Forschungsliteratur und geht letztlich auf Origenes zurück.139 Weiterhin muß man einräumen, daß auch noch die Kombination dieser zwei Motive das Grundproblem der »Wir-«Passagen nicht vollständig löst: Wir hätten es dann mit einem guten und interessanten Ziel der lukanischen Schriftstellerei zu tun, das aber doch recht stümperhaft umgesetzt worden wäre. Es ist nämlich auch mit den beiden genannten Hintergründen noch immer nicht ganz und gar einsichtig zu machen, warum Lukas dafür einen so eigenartigen und wiederholten Bruch seiner Erzählperspektive in Kauf nimmt, zumal auch noch an einigen Stellen des Kapitels 27 die »Wir«-Perspektive in ihrer Konsequenz nicht über jeden Zweifel erhaben ist (s.u., ähnliches hatten wir ja schon in bezug auf Apg 20,38 festgestellt). Es erscheint zumindest recht schwer vorstellbar, daß der Verfasser das im Vergleich zum Nutzen für seine Darstellung »relativ teure« Mittel eigens für diesen Zweck erfindet. Leichter verständlich wäre das Vorgehen, wenn sich die 1. Pers. Pl. ohnehin für bestimmte Passagen nahegelegt hätte. Es empfiehlt sich m.E. daher, nochmals einen Blick auf die Quellentheorien zu werfen, deren Erklärungskraft für sich genommen oben als verhältnismäßig gering eingestuft werden mußte. Unter Berücksichtigung der eben aufgeführten positiven erzählerischen Wirkungen des »Wir«-Stils könnte aber genau die mit den wenigsten Problemen behaftete Quellentheorie neu zu ihrem Recht kommen; vielleicht auch und gerade für die Kapitel 27f. 7.1.2.3 Eine Quelle für Apg 27f. Schränkt man die Erklärungskraft einer Quellentheorie darauf hin ein, daß sie dem Verfasser das »Wir« nur nahegelegt haben könnte, und dieser wiederum unter (redaktioneller) Fortführung der 1. Pers. Pl. die entsprechenden Passagen (und eventuell weitere) ausgestaltet haben könnte, dann lohnt sich in der Tat eine erneute Berücksichtigung des von Dietrich-Alex Koch – bei ihm be139 Vgl. beispielsweise die ohnehin fragwürdige Abhandlung: Kettenbach, Logbuch, S. 19–21, in der der Verfasser einer grauenhaften Vermischung verschiedenster Erklärungsversuche des »Wir«Stils anheimfällt und eben nicht einmal davor zurückschreckt, dies mit der Widmung des lukanischen Doppelwerks in Verbindung zu bringen: »Der Mitfahrende wird . . . zu einem Gott liebenden Menschen θεόφιλος« (S. 20). Zu dieser auf Origenes zurückgehenden Deutung ist insbesondere auf Or. hom. I in Lc. (GCS 49, 1 S. 11f.; 2 S. 10f.; PG 13, 1804D–1805A mit Anm. 99) zu verweisen. Auch und gerade in der neueren deutschsprachigen Literatur begegnen ausdrückliche Deutungsversuche in diesem Sinne, vgl. etwa: Kurth, Stimmen der Propheten, S. 224; Gradl, Zwischen Arm und Reich, S. 146–152; Neumann, Lukas und Menippos, S. 134 mit Anm. 132. Dazu ist kritisch zu bemerken: Abgesehen davon, daß θεόφιλος (genau so wie θεοφίλητος) zunächst einmal (nur) von Gott geliebt und nicht (auch) Gott liebend bedeutet (so eben auch bei Origenes!), ist es sehr erstaunlich, daß mit dem Interesse am sog. impliziten Leser Deutungen wieder scheinbar an Plausibilität gewinnen, die man m.E. mit Fug und Recht als unhaltbar und einer kritischen Exegese nicht angemessen beurteilen sollte; vgl. auch Alexander, The Preface, S. 188.
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7 Die Quellenfrage
schränkt auf die »Wir«-Passage Apg 20,5ff. – wieder in die Diskussion gebrachten Rechenschaftsberichtes.140 Koch vertritt die plausible These, daß das zweite »Wir«-Stück (Apg 20,5–21,18) und nur dieses (natürlich ohne die Abschiedsrede in Milet [Apg 20,18–35], aber mit der Liste der Teilnehmer an der Kollektendelegation [Apg 20,4]) auf einem Rechenschaftsbericht basiere, der auch in der 1. Pers. Pl. abgefaßt gewesen sei. Für den Verfasser des Berichts grenzt Koch die Möglichkeiten auf die in der Liste (20,4) genannten makedonischen Teilnehmer ein141 und schlußfolgert aus dem offensichtlichen Zweck der Reise, nämlich die Kollekte nach Jerusalem zu überführen, »daß der Abfassungszweck der Quelle genau mit dieser Aufgabenstellung der Reiseteilnehmer in Zusammenhang steht, d.h. daß hier ein Stück einer Quelle sichtbar wird, die dazu diente, nach der Rückkehr vor den einzelnen Gemeinden Rechenschaft über die Durchführung der Kollektenaktion zu geben. Angesichts der offenbar nicht unbeträchtlichen Geldsummen, die hier zu verwalten und zu überbringen waren, war es durchaus angebracht, formell Rechenschaft zu geben.«142 Der formelle Rechenschaftsbericht dürfte dann in der bzw. in den entsprechenden Gemeinden archiviert worden sein.143 Lukas könnte daher bei seinen Recherchen in einer der makedonischen Gemeinden das Archiv eingesehen, diesen Rechenschaftsbericht gefunden und zum 140 Freilich stammt die Idee eines Rechenschaftsberichts nicht von Koch; ein Rechenschaftsbericht wurde schon oft zuvor angenommen: Haenchen, Apostelgeschichte, S. 97f.557, Anm. 5; Ollrog, Paulus und seine Mitarbeiter, S. 56f.; Roloff, Apostelgeschichte, S. 294f.; Thornton, Zeuge, S. 305–313. Neu sind bei Koch vielmehr die konsequente Beschränkung auf das eine »Wir«Stück Apg 20,5–21,18 und die präzisen Überlegungen zu Abfassungs- und Verwendungszweck des Dokuments (Überlegungen hierzu schon bei Thornton, Zeuge, S. 307–309). 141 Koch, Kollektenbericht, S. 377f. Die diesbezügliche Überlegung Wedderburns führt in die Irre: »Only the first, Sopater from Beroea, is named singly, but it must be remembered that this passage is one of the ‘we’-passages and that we are therefore perhaps to assume that the implied author of this account was also there as an eighth member of the group« (Wedderburn, Paul’s Collection, S. 104f.). Es besteht überhaupt kein Grund zu der Annahme, der Verfasser des Rechenschaftsberichts sei in der Liste nicht mitgenannt, weil es sich ja um einen im »Wir«-Stil abgefaßten Text handle; vielmehr wird man davon auszugehen haben, daß die Darstellung in der 1. Pers. Pl. erst nach der eröffnenden Liste mit den Delegationsteilnehmern einsetzt (vgl. Koch, Kollektenbericht, S. 379), lediglich Paulus selbst ist noch als achtes uns bekanntes Delegationsmitglied hinzuzunehmen (vgl. a.a.O., S. 375). 142 Koch, Kollektenbericht, S. 378. 143 Zur grundsätzlichen Möglichkeit bzw. Notwendigkeit einer solchen Rechenschaft und den Analogien, die es nahelegen, eine Aufbewahrung eines entsprechenden Berichts in einem Archiv anzunehmen, vgl. Koch, Kollektenbericht, S. 378, Anm. 34f. Mit einer Aufbewahrung eines solchen »Reisetagebuchs«, wie er es nennt, in der philippischen Gemeinde rechnet auch Haenchen, Apostelgeschichte, S. 97f.557, Anm. 5. Skeptisch gegenüber umfangreicheren Gemeindearchiven in dieser frühen Zeit äußern sich Hengel/Schwemer, Paulus, S. 37, aber auch sie halten es für möglich, daß Lukas »aus einem der noch seltenen Gemeindearchive seiner Zeit die eine oder andere Liste bezogen« haben könnte, und denken dabei an Apg 1,13f; Apg 6,5; 13,1; 20,4 (a.a.O., S. 37, Anm. 133). Zu den späteren Gemeindebibliotheken vgl. Hengel, Die Evangelienüberschriften, S. 37–40.
7.1 Die sogenannten »Wir«-Stücke
313
Teil als Material benutzt haben, eben für die Gestaltung seiner Erzählung der sog. »Kollektenreise«. Der Vorteil einer solchen, in kluger Weise beschränkten, Quellenhypothese liegt auf der Hand: Im Gegensatz zur Annahme einer durchlaufenden von Lukas benutzten Quelle, mit der man versucht hat, die »Wir«-Stücke im Rahmen einer Globaltheorie zu erklären, kann hier der konkrete und überdies sogar wahrscheinliche Abfassungs- und Verwendungszweck der angenommenen Quelle angegeben werden; die Plausibilität der Quellenannahme wird dadurch beträchtlich erhöht. Hinzu kommt noch, daß die Benutzung einer solchen Quelle durch Lukas ja keineswegs ausschließt, daß er die auf der Basis dieses Rechenschaftsberichts ruhenden Passagen selbständig gestaltet hat; er mag im wesentlichen nur die Eckdaten, also v.a. den Reiseverlauf und einige Formulierungen übernommen, sich aber nicht im ganzen sklavisch an die Vorlage gehalten haben. Damit kann man dem Umstand genügen, daß sich auch die Reise Apg 20,5ff. sprachlich und stilistisch nicht vom sonstigen lukanischen Text abheben läßt.144 Ist schon mit dieser einen wahrscheinlich durch Lukas benutzten Quelle eine Antwort auf die Frage nach der ursprünglichen Herkunft der 1. Pers. Pl. möglich, so ist weiterhin überlegenswert, ob nicht auch für das dritte »Wir«-Stück Apg 27,1–28,16 die Annahme einer Quelle sinnvoll sein könnte. In Analogie zum Vorschlag von Koch wäre die Annahme eines Rechenschaftsberichts zu erwägen, in dem die wohl von der Gemeinde in Caesarea dem Paulus als Geleit mitgeschickten Männer über ihr Tun und Lassen während der Reise nach Rom Bericht erstatten, nachdem sie zu ihrer Gemeinde nach Caesarea zurückgekehrt waren.145 Hierbei dürfte es sich somit um eine andere Quelle gehandelt haben als den Rechenschaftsbericht über die Durchführung der Kollektenaktion. Leider stehen wir bei der Verfasserfrage auf weit unsichererem Grund als bei dem Kochschen Kollektenbericht, weil Lukas uns eben keine derartige Namensliste mit überliefert wie im Fall von Apg 20,4. Der in Apg 27,2 als Mitreisender erwähnte Aristarch, der ja schon in Apg 20,4 als Delegierter der Gemeinde von Thessaloniki auftaucht und zu den aussichtsreichsten Kandidaten für die Verfasserschaft des Kollektenberichts zählt,146 wird von Jürgen Roloff als Verfasser des zugrundeliegenden Berichts über die Romreise angesehen;147 er kommt hier 144 Vgl. Dibelius, Der erste christliche Historiker, S. 119. Man beachte nochmals die Beteuerungen Harnacks: Harnack, Beiträge I, S. 28ff.; Harnack, Beiträge III, S. 131ff.; und besonders: Harnack, Beiträge IV, S. 9. 145 Zu den wichtigsten bisher in der Forschungsgeschichte unterbreiteten Vorschlägen für eine Quellenhypothese zu Apg 27f. vgl. den nächsten Abschnitt. Ein solcher Rechenschaftsbericht der Abgesandten aus Caesarea ist meines Wissens bisher noch nicht erwogen worden; ich verdanke die ursprüngliche Anregung zu diesen Überlegungen Peter Pilhofer. 146 Vgl. Koch, Kollektenbericht, S. 378. 147 Roloff, Apostelgeschichte, S. 359; so auch Haenchen, Acta 27, S. 252.
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7 Die Quellenfrage
allerdings ersichtlich nicht in Frage, weil er explizit vom berichtenden »Wir« unterschieden und sozusagen als zusätzlich mitreisende »Prominenz« ausdrücklich genannt wird.148 Anders liegt der Fall in Apg 20,4f., wo nicht alle in der Liste (v. 4) genannten Teilnehmer in v. 5 vom »Wir« unterschieden werden, sondern lediglich die beiden zuletzt genannten Asianer, die eben nicht von Philippi abfahren, sondern die anderen in Alexandria Troas erwarten.149 Auch der Vorschlag von Pesch, der Erinnerungsbericht könne auf Timotheos zurückgehen, basiert auf reiner Spekulation.150 Wir haben also für unseren Bericht von einer namenlosen Gruppe von Christen aus Caesarea auszugehen. Für den Zweck der Rechenschaft lassen sich allerdings plausible Angaben machen: Meine Hypothese ist, daß die Gemeinde von Caesarea einige Brüder dem Paulus zu seiner Unterstützung an die Seite gestellt hat. Zwar erscheint in der Darstellung der Apostelgeschichte Paulus während seiner Gefangenschaft in Jerusalem und Caesarea (Apg 21,33–26,32) als völlig isoliert, ohne weiteren Kontakt zu den Gemeinden vor Ort;151 diese den Tatsachen sicher nicht entsprechende Darstellung ist aber der besonderen Perspektive der Apostelgeschichte geschuldet, die nun ausschließlich auf Paulus ausgerichtet wird. In den Kapiteln 22–26 finden sich jedoch zwei Abweichungen von dieser isolierten Betrachtung des Paulus und seines Geschicks: Neben dem offenbar in Jerusalem ansässigen Neffen des Paulus, der den Tribun über die Tötungspläne der Juden informiert (Apg 23,16ff.), findet sich in Apg 24,23 noch ein interessanter Hinweis auf Freunde, die ihn während seiner Gefangenschaft in Caesarea unterstützen: Felix gibt ausdrücklich Anweisung, diesen Freunden Zugang zu Paulus zu gewähren (µηδένα κωλύειν τῶν ἰδίων αὐτοῦ ὑπηρετεῖν αὐτῷ, v. 23fin.). Bei den als οἱ ἴδιοι αὐτοῦ bezeichneten Freunden des Paulus Ollrog, Paulus und seine Mitarbeiter, S. 46, Anm. 214, ist der Auffassung, daß das »Wir« in Kap. 27f. literarischen Charakter trage, und: »Die Erwähnung des Aristarchos, aus 20,4 übernommen, konkretisiert das (literarische) ›Wir‹ der Erzählung.« Was und wie die Erwähnung des Aristarch hier eigentlich »konkretisiert«, bleibt völlig unklar. Auch leuchtet ja überhaupt nicht ein, wieso ausgerechnet Aristarchos (und nur er) aus Apg 20,4 nach 27,2 transferiert worden sein soll! – Ob man aus der Erwähnung des Aristarch in Apg 27,2 schließen kann, daß dieser über die Kollektenreise hinaus dauerhaft in der Begleitung des Paulus verblieb, wie F.W. Horn will (Horn, Kollektenthematik, S. 150), ist als fraglich anzusehen: In der Zwischenzeit, die mindestens auf zwei Jahre anzusetzen ist (s. die διετία in Apg 24,27), hatte er genügend Zeit zu anderen Betätigungen, um dann doch wieder den Paulus auf seiner Gefangenschaftsreise von Caesarea aus zu begleiten. 149 Vgl. Koch, Kollektenbericht, S. 376f. Und selbst wenn man annehmen will, was ich für völlig unwahrscheinlich halte, daß Lukas seine Quelle derartig entstellend aufgenommen haben sollte, daß der eigentliche Verfasser des Dokuments bei seiner Erwähnung vom erzählenden »Wir« distanziert wird, bliebe noch immer die Frage unbeantwortbar, wem der Thessalonikenser Aristarch denn Rechenschaft über den Gefangenentransport des Paulus ablegen sollte; der Gemeinde, der er zugehört, geht es doch um den Bericht über den Verlauf der Kollekte. 150 Pesch, Apostelgeschichte II, S. 286 mit Anm. 6. 151 Vgl. zu dieser Beobachtung: Spencer, Journeying through Acts, S. 240; Spencer, Acts, S. 230. 148
7.1 Die sogenannten »Wir«-Stücke
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muß man nicht zwangsläufig an Mitglieder der mit ihm nach Jerusalem gereisten Kollektendelegation denken; selbst wenn man annehmen will, daß die ἴδιοι sich im wesentlichen aus dem Rest des paulinischen Mitarbeiterstabes oder der Delegierten der Kollektenaktion zusammensetzen, so ist noch immer davon auszugehen, daß diese während ihres weiteren Aufenthalts in Caesarea von der dortigen Gemeinde unterstützt wurden, also etwa Unterkunft u.ä. erhalten haben. Trotz der ansonsten ganz und gar auf Paulus ausgerichteten Darstellung der Apostelgeschichte, die ihn eher als isolierten Gefangenen ohne nennenswerte Außenkontakte zeichnet, ist also zumindest dieser Hinweis auf eine direkte oder indirekte Unterstützung des Paulus durch die Gemeinde von Caesarea aufbewahrt worden. Wahrscheinlich sind hier aber doch überhaupt Brüder gemeint,152 so daß man zwanglos annehmen kann, die Christen in Caesarea haben auch ihrerseits den Kontakt zu dem berühmten Gefangenen gehalten. Damit kann es auch vor dem Hintergrund des Befundes der Apostelgeschichte nicht als völlig abwegig erscheinen, daß diese Gemeinde, die dem Apostel während seiner Gefangenschaft (auch nach der Apostelgeschichte wenigstens indirekt) zur Seite gestanden war, schließlich auch eine Eskorte für die Reise nach Rom aufgebracht haben könnte. Diese Begleiter und Unterstützer des Paulus mußten natürlich von der Gemeinde mit entsprechenden Mitteln für die Überfahrt und die notwendige Proviantierung ausgestattet werden;153 die Gemeinde konnte daher mit einigem Recht nach der Heimkehr der Abgesandten Rechenschaft über die Verwendung der Mittel, also u.a. den Verlauf der Reise und ihre Dauer, verlangen. Dieses Dokument dürfte Lukas dann im Rahmen eines durchaus nicht unwahrscheinlichen Besuches in Caesarea vorgefunden haben.154 Alternativ könnte man erwägen, daß Lukas sich auf schriftlichem Wege bei verschiedenen Gemeinden erkundigt hat, und ihm in diesem Fall das entsprechende Dokument Vgl. Barrett, Acts II, S. 1113, der die ἴδιοι als »fellow Christians« deutet. Vgl. zu den Kosten der paulinischen Missionsreisen insgesamt die Überlegungen bei Thornton, Zeuge, S. 307f., Anm. 237. In der Tat wissen wir recht wenig über die Fährpreise bei der Mitfahrt auf Frachtschiffen, wie sie hier in Apg 27f. ja vorliegt. In jedem Fall muß man aber für die Reisebegleiter des Paulus annehmen, daß sie in jeder Hinsicht für sich selbst aufkommen und also inkl. Fährgeld, Proviant, Spesen für den weiteren Aufenthalt entsprechend ausgestattet gewesen sein mußten (vgl. zur grundsätzlichen Selbstversorgung der Reisenden auf Frachtschiffen: Casson, Travel, S. 153f.; Höckmann, Antike Seefahrt, S. 90). Angesichts der von vornherein anzunehmenden langen Zeitspanne für die Begleitung des Paulus nach Rom und die Rückreise nach Caesarea dürfte man mit einer nicht ganz unerheblichen finanziellen Beteiligung der aussendenden Gemeinde in Caesarea rechnen. Von der günstigen Gelegenheit, nun doch noch die Reise nach Rom – »noch dazu auf Staatskosten« – bewerkstelligen zu können , sollte man jedenfalls nicht ausgehen (so hochtrabend Mittelstaedt, Lukas als Historiker, S. 183). 154 Zur Plausibilität einer persönlichen Forschungsreise nach Palästina vgl. die folgende petitPassage. 152 153
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7 Die Quellenfrage
aus Caesarea in Abschrift übermittelt wurde; das ist aber aufgrund der offenbar in aller Breite benutzten Lokaltraditionen aus Caesarea und Umgebung weniger wahrscheinlich: Insbesondere scheint die Philippus-Tradition an Caesarea zu haften, und sie mag möglicherweise von der dortigen Gemeinde gepflegt worden sein (Apg 8,5–13.26–40). Philippus missioniert in Samarien,155 begegnet dort dem Magier Simon, taucht dann wieder auf der Straße nach Gaza auf, wo er den äthiopischen Eunuchen tauft, um schließlich von Azotos die Küstenstädte aufzusuchen und nach Caesarea zu gelangen (8,40). Lukas stellt sich offenbar vor, daß Philippus in Caesarea ansässig geworden ist, denn in Apg 21,8f. kommen Paulus und seine Begleiter bei ihm und seinen vier Töchtern unter (s.u.). Möglicherweise folgt er in diesem Punkt den in Caesarea überlieferten Lokaltraditionen. Man muß deshalb aber nicht zu dem historischen Schluß kommen, daß Philippus der frühe Führer der Gemeinde in Caesarea gewesen ist.156 Neben diesen beiden in der Apg ausdrücklich erwähnten Bezugspunkten zu Caesarea kann man auch noch erwägen, ob nicht die Wirksamkeit des Simon Magus überhaupt in Caesarea anzusetzen ist, weil erstens die Simon-Magus-Episode nicht organisch mit der Samarienmission des Philippus verbunden erscheint, und zweitens Gitta, der Geburtsort des Simon, wahrscheinlich zum Stadtgebiet von Caesarea gehört hat.157 Daneben ist natürlich als weiteres unmittelbar mit Caesarea verbundenes Material die wichtige Cornelius-Episode (Apg 10,1–48; 11,1– 18) zu erwähnen (s.u.).158 Ebenso muß auch die kurze Erzählung über den Tod Agrippas I. (Apg 12,20–23; vgl. zur Lokalisierung v. 19) hier mit aufgeführt werden. Schließlich ließe sich u.U. auch die berühmte Siebener-Liste von Apg 6,5, deren traditionellen Charakter man schwerlich bezweifeln wird,159 auf Informationen aus Caesarea zurückführen (freilich wäre genau so gut eine Herkunft aus Antiochien denkbar, vgl. den letztgenannten Antiochener Νικόλαος). Diese Dichte des ihm bekannt gewordenen Materials, das an Caesarea haftet bzw. wenigstens in einem gewissen Zusammenhang mit der Stadt steht, legt eher einen persönlichen Besuch zu Recherchezwecken nahe.160
155 Vgl. zu der rätselhaften Angabe in Apg 8,5 Hengel, Der Historiker, S. 175–182; Spencer, Portrait of Philip, S. 83.85. 156 So aber Krentz, Caesarea, S. 262 mit Anm. 13. 157 Vgl. wiederum Hengel, Der Historiker, S. 179 mit Anm. 131 (S. 179f.), S. 181 mit Anm. 139. Siehe dazu aber auch die skeptischen Bemerkungen bei Haar, Simon Magus, S. 160–166. Auf den Vorschlag von Waitz, den nach den Handschriften M und W bei J. AJ XX 7,2 (§ 142) als Heiratsvermittler des Felix erwähnten Magier Simon mit unserem Simon Magus zu identifizieren, kann hier nicht ausführlich eingegangen werden. Die Hypothese ist schon allein textlich fraglich, da dieser Heiratsvermittler in der Handschrift A und der Epitome Ἄτοµος genannt wird; zudem sieht Josephus in ihm einen Zyprer, so daß man hier einen Irrtum des Geschichtsschreibers anzunehmen hätte; vgl. Waitz, Art. Simon, S. 357f., und dazu die kritischen Bemerkungen bei: Feldman, Jewish Antiquities. Book XX, S. 76f., Anm. e. 158 Hierbei ist insbesondere zu beachten, daß man die Petrus-Erzählung Apg 9,32ff. mit den Aufenthalten in den jüdisch geprägten Orten Lydda und Joppe als bloße Vorbereitung auf das entscheidende Ereignis in Caesarea lesen kann (vgl. Hengel, Der Historiker, S. 169–173, bes. S. 171). 159 Haenchen, Apostelgeschichte, S. 259f. 160 Vgl. in jedem Fall zu den verschiedenen Verfahren, die Lukas bei seiner Materialsammlung und seinen Recherchen angewandt haben könnte: Haenchen, Apostelgeschichte, S. 97f.
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Grundsätzlich könnte man dagegen einwenden, daß die Gemeinde in Caesarea nach dem jüdischen Krieg nicht mehr existierte oder aber zumindest nicht mehr floriert haben könnte und somit kaum über ein brauchbares Archiv mehr verfügt haben dürfte.161 Ein solcher Einwand kann sich auf die Angabe des Josephus stützen, daß die »Griechen« und »Syrer« von Caesarea Maritima zu Beginn des jüdischen Aufstands im Jahre 66 ein Massaker unter den jüdischen Bewohnern angerichtet hätten, dabei seien über 20000 Juden umgebracht worden (J. BJ II 18,1 [§ 457]): Τῆς δ’ αὐτῆς ἡµέρας καὶ ὥρας ὥσπερ ἐκ δαιµονίου προνοίας ἀνῄρουν Καισαρεῖς τοὺς παρ’ ἑαυτοῖς ᾽Ιουδαίους, ὡς ὑπὸ µίαν ὥραν ἀποσφαγῆναι µὲν ὑπὲρ δισµυρίους, κενωθῆναι δὲ πᾶσαν ᾽Ιουδαίων τὴν Καισάρειαν.162 Über den Wert der enorm hohen Zahlenangabe von 20000
läßt sich kaum verläßlich urteilen: Allein die gewaltige Zahl der Ermordeten, insbesondere aber die Verbindung mit der Angabe, sie seien binnen einer einzigen Stunde hingeschlachtet worden, läßt den Verdacht der Übertreibung aufkommen. Sicher kontrollieren können wir die Angabe nicht, besonders weil uns Informationen über den jüdischen Bevölkerungsanteil in Caesarea fehlen. Möglicherweise ist aber auch die hier in Frage stehende Opferzahl den notorisch fragwürdigen Zahlenangaben des Josephus zuzuordnen.163 Josephus berichtet noch weiter, daß überlebende und flüchtende Juden vom Prokurator Gessius Florus versklavt und zur Arbeit in den Schiffsdocks verpflichtet worden seien.164 Diesem Pogrom gingen – wie auch an anderen Orten – langwierige Streitigkeiten zwischen dem heidnischen und dem jüdischen Bevölkerungsteil voraus; so geht Josephus im zweiten Buch seines Bellum Iudaicum und im 20. Buch seiner Antiquitates Iudaicae an vier weiteren Stellen auf die Auseinandersetzungen zwischen Juden und Heiden in Caesarea ein (in der Chronologie der beschriebenen
161
Zur grundsätzlichen Frage nach Gemeindearchiven in dieser frühen Zeit vgl. die Angaben oben bei Anm. 143 (312). 162 Übersetzung: Am selben Tage und zur selben Stunde [sc. als vereinbarungswidrig die römische Besatzung von Jerusalem unter Metilius, die schon ihrer Waffen abgelegt hatte, von den Aufständischen niedergemetzelt worden war (J. BJ II 17,10 [§§ 451–454])], als ob es aus göttlicher Vorsehung geschähe, ermordeten die Bewohner von Caesarea die Juden, die bei ihnen wohnten, so daß innerhalb einer Stunde mehr als 20000 hingeschlachtet wurden, und Caesarea ganz von Juden entblößt war. – Auf das Massaker von Caesarea wird im Bellum noch an anderer Stelle hingewiesen, nämlich in der Rede des Eleazer während der Belagerung Massadas (J. BJ VII 8,7 [§§ 361–363]). 163 Vgl. zur schwierigen Problematik der Beurteilung der von Josephus angegebenen Zahlen: Price, Jerusalem, S. 205–209 (App. 3); Schaller, 4000 Essener. 164 J. BJ II 18,1 (§ 457): καὶ γὰρ τοὺς διαφεύγοντας ὁ Φλῶρος συλλαβὼν κατῆγεν δεσµώτας εἰς τὰ νεώρια. Übersetzung: Denn sogar diejenigen, die entkommen konnten, ließ Florus aufgreifen und als Gefangene in die Schiffsdocks führen.
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Ereignisse): J. BJ II 13,7 (§§ 266–270); J. AJ XX 8,7 (§§ 173–178); J. AJ XX 8,9 (§§ 182–184); BJ II 14,4f. (§§ 284–292).165 Exkurs: Die erste dieser beiden Konfliktbeschreibungen, die Josephus im Bellum gibt, betrifft die Auseinandersetzung um die Herrschaft in der Stadt zwischen dem unspezifisch zunächst als »Syrer«, dann als »Griechen« bezeichneten Bevölkerungsteil und den Juden; beide Gruppen beanspruchten die Stadt für sich, wobei Josephus die Kräfteverhältnisse eigenartig wiedergibt: προεῖχον δ’ οἱ µὲν πλούτῳ καὶ σωµάτων ἀλκῇ, τὸ δὲ ῾Ελληνικὸν τῇ παρὰ τῶν στρατιωτῶν ἀµύνῃ166 – ist die körperliche Stärke lediglich ein umschreibender Ausdruck für die zahlenmäßige Überlegenheit? Das zumindest erwägt Lee I. Levine als Möglichkeit.167 Dagegen spricht allerdings die (allgemein klingende und eher nicht auf die Bevölkerung nach dem großen Pogrom bezogene) Aussage des Josephus in BJ III 9,1 (§ 409), wo er Caesarea als µεγίστη τῆς τε ᾽Ιουδαίας πόλις καὶ τὸ πλέον ὑφ’ ῾Ελλήνων οἰκουµένη bezeichnet: Trotzdem läßt sich Levines Vermutung halten, weil man die Überlegenheit nur auf die am Streit und den konkreten Auseinandersetzungen beteiligten Gruppierungen beziehen muß und nicht auf die Gesamtbevölkerung. Nach einem Gewaltausbruch, den nun die Juden für sich entscheiden konnten, ließ der Prokurator Tiberius Claudius Felix168 einen Teil der Juden niedermetzeln (J. BJ II 13,7 [§ 270]); bei dieser Aktion sei es auch zur Plünderung einiger Häuser durch die Soldaten gekommen. Es ist hier recht undeutlich formuliert, ob Felix dazu den Befehl gegeben oder das Verhalten der Soldaten nur toleriert hat, oder ob sich die Plünderung einfach ergeben hat.169 Weil sich die Lage aber auch danach nicht beruhigte, habe Felix dafür gesorgt, daß Gesandtschaften beider Seiten nach Rom geschickt würden, um den Streit durch Nero entscheiden zu lassen.170 Der Parallelbericht dazu aus dem späteren Werk des Josephus, seinen Antiquitates Iudaicae, weicht in einigen Punkten deutlich ab (J. AJ XX 8,7 [§§ 173–178]): Diese Abweichungen betreffen sowohl die Abfolge der dargestellten Ereignisse als auch Details der Darstellung.171 Neben weiteren Punkten, die hier unberücksichtigt bleiben sollen, ist besonders erwähnenswert, daß als Streitgegenstand in den Antiquitates näherhin das gleiche Bürgerrecht für die Juden der Stadt benannt wird, in der erwähnten στάσις sei es περὶ ἰσοπολιτείας gegangen (AJ XX 8,7 [§ 173]), während im Bellum offenbar allgemeiZu unkritisch gegenüber der Darstellung des Josephus ist Levey, Caesarea, S. 51–53. Zu Details der nicht über jeden Zweifel erhabenen Darstellung des Josephus ist der folgende Exkurs zu vergleichen; s. ansonsten: Smallwood, Jews under Roman Rule, S. 285–289. 166 J. BJ II 13,7 (§ 268); Übersetzung: An Reichtum und Köperkraft waren sie [sc. die Juden] im Vorteil, die griechische Seite aber aufgrund der Unterstützung durch die Soldaten. 167 Levine, The Jewish-Greek Conflict, S. 382f.387. 168 Zum nomen gentile des Felix vgl. den kurzen Exkurs am Ende des Kapitels. 169 Die betreffende Aussage ist als Relativsatz an die erkleckliche Anzahl ungehorsamer Juden angeschlossen (συχνούς): ὧν διαρπαγῆναι συνέβη καὶ τὰς οὐσίας (J. BJ II 13,7 [§ 270]). Vgl. dagegen J. AJ XX 8,7 (§ 177), s.u. 165
170 µενούσης δὲ τῆς στάσεως ἐπιλέξας ἑκατέρωθεν τοὺς γνωρίµους ἔπεµψεν πρέσβεις ἐπὶ Νέρωνα διαλεξοµένους περὶ τῶν δικαίων (J. BJ II 13,7 [§ 270]).
171 Vgl. die Analyse der beiden Abschnitte bei: Krieger, Geschichtsschreibung, S. 164–169; s. zur unterschiedlichen Anordnung besonders die Tabelle a.a.O., S. 168.
7.1 Die sogenannten »Wir«-Stücke
319
ner die Vorherrschaft (im welchem Sinne auch immer) Streitgegenstand war.172 In der Darstellung der Argumentationen der beiden Parteien stimmen beide Texte aber sachlich überein, wenn auch die Argumentation der »syrischen«173 Seite verändert wurde; der erhobene Anspruch der Juden wird nun – sachlich nicht weit vom Eigentumsanspruch im Bellum entfernt – als πρωτεύειν beschrieben. Fraglich ist dabei, ob der Streit um die ἰσοπολιτεία, wie in Antiquitates dargestellt, nicht eine Verharmlosung der weitergehenden Ansprüche der Juden darstellt; möglicherweise haben die Juden den Anspruch auf die Herrschaft in der Stadt überhaupt erhoben, was Lee I. Levine für singulär, aber möglich hält.174 Weiterhin sind die Kräfteverhältnisse der beiden Gegner abweichend gefaßt; auf der Seite der Juden wird nurmehr ihr Reichtum hervorgehoben und auf seiten der »Syrer« lediglich ihr Hochmut aufgrund der Tatsache, daß die meisten der vor Ort stationierten römischen Soldaten aus Caesarea und Sebaste stammten,175 nicht mehr ausdrücklich die tatsächliche Unterstützung durch diese Soldaten in den Auseinandersetzungen. Unter den abweichenden Details ist schließlich interessant, daß Felix hier in den Antiquitates explizit in Beziehung zu den Plünderungen jüdischer Häuser gestellt wird: Im Gegensatz zur undeutlichen Formulierung im Bellum (s.o.) wird hier – unter Rückgriff auf den schon vorher betonten Reichtum der Juden – ausführlicher und konkreter formuliert (AJ XX 8,7 [§ 177]): . . . οἰκίας δέ τινας τῶν ἐν τῇ πόλει πολλῶν πάνυ χρηµάτων γεµούσας διαρπάζειν ἐφῆκεν.176 Felix erscheint in diesem Punkt in einem wesentlich ungünstigeren Licht als im Bellum.177 Besonders wichtig ist aber folgender sachlicher Unterschied zwischen den beiden Darstellungen: Gelingt es Felix im Bellum nicht, die Lage in Caesarea zu beruhigen, so daß er Gesandtschaften nach Rom zusammenstellen läßt, so reagieren insbesondere die Führenden der Juden hier auf die militärische Aktion mit der Bitte um Einstellung der Maßnahmen und darum, ihnen Gelegenheit zur Reue über das Vorgefallene zu geben, worauf Felix eingegangen sei.178
172 So etwa der dort formulierte Anspruch der Juden, daß die Stadt ihnen gehöre (J. BJ II 13,7 [§ 266]): οἱ µὲν γὰρ ἠξίουν σφετέραν εἶναι τὴν πόλιν . . . 173 Im Gegensatz zu BJ wird hier von der heidnischen Bevölkerung Caesareas nur noch als »Syrer« gesprochen; s. zu diesem interessanten Detailunterschied: Levine, The Jewish-Greek Conflict, S. 386f., Anm. 35; Krieger, Geschichtsschreibung, S. 167. 174 Levine, The Jewish-Greek Conflict, S. 384ff.; Krieger, Geschichtsschreibung, S. 167. Vgl. die etwas anderen Darstellungen bei Levine, Caesarea, S. 29f.; Smallwood, Jews under Roman Rule, S. 285f. Auf dem in AJ angegebenen Streitgegenstand der ἰσοπολιτεία insistieren auch Holum u.a., King Herod’s Dream, S. 108. Zum Problem der ἰσοπολιτεία s. auch unten! 175 J. AJ XX 8,7 (§ 176): . . . µέγα δὲ φρονοῦντες ἐπὶ τῷ τοὺς πλείστους τῶν ὑπὸ ῾Ρωµαίοις ἐκεῖ στρατευοµένων Καισαρεῖς εἶναι καὶ Σεβαστηνοὺς . . . 176 Übersetzung: . . . und einige von den vielen Häusern in der Stadt, die besonders voll des Geldes waren, erlaubte er zu plündern. 177 Vgl. Krieger, Geschichtsschreibung, S. 169. 178 J. AJ XX 8,7 (§ 178): οἱ δὲ τῶν ᾽Ιουδαίων ἐπιεικέστεροι καὶ προύχοντες κατὰ τὴν ἀξίωσιν
δείσαντες περὶ ἑαυτῶν παρεκάλουν τὸν Φήλικα τοὺς στρατιώτας ἀνακαλέσασθαι τῇ σάλπιγγι καὶ φείσασθαι τὸ λοιπὸν αὐτῶν δοῦναί τε µετάνοιαν ἐπὶ τοῖς πεπραγµένοις. καὶ Φῆλιξ ἐπείσθη. –
Übersetzung: Die angesehenen Juden von hoher Stellung fürchteten um sich selbst und baten Felix, die Soldaten mit der Drommete zurückzurufen, die Übrigen von ihnen zu verschonen und ihnen Gelegenheit zur Reue über das von ihnen Verübte zu geben. Und Felix ließ sich überzeugen.
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7 Die Quellenfrage
Auf diese Weise wird hier die Führungsschicht der Juden als maßvoll und besonnen gezeichnet, sie erscheinen nicht als unnachgiebige Unruhestifter.179 Die zweite vorbereitende Konfliktbeschreibung im Bellum Iudaicum betrifft eine Auseinandersetzung um die Synagoge der Juden,180 nachdem die griechische Seite durch ein Reskript Neros (J. BJ II 14,4 [§ 284]), in dem ihre Herrschaft in der Stadt anerkannt worden sei, zu neuen provokativen Schritten ermutigt worden sei; die Entscheidung Neros wertet Josephus an dieser Stelle übrigens überhaupt als Beginn des Krieges.181 Die Einordnung dieses Reskripts kurz vor Beginn des Aufstands und der eigentlichen kriegerischen Auseinandersetzungen ist das Hauptproblem des genannten Abschnitts. Eine Parallele zu dieser Konfliktbeschreibung in den Antiquitates existiert nicht, was freilich mit der Anlage dieses zweiten Werks zusammenhängt. Der Konflikt um die Synagoge fällt nämlich in die Amtszeit des Gessius Florus als Prokurator, der durch die Darstellung seines Verhaltens in dieser Episode zusätzlich schwer belastet wird; in den Antiquitates hat Josephus die Amtszeit des Florus ja nur summarisch durch allgemeine charakterisierende Bemerkungen behandelt (J. AJ XX 11,1 [§§ 252–257]) und verweist am Ende des 20. Buches für die Details und die konkreten Vorgänge, die zum Aufstand führten, auf sein vorheriges Werk, das Bellum (J. AJ XX 11,1 [§ 258]). In den Antiquitates findet sich nun aber ein Stück zum Amtswechsel von Claudius Felix zu Porcius Festus, das in mehrfacher Hinsicht von höchstem Interesse ist (J. AJ XX 8,9 [§§ 182–184]):182 Πορκίου δὲ Φήστου διαδόχου Φήλικι πεµφθέντος ὑπὸ Νέρωνος οἱ πρωτεύοντες τῶν τὴν Καισάρειαν κατοικούντων ᾽Ιουδαίων εἰς τὴν ῾Ρώµην ἀναβαίνουσιν Φήλικος κατηγοροῦντες, καὶ πάντως ἂν ἐδεδώκει τιµωρίαν τῶν εἰς ᾽Ιουδαίους ἀδικηµάτων, εἰ µὴ πολλὰ αὐτὸν ὁ Νέρων τἀδελφῷ Πάλλαντι παρακαλέσαντι συνεχώρησεν µάλιστα δὴ τότε διὰ τιµῆς ἄγων ἐκεῖνον. καὶ τῶν ἐν Καισαρείᾳ δὲ οἱ πρῶτοι Σύρων Βήρυλλον, παιδαγωγὸς δ’ ἦν οὗτος τοῦ Νέρωνος τάξιν τὴν ἐπὶ τῶν ῾Ελληνικῶν ἐπιστολῶν πεπιστευµένος, πείθουσι πολλοῖς χρήµασιν αἰτήσασθαι παρὰ τοῦ Νέρωνος αὐτοῖς ἐπιστολὴν ἀκυροῦσαν τὴν ᾽Ιουδαίων πρὸς αὐτοὺς ἰσοπολιτείαν. καὶ Βήρυλλος τὸν αὐτοκράτορα παρακαλέσας ἐπέτυχε γραφῆναι τὴν ἐπιστολήν. αὕτη τῷ ἔθνει ἡµῶν τῶν µετὰ ταῦτα κακῶν τὰς αἰτίας παρέσχεν· πυθόµενοι γὰρ οἱ κατὰ τὴν Καισάρειαν ᾽Ιουδαῖοι τὰ γραφέντα τῆς πρὸς τοὺς Σύρους στάσεως µᾶλλον εἴχοντο µέχρι δὴ τὸν πόλεµον ἐξῆψαν.
Als Porcius Festus als Nachfolger des Felix von Nero geschickt worden war, zogen die Führenden der in Caesarea ansässigen Juden nach Rom, um Felix zu verklagen, und gewiß hätte der seine Strafe für das an den Juden begangene Unrecht erhalten, wenn nicht Nero dem Bitten von dessen Bruder Pallas nachgegeben hätte – den hielt er damals in besonderen Ehren. Und die Führer der Syrer von Caesarea gewannen Beryllos, einen Vgl. Krieger, Geschichtsschreibung, S. 168f. Vgl. zu dieser Szene auch: Foerster, The Early History, S. 13f.; Krieger, Geschichtsschreibung, S. 200–202. 181 Vgl. Rappaport, Jewish-Pagan Relations, S. 84. Siehe dazu auch die ähnliche Verbindung bei: AJ XX 8,9 (§ 184). 182 Höchst relevant ist dieser Text etwa auch für die Datierung des Amtswechsels zwischen Felix und Festus (vgl. Riesner, Frühzeit, S. 196–200). 179 180
7.1 Die sogenannten »Wir«-Stücke
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Paidagogos des Nero, dem das Amt ab epistulis Graecis anvertraut war, mit viel Geld dafür, von Nero ein Reskript für sie zu erbitten, das die ihnen gleichen Bürgerrechte (die ἰσοπολιτεία) der Juden abschaffe. Und Beryllos erwirkte beim Imperator durch Bitten, daß das Reskript verfaßt wurde. Dieses Reskript gab die Ursache ab für die Übel, die danach über unser Volk kamen: Als die Juden nämlich von dem Reskript erfahren hatten, heizten sie umso mehr den Konflikt mit den Syrern an, bis sie schließlich den Krieg entfachten. Hiermit klärt sich der frappierende Unterschied zwischen BJ II 13,7 (§ 270) und AJ XX 8,7 (§§ 177f.) zum Teil auf: Die dort erwähnten Gesandtschaften, die den Konflikt vor den Kaiser bringen sollten, erscheinen hier transformiert zu einer jüdischen Beschwerdegesandtschaft, die Felix verklagen soll, und abgesandten »Syrern«, die mit zweifelhaften Mitteln für sie günstige Entscheidungen erwirkt. Dabei steht die Gesandtschaft der Juden nur noch in einem mittelbaren Zusammenhang mit dem jüdisch-heidnischen Konflikt in Caesarea, während die »syrischen« Intriganten – in der Darstellung des Josephus – eine Lösung des Konflikts auf unlauterem Wege herbeiführen. Diese erreichen nämlich durch Bestechung, daß ein kaiserliches Reskript verfaßt wird, mit dem die ἰσοπολιτεία der Juden in Caesarea annuliert wird. Damit wird nicht nur an die von der Darstellung im Bellum abweichende Definition des Konfliktgegenstands in AJ XX 8,7 (§ 173) angeknüpft, sondern allererst behauptet, daß die Juden im Besitz der ἰσοπολιτεία in Caesarea waren. Das wird nämlich an keiner Stelle sonst erwähnt: Vielmehr drängt sich der Verdacht auf, daß Josephus in seinem späteren Werk die Konfliktkonstellation von anderen Städten (beispielsweise und besonders prominent Alexandria) auf Caesarea übertragen hat, wenn sie nicht auch dort schon propagandistisch übertrieben ausgemalt sind.183 Daß nun Felix seiner als gerecht angesehenen Strafe nur durch Fürsprache seines einflußreichen Bruders Pallas entgeht, fügt sich genauso apologetischen Interessen.184 Insgesamt erscheinen die Juden hier viel stärker als im Bellum als das Opfer eines ungerechten Statthalters und einer korrupten Kampagne der »syrischen« Gegner, auch wenn ihnen in AJ XX 8,7 (§ 178) mehr Eigeninitiative im Anheizen des Konflikts zugeschrieben wird als dort.185 Daraus ergibt sich einerseits, daß wir aufgrund dieser Antiquitates-Stelle keinen Grund haben, an der Information aus BJ II 13,7 (§ 270) zu zweifeln, Felix habe Gesandtschaften zur Lösung des Konflikts zusammenstellen lassen; abgesehen von entsprechender Verfahrensweise bei ähnlichen Konflikten in anderen Orten legt sich das auch durch die mehrfache Bezeugung solchen Vorgehens in der Amtszeit des Felix nahe.186 Die Umstellung 183 Vgl. Levine, The Jewish-Greek Conflict, S. 385–387: ». . . the mentioning of isopoliteia in Antiquities may have been intended to serve more the apologetic needs of the Jews in late first century Rome rather than the historical reality of mid-first century Caesarea« (Zitat a.a.O., S. 386f.); an der Darstellung der Antiquitates orientieren sich dennoch: Holum u.a., King Herod’s Dream, S. 108. Zur Frage des Inhalts dieses Reskripts und seines genauen Bezugs vgl. auch: Levine, Caesarea, S. 29; Smallwood, Jews under Roman Rule, S. 287. 184 Vgl. Levine, The Jewish-Greek Conflict, S. 384. 185 Vgl. Krieger, Geschichtsschreibung, S. 172f. 186 Vgl. Levine, The Jewish-Greek Conflict, S. 384 mit Anm. 18: ». . . there is little reason to doubt the statement in the War that Felix himself referred the case to Rome, a practice which he had followed on several previous occasions during his term of office.« Diese Rekonstruktion der
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7 Die Quellenfrage
hier scheint eher darauf abzuzielen, Felix stärker zu belasten;187 möglicherweise wollte Josephus einen erzählerischen Konflikt zwischen mehreren Gesandtschaften vermeiden: Dadurch soll natürlich keineswegs in Abrede gestellt werden, daß Marcus Antonius Pallas zugunsten seines Bruders eingegriffen hat, als dem Probleme nach seiner Rückkehr aus Judäa entstanden sind; man kann sogar annehmen, daß sich nach dem Amtswechsel tatsächlich noch dieselbe oder eine zweite jüdische Gesandtschaft über die Amtsführung von Tiberius Claudius Felix beschwert hat. Andererseits ist wohl der Darstellung der Antiquitates dahingehend zu folgen, daß die in Rom vorgebrachten und Caesarea betreffenden Angelegenheiten recht bald entschieden worden sind, also noch weit vor dem Ausbruch des jüdischen Kriegs.188 Die auf den ersten Blick festzustellende Verzerrung in der Darstellung im Bellum resultiert aus dem Umstand, daß Josephus die Vorgeschichte des jüdischen Kriegs in diesem Werk knapp darstellen wollte, und er somit genötigt war, das Ergebnis der Gesandtschaft nach Rom, also unser Reskript, vor der Schilderung weiterer Ereignisse in Caesarea unmittelbar vor Kriegsausbruch zu erwähnen.189 Sachlich ergibt sich kein Widerspruch.
Es zeigt sich vor dem Hintergrund dieses Gesamtbefundes zum heidnischjüdischen Konflikt in Caesarea, daß dieser schon geraume Zeit schwelte, und verschiedene Ausbrüche zu verzeichnen waren; der Konflikt herrschte sicher auch schon während des Aufenthalts des Paulus in Caesarea (57–59). Erst zu Beginn des jüdischen Krieges kam es dann zur brutalen Entladung in dem großen Pogrom gegen die Juden. Was die Darstellungsweise des Josephus betrifft, so dient nun wohl die Beschreibung des Judenmords in Caesarea (J. BJ II 18,1 [§ 457]), wie auch schon die zweite vorbereitende Konfliktschilderung BJ II 14,4f. (§§ 284–292), dazu, den letzten Prokurator Gessius Florus aufs äußerste zu belasten und ihn geradezu zum Katalysator der Eskalation zu machen; daher ist es wohl angeraten, gewisse Abstriche an der Schilderung des großen Pogroms in Caesarea vorzunehmen, weil hier durchaus mit tendenziösen Übertreibungen zu rechnen ist: Was den zweifelhaften Wert einiger Zahlenangaben des Josephus anbelangt, so haben wir oben darüber schon kurz gehandelt; demnach ist auch Ereignisse wird auch vertreten bei: Foerster, The Early History, S. 13; Smallwood, Jews under Roman Rule, S. 270.286f. 187 Vgl. Krieger, Geschichtsschreibung, S. 171f. 188 Vgl. Levine, The Jewish-Greek Conflict, S. 384f. 189 »The events in Caesarea are resumed with the phrase ἐν δε τούτῳ. ›In the meantime‹ (War, II, 14, 4, 284)– indicating that the reply of Nero was in fact given earlier. . . . By telescoping the last six years of procuratorial rule, however, Josephus was forced to mention the rescript before other Caesarean incidents which did immediately precede the war. Thus, per force, the impression is created that the reply itself was the immediate cause of the final chain of events« (Levine, The JewishGreek Conflict, S. 384, Anm. 22). Levines Interpretation geht wohl darin zu weit, in der Erklärung des Reskripts als entscheidendem Faktor in der weiteren Entwicklung nur einen zwangsläufig entstehenden Eindruck zu sehen; Josephus betont diese Deutung allerdings an beiden Stellen: J. BJ II 14,4 (§ 284); AJ XX 8,9 (§ 184).
7.1 Die sogenannten »Wir«-Stücke
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die Verläßlichkeit der hier erwähnten δισµύριοι (BJ II 18,1 [§ 457]) in Zweifel zu ziehen! Ebenso lassen sich Anhaltspunkte erheben, die die grundsätzliche Behauptung, ganz Caesarea sei nun »von Juden entblößt« (κενωθῆναι δὲ πᾶσαν ᾽Ιουδαίων τὴν Καισάρειαν, BJ II 18,1 [§ 457]), als Übertreibung erscheinen lassen, und zwar als eine bewußte Übertreibung, die rhetorisch motiviert ist und in erster Linie nun nicht mehr der Belastung des Florus dient, sondern der Belastung der jüdischen Aufrührer: Stellt Josephus in unserem Abschnitt eine direkte Verbindung zwischen der Ermordung der römischen Besatzung von Jerusalem und dem Pogrom in Caesarea her, indem er dieses ausdrücklich als im Sinne göttlicher Vergeltung interpretierbar erklärt (ὥσπερ ἐκ δαιµονίου προνοίας, BJ II 18,1 [§ 457]), so bestätigt ein Blick auf eben jene Jerusalemer Ereignisse dieses intendierte Verhältnis. Die eidbrüchige Ermordung der Truppe des Metilius, der als einziger verschont wurde (BJ II 17,10 [§ 454]), wird als äußerst frevelhaft herausgestellt, nicht nur aufgrund der Untreue im Eid – man hatte den Römern ja freien Abzug versprochen –, sondern auch – wie Josephus sich eiligst hinzuzufügen bemüht –, weil sich die widerrechtliche Metzelei an einem Sabbat zugetragen habe (BJ II 17,10 [§ 456]).190 So sei die ruchlose Tat von den Gemäßigten unter den Juden als προοίµιον ἁλώσεως begriffen worden, nach dem sie das δαιµόνιον µήνιµα zu erwarten hätten (BJ II 17,10 [§§ 454f.]). Beachtet man zudem, daß die Inbezugsetzung der beiden Ereignisse auch insofern auf eine auffällige Parallelisierung hinausläuft, als die Tötung (fast) aller Juden in Caesarea gleichsam der Tötung (fast) aller Römer in Jerusalem entspricht, so drängt sich eine Interpretation auf, nach der diese beiden Geschehnisse als symbolhafte Konzentrationen des Kriegsunheils zu verstehen sind: Die Freveltat an allen Römern dient als symbolhaft konzentrierte Darstellung des ruchlosen und auch ihrem eigenen Gotte gegenüber vertragsbrüchigen Verhaltens der Aufrührer (zumindest in ihrem engsten Kreis), das das Gericht Gottes über das Volk der Juden wie auf dem Fuße folgen läßt – hier zunächst »nur« als Pogrom an den Juden Caesareas, der in rhetorisch geschickter Darstellung das heraufbeschworene Unheil vorzeichnet, indem (fast) alle Juden der Stadt innerhalb einer Stunde, und zwar in genau derjenigen, in der die Jerusalemer Freveltat geschah, niedergemetzelt werden. Trotzdem existiert kein Grund, an den Ausschreitungen überhaupt zu zweifeln, nur: Die Quelle gibt nicht mehr her, als daß sie einen Pogrom in Caesarea belegt, bei dem es eine bemerkenswerte Anzahl an Todesopfern gegeben hat. Es darf aber auch – und damit kommen wir zum für uns entscheidenden 190 Vgl. aber zum Problem der Sabbateinhaltung in Notsituationen und insbesondere im Krieg meinen entsprechenden Exkurs S. 268–272.
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7 Die Quellenfrage
Problem der christlichen Gemeinde von Caesarea – als möglich und sogar wahrscheinlich gelten, daß die Christen der Stadt nicht unberührt von den Ausschreitungen geblieben sein werden, wenn diese eben – wie auch trotz der tendenziösen und rhetorisch übertriebenen Darstellung des Josephus zu vermuten steht – von größerem Ausmaße waren. Da die Christen grundsätzlich aus der Außenperspektive als Juden erschienen, drängt sich diese Folgerung geradezu auf, zumal in Caesarea sicherlich keine rein heidenchristliche Gemeinde bestanden haben dürfte.191 Dieser Schluß ist allerdings nicht dahingehend zwingend, daß die Gemeinde von Caesarea vollständig zerstört worden ist, und erst recht nicht dahingehend, daß in Caesarea bis ins zweite Jahrhundert hinein keine christliche Gemeinde bestanden hat. Tatsächlich nämlich haben wir keinerlei Informationen über die örtliche Gemeinde nach der Abreise des Paulus (wahrscheinlich im Jahre 59) bis zur Etablierung eines eigenen Bischofs in der zweiten Hälfte des 2. Jh.;192 diese Informationslücke belegt aber keinesfalls, daß die Gemeinde in der fraglichen Zeit nicht existiert hätte. Man muß nämlich nicht notwendigerweise von einer völligen Auflösung der Gemeinde ausgehen: Erstens sind die Ausmaße des Pogroms nicht so groß anzusetzen, wie Josephus uns glauben machen will; das wurde eben gezeigt. Zweitens hören wir aus den Quellen nichts Explizites über die Auswirkungen des Pogroms auf die Christen. Exkurs: Allenfalls könnte man auf der Basis der v.a. bei Euseb überlieferten Nachrichten des Papias und des Polykrates von Ephesos, die Philippus mit seinen vier Töchtern später ins phrygische Hierapolis gehen lassen, spekulieren, daß die Unruhen im Jahre 66 ihn zur Flucht veranlaßt haben könnten. Die genannten Informationen sind aber nicht völlig unproblematisch: Das bei Euseb zweimal (h.e. III 31,3; vgl. auch das Wiederholungszitat bei h.e. V 24,2) gebotene Zitat von Polykrates, dem Bischof von Ephesos, zeigt zwar, daß Philippus (hier nur mit dreien seiner vier Töchter) nach Hierapolis gekommen ist und dort sein Grab gefunden hat, allerdings verwechselt Polykrates unseren Evangelisten Philippus (vgl. Apg 21,8) mit dem zum Zwölferkreis gerechneten (vgl. Mk 3,18 parr; Apg 1,13), spricht er ihn doch ausdrücklich als einen der zwölf Apostel an: τῶν δώδεκα ἀποστόλων. Euseb geht auf diese Verwechselung nicht ein, sondern führt als weiteren Beleg noch Proclus nach dem Dialog des Gaius an193 und zieht selber die Verbindung 191 Diese Schlußfolgerung ziehen: Holum u.a., Art. Caesarea, S. 270f.: »Nevertheless the virtual extinction of the Jewish community in 66 apparently implicated most Christians as well« (Zitat S. 271); Meyers, Art. Caesarea, Sp. 6, der notiert: »Der Große Aufstand (66–73, → Jüdischer Krieg) vertrieb die meisten jüd.[ischen] und christl.[ichen] Bürger, einige kehrten jedoch im 2. Jh. in die Stadt zurück«; in diesem Sinne auch Holum u.a., King Herod’s Dream, S. 158. Vgl. zum Massaker an der jüdischen Bevölkerung weiterhin: Lifshitz, Césarée de Palestine, S. 514f.; Lehmann/Holum, The Greek and Latin Inscriptions, S. 16f., ohne daß hier aber eine Verbindung zur christlichen Gemeinde hergestellt würde. 192 Vgl. Downey, Caesarea, S. 24f., der auch ausdrücklich auf die traditionellen kontinuierlichen Listen früher Bischöfe verweist, die aber sicher völlig fiktiv sind und daher für unsere Frage nichts austragen; Holum u.a., Art. Caesarea, S. 271; Holum/Raban, Introduction, S. xxix. 193 Eus. h.e. III 31,4; vgl. zum Dialog des Gaius h.e. II 25.
7.1 Die sogenannten »Wir«-Stücke
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zu Apg 21,8f. (h.e. III 31,5).194 Dem Papias nun wird die Information, daß Philippus mit seinen Töchtern nach Hierapolis gekommen sei, nicht eigentlich und direkt zugewiesen – Euseb verweist nur auf seine vorherigen Ausführungen (διὰ τῶν πρόσθεν) –, womit er die entsprechende Information natürlich voraussetzt; Papias wird dann tatsächlich als Zeuge für die von den Töchtern überlieferten Wunder zitiert (Eus. h.e. III 39,9): Papias will also die entsprechenden Überlieferungen von den Töchtern des Philippus in Erfahrung gebracht haben.195 Ebensowenig bringt die vergleichbare Stelle aus , hier ist auch lediglich davon die Rede, daß Papias eine Überlieferung über Barsabas von den Töchtern des Philippus übernommen habe (Frg. XII).196 Kann man dem also zumindest als einhellige Tradition entnehmen, daß Philippus irgendwann von Caesarea nach Kleinasien und näherhin ins phrygische Hierapolis übergesiedelt ist, bleibt aber – und das ist der entscheidende Einwand – die Verbindung mit dem 66er Pogrom in jedem Fall reine Spekulation.197
Drittens erscheint gerade Caesarea traditionell mit der frühen Heidenmission verbunden: Neben der schon erwähnten Philippus-Tradition, nach der besonders im Blick auf Apg 21,8ff. Philippus auch schon als Heidenmissionar tätig gewesen sein könnte,198 gilt das namentlich für die bei Lukas überlieferte Tradition um den Zenturio Cornelius (Apg 10,1–48; vgl. 11,1–18).199 Demzufolge ist davon 194 Vgl. zu dieser Verwechselung im ganzen: Zahn, Forschungen VI, S. 158–175, und besonders S. 162f. mit Anm. 2; S. 163f. mit Anm. 2; S. 171.174. Neben seiner zweimaligen kritiklosen Übernahme des Polykrates-Zitates (Eus. h.e. III 31,3; V 24,2) nennt Euseb in davon zu unterscheidender und wohl eher unspezifischer Weise den Evangelisten Philippus selbst ἀπόστολος in h.e. III 39,9; Rufin ändert jedoch in III 31,2 zu unus ex apostolis und nennt ihn in III 39,9 und V 24,2 euangelista. Vgl. zur Frage nach dem Apostel und dem Evangelisten Philippus überhaupt von Dobbeler, Philippus, S. 283–303. 195 Vgl. Zahn, Forschungen VI, S. 163–167. 196 Bei Bihlmeyer, S. 138f.; Lindemann/Paulsen, S. 298–301 (mit Übersetzung). 197 Vgl. aber Hengel, Der Historiker, S. 169 mit Anm. 101; vorsichtiger noch Zahn, Forschungen VI, S. 174, der zum Wegzug des Philippus aus Palästina nur allgemein feststellt: »Als die Möglichkeit, dort ferner in Frieden tätig zu sein, für alle Apostel und Apostelgehilfen ihr Ende erreicht hatte, war er mit anderen Männern seines Berufs nach Asien gezogen.« 198 Vgl. Hengel, Der Historiker, S. 168f. Darauf deutet v.a. seine auch im Zusammenhang von Apg 21,8f. ausdrücklich erwähnte Zugehörigkeit zum Siebener-Kreis hin (ὄντος ἐκ τῶν ἑπτά, v. 8). 199 Dabei handelt es sich um einen Gottesfürchtigen (nach lukanischer Terminologie), der offenbar in Caesarea stationiert war und in der cohors Italica als Zenturio Dienst tat: Ἀνὴρ δέ τις ἐν Καισαρείᾳ ὀνόµατι Κορνήλιος, ἑκατοντάρχης ἐκ σπείρης τῆς καλουµένης ᾽Ιταλικῆς (Apg 10,1; zu seinem Status als Gottesfürchtiger vgl. v. 2). Dieser Zenturio und offenbar sein gesamter Anhang werden gemäß der Darstellung in der Apostelgeschichte mit dem πνεῦµα ἅγιον begabt und dann getauft (Apg 10,44–48; vgl. 11,15–18). Zur Frage der Präsenz einer cohors Italica (wahrscheinlich der cohors II miliaria Italica civium Romanorum) in Caesarea vgl. Schürer, Geschichte3/4 I, S. 460–463; Schürer, History I, S. 363–365; Hengel, Der Historiker, S. 171f., Anm. 109; Mittelstaedt, Lukas als Historiker, S. 227–229, und insbesondere die relevante Grabinschrift des optio Proculus CIL III, Suppl. II, Nr. 13483a (S. 2195) = ILS III 2, Nr. 9168 (S. LXXXV), die zumindest eine Anwesenheit dieser Auxiliar-Kohorte in der Provinz Syrien im 1. Jh. belegt (vgl. zur Inschrift auch Schürer, Geschichte3/4 I, S. 462f., Anm. 53; Schürer, History I, S. 365, Anm. 54; Mittelstaedt, Lukas als Historiker, S. 227, Anm. 111). Die in diesem Zusammenhang des öfteren zitierte Stelle Tac. Hist. II
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auszugehen, daß die Gemeinde von Caesarea schon recht früh einen nicht unbedeutenden heidenchristlichen Anteil aufgewiesen hat – Cornelius und sein Haus werden ja kaum allein geblieben sein. Man kann sogar folgern – und das ist m.E. richtig: »It was apparently at Caesarea, even before Saint Paul began his career, that Christianity became universal.«200 Von daher sollte man für die dortige Gemeinde wenigstens von einer gewissen Resistenz gegenüber den Ausschreitungen gegen die Juden ausgehen dürfen (insbesondere angesichts von Bekehrungen in den Reihen der dort stationierten römischen Truppen). Die Apostelgeschichte bietet noch einen weiteren wichtigen Hinweis darauf, daß in der Gemeinde von Caesarea mit einem einflußreichen heidenchristlichen Teil zu rechnen ist: Im Rahmen seiner Kollektenreise kommt Paulus mit seinen Begleitern über Tyros nach Ptolemaïs und von dort auf dem Landweg nach Caesarea (Apg 21,7f.);201 in Caesarea kommt er im Haus des Philippus unter, der hier als εὐαγγελιστής bezeichnet wird (s. zu Philippus oben). Der Aufenthalt des Paulus ist von freundlicher Anteilnahme und Unterstützung bestimmt: Dieses positive Verhalten der Christen zeigt sich nicht nur in der Aufnahme des Paulus, sondern auch darin, daß sie angesichts der Weissagung des Agabos (Apg 21,10f.; die Christen aus Caesarea werden hier in Unterscheidung der »Wir«-Gruppe als οἱ ἐντόπιοι bezeichnet) gemeinsam mit den Begleitern den Paulus davor warnen, überhaupt nach Jerusalem hinaufzuziehen (Apg 21,12). Als Paulus sich aber nicht von seinem Vorhaben abbringen lassen will, stellen sie noch eine zusätzliche Begleitung für ihn, die ihn und sein Gefolge dann beim Zyprer Mnason, einem ἀρχαῖος µαθητής, einführt (Apg 21,16).202 Ganz im Gegensatz dazu steht der eher kühle Empfang, den Paulus dann in Jerusalem beim Herrenbruder Jakobus erhält: Den Bericht des Paulus (Apg 21,19) läßt Lukas nur mit einem formelhaften Gotteslob beantworten (v. 20), um dann Jakobus und die Ältesten auf das entscheidende Problem hinweisen zu lassen: θεωρεῖς, ἀδελφέ, πόσαι µυριάδες εἰσὶν ἐν τοῖς ᾽Ιουδαίοις τῶν πεπιστευκότων καὶ πάντες ζηλωταὶ 83,1, die zuweilen sogar genutzt wird, um die o.g. Inschrift zu datieren, trägt nur wenig aus: Hier ist lediglich davon die Rede, daß Mucianus mit der legio VI und Vexillar-Truppen in einer Stärke von 13000 Mann zum Kampf gegen Vitellius aus Syrien aufbrach (sed legio sexta et tredecim vexillariorum milia ingenti agmine sequebantur). Über die genaue Zusammensetzung dieser Vexillarier und ihre Stationierungsorte sagt Tacitus nichts. 200 Holum u.a., King Herod’s Dream, S. 158. Vgl. weiterhin zur Betonung der frühen Missionierung von Heiden in Caesarea und der dementsprechend auch heidenchristlichen Prägung der dortigen Gemeinde: Krentz, Caesarea, S. 261f.; Holum u.a., Art. Caesarea, S. 271; Holum/Raban, Introduction, S. xxviii. 201 Steinmann nimmt an, die Seereise ginge bis Caesarea (Steinmann, Die Welt des Paulus, S. 43); das ist jedoch aufgrund von v. 7 ausgeschlossen: τὸν πλοῦν διανύσαντες. Auch Hengel liest den Text so, daß die letzte Etappe von Ptolemaïs nach Caesarea zu Lande bewältigt wird: Hengel, Der Historiker, S. 173. 202 Vgl. Krentz, Caesarea, S. 262f; Holum u.a., King Herod’s Dream, S. 156.
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τοῦ νόµου ὑπάρχουσιν (v. 20). Das scheint sich eben – zumindest aus Sicht des
Lukas – in Caesarea ganz anders verhalten zu haben. Selbst wenn die Darstellung des Lukas in Apg 21,20ff., die ja nicht mehr durch den Kollektenreisebericht gedeckt ist (s.o.), Verzerrungen enthalten sollte, so bleibt wenigstens eins ganz klar und m.E. historisch verläßlich: »Lukas will durch diese hintergründige Schilderung demonstrieren, daß sein Held bei Philippus und den Christen in Caesarea, die ihn auf der schweren Reise nach Jerusalem hinaufbegleiten (21,16), im Gegensatz zur bedrohlichen Situation in Jerusalem, persona grata war.«203 Bemerkenswert ist wenigstens am Rande auch, daß der Rat des Jakobus – Paulus solle die Auslösung von vier Nasiräern übernehmen (Apg 21,23f.) – letztlich den eigentlichen Konflikt, der zur Verhaftung des Paulus führt, erst nach sich zieht (vv. 27ff.);204 auch das mag ein besonderes Licht auf die subtile Darstellungsweise des Lukas in unserem Zusammenhang werfen.205 Auch wenn es sich hierbei um deutlich lukanische Akzentuierungen handelt, geben die herausgestellten Charakterisierungen den historischen Sachverhalt m.E. authentisch wieder: Die Gemeinde in Caesarea, die zumindest auch heidenchristlich geprägt war, stand dem missionarischen Projekt des Paulus viel aufgeschlossener gegenüber und seiner Lehre sowie seiner Person selbst viel näher als die Gemeinde in Jerusalem. Damit kann es als sehr wahrscheinlich gelten, daß die christliche Gemeinde in Caesarea im Zuge des Pogroms gegen die Juden der Stadt nicht vernichtet wurde; das gilt auch, wenn man dem Pogrom große Ausmaße zubilligt. Man kann nun aber in der Argumentation für die wahrscheinliche Existenz einer christlichen Gemeinde in der uns interessierenden Zeit nach dem jüdischen Krieg, in der die Nachforschungen des Lukas stattgefunden haben müssen, noch einen Schritt weitergehen: Selbst wenn also die Gemeinde in Caesarea doch durch die Ausschreitungen so schwer getroffen wurde, daß ihre Existenz akut gefährdet war, und sie de facto aufgehört hatte zu existieren, spricht die weitere Entwicklung in Caesarea eher dafür, daß eventuell geflüchtete bzw. vertriebene Gemeindeglieder sich schon im folgenden Jahrzehnt wieder in der Stadt angesiedelt haben könnten, und 203 Hengel, Der Historiker, S. 169; vgl. zum Gegenüber der Darstellung in Apg 21,7–16 und Apg 21,18ff. den ganzen Abschnitt a.a.O., S. 168f. Dagegen will Spencer in unmittelbarer Auseinandersetzung mit Hengel zeigen, daß die Darstellungen über die beiden Aufenthalte des Paulus bei Philippus und Jakobus sich in bezug auf die Unterstützung der Sache des Paulus eher ähneln als unterscheiden (Spencer, Portrait of Philip, S. 260–262); das gelingt ihm m.E. nicht. Zur Klarstellung: Die Beobachtungen Hengels sind m.E. als ganz und gar zutreffend zu bezeichnen, auch wenn ich mich seiner grundsätzlichen Sichtweise auf Lukas als Paulusbegleiter nicht anzuschließen vermag. 204 Siehe schon die Bemerkung bei Hengel, Der Historiker, S. 169. 205 Vgl. zum Empfang in Jerusalem und zum ganzen Problem der Übernahme der Auslösungskosten durch Paulus: Horn, Paulus, das Nasiräat, S. 128–135.
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7 Die Quellenfrage
vielleicht sogar Christen aus anderen Orten hier Zuflucht gesucht haben: Denn im Verlauf des jüdischen Krieges (66–70) war Caesarea in keiner Weise von Kampfhandlungen betroffen, vielmehr blieb Caesarea fest in römischer Hand: Vespasian und Titus nutzten es als Truppenlager und Nachschubhafen.206 In dieser Zeit war also die Stadt durch die Kriegshandlungen nicht nur nicht beeinträchtigt, sondern hat – davon darf man ausgehen – ganz im Gegenteil von der Präsenz der Truppen wirtschaftlich profitiert: »The war that ended with the destruction of the Jewish Temple in Jerusalem brought Caesarea even greater prosperity and made it even more Roman.«207 Wahrscheinlich im weiteren Verlauf der siebziger Jahre wurde es durch Vespasian dann als römische Kolonie gleichsam neu gegründet: Colonia prima Flavia Augusta Caesarea bzw. Caesariensis.208 Lange war für die Titulatur der Kolonie neben einer Vielzahl von Münzlegenden nur ein inschriftlicher Beleg vorhanden, die Ehreninschrift für einen Priester, duumvir und orator der Colonia prima Flavia Augusta Caesarea namens Marcus Flavius Agrippa:209 M(arcum) Fl(avium) A grippam210 pontif(icem), 2 II viral(em) col(oniae) I Fl(aviae) Aug(ustae) Caesareae, ora-211 4 torem, ex dec(reto) dec(urionum) pec(unia) publ(ica). 206 Vgl. Foerster, The Early History, S. 14f.; Levine, Caesarea, S. 31–33; Holum u.a., Art. Caesarea, S. 271; Holum u.a., King Herod’s Dream, S. 111; Holum/Raban, Introduction, S. xxviii; Lehmann/Holum, The Greek and Latin Inscriptions, S. 6. In der Tat erweist sich Caesarea Maritima, ohnehin der Sitz des Prokurators, als die römische Bastion im Laufe des gesamten Aufstands: Als Cestius Gallus, der legatus Augusti pro praetore in Syrien, noch meinte, den Aufstand alleine niederschlagen zu können, nimmt er selbstverständlich in Caesarea Quartier (J. BJ II 18,10 [§ 507]); Caesarea ist selbstverständlich das Winterquartier zweier der drei Legionen Vespasians (J. BJ III 9,1 [§ 412]); Vespasian und Titus kehren immer wieder nach Caesarea als ihrer Basis für die Operationen gegen die Aufständischen zurück: z.B. J. BJ IV 9,2 (§ 491); 10,2 (§ 588); 11,5 (§ 663); VII 2,2 (§ 36). 207 Holum u.a., King Herod’s Dream, S. 112. 208 Foerster, The Early History, S. 15; Holum u.a., Art. Caesarea, S. 271; Holum/Raban, Introduction, S. xxviii; Leisten, Art. Caesarea [2]; Lehmann/Holum, The Greek and Latin Inscriptions, S. 6. 209 Die Inschrift steht im Rockefeller-Museum zu Jerusalem (Inv. Nr. 32.2894), auf der beschreibenden Tafel kann man die folgende, völlig haltlose Informationen lesen: »The column bears a Latin inscription describing the raising of a statue in honor of Marcus Flavius Agrippa, apparently the son of the historian Josephus Flavius« (Hervorhebung J.B.); publiziert findet sie sich bei: CIL III, Suppl. II, Nr. 12082 (S. 2049); ILS II 1, Nr. 7206 (S. 736); Lifshitz, Césarée de Palestine, S. 498f.; Holum u.a., King Herod’s Dream, S. 114–118 mit. Abb. 71 und 72 (»squeeze«); Lehmann/Holum, The Greek and Latin Inscriptions, Nr. 3 (S. 36f.) mit Taf. 3a–c [ICaes 3]. 210 MFLA sind seit 1908 verloren; vgl. Lehmann/Holum, The Greek and Latin Inscriptions, S. 37 (Anm. zu Z. 1). 211 Der Zeilenumbruch der Z. 3/4 wird unterschiedlich gegeben; CIL, Dessau und Lifshitz bieten richtig: Caesareae ora- | torem. Lehmann/Holum lesen Caesareae | oratorem. Vgl. zur richtigen Lesung
7.1 Die sogenannten »Wir«-Stücke
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Abbildung 7.1: Detail der Inschrift für den Priester, duumvir und orator Marcus Flavius Agrippa (CIL III, Suppl. II, Nr. 12082 = ICaes 3), das den tatsächlichen Zeilenumbruch zwischen den Z. 3 und 4 zeigt (photographiert von Peter Pilhofer).
Inzwischen belegen noch weitere Inschriften den Titel der Kolonie.212 Zum Epitheton prima ist darauf hinzuweisen, daß dieses Caesarea keineswegs als die chronologisch erste flavische Koloniegründung ausweist; prima ist vielmehr als besonderer Ehrentitel zu verstehen, mit dem Vespasian in diesem Fall die Loyalität Caesareas gewürdigt haben dürfte.213 Damit darf das Epitheton nicht für die Datierung der Erhebung Caesareas zur Kolonie ausgewertet werden, wie man es oft lesen kann.214 Weiterhin belegen auch schon bald nach dem Ende des Krieges in Caesarea aufgenommene Baumaßnahmen die Prosperität der Stadt im letzten Viertel des 1.Jh., so wäre etwa die Pflasterung des Platzes vor der Tempelplattform zu erwähnen sowie die Neuerrichtung eines Nymphäums ebendort.215 ora- | torem unsere Abb. 7.1 (S. 329) sowie Holum u.a., King Herod’s Dream, Abb. 71 und 72 (»squeeze«) (S. 114f.); Lehmann/Holum, The Greek and Latin Inscriptions, Taf. 3a und c. 212 Lehmann/Holum, The Greek and Latin Inscriptions, Nr. 24 (S. 56) [ICaes 24]; Nr. 44, Z. 1 (S. 70f.)[ICaes 44]. 213 Vgl. Isaac, Limits, S. 349 mit Anm. 84. 214 Vgl. beispielweise Holum u.a., King Herod’s Dream, S. 114f.; Levine, Caesarea, S. 36; Smallwood, Jews under Roman Rule, S. 343. 215 Die Pflasterung des Platzes ist durch Münzfunde zu datieren; vgl. Porath/Raban/Patrich, Art. Caesarea, S. 1660: »Toward the end of the first century ce, the square in front of the western façade of the temple platform was paved with stone slabs; the latest coin found in the fill below the pavement dates to the time of Titus (79–81 ce). A nymphaeum with three arched niches was added to the western façade of the northern projecting wing bordering the square.«
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7 Die Quellenfrage
Caesarea war also im jüdischen Krieg (abgesehen von massiver Truppenpräsenz) nicht berührt, hat davon sogar eher profitiert und dürfte dann nach dem Krieg zu den blühendsten Orten Palästinas gehört haben: Spätestens nach dem zweiten jüdischen Krieg – möglicherweise aber schon davor – dürften sowohl die jüdischen216 als auch noch eher die christlichen Gemeinden in Caesarea und anderen Küstenorten wieder zur Blüte gekommen sein.217 Man könnte also durchaus erwägen, daß sich die Gemeinde in Caesarea recht schnell von dem Schlag erholt haben wird, den der Pogrom von 66 zumindest ihrem judenchristlichen Teil – wenn man denn so große Auswirkungen annehmen will – versetzt hätte.218 Die Annahme eines von der Gemeinde gepflegten Archivs, das Lukas in der Zeit nach dem jüdischen Krieg benutzt haben könnte, ist also von daher keineswegs völlig auszuschließen, sondern kann als durchaus möglich und m.E. wahrscheinlich gelten; die bei Josephus berichteten massiven Ausschreitungen gegen die Juden stellen nur auf den ersten Blick eine schwere Belastung für die hier vorgeschlagene Hypothese dar. 7.1.2.4 Konsequenzen für die »Wir-Stücke« Führen wir aber die hier vorgeschlagene Quellenhypothese und ihre Implikationen für die Entstehung der verwunderlichen »Wir-Stücke« zu Ende: Bei dem hier ins Auge gefaßten Rechenschaftsbericht dürfte es sich lediglich um eine äußerst knappe Beschreibung der Fahrstrecke, der Dauer, der Mitreisenden und der entscheidenden Umstände gehandelt haben; das reicht vollkommen dafür aus, die zahlreichen genauen Angaben in Apg 27f. zu erklären, die sich insbesondere in den Abschnitten 27,1–8 und 28,11–16 finden und eher auf die Übernahme verläßlicher Informationen hindeuten als auf eine etwaige Fingierung zur Erzeugung eines authentischen Eindrucks.219 Zwar ist einzuräumen, Zur recht frühen Rückkehr der Juden nach Caesarea vgl. Levey, Caesarea, S. 54f.; Levine, Caesarea, S. 44f.; Smallwood, Jews under Roman Rule, S. 343. 217 Vgl. Foerster, The Early History, S. 15–18; Levine, Caesarea, S. 113f.; Holum/Raban, Introduction, S. xxix. Siehe dazu auch Taylor, Christians, S. 48–85, bes. zur Blüte christlicher Gemeinden in den Küstenorten S. 62. 218 Auch Streeter sieht in Caesarea einen der entscheidenden Haftpunkte der Traditionsbewahrung – gerade im Unterschied zu Jerusalem: »The Church of Jerusalem was for a time ›knocked out‹ by the Jewish War. But Antioch and Caesarea were sufficiently influential to secure that the traditions which they specially valued did not completely disappear« (Streeter, Four Gospels, S. 231). Die Auffassung von Streeter, daß Lukas als Paulusbegleiter schon während seines zweijährigen Aufenthalts in Caesarea in den fünfziger Jahren Recherchen betrieben habe (S. 218f.), teile ich natürlich nicht. 219 Man kann dagegen nicht mit der physischen Vorstellung eines regelrechten Reisetagebuchs argumentieren, das beim Schiffbruch verloren gegangen oder verdorben wäre (vgl. dazu Nock, Rez. Dibelius, S. 499, Anm. 3; Haenchen, Das »Wir«, S. 336f.; Haenchen, Apostelgeschichte, S. 98); 216
7.1 Die sogenannten »Wir«-Stücke
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daß die Annahme eines solchen Rechenschaftsberichts für die Gemeinde in Caesarea sich auf weniger Indizien stützen kann als die Annahme des Kollektenberichts, nichstdestoweniger erscheint auch das hier angenommene Dokument als denkmöglich und plausibel (wenn auch nicht als zwingend erwiesen); v.a. erhöht aber diese Annahme die Plausibilität der hier versuchten Erklärung des Phänomens der »Wir«-Stücke. Lukas dürfte nämlich aus dieser Quelle neben den unerfindlichen Detailangaben ebenfalls das »Wir« übernommen haben, was natürlich keineswegs bedeutet – wie inzwischen klar geworden sein dürfte –, daß jedes Vorkommen der 1. Pers. Pl. auf die Quelle verweist oder diese überhaupt nur in konkreten Formulierungen durchschimmern läßt. Ich bin im Gegenteil der Überzeugung, wie sich in den nächsten Abschnitten zeigen lassen wird, daß Lukas wenigstens in Apg 27,1–28,6 erzählerisch frei und nach geläufigen Topoi so gestaltet hat, wie es der Zweck seines Werks in diesem den Schluß vorbereitenden furiosen Abenteuer erforderte.220 Für den ersten »Wir«-Abschnitt in Apg 16,10–17 läßt sich eine dritte, den beiden soeben angenommenen vergleichbare Quelle nicht denken, weil bei dieser Reise überhaupt kein Grund besteht, vor irgendeiner Gemeinde Rechenschaft abzulegen, da Paulus sich doch gerade von der antiochenischen Gemeinde im Streit getrennt hatte und mit seinem somit unabhängigen und selbständigen Missionswerk erst beginnt.221 Daß etwa auch diese Reise im Kollektenbericht mitbeschrieben worden wäre – wie Thornton spekuliert –, ist eine völlig absurde Annahme, weil sie nicht im geringsten mit dem Kollektenprojekt in Zusamdieser Rechenschaftsbericht kann auch durchaus aus der mehr oder weniger unmittelbaren Erinnerung abgefaßt worden sein. 220 Daran ändert auch die Auffassung Wolters nichts, der meint, die entscheidende Epochenschwelle sei schon mit der Verhandlung vor Agrippa in Kap. 26 überschritten worden (Wolter, Epochengeschichte, bes. S. 266.268–271); Apg 27 gehört jedenfalls literarisch noch nicht zum Epilog des Buchs und es ist zu wenig, der angeblichen »Einschaltung« von Apg 27,1–28,16 die Funktion zuzuschreiben, »erzählerische Distanz zu schaffen bzw. eine Zäsur zu markieren« (S. 271)! Auch wenn Knut Backhaus dem noch abgewinnen will, daß in unserer Episode die »dramatisch inszenierte Epochenschwelle« zu sehen sei (Backhaus, Lukas der Maler, S. 49), ist das noch immer zu wenig: Der Abschnitt hat auch eigene intentionale Ambitionen, wie unten zu zeigen sein wird. 221 Paulus hat sich m.E. nach dem sog. »antiochenischen Zwischenfall« (Gal 2,11–14; vgl. auch die Notiz über den völlig anders gelagerten παροξυσµός bei Lukas in Apg 15,36–40), aus dem er, wie das Schweigen darüber im Galaterbrief nahelegen könnte, als Unterlegener hervorgegeangen ist, wahrscheinlich endgültig von der Gemeinde in Antiochien getrennt. Ich stelle mir diesen »antiochenischen Zwischenfall« in der Jahresmitte 48 vor, so daß Paulus ausreichend Zeit hätte, bis zur Jahreswende 49/50 nach Korinth zu gelangen, wie es von der Kombination der doch wohl verläßlichen Angaben in Apg 18,11 und der Gallio-Inschrift gefordert wird (zur sog. Gallio-Inschrift s. FD III 4.3, Nr. 286 [S. 27–32] = SIG3 II 801D [S. 493f.]; vgl. auch Oliver, Epistle; Murphy O’Connor, Paul’s Corinth, S. 161–169.Appendix [S. 219–221] [Übersetzung, Auswertung, Text, kommentierende Anmerkungen; diese 3. Aufl. weicht in einigen Details deutlich von der 1. ab: Murphy O’Connor, Paul’s Corinth [1. Aufl.], S. 141–152.Appendix (S. 173–176)]).
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7 Die Quellenfrage
menhang gebracht werden kann.222 Angesichts der (zumindest mir derzeit) fehlenden Möglichkeiten, eine sinnvolle, d.h. in ihrem Zweck eindeutig und plausibel beschreibbare, Quelle anzunehmen und unter Berücksichtigung des durch und durch redaktionellen Charakters dieses »Wir«-Stücks223 findet sich nur die folgende einigermaßen akzeptable Erklärung für das Vorkommen des »Wir« in dieser Partie: Nachdem Lukas den »Wir«-Stil aus mindestens einer, wenn nicht – wie ich hier vorgeschlagen habe – aus zwei Quellen übernommen hatte, hat er die 1. Pers. Pl. auch bei der schon durch ihre Detaillierung stark hervorgehobenen Beschreibung des Übergangs nach Makedonien angewendet.224 Damit konnte er im Sinne der beiden oben ausgeführteten literarischen Wirkungen dieses Stils diese Reise noch deutlicher herausheben. Diese zusätzliche, ohne die Annahme einer Vorlage auskommende Erklärung für das »Wir« in Apg 16,10ff. ist deshalb akzeptabel, weil für die lukanische Sicht auf die Missionstätigkeit des Paulus der Sprung nach Makedonien fundamentale Bedeutung gehabt haben dürfte, zum einen grundsätzlich als deutliche Erweiterung des Raums der Heidenmission und zweitens, was für Lukas persönlich von enormer Wichtigkeit gewesen sein wird, als der Schritt, mit dem die paulinische Mission diejenige Landschaft erreicht hat, die doch wahrscheinlich als die Heimat des Lukas anzusehen ist, eben Makedonien.225 Lukas hatte damit eine hohe Motivation, gerade für die Beschreibung dieser Reise das – wie hier vermutet wird226 – aus zwei Quellen
222 Thornton, Zeuge, S. 309; vgl. zur für ihn in diesem Zusammenhang wichtigen engen Beziehung zwischen Titus und Alexandria Troas auch S. 248. Vgl. die treffende Kritik bei Koch, Kollektenbericht, S. 381, Anm. 46: »Vor lauter historischen Spekulationen vergißt Thornton die Frage zu beantworten, welche Funktion Apg 16.10–17 (oder auch nur 16.11–15) als Teil eines Rechenschaftsberichs [sic!] der Kollektendelegation gehabt haben soll.« 223 Siehe dazu die ausführliche Untersuchung bei Sterck-Degueldre, Lydia, S. 41–195, bes. die Zusammenfassung S. 187ff. Vgl. dagegen die frühere Argumentation bei Pilhofer, Philippi I, S. 248–254, die aber durch die minutiöse Analyse bei Sterck-Degueldre widerlegt worden ist. 224 Vgl. zur im wesentlichen redaktionellen Herkunft und gerade im Kontrast zu Apg 16,6–8 beeindruckenden Detaillierung der Passage Apg 16,11f.: Koch, Kollektenbericht, S. 382–386, der zusammenfaßt: »Doch ist diese sehr genaue Reisebeschreibung genauso wenig wie die grobflächige Reiseschilderung unmittelbar zuvor auf eine Quelle zurückzuführen. Was hier vorliegt, ist eine bewußt eingesetzte narrative Dehnung der Darstellung, durch die Lukas die Bedeutung des Übergangs der christlichen Verkündigung nach Europa massiv hervorhebt« (S. 385; zur Frage, ob hier der Übergang nach Europa oder nicht vielmehr nach Makedonien betont wird, s.o. Anm. 128 [S. 307f.]). Vgl. zur Betonung des Übergangs nach Makedonien auch Schröter, Lukas, S. 252.258f. 225 Vgl. zu der plausiblen Annahme, Lukas stamme aus Makedonien, vielleicht sogar aus Philippi selbst: Bovon, Lukas I, S. 23; Pilhofer, Philippi I, S. 153–159.248–254; Pilhofer, Lukas; SterckDegueldre, Lydia, S. 196–200. 226 Zu dieser »textgeschichtlich« bedeutsamen Stelle ist oben das Vorwort zu vergleichen (s. S. X, Anm. 2).
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auf ihn gekommene »Wir« nun selbständig einzusetzen.227 Dabei ist es kein schlagendes Gegenargument, Lukas hätte dann das »Wir« selbständig schon früher, nämlich in Kap. 16, verwendet, als das erste übernommene und damit (in unserem speziellen Sinne) ursprüngliche »Wir« auftauche, nämlich erst in Apg 20,5. Dieses vermeintliche Gegenargument ist deshalb nicht unüberwindlich, weil man ja nicht von einer Niederschrift des Werkes in einem Zug und v.a. auch nicht in einer Niederschrift ein für allemal auszugehen hat. Lukas konnte also durchaus auf der Basis der Entwürfe für die späteren Abschnitte das »Wir« zur Gestaltung der Reise in Kap. 16 von dort her eingetragen haben. Ja, noch mehr, selbst wenn man von einer Niederschrift in einem Zug ausgeht, wäre es denkbar, daß Lukas auf der Basis des ihm vorliegenden Materials und seiner schon getätigten Vorüberlegungen so verfahren ist, wie hier hypothetisch angenommen wird. Eine dreistufige Erklärung dieser Art hat, weil die oben ausgemachten literarischen Wirkungen und die (beschränkte) Quellenannahme sich gegenseitig stützen, folgende Vorteile: Erstens wird gegenüber einem Alleinerklärungsanspruch der Quellenhypothesen der Anstoß gemildert, den diese bieten, wenn man sie mit der Frage konfrontiert, warum denn Lukas das »Wir« so fein säuberlich bewahrt haben sollte, wenn er sonst doch in seine Vorlage massiv durch redaktionelle Überarbeitung und Einfügungen eingegriffen haben sollte (die alte Harnacksche Frage).228 Die Milderung des Anstoßes erfolgt durch die Berücksichtigung der literarischen Wirkungen des »Wir«-Stils, der – wie oben gezeigt – die Aufmerksamkeit des Lesers bei der Schilderung dieser entscheidenden Reisen erhöht und ihn näher an das Geschehen heranzieht. Zweitens wird der bei ausschließlicher Anwendung der literarischen Erklärungsversuche immer noch bestehende Anstoß – denn ein Bruch der Erzählperspektive bleibt es ja so oder so – dadurch abgemildert, daß man es nicht bei der eher unglaubwürdigen Vorstellung bewenden lassen muß, Lukas habe, nur um die genannten literarischen Wirkungen zu erzielen, die mehrfachen Brüche bewußt und völlig selbständig gesetzt. Unter Berücksichtigung der hier vorgeschlagenen Annahme von zwei Quellen, die schon im »Wir«-Stil abgefaßt waren, hatte Lukas ja nicht nur einen Anlaß, die 1. Pers. Pl. zu benutzen. Der Effekt auf das Erscheinungsbild der entsprechenden Reiseerzählungen hat ihn möglicherweise einerseits davon Vgl. dazu die Überlegungen bei Koch, Kollektenbericht, S. 386f., bes. S. 387: »Lukas hat also durch die Wahl seiner Darstellungsmittel den Übergang nach Europa, und damit zugleich den Beginn der selbständigen Mission des Paulus, derjenigen Reise angeglichen, die am Ende des missionarischen Wirkens des Paulus steht, seiner Reise ins Martyrium. Auf diese Weise macht Lukas unmißverständlich klar, welche Bedeutung er dem Wirken des Paulus und seinem Schritt nach Europa zuweist«; in ähnlicher Richtung die Bemerkungen bei Sterck-Degueldre, Lydia, S. 38–40. 228 S. zur Harnackschen Kritik an den Quellenhypothesen seiner Zeit die Anmerkungen oben, S. 292. 227
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7 Die Quellenfrage
Abstand nehmen lassen, die vorhandenen erzählerischen Brüche zu glätten, und andererseits zusätzlich veranlaßt, diesen Stil auch für die Reise nach Makedonien selbständig anzuwenden. 7.1.3 Fazit Insgesamt ist wohl einzuräumen, daß es sich bei den »Wir«-Passagen um ein nach wie vor ungelöstes Problem der Apostelgeschichtsforschung handelt: Wir können nicht mehr mit letzter Sicherheit erheben, wie die Stellen in der 1. Pers. Plur. in den Text gekommen sind, und wir können genausowenig mit letzter Sicherheit erheben, warum sie so unverbunden stehen geblieben sind. Der oben vorgelegte Erklärungsversuch reduziert die Schwierigkeiten jedoch auf ein m.E. erträgliches Minimum, weil in der Kombination verschiedener Erklärungsmodelle und Motivationen die »blinden Flecken« einer einzigen Globaltheorie zumindest zum Teil ausgeleuchtet werden. Lukas hätte dann etwa – wenn denn unsere Kombination von Erklärungsversuchen trägt, und man der sich anschließenden geringfügig psychologisierenden Vorstellung zumindest mit einem Augenzwinkern folgen möchte –, angeregt durch zwei von ihm übernommene Quellen, einen makedonischen Kollektenreisebericht und einen Rechenschaftsbericht der Begleiter des Paulus an die Gemeinde von Caesarea, seine Entwürfe der entsprechenden Abschnitte zunächst auch im »Wir«-Stil verfaßt, um sich dann von den seines Erachtens positiven Wirkungen dieses Stils auf die Darstellung der beiden Reisen beeindrucken zu lassen. Im folgenden hätte er dann den Stil selbständig auf die Reise nach Makedonien angewandt, bevor er schließlich die Glättung der Brüche unterlassen hätte. Die, wahrscheinlich durch keinen Erklärungsversuch in sinnvoller Weise zu umgehende Schwierigkeit, die sich in dem letzten Schritt andeutet, ist zwar durch die zuvor genannten Motive minimiert, jedoch nicht ausgeräumt. Möglicherweise müssen wir uns in bezug auf diese letzte Schwäche doch damit zufriedengeben, daß unsere Apostelgeschichte nicht völlig konsequent durchdacht ist, ihr Verfasser also beim abschließenden Redigieren – zwar motiviert, aber letztendlich doch – einen lapsus hat durchgehen lassen.229 229 Beispiele ganz verschiedener Art für schriftstellerische Nachlässigkeiten lassen sich auch an weiteren Stellen finden: Lk 17,11 hat etwa zu harten Urteilen über die geographische Kenntnis unseres Verfassers in Palästina geführt (z.B. Marxsen, Einleitung, S. 162). Beachtenswert ist auch die geradezu mißverständliche Einführung des Herrenbruders Jakobus als Führungspersönlichkeit der Jerusalemer Gemeinde in Apg 12,17 (man muß schon kalkulierend zu 12,2 zurückblättern, um zu begreifen, wer hier gemeint ist). Man denke weiterhin an die Unvereinbarkeit der Details in den drei Versionen des Berufungserlebnisses des Paulus in den Kap. 9, 22 und 26, oder die ganz besonders merkwürdige, ja beiläufige Einführung des Namens Paulus in Apg 13,9. Siehe dazu v.a. den nun wahrlich nicht hyperkritischen Lukas-Leser: Hengel, Der Historiker, S. 151f.162.177; Hengel/ Schwemer, Paulus, S. 24; vgl. zusätzlich auch die Bemerkungen bei: Trobisch, Die narrative Welt,
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Exkurs zum nomen gentile des Felix: Vgl. zu dieser Frage zuerst den Beitrag von Kokkinos,230 der v.a. aufgrund der Grabinschrift des Titus Mucius Clemens aus Bir elMalik,231 aber auch aufgrund anderer nicht literarischer Belege für Claudius statt Antonius plädiert;232 Feldman dagegen meint, an Antonius festhalten zu müssen, mit ungenügender Begründung, wie mir scheint.233 Die für das Problem des nomen gentile des Felix entscheidenden Fragen bei der Debatte um die Inschrift von Bir el-Malik sind die, ob der cursus honorum des Titus Mucius Clemens in chronologischer Reihenfolge gegeben wird oder in umgekehrter; und damit verbunden: Verbirgt sich hinter dem βασιλεὺς µέγας Ἀγρίππας (Z. 3) Agrippa I. oder Agrippa II.? Welche Präfektur des Tiberius Iulius Alexander ist gemeint, die in Judäa oder die in Ägypten? Der Text der Inschrift nach der Photographie bei Avi-Yonah (Taf. 28) mit den Textverbesserungen und Ergänzungsvorschlägen von den Roberts (BÉ 1970, S. 474f.), von Pflaum (AÉ 1967 [1969], S. 166) und Kokkinos (S. 128f.) lautet: Τί τωι Μουκίωι Μάρκ ου υἱῶι tribu Κλ ή. µεντι, ἐπάρχωι στ. ρατεύµατος πεζικοῦ β. α. σ. ιλέως µεγάλου Ἀγρίπ. πα, βοηθῶι Τιβερίου Ἀλεξάνδρου ἐπάρχ. ου . . . , 5 ἐπάρχωι σπείρης πρώτη ς ῾Ηρω- . διανῆς ἱππικῆς, l β οηθῶι vacat Τιβερίου Κλαυδίο. υ Φήλικος ἐπιτρόπου Σε. βαστοῦ . . . Σιµωνίδης καὶ Ξ . . . . 10 υἱοὶ τῷ ἑαυτῶν. πατρί sive εὐεργέτηι. vacat χα. ῖρε. vacat
Der Erstherausgeber Avi-Yonah hatte angenommen, der cursus honorum sei in umgekehrter Reihenfolge gegeben, so daß er im genannten König Agrippa II. sehen und die Präfektur des Tiberius Alexander auf Ägypten beziehen mußte, um den procurator Tiberius Claudius mit Felix identifizieren zu können. Gegen die umgekehrte Reihenfolge des cursus spricht aber schon, daß in diesem Fall die für einen römischen Ritter widersinnige Karrierefolge vorläge: Clemens wäre dann von der Präfektur über eine cohors equitata zu einer Präfektur über eine einfache Auxiliarkohorte, die die gewöhnliche militia prima für einen ritterlichen Offizier darstellt, – und das auch noch im Dienste eines Klientelkönigs – gleichsam abgestiegen.234 Dieses Problem hat Pflaum erkannt und stattdessen der Annahme, der cursus sei in chronologischer Reihenfolge gegeben, zum Durchbruch verholfen. Trotzdem hat er an der Spätdatierung festgehalten, den König weiterhin mit S. 12. Zu schriftstellerischen Nachlässigkeiten des Lukas hatte sich auch schon Harnack geäußert: Harnack, Beiträge I, S. 80–85; Harnack, Beiträge III, S. 159–177. 230 Kokkinos, A Fresh Look. 231 AÉ 1967 (1969), Nr. 525 (S. 166–168) [Pflaum] = BÉ 1970, Nr. 633 (S. 474f. [Robert/Robert, BÉ 1970, S. 474f.]); editio princeps: Avi-Yonah, Epitaph. 232 So auch schon Bruce, Full Name, insbesondere S. 34–36. 233 Feldman, Josephus, Nr. 1429d (S. 323), vgl. das Post Scriptum bei Kokkinos, A Fresh Look, S. 140f.. 234 Vgl. zu den ritterlichen militiae z.B. Dietz/Fischer, Blütezeit, S. 129f.
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7 Die Quellenfrage
Agrippa II. identifiziert und folglich die Ergänzung des cognomen des Tiberius Claudius offen gelassen. Die richtige Lösung wird von Bruce und Kokkinos vertreten: Die Identifikation des Tiberius Claudius mit dem Prokurator Felix bleibt plausibel, wenn man Agrippa I. in dem genannten König sieht und die Präfektur des Tiberius Alexander auf Judäa bezieht.
7.2 Literar- und formkritische Teilungshypothesen Haben wir bis hierher die Möglichkeit einer Quelle für das uns interessierende »Wir«-Stück erwiesen und deren wahrscheinlichen Zweck und ihre vermutliche Art bestimmt, so müssen wir nun in diesem Abschnitt unsere Hypothese mit der literar- und formkritischen Forschung zu Apg 27 konfrontieren. Dabei soll nur kurz und ohne Anspruch auf Vollständigkeit – ja sogar unter bewußten Auslassungen (von z.B. selbst solch wichtigen Forschern wie Franz Overbeck und Paul Wendland) – in nur schlaglichtartiger Weise auf die Geschichte der Kritik von Apg 27 eingegangen werden. Hierbei geht es um grundsätzliche Erwägungen zur Integrität unseres Textes und die in der Forschungsgeschichte vorgeschlagenen Quellenhypothesen, näherhin v.a. um die Art der Zugehörigkeit der Paulusabschnitte zu unserem Text: Handelt es sich bei ihnen um integrative Bestandteile unserer Erzählung oder sind in ihnen Hinzufügungen zu einer Vorlage zu sehen? Die damit gewiß verquickten Fragestellungen aber, die im engeren Sinne mit dem Problem der »Wir«-Stücke zusammenhängen, wurden im vorigen Kapitel behandelt und eben mit einer eigenen und neuen (?) Quellenhypothese einer Lösung zugeführt. Das erste Schlaglicht möchte ich dabei auf Eduard Zeller, den Schüler Ferdinand Christian Baurs werfen, der in seinem 1854er Werk Die Apostelgeschichte nach ihrem Inhalt und Ursprung kritisch untersucht schon den Finger auf den wunden Punkt legt: auf die Passagen des 27. Kapitels, in die sich »einiges Unhistorische eingeschlichen« haben könnte.235 Er zählt als verdächtig die vv. 3.10. 21ff.33 (sic!) auf – meint aber im letzten Fall den v. 43, nach dem der Zenturio die Gefangenen um des Apostels willen verschont.236 Zeller schreckt aber in diesem Zusammenhang noch vor einer klaren Scheidungshypothese zurück, da die besondere Stellung des Paulus »durch die Macht seiner Persönlichkeit« doch nicht völlig unglaublich sei;237 härter geht er jedoch mit einigen Zügen der Passage Apg 28,1–10 ins Gericht.238 Weiter unten greift er dann aber noch einmal 235 236 237 238
Zeller, Apostelgeschichte, S. Zeller, Apostelgeschichte, S. Zeller, Apostelgeschichte, S. Zeller, Apostelgeschichte, S.
290. 290. 290. 290f.
7.2 Literar- und formkritische Teilungshypothesen
337
kritisch die Stelle 27,21–26 auf: »die kleine Episode 27, 21–26, die ohne Unterbrechung des Zusammenhangs fehlen könnte, sieht einem tendenzmässigen vaticinium ex eventu sehr ähnlich«.239 Gegen die Ausscheidung genau dieser Verse, die letztlich den Ansatzpunkt für die Kritik an allen Pauluspassagen bot, wendet sich der große Verteidiger der Tradition Sir William M. Ramsay in – für meine Begriffe – eigenartiger Weise: Er ist der Auffassung, daß wir bei einer Eliminierung der vv. 21–26 das Entscheidende am Charakterbild des Paulus verlieren würden; lediglich ein sehr schmales Paulusbild bliebe uns zurück, nämlich das Bild dessen, der technisch gute Ratschläge gebe (vv. 9f.31):240 »If that is all the character he displayed throughout the voyage, why do we study the man and his fate?« Ja, wenn Paulus nicht dazu in der Lage gewesen wäre, »to comfort and cheer his despairing shipmates, he would never have impressed himself on history or made himself an interest to all succeeding time. The world’s history stamps the interpolationtheory here as false.«241 Nach Ramsays Ansicht liegt der entscheidende Grund für die Annahme einer Interpolation auf seiten der kritischen Ausleger darin, daß in den vv. 21–26 »the superhuman element« eingeführt werde – er meint sicher die Traumerscheinung und die Vorhersage der Strandung, die den Eindruck eines vaticinium ex eventu macht: »That is an argument to which I have no reply.«242 Es bedarf m.E. keiner weiteren Darlegungen, um zu zeigen, daß Ramsay auf die Argumentation der kritischen Ausleger gegen die vv. 21–26 (wenn überhaupt) nur ungenügend eingeht. Über die vv. 21–26 hinaus ist dann bei Julius Wellhausen das volle Repertoire der kritischen Zerlegearbeit an Apg 27 da: Es »sind aber doch die Stellen, wo Paulus wie eine Art Providenz sich einmischt und technische Direktiven gibt, keineswegs einwandfrei.«243 Wellhausen geht aus von den vv. 9–11, die von v. 12 nicht vorausgesetzt würden, welcher aber seinerseits unmittelbar an v. 8 anschließe.244 Auf dieser Grundlage scheidet er alle Pauluspassagen aus: zuerst die schon länger umstrittenen vv. 21–26, dann den v. 31 und die letzte große Paulus-Szene in den vv. 33–36.245 Zeller, Apostelgeschichte, S. 515. Auch wenn freilich gerade diese Partien zu Verdächtigungen gegen die Integrität des Textes Anlaß geben, zieht es Ramsay nicht einmal in Erwägung, sie literarkritisch in Frage zu stellen. 241 Ramsay, St. Paul, S. 338 (dt., S. 276). 242 Ramsay, St. Paul, S. 339 (dt., S. 277). 243 Wellhausen, Kritische Analyse, S. 53. 244 Wellhausen, Kritische Analyse, S. 53. 245 In Wellhausens Kritischer Analyse geht diese Ausscheidung der Paulus-Passagen verblüffend rasant vor sich: »Der Passus 9–11 sprengt also den Zusammenhang und erscheint als Einschub; die Zeitbestimmung ἡ νηστεία kann ihn nicht retten. Er steht nun in unlöslicher Beziehung zu 21– 26; also sind auch diese Verse eingeschoben. Es kommt hinzu, daß gerade sie am Schluß (26) das 239 240
338
7 Die Quellenfrage
Da diese Wellhausensche Hypothese, auf die sich Haenchen als die »›Dynamithypothese‹« bezieht,246 bis heute zur maßgeblichen Grundlage in der Analyse von Apg 27 geworden ist, sei der geschichtliche Überblick hier abgebrochen und auf die wesentlichen Schwierigkeiten dieser Teilungshypothese eingegangen. Verblüffend ist insgesamt durchaus, daß die methodische Umorientierung von der Quellenkritik zur formgeschichtlichen Betrachtung nichts Wesentliches am Wellhausenschen Zugriff auf Apg 27 geändert hat.247 In den modernen Kommentaren – Schille und Jervell sind Ausnahmen248 – ist die Ausscheidung der Pauluspassagen in der einen oder anderen Art und Weise immer wieder zu finden:249 Wir wollen nun den Maximalvorschlag der angeblich eingefügten Paulus-Passagen kurz durchmustern: vv. 3b.9b–11.21–26.31.33–37.43a.250 Die Aussonderung des Versteils von φιλανθρώπως bis τυχεῖν in v. 3 fußt im Grunde auf der Kettenreaktion, die die Aussonderung der vv. 9–11 bzw. 21–26 ausgelöst hat: Es handelt sich m.E. um einen Schematismus, der in der Konsequenz Paulus vollkommen aus dem Text tilgen will. Freilich kann man sagen, auch hier werde die Person des Paulus in völlig unerhörter Weise – in diesem Falle durch die freundliche Behandlung, die ihm von seiten des Julius widerfährt – herausgestrichen, gelinde ausgedrückt halte ich das aber für eine Übertreibung.251 Besteht also schon aus literarkritischer Sicht kein Grund, diesen Versteil herauszulösen, so auffallendste vaticinium ex eventu enthalten. Wenn aber diese Stellen (9–11 und 21–26) sekundär sind, so erhebt sich dringender Verdacht auch gegen die beiden anderen, an denen Paulus eingreift. Am wenigsten schade ist es um Vers 31, wo er sich recht überflüssig vordrängt« usw. (Wellhausen, Kritische Analyse, S. 54). 246 Haenchen, Apostelgeschichte, S. 678. 247 Der große Vertreter der formgeschichtlichen Methode Martin Dibelius hat Wellhausens Teilung durchweg übernommen; vgl. zur Kritik von Dibelius an den Paulus-Episoden: Dibelius, Apg als Geschichtsquelle, S. 95; Dibelius, Der erste christliche Historiker, S. 117; Dibelius, Apg im Rahmen der Literaturgeschichte, S. 173f.; Dibelius, Paulus, S. 180. 248 Schille hat sich einer (m.E. im besten Sinne) literarischen Interpretation verschrieben (Schille, Apostelgeschichte, S. 459f.); Jervell dagegen wendet sich in unserem Zusammenhang wieder einer eher traditionellen Position zu, wenn er sich gegen den Ausschluß der vv. 9–11 ausspricht (Jervell, Apostelgeschichte, S. 612f.) und im Einleitungsteil versucht, die Argumente gegen den Paulusgefährten Lukas auszuräumen (Jervell, Apostelgeschichte, S. 82–84). 249 Vgl. z.B. Zmijewski, Apostelgeschichte, S. 856, der die Maximalversion (abgesehen von v. 9a) vertritt und die vv. 3b.9b–11.21–26.31.33–37.43a für »offensichtlich sekundär« hält; eine etwas andere Abgrenzung der auszuschließenden Paulus-Passagen: vv. 9b–11.21–26.31.33–37, bei Roloff, Apostelgeschichte, S. 358. Noch weniger ist es bei Pesch, Apostelgeschichte II, S. 284f.: vv. 9c–11 (sic!).21– 26.31.33–35. 250 So bei Zmijewski, Apostelgeschichte, S. 856. 251 Ebenso sieht es Haenchen, Acta 27, S. 252: ». . . das Ausmaß dieser Freundlichkeit [sc. des Julius gegenüber Paulus] ist nicht so groß, daß man diesen Zug als eine lukanische Erfindung ansehen müßte . . . «. Haenchen stimmt der Maximallösung also nicht zu, er sondert lediglich die vv. 9b– 11.21–26 (aber 20ff. in Acta 27, S. 252).31.33ff. aus (Haenchen, Apostelgeschichte, S. 678–680).
7.2 Literar- und formkritische Teilungshypothesen
339
umso weniger bei einer konsequent literarischen Betrachtung: Die Betonung der freundlichen Haltung des römischen Offiziers zu Beginn der Erzählung hat eine wichtige Funktion für den Plot der Geschichte insgesamt – die Beziehung des Paulus zu Julius ist ein durchaus bedeutendes Element der Geschichte und taucht an wenigstens zwei Stellen wieder auf.252 Selbst wenn man die anderen Paulussequenzen tilgen wollte, so würde der Bogen zwischen v. 3 und v. 43 für unsere Stelle sprechen, denn auch ohne den Paulus-Bezug führt die Erzählung die glückliche Rettung in v. 43 auf den menschenfreundlichen und besonnen handelnden Offizier zurück – freilich neben der erneuten Betonung, daß die Rettung um des Paulus willen geschehe (vgl. v. 24); damit scheint mir die Ausscheidung von v. 3b unangemessen zu sein. Die vv. 9–11 bzw. 9b–11 bilden (neben vv. 21–26) die entscheidende Passage für die kritische Zerlegung unseres Kapitels; auf eine Schwierigkeit, die mit der Annahme verbunden ist, daß diese Verse eingeschaltet seien, macht bereits die Uneinigkeit der Exegeten über die Abgrenzung eben dieser Einschaltung nach vorne aufmerksam.253 Zwar hat Wellhausen recht, wenn er sagt, daß man v. 12 direkt an v. 8 anschließen kann,254 aber daß der Zusammenhang nach der Ausscheidung von vv. 9–11 »eindeutig und straff« sei,255 kann man m.E. nun wirklich nicht behaupten. Das, was fehlt, wäre ja bei dieser Ausscheidungsvariante der Hinweis auf die Jahreszeit und die Gefahr, mit der eine Seereise in dieser Zeit verbunden ist. Abgesehen davon, daß ich es für einen Teil der gut erzählten Geschichte halte, die Gefahr im voraus anzudeuten – wie das auch durch die Schilderung der beschwerlichen Fahrt von Sidon bis Καλοὶ λιµένες geschieht (vv. 4–8) –, wäre die Angabe, man wolle überwintern,256 schlicht unverständlich, zumindest aber sehr überraschend. Das scheint zunächst dafür zu sprechen, wie die oben erwähnten anderen Ausleger es vorschlagen, den Übergang von v. 9a (oder nach Pesch v. 9b) nach v. 12 anzunehmen. Die Schwierigkeit dieses Anschlusses sehe ich nun wieder im Sprachlichen: Zwar wird gerade in unserem Vv. 11.43; zählt man die durch die Zusammenarbeit des Paulus mit den Soldaten vereitelte Flucht der Matrosen mit (v. 31), sind es sogar drei Stellen. Vgl. dazu das nächste Kapitel zur Einzelanalyse. 253 Haben noch etwa Wellhausen, Kritische Analyse, S. 53f., und Dibelius, Apg im Rahmen der Literaturgeschichte, S. 173, die Einschaltung in dem ganzen Abschnitt vv. 9–11 gesehen (im Sinne der alten Quellenkritik unter Zuweisung an einen Redaktor ebenso Loisy, Actes, S. 911), so neigen die jüngeren Ausleger zur Beschränkung auf 9b–11: z.B. schon Haenchen, Apostelgeschichte, S. 679, und weiterhin Zmijewski, Apostelgeschichte, S. 856; Roloff, Apostelgeschichte, S. 358; Pesch, Apostelgeschichte II, S. 284, der wohl dasselbe meint, aber von vv. 9c–11 spricht und v. 9a.b zu den »Wetterbeschreibungen« rechnet. 254 Wellhausen, Kritische Analyse, S. 53. 255 So Dibelius, Apg im Rahmen der Literaturgeschichte, S. 173. 256 Das steckt ja in der Beurteilung des Hafens danach, ob er zur Überwinterung (παραχειµασία, v. 12) geeignet ist oder nicht. 252
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7 Die Quellenfrage
Kapitel die Konstruktion des genitivus absolutus geradezu inflationär gebraucht und ist auch sonst in der Apostelgeschichte nicht sonderlich selten – wie schon des öfteren bemerkt wurde –,257 aber drei solcher Konstruktionen hintereinander zu setzen, so meine ich, ist selbst einem ausgewiesenen Anhänger des absoluten Genitivs kaum zuzutrauen.258 Die vv. 21–26 lassen sich sicher ohne derartige Probleme heraustrennen, das sei zugestanden. Ich kann hier nur mit Eduard Meyer einwenden: »Indessen daraus, daß sich ein Stück einer Erzählung ohne formellen Anstoß ausscheiden läßt, folgt noch nicht, daß es eine Interpolation ist«.259 Wiederum muß ich darauf verweisen, daß auch dieser Paulus-Sequenz eine durchaus konstitutive Funktion im Plot der ganzen Erzählung zuzuweisen ist.260 Ähnlich ist die Lage beim umstrittenen v. 31, wobei dessen Zusammenhang mit dem mindestens genauso umstrittenen »Fluchtversuch« der Besatzung insgesamt (vv. 30–32) die Sache nicht besonders einfach macht.261 Schwieriger verhält es sich wieder bei den vv. 33ff.; es ist hier festzustellen, daß es am Ende der Passage Abgrenzungsschwierigkeiten gibt: Im v. 37 wird auf das πάντες in v. 36 Rückbezug genommen und dieses ausgeführt, indem jetzt die Gesamtzahl der Menschen (αἱ πᾶσαι ψυχαί) auf dem Schiff in einer genauen Zahl zum Ausdruck kommt: 276. Diese Ausführung hat einen etwas katalogartigen Stil, die Erzählung scheint dadurch unterbrochen, daß eine zusätzliche, für den Erzählverlauf mehr oder weniger irrelevante Information angehängt wird. Der Unterbrechungscharakter wird umso deutlicher, als ja v. 38 nun wieder seinerseits mit dem κορεσθέντες auf die Nahrungsaufnahme aller in v. 36 bezug nimmt.262 Von daher erklären sich auch die Meinungsverschiedenheiten einiger Exegeten in der Abgrenzung der auszuscheidenden Paulus-Passage nach Darauf weist beispielsweise Haenchen, Acta 27, S. 247, hin. In dem von uns zu betrachtenden Textabschnitt Apg 27,1–28,6 kommen sage und schreibe 14 (bzw. 15) genitivi absoluti vor: Apg 27,2.7.9 (2 ×).12.13.15.18.20 (2 ×).21.27.30; 28,6; darüber hinaus scheint in 28,3 noch einer vorzuliegen, man kann die Konstruktion dort aber auch von αὐτοῦ als participium coniunctum abhängig machen. Dabei befindet sich bei insgesamt 13 Vorkommen in Apg 27 nur eins davon in den umstrittenen Paulus-Passagen (v. 21) – wenn man von v. 9a absieht (nach Haenchen, Acta 27, S. 252, jedoch drei, wenn er den zweiten Paulus-Einschub bei v. 20 beginnen läßt). Nebenbei sei bemerkt, daß Haenchen, Acta 27, S. 247, auch für v. 42 einen gen. abs. verbucht; ich kann dort allerdings keinen entdecken, und variae lectiones gibt das NTG nicht an. 259 Meyer, Ursprung III, S. 32. 260 Vgl. dazu wiederum die Einzelanalyse im nächsten Kapitel. 261 Vgl. dazu ebenso die Bemerkungen im nächsten Kapitel sowie die Ausführungen zu Achilleus Tatios, Petron und TestXII (TestNaph VI). 262 Daß hier eine gewisse Unebenheit vorliegt, bemerkt Dibelius, nimmt das aber zum Anlaß, die vv. 33–36 zu verdächtigen, ohne die Frage zu beantworten, wie er anschließen will; er hält v. 37 für den »Rest des alten literarischen Berichts« (Dibelius, Apg im Rahmen der Literaturgeschichte, S. 173f. [Zitat S. 174]). Siehe auch zu diesem Problem die Einzelanalyse unten. 257 258
7.2 Literar- und formkritische Teilungshypothesen
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hinten.263 Was nun den möglichen Anschluß an v. 32 nach der Ausgrenzung der Paulus-Episode betrifft, so gibt es in jedem Fall Probleme: Es ist sowohl schwierig, v. 38 an v. 32 anzuschließen264 – das κορεσθέντες wäre völlig unvermittelt –, als auch v. 37,265 weil dann die Information über die Größe der Reisegesellschaft noch unverbundener im Kontext stünde. Als ganz unmöglich erscheint mir aber der Anschluß von v. 36 an v. 32:266 Wieso sollten die Passagiere denn plötzlich εὔθυµοι werden, nachdem ein Fluchtversuch (eines Teils) der Besatzung soeben nur unter Aufgabe des Beibootes vereitelt werden konnte? Am besten vorstellbar ist immer doch der Anschluß von v. 39 an v. 32,267 dabei entstehen keine solchen Schwierigkeiten; man würde dann lediglich das (zweite [vgl. v. 18f.]) Leichtern des Schiffes mit ausscheiden. Was nun die Kritik an v. 43a betrifft, kann zur Verteidigung der vier Wörter βουλόµενος διασῶσαι τὸν Παῦλον – und nur um diese kann es ja ernsthaft gehen – nicht mehr gesagt werden als oben zu den vv. 21–26.31.268 Es ist bei der Textanalyse unseres Kapitel eben v.a. die Frage, was man hier zu rekonstruieren gedenkt. Es besteht, kurz gesagt, das Problem, was man denn in dem angeblich zugrundeliegenden Text sieht – danach wird sich dann im wesentlichen auch das Verfahren der Ausscheidung von mehr oder weniger Paulus-Bezügen richten: Ketzerisch ausgedrückt, unterscheiden sich die exegetischen Positionen hauptsächlich darin, was sie am Ende herausbekommen wollen bzw. sollen. Da sind auf der einen Seite die konservativen Forscher, die die Tradition mehr oder weniger verteidigen, wie William M. Ramsay, Eduard Meyer 269 und unter 263 Vgl. beispielsweise Roloff, Apostelgeschichte, S. 358f., und im Widerspruch zu ihm Pesch, Apostelgeschichte II, S. 285, Anm. 4: Pesch weist hier ein Zitat von Roloff nach und fügt hinzu, daß dieser »allerdings auch 37 zum vierten Einschub rechnet, was kaum zu rechtfertigen ist.« 264 So z.B. nach dem Ausgrenzungsvorschlag von Roloff, Apostelgeschichte, S. 358f.). 265 So eben nach der Meinung von Pesch, Apostelgeschichte II, S. 285. 266 So vielleicht nach Dibelius, der die verdächtige Paulus-Episode hier in v. 35 enden läßt (Dibelius, Paulus, S. 180); in Die Apostelgeschichte im Rahmen der urchristlichen Literaturgeschichte spricht er jedoch von den vv. 33–36 (S. 173). 267 Z.B. bei Bauernfeind, Apostelgeschichte, S. 271; Bauernfeind scheint jedoch – wie ich – insgesamt Zweifel an der letztgültigen Berechtigung der Ausscheidung der Paulus-Episoden zu haben. 268 Vgl. zur Kritik an diesem Versteil Dibelius, Apg als Geschichtsquelle, S. 95, Anm. 2; Dibelius, Apg im Rahmen der Literaturgeschichte, S. 173; Dibelius, Paulus, S. 180, Anm. 2. 269 Vgl. zu Ramsay und dessen fragwürdiger »Hermeneutik« die Ausführungen oben. Weiterhin Meyer, Ursprung III, S. 28–35: Er bezeichnet unseren Text als »ein Glanzstück in sachlicher Korrektheit« (S. 28); mit den Quellenkritikern geht er hart ins Gericht: »Daß sie [sc. die Quellen] von Grund aus verfälscht sind, steht ihnen a priori fest; bietet die Erzählung sachliche Anstöße, wie sie auch in Berichten sonst zuverlässiger Augenzeugen sehr wohl vorkommen können, so ist ihre Unechtheit damit erwiesen; fehlen solche Anstöße und ist sie sachlich tadellos, so folgt eben daraus die Fälschung: der Autor hat eine fremde Erzählung ausgeschrieben, die von ganz andern Dingen handelt. Auf diese Weise läßt sich ohne Mühe jedes Geschichtswerk als historisch völlig wertlos erweisen« (S. 35).
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7 Die Quellenfrage
den neueren z.B. Jacob Jervell.270 Sie sehen in Apg 27 einen nahezu vollständig authentischen Bericht eines Augenzeugen, entweder des Verfassers der Apostelgeschichte selbst oder eines von ihm herangezogenen und treulich übernommenen Gewährsmannes. Bedenkt man, daß die Geschichte der Kritik von Apg 27 von dem Eindruck her, bestimmte Züge seien historisch unwahrscheinlich, anhob, und diese Argumentation im Grunde auch im Rahmen der formgeschichtlichen Analyse explizit oder im Hintergrund ihre Bedeutung nicht einbüßte, ist es nicht verwunderlich, daß die neuen Verteidiger der Tradition sich auch wiederum historischer Argumentationen bedienen. Thornton etwa hat heftige Kritik an den Einschaltungstheorien geübt, besonders im Fall unserer vv. 9–11; auf die vermeintlich historische Kritik, daß es so nicht gewesen sein könne, antwortet er, die vv. 9–12 gäben durchaus einen realistischen Ablauf einer solchen Entscheidungsfindung wieder. In seiner Argumentation rekonstruiert Thornton einen seiner Einschätzung nach üblichen Mehrheitsbeschluß von Passagieren und Besatzung,271 wobei er unterschiedliche Interessenlagen von Kapitän, Schiffseigner, Zenturio und Paulus annimmt.272 Die Kritik an den Paulus-Szenen hat ihren Anfang darin genommen, sie für unglaublich und damit unhistorisch zu halten, und hat sie eben von daher ausgesondert; Thornton verteidigt nun wiederum deren Historizität: Es könne eben doch so gewesen sein! Das mag grundsätzlich berechtigt sein, ein Übermaß an Apologetik – ohne daß ich Thornton das in diesem Fall vorwerfen will – kann der Würdigung des lukanischen Werks m.E. aber auch schaden; zumindest kann sie den Blick auf die Erzählung selbst verstellen. Auf der anderen Seite stehen diejenigen Exegeten, die in dem zugrundeliegenden Text ein profanes Seefahrtsabenteuer erblicken, das ursprünglich mit Paulus gar nichts zu tun gehabt habe und vom Verfasser der Apostelgeschichte erst auf den zu verherrlichenden Apostel bezogen und entsprechend hergerichtet wurde, und zwar durch teils mehr, teils weniger geschickte Einfügung der umstrittenen
270 Jervell, Apostelgeschichte, S. 612f., knüpft, was die Authentizität der vv. 9–11 betrifft, lediglich an Thornton, Zeuge, S. 326–340, an. – In diesen Reigen ist auch Kurz, Reading Luke-Acts, S. 123, einzureihen: »As a matter of fact, true accounts can sometimes seem too implausible to be appropriate for fiction« – eine merkwürdige Umkehrung der kritischen Argumentation! 271 Diese Einschätzung geht auf Olaf Höckmann zurück: »Die Passagiere (d.h. meist Kaufleute, die durch regelmäßige Reisen mit der Seefahrt und der Geographie der Mittelmeerküsten nicht weniger vertraut waren als die Schiffsoffiziere) dürfen durch Mehrheitsbeschluß direkten Einfluß auf die Schiffsführung nehmen« (Höckmann, Antike Seefahrt, S. 87, vgl. seine allgemeinen Literaturverweise zum Thema in Anm. 31 [S. 181]); siehe auch Heininger, Paulus als Visionär, S. 292 mit Anm. 100. Vgl. ebenso die Behandlung der Szene in der Einzelanalyse, s.u. 272 Vgl. hierzu seine detaillierten Ausführungen zur Entscheidungsfindung vor der Abfahrt aus Καλοὶ λιµένες: Thornton, Zeuge, S. 326–340.
7.2 Literar- und formkritische Teilungshypothesen
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Paulus-Passagen, diese These hat v.a. Martin Dibelius vertreten.273 Er hält dann für historisch verwertbar v.a. die »Reisenachrichten im üblichen Stil« in 27,1–3274 und überhaupt die »Erinnerung an die stürmische Fahrt des Paulus nach Italien« als den historischen Kern der Seeabenteuer-Komposition.275 Will man Derartiges annehmen, so muß man freilich alle Paulus-Stellen als in die Vorlage bzw. das Modell eingefügt betrachten. Sehr schwierig wird diese Position, wenn man ernsthaft an die Übernahme einer fertigen Seefahrtsgeschichte (also einer konkreten Vorlage) denkt: Was hätte man nach der Heraustrennung der Pauluspassagen für eine Erzählung? Abgesehen von den oben benannten Schwierigkeiten bei der Eliminierung der einzelnen Paulus-Abschnitte, wäre die Erzählung m.E. zu dürftig, um so eine selbständige Existenz geführt zu haben.276 Anders verhält sich das natürlich, wenn man lediglich an die Übernahme eines Modells denkt, also nur an eine Komposition durch Lukas nach als relativ fest betrachteten literarischen Konventionen. Als wie verbindlich diese Konventionen einzuschätzen sind, sei einmal dahingestellt, aber die Beeinflussung des Lukas durch bestimmte geläufige Motive und literarische Topoi gilt mir persönlich als sicher.277 In diesem zuletzt genannten Sinne eines Modells hat Conzelmann ja auch die Position von Dibelius gegen Haenchens Kritik zu verteidigen gesucht.278 Dibelius selbst macht sich in diesem lezteren Sinne zum Teil auch klar verständlich;279 man kann ihn allerdings auch anders verstehen, nämlich im Sinne einer echten Vorlage.280 273 Dibelius, Stilkritisches, S. 14 mit Anm. 2; Dibelius, Apg als Geschichtsquelle, S. 95; Dibelius, Apg im Rahmen der Literaturgeschichte, S. 174, Anm. 2; Dibelius, Paulus, S. 180. Bei den neueren Auslegern findet sich diese Position auch bei Kliesch, Apostelgeschichte, S. 154. 274 Dibelius, Paulus, S. 180. 275 Dibelius, Stilkritisches, S. 14. 276 Anmerkungsweise will ich hier hinzufügen, daß die grundsätzliche methodische Schwierigkeit einer Ausscheidung der Pauluspassagen sehr schön von einem wieder einmal typischen Bonmot Bauernfeind s illustriert wird, der damit seinen Verdacht auf Konstruiertheit der Teilungshypothesen zum Ausdruck bringt, auch wenn er die einzelnen Argumente im wesentlichen nachvollzieht: ». . . – erst bringt man Paulus heraus und dann wundert man sich, daß er nicht mehr drin ist – . . . « (Bauernfeind, Apostelgeschichte, S. 271), im Fall der gemäßigten Teilungshypothesen müßte man sagen, daß er fast nicht mehr drin ist. 277 Dazu konnten ja in den vergleichenden Studien oben schon einige Punkte erhoben werden; die Einzelanalyse wird das nochmals an der lukanischen Seereiseerzählung selbst erweisen. 278 Conzelmann, Apostelgeschichte, S. 156f. 279 So bei Dibelius, Stilkritisches, S. 14. 280 Siehe etwa Dibelius, Apg als Geschichtsquelle, S. 95; Dibelius, Apg im Rahmen der Literaturgeschichte, S. 174; an der zuletzt genannten Stelle offenbart er auch die ganze Bandbreite seiner (vielleicht doch etwas vagen) Vorstellung »als Vorbild, Modell oder Quelle«. Überhaupt verweist er bei diesen Andeutungen immer wieder auf Norden, Agnostos Theos, S. 313f., der aber mit seinen Notizen nur Ansatzpunkte für die weitere Arbeit geben wollte, wie er auch ausdrücklich sagt, daß er ». . . zur Bearbeitung anregen« wolle (S. 314).
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7 Die Quellenfrage
Gerd Lüdemann und Jürgen Wehnert haben nun auf der Basis des ersten Verständnisses, nämlich im Sinne einer Vorlage, auf ihre Weise konsequent weiter gearbeitet und versteigen sich schließlich zu der radikalen These, daß die Schiffbruchserzählung Apg 27,6–44 eine »Lesefrucht« des Lukas sei und historisch gänzlich irrelevant, mithin habe Paulus wahrscheinlich gar keinen Schiffbruch erlitten,281 sondern vielmehr die »gesamte Seereise von Myra (27,5f.) bis Puteoli (28,13) auf ein und demselben Schiff zurückgelegt«.282 Haenchens Kritik allerdings läßt nicht einmal die zweite Lesart eines bloßen Modells oder Vorbilds gelten; er stellt auch in Abrede, daß es überhaupt einen festen literarischen »Typus von Seereise-Geschichten« gegeben habe, und betrachtet unseren Text als durchaus »individuelle Erzählung«.283 Das »beträchtliche literarische Eigengewicht dieser ausführlichen Sturm- und Schiffbruchschilderung« will auch Plümacher gegen die Dibeliusschen Einschätzungen ins Feld führen.284 Die literarische Individualität oder das Eigengewicht der Erzählung kann doch aber wohl kein Kriterium für Authentizität sein, beides kann m.E. genauso gut auf das Konto des Schriftstellers Lukas gehen, der eben seine Erzählung niedergelegt hat. Trotzdem neigt man eben seit Haenchen wieder mehr einer Art Erlebnisbericht zu – freilich nicht einem schriftlich fixierten und literarisch ausgestalteten, sondern einem knappen Erinnerungsbericht –,285 der dann vom Verfasser der Apostelgeschichte unter Übertreibung der Rolle des Paulus literarisch bearbeitet worden sei.286 Hier hält man dann natürlich nur die Passagen für eingefügt, die Paulus in besonderer Weise herausstreichen: vv. 9ff.21ff.31.33ff. Die verwickelte Lage, in die sich eine gegenwärtige Analyse von Apg 27 gestellt sieht, soll damit als hinlänglich umrissen gelten. Mir scheint, man sollte zum besseren Verständnis der Seereiseerzählung in Apg 27f. beide skizzierten Ansätze der kritischen Forschung miteinander verbinden: Einen solchen Vorschlag will ich hier unterbreiten. Dabei läßt sich sowohl die Vorstellung der Verarbeitung des Berichts eines Augenzeugen, die literarische Lüdemann, Das frühe Christentum, S. 270 Wehnert, Die Wir-Passagen, S. 111; Wehnert läßt die seines Erachtens unhistorische lukanische Komposition in seiner Monographie jedoch erst mit v. 9 beginnen (a.a.O., S. 194), in seinem Aufsatz gegen Warnecke meint er dann: »V. 7f scheint also die Nahtstelle zu sein, an der Lukas Reisebericht und Seeabenteuer miteinander verknüpft hat« (Wehnert, Gestrandet, S. 90, Anm. 40). 283 Haenchen, Acta 27, S. 250; vgl. auch Haenchen, Apostelgeschichte, S. 98.680. 284 Plümacher, Lukas als hellenistischer Schriftsteller., S. 14 (mit Anm. 41). 285 Haenchen schließt die Annahme eines Reisetagebuchs mit folgender gewitzten Bemerkung aus (Haenchen, Apostelgeschichte, S. 98): »die Papyrusrolle – oder sollte es ein Kodex gewesen sein? – hätte auch den Schiffbruch kaum überlebt«; vgl. auch Haenchen, Acta 27, S. 252. 286 Diese gemäßigte Mittelposition wird neben Haenchen z.B. vertreten von Roloff, Apostelgeschichte, S. 359, und Pesch, Apostelgeschichte II, S. 285f. Zur Frage eines möglichen konkreten Verfassers siehe oben, S. 313. 281 282
7.2 Literar- und formkritische Teilungshypothesen
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Individualität der lukanischen Erzählung und die Beeinflussung durch geläufige Topik aufnehmen. Ich knüpfe an den oben wahrscheinlich gemachten Rechenschaftsbericht für die Gemeinde von Caesarea an; dieser Bericht wird nur eine dürre Ansammlung von Informationen zum Inhalt gehabt haben, die Lukas aber als Gerüst seiner großen Seereiseerzählung gedient haben dürfte. Diese hat er dann m.E. relativ selbständig und frei gestaltet, dabei aber die Erzählperspektive aus der 1. Pers. Pl. aus dem Bericht übernommen.287 Der Darstellung hat er nun ganz und gar seinen Stempel aufgedrückt, blieb aber natürlich nicht vor der Beeinflussung durch verbreitete Seefahrtserzählungen bewahrt, vielmehr hat er Elemente der gebräuchlichen Motivik durchaus zur Dramatisierung genutzt. Dem ihm vorliegenden Rechenschaftsbericht sind m.E. nun in erster Linie die Orts- und Personennamen der vv. 1–9.12 sowie in Kap. 28,1.11–16 zuzuweisen; darüber hinaus können in dem Bericht noch einzelne Informationen über den Fahrtverlauf enthalten gewesen sein, die wir aber – was in der Natur der Sache liegt – vom Text kaum mehr abheben können. Relativ wahrscheinlich scheint mir indes zu sein, daß die Zahlenangabe 276 (Apg 27,37) dem Bericht entstammt (s.u. z.St.). Historisch verläßlich dürften von daher die wesentlichen Eckdaten der Erzählung sein: Die Fahrt von Caesarea bis Myra, der dortige Schiffswechsel, der Sturm südlich von Kreta, sowie die Strandung und der Schiffbruch vor Malta288 und die spätere Weiterfahrt mit dem Schiff Διόσκουροι (28,11).289 Gegen die hyperkritischen Überlegungen von Lüdemann und Wehnert (s.o.) halte ich den Schiffbruch des Paulus auf Malta für eine historische Tatsache.290 Mit dieser Hypothese erübrigen sich die Schwierigkeiten einer Aussonderung der Paulus-Passagen, gleichzeitig kann man für maßgebliche sachliche Inhalte der Erzählung weiterhin Historizität beanspruchen.
287 S. dazu oben. Diese Übernahme hat er aber nicht in jedem Punkt konsequent ins Werk gesetzt, worauf in der Einzelanalyse von Fall zu Fall hingewiesen werden wird; vgl. auch Wehnert, Gestrandet, S. 90 mit Anm. 39, der daraus aber aber recht exakte Schlüsse ziehen zu können meint. 288 Die Angabe des Paulus in 2. Kor 11,25 ist natürlich für diese Frage irrelevant, weil sie einen früheren Zeitraum betreffen muß; interessant ist nur, daß Lukas offenbar von diesen drei Schiffbrüchen (τρὶς ἐναυάγησα) keine Kenntnis erhalten hat oder sie – aus welchen Gründen auch immer – nicht berichten wollte. 289 Das deckt sich dann auch mit der Beobachtung von Dibelius, daß sich die »Reisenachrichten im üblichen Stil« nur in 27,1–3 finden (Dibelius, Paulus, S. 180); Kap. 28 hatte Dibelius an dieser Stelle natürlich nicht im Blick. 290 Zu den Fragen der Lokalisierung des Strandungsortes siehe den Abschnitt zur Fahrtroute unten.
8 Einzelanalyse zu Apg 27,1–28,6 Die hier folgende Einzelanalyse der Romreise des Paulus bis Malta (d.h. bis Apg 28,6) wird sich auf die Betrachtung der Organisation des Plots sowie die Herausarbeitung motivischer Bezüge zu den zuvor behandelten Seereise- und insbesondere Seesturmerzählungen beschränken.1 Historische Erwägungen (im weiteren Sinne) müssen hier zurücktreten;2 nichtsdestotrotz sind hier einige nautische Details mit zu erörtern, da etwa selbst bei rein fiktionalen Texten die Art und Weise der Bezugnahmen auf die reale Welt für die Analyse alles andere als unbedeutend sind3 – ein solcher rein fiktionaler Text dürfte hier aber nicht einmal vorliegen.
8.1 Von Caesarea nach Καλοὶ λιµένες (27,1–8) In Caesarea beginnt die Seereise des Paulus und einiger anderer, nicht weiter benannter Gefangener, die anscheinend wie er nach Rom überführt werden sollen; mit dem Beginn der Seereise setzt auch das durchaus merkwürdige, oben ja aber hinreichend erklärte Phänomen der »Wir«-Passagen wieder ein.4 Als mit der »Wir«-Gruppe mitreisend wird ein Makedone namens Aristarch aus Thessaloniki erwähnt.5 Die Gefangenengruppe, die ja als solche in der ganzen 1 Vgl. hierzu auch den Kommentar Pervo, Acts, S. 654–667.673–675, der den Text an einigen Stellen mit den wichtigsten vergleichbaren Passagen – insbesondere der Romane – ins Gespräch bringt. Darüber gehe ich hier hinaus (natürlich, mag man hinzufügen, im Vergleich zu einem kurz zu haltenden Kommentar), umgekehrt verweist Pervo aber auch auf einige wenige Texte, die ich hier nicht berücksichtigt habe. 2 Zu ganz besonders wichtigen (im weiteren Sinne) historischen Fragen gebe ich zumeist nur in den Anmerkungen mehr oder weniger kurze Hinweise bzw. verweise in bestimmten Fällen auf die Behandlung eines relevanten Textes oder den entsprechenden, unten folgenden Abschnitt. 3 Vgl. zur Bedeutung des Bezug auf die reale Welt bzw. auf Erfahrung (und im weiteren auch Vorstellung und Imagination) des Publikums die Ausführungen S.M. Praeders zu ihrem »narrative paradigma«: Praeder, Luke-Acts, S. 271–275. Vgl. auch meine Bemerkung unten, S. 444. 4 Vgl. zu diesem Phänomen das entsprechende Kapitel oben, S. 281ff. 5 Diesen (hier mit zwei Ortsangaben versehenen) Aristarch kennen wir schon aus Apg 19,29; 20,4: Er ist in Ephesos als ein Reisebegleiter (συνέκδηµος) des Paulus erwähnt, wird in jener Passage (19,29) aber nur als Makedone bezeichnet, und wird dann im Rahmen der Liste der sog. Kollektendelegation – zusammen mit dem ebenfalls aus Thessaloniki stammenden Secundus – unter den Reisebegleitern des Paulus nach Jerusalem aufgezählt (20,4).
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8 Einzelanalyse zu Apg 27,1–28,6
Erzählung nicht weiter in Erscheinung tritt – abgesehen von dem Spannungsmoment in v. 42 – wird einem Zenturio namens Julius überantwortet; dieser Zenturio dient anscheinend in einer in Caesarea stationierten cohors Augusta (σπείρη Σεβαστή).6 Man fährt zunächst mit einem Frachtschiff, das seinen Heimathafen in Ἀδραµύττειον7 hat, und erreicht am nächsten Tag Sidon.8 Im v. 3 erscheint nun das erste besonders wichtige leserlenkende Signal: Unser Julius ist nicht irgendein Zenturio, der in der Erzählung nur seinen Dienst erfüllt, wie es von ihm zu erwarten ist, sondern er erweist sich als φιλανθρώπως τῷ Παύλῳ χρησάµενος, als einer, der den Paulus freundlich behandelt, indem er ihn in Sidon »Freunde« besuchen läßt. Julius rückt damit unmittelbar ins Blickfeld der Leser, von ihm ist für die weitere Entwicklung der Erzählung etwas zu erwarten. Diesen wichtigen Punkt, daß der Zenturio Julius schon hier in v. 3 eine prominente und für den ganzen Plot der Erzählung relevante Stellung erhält, haben u.a. S.M. Praeder und R.C. Tannehill richtig erkannt.9 Wie sich diese Stellung entfalten wird, bleibt für den Leser zunächst unklar.10 Er wird in den vv. 11.31f.43f. wieder dem Zenurio begegnen, jeweils an Schlüsselszenen der Darstellung.11 Natürlich, und das hat Schille richtig gesehen,12 ist dieses Moment der milden Überführungsbedingungen auch ein Element in der erzählerischen Zeichnung des Paulus: Er ist auch hier etwas Besonderes. Die vv. 4–8 bieten die Weiterfahrt von Sidon mit demselben adramyttenischen Schiff nach Myra in Lykien, dort kann man ein alexandrinisches Schiff finden, das Italien zum Ziel hat (v. 6). Mit dem Alexandriner geht es dann 6 Dieser cohors aus Caesarea kann hier nicht weiter nachgegangen werden; jedenfalls handelt es sich bei unserem Julius nicht um einen Angehörigen eines kaiserlichen Kurierdienstes oder gar der Leibgarde, wie man zuweilen liest: vgl. etwa Ramsay, St. Paul, S. 314f. (dt. Ausg., S. 258). Zur detaillierten Kritik daran: Haenchen, Apostelgeschichte, S. 667 mit Anm. 5 (S. 667f.); stereotype Übernahmen dessen finden sich bei: Roloff, Apostelgeschichte, S. 360; Pesch, Apostelgeschichte II, S. 288. Vgl. zu der Kohorte und zu unserem Julius: Rapske, Paul in Roman Custody, S. 267– 270; Witherington, Acts, S. 758f. 7 Eine Hafenstadt in Mysien, ca. 50km nordnordwestlich von Pergamon. 8 Zum in der Antike durchaus üblichen Verfahren, sich auf Frachtschiffen einzubuchen, die mehr oder weniger zufällig in die gewünschte Richtung fahren, vgl. etwa Casson, Travel, S. 150–154. 9 Vgl. etwa Praeder, The Narrative Voyage, S. 106. Für korrekt halte ich im großen und ganzen die Sicht von Tannehill auf unseren Vers, wenn er auch zu einer gewissen Übertreibung in bezug auf das persönliche Verhältnis zwischen Julius und Paulus sowie in bezug auf die vv. 43f. neigt (s. dort): »The chief function of v. 3 is to establish a positive relationship between Julius and Paul. The visit in Sidon has no further function in the plot, but the relationship between Julius and Paul does. We will discover that the friendship and trust between Julius and Paul contribute to the rescue of the whole ship’s company« (Tannehill, The Narrative Unity II, S. 331). 10 So auch Praeder, The Narrative Voyage, S. 106. 11 Vgl. auch Pervo, Acts, S. 655, der von einer inclusio durch die Verbindung der vv. 3 und 43 spricht und zusätzlich eine Verbindung zur φιλανθρωπία der Barbaren in Apg 28,2 herstellt. Zur literarischen Rolle des Julius in bezug auf die Paulus-Figur vgl. auch Lang, Kunst, S. 397f. 12 Schille, Apostelgeschichte, S. 460.
8.1 Von Caesarea nach Καλοὶ λιµένες (27,1–8)
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zunächst weiter bis nach Καλοὶ λιµένες (v. 8).13 Das vor allem Bemerkenswerte an dieser Passage ist die Betonung der Mühsal auf der Fahrt und der zunehmend widrigen Verhältnisse. Schon auf der Fahrt von Sidon nach Myra hat man mit ἄνεµοι ἐναντίοι (v. 4) zu kämpfen; diese widrigen Winde werden als Grund dafür angeführt, daß Zypern anscheinend im Osten, umsegelt werden muß: ὑπεπλεύσαµεν τὴν Κύπρον (v. 4).14 Hier haben wir ein erstes, geradezu unscheinbares Signal vor uns, daß die Fahrt nicht weiter so glatt verlaufen wird wie der vorherige Reiseabschnitt, der ja einfach nur einer Notiz über die Ankunft in Sidon gewürdigt wird. Die Weiterfahrt von Myra auf dem alexandrinischen Frachter wird noch deutlicher als äußerst mühselig gekennzeichnet, und zwar mit insgesamt vier in dichter Folge gesetzten Bemerkungen: 1. man kommt eine ansehnliche Zahl von Tagen nur langsam voran (ἐν ἱκαναῖς δὲ ἡµέραις βραδυπλοοῦντες, v. 7); 2. man kommt nur mit Mühe auf die Höhe von Knidos (µόλις γενόµενοι κατὰ τὴν Κνίδον, v. 7); 3. der Wind läßt überhaupt kein weiteres Vorwärtskommen mehr zu, so daß das Schiff ausweichen und an Kap Salmone vorbei sich in 13 Eine Bezeichnung, die wir im Deutschen vielleicht mit »Guthafen« wiedergeben können. Tannehill, The Narrative Unity II, S. 331, führt zu dieser Ortsangabe aus: ». . . a place with the ironic name ›Good Harbors‹ (vv. 7–8), a place that was not a good harbor for spending the winter (v. 12).« Hier geht mir die literarische Interpretation doch etwas zu weit; in dem Namen eine »ironische« Bezeichnung zu sehen, halte ich nicht für angebracht, es handelt sich doch einfach um einen irgendwie auf den Verfasser gekommenen Ortsnamen, er kennzeichnet ihn ja auch noch mit einem καλούµενος. Nähere Ortsangaben (wie hier ᾧ ἐγγὺς πόλις ἦν Λασαία) sind auch sonst nicht ungewöhnlich, auch nicht in der Romanliteratur: vgl. etwa die Beschreibung der auf der Fahrt von Delphi nach Zakynthos passierten Gebirgszüge (u.ä.) bei Hld. V 1,2. Man sieht, daß auch die Romanhandlung kein Geschehen ohne Bezug zum realen geographischen Raum ist. 14 Hier ist allerdings hinzuzufügen, daß bei einer Fahrt wie hier von Süd nach Nord die Umsegelung von Zypern im Osten als die normale Route anzusehen ist. Vgl. hierzu Ramsay, St. Paul, S. 316f. (dt. Ausg., S. 259), der unseren Verfasser von daher gleich als »stranger to these seas« abstempeln will; damit, daß Lukas nämlich zuvor »had come to Sidon from Myra« (!) und dabei Zypern auf der Westseite passiert habe, will Ramsay erklären, daß die andre Fahrt Eindruck auf ihn gemacht habe, so daß er nun »a formal explanation« abgibt (Ramsay, St. Paul, S. 317). Abgesehen davon, daß Ramsay unseren Verfasser zu den tatsächlich mit Paulus gereisten Begleitern zählt, und auch abgesehen davon, daß die Reisegruppe nach Apg 21,1–3 gar nicht von »Myra nach Sidon«, sondern vom weiter westlich gelegenen Patara (Πάταρα, v. 1) nach Tyros (Τύρος, v. 3) fährt, ist es für unseren Zusammenhang nicht so entscheidend, welche die gewöhnliche Route ist, sondern, daß hier betont wird, man habe Zypern notgedrungen so umsegeln müssen. In der Tat nämlich ist die Fahrt von grob Südost nach Nordwest auf dem Mittelmeer für die antike Seefahrt immer eine problematische und langwierige Sache gewesen, und zwar wegen der hauptsächlich herrschenden West- bzw. Nordwestwinde (vgl. etwa Casson, Travel, S. 151f.; Gould, Archaeology, S. 145; Lake/Cadbury, S. 327); diesem Umstand ist also auch der – bei diesen gewöhnlichen Windverhältnissen – gewöhnliche Umweg im Lee von Zypern geschuldet. Den Hinweis auf die ἄνεµοι ἐναντίοι nehme ich hier also trotzdem v.a. als literarisches Zeichen ernst.
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8 Einzelanalyse zu Apg 27,1–28,6
den Windschatten im Süden Kretas begeben muß (µὴ προσεῶντος15 ἡµᾶς τοῦ ἀνέµου ὑπεπλεύσαµεν τὴν Κρήτην κατὰ Σαλµώνην, v. 7); und 4. selbst die Umsegelung von Kap Salmone gelingt nur mit Mühe (µόλις τε παραλεγόµενοι16 αὐτήν, v. 8). Bei der unter Punkt 3 erwähnten Kursänderung Richtung Süden, also dann südlich von Kreta, stellt sich uns (wie oben im Fall von Zypern) das Problem der gewöhnlichen Route. Unser Text legt jedenfalls nahe, daß man – wenn der Wind es denn zugelassen hätte –, Kreta im Norden passieren wollte, was ja auch der direkte Kurs nach Sizilien gewesen wäre, aber es ging eben nicht! Wir haben hier die gleiche Lage vor uns wie im Fall von Zypern: Die auf dem Mittelmeer gewöhnlich wehenden Winde zwangen etwa die von Ägypten nach Italien fahrenden Schiffe zumeist zu einem Umweg. Denn rein rahgetakelte Schiffe, wie unser Alexandriner, konnten ja nur begrenzt kreuzen.17 Dieser Umweg führte wohl über die Südküste Kleinasiens, Kreta und Sizilien18 – genau deshalb konnte ja unsere Reisegruppe in Myra an Bord des alexandrinischen Frachters gehen (v. 6). Balmer gibt zwar als »gewöhnliche Fahrtrichtung« der Alexandria-ItalienSegler einen Kurs südlich von Kreta an, geht dabei aber allem Anschein nach davon aus, daß man Italien von Ägypten aus direkt ansteuert, denn er spricht von einem andauernden »Südwest«;19 ein solcher Wind wird aber nur in den wenigsten Fällen vorgeherrscht haben, weil ja im östlichen Mittelmeerraum vorwiegend West- und Nordwestwinde wetterbestimmend sind (s.o.). Möglicherweise wollte aber vielleicht die Isis des Lukian ursprünglich so fahren, nachdem sie Kap Akamas schon in Sicht bekommen hatte, dann aber nach Sidon verschlagen wurde (Luc. Nav. 7).20 Balmer hat nun allerdings vollkommen recht, wenn er in der Lage, in der sich unser Paulus-Schiff befindet, den Kurs nördlich von Kreta als den »direkten« anspricht, von dem der Segler »abfallen« mußte. Auch betont er zurecht, daß man in dieses Ausweichmanöver »gedrängt« wurde21 – zumindest will es unser Verfasser so darstellen. Dafür, daß man aus 15 Zu dem für klassisches Empfinden merkwürdigen µή bei einem kausal gemeinten Partizip vgl. BDR § 426 (S. 355); § 430, insbes. 2 mit Anm. 4 (S. 358f.): In der späteren Sprache verdrängt µή anscheinend οὐ beim Partizip fast völlig, Lukas hat jedoch zuweilen klassischen Gebrauch, nicht aber hier. 16 παραλέγεσθαι in der Bedeutung »an . . . vorbeifahren« findet sich beispielsweise auch bei Diodor: D.S. XIII 3,3; XIV 55,2. 17 Mit wahrscheinlich etwas Übertreibung Balmer, Romfahrt, S. 305. Zum tatsächlichen Sachverhalt siehe Medas, De rebus nauticis, S. 191–199, sowie die Ausführungen oben, S.260ff., zum Schiff des Synesios. 18 Vgl. Casson, Travel, S. 152; Gould, Archaeology, S. 145; Lake/Cadbury, S. 327. 19 Balmer, Romfahrt, S. 308. 20 Siehe dazu in der Behandlung von Lukians Navigium S. 135ff. 21 Balmer, Romfahrt, S. 308.
8.1 Von Caesarea nach Καλοὶ λιµένες (27,1–8)
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Richtung Lykien kommend normalerweise Kreta südlich umfahren habe, wird gern Luc. Nav. 9 als Beleg angeführt.22 Bei Luc. Nav. 9 stellt sich allerdings die Frage, wie die Isis, anstatt letztendlich nach Athen zum Piräeus zu gelangen, eingentlich hätte fahren wollen. Denn die Isis wird ja am siebten Tag ihrer Fahrt vom Wind Richtung Sidon verschlagen, als man schon das zyprische Vorgebirge Akamas in Sicht hatte (Luc. Nav. 7); von Lykien aus (Nav. 9) habe man dann aber die Ägäis durchschifft – von weiteren Hinderungen, nun wirklich Kreta rechter Hand zu lassen, steht aber nichts da. Daß es sich bei Luc. Nav. 9 wirklich um einen Beleg handelt, der aus Richtung Lykien die Südroute als üblich erweist, wage ich tatsächlich zu bezweifeln, denn die Isis ist, ohne daß an diesem Punkt von irgendwelchen Zwangslagen die Rede ist, in die Ägäis gesegelt, was dem Schiff des Paulus eben nicht gelingen wollte.23 Damit ist natürlich in keiner Weise in Abrede gestellt, daß aufgrund der statistisch normalen Wetterlagen in diesem Seegebiet die Route südlich von Kreta die normale gewesen sein wird;24 man muß sich m.E. aber vor der Verwechselung der gewöhnlichen (also auch zum Teil durch widrige Winde erzwungenen) Route und der gewünschten Route, die der direkten möglichst nahe zu kommen sucht, hüten. Diese so betonten Schwierigkeiten der Fahrt sind die (zumindest erzählerischen) Vorboten des Schlimmeren, was noch kommen soll, sie sind keine reinen Informationen.25 Solche Vorzeichen des Schlimmen verwendet man gern im Roman, ob in der Form konkreter Unwetterzeichen, wie im Herpyllis-Fragment (II 2–11), oder als Windstille bzw. in Gestalt eines Traums, wie bei Xenophon (X.Eph. I 12,3f.), oder eben sogar als »Sturm vor dem Sturm«, wie bei He-
So etwa bei Ramsay, St. Paul, S. 320f. [dt. Ausg., S. 262]; Conzelmann, Apostelgeschichte, S. 151; Schille, Apostelgeschichte, S. 461; vgl. auch die sehr kundige, aber m.E. in bestimmten Punkten schiefe Analyse bei Casson, The Isis, S. 46–49. 23 Siehe dazu wieder meine Ausführungen oben, S. 135ff. Zur Verdeutlichung setze ich noch einmal den relevanten Passus mit Übersetzung hierher (Luc. Nav. 9): τοὐντεῦθεν δὲ ἅπαξ τῆς ὀρθῆς 22
ἐκπεσόντας διὰ τοῦ Αἰγαίου πλεύσαντας ἑβδοµηκοστῇ ἀπ’ Αἰγύπτου ἡµέρᾳ πρὸς ἀντίους τοὺς ἐτησίας πλαγιάζοντας ἐς Πειραιᾶ χθὲς καθορµίσασθαι τοσοῦτον ἀποσυρέντας ἐς τὸ κάτω, οὓς ἔδει τὴν Κρήτην δεξιὰν λαβόντας ὑπὲρ τὴν Μαλέαν πλεύσαντας ἤδη εἶναι ἐν ᾽Ιταλίᾳ (Überset-
zung: Von dort seien sie, nachdem sie nun einmal vom rechten Kurs abgekommen waren, durch die Ägäis gesegelt und am siebzigsten Tag nach der Abfahrt von Ägypten, indem sie gegen die widrigen Etesien aufgekreuzt wären, gestern in den Piräeus eingelaufen, und das mit so viel zeitlichem Verzug, die sie schon hätten in Italien sein sollen, nachdem sie Kreta zur Rechten hätten liegen lassen und jenseits von Kap Malea gefahren wären). 24 Dazu paßt auch der ägyptische Getreidefrachter im Süden von Kreta namens Isopharia: Die entsprechende Inschrift (CIL III 1, Nr. 3 [S. 5] = ILS II 1, Nr. 4395 [S. 181]) ist unten zitiert (S. 429, Anm. 29). 25 Vgl. Praeder, The Narrative Voyage, S. 109: »The winds in 27.1–8 may be mere meteorological data. But they may be read as the wheather and narrative signs of a storm.«
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8 Einzelanalyse zu Apg 27,1–28,6
liodor.26 Die beiden kleinen Szenen in Lukians Wahren Geschichten, in denen man aufgrund widriger Winde, weder auf der Sonne aussteigen noch in Wolkenkuckucksheim einlaufen kann (Luc. VH I 28f.), sind weniger in diesem Sinne zu interpretieren, es sind nur lose aneinandergereihte Szenen zum Abschluß der Wolkenfahrt; anders dagegen wieder die Rückkehr auf die Meeresoberfläche mit der Meeresstille, die unmittelbar vor der Verschlingung durch den Wal erfolgt (VH I 30), sie wird zunächst als glücklicher Umstand, dann aber auch ausdrücklich als Vorbote schlimmeren Leidens gedeutet.27 Auch in anderen Schilderungen von Seenot und Sturmfahrten, die sich der verbreiteten Motivik bedienen, finden sich oft solche Vorzeichen für das bevorstehende Unheil oder grundsätzliche üble Voraussetzungen der Fahrt.28 Formal betrachtet haben wir freilich eine Art Itinerar als Vorspann zur eigentlichen Sturm- und Strandungserzählung in diesem Einleitungsabschnitt vor uns; S.M. Praeder vergleicht diesen von ihr so genannten »travelogue« mit anderen aus der antiken Literatur.29 Es ist nun aber nicht so, wie Haenchen behauptet,30 daß man in dieser Beschreibung des Reiseabschnitts vor dem eigentlichen Höhepunkt einen trennenden Unterschied zur Romanliteratur sehen müßte. In unseren oben betrachteten Liebesromanen finden sich durchaus auch solche Züge; etwa bei Xenophon, wo beschrieben wird, daß man Kos und Knidos passiert, bevor man Rhodos erreicht (X.Eph. I 11,6), um dort auszuruhen und Proviant aufzunehmen (I 11,6; 12,3). Oder man beachte Heliodor, der im 5. Buch seiner Aithiopika jeden Zug der Reise von Delphi nach Ägypten durch Kalasiris berichten läßt (Hld. V 1,1–3; 17,1–18,2; 22,6–27,8).31 Die gleichsam itinerarartige Vorgeschichte trennt also unsere Erzählung nicht von vergleichbaren Stücken in den Romanen.
26 In Hld. V 22,7 wird eine solche Sturmfahrt erzählt, die – wenn auch nur mit Mühen – überstanden wird; diese Sturmfahrt ist gleichsam Vorbote dessen, was den Helden noch durch einen Piratenüberfall und die wiederum durch sie verursachte Seenot zuteil werden soll. 27 ῎Εοικε δὲ ἀρχὴ κακῶν µειζόνων γίνεσθαι πολλάκις ἡ πρὸς τὸ βέλτιον µεταβολή. 28 Vgl. etwa die bemerkenswerte Zusammenstellung von eigentlichen Vorzeichen und den Reisenden schon skeptisch stimmenden Grundvoraussetzungen der Fahrt (hier etwa die Zusammensetung der Mannschaft) bei Synesios von Kyrene in seinem Bericht über seine Rückreise von Alexandria nach Kyrene an seinen Bruder Euoptios: Synes. ep. 4,159c–160c. 29 Praeder, Acts, S. 685–689. Sie beschränkt sich dabei aber v.a. auf die Periplus-Literatur und die Epik; auf durchaus vergleichbare Stationenverzeichnisse in den Romanen oder anderen Stücken weist sie nicht hin. 30 Haenchen, Acta 27, S. 240. 31 Besonders interessant ist in diesem Rahmen die oben schon erwähnte Passage mit dem »VorSturm«: hier kommt es zu Schäden am Schiff, man landet dann an einem nicht näher benannten kretischen (!) Vorgebirge glücklich an (προσωκείλαµεν, Hld. V 22,7) und entschließt sich zu einem Aufenthalt zwecks Reparatur und Erholung (ebd.).
8.2 Streit um die Abfahrt (27,9–12)
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8.2 Streit um die Abfahrt (27,9–12) Ist die vorherige Partie ein konsequent erzähltes »Wir«-Stück gewesen, so wird nun der Blick ganz auf Paulus konzentriert und auf den Streit um die Weiterfahrt von Καλοὶ λιµένες aus.32 Aufgrund der durch oben geschilderte Widrigkeiten verzögerten Fahrt kommt man nun in die für die Seefahrt (ὁ πλόος/πλοῦς33 ) grundsätzlich ungünstige Zeit hinein, so zumindestlegt es unsere Erzählung nahe. Man könnte aber auch annehmen, daß die Führung des alexandrinischen Schiffs angesichts der doch relativ späten Abfahrt es durchaus billigend in Kauf genommen haben könnte, – vielleicht im Sinne von pushing the limits (s.u.) – den letzten Teil der Fahrt erst in der eigentlich ungünstigen Seefahrtszeit zu bestreiten.34 Der entscheidende Begriff für die jahreszeitlich beschränkte Seefahrt, der hier relevant ist, heißt mare clausum. Dabei ist von zwei Konzepten dieses mare clausum auszugehen, einem engeren und einem weiteren; so wird einmal die für Seereisen mehr oder weniger sichere Periode angegeben (ca. 27. Mai bis 14. September), und andererseits die extrem gefährliche Zeit (ca. 11. November bis 9. März), in der das Meer gewohnheitsmäßig geschlossen war.35 Die Zwischenphasen, die beide Konzepte voneinander unterscheiden, sind dann wohl als zumindest sehr risikoreich für die Schiffahrt einzustufen.36 Es ist aber nicht so, daß das Meer gleichsam per Gesetz geschlossen und Seereisen so in den entsprechenden Zeiten (je nach Konzept) verboten waren, ja nicht einmal wurde das mare clausum konsequent als gewohnheitsmäßige Regel angesehen:37 Reisen und vor allem Transport zur See waren auch in diesen Zeiten möglich und für diejenigen Händler, die bereit waren, für höhere Gewinne ein höheres Risiko
32 Es ist zwar rein prinzipiell durchaus möglich, dieses Ereignis so auch aus Perspektive der 1. Pers. zu schildern – das betont etwa Kurz, Reading Luke-Acts, S. 115 –, aber wundern muß sich der Leser doch, daß der Ich-Erzähler sich mit keinem einzigen Wort in irgendeine Beziehung zu dem Geschehen setzt! 33 In v. 9 findet sich der Gen. τοῦ πλοός, der eigentliche Gen. müßte aber freilich τοῦ πλόου/πλοῦ lauten, allerdings findet sich in späterer Zeit vermehrt der Einschlag der konsonantischen Deklination: τοῦ πλοός, τῷ πλοΐ, οἱ πλόες, z.B. auch bei X.Eph. I 14,7; V 12,3 (ebenfalls der Gen.). 34 Vgl. zur späten Seefahrt im Blick auf unseren Text Wallinga, Paulus’ zeereis, S. 277f. 35 Vgl. grundsätzlich zur im großen und ganzen jahreszeitlich gebundenen Seefahrt und den relevanten Terminen: Casson, Ships, S. 270–273; Casson, Travel, S. 150. 36 Vgl. hierzu v.a. Rapske, Acts, S. 22f., Stellenangaben und weitere Literatur bietet er S. 22, Anm. 91. Das wurde auch schon in der Kommentarliteratur berücksichtigt, vgl. beispielsweise Fitzmyer, The Acts, S. 775. 37 Vgl. zu Reisen, Transporten und militärischer Seefahrt im Winter etwa de Saint-Denis, Mare clausum.
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einzugehen, auch durchaus vernünftig.38 In dieses Bild eines keineswegs ganz und gar geschlossenen Meeres fügen sich dann etwa die Bemühungen des Kaisers Claudius, winterliche Getreidetransporte zu organisieren, viel eher ein, eben als Anreiz bzw. Risikominderung für die Händler.39 Es heißt an einer Stelle der Claudius-Vita des Sueton (Suet. Cl. 18,2): . . . nihil non excogitavit ad invehendos etiam tempore hiberno commeatus. Nam et negotiatoribus certa lucra proposuit suscepto in se damno, si cui quid per tempestates accidisset, . . . . . . da gab es nichts, was er nicht dazu ersann, daß sogar zur Winterszeit Getreide eingeführt würde. Denn den Händlern gerantierte er sichere Gewinne, indem er durch Stürme eigetretene Schäden übernahm, . . .
An unserer Stelle in v. 9 ist bemerkenswert, daß eine jüdische Zeitangabe den Beginn der für die Seefahrt gefährlichen Zeit kennzeichnet: διὰ τὸ καὶ τὴν νηστείαν ἤδη παρεληλυθέναι; damit ist wohl das große Fasten am Versöhnungstag gemeint (יוֹ כִּפּוּר: 10. Tišr¯e).40 Aus dieser Zeitangabe zu folgern, die lukanische Gemeinde habe den Versöhnungstag gefeiert, halte ich für weit überzogen;41 daß Lukas und seine Gemeinde Kenntnis von יוֹ כִּפּוּרhatten, kann davon unberührt bleiben (vielleicht geht die Erwähnung dieses Festes aber auch bloß auf das Konto des Berichterstatters aus Caesarea). Literarisch ist die Thematisierung der Seefahrt zu ungünstiger Jahreszeit höchst interessant. Dieses Motiv findet sich recht häufig, auch und gerade in den Seefahrtsschilderungen der Romane;42 das Meer zu befahren, ist ohnehin gefährlich, jedoch ist die noch gefährlichere Seefahrt zu ungünstiger Zeit ein umso beliebterer Gegenstand der Erzählung. Der Streit um die Abfahrt, der hier in den vv. 9–12 vor uns liegt, ist insgesamt ein wiederkehrendes Motiv solcher Erzählungen, insbesondere, wenn es um eine Abfahrt zu ungünstiger Jahreszeit oder unter ungünstigen Vorzeichen geht: 38 Siehe den kurzen Überblick bei Sirks, Food, S. 42f.; vgl. zu einem rechten Verständnis des mare clausum auch Rapske, Acts, S. 22f.25–27, und hier zu einem sog. pushing the limits, dem risikoreichen (aber bei Erfolg gewinnträchtigen) Transport zu ungünstiger Zeit die S. 27–29; s. weiterhin die Informationen und Überlegungen bei Wallinga, Paulus’ zeereis, S. 272–274. 39 Siehe dazu Suet. Cl. 18f. – ein Text übrigens, auf den in unserem Zusammenhang immer wieder verwiesen wird: z.B. Fitzmyer, The Acts, S. 770. Vgl. zur Beurteilung dieser Maßnahmen des Claudius mit Blick auf die römische Getreideversorgung Sirks, Food, S. 40–42. 40 Bei Bill. II, S. 771 finden sich folgende Angaben: »νηστεία = בָּא6› צוֹמָא רdas große Fasten‹ = Versöhnungstag.« Und zur Seefahrt: »Das Hüttenfest, das fünf Tage nach dem großen Fasten des Versöhnungstages gefeiert wurde, galt als Beginn der für die Seereisen ungeeigneten Jahreszeit.« Vgl. darüber hinaus die etwas spitzfindigen Überlegungen zum καί bei Lake/Cadbury, S. 328, sowie die Diskussion bei Rapske, Acts, S. 23–25. 41 Vgl. dazu Stökl Ben Ezra, Impact, S. 214f.; Stökl Ben Ezra, Festivals of Autumn, S. 61–63. 42 Vgl. etwa Charito III 5,1; Hld. V 18,2; 21,3; aber auch Philostr. VA IV 13 (69).
8.2 Streit um die Abfahrt (27,9–12)
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Zum Vergleich bietet sich v.a. die Stelle aus dem Herpyllis-Bruchstück an, wo der Held ja – hier angesichts des Wetters und der Einladung durch die Küstenbewohner – auch gegen eine Abfahrt votiert (Herpyllis II 7–11). Der Held im Herpyllis-Roman wohnt diesem Streit aber eher passiv bei und gibt seine Meinung nur als Ich-Erzähler kund (II 7), der eigentliche Streit bestand aber zwischen den Steuerleuten/Kapitänen zweier verschiedener Schiffe. Unser Paulus aber greift mit seiner Warnung aktiv in den Streit ein: Dieser Zug unterscheidet Paulus nun in der Tat von den typischen Romanhelden, die ja ihr Schicksal fast durchweg leidend durchstehen müssen.43 Das gilt auch unter Berücksichtigung der Passage bei Charito III 5,1, wo es der Held Chaireas selbst ist, der mit allem Eifer für die Abfahrt streitet – doch er tut es, um seine Geliebte möglichst schnell wiederzufinden.44 An keiner der drei Stellen können sich aber die Warner, also weder Paulus, noch der κυβερνήτης des größeren Schiffes, noch die ἄλλοι bei Chariton durchsetzen: Man sticht trotz ungünstiger Vorgaben in See. Die von Paulus vorgetragene Warnung in v. 10 ist in ihrer Leserwirkung nicht zu unterschätzen. Wahrscheinlich ist auch diese Warnung als ein Element anzusehen, das das kommende Unheil vorbereitet, wie es auch anderswo durch einen Streit um die Abfahrt geschieht (s.o.). Der Leser kann von daher und aus dem schon bislang in der Apostelgeschichte attraktiv gemachten Identifikationsangebot mit Paulus, vermuten, daß es so kommen wird, wie dieser hier ankündigt. Andererseits wird in ihm schon die Hoffnung geweckt, daß es vielleicht doch nicht ganz so schlimm ausgehen werde.45 Zudem weist v. 10 einige bemrkenswerte Besonderheiten auf; neben grammatischen Eigentümlichkeiten46 sind insbesondere zwei Umstände vor Augen zu 43 Diesen Unterschied beachtet Pervo nicht ausreichend, wenn er als Motiv angibt: »passengers who know more than the captain« (Pervo, Profit, S. 52), und dafür das Herpyllis-Bruchstück als Parallele anbietet (a.a.O., S. 156, Anm. 189); s. auch Pervo, Acts, S. 657f. 44 Chaireas erweist sich aber ohnehin als Mann von Initiative: Man beachte nur sein Engagement im ägyptischen Aufstand, wie es im 7. Buch geschildert wird. Daran zeigt sich wiederum, daß der Roman des Chariton im Gegensatz zu den anderen Liebesromanen in bestimmter Hinsicht zum historischen Roman tendiert; so hat er auch einen Helden, der sich in mancherlei Hinsicht wirklich als solcher bewährt, nicht nur als treuer Liebender, sondern auch als mannhafter Edelmann. Vgl. auch Plu. Dio 25,4f., wo der Protagonist gegen die Warnung seines Skippers die Weiterfahrt befiehlt. 45 Vgl. hierzu die intelligente Bemerkung bei Köhler, Allen bin ich alles geworden, S. 196: »Dass sich die Dinge in eben dieser Form entwickeln werden, dämmert dem lukanisch geschulten Leser hier bereits. Die Hoffnung auf ein weniger dramatisches Ende der Seefahrt und das Wissen um einen anderen ›Untergang‹ des Paulus halten die Spannung der Leser jedoch weiter hoch.« 46 Vgl. zu der merkwürdigen Konstruktion ὅτι mit Inf. BDR § 397,5 mit Anm. 13 (S. 327–329) sowie Lake/Cadbury, S. 329; Delebecque, Les actes, S. 130; Barrett, Acts II, S. 1189. Auffällig ist hier darüber hinaus die klassisch recht geläufige Verbindung von µέλλειν und Inf. Fut. (für »ich bin im Begriff . . . , es steht zu erwarten . . . «), µέλλειν mit Inf. Präs. (und Aorist) dient nämlich in der Koine mehr und mehr der Umschreibung des Futurs überhaupt und insbesondere als Ersatz für den verlorengehenden Inf. Fut., so daß hier gleichsam ein doppeltes Futur in verstärkendem Sinn steht:
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8 Einzelanalyse zu Apg 27,1–28,6
führen: 1. Paulus sagt für den Fall der Weiterreise ὕβρις (Unheil) und πολλὴ ζηµία (großen Schaden/Verlust) voraus; genau mit diesen beiden Stichworten wird in der Einleitung zu seinem Nachtgesicht (v. 21) auf die hier vorliegende Unheilsankündigung zurückverwiesen werden: ἔδει µέν, ὦ ἄνδρες, πειθαρχήσαντάς µοι µὴ ἀνάγεσθαι ἀπὸ τῆς Κρήτης κερδῆσαί τε τὴν ὕβριν ταύτην καὶ τὴν ζηµίαν.47 Dies geschieht, nachdem das angekündigte Unheil schon zu
einem guten Teil eingetreten ist, abgesehen vom Schlimmsten, dem Verlust des Lebens (αἱ ψυχαὶ ἡµῶν, v. 10). Diesen schlimmstmöglichen Schaden schließt er aufgrund des späteren Nachtgesichts aus und sagt dort nur noch den Verlust des Schiffes voraus.48 Beide Szenen, die Warnung mit der verheerenden Unheilsankündigung und die Heilsverheißung zumindest für das Leben an sich, sind so aufs engste miteinander verknüpft, einerseits durch die geradezu überdeutliche Stichwortanknüpfung,49 andererseits durch den Kontrast des Vorhergesagten – aber, so mag man hinzufügen, unter Beibehaltung der Ansage, daß das Schiff verlorengehen wird.50 2. Der hier in v. 10 vorliegende Gebrauch von θεωρεῖν ist nicht ganz gewöhnlich; mit dem gewöhnlichen »beobachten, betrachten, sehen« wird man der Stelle nicht gerecht, da es sich hier ja um zukünftiges Geschehen handelt. Zwar kann θεωρεῖν auch »erkennen« bedeuten,51 aber der hier vorliegende Zusammenhang ist doch nicht ganz vergleichbar. Man wird am besten anerkennen, daß hier möglicherweise ein visionssprachlicher Gebrauch vorliegt, den Lukas auch an anderen Stellen zuweilen in Dienst nimmt (vgl. etwa Lk 10,18; Apg 7,56; 10,11).52 Damit wäre – so könnte man meinen – zwar die steigernde Funktion der teils bestätigenden, teils korrigierenden Vision in 27,22–24 fast vollständig zunichte gemacht, wenn schon der Warnung des Paulus in 27,10 eine Vision zugrundeliegen sollte. Doch hat diese Deutung auch µέλλειν ἔσεσθαι, es findet sich auch Apg 11,28; 24,15; siehe dazu BDR § 356,3 mit Anm. 4 (S. 288) [vgl. § 338,3 mit Anm. 3 (S. 277); § 350 (S. 284)] sowie Barrett, Acts II, S. 1189. 47 Siehe zum genauen Verständnis der Stelle unten. 48 ἀποβολὴ γὰρ ψυχῆς οὐδεµία ἔσται ἐξ ὑµῶν πλὴν τοῦ πλοίου, v. 22. 49 ὕβρεως καὶ πολλῆς ζηµίας, v. 10 → τὴν ὕβριν ταύτην καὶ τὴν ζηµίαν, v. 21. 50 Quasi überbietend wird die Zusage von v. 22 in Verbindung mit v. 34 aufgenommen bei A.Jo. (Prochoros, Zahn, S. 51, Z. 3–5), es heißt dort: ἀποβολὴ γὰρ τοῦ πλοίου οὐδεµία γενήσεται, ἀλλ’ οὐδὲ θρὶξ ἀπὸ τῆς κεφαλῆς ὑµῶν ἀπολεῖται. Dort wird also gerade auch die Bewahrung des Schiffes angekündigt! 51 Vgl. etwa D.S. XIII 88,8 (s. LSJ, s.v. θεωρέω III 2.c, S. 796); nachdem die Strategen die Nahrungsmittelvorräte in der Stadt überprüft und festgestellt hatten, daß sie gering waren, heißt es dort: . . . ἐθεώρουν ἀναγκαῖον ὑπάρχειν ἐκλιπεῖν τὴν πόλιν, was man im Deutschen wiedergeben kann mit: . . . da erkannten sie, daß es notwendig war, die Stadt zu verlassen. 52 Vgl. Heininger, Paulus als Visionär, S. 290f. mit Anm. 92; siehe zum Fall von Lk 10,18 aber: Becker, Auferstehung Jesu Christi, S. 228 mit Anm. 4, der von einer bei einigen anerkannten visionssprachlichen Deutung Abstand nehmen will: Dort kann man tatsächlich auch erwägen, ob es sich nicht um eine prophetische Deutung handelt, so daß man an ein geistiges Sehen, also urteilen, denken könnte.
8.2 Streit um die Abfahrt (27,9–12)
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Vorteile: Sollte sie zutreffen, so wäre die Unheilsankündigung hier noch stärker mit der genannten Szene des Nachtgesichtes (vv. 21–26) verbunden, eben nicht nur inhaltlich, sondern auch formal: Die Unheilsankündigung von v. 10 beruhte dann ja eben auch auf einer Vision. Dementsprechend könnte man folgern, daß Paulus hier als Unheilsprophet auftritt, dessen Warnungen nicht gehört werden, und der sich dort aufgrund einer weiteren Vision zum Heilspropheten wandelt,53 in einer Situation, da das verheißene Unheil gerade dadurch eingetreten war, daß man auf den Unheilspropheten nicht gehört hatte: Darauf macht er in v. 21 ja auch ausdrücklich aufmerksam. In jedem Fall, also selbst wenn es sich hier nur um ein zwanglos als urteilen verstandenes θεωρεῖν handeln sollte, tritt Paulus hier als vorauswissender Warner auf und wird so besonders deutlich herausgehoben.54 In v. 11 schlägt sich der Zenturio auf die Seite der Schiffsführung, was anscheinend aus der Perspektive des Lukas für die Entscheidung eine größere Bedeutung hat: Der Text liest sich so, als sei es am Zenturio, zwischen den verschiedenen Vorschlägen und Lagebeurteilungen durch Paulus und die Schiffsführung zu entscheiden.55 Daß allerdings die Passagiere in schwierigen Entscheidungen Einflußmöglichkeit und Mitspracherecht haben, ist nicht zu leugnen; insofern muß man die lukanische Darstellung von daher nicht als gänzlich unrealistisch ansehen.56 Trotzdem wirft die Szene natürlich das entscheidende Licht auf Paulus, und dieses Darstellungsinteresse wiegt schwerer als das Bestreben, die Entscheidungsfindung realistisch zu zeichnen – der gefangene Paulus wird in weit herausgehobener Position gezeichnet, ganz anders als man von einem Gefangenen erwarten sollte.57 Zur Verwirrung der Ausleger haben hier auch die Begriffe κυβερνήτης und ναύκληρος beigetragen: Ist hier das Paar Steuermann und Kapitän oder um das Paar Kapitän und Schiffseigner bzw. -pächter geVgl. Lüdemann, Das frühe Christentum, S. 266f., der den »Propheten des Unglücks« (vv. 9f.) mit dem »Propheten der schließlichen Rettung« (vv. 21–26) kontrastiert; siehe auch Heininger, Paulus als Visionär, S. 291. 54 Vgl. zu dieser Deutung: Heininger, Paulusbild, S. 418f.; als näherungsweise Parallelen bieten sich an: Philostr. VA V 18 (92); VII 41 (149), dort aber wird die Fähigkeit der προγνώσις, die Apollonios zu eigen sei, – wie überhaupt im ganzen Werk des Philostrat – aber in anderer, viel deutlicherer Weise betont. 55 Auf die irrige Sichtweise Ramsays, daß der Zenturio beim Rat präsidiere, kann hier nicht eingegangen werden: Ramsay, St. Paul, S. 323f. (dt. Ausg., S. 264); vgl. zur Kritik etwa Haenchen, Apostelgeschichte, S. 667 mit Anm. 5 (S. 667f.), und S. 670; Jervell, Apostelgeschichte, S. 605; Pervo, Acts, S. 657. 56 Vgl. hierzu den ausführlichen Versuch einer »historischen« Rekonstruktion der Entscheidungsfindung bei Thornton, Zeuge, S. 326–340, bes. S. 334–337; s. auch die Bemerkung bei Heininger, Paulus als Visionär, S. 292, Anm. 100. 57 Vgl. hierzu Pervo, Acts, S. 657 mit Anm. 129, der sich den Erklärungsversuchen im Sinne einer realistischen Szene gegenüber skeptisch zeigt. 53
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8 Einzelanalyse zu Apg 27,1–28,6
meint?58 Hier handelt es sich sicher um den eigentlichen Kapitän und sozusagen seemännischen Leiter der Fahrt (κυβερνήτης) und den Agenten des Schiffspächters bzw. -eigners, der für die Abwicklung der Geschäfte Verantwortung trägt. Literarisch ist aber auch zu beachten, daß hier die Rolle des Julius sowie die Beziehung Julius-Paulus unter Anknüpfung an v. 3 aufs Spiel gesetzt wird:59 Julius vertraut Paulus nicht, das ist eine ernstzunehmende Aussage von v. 11. Bemerkenswert ist weiterhin das in gewisser Weise nachgeschobene, letztlich aber bei der Verhandlung siegreiche Argument, daß Καλοὶ λιµένες als Winterhafen nicht geeignet sei, und man versuchen sollte, einen anderen Hafen zur Überwinterung aufzusuchen (v. 12).60 Man kann hier an die Passage bei Heliodor denken, in der der phönizische Kaufmann seinerseits vorschlägt, einen anderen Hafen zur Überwinterung anzusteuern, um sich so die Möglichkeit der von Kalasiris in Aussicht gestellten Verbindung mit Charikleia zu erhalten und gleichzeitig der von dem Ägypter vorgeschobenen Entführungsgefahr zu entgehen (Hld. V 21,3). Paulus erleidet hier also bei seinem sozusagen ersten Auftritt im Rampenlicht eine Niederlage; es kommt aber, was – nach schlechten Vorzeichen (vv. 4.7f.) und der ausgeschlagenen Warnung (vv. 10f.) – kommen muß: Sturm!
8.3 Sturm (27,13–20) Es ist nicht besonders verwunderlich, daß sich in dem jetzt im folgenden dargestellten Sturmszenario die meisten Entsprechungen zu den von uns untersuchten Seereiseabenteuern in den Liebesromanen und in anderen typischen Seesturmerzählungen finden: Das Vorhaben wird also ins Werk gesetzt, man fährt ab; es ist hier sehr auffällig, daß die Abfahrt und die zunächst glückliche Fahrt an der kretischen Küste entlang in der 3. Pers. erzählt wird – der besonders in der eigentlichen Sturmpassage verwirrende Wechsel von 1. und 3. Pers. ist kaum konsequent zu 58 Vgl. zu den verschiedenen Positionen wieder: Ramsay, St. Paul, S. 324 mit Anm. 1f. (dt. Ausg., S. 264f. mit Anm. 1f.); Haenchen, Apostelgeschichte, S. 670; sowie wieder den Abschnitt zur Entscheidungsfindung bei Thornton, Zeuge, S. 326–340. – Zu den Funktionen des Naukleros und des Kybernetes siehe: Casson, Ships, S. 314–318; Rougé, Recherches, S. 222–227 (zum gubernator); Rougé, Ships, S. 160. 59 Vgl. Tannehill, The Narrative Unity II, S. 331. 60 Zu den Schwierigkeiten, die sich um die Lokalisierung des hier anzusteuernden Hafens ergeben, sei nur auf den entsprechenden Abschnitt unten verwiesen. – Dem Text läßt sich jedenfalls nicht entnehmen, daß die Schiffsführung noch plant, in einem Zuge nach Italien zu reisen, v. 12 widerspricht dem ja sogar ausdrücklich, und auf ein Scheinargument weist nichts hin; das sei nur gegen Überlegungen in dieser Richtung gesagt, wie etwa bei: Warnecke, Die tatsächliche Romfahrt, S. 34.
8.3 Sturm (27,13–20)
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erklären: Man beachte v.a. die zweimalige Feststellung in den vv. 15 und 17, daß man sich gezwungenermaßen treiben läßt.61 Diese Erzählweise bleibt unklar! Zurück jedoch zum Erzählten selbst: In die fürs erste reibunglos verlaufende Fahrt platzt ein plötzlicher Sturm, der das Schiff hinwegreißt (vv. 14.15a).62 Den plötzlich auftretenden Sturm oder die plötzliche Windänderung haben wir in den verschiedenen verglichenen Texten häufig feststellen können, insbesondere in den Romanen;63 langsame, allmähliche Wetteränderungen kommen kaum oder nur recht selten vor, es ist ja offenbar auch das Plötzliche und Unerwartete das Erzählenswerte.64 Man versucht nun mit seemännischen Maßnahmen, sich gegen den Sturm zu wehren; diese Gegenmaßnahmen sollen erreichen, daß man den Sturm möglichst schadlos übersteht, ihn also abwettert. Das Erste, was man versucht, ist eine der beiden Möglichkeiten, einen Sturm abzuwettern: Man versucht, das Schiff mit dem widerstandsfähigen Bug direkt gegen Wind und Wellen zu richten, so daß das Schiff möglichst wenig betroffen wird.65 Das aber gelingt 61 V. 15: ἐφερόµεθα; v. 17: ἐφέροντο (mit nur wenigen Textzeugen für die 1. Pers.). Läßt man sich treiben, so betrifft ja aber gerade das das ganze Schiff, was ja eher eine 1. Pers. nahelegen würde: Man ist eine Gemeinschaft in dem, was nun zu erleiden ist; warum dann hier wieder die 3. Pers.? Conzelmann fragt zu Recht verwundert: »Ist das Absicht oder Nachlässigkeit?« (Conzelmann, Apostelgeschichte, S. 153). Von einer konsequenten Aufteilung der Handlungen auf uns und nur die Seeleute kann also keine Rede sein: Vgl. etwa Kurz, der angesichts des merkwürdigen Phänomens feststellt: »The narrator is obviously trying to suit his use of first- or third-person verbs to the context, but not with complete success« (Kurz, Reading Luke-Acts, S. 115; vgl. auch die Äußerungen von Praeder, The Narrative Voyage, S. 115; Praeder, Problem, S. 203). Für völlig unsinnig halte ich den Erklärungsversuch von Pervo: »At this point (vv. 17–20), the text separates the ›we‹ from the crew. ›They‹ have disregarded Paul and are paying the price« (Pervo, Luke’s Story, S. 89). Was ist aber mit der zuvor auftauchenden 3. Pers. in v. 13 und der 1. Pers. in v. 15, wo ja der Sturm mit allen »abrechnet«? 62 Der Sturmwind wird als ἄνεµος τυφωνικός bezeichnet, vgl. den tatsächlichen Wirbelsturm, der das Schiff des Lukian in Luc. VH I 9 ergreift und es nach oben zur Fahrt über den Wolken befördert. Der Wind erhält hier in Apg 27,14 zusätzlich einen griechisch-lateinischen Hybridnamen: εὐρακύλων (lat. euraquilo). Vgl. hierzu z.B. Balmer, Romfahrt, S. 336–341; Lake/Cadbury, S. 331; Metzger, Textual Commentary, S. 440; unter den Neueren: Rapske, Acts, S. 38–40. Siehe v.a. auch meinen Abschnitt zum Streit um die Fahrtroute. 63 Vgl. Charito III 3,10.18; Herpyllis II 17–21.24–26 (auch vom Gebirge herab); X.Eph. III 2,12; Ach.Tat. III 1,1; Hld. V 27,1f. und event. auch Ninos C 11–14 (s. dort); Arr. Peripl.M.Eux. 3,3; Luc. VH I 9; bei Luc. Tox. 19 wird die Plötzlichkeit nicht eigens hervorgehoben; ebensowenig bei Nav. 7. 64 Vgl. aber die vorige Anmerkung mit dem Hinweis auf Luc. Tox. 19, wo zwar die Plötzlichkeit der Änderung nicht explizit ausgedrückt wird, aber beileibe auch nicht von einer allmählichen Wetteränderung die Rede sein kann: χειµῶνα µέγιστον ἐπιπεσεῖν. Zu beachten ist weiterhin die extrem verkürzte Darstellung bei Luc. VH I 6, wo die Plötzlichkeit nicht nur nicht eigens betont wird, sondern gegenläufig das Zulegen des Windes in der Verlaufsform (ἐπεδίδου) beschrieben wird: ὅ τε ἄνεµος ἐπεδίδου καὶ τὸ κῦµα ηὐξάνετο καὶ ζόφος ἐπεγίνετο . . . . Vgl. auch das langsame Anwachsen einer Brise zum Sturm bei Aristid. Or. XLVIII 12. 65 ἀντοφθαλµεῖν τῷ ἀνέµῳ, v. 15. Vgl. zu diesem Verfahren Breusing, Nautik der Alten, S. 166– 169.176; Balmer, Romfahrt, S. 334. Wahrscheinlich haben diese Maßnahme die Schiffer des Aristides
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8 Einzelanalyse zu Apg 27,1–28,6
nicht, so daß man im folgenden zur zweiten Möglichkeit übergeht, nämlich das Ablaufen vor dem Sturm, das Lenzen.66 In v. 15 heißt es zur Situation des Schiffs im Sturm und zu diesen ersten Maßnahmen: συναρπασθέντος δὲ τοῦ πλοίου καὶ µὴ δυναµένου ἀντοφθαλµεῖν τῷ ἀνέµῳ ἐπιδόντες ἐφερόµεθα. Auffällig ist dabei, daß man auf den ersten Blick geneigt ist, τῷ ἀνέµῳ sowohl als Dativobjekt zu ἀντοφθαλµεῖν als auch zu ἐπιδόντες zu lesen.67 Doch bleibt das unbefriedigend: Denn zunächst ist τῷ ἀνέµῳ sicher zu ἀντοφθαλµεῖν zu ziehen,68 so daß sich dann eine problematische absolute Stellung des ἐπιδόντες ergäbe.69 Vermißt man schon ein Reflexivum (für unsere Stelle ἡµᾶς [αὐτούς]), so ist das Fehlen des Dativobjekts als unerträglich, mindestens aber als störend anzusehen.70 Wie die Selbstaufgabe in einer vergleichbaren Situation sonst formuliert wird, sieht man etwa im Herpyllis-Roman, wo es heißt: µετ. ὰ | [δὲ] ν. ο. σ. ώ. δει παραδόντες πελάγει . . . 71 Zwar wird hier παραδιδόναι statt ἐπιδιδόναι verwendet, aber es wird die Notwendigkeit des Dativobjekts deutlich; man überläßt sich dem verderblichen oder unheilvollen Meere (νοσώδες πέλαγος). Auch hier fehlt ein Reflexivum (ebenfalls ἡµᾶς [αὐτούς]), das man aber schon ergänzen wollte,72 obwohl ein intransitiver Gebrauch von παραδιδόναι im geforderten Sinne sich auch anderweitig belegen läßt.73 Eine weitere Stelle, die oft in der Sekundärliteratur zu unserem Problem beigebracht wird,74 ist m.E. weit weniger gut vergleichbar, auch wenn hier wie in unserm v. 15 ebenfalls ἐπιδιδόναι Verwendung findet. Die Situation ist hier nämlich eine völlig andere! Es handelt sich um eine Passage aus dem Dialog Hermotimos des Lukian, wo Lykinos das Bild des Seefahrers benutzt: οὐδὲ γὰρ ἀναστρέψαι ἔτι καὶ ἀνασωθῆναι ὀπίσω ῥδιον, ἢν ἅπαξ ἐπιδῷ τις αὑτὸν τῇ πνεούσῃ τὰ ἀπόγεια λυσάµενος, ἀλλὰ ἀνάγκη ἐν τῷ πελάγει διαφέρεσθαι ναυτιῶντα ὡς τὸ πολὺ καὶ δεδιότα καὶ καρηβαροῦντα ὑπὸ τοῦ σάλου (Luc. in der Ägäis ergriffen: Aristid. Or. XLVIII 68; L 33 (ὑπεναντία/ἐναντία τοῖς ἀνέµοις/πνεύµασι πλεῖν).
Vgl. Kettenbach, Logbuch, S. 150–153. Vgl. Conzelmann, Apostelgeschichte, S. 153; Barrett, Acts II, S. 1194f.; Seul, Rettung für alle, S. 72. 68 So auch die Lesung bei LSJ, s.v. ἀντοφθαλµέω, S. 166f. 69 Barrett, Acts II, S. 1194: »ἐπιδόντες stands oddly on its own«. 70 Keine Probleme mit der absoluten Stellung haben offenbar LSJ, s.v. ἐπιδίδωµι I 4, S. 631: »abs., ἐπιδόντες ἐφερόµεθα ran before the wind, Act.Ap. 27.15«. 71 Herpyllis II 34f.; Übersetzung: Hernach überließen wir uns dem verderblichen Meere . . . 72 Vgl. Kussl, Papyrusfragmente, S. 107. 73 Vgl. Zimmermann, GRP, S. 74; Kussl, Papyrusfragmente, S. 120, Anm. 58; LSJ, s.v. παραδίδωµι I 2, S. 1308, die alle auf Pl. Phdr. 250e verweisen (ἡδονῇ παραδούς). 74 Beispielsweise Conzelmann, Apostelgeschichte, S. 153; Haenchen, Acta 27, S. 243f.; Seul, Rettung für alle, S. 72. 66 67
8.3 Sturm (27,13–20)
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Herm. 28).75 Die vorgestellte Situation ist deshalb eine andere – wie man leicht sieht –, weil derjenige, der sich hier dem Winde überantwortet, ja keineswegs im Sturm aufgibt, sondern überhaupt erst losfährt; das Moment des Aufgebens fehlt also hier. Dennoch zeigt unsere Stelle wohl, was man grammatisch bei der Verwendung von ἐπιδιδόναι im allgemeinen Sinne der Selbstübergabe zu erwarten hat, nämlich ein Reflexivum und ein Dativobjekt zur Angabe dessen, an wen die Übergabe erfolgt. Andererseits wäre es nun an unserer Stelle Apg 27,15 noch weit unerträglicher, dasselbe Dativobjekt ein zweites Mal zu setzen! So sollte man hier wohl von einer Ellipse des Substantivs ausgehen;76 man kommt dann nämlich zu der einfachen Lösung, daß das τῷ ἀνέµῳ bei ἐπιδόντες noch mitgedacht wird, obwohl es schon zu ἀντοφθαλµεῖν zu ziehen war. Eine echte Doppelbeziehung als Dativobjekt, erst recht nicht im Zuge einer angeblich kunstvollen Mittelstellung zwischen ἀντοφθαλµεῖν und ἐπιδόντες, kommt dagegen nicht in Frage;77 so hat es offenbar auch der Ergänzer gesehen, dessen Hinzufügung nach ἐπιδόντες (in Vermeidung eines doppelten τῷ ἀνέµῳ): τῷ πνέοντι καὶ συστείλαντες τὰ ἱστία,78 sich bei einigen westlichen Zeugen erhalten hat. Delebecque will diese
75 Übersetzung: Es ist nämlich keineswegs leicht, wieder umzukehren und sich wieder an Land zu retten, wenn man einmal die Taue losgemacht und sich dem gerade wehenden Winde überantwortet hat, sondern dann wird man zwangsläufig auf dem Meere umhergetrieben, geplagt zumeist von Seekrankheit, Furcht und drückendem Kopfschmerz unter den Bewegungen des Schiffs. – von Möllendorff, Hermotimos, S. 164 (Anm. 69), verweist als Parallele auf Plu. Moralia 798D (Praecepta gerendae reipublicae), wo dasselbe Bild für den Politiker gebraucht wird. A.a.O., S. 59, übersetzt er die letzte Passage übrigens völlig verkehrt mit: »und die meiste Zeit mit Kopfweh von all dem Salz«; man könnte ihm allenfalls zugute halten, er habe an die Leiden zur See bei Luc. Merc.Cond. 2 gedacht, wo ja das Übermaß an Salzwasser (ἅλµη) tatsächlich genannt wird, aber doch wohl im Sinne des Überspültwerdens. 76 So schlagen auch BDR § 241,5 mit Anm. 7 (S. 192f.), für unsere Stelle vor. 77 So etwa Haenchen, Acta 27, S. 243: »Vielleicht hat Lukas τῷ ἀνέµῳ kunstvoll zwischen ἀντοφθαλµεῖν und ἐπιδόντες gestellt, damit der Leser es auf beides bezieht.« Seul, Rettung für alle, S. 72, macht daraus: »Es ist vielleicht absichtlich und kunstvoll zwischen ἀντοφθαλµεῖν und ἐπιδόντες gestellt, damit man es auf beide Partizipien bezieht«; da fragt man sich schon: Welche beiden Partizipien? Weniger euphorisch teilt die Auffassung der doppelten Beziehung auch Barrett, Acts II, S. 1194f. 78 Der Apparat des NTG27 führt in ganz fataler Weise in die Irre, wenn er statt dem von den meisten westlichen Zeugen gebotenen πνέοντι das auf bloßem Schreibfehler beruhende πλέοντι u.a. der Minuskel 614 verzeichnet, die einzig ernstzunehmende varia lectio aber verschweigt. Siehe zum tatsächlichen Befund: Metzger, Textual Commentary, S. 440; Barrett, Acts II, S. 1195; mit Blick für das Richtige auch Haenchen, Acta 27, S. 243; BDR § 241,5, Anm. 7 (S. 193). Seul, Rettung für alle, S. 72, Anm. 248f., dagegen scheint nicht durchzusehen, sondern folgt blind einigen Hinweisen der Sekundärliteratur.
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8 Einzelanalyse zu Apg 27,1–28,6
Ergänzung in den Text nehmen, womit er tatsächlich einen »besseren« Text hergestellt hätte; er übersetzt: ». . . et ne pouvant faire face au vent, ayant cédé à la rafale et serré les voiles, nous étions emportés.«79 Doch erweist sich die Ergänzung bei näherem Hinsehen auch in der Tat als solche, nämlich als stilistische Verbesserung und sachliche Präzisierung. Zu betonen ist an dieser Stelle noch eigens, daß das Motiv der Selbstübergabe an die Elemente (wenn man so will), also das Aufgeben angesichts der Gewalt des Sturms, die sich hier im diskutierten ἐπιδόντες ausdrückt, sich des öfteren in den Seefahrtserzählungen findet.80 Da man jetzt also vor dem Sturm abläuft, vom Lande fort,81 fährt man nach einiger Zeit in Lee der Insel Κλαῦδα/Καῦδα entlang82 und versucht dort in der vergleichsweise ruhigeren Lage, das mitgeschleppte Beiboot in den Griff zu bekommen (vv. 16.17a), das im Sturm ohne Zweifel zur Gefahr werden dürfte.83 Es wird im Rahmen des verschränkten Relativsatzes, der sich auf σκάφη bezieht, noch eine weitere Notmaßnahme geschildert, die man ergreift, nachdem man das Beiboot hochgehievt hatte. Diese Maßnahme wird mit βοηθείαις ἐχρῶντο angeschlossen (v. 17), es handelt sich um das ὑποζωννύναι τὸ πλοῖον. Ob die βοήθειαι hier lediglich Maßnahmen oder die angewandten Mittel selbst bezeichnen sollen, ist dabei allerdings nicht ganz zu klären.84 Mir scheint die Deutung als bloße Maßnahmen, also Hilfs- oder Notmaßnahmen, näher zu liegen, da ja die zweite Handlung (das χαλᾶν τὸ σκεῦος), die zwar syntaktisch nicht mehr zum Relativsatz gehört, sondern als von οὕτως ἐφέροντο abhängiges
79 Delebecque, Les actes, S. 131; zur Begründung verweist er auf das oben diskutierte Problem des absolut stehenden ἐπιδόντες und die sachliche Verbesserung des Segelreffens: »à la rafale: on adopte ici le texte occidental, qui a l’avantage de donner un complément à ἐπιδόντες (le vent qui souffle) et une précision nécessaire (les voiles serrées).« 80 Vgl. etwa die oben in der Diskussion schon erwähnte Stelle: Herpyllis II 34f. Darüber hinaus beachte man auch Luc. VH I 6 (ἐπιτρέψαντες οὖν τῷ πνέοντι καὶ παραδόντες ἑαυτοὺς ἐχειµαζόµεθα ἡµέρας ἐννέα καὶ ἑβδοµήκοντα); und weiterhin den aufgebenden Steuermann bei Ach.Tat. III 3,1, sowie die nur fälschlich vermutete Aufgabe des Amarantos bei Synes. ep. 4,161d–162a. 81 Vgl. die Situation bei Herpyllis II 19–21, wo ja der Wind das Schiff auch vom Land forttreibt. 82 Vgl. zum Namen der Insel: Lake/Cadbury, S. 332; Metzger, Textual Commentary, S. 440f. Die Erwähnung von Orten, die man – vom Winde getrieben – passiert, findet sich auch bei Herpyllis II 30–34. 83 Ein mitgeschlepptes Boot als Gefahr im Sturm begegnet auch bei Hld. V 27,6f., allerdings handelt es sich hier um die sicher größere Barke der Piraten; dabei wird ausdrücklich festgestellt, daß es sich um eine zusätzliche Gefahr handle. 84 Vgl. Haenchen, Apostelgeschichte, S. 672, Anm. 2.
8.3 Sturm (27,13–20)
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Partizip ausgedrückt wird,85 trotzdem sachlich noch unter die βοήθειαι zu zählen sein dürfte; zwingend ist aber natürlich auch das nicht.86 Die Erklärung der Stelle durch Zmijewski basiert aber wohl auf einem falschen Verständnis, er kommentiert: »So hieven die Matrosen das Boot hoch und sichern es, indem sie es mit Tauen umspannen (V. 17a)«.87 Das untergürtete πλοῖον ist nämlich etwas anderes als die hochgezogene σκάφη, und das ὑποζωννύναι hat jedenfalls mit dem Hochziehen rein gar nichts zu tun; die hier angefügte erste Maßnahmen, nämlich das ὑποζωννύναι, ist quasi nur unglücklich in dem verschränkten Relativsatz untergebracht worden,88 unbeschadet der oben notierten Unsicherheit, was mit den βοήθεια genau gemeint ist, und welche Handlungen damit möglicherweise inhaltlich zusammenhängen.89 Indes ginge das Zahnsche und Zmijewskis Verständnis aber in die richtige Richtung, wenn man den Text geringfügig ändert: Die hier erörterten Schwierigkeiten offenbaren nämlich den wahren Charakter des Satzgefüges der vv. 16f.; denn der uns hier beschäftigende Relativsatz ist einfach miserabel formuliert, deshalb miserabel, weil die in v. 17 vorliegende Verschränkung überhaupt keine Entsprechung in der dargestellten Sache hat.90 Naber sah sich deshalb genötigt, eine Konjektur anzubringen, die recht bestechend erscheint: Statt βοηθείαις setzt er βοείαις, τὸ πλοῖον tilgt er. Damit erhält er als Relativsatz: ἣν ἄραντες βοείαις ἐχρῶντο ὑποζωννύντες. Das ὑποζωννύναι ist damit auf das Beiboot bezogen, das sie eben mit Hilfe unten durchgezogener lederner Gurtbänder hochgehievt 85 Um diese Struktur auch deutlich zu machen, wäre es sinnvoll, nach τὸ πλοῖον nicht nur ein Komma, sondern einen Hochpunkt zu setzen (so bei Blass, Acta apostolorum, S. 277; Delebecque, Les actes, S. 131). οὕτως wird hier, wie in Apg 20,11, zur Zusammenfassung des vorhergehenden Partizipialausdrucks φοβούµενοί τε . . . σκεῦος verwendet; das kommt im NT sonst nicht vor, vgl. BDR § 426,6 mit Anm. 10 (S. 354). 86 Vgl. zu der schwierigen Stelle auch: Lake/Cadbury, S. 332f.; Cadbury, ῾Υποζώµατα, S. 345; Barrett, Acts II, S. 1196. 87 Zmijewski, Apostelgeschichte, S. 861; seine Übersetzung von v. 17a lautet: »Sie zogen es hoch, wandten eine Hilfsmaßnahme an, indem sie das Schiff mit Tauen umgürteten« (S. 855). In diesem Sinne scheint auch schon Zahn die Stelle verstanden zu haben (Zahn, Apostelgeschichte II, S. 830f. mit Anm. 78), obwohl er sich gerade auf Breusing bezieht, der ein anderes Verständnis vertritt (Breusing, Nautik der Alten, S. 170). 88 Daß Seul hier noch eine kunstvolle Anordnung in Ringform erkennen will, ist m.E. höchst verdächtig; um das zu behaupten, muß er die syntaktische Struktur unberücksichtigt lassen, was er ja auch selbst zugibt: ». . . vorausgesetzt man klammert den 27,17a eröffnenden Relativsatz ἣν ἀράντες aus . . . « (Seul, Rettung für alle, S. 73). ἣν ἀράντες ist allerdings nun eben nicht der ganze Relativsatz! 89 Vgl. wieder Lake/Cadbury, S. 332f. 90 Dem entgehen natürlich Zmijewski und Zahn; lezterer denkt bei den βοήθεια ausdrücklich an »Hebevorrichtungen« (Zahn, Apostelgeschichte II, S. 831). Das scheint mir aber ohne Textänderung unmöglich (s. dazu gleich)! Vgl. zu dem schwierigen Relativsatz aber auch Delebecque, L’hellénisme, S. 236f.
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8 Einzelanalyse zu Apg 27,1–28,6
haben.91 Wäre die Konjektur berechtigt, so erübrigte sich die folgende Diskussion des schwierigen ὑποζωννύντες τὸ πλοῖον. Mir scheint jedoch, daß man unserem Verfasser die merkwürdige Formulierung des Satzes zutrauen darf und hier nicht zu solcher Änderung berechtigt ist. Die beiden in v. 17 erwähnten Maßnahmen sind auch sachlich je für sich schon einigermaßen rätselhaft: Da ist zunächst das »Umgürten des Schiffes«; diese Maßnahme dient wohl allem Anschein nach der Stärkung bzw. Entlastung des Schiffsbauches.92 Fraglich ist aber, wie sie erfolgte. Die dafür benutzten starken Taue, die ὑποζώµατα, sind beginnend mit den attischen Trieren für langgestreckte Kriegsschiffe gut belegt.93 Es spricht einiges dafür, auch das hier in Apg 27,17 begegnende Verbum ὑποζωννύναι an einigen Belegstellen in einem technischen Sinne auf das Anbringen bzw. Straffen der ὑποζώµατα zu beziehen.94 Die genaue Anbringung und beabsichtigte Wirkunsgweise dieser Taue bei den Kriegsschiffen ist aber lange Zeit sehr umstritten gewesen:95 Es wurde in diesem Zusammenhang in zum Teil heftiger Auseinandersetzung darüber diskutiert, ob die ὑποζώµατα entweder außen vertikal um den Kiel,96 oder ebenfalls außen, aber (etwa auf Deckshöhe) horizontal um das ganze Schiff Naber, Nautica, S. 268f.: »Τὴν σκάφην ἄραντες βοηθείαις ἐχρῶντο ὑποζωννύντες τὸ πλοῖον· quis ita loquitur? Nemo certe, nam τὸ ἆραι τὴν σκάφην et τὸ βοηθείαις χρῆσθαι res sunt prorsus diversae, quarum vix recte altera ex altera participii ope pendere poterit; accedit quod βοηθείαις χρῆσθαι mihi quidem insolita locutio videtur. Est correctio satis facilis: βοείαις ἐχρῶντο ὑποζωννύντες, deleto vocabulo τὸ πλοῖον. Nempe non ipsum navigium succinxerunt, sed scapham ad eamque rem lora bubula adhibuerunt. Etiam fieri potest ut scapham pelle bovina firmarint« (Hervorhebung im Original gesperrt). 92 Auf eine so allgemeine Deutung wird man sich wohl einigen können, vgl. Höckmann, Antike Seefahrt, S. 88. 93 Siehe schon Böckh, Urkunden, S. 133–138. Vgl. den Überblick bei Cadbury, ῾Υποζώµατα, S. 345–347; einige Belege bei LSJ, s.v. ὑπόζωµα II, S. 1881. 94 Man beachte z.B. IG II/III2 2.1, Nr. 1621 (S. 230f.), Kol. b, Z. 68 (S. 230): ὑπέζωται (vgl. Böckh, Urkunden, S. 137). Siehe auch: LSJ, s.v. ὑποζώννυµι II, S. 1881; Cadbury, ῾Υποζώµατα, S. 347. Andere Stellen wiederum lassen sich möglicherweise auch in einem eher allgemeinen Sinn verstehen, etwa im Sinne von flottmachen, in Einsatzbereitschaft bringen, instandsetzen: Z.B. Plb. XXVII 3,3 (Agesilochos rät den Rhodiern τετταράκοντα ναῦς ὑποζωννύειν); s. dazu, jedoch im Sinne einer technischen Deutung, Morrison, Greek and Roman Oared Warships, S. 356. Vgl. auch die Verwendung von διαζωννύναι bei App. BC V 10 (§ 91; Sextus Pompeius läßt die aus Kampf und Sturm übriggebliebenen Schiffe des Octavian unbeachtet, die – so gut es eben geht – instandgesetzt werden: ὑπερεῖδεν ἐκ τῶν δυνατῶν διαζωννυµένους τὰ σκάφη); s. zu beiden Texten wieder Cadbury, ῾Υποζώµατα, S. 345. 95 Vgl. die Darstellung Morrison/Williams, Greek Oared Ships, S. 294–298; s. auch die kurzen Überblicke bei: Haenchen, Apostelgeschichte, S. 672, Anm. 2; Cadbury, ῾Υποζώµατα, S. 345– 347. 96 So etwa bei Smith, Voyage and Shipwreck, S. 65f.172–177; Balmer, Romfahrt, S. 344ff., die sich aber natürlich vor allem auf das Paulusschiff beziehen, das in eben unserem v. 17 unter- bzw. umgürtet wird. 91
8.3 Sturm (27,13–20)
365
herum gelegt wurden;97 alternativ wurde eine Gürtung im Innern des Schiffs vorgeschlagen, die entweder unter Deck transversal, also zwischen den beiden Schiffsseiten erfolgte98 oder longitudinal, also mitten im Schiff auf gerader Linie zwischen Heck und Bug.99 Für das Kriegsschiff jedenfalls hat die vehement geführte Diskussion insofern ein klares Ergebnis gezeitigt, als sich die Erklärung der ὑποζώµατα im Sinne einer Längsgürtung allgemein durchgesetzt hat. Fraglich blieb zunächst aber noch die genaue Position der Längsgürtung: Die äußere horizontale Anbringung der ὑποζώµατα würde sowohl der Kielgebrechlichkeit der langen Schiffe entgegenwirken, als sie auch gegen die Wucht der Rammstöße widerstandsfähiger machen. Die geradlinig innere longitudinale Gürtung in der Längsachse des Schiffs würde lediglich dem ersten Zwecke dienen – so zumindest die theoretische Vorstellung von der Wirkung der ὑποζώµατα bei Arthur Breusing.100 Dementsprechend hatte John S. Morrison in seinem Klassiker Greek Oared Ships in der Zusammenfassung der Diskussion noch die äußere Längsgürtung vertreten und damit auch Zuspruch in der Fachwelt gefunden.101 Im Zuge der Vorbereitung und der Durchführung der Experimente mit dem rekonstruierten Schiff Olympias scheinen Morrison und seine Mitarbeiter jedoch zu einer anderen Bewertung gekommen zu sein und bevorzugen seitdem die Annahme einer doppelten inneren Longitudinalgürtung.102 Möglicherweise
97 Arthur Breusing hatte diese Auffassung mit allem Nachdruck vertreten: Breusing, Nautik der Alten, S. 170–176.182–184; Breusing, Lösung des Trierenrätsels, S. 26f. Auch Böckh hatte sich die Gürtung schon so vorgestellt: Böckh, Urkunden, S. 134–136. 98 So der Vorschlag von Schauroth, ῾Υποζώµατα, bes. S. 173 (Zusammenfassung seines Vorschlags). 99 So vorgeschlagen von Assmann, Art. Seewesen, S. 1594, sowie S. 1604f.1614f.; unterstützt von Luebeck, Seewesen I, S. 52f. In Reaktion auf Schauroth hat Brewster, ῾Υποζώµατα, diesen Vorschlag erneut unterbreitet (Zusammenfassung S. 77, Reaktion auf Schauroth bes. S. 69). 100 Vgl. die Kritik Breusings an Aßmann, den er geradezu niederwalzt: »Aßmann besorgt das Verderben des Schiffes besser als es der böseste Feind mit seinem Rammstoße thun könnte« (Breusing, Lösung des Trierenrätsels, S. 26f. [Zitat S. 27]). Dagegen wieder die positive Würdigung bei Luebeck, Seewesen I, S. 52f. 101 Vgl. die vorgeschlagene Lösung des Problems bei Morrison/Williams, Greek Oared Ships, S. 297f.; Rougé, Ships, S. 43f.; sowie die kürzeren Notizen bei: Casson, Ships, S. 91f.; Höckmann, Antike Seefahrt, S. 102f. mit Abb. 135, Nr. 34 (S. 155). 102 Vgl. zur Rekonstruktion und zu den Details: Morrison/Coates, Athenian Trireme (1986), S. 170–172.197–200.220f.; Morrison/Coates, Athenian Trireme (1989), S. 2f.6.22; Coates/Platis/ Shaw, The Trireme Trials, S. 6–8.57; Coates/Shaw, Speculations, bes. S. 82; Morrison, Greek and Roman Oared Warships, S. 276.281.284.329. Ebenfalls scheint Bockius, Schifffahrt, S. 45, eine Längsgürtung dieser Art zu vertreten, auch wenn er die genaue Anbringung der ὑποζώµατα nicht erklärt, er verbindet sie mit dem sogenannten Sprengwerk (ζύγωµα); zum Sprengwerk vgl. s. Assmann, Art. Seewesen, S. 1602ff.; Luebeck, Seewesen I, S. 50f.
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8 Einzelanalyse zu Apg 27,1–28,6
wird man mit dieser Deutung auch dem wichtigen Zeugnis bei A.R. I 367–370 besser gerecht; der Text lautet:103 νῆα δ’ ἐπικρατέως Ἄργου ὑποθηµοσύνῃσιν ἔζωσαν πάµπρωτον ἐϋστρεφεῖ ἔνδοθεν ὅπλῳ104 τεινάµενοι ἑκάτερθεν, ἵν’ εὖ ἀραροίατο γόµφοις 370 δούρατα καὶ ῥοθίοιο βίην ἔχοι ἀντιόωσαν.
Fest gürteten sie zuerst das Schiff auf Anweisung des Argos mit einem in sich wohlgeflochtenen Tau (oder: mit einem wohlgeflochtenen Tau von innen),105 indem sie an beiden Enden anspannten, damit sich die Balken mit den Bolzen gut ineinanderfügten und der andringenden Gewalt der Flut standhielten.
Interessant ist in an dieser Stelle für unseren Zusammenhang, daß die Gürtung an Land erfolgt und nach vv. 369f. offenbar dem besseren Zusammenhalt des Plankenverbunds dienen soll. Insgesamt wird die weitere Diskussion zu zeigen haben, ob die Lösung in der Frage des Hypozoms, die Morrison/Coates/Shaw u.a. in den letzten Jahrzehnten erarbeitet haben, technisch und vor dem Hintergrund der antiken Quellen voll und ganz überzeugt. Die Frage muß hier zunächst offen bleiben. Zurück zum diesbezüglichen Problem in Apg 27: Zwar kann man es wohl als zutreffend ansehen, daß ὑποζωννύναι in Apg 27,17 auch im technischen Sinne als ὑποζώµατα anbringen zu verstehen ist; ob allerdings die Diskussion über die Verwendung dieser ὑποζώµατα bei Kriegsschiffen kurzerhand auf den Fall des Handelsschiffs im Sturm übertragen werden kann, muß wiederum als fraglich gelten, weil ja die Eigenarten der Konstruktion langer Kriegsschiffe sich erheblich von denen der wuchtigen Kauffahrer unterscheiden:106 In Apg 27,17 103 Vgl. dazu Morrison/Coates, Athenian Trireme (1986), S. 171; Morrison konnte diese Stelle allerdings auch im Rahmen seiner alten Position verwerten: Morrison/Williams, Greek Oared Ships, S. 297. 104 Es ist sehr die Frage, wie man ἐυστρεφεῖ ἔνδοθεν ὅπλῳ verstehen muß: Die Verbindung ὅπλῳ ἐϋστρεφέϊ findet sich auch Od. XIV 346 vom Seil, mit dem Odysseus gebunden wird; sonst ἐϋστρεφής noch öfter vom Geflochtenen (Seil, Strick, Tau, auch Bogensehne, etc.), vgl. LSJ, s.v. ἐϋστρεφής, S. 733; Seiler/Capelle, s.v. εὐστρεφής, S. 246 (Seiler8 , S. 267). Hier ist jedoch näherhin noch die Frage, worauf das ἔνδοθεν geht; sollte es nicht auf das in sich wohlgeflochtene Tau gehen, wie aber die gesperrte Fügung ἐυστρεφεῖ ἔνδοθεν ὅπλῳ auf den ersten Blick nahelegt, sondern auf die Anbringung des Taus im Innern, dann könnte die neuere Rekonstruktion des Hypozoms als innere Gürtung durch Morrison/Coates/Shaw u.a. (s. die Literatur oben Anm. 102) in diesem Text eine Stütze finden. Vgl. zu den beiden Übersetzungsmöglichkeiten Morrison/Coates, Athenian Trireme (1986), S. 171 (»from within«); Glei/Natzel-Glei I, S. 23 (»mit gut in sich gedrehten Tauen«). 105 Vgl. zur Frage der Übersetzung an dieser Stelle die Anm. 104 (s. oben). 106 Aßmann hält sich bei der Frage nach der Art und Anwendung des Hypozoms bei Handelsschiffen zurück: »Die Kauffahrer bedurften bei ihrer Bauart der Verbandtaue weit weniger; wann und wie sie Hypozome führten, bleibt dahingestellt« (Assmann, Art. Seewesen, S. 1615).
8.3 Sturm (27,13–20)
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haben wir den – soweit ich sehe – einzigen klaren Beleg für die Unter- bzw. Umgürtung eines Handelsschiffs vor uns und einen der äußerst seltenen Belege für die Anwendung dieses Verfahrens im Sturm (zu einem weiteren kommen wir gleich). Daß nun das Problem der Kielgebrechlichkeit im Sturm besonders virulent wird, versteht sich fast von selbst; das gilt insbesondere, wenn man sich die Verhältnisse beim Reiten auf den Wellenbergen vor Augen führt, bei dem phasenweise Bug und Heck frei in der Luft schweben.107 Das wäre also ein Argument für die Anbringung der ὑποζώµατα in der gleichen Weise wie bei den Kriegsschiffen.108 Andererseits ist natürlich der Plankenverbund bei der Sturmfahrt auch enormen Belastungen ausgesetzt, so daß eine vertikale Gürtung gute Dienste leisten würde, diesen zu stärken.109 Ein weiterer Beleg für die Verwendung von Tauen im Sturm findet sich bei Horaz; die Stelle wird gern dafür angeführt, daß es bei der vorgenommenen Maßnahme in erster Linie darum geht, dem Kielbruch zu wehren (Hor. Carm. I 14,3–9): 3 6 9
. . . nonne vides, ut ... . . . sine funibus vix durare carinae possint imperiosius aequor? . . . 110
Mit dieser durchaus interessanten Stelle kann man aber die Frage keineswegs entscheiden, wie ich meine: Erstens wissen wir nicht, an welchen Schiffstyp Horaz hier denkt. Zweitens, und das ist in unserem Zusammenhang wohl das Entscheidende, ist auch keineswegs so klar, daß es hier, also bei der Funktion der funes, wirklich um die Stärkung des Kiels geht; carina ist zwar der Kiel, aber auch der Rumpf des Schiffes überhaupt, zudem kann carina metonymisch für das ganze Schiff verwendet werden.111 Drittens können wir nicht einmal sicher sein, ob es sich bei den hier erwähnten funes überhaupt um eine Art Siehe zu diesem Punkt besonders Breusing, Nautik der Alten, S. 182–184. In diesem Sinne votieren etwa: Breusing, Nautik der Alten, S. 182–184; Haenchen, Apostelgeschichte, S. 672, Anm. 2; Kettenbach, Logbuch, S. 142–145; Reynier, Paul, S. 104; Seul, Rettung für alle, S. 88, der aber lediglich die Kettenbachschen Fügungen paraphrasiert oder einfach wiedergibt. Böckh scheint auch dieser Auffassung zu sein, wenn er Apg 27,17 als Beleg dafür anführt, daß ὑποζώµατα auch nur mitgeführt werden konnten, um sie erst anzulegen, wenn es nötig schien. 109 So votieren: Smith, Voyage and Shipwreck, S. 65f.172–177 (mit Verweisen auf die seltene moderne Praxis: »frapping«); Balmer, Romfahrt, S. 344ff.; Casson, Ships, S. 91; Casson, Ancient Mariners, S. 238 (dt. Ausg., S. 376); Barrett, Acts II, S. 1196. 110 Übersetzung: Siehst du denn nicht, daß ohne Taue die Schiffsbäuche kaum in stürmischer See standhalten können? 111 Vgl. OLD, s.v. carina, S. 277. Horaz benutzt carina so in Carm. I 35,8. An unserer Stelle 14,7 ist das nicht etwa schon deshalb ausgeschlossen, weil v. 1 mit o navis beginnt. 107 108
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8 Einzelanalyse zu Apg 27,1–28,6
von ὑποζώµατα handelt, auch wenn ich das als sehr wahrscheinlich ansehe.112 Dieser häufig angeführte Beleg leistet also nicht das, was man ihm aufbürdet.113 In Ermangelung wirklich schlagender und tatsächlich vergleichbarer Parallelen und insbesondere angesichts der Tatsache, daß Lukas sich über den genauen Zweck der Maßnahme an unserer Stelle ausschweigt, kann über die Frage m.E. nicht verläßlich entschieden werden: Beide Verfahren sind als Notmaßnahme denkbar! Die zweite Maßnahme, die die Seeleute ergreifen, wird als χαλᾶν τὸ σκεῦος beschrieben und mit der Furcht, in die Syrte zu geraten, in einem zusätzlichen Partizipialausdruck mit einem negativen Begehrssatz begründet: φοβούµενοί τε µὴ εἰς τὴν Σύρτιν ἐκπέσωσιν χαλάσαντες τὸ σκεῦος (v. 17). Die sich durch zahllose gefährliche Untiefen und Sandbänke sowie spürbare Gezeiten auszeichnenden Syrten vor der libyschen Küste – sowohl die sog. große wie die kleine Syrte – waren einer der berühmten Schrecken antiker Seefahrer im Mittelmeer:114 Nach den Historien des Polybios wurde eine römische Flotte bei ihrer Fahrt entlang der libyschen Küste im Bereich der kleinen Syrte von der Ebbe überrascht, so daß die Römer mit ihren Schiffen aufliefen und in große Not gerieten – all das aus Unkenntnis bzw. Unerfahrenheit (διὰ τὴν ἀπειρίαν, Plb. I 39,3), wie ausdrücklich von Polybios notiert wird.115 Für die umstrittene Handlung des χαλᾶν τὸ σκεῦος wurden drei Verständnismöglichkeiten vorgeschlagen: 1. Segel reffen; 2. Niederlassen der Großrahe/ Takelage; oder 3. ein sog. Treibanker, der hier zu Wasser gelassen wird. Die erste der angegebenen Möglichkeiten scheidet definitiv aus, da χαλᾶν herunterlassen bedeutet; antike Segel werden aber – im Fall einer Rahtakelung wie hier – zum Setzen heruntergelassen und zum Reffen an der Rah heraufgezogen.116 So haben zumindest die Ergänzer des westlichen Textes, die zu dem von 82, 614, einigen anderen Minuskeln und weiteren Zeugen gebotenen Text beigetragen haben, unsere Stelle nicht verstanden, weil sie das Reffen der Segel schon in v. 15 vor ἐφερόµεθα eingetragen haben.117 Sie benutzen auch korrekt Vielleicht könnte man alternativ die hier verwendeten funes ja auch mit den bei Luc. Tox. 19 ausgebrachten σπεῖραι zusammenstellen; aber ich möchte diese mir unwahrscheinlich vorkommende These hier nicht vertreten. 113 Siehe etwa Böckh, Urkunden, S. 135; oder mehrfach bei: Breusing, Nautik der Alten, S. 183; Breusing, Lösung des Trierenrätsels, S. 26f. 114 Vgl. zur großen Syrte etwa Str. II 5,25. Siehe zur Gefahr der Syrte weiterhin A.R. IV 1234ff. 115 Plb. I 39,2f. Vgl. auch die Sturmfahrt des Dion bis zu den »sogenannten Köpfen der großen Syrte« (Plu. Dio 25,8f.). 116 So richtig bei Lake/Cadbury, S. 333; Haenchen, Acta 27, S. 243 (er behandelt hier aber das Problem von ἄραντες in v. 13). In o.g. Sinne fehl geht Johnson, Acts, S. 448. 117 Der Apparat des NTG27 ist an dieser Stelle eine Katastrophe, s. dazu schon oben; GNT4 , S. 511, bietet zu dieser Stelle gar keine Informationen. Zumindest ist dem NTG auch die richtige 112
8.3 Sturm (27,13–20)
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(συ-)στέλλειν für das Reffen der Segel.118 Damit zeugen diese Ergänzer dafür, daß im χαλᾶν τὸ σκεῦος eine andere Maßnahme zu sehen ist als das Reffen der
Segel.119 Oder ist tatsächlich Setzen gemeint? Dann wäre von einer Art kleinem Sturmsegel auszugehen, das u.U. noch eine gewisse Steuerbarkeit des Schiffs gewährleistet; damit ein Schiff steuerbar ist, muß es schließlich Fahrt machen. So könnte dies auch gut zu der die Maßnahme begründenden Furcht passen.120 Es spricht aber doch einiges dagegen, die Maßnahme hier so zu interpretieren, weil im Textduktus alles darauf hindeutet, daß man sich inzwischen dafür entschieden hat, vor dem Sturm abzulaufen, da ja die alternative Maßnahme, das Beidrehen, nicht gelungen ist (ἀντοφθαλµεῖν, v. 15). Das kleine Vorsegel, der ἀρτέµων, wird hier wohl auch nicht gemeint sein, denn Lukas weiß durchaus, wie er dieses zu bezeichnen hat, wenn er es meint (Apg 27,40).121 Es wird also in der gegebenen Situation alles darauf ankommen, Maßnahmen zu ergreifen, die entweder die Angriffsfläche für den Wind verringern oder das Ablaufen vor dem Sturm verlangsamen; diese Möglichkeiten fassen die beiden folgenden Deutungen ins Auge. Mit χαλᾶν τὸ σκεῦος ist also jedenfalls weder das Reffen noch das Setzen der Segel gemeint. Die zweite Möglichkeit ist von Balmer vorgeschlagen worden;122 das Herablassen der schweren Großrah würde die Gefahren für Besatzung und Schiff, die bei ihrem möglichen Bruch drohen, verhindern. Dagegen könnte man einwenden, daß die Begründung der Furcht keine Aufnahme findet; allerdings ist das kein triftiger Ausschlußgrund, weil man in dieser Maßnahme auch noch Information zu entnehmen, daß die Minuskeln 614, 2147 und wenige weitere Koine-Handschriften (sowie eine textkritisch gekennzeichnete Lesart der syrischen Version der Harklensis), die hier gegen M bzw. K lesen, das Ende von v. 15 so bieten: . . . καὶ συστείλαντες τὰ ἱστία ἐφερόµεθα (Übersetzung: . . . und nachdem wir die Segel gerefft hatten, ließen wir uns treiben). – Zum tatsächlichen Befund vgl. Metzger, Textual Commentary, S. 440; Barrett, Acts II, S. 1195. 118 Vgl. beispielsweise: οὐκέτ’ οὐδὲ στεῖλαι τὴν ὀθόνην δυνατὸν ἦν, Luc. VH I 6. 119 Vgl. Kettenbach, Logbuch, S. 109–111. 120 Vgl. die Erwägung bei Lake/Cadbury, S. 333, die sich aber hier von der varia lectio τὰ ἱστία (Minuskel 1505, wenige Koine-Handschriften u.a.) leiten lassen; vgl. auch Ramsay, St. Paul, S. 329f. (dt. Ausg., S. 269f.), der jedoch das Stehenlassen einer kleinen Segelfläche mit dem Einholen des Hauptsegels vermengt: »Luke mentions last what a sailor would mention first, the most delicate and indispensable operation, viz., leaving up just enough of sail to keep the ship’s head to the wind, and bringing down everything else that could be got down. It is not certain that he fully understood this operation, but perhaps the Greek (χαλάσαντες τὸ σκεῦος) might be taken as a technical term denoting the entire series of operations, slackening sail, but leaving some spread for a special purpose« (S. 329). 121 Daß man sich dennoch das Schiff am sinnvollsten mit (teil-)gesetztem Artemon vorstellt, ist damit nicht bestritten; das Vorsegel wird sicher bei einem römischen Frachter besonders geeignet sein, wenn man vor dem Sturm ablaufen will; vgl. Kettenbach, Logbuch, S. 120.152f.; Suhl, Gestrandet!, S. 23. 122 Balmer, Romfahrt, S. 355–367.
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den wesentlich augenfälligeren Sinn zuschreiben muß, die Angriffsfläche für den Wind zu verringern. Bei einem heftigen Sturm kann nämlich die gewaltige Großrah eines alexandrinischen Kornfrachters wie ein gesetztes Segel wirken, das unter Berücksichtigung des Schwerpunktes die Gefahr des Anluvens und Querschlagens nach sich zog.123 Setzt man voraus, daß mit dem ἀρτέµων bzw. einem anders angebrachten Sturmsegel weitergefahren wurde, so blieb das Schiff steuerbar und konnte wenigstens geringfügig an den Wind gebracht werden, so daß diese Maßnahme sich dann doch unmittelbar mit der als Begründung angeführten Furcht verbinden läßt.124 Im Fall des Schiffes, auf dem Toxaris und Damon fahren und das die Rah im Unwetter ausdrücklich stehen läßt, wird der Sturm entweder nicht so gewaltig vorzustellen sein, oder die von der Rah ausgehenden möglichen Gefahren sind konstruktionsbedingt nicht als so gravierend einzuschätzen (wir wissen ja bei Luc. Tox. 19–21 nicht, um was für ein Schiff es sich hier handeln soll).125 Die Kettenbachschen Spekulationen über die weiteren Umgang mit der Rah müssen hier nicht verfolgt werden, eine solche Frage liegt außerhalb des Interesses unseres Textes.126 Insgesamt – wie überhaupt die Schwierigkeiten dieser Stelle dadurch bedingt sind – wird eine solche Deutung wegen der Verwendung des unspezifischen Wortes σκεῦος fraglich; σκεῦος nämlich kann Gerätschaften, Ausrüstung, usw. jeglicher Art meinen, wohl auch Ausrüstung und Einrichtungen sowie konkreter die Takelage des Schiffes (so auch ἡ σκευή, 27,19).127 Da nun aber gerade die Rahen und insbesondere die Großrah eines Rahseglers als des entscheidenden Elements der Takelung im Griechischen einen speziellen Fachbegriff hat, nämlich κεραία oder κέρας,128 mag man an der Deutung von σκεῦος als Rah zweifeln. Die nun zu besprechende dritte Möglichkeit, nämlich die Deutung als sog. Treibanker, hat einen wahren Siegeszug durch die Kommentare und Studien
123
Vgl. hierzu die zum Teil aber kryptischen und nicht sonderlich gut ausformulierten Darlegungen bei Kettenbach, Logbuch, S. 151f. Die Argumentation von Kettenbach in diesem Punkt wird zustimmend aufgenommen bei Suhl, Gestrandet!, S. 23 mit Anm. 132; Seul, Rettung für alle, S. 90f. 124 Vgl. Brannigan, Nautisches, S. 183f., und die Bemerkung zum ἀρτέµων oben. 125 Vgl. Luc. Tox. 19, wo man mit entblößter Rah fährt (ἀπὸ ψιλῆς τῆς κεραίας [πλεῖν]). 126 Kettenbach hält es für sicher, daß man die Großrah gleich dem Meer übergeben habe: Kettenbach, Logbuch, S. 110f.154f.; auch in dieser Spekulation folgt ihm Seul noch: Seul, Rettung für alle, S. 90f.; Suhl hält dagegen alle Möglichkeiten offen, was auch angesichts unseres Textes das einzig Geratene für den Exegeten sein kann und muß (Suhl, Gestrandet!, S. 23, Anm. 132). Vgl. auch Delebecque, Les actes, S. 131, der von einem Herablassen ins Meer ausgeht, aber die Bedeutung von τὸ σκεῦος kaum spezifizieren will. 127 Vgl. LSJ, s.v. σκεῦος, S. 1607; s. zu »tackle, gear of ships« s.v. σκεῦος I 1. 128 Vgl. z.B. für κεραία: Luc. Tox. 19; Herpyllis II 26; Ach.Tat. III 1,1; Hld. V 22,7; für κέρας: Ach.Tat. III 1,2; Synes. ep. 4,164c.
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angetreten129 und ist auch in Bauers Wörterbuch aufgenommen worden.130 Ausführlich begründet hatte diese Deutung Arthur Breusing,131 nach der der heruntergelassene Treibanker die Fahrt (im Treiben) verlangsamen bzw. stabilisieren soll. Die Zweifel an dieser Deutung hängen einerseits an der Frage, ob ein Schiff von der Größe eines alexandrinischen Kornfrachters überhaupt sinnvoll von einer Art Treibanker gehemmt werden kann, und andererseits – wie schon oben – an der unspezifischen Vokabel τὸ σκεῦος. Zu dem zweiten Problem hat Ramsays Skepsis m.E. einiges für sich: ». . . but how that meaning can be got from the Greek words (χαλάσαντες τὸ σκεῦος), I confess that I cannot see.«132 Weil eben die Bedeutungspalette von σκεῦος so enorm breit ist (s.o.), erscheint es mir fraglich, daß hier ohne weitere Erklärung etwas derartig Spezielles wie ein Treibanker gemeint sein soll. Zwar hat Breusing zwei Stellen beigebracht,133 in denen σκεῦος für Anker steht, jedoch sind diese beiden Belege so geartet, daß man hier ohne Probleme dem unspezifischen Wort die verlangte spezielle Bedeutung beilegt: Zum einen wird bei Plu. Moralia 812C (Praecepta gerendae reipublicae) der große Anker an Bord eines Schiffes als σκεῦος ἱερόν bezeichnet,134 und zum anderen erscheint bei Hesych u.a. καὶ τὸ ναυτικὸν σκεῦος als Erklärung für ἄγκυρα (Hsch. α 577). Bei Plutarch ist die Sache deshalb klar, weil ein Ausrüstungsgegenstand auf einem Schiff, der als ἱερόν bezeichnet wird, nichts anderes als der größte mitgeführte Anker sein kann, der nur in absoluten Notfällen eingesetzt und als sog. heiliger Anker 129 Vgl. z.B. Loisy, Actes, S. 913; Lake/Cadbury, S. 333; Wikenhauser, Geschichtswert, S. 418; Wikenhauser, Apostelgeschichte [RNT], S. 278; Conzelmann, Apostelgeschichte, S. 153; Haenchen, Apostelgeschichte, S. 672 mit Anm. 3 (S. 672f.); Schille, Apostelgeschichte, S. 464; Fitzmyer, The Acts, S. 776f.; Tannehill, The Narrative Unity II, S. 332; Jervell, Apostelgeschichte, S. 606. 130 Bauer, s.v. σκεῦος, Sp. 1507. 131 Breusing, Nautik der Alten, S. 177–182, wie er sich die Konstruktion eines Treibankers unter Benutzung eines »richtigen« Ankers vorstellt, legt er an anderer Stelle dar: Breusing, Nautik der Alten, S. 191–193. 132 Ramsay, St. Paul, S. 330 (dt. Ausg., S. 270). 133 Breusing, Nautik der Alten, S. 177. 134 Das geschieht in einem negativen Vergleich: Der Staatsmann solle sich nicht abseits halten – wie dieser Anker –, bis die größte Not im Staate eingetreten sei, sondern sich eher an den κυβερνῆται orientieren: Plu. Moralia 812B–E (Praecepta gerendae reipublicae). Demgegenüber erscheint an anderer Stelle in derselben Schrift der Anker in einem positiven Vergleich, hier als ἄγκυρα ἱερά (Plu. Moralia 815D): δεῖ γὰρ οὐ ποιεῖν χειµῶνας αὐτὸν ἀλλὰ µὴ προλείπειν ἐπιπεσόντων, οὐδὲ κινεῖν
τὴν πόλιν ἐπισφαλῶς, σφαλλοµένῃ δὲ καὶ κινδυνευούσῃ βοηθεῖν, ὥσπερ ἄγκυραν ἱερὰν ἀράµενον ἐξ αὐτοῦ τὴν παρρησίαν ἐπὶ τοῖς µεγίστοις (815C–D; Übersetzung: Er selbst [sc. der Staats-
mann] darf keine Stürme auslösen, aber, wenn sie hereinfallen, darf er nicht fehlen, ebensowenig darf er den Staat in schwankende Bewegung versetzen, sondern, wenn er schwankt und in Gefahr ist, soll er helfen und aus sich heraus den Freimut emporbringen wie den heiligen Anker in größten Gefahren). – Die Stelle ist auch auch in Übersetzung aufgenommen bei Berger/Colpe, Nr. 37 (S. 44).
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benannt wird.135 Bei Hesych versteht sich die hinzugefügte und umschreibende Erklärung von selbst. Der Vergleich zeigt, daß man kaum berechtigt ist, dem σκεῦος von v. 17 die spezielle Bedeutung Treibanker mit einiger Gewißheit zuzusprechen. Des zuerst genannten Problems, also der fraglichen Wirksamkeit eines Treibankers bei einem derartig großen Schiff, wie es hier wohl anzunehmen ist, hat sich insbesondere Günter Kettenbach angenommen: Sein entscheidendes Argument besteht darin, daß ein wirkungsvoller und dabei im Sturm noch handhabbarer Treibanker für einen alexandrinischen Kornfrachter nicht denkbar sei;136 er beruft sich dafür auf Seemannschaft – Handbuch für den Yachtsport, wo es heißt: »Er kann nur wirkungsvoll sein, wenn er einen größeren Wasserwiderstand erbringt, als das Boot Luftwiderstand hat. Schon bei einer Yacht um die 10m muß er so groß sein, daß er im Sturm kaum noch zu handhaben ist.«137 In der Tat ist das ein beachtenswerter Einwand gegen die verbreitete Deutung des σκεῦος als Treibanker; auch der kompetenteste Vertreter dieser Deutung, Arthur Breusing, hat bei seinen Überlegungen zum Widerstand des Treibankers diesen nicht ausreichend in Beziehung zur Größe des betreffenden Schiffs gesetzt.138 Chantal Reynier nimmt die Kritik von Kettenbach auf, will aber trotzdem an der Deutung als Treibanker festhalten; sie ist der Auffassung, daß ein Treibanker (welcher Konstruktion auch immer) zwar von eingeschränkter Wirksamkeit gewesen sein mag, die Seeleute aber in der schwierigen Situation alle möglichen Hilfsmaßnahmen zu ergreifen versucht hätten, die ihnen zur Verfügung gestanden hätten.139 Nun ist hier auch noch die gern für den Treibanker ins Feld geführte Stelle aus Plutarch De garrulitate heranzuziehen, die im Hinblick auf unser Problem 135 Vgl. bei Plutarch selbst die schon angeführte Stelle Plu. Moralia 815D; bei Lukian den Versuch des Timokles, in seiner Argumentation diesen »heiligen Anker« zu werfen, nachdem sein Schiffsgleichnis den Damis nicht überzeugen konnte: . . . höre jetzt den heiligen Anker, wie man sagt, den du durch keinen Kunstgriff herausreißen wirst (. . . ἄκουσον ἤδη τὴν ἱεράν, φασίν, ἄγκυραν καὶ ἣν οὐδεµιᾷ µηχανῇ ἀπορρήξεις, Luc. JTr. 51); s. auch Luc. Fug. 13, wo die Rede vom letzten Anker ist, den die Seeleute den heiligen nennen (ἡ ὑστάτη ἄγκυρα, ἣν ἱερὰν οἱ ναυτιλλόµενοί φασιν); vgl. aus der Sekundärliteratur etwa die Anm. a bei Fowler, Moralia X, S. 228; Assmann, Art. Seewesen, S. 1614; Casson, Ships, S. 252.255; Höckmann, Antike Seefahrt, S. 65; Kettenbach, Logbuch, S. 49f.; Göttlicher, Seefahrt, S. 73; und auch Breusing, Nautik der Alten, S. 177. Vgl. als Anschauungsbeispiel den Anker Nr. 3 des Mahdia-Schiffs, der in situ verbleiben mußte: Sein Gesamtgewicht kann auf 8800kg geschätzt werden (Gelsdorf, Anker, S. 86)! 136 Kettenbach, Logbuch, S. 146; ihm folgen Suhl, Gestrandet!, S. 23 mit Anm. 132; Seul, Rettung für alle, S. 89. 137 Seemannschaft24 , S. 210. 138 Breusing, Nautik der Alten, S. 181f. 139 Reynier, Paul, S. 105f., Zitat S. 106: »L’ancre flottante n’a peut-être qu’une efficacité relative qui ne met pourtant pas en cause son utilisation. Dans les difficultés, les hommes tentent tout ce qui est en leur pouvoir.«
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zumindest den postulierten Sachverhalt zur Sprache bringt, dort heißt es: νεὼς µὲν γὰρ ἁρπαγείσης ὑπὸ πνεύµατος ἐπιλαµβάνονται σπείραις καὶ ἀγκύραις τὸ τάχος ἀµβλύνοντες.140 Diese Stelle hilft uns erstens in bezug auf unser terminologisches Problem mit σκεῦος (s.o.) auch nicht weiter; zweitens scheint
sie zwei verschiedene Verfahren ins Auge zu fassen, wie man mit Hilfe eines Schleppwiderstands Fahrt aus einem Schiff nimmt. Das sind die σπεῖραι einerseits, also wohl Schlepptrossen, und die ἄγκυραι andererseits, mit denen Treibanker im Sinne von Breusing gemeint sein mögen – wie auch immer man sie sich vorzustellen hat.141 Die Verwendung von Treibankern im allgemeinen kann damit wohl im Sinne von Breusing als belegt gelten.142 Genaues erfährt man aus der Plutarch-Stelle jedoch keineswegs, nicht einmal, an was für ein Schiff hier zu denken ist. – Das ist auch kein Wunder, so ist man geneigt hinzuzufügen, denn in Plutarchs De garrulitate geht es ja um die Geschwätzigkeit und im näheren Kontext unserer Stelle um die unaufhaltsame Ausbreitung einer Rede; nur dazu wird das Schiffsbeispiel hier angeführt: Könne ein Schiff in seiner Fahrt noch gebremst werden, so gebe es für einen λόγος, der den Hafen verlassen habe, kein Halten mehr.143 Dementsprechend haben wir von dieser Stelle auch keine detaillierten Informationen über die im Hintergrund stehenden nautischen Maßnahmen zu erwarten. Zu den σπεῖραι muß man ergänzend Luc. Tox. 19 berücksichtigen, wo sie ausdrücklich nachgeschleppt werden, möglicherweise aber eher dazu dienten, den Anprall der Wogen zu mindern.144 Man kann solchen Schlepptrossen wohl in der Tat mehrere Funktionen zuweisen, sowohl die Verringerung der Fahrt, die Stabilisierung der Schiffs beim Ablaufen vor dem Wind, als auch den Schutz vor den Sturzwellen und Brechern.145 Ob allerdings die Funktion der Fahrtverringerung bei einem großen Alexandriner gegriffen hätte, ist sehr fragwürdig.146 Insgesamt überwiegen m.E. die Vorbehalte, einen so allgemeinen Terminus wie eben σκεῦος als ein so spezielles Hilfsinstrument wie den Treibanker oder Plu. Moralia 507A–B; Übersetzung: Wenn nämlich ein Schiff vom Sturm fortgerissen wird, so greift man zu Tauen und Ankern, um damit die Fahrt zu drosseln. 141 Vgl. wieder Breusing, Nautik der Alten, S. 177–182, zur Plutarch-Stelle S. 177f.181. 142 Neuburger, Technik, S. 502f., kommt aber in seinen kurzen Ausführungen zu den Ankern nicht auf die uns interessierende Einrichtung zu sprechen; genausowenig Casson, Ships, S. 252–257. 143 Plu. Moralia 507B (De garrulitate): λόγου δ’ ὥσπερ ἐκ λιµένων ἐκδραµόντος οὐκ ἔστιν ὅρµος οὐδ’ ἀγκυροβόλιον, . . . – Übersetzung: Für eine Erzählung aber, wenn sie gleichsam aus dem Hafen ausgelaufen ist, gibt es keine Reede und keinen Ankerplatz mehr . . . 144 Die bei Lukian gegebene Zweckangabe ist fraglich, vgl. dazu und zu dieser Stelle überhaupt die Ausführungen oben S. 143ff. 145 Vgl. Breusing, Nautik der Alten, S. 179; Kettenbach, Logbuch, S. 147f.; Seemannschaft24 , S. 210 mit Abb. auf S. 209 (= unsere Abb. 4.1 [S. 145]).211. 146 Vgl. wieder Kettenbach, Logbuch, S. 148. 140
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das Hemmgeschirr zu deuten; nimmt man die Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Einsatzes eines solchen Mittels hinzu, mag man nicht mehr so recht an die entsprechende Deutung des harmlosen Ausdrucks χαλᾶν τὸ σκεῦος glauben. Mir scheint daher näher zu liegen, den Ausdruck eher im Sinne der Lösung 2 zu verstehen, ohne allerdings die wiederum spezielle Bedeutung der Großrahe zu unterstellen: Lukas wollte möglicherweise nur ausdrücken, daß auf dem Schiff schon abgetakelt wurde, um die Angriffsfläche für den Wind zu reduzieren, ohne daß er den Anspruch erhoben hat, die Maßnahme ganz genau zu erfassen. Ich wage die Vermutung, daß er seine Erzählung wohl eher nur in der nautischen Szenerie durch einige seemännische Aktivität bereichern wollte; auf die exakte Erfassung und Beschreibung der Maßnahmen scheint es ihm dagegen weniger angekommen zu sein. Derartige Elemente nautischer Szenerie, ja geradezu nautische Details, finden sich durchaus auch in den Romanen und dienen dort dem Zweck, die Not und Gefahr anschaulich darzustellen; man denke v.a. an die unmöglichen bzw. scheiternden Manöver mit der Rah bei Herpyllis II 26.28f.147 und Ach.Tat. III 1,1f. Selbst Stücke, die sich in ihrer Darstellungs- und Erzählweise eher von der Romanliteratur absetzen wollen, aber just in diesem Unterfangen typische Elemente aus diesen aufgreifen, bringen solche nautischen Details.148 Es ist daher nicht einzusehen, warum diese Details unsere Erzählung von den Sturmerzählungen etwa der Romanliteratur unterscheiden sollten.149 Ja, noch mehr; wenn wir mit unserer Analyse hier im Recht sind, wird man Lukas eher ein geringeres Interesse an den nautischen Details zusprechen müssen, da er ja im Zuge ihrer Darstellung die Präzision im Ausdruck doch einigermaßen vermissen läßt. Weiter in der Erzählung: Nachdem man sich nach diesen Maßnahmen weiter hat treiben lassen (v. 17), tobt der Sturm am nächsten Tag nun immer noch, man beschließt eine weitere Maßnahme: die Leichterung des Schiffs. Zunächst erfolgt nur eine nicht weiter spezifizierte ἐκβολή (v. 18), die aber wahrscheinlich wohl einen Teil der Fracht betreffen wird. Die hier vorgenommene ἐκβολή in irgendeiner Weise auf die Ladung zu beziehen, liegt nahe; denn, wenn kein konkreter Gegenstand angegeben ist, sollte man bei einem Frachtschiff wohl auf die Schiffsladung schließen dürfen.150 Leichterungen, bei der ausdrücklich 147
Hier ergeben sich aufgrund des fragmentarischen Textzustandes Probleme, s. oben z.St. Vgl. etwa Luc. Tox. 19f.; VH I 6; sowie einige Stellen im 4. Brief des Synesios von Kyrene (s. dort). 149 Das ist die Behauptung von Haenchen, Acta 27, S. 240. Jervell hat das aufgenommen (Jervell, Apostelgeschichte, S. 612 mit Anm. 502). 150 Breusing, Nautik der Alten, S. 185: »Das Wort ἐκβολή ist ein technischer Ausdruck wie bei unsern Seeleuten das Wort werfen, worunter man auch ohne weiteren Zusatz stets das Überbordwerfen von Ladung versteht.« 148
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die Fracht über Bord geht, finden sich auch sonst; hier seien zwei Beispiele genannt: (1) Eine Leichterung des Schiffs wird im Roman des Achilleus Tatios vom κυβερνήτης angeordnet, es heißt dort ausdrücklich: καὶ ὁ κυβερνήτης ἐκέλευε ῥίπτειν τὸν φόρτον.151 Alle, so wird weiter festgestellt, beteiligen sich an der Leichterung, ohne Gold und Silber auszusortieren; viele der mitfahrenden Händler werfen sogar ihr Eigentum von sich.152 (2) Auf seiner winterlichen Seereise von Alexandria nach Rom, wo er dann zum König über Judäa ernannt wurde, geriet Herodes in pamphylischen Gewässern in einen Sturm und konnte sich nur nach Auswurf des größten Teils der Ladung (τοῦ φόρτου τὸ πλεῖον) mit Mühe nach Rhodos retten (J. BJ I 14,2f. [§§ 279f.]).153 Eine weitere Parallele sei noch hinzugefügt, die man in ihrer Formulierung als geradezu erstaunliche Parallele bezeichnen kann; die LXX bietet in Jona 1,5 gleich zu Anfang der Sturmszene: καὶ ἐφοβήθησαν οἱ ναυτικοὶ καὶ ἀνεβόων ἕκαστος πρὸς τὸν θεὸν αὐτῶν καὶ ἐκβολὴν ἐποιήσαντο τῶν σκευῶν τῶν ἐν τῷ πλοίῳ εἰς τὴν θάλασσαν τοῦ κουφισθῆναι ἀπ’ αὐτῶν.154 Auch hier
stellt sich die Frage, von was das Schiff geleichtert wird, was also unter den σκεύη/ כֵּלִיzu verstehen ist. Zwar können כֵּלִיauch Ausrüstungsgegenstände aller Art sein, doch ist hier wohl ebenfalls von der Leichterung von Ladung auszugehen, so daß in den כֵּלִיGefäße zu sehen wären;155 τὰ σκεύη ist eine gewöhnliche und naheliegende Übersetzung für כֵּלִי, weil es eine vergleichbare Bedeutungsbreite besitzt. Die Vokabelübereinstimmung zu unseren vv. 18f.38 ist indes so verblüffend, daß man sich geneigt sah, überhaupt die Probleme unserer Stelle dadurch zu lösen, daß man einfach Jona-Imitation annahm, oder, wie Haenchen formuliert: »Es ist nicht unmöglich, daß Lukas hier einfach den biblischen Zug aus dem Buch Jona untergebracht hat.«156 Wie sich gleich zeigen wird, ist es m.E. nicht nötig, diese rein auf literarischer Anspielung basierende Lösung vorzuziehen; daß diese Stelle aber gewissen Einfluß auf Lukas ausgeübt haben wird, gilt mir als sicher. Ob er sie bewußt als Vorbild für seine Darstellung benutzt hat, mag dahingestellt bleiben. Möglicherweise ist aber die Unsicherheit,
Ach.Tat. III 2,9, s. zur Stelle oben. Aufgrund dieses Passus versteht aber Reynier unter dem φόρτος hier nicht die Ladung des Schiffs, sondern die Habe der Passagiere: Reynier, Paul, S. 108 mit Anm. 3. 153 J. BJ I 14,3 (§ 280): κινδυνεύσας δὲ περὶ Παµφυλίαν καὶ τοῦ φόρτου τὸ πλεῖον ἐκβαλὼν µόλις εἰς ῾Ρόδον διασώζεται . . . (Übersetzung: Als er bei Pamphylien in große Gefahr [durch einen Sturm] geriet, konnte er sich nach Auswurf des größten Teils der Fracht kaum nach Rhodos retten . . . ). 154 Der masoretische Text lautet hier: ֶויּ"טִלוּ אֶתהַכֵּלִי אֲשׁ&ר בָּאֳניּ"ה אֶלהַיּ" לְהָקֵל מֵעֲלֵה 155 Vgl. Wolff, Obadja/Jona, S. 88. 156 Haenchen, Apostelgeschichte, S. 673, Anm. 2. 151 152
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was er im anschließend zu behandelnden v. 19 nun wieder mit σκευή meint, in dem Einfluß dieser Stelle begründet.157 Ist nun also die Leichterung des Schiffes von Fracht durchaus geläufig, so sind an unserer Stelle gegen ein solches Verständnis v.a. nautische Bedenken geltend gemacht worden: Erstens könne ein Auswurf von Ladung in der gegebenen Situation eines schweren Sturms nicht durchgeführt werden, weil dazu die Ladeluken geöffnet werden müßten, und dabei mehr Wasser als ohnehin schon in den Rumpf eindringen würde.158 Zweitens sei es eine völlig unplausible Maßnahme, die Ladung auszuwerfen, da das Schiff dann Tiefgang verliere und eventuell so an Steuerbarkeit durch die hochgelegenen Ruder einbüße. Vor allem, das sei das Entscheidende, verliere das Schiff durch die Gewichtsminderung im Rumpf an Stabilität.159 Demgegenüber lassen sich aber nautisch genauso plausible Motive für eine Leichterung gerade von der Getreidefracht denken: Erstens ist das schwer beladene Schiff mit seinem erheblichen Tiefgang den Brechern, die über das Deck gehen können, viel stärker ausgesetzt. Eine maßvolle Gewichtsreduktion konnte diese Gefahr mindern.160 Zweitens könnte eine Teilleichterung, die achtern und vorn vorzunehmen wäre, die Gefahr des Rückenbrechens auf den Wellenbergen vermindern, da so ein größerer Gewichtsanteil in die Mitte verlagert würde.161 Drittens könnte durch eindringendes Wasser das Getreide aufquellen und die Verschalung des Schiffs zu sehr belasten, so daß die Gefahr des Leckschlagens bestünde.162 Die Leichterung von Ladung, also des sicher von diesem Schiff transportierten Getreides, ist somit keineswegs so unplausibel, wie manche Ausleger glauben machen wollten. 157 In jedem Fall wäre unsere Stelle demnach den »Anklänge[n] an das Jonabuch« innerhalb des Neuen Testaments hinzuzufügen: Huber, Zeichen des Jona, S. 78, Anm. 3. Vgl. zu Jon 1,5a und zu weiteren Belegen für Leichterungen des Schiffs: S. 191f. 158 Dieser Einwand findet sich etwa bei: Haenchen, Apostelgeschichte, S. 673; Schille, Apostelgeschichte, S. 465; Seul, Rettung für alle, S. 93. Zurück geht diese Überlegung auf Renié, Actes, S. 339 (mir leider nicht verfügbar); vgl. aber Renié, Manuel d’écriture V, S. 218 (147), wo er von der Leichterung eines Teils der unter Deck verstauten Ladung ausgeht. 159 Vgl. Reynier, Paul, S. 108. Siehe hierzu auch die – wie immer – wirren Überlegungen bei Kettenbach, Logbuch, S. 132.160f.164: »Das Schiff wäre nach dem Leichtern wohl zu hoch aus dem Wasser gekommen, ein tanzender Spielball des Windes und der Wellen geworden. Mit seinen hochhängenden Ruderblättern wäre das Schiff noch weniger, noch schlechter zu steuern gewesen« (Zitat S. 164); aufgenommen bei Seul, Rettung für alle, S. 93. 160 Breusing, Nautik der Alten, S. 184f.; vgl. auch Weski, Wind, Wellen und Seemannschaft, S. 234, der den Zweck feststellt, »das Freibord zu erhöhen.« 161 Breusing, Nautik der Alten, S. 185, der dieses Motiv für eine Leichterung von Ladung so mit seiner Deutung des Unter- bzw. Umgürtens (ὑποζωννύναι) verbindet, das seines Erachtens eben die Längssteifigkeit verbessern und der Gefahr des Rückenbrechens vorbeugen sollte (vgl. S. 182–184). 162 So bei Warnecke, Paulus im Sturm, S. 63f.
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Abgesehen von der Frage, ob an dieser Stelle die Entscheidung über das richtige Verständnis tatsächlich von nautischen Erwägungen abhängig gemacht werden muß, ist noch hinzuzufügen, daß die oben referierten Bedenken vor dem Hintergrund der Motive für eine solche Leichterung von Ladung entkräftet werden können: Zu dem ersten Einwand ist anzumerken, daß wir über die genaue Konstruktionsweise des Laderaums und der Zugänge zu ihm im Fall des hier vorliegenden bzw. vorgestellten Schiffs gar nicht im Detail informiert sind. Zudem kann man folgendes erwägen: Selbst für den Fall, daß durch die Leichterungsarbeiten viel mehr Wasser als ohnehin in den Laderaum eindringen konnte, mag man das billigend in Kauf genommen haben, um hernach den Umständen entsprechend Ruhe zu haben und eben Schlimmeres zu verhindern. Der zweite Einwand ist natürlich grundsätzlich voll und ganz berechtigt: Ganz gewiß – das ist selbstverständlich – verliert ein geleichtertes Schiff an Stabilität im Wasser! Nicht ohne Grund hat man Schiffe auf Leerfahrten daher mit Ballast versehen.163 Eindrücklich illustriert wird das durch die Existenz der sog. saburrarii in Ostia und Portus, »Sandschipper«, wie man wohl übersetzen muß.164 Just für die Beladung leer oder fast leer abfahrender Schiffe mit Sand (saburra) als Ballast wurde also zumindest in Ostia und Portus auch eine entsprechende Logistik vorgehalten. Die besondere Tätigkeit der saburrarii ist in einer Inschrift aus Fiumicino (Portus) belegt (AÉ 1977 [1981], Nr. 171);165 es handelt sich dabei um eine offizielle Anordnung, die ins Jahr 210 n.Chr. datiert werden muß: Eine explizite Datumsangabe findet sich in Z. 15f.: XV kal(endas) Octobr(es) | Faustino et Rufino co(n)s(ulibus) ;166 daraus ergibt sich der 17. September 210.167 Der Text der insgesamt 18-zeiligen Inschrift ist hier nur mit seinen ersten sechs Zeilen abgedruckt: Sicut · coram · praecepit v(ir) · p(erfectissimus) · Messius · Extricatus, praef(ectus) · ann(onae) · titulus · ponetur qui demonstret168 · ex quo loci Vgl. Casson, Ships, S. 90 mit Anm. 67 und S. 176f. mit Anm. 43. Casson nennt sie »sandmen«; vgl. Casson, Ancient Mariners, S. 200 (dt. Ausg., S. 357, dort auch die Übersetzung »Sandschipper«); Casson, Ships, S. 370 mit Anm. 46, an anderer Stelle spricht er von »sand-heavers« (S. 176, Anm. 43). 165 Testaguzza, Portus, S. 76; Cébeillac-Gervasoni, Apostilles, S. 269 (mit franz. Übersetzung und Abb. 1 [S. 268]); AÉ 1977 (1981), Nr. 171 (S. 44f.); Sirks, Food, S. 265, Anm. 61; Heike Niquet, EDH 1997, HD005644 (letzter Zugriff: 1. Juli 2009). 166 AÉ: cos(ulibus). 167 Vgl. AÉ 1977 [1981], Nr. 171, S. 44. 168 In Z. 4 gibt Testaguzza: demonstret. AÉ: demonstrat. 163 164
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in quem locum saborrariis saborram tollere liceat · . . . ... Gemäß dem persönlichen Befehl des vir perfectissimus Messius Extricatus, des praefectus annonae, wird eine inschriftliche Anweisung (titulus) aufgestellt, die angibt, von welcher Stelle bis zu welcher Stelle169 die saburrarii Sand (zur Verwendung als Ballast) abbauen dürfen . . .
In dieser Anweisung wird also durch Messius Extricatus, den praefectus annonae, die Aufstellung einer Kennzeichnung für einen Bereich verfügt, in dem die »Sandschipper« den für ihre Aufgabe notwendigen Sand abbauen dürfen; soviel ist klar. Handelt es sich bei dem gemeinten Bereich aber um einen nahegelegenen Strandabschnitt oder eine im Hinterland liegende Sandgrube?170 In Ostia waren diese saburrarii (»Sandschipper«) nach Ausweis zweier Inschriften sogar in einem collegium bzw. corpus organisiert, hatten also einen eigenen Berufsverein oder eine eigene Berufsgenossenschaft.171 Allerdings wissen wir von saburrarii allein aus Ostia und Portus, aus anderen Häfen fehlen derartige Belege völlig, wie auch sonst abgesehen von den drei genannten epigraphischen Vorkommen saburrarius bislang nicht weiter belegt ist; insbesondere existiert offenbar kein einziger literarischer Beleg.172 Man mag das damit erklären, daß bei dem großen 169 in quem locum: in hier in der Verwendung wie usque in/usque ad zur Angabe eines räumlichen Zielpunkts, einer räumlichen Grenze (vgl. OLD, s.v. in 13a, S. 856). 170 Vgl. zur Interpretation der Inschrift Sirks, Food, S. 265. Es stellt sich inbesondere die Frage, ob der praefectus annonae auch rechtliche Gewalt und Regelungsbefugnis an Orten außerhalb des unmittelbaren Hafengeländes und der Lagerhäuser hatte. Davon ist Cébeillac-Gervasoni überzeugt (Cébeillac-Gervasoni, Apostilles, S. 276); sie bezieht sich dabei auf eine Bemerkung bei Pavis d’Escurac, La préfecture de l’annone, S. 123, die aber unsere Inschrift noch nicht berücksichtig hatte. Boudewijn Sirks will das einschränken auf Fälle oder Zusammenhänge, bei denen die Interessen der annona unmittelbar betroffen sind (Sirks, Food, S. 265, Anm. 64). 171 Ein corpus saburrariorum findet sich in CIL XIV, Nr. 102, Z. 10 (S. 24) [156 n.Chr.] = ILS II 1, Nr. 6177, Z. 10 (S. 556); CIL XIV, Nr. 448, Z. 4 (S. 81) hat: [corporis sab] urrarior. [um] . Vgl. zu den collegia bzw. corpora in Ostia/Portus Meiggs, Roman Ostia, S. 311–336; zur besonderen Rolle der Freigelassenen in der Hafenwirtschaft und den dortigen collegia siehe D’Arms, Commerce, S. 121ff. Boudewijn Sirks legt dar, daß die im Zusammenhang mit der annona stehenden »Berufsvereine« nicht als freiwillige Zusammenschlüsse zur Förderung der eigenen berufsbedingten gemeinsamen Interessen anzusehen seien, sondern als solche, die staatlichen Interessen (eben der annona) dienten und mit bestimmten Privilegien versehen seien. Er unterscheidet dabei die Typen A und B, die durch das Kriterium des Kapitaleinsatzes voneinander abzugrenzen seien; das corpus saburrariorum gehöre zu Typ A und setze sich aus eher ärmeren Mitgliedern ohne eingesetztes Kapital zusammen (vgl. zu diesen beiden Typen von corpora Sirks, Food, S. 15–21.81–94.404f.). Einen Überblick über die kaiserzeitliche Gesetzgebung diese collegia bzw. corpora betreffend bietet Sirks, Vereine, bes. S. 30–38. 172 OLD, s.v. saburrarius, S. 1673, bietet ohnehin nur die oben angeführte Inschrift CIL XIV, Nr. 102, Z. 10 (S. 24) = ILS II 1, Nr. 6177, Z. 10 (S. 556) als Beleg an. Olcott, Word Formation, S. 165 (»Adjectives and derived substantives«, § 16 [–arius], Nr. 307) notiert dementsprechend: »Inscrr. only« (S. 165, Anm. 7), bietet aber natürlich seinerseits nur die beiden genannten Belege aus CIL
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Importbedarf Roms und dem demgegenüber eher geringen Export nur hier die Verladung von Sand als Ballast in größerem Stil notwendig war.173 Somit wäre das Fehlen weiterer Belege für die saburrarii allerdings wenigstens noch im Fall des im ersten Jahrhundert für die annona bedeutenden Hafens Puteoli/ Dikaiarcheia verwunderlich, weil hier ja im Prinzip die gleichen Bedingungen und Umstände anzunehmen sind. Möglicherweise hat nun nur der systematisch organisierte Betrieb der annona im 2. Jh. in Ostia und Portus (eben nach den großen trajanischen Baumaßnahmen) eine Korporation für die saburrarii notwendig gemacht174 und (bislang) nur von daher entsprechende Belege auf uns kommen lassen; die Tätigkeit des Verladens von Ballast auch in anderen Häfen ist damit natürlich keineswegs ausgeschlossen, sondern umgekehrt eher wahrscheinlich.175 Insgesamt zeigt also schon allein der Befund aus Ostia und Portus, wie wichtig Ballast für die organisierte Schiffahrt war. Im Fall unseres Paulus-Schiffs muß man aber wohl damit rechnen, daß hier durchaus, wie in so vielen Situationen praktischer Seemannschaft, eine Abwägung von verschiedenen Übeln bzw. Gefahren vorgenommen worden sein könnte. Um den oben benannten Gefahren zu begegnen, konnte man einen geringfügigen Stabilitätsverlust in Kauf genommen haben, natürlich lediglich einen so geringfügigen, daß man nicht wieder selbst eine neue tödliche Gefahr schafft bzw. eine andere Gefahr verstärkt, nämlich die des Querschlagens und Kenterns. Es ist ja auch keineswegs sinnvoll, wenn man für einen Bezug der ἐκβολή auf die Ladung plädiert, gleichzeitig anzunehmen, daß die gesamte Ladung geworfen wurde, das wäre in der Tat ganz absurd.176 Übrigens nicht nur XIV (die oben zitierte Inschrift aus AÉ 1977 [1981] konnte er ja noch nicht kennen). Eine Suche nach saburrari*/saborrari* in den Datenbanken EDH und EDCS (jeweils letzter Zugriff am 1. Juli 2009) erbringt auch keine weiteren Treffer über die hier genannten drei hinaus. Überdies konnten mir die Mitarbeiter des ThLL Manfred Flieger und Gerard Duursma am 2. Juli 2009 per e-mail bestätigen, daß sich auch im unveröffentlichten Material des ThLL keine weiteren Belege für saburrarius finden. 173 Vgl. Sirks, Food, S. 265. 174 Vgl. Sirks, Food, S. 265, der annimmt, daß ein corpus sabburariorum erst unter Trajan entstand. Eine frühere Entstehung hält jedoch Cébeillac-Gervasoni für wahrscheinlich: »Il est probable que ce corps des lesteurs de bateaux a existé très tôt, en fait dès que s’est développé le va-et-vient des bateaux qui portaient de Pouzolles à Ostie les chargements de blé pour l’alimentation de l’Urbs car il est évident qu’il n’existait aucun fret de retour pour ces navires« (Cébeillac-Gervasoni, Apostilles, S. 275). 175 Vgl. zur allgemeinen Bekanntheit der Verwendung von Ballast im Schiffe vgl. Sen. Ep. LXXIII 5, eine Stelle im übrigen, die sehr eindrücklich zeigt, daß saburra ganz allgemein die Bedeutung Ballast angenommen hat. Sand als Ballast war nun auch nicht die einzige Möglichkeit, auch Steine konnten verwendet werden (Casson, Ships, S. 176f. mit Anm. 43). 176 Das hatte Bauernfeind ganz richtig gesehen: »Das Schiff soll leichter werden – andererseits natürlich nicht zu leicht; man hat also auf jeden Fall nur einen Teil der Ladung über Bord geworfen« (Bauernfeind, Apostelgeschichte, S. 274). Auch gegen eine Teilleichterung von der Ladung spricht sich aber trotzdem Reynier, Paul, S. 108, aus.
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deshalb, weil man nicht den ganzen Ballast aufgegeben haben wird, sondern auch, weil der v. 38 m.E. bezeugt, daß noch reichlich Getreide an Bord war, das man vor der Strandung offenbar weiter reduziert hat177 (s. zum Problem dieser Stelle aber unten). Die Deutung der ἐκβολή von v. 18 auf die Fracht des Schiffes, näherhin natürlich nur auf einen beschränkten Teil derselben, läßt sich also sowohl als das grundsätzlich naheliegende Verständnis herausstellen, als auch als ein nautisch plausibles. Am dritten Tag dann wird sogar ausdrücklich Ausrüstung (σκευή) ins Meer geworfen (v. 19); hier nun wird es sich wohl in der Tat um schwere zum Schiff gehörige Ausrüstungsgegenstände handeln: Balmer etwa denkt an schwere »Decklasten«178 – aber sicher ist das wiederum (wie zuvor bei σκεῦος, v. 17) nicht! Kettenbach ist der Auffassung, daß jetzt, nachdem man in 27,17 (s. dazu oben) die Großrah dem Meer übergeben habe – so ja sein Verständnis der Stelle –, auch noch der Mast umgelegt und ins Meer gelassen werde;179 so kann er hier σκευή ungezwungen auf die Takelage überhaupt beziehen.180 Warum wird hierbei betont, daß diese zweite Leichterung αὐτόχειρες erfolgte? Bezieht sich das auf die Seeleute, die gleichsam ihr Arbeitsmaterial ins Meer werfen? Das könnte die von einigen guten Zeugen gegen den Mehrheitstext gebotene 3. Pers. nahelegen.181 Weit später, in der Nacht vor der Strandung, wird noch eine dritte Leichterung vorgenommen, bei der ausdrücklich Nahrungsmittel dem Meer überantwortet werden (ἐκβαλλόµενοι τὸν σῖτον εἰς τὴν θάλασσαν, v. 38); bezieht man die erste Leichterung in v. 18 schon auf die Getreidefracht – wie ich
Vgl. Barrett, Acts II, S. 1198. Balmer, Romfahrt, S. 368; vgl. auch Breusing, Nautik der Alten, S. 185–187. 179 Vgl. Kettenbach, Logbuch, S. 152–154.159.162; wie in verschiedenen anderen Punkten auch ist der Kettenbachsche Text hier von einem derartigen Wirrwarr assoziativen Aneinanderreihens gekennzeichnet, daß man sich dessen wirkliche Position aus verschiedenen Stellen erst zusammensuchen muß. Der Leser kann von Glück reden, daß hier nicht der Ort ist, sich weiter über das Kettenbachsche Machwerk zu erregen. 180 Das wäre auch durchaus passend, da man mit ἡ σκευή die Schiffsausrüstung überhaupt und deren Einzelteile mit τὰ σκεύη bezeichnen konnte: Vgl. wieder die kurzen Skizzen zu den attischen Ausrüstungslisten bei: Breusing, Nautik der Alten, S. 46f.; Luebeck, Seewesen II, S. 24, die auf Böckh, Urkunden, S. 111–166, basieren, der in den Kapiteln IX und X »Vom hölzernen Geräthe insbesondere« (S. 111–132) und »Vom hängenden Geräthe insbesondere« (S. 132–166) handelt (σκεύη ξύλινα ἐντελῆ/σκεύη κρεµαστὰ ἐντελῆ). 181 Oder hat Ramsay recht? Er führt für die 1. Pers. ins Feld (Ramsay, St. Paul, S. 332 [dt. Ausg., S. 271]): »This makes a striking picture of growing panic; but the third person, which appears in the great MSS., is ineffective and makes no climax.« Man sollte hier jedoch bedenken, daß die Zuordnung von allen und den Seeleuten zur 1. und 3. Pers. keineswegs einwandfrei funktioniert (s.o.). 177 178
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es für richtig halte –, muß man dort annehmen, daß es jetzt um den noch an Bord verbliebenen Rest geht.182 Wie in einem Abspann der eigentlichen Sturmszene fügt unser Verfasser noch zwei – uns schon in anderen Seefahrtserzählungen begegnete – auffällige Motive in v. 20 an: 1. das Motiv der länger anhaltenden Dunkelheit, hier sogar ἐπὶ πλείονας ἡµέρας;183 und 2. die Feststellung, daß man alle Hoffnung aufgegeben habe.184 Stellt man diesen quasi summarischen v. 20 den ausführlichen Sturmschilderungen (eben bei Achilleus Tatios oder im Herpyllis-Bruchstück185 ) gegenüber, so wirkt das hier Gesagte vergleichsweise blaß; auch wenn mit Dunkelheit und Hoffnungslosigkeit wichtige Elemente aufgenommen sind, so fehlt doch die Beschreibung des übrigen Wetters (v.a. Blitz und Donner)186 und die Beschreibung der Wellenberge.187 Daß unsere Erzählung hier hinter den genannten Stücken zurückbleibt, kann ich Haenchen unumwunden zugeben,188 allerdings gebe ich auch zu bedenken, daß wir bei Herpyllis und im Roman des Achilleus Tatios wirklich herausragende Beispiele von Sturmbeschreibungen vor uns haben; es finden sich demgegenüber in den Romanen auch kurze Erwähnungen von Stürmen und summarische Beschreibungen.189 In jedem Fall versucht Lukas – das zeigt sich hier an v. 20 –, doch deutlich ein bestimmtes Feld von motivischen Elementen abzudecken.190
182 Vgl. aber z.St. unten; insbesondere verwirrt den Leser die direkte Verbindung mit der Nahrung, die man im gemeinsamen Mahl zu sich genommen hatte (vv. 35f.): v. 38 wird ja eingeleitet mit κορεσθέντες δὲ τροφῆς. 183 Die Dunkelheit bzw. Finsternis gehört – soviel haben wir oben gesehen – einfach dazu: Charito III 3,10; Hist.Ap. 11; Herpyllis II 38–54 (bes. Z. 49f.52f.); Ach. Tat. III 1,1; 2,2; Petr. 114,1.3; Luc. Nav. 9; Tox. 20; VH I 6; Aristid. Or. XLVIII 65. 184 Bemerkungen dieser Art finden sich v.a. in den ausführlicheren Sturmbeschreibungen der Romane, etwa bei Ach.Tat. III 2,4; Herpyllis II 35–37, aber auch bei: Theoc. XXII 18 (οἰόµενοι θανέεσθαι von den Seeleuten); App. BC V 10 (§ 90); Luc. Tox. 20; Aristid. Or. XLV 33; A.Jo. (Prochoros, Zahn, S. 50, Z. 11f.). 185 Ach.Tat. III 2,2–8; Herpyllis II 35–54. 186 Ach.Tat. III 2,2; Herpyllis II 45–49. 187 Ach.Tat. III 2,2.5; Herpyllis II 38–42; Ps 107,26 (106,26 LXX); auch in summarischen Passagen wie Hld. V 27,7 oder sogar Jona 1,4 (LXX). 188 Haenchen, Acta 27, S. 240. 189 Z.B. Charito III 3,10.18; X.Eph. II 11,10; III 2,12; Hld. I 22,4; V 27,7. Vgl. letztlich auch die parodistisch gemeinten Kurzfassungen von kaum so zu nennenden »Sturmbeschreibungen« bei Luc. Tox. 19; VH I 6. 190 Vgl. zur Sturmmotivik auch Praeder, The Narrative Voyage, S. 243.
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8.4 Traum und 1. Ermahnung (27,21–26) In der zweiten Szene, in der Paulus im Rampenlicht steht – jetzt sogar allein –, ermahnt er zum ersten Mal seine Mitreisenden und versucht, ihnen Mut zuzusprechen. Paulus beginnt seine Rede aber mit einem nicht wenig selbstbewußten Rückverweis, daß er es nämlich schon in Καλοὶ λιµένες besser gewußt habe (v. 21, vgl. v. 10). Man hätte nicht abfahren sollen und sich dieses Übel und Verderben zuziehen. Was die Formulierung: . . . µὴ ἀνάγεσθαι ἀπὸ τῆς Κρήτης κερδῆσαί τε τὴν ὕβριν ταύτην καὶ τὴν ζηµίαν, in diesem v. 21 betrifft, so schließe mich hier nicht an die weithin übliche Übersetzungsmöglichkeit an, die mit »ersparen« o.ä. arbeitet. Es ist hier nämlich fraglich, ob man das µή vor ἀνάγεσθαι auch noch für κερδῆσαι mithören kann – ich meine ja. Ansonsten muß man eine gegensätzliche Bedeutung von κερδαίνειν annehmen, also statt »gewinnen, erwerben« etwa »ersparen, vermeiden«. Solche Bedeutungen, die von der Grundbedeutung etwa als: sich Gewinn verschaffen, indem man Übles vermeidet, abzuleiten wären, werden in den alten Wörterbüchern gar nicht aufgeführt.191 Allerdings bieten LSJ und Bauer einige Belege;192 beide verbuchen auch unsere Stelle unter der abgeleiteten Bedeutung. Da man mit der eigentlichen und Hauptbedeutung an unserer Stelle auch sehr gut durchkommt, wenn man das µή noch auf κερδῆσαι mitbezieht, schlage ich vor, diese Hauptbedeutung auch hier anzunehmen. Der Sinn ist aber in jedem Fall klar und bleibt tatsächlich ein und derselbe!193 Paulus macht nun den Versuch, die Menschen aufzurichten, indem er ihnen von einer Erscheinung berichtet, die er in jener Nacht gehabt habe. Ob es sich hierbei um eine Vision, die nachteshalben geschieht, oder um einen Traum handelt – und Paulus mithin geschlafen habe – bleibt unklar: Auf letzteres deutet die ausdrückliche Angabe der Nacht hin (παρέστη γάρ µοι ταύτῃ τῇ νυκτὶ . . . , v. 23); dazu kann man Apg 16,9 vergleichen – welche Stelle ja zumeist als Traumerscheinung gedeutet wird194 –, wo aber lediglich von einem ὅραµα διὰ νυκτός (v.l.) die Rede ist. Das Wort ὅραµα kann aber für jegliche Erscheinung, nicht nur die im Traum, verwendet werden;195 ein ὅραµα, das ausdrücklich bei Nacht geschieht, sollte man – soweit nichts dagegen spricht – wohl für 191 Vgl. beispielsweise Passow I 2, S. 1711; Pape I, S. 1423; wohl aber bringen diese Belege für die Verbindung mit üblen Dingen, aber im Sinne von »sich zuziehen, verschaffen«: E. Hec. 518 (δάκρυα κερδᾶναι). 192 LSJ, s.v. κερδαίνω III, S. 942; Bauer, s.v. κερδαίνω 2, Sp. 873, wobei aber die bei Bauer angeführte Stelle E. Cyc. 312 sicher nicht als Beleg zu gelten hat! 193 Vgl. zu dem Problem die Erklärungen bei: Lake/Cadbury, S. 334; Barrett, Acts II, S. 1176 (Übersetzung).1199f. 194 Vgl. Pilhofer, Philippi I, S. 249.252; Barrett, Acts II, S. 771f. 195 Für den Gebrauch bei Lukas s. etwa Apg 9,10.12 (in v. 12 ist der Text fraglich); 10,3; 11,5.
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eine Traumerscheinung halten: »A vision that appears in the course of the night is probably a dream«.196 Überträgt man das auf unsere Stelle, erscheint es merkwürdig genug, daß Paulus schlafen kann; interessant ist, daß sich auch sonst in biblischen Erzählungen »Sturmschläfer« finden, so etwa der flüchtige Prophet Jona (Jon 1,5f.) oder Jesus in der berühmten Perikope von der Sturmstillung (Mk 4,38f. parr): Gehört das zur Zeichnung eines Propheten/Apostels? Zu Vorsicht in der Beurteilung mahnt der Umstand, daß das Schlafen im Sturm in allen drei Erzählungen eine andere Funktion erfüllt,197 und überdies das Schlafen des Paulus an unserer Stelle ja nicht einmal explizit berichtet wird, sondern nur vom Leser mit gewisser Wahrscheinlichkeit erschlossen werden kann. Die Botschaft dieser Erscheinung bzw. dieses Traums, in dem ein Engel Gottes198 zu ihm gesprochen habe, hat zwei bedeutende Elemente: 1. Paulus selbst wird überleben, weil er vor den Kaiser treten muß (δεῖ!);199 und 2. alle seine Mitreisenden werden die Gefahr auch lebend überstehen, und zwar um seinetwillen: Gott habe sie ihm geschenkt.200 Gerade der zweite Punkt ist für die Organisation der Erzählung von höchster Bedeutung: Der Leser wird vorweg auf die besondere Rolle des Paulus in bezug auf die Rettung aller verwiesen (vgl. vv. 31.36.43),201 allerdings weiß er noch nicht, wie sich das gestalten wird. Das im Traum an Paulus ergangene »Fürchte dich nicht!« (µὴ φοβοῦ, v. 24) gibt er als »Seid guten Mutes« (εὐθυµεῖτε, v. 25, vgl. v. 22) an seine Mitreisenden weiter.202 Daß hier in einer nächtlichen Erscheinung bzw. in einem Traum die Rettung aller verheißen wird (eben gerade in Korrektur der Unheilsansage von v. 10), läßt sich gut durch den Unheilstraum des Habrokomes in Xenophons Ephesiaka kontrastieren:203 Dort sagt der Traum Verderben an, hier Rettung! Bemerkenswert ist jedoch auch, daß das Schiff von der hier erfolgten Rettungszusage ausdrücklich ausgenommen wird: Es werden zwar alle gerettet, doch das Barrett, Acts II, S. 772. Siehe die Details jeweils z.St. Bei Jona handelt es sich um den Höhepunkt bzw. Tiefpunkt der Flucht des Propheten vor JHWH; bei Jesus ist das Schlafen einem Motiv der Wundergeschichten zuzuordnen, nämlich daß sich der Wundertäter zunächst entzieht (s. zu diesem Motiv Theissen, Urchristliche Wundergeschichten, S. 69f.). 198 τοῦ θεοῦ, οὗ εἰµι ὧ καὶ λατρεύω, ἄγγελος (v. 23). 199 Vgl. zu diesem sog. göttlichen δεῖ Praeder, The Narrative Voyage, S. 122 mit Anm. 86 (S. 332), sowie meine Überlegungen zu den »Wir«-Passagen oben (bes. S. 303f.) und bei den Ergebnissen unten (S. 452f.). 200 ἰδοὺ κεχάρισταί σου ὁ θεὸς πάντας τοὺς πλέοντας µετὰ σοῦ (v. 24). 201 Vgl. Tannehill, The Narrative Unity II, S. 333. 202 Vgl. zum Zusammenhang von µὴ φοβοῦ, אַלתִּיראund θάρσει/θάρρει: Pokorný, Theologie, S. 84, und besonders: Pokorný, Die Romfahrt, S. 240f. 203 X.Eph. I 12,4 (s. oben). 196 197
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Schiff muß scheitern (ἀποβολὴ γὰρ ψυχῆς οὐδεµία ἔσται ἐξ ὑµῶν πλὴν τοῦ πλοίου).204
Auch in dieser zweiten Paulusszene wird Paulus in ganz anderer Weise gezeichnet als etwa die typischen Romanhelden, die an ihrem Schicksal leiden und in diesem Leiden mehr oder weniger verharren. Wenn er versucht, den Mitreisenden und Schicksalsgefährten aus einem Traum heraus Mut zuzusprechen, erscheint er größer und aktiver als diese Romanhelden; er nimmt hier wiederum, nun zum zweiten Mal das Heft in die Hand, diesmal allerdings ausdrücklich aufgrund direkter göttlicher Initiative im Rahmen der Vision.205 Das göttliche Eingreifen steht hier jedoch nicht nur hinter der tröstenden Ansprache an sich, sondern betrifft auch gerade das im Traum Gesehene und dann Mitgeteilte: Eben auch die Rettung, die verheißen wird, geht auf das Konto göttlicher Initiative; der Ausdruck: ἰδοὺ κεχάρισταί σου ὁ θεὸς πάντας τοὺς πλέοντας µετὰ σοῦ (v. 24), hebt nicht nur, wie soeben gesehen, die besondere Rolle des Paulus hervor, sondern auch das Wirken Gottes selber, der zusagt, alle Menschen an Bord um des Paulus willen zu retten. Paulus könnte zwar durch das eine, daß nämlich die Zusage göttlicher Rettung an seiner Person festgemacht wird, tendenziell selber in den Rang eines Retters geraten,206 der den Mitreisenden diese Rettung zusagt. So ließe sich Paulus also neben andere charismatische Ermahner stellen, die aufgrund ihrer göttlichen Führung oder des auf ihnen liegenden göttlichen Schutzes Mut im Sturm zusprechen können; beachtenswert dazu ist etwa die mehrfache Überlieferung von Caesars Verhalten bei seiner Bootsfahrt auf dem Aoos (z.B. Plu. Caes. 38,5).207 Der Unterschied liegt hier aber tatsächlich darin, daß Caesar selbst den vermeintlich auf ihm liegenden göttlichen Schutz auf seine Macht über den Sturm ausdehnt; nicht so Paulus: Alles Gewicht liegt auf der göttlichen Initiative.208 Somit haben wir es hier also eher mit einer frühchristlichen Variante der Vorstellung von göttlicher Rettung aus Seenot vor uns. Die prominentesten göttlichen Retter sonst sind die Heroen Kastor und Pollux (gr. Κάστωρ und V. 22. Vgl. wieder die überbietende Aufnahme der Stelle bei A.Jo. (Prochoros, Zahn, S. 51, Z. 3–5), wo ja gerade auch die Rettung des Schiffes durch Johannes verheißen wird. 205 Das kann für das erste Eingreifen des Paulus (27,9f.) nur erschließen, wenn man denn θεωρεῖν (v. 10) an dieser Stelle als Visionsterminus deutet (vgl. Heininger, Paulus als Visionär, S. 290f. mit Anm. 92). 206 Die Rettung wird an der Person des Petrus festgemacht bei: A. Petr. c. Sim. (Act. Verc.) 5 (Lipsius/Bonnet I, S. 50, Z. 17–19). Dort erhält übrigens der Skipper des Schiffs eine entsprechende Audition im Schlaf. 207 Siehe zum Abschnitt bei Plutarch und zu weiteren Stellen mit der entsprechenden CaesarAnekdote oben, S. 40ff. 208 Im Vergleich interessant ist auch die Stelle Philostr. VA IV 13 (69), wo dem Apollonios bewahrende Funktion im Hinblick auf eine gefährliche Schiffspassage von außen zugetragen wird; damit rückt er in die Nähe der sog. θεῖοι ἄνδρες, er nimmt das billigend in Kauf. 204
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Πολυδεύκης), die Dioskuren, die etwa in einem vergleichbaren Passus aus Lukians De mercede conductis zu diesem Zweck aufgeboten werden.209 Sie oder jeweils andere Rettergottheiten steuern das Schiff geradezu höchstpersönlich einem sicheren Landungsort zu. Sowohl in Lukians exemplarischer Unglückserzählung der Schiffbrüchigen, als auch hier in Apg 27 zeitigt das rettende göttliche Eingreifen das gleiche Ergebnis: Das Schiff scheitert, aber die Menschen werden mit dem Leben davonkommen (v. 22).210 In Fall dieser Rede des Paulus an seine Mitreisenden erfährt er im Gegensatz zur negativen Reaktion in der Episode vv. 9–12 keine Ablehnung, sondern zunächst überhaupt gar keine Reaktion. Stattdessen vollzieht sich das von ihm Gesehene nun in der Realität, so daß das Gesicht des Paulus bestätigt wird. Man kann demgegenüber fragen, ob die positive Reaktion auf das vierte Einschreiten des Paulus (vv. 33–36) verschoben ist. Das ist erwägenswert angesichts der dort durch εὔθυµοι γενόµενοι πάντες gemachten Feststellung (v. 36).211 Es ist jedoch zu bedenken, daß das Mutfassen der Mitreisenden hier direkt von der erneuten Ermahnung und Tröstung durch Paulus in v. 34 abhängt und nicht zwingend auf vv. 21–26 zurückverweist. Man könnte aber mit einer solchen Deutung zu der Auffassung kommen, daß die erste Ermahnung hier durchaus auch zum Ziel kommt.212 Man könnte dann weiter, wie jüngst etwa Kristell Köhler (in anderen Begriffen) vorgeschlagen hat, die beiden Ermahnungen komplementär verstehen, indem vv. 21–26 die psychische Stärkung der Mitreisenden durch Trost zum Zweck hat und vv. 33–36 die physische durch Speise.213 Warum eine positive Reaktion dann hier auch nicht einmal angedeutet wird, müßte bei der Annahme umso dringender beantwortet werden.214 Mir scheint, daß die zuerst angedeutete Interpretation eher im Recht ist, die mit der völlig fehlenden Reaktion produktiv umzugehen vermag, indem eben die Geschehnisse selbst das von Paulus Geschaute und Mitgeteilte bestätigen; das ist dann die erzählerische Voraussetzung für den späteren Erfolg in vv. 33–36. Zudem dürfte sich der damit ergebende Dreischritt der Szenen vv. 9–11, 21–26 und 33–36 als Ablehnung – gar keine Reaktion – Erfolg gut damit verbinden lassen, daß Paulus sich so langsam
209 Luc. Merc.Cond. 1. Vgl. zum Eingreifen der Dioskuren etwa auch Luc. Nav. 9 und Herpyllis II 55–59 (s. S. 89ff.). 210 Siehe auch die Behandlung der Lukian-Stelle oben. 211 Vgl. zu einer entsprechenden Überlegung Heininger, Paulus als Visionär, S. 291. 212 Vgl. Köhler, Allen bin ich alles geworden, S. 218f. 213 Köhler, Allen bin ich alles geworden, S. 200. 214 Vgl. Köhler, Allen bin ich alles geworden, S. 199f., die die – m.E. nicht schlagende – Möglichkeit erwägt, daß es auf das hier vorliegende »persönliche Zeugnis des Paulus keine adäquate Antwort gibt.«
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8 Einzelanalyse zu Apg 27,1–28,6
als die entscheidende und auch als solche anerkannte Person der Reise entfaltet (bis hin zu v. 43).215
8.5 »Land ist nah« und Flucht (27,27–32) Das in v. 26 Angekündigte tritt also nun ein: Nachdem man lange auf der Adria getrieben war, bemerken die Seeleute mitten in der Nacht nahendes Land (v. 27). Dabei ist die Bezeichnung Adria mit Schwierigkeiten behaftet; es muß sich eigentlich um das Ionische216 bzw. das Sizilische Meer handeln. Die Bezeichnungen der Meeresgegenden waren jedoch enormen Schwankungen ausgesetzt217 – trotzdem sei hier ein orientierender Plan mit abgedruckt, der die einzelnen Meeresgegenden benennt (Abb. 8.1).218 Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf Josephus, der in seiner Vita einen Schiffbruch auf seiner Romreise erwähnt (J. Vit. 3 [§ 15]): Mitten auf der Adria sei sein Schiff gesunken, er habe sich jedoch mit etwa achtzig anderen (von insgesamt sechshundert) schwimmend retten können, bis ein Schiff sie aufgenommen habe.219 Auch hier scheint ja mit »Adria« das Seegebiet bezeichnet zu werden, das wir sonst Ionisches Meer nennen. Die Vorstellungen Warneckes220 sind dagegen zu eng;221 es ist wieder auf den alten Beitrag von Treidler zu verweisen: »Eine Folge der stärkeren nördlichen Ausdehnung des Ionischen Meeres war, daß von einigen Autoren dafür umgekehrt der Name Adria einfach 215 Daß »Paulus von Lukas ganz langsam in den Mittelpunkt der Erzählung gerückt« wird, stellt übrigens auch Köhler fest (Köhler, Allen bin ich alles geworden, S. 211). 216 So wird es bei Charito III 5,1 beispielsweise auch genannt. 217 Vgl. v.a. Treidler, Das Ionische Meer, bes. S. 86–91; aber auch Wikenhauser, Geschichtswert, S. 414; Lake/Cadbury, S. 335 (beide mit Angaben zu relevanten Stellen); Balmer, Romfahrt, S. 379; Ramsay, St. Paul, S. 334 (dt. Ausg., S. 273). 218 Die bei der genannten Abb. 8.1 (S. 388) mit abgedruckte Legende mit der Bezeichnung der Seeräume ist wortgetreu übernommen von Reynier, La Bible, S. 86, bis auf eine Ausnahme: Statt »Mare Galicum« unter Nr. 3 schreibe ich allerdings: »Mare Gallicum«. Die eingezeichneten Grenzen zwischen diesen Seeräumen sind – angesichts der oben konstatierten Schwankungen – natürlich keineswegs als strikt zu betrachten, sondern dienen nur der ganz groben Orientierung. 219 βαπτισθέντος γὰρ ἡµῶν τοῦ πλοίου κατὰ µέσον τὸν Ἀδρίαν περὶ ἑξακοσίους τὸν ἀριθµὸν ὄντες δι’ ὅλης τῆς νυκτὸς ἐνηξάµεθα, καὶ περὶ ἀρχοµένην ἡµέραν ἐπιφανέντος ἡµῖν κατὰ θεοῦ πρόνοιαν Κυρηναϊκοῦ πλοίου φθάσαντες τοὺς ἄλλους ἐγώ τε καί τινες ἕτεροι περὶ ὀγδοήκοντα σύµπαντες ἀνελήφθηµεν εἰς τὸ πλοῖον (Übersetzung: Nachdem unser Schiff mitten in der Adria
untergegangen war, mußten wir – zahlenmäßig waren wir um die sechshundert – die ganze Nacht über schwimmen, und mit Beginn des nächsten Tages erschien für uns aus göttlicher Vorsehung ein Schiff aus der Kyrenaïka: ich und einige weitere – zusammen waren wir achtzig – wurden an Bord des Schiffs genommen und kamen so den anderen zuvor). – Vgl. schließlich auch noch die Erwähnung der Adria bei A. Petr. c. Sim. (Act. Verc.) 5 (Lipsius/Bonnet I, S. 50, Z. 26). 220 Warnecke, Die tatsächliche Romfahrt, S. 69–74. 221 Seine Karte (a.a.O., Abb. XII [S. 72]) erweckt gar den Eindruck des Statischen.
8.5 »Land ist nah« und Flucht (27,27–32)
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auf den ganzen Raum zwischen Süditalien, Sizilien und der Pindushalbinsel übertragen wurde; ja schließlich rechnete man sogar den Busen von Tarent mit zur Adria.«222 Belege, die das zeigen, wertet Warnecke zu »grob fehlerhaften antiken Zeugnissen« ab.223 Bemerkenswert ist an der aktuell betrachteten Szene auch – gerade im Vergleich zum verwirrenden Wechsel der Perspektiven in den vv. 13–20 –, daß die 3. Pers. endlich einmal deutlich gekennzeichnet wird: mit οἱ ναῦται. Wie die Seeleute das nahende Land bemerken, wird nicht mitgeteilt.224 Die Seeleute loten nun zweimal und stellen fest, daß es flacher wird (v. 28) – eine Szene in recht lebendiger Schilderung. Aus Furcht nun, nachts auf irgendwelche Felsen aufzulaufen, machen sie das Schiff mit Heckankern fest (v. 29).225 Sie verharren jetzt im Gebet, daß es doch Tag werden möchte (v. 29).226 Darauf folgt die Fluchtszene, in der Paulus als der hellsichtige Retter aller dargestellt wird (vv. 30–32). Dieses Stück hat unter den Kommentatoren viel Erregung hervorgerufen: Es sei »unrealistisch«, in dieser Situation mit dem Boot fliehen zu wollen, denn an Bord des Schiffes sei man ja einigermaßen sicher – ganz anders in dem kleinen Boot.227 Paulus bzw. Lukas seien demgegenüber einem Irrtum verfallen, wenn sie die Angabe der Seeleute, mit Hilfe des Boots auch vorn Anker setzen zu wollen, für einen Vorwand hielten; sondern was die Seeleute angeben, sei das einzig Richtige:228 Vielmehr sei der so erlittene Verlust des Bootes die eigentliche Ursache des Schiffbruchs, denn mit dem Beiboot hätte man bequem an Land kommen können.229 Zu diesem Generalangriff auf Treidler, Das Ionische Meer, S. 91. Warnecke, Die tatsächliche Romfahrt, S. 74. 224 Die varia lectio προσηχεῖν scheint auf einen Erklärungsversuch zurückzugehen, offenbar im Hinblick auf die Wahrnehmung von Brandungsgeräusch (für die rauschende Brandung wird beispielsweise in Luc. VH I 6 περιηχεῖν benutzt). In den Satz paßt die v.l. freilich nicht. 225 Weil man nicht nachts in die Nähe einer unbekannten und gefährlichen Küste geraten wollte, hat ja auch das phönizische Schiff bei Heliodor seine Fahrt verlangsamt: Hld. V 17,4f. Siehe grundsätzlich zur Gefahr der Küste für ein Schiff sowie zur in diesem Zusammenhang häufig bemühten Furcht, an der Küste zu scheitern, die Texte: Od. V 388–463 (hier handelt es sich freilich nicht um ein Schiff, sondern einen Schwimmer; so sterben auch einige der Schwimmer bei Ach.Tat. III 4,6); Hor. Carm. III 27,21–24 (zum Text vgl. Hendry, Seneca, S. 63–66.69); Plb. I 37,2; J. BJ III 9,3 (§§ 422– 424); App. BC V 10 (§§ 88–90); Plu. Dio 25,7f.; Sen. Ep. LIII 2f.; Merc.Cond. 1f.; Aristid. Or. XLVIII 66; Apg 27,17; Synes. ep. 4,163c; 164d–165a. Bei Ach.Tat. III 4,3 scheitert das Schiff tatsächlich an unterseeischen Klippen, bei Plb. I 37,2 ein Teil der siegreichen römischen Flotte an der Felsenküste. 226 Vgl. zum Gebet auf See auch h.Hom. 33,8–11; Plu. Dio 25,10; Charito III 5,9; Herpyllis II 60; Jon 1,5.14; Ps 107,28 und TestNaph VI 8. 227 Haenchen, Apostelgeschichte, S. 675; Lake/Cadbury, S. 335; Fitzmyer, The Acts, S. 778. 228 Haenchen, Apostelgeschichte, S. 675 mit Anm. 3; dagegen ähnele nach Balmer die anvisierte Maßnahme tatsächlich »einer nur auf Nichtkenner berechneten Ausflucht« (Balmer, Romfahrt, S. 420). 229 »This was the direct cause of the shipwreck« (Lake/Cadbury, S. 336). Ähnlich Haenchen, Apostelgeschichte, S. 675 mit Anm. 4. 222 223
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8 Einzelanalyse zu Apg 27,1–28,6
Legende: 1 – Mare Ibericum; 2 – Mare Balearicum; 3 – Mare Gallicum; 4 – Mare Ligusticum; 5 – Mare Sardoum; 6 – Mare Tyrrhenum vel inferum; 7 – Mare Africum; 8 – Mare Adriaticum vel superum; 9 – Mare Ionium vel Adriaticum; 10 – Syrtae; 11 – Mare Thracicum; 12 – Mare Aegeum; 13 – Mare Myrtoum; 14 – Mare Icarium; 15 – Mare Creticum; 16 – Mare Carpathicum; 17 – Mare Libycum; 18 – Mare Aegyptiacum; 19 – Mare Phoenicium vel Syriacum; 20 – Mare Cyprium; 21 – Mare Pamphylium vel Lycium.
Abbildung 8.1: Die unterschiedlichen Seeräume des Mittelmeeres und ihre antiken Bezeichnungen in römischer Zeit.
unsere vv. 30–32 ist aber dreierlei zu bemerken: 1. Die Seeleute werden in unserer Erzählung deutlich »mit der Angst im Nacken« gezeichnet, das wird durch das oben schon erwähnte Gebet klar; ein Fluchtversuch wäre also erzählerisch durchaus nicht inkonsequent.230 2. Der Text läßt keinen Interpretationsspielraum: Die Seeleute wollen fliehen! Denn es heißt (v. 30): . . . ζητούντων φυγεῖν . . . προφάσει ὡς ἐκ πρῴρης ἀγκύρας µελλόντων ἐκτείνειν. Zwar bedeutet πρόφασις nicht nur, aber oft Scheingrund oder lediglich vorgeschobener Grund; in jedem Fall bezeichnet πρόφασις aber die angegebene Ursache, den vorgebrachten Grund (ohne daß schon von vornherein über wahr und falsch entschieden wäre).231 Daß nun unser Wort hier in Apg 27,30 tatsächlich im Sinne eines Vorwands, der den wahren Grund verschleiert, zu verstehen ist, sollte aber durch den Kontext mehr als klar sein.232 Auf Überlegungen, wie die oben angeführten, Darauf hat Tannehill, The Narrative Unity II, S. 334, aufmerksam gemacht. Die berühmte thukydideische ἀληθεστάτη πρόφασις (Th. I 23,6; VI 6,1) kann keinesfalls als Beleg für eine Bedeutung von πρόφασις im Sinne eines wahren Grundes gelten! Thukydides formuliert an diesen Stellen vielmehr bewußt gegen den geläufigen Gebrauch, ja gegen die eigentliche Bedeutung des Wortes, um den Leser zu irritieren und zu erhöhter Aufmerksamkeit im Nachdenken zu bewegen; das zeigt sich allein daran zur Genüge, daß die πρόφασις in I 23) mit ἀληθεστάτη (auch VI 6) und ἀφανεστάτη prädiziert wird: Beides steht grundsätzlich im Widerspruch zum eigentlichen Charakter von πρόφασις. Vgl. zum schwierigen Befund bei Thukydides den lesenswerten Beitrag von Heubeck, Πρόφασις, bes. S. 223–227 (zur Bedeutung).232f. (zum Sinn der thukydideischen Formulierungen in I 23 und VI 6). 232 So auch Schneider, Apostelgeschichte II, S. 395, Anm. 97. 230 231
8.5 »Land ist nah« und Flucht (27,27–32)
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kommt man nur, wenn man – wohlgemerkt gegen den Text – einen irgendwie gearteten historischen Verlauf rekonstruieren will.233 3. Und schließlich ist natürlich auf die häufig zitierte Fluchtszene im Roman des Achilleus Tatios hinzuweisen (Ach.Tat. III 3,1–4,2);234 diese Szene stellt aber schwerpunktmäßig v.a den Kampf ums Dasein und das Gewaltgesetz des Meeres heraus (Ach.Tat. III 3,3.5), derartiges spielt hier in der Apostelgeschichte hingegen keine Rolle. Die beiden Erwähnungen einer Flucht mit dem Beiboot in Petrons Satyrica unterscheiden sich noch stärker (Petr. 102,1–7; 114,7): In § 102 erwägen die Helden selbst, im Boot zu fliehen, weil sie die Begegnung mit dem altbekannten Schiffseigner Lichas vermeiden wollen. Abgesehen davon, daß der Plan auch gar nicht umgesetzt wird, liegt hier auch noch nicht einmal eine Sturmsituation vor. Die Szene in § 114 ist schon eher vergleichbar, wird hier doch tatsächlich eine Flucht im Sturm erzählt; doch ist es nicht die Schiffsbesatzung, die das Schiff sich selbst überlassen will, sondern die schon fast bewußtlose Geliebte des Schiffseigners wird von ihren Sklaven aus sicherem Tode gerettet. Diese zweite Szene ist wohl mit der bei Achilleus Tatios und der in der Apostelgeschichte dahingehend vergleichbar, daß man sich auch hier etwas von der Flucht im kleinen Beiboot zu versprechen scheint.235 Hinzuzunehmen ist im Vergleich noch die kurze Bemerkung in TestNaph VI 6, daß Joseph mit dem ἀκάτιον flieht, während sich seine Brüder auf Brettern retten müssen; näheres über die Umstände seiner Flucht wird dort aber nicht erzählt. Möglicherweise ist das Phänomen, das sich in diesen Fluchtszenen zeigt, als (romanhaftes?) Motiv anzusehen;236 es ist dabei allerdings zu bedenken, daß die zu vergleichenden Szenen doch je allzu unterschiedlich sind – das mahnt zur Vorsicht. In jedem Fall wird an unserer Stelle in der Apostelgeschichte einfach geschildert, wie die skrupellosen Seeleute das Schiff sich selbst überlassen wollen, eben ohne fachkundige Bedienung;237 damit wird eine neue Gefährdung ins Auge gefaßt, ohne daß der Verfasser eine in jeder Hinsicht konsistente Darstellung abliefern 233
Kritik an rein technisch-historischen Betrachtungen übt auch Schille, Apostelgeschichte, S. 467. 234 Vgl. dazu die entsprechenden Ausführungen oben. 235 Die angeführte Motivation an dieser Stelle lautet: abduxere certissimae morti, Petr. 114,7. 236 So etwa u.a. bei: Conzelmann, Apostelgeschichte, S. 155; Schille, Apostelgeschichte, S. 467. 237 Darauf legt Ramsay das Hauptgewicht, der das Ganze aber natürlich historisch auffaßt (Ramsay, St. Paul, S. 335f. [dt. Ausg., S. 274]). Die Skrupellosigkeit der Seeleute hier steht in Kontrast zum völlig anders gezeichneten Bild der Schiffer in Jon 1, sie riskieren Kopf und Kragen, um das Leben des flüchtigen Propheten zu retten (Jon 1,13). Vgl. schließlich noch zur Bedeutung fähigen Personals (insbesondere eines kundigen und erfahrenen κυβερνήτης) an Bord: Gn.Vat. 197 (Sternbach, S. 79); Philostr. VA III 23 (52f.); Hld. V 27,4; Petr. 108,12; Luc. VH I 5; Luc. Herm. 28; Aristid. Or. XLVIII 68; L 33, wo der Skipper als µοχθηρός bzw. ταραχώδης bezeichnet wird; Synes. ep. 4, wo dem Amarantos alle erdenklichen Übel und Unfähigkeiten vorgeworfen werden (beginnend schon mit 160a, zu weiteren Stellen s.o.).
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8 Einzelanalyse zu Apg 27,1–28,6
will – das tut ja auch Achilleus Tatios in seiner Schilderung einer Fluchtszene nicht, noch weniger sicher der parodierende Petron. Was die Plot-Organisation betrifft, so stellt diese Passage kurzzeitig die von den vv. 23–26 her anvisierte Rettung in Frage, jedoch erweist sich Paulus in dieser Situation zum ersten Mal praktisch als der Retter.238
8.6 2. Ermahnung/Stärkungsmahl (27,33–38) Das ist die dritte sog. Paulus-Szene. Paulus schreitet zu seiner zweiten Ermahnung, diesmal allerdings auf eine etwas andere Art und Weise: Er ermuntert seine Mitreisenden, doch nun endlich Essen zu sich zu nehmen, das nämlich diene der Rettung; in alttestamentlicher Sprache sagt er ihnen dann zu, daß keinem ein Haar vom Kopfe verloren gehen werde (v. 34). Diesen Spruch kennen wir schon in leicht anderer Gestalt aus Lk 21,18, wo er aber bei den Synoptikern keine Parallele hat.239 Hat Lukas diesen Spruch entweder aufgrund des auch von ihm übernommenen Q-Spruchs Lk 12,7a Q par Mt 10,30 oder aufgrund des alttestamentlichen Sprichworts selbst gebildet? Nun redet der Q-Spruch davon, daß die Haare gezählt seien: αἱ τρίχες . . . ἠριθµηµέναι εἰσίν/ἠρίθµηνται (Mt 10,30/Lk 12,7a). Näher ist da schon das bekannte alttestamentliche Sprichwort, wo die Haare aber immer auf die Erde fallen.240 Es ist denkbar, daß Lukas das Bild der Haare für das Leben241 grundsätzlich so geschätzt hat, daß er es auch in die synoptische Apokalypse eingefügt hat.242 Selbst wenn man annimmt, daß Lukas im vorliegenden Textzusammenhang einer zur sog. synoptischen Vgl. Praeder, The Narrative Voyage, S. 125f. Der Vers fehlt übrigens in der Übersetzung des Syrus Curetonianus und bei Marcion nach der Überlieferung des Epiphanius. 240 צָה4נפל אַר/πίπτειν ἐπὶ τὴν γῆν (1. Sam 14,45 [1. Kön 14,45 LXX]; 2. Sam 14,11 [2. Kön 14,11 LXX]; 1. Kön 1,52 [3. Kön 1,52 LXX]); vgl. auch noch Ri 16,15–31, wo die Haare Lebenskraft und göttliche Unterstützung symbolisieren; Dan 3,94 LXX [θ´] hat damit nichts zu tun [hier kommt lediglich ἡ θρὶξ τῆς κεφαλῆς vor]). Michael Oberweis erkennt zwar die enge Verbindung zu Lk 21,18, will dann aber die Verwendung an unserer Stelle mit dem Bezug auf ἐλίπανας ἐν ἐλαίῳ τὴν κεφαλήν µου (Ps 22,5b LXX) erklären – wobei er insgesamt in seinem Beitrag die Beziehungen zwischen Ps 23 und Apg 27 weit überzeichnet; vgl. Oberweis, Ps. 23, S. 170.177f. Das ist natürlich ein Fehlgriff! 241 Das Bild ist hyperbolisch; darauf weist Wolter hin: »Die Rettungszusage gilt ohne die geringstdenkbare Einschränkung, und das ist bei dem Menschen nun einmal der Verlust eines so leicht verlierbaren und unwichtigen Bestandteils seines Körpers wie eines Haares« (Wolter, Lukasevangelium, S. 675). Bovon erklärt, daß Lukas den hier zugesagten göttlichen Schutz eschatologisch verstehe (Bovon, Lukas IV, S. 181). 242 Barrett, Acts II, S. 1208, bemerkt in diesem Sinne zu unserer Stelle: »Lk. 21.18 is important because it is a Lucan insertion. Luke, we may suppose, liked the image.« 238 239
8.6 2. Ermahnung/Stärkungsmahl (27,33–38)
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Apokalypse parallelen Sonderüberlieferung folgt – wie u.a. Bovon meint243 –, kann man immer noch v. 18 als lukanisch ansehen;244 zumindest aber hat das Bild und gerade diese Formulierung Lukas so am Herzen gelegen, daß er es auch seinem Paulus auf dem Schiff zur Tröstung der Menschen in den Mund lege wollte. In jedem Fall hat die vorliegende, eben möglicherweise lukanische Formulierung in späterer christlicher Literatur erneut Verwendung gefunden – interessanterweise auch in einer Rettungsverheißung in Seenot: Der Johannes der jüngeren Akten des Prochoros sagt nämlich seinen Mitreisenden in einer Anspielung/Aufnahme der vv. 22 und 34 unseres Kapitels die Bewahrung von Schiff und Leben zu.245 Paulus fängt nun nach dem tröstenden Zuspruch seinerseits zu essen an.246 Um den v. 35, in dem beschrieben wird, wie Paulus zu essen beginnt, hat es einige Auseinandersetzung gegeben: Hat das Mahl hier Bezüge zum Herrenmahl, ja handelt es sich um ein eucharistisches Mahl?247 Eins sei klar gesagt: Hier wird kein Herrenmahl beschrieben, denn es ist ja gar keine Gemeinschaft im Essen vorhanden! Paulus ißt sein Brot, die anderen das ihre!248 Jegliche Bezüge zum Herrenmahl zu leugnen, halte ich jedoch für unsinnig;249 m.E. handelt es sich hier um eine Anspielung auf das Herrenmahl,250 mehr nicht, aber das mit gutem erzählerischen Sinn. Nach einer Analyse der relevanten Texte kommt S.M. Praeder zu dem Schluß: »Although 27.35 expresses only the first three of the four elements in the eucharistic formula, the taking, thanksgiving, and breaking, and omits the fourth, the distribution, omission of the fourth does not disprove 243 Vgl. zur Analyse des Abschnitts Bovon, Lukas IV, S. 168–174, bes. S. 170. In bezug auf unseren v. 18 stellt Bovon fest: »Die, wie gesagt, indirekten Parallelstellen bei Markus und Matthäus (Mk 13,13 und Mt 24,9b–14) kennen dieses Zeichen des Vertrauens nicht« (S. 180). 244 Siehe wieder Bovon, Lukas IV, S. 170, der den Vers auf das »Konto des Lukas« bucht. 245 A.Jo. (Prochoros, Zahn, S. 51, Z. 3–5): ἀποβολὴ γὰρ τοῦ πλοίου οὐδεµία γενήσεται, ἀλλ’ οὐδὲ θρὶξ ἀπὸ τῆς κεφαλῆς ὑµῶν ἀπολεῖται (Übersetzung: Es wird keinen Verlust des Schiffes geben, aber auch kein Haar von eurem Kopfe wird verloren gehen). 246 Hierzu hat Bauernfeind sich eine spaßige Bemerkung nicht verkneifen können: »Ein Deuteropaulus würde jetzt gewiß gesagt haben: ›Diese Stunden wollen wir in ununterbrochenem Gebet durchleben.‹ Der stattdessen sagt: ›Wir wollen endlich etwas essen‹ und dabei selbst mit gutem Beispiel voranging, das ist der historische Paulus gewesen« (Bauernfeind, Apostelgeschichte, S. 275); lassen wir aber den »historischen Paulus« hier beiseite. 247 Diese Auffassung hat Bo Reicke in seinem vielbeachteten Aufsatz vertreten: Reicke, Mahlzeit. Vgl. auch die Zustimmung bei Heininger, Paulus als Visionär, S. 291 mit Anm. 95; dagegen die ausführliche Kritik einer solchen Interpretation bei Witherington, Acts, S. 772f. 248 Das ἐπιδοὺς καὶ ἡµῖν einiger Minuskeln (614 et pauci) ist sicher eine spätere Interpretation im Sinne des Herrenmahls. – Vgl. etwa die völlig andere Darstellung bei A. Petr. c. Sim. (Act. Verc.) 5 (Lipsius/Bonnet I, S. 51, Z. 3-13), wo während des ausdrücklich als eucharistia bezeichneten Mahls die Erlösung von der Windstille eintritt. 249 So etwa bei Haenchen, Apostelgeschichte, S. 676 mit Anm. 5; Roloff, Apostelgeschichte, S. 364; Jervell, Apostelgeschichte, S. 609. 250 So auch Pokorný, Die Romfahrt, S. 241f.
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8 Einzelanalyse zu Apg 27,1–28,6
an eucharistic intention and effect on the part of the implied audience.«251 Sie weist darüber hinaus auf 1. Kor 11,23ff. hin, wo die Austeilung – im Gegensatz zu Mk 14,22ff. – ja auch fehle.252 Ich stimme Praeder zu, daß das hier Erzählte als Herrenmahl gelesen werden kann, auch wenn Paulus und die anderen faktisch verschiedene Mahlzeiten einnehmen.253 Der Effekt der Mahlzeit des Paulus ist nun auch verblüffend: εὔθυµοι δὲ γενόµενοι πάντες (v. 36). Was ihm zuvor in der konkreten Ermahnung anhand des Traums nicht gelungen ist, schafft er jetzt so, durchs Essen.254 Der Sinn der Anspielung auf das Herrenmahl scheint mir dann darin zu liegen, daß auf der Leserebene zusätzlich verdeutlicht wird, daß die Reisenden die Rettung (σωτηρία, v. 34) jetzt zum ersten Mal leibhaft zu fassen bekommen, indem sie eben Zuversicht schöpfen, also εὔθυµοι werden.255 Das ist nach vv. 31f. der zweite Schritt auf dem Weg, die Rettung aller um des Paulus willen geschehen zu lassen, so wie es von v. 24 her anvisiert wurde. Paulus, der in seinem ersten »Rampenlichtauftritt« eine Niederlage einstecken muß (vv. 9–12), in seinem zweiten gar keine Reaktion erhält (vv. 21–26), kommt nun hier durch und hat Erfolg.256 Mit Ausnahme des folgenden v. 37, wo es unerwartet hervorbricht, ist das Wir schon seit v. 27 verschwunden; das war bisher noch perspektivisch zu verstehen, weil der Erzähler sein Augenmerk ganz und auf Paulus gerichtet hatte und so dessen Zuspruch in Wort und Tat klar und betont heraustellen wollte. Besonders die Wirkung dieses Zuspruchs wird in v. 36 hervorgehoben. In v. 37 blitzt, wenn man so will, das »Wir« wieder kurz auf, um danach in v. 38 wieder fallengelassen Praeder, The Narrative Voyage, S. 132. Praeder, The Narrative Voyage, S. 132f.; darauf hatte auch Reicke wert gelegt: Reicke, Mahlzeit, S. 405. Vgl. weiterhin Köhler, Allen bin ich alles geworden, S. 201, die für die Annahme eines Gemeinschaftsmahls auch an unserer Stelle zusätzlich auf Apg 20,11 verweist; dort ist aber im Unterschied zu unserer Stelle mit κλάσας τὸν ἄρτον (in Apg 27,35 weit auseinandergezogen) viel unmittelbarer an die fast sprichwörtliche κλάσις τοῦ ἄρτου (Apg 2,42 u.ö.) angeschlossen, und – noch wichtiger – das Essen der Anderen wird hier eigens erwähnt (v. 36), während es in Apg 20,11 subsumiert erscheint. 253 Praeder, The Narrative Voyage, S. 133: »Paul and the third person plural eat separate meals. But these separate meals have been created to be read as eucharistic meals.« 254 Vgl. Tannehill, The Narrative Unity II, S. 335. Bedeutend für die Erzählung hier ist die Hervorhebung des praktischen Vorbildcharakters, wenn Paulus nach seiner Ermahnung gleich zugreift, vgl. dazu Lang, Kunst, S. 395. 255 Völlig über das Ziel hinaus schießt m.E. Korting, Vaterunser, S. 325f., der Apg 27,34 unter den Belegen für das Verständnis des Abendmahls als eines apotropäischen Ritus auflistet. Abgesehen davon, daß in v. 35 kein »Abendmahl« vorliegt, sondern nur eine Anspielung, kann von einer apotropäischen Abzweckung gar keine Rede sein, weil Paulus sachlich ja nur die Wiederholung seiner Rettungsverheißung von vv. 22–26 hier direkt mit dem Mahl verbindet. 256 Vgl. zum Verhältnis der beiden Ermahnungsszenen in vv. 21–26 und vv. 33–36, insbesondere was die fehlende Reaktion und die Beurteilung des Erfolgs in der ersten Ermahnung betrifft, meine Bemerkung oben, S. 385f. 251 252
8.6 2. Ermahnung/Stärkungsmahl (27,33–38)
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zu werden; stattdessen wird offenbar auf die Gruppe derer, die nach v. 36 Mut gefaßt hatten, zurückgeblickt: Wie ist dieser Befund zu erklären? Offenbar sollen hier doch die in v. 36 erwähnten πάντες entfaltet und in ihrer Zahl benannt werden:257 276 waren es insgesamt auf dem Schiff.258 Unser Erzähler tritt dazu aus seiner vorübergehend eingenommenen »Reporter-Position« hervor, um sich mit den Ermutigten zusammenzuschließen; das geschieht hier möglicherweise deshalb nur in einem kurzen Aufblitzen, weil so die hohe Zahl der von Paulus so handfest Getrösteten hervorgehoben werden kann. Daß der, für sich genommen, nur eine reine Insassenangabe darstellende v. 37 an seiner Position zwischen den vv. 36.38 genau so gelesen werden muß, scheint mir unzweifelhaft zu sein. Tannehill wundert sich über einen anderen Umstand: »The ›we‹ in the voyage to Rome generally refers to a small group of Christians. Here, however, the entire ship’s company becomes a single ›we‹ as the narrator numbers the company . . . «.259 Das ist allerdings nicht das Besondere an v. 37, denn auch zuvor wurde die 1. Pers. Pl. schon eingesetzt, wenn es um das Schicksal oder das Ergehen aller an Bord ging, etwa im ἐφερόµεθα in v. 15 oder dem ἐκπέσωµεν in v. 29 u.ö. Das Besondere an dieser Stelle bleibt vielmehr der nur kurz wieder hervortretende »Wir«-Erzähler.260 Steven Sheeley reiht den v. 37 daher auch in 257 Eine Aufnahme von πάντες in αἱ πᾶσαι ψυχαί sieht auch Tannehill, The Narrative Unity II, S. 335. 258 In der Literatur wurde häufiger über die Zahl 276 nachgedacht; einige Kommentatoren haben versucht, sie als Dreieckszahl zu bestimmen, die hier ihrer symbolischen Bedeutung wegen verwendet sei. Dazu ist zweierlei zu sagen: 1. In einigen Kommentaren findet sich die falsche Angabe, es handele sich um die Dreieckszahl von 24 (also die Summe der Zahlen von 1 bis 24, z.B. bei Conzelmann, Apostelgeschichte, S. 155; Schille, Apostelgeschichte, S. 468; Roloff, Apostelgeschichte, S. 364); der Fehler geht möglicherweise zurück auf: Colson, Triangular Numbers, S. 72–74, bes. S. 72, allerdings wohl aufgrund eines Mißverständnisses, weil er zwar 276 eindeutig als Dreieckszahl von 23 bezeichnet, zusätzlich aber zur einfacheren Berechnung der Dreieckszahl die Formel n · n+1 angibt, 2 also für unseren Fall 23·24 . Richtig gestellt ist die Fehlinformationen der Kommentare bei Barrett, 2 Acts II, S. 1210f. 2. Es findet sich im Text nicht der geringste Anhaltspunkt, daß hier auch nur irgendwie eine symbolische Bedeutung intendiert sein könnte (auch richtig bei Barrett, Acts II, S. 1211, aber ebenso schon bei Conzelmann, Apostelgeschichte, S. 155; anders Reicke, Mahlzeit, S. 406–408, der sogar eine Verbindung zur Brotvermehrung herstellen will). Michael Oberweis hat versucht, die Zahl im Sinne hebräischer Gematrie als רעוaufzulösen, was er als – רעוּsie haben geweidet deutet; er sieht darin eine Wiederaufnahme des προσελάβοντο τροφῆς von v. 36 und eine konkrete Anspielung auf Ps 23 (22 LXX), den er in vielerlei Hinsicht als Interpretationsmodell der theologischen Aussagen von Apg 27 vorschlägt (Oberweis, Ps. 23, für die Deutung der 276 vgl. S. 172f.183). Das ist jedoch viel zu weit hergeholt; zudem ist es nicht angeraten, bei unserem Autor die Kenntnis der hebräischen Sprache anzunehmen, denn tatsächlich können alle semitischen Sprachanklänge aus der Kenntnis des Übersetzungsgriechisch der LXX erklärt werden (vgl. aus der umfangreichen Literatur beispielsweise: Wifstrand, Lukas och Septuaginta, bes. S. 246–251; Haenchen, Apostelgeschichte, S. 84–92). 259 Tannehill, The Narrative Unity II, S. 335. 260 Vgl. Kurz, Reading Luke-Acts, S. 116, der sich mit der Analyse durch Tannehill auch nicht zufrieden zeigt.
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seine »narrative asides« ein und betrachtet den Vers als Erzählerkommentar, der durch die Angabe einer genauen Zahl die Glaubwürdigkeit des Erzählten steigern soll.261 Daß derartige Details dazu dienen können, die Glaubwürdigkeit des Erzählten zu steigern, sei unbestritten; im vorliegenden Kontext scheint mir allerdings die oben vorgenommene Deutung als Entfaltung der πάντες näherzuliegen. Trotzdem ist und bleibt die Erzählweise verwunderlich: Es ist m.E. daher ernsthaft in Erwägung zu ziehen, ob nicht die Angabe über die Zahl der Passagiere und Besatzungsmitglieder im oben als Quellengrundlage der Reiseerzählung ausgemachten Rechenschaftsbericht gestanden haben könnte, auch wenn es für einen Mitreisenden nicht leicht gewesen sein wird, die genaue Zahl aller Menschen an Bord zu ermitteln.262 Es folgt nun (vv. 38–44) ein längerer Abschnitt, der rein in der 3. Pers. gestaltet ist: Der Beginn dieses Abschnitts schließt jedoch zunächst die nächtliche Mahlszene ab. Nachdem man sich gesättigt hat, leichtert man das Schiff erneut, nach den Aktionen, die in vv. 18f. erwähnt wurden, also zum dritten Mal. Jetzt bezieht sich die Leichterung ausdrücklich auf Nahrung/Getreide (ἐκβαλλόµενοι τὸν σῖτον εἰς τὴν θάλασσαν, v. 38); die Frage ist allerdings, was hier mit σῖτος genau gemeint ist. Eine Deutungsmöglichkeit drängt sich dadurch auf, daß diese Leichterung ja unmittelbar mit der vorhergehenden Mahlszene verbunden wird, indem sie durch das einleitende part. coni. κορεσθέντες δὲ τροφῆς zeitlich angeschlossen wird. Soll der Leser den ins Meer geworfenen σῖτος nun mit der τροφή identifizieren, so daß man die nach dem Mahl übrig gebliebenen Nahrungsmittel ins Meer geworfen hätte? σῖτος wäre dann als »Mundvorrat« zu verstehen, wie Bauernfeind zunächst erwägt.263 Dem widerrät allerdings die doch deutliche Unterscheidung zwischen τροφή und σῖτος, die hier vorgenommen wird. Zudem ist es unwahrscheinlich, daß man von Leichterung spricht – und das geschieht mit dem ἐκούφιζον hier ganz ausdrücklich –, wenn nur restliche Nahrungsmittel über Bord gehen. Der leichternde Effekt dürfte doch allzu gering sein, da die Nahrungsmittel der Besatzung und Reisenden nur den allergeringsten Sheeley, Narrative Asides, S. 125, vgl. auch S. 157. Möglicherweise kann man aber an die Befragung eines mit Verwaltungsaufgaben betrauten Mitarbeiters durch den Protokollanten aus Caesarea denken; konkret könnte man etwa die Funktion des tabellarius (bzw. tabularius) an Bord eines Schiffes ins Auge fassen, wie sie beispielsweise in CIL III 1, Nr. 3 (S. 5), Z. 5, belegt ist: Ein Epictetus ist der tabellarius des gubernator Dionysios (s.u., S. 429, Anm. 29). 263 Vgl. Bauernfeind, Apostelgeschichte, S. 275: »Im Z[u]s[ammen]h[an]g mit κορεσθέντες δὲ τροφῆς möchte man σῖτος mit ›Mundvorrat‹ übersetzen«. Im Blick auf die persönlichen Vorräte von Besatzung und Passagieren (»provisions«) wollen unseren tatsächlich interpretieren: Delebecque, Les actes, S. 134; Reynier, Paul, S. 122. 261 262
8.6 2. Ermahnung/Stärkungsmahl (27,33–38)
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Teil der Beladung des Schiffes ausmachten.264 Handelt es sich dann etwa um die gesamte Getreidefracht, die erst jetzt ins Meer geworfen wird?265 Das ist sehr unwahrscheinlich, weil man dann einen anderen Gegenstand für die ja nicht weiter spezifizierte ἐκβολή in v. 18 annehmen müßte, was sich aber m.E. nicht empfiehlt.266 Zudem ist es ganz unvorstellbar, auch erzählerisch wenig schlüssig, daß die gesamte Fracht während des schweren Sturms unangetastet an Bord gelassen wurde, und man nicht versucht hätte, durch Leichterung etwa die Gefahr von über das Deck gehenden Brechern zu mindern.267 Hatte man sich aber schon in v. 18 von zumindest einem Teil der Fracht befreit, so wäre für die Leichterung in v. 38 der verbliebene Rest oder zumindest der größte Teil davon anzunehmen, den man jetzt auch noch über Bord gehen läßt,268 um einen möglichst geringen Tiefgang für die folgende Strandung zu gewährleisten – dieser Zweck freilich ist bei allen Deutungen der Leichterung unbestritten. Man konnte das tun, weil nun ja kaum mehr auf die sichere Stabilität des Schiffs zu achten war, es mußte nur noch soviel Ballast vorhanden bleiben, daß sich das Schiff aufrecht hielt.269 Das klingt alles zunächst plausibel, ist aber erzählerisch recht fraglich, weil die geplante Strandung ja in der Nacht noch gar nicht im Blick ist; sie kann nämlich erst in v. 39 nach Tagesanbruch beschlossen werden, da man doch zuvor noch gar keine Informationen über die Situation hatte. Stehen wir hier also mithin vor einer Aporie der Erzählung, die darin besteht, daß selbst die beste Erklärung der Leichterungen in den vv. 18.38 noch erzählerische Probleme hinterläßt? Die Frage ist nicht ganz einfach von der Hand zu weisen! Breusing will das Hauptproblem, daß man die lokale Situation ja noch gar nicht erfassen konnte, mit einer recht scharfsinnigen Spekulation lösen: »Aber über eines war man sich schon jetzt klar: unter keinen Umständen konnte die Fahrt fortgesetzt werden. Auch auf die Erhaltung des Schiffes war 264 Vgl. Breusing, Nautik der Alten, S. 200; er weist zusätzlich darauf hin, daß es völlig unvernünftig wäre, vor dem zu erwartenden Verlust des Schiffs die eigenen Nahrungsmittelvorräte zu beseitigen. Delebecque läßt sich weder durch den einen noch den anderen Einwand beirren und will σῖτος als »les provisions« verstehen: »on les jette in extremis pour soulager le navire dans l’espoir de parvenir à la côte, qui est en vue; à terre on pourra s’en procurer d’autres« (Delebecque, Les actes, S. 134). 265 So wollen Haenchen, Apostelgeschichte, S. 673 mit Anm. 2 u. S. 677; Schille, Apostelgeschichte, S. 465.468; Seul, Rettung für alle, S. 93.159. Unentschieden bleibt Wikenhauser, Apostelgeschichte [RNT], S. 278.281. 266 Vgl. oben z.St. Erinnert sei nochmals an die wirren Überlegungen Kettenbachs, der bei der ἐκβολή in v. 18 an allerlei Gerät denkt (Kettenbach, Logbuch, S. 159–161). Ihm folgt Seul, Rettung für alle, S. 93f. 267 Vgl. wieder die Behandlung von v. 18 oben. Zur Gefahr der Brecher vgl. Breusing, Nautik der Alten, S. 184f. 268 So Bauernfeind, Apostelgeschichte, S. 274.275; Barrett, Acts II, S. 1198 (verwirrend aber sein Kommentar zu v. 38 [S. 1211], wo er von »supplies of food« redet). 269 Vgl. Breusing, Nautik der Alten, S. 199.
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8 Einzelanalyse zu Apg 27,1–28,6
nur in dem ganz unwahrscheinlichen Falle zu rechnen, daß man gerade vor dem Eingange eines Hafens lag, in welchem man Schutz vor dem Winde hätte finden können. War man aber gezwungen, das Schiff zu verlassen, so mußte man es auch um der Bergung der Menschen willen so nahe wie möglich an das Ufer legen.«270 Selbst, wenn man dieser Spekulation folgt, bleibt festzuhalten, daß die Erzählung in diesem Punkt recht stümperhaft daherkommt: Es wäre nicht nötig gewesen dem Leser dieses Rätsel aufzugeben! Weder dieses Rätsel wäre nötig gewesen, noch dasjenige um den Gegenstand der Leichterung: Trotz allem nämlich, insbesondere trotz der hier anvisierten leidlich plausiblen Lösung, wirft das Nebeneinander der unspezifizierten ἐκβολή in v. 18 und des keineswegs eindeutigen Auswurfs von σῖτος in v. 38 kein günstiges Licht auf die erzählerischen Qualitäten unseres Textes. Dem Kommentar bei Lake/Cadbury ist daher m.E. zuzustimmen: »Possibly they had already thrown out some part, and the tense used in vs. 18 (ἐποιοῦντο) perhaps implies this, and the meaning may be that they now finished the process; but even so the narrative is rather clumsy.«271 S.A. Naber wollte nun die Problematik der Stelle dadurch beseitigen, daß er für das in der Tat ja problematische σῖτον eine Konjektur vorgenommen hat: ἱστόν.272 In der gegebenen Situation kann die Umlegung und Beseitigung des schweren Hauptmastes eine durchaus sinnvolle Maßnahme sein, denn der Mast könnte beim harten Aufprall im Zuge der geplanten Strandung brechen und Leib und Leben gefährden: Man vergleiche etwa den Schiffbruch bei Ach.Tat. III 4,3, wo das Schiff auf einen unterseeischen Felsen aufläuft, und in Folge des Aufpralls der Mast bricht, so daß gewaltiger Schaden entsteht.273 Es ist allerdings offensichtlich, daß hierbei das gleiche erzählerische Problem besteht, wie beim Bezug der Entladung des Getreides auf die geplante Strandung, man konnte ja zu diesem Zeitpunkt noch keine Pläne über das weitere Vorgehen haben. Die Konjektur Nabers ist daher aus zwei Gründen abzulehnen: 1. Das einhellig überlieferte σῖτον ist zwar nicht problemlos, jedoch auch nicht so unerträglich, daß man hier genötigt wäre zu konjizieren. 2. Nabers Vorschlag ἱστόν löst, wie Breusing, Nautik der Alten, S. 199. Lake/Cadbury, S. 337. 272 Naber, Nautica, S. 269; ein, wie Naber selbst argumentiert, nicht sonderlich schwerwiegender Texteingriff, was sofort deutlich wird, wenn man die Majuskeln nebeneinanderstellt: CΙΤΟΝ // ΙCΤΟΝ. 273 Ach.Tat. III 4,3: τὸ δὲ σκάφος ἐκυβίστα περὶ τοῖς κύµασιν ὀρχούµενον, λανθάνει δὴ προσεν270 271
εχθὲν ὑφάλῳ πέτρᾳ καὶ ῥήγνυται πᾶν. ἀπωσθείσης δὲ τῆς νηὸς ὁ ἱστὸς ἐπὶ θάτερα πεσὼν τὸ µέν τι κατέκλασε, τὸ δέ τι κατέδυσεν αὐτῆς (Übersetzung: Das Schiff stürzte nach vorn und tanzte in
den Wogen umher, dabei lief es unversehens auf einen unterseeischen Felsen auf und zerbrach ganz. In Folge des Aufpralls stürzte der Mast auf die andere Seite, einige Teile des Schiffs zerschlug er, andere versenkte er); diese Stelle führt Naber auch ausdrücklich im Rahmen seiner Argumentation an.
8.7 Strandung und Rettung (27,39–44)
397
gezeigt, auch seinerseits nicht alle Probleme. Man sollte deshalb anerkennen, daß wir es hier mit einem Phänomen lukanischer »Erzählkunst« zu tun haben, die gewiß auch in anderen Fällen nicht über allen Zweifel erhaben ist.274
8.7 Strandung und Rettung (27,39–44) Dieser letzte Abschnitt des 27. Kapitels beginnt mit einer zeitlichen Markierung (ὅτε δὲ ἡµέρα ἐγένετο, v. 39) und schildert die letzte Etappe der Seereise, wenn man so will, nämlich die herbeigeführte Strandung und die letztendlich glückliche Rettung der Reisenden. In diesem Stück läßt der Erzähler die Perspektive der 1. Pers. Pl. vollständig vermissen; ein Befund, der eigenartig erscheinen könnte, nachdem das »Wir« schon seit v. 27 nicht zu vernehmen war, abgesehen von der kommentierenden Zwischenbemerkung in v. 37 (s.o). Eigenartig ist der Befund v.a. deshalb, weil man hier an der einen oder anderen Stelle doch das Wir erwarten könnte.275 Allerdings ist es hier nicht nötig, von einer wiederum gebrochenen Perspektive zu sprechen: Den Text kann man nämlich auch sehr gut im Rahmen des »Wir«-Stücks lesen; man müßte dann die vv. 39–41 ausschließlich auf die Seeleute beziehen, von denen sich der Erzähler in der 1. Pers. abgrenzen würde. Ein solches Verfahren hatte er ja schon in vv. 17f. und 28f. angewandt – wenn auch, gerade mit Blick auf die Partie der vv. 13–20, mit zweifelhafter Konsequenz.276 Die vv. 42–44a sind ja ohnehin explizit auf die Soldaten und den Zenturio bezogen. Wirklichen Anlaß, an einen erneuten perspektivischen Bruch zu denken, hätte man ohnehin nur in v. 44. Da dort aber betont die Rettung aller festgestellt wird, kann man auch das noch damit erklären, daß der »Wir«-Erzähler hier auf die explizite Erwähnung seiner Beteiligung verzichtet, um die Rettungsaussage umso pointierter anzubringen. Anscheinend hielt der Verfasser es zur Betonung der Rettung aller für sinnvoll, daß der »Wir«-Erzähler seine »Reporter-Position« beibehält, zumal schon zuvor die πάντες an Bord unter Einschluß des »Wir«-Erzählers zahlenmäßig benannt worden waren (v. 36f.).
274 Vgl. zu schriftstellerischen Nachlässigkeiten unseres Autors schon: Harnack, Beiträge I, S. 80–85; Harnack, Beiträge III, S. 159–177; vgl. auch die Bemerkungen bei Trobisch, Die narrative Welt, S. 12. 275 Vgl. etwa Porter, Excursus, S. 566. 276 Ernsthaft problematisch sind das ἐφέροντο in v. 17 (vgl. aber die v.l. ἐφερόµεθα) und das ἐκπέσωµεν in v. 29 mit dem folgenden ηὔχοντο (vgl. aber auch hier die v.l. ἐπέσωσιν); letzteres ist vielleicht noch dahingehend gut erklärbar, daß wieder auf das Schicksal des ganzen Schiffes und damit auf das Wohl und Wehe Aller bezug genommen wird, aber in den vv. 16–19 ist das Durcheinander schon recht beunruhigend (vgl. aber die Erklärungsversuche bei Barrett, Acts II, S. 1197.1204).
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8 Einzelanalyse zu Apg 27,1–28,6
Die Frage danach, ob der Verfasser die Gestaltung seiner Erzählung, gerade im Hinblick auf den Umgang mit dem »Wir«-Erzähler, wirklich durchdacht ins Werk gesetzt hat, kann man nicht nur an diesem Punkt weiterhin zu Recht stellen. Der nächste Tag: Man erkennt an der sonst unbekannten Küste eine Bucht mit einem Strand;277 es wird der Beschluß gefaßt, hier das Schiff anzulanden.278 In v. 40 gibt sich Lukas Mühe, die Handlungen im einzelnen zu zeichnen, die ergriffen werden, um das Geplante ins Werk zu setzen: Man trennt die Anker ab, die Steuerruder werden gelöst279 und das kleine Vorsegel wird in den Wind280 aufgezogen, so ist das Schiff manövrierbar, und man kann auf den Strand zuhalten. Es ist interessant, daß dieses Strandungsmanöver so relativ ausführlich beschrieben wird – im Vergleich dazu fassen sich die Romane bei derlei Abschlußereignissen eher kürzer.281 Die Erzählung ist allerdings auch noch nicht zu Ende, zwei Spannungsmomente warten noch auf uns:282 Zunächst einmal scheitert das Strandungsvorhaben, man läuft unerwartet auf einen τόπος διθάλασσος auf und setzt sich dort mit dem Bug fest, das Heck wird zertrümmert.283 Daß das Auflaufen auf den τόπος διθάλασσος ein unerwarteter Zwischenfall ist und das Scheitern des Strandungsvorhabens bedeutet, erklärt sich mir hinreichend daraus, daß man ja nach v. 39 am Strand (αἰγιαλός) anlanden wollte, wenn aber nach v. 42f. die inzwischen Schiffbrüchigen schwimmen müssen, man wohl eben gar nicht bis zum Strand gekommen ist;284 dem entnehme ich, daß es sich in diesem Fall wohl am ehesten um eine Sandbank (o.ä.) handeln muß.285 Gilchrist will τόπος διθάλασσος als 277 Zum Zusammenhang von Strandung und Küsten- bzw. Landschaftsbeschreibung vgl. Ninos C 16ff.; für eine locus amoenus-Ekphrase ist das, was hier vor uns liegt, aber deutlich zu schmucklos, v.a. fehlt die Beschreibung des Bewuchses usw. – vgl. etwa den Anfang der Aithiopika des Heliodor [Hld. I 1,1–2,9], wobei hier allerdings der Schwerpunkt auf der wunderlichen Konstellation liegt: Ein gestrandetes Schiff, Leichen über Leichen und das junge Paar, alles beobachtet von Räubern. 278 Zur umstrittenen Ortslage vgl. den Abschnitt zur Fahrtroute. 279 ἡ ζευκτηρία = ἡ ζεύγλη, vgl. LSJ, s.v. ζεύγλη II, S. 753: »cross-bar of the double rudder«, als Beleg wird E. Hel. 1536 angegeben. Das entsprechende Doppelruder sind die auch hier genannten πηδάλια, ein Wort das erstaunlicherweise sogar Hesiod kennt, vgl. auch zum Alter des Wortes: Kurt, Seemännische Fachausdrücke, S. 144f. 280 ἡ πνέουσα (sc. αὔρα) meint einen (günstig) wehenden Wind (vgl. LSJ, s.v. πνέω, S. 1425). 281 Vgl. etwa die Strandung als unspektakulären Abschluß eines lang erzählten Abenteuers bei Heliodor: Hld. V 27,7. 282 Vgl. zu den Spannungshöhepunkten der Erzählung: Hawthorne, Discourse Analysis, S. 264ff. 283 Man vergleiche die Situation bei Ninos C 23–30 (s. oben). 284 Vgl. etwa Zmijewski, Apostelgeschichte, S. 864; Praeder, The Narrative Voyage, S. 145. 285 Diese Bedeutung gibt freilich der Begriff allein nicht her, sondern nur im Zusammenhang mit dem Kontext; der Begriff für sich kann genau so gut Sund oder Landzunge bedeuten (vgl. Schille, Apostelgeschichte, S. 468). Die »richtige« Übersetzung bei Lake/Cadbury, S. 339: »a place of two
8.7 Strandung und Rettung (27,39–44)
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»a place of cross-seas« verstehen, in den das Schiff plötzlich geraten und dann auf die Leeküste geworfen worden sei.286 Seine Rekonstruktion des Strandungsverlaufs ist nicht unattraktiv, läßt allerdings außer acht, daß v. 41 doch nahezulegen scheint, daß man auf den τόπος διθάλασσος aufgelaufen ist, und nicht durch die üblen Auswirkungen dieses Orts auf Land geworfen wurde. Für unsinnig und v.a. durch den Text nicht gedeckt halte ich Überlegungen, nach denen τόπος διθάλασσος hier Sund bedeute, der zunächst verdeckt gewesen sei, und den die Seeleute erst später erkannt hätten; entweder sei man dann wie geplant auf den Strand aufgelaufen und habe die Landungsstelle nach dem plötzlich offenbar gewordenen Ort benannt,287 oder man habe sich angesichts dieser besseren Möglichkeit umentschieden und sei hier gelandet;288 davon steht aber nun wirklich nichts im Text! Beachtenswert ist in unserem v. 41 in jedem Fall die fast »altertümlich« wirkende Vokabelwahl: ἐπικέλλειν, ἐρείδειν – im späten Griechisch sind diese Begriffe nicht mehr allzu gebräuchlich, ganz anders aber bei Homer: ἐπικέλλειν findet sich z.B. bei Od. IX 138.148.546; XIII 114; im späteren Griechisch sind dagegen ὀκέλλειν und dessen Komposita eher die Vokabeln der Wahl.289 Auch ἐρείδειν ist ein häufiges homerisches Wort, allerdings nicht vom festgesetzten Schiffe. Von dieser Beobachtung darf man aber m.E. nicht ableiten – wie es schon Friedrich Blaß aufgrund der hier vorliegenden Wortwahl für denkbar gehalten hatte –, daß unser Autor die homerischen Epen in breiterem Umfang gekannt habe;290 vielmehr waren ja die homerischen Epen so einflußreich als literarisches Modell und wurden so häufig zitiert (in Florilegien und anderswo), daß man diesen Ausdrücken auch ohne fortlaufende Homer-Lektüre problemlos seas«, ist allerdings völlig bedeutungslos, was sie auch selbst einräumen. Vgl. auch Praeder, The Narrative Voyage, S. 145 mit Anm. 102 (S. 334); LSJ, s.v. διθάλασσος, S. 427; Bauer, s.v. διθάλασσος, Sp. 392. Man beachte schließlich noch den Beitrag von Dieter Metzler zu einem Warneckeschen Kolloquium: Dieter Metzler, in: Γεώργιος Δ. Μεταλληνός (Hrsg.), Πρακτικά «Συναντήσεως 1999» Κεφαλληνία – Μελίτη, Athen 2003, S. 125–147; er geht auch auf den τόπος διθάλασσος ein (S. 125. 128), will aber freilich damit und seinen Überlegungen zum Namen Μελίτη Warnecke in Sachen Kaphallenia-Theorie sekundieren. Warnecke selbst hatte sich zum angeblichen τόπος διθάλασσος auf Kephallenia ja auch geäußert: Warnecke, Die tatsächliche Romfahrt, S. 90–97. 286 Gilchrist, Historicity, S. 50, vgl. auch seine Untersuchung des schwierigen Begriffs τόπος διθάλασσος (S. 42–46). 287 So Balmer, Romfahrt, S. 416. 288 So Ramsay, St. Paul, S. 340f. (dt. Ausg., S. 280). 289 Siehe z.B. Ninos C 26f.; Hld. V 27,7. 290 Suspicari proclive est, in itineris maritimi illa descriptione etiam Homeri gnarum se scriptorem exhibere, cum dicit ἐπέκειλαν τὴν ναῦν (27,41) pro ἐπώκειλαν τὸ πλοῖον (v. comm.) (Blass, Acta apostolorum, S. 19). Für Dennis R. MacDonald ist das natürlich ein weiterer Baustein für seine m.E. völlig indiskutable These einer imitatio Homeri durch den Autor der Apostelgeschichte, vgl. MacDonald, Shipwrecks, S. 94f.
400
8 Einzelanalyse zu Apg 27,1–28,6
begegnen konnte; ein Hinweis auf eine direkte Homer-Imitation ist darin also wohl nicht zu sehen. Nun wird es brenzlig: In ihrer Angst, jemand könnte entfliehen, beschließen die Soldaten, die Gefangenen zu töten (v. 42), die seit v. 1 erst jetzt wieder in den Blick der Erzählung kommen;291 genau das verhindert der Zenturio Julius (v. 43). Und zwar verhindert er es – das ist ganz wichtig – um des Paulus willen,292 warum, wird nicht gesagt. Hier laufen nun also zwei Stränge der Erzählung, die wir verfolgt haben, zusammen: Einerseits wird der Zenturio seiner ihm in v. 3 gewährten prominenten Stellung (s.o.) wieder gerecht und erfüllt auf diese Weise die in ihn gesetzten Erwartungen, wobei er die »Leserenttäuschung« von v. 11 korrigiert.293 Andererseits ist es nun genau Paulus, um dessenwillen er so handelt: Der Apostel wird abschließend durch den Befehl des Julius zum Retter seiner Mitgefangenen; so kommt die von v. 24 her über v. 31 und v. 34ff. gezeichnete Linie zu ihrem Ende. Ist die aus dem Pflichtbewußtsein der Soldaten resultierende Gefahr abgewendet, so ist doch noch immer nicht alles vorbei: Man sitzt mit dem zerbrechenden Schiff noch auf der Sandbank fest. Es ist wieder Julius, der die Initiative übernimmt und nun anordnet: Wer kann, soll schwimmen,294 die anderen sollen sich auf Brettern295 oder ἐπί τινων τῶν ἀπὸ τοῦ πλοίου an Land bringen (vv. 43f.). Der letzte Ausdruck ist problematisch: Wie soll man ihn verstehen? An dieser Stelle ist nämlich nicht nur verwunderlich, daß ἐπί zunächst mit Dat. und 291 V. 42 wartet mit einer grammatischen Besonderheit auf: Nach einem übergeordneten Verbum des Wollens/Wünschens steht die finale Konstruktion ἵνα mit Konjunktiv, wo eigentlich eine Infinitivkonstruktion zu erwarten ist (B/R § 233,1 [S. 237f.]). Im Allgemeinen gilt: solche finalen Konstruktionen haben »im NT ihr Gebiet gewaltig ausgedehnt infolge der Ersetzung des Inf. durch ἵνα« (BDR § 369 [S. 298]). Diese Ausweitung des ἵνα-Gebrauchs (unter Beibehaltung des Konjunktivs) läßt sich auch im paganen Griechisch seit der Koine beobachten: Die Eigenbedeutung der Konjunktive wurde hier »weniger scharf empfunden als im Hauptsatz, indem im Nebensatz die Konjunktion (oder das Relativpronomen) der ausschlaggebende Faktor wird, neben dem der Konjunktiv zu einem lediglich traditionellen Erfordernis herabsinkt, eine Entwicklung, die auch durch den schon ältern obliquen Gebrauch des Optativs gefördert wurde. . . . Seit der Koine erfährt ἵνα mit Konj. eine starke Ausdehnung« (Schw., B.IV.5.d.δ [S. 319]). 292 βουλόµενος διασῶσαι τὸν Παῦλον, v. 43. 293 Vgl. Praeder, The Narrative Voyage, S. 145. 294 Den erfolglosen Versuch, sich durch Schwimmen zu retten, unternehmen einige bei Ach.Tat. III 4,6; ebenso bei App. BC V 10 (§ 89); bei Luc. VH II 47 rettet man sich nach einem Schiffbruch durch mühevolles Schwimmen an Land, ebenso Merc.Cond. 2. Derartiges erzählt auch der Chaldäer Diophanes im Eselsroman des Apuleius: vix enatavimus (Apul. Met. II 14,2). Vgl. auch J. Vit. 3 (§ 15), dort ist das Schiff freilich nicht an den Strand geworfen worden, sondern »mitten in der Adria« gesunken, so daß sich 80 Menschen solange durch Schwimmen retten müssen, bis sie von einem anderen Schiff aufgenommen werden. Vom Leid eines Schwimmers nach einem Schiffbruch scheint auch Paulus in 2. Kor 11,25 zu reden: νυχθήµερον ἐν τῷ βυθῷ πεποίηκα. 295 Vgl. zur Rettung auf Schiffsbrettern oder anderen Trümmern: AP VII 289,2; IX 269,1f.; Hist.Ap. 12; X.Eph. II 11,10; Ach.Tat. III 5,1; TestNaph VI 6; A.Jo. (Prochoros, Zahn, S. 9, Z. 3–7).
8.7 Strandung und Rettung (27,39–44)
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dann mit Gen. gebraucht wird;296 mag man das noch akzeptieren, so ist es v.a. fraglich, ob τινῶν τῶν als Maskulinum oder Neutrum zu verstehen ist, ob also hier von τὰ ἀπὸ τοῦ πλοίου oder von οἱ ἀπὸ τοῦ πλοίου die Rede ist. Beides bringt Probleme mit sich: Deutet man es als Neutrum, kommt man auf Teile des Schiffs o.ä., was ja letztlich zu einem gewissen Teil auch nichts anderes als Bretter, zumindest aber irgendwelche anderen Holzteile wären. Damit hätte man allerdings eine Überschneidung mit der zuerst genannten Gruppe, die sich ἐπὶ σανίσιν retten sollen.297 Ist der Unterscheidung zwischen beiden Gruppen dann überhaupt ein Sinn beizumessen, oder sollte man diese Unterscheidung als künstlich begreifen, so daß nur ausführlicher auf Weisen, sich zu retten, eingegangen wird, ohne daß diese klar voneinander abzugrenzen wären?298 Eine maskulinische Deutung hat demgegenüber für sich, daß man doch bei τῶν ἀπὸ τοῦ πλοίου in der Tat zuerst an die Menschen auf dem jeweiligen Schiff denkt, also an οἱ ἀπὸ τοῦ πλοίου.299 In einer bildhaften Rede bringt jedoch Johannes Chrysostomos den Gegenbeleg; er mag hier aber gut und gerne von unserer Stelle in Apg 27,44 beeinflußt sein, denn es heißt bei ihm in einer grammatisch genauso zweideutigen Formulierung (Chrys. Thdr. II 5): . . . ἐνίους δὲ ἐπὶ σανίδος µιᾶς ἢ ἐπί τινος τῶν ἀπὸ τοῦ πλοίου φεροµένους.300 Obwohl eben die Formulierung ἐπί τινος τῶν ἀπὸ τοῦ πλοίου grammatisch ebenfalls zweideutig ist, drängt sich mit dem verwendeten Singular deutlich das Verständnis als Neutrum auf. Doch wie verhält sich das an unserer Stelle in der Apostelgeschichte? Vielleicht sollte man erwägen, ob nicht auch hier das zuerst natürliche Verständnis von τῶν ἀπὸ τοῦ πλοίου im Sinne von οἱ ἀπὸ τοῦ πλοίου durch den situativen Kontext gebrochen und so unwahrscheinlich gemacht wird. Anders formuliert: Muß man sich für die maskulinische Deutung nicht so viel hinzudenken, daß man umgekehrt fordern dürfte, Lukas müßte es anders und viel deutlicher ausgedrückt haben, wenn er gemeint haben sollte, 296 Zur mangelnden Unterscheidbarkeit von Dativ und Genitiv vgl. BDR § 235,1 mit Anm. 1 (S. 188). 297 Das Problem wird nicht ausreichend zur Kenntnis genommen bei Breusing, Nautik der Alten, S. 203; die Doppelung will er nur dadurch vermeiden, daß er in den σανίδες die Bretter erkennt, die zur Befestigung der Ladung verwendet worden waren, s. dazu S. 45. 298 Dagegen besteht Barrett – im Grundsatz richtig – darauf, daß unter dem hier vorliegenden οὓς µὲν . . . οὓς δὲ . . . »a real distinction« zu verstehen sei (Barrett, Acts II, S. 1215). 299 So etwa bei Antipho V 24 (De caede Herodis). Siehe zum maskulinischen Verständnis Zorell, Randnoten, S. 159f., der den ersten Teil von v. 44 so übersetzen will: ». . . die übrigen ließ er ans Land bringen, teils auf Brettern, teils auf dem Rücken von einigen Schiffsleuten . . . « (Hervorhebung im Original gesperrt); vgl. weiterhin Lake/Cadbury, S. 340; Delebecque, Les actes, S. 135; Delebecque, Les deux actes, S. 154, der übersetzt: ». . . et tout le reste, les uns sur des planches, les autres soutenus par des hommes du navire . . . «; Barrett, Acts II, S. 1215. 300 Chrys. Thdr. (Πρὸς Θεόδωρον µοναχόν) II 5 (SC 117, Lettre 5,34f. [S. 74]; PG 47, 315); Übersetzung: . . . einige lassen sich auf einem einzigen Brett oder auf einem anderen Schiffsteil tragen.
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ein Teil solle sich von Schwimmern dabei helfen lassen, an Land zu kommen? Sollte er also unter dem ἐπί τινων τῶν ἀπὸ τοῦ πλοίου verstanden wissen wollen, daß sich ein Teil auf irgendwelchen Menschen vom Schiff retten sollte, so hätte er das wohl stärker vom ἐπὶ σανίσιν unterscheiden müssen.301 In dem Fall – den ich aber für unzutreffend halte – hätte er also an eine Art von »Rettungsschwimmern« gedacht.302 Rein sachlich ist das freilich nicht ganz absurd: Man denke bei Rettungsschwimmern jenseits von allem Scherze auch an eine Szene in den Ephesiaka des Xenophon, wo Hippothoos seinen Geliebten Hyperanthes beim Schwimmen unterstützt, indem er sich unter ihn schiebt.303 Ähnlich rettet Euthydikos seinen ins Meer gestürzten Freund Damon in Lukians Toxaris.304 Haenchen dachte demgegenüber seinerseits an Seeleute, die durchs seichte Wasser waten und die Nichtschwimmer tragen; das ist aber natürlich eine erratische Deutung, die das Problem in keiner Weise löst. Man muß da ja fragen, warum die Schwimmer dann schwimmen sollen, wie es in v. 43 ausdrücklich heißt (dort ist von οἱ δυνάµενοι κολυµβᾶν die Rede), und die Nichtschwimmer nicht einfach selber durchs Wasser waten?305 Damit gerät man also nur in neue Aporien! Insgesamt mangelt es der Deutung von τινων τῶν ἀπὸ τοῦ πλοίου als »Rettungsschwimmer« – um bei diesem laxen Ausdruck zu bleiben – an Überzeugungskraft, auch wenn derartiges sachlich denkbar erscheint. Die Formulierung bei Lukas ist dafür bei weitem zu unspezifisch (wie sich auch im Vergleich mit den soeben zitierten Stellen bei Lukian und Xenophon zeigt), so daß wir uns doch eher genötigt sehen, andere Teile vom Schiff, also etwa Trümmer und ähnliches, anzunehmen, auf den sich ein Teil der Nichtschwimmer retten soll; vielleicht läßt sich u.a. auch an die Korkstücke denken, die zur Herstellung der Ankerbojen und im Notfall zur Rettung von über Bord Gegangenen auf Schiffen mitgeführt wurden.306 Lukas formuliert hier dann entgegen dem natürlichen Sinn von τῶν ἀπὸ τοῦ πλοίου und nimmt in Kauf, daß zwischen beiden Möglichkeiten, also auf Brettern und auf (anderen) Teilen des Schiffs nicht klar Vgl. Reynier, Paul, S. 128, Anm. 3, die die Deutung auf andere Schiffsteile/Trümmer für »plus courante« hält. 302 Die Möglichkeit, daß Lukas »Rettungsschwimmer« vor Augen haben könnte, erwägt Schille, Apostelgeschichte, S. 469. 303 X.Eph. III 2,12: Κἀγὼ µὲν τῷ ῾Υπεράνθῃ συνενηχόµην ὑπιὼν αὐτῷ καὶ κουφοτέραν τὴν 301
νῆξιν ἐποιούµην.
Luc. Tox. 20: . . . καὶ καταλαβόντα τὸν Δάµωνα . . . συµπαρανήχεσθαι καὶ συγκουφίζειν. In diese Richtung entgegnet Schille, Apostelgeschichte, S. 469, Anm. 78. Die Stelle bei Haenchen findet sich: Haenchen, Apostelgeschichte, S. 678, Anm. 3; er erkennt jedoch selbst, daß Schwimmen in diesem Fall überflüssig wäre. 306 Siehe hierzu Neuburger, Technik, S. 503; Casson, Ships, S. 257; und Breusing, Nautik der Alten, S. 180, der aber bei seiner Deutung der relevanten Stelle Luc. Tox. 20 die Existenz eigener Rettungsbojen unterstellt. 304 305
8.8 Freundliche Aufnahme bei den »Barbaren« (28,1–6)
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zu unterscheiden ist.307 Das wiegt aber nicht sonderlich schwer, wie die Stelle bei Johannes Chrysostomos (s.o.) vor Augen führt. Abgeschlossen wird unsere Szene mit der definitiven Feststellung der Rettung aller (v. 44) – wie das zuweilen auch im Roman vorkommt.308 Zu beachten ist in unserem Text noch die zum Ende hin immer dichter werdende Häufung des Rettungsvokabulars, also insbesondere der Vorkommen des Verbums σῴζειν und seiner Derivate:309 »The rapid repetition of the same word in 27:43, 44; 28:1 is a particular sign of emphasis.«310 In der Tat wird die Rettung in unserem Text massiv betont, sie gibt sich – so weit kann man gehen – als Rettungsgeschichte.311 Bezogen auf den herausgearbeiteten Paulus-Erzählstrang betont das nur noch mehr die besondere Rolle des Apostels, die er auf diesem Schiff und auch für seine Mitreisenden spielt.
8.8 Freundliche Aufnahme bei den »Barbaren« (28,1–6) Die erste Szene des 28. Kapitels (Apg 28,1–6) ist noch kurz zu betrachten, da hier die Ankunft an Land erzählt wird, ein nicht ganz unwesentliches Element in den Sturm-/Schiffbruchgeschichten. Neben der Mitteilung, daß es sich um eine Insel namens Μελίτη handelt, auf der man angekommen sei (v. 1),312 wird die bemerkenswerte Feststellung gemacht: οἵ τε βάρβαροι παρεῖχον οὐ τὴν τυχοῦσαν φιλανθρωπίαν (v. 2). Wir haben hier eine besonders interessante Anwendung des Motivs der freundlichen Aufnahme von (gescheiterten) Seereisenden vor uns.313 Wie oben ja ausgeführt, hat dieses Motiv sein Gegenstück in der eben 307 Vgl. dagegen wieder Barrett, Acts II, S. 1215; Seul, Rettung für alle, S. 177, folgt hier ganz und gar Barrett und plädiert für die Deutung als »Rettungsschwimmer«, übersetzt dann aber unverständlicherweise mit: ». . . die einen auf Brettern, die anderen auf Schiffstrümmern« (ebd.). 308 Vgl. etwa die ebenso eine Szene abschließende Feststellung der Rettung bei: Longus I 31,1. Ein durch den Kontrast interessantes Vergleichsstück ist die geradezu schon Parodierende »Rettung aller« bei Luc. VH II 47. Die Rettung der Menschen wird in eher historisch orientierten Texten oft nur en passant erwähnt, so erst nach Segeln, Ausrüstung in einem kurzen καὶ οἱ ἄνθρωποι bei Arr. Peripl.M.Eux. 5,2; überhaupt kein Interesse an den überlebenden Menschen zeigt etwa App. BC V 10 (§§ 89f.); siehe zu Arrian und Appian jeweils die entsprechenden Abschnitte oben. 309 Zu nennen sind folgende vv.: Apg 27,20.31 (σῴζειν).34 (σωτηρία).43.44; 28,1.4 (διασῴζειν). 310 Tannehill, The Narrative Unity II, S. 336. 311 Zu weit geht mir die Interpretation von Radl, der ja Seefahrt/Schiffbruch und Rettung mit Tod und Auferstehung parallelisieren will – was ohne Zweifel etwas für sich hat, wenn man die Interpretation nicht erzwingt –: er will unsere Erzählung so v.a. aufgrund des Rettungsvokabulars als »eine ›österliche‹ Geschichte« verstehen (Radl, Paulus, S. 238f.). 312 Vgl. den Abschnitt zur Fahrtroute. 313 Das Motiv erkennt Schille, Apostelgeschichte, S. 471, m.E. richtig. Zum Vorkommen dieses Motivs vgl.: Ninos C 1–16 (nur event., vgl. oben); Hist.Ap. 12; X.Eph. V 1,2; Herpyllis II 1–7 (vor dem Seesturm); Petr. 114,14; 115,6; Synes. ep. 4,165a; vgl. auch Od. VI 110–331.
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feindlichen Aufnahme (d.h. Plünderung des gestrandeten Schiffs, Versklavung der Reisenden, o.ä.):314 Mir scheint, daß dieses ambivalente Motiv hier bewußt benutzt wird, da extra darauf hingewiesen wird, daß Barbaren ungewöhnliche Freundlichkeit gewährt hätten: οὐ τὴν τυχοῦσαν φιλανθρωπίαν (Apg 28,2). Es hätte ja eben auch ganz anders kommen können; eine neue Gefahr – nämlich an Räuber oder dergleichen zu geraten – wird hier als schon überwundene Möglichkeit ins Auge gefaßt.315 Vielleicht ist es angezeigt, auch von hier aus eine Erklärung der durchaus merkwürdigen Verwendung des allerdings ohnehin schillernden Barbarenbegriffs zu suchen. Jemanden mit dem ursprünglich sprachlich gemeinten316 βάρβαρος zu betiteln, konnte sich schon in der Antike auf ganz verschiedene Merkmale beziehen; die Bezeichnung als »Barbar« war sowohl aufgrund nichtgriechischer Sprache (eben die Grund- und Hauptbedeutung), als auch davon ausgehend aufgrund nichtgriechischer Abstammung möglich.317 Davon ließ sich weiter die Benutzung der Bezeichnung für Menschen ableiten, die sich in Sitte und Brauchtum oder der Gesinnung von Griechen in irgendeiner Weise unterscheiden. Spätestens mit diesem Gebrauch tendiert der Titel βάρβαρος zu einer Verunglimpfung, die dem Nichtgriechen neben mangelnder Bildung auch mangelnde Tugend zuschrieb; von daher kann mit der Bezeichnung einfach auch die angebliche kulturelle Unterlegenheit, ja Rohheit und Wildheit ausgedrückt werden.318 Geht man dem speziellen Gebrauch dieses Begriffs an unserer Stelle weiter nach, so ist zu bedenken – natürlich nur, wenn man Μελίτη für Malta hält –, daß Malta schon seit 218 v.Chr. zur römischen Provinz Sizilien gehörte.319 Wie verhält sich das zur Sicht des Griechen Lukas im 1. Jh.n.Chr.? Reicht in unserem 314 Man vergleiche z.B. den eingefädelten Überfall auf das Schiff des Chaireas (Charito III 7,1– 3); Anthia, die von der Bande des Hippothoos aufgegriffen wird (X.Eph. II 11,11); Habrokomes, der von den Bukolen versklavt wird (X.Eph. III 12,1f.); sowie die ganze Bukolen-Szenerie bei Ach.Tat. III 9,2–IV 18,1 und Hld. I 3,4–33,4. Zur Piraterie durch Küstenbewohner etwa im Roten Meer siehe beispielsweise Peripl.M.Rub. 20; vgl. den Kommentar bei Casson, The Periplus Maris Erythraei, S. 146. 315 Daß es eben auch anders hätte verlaufen können, betont Pervo, Luke’s Story, S. 90 – allerdings übertreibt er einmal mehr: »Because inhabitants of coastal regions regularly supplemented their incomes with the windfalls provided by shipwrecks and were not always above eliminating or enslaving any survivors, their kind reception of this bedraggled and freezing company was little short of a miracle.« 316 Windisch, Art. βάρβαρος, S. 544f. 317 Windisch, Art. βάρβαρος, S. 545f. 318 Windisch, Art. βάρβαρος, S. 546. Vgl. darüber hinaus zum Ganzen und v.a. auch zum Schillernden und Ambivalenten des Barbarenbegriffs Jüthner, Hellenen und Barbaren, passim, bes. den Überblick S. 1–13 und zur Frage der Stellung der Römer zum Barbarenbegriff S. 60ff. 319 Meyer, Art. Melite; Kalcyk/Niemeyer, Art. Melite.
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Fall eine Erklärung aus, die in erster Linie auf die Sprache zielt?320 Im Fall von Malta ist ja in der Tat ein punischer Dialekt, also eine semitische Sprache, für die Masse der Einheimischen anzunehmen, die nicht voll und ganz (eben auch nicht sprachlich) romanisiert waren.321 Die rein sprachliche Erklärung hätte den Vorteil, daß die Kennzeichnung der Einheimischen als βάρβαροι dann entweder schon auf das Stationenverzeichnis des zuständigen Gemeindemitglieds aus Caesarea zurückgehen oder einen lukanischen Reflex auf in dem Rechenschaftsbericht eventuell zu findende Hinweise auf die unverständliche Sprache der Küstenbewohner darstellen könnte.322 Damit verliert man allerdings den oben angedeuteten Kontrast zwischen der Bezeichnung als βάρβαροι und der φιλανθρωπία; der Text scheint aber diesen Kontrast durchaus eintragen zu wollen, so daß man hier eher mit einer über das Sprachliche hinausgehenden Bedeutung von βάρβαρος zu rechnen hat.323 Das muß nun aber keineswegs zwingend mit bestimmten (bspw. griechischen) Wahrnehmungen der jeweiligen Inselbewohner abgeglichen werden, weil Lukas zunächst rein sprachlich auf die Bezeichnung βάρβαρος gekommen sein konnte (wie die beiden soeben ins Auge gefaßten Möglichkeiten zeigen). Er könnte dann das Verständnis des Begriffs bewußt erweitert haben, um das Motiv der freundlichen Aufnahme an dieser Stelle in noch deutlicherer und drastischerer Weise in seine Erzählung einzubinden. Als völlig verfehlt sind dagegen Erkärun320 So etwa Lake/Cadbury, S. 340; vgl. auch Windisch, Art. βάρβαρος, S. 549, der aber im folgenden doch noch die erweiterte Bedeutung in Rechnung stellt (s.u.). 321 Obwohl man auf Malta mit der Kaiserzeit eine tiefgreifende Romanisierung annehmen muß, die das urspünglich phönizisch-punische Element überdeckte, ist von der Benutzung des punischen Dialekts in der breiten Bevölkerung der einheimischen wohl trotzdem noch auszugehen (vgl. Wikenhauser, Geschichtswert, S. 411f.). 322 Selbst wenn wir der zweimalig ausgesprochenen lukanischen Annahme trauen, Paulus habe auf Aramäisch öffentlich sprechen können – und nur das Aramäische wird man ja hinter der Information, Paulus spreche τῇ ῾Εβραΐδῳ διαλέκτῳ (Apg 21,40; 22,2), vermuten können –, und wenn man zusätzlich annimmt, der Apostel habe sich so wenigstens mehr schlecht als recht mit den punischsprechenden Menschen verständigen können (vgl. Windisch, Art. βάρβαρος, S. 549, Anm. 33), hindert das nicht die Annahme, daß dem Griechen aus Caesarea das als barbarische Sprache vorgekommen sein dürfte. Zudem ist aber überhaupt in Zweifel zu ziehen, daß der aus Kilikien stammende Diaspora-Jude Paulus Aramäisch (geschweige denn Hebräisch) beherrscht hat; seine Bibel hat er jedenfalls ausschließlich auf Griechisch gelesen, so auch das eindeutige Ergebnis der Untersuchungen bei Koch, Die Schrift als Zeuge, passim, vgl. beispielsweise S. 2.48.78. 323 Vgl. Windisch, Art. βάρβαρος, S. 549: »Wenn Lukas erzählt: οἵ τε βάρβαροι παρεῖχον οὐ τὴν τυχοῦσαν φιλανθρωπίαν ἡµῖν, so meint er: wir erfuhren eine menschenfreundliche Behandlung, wie wir sie als Schiffbrüchige von solchen ›Barbaren‹ nicht erwartet hätten, oder: anderwärts nie erfahren haben. Entweder also ist βάρβαρος und φιλανθρωπία in Kontrast gestellt oder es ist ein Protest gegen die herrschende Verachtung der ›βάρβαροι‹.« Eine gelinde relativierende Haltung gegenüber der Verwendung des verunglimpfenden Barbarenbegriffs mag auch in der Wendung (unter Zugrundelegung des ersten Verständnisses) enthalten sein, allein zu diesem Zweck ist sie so sicher nicht verfaßt.
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gen des Barbarenbegriffs anzusehen, die auf die angeblich hohe gesellschaftliche Stellung des Lukas rekurrieren,324 für die es aber nicht die geringsten Belege gibt. Auch die oft angeführte Beziehung zu dem κράτιστος Θεόφιλος (Lk 1,3) trägt in dieser Hinsicht nichts aus. Erstens ist nämlich mit der Beziehung des Lukas zum κράτιστος Θεόφιλος noch nichts über dessen eigene Stellung ausgesagt. Und v.a. läßt zweitens die Anrede κράτιστε in Widmungen in keiner Weise sicher auf den gesellschaftlichen Rang des Widmungsempfängers schließen.325 Auf die höchst interessante Szene mit der Schlange und der Reaktion der Küstenbewohner kann hier nicht in jeder Hinsicht eingegangen werden;326 es sei nur auf den einen für uns bedeutenden Zug in v. 4 hingewiesen, der wieder einen Rückbezug auf den Schiffbruch herstellt,– und dieser Zug soll auch in angemessen Ausführlichkeit gewürdigt werden. Daß Paulus von einer Schlange gebissen wird (vv. 3f.), verleitet die zusehenden Küstenbewohner zu der Annahme, es müsse sich bei Paulus gewiß um einen Vgl. etwa Balmer, Romfahrt, S. 328. Der epigraphische und literarische Befund in der uns interessierenden Zeit kann in keiner Weise als einheitlich bezeichnet werden: Zwar kann κράτιστος als Übersetzung des lateinischen Ehrentitels für den Ritterstand vir egregius dienen (LSJ, s.v. κράτιστος 2.b, S. 991f.; Mason, Greek Terms for Roman Institutions, S. 64 [s.v. κράτιστος]), aber auch, v.a. in älterer Zeit, als Übertragung des senatorischen Ehrentitels vir clarissimus (LSJ, s.v. κράτιστος 2.b, S. 992; LSJ Suppl., s.v. κράτιστος, S. 185; Meyer, Ursprung I, S. 6f.) sonst eigentlich λαµπρότατος (Mason, Greek Terms for Roman Institutions, S. 65 [s.v. λαµπρότατος]). Als Beispiel für die Verwendung von κράτιστος als Übersetzung von lat. vir egregius sei hier die Ehreninschrift für Baebius Valerius Firmus angeführt: Ph. II2 , Nr. 309/G060, Z. 3 (S. 368–371, 1. Aufl. S. 315–317) (= AÉ 1936 [1937], Nr. 43 [S. 15]); s. auch Lemerle, Inscriptions, Nr. 38 (S. 127–131); vgl. dort auch zur Wiedergabe von vir egregius bzw. vir clarissimus bes. S. 130f. mit Anm. 6 (S. 130) und Anm. 1f. (S. 131). Ja, über diesen nicht eindeutigen Befund hinaus könnte κράτιστος in Widmungen oder Anreden auch einfach als ehrerbietendes Epitheton, wohlgemerkt ohne Berücksichtigung der tatsächlichen Stellung, benutzt worden sein, vgl. z.B. folgende Belege bei Galen: Gal. K X 34; X 57; X 78 (an ῾Ιέρων, s. PIR2 IV, H 171 [S. 89]); XIX 8; XIX 10 (an Βάσσος, den wir nur aus der Erwähnung bei Galen kennen, und auf dessen Wunsch die Entstehung der Schrift Περὶ τῶν ἰδίων βιβλίων zurückgeht: Wellmann, Art. Bassus. 34). Man beachte auch die wechselnden Anreden bei: Lk 1,3 (κράτιστε Θεόφιλε) und Apg 1,1 (ὦ Θεόφιλε), sowie bei J. Ap. I 1 (§ 1, κράτιστε ἀνδρῶν ᾽Επαφρόδιτε); II 1 (§ 1, τιµιώτατέ µοι ᾽Επαφρόδιτε) und II 41 (§ 296, σοὶ δέ, ᾽Επαφρόδιτε); vgl. zum Befund bei Josephus sowie zur Frage nach der Identität und dem sozialen Status des Epaphroditos: Labow, Contra Apionem I, S. LXXIVf.11, Anm. 15; Barclay, Against Apion, S. 3f., Anm. 3. – Vgl. zum Problem bei Lukas auch Alexander, The Preface, S. 187–200. 326 Am Rande bemerkenswert ist die aparte Idee von Gillieson, Acts xxviii. 3, der den Umstand, daß Paulus eine Schlange mit einem Stück Holz verwechseln konnte, mit dessen – vielleicht als Augenkrankheit zu deutendem – chronischem Leiden in Verbindung bringen will: »A torpid snake might easily be mistaken for a stick by a very short-sighted man, who would only discover his mistake when the heat had wakened into life the dormant reptile.« Vgl. zum berühmten σκόλοψ τῇ σαρκί: 2. Kor 4,10; 12,7 (dort der Ausdruck) und besonders Gal 4,13–15 (möglicherweise ist v. 15 der Hinweis zu entnehmen, daß es sich tatsächlich um ein Augenleiden gehandelt hat, vgl. Mussner, Der Galaterbrief, S. 309). So aber wird man wohl die Historizität des hier Erzählten bei weitem überschätzen. 324 325
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Mörder (φονεύς) handeln, den Dike nach dem überstandenen Schiffbruch nicht leben lassen will. Auch wenn es einige Erzählungen über rächende Schlangen sowie solche Männer gibt, die die Schlangen beherrschen, lassen sich unmittelbare Parallelen zu unserem Text, die auch das Element der überstandenen Seenot aufbieten, nur schwer beibringen.327 Einen von einer Schlange nach überstandenem Schiffbruch unmittelbar am Strande zu Tode gebrachten Mann beklagt das berühmte Epigramm der Anthologia Palatina VII 290:328
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Λαίλαπα καὶ µανίην ὀλοῆς προφυγόντα θαλάσσης ναυηγὸν Λιβυκαῖς κείµενον ἐν ψαµάθοις οὐχ ἑκὰς ἠιόνων, πυµάτῳ βεβαρηµένον ὕπνῳ, γυµνόν, ἀπὸ στυγερῆς ὡς κάµε ναυφθορίης, ἔκτανε λυγρὸς ἔχις. τί µάτην πρὸς κύµατ’ ἐµόχθει, τὴν ἐπὶ γῆς σπεύδων µοῖραν ὀφειλοµένην;
Dem Sturm und Rasen des grausigen Meeres entflohen, als Schiffbrüchiger im libyschen Sande liegend nicht weit ab von der Küste, beschwert vom letzten Schlaf, nackt, als er dalag völlig erschöpft vom furchtbaren Schiffbruch, da brachte ihn eine verderbliche Viper zu Tode. Warum quälte er sich vergeblich ab gegen die Wogen und eilte doch dem verhängten Schicksal am Lande entgegen?
Dieses Epigramm des Statilius Flaccus (Στατύλλιος Φλάκκος) hat aber eine völlig andere Perspektive als unser Text: Der arme Mann wird bedauert angesichts des unnachgiebigen Schicksals, das sich seiner doch bemächtigte (durch die Schlange), obwohl er dem Meere schon entkommen war. Zu bemerken ist besonders, daß in diesem Epigramm keinerlei Bezug auf eine Schuld des Schiffbrüchigen hergestellt wird; stattdessen wird eben das unentrinnbare Schicksal beschworen.329 Einen ganz ähnlichen Gedanken enthält das in der Anthologia Palatina unmittelbar vorhergehende Epigramm des Antipater von Thessaloniki, wo ein Wolf einen herbeigeschwommenen Schiffbrüchigen tötet (AP 327 Vgl. überhaupt zu erwägenswerten Vergleichstexten: Dibelius, Formgeschichte, S. 133f.; Cadbury, The Book, S. 26f.; Theissen, Urchristliche Wundergeschichten, S. 116f.; Kanda, Form and Function, S. 288–304; Silberman, Paul’s Viper; Schreiber, Paulus als Wundertäter, S. 126f.; Kauppi, Foreign but Familiar Gods, S. 108–110.115, Anm. 42. 328 AP VII 290; dieses Epigramm wird in den Kommentaren gern zu unserer Stelle angeführt: z.B. Haenchen, Apostelgeschichte, S. 682, Anm. 2. Es wurde schon als Parallele geboten bei Wettstein II, S. 650. 329 Siehe dazu insbesondere das letzte Distichon (AP VII 290,5f. [von der Penthemimeres des Hexameters an]). – Vgl. zu dem Epigramm auch: Weiser, Apostelgeschichte II, S. 669; Kauppi, Foreign but Familiar Gods, S. 108f., sowie den Kommentar bei Gow/Page II, S. 452f. (Text und Übersetzung: Bd. I, S. 422f.).
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VII 289).330 Das Thema des sich verkehrenden Schicksals wird darüber hinaus auch im Epigramm IX 269 aufgegriffen, allerdings in ganz anderer Weise. Hier nämlich geht es tatsächlich um ein Vergehen, das von einem Hai (κύων ἁλός, v. 5)331 ausdrücklich im Auftrag der Dike gerächt wird:332 Zwei Schiffbrüchige, Antagores und Peisistratos, kämpfen um eine Planke, der Siegreiche wird vom Hai bestraft. Zwar haben wir hier das Motiv der Vergeltung (auch durch Dike), allerdings legt das Epigramm darauf natürlich nicht das Hauptgewicht, sondern betont, daß das vorliegende Vergehen entschuldbar sei (vv. 3f.); daß Dike trotzdem eingreift, dient der Darstellung des sich verblüffend verkehrenden Schicksals.333 Hinzu kommt an Unterschieden offensichtlich ja auch noch, daß die Situation eine völlig andere ist als in unserem Text, und daß ein anderes Tier als Rächer zum Zuge kommt. Alternativ könnte man einen Bezug zu dem Motivkomplex »heilige Männer und Schlangen« herstellen; dafür lassen sich zahlreiche Parallelen beibringen.334 Es stellt sich allerdings die Frage, ob das hier vorliegende Abschütteln des Tieres durch Paulus (v. 5) ausreicht, um unseren Text diesem Motivkomplex zuzuordnen bzw. überhaupt einen Schwerpunkt der Erzählung in der Herrschaft des Paulus über Schlangen zu sehen. Gern wird in diesem Zusammenhang auf die rabbinische Überlieferung hingewiesen, die von Rabbi H . anina ben Dosa berichtet, daß dieser von einer Schlange gebissen worden sei, woraufhin das Tier gestorben sei; die Stelle in bBerakh 33a endet mit dem berühmten Satz: »Wehe dem Menschen, dem eine Schlange begegnet, u.[nd] wehe der Schlange, der R.[abbi] Chanina b.[en] Dosa begegnet!«335 Die Fassung des babylonischen 330 Ἀνθέα τὸν ναυηγὸν ἐπὶ στόµα Πηνειοῖο | νυκτὸς ὑπὲρ βαιῆς νηξάµενον σανίδος | µούνιος ἐκ θάµνοιο θορὼν λύκος, ἄσκοπον ἄνδρα, | ἔκτανεν. ὦ γαίης κύµατα πιστότερα. (Übersetzung:
Den schiffbrüchigen Antheus, der zur Mündung des Peneios | bei Nacht auf einem schmalen Schiffsbrett geschwommen kam, tötete ein einsamer Wolf, der aus einem Gebüsch hervorsprang, ihn, den unachtsamen Mann. | O ihr Wellen, die ihr verläßlicher seid als das Land). – Vgl. hierzu Gow/Page II, S. 42; zum schiffbrüchigen Antheus s. auch AP VII 550. 331 Vgl. zu κύων für Hai: LSJ, s.v. κύων IV, S. 1015; vgl. auch s.v. γαλεός I, S. 336. 332 In v. 4 wird ausdrücklich festgestellt, daß Dike sich der Sache annahm: ἀλλ’ ἐµέλησε Δίκῃ (AP IX 269,4); vgl. Gow/Page II, S. 106. 333 Vgl. zur Verwendung dieses Textes im Vergleich mit Apg 28,2–6 auch Labahn, Paulus, S. 92f. 334 Vgl. etwa das Material bei: Kanda, Form and Function, S. 288–298. 335 Übersetzung aus: Bill. II, S. 772; der ganze relevante Abschnitt aus dem babylonischen Talmud lautet (bBerakh 33a [Gemara zu Mischna 5,1]): »Die Rabbanan lehrten: Einst befand sich an einem Orte eine Wasserschlange, die die Menschen verletzte, und als man zu R. H . anina b. Dosa kam und es ihm erzählte, sprach er zu ihnen: Zeiget mir ihr Schlupfloch. Als man ihm ihr Schlupfloch zeigte, setzte er seine Ferse auf die Öffnung des Schlupfloches; da kam sie heraus und biß ihn, aber die Wasserschlange krepierte. Hierauf nahm er sie auf seine Schulter, brachte sie ins Lehrhaus und sprach zu ihnen: Sehet, meine Kinder, nicht die Wasserschlange tötet, sondern die Sünde tötet. In dieser Stunde sagten sie: Wehe dem Menschen, dem eine Wasserschlange begegnet, und wehe der Wasserschlange, der R. H . anina b. Dosa begegnet« (Übersetzung aus: Goldschmidt, Bd. I, S. 147;
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Talmud scheint eine Einordnung in den zur Debatte stehenden Motivkomplex nahezulegen; die Fassungen des Yerushalmi und der Tosephta allerdings nehmen stärker Bezug auf die in der Mischna-Stelle (5,1) behandelte Problematik: Es geht um die Gebetshaltung und die Unterbrechung des Gebets, wozu es dort heißt: ». . . selbst wenn eine Schlange sich um seine Ferse windet, unterbreche man nicht.«336 In pBerakh V 9a und tBerakh 3,20 ist die Szenerie der Überlieferung über Rabbi H . anina auch entsprechend; er sei während des Gebets von einer Schlange gebissen worden, betete aber unbeirrt weiter. Seine Schüler fanden dann die Schlange tot vor deren Loch. Somit geht es hier in erster Linie darum, daß Gott diejenigen, die sein Gebot befolgen, schützt – auch vor dem Biß einer Schlange.337 Diese Aussageabsicht liegt auch einer anderen rabbinischen Erzählung zugrunde, die wir in bSchab 156b in einem Abschnitt der Gemara über astrologische Beeinflussung des Schicksals finden;338 die Erretung des Menschen vor der Schlange und deren Tötung wird hier einerseits an das Israelitentum des Menschen sowie an seine Wohltätigkeit bzw. Gerechtigkeit gebunden (letzteres unter Bezug auf Spr 10,2b).339 Die Fassung der Überlieferung über Rabbi H . anina in der Gemara des Babli (bBerakh 33a ) scheint dagegen eine Weiterentwicklung des Stoffes zu belegen; der ursprüngliche Bezug schimmert noch durch in dem allerdings auch seinerseits sekundär angehängten Lehrsatz: »Sehet, meine Kinder, nicht die Wasserschlange tötet, sondern die Sünde tötet.«340 Diese Überlieferung vgl. auch Simon, Berakoth, S. 204). Andere Fassungen dieser Überlieferung finden sich bei: pBerakh V 9a (vgl. Horowitz, S. 143f.); tBerakh 3,20 (vgl. Lohse/Mayer, Tosefta I 1.1, S. 49); auch diese Parallelstellen bieten den oben zitierten staunenden Ausspruch (leicht verändert). 336 bBerakh 30b (Goldschmidt, Bd. I, S. 134). 337 Vgl. Silberman, Paul’s Viper, S. 249, Anm. 11. – In diesem Zug könnte man noch den entscheidenden Berührungspunkt zwischen dieser rabbinischen Überlieferung und unserer Schlangenszene auf Malta sehen; zum göttlichen Schutz, unter dem Paulus steht, s.u. 338 bSchab 156b (zu Mischna 24,3): »Und auch aus [einer Äußerung] Šemuéls ist zu entnehmen, daß Jisraél dem Glücksstern nicht unterliege. Šemuél und Ablet saßen beisammen, und Leute gingen an ihnen nach der Wiese vorüber. Da sprach Ablet zu Šemuél: Dieser Mann geht und kommt nicht wieder; ihn beißt eine Schlange und er stirbt. Da sprach Šemuél zu ihm: Ist er Jisraélit, so geht er und kommt wieder. Während sie dasaßen, ging der Mann und kam wieder; und als er seine Last ablegte, fand er darin eine in zwei Hälften durchschnittene Schlange. Da sprach Šemuél zu ihm: Was hast du getan? Dieser erwiderte: Jeden Tag legten wir unter uns das Brot zusammen und aßen, und heute war unter uns einer, der kein Brot hatte und sich schämte. Da sprach ich: Ich will sammeln gehen. Als ich an diesen herankam, tat ich so, als hätte ich es auch von ihm erhalten, damit er nicht beschämt werde. Da sprach er: Du hast Wohltätigkeit geübt! Hierauf ging Šemuél hinaus und trug vor: Die Wohltat errettet vom Tode, und nicht nur von einem unnatürlichen Tode, sondern vom Tode überhaupt« (Übersetzung aus: Goldschmidt, Bd. I, S. 940; vgl. Epstein, Shabbath II, S. 800f. Vgl. auch die Übersetzung bei Theissen, Urchristliche Wundergeschichten, S. 117). 339 Vgl. zu diesem Stück Dibelius, Formgeschichte, S. 133f. Der oben erwähnte Bezugstext, Spr 10,2b, lautet: Uת. וּצְדקָה תַּצִּיל מִמָּו. . . – Übersetzung: . . . sondern Gerechtigkeit errettet vom Tode. 340 bBerakh 33a (Goldschmidt, Bd. I, S. 147). Vgl. zum sekundären Charakter der Fassung im babylonischen Talmud Lohse/Mayer, Tosefta I 1.1, S. 49, Anm. 151.
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hat also zumindest ursprünglich nichts mit dem Motivkomplex der Herrschaft heiliger Männer über Schlangen zu tun; daß in der Traditionsentwicklung Elemente aufgenommen wurden, die diesem Motivkomplex zugeordnet werden können, läßt sich angesichts der Version des Talmud Babli kaum leugnen. Wie dagegen die eigentliche aktive Herrschaft heiliger Männer über Schlangen gewöhnlich dargestellt wird, zeigt sich exemplarisch viel deutlicher in einer Stelle aus dem lukianischen Dialog Φιλοψευδεῖς ἢ ἀπιστῶν, wo über die Reinigung eines Weinberges von Schlangen durch einen babylonischen Zauberer folgendes – freilich schon gleich in typisch lukianischer satirischer Brechung – erzählt wird (Luc. Philops. 12):341 . . . εἰς γὰρ τὸν ἀγρὸν ἐλθὼν ἕωθεν, ἐπειπὼν ἱερατικά τινα ἐκ βίβλου παλαιᾶς ὀνόµατα ἑπτὰ καὶ θείῳ καὶ δᾳδὶ καθαγνίσας τὸν τόπον περιελθὼν ἐς τρίς, ἐξεκάλεσεν ὅσα ἦν ἑρπετὰ ἐντὸς τῶν ὅρων. ἧκον οὖν ὥσπερ ἑλκόµενοι πρὸς τὴν ἐπῳδὴν ὄφεις πολλοὶ καὶ ἀσπίδες καὶ ἔχιδναι καὶ κεράσται καὶ ἀκοντίαι φρῦνοί τε καὶ φύσαλοι, ἐλείπετο δὲ εἷς δράκων παλαιός, ὑπὸ γήρως, οἶµαι, ἐξερπύσαι µὴ δυνάµενος ἢ παρακούσας τοῦ προστάγµατος· ὁ δὲ µάγος οὐκ ἔφη παρεῖναι ἅπαντας, ἀλλ’ ἕνα τινὰ τῶν ὄφεων τὸν νεώτατον χειροτονήσας πρεσβευτὴν ἔπεµψεν ἐπὶ τὸν δράκοντα, καὶ µετὰ µικρὸν ἧκε κἀκεῖνος. ἐπεὶ δὲ συνηλίσθησαν, ἐνεφύσησε µὲν αὐτοῖς ὁ Βαβυλώνιος, τὰ δὲ αὐτίκα µάλα κατεκαύθη ἅπαντα ὑπὸ τῷ φυσήµατι, ἡµεῖς δὲ ἐθαυµάζοµεν. Er ging nämlich bei Morgengrauen auf den Weinberg, rezitierte gewisse heilige Namen aus einem alten Buch – sieben waren es –, reinigte den Ort mit Schwefel und Fackel, wobei er dreimal um ihn herumschritt, und rief, was an Kriechgetier innerhalb der Grenzen war, heraus. Es kamen nun, als ob sie von der Beschwörung angezogen wurden, viele Schlangen herbei, sowohl Kobras, als auch Sand- und Hornvipern, Schießschlangen und auch Frösche und Kröten, es fehlte aber eine alte Schlange, weil sie – wie ich glaube – vor Alter nicht herauskriechen konnte oder den Befehl nicht vernommen hatte; der Zauberer stellte fest, daß nicht alle da seien, und so ernannte er eine der Schlangen, die jüngste, zur Gesandten und schickte sie zu der greisen Schlange, und nach kurzer Zeit kam auch die. Als sie dann versammelt waren, blies sie der Babylonier an, allesamt wurden auf der Stelle verbrannt von seinem Atem, wir aber staunten.
Es ist Ion, der mit der platonischen Lehre verbundene Vertreter unter den Lügenfreunden (Philops. § 6), der dieses Geschehnis berichtet;342 es sei im Anschluß an die Heilung des ἀµπελουργός Midas durch den Babylonier geschehen (Philops. § 11): Der Weinbergsarbeiter wurde nämlich von einer Giftschlange gebissen und lag im Sterben; der herbeigerufene babylonische Zauberer heilt ihn, so daß er umgehend und schnellen Schrittes zur Arbeit zurückkehren kann. Die 341
Vgl. zu diesem bemerkenswerten Abschnitt auch Übersetzung und Kommentar bei Ebner/ Gzella, Φιλοψευδεῖς, S. 77 mit Anm. 65–68 (S. 119f.); Ogden, Sorcerer’s Apprentice, S. 50 (Übersetzung).65–104 (Besprechung der §§ 11–13 aus motivgeschichtlicher Perspektive). 342 Zur Figur des Platonikers Ion im lukianischen Dialog vgl. Ogden, Love of Wisdom, S. 189– 192.
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nachgetragene Erzählung darüber, wie der Babylonier nicht nur das Schlangengift unwirksam macht, sondern auch seine allgemeine zauberische Macht über Schlangen ausübt, indem er auf dem Weinberg das Übel mit der Wurzel ausrottet und auch noch die alte Schlange, den δράκων παλαιός, herbeizitiert,343 wird von dem skeptischen Tychiades mit der folgenden spöttischen Frage quittiert (Luc. Philops. 13): εἰπέ µοι, ὦ ῎Ιων, . . . ὁ ὄφις δὲ ὁ πρεσβευτὴς ὁ νέος ἄρα καὶ ἐχειραγώγει τὸν δράκοντα ἤδη, ὡς φής, γεγηρακότα, ἢ σκίπωνα ἔχων ἐκεῖνος ἐπεστηρίζετο;
Sage mir, Ion, führte denn die junge Schlange, die als Gesandte tätig war, die schon in die Jahre gekommene Schlange – wie du sagst – bei der Hand, oder hatte diese einen Stock dabei und stützte sich darauf?
Insgesamt ist damit klar, daß es sich bei dieser Erzählung über den babylonischen Magier und seine Macht über Schlangen um ein Zerrbild handelt, trotzdem werden hier die Topoi des Motivkomplexes »Heilige Männer und Schlangen« bedient, auch wenn sie zum Teil übersteigert und ins Lächerliche gewendet erscheinen.344 Insbesondere läßt sich dafür die lukianische Darstellung des schon erwähnten δράκων παλαιός anführen, dessen hohes Alter in anderen Erzählungen über Schlangenvernichtungen sonst seine Gefährlichkeit und furchteinflößende Macht unterstreicht, hier aber in greisenhafte Altersschwäche gewandelt erscheint.345 Nicht ohne Grund knüpft also die Pointe gerade an diese Figur an. Beim Vergleich mit unserer Szene in Apg 28,3–6 fällt sofort auf, daß hier entscheidende Topoi eben nicht bedient werden: So fehlen etwa die Beschreibung, wie der »heilige Mann« seine Macht über die Schlangen ausübt (z.B. Beschwörungen, Zauber- oder Fluchsprüche), und ausdrückliche Angaben über das weitere Ergehen der überwundenen Schlange. Nun gibt es allerdings auch weit weniger ausführliche Stellen, die man nur noch als Notizen bezeichnen kann, in denen Heiligen Männern Tierwunder zugeschrieben werden. Beachtenswert in unserm Zusammenhang ist da etwa die Notiz über zwei Schlangenvertreibungen durch Pythagoras, die Iamblich im Rahmen einer wortkargen Aufzählung ganz verschiedener »Tierwunder« bietet (Iamb. VP [28] 142): 343 Vgl. zur bemerkenswerten Figur des alten δράκων, die besonders in motivgeschichtlicher Hinsicht interessant ist: Ogden, Sorcerer’s Apprentice, S. 76–78. 344 Vgl. zur entsprechenden Einordnung dieser Stelle Betz, Lukian, S. 174f. 345 Vgl. wieder Ogden, Sorcerer’s Apprentice, S. 76–78, und besonders dessen Zusammenfassung: »The dragon has been cut down to size. The opportunity to do this was afforded by the ambivalence of the term δράκων. Two qualities normally indicative of its terribleness, its great age and its deafness, have been bathetically reinterpretated for comic purposes, to produce a ridiculously pathetic adversary« (a.a.O., S. 87).
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καὶ ἐν Συβάρει τὸν ὄφιν τὸν ἀποκτείναντα346 τὸν δασὺν ἔλαβε καὶ ἀπεπέµψατο, ὁµοίως δὲ καὶ τὸν ἐν Τυρρηνίᾳ τὸν µικρὸν ὄφιν, ὃς ἀπέκτεινε δάκνων.
In Sybaris ergriff er die rauhschuppige tödliche Schlange und vertrieb sie, genauso auch die kleine Schlange in Tyrrhenien, die durch ihren Biß tötet.
Zwar finden sich die meisten Elemente der Schlangenvertreibung, die uns bei Lukian begegnet sind, verständlicherweise in diesen kurzen Notizen auch nicht; dennoch ist das Darstellungsinteresse doch ersichtlich ein anderes als bei Apg 28,3–6: Schließlich liegt hier das Schwergewicht darauf, daß Pythagoras die gefährlichen Schlangen eben vertrieben habe (ἀπεπέµψατο). Das Darstellungsinteresse ist also darauf gerichtet, was der Heilige Mann mit den Schlangen macht, und nicht darauf, was die Schlangen mit ihm machen. Hier und bei Lukian steht das Ergehen der Schlangen im Vordergrund, in Apg 28,3–6 das Ergehen des Paulus, nachdem er von der Schlange angegriffen worden war;347 auch, daß die Schlange ins Feuer (εἰς τὸ πῦρ, v. 5) geschleudert wird, kann nicht zu einem Gegenargument gemacht werden, weil das Ergehen des Paulus selbst mit: ἔπαθεν οὐδὲν κακόν, und dem Beginn von v. 6 nachgestellt wird. Demnach dient unser Abschnitt in der Apostelgeschichte nicht dem Zwecke, die besondere Macht des Paulus über Schlangen oder überhaupt über die kreatürliche Welt hervorzuheben.348 Kanda ist jedoch der Auffassung, daß hier eine ältere Tradition, die Paulus durch Herausstellung seiner Macht über die Tierwelt als θεῖος ἀνήρ zeichne, überarbeitet und durch die Einfügung des Dike-Motivs zu einer Legende umgestaltet worden sei, die Paulus von der Anklage, er sei ein Verbrecher, freispreche.349 Dazu ist zu sagen: Wie unten noch zu zeigen ist, liegt m.E. das klare Ziel des Abschnitts darin, erneut und nochmals auf andere Weise die Tatsache zu betonen, daß Paulus unter dem Schutz Gottes steht und im Geleit Gottes nach Rom reist. Auf die Übernahme einer älteren Tradition weist hier nichts Konkretes hin. Allenfalls könnte man erwägen, ob hier in Apg 28,3–6 nicht zumindest eine niedrigere Ebene, gleichsam eine Schwundstufe der Motivik angedeutet ist, also nicht die ausgeführte Motivik der aktiven Herrschaft der θεῖοι ἄνδρες über die Tierwelt und speziell über Schlangen, sondern lediglich deren Immuni346 Michael von Albrecht nimmt ἀποκτείνοντα (V. Rose) anstelle des überlieferten ἀποκτείναντα in den Text und übersetzt mit »mörderisch« (von Albrecht u.a., Jamblich, S. 126f. mit Anm. 86 [S. 216]). 347 Trotzdem will Bernhard Heininger im Rahmen seiner Würdigung der Beziehungen zwischen der Paulus-Darstellung in der Apg und den »Biographien ‘göttlicher Menschen’« u.a. diese Notizen bei Iamblich als Parallele für die Porträtierung des Paulus durch Lukas werten: Heininger, Paulusbild, S. 417f. 348 Vgl. Kanda, Form and Function, S. 301f. 349 Vgl. Kanda, Form and Function, S. 296.302–304.
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tät etwa gegen den Schlangenbiß.350 Damit wäre dann die Parallele der oben erwähnten rabbinischen Wundererzählungen aufgenommen (pBerakh V 9a / tBerakh 3,20; bSchab 156b [s.o.]). Dort scheint es aber letztlich auch um nichts anderes zu gehen als darum, den Schutz Gottes, den er bestimmten Menschen (unter bestimmten Voraussetzungen) gewährt, auch am Schutz vor gefährlichen Schlangen darzustellen (s.u.);351 um eine Zeichnung von θεῖοι ἄνδρες geht es hier nicht, es sei denn, man will den Begriff so weit ausdehnen, daß auch Menschen unter Gottes Geleit und Schutz als θεῖοι ἄνδρες bezeichnet werden. Will man das tun, dann kommt man freilich nicht umhin, daß Paulus auch in dieser Episode sozusagen in den Geruch eines θεῖος ἀνήρ kommt.352 Weit stärker in diese Richtung weist der Befund natürlich, wenn man die spätere Legendenbildung um die paulinische Wundertätigkeit auf Malta und die zum Teil (aus heutiger Perspektive) recht verschrobenen Versuche der (pseudo-)historischen Legitimierung des Pauluskults auf Malta berücksichtigt:353 Dort wird nämlich zuweilen der Umstand, daß auf Malta tatsächlich keine Giftschlangen vorkommen, auf das paulinische »Schlangenwunder« zurückgeführt; er habe alle maltesischen Schlangen mit einem »Bann« belegt, so daß sie auf der Insel ausgerottet wurden (o.ä.).354 Davon findet sich freilich in unserem Text nichts, vielmehr gehört das in den Bereich der Wirkungsgeschichte.355 In unserem Text ist vielmehr beachtenswert, daß die Schlange zunächst als Erfüllungsgehilfe/Gesandte interpretiert wird, nämlich als Gesandte der Dike als personifizierter Gerechtigkeit; solche Personifikationen sind in Mythologie und ansatzweise im Kult seit ältester Zeit belegt.356 Für Dike selbst scheint eine kultische Verehrung, wenn überhaupt, nur marginal etabliert gewesen zu sein; dagegen ist sie in Mythologie und überhaupt antiker Vorstellungswelt mehr als prominent: Als Tochter des Zeus und der Themis entspricht sie ihrer Rolle als 350 Vgl. dazu Bieler, Θεῖος ἀνήρ I, S. 105–108. Unter »Immunität des Gottesmannes« verbucht auch Burchard unseren Abschnitt (Burchard, Der dreizehnte Zeuge, S. 178, Anm. 17). 351 Theißen will Wundergeschichten, die dieses Motiv bedienen, der Gattung der belohnenden Normenwunder zuordnen (Theissen, Urchristliche Wundergeschichten, S. 114–117), macht bei der Behandlung von Schlangenwundern aber keinen Unterschied zwischen aktiver Herrschaft über Schlangen und der bloßen Immunität ihnen gegenüber. 352 Zur grundsätzlichen Problematik der Rede von einer mehr oder weniger feststehenden »θεῖος ἀνήρ-Typologie« vgl. du Toit, Theios Anthropos, passim. Siehe meine kurze Bemerkung zur θεῖος ἀνήρ-Debatte oben (S. 178f.). 353 Siehe hierzu Freller, Et cum evasissemus, S. 131–144.151–158. 354 Vgl. besonders Freller, Et cum evasissemus, S. 131.137.155.159 (aber auch S. 126f.). 355 Vgl. zur Ikonographie unserer Szene den kurzen Überblick bei Freller, Et cum evasissemus, S. 149–151. 356 Vgl. van der Horst, Art. Dike, S. 250f.; Kauppi, Foreign but Familiar Gods, S. 110–112. Allgemein zur Personifikation abstrakter Begriffe vgl. auch Börstinghaus, Unbekannte Götter, S. 30f. mit Anm. 26.29 (Lit.!).
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personifizierter Gerechtigkeit dadurch, daß sie Untaten und Vergehen vor Zeus anklagt und so zur Sühnung bringt.357 Eine direkte Verbindung zwischen dieser Dike und der Schlange liegt nicht von vornherein auf der Hand: Zwar treten Schlangen – natürlich neben anderen Tieren358 – in verschiedenen Zeugnissen als das Werkzeug einer wie auch immer genau zu fassenden ausgleichenden Gerechtigkeit oder eines vergeltenden Schicksals auf, wie beispielsweise in der Erzählung über den Tod des Bösewichts Thermoutis im Roman Heliodors (Hld. II 20,2):359 ὡς δὲ ὁ Κνήµων ἐφαίνετο οὐδαµοῦ τῆς δὲ νυκτὸς ἐγίνετο ἀωρί, πρὸς ὕπνον τραπεὶς ὁ Θέρµουθις χάλκεόν τινα καὶ πύµατον ὕπνον εἵλκυσεν ἀσπίδος δήγµατι, µοιρῶν τάχα βουλήσει πρὸς οὐκ ἀνάρµοστον τοῦ τρόπου τὸ τέλος καταστρέψας.
Als Knemon nicht erschien und es schon tief in der Nacht war, übermannte den Thermouthis ein Schlaf schwer wie Blei. Es sollte sein letzter Schlaf sein – durch den Biß einer Viper; so kam er wohl nach dem Willen der Moiren zu diesem Ende, das zu seinem Wesen gar nicht unpassend war.
Die ausdrückliche Verbindung von Schlangen mit Dike als der personifizierten Gerechtigkeit ist aber doch nur ansatzweise ausgeprägt: So hat etwa ein kurzer Text des 5. Jh.n.Chr. aus dem Fayûm einen fliehenden Mörder, der durch das Zusammenwirken zweier offenbar göttlich beauftragter Tiere, nämlich Löwe und Schlange, doch noch der Gerechtigkeit/Dike überantwortet wird, zum Gegenstand; es handelt sich um die (nicht ganz fehlerlose) Paraphrase eines Schülers (P.Grenf. II 84):360 Υἱὸς τὸν εἴδιον πατέραν φωνεύσας καὶ τοὺς νόµους φοβηθεὶς ἔφυγεν εἰς ἐρηVgl. van der Horst, Art. Dike, S. 251. Vgl. das oben schon angeführte Epigramm AP IX 269, wo ein Hai (κύων ἁλός, v. 5) die rächende oder ausgleichende Funktion wahrnimmt, hier gerade im Auftrag der Dike (v. 4). 359 Für die Vorstellung von Schlangen als vergeltender Instanz ließen sich noch zahlreiche Belege beibringen; vgl. allgemein zu Schlangen als Strafwerkzeug der Götter: Küster, Schlange, S. 107f. – In unserem Zusammenhang verdient noch ein bemerkenswertes Zeugnis aus der rabbinischen Literatur die Erwähnung: In bSanh 37b (zu Mischna 4,5) stellt Rabbi Šim on ben Šat.ah. einen Mörder, den er aber alleine nicht überführen kann: »Man erzählt, daß ehe sie sich von dort fortrührten, eine Schlange kam und ihn [sc. den Mörder] biß, worauf er starb« (Goldschmidt, Bd. VIII, S. 604; vgl. Shachter/Freedman, Sanhedrin I, S. 235; Bill. II, S. 772). So richtet die Schlange denjenigen, der nach menschlichen Rechtsvorschriften nicht überführt werden kann; vgl. zu dieser an mehreren Stellen überlieferten Tradition: Cadbury, The Book, S. 26; Kanda, Form and Function, S. 299; Silberman, Paul’s Viper, S. 250f. 360 Grenfell/Hunt, Greek Papyri II (P.Grenf.), Nr. 84 (S. 133f. [Text S. 134]); Ziebarth, Nr. 38 (S. 17). – Vgl. v.a. zur Relevanz des Textes auch die unterschiedlichen Einschätzungen bei: Cadbury, The Book, S. 27; Silberman, Paul’s Viper, S. 250. 357 358
O
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. µίαν .. καὶ διὰ τῶν ὀρέων παρερχόµενος ἐδιώκαιτο ὑπὸ λέ. ωντος .. καὶ διωκόµενος ὐπὸ τοῦ λέ10 ω ντος ἀ . ν. ῆλθεν εἰς 〈δ〉έν. δρον καὶ η. ὑρὼν361 δράκοντ α ἀνερχό- µενος ἐπὶ τὸ δέδρον362 καὶ 〈µὴ〉 δηνά363 15 µεν ο ς . ἀνελθεῖν διὰ τὸν δράκοντα πάλιν κ ατ. ῆλ θε κ ακουρ γ. .ί α ο ὐ λ- 5
ανθάνι364 θεόν. 20 ἄει τὸ {ν} θεῖον τοὺς κακοὺς πρὸς τὴν δέκην365 .
Ein Sohn hatte seinen eigenen Vater ermordet und floh aus Furcht vor den Gesetzen in die Wüste. Und als er durch die Berge zog, wurde er von einem Löwen verfolgt. Und da er von einem Löwen verfolgt wurde, stieg er auf einen Baum und fand, als er auf den Baum stieg, eine Schlange. Und weil er wegen der Schlange nicht hinaufsteigen konnte, stieg er wieder herab: . . . Übles bleibt Gott nicht verborgen. Immer bringt das Göttliche die Übeltäter unter die Gerechtigkeit (Dike).
Von der Schlange als besonders favorisierter Gehilfin der Dike oder gar als unmittelbarer Personifikation ist diesem Text indes nichts abzuspüren, vielmehr tritt die Schlange ja einfach neben dem Löwen auf; der Begriff δίκη erscheint hier nicht einmal eindeutig personifiziert, wie es in unserem Text in Apg 28 der Fall ist.366 Grenfell/Hunt geben für Z. 11: πεν. . . . . . . η. υρων. Sic! Es ist δένδρον zu lesen. 363 δηνάµενος (= δυνάµενος) ist zu 〈µὴ〉 δηνάµενος zu ergänzen. Der Schüler wird die Negation wohl aus Unachtsamkeit fortgelassen haben; für das Verständnis des Textes ist sie aber notwendig. Ich ergänze µή statt οὐ, weil sich µή seit der Koine auch bei nicht modal gefärbten Partizipien immer weiter verbreitet hat: vgl. etwa Apg 27,7 (s. oben); M.Ant. II 6,2 u.v.a.; zum Phänomen: BDR § 426 (S. 355); § 430 mit Anm. 1 (S. 358). Daher hätte unser Schüler wahrscheinlich diese Negation gesetzt. Grenfell/Hunt wollen klassisch korrekt οὐ ergänzen (S. 134, App. zu Z. 14). 364 Sic! Es ist λανθάνει zu lesen. 365 Sic! Es ist δίκην zu lesen. 366 Anders ist das in einer Stelle bei Aelian (Ael. NA X 31): Τὴν δὲ θέρµουθιν ἀσπίδα, ᾗ ὄνοµα 361 362
ἔθεντο Αἰγύπτιοι τοῦτο, ἱερὰν εἶναί φασι, καὶ σέβουσιν αὐτὴν οἱ ἐκεῖθι, καὶ τῆς ῎Ισιδος τὰ ἀγάλµατα ἀναδοῦσι ταύτῃ, ὥς τινι διαδήµατι βασιλείῳ. λέγουσι δὲ αὐτὴν ἐπὶ δηλήσει τῶν
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Eine solche feste Verbindung drängt sich in unseren Zeugnissen aber über die Erinyen geradezu auf. Diese dämonischen Rachegeister vertreten weniger die Gerechtigkeit, die durch Anklage der Vergehen zum Zuge kommt, als vielmehr die unmittelbare Vergeltung, die sie als erbarmungslose Jäger dem Übeltäter abverlangen.367 Sind also zunächst der Dike und den Erinyen unterschiedliche Bereiche der allgemeinen Rechtsvorstellung zugewiesen, so erscheinen die Rachedämonen schon bei Heraklit als Helferinnen der Dike: ῞Ηλιος γὰρ οὐχ ὑπερβήσεται µέτρα· εἰ δὲ µή, ᾽Ερινύες µιν Δίκης ἐπίκουροι ἐξευρήσουσιν.368
Enger wird der Zusammenhang zwischen den Vorstellungen der Dike und den Erinyen noch durch eine Wandlung, die das Dike-Bild selbst im Laufe der Zeit durchgemacht hat: Dike selbst wird nun immer näher an die Ausführung von Rache und Vergeltung herangerückt und geht ihrer eigentlichen Funktion als olympische Anklägerin zusehends verlustig: »The original distinction between Dik¯e and such demonic deities became more and more blurred as Dik¯e progressively changed from an accuser or plaintiff into a mighty and relentless deity who wrathfully wielded the weapons of revenge.«369 Damit einher geht die Entwicklung, Dike nun auch selbst als Unterweltsgöttin und nicht mehr
ἀνθρώπων καὶ βλάβῃ µὴ φῦναι· ἐκεῖνο δὲ τερατεύονται, φείδεσθαι µὲν αὐτὴν τῶν ἀγαθῶν, τοὺς δὲ ἀσεβοῦντας ἀποκτιννύναι. εἰ δὲ ταῦθ’ οὕτως ἔχει, τοῦ παντὸς ἂν ἡ Δίκη τιµήσαιτο τήνδε τὴν ἀσπίδα, τιµωροῦσαν αὐτῇ καὶ ὁρῶσαν ὀξύτατα. οἳ δὲ ἐπιλέγουσιν ὅτι ἡ ῏Ισις τοῖς τὰ µέγιστα πληµµελήσασιν ἐπιπέµπει αὐτήν. Übersetzung: Die Giftschlange Thermouthis, der die Ägypter
diesen Namen beilegten, sei heilig – so sagt man –, und die dortigen Menschen verehren sie und umwinden die Kultbilder der Isis mit dieser wie mit einem Königsdiadem. Sie sagen, daß sie nicht zum Unglück und zum Schaden der Menschen da sei; aufschneiderisch behaupten sie, daß sie die Guten verschone, die Frevler hingegen zu Tode bringe. Wenn dies sich wirklich so verhält, dann würde Dike die Giftschlange wohl in höchster Ehre halten, weil sie ihr Genugtuung verschaffte und mit so scharfem Blick ausgestattet wäre. Andere aber fügen hinzu, daß Isis sie denjenigen schicke, die aufs übelste frevelten. – In diesem Text aber äußert Aelian Zweifel über den Glauben der Ägypter (τερατεύονται κτλ.) und fügt die Verbindung mit der Dike nur hypothetisch in spöttischer Absicht hinzu. 367 Vgl. wieder van der Horst, Art. Dike, S. 251; Kauppi, Foreign but Familiar Gods, S. 109. Die Erinyen als Jäger zu charakterisieren, hat sich auch in der bildenden Kunst niedergeschlagen; so finden sich die Erinyen zuweilen als Jägerinnen mit der typischen Kreuzbandkleidung ausstaffiert, z.B.: (1) Attische rot-figurige Hydria, ca. 450 v.Chr., »Later Mannerist« (Berlin F 2380) [Abb. bei: Prag, The Oresteia, Taf. 30b–c]; (2) Apulischer rot-figuriger Glockenkrater (Seite A), 380–390 v.Chr., Eumeniden-Maler (Paris, Louvre K 710) [Abb. bei: Kossatz-Deissmann, Dramen, Taf. 20.2; Shapiro, Myth, Abb. 104 (S. 147)]. Vgl. zur sehr intensiven Verwendung der Jagdmotivik zur Beschreibung der Erinyen bei Aischylos: Petrounias, Funktion, S. 173ff. Zur Relevanz der bildlichen Darstellungen sowie der Orestie des Aischylos für unsere Stelle s. weiter unten! 368 FVS I, 22 B 94 (S. 172); Übersetzung: Denn Helios wird nicht die ihm gesetzten Maße überschreiten; wenn aber doch, so werden ihn die Erinyen, die Helferinnen der Dike, aufspüren. 369 van der Horst, Art. Dike, S. 251.
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als olympische Gottheit zu betrachten.370 So rückt sie aber aufs engste mit den Erinyen zusammen. Schlangen nun, wie eine in unserem Text als Erscheinungsform der Dike vorgestellt wird, lassen unmittelbar an diese Erinyen denken; damit soll selbstverständlich nicht gesagt sein, daß Schlangen in religiöser Hinsicht mehr oder weniger ausschließlich mit Erinyen verbunden wurden! Vielmehr erscheinen Schlangen in ganz verschiedenen mythologischen und religiösen Kontexten, verbunden mit ganz unterschiedlichen Gottheiten, Heroen und Kulten.371 Zum Teil wird dabei sogar positiv auf die Schlange rekurriert, d.h. sie wird mit fördernder oder heilbringender Bedeutung versehen: Man denke nur an die Funktion der Schlange im Asklepios-Kult.372 In unserem Zusammenhang, wo ja durch die Barbaren die Vorstellung einer Vergeltung zum Ausdruck gebracht wird (Apg 28,4), liegt jedoch nichts näher als die Verbindung zwischen Schlangen und Erinyen: Die Identifikation von Schlangen mit dämonischen und chthonischen Mächten kann ohnehin eher den Anspruch auf Ursprünglichkeit erheben als die Verbindung mit einem im Nachgang personifizierten Prinzip – wie der Gerechtigkeit.373 Diese Verbindung von Schlangen und Erinyen läßt sich nun in der Tat sowohl bildlich wie literarisch gut belegen: Auch wenn etwa Aischylos in seiner ErinyenBeschreibung (Eu. 34–63) auf Schlangen verzichtet, so ist ihm dieses Attribut aber dennoch geläufig: A. Ch. 1049f.; Eu. 127. Eindrücklicher noch ist das Zeugnis der Vasenmalerei: Ein Vasenbild ist mir bekannt, das eine Erinys nur und unmittelbar als Schlange darstellt; sie plagt den Ixion, der soeben einen jungen Mann niedergestreckt hat (s. Abb. 8.2).374 Dahinter mag möglicherweise auch eine Vorstellung der Erinyen als Schlangen stehen (wieder A. Eu. 127); die Schlange fungiert auf dem angeführten Kantharos jedenfalls als die einfachste Form Vgl. van der Horst, Art. Dike, S. 251; Kauppi, Foreign but Familiar Gods, S. 111. Vgl. die kurze Auflistung bei: Kauppi, Foreign but Familiar Gods, S. 107f. Ausführliche Behandlung des weiten Feldes bei: Küster, Schlange, S. 56ff.; zur Schlangenikonographie siehe: Mitropoulou, Deities, passim. 372 Vgl. Küster, Schlange, S. 133–137; Gossen/Steier/Hartmann, Art. Schlange, Sp. 511f. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, daß der durchaus zwiespältigen Vorstellung von Schlangen im biblischen Kontext kaum Rechnung getragen wird; hier kommen sie fast ausnahmslos in ihrem negativen Aspekt zur Geltung: vgl. Post, Art. Serpent, S. 460. 373 Vgl. Küster, Schlange, S. 62ff.85ff.; Gossen/Steier/Hartmann, Art. Schlange, Sp. 509f.515– 517; Prag, The Oresteia, S. 44. 374 Attischer rot-figuriger Kantharos (Seite B), 460–450 v.Chr., Amphitrite-Maler (London, British Museum E 155). Daß es sich um Ixion handelt, ist nur der Seite A zu entnehmen, auf der die Szene, unmittelbar bevor Ixion aufs Rad gebunden wird, dargestellt ist. Neben unserer Abb. 8.2 (S. 418) findet sich die Seite B des Kantharos abgebildet bei: Shapiro, Myth, Abb. 59 (S. 87), Seite A a.a.O., Abb. 58 (S. 86). 370 371
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Abbildung 8.2: Der Frevler Ixion hat gerade einen jungen Mann zu Tode gebracht, der am Altar vor ihm Schutz gesucht hatte; eine Erinys als Schlange deutet die folgende Sühnung der Tat an (attischer rot-figuriger Kantharos, 460–450 v.Chr., Seite B).
einer Erinyen-Darstellung, »the very essence«, so Shapiro.375 Möglicherweise wird hier tatsächlich der Ursprung der Verbindung von Schlangen und Erinyen sichtbar: Ursprünglich wird die Schlange wohl nichts anderes als die manifeste Vorstellung der nach Rache dürstenden Seele eines Ermordeten sein, die dem Täter unerbittlich nachjagt, eben als ἐρινύς.376 Weitere bildliche Darstellungen zeigen die Erinyen im folgenden dann zumeist als weibliche Jagddämonen, oftmals mit Schlangen im Haar und/oder bedrohlich in der Hand.377 Da erinnern Shapiro, Myth, S. 87: »Most Greek artists visualized a Fury as a winged woman wielding a snake, but this painter has reduced her to the very essence, the snake.« Vgl. auch a.a.O., S. 142. 376 So in Anknüpfung an Erwin Rohde bei Küster, Schlange, S. 71f.: »So entwickelt sich folgerichtig aus der Vorstellung von der grabhütenden Totenschlange die der rächenden Schlange, welche aus dem Körper des Gemordeten emporsteigt und den Mörder unerbittlich verfolgt – mit einem Worte: die Erinys; denn ἐρινύς bedeutet in der Tat nach Rohdes grundlegenden Ausführungen ›die zürnende Seele des Gemordeten‹, die aus der Erde kommt, und ist eigentlich ein adjektivisches Epitheton« (Hervorhebung im Original gesperrt). Siehe dazu: Rohde, Psyche I, S. 267–270, bes. S. 269f. Vgl. auch Gossen/Steier/Hartmann, Art. Schlange, Sp. 515–517. Zur Erinys als verkörpertem Fluch s. Rose, Gr. Mythologie, S. 83. Anders noch Rapp, der eine Erklärung aus der naturreligiösen Analogie mit den aus der Gewitterwolke züngelnden Blitzen bemüht: Rapp, Art. Erinys, Sp. 1313. 377 Ein Beispiel für Erinyen mit Schlangen im Haar und in der Hand zeigt unsere Abb. 8.3 (S. 419): Attischer rot-figuriger Kolonettenkrater, ca. 440 v.Chr., Duomo-Maler (Paris, Louvre K 343); neben unserer Abb. findet sich der Krater abgebildet bei: Prag, The Oresteia, Taf. 31a; Knoepfler, Les imagiers, Abb. 61 (S. 79). Weitere Beispiele sind: (1) Attischer rot-figuriger Kolonettenkrater, ca. 440 v.Chr., Orest-Maler (London 1923.10-16,10) [Abb. bei: Prag, The Oresteia, Taf. 30a; Schefold/Jung, Sagen, Abb. 266 (S. 310)]; (2) Attische rot-figurige Hydria, ca. 450 v.Chr., »Later Mannerist« (Berlin F 2380) [Abb. 375
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Abbildung 8.3: Orest am Omphalos in Delphi; von rechts stürmt eine Erinys heran, mit Schlangen im Haar und einer in der rechten Hand (attischer rot-figuriger Kolonettenkrater, ca. 440 v.Chr.).
dann die Schlangen nur noch an die vorgängige Identifikation und fungieren als Schreckwerkzeuge der anthropomorph umgebildeten Erinyen.378 Zuweilen allerdings werden sie auch ohne das Schlangenattribut dargestellt, was mit der Tendenz in der rot-figurigen Vasenmalerei zusammengeht, weibliche Dämonen und Monster in Richtung hübscher junger Damen zu verschönern379 – das ist freilich eine sekundäre Entwicklung, die uns hier nicht interessiert. Von hier aus könnte man weiterführende Überlegungen bezüglich der Aussageabsicht der Schiffbrucherzählung anstellen, insbesondere auch vor dem Hintergrund der Untersuchungen von Miles/Trompf und (in teilweiser Korrektur) Ladouceur, die ja die antiken Vorstellungen im Zusammenhang von Schuld/Unschuld bzw. Reinheit/Unreinheit und Schiffbruch für die Deutung von Apg 27f. nutzbar machen wollten:380 und zwar in dem Sinne, daß die Unschuld des Paulus vor seiner Ankunft in Rom (durch Gott) erwiesen wird. Eine interessante Parallele zu diesem Denken findet sich im ersten Kapitel des Jonabuches, wo die Schiffer schließlich versuchen, den Schuldigen an Bord zu identifizieren, der das Unheil des Sturms über sie hat kommen lassen (Jon 1; bei: Prag, The Oresteia, Taf. 30b–c]; (3) Pästanischer rot-figuriger Glockenkrater, ca. 330 v.Chr., Python (London 1917.12-10,1) [Abb. bei: Kossatz-Deissmann, Dramen, Taf. 21.2; Prag, The Oresteia, Taf. 33a; Shapiro, Myth, Abb. 105 (S. 148)]; u.a. Vgl. auch die Belege bei: Mitropoulou, Deities, S. 46f. 378 Vgl. Küster, Schlange, S. 72; Gossen/Steier/Hartmann, Art. Schlange, Sp. 517. 379 Vgl. zu dieser Tendenz: Schefold/Jung, Sagen, S. 310; Shapiro, Myth, S. 144. 380 Miles/Trompf, Luke; Ladouceur, Hellenistic Preconceptions.
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8 Einzelanalyse zu Apg 27,1–28,6
bes. vv. 7–12).381 Ladouceur hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß die Schuld/Unreinheit-Konzeptionen in bezug auf den Schiffbruch und das Überleben nicht so eindeutig sind, wie Miles/Trompf angenommen haben.382 Ist die Schlangenszene eine von Lukas zur Verdeutlichung zusätzlich erzählte Passage, um die Interpretationsspielräume zu begrenzen?383 Diese Interpretation erscheint vor dem Hintergrund des nicht eindeutigen antiken Denkens über Schuld und Schiffbruch als recht leistungsfähig. Die Begrenzung des Interpretationsspielraums würde dann darin liegen, daß Lukas die (wohl spitzfindige, aber mögliche) kritische Schlußfolgerung ausschließen will, Paulus sei aus Sturm und Schiffbruch nur gerettet worden, um dem Prozeß in Rom und seiner gerechten Strafe zugeführt zu werden.384 Obwohl die Schlangenszene in diesem Sinne einen durchaus bemerkenswerten Beitrag zum Paulus-Bild im Rahmen unseres Abschnitts zu leisten vermag, wird man – wie mir scheint – trotzdem jedenfalls fehlgehen, wenn man diesen Zug als den entscheidenden Punkt unserer Szene hervorhebt oder gar zur Hauptaussage von Apg 27f. insgesamt erklärt.385 Wie nämlich die gesamte Erzählung der Romreise bis Μελίτη nicht als Hauptaussage transportiert: »Paulus ist unschuldig, seine Botschaft ist verläßlich«, liegt genausowenig in der Schlangenepisode das entscheidende Gewicht auf diesem Aspekt.386 Der Text von Apg 28,3–6 setzt die Gewichte nämlich anders: Nachdem den Küstenbewohnern die Annahme zugeschrieben worden ist, Dike wolle den Überlebenden des Schiffbruchs nicht davonkommen lassen, wird diese Deutung schon in v. 5 durch das Abschütteln des Tieres erschüttert; für den Leser ist klar, daß Paulus ἔπαθεν οὐδὲν κακόν. Trotzdem halten die Betrachter der Szene weiterhin an der einmal angestellten Vermutung fest und erwarten, der Gebissene würde wohl (im Bereich der betroffenen Hand) anschwellen und dann tot umfallen (v. 6). Nach langer Zeit des Wartens und der Beobachtung geschieht jedoch nichts; sie sehen vielmehr, daß µηδὲν ἄτοπον εἰς αὐτὸν γινόµενον (v. 6). Da geben sie ihre Vermutung auf und kommen nun zu der in gewissem Sinne entgegengesetzten Auffassung, Paulus sei ein Gott: ἔλεγον αὐτὸν εἶναι θεόν (v. 6). Damit liegt also das Ziel der Episode nicht im Erweis der Unschuld des Paulus. Es ist hier nämlich nicht so, daß, nachdem die Annahme, Dike verfolge hier Siehe die Behandlung dieser Stelle oben (S. 194ff.), dort wird auch auf die relevanten Passagen aus Antiphon, Andokides und Ps.-Lysias eingegangen. 382 Ladouceur, Hellenistic Preconceptions, S. 443. 383 So meint Ladouceur, Hellenistic Preconceptions, S. 443. 384 Daß eine solche Gedankenfigur möglich ist, zeigt der oben besprochene Fall des Andokides: vgl. insbesondere das Argument bei Ps.-Lys. VI 19f. (In Andocidem); s. dazu oben S. 195f. 385 Diese Kritik am Ergebnis von Miles/Trompf übt auch Fitzmyer, The Acts, S. 768. 386 Vgl. hierzu auch Pervo, Acts, S. 648. 381
8.8 Freundliche Aufnahme bei den »Barbaren« (28,1–6)
421
einen Mörder, unhaltbar geworden ist, das logische Gegenteil behauptet wird, etwa: Die Gesandte der Dike habe sich getäuscht und könne dem unschuldigen Mann nichts anhaben. Eine solche Überlegung und Schlußfolgerung wäre ja auch völlig absurd! Vielmehr muß mit der anschaulichen Widerlegung der zuerst geäußerten Annahme, die ganze Vorstellung der Küstenbewohner, bei der Schlange handle es sich um eine Gesandte der Dike, aufgegeben werden. Insofern wird gleichsam im Vorbeigehen die Frage nach einer wie auch immer gearteten Schuld des Paulus im Mißverständnis der βάρβαροι aufgegriffen und flugs negativ beantwortet. Das ausführlich zur Sprache gebrachte Ringen der Beobachter mit ihrer zuerst vorgenommenen Deutung in v. 6 macht jedoch deutlich, daß nur eine ganz andere Erklärung dem Fall gerecht wird. Daß dieses Ringen der Einheimischen mit der Schuldvermutung so derartig ausführlich gezeichnet wird, mag zu der Interpretation verleiten, gerade darauf lege der Text das Gewicht. Tatsächlich dient aber der Anfang von v. 6 als retardierendes Element der Spannungssteigerung, wie denn die Inselbewohner nun auf den Fall reagieren werden, nachdem dem Leser schon in v. 5 klar geworden ist, daß deren Vermutung in die falsche Richtung geht. Der retardierende Anfang von v. 6 erneuert nun auch in keiner Weise die Schuldspekulation von v. 4, sondern richtet den Blick einzig und allein auf das Ergehen des Paulus. Zum Ende hin wird klar, daß es sich hier um eine Wunderepisode handelt, die man als Rettungswunder en miniature ansprechen kann.387 Die Meinungsänderung der Zuschauer und ihr neuerlicher Irrtum, in Paulus einen Gott zu sehen, kann formgeschichtlich als Chorschluß in Gestalt einer Akklamation verstanden werden.388 In diesem Rettungswunder (en miniature) kann nun die Fehldeutung des Publikums nicht den Hauptton angeben. Die Frage nach Schuld oder Unschuld 387 Vgl. zur Deutung der Schlangenepisode Apg 28,3–6 als Wundererzählung und genauer als Rettungswunder: Kratz, Rettungswunder, S. 345f.; Schreiber, Paulus als Wundertäter, S. 125.127f., der S. 125 eine Gliederung in Exposition (vv. 3f.), Zentrum (v. 5) und Schluß (v. 6) vornimmt und sich S. 127f. mit der Gattungsbestimmung und möglichen Einwänden auseinandersetzt. Gegen die Gattungsbestimmung als Rettungswunder votiert Wehnert, Gestrandet, S. 94, der Apg 28,3–6 als »Steigerung des 28,4 explizit vorausgesetzten Rettungswunders 27,9–44« versteht, also wohl als eine Art Demonstration. Theißen will Apg 28,3–6 als Normenwunder verstehen, in dem der Apostel in seinem normentsprechenden Verhalten belohnt wird (Theissen, Urchristliche Wundergeschichten, S. 115–117; zu dieser Gattung allgemein siehe S. 114f.); er kann damit an die oben angeführten Beispiele aus der rabbinischen Überlieferung anknüpfen, in denen der Schutz vor Schlangen ganz ausdrücklich an die Bedingung einer »Normbefolgung« (im weitesten Sinne) geknüpft wird, sei es die unbeirrte Fortsetzung des Gebets, die Sündlosigkeit, das Israelitentum oder die Wohltätigkeit (pBerakh V 9a /tBerakh 3,20 [bBerakh 33a ]; bSchab 156b [s.o.]). In Apg 28,3–6 findet sich jedoch kein solch ausdrücklicher Hinweis auf Normentsprechung! 388 Vgl. Theissen, Urchristliche Wundergeschichten, S. 80. Als »stilgerechten Chorschluß« versteht auch Wehnert den v. 6: Wehnert, Gestrandet, S. 94.
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8 Einzelanalyse zu Apg 27,1–28,6
des Gebissenen wird nun – nach der Überführung der Irrenden – völlig fallengelassen; die Frage ist jetzt: Warum übersteht der Mann den Angriff der ἔχιδνα? Darin erscheint sie nun nicht mehr als Gesandte der Dike, als ἐρινύς, sondern eben nur noch als gefährliches Tier. Die Küstenbewohner geraten bei der Beantwortung dieser so neu gestellten Frage von dem alten und nunmehr widerlegten Mißverständnis in ein neues, indem sie Paulus zu einem Gott erklären. Lukas hat es hier nicht nötig, diesen Irrtum erneut zu korrigieren:389 Wird der Annahme der Bewohner von Lystra, Barnabas und Paulus seien Zeus und Hermes, noch heftig widersprochen (Apg 14,11–18), so ist das in dieser Szene kaum mehr notwendig.390 Lukas geht davon aus, daß der Leser weiß, was er von der Erklärung in v. 6 zu halten hat;391 es handelt sich aus lukanischer Perspektive nicht nur um einen typisch heidnischen Irrtum, sondern überdies um den täppischen Erklärungsversuch der βάρβαροι.392 Ein zweiter Grund, warum Lukas sich die Korrektur dieses Erklärungsversuches erspart, läßt sich angeben; und dieser Grund führt unmittelbar zur Hauptaussage der Szene: Die unzureichende Erklärung der Zuschauer hat nämlich einen gewissen Wahrheitswert. Natürlich will Lukas nicht aussagen, daß Paulus als Gott anzusehen wäre, aber er steht unter göttlichem Schutz und reist mit göttlichem Geleit.393 Selbst die gefährliche ἔχιδνα wird von dem Mann Paulus einfach abgeschüttelt, ohne daß ihm etwas geschieht: Da erkennen sogar die βάρβαροι, daß dieser Mann unter einem besonderen Schutz steht. 389 An der Frage, warum diese Apotheose durch Lukas nicht korrigiert wird, macht Ilze Kezbere ihre Behandlung unseres Abschnitts fest: Kezbere, Umstrittener Monotheismus, S. 188. 390 Talbert dagegen sieht eine implizite Korrektur der falschen Annahme in dem Abschnitt Apg 28,7–10 und hebt die Korrektur des Glaubens der Einheimischen als eine der Funktionen dieses Abschnitts hervor; die Korrektur sieht er in dem Gebet des Paulus (v. 8): »In v. 8, in connection with the healing of Publius’s father, Paul ›prays‹ for the healing. A God does not pray for a healing but heals out of Himself« (Talbert, Reading Acts, S. 222; ähnlich Kezbere, Umstrittener Monotheismus, S. 202). Wie eine Korrektur falscher Annahmen aussieht, kann man in Kap. 14 sehen; die Heilung in 28,7–10 folgt jedoch nur dem Schema »apostolischer Heilungen«, hier liegt keine Korrekturfunktion vor! 391 Vgl. auch Schreiber, Die theologische Signifikanz, S. 124, der meint, daß »der Leser die gleichermaßen falschen Alternativen der Deutung, Paulus sei schwerer Sünder oder Gott, am Ende der Apg recht zu gewichten weiß.« F. Scott Spencer argumentiert auch aus der Leserperspektive und stellt lapidar fest: »We may fill in this blank with reference to the preceding narrative in ch. 27 in which Paul clearly voices his dependence on God’s protective care (›I have faith in God‹; 27.24–25, 35)« (Spencer, Journeying through Acts, S. 245 [s. auch Spencer, Acts, S. 235]). Vgl. auch: Weiser, Apostelgeschichte II, S. 669; Kezbere, Umstrittener Monotheismus, S. 201. 392 Man muß hier nicht zu dem m.E. gekünstelten Erklärungsversuch greifen, Lukas korrigiere die hier angedeutete Apotheose des Paulus deshalb nicht, weil mit ihr keine kultischen Handlungen verbunden seien (so bei Kezbere, Umstrittener Monotheismus, S. 203.210); das wird dem Text keineswegs gerecht. 393 Vgl. dazu Roloff, Apostelgeschichte, S. 367; Schreiber, Paulus als Wundertäter, S. 132f.136f.148; Schreiber, Die theologische Signifikanz, S. 124f.
8.8 Freundliche Aufnahme bei den »Barbaren« (28,1–6)
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Im Lukasevangelium sagt Jesus den zurückkehrenden Siebzig ausdrücklich zu, daß sie vor Schlangen, Skorpionen und jeder feindlichen Macht geschützt seien (Lk 10,19): ἰδοὺ δέδωκα ὑµῖν τὴν ἐξουσίαν τοῦ πατεῖν ἐπάνω ὄφεων καὶ σκορπίων, καὶ ἐπὶ πᾶσαν τὴν δύναµιν τοῦ ἐχθροῦ, καὶ οὐδὲν ὑµᾶς οὐ µὴ ἀδικήσῃ.394 Die Worte Jesu bei der Rückkehr der Jünger werden für gewöhnlich
dem Lukas-Sondergut zugeordnet.395 Frappierend ist allerdings der Umstand, daß der inhaltlich nahestehende v. 18 des längeren sekundären Markusschlusses dem, was in Apg 28,3ff. von Paulus berichtet wird, noch viel näher kommt als Lk 10,19; in Mk 16,18 wird den Glaubenden verheißen: καὶ ἐν ταῖς χερσὶν ὄφεις ἀροῦσιν – mit ihren Händen werden sie Schlangen hochheben (Mk 16,18). Es drängt sich der Verdacht auf, daß Mk 16,18 erst aufgrund der Schlangenepisode von Apg 28,3ff. so gestaltet wurde.396 Mag das auf sich beruhen, so ist man wohl jedenfalls mit der Frage im Recht, ob Lukas hier, bei der Gestaltung seiner Schlangenepisode noch an jenes ihm überkommene Jesus-Wort, das er in Lk 10,19 aufgenommen hat, gedacht haben könnte. Man kann sicher die der Schlange anhaftenden verschiedenen religiösen Konnotationen betonen und sie hier als Repräsentant des Satans selbst deuten, das etwa nicht nur unter Rückbezug auf die wahrscheinlich sekundäre Verbindung von Lk 10,18 mit dem v. 19,397 sondern auch aufgrund der Erwähnung des ἐχθρός in v. 19 selbst.398 Diese Deutung der Schlange aber auf Apg 28,3–6 zu übertragen, ist unnötig; die Begebenheit mit der Schlange in kosmische Zusammenhänge einzuzeichnen, 394 Übersetzung: Siehe, ich habe euch Macht gegeben, über Schlangen und Skorpione hinwegzuschreiten, und über jede feindliche Gewalt: Überhaupt nichts kann euch übel mitspielen. 395 Zumindest für v. 18 kann das als sicher gelten. Der v. 19 scheint eher lukanisch formuliert zu sein, recht wahrscheinlich auf der Basis einer Tradition oder wenigstens einer verbreiteten frühchristlichen Überzeugung. Die Wiedergabe von Lk 10,19 bei Just. dial. 76,6: Δίδωµι ὑµῖν ἐξουσίαν καταπατεῖν ἐπάνω ὄφεων καὶ σκορπίων καὶ σκολοπενδρῶν καὶ ἐπάνω πάσης δυνάµεως τοῦ ἐχθροῦ, weist zwar eine geringfügig andere Textgestalt auf, ist aber als fast wörtliche Übernahme doch sicher vom lukanischen Text abhängig (»presque littéralement«, so Massaux, Influence, S. 556). Aus der Einleitung dieser Wiedergabe kann man jedoch nichts folgern, diesen Eindruck will aber wohl Bovon, Lukas II, S. 49, erwecken; auch eine Verbindung zu Ps 90,13 LXX ist nicht anzunehmen (gegen Bovon, Lukas II, S. 56f., Anm. 63). 396 Vgl. Gnilka, Markus II, S. 352f.356. Schmithals ist – wie so oft – anderer Auffassung und nimmt an, Lukas habe den sekundären Markusschluß schon gekannt: Schmithals, Apostelgeschichte, S. 233. 397 Zum m.E. richtigen Urteil, daß v. 18 mit v. 19 ursprünglich nichts zu tun hatte, siehe schon Bultmann, GST, S. 170. 398 Zur Bezeichnung des Satans als »Feind« vgl. Foerster, Art. ἐχθρός, S. 814: Sie findet sich im Neuen Testament hier bei Lk 10,19 (und, allerdings lediglich in Gleichnisrede, bei Mt 13,25.28. 39); darüber hinaus begegnet sie in den Pseudepigraphen und in den Apostelakten (Foerster, Art. ἐχθρός, S. 813 mit Anm. 13.S. 814, Anm. 19). Bovon, Lukas II, S. 49, Anm. 22, scheint also durchaus im Recht zu sein, wenn er diesen Gebrauch im Rahmen des Neuen Testaments – unter Absehung der Gleichnisrede – auf das lukanische Doppelwerk beschränkt.
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8 Einzelanalyse zu Apg 27,1–28,6
ginge wohl zu weit.399 Es reicht für unseren Zusammenhang im Rahmen der Apostelgeschichte die Interpretation, daß Gott die von ihm Beauftragten schützt, völlig aus. Die Betonung des göttlichen Geleits und Schutzes für Paulus war in Kap. 27 auch schon explizit zur Sprache gekommen, in besonders prägnanter Weise im Traumgesicht des Paulus (Apg 27,24f.) sowie in der Deutung, daß der Zenturio um der Rettung des Paulus willen die Verschonung der anderen Gefangenen durchsetzt (Apg 27,43). Von daher legt sich ein Verständnis der Schlangenepisode als zusätzliche Erzählung nahe, mit der der auf Paulus liegende göttliche Beistand noch einmal unterstrichen und anschaulich herausgestellt wird.400 Die Frage nach Schuld oder Unschuld unseres Reisenden spielt dabei nur eine Nebenrolle, der nur ein kurzer Auftritt zugestanden wird; sie ist neben dem Hauptton gleichsam der auch hörbare Nebenton, den Lukas unter Benutzung einer geläufigen religiösen Vorstellung, nämlich der rächenden Dike und der Erinyen, in diese Erzählung mit einbringt.401 Das Hauptgewicht kann weder für ihn noch für seine Leser auf der Frage nach Schuld oder Unschuld liegen, weil diese Frage – wenn nicht von vornherein – so doch spätestens durch die Erklärung Agrippas II. und seines Gefolges im Grunde beantwortet ist (Apg 26,30–32).402 Fazit: Dieser Abschnitt läßt also die letzte zu erwartende Gefahr eines Seeabenteuers, nämlich den Empfang an Land, gut überstehen; Paulus seinerseits wird in der Schlangenepisode erneut deutlich hervorgehoben: Er steht und reist unter dem Schutz Gottes und im Geleit Gottes, nichts kann sich ihm in den Weg stellen.
So aber Spencer, Journeying through Acts, S. 245 (Spencer, Acts, S. 235). So auch Schreiber, Paulus als Wundertäter, S. 130. 401 Daß die Dike-Vorstellung und die Frage nach Schuld oder Unschuld des Paulus nur eine Nebenrolle spielt, stellt auch Schreiber heraus: »Doch ist an der Stelle Apg 28 die Vorstellung der Dike nur konstrastierendes Deutungsmuster, mit dem Lk die besondere Stellung des Paulus als von Gott geleiteten und geschützten Zeugen hervorhebt, nicht aber Mitte der Szene« (Schreiber, Paulus als Wundertäter, S. 127, Anm. 509); siehe auch Suhl, Gestrandet!, S. 20. Anders dagegen: Wehnert, Gestrandet, S. 94; Kauppi, Foreign but Familiar Gods, S. 114–116; Parsons, Luke, S. 128. 402 Talbert versucht, die Funktion des Unschuldserweises zu behaupten, indem er eine zweistufige Auseinandersetzung mit der Schuld des Paulus annimmt: In einem ersten Schritt sei Paulus durch menschliche Autoritäten für unschuldig erklärt worden (Apg 23,11–26,32), in einem zweiten und überbietenden Schritt in Apg 27,1–28,16 durch Gott (Talbert, Reading Acts, S. 203–225, vgl. auch das Inhaltsverzeichnis). Angesichts der Darlegungen oben kann man den Schwerpunkt von Apg 27,1ff. nicht in diesem zweiten Unschuldserweis sehen. 399 400
9 Überlegungen zur erzählten Fahrtroute in Apg 27f. Die Frage nach der Historizität des Gesamtberichtes steht nicht im Zentrum unseres Interesses, weil hier ja ein Vergleich mit zum Teil vollkommen fiktionalen Texten unter literarischem Gesichtspunkt durchgeführt wird; damit aber können wir uns nicht, etwa im Zuge einer stillschweigenden Vorentscheidung über die Historizität, vollends von der Betrachtung historischer Fragen im engeren Sinne dispensieren.1 Der Rahmen, in dem das zu geschehen hat, wurde oben abgesteckt, indem ich einen Rechenschaftsbericht für die Gemeinde von Caesarea wahrscheinlich gemacht habe, aus dem Lukas die Eckdaten (insbesondere wohl wichtige Ortsnamen oder die Zahl der Reisenden [Apg 27,37]) für seine ansonsten völlig frei gestaltete Erzählung entnommen haben wird. In der Forschung hat der Streit um die in Apg 27f. erzählte Fahrtroute breiten Raum eingenommen;2 deshalb seien hier kurz die wichtigsten Streitfragen angeführt: Auf die nautischen Details, die auch zuweilen zu heftigen exegetischen Disputen geführt haben, wurde – soweit sie für unsere Fragestellung relevant sind – im Zuge der Behandlung von Apg 27,1–28,6 eingegangen.3 Hier sei vorweg nur nochmals auf den recht verblüffenden Umstand hingewiesen, daß in der exegetischen Literatur die seemännische Kompetenz des Paulus bzw. des Lukas sehr unterschiedlich bewertet wird, die Vorstellungen reichen vom Bild des sehr erfahrenen »Seebären« bis zum absoluten Laien.4
1
Gemeint ist freilich die Historizität des Erzählten in seinen Grundzügen, v.a. mit den Reisestationen usw. Der Bezug zur (u.U. auch historischen) Wirklichkeit von Einzelszenen und -zügen soll hier jedoch keineswegs als irrelevant bezeichnet werden, vgl. dazu die Bemerkung zu Beginn der Einzelanalyse von Apg 27,1–28,6. 2 Dabei wurde freilich von ganz verschiedenen Einschätzungen der historischen Verläßlichkeit des von Lukas Erzählten ausgegangen. 3 Für die nautischen Details verweise ich nochmals auf die Untersuchung Hans Balmers (Balmer, Romfahrt), die freilich vom rein exegetischen Standpunkt aus mit Vorsicht zu genießen ist; die kurze Studie von Günter Kettenbach, der auch ausführlich auf die nautischen Deatils eingeht, ist von zweifelhafter Qualität: Kettenbach, Logbuch. Vgl. weiterhin unter den neueren Arbeiten v.a. Rapske, Acts, insbes. S. 22–36) und als ständige Referenzwerke: Casson, Ships; Casson, Travel. 4 Besonders deutlich wird das bei der Interpretation der Verse 27,30–33, wo Paulus die Seeleute, die gerade das Boot benutzen wollen, bei den Soldaten anschwärzt, die dann ihrerseits das Haltetau kappen; da steht auf der einen Seite z.B. W.M. Ramsay mit seiner Bemerkung (Ramsay, St. Paul,
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9 Überlegungen zur erzählten Fahrtroute in Apg 27f.
Da Lukas nun höchstwahrscheinlich gerade die in seiner Erzählung gebotenen Ortsnamen aus dem Rechenschaftsbericht des Paulusbegleiters aus Caesarea entnommen hat, soll hier exemplarisch der auch und gerade in jüngerer Zeit geführte Streit um die Lokalisierung zweier in der Erzählung vorkommender Orte aufgenommen werden, nämlich um die Lokalisierung von Phönix (Φοίνιξ/ Φοινικοῦς), dem in v. 12 erwähnten Winterhafen, der zunächst das Ziel der Weiterfahrt ist, und von Μελίτη, dem Ort der Strandung. Die exegetische Diskussion um Phönix soll nur kurz dargelegt werden; etwas ausführlicher ist dann auf die Bedeutung des umstrittenen Windnamens εὐρακύλων in Apg 27,14 im Rahmen antiker Windtheorien einzugehen, dessen genaues Verständnis für die Lokalisierung von Μελίτη nicht ganz bedeutungslos ist. Dabei sind dann wenigstens noch die bisher gemachten Vorschläge zur Lokalisierung des Strandungsortes kurz zu referieren.
9.1 Phoenix Für das in Apg 27,12 als Zwischenziel zur Überwinterung anvisierte Phoenix existieren bis dato drei konkrete Vorschläge: 1. Phoenix im Süden von Kreta (sowohl Φοίνιξ als auch Φοινικοῦς genannt), wobei hier wiederum zwei Buchten in Betracht kommen;5 2. Phoenix in Messenien (Φοινικοῦς),6 wobei auch hier an zwei Möglichkeiten gedacht wird, nämlich einerseits an die Bucht, an der das messenische Phoenix selbst liegt, und andererseits an die Bucht von Pylos, die im Westen durch die Insel Sphakteria so abgeriegelt wird, daß nur im Norden und Süden jeweils ein schmaler Zugang bleibt. Dieser Vorschlag wurde 1987 von Heinz Warnecke unterbreitet, wobei er den anvisierten Hafen in der Bucht von
S. 336 [dt. Ausg., S. 274]): ». . . but Paul, vigilant ever, detected their [sc. der Seeleute] design, and prevented it«; und auf der anderen beispielsweise Haenchen, Apostelgeschichte, S. 675 mit Anm. 4: »Dieser lukanische Vers [sc. v. 31] macht Paulus zum Retter der Schiffsinsassen, der auch um Mitternacht seinen treuen Wächterdienst versieht. In Wirklichkeit hätte Paulus freilich das Schiff mit dieser Handlung gerade der Strandung ausgeliefert«. 5 Das kretische Phoenix wird Φοινικοῦς genannt bei St. Byz. Eth. 669: Φοινικοῦς, πόλις Κρήτης; als Φοίνιξ begegnet es neben Apg 27,12 noch bei Str. X 4,3. – Diese Lösung wird von den meisten Alten vertreten, so z.B. Balmer, Romfahrt, S. 319ff., der die weiter im Osten liegende Bucht Lutro anvisiert. Haenchen, Apostelgeschichte, S. 670, Anm. 7 (S. 670f.), denkt dagegen an die westlicher gelegene Bucht von Phineka, so auch Lake/Cadbury, S. 330; ebenso ist im Barrington Atlas ein »PHOINIKOUS LIMEN« für die Phineka-Bucht angegeben (Barrington Atlas, Tafel 60 »Creta 1:500,000«, B 2). Unter den Neueren ist auch Rapske, Acts, S. 36f. mit Anm. 167f. für die PhinekaBucht. 6 Erwähnt bei Paus. IV 34,12: λιµήν τε Φοινικοῦς.
9.1 Phoenix
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Navarino lokalisiert, dem Hafen des alten Pylos.7 Der Barrington Atlas8 vermerkt ein »PHOINIKOUS« demgegenüber jedoch in der Bucht, an der Φοινικοῦς selbst liegt (gemeint ist die große Bucht nordöstlich der Oinoussai-Inseln). Und 3. Phoenix auf der Insel Kythera im lakonischen Meerbusen (Φοινικοῦς);9 dieser Vorschlag wird vertreten von Claus-Jürgen Thornton.10 Für die Beurteilung dieser Vorschläge ist es von besonderer Bedeutung, wie man die Beschreibung des Hafens Phoenix in Apg 27,12 versteht, und welche Bedeutung der dort vorkommende Wind λίψ in unserem Zusammenhang hat, wo er zur Angabe einer Himmelsrichtung benutzt wird. Bei der Beschreibung des Hafens in v. 12 ist von Φοίνιξ als einem λιµὴν τῆς Κρήτης βλέπων κατὰ λίβα καὶ κατὰ χῶρον die Rede.11 Versteht man nun unter dieser Beschreibung – was zunächst nahe liegt – eine Bucht, deren Uferlinien grob südwestlich und nordwestlich in Richtung Meer verlaufen, so müßte diese Bucht ja insgesamt nach Westen ausgerichtet sein.12 Eine solche Bucht gibt es aber im westlichen Teil der Südküste Kretas nicht:13 Die Auffassung von der Phineka-Bucht als einer »sich nach Westen öffnenden Bucht«14 muß wohl einem recht großzügigen Blick auf die Karte zuzuschreiben sein, denn regelrecht nach Westen öffnet sich diese Bucht nicht. Nun kann es überhaupt schon als merkwürdig gelten, daß hier die Qualität eines Hafens durch seine Ausrichtung beschrieben wird und nicht dadurch, daß die Winde angegeben werden, vor denen er Schutz bietet.15 Unter anderem haben diese Beobachtung und die o.g. Schwierigkeiten mit der Phineka-Bucht Warnecke, Die tatsächliche Romfahrt, S. 28–32. Um dieses – schon mehrfach erwähnte – Buch Warneckes ist ja heftiger Streit entbrannt; vgl. etwa die keineswegs immer freundlichen Kritiken Jürgen Wehnerts (Wehnert, Gestrandet; Wehnert, . . . und da erfuhren wir). Darüber hinaus siehe die kritischen Ausführungen zu Warneckes Thesen von Thornton, Zeuge, S. 316–320, sowie die Replik auf Wehnerts Kritik aus der Feder des maßgeblichen Förderers der umstrittenen autodidaktischen Arbeit: Suhl, Gestrandet!; weitere Titel aus dieser Debatte s. bei Rapske, Acts, S. 37, Anm. 170. 8 Tafel 58 »Peloponnesus 1:500,000«, B 4. 9 Dieser Ort begegnet beispielsweise in dem vielgelesenen Text X. HG IV 8,7, weswegen er auch ins Gemollsche Schulwörterbuch Aufnahme gefunden hat (S. 790); im Barrington Atlas ist er jedoch auf der Insel Kythera nicht eingezeichnet. 10 Thornton, Zeuge, S. 332–334. 11 Variae lectiones sind im NTG27 nicht angegeben (S. 403). 12 So m.E. richtig bei Thornton, Zeuge, S. 333. 13 Thornton, Zeuge, S. 332: Keine »der in Frage kommenden Buchten im westlichen Bereich der Südküste Kretas (Lutro-Bucht, Phineka-Bai, Plakas-Bucht)« entspricht »der lukanischen Schilderung auch nur im entferntesten«. 14 So bei Haenchen, Apostelgeschichte, S. 670, Anm. 7 (S. 670f.), im Anschluß an Lake/ Cadbury, S. 330. 15 Vgl. zu einer solchen Hafenbeschreibung Arr. Peripl.M.Eux. 4,2f. (über Athen am Schwarzen Meer). 7
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9 Überlegungen zur erzählten Fahrtroute in Apg 27f.
dazu geführt, daß man auf Uminterpretationen des Textes verfallen ist. Auf das erste reagieren diejenigen, die den Satz so verstehen wollen, als drücke er genau die Schutzfunktion aus: Der Hafen liege unter den Winden Südwest und Nordwest und biete also vor ihnen Schutz.16 Damit ist man natürlich der Notwendigkeit enthoben, einen exakt so orientierten Hafen zu finden; es reicht, die geographischen Gegebenheiten zu berücksichtigen, so daß man auf Lutro schließen kann, eine sich nach Südosten öffnende Bucht.17 Dabei wird natürlich zuerst das βλέπων vernachlässigt, und zudem wird bei einer Hafen-Beschreibung der Schutz vor bestimmten Winden so nicht ausgedrückt.18 Andere wollen das βλέπων κατὰ κτλ. nicht mehr aus Sicht eines am Hafen stehenden Menschen verstehen, sondern aus Sicht dessen, der in den Hafen einfährt, also auf See ist, so daß zur Bezeichnung der Himmelsrichtungen angegebenen Winde die Fahrtrichtung des einfahrenden Schiffes beschreiben müßten.19 Ein solches Verständnis hat ebenfalls die (m.E. zunächst unüberwindliche) Schwierigkeit, daß der Text das schlicht nicht sagt: In v. 12 ist ja schließlich davon die Rede, daß »der Hafen nach Südwesten und nach Nordwesten blickt«.20 Wirklich überzeugende Beispiele für den einen oder den anderen unterstellten Gebrauch in einer vergleichbaren Formulierung können die o.g. Gelehrten alle nicht anführen.21 Genau genommen haben die Vertreter dieser letzten Deutung mutatis mutandis ein ähnliches Problem wie diejenigen, die sich für die Phineka-Bucht als Ziel aussprechen; können nämlich Schiffe mit Fahrtrichtung zwischen Südwest und Nordwest in eine Bucht einfahren, so müßte diese Bucht ja wohl grob nach Osten hin geöffnet sein. Das allerdings ist auch bei der Lutro-Bucht, auf die sich ja die Vertreter der in Frage stehenden Deutung festlegen, nicht eigentlich
16 Diese Deutung ist weit verbreitet und findet sich etwa bei: Balmer, Romfahrt, S. 322–326; Wikenhauser, Geschichtswert, S. 416; und Loisy, Actes, S. 912, der unsere Stelle so übersetzt: »Phœnix, port de Crète sous le vent du sud-ouest et du nord-ouest«. 17 Siehe etwa Loisy, der erklärt: ». . . par son orientation – ›contres les vents du sud-ouest et du nord-ouest,‹ – étant ouvert sur le sud-est« (Loisy, Actes, S. 912). 18 Vgl. etwa soeben schon erwähnte Stelle Arr. Peripl.M.Eux. 4,2, der ἀπό mit Gen. benutzt. – Trotzdem behauptet Balmer frech (Balmer, Romfahrt, S. 325): »Dies ist der Wortlaut und der Sinn der vielbesprochenen Stelle« (Hervorhebung von mir); der Wortlaut der Stelle ist das aber doch wohl ganz bestimmt nicht! 19 Diese Deutung findet sich beispielsweise bei: Ramsay, St. Paul, S. 325f. (dt. Ausg., S. 266); Goodspeed, Did Alexandria Influence, S. 131. 20 Ramsay, St. Paul, S. 326 (dt. Ausg., S. 266) sieht diese Schwierigkeit und nimmt an, »that in transmission from mouth to mouth, the wrong impression was given, that the harbour looked N.W. and S.W.« 21 Vgl. zur Kritik der wenigen bisher überhaupt angeführten Belege Lake/Cadbury, S. 330.
9.1 Phoenix
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der Fall: Sie öffnet sich nach Südosten!22 Die Untersuchungen von Edgar J. Goodspeed zur Bedeutung von λίψ23 haben diese Schwierigkeit für die Annahme, Lutro sei der in v. 12 gemeinte Hafen Phoenix, etwas gemildert: Goodspeed bringt Belege bei, die zeigen, daß im griechisch-römischen Gebrauch die Bedeutung von λίψ schwankt, v.a. zwischen Südwesten und Westsüdwesten;24 der Gebrauch in der LXX, so Goodspeed, sei zwar nicht einheitlich, jedoch meine λίψ hier zumeist Süden.25 Interessant ist nun, daß es Goodspeed gelingt, aus ägyptischen Papyri aus ptolemäischer und römischer Zeit zu erweisen, daß die Griechen in Ägypten λίψ für den Westen benutzt haben.26 Goodspeed meint nun, daraus folgern zu können, daß auch die Besatzung des alexandrinischen Frachters λίψ sehr gut in diesem Sinne benutzt haben könnte.27 Damit – so Goodspeed – spreche jetzt alles für Lutro: »Lutro . . . seems . . . more than ever appropriately described by the modification of λίψ from south-west to west.«28 Nichtsdestoweniger bleibt gegen diese Lösung noch immer der sprachliche Einwand bestehen (s.o.). Darüber hinaus wäre gegen eine »kretische Lösung« vielleicht überhaupt einzuwenden, daß an der Südküste Kretas allem Anschein nach kein zum Überwintern wirklich geeigneter und sicherer Hafen zu finden ist.29
22 Goodspeed meint trotzdem, daß auch ohne den besonderen Gebrauch von λίψ, der sich aus einigen ägyptischen Papyri belegen lasse (s.u.), nicht ernsthaft etwas gegen Lutro eingewendet werden könnte (Goodspeed, Did Alexandria Influence, S. 139); Richtungsangaben dieser Art darf man vielleicht wirklich nicht »auf die Goldwaage legen«. Das ändert aber nichts daran, daß er die gleich folgende Überlegung zum Wind- und Richtungsnamen λιψ für gewinnbringend hält. 23 Goodspeed, Did Alexandria Influence. 24 Goodspeed, Did Alexandria Influence, S. 131–134. 25 λίψ werde zur Übersetzung verschiedener hebr. Richtungsangaben verwendet, aber Süden habe dabei ein deutliches Übergewicht: ». . . out of forty-six occurences, forty-three mean south and three west. But in fifteen of these passages the Alexandrian manuscript has νότος instead of λίψ« (Goodspeed, Did Alexandria Influence, S. 135). 26 Goodspeed, Did Alexandria Influence, S. 136–138; »and whether we accept Aristotle’s etymology or not, it seems at least probable that from meaning south-west λίψ was, in the speech of Greeks in Egypt, attracted into the sense of west because west was the Libyan direction« (a.a.O., S. 138). Die aristotelische Etymologie, von der Goodspeed spricht, findet sich in Arist. Vent. 973b11f.: Λίψ· καὶ οὗτος τὸ ὄνοµα ἀπὸ Λι- | βύης, ὅθεν πνεῖ. 27 Goodspeed, Did Alexandria Influence, S. 138–140. 28 Goodspeed, Did Alexandria Influence, S. 140. 29 Vgl. Thornton, Zeuge, S. 332f. mit Anm. 306–310, und die von ihm angeführten Belege. – Dagegen spräche freilich die von Rapske, Acts, S. 37, Anm. 168, angeführte Weihinschrift (ca. 110 n.Chr. nach Angaben von Rapske), nach der ein alexandrinischer Kornfrachter, die Isopharia, in der Phineka-Bucht überwintert habe (CIL III 1, Nr. 3 [S. 5] = ILS II 1, Nr. 4395 [S. 181]); verwunderlich ist nur, daß sowohl Mommsen in CIL als auch Dessau als Fundort »Lutri in Creta« verbuchen (CIL III 1, S. 5; ILS II 1, S. 181). Es handelt sich um eine Weihinschrift eines Freigelassenen namens Epictetus, der Buchhalter/Archivar eines gubernator namens Dionysios war – hier der Text:
430
9 Überlegungen zur erzählten Fahrtroute in Apg 27f.
Für eine jeweils »außerkretische Lösung« treten Claus-Jürgen Thornton und Heinz Warnecke ein: Thornton geht zum einen von den o.g. Argumenten gegen eine kretische Lokalisierung aus, sieht aber dann zum anderen in Apg 27,21 einen Hinweis darauf, daß man nicht »einen bloßen Hafenwechsel innerhalb Kretas«30 vornehmen wollte: Paulus sagt hier, daß man auf ihn hätte hören und nicht hätte von Kreta aufbrechen sollen.31 Ein so klarer Hinweis, wie Thornton meint, scheint mir das aber nicht zu sein, schließlich ist man von Kreta aufgebrochen und auch nicht wieder dorthin zurück gelangt, ob man das nun wollte oder nicht; Paulus nimmt ja auf seine Warnung bezug, überhaupt aus Καλοὶ λιµένες abzusegeln (v. 10). Zum dritten ist er der Auffassung, daß die Formulierung βλέπειν πρός/κατά . . . immer nur die eine Richtung angebe, auf die hin ein Ort ausgerichtet sei, aber nie einen Horizont erfasse.32 Von diesen drei Punkten ausgehend kommt er zu der Überzeugung, daß der Text korrupt sein müsse, und stellt ihn um: εἰς Φοίνικα . . . λιµένα κατὰ χῶρον τῆς Κρήτης, βλέποντα κατὰ λίβα, lautet der seiner Meinung nach korrekte Text.33 So kommt Thornton auf Φοινικοῦς auf Kythera (s.o.), das eben nordwestlich von Kreta (κατὰ χῶρον τῆς Κρήτης)34 liege und eine 700m tiefe, von Südwest
5
Iovi Soli optimo maximo Sarapidi et omnibus diis et imperatori Caesari Nervae Traiano Aug(usto) Germanico Dacico n(ostro), Epictetus libertus tabellarius, curam agente operis Dionysio Sostrati filio Alexandrino, gubernatore navis parasemo Isopharia T(iti) Cl(audii) Theonis.
Aus dem Text dieser Inschrift läßt sich weder entnehmen, zu welcher Jahreszeit, noch wie lange die Isopharia sich dort aufgehalten hat, auch weiß man nicht, aus welchem Grund: War es eine geplante Überwinterung oder eine Notlösung, wie die Landung der von ihrem Kurs abgekommenen Isis in Athen (vgl. Luc. Nav. 7–9)? Ganz abgesehen davon, daß der Fundort angesichts der widersprüchlichen Informationen von Mommsen/Dessau und Rapske fragwürdig bleibt. Nicht viel weiter hilft, daß Mommsen in CIL III 2 (S. 967) zu unserer Inschrift Stephanos Ath. Kumanudis aus dessen ᾽Εφηµερὶς τῶν φιλοµαθῶν (1864) zitiert: Ἀναγιγνώσκεται ἐπὶ πλακὸς λιθίνης, ὕψους περίπου ἑνὸς καὶ ἡµίσεος πήχους, ἐν Λουτρῷ, πλησίον τοῦ ἀρχαίου λιµένος τοῦ Φοίνικος, δύω ὥρας ἀπέχοντι τῶν Σφακίων ἐν τῷ νοτιοδυτικῷ µέρει τῆς Κρήτης. Dem müßte weiter nachgegangen werden, denn es bleibt auch hier zweifelhaft, welche Bucht Kumanudis meint, wenn er sagt: πλησίον τοῦ ἀρχαίου λιµένος τοῦ Φοίνικος, – seine ἐφηµερίς ist mir aber leider bis dato trotz intensiver Bemühungen
nicht zugänglich geworden. 30 Thornton, Zeuge, S. 333. 31
µὴ ἀνάγεσθαι ἀπὸ τῆς Κρήτης, v. 21.
Thornton, Zeuge, S. 333; Belege gibt er keine an. Thornton, Zeuge, S. 333f.; auf S. 334 finden sich beide Texte einander gegenübergestellt. 34 Thornton nimmt dann hier einen genitivus separationis (in nordwestlicher Richtung von Kreta entfernt) bzw. comparationis (in nordwestlicher Richtung im Vergleich zu Kreta) an, also in jedem Fall einen ablativischen Genitiv. – Hier müßte freilich genauer überprüft werden, ob solche Formu32 33
9.1 Phoenix
431
nach Nordost verlaufende Bucht aufweise.35 Hierbei handelt es sich um einen sehr interessanten Vorschlag, skeptisch bin ich allerdings bei der Textumstellung: Wie sollte denn der korrupte Text entstanden sein, der dann die nach Thorntons Meinung unmögliche Verbindung von βλέπειν mit zwei Richtungsangaben herbeigeführt hätte? – Man müßte schon eine versehentliche Änderung der Wortreihenfolge annehmen. Warnecke ist einen anderen Weg gegangen; er versteht λιµὴν τῆς Κρήτης als »Hafen für den Seeverkehr von und nach Kreta«.36 Unter Aufrechterhaltung der beiden Richtungsangaben Nordwesten und Südwesten kommt er schließlich auf die Bucht von Navarino (Pylos), die durch die Insel Sphakteria so abgeriegelt wird, daß nur noch zwei Zufahrten existieren, nämlich von Nordwesten und Südwesten her; daher ist Warnecke der Meinung, die Beschreibung von v. 12 habe hier ihren Bezugspunkt.37 Diese These hat allerdings zwei Schwierigkeiten: 1. ist die Deutung von τῆς Κρήτης als genitivus respectus schwierig; für eine solche Verwendung ist mir kein wirklich vergleichbarer Beleg geläufig.38 Die Anführung des »Belegs« Bremerhaven als Hafen für Bremen39 ist genau betrachtet keine Analogie, und selbst wenn, würde dieser »Beleg« doch für die Beurteilung eines griechischen Genitivs nichts austragen.40 Hinzuzufügen ist noch – was Anlaß zum Schmunzeln geben darf –, daß Alfred Suhl in seiner Verteidigung Warneckes nicht müde wurde, einen neuen deutschen »Beleg« zu liefern, der angeblich »eine durchaus passende Analogie« darstelle: den »›Skandinavien-Kai‹ in deutschen Seehäfen«.41 2. liegt Φοινικοῦς gar nicht an der Bucht von Navarino, sondern an einer Bucht weiter südlich (s.o.), das macht natürlich den Zusammenhang von v. 12 mit der Bucht von Navarino extrem zweifelhaft. Alles in allem sehe ich die berechtigten Bedenken gegen eine Lokalisierung auf Kreta, jedoch können die beiden Vorschläge von Warnecke und Thornton letztlich auch nicht überzeugen; Fazit: »Wo Phoenix liegt, ist nicht mehr sicher auszumachen.«42 lierungen im 1. Jh. vorkommen, die das Muster: κατά/πρός – Himmelsrichtung – präpositionsloser Genitiv, haben; das kann ich in diesem Rahmen allerdings nicht tun. 35 Thornton, Zeuge, S. 334. 36 Warnecke, Die tatsächliche Romfahrt, S. 28. 37 Warnecke, Die tatsächliche Romfahrt, S. 29–32. 38 Bei B/R § 180f. (S. 188f.) findet sich ebenso kein Hinweis auf eine derartige Verwendung. 39 So Warnecke, Die tatsächliche Romfahrt, S. 28f. 40 In diese Richtung zielt auch die Kritik von Jürgen Wehnert, er sagt: »Weder existieren analoge antike Belege für diesen Genitiv – schon gar nicht im lukanischen Doppelwerk –, noch ist diese Deutung sachlich plausibel« (Wehnert, Gestrandet, S. 76f., Zitat S. 77; vgl. auch Rapske, Acts, S. 36, Anm. 167) – ob es aber in der ganzen Antike keine Analogien gibt, müßte erst überprüft werden; dafür ist hier aber nicht mehr der rechte Ort. 41 Suhl, Gestrandet!, S. 22, Anm. 125. 42 Jervell, Apostelgeschichte, S. 606.
432
9 Überlegungen zur erzählten Fahrtroute in Apg 27f.
Das für unsere Fragestellung Irritierende daran ist natürlich nicht, daß uns gewisse historische Informationen verloren gehen, sondern daß wir nicht mehr genau wissen, was Lukas als Schriftsteller hier vor Augen hatte: An welchen Hafen mag er oder der Verfasser des Rechenschaftsberichts gedacht haben? Und: Hat Lukas sich bei der Übernahme des Ortsnamens überhaupt über die tatsächlichen (v.a. nautischen und geographischen) Gegebenheiten informiert? Immerhin könnte es noch sein, daß Lukas doch das kretische Phoenix vor Augen hatte, aber eben so gut wie gar keine verläßlichen Informationen darüber – wie auch sonst seine geographischen Kenntnisse, v.a. in Kleinasien (vgl. Lykaonien und Pisidien, Apg 13f.) und Palästina,43 zuweilen zu wünschen übrig lassen.
9.2 Winde und Melite Für den Ort der Strandung, der als Insel Μελίτη bezeichnet wird (Apg 28,1), existieren derzeit drei konkrete Vorschläge: Der erste Vorschlag ist freilich der traditionelle, nämlich Malta;44 die zweite, auch schon lange bestehende These will die Strandung auf der dalmatischen Insel Mljet (Meledena) lokalisieren.45 Die dritte und jüngere These stammt von Heinz Warnecke: Er sieht die Strandung auf der ionischen Insel Kephallenia, und zwar im Livadi-Golf an der Landzunge von Argostoli, die den argostolischen Meerbusen abgrenzt.46 Bei der Entscheidungsfindung kommt es v.a. auf das Verständnis des Sturmwindes an, der das Schiff in vv. 14f. ergreift, des sog. εὐρακύλων (lat. euraquilo bzw. euroaquilo); daß der hier benutzte Windname keineswegs so rätselhaft ist, wie zuweilen behauptet wird, soll im folgenden Exkurs zu den Winden gezeigt werden. Exkurs: In Apg 27 kommen vier Namen von Winden vor: λίψ und χῶρος in v. 12, νότος in v. 13 und εὐρακύλων in v. 14. Mit dem νότος verbindet sich kaum ein Problem; anders ist das bei λίψ und χῶρος, und zwar weniger in bezug auf die genaue Definition dieser Winde, als auf den Sachzusammenhang, in dem sie sich in v. 12 finden (s.o.). 43 Man beachte etwa Lk 17,11 (s. dazu z.B. Marxsen, Einleitung, S. 162); vgl. aber zur Rechtfertigung des Lukas die deutlich andere Einschätzung bei Hengel, Der Historiker. 44 Dies ist die meist vertretenene Auffassung: Rapske, Acts, S. 42f. (s. hier auch kurze Informationen zu den verschiedenen in der Diskussion befindlichen genauen Landungsorten). Vgl. unter den Alten etwa Balmer, Romfahrt, S. 416ff. 45 Bestimmend für die Diskussion waren die Beiträge: Acworth, Where was St. Paul Shipwrecked; Meinardus, Melita; Meinardus, St. Paul Shipwrecked. Vgl. zur Literatur auch Rapske, Acts, S. 37, Anm. 169, der sich auf die genannten Arbeiten von Acworth und Meinardus aus den siebziger Jahren bezieht. Jedoch ist die Mljet-These wesentlich älter; auch schon Balmer mußte sich mit ihr auseinandersetzen, vgl. Balmer, Romfahrt, S. 447–462; vgl. auch den interessanten Beitrag Freller, Et cum evasissemus, S. 126ff., zu Mljet s. S. 128f. 46 Warnecke, Die tatsächliche Romfahrt, S. 85f. mit Karte auf S. 84.
9.2 Winde und Melite
433
Abbildung 9.1: Der sog. Turm der Winde in der Ansicht von Nordwesten (photographiert von Christiane Börstinghaus).
Das am schwersten wiegende Problem ist aber mit der Windbezeichnung εὐρακύλων verbunden, zumal diese Stelle auch noch textkritisch umstritten ist.47 Um den Sachverhalt hier angemessen beurteilen zu können, ist es notwendig einen Blick auf die – durchaus verwickelte – Geschichte griechischer Windsysteme und -namen zu werfen. Das will ich im folgenden unternehmen, mich dabei aber auf die wichtigsten Etappen dieser Geschichte konzentrieren, um am Ende auf ein Monument zu sprechen zu kommen, das zur Klärung unseres εὐρακύλων-Problems unbedingt heranzuziehen ist, allerdings in den großen Kommentarreihen bislang sträflich vernachlässigt wurde. Beginnen will ich dabei mit einem anderen Monument, das weithin bekannt ist; ein Monument, das – was seinen Erhaltungszustand und seine Architektur betrifft – unter den antiken Bauwerken nur wenig Ebenbürtiges findet: Ich meine den Turm der Winde
47 Vgl. den App. z.St. in NTG27 ; siehe auch den diesbezüglichen Kommentar bei Metzger, Textual Commentary, S. 440.
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9 Überlegungen zur erzählten Fahrtroute in Apg 27f.
Abbildung 9.2: Grundriß des sog. Turms der Winde.
zu Athen,48 der als ein regelmäßiges Oktogon errichtet ist, nord-südlich orientiert und mit drei Annexen versehen; er trägt an seinen Außenseiten acht Reliefs personifizierter Winde, die jeweils links oberhalb der Reliefs Namensinschriften aufweisen.49 Es zeigt sich bei näherer Betrachtung, daß an diesem Bauwerk noch vieles ungeklärt ist: So wissen wir nicht genau Bescheid über Einzelheiten der Konstruktion, weder des Bauwerks selbst, noch seiner stadtplanerischen Einbettung oder seines Inventars, v.a. des technischen. Hermann J. Kienast hat diese ungeklärten Fragen wieder hervorgehoben.50 Zusammengefaßt gehen seine – betont als nicht sicher erweisbare Hypothesen formulierten – Versuche, diese Fragen einer Lösung zuzuführen, in die folgenden Richtungen: Nach Kienasts Auffassung handele es sich beim Turm der Winde um ein – im besten Sinne des Wortes – »zweckloses« Gebäude, das stadtplanerisch in seiner Entstehungszeit mehr oder weniger isoliert war (alle anderen Baustrukturen in der Umgebung sind später zu datieren und weisen keine Beziehung zur Orientierung des Turms auf, abgesehen von den Latrinen, das aber aus Gründen der Wasserversorgung). Offenbar fiel die Wahl auf diesen ca. 20m über seine Umgebung erhöhten Ort, um das Einzelgebäude noch stärker hervorzuheben; möglicherweise wurde der Ort auch gewählt, um die hier gegebene Möglichkeit zur sicheren Versorgung mit Wasser auszunutzen, die dann später auch für die Latrinen genutzt wurde. 48 Eine Vorfassung der folgenden Bemerkungen zum Turm der Winde und zur Windrose von Thugga wurde schon abgedruckt im Exkursionsband der im Oktober 2005 u.a. vom Erlanger Lehrstuhl für Neues Testament I durchgeführten Griechenland-Exkursion: Übung mit Exkursion. Klassisches und kaiserzeitliches Griechenland – Sommersemester 2005, S. 172–176 (http://www.antikeexkursion.de/griechenland/exkursionsband/teil5_griechenland.pdf ). 49 Zum Turm der Winde insgesamt siehe die Studie: von Freeden, ΟΙΚΙΑ ΚΥΡΡΗΣΤΟΥ. Einen schnellen Überblick ermöglichen: Goette, Art. Athenai II, Sp. 179f.; Travlos, Bildlexikon Athen, S. 281–288 m. Abb. 362–378. Vgl. auch vom Brocke, Griechenland, S. 191f., sowie den kurzen Führer Kienast, Turm der Winde. 50 Siehe dazu im einzelnen: Kienast, The Tower of the Winds; vgl. zu den einzelnen Problemen auch von Freeden, ΟΙΚΙΑ ΚΥΡΡΗΣΤΟΥ, passim.
435
9.2 Winde und Melite Βορέας Σκίρων
Καικίας
Ζ. έφ. υρος
45°
Ἀπ. η. λιώ τ. ης
Εὖ ρο ς
Λ . ί ψ Νότο. ς
Abbildung 9.3: Schematische Darstellung der dem sog. Turm der Winde zugrundeliegenden Windrose.
Nach allem, was wir an diesem Gebäude beobachten können, war es nämlich in erster Linie nichts anderes als eine monumentale Uhr, mit einer Wasseruhr in der Turmkammer, zu der ein System für die Wasserversorgung im vollkommen abgeschlossenen Südannex gehörte,51 sowie Sonnenuhren, die bemerkenswerterweise nicht nur an den südlichen Seiten angebracht waren, sondern an allen acht Wänden, sogar an der Nordseite, die ja selbst um die Sommersonnenwende nur für kurze Zeit am Tage beschienen wird.52 Die Konstruktion dieser Sonnenuhr ist ohne Zweifel als eine besondere mathematische Leistung anzusehen, weil ihr auf der direkt nach Süden weisenden Seite liegender Teil auf die runde Wand des südlich angebauten kreisförmigen Annexes aufzubringen war.53 Zusammen mit den Reliefs der Winde bzw. Windgötter ist der Turm der Winde insgesamt ein Prunkgebäude, das die Leistungen hellenistischer Naturwissenschaft stolz zur Schau trägt und den Einheimischen mit ebensolchem Stolz auf die Errungenschaften seiner Kultur erfüllen soll. Der Athener Turm der Winde ist aber zu guter Letzt auch in seiner Datierung umstritten: Darauf gehe ich hier allerdings nicht näher ein; in neuerer Zeit weisen die Tendenzen der Forschung eher dahin, ihn als ganz und gar hellenistisches Bauwerk anzusprechen, das noch keinen römischen Einfluß aufweist!54 51
Deren genaue Funktionsweise muß ungeklärt bleiben, weil sie selbst bis auf einige Einlassungen vollkommen verschwunden ist; ihr grundsätzliches Funktionsprinzip dürfte jedoch sicher sein: Es wird sich um eine Wasseruhr entwickelteren Typs, die mit steigendem Wasserpegel arbeitet, gehandelt haben; vgl. Kienast, Turm der Winde, S. 17.19–21. 52 Vgl. Kienast, Turm der Winde, S. 13 mit Abb. 5 (S. 12). 53 Vgl. Kienast, Turm der Winde, S. 17. 54 Man kann in der Datierung möglicherweise ins 2. Jh.v.Chr. hinaufgehen: Von besonderer Bedeutung für die Datierung des Gebäudes ist die Inschrift IG II/III2 1.2, Nr. 1035 (S. 466–469), wo es in Frg. a, Z. 54 als οἰκία ἡ λεγοµένη Κυρρήστου erwähnt und so dem Andronikos Kyrrhestes zugewiesen wird, s. auch SEG 26 (1976–1977) [1979], Nr. 121 (S. 34–38); SEG 33 (1983) [1986], Nr. 136 (S. 37f.). Offenbar bezieht sich die Inschrift, die insgesamt als ein »Restaurationsdekret« in vielerlei Hinsicht erscheint, auf Reparaturen an unserm Gebäude (vgl. Kienast, The Tower of the Winds, S. 60f. m. Anm. 29.38; von Freeden, ΟΙΚΙΑ ΚΥΡΡΗΣΤΟΥ, S. 145–183 [zur wahrscheinlich falschen Datierung der Inschrift].185–191 [zur Datierung des Turms selbst]).
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9 Überlegungen zur erzählten Fahrtroute in Apg 27f.
Was nun die dem Turm zugrundeliegende Windrose betrifft, so handelt es sich – wie aus der oktogonalen Struktur leicht ersichtlich ist – um die regelmäßige hellenistische achtstrichige Windrose; der Turm der Winde bietet jeweils links oberhalb der Reliefs folgende Namensinschriften (von N nach NW):55 Βορέας – Καικίας – Ἀπ. η. λιώ τ. ης – 56 Εὖ ρο ς – Νότο. ς – Λ . ί ψ – Ζ. έφ. υρος – Σκίρων. Wer die achtstrichige Windrose erfunden hat, ist fraglich: Zwar wird sie zuweilen dem Eratosthenes zugewiesen;57 dieser ist hier aber wohl anstelle des Andronikos Kyrrhestes hineingeraten, dessen Name mit dem Turm der Winde eng verbunden ist: Inschriftlich ist er ja als οἰκία ἡ λεγοµένη Κυρρήστου bezeichnet.58 Eratosthenes seinerseits ist nun aber eher für ein an der Meridianprojektion orientiertes System verantwortlich zu machen, die sog. eratosthenische Projektion – diese werde ich hier allerdings nicht behandeln.59 Die reguläre achtstrichtige hellenistische Windrose ist wohl mit Fug und Recht als »Verkaufsschlager« der griechischen Naturwissenschaft zu bezeichnen. Sie bietet nämlich die Möglichkeit klarer Orientierung, ist an jeden Ort übertragbar und vor allem beliebig durch weitere Winkelhalbierung erweiterbar. Nicht ohne Grund liegt sie so auch unserem modernen 32-strichigen Windsystem zugrunde. Allerdings hat die Geschichte der Windsysteme in der Antike nicht mit diesem System begonnen, das sich schließlich durchsetzen konnte: Das liegt mit Sicherheit auch daran, daß es keinen natürlichen Anhaltspunkten (abgesehen von den Kardinalwinden) folgt, sondern auf rein künstlicher, geometrischer Horizontteilung beruht. Homer bietet im wesentlichen schon die vier Kardinalwinde, allerdings ohne freilich Interesse an einer exakten Horizontteilung zu entwickeln: Er hat somit die Gegenden der βορέαι (Nordwinde) von denjenigen der ζέφυροι (Westwinde), der νότοι (Südwinde) und schließlich der εὖροι (Ostwinde) unterschieden. Diese vier Hauptgegenden entsprechen den vier natürlichen Grundrichtungen, die der Mensch sofort annimmt, wenn er sich orientiert: vorne, hinten, rechts und links. Von diesen Grundrichtungen ausgehend hat man in unterschiedlicher Weise dann weitere natürliche Punkte zur Horizontteilung gesucht und diesen Punkten vier Nebenwinde zugewiesen, die primären Nebenwinde im Westen und Osten. Weitere vier Nebenwinde traten dann noch in verschiedener Weise, oftmals durch Winkelhalbierung, hinzu, was zu den in der Antike – sowohl nach den uns erhaltenen archäologischen, als auch den literarischen Zeugnissen – sehr verbreiteten zwölfstrichigen Windsystemen in je verschiedenen Anordnungen führte.60 Bemerkenswert bei der hier nicht nachzuzeichnenden komplizierten und in ihren Details auch 55
Die jeweils links über den Reliefs positionierten Inschriften bieten die Namen der Winde bzw. Windgötter; sie sind publiziert als CIG I, Nr. 518 (S. 480). Abbildungen der Reliefs mit den Inschriften bietet Travlos, Bildlexikon Athen, Abb. 368–375 (S. 285); vgl. zu den Inschriften auch von Freeden, ΟΙΚΙΑ ΚΥΡΡΗΣΤΟΥ, S. 187–189. 56 Im CIG wird allein hier ein unleserlicher Buchstabe notiert, nämlich das Ζ. 57 Ps.-Galen, Komm. zu Hp. Hum. (περὶ χυµῶν) 13 (Gal. K XVI 403); vgl. Kaibel, Ant. Windrosen, S. 614; Rehm, Gr. Windrosen, S. 70ff.; Böker, Art. Winde E, Sp. 2364. 58 IG II/III2 1.2, Nr. 1035, Frg. a, Z. 54; s. auch die Angaben oben, Anm. 54. 59 Galen bei Oreibasios (Orib. medic. rel. IX 7); siehe dazu Böker, Art. Winde E, Sp. 2357f. 60 Vgl. zur Geschichte und Analyse der verschiedenen Windrosen und der ihnen jeweils zugrundeliegenden Windsysteme v.a. die oben (Anm. 57) angeführten Studien zu den Windrosen und darüber hinaus noch die Teilartikel: Böker, Art. Winde B; Böker, Art. Winde D.
9.2 Winde und Melite
437
umstrittenen Entwicklung sind zwei Phänomene: 1. Die alten Kardinalwinde βορέας und εὖρος wurden offenbar schon früh nach rechts verdrängt und bildeten Nebenwinde, dabei wurde εὖρος zum primären südöstlichen Nebenwind und von daher recht namensfest, wie auch der Turm der Winde zeigt (s.o). Der βορέας konnte zuweilen wieder seinen alten Platz einehmen. 2. Viel stärkeren Schwankungen in der Namensgebung als die Kardinal- und primären Nebenwinde waren die sekundären Nebenwinde im Norden und Süden ausgesetzt, für die man zuweilen einfach Kompositnamen erfand. Höhepunkt dieser Entwicklung war wohl die regelmäßig geteilte, also sich aus zwölf Bogenabschnitten von je 30° ergebende Windrose, deren Erfindung zumeist dem Timosthenes von Rhodos, dem Flottenkommandanten des Ptolemaios II. Philadelphos, zugeschrieben wird.61 Eine solche regelmäßige zwölfstrichige Windrose findet sich nun im Bereich des Forums der römischen Stadt Thugga im heutigen Tunesien, die folgende Namensinschriften bietet (von N nach NNW):62 Septentrio – Aquilo – Euroaquilo63 – [Vu]lturnus64 – Eurus – Leuconotus – Auster – Libonotus – Africus – Faoni65 – Argestes – Circius. Der vulturnus ist sonst oft das lateinisches Äquivalent des εὖρος, wohingegen für den Ostwind die dem ἀπηλιώτης entsprechende Bezeichnung subsolanus verwendet wurde.66 Seneca aber hält eurus für ein rein lateinisches Wort.67 Der Name vulturnus wurde also irgendwann frei, in einige Windrosen findet er sich dann auch anstelle des καικίας in ONO. Kommt man von den griechischen Windrosen her, ist es recht verwunderlich, daß ein solcher Lückenbüßer die Stelle eines doch vermeintlich recht namensfesten primären Nebenwinds einnimmt. Jedoch – wie uns ebenso Seneca informiert (wieder Sen. Nat. V 16,4) – gab es für den καικίας keine lateinische Entsprechung. Für lateinische Windrosen bestanden also zunächst zwei Möglichkeiten, diese Lücke zu füllen: Entweder mit dem Lehnwort caecias oder dem vulturnus. Eine dritte Möglichkeit ist 61 Rehm hatte Zweifel daran angemeldet, ob dem Timosthenes das Verdienst zukommt, tatsächlich der gleichmäßigen Horizontteilung zum Durchbruch verholfen zu haben (Rehm, Gr. Windrosen, S. 47ff.). 62 Erstveröffentlichung dieser für Apg 27,14 hochinteressanten Windrose: Poinssot, Inscriptions, Nr. 158 (S. 297–304) [eine Vorankündigung war schon abgedruckt bei: H. Omont, Extrait des procès-verbaux du 3e trimestre de 1905. Séance du 5 Juillet, BSNAF 1905, S. 266–270, hier S. 269f., wo schon auf die Bedeutung der Rose für Apg 27 hingewiesen wurde]. Eine kurze Beschreibung findet sich auch bei Poinssot, Les ruines, S. 32f. (Nr. 4) [Plan und Luftbild des Forums als Fig. 2 und Pl. VI]. Die Inschriften sind dann publiziert worden als: CIL VIII, Suppl. IV, Nr. 26652 (S. 2646). 63 C. Poinssot gibt irrtümlich: Euraquilo (S. 33). Ein Photo dieses Windnamens findet sich bei: Reiser, Caesarea, S. 65. 64 Unsichere Lesung – zunächst, mit zwei Fragezeichen versehen, IVRNS bei L. Poinssot (S. 297)! Poinssot erwägt Eurinus oder [Vul]turnus; in einer zweiten Lesung bietet er LTVRNVS, also sicher [Vu]lturnus (Ch. Ravaisson-Mollien, Extrait des procès-verbaux du 3e trimestre de 1907. Séance du 31 Juillet, BSNAF 1907, S. 294–299, hier S. 297; Poinssot, Nouvelles inscriptions, Nr. 86 [S. 161–163, hier S. 162]), danach auch CIL VIII, Suppl. IV, Nr. 26652 (S. 2646) und C. Poinssot (S. 33). Böker, Art. Winde E, Sp. 2355 gibt: [Vu]lturn[us]; offenbar irrtümlich. 65 Ist Faon die Vulgärform des Favonius (Böker, Art. Winde E, Sp. 2355), warum steht hier aber Faoni? Oder sollte Faonius als Kurzform für Favonius geschrieben werden (vgl. den Kommentar bei Poinssot, Inscriptions, S. 303)? C. Poinssot deutet Faoni so als Abkürzung: Fa(v)oni(us) (S. 33). 66 Vgl. Lake/Cadbury, The Winds, S. 341f.. 67 Sen. Nat. V 16,4.
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9 Überlegungen zur erzählten Fahrtroute in Apg 27f.
eine Kombination – wie sonst bei den sekundären Nebenwinden, hier eben euroaquilo! Daß er eigentlich hier an dieser Stelle nicht recht sinnvoll ist, weil er nicht genau zwischen aquilo und eurus steht, ist offensichtlich kein Hinderungsgrund. Vielleicht spielt das Ausweichen der ehemaligen nördlichen und östlichen Kardinalwinde im Uhrzeigersinn dabei eine Rolle. Auf jeden Fall hat aber Vegetius auch den euroborus an dieser Stelle,68 obwohl das Mißverhältnis dasselbe wie in Thugga ist. Wir haben also hier den euroaquilo ganz klar als nördlichen Nebenwind das Ost belegt, also ungefähr als ONO.
Daß man diesen Beleg in der neutestamentlichen Wissenschaft lange Zeit und bis heute (bis auf wenige Ausnahmen) gar nicht oder nur unzureichend berücksichtigt hat, ist in der Tat ein Skandal: Immerhin wurde die Inschrift 1905 angekündigt,69 1906 veröffentlicht,70 1907 erneut von Poinssot gelesen,71 1916 von Rehm zitiert (allerdings ohne den euroaquilo zu erwähnen),72 auch 1916 in CIL aufgenommen73 und 1971 im OLD verzeichnet.74 Ganz abgesehen davon, daß die ungefähre Parallele euroborus bei Vegetius (s.o.) schon 1885 von Kaibel angeführt wird.75 In der neutestamentlichen Wissenschaft findet sich aber lange keine Spur, auch nicht in dem äußerst verdienstreichen Werk Beginnings of Christianity!76 Erst Colin J. Hemer greift diesen Beleg in seinem 1975er Artikel Euroquilo und Melita auf77 und wendet ihn gegen Angus Acworth, der ja wie Otto Meinardus die Position vertritt, Paulus sei nicht auf Malta, sondern auf Mljet, der dalmatischen Insel in der Adria, gestrandet (s.o.). Acworth hatte sogar aufgrund der vermeintlichen Singularität und angeblichen Unsinnigkeit von euraquilo der Lesart εὐροκλύδων den Vorzug gegeben und das als Wellen aufwühlenden Euros (OSO) gedeutet, was dann freilich eher einer Abdrift nach NW entgegenkommt.78 Die Argumentation von Hemer ist jedoch in allen Punkten stichhaltig! Nichtsdestotrotz konnte Gottfried Schille noch 1983 unter Berufung auf Beginnings of Christianity ausdrücklich feststellen, der euraquilo sei nur hier belegt. Ja, er geht im Unfug noch weiter: »Man denkt an eine Windhose (Bora) vom Idagebirge herab oder an einen Wirbelsturm am Kap. Dies legt vor allem die Veg. mil. IV 38. Omont, Extrait, BSNAF 1905, S. 266–270, hier S. 269f. 70 Poinssot, Inscriptions, Nr. 158 (S. 297–304). 71 Poinssot, Nouvelles inscriptions, Nr. 86 (S. 161–163). 72 Rehm, Gr. Windrosen, S. 81, Anm. 1. 73 CIL VIII, Suppl. IV, Nr. 26652 (S. 2646). 74 OLD, s.v. euroaquilo, S. 628 – der entsprechende Faszikel Nr. 3 ist 1971 erschienen. 75 Kaibel, Ant. Windrosen, S. 620, Anm. 1. 76 Dort findet sich der materialreiche und sehr kundig geschriebene Beitrag: Lake/Cadbury, The Winds, vgl. dort zum εὐρακύλων S. 344. 77 Hemer, Euraquilo, S. 103; vgl. auch Hemer, Book of Acts, S. 141f. 78 Acworth, Where was St. Paul Shipwrecked, S. 191f.; vgl. zur Entscheidung für εὐροκλύδων auch schon Dickson, Art. Euraquilo. 68 69
439
9.2 Winde und Melite Circius
Septentrio
Argestes
Euroaquilo LTVRNVS
Faoni Africus Libonotus
Aquilo
Eurus
Auster
Leuconotus
Abbildung 9.4: Schematische Darstellung der Windrose von Thugga.
Benennung des Windes nahe, die aus zwei Namen zusammengeflossen . . . ist.«79 Hat man sich auch nur ansatzweise oder im Vorübergehen mit Windsystemen befaßt, kann man über derlei Erklärung nur lächeln. Heinz Warnecke nun, der ja mit der These, Paulus sei auf der ionischen Insel Kephallenia gestrandet und nicht auf Malta, enormes Aufsehen bis in die Wochenzeitung »Die Zeit« erregt hat,80 führt diesen Unfug in folgerichtiger Steigerung wiederum weiter, wie seine an Schille orientierte Überlegung zeigt: »Meines Erachtens soll der εὐρακύλων aber keine statische Windrichtung ausdrücken (sonst hätte man wohl einen nicht zusammengesetzten Windnamen gewählt), sondern einen dynamischen, sich von Nordost auf Ost drehenden Wind«.81 Nach Hemer wird nun die Windrose von Thugga wieder lange Zeit mit Schweigen belegt.82 Erst 1991 bringt Claus-Jürgen Thornton die Windrose von Thugga wieder – löblicherweise –, und kritisiert von hier aus die Überlegungen Warneckes.83 Dennoch kann aber 1994 in der 2. Auflage von Metzgers textkritischem Kommentar noch immer stehen – hier als Erklärung der sekundären Leseart εὐροκλύδων: »The word, which does not occur elsewhere, obviously gave trouble to copyists, who introduced a wide variety of emendations.«84 In den neueren Kommentaren wird – wie bei Jervell und auch bei Barrett 85 – zwar auf den wichtigen Beitrag von Hemer verwiesen, allerdings ohne SchlußfolgerunSchille, Apostelgeschichte, S. 463. Folgender Artikel zierte »Die Zeit« in der Ausgabe vom 23. Dezember 1988: Agnes Seppelfricke, Paulus war nie auf Malta, Die Zeit 1988 (Nr. 52 vom 23. Dezember 1988), S. 33f. Wissenswert ist vielleicht noch, daß es sich bei Frau Seppelfricke um die Ehefrau von Herrn Warnecke handelt. 81 Warnecke, Die tatsächliche Romfahrt, S. 39. 82 Vgl. aber seine schon oben genannte Wiederholung (Hemer, Book of Acts, S. 141f.). 83 Thornton, Zeuge, S. 318. 84 Metzger, Textual Commentary, S. 440. 85 Jervell, Apostelgeschichte; Barrett, Acts II. Eine Ausnahme stellt Witherington, Acts, S. 765, dar, er würdigt den Beleg aus Thugga verhältnismäßig ausführlich. 79 80
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9 Überlegungen zur erzählten Fahrtroute in Apg 27f.
Abbildung 9.5: Die Route des Paulusschiffs nach der Abfahrt von Kreta, wie sie Heinz Warnecke vorschlägt.
gen daraus zu ziehen. Marius Reiser, der die Windrose 2001 ausführlich würdigt, kritisiert diese skandalöse Ignoranz zurecht mit scharfen Worten!86 Wie steht es aber nun mit Warneckes Kephallenia-Theorie, der ja – wie die älteren Vertreter der Mljet-These – eine nordwestliche Abdrift annehmen muß? Wenn man die Thugga-Windrose heranzieht, wird das natürlich zunächst schwierig, da mit ihr sich eher die Annahme einer SW-Abdrift aufdrängt! Tatsächlich werden die nördlich gelegenen Orte zur Lokalisierung der Strandung, Mljet und Kephallenia, recht unwahrscheinlich, wenn man den εὐρακύλων nun, wie es die Windrose von Thugga unbedingt erweist, als eine Art Nordostwind versteht.87 Übrigens hält es Warnecke selbst nach den Hinweisen Thorntons – obwohl er diesen zitiert – nicht für nötig, in seinen beiden später überarbeiteten Auflagen auf die Windrose und die klare Einordnung des εὐρακύλων zu verweisen; er läßt nur die oben zitierten unsinnigen Ausführungen über den betreffenden Reiser, Caesarea, S. 66. So interpretieren es die meisten: vgl. Rapske, Acts, S. 38–40. – Mit dieser Deutung harmoniert übrigens recht gut die Angst der Seeleute, in die Syrte verschlagen zu werden (v. 17). Die Benennung des befahrenen Meers (ἐν τῷ Ἀδρίᾳ, v. 27) ist ein Sonderproblem (s. dazu oben, S. 386f.). 86 87
9.2 Winde und Melite
441
Wind fort!88 Reiser hält die Warneckeschen Darlegungen nun auch für erledigt;89 doch trifft m.E. die Fixierung des εὐρακύλων als ONO die Warneckesche Theorie noch nicht vernichtend. Er arbeitet nämlich mit einer Wetterlage, die ein Hochdruck-Gebiet über der Agäis und ein Tiefdruck-Gebiet über dem ionischsizilischen Meer annimmt, so daß unmittelbar südlich von Kreta ein ONO vorliegen müßte, der bei Weiterfahrt nach Westen auf Ost und dann auf Südost drehen müßte;90 Warnecke hätte so also weiterhin, auch bei Annahme eines ONO unmittelbar südlich von Kreta, die für seine Theorie notwendige nordwestliche Abdrift gewährleistet. Zu fragen ist hier allerdings, ob Warnecke in seiner Konstruktion, die er mit statistischen Wetterdaten unterlegt, nicht zu viel und zu Genaues unterstellt und viel mehr zu wissen vorgibt, als man überhaupt wissen kann. Da nun könnte Reisers bissige Bemerkung durchaus im Recht sein: »Warnecke läßt die Winde wehen wie der Windgott selber.«91 Auf jeden Fall ist ihm in bezug auf den εὐρακύλων unsauberes Arbeiten vorzuhalten: Hypothesenverliebt hat er in der 1. Auflage diesen Wind sogar ausgeschlachtet92 und hält es nun bei der Überarbeitung für hinreichend, die mißglückte Passage einfach nur fortzulassen, ohne auf die wahre Bedeutung des Windes hinzuweisen. In bezug auf die Wetterspekulationen Warneckes ist noch darauf aufmerksam zu machen, daß die für ihn ja entscheidende Argumentation, eine Wetterlage, die die Westabdrift nach Malta ermögliche, sei überhaupt nicht denkbar,93 so nicht zu halten ist. Das zeigt nämlich mit nahezu absoluter Sicherheit das Schiff von Mahdia, das im 1. Jh.v.Chr. auf der Fahrt von Athen nach Rom an die
88 Vgl. die beiden Nachfolgewerke, die im Text (und auch im Titel) noch weit reißerischer gestaltet sind: Heinz Warnecke/Thomas Schirrmacher, War Paulus wirklich auf Malta?, ThFG, Neuhausen/Stuttgart 1992; Heinz Warnecke, Paulus im Sturm. Über den Schiffbruch der Exegese und die Rettung des Apostels auf Kephallenia. Mit einem Geleitwort von Walther Hinz und einem Beitrag von Thomas Schirrmacher, Nürnberg 2 2000. 89 Reiser, Caesarea, S. 67f. 90 Siehe dazu Warnecke, Die tatsächliche Romfahrt, S. 46–50. 91 Reiser, Caesarea, S. 67; Reiser geht überhaupt nicht zimperlich mit Warnecke um – ist der Vergleich mit einem »Windgott« noch treffend und witzig, so muß die Metamorphose vom Autodidakten zum Dilettanten, durch die er Warnecke gehen läßt, als Frechheit erscheinen: vgl. zur Verwendung dieser »Titel« a.a.O., S. 49.66, Anm. 77. 92 Im Anschluß an die irrigen Ausführungen von Schille (s.o.). 93 Vgl. zu Warneckes Wetterspekulationen: Warnecke, Die tatsächliche Romfahrt, S. 39–54; Warnecke, Paulus im Sturm, S. 29–32.64. – Natürlich läßt sich Warneckes Position nicht mit dem Verweis auf die enorme Westabdrift des Kolaios widerlegen (Hdt. IV 152,1f.); der Bericht bei Herodot trägt legendarische Züge, auch wenn an der Reise selbst deshalb nicht gezweifelt werden muß (s. zur Fahrt des Kolaios Göttlicher, Seefahrt, S. 85f.). Lukian übrigens ließ es sich nicht nehmen, eine derartige Westabdrift nach dem Muster des Kolaios parodierend in seine Wahren Geschichten aufzunehmen: Luc. VH I 34 (s. dort).
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9 Überlegungen zur erzählten Fahrtroute in Apg 27f.
Abbildung 9.6: Die Route des Paulus als Gefangener auf seiner Reise nach Rom – mit der traditionellen maltesischen Lösung, wie sie auch hier als die wahrscheinlichste vertreten wird.
tunesische Küste verschlagen wurde.94 Die Fahrt des Schiffes belegt also die Möglichkeit einer weiten Südwestabdrift aus dem Ionischen Meer bis nach Afrika – ganz entgegen der Auffassung von Warnecke!95 Insgesamt bleibt daher die Süd- bzw. genauer Westlösung das Wahrscheinlichste, und damit das traditionelle Malta. Mit weiteren Anfragen an die Thesen Warneckes können wir uns hier aber nicht befassen, sie würden vom Thema der Seereiseerzählung des Lukas dann doch zu weit abführen.96 Vgl. zum Mahdia-Schiff die kurzen Informationen bei Parker, Ancient Shipwrecks, Nr. 621 (S. 252f.), und in EUMA 1997, S. 254f.; weiterhin natürlich die beiden Ausstellungsbände: Gisela Hellenkemper Salies/Hans-Hoyer von Prittwitz und Gaffron/Gerhard Bauchhenss (Hrsg.), Das Wrack. Der antike Schiffsfund von Mahdia. Band 1/2, KRLM 1,1/2, Köln 1994, und insbesondere die nautischen Analysen von: Weski, Wind, Wellen und Seemannschaft; Jörg, Die letzte Reise, hier bes. S. 248–251 zum zu unterstellenden meteorologischen Szenario für die Fahrt des Schiffs. 95 Warnecke mußte hier natürlich intervenieren: Warnecke, Welchen Kurs?, bes. S. 163–168; das allerdings ohne Erfolg (weder seine archäologische noch seine nautische Argumentation konnten überzeugen), vgl. Hellenkemper Salies, Wrack – Bilanz, S. 216 mit Anm. 53. Siehe dazu auch meine Bemerkung oben, S. 137. 96 Dazu gehörte dann beispielsweise erstens die Erörterung des Problems des πρῶτος τῆς νήσου (Apg 28,7): vgl. dazu Warnecke, Die tatsächliche Romfahrt, S. 119–123; weiterhin den Beitrag seines Förderers Suhl, πρῶτος τῆς νήσου; sowie die berühmte maltesische Inschrift, in der ein Lucius Castricius Prudens den Titel πρῶτος Μελιταίων trägt (z.B. besprochen bei Boffo, Iscrizioni, Nr. 22 [S. 177–181]). Zweitens müßte man sich mit dem Namen Μελίτη näher auseinandersetzen; s. dazu 94
9.2 Winde und Melite
443
Auf Malta selbst kommen jedoch ganz verschiedene konkreten Landungsorte als möglich in Frage,97 wobei gerade die Informationen von Apg 27,39–28,1 tatsächlich keine zweifelsfreie Identifikation eines ganz bestimmten Landungsorts zulassen.98 Wenn also wohl die insgesamt plausibelste Lösung bleibt, das in Apg 28,1 genannte Μελίτη mit der Insel Malta zu identifizieren, so stehen wir aber trotzdem – wie im Fall von Phoenix – vor dem abschließenden Urteil, daß eine sichere Entscheidung über den genauen Landungsort auf Malta unmöglich ist; und dementsprechend stellt sich auch wieder die Frage: Wie genau hat Lukas sich über die angeführten Orte wirklich informiert? In dem von ihm benutzten Rechenschaftsbericht wird ja nur der Name Μελίτη gestanden haben. Als abschließende, auch methodische Bemerkung, sei mir noch gestattet: Solche Fragestellungen, die den Wirklichkeitsbezug eines Textes in den Blick nehmen, dabei historisch arbeiten und etwa nach der Bedeutung des euraquilo fragen, sind m.E. grundsätzlich in ihrem Recht, und zwar ganz gleich, ob man nun den Text kritisch als historische Quelle interpretiert oder in ihm eine eher literarische Seereise sieht (hier sicher mit historischem Anhalt): Man muß
die Darstellung bei Warnecke, Die tatsächliche Romfahrt, S. 59–69, sowie sekundierend den Beitrag Metzler, in: Γεώργιος Δ. Μεταλληνός (Hrsg.), Πρακτικά «Συναντήσεως 1999» Κεφαλληνία – Μελίτη, Athen 2003, S. 125–147. Und schließlich wäre drittens die Frage nach der gewöhnlichen Fahrtroute aus dem östlichen Mittelmeer nach Italien zu erörtern, um sinnvoll die Anwesenheit des alexandrinischen Schiffes mit dem Namen »Dioskuren« (παράσηµον Διοσκούροις) (Apg 28,11) reflektieren zu können: Neben seinen Überlegungen in Warnecke, Die tatsächliche Romfahrt, S. 75– 78, hat er dazu auch eigens publiziert: Warnecke, Lebensnerv Roms; vgl. auch wieder Suhl, Seeweg. Damit im Zusammenhang müßte auch überlegt werden, wie sich die erste Zwischenstation dieses Schiffes παρασήµῳ Διοσκούροις in Syrakus (Apg 28,12) zu den Alternativen Malta und Kephallenia verhält, vgl. beispielsweise das Votum bei Pervo, Acts, S. 670. 97 Vgl. wieder den Überblick bei Rapske, Acts, S. 42f.; ausführlicher Gilchrist, Historicity, S. 40–50. – Die vage – bisher noch nicht erwähnte – Theorie von Claus-Jürgen Thornton, der sich gegen Malta ausspricht, weil er in ἡ γῆ (vv. 39.43.44), die eine Insel sei (ἡ νῆσος, 28,1), und in ὁ κόλπος, der einen αἰγιαλός (v. 39) habe, verschiedene Orte sieht, nämlich das Land der Insel und eine davon unabhängige, mit einem flachen Sandstrand versehene Bucht, die dann zum Festland oder einer anderen Insel gehören müßte; eine derartige Situation findet er auf Malta nicht vor und verweist von daher grob auf das Gebiet der kleinen Syrte, wo es zahlreiche τόποι διθάλασσοι gebe (Thornton, Zeuge, S. 322–326). M.E. muß man nicht so interpretieren, denn nach dem Text von Apg 27,39–28,1 kann die Bucht mit Strand genauso gut zur Insel selbst gehören, die an den o.g. drei Stellen auch als ἡ γῆ bezeichnet wird. 98 Vgl. Rapske, Acts, S. 43, der den genauen Ort auch offen läßt. – Siehe darüber hinaus wieder Gilchrist, der sich insbesondere des schwierigen Begriffs τόπος διθάλασσος (Apg 27,41) annimmt (Gilchrist, Historicity, S. 42ff.; s. dazu auch oben die Einzelanalyse), sich jedoch in einem sicheren Urteil zur genauen Strandungsstelle letztlich doch zurückhält und eine archäologische Untersuchung zur Auffindung des Wracks fordert (S. 50). In seiner ausführlichen Analyse setzt er sich u.a. insbesondere mit den älteren – in der Tat fragwürdigen – Überlegungen von Musgrave auseinander (Musgrave, Friendly Refuge, S. 19–32).
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9 Überlegungen zur erzählten Fahrtroute in Apg 27f.
nämlich auch bei einer literarischen Seereise erfassen, wohin – nach des Autors Willen – die Reise gehen soll.99
99 Das ist übrigens nicht nur eine Banalität, wie man sich beispielsweise anhand der Überlegungen von Hayden V. White über die Arbeit des Historiker und des Romanciers klarmachen kann; beide nämlich arbeiten sich – neben allen Unterschieden in der literarischen Zielsetzung, im Charakter des Materials und des Stils – an ein und demselben Problem ab, der Versprachlichung von Wirklichkeit: »Beide möchten ein sprachliches Abbild (image) von der ›Wirklichkeit‹ geben. Der Romanautor mag seine Vorstellung von dieser ›Wirklichkeit‹ indirekt geben, d.h. mit Hilfe figurativer Verfahren, statt direkt, d.h. statt eine Reihe von Aussagen aufzulisten, die angeblich Punkt für Punkt einem extratextuellen Bereich von Geschehen entsprechen, wie es der Historiker zu tun behauptet. Doch das Bild von Wirklichkeit, das der Romanautor so konstruiert, soll in seinen allgemeinen Zügen einem bestimmten Bereich menschlicher Erfahrung entsprechen, der nicht weniger ›real‹ ist als der, auf den sich der Historiker bezieht« (White, Fiktionen, S. 145ff. [Zitat S. 145f.]; engl. S. 121ff. [Zitat S. 122]). – Vgl. im übrigen auch meine einführende Bemerkung oben, S. 347.
Ergebnisse Motivik und Genre Die Verwendung von Seefahrtsmotivik erstreckt sich über eine enorme Breite von verschiedenen Gattungen, das haben wir gesehen. Insbesondere auch der Motivkomplex Sturmfahrt und Schiffbruch findet in Texten Verwendung, die ganz unterschiedlichen Genres angehören. Allein die Benutzung dieses Motivkomplexes ist also nicht genrespezifisch. Ergeben hat sich aber genauso, daß die Motivik nicht in allen literarischen Gattungen in gleicher Weise verwendet wird, ja, daß die einzelnen Texte höchst virtuos und frei auf das Repertoire der Motivik zurückgreifen können, um ihre je eigenen Darstellungsabsichten ins Werk zu setzen. Das nimmt auch nicht Wunder, denn Seefahrt und Schiffbruch waren in der Antike schon vom Epos her ein wichtiges Element des Erzählens; mit diesem Element konnte der Mensch in seiner Verlorenheit und seinem Ausgeliefertsein (etwa den Göttern oder dem Schicksal gegenüber) genauso dargestellt werden wie in seiner Bewährung in schier übermächtigen Gefahren. Daher ist unser Gegenstand verständlicherweise besonders in der Unterhaltungsliteratur zu einem prominenten Topos geworden, so auch in den hier zum Ausgangspunkt genommenen und im 3. Kapitel näher betrachteten Liebesromanen. Die Seereise mit ihren mannigfaltigen Gefährdungen bietet sich hier geradezu an, um die Paare in fremde Länder zu bringen, sowie schon auf See und dann auch in der Ferne in Abenteuer zu verwickeln; die für die story eines Romans bedeutsame Trennung der Liebenden etwa kann so herbeigeführt werden.1 In hervorragenden Exemplaren dieser Gattung tritt nun das gesamte Repertoire der Motivik hervor, wie etwa im Roman des Achilleus Tatios, wo dann sogar die Züge der üblichen epischen Sturm-Ekphrasis in vollem Umfang aufgenommen werden. Doch beschränkt sich die Verwendung der Motivik nicht auf diese Gattung: Fast schon von selbst versteht sich die Aufnahme in Parodien und Satiren – wie wir bei Petron und Lukian sehen konnten –, darüber hinaus fällt aber auch die Verwendung eines Gutteils des Repertoires in anderen dramatisierten Seefahrtsdarstellungen auf, wofür exemplarisch auf den oben behandelten 4. Brief des Synesios von Kyrene zu verweisen ist. Aufnahmen nur eines Teils des Repertoires, 1 Das gilt auch, wenn diese Trennung nicht immer unmittelbar mit Seefahrt und/oder Schiffbruch zusammenhängt – wie wir gesehen haben.
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Ergebnisse
wobei meist Abstriche bei einigen Motiven der epischen Sturm-Ekphrasis zu verzeichnen sind (also etwa die Darstellung des furchtbaren Wellengebirges), finden sich in vielen anderen Gattungen – man denke beispielsweise an die autobiographischen Heiligen Berichte des Aelius Aristides. Daneben finden sich allerdings auch Texte, die Seefahrten und selbst Stürme bzw. Sturmfahrten beschreiben, die Motivik aber gar nicht oder nur in einzelnen Elementen in die Darstellung einbringen; das ist bei einigen Berichten über Seestürme in der Historiographie so (s.o.). Selbst wenn manche Historiker im Zuge einer dramatischeren Darstellung – das liegt ja durchaus im Rahmen der Möglichkeiten dieser Gattung –, etwa um das Leiden und den Verlust als Tribut an den Sturm eindrücklicher vor Augen zu stellen, zu weiteren Elementen der Motivik greifen, entsteht dadurch aber kaum ein lebendiges Bild des Leidens der betroffenen Menschen, vielmehr liegt der Darstellungsschwerpunkt ganz und gar auf dem Schrecken der Ereignisse in ihrer historischen Bedeutung und dem (zumeist militärischen) Verlust, den die jeweilige Katastrophe nach sich gezogen hat (siehe unser Beispiel aus Appian). Lukas überbietet nun – wie sich oben zeigen ließ – in seiner Aufnahme der Motivik nicht nur die pragmatische, sondern auch die dramatisierende Historiographie; im Unterschied zur letzteren legt er nämlich alles Gewicht auf die Menschen an Bord, indem er etwa ausführlich ihren Kampf mit der Situation in verschiedenen Stadien der Ereignisse betont, ganz perspektivisch ihre aufgegebenen Hoffnungen und ihre fragliche, aber doch wiedergewonnene Zuversicht thematisiert, schließlich auch die (immer wieder gefährdete) Rettung anschaulich darstellt. Auf der anderen Seite – und auch das zeigt der Vergleich – ist Lukas aber natürlich davon entfernt, den Motivkomplex in vollem Umfang zu nutzen, wie etwa in den großen Sturmszenen der Romane; auch wenn die Romane ihrerseits z.T. auch weniger stark ausgeschmückte Sturmszenen bieten, ist für Lukas tatsächlich eine nüchternere Darstellung zu konstatieren. Er bringt jedoch weit mehr, als für eine ganz und gar nüchterne und sachliche Darstellung eines Schiffes und seiner Mannschaft im Sturm notwendig wäre. Es ist also verfehlt, in der Frage nach dem Charakter der lukanischen Seereiseerzählung mit Blick auf die Schriftstellerei des Lukas und die Gattung seiner Schriften damit zu argumentieren, daß sich in der Erzählung des Lukas lediglich Elemente fänden, die man brauche, um überhaupt die Fahrt eines Schiffes im Sturm zu erzählen.2 Man kann indes Sturmerzählungen in Wirklichkeit noch Vgl. etwa Reiser, Caesarea, S. 53; in der Tendenz auch schon Haenchen, Acta 27, bes. S. 239f.250ff., der sich hier aber natürlich in erster Linie mit der Form der Vorlage des Lukas auseinandersetzt; die Bezüge zur romanhaften Literatur schätze ich anders ein, bin aber mit Haenchen grundsätzlich einer Meinung, daß das »Literarische« des Textes auf Lukas zurückgeht und er einen eher dürren Bericht als Informationsquelle und in Einzelheiten als Vorlage benutzt hat (s.o.). 2
Motivik und Genre
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in anderer Form bieten; das zeigt etwa das Beispiel aus dem Periplus des Arrian. Ebensowenig läßt sich aber auch damit argumentieren, daß die Erzählung von Seefahrt und Schiffbruch kein Spezifikum der Unterhaltungsliteratur sei; das ist sie in der Tat nicht! Es kommt aber auf die Art und Zielsetzung der Behandlung des Themas an: Und da scheint mir, daß Lukas eben auch über zuweilen vorkommende dramatisierte Darstellungen etwa der tragischen bzw. pathetischen Geschichtsschreibung hinausgeht, was Ausführlichkeit, Perspektive und Zielsetzung betrifft. Aufgrund solcher dramatischen Erzählungen der Historiographie zu schließen, die lukanische Seereiseerzählung berechtige nicht dazu, Beziehungen etwa zur romanhaften Literatur zu behaupten, halte ich für zu kurz gegriffen.3 Wir haben Lukas somit als einen Schriftsteller zu verstehen, der in sein Doppelwerk einen in der antiken Literatur sehr beliebten Motivkomplex übernommen und für seine Zwecke gestaltet hat; indem Lukas diesen Motivkomplex in sein Werk einband, hat er sich sicherlich auch – das wage ich zu behaupten – an den Gepflogenheiten populärer Literatur und am Geschmack seiner Leser orientiert. Man sollte von daher – und das ist mein erstes Ergebnis – einen Einfluß der Romanliteratur nicht prinzipiell leugnen, sondern gerade im Gegenteil endlich anerkennen – zumindest was unsere Erzählung in Apg 27f. betrifft.4 Von hier aus kann natürlich kein Urteil über die Gattung der Apostelgeschichte überhaupt gefällt werden. Es konnte nicht einmal die Untersuchung von Pervo, die ich als Ausgangspunkt genommen hatte, insgesamt auf den Prüfstand gestellt werden.5 In bezug auf die große Seefahrtserzählung des Lukas geht sie m.E. in die richtige Richtung, obwohl Pervo allerdings dem Irrtum erlegen sein dürfte, das Vorkommen des Stoffs in dramatischer Erzählweise überhaupt für genrespezifisch zu halten:6 Da rächt sich offenbar sein Verzicht auf wenigstens exemplarische Detailanalysen und Vergleiche. Als weit gravierender muß aber wohl Pervos Vorgehen gelten, von der berechtigten Beobachtung der Übernahme einzelner Elemente aus der populären Literatur sofort auf das Genre des ganzen Vgl. beispielsweise die Argumentation bei Thornton, Zeuge, S. 352–354.356f., der damit gänzlich abwehren wollte, daß man Lukas – wenn auch nur partiell – überhaupt in die Nähe eines Romanciers rückt, auch wenn er sieht, daß mit der Ausgestaltung der Erzählung durch Lukas zumindest die Anforderungen der pragmatischen Geschichtsschreibung nicht erfüllt werden. – Die Ähnlichkeit der lukanischen Darstellung mit solchen in den Romanen und anderer Unterhaltungsliteratur hatte dagegen auch schon Plümacher gesehen (Plümacher, Lukas als hellenistischer Schriftsteller., S. 14f.). 4 Dafür plädierte ja auch schon Schille, Apostelgeschichte, S. 460; vgl. auch Heininger, Rezeption, S. 330, der aber vielleicht etwas schief behauptet: »Das ist an sich Konsens« (Anm. 34). 5 Die Rede ist hier natürlich wieder von Pervo, Profit. – Siehe dazu die Einleitung. 6 In diesem Punkt ist nun tatsächlich scharfe Kritik am Vorgehen Pervos berechtigt: In Pervo, Profit, S. 51, trägt er in der Tat schiefe Überlegungen vor; Thornton, Zeuge, S. 352, kritisiert ihn in diesem Punkt – allerdings auch nur in diesem Punkt – zu Recht. 3
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Ergebnisse
Buchs zu schließen: Denn das Werk hat insgesamt betrachtet ohne Zweifel einen biographisch-historiographischen Anspruch;7 daran ist m.E. festzuhalten. Es zeigt sich allerdings einmal mehr, daß sich der Befund der literarischen Bezüge erheblich bunter darstellt, als man zuweilen wahrhaben wollte und will.8
Das Paulusbild von Apg 27,1–28,6 Im Rahmen unserer Untersuchungen blieben wir auch dem lukanischen Paulus auf der Spur, der auf seinem Weg nach Rom schließlich noch dieses große Abenteuer zur See zu bestehen hatte. Er mußte durch diese Gefahren – die ja mannigfaltig waren – hindurchgehen, bevor er das ihm von Gottes Seite gesetzte Ziel erreichen konnte. In gewisser Weise ähnelt er so den Romanhelden, die ebenfalls durch mannigfaltige Gefahren zu gehen haben, bevor sie am Ende wieder vereint werden und ein glückliches Leben führen können. Eine solche Parallelisierung aber wäre ein deutlicher Trugschluß: Nicht nur daß Paulus am Ende eben kein in idealer Weise glückliches Leben führt – er ist Gefangener, wenn auch in lockeren Haftbedingungen (Apg 28,16.30f.) –, nein, vielmehr geht er im Gegenteil seinem persönlichen Ende entgegen, obwohl Lukas das in auffälliger Weise verschweigt.9 Auch in unserem Abschnitt porträtiert Lukas seinen Paulus keineswegs als Romanhelden; diese nämlich sind im Leiden ihrem Schicksal gewöhnlich unentrinnbar ausgeliefert und fügen sich auch zumeist in das Leiden. Lukas hat seinen Paulus eher im Gegensatz zu den typischen Romanhelden gezeichnet, nämlich tendenziell als echten Helden, der aktiv in das Geschehen eingreift und an Bord eine ganz besondere Rolle spielt. Paulus ist aber hier auch ganz und gar kein echter Held im eigentlichen Sinn; er entspricht nicht dem Typ eines epischen Helden etwa vom Schlage des großen Dulders Odysseus, der sich – wenn ihm auch zuweilen göttlicher Schutz gewährt wird – vermittels zahlloser Listen und mit Zähigkeit durch sein Leiden zu kämpfen hat. Stattdessen besteht die besondere Rolle des Paulus darin, daß er 7 Dazu ist in erster Linie wieder auf das Proöm des Lukasevangeliums zu verweisen (Lk 1,1–4), in dem der Verfasser erklärt, seine διήγησις behandle πράγµατα (v. 1), für die er sich auf Augenzeugen berufen könne (v. 2) und die er selbst recherchiert habe (v. 3, zur umstrittenen Deutung des παρηκολουθηκέναι s. die Angaben oben, S. 158 mit Anm. 162). Das ist in jedem Fall zu berücksichtigen, auch wenn die nächstliegenden Parallelen zum Proöm des Lukas sich eher in der Fachschriftstellerei finden lassen als in der Historiographie, wie Alexander gezeigt hat (Alexander, The Preface, passim, bes. S. 102ff.). Dieses Proöm gilt nach meinem Urteil für das gesamte Doppelwerk, weil sich Apg 1,1f. eindeutig als Sekundärproöm erweisen läßt, das, wie auch zuweilen sonst, ohne eine klare Abgrenzung in die fortgesetzte Darstellung übergeht (vgl. z.B. Sterling, Historiography, S. 331f.). 8 Vgl. zu einer solchen Überlegung etwa auch Heininger, Paulusbild, S. 423–425. 9 Lukas weiß allerdings um den Umstand, daß Paulus in Rom zu Tode kommen wird, und gibt das seinen Lesern im Rahmen der Abschiedsrede in Milet auch deutlich zu verstehen: Apg 20,25.
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mit prophetischen Fähigkeiten warnende Ratschläge gibt (wenn auch erfolglos, Apg 27,9f., vgl. v. 21), zu neuem Mut ermahnt (27,21–26), praktische Hinweise gibt (vv. 31f.) und seine Tröstung zuletzt auch materiell vermittelt, indem er die Menschen zum Essen auffordert und damit durchdringt. Er ist also tätig im Sinne der Rettung aller Mitreisenden. Daß dies ein Schwerpunkt der lukanischen Darstellung in unserem Anschnitt ist, wird überdeutlich daran, daß es letztlich tatsächlich Paulus ist, um dessen willen zumindest die Gefangenen verschont werden (vv. 42f.); dies ist natürlich zu verbinden mit der im Rahmen des ersten Tröstungsversuchs mitgeteilten göttlichen Zusage, daß Gott dem Paulus alle seine Mitreisenden gleichsam »geschenkt« habe (v. 24), und daher die Rettung um seinetwillen erfolge. Damit ist der Apostel Gottes sozusagen der implizite Retter der Reisegesellschaft.10 Schließlich muß er nach dem Schiffbruch auch noch die Attacke einer Schlange überstehen, woraufhin die Einheimischen ihn für einen Gott halten (28,3–6). Beides zeigt Paulus als Beauftragten Gottes, der unter dessen Schutz steht, so daß sich ihm nichts in den Weg stellen kann, das ihm gesetzte Ziel zu erreichen. Man könnte nun versucht sein, den so gezeichneten Paulus mit anderen großen Männern zu parallelisieren, denen sich vermeintlich nichts in den Weg stellen kann: Die Vergleiche etwa mit der u.a. bei Plutarch überlieferten CaesarAnekdote (s.o.) und mit Apollonios von Tyana in der Darstellung des Philostrat haben gezeigt, daß Paulus gerade nicht offensiv göttlichen Schutz für sich beansprucht oder gar irgendwie vermittelte göttliche Macht, und nicht einmal einen derartigen Anspruch an sich herantragen läßt. Er geht nur soweit, den auf ihm liegenden göttlichen Schutz in Gestalt der ihm gegeben Vision und Audition mitzuteilen. Dabei liegt das Schwergewicht keineswegs auf seiner Person, die eben nicht um ihrer selbst willen unter göttlichem Schutz steht, sondern das Schwergewicht liegt auf dem göttlichen Willen, der göttlichen Providenz, die den Weg des Paulus garantiert.11 Der Schwerpunkt scheint mir also – anders als bei den oben Genannten – nicht auf der Person des Paulus zu liegen, sondern auf seinem Auftrag, den er zu erfüllen hat. Trotzdem wird man aber natürlich festhalten müssen, daß Lukas sich nicht direkt um Abgrenzung bemüht, er es also durchaus billigend in Kauf nimmt, daß sein Paulus in die Nähe solcher Männer gerückt wird. Wenn man schon – vorrangig aus terminologischen Gründen – vor dem Urteil zurückschreckt, daß Paulus hier in die Nähe eines θεῖος ἀνήρ gestellt wird,12 so muß man wohl einräumen, 10
Das aber natürlich in ganz anderer Weise, als etwa der oben behandelte Jona zum unwillig willigen, aber seinerseits auch schuldigen Retter der Reisegesellschaft wird. 11 Dieser Weg ist schon von Apg 19,21 her vorgezeichnet, wo sich das erste sog. »göttliche δεῖ« findet, s. dazu die Bemerkungen im folgenden und oben (S. 303f.). 12 Vgl. zur θεῖος ἀνήρ-Problematik meine Bemerkung oben, S. 178f.
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daß er über das gewöhnlich Menschliche hinausgehoben wird, indem ihm prophetische Fähigkeiten (27,9.21) zugeschrieben werden, indem der auf ihm liegende göttliche Schutz ausdrücklich betont wird (v. 24), und indem schließlich seine Unempfindlichkeit gegenüber giftigen Schlangen herausgestellt wird (28,3– 6).13 Doch scheint mir hier trotzdem keine besondere Betonung der Person des Paulus selbst vorzuliegen, vielmehr ist alles, was in diese Richtung weist, eingebettet in den Auftrag des Paulus, in den ihm vorgezeichneten Weg, was insbesondere in v. 24 deutlich wird: Καίσαρί σε δεῖ παραστῆναι. In der Forschung ist im Rahmen der Debatte um das Paulusbild des Lukas14 u.a. die Frage nach einem möglichen apologetischen Zweck der lukanischen Darstellung zu einem strittigen Punkt geworden. Dabei mußte dann auch immer wieder auffallen, daß Lukas seinen Paulus gerade nicht in Konfliktsituationen stellt (aus denen er ihn dann etwa regelmäßig als Sieger hätte hervorgehen lassen können). Vielmehr verschweigt Lukas Konflikte, in die Paulus verwickelt war, systematisch:15 Das beginnt mit dem tatsächlichen Hintergrund der Trennung von Barnabas (Apg 15,37ff.) und wahrscheinlich überhaupt der antiochenischen Gemeinde,16 und das wird besonders deutlich am lukanischen Schweigen über die Kollektenaktion für Jerusalem, über die Lukas doch wohl informiert gewesen sein dürfte.17 Paulus steht lediglich in Konflikten mit heidnischen Gegnern und der Obrigkeit, das aber dann regelmäßig – wenn auch nicht immer – aufgrund jüdischer Anstiftung.18 Der Konflikt, den unser Autor ausführlich thematisiert, 13 Zur Affinität des hier gezeichneten Paulusbildes zu den θεῖοι ἄνδρες vgl. Heininger, Paulus als Visionär, S. 296f. Eine entsprechende Verbindung sieht auch Bindemann, der aber freilich darin ein Charakteristikum der »Wir«-Stücke überhaupt erkennen will; das ist m.E. ersichtlich falsch, wenn man sich nüchtern den wirklichen Inhalt der »Wir«-Passagen vor Augen führt (Bindemann, Verkündigter und Verkündiger, bes. Sp. 708.716). 14 Vgl. überhaupt zum lukanischen Paulusbild die 2006er Dissertation aus Lausanne: Flichy, Paul; den uns interessierenden Abschnitt behandelt sie S. 288–302. 15 Vgl. Burchard, Paulus, Sp. 884f.892f.; ausführlicher Roloff, Paulus-Darstellung, S. 512– 515.519f. 16 Von einer Trennung von der antiochenischen Gemeinde will Lukas natürlich nichts wissen: Apg 18,22f. Die ganze kurze Szene der Reise von Korinth über Ephesos wieder zurück nach Ephesos (Apg 18,18–19,1) ist historisch vollkommen unwahrscheinlich und überhaupt im Werk des Lukas recht merkwürdig angesiedelt, es handelt sich gleichsam ja nur um einen »Ausflug« nach Antiochia. Es ist erstaunlich, daß dieser »Ausflug« von vielen Exegeten in der einen oder anderen Weise als historisch angesehen wird; vgl. zu dieser hartnäckigen Legende die mit dem schönen entsprechenden Titel daherkommende Studie Bunine, Une légende tenace (in der aber im wesentlichen die Redaktionstheorie von M.-E. Boismard und A. Lamouille bestätigt wird). 17 Vgl. Weiser, Paulusbild, S. 85. 18 Als wichtige Ausnahmen sind hier die Szenen in Philippi und Ephesos anzuführen (vgl. zu beiden Szenen Wolter, Juden, S. 282–284). In Philippi werden die Missionare aus dezidiert römischer Perspektive unter Berufung auf den mos als Juden beschuldigt (Apg 16,20f.), vgl. zur Anklage in dieser Szene Pilhofer, Philippi I, S. 189–193. Eine Ausnahme besonderer Art stellt der Aufruhr der Silberschmiede in Ephesos mit der spontanen Versammlung im Theater dar: Hier ist keine jü-
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und der das letzte Drittel der Apostelgeschichte bestimmt, ist dann der Prozeß des Paulus in Jerusalem; doch ist auch das wesentlich ein Konflikt mit dem Judentum. Innerchristliche Konflikte, in denen Paulus sicher massiv gestanden hat, wie wir aus seinen Briefen ausdrücklich erfahren oder das wenigstens aus ihnen erschließen können, kommen (fast) nicht vor oder werden nur angedeutet.19 An einer einzigen Stelle blitzt der wesentliche innerchristliche Konflikt um Paulus auf, wobei Lukas seine Kenntnis von diesem Konflikt verrät. Es handelt sich bei diesem »Aufblitzen« um die Warnung des Jakobus, daß es zahlreiche zum Glauben gekommene Juden in Jerusalem gebe, die heftige Vorbehalte gegen die paulinische Lehre hätten, weil sie der Auffassung seien, Paulus lehre den Abfall von Mose (Apg 21,20f.).20 Ein zumindest innerchristlicher apologetischer Zweck ist der Paulus-Darstellung des Lukas somit nicht zuzuschreiben, auch wenn er um damalige Konflikte zu wissen scheint!21 Das läßt sich sehr gut mit der oben gemachten Beobachtung zu unserem Text verbinden, daß nämlich nicht in erster Linie die Person des Paulus selbst im Vordergrund steht, sondern seine Funktion, sein Auftrag, sein Weg.22 dische Anstiftung konstatiert, ganz im Gegenteil sehen sich die Juden selbst der Anklage ausgesetzt und schicken einen Alexandros als Verteidiger vor, der dann von der Menge zusammengeschrieen wird (Apg 19,33f.); vgl. zur Szene in Ephesos: Fieger, Im Schatten der Artemis, S. 155–157; Trebilco, Jewish Communities, S. 24f.; Trebilco, Early Christians in Ephesus, S. 155–179; Schinkel, „Und sie wußten nicht, warum sie zusammengekommen waren“, s. zur Konfliktbeteiligung der Juden bes. S. 108–110; Schinkel, Kanzler oder Schriftführer?, der in diesem Beitrag dafür votiert, im γραµµατεύς einen Funktionär der Korporation der Silberschmiede zu sehen, das gewichtigste Argument dafür aus dem Text selbst ist der Vers Apg 19,40 (καὶ γὰρ κινδυνεύοµεν [1. Pers. Pl.!]), doch läßt sich der auch anders verstehen (s. S. 147). 19 Vgl. Roloff, Konflikte, S. 116–124, der S. 120–124 die Paulus betreffenden Konflikte bespricht. 20 Vgl. zu dieser sehr aufschlußreichen Konfliktbeschreibung Roloff, Konflikte, S. 122–124, der darin den »extremsten Fall solcher theologisch durch die starke Gewichtung des Einmütigkeitsprinzips motivierter bewußter Konfliktreduktion« erkennt (S. 122). 21 Einen apologetischen Zweck in anderer Richtung unterstellt Heininger dem lukanischen Paulusbild, läßt sich dabei aber vorrangig von den apokryphen Apostelakten und der vermeintlichen Parallele des Apollonios von Tyana leiten: Heininger, Paulusbild, S. 418f. 22 Es besteht eine gewisse Verwandtschaft zwischen meiner Deutung und der von Adrian Hummel, was die Nähe und Ferne zu unterschiedlichen Protagonisten antiker Literatur betrifft. Siehe v.a. seine fazitartigen Formulierungen: »Insofern gleicht Paulus als tätig Rettender tatsächlich den gottähnlichen Menschen der antiken Biographie, als Gotteswort-Getriebener tatsächlich den leidenden Aktanten des antiken Romanes und als wirkmächtig Sprechender tatsächlich den politischen Helden der Historiographie. Ganz im Sinne hellenistischer Literaturtheorie und ihres ›Concordiadicors‹-Konzeptes verkörpert er neben besagter Anknüpfung an übliche Traditionen eben gleichzeitig deren innovative Transformation« (Hummel, Factum et fictum, S. 51f.). Trotzdem, wie eben deutlich geworden sein dürfte, unterscheide ich mich in der genauen Bestimmung der lukanischen Absichten in dessen Paulus-Darstellung doch erheblich von den m.E. zum Teil nicht immer glücklichen Darlegungen Hummels, was nicht nur die Beurteilung der sog. »Wir«-Stücke betrifft (s. dazu oben, S. 303).
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In der Tat nämlich ist nun dieses letzte Drittel der Apostelgeschichte, das maßgeblich den Prozeß des Paulus zum Inhalt hat, von einem ganz anderen bewegenden Moment bestimmt; denn von Apg 19,21 her ist der Weg des Paulus nach Rom das bestimmende Moment, aber das in ganz besonderer Weise: Paulus muß nach Rom, wie er in Ephesos selbst sagt: δεῖ µε καὶ ῾Ρώµην ἰδεῖν.23 Seinen entscheidenden Ausdruck erhält die Notwendigkeit, daß Paulus nach Rom muß, jedoch in 23,11, wo Paulus nach der Verhandlung vor dem Synhedrion in der Nacht eine Christusvision erfährt, die die Notwendigkeit und den Sinn des Wegs nach Rom aufs deutlichste klarstellt: θάρσει, ὡς γὰρ διεµαρτύρω τὰ περὶ ἐµοῦ εἰς ᾽Ιερουσαλὴµ οὕτω σε δεῖ καὶ εἰς ῾Ρώµην µαρτυρῆσαι. Der Zeugendienst ist also das Entscheidende: Wenn die Notwendigkeit der Reise nach Rom um des Zeugendienstes willen in unserem Abschnitt in 27,24 dann noch einmal aufgenommen wird, so macht dies m.E. deutlich, daß auch die Seereiseerzählung einen wichtigen Beitrag zur Durchsetzung und Erfüllung des göttlichen δεῖ leistet.24 Die ausführlich dargestellten Schwierigkeiten des Paulus in Jerusalem sind, so könnte man sagen, Retardierung und Mittel der Durchsetzung der göttlichen Providenz zugleich, weil Paulus ja einerseits festgehalten wird, und ihm die Verurteilung droht,25 er aber andererseits durch Berufung auf den Kaiser (Apg 25,10f.) gerade das Vehikel aus der Not findet. Hat Paulus also in Jerusalem unter Menschen zu leiden, besonders den Juden, so fügt unser Abschnitt in komplementärer Weise noch das Leiden unter den natürlichen Elementen an. Durch beide Gefährdungen hindurch bewährt sich die Providenz Gottes, und zwar so oder so, sei es auch, daß die Fahrt nach Rom in Gefangenschaft angetreten wird, sei es auch, daß nur die letztendliche Bewahrung der Schiffbrüchigen gewährleistet wird. Es ist damit unserem Abschnitt ein wesentlicher Beitrag zur in der lukanischen Darstellung beabsichtigten Bewährung der göttlichen Providenz durch alle Schwierigkeiten hindurch zuzusprechen. Dabei steht ganz und gar – wie in 23,11 ausdrücklich festgestellt – die Funktion des Paulus als Zeuge im Vordergrund. Freilich kann es dabei nicht ausbleiben, daß auch diese Person in der Bewährung des δεῖ in ein besonderes, eben diese Person auch profilierendes Licht gerückt wird, weswegen Paulus in einigen Zügen in die Nähe der θεῖοι ἄνδρες gerückt zu sein scheint, und weswegen man ihn 23 Vgl. zu diesen in Ephesos von Paulus gefaßten Reiseplänen Fieger, Im Schatten der Artemis, S. 123f. 24 Zum sog. göttlichen δεῖ in der Apostelgeschichte vgl.: Cosgrove, The Divine δεῖ; Burfeind, Paulus muß nach Rom; Plümacher, Cicero und Lukas, S. 136–140.158f. Vgl. weiterhin die Bemerkungen oben (S. 303f.). 25 Von anderen Bedrohungen ganz zu schweigen, die die lukanische Darstellung der eigentlichen Gefangenschaft noch hinzufügt, wobei etwa insbesondere auf den geplanten Anschlag auf Paulus zu verweisen wäre: Apg 23,12ff.
Schluß
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weiterhin vielleicht aufgrund der Darstellung in Apg 27f. als homo honestus qualifizieren kann, wie etwa Michael Labahn will.26 Doch es bleibt dabei: Paulus nimmt seine Funktion wahr und folgt lediglich der Durchsetzung des δεῖ; er fungiert letztlich als Identifikationsfigur an einem Wendepunkt der Heilsgeschichte.27 Er ist die Identifikationsfigur, die in ihrem über alle Hindernisse hinweg erfüllten Zeugendienst eine ihrer Wurzeln und ihrer Zukunft möglicherweise unsicher gewordene Gemeinde ihrer Legimität versichert. Diese Gemeinde ist die, aus der Lukas kommt, in der er lebt und für die er schreibt, eine Gemeinde, die wesentlich heidenchristlich bestimmt ist und sich nun nach der Lektüre des zweiten Buchs des Lukas überzeugt zeigen kann, daß sie – so, wie sie ist – aus Gottes Heilsplan hervorgegangen ist: Die Wende zur heidenchristlichen Gemeinde ist göttlich legitimiert, wie der fulminante Schluß des Werks einschärft (Apg 28,28).28 Zu dieser Legitimation steuert also die Seereiseerzählung ihren keineswegs unwesentlichen Teil bei.
Schluß Die Ergebnisse der vorliegenden Studie lassen sich also in drei Punkten zusammenfassen: 1. Lukas verwendet in seinem zweiten Buch Elemente geläufiger Seefahrtsmotivik, und das in einer Weise, die der Verwendung in den populären Romanen nicht ganz unähnlich ist. Er schafft sich damit eine Hintergrundfolie, vor der er seinen Paulus in Szene setzen kann. Mit der als Hintergrundfolie bezeichneten Erzählung bedient er durchaus auch den Geschmack seiner Leser. 2. Die Inszenierung und Darstellung des Paulus in der Seereiseerzählung hat nicht unerhebliche Bedeutung für das Paulusbild der Apostelgeschichte insgesamt. Gerade hier wird nämlich ein maßgeblicher Beitrag geleistet zur Profilierung des Paulus, der letztlich als Verkörperung göttlicher Legitimation und Identifikationsfigur für die heidenchristliche Gemeinde des Lukas zu verstehen ist. 26 Labahn, Paulus. Vgl. dazu auch Bondi, Become as I am, der auf den Paulus der Apostelgeschichte das Schema von »honor and shame« angewendet wissen will und sich dazu auch auf einige Stellen aus Apg 27f. beruft. 27 Vgl. hierzu Roloff, Paulus-Darstellung, S. 520.527f. 28 Die Interpretation dieser Bewegung als bloße »Verschiebung des Blickwinkels von der jüdischen Adressatenschaft hin zur heidnischen« bei Köhler, Allen bin ich alles geworden, S. 231f. (Zitat S. 232), ist meiner Ansicht nach eine deutliche Unterinterpretation: Das ist in den Augen des Lukas mehr, nämlich in der Tat eine heilsgeschichtliche Wende!
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Ergebnisse
3. Überdies wurde (gleichsam als Nebenprodukt) eine neue Hypothese zur Erklärung der rätselhaften »Wir«-Stücke der Apostelgeschichte vorgeschlagen: Es handelt sich dabei um eine Hypothese, die verschiedene Motive der Verwendung der 1. Pers. Pl. miteinander verbindet, um so deren abruptes Auftreten möglichst verständlich zu machen. Kernstück der Hypothese ist – was Apg 27f. betrifft – die Annahme einer zusätzlichen Quelle, nämlich eines Rechenschaftsberichts von Gliedern der Gemeinde von Caesarea maritima, die Paulus auf seiner Reise begleitet und (wohl im Auftrag der Gemeinde) versorgt haben (s.o.). Es mag mir erlaubt sein, abschließend auf meinen Ausgangspunkt zurückzukommen und die Aussage hierher zu stellen, mit der Richard I. Pervo sein Werk Profit with Delight abschließt: »As a historian he [sc. Lukas] leaves much to be desired. What he did have were vision and the means to express it. Without vision the people will perish.«29 Die Vision, von der hier die Rede ist, ist freilich der Gegenstand der Arbeit des Lukas überhaupt, nämlich nichts anderes als die heidenchristliche Gemeinde Jesu Christi, die – wie ihre paradigmatische Identifikationsfigur Paulus – ihren Zeugendienst leistet ἕως ἐσχάτου τῆς γῆς (Apg 1,8): Das ist für Lukas göttlich legitimierte Realität und eben auch immer wieder neuer Auftrag – dem dient Lukas mit seinem Werk, auch unter Aufnahme eher unterhaltender Elemente populärer Literatur.
29
Pervo, Profit, S. 138.
Abkürzungen und Zitationsweise Die antiken Schriftsteller und deren Werke werden im Text und in den Anmerkungen nach folgenden Listen abgekürzt: Henry George Liddell/Robert Scott/Henry Stuart Jones/Roderick McKenzie, A Greek-English Lexicon. With a Revised Supplement 1996, Oxford 1996, S. xvi–xxxviii/Supp. S. x–xx; G.W.H. Lampe, A Patristic Greek Lexicon, Oxford 16 2001, S. ix–xliii; sowie P.G.W. Glare, Oxford Latin Dictionary, Oxford 2 1996, S. ix–xx. In die Literaturliste haben nur diejenigen Titel Aufnahme gefunden, auf die im Text oder in den Anmerkungen auch tatsächlich verwiesen wird; zuweilen sind noch die Angaben einer Originalausgabe bzw. einer auch verfügbaren deutschen Ausgabe hinzugefügt, wobei kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird. Weiterhin sind noch die einschlägigen Hilfsmittel sowie die herangezogenen Ausgaben antiker Texte aufgeführt; die Autoren bzw. die abgekürzte Bezeichnung der Corpora stehen dabei den Titelangaben voran. Die Titel erscheinen in den Anmerkungen bis auf wenige Ausnahmen im Kurztitel oder von Anfang an in einer besonderen Abkürzung (insbesondere Textausgaben und -sammlungen sowie Hilfsmittel), die in der Literaturliste den jeweiligen Titeln in eckigen Klammern voransteht; bei Textsammlungen und Hilfsmitteln, denen keine eigene Abkürzung zugewiesen ist, wird auch zumeist entsprechend auf das Vollzitat verzichtet, sie erscheinen also ebenfalls fast immer gleich in Kurzzitation wie die Sekundärliteratur. Die in der folgenden Literaturliste verwendeten Abkürzungen richten sich nach dem gebräuchlichen Verzeichnis: Theologische Realenzyklopädie. Abkürzungsverzeichnis, zusammengestellt von Siegfried Schwertner, Berlin/New York 2 1994 (vgl. auch die separate Publikation des Verzeichnisses als: Siegfried M. Schwertner, IATG2 – Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete. Zeitschriften, Serien, Lexika, Quellenwerke mit bibliographischen Angaben, Berlin/New York 2 1992); ergänzend wurde herangezogen: Abkürzungen Theologie und Religionswissenschaften nach RGG4 , hrsg. von der Redaktion der RGG4 , UTB 2868, Tübingen 2007. Darüber hinaus bzw. abweichend werden folgende Abkürzungen benutzt: Ad fontes AÉ AiD.S AmNep AN.S ArBib Archae. BAColl
Ad fontes. Quellen europäischer Kultur L’année épigraphique (anfänglich in bzw. jährliches Supplement zu: Revue archéologique) Archäologie in Deutschland. Sonderheft American Neptune Ancient narrative. Supplementum The Aramaic Bible Archaeologica Bochumer Altertumswissenschaftliches Colloquium
456 BArBib BÉ BIAAM BrAR bs BSIH BSJS CCERG [NS] CCSt CCTC CGLC ClM ClGr CopIS CPan DDD DKlA EdA EDCS EDH ÉtB EUMA For. GGS HerBS HumSt IntFa IntStFChJ JCath JECM JTrT KRLM LebAnt LNTS OrbTer OrbAnt OxMon
Abkürzungen und Zitationsweise Beck’s Archäologische Bibliothek Bulletin épigraphique (Supplement zu bzw. in: Revue des études grecques) The British Institute of Archaeology at Ankara. Monograph British Archaeological Reports. International Series Bibliothek Suhrkamp Brill’s Studies in Intellectual History Brill’s Series in Jewish Studies Collection du Centre d’Études Romaines et Gallo-Romaines. Nouvelle série Cambridge Classical Studies Cambridge Classical Texts and Commentaries Cambridge Greek and Latin Classics Classica Monacensia. Münchner Studien zur klassischen Philologie Classici Greci Copenhagen International Seminar Clavis Pansophiae Dictionary of Deities and Demons in the Bible Denkmäler des klassischen Altertums zur Erläuterung des Lebens der Griechen und Römer in Religion, Kunst und Sitte Das Erbe der Alten Epigraphik-Datenbank Clauss-Slaby (siehe http://www.manfredclauss.de/) Epigraphische Datenbank Heidelberg (siehe http://www.epigraphische-datenbank-heidelberg.de/)1 Études bibliques (Collection des études bibliques) Encyclopaedia of Underwater and Maritime Archaeology Forum. A Journal of Foundations & Facets of Western Culture Geschichte der griechischen Sagenbilder Herders biblische Studien University of Kansas Publications: Humanistic Studies Alexander-von-Humboldt-Stiftung: Internationale Fachgespräche International Studies in Formative Christianity and Judaism The Jerusalem Cathedra The Joint Expedition to Caesarea Maritima. Excavation Reports Journal of Translation and Textlinguistics Kataloge des Rheinischen Landesmuseums Bonn Lebendige Antike Library of New Testament Studies Orbis terrarum. Zeitschrift für die Geographie der Alten Welt Orbis antiquus Oxbow Monograph
Abkürzungen und Zitationsweise PBAd PoRT PRSt.SSS PzT QFAW QSGKAM.B Readings RECAM ResBSt RhSt RNTS RThS SacPag StAEIP SaTusc SBL.SS SCL SDSM SGLAL SprG StArch StKlPh SyllClass TCH ThFG ThGes TextprSt TuscBü TuscSt WJA WStA
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1 Die hier zugänglichen Inschriften sind unter Angabe des verantwortlichen Bearbeiters, des Jahres der letzten Bearbeitung und der Nummer („HD-Nummer“) zitiert.
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Texte, Übersetzungen und Textsammlungen
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[Petron] Carl Hoffmann (Hrsg.), Petronius: Satiricon. Lateinisch und deutsch, TuscBü, München 1948. [–] Konrad Müller (Hrsg.), Petronii Arbitri Satyricon reliquiae, BiTeu, Stuttgart 4 1995. [–] Konrad Müller/Wilhelm Ehlers (Hrsg.), Petronius: Satyrica – Schelmenszenen. Lateinisch-deutsch, SaTusc, Düsseldorf u.a. 5 2004. [–] Patrick G. Walsh, Petronius: The Satyricon. Translated with Introduction and Explanatory Notes, Oxford 1996. [PG 6] Jacques-Paul Migne (Hrsg.), Τοῦ ἐν ἁγίοις πατρὸς ἡµῶν ᾽Ιουστίνου φιλοσόφου καὶ µάρτυρος τὰ εὑρισκόµενα πάντα – S.P.N. Justini philosophi et martyris opera quæ exstant omnia, necnon Tatiani, Hermiæ, Athenagoræ et S. Theophili quæ supersunt, PG 6, Paris 1857. [PG 13] Jacques-Paul Migne (Hrsg.), ᾽Οριγένους τὰ εὑρισκόµενα πάντα – Origenis opera omnia. Tom. III, PG 13, Paris 1862 [Ndr. Turnhout 1960]. [PG 47] Jacques-Paul Migne (Hrsg.), Τοῦ ἐν ἁγίοις πατρὸς ἡµῶν ᾽Ιωάννου ἀρχιεπισκόπου Κωνσταντινουπόλεως τοῦ Χρυσοστόµου τὰ εὑρισκόµενα πάντα – S.P.N. Joannis Chrysostomi archiepiskopi Constantinopolitani opera omnia quæ exstant vel quæ eius nomine circumferuntur. Tom. I 1, PG 47, Paris 1863. [PG 66] Jacques-Paul Migne (Hrsg.), Συνεσίου τὰ εὑρισκόµενα πάντα – Synesii episcopi Cyrenes opera quæ exstant omnia, accedunt Theodori Mopsuesteni episcopi, S. Arsenii eremitæ scripta vel scriptorum fragmenta quæ supersunt, PG 66, Paris 1864. [PG 83] Jacques-Paul Migne (Hrsg.), Θεοδωρέτου ἐπισκόπου Κύρου ἅπαντα – Theodoreti Cyrensis episcopi opera omnia. Tom. IV, PG 83, Paris 1864. [PG 103] Jacques-Paul Migne (Hrsg.), Φωτίου πατριάρχου Κωνσταντινουπόλεως τὰ εὑρισκόµενα πάντα – Photii Constantinopolitani patriarchæ opera omnia. Tom. III, PG 103, Paris 1860 [Ndr. Turnhout o.J. (ca. 1960)]. [P.Grenf. II] Bernard P. Grenfell/Arthur S. Hunt, New Classical Fragments and Other Greek and Latin Papyri, Oxford 1897 [Ndr. Mailand 1972]. [Ph. II] Peter Pilhofer, Philippi. Band II: Katalog der Inschriften von Philippi, WUNT 119, Tübingen 2000. [Ph. II2 ] Peter Pilhofer, Philippi. Band II: Katalog der Inschriften von Philippi, WUNT 119, Tübingen 2 2009. [Philostrat (Flavius Philostratus)] F.C. Conybeare (Hrsg.), Philostratus: The Life of Apollonius of Tyana, the Epistles of Apollonius, and the Treatise of Eusebius. Vol. I/II, LCL 16/17, Cambridge [Mass.]/London 1989. [–] Friedrich Jakobs, Flavius Philostratus, des Aeltern, Werke. I. Abtheilung: Heldengeschichten. Leben des Apollonios von Tyana, Stuttgart 1832. [–] C.L. Kayser (Hrsg.), Flavii Philostrati opera. Vol. I/II, Leipzig 1870/1871 [Ndr. Hildesheim/Zürich/New York 1985]. [–] Vroni Mumprecht (Hrsg.), Philostratos: Das Leben des Apollonios von Tyana. Griechisch-Deutsch, SaTusc, München/Zürich 1983. [Photios von Konstantinopel] René Henry(/Jacques Schamp), Photius. Bibliothèque. Texte établi et traduit. Tom. I («Codices 1–83»)/Tom. II («Codices 84–185»)/Tom. III («Codices 186–222»)/Tom. IV («Codices 223–229»)/Tom. V («Codices 230–241»)/
470
Literatur
Tom. VI («Codices 242–245»)/Tom. VII («Codices 246–256»)/Tom. VIII («Codices 257–280»)/Tom. IX (Index), CBy, Paris 1959/1960/1962/1965/1967/1971/1974/1977 [Ndr. 1991]/1991. [Physiologos] Francesco Sbordone, Physiologus, Mailand/Genua u.a. 1936 [Ndr. Hildesheim 1991]. [PL 23] Jacques-Paul Migne (Hrsg.), Sancti Eusebii Hieronymi Stridonensis presbyteri opera omnia. Tom. II, PL 23, Paris 1883. [Platon] John Burnet (Hrsg.), Platonis opera. Tom. IV tetralogiam VIII continens/Tom. V tetralogiam IX, definitiones et spuria continens, SCBO, Oxford 1902 [Ndr. 1962]/ 1907 [Ndr. 1967]. [–] E.A. Duke/W.F. Hicken/W.S.M. Nicoll u.a. (Hrsg.), Platonis opera. Tom. I tetralogias I–II continens, insunt Euthyphro, apologia, Crito, Phaedo, Cratylus, Theaetetus, sophista, politicus, SCBO, Oxford 1995. [Plinius d.Ä.] Karl Mayhoff (Hrsg.), C. Plini Secundi Naturalis historiae libri XXXVII. Vol. I: Libri I–VI, BiTeu, Leipzig 1906. [–] Harris Rackham (Hrsg.), Pliny: Natural History in Ten Volumes. Vol. II: Libri III– VII, LCL 352, London/Cambridge [Mass.] 1942 [Ndr. 1947]. [–] Gerhard Winkler (Hsrg.), C. Plinius Secundus d. Ä.: Naturkunde. Lateinisch– Deutsch. Bücher III/IV – Geographie: Europa, in Zusammenarbeit mit Roderich König, SaTusc, München/Zürich 1988. [Plutarch] Frank Cole Babbitt (Hrsg.), Plutarch’s Moralia in Fifteen Volumes. Vol. II: 86B–171F, LCL 222, London/Cambridge [Mass.] 1928 [Ndr. 1971]. [–] Harold North Fowler (Hrsg.), Plutarch’s Moralia in Fifteen Volumes. Vol. X: 771E– 854D, LCL 321, London/Cambridge [Mass.] 1936 [Ndr. 1969]. [–] Herwig Görgemanns (Hrsg.), Plutarch: Drei religionsphilosophische Schriften: Über den Aberglauben – Über die späte Strafe der Gottheit – Über Isis und Osiris. Griechisch-deutsch, unter Mitarbeit von Reinhard Feldmeier und Jan Assmann, SaTusc, Düsseldorf/Zürich 2003. [–] W.C. Helmbold (Hrsg.), Plutarch’s Moralia in Fifteen Volumes. Vol. VI: 439A–523B, LCL 337, London/Cambridge [Mass.] 1939 [Ndr. 1962]. [–] Curt Hubert (Hrsg.), Plutarchi Moralia. Vol. IV, 2 1971. [–] Curt Hubert (Hrsg.), Plutarchi Moralia. Vol. VI 1, BiTeu, Leipzig 1954. [–] Curt Hubert/Max Pohlenz (Hrsg.), Plutarchi Moralia. Vol. V 3, BiTeu, Leipzig 1955. [–] Curt Hubert/Max Pohlenz/Hans Drexler (Hrsg.), Plutarchi Moralia. Vol. V 1, BiTeu, Leipzig 2 1960. [–] Claes Lindskog/Konrat Ziegler (Hrsg.), Plutarchi Vitae parallelae. Vol. II 1, BiTeu, Leipzig 1964. [–] Claes Lindskog/Konrat Ziegler (Hrsg.), Plutarchi Vitae parallelae. Vol. II 2, BiTeu, Leipzig 1968. [–] Claes Lindskog/Konrat Ziegler (Hrsg.), Plutarchi Vitae parallelae. Vol. IV 1: Galba et Otho, BiTeu, Leipzig 1935. [–] W. Nachstädt/Wilhelm Sieveking/J.B. Titchener (Hrsg.), Plutarchi Moralia. Vol. II, BiTeu, Leipzig 1935.
Texte, Übersetzungen und Textsammlungen
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[–] William Roger Paton/I. Wegehaupt/Max Pohlenz (Hrsg.), Plutarchi Moralia. Vol. I, BiTeu, Leipzig 1925. [–] William Roger Paton/Max Pohlenz/Wilhelm Sieveking (Hrsg.), Plutarchi Moralia. Vol. III, BiTeu, Leipzig 1929. [–] Max Pohlenz/R. Westman (Hrsg.), Plutarchi Moralia. Vol. VI 2, BiTeu, Leipzig 2 1959. [–] Kurt Ziegler/Max Pohlenz (Hrsg.), Plutarchi Moralia. Vol. VI 3, BiTeu, Leipzig 2 1959. [Polybios] Theodor Büttner-Wobst (Hrsg.), Polybii Historiae. Vol. I: Libri I–III/Vol. II: Libri IV–VIII/Vol. III: Libri IX–XIX/IV: Libri XX–XXXIX. Fragmenta, BiTeu, Leipzig 1905/1889/1893/1904 [Ndr. 1962–1967]. [–] Johann Friedrich Lucht (Hrsg.), Polybii et Appiani Historiarum excerpta Vaticana ex collectaneis Constantini Porphyrogeniti inventa atque edita ab Angelo Majo. Accedunt A. Maji annotationes, Altona 1830. [Pomponius Mela] Kai Brodersen (Hrsg.), Pomponius Mela: Kreuzfahrt durch die Alte Welt. Zweisprachige Ausgabe, Darmstadt 1994. [–] Karl Frick (Hrsg.), Pomponii Melae De chorographia libri tres, BiTeu, Leipzig 1880. [–] Piergiorgio Parroni (Hrsg.), Pomponii Melae De chorographia libri tres. Introduzione, edizione critica e commento, SeL 160, Rom 1984. [P.Oxy. XI] Bernard P. Grenfell/Arthur S. Hunt, The Oxyrhynchus Papyri. Part XI. Edited with Translations and Notes, London 1915. [P.Oxy. LVI] M.G. Sirivianou, The Oxyrhynchus Papyri. Volume LVI. Edited with Translations and Notes, mit Beiträgen von H.-C. Günther/P.J. Parsons u.a., PEES. GR 76, London 1989. [Pseudoklementinen, Homilien (Hom.Clem.)] H.U. Meyboom, De Clemens-Roman. Eerste deel: Synoptische vertaling van den tekst, Groningen 1902. [–] Bernhard Rehm/Georg Strecker (Hrsg.), Die Pseudoklementinen. I. Homilien, GCS 42.1, Berlin 3 1992. [(Klaudios) Ptolemaios] Karl Friedrich August Nobbe (Hrsg.), Claudii Ptolemaei Geographia. Tom. I–II/Tom. III insunt indices et tabula, BiTeu, Leipzig 1843–1845 [Ndr. Hildesheim 1990]. Udo Schnelle (Hrsg.), Neuer Wettstein. Texte zum Neuen Testament aus Griechentum und Hellenismus. I/1.1: Texte zum Markusevangelium, unter Mitarbeit von Manfred Lang und Michael Labahn, Berlin/New York 2008. Otto Seel, Antike Entdeckerfahrten. Zwei Reiseberichte. Übertragen und erläutert, LebAnt [8], Zürich/Stuttgart 1961. [Seneca] Alfred Gercke (Hrsg.), L. Annaei Senecae naturalium quaestionum libros VIII, BiTeu, Leipzig 1907. [–] Richard M. Gummere (Hrsg.), Seneca ad Lucilium Epistulae morales in Three Volumes. Vol. I/II, LCL 75/76, Cambridge [Mass.]/London 1917/1920 [Ndr. 1967]. [–] Paul Oltramare (Hrsg.), Sénèque, Questions naturelles. Texte établi et traduit. Tom. I: Livres I–III/Tom. II: IV–VII, Paris 1929. [–] Leighton D. Reynolds (Hrsg.), L. Annaei Senecae ad Lucilium Epistulae Morales. Tom. 1: Libri I–XIII/Tom. 2: Libri XIV–XX, SCBO, Oxford 1965 [Ndr. 1969/1966].
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Literatur
[SGUÄ I] Friedrich Preisigke (Hrsg.), Sammelbuch griechischer Urkunden aus Ägypten. Erster Band: Urkunden Nr. 1 bis 6000, Straßburg 1915 [Ndr. Berlin/New York 1974]. [Sifre Dtn] Hans Bietenhard, Der tannaitische Midrasch Sifre Deuteronomium. Übersetzt und erklärt, mit einem Beitrag von Henrik Ljungman, JudChr 8, Bern/Frankfurt a.M. u.a. 1984. [SIG 3 II] Wilhelm Dittenberger (Hrsg.), Sylloge inscriptionum Graecarum. Volumen secundum, Leipzig 3 1917 [Ndr. Hildesheim/Zürich/New York 1982]. [SIG 3 III] Wilhelm Dittenberger (Hrsg.), Sylloge inscriptionum Graecarum. Volumen tertium, Leipzig 3 1920 [Ndr. Hildesheim/Zürich/New York 1982]. William Kelly Simpson, The Literature of Ancient Egypt. An Anthology of Stories, Instructions, and Poetry, mit Übersetzungen von R.O. Faulkner/Edward F. Wente, Jr., New Haven/London 2 1973. [Sokrates] Günther Christian Hansen (Hrsg), Sokrates: Kirchengeschichte, mit Beiträgen von Manja Širinjan, GCS [NF] 1, Berlin 1995. [–] Pierre Maraval/Pierre Périchon (Hrsg.), Socrate de Constantinople: Histoire ecclésiastique. Livre I. Texte grec de l’édition G.C. Hansen (GCS), traduction, introduction et notes, SC 477, Paris 2004. [Sophokles] Hugh Lloyd-Jones/Nigel Guy Wilson (Hrsg.), Sophoclis Fabulae, SCBO, Oxford 1990. [Sozomenos] Joseph Bidez / Günther Christian Hansen (Hrsg.), Sozomenus: Kirchengeschichte, GCS 50, Berlin 1960. [–] Günther Christian Hansen (Hrsg.), Sozomenos: Historia ecclesiastica – Kirchengeschichte. 1. Teilband. Griechisch – Deutsch, FC 73.1, Turnhout 2004. [Stephanos von Byzanz] August Meineke (Hrsg.), Stephani Byzantii Ethnicorum quae supersunt, Berlin 1849. Susan A. Stephens/John J. Winkler, Ancient Greek Novels. The Fragments. Introduction, Text, Translation, and Commentary, Princeton 1995. [Stobaios] Curt Wachsmuth/Otto Hense (Hrsg.), Ioannis Stobaei Anthologium. Bd. I–II: Libri duo priores qui inscribi solent eclogae physicae et ethicae. Vol. I–II/Bd. III–V: Libri duo posteriores. Vol I–III, Berlin 1884/1884/1894/1909/1912 [Ndr. 1958]. [Strabon] Horace Leonard Jones (Hrsg.), The Geography of Strabo. Based in Part upon the Unfinished Version of John Robert Sitlington Sterret. Vol. I–VIII, LCL 49/50/182/ 196/211/223/241/267, Cambridge [Mass.]/London 1917–3 1949. [–] August Meineke (Hrsg.), Strabonis Geographica. Vol. I–III, Leipzig 1866–1877. [–] Stefan Radt (Hrsg.), Strabons Geographika. Mit Übersetzung und Kommentar herausgegeben. Bd. I: Prolegomena, Buch I–IV – Text und Übersetzung/Bd. II: Buch V– VIII – Text und Übersetzung/Bd. III: Buch IX–XIII – Text und Übersetzung/Bd. IV: Buch XIV–XVII – Text und Übersetzung/Bd. V: Abgekürzt zitierte Literatur, Buch I–IV – Kommentar/Bd. VI: Buch V–VIII – Kommentar/Bd. VII: Buch IX–XIII – Kommentar, Göttingen 2002–2008. [Sueton] Maximilian Ihm (Hrsg.), C. Suetoni Tranquilli De vita Caesarum libri VIII, BiTeu, Leipzig 1907. [–] John Carew Rolfe (Hrsg.), Suetonius in Two Volumes. Vol. I/II, LCL 31/38, Cambridge [Mass.]/London 1913/1914 [Ndr. 1960/1959].
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Texte, Übersetzungen und Textsammlungen
[Suidas] Ada Adler (Hrsg.), Suidae Lexicon. Pars III: Κ–Ο, Ω, Lexicographi Graeci I, Leipzig 1933. [Synesios von Kyrene] Augustine Fitzgerald, The Letters of Synesius of Cyrene. Translated into English with Introduction and Notes, London 1926. [–] Antonio Garzya, Opere di Sinesio di Cirene: Epistole, operette, inni, ClGr, Turin 1989. [–] Antonio Garzya (Hrsg.), Synesii Cyrenensis epistolae, SGLAL, Rom 1979. [Tacitus] Joseph Borst (Hrsg.), Tacitus: Historien. Lateinisch-deutsch, unter Mitarbeit von Helmut Hross, TuscBü, München 1959. [–] Heinz Heubner (Hrsg.), P. Cornelii Taciti libri qui supersunt. Tom. II 1: Historiarum libri, BiTeu, Stuttgart 1978. [Talmud Babli, Baba Qamma] Lazarus Goldschmidt, – תלמוד בבליDer babylonische Talmud nach der ersten zensurfreien Ausgabe unter Berücksichtigung der neueren Ausgaben und handschriftlichen Materials neu übertragen. Band VII: Baba Qamma/Baba Meçia, Berlin 1933. [–] E.W. Kirzner, The Babylonian Talmud. Seder Nezik.in I: Baba K.amma. Translated into English with Notes, Glossary and Indices, mit einem Vorwort von J.H. Hertz, London 1935. [Talmud Babli, Berakhot] Lazarus Goldschmidt, – תלמוד בבליDer babylonische Talmud nach der ersten zensurfreien Ausgabe unter Berücksichtigung der neueren Ausgaben und handschriftlichen Materials neu übertragen. Band I: Berakhoth/Mišna Zeraım/Šabbath, Berlin 1929/1930. [–] Maurice Simon, The Babylonian Talmud. Seder Zera im I: Berakoth. Translated into English with Notes, Glossary and Indices, London 1948. [Talmud Babli, Sanhedrin] Lazarus Goldschmidt, – תלמוד בבליDer babylonische Talmud nach der ersten zensurfreien Ausgabe unter Berücksichtigung der neueren Ausgaben und handschriftlichen Materials neu übertragen. Band VIII: Baba Bathra/Synhedrin (1. Hälfte), Berlin 1933. [–] Jacob Shachter/H. Freedman, The Babylonian Talmud. Seder Nezik.in V: Sanhedrin. Translated into English with Notes, Glossary and Indices. Vol. I, London 1935. [Talmud Babli, Schabbat] Isidore Epstein, The Babylonian Talmud. Seder Mo ed I/II: Shabbath. Translated into English with Notes, Glossary and Indices. Vol. I/II, London 1938. [–] Goldschmidt, תלמוד בבלי. Band I (s. Berakhoth). [Talmud Yerushalmi, Berakhot] Charles Horowitz (Hrsg.), Der Jerusalemer Talmud in deutscher Übersetzung. Band I: Berakhoth, Tübingen 1975. [Talmud Yerushalmi, Sanhedrin] Gerd A. Wevers (Hrsg.), Übersetzung des Talmud Yerushalmi. Band IV 4: Sanhedrin – Gerichtshof, Tübingen 1981. [TestXII] Jürgen Becker, Die Testamente der zwölf Patriarchen, JSHRZ III 1 (1974/2 1980) [s. dort], S. 15–163. [–] Marinus de Jonge (Hrsg.), The Testaments of the Twelve Patriarchs. A Critical Edition of the Greek Text, in Cooperation with Harm W. Hollander/H.J. de Jonge/Th. Korteweg, PVTG I 2, Leiden 1978. O
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474
Literatur
[Theodoret von Kyros (Kyrrhos)] Yvan Azéma (Hrsg.), Théodoret de Cyr. Correspondance II (Epist. Sirm. 1–95). Texte critique, traduction et notes, SC 98, Paris 1964. [Theokrit] Andrew Sydenham Farrar Gow (Hrsg.), Theocritus. Vol. 1, Cambridge 1950/ 2 1952 [Ndr. 1965]. [Thukydides] Henry Stuart Jones/John Enoch Powell (Hrsg.), Thucydidis Historiae. Tom. I2 –II, SCBO, Oxford 2 1942/1902. [–] Georg Peter Landmann (Hrsg.), Thukydides: Geschichte des Peloponnesischen Krieges. 1. Teil: Buch I–IV/2. Teil: Buch V–VIII. Griechisch-deutsch, SaTusc, München/ Zürich 1993. [Tosefta] Eduard Lohse/Günter Mayer, Die Tosefta. Übersetzung und Erklärung. Seder I: Zeraim. 1.1: Berakot – Pea, RT (1. Reihe) I 1.1, Stuttgart/Berlin/Köln 1999. [TrGF II] Richard Kannicht/Bruno Snell (Hrsg.), Tragicorum Graecorum fragmenta (TrGF). Vol. 2: Fragmenta adespota, testimonia volumini 1 addenda, indices ad volumina 1 et 2, Göttingen 1981. [Valerius Flaccus] Paul Dräger, Argonautica/Die Sendung der Argonauten. Lateinisch/ Deutsch, Herausgegeben, übersetzt und kommentiert, StKlPh 140, Frankfurt a.M./ Berlin u.a. 2003. [–] Widu-Wolfgang Ehlers (Hrsg.), Gai Valeri Flacci Setini Balbi Argonauticon libri octo, BiTeu, Stuttgart 1980. [P. Vegetius Renatus] Ernst Lommatzsch (Hrsg.), P. Vegeti Renati Digestorum artis mulomedicinae libri, accedit Gargili Martialis de curis boum fragmentum, BiTeu, Leipzig 1903. [Vergil] Luigi Castiglioni/Remigius Sabbadini (Hrsg.), P. Vergili Maronis Bucolica – Georgica, CSLP, Rom 2 1960. [–] Manfred Erren (Hrsg.), P. Vergilius Maro: Georgica. Herausgegeben, übersetzt und kommentiert. Band 1: Einleitung – Praefatio – Text und Übersetzung/Band 2: Kommentar, WKLGS, Heidelberg 1985/2003. [–] Johannes Götte (Hrsg.), Vergil: Aeneis. Lateinisch-Deutsch, in Zusammenarbeit mit Maria Götte, mit einem Nachwort von Bernhard Kytzler, SaTusc, München/Zürich 6 1983. [–] R.A.B. Mynors (Hrsg.), P. Vergili Maronis opera, SCBO, Oxford 1972. Richard Wagner (Hrsg.), Mythographi Graeci I: Apollodori bibliotheca. Pediasimi libellus de duodecim Herculis laboribus, Leipzig 1894. Johann Jacob Wettstein, ῾Η Καινὴ Διαθήκη – Novum Testamentum Graecum editionibus receptae cum lectionibus variantibus codicum mss., editionum aliarum, versionum et patrum nec non commentario pleniore ex scriptoribus veteribus Hebraeis, Graecis et Latinis historiam et vim verborum illustrante. Tom. I continens quattuor Evangelia/Tom. II continens epistolas Pauli, Acta apostolorum, epistolas canonicas et Apocalypsin, Amsterdam 1751/1752. Ulrich Wilcken, Grundzüge und Chrestomathie der Papyruskunde. Erster Band: Historischer Teil. Zweite Hälfte: Chrestomathie, Leipzig/Berlin 1912. August Wünsche, Aus Israels Lehrhallen: Kleine Midraschim zur späteren legendarischen Literatur des Alten Testaments. Bdd. I–V, Leipzig 1907–1910.
Hilfsmittel
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[Xenophon von Athen] Carl Hude (Hrsg.), Xenophontis Historia Graeca, BiTeu, Stuttgart 1969. [–] Edgar C. Marchant (Hrsg.), Xenophontis opera omnia. Tom. 2: Commentarii, Oeconomicus, Convivium, Apologia Socratis, SCBO, Oxford 2 1921 [Ndr. 1971]. [Xenophon von Ephesos] Antonios Demosthenes Papanikolaou (Hrsg.), Xenophontis Ephesii Ephesiacorum libri V de amoribus Anthiae et Abrocomae, BiTeu, Leipzig 1973. Theodor Zahn, Acta Joannis, unter Benutzung von C. v. Tischendorf ’s Nachlass bearbeitet, Erlangen 1880. Erich Ziebarth, Aus der antiken Schule. Sammlung griechischer Texte auf Papyrus – Holztafeln – Ostraka. Ausgewählt und erklärt, KlT 65, Bonn 2 1913.
Hilfsmittel Kurt Aland (Hrsg.), Synopsis quattuor evangeliorum locis parallelis evangeliorum apocryphorum et patrum adhibitis, Stuttgart 15(4) 2005. – Vollständige Konkordanz zum griechischen Neuen Testament. Bdd. I–II, ANTT 4.1/ 2, Berlin 1978–1983. Kurt Aland/Barbara Aland, Der Text des Neuen Testaments. Einführung in die wissenschaftlichen Ausgaben sowie in Theorie und Praxis der modernen Textkritik, Stuttgart 2 1989. [Barrington Atlas] Richard J.A. Talbert (Hrsg.), Barrington Atlas of the Greek and Roman World, in Zusammenarbeit mit Roger S. Bagnall/John McK. Camp II u.a., Princeton/Oxford 2000. Walter Bauer, Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der übrigen urchristlichen Literatur, unter besonderer Mitwirkung von Viktor Reichmann hrsg. von Kurt Aland und Barbara Aland, Berlin/New York 6 1988. [BDR] Friedrich Blaß/Albert Debrunner, Grammatik des neutestamentlichen Griechisch, bearbeitet von Friedrich Rehkopf, Göttingen 14 1976. [B/R] Eduard Bornemann, Griechische Grammatik, unter Mitwirkung von Ernst Risch, Frankfurt a.M. 2 1978. [Capelle/Seiler] Carl Capelle/Ernst Eduard Seiler, Vollständiges Griechisch-Deutsches Wörterbuch über die Gedichte des Homeros und der Homeriden mit steter Rücksicht auf die Erläuterung des häuslichen, religiösen, politischen und kriegerischen Zustands des heroischen Zeitalters, nebst Erklärung der schwierigen Stellen und aller mythologischen und geographischen Eigennamen. Zum Schul- und Privat-Gebrauch, nach dem früheren Seiler’schen Homer-Wörterbuch neu bearbeitet, Leipzig 9 1889 [Ndr. Darmstadt 1968]. Hjalmar Frisk, Griechisches etymologisches Wörterbuch. Band I: Α–Κο (Lieferungen 1– 10, 1954–1960)/Band II: Κρ–Ω (Lieferungen 11–22, 1961–1970)/Band III: Nachträge, Wortregister, Corrigenda, Nachwort, Indogermanische Bibliothek: 2. Reihe – Wörterbücher, Heidelberg 1960/1970/1972 [Ndr. 1973/1973/1979]
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Literatur
Wilhelm Gemoll, Griechisch-deutsches Schul- und Handwörterbuch, durchgesehen und erweitert von Karl Vretska, mit einer Einführung in die Sprachgeschichte von Heinz Kronasser, München/Wien 9 1954 [Ndr. 1988]. Wilhelm Gesenius, Hebräisches und aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament, bearbeitet von Frants Buhl, Berlin/Göttingen/Heidelberg 17 1915 [Ndr. 1962]. – /Emil Kautzsch, Hebräische Grammatik, Leipzig 1962].
26
1896/28 1909 [Ndr. Hildesheim
[K/G] Raphael Kühner, Ausführliche Grammatik der griechischen Sprache. Erster Teil: Elementar- und Formenlehre. 2 Bdd., besorgt von Friedrich Blaß /Zweiter Teil: Satzlehre. 2 Bdd., besorgt von Bernhard Gerth, Hannover/Leipzig 3 1890/3 1892/3 1898/ 3 1904. G.W.H. Lampe, A Patristic Greek Lexicon, Oxford 14 2000. Gerhard Lisowsky, Konkordanz zum hebräischen Alten Testament nach dem von Paul Kahle in der Biblia Hebraica edidit Rudolf Kittel besorgten Masoretischen Text, unter verantwortlicher Mitwirkung von Leonhard Rost ausgearbeitet und geschrieben, Stuttgart 2 1958. [LSJ] Henry George Liddell/Robert Scott/Henry Stuart Jones/Roderick McKenzie, A GreekEnglish Lexicon. With a Revised Supplement 1996, Oxford 1996. Hermann Menge, Repetitorium der griechischen Syntax, im Zusammenwirken mit Ute Gebhardt besorgt von Andreas Thierfelder, Wolfenbüttel 9 1961 [Ndr. Darmstadt 1978]. [OLD] P.G.W. Glare, Oxford Latin Dictionary, Oxford 2 1996. [Pape] W. Pape, Griechisch-deutsches Handwörterbuch. 1. Bd.: Α–Κ/2. Bd.: Λ–Ω, bearbeitet von M. Sengebusch, Graz 1954 [= Braunschweig 6 1914]. [Passow] Franz Passow, Handwörterbuch der griechischen Sprache. Bdd. I 1–II 2, neu bearbeitet von V.C.F. Rost/Friedrich Palm/O. Kreussler/K. Keil/F. Peter und G.E. Benseler, Leipzig 5 1841–1857. [PIR 2 IV] Artur Stein/Leiva Petersen (Hrsg.), Prosopographia imperii Romani. Saec. I. II. III. Pars IV: G–I, Berlin 1952–1966. [Schw.] Eduard Schwyzer, Griechische Grammatik auf der Grundlage von Karl Brugmanns griechischer Grammatik. 1. Bd.: Allgemeiner Teil. Lautlehre. Wortbildung. Flexion/2. Bd.: Syntax und syntaktische Stilistik, vervollständigt und hrsg. von Albert Debrunner/3. Bd.: Register, von Demetrius J. Georgacas/4. Bd.: Stellenregister, hergestellt von Fritz Radt, hrsg. von Stefan Radt, HAW II 1.1–4, München 6 1990/ 5 1988/1980 [= 2 1960]/1971. [Seiler] Ernst Eduard Seiler, Vollständiges Griechisch-Deutsches Wörterbuch über die Gedichte des Homeros und der Homeriden mit steter Rücksicht auf die Erläuterung des häuslichen, religiösen, politischen und kriegerischen Zustands des heroischen Zeitalters, nebst Erklärung der schwierigen Stellen und aller mythologischen und geographischen Eigennamen. Zum Schul- und Privat-Gebrauch, neu bearbeitet von Carl Capelle, Leipzig 8 1878. Bruce K. Waltke/M. O’Connor, An Introduction to Biblical Hebrew Syntax, Winona Lake 1990.
Sekundärliteratur
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Indices Hier finden sich in üblicher Weise ein Stellen- sowie ein Orts- und Sachregister, weiterhin ein Register moderner Personen. Das Orts- und Sachregister führt ausgewählte und für den Gegenstand der Arbeit besonders wichtige Begriffe, Götternamen und weitere (bes. geographische) Eigennamen auf, ohne jedoch jedes Vorkommen des jeweiligen Begriffs/Namens zu verzeichnen. Das Register neuzeitlicher und moderner Personen dient v.a. – aber nicht nur – dazu, die Auseinandersetzung mit der Forschung des neunzehnten, zwanzigsten sowie des ja noch nicht übermäßig alten einundzwanzigsten Jahrhunderts zu dokumentieren – das allerdings auch ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Antike Autoren sind leicht über das Stellenregister zu finden.
Stellenregister Achilleus Tatios 70, 75, 88, 91, 97, 99f., 106f., 112, 124, 266, 297, 340, 389f., 445 I 1,2 107 2,1 107 3,1ff. 107 II 31ff. 107 31,5 100 31,5ff. 100 32,1f. 79, 100, 109, 174, 274 III 240 1–5 100, 107 1,1f. 143, 161, 273, 275, 374 1,1 29, 39, 49, 54, 74, 76, 81f., 87–89, 100f., 112, 123, 133, 142, 151, 161, 164, 169, 177, 359, 370, 381 1,2 100, 370 1,3–2,1 101 2,2–8 45, 81, 89, 102, 161, 266, 381
2,2 39, 54, 76, 81, 101, 123, 133, 151, 161, 172, 177f., 220, 230, 240, 266, 381 2,3 150f. 2,4 34, 45, 88, 101, 162, 241, 381 2,5 89, 101, 220, 266, 381 2,6 103 2,8 50, 101, 133, 150f., 162, 178, 266, 268 2,9 102, 161, 171, 192, 375 3,1 54, 88, 103, 162, 265, 362 3,1–4,2 57, 100, 124, 201, 230, 389 3,2 103 3,3 103, 389 3,4 103 3,5 103, 389 4,1 103 4,2 103 4,3 32, 39, 55, 104, 109, 133, 163, 172, 244, 273, 275, 387, 396 4,4f. 104 4,6 32f., 37, 55, 104f., 133, 163, 169, 244, 387, 400
516
Indices 5,1 37, 81, 96, 105, 116, 150, 230, 240, 400 5,4 79, 95, 105, 124, 181 9,2ff. 96, 99, 106, 276, 404 9,2f. 113
IV 100 1,1–18,1 96, 99, 106, 276, 404 V 15,1–17,1 106 16,1f. 106, 272 16,3–6 107 26,4–6 107 26,4f. 107 VIII 16,1–7 106 Acta Johannis (Prochoros) 7,6–9,12 240 7,9ff. 240 8,9f. 229, 234, 240 9,1 171, 178, 230, 240, 266 9,3–7 81, 96, 105, 150, 230, 240, 400 9,8–12 73, 164, 240 9,8 240 13,6ff. 240 13,9f. 240 48,4–50,5 241 50,9–12 241 50,11f. 34, 45, 88, 102, 162, 381 50,14 241 51,2 241 51,2–6 230, 234f., 241 51,3–5 356, 384, 391 Acta Petri cum Simone 238f. 5 36, 94, 123, 166, 238f., 384, 386, 391 AÉ 1936 43 406 1967 525 335 1977 171 377 Aelian de natura animalium
X 31 415f. Aelius Aristides 44f., 49, 446 Orationes XXVII 16 47 XLV 29 111 XLV 33f. 45 XLV 33 34, 88, 102, 162, 241, 381 XLVII–LII 35, 44–46, 446 XLVIII 5 46, 53 XLVIII 7 50 XLVIII 11 48f. XLVIII 12–14 46–53 XLVIII 12 29, 48–51, 102, 162, 178, 234, 268, 359 XLVIII 13 27, 49f., 52 XLVIII 14 49, 52 XLVIII 15 52 XLVIII 16 46f. XLVIII 30 49 XLVIII 56 47 XLVIII 60–62 46 XLVIII 61 46 XLVIII 64–68 46 XLVIII 65ff. 46 XLVIII 65–68 53–57 XLVIII 65 29, 46, 50, 54, 76, 89, 100f., 103, 123, 133, 151, 161, 177, 227, 234, 381 XLVIII 66 32, 39, 109, 133, 163, 172, 201, 273, 387 XLVIII 67 57 XLVIII 68 56f., 59, 112, 122, 360, 389 XLIX 20 47 L 1 49 L 31 58 L 32 56f. L 33–36 57–59 L 33 57–59, 112, 122, 360, 389 L 34 57 L 35 56 L 36f. 58 Aischylos 47, 416f. Choëphoren 183f. 47
517
Stellenregister 1049f. 417 Eumeniden 34–63 417 127 417 Perser 181–183 49 181 49 Sieben gegen Theben 795f. 47 Altes Testament Gen 39,7–18 97 49,13 188 Lev 18,5 268f. Dtn 28,68 188 Jos 7,14–18 194 Ri 5,17 188 16,15–31 390 1. Kön 1,52 390 9,26f. 188 9,27 188 10,11 188 10,22 188f. 14,45 LXX 390 18,36 198 22,49 188f. 22,50 188 2. Kön 14,11 LXX 390 1. Sam 14,38–42 194 14,45 390 3. Kön 1,52 LXX 390 2. Sam 14,11 390 2. Chr 8,18 188 9,21 188f. 20,36 188–190
20,37 188 Esr 302 Neh 302 Tob 302 1. Makk 268, 270 2,19–41 268 2,29–38 268f. 2,39–41 268–270 2,40 268 2,41 268 9,42–49 270 9,44 270 2. Makk 42, 269 5,21 42 6,11 269 8,24–29 269 8,26 269 9,8 42f. 15,1 269 15,1–5 269 Ps 22,5b LXX 390 23 390, 393 48,3 189 48,8 188f. 65,8 222 72,10 190 88,13 LXX 212 89,13 212 90,13 LXX 423 104,8 219 104,26 188 106 LXX 209–217 106,3 LXX 212 106,23 LXX 217 106,25f. LXX 220 106,26 LXX 45, 81, 89, 101 106,32 LXX 214 107 204, 209–217, 222f. 107,1 210–212, 214 107,1b 210 107,2f. 212f., 222 107,2 212 107,3 212f. 107,3b 213
518 107,4–22 210, 214 107,4–9 210 107,4f. 210 107,6 213 107,9 211, 214 107,10–16 210 107,10–12 210 107,11 215 107,13 211, 213 107,16 211, 214 107,17–22 210 107,17f. 210 107,17 215 107,19 211, 213 107,22 211, 214 107,22a 204 107,23b 227 107,23ff. 204 107,24 218–220 107,25 215f., 218, 220 107,25a 219 107,25b 219 107,26 45, 81, 89, 101, 218, 220, 381 107,26a 219f., 266 107,26b 219f. 107,27ff. 208 107,27 220 107,28 40, 78, 82, 90, 214, 221, 230, 387 107,28a 221 107,29 216, 218, 221 107,30 222 107,31f. 222 107,32 214 107,33–43 212, 216 107,34b 216 107,35 217 107,43 217 134,6 LXX 202 135,6 202 Hi 9,26 188 12,25b 221 PsSal
Indices 8,15 309 Spr 10,2b 409 30,18f. 216, 218 30,19 188 31,14 188 Sir 6,32–37 215 43,13–26 216, 218 Jes 2,16 188f. 19,14 207 23,1 188f., 191 23,2f. 218 23,14 188f. 24,20 221 28,8 207 33,21 188 43,5f. 213 43,14 188 49,12 213 60,9 188f. 62,12a 212 66,19 190 Jer 25,27 221 Ez 188 26,1–28,19 224 26,1 224 26,7a 227 26,21 224 27 224f. 27,1 224 27,2 225 27,8 224 27,9 188f. 27,12–25 224 27,25 188f. 27,26f. 224 27,26 225f. 27,26 LXX 225 27,27 224 27,28ff. 224 27,28–30 225 27,28–30 LXX 225
Stellenregister 27,28 LXX 226 27,29 188, 224 27,30 54, 227 27,34a 226 27,36 225 28,1 224 28,11 224 28,19 225 29–32 224 Dan 302 3,94 LXX 390 11,40 188 Jon 87, 183–188, 197f., 202, 206f., 375f., 419 1 87, 104, 187–206, 209, 221, 233, 389, 419 1,1–16 183, 187 1,1–3 188 1,2 188 1,3 188–190, 199, 217 1,3b 217 1,3b LXX 188 1,4f. 207, 233 1,4 188, 190, 207, 227, 240f., 381 1,4 LXX 190, 240 1,4a 208 1,4b 190 1,5f. 383 1,5 40, 78, 82, 90, 161, 188–191, 193, 199f., 206, 208, 217, 221, 230, 273, 375, 387 1,5 LXX 191, 200, 240, 375 1,5a 103, 171, 191, 233, 376 1,5a LXX 103, 191 1,5b 43, 189, 193, 199, 209, 233 1,6 193f., 226 1,7–12 420 1,7f. 207 1,7 197, 203 1,7 LXX 190 1,7b 197, 203 1,8a 197 1,9 198 1,9b 200 1,10 199, 206
519
1,10 LXX 200 1,10a 199, 208 1,10b 199 1,11a 222 1,11b 208 1,12 190, 192, 200, 203, 207, 209 1,12a 222 1,12b 203 1,13 87, 104, 163, 200, 207f., 273, 389 1,13a 202 1,13b 208 1,14 40, 78, 82, 90, 185, 202, 208, 221, 230, 387 1,14a 185, 203 1,14b 209 1,15 187, 190, 203, 207, 209 1,16 199, 204–206 1,16 LXX 200 1,16a 208 1,16b 204–206 2 167, 206 2,1–11 194 2,1 206 2,2–2,3a 206 2,3a–10 206 2,4 219 2,7 188, 217 2,7b 207 2,10b 207 2,11 207 3,1 207 Ammianus Marcellinus 284, 286f. XIV 9,1 286f. 11,5 286 XV 1,1 287 5,22 286f. XVI 10,21 286 XVIII 4,7ff. 286
520 XIX 1,1–8,12 286 XXIII 287 5,7 286f. XXVI 10,19 286 XXIX 1,24 286 2,4 286 Anaximander 20 Andokides 195 I 137 195 I 139 196 Anthologia Palatina VII 276,3–6 106 286,5f. 106 288,3 106 289 408 289,2 37, 81, 96, 105, 116, 150, 230, 240, 400 290 407 290,5f. 407 293 77, 94, 111, 123, 166, 174, 274 293,3ff. 39, 239 293,4 123 294,5f. 106 506,6ff 106 550 408 IX 269 408, 414 269,1f. 37, 81, 96, 105, 116, 150, 230, 240, 400 269,4 408, 414 269,5 408, 414 Antiphon 194, 420 V 21 201 V 24 401 V 82f. 195 V 83 195 Apollonios v. Rhodos I 236 93 367–370 366
Indices 369f. 366 918 93 II
1093–1121 15 1138 93 III 1072 93 IV 299 93 558–561 196 943–947 220, 266 1223–1304 15 1234ff. 368 Appian 30, 32–34, 40, 403, 446 Bellum civile II 57–59 40 V 88–90 32–34, 39, 55, 109, 133, 163, 172, 201, 244, 273, 387 V 88 33 V 89f. 30, 403 V 89 33, 37, 105, 169, 400 V 90 34, 45, 88, 102, 162, 241, 381 V 91 364 Apuleius 79, 120 Metamorphoses 75 II 14,2 33, 37, 105, 111, 125, 172, 175, 275 Aristoteles Metaphysica I 982b11ff. 251 I 982b12f. 251 I 982b18f. 251 de Ventis 973b11f. 429 Arrian 21, 26f., 29f., 34, 47, 403 Indica 21 20,1–42,8 21 Periplus Ponti Euxini 21, 26–31 3,2–4 27–29 3,2 29 3,3f. 50 3,3 29, 74, 76, 82, 87, 100, 112, 133, 142, 164, 169, 234, 359 3,4 29, 47
Stellenregister 4,1 29 4,2f. 427 4,2 29, 428 4,3–5,3 28 4,3 29 4,4 29 5,1 169 5,2 30, 34, 403 Athenagoras Legatio pro Christianis 26,2f. 177 AvH 51 63, 135 BÉ 1970 633 1996 616
335 185
Cassius Dio 40 XLI 46,2–4 40 Chariton 69f., 75, 77f., 91, 99 III 76 3,9–12 76 3,9 76 3,11f. 39, 76, 94, 111, 123, 166, 174, 239 3,10 29, 39, 49, 54, 74, 76, 81f., 87, 89, 100f., 112, 123, 133, 142, 151, 161, 164, 169, 177, 359, 381 3,17 77 3,18 29, 39, 49, 74, 77, 82, 87, 94, 100, 111f., 123, 133, 142, 164, 166, 169, 174, 239, 274, 359, 381 4,9 195 5,1 39, 64, 77, 84f., 110, 117, 257, 354f., 386 5,3–6 94 5,3 78 5,4–6 78 5,7f. 78 5,9 78, 82, 90, 208, 221, 387 6,1 78f., 100, 109, 174, 274 7,1–3 276, 404
521
7,3 79, 96, 106, 124 VII 355 Chrysostomos (Johannes) 401 adhortationes ad Theodorum lapsum II 5 81, 96, 105, 116, 150, 230, 240, 401, 403 Cicero 5 Epistulae ad Atticum I 19 5 I 20 5 II 1 5 Epistulae ad familiares V 12 5 de natura deorum III 89 194 CIG I 518 436 CIL III 1 3 137, 351, 394, 429 III, Suppl. II 12082 328f. 13483a 325 VIII, Suppl. IV 26652 437f. XIV 102 378 448 378 Clemens-Roman siehe Pseudo-Klementinen Codex Theodosianus V 3,1 252 Corpus Hermeticum Frg. XXV 7 50 Demosthenes 44 Diodor 155 II 55,6 22, 162 55–60 22, 155 IV 43,1f. 90 43,1 90
522
Indices
V
41–46 155 49,5f. 90 VI 1 155 6,1 90 XI 12,3 134 XIII 3,3 350 88,8 356 XIV 55,2 350 Diogenes 259 Diogenes Laërtios
FD III 4.3 286 331 FGH III C 2 688 F 45 159 688 T 11 153 688 T 13 153
7
Euhemeros 155 Euripides 47, 90 Hekabe 48 47 446 86 518 382 Helena 90 767 276 1209 47 1536 398 1662–1665 90 Iphigenie in Tauris 140 103f. 140 106–109 140 275–278 140 1043 140 1327ff. 140 Kyklops 312 382 Orest 341 86 Euseb v. Caesarea 60, 324 Historia ecclesiastica III 31,2 325 III 31,3 324f. III 31,5 325 III 39,9 325 V 24,2 325 V 24,4 325 contra Hieroclem 60
Galen 436 KX 34 406 57 406 78 406 K XIX 8 406 10 406 Ps.-Galen K XVI 403 436 Gnomologium Vaticanum 197 63, 112, 122, 160, 259, 389 Hekataios 19f. Heliodor 75, 86, 94, 96, 99, 103, 106, 108, 110, 112–114, 297 I 1,1–2,9 74, 114, 169, 172, 398 1,6f. 114 3,4–33,4 96, 99, 106, 276, 404 3,4 113 22,4 381 II 20,2 414 IV 16,6–8 110 V 108, 352 1,1–3 110, 352 1,2 79, 100, 108f., 174, 274, 349 17,1–18,2 110, 352 17,4f. 109, 201, 276 17,4 109, 273, 387 17,5 32, 39, 55, 109, 133, 163, 172, 201, 244 18,2 64, 78, 109, 257, 354 21,1 110
Stellenregister 21,3 64, 78, 110, 257, 354, 358 22,6–27,8 352 22,6 110 22,7 110f., 125, 166, 172, 260, 275, 352, 370 22,8–27,7 86 22,8f. 111 23,1 111 23,2–24,1 95 23,2f. 39, 77, 94, 123, 167, 239, 274 23,2 111 23,3 86, 111 24,1 112 27,1f. 29, 49, 74, 76, 82, 87, 112, 133, 142, 164, 169, 359 27,2f. 112 27,4 57, 63, 112, 122, 160, 260, 389 27,5 103, 113 27,6f. 113, 161, 362 27,6 113 27,7 74, 113, 169, 172, 178, 230, 240, 266, 381, 398f. Heraklit 416 B 94 416 Hermes Trismegistos siehe Corpus Hermeticum Herodot 19–21, 102, 441 II 21 20 143 20 IV 36 20 152,1f. 168, 441 157 276 V 36 20 125 20 VI 137 20 VII 152 20 VIII 118f. 102, 161, 171, 191
523
119,1 102, 192 Herpyllis-Roman 83, 85–87, 89–91, 101, 266, 297, 355 II 1–11 110 1–7 74, 84, 98, 125, 244, 276, 403 1 84 2–11 39, 78, 166, 351 2–6 260 3 84 5 84 6 84 7 85, 355 7–11 84f., 110, 117, 355 11–15 85 11 85 15f. 85 15 85f. 17–21 29, 49, 74, 76, 82, 87, 100, 112, 133, 142, 164, 169, 202, 359 19–21 362 21–23 87 21f. 83 22 85f. 23f. 87 24–26 29, 49, 74, 76, 82, 87, 100, 112, 133, 142, 164, 169, 359 26–28 143, 161, 273, 275 26 88, 101, 370, 374 28f. 88, 374 29f. 88 30–34 88, 362 31–34 88 33 88 34–37 54, 88, 103, 241, 265 34f. 162, 360, 362 35–54 381 35–37 34, 45, 102, 162, 381 38–54 54, 76, 81, 88, 100f., 133, 161, 177, 381 38–42 220, 266, 381 39–54 123 40f. 220
524
Indices 41–43 89 42 45, 81, 101, 133, 150, 266 45–49 381
49f. 39, 88f., 100f., 123, 161, 381 50 76, 88, 151, 177 52f. 39, 88f., 100f., 123, 161, 381 53 76, 88, 151, 177 55–59 89f., 133, 172, 385 56–58 91 57f. 89 58f. 90 59f. 90 60 40, 78, 82, 90, 208, 221, 230, 387 Hesych α 577 371 Hierokles 59 Φιλαλήθης 59 Hieronymus Adversus vigilantium 2 252 In Ionam 184 I 5a 193 I 10 199 Hippokrates περὶ χυµῶν
13 436 Historia Apollonii regis Tyri 69, 74, 79f., 83 1–3 80 3–5 80 11f. 74, 80 11 39, 45, 54, 76, 80, 89, 100f., 123, 161, 177, 220, 381 11, v. 1ff. 15 11, v. 10 80 12 37, 74, 81, 84, 96, 98, 105, 125, 150, 230, 240, 244, 276, 403 20f. 80 25–27 80 25 81f. 26f. 82 26 82 31 243 32f. 80
32 33 39
80, 243 83 29, 40, 74, 76, 78, 82f., 87, 90, 100, 112, 208, 221, 230, 400 41–43 80 44f. 80 44 82 45 82 48f. 80 51 81 Homer 27, 105, 436 Ilias IV 422–426 220, 266 VI 302 VI 359ff. 302 XXIII 227 93 XXIV 13 93 Odyssea 74, 301 III 73 93 III 276–302 15 IV 110–331 276 IV 172 93 IV 360f. 23 IV 511 272 V 110–331 81 V 262–493 15 V 319–321 146 V 368–375 105, 116, 150, 230, 240 V 368–463 244 V 372f. 146 V 388–463 55, 109, 133, 163, 172, 201, 273, 387 V 388–493 74 V 400–444 105 V 469 27 VI 110–331 74, 244, 403 VII 240ff. 297 VII 241–286 15 VIII 34–36 160 IX 1–XII 453 297 IX 62–84 15 IX 138 399
Stellenregister IX 148 399 IX 254 93 IX 546 399 X 124 105 XII 403–449 15 XIII 114 399 XIV 346 366 (Ps.-)Homer Hymni Homerici 33,1–19 89 33,8–11 40, 78, 82, 90, 208, 221, 230, 387 Horaz Carmina I 14,1 367 I 14,3–9 367f. I 14,3–6 111, 125, 172, 275 I 14,7 367 I 35,8 367 III 27,21–24 109, 133, 163, 201, 244, 273, 387 III 27,23f. 273 Epodi 10 109, 133, 163, 201, 244 Iamblich 75 de vita Pythagorica 235 16f. 65 16 65, 236 135 235 142 411f. Iambulos 22, 153, 155f., 162 ICaes 3 328f. 24 329 44 329 IG II/III2 1.2 1035 435f. II/III2 2.1 1621 364 IV2 1 126 44 IGR IV 841 63, 135
525
ILS II 1 4395 137, 351, 429 6177 378 7206 328 III 2 9168 325 Iuvenal 1,7–13 142 1,9 126, 142, 163, 173, 267 12 142 12,22–24 126, 143, 163, 173, 267 IvP III 145 52f., 58 145,5f. 58 145,7f. 52f. 145,11f. 53 Jesus Sirach siehe Altes Testament (Sir) Josephus 6, 317, 406 Antiquitates Iudaicae 6, 158, 319 XII 276f. 270 XII 277 270 XIV 63 270 XVIII 318–324 271 XVIII 323 271 XX 317 XX 142 316 XX 173–178 318 XX 173 318, 321 XX 176 319 XX 177f. 321 XX 177 318f. XX 178 319, 321 XX 182–184 318, 320 XX 184 320, 322 XX 252–257 320 XX 258 320 Bellum Iudaicum 158, 317, 319 I 279f. 375 I 280 192, 375 II 266–270 318 II 266 319 II 268 318
526
Indices II 270 318, 321 II 284–292 318, 322
II 284 320, 322 II 450–456 271 II 451–454 317 II 454f. 323 II 454 323 II 456 271, 323 II 457 317, 322f. II 507 328 II 513–518 271 II 517f. 271 III 409 318 III 412 328 III 422–424 32, 39, 55, 87, 109, 133, 163, 172, 201, 244, 273, 387 IV 92–111 271 IV 99 272 IV 103 272 IV 491 328 IV 588 328 IV 663 328 VII 36 328 VII 361–363 317 Vita 35 13 35f. 14 36 15 33, 36f., 105, 129, 149, 169, 175, 239, 386, 400 16 36f. contra Apionem 158 I 1 406 I 53f. 158 I 55 158 II 1 406 II 296 406 Jubiläen 50,12f. 270 Justin dialogus cum Tryphone 76,6 423 Ktesias v. Knidos Indica 159 Longos
153f., 156, 158
69, 94, 112, 114f., 117
I
II
28,1–31,1 115 28,1f. 116 29,1f. 116 30,1–3 116 30,2–31,1 33, 105, 150, 169, 175 31,1 30, 116f., 169, 403
20,1–29,3 115 27,1–3 115 27,3 106, 115 Lucan 41f., 125 V 580–583 42 593 42 Lukian 21, 73, 86, 99, 119, 126f., 129f., 132–134, 138–140, 142f., 147–150, 152–164, 166–176, 180, 182, 445 Demonax 180 35 106, 181 Fugitivi 13 372 Hermotimus 127, 360 28 63, 122, 160, 175, 260, 361, 389 Juppiter Tragoedus 51 372 De mercede conductis 170, 175, 385 1f. 32, 39, 55, 74, 109, 113, 133, 163, 169, 175, 178, 240, 244, 266, 273, 276, 387 1 89, 102, 111, 125f., 133, 143, 163, 170, 173–175, 192, 267, 273, 275, 385 2 29, 33, 37, 50, 79, 105, 126, 169, 172–174, 178, 230, 234, 240, 361, 400 Navigium 126f. 1 127 4f. 127 5–9 127 5f. 138 5 128, 130 6 128, 131
Stellenregister 7–9 131–133, 138, 430 7 29, 74, 76, 82, 87, 100, 130, 132, 136, 142, 164, 350f., 359 8f. 39, 109, 163, 172, 273 8 133, 244 9 39, 54, 63, 76, 81, 89, 100f., 123, 130f., 133–136, 161, 172, 177, 351, 381, 385 10f. 127 12–15 127 18–27 128 24 128 28–38 128 39f. 128 41–44 128 45 128 De morte Peregrini 170, 175f. 11–13 176 16 176 42 176 43–45 176 43 50, 102, 162, 176–178, 180, 268 44f. 176 Philopseudes 140, 153 2 21, 153 6 410 11 410 12 410 13 149, 411 Quomodo historia conscribenda sit 119, 155f., 295 29 159, 295 37 295 47 159, 295 Rhetorum praeceptor 139 Toxaris 99, 138, 152, 163 2 140 3 141 8 139 9 139 11 139 12 159 19–21 141, 370
527 19f. 33, 105, 147, 163, 169, 175, 374 19 79, 88, 101, 126, 133, 141–143, 146f., 161, 163, 172–174, 178, 230, 240, 266f., 273, 359, 368, 370, 373, 381, 402 20 34, 39, 45, 54, 76, 81, 88f., 96, 99–102, 105, 116, 123, 133, 146–148, 150f., 161–163, 177, 241, 381, 402 21 99, 147, 151f. 38 139 41 139 Verae Historiae 21, 140, 152–159, 295, 352 I 1–4 153 I 1f. 157 I 2 153, 156f. I 3 153, 156 I 4 154, 157f., 295 I 5f. 159 I 5 63, 86, 112, 122, 159f., 260, 389 I 6 32, 39, 49, 54f., 73, 76, 81, 88f., 100f., 123, 126, 133, 143, 151, 160f., 172f., 177f., 240, 244, 265, 267, 273, 359, 362, 369, 374, 381, 387 I 8 164 I 9f. 164 I 9 29, 49, 74, 76, 82, 87, 100, 112, 133, 142, 164, 169, 359 I 28–30 260 I 28 165 I 29 165 I 30 94, 123, 166, 239, 352 I 30–II 2 167 I 33 167 I 34 167, 441 I 37 160 II 1 167 II 4 149 II 28f. 352 II 31 21, 153f. II 37 168
528
Indices II 43 II 46
86 168
II 47 29f., 33, 37, 74, 76, 82, 86f., 100, 103, 112f., 133, 142, 164, 172, 175, 400, 403 Lukrez 16, 51f. II 51 1–4 16, 51 3f. 51 Lysias 195 (Ps.-)Lysias VI 19–32 196 VI 19f. 196, 420 VI 32 196 1. Makk siehe Altes Testament 2. Makk siehe Altes Testament Marcus Aurelius II 6,2 415 Martyrium Ignatii Antiochenum 299 5 299 7 300 Mela siehe Pomponius Mela Menander 49 Dyskolos 412 49 Neues Testament Mt 8,23ff. 43 8,23–27 233–235 8,24 29, 233f. 8,26 234 10,28 423 10,30 390 10,39 423 12,29–41 184 12,39 192 12,40 184 13,25 423 14,22ff. 43 14,22–33 233, 236f. 14,24 236 14,32 236 16,4 184 24,9–14 391
Mk 1,25 234 3,18 324 4,35ff. 43, 262 4,35–41 194, 233–235 4,37f. 233 4,37 29, 229, 234, 240f. 4,38f. 193, 383 4,38 233 4,39 43, 230, 234, 236, 241 6,45ff. 43 6,45–52 233, 236f. 6,48 236 6,51 236 9,25 234 13,13 391 14,22f. 392 16,18 423 Lk 1, 3, 6–8, 15 1 5 1,1–4 1, 287, 294, 448 1,1 448 1,2 158, 448 1,3f. 294 1,3 406, 448 8,22ff. 43 8,22–25 233–235 8,22f. 233 8,23 29, 229, 233f. 8,24 234 10,18 67, 356, 423 10,19 423 11,29f. 184 11,32 184 12,7 390 17,11 334, 432 21,18 390f. Joh 3,22 305 4,1 305 4,2 305 6,16ff. 43 6,16–21 233, 236f. 6,18 236 6,21 236
529
Stellenregister 14,30f. 308 14,31 308 1–11, 15, 17, 23, 26, 38, 62, 76–78, 83f., 88f., 91, 97, 101–103, 107, 114, 165, 172, 281–311, 447, 451–454 1,1f. 1, 287, 448 1,1 294, 406 1,8 287, 307f., 454 1,13ff. 312 1,13 324 2,42 392 6,5 312, 316 7,56 356 8,5–13 316 8,5 316 8,26–40 316 9 334 9,10 382 9,12 382 9,32ff. 316 10,1–48 316, 325 10,1 325 10,2 325 10,3 382 10,11 356 10,44–48 325 11,1–18 316, 325 11,5 382 11,15–18 325 11,28 281, 287, 356 12,2 334 12,17 334 12,19 316 12,20–23 316 13f. 432 13,1 312 13,4–6 64 13,9 334 14 422 14,11–18 422 14,23 288 15 288 15,36–40 331 15,37ff. 450
Apg
15,39 288 16 292, 333 16,6–10 304 16,6–8 332 16,6 304 16,7 304 16,9 304, 382 16,10ff. 307, 332 16,10–17 281, 331 16,10–15 292 16,10 281, 283, 287, 310 16,11f. 332 16,20f. 450 17,14f. 288 18,11 331 18,18–19,1 450 18,22f. 450 19,21 304, 449, 452 19,29 347 19,33f. 451 19,40 451 20f. 291 20,4–21,18 291 20,4f. 314 20,4 291, 312–314, 347 20,5–21,18 281f., 312 20,5ff. 307, 312f. 20,5 283, 314, 333 20,11 363, 392 20,13f. 71 20,17–38 289, 301 20,18–35 282, 312 20,22 304 20,25 448 20,26–38 282 20,36f. 282 20,38 282, 311 21,1–3 349 21,1 349 21,3 349 21,7–16 327 21,7f. 326 21,7 326 21,8ff. 325 21,8f. 316, 325
530
Indices 21,8 324f. 21,10f. 326 21,12 326 21,16 326f. 21,18ff. 327 21,19 326 21,20ff. 327 21,20f. 451 21,20 327 21,23f. 327 21,27ff. 327 21,33–26,32 314 21,40 405 22–26 314 22 334 22,2 405 22,7 415 23,11–26,32 424 23,11 304, 452 23,12f. 452 23,16ff. 314 24,15 356 24,23 314 24,27 314 24,33 314 25,10f. 452 25,10 304 26 5, 334 26,30–32 424 27f. 11, 15, 17, 26, 30, 37, 170, 181f., 195, 311–334, 425–444, 447, 453f. 27,1–28,16 3, 6, 11, 281, 313, 331, 424 27,1–28,6 10f., 30, 281, 331, 340, 425, 448 27 3, 27, 29–31, 34f., 40, 45, 59, 62, 66, 91, 102, 130, 136, 172f., 181, 183, 239, 336–345, 347–403 27,1ff. 307, 424 27,1–9 345 27,1–8 330 27,1–3 343 27,2 301, 313f. 27,3 66, 336, 338f., 348, 358
27,4–8 348 27,4–7 137 27,4 85, 166, 260, 349, 358 27,5f. 344 27,6–44 344 27,6 348, 350 27,7f. 111, 260, 349, 358 27,7 85, 94, 136f., 166, 349f. 27,8 337, 339, 349f. 27,9ff. 39, 43 27,9–13 84 27,9–12 77, 110, 342, 354, 385, 392 27,9–11 117, 337–339, 342 27,9f. 59, 64, 67, 85, 181, 257, 357, 384, 449 27,9 84, 109, 339, 344, 353f., 450 27,10f. 358 27,10 95, 336, 355–357, 382–384, 430 27,11–13 84 27,11 130, 348, 357f., 400 27,12 29, 110, 337, 345, 349, 358, 426–429, 431f. 27,13–20 387, 397 27,13f. 87 27,13 359, 368, 432 27,14f. 49, 76, 359, 432 27,14 29, 74, 82, 87, 100, 112, 133, 137, 142, 164, 169, 359, 426, 432, 437 27,15–19 30 27,15–17 88 27,15 54, 57, 88, 101, 103, 143, 161f., 265, 273, 359–361, 369 27,16–19 397 27,16f. 113, 161, 362f. 27,16 88, 103 27,17–20 359 27,17f. 397 27,17 30, 32, 39f., 54f., 88, 103, 133, 144f., 161, 163, 172, 183, 201, 244, 265, 273, 359, 362–364, 366–368, 372, 374, 380, 387, 397
Stellenregister 27,18f. 102, 161, 171, 191, 273, 341, 375, 394 27,18 191f., 374, 380, 395f. 27,19 183, 370, 376, 380 27,20 30, 34, 39f., 45, 54, 76f., 81, 88f., 100–102, 123, 133, 151, 161f., 177, 181, 241, 340, 381f., 403 27,21ff. 59, 336 27,21–26 66, 181, 337–341, 357, 385, 392, 449 27,21 30, 76, 340, 356, 382, 430, 449f. 27,22–26 172, 392 27,22–24 356 27,22 42, 175, 241, 356, 383, 391 27,23–26 390 27,23f. 95 27,23 175, 193, 198, 382f. 27,24f. 422, 424 27,24 42f., 175, 239, 304, 339, 383, 392, 400, 449f., 452 27,25 42, 383 27,26 304, 386 27,27 36, 239, 386, 392 27,28f. 397 27,28 387 27,29f. 274 27,29 30, 32, 39f., 55, 78, 82, 90, 109, 113, 133, 163, 172, 201, 208, 221, 230, 244, 273, 276, 387, 393, 397 27,30–33 104, 425 27,30–32 57, 100, 123f., 201, 230, 340, 387f. 27,30 103, 388 27,31f. 181, 348, 392, 449 27,31 63, 112, 122, 124, 260, 337, 340f., 383, 400, 403, 426 27,32 103, 113, 341 27,33ff. 340 27,33–38 76 27,33–36 66, 181, 337, 340f., 385, 392 27,33 336 27,34ff. 400
531 27,34 241, 356, 385, 390–392, 403 27,35ff. 381 27,35f. 239 27,35 341, 391f., 422 27,36f. 397 27,36 30, 40, 340f., 383, 392f. 27,37 37, 130, 240, 340f., 345, 392f., 397, 425 27,38–44 394 27,38 77, 103f., 161, 171, 183, 191, 273, 340f., 375, 380f., 392–396 27,39–28,1 443 27,39–41 397 27,39 341, 397f. 27,40 30, 369, 398 27,41ff. 74, 113, 169, 172 27,41 74, 96, 399, 443 27,42–44 30, 397 27,42f. 66, 398, 449 27,42 340, 400 27,43f. 33, 81, 96, 105, 116, 150, 169, 175, 230, 240, 348, 400 27,43 37, 43, 66, 336, 339, 341, 348, 383, 386, 400, 402f., 424 27,44 30, 37, 99, 117, 148, 169, 397, 401, 403 28 345, 403–424 28,1–10 336 28,1–6 403 28,1f. 74, 81, 84 28,1 345, 403, 432, 443 28,2ff. 125, 244, 276 28,2–6 408 28,2 98, 245, 348, 404 28,3ff. 181, 423 28,3–6 195, 411f., 420f., 423, 449f. 28,3f. 406, 421 28,4 403, 406, 417, 421 28,5 408, 412, 421 28,6 11, 72, 347, 420–422 28,7–10 10, 422 28,7 11, 442 28,8 422
532
Indices 28,11–16 10, 330, 345 28,11 345, 443 28,12–16 300
28,12 443 28,13 344 28,15 309 28,16 448 28,17 440 28,27 440 28,28 309, 453 28,30f. 448 1. Kor 11,23ff. 392 2. Kor 4,10 406 11,25 345, 400 12,7 406 Gal 331 2 288 2,11–14 331 4,13–15 406 4,15 406 Phil 1,21–24 299 1,23 299 1. Thess 3,1–5 288 Hebr 12,8 177 Jak 3,4 131 NHC VI,1 300 Ninos-Roman 69f. A 70f. B 70f. 28 70 C 70f. 1–16 71, 81, 84, 98, 244, 276, 403 2 71 3f. 71 3 71 4f. 72, 98 5 71
6–9 72 11–14 29, 49, 74, 76, 82, 87, 100, 112, 132, 142, 164, 172, 359 16ff. 398 16–23 71 16 71 17 72 23–50 71 23–30 74, 113, 169, 398 23 72 26f. 73, 399 32–39 73, 164, 240 39–42 73 42 70 50f. 74 50 74 D 70 5 70 Oreibasios Collectionum medicarum reliquiae IX 7 436 Origenes 311 Homilia I in Lc. 1804D–1805A 311 Ovid Metamorphoses XI 410–748 85 Oxyrhynchus Papyri siehe P.Oxy. P.Grenf. II 84 414f. P.Oxy. XI 1382 111 LVI 3836f. 99 Papias 324f. Pausanias 149 IV 34,12 426 VIII 12,1 149f. Periplus Hannonis 1–3 298
24–26, 298
Stellenregister 1–4 24–26, 298 1 298 2 298 14 24–26 18 24–26 Periplus Maris Erythraei 21–24, 298 20 22–24, 298, 404 57 22–24, 298 Petron 16, 79, 100, 104, 119f., 122f., 125f., 340, 389f., 445 76 121 99,6 121 100–115 120f. 100,3–101,6 121 101,7–103,2 121 102 104, 389 102,1–7 100, 104, 121, 124, 389 103,1f. 121 103,3f. 121 103,5 121 104,1–4 122 104,5 122 105,1f. 122 105,2–109,3 122 105,4 122 107,13f. 122 108,12–109,3 122 108,12 63, 112, 122, 160, 260, 389 108,8 63, 112, 122, 160, 260 109,6f. 123, 166, 239 109,6 122 114f. 123, 143, 163, 173, 267 114 104, 389 114,1 54, 76, 81, 89, 100f., 123, 133, 151, 161, 177, 381 114,3 54, 76, 81, 89, 100f., 123, 133, 151, 161, 177, 381 114,6 123 114,7 100, 104, 121, 123, 389 114,8–12 124 114,13 111, 124, 172, 275 114,14 74, 81, 84, 98, 244, 276, 403 115,1–5 125 115,6 74, 81, 84, 98, 125, 244, 276, 403
533
115,7ff. 123 116,16 16 119–124 125 123,1 vv. 233–237 15, 125 Philippos Sidetes Frg. XII 325 Philostrat 59, 61, 449 Vita Apollonii 35, 43, 59–62, 357, 449 I 3 60f. I 19f. 60 III 23 62f., 112, 122, 135, 160, 260, 262, 389 III 24f. 63 III 52–58 63 III 58 64 IV 13 43, 64–67, 78, 109, 235, 354, 384 IV 15 63 IV 24 63, 67, 135 IV 34 65 IV 45 305 V 17 65 V 18 64, 66–68, 357 VI 21 63 VII 41 67f., 357 Photios 47, 156, 159 Bibliotheca 72, 45a 153 72, 49b–50a 159 166, 109a–112a 156 Physiologos A 40 229 Platon 127 Euthyphro 2a 127 Leges IX 871a 197 Respublica 327a–328c 126 Plinius d.Ä. 24, 55 IV 10 55f., 63
534 Plutarch 39f., 90, 145, 373, 449 Alexander 1,2 7, 35 Caesar 40 38,2–6 41–43, 194, 449 38,3 41, 43, 233 38,5f. 65, 230 38,5 43, 233, 384 38,6 41 Dio 37 25,3–11 38–40 25,4f. 39, 78, 85, 355 25,6 39f. 25,7f. 32, 39, 55, 109, 133, 163, 172, 201, 244, 273, 275, 387 25,7 40 25,8f. 39, 123, 166, 368 25,9f. 40 25,9 40 25,10 40, 78, 82, 90, 208, 221, 230, 387 25,11 40 Galba 2,3 7, 35 Moralia 169C 270 507A–B 38, 145, 373 507B 373 798D 361 812B–E 371 815C–D 371 812C 371 815D 371f. Polybios 5, 31f., 284f., 287, 295f. I 36,10 32 36,11 32 37 32 37,1–3 31f. 37,1 32 37,2 32f., 39, 55, 109, 133, 163, 172, 244, 273, 387 37,3 32 39,2–5 192 39,2f. 39, 368
Indices 39,3 368 39,4 192 III 4,13 158, 285, 287 XII 28a,4–10 295 XXVII 3,3 364 XXVIII 12,4 285 13,9 285 XXXVI 284 11,1 284 11,2 284 12 285 12,1 285 12,2 158, 285, 287 12,3 285 XXXVIII 4–6 285 5,4 285 21 285 XXXIX 8 285 8,1 285 Polykrates v. Ephesos 324f. Pomponius Mela III 93 26 Psalmen Salomos siehe Altes Testament (PsSal) Pseudo-Apollodor Bibliotheca I 133f. 196 Pseudo-Klementinen 108 Homilien I 242 I 8,3 242 XII 242 XII 5,2 242 XII 8–10 243 XII 8,4 243 XII 9,1 243
Stellenregister XII 9,2f. 243 XII 10,1 243 XII 10,3f. 243 XII 10,4 243 XII 15–18 243 XII 15,2 243 XII 15,3f. 243 XII 16,1 243 XII 16,3–17,1 243 XII 17,1–18,1 74, 81, 84, 125, 276 XII 17,3 244 XII 19–24 245 Pseudo-Longin de sublimitate 302 15,1f. 302 Pseudo-Skylax 19 Psudo-Apollodor Bibliotheca 196 Ptolemaios Geographia IV 4,15 258 Rufin
325
Sallust 5 Catilina 5 Iugurtha 5 SEG 45 1831 185 51 502 135 54 1304 135 Seneca 437 Epistulae morales LIII 2f. 32, 109, 133, 163, 172, 201, 244, 273, 275, 387 LXXIII 5 379 Naturales questiones V 16,4 437 SGUÄ I 5795, Z. 4 90 »The shipwrecked sailor« 30–39 191
535
SIG3 II 801D 331 III 1170 44 1229 63, 135 Skylax 19 Sokrates historia ecclesiastica II 8 253 Sophokles Ajas 1146 265 Sozomenos historia ecclesiastica I 2 253 Stephanos v. Byzanz 669 426 Stobaios 50 I 49,68 50 Strabon I 2,35 153 II 5,25 368 VIII 6,20 63, 135 X 4,3 426 XI 6,3 153 Sueton Claudius 354 18f. 354 18,2 354 Suidas 47 Synesios 56, 103, 245–253, 350, 445 Epistulae 4 63, 130, 201, 246, 253–277, 352, 374, 389, 445 4,159c–160c 352 4,159c–160a 167 4,159c–d 258 4,159c 258
536
Indices 4,160aff. 57, 63, 112, 122, 160 4,160a–b 259 4,160a 258, 261, 263, 268 4,160b 259f., 263 4,160cff. 56 4,160c–161c 32, 39, 55, 109, 133, 163, 172, 201, 244 4,160c–161a 261 4,160c 260 4,160d–161a 257 4,161a 261 4,161b 254 4,161c 63, 262, 265 4,161d–162c 54, 103 4,161d–162a 88, 162, 265, 362 4,162c–163c 272 4,162a–b 126, 143, 163, 171, 173, 178, 230, 265 4,162a 45, 81, 101, 133, 150 4,162b 267 4,162c 50, 102, 162, 178, 268, 272 4,163b 272 4,163c 88, 101, 143, 161, 201, 273, 275f., 387 4,163d–164a 274 4,163d 263f., 273 4,164a–b 29, 94, 167, 254, 274 4,164b 45, 81, 101, 254, 266 4,164c–d 111, 125, 143, 161, 172, 275 4,164c 274, 370 4,164d–165a 32, 39, 55, 109, 133, 163, 172, 201, 244, 273, 275, 387 4,164d 263 4,165a 74, 81, 84, 125, 244, 276, 403 4,165b–166d 276 4,165b–c 257 4,165b 257, 276 4,166d–167a 277 4,167c 277 11 252 11,171b 252 13,171d 254
36,179c 254 96 252 96,236a 252 96,236b–c 252 105 246, 252f. 105,247a 247 105,247c–d 247 105,247d–248b 247 105,248b–c 247 105,248d–249a 248 105,248d 248 105,249a–b 248 105,249a 248 105,249b–d 250 105,249b 249 105,250a 247 130,265d 257 132,268c–d 253 Tacitus 326 Historiae II 83,1 325 Talmud bBerakh 409 30b 408f., 421 33a bBQ 192 116b 192 117b bJoma 269 85b bSanh 414 37b bSchab 269 19a 409, 413, 421 156b pBerakh 409, 413, 421 V 9a 43, 194, 230, 233 IX 13b pSanh 234 VII 25d Testamenta XII patriarchum 228f. Testamentum Nephthalim 228 VI 228, 340 VI 1–10 228 VI 4 229, 234
Stellenregister VI 5
171, 178, 229, 234, 240, 266
VI 6 81, 96, 104f., 124, 150, 229, 240, 389, 400 VI 8 78, 208, 221, 387 VI 9 230 Theodoret Epistulae 78 193 Theokrit XXII 4–26 89 6 89 12–14 111, 125, 172, 275 18 34, 45, 88, 101, 162, 241 Thukydides 21, 47, 283f., 388 I 21 20 23 388 23,6 388 II 84,3 47 IV 102,1–107,3 284 104,4–107,1 283 104,4 284 104,5 284 VI 6 388 6,1 388 VII 25,4 71 Tobith siehe Altes Testament (Tob) Tosefta tBerakh 3,20 409, 413, 421 tBM 7,14 192 tSchab 15,17 269 Valerius Flaccus 143 I 608–658 15, 143 Vegetius 438 Epitoma rei militaris
537
IV 38 438 Vergil Aeneis 81, 302 I 34–156 15, 81 I 81–141 81 V 8–34 15 Georgica I 237–241 220, 266 Xenophanes v. Kolophon 90 A 39 90 Xenophon v. Athen Hellenica IV 8,7 427 Oeconomicus 8,14 193 Xenophon v. Ephesos 75, 91–94, 97, 106, 148 I 6,2 91–94 6,2, vv. 3–5 93 10,3ff. 92 10,3 92 10,5–11,1 78, 94 11,2f. 94 11,6 94, 111, 352 12,3–13,5 39, 111, 123, 167, 239 12,3f. 167, 260, 351 12,3 29, 94f., 111, 239, 274, 352 12,4 95, 383 13,1 95 13,4 95 13,5 95 13,6 79, 95, 106, 124 14,1–5 95 14,1 95 14,7 353 II 11,9f. 96 11,10 37, 81, 96, 105f., 116, 150, 230, 240, 381, 400 11,11 96, 276, 404 III 2,10–14 99 2,12f. 33, 105, 169, 175
538
Indices 2,12 29, 49, 74, 76, 82, 87, 99f., 112, 133, 142, 148, 164, 169, 359, 381, 402 2,13 99, 148 12,1f. 96, 106, 113, 276, 404 12,1 96
12,2ff. V
97
1,1 98 1,2 74, 81, 84, 98, 125, 244, 276, 403 12,3 353
Orts- und Sachregister Abdrift 39, 438, 440–442 Abwettern 33, 37, 56f., 359 Achaia achaische Meerenge 54 Adramytteion 301 Adria 36, 76, 129, 149, 239, 386f., 400, 438 adriatisches Meer 54 τοῦ Ἀδρίου πέλαγος 53 Ägäis 54–57, 83, 132, 135f., 176f., 181, 351, 360 Ägypten 65, 92, 96, 100, 132, 183, 224, 237, 350–352 Ägypter 416 ägyptisch 62, 65, 96, 99, 106, 108, 227, 237, 252, 254f., 429 mittelägyptisch 191 Äolis 66 Afrika 24 Aianteion 64 Akamas 131, 136, 350f. ἄκατος 85–87, 113, 160 Alexandria 96, 100, 106, 133, 137, 242, 245f., 248, 253, 264, 321, 350, 352, 375 Alexandriner 130, 245, 348, 350, 373 alexandrinisch 37, 126, 252, 348–350, 353, 370–372, 429, 443 Alexandria Troas 177, 283, 301, 307, 314, 332 Althiburus-Mosaik 85f. Amphipolis 283f.
33, 124, 145, 149, 273f., 371f., 387, 398 heiliger Anker 371f. Treibanker 144f., 368, 370–373 Annalen 17 Antiochia 64, 240, 316, 330f. Antiochener 316 antiochenisch 64, 288, 308, 331, 450 Aoos 40f., 384 Apollon 58f., 92 Apollonia 41 Arabien 22f. Ἀραβικὴ χώρα 22 arabisches Meer 21 Arados 243 Argostoli 432 Artemis 258 Asche 54, 226f. Asklepios 44, 48–50, 53, 58f., 417 Aspis 31 Athen 126f., 134, 141, 151, 243, 351, 430, 434, 441 Athener 21, 165 Ἀθηναῖος 20 athenisch 127 Attika 128 attisch 144, 364, 380, 416–419 Athen (am Schwarzen Meer) 27–29, 427 Attizismus 44, 47 Audition 238, 449 Anker
Orts- und Sachregister Aufnahme feindliche Aufnahme 125, 276, 404 freundliche Aufnahme 72–74, 81, 84, 98, 125, 244, 276, 403, 405 Augenzeuge 18 Augenzeugenschaft siehe αὐτοψία Ausonische Meer 196 Autobiographie siehe Biographie αὐτοψία 141, 158, 282, 286f., 303 Azarios 253, 257, 276 Azotos 316 Babylon 63f., 227 neubabylonisch 224, 227 Bendis 258 Bengalen Golf von Bengalen 22 Beobachtung 18, 52 Bey¸sehir 185 Biographie 1, 3, 7f., 35, 37–43, 59–68, 448, 451 Autobiographie 35–37, 45, 446 Blitz 28, 38f., 76, 80, 101, 381 Brahmanen 62 Brundisium 41 Bukolen 96, 99, 106, 113 Caesarea 238f., 283, 301, 313–331, 334, 345, 347f., 354, 384, 394, 405, 425f. centurio 66, 325, 336, 342, 348, 357, 397, 400, 424 Ceylon 22 Chaoskampf 218f., 221, 223 Chelidonische Inseln 132, 135 Chios 48f. Chorographie 19, 21 Çukurkent 185 Delos 56–58 Delphi 108, 110, 352 Diadochen 79 Dikaiarcheia 36f., 67, 239, 299f., 344, 379 Dike 407f., 412–417, 420–422, 424
539
Diokurias 27 Diolkos 55f. Dionysos 96, 115f. Dioskuren 89–91, 132f., 171–173, 385 διθάλασσος τόπος διθάλασσος
74, 398f., 443 Donner 28, 38f., 76, 87, 101, 381 Dramatik 21, 29, 32, 34, 143 Dramatisierung 29f., 33f., 124, 139, 142, 148, 151, 162f., 175, 345 Drymussa 48f. Dunkelheit 54, 76, 81, 88f., 100f., 112, 123, 133, 151, 161, 177, 381 Durst 76f. Verdursten 76, 111 Ekphrasis 72, 107, 244 Sturm-Ekphrasis 15, 80, 117, 161, 266f., 445f. Elmsfeuer 89–91 ἐµπειρία 282, 295f. Ephesos 82, 92, 98, 106, 239, 282, 324, 450–452 Ephesier 91 Epiphanie 89–91 Epirus 41 epirotisch 40 Epos 15, 297, 301f. Erinyen 416–419, 424 Erythrai 48 Ethnographie 19, 21 Euböa euböisches Meer 63 Sund von Euböa 62f. Euphrat 63 23, 33, 38, 105, 109, 132, 163, 169, 174, 244, 258, 261, 273, 276, 387, 396 Felsenküste siehe Küste ιδ/ ις 18 Fiktion 60f., 129, 132f., 138, 173 Finsternis 39, 54, 76, 80f., 88f., 100f., 123, 132, 161, 177 Flucht 100, 104, 121, 123f., 181, 387–390
Felsen
540 Frevel
Indices 82, 194, 196, 323
Gattung 1–5, 7–10, 15, 17, 21, 26, 30, 60, 64, 119, 155f., 300f., 445–447 Gattungskonvention 2f., 8, 29, 105f., 112, 114f., 119, 158, 296–298, 304, 306, 343 Gaza 316 Gebet 39f., 42, 74, 78, 82, 90, 185, 194, 202, 204, 208f., 221, 230, 387f., 409, 421f. Gemeindearchiv 312, 317, 330 Genre siehe Gattung Geographie 19 Geschichtsschreibung siehe Historiographie Gitta 316 Goët 61 Griechenland 38, 66 gubernator 122 121, 241, 390f. 18, 22, 28f., 45f., 48, 55, 58, 64, 197, 205, 253f., 257f., 263, 274, 276, 339, 358, 373, 379, 396, 426–429, 431f. Winterhafen 78, 110, 358, 426 Halikarnassos 19 Handel 18, 21, 23, 120f., 130, 218, 224f. Heilsgeschichte 453 Herakles Säulen des Herakles 24f., 159 Hermes 422 hermetisch 50 Herrenmahl 239, 391f. Hierapolis 135, 324f. Historiographie 1–4, 6–8, 10, 17, 19–21, 31–35, 40, 55, 60, 155, 158, 284, 296, 306, 446–448, 451 historische Monographie 5 Hoffnung 73, 88, 101, 103, 241, 265, 381 Horos 50 ὑποζώµατα/ὑποζωννύναι 362–368 Hyssos 27 Haare Hafen
Ilium 64, 177 troisches Vorgebirge Illyrien 41 illyrisch 40 Indien 21, 63
65
᾽Ινδικὸν πέλαγος 22 indisch 62 Ionien 77, 79 Ioner 18, 24 Ionier 149 ionisch 18, 158 ionische Inseln 77, 432, 439 Ionisches Meer 36, 76f., 135, 137, 142, 386, 442 Ironisierung 105f., 112, 114 Isis 50, 91, 93, 97, 106, 108 ἰσοπολιτεία 318f., 321 Israel 204, 210–213, 218, 223, 228, 230 israelitisch 218 Isthmus 55 Isthmus-Durchstich 63, 67 ἵστωρ 18 Italien 36, 41, 46, 98, 132, 134–136, 141, 167, 170, 343, 348, 350f., 358, 443 Süditalien 387 Itinerar 288, 290f.
Jerusalem 42, 270f., 283, 291, 307–309, 312, 314f., 317, 323, 326–328, 330, 347, 450–452 Joppe 201, 239 Kabiren
90
339, 342, 347, 349, 353, 358, 382, 430 Kamarina Kamarinäer 32 Καµαριναίων χώρα 31 Kapitän 65f., 84, 100, 102, 113, 125, 130f., 161, 193, 201, 258f., 261f., 267, 342, 355, 357f. Kappadokien 27 Karna 22 Karthago 26 Καλοὶ λιµένες
Orts- und Sachregister 24f., 38f. 24 Kastor 89, 384 Kawenzmann 172 Kenchreai 55f. Kephallenia 54f., 77, 399, 432, 439f., 443 Kerkina 38 Kilikien 99 kilikisch 96 kilikische Meerenge 132 Κλαῦδα/Καῦδα 88, 362 Klazomenai 48f. Kleinasien 78, 99, 135f., 308, 325 kleinasiatisch 77 kleinasiatische Küste 136 Klippen 32, 38, 62, 74, 104, 109, 132, 174, 261, 276 Knidos 135f., 349, 352 Kollektenaktion 312f., 315, 331, 450 Kollektendelegation 291, 312, 315, 347 Kollektenreise 313f., 326f., 334 Kolonisation 18, 24 Kolophon 92 Konflikt 308, 318, 320–322, 327, 450f. Korinth 55, 450 korinthischer Golf 55 Kos 352 Kreislaufgedanke 20 Kreta 76, 111, 132, 134–137, 350f., 426, 429–431, 440f. Kreter 77 kretisch 426, 429f., 432 kretische Küste 358 kretisches Gebirge 87 kretisches Vorgebirge 110f., 352 Kreuzen 56, 261f., 264 Krisa krisäische Bucht 66 Kroton 125 Küste 18f., 23, 25f., 32f., 38, 79, 81, 84, 96, 105, 109, 113, 163, 172, Karthager
Καρχηδόνιοι
541
175, 200f., 244, 261f., 264, 272f., 275, 387, 398f. Felsenküste 32f., 38f., 55, 87, 104, 109, 133, 163, 171f., 201, 244, 262, 387 κυβερνήτης 39, 54, 62f., 85, 103, 112, 122, 130f., 160, 193, 258–260, 262, 264, 355, 357f., 371, 375, 389 Kyrene 245f., 253, 277 Kyrenaïka 36, 259 kyrenäisch 36 Kythera 427, 430 Lechaion 55f., 66 legatus legatus Augusti pro praetore 27, 328 Leichterung 102, 191–193, 203, 208, 341, 374–377, 379f., 394–396 Lesbos 66 Leukas 66 Levante 218 Libyen 31, 39 Λιβυκὸν ἀκρωτήριον 25 libysch 245, 277, 407 libysche Küste 368 libysche Küste 38 libysches Vorgebirge 25 Logos 19 Lokaltradition siehe Tradition Lüge 153 Lügner 21, 60 Lutro 427–429 Lykaonien 432 Lykien 348, 351 lykische Küste 132 lykisches Meer 132 Lystra 422 Magie 54 Magier 61 Makedonien 46, 283, 307–309, 332, 334 Makedone 347 makedonisch 283, 307, 312, 334 Malea 62f., 65, 132, 134–136
542
Indices
347, 404f., 409, 413, 432, 438f., 441–443 maltesisch 413, 442 mare clausum 256f., 353f. Marmareon 240 Malta
253, 276 siehe Malta Menschenfreundlichkeit
Marmarica Μελίτη
siehe
φιλανθρωπία
Metalepse 305f. Metaphorik 16, 37, 47, 52, 211–213, 222f., 230 Methymna 65f. Methymnäer 115 Milet 19, 54, 57, 76 Minoa 39 Mistheia 185 Mljet (Meledena) 432, 438, 440 Monsterwelle 172 Monsun Monsun-Passage 22 Monsun-Schiffahrt 24 Motivik 10, 15, 30, 43, 59, 69, 74, 79–81, 89, 98, 100f., 103f., 106, 117, 126, 141, 169f., 236, 238, 242, 256f., 274, 277, 412, 445–447 Seefahrtsmotivik 15f., 37, 126, 170, 228, 230, 253, 257, 274, 277, 301, 331, 343, 345, 445f., 453 Sturmmotivik 15, 30, 75, 169, 207, 220, 352, 381 Mutlosigkeit 30, 33f., 39, 382, 384 Myra 301, 344f., 348–350 Mythos 19f., 187, 196 Mythographie 21 Mytilene 82f. ναύκληρος
Nazareth 7 Nisyros 88
130, 141, 258f., 357f.
Offenbarung 42, 66 Opfer 102, 192, 204f. Orakel 91–93 Ostia 204f., 377–379
Otranto Straße von Otranto
36
Pachynos 38f. Palästina 315, 325, 330, 334, 432 Pamphylien 99 pamphylisch 192 pamphylisches Meer 132 Pan 106, 115 Paphos 64 Paradoxographie 21, 155, 162, 276f. Parnaß 109 Parodie 119f., 122, 126, 143, 159, 162f., 169, 173, 187, 445 Patrai 54, 57 Paulusbegleiter 282f., 288f., 293, 309, 327, 330 Pele 48f. Pelorias pelorisches Vorgebirge 54 Pelusion 96, 106 Pentapolis 80f. Periplus 17–31, 298 Persien Perser 79, 102, 191, 286 Phäaken 74, 105 Pharos 131, 136 φιλανθρωπία 244, 348, 403–405 Philippi 283, 288, 307, 312, 314, 332, 450 Phoenix 426f., 429, 431f., 443 Phönizien Phönizier 78, 110 phönizisch 95, 108, 405 phönizische Küste 96 Phokaia 46, 48–50, 52f. Phrygien 99 phrygisch 324f. Piräeus 126, 131f., 135, 138, 351 Piraten 57, 62f., 80, 83, 86, 93, 95, 97, 103, 110–112, 125, 276, 362 Kürbispiraten 168 Piratenüberfall 29, 39, 76, 80, 95, 111f., 114, 168, 239, 274, 352 Pisidien 432 Plejaden 109, 141
Orts- und Sachregister Pogrom 317f., 322–325, 327, 330 Pollux 89, 384 Pontos 28 Portus 377–379 Poseidon 25, 74, 78, 105 Priapos 260 procurator 35, 317f., 320, 322, 328, 335f. πρόνοια siehe Vorsehung πρόφασις 124, 388 πρωρεύς 193 Providenz siehe Vorsehung Proöm 24, 26, 153–157, 159 Pseudepigraphie 293, 295 Pseudonymität 294 Ptolemaïs 326 Punier 24 punisch 405 Puteoli siehe Dikaiarcheia Pylos 426f., 431 Quelle 19, 60f., 158, 281, 289–294, 304–330, 336–345 Rechenschaftsbericht 26, 29f., 34, 291, 312f., 330–332, 334, 345, 394, 405, 425f., 432, 443 Redaktion 69, 79f., 233, 236 Reiseliteratur 60, 64, 155, 162, 170, 242 Retter 43, 53, 58, 66, 89–91, 133, 148, 172, 187, 194, 200, 209, 212, 384f., 387, 390, 400, 426 Rhetorik 44f., 59, 61, 70, 73, 139, 151, 245, 251, 260, 266, 301f., 305, 310 Zweite Sophistik 70, 106 Rhodos 94f., 111, 135, 352, 375 Rhodier 364 Rom 35f., 46, 50, 53, 59, 67, 118, 129, 133, 137, 170, 238f., 242f., 253, 283, 285, 300, 304, 307–309, 313, 315, 318–320, 322, 347, 379, 386, 412, 419f., 441f., 448, 452 Roman 1–4, 9f., 15, 34, 40, 60, 69f., 75, 79f., 83, 93–95, 97f., 106, 108,
543
117–120, 123–125, 143, 155, 170, 174, 238, 240–242, 244, 257, 266, 268, 276, 297, 301, 303, 347, 349, 351f., 354, 359, 374, 381, 398, 403, 445–447, 451, 453 Rotes Meer 21f. ᾽Ερυθρὰ θάλασσα 22 Sabbat 254, 259, 267–272, 323 saburra/saburrarii 377–379 Salamis 64 Salmone 136, 349f. Samos 94 Samothrake 90 Sandbank 74, 368, 398, 400 Sarapis 45, 97 Saronischer Golf 55 Satire 119f., 187, 445 Schicksal 48f., 52, 73, 83, 101, 107, 117f., 355, 384, 407–409, 414 Schiffbruch passim Schiffseigner 54, 258, 342, 357, 389 Schlange 406–424 Schuld 194, 196f., 200, 203, 209, 407, 419–421, 424 Schutz 18, 28f., 373, 396, 413, 418, 421f., 427f. göttlicher Schutz 42f., 58f., 65, 384, 390, 409, 412f., 422, 424, 448–450 Schwarzes Meer 21, 26f., 141 Seemacht 24 Seenot passim Seeräuber siehe Piraten Seewandel 42f., 233, 236f. Seleukia 64, 240 Sidon 100, 107, 132, 339, 348–351 Sizilien 38f., 54f., 66f., 98, 350, 387, 404 sizilisches Kap 38 Sizilisches Meer 386 Skipper 23, 38, 40, 56f., 63, 82, 109, 112, 122, 160, 260–262, 265 Skythien Skythe 138–140 skythisch 140
544 skythische Küste Smyrna 48, 50
Indices 140
smyrnäischer Golf 49 Soloeis 25 σωτήρ 44, 90 σώτειρα 93 Staatsschiff 16 Steuermann 41, 54, 58, 62f., 84, 88, 100, 102f., 111f., 261f., 265, 357, 362 Strandung 71–74, 96, 113, 337, 345, 352, 380, 395–399, 426, 432, 440, 443 Sturm passim Sturmstillung 43, 233–235, 238, 240, 262 Sunion 62f. Syrakus 38, 77, 98 Syrakusaner 37, 71 syrakusisch 66 Syrien 65, 177, 237, 325f., 328 Syrer 276 Syrte 39, 166, 368, 440 große Syrte 38f., 368 große Syrte 39 kleine Syrte 192, 368, 443 Taphosiris 261 Tarš¯ıš 188–190 Tarsos 80, 82f. Theben 108 θεῖος ἀνήρ 43, 60, 64, 178–181, 230, 235f., 449f. Thessaloniki 347 Thrakien 46 thrakisch 258 Three Sisters 172 Thugga 434, 437–440 Thymiaterion 25 Tradition 20f., 40–43, 46f., 50, 61, 233, 236, 251, 292f., 295, 316, 324, 330 Cornelius-Tradition 325 Lokaltradition 19, 316 Philippus-Tradition 316, 325
Trapezus 27 Traum 44, 49, 52, 95, 115, 167, 351, 382–384, 392 Doppeltraum 122 Traumerscheinung 49, 337, 382f. Traumgesicht 48, 53, 424 τρικυµία 171f., 174, 178 Troas 177, 301, 304 Troja siehe Ilium Tyana 35, 59 Tyche Caesars Tyche 41f. Tyros 54, 80, 82f., 100, 224–226, 228, 326 tyrisch 108f., 115 Tyrrhenisches Meer 54 Überlieferung siehe Tradition Überspültwerden 29, 50, 174 Unterhaltungsliteratur 1f., 9, 30, 156, 445, 447 Unwetter siehe Wetter Urflut 218, 226 Utopie-Literatur 155 Verschlingung 166f., 185, 194, 206f. Via Egnatia 46 Vision 67, 238, 356f., 382, 384, 449 Christusvision 452 visionssprachlich 67, 356 Vorsehung 36f., 58, 76, 449, 452 Vorzeichen 258, 260, 351f., 354, 358 Warner 78, 85, 355, 357 Welle passim »Wellchen« 47 Wellengebirge 80f., 101, 171, 220, 223, 266, 381, 446 Wetter passim Unwetter 28, 82, 88f., 142f., 148, 172, 177f., 204, 207, 370 Wetteränderung 29, 84, 147, 207, 359 Wetterumschwung 39 Wetterverschlechterung 33 Wetterzeichen 78, 84, 166, 351
Neuzeitliche und moderne Personen Wind
passim
ἀπαρκτίας 38 χῶρος 427, 432
23, 132 87, 164, 359, 426, 432–441, 443 εὖρος 47, 436f. λαῖλαψ ἀνέµου 229, 234, 240 λιβόνοτος 23 λίψ 53, 427, 432 νότος 38, 432 saisonale Winde 23 Turm der Winde 433–437 τυφών/ἄνεµος τυφωνικός 164 Windänderung 29, 63, 74, 76, 82, 132, 142, 164, 262, 359 Windrichtung 55, 132, 439 Etesien
εὐρακύλων
545
Windrose 132, 434–437, 439f. Windstille 27, 29, 38f., 77, 94f., 111f., 122f., 166f., 174, 234, 239, 241, 260f., 274, 351, 391 »Wir«-Stücke 11, 17, 23, 26, 77, 91, 107, 281–311, 330–334, 347, 353, 383, 392f., 397, 450f., 454 Woge passim gewaltiges Gewoge 47 »Wögchen« 47 Wogenschlag 38, 47, 111f., 132, 161 Wogenschwall 28, 41, 101, 112, 144 Zakynthos 108–110 Zeus 97, 107, 196, 413f., 422 Zypern 64, 136 Zyprer 316, 326 zypriotisch 167
Neuzeitliche und moderne Personen Abraham, Aron 188f., 191, 193, 202 Ackerman, James S. 189 Acworth, Angus 432, 438 Albeck, Shalom 192 von Albrecht, Michael 412 Alexander, Loveday C.A. 8, 92, 94, 98, 106, 158f., 299, 302, 311, 406, 448 Alexander, T. Desmond 187 Almquist, Helge 37 Altheim, Franz 99, 106, 108 Anderson, Graham 60, 62, 129, 132 Ascough, Richard S. 78 Aßmann, E. 365f., 372 Assmann, Jan 98 Aune, David E. 3, 6–8 Aus, Roger David 40, 43, 233–235, 237 Avi-Yonah, Michael 324, 326, 328, 335 Backhaus, Knut
331
Balmer, Hans 57, 136, 350, 359, 364, 367, 369, 380, 386f., 399, 406, 425f., 428, 432 Barclay, John M.G. 159, 406 Barion, Hans 252 Barrett, Charles Kingsley 289, 315, 355f., 360f., 363, 367, 369, 380, 382f., 390, 393, 395, 397, 401, 403, 439 Bauckham, Richard 2f. Bauer, Walter 371, 382, 399 Bauernfeind, Otto 341, 343, 379, 391, 394f. Baumbach, Manuel 176 Baur, Ferdinand Christian 60, 336 Becker, Jürgen 228–230, 356 Becker, Jürgen 67 Behr, Charles Allison 44, 46, 48–50, 52f., 55–57 Belz, Caroline 86 Berger, Klaus 83, 98, 270 Bergholz, Thomas 4
546 Betz, Hans Dieter 43, 89, 126, 149, 178–181, 236, 411 Beyerlin, Walter 212–219, 221–223 Bieler, Ludwig 43, 64, 179f., 236, 413 Bietenhard, Hans 269 Bihlmeyer, Karl 325 Billault, Alain 100 Billerbeck, Paul 43, 192, 194, 203, 233, 269, 354, 408, 414 Bindemann, Walther 291, 450 Blackman, Aylward M. 191 Blackman, David J. 206 Blaß, Friedrich 195, 283, 350, 355f., 361, 363, 399–401, 415 Blumenberg, Hans 16, 51f. Bockius, Ronald 262f., 365 Böckh, August 364f., 367f., 380 Böker, Robert 436f. Boffo, Laura 442 Bohrmann, Monette 36 Boismard, M.-E. 450 Bolin, Thomas M. 191f., 197, 201 Bondi, Richard A. 453 Bonz, Marianne Palmer 302 Borger, Rykle 222 Bovon, François 332, 390f., 423 Bowie, Ewen Lyall 52 Bowman, John 184 Brannigan, Fionán 262, 370 Braund, Susanna Morton 142f. Bregman, Jay 249, 256 Breusing, Arthur 57, 145f., 149, 234, 359, 363, 365, 367f., 371–374, 376, 380, 395f., 401f. Brewster, Frank 365 vom Brocke, Christoph 434 Bruce, Frederick Fyvie 335f. Bürger, Karl 79f., 92 Bull, Robert J. 319, 321, 324, 326, 328f. Bultmann, Rudolf 235f., 281, 287, 290, 308, 423 Bunine, Alexis 450 Burchard, Christoph 413, 450
Indices Burfeind, Carsten 304, 452 Burrows, Millar 187 Byrskog, Samuel 290, 293, 295 Börstinghaus, Christiane 433 Cadbury, Henry J. 1, 4, 88, 144, 158f., 282, 289, 296, 349f., 354f., 359, 362–364, 368f., 371, 382, 386f., 396, 398, 401, 405, 407, 414, 426–428, 437f. Capelle, Carl 366 Casson, Lionel 21–23, 31–33, 78, 86, 129f., 132, 134–136, 150, 162, 193, 205, 257, 259, 261–264, 274, 315, 348–351, 353, 358, 365, 367, 372f., 377, 379, 402, 404, 425 Cébeillac-Gervasoni, Mireille 377–379 Charlesworth, M.P. 33 Cimok, Fatih 185 Coates, John F. 365f. Collins, Adela Yarbro 42, 233f., 236f. Colpe, Carsten 51 Colson, Francis H. 393 Conzelmann, Hans 100, 123, 141, 146, 294, 343, 351, 359f., 371, 389, 393 Cornils, Anja 303–306 Cosgrove, Charles H. 304, 452 Dahood, Mitchell 210, 213, 218–222 Danoff, Christo M. 141 D’Arms, John H. 121, 378 Delebecque, Édouard 355, 361–363, 370, 394f., 401 Dessau, Hermann 328, 429f. Dibelius, Martin 3, 8, 290, 292, 294, 296, 302, 310, 313, 338–341, 343–345, 407, 409 Dickson, William P. 438 Diels, Hermann 51 Dietz, Karlheinz 335 Dihle, Albrecht 19f., 22, 24, 27, 32, 44, 60f., 70, 75, 79, 119f., 125, 139, 242, 250–252
Neuzeitliche und moderne Personen von Dobbeler, Axel 325 Dodd, Charles H. 308 Döpp, Siegmar 16, 123f. Doering, Lutz 269f. Dormeyer, Detlev 5–7 Dornseiff, Franz 289 Downey, Glanville 324 Dresken-Weiland, Jutta 185f. Dubel, Sandrine 127 Duff, Timothy E. 35 Dutoit, Julius 194 Duursma, Gerard 379 Duval, Paul-Marie 86 Duval, Yves-Marie 184 Ebner, Martin 410 Eckart, Karl Gottfried 51 Edelstein, Emma Jeannette 52 Edelstein, Ludwig 52 Edwards, M.J. 242 Ehlers, Widu-Wolfgang 22, 155, 162 Ehrlich, Arnold B. 189, 197, 199 Elliger, Karl 213 Epstein, Isidore 269, 409 Erlemann, Kurt 206 Erman, Adolf 191 Erren, Manfred 220, 266 Esser, Dietmar 60, 62, 64, 67 Fabry, Heinz-Josef 190, 193, 208 Feissel, Denis 185–187 Feldman, Louis H. 316, 335 Feraboli, Simonetta 165 Festugière, André Jean 45f., 50f. Fieger, Michael 451f. Firatlı, Nezih 185 Fischer, Thomas 335 Fitzgerald, Augustine 246, 252, 258f. Fitzmyer, Joseph A. 353f., 371, 387, 420 Flichy, Odile 450 Flieger, Manfred 379 Floerke, Hanns 134, 144 Flusser, David 229 Foerster, Gideon 320, 322, 328, 330 Foerster, Werner 423
547
Fohrer, Georg 202 Follis, Elaine Russell 218–221 Fowler, Harold North 372 Fredriksson, Marianne 138 von Freeden, Joachim 434–436 Freedman, David Noel 190f. Freedman, H. 414 Freitag, Klaus 55, 63 Freller, Thomas 413, 432 Frickenschmidt, Dirk 7f. Friedländer, Ludwig 135 Friedman, Richard Elliott 188f. Frisk, Hjalmar 18 Fritz, Wilhelm 249 Froehlich, Susanne 184 Frova, Antonio 324, 326, 328 Fusillo, Massimo 70, 75, 83, 91f., 98f., 106, 108, 112, 114f., 155 Gärtner, Hans 44, 91, 108, 114 Gallagher, Eugene 60, 62, 67 Galli, Lucia 70, 83 Garzya, Antonio 246, 250, 252, 256f. Gaster, Moses 228 von Geisau, Hans 96 Gelsdorf, Friedrich 136f., 274, 372 Gemoll, Wilhelm 427 Genette, Gérard 305f. Georgiadou, Aristoula 153–156, 159f., 164f., 168f. Gerhards, Meik 194 Gerlach, Jens 180 Gerth, Bernhard 134 Gerth, Karl 52 Gese, Hartmut 198, 200, 204, 206 Gesenius, Wilhelm 197, 202, 208 Gilchrist, J.M. 291, 398f., 443 Gillieson, W. Phin 406 Girone, Maria 52 Glaser, Eduard 22 Glei, Reinhold F. 220, 366 Gnilka, Joachim 234, 236, 423 Görgemanns, Herwig 270 von Goethe, Johann Wolfgang 261f. Goette, Hans Rupprecht 434
548 Göttlicher, Arvid 441
Indices 184, 193, 215, 372,
Goldschmidt, Lazarus 192, 269, 408f., 414 Golka, Friedemann W. 207 Good, Edwin M. 226–228 Goodspeed, Edgar J. 428f. Gordon, Richard 96 Gorrini, Maria Elena 138 Gossen, Hans 417–419 Gould, Richard A. 349f. Goulder, Michael D. 210f., 222f. Gow, Andrew Sydenham Farrar 407f. Gradl, Hans-Georg 311 Grant, Robert McQueen 289 Grenfell, Bernard P. 414f. Grützmacher, Georg 246, 248, 252–256, 259, 261, 268, 272, 276 Güngerich, Rudolf 18f., 21f., 24, 26 Guglielmotti, P.M. Alberto 205f. Guttenberger, Gudrun 234 Guyet, François 168 Gzella, Holger 410 Haar, Stephen 316 Habermehl, Peter 119f., 125 Habicht, Christian 52 Hägg, Tomas 92 Haenchen, Ernst 2, 4, 27, 100, 123, 290, 312f., 316, 330, 338–340, 343f., 348, 352, 357f., 360–362, 364, 367f., 371, 374–376, 381, 387, 391, 393, 395, 402, 407, 426f., 446 Hall, A.S. 185 Halpern, Baruch 188f. Hamel, Gildas 201 Hansen, Dirk Uwe 108, 242f., 245 Hanslik, Richard 119 Hardmeier, Christof 202, 204, 210 Hardy, E. 194 Harmon, Austin Morris 145, 171 Harnack, Adolf 283, 288–290, 292, 313, 333, 335, 397
Hartmann, Richard 417–419 Harviainen, Tapani 199 Haury, Jakob 46 Hawthorne, Tim 398 Heininger, Bernhard 7, 62, 66f., 173, 181, 342, 356f., 384f., 391, 412, 447f., 450f. Heintze, Werner 244f. Heinze, Richard 119f., 122–124 Hellenkemper Salies, Gisela 137, 442 Hemer, Colin J. 8, 438f. Hendry, Michael 109, 163, 201, 264, 273, 275, 387 Hengel, Martin 288f., 312, 316, 325–327, 334, 432 Hense, Otto 50 Hercher, Rudolf 250, 257 Hermelin, Ingeborg 246, 253–255, 257f., 272 Hermisson, Hans-Jürgen 213 Herter, Hans 260 Herzog, Rudolf 52, 58f. Heubeck, Alfred 388 Hilgert, Earle 229 Hobart, William Kirk 289 Höckmann, Olaf 32, 86, 129f., 263, 274, 315, 342, 364f., 372 Höfler, Anton 45 Hoffmann, Hans Werner 202 Hofmann, Heinz 98, 120, 156, 238 Hohfelder, Robert L. 319, 321, 324, 326, 328f. Hollander, Harm W. 228–230 Holum, Kenneth G. 319, 321, 324, 326, 328–330 Holzberg, Niklas 70, 92, 98 Holzhausen, Jens 51 Homeyer, Helene 159 Horn, Friedrich Wilhelm 27, 291, 314, 327 Horowitz, Charles 43, 194, 233, 409 van der Horst, Pieter Willem 45, 76f., 413f., 416f. Hose, Martin 18, 21
Neuzeitliche und moderne Personen Houston, G.W. 128f., 131f. Huber, Friedrich 202 Huber, Konrad 184, 376 Hummel, Adrian 118, 303, 451 Hunt, Arthur S. 414f. Husson, Geneviève 128, 131f. Irmscher, Johannes 242 Isaac, Benjamin 329 Jansen-Winkeln, Karl 258 Jarick, John 210, 212f. Jeremias, Jörg 200, 204 Jervell, Jacob 100, 124, 289, 338, 342, 357, 371, 374, 391, 431, 439 Jörg, Jochen 442 Johnson, Luke Timothy 368 Jones, Christopher P. 127, 140, 155f., 176f. Jones, Henry Stuart 47 de Jonge, Marinus 228–230 Jüthner, Julius 140, 404 Jung, Franz 418f. Kahlmeyer, Johannes 16 Kaibel, Georg 436, 438 Kaiser, Otto 193, 207 Kalcyk, Hansjörg 404 Kanda, Shigeo Harold 407f., 412, 414 Kannicht, Richard 29 Karris, Robert J. 1 Kasten, Helmut 53 Kauppi, Lynn Allan 407, 413, 416f., 424 Kautzsch, Emil 197, 208 Kayser, C.L. 60f. Keil, Bruno 46 Kelly, Gavin 286f. Kerényi, Karl 91, 97f. Kertelge, Karl 234f. Kettenbach, Günter 145, 311, 360, 367, 369f., 372f., 376, 380, 395, 425 Kezbere, Ilze 422 Kiechle, Franz 38
549
Kienast, Hermann J. 434f. Kirzner, E.W. 192 Klauck, Hans-Josef 79f., 233, 239, 242 Kliesch, Klaus 343 Kloos, Carola 220 Knoepfler, Denis 418 Knopf, Rudolf 290 Koch, Dietrich-Alex 236, 288, 290–293, 307, 311–314, 332f., 405 Köhler, Kristell 355, 385f., 453 Köster, August 129f. Köster, Helmut 1f. Kokkinos, Nikos 335f. Kollmann, Bernd 234 Kornfeld, Walter 269 Korting, Georg 392 Koskenniemi, Erkki 60 Kossatz-Deißmann, Anneliese 416, 419 Kratz, Reinhard 15, 89, 198, 200, 421 Kraus, Hans-Joachim 210, 212, 214–217, 219, 221 Krauter, Stefan 302 Krentz, Edgar 316, 326 Krieger, Klaus-Stefan 269–272, 318–322 Küster, Erich 414, 417–419 Kumanudis, Stephanos Ath. 430 Kurt, Christoph 398 Kurth, Christina 311 Kurz, William S. 297, 310, 342, 353, 359, 393 Kussl, Rolf 70–75, 83–85, 88f., 91, 360 Kühner, Raphael 134 Labahn, Michael 236f., 408, 453 Labow, Dagmar 159, 406 Lacombrade, Christian 257 Ladouceur, David 195, 419f. Lächler, Paul 206 Lake, Kirsopp 88, 349f., 354f., 359, 362f., 368f., 371, 382, 386f., 396, 398, 401, 405, 426–428, 437f.
550 Laminger-Pascher, Gertrud Lamouille, A. 450
Indices 186
Lanczkowski, Günter 191 Lang, Manfred 392 Larmour, David H.J. 153–156, 159f., 164f., 168f. Lehmann, Clayton Miles 324, 328f. Lehmann-Hartleben, Karl 206 Leisten, Thomas 328 Lemerle, Paul 406 Lesky, Albin 18–20, 22, 24, 27, 32, 44f., 60f., 70, 75, 91f., 99, 106, 108, 115, 139, 165, 197 Levey, Irving M. 318, 330 Levine, Lee I. 318f., 321f., 324, 326, 328–330 Lichtheim, Miriam 191 Lietzmann, Hans 290 Lifshitz, Baruch 324, 328 Lightfoot, J.B. 299 Lindblom, J. 197 Lindemann, Andreas 325 Lipsius, R.A. 36, 94, 123, 166, 238f., 384, 386, 391 Lizcano Rejano, Susana M. 140, 151 Locella, A.E. 93 Lohfink, Norbert 198 Lohse, Eduard 269, 409 Loisy, Alfred 339, 371, 428 Long, Jaqueline 253–257 Lucht, Johannes Friedrich 284 Luebeck, Emil 86, 365, 380 Lüdemann, Gerd 344f., 357 Lux, Rüdiger 187f., 198, 200–203, 206, 209 MacDonald, Dennis R. 301, 399 MacDowell, Douglas 195 MacLeod, Matthew D. 144, 168 Maddox, Robert 4 Madvig, Johan Nicolai 144–146 Magonet, Jonathan 188, 198f. Marcus, Joel 234 Marguerat, Daniel 295 Marti, Karl 187, 190, 194, 197, 199, 204
Marxsen, Willi 334, 432 Mason, Hugh J. 406 Mason, Steve 36f. Massaux, Édouard 423 May, Herbert Gordon 218, 226f. Mayer, Günter 409 McKnight, Edgar V. 9 McLean, B.H. 185f. Medas, Stefano 262f., 350 Meiggs, Russell 205, 378 Meijer, Fik J. 263f. Meinardus, Otto F.A. 432, 438 Meister, Klaus 296 Mell, Ulrich 190, 204, 207 Menge, Hermann 134 Merkelbach, Reinhold 74, 91–94, 97f., 100, 106, 108, 112, 114–116 Mertens, Sabine 184 Metzger, Bruce M. 359, 361f., 369, 433, 439 Metzger, C. 185 Metzler, Dieter 399, 443 Meyboom, H.U. 242 Meyer, Eduard 282f., 288, 290, 302, 340f., 406 Meyer, Ernst 135, 404 Meyer, Paul M. 252 Meyers, Eric M. 324 Migne, Jacques-Paul 250 Miles, Gary B. 195, 419f. Millar, Fergus 325 Millard, Matthias 210 Miller, Patrick D. 210 Mitius, Otto 184 Mitropoulou, Elpis 417, 419 Mittelstaedt, Alexander 283, 315, 325 von Möllendorff, Peter 127, 153–161, 164–168, 361 Moll, Friedrich 205 Mommsen, Theodor 31, 252, 429f. Morenz, Siegfried 227 Morrison, John S. 364–366 Mourelatos, Alexander P.D. 90 Mozart, Wolfgang Amadeus 98 Müller, Karl 22–24
551
Neuzeitliche und moderne Personen Müller, Hans-Peter 218 Mulzer, Martin 189, 198 Mund-Dopchie, Monique 26 Murphy O’Connor, Jerome 331 Musgrave, George H. 443 Mußner, Franz 406 Naber, S.A. 104, 363f., 396 Natzel-Glei, Stephanie 220, 366 Naveh, Joseph 234 Negev, Avraham 324, 326, 328 Nesselrath, Heinz-Günther 153, 155f., 162 Netzer, Ehud 324, 326, 328 Neuburger, Albert 149, 373, 402 Neumann, Nils 311 Nicosia, Salvatore 46f., 49 Niehoff, Maren 229 Niemeyer, Hans Georg 404 Niquet, Heike 377 Nock, Arthur Darby 50f., 290, 330 Norden, Eduard 3, 45, 302, 343 Noth, Martin 219, 269 Oberweis, Michael 390, 393 O’Connor, M. 197 Ogden, Daniel 410f. Oikonomides, Al.N. 24 Olcott, George N. 378 Oliver, James H. 331 Ollrog, Wolf-Henning 312, 314 Olshausen, Eckart 141 Omont, H. 437f. Opgen-Rhein, Hermann J. 188 O’Sullivan, James N. 91f. Overbeck, Franz 336 Page, Denys Lionel 407f. Palmer, Darryl W. 5, 8 Papanikolaou, Antonios Demosthenes 75 Pape, W. 382 Parker, A.J. 129, 442 Parker, Robert 195 Parrot, Douglas M. 300 Parsons, Mikeal C. 2, 7f., 289, 424
Pasinli, Alpay 185 Passow, Franz 171, 382 Patai, Raphael 189, 192, 219, 259 Patrich, Joseph 329 Paul, Jürgen 184 Paulsen, Henning 325 Paulsen, Thomas 108, 114 Pavis d’Escurac, Henriette 378 Penella, Robert J. 61 Perry, Ben Edwin 9, 106 Person, Raymond F., Jr. 188 Pervo, Richard I. 1–3, 7–10, 139f., 142, 149, 151f., 295, 297, 347f., 355, 357, 359, 404, 420, 443, 447, 454 Pesch, Rudolf 100, 124, 198, 200, 314, 338f., 341, 344, 348 Petrounias, Evangelos B. 416 Petzke, Gerd 60–62, 67 Pflaum, Hans-Georg 335 Pilhofer, Peter 135, 177, 307f., 313, 329, 332, 382, 406, 450 Plümacher, Eckhard 1, 5f., 158, 289–291, 295f., 304, 344, 447, 452 Poinssot, Claude 437 Poinssot, Louis 437f. Pokorný, Petr 97f., 383, 391 Pomey, Patrice 128f. Porath, Yosef 329 Porter, Stanley E. 282, 290f., 294f., 297, 397 Post, George E. 417 Potgieter, J.H. 188 Praeder, Susan Marie 7, 10, 15, 107, 297, 300, 304f., 347f., 351f., 359, 381, 383, 390–392, 398–400 Prag, A.J.N.W. 416–419 Pralong, A. 185 Price, Jonathan J. 317 Price, Richard M. 252f. Price, Simon 195 Proust, Marcel 305 Raban, Avner 328–330
319, 321, 324, 326,
552 Rackham, Harris 56 Radermacher, Ludwig
Indices 129
Radl, Walter 403 Radt, Stefan 153 Rahlfs, Alfred 226 Ramsay, William Mitchell 135, 289, 308, 337, 341, 348f., 351, 357f., 369, 371, 380, 386, 389, 399, 425f., 428 Rapp, A. 418 Rappaport, Uriel 320 Rapske, Brian M. 78, 257, 348, 353f., 359, 425–427, 429–432, 440, 443 Ratner, Robert J. 209 Ravaisson-Mollien, Ch. 437 Reardon, Brian P. 94, 106, 112, 114f. Rehm, Albert 436–438 Rehm, Bernhard 242 Reichert, Angelika 154 Reicke, Bo 391–393 Reimer, Andy M. 62, 67f. Reinbold, Wolfgang 292 Reinmuth, Eckart 294 Reiser, Marius 27–31, 40, 45, 57, 59, 137, 437, 440f., 446 Renié, Jules-Edouard 376 Reymond, Philippe 218–220, 222 Reynier, Chantal 367, 372, 375f., 379, 386, 394, 402 Riesner, Rainer 35, 320 Ringgren, Helmer 208 Rist, Josef 245f., 256 Ritti, Tullia 135 Robbins, Vernon K. 17, 24, 26, 285, 296–300 Robert, Carl 197 Robert, Jeanne 335 Robert, Louis 335 Rohde, Erwin 69f., 75, 92–94, 99f., 418 Roloff, Jürgen 100, 124, 312f., 338f., 341, 344, 348, 391, 393, 422, 450f., 453 Roques, Denis 256f.
Rose, Herbert Jennings 85, 106, 140, 196, 276, 418 Rose, V. 412 Ross, William David 251 Rothschild, Clare K. 302, 310 Rougé, Jean 37, 128–131, 259, 358, 365 Rudolph, Wilhelm 187 Rüger, Hans Peter 225, 227 Rütten, Ulrich 153f., 156 Ruge, Walter 185 Saffrey, H.-D. 50 Sandnes, Karl Olav 302 de Santos Otero, Aurelio 239 Sasson, Jack M. 188–192, 201, 208 Saur, Markus 224f. Schaller, Berndt 317 Schauroth, Edward G. 365 Schefold, Karl 418f. Schenke, Hans-Martin 300 Schenke, Ludger 234 Schepens, Guido 7, 35 Schierling, Marla J. 75 Schierling, Stephen P. 75 Schille, Gottfried 100, 123, 338, 348, 351, 371, 376, 389, 393, 395, 398, 402f., 438f., 441, 447 Schinkel, Dirk 451 Schirren, Thomas 60, 63 Schissel von Fleschenberg, Otmar 94, 114 Schmeling, Gareth 79–82 Schmidt, Hans 194 Schmidt, Ludwig 193, 198f., 206 Schmithals, Walter 423 Schmitt, Tassilo 246, 249, 255–257, 272 Schmitz, Christine 143 Schneemelcher, Wilhelm 238f., 242, 300 Schneider, Gerhard 308, 388 Schnelle, Udo 299, 302, 308 Schoff, Wilfred Harvey 22 Scholl, Norbert 307 Schramm, Matthias 255
Neuzeitliche und moderne Personen Schreiber, Stefan 407, 421f., 424 Schröder, Heinrich Otto 44, 46, 57 Schröder, Stephan 47, 49 Schröter, Jens 289, 332 Schürer, Emil 325 Schulz, Raimund 31, 33, 219 Schulz, Siegfried 308 Schwartz, Daniel R. 43 Schwyzer,Eduard 134 Seel, Otto 18, 21, 24 Seiler, Ernst Eduard 366 Seppelfricke, Agnes 439 Seul, Peter 10, 15, 360f., 363, 367, 370, 372, 376, 395, 403 Seybold, Klaus 210, 218, 221 Seyfarth, Wolfgang 284 Shachter, Jacob 414 Shackleton Bailey, David R. 5 Shaked, Shaul 234 Shapiro, Harvey Alan 416–419 Shaw, J. Timothy 366 Sheeley, Steven M. 393f. Siegert, Folker 36f. Silberman, Alain 27 Silberman, Lou H. 407, 409, 414 Simeon, P. Xaver (Hermann) 259–261, 266f., 277 Simon, Maurice 409 Simpson, William Kelly 191 Sirks, A.J. Boudewijn 354, 377–379 Slater, Niall W. 122f. Smallwood, Edith Mary 318f., 321f., 329f. Smith, James 364, 367 Smith, Sidney 226f. Snell, Bruno 29 Snyder, Graydon F. 185, 187 Sodini, J.-P. 185 Söder, Rosa 93, 238, 240 Sommer, Ferdinand 134 Sontheimer, Walther 75 Spencer, F. Scott 282, 297, 310, 314, 316, 327, 422, 424 Stecher, Wilfried 129f., 133, 274 Steffen, Uwe 184, 194
553
Steier, August 417–419 Steinmann, Alphons 326 Stephens, John Charles 49 Stephens, Susan A. 71, 83 Sterck-Degueldre, Jean-Pierre 283, 288, 303, 308f., 332f. Sterling, Gregory E. 6, 159, 448 Sternbach, Leo 63, 112, 122, 160, 259, 389 Stökl Ben Ezra, Daniel 354 Stoewer, Ulfhardt Per Tammo 172 Strauch, Daniel 40 Strecker, Georg 242 Streeter, Burnett Hillman 330 Strelan, Rick 40, 43 Strömberg Krantz, Eva 188–190, 193, 226 Struppe, Ursula 187, 206 Stuhlmacher, Peter 184 Suhl, Alfred 369f., 372, 424, 427, 431, 442f. Szlagor, Barbara 176, 180 Talbert, Charles H. 7, 281, 422, 424 Tannehill, Robert C. 310, 348f., 358, 371, 383, 388, 392f., 403 Tarn, W.W. 33 Taylor, Joan E. 330 Tchernia, André 128f. Testaguzza, Otello 377 Theißen, Gerd 45, 194, 233, 236, 383, 407, 409, 413, 421 Thimmes, Pamela Lee 15, 194 Thornton, Claus-Jürgen 283–287, 289, 294, 303, 309, 312, 315, 331f., 342, 357f., 427, 429–431, 439f., 443 Thornton, Claus-Jürgen 447 Throckmorton, Peter 206 Thümmel, Hans Georg 60 Thyen, Hartwig 308 du Toit, David S. 179f., 413 Tov, Emanuel 198 Travlos, John 434, 436 Trebilco, Paul R. 451 Treidler, Hans 36, 40, 76f., 386f.
554
Indices
Treu, Kurt 245, 251 Trobisch, David 335, 397 Trompf, Garry 195, 419f. Turner, C.H. 238 van Unnik, Willem Cornelis
309
Vermes, Geza 325 Veyne, Paul 121 Vielberg, Meinolf 242 Vielhauer, Philipp 8f. Vilborg, Ebbe 99, 101, 103, 107 Vogt, Joseph 246, 250–253, 255f., 258f., 261 Volkmann, Richard 246, 252f., 256, 258, 276 Vollenweider, Samuel 245, 249–252 Voltaire (François-Marie Arouet) 52 Voss, Bernd Reiner 245 Wachsmuth, Curt 50 Wachsmuth, Dietrich 54, 82, 89f., 121f., 172, 196f., 204–206, 272 Wagner, Richard 196 Waitz, Hans 242, 316 Wallinga, H.-T. 129, 353f. Walters, Patricia 1 Waltke, Bruce K. 197 Warnecke, Heinz 137f., 344, 358, 376, 386f., 399, 426f., 430–432, 439–443 Wedderburn, Alexander J.M. 3, 6–9, 292f., 295, 301f., 310, 312 Wehnert, Jürgen 292, 297, 302, 344f., 421, 424, 427, 431 Wehrli, Fritz 96 Weimar, Peter 198, 206f. Weinel, Heinrich 290 Weinreich, Otto 69f., 111f. Weiser, Alfons 407, 422, 450 Weiser, Artur 187, 204, 206 Weiss, Meir 193, 199 Weissenberger, Michael 139, 155 Wellhausen, Julius 337–339 Wellmann, Max 406 Wendland, Paul 336
Werner, Jürgen 99, 106 Werner, Walter 55f., 63 Weski, Timm 376, 442 Wessel, Klaus 253 Westermann, Claus 97 Wettstein, Johann Jacob 407 Wevers, Gerd A. 234 White, Hayden V. 444 Wiedemann, Alfred 191 Wiegand, Theodor 52 Wieland, Christoph Martin 134, 144 Wifstrand, Albert 393 Wikenhauser, Alfred 302, 371, 386, 395, 405, 428 von Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich 44, 50 Wilcken, Ulrich 299 Wilhelm, Adolf 52 Wilson, R. McL. 300 Windisch, Hans 404f. Winkler, John J. 71, 83 Wirz, Hans 206 Wischmeyer, Wolfgang 184 Witherington III, Ben 348, 391, 439 Wolff, Étienne 80 Wolff, Hans Walter 187–190, 193, 197f., 200–204, 206f., 375 Wolter, Michael 5f., 331, 390, 450 Wünsche, August 203 Yannopoulos, Panayotis A.
253
Zahn, Theodor 34, 45, 73, 81, 88, 96, 102, 105, 150, 162, 164, 171, 178, 229f., 234f., 240f., 266, 325, 356, 363, 381, 384, 391, 400 Zeller, Eduard 289, 336f. Zenger, Erich 187, 210f., 222 Ziebarth, Erich 414 Ziegler, Joseph 226 Zimmerli, Walther 188, 224–227 Zimmermann, Bernhard 140, 165 Zimmermann, Franz 69, 71–75, 83–85, 87, 89, 360 Zmijewski, Josef 338f., 363, 398 Zorell, Franz 401